Johann Sebastian Drey: Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie. Ideen zur Geschichte des Katholischen Dogmensystems. Vom Geist und Wesen des Katholicismus.
Mit anderen frühen Schriften 1812-1819 sowie mit Dokumenten zur Gründungsgeschichte der Theologischen Quartalschrift
0128
2015
978-3-7720-2494-8
978-3-7720-2493-1
A. Francke Verlag
Johann Sebastian Drey
Max Seckler
Winfried Werner
Gegenstand dieses Bandes ist die kritische Edition von 27 Schriften aus der Feder von Johann Sebastian Drey (1777-1853), dem Begründer der Katholischen Tübinger Schule, den man im Hinblick auf die Neuheit und Fruchtbarkeit seines theologischen Denkens als den "Founder" und "Church Father at Tübingen" (Thomas F. O'Meara) bezeichnet hat. Der Schwerpunkt der Edition liegt auf den Abhandlungen, die er in der ersten Phase seines theologischen Schaffens veröffentlichte: Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812), Millenniumsschrift (1814), Beichtschrift (1815), Oratio (1817/19) und Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819), dazu das Autograph seiner Vorlesung zur Geschichte des Katholischen Dogmensystems (1812/13), das hier erstmals kritisch ediert wird. In diesen Texten hat Drey programmatisch die Grundzüge für sein eigenes Werk und für eine epochale Neuorientierung der katholischen Theologie entwickelt. Es eignet ihnen ein "eigentümlicher Zug freudiger Frische und genialer Jugendlichkeit", der "Glanz neu aufgehenden Lichtes kräftiger Gedanken" und "ursprünglicher geistiger Erfahrung" (Bernhard Welte).
Darüber hinaus sind in diesem Band sämtliche verfügbaren Dokumente zur Gründungsgeschichte der Theologischen Quartalschrift zusammengestellt. Aus ihnen geht auch die Führungsrolle Dreys für den Charakter dieser Zeitschrift hervor. Eine dritte Gruppe von Texten vereint unter der Bezeichnung Miscellanea 1819-1835 die 19 Texte, in denen Drey in diesem Zeitraum mit Erläuterungen, Berichten und Analysen zum kirchlichen Zeitgeschehen sich äußerte. Den hier edierten Texten sind zur historischen und aktuellen Erschließung großenteils monographieartige Einleitungen des Herausgebers beigefügt, die auch Forschungsbeiträge enthalten, die zu tiefgehenden Korrekturen gängiger Auffassungen führen und das Frühwerk Dreys in einem neuen Licht erscheinen lassen. Mit dem vorliegenden Band, dem in der Tübinger Ausgabe (TüA) der Nachgelassenen Schriften Dreys 1997 die Edition seines Theologischen Tagebuchs (TüA 1), 2003 seiner Praelectiones dogmaticae (TüA 2) und 2007 seiner Kurzen Einleitung in das Studium der Theologie (TüA 3) vorausgegangen ist, wird nunmehr zusammen mit ihm als TüA 4 das ganze theologische Frühwerk vollständig dokumentiert und dieses in seiner Einheitlichkeit erkennbar sein.
<?page no="0"?> Johann Sebastian Drey Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie. Ideen zur Geschichte des Katholischen Dogmensystems. Vom Geist und Wesen des Katholizismus. Mit anderen frühen Schriften 1812-1819 sowie mit Dokumenten zur Gründungsgeschichte der Theologischen Quartalschrift. Herausgegeben von Max Seckler <?page no="1"?> Johann Sebastian Drey · Revision der Theologie <?page no="2"?> Johann Sebastian Drey Nachgelassene Schriften Herausgegeben von Max Seckler Vierter Band <?page no="3"?> Johann Sebastian Drey Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie. Ideen zur Geschichte des Katholischen Dogmensystems. Vom Geist und Wesen des Katholizismus. Mit anderen frühen Schriften 1812-1819 sowie mit Dokumenten zur Gründungsgeschichte der Theologischen Quartalschrift. Mit textkritischen und sachbezogenen Apparaten, Verzeichnissen und Registern Herausgegeben und mit Einleitungen versehen von Max Seckler Editorisch bearbeitet von Winfried Werner <?page no="4"?> Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http: / / dnb.ddb.de abrufbar. Gedruckt mit Unterstützung des Bistums Rottenburg-Stuttgart © 2015 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. 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Der Fragmentcharakter der Revisionsschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 a. Inhaltliche Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 b. Zwingende Indizien für den Fragmentcharakter der Revisionsschrift . . . . . . . . . . 6 c. Die Frage nach dem Grund der Fragmentierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 d. Wo ist der fehlende Teil geblieben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3. Zum zeitgeschichtlichen und personellen Hintergrund der Revisionsschrift . . . . . . . 10 a. Der zeitgeschichtliche Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 b. Regionale und persönliche Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 4. Der Titel der Revisionsschrift im Spannungsfeld von Aufklärung und Romantik . . 14 a. »Revision« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 b. »... des gegenwärtigen Zustandes der Theologie« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 c. Schelling et alii . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 d. Anhang: Die von Drey in der Revisionsschrift angeführten Personennamen . . . 27 5. Von Rottweil nach Ellwangen. Zur Stellung und Rolle der Revisionsschrift in der wissenschaftlichen Vita Dreys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 a. Zur Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 b. Drey »im dogmatischen Fach ausgezeichnet«. Die Revisionsschrift als gezielt verfaßter Qualifikationsausweis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 c. Die Verankerung der Revisionsschrift in der Religionsphilosophie Dreys . . . . . . 32 6. Der Autor der Revisionsschrift in Ellwangen (1801-1806; 1812-1817): Die Konsistenz seines Denkens und die Kontinuität seiner Überzeugungen auf dem Prüfstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 a. Der Sinn der Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 b. Ein »erstaunlicher Gesinnungswandel«? Die Bruchhypothese . . . . . . . . . . . . . . . . 37 c. Beobachtungen zum wahren Sachverhalt in den Ellwanger Verhältnissen . . . . . . 45 α . Drey und Bestlin; Bestlin oder Schelling? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 β . Die »Bestlinkreise« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 γ . Drey, Gratz, Mets und die »Abendgesellschaft« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 δ . Spannungen? Eine Richtigstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 7. Die Revisionsschrift als Programmschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 a. Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 b. Die Revisionsschrift als epochale Programmschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 <?page no="8"?> VIII Inhalt c. Die Revisionsschrift als persönliche Programmschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 d. Die Revisionsschrift als erste der Dreyschen Programmschriften . . . . . . . . . . . . . 60 8. Zur Rezeptionsgeschichte der Revisionsschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 a. Ihr »Schicksal« im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 α . Der Auftakt im Konstanzer Pastoralarchiv (Wessenberg, Mets, Burg) . . . . . . 63 (1.) Offene Kritik im Januarheft 1812 (Wessenberg, Mets, Burg) . . . . . . . . . . 64 (2.) Verdeckte Stellungnahmen im Dezemberheft 1811 (Wessenberg, Burg) . . 68 β . Interpretatives Nachspiel (Werkmeister, Wessenberg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 γ . Auswirkungen auf Drey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 δ . Zum weiteren Verlauf im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 b. Im 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 α . Neubewertung bei Lauchert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 β . Geiselmann und seine Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 TEIL B: I. Johann Sebastian Drey: Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie . . . . . . . 85 II. Bemerkungen über den durch Hrn. Professor Drey zu Rotweil eingesendeten Aufsatz (A. Joseph Mets. - B. Joseph Vitus Burg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Text Nr. 2 Geschichte des Katholischen Dogmensystems. I. Band. Geschichte der drey ersten Jahrhunderte oder 1 te Periode. Mit Benutzung von Münschers Handbuch dargestellt von J. S. Drey Pr. 1812-1813. [Dogmensystem] TEIL A: Einleitung (Winfried Werner) I. Bibliographische Angaben (Autograph. Erstdruck. Kollegmitschrift) . . . . . . . . . . . . 107 II. Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 1. Manuskriptbeschreibung (Zustand. Textanlage. Korrekturen. Marginalien. Auswertung der Befunde. Editorischer Hinweis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 2. Das Manuskript in der akademischen Lehrtätigkeit Dreys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 3. Inhaltliche Charakterisierung des Manuskripts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 4. Zur Vernetzung der Vorlesung im Frühwerk Dreys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 5. Die Disposition der Vorlesung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 6. Rezeptionsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 a. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 b. In der Fachliteratur vertretene Auffassungen (Thesenliste) . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 α . Zur Bedeutung bzw. Leistung der Vorlesung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 β . Zu Quellen / Inspirationen der Vorlesung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 c. Verzeichnis der berücksichtigten Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 III. Anhang Franz Joseph Manz: Dogmengeschichte nach den Vorlesungen v. Herrn Prof. Dr. Drey. Tübingen, im Sommersemester 1822. [Kollegmitschrift] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 1. Manuskriptbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 2. Disposition der Kollegmitschrift Manz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 TEIL B: Johann Sebastian Drey: Geschichte des Katholischen Dogmensystems. I. Band. Geschichte der drey ersten Jahrhunderte oder 1 te Periode. Mit Benutzung von Münschers Handbuch dargestellt von J. S. Drey Pr. 1812-1813 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Von Drey angeführte Literatur (Winfried Werner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 <?page no="9"?> IX Inhalt Text Nr. 3 Observata quaedam ad illustrandam Justini Martyris de regno millenario sententiam [Millenniumsschrift] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 II. Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 1. Das literarische Genus der Millenniumsschrift im Kontext der Ellwanger Universitätsschriften und -reden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 a. Ihr Charakter als dissertatio und zugleich als wissenschaftliche oratio . . . . . . . . . 249 b. Andere Fälle von dissertationes orationes sowie von andersartigen Universitätsreden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 2. Der Gegenstand der Millenniumsschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 3. Wissenschaftlicher Charakter und dogmengeschichtlicher Ertrag dieser Schrift . . . 253 4. Zur Rezeption der Millenniumsschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 TEIL B: Johann Sebastian Drey: Observata quaedam ad illustrandam Justini Martyris de regno millenario sententiam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 Von Drey angeführte Literatur (Winfried Werner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Text Nr. 4 Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos in ecclesia catholica ex documentis ecclesiasticis illustrans. Sectio I ma [Beichtschrift] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 II. Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 1. Beschreibung der Beichtschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 a. Die Beichtschrift als Disputationsvorlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 b. Die Beichtschrift im Kontext der Ellwanger Universitätsschriften und -reden . 266 α . Disputationsdissertationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 β . Weitere Schriften und Reden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 c. Gegenstand, Ziel und Methode der Beichtschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 d. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 e. Zum Ertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 f. Der ominöse Annex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 2. Zur literarischen und theologiegeschichtlichen Situierung der Beichtschrift . . . . . . 278 3. Die Beichtfrage im theologischen Werk Dreys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 4. Schwierigkeiten mit der Beichtschrift in Rom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 a. »Übelwollende Berichte« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 b. Amtliche Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 α . Im Vorfeld der kirchenamtlichen Beanstandungen: Kellers Gespräche in Rom (1815-1816) sowie erstes Wetterleuchten im Breve vom 21. März 1816 . . . . 291 β . »Ellwanger Professoren« im Visier: Das Breve vom 26. März 1817 . . . . . . . . 293 γ . Der Brief Consalvis vom 27. März 1817 an Keller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 δ . Die Antwort Kellers vom 19. Juni 1817 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 c. Zum vatikaninternen Verfahren gegen die Beichtschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 d. Ist Drey wegen der Beichtschrift nicht Bischof geworden? . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 5 <?page no="10"?> X Inhalt 5. Zur Rezeptionsgeschichte der Beichtschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 a. Im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 b. Im 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 c. Exkurs: Vermeil, Drey und Gratz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 TEIL B: Johann Sebastian Drey: Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos in ecclesia catholica ex documentis ecclesiasticis illustrans. Sectio I ma . . 315 Von Drey angeführte Literatur (Winfried Werner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 Text Nr. 5 Oratio de dogmatum christianorum incremento institutioni divinae haud adverso [Oratio] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 II. Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 1. Thema, Aufgabenstellung und Charakter der Oratio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 2. Ist der Text der Oratio bereits 1815 entstanden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 3. Zum Inhalt der Oratio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 4. Ihr Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 a. Die Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 b. Der argumentative Hauptteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 c. Der Schluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 d. Die Anmerkung der Schriftleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 5. Datierung der Oratio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 6. Bedeutung der Oratio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 a. Für die Problematik der Beichtschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 b. Für das theologische Werk Dreys insgesamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 c. Für die Theologiegeschichtsschreibung und die Theorie der Dogmenentwicklung 360 d. Für die Biographie Dreys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 7. Rezeptionsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 TEIL B: Johann Sebastian Drey: Oratio de dogmatum christianorum incremento institutioni divinae haud adverso . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 Text Nr. 6 Vom Geist und Wesen des Katholicismus [Katholizismusschrift] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) I. Bibliographische Angaben (Erstdruck. Nachdrucke. Übersetzung) . . . . . . . . . . . . . . . 369 II. Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 1. Beschreibung und Situierung der Katholizismusschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 2. Präzisierungen zum Katholizismusbegriff Dreys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 3. Zum methodischen Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 4. Die Katholizismusschrift als Programmschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 5. Das Katholizismusthema im Frühwerk Dreys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 6. Zur Datierung der Katholizismusschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 7. Zum Verhältnis Katholizismusschrift / Revisionsschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 <?page no="11"?> XI Inhalt 8. Zur Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Katholizismusschrift . . . . . . . . . . . . 420 a. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 b. Im 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 TEIL B: Johann Sebastian Drey: Vom Geist und Wesen des Katholicismus . . . . . . . . . . 453 1. Beziehung des Katholicismus auf das Urchristenthum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 2. Beziehung des Katholicismus auf die Grundprincipien des Urchristenthums . . . . . 461 3. Beziehung des Katholicismus auf christliche Religiosität, und christliche Gottesverehrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 4. Beziehung des Katholicismus auf christliches Kirchenthum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 Von Drey angeführte Literatur (Winfried Werner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 Texte Nr. 7 Dokumente zur Gründungsgeschichte der Theologischen Quartalschrift [ThQ-Dokumente] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 1. Dokument Nr. 1: Die Ankündigung der ThQ von 1818/ 1819 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 2. Dokument Nr. 2: Nachtrag zur Ankündigung von 1819 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 3. Dokumente Nr. 3: Erklärung und Widerlegung von 1820 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 4. Dokumente Nr. 4: Zwei Briefe (Keller / Drey) von 1821 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 5. Dokument Nr. 5: Grundsätze für die reformierte Quartalschrift (1826/ 27) . . . . . . . . . . 493 6. Dokumente Nr. 6: Brief Dreys vom 18. Dezember 1831 an die Mitherausgeber sowie Anordnungen der Redaktion vom 2. Januar 1832 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 II. Erläuterungen zu diesen Dokumenten im ganzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 1. Begründung für die Aufnahme dieser Dokumente in den vorliegenden Band . . . . 494 2. Die Frage nach dem Anteil der am Zustandekommen der Theologischen Quartalschrift beteiligten Personen in der Fachliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 a. Drey als Begründer der Theologischen Quartalschrift (Karl Werner) . . . . . . . . 495 b. Stephan Lösch über die Führungsrolle Dreys und die Anteile der Gründungsherausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 c. Andere Stimmen (Rudolf Reinhardt, Norbert Wolff) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 3. Zur Vorgeschichte der Theologischen Quartalschrift. Personen und Faktoren . . . 501 4. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 III. Erläuterungen zu den einzelnen Dokumenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 1. Zu Dokument Nr. 1 (Ankündigung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 a. Sinn und Zweck der Ankündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 b. Der Vertrag der Herausgeber mit dem Verleger Heinrich Laupp vom 6. Juli 1818 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 c. Warum und wozu diese neue Zeitschrift? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 d. Inhalt und Bedeutung der Ankündigung nach Vermeil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 e. Zur Frage der Autorschaft Dreys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 α . Die besondere Kompetenz Dreys für das wissenschaftliche Zeitungswesen . 513 β . Die Leitmotive im Text der Ankündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 γ . Das Theologische Tagebuch als »die Vorform« der ThQ? . . . . . . . . . . . . . . . . 514 δ . Die Anspielung auf das Bayerische Konkordat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 ε . Die sprachlichen und stilistischen Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 ζ . Die Ankündigung im Lichte der Dokumente Nr. 3, 4 b, 5 und 6 . . . . . . . . . . 515 <?page no="12"?> XII Inhalt 2. Zu Dokument Nr. 2 (Nachtrag zur Ankündigung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 3. Zu den Dokumenten Nr. 3 a (Erklärung gegen Gerhauser) und Nr. 3 b (Widerlegung gegen v. Mastiaux) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 a. Zu Dokument Nr. 3 a (Erklärung gegen Gerhauser) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 b. Zu Dokument Nr. 3 b (Widerlegung gegen v. Mastiaux) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 4. Zu den Dokumenten Nr. 4 a (Brief Keller) und Nr. 4 b (Brief Drey) . . . . . . . . . . 526 a. Zu Dokument Nr. 4 a (Brief von Generalvikar Bischof Johann Baptist von Keller an die Herausgeber der Theologischen Quartalschrift vom 4. Februar 1821) . . . . . . . . . 526 b. Zu Dokument Nr. 4 b (Drey als Redacteur der Theologischen Quartalschrift im Namen der Herausgeber an Bischof Keller. Brief vom 8. Mai 1821) . . . . . . . . . . . 530 5. Zu Dokument Nr. 5 (Grundsätze für die reformierte Quartalschrift. 1826/ 27) . . . . . . . 535 6. Zu den Dokumenten Nr. 6 a (Brief Dreys an die Mitherausgeber) und Nr. 6 b (Anordnungen der Redaction der Quartalschrift) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 a. Zu Dokument Nr. 6 a (Brief Dreys vom 18. Dezember 1831 an die Mitherausgeber) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 b. Zu Dokument Nr. 6 b (Anordnungen der Redaction der Quartalschrift in der Sitzung vom 2. Januar 1832) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 TEIL B: Die Dokumente zur Gründungsgeschichte der Theologischen Quartalschrift Nr. 1: Die Ankündigung der ThQ (1818/ 19) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 Nr. 2: Der Nachtrag zur Ankündigung (1819) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 Nr. 3 a: Die Erklärung (1820) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542 Nr. 3 b: Die Widerlegung (1820) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546 Nr. 4 a: Brief von Generalvikar Keller an die Tübinger Professoren (4. Februar 1821) . 549 Nr. 4 b: Brief der Herausgeber der ThQ an Generalvikar Keller (8. Mai 1821) . . . . . . . 551 Nr. 5: Grundsätze für die reformierte Quartalschrift (1826/ 27) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557 Nr. 6 a: Brief Dreys an die Herausgeber (18. Dezember 1831) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559 Nr. 6 b: Anordnungen der Redaktion (2. Januar 1832) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562 Text Nr. 8 Das Bayerische Concordat [Konkordatsaufsatz] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 II. Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 1. Der Konkordatsaufsatz Dreys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 a. Der Text (Gegenstand, literarisches Genus, Datierung, Ort in der ThQ) . . . . . 565 b. Zum Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569 2. Zur Stellung des Konkordatsaufsatzes im Werk Dreys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575 3. Auflistung der für den Konkordatsaufsatz im weiteren Sinn relevanten Texte Dreys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578 a. Äußerungen Dreys zum Verhältnis von Kirche und Staat im Theologischen Tagebuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578 b. Abhandlungen und Berichte (1819-1848) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579 c. Rezensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580 4. Einschlägige Titel im Büchernachlaß Dreys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581 5. Zur Rezeptionsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 TEIL B: Johann Sebastian Drey: Das Bayerische Concordat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584 <?page no="13"?> XIII Inhalt Texte Nr. 9 Miscellanea 1819-1835 [Misz.] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601 Misz. Nr. 1: Erläuterung I [zu drei Thesen von Claus Harms] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 602 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 602 II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 602 TEIL B: Johann Sebastian Drey: [Erläuterung I] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604 Misz. Nr. 2: Erläuterung II [zu Christian Heinrich Schützes Entstellung des Katholicismus] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 TEIL B: Johann Sebastian Drey: [Erläuterung II] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 609 Misz. Nr. 3: Literarische Nachricht [»eine neue griechisch-lateinische Ausgabe des N.T.« von Peter Alois Gratz] TEIL A: Hinweise zu diesem Text (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615 II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615 TEIL B: entfällt Misz. Nr. 4: Kirchliche Nachricht [Administration der vom Bistum Konstanz abgetrennten schweizerischen Kantone] TEIL A: Hinweise zu diesem Text (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616 II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616 TEIL B: entfällt Misz. Nr. 5: Literärische Berichtigung [Chronique religieuse, Dissertation Spegele] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 617 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 617 II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 617 TEIL B: Johann Sebastian Drey: Literärische Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619 Misz. Nr. 6: Ueber den gegenwärtigen Zustand der katholischen Kirche und Geistlichkeit in Frankreich [Frankreichbericht] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620 II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620 III. Biographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625 TEIL B: Johann Sebastian Drey: Ueber den gegenwärtigen Zustand der katholischen Kirche und Geistlichkeit in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 626 Misz. Nr. 7: Kirchliche Nachrichten [zur gegenwärtigen Lage der katholischen Kirche in Schweden; Erhebung Johann Baptist Kellers zum Generalvikar] TEIL A: Hinweise zu diesem Text (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642 <?page no="14"?> XIV Inhalt II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 643 TEIL B: Johann Sebastian Drey: Zur gegenwärtigen Lage der katholischen Kirche in Schweden; Erhebung Johann Baptist Kellers zum Generalvikar . . . . . . . . . . . . . . . 643 Misz. Nr. 8: Universitätsnachrichten [Tübingen, Breslau, Bonn, Corfu] TEIL A: Hinweise zu diesem Text (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 645 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 645 II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 TEIL B: entfällt Misz. Nr. 9: Erklärung [gegen Dr. Gerhauser] [Querverweis auf Dokument Nr. 3 a in Texte Nr. 7] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 646 Misz. Nr. 10: Widerlegung [gegen die Litteraturzeitung (v. Mastiaux)] [Querverweis auf Dokument Nr. 3 b in Texte Nr. 7] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 646 Misz. Nr. 11: Kirchliche Nachrichten [Budget für Geistlichkeit und Kultus in Frankreich 1820; Chorherr Glutz Koadjutor des Bischofs von Basel] TEIL A: Hinweise zu diesem Text (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 647 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 647 II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 647 TEIL B: entfällt Misz. Nr. 12: Kirchliche Nachrichten [Konkordats- und Kirchenangelegenheiten in Bayern und Preußen] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 648 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 648 II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 648 TEIL B: Johann Sebastian Drey: Konkordats- und Kirchenangelegenheiten in Bayern und Preußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 650 Misz. Nr. 13: Nekrolog [auf Franz Andreas Frey] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 652 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 652 II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 652 TEIL B: Johann Sebastian Drey: Nekrolog auf Frey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 654 Misz. Nr. 14: Nekrolog [auf Patriz Benedikt Zimmer] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655 II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655 TEIL B: Johann Sebastian Drey: Nekrolog auf Zimmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 663 Misz. Nr. 15: Kirchliche Nachrichten [Verhältnisse der katholischen Kirche in Sachsen-Weimar] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 666 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 666 II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 669 TEIL B: Johann Sebastian Drey: Verhältnisse der katholischen Kirche in Sachsen-Weimar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 673 6 <?page no="15"?> XV Inhalt Misz. Nr. 16: Von den Verhältnissen der nichtunirten griechischen Kirche in den österreichischen Staaten TEIL A: Einleitung (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681 II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681 TEIL B: Johann Sebastian Drey: Von den Verhältnissen der nichtunirten griechischen Kirche in den österreichischen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 689 Misz. Nr. 17: Stimmen aus der Kirche [zu den Hirtenschreiben der Bischöfe von Münster, Freiburg, Ermeland und Köln bzgl. Synodalwesen und Fastenverordnungen] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 718 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 718 II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 718 TEIL B: Johann Sebastian Drey: Zu den Hirtenschreiben der Bischöfe von Münster, Freiburg, Ermeland und Köln bzgl. Synodalwesen und Fastenverordnungen . . . . . . . 721 Misz. Nr. 18: Gute Aussichten für die Kirche TEIL A: Einleitung (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 725 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 725 II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 725 TEIL B: I. Johann Sebastian Drey: Gute Aussichten für die Kirche . . . . . . . . . . . . 732 II. Gute Aussichten für die Kirche [Stuttgarter Stellungnahme] . . . . . . . . . 734 Misz. Nr. 19: Vorwort [für Peter Schleyer] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 738 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 738 II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 738 TEIL B: Johann Sebastian Drey: Vorwort für Schleyer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 744 Anhang Zum wissenschaftlichen Nachlaß von P. Pierre Chaillet SJ (Max Seckler) 749 I. Der Drey betreffende Nachlaß Chaillets in Vanves . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 752 II. Die Disposition der von Chaillet geplanten Dreyedition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 754 Abbildungen mit Bildlegenden (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 757 Verzeichnisse, Listen, Register (Winfried Werner) Hinweise zu den Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 799 In Kurzform angezeigte Archive und Bibliotheken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 801 Bibliographische Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 801 Weitere Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 801 In TüA 4 verwendete Kürzel und Arbeitstitel für Schriften Dreys . . . . . . . . . . . . . . . . . . 802 Bibelstellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 802 Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 804 <?page no="17"?> Zu diesem Band Mit diesem Buch erhält die vor 17 Jahren begonnene Tübinger Ausgabe (TüA) der Schriften Johann Sebastian Dreys eine besonders reichhaltige Fortsetzung. Es enthält neben anderen für die Zielsetzung dieses Bandes einschlägigen Materialien mehr als 30 Dreytexte unterschiedlicher Art und Länge. Ihr Umfang reicht von einer halben bis zu über 100 Seiten. Der Art nach handelt es sich um wissenschaftliche Abhandlungen, den Text einer handschriftlich erhalten gebliebenen Vorlesung, Dokumente zur Gründungsgeschichte der Theologischen Quartalschrift (ThQ) und einen Block von Miszellen. Chronologisch gesehen gehören die meisten Texte der ersten theologischen Schaffensperiode Dreys und somit seinem Frühwerk an. Sie komplettieren die in den vorausgehenden Bänden in Angriff genommene editorische Erschließung seines Frühwerks, zu dem es zuvor großenteils nur ungefähre Vorstellungen, lückenhafte Kenntnisse und vielfach auch abenteuerliche Mutmaßungen gab. Die Dreyforschung wird mit ihnen für ihre künftige Arbeit in dinglich-textueller Hinsicht über verläßliche Grundlagen verfügen. Sie wird so auch in der Lage sein, das innovatorische Frühwerk Dreys nach seiner inhaltlichen Seite neu anschauen und würdigen zu können. Nicht zuletzt wird dieser Band dazu führen, die Irrtümer und Fehleinschätzungen, die das Bild des frühen Drey entstellten, zu beseitigen. Dieser Band schließt sich nicht nur numerisch, sondern auch gegenständlich und werkbezogen an die bisher erschienenen Bände der TüA an, die gleichfalls Schriften aus der ersten Schaffensperiode Dreys enthalten. Ihm vorausgegangen ist 1997 mit Band I die kritische Edition von Dreys Mein Tagebuch über philosophische, theologische und historische Gegenstände 1812-1817 (TüA 1), 2003 als Band II in gleicher Weise die Dokumentation seiner Praelectiones dogmaticae 1815-1834 in 2 Teilbänden (TüA 2), und 2007 in Band III die Kurze Einleitung in das Studium der Theologie von 1819 (TüA 3). Der vorliegende Band IV beinhaltet alle jene dem Frühwerk Dreys entweder direkt zugehörenden oder eine enge Beziehung zu ihm aufweisenden Schriften, die in den Bänden I - III noch nicht berücksichtigt werden konnten, weil jeder dieser Bände monothematisch auf die Edition der einen Schrift abgestellt ist, die er zum Gegenstand hat, und weil jede dieser Schriften wegen ihres Umfangs ja auch »ihren« Band ausfüllte. Wenn der vorliegende Band den übrig gebliebenen Rest der zum Frühwerk Dreys gehörenden Schriften beinhaltet, so ist er deswegen kein Restesammler geringeren Grades. Im Gegenteil. Er enthält die das Frühwerk am prägnantesten darstellenden Stücke. <?page no="18"?> XVIII Zu diesem Band Und da für alle diese Stücke die Revisionsschrift Dreys als Matrix seines ganzen Frühwerks tonangebend und richtungweisend war, drängte es sich auf, diesem Band den Kurztitel »TüA 4 (Revision der Theologie)« mit auf den Weg zu geben. Insgesamt wird in den Bänden I - IV nunmehr das ganze theologische Frühwerk Dreys, soweit es handschriftlich überliefert ist oder im Druck vorliegt, komplett erfaßt und editorisch erschlossen sein. Das zu tun, war nicht von Anfang an geplant. Vorgesehen war anfangs nur, die im strengen Sinn des Wortes »nachgelassenen«, d.h. von Drey nicht selbst im Druck veröffentlichten Schriften aus seiner Feder zu edieren, wie es ja auch in der Titelei der TüA angezeigt ist. Diesem Vorhaben entsprechen die Bände I und II der TüA insofern ganz genau, als sie mit dem Theologischen Tagebuch und den Dogmatikvorlesungen Autographe Dreys beinhalten. Der der Kurzen Einleitung gewidmete Band III war bereits ein Grenzfall. Sie erschien 1819 zwar in Buchform, aber das dem Herausgeber vorliegende Handexemplar Dreys enthält so viele und teilweise in den Text eingreifende Korrekturen, Ergänzungen und andere Bemerkungen, die Drey wohl auch im Hinblick auf eine von ihm in Aussicht genommene zweite Auflage in es eingetragen hat, daß es von daher gerechtfertigt war, auch sie unter dem Label Nachgelassene Schriften herauszugeben. Hinzu kam, daß in diesem Band zwei Kollegmitschriften zu Dreys Enzyklopädievorlesungen dokumentiert und erstmals ediert werden konnten. Der vorliegende Band enthält dagegen teils Texte von der Art »echter« nachgelassener Schriften, teils solche, die von Drey im Druck veröffentlicht worden sind. Konkret verhält es sich so: In der Seitenzählung dieses Bandes erstreckt sich die Edition der Dreytexte, die dem Kriterium nachgelassener Schriften genau entsprechen, auf gut 130 Druckseiten. Bei zwei weiteren Schriften handelt es sich insofern um Grenzfälle, als sie zwar für einen universitätsinternen Zweck gedruckt wurden, sie aber nicht in den Buchhandel kamen; ihr Umfang beläuft sich auf annähernd 40 Druckseiten. Die übrigen Schriften sind seinerzeit regulär im Druck erschienen; sie haben einen Umfang von rund 170 Druckseiten. Somit enthält dieser Band etwa zur Hälfte nachgelassene Schriften und zur Hälfte den editorisch bearbeiteten Nachdruck von Dreytexten. Mit der Aufnahme der letzteren in diesen Band ist bezüglich des ursprünglichen Editionsplans, der ja auf die Nachgelassenen Schriften Dreys abgestellt war, infolgedessen eine Änderung bzw. Ausweitung eingetreten. Maßgeblich dafür war die Überlegung, daß auf diese Weise alle zum Frühwerk Dreys gehörenden theologischen Schriften erfaßt und ediert sein werden, soweit sie nicht schon in den vorausliegenden Bänden berücksichtigt sind, und daß somit in den Bänden I - IV der TüA das ganze theologische Frühwerk Dreys lückenlos dokumentiert sein wird 1 . 1 Der handschriftliche Nachlaß Dreys aus dessen Rottweiler Zeit (1806-1812) gehört nicht <?page no="19"?> XIX Zu diesem Band Nachdem in den vorliegenden Band zwangsläufig auch von Drey selbst veröffentlichte Schriften und Texte aufzunehmen waren, und nachdem somit die für die TüA ursprünglich vorgesehene Eingrenzung auf seine nachgelassenen Schriften überschritten wurde, war zu überlegen, ob und wie es mit der TüA weitergehen könnte. Dem Herausgeber wurde von verschiedenen Seiten signalisiert, daß es wünschbar wäre, das TüA-Projekt auf andere, abgelegene Druckschriften Dreys, die es wert seien, der Forschung neu zugänglich gemacht zu werden, auszudehnen. Deswegen ist nun geplant, in zwei weiteren Bänden die nicht mehr zum Frühwerk Dreys gehörenden Rezensionen und Abhandlungen Dreys herauszugeben, die zwischen 1819 und 1852 (Rezensionen) bzw. 1819 und 1844 (Abhandlungen) erschienen sind. Dies zur Ausweitung des Editionsprojekts. * Der Terminus »Frühwerk« bedarf einer kurzen Erläuterung. Er war bisher in der Klarheit, in der er hier verwendet wird, nicht üblich. Gesehen wurde natürlich, daß es sich bei dem einen oder anderen dieser Texte um Schriften der Anfangszeit Dreys und insofern aus seinem Frühwerk handelt, aber vom Umfang und von der prägnanten Eigenart dieses Frühwerks gab es nur vage und widersprüchliche Vorstellungen. Der Herausgeber gesteht, daß er erst beim genauen Studieren dieser Schriften, und erst bei der Abklärung der verwickelten Verhältnisse und Umstände, in denen sie entstanden sind, zu der Einsicht gelangte, daß das theologische Frühwerk Dreys eine klar abgrenzbare und durchaus in-sich-ständige literarische Größe darstellt, die als solche ausweisbar ist und in ihrer Ganzheit dokumentiert zu werden verdient. Es ist in der Tat von faszinierender Eigenart und darf künftig, als Ganzes betrachtet, im Gesamtwerk Dreys den ihm gebührenden Rang einnehmen. Um zu dieser Einsicht zu gelangen, mußte ein langer Weg von der Sekundärliteratur zu den Quellen und durch das Gestrüpp rezeptionsgeschichtlicher Irrwege beschritten werden. So sind auch die umfangreichen Einleitungen zu den Dreytexten entstanden. Die Bezeichnung Frühwerk bietet sich an, weil sie die erste literarische Schaffensperiode Dreys abdeckt und weil die dazu gehörenden Schriften über die chronologische Perspektive hinaus auch inhaltlich und intentional eine Einheit bilden. Um Jugendschriften handelt es sich bei ihnen aber nicht. Drey realisierte diesen Werkkomplex während seines ersten Septenniums als bedazu. Dieser umfaßt gesichert über 800 und ungesichert zusätzlich rund 600 Seiten. Darunter befinden sich auch religionsphilosophische Aufzeichnungen, aber die meisten davon haben andere Thematiken (z.B. mathematische, naturphilosophische und physikalische) zum Gegenstand. Sie wären für die Dokumentation seines theologischen Frühwerks allenfalls nur indirekt von Belang. Während seiner Zeit als Philosophieprofessor in Rottweil hat Drey nichts veröffentlicht. Eine gesonderte Edition seines Rottweiler Nachlasses wäre eine Aufgabe für sich, die vorerst hintanzustellen ist. <?page no="20"?> XX Zu diesem Band stallter Professor der Theologie (ausgenommen die 1812 erschienene, aber noch in Rottweil entstandene Revisionsschrift, mit der Drey seinen Übergang zur Theologie öffentlich machte). Das war seine beste schöpferische Zeit. Als er im Januar 1812 mit dem Artikel Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie, seiner ersten Publikation überhaupt, an die Öffentlichkeit trat, war er 35 Jahre alt, und 1819, als er mit der Kurzen Einleitung und der Abhandlung Vom Geist und Wesen des Katholicismus sein Frühwerk abrundete, hatte er als 42jähriger Tübinger Ordinarius den Eintritt ins Schwabenalter hinter sich. Die knapp sieben Jahre, die er zuvor, von 1806 bis 1812, als »Profeßor der Philosophie« (so seine Selbstbezeichnung in dieser Zeit) am Lyzeum in Rottweil zugebracht hatte, waren für ihn Jahre des Lehrens und Lernens gewesen. Sie waren, wie sich in der Revisionsschrift herausstellte, die er gegen Ende seiner Rottweiler Jahre verfaßte, die Inkubationszeit für sein künftiges theologisches Schaffen. Am Ende dieser Zeit hatte er das Programm, dem er sich als Theologe verschreiben würde, nicht nur fertig im Kopf, sondern auch schon weitgehend schriftlich fixiert. Er hat das im Herbst 1812, also ganz zu Beginn seiner Zeit als Professor der Theologie an der Friedrichsuniversität in Ellwangen, in einer Tagebuchnotiz detailliert umrissen. Es geht aber auch aus den Inhalten der Revisionsschrift prägnant hervor. Diesen revolutionären Artikel hatte er in aller Form als Programmschrift konzipiert und ihn der Öffentlichkeit als solche präsentiert; in ihm hatte er die Desiderate für eine seines Erachtens überfällige epochale Erneuerung der Theologie vorgetragen, denen er dann auch für seine Person sich sogleich gestellt hat. Seine Jahre an der Friedrichsuniversität waren im Hinblick darauf eine Zeit der planmäßigen Umsetzung der Programmpunkte im Hörsaal und am Schreibtisch. Aus den Programmideen der Revisionsschrift ist somit sein ganzes Frühwerk und sind zumal die im vorliegenden Band zusammengestellten Schriften hervorgegangen. Auch der Geist und die Richtung der gegen Ende dieser Werkphase ins Leben gerufenen ThQ gehören dazu, wie den in diesen Band aufgenommenen ThQ-Dokumenten und den dazu gehörenden Einleitungen zu entnehmen ist. In dieser Zeit, und mit den Schriften seiner ersten literarisch produktiven Schaffensperiode, gewann Drey das geistige Profil, das sein wissenschaftliches Lebenswerk im ganzen kennzeichnen sollte, und von da aus wurde er zu jener Instanz erster Ordnung für den Weg der Theologie in eine neue Zeit, als welche er unterdessen unangefochten gilt. Aus den im Frühwerk gelegten Fundamenten ist nicht zuletzt auch die Katholische Tübinger Schule hervorgegangen, die, ineins mit der ThQ, ihrem dafür ins Leben gerufenen Organ, in Tübingen sogleich aufblühte und schon Mitte der 1820er Jahre ihren weithin ausstrahlenden Höhepunkt erreichte. Die im vorliegenden Band dokumentierten Abhandlungen aber bilden zusammen mit der Kurzen Einleitung das publizistische Herzstück seines Frühwerks. Prospektiv gesehen, d.h. wenn man davon ausgeht, wie der noch unbekannte, aber ungemein kühne Selbst- <?page no="21"?> XXI Zu diesem Band denker am Anfang, als Verfasser der Revisionsschrift, einem ungeschriebenen, wenngleich laut raschelnden Blatt gleichend, sich ins Offene hinauswagte, so wird ex post, wenn man die Schriften des Frühwerks zusammen vor Augen hat, erkennbar, daß er in ihnen Schritt für Schritt und mit vollkommener Konsistenz seine Programmideen realisierte. Dazu gehörte (1.), der Theologie schon in ihrem wissenschaftstheoretischen Ansatz ihre »mystische«, d.h. originär religiöse Dimension, die ihr im Rationalismus der Aufklärung und in den Formalismen der scholastischen Schultheologie abhanden gekommen war, zurückzugeben, ineins damit aber (2.) die Positivität des Christentums, d.h. dessen Charakter als geschichtlich gestiftete und im Prozeß der Geschichte fortdauernde und je und je aus der Kraft seines Ursprungs und den Geist seines Wesens zu lebendiger Gegenwart sich vermittelnde Religion neu zu durchdenken und daraus die nötigen Schlüsse zu ziehen. Zu denen gehören (a) ein Begriff der Theologie, der auf der spekulativen Vermittlung von Glaube und Vernunft im Fleisch der Geschichte aufruht, (b) eine organologische Theorie der Entwicklung der christlichen Dogmen und Heiltümer, und (c) der Wille, die Geschichte des Christentums mit den Methoden der historisch-kritischen Forschung ungeschönt zu rekonstruieren und deren Ergebnisse zu einer Instanz der Dogmatik zu erheben, koste es, was es wolle. Und es hat ihn viel gekostet, wenn man etwa an die üblen Auswirkungen der Beichtschrift denkt. Anders, als gewöhnlich angenommen wird, gehört diese Potenzierung der historisch-kritischen Methode substantiell zu den Programmideen des Dreyschen Frühwerks, und nicht nur die spekulative Aufwertung des Geschichtlichen und der organologische Traditionsbegriff. Die Matrix dieser Programmideen aber war die Revisionsschrift. Drey ist davon nie abgewichen, sämtliche Schriften sind daraus hervorgegangen, und von Kontinuitätsbrüchen, wie sie dem Drey des Frühwerks unterstellt wurden, kann nicht entfernt die Rede sein. * Wer sich mit den Texten befaßt, die in den vorliegenden Band Aufnahme gefunden haben, begibt sich auf eine wahre Entdeckungsreise. Das gilt primär für die Inhalte, die erst in ihrer Zusammenstellung zu einem Ganzen und in ihrer wechselseitigen Verflochtenheit ihren wirklichen Gehalt freigeben. Aber die Entdeckungsreise begann für den Herausgeber bereits bei der Frage nach den in diesen Band aufzunehmenden Texten. Von den 34 hier edierten Texteinheiten sind nämlich nur fünf unter dem Namen Dreys im Druck erschienen, für einige andere stand seine Verfasserschaft zwar gleichfalls fest, aber der große Rest mußte aus einem Meer anonymer Veröffentlichungen herausgefischt und Drey als ihr Autor identifiziert werden. Dies deshalb, weil in der ThQ, der die meisten dieser Texte entnommen sind, von 1819 bis 1831 alle Beiträge samt und sonders ohne Verfasserangabe veröffentlicht wurden. Für <?page no="22"?> XXII Zu diesem Band die Verfasserschaftszuschreibungen konnte glücklicherweise weitgehend auf Lösch zurückgegriffen werden, aber es gab Grenzfälle, Lücken und Fehlzuschreibungen, die eingehendere Recherchen nötig machten. Mit den in diesem Band versammelten Texten sind, je bezogen auf die Kategorien, denen sie zugehören, wie gesagt sämtliche dafür einschlägigen Beiträge aus der Feder Dreys erfaßt und für sie seine Autorschaft gesichert. Im einzelnen stellt sich die Verfasserschaftsfrage folgendermaßen dar: (1.) Für fünf Beiträge steht Drey als Autor fest, weil sie mit Angabe seines Namens im Druck erschienen sind (Revisionsschrift, Millenniumsschrift, Beichtschrift, Oratio, Schleyervorwort). - (2.) Da das Manuskript der Vorlesung von 1812/ 13 zur Geschichte des katholischen Dogmensystems als Autograph vorliegt, ist auch für diesen Text die Verfasserschaft Dreys direkt gesichert. - (3.) Für 20 der in der ThQ ususgemäß ohne Verfasserangabe veröffentlichten Texte konnte die Verfasserschaft Dreys erschlossen werden (Katholizismusschrift, Konkordatsaufsatz, Miszellen Nr. 1 - 18). - (4.) Für fünf der neun Dokumente, die die Gründungsgeschichte der ThQ betreffen (Texte Nr. 7), ist die Verfasserschaft Dreys direkt oder indirekt unterschriftlich ausgewiesen (Erklärung und Widerlegung von 1820 [Dokumente Nr. 3a und 3b], Brief von 1821 [ebd. 4b], Grundsätze für die reformierte Quartalschrift von 1826/ 27 [ebd. 5] und Brief von 1831 [ebd. 6a]). - (5.) Für die Ankündigung der ThQ durch die Gründungsherausgeber von 1818 und den dazu gehörenden Nachtrag von 1819 zeichnete Drey formell als Mitherausgeber (ebd. Dokumente Nr. 1 und 2). - (6.) Für die Anordnungen von 1832 (siehe ebd. 6b) konnte nachgewiesen werden, daß sie in ihrer Existenz und Substanz auf Drey zurückgehen. Diese 34 Texte lassen sich im Hinblick auf ihren literarischen Charakter in folgende vier Typen bzw. Gruppen aufteilen: I. Vorlesungsmanuskripte. Damit ist hier in erster Linie das Manuskript der Vorlesung Dreys zur Geschichte des katholischen Dogmensystems von 1812/ 13 gemeint. Dieses Manuskript ist als Autograph erhalten geblieben. Es wurde von Drey bis 1822 für Vorlesungen benutzt und dafür weiter bearbeitet. Zu seiner Vorlesung von 1822 existiert eine studentische Kollegmitschrift. Das Manuskript Dreys ist im vorliegenden Band erstmals den Regeln einer kritischen Edition gemäß wiedergegeben; in ihn aufgenommen ist ferner die Disposition der Mitschrift. Damit ist nunmehr zugleich das letzte der bisher noch nicht textgetreu veröffentlichten wissenschaftlichen Manuskripte aus dem theologischen Frühwerk Dreys editorisch erschlossen. II. Wissenschaftliche Abhandlungen 1812-1819 (Revisionsschrift, Millenniumsschrift, Beichtschrift, Oratio, Katholizismusschrift, Konkordatsaufsatz). Die ersten fünf von ihnen sind für das Frühwerk Dreys zentral, sie stehen für den Abhandlungsteil des Frühwerks. Mit der letzten von ihnen, dem Konkordatsaufsatz von 1819, der chronologisch gesehen noch der Phase seines Frühwerks zu- <?page no="23"?> XXIII Zu diesem Band geordnet werden könnte, hatte Drey dagegen bereits die Serie seiner zeitgeschichtlichen Berichte und Analysen (siehe unten in Ziff. IV) eröffnet; dem literarischen Genus nach gehört er eher zu ihnen. Die für das theologische Frühwerk Dreys einschlägigen fünf Abhandlungen wurden von Drey stilistisch ganz unterschiedlich ausgefertigt. Sie sind auch in unterschiedlicher Form und verstreut über mehrere Publikationsorgane im Druck herausgekommen. Drei von ihnen sind in lateinischer Sprache verfaßt (Millenniumsschrift, Beichtschrift, Oratio), die beiden ersten sind als halböffentliche Universitätsdrucke nicht in den Buchhandel gekommen. So waren die fünf Abhandlungen teils schwer auffindbar, teils sprachlich schwierig zugänglich, teils wurden sie als universitätsinterne Funktionsschriften von vorne herein zu niedrig gehängt. Mit Ausnahme der Revisionsschrift und der Katholizismusschrift wurde in der Fachliteratur ihre inhaltliche Relevanz für das theologische Frühwerk Dreys kaum erkannt. Die Existenz der Oratio wurde völlig übersehen, die Millenniumsschrift wurde bestenfalls in Bibliographien erwähnt, die Beichtschrift wurde zwar mit Getöse bekämpft, aber mit so massiv vergröberten und polemisch instrumentalisierten Inhaltsangaben, daß leicht zu erkennen ist, daß sie kaum gelesen, geschweige denn vorurteilsfrei studiert wurde. Der werkgeschichtliche Rang und die theologische Bedeutung der drei lateinischen Abhandlungen wurde rebus sic stantibus nicht erkannt. Vom Frühwerk Dreys konnte infolgedessen nur lückenhaft, nebulös und mit bizarren Verzerrungen die Rede sein. Es wurde angenommen, es habe bei Drey kein Frühwerk aus einem Guß gegeben, sondern nur disparate Themenbehandlungen. Im vorliegenden Band sind die Abhandlungen des Dreyschen Frühwerks in der Reihenfolge ihrer Publikation zusammengestellt und im Wortlaut der Vorlagen wiedergegeben. So wird hier - unter Gewähr ihrer Vollständigkeit - erstmals ein Überblick auf diesen Schriftkomplex und eine Zusammenschau der Themen und Inhalte ermöglicht. Das mit dem Begriff »Frühwerk« Gemeinte gewinnt so nicht nur klare Konturen, sondern auch die Wucht eines bei aller Diversität der Themen und der Diskurstypen ganzheitlichen Phänomens. Während in der Dreyforschung bisher keine hinlängliche Vorstellung vom tatsächlichen Umfang des Dreyschen Frühwerks vorhanden war und man sich, je nach Wissensstand und Interessenlage, damit begnügte, dieses oder jenes Stück herauszupicken und es zum Teil recht einseitigen, ja abenteuerlich abwegigen Beurteilungen zu unterziehen, wird jetzt eine solide Arbeitsgrundlage zur Verfügung stehen. Es ist nicht zuviel behauptet, wenn festgestellt wird, daß das Frühwerk Dreys oft nur ein Tummelplatz quellenferner Mutmaßungen, durchsetzt mit bösen Unterstellungen, war, und vielfach nur eine Gelegenheit zum Weiterkolportieren rezeptionsgeschichtlicher Versatzstücke, die im Verlauf der »Verschreyung« des frühen Drey aufkamen. Davon war die Revisionsschrift als vermeintlich unausgegorenes Produkt eines <?page no="24"?> XXIV Zu diesem Band dem romantischen Mystizismus verhafteten und sich übernehmenden Anfängers betroffen, und unter umgekehrten Vorzeichen die Beichtschrift als bloß kritizistisches Experimentierstück eines am Dogma rüttelnden Aufklärers, beide aber bewertet als disparate Erscheinungen eines diskontinuierlichen Entwicklungsgangs in der wissenschaftlichen Vita Dreys. Solche Fehlurteile konnten sich nur einstellen und behaupten, wo man die Texte nur oberflächlich oder nur vom Hörensagen kannte. Selbst die Akten der kirchlichen Zensurbehörden verraten eine unglaublich oberflächliche Kenntnis der inkriminierten Beichtschrift. Und die Oratio wurde auch dort nicht mehr erfahrungsrelevant zur Kenntnis genommen. III. ThQ-Dokumente 1818 19-1832. Die in Texte Nr. 7 zusammengestellten Schriftstücke haben die Gründungsgeschichte der ThQ und die erste Phase ihrer konzeptionellen Ausgestaltung zum Gegenstand. Die Gründungsherausgeber waren am 7. Juli 1818 vertraglich übereingekommen, diese Zeitschrift als Organ ihrer theologischen Richtung herauszugeben. Die urkundlichen Gründungsdokumente haben sie anfangs 1819 im ersten Heft der ThQ veröffentlicht. Im Hinblick auf den zeitlichen Rahmen des vorliegenden Bandes hätte es genügt, nur diese Texte, an deren Zustandekommen und Inhalten Drey maßgeblich beteiligt war, in ihn aufzunehmen. Damit wäre immerhin angezeigt gewesen, daß der Anteil, den Drey in sie einbrachte, noch zu seinem Frühwerk gehört. Die Anfänge des ThQ-Projekts reichen ja ohnehin auf die Ellwanger Zeit, die Zeit der Grundlegungen und somit auch des Dreyschen Frühwerks, zurück. Bei der Aufbereitung der Materialien stellte sich indessen heraus, daß die die Gründungsphase der ThQ dokumentierenden Schriftstücke von 1818 bis 1832 ein Ganzes bilden und nicht auseinandergerissen werden sollten. Dies vor allem deshalb, weil die meisten von ihnen der Feder Dreys entstammen und sie der von ihm betriebenen Umsetzung und Weiterentwicklung des ThQ-Programms von 1818/ 19 dienten. Eine Verschiebung ihrer Wiedergabe auf einen späteren Band hätte diese Zusammenhänge zerrissen und wäre für die Dreyforschung zumindest unpraktisch gewesen. Aus diesen Gründen wurden für den vorliegenden Band sämtliche Schriftstücke zusammengestellt, die die Gründungsphase der ThQ von 1818 bis 1832 betreffen. Damit wird der Forschung zum ersten Mal eine vollständige und lückenlose Sammlung dieser Dokumente zur Verfügung gestellt. IV. Zeitgeschichtliche Berichte, Stellungnahmen und Analysen 1819-1829 (1835). In der ThQ konnten wie bereits erwähnt 18 Beiträge identifiziert werden, in denen Drey als Beobachter und Berichterstatter des Zeitgeschehens in Erscheinung trat. Sie sind im Kapitel Texte Nr. 9 unter der Sammelbezeichnung Miscellanea angeführt. Darunter finden sich auch simple Nachrichten aus dem Leben von Kirche und Universität. Dreys Hauptinteresse galt aber »Ereignissen«, »Entwicklungen« und »Zuständen« in Kirche und Staat, soweit sie <?page no="25"?> XXV Zu diesem Band ekklesiologisch Relevantes betrafen. Auf diesen Gebieten formulierte er mitunter recht temperamentvoll, aber stets mit dem Engagement eines dem Zeitgeschehen zugewandten professionellen Ekklesiologen, seine Auffassungen. In einigen dieser Beiträge übersteigen seine Ausführungen ihren Anlaß, sie bereichern deshalb unsere sonstigen Kenntnisse seines ekklesiologischen Denkens und seiner kirchenpolitischen Einstellungen substantiell und werfen auch für sein Persönlichkeitsbild einiges ab. Diese Beiträge sind in den ersten elf Jahrgängen der ThQ erschienen, nach 1829 hat Drey in dieser Rubrik nichts mehr veröffentlicht. Im vorliegenden Band sind somit auch alle in diese Rubrik fallenden Texte Dreys erfaßt und dokumentiert. Auch für diesen Textblock gilt das oben in Ziff. III zu den ThQ-Dokumenten Gesagte: Die für Band IV der TüA vorgesehene Eingrenzung auf die Zeit des Dreyschen Frühwerks wurde überschritten, um alle derartigen Texte Dreys beieinander zu haben. - Das Schleyervorwort von 1835 wurde als Misz. Nr. 19 in diesen Textblock aufgenommen, weil es seiner literarischen Art nach ein Einzelfall in seinen Schriften überhaupt ist und weil sonst für es eine eigene Rubrik hätte eingeführt werden müssen. * Der vorliegende Band hat einen Gesamtumfang von 848 Seiten. Er ist daraufhin konzipiert, die genannten 34 Texte zu dokumentieren und sie durch Erläuterungen zu erschließen. Die Realisierung dieses Vorhabens bildet demgemäß den Hauptteil dieses Bandes. Dieser erstreckt sich auf annähernd 750 Seiten. Davon entfallen insgesamt 340 Seiten auf die edierten Texte und 401 Seiten auf Einleitungen zu ihnen. Dem Hauptteil angefügt sind 36 mit Erläuterungen versehene Abbildungen sowie ein Anhang zur Rezeptionsgeschichte Dreys in Frankreich. Dieser Block umfaßt 48 Seiten. Am Ende des Bandes finden sich Verzeichnisse, Listen und Register. Eröffnet wird er mit einem detaillierten Inhaltsverzeichnis, das besonders darauf abgestellt ist, die zahlreichen in den Einleitungen behandelten Themen und Stoffe anzuzeigen. Es kann deshalb als eine Art Sachregister benutzt werden. Da mit diesem Band die Tübinger Ausgabe der Schriften Dreys fortgesetzt wird, ist er in seiner formalen Gestaltung den bisherigen Bänden angeglichen. Auch die für sie geltenden editorischen Grundsätze wurden weitestgehend beibehalten. Die hier edierten Dreytexte, denen in einigen Fällen zusätzliche Schriftstücke beigefügt wurden, sind mitsamt den jeweils zu ihnen gehörenden Einleitungen in neun Texteinheiten, die den Charakter von Kapiteln haben, aufgeteilt. Die Kapitelüberschriften geben Auskunft über die unter ihnen angeführten Schriften bzw. Dokumente. Die Abfolge der Kapitel ist chronologisch geordnet. Die Texte bzw. Texteinheiten sind im Hinblick auf den praktischen Umgang mit ihnen, d.h. für Zitierungen und Querverweise, unter dem Kürzel »Text Nr. ...« bzw. »Texte Nr. ...« durchnumeriert. In »Text <?page no="26"?> XXVI Zu diesem Band Nr. 1« bis »Text Nr. 6« sowie in »Text Nr. 8« ist jeweils eine der zum Frühwerk Dreys gehörenden Schriften untergebracht. Sie repräsentieren im vorliegenden Band die im eigentlichen Sinn wissenschaftlichen Stücke von Dreys Frühwerk. In »Texte Nr. 7« sind die neun Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ zusammengestellt, die diesen Vorgang erstmals lückenlos und aus erster Hand dokumentieren. Sie haben größtenteils Drey zum Verfasser und belegen dessen Anteil an der Gründung und Ausgestaltung der ThQ. Auch sie sind aus praktischen Gründen durchnumeriert. Das letzte Kapitel umfaßt unter dem Kürzel »Texte Nr. 9« und unter der Überschrift »Miscellanea 1819-1835« die 19 Texte, in denen Drey als Beobachter und Berichterstatter zeitgeschichtlicher Vorgänge in Erscheinung getreten ist. Auch in diesem Kapitel sind alle dieser Kategorie zugehörenden Texte Dreys erstmals nachgewiesen und zusammengestellt. Jeder Textkomplex, bestehend aus dem zur Edition gelangten Dreytext und der dazu gehörenden Einleitung, ist als in sich eigenständige Einheit gestaltet. Die beiden Teile, aus denen diese Einheiten zusammengesetzt sind, sind mit den Buchstaben A und B gekennzeichnet. Die A-Teile enthalten demgemäß stets die Einleitungen des Herausgebers (bzw. in Text Nr. 2 seines Mitarbeiters Winfried Werner), in den B-Teilen sind die Dreytexte nach den Regeln einer kritischen Edition wiedergegeben. In den A-Teilen finden jeweils unter Ziff. I die bibliographischen Angaben zum Fundort der Dreytexte und zum Verfasserschaftsnachweis sowie gelegentlich weitere Hinweise; im Anschluß daran sind jeweils unter Ziff. II in Einleitungsform die Erläuterungen zur Erschließung und Einschätzung der Dreytexte untergebracht. Die Anmerkungen sind in jeder Texteinheit neu durchnumeriert. Dem editorischen Hauptteil angefügt ist der erwähnte Anhang zum wissenschaftlichen Nachlaß von Pierre Chaillet SJ, der sich in Vanves in Paris befindet (749-756). Chaillet spielte in der Rezeptionsgeschichte Dreys eine herausragende Rolle. Der Nachlaß enthält Projekte zur Einführung Dreys in Frankreich, dazu die ersten, noch unveröffentlichten Übersetzungen von Dreytexten ins Französische, auch sie von Chaillet. Dieser Nachlaß war bisher in der Dreyforschung nicht bekannt. Die dem Band mit auf den Weg gegebenen Abbildungen (757-795) können über ihren direkten Informationsgehalt hinaus auch etwas zur atmosphärischen Situierung hergeben. Sie sind vermittels der ihnen beigegebenen Legenden mit den Dreytexten vernetzt. Zu ihnen gehören faksimilierte Titelblätter, Texte bzw. Textproben und vor allem Konterfeis von Personen, die in näherer oder entfernterer Weise mit den Dreytexten in Verbindung stehen. Von Joseph Mets, der in der wissenschaftlichen Vita Dreys eine bemerkenswert vielseitige Rolle spielte, konnte leider trotz intensiver Recherchen kein Portrait ausfindig gemacht werden. Er ist deshalb im Abbildungsteil mit einer auf seine Wandlungsfähigkeit in Sachen Zensur hindeutenden Textprobe ver- <?page no="27"?> XXVII Zu diesem Band treten. Abbildungen, die im vorliegenden Band vermißt werden, finden sich vielleicht in den anderen Bänden der TüA. * Und der Ertrag des vorliegenden Bandes? Wie jede kritische Edition historischer Texte darauf angelegt sein muß, mehr oder weniger schwer zugängliche oder verderbte Texte in ihrer Originalfassung zu dokumentieren und zu erschließen, so gilt das auch für den vorliegenden Band bezüglich der in ihn aufgenommenen Schriften Dreys. Das A und O einer solchen Ausgabe liegt demnach im Handwerk der Edition, und nach den dabei erzielten Ergebnissen ist sein Ertrag zu bemessen. Genau genommen liegt dieser Ertrag auf verschiedenen Ebenen. Er betrifft zum einen die Texte, die nun für sich selbst sprechen und so aus sich heraus ihre Wirkungsgeschichte entfalten können. Mit der Ausgabe dieser Texte wird ihnen und ihrem Autor im theologischen Diskurs der Gegenwart gleichsam zu Sitz und Stimme verholfen, und Drey kann sich nun wie ein lebendig Sprechender seine Leser suchen. Diesbezüglich beinhalten die in diesem Band dokumentierten Texte einiges Potential: In ihnen tritt ein Denken zutage, das für seine Zeit gezielt innovativ sein wollte, zugleich aber kräftig genug ist, seinen zeitgeschichtlichen Kontext zu überschreiten. Selbst der Sprache Dreys eignet eine unverbrauchte Frische. Sie ist mit den Stilmerkmalen, die so viele Schriften des 19. Jahrhunderts verstaubt und veraltet erscheinen lassen, erstaunlich wenig behaftet. Weitaus die meisten der in diesem Band dokumentierten Schriften gehören der ersten literarischen Schaffenszeit Dreys an. Sie bilden zusammen wie oben dargelegt sein theologisches Frühwerk als eine im Dreyschen Gesamtwerk klar abgrenzbare Größe von eigener Identität. Semantisch gesehen signalisiert der Terminus Frühwerk, daß es hier ein Ganzes gibt, das die Einzelteile überwölbt und ihnen ihren Stellenwert zumißt. Und in dieser Hinsicht liegt der Ertrag dieses Bandes darin, daß der Drey des Frühwerks in seinen Texten unverfälscht und unverstellt zu Wort kommen kann. Zum andern liegt der Ertrag in dem, was dieser Band zur Erschließung der Texte mit sich bringt. Bei den Untersuchungen, die zum Anlaß, Kontext und Inhalt der Dreytexte sowie zu ihrer Rezeptionsgeschichte unternommen wurden, stellte sich wie schon angedeutet heraus, daß die bisherige Kenntnis und Einschätzung der Texte beträchtliche Mängel aufweist. Es ging dabei nicht um Interpretationsfragen, die ihre Stärken und Schwächen haben und je nachdem kontrovers diskutiert werden können, sondern um Tatbestände und Sachfragen, an denen bei entsprechender Kenntnis nicht zu rütteln ist, und dabei nicht selten um massive Fehlurteile. Darüber hinaus förderten die Recherchen Überraschendes zur wissenschaftlichen Vita und zum Persönlichkeitsbild Dreys ans Licht. In der Literatur zum Frühwerk Dreys und zu seiner Person haben sich wie gesagt schon früh Vorurteile eingenistet und sich im <?page no="28"?> XXVIII Zu diesem Band Laufe der Zeit quasi more scientifico zu Gemeinplätzen verfestigt, die zu hinterfragen sich als notwendig erwies. Sie betreffen teils direkt den blanken Gehalt der Texte, teils ihre zeitgeschichtliche und biographische Situierung. Das Frühwerk Dreys und sein Autor ist auf diesen Gebieten von der ersten Stunde an zu einem Tummelplatz polemischer Unterstellungen, aus der Luft gegriffener Behauptungen und selbst abgefeimter Gemeinheiten geworden, die das Geschehen verfälscht, das Bild Dreys eingetrübt und seine Schriften entstellt haben. Das alles hat sich unter den Gespinsten scheinbarer Informiertheit fortgepflanzt. Es bedurfte eines langen Anlaufs und eingehender Nachforschungen, um dieses Dickicht lichten und die Dinge richtigstellen zu können. Zu bemerken war aber auch, daß es in der Fachliteratur zum Frühwerk Dreys wahre Perlen gibt, die zum Glänzen zu bringen eine Freude war. Die dabei erzielten Ergebnisse können im Rahmen eines Vorworts nicht im einzelnen angeführt werden. Einige Hinweise mögen genügen. An erster Stelle hervorhebenswert sind die bereits angesprochenen Erkenntnisse zur textuellen Seite des Frühwerks. Sie betreffen hauptsächlich die Revisionsschrift und die Beichtschrift. Für die erstere wurde zwingend nachgewiesen, daß der im Konstanzer Pastoralarchiv veröffentlichte Text nur ein Teil, genauer genommen nur der historische Einleitungsteil des von Drey verfaßten Revisionsaufsatzes ist. Der Rest, d.h. der systematische Hauptteil, blieb ungedruckt. Die bisherigen Interpretationen der Revisionsschrift haben darunter gelitten, daß ihr Fragmentcharakter nicht berücksichtigt und somit pars pro toto gesetzt wurde. Ähnlich, nur mit viel gravierenderen Folgen, verhält es sich mit der Beichtschrift. Der unter diesem Kurztitel in der Dreyforschung rezipierte Text ist in Wahrheit nur der erste, auch er nur der historische Teil eines größeren Ganzen. Daß der systematische Hauptteil fehlt, wurde nie berücksichtigt, in diesem Fall mit besonders verheerenden Folgen für die Beurteilung des Dreyschen Denkens und Wollens. Hier konnte nachgewiesen werden, daß dieser ungemein wichtige Hauptteil 1819 von Drey unter dem Titel Oratio (de dogmatum christianorum incremento institutioni haud adverso) veröffentlicht wurde, auch er übrigens im Pastoralarchiv Wessenbergs. In den Diskussionen um die Beichtschrift, die diesseits und jenseits der Alpen stattfanden, mit den bekannten Folgen für Drey persönlich und für die Einschätzung seines theologischen Frühwerks, wußte man nicht einmal um die Existenz der Oratio. Daß darunter die Interpretation und Beurteilung der Beichtschrift litt, versteht sich von selbst. Drey hat in der Oratio nicht nur die Intentionen freigelegt, die er mit der Beichtschrift verfolgte, sondern zu ihr den systematischen Überbau nachgeliefert, mit Systemgedanken, die zum Wichtigsten und Innovativsten nicht nur seines Frühwerks, sondern seines theologischen Denkens überhaupt gehören. Wenn Geiselmann, gestützt auf die Katholizismusschrift, das organologische Geschichtsdenken Dreys und seinen Begriff der lebendigen Überlieferung als besondere Leistungen herausstellte, <?page no="29"?> XXIX Zu diesem Band und dies mit Recht, so ist ihm - und allen, die sich in diesen Sachen auf Geiselmann verlassen haben - wegen der Unkenntnis der Oratio eine andere und gewiß nicht weniger wichtige Seite im Geschichtsdenken Dreys entgangen, nämlich der schon erwähnte Einsatz der historisch-kritischen Methoden zur Freilegung des wahren Verlaufs der Kirchengeschichte an einem von Drey ausgewählten, besonders brisanten Beispiel. Die organische Entwicklung des Dogmensystems erfolgte zwar nicht ohne innere Logik, aber sie ist durchsetzt mit Stolpersteinen, die um der Redlichkeit der Theologie willen nicht plattgewalzt werden dürfen. Sie sind der epistemologische Ernstfall der Dogmengeschichte, ihrer Wechselfälle und Formenwelten. Drey illustrierte das in der Beichtschrift an den vicissitudines des Bußsakraments, und er handelte sich damit die bekannten Schwierigkeiten ein, aber in der Oratio entwickelte er die Grundsätze für eine in diesen Dingen ehrliche und sie zugleich in sich aufnehmende theologische Prinzipien- und Erkenntnislehre. Hier geht es um die pragmatische Seite im Traditionsbegriff Dreys. Der von Geiselmann herausgearbeitete Traditionsbegriff muß von daher ergänzt werden. Wenn es nach ihm eine der großen und vielleicht die größte Leistung Dreys war, der Geschichte im theologischen Begriff des Christentums als positiver, d.h. geschichtlich gestifteter Religion zu ihrem Recht verholfen zu haben, und daß diese Leistung in seiner spekulativen Vermittlung von Vernunft und Geschichte einerseits und seinem organologischen Verständnis des Überlieferungsgeschehens anderseits liege, so ist diese Auffassung ergänzungsbedürftig. Für den Drey der Beichtschrift und der Oratio bildet sich in der pragmatologischen Erforschung der Dogmengeschichte ein eigener theologischer Parameter heraus, und die historisch-kritische Methode ist das Instrument der Wahrheitsfindung für das geschichtliche Wesen und Gewesensein des Christentums in den klippenreichen Gewässern seiner Vergangenheit, und sie ist für Drey deshalb eine elementare Instanz der Dogmatik. Wenn von seiten der an dieser Methode besonders interessierten Historiker gewöhnlich behauptet wurde, sie habe erst in der zweiten oder dritten Generation der Katholischen Tübinger Schule Einzug in sie gefunden, so entspricht das infolgedessen nicht den Realitäten. Es war vielmehr Drey, der in seinem Frühwerk sowohl theoriegeleitet als auch in praxi das bereits vorgenommen hat. Die ersten großen Historiker der Katholischen Tübinger Schule waren auch in dieser Hinsicht Schüler Dreys. Der Herausgeber konnte sich für seine Einleitungen zu den Dreytexten zwar vielfach auf die Sekundärliteratur stützen, aber es stellte sich bei den Vorarbeiten heraus, daß ihr nicht uneingeschränkt zu trauen ist. Es gab da manche desillusionierende Überraschung und Enttäuschung. Die Ergebnisse sind in die Einleitungen eingegangen. In ihnen wird deshalb grundsätzlich nicht das bisher Geläufige oder scheinbar wissenschaftlich Gesicherte unbesehen weitertransportiert. Sie haben den Charakter von eigenständigen For- <?page no="30"?> XXX Zu diesem Band schungsbeiträgen. Die Probleme betreffen neben schieren Inhaltsfragen und Verfasserschaftszuschreibungen vor allem die zeitgeschichtlichen Bezüge der Schriften, ihre Verwicklung in Konflikte und die Rekonstruktion von Geschehensabläufen, und immer wieder die Rückkoppelungen auf Drey, seine Person und Biographie. Die hier erzielten Ergebnisse greifen tief in lieb oder unlieb gewordene Klischees ein, sind aber so zahlreich, daß sie in einem Resümee nicht einzeln aufgeführt werden können. Ein Blick in das detaillierte Inhaltsverzeichnis kann einen ersten Eindruck davon vermitteln. Das Spektrum dieser Abklärungen erstreckt sich praktisch auf alle hier zur Debatte stehenden Schriften Dreys und ihre Einbettung in seine wissenschaftliche Vita. Die genaue Rekonstruktion der Konflikte um die Revisionsschrift - und noch viel mehr um die Beichtschrift - ist wohl besonders hervorhebenswert. Und was schließlich die Gründungsgeschichte der ThQ und die Rolle Dreys in ihr angeht, so werden die dazu zusammengestellten Dokumente auch auf diesem Feld künftig für Klarheit sorgen. * Im Vorausgehenden wurde verschiedentlich angedeutet, daß die Vorarbeiten für diesen Band einer Reise glichen, auf der es Neues und Überraschendes zu entdecken gab. Manches konnte ausgegraben und vieles mußte umgepflügt werden, was bei der Projektplanung noch nicht abzusehen war. Aus diesem Grund, aber auch wegen anderer Publikationspflichten, hat das Erscheinen dieses Bandes länger auf sich warten lassen, als ursprünglich veranschlagt war. Jetzt, nachdem er fertiggestellt ist, denkt der Herausgeber dankbar an die Helfer und Hilfen zurück, die zum Gelingen beigetragen haben. Unter ihnen ist wiederum - wie auch schon bei den vorangegangenen Bänden der TüA - sein ständiger Mitarbeiter Dr. Winfried Werner zu nennen, der mit seiner in vielen Jahren erworbenen Kompetenz, gepaart mit unermüdlicher Hilfsbereitschaft und selbstlosem Einsatz in dürftiger Zeit, stets aufs Beste kooperierte. Er hat in diesen Jahren mit mir die Freuden und Leiden geteilt, die sich auf dem dornenreichen Weg zur inventiven Erschließung des Dreyschen Frühwerks einstellten. Ihm oblag in erster Linie die editorische Ausfertigung der Dreytexte, angefangen bei ihrer Transkription, ihrer kritischen Bearbeitung und elektronischen Erfassung bis zu ihrer definitiven Formatierung, darüber hinaus aber auch die technische Erstellung der Druckvorlage für diesen Band nach dem Regelwerk des Tübinger Systems von Textverarbeitungs-Programmen (TUSTEP). Für den Text von Nr. 2 verfaßte er außerdem den dazu gehörenden Einleitungsteil. Auch die Anfertigung der Verzeichnisse, Listen und Register fiel in seinen Zuständigkeitsbereich, desgleichen alle Schreibarbeiten, die bei einer besseren personellen Ausstattung des Projekts Sache einer Schreibkraft gewesen wären. Nichts war ihm zuviel. Dr. Reinhold Rieger hat vor Jahren die erste Transkription von Text Nr. 2 vorgenommen und die <?page no="31"?> XXXI Zu diesem Band erste, vorläufige Fassung der dazu gehörenden Apparate erstellt. Eugen Fesseler, der ehemalige Leiter der Bibliothek des Wilhelmsstifts, war in Notfällen wie immer ein hilfsbereiter Ansprechpartner. Sehr zu danken ist ferner den Damen und Herren der Bibliothek des Wilhelmsstifts, der Diözesanbibliothek, der Universitätsbibliothek, der Seminarbibliotheken sowie anderer Bibliotheken und Institute z.B. in Stuttgart und Konstanz. Gleiches gilt für das Universitätsarchiv in Tübingen, das Diözesanarchiv in Rottenburg und das Staatsarchiv in Ludwigsburg. P. Robert Bonfils SJ, dem Leiter des Archivs der Ordensprovinz Paris der Gesellschaft Jesu in Vanves, ist für detaillierte Auskünfte und Kopien besonders Dank zu sagen. Auch Professor Joseph Hoffmann (Straßburg), Professor Joseph Rief (Ellwangen), Professor Immo Eberl (Ellwangen) und Professor Norbert Wolff (Traunstein) haben durch Auskünfte sich verdient gemacht, desgleichen Frau He´le`ne Poisson (Quebec) mit Materialien aus dem Nachlaß Chaillet. Meine Fakultät hat durch administrative Hilfen und durch die Bereitstellung des für die Projektarbeiten nötigen Raumes mitgewirkt. Frau Maria Reger hat auch dieses Mal das ganze Projekt mit den kritischen Augen und dem kundigen Rat der Germanistik begleitet und mit dem guten Geist anhaltender Gastfreundschaft gefördert; sie hat auch die Korrekturen mitgelesen. Der Firma Pagina ist für die Unterstützung bei der Satzerstellung mit dem Tübinger System von Textverarbeitungs-Programmen (TUSTEP) zu danken. Und nachdem die Deutsche Forschungsgemeinschaft für die Bände I bis III der TüA die Finanzierung übernommen hatte, hat dieses Mal der Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Dr. Gebhard Fürst, die Basisfinanzierung für den vorliegenden Band sichergestellt. Dafür, und für das Wohlwollen überhaupt, mit dem er dieses Projekt begleitete, gebührt ihm großer Dank. Es freut den Herausgeber, daß Bischof Dr. Fürst und seine Diözese auf diese Weise an der Verlebendigung Dreys, der für das weltweite Ansehen dieser Ortskirche so viel getan hat, maßgeblich mitgewirkt haben. Zu guter Letzt ist dem Verleger, Dr. Gunter Narr, und dem Francke Verlag für die gute Betreuung dieses Bandes herzlichst zu danken. Tübingen, 28. August 2014, am Fest des heiligen Augustinus Max Seckler <?page no="33"?> Text Nr. 1: Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie [Revisionsschrift] Teil A: Einleitung von Max Seckler I. Bibliographische Angaben 1. Erstdruck: J ohann S ebastian D rey , Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie, in: Archiv für die Pastoralkonferenzen in den Landkapiteln des Bisthums Konstanz. 1812, Jahrgang 11, Band I, Heft 1 (Januar) 3-26. Konstanz und Freyburg, in der Herderschen Buchhandlung. - Die Verfasserangabe findet sich am Ende des Textes mit dem Wortlaut: »Rotweil. Joh. Sebast. Drey. Professor«. Unmittelbar im Anschluß an die unter Nummer I. figurierende Abhandlung D reys ist unter Nummer II. im Rang einer eigenen Abhandlung eine zweiteilige Stellungnahme aus dem Mitarbeiterstab W essenbergs mit der Überschrift Bemerkungen über den durch Hrn. Professor Drey zu Rotweil eingesendeten Aufsatz abgedruckt (27-44), für deren Teil »A.« (27-37) »Jos. Mets, Bischöfl. Geistl. Regierungsrath« zeichnet, für den Teil »B.« (38-44) »Burg, geistl. Regierungsrath und Commissär«. Das von I gnaz H einrich von W essenberg als Generalvikar und Geistlicher Regierungspräsident des Bistums Konstanz seit 1804 herausgegebene Archiv für die Pastoralkonferenzen in den Landkapiteln des Bisthums Konstanz war in Verbindung mit den von ihm erneuerten und streng geregelten Pastoralkonferenzen das wichtigste Instrument zur Verwirklichung seiner Reformpläne. Es hatte den Gründungsdokumenten von 1803 gemäß die Beförderung der Religiosität und die fortschreitende Bildung des Klerus zum Ziel. In es wurden neben den besseren Arbeiten der Konferenzteilnehmer auch andere, den Reformabsichten W essenbergs dienlich erscheinende Aufsätze aufgenommen. Es erschien in monatlichen Heften von 1804 bis 1827. W essenberg hatte neben der Herausgeberschaft auch persönlich die Schriftleitung inne. Dem Organ vorausgegangen war die 1802 gleichfalls von W essenberg begründete Geistliche Monatschrift mit besonderer Rücksicht auf die Konstanzer Diözese, an deren Stelle 1804 das Pastoralarchiv trat. Im folgenden wird als Arbeitstitel für die Abhandlung D reys die Bezeichnung Revisionsschrift (RS) verwendet. <?page no="34"?> 2 Bibliographische Angaben 2. Abdruck: J ohann S ebastian D rey , Kurze Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie, in: I gnaz H einrich von W essenberg , Die wichtigsten Ergebnisse der Pastoralkonferenzen im Bisthum Konstanz von 1802-1827 in systematischem Zusammenhang geordnet, oder: Das Archiv für die Pastoralkonferenzen im Bisthum Konstanz, im Auszuge 1. Ehingen a.d.D. 1835, 205-219 (die Auswahledition erschien zwischen 1835 und 1839 in acht Bänden). Der Abdruck ist bis auf Änderungen auf der Ebene der Disposition (siehe dazu unten Ziff. II.2.b) wortgetreu. - In dem Band sind auch die kritischen Bemerkungen abgedruckt (219-229), die J oseph von M ets und J oseph V itus B urg im Konstanzer Pastoralarchiv im Anschluß an die Abhandlung D reys angebracht hatten. 3. Nachdrucke: a. Neusatz: J ohann S ebastian D rey , Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie, in: Geist des Christentums und des Katholizismus. Ausgewählte Schriften katholischer Theologie im Zeitalter des deutschen Idealismus und der Romantik. Herausgegeben, eingeleitet und erklärt von Joseph Rupert Geiselmann (Deutsche Klassiker der katholischen Theologie aus neuerer Zeit. Hg. von H einrich G et zeny . 5). Mainz 1940, 83-97. Der Wortlaut des Neusatzes stimmt mit dem Erstdruck überein. - Die Bemerkungen von M ets und B urg sind bei G eisel mann nicht aufgenommen. b. Fotomechanischer Nachdruck des Erstdrucks: J ohann S ebastian D rey , Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie, in: J ohann S ebastian D rey , Revision von Kirche und Theologie. Drei Aufsätze. Herausgegeben und eingeleitet von Franz Schupp. Darmstadt 1971, 1-24 (unveränderter reprographischer Nachdruck, mit neuer Paginierung. Dieser Band enthält neben der Revisionsschrift zwei weitere Abhandlungen D reys aus den Jahren 1824 und 1830). Die Wissenschaftliche Buchgesellschaft brachte zwischen 1951 und 1975 unter dem Reihentitel Libelli ca. 350 »für die Entwicklung der Wissenschaften wichtigste und bleibend bedeutsame Arbeiten« heraus. In dieser Reihe figuriert das von S chupp herausgegebene Bändchen unter der Nummer 312. c. Eine unveränderte Fassung des von S chupp herausgegebenen Bändchens findet sich in dem 1984 von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft in Darmstadt aus acht Bänden der Reihe Libelli zusammengestellten Schuber Theologen und Philosophen des 19. Jahrhunderts an zweiter Stelle (die einzelnen Bände sind weder numeriert noch als Neuauflage bezeichnet, noch ist ihre Zugehörigkeit zu dieser Ausgabe vermerkt). Das alphabetisch angeordnete Konvolut enthält neben dem Bändchen mit den drei Abhandlungen D reys Werke von F ranz von B aader (Über den Begriff der Zeit. Über den Zwiespalt des religiösen Glaubens und Wissens als die geistige Wurzel des Verfalls der religiösen und politischen Societät in <?page no="35"?> 3 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) unserer wie in jeder Zeit. Libelli 18, 1958), L udwig F euerbach (Das Wesen des Glaubens im Sinne Luthers. Ein Beitrag zum »Wesen des Christentums«. Libelli 280, 1970), E duard von H artmann (Grundriß der Religionsphilosophie. Libelli 171, 1968), F ranz O verbeck (Über die Anfänge der patristischen Literatur. Libelli 15, 1954), F riedrich S chleiermacher (Monologen. Eine Neujahrsgabe. Libelli 10, 1953; Die Weihnachtsfeier. Ein Gespräch. Libelli 11, 1953) und A ugust F ried rich C hristian V ilmar (Die Theologie der Tatsachen wider die Theologie der Rhetorik. Bekenntnis und Abwehr. Libelli 231, 1968). 4. Übersetzung: J ohann S ebastian D rey , Toward the Revision of the Present State of Theology, in: Romance and the Rock. Nineteenth-Century Catholics on Faith and Reason. Edited and introduced by Joseph Fitzer (Fortress Texts in Modern Theology). Minneapolis 1989, 62-72. F itzer nennt in einer Fußnote auf S. 62 den Nachdruck bei G eiselmann 1940 als Quelle, hiernach hat er die Übersetzung angefertigt. Der ursprüngliche Erscheinungsort im Konstanzer Pastoralarchiv ist in Klammern angegeben. Der von F itzer herausgegebene Band enthält insgesamt 14 Beiträge aus Schriften katholischer Autoren des 19. Jahrhunderts, die für die Erneuerung der Theologie und für die Ausformung des modernen Katholizismus repräsentativ seien. Im ersten Teil dieses Bandes rangiert D rey zwischen C hate aubriand und M öhler als Instanz für »The New Romantic Vision«. II. Erläuterungen 1. Das Manuskript der Revisionsschrift Die im Konstanzer Pastoralarchiv 1812 unter dem Titel Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie veröffentlichte Abhandlung endet mit dem von D rey selbst stammenden Vermerk: »Rotweil. Joh. Sebast. Drey. Professor«. Daraus geht hervor, daß das Manuskript dieser Abhandlung in der württembergischen Oberamtsstadt (seit 1802, zuvor Reichsstadt) Rottweil a.N. entstanden ist. D rey war nach seiner Vikarszeit in Röhlingen bei Ellwangen (1801-1806) dank einer Empfehlung seines damaligen Prinzipals J ohann N epomuk B estlin (1766-1831) im Februar 1806 als Professor in die philosophische Abteilung am Lyzeum in Rottweil berufen worden 1 , was in Anbetracht seines Lebensalters und seiner bisherigen Stellung einer außergewöhnlichen Beförderung gleichkam und einen gewaltigen Karrieresprung bedeutete. Sein Lehrdeputat umfaßte dort die Fächer Mathematik, Physik, 1 Näheres dazu: Einleitung zu TüA 2 (Praelectiones dogmaticae) 14* ff, bes. Anm. 30. <?page no="36"?> 4 Erläuterungen Geschichte der Philosophie und Religionsphilosophie (nach anderer Überlieferung Mathematik, Physik, Philosophiegeschichte und philosophische Propädeutik) 2 . Er selbst verstand und bezeichnete sich dort als »Profeßor der Philosophie« 3 , sein Schwerpunkt lag auf dem Gebiet der Religionsphilosophie. D rey hatte diese Professur bis zu seiner Berufung an die Friedrichsuniversität in Ellwangen auf Herbst 1812 inne. Da der Text der RS im ersten Heft (Januar) des Jahrgangs 1812 im Konstanzer Pastoralarchiv im Druck erschienen ist, steht zunächst einmal fest, daß D rey den Artikel noch während seiner Rottweiler Zeit geschrieben hat. Der genaue Zeitpunkt, zu dem er das Manuskript verfaßte oder zu dem er es in Konstanz einreichte hat, läßt sich nicht mehr ermitteln, aber beides dürfte zeitnah zur Drucklegung, d.h. in der zweiten Hälfte des Jahres 1811, anzusetzen sein. Die Verwicklungen, die der Artikel D reys in Konstanz auslöste (Näheres dazu unten in Ziff. II.8.a. α [»kritische Aufsätze«] und vor allem ebd. [»Vorspiel«]), lassen jedenfalls an eine Verzögerung von einigen Monaten denken. Das Manuskript selbst ist nicht erhalten geblieben, sowenig wie ein Manuskript des als Fortsetzung gedachten Teils der Abhandlung, den das Konstanzer Pastoralarchiv nicht mehr brachte. Da D rey die Fortsetzung im Pastoralarchiv ausdrücklich anzeigte, ist anzunehmen, daß der diesbezügliche Teil des Manuskripts zu diesem Zeitpunkt bereits vorlag (siehe dazu auch Ziff. II.2). Im Nachlaß D reys aus der Rottweiler Zeit 4 finden sich keine Notizen zu diesem Manuskript. Es gibt auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß D rey am Lyzeum in Rottweil direkt eine Vorlesung zum Thema Revision der Theologie abgehalten hat. Es spricht aber viel dafür, daß er die Thematik der RS bereits innerhalb seiner religionsphilosophischen Vorlesungen behandelte und daß sie sowohl nach ihrer inhaltlichen Orientierung als auch in ihrer situativen Ausrichtung aus dem Rahmen der Religionsphilosophie, wie er sie in Rottweil lehrte, nicht herausfällt (vgl. Ziff. II.5.c). 2 Näheres dazu ebd. 14* ff und TüA 3 (Kurze Einleitung) 125* Anm. 8; vgl. 106* ff. 3 Vgl. dazu TüA 2 (Praelectiones dogmaticae) 14*. 4 Der in der Bibliothek des Wilhelmsstifts in Tübingen aufbewahrte wissenschaftliche Nachlaß D reys aus der Rottweiler Zeit ist bibliographisch aufgelistet in: A braham P eter K ustermann / E ugen F esseler , Bibliographie der Schriften Johann Sebastian Dreys, in: A braham P eter K u stermann (Hg.), Revision der Theologie - Reform der Kirche. Die Bedeutung des Tübinger Theologen Johann Sebastian Drey (1777-1853) in Geschichte und Gegenwart. Würzburg 1994, 309-339, hier 332-334. Er umfaßt lediglich mathematische, naturwissenschaftliche, meteorologische und physikalische Manuskripte. Beschreibung und Auswertung dieser Manuskripte (vor allem im Hinblick auf ihre (religions- und natur-) philosophische Relevanz) bei: E berhard T iefensee , Die religiöse Anlage und ihre Entwicklung. Der religionsphilosophische Ansatz Johann Sebastian Dreys (1777-1853) (Erfurter Theologische Studien 56). Leipzig 1988, 21-25 und passim, Auszüge ebd. 240-249, sowie in: ders ., »Erläuterung aus dem Beispiel der Naturgeschichte unserer Erde«. Naturphilosophische Wurzeln des Entwicklungsbegriffs bei Drey, in: K ustermann , Revision der Theologie (wie oben) 229-245. Vgl. dazu auch TüA 2 (Praelectiones dogmaticae) 16* Anm. 36. Nicht erhalten geblieben sind dagegen die von D rey im Theologischen Tagebuch erwähnten »Manuskripte«, zu denen der zweite Teil der RS gehört haben könnte (siehe Einleitung zu Text Nr. 6, Ziff. II.6, bes. c., d. und f.; vgl. auch T iefensee , Die religiöse Anlage (wie oben) 8 f). <?page no="37"?> 5 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) 2. Der Fragmentcharakter der Revisionsschrift Die Annahme, daß es sich bei der 1812 im Konstanzer Pastoralarchiv unter dem Titel Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie veröffentlichten Abhandlung nur um ein Teilstück eines größer angelegten Manuskripts handelt, gehört nicht zum Gemeingut der Dreyforschung. In der Fachliteratur finden sich zwar gelegentlich Hinweise, die in diese Richtung gehen, doch gewöhnlich wird stillschweigend davon ausgegangen, daß die RS in ihrer vorliegenden Form ein ganzheitlicher Text sei. Zum Gegenstand einer eingehenderen Untersuchung ist das Fragmentproblem in der Dreyforschung bislang nicht geworden. Für den Fragmentcharakter der im Konstanzer Pastoralarchiv veröffentlichten Abhandlung sprechen folgende Befunde: a. Inhaltliche Gesichtspunkte (1.) Der Titel der Abhandlung läßt erwarten, daß D rey sich direkt mit dem »gegenwärtigen« Zustand der Theologie befassen werde. Das geschieht aber nicht. Die Abhandlung beginnt - ausgehend von einem Idealbild der mittelalterlichen Theologie - mit einer weit ausholenden Schilderung ihrer nachmittelalterlichen »Schicksale« im Sinne einer Verfallsgeschichte. Die Schilderung endet an der Schwelle zur Gegenwart, die eigentlich zu erwartende Beschreibung und Analyse des »gegenwärtigen« Zustandes wird nicht mehr gegeben, abgesehen von einer Anspielung auf sie im letzten Satz der Abhandlung (26). Diese Fehlanzeige könnte bereits darauf hindeuten, daß der diesbezügliche Teil der Abhandlung ungedruckt geblieben ist. Zwingend wäre diese Annahme für sich allein genommen allerdings nicht. Es ist a priori nicht vollkommen auszuschließen, daß D rey sich der indirekten Methode bediente, um im Durchgang durch die Verfallsgeschichte der zeitgenössischen Theologie den Spiegel vorzuhalten, doch eine Diskrepanz zwischen der vollmundigen Ankündigung und ihrer faktischen Einlösung fällt gleichwohl auf. (2.) Stärker ins Gewicht fällt der Umstand, daß die Abhandlung keine systematische Darstellung des neuen bzw. zu erneuernden Theologiebegriffs enthält. Es ist kaum vorstellbar, daß der Systematiker D rey sich auf die wenigen Andeutungen beschränken wollte, die sich im geschichtlichen Teil seiner Ausführungen finden, anstatt in einem konstruktiven Haupt- und Schlußteil die Grundsätze für die von ihm ins Auge gefaßte Neugestaltung der Theologie zusammenhängend darzustellen. Die Vermutung, daß im Konstanzer Pastoralarchiv nur ein Teilstück des von D rey zur Veröffentlichung vorgesehenen Manuskripts zum Abdruck gelangte, erhärtet sich anhand der nachfolgend (Ziff. II.2.b) angeführten Sachverhalte zur Gewißheit. Es ist anzunehmen, daß der Abbruch der Drucklegung mit einer redaktionellen Intervention zusammenhängt (Ziff. II.2.c). Aus den Beobachtungen und Überlegungen in Ziff. II.2.d wird hervorgehen, <?page no="38"?> 6 Erläuterungen daß es zumindest der oben in (2.) angesprochene systematische Teil war, der dieser Intervention zum Opfer gefallen ist, dieser aber mit Sicherheit. Offen bleiben muß dagegen die Frage, ob das ursprüngliche Manuskript auch noch ein Teilstück mit Ausführungen zur zeitgeschichtlichen Situation der Theologie im Sinne von (1.) umfaßte. b. Zwingende Indizien für den Fragmentcharakter der Revisionsschrift Formale Befunde in der Druckfassung deuten unweigerlich auf eine unvorhergesehene Fragmentierung des Textes hin. Dazu gehört (1.) eine grobe Ungereimtheit in der Disposition der Abhandlung. D rey eröffnet seine Ausführungen mit einer »Vorerinnerung«, in der er sich zum Zweck und zu den Adressaten der Abhandlung äußert (3-4). Dem danach beginnenden Textkorpus wird sodann in plakativer typographischer Hervorhebung der folgende Dispositionspunkt vorangestellt: »I. Abschnitt. Von den Schicksalen der Theologie seit den Zeiten der Scholastik, und ihrem Einflusse auf den Zustand der Religion überhaupt« (5). Weitere Dispositionspunkte gibt es danach nicht mehr, insbesondere keinen »II. Abschnitt«, wie es formal zwingend zu erwarten ist. Zu vermuten, es könnte sich um ein Versehen handeln (derartige Unachtsamkeiten finden sich z.B. in der Disposition der Kurzen Einleitung von 1819), wäre angesichts des kurzen und leicht zu überschauenden Textes der Druckfassung abwegig. Selbst wenn D rey dieses Versehen unterlaufen wäre, hätte es angesichts der in die Augen springenden typographischen Formatierung des ersten und einzigen Zwischentitels der Redaktion des Pastoralarchivs auffallen müssen. Es bleibt die Schlußfolgerung, daß man zum Zeitpunkt der Drucklegung davon ausgegangen war, daß die Abhandlung zumindest mit einem »II. Abschnitt« fortgesetzt werde. Ob die Realisierung dieses Vorhabens von seiten der Schriftleitung des Pastoralarchivs direkt vereitelt wurde oder ob die Kritiken D rey veranlaßten, den noch nicht gedruckten Teil seines Manuskripts von sich aus zurückzuziehen, ist nicht auszumachen. (2.) Im Text des »I. Abschnitts« bemerkt D rey : »Ich will ... meiner Revision bloß eine kurze Darstellung der verschiedenen größtentheils ungünstigen Schicksale der Theologie vorangehen lassen, damit man in dieser Geschichte selbst die Gebrechen allmählig sich entwickeln sehe, die dieser Wissenschaft ihre Auflösung zubereitet haben« (6 f; Hervorhebungen nicht im Original). Daraus geht hervor, daß er die im »I. Abschnitt« untergebrachten Bemerkungen zur Verfallsgeschichte der Theologie selber nur als eine »kurze« historisch-genetische Hinführung zum eigentlichen Revisionsteil als den Hauptteil der RS konzipiert hatte, der in der Disposition als »II. Abschnitt ...« (mit angefügter Inhaltsangabe und in gleicher Formatierung wie der vorausgehende I. Abschnitt) hätte figurieren müssen. Doch Text und Titel dieses Hauptteils fehlen in der Abhandlung, sie bricht in der Druckfassung am Ende des I. Abschnitts kommentarlos ab. <?page no="39"?> 7 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) (3.) Als W essenberg 5 die Abhandlung D reys 1835 in den ersten Band seiner Textsammlung aus dem Konstanzer Pastoralarchiv aufnahm (siehe oben Ziff. I.2), geschah das mit zwei signifikanten Korrekturen. Während der Originaltitel D reys im Konstanzer Pastoralarchiv »Revision des gegenwärtigen Zustandes ...« lautete, heißt es jetzt: »Kurze Revision ...« (205). In der harmlos erscheinenden, aber sachlich nunmehr zutreffenden Bezeichnung der Abhandlung D reys als »Kurze Revision ...« kann der Kundige wohl erkennen, daß die Kürze durch eine Kürzung veranlaßt sein mochte. Darüber hinaus griff W essenberg glättend in den ursprünglichen Zwischentitel ein, indem er das verräterische Dispositionsmerkmal »I. Abschnitt« kommentarlos tilgte. Insgesamt kann man freilich die Aufnahme der Abhandlung D reys in die Sammlung der »Wichtigsten Ergebnisse« aus dem Konstanzer Pastoralarchiv, die W essenberg 23 Jahre später vornahm, als eine späte Respektbezeugung für den inzwischen hochgeachteten D rey einschätzen 6 . 5 I gnaz H einrich (Reichs-) Freiherr von W essenberg , * 4.11.1774 in Dresden aus altem schwäbischen Adel, † 9.8.1860 in Konstanz, Grab im Münster ebd., 1790-1792 Studium am Lyzeum der Exjesuiten zu St. Salvator in Augsburg und bis zu S ailers Absetzung 1792-1794 in Dillingen, 1794-1796 in Würzburg, 1799 Subdiakonatsweihe und Domkapitular in Konstanz, 1802 Berufung zum Generalvikar des Konstanzer Bistums und zum Präsidenten der Konstanzer Geistlichen Regierung durch Fürstprimas K arl T heodor von D alberg , im selben Jahr Gründung der Geistlichen Monatsschrift, ab 1804 fortgesetzt u.d.T. Archiv für die Pastoralkonferenzen des Bistums Konstanz (bis 1827) mit W essenberg als Herausgeber und Schriftleiter, 1812 Priesterweihe, 1813 vom Papst wegen kirchenpolitischer Dissonanzen erwirkte Suspendierung als Generalvikar, nach D albergs Tod 1817 Wahl zum Kapitularvikar in Konstanz, von Rom nicht anerkannt, aber bis 1827 Bistumsverweser. - W essenberg war als Schüler S ailers eine der tatkräftigsten und überzeugendsten kirchlichen Führungspersönlichkeiten im Umbruch des beginnenden 19. Jahrhunderts, mit Schwerpunkt auf Reformen in Erziehung, Bildung und kirchlicher Praxis in der Diözese Konstanz. Mit seinen politischen Zielsetzungen zur Organisation der Kirche in Deutschland im Sinne D albergs ist er am Widerstand Roms gescheitert, desgleichen mit seinen Aspirationen auf den Bischofsstuhl in Konstanz, Freiburg und Rottenburg. Sein schriftstellerisches Werk umfaßt 460 Titel (A land ). Zu ihm: K urt A land , Wessenbergstudien I, in: ZGO N.F. 56 (1943) 550-620, Wessenbergstudien II, ebd. 57 (1948) 450-467, und Wessenbergstudien III, ebd. 105 (1957) 475-511; ders ., Ignaz Heinrich von Wessenberg. Biographie, in: Ignaz Heinrich von Wessenberg 1774-1860. (Gedächtnisausstellung 1974). Konstanz 1974; W olfgang M üller , Ignaz Heinrich von Wessenberg (1774-1860), in: H einrich F ries , G eorg S chwaiger (Hg.), Katholische Theologen Deutschlands im 19. Jahrhundert 1. München 1975, 189-204; M anfred W eitlauff , Zwischen katholischer Aufklärung und kirchlicher Restauration. Ignaz Heinrich von Wessenberg (1774-1860), der letzte Generalvikar und Verweser des Bistums Konstanz, in: RoJbKG 8 (1989) 111-132 (mit guter Charakterisierung des Archivs für die Pastoralkonferenzen in den Landkapiteln des Bisthums Konstanz auf S. 121 ff); ders ., Ignaz Heinrich von Wessenberg (1774-1860). Domkapitular von Konstanz und Augsburg, Generalvikar des Bistums Konstanz; kirchlicher Reformer und Kirchenpolitiker zwischen Säkularisation und Neuorganisation der Kirche Deutschlands. Mit einem Quellen- und Dokumentenanhang. Zum 150. Todestag (Jahrbuch des Vereins für Augsburger Bistumsgeschichte 44.1) Augsburg, Lindenberg 2010; M ichael B angert , Bild und Glaube. Ästhetik und Spiritualität bei Ignaz Heinrich von Wessenberg (1774-1860) (Studien zur christlichen Religions- und Kulturgeschichte 11). Freiburg i.Ü., Stuttgart 2009 (mit biographischer Skizze 15-53 und Bericht zum Stand der Wessenbergforschung 77-83). BBKL 13 (1998) 976-988 (K laus -G unther W esseling ). 6 Die Hochschätzung W essenbergs für D rey ist auch in Briefen belegt. In einem Brief W es - <?page no="40"?> 8 Erläuterungen c. Die Frage nach dem Grund der Fragmentierung D rey bemerkt am Ende der »Vorerinnerung«, es sei der Zweck dieser Abhandlung, »ein prüfendes Nachdenken unter den Theologen zu veranlassen«, und fügt hinzu: »Ich bin überzeugt, daß jenes Nachdenken darüber nicht ohne praktische Wirkung seyn kann; darum übergebe ich die Abhandlung der Redaktion des Archivs, damit diese, wenn sie meiner Ueberzeugung ist,* sie darinn aufnehmen möge« (4). An der mit * markierten Stelle brachte die Redaktion folgende Anmerkung an: »Wenn die Redaktion gleich in vielen Stücken dieser Ueberzeugung nicht ist; so nimmt sie doch keinen Anstand, den Aufsatz aufzunehmen, hält es aber zugleich aus Achtung für die Wahrheit für Pflicht, ein paar kritische Aufsätze mit berichtigenden Anmerkungen beyzufügen. A. d. R.«. Diese »Aufsätze« sind unter dem Titel »Bemerkungen über den durch Hrn. Professor Drey zu Rotweil eingesendeten Aufsatz« der Abhandlung D reys am Ende angefügt (27). Sie bestehen aus zwei Teilen. Für Teil »A.« (27-37) zeichnet »Jos. Mets, Bischöfl. Geistl. Regierungsrath«, für Teil »B.« (38-44) »Burg, geistl. Regierungsrath und Commissär«. Die Verfasser dieser Bemerkungen waren als Amtsträger Mitarbeiter W essenbergs in der Redaktion des Pastoralarchivs (zu ihnen und ihrer Kritik an der RS siehe unten Ziff. II.8.a. α mit Anm. 138 und 139). Mit diesen außerordentlich senbergs vom 25.8.1822 an den Züricher Staatsrat P aul U steri (1768-1831) heißt es: »Württemberg hat nun Professor Drey zu seinem Bischof designiert. Dieser Drey ist ein Mann von seltener Gelehrsamkeit und sein Charakter flößt Vertrauen ein« (wiedergegeben bei S tephan L ösch , Die Anfänge der Tübinger Theologischen Quartalschrift (1819-1831). Gedenkgabe zum 100. Todestag Joh. Ad. Möhlers. Rottenburg a.N. 1938, 45; zum Kontext ebd. 42-47). Ähnlich äußerte sich W essenberg in einem Brief vom 4.1.1840 an den Rottenburger Domdekan I gnaz J aumann (1778-1862), den Freund D reys , in dem er die Hoffnung ausspricht, Professor D rey , »diesem gelehrten und vielverdienten Mann«, zusammen mit J aumann in Konstanz wiederzusehen (wiedergegeben bei M ax M iller , Die Tübinger Kath.-theologische Fakultät und die württembergische Regierung vom Weggang J. A. Möhlers (1835) bis zur Pensionierung J. S. Dreys (1846). Ein Beitrag zur württembergischen Staatskirchenpolitik im Vormärz, in: ThQ 132 (1952) 22-45; 213-234, 34). D rey scheint W essenberg einer handschriftlichen Notiz in seinem Landeskalender vom 3.10.1824 zufolge 1824 aufgesucht zu haben (siehe A braham P eter K ustermann , »Daß ich der Universität und der katholisch theologischen Fakultät nützen könne ...« Zum 200. Geburtstag Johann Sebastian von Dreys. Biographische Hinweise und Quellen, in: R udolf R einhardt (Hg.), Tübinger Theologen und ihre Theologie. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Katholisch-Theologischen Fakultät Tübingen (Contubernium 16). Tübingen 1977, 49-116, 102). - W essenberg hatte für seinen kirchenpolitischen Kurs in der Theologischen Quartalschrift von Anfang an Unterstützung gefunden (vgl. F ritz V igener , Bischofsamt und Papstgewalt. Zur Diskussion um Universalepiskopat und Unfehlbarkeit des Papstes im deutschen Katholizismus zwischen Tridentinum und Vatikanum I (Kirche und Konfession 6). 2. Aufl., überarb. u. mit e. biogr. Nachw. hg. von G ottfried M aron . Göttingen 1964, 74 ff). - Die Vorgänge um die Designierung W essenbergs zum ersten Bischof von Rottenburg durch die württembergische Regierung (Januar 1822) und (nach dessen Ablehnung durch Rom) wenig später auch D reys dürfte die beiden Schicksalsgenossen einander zusätzlich persönlich nähergebracht haben. Vgl. dazu M ax M iller , Ignaz Heinrich Freiherr von Wessenberg als württembergischer Bischofskandidat im Jahre 1822, in: WVLG 38 (1932) 369-400; ders ., Professor Dr. Johann Sebastian Drey als württembergischer Bischofskandidat (1822-1827), in: ThQ 114 (1933) 363-405. <?page no="41"?> 9 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) kritischen »berichtigenden Anmerkungen« haben die Zensoren die Fortsetzung der Drucklegung faktisch gestoppt, der noch fehlende systematische Teil der RS blieb ungedruckt. d. Wo ist der fehlende Teil geblieben? Nach dem bisher Gesagten ist davon auszugehen, daß D rey im Sommer oder Herbst 1811 ein Manuskript verfaßt hatte, zu dem der in der Druckfassung der RS im Konstanzer Pastoralarchiv angekündigte »II. Abschnitt« als systematischer Hauptteil gehörte. Das Manuskript selbst ist nicht erhalten geblieben - weder für das im Konstanzer Pastoralarchiv veröffentlichte Teilstück, noch für den dort nicht veröffentlichten Hauptteil. Es ist deshalb nicht auszuschließen, daß mit dem handschriftlichen Dokument auch der im Konstanzer Pastoralarchiv ungedruckt verbliebene Hauptteil nicht nur dinglich, sondern auch inhaltlich verloren gegangen sein könnte. Doch das ist nur eine abstrakte Möglichkeit. Da D rey den »II. Abschnitt« seines Manuskripts als systematischen Hauptteil ansah und er infolgedessen in ihn das beste Stück seines bisherigen Schaffens mitsamt den auch für ihn selbst zukunftweisenden Ideen seines Revisionsdenkens investiert hatte, kann zumindest der Inhalt des fraglichen Manuskriptteiles kaum spurlos verschwunden sein. Es spricht viel für die Annahme, daß er die Veröffentlichung des Hauptstückes der RS in seiner Abhandlung Vom Geist und Wesen des Katholicismus (Katholizismusschrift, siehe Text Nr. 6) nachholte, wenngleich dann in einer überarbeiteten Fassung, die inzwischen gewonnene Einsichten aufnahm und auf die Situation von 1819 abgestimmt war (vgl. Einleitung zu Text Nr. 6, Ziff. II.5 - II.7). Kein anderer Text aus der Feder D reys erfüllt auch nur annähernd die methodischen und inhaltlichen Vorgaben, die er sich im »I. Abschnitt« der RS für den Hauptteil gesetzt hatte, wonach in der angezielten Neubegründung der Theologie das »Geschichtliche, Symbolische, Mystische« (25) zur Geltung kommen müsse. In der Katholizismusschrift hat D rey die Programmideen, die er im I. Abschnitt der RS angetönt hatte, um sie danach in dem angekündigten II. Abschnitt in die systematische Darstellung seines Revisionsvorschlags einzubringen, tatsächlich aufgegriffen und als tragende Pfeiler seiner Prinzipienlehre eingesetzt. Nicht zu übersehen ist auch, daß die Katholizismusschrift in der Frische ihrer Sprache und in der Leidenschaftlichkeit der Gedankenführung, aber auch in ihrem Pathos der RS nahekommt wie kein anderer Text im Frühwerk D reys . Die Dreyforschung wird künftig ernsthaft damit rechnen dürfen, daß zwischen der fragmentarischen RS von 1812 und der Katholizismusschrift konstruktiv, inhaltlich und literarisch eine enge Verbindung besteht. Unter dieser Voraussetzung werden sich auch die begrifflichen Unschärfen und die systematischen Mängel, die die ersten Kritiker an der RS feststellten, weitgehend als unbegründet erweisen; der Autor der RS mußte keineswegs schon im I. Abschnitt das bringen, was er für den II. Abschnitt vorgesehen hatte (vgl. dazu auch Einleitung zu Text Nr. 6, Ziff. II.7). <?page no="42"?> 10 Erläuterungen 3. Zum zeitgeschichtlichen und personellen Hintergrund der Revisionsschrift a. Der zeitgeschichtliche Kontext 7 Die während der napoleonischen Wirren entstandene RS ist ein Manifest des Aufbruchs und des Neubeginns. Der Schock der französischen Revolution, der Umsturz der staatlichen und kirchlichen Verhältnisse, der Untergang des Reiches, die Zerstörung der Bildungseinrichtungen, die Erschütterungen der Säkularisation und insgesamt das Ende des Ancien Re´gime gehörten ebenso zu ihren Entstehensbedingungen wie die Rückwirkungen der Deutschen Bewegung auf die Kulturwissenschaften und das mit dem Namen K ants verbundene Ziel einer Revolution der Denkungsart. D rey bemüht sich zwar, den »gegenwärtigen Zustand« der Theologie, zu dessen Überwindung er mit der RS beitragen will, hauptsächlich auf ihre innere, über die ganze Neuzeit sich erstreckende Verfallsgeschichte zurückzuführen, aber die synchrone Verflochtenheit der RS mit der Zeitgeschichte, zu deren Merkmalen zum Zeitpunkt ihrer Niederschrift auch die prekäre Koexistenz von Aufklärung und Frühromantik gehört, ist evident. D rey selbst verweist zu Beginn der RS darauf, daß es stets »eine auffallende Gleichförmigkeit in der politischen und in der Litterärgeschichte eines Volkes« gebe, die auch auf die Theologie und auch auf den Zustand der Religion »überhaupt« durchschlügen (5 f). In § 84 der Kurzen Einleitung verdeutlichte er denn auch, wo die Trompeten für eine Umgestaltung der Theologie blasen und unter welchem Druck er die Theologie durch die philosophischen und wissenschaftlichen Umwälzungen seiner Zeit gesetzt sieht: »Seit den drey letzten Decennien haben die großen Revolutionen, die auf dem Gebiete der deutschen Philosophie vorgefallen sind, natürlich auch auf die Theologie herübergewirkt«. Dadurch habe sich »das Gefühl der Nothwendigkeit« ergeben, wie die Wissenschaft selbst, so auch die »Einleitung« in sie, d.h. ihre Grundlegung und ihren Begriff, »umzubilden« (vgl. dazu Ziff. II.7.b). Das ist die Sprache des Revisionsdenkens, in diesem Fall übertragen auf das Projekt der Kurzen Einleitung. Auf diese Weise hätte D rey auch sein Revisionsprojekt von 1812 chakakterisieren und verorten können. Die Kurze Einleitung ist zwar erst 1819 im Druck erschienen, aber projektiert und zumindest in ihren Grundzügen zu Papier gebracht hatte er sie unmittelbar nach der Veröffentlichung der RS, wie man aus seinem Theologischen Tagebuch erschließen kann (siehe Ziff. II.5.c in und bei Anm. 58). Chronologisch einander benachbart, gehören die in dem obigen Zitat angesprochenen Sachverhalte gleichermaßen zu ihren Entstehungsbedingungen. Die genaue Kenntnis dieser Sachverhalte hatte D rey sich mit Sicherheit am Lyzeum in Rottweil erworben, wo er als Professor der Philosophie sich mit 7 Zur literarischen Situierung der RS siehe Ziff. II.4, zu ihrer Stellung in der akademischen Laufbahn D reys Ziff. II.5.b, zu ihrem Charakter als epochaler sowie auch persönlicher Programmschrift neben Ziff. II.2.d vor allem Ziff. II.7.b und c. <?page no="43"?> 11 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) dem »Gebiete der deutschen Philosophie« und so auch mit den »großen Revolutionen« professionell zu befassen hatte. Das bedeutet, daß die beiden Schriften, was ihren zeitgeschichtlichen philosophischen Kontext angeht, in der gleichen Bewußtseinslage verwurzelt sind. b. Regionale und persönliche Faktoren (1.) D rey verweist am Anfang der RS auf die Pflicht eines jeden Theologen, »den Geist, der ihm in seinen Studienjahren angebildet wurde, und in dem er handelt, fortwährend zu prüfen, und dies um so mehr, wenn sich zeigen ließe, daß die Wissenschaft, die er übt, [...] seit Jahren an mancherley Gebrechen leide, und daß gerade in jenen Gebrechen eine vorzügliche Ursache liege, warum die Religion sowohl an innerer Lebendigkeit, als auch an äusserer Hochschätzung immer mehr verlieren mußte, und verlor« (3 f; Hervorhebung nicht im Original). Was D rey hier als Pflicht eines jeden Theologen herausstellt, beinhaltet zweifellos in besonderer Weise ein Stück eigener Lebenserfahrung. D rey hatte nach seiner Gymnasialzeit in Ellwangen sein Theologiestudium am Lyzeum St. Salvator in Augsburg (von 1797 bis 1799) und im Priesterseminar der Diözese Augsburg in Pfaffenhausen (von 1799 bis 1801) persolviert. Das waren die normalen Ausbildungsstätten für den Priesternachwuchs in der Fürstprobstei Ellwangen, vier der ersten fünf Professoren der 1812 errichteten Friedrichsuniversität waren diesen Ausbildungsweg gegangen. Von besonderem Interesse ist hier das Lyzeum in Augsburg. Es war dazu angetan, nachhaltige Eindrücke zu hinterlassen. Das St. Salvatorkolleg war 1582 als Institut der Gegenreformation in Augsburg errichtet worden und wurde bis zur Aufhebung der Gesellschaft Jesu (1773) von Jesuiten geführt, die nach der Entbindung von ihren Gelübden (1776) als »Exjesuiten« ihre Lehrtätigkeit am Lyzeum fortsetzen konnten. Es hatte namhafte Männer der Kirche und der Wissenschaft hervorgebracht. Gut ausgestattete Lyzeen waren Universitäten vergleichbar, nur war den Lyzeen das Promotionsrecht grundsätzlich vorenthalten. Wenn von St. Salvator oft herabsetzend die Rede war, so ist das zum einen auf den geistlos gewordenen, scholastizistischen Studienbetrieb zu beziehen, zum andern auf die kirchen- und theologiepolitische Richtung, die sich in ihm eingenistet hatte. Als Hort der alten Kirche gegründet, hatte es sich von einem Institut der Gegenreformation zu einem Kristallisationspunkt der Gegenaufklärung und zu einem berüchtigten Zentrum des antiaufklärerischen Widerstandes in Süddeutschland weiterentwikkelt. Das war die geistige Welt, in der D rey seine fachtheologische Ausbildung genossen und die theologische Wissenschaft vorgeführt bekommen hatte 8 . Außer den oben bereits erwähnten späteren Kollegen D reys hatten 8 W essenberg , der 1790-1792 gleichfalls an diesem Lyzeum Theologie studiert hatte, gab eine kritische Darstellung des veralteten, geistlosen Lehrsystems der dortigen Jesuiten (siehe I gnaz H einrich von W essenberg , Unveröffentlichte Manuskripte und Briefe. 4 Bde., hg. von <?page no="44"?> 12 Erläuterungen hier auch W essenberg und M ets studiert (W essenberg von 1790 bis 1792, M ets von 1780-1784), die in der Publikationsgeschichte der RS eine wichtige Rolle spielen sollten. H efele führt in seinem Nekrolog auf D rey 9 als dessen Lehrer H ohenbichler , F eindl und R ose sowie Z allinger an 10 . Die Frage K urt A land und W olfgang M üller . Freiburg (u.a.) 1968-1987, Bd. 1.1: Autobiographische Aufzeichnungen (1968) 178 f). Im Hause W essenberg bezeichnete man das Lyzeum St. Salvator als »Mittelpunkt und Arsenal des Obskurantismus« (ebd. 178). D rey hat diese Einschätzung sicher geteilt. Auch der antijesuitische Affekt, der ihm nachgesagt wird, dürfte auf seine Augsburger Zeit zurückgehen. Bemerkenswert ist freilich auch die »Virtuosität in Latinität«, in die die Studenten dort eingeübt wurden; sie kennzeichnet die lateinischen Schriften D reys (vgl. bes. Text Nr. 5). Zum Augsburger Lyzeum siehe R ainer A. M üller , Akademische Ausbildung zwischen Staat und Kirche. Das bayerische Lyzealwesen 1773-1849 (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte. Neue Folge 7). Paderborn 1986, bes. Bd. 1, 268-272. Zu St. Salvator als einem »Mittelpunkt des antiaufklärerischen Widerstandes in Süddeutschland« siehe W olf gang M üller , Wessenberg und seine Bemühungen um die Bildung der Priester, in: G eorg S chwai ger (Hg.), Kirche und Theologie im 19. Jahrhundert (Studien zur Theologie und Geistesgeschichte des Neunzehnten Jahrhunderts 11). Göttingen 1975, 41-53; C hristoph W eiss , W olfgang A lbrecht (Hg.), Von »Obscuranten« und »Eudämonen«. Gegenaufklärerische, konservative und antirevolutionäre Publizisten im späten 18. Jahrhundert. St. Ingbert 1997 (bes. M ichael S chaich 77-125); H ans -J oachim H ecker , Die Augsburger Jesuiten und das Kolleg St. Salvator von 1773-1807, in: W olfram B aer , H ans -J oachim H ecker , Die Jesuiten und ihre Schule St. Salvator in Augsburg 1582. München 1982, 77-81. 9 C arl J oseph H efele , Nekrolog [auf J ohann S ebastian D rey ], in: ThQ 35 (1853) 341-349. 10 Bei H efele , ebd. 343, sind genannt: J ohann E vangelist H ohenbichler (andere Namensformen: H ochbichler , H och - oder H ohenbüchler ), * 24.12.1740 in Zell, Tirol, † 27.6. (Z eller : 25.6., B antle : 8.7.) 1817 in Polazk, Weißrußland. 1757 SJ, Studium in Landshut, Gymnasiallehrer für Grammatik, Physik u.a. in München und Ellwangen, 1773-1801 für Kirchenrecht, Moral und Dogmatik in Augsburg. - Lit.: ADB 12 (1880) 518-519 (K arl W erner ); F ranz X aver B antle , Unfehlbarkeit der Kirche in Aufklärung und Romantik. Eine dogmengeschichtliche Untersuchung für die Zeit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert (Freiburger Theologische Studien 103). Freiburg 1976, 39-40 (Lit.); J oseph Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (1812-1817) und sein erster Rat Dr. Joseph von Mets. Nebst erstmaliger Herausgabe der Autobiographie des Geistlichen Rats Dr. von Mets. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der Diözese Rottenburg, in: ThQ 109 (1928) 3-160, darin: J oseph von M ets , Skizzen meiner eigenen Lebensgeschichte oder Kurzer Abriß meiner eigenen Lebensgeschichte [Autobiographie; 1818] 67-157 (Register 158-160). D reys Augsburger Lehrer F eindl und R ose lassen sich in ihrer von H efele angegebenen Namensschreibweise nicht identifizieren. Der Augsburger R ose ist nicht zu verwechseln mit dem Augsburger Geistlichen Rat und Exjesuiten J ohann (J oseph ? ) L udwig R oessle (1739-1823), der von 1772 bis zur Aufhebung 1804 Regens des Priesterseminars in Pfaffenhausen war und in Dillingen gemeinsam mit den konservativen Augsburger Exjesuiten die Entfernung der progressiven Professoren von ihren Lehrstühlen betrieb. Zu ihm: T homas S pecht , Geschichte des ehemaligen Priesterseminars Pfaffenhausen (1743-1804), in: Jahrbuch des Historischen Vereins [Dillingen] 30 (1917) 1-78; 31 (1917) 41-48; 32 (1919) 1-15; 33 (1920) 1-31; A lbert H aemmerle , Die Canoniker der Chorherrenstifte St. Moritz, St. Peter und St. Gertrud in Augsburg bis zur Saekularisation. [München] 1938, 101 Nr. 432; H ildebrand D uss ler , Johann Michael Feneberg und die Allgäuer Erweckungsbewegung. Ein kirchengeschichtlicher Beitrag aus den Quellen zur Heimatkunde des Allgäus (Allgäuer Heimatbücher 62). Kempten 1959, 52. J akob A nton Z allinger zum T hurn , * 26.7.1735 in Oberbozen, † 16.1.1813 in Bozen. 1753 SJ, Studium in Ingolstadt, 1765 Priesterweihe, 1766 Gymnasialprof. in Trient; 1767 am Lyzeum in München, 1770-1773 am Jesuitenkolleg in Dillingen (Liz. und Mag. phil., 1773 theol.), 1776 Lehrer der Physik in Innsbruck, 1777-1807 Prof. für Kirchenrecht am Lyzeum <?page no="45"?> 13 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) nach den fachlichen Qualitäten seiner Lehrer, die in der Dreyliteratur unterschiedlich beantwortet wird - D rey selbst hat sich nie abschätzig über sie geäußert -, steht hier nicht zur Debatte, aber es ist nicht zu bezweifeln, daß der Typus von Theologie, der ihm von ihnen »angebildet« (oder vielmehr anzubilden versucht) wurde, ihm nicht zusagen konnte. Die Penaten seiner Jugend waren K ant , F ichte und S chelling , wie H efele gleichfalls im Nekrolog auf D rey zu berichten weiß. Wir wissen nicht, wann D rey erstmals an die Abfassung einer Schrift zur Revision der Theologie dachte, aber es ist gut möglich, daß das bereits in Augsburg und Pfaffenhausen begann. Aber selbst wenn dem nicht so sein sollte, so gehören seine Augsburger Erfahrungen doch zumindest zum negativ eingefärbten lebensgeschichtlichen Hintergrund der RS. Es ist nicht zu übersehen, daß in dem oben aus der Vorerinnerung der RS angeführten Zitat ein autobiographischer Ton mitschwingt. (2.) Die Situation in Rottweil und am dortigen Lyzeum, wo das Manuskript der RS entstanden ist, war anders. Die Stadt am oberen Neckar gehörte bis zur Neuordnung der Diözesanstrukturen im Königreich Württemberg (1821) zu Konstanz, dem Sitz der großen und weltläufigen Diözese, in deren kulturellem Gedächtnis die spätmittelalterlichen Reformkonzilien unvergessen waren. Am Lyzeum in Rottweil war 1797/ 98 die Maria-Theresianische Studienreform eingeführt worden, sodaß D rey hier im beruflichen Alltag in engste Berührung mit den Programmideen dieser Reform gekommen war. Seit 1806, nachdem das Lyzeum zu einer der höheren Studieneinrichtungen im Königreich erhoben worden war, war Stuttgart darauf bedacht, es institutionell auszubauen, personell besser auszustatten und ihr akademisches Niveau anzuheben 11 . In Konstanz war W essenberg , der führende Kopf der kirchlichen Reform im Südwesten aus dem Geist der katholischen Aufklärung, seit 1802 Generalvikar. Er stand zu der Zeit, in der D rey die RS verfaßte, im Zenit seines reformerischen Wirkens. Sein literarisches Reforminstrument, das seit 1802 bzw. 1804 bestehende Archiv für die Pastoralkonferenzen in den Landkapiteln des Bisthums Konstanz, war die erste Instanz für positive und konstruktive Beiträge zur Reform der pastoralen Praxis und zur Einübung des Klerus in sie vermittels einer Anhebung ihrer theologischwissenschaftlichen Bildung. D rey war den Reformideen und dem Reformeifer W essenbergs zugetan, er stimmte darin mit den beiden für ihn wichtigsten St. Salvator in Augsburg, 1786 Dr. jur. der Universität Dillingen, 1797-1802 Rektor von St. Salvator. Z allinger wurde 1833 als »Seele der kölnischen Nuntiatur« unter P acca (1785-1794 Nuntius in Köln) eingeschätzt (Rez.: Des Kardinals Bartholomäus Pacca historische Denkwürdigkeiten, in: B enedikt A lois P flanz (Hg.), Freimüthige Blätter über Theologie und Kirchenthum 5 (N.F. 2) (1833) 57-95, 69). - Lit.: BBKL 15 (1998) 1553-1555 (S tephan H aering ) (Lit.). 11 Dazu A ugust S teinhauser , Das Gymnasium in Rottweil am Neckar, 1630-1930, in: ders . (Hg.), Dreihundert Jahre Gymnasium Rottweil (1630-1930). Jubiläumsschrift. Rottweil 1930, 15-172, bes. 90-102. <?page no="46"?> 14 Erläuterungen Amtsträgern im Königreich - W erkmeister 12 in Stuttgart und J aumann in Rottenburg 13 - überein. W essenberg war Pragmatiker, aber er schätzte die Bedeutung der Theologie für die religiöse und pastorale Praxis sehr hoch ein, während er für die theologische Wissenschaft nach ihrer spekulativen Seite wenig übrig hatte und die Scholastik und den Mystizismus mit Skepsis betrachtete. In dieses Spannungsfeld begab sich D rey , als er für die Veröffentlichung der RS das Hausorgan W essenbergs auswählte. Es gibt keinen vernünftigen Grund für die Annahme, daß D rey damit den Konstanzern direkt den Fehdehandschuh hinwerfen wollte (vgl. jedoch unten in Ziff. II.4.c). In der Wahl dieses Publikationsorgans kommt vielmehr eine elementare Zustimmung zur Richtung W essenbergs und dessen Reformzielen zum Ausdruck, wenngleich nicht ohne ein allerdings folgenreiches distinguo in Sachen Scholastik und Mystik. Es spricht viel dafür, daß D rey mit seiner Abhandlung im Einklang mit dem theologischen Reformprogramm W essenbergs zu stehen glaubte und es zu unterstützen trachtete, indem er die Fragestellung vertiefte und einen Begriff der Theologie herausarbeitete, der an die Wurzeln der Übel ging. Er war sich wohl auch bewußt, daß er dabei mit einem gewissen Überbietungsanspruch auftrat, den die Reformmatadoren in Konstanz (W es senberg , M ets und B urg ) freilich in die falsche Kehle bekamen. Aus diesen Zusammenhängen geht insgesamt hervor, daß die RS, was ihre regionale Situiertheit angeht, ein Text im Kontext der Reformvorhaben W essenbergs ist, die D rey bejaht und zu fördern intendiert, wobei er aber, fern einer plumpen reformistischen Linientreue, seinen eigenen Weg ging, indem er für die Problembehandlung die Meßlatte so hoch wie nur möglich ansetzte. 4. Der Titel der Revisionsschrift im Spannungsfeld von Aufklärung und Romantik Mit dem Titel, unter dem D rey seine RS in den Druck gegeben hat, verhält es sich ähnlich wie mit dem Titel des Einleitungswerkes, das D rey sieben Jahre später vorlegte, seiner Kurzen Einleitung in das Studium der Theologie. Beide zeigen zwar exakt den Gegenstand der jeweiligen Schrift an, aber sprachlich gesehen sind beide so untechnisch formuliert, daß ihnen nicht anzusehen ist, auf welche Art der Stoffbehandlung der Leser sich einzustellen hat oder welchem wissenschaftlichen bzw. literarischen Genus der von ihnen angezeigte Text zuzuordnen ist 14 . Da sie gewissermaßen vortechnisch formuliert sind, 12 Zu W erkmeister siehe unten Ziff. II.4, Anm. 36. 13 Zu J aumann siehe unten Ziff. II.6, Anm. 93. 14 Im Fall der Kurzen Einleitung ist dieser Sachverhalt besonders deutlich gegeben. Ihr Titel ist so unprätentiös und vortechnisch gehalten, daß man sie von daher für eine der x-beliebigen Einführungen in das Studium der Theologie ad usum Delphini halten könnte. Daß es sich in ihr (a.) um eine hochtechnische Einleitungsschrift im Sinne einer wissenschaftstheoretischen Grundlegung der Theologie, (b.) um eine innovative Formalenzyklopädie zur Architektur <?page no="47"?> 15 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) d.h. unter Verzicht auf die Merkmale einer spezifisch fachsprachlichen Terminologie, eignet ihnen bei aller Präzision jene ins Offene weisende verhaltene Kraft einer originären Diktion, die den Selbstdenker auszeichnet, aber die fachliche Zurüstung der nachfolgenden Stoffbehandlungen verraten sie nicht. Da auch der Text selbst nicht zu erkennen gibt, in welchem wissenschaftsgeschichtlichen und literarischen Kontext er zu verorten ist, verdient die Frage nach der historischen Situierbarkeit der RS und ihres Titels ein besonderes Interesse. a. »Revision« Da der Revisionsbegriff umgangssprachlich geläufig ist - z.B. aus dem Gerichts- und Verlagswesen oder auch aus dem politisch-ideologischen Bereich (»Revisionismus«) -, wird er in der Dreyforschung wie ein Autosemantikon verwendet, wobei das dem Mittellateinischen entstammende Wort revisio (von lat. revidere) im Sinne von prüfender Wiederdurchsicht dem Verständnis die Generalrichtung vorgibt. Als Umschreibungen werden demgemäß lexikalisch ausgewiesene Synonyme wie »(neuerliche) Überprüfung«, »(kritische) Durchsicht«, »Kontrolle« o.ä. herangezogen 15 . Auf dieser Linie präzisiert auch D rey sein dem Revisionsbegriff unterstelltes Vorhaben, indem er in der Vorerinnerung der RS mitteilt, es sei der Zweck seiner Abhandlung, »die Gebrechen«, »die den Geist der Theologie unsrer Zeit überhaupt charakterisieren«, »zur Sprache zu bringen, sie als solche aufzudecken, und ein prüfendes Nachdenken unter den Theologen zu veranlassen« (4; Hervorhebungen nicht im Original). In dieser Erläuterung seines Vorhabens ist zugleich auch sein Verständnis des Revisionsbegriffs und der in diesem konnotierten Funktionen angezeigt. Doch auch D rey verfährt hier so, als ob diese Auslegung des Revisionsbegriffs sich von selbst verstünde, begriffsgeschichtliche Alternativen, von denen er sich abzusetzen hätte, bleiben unberücksichtigt. Er bezieht die Plausibilität seines Revisionsbegriffs in Wahrheit aus einem Sprachgebrauch seiner Zeit, der in der traditionskritischen Bewegung der Aufklärung zu verorten der Theologie und (c.) um eine pädagogisch-didaktische Hinführung zur Praxis und zur Spiritualität des Theologiestudiums handelt, darüber hinaus aber zugleich um eine komplexe Synthese dieser drei sonst nur getrennt voneinander vorkommenden literarischen Gattungen, ist am Titel nicht abzulesen. Siehe dazu Einleitung zu TüA 3 (Kurze Einleitung), Kap. I, Die Kurze Einleitung im Spiegel ihres Titels, 3*-37*. 15 Vgl. Art. Revision, in: Deutsches Fremdwörterbuch (begonnen von H ans S chulz , fortgeführt von O tto B asler , weitergeführt im Institut für Deutsche Sprache) 3. Berlin 1977, 407-408; Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache. 8 Bde. (hg. und bearb. vom Wissenschaftlichen Rat und den Mitarbeitern der Dudenredaktion unter der Leitung von G ünther D rosdowski . 2., völlig neu bearb. und stark erw. Aufl.) 6. Mannheim 1994, 2775; Deutsches Wörterbuch. Bedeutungsgeschichte und Aufbau unseres Wortschatzes. Begr. von H ermann P aul , 10., überarb. und erw. Aufl., hg. von H elmut H enne . Tübingen 2002, 799. - In den führenden philosophischen und theologischen Fachlexika gehört der Revisionsbegriff nicht zum Repertoire der Stichwörter. Dem entspricht, daß der Revisionsbegriff als solcher in der Fachliteratur zur RS bisher nie eigens thematisiert wurde. <?page no="48"?> 16 Erläuterungen ist. Von daher der Eindruck, daß auch für ihn der Revisionsbegriff eine semantisch insichständige und selbstexplikative Sprachfigur ist. In gleicher Weise präsentiert er seine Abhandlung gleichsam als ein morgenfrisch aus seinem Kopf hervorgegangenes Erzeugnis, ohne auf eventuelle literarische Vorgänger oder Vorbilder Bezug zu nehmen. Indem er von einer historischen, literarischen und gattungstheoretischen Kontextualisierung seiner Abhandlung absieht, will er sie im Hinblick auf ihre Aktualität und Formgebung offensichtlich ganz auf sich selbst gestellt sehen. Hier dürfte auch der Grund dafür liegen, daß in der Dreyforschung bisher eine Situierung der RS in der literarischen Gattung der Revisionsliteratur, die seit der Mitte des 18. Jahrhunderts sich herausbildete und zur Zeit Dreys in breiter thematischer Streuung vorlag, unterblieben ist. G eiselmann kommt zwar das Verdienst zu, die RS erstmals einem konkreten literarischen Opus zugeordnet zu haben, indem er sie inhaltlich in die Nähe der Methodenschrift S chellings rückte 16 , aber der gattungsspezifische Aspekt als solcher interessierte ihn nicht. Nicht anders verhält es sich mit der besonders von G eiselmann angeheizten Erörterung der Frage, ob die RS kulturmorphologisch der Aufklärung oder der Romantik zuzuordnen ist 17 . Auch in der Folgezeit blieb es bestenfalls bei der Vernetzung der RS mit Motiven der Aufklärung und/ oder der Romantik, während die literarische Bewegung, in die D rey seine Abhandlung von 1812 hineinschrieb, unbeachtet blieb. Da indessen sowohl die historische Kontextualisierung einer Schrift als auch ihre Verortung in der literarischen Gattung, der sie zugehört, in hohem Maße auslegungsrelevant sind, blieb der Erkenntnisgewinn, den dieses Zuordnungsverfahren grundsätzlich verspricht, im Fall der RS bisher weitgehend ungenutzt. Bereits ein erster und notgedrungen oberflächlicher Blick auf das der Abfassung der RS vorausliegende Publikationswesen läßt erkennen, daß es sich bei der Abhandlung, die D rey 1812 unter dem Titel Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie veröffentlichte, weder sachlich noch thematisch um ein solitäres oder präzedenzloses Unternehmen handelte. Wenn man von der konkreten Zielsetzung der RS und von der dafür erbrachten Leistung absieht, muß man zumindest sagen, daß D rey bei der Konzipierung dieser Abhandlung auf eine Vielzahl von Publikationen zurückblicken konnte, die man zusammenfassend als Revisionsliteratur bezeichnen kann. Ob diese förmlich den Charakter einer besonderen literarischen Gattung aufweist, kann vorerst offenbleiben, zumindest ist aber festzustellen, daß D rey sich mit dem 16 J oseph R upert G eiselmann , Die Glaubenswissenschaft der Katholischen Tübinger Schule in ihrer Grundlegung durch Johann Sebastian v. Drey, in: ThQ 111 (1930) 49-117, bes. 54-66. Es handelt sich um S chellings Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen 1803. Mehr dazu unten in Anm. 41. 17 Mehr dazu unten bei und in Anm. 39 sowie in Ziff. II.8.b in und bei Anm. 165 mit rezeptionsgeschichtlichen Befunden. <?page no="49"?> 17 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) Titel der RS und infolgedessen auch mit der typologischen Ausrichtung dieser Abhandlung dem Gebiet der Revisionsliteratur und insoweit auch einer sie tragenden Strömung beigesellt hat. So ergibt schon eine mit den Zufälligkeiten einer elektronischen Suchmaschine behaftete Sichtung, daß in der Zeit von ca. 1750 bis 1820 im deutschen Sprachraum mehr als 200 Bücher und Artikel erschienen sind, die das Wort »Revision« im Titel führen. Bei der Auswertung dieses Befundes ist freilich zu beachten, daß das Vorkommen des Revisionsbegriffs in Titeln kein verläßlicher Indikator für den wahren Umfang des betreffenden Schrifttums ist. So kommt z.B. der Begriff »Reform« erstaunlich selten in Werktiteln um die Zeit D reys vor, obwohl es seit der Epoche der Aufklärung eine breite Reformbewegung mit zahllosen Schriften zur Reform von Theologie und Kirche gab. Interessanterweise hat auch D rey auf diesen Begriff verzichtet. Was den Revisionsbegriff angeht, so fällt seine Hochkonjunktur in die Aufklärungszeit, nach 1810 nimmt seine Häufigkeit signifikant ab. Verwendung findet er in allen möglichen Wissenschaftsgebieten, so z.B. in der Botanik 18 , der Zoologie 19 , der Arzneiwissenschaft 20 , der Wiesenwirtschaftslehre 21 , usw., vereinzelt auch in der Kultur- und Gesellschaftskritik 22 , vor allem aber in den verschiedensten Zweigen der Jurisprudenz, des Gerichts- und Verwaltungswesens, mit einer Fülle von Schriften zu prinzipiellen oder auch sektoralen und kasuistischen Revisionsfragen, deren Einzelnachweis hier zu weit führen würde. In der theologischen Literatur kommt der Revisionsbegriff weniger häufig vor, und wenn, dann eher in exotisch getönten Unternehmungen, kaum aber mit dem Gewicht einer die Grundlagen dieser Wissenschaft betreffenden Zielsetzung, obwohl die Titelformulierungen gerade das oft erwarten lassen. In dieser Hinsicht bleiben auch die Schriften von S alomon M aimon 23 hinter den von ihren Titeln geweckten Erwartungen 18 Vgl. G eorg W olfgang F ranz P anzer , Ideen zu einer künftigen Revision der Gattungen der Gräser. München 1813. 19 D ers ., Kritische Revision der Insektenfaune Deutschlands. 2 Bde., Nürnberg 1805-06. 20 Z.B. J ohann -J acob G ünther , Revision der Kriterien, deren sich die gerichtliche Arzneiwissenschaft der Frage bedient: Ob todtgefundene Neugeborne eines natürlichen oder gewaltsamen Todes gestorben seyen. Köln 1820. 21 Z.B. H ans F riedrich P ohl , Das Verjüngen der Wiesen. Nebst einer vorausgeschickten Revision der Wiesenwirthschaftslehre. Leipzig 1810. 22 Z.B. J ohann G ottlob H eynig , Versuch einer Revision der Cultur und Aufklärung nach ihren Prinzipien und Endzwecken. [s.l.] 1810; J ohann T raugott M angelsdorf , Revision der vorhandenen wahren und blos scheinbaren Aufklärung. In Briefen. Leipzig 1790; Allgemeine Revision des gesammten Schul- und Erziehungswesens von einer Gesellschaft praktischer Erzieher. 16 Bde., hg. von J oachim H einrich C ampe . Hamburg 1785-1792. 23 Vgl. die von S alomon M aimon (* 1753 in Sukowiborg, damals Litauen; † 22.11.1800 in Nieder-Siegersdorf, Schlesien) verfaßte Ankündigung und Aufforderung zu einer allgemeinen Revision der Wissenschaften. Einer Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin vorgelegt von Salomon Maimon. Berlin 1792 (ähnlich in: Deutsche Monatsschrift 1792, Bd. 3, 42-52). Daneben veröffentlichte M aimon Beiträge zur Revision der »Erfahrungsseelenkunde«. <?page no="50"?> 18 Erläuterungen zurück, wenngleich sich in ihnen das Bewußtsein einer den Status der Wissenschaften angehenden Grundlagenproblematik bekundet. An theologisch einschlägigen Titeln wären nach S wedenborg 24 in bunter Vielfalt S emler 25 und etliche Exoten zu erwähnen, mit viel verheißenden, aber wenig bringenden Titeln wie Revision der vorhandenen wahren und blos scheinbaren Aufklärung 26 , Kurze Revision der wichtigsten christlichen Religionslehren 27 , Revision einer von ihm durchlebten fünfzigjährigen theologischen Periode 28 , Revision der Literatur der Theologie, Philosophie und Pädagogik 29 , Revision des Kirchenglaubens 30 . Die Revision der Katechisirkunst zur Verbesserung ihrer Theorie und Ausübung von 1805 31 läßt trotz ihrer eingeschränkten Thematik erkennen, daß sich für Schriften dieser Art so etwas wie standardisierte Kriterien entwickelt hatten, die darauf hindeuten, daß sie zumindest ansatzweise als eine besondere literarische Gattung angesehen wurden. So konnte z.B. in einer Rezension der oben erwähnten Schrift M angelsdorfs kritisch vermerkt werden, der Revisionsbegriff sei hier irreführend verwendet, und um »eine wahre und nicht scheinbare Revision der wahren und nicht scheinbaren Aufklärung zu schreiben« müsse man besseres leisten 32 . Etikettenschwindel also, oder Selbstüberschätzung? Hier wird je- 24 [E manuel S wedenborg ], Revision der bisherigen Theologie, sowol der Protestanten als Römischkatholischen. Nebst einem Prüfungsversuche: Ob es wol schon ausgemacht sei, daß Swedenborg zu den Schwärmern gehöre. Breslau 1786. Dazu S emlers Reaktion: D. Joh. Sal. Semlers Unterhaltungen mit Herrn Lavater, über die freie practische Religion; auch über die Revision der bisherigen Theologie. Leipzig 1787. 25 Siehe die in Anm. 24 angeführte Reaktion auf S wedenborgs Revisionsschrift; sowie J ohann S alomo S emler , Zur Revision der kirchlichen Hermeneutik und Dogmatik. Halle 1788 (es handelt sich um eine Sammlung kritischer Bemerkungen zu Kirchengeschichte, Kirchenverfassung, Pädagogik, Philologie, Kanon, Moral, u.a.). 26 M angelsdorf , Revision (wie Anm. 22). 27 A nonymus , Kurze Revision der wichtigsten christlichen Religionslehren in Aphorismen. Von einem Freunde der Wahrheit. Deßau und Leipzig 1785. 28 J ohann B althasar L üderwald , Revision einer von ihm durchlebten fünfzigjährigen theologischen Periode von 1740 bis 1790. Helmstädt 1789. 29 A nonymus , Revision der Literatur der Theologie, Philosophie und Pädagogik. Heidelberg 1810 (»Revision« ist hier als Synonym für »Rezension« bzw. »Sammelrezension« gebraucht). 30 Gottlieb Denkers letzte Revision des Kirchenglaubens. Herausgegeben vom Herausgeber des Elpizon. [Zerbst] 1799; neue Ausgabe Zerbst 1805 (C hristian F riedrich S intenis hat hier unter dem Pseudonym »Gottlieb Denker« eine fingierte Revision verfaßt, in der dargelegt wird, wie dieser Denker unter Prüfung der Grundlagen des lutherischen Kirchenglaubens anhand der Vernunftkritik K ants den alten Kirchenglauben aufgibt und zum reinen Vernunftglauben findet. Vgl. dazu die Rezension von »Ad.« in: Neue allgemeine deutsche Bibliothek 1800, Bd. 51, 2. St., 279-290). 31 G eorg W ilhelm B lock , Revision der Katechisirkunst zur Verbesserung ihrer Theorie und Ausübung. Hannover 1805; vgl. dazu die Rezension in: Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung 5 (1808) Bd. 1, Nr. 50, 399-400 (J ohann C hristian D olz ), die im Hinblick auf die Kriterienfrage ergiebig ist. 32 So in der Buchanzeige eines »El.« zu: J.T.Mangelsdorf, Revision der vorhandenen wahren und blos scheinbaren Aufklärung, in: Allgemeine deutsche Bibliothek 1792, Bd. 106, 2. St., 339-341, hier 340; im gleichen Sinne eine anonyme Rezension zu M angelsdorf in: Allgemeine Literatur-Zeitung 1792, Bd. 2, Nr. 103, 137-139; ähnlich äußert sich ein »Es.« in: Allgemeine deutsche Bibliothek 1792, Bd. 106, 2. St., 484, zu L üderwald , Revision einer von ihm durchlebten fünfzigjährigen theologischen Periode (siehe Anm. 28). <?page no="51"?> 19 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) denfalls sichtbar, daß es so etwas wie einen falschen Gebrauch des Revisionsbegriffs geben kann, dem ein offenbar etabliertes Gattungsverständnis entgegengehalten wird. Und wenn es möglich war, eine literarische Karikatur einer Revisionsschrift zu verfassen 33 , so deutet das in die gleiche Richtung. Es bleibt die Frage, wie Reform und Revision sich begrifflich zueinander verhalten. Wenn in G aluras »Plan zur Reform der Theologie« 34 , den D rey kannte 35 , der Revisionsbegriff keine Rolle spielt, sondern der Reformbegriff verwendet wird, so deutet das darauf hin, daß man sich des Unterschiedes zwischen Reform- und Revisionsschriften bewußt gewesen zu sein scheint: Reformen zielen auf die Verbesserung des Bestehenden, ohne dessen Fundamente anzurühren, Revisionen gehen an die Grundlagen und ins Prinzipielle, in ihnen wird etwas Bestehendes, ein »Zustand« oder das Produkt eines Prozesses hinterfragt. Ein Beispiel aus dem Umfeld D reys zeigt, daß der Reformbegriff in die Nähe des Revisionsbegriffs führen kann, ohne aber dessen Radikalität zu erreichen. Als der vom Reformgeist der katholischen Aufklärung durchdrungene Exbenediktiner B enedikt M aria W erkmeister 36 , 33 So in: Gottlieb Denkers letzte Revision des Kirchenglaubens (siehe Anm. 30). Der theologisch konservative C hristian F riedrich S intenis hat diese Revisionsschrift inszeniert, um die zur Mode gewordene Revisionswut der Rationalisten zu verspotten. Ein Rezensent der Erstausgabe ist S intenis prompt auf den Leim gegangen (siehe Rez. in: Neue allgemeine deutsche Bibliothek 1800, Bd. 51, 2. St., 279-290). 34 B ernard [B ernhard ] G alura , Neueste Theologie des Christenthumes, wie selbes von Ewigkeit im Sinne Gottes war, und in der Zeit aus dem Munde des Sohnes Gottes gekommen ist. Ein Plan zur Reform der Theologie, und ein Versuch, die Lehre vom Christenthume auf die ursprüngliche Sprache, Simplizität und Schönheit wieder zurückzuführen; der gelehrten Welt zur Prüfung vorgelegt. 6 Bde., Augsburg 1800-1804. 35 D rey hatte sich in seinem Theologischen Tagebuch (II, 161-170; TüA 1, 115-120, Text 40*) in einem Eintrag von 1813 Exzerpte und Notizen zur Verwendung des Reich-Gottes-Motivs bei G alura gemacht. 36 B enedikt M aria ( von ) W erkmeister , * 22.10.1745 in Füssen (Taufname L eonhard ), † 16.7.1823 in Stuttgart, 1765-1767 Studium der Philosophie und Theologie in der Benediktinerabtei Neresheim (1765 Profeß ebd.) und 1767-1769 am Studium commune der bayerischen Benediktinerklöster in Benediktbeuern, 1769 Priesterweihe in Augsburg. 1770-1784 Lehrtätigkeiten (Philosophie) in Neresheim und am bischöflichen Lyzeum in Freising sowie klösterliche Funktionen (Novizenmeister, Archivar, Bibliothekar, Sekretär des Abtes, Studienleiter), Eintritt in den Illuminatenorden in Freising (1780), 1784-1796 Hofprediger an der herzoglichen Hofkapelle in Stuttgart, 1791 Weltpriester, 1796 Pfarrer in Steinbach bei Nürtingen, 1807 Berufung in den Katholischen Geistlichen Rat (ab 1816: Katholischer Kirchenrat) bei der Staatsregierung in Stuttgart, 1812 in die Kuratel der Friedrichsuniversität in Ellwangen, 1817 Oberkirchenrat, 1819 Aufgabe der Pfarrei Steinbach. - W erkmeister war das geistige Haupt und der literarische Wortführer der katholischen Aufklärung in Württemberg. Ab 1782 umfangreiche schriftstellerische Tätigkeit, 1802 gründete er zusammen mit P hilipp J oseph B runner (1758-1829; zu ihm I gnaz von L ongner , Beiträge zur Geschichte der oberrheinischen Kirchenprovinz. Tübingen 1863, 267 ff; Badische Biographien 1, 136; ADB 3 (1876) 447 (F riedrich von W eech ); J osef B ayer , Dr. Philipp Joseph Brunner, Ministerialrat in Karlsruhe und Pfarrer in Hofweier, in: FDA 92, 1972, 201-221; R udolf R einhardt , Neue Quellen zu Leben und Werk von Johann Sebastian Drey. Dreys Antwort auf das »Pastoralschreiben« des Rottenburger Generalvikars im Jahre 1821, in: ders ., Tübinger Theologen (wie Anm. 6) 117-166, 140 ff; zu B runner siehe auch unten in Ziff. II.5, Anm. 48) das Journal für katholische Theologie. Von <?page no="52"?> 20 Erläuterungen der im württembergischen Hochschulwesen zu großem Einfluß gelangte, 1806 sein Reformorgan, die Ulmer Jahrschrift für Theologie und Kirchenrecht der Katholiken begründete, erläuterte er im Eröffnungsheft sein Vorhaben im Anschluß an J akob D anzers Beyträge zur Reformation der christlichen Theologie überhaupt, und der katholischen Dogmatik insbesondere 37 , die er »in einem sehr erweiterten Umfange« fortzusetzen gedenke, folgendermaßen: Die Gegenstände seiner Zeitschrift werden sich auf »religiöse Gegenstände« überhaupt erstrecken und auf alle Gebiete von Theologie und Kirche; »sie werden alles umfassen, was zur Reinigung des katholischen Lehrbegriffs, zur Bildung aufgeklärter und liberal denkender Religionslehrer, und zur Vervollkommnung der öffentlichen Gottesverehrungen, näher oder entfernter beytragen kann« 38 . In dieser Programmformulierung finden sich deutliche Anklänge an einer Gesellschaft katholischer Theologen, von dem nur ein »Erster Band« (in Hadamar) herauskam, 1806 gemeinsam mit »einigen katholischen Theologen« (Titelblatt; in Wahrheit als alleiniger Herausgeber, Schriftleiter und Hauptautor) die in Ulm erschienene Jahrschrift für Theologie und Kirchenrecht der Katholiken, ein kritizistisches Reformorgan von beeindruckender Lebendigkeit und beachtlichem Niveau, das er auf sechs Bände brachte (der 6. Band erschien postum 1824-1830 mit autobiographischen Aufzeichnungen von W erkmeister ). Seit 1803 pflegte W erkmeister Briefverkehr mit W essenberg , der als Generalvikar von Konstanz für Steinbach zuständig war und für den W erkmeister sich später als einflußreicher Staatsbeamter vehement einsetzte, 1805 publizierte er Beiträge im Konstanzer Pastoralarchiv. Einen Ruf an die Universität Heidelberg schlug er aus (1804), desgleichen Angebote u.a. aus Straßburg. W erkmeister betätigte sich jahrzehntelang in Theorie und Praxis als Protagonist tiefgreifender Reformen im Geist der Aufklärung auf den Gebieten der Bildung, des Gesundheitswesens, der Schulpolitik und der Gottesdienstgestaltung. Staatskirchenrechtlich dem Josephinismus und Febronianismus zugetan, hat er (auch personal-) politisch die Stellung der katholischen Kirche im Königreich Württemberg maßgeblich mitbestimmt. Geistig ungemein lebendig, verkörperte W erkmeister in Sachen der Religion und der Theologie vielfach wegweisend den progressiven Geist seiner Epoche. In einer 1823, dem Todesjahr W erkmei sters , veröffentlichten Rezension würdigte ihn J ohann S ebastian D rey als einen »so lange und so ruhmvoll tätigen Theologen«, den »scharfsinnigen Veteranen unserer theologischen Literatur« (ThQ 5, 1823, 690). - Lit.: A ugust H agen , Die kirchliche Aufklärung in der Diözese Rottenburg. Bildnisse aus einem Zeitalter des Übergangs. Stuttgart 1953, 9-215; N orbert W olff , Zwei Studenten des ehemaligen Klosters Benediktbeuern als Reformer im katholischen Württemberg. Benedikt Maria v. Werkmeister (1745-1823) und Joseph v. Mets (1758-1819). München 1998; K onstantin M aier , Mönch ohne Zukunft - Flucht in die Welt. Benedikt Maria (Leonhard) Werkmeister (1745-1823), in: Fortschrittsglaube und Zukunftspessimismus, hg. vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Verbindung mit der Landeshauptstadt Stuttgart. Tübingen 2000, 10-24; ADB 42 (1897) 11-13 (J ohann F riedrich von S chulte ); LThK 3 10 (2001) 1101-1102 (K onstantin M aier ). 37 J akob D anzer , * 4.3.1743 in Lengenfeld (Taufname J osef ), † 4.9.1796 in Buchau, war ein zunehmend radikaler werdender Aufklärer, der von 1785 bis zu seiner Entlassung 1792 an der (Benediktiner-) Universität Salzburg Dogmatik, Moral- und Pastoraltheologie lehrte und wie W erkmeister vormals Benediktiner (in Isny) war. 1793 brachte D anzer anonym die Beyträge zur Reformation der christlichen Theologie überhaupt, und der katholischen Dogmatik insbesondere. Von einigen Freunden der Wahrheit in Ulm heraus; davon ist nur ein erster Band (Umfang 190 S.) erschienen. - Lit.: ADB 4 (1876) 754-755 (K arl W erner ); NDB 3 (1957) 514-515 (H er mann T üchle ); BBKL 1 (1990) 1222-1223 (F riedrich W ilhelm B autz ). 38 A nonymus [B enedikt M aria W erkmeister ], Plan der Jahrschrift, in: Jahrschrift für Theologie und Kirchenrecht der Katholiken. Ulm, 1 (1806), Heft 1, III-IV. <?page no="53"?> 21 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) die von D rey in der Vorerinnerung der RS dargelegte Zielsetzung. Doch obwohl das Reformprogramm W erkmeisters so weitgespannt und radikal wie nur möglich gedacht ist, so bewegt es sich doch in einer dem Reformbegriff eigentümlichen Weise nur im Innenraum bestehender Geltungen, während der Revisionsbegriff im Sinne D reys an die Fundamente geht und die Prinzipien der theologischen Architektur betrifft. Hier zeigt sich, daß die Analyse des von D rey in den Titel seiner Abhandlung aufgenommenen Revisionsbegriffs im Kontext der Gattungsfrage es erlaubt, die Intentionen D reys wie auch die fundamental-theologische Programmatik im Text der RS genauer zu erfassen. Doch damit nicht genug. Indem sich herausstellt, daß die RS historisch wie auch typologisch der Revisionsliteratur zugehört, wird erkennbar, daß D rey in ihr ein originäres Anliegen der Aufklärung verfolgt. Das tritt auch in den Formulierungen zutage, mit denen er den »Zweck der Abhandlung« bestimmt: Es sei nötig, »den Geist«, dem man in Sachen der Theologie verhaftet sei, »fortwährend zu überprüfen« (RS, Vorerinnerung 3-4); in diesem Sinne wolle er mit seiner Abhandlung »ein prüfendes Nachdenken« veranlassen (4). Das ist genuine Aufklärungsterminologie. Sie erhärtet die Annahme, daß es sich bei der RS um ein aus dem Geist der Aufklärung entstandenes und von ihm durchdrungenes Unternehmen handelt. Damit läßt sich auch die besonders seit G eiselmann strittige Frage, ob die RS ein Werk der Aufklärung oder der Romantik sei 39 , einer konstruktiven Beantwortung zuführen. Sie ist beides in Einem; D rey verfolgt in ihr ein elementares Anliegen der Aufklärung, dies jedoch durchaus im Anhauch der romantischen Bewegung, die gerade in den Jahren, die D rey in Rottweil zubrachte, die lebendigsten Köpfe unter den Theologen affizierte (vgl. Einleitung zu Text Nr. 6, Ziff. II.1), und im Geiste dieser Bewegung. Mehr noch: Der Problemsicht und der Problembehandlung in der RS liegen die Kategorien und Ziele der Frühromantik evidentermaßen zu Grunde. b. »... des gegenwärtigen Zustandes der Theologie« Den »gegenwärtigen Zustand« einer Sache zu beschreiben und zu hinterfragen, ist eine der in der Revisionsliteratur häufig verfolgten Absichten. Es handelt sich insofern um einen gattungsspezifischen Topos. Bezüglich der 39 Die Behandlung dieser Frage erfolgte bei G eiselmann im Sinne einer disjunktiven Alternative, die nur ein Entweder - Oder zuläßt, wobei er für die RS (und für D rey überhaupt) vehement auf die Karte Romantik setzte. Vgl. G eiselmann , Die Glaubenswissenschaft der Katholischen Tübinger Schule (wie Anm. 16) 54-66, bes. 56 f; ders ., Geist des Christentums (wie I.3.a.) XIII ff; XVII; ders ., Lebendiger Glaube aus geheiligter Überlieferung. Der Grundgedanke der Theologie Johann Adam Möhlers und der katholischen Tübinger Schule (Die Überlieferung in der neueren Theologie 1-2). Freiburg i.Br. 1942, unverändert 2 1966, 120-298; G eiselmann taxiert den D rey der RS sogar als vollwertiges Glied der Frühromantik (vgl. 126); ders ., Die theologische Anthropologie Johann Adam Möhlers. Ihr geschichtlicher Wandel. Freiburg 1955, 97; ders ., Die Katholische Tübinger Schule. Ihre theologische Eigenart. Freiburg i.Br. 1964, 20; 280-302. - Siehe auch oben bei und in Anm. 17 sowie unten Anm. 165. <?page no="54"?> 22 Erläuterungen thematischen Hinordnung seines Revisionsvorhabens auf den »Zustand der [gegenwärtigen] Theologie« spricht indessen alles dafür, daß D rey diese Formulierung der Neunten Vorlesung (Über das Studium der Theologie) in S chel lings Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums entnommen hat (siehe aber auch die Ausführungen zu F ichte sowie zu W essenberg unten in Ziff. II.4.c). S chelling unterzieht dort die im Laufe der Neuzeit zur Vorherrschaft gelangte Verfassung der Theologie, ihre »Erkenntnisart« und ihren »ganzen Standpunkt«, einer Fundamentalkritik. Die diesbezüglichen Zustandsbeschreibungen und Analysen sind so ausführlich, daß sie fast drei Viertel der Vorlesung in Anspruch nehmen. Sie enden mit der Bemerkung: »Ich mußte über den Zustand der Theologie reden, weil ich das, was mir über das Studium der Wissenschaft zu sagen nötig schien, nicht anders als durch den Gegensatz gegen die herrschende Art desselben deutlich zu machen hoffen konnte« 40 . c. Schelling et alii In seiner vorliegenden Sprachgestalt könnte der Titel der RS ohne weiteres im allgemeinen Kontext der zeitgenössischen Revisionsliteratur entstanden sein. Rein für sich genommen wäre die sprachliche Übereinstimmung des Titels mit der oben zitierten Formulierung aus der Neunten Vorlesung S chellings kein Beweis für S chelling als Titellieferant. Erst der inhaltliche Vergleich der Abhandlung D reys mit dieser Vorlesung führt zu der Einsicht, daß S chel ling für den Titel der RS tatsächlich direkt Pate gestanden sein muß. Dieser Schluß ist zwingend: D rey hat mit der Titelformulierung auch den inhaltli- 40 S chelling , Vorlesungen über die Methode des academischen Studium (wie Anm. 16). Neunte Vorlesung. Über das Studium der Theologie, 626-635, 633 (Hervorhebung nicht im Original). - Zur Situierung dieses Topos ist auch die unten bei und in Anm. 44 angeführte Schrift von W essenberg zu beachten, sowie auch das achtteilige Werk des Juristen K arl I gnaz W ede kind , Geist der Zeit. In einer pragmatischen Darstellung der merkwürdigsten Ereignisse in der physischen, moralischen, literarischen und politischen Welt. Freiburg, Konstanz 1810-1817 (in D reys Büchernachlaß vorhanden), das deskriptive Ausführungen zum »Religionszustand« (1810, 40-52) und zum »Zustand der Theologie« (1810, 138-145) enthält. Zu dem mehrfach angesprochenen Verfallsmotiv ist hinzuweisen auf P atriz B enedikt Z immer , Philosophische Untersuchungen über den allgemeinen Verfall des menschlichen Geschlechtes. Landshut 1809 (ebenfalls in D reys Büchernachlaß; in seinem Nekrolog auf Z immer äußert sich D rey anerkennend zu diesem Werk, siehe ThQ 2 (1820) 751; siehe auch unten Misz. Nr. 14; zum Büchernachlaß D reys siehe W infried W erner , »Bibliothek des verstorbenen Prof. von Drey«. Zwei Listen zu seinem Büchernachlaß, in: M ichael K essler , O ttmar F uchs (Hg.), Theologie als Instanz der Moderne. Beiträge und Studien zu Johann Sebastian Drey und zur Katholischen Tübinger Schule (Tübinger Studien zur Theologie und Philosophie 22). Tübingen 2005, 413-443). Nach Abfassung der RS hat D rey sich in diesem Kontext seiner Auseinandersetzung mit S chel lings Naturphilosophie mit dem Verfallsproblem befaßt und auf Autoren wie O uwaroff , B akker , D oornik und W eiller bezogen, wie Notizen in seinem Theologischen Tagebuch zum »allgemeinen Menschenverfall« und »Verfall des menschlichen Geschlechtes« belegen (siehe z.B. Theologisches Tagebuch II, 60-69, 71-95 und IV, 5-14, in TüA 1, 50-57, 59-78 und 268-274, Texte 20* f, 23* f und 77*, Zitate TüA 1, 50 f). <?page no="55"?> 23 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) chen Kontext, in den sie bei S chelling eingebettet ist, weitgehend mit übernommen. Mit dieser Beobachtung stellt sich die Frage nach dem Einfluß S chellings auf die RS. Daß er hoch anzusetzen ist, wurde von G eiselmann erkannt 41 . Demnach hat D rey sich für die ganze Fragestellung (G eiselmann ) der RS wesentlich an S chelling orientiert. Inhaltliche Übereinstimmungen finden sich in der kritischen Analyse des Zustandes der Theologie und in der Ätiologie ihrer gegenwärtigen Verfassung bis hin zur Kritik der eindimensionalen Rationalitäts- und Wissenschaftskultur, der Verflachung des Religionsbegriffs und der Geschichtsauffassung, der Verkopfung der Theologie und der Irrwege des Schriftprinzips, desgleichen nach der positiven Seite hin auch die konstruktiven Vorschläge, die S chelling zur Behebung der Mißstände ins Auge gefaßt hatte. Unter dem Eindruck dieser Befunde ließ G eiselmann sich zu dem Schluß verleiten, daß S chelling »die Quelle« der RS sei (60 f mit Anm. 1). Dieser Schluß ist mit Sicherheit überzogen. In der RS finden sich tragende Ideen und Denkmuster, die nicht auf S chelling zurückzuführen sind (z.B. die Verklärung des Mittelalters bzw. des mittelalterlichen Katholizismus, die Kritik des Protestantismus und das historiographische Verfallsschema). G ei selmann weiß das eigentlich. Denn indem er D reys »theologische Erstlingsarbeit nach ihrer geistesgeschichtlichen Seite hin« als »einen typischen Ausdruck romantischer Geistesart« einschätzt (ebd. 58), lenkt er den Blick doch auch über S chelling hinaus auf jene mit dieser »Geistesart« verbundenen Merkmale und Motivbündel, die sich in der Neunten Vorlesung nicht finden, wohl aber in der RS. G eiselmann verweist dafür etwa auf H erder , B urke , J ohannes von M üller , A dam M üller , die Brüder S chlegel , vor allem aber auf F riedrich von H ardenberg (N ovalis ) und dessen Rede Die Christenheit oder Europa, zu der die RS in einigen Stücken und »bis in den Rhythmus der Sprache hinein« signifikante Übereinstimmungen aufweise. »Aber nicht bloß denselben Geist atmet die Revision Dreys wie das Europafragment des Novalis. Wir können die Ähnlichkeit ihrer Auffassungen auch im einzelnen feststellen« (ebd. 61). G eiselmann stellt somit die Europarede aus inhaltlichen Gründen praktisch gleichrangig neben die Vorlesung S chellings . Anderseits ist er überzeugt, daß D rey den Text der Europarede nicht oder 41 Vgl. dazu oben in und bei Anm. 16. Bei G eiselmann erstmals in: ders ., Die Glaubenswissenschaft der Katholischen Tübinger Schule (wie Anm. 16) 54-66 (hiernach die oben folgenden Seitennachweise). Vgl. außerdem: ders ., Geist des Christentums (wie oben in Ziff. I.3.a) XV; 472 ff; ders ., Die Katholische Tübinger Schule (wie Anm. 39) 14, 17, 20, 23, 32 f, 146, 164, 191, 287 f, 294. Zum Verhältnis D rey - S chelling in weiter ausgreifenden geistes- und ideengeschichtlichen Perspektiven vgl. T homas F ranklin O’M eara , Romantic Idealism and Roman Catholicism: Schelling and the Theologians. Notre Dame, London 1982, 4 ff, 94-108; zu S chel ling im Werk D reys insgesamt siehe Einleitung zu TüA 3 (Kurze Einleitung), 106*-121*, sowie unten Ziff. II.6.c bei und in Anm. 89-94 und Ziff. II.7 bei und in Anm. 124 f. <?page no="56"?> 24 Erläuterungen jedenfalls nicht direkt gekannt haben konnte, da dieser erst 1826 im Druck erschienen sei. Aus diesem Grund könne eine Abhängigkeit der RS von N ovalis »nicht in Betracht kommen«. »Schelling dagegen ist die Quelle, aus der Drey geschöpft hat« (ebd. 60 f mit Anm. 1). G eiselmann verwickelt sich in der Quellenfrage ersichtlich in Widersprüche. Da es ihm nicht gelingt, das Problem anders zu lösen, setzt er schließlich alles auf die Karte S chelling , selbst in Motivkomplexen, für die dieser nicht in Frage kommt. Doch der Überschuß an Geist, Denkart und Inhalten, der der RS im Vergleich zu S chelling eignet, und besonders die Affinitäten zu N ovalis sind durch den Gewaltstreich G eiselmanns weder erklärt noch aus der Welt geschafft. Der Umstand, daß der Autor der RS den vollständigen Text der Europarede aus keinem der vor 1810 öffentlich zugänglichen Drucke kennen konnte, berechtigt keineswegs zu dem Schluß, daß sie ihm nicht auf anderen Wegen zur Kenntnis gelangt sein mochte. Die dafür einschlägigen Befunde in der RS zwingen zu dieser Annahme. N ovalis (1772-1801) hatte die Rede am 13. oder 14. November 1799 im Rahmen eines Jenaer Treffens des Romantikerkreises vorgetragen, anwesend waren T ieck , A ugust W ilhelm und C aroline S chlegel , F riedrich S chlegel und D o rothea V eit , S chelling , R itter und N ovalis ’ Bruder K arl . Die Rede wurde im Zuhörerkreis heftig kritisiert, sie wurde vor allem von S chelling radikal abgelehnt. S chelling verfaßte dazu eine giftige Satire in Knittelversen. Die Widerstände gegen die Rede waren so groß, daß ihre Drucklegung im Athenäum, der Zeitschrift der Brüder S chlegel , unterbleiben mußte, nicht zuletzt auf Anraten G oethes . Von der Rede ist kein Autograph des Verfassers überliefert. Die Geschichte ihrer Drucke ist grotesk. Der von F riedrich S chlegel und L udwig T ieck besorgte Erstdruck erfolgte 1802 in Berlin, doch er verdient diesen Namen nicht. Er enthält in seinen aus dem Zusammenhang gerissenen acht Textstücken kaum ein Drittel der solcherart purifizierten Rede. Dasselbe gilt für die zweite Ausgabe von 1805. Die vierte Ausgabe (von 1826) brachte - erstmals mit dem nicht von N ovalis stammenden Titel Christenheit oder Europa - angeblich den ganzen Redetext, was aber nicht richtig ist. Es wurden auch hier Streichungen vorgenommen, die vor allem die Texte betreffen, die die Kritik H ardenbergs am Protestantismus und an dem an ihm festgemachten Verfallsschema betreffen, sowie die positiven Bewertungen des Katholizismus. Man hielt die Rede vor allem für eine Apologie des Katholizismus, was man aber keinesfalls wahrhaben oder unterstützen wollte. So war die Drucklegungsgeschichte eine Folge ideologisch motivierter Textmanipulationen 42 . Gleichwohl wurde die Rede im ersten 42 Zur Europarede als Apologie des Katholizismus vgl. H ugo E rnst K äufer , Novalis - Vorbote Europas, in: ders ., Lesezeichen. Ausgewählte Essays, Reden und Rezensionen aus fünfzig Jahren. Düsseldorf 2001, 18-25; bei K äufer sind die einschlägigen Stellen angeführt. Zur Druck- und Manipulationsbzw. Verstümmelungsgeschichte der Rede siehe vor allem M ario Z a - <?page no="57"?> 25 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts öffentlich intensiv diskutiert, ihre Inhalte waren zumindest den Insidern bekannt, die Diskussionen sorgten für ihre Verbreitung. D rey hielt sie offensichtlich für so gewichtig und überzeugend, daß er sie konstruktiv in die RS aufnahm. Auf welchem Weg sie zu seiner Kenntnis gelangten, ist noch nicht genügend geklärt. Nach Lage der Dinge kommen dafür auch Rezensionen, Literaturberichte, Intelligenzblätter, Streitschriften und ähnliche Texte aus der Zeit zwischen 1799 und 1811 in Frage. Eine bedeutende Informationsquelle ist jedoch im literarischen Umfeld der Katholizismusschrift (Text Nr. 6) auszumachen. Es handelt sich um ein in dieser Sache tatsächlich höchst instruktives Werk, das D rey sehr wahrscheinlich seit 1808 kannte und anhaltend schätzte 43 . Eine weitere gewichtige Inspirationsquelle für die RS dürfte neben S chel ling und N ovalis J ohann G ottlieb F ichte gewesen sein. Dafür spricht nicht nur, daß - wie H efele im Nekrolog auf D rey eigens vermerkte - gerade der junge D rey sich mit den Schriften F ichtes befaßte, sondern auch eine inhaltliche Nähe der RS zu F ichtes Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters (Erstdruck Berlin 1806). F ichte kennzeichnet in diesem Werk, das auf 17 im Winter 1804/ 05 in Berlin gehaltene Vorlesungen zurückgeht, das »gegenwärtige« Zeitalter vor dem bei ihm hier alles überlagernden religiösen Hintergrund als Epoche der Entfremdung und des geistlosen Buchstabens im Hinblick auf die eigentliche Zielbestimmung der Menschheit zur wahren Erkenntnis, die in der Vereinigung mit der Vernunft im höchsten rechtfertigenden Wissen liege (zum Einfluß F ichtes auf D reys Katholizismusschrift vgl. Einleitung zu Text Nr. 6, Ziff. II.1.). Mit Sicherheit ist schließlich anzunehmen, daß auch vom Stimmführer der kirchlichen Reformen in Südwestdeutschland, I gnaz H einrich von W essen berg , Anstöße auf die Konzeption der RS ausgegangen sind. W essenberg war 1802 von D alberg zum Generalvikar der Diözese Konstanz berufen worden, zu der auch Rottweil, wo die RS entstanden ist, gehörte. Als Generalvikar und Präsident der Konstanzer Geistlichen Regierung entwickelte der nach Höherem strebende W essenberg umfassende Reformaktivitäten, für die nucchi , Novalis - Poesie und Geschichtlichkeit. Die Poetik Friedrich von Hardenbergs. Paderborn 2006, bes. 64-115, sowie bereits H ans -J oachim M ähl , Einleitung und Kommentar zu Novalis: Die Christenheit oder Europa, in: ders ., R ichard S amuel (Hg.), Novalis. Werke, Tagebücher und Briefe Friedrich von Hardenbergs 3. München 1987, 579-604, hier bes. 584-594. Weitere Literatur zu N ovalis und zu seiner Rede über Die Christenheit oder Europa in Ziff. II.1 der Einleitung zu Text Nr. 6 (Katholizismusschrift), Anm. 34-39. 43 J ohann A ugust E berhard , Der Geist des Urchristenthums. Ein Handbuch der philosophischen Cultur für gebildete Leser aus allen Ständen in Abendgesprächen herausgegeben. 3 Bde., Halle 1807-08. - Zu diesem Werk und seinem Verfasser siehe Einleitung zu Text Nr. 6, Anm. 24. Daß D rey E berhards Schriften schon in Rottweil kannte, geht aus einem im Herbst 1811 notierten Eintrag im Theologischen Tagebuch II, 10 (TüA 1, 9) hervor. Ein eklektizistischer Vielschreiber, wie vielfach in der Literatur behauptet wird, war E berhard nicht (trotz Theologischem Tagebuch, a.a.O.). <?page no="58"?> 26 Erläuterungen er als publizistisches Instrument 1802 die Geistliche Monatschrift mit besonderer Rücksicht auf die Konstanzer Diözese und 1804 sein Archiv für die Pastoralkonferenzen in den Landkapiteln des Bisthums Konstanz ins Leben rief (vgl. oben in Ziff. I.1 sowie Anm. 5). D rey war dem Reformprogramm und der Person W essenbergs zugetan, sein erstes literarisches Erzeugnis, die RS, veröffentlichte er im Konstanzer Pastoralarchiv (vgl. oben Ziff. I.1). W essenberg selbst hatte 1801, ein Jahr vor seiner Berufung zum Generalvikar, seine erste literarische Programmformulierung in einem stattlichen Buch vorgelegt 44 . Dieses durch die humanistische Bildung und das hohe Ethos seines Autors ausgezeichnete Buch ist von jenem Geist des Aufbruchs und der Reformfreude durchdrungen, den die Jahrhundertwende weitum mit sich brachte. Es war nicht das Werk eines Philosophen, sondern ein praxisorientiertes Manifest eines den Reformgeist des beginnenden Jahrhunderts paradigmatisch in sich versammelnden Kultur- und Kirchenpolitikers zur Reformierung der aus dem 18. Jahrhundert überkommenen intellektuellen, moralischen und lebensweltlichen Zustände im Sinne einer temperierten katholischen Aufklärung. Es war aber auf seine Art modellrelevant für die RS: Der »Geist des neuen Jahrhunderts« läßt »große Veränderungen« erwarten (220), und insgesamt eine »Reformation der Denkart« (262) bezüglich der »anarchischen Verwirrung der Köpfe und Herzen« (19), die aus einer »verkehrten«, »seichten«, »schiefen« Aufklärung hervorgegangen ist (21; 40 u.ö.). Hinzu kämen die verderblichen Neigungen zur »Barbarey des Mittelalters« (256) und zu einem jeder Vernunft sich verschließenden Mystizismus (238 ff). Es komme dagegen darauf an, den »Geist des Christentums« wieder zu erheben und zu ihm hinzuführen (16). Die atmosphärische und topologische Nähe der RS zu dem Buch W essen bergs springt in die Augen, nicht weniger aber auch der veränderte Zuschnitt, den D rey den Problemen gab. Eine Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie gehörte unter anderem zwar auch zu den Zielen W essenbergs , aber D rey maß der Theologie - einer zu sich selbst gebrachten Theologie in Gestalt einer wahren scientia fidei - einen ganz anderen Stellenwert bei als W essenberg . Es lag sicher in seiner Absicht, die motivationalen Vorgaben der Programmschrift W essenbergs bejahend aufzugreifen, aber er erkühnte sich, die Probleme in einer anderen Höhenlage zu bedenken und von da aus - ineins mit den philosophischen Vordenkern vom Range S chel lings , aber die viel weniger tiefgehenden Reformprogramme der Praktiker von der Art des Konstanzer Geistlichen Regierungsrats J oseph V itus B urg 44 [I gnaz H einrich von W essenberg ], Der Geist des Zeitalters. Ein Denkmal des achtzehnten Jahrhunderts zum Besten des neunzehnten errichtet von einem Freunde der Wahrheit. Zürich 1801. Wie aus den weiteren Darlegungen hervorgeht, dürfte diese Schrift W essenbergs nicht nur für die RS, sondern im gleichen Zug für deren ungedruckten Hauptteil (d.h. der Katholizismusschrift D reys ) modellrelevant gewesen sein, sodaß auch aus dieser Sicht ein Argument für den Fragmentcharakter der RS zu gewinnen wäre. <?page no="59"?> 27 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) (siehe unten Ziff. II.8.a. α ) weit hinter sich lassend - seine Vorstellungen zur Überwindung der Übel vorzulegen. Kein Wunder, daß man in Konstanz empfindlich reagierte. d. Anhang: Die von Drey in der Revisionsschrift angeführten Personennamen Wie bereits erwähnt, nimmt D rey in der RS keinen Bezug auf Personen oder Werktitel aus dem Gebiet der Revisionsliteratur. Er nennt aber Namen von Theologen (überwiegend aus dem Mittelalter), die im weiteren Sinn im Argumentationsgang seiner Abhandlung eine Rolle spielen. Auch wenn das Vorkommen dieser Namen im einzelnen nicht allzu hoch zu gewichten ist, so geben sie in ihrer Gesamtheit doch Aufschluß über die Personenwelt, in der D rey sich hier bewegt, und über die theologiegeschichtliche Vernetzung bzw. Situiertheit seines Denkens. In der nachfolgenden Zusammenstellung sind die Namen in der von der RS vorgegebenen Schreibweise und Aufeinanderfolge angeführt. Die biographischen Präzisierungen sind nicht von D rey . Die in Klammern vermerkten Seitenangaben beziehen sich auf den Erstdruck von 1812. V enerabilis B eda (9): B eda V enerabilis , * um 673 in Wearmouth (Northumberland), † 26.5.735 im Kloster Jarrow (Grafschaft Durham). - BBKL 1 (1990) 453-454 (F riedrich W ilhelm B autz ). J oannes S cotus E rigena (9): J ohannes S cotus E riugena , * um 810 in Irland, † um 877. - BBKL 3 (1992) 563-567 (U do K rolzik ). P eter D amiani (9 f): doctor ecclesiae (L eo XII), * 1006/ 07 Ravenna, † 1072. - BBKL 7 (1994) 346-358 (S tephan F reund ). L anfranc (10): L anfranc von B ec , Prior von Le Bec, Erzbischof von Canterbury, Theologe. * ca. 1010 in Pavia, † 28.5.1089 Canterbury. - BBKL 4 (1992) 1074-1076 (K laus R einhardt ). A nselmus (10): A nselm von C anterbury , * 1033 Aosta, † 21.4. 1109 Canterbury. - BBKL 1 (1990) 182-184 (F riedrich W ilhelm B autz ). B ernhard von C lairvaux (10): * 1090 Fontaines bei Dijon, † 20.8.1153 Clairvaux. - BBKL 1 (1990) 530-532 (F riedrich W ilhelm B autz ). B onaventura (10): J ohannes F idanza B onaventura , * 1221 Bagnorea (Latium), † 15.7.1274 Lyon. - BBKL 1 (1990) 679-681 (F riedrich W ilhelm B autz ). R ichard von S t . V ictor (10): Augustinerchorherr, † 16.3.1173 Paris. - BBKL 8 (1994) 216-218 (J osef T heodor R ath ). H ugo von S t . V ictor (10): * Ende des 11. Jahrhunderts, † 11.2. 1141 in Paris. - BBKL 2 (1990) 1148-1151 (F riedrich W ilhelm B autz ). P eter A beillard (11): P eter A baelard , * 1079 Le Pallet (Bretagne), † 21.4.1142 Kloster St. Marcel-sur-Saoˆ ne, Chaˆlons. - BBKL 1 (1990) 2-4 (F riedrich W ilhelm B autz ). <?page no="60"?> 28 Erläuterungen R oscellin (11): R oscelin von C ompie`gne , Theologe u. Philosoph, * um 1050 Compie`gne, † 1120/ 25. - BBKL 8 (1994) 660-661 (K laus K ienzler ). W ilhelm de C hampaux (11): W ilhelm von C hampeaux (G uglielmus de C ampellis ), * um 1070 in Champeaux, † 1121 in Chaˆlons-sur-Marne, ebd. Bischof ab 1113, Philosoph. - LThK 2 10 (1965) 1130-1131 (C harles H. L ohr ). A lmaricus (11): A maury (A lmaricus ) de M ontfort , um 1124 Abt von Montfort-Sur-Risle, † um 1140. D avid de D inanto (11): D avid D yonensis , D avid von D inant , Philosoph, * in Dinant (Belgien), † 1206/ 10: HW: De tomis, hoc est de divisionibus; Quaternuli. - BBKL 1 (1990) 1233 (F riedrich W ilhelm B autz ); LThK 2 3 (1959) 178 (E rhard -W olfram P latzeck ); RGG 3 2 (1958) 51 (M artin A nton S chmidt ). P etrus L ombardus (12; vgl. 39): * 1095/ 1100 in Lumellogno bei Novara; † 1160 in Paris. - J osef R ief , Die moraltheologische Konzeption in den Sentenzen des Petrus Lombardus, in: ThQ 144, 1964, 290-315; BBKL 5 (1993) 197-202 (L udwig H ödl ). S emmler (21): J ohann S alomo S emler , ev. Theologe, * 18.12.1725 Saalfeld (Thüringen), † 14.3.1791 Halle. - BBKL 14 (1998) 1444-1473 (W erner R aupp ). B ahrdt (21): K arl F riedrich B ahrdt , dt. Aufklärungstheologe, * 25.8. 1741 Bischofswerda (Oberlausitz), † 23.4.1792 Nietleben bei Halle. - BBKL 1 (1990) 346-347 (F riedrich W ilhelm B autz ). V oltär (22): V oltaire (eigentlich: F ranc¸ ois -M arie A rouet ), Aufklärer, Enzyklopädist, Historiker und Dichter, * 21.11.1694 Paris (nach V.s Angaben: 20.2.1694 in Chaˆtenay), † 30.5.1778 Paris. - BBKL 13 (1998) 1-55 (K laus -G unther W esseling ). H ume (22): D avid H ume , Philosoph, Historiker, * 7.5.1711 in Edingburgh, † 25.8.1776 ebd. - BBKL 2 (1990) 1175-1178 (T homas U ecker ). F e´nelon (24): F ranc¸ ois de S alignac de la M othe -F e´ nelon , Erzbischof von Cambrai (1695), Schriftsteller, * 6.8.1651 Schloß Fe´nelon (Dordogne), † 7.1.1715 Cambrai. HW: Traite ´ de l’e ´ducation des filles 1681/ 87; Les aventures de Te ´le ´maque, fils d’Ulysse (um 1690); Explication des maximes des Saints sur la vie inte ´rieure 1697. - BBKL 2 (1990) 16-19 (F riedrich W ilhelm B autz ). B laise P ascal (24): Naturwissenschaftler, christlicher Denker und Mystiker, * 19.6.1623 Clermont-Ferrand, † 19.8. 1662 Paris. - BBKL 6 (1993) 1563-1565 (K arl D ienst ). <?page no="61"?> 29 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) 5. Von Rottweil nach Ellwangen. Zur Stellung und Rolle der Revisionsschrift in der wissenschaftlichen Vita Dreys a. Zur Fragestellung Chronologisch gesehen steht die RS am Ende der Zeit, die D rey als Philosophieprofessor im Lyzeum in Rottweil verbrachte (1806-1812) und zugleich am Anfang seiner universitären Laufbahn als Theologe in Ellwangen (1812-1817). Noch in Rottweil als Abhandlung verfaßt und noch während seines Aufenthaltes in der Stadt am oberen Neckar publiziert, lag sie fast noch druckfrisch vor, als D rey am 28. September 1812 auf den Dogmatiklehrstuhl an der neu errichteten katholischen Landesuniversität in Ellwangen, der Friedrichsuniversität, berufen wurde. Allein schon im Hinblick auf den Zeitpunkt ihrer Abfassung und Veröffentlichung kommt ihr somit eine Zwischenstellung im beruflichen Werdegang D reys zu. Da er mit ihr, wie man im Nachhinein erkennen kann, seinen amtlich-professionellen Wechsel von der Philosophie zur Theologie in die Wege leitete, steht sie, von außen betrachtet, für einen entscheidenden Wendepunkt in seiner wissenschaftlichen Vita. Fraglich ist, ob es sich im Hinblick auf ihre Inhalte um eine abrupte Neuorientierung handelt, oder um einen Aufbruch zu Neuem, in dem D rey die Kontinuität seines Denkens zu wahren wußte. Diese Frage ist nicht nur von biographischem Interesse, sie betrifft auch die Stellung der RS im Zuordnungsverhältnis von Philosophie und Theologie im Denken D reys , was für die Hermeneutik dieser Schrift von Bedeutung ist. Die Sachlage ist ziemlich verwickelt. Aus der Feder des Philosophieprofessors in Rottweil geflossen, hat die RS dennoch nicht den Charakter einer philosophischen Abhandlung, jedenfalls formal betrachtet, sondern eindeutig den einer theologischen. D rey selbst präsentiert sich in ihr umstandslos als Theologe und nicht etwa als theologisch beschlagener Philosoph. Wer die berufliche Stellung D reys in Rottweil kannte, konnte wohl denken, daß hier - aus welchen Gründen auch immer - ein Philosoph in einem fremden Revier wildern geht. Es bedarf tatsächlich einer genaueren Kenntnis des philosophisch-theologischen Denkens des Autors aus Rottweil, um die scheinbaren Ungereimtheiten sachgerecht aufzulösen. Zudem ist zu berücksichtigen, daß D rey sein philosophisches Lehramt am Lyzeum in Rottweil im Rahmen der Priesterausbildung ausübte. b. Drey »im dogmatischen Fach ausgezeichnet«. Die Revisionsschrift als gezielt verfaßter Qualifikationsausweis? Wenn man allein auf die fachliche Stellung D reys in Rottweil und auf die dort von ihm vertretenen Lehrfächer blickt, die mit der Theologie direkt nichts zu tun hatten, mag es als verwunderlich erscheinen, wie er anfangs 1812 plötzlich eine so pointiert theologische Abhandlung, wie es die RS nach Form und <?page no="62"?> 30 Erläuterungen Inhalt ist, der Öffentlichkeit vorlegen konnte. Persönliche Beweggründe gab D rey nicht zu erkennen, er präsentierte die Abhandlung als einen vom Zustand der Theologie erzwungenen Denkanstoß eines besorgten Beobachters. Was gerade ihn, den Philosophieprofessor im Lyzeum in Rottweil, dazu bewogen haben mochte, plötzlich wie ein Theologe in den Ring zu steigen, teilt er nicht mit. Wenn man die Hintergründe dieser überraschenden Intervention ausleuchtet, tun sich Zusammenhänge auf, die auf obrigkeitliche Pläne und ineins damit auf persönliche Absichten D reys verweisen. Die inneren Qualitäten der RS sind davon nicht betroffen, so wenig wie ihre zeitgeschichtliche Einschlägigkeit und ihre sachliche Überfälligkeit, aber die Umstände, die zu ihrer Abfassung geführt haben, zeigen, daß auch hier die Väter großer Gedanken irdische Wohnsitze haben. In diesem Fall handelt es sich um die Vorgeschichte der im Herbst 1812 in Ellwangen errichteten theologischen Fakultät, an die D rey noch im selben Jahr berufen wurde. D rey wußte zum Zeitpunkt der Abfassung bzw. Veröffentlichung der RS natürlich, daß die Pläne zur Errichtung dieser Fakultät ihr heißes Endstadium erreicht hatten. In den staatlichen Organisationsplänen zur verwaltungsrechtlichen Neuordnung der 1803 und in den nachfolgenden Jahren erworbenen katholischen Landesgebiete war seit 1806 die Gründung einer universitären Lehranstalt für das Studium der katholischen Theologie, die mit fünf Lehrstühlen ausgestattet werden solle, vorgesehen 45 . Die konkrete Planung und Umsetzung dieses Vorhabens oblag 45 Das erste Organisationsedikt vom 1. Januar 1803 wurde noch von Kurfürst F riedrich erlassen. Nach der Erhebung des Herzogtums zum Königreich (26. Dezember 1805) wurde am 18. März 1806 der Katholische Geistliche Rat (KGR) als staatliche Behörde im Königreich Württemberg mit Zuständigkeit für Angelegenheiten der katholischen Kirche im Verhältnis Staat - Kirche (und somit auch für die Weiterentwicklung und Umsetzung des Organisationsplans) eingerichtet. Der KGR war dem Kultusminister unterstellt. - In der württembergischen Bildungspolitik und im Aufbau des katholischen Bildungswesens nahm insbesondere B enedikt M aria W erkmeister , Förderer und Freund D reys , lange Zeit eine Schlüsselstellung ein. W erkmeister gehörte dem KGR seit Juli 1807 als zweiter der beiden geistlichen Amtsträger an, sein Ressort war das (katholische) Unterrichtswesen im Königreich. Er war damit auch für die Einrichtung der katholischen Landesuniversität in Ellwangen zuständig. Nach der Errichtung dieser Lehranstalt am 28. September 1812 gehörte er (zusammen mit J ohann B aptist K eller , dem späteren Bischof der Diözese Rottenburg) zur Universitätskuratel. - Der Plan, die seit 1806 in Aussicht genommene Lehranstalt mit fünf Lehrstühlen auszustatten, gehörte in den Konkordatsverhandlungen der württembergischen Regierung mit dem päpstlichen Nuntius A nnibale D ella G enga im Jahre 1807 zu den Verhandlungsgegenständen. Nachdem die Konkordatsverhandlungen gescheitert waren, nahm der Staat die Angelegenheit in die Hand und errichtete 1812 kraft eigener Kompetenz die mit fünf theologischen Lehrstühlen bestückte Friedrichsuniversität in Ellwangen. - Zur Errichtungsurkunde des Generalvikariats und der Universität in Ellwangen vom 28. September 1812 siehe T heodor E isenlohr , Sammlung der württembergischen Kirchen-Geseze. Dritter Theil. Enthaltend die katholischen Kirchen-Gesetze vom Jahre 1803 bis zum Jahr 1834 und die Einleitung in dieselben. Von J ohann J akob L ang (= A ugust L udwig R eyscher (Hg.), Vollständige, historisch und kritisch bearbeitete Sammlung der württembergischen Gesetze 10). Tübingen 1836, 409-411, Nr. 264. Näheres zum Ganzen bei F ranz X aver F unk , Die katholische <?page no="63"?> 31 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) dem Katholischen Geistlichen Rat in Stuttgart als Regierungsbehörde mit B enedikt M aria W erkmeister (zu ihm siehe oben in und bei Anm. 36) als zuständigem Ressortchef. W erkmeister kannte diese Pläne nicht nur, sondern er war mit ihrer Ausarbeitung und Realisierung ex officio betraut. Er war der »lenkende Kopf« und die »treibende Kraft« zur Auswahl der Kandidaten für die zu besetzenden Lehrstühle wie überhaupt für das Unternehmen Ellwangen; es war sein Werk 46 . Die personelle Vorschlagsliste für die fünf in Ellwangen zu besetzenden Professuren wurde also vom Katholischen Geistlichen Rat in Stuttgart als der dafür zuständigen Behörde erstellt, konkret von W erkmeister . Maßgebend für die Auswahl der Professoren war zunächst generell die bisherige Tätigkeit der Kandidaten in der Wissenschaft überhaupt. Darüber hinaus wurde aber in der Beschlußvorlage, die über das Ministerium an den König ging, die spezifische Eignung der für die betreffenden Lehrstühle jeweils erkorenen Personen angeführt. Zu D rey heißt es darin, er sei »im dogmatischen Fach ausgezeichnet« 47 . Damit konnte nach Lage der Dinge literarisch gesehen nur die ein halbes Jahr zuvor im Konstanzer Pastoralarchiv erschienene Abhandlung Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie gemeint sein. Die Frage, von woher D rey den Anstoß (oder Wink? ) zur Abfassung dieser Qualifikationsschrift gerade noch rechtzeitig im Vorfeld seiner Berufung bekommen haben mochte, ist rebus sic stantibus leicht zu beantworten, auch wenn die Antwort verständlicherweise aktenmäßig nicht zu beweisen ist. Es dürfte W erkmeister selbst gewesen sein 48 . Von diesen Hintergründen dürften die beiden Zensoren Landesuniversität in Ellwangen und ihre Verlegung nach Tübingen, in: Festgabe der Universität Tübingen zum fünfundzwanzigjährigen Regierungsjubiläum Seiner Majestät des Königs Karl von Württemberg. Tübingen 1889, 3-30, bes. 3-8; E ugen H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität Ellwangen 1812-1817. Erinnerungsschrift zur feierlichen Eröffnung des Königl. Württemb. Gymnasiums Ellwangen am 4. November 1817. Ellwangen [1917], 1-64, bes. 1-12, 27 ff; Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 10), bes. 3-22; ders ., Die Errichtung der katholisch-theologischen Fakultät in Tübingen im Jahre 1817, in: ThQ 108 (1927) 77-158, bes. 77-81; R udolf R einhardt , Die Katholisch-theologische Fakultät Tübingen im ersten Jahrhundert ihres Bestehens. Faktoren und Phasen der Entwicklung, in: ders ., Tübinger Theologen (wie Anm. 6) 1-42, bes. 7-10. 46 Zu dieser Einschätzung siehe H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität (wie Anm. 45) 7 f, 11. Vgl. dazu auch C lemens B auer , Politischer Katholizismus in Württemberg bis zum Jahr 1848 (Schriften zur deutschen Politik, hg. von G eorg S chreiber , Heft 23 und 24). Freiburg i.Br. 1929, 15 (bes. Anm. 1). - Die operative Durchführung des Berufungsverfahrens war dann Sache des Universitätsrektors C ölestin S pegele (1761-1831). S pegele war von der Regierung durch Erlaß vom 29. September 1812 zum 1. Professor und Rektor bestimmt worden. Er war zu diesem Zeitpunkt Gymnasialprofessor und Spitalkaplan in Rottweil (seit 1810). Er wurde am 2. Oktober 1812 angewiesen, seine künftigen vier Kollegen nach Ellwangen einzuberufen. Der Vorlesungsbetrieb sollte Mitte November aufgenommen werden, der Unterricht begann aber infolge des verspäteten Eintreffens der Professoren und Studenten erst am 18. Dezember 1812. Der Festakt zur Eröffnung der Universität fand am 5. März 1813 statt. - Zur Vorgeschichte der Universitätsgründung siehe oben Anm. 45. 47 Nachweis bei H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität (wie Anm. 45) 27. 48 Es ist aber auch möglich, daß der Wink von P hilipp J oseph B runner kam (zu ihm siehe Anm. 36). B runner war seit 1802 Schulrat und Mitglied der kurfürstlichen Kirchenkom- <?page no="64"?> 32 Erläuterungen in Konstanz, M ets und B urg , schwerlich in Kenntnis gesetzt worden sein. In ihren Augen hatte wohl ein fachlich unausgewiesener philosophischer Grünschnabel aus Rottweil mit der theologisch hochgespannten Zielsetzung seiner Abhandlung die Grenzen der Selbstbescheidung überschritten. Doch dürfte gerade diese Abhandlung für die Berufbarkeit D reys auf den theologischen Lehrstuhl in Ellwangen von den Berufungsinstanzen als besonders griffiger Qualifikationsausweis in Rechnung gestellt worden sein. Daß sie darüber hinaus die religionsphilosophische Praxis D reys in Rottweil zusätzlich zu würdigen wußten, ist anzunehmen. Eher unwahrscheinlich ist aber, daß sie eine Vorstellung davon hatten, wie D rey vom inneren Verhältnis der Religionsphilosophie zur Theologie dachte. c. Die Verankerung der Revisionsschrift in der Religionsphilosophie Dreys In der mit drei Professuren ausgestatteten philosophischen Abteilung des Lyzeums in Rottweil hatte A lbert I gnaz W erfer 49 als Fachkollege D reys die Fächer Logik, Metaphysik und philosophische Moral zu vertreten, während das Lehrdeputat D reys die Fächer Religionsphilosophie, Physik und Mathematik umfaßte. Für die theologische Abteilung des Lyzeums waren vier Professuren eingerichtet, darunter eine für Dogmatik, doch scheint es in mission in Bruchsal, seit 1807 Geistlicher Rat in der mittelrheinischen Regierung in Karlsruhe und seit 1810 Ministerialrat für das Referat Katholische Schulsachen beim Ministerium des Inneren in Karlsruhe. Zwischen ihm und seinem Amtskollegen W erkmeister bestanden enge persönliche und dienstliche Verbindungen mit regelmäßigem Austausch. In ihrem Kampf gegen Schwärmerei und Obskurantismus traten sie 1823 gemeinsam mit D rey auf (vgl. ThQ 5, 1823, 694-741). Von D rey ist bekannt, daß er mit B runner häufig korrespondierte und mit ihm gelegentlich zusammentraf. Wann der Briefwechsel und die Freundschaft zwischen ihnen begonnen hat, ist ungewiß (Näheres dazu sowie zur Vita B runners insgesamt bei R einhardt , Neue Quellen (wie Anm. 36) 140-151; 164-166. Dort auch Literatur- und Quellenangaben). 49 A lbert I gnaz W erfer , * 9.7.1774 in Ellwangen, † 23.12.1838 in Neuhausen, D reys Schulfreund am Ellwanger Gymnasium, 1797 Priesterweihe, Vikar in Ellwangen und Jagstzell, 1806 mit D rey Professor für Philosophie in Rottweil, 1817 Rektor und Erster Professor am Gymnasium in Ellwangen, 1831 Pfarrer in Westhausen, 1835 in Neuhausen; tit. Kirchenrath. - W erfer hatte sich in seinen Vorlesungen zur spekulativen Philosophie in Rottweil die Philosophie S chellings zur Grundlage genommen (vgl. F riderich E ser , Aus meinem Leben (1798-1873). Hg. von P aul B eck . Ravensburg 1907, 117). D rey und W erfer scheinen gemeinsam - vielleicht schon am Gymnasium in Ellwangen, spätestens aber während ihrer Vikarszeit - zur Philosophie S chellings gefunden und sich gegenseitig darin bestärkt zu haben. Beide standen sich bis zum Tod W erfers (1838) persönlich und fachlich sehr nahe. Noch im Todesjahr W erfers pilgerten sie gemeinsam auf den Schönenberg bei Ellwangen. - Lit.: S tephan J akob N eher , Statistischer Personal-Katalog des Bisthums Rottenburg. Festschrift zum 50-jährigen Jubiläum dieses Bisthums. Schwäbisch Gmünd 1878, 450; A lbert W erfer [1815-1885], Erinnerung an Albert Werfer [1774-1838], ehemaligen Professor und ersten Rektor am Gymnasium in Ellwangen, in: Pastoralblatt für die Diözese Rottenburg 2 (1884) 34-35, 44-45; F ranziska W erfer , Die Familie Werfer in der Geschichte der Stadt Ellwangen, in: EllwJB 25 (1973/ 74) 321-391; M aria G laser -F ürst , Franziska Werfer 1906-1985. Die erste katholische Theologin und Religionslehrerin im Dienst der Kirche in der Diözese Rottenburg. Zeugnis eines Lebens aus Glaube, Wahrheit, Liebe. Weißenhorn 2001. <?page no="65"?> 33 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) dieser Abteilung zur Zeit D reys keine stabilen Verhältnisse gegeben zu haben 50 . Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß D rey sich in der theologischen Abteilung fachlich betätigt haben könnte (etwa durch Aushilfen oder Stellvertretungen). Er legte Wert darauf, als »Profeßor der Philosophie« zu gelten. In seinem Rottweiler Nachlaß finden sich keine theologica. Auch literarisch ist er in seiner Rottweiler Zeit auf theologischem Gebiet nicht in Erscheinung getreten, außer schließlich mit der Abhandlung von 1812 zur Revision der Theologie. Die Kompetenzen dafür muß er sich neben seinen privaten Studien in der Vikarszeit vor allem in seiner Tätigkeit in der philosophischen Abteilung erworben haben, wenn man nicht annehmen will, daß er sie aus seinem Theologiestudium in Augsburg mitbrachte. Der Geist und die Inhalte der völlig anders gearteten RS lassen sich aber nicht darauf zurückführen. Für sie sind in Rottweil neue Momente ins Spiel gekommen, die nach Lage der Dinge mit seinen Obliegenheiten in der philosophischen Abteilung zusammenhängen müssen. Diese Annahme ist keine bloße Vermutung. Es gibt in der wissenschaftlichen Biographie und im theologischen Werk D reys Befunde, aus denen zwingend hervorgeht, daß er aus seiner Arbeit in der philosophischen Abteilung am Lyzeum in Rottweil für sein theologisches Schaffen vielfältig Gewinn gezogen hat, ja daß sein späteres theologisches Denken überhaupt elementar dort verwurzelt ist. Im Licht dieser Beobachtungen wird auch erklärbar, wie eine so prägnant theologische Abhandlung, wie es die RS ist, in Rottweil in der Stube eines Philosophieprofessors entstehen konnte. Der Vollständigkeit halber seien zunächst zwei Stimmen angeführt, die den Kern des Problems indirekt berühren. S tephan L ösch hat darauf hingewiesen, daß die Kompetenzen, die D rey sich im professionellen Umgang mit seinen philosophischen Fächern in Rottweil erwarb, sein theologisches Denken nachhaltig befruchtet haben. L ösch legt den Akzent auf den Denk- und Sprachstil des Theologen D rey , der sich in Rottweil herausbildete 51 . Er hätte in diesem Sinn auch auf die Horizonterweiterungen verweisen können, die die intensive Begegnung mit der philosophischen Vernunft, das Kennenlernen unterschiedlicher Philosophien und insbesondere das Eindringen in den theologienahen Stoff der Religionsphilosophie für D rey mit sich brachten. Der zuletzt genannte Punkt wurde von C arl J oseph H efele deutlicher herausgestellt. H efele bemerkt in seinem Nekrolog auf D rey im Hinblick auf dessen Tätigkeit als Lehrer der Philosophie: »...und mit der ihm eigenen geistigen Energie und Gewandtheit drang er auch in dieses Gebiet des Wissens auf eine so tüchtige Weise ein, daß alle seine spätern Arbeiten, Vorträge und Schriften 50 Einzelheiten dazu bei S teinhauser , Das Gymnasium in Rottweil (wie Anm. 11) 17-172, bes. 103-109. 51 S tephan L ösch , Das Gymnasium Rottweil und die Tübinger kath. Theologen-Schule im 19. Jahrhundert, in: S teinhauser , Dreihundert Jahre Gymnasium Rottweil (wie Anm. 11), 219-250, 220 f. <?page no="66"?> 34 Erläuterungen das Gepräge einer gründlichen philosophischen Durchbildung an sich trugen« 52 . In der Sicht H efeles war es vor allem die Religionsphilosophie, die D rey »eine tüchtige Vorbereitung für seinen künftigen höheren Beruf als Professor der Dogmatik« einbrachte, habe doch gerade sie ihn »zu jener spekulativen Behandlung der Theologie [befähigt], wodurch er sich in Bälde so rühmlich hervorthat« 53 . In den Einschätzungen L öschs und H efeles ist noch nicht erkennbar, in welche Nähe zur Theologie D rey in seinem philosophischen Lehrdeputat auch inhaltsbezogen geführt wurde. Sie bewegen sich eher nur in den Kategorien der formalen Vorbildung und Ertüchtigung, während die Frage nach den theologischen Dimensionen in der philosophischen Lehrtätigkeit D reys , also die entscheidenden Punkte der Fragestellung, von ihnen noch nicht ins Auge gefaßt wurden. Für die Beantwortung dieser Frage gibt es zwei einschlägige Sachverhalte. Der eine betrifft generell das, was man die theologische Finalität der philosophischen Lehrfächer an lyzealen Lehranstalten der Rottweiler Art nennen könnte, der andere speziell die Konzeption der Religionsphilosophie, die D rey für dieses sein Hauptfach entwickelte. Zunächst zum ersten Punkt. Nach der auch für das Lyzeum in Rottweil geltenden allgemeinen Studienordnung der katholischen Theologie ist dem eigentlichen Theologiestudium ein mehrjähriges Studium der Philosophie kurrikular vorgeordnet. Wissenschaftsenzyklopädisch gesehen hat hier das Philosophiestudium die Funktion einer theologischen Propädeutik. Auch wenn darin die Autonomie des philosophischen Diskurses zu respektieren ist, so sorgt die funktionale Hinordnung des Philosophiestudiums auf die Theologie doch dafür, daß der Blick auf die Theologie in ihm strukturell verankert ist und daß die Sache der Theologie ständig mitzubedenken ist. Die entelechiale Präsenz der Theologie in der Behandlung der philosophischen Stoffe aber hat zur Voraussetzung, daß der Lehrer der Philosophie die erforderlichen theologischen Interessen und Kenntnisse mit sich bringt oder sich ad hoc aneignet. Insofern konnte die Theologie für den Philosophieprofessor in Rottweil auch beruflich kein fremdes oder abseits gelegenes Gebiet sein 54 . 52 H efele , Nekrolog (wie Anm. 9) 345. 53 Ebd. - Vgl. auch A lbert W erfer , Professor Dr. Johann Sebastian v. Drey (1777-1853), in: Württembergische Volksbibliothek. 1. Abt.: Württembergischer Bildersaal 1. Stuttgart 1858, 190-200, 194: »Das Lehramt der Religionsphilosophie war für ihn [D rey ] eine tüchtige Vorbereitung auf seinen künftigen Beruf als Professor der Dogmatik«. (Dieser A lbert W er fer [1815-1885] war ein Neffe des oben (bei und in Anm. 49) als philosophischer Fachkollege D reys angeführten A lbert I gnaz W erfer ). 54 Von der generellen theologischen Finalität der philosophischen Lehrfächer, die diesen im Hinblick auf ihre propädeutische Funktion zukommt, ist die philosophisch-theologische Propädeutik als besonderes Lehrfach zu unterscheiden. Auch letzteres gab es in Rottweil. Einem Schulkatalog zufolge scheint D rey 1811/ 12 zumindest einmal dieses Fach an Stelle der Religionsphilosophie vorgetragen zu haben (vgl. dazu S teinhauser , Das Gymnasium in Rottweil <?page no="67"?> 35 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) Der für unsere Fragestellung wichtigste Sachverhalt betrifft indessen die Religionsphilosophie, das Hauptfach D reys in Rottweil. D rey hat ihr in seinem theologischen Gesamtwerk stets eine herausragende Rolle eingeräumt, wenngleich in unterschiedlichen wissenschaftstheoretischen Ansätzen im Lauf der Jahre, und in variabler Terminologie 55 . Während er sie in seinem Spätwerk, der dreibändigen Apologetik 56 , deren erster Band 1838 erschien, nach Kräften aus den Inhalten der christlichen Glaubenslehre, dem Lehrstoff der Dogmatik, herauszuhalten suchte 57 , hatte er in der Kurzen Einleitung von 1819 diese Zurückhaltung noch nicht gekannt 58 . Weit entfernt davon, ihr nur eine propädeutische Rolle im Vorfeld der Theologie zuzudenken, integrierte er sie hier in die Theologie und machte sie geradezu zu deren wissenschaftlichem Herzstück. Dies in zweifacher Hinsicht. Zum einen im ersten Teil der Kurzen Einleitung, genau genommen sogar als deren »Erstes Hauptstück« 59 , worin er ihr im Sinne einer (religionsphilosophischen) theologia generalis den Part einer einleitungswissenschaftlichen Grundlegung der Theologie überhaupt zuweist, zum andern hat er sie in seiner Encyclopädischen Darstellung der Haupttheile des theologischen Studiums 60 direkt als theologische Disziplin innerhalb des Fächerkanons der Theologie in Ansatz gebracht. Sie übernimmt dort in der Form der »apologetischen« bzw. »philosophischen« Theologie die Grundlegung der »wissenschaftlichen Theologie« im engeren Sinne des Wortes, d.h. der Dogmatik 61 . Es kennzeichnet das Frühwerk D reys , dessen bestes Stück die Kurze Einleitung von 1819 war und geblieben ist, daß der religionsphilosophische Diskurs der Theologie nicht nur präoperativ vor- und zugeordnet wird, sondern in sie integriert ist. Es ist nicht zu bezweifeln, daß D rey die Religionsphilosophie bereits in Rottweil in diesem Sinne konzipiert und betrieben hatte, wenngleich vielleicht noch nicht in der enzyklopädischen Durchbildung der Kurzen Einleitung. T iefensee zufolge könnte er bereits in Rottweil die Religionsphilosophie (wie Anm. 11) 108). Für dieses Fach gelten naturgemäß die obigen Ausführungen in erhöhtem Maße. 55 Vgl. dazu T iefensee , Die religiöse Anlage (wie Anm. 4) 7-11. 56 J ohann S ebastian D rey , Die Apologetik als wissenschaftliche Nachweisung der Göttlichkeit des Christenthums in seiner Erscheinung. Erster Band: Philosophie der Offenbarung. Mainz 1838 ( 2 1844). Der zweite Band erschien 1843 ( 2 1847), der dritte 1847. 57 Vgl. dazu Einleitung zu TüA 3 (Kurze Einleitung), 151* ff. 58 Konzeptionell geht die Kurze Einleitung auf die Anfangszeit D reys in Ellwangen zurück. Einer Tagebuchnotiz von Ende 1812 ist zu entnehmen, daß er sie bereits zu diesem Zeitpunkt - und damit in größter Nähe zur Abfassung der RS - im »Grundriß« entworfen hatte. Vgl. dazu D rey , Theologisches Tagebuch III, 49 (TüA 1, 170, Text 52*, Ziffer c der dortigen Publikationsliste; Wortlaut des Tagebucheintrags unten Einleitung zu Text Nr. 6, Anm. 78). 59 Vgl. D rey , Kurze Einleitung, Titelei vor § 1 (TüA 3, 9). Dieses als »Allgemeine Einleitung« bezeichnete »Erste Hauptstück« umfaßt die §§ 1-85, wobei vor allem die §§ 1-37 ein strikt religionsphilosophisches Gepräge aufweisen. 60 So der Titel des »Zweyten Hauptstücks« vor § 107 (TüA 3, 64). 61 Vgl. D rey , Kurze Einleitung §§ 221-247 (TüA 3, 119-130). <?page no="68"?> 36 Erläuterungen geradezu als »dogmatisches Fach« verstanden haben 62 - eine Feststellung, die terminologisch wohl überzogen ist, sachlich aber durchaus in die richtige Richtung geht. Da die religionsphilosophischen Vorlesungsmanuskripte D reys aus der Rottweiler Zeit, deren einstige Existenz gesichert ist, verloren gegangen sind, läßt sich, wie bereits erwähnt, über ihre Inhalte im einzelnen nichts mehr ausmachen 63 , jedoch läßt ein glücklicher Umstand Rückschlüsse auf die theologische Einschlägigkeit der in Rottweil konzipierten Religionsphilosophie zu. Kaum in Ellwangen angekommen, stellte D rey eine Liste der »Schriften« auf, die »zuerst« im Druck erscheinen könnten. In ihr findet sich an erster Stelle der folgende Arbeits- und Projekttitel: »a. Christliche Religionsphilosophie, oder philosophisch historische Construction des Christentums aus seiner Grundidee vom Reiche Gottes« 64 . Dieser redundanten Titelformulierung ist hinreichend deutlich zu entnehmen, wie und worauf hin seine Religionsphilosophie angelegt war: Ein theologisches Ziel (»Construction des Christentums«), erarbeitet im Stoff der Theologie (»Grundidee vom Reiche Gottes«), aber in der Methode der neuesten Philosophie (»Construction«). D rey muß sich schon bald nach dieser Tagebuchnotiz entschlossen haben, diese Religionsphilosophie nicht direkt als Buch zu veröffentlichen, sondern sie in der oben verdeutlichten Weise in sein Grundlagenwerk zur Theorie des Christentums und des Theologiestudiums, für das die Kurze Einleitung steht, aufzunehmen. Diese Schrift hatte er zum Zeitpunkt der Tagebucheintragung (1812/ 13) wie gesagt im »Grundriß« bereits entworfen 65 . Durch den systematischen Einbau dieser religionsphilosophischen Elemente in die Kurze Einleitung trat deren Theologierelevanz umso deutlicher in Erscheinung. Die Frage, wie der Rottweiler »Profeßor der Philosophie« es wagen konnte, sich mit einer Abhandlung zur Revision der Theologie in die Geschäfte der Theologen einzumischen, ist somit überraschend klar zu beantworten, nicht nur im Hinblick auf die generelle Kompetenz des Autors, sondern bis in sein Hauptfach, die Religionsphilosophie, hinein, deren theologischen Charakter er alsbald in der Kurzen Einleitung konstruktiv zum Tragen bringen konnte. Die Theorie der Religion, des Christentums und der Theologie, die D rey in der RS entwickelte, war das genuine Produkt seines religionsphilosophischen Denkens. Sie ist zugleich ein Bindeglied zwischen seiner Rottweiler und seiner Ellwanger Zeit und steht für die Kontinuität seines philosophischtheologischen Schaffens, an der auch in dieser Sache nicht zu rütteln ist. 62 T iefensee , Die religiöse Anlage (wie Anm. 4) 9. 63 Zum Abhandenkommen von D reys Rottweiler Vorlesungsmanuskripten siehe T iefensee in Anm. 4. Zu den von D rey im Theologischen Tagebuch III, 49 (TüA 1, 171, Text 52*), Ziffer f, angesprochenen Manuskripten siehe Einleitung zu Text Nr. 6, bei und in Anm. 82 und 83). 64 Theologisches Tagebuch III, 49 (TüA 1, 170). 65 Siehe oben Anm. 58. <?page no="69"?> 37 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) 6. Der Autor der Revisionsschrift in Ellwangen (1801-1806; 1812-1817): Die Konsistenz seines Denkens und die Kontinuität seiner Überzeugungen auf dem Prüfstand a. Der Sinn der Fragestellung J ohann S ebastian D rey verbrachte insgesamt 30 Jahre seines Lebens in der Fürstpropstei Ellwangen: Die ersten zehn Jahre als Kind in seiner Heimatgemeinde Röhlingen / Killingen bei Ellwangen (1777-1787), das zweite Jahrzehnt als Gymnasiast in Ellwangen (1787-1797), sodann nach seiner Priesterweihe wiederum fünf Jahre als Vikar in Röhlingen (1801-1806), und nach seinem Rottweiler Intermezzo (1806-1812) schließlich fünf Jahre als Professor an der Friedrichsuniversität in Ellwangen (1812-1817). Die beiden zuletzt genannten Aufenthalte in der Fürstpropstei (1801-1806; 1812-1817) sind für die nachfolgend zu erörternde Frage nach der Konsistenz seines Denkens und der Kontinuität seiner Überzeugungen aufschlußreich. Das Interesse richtet sich hauptsächlich auf die personellen Konstellationen, in denen D rey seine geistige Identität gewann und behauptete. Die erste dieser beiden Phasen liegt noch im entfernteren Vorfeld der RS, in der zweiten geht es um D reys Stellung als Autor der RS im Kräftespiel der Ellwanger Verhältnisse. In sie fällt auch die Ausarbeitung seiner der RS nachfolgenden Programmschriften, vor allem der Kurzen Einleitung in das Studium der Theologie und der Abhandlung Vom Geist und Wesen des Katholicismus, die er beide 1819 im Druck vorlegte. Sie werden unten (Ziff. II.7) als konsequente Umsetzung der Programmideen der RS vorgestellt - eine Einschätzung, die sich aus dem inhaltlichen Vergleich der RS mit ihnen ergibt. Diese Einschätzung hat aber auch eine biographische Dimension. Sie hat zur Voraussetzung, daß zumal zwischen 1812 und 1819 kein Bruch in den tragenden Überzeugungen und keine tiefergehende Neuorientierung im theologischen Denken D reys erfolgt sein kann. Denn wenn es zuträfe, daß zwischen dem D rey der RS und dem D rey der nachfolgenden Programmschriften ein Kontinuitätsbruch stattfand, dann wären diese Schriften unausweichlich in ein Flackerlicht getaucht, was nicht ohne Rückwirkungen auf die Interpretation der RS und die Hermeneutik der ihr folgenden beiden Programmschriften bleiben könnte. Aus diesem Grund nun ein Blick auf die Ellwanger Jahre unter diesem biographischen Aspekt, wobei das Hauptinteresse D reys Jahren an der Friedrichsuniversität gilt. b. Ein »erstaunlicher Gesinnungswandel«? Die Bruchhypothese Den Anlaß für die Erörterung dieser Frage bildet eine erst in den 1970er und 80er Jahren aufgekommene Behauptung, wonach D rey während seiner Zeit an der Friedrichsuniversität für seine Person Um- und Neuorientierungen vorgenommen habe, die einem Bruch der besagten Art gleichkämen. Da es <?page no="70"?> 38 Erläuterungen sich hier um einen gravierenden Sachverhalt von beträchtlicher Tragweite handelt, mit dem D rey bis dahin noch nie behaftet worden war, bedarf diese Behauptung einer besonderen Überprüfung. Es wird sich herausstellen, daß sie in jeder Hinsicht unrichtig ist. Sie findet nicht nur keine direkte Stütze in den verfügbaren Quellen, sondern steht darüber hinaus allem entgegen, was über den D rey der Ellwanger Zeit historisch und sachlich eruierbar ist. Völlig unerklärlich ist das Zustandekommen dieser irrigen Annahme indessen nicht. Die Behauptung, daß es in der Vita D reys Wandlungen gegeben habe, ist eine Unterstellung, die anfangs der 1830er Jahre aufkam. Sie ist im Kontext der bei M öhler gegen Ende der 1820er Jahre eingetretenen, dezidiert kirchlichen und strengkatholischen Umorientierung entstanden. D rey selbst hat diese Wende nicht mitgemacht, aber es gab in den Auseinandersetzungen um den Richtungswechsel M öhlers Stimmen aus dem Lager der Gegner M öhlers , die die Treue D reys zu seinen bisherigen Überzeugungen anzweifelten oder auch eine Abkehr von ihnen unterstellten. Es handelte sich damals um eine mehr oder weniger bösartige Übertragung des Wendemotivs von M öhler auf D rey (zu diesem Übertragungsmechanismus weiter unten mehr). So kam der Topos vom Gesinnungswandel D reys , ursprünglich bezogen auf die Situation in Tübingen anfangs der 1830er Jahre, in die Welt. Wenn neuerdings behauptet wird, D rey habe bereits während seiner Ellwanger Zeit Wendemanöver vollzogen, so handelt es sich infolgedessen - topologisch betrachtet - um die Vordatierung einer durch die Sagenwelt irrlichternden, aber von Anfang an verfehlten Unterstellung um annähernd 20 Jahre auf den frühen D rey (d.h. auf die Jahre 1814/ 15). Seinen Anfang nahm dieser mißliche Vorgang 1974 in einem für einen breiteren Leserkreis bestimmten Beitrag von R ief 66 . In diesem seinem literarischen Genus gemäß ohne fachliche Belege auskommenden Essay wird der fragliche Sachverhalt in historiographischer Aufmachung - und scheinbar auf Fakten gestützt - erstmals in die Biographie D reys eingeführt. Auf ihm, und genau genommen allein auf ihm, fußen die verstärkt in die gleiche Richtung gehenden Darstellungen bei R einhardt 67 und K ustermann 68 . 66 J osef R ief , Johann Sebastian von Drey (1777-1853), in: H einrich F ries , G eorg S chwaiger (Hg.), Katholische Theologen Deutschlands im 19. Jahrhundert 2. München 1975, 9-39, bes. 11-18. 67 Angestoßen von R ief , hat R einhardt seit 1977 den Topos vom Gesinnungswandel zu wiederholen, zu pluralisieren und mit zusätzlichen Facetten auszustatten sich bemüht. Es würde hier zu weit führen, seine diesbezüglichen Äußerungen, die sich verstreut in seinen zahlreichen Beiträgen zu D rey und zur Katholischen Tübinger Schule finden, im einzelnen nachzuweisen. Hinreichend instruktiv für seine Sichtweise und seine Methode: R einhardt , Neue Quellen (wie Anm. 36) 117-166, bes. 131 ff. 68 Vgl. K ustermann , »Daß ich der Universität ...« (wie Anm. 6) 66; ders ., Vereine der Spätaufklärung und Johann Sebastian Drey. Ein Beitrag zum sozial- und ideengeschichtlichen Standort des Tübinger Theologen, in: EllwJB 28 (1979/ 80) 23-81, 25; 35; ders ., Die erste Generation der »Katholischen Tübinger Schule« zwischen Revolution und Restauration, in: RoJKG 11 (1993) 11-34, 20 f; ders ., Die Apologetik Johann Sebastian Dreys. Kritische, historische und systematische Unter- <?page no="71"?> 39 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) R ief zufolge hat der in der RS noch von der mystischen Spiritualität B estlins 69 geprägte D rey als Professor an der Friedrichsuniversität einen Gesinnungswandel vollzogen, der ihn zur Preisgabe seiner bisherigen religiös-weltanschaulichen Orientierungen und zu einem veränderten Wissenschaftsverständnis geführt habe. Ineins damit soll D rey sich auch im Kräftespiel der in Ellwangen vorhandenen, einander widerstreitenden kirchlichen bzw. weltanschaulichen Richtungen neu positioniert haben. Es falle auf, daß D rey in den beiden ersten Schriften, die er nach der RS 1814 und 1815 an der Friedrichsuniversität verfaßte 70 , »den Weg der historisch-kritischen Methode« beschritten habe. Und »ungefähr zu dem selben Zeitpunkt« 71 habe bei D rey auch eine gesellschaftliche Neuorientierung stattgefunden. Diese werde in seiner öffentlichen Abkehr von B estlin 72 und dem Bestlinkreis 73 und seinem suchungen zu Forschungsgeschichte, Programmentwicklung, Status und Gehalt (Contubernium 36). Tübingen 1988, 71 f; ders ., »Post meridiem profectus Sum Elvaco Tubingam« - Nach Mittag Aufbruch von Ellwangen nach Tübingen. Der Abschied Johann Sebastian Dreys von Ellwangen im Spiegel seiner Kalender-Notizen von Januar bis Mai 1818, in: EllwJB 37 (1997/ 98) 164-191, 170. 69 Zu B estlin siehe Anm. 72. Der Frage nach dem Verhältnis D rey - B estlin - Bestlinzirkel wird unten in Ziff. II.6.c nachgegangen. 70 Gemeint sind die beiden Abhandlungen D reys , Observata quaedam ad illustrandam Justini Martyris de regno millenario sententiam. Gamundiae [1814] (= Millenniumsschrift, in der vorliegenden Edition Text Nr. 3) sowie seine Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos in ecclesia catholica ex documentis ecclesiasticis illustrans. Elvaci [1815] (= Beichtschrift, in der vorliegenden Edition Text Nr. 4). Es handelt sich bei diesen dissertationes um akademische Funktionsschriften, zu denen die Professoren der Friedrichsuniversität turnusmäßig verpflichtet waren. D rey nutzte diese Gelegenheit, um auf einem seiner Fachgebiete, der Dogmengeschichte, die historisch-kritische Methode für seine Person erstmals einzusetzen, was ihm wegen der damit erzielten Ergebnisse im Fall der Beichtschrift nachhaltigen Ärger eintrug. Es ist möglich, daß D rey zur Anwendung dieses Verfahrens von seinem Kollegen G ratz (zu ihm siehe Anm. 74) bestärkt wurde, der mit der Einführung und konsequenten Anwendung der historisch-kritischen Methode in seiner Disziplin zum führenden Vertreter dieser Verfahrensrichtung in der katholischen Theologie in den ersten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wurde (vgl. M arius R eiser , Bibelkritik und Auslegung der Heiligen Schrift. Beiträge zur Geschichte der biblischen Exegese und Hermeneutik (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 217). Tübingen 2007: G ratz betrieb aufgeklärte Exegese »von höchstem Niveau« (241); besonders sein Matthäuskommentar von 1821/ 23 brauche »den Vergleich mit protestantischen Kommentaren nicht zu scheuen« (285); dazu auch: D ominik B urkard in: M ichael E ckert u.a. (Hg.), Lexikon der theologischen Werke. Stuttgart 2003, 450 f). G ratz , der, von S ailer herkommend, die Reformbestrebungen W essenbergs unterstützte, war bereits von 1812 bis 1814 mit einschlägigen Schriften dieser Art hervorgetreten (vgl. P eter A lois G ratz , Neuer Versuch, die Entstehung der drey ersten Evangelien zu erklären. Tübingen 1812; ders ., Kritische Untersuchungen über Justins apostolische Denkwürdigkeiten. Stuttgart 1814; ders ., Ueber Interpolationen in dem Briefe Paulus an die Römer, und ihrer Veranlassung mehrerer Schwierigkeiten in diesem Briefe. Ellwangen 1814); dazu: N orbert W olff , Von der »moralischen« zur »kritischen« Bibelauslegung. Peter Alois Gratz (1769-1849), in: M atthias B lum , R ainer K ampling (Hg.), Zwischen katholischer Aufklärung und Ultramontanismus. Neutestamentliche Exegeten der »Katholischen Tübinger Schule« im 19. Jahrhundert und ihre Bedeutung für die katholische Bibelwissenschaft (Contubernium 79). Stuttgart 2012, 83-102. 71 R ief , Johann Sebastian von Drey (wie Anm. 66) 13. 72 J ohann N epomuk B estlin , * 28.2.1766 in Ellwangen, † 14.7.1831 in Lauchheim, 1788-1790 Theologiestudium in Dillingen, 1790 Priesterweihe, 1790-1801 Vikar in Jagstzell, 1801-1805 Wallfahrtspeister auf dem Schönenberg, 1805-1818 Pfarrer in Röhlingen, 1812-1817 zugleich <?page no="72"?> 40 Erläuterungen Übertritt zur Gegenpartei, der »Abendgesellschaft« um seinen Kollegen P e ter A lois G ratz 74 , greifbar. Das sei im Zuge einer »Neugruppierung« unter Professor der Moral und Pastoral an der Friedrichsuniversität und Generalvikariatsrat in Ellwangen, 1818-1831 Stadtpfarrer in Lauchheim. Als Lieblingsschüler und Freund S ailers war B estlin »ein Mystiker edler Art« (L orenz L ang ) und Zentralfigur der Sailerschen Richtung in Ellwangen; »orthodox, aber im liberalen Sinn« (J ohann B aptist H irscher ), war er der süddeutschen Aufklärung und den Zielen der Wessenbergschen Reformbewegung zugetan. Dem Staatskirchentum abhold, jedoch vor allem aus persönlicher Abneigung gegen das protestantische Tübingen, widersetzte er sich der Verlegung der Friedrichsuniversität nach Tübingen, legte 1817 seine Professur nieder und profilierte sich zunehmend als Gegner der württembergischen Kirchenpolitik. Seine diesbezügliche Rolle ist aber wesentlich moderater anzusetzen, als bisher angenommen wurde, solange er fälschlicherweise als Verfasser der Flugschrift Stimme der Katholiken im Königreich Württemberg. Bitten und Wünsche galt (dazu Richtigstellung bei R udolf R einhardt , Wer war der Verfasser der Flugschrift »Stimme der Katholiken im Königreich Württemberg. Bitten und Wünsche«. Ein Nachtrag, in: ders ., Tübinger Theologen (wie Anm. 6) 353-357). »Bestlin kann erst in seinen letzen Lebensjahren als kurialistisch gefärbt angesehen werden« (B auer , Politischer Katholizismus (wie Anm. 46) 18), doch blieben ihm »die in seiner ganzen Natur liegende Freimütigkeit und Toleranz« stets erhalten (H irscher ). - J oseph M ets , mit dem zusammen B estlin bis 1817 als Geistlicher Rat des Generalvikariats in Ellwangen tätig war, vermerkt in seinen im Herbst 1817 verfaßten Lebenserinnerungen, in denen er auch die Verhältnisse in Ellwangen eingehend schildert, zu B estlin , er sei »ein würdiger, edler, geschickter Mann, nur etwas zu viel von der Mystik befangen, welches ihn zum praktischen Geschäftsmann bei einem Vikariate in etwas untauglich machte ... Wir lebten übrigens recht gut und als Freunde zusammen« (M ets , Autobiographie (wie Anm. 10) 139). - Lit.: N eher , Personal-Katalog (wie Anm. 49) 11; L orenz L ang , Andenken an Johann Nepomuk Bestlin, in: ders . (Hg.), Kirchenblätter für das Bisthum Rottenburg 2 (1831) II, 65-74; ders . (Hg.), Denkmal der Achtung und Liebe, errichtet dem Dr. Joh. Nepomuk Bestlin von einem seiner vertrautesten Freunde [A lois W agner ]. Tübingen 1832; J ohann B aptist H irscher , Nekrolog [auf J ohann N epomuk B estlin ], in: ThQ 13 (1831) 749-775 (separat: J ohann B aptist H irscher , Erinnerungen an Dr. Johann Nepomuk Bestlin, Stadtpfarrer zu Lauchheim, vormaligen General-Vikariatsrat und ordentlichen Professor der Theologie zu Ellwangen. Tübingen 1831); J ohann G ottfried P ahl , Denkwürdigkeiten aus meinem Leben und aus meiner Zeit. Nach dem Tode des Verfassers hg. von dessen Sohne W ilhelm P ahl . Tübingen 1840, 143 ff, 208 ff; Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 10) 58 f; A ugust H agen , Gestalten aus dem Schwäbischen Katholizismus 1. Stuttgart 1948, 7-39. 73 Näheres dazu weiter unten. - Die Darstellung bei R ief weist hier Unstimmigkeiten auf. Zum einen werden diese Vorgänge chronologisch »ungefähr« auf 1814/ 15 datiert, zugleich aber auf den Zeitpunkt, »nachdem« die Freundschaft zwischen G ratz und K arl W achter in die Brüche gegangen war (13), was frühestens im Herbst 1816 stattfand; zum andern gehörte D rey dem Bestlinkreis nie an (dazu unten mehr). 74 P eter A lois G ratz , * 17.8.1769 in Mittelberg (Allgäu), † 1.11.1849 in Darmstadt, 1786-1788 Studium der Philosophie und 1788-1791 der Theologie in Dillingen, 1792 Priesterweihe, 1795-1805 und 1807-1809 Pfarrer in Untertalheim (bei Horb), 1809 Schulinspektor, 1812-1817 Professor der neutestamentlichen Exegese in Ellwangen, 1817-1819 in Tübingen, 1819 Mitbegründer und erster Schriftleiter der Theologischen Quartalschrift, 1819-1823 Neutestamentler an der neu gegründeten Universität Bonn, deren katholisch-theologische Fakultät er als Professor primarius nach Tübinger Vorbild organisierte, 1820-1824 Begründer und Herausgeber der Zeitschrift Der Apologet des Katholicismus. 1828-1839 nach Anfeindungen durch Hermesianer und Rheinländische Ultramontane Geistlicher Rat und Schulrat in Trier. - Wie B estlin war auch G ratz Schüler S ailers , gehörte aber nicht zum engeren Freundeskreis. Spätestens seit 1803 pflegte G ratz den Kontakt zu W essenberg , stand dessen Reformbestrebungen ebenso nahe wie der süddeutschen Aufklärung und bejahte ein gemäßigtes Staatskirchentum. Als Autodidakt erwarb G ratz sich die Kompetenzen, die ihn zu einem herausragenden katholischen Vertreter der historisch-kritischen Exegese im frühen <?page no="73"?> 41 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) den Professoren der Universität erfolgt 75 . Bezüglich der Motive D reys bemerkt R ief , es werde »wohl immer ein Rätsel bleiben, warum der ganz anders geartete [? ] Drey in Ellwangen die enge Freundschaft mit Gratz und Mets gesucht [! ] hat ...« 76 . Ein Rätsel im Hinblick auf die Rekonstruierbarkeit des angeblichen Wechsels? Oder bezüglich des Charakterbildes D reys ? Ein Schelm, wer Schlimmes dabei denkt. Auf dem von R ief vorgezeichneten Weg sind R einhardt und K uster mann weitergeschritten. D rey wird nun ohne weiteres ein »erstaunlicher Gesinnungswandel« mit »Frontwechseln« attestiert, sein Überwechseln »zur Abendgesellschaft um Mets« wird als der erste jener »Brüche« dargestellt, deren es in der Folgezeit eine Reihe anderer gegeben habe 77 . Das Bild D reys erhält hier letztlich die Züge eines Wendehalses. Es würde hier zu weit führen, sich insgesamt mit diesen fatalen Verzeichnungen auseinanderzusetzen, aber die Darstellung, die R einhardt der Sache hier gibt, bedarf sowohl in methodologischer als auch in inhaltlicher Hinsicht einer kurzen Stellungnahme. Die von R ief immerhin noch zögerlich (wenngleich in suggestiver Entdeckermanier) insinuierte Neuorientierung D reys in Ellwangen, die in Wahrheit nie stattgefunden hat, wird hier nicht nur wie eine feststehende Tatsache behandelt, sondern zu einem Bruch verstärkt, der seinerseits den Auftakt zu einer Reihe weiterer Brüche bilden soll. Im Vergleich zu R ief wird hier eine neue Stufe in der Verzeichnung der Tatsachen und zugleich in der Zerstörung des Charakterbildes D reys erreicht. Historisch haltbar, sachhaltig begründbar und moralisch vertretbar ist dieses Verfahren nicht. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß das Bruch- und Wendemotiv in seiner Anwendung auf den Tübinger Theologen seinen Ursprung in den unter der Führung M öhlers eingetretenen ekklesiologischen Neuorientierungen der 1830er Jahre hatte. Was M öhler angeht, so wurde dessen Neuorientierung von niemand bestritten, auch nicht von ihm selbst. Im Gegenteil. In dieser epochalen Wendezeit wurde im Lager der Gegner M öhlers auch die Stellung D reys in diesen Entwicklungen kritisch diskutiert. Kritisch deswegen, weil D rey sich nicht 19. Jahrhundert werden ließen. - Die Zeit in Ellwangen 1812-1817 gehörte wohl zu den harmonischsten Abschnitten im Leben von G ratz ; zur dortigen »Abendgesellschaft« um ihn und zu den personellen Konstellationen in Ellwangen weiter unten; zum möglichen Einfluß auf D rey siehe auch oben Anm. 70. - Lit.: N eher , Personal-Katalog (wie Anm. 49) 35 f; Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 10) 53, bes. Anm. 21; R udolf R einhardt , Ein Kapitel katholischer Aufklärung. Neues über Peter Alois Gratz (1769-1849) und seine Zeitgenossen, nebst sieben seither unbekannten Briefen des Theologen, in: ThQ 154, 1974, 340-365; N orbert W olff , Peter Alois Gratz (1769-1849). Ein Theologe zwischen »falscher Aufklärung« und »Obscurantismus« (Trierer Theologische Studien 61). Trier 1998 (Lit.); ders ., Von der »moralischen« zur »kritischen« Bibelauslegung (wie Anm. 70). 75 R ief , Johann Sebastian von Drey (wie Anm. 66) 13 f. 76 Ebd. 14 (Hervorhebungen nicht im Original). Ein »Rätsel« ist es nur, wenn und weil die Prämissen nicht stimmen. 77 R einhardt , Neue Quellen (wie Anm. 36) 137; vgl. auch K ustermann , »Daß ich der Universität...« (wie Anm. 6) 65. <?page no="74"?> 42 Erläuterungen genügend als Parteigänger ihrer radikalen kirchenpolitischen Träume erwies. Konkret handelte es sich um die von den alten Progressisten in Württemberg und Baden heftig betriebene Aufhebung des Zölibatsgesetzes und um die Wiedereinführung von Diözesansynoden. Im schwäbischen Klerus waren es vor allem B enedikt A lois P flanz 78 und F ridolin H uber 79 , die in D rey einen 78 B enedikt A lois P flanz , * 25.11.1797 in Espachweiler bei Ellwangen, † 23.11.1844 in Schörzingen bei Rottweil, 1812-1815 Studium der Philosophie am Lyzeum in Ellwangen, 1815-1817 Studium der Theologie an der dortigen Friedrichsuniversität (Kurskollege M öh lers ) und 1817-1818 in Tübingen, 1818-1819 Lehramtsstudium ebd., 1820 Priesterweihe, anschließend Vikar in Höchstberg und Duttenberg bei Neckarsulm und 1821-1822 in Oberndorf am Neckar, 1823 Gymnasiallehrer in Ehingen an der Donau, 1826 Professor am unteren, 1828 am oberen Gymnasium in Rottweil (für Philosophie und Philologie), 1831 und 1833 Landtagsabgeordneter für Rottweil (mit Unterbrechung bis 1838), 1833 Ehrenbürger der Stadt Rottweil, 1837 Pfarrer in Moosheim bei Saulgau, 1843 in Schörzingen. - P flanz gehörte zu den intelligentesten Köpfen im schwäbischen Klerus. Unbeirrbar den Reformzielen der radikalen Aufklärer in den Diözesen Rottenburg und Freiburg zugetan, übernahm er in der 1830 von ihm gegründeten Zeitschrift Freymüthige (seit 1833 Freimüthige) Blätter (siehe Anm. 80) die Meinungsführerschaft im Einsatz für diese Ziele und zugleich im Kampf gegen die »neukatholische« Kirchlichkeit der Möhlerschen Richtung und gegen den ultramontanen Revisionismus. Seine Bemühungen um einen Lehrstuhl für Kirchengeschichte in Freiburg (1831-32) und für Moraltheologie in Tübingen (1838; 1840) sowie um eine Berufung in den Katholischen Kirchenrat in Stuttgart (1840) blieben ohne Erfolg. - Lit.: Nekrolog in: Freimüthige Blätter Bd. 27 (N.F. 24) (1844) 343-356; N eher , Personal-Katalog (wie Anm. 49) 465 f; ADB 25 (1887) 677 (F ranz H einrich R eusch ); H agen , Die kirchliche Aufklärung (wie Anm. 36) 279-335; G erhard V alerius , Deutscher Katholizismus und Lamennais. Die Auseinandersetzung in der katholischen Publizistik 1817-1854 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B 39). Mainz 1983, 42 f; BBKL 7 (1994) 423-427 (D ominik B urkard ); NDB 20 (2001) 346 (D ominik B urkard ). 79 F ridolin H uber , * 21.10.1763 in Hochsal bei Waldshut, † 17.10.1841 in Deißlingen, 1780-1786 Gymnasium in Konstanz (Humaniora; Philosophie), 1786-1789 Studium der Theologie im Generalseminar in Freiburg im Breisgau, 1789 Priesterweihe, danach Lehrer in Altbreisach, 1790 Vikar in Feldkirch im Breisgau, 1793 Dr.theol. der Universität Freiburg, anschließend Kaplan in Oberndorf am Neckar, 1796 Pfarradministrator und 1799 Pfarrer in Waldmössingen, 1809-1841 in Deißlingen, 1827-1828 zugleich Regens am Priesterseminar in Rottenburg, 1839 Verleihung des Titels »Kirchenrat«; Ritter des württembergischen Kronordens. - H uber war ein hervorragend gebildeter Seelsorger und überaus produktiver Schriftsteller. Er verwandte sich unermüdlich für die Ziele der Aufklärung mit Blick auf die Belange der Seelsorge und agierte publizistisch gegen die kuriale Auffassung der päpstlichen Primatialgewalt. W erkmeister nahestehend und mit W essenberg freundschaftlich verbunden, verfaßte er neben zahlreichen Büchern über hundert Beiträge für das Konstanzer Pastoralarchiv sowie gewichtige Artikel für die Freymüthigen (Freimüthigen) Blätter. - D rey hat H ubers Vertheidigung der katholischen Religion gegen Angriffe neuerer Zeit (Frankfurt 1826) relativ knapp, aber fair rezensiert (in: ThQ 10, 1828, 154-159); möglicherweise liegt darin ein - wenn auch kaum nachvollziehbarer - Grund der abfälligen Äußerung H ubers über D rey in einem Brief vom 24.1.1830 an W essenberg (vgl. W ilhelm S chirmer (Hg.), Aus dem Briefwechsel J. H. von Wessenbergs weil. Verwesers des Bistums Konstanz. Konstanz 1912, 179). - Lit.: F ranz K arl F elder (Hg.), Gelehrten- und Schriftsteller-Lexikon der deutschen katholischen Geistlichkeit. Bd. 1, Landshut 1817, 329 ff, Bd. 3, hg. von F ranz J oseph W aitzenegger , Landshut 1822, 502; B enedikt A lois P flanz , Doctor Fridolin Hubers Leben und literarisches Wirken. Eine demselben aus Veranlassung seines Priesterjubiläums von mehrern seiner Verehrer gewidmete Denkschrift. Konstanz 1839 (auch in: Freimüthige Blätter Bd. 19 (N.F. 16), 1840, 14-65); N eher , Personal- Katalog (wie Anm. 49) 389 f; ADB 13 (1881) 231 (J ohann F riedrich von S chulte ); H agen , Die kirchliche Aufklärung (wie Anm. 36) 216-278; LThK 2 5 (1960) 502 (M ax M iller ); BBKL 2 (1990) 1097-1098 (F ranz S eiffer ). <?page no="75"?> 43 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) Verbündeten vermutet und erhofft hatten, sich in ihren Erwartungen aber zuletzt enttäuscht sahen. In den von P flanz herausgegebenen Freymüthigen Blättern 80 , dem scharfzüngigen Forum der alten Kämpfer, wurde 1834 denn auch beklagt, D rey habe nicht mehr den alten Reformergeist 81 . 1835 legte P flanz erstmals die »Frage« [! ] vor, ob »Drey sich nicht selber untreu worden« 82 . In der Clique der Radikalreformer im schwäbischen Klerus sind derartige Behauptungen und Unterstellungen nach der Wende, die M öhler aus- 80 Freymüthige Blätter über Theologie und Kirchenthum. Unter Verantwortlichkeit der Verlagshandlung herausgegeben von einer Gesellschaft. Erster Band. Rotweil, 1830. In der Herder’schen Buchhandlung. - Die Freymüthigen (ab 1833 Freimüthigen) Blätter erschienen von 1830 bis 1844 in insgesamt 27 Bänden. Für die in ihnen veröffentlichten Texte wurde der Name des Autors zumeist nicht angegeben, der Löwenanteil der ungezeichneten Beiträge entstammt zweifellos der Feder von P flanz . Der Erscheinungsverlauf der Zeitschrift war formal nicht homogen. Die ersten drei Bände sind fortlaufend paginierte Jahresbände zu je drei Heften. Ab Band 2 (1831) gibt sich »B. A. Pflanz, Professor am Gymnasium zu Rotweil« auf dem Titelblatt als Herausgeber zu erkennen. Mit Band 4 (1833) wechselt der Verlag zu N eff nach Stuttgart, die Schreibung des Titels ändert sich in Freimüthige Blätter ..., zugleich beginnt die Zählung einer Neuen Folge (= N.F. 1), es erscheinen nun pro Jahrgang zwei Bände mit je drei Heften; nur in Bd. 4 (1833) sind die drei Hefte (1-3) getrennt paginiert, in Bd. 5 (N.F. 2) (1833) trägt Heft 3 die Jahresangabe 1834 bei fortlaufender Paginierung. Bd. 6 (N.F. 3) und Bd. 7 (N.F. 4) mit je Heft 1-3 bilden den Jahrgang 1834; Bd. 8 (N.F. 5) mit Heft 1-3 und Bd. 9 (N.F. 6) mit Heft 4-6 bilden den Jahrgang 1835. Diese Form, jeweils bandweise fortlaufend paginiert, hält sich durch bis Bd. 22 (N.F. 19) (1842), Heft 1-3 und Bd. 23 (N.F. 20) (1842), Heft 4-6. Ab 1843 erscheinen die Hefte monatlich, Bd. 24 (N.F. 21) (1843) enthält die Hefte Januar - Juni, Bd. 25 (N.F. 22) (1843) die Hefte Juli - Dezember, die Bände sind fortlaufend paginiert, so auch im letzten Jahrgang 1844: Bd. 26 (N.F. 23) (1844), Hefte Januar - Juni und Bd. 27 (N.F. 24) (1844), Hefte Juli - Dezember, endend mit einem Nachruf auf den am 23.11.1844 verstorbenen »Gründer und Redakteur dieses Journals« (343-356, 343). - Ihrer Richtung nach verstehen sich die Freimüthigen Blätter auf der Linie von W essenbergs Pastoralarchiv (1802 bzw. 1804-1827) und des Kritischen Journals für das katholische Deutschland, hg. von J ohann E vangelist B rander (10 Bde., 1820-1829/ 30), solange dies unter W erkmeisters Einfluß stand (vgl. dazu Freymüthige Blätter Bd. 1, 1830, 116-123). (Gute Charakterisierung der Freimüthigen Blätter sowie des Kritischen Journals bei V alerius , Deutscher Katholizismus (wie Anm. 78) 42 f und 41). 81 Freimüthige Blätter (wie Anm. 80) Bd. 6 (N.F. 3), 1834, 277-302; Bd. 7 (N.F. 4), 1834, 121-132. 82 Freimüthige Blätter (wie Anm. 80) Bd. 9 (N.F. 6), 1835, 175, mit dem Zusatz: »Er - ? -- Doch wir wollen unsere Gedanken und unsern Schmerz in ein bedeutungsvolles Wort verhüllen: Et tu quoque Brute! «. Verhüllt hat P flanz seine »Gedanken« und seinen »Schmerz« hier gewiß nicht, zumal da er im Shakespearezitat an die Stelle des Fragezeichens ein Ausrufezeichen setzte. P flanz ließ sich 1835 offensichtlich von der gerade zu dieser Zeit von den Radikalreformern aufgeputschten Stimmung übermannen; er kehrte später wieder stärker zu größerer Besonnenheit und zum alten Respekt vor D rey zurück (vgl. dazu auch Bd. 12, N.F. 9, 1837, 9-11). - In einer ausführlichen Rezension zu ThQ 11 (1829) lobte P flanz , die Herausgeber der ThQ »blieben auch stets ihrem vorgesteckten Plane und den in ihrer ersten Ankündigung ausgesprochenen Grundsätzen treu - was bei solchen Instituten eine Hauptsache ist« (in Freymüthige Blätter (wie Anm. 80) 1 (1830) 99-115, 99); diese Anerkennung konnte und wollte P flanz zum Ausdruck bringen, obwohl er in der selben Rezension eine einzelne Abhandlung des Jahrgangs 1829 samt der Richtung ihres Verfassers (M öhler ) aufs allerschärfste kritisierte (ebd. 105-115; vgl. auch Freimüthige Blätter 5, 1833, 177-179). Wenn P flanz 1835 zu D rey eine spitze Frage stellt und literarisch ausschmückt, darf ihr Gewicht in Relation zu seiner Kritik an M öhler als gering bewertet werden. <?page no="76"?> 44 Erläuterungen gangs der 1820er Jahre effektvoll vollzogen hatte, auch auf D rey übertragen worden. Sie hatten bis dahin gewähnt, in D rey einen Gesinnungsfreund für ihre Bestrebungen vor allem in der Zölibats- und Synodenfrage vorzufinden. Ihre Enttäuschung und ihr Groll waren groß, nachdem sich schließlich herausgestellt hatte, daß ihre Erwartungen illusorisch waren. Doch nicht D rey hatte sich gewandelt, sondern die Reformgeister hatten sich anfangs ein falsches Bild von ihm gemacht 83 . Später wurde die in den politischen Grabenkämpfen aufgekommene Unterstellung für bare Münze genommen und ging als Selbstläufer in die historiographische Kolportage ein. Zur Frage der durchgängigen Konsistenz und der Überzeugungstreue D reys aber ist es hilfreich, die hierfür einschlägigen, sine ira et studio anhand der Primärquellen vorgenommenen Untersuchungen von M ax M iller zu Rate zu ziehen 84 . Was aber das eigentlich theologische Denken D reys angeht, so war dieses während seiner ganzen Ellwanger Zeit nicht weniger konsistent. Zwischen der RS und den in den Jahren danach in Ellwangen entstandenen Schriften gibt es keine signifikanten Veränderungen, weder doktrinal, noch mental. Anderslautende Behauptungen sind aus der Luft gegriffen und als Erzeugnisse einer desorientierten investigativen Phantasie einzuschätzen. Die RS war kein Ausreißer, von deren Inhalten und Zielen D rey alsbald abgerückt wäre; sie enthielt vielmehr als erste seiner Programmschriften (vgl. unten Ziff. II.7.b und d) auch sein persönliches theologisches Programm (vgl. Ziff. II.7.c), an dessen Umsetzung er danach kontinuierlich und konsistent weitergearbeitet hat. Ein inhaltlicher Vergleich der RS, mit der er 1812 sein theologisches Schaffen initiierte, mit seiner Abhandlung Vom Geist und Wesen des Katholicismus, die er am Ende seiner Ellwanger Zeit verfaßte und im ersten Jahrgang der 1819 ins Leben gerufenen Theologischen Quartalschrift veröffentlichte - sie wurde alsbald als die eigentliche Programmschrift der Katholischen Tübinger Schule aufgefaßt (vgl. Einleitung zu Text Nr. 6, Ziff. II.4), - besteht inhaltlich eine ungebrochene Übereinstimmung (vgl. ebd., Ziff II.7). 83 Auch auf der Gegenseite, im Kreis der Möhlerenthusiasten, wurde D rey einer Wende bezichtigt, hier jedoch unter umgekehrten Vorzeichen: Der in seiner Anfangszeit auf Abwege geratene verlorene Sohn wäre demnach unter dem guten Einfluß M öhlers gleichsam zum Vater heimgekehrt. Mochte die Freude darüber auch mehr oder weniger scheinheilig gewesen sein, so trug diese gleichfalls falsche Unterstellung doch auf ihre Weise dazu bei, Züge der Instabilität in das Charakterbild D reys hineinzutragen. Ein ziemlich heimtückisches Beispiel dafür bietet P ius B onifacius G ams , Johann Adam Möhler. Ein Lebensbild von Balthasar Wörner. Mit Briefen und kleinern Schriften Möhler’s herausgegeben von Pius Bonifacius Gams O.S.B. Regensburg 1866, 123. Zu den Fehlleistungen von G ams siehe auch Einleitung zu Text Nr. 4 (Beichtschrift), Anm. 79 und 97. In diese Rubrik gehört auch die Schilderung der Studienverhältnisse durch G ams (a.a.O. 4-5). 84 Siehe M iller , Professor Dr. Johann Sebastian Drey (wie Anm. 6) passim, und ders ., Die Tübinger Kath.-theologische Fakultät (wie Anm. 6) passim! Vgl. außerdem H agen , Die kirchliche Aufklärung (wie Anm. 36) 273; 307-309; 328. <?page no="77"?> 45 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) Die nachfolgenden Beobachtungen sind auf die Ellwanger Zeit D reys begrenzt. Aus ihnen wird hervorgehen, daß es dort bei D rey in keiner Weise den besagten Kontinuitätsbruch gab. c. Beobachtungen zum wahren Sachverhalt in den Ellwanger Verhältnissen α . Drey und Bestlin; Bestlin oder Schelling? Über die Beziehung zwischen D rey und B estlin weiß man wenig. Auf ihrem beruflichen Weg gab es zwei Phasen engerer Zusammenarbeit. Die erste fällt in die Zeit, in der D rey als Vikar bei B estlin in Röhlingen seinen Dienst verrichtete, d.h. vom 31. Mai 1805 bis zu seiner Berufung nach Rottweil am 2. Februar 1806, die zweite erstreckt sich auf die fünf Jahre von 1812 bis 1817, in denen D rey und B estlin als Kollegen ihre Professuren an der Friedrichsuniversität verwalteten. Die Konstellation in Röhlingen war objektiv wohl nicht geeignet, eine unbefangene Freundschaft zwischen beiden zu begründen. D rey hatte im Juni 1801 seine erste Stelle als Vikar in Röhlingen, seiner Heimatgemeinde, angetreten, bei Pfarrer M artin Z iegler , seinem väterlichen Förderer und Freund. Nach dem Tod Z ieglers († am 27.4.1805, von 1778 bis 1805 Pfarrer in Röhlingen) bewarben sich D rey und B estlin als Konkurrenten um die Pfarrei, D rey als Vikar vor Ort, der elf Jahre ältere B estlin als Wallfahrtspriester auf dem Schönenberg bei Ellwangen, woraus B estlin , der zu diesem Zeitpunkt bereits 15 Jahre Dienst als unständiger Geistlicher verrichtet hatte, als Sieger hervorgegangen war. Unter diesen Vorzeichen dürfte ihr daran sich anschließendes Convivium in Röhlingen, das ein halbes Jahr dauerte, einigermaßen delikat gewesen sein. Wenn B estlin seinem Vikar bei erster und bester Gelegenheit die Berufung auf die Philosophieprofessur am Lyzeum in Rottweil unterstützte, so gelang es ihm damit, die mißliche Situation zu einem guten Ende zu führen, was freilich ein echtes Wohlwollen nicht ausschließt. B estlin war eine über jeden Zweifel erhabene, liebenswürdige Persönlichkeit, ein Mystiker eigener Prägung, Schüler und Freund S ailers und Promotor der Sailerbewegung im Ellwängischen, für die der Begriff »Aufklärung«, so, wie sie ihn verstanden (d.h. im Sinne S ailers ), durchaus einen hellen Klang hatte. S ailer war die Ikone, die man verehrte, B estlin der Inbegriff eines Seelsorgers nach dem Bilde S ailers . Es ist möglich, daß die persönliche Verbindung D reys mit S ailer 85 und mit dem Freundeskreis S ai - 85 Vgl. dazu z.B. J ohann M ichael S ailer , Erinnerungen an Carl Schlund, Pfarrer zu Marktoffingen im Riese. Ein Beytrag zur Bildung der Geistlich-Geistlichen. München 1819. S ailer widmet diesen Erinnerungsband zunächst den Verwandten S chlunds , dazu »allen seinen Freunden, und unter diesen besonders dem lieben Drey ...« (Vorwort V; es werden danach noch drei weitere Freunde genannt). Mit »seinen« Freunden sind zwar Freunde S chlunds gemeint, aber daß D rey , und er allein, als »lieber Drey« bezeichnet wird, ist eine Aussage S ailers und geht auf dessen Bewertungskonto. - Das oben angeführte Zitat ist der Originalausgabe von 1819 entnommen, wo der Name D reys korrekt mit »y« geschrieben ist. K ustermann (in: Die <?page no="78"?> 46 Erläuterungen lers 86 in ihren Anfängen bis auf die Zeit zurückreicht, die D rey als Vikar bei Apologetik Johann Sebastian Dreys (wie Anm. 68) 73, Anm. 119) ist in seiner Kommentierung dieser Stelle auf Grund einer falschen Wiedergabe dieses Namens (ohne »y«) einer kuriosen Fehldeutung erlegen. - D rey war spätestens seit 1815 mit S ailer persönlich bekannt (siehe H ubert S chiel , Johann Michael Sailer, Leben und Briefe. Bd. 1: Leben und Persönlichkeit in Selbstzeugnissen, Gesprächen und Erinnerungen der Zeitgenossen. Regensburg 1948. Bd. 2: Briefe. Regensburg 1952. Hier in Bd. 1, 514 f). 86 Vgl. C hristoph von S chmid , Erinnerungen aus meinem Leben. 4 Bde., hg. von A lbert W erfer , Augsburg 1853-1857, Bd. 4, 100: »Sailer besuchte Christoph Schmid einige Male in Stadion; in den Ferien kamen Drey und Eschenmayer aus Tübingen zu ihm; auch Demeter, damals Pfarrer in Sasbach in Baden, und Domkapitular Wagner in Rottenburg, beide Schüler und Freunde Sailers.« S chmid gehörte zum engsten Freundeskreis S ailers . Daß er aber bis in seine alten Tage die Verbindung zu D rey pflegte und sich in dessen Gesellschaft wohlfühlte, geht aus der folgenden hübschen Episode hervor, über die er in einem Brief vom 6. August 1842 an seine Schwester berichtet (in: Erinnerungen 4, 232): »In Tübingen besuchten wir [d.h. S chmid und sein Begleiter] die Herren Professoren Drey, Hefele etc. etc. Wir speisten in dem sehr trefflichen Gasthofe zur Post zu Nacht und fuhren am nächsten Morgen hierher nach Kannstadt«. S chmid , der sich auf einer Bäderreise von Bad Imnau nach Bad Cannstatt befand, machte zunächst den Domherren und dem Bischof in Rottenburg seine Aufwartung (»im Fluge«). Der Bischof wollte die Besucher »mit aller Gewalt über Mittag behalten«, was diese aber ausschlugen, um sich statt dessen in Tübingen reichlich Zeit zu gönnen. C hristoph ( von ) S chmid , * 15.8.1768 in Dinkelsbühl, † 3.9.1854 in Augsburg, 1785-1791 Studium der Theologie und Philosophie in Dillingen, 1791 Priesterweihe, Kaplan in Nassenbeuren, 1792 in Seeg, 1796 Kaplan und Schuldirektor in Thannhausen, 1806 zugleich Schulinspektor, 1816 Pfarrer in Oberstadion (bei Ehingen an der Donau). Rufen an die Universitäten Dillingen, Heidelberg und Landshut zog er die Schriftstellerei vor. 1826 Domkapitular in Augsburg, 1832 ebd. Mitglied des Kreisscholarchats; 1837 Nobilitierung, 1848 Ehrendoktor der Universität Prag, 1850 Kompturkreuz des Verdienstordens vom Hl. Michael. - Lit.: ADB 31 (1890) 657-659 (B inder ); BBKL 9 (1995) 384-387 (S ilvia W immer ); NDB 23 (2007) 144-145 (U to M eier ); U to M eier , Christoph von Schmid. Katechese zwischen Aufklärung und Biedermeier. St. Ottilien 1991; U rsula C reutz , Christoph von Schmid 1768-1854. Weißenhorn 2004. A dolph C arl A ugust ( von ) E schenmayer , * 4.7.1768 in Neuenbürg (bei Pforzheim), † 17.11.1852 in Kirchheim/ Teck, 1783-1796 Studien der Philosophie und Medizin in Tübingen und Stuttgart (Karlsschule), 1797 Arzt in Kirchheim, Physikus in Sulz, 1811 a.o. Prof. für Medizin und Philosophie, 1818-1836 o. Prof. für praktische Philosophie an der Philosophischen Fakultät in Tübingen. E schenmayer war jahrzehntelang ein von S chelling geschätzter philosophischer Gesprächs- und Streitpartner. Auf dem Gebiet der Naturphilosophie und vor allem der Philosophie der Offenbarung gibt es Berührungspunkte und Übereinstimmungen zwischen E schenmayer und D rey , die auf S chelling zurückverweisen. Daß E schenmayer und D rey in Tübingen über das Fachliche hinaus auch freundschaftliche Beziehungen zueinander pflegten, geht u.a. aus ihrer oben erwähnten gemeinsamen Ferienreise zu C hristoph S chmid in Stadion hervor. In D reys Büchernachlaß sind folgende Werke E schenmayers verzeichnet: Archiv für den thierischen Magnetismus (hg. von E schenmayer ). 8 Bde., Altenburg, Leipzig, Halle 1817-1826; Einleitung in Natur und Geschichte. Bd. 1, Erlangen 1806; System der Moralphilosophie. Stuttgart, Tübingen 1818; Religionsphilosophie. Erster Theil. Rationalismus. Zweiter Theil. Mysticismus. Dritter Theil. Supernaturalismus, oder die Lehre von der Offenbahrung des Alten und Neuen Testaments (3 Bde.), Tübingen 1818-1824; Grundlinien zu einem allgemeinen kanonischen Recht. Tübingen 1825; Die Allöopathie und Homöopathie verglichen in ihren Principien, Tübingen 1834 (siehe W erner , Büchernachlaß (wie Anm. 40) 421). - Lit.: K arl W erner , Geschichte der apologetischen und polemischen Literatur der christlichen Theologie 5. Schaffhausen 1867, 232-234; W alter W uttke , Materialien zu Leben und Werk A.K.A. von Eschenmayers, in: Sudhoffs Archiv. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte 56 (1972) 255-296; ADB 6 (1877) 349 f (E duard A lberti ); NDB 4 (1959) 644 f (H ermann Z eltner ); BBKL 17 (2000) <?page no="79"?> 47 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) B estlin verbrachte. Man darf durchaus annehmen, daß die Lebenswelt B est lins , die D rey in diesen Monaten näher kennenlernte, für ihn in mancher Hinsicht bereichernd war. Genaueres darüber oder über seine geistige Einstellung zu seinem kurzzeitigen Chef weiß man nicht, ganz im Unterschied zu H irscher , D reys Nachfolger im Röhlinger Pfarrhaus, der von B estlin tief beeindruckt war und dies auch öffentlich und warm bezeugte 87 . Zum Kreis der engeren Freunde und Verehrer B estlins gehörte D rey nicht, sie zählten ihn nicht zu den ihrigen 88 . Die Beziehung D reys zur Person B estlins war sicher respektvoll, aber es gab keine Nähe, aus der er sich später hätte lösen können oder wollen. Dasselbe gilt a fortiori von der Denkwelt B estlins . Es ist bekannt, daß D rey während seiner Vikarszeit K ant , F ichte und S chelling im Tornister trug 89 , was darauf hindeutet, daß er schon in diesen Jahren im Reich des Geistes seinen eigenen Weg ging und sich in einer Höhenlage bewegte, auf der ein B estlin nichts zu bestellen hatte. Selbst wenn er von der mystischen Spiritualität seines Prinzipals eine hohe Meinung gehabt haben sollte (wofür es keine Anhaltspunkte gibt), so wäre es doch verfehlt, den Mystizismus B est lins auf den jungen D rey zu übertragen oder die Bedeutung, die D rey dem 347-354 (S tefan L indinger ). I gnaz A nton D emeter , * 1.8.1773 in Augsburg; † 21.3.1842 in Freiburg i.Br., 1793-1796 Theologiestudium in Dillingen, 1796 Priesterweihe, anschließend auf Empfehlung S ailers Vikar in Ried in der Herrschaft S chenk von S tauffenberg , 1802 Pfarrer im Stauffenbergischen Lautlingen, 1809 auf Fürsprache W essenbergs Direktor des Lehrerseminars, Prof. für Pädagogik am Gymnasium, Stadtpfarrer und Dekan in Rastatt, 1818 Pfarrer und 1831 Dekan in Sasbach, 1833 Domkapitular und 1837 (auf Druck der badischen Regierung) Erzbischof von Freiburg. - Lit.: NDB 3 (1957) 591 (W olfgang M üller ); H ubert B astgen , Die Vorgänge bei der Wahl des Erzbischofs von Freiburg im Jahre 1836. Freiburg 1928; H ubert S chiel , Ignaz Demeter und die Erweckungsbewegung in der Diözese Augsburg. Freiburg 1930; E rwin G atz , Demeter, Ignaz Anton, in: Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1785 1803 bis 1945. Berlin 1983, 122-123. - Zu dem oben von S chmid genannten Rottenburger Domkapitular (F ranz A lois ) W agner siehe unten Anm. 99. 87 J ohann B aptist H irscher , * 20.1.1788 in Alt-Ergarten bei Ravensburg, † 4.9.1865 in Freiburg i.Br., 1803-1807 Studium am Lyzeum in Konstanz und 1807-1809 an der Universität Freiburg, 1809 Priesterseminar in Meersburg, 22.9.1810 Priesterweihe in Konstanz, 1810-1812 Vikar bei B estlin in Röhlingen, 1812 Repetent am Priesterseminar und zeitweilig auch Professor für neuere Philosophie am Lyzeum in Ellwangen, 1817 kurzzeitig Gymnasialprofessor und Kaplan in Rottweil, 1817 Professor für Moral- und Pastoraltheologie an der Universität Tübingen und 1837-1863 an der Universität Freiburg. - Zu seiner Zeit als Vikar bei B estlin und zu seinem Verhältnis zu B estlin äußert sich H irscher im Nekrolog auf seinen Prinzipal (wie Anm. 72) bzw. in seinen Erinnerungen an Dr. Johann Nepomuk Bestlin (wie Anm. 72). - Lit.: W alter F ürst , Wahrheit im Interesse der Freiheit. Eine Untersuchung zur Theologie J. B. Hirschers (1788-1865) (Tübinger theologische Studien 15). Mainz 1979; BBKL 2 (1990) 897-899 (F riedrich W ilhelm B autz ; in der Online-Ausgabe Literaturnachträge bis 2008). 88 Vgl. L ang , Denkmal der Achtung und Liebe (wie Anm. 72) 35. D rey wird hier nur einmal ganz marginal erwähnt. 89 Siehe H efele , Nekrolog (wie Anm. 9) 345. - In dem als verläßlich geltenden Nekrolog H efeles ist an der gegebenenfalls zu erwartenden Stelle (344 f) von einem Einfluß B estlins auf D rey keine Rede. <?page no="80"?> 48 Erläuterungen mystischen Ansatz für den Begriff der Religion und und für die Wissenschaftstheorie der Theologie in der RS beimißt, von dem Röhlinger Pfarrherrn herzuleiten. Nicht B estlin , sondern S chelling ist dafür Pate gestanden, wie bereits weiter oben (in Ziff. II.4.c) nachgewiesen wurde. Waren es dort formale und inhaltliche Kriterien, die zu diesem Schluß führten, so läßt dieser sich zudem biographisch verankern. Die Schellinglektüre des Vikars D rey , von der H efele berichtet, ist gewichtiger, als es zunächst scheint. Die Arbeit D reys stand in Rottweil von Anfang an im Zeichen einer intensiven Schellingrezeption 90 . Die Zurüstung dafür und überhaupt die Konzentration auf S chelling muß D rey aus seiner Vikarszeit mitgebracht haben 91 . S chel ling war in der ersten Dekade des 19. Jahrhunderts den jungen katholischen Intellektuellen »teacher and guide, prophet and sun« - auch bezüglich der mystischen Dimensionen der Religion und der Theologie 92 . Wie seine Vikarskollegen W erfer und J aumann 93 , und gemeinsam mit ihnen, die zeitlebens 90 Siehe T iefensee , Die religiöse Anlage (wie Anm. 4) 8 f, bes. 21-25, 35-48 u.ö.; zu D reys Rottweiler Schellingrezeption siehe Einleitung zu TüA 3 (Kurze Einleitung), 106*-109* (siehe auch oben Anm. 41). 91 Auffallend ähnlich verhielt es sich mit A lbert I gnaz W erfer , der 1806 gleichzeitig mit D rey auf eine Philosophieprofessur am Lyzeum in Rottweil berufen worden war und dort als nächster Fachkollege D reys auch seinerseits sofort philosophisch voll auf S chelling setzte (siehe oben in Anm. 49). W erfer und D rey hatten zuvor ihre Vikarszeit gleichzeitig verbracht, D rey von 1801 bis 1806 in Röhlingen, W erfer von 1798 bis 1806 in Ellwangen und Jagstzell. Eng miteinander befreundet, muß die Schellingbegeisterung sie schon dort erfaßt haben und zum Gegenstand gegenseitigen Austauschs geworden sein (vgl. dazu die in Anm. 49 angeführte Literatur). 92 O’M eara , Romantic Idealism and Roman Catholicism (wie Anm. 41) 7; vgl. dazu bes. 4 ff; 96 ff. 93 I gnaz J aumann , * 26.1.1778 in Wallerstein, † 12.1.1862 in Rottenburg, Studium in Augsburg, Priesterseminar in Pfaffenhausen, 13.5.1801 Priesterweihe in Augsburg, Vikar in Marktoffingen und Minderoffingen, 1803 Schloßkaplan in Schwendi, 1805 Pfarrer in Großschafhausen, 1811 auch Schulinspektor, 1814 Dekan und Stadtpfarrer in Rottenburg, 1817 Generalvikariatsrat ebd., 1818-1821 Abgeordneter beim Frankfurter Bundestag, 1825-1851 Mitglied der Abgeordnetenkammer im württembergischen Landtag, 1828 Domdekan des neu errichteten Kapitels in Rottenburg, 1845-1848 Kapitularvikar des Bistums Rottenburg. - J aumann war und blieb neben W erfer einer der beiden engsten Freunde D reys . Als Vikarstrio teilten sie ihre Schellingbegeisterung. Wie von D rey , so wird auch von J aumann berichtet, daß er sich als Vikar in die Schriften von K ant , F ichte und S chelling einarbeitete und dabei die Hilfe D reys in Anspruch nahm (»namentlich stund er, in Beziehung der neuern Philosophie und der Systeme von Kant, Fichte und Schelling, mit seinem Freunde, dem spätern so berühmten Professor Dr. Drey in vielfältigem mündlichen und schriftlichen Verkehre«, so B ernhard R itter , Das Leben und Wirken des Herrn Domdekans von Jaumann. Nach dessen Tode zusammengestellt von seinem Hausarzte. Schwäbisch Gmünd, Rottenburg 1862, 7). Dazu gehört, daß J aumann D rey häufig nach Schwendi holte, wo sich eine literarische Gesellschaft gebildet hatte, in der darüber diskutiert wurde. Es gab zu dieser Zeit einen Briefwechsel zwischen D rey und J aumann , von dem J aumann selbst berichtet (I gnaz J aumann , Geschichte einer Gemäldesammlung. Gabe für Freunde und Kunstgenossen [Autobiographie]. München 1855, 23; vgl. A ugust H agen , Ignaz Jaumann, in: ders ., Die kirchliche Aufklärung (wie Anm. 36) 336-402, 339). Einem Brief J aumanns an W essenberg vom 15. Juli 1840 ist zu entnehmen, daß J aumann in München mit S chelling verkehrte (vgl. H agen , ebd. 398, Anm. 172). - Weitere Lit.: N eher , Personal-Katalog (wie Anm. 49) 17; ADB 13 (1881) 730-733 (A ugust W intter lin ); BBKL 2 (1990) 1580-1581 (R einhard T enberg ). <?page no="81"?> 49 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) seine engsten Freunde blieben, so gehörte auch der junge D rey zu den von S chelling faszinierten Köpfen. Selbst von S ailer ist bezeugt, daß er im April 1803 S chelling in Jena aufsuchte, um dem Star seine Reverenz zu erweisen 94 . So gehörte für D rey die Initiation in das philosophische Frühwerk S chellings , die er in seiner Vikarszeit vollzog, zur unmittelbaren Vorgeschichte seiner professionellen Schellingrezeption in Rottweil, aus der als erste literarische Frucht die RS hervorgegangen ist. Mit B estlin hatte das alles nichts zu tun. Bei der Transferierung der Friedrichsuniversität nach Tübingen (1817), die D rey bejahte und betrieb, der B estlin sich aber widersetzte 95 , trennten sich ihre (politischen) Wege. Der in seinen amtlichen Verrichtungen ängstlich streng gewordene B estlin 96 gesellte sich der gegen den württembergischen Staatskatholizismus gerichteten Protestbewegung in Ellwangen zu 97 . Doch das geschah nach 1817. D rey ließ es sich nicht nehmen, die Form zu wahren und vor seinem definitiven Weggang nach Tübingen Pfarrer B estlin , der seine Professur niedergelegt hatte, in Röhlingen seinen Abschiedsbesuch abzustatten 98 . β . Die »Bestlinkreise« In der Fachliteratur herrschen bezüglich der personellen Konstellationen um B estlin Unschärfen und Unstimmigkeiten. Einen förmlichen Bestlinkreis, den D rey im Dissens verlassen haben könnte, um zur Gegenseite, der (ihrerseits durchaus personell und gesellig formierten) »Abendgesellschaft« um G ratz und M ets überzuwechseln, gab es in Ellwangen nicht. Die Gruppe der Bestlinverehrer, aus deren Mitte das oben erwähnte Denkmal der Achtung und Liebe, errichtet dem Dr. Joh. Nepomuk Bestlin von einem seiner vertrautesten Freunde hervorging, existierte, aber sie zählte D rey nie zu den ihren. Es existierte ferner eine »Sailersche Richtung«, die im Ellwängischen Klerus stark vertreten war, mit Sympatisanten in einem Kreis von Honoratioren, dem, folgt man mit diesen Angaben Z eller , B estlin , die Brüder J osef und A lois 94 Siehe X avier T illiette , Schelling. Biographie. Stuttgart 2004, 128; S chiel , Johann Michael Sailer (wie Anm. 85), Bd. 1, 351, Nr. 411-413. 95 Näheres dazu bei Z eller , Die Errichtung der katholisch-theologischen Fakultät in Tübingen (wie Anm. 45); ders ., Die Verlegung der kirchlichen Institute von Ellwangen nach Tübingen und Rottenburg im Jahre 1817, in: EllwJB 10 (1926/ 28) 31-58; R einhardt , Die Katholisch-theologische Fakultät Tübingen (wie Anm. 45) 1-42. 96 So H irscher im Nekrolog auf B estlin (wie Anm. 72) 761 (im Separatdruck 15). 97 Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 10) 59 f; ders ., Die Errichtung (wie Anm. 95) 92 f. 98 Kalendernotiz D reys vom 25. März 1818. Die handschriftlichen Kalendernotizen D reys wurden von A braham P eter K ustermann teilweise ediert in: ders ., »Daß ich der Universität ...« (wie Anm. 6) 96-116. Die Notiz findet sich auf Seite 98, der Besuch fand am 25. März 1818 statt. <?page no="82"?> 50 Erläuterungen W agner 99 , Prof. B letzger 100 und Stadtpfarrer K lingenmayer 101 angehörten und der der Generalvikar, Fürst von H ohenlohe 102 , sowie die Vikariatsräte 99 [F ranz ] J osef W agner , * 1764 in Jagstzell, † 14.3.1816 in Ellwangen, 1783-1787 (1784-1788? ) Studium in Dillingen, 1787 ebd. Priesterweihe, bis 1796 Prof. am Ellwanger Gymnasium, ab 1796 Pfarrer in Stimpfach, 1798-1816 Geistlicher Rat und Stiftspfarrer in Ellwangen und Generalkommissär des exemten Sprengels, 1806 Stifts- und Landkapitelsdekan und Direktor der Pastoralprüfungskommission, 1812 (zweiter) Generalvikariatsrat in Ellwangen (vgl. N e her , Personal-Katalog (wie Anm. 49) 8; Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 10) 40 f; 57 f; bes. 61 f; 126; 138 f). [F ranz ] A lois W agner , * 1771 in Jagstzell, † 1837 in Rottenburg, jüngerer Bruder des J osef W agner , 1790-1793 (? ) Studium in Dillingen, 1794 Priesterweihe in Würzburg, bis 1796 Kaplan in Stimpfach, ab 1796 Professor am Ellwanger Gymnasium und ab 1798 Pfarrer in Stimpfach (beides jeweils als Nachfolger seines Bruders J osef ), 1806 auch Kapitelsdekan in Bühlertann, 1809 auch kgl. bayer. Distriktschulinspektor für Crailsheim, Dinkelsbühl und Feuchtwangen, ab 22.10.1816 (vierter) Generalvikariatsrat in Ellwangen (wiederum in Nachfolge seines älteren Bruders J osef ) und Regens des Priesterseminars auf dem Schönenberg. A lois W agner war als eifriger Anhänger der Sailerschen Richtung dem Geistlichen Rat in Stuttgart (W erkmeister ) unlieb und wurde 1817 auf Betreiben des Ministers von W angen heim bei der Verlegung der Institute nach Rottenburg von der Leitung des Priesterseminars entfernt. 1817 Generalvikariatsrat in Rottenburg, 1819-1825 Mitglied der Abgeordnetenkammer, 1828 Domkapitular (zweiter Domherr). - A lois W agner , Biograph und Sammler der Lebensnotizen und Schriften B estlins , wird von L orenz L ang als einer der »vertrautesten Freunde« B estlins bezeichnet (vgl. L ang , Denkmal der Achtung und Liebe (wie Anm. 72) XIII). Er war auch mit G ottfried P ahl befreundet und verfaßte wie B estlin einige Beiträge zu dessen National-Chronik der Teutschen (vgl. F elder (Hg.), Gelehrten- und Schriftsteller-Lexikon (wie Anm. 79), Bd. 2, hg. von F ranz J oseph W aitzenegger , Landshut 1820, 470-472; N eher , Personal-Katalog (wie Anm. 49) 18 f; Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 10) 37; 41; bes. 58-63). 100 F ranz G eorg B letzger , * 5.9.1766 in Ellwangen, † 8.1.1830 in Westhausen, studierte Theologie an den Gymnasien zu Augsburg und Ellwangen und bewarb sich nach seiner Priesterweihe 1789 um die Professur für Physik am Gymnasium in Ellwangen nach Abgang des Professors H öpfel auf die Pfarrei Stödtlen; später war er Professor der Rhetorik und leitete bis 1815 den Rhetorikkurs am Gymnasium in Ellwangen. 1800 entstand ein Streit zwischen den Professoren K lingenmayer und B letzger um den ausschließlichen Einsatz des letzteren im Fach der ersten Rhetorik; 1802 übernahm B letzger dazu die Ökonomieverwaltung am Collegium Ignatianum. 1815 erfolgte seine Ernennung zum Pfarrer in Westhausen mit der Bestimmung, seine Lehrstelle bis zu einer anderweitigen Besetzung (bis 1817) weiter zu versehen (siehe StAL B 433 Bü 124; Bü 104; Bü 139 und E 202 Bü 1369; vgl. Königlich- Württembergisches Hof- und Staats-Handbuch von Württemberg auf die Jahre 1808, 718; 1810, 178; 1812, 191). - Lit.: Nekrolog in: L ang , Kirchenblätter (wie Anm. 72) 2 (1831) II, 151-159; N eher , Personal-Katalog (wie Anm. 49) 355; Z eller , Die Errichtung (wie Anm. 95) 93 Anm. 1 mit Verweis auf L ang , Denkmal der Achtung und Liebe (wie Anm. 72). 101 J ohann A lois K lingenmayer , * 1768 in Rodamsdörfle bei Dewangen, † 1831 in Waldstetten, 1791 Priesterweihe, 1794-1798 Kaplan in Bühlertann (StAL B 431 Bü 94), 1798 Nachfolger von A lois W agner als Professor für Rhetorik am Ellwanger Gymnasium (StAL B 431 Bü 127, B 433 Bü 137; zum Streit zwischen den Professoren K lingenmayer und B letzger siehe Anm. 100), 1805-1814 Stadtpfarrer von St. Vitus in Ellwangen, 1814 wurde er, weil er »auf einmal gegen die neuen (radikalen) Aufklärer in eine unerwartete Opposition trat«, nach Waldstetten bei Gmünd versetzt (L ang , Denkmal der Achtung und Liebe (wie Anm. 72), 165 f). 102 F ranz K arl J oseph Fürst zu H ohenlohe -W aldenburg -S chillingsfürst , * 27.11.1745 in Waldenburg, † 9.10.1819 in Augsburg, 1787 Priesterweihe in Köln, am 7.6.1802 Ernennung zum Domkapitular und am 17.7.1802 zum Weihbischof von Augsburg, 1812 nach dem Tod von C lemens W enzeslaus von S achsen Generalvikar in Ellwangen für die an Württemberg gefallenen Teile des Bistums Augsburg, 1815-1817 Mitglied der Kammer der Standesherren <?page no="83"?> 51 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) M ets und H uberich 103 nahegestanden haben sollen 104 . Eine Zugehörigkeit D reys zu diesem Freundeskreis ist nirgends belegt. Daneben gab es auf persönlicher Basis ein »Kleeblatt« von alten Freunden, das B estlin zusammen mit den Brüdern W agner auf Grund ihrer in ihre Jugendjahre zurückgehenden Freundschaft bildete 105 . Damit hatte D rey erst recht nie etwas zu tun. γ . Drey, Gratz, Mets und die »Abendgesellschaft« Nachdem es sich gefügt hatte, daß D rey und M ets im Herbst 1812 gleichzeitig ihren Dienst in Ellwangen antraten - M ets als Erster Rat im Generalvikariat, D rey als Ordinarius an der Friedrichsuniversität -, gestaltete sich ihre wechselseitige Beziehung zumindest freundlich und zunehmend wohl auch freundschaftlich 106 . Einen Kristallisationspunkt dafür bildete der von M ets als »Abendgesellschaft« bezeichnete kollegiale Gesprächszirkel um G ratz 107 , dem neben G ratz , ihrem mutmaßlichen Spiritus rector, die Herren des Königreichs Württemberg (Vertreter des Generalvikariats), im Herbst 1817 Umzug des Generalvikariates nach Rottenburg, 5.2.1818 Ernennung zum Bischof von Augsburg. 103 A nton N ikolaus H uberich , * 1766 in Igersheim, † 1833 in Neuhausen, 1791 Priesterweihe, 1801 Pfarrer in Sechtenhausen, 1814 Stadtpfarrer von St. Vitus, 1817-1819 erster Rat des bischöflichen Kommissariats, 1819 Dekan und Stadtpfarrer von Ellwangen, 1826 Pfarrer in Neuhausen. »Er ist ein feiner, gebildeter und gefälliger Mann, der sich gleich ganz und immer mehr an mich anschloß und stets fest mein Freund und treuester Korrespondent blieb« (M ets , Autobiographie (wie Anm. 10) 139). - Z eller bemerkt zu ihm: »stets Freund und Korrespondent von Mets, stand er aber Bestlin nicht weniger nahe und unterhielt mit demselben regen brieflichen und persönlichen Verkehr. Zum Umzug nach Rottenburg verstand er sich nicht« (Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 10) 64). - Zu M ets siehe Anm. 138. 104 Vgl. dazu Z eller , Die Errichtung (wie Anm. 95) 93; ders ., Die Verlegung (wie Anm. 95) 44. - H agen zufolge gehörte dem persönlichen Freundeskreis um B estlin ferner K aspar R egele an (vgl. A ugust H agen , Gestalten aus dem Schwäbischen Katholizismus 1. Stuttgart 1948, 28). - S ilvester K aspar R egele , * 1768 in Thannhausen, † 1798 in Zalling, 1785-1791 Studium der Philosophie und Theologie in Dillingen, 1791 Priesterweihe zusammen mit C hristoph S chmid ebd., danach Vikar in Stimpfach, Minderoffingen und Augsburg und Pfarrer in Zalling bei Augsburg. »Sein innigster Freund und Mitschüler, J. N. Bestlin, V.R. und Stadtpfarrer in Lauchheim hat ihm im Felderischen Magazin, ein würdiges Denkmal nach der reinsten Wahrheit errichtet« (J ohann A loys H assl , Kern praktischer Pastoral, oder ein Vade mecum für angehende Theologen und Geistliche, [...]. Schwäbisch Gmünd 1823, VII-VIII). - Die verläßlichsten Auskünfte über den Kreis der Sailerfreunde im Ellwängischen finden sich bei S chiel , Johann Michael Sailer (wie Anm. 85), Bd. 1, 77 f, 226, 284; Bd. 2, 129-132, 135 f, 140, 343. 105 Vgl. dazu Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 10) 58. 106 Vgl. Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 10) 55. Auch noch nach ihrem Weggang von Ellwangen pflegten D rey und M ets ihre Verbundenheit, wie etwa an einem Besuch von M ets bei G ratz und D rey in Tübingen im Sommer 1818 zu ersehen ist, an den sich M ets in seiner Autobiographie in warmen Tönen erinnert (M ets , Autobiographie (wie Anm. 10) 148). 107 Die Bezeichnung »Abendgesellschaft« für diesen Zirkel ist von M ets bezeugt (siehe M ets , Autobiographie (wie Anm. 10) 142). Es handelte sich um eine gesellige Verbindung im Geiste der Romantik auf der Basis gesinnungsmäßiger Übereinstimmungen und persönlicher Sympathien. Die Zusammenkünfte der genannten Herren scheinen nach Möglichkeit täglich stattgefunden zu haben (vgl. ebd. 141), was eher an eine Art gehobener Stammtisch der Gesin- <?page no="84"?> 52 Erläuterungen M ets , W achter 108 , H uberich und D rey angehörten 109 . Und wenn es die nungsfreunde denken läßt, was freilich nicht ausschließt, daß der Austausch ernsthaft war und Niveau und Richtung hatte. In diesem Kreis ist wohl auch die Idee zur Gründung der Theologischen Quartalschrift geboren worden. Auch M ets war in die Planungen involviert, wie einem Brief von G ratz an W essenberg vom 12.8.1818 zu entnehmen ist (»Von dem Vorhaben der Herausgabe einer theologischen Zeitschrift wird Euer Excellenz schon Herr Geistlicher Rath v. Mets benachrichtigt haben. Ich bin so frei in der Anlage die Ankündigung derselben zu übermachen.« - Wiedergabe dieses Briefes bei R einhardt , Ein Kapitel katholischer Aufklärung (wie Anm. 74) 360 f); siehe dazu auch Einleitung zu Text Nr. 7 (ThQ-Dokumente), bei Anm. 13. - Es ist möglich, daß Kardinalstaatssekretär E rcole C onsalvi (1757-1824) in seinem an Provikar J ohann B aptist von K eller gerichteten Schreiben vom 27. März 1817 auf diese Abendgesellschaft Bezug genommen hat. C onsalvi teilt dem Provikar in dem Beschwerdebrief die Besorgnis des Papstes über die Geistesart und die Lehren der Ellwanger Professoren mit, wobei D rey (als Autor der Beichtschrift von 1815) und M ets namentlich genannt und besonders kritisiert werden. M ets , der in Ellwangen »den ausgezeichnetsten Rang« habe, trage die Hauptschuld daran, daß die Irrtümer D reys und anderer Professoren nicht schon längst öffentlich widerrufen worden seien. Im unmittelbaren Anschluß daran ist von einer in Ellwangen bestehenden, giftstreuenden »literarischen Gesellschaft« die Rede (interessant an den Ausführungen C onsalvis ist nicht zuletzt, daß hier M ets u.a. geradezu als Protektor D reys gilt). - Zu dem »wie es scheint, bisher unbekannten Schreiben« (M iller 1933) C onsalvis siehe M iller , Professor Dr. Johann Sebastian Drey (wie Anm. 6) 367-369, bes. 368 (vgl. dazu auch Einleitung zu Text Nr. 4). - Es ist aber nicht völlig auszuschließen, daß C onsalvi mit der von ihm genannten »literarischen Gesellschaft« eine in Ellwangen existierende geistliche Lesegesellschaft meinte, wie sie es seit 1807 in den katholischen Gebieten Württembergs auf Dekanatsebene (Pastoralkonferenzen) gab, doch der Kontext im Brief C onsalvis läßt eher an unsere »Abendgesellschaft« denken. In Ellwangen plante G ratz 1813 eine Lesegesellschaft an der Universität, doch lehnte die Kuratel diesen Plan ab; 1814 gründete H uberich eine Lesegesellschaft unter Ellwanger Geistlichen und Honoratioren (siehe W olff , Peter Alois Gratz (wie Anm. 74) 114 f). 108 K arl (C arl ) W achter (Taufname: M einrad ), * 16.1.1764 in Sigmaringen, † 9.12.1822 in Sulmingen, 1781 Zisterzienser im Reichsstift Salem, 1788 Priesterweihe, anschließend Prof. an der Ordensschule Salem, nach der Aufhebung seines Stifts (1804) Prof. für Pastoral und Katechese am Lyzeum Konstanz, 1805 Pfarrer in Sulmingen (ab 1809 mit Nebenämtern als bischöflicher Deputat, kgl. württ. Schulinspektor sowie Konkursexaminator), am 27.9.1812 zum Professor für Kirchengeschichte und Kirchenrecht an der Friedrichsuniversität in Ellwangen berufen, 1814 Rektor der Universität, seit 1795 Verfasser wissenschaftlicher Schriften, darunter mehrere Beiträge für das Konstanzer Pastoralarchiv (W achter war Anhänger der Richtung W essenbergs ). Wie D rey (vgl. Anm. 107), so zählte auch er zu den von Rom als mißliebig erachteten Professoren der Friedrichsuniversität. Seit Sommer 1816 war bei der römischen Inquisition eine Untersuchung einer kanonistischen Abhandlung W achters wegen irriger Lehren anhängig (auf Grund der Ellwanger Disputationsschrift: C arl W achter , Theses ex iure ecclesiastico ad leges patrias adaptato, una cum praeviis positionibus ex iure naturae et gentium. Gamundiae 1813; zu dieser Schrift siehe H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität (wie Anm. 45) 44). Das Verfahren verlief aber im Sande, und zu einer förmlichen Verurteilung kam es nicht (vgl. dazu H ubert W olf , Index. Der Vatikan und die verbotenen Bücher. München 2006, 87-89, sowie unten Einleitung zu Text Nr. 4, Ziff. II.4.c). W achter wurde von B estlin (und H efele ) als »vir eruditionis soliditate et ambitu maxime insignis« eingeschätzt (vgl. H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität (wie Anm. 45) 32). Bereits im Herbst 1815 richtete er an die Regierung ein Gesuch um Entlassung aus seiner Professur mit der Begründung, er habe schon 1812 vorgehabt und damals auch seinen Pfarrkindern versprochen, nach dreijähriger Amtszeit als Professor wieder ganz in seine Pfarrei Sulmingen zurückzukehren. Das Gesuch blieb 1815 unbeantwortet; 1817 wurde sein im Zusammenhang mit der Transferierung der Fakultät nach Tübingen erneut eingereichtes Entlassungsgesuch positiv beschieden. - Aus dieser Vorgeschichte ergibt sich, daß sein Rücktritt von 1817 auf den alten Gründen von 1812 <?page no="85"?> 53 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) erwiesenen Gemeinsamkeiten ihrer Geistesrichtung waren, auf die G ratz und D rey ihre lebenslange freundschaftliche Beziehung mit Sicherheit schon vor 1815 in Ellwangen gründeten, spricht alles dafür, daß D rey schon bei der Geburt der Abendgesellschaft mit von der Partie war. Was aber das Verhältnis M ets - D rey angeht, so konnte M ets sich in Ellwangen rasch davon überzeugen, daß der Autor der RS kein Freund eines finsteren Mittelalters und beruhte (hinzu kam 1817 noch eine Kränkung seines ausgeprägten Selbstgefühls durch die derbe Anfrage der Behörde, ob er nach Tübingen wechseln oder resignieren wolle; siehe dazu den Kurzen Lebens-Abriß (s.u.) 135). In der von H aug (32) offensichtlich erschöpfend angeführten Begründung seines Entlassungsgesuchs ist von staatskirchenpolitischen bzw. religiöskirchlichen Motiven zu Recht nicht die Rede. W achter war von seiner ganzen Veranlagung und Neigung her ein unbeugsamer kritischer Geist voll ausgeprägter Reformgesinnung im Sinne W essenbergs und W erkmeisters . Die W achter später unterstellten ideologischen Umstände, die ihn zunächst der »Abendgesellschaft« entfremdet und dann der »Gegenpartei« zugeführt haben sollen, gehören ins Reich der Klitterungen, desgleichen die Annahme eines dramatischen »Frontwechsels«. - Lit.: F elder , W aitzenegger , Gelehrten- und Schriftsteller- Lexikon 2 (wie Anm. 99) 468-470; Kurzer Lebens-Abriß des verstorbenen Herrn Karl Wachter, Doktors der Theologie, und Pfarrers zu Sulmingen im Landkapitel Wiblingen, in: J ohann E vange list B rander (Hg.), Kritisches Journal für das katholische Deutschland 4 (1823) 128-137; M ets , Autobiographie (wie Anm. 10) 141 f; H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität (wie Anm. 45) 31-32, 40, 43 ff; Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 10) 53 f. - zu W achter und seiner Dissertation De statistica ecclesiastica siehe Text Nr. 9, Einleitung zu Misz. Nr. 16 mit Anm. 14-16. 109 Dazu M ets in seiner Autobiographie (wie Anm. 10) 141 f: »Meinen näheren Umgang in Ellwangen hatte ich mit den Hr. Akademischen Professoren und dem Geistl. Rat Huberich. Dr. Wachter, Graz und ich machten die ersten Jahre ein wahres Kleeblatt aus, wir waren immer zusammen. Später aber wurde eines dieser Blätter wurmstichig. Dr. Wachter trennte sich immer mehr von Graz, und endlich ganz von unserer Abendgesellschaft. Ich setzte die Verbindung mit Wachtern fort, besuchte aber auch täglich die Abendgesellschaft, und in der Gesellschaft von Dr. Graz, Drey und Huberich genoß ich in Ellwangen die frohesten Stunden; sehr angenehm und lehrreich war mir diese Gesellschaft, die mir inzwischen nicht mehr ersetzt wurde. Ich entbehre diese Gesellschaft sehr ungern, sie bleibt mir auch stets unvergeßlich.« Man hat aus diesem Text den Schluß gezogen, daß der Beitritt D reys zugleich mit dem Weggang W achters aus der Abendgesellschaft erfolgt sei, derart, daß der Bruch W achters mit ihr und der D rey unterstellte »Bruch« mit dem Bestlinkreis zeitlich einander korrespondierten (R ief : »Neugruppierung«! ). Doch der Text gibt das in keiner Weise her, weder chronologisch noch ideologisch. Zu entnehmen ist ihm (a.) die Nicht-Zugehörigkeit D reys zum ursprünglichen »Kleeblatt«, (b.) der gesellig-lehrreiche Charakter der Abendgesellschaft und (c.) die ungetrübte Beziehung zwischen M ets und D rey bzw. M ets und W achter . Die Aussage, daß W achter sich »später«, d.h. nach einigen Jahren seiner Zugehörigkeit zur Abendgesellschaft, von G ratz und seinem Kreis trennte, hat infolge der unzulässigen Ausdehnung dieser Terminierung auf D rey zu dem Mißverständnis geführt, daß auch er erst »später«, d.h. nach einigen Jahren, zur Abendgesellschaft um G ratz hinzugekommen bzw. »übergetreten« sei, was angesichts der notorisch engen Beziehung G ratz - D rey völlig undenkbar ist. Die durch nichts belegte Annahme, daß der Beitritt D reys zur Abendgesellschaft zeitgleich mit dem Weggang W achters erfolgt sei und daß beide ineins damit einen »Frontwechsel« vollzogen haben sollen, wurde fälschlicherweise in den Kontext einer weiter ausgreifenden dramatischen »Neugruppierung« gestellt. - Es gilt übrigens keineswegs als sicher, daß der kranke und innerlich zerrissene W achter förmlich einem (oder »dem«) Bestlinkreis beigetreten ist. Er war »später« (d.h. im unmittelbaren Vorfeld des Umzugs nach Tübingen) lediglich »der Richtung Bestlins zugetan« (vgl. Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 10) 54 Anm. 22). <?page no="86"?> 54 Erläuterungen kein Mystikus war, wie er einst als Zensor in Konstanz in der Hitze seines Übereifers angenommen und befürchtet hatte. Der von M ets als »sehr angenehm und lehrreich« taxierte Umgang mit D rey in Ellwangen und die auch später noch gepflegte freundliche Verbindung mit ihm setzen voraus, daß die Fehleinschätzung von 1812 inzwischen von ihm erkannt und auch persönlich mit D rey bereinigt worden war 110 . δ . Spannungen? Eine Richtigstellung Am Ende dieser Überlegungen noch einmal ein Blick auf die Verhältnisse in Ellwangen, in deren Kontext der ominöse Kontinuitätsbruch in der wissenschaftlichen und politisch-weltanschaulichen Vita D reys stattgefunden haben soll. Der oben referierten Bruchhypothese zufolge ereignete sich die angebliche Umorientierung und Neupositionierung D reys im Zuge einer über seine Person hinausreichenden dramatischen Entwicklung, in der alte Freundschaften und Loyalitätsbindungen zerbrachen und neue Gruppierungen in der Form von zwei miteinander rivalisierenden Parteien auftraten, mit M ets , G ratz und D rey auf der einen und B estlin und seinen Freunden auf der anderen Seite. In diesem Zusammenhang wurde wie gesagt bezüglich der Verhältnisse in Ellwangen ein Bild der Zerrissenheit gezeichnet, mit Spannungen und Kollisionen, die zur Entzweiung geführt haben sollen 111 . Daß es sich bei dieser Sicht der Dinge - wie überhaupt bei der Bruchhypothese - um eine Verzeichnung der an der Friedrichsuniversität bestehenden realen Verhältnisse handelt, dürfte sich aus oben angeführten Beobachtungen und Argumenten, die sich vermehren ließen, klar genug ergeben haben. Da es indessen zu dem oben zuletzt genannten Punkt ein Zeugnis aus erster Hand gibt, in dem die wahren Verhältnisse geschildert werden, sei dieses hier zum Schluß vorgebracht. Es handelt sich um einen Passus aus der Autobiographie von J oseph M ets , eines im Zentrum des Geschehens stehenden Zeugen also 112 . M ets war, wie auch B estlin , Ordinariatsrat im Ellwanger Generalvikariat und hatte B estlin dort zum Kollegen, B estlin und D rey waren Kollegen an der Friedrichsuniversität, und dank seiner Zugehörigkeit zur Abendgesellschaft um G ratz pflegte M ets besondere Beziehungen zu der daran beteiligten Professorenschaft. Er spricht somit in diesem Beziehungsgeflecht durchaus als Insider. Es würde zu weit führen, seine Schilderung der 110 Siehe dazu auch den Hinweis unten in Anm. 120. 111 Siehe vor allem K ustermann , »Daß ich der Universität ...« (wie Anm. 6) 65; ders ., Vereine der Spätaufklärung (wie Anm. 68) 35; ders ., Die erste Generation (wie Anm. 68) 20. 112 Die von M ets zwischen dem 1. September und dem 23. November 1818 zu Papier gebrachte Autobiographie, die 1928 zum hundertjährigen Jubiläum der Diözese Rottenburg von J oseph Z eller ediert wurde (siehe Anm. 10; vgl. dazu das Vorwort der Redaktion ebd. 1 f), wird von Z eller als zuverlässig und für die Zeitgeschichte wichtig und ergiebig eingeschätzt, besonders für das zweite Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts in Ellwangen (ebd. 68 f). - Zur hier einschlägigen Passage siehe M ets , Autobiographie 139-142. <?page no="87"?> 55 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) Ellwanger Verhältnisse vollumfänglich zu zitieren, statt dessen darf hier der Kürze halber auf Z eller zurückgegriffen werden, der die Metsschen Ausführungen korrekt wiedergibt und sich auch zu eigen macht 113 . Z eller stellt zunächst fest, daß bei M ets infolge seiner biographischen Vorgeschichte »kein engeres Freundschaftsverhältnis zwischen ihm und den echten Jüngern des großen Meisters Sailer ..., mit denen er in Ellwangen zusammentreffen sollte, Platz greifen konnte. Dank der irenischen Natur der Beteiligten kam es immerhin zu keinen Zerwürfnissen, wie denn Mets eine sehr konziliante Natur gewesen sein muß, die sich mit den verschiedensten Charakteren zurechtfand. Nur mit den Provikaren, Reininger in Konstanz und v. Keller in Ellwangen, wollte es nicht gelingen« 114 . Und weiter 115 : »Die Schilderung, die Mets in seiner Autobiographie von den Ellwanger Verhältnissen gibt, ist ebenso anschaulich als aufschlußreich. ›Von Anfang bis zu unserer Trennung herrschte unter uns ununterbrochen die schönste Harmonie. Wie Brüder arbeiteten wir mit vereinigten Kräften und gleichem Eifer zu dem Einen guten Zwecke unseres Berufes. Kollisionen hatten unter uns durchaus keine statt‹« 116 . »Dagegen ergab sich eine ganz natürliche Opposition gegen den Kath. Geistl. Rat in Stuttgart 117 , der sich im wesentlichen das Kirchenregiment anmaßte, während das Vikariat pflichtmäßig um die Rechte des Bischofs sich annehmen mußte ..., ›so entstand notwendig immer eine Spannung zwischen denselben und hie und da unangenehme Kollisionen‹« 118 . Hier liegt nun, wie es scheint, der Hase im Pfeffer. Während M ets die »Spannungen« und »Kollisionen« eindeutig auf die Arbeitsverhältnisse zwischen dem Ellwanger Generalvikariat und dem Stuttgarter Geistlichen Rat (W erkmeister ) bezog, konnte eine flüchtige Lektüre seines (syntaktisch verwickelten) Textes dazu führen, sie auf die Verhältnisse unter den Kollegen in Ellwangen zu beziehen und für die Ellwanger Verhältnisse daraus ein Bild der Zerstrittenheit zu konstruieren 119 . 113 Vgl. Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 10) 49-64. 114 Ebd. 51 f (Hervorhebung nicht im Original). 115 Ebd. 52. 116 Zitat aus M ets , Autobiographie (wie Anm. 10) 140 (Hervorhebung nicht im Original). Vgl. dazu auch M ets , Autobiographie 150, über sich selbst: »Dies Zeugnis darf ich mir selber geben, daß ich von der Epoche an, als ich selbst zu denken vermochte, durchaus keiner Schule, noch irgend einer Partey unbedingt huldigte ...«. 117 Hervorhebung bei Z eller , a.a.O. 52; vgl. M ets , Autobiographie (wie Anm. 10) 140. 118 Z eller , a.a.O. 52 mit Zitat aus M ets , Autobiographie (wie Anm. 10) 141 (Hervorhebungen nicht im Original). Vgl. dazu auch Z eller a.a.O. 57. 119 Zu dieser Fehldeutung hat vielleicht auch eine Bemerkung H augs beigetragen. H aug zufolge glaubte die Regierung in Stuttgart, die Entlassungsgesuche der Professoren S pegele , G ratz und W achter unter anderem auch auf die »Unzufriedenheit und Disharmonie der verschiedenen Geistlichen in Ellwangen« zurückführen zu können (siehe H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität (wie Anm. 45) 32). Diese Zustände im Ellwanger Klerus mochten dem Personenkreis, der in den vorstehenden Beobachtungen behandelt wurde, unbehaglich gewesen sein, es ist aber, wie sich gezeigt hat, nicht angebracht, sie auf diesen Kreis zu übertragen. <?page no="88"?> 56 Erläuterungen Für die internen Verhältnisse in der Friedrichsuniversität und zu den Personen des Generalvikariats ist abschließend ein Vorgang erwähnenswert, den M ets folgendermaßen schildert: »Den 16. September 1816 wurde mir ohne mein Ansuchen, aus eigenem, freyen und einstimmigen Beschlusse des Akademischen Senats der Friedrichs-Universität zu Ellwangen die Doktors-Würde, nach einer öffentlichen Disputation, auf eine rührende und sehr feyerliche Weise erteilt durch den damaligen Rektor der Universität, den Herrn Generalvikariatsrat Bestlin, welcher dabei eine sehr religiöse und lehrreiche Anrede hielt, mir hierauf den Akademischen Scepter reichte und den Doktorring ansteckte, welchen Ring mir der Herr Fürst von Hohenlohe, Generalvikar, als Beweis seiner lebhaften Teilnahme, zum Geschenk machte. Hierauf bestieg ich die Kanzel und hielt eine Dissertation de censorio judicio in rebus religionis samt einer kurzen Danksagungsrede ...« 120 . Das Promotionsverfahren für M ets hatte B estlin am 21. Juni 1816 als Rektor der Universität in Gang gebracht 121 . 7. Die Revisionsschrift als Programmschrift a. Fragestellung In der neueren Fachliteratur ist es üblich, die RS der literarischen Gattung der (theologischen) Programmschriften zuzuordnen. Da D rey selber sie nie als solche bezeichnete, weder im Text der Abhandlung, noch später im Rückblick, handelt es sich bei dieser Klassierung um eine Einschätzung anhand formaler und inhaltlicher Merkmale der Abhandlung. Ihr Titel gibt dafür keine Hilfestellung. Er ist so offen und unspezifisch formuliert, daß der programmatische Charakter der Abhandlung an ihm nicht ohne weiteres abzulesen ist. Steht der Revisionsbegriff hier nur für die kritische Sichtung des Zustandes der Theologie im Sinne einer Beschreibung und Analyse, wobei natürlich anzunehmen wäre, daß hinter einer derartigen Befunderhebung eine Reformabsicht steht, oder sollte der Revisionsbegriff auch schon die Mittel zur Behebung der Mißstände anzeigen und mithin ein Reformprogramm ankündigen? Da D rey in der »Vorerinnerung« der Abhandlung bemerkt, ihr Zweck sei es, die Gebrechen im gegenwärtigen Zustand der Theologie »zur Sprache zu bringen, sie als solche aufzudecken, und ein prüfendes Nachdenken unter den Theologen zu veranlassen« (4), scheint er sich auf das erstere Vgl. dazu auch M ets , Autobiographie (wie Anm. 10) 141: »Mit den Ellwanger Geistlichen hatte ich wenig Umgang, die wenigern waren genießbar, blieben nur unter sich«. 120 M ets , Autobiographie (wie Anm. 10) 142. Das Manuskript der Rede mit dem genauen Titel De Censorio judicio in religionis negotiis befindet sich im UAT 44/ 173-42 (handschriftlich). Ob M ets bei der Wahl dieses Themas wohl an den Vorgang im Konstanzer Pastoralarchiv von 1812 dachte? Direkte inhaltliche Bezüge darauf enthält das Manuskript nicht. 121 Vgl. dazu Z eller , Die Errichtung (wie Anm. 95); H einrich G raf , Theologische und kirchenpolitische Entwicklungen an der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen im Spiegel des Promotionswesens (1812-) 1818-1926. Tübingen 1986 (maschinenschriftlich), 47 f. <?page no="89"?> 57 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) beschränken zu wollen. Aus seinen Ausführungen im Textkorpus ergibt sich jedoch eindeutig, daß er sich keineswegs mit einer Zustandsbeschreibung und einem Denkanstoß begnügt, sondern auch schon die Richtlinien eines zielführenden Reformprogramms vorlegt. Insofern erfüllt die RS sowohl nach der Absicht ihres Verfassers als auch nach objektiven literarischen Kriterien die Bedingungen einer Programmschrift. Als potentielle Handlungsträger des Revisionsprozesses, den D rey anstoßen will, sind die Leser der Abhandlung angesprochen. Zwar ist der RS anzusehen, daß ihr Autor sich selber durchaus wegweisend in diesen Prozeß einbringen will. Aber indem D rey in aller Form »die Theologen« nennt, stellt er das Reformprogramm in einen transpersönlichen Rahmen. D rey teilt nicht mit, was er selbst zu tun gedenke, sondern nimmt die Theologen in die Pflicht, den gegenwärtigen Zustand »der Theologie« zu revidieren. Wenn die Abhandlung von 1812 als Programmschrift bezeichnet wird, ist infolgedessen in erster Linie an diese ihre überindividuelle, epochenbezogene Ausrichtung und Funktion zu denken. Erst danach ist die Rolle der RS in der Lebensplanung D reys und ihre Stellung in seinem theologischen Werk ins Auge zu fassen. b. Die Revisionsschrift als epochale Programmschrift Der Rang und die Wucht der RS ist nur vermittels ihrer theologiegeschichtlichen Situierung zu erkennen (siehe oben Ziff. II.3 und II.4). Ihr Verfasser steht unter dem Eindruck der Umwälzungen, die er als Zeitgenosse beobachtet. In der Kurzen Einleitung von 1819, deren Grundzüge D rey sogleich nach dem Antritt seines theologischen Lehramtes in Ellwangen und somit direkt im Anschluß an die Veröffentlichung der RS konzipiert hatte, spricht er von den »großen Revolutionen«, die »seit den drey letzten Decennien ... auf dem Gebiete der deutschen Philosophie vorgefallen sind« und die »natürlich auch auf die Theologie herübergewirkt« haben, »und zwar wegen der innigern Berührung der beyden Wissenschaften, auf die Theologie zum Theil stärker als auf die übrigen Wissenschaften«. Daraus habe sich »das Gefühl der Nothwendigkeit« ergeben, die Theologie umzugestalten und zumal ihre »Sachen« aus ihren tiefsten Prinzipien neu zu begründen 122 . Diese Feststellungen lesen sich wie eine Regieanweisung für die Tonlage und die Absichten der RS. Betrafen die »großen Revolutionen« im Sinne D reys die innere Verfassung der Theologie, so hatten die politischen Verhältnisse auf ihre Weise die Misere der Theologie offengelegt und verschärft. Im Gefolge der Säkularisation war das katholische Bildungswesen in Deutschland zertrümmert, die Zeichen der Zeit standen auf einen Neubeginn im Äußeren wie im Inneren, der Kairos dafür war eingetreten 123 . Das »Gefühl der Nothwendigkeit« für eine Total- 122 Siehe KE § 84 (TüA 3, 51-52). <?page no="90"?> 58 Erläuterungen revision der religiösen Verhältnisse und der theologischen Zustände hatte zu dem Zeitpunkt, als D rey die RS verfaßte, seine akuteste Phase erreicht. Hatte bereits die kritische Philosophie K ants die alten Gewißheiten zerstört und die Brandfackeln auch in die Theologie hineingetragen, so war es die im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert aufblühende Romantik, die die Energien für einen radikalen Neubeginn freisetzte und dafür die Denkformen schuf und die Ziele vorgab. N ovalis und der Kreis der Frühromantiker, und für die Theologen insbesondere der frühe S chleiermacher und der frühe S chel ling , kennzeichnen am deutlichsten die Epochenschwelle, die neuen Wissenschaftslehren des romantischen Idealismus wirkten mit Macht in die Theologie »herüber« (D rey ) 124 . Hinzu kam, daß auf der politischen Ebene im engeren Lebensfeld D reys in dem nach der Säkularisation neu geschaffenen Königreich Württemberg seit 1806 der Neuaufbau des Bildungswesens energisch vorangetrieben wurde. Für den D rey der RS gewann S chelling die größte Bedeutung. D rey hatte wie gesagt schon während seiner Vikarszeit das Frühwerk S chellings zu studieren begonnen, derart, daß er sich im Anschluß daran auf seiner Philosophieprofessur in Rottweil sogleich an jene intensive Schellingrezeption machen konnte, die sein dortiges Schaffen kennzeichnet. Vor allem die achte und neunte Vorlesung in der Methodenschrift S chellings 125 , die 1803 herausgekommen war, haben ihm die Augen dafür geöffnet, in der reformerischen Betriebsamkeit der Theologen ein Oberflächenphänomen zu erblicken, dem auf den Grund zu gehen ist. Der Autor der RS hatte erfaßt, daß die reformerischen Umtriebe bodenlos sind, wenn sie nicht auf den Einsichten einer Fundamentalrevision beruhen. Diesen radikalen Revisionsbedarf erkannt und daraus die nötigen Konsequenzen gezogen zu haben, gehört zu den bedeutenden Leistungen seiner Abhandlung, die in dieser Hinsicht die theologischen Reform- und Revisionsschriften jener Wendezeit hinter sich läßt. Sie hat, bezogen auf die Bedürfnislage ihrer Zeit, in zweifacher Hinsicht den Charakter einer epochalen Programmschrift, zum einen wegen ihrer Funktion als Alarmruf und Aufbruchsignal in jener no- 123 Einen Überblick vermittelt R oger A ubert , Die Anfänge der katholischen Bewegung in Deutschland, in: H ubert J edin (Hg.), Handbuch der Kirchengeschichte VI/ 1, Freiburg i.Br. 1971 [1985], 259-271 (= Kap. 13); ders ., Die komplexe Belebung der kirchlichen Wissenschaften, ebd. 287-307 (= Kap. 15). 124 Vgl. z.B. D onald J. D ietrich , The Goethezeit and the Metamorphosis of Catholic Theology in the Age of Idealism (European University Studies XXIII, 128). Bern 1979 (28 ff zu den Anfängen der katholischen Reformbewegung, 75 ff und 129 ff zu D reys Stellung und Leistung in ihr); O’M eara , Romantic Idealism and Roman Catholicism (wie Anm. 41); J oseph F itzer , J. S. Drey and the Search for a Catholic Philosophy of Religion, in: The Journal of Religion 63 (1983) 231-246 (zu ihm siehe auch unten bei und in Anm. 191 sowie Einleitung zu Text Nr. 6, Anm. 23), sowie die einschlägigen Passagen der Einleitung zu Text Nr. 6 und zu TüA 3 (Kurze Einleitung), bes. Kap. III. 125 Siehe S chelling , Vorlesungen über die Methode des academischen Studium (wie Anm. 16); - zu D rey und S chelling siehe auch die Hinweise oben in Anm. 41. <?page no="91"?> 59 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) torischen Epochenschwelle der Theologie, als deren Anwalt D rey auftritt, zum andern durch den positiven Aufweis der Prinzipien, die für den Neubeginn zur Anwendung kommen sollen. Im Rückblick ist zu erkennen, daß die RS mit ihren Impulsen und Optionen doch wohl überhaupt die markanteste Initialschrift für den Aufbruch der katholischen Theologie in die Moderne war. Der epochale Zuschnitt der RS wurde von den Zeitgenossen D reys noch nicht erkannt, die Zensoren in Konstanz schrieben den schrillen Alarmruf der jugendlichen Vermessenheit eines aufmüpfigen Anfängers zu und erachteten die durch die Reizwörter »Mystik«, »Mittelalter« und »Scholastik« vermeintlich angezeigte inhaltliche Richtung der Abhandlung als abwegige romantisierende Schwärmerei. Daß in der RS ein »klassischer Entwurf über die Aufgaben einer wissenschaftlichen Theologie für seine, für eine neue Zeit« 126 entstanden war, blieb ihnen verborgen. Das generative Potential dieser Programmschrift entpuppte sich zum einen im theologischen Gesamtwerk D reys und zum andern in der gewaltigsten Hervorbringung seines Schaffens, der Katholischen Tübinger Schule, deren theologische Eigenart in und mit dieser Schrift erstmals aufleuchtet. c. Die Revisionsschrift als persönliche Programmschrift War der Philosophieprofessor in Rottweil in seinem theologischen Denken und in seiner Lebensplanung kühn genug, sich selbst das vorzunehmen, was er in der RS nach außen hin als epochale Aufgabe vorstellte? Dafür sprechen folgende Gesichtspunkte: (1.) Es darf als erwiesen gelten 127 , daß er die Abhandlung gezielt im Hinblick auf seine unmittelbar bevorstehende Berufung auf den zentralen theologischen Lehrstuhl an der Friedrichsuniversität verfaßte. Zu fragen ist infolgedessen nur, ob er dabei auch schon inhaltlich an sein künftiges Schaffen in Ellwangen dachte. Für den als tunlich erachteten Qualifikationsausweis hätte es genügt, eine gelehrte theologische Behandlung eines dafür geeigneten theologischen Stoffes vorzulegen. Er gab ihr aber tatsächlich die Form einer Programmschrift (vgl. oben Ziff. II.7.b). Angesichts der persönlichen Situation, in der D rey sich - die universitäre Zukunft vor Augen - bei der Abfassung der Abhandlung befand, ist es unvorstellbar, daß er dabei nicht auch inhaltsbezogen an sein künftiges wissenschaftliches Schaffen dachte und daß er ihre Programmatik nicht auch darauf bezog. Er war zu diesem Zeitpunkt 34 Jahre alt, einem guten Alter für den Entwurf eines persönlichen Arbeitsprogramms in der besagten Situation. Daß er die RS nicht explizit als persönliche Programmschrift vorlegte, spricht nicht dagegen, daß er entschlossen war, sich für seine Person der epochalen Aufgabe zu stellen. Es wäre absurd, wenn dem nicht so gewesen wäre. − (2.) Kaum in 126 L ösch , Das Gymnasium Rottweil (wie Anm. 51) 221. 127 Vgl. dazu oben in Ziff. II.5, bes. Ziff. II.5.b. <?page no="92"?> 60 Erläuterungen Ellwangen angekommen, war D rey in der Lage, für sich selbst ein präzises literarisches Arbeitsprogramm zu Papier zu bringen, was diese Vermutung zur Gewißheit erhärtet. In einer Notiz in seinem Theologischen Tagebuch, die auf Ende 1812 zu datieren ist, hält er fest, welche Schriften aus seiner Feder »zuerst erscheinen könnten« 128 . Er hat in der Folgezeit zwar innerhalb dieses Planes Umschichtungen vorgenommen 129 , aber den Arbeitszielen ist D rey ebenso treu geblieben wie den in der RS skizzierten prinzipiellen Orientierungen. Er hat im Fortgang seines theologischen Schaffens die letzteren Schritt für Schritt so ins Werk gesetzt, daß die Abhandlung von 1812 effektiv für ihn selbst als Programmschrift anzusehen ist. d. Die Revisionsschrift als erste der Dreyschen Programmschriften Neben der RS wird in der Fachliteratur noch anderen Texten aus der Feder D reys die Qualität von Programmschriften zuerkannt, wobei deren Anzahl noch nie eingehend diskutiert oder genau festgelegt wurde. In Band 5 der von H einrich G etzeny herausgegebenen Quellensammlung Deutsche Klassiker der katholischen Theologie aus neuerer Zeit hatte G eiselmann ausgewählte Schriften zum Geist des Christentums und des Katholizismus 130 zusammenstellt, denen er den Rang theologischer Programmschriften beimaß. Darin sind nicht weniger als sechs Texte D reys aufgenommen: Die RS von 1812 (Nachdruck), Textstücke aus D reys Theologischem Tagebuch von 1812 bis 1818 (Erstdruck), die Abhandlung Vom Geist und Wesen des Katholizismus von 1819 (Nachdruck), die Vorlesung [Ideen zur] Geschichte des katholischen Dogmensystems von 1812/ 13 (Erstdruck), sowie die Abhandlungen Ueber den Satz von der alleinseligmachenden Kirche von 1822 (Nachdruck) und Der katholische Lehrsatz von der Gemeinschaft der Heiligen, aus seiner Idee und in seiner Anwendung auf verschiedene andere Lehrpuncte dargestellt, gleichfalls von 1822 (Nachdruck) (in dieser Reihenfolge). Die Kurze Einleitung von 1819 wurde von G eiselmann nicht berücksichtigt, wohl weil sie bereits in Buchform vorlag und sie deshalb - aber auch wegen ihres Umfangs - für sein Editionsprojekt nicht in Frage kam. Auch die Millenniumsschrift D reys von 1814 (siehe Text Nr. 3) sowie seine Beichtschrift von 1815 (siehe Text Nr. 4) und seine Oratio von 1819 (siehe Text Nr. 5) wurden von G eiselmann nicht in sein Konvolut von programmatischen Texten aufgenommen. Dies wohl vor allem deshalb, weil sie in lateinischer Sprache verfaßt sind. Für die Frage, welchen Schriften D reys der Charakter von Programmschriften zuzuerkennen ist, gibt es keine zwingenden Kriterien. Innovativ und 128 Theologisches Tagebuch III, 49 (TüA 1, 170 f, Text 52*). Der Wortlaut dieses Eintrags ist unten in der Einleitung zu Text Nr. 6, Anm. 78, wiedergegeben. 129 Näheres dazu: Einleitung zu TüA 2 (Praelectiones dogmaticae), 3* ff mit Anm. 1 ff (hier auch Hinweise zur Datierung) sowie Einleitung zu Text Nr. 6, Ziff. II.6 (c.). 130 Der vollständige Titel dieses Sammelbandes ist oben in Ziff. I.3.a angeführt. <?page no="93"?> 61 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) in dieser Hinsicht auch von programmatischen Absichten getragen war D rey eigentlich in allen seinen Schriften. Um aber einen inflationären Gebrauch des Programmschriftprädikats zu vermeiden, empfiehlt es sich, es auf jene Schriften einzugrenzen, die zu seinem Frühwerk gehören und in der ersten, grundlegenden Phase seines Schaffens entstanden sind, mithin zwischen 1812 und 1819. Dazu gehören neben seinen von ihm nicht veröffentlichten [Ideen zur] Geschichte des katholischen Dogmensystems von 1812/ 13 (siehe Text Nr. 2) insgesamt nur die Millenniumsschrift, die Beichtschrift mit der dazu gehörenden Oratio, die Katholizismusschrift und last but not least die Kurze Einleitung. Zur Begründung bzw. Erörterung des programmatischen Charakters dieser Schriften sei im Falle der Kurzen Einleitung auf die Einleitung zu TüA 3, 3*-222* (bes. 63*-65*) verwiesen 131 und bei den anderen auf die Einleitungen in die Texte Nr. 2 - 6 im vorliegenden Band. Die Mutter aller seiner Programmschriften aber ist die Revisionsschrift. Dies nicht nur aus chronologischer Sicht, sondern wegen ihrer grundlegenden Optionen, deren wichtigste Motive D rey danach je und je aufgriff und zum Gegenstand monographischer Behandlungen machte. In der Millenniumsschrift praktizierte er erstmals für seine Person, aber ersichtlich in programmatischer Absicht, die historisch-kritische Methode zur Klärung einer dogmengeschichtlichen Frage (dieser Methode wußte er sich bleibend verpflichtet, mit besonders nachhaltigem Erfolg praktizierte er sie in der Abhandlung Ueber die apostolischen Constitutionen, oder neue Untersuchungen über die Bestandtheile, Entstehung und Zusammensetzung, und den kirchlichen Werth dieser alten Schrift 132 ); in der Beichtschrift und in der thematisch und konzeptionell zu ihr gehörenden 131 Ergänzend M ax S eckler , Auf dem Weg zu Johann Sebastian Drey. Beobachtungen zur Geschichte seiner Wiederentdeckung und zur Neuevaluierung seiner ›Kurzen Einleitung‹ von 1819, in: ThQ 189 (2009) 1-28. - Zur Einschätzung der Katholizismusschrift als Programm der Schule siehe E dmond V ermeil , Jean-Adam Moehler et l’e ´cole catholique de Tubingue (1815-1840). E´ tude sur la the ´ologie romantique en Wurtemberg et les origines germaniques du modernisme. Paris 1913, 34-36 (die Abhandlung Vom Geist und Wesen des Katholicismus enthält V ermeil zufolge »le ve´ritable ›programme‹ de l’e´cole«, das dann in der Folgezeit von den Schülern D reys in allen wesentlichen Punkten ausgeführt worden sei); P ierre C haillet , L’Esprit du Christianisme et du Catholicisme, in: RSPhTh 26 (1937) 483-498; 713-726, 719 (D reys Abhandlung diente als »programme a` l’e´cole naissante«); B ernard M.G. R eardon , Religion in the Age of Romanticism. Cambridge 1985, 137 (sie ist »indicative for the whole drift of the Tübingen Catholic religious Philosophy for the years to come«). Zum Ganzen siehe M ax S eckler , Johann Sebastian Dreys Programmschrift ›Vom Geist und Wesen des Katholizismus‹ neu gelesen, oder: Die kultisch-liturgische Dimension in der theologischen Architektur des Christentums, in: M ichael K essler , M ax S eckler (Hg.), Theologie, Kirche, Katholizismus. Beiträge zur Programmatik der Tübinger Schule von Joseph Ratzinger, Walter Kasper und Max Seckler. Mit reprographischem Nachdruck der Programmschrift Johann Sebastian Dreys von 1819 über das Studium der Theologie (Kontakte 11). Tübingen 2003, 37-59. - Zu D rey als Lehrer M öhlers siehe S eckler , Auf dem Weg zu Johann Sebastian Drey (wie oben) 21 (mit Anm. 48 zu G odet ) und 26-28. 132 In: ThQ 11 (1829) 397-477, 609-723; stark erweiterte Fassung separat u.d.T. Neue Untersuchungen über die Constitutionen und Kanones der Apostel. Ein historisch-kritischer Beitrag zur Literatur der Kirchengeschichte und des Kirchenrechts. Tübingen 1832. <?page no="94"?> 62 Erläuterungen Oratio nahm er die Frage nach der Entwicklung der Ohrenbeichte exemplarisch zum Probierstein für jenes Verhältnis von Dogma und Geschichte im organischen Wachstum des Glaubens und Lebens der Kirche, für das er in der Revisionsschrift optiert hatte, und entwickelte ineins damit die Grundsätze für diese Problemsicht überhaupt; die Katholizismusschrift ist darauf abgestellt, den Geist und das Wesen des Katholizismus im Blick auf die Lebensprinzipien des Christentums unter den Bedingungen der Geschichte strukturell zu rekonstruieren, wie es ihm in der Revisionsschrift vor Augen geschwebt hatte; in der Kurzen Einleitung legte er schließlich die Wissenschaftstheorie zu dem Theologieverständnis vor, das er 1812 zu entfalten begonnen hatte. Die tragende und bleibende Bedeutung der Visionen, aus denen er die Revisionsschrift verfaßt hatte, ließe sich aber mehr oder weniger deutlich im ganzem Werk D reys nachweisen 133 . In diesen Zusammenhängen ist der Blick schließlich auch noch auf die Theologische Quartalschrift (ThQ) zu richten. Auf der einen Seite hat D rey die Katholizismusschrift, die genetisch, literarisch und inhaltlich eine besondere Nähe zur (fragmentarischen) Revisionsschrift aufweist (vgl. oben Ziff. II.2.d und Einleitung zu Text Nr. 6, Ziff. II.7), in einer Weise an den Anfang der 1819 neu ins Leben gerufenen ThQ gestellt - als erste Abhandlung der ThQ überhaupt -, daß alle Welt erkennen konnte, daß sie als Programmschrift für diese Zeitschrift aufzufassen sei. D rey hat auf diese Weise der ThQ als dem Organ der Katholischen Tübinger Schule inhaltlich die Richtung gewiesen. Vor allem mit ihr ist er zum Lehrer seiner Schule geworden (vgl. Anm. 131). So kam die Revisionsschrift via Katholizismusschrift in der ThQ inhaltlich zur Geltung. Zum andern läßt aber auch der Charakter der ThQ, ihr Geist und ihr wissenschaftlich-publizistisches Ethos, auf die RS zurückblicken. Diese hatte neben ihren inhaltlichen Optionen ja doch zugleich auch den Sinn und Geist eines Aufbruchsignals für einen neuen Weg und eine neue Form der Theologie. Von diesem Geist ist die ThQ vor allem im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens zutiefst geprägt gewesen, zum Ärger ihrer, wie man sagte, »strengkatholischen« Kritiker, und zur Bewunderung in der übrigen Wissenschaftswelt. Die Begründer und die erste Herausgebergeneration der ThQ haben, mit D rey als treibender und lenkender Kraft, diese programmatische Ausrichtung in ihrer auf den 7. Juli 1818 datierten Ankündigung der ThQ 134 in aller Klarheit mitgeteilt und in ihre publizistischen Richtlinien eingebracht. Diesen 133 Vgl. dazu L ösch , Das Gymnasium Rottweil (wie Anm. 51) 222. L ösch zufolge sind die »Kerngedanken« der Revisionsschrift in allen Schriften D reys virulent; selbst »die Hauptgedanken« der Apologetik, deren drei Bände zwischen 1838 und 1847 erschienen sind, seien schon in der Revisionsschrift zu erkennen. Vgl. dazu in der Einleitung zu TüA 2 (Praelectiones dogmaticae), 16*, Anm. 37. 134 Veröffentlicht in ThQ 1 (1819) 3-5, mit Nachtrag ebd. 6-7. Diese Texte sind im vorliegenden Band in Text Nr. 7 (Dokumente Nr. 1 und Nr. 2) wiedergegeben und erläutert. <?page no="95"?> 63 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) Geist hatte D rey in der RS intoniert. Er ist dort vor allem atmosphärisch zugegen, in der Ankündigung von 1818 erlangte er seine ausformulierte Umsetzung in Form von Grundsätzen und Zielangaben. Wie aus den unten in Text Nr. 7 zusammengestellten Dokumenten nebst beigefügten Erläuterungen hervorgeht, war D rey dafür der »führende Kopf« 135 . Aus diesen Gründen ist es angebracht, der RS auch im Hinblick auf die ThQ eine gewichtige programmatische Bedeutung beizumessen. 8. Zur Rezeptionsgeschichte der Revisionsschrift a. Ihr »Schicksal« im 19. Jahrhundert Die Verwendung des Schicksalsbegriffs in der Überschrift dieses Paragraphen bedarf einer Begründung. Mit ihm wird ein Terminus aufgegriffen, der zur Zeit D reys ohne pathetischen Beigeschmack in theologiegeschichtlichen Darstellungen die neutrale Behandlung des Verlaufs von Entwicklungen anzeigt 136 . Nicht selten war das Moment des Verhängnisvollen konnotiert. In den Schriften D reys kommt dieser Begriff immer wieder vor, so auch in der RS, wo er zwischen den beiden Bedeutungen changiert. Er bietet sich in diesem Sinn zur Kennzeichnung der Rezeptionsgeschichte der RS besonders deshalb an, weil sie unter einem Unstern stand. Dies nicht nur, weil sie das Schicksal der anderen frühen Schriften D reys teilte, die wegen ihres innovativen Geistes anhaltend angefeindet wurden, sondern weil zumal der RS eine besonders schwere Hypothek in die Wiege gelegt war, die für lange Zeit ihre Beurteilung prädeterminierte. α . Der Auftakt im Konstanzer Pastoralarchiv (Wessenberg, Mets, Burg) Bei den Erörterungen zum Fragmentcharakter der RS hat sich gezeigt, daß der Druck dieser Schrift infolge der Kritik, die sie in Konstanz fand, abgebrochen wurde (siehe oben in Ziff. II.2.c). Da diese Kritik, soweit sie an die Öffentlichkeit dringen sollte, im Pastoralarchiv dokumentiert ist, gehören diese Vorgänge zur Rezeptionsgeschichte der RS und bilden ihren Auftakt. Sie war ungewöhnlich vielschichtig. Das gilt sowohl im Hinblick auf die an ihr beteiligten Personen mit ihren unterschiedlichen Funktionen und Stellungen als auch für ihre Formen und Inhalte, nicht zuletzt aber auch wegen der Aufmachung und Anordnung der Texte im Pastoralarchiv. Die Kritik erfolgte 135 Zu diesem Begriff siehe in diesem Zusammenhang L ösch , Die Anfänge (wie Anm. 6), bes. 18 und 30, sowie die Erläuterungen in der Einleitung zu Text Nr. 7. 136 Vgl. dazu z.B. im vorliegenden Band die Hinweise auf H egel , Der Geist des Christentums und sein Schicksal (1798/ 1800) in der Einleitung zur Katholizismusschrift, Ziff. II.1, Anm. 3, sowie auf H efele , Ueber die Schicksale der Kirche seit dem Tridentinum (ThQ 28 (1846) 3-54) in Anm. 159 der Einleitung zur RS, und M ünch , Vollständige Sammlung aller ältern und neuern Konkordate, nebst einer Geschichte ihres Entstehens und ihrer Schicksale (2 Bde., Leipzig 1830-1831) in den Erläuterungen zum Konkordatsaufsatz, Ziff. II.4. Zu D rey vgl. KE §§ 178, 180 u.ö. <?page no="96"?> 64 Erläuterungen (1.) mit offenem Visier und unter expliziter Bezugnahme auf die RS durch W essenberg , M ets und B urg im selben Heft des Pastoralarchivs (d.h. im Januarheft des Jahrgangs 1812), in dem der Text D reys das Licht der Welt erblickte. Ihr vorangegangen waren indessen (2.) verdeckte Stellungnahmen zur RS in Gestalt zweier Artikel aus der Feder W essenbergs und B urgs (im letzten Heft des Jahrgangs 1811). In ihnen ist die RS nicht ausdrücklich genannt, ihre Zugehörigkeit zum Komplex der Kritiken ist erst bei genauerem Zusehen zu erkennen. (1.) Offene Kritik im Januarheft 1812 (Wessenberg, Mets, Burg) Die Kritik erfolgte hier zum einen in Gestalt einer Fußnote, die von seiten der Redaktion (d.h. W essenbergs ) auf der zweiten Druckseite der Abhandlung D reys angebracht wurde, sodann in zwei dem Text D reys angefügten Artikeln, für die mit J oseph M ets und J oseph V itus B urg zwei Mitarbeiter W essenbergs unter Angabe ihrer Amtstitel als Verfasser zeichneten. Was hier zunächst auffällt, ist die Verteilung der Kritik auf drei Personen sowie ihre Aufspaltung in zwei literarische Genera: Auf der einen Seite der Herausgeber / Schriftleiter, der das Pastoralarchiv repräsentiert, seine kritische Stellungnahme aber nur in Form einer Fußnote abgibt, in der er mitteilt, er halte den Artikel D reys für kritikwürdig und wolle ihm aus Achtung vor der Wahrheit »ein paar kritische Aufsätze« (d.h. die Artikel von M ets und B urg ) beifügen. Wie diese Aufsätze zustandekamen, gibt er nicht an. Dann am Ende der RS die beiden als eigenständige literarische Beiträge aufgemachten Artikel von M ets und B urg , die sich als Mitglieder der geistlichen Regierung in Szene setzen. Die Aufspaltung der Kritik wirft Fragen auf. Warum hat W essenberg die eigentliche Kritik den Mitarbeitern überlassen? Ging es ihm vielleicht schlicht um Arbeitsentlastung? Wollte er sich nicht selbst in das Hick-Hack der Einzelbeanstandungen begeben? Wollte er der Kritik eine breitere Basis verleihen? Wollte er aus Rücksicht auf D rey oder auf dessen Förderer in Stuttgart (und/ oder anderswo? ) sich persönlich nicht allzu stark exponieren? Keine dieser Fragen ist aus der Luft gegriffen, für jede der darin angesprochenen Möglichkeiten ließen sich unter Berücksichtigung anderer Quellen wohl Argumente finden, die aber vom Kern der Fragestellung wegführen würden. Bei einer genaueren Analyse der im Pastoralarchiv veröffentlichten Schriftstücke wird sich herausstellen, wo der Hase im Pfeffer liegt. Es wird sich zeigen, daß es Kräfte gab, die auf eine Kritik der RS drängten und W essenberg dafür einspannten. Es ging dabei konkret um ein Alternativprogramm zur RS, dem entgegenzutreten D rey kühn genug war. Diese Konstellationen verdienen auch deshalb näher betrachtet zu werden, weil sie über die Vorgänge in Konstanz hinausweisen auf die geistesgeschichtliche Situation, in der die Anfänge der Rezeptionsgeschichte der RS zu verorten sind. <?page no="97"?> 65 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) Daß D rey mit der RS sich in ein Wespennest setzte und daß er aufs Ganze gehen wollte, wird erkennbar, wenn man sich ansieht, wie er sein Manuskript einreichte. Dafür ist die »Vorerinnerung« aufschlußreich, mit der er sein Manuskript versah. Er vermerkt in ihr, er übergebe seine Abhandlung der Redaktion des Pastoralarchivs, »damit diese, wenn sie meiner Ueberzeugung [! ] ist, sie darinn aufnehmen möge« (4). Normalerweise gehört eine solche Bemerkung in den Begleitbrief. D rey hat sie aber in die Präambel seiner Programmschrift aufgenommen und sie damit zum Bestandteil der RS gemacht. Er siedelte seine konditionierte Erwartung auf der Überzeugungsebene an. Und anstatt abzuwarten, ob die Abhandlung entweder wegen ihres Inhalts abgelehnt oder trotz ihres Inhalts akzeptiert, also toleriert werde, wollte er mehr: Die Aufnahme seiner Abhandlung in das Pastoralarchiv sollte Ausdruck einer gemeinsamen Überzeugung zwischen ihm und der Redaktion in puncto Revisionsbedarf und Revisionsprojekt sein. Handelte es sich um einen Schachzug, mit dem D rey das Pastoralarchiv (oder jedenfalls dessen Herausgeber und Schriftleiter) für sein kühnes Vorhaben auf seine Seite ziehen und eventuelle Widersacher matt setzen wollte? Dafür spricht, daß mit der Aufnahme seiner Abhandlung in das offizielle Publikationsorgan W essenbergs für jeden Leser, der die Präambelbemerkung zur Kenntnis nehmen würde, diese Überzeugungsübereinstimmung ipso facto öffentlich dokumentiert wäre. Um eine strategische Finesse handelte es sich wohl schon, aber damit ist keineswegs ausgeschlossen, daß D rey der Redaktion diese Übereinstimmung ehrlich unterstellte. Dafür, daß er dem Konstanzer Generalvikar aufrichtig zugetan war und daß er dessen Reformwerk gänzlich bejahte, gibt es viele externe Belege. Doch die Rechnung D reys ging nicht auf. Daß die Präambelbemerkung in Konstanz als Provokation aufgefaßt wurde, geht aus dem Wortlaut der Fußnote W essenbergs hervor. Anknüpfend an die Formulierung D reys teilt »die Redaktion« hier mit, sie sei »in vielen Stücken dieser Ueberzeugung nicht« und wolle deshalb dem Aufsatz D reys »ein paar kritische Aufsätze mit berichtigenden Anmerkungen« beifügen (4, Fußnote). Genau betrachtet geht es in der Fußnote nicht um eine Distanzierung im ganzen, sondern um »Stücke« in ihr und um »ein paar« darauf bezogene »Aufsätze« mit »Anmerkungen«. Es ist zu erkennen, daß die Einstellung W essenbergs zu dem Artikel D reys bei weitem nicht so negativ ist wie die von M ets und B urg , die D rey nicht nur »in vielen Stücken« nach Kräften am Zeug flicken, sondern seine Ausführungen in der Quintessenz für total verfehlt halten. Letzteres vor allem bei B urg . Man beginnt zu ahnen, daß es bei der Drucklegung der RS in Konstanz mit M ets und B urg Kräfte gab, die auf W essenberg Druck ausübten. Und wenn D rey mit seinem beim Pastoralarchiv eingereichten Artikel jemandem den Fehdehandschuh hinwerfen wollte, wie L auchert erkannte 137 , so 137 F riedrich L auchert , Franz Anton Staudenmaier (1800-1856) in seinem Leben und Wirken dargestellt. Freiburg i.Br. 1901, 34. <?page no="98"?> 66 Erläuterungen gewiß nicht W essenberg , sondern den »Freunden und Mitarbeitern des Archivs« (L auchert ), und in erster Linie B urg . Dieser scheint der Motor hinter W essenberg gewesen zu sein. Dazu weiter unten mehr. Zuvor ein Blick auf die der RS angehängten kritischen Aufsätze von M ets und B urg . Sie sind unter der gemeinsamen Überschrift »Bemerkungen über den durch Hrn. Professor Drey zu Rotweil eingesendeten Aufsatz« (27) untergebracht (27-44). Es sind zwei rezensionsartige Kritiken, die einem völligen Verriß gleichkommen. Der erste, nur mit dem Buchstaben A überschriebene Beitrag umfaßt elf Seiten (27-37), als Autor zeichnet am Ende »Jos. Mets, Bischöfl. Geistl. Regierungsrath« 138 , der zweite, unter B laufende Beitrag zählt sechseinhalb Seiten (38-44) und endet mit der Verfasserangabe »Burg, geistl. Regierungsrath und Commissär« 139 . Von Amtspersonen vorge- 138 J oseph ( von ) M ets , * 9.3.1758 in Ebenhofen bei Marktoberdorf, † 4.1.1819 in Ulm, 1780-1784 Studium der Philosophie und Theologie am Lyzeum St. Salvator in Augsburg, 1784-1786 Priesterseminar in Pfaffenhausen, 1786 Priesterweihe in Augsburg. Aus der Augsburger Zeit mit S ailer bekannt, vermittelte ihm dieser 1786 die Hofmeisterstelle bei der Familie S chenk von S tauffenberg in Dillingen, wo er bis 1789 auch den Vorlesungen S ailers beiwohnte. 1789-1797 zusammen mit seinen Zöglingen Studienaufenthalte in Straßburg, Mainz und Würzburg. 1797-1802 Seelsorgetätigkeit in der Pfarrei Freihalden bei Günzburg und Schloßkaplan im nahegelegenen Eberstall, seit 1801 mit dem Titel Geistlicher Rat. Über die Familie S chenk von S tauffenberg mit dem Konstanzer Bischof T heodor von D alberg bekannt geworden, bewog dieser ihn, eine Pfarrei in seinem Bistum zu übernehmen. Im Juli 1802 übernahm M ets die Pfarrei Rißtissen bei Ehingen/ Donau, 1803 Dekan ebd. Seit 1803 dienstliche Korrespondenz mit W essenberg (auch kirchen- und personalpolitisch, z.B. Empfehlungen für F riedrich D ossenberger und I gnaz J aumann , die später Domkapitulare in Rottenburg wurden), 1810 zum Geistlichen Rat im Konstanzer Generalvikariat berufen, gehörte er bis 1812 zu den engsten Mitarbeitern W essenbergs . Nach Errichtung des Generalvikariats sowie der Friedrichsuniversität in Ellwangen gehörte M ets 1812-1817 als Erster Generalvikariatsrat in Ellwangen zu den wichtigsten Amtsträgern in der Vorgeschichte der Diözese Rottenburg. Der gemäßigten katholischen Aufklärung (W essenberg ) verbunden, spielte M ets als versierter kirchlicher Verwaltungsmann eine maßgebliche Rolle in den Geschäften des Ellwanger Generalvikariats. Zusammen mit P eter A lois G ratz , K arl W ach ter , A nton N ikolaus H uberich und J ohann S ebastian D rey bildete er am Ort der Friedrichsuniversität den als »Abendgesellschaft« bezeichneten, progressiv orientierten Akademikerkreis, der als wichtigste Keimzelle der Katholischen Tübinger Schule anzusehen ist (siehe Ziff. II.6.c. γ ). 1816 Ehrenpromotion zum Dr. theol. (siehe ebd. δ ). Nach seinem Rückzug auf die Pfarrei Rißtissen (1817) verfaßte er seine zeitgeschichtlich instruktive Autobiographie (siehe Anm. 10 und Anm. 100). - Lit.: M ets , Autobiographie (wie Anm. 10); Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 10); A ugust H agen , Staat, Bischof und geistliche Erziehung in der Diözese Rottenburg (1812-1934). Rottenburg a.N. 1939; J osef R ief , M ax S eckler , Zum Weg der Theologischen Quartalschrift, in: ThQ 150 (1970) 28-33; N orbert W olff , Zwei Studenten des ehemaligen Klosters Benediktbeuern als Reformer im katholischen Württemberg: Benedikt Maria v. Werkmeister (1745-1823) und Joseph v. Mets (1758-1819). München 1998; BBKL 16 (1999) 1062-1065 (N orbert W olff ). 139 J oseph V itus B urg (Taufname J oseph A nton ), * 27.8.1768 in Offenburg, † 22.5.1833 in Mainz, 1787 Aufnahme in das Kloster der Franziskaner-Konventualen in Speier, 1788 Studium der Philosophie in Regensburg und der Theologie in Würzburg, 1791 Priesterweihe in Straßburg, anschließend Prof. am Gymnasium der Franziskaner in Überlingen. 1799 Pfarrer in Pfaffenhofen (Owingen), danach Kaplan der Deutschordenskommende auf der Insel Mainau und Mitarbeiter der Konstanzer bischöflichen Kanzlei; 1802 Pfarrer und Dekan in Herth bei Basel, seither Freundschaft mit W essenberg ; 1809 Pfarrer von Kappel am Rhein, bi- <?page no="99"?> 67 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) brachte Kritiken also. Bei M ets wird deutlich, daß es sich um eine Auftragsarbeit handelt, während B urg in-sich-ständiger argumentiert 140 . Während der 22 Punkte umfassende Artikel von M ets eine minutiöse Auflistung der Kritikpunkte anstrebt und schulmeisterlich eifrig Korrekturen an der Form und am Inhalt der RS vorbringt, ohne damit ganz fertig zu werden, ist B urgs Kritik konzentrierter, klarsichtiger und wuchtiger, und sie ist im Tonfall mitunter pikiert ironisch 141 . Der gereizte Ton und die polemische Machart der beiden Rezensionen lassen erkennen, daß die Zensoren in Konstanz vom Inhalt der RS alarmiert und über ihren Stil verärgert waren. Man tadelt den »besondere[n] Geist« der RS und die ihr »eigene Tendenz« (M ets 27). Sie sei »in hohem Grad anmaßend, absprechend, imponierend durch blendende Formen« (ebd.). Inhaltlich zurückgewiesen wird D reys Darstellung der »Schicksale« der Theologie seit ihrer mittelalterlichen Hochzeit, seine Diagnosen zum Verlauf der Theologiegeschichte und zum »gegenwärtigen Zustand der Theologie« sowie die von ihm empfohlenen Mittel zur Heilung der »Gebrechen«. Die entschiedene Abweisung der inhaltlichen Hauptpunkte ist reichlich garniert mit einer Vielzahl von »berichtigenden Anmerkungen« zum Text D reys , die teils berechschöflicher Kommissär und Vikar der im Großherzogtum Baden liegenden 96 rechtsrheinischen Pfarreien des Bistums Straßburg, die er in das Bistum Konstanz überführen sollte; 1810 landesherrlicher (badischer) Dekan und Schulinspektor sowie päpstlicher Subdelegierter für die Ausstattung des neuen Erzbistums Freiburg i.Br., 1812 Promotion zum Dr.theol. h.c. in Freiburg, 1817 Mitglied der Frankfurter Konferenzen. B urg fungierte als Vertrauensmann W essenbergs auf dessen Romreise 1817/ 18. 1823 wurde B urg Mitglied der Katholischen Kirchensektion im badischen Ministerium des Inneren, 1827-1829 war er Domdekan in Freiburg, 1828-1829 Weihbischof ebd., 1830-1833 Bischof von Mainz. - Der gemäßigten katholischen Aufklärung (W essenberg ) zugeneigt, war B urg als Fachmann für Staatskirchenrecht maßgeblich an den Vorbereitungen zur Errichtung der oberrheinischen Kirchenprovinz und an der Abfassung der Verordnungen zur Wahrung des landesherrlichen Schutz- und Aufsichtsrechts über die katholische Kirche beteiligt, wobei er trotz seiner landeskirchlichen Neigungen die päpstliche Position unterstützte. Seine Amtszeit als Bischof von Mainz war überschattet von heftigen Kontroversen mit dem theologisch konservativen und ultramontanen Mainzer Kreis. - In einem Brief vom 1.9.1822 an J ohann H einrich D avid H ennenhofer bekundet B urg seine Freude darüber, daß der König von Württemberg D rey zum Bischof von Rottenburg designiert habe (vgl. dazu H ermann B aier , Zum Charakterbilde Joseph Vitus Burgs, in: ZGO N.F. 40 [79] (1927) 591-630, 592). Weitere Lit.: ADB 3 (1876) 590 (F riedrich von W eech ); A lexander S chnütgen , J. V. Burg, in: H erman H aupt (Hg.), Hessische Biographien 2. Darmstadt 1927, 1 ff; LThK 1 2 (1931) 642; NDB 3 (1957) 43 (A nton P h . B rück ); H ubert W olf , Staatsbeamter und katholischer Bischof - Joseph Vitus Burg (1768-1833) aus Offenburg zwischen Historiographie und Ideologie, in: FDA 116 (1996) 41-59; C hristoph S chmider , Versierter Jurist, wendiger Politiker. Weihbischof Joseph Vitus Burg (1768-1833), in: Konradsblatt Nr. 2 vom 13.01.2002. 140 Diese Kritiken sind auf den im Pastoralarchiv gedruckten Teil der RS, dem sie angefügt sind, abgestellt. Das kann bedeuten, daß M ets und B urg den nicht zum Druck gelangten Hauptteil der RS nicht kannten; sie haben sich jedenfalls inhaltlich nicht darauf bezogen. 141 »Die Abhandlung des H. Professors Drey ... macht allerdings dem Herzen ihres Verfassers Ehre, denn sie ist ein deutlicher Beweis seiner religiösen Gesinnung, wenn gleichwohl seine ganz eigene philosophische und theologische Ansicht einseitig und nicht gründlich ist« (B urg 38). <?page no="100"?> 68 Erläuterungen tigt, teils oberflächlich oder auf Mißverständnissen beruhend, weithin aber eher das Produkt eines besserwisserischen Widerlegungseifers sind. Überzeugt von der Evidenz seiner Vision, waren D rey tatsächlich stilisierende Vereinfachungen mit nicht hinlänglich umsichtig explizierten Optionen unterlaufen. Der Umstand, daß D rey seinen Ausführungen ein überhöhtes Maß an diskursiver Stringenz beizumessen schien, wurmte die Kritiker zusätzlich. Der jugendliche Philosophieprofessor in Rottweil, der offenbar meinte, das Pulver erfunden zu haben, wird schulmeisterlich zurechtgewiesen, aber das große Anliegen der RS - die Neubegründung der theologischen Wissenschaft aus dem Geist der Mystik und letztlich aus der Unmittelbarkeit der religiösen Erfahrung und die organische Sicht des Christentums als je und je gegenwärtige Lebens- und Wahrheitsmacht, was bei D rey zu einer Neubestimmung des Verhältnisses der gelebten Gegenwart in Christentum und Kirche und zu einer Fundamentalkritik des Schriftprinzips führte - wird nicht oder nur oberflächenkritisch in den Blick genommen. Man bewegt sich an der Peripherie von Mißverständnissen, verhakt sich an von D rey positiv besetzten Reizwörtern wie »Mystik«, »Mittelalter« und »Scholastik« und verwahrt sich gegen die scheinbar verderbenbringenden Ziele der RS, mit denen die Errungenschaften der Aufklärung verloren gehen und »die Finsternisse der rohesten Zeiten des Mittelalters zurücke kehren« würden (B urg 43). Die aufgeklärte Obrigkeit bekundet ihre Sorgen und schreitet ein. (2.) Verdeckte Stellungnahmen im Dezemberheft 1811 (Wessenberg, Burg) Mit den offenen Kritiken an der Abhandlung D reys im Januarheft 1812 ist die »Rezeptionsgeschichte« der RS im Pastoralarchiv nicht erschöpfend wiedergegeben. W essenberg und B urg , die beiden Hauptfiguren, hatten sich nämlich wie gesagt bereits zuvor mit der RS befaßt, in einem verdeckten Vorspiel sozusagen. Bezüglich der Rolle, die W essenberg als Herausgeber und alleiniger Schriftleiter in der Kritik an der RS und speziell mit seinem Artikel im Dezember 1811 spielte, besteht die Gefahr, von irrigen Voraussetzungen auszugehen und einem allerdings gängigen Fehlurteil zu erliegen. W essen berg war zwar vorwiegend ein Mann der Tat, ein politischer Kopf und ein auf praktische Reformen bedachter Generalvikar, der von abstrakter Theologie nicht viel hielt und dem die mystischen Umtriebe, die von Bayern und dem Allgäu und auch von der Schweiz herüberkamen, ebenso wie jede andere Art von Schwärmerei zuwider waren. Man hat daraus geschlossen, daß er für Mystik überhaupt nichts übrig hatte und daß es für ihn nur konsequent gewesen sein mußte, der Abhandlung D reys , die B urg als Ausgeburt des Mystizismus hinstellte, von sich aus entgegenzutreten. Auf dieser Linie bewegte sich ja auch W erkmeister , von dem noch die Rede sein wird. Doch diese Annahme hat ein falsches Bild von W essenberg zur Voraussetzung, ein <?page no="101"?> 69 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) Wessenbergbild, das zu korrigieren die neuere Forschung unternommen und vorangetrieben hat 142 . In ihr kommen die Züge des vielseitig gebildeten, überaus kunstsinnigen und von mystischer Spiritualität durchdrungenen Edelmanns zu ihrem Recht, desgleichen dessen im Grunde friedfertiger, auf ausgleichende Gerechtigkeit und gemessene Urteile bedachter Charakter. Das Wissen um die spirituelle Dimension in der Religiosität W essenbergs wurde jüngst durch die oben in Anm. 5 angeführte Untersuchung von M ichael B angert substantiell bereichert. Demnach maß W essenberg der Mystik an und für sich (und auch der Theologie, sofern sie sich nicht in scholastischen Spitzfindigkeiten erging, und der mystischen Tiefe des Religiösen und Theologischen) einen sehr hohen Stellenwert bei, theoretisch und literarisch sowohl als auch in seiner persönlichen Religiosität, mit F e´nelon als dem Leitstern und S ailer als Gesinnungsfreund und Lehrer. Er hatte während seiner Studienzeit in Dillingen in dieser Hinsicht von S ailer die entscheidende Prägung erhalten, wie er selbst bekennt. Eine grundsätzliche Gegnerschaft W essenbergs zu dem von D rey in die RS eingebrachten mystischen Ansatz ist von daher auszuschließen, und D rey seinerseits konnte durchaus davon ausgehen, daß er mit der Redaktion des Pastoralarchivs das Heu auf der selben Bühne habe. Anders dagegen B urg , der politische Schulmann und aufgeklärte Praktiker. Er legte in seiner Kritik zwar ein Lippenbekenntnis zum Recht der echten Mystik ab, wie er sie, zurückgestutzt auf seine Begriffe, für zulässig halten mochte, aber er erblickte in der Abhandlung D reys nicht den Geist der Mystik, sondern den gärenden Ungeist eines verderblichen Mystizismus. Und indem er die Abhandlung D reys begrifflich dem Mystizismus zuschlug, konnte er in seinem Aufsatz die Mystik im Sinne W essenbergs wenigstens verbal gelten lassen. M ets und B urg hatten in ihren beiden Artikeln nicht offen zu erkennen gegeben, welches Ziel sie letztlich damit verfolgten. Daß B urg die RS aus dem Feld zu schlagen suchte, um für ein konkurrierendes Projekt Raum zu schaffen, ist in seinen Artikeln verhüllt. Es tritt erst zutage, wenn man das Blickfeld über die bisher angeführten Befunde hinaus ausweitet. Man stößt dann auf eben die beiden Artikel, die im Pastoralarchiv kommentarlos in dem Heft abgedruckt sind, das dem Heft mit dem Text D reys unmittelbar vorausgeht. Der erste stammt von W essenberg , der zweite von B urg . Beide haben den Mystizismus zum Thema 143 - gerade jenen Mystizismus, aus dem die 142 Zum Gang und Stand der Wessenbergforschung siehe den Bericht bei B angert , Bild und Glaube (wie Anm. 5) 53-83 sowie die oben in Anm. 5 angeführte Literatur und die Quelleneditionen von K urt A land und W olfgang M üller in Anm. 8. 143 Die Artikelfolge im Überblick: 1. Pastoralarchiv 10 (1811) 401-409 (Dezemberheft): Ueber Mystizismus (W essenberg ). 2. Ebd. 410-427: Kann Mystizismus die Religiosität in unserm Zeitalter retten? (B urg , mit dem Zusatz: »Vorgetragen in der Pastoralkonferenz den 18. Juni 1811 zu Kappel am Rhein im Landkapitel Lahr«). <?page no="102"?> 70 Erläuterungen Abhandlung D reys als Mißgeburt hervorgegangen sein soll, wie B urg dann in seinem der RS angehängten Artikel aufzuweisen unternehmen wird. Daß B urg in seinem der RS unmittelbar vorangestellten Vortragstext sein eigenes Reformprogramm vorstellte (und es redaktionell der RS voranstellen ließ), zeigt sich erst bei genauerem Zusehen im Inhalt dieses Textes. Durch die Anordnung seiner beiden Artikel im Pastoralarchiv - des Vortragstextes B urgs unmittelbar vor der RS, des kritischen Verrisses unmittelbar nach ihr -, wird die RS von B urg in die Zange genommen. Kann es ein Zufall sein, daß im Pastoralarchiv die beiden Artikel von W essenberg und B urg unmittelbar vor der RS plaziert wurden? Es wäre ein hübscher, aber ungemein einschlägiger Zufall. Solche Zufälle mag es geben, aber im vorliegenden Fall sprechen nicht nur die Rollenverteilungen dagegen, sondern auch terminologische und inhaltliche Beziehungen. B urg eröffnet seinen Beitrag leitmotivisch unter Verwendung der Termini »Gebrechen« und »Zeitalter«, genau so also wie D rey in der RS. Auch der Artikel W essenbergs ist darauf zentriert. Dessen Beitrag ist freilich, wie er einleitend hervorhebt, darauf angelegt, für »Unbefangene« (! ) den Unterschied zwischen dem Wesen der Mystik und ihren Ausartungen im Mystizismus herauszuarbeiten. Es gibt keine Anzeichen dafür, daß er die RS zu den letzteren gezählt sehen will. Eher scheint er eine Hermeneutik der Begriffe im Sinn gehabt zu haben, um angesichts des Mystizismusartikels B urgs , den er vorliegen hatte und dem er seinen eigenen Mystizismusartikel voranstellte, für die grundsätzliche Akzeptanz der Abhandlung D reys Raum zu schaffen. Seine im Grundsätzlichen positive Einstellung zur Gedankenwelt D reys in Sachen Mystik wird er später zu erkennen geben (siehe in β ). In dem Text B urgs geht es dagegen - in Übereinstimmung mit dem freilich recht verhalten formulierten Titel seines Artikels - um die (rhetorische) Frage, ob der Mystizismus die Religiosität »in unserm Zeitalter« retten könne. Diese höhnische Formulierung ist zweifellos auf die RS gemünzt. In seiner der RS angehängten Kritik wird er diese Schrift rundweg dem Mystizismus zuordnen und deren Vorschläge zur Heilung der Gebrechen entsprechend disqualifizieren. Das Mystizismusetikett fungiert hier als selbstläuferischer Totschläger. In der Sache selbst geht es um die Therapie der Gebrechen und um die richtige Therapie. Während D rey eine Revision der Theologie für nötig hält, liegt für B urg die Abhilfe in einer Reform des Bildungswesens und der Kirchendisziplin. Beide, B urg und D rey , stehen somit für Programme, die sich auf Grund ihres Ansatzes und ihrer konzeptionellen 3. Pastoralarchiv 11 (1812) 4 (Januarheft): Fußnote »A. d. R.« (W essenberg ). 4. Ebd. 27-37: Bemerkungen über den durch Hrn. Professor Drey zu Rotweil eingesendeten Aufsatz. A. (M ets ). 5. Ebd. 38-44: Bemerkungen über den durch Hrn. Professor Drey zu Rotweil eingesendeten Aufsatz. B. (B urg ). Die Nummern 1 und 2 betreffen das verdeckte »Vorspiel«, 3 bis 5 die offene Kritik. <?page no="103"?> 71 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) Gewichtung in die Quere kommen: B urg wollte die Revisionsideen D reys aus dem Weg räumen. Ein Problem liegt in der Chronologie der Veröffentlichungen. Der im Pastoralarchiv der Abhandlung D reys vorangestellte Artikel ist als Text eines Konferenzvortrags ausgewiesen, den B urg am 18. Juni 1811 in Kappel gehalten hat, mithin rund ein halbes Jahr, bevor die Abhandlung D reys im Pastoralarchiv abgedruckt wurde. Mit dem Artikel B urgs endete der Jahrgang 1811 des Pastoralarchivs, mit dem D reys begann der Jahrgang 1812. Konnte B urg das Manuskript D reys schon im Juni 1811 gekannt und, davon angestoßen, seinen Vortrag daraufhin konzipiert haben? Das würde bedeuten, daß das Manuskript D reys in Konstanz schon ein halbes Jahr vor dem Druck vorlag, sodaß B urg mit seinem Vortrag darauf reagieren konnte. Dafür spricht, daß die topologischen Übereinstimmungen, die zwischen dem Vortragstext und der RS unabweisbar bestehen, anders kaum erklärbar sind. Die andere Möglichkeit, daß D rey vom Vortrag B urgs Kenntnis hatte und diesem mit seinen Revisionsideen entgegentreten wollte, ist weniger wahrscheinlich. Sicher ist jedenfalls, daß es in den Artikeln um Alternativprogramme geht. β . Interpretatives Nachspiel (Werkmeister, Wessenberg) Zu der im Pastoralarchiv inaugurierten Rezeptionsgeschichte der RS gab es außerhalb des Pastoralarchivs, aber in direktem Zusammenhang mit den im Vorausgehenden besprochenen Artikeln, eine Fortsetzung. Sie wirft im Nachhinein ein klärendes Licht auf die Rollenverteilung in Konstanz und kennzeichnet zudem die Situation, in die D rey sich nun versetzt sah. Die handelnden Personen waren der Dienstvorgesetzte B enedikt M aria W erkmeister , und W essenberg . W erkmeister , der prominente und mächtige Wortführer der katholischen Aufklärung in Stuttgart, ging 1815 in einer Broschüre mit dem »neuesten Mysticismus« und den »neuen Mystikern«, denen Einhalt zu gebieten sei, ins Gericht 144 . Der Hauptstoß richtete sich gegen die »mystische Rezensentenbruderschaft« der Felderschen Literaturzeitung 145 , aber auch D rey , eigentlich W erkmeisters Schützling, wird ins Visier genommen. W erkmeister bedauert, daß »im ersten Heft des besagten Pastoralarchivs, Jahrgang 1812, ein ganz verunglückter Aufsatz des sonst sehr geschätzten Professors Drey in Rotweil (jetzt in Ellwangen)« vorkomme, »worin er behauptet, die Mystik habe im Mittelalter der Menschheit und dem Christenthume die herrlichsten Dienste geleistet, und man solle sich ihr wieder, um der Religion und der Tugend aufzuhelfen, in die Arme werfen« (103). Und 144 In: [B enedikt M aria W erkmeister ], Die Zeichen der gegenwärtigen Zeit oder Aufschlüsse über den neuesten Mysticismus. Deutschland 1815. 145 Dazu: A ugust H agen , Franz Karl Felder (1766-1818) und seine Literaturzeitung für katholische Religionslehrer, in: ThQ 128 (1948) 28-70, 161-200, 324-342, bes. 44 ff; ders ., Die kirchliche Aufklärung (wie Anm. 36), bes. 151 ff, 171 ff. <?page no="104"?> 72 Erläuterungen weiter: »Gegen die überspannten Anpreisungen der Mystik durch Herrn Professor Drey haben sich sogleich in eben dem Pastoralarchiv die beyden bischöflichen geistlichen Räthe Mets und Burg erhoben« (104), und der »erhabene Redakteur des Archivs« (101) habe diesen Gegenstand für so wichtig gehalten, daß er dem »Conferenzaufsatz« B urgs »durch eine Vorrede noch mehr Eingang und Kraft zu verschaffen suchte« (100). W erkmeister stützt seine Kritik an D rey somit nicht nur auf die im Januarheft der Abhandlung D reys beigefügten kritischen Artikel von M ets und B urg , sondern bezieht auch die zuvor im Dezemberheft angebrachten Artikel »des würdigen Herrn Generalvikars von Wessenberg« (101) sowie denjenigen B urgs in seine Argumentation ein. Das bedeutet, daß er um die Bezogenheit des Konferenzaufsatzes B urgs auf die RS wußte (! ). Hatte er sie wohl erraten? Oder hatte er darüber Informationen erhalten? Darüber ist nichts ausfindig zu machen, aber auffällig ist es immerhin. Besondere Beachtung verdient die Diskrepanz zwischen dem Mystizismusartikel W essenbergs und der Deutung, die W erkmeister ihm gab. Es war eine eklatante Fehldeutung. Es muß offenbleiben, ob W erkmeister ihr nur im Eifer des Gefechtes erlag und er den hohen Amtsträger und Gesinnungsfreund in Konstanz dermaßen auf seiner Seite wußte, wie er es hinstellte, oder ob dabei eine bewußte Vereinnahmungstaktik im Spiel war. W erkmeister gab zwar den Begriff des Mystizismus aus dem Artikel W essenbergs von 1811 korrekt wieder 146 , aber er schien nicht zu erkennen, daß die RS davon gar nicht betroffen sein konnte. W essenberg war zwar zehn Jahre vorher gegen die mystizistische Schwärmerei ins Feld gezogen, die in die »Barbarey des Mittelalters« zurückführe und »wie die Pest ansteckt und sich ausbreitet« 147 , mit Stichworten also, die zum üblichen Repertoire der aufgeklärten Romantikkritik gehörten und wie bei B urg auch bei W erkmeister auftauchen, aber 1811, als er die RS vor Augen hatte, führte W essenberg diese Topoi nicht mehr an. Den Mystizismus, den er hier kritisiert, definiert er so, daß die RS 146 In dem Zitat aus dem Mystizismusartikel W essenbergs , das W erkmeister auf S. 105 zur Unterstützung seiner Kritik an D rey anführt, macht W essenberg »die Mystik in ihrer [mystizistischen] Ausschweifung« an folgenden Merkmalen fest: Mißachtung der Regeln des gesunden Menschenverstandes, Verächtlichmachung der Denkkraft bzw. deren Darstellung als etwas der wahren Frömmigkeit Gefährliches, Vernachlässigung des Tätigen und Gemeinnützigen. Das ist aber etwas anderes als das, was W erkmeister dann von sich aus gegen D rey vorbringt: Falsche Einschätzung der mittelalterlichen Mystik, überspannte Anpreisungen der Mystik und verfehlte Empfehlung der Mystik als Heilmittel der Gebrechen (103). Das war auch die Linie B urgs , aber nicht W essenbergs . 147 In: [W essenberg ], Der Geist des Zeitalters (wie Anm. 44), hier z.B. 243, 256 (zur Bedeutung dieser Schrift für D reys Konzeption der RS siehe oben Ziff. II.4.c, bei Anm. 44). W essen berg meint dazu, Mystiker könne man selten bekehren; man müsse die Partei der Vernunfthasser von Lehrstellen und Unterrichtsanstalten fernhalten (247). - Auch B urg scheint in seinem Artikel von 1812 bei dem Hinweis auf den »berühmte[n] Zeichner unsers Zeitgeistes« (43), mit dem er seine Ausführungen stützen wollte, die Schrift W essenbergs von 1801 gemeint zu haben. <?page no="105"?> 73 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) damit nicht gemeint sein konnte. Es bietet sich die bereits weiter oben angesprochene Vermutung an, daß W essenberg in seinem Mystizismusartikel von 1811 der RS hermeneutisch Raum schaffen wollte. Für diese Vermutung sprechen auch spätere Äußerungen W essenbergs . In seiner 1835 in Buchform herausgekommenen Auseinandersetzung mit der Schwärmerei 148 , in die er auch seinen Mystizismusartikel von 1811 integrierte 149 , ergriff er die Gelegenheit, sich dreimal zustimmend auf D rey zu beziehen 150 . Eine späte Rechtfertigung D reys also, die man zudem als Beitrag zur Klärung seiner (d.h. W essenbergs ) eigenen Position von 1811/ 12 auffassen kann. γ . Auswirkungen auf Drey Es ist nicht bekannt, wie D rey die Zensurierung im Konstanzer Pastoralarchiv aufgenommen hat. Zu einem Zerwürfnis zwischen den Kontrahenten ist es nicht gekommen. Zwischen D rey und W essenberg entwickelte sich in der Folgezeit ein freundschaftlich gestimmtes Verhältnis gegenseitiger Hochschätzung 151 . Nicht anders verhielt es sich mit seiner Beziehung zu M ets , mit dem er von 1812 bis 1817, also während seiner ganzen Ellwanger Zeit, in ungetrübte amtliche und persönliche Verbindung zu stehen kam 152 . In ihrer weltanschaulichen Richtung und in ihren kirchenpolitischen Zielen stimmten die Konstanzer und D rey im Großen und Ganzen ohnehin überein. D rey selbst mochte wohl nicht unzufrieden damit gewesen sein, seine Abhandlung zur Revision der Theologie im Konstanzer Pastoralarchiv, dem angesehensten Reformorgan der Zeit, überhaupt untergebracht zu haben 153 . Es ist nicht zu erkennen, daß ihm das Konstanzer Vorkommnis unmittelbar geschadet haben könnte. Die erste objektive Auswirkung der Kollision liegt darin, daß für die Abhandlung von 1812 keine direkte Fortsetzung zustande kam (daß D rey effektiv eine solche vorgesehen hatte, muß als erwiesen gelten) 154 . Literarisch 148 I gnaz H einrich von W essenberg , Ueber Schwärmerei. Historisch-philosophische Betrachtungen mit Rücksicht auf ihre jetzige Lage. Heilbronn 1835, 2 1848. 149 Ebd. 225-302. 150 Ebd. 178; 247; 279. W essenberg bezieht sich hier auf die Abhandlung D reys Ueber das Verhältniß des Mysticismus zum Katholicismus, mit Nutzanwendung für unsere Zeit, in: ThQ 6 (1824) 219-248, in der D rey seine Position gegenüber der Mystik und dem Mystizismus präzisierte. W essenberg bezieht sich zustimmend auf »236 ff«, »234« und »215«. 151 Vgl. dazu oben in II.2 bei und in Anm. 6. 152 Der Zufall wollte es, daß M ets noch im selben Jahr 1812, an dessen Anfang die Konstanzer Affaire stand, nach Ellwangen übersiedelte, wohin auch D rey am 3. Oktober 1812 als Professor an der Friedrichsuniversität berufen worden war. M ets übernahm im September 1812 im neu errichteten Ellwanger Generalvikariat die Stelle des Ersten Rats; er hatte dieses Amt bis 1817 inne, d.h. bis zur Aufhebung der Friedrichsuniversität. Zum Verhältnis M ets - D rey in Ellwangen siehe in Ziff. II.6.c. γ . 153 Wie bereits erwähnt, nahm W essenberg die Abhandlung D reys später (zusammen mit den Kritiken von M ets und B urg ) in seine Sammlung der wichtigsten Dokumente des Konstanzer Pastoralarchivs auf (vgl. dazu oben in Ziff. I.2). 154 Vgl. dazu oben in Ziff. II.2. <?page no="106"?> 74 Erläuterungen ist D rey nie ausdrücklich darauf zurückgekommen, weder auf den redaktionellen Vorfall, noch auf seine Abhandlung. Trotzdem ist die Konstanzer Kritik im theologischen Werk D reys nicht ohne Auswirkungen geblieben. An den Hauptpunkten seiner Auffassung, wie er sie in der Abhandlung von 1812 skizziert hatte, hielt er unbeirrbar fest, baute sie aus und widmete ihnen eigene Schriften. So ist die Neubegründung der theologischen Wissenschaft aus der Unmittelbarkeit der religiösen Erfahrung zum wissenschaftstheoretischen Herzstück seiner Kurzen Einleitung von 1819 geworden, und zum zweiten Hauptpunkt der RS, einer neuen Ekklesiologie in der Denkform der Romantik, legte er im selben Jahr seine Abhandlung Vom Geist und Wesen des Katholicismus vor und plazierte sie in betont programmatischer Absicht im ersten Band der 1819 neu gegründeten Theologischen Quartalschrift 155 . Die RS war und blieb für ihn die Mutter seiner Programmschriften 156 . Doch scheint sich D rey anhand der Kritiken im Konstanzer Pastoralarchiv deutlicher bewußt geworden zu sein, daß die Dinge nicht ganz so einfach sind, wie er sie sich in dem stürmischen Essay von 1812 vorgestellt hatte, und daß seine Optionen einer umsichtigeren Darstellung und Begründung bedürfen, was denn auch in den beiden Programmschriften von 1819 geschah. 1824 kam D rey mit einem eigenen Artikel auf das Mystik-Problem zurück, wiederum unbeirrt in der Sache von 1812, aber in den Argumentationsgängen besser abgesichert und »mit Nutzanwendungen für unsere Zeit« versehen 157 . Einen befruchtenden Anstoß für sein theologisches Schaffen dürfte D rey auch aus den Überlegungen B urgs zu dem Begriffspaar Mystizismus / Rationalismus und aus dessen Plädoyer für einen Weg der Mitte zwischen den Extremen (vgl. B urg 41-43) erhalten haben, aber das war ein Problem, an dem die katholischen Vermittlungstheologen dieser Zeit ohnehin arbeiteten. Das Ziel, eine via media zwischen Rationalismus und Mystizismus, Rationalismus und Traditionalismus, Rationalismus und Fideismus, Naturalismus und Supranaturalismus zu suchen und im gleichen Zug Glauben und Wissen, Vernunft und Offenbarung, Dogma und Geschichte zueinander zu vermitteln und die Gegensätze konstruktiv miteinander auszusöhnen, ist im theologischen Werk D reys ständig präsent, angefangen in der Kurzen Einleitung, wo es z.B. im Begriff des »theologischen (positiven) Rationalismus« (§ 46 in Verbindung mit § 56) in formelhafter Verdichtung zum Zentrum seiner theologischen Prinzipien- und Erkenntnislehre geworden ist, bis zu seinem systematischen Spätwerk, der Apologetik, deren erster Band zur Philosophie der Offenbarung 155 J ohann S ebastian D rey , Vom Geist und Wesen des Katholicismus, in: ThQ 1 (1819) 8-23, 193-210, 369-391, 559-574 (= Text Nr. 6). 156 Näheres dazu oben in II.7.b - d. 157 J ohann S ebastian D rey , Ueber das Verhältniß des Mysticismus zum Katholicismus, mit Nuzanwendung für unsere Zeit, in: ThQ 6 (1824) 219-248 (wieder abgedruckt in: S chupp , Revision (wie oben in Ziff. I.3.b) 25-54). <?page no="107"?> 75 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) gänzlich darauf ausgerichtet ist 158 . D rey ist auch mit diesem Vermittlungsprogramm nach dem Urteil der einschlägigen Theologiegeschichtsschreibung für die theologische Eigenart der Tübinger Schule richtungweisend geworden 159 . δ . Zum weiteren Verlauf im 19. Jahrhundert Nach den Kritiken von M ets und B urg wurde es für lange Zeit still um die RS. D rey selbst ist diesen Kritiken literarisch nicht entgegengetreten, weshalb diese von der Fachwelt als letztes Wort in der Sache empfunden werden konnten. Auch der Wiederabdruck der RS in W essenbergs Sammelband von 1835 160 änderte daran nichts, zumal da er zusammen mit den Artikeln von M ets und B urg erfolgt war. Der Umstand, daß H efele die RS in seinen biographisch-bibliographischen Artikeln zu D rey nie für erwähnenswert hielt, ist zum einen ein Indiz für den Grad der Vergessenheit, der sie anheimgefallen war, zum andern hat H efele damit zur weiteren Nichtbeachtung dieser Schrift beigetragen. Eine indirekte Wirkungsgeschichte der RS bzw. der von D rey in ihr vertretenen Optionen gab es im 19. Jahrhundert dagegen sehr wohl. Die bedeutendsten Köpfe der Tübinger Schule waren Schüler D reys . Wie D rey in seinem theologischen Werk stets an den zentralen Ideen der RS festhielt und sie konsequent zum Tragen brachte, ohne dies eigens hervorzuheben, so sind sie auch in seine jahrzehntelange Lehrtätigkeit im Hörsaal eingegangen und haben von da aus, schulbildend wie sie waren, auf seine Hörer eingewirkt. Der Einfluß, den D rey in den 34 Jahren seiner Lehrtätigkeit (1812-1846) auf 158 Siehe D rey , Apologetik (wie Anm. 55), bes. Bd. 1, 250-286. 159 In der Fachliteratur zur Katholischen Tübinger Schule gehört diese Einschätzung seit K arl W erner zum Standard ihrer Bestimmungen (K arl W erner , Geschichte der katholischen Theologie. Seit dem Trienter Concil bis zur Gegenwart (Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Neuere Zeit 6). München 1866, 480; vgl. bereits C arl J oseph H efele , Ueber die Schicksale der Kirche seit dem Tridentinum, in: ThQ 28, 1846, 3-54, 7). Vgl. dazu ferner: P aul S chanz , Systematische Theologie, in: W ilhelm L exis (Hg.), Die deutschen Universitäten. Für die Universitätsausstellung in Chicago 1893. 2 Bde., Berlin 1893, Bd. 1, 256-267, 260 f; ders ., Die Katholische Tübinger Schule, in: ThQ 80 (1898) 1-49, 18; P aul G odet , Drey, in: DThC 4 (1911) 1825-1828, 1828; V ermeil , Jean-Adam Moehler et l’e ´cole catholique de Tubingue (wie Anm. 131) 34, 115-124; L e´once de G randmaison , Johann-Adam Möhler. L’E´ cole catholique de Tubingue et les origines du modernisme, in: RSR 9 (1919) 387-409, 391 f; B auer , Politischer Katholizismus (wie Anm. 46) 54-56; G eiselmann , Die Katholische Tübinger Schule (wie Anm. 39) 13; P ierre C haillet , Introduction, in: ders . (Hg.), L’E´ glise est Une. Hommage a` J. A. Möhler. Paris 1939, 9-16, bes. 10-13; M ax S eckler , Una »guida pionieristica della teologia odierna«. Introduzione, in: J ohann S ebastian D rey , Breve introduzione allo studio della teologia con particolare riguardo al punto di vista scientifico e al sistema cattolico (Teologia N.S. 1). A cura e con introduzione di Max Seckler. Premessa di Joseph Ratzinger. Postfazione di Bruno Forte. Brescia 2002, 43 f mit Anm. 56. - Der von D rey in KE § 321 (Anm.) in einem speziellen Punkt verwendete Begriff »glückliche Mittelstraße« (vgl. dazu neben KE § 46 auch KE § 56) wurde in der Fachliteratur zur generellen Kennzeichnung seines Vermittlungsdenkens herangezogen (siehe dazu auch Einleitung zu Text Nr. 8 (Konkordatsaufsatz) bei und in Anm. 19). 160 Bibliographische Angaben oben in Ziff. I.2. <?page no="108"?> 76 Erläuterungen seine Schüler unmittelbar ausübte, ist hoch anzusetzen. Er läßt sich z.B. an seinen Äußerungen zur mittelalterlichen Kultur und zur Theologie der Hochscholastik, um derentwillen er als Autor der RS sich noch die Finger verbrannt hatte, veranschaulichen. So führte der für die Fundiertheit seiner Urteile bekannte Tübinger Historiker B ihlmeyer 1919 unter den Anstößen, die M öhler von seinem Lehrer D rey empfangen habe, u.a. auch die Hochschätzung der mittelalterlichen Scholastik an; wenn M öhler auf die »vielgeschmähte Scholastik« zu sprechen kam, sie in Schutz nahm und sie zum gründlichen Studium empfohlen habe, so sei dazu festzustellen: »Auch hierin [! ] den Spuren seines Lehrers Drey folgend, der schon 1812 - damals freilich noch ein einsamer Rufer auf weitem Felde - die Notwendigkeit betonte, durch Zurückgehen auf die sogenannte ›barbarische‹ Schule der Scholastik die heruntergekommene Theologie zu erneuern« 161 . Nicht anders B rosch 1963, hier bezogen und ausgeweitet auf die diesbezügliche Orientierung der Schule D reys überhaupt: »Drey ist wie auch in vielen übrigen Sentenzen der Vater der Schule für das Verhältnis zur Scholastik« 162 . Das hier zur Wirkungsgeschichte der RS in einem konkreten Punkt Angemerkte gilt mutatis mutandis für alle »Sentenzen« der RS, soweit D rey mit ihnen in seine Schule hineingewirkt hat. 161 K arl B ihlmeyer , J. A. Möhler als Kirchenhistoriker, seine Leistungen und Methode, in: ThQ 100 (1919) 134-198, 160. B ihlmeyer brachte diese Abhandlung im Jubiläumsjahrgang zum 100jährigen Bestehen der Theologischen Quartalschrift. 162 H ermann J oseph B rosch , Das Übernatürliche in der katholischen Tübinger Schule (Beiträge zur neueren Geschichte der katholischen Theologie 3). Essen 1962, 178. B rosch hat in Kap. 9 dieses Bandes »Das Verhältnis der Tübinger Schule zur Scholastik« eingehend untersucht (171-190); siehe auch H ermann J oseph B rosch , Vom Wesen wahrer Theologie. Das Verhältnis der katholischen Tübinger Schule im 19. Jahrhundert zur Scholastik, in: Wissenschaft und Weisheit 19 (1956) 1-16, bes. 1-3. - Vgl. dazu ferner den Dreyschüler W enzeslaus M attes , Die alte und die neue Scholastik, in: ThQ 28 (1846) 355-404, 578-620. Ergänzend: G eiselmann , Geist des Christentums (wie oben in Ziff. I.3.a) XIV f, 474; ders ., Das Übernatürliche in der Katholischen Tübinger Schule, in: ThQ 143 (1963) 422-453, bes. 437 f; T homas J. A. H artley , Thomistic revival and the modernist era (St. Michael’s in Toronto Studies in Religion and Theology. Dissertation series 1), Toronto 1971; O’M eara , Romantic Idealism and Roman Catholicism (wie Anm. 41). - H irscher , der Zeit seines Lebens der Scholastik »spinnefeind« (so J akob S chmitt , Hirscher, in: WWKL 2 6, 1889, 28-34, 32) war, nahm in der Resolutheit dieser Einstellung in der alten Tübinger Schule eine Sonderstellung ein (vgl. J ohann B aptist H irscher , Ueber das Verhältniß des Evangeliums zu der theologischen Scholastik der neuesten Zeit im katholischen Deutschland. Zugleich als Beitrag zur Katechetik. Tübingen 1823; ders ., Ueber einige Störungen in dem richtigen Verhältniße des Kirchenthums zum Zwecke des Christenthums, in: ThQ 5, 1823, 193-262, 371-420; dazu G eiselmann , Die Katholische Tübinger Schule (wie Anm. 39) 167; F ürst , Wahrheit im Interesse der Freiheit (wie Anm. 87) 75-86, 102-107 u.ö.). Wenn H irscher noch 1849 bemerkt, »auf das Mittelalter zurückgreifen, scheint mir ein großer und äußerst gefahrvoller Mißgriff« (in: H irscher , Die kirchlichen Zustände der Gegenwart. Tübingen 1849, 93), so kann man darin auch eine Spitze gegen die von der RS eingeleitete positive Einstellung zum Mittelalter (und insofern einen kritischen Beitrag zur Rezeptionsgeschichte der RS) erkennen. <?page no="109"?> 77 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) b. Im 20. Jahrhundert Die Einstellung zur RS, ihre Wahrnehmung und Beurteilung, veränderte sich im 20. Jahrhundert in eklatanter Weise. In den Werkverzeichnissen D reys wurde die Abhandlung von 1812 nun zu einem festen und vielfach besonders hervorgehobenen Posten. Ihre Rezeption erfolgte nahezu ausschließlich unter positiven Vorzeichen. Mit dazu beigetragen hat zweifellos ihr ebenso anspruchsvoller wie vielverheißender Titel, der nunmehr einen hellen Klang erhielt; der Revisionsbegriff selbst wurde zu einem positiv besetzten Signalwort zur Kennzeichnung des Aufbruchs der katholischen Theologie in eine neue Zeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts sowie der Rolle D reys in diesem Neubeginn. Die RS wurde in ihrer Eigenart und Bedeutung als primordiale Programmschrift für das Gesamtwerk D reys und zugleich als programmatischer Ausgangspunkt für die Katholische Tübinger Schule erkannt. Dieser Prozeß begann unmittelbar nach der Jahrhundertwende und nahm seit den 1930er Jahren - zumal nachdem G eiselmann den Text der Abhandlung neu herausgegeben und somit leichter zugänglich gemacht hatte - die Form einer steil ansteigenden Kurve an. Der neue Blick auf die RS bildete sich synchron mit der weiter ausgreifenden Wiederentdeckung D reys im ganzen heraus und ging einher mit der Neuevaluierung seines theologischen Schaffens und seiner geschichtlichen Leistung. α . Neubewertung bei Lauchert Die rezeptionsgeschichtliche Wende begann mit F riedrich L auchert , der 1901 in seiner Staudenmaierbiographie die bis dahin »meist unbeachtet gebliebene« RS aus der Versenkung hervorholte 163 . Indem er zu ihr bemerkte, daß ihr Autor »auch in seiner frühesten Periode mit der damals modernen rationalistischen Aufklärung im Prinzip nichts gemeinsam hatte« (33; vgl. 35), widersprach er der am Ende des 19. Jahrhunderts gängig gewordenen Auffassung, wonach die frühen Schriften D reys - und so auch die RS - noch allzusehr dem Ungeist der Aufklärung und des Rationalismus vom Typus W essenbergs und W erkmeisters verhaftet gewesen seien. Diese Sicht der Dinge hatte P aul S chanz noch 1898 in seinem vielbeachteten Artikel über die Katholische Tübinger Schule sich zu eigen gemacht und von sich aus bekräftigt 164 . L auchert machte demgegenüber geltend, D rey sei in der RS diesem Ungeist vielmehr entgegengetreten, und indem er sie »originellerweise« zur Veröffentlichung an das Konstanzer Pastoralarchiv einsandte, habe er der »von den Freunden und Mitarbeiterndes Archivs vertretenen [rationalistischen] Richtung den Fehdehandschuh« hingeworfen (34) 165 . Auch wenn 163 L auchert , Franz Anton Staudenmaier (wie Anm. 137) 33-35. 164 Vgl. dazu Einleitung zu Text Nr. 4, Ziff. II.4.a. 165 In der Fachliteratur wurde seit L auchert die Frage, ob die RS der Aufklärung oder der <?page no="110"?> 78 Erläuterungen L auchert in der Kürze seiner Ausführungen den Inhalt und die Tragweite der RS nicht genauer analysierte und ihr noch eine gewisse Unklarheit zusprach, so war doch er es, der für die Rezeption dieser Schrift im 20. Jahrhundert die Türe aufgestoßen hat. Die von ihm eingeleitete Wende hat 1905 bei G oyau 166 , 1913 bei V ermeil 167 und 1917/ 18 bei R eatz 168 ihre ersten Früchte getragen. Unter diesen Voraussetzungen konnte P hilipp F unk 1919/ 20 in einem beschwingten Essay zum Lob der Tübinger Schule 169 auch den frühen Romantik beizuzählen sei, zumeist im Sinne einer Entweder-Oder-Alternative diskutiert (siehe dazu auch oben bei und in Anm. 17 und 39). Doch unter Zugrundelegung abstrakter kontradiktorischer Typisierungen ist dieses Problem nicht lösbar. Es ist zu bedenken, daß es durchaus möglich ist, die Denkform der Romantik und die Reformabsichten der (kirchlichen) Aufklärung miteinander zu verbinden, derart, daß die erstere mit ihren denkerischen Ansätzen in den Dienst der letzteren genommen wird. Gerade das ist aber bei der RS der Fall. K obusch hat z.B. diese Art der Verschränkung im Hinblick auf S ailer eingehend erörtert und ist für S ailer zum gleichen Befund gekommen (T heo K obusch , Glaube und Vernunft. Zur Wirkung Jacobis in der Tübinger Schule und im spekulativen Theismus, in: W alter J aeschke , B irgit S and kaulen (Hg.), Friedrich Heinrich Jacobi. Ein Wendepunkt der geistigen Bildung der Zeit (Studien zum achtzehnten Jahrhundert 29). Hamburg 2004, 376-394). Vgl. dazu auch die Ausführungen bei A nton van H arskamp , Theologie. Text im Kontext. Auf der Suche nach der Methode ideologiekritischer Analyse der Theologie, illustriert an Werken von Drey, Möhler und Staudenmaier. Aus dem Niederländischen von Hedwig Meyer-Wilmes und Andrea Blome (Tübinger Studien zur Theologie und Philosophie 13). Tübingen 2000, 29; 331 ff, aus denen sich ergibt, daß Aufklärung und Romantik gerade beim D rey der RS funktional und produktiv miteinander koexistieren. H arskamp folgert daraus zu Recht, daß die Zugehörigkeit D reys zur Gruppe um M ets und G ratz in Ellwangen keinesfalls einen Bruch mit den Grundüberzeugungen der RS bedeutete. 166 G eorges G oyau , L’Allemagne religieuse. Le Catholicisme 2. Paris 1905, 22. 167 V ermeil , Jean-Adam Moehler et l’e ´cole catholique de Tubingue (wie Anm. 131) 27-29. In seinem konzisen Referat zu Inhalt und Absicht der RS arbeitet V ermeil vor allem die Grundzüge im theologiegeschichtlichen Argumentationsgang D reys in ihrer Stimmigkeit und Tragweite für seine neue Fassung der Theologie im Geiste der Romantik heraus. Der Artikel D reys sei im übrigen »de tout importance« (27); er enthalte sowohl nach ihrer theoretischen als auch ihrer praktischen Seite die Grundideen der künftigen Katholischen Tübinger Schule. 168 A ugust R eatz , Reformversuche in der katholischen Dogmatik Deutschlands zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Mainz [1917/ 18]. R eatz ordnet die RS in die Reformbewegungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts und in das Spannungsfeld zwischen Aufklärung und Scholastik ein (6-9). »Nicht alle hatten den tiefschauenden Blick eines Drey, der schon 1812 das zukünftige Programm der Tübinger Schule verkündete. Nicht alle waren wie er davon überzeugt, daß nur auf dem Boden einer großen Vergangenheit die große Zukunft erstehen könne« (9). R eatz hält D rey zugute, die Reformprinzipien der Aufklärung und die Spiritualität der mittelalterlichen Theologie zueinander vermittelt zu haben. 169 P hilipp F unk , Die katholische Tübinger Schule, in: Der Schwäbische Bund 1 (1919/ 20) 293-305. Dieser Artikel ist insofern bemerkenswert, als in ihm die in den ersten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts rasch um sich greifende Wende zur positiven Bewertung der Katholischen Tübinger Schule - und insbesondere ihrer Frühzeit - erstmals in einem auf publizistische Breitenwirkung angelegten Artikel gesamthaft vorgestellt und besungen wurde. Vom gleichen Typus, doch gewichtiger in seiner Wirkungsgeschichte, wenige Jahre später K arl A dam , Die Katholische Tübinger Schule. Zur 450-Jahrfeier der Universität Tübingen, in: Hochland 24 II (1927) 581-601 (wieder in: K arl A dam , Gesammelte Aufsätze zur Dogmengeschichte und Theologie der Gegenwart, hg. von F ritz H ofmann , Augsburg 1936, 389-412). Im selben Jahr legte auch G eiselmann in einem Publikumsbeitrag sein erstes Ideogramm zur Schule D reys vor: Die Katholische Tübinger Schule und ihre Glaubenswissenschaft, in: Festbeilage des Deutschen <?page no="111"?> 79 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) D rey und dessen RS entsprechend würdigen: D rey , der 1812 »als erster unter den Tübingern und in ausschlaggebender Weise zur ungebrochenen Tradition zurückfand«, ist mit den bereits in der RS formulierten Prinzipien zum Vater der Katholischen Tübinger Schule und zum Begründer ihrer Methode geworden 170 . 1931 war es so weit, daß selbst in dem renommierten protestantischen Handbuch der Kirchengeschichte die RS als die die Katholische Tübinger Schule eigentlich eröffnende Abhandlung bezeichnet werden konnte 171 . Doch die negative Einschätzung der ersten Generation der Tübinger Schule und des frühen D rey , die P aul S chanz am Ende des 19. Jahrhunderts mit magistralem Gestus in der Theologischen Quartalschrift festgeschrieben hatte, war damit noch nicht völlig überwunden. Selbst in der Fakultät D reys glaubte man es bis herauf zu G eiselmann der theologischen und kirchlichen Korrektheit schuldig zu sein, den reformerischen Impetus der Ellwanger und Tübinger Gründergeneration im Sinne von P aul S chanz diskreditieren zu sollen, was eine gewisse Zwiespältigkeit auch in der Einschätzung der RS zur Folge hatte. So bei S ägmüller 172 , A dam 173 und L ösch 174 , aber auch bei Volksblatts zum 450jährigen Jubiläum der Universität Tübingen, 23. Juli 1927, Nr. 166, 6-7. Eine wortgetreue Abschrift dieses schwer zugänglichen Textes liegt in elektronischer Fassung vor in: R ichard K ager , Die theologische Hermeneutik Johann Adam Möhlers (1796-1838). Diss. theol. Freiburg i.Ü. 2004 (http: / / ethesis.unifr.ch/ theses/ downloads.php? file=KagerR.pdf), 321-332 (Anhang I, 1-12). 170 F unk , Die katholische Tübinger Schule (wie Anm. 169) 298 f. F unk verortet die »Geistigkeit« D reys »in Anlage und Ausdruck« in der klassischen Periode des deutschen Geisteslebens (299). 171 H orst S tephan , Handbuch der Kirchengeschichte für Studierende, hg. von G ustav K rüger . Bd. 4: Die Neuzeit. 2. Aufl., neu bearb. von H orst S tephan und H ans L eube . Tübingen 1931, 271. - Auch hier wird die RS als Programmschrift gewürdigt, wenn auch nicht so bezeichnet. 172 Vgl. J ohann B aptist S ägmüller , Wissenschaft und Glaube in der kirchlichen Aufklärung (ca. 1750-1850). Zur Erwiderung auf Professor Merkles Rede und Schrift: »Die katholische Beurteilung des Aufklärungszeitalters« und zur Charakterisierung der kirchlichen Aufklärung. Essen [1910], 75 f, 93 f; ders ., Unwissenschaftlichkeit und Unglaube in der kirchlichen Aufklärung (ca. 1750-1850). Eine Erwiderung auf Professor Merkles Schrift: »Die kirchliche Aufklärung im katholischen Deutschland«. Essen 1911, 76 f. Für S ägmüller ist S chanz immer noch die maßgebliche Instanz, was ihn aber nicht daran hindert, die Beurteilung der RS von L auchert zustimmend zu erwähnen; D rey wollte demnach in der RS zugleich auch die durch die Aufklärung heruntergekommene Theologie durch die Zurückkehr zur alten Scholastik bessern. 173 Vgl. A dam , Die Katholische Tübinger Schule (wie Anm. 169). A dam ist der Sichtweise von S chanz verhaftet, erwähnt aber: »Schon in Ellwangen (1812) hatte Drey darauf aufmerksam gemacht, wie bedeutungsvoll für eine Erneuerung der Theologie das Zurückgehen auf die sogenannte ›barbarische Schule der Scholastik‹ sei« (586 bzw. 395). 174 L ösch , Das Gymnasium Rottweil (wie Anm. 51) 220: »Eine gewisse Neigung zum Rationalismus« sei beim frühen D rey noch vorhanden, doch habe sich das »bald« (? ) gebessert (das Wendemotiv läßt grüßen! ). Dann aber doch: Die RS sei D reys »erster Versuch«, oder »besser zu sagen« sein »klassischer Entwurf über die Aufgaben einer wissenschaftlichen Theologie für seine, für eine neue Zeit« und »für den Neubau eines theologischen Systems«. Die »Kerngedanken« der RS »brechen [...] in seine späteren Abhandlungen herüber«, selbst in der Apologetik 1838/ 47 seien »bezüglich einer bedeutenden Anzahl von Fragen« noch »die Hauptgedanken« der Abhandlung von 1812 zu erkennen (221 f). <?page no="112"?> 80 Erläuterungen H aug 175 und Z eller 176 . Die Denkschablonen des 19. Jahrhunderts erwiesen sich als zählebig gerade dort, wo man die beurteilten Verhältnisse und Texte nicht näher kannte 177 . β . Geiselmann und seine Wirkungen Nach der von L auchert in die Wege geleiteten neuen Sicht auf die RS begann mit G eiselmanns Arbeiten zur Katholischen Tübinger Schule eine neue Phase in der Rezeptionsgeschichte dieser Schrift. Dies zum einen durch die Neuedition der Abhandlung von 1812 und ihre Aufnahme in den Aufsehen erregenden Sammelband ausgewählter Schriften katholischer Theologie im Zeitalter des Deutschen Idealismus und der Romantik (1940) 178 , wodurch G eiselmann der Forschung einen leichten Zugang zum Text der RS verschaffte, womit er aber zugleich die RS signifikant in den Rang eines epochalen Quellentextes erhob, zum andern - einsetzend bereits 1927 179 - durch 175 H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität (wie Anm. 45): Bei D rey mache sich »eine Entwicklung und Umwandlung vom Standpunkt der Uebergangszeit zu einem mehr und mehr positiven und kirchlich korrekten bemerkbar« (41). Selbst H aug kann sich der unsinnigen Unterstellung einer Wende in der wissenschaftlichen Vita D reys hier nicht entziehen, bleibt aber die Begründung schuldig und verrät auch nicht, ob er die RS vor oder nach der fabulösen »Umwandlung« verortet sehen würde. Zu D reys Geschichte des katholischen Dogmensystems (siehe Text Nr. 2) bemerkt H aug indessen: »So schreibt kein Rationalist« (42). (Dieses Manuskript ist 1812/ 13 entstanden, mithin unmittelbar nach der Veröffentlichung der RS). 176 Vgl. Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 10) 55. - Die auf das 19. Jahrhundert zurückgehende Einschätzung des frühen D rey und die damit einhergehende Unterstellung einer Wende oder eines Bruchs in der wissenschaftlichen Vita D reys endet im 20. Jahrhundert nicht mit A dam ; sie wurde auch in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts von Außenseitern weiterkolportiert, wenngleich in einer veränderten Interessenlage. War es im 19. Jahrhundert (und mit Nachklängen bis herauf zu A dam ) die von den Ultrakonservativen betriebene Verschrieenheit der Reformer aus der ersten Zeit der Tübinger Schule, der man sich aus Gründen der theologischen Korrektheit auch für den frühen D rey glaubte anschließen zu sollen, um wenigstens den späten D rey aus der Schußlinie nehmen zu können, so war es in der Zeit nach G eiselmann (der selbst noch eine Zeitlang zögerte) fast nur noch das von der Korrektheitsfrage inzwischen entlastete investigative Vergnügen (und mitunter auch eine gewisse Häme), dem inzwischen zum Selbstläufer gewordenen Wendemotiv Tribut zu zollen und am Glanz D reys zu kratzen. Siehe oben Ziff. II.6.b. 177 Ein besonders skurriles Beispiel der bodenlosen Meinungsmacherei bezüglich des frühen D rey und der RS findet sich bei H ermann W etzel , Das Erwachen des Kurialismus in Württemberg vor 100 Jahren. Der politische Katholizismus außerhalb der Kammer 1815-1833, in: BlwüKG 26 (1922) 159-178, 171: »Drey’s Stellung ist in unserer Zeit [d.h. an der Friedrichsuniversität in Ellwangen] vermittelnd. 1812 noch antikurial [! ]. Später kam er mehr in Abhängigkeit von Möhler [! ]«. Derartige Beispiele gäbe es viele, besonders auf dem Feld der unfundierten Spielereien mit den D rey unterstellten Standpunktänderungen und Wendemanövern. 178 G eiselmann , Geist des Christentums (wie oben in Ziff. I.3.a), hier 83-97; vgl. auch ebd. XIV f, 474 f. 179 Nachdem G eiselmann sich zuvor hauptsächlich mit mediävistischen Studien beschäftigt hatte, wendete er sich, angestoßen durch K arl A dam und beflügelt durch die Konkurrenz zu seinem gleichfalls aufstrebenden, aber schon besser ausgewiesenen Fakultätskollegen L ösch , 1927 der Erforschung der Katholischen Tübinger Schule zu. Den Auftakt bildete sein oben in Anm. 169 angeführter Aufsatz im Deutschen Volksblatt 1927. G eiselmann verortet hier die <?page no="113"?> 81 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) seine Darstellung des Inhalts dieser Schrift und die Würdigung ihrer theologiegeschichtlichen Bedeutung 180 . G eiselmann ist mit diesen Erschließungsarbeiten zum Nestor der Dreyforschung geworden. Von jetzt an kam die RS als Initiations- und Schlüsseltext zu Ansehen. An erster Stelle ist hier der französische Jesuit P ierre C haillet 181 zu nennen, der sich als erster die Einschätzung G eiselmanns , die er während seiner Aufenthalte in Tübingen kennengelernt hatte 182 , zu eigen machte und kraft eigener Kompetenz vervollständigte 183 . Seine Ausführungen zur RS gehören überhaupt zum Besten, das je zu diesem Text D reys geschrieben wurde, sowohl historisch als auch sachlich. Schon vor C haillet - und vor G eiselmanns Neuedition der RS - hatte indessen H ermann J oseph B rosch die Existenz der RS hervorgehoben und sich kritisch mit dem Text D reys auseinandergesetzt, was aber erst 1962 öffentlich bekannt wurde 184 . Anfänge der Tübinger Schule in dem Bestreben, die Theologie als Wissenschaft neu aufzubauen. »Dieses Streben [...] verrät gleich schon die Formulierung des Themas jener Abhandlung, in der der Schöpfer der Tübinger Schule und ihrer theologischen Eigenart, Joh. Seb. Drey (1777-1853), seine Gedanken zum erstenmal aussprach: Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie. In ihr finden wir die Hauptmängel der Theologie seiner Zeit lebhaft ausgesprochen. Drey sieht sie in der Verkennung der mystischen Seite aller Religion und in der falschen Wertung des Geschichtlichen. Von da aus gestaltet er nun positiv die neue Theologie in dem von ihm stammenden Aufsatz, der die Theologische Quartalschrift, das literarische Organ der Tübinger Schule im Jahre 1819 eröffnen sollte: Vom Geist und Wesen des Katholizismus, sowie in [dem] im gleichen Jahre erschienenen Werke: Kurze Einleitung in das Studium der Theologie mit Rücksicht auf den wissenschaftlichen Standpunkt und das katholische System (Tübingen 1819), endlich in seinem reifsten Werke, seiner Apologetik« (a.a.O. 6; Abschrift K ager (wie Anm. 169) 322, Anhang I, 2). 180 G eiselmann tritt der Zuordnung des frühen D rey und der RS zur Aufklärung und zum Rationalismus vehement entgegen, verortet sie in der Romantik und arbeitet insbesondere den Einfluß S chellings auf sie heraus (vgl. G eiselmann , Die Glaubenswissenschaft der Katholischen Tübinger Schule (wie Anm. 16), bes. 56 ff; ders ., Geist des Christentums (wie oben in Ziff. I.3.a) XIV f, 474 f; ders ., Die katholische Tübinger Schule; siehe Anm. 41). Die Zuschreibungen G eiselmanns sind nicht immer zuverlässig, seine Urteile teilweise inkonsistent, doch insgesamt zeichnen sich seine Forschungen durch ein vor ihm unerreichtes Maß an Sachkenntnis, Scharfsinn und Auffassung aus. 181 Zu ihm siehe im vorliegenden Band die Angaben in der Einleitung zu Text Nr. 6 (Katholizismusschrift), Ziff. II.8.b, sowie im Anhang an Ende des Bandes. 182 Näheres dazu an den in Anm. 181 angegebenen Stellen. 183 In: C haillet , L’Esprit du Christianisme (wie Anm. 131), bes. 713-718. 184 Siehe B rosch , Das Übernatürliche (wie Anm. 162) 22, 25, 36 f, 40, 79, 117, 172 f, 182. B rosch erblickte in der RS einen »revolutionierenden Aufsatz« (25). »Im Jahre 1812 schrieb Drey, der Vater der Schule, der ihr auch in der ersten Periode die Grundlinien gezeichnet hat, den Artikel ›Revision ...‹, den man mit Geiselmann als ›einen typischen Ausdruck romantischer Geistesart‹ bezeichnen muß. Er ist der Auftakt zu seinem theologischen Lebenswerk! So kündigt es sich an als Kampfansage gegen den Rationalismus, die Aufklärung und den Naturalismus. Wie Drey sich die theologische Reform dachte, mag ihm im einzelnen noch unklar gewesen sein« (36 f). D rey , H irscher und M öhler gehören zusammen, weil »Möhler und Hirscher sich den Reformgedanken ihres Lehrers Drey engstens anschließen« (6). B rosch setzte sich in der Frage nach den Quellen der RS in Einzelheiten kritisch mit G eiselmann auseinander. - Die Untersuchung B roschs war 1935 (als Dissertation an der Gregoriana) abgeschlossen. Sie beruht infolgedessen auf dem Forschungsstand von vor 1935; <?page no="114"?> 82 Erläuterungen Mit G eiselmann (und C haillet ) war der Folgezeit die Richtung vorgegeben: Die RS ist die die Katholische Tübinger Schule »eigentlich eröffnende Abhandlung« 185 , sie bezeugt, daß D rey schon in seiner Ellwanger Zeit »den Grund für sein bahnbrechendes Neuerungswerk in der Theologie« legte 186 , sie steht mit ihrem revolutionären Nein zur voraufgehenden Zeit für den »epochalen Aufbruch«, in dem D rey zum »geistigen Initiator« der Tübinger Schule wurde 187 . Die Einschätzung der RS als generativen Schlüsseltext hatte zur Folge, daß der Blick sich verstärkt auch auf ihre Inhalte richtete, wobei man jedoch für längere Zeit über die von G eiselmann ins Spiel gebrachten Gesichtspunkte kaum hinauskam. Häufig handelte es sich nur um eine variierende Wiedergabe der geläufig gewordenen Topoi, sodaß es sich erübrigt, die diesbezüglichen Stimmen hier zu inventarisieren. Zum Gegenstand einer umfassenden Untersuchung und monographischen Behandlung ist die RS bislang nicht geworden. Gleichwohl sind im Erkenntnisgang der Forschung Fortschritte zu verzeichnen, die sich gegen Ende des Berichtszeitraumes häufen. B antle verwies 1976 auf die mögliche Bedeutung W erkmeisters für das Zustandekommen der RS 188 , der Fragmentcharakter der RS wurde 1977 erstmals von R uf angesprochen 189 . Das sich seit den 1970er Jahren verstärkende Interesse an der RS wird nicht zuletzt daran erkennbar, daß S chupp 1971 - und nochmals 1984 - einen neuen Nachdruck der RS herausbringen konnte 190 , sie erschien erst 1962 im Druck. - Ein frühes, rezeptives Echo auf die frühen Aufsätze G eiselmanns findet sich bezüglich der RS bereits bei J oseph R anft , Der Ursprung des katholischen Traditionsprinzips. Würzburg 1931, 46-48. 185 B ernhard C asper , Der Systemgedanke in der späten Tübinger Schule und in der deutschen Neuscholastik, in: PhJ 72 (1964/ 65) 161-179, 162. 186 L eo S cheffczyk , Theologie in Aufbruch und Widerstreit. Die deutsche katholische Theologie im 19. Jahrhundert (Sammlung Dieterich 300). Bremen 1965, 1 f. Eingehender zum Inhalt der RS, doch auch hier gänzlich im Einklang mit G eiselmann : ders ., Philosophie im Denken der Tübinger Schule: Johann Sebastian von Drey (1777-1853), Johann Adam Möhler (1796-1838) und Johann Evangelist von Kuhn (1806-1877), in: E merich C oreth , W alter M. N eidl , G eorg P fligersdorffer (Hg.), Christliche Philosophie im katholischen Denken des 19. und 20. Jahrhunderts 1. Graz 1987, 86-108, 89 f. 187 B ernhard W elte , Zum Strukturwandel der katholischen Theologie im 19. Jahrhundert, in: Gestaltende Kräfte im 19. Jahrhundert. Freiburger Dies Universitatis. Band 2, 1953 54. Freiburg i.Br. 1954, 25-55; wieder in: ders ., Auf der Spur des Ewigen. Philosophische Abhandlungen über verschiedene Gegenstände der Religion und der Theologie. Freiburg i.Br. 1965, 380-409, hier 380 und 383, vgl. 387 (siehe dazu auch Einleitung zu TüA 3 (Kurze Einleitung), 220*). 188 F ranz X aver B antle , Unfehlbarkeit der Kirche in Aufklärung und Romantik. Eine dogmengeschichtliche Untersuchung für die Zeit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert (Freiburger Theologische Studien 103). Freiburg 1976, bes. 533 f, 539-544. Der Hinweis auf W erkmeisters Einfluß verdient Beachtung, er ist richtig. B antle befaßt sich auch mit der Frage nach einem Entwicklungsgang im Denken D reys , in den das Wendemotiv hineingeistert. Er verwickelt sich dabei in jene Widersprüche, die für alle Versuche, D rey eine Wende zu unterstellen, kennzeichnend sind. 189 W olfgang R uf , Johann Sebastian von Dreys System der Theologie als Begründung der Moraltheologie [Diss. 1958] (Studien zur Theologie und Geistesgeschichte des Neunzehnten Jahrhunderts 7). Göttingen 1974, 36 f. 190 Bibliographische Angaben dazu oben in Ziff. I.3.b und c. <?page no="115"?> 83 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) dem 1989 von F itzer die Übersetzung der RS ins Englische zur Seite gestellt wurde 191 . In seinen von einem religionsphilosophischen und ideengeschichtlichen Interesse geleiteten Erläuterungen zur RS erachtet F itzer die folgenden Punkte als zentral: Die Theologie müsse, um den angezielten neuen Stand zu gewinnen, ihr mittelalterliches Erbe unter Einbeziehung der besten dafür geeigneten Ideen der romantischen Philosophie und der damit verbundenen akademischen Methode aktuieren; das von D rey gezeichnete Ideogramm der mittelalterlichen Kultur habe archetypischen Charakter, es sei deshalb mit dem modernen Wissenschaftsverständnis kompatibel; in der von D rey angezielten Synthese werde die neue Wissenschaftlichkeit als Vehikel der Reform eingesetzt. Die wichtigsten Impulse für die »neue romantische Vision« der christlichen Religion und ihrer Theologie sind F itzer zufolge von C hate aubriands Ge ´nie du Christianisme ausgegangen 192 . Wie schon bei V ermeil und W elte , so zeigt sich auch bei F itzer , daß der philosophische Blick auf die RS geeignet ist, über binnentheologische Einengungen hinauszuführen 193 . Davon gekennzeichnet sind auch die von T iefensee aufgezeigten Perspektiven sowie dessen Differenzierungen und Klarstellungen zum Mystikbegriff und zu der zwischen G eiselmann und B rosch strittigen Frage nach der Stellung D reys zur Aufklärung. T iefensee erblickt in der RS eine »dezidierte Position der Mitte« zwischen Mystizismus und Verstandestheologie 194 . 191 D rey , Toward the Revision (wie Ziff. I.4), mit einer kurzen Einführung (60 f) und zwei Anmerkungen (72 f) des Herausgebers. In diesem Sammelband vereint F itzer insgesamt 14 ausgewählte Schlüsseltexte katholischer Autoren des 19. Jahrhunderts, die für die Ausformung des modernen Katholizismus ebenso wie für die Erneuerung der Theologie repräsentativ seien. F itzer hat die von ihm erstellte Übersetzung der RS unter die drei ersten Texte aufgenommen, mit denen er auf Grund ihrer innovativen Bedeutung die Formierungsgeschichte des Katholizismus im 19. Jahrhundert beginnen läßt; in dieser Trias der Initiierungstexte steht die RS in der Mitte zwischen C hateaubriands Ge ´nie du Christianisme (siehe Anm. 192) und M öhlers Symbolik. - Bereits sechs Jahre zuvor hatte sich F itzer eingehend mit D rey und der RS befaßt in: ders ., J. S. Drey and the Search for a Catholic Philosophy of Religion (wie Anm. 124). 192 F ranc¸ ois R ene´ A uguste de C hateaubriand , Ge ´nie du Christianisme, ou Beaute ´s de la religion chre ´tienne. Paris 1802. Die deutsche Übersetzung war 1803 unter dem Titel Genius des Christenthums oder Schönheiten der christlichen Religion herausgekommen. Zur Bedeutung C hate aubriands für D rey siehe Einleitung zu Text Nr. 6 (Katholizismusschrift), Ziff. II.1, bei Anm. 12 und bes. bei und in Anm. 24. 193 Vgl. dazu auch O’M eara , Romantic Idealism and Roman Catholicism (wie Anm. 41); R alph W. F ranklin , Nineteenth-Century Churches. The History of a New Catholicism in Württemberg, England, and France (Modern European History). New York, London 1987 [Diss. 1975]; G erald A. M c C ool , Catholic Theology in the Nineteenth Century: The Quest for a Unitary Method (A Crossroad Book). New York 1977; dazu schon A lexander D ru , The Church in the Nineteenth Century: Germany 1800-1918 (Faith and fact books 103). London 1963. 194 T iefensee , Die religiöse Anlage (wie Anm. 4), zur Stellung D reys zur Aufklärung 150 f; zum Mystikbegriff D reys 152-154 und zu dessen Nähe zu H erder , G oethe , D e W ette und S chelling 152 (hier nicht direkt auf die RS bezogen). Zum variantenreichen Gebrauch des Wendemotivs (vgl. 110, Anm. 417) geht T iefensee deutlich auf Distanz (151). - Von T ie fensee stammt der bisher eindringendste Beitrag zur Erforschung der von D rey vor allem in Rottweil, dem Entstehungsort der RS, ausgebildeten Religionsphilosophie (siehe dazu oben bei und in den Anm. 4, 55, 62 und 90). <?page no="116"?> 84 Erläuterungen Einen Höhepunkt erreichte die Rezeptionsgeschichte der RS bei F ürst 195 . Angeleitet von der Interessenlage des durch seine Hirscherarbeit von 1979 ausgewiesenen Vertreters der praktischen Theologie, verbindet F ürst die textbezogene Rekonstruktion der Ideen D reys mit einer aktualisierenden Auslegung dieser Schrift. Der theologiehistorisch angelegte Gedankengang wird in seinen Strukturen durchleuchtet und in seiner Bezogenheit auf die Situation, für die die RS geschrieben ist, aufgehellt. D rey zielte in seiner Darstellung der Verfallsgeschichte auf den zeitgenössischen Status der Theologie, der historische Exkurs war zugleich ein Mittel zur Veranschaulichung der Negativa und zum mitlaufenden Aufweis seines neuen, erneuernden Theologiebegriffs, zu dem die konstruktive Vermittlung von bildungsfeindlicher Mystik und irreligiöser Verstandestheologie gehört. F ürst faßt die von D rey schon in der RS konzipierte Methode der Theologie typologisch im Begriff »mystische Dialektik«. Es ist das mystische Prinzip, aus dem für die Arbeit des Theologen die entscheidenden kritischen Funktionen erwachsen. Die Kontinuität im Denken D reys zwischen der RS und den späteren Schriften steht für F ürst außer Frage, auch das Ziel, für die Theologie den Status »einer freien, aus sich selbst herausgebildeten Wissenschaft« (D rey ) zu gewinnen, steht von Anfang an fest. Für F ürst erschöpft sich die von D rey in Vorschlag gebrachte Konzeption der Theologie keineswegs darin, ein epochenverhafteter Reformbeitrag zu sein, so hoch er auch in dieser Hinsicht anzusetzen sei; er übersteige in seiner Sachgemäßheit die zeitgeschichtlichen Konstellationen. Bei F ürst ist zu beobachten, wie in der Rezeptionsgeschichte der RS die rekonstruierende Wiedergabe und aktualisierende Auslegung dieser Schrift und auch die bejahende Aneignung ihrer Botschaft sich verbinden können. 195 W alter F ürst , Theologie und Praxis. Über Perspektiven und Schicksale der Tübinger Theologie in ihrer praktischen Version von J. S. Drey und J. B. Hirscher bis J. Ev. Kuhn und F. X. Linsenmann, in: RoJbKG 1 (1982) 69-141, bes. 82-85; ders ., Revision der Theologie - Reform der Kirche? Das Systemprogramm Johann Sebastian Dreys und seine antagonistische Rezeption in der frühen Tübinger Schule als Lehrstück, in: M ichael K essler , O ttmar F uchs (Hg.), Theologie als Instanz der Moderne. Beiträge und Studien zu Johann Sebastian Drey und zur Katholischen Tübinger Schule (Tübinger Studien zur Theologie und Philosophie 22). Tübingen 2005, 119-144, bes. 121 f; vgl. auch schon ders ., Wahrheit im Interesse der Freiheit (wie Anm. 87). <?page no="117"?> Teil B: I. Johann Sebastian Drey, Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie. II. Die Bemerkungen von Mets und Burg I. Johann Sebastian Drey, Revision des gegenwärtigen Zustandes der 5 Theologie. Vorerinnerung. Diese Abhandlung hat nicht zum Zwecke, irgend ein bestimmtes System der Theologie zu untersuchen, oder ein andres aufzustellen, in welcher Hinsicht sie zur Aufnahme in eine Zeitschrift nicht geeignet wäre, die zunächst nur für 10 die Bedürfnisse der in der Seelsorge stehenden Geistlichen bestimmt ist; sie hat also keine bloß spekulative Tendenz. Da es indessen unmöglich ist, daß der im Amte stehende Geistliche ohne alles System handle, da er von der Schule her sein theologisches System zum Dienste mitbringt, folglich dieses System auch auf seine praktischen Verrich- 15 tungen Einfluß hat; so kann er sich schon um seiner selbst willen, und noch mehr um der Früchte willen, die er schaffen soll, nicht von der Pflicht lossagen, den Geist, der ihm in seinen Studienjahren angebildet wurde, und in dem er handelt, fortwährend zu prüfen, und dies um so mehr, wenn sich 4 zeigen ließe, daß die Wissenschaft, die er übt, sowohl in Hinsicht ihrer 20 theoretischen Begründung, als auch ihrer praktischen Darstellung (als Seelenleitung) seit Jahren an mancherley Gebrechen leide, und daß gerade in jenen Gebrechen eine vorzügliche Ursache liege, warum die Religion sowohl an innerer Lebendigkeit, als auch an äusserer Hochschätzung immer mehr verlieren mußte, und verlor. 25 Diese Gebrechen nun, die den Geist der Theologie unsrer Zeit überhaupt charakterisieren, die einzeln schon früher entstanden, die sich mit dem Laufe der Zeiten mehrten, die nun vereint einen sehr nachtheiligen Einfluß zuerst auf die Denkungsart der Geistlichen, und dadurch auch auf das christliche Volk geoffenbaret haben − diese Gebrechen zur Sprache zu bringen, sie als 30 solche aufzudecken, und ein prüfendes Nachdenken unter den Theologen zu veranlassen − dies ist der Zweck dieser Abhandlung. Ich bin überzeugt, daß jenes Nachdenken darüber nicht ohne praktische Wirkung seyn kann; darum übergebe ich die Abhandlung der Redaktion des Archivs, damit diese, wenn sie meiner Ueberzeugung ist, *) sie darinn aufnehmen möge. 35 * Wenn die Redaktion gleich in vielen Stücken dieser Ueberzeugung nicht ist; so nimmt sie <?page no="118"?> 86 Johann Sebastian Drey I. Abschnitt. 5 Von den Schicksalen der Theologie seit den Zeiten der Scholastik, und ihrem Einflusse auf den Zustand der Religion überhaupt. Es darf uns nicht wundern, wenn wir bey näherer Betrachtung eine auffallende Gleichförmigkeit in der politischen und in der Litterärgeschichte eines 5 Volkes finden. Denn was ist der wissenschaftliche Zustand einer Nation anders, als der höchste idealische Ausdruck dessen, was in ihr selbst liegt, was sie bewegt, als ihr geistiges Leben. − Wie sie ihre Kraft beweißt durch ihre Krieger, ihre produzirende Kunst durch ihre Fabrikanten, ihre Gerechtigkeit durch ihre Gesetzgeber, so spricht sich ihr Handeln aus durch die öffentliche 10 Sittlichkeit, und ihr Denken durch ihre Gelehrten, durch den Zustand der Wissenschaften. Nie denkt oder handelt in einem Volke die ganze Masse, sondern wie in dem einzelnen Menschen die Funktionen des ganzen Lebens unter gewisse Organe vertheilt sind; so sind es auch in einem Volke die eminenten Individuen, durch welche sein Leben offenbar wird. 15 Gilt es nun von den Wissenschaften überhaupt, daß ihr Zustand unter einem Volke, ihr Gang und ihre Schicksale in der ganzen übrigen Geschichte desselben eine Parallele haben müssen, durch welche die Litterärgeschichte eben so gedeutet werden kann, wie hinwieder diese durch jene; − so wird es vorzüglich von der Theologie gelten, als derjenigen Wissenschaft, welche 20 6 zwar unmittelbar eben so wenig auf die ganze Masse der Nation wirkt, als jede andere Wissenschaft, aber mittelbar durch ihre Organe allgemeiner und eingreifender als vielleicht alle übrigen zusammen. Denn sie ist die Wissenschaft des Heiligsten und Höchsten, dessen die Menschheit empfänglich ist: wie sie dies Höchste faßt, wird sie auch das Gemeine fassen, faßt sie es groß mit 25 Achtung und mit Liebe; so muß sie selbst dadurch gehoben werden, so wird sie mit einem Charakter von Größe, und ehrfurchtgebiethender Kraft in der Völkergeschichte dastehen, − faßt sie es gemein und niedrig, oder faßt sie es nicht, stößt sie es wohl gar von sich, eine solche Nation eilt ihrer Kraftlosigkeit und ihrer Auflösung entgegen, was auch vorübergehende Phänomene 30 dagegen beweisen möchten! Wer dem Baume die Wurzeln abschneidet, der macht ihn verdorren und fallen, und keine künstliche Treibhaus-Pflege wird ihm sein Leben fristen. So wäre es also möglich und vielleicht auch interessant, die Geschichte der Theologie in unsrer Nation (denn von dieser kann hier eigentlich nur die 35 Rede seyn) parallel mit der übrigen Geschichte zu betrachten, und aus ihrer Nebeneinanderstellung die beyderseitigen Begebenheiten zu begreifen. Ich will und kann aber meiner Absicht gemäß es jetzt nicht thun; sondern mit doch keinen Anstand, den Aufsatz aufzunehmen, hält es aber zugleich aus Achtung für die Wahrheit für Pflicht, ein paar kritische Aufsätze mit berichtigenden Anmerkungen beyzufügen. A. d. R. [Anmerkung der Redaktion des Pastoralarchivs zu dieser Stelle.] <?page no="119"?> 87 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) Beyseitesetzung aller andern Rücksichten will ich meiner Revision bloß eine kurze Darstellung der verschiedenen größtentheils ungünstigen Schicksale der Theologie vorangehen lassen, damit man in dieser Geschichte selbst die 7 Gebrechen allmählig sich entwickeln sehe, die dieser Wissenschaft ihre Auflösung zubereitet haben, wie ähnliche anderwärts der Nation. Sollte der Leser 5 in dieser isolirten Darstellung dennoch mancherley Correlate ungesucht entdecken, so wird ihm meine obige Behauptung nur um so evidenter erscheinen. 2. Kaum ist das Geschrey verhallt, welches man wohl über ein halbes Jahrhundert lang gegen die alte Scholastik anstimmte − und dennoch muß die 10 Theologie bis zu ihr immer wieder zurückkehren, wenn sie von ihrem Anfange als Wissenschaft reden will. Und was wird man dazu sagen, wenn behauptet wird, daß alles Schreiens dagegen ungeachtet die Theologie nimmer und nirgends in einer wissenschaftlichen Form bestanden habe, als in jener sogenannten barbarischen Schule? − Und dennoch ist es nicht anders. 15 Jener rege Eifer in immer neuer und neuer Darstellung der Lehren des Christenthums, nicht nur vereinzelt, sondern im Ganzen, jenes tiefe Spiel der Reflexion und der Phantasie, jener ins Unendliche gehende Scharfsinn in der feinsten Spaltung und Sonderung der Begriffe, jene Erschaffung der reichhaltigsten Terminologie für die unzähligen Distinctionen, jene Consequenz in 20 der Darstellung − dieses rege philosophische Leben in einem geschlossenen Kreise, welches so viele Doktoren mit den ruhmvollsten Beynamen erzeugt hat, wann hat man es seitdem wieder gesehen? − Man hat dieses treffliche Spiel und denkwürdige Kunststück des menschlichen Geistes als eine hohle 8 Nuß weggeworfen − weil es − nichts als Worte enthielt. 25 Hart wäre dieser letzte Vorwurf, wenn er so unbedingt wahr wäre, als man ihn, auch nur wieder um einer freylich neuen Autorität willen, angenommen hat. Ist er aber auch wirklich so wahr? Jenes Spiel in Worten muß aus seiner Zeit beurtheilt werden, wenn es recht beurtheilt werden soll: und wird es dies; so wird es zwar noch immer als Spiel erscheinen, aber als ein Spiel, welches 30 wie jene der Kinder, den Ernst des Lebens und wirklichen Sinn hat. Jenes Zeitalter, in welchem die Scholastik sich bildete, war das Zeitalter der innigsten Religiosität: das Christenthum hatte aller Sinne und Vermögen des Geistes sich bemächtigt, es herrschte als eigentlicher Geist der Zeit, und konnte so herrschen, weil es die einige Cultur der damals von kurz zuvor noch 35 rohen Völkern überschwemmten und nun ruhig besessenen Welt war. Daher sind alle Erfindungen, Künste, Handlungen, ja Kriege sogar, im religiöschristlichen Geiste. Konnte die neu sich bildende Wissenschaft eines andern Geistes seyn? Von dem Christenthum allein konnte die neue Philosophie samt aller Cultur ausgehen; die Philosophie − indem die alte nicht mehr war − 40 mußte durch Religion, nicht umgekehrt die Religion, wie es in unseren Tagen <?page no="120"?> 88 Johann Sebastian Drey der Fall ist, durch die Philosophie begründet werden. Und diese Religion war eine gegebene, überlieferte, nicht durch Demonstrationen künstlich erzeugte; eine Religion, an der das Gemüth hieng, nicht der Ver-stand − das Gemüth, 9 weil es den mildernden, besänftigenden, beruhigenden Einfluß fühlte. Wie aber Kinder ihre Gefühle objectiviren in den ersten Spielen der erwachenden 5 intellectuellen Thätigkeit; so suchten auch die ersten Denker jener Zeit die innern Anschauungen ihres Glaubens durch Begriffe festzuhalten und näher zu bestimmen, so war ihre ganze Philosophie und Theologie ein Spiel ihres erwachenden Verstandes, und weiter bedurften sie nichts; denn die Ueberzeugung von den Lehren des Christenthums hatten sie schon anderwärts her: 10 aber wichtig und interessant ward ihnen das Spiel, weil es der Abdruck ihres Gemüthes war, und den Verstand befriedigte, welcher auch denken wollte − Zweifler und Ungläubige gab es nicht, gegen welche die neuere Theologie zu Felde zog. Auf diesem Wege entwickelte sich nothwendig der doppelte Charakter der 15 Philosophie und Theologie des Mittelalters. Hervorgegangen aus dem Drange lebendig religiöser Anschauung mußte sie ihrem innern Wesen nach religiös und christlich seyn: aber als Bestreben die innere religiöse Welt auch nach aussen zu entfalten, einen Abdruck von ihr in Begriff und Wort darzustellen, mußte sie Dialektik werden. Mit diesem doppelten Charakter finden wir sie 20 schon in den Schriften der spätern Kirchenväter, in den Schriften des Venerabilis Beda, noch bestimmter bey den Schriftstellern des 11ten und 12ten Jahrhunderts, z. B. bey Joannes Scotus Erigena, Peter Da-miani [,] Lanfranc, 10 Anselmus *) u. a. Der Geist aller dieser Schriftsteller ist der mystische, d. h. der rein religiöse und christliche, der in allem Zeitlichen und Endlichen eine 25 Allegorie und Andeutung des Göttlichen sieht, und eben darum weder von einem eigenen Charakter oder Wesen dieser endlichen Dinge reden, noch ihrer Natur nachforschen kann, indem er diese Natur in dem ewigen Willen, und in der Ordnung Gottes viel klarer erkennt, als sie ihm in der zerstükkelten zeitlichen Erscheinung gegeben werden mag. Aber gerade diese Los- 30 gebundenheit von dem sogenannten Realen machte es möglich, daß sich der philosophirende Geist jener Zeit in den mannigfaltigsten Entwickelungen versuchen, und ein weites Feld von Abstraktionen und dialektischer Kunst abstecken konnte; denn wo die Wissenschaft sich zum Empirischen herabgelassen hat, haftet der Begriff am Objekte und an bestimmter Form, und 35 kann derselben nimmer los werden. Indessen war es leicht vorauszusehen, daß die Dialektik nicht immer im Dienste der Mystik bleiben, sondern wie sie sich von dieser getrennt haben würde, sogar als Gegnerinn derselben auftreten werde. Denn wie der Verstand der Herrschaft des Glaubens entwächst; so wird er der natürliche und 40 * Bernhard von Clairvaux, − Bonaventura − Richard und Hugo von St. Victor. − <?page no="121"?> 89 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) nothwendige Feind des Uebersinnlichen. Diese Trennung erfolgte wirklich, und bildete den Gegensatz der Nominalisten und Realisten, der unter ver- 11 ändertem Namen durch das ganze Zeitalter der Scholastik, und bis zu ihrer gänzlichen Auflösung fortgedauert hat. Vergebens mischte sich die Kirche in den Streit der Dialektiker, der die christliche Glaubenslehre zu bedrohen 5 schien, vergebens zwang der tiefsinnige Mystiker und Scholastiker Peter Abeillard den Roscellin und Wilhelm de Champaux 1 , die Häupter der Partheyen, ihre Behauptungen einzuschränken; die bald nachher durch die Araber verbreitete aristotelische Dialektik von aller Mystik entblößt zog sich in die Schranken der Philosophie zurück, um nun freyere Hände zu haben, und das 10 Ansehen zu vermeiden, als wollte sie in Glaubenssachen etwas entscheiden, was sie der Theologie überließ, die nun fortan von der Philosophie getrennt blieb, und nunmehr die dialektische Kunst mit ihr theilte. Diese Trennung der beyden Elemente der Scholastik war in mehr als einer Hinsicht von den schädlichsten Folgen. Die philosophische Scholastik, da sie 15 nicht mehr in der Anschauung des Göttlichen lebte, und eben so wenig zur klaren Erkenntniß des Endlichen in der Erfahrung durchgedrungen war, ward erst jetzt zu einem leeren Wortspiele ohne Gehalt und Bedeutung; nur der von der logischen und dialektischen Richtung der Wissenschaft unabhängige religiöse Geist des Zeitalters hielt diese lose Formalität noch aufrecht; 20 aber nicht selten fieng sie jetzt schon an, gegen die Glaubenslehre in Opposition zu treten, wie durch Almaricus und David de Dinanto; und später hatte 12 sie an den großen Religionszwistigkeiten einen bedeutenden Antheil. Die theologische Scholastik aber, die für sich selbst von der philosophischen nicht verschieden war, zugleich auch das mystische Element verlohren hatte, mußte 25 sich gleichermaßen in eine Menge nichtsbedeutender Spitzfindigkeiten verlieren, und sich um so mehr damit befangen, weil eben diese oft als Einwürfe gegen theologische Behauptungen gebraucht werden konnten. Diese Scholastik verwandelte sich in eine Eristik. Erst in diesen Zeiten der Sonderung und Trennung bildete sich die thörichte Einbildung eines wesentlichen und 30 natürlichen Gegensatzes der Vernunft und der Offenbarung, wodurch die Theologie zu allen den verkehrten Mitteln verleitet worden ist, die ihre Auflösung als Wissenschaft herbeygeführt haben. In dem berühmten Streite der Nominalisten und Realisten lag die nächste Veranlassung dazu; sanctionirt aber ward dieser Gegensatz durch die Methode des Petrus Lombardus, die für 35 alle folgenden Jahrhunderte das Muster der theologischen Scholastiker blieb. Dadurch daß er nach seinen Beweisen für die theologischen Sätze immer einige sogenannte Einwürfe aus der Philosophie beyfügte, die er, wo sichs thun ließ, aus anderen philosophischen Gründen, oder wo er nicht ausreichte, durch die Auctorität der Kirchenväter zu widerlegen suchte, nährte und 40 1 in der Vorlage: champaux <?page no="122"?> 90 Johann Sebastian Drey bestärkte er den Glauben, als wenn die Philosophie der Theologie entgegen strebe, und eben so die Vernunft überhaupt. Die schädlichen Folgen dieses Wahnes werden wir später berühren. Eine eben so nothwendige Folge jener Trennung des mystischen und 13 dialektischen Elements der Scholastik war jene, daß nun die Mystik selbst sich 5 gegen die herrschende Philosophie und Theologie erhob, beyde auf gleiche Weise verachtend und verächtlich machend. Das Wesen der Religion empfindend mußte es nämlich die Mystik unverzeihlich finden, daß man es menschliche oder göttliche Weisheit nenne, mit Worten zu spielen, deren eigentlicher Sinn und Geist jenen Schulen unbekannt geworden war. Und so half die 10 Mystik selbst, aus der jene Scholastik hervorgegangen war, am Ende diese verdrängen; alles trug bey, das alte ehrwürdige Kunstwerk aus den Zeiten der erwachenden christlichen Cultur aufzulösen. 3. Ihrer gänzlichen Auflösung mußte diese alte Theologie unterliegen, als sich mit dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts ein ganz neuer Geist unter den 15 europäischen Nationen zu regen anfieng. Jenes Mittelalter muß als das Kindesalter der neuern Welt betrachtet werden: denn diesem glich es an Fülle innerer Anschauung und Empfindung, an Einfalt der Begriffe und der Sitten, an Armuth der Erfahrung und der äussern Bildung. − Aber eben darum mußte es enden, und einer neuern Zeit Platz machen, die sich als die Zeit einer 20 rüstigen, nach Freyheit ringenden, überall in das Leben und die objektive Welt einbrechenden Jugend charakterisirt hat. Den ersten Anstoß erhielt die erwachende Jugendkraft dieser neuern Zeit durch die Denkmäler altgriechischen und altrömischen Kunstsinnes und Geschmackes, die ewig das Muster 14 objektiver und realer Bildung bleiben werden. Als sich in diesen Denkmälern 25 der Kunst und der Wissenschaft ein Leben offenbarte, so klar und besonnen, so offen und anziehend, so reich an Bildern und Geschichte, wie hätte da noch die an Begriffen unendlich reiche, an Anschauungen aber eben so arme Scholastik sich halten und über die Köpfe herrschen können? Die erste unmittelbare Wirkung der erwachten Liebhaberey für alte Bildung war zwar 30 zunächst nur diese, daß sich die bessern Köpfe der Scholastik entzogen, und sich gegen diese erhoben. Aber eine andere noch weit nachtheiligere konnte nicht ausbleiben. Das freye selbstständige Leben brachte Zwiespalt in die Hallen der heiligen Wissenschaft selbst und in die Gemüther den Sitz ehrwürdiger Meinungen. 35 Der Misbrauch der Authorität, auf welche sich seit der Urzeit der Menschheit aller Glaube und alles Erkennen gegründet hatte, und worauf er sich nothwendig gründen muß, weil der Einzelne mit allem seinem Wissen nur einen kleinen Theil der Zeit und des Raumes umfaßt − der Misbrauch der Authorität verleitete die jugendlich brausenden Köpfe, alle Authorität selbst zu 40 verwerfen, und an deren Stelle die eigene individuelle Einsicht zu setzen. So <?page no="123"?> 91 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) rächte sich die Inconsequenz der Scholastiker, die in ihrem Dünkel die Authorität eines Einzelnen dem unverwerflichen Ansehen einer allgemeinen Tradition und des großen Körpers der Gläubigen gleich gesetzt hatten, durch eine gleiche Inconsequenz der Reformatoren. Alle diese Ereignisse konnten nicht anders als erschüt-ternd auf die Theologie wirken, und es war voraus- 5 15 zusehen, daß sie sich nothwendig eine andere Gestalt geben müsse. Diese neuere Gestalt unterschied sich zwar jetzt n a c h d e m A e u s s e r n noch nicht besonders von der Aeltern: weil die Reformatoren in der Theologie ihre erste Bildung selbst noch in den Schulen der Scholastik erhalten hatten, und größtentheils in den Künsten der Dialektik durchgeübt waren, also ihre Meinun- 10 gen gerne in jenen Formen durchführten; auch konnte eine neue Theologie ohne eine neue Philosophie schlechterdings nicht erschaffen werden, und diese letztere war noch nicht, so viele Versuche dazu auch gemacht wurden. Aber wesentlich unterschied sich dennoch die neuere von der ältern Theologie dadurch, daß jene, indem sie ihre Behauptungen einzig auf ihre subjek- 15 tive Erkenntniß gründen wollte, für diese subjektive Erkenntniß eine objektive Stütze anderer Art, als die bisher vorzüglich geltende, suchen mußte: und diese − dem Anscheine nach − höchstwichtige objektive Stütze fand sie in − den heiligen christlichen Büchern, die nunmehr der einzige Glaubensgrund, die einzige theologische Beweisquelle werden sollten. 20 Durch eine solche Wendung der Dinge wurde aber der Theologie ihr gänzlicher Untergang vorbereitet, indem sie in eine solche Abhängigkeit von einer Menge zufälliger dem Christenthum und Glauben ganz fremder, profaner und empirischer Dinge gerathen mußte, daß sie auf den Namen einer freyen aus sich selbst herausgebildeten Wissenschaft keinen Anspruch mehr 25 machen konnte. Denn hatte bisher der Theolog in der Kirche, d. h. in der 16 Anschauung des lebendigen Organismus, wie er sich aus dem ihm einwohnenden Lebensprinzip entwickelt hatte, gelebt, − und war seine Theologie eine Kopie dieses Organismus gewesen, selbstlebendig und getreu; so mußte der Reformator zu anderen Dingen seine Zuflucht nehmen. Den lebendigen 30 Organismus verließ er, weil sich hin und her einige Abscesse angesetzt hatten, die entweder von selbst abgefallen oder zu rechter Zeit durch chirurgische Hilfe weggenommen worden wären: ohne den Organismus selbst konnte und wollte er auch nicht leben; daher wandte er sich zu einer Kopie und Beschreibung welche die Geschichtschreiber seiner Jugend hinterlassen hatten, 35 und glaubte aus dieser Beschreibung − so unvollständig sie auch auf uns gekommen ist, Natur und Beschaffenheit des Organismus besser zu ergründen, als aus der Anatomie des Körpers selbst. Nichts davon zu sagen, daß ein solches Verfahren an sich selbst ungereimt war, auf welche Folgen mußte es führen? − Bücher, in alten abgestorbenen Sprachen geschrieben − von Män- 40 nern geschrieben, deren eigene Muttersprache zum Theil jene Sprachen nicht waren, die also den Geist und Gang ihrer ursprünglichen Denk- und Aus- <?page no="124"?> 92 Johann Sebastian Drey drucksweise in kaum gelernte fremde Sprachen übertrugen, deren jeder wie natürlich, seine eigenthümliche Vorstellungsart hatte, − die nur gelegenheitlich schrieben, ohne eine erschöpfende, Alles umfassende Darstellung vom Ganzen geben zu wollen − die vom organischen Ganzen keine andre Beschreibung geben konnten, als in wieferne es sich damals schon entwickelt 5 17 hatte − zu einer Zeit, wo dieses Ganze noch zu keiner freyen und fröhlichen Existenz gelangt war, sondern erst noch den langen Kampf gegen Heidenthum und Judenthum, und eine verfallene Philosophie zu kämpfen hatte − diese Bücher sollten nach fünfzehn hundert Jahren und noch für Jahrtausende künftiger Völker und Geschlechter, unter einer ganz veränderten Cultur, eine 10 eben so klare, genügende, umfassende Darstellung des Christenthums geben, als sie sie zu ihrer Zeit, begleitet von der mündlichen Erläuterung, begleitet von andern verloren gegangenen Stücken, geben konnten. Diese höchst unvollständige[n] und keineswegs genügenden Urkunden sollten nun zur Anschauung des reinen Christenthums und zur wissenschaft- 15 lichen Construktion desselben dienen, indem sie der Kunst und der Kraft des einzelnen Dollmetschers preis gegeben wurden. Es mußte über frühe oder späte kommen, daß sich die ganze Theologie in eine Grammatik und Philologie, und zwar in eine Philologie, die mit Worten kramt, verwandelte. Jetzt konnte es nicht mehr das lebendige Christenthum seyn, wie es sich mit dem 20 Laufe der Zeit unter der Leitung des göttlichen Geistes entwickelt hatte, wie es in der Kirche leibte und lebte, was die Theologie als Wissenschaft und System wiedergeben sollte − »denn jene Entwickelung hatte ja unter Menschenhänden einen ganz verkehrten Gang genommen, der Körper der Kirche war voll Geschwüre und Eiter, und der göttliche Geist hatte nicht den 25 18 lebendigen Leib, sondern nur den todten Buchstaben bewacht, damit dieser nicht untergienge« 2 , dieser todte Buchstabe war es, den die Wissenschaft beleben sollte, dieser Buchstabe, den man so lange verkannt hatte, sollte wieder zu Ehren kommen. Aber wie wollte man ihm dazu verhelfen? Alle jene großen Wunderkräfte, die ihn einst belebt, und ihm den Sieg über die Welt 30 verschafft hatten, als der Geist Gottes zuerst ihn durch den Mund einfältiger Männer aussprach, alle diese Wunderkräfte schliefen jetzt, als menschliche Weisheit ihn meistern wollte; und da diese Hülfe nicht von oben kam, mußte man sich selber Rath schaffen. Nun wurde Kenntniß jener alten Sprachen, Auslegungskunst, Forschung und Deutung alter ausländischer Gebräuche 35 und Redensarten, kühne Hypothesen, geschickte Hinüberschiebung der modernen Denkweise in jene alte Zeit, Sammlung von Handschriften, Fragmenten und Varianten, kurz der ganze Apparatus Eruditionis, so zerrissen und vereinzelt als alle die Dinge in der Welt existiren mochten − dies ward jetzt die unerläßliche Bedingung einer ächten Theologie; aus diesen Ueberresten sollte 40 2 Zitat durchgehend an jedem Zeilenbeginn gekennzeichnet; nicht identifiziert <?page no="125"?> 93 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) sich der verjüngte Phönix erheben. Jeder, der von dieser Zufälligkeit sich etwas angeeignet hatte, bis auf den Grammatiker herab, konnte jetzt den spekulativesten Theologen meistern. − Jedoch bis zu dieser Profanirung kam es mit dem Anfange der Reformation noch nicht: der bessere Geist der Reformatoren hielt sie noch eine 5 Zeitlang auf. Diese Männer nämlich hatten von ihrer und der vorhergehen- 19 den Zeit noch ein Erbtheil erhalten, welches ihren Bemühungen einen religiösen Anstrich, und selbst das Gelingen gab. Es war die Mystik, die gerade jetzt bey dem sichtbaren Verfall der Scholastik ihr Haupt siegender als je erhob, und an die Gemüther Forderungen machte, die durch keine profane 10 Wissenschaft, die nur durch ein wahrhaft religiöses Glauben und Leben befriedigt werden konnten. Darum war es jenen Männern nicht um das Wort zu thun, des bloßen Wortes, sondern des Glaubens und des Gewissens wegen, und sie traten vom lebendigen Körper der Kirche aus, weil sie meynten, das lebendige und lebendigmachende Wort sey dort nicht mehr zu hören. Nicht 15 aus Irreligiösität gieng die Häresis hervor, sondern aus dem Irrthume: und es ist dieser Irrthum einer der beyden Abwege, auf welche die Mystik gerathen kann, wenn sie der Dünkel übernimmt, daß sie ihre inneren subjektiven Anschauungen auch objektiv für allgemeingiltig erklären, und dem allgemeinen Glauben entgegen setzen will. So lange noch dieser Geist, so lange 20 noch religiöser Ernst diese Theologen beseelte, mußte von ihm noch immer etwas in die ausgeartete Wissenschaft übergehen, und man konnte von ihnen sagen, daß ihr Herz besser sey, als ihr Ruf. Jener Geist aber dauerte noch über hundert Jahre nach dem Verfalle der Theologie, und der noch nicht ermüdete wörtliche und thätliche Widerspruch der Katholiken gegen die Protestanten 25 zwang die letztern einen ernsten Ton in der Theologie zu behaupten. 4. Endlich aber mußte der Verfall doch einmal offenbar werden. Der empi- 20 rische Geist in den Wissenschaften überhaupt, das reine Produkt der neuern Zeit, griff überall mehr um sich, und drang gewaltsam auch auf das Gebieth der Theologie ein, einer Wissenschaft, die, wenn je eine, auf einem höhern 30 Grunde, als dem der Zeit und der Endlichkeit bauen muß. Dieser empirische und sinnliche Geist verdrang zuerst die Mystik, die doch die Seele des Christenthums ist, und indem durch Verschwindung der Mystik auch die erhabnere Auffassung des Christenthums als eines großen die ganze Geschichte der Menschheit umfassenden Rathschlusses Gottes verschwand, auch der Begriff 35 von der Kirche als von der ins Unendliche fortschreitenden Realisirung dieses Rathschlusses sich verlor, mußte sich eine Ansicht von dem Christenthume bilden, die dasselbe als eine zufällige Erscheinung in der Menschheit betrachtete, und sie aus eben so zufälligen Ursachen zu erklären unternahm. Denn nur das Zufällige ist der Empirie willkommen, weil es dabey für sie etwas auf 40 ihrem Wege zu untersuchen, zu erklären, und zu begreifen giebt: es ist hier ein <?page no="126"?> 94 Johann Sebastian Drey Tappen erlaubt, weil das Zufällige aus mehrerley Ursachen entsprungen seyn kann, − ein wahrscheinlich Machen, weil man das Rechte doch nicht sogleich treffen kann − ein Hypothesen-Erfinden, weil doch etwas gesagt werden soll, und des Grübelns ist auch nicht leicht ein Ende, weil der Zufall so weit und breit ist, als die Welt. 5 Eine solche Ansicht kam einer Theologie erwünscht, die vermöge ihres 21 ersten Grundsatzes sich auf lauter empirische Data fußen mußte, kam erwünscht einem Systeme, welches die untheilbare Einheit des Christenthums und seiner Geschichte aufgehoben, die ursprüngliche Kirche der spätern entgegengesetzt, und seine Vertheidigung auf eine vergangene Zeit und Ge- 10 schichte gebaut hatte. Nun erst mußte der Protestantismus begierig nach allen jenen obengenannten Hilfsmitteln greifen, die bisher unbenützt in ihm wie ein verborgenes Waffenmagazin gelegen waren, und ihm eine nach seiner Ansicht allerdings entschiedene Ueberlegenheit über seine Gegner geben mußten, welche, indem sie in einer ewigen Gegenwart lebten, auch von jener Vergan- 15 genheit keine Notiz haben konnten. Nun fieng das Erklären aus Zufälligkeiten an − und nicht lange, so hatte man schon eine Menge Dinge im Christenthum gefunden, die sich zufälliger Weise darinn eingeschlichen hatten, und daher als ausserwesentliche, als Nebendinge entfernt werden mußten. S e m m l e r und B a h r d t erhielten darüber große Triumphe, und das Reizen- 20 de dieser so leicht errungenen Lorbeeren setzte nun viele andere in Bewegung: reger und lebendiger war es auf dem Gebiethe der Theologie noch nie hergegangen, als jetzt. Dazu gesellte sich noch ein andrer Umstand. Derselbe Geist, der die Theologie ganz auf das empirische Gebieth hereingezogen hatte, hatte in 25 jenem der Philosophie ein noch ausgebreiteteres Feld gewonnen, und hatte 22 über die mißverstandenen Spekulationen, die innerhalb dieser Zeit von einigen scharfsinnigen Philosophen gewagt worden waren, die Oberhand behalten. Auf diesem Felde, wo ihm gar keine Authorität und Geschichte entgegenstand, mußte er bald an seine natürliche Grenze gelangen: die Empirie 30 endete mit Materialismus und Skepticismus. Weil nun für die Philosophie nichts weiter mehr zu thun blieb; so kehrten sich die ausgemachten (! ) Philosophen gegen die Religion und ihre Verfechter, und beschossen diese mit dem ganzen Vorrathe von Vo l t ä r ’ s tiefem Witze, und H u m e ’ s melancholischen Zweifeln. Das Heer der Theologen aber, schon seit lange in 35 schlechter Verfassung, verstand von der Kriegskunst so wenig, als manches andre Heer, und ließ sich von seinen Gegnern auf ein Schlachtfeld locken, das nicht ungünstiger für sie hätte seyn können. Sie ließen sich nämlich beygehen, den Naturalismus auf seinem eigenen Grund und Boden anzugreifen, auf welchem das Christenthum nun und nimmer zu vertheidigen seyn wird. Man 40 glaubte sich stark genug, nach Verlassung alles Wunderbaren, Ausserordentlichen, Göttlichen − wogegen die Naturalisten ohnehin höchlich protestirten <?page no="127"?> 95 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) − mit einem einzigen natürlichen Wunder auszureichen, mit dem Wunder der Geschichte, wogegen Niemand, der nur gesunde Augen habe, etwas würde einwenden können. Aber die Vertheidiger hatten vergessen, daß sie die Geschichte, in dem Sinne, wie sie allerdings die Naturalisten widerlegen konnte, selbst vernichtet hatten. Denn sie erkannten die Geschichte nicht als das 5 23 Werk einer ewigen Nothwendigkeit, die der religiöse Mensch Vorsehung nennt, sondern als das Werk der subjektiven Freyheit und daher als das Werk des Zufalls, durch die willkührlichen Handlungen von einzelnen Menschen und Nationen zusammengewehet: diese christlichen Theologen waren nach ihren Grundsätzen selbst Naturalisten, nur wußten sie es nicht. Es war deß- 10 wegen auch kein andrer Erfolg möglich, als daß die Naturalisten Recht behielten, und die Theologen einen haltbaren Ort um den andern abtreten mußten. Diese mußten zufrieden seyn, wenn jene sich bequemen wollten, weniger wild über das Christenthum zu schreyen, und unter mancherley Modificationen ihm noch eine gewisse Brauchbarkeit für den Pöbel zu zuge- 15 stehen. Man tröstete sich über den Verlust, indem man das sonst strenge und ernste Studium der Theologie dem leichtern und spielendern der Philologie und des Alterthums näher brachte, − und das Spielen mit Worten, Redensarten und sprachengelehrtem Kram ward eben so kindisch, als es in der Scholastik das Spielen mit Begriffen und Distinktionen gewesen war. Nur 20 sank die ehrwürdigste Wissenschaft, die Wissenschaft göttlicher Dinge, immer mehr zu einer profanen Scienz herab, und nach dem regellosesten Spiele der Willkühr endete sie damit, daß Niemand wußte, wie man daran sey: ihr einziges Bollwerk die Authorität eines göttlichen Buches, hatten sie eingerissen. 25 Ich mußte so vieles von der protestantischen Theologie sprechen, weil − 24 von der katholischen wenig zu sagen ist. Einzelne Mißgeschicke hatte sie mit jener gemein: so zum Beyspiel verschwand auch aus ihr der mystische Geist, und diejenigen, die ihn noch zu retten gesucht hatten, wie ein F e n e l o n , P a s c a l , wurden von der Gegenparthie gedrückt, und durften nicht mehr 30 reden. Diese Gegenparthie, die nun das Wort an sich gerissen hatte, war, so sehr sie für den Katholizismus eiferte; doch protestantischen Geistes, indem sie ebenso wie jener am Buchstaben klebte − am Buchstaben der Bibel, am Buchstaben der Tradition und der Geschichte, am Buchstaben der Väter und der Concilien. Sie hatten von den Vortheilen, welche ihnen die feste, konse- 35 quente, organische Form des Katholizismus gegen ihre Gegner gab, so wenige Kenntniß, daß sie von Protestanten darauf aufmerksam gemacht werden mußten, − sie konnten das Ganze, das ihnen doch lebendig in der Anschauung gegeben war, in einem wissenschaftlichen Systeme so wenig wiedergeben, daß ihre ungeschickte Behandlung der besten Sache die Sache selbst auch 40 unter den ihrigen zweifelhaft machen mußte. Sie giengen noch lange Zeit in veralteten geschmacklosen Formen der Darstellung und Beweisart einher, so <?page no="128"?> 96 Johann Sebastian Drey daß dadurch die Beweise selbst entstellt werden mußten, weil keine Ahnung irgend einer andern Nothwendigkeit darinn lag, als die Nothwendigkeit einer zwar ausgesprochenen, aber nicht verstandenen (göttlichen) Auctorität. Und indem so einer dem andern nachschrieb, und wenige sich weiter 25 umsahen, was etwa auf dem Gebiethe der übrigen Wissenschaften, und in der 5 veränderten Denkart der Zeit vorgehen möchte, mußten sie diese mißverstehen, und auch ebenso wieder mißverstanden werden. Endlich drang aber doch der Geist der Zeit über die wohlbewachten Schranken auch in diese Theologie ein, brachte aber nur seine Schwächen mit. Nun kam es, daß diese Grundsätze von der Zufälligkeit aller Dinge im Christenthum auch bey diesen 10 Theologen die herrschenden wurden: diesen zufolge fieng man nun auch an aufzuräumen, und vieles als abgelebt und grundlos aufzugeben, weil man nur die Schale, aber den Kern nicht kannte; die Schale aber freylich alt und ungestalt geworden war. So sehr man hierin den Protestanten nacheilte, so wollte es doch mit den philologischen Künsten bisher noch nicht recht voran; 15 aber ein größeres Glück machte die praktische Vernunft, denn die war ja − praktisch, und dazu leicht verständlich. Jetzt wunderte man sich, wie die Väter doch auch rechtliche Christen seyn konnten, da sie von keinem praktischen Christenthum und keiner moralischen Religion gewußt hatten. Man eilte diese moralische Religion, die gerade recht zu der Immoralität der Zeit gekommen 20 war, überall zu verschreiben; und weil die einfachsten Medizinen die besten seyn sollen, so mußte auch diese so rein wie möglich, und ohne die Zusätze des Positiven gegeben werden. Alles Geschichtliche, Symbolische, Mystische suchte man zu verdrängen, weil man nun ein lauteres und klares Panacee 26 gefunden hatte. 25 Mir schienen hierinn die Katholiken gescheider, als die Protestanten zu verfahren: denn die erstern warfen jetzt brevi manu und mit einem kategorischen Imperativ als Ballast über Bord, worüber die anderen sich ein halbes Jahrhundert lang, und mit Foliantengelehrsamkeit gequält hatten, wie es hinaus geschafft werden könne. 30 Rotweil. J o h . S e b a s t . D r e y . Professor. <?page no="129"?> 97 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) II. Bemerkungen über den durch Hrn. Professor Drey zu Rotweil eingesendeten Aufsatz. A. Joseph Mets Ueber Nro. 1. 5 Der vorliegende Aufsatz enthält nur eine allgemeine Uebersicht, doch leuchtet aus derselben der besondere Geist, und die eigene Tendenz ganz klar hervor. Die Schrift kündiget sich in hohem Grad a n m a ß e n d , a b s p r e c h e n d , i m p o n i e r e n d durch blendende Formen an, ist aber im Ganzen sehr e i n s e i t i g . Es wird darinn der jedesmalige bessere Zeitgeist nicht genug 10 gewürdiget, und der allgemeine, ununterbrochene Erziehungsplan Gottes mit den Menschen, hie und da ganz übersehen; über die heiligen Urkunden des Christenthums mit zu weniger Achtung weggesehen, dabey der Mystizismus allein als der allmächtige Retter und Erlöser der Menschheit zu allen Zeiten, und von allen Uebeln vorgestellt. Wahrhaft religiöse Menschen gab es, hatte 1 15 der Verf. recht, ausser der auserwählten Zahl der Mystiker keine, und kann 28 auch keine geben. Was aber der Mystizismus eigentlich sey, wird nirgends deutlich genug ausgesprochen, obgleich er der eigentlich wahre Geist des Christenthums seyn soll. Ueber Nro. 2. 20 1) Der wahre, lebendige Organismus des Christenthums bestehn 2 dennoch im Mystizismus? und alles Verderben der Menschen rühre allein vom Abweichen vom Mystizismus her? Ausser dem Mystizismus wäre kein Heil, und alle Bemühungen der Gelehrten zu allen Zeiten waren eitles Werk, Irrthum und todter Buchstabe. 25 So hätte also der heilige Stifter des Christenthums, eigentlich nicht das Christenthum, sondern den Mystizismus gestiftet, und Er selbst wäre der erste Mystiker gewesen − ? Er, der doch seine Lehre so einfach, so natürlich, so allgemein faßlich aussprach? 2) Einerseits werden der Gang und die Schicksale der Theologie sehr treffend 30 und lehrreich gezeichnet, zugleich aber werden auch gewagte ungegründete und ungerechte Behauptungen ausgesprochen − welche der bessern Natur des Menschen, dem Zwecke des endlichen Geistes, welcher im ewigen Fortscheidten 3 bestehen muß, widersprechen. Sonderbar und neu ist die Behauptung, daß ausser dem Mittelalter, ausser der barbarischen Schule dieser Epo- 35 che, in Hinsicht der Theologie nie eine eigentliche wissenschaftliche Form 1 wohl für: hätte 2 wohl für: bestehe 3 wohl für: Fortschreiten <?page no="130"?> 98 Bemerkungen von Joseph Mets bestanden habe? Diesem Zeitalter waren sonst überhaupt die wissenschaft- 29 lichen Formen am wenigsten eigen. 3) Dem Verf. aber ist das Mittelalter − vermuthlich das eilfte, zwölfte und dreyzehende Jahrhundert − das eigentliche Zeitalter der Scholastik besserer Art und der i n n i g s t e n R e l i g i o s i t ä t . 5 In diesem goldenen Zeitalter hätte sich nach dem Urtheile des Verfassers das Christenthum aller Sinne und Vermögen des Geistes bemächtiget; da herrschte eigentlich der Geist des Christenthums, und der wahre Geist des Christenthums war eigentlich Geist der Zeit... Der Beweis davon möchte für den Verf. eine schwere Aufgabe seyn, wenn er nicht einseitig ausfallen soll. 10 Die Epoche des Christenthums bey seinem Ursprunge, unter der unmittelbaren Leitung des göttlichen Stifters, und seiner Apostel und ersten Jünger. Diese Epoche wird gar nicht berührt, da hätte also der wahre Geist des Christenthums noch nicht so ganz geherrschet. F r ü h e r und s p ä t e r ! als wie im Mittelalter − hätte der lebendige Organismus des Christenthums nicht 15 geherrschet? 4) Vom Christenthum allein konnte die wahre Philosophie und alle Kultur ausgehen − wahr und falsch zugleich, je nachdem die Sache angesehen wird; − Christus hat sich nirgend als eigentlichen Philosophen angekündiget; Er war aber die Weisheit selbst; − und daß alle K u l t u r vom Christenthume 20 ausgieng, dafür mögen in der Geschichte die Beweise kaum zu finden seyn; denn vor dem Christenthum hatte, was gewöhnlich Kultur genannt wird, 30 einen hohen und glänzenden Grad erreicht. 5) Die Religion begründe die Philosophie − Religion aber hafte im G e m ü t h e , und nicht im Verstande − also konsequent: Religion begründet eine 25 Philosophie ohne Verstand, eine Philosophie des Gemüthes, als wenn Religion nicht den ganzen Menschen mit allen seinen Kräften in Anspruch nähme, und nur durch das medium des Verstandes in das Gemüth übergienge − nihil est volitum, quod non sit antea cogitatum, bleibt unveränderlicher Grundsatz; und das Wesen der wahren Religion wird doch nicht bloß in der müßigen 30 Empfindung bestehen, sondern sich nothwendig auch in Gesinnung und Thaten aussprechen müssen, wie in dem Vorbilde Jesus selbst? 6) Die ersten Denker, jener Zeit des Mittelalters, suchten die innere Anschauung ihres Glaubens durch Begriffe festzuhalten und näher zu bestimmen − das ist aber doch gewiß eine Operation des Verstandes, und müssen nicht 35 alle Denker aller Zeiten so verfahren? ist dieses ein eigenthümlicher Vorzug jener Zeiten? − Sonderbar! Jenen Auserwählten war Philosophie und Theologie nur ein Spiel ihres erwachenden Verstandes − mehr bedurften sie nicht; denn die Ueberzeugung von den Lehren des Christenthums hatten sie anderwärts her; 40 − Woher wohl? Aus der Quelle der Mystik? und ohne das Geschäft des Denkens? Wozu denn noch ein Denken, ein Verstand überhaupt? <?page no="131"?> 99 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) 7) Das Denken wäre dem Philosophen des Mittelalters nur ein Spiel des 31 Verstandes wichtig und interessant gewesen? wozu aber ein Denken, des bloßen Denkens, nur des angenehmen Spieles wegen? Solch Spiel unterbleibe lieber, wenn es nur ein Spiel ist; aber mit so erhabnen und ernsten Dingen soll wahrlich keine Schule spielen wollen. Religion ist Licht und Wahrheit − setzt 5 wesentlich im Menschen Verstand und Vernunft voraus, wenn der ganze Mensch und all sein Thun, nicht ein blindes Spiel seyn soll. 8) Zweifler und Ungläubige gab es damals nicht − das war freylich ein auserwähltes, heiliges Volk, und ein wahrhaft goldenes Zeitalter − wo Niemand zweifelte und Niemand ungläubig war − wie denn auch nur unter den 10 Menschen Zweifler und Ungläubige entstehen konnten? Zu den Zeiten der Apostel gab es schon Zweifler und Ungläubige genug? − und es gab ihrer wohl in allen Epochen, wenn man die Geschichte unpartheyisch durchgehet... 9) Nach dem Urtheile des Verfassers herrschte nur im Mittelalter wahre, und 15 würdige Philosophie und Theologie − diese entstand eigentlich in dieser Epoche; − Wo finden sich aber die K l a s s i k e r darüber? − Aus dem heiligen Drange der lebendig religiösen Anschauung − die von Jenen nothwendig religiös und christlich ist − nach Aussen aber in Begriff und Wort dargestellt, als Dialektik erscheinen muß, soll wahre Philosophie und Theologie entstan- 20 den seyn. Dahin weiset der Verfasser zurück − als an die reine Urquelle, und 32 alle spätern Fortschritte und Bemühungen der edelsten Menschen sind ein Abweichen von der Quelle, ein Abfall von der Wahrheit. Muß so ein Urtheil nicht in höchstem Grade entehrend für die bessere Menschheit, und für den bessern Genius aller Zeiten seyn? 25 10) Die eigentlichen Geistesmänner, und das auserwälte Volk dieser Zeit − waren aber nur die M y s t i k e r − nur diese waren vom rein religiösen und christlichen Geiste beseelt? (ob wohl auch ein P a u l u s unter die Zahl dieser Auserwählten gehören mag? von Christus selbst nichts zu melden.) »Nur wer in allem Zeitlichen und Endlichen eine Allegorie und Deutung des Göttlichen 30 sieht, und von keinem Wesen der zeitlichen Dinge spricht − − « 4 Wer aber sieht in allem Endlichen, nicht die Spur des Göttlichen, und welcher Vernünftige hält dann die Spur für das Wesen Gottes selbst? Wie oft entlehnt nicht der göttliche Lehrer des Christenthums Bilder aus der Natur, um seine Lehre bildlich darzustellen? − Die Mystiker aber reden gar nicht von 35 einem eigenen Charakter oder Wesen der endlichen Dinge? Doch reden sie von ihnen, wie andere auch, und tausendmal wird der Mensch durch seine Natur veranlaßt, von endlichen Dingen zu sprechen, da er sich auch endlich fühlet − und in diesem Gefühle eigentlich erst den Unendlichen anzubeten vermag. − 40 4 Zitat nicht wörtlich; vgl. oben p. 10 <?page no="132"?> 100 Bemerkungen von Joseph Mets 11) Der Mystiker kennet die Natur schon anders, woher besser, als durch die Natur − nämlich in dem ewigen Willen Gottes, und in der Ordnung Gottes? 33 Aber Christus hat ja vorzüglich diesen ewigen Willen Gottes und die Ordnung geoffenbahret, und machte doch immer auf die Spuren dieser Ordnung in der Natur aufmerksam, und ist dann die Fassungskraft des Menschen 5 u n e n d l i c h ? Allerdings ist die Natur, zumal für unsere beschränkte Kenntniß von ihr, zu sehr Stückwerk, und die zeitlichen Erscheinungen geben keine richtige Auskunft. − Aber ist es nicht unstreitig, daß die Erkenntniß des Menschen der Natur oder der Sinnenwelt bedürfe, als daß sie nicht von der Aussenwelt allein abhänge? Ist und bleibt sie übrigens nicht immer ein Stück- 10 werk? oder wer vermag die Ordnung Gottes im Ganzen zu überschauen? 12) Nur die Losgebundenheit von dem s o g e n a n n t e n R e a l e n − macht es allein möglich, sich auf die eigentliche Höhe der Philosophie zu erheben; wohl! aber muß nicht auch der geistreichste und tiefsinnigste Philosoph von der höchsten Höhe wieder in das Reich des sogenannten Realen sich herab- 15 lassen, und macht er nicht immer einen Theil desselben aus. Wie kann er sich also je ganz davon losreissen? − 13) Muß die Wissenschaft nicht nothwendig auch zum Empyrischen herabsteigen? oder steigt sie nicht erst vielmehr vom Empyrischen in die eigentliche Geistessphäre? Warum sollte sie sich, wenn sie sich einmal mit dem Empy- 20 rischen befaßt, nicht mehr davon losmachen können? dann würde wohl unter Menschen alle Wissenschaft unmöglich. 14) Seit dem Mittelalter lebt die philosophische Scholastik nicht mehr. − 34 »Weil sie nicht mehr in der Anschauung des Göttlichen haftet? « 5 − Eine harte und ungerechte Beschuldigung. Soll denn unser Zeitalter mit den frühern, der 25 Anschauung des Göttlichen ganz beraubt seyn? »Eben so wenig dringet die Philosopie durch − bis zur klaren Erkenntniß des Endlichen in der Erfahrung? « 6 − Doch wenigstens die, zu welcher der Verfasser sich bekennt? und wie viel ist nicht eben in dieser Hinsicht seit dem Mittelalter geleistet worden! der Blick derjenigen, die sehen wollen, hat sich erweitert, und es sind dicke 30 Nebel vor ihm verschwunden. 15) Aber alles ist nur leeres Wortspiel ohne Gehalt und Bedeutung? − wohl Vieles; aber denn doch nicht Alles − und vielleicht auch nur deßwegen, weil das Element des Mystizismus, als das Universal-Lebens-Element mangelt, und ausser diesem alles Gehaltlos ist? 35 16) Vernunft und Offenbarung sollen wohl nie als Gegensatz genommen werden, aber wo geschieht denn dieses so allgemein? Auch sind immer Theologen und Philosophen, wenn sie rechter Art sind − in steter Harmonie und nicht im Widerspruche begriffen − den Glauben 5 Zitat ungenau; vgl. oben p. 11 6 Zitat ungenau; vgl. oben p. 11 <?page no="133"?> 101 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) bestärken helfen durch philosophische Gründe − ist ein Beweis dieser Harmonie mehr. − 17) Alles trug bey, das alte, ehrwürdige Kunstwerk aus den Zeiten der erwachenden christlichen Kultur aufzulösen, und zu verdrängen. − Aber in 35 was bestund denn eigentlich diese Kultur? und soll diese Kultur der erst 5 erwachenden Menschheit, die Kultur der Menschheit überhaupt seyn und bleiben, und Fortschreiten soll keines statt haben? vielmehr soll alles Heil der Menschen nur im Zurückschreiten auf die Stufe des goldenen Mittelalters − allein zu finden seyn − arme Menschheit, verdammt zum ewigen Zurücksinken von der höhern Stufe zur niedern − zum Verirren auf den Bahnen des 10 redlichen Strebens noch Weisheit, um nach Jahrhunderten − nach Millionen vergeblichen Versuchen, in der Mystik, des Mittelalters wieder zur wahren Religion und Philosophie zurückzukehren? Ueber Nro. 3. Es erfolgte also endlich eine gänzliche Auflösung und ein gänzlicher Abfall 15 von der wahren Kirche und der Wahrheit; die Pforten der Hölle hätten also doch gesiegt über die Kirche − mit dem 15ten Jahrhundert, bis in unsere Zeiten, läge die Welt im Argen. − Das glückliche Zeitalter war vorüber, und damit gieng a l l e F ü l l e innerer Anschauung und Empfindung, alle Einfalt der Begriffe und der Sitten, die 20 Anmuth der Erfahrung der äussern Bildung zu Ende u. s. w. Eine herrliche Grabschrift auf die Menschheit späterer Jahrhunderte! ! und Gott endigte seine Erziehung der Menschheit mit dem Mittelalter? und überließ dann die Menschheit ihrem eigenen Schicksale? Welch einseitige und unwürdige Ansicht des Ganzen? Die Menschen sollen 25 36 in jeder Hinsicht in ewiger Kindheit verharren, und wenn sie sich weiter wagen wollen, verirren sie sich − und müssen wiederkehren in Kindesalter − und sich dahin leiten lassen, durch den erlösenden, rettenden Mystizismus. 17) 7 Den ersten Anstoß erhielt die Jugendkraft dieser neuen Zeit durch die Denkmäler altgriechisch und altrömischer Kunstwerke − des Geschmackes 30 und Kunstsinnes. Die Mystik liebt doch die Aesthetik, mithin hätten ihr diese Werke eher zusagen sollen! aber nein! diese schönen Meisterwerke der Kunst − hätte man vor der erwachenden Jugend des Mittelalters − und später noch − sorgfältig verbergen sollen, um sie der Kindheit nicht zu entreissen − um die Theologen 35 nicht zu blenden, − Eine neue Lehre! diese Kunstwerke waren für die Menschheit verderblich, und untergruben die bessere Scholastik. − Diese wich und man huldigte den schönen Künsten. 18) Wohl hat man der Kirche vielfältig ihre Authorität geraubt, aber der Verfasser setzt diese ungebührlich weit über die Authorität der heiligen Ur- 40 kunden, die für die Kirche selbst die höchste Authorität haben. 7 Zählung wiederholt, vgl. oben p. 34 <?page no="134"?> 102 Bemerkungen von Joseph Vitus Burg 19) »Das Christenthum wie es in der Kirche l e i b t e und lebte − gieng ganz verloren.« 8 − Das L e i b e n mag eher aufgehört haben; aber das L e b e n und der Geist des Christenthums waltet noch − wenn nicht in Allen − doch in Vielen. . . 20) Die ganze Exegetik mit aller Sprachkenntniß − verwirft der Verfasser 5 37 unter die elenden Zufälligkeiten ohnen allen Werth. − Wer wird dann ohne dem künftig den Geist der Urkunden noch richtig auffassen und verstehen können? − Der Verfasser sieht dieses edle Bemühen als eine Profanation des Heiligen an − als wenn nicht eben durch Blindheit das Heilige am meisten profanirt und herabgewürdiget werden müßte. Die Wahrheit läßt sich doch 10 nicht empfinden, ehe sie als solche erkannt wird? 21) Mystiker waren noch die einzigen Retter, ausgehend vom lebendigen Organismus der Kirche. − Hier zeigt aber der Verfasser ganz richtig den Abweg, auf dem auch diese sich vereinen: wenn sie nehmlich ihre subjektive Anschauung zur objektiven allgemeinen Glaubensregel erklären. − Aber die- 15 ser Irrthum ist eben der Mystik so oft eigen. . . J o s . M e t s , Bischöfl. Geistl. Regierungsrath. B. Joseph Vitus Burg Die Abhandlung des H. Professors Drey: R e v i s i o n d e s g e g e n w ä r t i g e n 20 38 Z u s t a n d e s d e r T h e o l o g i e , macht allerdings dem Herzen ihres Verfassers Ehre, denn sie ist ein deutlicher Beweis seiner religiösen Gesinnung, wenn gleichwohl seine ganz eigene philosophische und theologische Ansicht einseitig und nicht gründlich ist. Er sieht, was viele seiner Zeitgenossen mit großem Bedauern wahrnehmen, daß der Glaube an das Uebersinnliche immer 25 schwächer, innige Religiosität und feste Ueberzeugung von der Wahrheit positiver Religion immer und fast mit jedem Tage, besonders bey der sogenannten gelehrten und gebildeten Menschenklasse seltener werde. Eine Beobachtung, die sich jedem Menschenkenner von selbst aufdringt, und in der täglichen Erfahrung unläugbar gegründet ist. Die Ursache hievon glaubt der 30 Verfasser darinn zu finden, daß die Vernunft, die ehemals, wo die Theologie noch schulgerecht behandelt, und mit dunklen Spitzfindigkeiten vorgetragen wurde, ganz unter der Herrschaft des Glaubens stand, in unserm Zeitalter nun keine höhere Autorität mehr anerkenne, sondern sich selbst das ausschließliche Recht anmaße, auch sogar in Glaubenssachen höchste Schiedrichterinn 35 39 8 Zitat ungenau; vgl. oben p. 17 <?page no="135"?> 103 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) zu seyn, wodurch alle positive Religion, die doch den Bedürfnissen und Anlagen der menschlichen Natur einzig und allein entsprechen kann, durch den kalten, unbestimmten, unfruchtbaren, und für den Menschen, wie er wirklich ist, unzureichenden Rationalismus verdrängt werden müßte. Er glaubt in der Geschichte der Theologie hinlängliche Beweise zu finden, daß 5 die Religiosität in dem Verhältnisse bisher abnahm, in welchem die schulgerechte Lehrmethode der Theologie, so wie sie nämlich nach dem Zeitalter der Kreuzzüge in den damaligen Mönchsschulen bestand, in Abgang kam, und daß der Rationalismus seine anmaßende Herrschaft um so weiter ausdehnte, je weiter die Theologen sich vom Mystizismus entfernten. Er drückt sich frey- 10 lich nicht deutlich aus, was er unter Mystizismus verstehe; es scheint aber, daß er nicht die reine Mystik, jenes religiöse Gefühl, das in der ganzen Schöpfung, vorzüglich aber in der positiven Offenbarung die Gottheit wahrnimmt, und sich mit inniger Liebe von ihm hinreißen läßt, meyne, sondern vielmehr eine unbegränzte Phantasie-Religion, die das Gemüth mit eigen erschaffenen Bil- 15 dern und Mythen beschäftiget und affiziert. Von diesem Standpunkte aus untersuchte er die Schicksale der Theologie und ihre verschiedenen Systeme, von der Zeit des Petrus Lombardus an, des Vaters der Scholastik, die nach seiner Meynung das goldene Zeitalter der wissenschaftlichen Theologie genennt werden sollte, bis auf unsere Zeiten. Er 20 ist einmal in diesen Gesichtspunkt verliebt, daher ist auch seine Darstellung 40 so sonderbar, und daher scheint er auch die Absurdität derselben nicht zu bemerken. Was kann er mehr thun, als seinem Lieblingsgegenstande selbst das Ansehen der hl. Schrift, diesen allgemein anerkannten göttlichen Urkunden zum Opfer zu bringen? So weit gieng noch kein Scholastiker; die Vernunft 25 will er nichts gelten lassen; die hl. Schrift findet er mangelhaft und unzulänglich; woran soll sich der Mensch nun halten, um den Weg zu seinem Ziele zu finden? an die Mystik, sie soll ihm Licht und Trost seyn. Lehrten Bonzen, Alrunen, Derwische, Flagellanten, Münzer und andere Schwärmer nicht ähnliche und vielleicht noch gesündere Grundsätze? Welch ein Elend würde über 30 die Menschheit kommen, wenn die Phantasie, die meistentheils eine Dienstmagd der erhitzten Sinnlichkeit ist, die Autorität der Religion hätte! Wo wäre Sicherheit des Eigenthums, Sicherheit der Unschuld, Sicherheit des Lebens, Sicherheit des Thrones, Sicherheit der ganzen bürgerlichen Ordnung? Er nennt selbst die Theologie jenes von ihm gepriesenen Zeitalters ein Spiel der 35 Phantasie, wünscht aber doch, daß man zu diesem tändelden Spiele zurückkehren möchte. Warum dies? Weil er glaubt, daß mit diesem Spiele der mystische Geist und die religiöse Denkungsart jener rohen und barbarischen Zeiten wieder zurückkehren würden, ohne dabey zu bemerken, daß dadurch der Zustand weit schlimmer werden müßte, weil die indessen der Minder- 40 41 jährigkeit entwachsene Vernunft an jenem Spiele keinen Unterhalt mehr finden könnte. Jedes nachherige Bemühen, Licht in das zu jenen finstern Zeiten <?page no="136"?> 104 Bemerkungen von Joseph Vitus Burg gebaute Lehrsystem zu bringen, scheint ihm ein verwegener Eingriff. Soll also Christenthum und Glaube an geoffenbarte Religion ferner fortbestehen; so müssen, dies gehet aus der ganzen Abhandlung deutlich hervor, dem immer weiter greifenden Rationalismus durch den Mystizismus Schranken gesetzt werden. Ein Mittel, das, wenn es auch so leicht angewendet werden 5 könnte, der positiven Religion weit gefährlicher wäre, als selbst der Rationalismus. Dieser erkennt selbst in Glaubenssachen doch die Vernunft als Schiedsrichterinn, und gestehet aber zugleich ein, daß sie begränzt und betrüglich ist; jener hingegen verwirft alle Gründe der Vernunft, und begnügt sich mit den Träumen seiner Einbildung, in welchen er ruhig schlummert, 10 und sich an seinen frommen dunklen Gefühlen erquickt, wenn er nicht von außen gestört wird, um zu den schrecklichsten Unternehmungen aufzuwachen. Beyde Extreme führen ins Verderben, und entfernen sich gleichweit vom Geiste des Christenthums, obschon auf ganz entgegen gesetzten Wegen. Der Rationalismus leitet zum Unglauben, der Mystizismus zur Superstition, 15 Separatismus, Intoleranz und Fanatismus. Würde letzterer wieder herrschend, die Barbarey vergangener Jahrhunderte käme ganz gewiß mit allen ihren Schreckensszenen wieder zurück, und wer würde dabey mehr verlieren, als die von Jesus Christus gestiftete Kirche? Man muß ganz fremd in der Geschichte 42 seyn, wenn man das läugnen wollte. Die christliche Religion, die Gott im 20 Geiste und in der Wahrheit anbethen lehrt, und sich auf die Worte und Beyspiele Jesu allein stützet, hält sich in der Mitte, sie ist gleich weit von Unglauben und Aberglauben entfernt. Wenn sie dem Verstande seine Gränzen festsetzt; so läßt sie ihm innerhalb derselben seinen Wirkungskreis. Mit frömmelnden Empfindungen und süßen Gefühlen tändelt sie nicht, sie will aber, 25 daß das empfindsame Herz von der Schönheit der Tugend durchdrungen werde, und mit freudigem Muthe belebt sey, jede Gattung der Aufopferung zu machen, wenn ein Befehl der Religion soll vollzogen, oder eine Eroberung für das Reich Gottes soll gemacht werden. Sie scheut auch das Licht der Vernunft nicht, im Gegentheile, sie will von demselben überall beleuchtet 30 werden, so wie sie das Feuer des empfindsamen Herzens stets unterhält. Der Verstand des Menschen strebt durch natürliche Anlage nach Wahrheit, und bedarf wirksame Motive zur Ueberzeugung; das Herz, durch tausenderley Eindrücke beunruhiget, bedarf einer sichern Richtung zur Beruhigung. Rationalismus kann dies nicht leisten; dies giebt nur eine Religiosität, die aus 35 dem ächten Christenthume hervorgehet. Vernunftreligion wird daher nie die katholische, das ist, allgemeine Religion werden, denn sie liegt nicht in der Absicht des Schöpfers; aber Mystizismus wird auch nie die Religion vernünftiger Menschen seyn können. Die wissenschaftlichen Lehr-systeme werden 43 sich mit jedem Zeitalter ändern; aber nur die Form, nicht aber die Sache wird 40 dabey verloren gehen. Und sollte sich auch der menschliche Verstand verirren, und die Phantasie Thorheiten gebären; so werden daraus nur neue Beweise für <?page no="137"?> 105 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) die Wahrheit der christlichen Religion hervor gehen, welche ewig die nemliche bleibt. Wenn rationelle Theologen unsers Zeitalters, vielleicht in der besten Absicht, um manchen Spöttereyen und Verläumdungen frivoler Menschen zu begegnen, die Lehren des Christenthums mit Beseitigung des Wunderglaubens auf eine ganz natürliche Weise darzustellen suchen, und wir 5 dabey bemerken müssen, daß dadurch der wahrhaft religiöse Sinn unter den Christen abnehme, und das Christenthum zu kalten Spekulationen herabgewürdiget werde, wie selbst der berühmte Zeichner unsers Zeitgeistes sich ausdrückt; so wollen wir darum unsre Zuflucht zu keinem entgegengesetzten und desperaten Mittel nehmen, und wieder in die Finsternisse der rohesten 10 Zeiten des Mittelalters zurücke kehren. Tugend und Wahrheit stehen immer in der Mitte. Jene Mystik, die uns Jesus lehrte: »Gott ist ein Geist, und will im Geiste angebethet werden; wenn dich dein Aug ärgert; so reiß es heraus; wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt; so halte ihm auch die linke hin; wer dir Böses zufügt, dem thue Gutes, u. s. w.« Jene Mystik, die uns sein vor- 15 trefflicher Schüler lehrte: »ich bin um Christi willen ein Thor geworden; ich bin Allen Alles geworden, um Alle zu gewinnen; wer die Güter dieser Erde ge-braucht, sey, als brauche er sie nicht; wenn ich glaubte meinen Bruder zu 44 ärgern mit Etwas, was ich auch nach meiner Ueberzeugung nicht für böse hielte; so würde ich es in Ewigkeit nicht thun u. s. w.« Jene erhabene ächte 20 Mystik des Evangeliums wollen wir hochachten, damit unsern Verstand und Phantasie beschäftigen, und von dem, der seine Kirche auf Felsen gründete, sicher erwarten, daß in derselben die wahre Religiosität nicht werde verloren gehen. B u r g , 25 geistl. Regierungsrath und Commissär. <?page no="139"?> Text Nr. 2: Geschichte des Katholischen Dogmensystems. I. Band. Geschichte der drey ersten Jahrhunderte oder 1te Periode. Mit Benutzung von Münschers Handbuch dargestellt von J. S. Drey Pr. 1812-1813. [Dogmensystem] Teil A: Einleitung von Winfried Werner I. Bibliographische Angaben 1. Das Autograph Das Manuskript (Autograph) J ohann S ebastian D reys , das in seinem wissenschaftlichen Nachlaß erhalten geblieben ist, trägt auf dem vorderen beweglichen Vorsatz den eigenhändigen Titel: Geschichte des Katholischen Dogmensystems I Band Geschichte der drey ersten Jahrhunderte oder 1 te Periode. * Mit Benutzung von Münschers Handbuch dargestellt von J. S. Drey Pr. 1812-1813. Das 209 beschriebene Seiten umfassende Autograph wird in der Bibliothek des Wilhelmsstifts in Tübingen unter der Signatur Hs Gf 1081 aufbewahrt (Manuskriptbeschreibung unten Ziff. II.1). Als Arbeitstitel wird die Bezeichnung Dogmensystem (DS) verwendet. 2. Erstdruck J ohann S ebastian D rey , Ideen zur Geschichte des katholischen Dogmensystems, in: Geist des Christentums und des Katholizismus. Ausgewählte Schriften katholischer Theologie im Zeitalter des deutschen Idealismus und der Romantik. Herausgegeben, eingeleitet und erklärt von Joseph Rupert Geiselmann (Deutsche Klassiker der katholischen Theologie aus neuerer Zeit. Hg. von H einrich G etzeny . 5). Mainz 1940, 235-331; 455-465 (Anmerkungen D reys und G eiselmanns ) und 481-482 (Erläuterungen G eiselmanns ). Der Text des Manuskripts D reys wurde von G eiselmann unter dem vom Haupttitel des Originals abweichenden Titel Ideen zur Geschichte des katholischen Dogmensystems versehen und von ihm in dem genannten Sammelband mit ausgewählten Schriften D reys und anderer Autoren zum ersten und bisher einzigen Mal der Forschung im Druck zugänglich gemacht. D reys Text ist bei G eiselmann in modernisierter Orthographie wiedergegeben. Im übrigen ist die Transkription weitgehend zuverlässig, abgesehen von dem durch G ei - <?page no="140"?> 108 Erläuterungen selmann veränderten Titel des Manuskripts sowie einigen Eingriffen in die Disposition D reys und der Wiedergabe der Marginalien 1 . 3. Kollegmitschrift Zu der von D rey im Sommer 1822 wohl letztmalig (siehe unten Ziff. II.2) gehaltenen Vorlesung zur Geschichte des Katholischen Dogmensystems ist eine Kollegmitschrift aus der Feder von F ranz J oseph M anz erhalten (Beschreibung unten im Anhang zu Ziff. II). Weitere Kollegmitschriften zu dieser Vorlesung D reys sind nicht überliefert. II. Erläuterungen Die Vorlesung J ohann S ebastian D reys über die Geschichte des Katholischen Dogmensystems nimmt in seinem Frühwerk (1812-1819) 2 im Hinblick auf seine Theorie der Dogmengeschichte und darüber hinaus für die Rekonstruktion seines »Systems der Theologie« 3 eine zentrale Stellung ein. Sie repräsentiert in ihrer Konzentration auf die Geschichtlichkeit des Christentums außerdem einen gewichtigen Baustein in der Grundlegung der Katholischen Tübinger Schule und ihrer theologischen Eigenart. Eine monographische Behandlung dieser Vorlesung, die ihrer werkimmanenten Bedeutung und ihrem theologiegeschichtlichen Rang angemessen wäre, gibt es bisher in der Dreyforschung nicht. Die nachfolgenden Erläuterungen können diese Lücke nicht auffüllen, sie sind als Handreichungen gedacht. 1 D rey gab dem Einleitungsteil (§§ 1-7; S. 1-45) die Teilüberschrift Ideen zur Geschichte des katholischen Dogmen-Systems. G eiselmann dagegen wählte die Formulierung »Ideen zur Geschichte des katholischen Dogmensystems« nicht nur als Gesamttitel (235; vgl. Inhaltsverzeichnis S. VI), er überschrieb damit auch die von D rey nachträglich angebrachten Marginalien der Seiten 1-4 und stellte sie in der Form einer Vorrede (236) dem ersten Paragraphen des Haupttextes voran. Dem Haupttext gab G eiselmann die im Original nicht vorhandene Überschrift »I. Band. Geschichte der drei ersten Jahrhunderte oder erste Periode« (237). Erst zu Beginn der »Anmerkungen« (einer diffusen Mischung aus Belegangaben und Marginalien D reys mit Bemerkungen G eiselmanns ) figuriert (versehentlich? ) der korrekte Originaltitel »Geschichte des Katholischen Dogmensystems« (455). Problematisch ist auch der Umgang G eiselmanns mit den Marginalien D reys . Sie wurden ohne erkennbaren Rang und ohne eindeutigen Bezug zum Haupttext in den Anmerkungsteil des Bandes verbannt und sind dort von den Anmerkungen des Herausgebers nicht eindeutig unterschieden. 2 Mit D reys Theologischem Tagebuch (siehe TüA 1), seinen Praelectiones dogmaticae (siehe TüA 2) und seiner Kurzen Einleitung in das Studium der Theologie (siehe TüA 3) wurden bereits 1997, 2003 und 2007 große Bestandteile seines Frühwerkes ediert. Die übrigen Schriften aus dieser Schaffensperiode sind mit den Texten Nr. 1 (Revisionsschrift), Nr. 3 (Millenniumsschrift), Nr. 4 (Beichtschrift), Nr. 5 (Oratio de dogmatum christianorum incremento) und Nr. 6 (Katholizismusschrift) im vorliegenden Band versammelt. Zu diesem Komplex gehört auch die Vorlesung zur Geschichte des katholischen Dogmensystems. Einschlägig für die programmatischen Zielsetzungen des Frühwerks sind aber auch die in Text Nr. 7 zusammengestellten Dokumente zur Gründungsgeschichte der Theologischen Quartalschrift. 3 Siehe dazu unten in Anm. 16 das Zitat aus D reys DS. <?page no="141"?> 109 Geschichte des Katholischen Dogmensystems (1812/ 13) 1. Manuskriptbeschreibung a. Zustand Das handschriftliche Original des DS ist in einfacher Fadenheftung gebunden. Es umfaßt 26 eigenhändig numerierte und voll beschriebene Bogen zu je acht Seiten in durchweg einheitlicher, guter Papierqualität (Seitenformat ca. 16,7 x 21 cm); das Manuskript weist somit einen Gesamtumfang von 208 Textseiten auf, hinzu kommt ein von D rey selbst auf dem Vorsatz gestaltetes Titelblatt. Die Paginierung ist von späteren Händen. Dinglich zeigt der Band starke Gebrauchsspuren, enthält aber (verglichen mit anderen Manuskripten aus dem Nachlaß D reys ) nur wenige Notizen und Markierungen von fremder Hand. Die heute erheblich beschädigte Bindung wurde von D rey wohl frühzeitig veranlaßt, die äußere Abnutzung kann aber nicht allein dem Autor zugeschrieben werden; der vierfach mit Schildern überklebte Rücken zeugt von wenig pfleglichen Nutzern des in der Bibliothek des Wilhelmsstifts benutzbaren Originals. b. Textanlage Das Manuskript wurde von D rey von Anfang an den Zwecken einer Vorlesungsgrundlage entsprechend gestaltet. Der Band ist durchgehend zweispaltig angelegt. Der erste Bogen ist durch senkrechten Knick in der Mitte in zwei gleich große Spalten geteilt. Auf Seite 1 steht der Haupttext auf der linken Spalte, die Marginalien sind auf der rechten Spalte plaziert; auf den Seiten 2-8 ist der Haupttext rechts, die Marginalien links. Bei den übrigen Bogen (2-26) ist durch Knick ein gut 4 cm breiter Außenrand abgetrennt; die einzige Ausnahme bildet der einspaltige Bogen 4 (S. 25-32). Durch diese Anlage wurden zwei Textebenen, der Haupttext und flankierende Marginalien, eingerichtet. Vereinzelte Hinweise im Text lassen vermuten, daß darüber hinaus eine dritte Textebene mit weitergehenden Erläuterungen, Kommentaren oder Korrekturen existiert hat, die im vorliegenden Manuskript nicht ausgeführt sind. Diese Hinweise, die oft den Charakter von Regieanweisungen haben (z.B. »Explicatur« 22; »* Nota. Verbessert.« 26; häufig nur »N.« oder »N B .« für »Nota bene« / »Nebenbemerkung«), entbehren in der Regel eines korrespondierenden Textes, den D rey möglicherweise nur mündlich oder nach Notizen auf losen und nicht erhaltenen Zetteln vorgetragen hat. c. Korrekturen D rey fertigte den Haupttext in aller Sorgfalt und ohne Anzeichen von Eile aus. Er ist in Schönschrift und weitgehend ohne Verwendung von Kürzeln und Abbreviaturen geschrieben. Er enthält auch auffallend wenig Korrekturen. Sie können verschiedenen Kategorien von Texteingriffen zugeordnet werden: (a) Quantitativ am häufigsten sind Berichtigungen von Fehlern, die <?page no="142"?> 110 Erläuterungen für eine Abschrift bzw. Reinschrift nach einer Vorlage typisch sind, wie etwa Ergänzung ausgelassener Wörter oder Tilgung von Verdoppelungen. (b) Eine geringere Anzahl von Korrekturen betrifft Rechtschreibung, Grammatik, Satzbau und Stil; auch in den beiden letzteren Fällen bleiben, abgesehen von der Verbesserung des Ausdrucks, Inhalt und Intention der Aussage unberührt. (c) Die zahlenmäßig kleinste Gruppe besteht aus inhaltlich relevanten Korrekturen. Sie sind meist nur auf einzelne Wörter bezogen; überwiegend handelt es sich um begriffliche Präzisierungen, deren sachliches Gewicht nicht immer klar zu valuieren ist, da sie oftmals mit unausgeführten Korrekturanweisungen (wie oben beschrieben) und weiteren Randbemerkungen verbunden sind 4 . (d) Eine letzte Gruppe von Korrekturen ist innerhalb der Paragraphenzählung und der Ordnungszahlen und -buchstaben angesiedelt und steht zum Teil in Zusammenhang mit Marginalien zur Überarbeitung der Disposition der Vorlesung im Laufe der Semester 5 . d. Marginalien Auch bei den Marginalien sind unterschiedliche Kategorien festzustellen: (a) Auf den Randspalten der Seiten 1-24 (§§ 1-4) finden sich stichpunktartige Aspekte und erläuternde Notizen, die eine Vorschau auf den Gedankengang der Einleitung geben und zugleich eine andere Disposition der einleitenden Paragraphen vornehmen 6 . Stichpunkte zum Gedankengang eines Paragraphen sind auch in einigen Passagen des Hauptteiles am Rand ergänzt. (b) Mit Abstand am häufigsten sind am Rand Literaturangaben und -nachträge notiert; an erster Stelle stehen Referenzen auf das im Titel des Vorlesungsmanuskripts genannte Handbuch von W ilhelm M ünscher 7 , die sich über das 4 Ein ungewöhnlicher Fall von Korrektur findet sich auf Seite 166: D rey übersetzt einen in seiner Vorlage abgedruckten griechischen Text von C lemens von A lexandrien ins Deutsche und bringt bei einer nachträglichen Revision seiner Übersetzung sieben Verbesserungen an. Diese Dichte von Korrekturen auf einer Seite wird im DS nicht mehr überboten. 5 Näheres dazu unten in Ziff. II.1.d (a) sowie in der Auswertung in Ziff. II.1.e. - Sämtliche Korrekturen werden im Editionsteil (Teil B) in der letztgültigen Textgestalt dokumentiert und im textkritischen Apparat erläutert. 6 Die veränderte Paragraphenzählung in den Marginalien der Seiten 1-4 entspricht weder dem Haupttext in D reys Autograph noch der Kollegmitschrift von M anz von 1822. Es ist nicht eindeutig auszumachen, ob sie sich auf eine dem DS vorausgegangene Konzeptfassung oder auf ein nachfolgendes Zwischenstadium der Vorlesung beziehen, letzteres ist auf Grund der etwa von D reys Praelectiones dogmaticae her bekannten Praxis naheliegend. 7 W ilhelm M ünscher , * 15.3.1766 in Hersfeld, † 28.7.1814 in Marburg; 1781-1784 Studium der Theologie in Marburg, 1789 Stiftsprediger, 1792 Prof. der Theologie, Konsistorialrat und reformierter Inspektor, 1811 Direktor des Philosophischen Seminars in Marburg, 1813 Wahl zum Rektor der Universität ebd.; einen auf S chleiermacher zurückgehenden Ruf an die neue Universität in Berlin lehnte M ünscher 1810 ab. Seine Beiträge zur Dogmengeschichtsschreibung fanden Beachtung, weil er als einer der ersten den dogmenhistorischen Stoff in einer zeitlichen Ordnung darstellte. - Hauptwerke: Lehrbuch der christlichen Dogmengeschichte. Marburg 1811; Kassel 3 1832-1838; Lehrbuch der christlichen Kirchengeschichte. Marburg 1804; 3 1826. - Das Handbuch der christlichen Dogmengeschichte war wegen einer bis dahin für die <?page no="143"?> 111 Geschichte des Katholischen Dogmensystems (1812/ 13) ganze Manuskript erstrecken. (c) Ergänzungen und Nachträge mit Belegstellen in der neutestamentlichen Literatur und besonders in Werken der Patristik sind vor allem auf den Seiten 68-119 (§§ 11-23) in großer Zahl festgehalten. (d) Worterklärungen, kleinere Erläuterungen und Zusätze zum Inhalt sind in unterschiedlicher Konzentration, insgesamt aber geringer Häufigkeit auf den Randspalten anzutreffen. Hierzu können auch die in Ziff. II.1.c (c) genannten Präzisierungen und Korrekturen gezählt werden. e. Auswertung der Befunde Das äußere Erscheinungsbild läßt darauf schließen, daß dem vorliegenden Manuskript eine (nicht erhalten gebliebene) Konzeptfassung vorausgegangen ist. Wenn die Datierung auf dem Titelblatt zutrifft - es gibt keine Indizien, daran zu zweifeln -, trat D rey im Spätherbst 1812 in Ellwangen mit einem sorgfältig ausgefertigten Vorlesungsmanuskript an, das schon in Rottweil entstanden sein dürfte. D rey benutzte das vorliegende Autograph während seiner Ellwanger Zeit 1812-1817 und danach auch noch in Tübingen als Grundlage und Arbeitsinstrument für Vorlesungen zu der im Titel angegebenen Thematik. Wechsel in Schriftbild und Tintenfarbe der Korrekturen und Nachträge bezeugen, daß D rey sein Manuskript mehrfach und zu verschiedenen Zeiten überarbeitet hat. Literaturnachträge reichen mindestens bis 1818. Gravierende sachliche Änderungen oder gar Retraktationen sind in den späteren Randnotizen und Korrekturen nicht erkennbar. Die unten im Anhang zu Ziff. II näher zu beschreibende Kollegmitschrift von F ranz J oseph M anz vom Sommer 1822 zeigt, daß die Korrekturen der Disposition in patristische Zeit nicht erreichten Fülle der Belege allgemein geschätzt. Es erschien in Marburg in vier Bänden: Bd. 1: 1797, verbessert und z.T. umgearbeitet 2 1802 (Nachdruck 1809), unverändert 3 1817 (Neusatz); Bd. 2: 1798, verbessert 2 1804 (Nachdruck 1809), unverändert 3 1818 (Neusatz); Bd. 3: 1802 (Nachdrucke 1804, 1809), unverändert 2 1818 (Neusatz); Bd. 4: 1809 (der Neusatz der Bde. 1-3 ist bei unverändertem Text nicht seitenidentisch mit der Vorgängerauflage). D rey benutzte davon hauptsächlich die Bände 1 und 2 in der zweiten Auflage, hat aber nach Erscheinen der dritten Auflage 1817/ 18 für seine Tübinger Vorlesung in seinem Manuskript teilweise die Seitenzahlen der neuen Auflage nachgetragen. Für die dogmengeschichtliche Vorlesung an der Ellwanger Friedrichsuniversität war seitens der Aufsichtsbehörde kein »Vorlesebuch« als Grundlage vorgeschrieben. D rey entschied sich für M ünschers Handbuch auf Grund der hervorragenden Materialsammlung, in der systematischen Anlage seiner Vorlesung ging er jedoch eigene Wege. Er lobt am Handbuch, daß hier eine Ordnung in der Geschichte der Dogmen erkannt wurde, kritisiert aber die bloß chronologische Systematik; eine Geschichte der Entwicklung der Dogmen müsse das System nicht in der Zeit, sondern »in den Dingen selbst finden« (Dogmensystem, § 2, p. 6 R - 7 R), wofür er gute Ansätze in G ottlieb J acob P lancks Geschichte der Entwicklung des protestantischen Lehrbegriffs sieht (ebd.). - In D reys Büchernachlaß: W ilhelm M ünscher , Handbuch der christlichen Dogmengeschichte. Bd. 1. Marburg 3 1817; ders ., Lehrbuch der Dogmengeschichte. 3 Bde., Kassel 3 1832 (siehe W erner , Büchernachlaß (wie Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 40) 432). - Zu M ünscher siehe: L udwig W achler , Über Wilhelm Münscher. Frankfurt a. M. 1814; Dr. Wilhelm Münscher’s Lebensbeschreibung und nachgelassene Schriften. Hg. von L udwig W achler . Frankfurt a. M. 1817; ADB 23 (1886) 22 (H einrich H oltzmann ); BBKL 21 (2003) 1044-1048 (M atthias W olfes ) (Lit.). <?page no="144"?> 112 Erläuterungen D reys Autograph in der Vorlesung von 1822 großenteils exakt zur Umsetzung kamen, in einigen Fällen aber schon überholt waren. f. Editorischer Hinweis Für die vorliegende Edition des Autographs von D reys Geschichte des Katholischen Dogmensystems gelten prinzipiell die Regelungen, die sich bereits bei der kritischen Ausgabe des in seiner Art vergleichbaren Manuskripts der Praelectiones dogmaticae D reys bewährt haben 8 . Besonders zu betonen ist der editorische Grundsatz der originalgetreuen Wiedergabe, der dem transkribierten Autograph den höchstmöglichen Informationsgehalt sichern soll. Abweichend davon ist die Behandlung von Abbreviaturen, Kürzeln und Verschleifungen von Endsilben in D reys Autograph zu nennen, die nun im Falle eindeutiger Lesbarkeit stillschweigend aufgelöst und nur in Zweifelsfällen als solche gekennzeichnet werden 9 . 2. Das Manuskript in der akademischen Lehrtätigkeit Dreys Das amtliche Lehrdeputat D reys umfaßte an der Friedrichsuniversität in Ellwangen die Fächer Dogmatik in Verbindung mit Dogmengeschichte sowie Enzyklopädie und Methodologie 10 . Ab 1814 hatte D rey zusätzlich und aus eigenen Stücken das Fach Apologetik als neue Disziplin eingeführt 11 . Als die Friedrichsuniversität 1817 in Form einer katholisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen einverleibt wurde, behielt D rey seine in Ellwangen vertretenen Fächer bei 12 . Laut Lehrplan war für den Ellwanger Studiengang bereits beim Vortrag der Dogmatik im 2. Kurs die Geschichte jedes einzelnen Dogmas zu berücksichtigen. Erst im 3. Kurs war in beiden Halbjahren eine jeweils zweistündige Vorlesung über die Geschichtliche Entwicklung des Katholizismus vorgesehen, die einen vertiefenden Überblick über die Dogmengeschichte in ihrem Zusammenhang geben sollte. Bei planmäßigem Studien- 8 Siehe dazu den Editionsbericht in TüA 2, 112*-120*. 9 Dies betrifft die Regeln ebd. B. 1.c, 113*, und B. 2.l, 115*. 10 Zur Lehrstuhl- und Fächereinteilung an der Ellwanger Friedrichsuniversität siehe die Königliche Verordnung, das General-Vikariat, die katholische Landes-Universität und das Priester-Seminar in Ellwangen betreffend vom 28.9.1812, in: T heodor E isenlohr , Sammlung der württembergischen Kirchen-Geseze. Dritter Theil. Enthaltend die katholischen Kirchen-Gesetze vom Jahre 1803 bis zum Jahr 1834 und die Einleitung in dieselben. Von J ohann J akob L ang (= A ugust L udwig R ey scher (Hg.), Vollständige, historisch und kritisch bearbeitete Sammlung der württembergischen Gesetze 10). Tübingen 1836, 409-411, Nr. 264. - Weitere Hinweise in der Bandeinleitung zu TüA 3, 122*-126*. 11 Das Datum 1814 nennt D rey im ersten Satz seiner Vorrede vom 1. Oktober 1837 zum ersten Band seines Werkes Die Apologetik als wissenschaftliche Nachweisung der Göttlichkeit des Christenthums in seiner Erscheinung. Erster Band: Philosophie der Offenbarung. Mainz 1838 ( 2 1844), 1. Aufl., S. III. - Weitere Belege: Tabelle der Prädicate zum 19.9.1814, UAT 44/ 173-31; Prüfungsankündigung vom 31.8.1814, UAT 44/ 173-29a; Matrikelbuch UAT 44/ 173-26, S. 49-51 und 62-64. 12 Siehe dazu Bandeinleitung zu TüA 3, 126*, bes. Anm. 10. <?page no="145"?> 113 Geschichte des Katholischen Dogmensystems (1812/ 13) verlauf hätte D rey seine Geschichte des Katholischen Dogmensystems in zwei Teilen insgesamt fünfmal gelesen. Als Prüfungsfach taucht diese Vorlesung jedoch nur zweimal in den Prädikatentabellen auf: 1813 und 1817; in den Jahren 1814 und 1815 sind die einschlägigen Aufgaben der Vorlesung Dogmatik in Verbindung mit Dogmengeschichte entnommen, die relevanten Prüfungsgegenstände von 1816 sind nicht überliefert 13 . Ob D rey die Geschichte des Dogmensystems auch 1814-1816 tatsächlich gelesen hat, ist bislang nicht geklärt. Die Form der Dogmatik in Verbindung mit Dogmengeschichte behielt D rey in Tübingen bis zur Entpflichtung vom Vortrag der Dogmatik im Sommer 1838 bei 14 . Die Geschichte des katholischen Dogmensystems dagegen ist in den Tübinger Vorlesungsverzeichnissen nur zweimal aufgeführt: im Sommer 1819 als zweistündige Vorlesung unter dem Titel: Geschichte der Entwickelung und Ausbildung des katholischen Dogmensystems, und im Sommer 1822 als vierstündige Vorlesung unter dem Titel: Geschichte der christlichen, besonders der katholischen Dogmen. Zu dieser überhaupt wohl letzten Vorlesung D reys zur Geschichte des Dogmensystems existiert als einziges studentisches Kollegmanuskript in dieser Disziplin die Mitschrift von F ranz J oseph M anz : Dogmengeschichte nach den Vorlesungen v. Herrn Prof. Dr. Drey. Tübingen, im Sommersemester 1822. F. Jos. Manz 15 . Somit kann insgesamt nur für vier vollständige Durchgänge durch die Geschichte des katholischen Dogmensystems ein sicherer Nachweis anhand amtlicher Dokumente geführt werden. 3. Inhaltliche Charakterisierung des Manuskripts D reys Manuskript Geschichte des Katholischen Dogmensystems weist zwei in sachlicher Hinsicht klar unterschiedene Teile auf, die in der Disposition aber von D rey nicht deutlich als solche gekennzeichnet sind. Der erste hat den Charakter einer weiter ausholenden Einführung, in der D rey sein Vorhaben in seinem eigenen, übergreifenden Systementwurf sowie in der Fachliteratur verortet (§§ 1-7; S. 1-45) 16 . Hier erhalten auch die theologischen Optionen, 13 Vgl. UAT 44/ 173-28, 29a, 31, 36, 38. 14 Zur Dogmatik im akademischen Lehramt Dreys insgesamt siehe Einleitung zu TüA 2, 14*-50*. 15 Vorstellung und Beschreibung der Kollegmitschrift von F ranz J oseph M anz unten in Ziff. III. Anhang. 16 Dazu D rey , Geschichte des Katholischen Dogmensystems: »Es gehört zur Consequenz meines Systems im Vortrage der Theologie, daß nachdem ich in der Einleitung die Nothwendigkeit und Wirklichkeit einer Offenbarung dargethan, nachdem ich ebenda die Idee des Christentums überhaupt dargestellt, nachdem ich in der Dogmatik dieselbe Idee in ihrem ganzen Umfang und in allen ihren Theilen erklärt habe, es gehört sage ich zur Consequenz meines Systems, daß ich in der Geschichte des Dogmensystems zeige, wie dieselben Dogmen in der ersten Verkündung des Evangeliums zwar schon ausgesprochen worden, aber in ihrem vollen Lichte anfangs noch nicht deutlich erkannt werden, sondern erst allmälig unter der Leitung eines göttlichen von Christus selbst verheißenen Princips zur Klarheit bestimmter Glaubenssätze, zur Natur eigentlicher Dogmen, und nach und nach zur Gestalt eines eigentlichen auch <?page no="146"?> 114 Erläuterungen die D rey bereits in der Revisionsschrift von 1812 angesprochen hatte, eine erhellende und schlüssige Verdeutlichung. Das eigentliche Thema aber ist die Geschichte des (katholischen) Dogmensystems, d.h. die Geschichte der Entfaltung der Dogmen in ihrer Gesamtheit und in ihrem Zusammenhang. D rey faßt die Dogmengeschichte als Geschichte eines »Systems«, das die einzelnen Dogmen in ihrer Verbindung zu einem einheitlichen Ganzen aufzeigt. Dieses System ist von einem inneren Geist belebt, und es ist das Werk einer stetig wirkenden Ursache. Dieses »lebendige Punctum saliens« im System (10) kann, wie ein System überhaupt, nur vernünftig gedacht werden. Die menschliche Vernunft ringt nach dem Absoluten, besitzt es aber nur in Anschauung und Idee. Zur »höchsten, d.h. religiößen Entwickelung und Ausbildung der [menschlichen] Vernunft« (14 f) bedarf es einer unmittelbaren göttlichen Offenbarung. Die Aufnahme dieser Offenbarung durch die menschliche Vernunft unterliegt selbst einer Entwicklung, die unter einer göttlichen Leitung steht; Ursprung und Entwicklung der Offenbarung folgen demselben göttlichen Plan. Daher geht D rey davon aus, daß das System der Dogmen »im ewigen Verstande Gottes empfangen, der menschlichen Vernunft nur mitgetheilt sei und unter der Leitung eines göttlichen Princips sich entfaltet habe« (13). Grundlegung und Entfaltung dieses Systems sind wiederum Werk Gottes und seines Geistes. Es ist D reys Überzeugung, »daß sich durch die ganze Geschichte des Menschengeschlechts ein ewiger Erziehungsplan Gottes hinzieht«, der dem Menschen in einer allesumfassenden Offenbarung kundgetan wird (17) 17 . Der im Titel des Manuskripts angesprochene katholische Charakter des Dogmensystems wird von D rey strikt ekklesiologisch gefaßt auf den theologischen Begriff des Katholizismus bezogen, gemäß dem die katholische Kirche »als Organ der göttlichen Offenbarung als ein verkörpertes System, das sich fortwährend von innen heraus durch die Regung eines unsichtbaren Geistes bildet und gestaltet. Ein großer und der größte Theil seines geheimen Wirkens offenbart sich uns in der Entfaltung des Dogmensystems« (19 f). In seiner 1819 erschienenen programmatischen Abhandlung Vom Geist und Wesen des Katholizismus (siehe Text Nr. 6) hat D rey diesen Aspekt thematisiert. Der erste Teil des DS enthält auch persönliche Bemerkungen zu seiner Einstellung zum Handwerk des Theologen, zu seinem Ethos und Selbstverständnis (bes. 16 f). Ausführungen dieser Art sind im Gesamtwerk D reys eine wissenschaftlich darstellbaren Systems gelangen konnten« (18 f; Hervorhebungen nicht im Original). 17 Mit diesem Religions- und Offenbarungsverständnis, das in D reys Werk immer wieder hervorleuchtet (vgl. Text Nr. 1: Revisionsschrift 12, 17, 21 u.ö.; Theologisches Tagebuch II 71-72 [TüA 1, Text 23*, 59-60], II 97-99 [TüA 1, Text 26*, 80-82]; Praelectiones dogmaticae III 47 [TüA 2, 334]; KE §§ 1-15; 16-28 [bes. § 27! ]; ThQ 1, 1819, 28; bis hin zu seiner Apologetik) fährt er die Ernte seiner Studien L essings (Entwicklungsmodell) und S chellings (Systemgedanke; Freiheit und Notwendigkeit in der Geschichte) ein. <?page no="147"?> 115 Geschichte des Katholischen Dogmensystems (1812/ 13) Seltenheit, sie sind für seine wissenschaftliche Biographie von erheblicher Bedeutung und wurden in der Dreyforschung auch entsprechend wahrgenommen und bewertet. Der zweite Teil des DS beinhaltet die materialen Ausführungen zur Entwicklung des katholischen Dogmensystems (§§ 8-33; S. 45-208). Er hat, wie im Titel angekündigt, die »Erste Periode« der Dogmengeschichte zum Gegenstand und umfaßt die Zeit von den Anfängen bis ins 4. Jahrhundert (in der Ekklesiologie und Sakramentenlehre [§§ 28-33, S. 137-208] mit Streiflichtern bis ins frühe Mittelalter). Auf dem Titelblatt ist das Manuskript als »I Band« der Geschichte des Katholischen Dogmensystems bezeichnet. Ein zweiter Band ist nicht erhalten und wird von D rey selbst im Gegensatz zu anderen verlorenen Handschriften auch nirgendwo erwähnt. Aus der Kollegmitschrift von M anz zur Dogmengeschichte nach den Vorlesungen v. Herrn Prof. Dr. Drey vom Sommer 1822 geht hervor, daß D rey genügend Stoff parat und wohl auch schriftlich fixiert hatte, um einen zweiten Band zu füllen. Damit ist die Frage nach der Existenz eines entsprechenden Manuskripts freilich nicht beantwortet. Die Sache liegt komplizierter. 1822 hatte D rey nicht nur die »Erste Periode« der Dogmengeschichte behandelt, sondern auch einen »Zweyten« und »Dritten Zeitraum« 18 . Der »Dritte Zeitraum« in der Vorlesung von 1822 (§§ 43-55) deckt sich aber materialiter mit der Ekklesiologie und Sakramentenlehre im Schlußteil von D reys Manuskript von 1812/ 13 (§§ 28-33). In einer Vorbemerkung zu § 28 legt D rey dar, worauf es ihm bei seiner Vorlesung ankommt: Nicht um materiale Vollständigkeit der zu behandelnden Lehren ist es ihm zu tun, sondern um den Aufweis einer inneren Logik ihrer Entwicklung und um die Rekonstruktion des Systems 19 . Aus den materialen Differenzen zwischen den 18 Siehe dazu die Hinweise in der Vorstellung der Kollegmitschrift von F ranz J oseph M anz unten im Anhang zu Ziff. II. 19 1812/ 13 hatte D rey die Aufnahme von Gegenständen späterer Epochen in die Behandlung der ersten Epoche folgendermaßen begründet: »1. Wir haben von § 23 bis daher fast durchgehends solche Lehren berührt, die ihrer Natur nach in der gegenwärtigen Periode ihre volle Bestimmung noch nicht erhalten konnten. Dieß ist besonders mit jenen Ideen des Christentums der Fall, die sich auf eine ferne Zukunft beziehen, und von Christus und seinen Aposteln selbst in einem geheimnisvollen Dunkel gelassen wurden. Aber insoferne sie neu waren - noch mehr insoferne dadurch eine große Idee des Judentums eine nähere Berichtigung erhielt, - besonders aber insoferne diese Berichtigung von christlichen Lehrern selbst nicht ganz begriffen wurde, und daher Discussionen eingeleitet wurden, konnten sie nicht unberührt bleiben. So sehen wir denn zu der sogenannten Eschatologie des Christentums die ersten Keime sich in dieser Periode entfalten, wenn auch gleich die weitere Entwickelung einer spätern vorbehalten bleiben mußte, ja sie bis jetzt nicht vollendet ist. - 2. Aus dem gleichen Grunde nun, warum ich die anfängliche Entwickelung jener Lehren noch in die erste Periode aufgenommen habe, habe ich auch die ersten Keime derjenigen Lehren noch darein aufgenommen, welche sich auf die Kirche und die Sacramente beziehen. - Der Grund ist, weil die Keime ihrer Entwickelung noch in diese Periode fallen - weil diese keimenden Dogmen ihre Gestalt und Erläuterung von den andern schon mehr entwickelten hernehmen, beide sich wechselseitig beleuchten - weil man sonst bei der fernern Darstellung immer wieder bis auf <?page no="148"?> 116 Erläuterungen Vorlesungen von 1812/ 13 und 1822 kann keine Änderung dieser Zielsetzung abgeleitet werden. Entscheidend ist der Gedanke der Entwicklung des Systems, der bei jeder Stoffauswahl transparent werden müßte. Ein zweiter Band zur Geschichte des Katholischen Dogmensystems wäre für diese Erkenntnisziele D reys kein besonderer Gewinn. Trotzdem ist an D reys Bezeichnung seines Manuskripts als »I Band« auf dem Titelblatt nicht zu rütteln. Vielleicht war dabei eine materiale Stofferweiterung als zweiter Band geplant 20 . Mit Blick auf das in drei Bänden überlieferte Manuskript D reys zu seinen Praelectiones dogmaticae (siehe TüA 2) ist jedoch auch denkbar, daß der zweite Band seines Dogmensystems nicht materiale Zusätze, sondern eine didaktisch weiterentwikkelte Fassung dieser Vorlesung enthalten sollte. 4. Zur Vernetzung der Vorlesung im Frühwerk Dreys Abgesehen von Verbindungslinien, die sich auf D reys Katholizismusbegriff und sein Verständnis des katholischen Systems beziehen 21 und von D reys Revisionsschrift (siehe Text Nr. 1) über seine Katholizismusschrift (siehe Text Nr. 6), deren Anfänge ebenfalls in der Rottweiler Zeit liegen 22 , bis hin zu seiner Kurzen Einleitung reichen (sie führt »das katholische System« im Titel und wurde zeitgleich mit dem DS entworfen), sind hier vor allem die Stellen im frühen Schrifttum D reys zu nennen, an denen er sich ausführlich oder zumindest in kürzeren, grundsätzlichen Äußerungen mit dem Thema der Geschichte des katholischen Dogmensystems befaßt: Die Millenniumsschrift (siehe Text Nr. 3) ist einem ausgewählten Thema aus der Eschatologie gewidmet; D rey geht hier gezielt der in der Forschung neu diskutierten Frage nach, ob J ustin als Zeuge dafür gelten kann, daß die Lehre vom 1000jährigen Reich allgemeine Lehre in der frühen Kirche war (vgl. dazu DS § 24, S. 119-122). In der Beichtschrift (siehe Text Nr. 4) skizziert D rey in § 1 den theoretischen Ausgangspunkt seiner anschließenden Einzelfallbehandlung und spricht dabei vom Hinzukommen neuer Lehren zum ursprünglichen System 23 . In seiner Kurzen Einleitung bestimmt er den enzyklopädischen Ort die ersten Zeiten zurückgehen müßte, folglich eine zu scharfe Trennung und daher Verwirrung der Materien entstehen würde« (DS 137 f). 20 In seinen Publikationsplänen in einer Ende 1812 entstandenen Tagebuchnotiz nannte D rey »Unter den Schriften, die zuerst erscheinen könnten« an fünfter Stelle »Eine pragmatische Geschichte des katholischen Dogmensystems« - jedoch ohne Bandzahl (Theologisches Tagebuch III 49 [TüA 1, Text 52*, 171]). Zum Wortlaut dieses Tagebucheintrag D reys siehe Einleitung zu Text Nr. 6, Anm. 78. 21 Die Ellwanger Vorlesung Geschichte des katholischen Dogmensystems trug im amtlichen Lehrplan, an dem die Professoren mitgewirkt hatten (dazu Bandeinleitung zu TüA 3, 126* f), die Bezeichnung Geschichtliche Entwicklung des Katholizismus (vgl. oben in Ziff. II.2). Diese Formulierung dürfte von D rey stammen. Er verwendet sie in seiner Vorlesung an zentraler Stelle (vgl. DS § 3, S. 17). 22 Näheres dazu unten in der Einleitung zu Text Nr. 6, bes. Ziff. II.7. 23 Siehe BS § 1 (S. 1): »Accedunt inde primitivo systemati novae eaeque uberiores doctrinae, accedunt nova lumina«. <?page no="149"?> 117 Geschichte des Katholischen Dogmensystems (1812/ 13) dieses Zweiges der Theologie (siehe TüA 3); es verdient Beachtung, daß D rey im Vorlesungstext des DS auf den entsprechenden Abschnitt des damaligen Entwurfs seiner Enzyklopädie verweist 24 . Sehr prägnante Äußerungen zum Thema Dogmengeschichte bzw. Dogmenentwicklung brachte D rey in seiner Oratio de dogmatum christianorum incremento von 1817/ 19 (siehe Text Nr. 5) vor. Wie in der Einleitung des Bandherausgebers zu Text Nr. 5 erstmals dargelegt wird, nimmt die Oratio in dieser Hinsicht eine Sonderstellung ein: Sie ist nicht nur gänzlich und grundsätzlich auf die Thematik von Dogmengeschichte und Dogmenentwicklung abgestellt, sie ist dies zugleich in einer Perspektive, die mit ihrer Zielsetzung als Apologie der Beichtschrift zusammenhängt. D rey liefert in der Oratio den systematischen Teil der Beichtschrift. Er versteht die Geschichte der Entwicklung der Beichte als Musterfall (specimen) der Dogmengeschichte. Er verdeutlicht an diesem Musterfall seine Auffassung von den Prinzipien der Dogmenentwicklung, und er radikalisiert hier zugleich die Problematik der Dogmenentwicklung, indem er für sein organologisches Entwicklungsdenken ein Anwachsen der Dogmen und einen Zuwachs an Dogmen annimmt. Hinsichtlich seiner Auffassung von Dogmengeschichte und Dogmenentwicklung ist keine sachliche Diskrepanz zur Oratio von 1817/ 19 und den anderen einschlägigen Texten zu erkennen. Die Kontinuität im dogmengeschichtlichen Denken D reys erweist sich auch daran, daß er seine Vorlesung auch nach 1819 gehalten hat, ohne von seiner Theorie der Dogmenentwicklung abzurücken (vgl. Kollegmitschrift M anz von 1822). 5. Die Disposition der Vorlesung Das Autograph D reys enthält keine eigene Disposition. Die nachfolgende Übersicht ist nach dem Manuskript rekonstruiert: Abkürzungen D reys sind beibehalten, fehlende Paragraphentitel oder Zwischenüberschriften in eckigen Klammern ergänzt; Seitenangaben entsprechen der Originalpaginierung. Geschichte des Katholischen Dogmensystems: Geschichte der drey ersten Jahrhunderte oder 1. Periode [Erster Teil: Einleitung] Ideen zur Geschichte des katholischen Dogmensystems § 1. [Unterschied Dogmengeschichte - Geschichte des Dogmensystems] 1 § 2. [Rechtfertigung der Idee - einer Geschichte des Dogmensystems] 5 § 3. Von dem Standpunct, aus welchem die Geschichte des kath. Dogmensystems zu betrachten ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 § 4. Von der Form der Dogmengeschichte oder eig. der Gesch. des Dogm.Syst. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 24 Vgl. KE § 179 und §§ 189-201; Verweis auf den Entwurf der Enzyklopädie in DS § 5 (S. 26). <?page no="150"?> 118 Erläuterungen § 5 Epochen der Entw. des kath. Dogmensystems . . . . . . . . . . . . . . . 26 § 6 ’Quellen und Hilfsmittel’ der Entwickelung des katholischen Dogmensystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 § 7 Litterärgeschichte dießes Zweiges der Theologie . . . . . . . . . . . . . 36 [Zweiter Teil: Hauptteil] Geschichte der Entwickelung des katholischen Dogmensystems. 1. Periode § 8 Von dem Verhältnis der Lehre Christi, wie er sie selbst vortrug - zu der spätern Entwickelung derselben Lehre. . . . . . . . . . . . . . 45 § 9 Von dem Verhältnis der Lehre der Apostel zu dem christlichen Dogmensystem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 § 10 Übergang zu der ersten Periode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 § 11 Entwickelung der Lehre von Gott als erster Hauptlehre . . . . . . . 67 § 12. Erste Entwickelung der Trinitätslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 § 13. Fortsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 § 14 [Fortsetzung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 § 15 Fortsetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 § 16 Fortsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 § 17. [Fortsetzung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 § 18 Entwickelung der Lehren, die das Verhältnis der Schöpfung zu Gott betreffen: zweite Hauptlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 § 19. Die Lehre von der Schöpfung überhaupt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 § 20 Die Lehre von dem Menschen und seiner Natur. . . . . . . . . . . . . . 95 § 21. Das Ganze der Schöpfung - oder die Lehre von den Engeln . . 104 A von den guten Engeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 § 22. B. Von den bößen Engeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 § 22 [! ] Lehre von der Vorsehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 § 23 Von dem Ursprung der Sünde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 § 24. Eschatologie - Die Versinnlichung des Reichs Gottes in der Lehre vom Chiliasmus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 § 25. Lehre vom Zustand nach dem Tode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 § 26. Von der Auferstehung der Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 § 27. Lehre vom Weltgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 Keimende Dogmen § 28 Lehre von der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 § 29 Lehre von den Sacramenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 § 30 Lehre von der Taufe u. von der Confirmation . . . . . . . . . . . . . . 146 § 31 Lehre von dem Abendmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 § 32 Lehre von den übrigen Sacramenten - I. Buße. . . . . . . . . . . . . . 189 § 33 Von der Priesterweihe - Krankenölung - Ehe. . . . . . . . . . . 200-208 <?page no="151"?> 119 Geschichte des Katholischen Dogmensystems (1812/ 13) 6. Rezeptionsgeschichte a. Überblick Abgesehen von der anonymen Wirkungsgeschichte der Vorlesungen D reys zur Geschichte des Katholischen Dogmensystems in seinem Schülerkreis (z.B. M öh ler ; S taudenmaier ; H efele ) begann ihre Rezeption im engeren Sinn erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Im Kontext der Möhlerrezeption kam die theologiegeschichtliche Erforschung dieser Vorlesungen in Gang. F ranz X a ver F unk wertete Vorlesungsverzeichnisse und andere amtliche Dokumente aus und konnte 1889 als erster darauf hinweisen, daß D rey zwischen 1812/ 13 und 1822 Vorlesungen zur Geschichte des Katholischen Dogmensystems gehalten hat 25 P aul S chanz griff diese Hinweise 1898 auf und wurde damit vor allem in Frankreich rezipiert. E ugen H aug machte erstmals 1917 auf die Existenz eines ungedruckten Vorlesungsmanuskripts D reys im Tübinger Wilhelmsstift aufmerksam. H aug war wohl auch der erste, der Einblick in den Text des Autographs nahm und aus § 3 des Einleitungsteils ein längeres Textstück mitteilte, in dem sich auch einige der oben erwähnten autobiographischen Bemerkungen D reys finden. Allerdings hatte H aug - in bester Absicht - aus einem im Original D reys mehr als vier Seiten umfassenden Text eine Blütenlese herausgezogen 26 , die weniger als ein Viertel des ursprünglichen Umfangs aufweist, ohne die Auslassungen, Glättungen und Veränderungen kenntlich zu machen, die zum Teil zu einer Modifikation der Aussageabsicht D reys führen 27 . H aug verfolgte die Absicht, D rey gegen 25 Bibliographische Angaben und Nachweise unten in Ziff. II.6.c in der Liste einschlägiger Literatur. 26 Der Wortlaut bei H aug : »Ich aber, der ich mich in Sachen ernstlicher Untersuchung nicht durch öffentliche Meinung bestimmen lasse, sondern das, was die Wahrheit zu sein scheint, wähle, werde die geschichtliche Entwicklung des Katholizismus aus dem zweiten Standpunct bearbeiten. Als Gründe führe ich einmal meine Überzeugung an, die ich nicht ohne vieles Nachdenken, auch nicht ohne manches Abweichen vom Weg der Wahrheit mir zu eigen gemacht habe, daß sich durch die ganze Geschichte des Menschengeschlechts ein ewiger Erziehungsplan Gottes hinzieht, der in der Geschichte der Menschen, namentlich aber in der Geschichte der Religion und Offenbarung kund geworden ist. Aus dieser Überzeugung ist der Entschuß in mir hervorgegangen, als ich zum Lehramt der christlichen Dogmatik berufen wurde, das ganze System der christlichen Dogmen in diesem Sinn auf spekulative und wissenschaftliche Weise darzustellen. Ich habe Achtung vor dem allgemeinen und öffentlichen Glauben der Kirche und der göttlichen Offenbarung, es gibt keine unbeschränkte Willkür menschlichen Forschens; ich stütze mich auf die vielen Theologen, die als Werkzeug des hl. Geistes zur Errichtung des großen Gebäudes mitgeholfen haben. Darum ist mir die hl. katholische Kirche so ehrwürdig, weil sie der höchste lebendige Ausdruck einer harmonischen Einheit, weil sie die höchste Konsequenz, das vollendetste aller Systeme ist. In der Heterodoxie zieht mich die scheinbare Klarheit und die glatte Begreiflichkeit nicht an.« (bei H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität 41 f; vgl. aber D rey , DS 16-21). 27 D rey äußert sich im Vorfeld der von H aug angezogenen Stelle zu seinem Vorhaben, »nicht sowohl eine Geschichte der Dogmen, sondern eine Geschichte des Dogmensystems« vorlegen zu wollen. Er sieht sich vor der Wahl zwischen dem Zufallsprinzip des historischen Positivismus und dem Vernunftprinzip des theologischen Rationalismus und entscheidet sich für zweiteres (siehe oben in Anm. 25, vgl. den Wortlaut bei D rey , DS § 3.5, S. 16-17). - Zum Ganzen siehe auch Einleitung zu TüA 2, 58*-60*. <?page no="152"?> 120 Erläuterungen damals herrschende Rationalismusvorwürfe zu verteidigen, erwies ihm dabei aber einen Bärendienst, indem er meinte, den Gegnern D reys Konzessionen bezüglich solcher Tendenzen in dessen Frühwerk machen zu sollen, um den späteren D rey zu exkulpieren (siehe dazu Einleitung zu Text Nr. 1, Ziff. II.6.b und II.8.b, Anm. 167). Leider hatte H aug seine Quelle falsch angegeben und damit die inhaltliche Rezeption von D reys Manuskript des DS erschwert, indem er als Quelle D reys die »dogmatischen Vorlesungen« - das Manuskript der Praelectiones dogmaticae - angab. Gleichwohl dürften G eiselmann und vielleicht auch L ösch von dem Hinweis H augs auf die Existenz der Handschriften profitiert haben. Vor dem Bekanntwerden des Textes des Vorlesungsmanuskripts D reys in der Edition G eiselmanns im Jahre 1940 beschränkte sich die Rezeption der Vorlesungen D reys zur Geschichte des Katholischen Dogmensystems auf Erwägungen zum Inhalt anhand der bis dahin bekannten Titel in Vorlesungsverzeichnissen und Lehrplänen sowie einschlägiger Passagen in der Kurzen Einleitung D reys . Nachdem G eiselmann 1940 den Text des DS erstmals der Öffentlichkeit im Druck zugänglich gemacht und die Aufmerksamkeit der Forschung verstärkt darauf gelenkt hatte, setzte eine neue Phase der Rezeption des DS ein. Die Berücksichtigung des DS wurde nun zu einem festen Posten innerhalb der Wahrnehmung des wissenschaftlichen Gesamtwerkes D reys . Sie wurde vor allem in der Diskussion der Dreyforschung um Rolle und Leistung D reys auf dem Gebiet der (katholischen) Dogmengeschichtsschreibung eingesetzt. G eiselmann selbst hatte bereits 1930 und 1931 auf die Bedeutung des Manuskripts hingewiesen und verschiedene Aspekte dazu hervorgehoben. In seiner rezeptionsgeschichtlich bedeutsamen Ausgabe des Textes des DS von 1940 taxierte er das Manuskript als einen von S chelling und dem Geist der Romantik geprägten Klassiker der Lehre von der Dogmenentwicklung und lobte diese Pionierleistung, mit der D rey starken Einfluß auf M öhler ausgeübt habe. Wie sehr D rey in seinen Reflexionen zum Verhältnis von Idee und Geschichte Anregungen S chellings aufzunehmen und zu einer das DS tragenden Konzeption auszubauen verstand, hat gut 40 Jahre nach G eisel manns Edition T homas F ranklin O’M eara wirksam dargelegt; auch in den Studien von E berhard T iefensee und J ohn E. T hiel sind bedeutende Beiträge zur breiteren philosophie- und theologiegeschichtlichen Situierung des DS zu sehen 28 . Als Forschungsdesiderat bezüglich des DS D reys kann eine genaue Analyse ihrer Stellung im Entwicklungsgang der Dogmengeschichtsschreibung 28 O’M eara 1982, 101-107, bes. 104; T iefensee 1988 sowie ders ., »Erläuterung aus dem Beispiel der Naturgeschichte unserer Erde«. Naturphilosophische Wurzeln des Entwicklungsbegriffs bei Drey, in: A braham P eter K ustermann (Hg.), Revision der Theologie - Reform der Kirche. Die Bedeutung des Tübinger Theologen Johann Sebastian Drey (1777-1853) in Geschichte und Gegenwart. Würzburg 1994, 229-245; T hiel 1986, 1991, 1994. <?page no="153"?> 121 Geschichte des Katholischen Dogmensystems (1812/ 13) gelten; bislang ist weder das Verhältnis des DS zu Vorläufern (v.a. M ünscher und P lanck , aber auch M arheineke ) noch zu späteren Ansätzen gründlich erforscht. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfuhr das DS in der Dreyforschung eine Vielzahl unterschiedlicher Einschätzungen und Interpretationen, die in der nachfolgenden Zusammenstellung zur Vereinfachung in 18 Gruppen erfaßt und gegliedert werden. Die Aussageintentionen der betr. Autoren (-gruppen) sind den Gruppierungen jeweils in der Form von Thesen vorangestellt. Die Thesenform beinhaltet keine Aussage über die Richtigkeit der Positionen, sie hat allein referentiellen Charakter. Desgleichen enthält auch die Reihenfolge der Thesen keine Aussage zu ihrer sachlichen Gewichtung. Die den Autorennamen in Klammern beigefügten Jahreszahlen sollen das Auffinden der einschlägigen Titel in der Literaturliste erleichtern. In der Literaturliste werden bei jedem Autor zunächst die relevanten Seitenzahlen angegeben, die im Anschluß daran angefügten Ziffern sind auf die Numerierung in der Thesenliste zu beziehen. An diesen Nummern ist zu erkennen, welche Positionen der betr. Autor in seinem Forschungsbeitrag jeweils vertritt. b. In der Fachliteratur vertretene Auffassungen (Thesenliste) α . Zur Bedeutung bzw. Leistung der Vorlesung (1) D rey hat dem geschichtlichen Denken in der Theologie eine Bahn gebrochen (H imes 1992, S chupp 1970, T iefensee 1988). (2) D rey etabliert die historische Methode in der katholischen Theologie (B antle 1976, B ihlmeyer 1919, G odet 1911, H imes 1992, S chreurs 1999). (3) D rey wird als Pionier/ Initiator der katholischen Dogmengeschichtsschreibung gerühmt (A dam 1927, A ubert 1971, H ammans 1965, H inze 1993, H ocedez 1948, H ünermann 1965/ 66, 1967, P etri 1985, S cheffc zyk 1985, 1987, S öll 1971, T hiel 1986, T iefensee 1988). (4) D rey entwickelt als Erster eine Theorie der Dogmenentwicklung (A dam 1927, C hadwick 1957, C haillet 1937, G eiselmann 1942/ 66, G odet 1907, 1911, G oyau 1905, G randmaison 1919, 1928, H ammans 1965, H inze 1993, H ocedez 1948, L ösch 1917/ 18, 1963, O’M eara 1982, R anft 1931, R eardon 1985, R uf 1958/ 74, S chanz 1898, S cheffczyk 1987, T hiel 1986, Z ierlein 1967/ 68). (5) D rey entwickelt die Theorie der Dogmenentwicklung vor M öhler und N ewman (und D öllinger ) (A dam 1927, C hadwick 1957, C haillet 1937, F insterhölzl 1975, G odet 1907, 1911, G oyau 1905, G randmai son 1919, H ocedez 1948, R eardon 1985, S chanz 1898, T hiel 1986, V ermeil 1913). <?page no="154"?> 122 Erläuterungen (6) D reys DS gilt als ein Klassiker der Lehre von der Entwicklung des Dogmas (D ietrich 1979, G eiselmann 1940). (7) D rey entwickelt einen neuen Traditionsbegriff (lebendige Überlieferung) (A ubert 1971, C ornelissen 1972, F insterhölzl 1975, G eisel mann 1942/ 66, R anft 1931, S cheffczyk 1965, 1987, V ermeil 1913). (8) D reys Entwurf zur Dogmengeschichte basiert auf einem neuartigen Systembegriff / geschichtsphilosophischen Systemprogramm (C ornelis sen 1972, R uf 1958/ 74, S chupp 1970, T hiel 1991, T iefensee 1988, V ermeil 1913, W elte 1967). (9) D rey konzipiert die Dogmengeschichte als neue theologische Disziplin bzw. neue Wissenschaft (B ihlmeyer 1919, P h .F unk 1929, H imes 1992, S chanz 1898, S chreurs 1999). (10) D reys DS erfüllt die Postulate seiner Revisionsschrift (C ornelissen 1972, S cheffczyk 1965). (11) D reys Entwurf zur Dogmengeschichte übt Einfluß auf M öhler aus (Geschichts-, Kirchenbegriff; Einheitsmotiv) (C hadwick 1957, F ehr 1981, G eiselmann 1931, 1957, W elte 1967). β . Zu Quellen / Inspirationen der Vorlesung (12) D rey greift in seinem DS Impulse der protestantischen Theologie auf (vor allem S chleiermacher ) (A ubert 1971, H inze 1993, S talder 1969, T hiel 1986, 1994, T iefensee 1988, V ermeil 1913). (13) D reys DS steht unter dem Einfluß der Romantik (Motive; organisches Wachstum u.a.) (A ubert 1971, F ehr 1981, G eiselmann 1930, 1942/ 66, G eisser 1966, O’M eara 1982, P etri 1985, R uf 1958/ 74, S talder 1969, T hiel 1991, W elte 1967, Z ierlein 1967/ 68). (14) D reys DS ist beeinflußt von S chelling (Geschichtsphilosophie) (A u bert 1971, B antle 1976, C hadwick 1957, P h .F unk 1929, G eiselmann 1942/ 66, 1964, H imes 1992, H inze 1993, O’M eara 1982, S cheffczyk 1965, 1987, S chupp 1969, 1970, S talder 1969, T hiel 1991, 1994, T ie fensee 1988). (15) Tragende Gedanken des DS D reys sind von L essing beeinflußt (T hiel 1991, T iefensee 1988). (16) D reys Entwurf zur Dogmengeschichte steht in Opposition zur Philosophie/ Theologie der Aufklärung (H aug 1917, S chulz 1969, V ermeil 1913). (17) D reys Entwurf zur Dogmengeschichte folgt einer katholischen Tradition (u.a. P etavius ) (B ihlmeyer 1919, L ösch 1917/ 18). (18) G eiselmanns Interpretation des DS D reys (Einfluß der Romantik bzw. S chellings ) findet Zustimmung (B antle 1976, C hadwick 1957, C or nelissen 1972, F ürst 1979, L achner 1986, O’M eara 1982, S cheffczyk 1965, 1987, S chulz 1969, W elte 1967, Z ierlein 1967/ 68). <?page no="155"?> 123 Geschichte des Katholischen Dogmensystems (1812/ 13) c. Verzeichnis der berücksichtigten Literatur (alphabetisch) K arl A dam , Die Katholische Tübinger Schule, in: Hochland 24 II (1927) 581-601, wieder in: ders ., Gesammelte Aufsätze... Augsburg 1936, 389-412, hier 390: (3), (4), (5). R oger A ubert , Die komplexe Belebung der kirchlichen Wissenschaften, in: H ubert J edin (Hg.), Handbuch der Kirchengeschichte VI/ 1, Freiburg 1971, 287-307, 295: (3), (7), (12), (13), (14). F ranz X aver B antle , Unfehlbarkeit der Kirche in Aufklärung und Romantik. Eine dogmengeschichtliche Untersuchung für die Zeit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert (Freiburger Theologische Studien 103). Freiburg 1976, 533 f, 542 f: (2), (14). K arl B ihlmeyer , J. A. Möhler als Kirchenhistoriker, seine Leistungen und Methode, in: ThQ 100 (1919) 134-198, 138 f: (2), (9), (17). O wen C hadwick , From Bossuet to Newman. The Idea of Doctrinal Development. Cambridge 1957, 98 f, 107-119: (4), (5), (11), (14). P ierre C haillet , L’Esprit du Christianisme et du Catholicisme, in: RSPhTh 26 (1937) 483-498, 713-726, 719+722: (4), (5). R ob J. F. C ornelissen , Offenbarung und Geschichte. Die Frage der Vermittlung im Überlieferungsverständnis bei J. A. Möhler in seiner Frühzeit (Beiträge zur neueren Geschichte der katholischen Theologie 14). Essen 1972, 49: (7), (8), (10). D onald J. D ietrich , The Goethezeit and the Metamorphosis of Catholic Theology in the Age of Idealism (European University Studies XXIII 128). Bern 1979, 76: (6). W ayne L. F ehr , The Birth of the Catholic Tübingen School. The Dogmatics of Johann Sebastian Drey (American Academy of Religion, Academy Series 37). Chico 1981, 268: (11), (13). J ohann F insterhölzl , Die Kirche in der Theologie Ignaz von Döllingers bis zum ersten Vatikanum. Aus d. Nachlaß hg. v. J ohannes B rosseder . Göttingen 1975, 292, 403 ff: (5), (7). F ranz X aver F unk , Die katholische Landesuniversität in Ellwangen und ihre Verlegung nach Tübingen. FS zum 25jährigen Regierungsjubiläum Sr. M. des Königs Karl v. Württemberg. Tübingen 1889, 9: (F. X. F unk weist als erster auf das Faktum der dogmengeschichtlichen Vorlesungen D reys hin). P hilipp F unk , Die geistige Gestalt Johann Adam Möhlers, in: Hochland 27 I (1929) 97-110, 106: (9), (14). W alter F ürst , Wahrheit im Interesse der Freiheit. Eine Untersuchung zur Theologie J. B. Hirschers (1788-1865) (Tübinger Theologische Studien 15). Mainz 1979, 206 f, 347: (18). J oseph R upert G eiselmann , Die Glaubenswissenschaft der Katholischen Tübinger Schule in ihrer Grundlegung durch Johann Sebastian v. Drey, in: ThQ 111 (1930) 49-117, 52 f: (13). <?page no="156"?> 124 Erläuterungen ders ., Johann Adam Möhler und die Entwicklung seines Kirchenbegriffs, in: ThQ 112 (1931) 1-91, 82 f: (11) (ein Spezifikum des Entwurfs zur Dogmengeschichte sei die Verbindung von wissenschaftlicher und historischer Konstruktion). ders ., Geist des Christentums und des Katholizismus. Ausgewählte Schriften Katholischer Theologie im Zeitalter des Deutschen Idealismus und der Romantik (Deutsche Klassiker der Katholischen Theologie aus neuerer Zeit 5). Mainz 1940, XIV: (6). ders ., Lebendiger Glaube aus geheiligter Überlieferung. Der Grundgedanke der Theologie Johann Adam Möhlers und der katholischen Tübinger Schule. Freiburg 1942 (unverändert 2 1966), 131, 147, 150, 185, 187: (4), (7), (13), (14). ders . (Hg.), Johann Adam Möhler: Die Einheit in der Kirche oder das Prinzip des Katholizismus dargestellt im Geiste der Kirchenväter der drei ersten Jahrhunderte. Köln 1957, [31]-[38]: (11). ders ., Die katholische Tübinger Schule. Ihre theologische Eigenart. Freiburg 1964, 19, 21, 24, 29, 41, 173, 289 ff: (14). H ans F riedrich G eisser , Glaubenseinheit und Lehrentwicklung bei Johann Adam Möhler (Kirche und Konfession 18) [1966]. Göttingen 1971, 39: (13). P aul G odet , Kuhn et l’e ´cole catholique de Tubingue, in: Annales de Philosophie chre´tienne 78 (1907) 26-47, 164-182; 29: (4), (5), (D rey gibt der Dogmengeschichte »le droit de bourgeoisie«). ders ., Drey, in: DThC 4 (1911) 1825-1828, 1827: (2), (4), (5). 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Manuskriptbeschreibung Das Manuskript mit einem Umfang von 354 Seiten wird in der Bibliothek des Wilhelmsstifts in Tübingen aufbewahrt unter der Signatur Hs Gf 1081a. - Aus der Beschreibung von R uf , Johann Sebastian von Dreys System der Theologie (siehe in Ziff. II.6.c) 33, Nr. 17, wird das Verhältnis der studentischen Kollegmitschrift zum Autograph D reys nicht ganz ersichtlich. Zum einleitenden Teil stellt R uf fest, »daß nur die ersten sechs Paragraphen weggelassen wurden, in denen er [D rey ] seinen Standpunkt darlegt und Möglichkeit und Notwendigkeit eines Dogmensystems erweist«; tatsächlich ist die Einleitung ohne sachliche Lücken um etwa ein Fünftel gerafft. Dagegen dokumentiert die Mitschrift M anz nicht nur eine materiale Ausweitung des Vorlesungsstoffes D reys (Christologie, Gnadenlehre, Prädestination §§ 13[b]-41), sondern auch eine Ausdehnung des Zeitraumes der Untersuchung bis ins Mittelalter (»Zweyter« und »Dritter Zeitraum«, Seiten 129-271 und 271-354). Es fällt auf, daß der Systembegriff 1822 weniger explizit Verwendung fand als 1812/ 13; die beste Erklärung dafür dürfte darin liegen, daß dieses Denken inzwischen eingeführt und etabliert ist (vgl. dazu auch KE §§ 255 ff und 268 ff). Ein Abweichen D reys von seiner ursprünglichen Konzeption läßt sich daraus, wie auch R uf betont, nicht ableiten. Wie bereits erwähnt, ist auch der Umstand bemerkenswert, daß ein Großteil der Korrekturen der Disposition in D reys Autograph in der Vorlesung von 1822 exakt zur Umsetzung kam. Daraus geht hervor, daß D rey sein Ellwanger Manuskript in den im Stoff übereinstimmenden Teilen noch 1822 als Grundlage im Hörsaal benutzte; Abweichungen im Wortlaut deuten auf ein frei formuliertes Diktat D reys hin. Inwieweit D rey für die neu hinzugenommenen Stoffe, für die kein Manuskript aus seiner Hand erhalten ist, auf anderweitige Aufzeichnungen, etwa Materialien und Belege aus seinen Praelectiones dogmaticae, zurückgegriffen hat, wäre zu untersuchen. - Nachfolgend wird die rekonstruierte Disposition der Kollegmitschrift von M anz wiedergegeben. 2. Disposition der Kollegmitschrift Manz In der nachstehenden Rekonstruktion der Disposition der Kollegmitschrift folgen die Titel der Paragraphen der eigenhändigen, bis § 17 reichenden Inhaltsübersicht von M anz , ab § 18 sind die Titel aus dem Textfortgang des Manuskripts erhoben. Schreibweise und Zeichensetzung sind nicht diplomatisch genau; Abkürzungen aufgelöst; Seitenangaben nach der eigenhändigen Paginierung; in runden Klammern Angabe der entsprechenden Paragraphen im Manuskript D reys . <?page no="160"?> 128 Kollegmitschrift Franz Joseph Manz Dogmengeschichte nach den Vorlesungen v. Herrn Prof. Dr. Drey. Tübingen, im Sommersemester 1822. - F. Jos. Manz. § 1. Begriff der Dogmengeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 § 2. Möglichkeit der Veränderungen im Lehrbegriffe Christi pp. (§ 1 / 2) 1 § 3. Behandlung und der Standpunkt der Dogmengeschichte (§ 3) . . . 9 § 4. Quellen derselben (§ 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 § 5. Geschichte und Litteratur (§ 5 / 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Geschichte der Entwicklung des christ-katholischen Systems. Erste Periode. Von Christus bis ins 4. Jahrhundert. Erster Abschnitt. Bemerkungen, wie Christus seine Lehre und die Apostel vortrugen im Verhältniß zur spätern Entwicklung derselben. § 1. Eben diese Bemerkungen (§ 8 / 9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 § 2. Verhältniß dieser Lehren zu ihrer späteren Entwicklung (§ 8 / 9) 45 § 3. Uebergang zu der I Periode der Entwicklung des christlichen Systems (§ 10) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 § 4. Lehre von Gott (§ 11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 § 5. Erste Entwicklung der Trinitätslehre (§ 12-17) . . . . . . . . . . . . . . . 64 § - Lehre vom heiligen Geist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 § 6. Lehre von der Schöpfung (§ 19) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 § 7. Lehre vom Menschen u. seiner Natur (§ 20) . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 § 8. Lehre von den Engeln (§ 21) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 § 9. Lehre von der Vorsehung (§ 22b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 § 10. Lehre von dem Ursprung der Sünde (§ 23) . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 § 11. [Fortsetzung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 § 12. Auferstehung der Körper (§ 26) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 § 13. Lehre vom Weltgericht (§ 27) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Zweyter Zeitraum - Vorbemerkung. In diesem Zeitraum werden die Lehren abgehandelt: von dem Charakter, der Person und Würde Christi; von seinem Amt und seinem Werke (Erlößung) - Lehre von den Gnadenwirkungen im Verhältniß zum freien Willen des Menschen, von diesem selbst und von der Prädestination. . . . . . . . . . . . . . . 129 § 13. [! ] Charakter, Person und Schiksale Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 § 14. Person Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 § 15. Leben und Schiksale Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 § 16. Weitere Entwicklung dieser Lehren, zugleich der Trinitätslehre 143 § 17. Versuche die nicenische Formel umzustoßen . . . . . . . . . . . . . . . . 153 § 18. Fortsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 § 19. Lehre der Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur in Christus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 § 20. Erste kirchliche Entscheidung gegen Nestorius . . . . . . . . . . . . . 173 § 22. [! ] 2. kirchliche Entscheidung gegen Eutyches und die Monophysiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 <?page no="161"?> 129 Geschichte des Katholischen Dogmensystems (1812/ 13) § 23. Neue Unruhen durch Einmischung der Kaiser in GlaubensSachen, und monotheletische Streitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Zweyte Abtheilung. Lehren, die durch Jesus der Menschheit zugegangenen Wohlthaten, besonders die Erlößung betreffend . . . . . . . . . 187 § 24. [Fortsetzung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 § [25] Weitere Entwickelung dieser Lehren vom 4. Jahrhundert . . . . . 196 § [26] Ausbildung bestimmter Vorstellungen über die Erlößung im engen Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 § 27. Noch einige zur Vervollständigung der Erlößungstheorien nothwendige Punkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 § 28. Lehren von der Theilnahme an der Erlößung oder auch von der Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 § 29. Fortsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 § 30. Fortsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Vierter Abschnitt [§ 31] Lehre von der Gnadenwirkung und der Praedestination . . . . . . 211 § 32. [Fortsetzung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 § 33. Von der ursprünglichen Natur des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . 221 § 34. Lehre von den Folgen des Sündenfalls für die moralischen Anlagen des Menschen vor Augustin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 § 35. Augustinischer Lehrbegriff von der ersten Sünde des Menschen und ihren Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 § 36. Lehre von der Gnade, oder von der moralischen Kraft des Menschen nach dem Sündenfall - in der 2. Periode vor Augustin . . . 237 § 37. Augustinischer Lehrbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 § 38. Lehre von der Prädestination in [der] 2. Periode . . . . . . . . . . . . 246 § 39. Augustinischer Lehrbegriff von der Vorherbestimmung . . . . . . . 248 § 40. Kirchliche Entscheidungen über die Pelagische Lehre . . . . . . . . 253 § 41. Wirkungen des Augustinischen Lehrbegriffs und Wirkungen desselben durch mittlere Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 § 42. Entwickelung einiger Hauptpunkte der Lehre von der Eschatologie, wodurch diese eine bleibende Gestalt in der Dogmatik annahmen . . . 265 Dritter Zeitraum Entwickelung der Lehren, die äußere Gestalt des Christenthums und sein öffentliches Leben betreffend, oder die Lehre von der Kirche und den Sakramenten § 43. [ohne Titel] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 § 44. [ohne Titel] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 § 45. [ohne Titel] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 § 46. [ohne Titel] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 § 47. Lehre von den Sakramenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 § 48. Lehre von der Taufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 <?page no="162"?> 130 Kollegmitschrift Franz Joseph Manz § 48. [! ] Lehre von der Firmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 § 49. Lehre von dem Abendmahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 § 50. [Fortsetzung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 § 51. Wirkungen der Eucharistie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 § 52. Die Eucharistie als Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 § 53. Lehre von der Buße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 § 44. [! ] [Fortsetzung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 § 55. Priesterweihe u. Oelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 1.) [Priesterweihe] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 2.) Krankenölung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 3.) Von der Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 4.) [Fortsetzung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352-354 <?page no="163"?> Teil B: Geschichte des Katholischen Dogmensystems. I Band. [I] Geschichte der drey ersten Jahrhunderte oder 1 te Periode. Mit Benutzung von Münschers Handbuch dargestellt von J. S. Drey Pr. 1812-1813 Ideen zur Geschichte des katholischen Dogmen-Systems. 1 [1] 1 § 1. Bei dem Beginne dieser Vorlesungen halte ich für nothwendig, sowohl 1 L ihren Inhalt zum Voraus zu bestim¯ en, als auch den Standpunct genau zu bezeichnen, von welchem ich denselben betrachten und darstellen werde. In Rücksicht des Inhalts bemerke ich, daß es nicht so fast eine Geschichte der 10 Dogmen ist, die hier vorgetragen werden soll, als vielmehr eine Geschichte des Dogmensystems, wie es sich in der katholischen Kirche, als der alleinigen vollkommenen Darstellung der Kirche 2 Christi allmälig entwickelt und gebildet hat. Es ist aber weder in Rücksicht des Stoffes noch der Behandlung einerlei, ob 15 man eine Geschichte der Dogmen, oder eine Geschichte des Dogmensystems 2 R versuche. Zwar was die Dogmen selbst betrifft, so sind es freilich dieselben, die in beiden vorkommen. Aber schon der Unterschied, daß dort die Dogmen gleichsam vereinzelt, hier aber in der Verbindung zu einem Ganzen betrachtet werden, macht auch einen Unterschied in der Auswahl der Materien noth- 20 wendig. Da die gewöhnliche Geschichte der Dogmen − und dieße ist bisher fast ausschließig betrachtet worden − ihren Stoff vereinzelt aufgreift, so muß ihr in dieser 3 Vereinzelung eine Materie so wichtig sein als die andere, höchstens daß die zahlreichern Widersprüche, die eine gefunden hat, oder die Menge historischer Monumente, die über sie vorhanden sind, dieser einen 25 zufälligen Vorzug geben können. Die Geschichte des Dogmensystems, da sie für sich schon voraussetzt, daß die christlichkatholischen Dogmen ein Ganzes und zwar ein systematisch verbundenes Ganzes seien, kan¯ , wen¯ ihr auch alle Dogmen ihrer Wahrheit nach, gleich wichtig sind, doch um des Systems willen, nicht so gleich giltig sein, und kann nicht allen eine gleiche Wichtig- 30 3 R keit, nicht allen eine gleiche Ausführlichkeit angedeihen lassen. Ihr werden diejenigen die wichtigsten sein, und die größte Ausführung zu verdienen 1 Die Überschrift der Einführung erstreckt sich in Form eines Kopftitels über beide Textspalten und ist von diesen mit einer doppelten Trennlinie abgesetzt (zur Textanlage siehe oben Einleitung Ziff. II.1.b; Disposition der Vorlesung siehe Ziff. II.5). − Die erste Fassung der vorliegenden Transkription nebst Apparat wurde von Reinhold Rieger erstellt. Dafür gebührt ihm Anerkennung und Dank. 2 Ge überschrieben mit Ki 3 danach gestrichen einz <?page no="164"?> 132 Johann Sebastian Drey scheinen, welche als die Anhaltpuncte des Systems erscheinen, und um welche gleichsam als ihre Centra sich die übrigen her angeschlossen haben. − Noch mehr unterscheidet sich die gewöhnliche Geschichte der Dogmen von der Geschichte des Dogmensystems in Rücksicht der Behandlung. Da beide eine Geschichte darstellen, so ist zwar auch in beiden die Darstellung histo- 5 risch, aber jede dennoch auf eine andere Weiße, wie es überhaupt eine zweifache Bearbeitung der Geschichte giebt. Es giebt nämlich eine blos fragmentarische Behandlung der Geschichte, wobei bloß die Data, Materien und Belege gesam¯ elt, und auf die bestmöglichste Weiße zusammengestellt werden; diese könnte man füglicher Geschichtforschung oder noch besser Geschicht- 10 sammlung nennen. Und es giebt eine 4 andere Behandlung der Geschichte, wobei die Kenntnis der Materialien zwar vorausgesetzt aber noch mehr als dieß gefordert wird, nämlich eine solche Verbindung der Materien daß darinn nicht nur ein gewißer Zusam-menhang überhaupt wahrgenommen werden 4 R kan¯ , sondern auch dieß ganze als von einem innern Geiste belebt, als das 15 Werk einer stätig wirkenden Ursache erscheine. Dieße letztere Behandlung der Geschichte ist eine systematische, weil hier alles aus einer einzigen Triebfeder hervorgegangen erscheint, wie in einem System alles aus einer einzigen Idee ausfließt, in sie zurückkehrt, von ihr zusammengehalten wird. Man hat diese systematische Behandlung der Geschichte auch die pragmatische genan¯ t, 20 entweder weil hiebei in die Begebenheiten ein Geist und eine Ubereinstim¯ ung kom¯ t, wodurch sie ein vernünftiges Ganzes, ein πραγμα Werk und Handlung der Vernunft werden, oder weil sie den Weisen 5 zur Selbstbeschauung dienen, ihnen Maximen zum Handeln an Handen geben, Richtschnur des eigenen Verhaltens werden. 25 Wenden wir nun das Gesagte wieder auf die Geschichte an, von der jezt die Rede ist, so müßen wir vordersamst auch den oben von der Geschichte des Dogmensystems aufgestellten Begriff rechtfertigen, ob eine solche möglich sei, und wir uns nicht vielmehr mit der Dogmengeschichte, wie sie bisher 5 R war, begnügen müßen. 30 c § 1 Unterschied einer eigentlichen Dogmengeschichte − und einer Geschichte 1 R des katholischen Dogmensystems. − − Er liegt darin¯ : a die erste kan¯ mehr oder weniger speciell sein; die andere ist allumfaßend. − b der erstern sind alle Dogmen gleich wichtig, der andern weniger. − c. Die erste muß mehr Kronik u. Geschichtsam¯ lung sein: die andere ist Geschichte im höhern Sinn 35 * § 1 Der Inhalt beider insofern er beiden gemein ist - sind 6 die Veränderungen, die mit dem Lehrbegriff des Christentums vorgegangen sind und vorgehen mußten confer M. I. § 1 pag 1-4 7 4 über der Zeile ergänzt 5 ß korrigiert zu s 6 korrigiert aus ist <?page no="165"?> 133 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) * § 2 Ursprüngliches Christentum, was es sei? − Davon muß die Dogmenge- 2 L schichte ausgehen * § 3 Sind in jenem Urchristentum Veränderungen möglich? − selbst nach dem Sinne und der Absicht seines Stifters − nach seinem Wesen − nach dem Willen der Providenz 5 § 4 Erstes Princip der Entwickelung - der innere Geist des Christentums selbst in seiner Beziehung zu dem natürlichen Forschungstrieb der menschlichen Vernunft. b. Äußere Einflüße, Erregungen aus dem wissenschaftlichen besonders philosophischen Zustande der Zeiten. − α 8 Möglichkeit und Wirklichkeit eines solchen 10 Einflußes - β Kritik desselben ob jeder solche Einfluß eine Entstellung des 3 L Xtums sei - und wan¯ ? Munscher I § 5-10 c. Wirkungen der Entwickelung auf die Beweißart. Wichtigkeit und technische Bezeichnungsart. Munscher pag. 4 et 5 d. Kurze Ubersicht M. pag. 6 15 § 5 Oben der erste vom Unterschied der Dogmengeschichte und des Dogmensystems a (§ 1) a9 § 6 Rechtfertigung dieser Idee unten (§ 2.) b item § 3 et 4.) b10 § 7 Von den Bedingungen der Dogmengeschichte. Münscher § 2-4 § 8 Werth der Dogmengeschichte. M. § 10-14 20 § 9 Methode der geschichtlichen Darstellung und Abtheilung in Perioden. 4 L S. Unten § 4 et 5) Münscher § c11 § 2. Wen¯ wir bei dieser Untersuchung uns an die bisherige Erfahrung halten, 5 R und nur darauf sehen wollten, wie bisher die Geschichte der christlichen Dogmen behandelt wurde, so würde wenig günstiges für unsere Idee daraus 25 resultiren. a 12 Es ist zwar nicht zu läugnen, daß schon in frühern Zeiten den Freunden des Christentums der Gedanke nicht fremd war, wie die Dogmen selbst, also auch die Geschichte derselben systematisch zu verbinden. Aber merkwürdige Ausführungen dießes Gedankens finden sich dennoch nicht. 7 L: Die Angabe Münscher (auch: Munscher) oder abgekürzt M. verweist auf das von Drey benutzte Handbuch der Dogmengeschichte von Wilhelm Münscher (siehe oben Einleitung Ziff. II.1.d mit Anm. 7), wenn nicht anders angegeben auf Bd. 1 der 2. Aufl. (1802). - Erläuterungen zu der von Drey angeführten Literatur nachfolgend unter dem Sigel »L«. 8 über der Zeile ergänzt 9 a-a: mit dunklerer Tinte nachgetragen 10 b-b: mit dunklerer Tinte nachgetragen; davor § 2 mit dunklerer Tinte eingeklammert 11 c-c: Neben dem Haupttext des § 1 ist auf den Seiten 1-4 eine Übersicht zu §§ 1-9 plaziert, deren Gegenstand sich nicht exakt mit den Paragraphen gleicher Nummer im Haupttext deckt. Bei diesen Marginalien dürfte es sich um stichpunktartige Ergänzungen und Noten (mit Asterisken) zu einer späteren Fassung der Vorlesung handeln; der mehrfach wechselnde Schriftduktus zeigt an, daß sie nicht in einem Zug notiert wurden. − L: Die letzte Paragraphenangabe fehlt, gemeint ist: Bd. 1, § 23, S. 98-108. 12 über der Zeile eingefügt <?page no="166"?> 134 Johann Sebastian Drey Vielmehr als bald nachher die Umstände der Zeiten ein kritisches Forschen nach dem Einzelnen wie überall so auch in der Theologie zum Hauptgeschäfte machten, verlor sich auch das Studium der Geschichte der Dogmen in dieß Forschen nach dem Einzelnen. Dieß war zwar nicht ohne großen Nutzen, den¯ es lieferte eine Menge kritisch und historisch geprüfter Materialien, 5 die für den dereinstigen umfassenden Bearbeiter der Dogmengeschichte von dem größten Vortheil ja ein unentbehrliches Hilfsmittel sind und werden 6 R können. In diesem Geiste des Forschens nach dem Einzelnen sind die Bemühungen der großen Männer, die besonders die katholische Kirche in größerer Zahl als die Protestanten nach dem eigenen Geständnis dieser hervor- 10 gebracht hat, u. welche uns die großen und schätzbaren Werke des 17 und zum Theil noch des 18 Jahrhunderts geliefert haben. Aber bei allem dem, und bei den vielfachen Vorarbeiten konnte doch noch keine systematische Behandlung der Dogmengeschichte zustande kommen. d Zur erstern Classe dieser Schriften die Werke der ältern fast durchgehends d13 b 14 Was in frühern Zeiten 15 was selbst in der letzten noch hierinfalls geschehen ist, besteht darin¯ , daß entweder die historischen Belege für die einzelnen Dogmen ohne besondere Ordnung zusammengestellt wurden; oder wie man je eine Ordnung in der Geschichte der Dogmen beobachten zu müßen glaubte, so reihte man dieselben nach der chronologischen Folge etwa mit Auszeichnung gewißer Pe- 20 rioden aneinander, e zur andern [Classe] z. B. Münscher e15 oder man legte die in der Dogmatik angenommene Section, sogenannte Tractatus zum Grunde f nach der dritten hat Schnappinger sein Compendium geschrieben f16 erst in der jüngsten Zeit haben es einige Protestantische Theologen versucht, eine Geschichte der Entwickelung des protestantischen Lehrbegriffs zu liefern. 25 7 R g z.B. Plank g17 Durch dieße Bearbeitungen ist aber die Geschichte der Dogmen noch im¯ er keine systematische 18 geworden. Den¯ wiewohl in der Zeit selbst alle Dinge die da geschehen zusammenhangen, so ist doch die Zeit noch kein System; dieß muß sich in den Dingen selbst finden, die sich in ihr entwickeln. 30 c. 19 Und dieß ist nun eben die Frage, die über unsere Idee entscheidet: es wird nämlich gefragt, und muß hier gefragt werden: ist in den christlichen Dogmen, ist in dem Ganzen der Dogmen der katholischen Kirche ein System, oder ist keines darinn? - Ist in den Dogmen der katholischen Kirche ein System, so ist wenigstens auch eine systematische Geschichte derselben, oder 35 13 d-d: Einweisung 14 nachträglich eingefügt 15 e-e: am Rand, Schrift wie d-d; - L: Bd. 1, § 23, S. 98. 16 f-f: am Rand, Schrift wie d-d und e-e 17 g-g: Einweisung (z.B. nachgetragen); - L: siehe unten S. 41; vgl. Münscher, Bd. 1, S. 94. 18 korrigiert aus dogmatische 19 Ergänzung auf der linken Spalte <?page no="167"?> 135 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) es ist eine Geschichte des Dogmensystems möglich; wäre aber in unsern Dogmen kein System, so würde auch keine systematische Behandlung ihrer Geschichte möglich sein. Dieß letztere ist für sich selbst klar: denn es giebt 20 überhaupt nur zwei Arten, wie die Dinge entstehen, entweder sie entstehen auseinander selbst durch eine 5 Entwickelung aus einem innern Kern und Keim oder sie reihen sich blos zufällig und ohne in¯ ere Verbindung in der Zeit an einander. Von der erstern 8 R ist eine systematische Behandlung ihrer Entwickelung möglich, also auch eine systematische Geschichte derselben; von der andern, da sie ihre Entstehung dem Zufall verdanken und nichts nothwendiges in ihnen ist, läßt sich auch 10 keine eigentliche Geschichte schreiben; denn wer wollte eine Geschichte des Zufalls unternehmen. Was nun die Frage selbst betrifft; - ob in den Dogmen unserer Kirche ein System sei, so haben selbst die Gegner derselben dieß zugegeben, obwohl sie es manchmal indirecte fast wieder läugneten. Indessen abgesehen von der 15 Bejahung oder Verneinung dieser Frage durch die Einzelnen können und müßen wir hier die Frage schon längstens für entschieden halten - nämlich durch die Dogmatik selbst, welche wie sie auch immer von den Theologen behandelt wurde, doch immer als eine systematische Wissenschaft betrachtet und behandelt wurde. Dieß wäre aber nicht möglich gewesen, wen¯ nicht in 20 den Dogmen selbst ein System wäre. Und somit ist es allerdings außer Zweifel, daß gleichwie in den Dogmen selbst ein System ist, also auch in ihrer Entfaltung noch ein solches anzutreffen, also eine Geschichte des katholi- 2 21 9. schen Dogmensystems möglich sein müße. d 22 Dieße Geschichte des Dogmensystems wird also folgende Aufgaben zu 25 lößen haben, insofern sie nämlich die Geschichte eines Systems ist: α . 23 In einem System ist Etwas was man die Einheit oder auch das Eine - und Etwas was man die Vielheit oder das Einzelne nennt, jenes das Lebendige, Bewegende, Leitende, Durchdringende; dießes das Belebte, Bewegte, Geleitete, Durchdrungene; - jenes der Geist, dießes der Körper, jenes der Orga- 30 nismus, dießes die Masse. Auch in der Geschichte eines Systems muß dieser Unterschied noch wahrzunehmen zu sein, und es ist auch hier noch die Hauptsache - das Eine in dem Vielen überall nachzuweißen. Die erste Sorge muß hier sein zu zeigen, wie Alles aus dem Einen hervorgegangen sei. h Uberhaupt religiößer Standpunct. h24 35 β . Aber was systematisch sich entwickelt, das 25 entwickelt sich so, daß auch das Einzelne aus dem Einzelnen begreiflich ist, d.h. unter dem Einzelnen und 20 danach gestrichen: nur 21 Kopftitel (unterstrichen) am Beginn von Bogen 2: Ideen zur Gesch. des kath. Dogmens. 22 nachträglich angefügt 23 Abschnittsbezifferung aus lateinischer in griechische Schrift korrigiert, ebenso unten β - δ . 24 h-h: am Absatzende angefügt 25 korrigiert aus daß <?page no="168"?> 136 Johann Sebastian Drey Vielen geht eines voraus u. das andere folgt: und es könnte das zweite nicht sein, wenn nicht das erste, und das dritte nicht sein, wenn nicht das zweite schon gewesen wäre. Auch dieß muß in der Geschichte eines Systems beobachtet, und vorangestellt werden, was vorausgehen mußte, ehe das folgende begreiflich ward. 5 γ . Nach diesem Grundsatz, muß der Stoff der Geschichte überhaupt dargestellt, aber bei demjenigen am längsten verweilt werden, was als Keim vieler andern Entwickelungen er-scheint. Diese Einzelnen Entwickelungen müßen 10 dann wieder nach ihrer Dignität und Wichtigkeit geordnet werden. δ . ZeitAbschnitte sind in aller Geschichte, also auch in der Geschichte des 10 Dogmensystems. Aber wie im System nichts willkührlich, so können auch die Zeitabschnitte nicht willkührlich genommen, sondern sie müßen so dargestellt werden, wie in der Entwickelung das innwohnende Princip eine größere Energie oder einen ausgezeichneten Charakter geoffenbaret hat. Davon nachher! 15 i § 2. Rechtfertigung der Idee - einer Geschichte des Dogmensystems, und 5 L Erweiß 26 , daß eine solche möglich ist. a Frühere Behandlungsart: forschen nach den einzelnen Documenten u. Materialien. Munscher. I. § 19-22. 27 b. Behandlung in der neuern Zeit 20 c. Die Möglichkeit einer ächt historischen Behandlung liegt darinn, daß in den Dogmen ein System ist d. Folgerungen für die ächt historische Behandlung der Geschichte des kath. Dogmensystems. i28 § 3 29 Von dem Standpunct, aus welchem die Geschichte 25 [10] des kath. Dogmensystems zu betrachten ist Daß 30 in der Geschichte eines Systems ein gewißer Punct sein müße, von welchem aus alle Entwickelung darzustellen ist, ist schon gesagt worden; denn ohne einen solchen schwäme alles in chaotischer Verworrenheit durch einander und in charakterloser Unbedeutsamkeit. Im System selbst ist ein 30 lebendiges Punctum saliens, wodurch es System wird, und ebendießes hat die Geschichte des selben 31 darzustellen, wenn sie Geschichte des Systems sein will. Dieser lebendige Punct im System, wenn er aufgefaßt ist, bestimmt 26 e überschrieben mit E 27 L: S. 71-97. 28 i-i: auf der linken Spalte neben dem Beginn des Haupttextes notierte Disposition von § 2, wohl gleichzeitig mit den Korrekturen der Abschnittsziffern 29 dazu am Rand: N. Dieser ganze § fällt eigentlich noch in den zweyten. − 30 zum Textbeginn am Rand: a. Das zur ächt historischen Darstellung, von dem religiößen Standpunct aus nothwendige Princip der Einheit ist - 31 darunter gestrichen: Systems <?page no="169"?> 137 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) zugleich den Standpunct, aus welchem die ganze Geschichte zu betrachten und zu entwerfen ist. Es ist also eine Hauptfrage für den Geschichtentwick- 11 ler; wo sich der bewegende, der Lebenspunct seiner Geschichte finde, und dieße Frage muß er sich mit der größten Bestimmtheit beantwortet haben, ehe er an seine Arbeit geht. Daher auch für uns die Hauptfrage, wo finden wir den 5 lebendigen Punct in der Geschichte unseres Dogmensystems, und mit ihm den Standpunct derselben? 2. 32 Die Beantwortung dieser Frage wird uns dadurch erleichtert, daß hier von der Geschichte eines Systems, und also von einem System selbst die Rede ist, welches gleichwie es nirgends existieren kan¯ als in der Vernunft, also auch nur 10 von der Vernunft empfangen sein, nur von einer Vernunft und für sie entwickelt werden kan¯ . Es bleibt also, weil alle Vernunft j an und für sich selbst j33 aus unveränderlichen Grundsätzen handelt, der Zufall oder die Willkühr als leitendes Princip von unserer Geschichte ausgeschlossen. Mag in der gewöhnlichen Geschichte, die der Spiegel des freien Handelns ist, dem Zufall vieles 15 zugeschrieben werden, in einem System, welches der reinste Ausdruck der Consequenz und Nothwendigkeit ist, kann nichts von ihm herrühren. - Der lebendige Punct in unserer Geschichte ist also ein festes, unveränderliches, mit sich selbst übereinstimmendes Princip, und weil ein solches Vernunft voraussetzt, ein vernünftiges. In irgend einer Vernunft und ihrem Geist 20 12 müßen wir demnach jenes Princip suchen, und aus diesem Standpunct, dem einer mit Absicht und Bewußtsein, einer mit Besonnenheit und Consequenz wirkenden Ursache müßen wir die Entwickelung unseres Systems in der Zeit darstellen. 3. 34 Nun kennen 35 wir aber die Vernunft, den Sitz aller Systeme von einer 25 doppelten Seite: einmal wie sie nach dem Absoluten ringt, aber es aus Ursache einer angeborenen Beschränkung auf reale Weiße nie erreicht, je 36 dennoch 37 durch die ihr auf ideale Weise vorschwebenden Anschauung des Absoluten desselben theilhaftig wird; und dann die des Absoluten aus sich selbst und mit eigener Machtvollkommenheit genießende Vernunft, das ganze Absolute 30 selbst, die absolute Vernunft. Auf die erste Weiße ist die Vernunft im Menschen, auf die andere in Gott; der ersten werden wir in 38 uns selbst gewahr und besitzen sie realiter: die andere erscheint uns nur und besitzen wir nur in der Idee. - Wie die Vernunft so sind auch alle Systeme entweder im Menschen 32 dazu am Rand: - b Nicht der Zufall kann es sein, eine Vernunft − 33 j-j: über der Zeile, darunter gestrichen: ihrem Wesen nach nur 34 dazu am Rand: c Also die göttliche oder menschliche [korrigiert aus: Also aus der göttlichen oder menschlichen ] 35 korrigiert aus: können 36 am Rand angefügt 37 danach gestrichen: aber 38 über der Zeile <?page no="170"?> 138 Johann Sebastian Drey oder in Gott, so muß auch das System der Dogmen entweder im Menschen oder in Gott sein. Und wenn daher die Geschichte desselben dargestellt werden soll, so kann dieselbe Geschichte entweder aus der menschlichen oder aus der göttlichen Vernunft dargestellt werden. Ich sage, es sei möglich, d.h. es lasse sich vorläufig denken, daß das ganze 5 13 System unserer Dogmen 39 aus der menschlichen Vernunft und durch ihre Anstrengungen ganz allein sich entwickelt habe - ebenso als es möglich ist, daß es im ewigen Verstande Gottes empfangen, der menschlichen Vernunft nur mitgetheilt sei 40 und unter der Leitung eines göttlichen Princips sich entfaltet habe. 10 4. 41 Aber dieß erhellt sogleich, daß, je nachdem man sich den Ursprung unseres Dogmensystems denkt, auch die Behandlung seiner Geschichte und der Standpunct der ganzen Darstellung ein anderer sein müße. 42 Denkt man sich das System als ein rein menschliches, als das bloße Werk der Vernunft, so wird auch die ganze Geschichte desselben dargestellt werden müßen als ein 43 15 Schauplatz eines nothwendigen unermüdeten Ringens nach der Lößung einer Aufgabe, ohne welche die Vernunft ihre wichtigsten Forderungen nie befriedigt finden konnte. k Ein Ringen aber, welches sich in den einzelnen Zeiten, Menschengeschlechtern wiederholt und auf die manchfaltigste Weiße wiederholt. NB. k44 Menschen allein werden alsdan¯ in dieser Geschichte handeln, 20 werden ihre glücklichern oder unglücklichern Versuche wagen, werden Wahrheit oder Irrtum, oder beides untereinander zu Tage fördern, werden in ihren Speculationen durch die Umstände der Zeit, durch Vorurtheile und Meinungen, auch durch Leidenschaften und fremdartige Absichten begünstigt 45 oder gehindert werden. Und aus diesem bunten Getriebe, aus dieser chaotischen 25 Verwirrung bei welcher Zufall und Willkühr unmöglich ausgeschlossen werden können, wird ein harmonisches System, aus der Zerstückelung, in welche 14 das Streben der Vernunft durch die Zeit nothwendig aufgelößt wird, wird ein großes und schön verbundenes Ganze hervorgehend gesehen werden. l Reflexionen über die Voraussetzung nro 3 s.f. l46 − 30 Denkt man sich dagegen 47 das System unserer Dogmen im ewigen Verstande Gottes ursprünglich empfangen, und der menschlichen Vernunft nach und nach theilweiße mitgetheilt, also eigentlich als das Werk Gottes als Offenbarung Gottes, so wird dabei zwar die menschliche Thätigkeit, ein Ringen der 39 danach gestrichen: sich 40 über der Zeile 41 dazu am Rand: d. woraus zween verschiedene Standpuncte erwachsen 42 zum folgenden am Rand: ( α . der Profane 43 korrigiert aus der 44 k-k: Einweisung 45 b korrigiert aus g 46 l-l: Einweisung; zum folgenden am Rand: ( β der religiöße 47 Einweisung <?page no="171"?> 139 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) forschenden Vernunft nicht ausgeschlossen: denn da die einzelnen Glieder nur, nicht aber das Ganze System der Vernunft von Gott jedesmal 48 gegeben werden, so wird diese zufolge ihrer innern Natur nach der Einheit und dem Systeme ringen, aus der Erforschung der geoffenbarten Wahrheiten, und aus ihrer Vergleichung sowohl unter sich als mit dem ganzen Vorrath ihrer Er- 5 kenntnisse in den Besitz des Ganzen zu gelangen suchen, und dabei nicht minder thätig sich äußern, als wenn sie eine selbstgewählte Aufgabe zu lösen hätte; ja das Ansehen einer göttlichen Offenbarung wird dem Streben der Vernunft einen Ernst, und eine heilige Energie leihen, wozu sich die Menschheit bei eigenen und willkührlichen Untersuchungen nie erheben würde. - 10 Aber dießes Streben der Vernunft wird von einer andern Seite her ein ganz anderes Ansehen gewinnen, als da man sich dasselbe rein menschlich dachte. Denn hat man einmal die Uberzeugung gewonnen, daß zur höchsten, d.h. religiößen Entwickelung und Ausbildung der Vernunft ein unmittelbarer 15 göttlicher Unterricht, eine unmittelbare göttliche Offenbarung nöthig war, so 15 hat man damit auch den nächsten Schritt zu der zweiten gethan und kann ihr nicht mehr ausweichen, der 49 Uberzeugung nämlich, daß in der Entwickelung der Offenbarung, weil sie selbst nur eine im Geheimen fortlaufende Offenbarung ist, derselbe göttliche Plan, dieselbe göttliche Concurrenz angenommen werden müße, wie bei dem Ursprung der Offenbarung selbst. Von 20 diesem Standpunct erscheint also nicht nur die Grundlegung oder der Keim unseres Dogmensystems, sondern die ganze Entwickelung desselben als Werk Gottes und seines Geistes; und damit öffnen sich für das Feld der Dogmengeschichte ganz andere Ansichten als auf jenem Standpunct, der sie als reines Werk der menschlichen Vernunft betrachtet. Es bleibt zwar wie gesagt, das 25 menschliche Treiben dabei gerade so wie es die Zeit und die Geschichte dargestellt hat, aber dieß menschliche Treiben steht unter einer höhern göttlichen Leitung, es bleibt die Freiheit und Willkühr des menschlichen Forschens, aber sie wird geregelt und zusammengehalten durch die geheimen Grundsätze der göttlichen Vernunft, von welchen sich auch die ausschwei- 30 fendsten Untersuchungen, selbst grobe Irrtümer, nicht unwiderbringlich verlieren können. Es bleibt für die gewöhnliche Betrachtung ein Hin und Herschwanken der Meinung, ein scheinbares Vor und Zurückschreiten, aber 16 mitten in 50 dießen sich durchkreutzenden Bewegungen im Kampf und Wechsel der Meinungen erreicht der unsichtbare Geist des Christentums seinen 35 Zweck, eine immer vollkommenere Entfaltung der Offenbarung, ein immer mehr sich schließendes System des Glaubens - dessen Licht wieder auf alle Zweige der menschlichen Erkenntnis zurückwirkt, und zu neuen Entwickelungen der Offenbarung vorbereitet. Kurz es bleiben alle historischen Daten 48 Einweisung 49 korrigiert aus das 50 über der Zeile, darunter gestrichen: durch <?page no="172"?> 140 Johann Sebastian Drey in ihrem Werth; aber wenn sich der gemeinen Betrachtung der Dinge in der Geschichte der Dogmen mehr ein verzerrtes als wohlgeordnetes Bild zeigt, so bringt der höhere Standpunct wie in einem konischen Spiegel alle die Zerrbilder in ein schönes und göttliches Gemälde zusam¯ en. 5. 51 Die Standpuncte sind nun bezeichnet, von welchen es möglich ist, die 5 Geschichte der Entwicklung des Dogmensystems zu betrachten. Uns bleibt also die Wahl oder es erhebt sich vielmehr die Forderung, für welchen wir uns entscheiden sollen. Sehen wir auf die Äußerungen, welche sich in der letztvergangenen Zeit über diese Wahl und Entscheidung haben vernehmen lassen, so ist es nicht mehr zweifelhaft, daß die Meinung der Mehrzahl für die 10 erste, d.h. die rein menschliche Ansicht ist; denn von diesem Gesichtspunct sind die meisten neuern Versuche über Dogmengeschichte gefaßt. Ich aber, der ich mich in Sachen ernstlicher Untersuchungen durch die öffentliche Meinung nicht bestimmen lasse, sondern das was mir die Wahrheit zu sein scheint, wähle; ich werde die geschichtliche Entwickelung des Katholicismus 3 52 17 aus dem zweiten Standpunct bearbeiten und darstellen, und es ist mir ein Vergnügen, Ihnen m. H. die Gründe die mich dazu bestimmen, vorläufig, soweit es sich thun läßt darzulegen. Einmal habe ich mir, und ich darf sagen nicht ohne vieles Nachdenken, auch nicht ohne manches Abweichen vom Weg der Wahrheit, einmal hab ich mir 20 die Uberzeugung eigen gemacht, daß sich durch die ganze Geschichte des Menschengeschlechts ein ewiger Erziehungsplan Gottes hinzieht, daß dieser Erziehungsplan, in wie weit und weil ein solcher in der wirklichen Erziehung auch dem Zögling offenbar werden muß, in der Geschichte der Menschen, namentlich aber in der Geschichte der Religion und Offenbarung kund ge- 25 worden, aber wie es die Natur der Sache erforderte, am Anfang nur dunkel und stückweiße, jedoch nach dem Bedürfnis und der Fassungskraft der zu Erziehenden - daß durch Christus die Zeit der Unterscheidung 53 und des schärfern Denkens herbeigeführt worden, und damit zugleich die Nothwendigkeit erwachsen ist, den Erziehungsplan in seiner Umfassung und auf eine 30 der erhöheten Denkkraft angemessenen Weiße darzulegen - daß im Christentum in wieferne es speculativ ist und dogmatische Lehren enthält, dieser Erziehungsplan auf speculative Weiße und für die Vernunft geoffenbart ist, und das ganze dogmatische Christentum aber nichts anders als die ewigen Ideen Gottes über die Erziehung des Menschengeschlechts ist. −− Aus dießer 35 Uberzeugung ist der Entschlus in mir hervorgegangen, als ich zum Lehramte 18 der christlichen Dogmatik berufen wurde, das ganze System der christlichen Dogmen in diesem Sinne auf speculative und wissenschaftliche Weiße dar- 51 dazu am Rand e Wahl eines der beiden. − 52 Kopftitel am Beginn von Bogen 3: Ideen zur Gesch. des kathol. Dogmensystems 53 Korrektur am Rand, dafür gestrichen: Volljährigkeit <?page no="173"?> 141 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) zustellen, wozu mir Gott Zeit und Kräfte geben wolle − Bei dieser Uberzeugung von 54 einer alles umfassenden Offenbarung, einer von jeher über unserm Geschlechte waltenden göttlichen Leitung, wie könnte ich in der Geschichte der Entwickelung des christlichen Dogmensystems auf einmal bloßes Menschenwerk sehen, wie den Faden meiner Uberzeugung zerreißen? Als ob 5 derselbe göttliche Beistand und Einflus, der von jeher die religiößen Angelegenheiten der Menschen geleitet hat, nun im Christentum fehlen dürfte, oder uns eine Erziehung einmal etwas überflüßiges werden könnte? Es gehört zur Consequenz meines Systems im Vortrage der Theologie, daß nachdem ich in der Einleitung die Nothwendigkeit und Wirklichkeit einer Offenbarung 10 dargethan, nachdem ich ebenda die Idee des Christentums überhaupt dargestellt, nachdem ich in der Dogmatik dieselbe Idee in ihrem ganzen Umfang und in allen ihren Theilen erklärt habe, es gehört sage ich zur Consequenz meines Systems, daß ich in der Geschichte des Dogmensystems zeige, wie dieselben Dogmen in der ersten Verkündung des Evangeliums zwar schon 15 ausgesprochen worden, aber in ihrem vollen Lichte anfangs noch nicht deutlich erkannt werden, sondern erst allmälig unter der Leitung eines göttlichen von Christus selbst verheißenen Princips zur Klarheit bestimmter Glaubenssätze, zur Natur eigentlicher Dogmen, und nach und nach zur Gestalt eines 19 eigentlichen auch wissenschaftlich darstellbaren Systems gelangen konnten. 20 Zum andern würde mich schon die Achtung vor 55 den allgemeinen und öffentlichen Glauben der Kirche dazu bestimmen, die vorzüglich auf der Voraussetzung eines fortdauernden göttlichen Einflußes ruht. Es ist keinem Zweifel unterworfen, daß wenn in den Sachen des Christentums, und besonders wenn in den Dogmen desselben, die über das ganze System herrschen, 25 alles der menschlichen Willkühr, der bloßen Meinung hingegeben wird, die Kirche dann nicht mehr ist auch nicht mehr sein kann. Welche Consequenz man immer der Vernunft beilegen 56 , wie sehr auch der Inhalt der christlichen Dogmen in 57 der Natur des menschlichen Geistes liegen mag, die rein menschliche Speculation ist immerhin individuell zeitlich, wandelbar, verän- 30 derlich und willkührlich, ihre Geschichte kann nie eine strenge Einheit sehen lassen, und dieße wird auch hier wie überall nur aus einer höhern Ursache begreiflich. Gerade darum, weil selbst eine göttliche Offenbarung der unbeschränkten Willkühr rein menschlichen Forschens überlassen in absoluter Verwirrung zerfließen und allen Character verlieren würde, gerade darum 35 postuliren wir eine Kirche, als die äußere wohl organisirte Erscheinung der religiößen Providenz oder des Reiches Gottes, und postuliren die Kirche 54 über der Zeile 55 korrigiert aus für 56 danach gestrichen mag 57 über der Zeile ergänzt <?page no="174"?> 142 Johann Sebastian Drey vorzüglich in dogmatischer Beziehung als Organ der göttlichen Offenbarung als ein verkörpertes System, das sich fortwährend von innen heraus durch die Regung eines unsichtbaren Geistes bildet und gestaltet. Ein großer und der größte Theil seines geheimen Wirkens offenbart sich uns in der Entfaltung 20 des Dogmensystems. Wie könnte ich mich von der in der Geschichte der 5 Kirche unverkennbaren systematischen Ordnung wegwenden und mich mit dem Scharfsinn oder der Flachheit, mit der Redlichkeit oder den Ränken der Tausende von Theologen beschäftigen, die als Handlanger des göttlichen Geistes als Handlanger der Kirche zur Errichtung des großen Gebäudes mitgeholfen haben. 10 Mögen andere mehr Vergnügen darin finden, in der Geschichte der Dogmen mehr auf das Individuelle, Persönliche, Zeitliche zu sehen, mögen sie gewiße Entscheidungen dem überwiegenden Einfluß dießes oder jenes Kopfes zuschreiben, mögen sie ein ganzes System einzelner Vorstellungen aus 58 dem Geiste der Zeitalter 59 erklären und ableiten: so bin ich nicht von ihrer Parthei: 15 denn ich bin gewiß, daß auf diesem Wege sich alle Einheit und Consequenz verlieren, alles unzusam¯ enhängend und verworren 60 , und darum am Ende bezweifelt und vernichtet werden muß. Ich aber, der ich überall auf wissenschaftliche Weiße forsche, Einheit und System überall voraussetze und suche, alles nur in einer durchgreifenden Identität und nichts zufällig sondern als 20 nothwendig begreife, ich finde was ich suche auf dem obengenannten Standpunct. Darum ist mir die heilige und katholische Kirche so ehrwürdig, weil sie der höchste lebendige Ausdruck einer harmonischen Einheit, weil sie die höchste Consequenz, das vollendetste aller Systeme ist. Dieß selbst nach dem Geständnis ihrer Gegner ist, und ohne höhern Beistand dieß alles nicht sein 25 könnte. - Darum zieht mich selbst die scheinbare Klarheit und die glatte 21 Begreiflichkeit der Heterodoxie nicht an. Denn gerade dieße Klarheit und Begreiflichkeit hat noch immer seit 17hundert Jahren mit der totalsten Verwirrung geendet und sich selbsten aufgerieben. Vestigia terrent. § 4. Von der Form der Dogmengeschichte 30 oder eig. der Gesch. des Dogm.Syst. 61 Jedes wissenschaftliche Werk, oder überhaupt jede gelehrte Behandlung eines Gegenstandes hat seine bestimmte Form, die sich vorzüglich auf die Verbindung der Materien untereinander, und durch dieße auf die ganze Darstellung erstreckt. 62 35 58 über der Zeile 59 danach gestrichen zuschreiben 60 danach gestrichen werden 61 dazu am Rand: Aus dem angegebenen Standpunct ergiebt sich die Form von selbst s. angef. bei nro. 6 62 am Rand: N. ad § 4. <?page no="175"?> 143 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) 2. Die Form wird nicht so fast durch die Materie selbst bestimmt, als durch den Standpunct, aus welchem der Gegenstand betrachtet wird. Es kann ein und derselbe Gegenstand oder eine und dieselbe Materie in gar verschiedener Form dargestellt werden. Im allgemeinen giebt es aber nur zwei Hauptformen, in denen ein Gegenstand erscheinen kann: es ist die Form der Zufällig- 5 keit und die Form der Nothwendigkeit; in jener erscheint überhaupt alles was nicht eigentlich wissenschaftlich gedacht ist, in dieser alles Wissenschaftliche und Gewiße. Bei jener kann sich allenfalls noch Gelehrsamkeit zeigen: bei dießer muß nicht nur Gelehrsamkeit sondern noch ein höherer Geistesblick 22 offenbar werden. 10 3. Unter dem was in 63 der Form der Nothwendigkeit erscheint, unterscheiden wir zuerst dasjenige worinn das Princip der Nothwendigkeit mit ihr selbst bestimmt und deutlich ausgesprochen wird: dann dasjenige, woran zwar die Nothwendigkeit deutlich zu erkennen ist, aber nicht das Princip der Nothwendigkeit, welches vielmehr im Dunkel gehalten wird, und durch ein an- 15 deres erscheint. Die Form, die die Nothwendigkeit samt ihrem Princip ausspricht, ist die wissenschaftliche Form. Diejenige, die nur die Nothwendigkeit ohne das Princip ausspricht, ist die Kunst 64 Form. ( Explicatur ). b Wissenschaft und Kunst 65 sind ihrem Wesen nach eins, aber in der Form verschieden - 66 20 c Wird in einer Form das Princip der Nothwendigkeit zwar verhüllt, aber doch so daß es durch Reflexion hervorgehoben werden kann, so ist es die eigentliche Form der Geschichte d Ist es aber absolut verhüllt, daß es die Reflexion nicht finden, also die Form von dem Wesen, und das Wesen von der Form nicht trennen kann, so ist das 25 Wesen in der Form aufgegangen: es ist die reinste und höchste Erscheinung der Form, es ist Kunst. e Die Geschichte steht also in der Mitte zwischen Wissenschaft und Kunst: 23 sie ist dem Wesen nach gleich der Wissenschaft, aber sie hat die Form der Kunst. Daher die Geschichte für den wissenschaftlichen Denker und für den 30 Künstler gleich interessant ist: der erste findet sein System, der andere seine Poesie in ihr realisirt. - Darum sind alle ächten Geschichtswerke Kunstwerke: bei den alten aber am meisten, was aber begreiflich ist. 4. 67 Nach dießer Digression müßen wir nun zu der Geschichte unseres Dogmensystems zurückkehren. 35 63 danach gestrichen: wissenschaftlicher 64 über der Zeile, darunter gestrichen: historische 65 über der Zeile, darunter gestrichen: Geschichte 66 daneben am Rand: In der Geschichte erscheint die Nothwendigkeit im Ganzen, im Einzelnen die Freiheit: in der Kunst ist es umgekehrt. 67 dazu am Rand: NB. ausg <?page no="176"?> 144 Johann Sebastian Drey Da sie Geschichte ist, so muß sie auch die Form der Geschichte haben, und worin¯ diese bestehe, ist nro 3 68 et c gesagt b. Wollten wir nun eine im strengen Sinn so zu nennende Geschichte liefern, die Kunstwerk zugleich wäre, so dürften wir nur darstellen, nur erzälen, aber nicht reflectiren. Der wahre Geschichtschreiber reflectirt nicht, er beschreibt 5 nur und erzält; daran erkennt man ihn von dem falschen. c. Aber die Geschichte des Dogmensystems ist erstlich Geschichte eines Systems - und schon um deßwillen können wir das reflectiren nicht vermeiden. - Sie ist aber auch 69 Geschichte des Dogmensystems, also eine religiöße Geschichte, daher selbst religiöß. In der Religion aber wird die Wissenschaft 10 mit der Kunst verschmolzen, oder sie ist Wissenschaft und Kunst zugleich. Also auch um deßwillen kann die 70 Geschichte des Dogmensystems nicht 24 reines Kunstwerk bleiben; wir müßen in ihr reflectiren: denn das Princip der Nothwendigkeit, Gott durchbricht die Form und wird sichtbar. Wir müßen den Gott in dieser Geschichte zeigen, weil er sich selbst darinn zeigt. 15 5. Wollen wir also die Form bestimmen, die der Geschichte der Entwickelung des Dogmensystems gebührt, so ist sie weder die rein künstliche noch die rein historische; aber sie hat von beiden etwas. Die Form der Kunst verliert sich beim Vortrag noch mehr; dagegen müßen wir desto ernstlicher bedacht sein die historische festzuhalten: deren Grundlage in der Nothwendigkeit des 20 Erfolgs aller Erscheinungen ruht, deren eigentümlicher Charakter durch Verhüllung des Princips der Nothwendigkeit sich darthut. 6. 71 Dazu werden wir Anlas genug finden durch das was in der Geschichte überhaupt und ebenso in der religiößen als zufällig erscheint. Dieß zufällige ligt darinn, daß alle Geschichte sich an den Menschen und zunächst durch 25 ihre Thätigkeit sich entwickelt, die frei und daher zufällig gedacht werden muß. Dieß ist die Hülle hinter der sich der handelnde Gott versteckt. 7. Aber dieße Zufälligkeit ist nur in der Betrachtung des Einzelnen, in der Betrachtung des Ganzen verschwindet sie und zeigt sich als Nothwendigkeit. Die Betrachtung dießes Ganzen, eben weil es ein Ganzes, und in diesem 4. 72 25 Ganzen ein System ist, wird uns überzeugen; daß es nicht durch die Thätigkeit der Einzelnen, die als handelnde Personen auftraten, zu Stande kommen konnte: daß über den Einzelnen ein einiger Geist gewaltet, ihrer für sie allerdings freien und zufälligen Handlungen, ihrer sich oft widersprechenden Speculationen sich bemächtigt und als Mittel bedient habe, das consequen- 35 teste System zu entfalten. Der Zusammenhang und die Einheit der Lehren, 68 danach gestrichen: a 69 über der Zeile 70 danach gestrichen: Dog- 71 dazu am Rand: N. ang. 72 Kopftitel am Beginn von Bogen 4: Ideen zur Gesch. des kath. Dogmensyst. <?page no="177"?> 145 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) die sich ungesucht anbieten wird, wird uns zu Reflexion nöthigen, die den Gang der erzählenden Darstellung unterbrechen, zum Glauben und zur Bewunderung / der religiößen / erheben werden. 8. Unsere Entwickelung der Geschichte des katholischen Dogmensystems wird sich also in ihrer Form von den bisher gewöhnlichen wesentlich unter- 5 scheiden. Obwohl die Meisten, die etwa einen Versuch der Dogmengeschichte wagten, an eine höhere Einwirkung dabei glaubten, stellten sie doch die ganze Entwickelung so dar, daß sie blos als Resultat menschlicher Meinung und Discussionen erschien, wogegen es der ungläubigen Parthie nicht zu verargen, wenn sie gegen diese schlechte Darstellung immer neue und für diesen 10 Standpunct unwiderlegliche Einwürfe vorbrachte - / Man denke an die Geschichte einzelner Väter und Concilien! / Gegen dieße Einwürfe rückten die Gläubigen mit dem bloßen Auctoritätsglauben der Kirche hervor, ohne diesen durch Nachweißung der innern Harmonie des Systems zu rechtfertigen. 26 Sie stellten dar wie die Ungläubigen, und wollten doch ein anderes Resultat 15 finden. § 5 Epochen der Entw. des kath. Dogmensystems conf. Encyclop. Art. Histor. Theol. Einleitung. 73 1. Daß jede Geschichte ihre Perioden habe, ist theils aus der wirklichen Darstellung derselben bekannt, theils läßt es sich aus der Idee der Geschichte 20 darthun. Denn wenn die Geschichte nicht, wie es gewöhnlich geschieht, als ein Haufe von zufälligen Begebenheiten betrachtet wird, sondern als die in der Zeit sichtbar werdende Erscheinung eines Geheimen und Verborgenen Wesens, welches sich mit Consequenz und Nothwendigkeit entwickelt, so begreift man leicht, daß wie das Geheime und Verborgene seine bestimmte 25 Natur, oder bestimmte Gesetze seiner Entwickelung hat, also auch diese Gesetze in der Geschichte selbst sich offenbaren müßen. Die Wahrnehmung der Gesetze des Verborgenen Wesens in der zeitlichen Erscheinung heißt Periode oder Epoche. m Nota. Verbessert. m74 - Erläuterung aus dem Beispiel der Naturgeschichte unserer Erde 30 2. Dieße Perioden sind Ruhepuncte wie für das sich in der Zeit entwickelnde verborgene Wesen, also für den Geschichtsforscher um durch ihre Verbindung das Ganze der Geschichte leichter darzustellen und zu übersehen. 3. Nur lassen sich die Perioden auf doppelte Weiße bestim¯ en, d.h. die 27 Geschichtsforscher haben sie von jeher auf doppelte Weiße bestim¯ t und be- 35 stimmen sie noch so. Dieß rührt daher, weil auch die Geschichte auf doppelte 73 Verweisung auf ein im Herbst 1812 vorliegendes, nicht erhaltenes Manuskript Dreys zu seiner Enzyklopädievorlesung (siehe oben in der Einleitung bei und in Anm. 24). 74 m-m: Einweisung <?page no="178"?> 146 Johann Sebastian Drey Weiße betrachtet werden kan¯ : einmal als Masse zufälliger Thatsachen, oder als System von Thatsachen. −− Nach der ersten Betrachtungsweiße giebt es eigentlich keine fest bestim¯ ten Perioden: der Zufall macht sie, oder die Willkühr oder 75 Bequemlichkeit des Geschichterzälers. Indessen weil in der Geschichte doch ein System, wenn 5 auch der Geschichterzäler nichts davon weiß, und weil zufolge jenes Systems in einer gewißen Zeit sich merkwürdige Begebenheiten zusammendrängen, so kann auch dem des Systems der Geschichte Unkundigen jener Zusammenfluß nicht entgehen, und er wird dadurch genöthigt, jene Zeiten als Wendepunctszeiten oder als Perioden der Geschichte zu erkennen. Und auf dieße Weiße 10 sind selbst von den weniger gründlichen Geschichtsforschern doch die Hauptsächlichsten Perioden der Geschichte, wenn auch nicht alle richtig gefaßt und bestimmt worden - Demjenigen der die Geschichte als die Entwickelung eines Systems begreift, muß es ohnehin darum zu thun sein, die Perioden richtig zu bestimmen; sie 15 ergeben sich ihm aus der Idee des Systems selbst, oder er findet sie in der Geschichte - um so leichter, als er sie sucht. 4. Dem gemäß muß also die Geschichte unseres Dogmensystems auch ihre Perioden haben - umso mehr da sie Geschichte eines nicht zu verkennenden Systems ist; und es ist nicht ohne Nutzen dieße zum Voraus zu bestimmen; 20 indem uns durch sie und in ihnen eine allgemeine Ubersicht der ganzen Geschichte gegeben ist. 5. Dieße Perioden nun um zu bestimmen, brauchen wir nicht mehr, als den Uberblick des Systems selbst. - Da dießer durch die Dogmatik gegeben ist, 28 so könnte ich ihn zwar voraussetzen, halte aber für nothwendig, ihn kurz hier 25 einzuflechten, weil ich ihn im Vortrage der Dogmatik bisher noch nicht entwickeln konnte. Das Christentum überhaupt, und somit die Dogmatik des Christentums als der innerste Geist desselben - ist Offenbarung der ewigen Rathschlüße Gottes über unser Geschlecht, eine solche Offenbarung, welche uns nicht nur dieße 30 Rathschlüße Gottes wie sie in dem Verstande Gottes sind, sondern auch wie sie in der Zeit und an unserm Geschlechte in Erfüllung gingen, darstellt. - Daher weil dieße Offenbarung selbst in einer bestimmten Zeit geschahe - bezieht sich das Christentum auf alle drei Zeiten - auf die Vergangene - Alte, - vorchristliche - Auf die gegenwärtige - eigentlich christliche - und auf die 35 Zukünftige noch nicht geoffenbarte. - Die Offenbarung der Rathschlüße Gottes, die sich auf die gegenwärtige oder christliche Zeit beziehen, da dieße noch nicht abgelaufen ist, und jene Rathschlüße daher noch nicht vollkommen realisirt sind, heißt das Christentum im eigentlichen engeren Sinn - Und 75 und überschrieben mit oder <?page no="179"?> 147 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) daher ist die Geschichte des christlichen Dogmensystems nichts anders als die Geschichte der Entwickelung jener Rathschlüße für das Erken¯ tnisvermögen der Menschen, welcher Entwickelung der Ideen auch eine gleiche in der wirklichen christlichen Geschichte parallel läuft, von welcher letztern wir jedoch nicht zu reden haben, den¯ sie ist das Object der Kirchengeschichte 76 . 5 Aber jene in der Wirklichkeit und nicht mehr bloß in der Idee stattfindende - der Entwickelung der eigentlich christlichen Dog-men parallel laufende Ent- 29 wickelung - oder die Geschichte der Realisirung des Christentums in der Erscheinung wird selbst in der Dogmatik als eine Idee postulirt, dieße Idee ist die der Kirche 10 6. Daher zerfällt die Geschichte unseres Dogmensystems eigentlich in zwei Theile: in die Geschichte des christlichen Dogmensystems als eines solchen - und in die Geschichte der Idee der Kirche. Indessen weil doch dieße eine Idee selbst ist, können wir sie den übrigen ohne weiteres anschließen; aber in der Entwickelung der Ideen mußte sie eine der letzten entwickelt werden. 15 7. Nach Vorausschickung dieser Begriffe lassen sich nun die Perioden unserer Geschichte bestim¯ en. a. Da das Christentum als eine Erscheinung in der Zeit auftratt, die sich im bestim¯ testen Zusam¯ enhange mit der alten Zeit darstellte, so mußten sich 77 diejenigen Ideen zuerst entwickeln, die das Verhältnis des Christentums zu der 20 alten Zeit ausdrücken: die Ideen, die sich auf den gegenwärtigen Zustand beziehen - namentlich die Idee der Kirche später. b. Unter jenen mußten wieder diejenigen sich zuerst entwickeln, die den Charakter der alten Zeit unmittelbar und für sich angeben; denn ohne den Charakter und die Bedeutung der alten Zeit wäre weder der Charakter des 25 Christentums noch sein Zusam¯ enhang mit jener alten Zeit zu erken¯ en. Die erste Periode der Entwickelung des christlichen Dogmensystems ist also 30 diejenige, wo die wahren Lehren des Christentums über die alte Zeit sich aussprechen im Gegensatze gegen die falschen Lehren, Irrtümer und Meinungen oder - in der ersten Periode entwickelt sich 78 der die Vorwelt betref- 30 fende Theil der christlichen Dogmen im Kampfe mit Juden, Heiden, Gnostikern. War dieß nicht natürlich? c. Nachdem dieß Verhältnis als das erste erkannt, mußte sich die Entwickelung derjenigen Ideen hervordrängen, die das eigenere Wesen des Christentums - und besonders die Bedeutung Jesu, die mit dem Geiste der alten Zeit 35 in der engsten Verbindung steht, aussprechen. In der zweiten Periode entwickeln sich ebenso natürlich die Ideen, die die Natur, Sendung, Zweck und Bedeutung Jesu aufklären: n Dogmen die die Art aussprechen, wie das Christentum entstand n79 76 Do überschrieben mit Kir 77 danach gestrichen: zuerst 78 über der Zeile <?page no="180"?> 148 Johann Sebastian Drey d. Nach und nach muß der Geist der neuern Zeit im¯ er mehr erkannt werden, zuerst nach seiner innern unsichtbaren Seite, nach welcher er ein heiliges und heiligmachendes Princip ist. Daher hier die Ideen, die unsere Heiligung betreffen, offenbar ausgesprochen werden: die Lehren von der Gnade, Heiligung und dem heiligen Geist. o Natur des Menschen, freyen Willen o80 5 e. Sodann aber auch dieselben Ideen nach ihrer äußern Erscheinung oder der Realisirung des Christentums / confer supra 5. et 6 / d.h. die Idee der Kirche im Kampf gegen den Protestantismus. f. Es sind also bisher die Ideen des Christentums, die sich auf die Vergangenheit und 81 Gegenwart beziehen, entwickelt; was noch zu entwickeln ist, 10 31 sind die Ideen die sich auf die Zukunft beziehen. Da aber das Christentum in Ansehung dieser mehr Prophezeiung als klare Lehren enthält, so läßt sich nicht bestimmen, inwieweit dieße noch mehr entwickelt werden sollen. Soviel ist gewiß, wenn neue Entwickelungen geschehen sollen, so können sie sich nur über dieße Lehren erstrecken; und wenn neue Ketzereien noch möglich 15 sind, so werden sie jene Lehren angreifen. Anmerk. Es versteht sich, daß das zuletzt gesagte sich auf die Entwickelung des Dogmensystems unter den Völkern Europens, oder unter den bisher cultivirten Völkern bezieht. Dringt das Christentum unter die wilden Völker, so wird es zwar auch dort dieselben Perioden der Entwickelung durchlaufen, 20 aber da es zu ihnen auch unter andern äußern Verhältnissen kommt, und zum Theil in verschiedener Darstellung, so wird die äußere Geschichte des Christentums unter jenen Völkern eine andere Gestalt annehmen als bei uns. Anmerk. Ideen über die Art und Weiße, wie das Christentum den annoch wilden Völkern vorgetragen werden sollte: oder Instructio Missionariorum. − − 25 § 6 p Quellen und Hilfsmittel p82 der Entwickelung des katholischen Dogmensystems Unter Quellen versteht man, wen¯ von etwas geschichtlichem die Rede ist, 32 solche schriftlichen Urkunden, - wohl auch authentische, mündliche Uberlieferungen, woraus die darzustellenden Thatsachen - als das Materiale der 30 Geschichte entnommen werden. - Die Quellen oder Hilfsquellen der geschichtlichen Entwickelung unseres Dogmensystems sind also gleichfalls solche Urkunden. 2. Es versteht sich, daß die wirkliche Entwickelung unseres Dogmensystems nicht anders denn historisch dargestellt werden kann, und also auf lauter 35 79 n-n: zwischen den Zeilen eingefügt 80 o-o: zwischen den Zeilen eingefügt 81 danach gestrichen: Zukunft 82 p-p: über der Zeile ergänzt, darunter gestrichen: Hilfsquellen und Geschichte <?page no="181"?> 149 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) glaubwürdigen Daten und Urkunden beruhen muß. Denn nicht darinn unterscheidet sich unsere Darstellung von der gewöhnlichen, daß sie etwas anderes erzählte als gewöhnlich erzählt wird oder mit Fug der Wahrheit erzählt werden kann, oder daß sie der geschichtlichen Zeugnisse entbehrte; sondern darinn, daß wir ein höheres Princip bei der Entwickelung annehmen, 5 als sonst gewöhnlich angenommen wird, wobei übrigens die Thatsachen als solche bleiben was sie sind, aber von dem höhern Princip eine andere Bedeutung und einen anderen Werth erhalten. Auch können wir die Geschichte der Einzelnen nach ihrer Ausführlichkeit nicht entbehren: haben aber dabei unser Auge auf das Ganze selbst beim Einzelnen gerichtet, und möchten dann 5 83 33 gerne das Einzelne aus jenem begreifen. 3. Man kan¯ alle Quellen, aus denen wir die Thatsachen der Entwickelung unseres Dogmensystems schöpfen, in zwei Classen theilen: nämlich in solche, die an und für sich eine geschehene Entwickelung aussprechen - und in solche, die davon blos referiren oder nur einen entferntern Schluß erlauben. 15 4. Es wird hier aus der Dogmatik vorausgesetzt, daß jeglicher Glaubenssatz des Christentums nur dadurch zur Würde eines entschiedenen eigentlichen Dogmas erhoben wird, wenn die Kirche, d.h. die Lehrorgane derselben - mit Reflexion und Selbstbewußtsein diesen Satz als allgemeinen der Kirche ausspricht. Den¯ es kan¯ ein gewißer Satz als ein wahrer in 84 der Kirche, d.h. von 85 20 ihren Gliedern einzelnen, mehrern, den meisten, oder von allen für einen wahren gehalten werden, ohne daß die Kirche ihn bestimmt als ihre Uberzeugung erkän¯ te, - ohne daß sie ihn als ein zum System des Glaubens gehörigen mit Reflexion begriffe. - So sind viele Gedanken in mir, ohne daß ich mich ihrer und zwar als meiner bestimt bewußt würde; es sind noch 25 34 mehrere Gedanken in mir, ohne daß ich mir deutlich bewußt würde, in welches System und wie sie darein gehören. Wenn wir daher von der Entwickelung gewißer Dogmen in der Kirche sprechen, so können wir es nicht entwickelt nennen, solange biß wir sie von der Kirche mit Reflexion erkannt, als allgemeinen Kirchenglauben ausgesprochen wissen. - Sie mögen wohl, 30 und müßen sogar, schon früher in ihrer Entwickelung angetroffen werden, aber geschlossen ist die Entwickelung jedes einzelnen Dogmas und so des ganzen Systems nur unter der besagten Bedingung. 5. Daher sind für uns diejenigen Quellen die wichtigsten, welche eine solche allgemeine Entscheidung enthalten. Weil nun durch die längste Zeit in der 35 Kirche die Entscheidungen, Selbsterkenntniße p. derselben in Concilien ausgesprochen wurden, so sind die Acta Conciliorum die erste und wichtigste Quelle für die geschichtliche Entwickelung unseres Dogmensystems. 83 Kopftitel am Beginn von Bogen 5: Ideen zur Gesch. des kath. Dogm. Systems 84 über der Zeile, darunter gestrichen: von 85 über der Zeile ergänzt <?page no="182"?> 150 Johann Sebastian Drey Anmerk. Die Schrift kan¯ hier eigentlich nicht in Betrachtung kommen, auch nicht die Tradition selbst. einigermaßen doch! 86 Den¯ in der Schrift ligt das System noch unentwickelt und die Tradition stellt überhaupt die Entwik- 35 kelung dar. Der Sinn der Schrift und der Tradition wird erst durch die Kirche gedeutet: oder Schrift und Tradition werden erst durch die Erklärung der 5 Kirche Schrift und Tradition. Ipsi evangelio non crederem, nisi me Ecclesiae catholicae moveret auctoritas. Augustin. - Symbola Inwieweit die Kirche außer einem Concilium ihren Glauben aussprechen könne? - Namentlich durch Ausschließung gewißer Behauptungen als ketzerischer? - Inwieweit sogenannte Provincial od. particular Concilien, Deci- 10 sionen der Päbste als Quellen der Entwickelung des Dogmensystems betrachtet werden können? q conf. M. I pag. 51-58 q87 6. Nur Entscheidungen der Kirche bestim¯ en also zunächst und unmittelbar die bestim¯ te Entwickelung eines einzelnen Dogmas und so des Ganzen Systems. Dieße werden uns kund gethan unmittelbar durch allgemeine Conci- 15 liarbeschlüße durch allgemeine Verwerfung gewißer Meinungen von allen einzelnen Kirchen, wie in den ersten Jahrhunderten - durch Beitritt aller Kirchen zur Entscheidung von particulären, oder zu päbstlichen Decisionen. 36 Weil aber diesen letztern nur durch andere Zeugen und historische Belege constatirt werden können - so muß nun auch von dem Werthe dießer noch 20 etwas gesagt werden. Die Zeugnisse der Väter können von doppelter Art sein - einmal indem sie von der allgemeinen und daher auch öffentlich bekannt ausgesprochenen Uberzeugung der Kirche referiren - und inwiefern sie ohne von einer solchen etwas zu melden blos für sich aus der Schrift oder Tradition argumentiren. Im ersten Fall zeugen sie von einer schon geschehenen, im 25 andern von einer erst geschehenden Entwickelung. 7. Weswegen schon um deßwillen und auch noch aus andern Rücksichten bei ihrer Benutzung eine genaue Kritik und andere Vorsichtsmaßregeln notwendig werden. Wan kan¯ die bloße Erzälung der Väter einen Beweiß sein für die Entwickelung eines Dogma? Wie weit kan¯ ihre bloße Argumentation einen 30 Beweiß geben? Nota. − − Synodik - Archäologie - Patrologie - Kritik. Exegese. M. I pag. 58-70. 8. In wieweit andere Geschichtschreiber, kirchliche und andere - auch son- 37 stige Schriftsteller besonders die Schriften der Häretiker benutzt werden 35 können? Und mit welcher Vorsicht? 86 Einweisung 87 q-q: am Rand angefügt <?page no="183"?> 151 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) § 7 Litterärgeschichte dießes Zweiges der Theologie Was hier zuerst in Betrachtung kommen müßte, wäre die Litterärgeschichte der Quellen selbst, aus denen unsere Geschichte zu schöpfen hat: nämlich die Geschichte der Litteratur der Concilien und Väter, und anderer kirchlichen Geschichtschreiber, damit man die Geschichte dieser Quellen und Litteratur 5 kennen lerne. Davon ist hier aber der Ort nicht zu reden - da eigene Vorlesungen über die Synodik, Patristik und kirchliche Litterärgeschichte bestehen, worin¯ von diesem allem auch gehandelt werden muß. 2. Wir werden uns also bloß an die Litterärgeschichte unseres Faches selbst 10 halten: was bisher in diesem Fache geleistet worden ist, wo, und in wieweit man sich Raths holen, was für Werke man benutzen kan¯ . 3 Dabei ist es nun allerdings unangenehm, gestehen zu müßen, daß wir über die Geschichte der Ent-wickelung des katholischen Dogmensystems nicht ein 38 einziges, r ausführliches u. vollständiges r88 , wen¯ auch nur mittelmäßiges Werk 15 haben. - Selbst die Protestanten, so schreibseelig in Allem, haben es bisher noch nicht versucht, die Geschichtliche Entwickelung des Christlichen Dogmensystems auf ihre Weiße darzustellen. - Erst in der letzten Zeit sind von ihnen einige Versuche gemacht worden, die geschichtliche Entwickelung des protestantischen Lehrbegriffs zu beschreiben, wohin besonders gehört: Bret- 20 schneider’s Versuch einer systematischen Entwickelung aller in der Dogmatik vorkommenden Begriffe nach den symbolischen Büchern der protestant. lutherischen Kirche nebst der Litteratur über alle Theile desselben. - Lpz. 1805: welches Werk dogmatisch und historisch zugleich ist, und daher unserer Idee nicht zusagt. - Auch könnte hieher gezogen werden Marheineke’s System des 25 Katholicismus in seiner symbolischen 89 Entwickelung. 2 Bde Heidelb. 1810. - Allein ungeachtet des manchen Guten geht der Verf. von einem unrichtigen Standpunct aus, weswegen sein Resultat und seine Tendenz von der unsrigen ganz abweicht. 4. Was also übrig bleibt für die Geschichte und Litteratur dießes Zweiges, das 30 sind Versuche der gewöhnlichen Dogmengeschichte. - Und nicht einmal hier haben wir ein einziges Werk, welches die Geschichte aller Dogmen auf die 39 gewöhnliche Weiße behandelte wenigstens mit Ausführlichkeit behandelte. Was in der letztern Zeit hierüber zum Vorschein gekommen ist, das sind Compendien der Dogmengeschichte entweder der Dogmatik angehängt, wie 35 jenes von Stäudlin, - oder auch von der Dogmatik abgesondert: wie die von Augusti u. einigen andern und das in jeder Hinsicht fehlerhafte von Schnappinger. NB. 88 r-r: Einweisung; zu Beginn verdoppelt, durchgestrichen: wen¯ auch nur 89 Einweisung, dafür gestrichen: historischen <?page no="184"?> 152 Johann Sebastian Drey Wir haben also kein einziges vorzügliches Werk, welches nur die Geschichte der Dogmatik nach dem rein empirischen Standpunct umfaßte. Was in dieser Hinsicht früher geleistet worden ist, das umfaßt die Geschichte der Dogmen auf einen gewißen Zeitraum - einige Jahrhundert eingeschränkt oder es begreift die durch alle Jahrhunderte durchgeführte Geschichte ein- 5 zelner Dogmen. Wir wollen die erstern; sodann die andern in Rücksicht auf ihren Werth hieher setzen. 5. a. Werke, die die Geschichte aller Dogmen, aber nur bis auf einen gewißen Zeitraum umfassen Jac. 90 Usherii historia dogmatum. Lond. 1690. 4 91 10 Dogmata 92 theologica: auctore Ludovico Thomasino Paris. Tom. III. 1684-1689. fol. x 93 Dionysii 94 Petavii Opus de theologicis Dogmatibus edit. auct. cum notis Theoph. Al- 40 ethini Jo. Clerici Tom. I. VI. Antw. 1700. Fol. xxx 95 Instructiones 96 historico theologicae de doctrina christiana, et vario rerum statu, ortisque 15 erroribus et controversiis; jam inde a temporibus apostolicis ad tempora usque Saec. XVII. Studio Joan. Forbesii a Corse. Amstel. 1703. fol. xx 97 In diesen Werken dehnt sich die Dogmengeschichte über den weitesten Zeitraum aus; aber es ist darin die Geschichte aller Dogmen nicht entwickelt. b. Folgende Werke enthalten die Geschichte der Dogmen in ziemlicher All- 20 gemeinheit, aber sie schränken sich nur auf einen gewißen Zeitraum ein Für die ersten Jahrhunderte, und die Periode der Kirchenväter Institutiones theologicae antiquorum Patrum coll. a Jos. Mar. Tommasi Card Tom. I-III. Rom. 1709-1712. 98 Christoph. Fried. Rösler Lehrbegriff der drei ersten Jahrhunderte. Frkf. u. 25 Lpz. 1775. 8 99 Ebendess. Bibliothek der Kirchenväter in Ubersetzung und Auszügen aus ihren, besonders dogmatischen Schriften: mit Anmerk. Leipz. Th. I-IX. 1776-1787. 100 Joh. Laur. Moshemii Comment. de turbata per errores Platon. ecclesia - hinter Cud- 6 41 worth Syst. intellect. Tom. II. pag. 707. Lugd. Batav. 1773. 90 davor gestrichen a. 91 L: Münscher, Bd. 1, S. 86. 92 davor gestrichen b. 93 Markierung Dreys. − L: Münscher, Bd. 1, S. 81. 94 davor gestrichen c. 95 Markierung Dreys. − L: Münscher, Bd. 1, S. 80 f. 96 davor gestrichen d. 97 Markierung Dreys. − L: Münscher, Bd. 1, S. 87. 98 L: Münscher, Bd. 1, S. 83. 99 L: Münscher, Bd. 1, S. 94. 100 L: Ebd. <?page no="185"?> 153 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) Nota. Hierüber haben auch Keil und Loeffler geschrieben. 101 Auch gehört hieher als Hilfsquelle Suiceri Thesaurus ecclesiasticus. Uber die Periode des Mittelalters Adam Tribechovii de doctoribus scolasticis et corrupta per eos divinarum rerum scientia. Giessae. 1665 5 Auch die letzten Bände der cramerschen Fortsetzung des Bossuetschen Werks. 102 Uber die Periode der Reformation Plank’s Geschichte der Entstehung, Entwickelung, und der Veränderungen des protestantischen Lehrbegriffs Leipz. Bd I-III. 1781-1789. 103 10 Ferner die Hauptwerke der Reformatoren c. Folgende Werke enthalten die Geschichte einzelner Dogmen. Trinitätslehre Georg. Bull »Defensio fidei Nicaenae de aeterna divinitate filii Dei ex script. S.S. P.P., qui intra tria prima saecula floruerunt. - - - - 15 42 Ejusdem judicium Ecclesiae catholicae trinum saeculorum de necessitate credendi, quod Christus sit verus Deus - Ejusd. Tractatus de primitiva et apostolica traditione Dogmatis de J. Chr. divinitate: in G. Bullii Opp. omn. Lond. 1703 f * Antitrinitarische Schriften 20 Antenicenismus - et brevis oppositio ad Bullii Defensionem Syn. Nicaenae: auctore Gilberto Clerke - cum vera et antiqua fide de divinitate Christi, aperta contra Bulli judicium ecclesiae cath. per Anonym. 1695. 8 - - - Disquisitiones modestae - in Bull. Defensionem fid. Nic. auct. Dan. Whitby. ed. 2 da . Lond. 1720 104 25 Le Platonisme devoile ´ par Souverain Cologne 1700; deutsch von Jos. Fr. Christ. Löffler. zw. Aufl. Züllichau. 1792 Joh. Georg. Oellrichs Commentatio de vera et certa PP rum Saec. 2 et 3. sententia de relatione filii seu Logi cum Patre. Goett. 1787. 8 105 * Aeltere u. mittlere Gesch. der Lehre von Gott 30 Oellrichs commentatio de doctrina Platonis de Deo a Christianis et recentioribus Platonicis varie explicata et corrupta Marb. 1788. 8 101 L: Münscher, Bd. 1, S. 96. 102 L: Jacob Benignus Bossuet, Einleitung in die Geschichte der Welt, und der Religion, fortgesetzt von Johann Andreas Cramern. 6 Bde., Leipzig 1752-1785. Cf. Münscher, Bd. 1, S. 93. 103 L: Münscher, Bd. 1, S. 94. 104 L: Münscher, Lehrbuch der Dogmengeschichte, 3. Aufl., Cassel 1832, S. 160 f. 105 L: Oelrichs <?page no="186"?> 154 Johann Sebastian Drey W. Karl Ludw. Zieglers Beiträge zur Geschichte des Glaubens an Gott. 43 Goett. 1792. * Historia descensus Christi ad inferos Joh. Aug. Dietelmayer edit. Altorf. 1762. * Lehre vom h. Geist 5 Historia Succincta controversiae de Processione Spiritus St i a Patre. Filioque. Auct. Christ. Pfaffio Tub. 1749 Joh. Georg. Walch Controversiae Graecorum Latinorumque de processione Spiritus Sancti W. C. L. Ziegler - Geschichtsentwickelung des Dogma vom h. Geist von 10 den frühesten Zeiten der Kirche an bis zu der Synode von Florenz - in seinen theol. Abh. Gött. 1791. S. 77 ff. * NB 106 Die weitern Schriften dieser Art sehe man in Planks Einl. in die theolog. Wiss. II Theil pag. 300-334 15 auch Noesselts Anleitung zur Kenntniß der besten allgemeinen Bücher in allen Theilen der Theologie Leipz 1780 § 395-403. * 6. Hieher gehören gleichfalls als Hilfsmittel und zwar als sehr bedeutende die Geschichtlichen Darstellungen der Ketzereien im Gegensatz gegen den all- 20 gemeinen Kirchenglauben. Man findet hier viele Materialien für die künftige 44 Bearbeitung der geschichtlichen Entwickelung des k. Dogmensystems. α Die einzelnen Schriften über die Geschichte der Ketzereien überhaupt findet man bei Plank loc. cit. pag. 334-336. Noesselt l.c. § 472. 473 25 β Schriften, worin¯ die Geschichte einzelner Ketzereien beschrieben sind, findet man nach der chronologischen Ordnung gestellt in Plank l.c. pag. 336-343 Noesselt § 474-483 * 30 7. Dieß ist der Zustand der Literatur in diesem Zweige der Theologie. Daß der Gedanke an eine umfassende Entwickelung des ganzen Dogmensystems nicht früher entstand, mag wohl die vorzüglichste Ursache dieße sein, daß vor der Reformation und den Zeiten des Conciliums von Trient die Entwickelung des Systems noch nicht bestimmt genug war; indem es erst im 35 Kampfe mit dem Protestantismus sich bestimmt aussprach, seinen Schlus- 45 stein erhielt; Nach der Reformation aber kämpften die katholischen Theologen lange Zeit mit den Protestanten um diejenigen Dogmen und ihre Geschichte, die von den Protestanten damals geläugnet worden waren. 40 106 am Rand <?page no="187"?> 155 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) Wie aber der innere Geist des Protestantismus auf das Negiren alles Systems schon ursprünglich gerichtet war, diese seine Tendenz aber erst in der letzten Zeit ganz offenkundig geworden ist, so ist damit auch die Nothwendigkeit eingetretten, das ganze System sowohl philosophisch zu deduciren, als auch seine Entwickelung historisch darzustellen. 5 Dieß ist gegenwärtig die einzig wahre Polemik, die ihren Zweck erreichen kan¯ . * * 107 * Geschichte der Entwickelung des katholischen Dogmensystems Erste Periode 108 10 Vorläufige und nothwendige Bemerkungen § 8 Von dem Verhältnis der Lehre Christi, wie er sie selbst vortrug - zu 46 der spätern Entwickelung derselben Lehre. s M. I § 1. pag. 109 ss. s109 1. Es ist schon seit langer Zeit einer der gangbarsten und dem Anscheine nach 15 einer der gegründetsten Vorwürfe gewesen, den man gegen das ganze christliche Dogmensystem vorgebracht hat: daß sich eben dieses System von der Lehre Christi, wie sie in den Evangelien dargestellt ist, so himmelweit unterscheide; nicht nur in Absicht auf die Art des Vortrags, der in unserm System ganz gelehrt und schulgerecht seit Jahrhunderten geworden ist, dagegen Chri- 20 stus sich der höchsten Popularität bediente, - sondern auch in Absicht auf den Inhalt: indem in unserm Systeme Lehren und Ausdrücke vorkommen, wovon Christus nichts gewußt, wovon er wenigstens nichts gesagt haben soll. Daher haben mehrere Theologen - protestantische nämlich, vorgeschlagen, mit Verlassung des bisherigen ganzen Systems sowohl nach seinem Inhalt 25 als 110 seiner Form zu den Evangelien zurückzukehren, und das Christen-tum 47 so wie es dort verzeichnet ist, darzustellen. t die sogenan¯ ten biblischen und populären Dogmatiken. V. Pl. Einleit. § pag. t111 Und dieß zwar um so mehr, weil nach Aussage der neuern protestantischen Exegeten 112 das Christentum schon in dem Geist Pauli ganz ein anderes geworden sein soll, als es in dem 30 Geist Christi war, und Johan¯ es wieder andere Christen gebildet haben soll als Paulus. u Paulinische Johan¯ eische Christen. u113 107 § 8 überschrieben mit * * 108 eine Zeile darunter mit Asterisken übermalt: § 8 109 s-s: neben der Überschrift am Rand ergänzt 110 und überschrieben mit als 111 t-t: Einweisung; - L: Planck, Einleitung in die theologische[n] Wissenschaften. Bd. 2, S. 493 ff. 112 danach Verdoppelung gestrichen: das Christentum 113 u-u: Einweisung <?page no="188"?> 156 Johann Sebastian Drey 2. Es ist daher nothwendig, von dem Verhältnis der Lehre Christi, wie er sie selbst vortrug, zu der spätern Entwickelung überhaupt - und dan¯ wieder von dem Verhältnis der Lehre Christi nach dem Vortrage einiger Apostel zu eben derselben, wie sie im Vortrage Christi gewesen sein mochte, etwas zu sagen. 3. Wen¯ wir die Evangelien sowohl nach ihrem Inhalt als nach ihrer Form 5 durchgehen, und das Christentum als Lehre, wie es eine ganz freie rücksichtloße Abstraction dort herausheben mag, mit dem Christentum, wie es nun in unserm Systeme erscheint, vergleichen: so ist keineswegs zu läugnen, daß es hier allerdings ein anderes Aussehen hat, als dort. Es ist dieß auch sogar von der katholischen Kirche in ihrer Lehre gegen die bloßen Bibelgläubigen gar 10 nicht geläugnet worden; vielmehr ist es ein Lehrsatz der allgemeinen Kirche, daß es Wahrheiten des Christentums geben können und gebe, die überhaupt nicht in der Bibel, geschweige den¯ in den vier Evangelien stehen. Und wen¯ 48 man den¯ von diesem eigenen Beken¯ tnis der Kirche noch weiter geht und das Treiben der Theologen, wie sie bisher gewöhnlich waren, untersucht, so wird 15 man sich gleichermaßen überzeugen, daß auch die Theologen - ausgehend von dem Vorsatz, alle Dogmen in der Bibel zu finden, oder auch ausgehend von der gutgemeinten aber irrigen Uberzeugung, es müße sich nun einmal aus der Bibel alles beweißen lassen, und alles müße daraus bewiesen werden - daß sag ich, auch die Theologen 114 häufig etwas in die Bibel hineingetragen haben, 20 was sich keineswegs darinn findet, und aus der Bibel beweißen wollten, was sich nicht daraus beweißen läßt. Anmerk. Beispiele von Lehren, die von der Kirche als christliche anerkannt sind, obwohl sie nicht in der Bibel stehen - und Beispiele von Beweißen, die nichts beweißen. 25 Dieß also geben wir zu, daß das ganze System v unserer Dogmen v115 so wie es sich nach und nach in der Kirche entwickelt hat, nicht in den Evangelien steht, weder wörtlich noch in dem Zusammenhange von Christus vorgetragen worden ist 4. Indeßen kan¯ dieß unserm System auf keine Weiße zum Nachtheil gereichen: 30 es kan¯ daraus nicht gefolgert werden, daß unser System nicht mehr christlich, 7 49 viel weniger daß es falsch sei. Es kan¯ nicht gesagt werden, was die Protestanten seit ihrem Abfall von der Kirche nicht aufgehört haben zu sagen, daß die Lehre Christi mit dem Laufe der Zeiten entstellt, daß menschliche Meinungen, Menschensatzungen in das Christentum aufgenommen worden, daß 35 es also wieder davon gereinigt werden müße, und daß es jetzt Zeit sei, es davon zu reinigen. - Der Erweiß dieser Behauptung 116 , und die Rechtfertigung einer nothwendigen mit der Zeit fortschreitenden weitern Entfaltung 114 danach gestrichen: trotz ihrer Bestrebung 115 v-v: korrigiert aus unseres Dogmensystems 116 über der Zeile, darunter gestrichen: Erweiß <?page no="189"?> 157 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) des uns durch Schrift und Tradition überlieferten Christusglaubens gehört nicht hieher, sondern in die Einleitung zur Dogmatik, wohin ich auch verweiße: den¯ gerade für eine solche Entfaltung ist die Kirche von Christus vorzüglich gestiftet, gerade dafür ist ihr der h. Geist verheißen und gegeben, daß er bei ihr bleiben soll. Indessen mußte das hier wiederholt werden, theils 5 um die falschen Urtheile der Heterodoxen über unser System und dessen Darstellung niederzuschlagen, theils um vor Misverständnissen zu warnen wegen dessen, was nun über den ersten Keim und Anfang desselben Systems gesagt werden wird. 5. Von diesem Keim muß nun unsere Darstellung ausgehen, wen¯ sie die 10 Darstellung einer Ent-wickelung sein soll. Dieser Keim und Anfang ligt in 50 der Darstellung der Lehre Christi, wie er sie selbst vorgetragen, wenigstens nach der Erzählung der Evangelisten vorgetragen hat; u. eine andere geschichtliche Erzählung von seinem eigenen Vortrag haben wir nicht, wen¯ auch die welche wir haben immer unvollständig ist. 15 Wir müssen also die Lehre Christi nach seinem eigenen Vortrag kennen lernen, um einen festen Punct für unsere Entwickelung zu haben. Aber auch die Untersuchung, warum Christus seine Lehre auf diese Weiße vorgetragen haben möchte, ist nicht ohne Interesse. 6. Wen¯ man den Inhalt der vier Evangelien so zusammenzöge, daß alles was 20 Jesus selbst vortrug, auf gewiße Titel oder Rubriken reducirt würde, so möchten diese sum¯ arischen Rubriken ungefähr folgende Sein: Lehren und Versicherungen, die seine eigene Person und Sendung, Lehren die den Zweck und die Aufklärung seiner Sendung betreffen, Erläuterung des ganzen jüdischen Religionssystems; allgemeinsittliche und religiöße Vorschriften 25 a. In Absicht auf seine eigene Person, so concentrirte sich sein Vortrag vorzüglich darinn, daß er behauptete und durch seine Thaten bewieß: er sei der Sohn Gottes, sei vom Vater gesendet an die Menschheit um großer Zwecke willen, habe zu Ausführung dieser Zwecke alle die Macht und die 51 Mittel erhalten, die dazu gehören, besitze sie zwar durch Ubertragung von 30 dem Vater, aber doch wie sein eigen, indem er mit dem Vater eines sei. Kurz: was er über sich selbst und seine eigene Person lehrte, betraf die wahre Göttlichkeit seiner Person, die Göttlichkeit seiner Sendung, und die Mittel sie zu vollstrecken, worüber wie es natürlich war, er sich nicht mit bloßen Worten, sondern durch seine Thaten und Werke auswieß. Und obwohl er 35 seine Verhältnisse zu dem Vater nicht so genau und mit denselben Ausdrücken bezeichnete, als sie in unserm Systeme nun bezeichnet sind, so hat er doch die Göttlichkeit seiner Person so scharf behauptet und factisch dargethan, daß man selbst der Bibel widersprechen müßte, wenn man läugnen wollte, er habe sich nicht für den wahren Sohn Gottes ausgegeben. 40 <?page no="190"?> 158 Johann Sebastian Drey b. Uber den Zweck seiner Sendung hat er sich auf vielfache Weiße geäußert, aber gerade dadurch dem anfangenden Schriftforscher schwierig gemacht, diesen Zweck auf die erste Betrachtung in einem Centralpunct zu finden. Bald und meistens war es die große, vielumfassende Idee vom Reich Gottes, worunter er das Ganze seiner Sendung zusammenfaßte, und worüber er sich 5 durch viele Parabeln verständlich zu machen suchte, wiewohl diese Parabeln häufig die äußere Geschichte des Christentums bloß betreffen - bald war es 52 die Vergebung der Sünden, die meistens an das Reich Gottes angeschlossen wurde - bald auch die Rettung der Verlorenen zuerst des Haußes Israel und dann aller Völker - bald eine bessere Erkenntnis Gottes, bald eine größere 10 Tugend, Heiligkeit - bald wieder das Ewige Leben, die Vereinigung mit Gott. Uberhaupt ließen sich noch mehrere dergleichen Darstellungen finden Aus dieser verschiedenen Darstellung des Endzwecks seiner Sendung gieng es natürlich hervor, daß sie vieldeutiger werden, obwohl sie im Grund nur eine ist, und daher weniger begriffen werden mußte. Indessen waren diese 15 beiden Gegenstände doch die Hauptsache seines Vortrags, weil sie auch ganz allgemein waren: davon redete er am häufigsten und Johannes, der unter den Zwölfen den Sinn seines Meisters vielleicht am besten gefaßt hat, spricht in seinem Evangelium fast nur einzig davon. Ihm ist der Herr, d.h. Christus der Sohn Gottes, und seine Liebe und seine Größe, und das ewige Leben Alles. 20 Beide große Cardinalpuncte standen auch in unzertren¯ licher 117 Verbindung. War gleich der Zweck seiner Sendung das was die Menschheit am nächsten anging, so war doch dieser Zweck selbst weder möglich noch begreiflich, noch glaubwürdig ohne die Göttlichkeit seiner Person und ohne die Beweiße dafür. 25 c. Die beiden andern Gegenstände: Aufschlüße über die jüdische Religion - 53 und reinere Sittenlehre behandelte er blos als Mittel zu seinem Zwecke, oder als nothwendige Folgen desselben Was seine Aufklärungen der jüdischen Religion betrifft, so lassen sich dieselbe auf drei Puncte einschränken: Bestättigung und Erweiterung der 30 alten Grundlehren dieser Religion, namentlich Berichtigung ihres Begriffes von Gott, der ganz umgeändert wurde: Deutung der ganzen einst durch Moses von Gott getroffenen Anstalt auf sich den Sohn Gottes und den Zweck seiner Sendung, welches als der Hauptpunct bei dieser Sache betrachtet werden darf: endlich Berichtigung vieler irriger Vorstellungen der Juden, falscher 35 Auslegungen des Gesetzes, menschlicher Traditionen, steifer Ceremonien; hieruber ließ sich aber Jesus meistens nur gelegentlich ein, wen¯ ihn der Umgang und die böße Gemüthsart der Pharisäer dazu nöthigte, - außerdem fand er eben in der tiefen Herabwürdigung der Mosaischen Anstalt durch pharisäische Traditionen und in ihrem steifen Hangen an den Ceremonien ein 40 117 unüber der Zeile ergänzt <?page no="191"?> 159 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) großes Hindernis unter seinem Volke, welches auch den Eifer erklärt, mit welchem Jesus gegen den Pharisäismus redete. Ubrigens aber lag es so wenig in dem Sinne Jesu daß blos der Judaismus reformirt werden solle 118 , daß ich hier den großen Irrtum nicht ungerügt lassen kan¯ , der seit geraumer Zeit von mehrern Theologen hierin¯ zu Tage 5 54 gebracht worden ist, und vermöge dessen sie bald behaupten, Christus habe die bisher unter den Juden angenommene Religionslehre nicht verdrängen, keinen neuen theologischen Lehrbegriff aufstellen wollen, wie z.B. Münscher I pag 110-111 und andere - bald, das Xtum 119 sei nur ein gereinigtes, veredeltes Judentum, wie neben mehrern selbst Hug in seiner Einl. ins N.T. sagt. - Es 10 ist aber der Begriff von Gott im Christentum ein ganz anderer als jener im Judentum - dieser national, jener allgemein, dieser ein zürnender Gott, jener Liebe, Vater, Providenz, dreieinig pp - es ist die Anbetung Gottes eine andere Joan. IV. 23. - Das Christentum hat ganz neue dem Judentum fremde Ideen, u.s.w. 120 Das Judentum ist durchaus nur Symbol, Figur des Christentums wie 15 mit seiner Messiasidee, so in allem andern; das Symbol ist für sich ganz, und keiner Veredelung, Läuterung fähig, es muß untergehen, wen¯ die Sache kömt. Das Judentum war reine positive Vorbereitungsanstalt, Mittel zum Zweck, nie selbst Zweck. Was von dem Judentum ins Christentum übergehen konnte, war bloß der Monotheismus, der sich aber auch außer dem Judentum nur 20 nicht so rein erhielt, aber eben da eine Strenge und Einseitigkeit erhielt, daß die Idee eines Sohnes Gottes gerade das hauptsächliche Aergernis wurde, um 55 dessen willen auch sonst bessere Juden Jesum verwarfen. d. Die Moral Jesu muß in doppelter Hinsicht betrachtet werden. Daß Jesus überhaupt auf Sittlichkeit, und zwar auf reinere Sittlichkeit drang als den 25 Juden ihre Bücher und Lehren geben konnten, das war in der Ordnung: je reiner das Herz, desto empfänglicher ist es für die Wahrheit. Jesus mußte also um der leichtern Uberzeugung willen, so wie für sich selbst auf Sittlichkeit dringen. - Daß er aber kein bloßer Moralist war noch sein wollte, erhellt schon 30 daraus: der bloße Moralist ist eben darum einseitig und streng, und hart gegen die Sünder; Jesus aber nahm sie auf und begnadigte sie. Daß aber Jesus eine besondere Sittenlehre gegründet habe, muß schon um deßwillen einzusehen sein, weil er auch eine eigene Religion verkündet, den Grund der Sittenlehre, so wie die Haupttendenz aller einzelnen Handlungen nach seiner 35 Religionslehre bestimmt hat. 118 korrigiert aus sollte 119 über der Zeile, darunter gestrichen: Judentum 120 daneben auf dem Rand: Der Mosaismus wie er allgemein gemacht, auf alle Völker ausgedehnt wurde, mußte schlechterdings aufhören. <?page no="192"?> 160 Johann Sebastian Drey Anmerk. Nothwendige Begründung aller Moral durch Religion; Liebe das Grundprincip der christlichen Moral parallell mit dem Grundprincip der christlichen Religion: Verläugnung des Irdischen als Tend-enz der christlichen 56 Tugend parallell oder Consequenz / praktische/ der Hauptlehren / theoretischen/ des Christentums - Rückkehr aller Dinge zu Gott. 5 7. Allgemeine Ubersicht. In der Lehre Christi wie er sie selber vortrug, ist kein eigentliches, wenigstens kein vollendetes System - Aber es liegen in derselben die Keime eines Systems; es liegt der Grund eines allumfassenden Systems in der Idee vom Reiche Gottes; es liegen darin¯ Andeutungen genug und eigentliche Aufforderungen zur Entwickelung: indem Jesus seine Anstalt 10 als Weltanstalt, als eine sich über das ganze Menschengeschlecht über alle Zeiten ausdehnende darstellte; wodurch zugleich die historische Ansicht des Christentums gegeben ist. Es liegt Stoff und Reitzung genug in den von Christus ausgesprochenen Geheimnissen, die die Wege der Providenz, das Wesen Gottes, das Wesen und die Person Jesu, den Geist, die Zukunft be- 15 treffen. Daß Jesus selbst kein System weiter entwickelte, that er wegen der Zuhörer, vor denen er lehren wolte, wegen der Nachwelt, wegen der Universalität seiner Sendung, die für die Welt war. Was in der Schule empfangen ist, durchdringt die Welt nicht. 20 § 9 w (§ 2). w121 Von dem Verhältnis der Lehre der Apostel zu dem 8 57 christlichen Dogmensystem. Uber 122 dießes Verhältnis läßt sich noch weniger sagen, als über das Verhältnis der Lehre, wie sie Christus vortrug. Den¯ über den Vortrag Christi haben wir doch kurzgefaßte Memorabilien / απομνημονευματα - ευαγγελια Justin / . 25 Uber den Vortrag der Apostel aber haben wir keine dergleichen Memoires außer dem Wenigen, was uns in der Apostelgeschichte aufbewahrt ist. x Nota uber die Ap. Gesch. M. I pag. 115 x123 Die Briefe der Apostel enthalten keineswegs den ganzen Unterricht, den sie von Jesu und seiner Lehre gaben; sie waren auch nicht in der Absicht 124 geschrieben, den ganzen Inhalt des Chri- 30 stentums darzustellen, oder die Juden und Heiden zur Annahme desselben zu bewegen: sondern sie sind an Leser gerichtet, welche schon mit dem Hauptinhalt des Christentums bekannt waren, und nur über einzelne Puncte eine nähere Belehrung, oder über gewiße Pflichten besondere Ermahnungen bedurften. Solche Belehrungen, Ermahnungen, Rathschläge u.s.w. durch be- 35 sondere Veranlassung nothwendig geworden enthalten die Briefe der Apostel. Beispiele. 121 w-w: spätere Paragraphenangabe mit heller Tinte 122 davor gestrichen a. 123 x-x: Einweisung 124 danach gestrichen: Jesu <?page no="193"?> 161 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) a) 125 Aus diesen Briefen können wir also nie eine vollständige Kenntnis erlangen von der Art, wie die Apostel die Lehre Christi im Zusammenhang sich dachten und sie vortrugen. Dennoch indem sich die Briefe der Apostel 58 auf Misverständnisse einzelner Lehren, auf die Sitten, die äußere Disciplin des Christentums sich beziehen, und daher mancherlei Puncte theils absichtlich, 5 theils beiläufig berührt werden mußten, gewähren sie uns wenigstens eine theilweiße Einsicht in die Vorstellungen der Apostel von der Lehre Christi. b) 126 Und daraus lernen wir denn im Ganzen dießes, daß die Apostel der Lehre ihres Herrn treulich anhingen, lehrten wie sie Ihn selbst lehren gehört hatten, dieselben Hauptgegenstände heraushoben, wie Er selbst, und alles 10 andere darauf bezogen wie Er selbst. Er hatte sie ja in die Welt gesendet sein Evangelium zu verkünden, der Welt bekannt zu machen: und treue Boten, Herolden des Herrn waren sie - in weitere Entwickelungen der Lehre ihres Herrn ließen sie sich kaum oder gar nie ein, viele neue Folgerungen zogen sie nicht heraus, neue Beweiße für die Wahrheit erfanden sie nicht, sie beriefen 15 sich auf das, worauf Christus sich auch berufen. Sie waren bloße Referenten, das Sprachrohr Christi an die fernen Völker. − y Außer was sie zu besserer Verständlichkeit als Erläuterung beyfügten. e.gr. Brief an die Hebräer; überhaupt Eigenthümlichkeit Pauli. y127 Also mußte es auch sein: das Christentum mußte zuerst blos verbreitet, der Welt bekannt werden - ehe es sich weiter 20 entwickeln konnte / Beispiel vom Samenkorn/ . Und als Christentum konnte und sollte es in keiner andern Gestalt in die Welt ausgehen, sich dort verbreiten, als in jener, worinn es von Christus selbst dargestellt worden war. Die erste Periode des Christentums ist die einer einfachen, anspruchloßen, unge- 59 künstelten Ausbreitung der Lehre Christi − 25 d). 128 Wie also in der Lehre Christi nach seiner Darstellung noch kein eigentliches System war, so ist auch bei den Aposteln keines zu suchen. Indessen unterscheiden sie sich doch in etwas Petrus und Jakobus in ihren Briefen zeigen Belesenheit in den Büchern des A.T. und dringen, besonders Jakobus, auf christliche Gesinnung und christ- 30 liche Handlungsweiße. Petrus berührt zwar einzelne und zwar die Hauptlehren des Christentums aber er trägt sie bloß in ihrer moralischen Nutzanwendung, ohne sie weiter zu entwickeln, vor. Verschieden von diesen ist Johannes. Dießer gemütvolle Mann hat die Grundidee des Christentums z Anmerk. aus M. I pag. 115-116 z129 in der Person 35 Christi aufgefaßt, und ist mit ihrer Darstellung einzig beschäftigt. Christus 125 b. mit hellerer Tinte korrigiert zu a) 126 c. mit hellerer Tinte korrigiert zu b) 127 y-y: Einweisung 128 Klammer mit hellerer Tinte 129 z-z: Einweisung <?page no="194"?> 162 Johann Sebastian Drey der Sohn Gottes - Christus der Erlößer der sündigen Welt - aus Liebe uns gegeben, ist sein Thema in seinen Erzählungen - daher Flucht der Welt und Liebe der Brüder seine Moral. So waren auch seine Schüler. Paulus zeigt noch größere Verschiedenheit seiner Darstellung und Denkart. Er war ein Gelehrter nach der Art der Juden. Daher entwickelt er Gedanken 5 auseinander, reiht sie an einander, zieht Folgerungen und stellt Beweiße auf, was die andern Apostel nicht thun, sondern blos in Sentenzen sprechen. − 60 Man kan¯ von Paulus sagen, daß er das Christentum in ein System für sich selbst gebracht hatte, welches theils seiner natürlichen Denkart angemessen war, theils aus seinen Briefen hervorleuchtet, indem eben dieße Briefe gewiße 10 Grundlehren des Christentums in ihrem Zusammenhang darstellen. Daß wir aber auch von seinem System nur Bruchstücke, und höchstens über eine und die andere Idee des Christentums eine weitere Entwickelung haben, rührt theils von den zufälligen Umständen her, wodurch er zum Schreiben veranlaßt wurde, theils von dem besondern Umstand, daß er zeit seines Lebens eine 15 gewiße Abneigung der Judenchristen zu erfahren hatte, weil er am freiesten sich über die Auflößung des a. Gesetzes erklärt hatte, was ihm von den Juden nicht bloß um der religiößen, sondern auch um politischer Rücksichten willen - gemäß dem damaligen Zustand der Dinge - sehr übel genommen worden. Aus dieser Ursache findet man in allen seinen Briefen gewiße Tendenzen und 20 Darstellungen, wodurch er theils sich selbst zu rechtfertigen, theils das Christentum in Beziehung auf das Judentum darzustellen bemüht ist. Seine Hauptabsicht geht dahin zu erweißen: daß das Judentum eine Vorandeutung, ein Symbol, eine Figur des Christentums gewesen sei: daß es also schon um deßwillen nicht habe ewig bestehen können: daß es aber als Figur 25 61 und als gegeben einer kindlich einfältigen sinnlichen unvollkom¯ enen Zeit gleichfalls unvollkom¯ en habe sein müßen, und also selbst die Absichten Gottes nicht habe erfüllen können. Das alte vorangedeutete sei in Christus erfüllt, mit dem überhaupt die Zeit einer größern Reife und Vollkommenheit gekommen sei, wodurch auch das Judentum habe aufhören müßen. Daher 30 seine manchmal kühnen und gesuchten, manchmal auch treffenden Beziehungen und Deutungen Uberhaupt ist ihm die alte Zeit Zeit der Sünde, gegen welche das Gesetz zwar gegeben wurde, ohne aber die Sünde aufheben zu können - so redet er auch zu den Heiden - und zieht theils gegen die Juden, theils gegen alle Christen 35 die gehörigen Folgerungen daraus - namentlich auch in Beziehung auf die Bedeutung und den Charakter Christi. Es ist gewiß, daß Paulus diejenigen Puncte zuerst aufgefaßt hat, welche nach dem Ganzen System des Christentums zuerst in Entwickelung kommen mußten, und daß deßwegen seine Schriften in der ersten Periode sowohl von Häretikern als Orthodoxen am 40 meisten gebraucht wurden. conf. supra § 130 130 Paragrahenangabe fehlt <?page no="195"?> 163 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) * d) 131 Die auf die Zeiten der Apostel unmittelbar folgende - oder die Zeit der Apostolischen Väter - konnte noch keine besondere Entwickelung des christlichen Lehrsystems herbeiführen. Denn die Männer, die jetzt lehrten, waren 62 solche, die von den Aposteln unmittelbar gebildet worden, und wie sie diesen 5 nach ihren natürlichen Anlagen ziemlich gleich waren, also auch in ihrer neuen Bildung, ihren Lehrern getreu und ähnlich blieben. Zufälliger Weiße erlangten die Schüler des Johannes einen größern Ruf, als die Schüler Pauli. Daher auch in dieser Periode so wenig Gelehrsamkeit an den apostolischen Vätern wahrgenommen wird. Die berühmtern Männer dieser Zeit, von denen 10 wir noch Schriften besitzen, sind Barnabas, Hermas, Clemens, Ignatius, Polykarpus, Papias u.s.w. Die Absicht ihrer Briefe ist nicht, Lehren des Christentums zu entwickeln, sondern zur Eintracht zu ermahnen, weswegen sie vorzüglich die äußern Anstalten, die Christus in seiner Kirche getroffen, hervorheben, und eigentlich den Organismus der Kirche entwickeln. 15 conf. M. I. pag. 117-125. § 10 (3) 132 Ubergang zu der ersten Periode Das Christentum als Vollendung der alten Zeit und Anfang einer neuen mußte sich offenbar allem entgegensetzen, was bisher als herrschende Religion gegolten hatte. 20 Indem es sich aber allem Alten entgegensetzte, theils es aufhebend, theils für erfüllt erklärend, mußte es anfangen seinen eigenen innern Charakter aus- 63 zusprechen, und zwar ihn im Verhältnis zur alten Zeit überhaupt auszusprechen. Denn es war vorauszusehen, daß, obwohl nach dem Plane der ewigen Vorsehung die Welt für das Christentum reif sein mußte, als es erschien, daß 25 dennoch das Alte dem Christentum einen Widerstand entgegensetzen, und daß sich also dieses 133 über sein eigenes Verhältnis zum Alten erklären mußte. NB 134 Obwohl für den Geschichtforscher die ganze vorchristliche Zeit trotz mancher Verschiedenheiten doch einen gemeinschaftlichen Charakter hat, und 30 der Jude - seinen klaren Monotheismus abgerechnet - mit dem Heiden gleiche Denk- und Handlungsweiße hatte, 135 so stand 136 doch das Christentum in einem andern Verhältnisse zum Judentum als zum Heidentume. Jenes war bloße nähere Vorbereitung zum Christentum gewesen; dießes bereitete das Christentum nicht vor a directe und positiv - aber indirecte, und negativ a137 , 35 konnte aber von einer andern Seite zur Bestättigung des Christentums dienen. 131 e. mit hellerer Tinte korrigiert zu d) 132 spätere Paragraphenangabe mit heller Tinte 133 über der Zeile, darunter gestrichen: das Christentum 134 ohne weiteren Text am Absatzende angefügt 135 am Rand: NB 136 über der Zeile, darunter gestrichen: war 137 a-a: Einweisung <?page no="196"?> 164 Johann Sebastian Drey Daher hatte das Christentum weder an dem einen noch an dem andern einen Widerstand finden sollen, wenn der Jude seine alte Constitution, und der Heide die unausbleiblichen Folgen seiner Superstition begriffen hätte. Aber ein großer Theil der Juden und Heiden begriff dießes nicht, und darum mußte es beiden die Augen öffnen. Durch den Widerspruch beider 138 ge- 5 drungen sprach das Christentum sein Verhältnis zu beiden aus. Gegen den 64 Juden mußte das Christentum die Idee des Messias ergreifen, und dieße Idee als in Christus realisirt darstellen; gegen den Heiden mußte es mehr. Es mußte gegen ihn das Wesen Gottes, und seine Verhältnisse zu dem Menschen aufklären, wovon die ursprünglichen Traditionen in seinen Mythen verloren 10 gegangen waren; es mußte die Einheit und die geistigen Eigenschaften Gottes in ein helleres Licht setzen, es mußte dann über den Charakter und die Bedeutung des Christentums, und wie es eine ewig beschlossene, in der Zeit sichtbar gewordene Anstalt Gottes sei, das Nothwendigste entwickeln. / Trinitæt / 15 Aber indem es auf dieße Weiße sich gegen den Juden und Heiden erklärte, konnte es nicht umhin, sich auch in Berührung mit den unter beiden vorhandenen, und um dieße Zeit ausgebreiteten WeisheitsLehren zu setzen: das Christentum mußte also auch auf die philosophischen Systeme der Juden und Griechen Rücksicht nehmen, und indem es sich beiden verständlich machte, 20 mußte es zu seinen Lehren die Ausdrücke, Bezeichnungen oder Bilder von jenen entlehnen. Indem es aber so zu verschiedenen Classen von Menschen sprechen mußte, sich nicht mehr in seiner Ankündung auf das Volk einschränkte, sondern selbst zu Weißen und Gelehrten - die es waren oder sein wollten, sich kehrte - mußte dadurch nothwendig eine weitere Entwickelung 9 65 seiner Ideen versuchen, und der erste Grund zu seinem Systeme gelegt werden. Dieß war also der erste Zeitpunct, wo der von Christus seiner Kirche verheißene Geist sein unsichtbares Werk beginnen, und wie er bisher sichtbarlich durch Zeichen und Wunderkraft eine äußere Ausdehnung derselben bewirkt hatte, auch ihre innere Entfaltung und Bildung leiten sollte. 30 Indem wir also das Christentum in offenbarer Opposition mit dem Heidentum, mit dem Judentum, und mit der Philosophie beider erblicken, lassen sich auch zum Voraus die Gegenstände bestimmen, über welche sich dasselbe erklären mußte. Es sind die Lehren 1. a. von Gott, von seinem Wesen überhaupt, seinen bisher weniger erkann- 35 ten Eigenschaften: b. Namentlich aber von jenem dreifachen Verhältnis in Gott, auf dessen Erkenntnis das ganze Christentum in seiner allgemeinsten Bedeutung beruht, worinn das Ganze seiner Geheimnisse gegeben ist, oder die Trinitätslehre. 40 138 danach gestrichen: sprach <?page no="197"?> 165 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) 2. 139 Weil aber dießes innere Verhältnis Gottes sich auch auf die Verhältniße der Schöpfung zu Gott wesentlich bezieht, weil 140 das Verhältnis der Menschheit zu Gott in ihrer dreifachen Periode der Providenz damit 66 gesetzt ist, so mußten sich auch die Lehren c. von der Schöpfung überhaupt 5 f. 141 Von dem Ursprung des Bößen - d. 142 Von der Natur und Bestimmung des Menschen e. 143 Von der ganzen Oekonomie der Schöpfung näher entwickeln; denn auf der Erkenntnis dieser Lehren ruht auch größtentheils das Verhältnis der neuen christlichen Periode zu den frühern 10 und ursprünglichen. 3. Die im Judentum liegende Andeutung / Präfiguration / des Christentums als einer alles umfassenden göttlichen Anstalt 144 hatte unter den Juden selbst eine Ausbildung und Richtung erhalten, die zwar von dem wahren Geist des Christentums gänzlich abwich, aber gerade durch diese Abweichung den 15 Zweck erreichte, den sie sollte: nämlich durch den schärfsten Contrast das Bedürfnis und die Göttlichkeit des Christentums den Juden fühlbar zu machen. Das Christentum mußte sich gegen die jüdischen Meßiasidee erklären, sich ihr anbequemen, oder sich über sie erheben. Weil aber diese Fragen sich über die 20 zukünftigen Dinge drehten, so mußten auch die auf die Zukunft bezughabenden Ideen berührt werden. b Wiewohl sie, die da größtentheils ganz neu waren, noch keine völlige Entwickelung erhalten kon¯ ten. b145 Daher finden wir in dieser ersten Periode besonders 146 67 g. Die Versin¯ lichung des Reichs Gottes in dem tausendjährigen Reich 25 Christi ausgeführt und widerlegt h. Die damit in Verbindung stehenden Lehren von dem Zustand nach dem Todt i. der Auferstehung k Und dem Weltgericht berührt, aber noch in einer gewißen Verwirrung 30 Die Entwickelung dieser Lehren wird die Geschichte der ersten Periode füllen. c Wie sich das Christentum gegen Juden und Heiden über seinen Inhalt, so mußte es sich auch über seine Erscheinung erklären; daher Geschichte seiner Apologetik c147 NB. Keimende Lehren 139 c überschrieben mit 2 140 danach gestrichen damit 141 d mehrfach korrigiert, zuletzt: f (wohl Umstellung, vgl. p. 67) 142 e korrigiert zu d 143 f korrigiert zu e 144 Einfügung 145 b-b: Einweisung 146 danach gestrichen: die 147 c-c: Einweisung <?page no="198"?> 166 Johann Sebastian Drey § 11 d (§. 4.) d148 Entwickelung der Lehre von Gott als erster Hauptlehre 1. Wie Christus selbst und die Apostel in ihren Vorträgen von Gott überhaupt gesprochen haben, ist aus den heil. Schriften bekannt, und gehört eigentlich nicht hieher. conf. Munscher I pag. 380 ss. 2. Als sich aber das Christentum wegen seiner neuen Lehre von Gott ver- 5 theidigen mußte, mußte es sowohl die Idee von Gott, als die Wege zu dieser Idee zu gelangen entwickeln 3. Gegen den Vorwurf des Atheismus, den ihnen die Heiden machten, ver- 68 theidigten sich die Christen, indem sie nicht nur ihren Glauben an Gott bekannten, sondern auch Beweiße für seine Existenz vorbrachten 149 : indem 10 a) 150 sie bald die Idee Gottes angeboren nan¯ ten; Arnobius adv. gentes. l. I pag. 18; Clem. Al. Stromat. l. V pag. 698. e Tertull. de testim. an. e151 − b 152 bald sich auf die Uberzeugung aller Völker beriefen. Cypr. de idol. vanit. pag. 14 c.5 153 ; Tert. Apolog. c. 17 et de testim. animæ; Clem. Stromat. l. V. pag. 729 ss. 154 f c) 155 Arg. Ontol. Athenag. Leg.; Aug. de lib. arb. L. II c.3-15 156 ; Boethius de consol. phil. L. 15 III, 10. d) 157 Argum. Cosmolog. Diodor. Tars. libro de fato. Phot. C. 123. f158 − e) 159 bald sich des physikotheologischen Beweises bedienten. Theophil. ad Autolycum L. I. §.5 160 pag 340 ss Min. Felix in Octav. cap. 17. 18.; Athenagoras Legat. pro Christo pag 283. 161 g Athan. c. gentes; Greg. Naz. Orat. 24; - Nyssen. Or. Cat. Ambros. exp. hexäem. Aug. Conf. L. X. Basil. in Hexäem. g162 − f 163 Doch hielten 20 sie eine ursprüngliche Offenbarung für nothwendig. Clem. Al. Strom. l. V. 695 ss; l. VI. pag. 802; Iren. adv. hæres. l. IV. cap. 6; Origenes contra Cels. l. VII §.42 164 pag 724 ss; Lactant. instit. div. l. II. c. 14; Athenag. Legat. pr. Chr. pag 285; h − ad a). h165 i Argum. morale: Clem. Al. Strom. V.; Athanas. c. gent. c. 30; i166 148 d-d: spätere Paragraphenangabe 149 dazu am Rand: M. I pag. 382. 150 am Rand angefügt 151 e-e: über der Zeile 152 − überschrieben mit b 153 über der Zeile 154 L: Münscher, Bd. 1, S. 383. 155 nachträglich eingefügt 156 über der Zeile 157 nachträglich eingefügt 158 f-f: am Rand ergänzt 159 − überschrieben mit e) 160 über der Zeile 161 am Rand, teils überschrieben: p. 385 [vgl. Münscher, Bd. 1, S. 384 f] 162 g-g: Einweisung 163 nachträglich eingefügt 164 über der Zeile 165 h-h: am Absatzende angefügt 166 i-i: neben h-h am Rand ergänzt <?page no="199"?> 167 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) 4. Im Gegensatz gegen das Heidentum mußte sich vorzüglich die Einheit Gottes bestimmt entwickeln: die Christen sahen sie als Unterscheidungslehre an j M. I. p. 386 j167 - Dieße suchten sie zu erweißen aus dem Begriffe des Höchsten. Minut. Felix in Oct. c. 18. Tertull. adv. Marc. L. I. cap. 3. 4. 5. 11. 69 k Ignat. ad Magnes. c. 8. Cyprian. de idol. vanit. c. 5. k168 l M. pag. 387. 390. 391 l169 - 5 Lactant. inst. div. l. I. c. 3. 5 m De ira Dei cap. 11 Gr. m170 - Oder auch aus der Harmonie des so manchfaltig complicirten Weltalls, welches nur einen 171 Urheber haben könne. Origenes contra Cels. L. I § 23. Lactant. inst. div. L. I cap. 3. 172 n Athenag. Legat. Cyrill. hier. Cat. VI. cap. 7.; a) 173 Greg. Nyss. Or. cathech. prooem; Boeth. cons. phil. III n174 - Einen eigenen aus der Mathematik herge- 10 nommenen Beweiß hat Athenagoras leg. pro Christ. pag. 285. − Endlich beriefen sie sich hierin¯ auf die Ubereinstimmung der angesehensten griechischen Philosophen. Athenag. l. c. pag 283. 284. Lactant. inst. div. L. I. cap. 5. Minut. Fel. Octav. cap. 19. 175 o c) Iren. III, 1 o176 p / Tertullian de anima cap. 177 et de testimon. animae innatam dicit unitatem Dei; adv. Marc. I, 3. Athan. adv. gent. 7 p178 15 5. Ebenso war es nothwendig, daß 179 im Gegensatz gegen das Heidentum, dessen Götter endliche Wesen waren, die Unendlichkeit und Erhabenheit Gottes - seine Natur und sein Wesen - klar ausgesprochen wurden. q M. I. pag. 394-397 q180 Hiezu benutzten sie einen Spruch des Platon, der da gesagt hatte: Gott habe nicht ein blos gutes Wesen, er sei vielmehr über das Wesen erhaben. 20 Justin. Dialog. cum Tryphone. pag. 105. - Daher hange allen unsern Vorstellungen von ihm etwas anthropopathisches, und unvollkommenes an. Theophil. ad Autolyc. l. I. pag. 339. Min. Fel. Oct. cap. 18. Clem. Al. Strom. L. V. Pædag. L. I. Iren. adv. hær. l. II. cap. 14. Orig. Princ. l. I. c. 1; Adv. Cels. l. VII. § 38. Novatian. de trin. cap. 2. r − Die späteren Väter. Dobm. § 34. 181 * n. 4. quibus adde 25 Greg. Naz. Orat. 33; Cyrill. hieros. catech. 6; Hilar. de Trin. l. IV. August. Confess. l. I. Reverenter accedunt r182 167 j-j: auf dem Rand ergänzt 168 k-k: am unteren Rand der Seite 68 ergänzt 169 l-l: Einweisung 170 m-m: Einweisung 171 E überschrieben mit e 172 L: Münscher, Bd. 1, S. 388. 173 über der Zeile eingefügt 174 n-n: auf dem Rand ergänzt 175 L: Münscher, Bd. 1, S. 389. 176 o-o: am Rand ergänzt 177 Angabe fehlt 178 p-p: am Absatzende angefügt 179 danach gestrichen sich 180 q-q: auf dem Rand ergänzt - L: vgl. Münscher, Bd. 1, S. 393-397. 181 L: Dobmayer, Systema theologiae, Bd. 1, § 34, S. 65. 182 r-r: am Absatzende und auf der Randspalte angefügt <?page no="200"?> 168 Johann Sebastian Drey 6. Daher kam es auch, daß die Lehrer der ersten Zeit Gott namenlos nannten. s M. I pag. 391-394 s183 Die Ursachen warum Gott keinen Namen haben könne, 70 sind ihnen: weil sonst ein höherer über ihm wäre, weil er als der Einzige keines Namens bedarf, und alle Namen nur Bezeichnungen von gewißen Eigenschaften sind. Justin. Apolog. min. c. 6. 184 ; Min. Fel. Oct. cap. 18; Lact. inst. 5 div. L. I. cap. 6; Clem. Strom. L. V; Theoph. ad Autol. L. I; Nov. de Trin. cap. 4; Orig. contra Cels. L. VI. § 65 milderte oder deutete diese Behauptung 185 - Ubrigens konnten sie sich hier auch auf Platon berufen - das Beispiel der Juden hatten sie für sich, und gegen die vielen Götternamen der Heiden stach die Behauptung ab. t c) Deus ens a se, independens: Iren. II, 16; Clem. Pædag. I, 8; 10 Athan. Orat. 5 adv. A. Cyrill. H. Cat. 6. In Verbindung mit der Ewigkeit Ambr. de aetern. Aug. de civ. Dei XI, 5. Boeth. de c. Ph. V, 6. t186 7. Mit der Unendlichkeit Gottes hieng auch seine Unermeßlichkeit, welche sie aber meistens 187 als mathematische Unermeßlichkeit dachten, oder wenigstens durch solche räumliche Verhältnisse zu erläutern suchten. u M. I. p. 404 u188 15 Theoph. ad Autol. l. II pag. 341; v : τοποσ των ω ë λων. ε ë ρω τ ì ω τοποσ v189 Athenag. Leg. pro Christ. pag. 282; * 190 Cypr. de idol. van; Novat. de Tr. c. 2; Theoph. ad Aut. l. II; Arnob. adv. gent. l. I. Novat. de Tr. c. 25 w Allgegenwart. * Irenæus IV, 36. ** Athanas. ep. 1. ad Serap.; Hilar. Tract. in Ps. 118; Cyrill. hier. Catech. VI, c. 9; Greg. Naz. orat. 21; Greg. Nyss. e contra Eunom. l. 1; Ambros. i in Luc. c. 19. 20 Chrysost. hom. 20 in Hebr; Hieron. in ψ 70; August. serm. de temp. 104. Hieron. ad Marcellam e.i. w191 Dieße etwas gröbern Vorstellungen berichtigten die Alexandriner: Clem. Strom. l. II c. 2 192 ; l. V; Orig. adv. Cels. l. VI. § 71; Clemens negat localitatem continentem et contentam. 8. Mit der Unermeßlichkeit Gottes - besonders im mathematischen Sin¯ - 25 hieng auch ebenermaßen die Frage zusam¯ en: ob Gott einen Körper habe und haben könne? x M. I p. 397 ss. x193 Einige der frühern Lehrer schienen sich Gott ohne alle Körperlichkeit nicht denken zu können: wie Melito von Sardica; 71 Tertullian de carne Christi cap. 11 194 ; y Tertull. corpus opponit nihilo vel abstracto. y195 183 s-s: auf dem Rand ergänzt 184 Kapitelangabe über der Zeile ergänzt 185 L: Münscher, Bd. 1, 393 f. 186 t-t: auf dem Rand 187 über der Zeile, darunter gestrichen: noch mehr 188 u-u: auf dem Rand; Seitenzahl korrigiert aus 304 - gemeint ist S. 403 (bei Münscher falsch paginiert) 189 v-v: über der Zeile 190 erste Einweisungsstelle für Irenæus IV, 36. (siehe unten bei w-w) 191 w-w: zweiteilige Einweisung unter dem Gesamttitel Allgegenwart - für die Angabe Irenæus IV, 36. war bereits weiter oben eine Einweisungsstelle markiert; tiefgestellte Kleinbuchstaben von Drey 192 Kapitelangabe über der Zeile ergänzt 193 x-x: am Rand ergänzt - L: Münscher, Bd. 1, S. 397-403. 194 L: Münscher, Bd. 1, S. 398 f. 195 y-y: Einweisung <?page no="201"?> 169 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) de anima cap. 7. 8; Novatian de Trin. 6. Ubrigens darf man es diesen Männern nicht verargen, daß sie sich von Geist und Körper noch keine so deutlichen Begriffe 196 hatten wie wir: die Schärfe dieser Unterscheidung konnte erst allmälig durch das Christentum herbeigeführt werden. Ubrigens war dieß nicht die allgemeine Meinung: Arnob. adv. Gent. l. I. legte Gott keinen Kör- 5 per, andere und wieder namentlich die Alexandriner schlossen aufs bestimmteste alles Körperliche von Gott aus. Tatian. Orat. ad Græcos; Clem. Strom. l. V. p. 689; Origenes Princ. præf. l. I. cap. 1; contra Cels. L. VI §§ 69. 70; homil. I in Genes.; de Orat. § 23 et alibi. contra Cels. l. VII, 38. z G. Naz. Orat. 34. Basil. hom. 3, c. 7; Cyrill. h. catech. 6, 11; 9, 1; Ambros. Hex. 6, 7; in Psalm 43; Augustin. de 10 Trin. 12, 7. Epiphan. hær. 70. Socrat. H. E. VIII, 11. Cass. Coll. X, 5. z197 9. Die übrigen Eigenschaften Gottes finden sich in unzähligen Stellen der Väter ausgedrückt a M. p. 406 a198 : a Die Ewigkeit: Justin Dial. cum Tryph. pag. 108; Tat. Orat. ad Gr. cap. 6 10 199 ; b Athenag. Legat. cap. 5; Tertull. a. Prax. c. 27; Orig. de Princ. 1, 6. b200 - b Die Unsichtbarkeit c b) cf. locos de incorporalitate. c201 - 15 c Die Allwissenheit; Clem. Strom. l. VI. §.17. 202 p. 821; Min. Fel. Oct. c. 10 et 33; d c) Orig. comm. in Gen. Cypr. op. 2; serm. de laps. c. 5. Hilar. de Trin. l. 12. Ambros. de fide 1, 7; August. ad Simpl. l. 2. q. 2. de Gen ad lit. 5, 18. d203 d 204 Das Bestehen der menschlichen Freiheit neben der göttlichen Vorwissenheit: Orig. com¯ . in Gen. Opp. Tom. II pag. 9-11; contra Cels. L. II. pag. 405 seqq; de princ. l. 20 II. cap. 9. 205 − e 206 Uber die Allmacht hat Origenes eine besondere nicht ganz richtige Vorstellung. De princ. l. II. cap. 9; l. III. cap. 5. Huet in Origenianis Op. Orig. Tom. IV pag. 107; 207 e d) Clem. Rom. I, 27. Tert. a. Prax. 10. Cl. Alex. Strom. 7, 13; Gr. Naz. carm. 4; e208 − f 209 Die Güte: Athen. leg. pro Chr. pag. 302; Clem. Strom. l. I pag 369 conf. l. VII pag. 855; Pædag. l. I. c. 8; 210 f e) Orig. hom. 1. 25 72 in Jerem; Lact. inst. div. 6, 9; Basil. in Jes. § 25; Cyrill. h. cat. 2, 19; G. Naz. Orat. 10, 3; Aug. de Trin. 8, 3. f211 - f Die Strafgerechtigkeit - worüber die Alexandriner eine mildere Clem. Strom. IV. VII; Pædag. l. I. c. 8; Origenes de princip. l. 196 ergänze: gemacht 197 z-z: Einweisung 198 a-a: auf dem Rand 199 p. 246 korrigiert zu cap. 6 − 10 über der Zeile ergänzt 200 b-b: Einweisung 201 c-c: am Rand ergänzt 202 über der Zeile 203 d-d: am Rand ergänzt 204 Einfügung, undeutlich 205 L: Münscher, Bd. 1, S. 408. 206 d korrigiert zu e 207 L: Münscher, Bd. 1, S. 409. 208 e-e: vor Korrektur der Ziff. d zu e am Rand ergänzt 209 e korrigiert zu f 210 L: Münscher, Bd. 1, S. 409. 211 f-f: Einweisung (vor Korrektur der Ziff. e zu f im Haupttext Seite 71) <?page no="202"?> 170 Johann Sebastian Drey II. cap. 10 - die Africaner eine strengere Vorstellung haben. Tertull. contra Marc. l. I. c. 25. 26; l. II. cap. 13. 14. 16; Lactant. de via Dei cap. 4. 5. g f) Cyrill. h. cat. 4, 4; Greg. Nyß. or. cat. c. 21; Chrysost. hom. 9 in I Cor. Basil. serm. 7 de peccatis cap. 12 g212 § 12. h (§ 5.) h213 Erste Entwickelung der Trinitätslehre 5 i Verhaeltnis dieser Lehre zu i214 Im Judentum war die Lehre von einem einzigen Gott so oft und so nachdrücklich empfolen worden, daß es nicht nur sehr begreiflich ist, wie 215 es die Juden für Gotteslästerung hielten, wenn sich Jesus den Sohn Gottes nan¯ te, sondern daß man es fast für unbegreiflich halten sollte, wie die Idee eines zwar 10 der Natur nach einzigen, der Persönlichkeit nach aber dreifach verschiedenen Gottes nur jemals bei einem Juden Eingang finden konnte. Judentum 216 Indessen lag doch im Judentum eine andere Idee, welche sich mit dem Laufe der Zeiten im¯ er mehr ausbildete und ausbilden mußte, und zuletzt wenigstens 15 die Lehre von einem Sohn Gottes begreiflich machte. Dieß ist die Idee von einem Meßias. Dunkel - oder wenn man will deutlich aber nur in einem sehr eingeschränkten Sinn sprach und weißagte schon Moses von ihm. Noch vielfacher und in manchfaltiger Beziehung redeten davon die Pro- 10 73 pheten - und als nachher die Zeiten wirklich kamen, die vorher verkündet 20 waren, hiengen die Juden noch fester an der Idee des Messias. Je größer 217 nachher die Unterdrückung, desto mächtiger mußte der Messias sein; und so bildete sich, wenigstens bei einem Theile der Juden, der Glaube an den Messias als ein übermenschliches Wesen / M. I. 480 / 218 . Demungeachtet blieb auch diesen ein Sohn Gottes als ein wahrhaftiger Gott immer noch etwas 25 unbegreifliches j und Heidentum j219 2. Den Heiden dagegen war ein Sohn Gottes als wirklicher Gott nichts unbegreifliches. Sie hatten ja dergleichen mehrere in ihrer Mythologie. Aber eines mußte dem Heiden unbegreiflich sein, wie ein persönlich von dem Vater 30 verschiedener Sohn Gottes doch nur einiger Gott sein sollte. 212 g-g: im Anschluß an Einweisung f-f am Rand ergänzt 213 h-h: spätere Paragraphenangabe 214 i-i: Stichwort bzw. Randtitel, fortgesetzt beim folgenden Absatz und Ziff. 2. 215 über der Zeile, darunter gestrichen: daß 216 Fortsetzung zu i-i am Rand, siehe auch j-j 217 danach gestrichen sich 218 L: Bd. 1 (2. Aufl.), S. 419. 219 j-j: zweite Fortsetzung zu i-i <?page no="203"?> 171 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) k Wesentlichkeit derselben k220 3. Indessen lag im Christentum ein dreifaches Verhältnis in einem Gott aufs bestim¯ teste ausgesprochen? Wie oft hatte nicht Jesus vom Vater und zwar vom Vater als dem einen wahren Gott gesprochen, in mancherlei Beziehung gesprochen? Wie oft hatte er nicht sich selbst den Sohn genannt, und obwohl 5 von dem Vater gesendet doch behauptet dem Vater gleich zu sein? Wie bestim¯ t hatte er nicht vor seinem Hingang aus dieser Welt von dem Geiste geredet, der das Werk des Sohnes ausführen, und alle Macht haben sollte, die der Sohn selbst hat, also in dieser Hinsicht dem Sohn gleich wäre. - Zuletzt sendete er seine Schüler in die Welt mit der bestim¯ ten Erklärung: alle Völker zu taufen 10 74 auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des heil. Geistes. - l conf. M. I. § 86. 87. l221 Der Glaube an Vater, Sohn und heiligen Geist als drei göttliche Principien ist also eine nicht weniger entschiedene Lehre des Christentums, als die Lehre von einem einzigen Gott. - Damit enthielt sie aber etwas wodurch sie bei den 15 Heiden und Juden auf gleiche Weise anstieß; der Heide begriff die Einheit der drei göttlichen Principien nicht, der Jude die drei Principien in dem einigen Gott nicht. Gegen beide mußte sich also das Christentum erklären, und die Vereinbarlichkeit der drei Principien mit der Einheit Gottes zu erweißen suchen. 20 Dieß war die äußere Veranlassung, wodurch die Untersuchung über die Trinitätslehre geweckt werden mußte: eine andere gleichfalls äußere wird später berührt werden. / Gnostische Untersuchungen m Bey dieser Entwickelung der Trinitätslehre ist zu bemerken, daß die Väter der drey ersten Jahrhunderte, wie der Augenschein giebt, bemüht waren, sie 25 im Ganzen darzustellen; weßwegen sie hier weniger genau sind, die Natur der einzelnen Personen zu erschöpfen. In der hist. Darstellung muß also auch dieser Gang beobachtet werden. −− m222 § 13 Fortsetzung n Mögliche Einleitungen der Untersuchung n223 Bei der nähern Bestimmung des Verhältnisses der drei Principien zu der 30 Einheit Gottes waren zwei Wege möglich, und beide wurden versucht. Entweder kon¯ te man von der Einheit Gottes ausgehen, aber dan¯ war es leicht, die wahre Verschiedenheit der drei Principien aufzuheben, und sie als bloße Eigenschaften Gottes darzustellen; und dieß geschah auch - Oder man kon¯ te die in der Schrift ausgesprochene Verschiedenheit der Principien zum Grund 35 legen; aber dan¯ hielt es schwer sie mit der Einheit Gottes in Harmonie zu 75 220 k-k: Stichwort bzw. Randtitel 221 l-l: Einweisung; - L: S. 415-423. 222 m-m: auf dem Rand 223 n-n: Stichwort bzw. Randtitel <?page no="204"?> 172 Johann Sebastian Drey bringen; und auch dieße Schwierigkeit zeigte sich; und darum konnte sich die Lehre von der Dreieinigkeit nur langsam deutlicher entwickeln. - Es ist gerade in dieser Lehre, der sublimsten und allumfassendsten, wichtig der Entwickelung Schritt für Schritt zu folgen § 14 In den Zeiten der apostolischen Väter, wo noch die apostolische Einfalt 5 herrschte, und die Lehrer des Christentums noch zu dem Häuflein der Unmündigen redeten, war wie überhaupt keine, also noch weniger eine Entwikkelung dieser sublimen Lehre zu erwarten: sie hielten sich mehr oder weniger an die schlichten Worte Jesu und der Apostel; und behaupteten höchstens gegen jene, die den Sohn für ein Geschöpf hielten, seine Präexistenz vor aller 10 Schöpfung. Man sehe M. I pag. 387. 224 §. 88. Ignatius. o Clem. ep. I. c. 2. 20. 32. Ignat. ad Smyrn. 1. - ad Polyc. 3. 8. - ad Ephes. 1. 7. 18. Barnab. 12. 14. quibus in locis Filius vel Deus dicitur (Clem. 225 Ignat.) vel perfectiones similitudo et aequalitas cum Deo tribuuntur o226 p Anfang der Untersuchung durch die platonisirenden Väter p227 15 b. Als aber das Christentum auch zu den gelehrten Heiden sprechen mußte, als es durch Männer sprach, die selbst in griechischer Weltweisheit erzogen, mußte es um verstanden zu werden, auch in einer Sprache reden, die sowohl den Lehrern als den zu Belehrenden angemessen war. Hiebei ist es nun unläugbar, daß Begriffe in die bisherigen christlichen, und 20 Ausdrücke in die bisherige einfache Sprache der christlichen Urkunden eingemengt wurden, die mit diesen keine Verwandtschaft zu haben scheinen. 76 Aber es ist eben so unläugbar, daß diese Einmengung nothwendig war - daß sie das Geheimnis wenigstens für die Vernunft aufzuklären anfieng, und den ersten Schritt zu einer richtigern Bestimmung möglich machte - daß sie also 25 ihren Zweck wirklich erreichte - und nachher einer schärfern Bestim¯ ung der Offenbarungslehre wich. q Grundlegung gewißer Stellen des A.T. q228 c. Es war natürlich, daß die Lehrer bei der nähern Entwickelung des Verhältnißes vom Vater, Sohn und heiligen Geist zuerst auf die Schriften des 30 alten Testaments sahen, um darin¯ über ihre Aufgabe zu forschen: und wirklich fanden sie dort mehreres, was ihnen über ihre Frage Aufschluß geben konnte: namentlich die 229 personificirte Darstellung vom Wort und der Weisheit Gottes - welche beide in der Ubersetzung mit λογοσ gegeben wurden. conf. M. I 224 Seitenzahl der 3. Aufl., davor gestrichen: 422. (2. Aufl.) 225 v überschrieben mit C 226 o-o: auf dem Rand 227 p-p: Stichwort bzw. Randtitel 228 q-q: Stichwort bzw. Randtitel 229 davor gestrichen von <?page no="205"?> 173 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) pag. 424. 425 230 - Es war ferner natürlich, daß sie bei ihren Darstellungen die damals herrschenden philosophischen Ideen von einer Emanation aller Dinge aus Gott benützten, um so mehr, als dieße ein Auskunftmittel abgab, die endliche Natur mit der göttlichen überhaupt, und namentlich die endliche Natur in Christo mit der göttlichen in Verbindung zu bringen M. l.c. 425 Die 5 Schriften des Philo der die Emanationslehre mit der platonischen Philosophie verbunden hatte, wurden damals auch häufig gelesen: und so bildete sich die Unterscheidung eines λογοσ ενδιαθετοσ und λογοσ προϕορικοσ . M. I. 231 §. 89. 77 pag. 391-394 Anmerkung. Berichtigung des so oft behaupteten Einflußes der platonischen 10 Philosophie auf die ersten Bestimmungen der Trinitätslehre. ib. §. 90 394-397. 232 r der doppelte Logos r233 d. Diese Vorstellung von einem seinem Ursprung nach gleichen und Einfachen, der 234 Art seines Existirens nach zweifachen Logos findet man wirklich 15 bei den allerersten Kirchenlehrern Justinus, Tatianus, Theophilus, Athenagoras. s Justin. Apol. I c. 63. Dial. cum Tryph. c. 56. 1. Tatian or. cap. 5. Athenag. Leg. c. 10. Theoph. ad Aut. L. II. c. 10. s235 Der Logos als der Verstand oder die Weisheit Gottes war von Ewigkeit in Gott, als ein Gott gleiches Wesen, aber durch keine eigene Persönlichkeit von ihm geschieden. Als Gott die Welt 20 erschaffen wollte, trat dieser Verstand als eine eigene Persönlichkeit aus Gott hervor, emanirte und stellte sich zwar außer dem Vater dar, aber blieb doch bei ihm. Dem Wesen nach als der personificirte Verstand Gottes war er wirklicher und wahrer Gott, und dem Vater, der ihn als seinen eigenen Verstand von Ewigkeit gezeugt hatte, gleich: aber als aus dem Vater erst mit 25 dem Anfang der Zeit hervorgegangener und in der Zeit producirender Logos war er geringer als der Vater. So schienen jene Lehrer die beiderlei Außerungen Jesu über sein Verhältnis zum Vater mit einander vereinigt zu haben. Dieser persönliche oder λογοσ προϕορικοσ wurde dann zu gehöriger Zeit Mensch, und hieß Jesus u.s.w. 30 Daß diese Väter diese Vorstellungen gehabt haben, hat schon Dyonisius Pe- 78 tavius 236 erwiesen, aber einen großen Tumult dadurch erregt. Die Belege dazu finden sich in ihren Schriften; wovon ich hier einige Stellen citire: Apol. maj. § 6; pag. 47, pag. 56 ed. Cotel; § 13 pag. 51 - ed. Cot. pag. 60: item pag. 63; Dialog cum Tryph. pag. 151. 221. 222. 152. t Münscher I pag. 397. 408. o˙ § 91 item § 93. t237 35 230 L: 2. Aufl. 231 danach 425. 426. (2. Aufl.) gestrichen und Angaben zur 3. Aufl. ergänzt 232 426-430 (2. Aufl.) gestrichen (vgl. Münscher, Bd. 1, 426-429) und überschrieben mit §. 90 - danach Seitenangabe zur 3. Aufl. angefügt 233 r-r: Stichwort bzw. Randtitel 234 s überschrieben mit d 235 s-s: am Rand ergänzt 236 L: Opus de theologicis dogmatibus, Bd. 2. <?page no="206"?> 174 Johann Sebastian Drey u 2. Unterordnung - Diener des Vaters 3. Abstracte Ausdrücke: Wort und Weisheit des Vaters. Ex voluntate Patris. Brenn. I. 122 f. u238 § 15 v (§ 5. nro 3) v239 Fortsetzung. w Widersprüche dagegen w240 Dieße ersten allerdings unvollkommenen Versuche der Entwickelung des 5 Verhältnißes vom Sohn zum Vater genügten aber mehrern nicht, und so wurden darinn Verbesserungen vorgenommen Der erste, der damit unzufrieden war, ist Irenæus. x M. I pag. § 95 pag. 411- x241 Er war ohnehin kein Freund von gelehrten und speculativen Untersuchungen über die Lehren der Religion, und hatte ohnehin mit Eifer die Gnostiker 10 bestritten, mit deren Emanationsprincipien die Darstellung der ersten Väter wenigstens eine Aehnlichkeit hatte. Er wurde also aus zwei Ursachen zu ihrer Berichtigung geführt, u. sein Zeugnis muß um deßwillen mehr gelten, weil er bei seiner geringern Gelehrsamkeit sich mehr an die Tradition und den allgemeinen Kirchenglauben hielt. Seine Kritik über die gelehrten Bemühungen 15 kann man adv. hæres. l. I. cap. 10; l. II. cap. 13; l. II. cap. 28 finden. Dem Sohn 79 schrieb er nicht nur Präexistenz vor seiner Geburt aus Maria l. III cap. 18; l. IV. cap. 6 zu; sondern er nen¯ t auch bestim¯ t Jesum Christum wahren Gott und wahren Menschen; l. IV. cap. 6; y L. III c. 6 et 19. y242 verwirft mit Abscheu die Meinung der Ebioniten l. I. cap. 26; IV. cap. 33; V. cap. 1. Und wiewohl er sich 20 über die Persönlichkeit und besondere Substanzialität des Logos manchmal unbestim¯ t ausdrückt: l. II cap. 30; §. 9. IV. cap. 6; §. 6. V. c. 18; § 1. 243 - so ergiebt sich doch aus der Vergleichung anderer Stellen, daß er den Sohn für ein besonderes Subject gehalten habe. l. III. cap. 6 § 1. l. IV. cap. 20. § 11; cap. 10. § 2. schreibt ihm auch Ewigkeit zu l. II cap. 25. § 3; l. II. cap. 30, § 9. 25 Unterdeßen setzt er ihn unter den Vater in dem Sinn, wie er unter ihm gedacht werden muß. l. IV. cap. 7, § 4; lib. II. cap. 28, § 8. 244 2. Mehr trug Clemens Alexandr. zur weitern Entwickelung und nähern Bestim¯ ung des wahren Verhältnisses von 245 Vater und Sohn bei, aber doch weniger als von ihm zu erwarten gewesen wäre. z l. c. § 96. 417-423 z246 Die 30 Kirchenlehre trägt er wie die andern vor Pæd. l. I. cap. 6, a Strom. V. p. 710. a247 237 t-t: Einweisung; 430 (2. Aufl.) korrigiert zu 397 (3. Aufl.), 408 mit Korrektur, unklar 238 u-u: am Rand ergänzt; − L: Brenner, Freye Darstellung der Theologie. Bd. 1, S. 122 f. 239 v-v: spätere Paragraphenangabe 240 w-w: Stichwort bzw. Randtitel 241 x-x: am Rand Verweis auf Münscher, Bd. 1, 3. Aufl.; vor § 95 gestrichen: 445-451 (2. Aufl.) 242 y-y: Einweisung 243 Paragraphenangaben jeweils am Rand, eingewiesen 244 L: Münscher, Bd. 1, 2. Aufl., § 95, S. 445-451. 245 zw überschrieben mit von 246 z-z: Verweis am Rand, 452-457 (2. Aufl.) korrigiert zu § 96. 417-423 (3. Aufl.) 247 a-a: Einweisung <?page no="207"?> 175 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) hielt den Sohn für wahren Gott und wahren Menschen. Cohort. ad Græc. b cap. 1 et 10. b248 pag 82. - Und obwohl sich bei ihm Stellen finden, woraus man schließen könnte, er habe den Logos blos für eine Kraft oder Eigenschaft des Vaters gehalten: Strom. V. pag 646 ss; VII. pag 831: so erhellt doch das Gegentheil aus andern Stellen ganz entschieden: Strom. VII pag 831. Cohort. ad 5 80 Gr. pag 86 et 78. - Die Zeugung oder Entstehung des Logos denkt er sich nicht ganz wie die frühern Väter: Strom. V pag 654. VI pag 769. V. pag 699. Doch verwarf der den λογοσ προϕορικοσ nach der Analogie des ausgesprochenen Wortes, berichtigte noch andere unrichtige Vorstellungen Strom. l. IV. pag 635. und obwohl er dem Logos alle Eigenschaften des Vaters beilegt, 10 scheint er doch die Persönlichkeit desselben nicht für ewig gehalten zu haben, nennt ihn auch nicht dem Vater gleich, sondern gleichgemacht durch den Willen des Vaters Strom. VI. pag 699. 249 3. Aber kein anderer Lehrer der Kirche hat die zwei Hauptsätze der Trinitätslehre - drei wahrhaft verschiedene und wahrhaft 250 göttliche Personen, 15 und doch nur ein Gott, so scharf ausgesprochen als Tertullian in seiner Schrift gegen Praxeas. c l. c §. 97 423-433 c251 Die Verschiedenheit der Personen gründet er wie die frühern Väter auf eine Emanationstheorie, und auf die Distinction eines λογοσ ενδιαθετοσ und προϕορικοσ . cap. 5. 6 .7. 26. 31. Die Einheit Gottes auf die Einheit der Substanz und des Willens. cap. 3. 9. 4. 8. auch 13. 20 15. 22. 21. 2 pp Ihm verdankt man die ersten Benen¯ ungen Trinitas, persona, substantia u.s.w. Übrigens muß man diesem Schriftsteller das Grelle und Materielle seiner Ausdrücke in Anschlag bringen. Cf. etiam Apolog. c. 21. 252 d M. I. §. 100 437-446. d253 11 81 Außer ihm hat Origenes vorzüglich viel zu weitern Aufklärungen beigetra- 25 gen. Zuerst trägt er wie sein Lehrer die Kirchenlehre vor: de princ. praef. - Dan¯ behauptet er bestim¯ t: der Logos ist wirklich und persönlich von dem Vater unterschieden, und es muß ihm Präexistenz vor der Welt, und zwar von Ewigkeit, beigelegt werden adv. Cels. VIII. et alibi in Comm. Er verwarf auch die gröbere Emanation und andere unrichtige Erklärungsarten wie der Sohn 30 vom Vater ausgehe: de princ. l. I. cap. 2. § 2-6. - Sonst unterscheidet er eine doppelte Einheit des Vaters und Sohnes durch einerlei Willen, und einerlei Substanz. Setzt aber den Sohn geringer als den Vater / und den h. Geist geringer als den Sohn / sowohl dem Ausdruck nach - ο ë θεοσ der Vater, θεοσ der Sohn - als auch der Wirkung nach, wobey er sich auf die Schrift Joh. I 3; 35 248 b-b: über der Zeile 249 L: Münscher, Bd. 1, S. 452-457. 250 danach gestrichen: verschiedene 251 c-c: Verweis am Rand, 458-469 (2. Aufl.) korrigiert zu §. 97 423-433 (3. Aufl.) 252 L: Münscher, Bd. 1, 2. Aufl., S. 462-469. 253 d-d: Verweis am Rand, pag. 473-480 (2. Aufl.) korrigiert zu §. 100 437-446. (3. Aufl.) <?page no="208"?> 176 Johann Sebastian Drey XIV. 28. 13. com¯ ent. in Joh. Tom. IV. pag 50; adv. Cels. VII. Tom I. de princ. l. I. cap. 2; de orat. pag 222. 254 Eine besonders merkwürdige Stelle über die ganze Ansicht des Origenes von der Trinitätslehre findet sich adv. Cels. l. I. cap. 3 pag 62. e M. I § 101 pag. 446-454 e255 5 Eine der spätern Entwickelung sehr nahe kommende Darstellung der Trinitätslehre giebt Dyonisius Bischof von Rom. in Athanas. de decret. Synod. Nicænæ. f Lactant. inst. d. l. IV. c. 8. 29. Arnob. a.g. l. I. f256 Er tadelt den Ausdruck: drei Hypostasen, dessen sich Origenes bedient, aber in einem andern Sinn ge- 82 nom¯ en. 10 § 16 g (§. 5. nro 4) g257 Fortsetzung h N B . Bey der verbeßerten Darstellung muß künftig die Ordnung beobachtet werden, daß zuerst der Glaube der ersten Kirche von der Trinitätslehre im Ganzen dargestellt werde, aus den hieher passenden Stellen aller KL; sodan¯ die eigentümlichen Lehren von dem Vater, Sohn und Geist ins- 15 besondere. Nur jene erstere ward jetzt eigentlich bestim¯ t, die letztere erst in der folgenden Periode h258 i Verhältnis des Geistes zum Vater und Sohn i259 Bisher haben wir betrachtet, wie sich die durch Christus ausgesprochene Lehre von einem dreifach persönlich verschiedenen Verhältnis in Gott in der 20 Kirche ausgebildet habe: indem man um die Einheit Gottes als das leicht begreifliche unbeküm¯ ert sich mehr darüber aufzuklären strebte, wie jenes dreifach persönliche Verhältnis zu denken und für die Vernunft anschaulich zu machen sei. Und zwar wollte ich bisher die allmälig sich läuternden Vorstellungen über 25 das Verhältnis des Vaters zum Sohn bis zu einer gewißen Periode durchführen, damit die Consequenz der Entwickelung desto anschaulicher würde. Wie man sich das Verhältnis der dritten Person zu Gott dachte, darüber ist bisher noch nichts gesagt worden. Es ist also Zeit, auch hievon zu reden. Uberhaupt läßt sich leicht zum Voraus ermessen, daß die Begriffe über den heil. Geist als ein 30 ideales, unsichtbares Princip nicht so frühe und nicht so schnell sich entwikkeln, und zu einer entschiedenen dogmatischen Lehre sich ausbilden konnten. Daher dürfen wir uns auch nicht wundern, wenn wir diese Lehre theils 83 254 L: Münscher, Bd. 1, 2. Aufl., S. 478-480. 255 e-e: Verweis am Rand, pag 490 (2. Aufl.) korrigiert zu § 101 pag. 446-454 (3. Aufl.) 256 f-f: am Rand ergänzt 257 g-g: spätere Paragraphenangabe 258 h-h Nota bene auf der Randspalte 259 i-i: zeitlich nach dem Nota bene (h-h) hinzugefügte Überschrift zu § 16, den dazu eingeklammerten Titelzusatz Fortsetzung umgebend <?page no="209"?> 177 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) weniger berührt, theils weniger erörtert finden, als die Lehre vom Verhältnis des Sohnes zum Vater. Was sich in dieser Periode davon findet, ist folgendes. 1. Die ersten Kirchenväter sprechen ganz kurz von dem Verhältnis des h. Geistes, und scheinen ihm nicht eine gleiche Personalität, Selbständigkeit und Subsistenz mit dem Sohn oder Logos zugeschrieben, wenigstens wird dieß 5 letztere aus zwei besonderen Bemerkungen scheinbar wahrscheinlich. j M. I. pag 434-437. - item 442-445 j260 − a) 261 Die erste Bemerkung ist, daß sie häufig den Logos und den Geist miteinander zu verwechseln scheinen k Ignat. ad Magn. 15 Herm. Simil. V. c. 4.5.6. k262 : indem sie die Inspiration der Propheten manchmal für eine Wirkung des Logos ausgeben - Justin. Apolog. maj. § 36. 10 Theophil. libr. II § 10; - beiden den Namen Weisheit beilegen Theoph. l. II. § 10; - ja der Logos selbst zuweilen Geist und heil. Geist genannt wird - Justin. Apol. Mai. § 33. Tatian. Orat. § 7; dagegen aber - außerdem daß selbst die hier citirten Äußerungen einer andern Deutung fähig sind, lassen sich für das Gegentheil die Stellen anführen, wo sie bestim¯ t dem Logos die zweite, dem 15 Geist die dritte Stelle in der Verehrung der Christen anweisen Justin Apol. Mai. § 6 et 13; wo sie den Logos und die Weisheit deutlich unterscheiden Theoph. l. II § 10. 11 et l. I. § 5. 7 et pag 399. − − b) 263 Die zweite Bemerkung ist, daß sie ihn als ein Geschenk Gottes auf die Menschen niedersteigend, und in seinen Wirkungen darstellen Justin. cohort. § 30. Tatian Orat. pag. 253 et 255. 20 84 Ferner daß sie, besonders Athenagoras, ihn als ein nach Art der Sonnenstralen von Gott ausfließendes und wieder zu Gott zurückkehrendes Wesen beschreiben, wodurch die Persönlichkeit des Geistes am meisten zweifelhaft zu werden scheint. Athenag. leg. cap.10. 264 pag. 287. Daß namentlich Athenagoras den Vater und Sohn Gott nen¯ t, aber den h. Geist nicht - Indessen spricht 25 doch selbst Athenagoras von einer Verschiedenheit in der Ordnung der dreien - und macht wieder andere Vergleichungen, woraus auf eine Persönlichkeit des Geistes geschlossen werden kan¯ , pag 302. − l c) Drittens die Unterordnung - biblisch. l265 2. Auch bei Irenäus findet dieselbe Ungewissheit und Unbestim¯ theit der 30 Ausdrücke statt. / M. I. pag. 448-451. / - - In den noch vorhandenen Werken des Clemens Alex. findet sich fast keine Äußerung über den heiligen Geist, m doch Pædag. I. c. 6. m266 indem sein Werk von der Weissagung und der Seele, worin¯ er versprochen hatte zu lehren, was der h. Geist sei, verloren gegangen sind. - - 35 260 j-j: bei Ziff. 1 am Rand notierter Verweis auf Münscher, Bd. 1, 2. Aufl. 261 Bezifferung nachträglich eingefügt 262 k-k: am Rand ergänzt 263 Bezifferung nachträglich eingefügt 264 über der Zeile 265 l-l: am Absatzende angefügt 266 m-m: über der Zeile eingefügt; - L: Münscher, Bd. 1, 2. Aufl., S. 452. <?page no="210"?> 178 Johann Sebastian Drey 3. Tertullian und Origenes dagegen drücken das Verhältnis des h. Geistes zu dem Vater und Sohn viel bestim¯ ter aus 267 / wie überhaupt in ihren Schriften die ganze Trinitätslehre weit mehr entwickelt ist, als bei ihren Vorgängern / . Sie unterscheiden aufs bestim¯ teste den heiligen Geist von dem Sohn und 85 Vater und legen ihm ebenso bestimmt Persönlichkeit und Selbständigkeit bei - 5 aber wie sie in manchem den Sohn unter den Vater 268 setzen, so setzen sie noch mehr den Geist unter den Sohn. Was den Tertullian betrifft, findet man die Belege zum erstern adv. Prax. cap. 4. 13. 26. 27. 31. 269 / M. I pag 463 et 464. 270 / zum andern cap. 8. 13. 25. Apolog. cap. 21. 271 - - Was den Origenes betrifft, vorzügl. comm. in Joan. Opp. Tom IV. pag 60 Edit. Ruæi. et 235. / M. I pag 10 443-445. 272 / - - n 3. Diserta P.Prum testimonia de singularitate et divinit. Sp. S. testimonia Clem. R I. ep. c. 11. 46. Ignat. ad Smyrn. 1. Herm. mand. 3 mand. V. c. 1. 2. mand. X. c. 4. 3; mand. XI. XII. Simil. V. Justin. Ap. M. c. 13. Athenag. L. c. 10. Tatian. Or. c. 10 Iren. IV. 37. Tertull. adv. Prax. 4. 13 Clem. Al. in Pæd. L. I, c. 6; L. III. 15 c. 12. Origenes. Prædic. Apl. et ecclesiæ de princ. I, 13 et 31. Comm. in Gen. l. I. - in Joh. Cypr. ep. 73. ad Jub. * Athan. ep. ad Ser. de Sp. S. Cyrill. hieros. Cat. IV. c. 19; XVI. c. 3; XVII. c. 5. Hilar. de Trin. ll. 2. 8. 12. N B . Basil. l. III de Sp. S. c. 19. 9; Adv. Eunom. l. V; epist. 8. de sec. cap. 3 et. 11. epist. 78. Deum app. Greg. Naz. Orat. 6. et 37. 44. 50. Deum appellat et consubstantialem. Greg. Nyss. 20 Orat. 1. contra Eunom. Ambros. de Sp. S. L. III. c. 19. Deum. Synod. Constantpl. adv. Pneumatom. hoc loco diserte Deum dicit. Den Inhalt summarisch Dobm. §. 86. n. 2. n273 o Explicatio per patres secutos: Tribuunt opera divina moralia et physica, perfectiones, cultu[s] o274 25 Bei mehrern folgenden Vätern findet sich keine weitere Entwickelung der Trinitätslehre überhaupt und also auch keine weitere über das Verhältnis des Geistes zum Vater und Sohn, den¯ sie folgten entweder dem Tertullian, wie Cyprianus oder Novatianus; oder dem Origenes wie Gregorius Thaumaturgos u.a. § 17. p (§. 5. nro 5.) p275 Während dem die Rechtgläubigen die Einheit Gottes 30 überall voraussetzend die Verschiedenheit der Personen in das Licht zu setzen 267 über der Zeile ergänzt 268 über der Zeile, darunter gestrichen: Sohn 269 zur Unterstreichung von cap. 13 führt eine Linie zu dem auf gleicher Höhe am Rand stehenden, ebenfalls unterstrichenen Satz: hoc loco diserte Deum dicit. 270 L: Münscher, Bd. 1, 2. Aufl. 271 L: Münscher, Bd. 1, 2. Aufl., S. 466-468. 272 480-483 (2. Aufl.) korrigiert zu 443-445 (3. Aufl.) 273 n-n: Belegangaben zu Ziff. 3 am Rand der Seiten 84 und 85; − L: Dobmayer, 1. Bd., S. 250 f. 274 o-o: unterhalb von n-n am Rand ergänzt, veränderter Schriftduktus; zuletzt Endung verwischt 275 p-p: spätere Paragraphenangabe <?page no="211"?> 179 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) sich bestrebten, hatten andere eben in der genauen bestim¯ ten Verschiedenheit einen Anstoß gegen die Einheit Gottes gefunden; und daher sich von der katholischen Partei abzusondern angefangen. Dieß sind diejenigen Häretiker, welche auch die wahre Trinität läugnend von der Kirche verworfen wurden. 86 So verschieden sie auch in mancher Ansicht waren, so kamen sie doch darin¯ 5 alle überein, daß sie den Vater, Sohn und Geist nur als drei verschiedene Kräfte oder Eigenschaften oder Wirkungsarten eines und desselben Gottes hielten, also nur eine einzige Persönlichkeit lehrten. Wiewohl nun häretische Meinungen nicht geradezu zu unserm System gehören, so können wir sie doch nicht ganz unberührt lassen, weil die Kirche ihre Lehre im¯ er jener der 10 Häretiker entgegengesetzt hat, und jene aus dieser begreiflich wird. 2. Schon frühere Häretiker, die Jesum für einen bloßen Menschen hielten, wie die Ebioniten und Cerinthus - konnten unmöglich die Trinitätslehre in ihrer Reinheit annehmen. Praxeas - den wir bloß aus Tertullian ken¯ en, läugnete allerdings die dreifache Persönlichkeit in Gott, und die Trinität bestand ihm 15 blos in einer dreifachen Form oder Handlungsweiße Gottes als eines und desselben untheilbaren persönlichen Wesens, dafür nen¯ t ihn Tertullian einen Patropassianer u. zieht noch viele andere ungereimte Folgerungen aus dessen System. M. I pag 432 276 . q * Ob nicht Praxeas indische Ideen eingemischt? Sein Ausdruck: idem q277 20 3. Den Ebioniten folgten nachher Theodotus und Artemon M. I. § 98 278 ; 87 dem Praxeas Epigonus und Cleomenes. berühmter als sie wurde Noetus. ib. § 99. pag. 436. 279 4. Ganz bestimmt hielt Sabellius die Trinität nur für eine Trinität von Kräften und Wirkungen, wobei er den Ausdruck προσωπα braucht, den der υ ë πο - 25 στασεων aber verwirft. Doch hatte er Emanationsideen beibehalten und kam darin¯ den Meinungen früherer Kirchenlehrer nahe, von denen er jedoch sich darinn unterschied, daß er jenen προσωποις keine Selbständigkeit und beharrliche Existenz zuschrieb, was dieße doch nicht geläugnet hatten. M. I. § 101. vergl. mit § 102 280 . 30 5. Paulus von Samosata läugnete bestim¯ ter als Sabellius die Personalität der dreifachen Principien in Gott und hielt den Logos für eine bloße Eigenschaft Gottes wodurch er mit sich selbst in Widerspruch gerieth, wen¯ er die Gottheit Christi doch behaupten wollte. r Er unterschied υι ë οσ θεου propter miraculum conceptionis und λογοσ , wobei er wieder den ενδιαθετοσ u. προϕορικοσ unter- 35 schied, ο ë μοουσιοσ behauptend ohne Persönlichkeit. r281 ib. § 103. 282 276 459-469 (2. Aufl.) korrigiert zu 432 (3. Aufl.) 277 q-q: am Rand ergänzt 278 am Rand ergänzt: pag. 433 ff. (3. Aufl., vgl. 2. Aufl., S. 469-472) 279 pag. 436. (3. Aufl.) angefügt 280 am Rand neben Ziff. 4 ergänzt: pag. 447. (3. Aufl.) <?page no="212"?> 180 Johann Sebastian Drey § 18 s (§. 6. n. 1.) s Entwickelung der Lehren, die das Verhältnis der Schöpfung zu Gott betreffen s : zweite Hauptlehre s283 Es war sehr natürlich, daß das Christentum jene Lehren, die das Verhältnis des Universums zu Gott - als das Verhältnis des Schöpfers zu den Geschöpfen betreffen, in Anregung bringen und darüber seine eigenen Ansichten ent- 5 88 wickeln mußte. Den¯ Gleichwie die Begriffe des Christentums von dem Wesen Gottes an sich ganz verschieden waren von jenen Begriffen, die im Heidentum, und selbst von jenen, die im Judentum über das höchste Wesen die herrschenden gewesen, so mußten es ebenso auch die Vorstellungen sein, die das Verhältnis des höchsten Wesens als des Schöpfers zu den endlichen er- 10 schaffenen Dingen ausdrücken. Das Heidentum hatte vermöge seiner Richtung auf das Endliche die Götter selbst endlich gemacht, und sie gewißermassen 284 auf eine Linie mit den Menschen gestellt: ja der edlere Theil des Menschengeschlechtes leitete zufolge der Mythen seinen Ursprung aus einer unmittelbaren Zeugung von 15 Göttern ab. Der ganze Inbegriff aller vernünftigen Wesen hieng gewißermaßen durch eine Reihe von Genealogien zusammen, und selbst ein Theil der lebloßen Wesen hatte seine Entstehung mancherlei Metamorphosen zu verdanken, wovon Ovid einen beträchtlichen Theil gesam¯ elt und zusam¯ engestellt hat. Die heidnischen Mythen kan¯ ten nur eine Entstehung durch Zeugung 20 oder Verwandlung, aber keine durch eigentliche Schöpfung; noch viel weniger eine Schöpfung aus Nichts. Wie ihm Schöpfung und Schöpfer ganz fremde Begriffe waren, so mußte ihm noch mehr das Verhältnis des Schöpfers zu den Geschöpfen ein ganz fremdes sein; u. dieß um so mehr, da sich der 12 89 große Abstand, der sich nach unseren Begriffen zwischen Gott und den 25 Geschöpfen findet, in jenen Theogonien ganz unmerklich verlor. Indem sich also das Christentum dem Heidentum, die neue Lehre von Gott der alten von Göttern entgegensetzte, mußten auch bald die Ideen über das Verhältnis des Schöpfers zu den Geschöpfen in Anregung kommen. In Absicht auf den Gegensatz zwischen Judentum und 285 Christentum hatte es 30 zwar nicht dasselbe Bewandnis, aber doch mußte auch hierin¯ das letztere dem erstern gegenüber erweiterte Ansichten entwickeln. Das Judentum bewahrte in seinen aeltesten heiligen Urkunden die Idee eines Weltschöpfers, es hatte schon frühzeitig daraus die Lehre einer Schöpfung aus nichts entwickelt, und auf allen Blättern des A. T. wird der große Abstand zwischen dem Schöpfer 35 und den Geschöpfen angedeutet. - Aber es hatte sich durch die eigenen 281 r-r: am Rand ergänzt 282 am Rand neben Ziff. 5 ergänzt: pag. 455. (3. Aufl.) 283 s-s: spätere Paragraphenangabe und zugleich Zusatz zum Paragraphentitel 284 danach gestrichen: selbst 285 danach gestrichen: Heiden <?page no="213"?> 181 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) Schicksale des jüdischen Volkes, durch seine Gesetzgebung und durch die Bestim¯ ung desselben ein Begriff unter den Juden gebildet, wodurch das wahre Verhältnis des Schöpfers zu seinen Geschöpfen ganz entstellt wurde. Der Welt- und allgemeine Schöpfer war durch besondere Begünstigungen auch auf eine besondere Weiße der Juden eigener Gott geworden. In dieser besonderen 5 Aneignung hörte er gewißermaßen auf, der Gott aller Menschen zu sein, war wenigstens nicht mehr aller Menschen Gott auf gleiche Weiße. Nach den Begriffen des Juden vergas Gott der Allheit seiner Geschöpfe, oder wen¯ er 90 sich daran erin¯ erte, so geschah es nur, um sie den Auserwählten und Lieblingen zu subordiniren. 10 Nun ist aber der vorherrschende Charakter des Christentums in allen seinen Lehren ein absoluter Universalismus, der Gott des Christentums der Gott aller Menschen auf gleiche Weise, die Liebe des Schöpfers zu seinen Geschöpfen eine allumfassende. Das Christentum, indem es die Lehre von einem Weltschöpfer, und einer Schöpfung aus Nichts beibehielt, mußte also diese 15 Lehren der jüdischen Einseitigkeit entreißen, und das Verhältnis des Schöpfers zu den Geschöpfen in der größten Allgemeinheit, in seinem ganzen Umfang darstellen Wir sehen also, wie sich die Lehren, die das genan¯ te Verhältnis ausdrücken, vermöge einer gewißen Nothwendigkeit frühzeitig im Christentum ausbilden 20 mußten; denn sie gehören zu denjenigen, wodurch das Christentum einen bestim¯ ten Gegensatz gegen die alte Welt überhaupt, gegen Heidentum und Judentum bildet - Wir wollen daher die Entwickelung dieser Lehren im Einzelnen betrachten. § 19. t (§ 6. n. 2.) t286 Die Lehre von der Schöpfung überhaupt. 25 u M. II. § 126-129 Symbola: Deus est creator mundi. u287 1. Drei wichtige Lehren waren es, die sich gleich in der ersten christlichen Zeit als entschiedene dogmatische Lehren festsetzten - und sich um deßwillen festsetzen mußten, theils weil sie schon im Judentum bekan¯ t 288 , theils weil sie 91 aus den christlichen Begriffen von Gott leicht abzuleiten waren: dieße Lehren 30 sind a) Der eine wahre Gott ist auch zugleich der Schöpfer dieser sichtbaren Welt. Dieße Lehre hatten schon die Juden, und da sie von Christus selbst überall 286 t-t: spätere Paragraphenangabe 287 u-u: Verweis auf Münscher (2. Aufl., S. 40-47) auf Seite 90 unten am Rand neben Ziff. 1; die folgende Stichwort- oder Titelangabe zu einer späteren Vorlesungsdisposition ist auf Seite 91 oben am Rand plaziert 288 danach gestrichen waren <?page no="214"?> 182 Johann Sebastian Drey vorausgesetzt, auch öfters deutlich berührt wird, kan¯ hier ohne weiters 289 übergangen werden. v Symbol. Apostol. et Nic. Artic. 1. Conc. Tolet. I. cap. 1 et 9; Bracar. ao 563 serm. I. Later. IV. c. Firmit. v290 w Clem. R. I, 19. 20. 33. Herm. Past. mand. 1. Tatian. Orat. c. 7; Justin. Apol. I, Tert. a. Marc. I, 12 Clem. Al. Strom. 1, 16. Minut. F. i. O. c. 17. Orig. a. Cels. 5 IV. 99. Basil. Hex. I, 1. 6. Greg. Naz. Orat. 2. Ambros. Hex. I, 2. 4. 6. 9. w291 b. Dieße Welt ist nicht aus einer schon vorher unabhängig von Gott vorhandenen Materie, sondern aus Nichts erschaffen worden« 292 . Dieße Lehre hatte sich gleichfalls auch schon bei den Juden ausgebildet. II. Mach. VII, 28. Sie findet sich in dem N.T. deutlich Hebr. XI, 3; Apoc. IV, 11. 293 Alle christlichen 10 Lehren stim¯ en darin¯ überein. Herm. Pastor Mandat 1; x Vin. I, 1. 3. x294 Tatian Orat. ad Græc. y cap. 18 et 12. Br y295 pag. 246. 247; Iren. adv. hær. l. II. cap. 10. z IV, 37. ex semet. z296 - Tertull. Apolog. cap. 17; a adv. Prax. 6. a297 b de præscr. 13. reg. fidei b298 Lactant. Inst. div. l. II. cap. 8 + 9 299 − c Origen. de princ. in prooem. 2; et I, 1. 7; II, 1; maxime III, 5. atheum dicit contrarium. c300 15 d c) Athenag. Leg. 19. d. Theoph. a. A. L. II, 4; f. Tert. c. Marc. I, 12 g. Clem. Al. loc. cit. h. Orig. hom. 1. in Gen. - de princ. 1, 7; II, 1; III, c. 5; Athan. in g. 2; Greg. Naz. 20 Orat. 2. Basil. hom. 1 pp. Aug. de Gen. cont. Manich. I, 5. 7. Conf. XI, 5. d301 c. Auch die dritte Lehre lag in den Büchern des A.T. noch mehr lag sie in den Begriffen des Christentums von Gott. Daß nämlich die Welt nicht von Ewigkeit, sondern in der Zeit erschaffen worden. Auch hierin¯ stim¯ en die Väter überein. Athenag. Legat. e c. 19 e302 pag. 291; - Minut. Fel. Octav. c. 18; Tertull. 25 adv. Prax. cap. 5. 6. f Orig. de princ. in prooemio. f303 Selbst daß Clemens Alex. Strom. VI, 16, pag. 813; und Justin. Apolog. Maj. pag. 48 - 304 eine ursprünglich formlose und gährende Materie g ( υ ë λη α Æ μορϕοσ, α Æ χρονοσ ) g305 annehmen, be- 92 289 danach gestrichen vorausgesetzt werden 290 v-v: am Absatzende angefügt 291 w-w: neben Ziff. a. am Rand ergänzt 292 öffnendes Anführungszeichen fehlt 293 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 44. 294 x-x: über der Zeile 295 y-y: über der Zeile 296 z-z: über der Zeile 297 a-a: über der Zeile 298 b-b: unter der Zeile, eingewiesen 299 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 45. 300 c-c: am Absatzende angefügt 301 d-d: neben Ziff. b. am Rand ergänzt 302 e-e: über der Zeile 303 f-f: Einweisung 304 daneben am Rand (§. 39.) 305 g-g: unter der Zeile <?page no="215"?> 183 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) weißt keineswegs, daß sie eine ewige Materie behaupteten, h Es ist ihnen das Thohu Vabohu der Genes. I, 2 coll. Sap. XI, 18 ( εξ α Æ μορϕου υ ë λης ), - das Chaos im christlichen Sinne. h306 vielmehr deuten andere Stellen ihrer Schriften gerade auf das Gegentheil. Justin cohort. ad Græc. pag 23, i cap. 29. 30 i307 ; Tatian Orat pag 253; Clem. Cohort. ad Gentes pag 55; Strom. VI pag 816. - Sie bestreiten 5 sogar das anfangslose Dasein der Materie: wer ihre Gründe ken¯ en lernen will, lese Theoph. ad Autolyc. l. II. pag. 349, 350. - Lactant. instit. div. l. II. cap. 8 - Methodius de libero arbitrio in Phot. Bibl. cod. 236; 308 j M. II. § 129-133; pag. 49-55 praemittitur nro 1. mo j309 10 2. Dieße Grundlehren des Christentums wurden demungeachtet von einigen Män¯ ern bestritten, welche griechischer oder asiatischer Philosophie zugethan waren - So behauptete Hermogenes die Ewigkeit der Materie, weil er ohne sie den Ursprung des Übels für unerklärlich hielt, - und Gott ohne sie nicht von Ewigkeit Herr gewesen wäre: man sehe seine Behauptungen, so wie Tertul- 15 lians Gegengründe nach in des letztern Schrift adv. Hermog. cap. 2. 3. 310 - Die Gnostiker 311 behaupteten, nicht nur die Ewigkeit der Materie gleichfalls, sondern sie nahmen auch einen eigenen Weltschöpfer an, der zwar von Gott entsprungen, aber ihm an Vollkommenheit weit nachstehe. lib. de recta in Deum fide in opp. Orig. Tom. I. pag 841. 312 - Zu diesem Behufe dichteten sie gar 20 mancherlei Emanationen, und abentheuerliche Fictionen / Worüber Walch Ketzerhistorie I Bd; Beausobre histoire de Manichees; und Mosheim Commentarii de 93 rebus christianorum ante Constantinum nachzusehen ist 313 / Marcion insbesondere hielt den Teufel für den Herrn der Materie gegen welchen ein Aeon [oder von Gott erschaffenes höheres uneigentlich Gott zu nennendes aber weit unter 25 den einigen Gott stehendes Wesen] auftratt, Demiurg, oder Weltbildner, auch Jehova der Judengott, wurde, blos gerecht aber nicht gütig war, bis auch dieser Demiurg durch einen anderen Aeon Christus seiner Herrschaft entsetzt wurde u.s.w. k M. II. pag 55-57 k314 - Gegen diese Irrtümer bildete sich den¯ die katholische Lehre: daß der höchste Gott, der Vater J. Chr. auch zugleich der 30 Schöpfer der Welt und der Gott des A.B. sei. Man sehe Irenæus adv. hær. II. cap. 10; Tertull. de præfer. hæret. cap. 13; Origen. de princ. prooem pag 47; item Irenæus l. II. cap. 2. Tert. adv. Marc. l. I. cap. 13. 14; - cap 15. 315 l Vide n. 1. a. l316 306 h-h: Einweisung 307 i-i: Einweisung 308 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 49. 309 j-j: Verweis auf Münscher (2. Aufl.) am Rand neben Ziff. 2; darunter Vermerk zu einer späteren Vorlesungsdisposition 310 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 50. 311 daneben am Rand: Marcioniten. 312 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 51. 313 L: nach Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 52. 314 k-k: auf dem Rand (2. Aufl.) <?page no="216"?> 184 Johann Sebastian Drey m M. II. § 133. p. 57-61 adnectitur nr. 1. c. et fil d. m317 3. Ob vor dem zeitlichen Anfang dieser Welt nichts oder etwas gewesen sei, − das rechnete Origenes unter die unentschiedenen Stücke; deßwegen, obwohl er die Lehre einer unerschaffenen Materie verwarf, auch einen Zeitursprung 5 dieser Welt behauptete: de princ. prooem. Fragm. Com¯ . in Genesin T. II pag 2. 3. de princ. l. II. cap. 1. § 4; Com¯ ent. in Joh. Tom IV. pag. 19 − glaubte er doch eine unzählige Reihe von Welten annehmen zu dürfen, die vor dieser waren und nach ihr sein werden: de princ. l. III. cap. 5. § 3; Photii Bibl. cod. 235; diese 94 Meinung soll auch Clem. Alex. gehabt haben. Photii Bibl. cod. 109 − Ihn 10 suchte Methodius zu widerlegen Phot. Bibl. cod. 235. 318 * Athan. Orat. II. c. Arian. August. Conf. XI, 10 sq. de civ. Dei XI, 3-6. XII, 15-17. n d. Antheil des Sohns an der Schöpfung V. Nro. 5. n319 o M. II. § 134-137 o320 4. Den Zweck und die Absicht der Schöpfung betreffend lehrten die ersten 15 Väter, a) 321 daß Gott die Welt nicht um seines Bedürfnisses willen erschaffen habe. Athenag leg. pag 291; p Propter se Clem. R. I, 33; Tertull. Apolog. c. 17; Aug. de l. arb. III, 11. p322 − b) 323 daß die niedrigeren Geschöpfe um der höhern Willen, alle aber für den Menschen erschaffen seien. q Tatian. Orat. c. 7. q324 Tertull. adv. Marc. l. I. cap 13; Justin. Apolog. Mai. pag. 48. Orig. homil. in Genes. 20 Tom II pag 56; contr. Cels. l. IV. § 74; r et 99. VI, 60; r325 Lactant. de ira Dei cap. 10. 326 13; instit. div. l. VII. cap. 4 et 5; 327 s II, 8. 9. s328 t Cyrill. Cat. 12, 5; Basil Hexaem. hom. I. §. 5. 6. item homil. XX. §. 5. t329 - Die Gnostiker und Manichäer legten der Schöpfung dieser Welt einen Zweck unter, der ihrem übrigen Systeme angemessen war: man sehe Walch und Mosheim - Origenes 25 stim¯ te im allgemeinen mit der obenangeführten Lehre der andern Väter überein, erklärte sie aber dahin, daß die Körperwelt erschaffen sei, damit jedes vernünftige Geschöpf einen seinem vorherigen freien Verhalten angemesse- 315 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 55-56. 316 l-l: am Absatzende angefügt 317 m-m: Verweis auf Münscher (2. Aufl.) am Rand neben Ziff. 3; darunter Vermerk zu einer späteren Vorlesungsdisposition 318 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 57-60. 319 n-n: auf der Randspalte Seite 94 oben 320 o-o: am Rand neben Ziff. 4. 321 über der Zeile ergänzt 322 p-p: am Rand ergänzt; L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 61. 323 über der Zeile ergänzt 324 q-q: am Rand ergänzt 325 r-r: über der Zeile 326 über der Zeile ergänzt 327 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 62. 328 s-s: über der Zeile ergänzt 329 t-t: Einweisung <?page no="217"?> 185 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) nen Zustand fände. Dieße Ansicht gründete sich auf die Präexistenz der Seelen und andere dem Origenes eigene Ideen, die er an verschiedenen Orten vorträgt. Münscher II § 135 - Auch hier suchte Methodius den Origenes zu widerlegen: Photii Bibl. cod. 234. 330 u conf. M. II. § 137. u331,332 5 95 5. Über die Art der Schöpfung war es allgemeiner Glaube, daß der Vater die Welt durch den Logos erschaffen habe: den Antheil, den jeder dabei hatte, bestimmen sie nicht ganz gleich: Orig. adv. Cels. l. VI. § 60. Phot. Biblioth. cod. 235. Auch die Mosaische SchöpfungsUrkunde deuteten einige wörtlich Theoph. ad Autol. l II. pag 355; andere allegorisch Clem. Al. Stromat. VI pag 813; 10 Origen. contra Cels. l. VI. § 60; de princip. l. IV. pag. 174. 175. § 20 v (§. 7) v333 Die Lehre von dem Menschen und seiner Natur. M. II §§ 145-160 pag. 83-121. w334 Es ist begreiflich, daß im Anfange des Christentums über die eigentliche metaphysische Natur des Menschen wenige Begriffe vorhanden sein konnten. 15 Die biblische Lehre des Christentums enthält keine schulgerechte Psychologie, und im A.T. war über diesen Gegenstand weniger philosophirt worden. Das Heidentum selbst war dürftig in derlei Begriffen: die ganze alte Zeit war eine Zeit der Objectivität, des Hinaustrettens außer sich gewesen; erst durch das Christentum sollte der Mensch in sich selbst zurückgeführt, über sein 20 in¯ eres verborgenes Wesen aufgeklärt werden. Deßwegen lag wohl und ligt dem Ganzen des Christentums eine sehr bestim¯ te Anthropologie und Psychologie zum Grunde, aber sie konnte nur allmälig 96 herausgehoben werden. x pag. 83/ 4 x335 25 1. Die Kirchenlehre enthielt bloß die Begriffe von der Substantialität der Seele, von der Freiheit des Willens - von der Fortdauer der Seele, und von der Vergeltung. Uber ihren Ursprung und weiteres Wesen war am Anfange nichts bestimmt. Origen. de princip. prooem. pag 48. y pag. 85-87. y336 30 2. Indessen veranlaßte eben das Christentum durch seine anderweitigen dogmatischen und moralischen Lehren bald ein weiteres Forschen über die Natur 330 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 71. 331 u-u: am Rand neben Ziff. 5. 332 L: 2. Aufl., S. 72-74. 333 v-v: spätere Paragraphenangabe, dabei 7 über der Zeile, darunter gestrichen: 6. n. 3 334 w-w: auf dem Rand; Seitenangabe (2. Aufl.) mit hellerer Tinte ergänzt 335 x-x: auf dem Rand; 89 (2. Aufl.) mit hellerer Tinte korrigiert zu 83/ 4 (3. Aufl.) 336 y-y: auf dem Rand; Seitenangabe mit hellerer Tinte korrigiert, wohl 89-93 (2. Aufl.) überschrieben mit 85-87 (3. Aufl.) <?page no="218"?> 186 Johann Sebastian Drey des Menschen. Eine eigentlich aus der platonischen Philosophie herrührende durch die Bibel I Thess. V. 23; Hebr. IV. 12 nicht angefochtene Meinung herrschte damals: daß die Seele 337 oder eigentlich der Mensch aus drei Theilen bestehe - aus dem Geist - der Seele, - und dem Körper: jedoch dachten nicht alle Väter hierüber ganz gleich. z Den Unterschied S. Münsch. S. 85. z338 a Justin 5 in Dial. c. 4. a339 Tatian. Orat. pag. 253. b c. 7. et 12 b340 255; Iren. adv. hær. l. II. cap. 29. § 3; cap. 33. §. 4; l. V. cap. 6. 7. 9. 10. 12; Clem. Al. Strom. l. VI. pag. 808; Origen. l. III. cap. 4; item in Comm. in Matth. et epist. ad Rom. I, 18. 341 Andere, wie die Gnostiker behaupteten auch eine doppelte Seele, eine vernünftige und unvernünftige - Tertullian und Lactantius verwerfen den Unterschied zwi- 10 schen Seele und Geist, und lassen den Menschen blos aus zwei Theilen bestehen: de anima cap. 10. 11. 20. 21 Lact. de opif. Dei cap. 18; instit. l II. cap. 12. - Hieronym ad Hedibi. qu. 12; in Daniel. III, 39. Gennad. de D. E. c. 15. 20. c Theoph. II, 18. 28. Clem. Pædag. I, 3. Tertull. c. Marc I, 4 Lact. Opific. et inst. VII, 5. Basil. hom. 21, Greg. Naz. Or. 38 Ambros. de Parad. cap. 10. Hieron. 15 Comm. in epist. ad Philem. August. de Civ. D XIV, 11. c342 d pag. 87. d343 13 97 b) Uber die Natur der Seele selbst herrschten anfangs zwei verschiedene Vorstellungsarten - eine gröbere die die Seele für körperlich wenigstens körperähnlich hielt: Tertull de anima cap 5-14 et 37. Iren. adv. hæres. l. II. cap. 19 20 et 34; item l. V cap. 7 § 1; Tatian. Orat. adv. Græc. pag 235-256 344 ; Arnobius adv. Gent. l II. pag. 52; Theodotus apud Clem. Alex. e pag. 89. e345 - und eine feinere, die sie zwar für unkörperlich aber doch nicht ganz für immateriell hielten. Origen. princ. l. I. cap. 1. § 7; l. II cap. 2; exhort. ad Martyr. § 47 et alibi; Clem. Alex. Strom. l. VI. pag 766 ss. − − Ubrigens darf diese doppelte Vorstellungs- 25 art nicht befremden, und muß auf das in nro 1 Gesagte Rücksicht genom¯ en werden. f pag. 90. f346 3. Kein anderes Dogma das Wesen der Seele betreffend findet sich bei allen Vätern so entschieden, als jenes von der αυτεξουσια oder von der Freiheit. 30 g Man vergl. M. II § 214-227. g347 Clemens Alex. Strom. l. I pag. 368; l. IV. p 633; Justin. Apol. min. pag. 93; Dialog cum Tryph. pag. 186; Tatian. Orat. ad Græc. pag. 337 danach gestrichen: aus 338 z-z: dazu am Rand ergänzt 339 a-a: über der Zeile 340 b-b: am Rand angefügt 341 Kapitel- und Versangabe nachträglich eingefügt 342 c-c: Nachträge auf der Randspalte S. 96 unten 343 d-d: auf dem Rand; 93 (2. Aufl.) mit hellerer Tinte korrigiert zu 87. (3. Aufl.) 344 236 korrigiert zu 256 345 e-e: auf dem Rand; 95 (2. Aufl.) mit hellerer Tinte korrigiert zu 89. (3. Aufl.), davor gestrichen: pp 346 f-f: auf dem Rand; 97 (2. Aufl.) mit hellerer Tinte korrigiert zu 90. (3. Aufl.) 347 g-g: am Rand ergänzt (3. Aufl.) <?page no="219"?> 187 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) 249; Athenag. leg. pro Chr. pag. 362; Iren. adv. hær. l. IV. cap. IV. Theoph. ad Autol. l. II. § 27; Tertull. adv. Marc. l. II. cap. 6 et 7; Novat. de Trinit. cap. 1; Lact. inst. div. l. VII. cap. 5; Origenes de princ. l. III. cap. 1 et 4. § 2 et 3; in ep. ad Rom. l. I Opp. l. 4 et alibi. h pag. 99. h348 Die Valentinianer und nochmehr die Manichäer hatten abweichende Meinungen. 5 4. Uber den Ursprung der Seelen war nur Eines ent-schieden: daß sie ihn von 98 Gott haben. i pag 93. i349 Der größere Theil leitete denselben aus einer Art von Emanation aus dem Wesen Gottes selbst ab. Justin. Fragm. de Res; Dial. cum Tryph. pag. 106; Tat. Orat. pag. 253 ss; Tertull. de anima cap. 11 et 3; adv. Prax. cap. 5; Lact. Instit. l. II. cap. 12. − 350 Andere wie Origenes verwarfen alle Art 10 von Emanation; auch Clem. Al. Strom. l. II pag. 468 ss. − 351 Arnobius glaubte nicht, daß die Seelen von Gott geschaffen sein: adv. gent. l. II pag. 68-75. − 352 Die Gnostiker und Manichäer folgten den aeltern EmanationsTheorien. Iren. adv. hær. l. I. cap. 5 et 24. 5. Verwandt mit der Frage über den ersten und allgemeinen Ursprung der 15 Seelen war die zweite über die Art, wie die einzelnen Seelen entstehen, und sich zu ihren Leibern verhalten? In den frühesten Zeiten war hierüber wenig entschieden: deßwegen finden sich drei verschiedene Vorstellungsarten: j pag 95 j353 die erste der Tertullian k Tert. de anima c. 20-27 contra Plat. c. 32. 33. k354 zugethan ist, aber sonst keinen bekan¯ ten Vertheidiger hat l später Augustin 20 ambigue ep. ad Oceanum; später ein Theil der Orientalen teste Hieron. l355 , läßt die Seele zugleich mit dem Körper und durch Zeugung fortgepflanzt werden; seine Meinung und seine Gründe finden sich de anima cap. 20-27; ibid. cap. 32 et 33. m cf. Doed. § 162. Obs. 2. m356 − 357 Die andere, der Lactantius zugethan ist, und welche späterhin die herrschende wurde n durch Hieronymus n358 , läßt 25 die Seelen unmittelbar bei der Geburt von Gott erschaffen werden und in die Leiber wandern. Lact. Instit. div. l. III. cap. 18; de opificio Dei cap. 19. o Greg. 99 Naz. Orat. XXI. − Nyss. de hom. opif. Hilar. Tract. in ψ . 91. Hieronym. ep. 61 et al. Leo M. ep. 15. ad Turribium ad fidem catholicam recensat. Ambros. l. de Noe ¨. Hilar. L. X. de Trin. o359 , − 360 Die dritte, welcher mehrere frühere Väter und 30 348 h-h: am Rand ergänzt (2. Aufl.) 349 i-i: auf dem Rand; 100 101 (2. Aufl.) mit hellerer Tinte korrigiert zu 93. (3. Aufl.) 350 am Rand gestrichen: pag. 102 (2. Aufl.) 351 am Rand gestrichen: pag. 100 − 99 korrigiert zu 100 (2. Aufl.) 352 am Rand gestrichen: pag. 99 (2. Aufl.) 353 j-j: auf dem Rand; 103. 104 (2. Aufl.) mit hellerer Tinte korrigiert zu 95 (3. Aufl.) 354 k-k: Einweisung 355 l-l: Einweisung 356 m-m: am Rand ergänzt; L: Doederlein, Institutio 357 am Rand gestrichen: pag. 108 (2. Aufl.) 358 n-n: Einweisung 359 o-o: Einweisung 360 am Rand gestrichen, undeutlich: pag. 104 107 (2. Aufl.) <?page no="220"?> 188 Johann Sebastian Drey namentlich Origenes zugethan waren, läßt die Seelen schon vor der Bildung des Leibes existiren, und zur Strafe zugleich, und zur Reinigung in die Körper von Gott gesetzt werden. De princ. l. I. cap. 8; In cant. Cantic; Comment in Joh. et Matthæum. et alibi. p Justin. Dial. c. T. c. p361 q Clem. Al. Strom. l. IV. et ap. Phot. cod. 109. Pierius et 362 Pamphilius apud eundem cod. 119. Damnata sententia in c. 5 Const. II. a. 553 can. 1. adv. Orig. q363 Die Gnostiker hatten dieselbe Meinung; Clem. Alex. Strom. l. IV. pag 534. 600. - Schon die Essener Joseph. de bell. jud. l. II. cap. 8; und Philo hatte die Idee − r Der Orient. Herodot. II, 25. r364 Den darüber hart angegriffenen Origenes vertheidigte Pamphilus. Phot. Bibl. cod. 119. 365 10 s M. pag. 101. s366 6. Die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele oder eigentlich von ihrer unmittelbaren Fortdauer nach dem Todte des Körpers gieng anfangs, wenigstens bei den Vätern, deren Schriften wir noch haben, - nicht über den Buchstaben der Schrift hinaus, d.h. sie enthielt nicht mehr als was im All- 15 gemeinen dort von Belohnung und Strafe in einem andern Leben ausgesprochen ist: da nun in der Bibel nichts von einer natürlichen aus dem Wesen der Seele fließenden Unsterblichkeit vorkömt, so finden wir auch bei den 100 aeltesten Vätern nichts hievon. t pag. 108-110 t367 Nach der Lehre des Justinus, des Tatianus, und des Theophilus ist die Seele von Natur aus, also mit 20 Nothwendigkeit weder sterblich noch unsterblich, sondern für sich indifferent: sie kan¯ aber beides werden: sterblich durch Sinnlichkeit, fleischliches Gelüsten, und das Weichen des unsterblichen göttlichen Geistes; unsterblich durch eben diesen Geist und den Gehorsam gegen ihn. Indessen folgt daraus keineswegs, daß sie die Unsterblichkeit überhaupt geläugnet hätten: vielmehr 25 ist dieß ihre 368 Meinung; die Seelen der Frommen sterben vermöge des ihnen mitgetheilten göttlichen Geistes ohnehin nicht, die Seelen der Bößen aber würden mit dem Körper natürlicherweiße sterben, wen¯ nicht 369 Gott sie zur Strafe beim Dasein erhielte gleich nach dem Todte, oder sie bei der allgemeinen Auferstehung dazu erweckte. Justin dial. cum Tryph. pag 107 ss. pag 200; 30 Tatian. Orat. adv. Græcos pag 254; Theoph. ad Autol. l. II pag 366-368. Man sieht, wie nahe dem Körperlichen verwandt sie die Seele sich denken. - Dießer Meinung ist auch Arnobius adv. gentes l. II pag 59 et ss. u pag. 112 113 u370 361 p-p: Einweisung in p-p 362 danach gestrichen: Euseb 363 q-q: Einweisung 364 r-r: über der Zeile eingefügt 365 am Rand: pag. danach gestrichen 106. 107. (2. Aufl.) 366 s-s: neben Ziff. 6 am Rand (3. Aufl.) 367 t-t: zum folgenden am Rand (Münscher, Bd. 2, 2. Aufl.) 368 seine korrigiert zu ihre 369 Einweisung 370 u-u: auf dem Rand (2. Aufl.) <?page no="221"?> 189 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) der sogar die Seele von Natur für sterblich hält, und die entgegengesetzte platonische Behauptung falsch und gefährlich nen¯ t, aus dem gleichen Grunde 101 warum wir des Arnobius Meinung für gefährlich halten, und auf eine natürliche Unsterblichkeit schließen. b. Indessen giengen doch die folgenden Väter über den Buchstaben der 5 Schrift hinaus, und fiengen an, durch die anderweitigen erhabenen Ideen des Christentums geleitet, die Seele ihrer Natur nach für unsterblich zu erklären. v pag 110 v371 Von Origenes erwartet man dieß ohnehin vermöge seiner ganzen christlichen Religionsphilosophie; er bestritt auch einige arabische Lehrer, welche ein temporäres Sterben der Seele gelehrt hatten: Euseb. hist. Eccl. l. VI 10 cap. 37; item de princ. l. IV. § 36; exhort. ad Martyr. − w pag. 110 w372 Irenæus adv. hæres. l. II, cap. 34; l. V. cap. 4 et 7 vertheidigt die natürliche Unsterblichkeit der Seele. − Tertull. de anima cap. 51 ebenfalls; zufolge seines Begriffes über den allgemeinen Ursprung der menschlichen Seele, was sonst nicht leicht von ihm zu erwarten war. − x 113-115 x373 Auch Lactantius der sich mit vielerlei 15 Beweißen darüber herausläßt, aus denen zu schließen ist, daß wenigstens die Seele nach ihrem ursprünglichen Zustand, und nach der Bestim¯ ung Gottes unsterblich ist. Inst. div. l. II. cap. 12; l. VII cap. 5. 9. 10 et 11. y pag 109. y374 102 7. Uber den Körper des Menschen urteilen selbst die katholischen Väter nicht 20 am günstigsten, die Gnostischen und Manichäischen Partheien nen¯ en ihn ohnehin, als etwas Materielles, absolut böß, ein Werk des Teufels. Man muß aber die katholischen Väter nicht misverstehen: wen¯ sie nämlich den Körper als böße und als ein Werkzeug des Teufels darstellen, wie z.B. Lactantius inst. div. l. II. cap. 12, so haben sie den durch den Sündenfall verdorbenen Körper, 25 den Sitz aller bößen Gelüste, im Auge: den ursprünglich erschaffenen Körper nen¯ en die meisten, Lactantius selbst, ein Ebenbild Gottes. Clemens Al. quis dives salvetur; und selbst Lact. inst. div. l. VII. cap 5 375 urtheilt günstiger; Origenes aber wie begreiflich weniger günstig. z pag 110. z376 30 8. Die biblische Lehre - daß der Mensch nach dem Ebenbild Gottes erschaffen sei - deuten sie nicht gleich - einige dehnen diese Aehnlichkeit auch auf den Körper aus: Justin Fragm. de Resurr. - Iren. adv. hær. l. V. cap. 6. § 1; welcher jedoch Bild und Aehnlichkeit Gottes unterscheidet, und letztere in die Bestim¯ ung zur Unsterblichkeit setzt l. V. cap. 16, et IV cap. 38; anderswo 35 371 v-v: zum folgenden am Rand (Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 110-112) 372 w-w: zum folgenden am Rand (2. Aufl.) 373 x-x: zum folgenden am Rand (Münscher, Bd. 2, 2. Aufl.) 374 y-y: neben Ziff. 7 am Rand; 117 (2. Aufl.) mit hellerer Tinte korrigiert zu 109. (3. Aufl.) 375 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 118. 376 z-z: neben Ziff. 8 am Rand; 118. 119 (2. Aufl.) mit hellerer Tinte korrigiert zu 110. (3. Aufl.) <?page no="222"?> 190 Johann Sebastian Drey auch in die Vernunft und Freiheit l. IV. cap. 4; so auch Methodius Phot. Bibl. cod. 234. a Lactant. de opif. D. Epiph. Hæres. 70. Das Urbild ist der λογοσ ενσαρκωθεισ ; so Justin, Irenæus, Tertullian. a377 b pag. 120. 121 b378 - b Andere setzen das Ebenbild Gottes in die Seele des Menschen und ihrer 5 Vorzüge mit Ausschlus des Körpers: als Tertull. adv. Marc. l. II cap. 5; de 103 baptismo cap. 5; - Clemens Alex. der auch wie Tertullian Bild und Aehnlichkeit unterscheidet. Strom. l. II. pag. 220, 480-500; l. VI. pag 798; V. pag 783; Protrept. pag. 78. Die Vorstellung desselben hat auch Origenes, der an vielen Orten davon redet c pag. 122 c379 : de princ. l. III cap. 6; contra Cels. l. IV pag. 522; 10 VI pag 680, homil. 1 in Gen., hom. 2 in Jerem; comment. in Joh; homil. VIII in Luc. et alibi; endlich Novat. de trin. cap. 1. d Augustin in ratione et libertate imaginem, in immortalitate et gratia sanctificante similitudinem ponit. d380 e Vernunft Theodoret in c. 27 Ez. Aug. Tract. 3 in Joh. freie Willensthätigkeit Leo M. Theodor M. 381 Tert. adv. M. I, 7-15. Hieron. Tit. Bostr. Ambros. 15 Damasc. Herrschaft über die Erde in die Vernunft u. Unsterblichkeit setzen sie das Ebenbild, in den guten Gebrauch der Freiheit die Aehnlichkeit mit Gott. e382 f Negare debuerunt Gnostici et Manich. pag 115. f383 9. Die Bestim¯ ung des Menschen war eine Idee, welche sie aus dem Ebenbilde 20 Gottes ableiten konnten. Ein guter Gebrauch der ihm anerschaffenen, durch Christus hergestellten Anlagen, und die solchen Anstrengungen entsprechende Seeligkeit ist diese Bestim¯ ung. Iren. adv. hær. l. IV. cap 4; Clem. Strom. l. II; Orig. de princ. l. III. cap. 6; Novat. de trin. cap. 1. Lactantius rechnet auch besonders die Verehrung Gottes zur Bestim¯ ung des 25 Menschen g p. 123. 124 g384 : de ira Dei cap. 14; inst. div. l. II. cap. 5. 10. Die Mosaischen 385 Nachrichten über die Schöpfung und Wohnung des ersten Menschenpaares legten einige buchstäblich aus h pag. 116 h386 wie Theophil. ad Autol. l. II pag. 362 ss. Tertull. apol. cap. 47; Irenæus adv. hær. l. I. cap. 5. Lactant. inst. div. l. II cap. 12; Tatian. Orat. ad græc. 30 104 377 a-a: zu Ziff. 8 am Rand ergänzt 378 b-b: neben Ziff. b am Rand (2. Aufl.) 379 c-c: daneben am Rand (2. Aufl.) 380 d-d: am Absatzende angefügt 381 unsicher 382 e-e: zu Ziff. 8.b am Rand der Seite 103 383 f-f: neben Ziff. 9 am Rand; beim Verweis auf Münscher, Bd. 2, 123 (2. Aufl.) mit hellerer Tinte korrigiert zu 115. (3. Aufl.) 384 g-g: auf dem Rand (Münscher, Bd. 2, 2. Aufl.) 385 im Original versehentlich: Mosaischung 386 h-h: am Rand; 124 (2. Aufl.) mit hellerer Tinte korrigiert zu 116 (3. Aufl.) <?page no="223"?> 191 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) i pag. 125. 126 i387 b. Die Alexandriner dagegen deuteten sie allegorisch, und hatten hierüber eigene Vorstellungen. Clem. Alex. Pæd. l. I. cap. 3; Strom. l. V. pag. 689 ss; Phot. Bibl. 109. Origenes adv. Cels. l. IV. 530 ss; de princ. l. IV. pag 175 11. In Absicht auf den ersten Zustand des erschaffenen Menschen - seine 5 Vollkommenheit betreffend - stellen sie ihn als Kind dar, mit den Anlagen und der Bestimmung sich allmälig zu entwickeln. j pag. 126-128 j388 Irenæus adv. Hæres. l. IV. cap. 38 § 1 et 3; Theoph. ad Autolyc. l. II pag 367; - Clem. Alex. Strom. l. VI pag. 788 et 632; - Origenes de princ. l. III. cap. 6. § 1 § 21. (§.8.) 389 Das Ganze der Schöpfung - oder die Lehre von den Engeln 10 k M. II §§ 111 - 126 k390 l pag. 1 - 3 l391 1. Dieße Lehre ist keine eigene des Christentums; es fand sie schon entwickelt bei den Juden und Heiden: wie viele Stellen des A. Testaments und die heidnische Mythologie hinlänglich beweißen conf. M. II. S. 2. 3. 15 2. Den Ursprung dieser Lehre unter Juden und Heiden nachzuweißen, ist hier der Ort nicht. Was die ursprüngliche Offenbarung; was der Glaube − die 14 105 ganze Schöpfung, auch die dem menschlichen Auge sich entziehenden Regionen sich beseelt und bewohnt zu denken; - was die ursprüngliche Vorstellung von Gott als dem Allesbewirkenden durch sich oder durch gewiße 20 Diener als die Werkzeuge seines Willens; - was der alles Abstracte personificirende DichterSinn; was überhaupt Anthropomorphismus und der nicht ermüdende Hang nach mythischen Sagen - was alle diese Ursachen zur Entstehung und Ausbildung der Dämonologie beigetragen haben mögen, wird nie ganz mit Zuverläßigkeit entschieden werden können; aber zuverläs- 25 sig ist es, daß man der sogenan¯ ten Uncultur zuvielen Antheil an derselben Lehre beigemessen hat: conf. M. II. pag. 2. 392 m pag. 3. 4 m393 3 Ebenso findet sich theils in den Schriften der Juden, theils in den Sagen der andern Völker die Unterscheidung von guten und bößen Engeln, und na- 30 mentlich von einem Fürsten der bößen Geister ............................................................................ 394 . Die Lehre von den zweierlei 387 i-i: auf dem Rand (2. Aufl.) 388 j-j: auf dem Rand (2. Aufl.) 389 spätere Paragraphenangabe mit heller Tinte 390 k-k: neben dem Paragraphentitel am Rand 391 l-l: neben Ziff. 1 am Rand (Münscher, Bd. 2, 2. Aufl.) 392 daneben am Rand wiederholt: pag. 2. 393 m-m: neben Ziff. 3 am Rand (2. Aufl.) 394 auf den Seiten 105-111 einige Unterstreichungen mit blaßroter Tinte <?page no="224"?> 192 Johann Sebastian Drey Gattungen der Engel bildete sich in den verschiedenen ReligionsSystemen ....................................... nach dem eigenen Geiste der letztern .............................................................................. aus. M. II. § 112. n p. 5 n395 4. Christus und seine Apostel behielten die Lehre von den Engeln bei, wie sie unter den Juden sich entwickelt hatte. Wenigstens findet man nicht, daß sie in 5 Be-zug auf diese Lehre irgend ein Vorurtheil bestritten hätten: vielmehr 106 scheint Jesus und seine Apostel noch neue Aufschlüße darüber gegeben zu ................................................................................................................................................ haben ............ . Conf. M. II. § 113. p. 6 396 - Ebenso behielten die ersten Christen diese christliche Dämonologie bei, ohne darinn eine Accomodation zu finden; ja sie verwebten diese Lehre in das ganze System des Christentums ............................................................................................................................. . M. II. § 114. p. 10 6. 7. 397 - Unser Geschäft ist, eben diese Verwebung zu zeigen: denn gerade dadurch erhielt die biblische Dämonologie wiewohl nicht viele, doch einige Erweiterung und Zusätze: − und hier handeln wir zuerst - A von den guten Engeln. o p. 8. 9 o398 15 5. Uber das Dasein und den Ursprung der guten Engel war unter den Orthodoxen nur eine Meinung, daß Gott viele dergleichen erschaffen habe. Origen. de princ. prooem. § 10. 399 − p. 9 400 Einige häretische Parteien hielten sie nicht für permanente Substanzen, wahrscheinlich nach der Erklärung der Sadduzäer : Justin. dial. cum Tryph. pag. 221 : andere p p. 9. 10. p401 wie die 20 Gnostiker, vielleicht auch Lactant. inst. div. l. IV cap. 8. ................................................................................................ leiteten ihren Ursprung durch eine besondere Emanation aus Gott ab. ......................................................................... q Justin. dial. cum Tr. c. 57. Athenagoras Legat. c. 24. Euseb. præp. evang. l. 7. dem. L. III, 5 Tertull. Apol. c. 22. de anima. 37. Lactant. Inst. IV. 8. Athanasius 402 de essent. Patris Hilar. Tr. in ψ . 129. Basil. in ψ . 32. Epiphan. Hær. 65. August. de Civ. Dei. V, 19; XI, 9. ψ . 25 103. Theod. epist. d.d. c. 5. Greg. M. epp. V, 54. q403 − r p. 10. 11. r404 b) 405 Die Zeit ihrer Schöpfung war durch die Kirchenlehre nicht bestim¯ t, und ist es noch 107 nicht: indessen scheint es doch herrschende Meinung gewesen zu sein, daß die Geisterwelt lange vor der Körperwelt erschaffen worden. s Herm. Past. Sim. V. §. 5. s406 Origen. Comm. in Matth. Tom. III pag 692. Novatian de trin. cap. 1; Tatian 30 395 n-n: neben Ziff. 4 am Rand 396 Seitenangabe am Rand 397 Seitenangaben am Rand 398 o-o: neben Ziff. 5 am Rand 399 Paragraphenangabe über der Zeile ergänzt 400 Seitenangabe am Rand 401 p-p: auf dem Rand 402 August. überschrieben mit Athanasius 403 q-q: auf dem Rand 404 r-r: zu Ziff. b) am Rand 405 über der Zeile ergänzt 406 s-s: über der Zeile <?page no="225"?> 193 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) Orat. ad Græcos t cap. 5 t407 u Chrysost. homil. 5 in Joh.; Hieronymus in Tit. cap. 1; Joh. Damasc. de orth. fide l. 2. cap. 3. − Prima die. Theod. Mops. l. I. in Gen; Augustin. (et Lombardus) de civ. Dei lib. 2. cap. 9. − Post hominem Gennad. de dogm. eccles. u408 v p. 11. 12 v409 5 6. Uber die Natur der Engel - der guten - haben sie sehr große Begriffe. - A. 410 Es sind sehr vollkom¯ ene seelige Geister Clem. Al. Strom. l. VII. pag 831; - mit freiem Willen begabt: Justin. dial. cum Tryph. pag 186; Athenag. Legat. pag. 302; Iren. adv. hær. l. IV, cap. 37. Clem. Al. Strom. l. VII seq; Origen. princ. l. I cap. 5 et 8 et alibi w in Prooem. w411 x Lactant. Inst. div. IV, 8; Hilar. Comm. in 10 Matth. 18; Basil. de spir. S. c. 16. Leo M. ad Theod. ep. 15. c. 6. x412 - B 413 Daß die Väter der ersten Zeiten den Engeln keinen groben Körper nach Art des menschlichen beilegten, ist gewiß; daß sie aber dieselben doch nicht überhaupt ohne Körperlichkeit .......................................... dachten y Ohne Körper Orig. Greg. Naz. Orat. II et XXIX; Greg. Nyss. de vita Mosis; Greg. M. Moral. L. IV. c. 19. Cyrill. Al. in Joh. 15 IV, 10. Nic. II. in Symb. α Æ σοματουσ . y414 − erhellt aus Tertull. adv. Marc. l. II. cap. 8; de carne Christi cap. 6; Origen. de princ. l. I cap. 6 et 7; de Orat. Op. Tom. I pag. 268; Phot. Bibl. cod. c. V; aus ihren Meinungen vom Fall der Engel, und daß diese eine Speiße genießen Justin dial. c. Tr. pag 154; Clem. Pæd. l. I. cap. 6; - bestättigt: conf. Psalm. 78, 25. Sap. 25, 2. IV Esdr. I, 19. 20. z Nur corpus vel 20 carnem ad tempus apparitionis, aber nicht carnem propriam et manentem - nahmen die Väter an. z415 a p. 13. 14 a416 7. Eine Eintheilung der Engel in verschiedene Ordnungen - lag zum Theil schon im alten Testament ................................. ; auch im Neuen ..................... : Col. I, 16; Ephes. I, 21; sie findet 25 sich daher auch bei den Vätern .............. . b Ignat. ad Smyrn. VI; ad Trall. c. 5. αγνωστα ad 108 Col. I, 16. b417 Iren. adv. hær. l. II cap 30; Orig. de princ. l. I. cap. 5; Clem. Strom. l. VI. pag 813; item Orig. de princ. l. I. cap. 8 et al. c Die nachher übliche Eintheilung in 9 Chöre findet sich zuerst in den ap. Constit. l. VII. c. 35; VIII. c. 1-2. c418 − Am meisten ausgeführt ist diese Stuffenfolge in der cælestis ............. 30 hierarchia .................. des Pseudodionysius .................................. : d doch nur allmählig angenommen von, d419 407 t-t: über der Zeile 408 u-u: am Absatzende und am Rand (ab Tit. cap. 1) angefügt 409 v-v: neben Ziff. 6 am Rand 410 Ziff. A. nachträglich eingefügt 411 w-w: über der Zeile 412 x-x: Einweisung zu A. 413 Ziff. B nachträglich eingefügt 414 y-y: Einweisung zu B 415 z-z: Einweisung 416 a-a: neben Ziff. 7 am Rand 417 b-b: Einweisung 418 c-c: Einweisung 419 d-d: am Absatzende angefügt, letztes Wort undeutlich <?page no="226"?> 194 Johann Sebastian Drey e August. ad Oros. c. 11 dubitat. e420 f primo loco κυριοτητεσ . secundo αιωνεσ κ. στρα τιαι . f421 8. Uber die Geschäfte der Engel ist in einem Hauptpuncte eine allgemeine Ubereinstimmung: daß sie unter der allgemeinen Regentschaft Gottes die Sorge und Einrichtung der einzelnen Dinge tragen. g p. 15. 16 g422 Schon im 5 A.T. findet diese dem menschlichen Geiste so naheliegende Vorstellung ihre Bestättigung, wiewohl durch einen Fehler der 70 Ubersetzer ..................................................... h −− 17 h423 : im N.T. wird sie bestättigt und daher findet sie sich bei allen Vätern fast ohne ................................................................................................... Ausnahme ...................... . Herm. Past. Vis. III: Papias in Grab. Spicil. P.P. Justin. apol. min. l.c. 424 pag. 92; Athenag. Leg. pro Chr. c. 24 425 pag 287 ss. Clem. Strom. l. V; i et 10 VIII. i426 pag. 650; Tert. adv. Prax. cap. 3; Orig. adv. Cels. l. V; Homil VIII in Numer; homil. XI j et XX j427 in Num; homil. XXXV in Luc; item homil. XII in Luc. prooem. 428 10. k ad 8. Euseb. dem. evang. l. III. c. 5 Hilar. an. in ψ 134. Athan. c. Ar. Orat. 4 et Orat. 2 Basil. c. Eunom. L. III, 1. Comm. in Jes. cap. 8 Greg. Naz. Orat. 40. 15 Ambros. l. de viduis Hieron. in Ecclen. c. 8 429 ; in Matth. 18; Jesaj. c. 66; Zach. 14. Chrysost. homil. 14 in ep. ad Hebr. August. in ψ . 103. Cyrillus Al. contra Julian L. IV. Theodoret. in Dan. Orat. 10. k430 b) Ebendaher rührt es, daß viele einzelne Geschäfte ....................................... den Engeln angewiesen; und diese davon benamset werden. l p. 18. 19 l431 Nach Origenes ist Raphael der 20 Engel der Kranken. Gabriel der Kriege, Michael des Gebetes. de princ. l. I cap. 8; christliche Gemeinden haben Engel nach Apocal. I, selbst die Erde, das Wasser, die Thiere. homil. in Jer. X ma ; homil. XIV in Num; adv. Cels. l. VIII pag 109 764; sie bringen die Gebete zu Gott, und den Segen herab, flößen gute Gedanken und Kräfte in der Versuchung ein: ib. l. V. pag. 579. - In demselben 25 Sin¯ e theilen nach Clem. Strom. VI. cap. 17 die Engel unsichtbare Wohlthaten aus, gaben den Griechen ihre Philosophie: ib. l. VII pag. 839; u mehr anderes Pædag. l. II. cap. 9. - Es giebt Bußengel Herm. Past. mand 1 et 4; Bethengel Tertull. de orat. cap. 12. - 420 e-e: am Rand; Schriftduktus wie d-d 421 f-f: an e-e anschließend; veränderter Schriftduktus 422 g-g: Seitenangaben zu Münscher am Rand (Bd. 2, 2. Aufl.) 423 h-h: Seitenangabe am Rand 424 über der Zeile 425 Kapitelangabe über der Zeile 426 i-i: über der Zeile 427 j-j: über der Zeile 428 davor gestrichen de Princ. 429 7 korrigiert zu 8 430 k-k: neben Ziff. 8 am Rand 431 l-l: Seitenangabe am Rand <?page no="227"?> 195 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) Die gnostischen Parteien knüpften an die Lehre von den Engeln ihre eigenen Meinungen von der Unordnung in der Welt an, denen sich Athenag. leg. pag. 303 nähert. m p. 17. 18 m432 p. 20 433 9. Daraus begreift man leicht, wie sich frühzeitig der Begriff von besondern 5 Schutzengeln auch unter den Christen festsetzen konnte, der bei den Heiden und bei den Juden schon vorhanden war. Act XII, 15; Matth. XVIII 10. − 21 434 - Einige geben dem Menschen einen guten und bößen Geist zugleich bei: − 21 435 Testam. Jud. in Grab. Spic. Sec. I. Herm. Past. Mand. 6; - 23 436 Tertull. de anima cap. 57; Lactant. inst. div. l. II. cap. 14; - - einige nur einen 10 guten: −− supr. 437 Clem. Strom. l. V pag. 701; − 22 438 Origenes nur einen alternativ: Comment. in Matth. Tom. III. pag 644; homil. XX in Numer; Comment. in Matth. pag 606; bald zwei: homil. XI in Luc; hom 35; bald viele: homil. 23 439 in Jes. Nave. n Unum: Basil. homil. in ψ 48. §. 9 Chrysost. homil. 14 in Hebr. c. 8; Hier. in Matth. 18, 10. Theodoret in Dan. Orat. 10. - de fidelib solum exponunt n440 15 10. Spuren von Verehrung der Engel lassen sich nicht läugnen, wiewohl man 110 den Heiden gegenüber ....................................... hierinfalls sehr behutsam war. o p. 24 25 26 27. o441 Athenag. leg. pro Christo pag. 292; Iren. adv. hær. l II. cap. 32; Clem. Strom. l. VII. pag 881 ss. - Origenes adv. Cels. l. V. T. I pag. 579 ss .............................................................. ; l. VIII pag 751; Origenian .................. Huet. Op. Tom .............................. . IV. pag 174; Euseb. Praep. Evang. .......................................... l. VII cap 15. 20 §. 22. B Von den bößen Engeln M. II § 121-126 442 1. Das Dasein derselben ................................... war allgemein als Kirchenlehre anerkan¯ t. p M. II. pag 28 29 30 p443 Orig. de princ. q in prooemio §. 6. q444 - Ebenso daß sie von Gott, ursprünglich gut ................................... - und mit Freiheit begabt ........................................ erschaffen worden - durch deren ........... 25 Misbrauch ...................... gefallen sein. Hingegen die Gnostiker .............................. hielten mit den Manichäern den Teufel für das böse Grundwesen, also nicht von Gott erschaffen. M. II. § 121 432 m-m: Seitenangabe am Rand 433 neben Ziff. 9 am Rand (Münscher Bd. 2, 2. Aufl.) 434 Seitenangabe am Rand 435 Seitenangabe am Rand 436 Seitenangabe am Rand 437 Verweis am Rand 438 Seitenangabe am Rand 439 über der Zeile 440 n-n: Ergänzung zu Ziff. 9 am Seitenrand 441 o-o: Seitenangaben zu Münscher (Bd. 2, 2. Aufl.) neben Ziff. 10 ohne eindeutige Zuordnung untereinander am Rand notiert; auf den Seiten 110-111 mehrere Unterstreichungen mit roter Tinte (hier punktiert) 442 Angaben zu Münscher (Bd. 2, 2. Aufl.) neben dem Paragraphentitel am Rand 443 p-p: Seitenangaben zu Münscher neben Ziff. 1 untereinander am Rand notiert 444 q-q: Einweisung <?page no="228"?> 196 Johann Sebastian Drey r ad. 1. Just. Apol. I, 28. Athenag. L. c. 24. 25. Tatian. Or. c. 7 Iren. l. V. IV, 40. Tertull. Apol. c. 22. Origenes l. c. Lact. Inst. div. II, 9. 15. Euseb. dem. Ev. III, 5. Athan. de virg. Cyrill. H. Cat. II, XVI. Basil. in Jesaj. c. 9. − hom. IX. c. 9. Ambros. ep. 84. Hieron. in Ezech. 2. cap. 16. August. de genesi ad lit. II, 14; de civ. Dei VIII, 22; ad Julianum comitem. Lat. IV. c. 1. cf. Brenn. n. A. pag. 233. − r445 5 b. 2. Die Ursache und Veranlassung des Falls setzen einige Kirchenlehrer in Untreue des Berufs ........................................ a) 446 − 30 447 böße Begierden ................................. - Hochmuth ...................... b) 448 - Neid .......... 111 c) 449 31 450 bei dem Satan oder Fürsten der Teufel. 31 451 - b) Als Ursache der Sünde bei den übrigen Engeln geben sie an, was I B. Mos. VI, 2 steht, 32 452 10 worüber sie schon Philo’s u. Josephus Erklärung u. a. vor sich hatten: nämlich einen fleischlichen Umgang der Engel mit den Töchtern der Menschen ........................................................................................................................................ . d) 453 33 454 Eines Parachronismus können sie um deßwillen nicht beschuldigt werden. / M. II. § 122 / s ad 2) a) Method. Tyr. Phot. Bibl. c. 243 b) Orig. hom. IX in Ezech. Euseb. dem. 15 Evang. IV, 9. August. de catechiz. rud. 30; Enchirid. c. 28. c) Iren. IV, 40; Lact. Inst. div. II, 8; Greg. Nyss. Orat. cat. c. 6. Cass. collat. VIII, 10. d) Fere omnes usque ad Chrysostomum, qui homil. 22 in Genes. cum August. de civ. Dei XV, 22 sq. Cyrill Alex. contr. Anthropomorph. c. 17; c. Julian. IX, 97; Theodoret. Quaest. 47 in Gen istam explicationem rejecit. s455 20 3. Ihre Natur schließt einen Körper nicht aus 34 456 / vergl. § 21. nro 6/ - b) noch Nahrung und Wohnung. - c) An Kenntnis u. Macht sind sie den ................................................................................ Menschen überlegen ........................................... 35 457 4. Ihr Bestreben geht unaufhörlich dahin 36. 37 458 - physisches und moralisches Ubel zu stiften, als a) 459 Abgötterei, b) Zauberei ................................................... , c) Krankheiten, d) .................................. 25 Gottlosigkeit, Unglaube ................................................... - e) Einige schreiben jedem Menschen wie einen eigenen guten, so auch bößen Dämon bei. - 38. 39 460 f) Die nachtheiligen 445 r-r: Ergänzung am Rand neben Ziff. 1; mit dem abschließenden Literaturverweis dürfte (trotz »n.A.«) gemeint sein: Friedrich Brenner, Freye Darstellung der Theologie, Bd. 2 (1816). 446 über der Zeile 447 Seitenangabe zu Münscher am Rand neben Ziff. 2. 448 über der Zeile 449 über der Zeile 450 Seitenangabe am Rand 451 wiederholte Seitenangabe am Rand 452 Seitenangabe zu Münscher am Rand 453 über der Zeile 454 Seitenangabe am Rand 455 s-s: Ergänzung zu Ziff. 2. am Rand der Seite 111 456 Seitenangabe zu Münscher am Rand 457 Seitenangabe am Rand 458 Seitenangabe am Rand 459 über der Zeile eingefügt, ebenso die folgenden Ordnungsbuchstaben b) - f) 460 Seitenangabe am Rand <?page no="229"?> 197 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) Folgen, die diese Vorstellungen im praktischen Leben der Menschen hervorbringen könnten, suchen die Väter durch viele religiöße Betrachtungen ............................................................................ zu entkräften. 5. Was die Strafen der bößen Engel betrifft, 40 461 so stimmen die meisten 112 Lehrer darinn überein, daß sie in ihrer vollen Strenge erst beim Weltgericht 5 anfangen werden. − 41 462 Uber das endliche 463 Schicksale derselben ist schon in der ersten Zeit die Meinung derer, die die bößen Engel auf ewig verdammen, überwiegend über die gelindere t des Clem. Al. Strom. I, 17; Orig. hom. 8. in Exod.; de princ. III, 6. t464 u Just. Apol. I. c. 28 II. c. 8. Tatian Orat. c. 10. Tertull. ad scap. 2 Apol. 23. Orig. c. Cels. VII. §. 4. Lact. inst. div. II, 16. VII, 26 Hil. in 10 ψ . 116, 11. Athan. de incarn. V. Cyrill. H. Cat. IV, 1. Ambros. de fide V, 4. Hier. Apol. II. adv. Ruf.; in Jesaj. 24. Aug. de civ. Dei XXI, 17. u465 § 22 (§. 9) Lehre von der Vorsehung M. II. § 138-145 466 Dieße, wie anderwärts gezeigt worden - dem Xtum eigentümliche, durch es 15 zuerst klar ausgesprochene Lehre gehört unter diejenigen, welche gleich am Anfang besonders im Gegensatz gegen das Heidentum entwickelt werden mußten. - Vergleiche § 10. 18 v / Flav. Jos. Ant. l. XVIII cap. 1; de bello Jud. l. II cap. 8 v467 2. Daher finden wir sie gleich in der ersten Zeit dem Schicksalsglauben der 20 Heiden, w der Epicuräer u. w468 besonders der Stoiker, so wie der damals herrschenden astrologischen Vorstellung von dem Einfluß der Gestirne auf die menschlichen Begebenheiten und Handlungen entgegengesetzt. pag. 74-78. 469 x Clem. Strom. I et VI; Athenag. Leg. c. 12; Orig. Comm. in Genes (I, 14) Diod. Tars. apud Phot. c. 223. August. de civ. Dei. V, 1. Nemes. de nat. hom. c. 35-39. x470 25 3. So sehr aber die christlichen Lehrer die Vorsehung behaupteten, allen 15. 113 Zufall und alle blinde Nothwendigkeit ausschließend, so weit waren sie entfernt, durch die göttliche Regierung die Freiheit des menschlichen Willens aufzuheben. Justin in Apol. maj. - Origenes in l. V. adv. Cels. § 21 471 item comm. in 461 Seitenangabe am Rand 462 Seitenangabe am Rand 463 davor gestrichen S 464 t-t: am Absatzende angefügt 465 u-u: Ergänzung am Rand zu Ziff. 2. 466 Angaben zu Münscher (Bd. 2, 2. Aufl.) neben dem Paragraphentitel am Rand (bei Münscher endet das Kapitel mit § 144). 467 v-v: am Absatzende angefügt 468 w-w: über der Zeile eingefügt 469 Seitenangabe zu Münscher am Rand neben Ziff. 2. 470 x-x: Ergänzung am Rand zu Ziff. 2. 471 Paragraphenangabe über der Zeile <?page no="230"?> 198 Johann Sebastian Drey Genes. pp − pag. 78. 79 472 y 2 Beweise aus der Erfarung. Lactant. de opif. D. c. 473 . Clem. Strom. V.; VI - Lact. instit. I, 2. Basil. Hexaem. 6. 7; Ambr. Hex. VI, 4; Theod. de Provid. orat. 2; Salvianus de gubern. Dei. L. 8 (5 ff) Orosius y474 4. Ubrigens haben mehrere Väter jener Zeit die Vorstellung, daß zwar Gott die Aufsicht über das Ganze führe, die Besorgung des Einzelnen aber den 5 Engeln übertragen habe. pag. 80 475 z Just. Dial. c. Tr. p. 218; Clem. Strom. l. VI pag. 821 ss; Novat. de Trin. cap. 8. z476 a 4. 477 Specielle Vors. Clem. Strom. L. VII. Novat. d. Trin. c. 8. Nemes. c. 44 August. de Genes. ad lit. IV, 12. NB - Hierony. Chabac. I, 14. a478 4. 479 In Absicht auf die Theodicee selbst, d.h. die Frage wie das Ubel in der 10 Welt mit einer gütigen und heiligen Vorsehung sich vereinigen lasse - waren die Erklärungen nicht gleich, wen¨ es schon die Tendenz war. Die Gnostiker nahmen ihre Zuflucht zu einer ursprünglich bößen von Gott nicht geschaffenen Materie, pag. 81 480 die Manichäer zu einem doppelten Grundwesen; - selbst noch Lactantius, instit. l. II. c. 8 vergl. mit l. II cap. 12; V. cap. 7; de ira 15 Dei cap. 13 − nähert sich der Erklärungsart der Gnostiker − 82.83 481 − Die meisten stim¯ en darinn überein a. Daß das Böße nicht von Gott herkom¯ e - auch nicht von einer ursprünglich bößen Materie − 83-88 482 b. Daß man zwischen dem moralischen und physischen Ubel unterscheiden 20 114 müße. Tertull. Justin. Athenag. Theophilus. Origenes. b Nur jenes nicht dieses ist ein w. Uebel. Basil. Tert. a-d. Tatian. Or. c. 19. b483 c. Das moralische Ubel schreiben alle dem freien Willen des Menschen zu, den Gott nicht aufgeben könne, ohne auch das moralischgute mit aufzuheben. Clem. Alex. unterscheidet hiebei zuerst einen wirkenden und zulassenden 25 Willen Gottes. c Athan. adv. gent. c. 3-6; adv. Apollin. c. 6.7. c484 d. Das physische Ubel betrachten die meisten als eine nothwendige Folge des moralischen: wie Tertullian, Theophilus, Tatian 485 , Origenes: andere schreiben es 472 Seitenangabe zu Münscher am Rand neben Ziff. 3. 473 Kapitelangabe fehlt 474 y-y: Ergänzung am Rand neben Ziff. 3 (Bezifferung zu Beginn der Marginalie wohl versehentlich nicht korrigiert) 475 Seitenangabe zu Münscher am Rand neben Ziff. 4. 476 z-z: am Absatzende angefügt 477 5 überschrieben mit 4 478 a-a: Ergänzung am Rand neben (der ersten) Ziff. 4 479 Bezifferung nicht korrigiert 480 Seitenangabe zu Münscher am Rand 481 Seitenangabe zu Münscher am Rand 482 Seitenangabe zu Münscher am Rand 483 b-b: am Absatzende angefügt 484 c-c: am Absatzende angefügt 485 über der Zeile eingefügt <?page no="231"?> 199 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) der Nachläßigkeit der Engel wie Athenagoras, - oder dem Satan zu, wie Justin und Tertullian theilweise 486 ; so daß sie hierüber die waltende Vorsehung und heilsame Zwecke annehmen, worüber sich Clem. Alex. und Origenes weitläufiger auslassen d Greg. Naz. Theodoret. L. IX. c. Græc. zur Schönheit u. Manchfaltgkt. d487 - der letzte gründet auf seine Theodicee sein ganzes theologisches 5 System. S. oben § 19. nro 4 e Athanasius adv. Gent. cap. 3; de incarn. c. 4. e488 f Justin dial. p. 197 - Apol. M. 46. - min. ap. 94. Athen. Legat. p. 303. Theoph. Aut. II, 17. Tert. a. Marc. II, 6. Clem. Al. Str. I. 367. - - IV. 602. Cypr. ep. ad Dem. Orig. de Pr. II, 9. - - III, 2 - a. Cels. IV. 553 ss - VI - Hom. XIV in Num. - in Joh. T. IV. p. 65. Arnob. a G. L. II. Lact. Athanas. folio sep. not. m. XLIII. 10 Basil. Hexaem. hom. II. Greg. Naz. Or. XVI. Augustin de Genes. ad lit. c. 5; de civ. Dei L. 489 . in ψ . 54. - Theodor. − et contra Græc. L. IX f490 § 23 (§ 9. B.) Von dem Ursprung der Sünde M. II §§ 160-174. 491 1. Die Frage nach dem Ursprung des moralischen Übels ist schon an sich mit 15 den Untersuchungen über die Vorsehung verknüpft; - die Theodicee der aeltesten Väter vorh. § - wieß auf dasselbe als die Ursache alles andern hin - die große und allgemeine Voraussetzung des Xtums, allgemeiner moralischer 115 Verfall der Menschheit treibt zu Untersuchungen über den Ursprung und die Veranlassung desselben so gerade, daß wir uns nicht wundern dürfen, solche 20 Untersuchungen auch jetzt schon angestellt zu finden, wenn gleich eine umfaßende systematische und mehr speculative Behandlung dießes Gegenstandes erst in spätern Zeiten eintretten konnte, nachdem gewiße andere Lehren des Xtums, die mit ihr in der engsten Verbindung stehen, schon weiter entwickelt waren. Die gegenwärtige Lehre gehört also zu denen, deren Keime bloß in die 25 gegenwärtige Periode fallen, die aber erst später für sich eine Epoche beginnen konnten. 2. Den Anfang der Sünde in der Welt, d.h. - den Ubergang aus dem ursprünglich vollkommenen Zustand in den schlechtern, dergleichen alle Mythen der Völker enthalten - erklären alle aeltesten Väter nach der aeltesten 30 ebräischen Urkunde, die bei den Christen wie bei den Juden göttliches Ansehen hatte. pag. 130 492 Nur darin¯ weichen sie von einander ab, daß 486 über der Zeile 487 d-d: zwischen den Zeilen ergänzt 488 e-e: am Absatzende angefügt 489 Buchangabe fehlt 490 f-f: Ergänzung zu der zweiten (nicht korrigierten) Ziff. 4 am Rand der Seite 114. 491 Angaben zu Münscher (Bd. 2, 2. Aufl., S. 130-164) neben dem Paragraphentitel am Rand 492 Seitenangabe zu Münscher am Rand neben Ziff. 2. <?page no="232"?> 200 Johann Sebastian Drey a) Einige Väter, wie Justin - Tatian - Theophilus Irenaeus, Tertullian, Lactantius eine wahre Geschichte annehmen, dem Wortverstand folgen, und den Anfang der Sünde einer Versuchung des Teufels zuschreiben − pag. 130-132 493 b. Andere aber, wie einige Gnostiker, und selbst Clemens Alex. und Origenes, 5 116 eine Allegorie sehen, worunter entweder Wohllust, verbotener Beischlaf - oder die geheimere Geschichte des Menschen abgebildet sei g pag. 132-135 auch Greg. Nyss. u. Chrysostomus g494 Münscher II. p. 135. 136 §. 164. 495 10 3. Wie aus der ursprünglichen Verirrung des ersten Menschenpaars die allgemeine moralische Verdorbenheit, von der die Bibel A. u. N. T. deutlich spricht, habe hervorgehen können, darüber darf man in dieser Zeit noch keine feste und entschiedene Erklärung erwarten. Weswegen man die frühesten Väter bald als Zeugen für, bald als Zeugen gegen die Erbsünde hat aufführen 15 können. II. 496 h Wie die Väter die Allgemeinheit und Erblichkeit der Sünde erklären. C) Präexistenz. Alexandrini. A) Verlust - Græci B) Mitsündigen Latini h497 4. Darinn stim¯ en alle überein, daß die Menschen seit Adam dem Tode 498 und der Versuchung der Schlange daher auch der wirklichen Sünde (necessitas 20 peccandi) 499 unterworfen - daß sie den unsterblich und heiligmachenden Geist durch jenen Sündenfall verloren, und dadurch der Herrschaft der Sinnlichkeit, der Begierden und den Reitzungen der Dämonen preisgegeben sind, schwach zum Guten geworden« 500 diese Äußerungen finden sich in verschiedenen Stellen bei 501 25 a) Justinus - Apol. Maj. § 6 (et 10; i min. c. 5. 14. i502 Dial. cum Tryph. p. 176. c.124. 503 ) pag. 138-141. 504 a) Athenagoras - (192. 204. 231. Apol. min. § 14; ) - Leg. 141.142 505 a) Tatianus - pro Chr. pag. 304. 302. 305; ) - Orat. a. Græcos c. 11. 18. pag. 117 142.-153. 506 30 493 Seitenangabe zu Münscher am Rand neben Ziff. a) 494 g-g: am Rand neben Ziff. b.; Schriftduktus wechselnd 495 Angaben zu Münscher am Rand neben Ziff. 3. 496 ohne eindeutigen Bezug am Rand vor Ziff. 4 497 h-h: am Rand neben Ziff. 4.; Ordnungsbuchstaben korrigiert: a zu C - b zu A - c zu B 498 dt korrigiert zu d 499 Gedankenstriche überschrieben mit geraden Klammern, hellere Tinte wie vorausgehende Unterstreichung 500 öffnendes Anführungszeichen fehlt 501 danach gestrichen J 502 i-i: über der Zeile 503 über der Zeile 504 Seitenangabe zu Münscher am Rand 505 Seitenangabe zu Münscher am Rand 506 Seitenangabe zu Münscher am Rand <?page no="233"?> 201 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) a) Theophilus - ad Autol. l II. p. 368. − 143. 507 b) Irenäus - l. IV, c. 2. 5. 37. V, c. 1. 16. 17. 21. 22. III, 20. Traducianer indirecte. − 144.145 508 Methodius - und unter den Lateinern − 153. 154 509 b) Tertullian j adv. Marc. II, 2. 25. V, 17; j510 de anima 16. 41. 60; de testim. an. c. 3; 5 Cypr. ep. 69 ad Fid. − 154-160 511 k contagium mortis antiquae aliena peccata k512 l infectionem vocat inolitam et coalitam cum natura nostra ad instar naturalitatis vitium originis. l513 Arnobius - − 160 514 Lactantius - Inst. div. II, 12; m in carne m515 VI, 13. − 161. 516 10 a) Chrysostomus homil. de Adam et Eva. Homil. 10 11.12.13. in Rom; Homil. 2 in Ps. 50; H. 16 in Gen. b) Einen Zusammenhang zwischen der Sünde des ersten Menschenpaares und der Allgemeinheit des moralischen Verderbens ihrer Nachkommen behaupten 517 - und zwar in der Maße, daß jener diese nach sich gezogen, also der Satz 15 aufgestellt werden kann, »weil jene sündigten, sündigen auch wir«, - daß namentlich der Tod 518 die Folge und Wirkung der ersten Sünde für alle gewesen sei - ist einstim¯ ige Lehre. - Die Ansichten - wie jener Zusam¯ enhang stattfinde, sind dagegen nicht bei allen gleich: indessen gehen sie hinaus auf einen allgemeinen Verlust, eine allgemeine Schwäche zum Guten, Reitzbarkeit 20 und Neigung zum Bößen, Gewalt und Versuchung der Dämonen, ohne daß sie sich auf fernere Untersuchungen über die genannten Ursachen der Sündhaftigkeit einlassen. n Hilar. tr. in ψ . 68 Athan. de sal. adv. Cyrill. H. Cat. 2, 4 Basil. Hom. quod Deus n’ sit auct. pecc. Greg. Nyss. II. c. Eun. Ambr. de Parad. c. 7. - in Hex. V, 7. p 25 Hieron. in Hiob. 31. August. de Gen. ad. l. XI, 30; de civit. Dei XIV, 15. 17. Ja sie sagen, daß wir mit Adam, von Anfange gesündigt: Iren. Basil. Greg. Naz. Ambr. 519 ohne Traducianer zu seyn; auf die fortgepflanzte Natur berufen sich Cyprian. Athanas. Hilar. Gr. Nyss. Chrys. n520 507 Seitenangabe zu Münscher am Rand 508 Seitenangabe zu Münscher am Rand 509 Seitenangabe zu Münscher am Rand 510 j-j: über der Zeile, darunter gestrichen − Cyprian 511 Seitenangabe zu Münscher am Rand 512 k-k: zwischen den Zeilen eingefügt 513 l-l: am Rand angefügt 514 Seitenangabe zu Münscher am Rand; Buchangabe zu Arnobius fehlt 515 m-m: über der Zeile 516 Seitenangabe zu Münscher am Rand; nachfolgende Angaben zu Chrysostomus zwischen den Zeilen eingefügt, Schriftduktus wechselnd 517 Einweisung 518 dt korrigiert zu d 519 über der Zeile 520 n-n: Ergänzung am Rand zu Ziff. b) <?page no="234"?> 202 Johann Sebastian Drey 5. Indessen behaupten sie nebenbei auf das bestim¯ teste die Freiheit des Wil- 118 lens, so daß die unmittelbare Ursache aller wirklichen Sünde, und der allgemeinen Sündhaftigkeit die freie Wahl, des Menschen eigener Entschlus ist. locis supra citatis −− o Chrysost. homil. de Adam et Eva o521 b. Besonders beschäftigen sich die Alexandriner damit, die Verdorbenheit 5 dem freien Willen des Menschen zuzuschreiben - wie Clem. Alex. der jedoch auch von den Versuchungen und der Gewalt der Dämonen redet. p α ë μαρται νειν εστι, πασιν εμϕυτον και κοινον . Clem. Pæd. 3, 12. Strom. 3, 16. pag 146-148 p522 Origenes muß wohl zufolge seines ganzen Systems von einer angeborenen 10 Sünde reden, aber man begreift daß er es in einem ganz andern Sinne als dem spätern thue. Außerdem schreibt er die wirklichen Sünden, die der Mensch in seinem Leben begeht, der Freiheit des Willens, der schlechten Erziehung, dem bößen Beispiel - nicht aber dem Körper, oder dem Teufel zu. - Indessen folgt doch, daß Origenes auch eine angeborene Neigung zum Bößen anneh- 15 men mußte. q p. 148-153 homil. 14 in Luc. homil. 8 in Levit. et 12 in ep. ad Rom. V, 1. adv. Cels. IV, 40. q523 6. Indessen giebt es doch auch in dieser Periode Väter welche schon eine Imputation der Sünde Adams lehren, oder lehren, daß wir in Adam gesündigt haben. Irenaeus l. V. c. 16. 17; p. 143.144 524 andere Stellen lassen sich auf 20 zweierlei Weise auslegen - Clem. Alexandrinus Pædag. l. III. c. 12 pag 148 525 119 spricht von einer eingepflanzten Sünde, worinn jedoch nicht der augustinische Sin¯ stecken muß - am wichtigsten hierin¯ falls ist Tertullians vielfache Aüßerung. Den¯ obwohl er an einer Stelle de bapt. c. 11 p.154 526 die Kinder von Sünde frei zu sprechen scheint, so sprechen doch mehrere Stellen de 25 testimon. animae. c. 3; 16. 40 de anima, contra Marc. V. 17. ganz unzweideutig davon, daß Adams Sünde mit uns geboren wurde. - Auch hängt seine Vorstellung von dem tradux animae, de anima c. 25. mit dem tradux peccati aufs engste zusam¯ en. 155-158 527 b) Hilar. in Ps. 118 b) Ebenso Ambros. de Tobia; in Ps. 48, in Luc. 7, 15; Hieron. in c. 3 Jonae. Rufin in Ps. 50; August. de civ. Dei 30 14, 1; de pecc. mer. 1, 11. b) Greg. Naz. Or. 5. 14. 42; b) Nyss. de beatit. orat. 6. Traducianus b) Basil. hom. 8 in fame: solve veteris culpae reatum! epist. 65 ad Socopolit. Athan. contra Ari. Orat. 2. Paulinisch fatum: et Hilarius Cyprian hatte wohl dieselbe Meinung mit seinem Lehrer p.158-160 528 Der spätere Lehrbegriff Augustins hat also hier seine Keime. 35 521 o-o: am Rand neben Ziff. 5 522 p-p: am Rand Ergänzung zu Clemens mit Seitenangabe zu Münscher 523 q-q: Seitenangabe zu Münscher und Ergänzung zu Origenes am Rand 524 Seitenangabe zu Münscher am Rand 525 Seitenangabe zu Münscher am Rand 526 Seitenangabe zu Münscher am Rand 527 Seitenangabe zu Münscher am Rand; anschließend Ergänzungen zur Stelle 528 Seitenangabe zu Münscher am Rand <?page no="235"?> 203 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) § 24. Eschatologie Die Versinnlichung des Reichs Gottes in der Lehre vom Chiliasmus. M. II § 64-80 529 1. Die nahe Verwandtschaft der christlichen biblischen Idee vom Reiche Gottes mit der jüdischen Meßiasidee mußte Untersuchungen und Erklärun- 5 gen der Christen gegen Juden gleich im ersten Zeitraum veranlassen. pag. 120 442-445 530 Die Gestalt, welche die Idee eines messianischen Reiches nach und nach unter den Juden erhalten, die Wichtigkeit, die das jüdische Volk gerade zu den Zeiten Jesu auf jene alte Idee legte und legen mußte, sind kein Gegenstand unserer gegenwärtigen Darstellung in extenso. 10 2. Aber wichtiger ist zu bemerken - daß die Apostel bei den Lebzeiten Jesu die von ihm so oft ausgesprochene Idee eines Reiches Gottes mit der Idee des messianischen Reiches für gleichbedeutend nahmen, - / unerachtet sich Jesus deutlich dagegen erklärt hatte / - daß dieß auch nach der Auferstehung Jesu der Fall war. p. 445. 446. 531 Hiegegen beweißen ihre Briefe, daß sie nachher 15 von ihrer frühern, irrigen Vorstellung ganz abgekommen sind, indem sie die Vollendung und Herrlichkeit des Reiches Jesu nicht mehr auf diese Erde, sondern in höhere Regionen I Thess. IV. 15-17; oder in einen neuen Him¯ el und eine neue Erde / wie Petrus und Johanes / verlegen. II Petr. III. 1-14. Apocal. 20 3. Die Vorstellung von einem tausendjährigen Reich Christi auf Erde ist also 16 121 weder eine christliche noch apostolische. p. 446-447 449 532 Indessen wird es doch aus der oben berührten Verwandtschaft, aus der frühern Vorstellungsart der Anhänger Jesu, aus gewißen Äußerungen Jesu in der letzten Zeit seines Erdenlebens, aus der Denkart der zum Xtum übertrettenden Juden, aus dem 25 Druck der ersten Christen begreiflich, wie die Idee des Messias-Reiches und des christlichen Gottesreiches in ein solches tausendjähriges Reich Jesu durch Combination habe zusam¯ enfließen können. p. 448 533 - Was die Apokalypse dazu habe beitragen können, wird jeder selbst ermessen. Deßwegen darf es nicht befremden, daß wir den Chiliasmus schon im Brief des Barnabas, in den 30 sybillinischen Büchern, dem Testament der 12 Patriarchen, der Schrift des Papias u.s.w. antreffen. p. 450-453 534 4. Daß und wie mehrere der ersten Väter eine sichtbare Vollendung des Reiches Gottes in dem tausendjährigen Reich Christi nach der Auferstehung 529 Angaben zu Münscher am Rand (gemeint sind §§ 264-279 in Bd. 2, 2. Aufl.) 530 Seitenangabe zu Münscher am Rand 531 Seitenangabe zu Münscher am Rand 532 Seitenangaben zu Münscher am Rand (untereinandergeschrieben) 533 Seitenangabe zu Münscher am Rand 534 Seitenangaben zu Münscher am Rand <?page no="236"?> 204 Johann Sebastian Drey und vor dem Weltende behauptet, und mit welchen Gründen sie ihre Behauptung unterstützt haben, muß hier allerdings erläutert werden p. 453-462. 535 : denn es ist dieß eine Deutung der Grundidee des Xtums, die später ver- 122 worfen wurde. 5. Daß aber der Chiliasmus keine in der katholischen Kirche allgemein herr- 5 schende Vorstellungsart, vielweniger eine kirchliche Lehre - wie einige behaupten wollen - sondern Meinung einzelner gewesen − − dieß erhellt selbst a. Aus der vielfach bestrittenen Stelle Justins. p. 453-456 536 b. Aus dem Symbolum des Irenäus und der andern aeltern Väter. 537 c. Aus der frühen und glücklichen Bestreitung dießes Irrtums durch den 10 römischen Presbyter Caius, und Origenes. − 462-465 538 6. Weßwegen auch die Bemühung des Methodius, Nepos, Victorin und Lactantius in spätern Zeiten 539 ihn nie wieder in Aufnahme bringen konnten. p. 465-471 540 § 25. (§. 10) Lehre vom Zustand nach dem Tode 541 M. § 258-264 542 15 1. Da das Christentum zuerst die Lehre von der Unsterblichkeit bestim¯ t und als allgemeinen Lehrsatz ausgesprochen - den¯ die Mythen der Heiden, die 123 Meinungen der griechischen Philosophen, selbst die unter den Hebräern herrschende Vorstellungsart waren weder bestim¯ t genug, noch allgemein - so schloß sich die Frage nach dem Zustand der Verstorbenen zunächst an jene 20 Lehre, und mußte Untersuchungen darüber veranlassen. Etwas dazu mußten auch die chiliastischen Erwartungen beitragen, so wie sie gerade auf die eigene Form der Vorstellungen über diesen Gegenstand Einfluß haben mußten. r NB. Diese Materie sollte erst nach der Lehre von der Auferstehung und 25 dem Weltgericht abgehandelt werden. r543 2. Dieße ganze Materie mit allem was sich auf die unsichtbare Zukunft bezieht, gehört also unter jene, die gleich in der ersten Zeiten in Anregung kommen, deren Entwickelung aber aus mehrerlei Gründen sehr schwankend und dürftig ausfallen mußte. # 544 Denn woher sollten die ersten Christen die 30 535 Seitenangabe zu Münscher am Rand neben Ziff. 4. 536 Seitenangaben zu Münscher am Rand 537 Wiederholungszeichen für die Seitenangaben zu Münscher von Ziff. a. 538 Seitenangaben zu Münscher am Rand 539 über der Zeile, darunter gestrichen spätern 540 Seitenangaben zu Münscher am Rand 541 t korrigiert zu e 542 Angaben zu Münscher (Bd. 2, 2. Aufl., S. 430-441) am Rand 543 r-r: Notabene am Rand der Seite 123 oben - wohl zu der Markierung (#) in Ziff. 2. 544 wohl Einweisungszeichen für r-r (s.o.) <?page no="237"?> 205 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) nähern Aufschlüße nehmen, um den Zustand nach dem Todte aufzuklären? M. pag. 428 429 545 − Christus selbst hatte zwar eine Unsterblichkeit, ein Weltgericht, und eine bei diesem stattfindende endliche Entscheidung des Schicksals der Frommen und Gottlosen bestim¯ t gelehrt, aber über den Zustand der einsweilen Dahinsterbenden nichts, oder höchstens etwas weniges 5 124 nur gelegentlich und ohne Absicht vorgetragen* 546 . - Die Apostel erläuterten wohl zuweilen die von Jesus entschieden vorgetragenen Lehren, z.B. I Thess. V, 23. I Cor. XV. u.a.; aber gerade über diesen Punct äußerten sie sich nicht. 3. Es blieb ihnen daher nichts übrig, als die von Xtus bestim¯ t ausgesprochenen Lehren mit dem zusam¯ enzustellen, was früherhin unter den Juden als 10 herrschende Meinung über diesen Gegenstand gegolten hatte, um durch Vergleichung auf neue Folgerungen zu kom¯ en. Und so thaten sie. p. 426 ss 547 Nun herrschte bei den Hebräern seit langem die Vorstellung von einem Schatten oder Todtenreich / auch die Mythen der Heiden enthielten ähnliche Begriffe/ wo nur ein schlafähnliches Leben herrscht, selbst im Sirakiden 15 XVII, 27. 28; XIV, 17; XLIV, 13. 14. herrscht noch der Gedanke. − 427 548 Hiegegen im Prediger XII, 7; und in den noch späteren Schriften der Weisheit II u a; und dem zweiten Buch der Macchabäer treffen wir auf andere Vorstellungen − 428 549 4. Aus dieser Dißharmonie der hebräischen Bücher und der Dunkelheit der 20 christlichen rührt es also her, daß wir auch die Vorstellungen der ersten 125 christlichen Väter nicht in allen Puncten zusam¯ enstimmend finden: a Darin¯ kamen alle überein, daß die Seelen der Abgeschiedenen nach dem Todte an einen besonderen Ort - die Unterwelt im Mittelpunct der Erde kommen, und dort aufbehalten werden, bis zur allgemeinen Auferstehung 25 und dem Weltgericht, wo erst die volle Vertheilung von Belohnungen und Strafen eintretten werde. p. 429 550 b. Welches aber der nähere Zustand der Seelen in der Unterwelt sei, darin¯ stim¯ en 551 sie nur insofern zusam¯ en, daß sie in keinem schlafähnlichen Zustand sich befinden, sondern im vollen Gebrauch ihrer Geisteskräfte sind, ein Vor- 30 gefühl ihres künftigen Schicksals haben, und die Guten und Bößen wie sie von einander abgesondert sind, also auch ihrem frühern Zustand angemessene Empfindungen von Freude oder Qual haben. s NB. Hier fehlt Münscher s552 545 zum folgenden Seitenangaben zu Münscher am Rand 546 Asteriskus, Bezug unklar 547 Seitenangaben zu Münscher am Rand 548 Seitenangabe zu Münscher am Rand 549 Seitenangabe zu Münscher am Rand 550 Seitenangabe zu Münscher am Rand 551 danach gestrichen: nicht alle überein. Einige der ältern Vorstellungen der Hebräer folgend stim¯ en 552 s-s: Notabene am Rand neben Ziff. b. <?page no="238"?> 206 Johann Sebastian Drey c. Uber den Ort ihres Aufenthaltes reden nicht alle gleichförmig. Einige unterscheiden Paradiß und Aufenthaltsort der From¯ en überhaupt, wie Tertullian; andere nicht wie Origenes; einige lassen die Bößen in die Unterwelt hinabsteigen, dieß thun die Meisten; andere lassen sie um die Gräber schwei- 126 fen wie Origenes: endlich reden einige überhaupt unbestim¯ ter, wie Justin und 5 Irenaeus, Novatian, Lactantius d. Die hieher gehörigen Stellen im Einzelnen sehe man bei M. pag. 430-440. 5. Häretische Parteien, die die Auferstehung der Leiber läugneten, mußten ganz folgerecht andere Vorstellungen haben: sie stim¯ ten aber nicht mit einander überein. Ihre Hypothesen sind kurz berührt M. § 463 p. 440. 441. 553 10 § 26. (§. 11) Von der Auferstehung der Körper M. II. § 280-293 554 1. Auch diese Lehre in der Form und Allgemeinheit, worinn sie vom Christentum vorgetragen wurde, ist eine neue und ihm eigene, wenn gleich nicht zu läugnen ist, daß die Seelenwanderung unter den Heiden ein 555 Typus, und die jüdische Auferstehungslehre ein noch bestimmteres Symbol ist. Die jü- 15 dische Auferstehungslehre war beschränkter in Absicht auf Umfang und Zweck t M. p. 472-476. 477 t556 2. Nachdem Christus und die Apostel ganz bestimmt die Auferstehung der 127 Körper gelehrt, war es nicht zu verwundern, daß diese Lehre frühzeitig zu einer Glaubenslehre wurde, die sich in den aeltesten Symbolen findet, und 20 woran 557 man die ächten und unächten Christen unterschied 3. Aber bei der allgemeinen Ubereinstimmung in der Lehre selbst wird man es dennoch begreiflich finden, daß die ersten Lehrer der Kirche theils in den Beweißen, theils in der Vorstellungsart sich von einander entfernten. In einer Materie, die an sich über die Erfarung hinausligt, damals noch ganz neu und 25 unbearbeitet war, ist es nicht anders zu erwarten. Was die Beweiße betrifft, so mußte es den christlichen Lehrern daran gelegen seyn 558 , diese Idee gegen die Heiden aus der Vernunft zu rechtfertigen; daher findet man bei ihnen viele Vernunftbeweiße aus der Moral, Psychologie und der Natur überhaupt zusam¯ engehäuft, und Rücksicht genom¯ en auf die Einwürfe der Gegner z.B. bei 30 Clem. Romanus, Justinus, Athenagoras vorzüglich, Theophilus, Tatian p 559 - Die spätern, die es schon mehr mit Irrtümern der Häretiker über diesen Punct zu 553 Seitenangaben zu Münscher am Rand 554 Angaben zu Münscher (Bd. 2, 2. Aufl., S. 472-516) am Rand 555 ersetzt über der Zeile als 556 t-t: Seitenangaben zu Münscher am Rand 557 korrigiert aus worinn 558 Einfügung, über der Zeile 559 dazu am Rand p. 442-451. - dort gestrichen: 479-488 <?page no="239"?> 207 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) thun hatten, berufen sich auch außerdem noch auf die Bibel, wie Irenaeus, Tertullian, Cyprian, Novatian p. 560 4. Was die Begriffe über die Art und Umstände der Auferstehung betrifft, 128 könnte eine oberflächliche Kenntnis der Väter auf die Behauptung führen, daß hierin eine große Verschiedenheit herrsche, die doch in der That so groß 5 nicht ist. Zwei verschiedene Parteien, eine mit gröbern sinnlichern Vorstellungen, und eine andere mit geläuterten schriftgemäßern lassen sich allerdings unterscheiden, aber auch diese stimmen doch mehr zusammen, als z.B. Munscher behauptet. Wie alle christlichen Lehrer einstimmig lehrten, daß eine Auferstehung der Körper sein werde, ebenso waren auch alle darinn eins, daß 10 »eines jeden Menschen individueller Körper auferstehen werde«. - Nur die Gränzen dieser Individualität bestimmten sie nicht auf gleiche Weiße. Väter, die für sich dem Chiliasmus anhiengen, behaupteten zu diesem Zweck die völlige Wiederherstellung des vorigen Körpers nicht nur nach seiner Form / Gestalt, Lineamente, Größe pp/ sondern auch nach seiner Materie und allen 15 seinen Theilen, insofern diese dem menschlichen Körper wesentlich zukommen mit Ausschlus jedoch zufälliger Gebrechen. Dahin gehört Justinus 561 , noch mehr aber Irenaeus 562 , - noch mehr Tertullianus 563 , - auch noch 20 Methodius 564 und Lactantius 565 − Hiebei ist jedoch zu bemerken, daß diese 566 Väter, besonders die drei letztern eine doppelte Auferstehung / eine zum tausendjährigen 17 129 Reich, woran nur die Gläubigen Antheil nehmen/ und eine allgemeine zum Weltgericht unterscheiden. Nur bei der ersten steht ganz der vorige Körper 25 wieder auf, bei der zweiten geht mit den Körpern der Gerechten eine Verklärung vor. v. l. cit. 4. Andere Väter, die von chiliastischen Vorstellungen frei oder gar dagegen eingenommen waren, behaupten zwar auch die Herstellung des individuell vorigen Körpers, aber sie lassen mit diesem eine wesentliche Veränderung 30 vorgehen, eine solche nämlich, worauf die Schrift deutet, und die sich zu der neuen seligen oder unseligen Bestimmung der Auferweckten schickt. Was wegfällt, 567 das ist die Verweßlichkeit, der grobe irdische Stoff, alle Schwachheiten des Fleisches, manche Glieder die jetzt überflüßig sind, u.s.w. Dießer 560 auf dem Rand p. 457-460. Ersetzt 488-499 danach it. 515 561 dazu am Rand: p. 480-483 562 dazu am Rand: p. 488-491 563 dazu am Rand: p. 491-499 564 dazu am Rand: p. 513. 514 565 dazu am Rand: p. 516 566 ersetzt über der Zeile Menschen andere 567 danach gestrichen sind <?page no="240"?> 208 Johann Sebastian Drey Vorstellungsart war Athenagoras 568 ergeben, der sich jedoch hierauf nicht ausführlich einläßt, Clemens Alexandrinus, und besonders 569 Origenes, der sich ausführlich darüber verbreitet. Daß übrigens die nähere Bestimmung über das Wie der Auferstehung nicht 5 zur Kirchenlehre gehörte, erhellt daraus, daß mehrere Väter sich darüber gar nicht äußern wie Cyprian, Arnobius u.a. 5. Die häretischen Parteien, die den Körper und die Materie für den Sitz des 130 Bößen hielten, konnten die Wiederherstellung des alten Körpers nicht annehmen; sie verwarfen also die Auferstehung - was gerade den Orthodoxen 10 Anlas gab, sie desto stärker zu behaupten 570 § 27. (§. 12) Lehre vom Weltgericht M. § 293-308 571 Wie die vorhergehende, so und noch mehr ist die gegenwärtige Lehre eine ganz neue, erst durch das Christentum ans Licht gebracht. Wohl findet sich in der griechischen Mythologie die Sage von einem Gericht in der Unterwelt, 15 das Minos, Aeakos und Rhadamanthus ausüben; aber es ist ein geheimes, über jeden Einzelnen, gleich nach dem Todte, ein nothwendiges Erzeugnis der Vernunft, die eine Vergeltung und daher ein Gericht statuirt. 572 - Wohl hatte sich auch unter den Juden einerseits durch ihre Verheißungen, andererseits durch den abwechselnden Druck, den sie von den fremden Nationen leiden 20 mußten, allmälig die Idee eines göttlichen Gerichtes ausgebildet, besonders durch die Schriften der Propheten. Aber jenes göttliche Gericht ist ein politisches, über die Völker, nicht über einzelne, sein Endzweck nicht moralische Vergeltung, sondern Rechtfertigung Jehovas über seine Verheißungen, und Beweiß seiner Allmacht; auch gieng der Urtheilsspruch dießes Gerichtes 25 131 nicht über das gegenwärtige Leben hinaus, stund in keiner Beziehung auf die überirdische Zukunft. Die jüdische Vorstellung von einem göttlichen durch den Meßias über die feindlichen Völker zu haltenden Gerichte kann um ihrer beschränkten und fremdartigen Begriffe willen höchstens für ein Symbol des Weltgerichts nach christlichem Sinn genommen werden: die sinnlichen Be- 30 griffe, die jenem zu Grunde ligen, konnten auf die Entwickelung des moralischen Gefühls, und auf moralische Begriffe dieser Art führen, und daher die Gemüther auf die neue ganz moralische Lehre des Xtums vorbereiten; wie dieß bei 573 allen Typen und Symbolen des A. T. der Fall ist, deren unmittel- 568 dazu am Rand: p. 487. 569 dazu am Rand: p. 499-501 p. 501-513 570 dazu am Rand: p. 478. 571 Angaben zu Münscher (Bd. 2, 2. Aufl., S. 520-554) am Rand 572 dazu am Rand: p. 520 573 davor gestrichen der Fall <?page no="241"?> 209 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) bare Bedeutung immer national und zeitlich war, die aber gerade dadurch zum Nachdenken über absolute Wahrheiten veranlaßten, und so die Gemüther vorbereiteten. Darum ist jene Nation von Gott zu welthistorischen Zwecken auserwählt, weil alles nationale und zeitliche in ihr auf etwas absolutes führen und vorbereiten konnte - 5 Wohl 574 findet sich in den spätern Schriften der Hebräer auch die Idee einer moralischen Vergeltung an das Gottesgericht angeknüpft II Macch. VII. 36; Sap. III, 3. 7. 18; V, 16. 23; es ist aber dieß weiter nichts als Folge einer geläuterten moralischen Denkart unter den Juden; die Vergeltung betrifft 132 doch nur die Juden. Man sieht eben, wie das Symbol seine Wirkung thut, aber 10 doch immer noch Symbol bleibt. 2. 575 Die Lehre vom Weltgericht selbst wie sie von Jesus und den Aposteln vorgetragen worden, erhielt schon im ersten Zeitraum einige beträchtliche Erläuterungen: −− a. Alle Väter stimmen darinn überein, daß das Weltgericht von Christus 15 gehalten werden soll, und zwar bei der zweiten Erscheinung desselben. Justinus, Tatian. Irenaeus u.s.w. b. Auch darinn stimmen alle überein, daß erst nach diesem Gericht, wozu alle Todten auferstehen, die eigentliche volle Vergeltung anfangen soll für Gute und Böße 20 c. Nicht weniger ist es allgemeine Lehre, daß die Belohnungen der Guten ewig dauern sollen. d. Uber die Dauer der Strafen, die den Gottlosen zuerkannt werden, finden wir zwar keine absolute Ubereinstimmung: jedoch behauptet die Lehre der strengen Väter - daß die Strafen der Verdammten ewig sein, ein so entschei- 25 dendes Ubergewicht der Mehrheit, daß man sie schon damals die herrschen- 133 de, wenn gleich nicht die Kirchenlehre nennen kann. 576 Arnobius, der eine allmälige Vernichtung der Gottlosen zu lehren, und Origenes, der nach seiner Privatmeinung eine ανακαταστασισ aller Dinge lehrt, machen allein die Ausnahme. Von der letztern nachher. 577 Justinus kan¯ nicht hieher gezogen werden. 30 Klarer als er stim¯ en für die Ewigkeit der Strafen Tatianus pag. 254. 255. 578 Theophilus L. I. pag. 346. Irenaeus l. V. cap. 27. §. 2. IV. cap. 28. Tertullianus. Apol. c. 48. poen. c. 12. de resurr. carn. 35. de test. anim. c. 4 35 Minucius Felix - Octav. 35. 574 dazu am Rand: p. 521. 575 dazu am Rand: p. 522. 576 dazu am Rand: p. 557 577 dazu am Rand: p. 523-526 578 auf dem Rand neben den folgenden Namen p. 526 - 527 - 527-530 - 530-531 - ib p. 556 p. 557-559 <?page no="242"?> 210 Johann Sebastian Drey Cyprianus ad Demetr. p. 195. 196. Lactantius Inst. l. VII, c. 21. e Uber die Natur der Belohnungen und der Strafen denken auch nicht alle Väter einstimmig, und wird es hier sichtbar, welchen Einflus geistige Cultur auf die Formung der Religionsideen hat. Die sinnlicher denkenden Väter 5 schildern die ewige Seeligkeit mit etwas derbern Zügen, vor allem aber sind sie bemüht die Qualen der Verdammten unter den Bildern eines fressenden Feuers so grell als möglich darzustellen. So selbst Justinus; noch mehr aber Tertullianus, Minucius Felix, Cyprianus, Lactantius am a. O. - Irenaeus hat über die Belohnungen der Seeligen eigene auf die Umformung der Schöp- 10 134 fung sich beziehende Vorstellungen: die Strafe der Verdammten setzt er gegen seine sonst realistische Denkart nicht so fast in körperliches Leiden, als in die Beraubung der Gemeinschaft mit Gott und den Seeligen. - Die feinern Alexandriner beschreiben die Freuden der Seeligen geistiger - nehmen auch Fortschritte der Vollkommenheit und Seeligkeit an / Clem. Alex. pag 535 et 15 536 M; Origenes pag 543-546 / Die Strafen der Bößen schildern sie nicht als ein eigentliches Feuer, sondern setzen dieselbe in geistige Leiden / V. M. p. 546-549. 3. Noch eine allgemeine Behauptung findet sich bei allen Vätern, nämlich einer Begebenheit, die bei dem Weltgerichte eintretten soll. Es ist die Auf- 20 lößung der gegenwärtigen Schöpfung durch einen großen Weltbrand und die Herstellung einer neuern vollkommenern. Nur begreift man, daß jeder dieße große Begebenheit anders motivirt, und eine andere Anwendung davon macht. Man vergleiche hierüber Justinus l. c. - Tatianus l. c. besonders Irenaeus p. 528 - Clem. Al. p. 537. 538. - Origenes p. 540-541; - Methodius 25 p. 555 4. An diese auf mehrern Bibelstellen gegründete schloß sich eine andere sehr natürlich an, welche man auch bei allen spätern Kirchenlehrern dießes Zeitraums findet - es ist die Vorstellung von einem reinigenden Feuer, welches 135 am allgemeinen Gerichtstag ausbrechen, also der Weltbrand selbsten sein, 30 durch welches alle auch die Heiligen und Gerechten gehen sollen, nur mit dem Unterschied, daß diese ganz unverletzt durchkom¯ en, die übrigen aber mehr oder weniger beschädigt werden sollen, je nachdem sie noch mehrere oder wenigere Fehler an sich haben. Bei Clem. Alex. pag. 532-535 findet sich diese Lehre zuerst, obwohl die frühern Väter sie wahrscheinlich schon gehabt 35 haben; Origenes führt sie mehr aus p. 540-543. Auch Cyprian hat sie p. 556. und Lactantius p. 557. 558. Eine Stelle Pauli - eine alte selbst heidnische Sage, - die allgemeine Nothwendigkeit einer durchgreifenden Umschaffung, die Idee des Weltgerichtes selbst mögen zur Entwickelung dieser Idee beigetragen haben. 40 <?page no="243"?> 211 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) 5. Merkwürdig und bis jetzt noch nicht ganz entschieden ist eine PrivatMeinung des Origenes, die man die Wiederbringung aller Dinge nennt, und wobei ein Ende aller Strafen, und die endliche Begnadigung aller Verdammten, selbst des Satans angenommen wird. - Daß Origenes dieß bestimmt gelehrt, daß er es auch nur gedacht habe, wird sich schwerlich erhärten lassen 5 - wiewohl auch die Gründe 579 derer, die die Orthodoxie des Vaters hierüber gänzlich zu retten suchten, nicht fest sind. - Was gewiß ist, besteht darinn: 136 a. 580 Daß er aufrichtig die Kirchenlehre hierüber vorträgt. b. Daß er selbst an mehrern Orten von einem ewigen Feuer und von ewigen Strafen redet 10 c. daß er namentlich dem Satan die Möglichkeit abspricht seelig zu werden d. Aber auch gewiß, daß er neben dieser Herablaßung zu dem herrschenden Lehrbegriff seine eigene Ansicht über diesen wie über andere Gegenstände der Religion hatte, - die er aber sehr ängstlich und behutsam vortrug. e. Gewiß daß er namentlich auch über die göttlichen Strafen und die Freiheit 15 des Willens seine besonderen Grundsätze hatte, und besondere Folgerungen daraus zog f. Daß unter diese Folgerungen ein ewiger Kreislauf der Dinge gehörte, worin¯ im¯ er ein Vor- und Zurückschreiten möglich bleibt für alle freien Wesen - im Ganzen aber doch die Schöpfung ihrer Bestim¯ ung, einer höhern Vervollko- 20 m¯ enung entgegenrückt, wiewohl nur in einem unendlichen Progressus. In diesem unendlichen Progressus ligt die Möglichkeit der Bekehrung auch der Verdammten, die Möglichkeit des Aufhörens ihrer Strafen - und mehr als diese Möglichkeit wollte Or. nicht behaupten Keimende Dogmen 581 18 137 § 28 §. 43. 582 Lehre von der Kirche M. II § 250-258 583 1. 584 Wir haben von § 23 bis daher fast durchgehends solche Lehren berührt, die ihrer Natur nach in der gegenwärtigen Periode ihre volle Bestimmung noch nicht erhalten konnten. Dieß ist besonders mit jenen Ideen des Christentums der Fall, die sich auf eine ferne Zukunft beziehen, und von Christus 30 und seinen Aposteln selbst in einem geheimnisvollen Dunkel gelassen wur- 579 dazu am Rand: p. 549 580 neben den Abschnitten a. - f. stehen auf dem Rand die Seitenangaben M. p. 554 - - 550. 551. - - 552. - 550 554 - 551 - 553 - p. 553 - 551 581 Abschnittsüberschrift nachträglich eingefügt 582 spätere Paragraphenangabe mit rotem Farbstift 583 Angaben zu Münscher (Bd. 2, 2. Aufl.) am Rand 584 auf dem Rand Dieser ganze Gegenstand von der Kirche u. den Sacramenten, da er erst vom Mittelalter an in Widerspruch kam u. Entscheidungen erhielt, wird am besten in der dritten Epoche abgehandelt <?page no="244"?> 212 Johann Sebastian Drey den. Aber insoferne sie neu waren - noch mehr insoferne dadurch eine große Idee des Judentums eine nähere Berichtigung erhielt, - besonders aber insoferne diese Berichtigung von christlichen Lehrern selbst nicht ganz begriffen wurde, und daher Discussionen eingeleitet wurden, konnten sie nicht unberührt bleiben. So sehen wir denn zu der sogenannten Eschatologie des 5 Xtums die ersten Keime sich in dieser Periode entfalten, wenn auch gleich die weitere Entwickelung einer spätern vorbehalten bleiben mußte, ja sie bis jetzt nicht vollendet ist. 2. Aus dem gleichen Grunde nun, warum ich die anfängliche Entwickelung jener Lehren noch in die erste Periode aufgenommen habe, habe ich auch die 10 ersten Keime der-jenigen Lehren noch darein aufgenom¯ en, welche sich auf 138 die Kirche und die Sacramente beziehen. - Der Grund ist, weil die Keime ihrer Entwickelung noch in diese Periode fallen - weil diese keimenden Dogmen ihre Gestalt und Erläuterung von den andern schon mehr entwikkelten hernehmen, beide sich wechselseitig beleuchten - weil man sonst bei 15 der fernern Darstellung im¯ er wieder bis auf die ersten Zeiten zurückgehen müßte, folglich eine zu scharfe Tren¯ ung und daher Verwirrung der Materien entstehen würde. § 44 585 3. Was nun gerade die zwei Materien betrifft, von denen sich die kirchlichen 20 Begriffe in diesem Zeitraum erst zu bilden anfangen - nämlich die Kirche und die Sacramente - so ist es nicht schwer, die Ursache davon anzugeben. Ich will zuerst nur von der Kirche reden. Ob Christus eine einige, alle Christen umfassende Kirche gewollt, ob seine Apostel die Vollstrecker seines Willens dieselbe Idee verfolgt haben oder nicht: Die Entscheidung dieser Frage ge- 25 hört nicht hieher sondern in die Dogmatik; wohl aber hieher gehören die Meinungen der ersten und der folgenden Kirchenväter über jenen Willen Christi und die Uberzeugung der Apostel. - Wollte aber auch Jesus eine 139 einige allumfassende Kirche, und verfolgten auch die Apostel dieselbe Idee, so konnte doch jene Kirche nicht auf einmal sondern nur allmälig werden. 30 Dieß ligt in ihrer Idee selbst: es mußte das Christentum zuerst verbreitet werden, verbreitet durch die Apostel und durch andere von ihnen gebildete Lehrer. Dieße als mündliche Herolde des Evangeliums konnten nicht zu der ganzen Welt, sondern nur zu einzelnen Menschen und an einzelnen Orten sprechen. Was sich durch ihren Vortrag bildete, das waren kleinere oder 35 größere Häuflein von Gläubigen an einem gewißen Orte und dessen nächsten Umgebungen - einzelne größere oder kleinere christliche Gemeinden: selbst der rastloße Paulus konnte nicht mehr. Dieße einzelnen Gemeinden blieben vereinzelt und von einander getrennt durch Entfernung und bürgerliche 585 spätere Paragraphenangabe mit rotem Farbstift <?page no="245"?> 213 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) Verhältnisse längere Zeit. Später als der lauterwerdende Name der Christen für einen Partheinamen, und für das Lößungswort einer Verschwörung gegen Götter und Staat zu gelten anfieng, wurde die Verbindung der einzelnen Gemeinden absichtlich erschwert und verhindert. Es bestanden also anfangs in der Wirklichkeit nur einzelne Kirchen, keine Kirche: daher auch die Kirche 5 noch eine bloße Idee. 4. Sollte eine Kirche werden, so mußte sie entweder in der Wirklichkeit dastehen, dann konnte sie sich ihrer selbst bewußt werden: oder es mußte sich woher immer in den einzelnen Kirchen die Idee Einer Kirche zu bilden 140 anfangen, als die trotz aller Hinderniße zu bewerkstelligende Realisirung einer 10 nothwendigen Aufgabe. Dieß letztere konnte früher geschehen als das erstere, u. es geschah. 5. Um in den einzelnen Kirchen die Idee einer einigen ganzen und allumfassenden Kirche zu erregen, bedurfte es schlechterdings, außer dem biblischen Lehrbegriff, äußerer Erscheinungen und Veranlassungen. Wie der Mensch 15 selbst zum 586 Bewußtsein seiner selbst gelangt nur durch die Anschauung von Dingen, die nicht er selbst sind, so konnte es auch die Kirche nur auf ähnliche Weiße. Und es ist daher hier der Ort, jene äußern Veranlassungen auszuzeichnen. 6. Einen Wink konnte den einzelnen Gemeinden auch nur die oberflächlichste 20 Reflexion über die biblischen Stellen geben, - worinn Xtus von einer, von seiner Kirche - als einer einzigen redet. Nun sahen sie aber nur einzelne und viele Gemeinden; und es bot sich die Frage an, wo den¯ in dieser Vielheit und Verschiedenheit der Gemeinden die Kirche Christi - die eine und ganze - sei? 7. 587 Der erste Gedanke auf diese Frage war wohl der von der Einheit des 25 141 Ursprungs. Alle Gemeinden waren entweder von Schülern Christi oder Schülern der Apostel gestiftet - viele Gemeinden von einem und ebendemselben Apostel - alle daher im Grunde Gemeinde Christi - seine Kirche b. Als solche konnte sie auch nur eine Lehre haben - umso mehr, als die Apostel in ihren Sendschreiben auf die Einheit der Lehre drangen; eine 30 Gemeinde die Mutter anderer wurde. c. Von dieser Einheit der Lehre überzeugten sie sich nicht blos durch Vernunftschlüße, sondern durch eigene Anschauung; durch Mittheilung ihrer heiligen Schriften, durch encyclische Briefe, durch große Reißen berühmterer Kirchenvorsteher 35 586 davor gestrichen nur 587 auf dem Rand Wie die einzelnen Gemeinden allmälig erkan¯ ten, daß sie Eins sein in dem Wesen des Xtums, erkannten sie sich auch als Eine Gemeinde - eine Kirche. Puncte der Einheit. a Ursprung b. Lehre. c. Liebe d. Äußerer Cult. e. Verfassung die Einheit des Fundaments, der Fels Petrus <?page no="246"?> 214 Johann Sebastian Drey d. Zu dieser Einheit in Lehrbegriff und Gesinnung trat noch die Einheit der Empfindung und brüderlichen Liebe, wozu sie in wechselseitiger Hilfe aller Art Anlaß und Aufforderung fanden. 588 8. So bildete sich die Idee der Kirche als eines durch innere unsichtbare Bande zusam¯ engehaltenen - wen¯ gleich nach außen in vielen Individualitäten er- 5 scheinenden Ganzen: und da sowohl der Glaube an die eine wahre Lehre 142 Christi, als auch die Einheit der Liebe gleich wichtige Gegenstände für die ersten Christen waren, so mußten die Einzelnen Kirchen daraus die Nothwendigkeit erkennen, die Einheit zu erhalten, nach Einheit zu streben. Es mußte auf diese Weiße die Idee einer einzigen Kirche sich bilden, - und zwar 10 als eine im¯ er mehr zu realisirende Aufgabe. 9. Noch sahen die einzelnen Gemeinden die Mittel und Wege nicht ein, wie die Aufgabe gelößt werden sollte. Der über dem Christentum waltende Geist führte sie herbei. Es erhoben sich sehr frühe Lehrer, welche ihre subjective Ansicht für Lehre Christi ausgaben, - die Christen fanden solche Lehren 15 fremde, der apostolischen Tradition - und dem allgemeinen Glauben entgegen: sie verwarfen die neuen Lehren als Irrtümer. Dagegen bildeten die Häretiker unter sich Partheien, Gemeinden, Kirchen, und setzten sich so der Einheit der Orthodoxen entgegen. Jetzt erst als sich außer dieser Einheit Partheien zu bilden anfiengen, als die Einheit und Gleichheit der Uberzeu- 20 gung - gegründet auf ursprüngliche Uberlieferung - sich aller Orten auszusprechen Gelegenheit fand - als die äußern Partheiungen eine gleiche unter 143 den Rechtgläubigen nothwendig machte, da mußte sich die bisher in lauter einzelnen Gemeinden bestandene Allheit der Gläubigen nicht nur als eine sondern auch als die allgemeine katholische Kirche erken¯ en. Die Katholicität 25 im Gegensatze gegen die Particularität und in¯ ere Entzweiung der Häretiker hob die bisherige Einheit ans Licht hervor, und die Einheit mit der Katholicität zugleich gegründet auf Apostolicität vollendete den Begriff der Kirche, die sich nun erkan¯ te, als ihr die Elemente ihres Bewußtseins gegeben waren - durch bestim¯ te Gegensätze außer ihr. 30 (§. 45) 589 10. 590 Mit diesen Merkmalen findet man den¯ die Kirche schon bei den aeltesten Lehrern, weiter aber dehnt sich auch der Begriff der Kirche nicht aus, da es noch an der genauern äußern Organisation fehlte. Man sehe hierüber die Äußerungen des −− 35 Irenaeus - pag. 413-415 M. II. 591 588 dazu am Rand: M. p. 408 bis 413. − L: 2. Bd., 2. Aufl. 589 spätere Paragraphenangabe 590 auf dem Rand ad nrum 10 Stellen in den apost. Vätern: 591 folgende Angaben aus Münscher, Bd. 2, 2. Aufl. <?page no="247"?> 215 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) Tertullianus - 415 Clem. Alex. - 416-418 Origenes - 418-420 Cyprianus - 420-422 Lactantius - 422-424 5 11. In Absicht auf die Folgerungen - die aus der Einheit, Apostolicität und 144 Katholicität der Kirche gegen die Ketzer gezogen wurden - waren die Lateiner strenger als die Alexandriner. v. loc. cit. § 29 (§. 47) Lehre von den Sacramenten 1. Diese Lehre finden wir schon zum Theil in dieser Periode entwickelt, zum 10 Theil noch in Dunkel gehüllt. Beides ist begreiflich. Denn gleichwie die heiligen Lebensgeheimniße im Christentum theils solche sind, die sich an alle Menschen ohne Ausnahme mit absoluter Nothwendigkeit wiederholen, theils solche, welche sich nur auf relativ nothwendige oder gar zufällige Lebensverhältnisse beziehen, so mußten die ersten vor den andern eine größere 15 Wichtigkeit, auch eine größere Publicität erlangen, daher auch ihr Wesen für den kirchlichen Lehrbegriff früher ausgesprochen werden. 2. Unter die erstern gehört die Taufe mit Einschluß der Confirmation - das Abendmal; zur Klasse der relativ oder zufällig nothwendigen Sacramente die übrigen vier. Wegen der Wichtigkeit der ersten, wurden sie in den öffentli- 19. 145 chen Cultus aufgenommen, und darum weil die Christen sich über ihren Cultus frühezeitig gegen die Heiden erklären mußten, finden wir von ihnen nicht nur Nachrichten, sondern auch Erklärungen bei den aeltesten Vätern. - Unter den relativ nothwendigen hatte von Anfange die Ordination die größte Wichtigkeit, und weil ohne sie kein Cultus, und überhaupt keine Verfassung 25 der Kirche war, wurde auch der Act der Ordination unter die Handlung des Cultus gesetzt, wiewohl in den ersten Jahrhunderten Ursachen vorhanden waren, die Ordinationen geheim zu halten. - Die übrigen Sacramente beziehen sich auf zufällige Lebensverhältnisse, konnten also nie ein Theil des eigentlichen Cultus werden, darum fehlt es beson- 30 ders aus den ersten Zeiten an Nachrichten und Entwickelungen darüber. Nur inwiefern öffentliche und bedeutende Sünden den Charakter der Kirche selbst schändeten, fand sich die Kirche veranlaßt, auch öffentliche Büßungen und Versühnungen darüber zu verhängen, und so kommt die Kirchenbuße zwar nicht als Theil des Cultus, was sie nie sein konnte, sondern als Theil der 35 öffentlichen Kirchendisciplin vor. 3. Im Ganzen aber begreift man soviel, daß wegen der besondern Beziehung 146 der Sacramente auf die Kirche überhaupt - auf ihren Cultus u. ihre Cere- <?page no="248"?> 216 Johann Sebastian Drey monien - auch auf ihre Verfassung und Disciplin - - der Lehrbegriff über beide sich immer in paralleller Richtung entwickeln mußte, was auch die Geschichte bestättigt. Erst als der Begriff der Kirche nach ihrem innern Wesen und ihrer äußern Organisation festgesetzt war, wurde es auch der Lehrbegriff über die Sacramente. 5 Wieweit er in den ersten Perioden gediehen, wollen wir nun hören § 30 Lehre von der Taufe u. von der Confirmation M. II § 227 - 592 1. Die Bedeutung und Wirksamkeit der Taufe erscheint schon in den ersten Zeiten bestimmt ausgesprochen: dieße Wirkungen sind Nachlassung und Wegtilgung der vorherbegangenen Sünden - eine mit der Seele vorgehende - 10 plötzliche Veränderung, wodurch sie erleuchtet, mit dem Geistes Gottes und neuen Kräften zum Guten erfüllt, der moralischen Vollendung nahe gebracht 147 wird, u.s.m. 593 Barnab. epist. cap. 11. edit. Coteler. Amstel. 1724 Hermae Past. Mand. IV. 594 15 Justinus Apol. Maj. edit. Prud. Mar. Hag. com. 1742, pag. 79. 80; Dial. cum Tryph. pag 114. 140. 184; dessen mit den übrigen Vätern einstim¯ ige Meinung M - - fruchtlos zu verhüllen sucht. Theophil. ad Autol. II. pag 361 - Clemens Alex. edit. Joh. Potter. Oxon. 1715 - Pæd. l. I cap. 6. 20 Origenes edit. Ruaei Paris 1733. in Jes. Nave Hom. XV; in Exod. hom. XI; in Luc. Homil. XXII; adv. Cels. l. III. § 51; in Evang. Joh. comm. Opp. IV. pag. 133 Tertullian. edit. Nicol. Rigalt. Paris. 1641. - de baptismo cap. 4. 5. 6. 15; wo eine ihm eigene Nebenvorstellung vorköm¯ t. 25 Cyprianus edit. Joh. Fell. Brem. 1690 - de gratia Dei pag. 3; epist. 69 ad Magn. wo er der Taufe auch die Wirkung zuschreibt, Teufel auszutreiben. Anmerk. M. 595 sucht diese so frühen Vorstellungen - / : und so ausnehmend hohen : / von den Wirkungen der Taufe in erdichteten Ursachen 596 , um die wahre umgehen zu können, die in der Idee des Xtums von der Wiedergeburt 30 ligt; was auch die Väter deutlich sagen. Anmerk. 2 597 Die Gnostiker hatten noch besondere Ansichten von den Wir- 148 kungen der Taufe: so betrachteten die Valentinianer sie als ein Filtriermittel 592 Angaben zu Münscher (Bd. 2, 2. Aufl.) am Rand 593 dazu am Rand: M. II pag. 327-335 594 am Rand M. IV. pag. 349-357. (Münscher, Handbuch Bd. 4, 1809) 595 dazu am Rand: M. IV. pag. 351-353 596 davor gestrichen , um die 597 auf dem Rand M. pag. 331. 335. <?page no="249"?> 217 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) die bößen Geister abzuschütteln Theodot. excerpt. in Opp. Clem. pag. 991. - als ein Mittel der Befreiung von dem Fatum. ib. pag. 987; Menander mit den Valentinianern schrieb ihr die Kraft zu, vor dem Todt zu schützen ib. - Einfluß auf Unsterblichkeit schrieben ihr selbst orthodoxe Väter zu: Tertull. de bapt. cap. 1. 2; Iren. adv. Hæres. l. III cap. 17. § 2 edit. Renat. Massuet. Par. 1710; 5 Clem. Al. Pæd. I. cap. 6. - Nach Iren. adv. Hær. I. cap. 21; Theodoret. hæret. Fabul. ep. I. cap. 10. Tert. de bapt. c. 1. läugneten einige die Nothwendigkeit der Wassertaufe. 2. Daraus begreift man denn wohl, daß sie die Taufe für höchst wichtig und nothwendig zum Heile hielten: 10 Herm. Pastor. Simil. IX §. 16. 598 Iren. adv. Hæres. l. III. cap. 10. u et 17. §. 2. u599 edit. Renat. Maßuet. Paris. Origenes exhort. ad Martyr. § 30; in Gen. hom. XIII. Tertullian de bapt. cap. 12. 13 - Cyprian. epist. 73 ad Jubajanum. 600 15 Anmerk. 601 Weil nun daraus die Nothwendigkeit hervorzugehen schien, dem Ungetauften die Seligkeit absprechen zu müßen, so wurden mehrere Väter zu 149 dem Auswege getrieben, eine Taufe der AltVäter und Frommen in der Unterwelt anzunehmen: Herm. Past. l. cit.; Clem. Alex. Stromat. II pag 452; VI. pag. 762 ss. - Für ein zweites Surrogat wurde die Bluttaufe gesetzt. Orig. Exh. 20 ad. Mart. § 30; Tert. de bapt. c. 16; Cypr. epist. 73 602 3. 603 Uber die Giltigkeit und Zuläßigkeit der Kindertaufe schien anfangs der Lehrbegriff schwankend: den¯ a) Die Schriftbeweise aus Marc. X, 14; Matth. XVIII, 4. 6; I Cor. I, 16 beweißen ebensowenig für als Matth. XXVIII, 19 gegen dieselbe. 25 b. Ebensowenig die Stelle Justin. Dial. cum Tryph. pag. 139; 604 wo das Wort Alle die Erwachsenen bedeuten kann, und wohl nichts anders bedeutet. c. Entscheidender ist die Stelle des Irenæus. adv. hæres. l. II. cap. 22. § 4; 605 doch setzt sie Kinder voraus, die schon für Unterricht und Beispiele empfänglich sind. 30 d. Tertullian de bapt. cap. 18 606 spricht zuerst ganz deutlich, und seine Ausdrücke setzen voraus,daß die Kindertaufe schon damals zu einer Gewohnheit müße geworden sein. Neben den mancherlei Gründen, aus denen er sie 598 dazu am Rand: M. pag. 338-339. M. IV. pag. 353-358. 599 u-u: über der Zeile 600 Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 338 f. 601 am Rand: 340. (Münscher, Bd. 2, 2. Aufl.) 602 Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 340. 603 auf dem Rand M. pag. 340-351. M. IV. pag. 358-364 604 Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 342. 605 Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 343. 606 Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 344. <?page no="250"?> 218 Johann Sebastian Drey misräth, verschweigt er doch seinen Hauptgrund, der ohne Zweifel in seinen 150 montanistischen Vorstellungen lag, wie er deutlich zu erkennen giebt durch die Worte: »wer die Wichtigkeit der Taufe kennt, wird sich mehr fürchten, sie zu empfangen, als zu verschieben« - Indessen bestreitet hier Tert. keineswegs die Giltigkeit der Kindertaufe, vielmehr setzt er sie voraus, wie die objectiven 5 Wirkungen der Taufe überhaupt. e. Origenes in Levit. homil. VIII; in Luc. hom. XV; in epist. ad Rom. comm. l. V. pag. 565 607 nimmt die Kindertaufe in Schutz, und stellt sie als einen unter den Christen gewöhnlichen Gebrauch dar, der von den Aposteln herrühre. Dieß lag auch in seinem ganzen System, besonders in seinen Vorstellungen von der 10 angeborenen Unreinigkeit. f. Auch Cyprian. epist. 64 ad Fidum 608 weicht hier ganz von der Meinung des Tertullian ab, dem er doch sonst meistens folgt. 4. 609 Die Giltigkeit der Ketzertaufe erregte einen viel lebhafteren und länger dauernden Streit in der Kirche. - 15 Clem. Alex. Stromat. l. I. pag. 375 scheint sie zu verwerfen; Tertullian. de bapt. cap. 15; de praescript. hæret. c. 12; 610 de pudic. cap. 19 151 verwirft sie ausdrücklich und allgemein; − ihm folgten die Afrikaner: cypr. epist. 71. 73; auch viele asiatischen Kirchen Euseb. hist. eccl. l. I, cap. 7; Cyprian war der eifrigste Gegner der Ketzertaufe, 20 der römische Papst Stephanus entgegen nahm sie in Schutz: die Gründe und das Verfahren der beiden streitenden Partheien findet man in den Briefen des erstern epist. 69-75 611 Das Ansehen Roms und der Abendländer, so wie das Verfahren der Novatianer und Donatisten brachten bald die Afrikaner von ihrer Meinung zurück, 25 und Augustinus vertheidigte nachher die Ketzertaufe selbst. Die bisher in zu großer Allgemeinheit und Unbestimmtheit bisher verhandelte Streitfrage wurde in folgenden Jahrhunderten erst näher bestimmt, wovon zu seiner Zeit das Ausführlichere. 5. 612 Daß die Taufe nur einmal ertheilt werden könne, darüber war man 30 durchaus einig. Clem. Strom. III pag. 548; Tertull. de bapt. cap. 15; Cypr. epist. 63. 71; 613 6. 614 Der äußere Ritus bei der Taufe findet sich beschrieben Justin. loc. cit., die 152 Katholischen hielten sich von jeher genau an die biblische Formel: Tertull. adv. 607 Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 346. 608 Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 350. 609 auf dem Rand M. p. 352-357 M. IV. pag. 367-373. 610 Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 352f. 611 Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 353-356. 612 am Rand M. p. 338 613 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 338. 614 auf dem Rand M. 336. 337. M. IV. pag. 373 377. − L: 2. Bd., 2. Aufl., 4. Bd. <?page no="251"?> 219 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) Prax. c. 26; de corona c. 3; 615 - Die gnostischen und andere häretische Partheien änderten die Taufformel verschiedentlich. * Iren. l. I. c. 18 616 - Selbst die bei Kranken später eingeführte Taufe durch Besprengung sahe die römische Kirche nicht gern. Euseb. hist. eccl. VI. c. 43; Cyprian. epist. 69 617 vertheidigte sie. - Doch dieß gehört in die Geschichte der christlichen Gebräuche. 5 * §. 48) 618 1. 619 Über die Confirmation finden sich in diesem ersten Zeitraum keine ausführlichen Äußerungen, v über dieselbe als ein für sich bestehendes Sacrament v620 aber gar keine. Die Ursache liegt darinn, daß in den ersten Jahrhunderten, die Confirmation mit der Taufe verbunden war; und erst 10 später, als die Kindertaufe allgemein eingeführt war, auch wegen der veränderten äußern Lage selten Jemand Erwachsener mehr zur Taufe kam, das Bedürfnis gefühlt wurde, sie von dieser zu trennen, und besonders zu ertheilen. Was die historischen Documente darüber lehren, besteht in folgendem: 15 a. Die Confirmation, die im¯ er mit der Taufe noch verbunden war, kom¯ t im¯ er 20 153 neben ihr unter dem Namen der Hände Auflegung vor, in Beziehung auf Act. VIII, 17. Die hieher gehörigen Stellen finden sich zerstreuet in den Schriften der Väter. Vide Nat. Alex. de Sacr. confirm. b. Dieße Hände Auflegung scheint jedoch in der frühesten Zeit für einen 20 Ritus angesehen worden zu sein, der mit zur Taufe gehöre. Weswegen mehrere Väter, namentlich Justinus, da er von der Taufe redet, der Händeauflegung nicht erwähnt. Unbekan¯ t konnte er dem Justinus nicht sein, weil Väter des zweiten und dritten Jahrhunderts ihn bestimmt für apostolische Tradition ausgeben; also that er seiner keine Erwähnung, weil er entweder ihn in der 25 Taufe mitbegriff, oder er als Presbyter nur die Taufe ohne HändeAuflegung nach dem Gebrauch der römischen Kirche ertheilte. Man hatte auch Grundes genug, die Hände Auflegung als Komplement der Taufe zu betrachten in dem Verfahren der Apostel. Act. VIII; X, XIX. Cypr. ep. 73; w concil. illis can. 38 et 77 w621 30 c. Für einen in der Kirche allgemein angenommenen Ritus, und zwar für einen solchen, der sich auf die Anordnung und Tradition der Apostel gründe, 154 615 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 337. 616 Angaben zu Irenäus eingewiesen 617 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 337. 618 spätere Paragraphenangabe 619 danach durchgestrichen 7. 620 v-v: korrigiert aus: als eines für sich bestehenden Sacraments − darunter am Rand: Die Confirmation ist dadurch ganz bestimmt von der Taufe unterschieden, daß die Väter der ältesten Zeit einer jeden eine eigene Wirkung zuschreiben, der Taufe die Vergebung der Sünden, der Confirmation die Ertheilung des h. Geistes. 621 w-w: auf dem Rand <?page no="252"?> 220 Johann Sebastian Drey wurde sie schon in den ersten Zeiten gehalten. Dies bezeugt Tertullian de baptismo c. 17; de resurrect. carn. cap. 8 - Cyprian epist. 70 ad Jan; epist. 73; Anmerk. Die anderweitigen Stellen der Väter und Concilien besonders der späteren Zeiten findet man gesammelt bei Witasse und Juvenin in comm. histor. et dogm. de Sacram. 622 - und die Belege aus den liturgischen Büchern der latei- 5 nischen und griechischen Kirchen bei Renaudot. Perpet. fid. Tom. IV et V; 623 und Tom. II liturg. orient. pag 308 ss. 624 644. 2. 625 Daß die Confirmation für ein von Christus selbst angeordnetes, von der Taufe ganz unabhängiges Sacrament gehalten worden wäre, im Sinne der spätern Zeiten, läßt sich wenigstens durch kein Zeugnis der drei ersten Jahr- 10 hunderte erweißen. Jene Idee bildete sich erst später, da selten ein Erwachsener mehr getauft wurde, also die Confirmation von der Taufe getrennt, und in dem abendländischen Patriarchat nach einem alten Gebrauch der römi- 155 schen Kirche, der sich auf die Beispiele der Apostel stützen konnte, den Bischöfen allein vorbehalten blieb. 15 3. 626 Von den Wirkungen der Hände Auflegung sprechen die Väter nach dem Vorgang der Schrift: sie schreiben ihr zu die Mittheilung des h. Geistes Aug. de Trin. l. XV cap. 16. Cyprian. ep. 73; - Tertull. de bapt. cap. 17. Dießer letzte drückt sich de resurr. carn. also darüber aus: »Der Leib wird gesalbet, damit die Seele geheiligt, der Leib wird bezeichnet, damit die Seele gestärkt; der Leib 20 wird durch HandAuflegung überschattet, damit die Seele durch den Geist erleuchtet werde.« - c. 8. Anmerk. Die äußern Ceremonien bei der Confirmation gehören nicht hieher. § 31 (§. 49) Lehre von dem Abendmal M. II. § 240-250 627 Drei Stücke sind es, die in dieser Lehre vorzüglich in Betracht kommen. Die 25 Bedeutung der Eucharistie - ihre Wirkung auf den einzelnen Menschen - ihre Bedeutung und Wirkung auf das Ganze der Kirche als Opfer 622 L: Witasse, Tractatus 623 L: Renaudot, Perpe´tuite´ 624 L: Renaudot, Liturgiarum orientalium collectio, 2. Bd. 625 ersetzt d − daneben auf dem Rand: Daß sie aber auch nicht für Eins mit der Taufe - auch nicht für einen bloßen Taufritus gehalten worden, erhellt aus der Gewohnheit der Kirche, auch in denjenigen Fällen wo die Taufe der Ketzer für giltig gehalten wurde, die Confirmation doch noch nachträglich zu ertheilen, so wie aus einer Menge von Synodalkanonen hierüber. Für die andern - eigentlichen Taufritus fand so Etwas nicht statt. Daher, wen¯ auch die Confirmation in den ersten Jahrhunderten nicht, oder selten ein Sacrament genan¯ t wird, so wurde sie doch dafür gehalten 626 ersetzt e 627 Angaben zu Münscher (Bd. 2, 2. Aufl.) am Rand <?page no="253"?> 221 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) 1. Bedeutung der Eucharistie 156 A) Darüber stimmen alle Väter ohne Ausnahme überein - daß sie die Eucharistie, oder auch was Eucharistie wird durch die Segnung, nämlich - Brod und Wein den Leib und das Blut des Herrn nennen. - Stellen hierüber besonders anzuführen, ist überflüßig, da jene Ausdrücke in den bald anzu- 5 führenden Stellen überall vorkommen. B) 628 Wie und in welchem Sinne die Eucharistie der Leib und das Blut Christi sei? oder die Frage mit den Ausdrücken der spätern Jahrhunderte gestellt, wie Christus in der Eucharistie sei und wie er darein komme? Darüber haben sich in den Zeiten der Reformation drei verschiedene Ansichten ausgebildet, wel- 10 che allgemein bekan¯ t sind. Keine der drei Ansichten findet sich deutlich und bestim¯ t ausgesprochen bei den Vätern der ersten Periode; alle aber sprechen so erhaben von der Eucharistie, daß ihre Äußerungen nur begreiflich sind, wen¯ man voraussetzt, daß sie eine wirkliche Gegenwart Christi in derselben geglaubt haben. Die wirkliche, wahrhafte, körperliche Gegenwart Christi ist 15 157 also das einzige, was schon in dieser Periode als christliches Dogma vorkömt. Ignatius epist. ad Rom; ad Ephes. cap. 20; ad Smyrn. cap. 7; edit. Cotel. Amstelod. 1724 - 629 setzt offenbar eine leibliche und fleischliche Gegenwart Christi voraus, aber von Impanation oder Transsubstantiation findet sich bei ihm keine Spur. 20 Justinus Apolog. maj. nro 60 edit Prud. Mar. 630 vergleicht die Consecration der Eucharistie mit der Einfleischung 631 des Logos, und behauptet um deßwillen eine wahre leibliche Gegenwart Christi. Für Impanation, wie Münscher meint, folgt so wenig als für Transsubstantiation aus seinen Worten; denn aus diesen läßt sich gar nicht entnehmen, wie sich Justin die Verbindung des Logos mit 25 den Eucharistischen Materien gedacht habe: es ist möglich, daß er sich diese Verbindung gedacht habe - entweder als eine bloße Verbindung des Logos mit dem unveränderten Brod und Wein als einer besondern Art von Leib, wo das Brod die Stelle des Fleisches, der Wein jene des Blutes vertretten würde: und so glaubt M. - oder für eine Verbindung des eingefleischten Logos mit 30 dem unveränderten Brod und Wein als bloßen Hüllen seines wahren Leibes und Blutes - oder endlich als eine Verbindung des bloßen Logos mit dem dem 632 Brod und Wein, welche aber hier durch Verwandlung in ebendenselben 158 Leib und dasselbe Blut verwandelt würden, die er bei der Menschwerdung aus Maria angenommen. 35 628 auf dem Rand Joh. VI, 27-40 wird von Hermas Simil. V, cap. 5, v. 8 von den Geboten also von der Lehre gedeutet 629 auf dem Rand M. p. 366 630 auf dem Rand M. p. 366-370 631 Korrektur am Rand, dafür gestrichen: Fleischannahme 632 Doppelung wohl durch Seitenwechsel bedingt <?page no="254"?> 222 Johann Sebastian Drey Anmerk 1. Ich sagte: aus den bloßen Worten Justins folge keine der drei möglichen Vorstellungsarten mit Gewisheit. Indessen da Justin sagt: »daß die Speiße - Brod und Wein - nachdem sie durch Gebete mit Danksagung geweiht worden, Jesu Fleisch und Blut sei«. - das unveränderte Brod und der unveränderte Wein aber nur sehr uneigentlich Jesu Fleisch und Blut genannt 5 werden könnten, so wird es sehr unwahrscheinlich, daß Justin eine der beiden ersten Vorstellungsarten gehabt habe; es bliebe folglich nur die dritte über, welche die Transsubstantiationslehre wäre. Allein Justin nennt die Eucharistie des Fleischgewordenen Jesu Fleisch und Blut. Er dachte sich also den Logos nach der Menschwerdung nie ohne Fleisch und Körper, und dieß ist auch 10 natürlich u. der Bibel gemäß. Was ist also des Fleischgewordenen Jesu Fleisch und Blut? was ist das Fleisch eines Menschen, der schon lange Fleisch angenommen hat? Offenbar nur jenes anfängliche, das er nie mehr abgelegt hat: wie könnte er also zu dem Fleische, das er seit der Menschwerdung hat, noch ein anderes in der Eucharistie annehmen durch Verwand-lung des Brodes und 15 159 Weines? Wäre dießes neue Eucharistische nicht ein Fleisch über das Fleisch, steckte also nicht der eine Leib in dem andern, Christus also in einem doppelten Leibe? - (Dieße Unschicklichkeit war es ohne Zweifel, die spätere Theologen z.B. Johannes Damascenus pp nöthigte, eine eigentliche und totale Destruction des Brodes u. Weines anzunehmen, nachdem bei der Consecra- 20 tion Christus mit seinem ersten Leib auf den Altar niedersteigt.) Im Ganzen bleibt also die Stelle Justini dunkel, und vielleicht dachte er gar nicht an eine besondere Art, wie die Eucharistie Fleisch und Blut Christi sei. - Anmerk. 2. Aus dem Worte μεταβολη folgt gar nichts für die Transsubstantiationslehre: den¯ es ist hier, wie der Zusammenhang zeigt, keine Metabole 25 des Brodes in den Leib Christi, sondern eine Verdauung des Brodes und Assimilation im Magen gemeint, oder wohl auch eine Verwandlung der geweiheten Speiße, d.h. des Leibs Christi in unser Fleisch und Blut. Man höre nachher. Irenæus 633 nennt das Brod, worüber die eucharistischen Worte ausgesprochen 30 worden, mit den Gnostikern den Leib des Herrn, und folgert daraus, daß die Ketzer dieß nicht einmal glauben können, ohne Christum für den Sohn und 160 Logos des Weltschöpfers zu halten, was sie doch nicht wollten. l. IV. adv. hæres. cap. 18. § 3. 4. 634 - Dieße Argumentation Irenäi gegen die Gnostiker ist nur treffend, wen¯ in der Eucharistie eine wirkliche Gegenwart des Logos, u. 35 ein wirklicher materieller Leib angenom¯ en wird, doch erscheint diese Stelle, auf einen eigenen eucharistischen Leib in dem zwar veränderten aber nicht verwandelten Brod zu deuten 633 auf dem Rand M. pag. 376-385 634 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 377. <?page no="255"?> 223 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) β . In andern Stellen, wo er aus der Eucharistie die Möglichkeit und Hoffnung einer Auferstehung der Körper gegen die Gnostiker demonstrirt, schließt Ir. zuförderst bestimmt alle bloß symbolische Deutung aus. Ob aber aus seinen Worten überhaupt etwas für eine der drei übrigen Vorstellungsarten gefolgert werden könne - namentlich für die Münschersche pag. 384 635 muß dahinge- 5 stellt werden. Die Redeformel: daß der Logos zu Brod und Wein hinzukom¯ e, giebt keinen Grund, M. Vorstellungsart dem Ir. beizulegen: indem dieselbe ehender die Impanation zu bestättigen scheint. Ebensowenig folgt aus der Formel: Brod 636 und Wein würden von den Gläubigen geopfert - etwas gegen die wahre Gegenwart oder Transsubstantiation; - den¯ Irenæus kan¯ mit dem 10 Opfer die sogenan¯ te Oblation gemeint haben; wo dan¯ seine Worte buch- 21 161 stäblich wahr sind. l. IV. cap. 17. 18; l. V. cap. 2. § 2. 3 637 Anmerk. M. hauptsächliches Argument für seine Vorstellungsart, die er dem Irenäus unterlegen will, ruht auf dem Satz, daß Irenäus jene Grundlehre der Gnostiker widerlegen wolle, zufolge deren Gott der Vater nicht der Urheber 15 der erschaffenen Dinge sein soll, - und daß seine Widerlegung nicht bündig wäre, wen¯ nicht durchaus Brod in der Eucharistie bliebe. - Allein Irenäus konnte schon aus dem bloßen Gebrauch und der Oblation des Brods und Weins zur Eucharistie die Widerlegung führen. - - Clemens Alexandr. spricht Pæd. l. I cap. 6 638 allegorisch und mystisch über Joh. 20 VI. Deutlicher und bestim¯ ter aber Pædag. II. cap. 2 639 - Die vorgebliche Dunkelheit der Stelle, die allerdings für den ersten Anblick da ist, muß schon allein durch die Schlußworte gehoben werden: »Der Geist nämlich wird in der That mit der Seele, welche von ihm geleitet wird, vereinigt, - das Fleisch aber, um dessen willen der Logos Fleisch geworden ist, mit dem Fleische.« - Der 25 idealistische Alexandriner, der alles auf den Geist bezieht, und in allem 162 Materiellen eine Allegorie von etwas Geistigem sieht, unterscheidet zuerst ein fleischliches und ein Geistiges Abendmal, ebenso ein doppeltes Blut, - eine doppelte Wirkung. Von diesem Standpunct aus wird sich dann die genan¯ te Stelle leicht deuten lassen. 30 a) Es ist ein doppeltes Blut des Herrn, nicht - wie M. meint - das am Kreutze vergoßene und das in der Eucharistie; sondern ein und dasselbe Blut, welches am Kreutze vergoßen ward und auch in der Eucharistie empfangen wird, ist ein doppeltes in Absicht auf seine Wirkung und die daherrührende Betrachtungsweiße. »Durch das leibliche - d.h. wahre materielle Blut, sind wir von 35 der Verwesung erlößt, indem es beim Abendmal in unser eigen Blut übergeht, 635 L: 2. Bd., 2. Aufl. 636 davor gestrichen daß 637 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 373-381. 638 auf dem Rand M. pag. 385-389 639 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 385-387. <?page no="256"?> 224 Johann Sebastian Drey und ihm die Unverweßlichkeit mittheilt / : nach der Vorstellungsart Justini, Ignatii, Irenæi : / - das geistige Blut, d.h. die geistige Wirkung des leiblichen Blutes, oder die Wirkung des mit dem Blute verbundenen Logos giebt unserm Geiste Salbung, theilt uns den Geist und die Gesinnungen Jesu mit. Dießer Sinn, der hier nur unter mystischen Ausdrücken verhüllt ist, wird ganz 5 klar und unverhüllt am Schluße dargelegt. b. Die nächste, körperliche Wirkung der Eucha-ristie, ist also die Theilnahme 163 an der Unverweßlichkeit des Herrn - oder das Vermögen, das unser Körper / Fleisch und Blut/ erhält, mit der Zeit wieder aufzustehen aus der scheinbaren Verwesung. Darin¯ 640 besteht das eigentliche Abendmal, insofern es ein wirk- 10 liches, physisches Trinken / u. Essen/ ist: das »heißt das Blut des Herrn trinken« - c. Der überall das Geistige unter der Hülle des Materiellen suchende Alexandriner fängt nun an 641 zu allegorisiren und zu symbolisiren. Daher ist ihm das Trinken des Blutes weder das Einzige noch das vorzüglichste, was im Abend- 15 mal vorgehet: das Blut und das Trinken des Blutes sind ihm Symbole von Etwas Höherem, Geistigen. Der Logos besteht nämlich 642 aus Geist von Ewigkeit her, und aus Fleisch, das er in der Zeit angenommen; und das Fleisch - oder eigentlicher der Körper, den er mit uns gemein hat, aus Blut als dem seelischen belebenden Princip, und aus Fleisch als dem dienenden Maße: 20 »Die Kraft des Logos ist der Geist, die Kraft des Fleisches ist das Blut« - d. Diese Duplicität eines Höhern und eines niedern, eines Geistigen Wesens, und einer gröbern Hülle, einer Kraft und ihres materiellen Substrats und Symbols führt er nun durch den ganzen Ritus der Eu-charistie hindurch, um 164 zu zeigen, was die sinnliche, materielle, - und was die geistige Wirkung 643 , 25 und wie in jener geheimnißvollen Handlung die letztere im¯ er durch die erste versin¯ bildet sei. - »In der Eucharistie kömt vor die Mischung des Weines mit dem Wasser als sinnliches Symbol 644 andeutend die unsichtbare Vereinigung des Geistes / λογοσ / mit dem Menschen: wie die erste Mischung einen erquickenden Trank giebt, so giebt die andere Vereinigung die Unverweßlich- 30 keit / die sinnliche Wirkung des sinnlichen Symbols ist noch Symbol der unsinnlichen Wirkung des unsinnlichen Geistes - »In der Eucharistie aber ist nicht bloß Mischung von Wein und Wasser zu einen bloßen Tranke, sondern Mischung des Logos mit dem Tranke, und diese letztere ist eigentlich Eucharistie, ein vortreffliches, Geist und Leib heiligendes Gnadengeschenk, 35 wenn es mit Glauben genossen wird. Denn die ganze Wirkung der Eucharistie 640 davor gestrichen Dieß 641 danach gestrichen Alleg 642 am Rand angefügt 643 danach gestrichen sei 644 danach gestrichen von der geistigen Mischung − Zitat an jedem Zeilenbeginn mit Anführungszeichen markiert, Zitatende nicht gekennzeichnet <?page no="257"?> 225 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) ist eine Mystische Vereinigung des Menschen mit dem Geiste 645 und zwar 646 auf die doppelte Art, die die oben schon verzeichneten Schlusworte bestim¯ t und deutlich aussprechen NB 647 Anm. Dieß ist die ungezwungene Deutung der Stelle Clemens nach 165 M. Ubersetzung. Aber bei genauer Durchsicht des Textes fand ich, daß er in 5 mehrern wesentlichen Puncten falsch übersetzt habe. Die griechische Stelle, wie sie M. selbst anführt / : ob richtig oder nicht kann ich jetzt nicht sagen, da ich Clemens Werke nicht zur Hand habe: / heißt: 648 Διττον το αι ë μα του κυριου. το μεν γαρ εστι αυτου σαρκικον, ì ω ë τησ ϕθορασ λελυτρωμεθα. το δε πνευματικον, τουτ ’ εστιν, ì ω ë κεχρισμεθα. και τουτ ’ εστιν πιειν 10 το αι ë μα του Ιησου, τησ κυριακησ μεταλαβειν αϕθαρσιασ. Ισχυσ δε του λογου το πνευμα, ω ë σ αι ë μα σαρκοσ; αναλογωσ τοινυν κιρναται, ο ë μεν λογοσ / M. übersetzt Wein/ τ ì ω υ ë δατι, τ ì ω δε ανθρωπ ì ω το πνευμα. και το μεν εισ πιστιν / M. ließt ποτον/ ευωχει το κραμα. το δε εισ αϕθαρσιαν ο ë δηγει το πνευμα. ë Η δε αμϕοιν αυθισ κρασισ, ποτου δε και λογου, ευχαριστια κεκεληται, χαρισ επαινουμενη και καλη, 15 η ë σ οι ë κατα πιστιν μεταλαμβανοντεσ, α ë νιαξονται και σωμα και ψυχην; το θειον πραγμα, τον ανθρωπον, του πατρικου βουληματοσ πνευματι και λογ ì ω συνκρι ναντοσ μυστικωσ. και γαρ ω ë σ αληθωσ μεν το πνευμα ω ë κειωται τ ì η απ ’ αυ Æ του ϕερομενη ψυχη, η ë δε σαρξ τ ì ω λογ ì ω, δι ’ η ë ν λογοσ γεγονεν - σαρξ. x »Es giebt ein doppeltes Blut des Herrn: das eine ist das Blut seines Fleisches, 20 166 wodurch wir von der Verwesung erlößt sind; das andere ein geistiges, nämlich jenes womit wir gesalbet sind. Und das heißt (zunächst) 649 das Blut Jesu trinken, der Unverweßlichkeit / Unsterblichkeit/ des Herrn theilhaftig werden. Nun ligt die Kraft des Logos in dem Geiste, sowie 650 jene des Fleisches in 651 dem Blute; daher auf gleiche Weiße der Logos mit 652 dem Tranke sich 653 25 verbindet, der Geist desselben aber mit dem Menschen; das erste, nämlich die Verbindung des Logos mit dem Tranke 654 macht stark im Glauben, das andere aber, nämlich der Geist führt zur Unverweßlichkeit. Hinwieder heißt dieselbe Mischung aus beiden, dem Tranke nämlich und dem Logos Eucharistie, (das will sagen) ein preiswürdiges und herrliches Gnadengeschenk, wodurch die, 30 welche nach 655 dem Glauben davon genießen, an Leib und Seele geheiligt werden, indem der Wille des Vaters / : in jener Veranstaltung: / den Menschen, 645 Zitat an jedem Zeilenbeginn mit Anführungszeichen markiert, Zitatende nicht gekennzeichnet 646 danach gestrichen eine doppelte − Zitatende nicht gekennzeichnet 647 dreifach unterstrichenes Notabene am Rand 648 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 386 f. 649 Einweisung 650 über der Zeile 651 davor gestrichen aber 652 davor gestrichen sich 653 über der Zeile 654 ersetzt über der Zeile Wasser 655 davor gestrichen mit Glaub <?page no="258"?> 226 Johann Sebastian Drey der selbst ein göttliches Gebilde / aus Leib und Seele/ ist, mit dem Geiste und dem Logos verbindet auf eine mystische Weiße.« x656 Denn, gleichwie / bei der ursprünglichen Schöpfung/ der Geist mit der Seele 657 , die von ihm gehalten 167 wird (werden sollte) wahrhaft auf das innigste vereinigt worden ist / ì ωκειωται / so wird auch hier der Logos mit dem Fleische des Menschen, um dessen 5 willen der Logos Fleisch wurde, verbunden. Anmerk. Man sieht, wie sehr dieße Ubersetzung, die allein dem griechischen Text entspricht, von M. Ubersetzung abweicht, und wie diese Stelle in vielen Stücken, besonders am Schluße einen ganz andern Sinn giebt, so daß man gar nicht mehr die alte Stelle zu hören glaubt: ein abermaliges merkwürdiges 10 Beispiel, wie noch heutzu Tage Männer von bedeutenden Namen auf das willkührlichste mit Väterstellen umgehen, und wiewenig allen Ubersetzungen besonders in Controversen Dogmen zu trauen ist. Der Sinn der Stelle ist durch die fast wörtliche Ubersetzung viel klarer geworden. Die ganze Tendenz derselben geht dahin, eine doppelte Euchari- 15 stie, und eine doppelte Wirkung derselben zu unterscheiden: nämlich eine nach der offenen Kirchenlehre, und eine mystische, welche durch die erstere nur symbolisirt ist; und dieße durchgängige Unterscheidung des Exoterischen und Esoterischen Christentums ist den Alexandrinern, besonders dem Clemens ganz eigen. 20 Daher unterscheidet er 658 168 a. Ein doppeltes Blut des Herrn - das exoterische welches nach der Kirchenlehre am Kreutze vergoßen um uns vom Untergange, ewigen Verderben, oder der Verwesung zu erlößen - und das esoterische, Mystische, welches uns die geistige Salbung ertheilt. 25 b. Beide sind auch nach Clemens in der Eucharistie zu unterscheiden. Deßwegen heißt das Blut des Herrn trinken, zunächst nach dem offenen Sinn der Kirchenlehre, und mit Beziehung auf seine Wirkung - »der Unverweßlichkeit des Herrn theilhaftig werden. c. Aber es ist des Logos Kraft der Geist, wie des Fleisches Kraft das Blut: 30 wenn also das Blut des Herrn als die eigentliche Kraft seiner körperlichmenschlichen Natur unserm Körper die Unverweßlichkeit ertheilt, so ist es des Logos Geist, der unserm Geiste die Salbung giebt: der Geist des Logos ist demnach das geistige Blut des Herrn, von dem das leibliche nur ein Symbol ist. 35 d. Diese zweifache Duplicität - Logos u. Geist des Logos; Fleisch und Blut wird nun wieder auf die Eucharistie angewendet, und in dieser überall eine ähnliche ( αναλογωσ ) Verbindung gezeigt: 656 x-x: Zitat an jedem Zeilenbeginn mit Anführungszeichen gekennzeichnet 657 danach gestrichen wahrhaft 658 danach Verdoppelung er gestrichen <?page no="259"?> 227 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) erstens die des Logos mit dem Tranke ( υ ë δωρ muß hier für den eucharistischen 22 169 Trank überhaupt und nicht für bloßes Wasser genom¯ en werden : / - dan¯ die des Geistes mit dem Menschen; die erstere ist im Sinne des Clemens eine physische, und als solche bloßes Symbol der andern rein geistigen. e. Ebenso bestim¯ t er auch die Wirkungen beider: die erste Verbindung ist für 5 sich Gegenstand des Glaubens, und macht überhaupt gläubig: die andere führt zur Unsterblichkeit - alles symbolische u. mysteriöse wird blos vom Glauben erfaßt und geübt in der Gläubigkeit. f. Die erstere Verbindung heißt Eucharistie, u. ihre Wirkung nun deutlicher ausgesprochen ist Heiligung des Geistes und Leibes. 10 g. Die folgenden Worte sind eine bloße Erklärung wie die Eucharistie den Menschen an Leib und Seele heilige: zuerst im Allgemeinen; »indem nämlich diese Veranstaltung des göttlichen Vaters den Menschen mit dem Logos und Geist verbindet, und dadurch το θειον κραμα hervorbringt.« (oder το θειον κραμα könnte sich auch als bloßes appositum auf σωμα και ψυχην und τον 15 ανθρωπον , zwischen denen es steht, beziehen, so daß es den Sinn hätte: den Menschen, dießes θειον κραμα aus Leib und Seele); dan¯ noch deutlicher: 170 »denn wahrhaftig verbindet sich der Geist ganz mit der Seele, deren er sich bemächtigt hat, das Fleisch aber mit dem Logos, der um dieses menschlichen Fleisches willen selbst Fleisch annahm« - 20 h. Hieraus läßt sich nun leicht darthun, was nach dem Clemens in der Eucharistie ist: es ist darinn der Logos und der Trank; und zwar der eingefleischte Logos, d.h. der Geist des Logos und sein Fleisch; dieß sagen die Schlusworte deutlich. Nach Clemens 659 ist also Christus in der Eucharistie durch Impanation, und seine klaren Worte schließen allen Gedanken an Transsub- 25 stantiation aus M. II. p. 388. 660 i. Diese Vorstellungen des Alexandriners von der Eucharistie finden sich auch in den übrigen Stellen. Merkwürdig ist eine in den Auszügen des Theodotus aufbewahrte, wo er das Brod im Abendmal mit dem Oel bei der Confirmation, 30 und mit dem Taufwasser in eine Classe stellt, und dann von allen dreien sagt, daß sie durch die Kraft des Namens eine geistige Wirkung erlangen, und nicht mehr bloß das sein, was sie scheinen. Opp. Clem. pag. 988. Nun aber bleiben Confirmationsöl und Tauf-wasser auch nach der Segnung noch Oel, 171 und Wasser; folglich auch das Brod im Abendmal. - Wen¯ Clemens ferner 35 Pædag. l. II. cap. 2 pag. 185. 186. das mystische Symbol des heil. Blutes, die allegorische Bedeutung des Logos nen¯ t, so ist dieß nach a. b. c. d. h zu 659 davor gestrichen Christus 660 auf dem Rand - L: Diese wie die folgenden Angaben aus Münscher, Bd. 2, 2. Aufl. <?page no="260"?> 228 Johann Sebastian Drey nehmen; und würde der Vater gänzlich misverstanden, wenn man ihn nach dem Sinne der Figuranten deuten wollte. confer. Strom. l. IV. pag. 637. 661 Origenes ist unter allen Vätern dieser Periode derjenige, dessen Vorstellungsart von der Bedeutung der Eucharistie die meisten Schwierigkeiten verursacht. Da der Stellen, wo er davon spricht, zu viele sind, so muß man die, 5 worinn ungefähr gleiche Äußerungen vorkommen, zusam¯ enstellen a. Allererst sagt er an mehreren Stellen, die Eucharistie sei der wahre Leib Christi. Hom. XIII in Exod. nro 3; hom. V in div. loc. Matth. VIII, 8; Contra Cels. l. VIII, cap. 22; M. II. pag. 389. 390 662 10 b. In andern Stellen nen¯ t er das Brod im Abendmal den typischen und Symbolischen Leib des Herrn; und setzt diesem entgegen den Logos selbst, 172 den er zwar Fleisch und die wahre Speise nennt, aber in einem geistigen Sinn. Daselbst sagt er auch, das Brod der Eucharistie erfahre im Magen des Genießenden dieselben Veränderungen wie gemeines Brod: und das zum Brod 15 hinzugekommene Gebet bringe seine geistige Wirkung nur hervor nach Maßgabe des Glaubens, seiner Gemüthstim¯ ung und Vorbereitung. Comm. in Matth. (Tom. XI nro 14.) Opp. Tom. III pag 498 ss; conf. homil. III in Levit. nro 5; in Psalm. VI. nro 6; Aus diesen Stellen folgt bloß, daß Origenes an keine Transsubstantiation 20 geglaubt habe, aber nicht bestimmt wenigstens, daß er die wirkliche Gegenwart des eingefleischten Wortes geläugnet habe; vielmehr scheinen die Schlusworte der Stelle dieß letztere zu widerlegen. Denn seine Ausdrücke: Symbol, Typus pp müßen wie bei Clem. Alex. gedeutet werden. / : Die Meinung Justins: / 25 M. II pag. 391-393 663 c. Wieder an andern Stellen will er das Abendmal in einem ganz geistigen u. mystischen Sinn verstanden wissen; und tadelt gewißermaßen, stellt wenigstens als einfältig die Leute dar, die andere Begriffe vom Abendmal hatten, und ihm physische Wirkungen oder an den Genuß desselben geknüpfte 30 173 heiligmachende Kräfte zuschrieben. Besonders comment. in Matth. Opp. Tom. III. pag. 898 - y Tract. 35 in Matthæum; so auch hom. 9 in Leviticum; hom. 16 in Numer. y664 versteht er die EinsetzungsWorte blos vom Wort und der Lehre Christi, besonders von der Lehre des Erlößungstodtes. Hieher gehören noch homil. VII in Levit. (nro 5) Opp. Tom. II pag. 222 et 225; homil. 32. in Joh. nro 16 35 661 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 388. 662 Angaben zu Münscher am Rand 663 Angaben zu Münscher am Rand 664 y-y: zu Tom. III. am Rand ergänzt; darunter: * kapharnaiten Sin¯ (Referenz des Asteriskus nicht angegeben) <?page no="261"?> 229 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) (opp. Tom. IV pag. 444, welche Stelle aber ohne Grund gegen die Transsubstantiationslehre gebraucht worden; 665 Prol. in Cant. pag. 28, welche Stelle aber nichts für die bloß symbolische Bedeutung der Eucharistie beweißt. Anmerk. Nach allem dem ist es erstens zu rasch geschlossen, wen¯ man mit M. behauptet, Origenes habe das Abendmal für eine bloß symbolische Handlung 5 im Sinne der Calvinisten gehalten; conf. a et b; 666 - aber ebenso gezwungen sind die Auslegungen, welche die ganze spätere Ansicht vom Abendmal schon bei demselben finden wollen. Auffallend bleibt aber im¯ er die große Hochachtung des Origenes selbst gegen die Symbole des Abendmals; welche Ehrfurcht er auch dem Volke empfiehlt, und bis zu der ängstlichen Warnung ausdehnt »ja 10 174 nichts von dem Leibe des Herrn auf die Erde fallen zu lassen.« - Hom. XIII in Exod. Opp. Tom. II. p. 176. 667 - - Dieß sollte, wie ich glaube, für einen Beweiß der wirklichen Gegenwart gelten. - Er erklärt sich überall nur gegen den fleischlichen Sinn; und die physischen Wirkungen der Eucharistie Tertullian hat gleichfalls mehrere Stellen, die nicht alle die gleiche Ansicht von 15 der Eucharistie zu enthalten scheinen. M. pag. 393-396 668 a. Die Stelle contra Marc. l. IV. cap. 40 ist von den Figuranten für einen Beweiß gebraucht worden, daß T. das Abendmal für eine blos symbolische Handlung gehalten habe: allein mit Ungrund. Zwar nennt T. das Brod eine 20 Figur des Leibes Christi, und folgert daraus, daß Christus einen wahren, keinen bloßen Scheinleib gehabt habe. Allein man sieht deutlich, daß er das Brod die Figur des Leibes Jesu nennt nicht in Beziehung auf das Abendmal, oder eine Figur des eucharistischen Leibes, sondern eine Figur des Leibes, der da gekreuzigt werden sollte: das Brechen und Hingeben des Brodes sollte 25 nämlich den Todt und die versöhnende Hingabe seines Leibes bezeichnen. Selbst in Beziehung auf den eucharistischen Leib konnte Tert. wie andere Väter der ersten Zeit das Brod eine Figur, das heißt ein sichtbares Bild des 175 unsichtbar aber dennoch wahrhaft gegenwärtigen Leibes nennen; der Transsubstantiationslehre allein wären alsdann solche Stellen ungünstig. - Dieß 30 erhellt noch deutlicher, wo er vom Blute spricht, dessen Vergießung am Kreutze Chr. jetzt durch das Leeren des Kelches andeuten wollte, wie er / nach der symbolisirenden Auslegung Tertullians / schon ehemals durch den Propheten Esaj. LXIII, 1 ss. den Wein und die weinrothen Kleider des Keltertreters als Vorbild seines künftigen Leidens aufgestellt hatte. - Da diese 35 Stelle nicht die Absicht hat, etwas über die Eucharistie auszusagen: so darf auch hier die Meinung T. nicht gesucht werden; wie man auch seine sonder- 665 schließende Klammer fehlt 666 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 392. 667 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 393. 668 Angaben zu Münscher am Rand (Bd. 2, 2. Aufl., bes. S. 395). <?page no="262"?> 230 Johann Sebastian Drey bare Wortstellung: ita et nunc sanguinem in vino consecravit, qui tunc vinum in sanguine figuravit - deuten mag. - Verglichen hiemit müssen werden Contra Marc. l. I. cap. 14; l. III. cap. 19; De resurr. carn. c. 37; de orat. cap. 6. 669 b. An andern Stellen spricht er deutlicher von der wirklichen Gegenwart Christi in der Eucharistie l. de idolol. cap ; de resurr. carnis cap. 6 et 8, wo er dem 5 Abendmal eine Wirkung auf den Leib des Menschen zuschreibt, die nur 176 unter der Voraussetzung des wahren Leibes Christi stattfinden kann. - Auch die große Hochachtung, die er wie Origenes auch auf die äußere Sorgfalt ausdehnt, ist ein Beweiß davon. De coron. mil. cap. 3; conf. de præscript. hæret. cap. 41; contra Marc. l. V. cap. 1. 10 c. Von einer Transsubstantiation findet sich nichts bei Tertull. M. pag 397-400 670 Cyprianus hat weitläufig über die äußern Symbole der Eucharistie gehandelt in dem Briefe an den Cæcilius, der Ordnung nach dem 63ten. Die Hauptabsicht des Briefes ist nicht eigentlich den Inhalt der Eucharistie aufzudecken, 15 sondern die alte Gewohnheit, Wein neben dem Wasser im Kelche zu haben, gegen eine Neuerung der sogenannten - Hydroparastaten, Aquarier - zu vertheidigen. Die Nothwendigkeit des Weins folgert er aus der Bedeutung der Symbole zuerst. M. pag. 397 - wo offenbar die einzelnen an sich zweideutigen Worte so erklärt werden müßen, wie es der Absicht des Schriftstellers ange- 20 messen ist. Wäre nun die ganze Eucharistie nichts als Symbol, so wäre seine 23 177 ganze Behauptung eitel, und nichtig: denn warum sollte man beim bloßen Wasser nicht auch das Blut Christi denken können? Ferner erhellt der Hauptsatz des Carthag. Bischoffs ganz deutlich, der kein anderer ist, als: »es muß scheinen, daß das Blut des Herrn im Kelche sey 671 ; nun aber kan¯ dieß nicht 25 scheinen p, also - - Daraus läßt sich nun das Argument bilden: nach Cyprian soll das Blut des Herrn scheinen im Kelche zu sein, es soll den Gläubigen durch irgend ein Symbol sinnlich gemacht, gezeigt werden: also muß es nach der Vorstellung dieses Kirchenvaters wirklich im Kelche sein. Den¯ ist es nicht im Kelche, wozu soll es den¯ gezeigt werden, warum soll es darinn zu sein 30 scheinen? Wäre der Schein nicht ein leerer, ein Betrug? - Ist es aber darinn, so muß weil es unsichtbarer Weise darin¯ ist, sein unsichtbares Dasein durch ein sichtbares Symbol anschaulich, scheinbar, ostensibel gemacht werden; und zwar durch ein bezeichnendes Symbol, nämlich den / rothen/ Wein, den auch Cyprian wie Tertullian für ein schon im A. T. aufgestelltes Symbol des Blutes 35 Christi hält. Die Ausdrücke videri, ostendi, intelligi, exprimi bedeuten daher bei 178 Cyprian eine sinnliche sichtbare Darstellung des unsichtbar gegenwärtigen Blutes durch ein prägnantes Symbol. 669 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 395. 670 Angaben zu Münscher am Rand (Bd. 2, 2. Aufl.). 671 über der Zeile, darunter gestrichen: ist − Zitatende nicht gekennzeichnet <?page no="263"?> 231 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) Noch deutlicher spricht sich der Glaube Cyprians an eine wirkliche Gegenwart Christi in der Eucharistie durch den zweiten Theil seiner Beweißführung, wo er die Nothwendigkeit des Weins aus der beabsichtigten Wirkung des Abendmals deducirt. Dieße Wirkung soll sein die Verbindung der Menschen mit Christus; diese Verbindung wird bewirkt nicht durch die Mischung 5 von Wasser und Wein, sondern durch den wirklichen Genuß des Leibes Christi; dieser Genus und seine Wirkung, die Vereinigung der Gläubigen mit Christus ist das geistige und him¯ lische Sacrament. Angedeutet nur und in sinnlichen Symbolen erkan¯ t wird es durch die Mischung von Wasser und Wein; weil nun die Andeutung vollständig sein soll wie das Sacrament, so 10 müßen beide symbolische Elemente vorhanden sein. - So zeigt er es auch vom Brode. b. Andere Gründe - für den Glauben Cyprians an eine wirkliche Gegenwart Christi im Abendmal - geben die erhabenen Ausdrücke, in welchen er die Wirkungen desselben schildert. epist. ad Cæcil. pag. 153 - die große Hochach- 15 179 tung, die er gegen dasselbe empfielt, - die Wunder, die er erzält de laps. pag. 132. cf. epist. 61 ad Magnum. * M. pag 403. nota 672 Macarius 673 Magnes ist der Verfasser eines Fragments über die Eucharistie, worinn die Worte vorkommen: Æ Ου γαρ τυποσ σωματοσ και 20 τυποσ αι ë ματοσ, ω ë σ τινεσ ερραψωδησαν πεπηρωμενοι, αλλα κατ ’ αληθειαν αι ë μα και σωμα χριστου . - Allein es ist ungewiß, ob der Verfasser schon im dritten oder vierten Jahrhundert gelebt habe. * Faßen wir nun alles zusam¯ en, was sich aus den bisher angeführten Väterstellen 25 ergiebt über die Bedeutung der Eucharistie, so findet sich mit Ausnahme des Origenes die einstim¯ ige Uberzeugung von einer wirklichen Gegenwart Christi in derselben. Wie Christus hier sei oder darein komme, hierüber findet sich nicht eine einzige bestimmte Äußerung, doch scheinen die meisten Väter der Vorstellung zugethan gewesen zu sein, daß Brod und Wein als die Symbole 30 seines Fleisches und Blutes bleiben: dieß läßt sich weniger bestimmt aus den 180 Worten Justins, mit mehr Gewisheit aus Irenäus, Clem. Alexandr., Tertullian, und Cyprian folgern. - Die Transsubstantiationslehre war also in dieser Periode noch ganz unbekan¯ t. C. In den spätern Zeiten, als man über das Geheimnis der Eucharistie eine 35 Menge spitzfindiger Fragen aufzuwerfen anfieng, wurde auch die für sehr wichtig gehalten: was für ein Leib Christi in dem Abendmal sei? / Qualitas corporis Christi / die Begriffe über die Qualität des Leibes Christi, worüber im Mittelalter gestritten wurde, sind den Vätern dieser Zeit, wie natürlich unbe- 672 Angaben zu Münscher am Rand (Bd. 2, 2. Aufl.). 673 danach gestrichen: oder <?page no="264"?> 232 Johann Sebastian Drey kan¯ t. Unbefangen beziehen sie die Eucharistie entweder auf die Fleischwerdung des Logos, oder auf seinen Todt, und sie wissen von keinem andern Leibe als dem, der aus Maria geboren ward, und am Kreutze starb. Man vergleiche hierüber die oben citirten Stellen des Justinus Irenæus; Clem. Alex; Tertullian. 5 (§ 51) 674 181 2. Wirkungen der Eucharistie. 1. Darüber finden sich bei den Vätern dieser Periode schon bestimmte, wiewohl nicht ganz einstimmige Äußerungen. Und gerade diese deutlich bezeichneten Wirkungen machen es möglich einen Schluß auf ihre Vorstellungen von 10 der Bedeutung des Abendmals zu ziehen, worüber sie sich weniger deutlich ausdrücken. a. Merkwürdig ist es, daß die meisten Väter dieser Zeit der Eucharistie eine vorzügliche Wirkung auf unsern Körper zuschreiben, ja mehrere scheinen nur diese physische Wirkung allein zu kennen. Und nicht nur in dieser Periode 15 entstand und bildete sich diese Vorstellung aus, sie verbreitete und erhielt sich, wie wir hören werden, auch noch in der folgenden bis gegen das 8 te Jahrhundert hin. Diese physische Wirkung der Eucharistie besteht darin¯ , daß sie durch die Verbindung und eigentliche Verwandlung des Fleisches Christi in das unsrige unserm Leibe eine Art von Unzerstöhrbarkeit, u. 20 Unsterblichkeit / αϕθαρσια / und das Vermögen wieder aufzustehen vom Todte mittheilt, welche Eigenschaften der Leib Christi für sich selbst gehabt hat. Diese Vorstellung hatte 675 Ignat. epist. ad ephes. c. 20; darauf deutet Justin Apol. 182 Maj. pag. 83; aufs allerbestim¯ teste und als einen seiner Hauptsätze gegen die Gnostiker spricht sie Irenæus aus l. IV cap. 18, § 5; l. V cap. 2. § 2 et 3; Clemens 25 Al. hat sie Pædag. l. II, cap. 2; und Tertullianus de resurr. carnis cap. 8. Um zu begreifen, wie die Väter dieser Zeit zu einer solchen Vorstellung gelangten, darf man sich nur erinnern, daß sie die Abendmalslehre im Zusammenhang mit den andern wichtigeren Lehren des Xtums und mit ihren eigenen Ansichten darüber ausbildeten; und anders kann sich ein Lehrbegriff 30 nicht einmal ausbilden. - - Nun war die Lehre Christi 676 von der Auferstehung eine den Heiden ganz fremde, den Juden aber eine blos im beschränkten 677 Prospect auf das Messianische Reich bekannte Idee: ja nicht einmal die Seele wurde von Justinus, Tatianus, Theophilus u. a. für natürlich unsterblich 674 spätere Paragraphenangabe 675 unterstrichen, darunter: findet sich bei 676 über der Zeile ergänzt 677 Einweisung <?page no="265"?> 233 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) gehalten, wie oben § gezeigt worden ist. Sollte also nicht nur die Seele durch Christus Unsterblichkeit erhalten, sondern sogar der Leib der Wiedererstehung fähig werden, so konnte dieß nur durch eine Art von Nahrung und Speiße geschehen, 678 deren Genus unsterblich macht die Seele wie den Leib, wie auch nach der alten Tradition der Genuß einer Speiße den menschlichen 5 183 Leib sterblich gemacht hatte. Eine 679 gewöhnliche Speiße konnte dieß nicht, es mußte eine heilige göttliche sein; und eine solche war nur das Abendmal, dafür erklärte sie schon der Apostel Paulus I Cor. X: Dafür galt sie vermöge ihrer ursprünglichen Anordnung, dafür wurde sie von den ersten u. aeltesten Lehrern des Xtums gehalten. z Der beste biblische Beweiß für diese Ansicht 10 von der Eucharistie läßt sich vielleicht aus den Worten Christi bey Joh. VI p. tot. führen; wo allerdings das als künftiges Geschenk dargestellt wird, was Christus 680 nachher wirklich ausgeführt hat. - z681 - In Verbindung mit der Auferstehungslehre stand auch die Lehre von der Natur des Menschen und dem Sündenfalle, über welche beide letztern die Ansichten der alten Väter 15 Ideen enthielten, die sich leicht mit der Eucharistie verbinden ließen. - Was endlich dem Glauben an eine körperliche Wirkung der Eucharistie den meisten Vorschub gab, war der Umstand, daß sich frühzeitig die Erwartung eines sinnlichen tausendjährigen Reiches Christi auf Erden unter einem großen Theil der 682 Christen ausbildete, denen also die Auferstehung und Wieder- 20 herstellung des sterblichen Körpers besonders wichtig sein mußte, und daher seine Wiederherstellung auf die bestmögliche Art darzuthun bemüht waren. Insofern nun diese Vorstellung über die Wirkungen der Eucharistie in der Kirche längere Zeit fast allgemein herrschend gewesen, sie aber schlecht-erdings die wirkliche Gegenwart, eigentlicher den wirklichen Genuß des Leibes 25 184 Christi voraussetzt, ohne welchen sie nicht gedenkbar ist, insofern 683 giebt diese bestim¯ t und vielfach ausgesprochene Vorstellung einen überzeugenden Beweiß von dem frühern Glauben der ersten Kirche an die wirkliche Gegenwart Christi in der Eucharistie b. Verwandt mit dieser - eigentlich physischen - Wirkung der Eucharistie, 30 war die zweite von geistiger Art, die auch jetzt schon von mehrern Väter deutlich angegeben wird, aber erst in spätern Zeiten für die eigentliche, und noch später für die einzige gehalten wurde - Es ist die Verbindung des Geistes Jesu mit unserm Geiste nebst den anderweitigen Folgen, die man sich bei dieser Vereinigung dachte. Clemens Alex. ist der erste, der in seiner oben 35 angeführten Stelle die geistige Wirkung der Eucharistie von der physischen 678 danach gestrichen: die unst 679 korrigiert aus Keine 680 Vorlage: Chrus 681 z-z: Einweisung 682 danach gestrichen Erde aus 683 davor gestrichen so <?page no="266"?> 234 Johann Sebastian Drey unterscheidet. Der Grund der Unterscheidung liegt in der doppelten Natur des fleischgewordenen Logos, der aus Geist und Fleisch besteht. Daß ein geistvoller gebildeter Man¯ wie Clemens auch die geistige Wirkung erwähnt, ist begreiflich. - Noch mehr begreiflich, daß der Idealist und Symbolisirer 24 185 Origenes nur geistige Wirkungen der Eucharistie kennt. - Am ausführlichs- 5 ten spricht von den Wirkungen der Eucharistie Cyprianus, aber er erkennt keine andere als geistige. - So ist ihm eine der ersten, eigentlich die Hauptwirkung - die Verbindung der Gläubigen mit Christus epist. 62. ad Cæcil. pag. 153. 154; christliche Weisheit, Freude des Herzens, Erneuerung des Geistes u.s.w. - das ewige Leben. orat. domin; Standhaftigkeit im Martertum. epist. 55. 10 (§. 52) 684 3. Eucharistie als Opfer - Messe Es ist zu verwundern, wie die Reformatoren der Eucharistie die Bedeutung und Wirkung eines Opfers absprechen konnten, da sich doch diese Lehre allgemein bei den ersten Vätern ................................................................... schon findet. Alle erkennen die Eucharistie 15 für ein Opfer, das seinen Werth und seine Wirkung für sich hat, wenn sie auch den Zweck des Opfers nicht alle auf gleiche Art bestimmen. M. I pag. 369-372 685 Justin nennt die Eucharistie das einzige jetzt noch giltige, Gott angenehme Opfer, - das von der ganzen Christenheit durch ihre Priester, und für sie 20 186 dargebracht wird - Dial. cum Tryph. pag. 209. 210. - - Der Zweck dießes Opfers ist Danksagung für Gottes Gaben, - für die Schöpfung, - und für die Erlößung durch das Leiden Jesu ibid. und pag. 137 686 Justin sagt freilich nur daß wir uns dabei an das Leiden Jesu erinnern, und für die Versöhnung danken: aber er betrachtete doch ebendarum die Eucharistie auch als Ver- 25 söhnungsopfer. M. I pag. 372-378 687 Irenæus stellt die Eucharistie als Dankopfer - der ganzen Kirche - für seine Gaben und Werke dar, welches Opfer Gott zwar nicht bedarf, aber des Menschen aufrichtiges Gemüth ausdrückt, welches seinen in¯ ern Werth hat 30 von dem Logos, durch den es 688 seinen äußern von der Kirche, von der es dargebracht wird. Die Idee eines Sühnopfers findet sich bei ihm nicht; aber man muß sich erinnern, daß Irenäus gegen die Gnostiker schreibt, welche die irdischen Dinge, also die Gaben Gottes nicht für das Werk des wahren Gottes hielten. Ihm war es also bei der Eucharistie blos darum zu thun, sie als ein 35 684 spätere Paragraphenangabe 685 Angaben zu Münscher, Bd. 2 (! ), 2. Aufl., am Rand. 686 L: ebd. 370. 687 Angaben zu Münscher, Bd. 2 (! ), 2. Aufl., am Rand. 688 danach gestrichen darge <?page no="267"?> 235 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) Dankopfer für die irdischen Güter darzustellen, um daraus den Irrtum jener Secte zu widerlegen. l. IV. adv. hæres. cap. 17. 18 Tertullianus spricht öfters von den Opfern, die die Christen bringen z.B. exhort. 187 castit. cap. 11; - von Oblationen für Verstorbene: oblationes pro defunctis annua die facimus. De corona cap. 3 - aber die Eucharistie selbst nen¯ t er nirgends ein 5 Opfer; vielmehr die Gebete und Danksagungen. l. IV contra Marc. cap. 1. - - Allein Tertullian versteht in der That unter jenen Oblationen und Gebeten nichts anders als die bei der Consecration üblichen Gebete, Aufopferungs und Weisungsformel; also in der That doch die Eucharistie selbst. Den¯ das war der 689 Sprachgebrauch der ersten Jahrhunderte: constit. Apost. L. 8. 10 a NB. de orat. cap. 13. accepto corpore et sanguine domini et reservato utrumque salvum est, et participatio sacrificii et executio officii. Dumm! was heißt denn: accepto corpore et sanguine ? a690 Cyprianus hat zuerst die Eucharistie als Opfer nach der noch herrschenden Ansicht dargestellt. epist. 63 pag. 155. Auch daß der Verstorbenen in dem 15 Opfer gedacht wurde, erwähnt er an mehrern Orten z.B. epist. 1 pag. 3; epist. 12. pag. 28; epist. 39 pag. 77; epist. 58. 60. 63. 66. 76. 77; de Orat. Dom. De unit. ecclesiæ. * M. verdrehet offenbar und auffallend die Worte Cyprians; so wie er das Emporkommen der Messe ganz fälschlich der Erinnerung an die Verstorbe- 20 nen zuschreibt. - Vielmehr lag die Ausbildung der Messe zu einem vom übrigen Gottesdienst ganz abgesonderten Opfer in ganz andern Ursachen, 188 worüber man Aufschlus findet bei Euseb. histor. eccl. libr. VII; Chrysost. homil. 3 in Anom.; Cyrillus cat. Mystagog. nro. 5; August. de civ. Dei l. XXII; conc. carthag. III (anno 397) apud Harduin. tom. III; Act. conv. Attin. ibidem; - Act. Ord. S. 25 Bened. apud Mabill. T. 1; - Bona rerum liturgic. Libr. I cap. 18. b Gregor. Nyssen. Orat. 1. In Pasch. Chrysost. hom. 24 in I ad Cor. Ambros. in Luc. I. Hieron. ep. 146. ad Damas. August. 691 epist. 23 ad Bonif. b692 * * Weitläufige Sammlungen von Väterstellen über die Eucharistie als Opfer findet man bei Bellarm. de Sacr. Euchar. cap. 7. 693 30 * * * Ich habe die erste Entwickelung der dogmatischen Vorstellungen von der Eucharistie so ausführlich dargestellt, theils um selbst eine klare Übersicht über diese Materie / dunkle/ zu bekommen, theils wegen der Wichtigkeit der Sache, theils wegen der Verdrehungen und frivolen Willkühr protestantischer Theologen. Im Vortrage kan¯ manches abgekürzt werden. 35 689 das überschrieben mit der 690 a-a: Notabene am Rand neben den Ausführungen zu Tertulian 691 danach gestrichen: de civ. D. 692 b-b: Ergänzungen am Rand 693 L: Bellarmin, De sacramento Eucharistiae, in: Disputationes de controversiis Christianae fidei. <?page no="268"?> 236 Johann Sebastian Drey § 32 (§. 53) 694 Lehre von den übrigen Sacramenten 189 I. Buße. (1) a. Nothwendigkeit der Vergebung der Sünden, die von Gläubigen nach der Taufe begangen worden 1) Wen¯ von Vergebung der Sünden in Absicht auf die Buße die Rede ist, so 5 können nicht die Sünden gemeint sein, die vor der Taufe und vor dem Eintritt ins Christentum begangen worden; denn von dieser Sündenvergebung, und ihren Bedingungen wird später unter dem Titel »von der Rechtfertigung als Sünden gehandelt werden / m. s. M. II § 204. 205-208 / 695 Sondern es werden die Sünden gemeint, die der Christ nach der Taufe begeht. 10 2) Daß der Christ, der nach der Taufe wieder sündigt, einer neuen Vergebung dieser Sünden bedürfe, war natürlich schon allgemeine Lehre der Väter dieser Zeit. Sie setzen diese Nothwendigkeit überall voraus, wo sie von der Nothwendigkeit der Buße als des einzigen Mittels jene Sündenvergebung zu erlangen, sprechen; wie nachher erhellen wird. 15 (2) b. Möglichkeit, Vergebung der nach der Taufe begangenen Sünden zu 190 erlangen 1. Auch diese setzen die Lehrer dieser Zeit allgemein voraus, wie aus den unten bei der Buße selbst vorkommenden Stellen erhellen wird. Indem sie alle 696 Sünder auffordern, durch die Buße Vergebung ihrer Sünden zu suchen, 20 müßen sie wohl diese für möglich halten. 2. Diese Möglichkeit dehnen sie auf alle Arten von Sünden aus, so daß sie keine für unerläßlich halten. Dies erhellt α überhaupt daraus, daß wenn sie von der Vergebung der Sünden reden, sie keine Ausnahme machen. 25 β . Aus den ausdrücklichen Versicherungen mehrerer sehr alter Väter z.B. Tertullianus de Poenit. cap. 4; Cyprian. epist. 54 γ . Aus der frühen Verwerfung der entgegengesetzten Meinung der Montanisten und Novatianer. Beide Partheien behaupteten, daß die Kirche nur diejenigen Sünder zur Kirchenbuße u. Vergebung der Sünden zulassen könne, 30 welche geringere und minder auf-fallende Vergehen begangen, hingegen für 191 Idololatrie, Mord, Ehebruch u.s.w. keine Begnadigung stattfinden dürfe. c Tertull. de Pudic. cap. 2 et 16. c697 - Zwar bleibt es zweifelhaft, ob beide Partheien solche schwere Verbrechen überhaupt für unerläßlich hielten, oder 694 in Klammern spätere Paragraphenangabe 695 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 261-273. 696 im Original verdoppelt 697 c-c: Einweisung <?page no="269"?> 237 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) nur behaupten wollten, die Kirche könne ihnen keine Begnadigung angedeihen lassen, wenn gleich bei Gott eine Vergebung derselben möglich sei: ja von Seite der Novatianer ist es fast gewiß, daß sie bloß das Letztere behaupten wollten. Allein die Orthodoxe K. 698 nahm auf diese Unterscheidung keine Rücksicht, sondern verwarf vielmehr diesen strengen Lehrbegriff in der dop- 5 pelten Beziehung als schädlichen Irrtum. Gegen die Novatianer schrieb Cypr. de lapsis d Jagerhueb. pag. 269 d699 ; und ihre Lehre wurde auf den Concilien zu Karthago im J. 252; zu Rom 255; in Kappadokien unter Firmilian verworfen / S. Ketzergeschichte/ Euseb hist. Eccl. L. V. c. Diese Möglichkeit gründen die Väter auf die von Christus der Kirche 10 verliehene Gewalt, in seinem Namen Vergebung der Sünden zu verkünden und auszusprechen. 1. Zwar finden sich bei den Vätern dieser Zeit wenige, und nicht so bestimmte Erklärungen von der Gewalt der Kirche; ja es scheint nach diesen, daß sie die 192 eigentliche Vergebung der Sünden Gott zuschrieben, ohne hiebei der Kirche 15 einigen Antheil zu gestatten. So sprechen selbst orthodoxe Lehrer, z.B. Cyprian de laps. cap. 700 2. Indessen gleichwie die Kirche seit der Mitte des zweiten Jahrhunderts größere besonders offenkundige Vergehungen - und nur von solchen ist bei den ersten Vätern überall die Rede - mit der Ausschließung aus der Kir- 20 chengemeinschaft bestrafte, so verbanden sie ebendarum auch die Wiederaufnahme in ihre Gesellschaft mit der Lossprechung von Sünden: d.h. die Kirche glaubte nicht irgend einen Sünder wieder aufnehmen zu können, dem seine Sünden nicht vergeben sein; indem sie also wieder ihn 701 aufnahm, war die Aufnahme selbst eine Erklärung, daß ihm seine Sünden vergeben seien. Die 25 Vergebung ertheilte Gott, die Aufnahme in die Gemeinschaft die Kirche. So floßen Sündenvergebung und Kirchengewalt in einander; und die Kirche glaubte um so mehr einen Antheil an der Sündenvergebung zu haben, als sie ihr Bußinstitut für eine göttliche Anordnung, wenigstens für eine apostolische Tradition hielt. e Ob auch für ein Sacrament? Ist nicht erweißlich - e702 30 Daher wen¯ sie auch gleich Vergebung der Sünden verhieß, machte sie doch 25. 193 die Beobachtung des Bußinstituts zur nothwendigen Bedingung derselben. Cyprian. de laps. cap. Tertullian de Poenit. cap. 703 3. Hiebei konnte man frühzeitig auf zween Abwege gerathen: indem 704 man einseitig auf die bloße Vergebung der Sünden, die Gott ertheilt - oder auf die 35 698 über der Zeile 699 d-d: Einweisung 700 Kapitelangabe fehlt 701 auf dem Rand 702 e-e: Einweisung 703 Kapitelangaben fehlen 704 korrigiert aus ent <?page no="270"?> 238 Johann Sebastian Drey kirchliche Aussöhnung sahe. Da wir von der erstern in einzelnen Fällen nie gewiß versichert sein können, so 705 konnte man schließen: also soll auch die Kirche keinen schweren Sünder mehr aufnehmen; weil sie ihm eine Sündenvergebung damit ankündet, die er vielleicht von Gott noch nicht erhalten hat. Auf diesem Wege kamen Montanus und Novatius 706 zu ihren strengen Grund- 5 sätzen. - Auf der andern Seite kon¯ te die Kirche bei großer Strenge einem die Gemeinschaft versagen, dem Gott seine Sünden schon vergeben hat: also - konnte man folgern - soll die Kirche jeden Sünder, der Zeichen der Buße giebt, wieder aufnehmen. Auf diesem Wege bildete sich in einzelnen Kirchen die übergroße Milde, gegen welche Tertullian - und selbst orthodoxe Schrift- 10 steller wie Cyprian, und noch später mehrere andere eiferten. Anfangs gieng man die Mittelstraße; allmälig aber wurden die Grundsätze milder, nicht eben 194 zum Besten der Kirche. M. II pag. 269-283 707 (3) d. Dabei werden aber von Seite des Sünders mehrere Bedingungen er- 15 fordert, unter denen allein er die Vergebung seiner Sünden erhalten kann. - Dieße Bedingungen begreiffen sie allgemein unter dem Namen Buße, - und von ihr sprechen Herm. Past. Simil. 7. pag. 110; Clem. Alex. Strom. l. II cap. 6 pag. 443 ss; l. IV. pag. 580; quis dives Salv. pag. 937 - Origenes homil. IV in Jes. Nave; hom. XI in Lev; contra Cels. l. III § 69; Tertullian. de Poenit; 708 Cypr. de 20 lapsis; Lactant. Instit. div. L. VI, cap. 24. 709 - Unter diesen Bedingungen ist die erste α Schmerz, Reue, Traurigkeit über die begangenen Sünden, und zwar je größer diese ist, desto schneller und leichter erhält er die Vergebung seiner Sünden. Herm. Past. loc. cit.; - Clemens Alex. Stromat. L. IV pag 580 710 , der 25 auch schon zweier Classen von Büßenden Meldung thut, der zahlreichen die durch Furcht, und der edlern, die durch innere Scham getrieben wird. - Origenes hom. IV in Jes. Nave; - Tertull. de Poenit. cap. 4 et 6; Cyprianus 711 de laps. pag. 137; epist. 31 pag. 64; Lact. Inst. div. l. cit. 712 β Außer dem Busschmerz verlangen sie auch den Bußgeist, die Μετανοια . 30 195 Clemens Alex. Stromat. l. II cap. 6 pag 443. 458-460; Lact. Inst. div. loc. cit. 713 γ Außer diesen beiden Bedingungen reden sie fast allgemein noch von einer dritten Bedingung - nämlich von allerlei Züchtigungen, wobei es einige 705 davor gestrichen also 706 sic! - danach auf überschrieben mit zu 707 Angaben zu Münscher am Rand (Bd. 2, 2. Aufl.). 708 danach Streichung einer Angabe zu Tertullian; unleserlich 709 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 269-273. 710 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 270. 711 Vorlage: cyprianus 712 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 270-273. 713 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 270. 273. <?page no="271"?> 239 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) unentschieden lassen, ob sie darunter die Züchtigung durch die Kirchenstrafen, oder selbstgewählte Peinigungen verstehen. Von Züchtigungen überhaupt reden Herm. Past. Simil. 7; von Selbstpeinigungen Tertullian de Poenit. cap. 9; Origenes homil. II in Levit; Cypr. de laps. pag. 137 ss. 714 δ . Es findet sich schon bei den Vätern dieser Zeit, indem sie dieser und noch 5 einiger anderer Bedingung der SündenVergebung erwähnen, der Ausdruck von einer Satisfaction, die dadurch geleistet werde: Cypr. de laps. pag. 135. 137; Tertull. de Poenit. cap. 5 et 6; - Lactant. Instit. div. l. VI cap. 24. 715 - Der Sinn des Wortes ist aber nicht, wie der Zusammenhang giebt, als wenn dadurch Gott ein Ersatz oder eine Vergütung geschehe für die Sünden - auch nicht ganz 10 der, welchen man in den spätern Zeiten mit der Satisfaction verbunden hat, - sondern sie wollen damit nur erklären, es werde durch jene Bedingungen 196 geleistet, was Gott geleistet haben will, um Sündenvergebung zu erlangen. Die Buße überhaupt und im Ganzen ist Satisfaction ε . Auch von einem Beken¯ tnisse, das den Priestern abgelegt werden soll, 15 sprechen einige Väter dieser Zeit. Tertull. de Poenit. cap. 3 et 4; Origen. homil. II in Psalm. 37; homil. II in Levit; f Hom. III in Lev. - XVII in Luc. f716 Cyprian Serm. de laps. g Lactant. Inst. div. VII. cap. 17 et 30. g717 - Jedoch sprechen sie davon als von einer Gewohnheit, ohne sich bestim¯ t über die Nothwendigkeit desselben zu erklären. Soviel erhellt aber aus dem ganzen Zusam¯ enhang, daß sie von 20 diesem Beken¯ tnis in Beziehung auf die öffentliche Kirchenbuße reden. Wer durch sie Vergebung der Sünden suchte, mußte allerdings den Priestern ein Beken¯ tnis seiner Sünden ablegen. Insofern man aber die Kirchenbuße selbst für annoch geheime wen¯ gleich schwere Sünden nur rieth, ohne sie für absolut nothwendig zu halten 718 - und insofern man außer der Kirchenbuße auch 25 noch andere Mittel der Sündenvergebung kan¯ te, wie gezeigt werden wird: darf man wohl behaupten, daß man in jenen ersten Zeiten ein Beken¯ tnis seiner Sünden nicht für absolut nothwendig zur Sündenvergebung gehalten habe. conf. Web. III pag 304-309 719 h Man hielt das Beken¯ tnis zusam¯ t der Buße für nothwendig aus verschiedenen Gründen nur nicht aus dem, wie jetzt h720 30 ζ . Dieß Alles zusammen dachte man sich schon am Anfang unter der Buße, 197 die also ungefähr die nämlichen Bedingungen einschloß, die nach dem gegenwärtigen Lehrbegriff damit verbunden werden. Nur ist ein mehrfacher Unterschied zwischen dem alten und spätern Lehrbegriff. - Erstens war die alte Buße mit allen ihren Theilen eine öffentliche / : Reue, Sündenbekenntnis, 35 714 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 269-272. 715 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 272f. 716 f-f: Einweisung 717 g-g: Einweisung 718 korrigiert aus erhalten 719 L: Weber, Philosophie, 3. Bd. 720 h-h: Einweisung <?page no="272"?> 240 Johann Sebastian Drey Büßungen, Lossprechung alles war in dem Charakter der Oeffentlichkeit organisirt : / die spätere eine geheime: zweitens zog man in der alten Zeit nicht soviele Sünden vor die Buße, als in der spätern: nur größere, bekan¯ te oder wenigstens solche, die nicht wohl lange unbekan¯ t bleiben konnten: - Drittens so sehr auch die Alten die Buße empfalen, u. ihre Wirkungen hervorhoben, so 5 ward sie doch nicht in dem Sinne für nothwendig gehalten, in welchem sie jetzt für nothwendig gehalten wird, nämlich necessitate præcepti, wie die Scholastiker sagen: man empfahl außer der Buße, und empfal 721 zum Theil mehr als sie noch andere Mittel der Sündenvergebung; wie gleich erhellen wird - Ein vierter Unterschied bestand darin¯ , daß man - 10 η . Die Sündenvergebung durch die Buße nur einmal, und nicht öfter möglich hielt. - So sehr die Kirche sich der Strenge der Montanisten und Novatia-ner 198 widersetzte, die gewiße Verbrechen geradezu von der Kirchenbuße ausschloßen, so beharrte sie anderntheils ebensofest auf dem Grundsatz, daß durch die Buße nur einmal Vergebung der Sünden gefunden werden könne. 15 Dieß versichern Hermas Past. Mand. IV; Clemens Alex. Strom. l. II cap. 6; und quis dives Salv. pag. 937; Origenes in Lev. hom. XI Cyp. Tom. II pag. 262; Tertull. de Poenit. cap. 7; 722 i Auch hierin¯ änderten sich später die Grundsätze i723 Anmerk. Die äußere Form der Kirchenbuße, die verschiedenen Strafen, die Eintheilung und Grade der Pönitenten pp gehört in die Kirchengeschichte: 20 conf. Socrates hist. Eccl. L. IV; Epist. Canon. Gregor. Neocaesar. Anmerk. 2. In dem dritten Jahrhundert kam ein Surrogat der Buße auf, wodurch sie entweder ganz oder wenigstens zum Theil erlassen wurde. Dieß war die für verdienstlich und übertragbar gehaltene Fürsprache der Märtyrer, welche schriftlich aufgesetzt ward, und nach Gutbefinden des Bischofs einen 25 Erlaß der Kirchenbuße 724 bewirkte: besonders nach der harten Verfolgung unter Decius 725 fanden mehrere derlei Erläße statt. Mit hohem Ernst widersetzte sich Cyprianus dieser neuen Erfindung als einem höchst schädlichen 199 Misbrauche; aber sie behauptete sich dennoch, und legte den Grund zu den später so berufen gewordenen Abläßen. Origenes Exh. ad Mart. I pag. 293. 30 Cypr. de laps. pag. 129. 138; Tertull. de pudic. cap. 22. e) Noch sind die übrigen Mittel anzuführen, deren die Väter der ersten Zeit nebst der Buße die Kraft zuschreiben, die Sündenvergebung zu bewirken; sie sind 721 danach gestrichen: sie 722 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 269-272. 723 i-i: zwischen den Zeilen 724 danach gestrichen: bewilligte 725 dazu am Rand: Jahr 251. 252. <?page no="273"?> 241 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) 1. Martertodt für Christus. Sehr enthusiastisch schildern die Väter seine Sündentilgende Kraft. Clem. Alex. Stromat. l. IV pag 596; Tertullian. Scorpiac. cap. 6 et 12; Apologet. cap. 49; Origenes homil. VII in libr. Jud; homil. X in Num; Comment. in Matth. Opp. Tom. III pag. 719. 726 2. Allmosen und überhaupt Liebeswerke. Veranlassung zu dieser Vorstellung 5 gaben den Vätern mehrere Stellen des A. T. - Dießes Mittel empfehlen Barnabas epist. cap. 29; Clemens Alex. Stromat. l. II cap. 15; Cyprian. de opere et eleem. Opp. pag. 167 ss; Lactantius instit. div. l. VI cap. 727 13, 728 wo doch die Einschränkung beigefügt wird, daß kein Sünder in der Hoffnung auf seine Allmoßen fortsündigen dürfe; - andere leiten die Kraft der Allmosen anstelle 10 vom guten Willen des Gebers vielmehr von der vielgeltenden Fürbitte der Armen ab Herm. Pastor Simil. II; Origenes Com¯ . in Matth. Opp. T. III pag. 200 626. 729 3. Auch dem Fasten schrieb man eine ähnliche Kraft zu, doch nur in Verbindung mit der Buße, bei der sie einen Theil der Selbstpeinigungen aus- 15 machte. Tertull. de Poenit. cap. 9; de jejun. cap. 3 730 4. Origenes homil. II in Levit. Opp. tom. II pag. 190. 191. - zählt alle in dem Evangelium enthaltenen Mittel der Sündenvergebung auf: sie sind α . Die Taufe - β das Märtyrerthum - γ Allmosen δ Verzeihung der Beleidigungen - ε Bekehrung eines Sünders - ζ Uberflus christlicher Liebe - η Buße. 20 § 33 Von der Priesterweihe - Krankenölung - Ehe. I. Priesterweihe. a. Schon die Apostelgeschichte thut häufige Meldung von der Aufstellung der Vorsteher einzelner Gemeinden, welche theils unmittelbar durch die Apostel selbst geschahe, theils in ihrem Namen durch diejenigen, die von den 26 201 Aposteln schon angestellt worden waren. Dieße Vorsteher heißen επισκοποι von ihrem Amte, und πρεσβυτεροι von ihrem Alter. - Daß die Aufstellung und bleibende Fortdauer solcher in der Natur einer jeden religiößen Gesellschaft, in der 731 Natur der christlichen Kirche aber besonders gelegen ist, dieß zu erweißen gehört nicht hieher 30 2. Die Aufstellung solcher Vorsteher, ob sie - wie sie nun geschieht, auch damals schon mit einer Art von Feierlichkeit und Ritus geschehen sei, läßt sich nicht mit Bestim¯ theit angeben. In der Apostelgeschichte wird wenigstens 726 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 272 f. 727 davor gestrichen pag. 728 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 279. 729 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 280. 730 L: Ebd. 731 davor gestrichen dem <?page no="274"?> 242 Johann Sebastian Drey der Hände Auflegung u. was sich dabei mitversteht, des Gebetes und from¯ er Segnung Meldung gethan: und daß diese Ceremonie auch in spätern Zeiten beibehalten worden sei, wird nicht nur aus Documenten dieser Periode sondern aus spätern noch bewießen. 3. So gewiß es ist, daß in allen christlichen Gemeinden die Bestellung von 5 Vorstehern und andern Kirchendienern fortgedauert hat vom Anfange, so wenige Beschreibungen findet man in den Schriften dieser Zeit davon. 202 Bischöfe, Presbytern und andere Kirchendiener findet man häufig genan¯ t: von Ordinationen ausführliche Meldung fast keine. Die Archive der römischen Kirche, und die Schriften des Pseudodionysius sind die einzigen Quel- 10 len, wo man darüber etwas findet. Man hatte aber Ursache, die Ordinationen geheim zu halten vor den Heiden. b. Daher finden sich 732 seltener Äußerungen über die Wirkung und Bedeutung der Ordination. Man kann also auch aus 733 Abgang zuverläßiger Erklärungen nichts näheres bestimmen, über die Vorstellungen der ersten Chri- 15 stenlehrer in diesem Stücke. (NB. Brenner. III. pag. 503 ss. aliter) 734 Wie auch immer die spätern Theologen die Stellen Pauli I Tim. IV, 14; II Tim. I, 6 angewendet, um daraus eine geheime Kraft der Ordination zu beweißen, so machen doch die Väter der ersten Zeit, obwohl sie beide Stellen öfters berühren, keinen solchen Gebrauch davon. Die Ordination scheint ihnen 20 nichts anders gewesen zu sein, als das gesetzlich angeordnete Vehikel zur rechtmäßigen Ubertragung der christlich apostolischen Kirchengewalt und Kirchenpflicht von einem Individuum auf das andere. - Darum sahe man in der aeltesten Zeit so strenge auf eine rechtliche Ordination. Canon. apost. 1. et 2. und selbst Häretiker und Schismatiker bewarben sich im¯ er um die 25 203 Ordination von Bischöfen. epist. cornel. Pap. ad Fab. Antioch. c. Aber die Abstufung zwischen Bischöfen, Presbytern, und Diakonen bildete sich schon jetzt aus. Die Presbytern traten allmälig in ein subordinirtes Verhältnis gegen die Bischöfe, und schon jetzt waren diese im Ausschlüßlichen Besitze des Rechtes zu ordiniren. Doch dieß gehört mehr in die Geschichte 30 der Hierarchie. j Brenner l. c. pag. 506-523. j735 II Krankenölung. Von der Gewohnheit die Kranken zu salben, kommt nicht ein einziges Zeugnis vor bei den Vätern dieser Periode; ja selbst der Pseudodionysius, der in seiner Schrift de hierarchia und de theologia Mystica sechs symbolische und heilige Handlungen aufzält, erwähnt ihrer nicht. 35 732 danach gestrichen noch 733 über der Zeile eingefügt 734 L: Brenner, Freye Darstellung, 3. Bd. 735 j-j: am Rand neben Ziff. c. − ( L: Brenner, Freye Darstellung, 3. Bd.) <?page no="275"?> 243 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) Bei Origenes allein homil. II in Levit. wird der Text des Apostels Jacobus V, 14 angeführt: k * est adhuc et 7 ma licet dura et laboriosa per poenitentiam remissio peccatorum cum lavat peccator in lacrymis stratum suum et cum non erubescit sacerdoti Domini indicare peccatum suum, et quaerere medicinam secundum eum, qui ait: Pronuntiabo adversum me. Ps. 31. 5. In quo impletur et illud, quod Jacobus Ap. dicit: si 5 quis p. k736 aber Origenes versteht ihn von geistiger, nicht von leiblicher Krankheit, und wendet ihn auf die Buße an, von welcher auch in der citirten Stelle 204 durchaus die Rede ist. Wenn nun gleich das bloße Stillschweigen der Väter von einem dogmatischen Gegenstande noch kein Beweiß ist, daß der nicht erwähnte Gegenstand zu 10 ihrer Zeit gar nicht bekannt gewesen sei; so möchte doch aus dem Stillschweigen des Pseudodionysius, der die Absicht hat von den symbolischen Gebräuchen der Christen zu handeln, und aus der Erklärung des Origenes, der bestimmt nur von der Buße handelt, so viel mit Recht geschlossen werden, daß die Oelung der Kranken in den ersten drei Jahrhunderten nicht als 15 ein abgesonderter selbständiger Actus betrachtet, - sondern höchstens der Buße als ein Complement angehängt gewesen sei, wie die Confirmation der Taufe angehängt war. l Daher heißt sie auch poenitentiae consummatio. V. Klupfel II Bd. pag. 403. l737 m Chrysost. L. Sacrum. exeuntium, oratio cum oleo, Sacrum oleum, sacra unctio pp m738 20 III. Ehe - Mit diesem Sacrament hat es dasselbe Bewandtnis, wie mit der Krankenölung: - selten und wenig Aufschlus gebend sind die Äußerungen der Väter. Indessen ist soviel gewiß, 739 n **) De Sacramento unctionis confer etiam Sequentes: Chrysost. L. III. de Sacerd. - 25 Cyr. Alex. de orat. in spir. et verit. l. VI; Innocent. epist. ad Decent. cap. 8 Cæsarius Serm. 215. 279. n740 1. Daß die Kirche schon in den ersten Zeiten das eheliche Verhältnis und Leben unter 741 ihre Aufsicht und Vorsorge genommen habe. Die ehelichen 205 Verbindungen wurden - abgesehen davon, was der Staat darüber verfügt 30 haben mochte - vor der Gemeine und mit ihrem Vorwissen, und mit besonderer Zuziehung des Bischofs / de sententia episcopi / eingegangen; auch mit religiößen Ceremonien, wie aus einer Stelle Tertullians erhellen wird, war die Verlobung gefeiert. Ignat. II epist. ad Polycarp. c. 5. Tertullian. de Monogam; Clemens Alex. Pædagog. l. III, cap. 11. 35 736 k-k: am Rand der Seiten 203-204; Kürzel aufgelöst 737 l-l: mit verändertem Schriftduktus angefügt; dazu Einweisung m-m − L: Klüpfel, Institutiones, 2. Bd. 738 m-m: Einweisung zu l-l 739 danach gestrichen daß 740 n-n: am Rand neben Ziff. III; Einweisungszeichen im Text fehlt 741 davor gestrichen schon <?page no="276"?> 244 Johann Sebastian Drey 2. Daß die Ehe der Christen für ehrwürdiger, als die der Heiden - daß sie für etwas heiliges gehalten wurde: »quæ nuptiæ secundum dominum sint, et non secundum cupiditatem«. Ignat. epist. ad Polyc. - »Connubia Jacobi rei per Christum perficiendæ figura fuerunt - - Nam magnorum sacramentorum oeconomiæ et dispensationes in quolibet ejus generis facto sunt celebratæ. Justin. Dial. cum Tryph. nro - »Ma- 5 trimonium aliquid sacrum est et divinum.« Clemens Alex. Stromat. L. III cap. 3. o Pædagog. L. III, cap. 11. o742 - Unde sufficiamus ad enarrandam felicitatem matrimonii, quod ecclesia conciliat, et confirmat oblatio, et obsignat benedictio, angeli renunciant, Pater ratum habet? Tertull. l. II ad uxor. p cap. 9 p743 ; de Pudic. cap. 4; Wollte man aber aus diesen Stellen schließen, die ersten Väter hätten die Ehe 10 in dem Sinn für heilig und geheimnisvoll gehalten, in welchem sie es jetzt 206 wird, und für ein Sacrament, so würde man zum Theil fehlschließen. Den¯ aus den drei ersten Stellen erhellt, daß die Ehe als ein Symbol und eine Allegorie nach dem Sinne Pauli Ephes. V, 32 für heilig gehalten ward. - Tertullian legt zwar ein besonderes Gewicht auf die oblatio und benedictio; aber man sieht, daß 15 er nur von einer besondern Glückseligkeit einer so eingegangenen Ehe redet, nicht aber von einer unsichtbaren Gnade: eine seegenbringende Kraft schrieb man aber der Fürbitte, besonders der Fürbitte der Kirche zu. (? ) q Basil. Homil. VII in Hexaemer.; Ambros. epist. X ad Vigil.; Siricius epist. I ad Himer. c. 4; Innoc. I epist. ad Victor. Rhotomag. 744 ; Epiph. Hær. 67; Cyrill. Alex. Comm. in 20 Joh. L. III, cap. 22. cf. Brenner III. pag. 565. n. 2 - 563. n. 1. - pag. 566. n. 3. q745 3. Die Einheit der Ehe war unter den Christen entschieden - Mit Abscheu verwarfen sie die Polygamie - und sehr ungerne sahe man die zweite, noch mehr die dritte und vierte Ehe. Hermas Past. Mand. IV; Athenagoras, Tertullianus, Clemens Alex., Origenes äußern sich mit Unwillen darüber. confer. Co- 25 telier ad Herm. Past. l. II. - Mehrere Secten wie die der Montanisten, und Novatianer verwarfen die zweite Ehe gänzlich, und Tertullian im 1 Buch an seine Frau bittet sie dringend, nach seinem Todte unverehelicht zu bleiben. 4. Nicht so entschieden war der Lehrbegriff über die Ehescheidung. - Den¯ hierüber bestanden in den römischen Gesetzen seit alten Zeiten bestim¯ te 30 207 Verfügungen, und da Ehe und Ehescheidung ganz natürlich auch 746 vor die Gerichte des Staates gehören, kon¯ te und wollte die Kirche den Gesetzen des Staates nicht leicht widersprechen. b. Unter Juden und Heiden war die Trennung der Ehe in bestim¯ ten Fällen üblich, und selbst von ernsten und rechtlichen Männern für erlaubt gehalten. 35 742 o-o: Einweisung 743 p-p: über der Zeile eingefügt; nachfolgende Stellenangabe mit verändertem Schriftduktus 744 d.i. Victricius von Rouen 745 q-q: Einweisung − L: Brenner, Freye Darstellung, 3. Bd. 746 danach gestrichen für <?page no="277"?> 245 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) c. Selbst die Schriften des Neuen T. Matth. XIX, 9; I Cor. VII, 15 sprechen in gewißen Fällen eine Trennung der Eheleute für erlaubt aus, die man eben so leicht für eine perpetuirliche und gänzliche Trennung des ehelichen Bandes erklären kann, als für eine temporäre Scheidung des ehelichen Zusam¯ enlebens; eine Tren¯ ung, die man um so ehender für eine eigentliche Ehescheidung 5 nehmen mußte, als in jener Zeit die temporäre unbekan¯ t war. d. Auf der andern Seite hatte Jesus in der That die Ehegesetze 747 der Juden reformirt, auf das ursprüngliche natürliche Verhältnis der Ehe aufmerksam gemacht, welches unstreitig auf eine ewige Dauer der Ehe deutet - die Kirche hatte gleich am Anfang die Ehe für etwas heiliges wen¯ auch nur als Symbol 10 gehalten - 208 e. Dieße Gründe von beiden Seiten mußten das Urtheil über Tren¯ barkeit oder Untren¯ barkeit der Ehe am Anfang sehr erschweren; und eine völlige Ubereinstim¯ ung unmöglich machen. Und so finden wirs auch wirklich. Tertullian l. IV adv. Marc. cap. 34; Lact. Instit. div. l. VI, cap. 23 getrauen sich nicht zu 15 entscheiden: es fanden auch wirklich Ehescheidungen unter den Christen statt. - Allein auf der andern Seite wurde es den Montanisten zum Vorwurfe gemacht / : auch den Ebioniten: / daß sie die Tren¯ barkeit der Ehe gesetzlich aussprachen. Euseb. hist. Eccl. l. IV cap. 22; Niceph. hist. Eccl. l. IV; Epiph. hæres. 30. 20 Und so sieht man im Ganzen die richtige Ansicht von der Ehe frühe in der Kirche sich bilden. In der Idee ist die Ehe unauflößlich: in einzelnen Fällen, wo das Wesen der Ehe verschwunden ist, u. nur mehr der leere Schein geblieben, duldet die Kirche den Widerspruch gegen die Idee - als das geringere von zwei Ubeln 748 , - und läßt die Tren¯ ung geschehen, ohne sie zu 25 billigen, oder noch weniger gesetzlich zu machen. - - 749 747 danach gestrichen refor 748 über der Zeile, darunter Endung en [zweien] gestrichen 749 Textende von fremder Hand mit »Finis« gekennzeichnet. Danach zwei leere Seiten (hinterer beweglicher Vorsatz) <?page no="278"?> 246 Johann Sebastian Drey Von Drey angeführte Literatur (Winfried Werner) J ohann C hristian W ilhelm A ugusti , Lehrbuch der christlichen Dogmengeschichte. Leipzig 1805; 2 1811. (S. 39). I saac de B eausobre , Histoire Critique de Maniche ´e et du Maniche ´isme. 2 Bde. Amsterdam 1734, 1739. (S. 92 f). R obert B ellarmin , Disputationes de controversiis Christianae fidei adversus hujus temporis haereticos. Ingolstadt 1586-93 (u.ö.). (S. 188). G eorge B ull , Defensio fidei Nicaenae de aeterna divinitate filii Dei ex scriptis sanctorum patrum, qui intra tria prima ecclesiae christianae saecula floruerunt, ders ., Judicium Ecclesiae catholicae trinum saeculorum de necessitate credendi, quod Christus sit verus Deus, ders ., Tractatus de primitiva et apostolica traditione Dogmatis de Jesu Christi Divinitate, in: Georgii Bulli opera omnia. London 1703. (S. 41 f). J ohann A ndreas C ramer , Jacob Benignus Bossuet, Bischofs von Meaux, Einleitung in die Geschichte der Welt, und der Religion, fortgesetzt von Johann Andreas Cramern. 6 Bde., Leipzig 1752-1785 (mehrere Ausgaben). (S. 41). F riedrich B renner , Freye Darstellung der Theologie in der Idee des Himmelreichs, oder: Neueste katholische Dogmatik. 3 Bde. Bamberg, Würzburg 1815-1818. (S. 78, 202 f, 206); ders ., Versuch einer historisch-philosophischen Darstellung der Offenbarung als Einleitung in die Theologie. Bamberg, Würzburg [1810] 2 1812. (S. 110? ). K arl G ottlieb B retschneider , Versuch einer systematischen Entwickelung aller in der Dogmatik vorkommenden Begriffe. Leipzig 1805. (S. 38). G ilbert C lerke , Tractatus tres quorum qui prior ante-Nicenismus dicitur [...]. London 1695. (S. 42). J ohann A ugustin D ietelmaier , Historia dogmatis de descensu Christi ad inferos literaria. Altdorf 2 1762. (S. 43). M arianus D obmayer , Systema Theologiae Catholicae. 8 Bde. Sulzbach 1807-1809. (S. 69, 85). J ohann C hristoph D oederlein , Institutio Theologi christiani in capitibus religionis theoreticis nostris temporibus accomodata. 2 Bde. Nürnberg 6 1797. (S. 98). J ohn F ell , Sancti Caecilii Cypriani Opera recognita & illustrata per Joannem Oxoniensem Episcopum. Bremen 1690. J oannes F orbesius , Instructiones historico-theologicae, de doctrina Christiana, & vario rerum statu, ortisque erroribus & controversiis, jam inde a` temporibus Apostolicis, ad tempora usque seculi decimi-septimi priora. Prece & studio Joannis Forbesii a` Corse [Ed. nova]. Amsterdam 1702. (S. 40). J oannes H arduinus , Acta conciliorum et epistolae decretales, ac constitutiones summorum pontificorum. 12 Bde. Paris 1714-1715. (S. 188). <?page no="279"?> 247 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) P etrus D anielus H uetius , Origeniana [1668], in: C arolus -V incentius D e larue , Origenis opera omnia quae graece vel latine tantum exstant et ejus nomine circumferuntur. Bd. 4. Paris 1759. (S. 71). J ohann L eonhard H ug , Einleitung in die Schriften des Neuen Testaments. 2 Bde. Tübingen 1808. (S. 54). I gnaz J agerhueber , Dissertationes theologicae de sacramentis poenitentiae, extremae unctionis, ordinis et matrimonii. Graz 1759. (S. 191). E ngelbert K lüpfel , Institutiones theologiae dogmaticae. 2 Bde. Wien 1789. (S. 204). P hilipp M arheineke , Das System des Katholizismus in seiner symbolischen Entwickelung. 3 Bde. Heidelberg 1810-13. (S. 38). R enatus M assuet , Sancti Irenaei Episcopi Lugdunensis et martyris detectionis et eversionis falso cognominatae agnitionis, seu contra haereses libri quinque. Paris 1710. (S. 148). J ohann L orenz M osheim , De rebus Christianorum ante Constantinum Magnum commentarii. Helmstadii 1753. (S. 93 f); ders ., Commentatio de turbata per errores Platonis, in: R alph C udworth , Systema intellectuale huius universi, 2. Bd., 2. Aufl., Jena 1773. (S. 41). W ilhelm M ünscher (siehe oben Einleitung, Anm. 7). J ohann A ugust N össelt , Anweisung zur Kenntniß der besten allgemeinern Bücher in allen Theilen der Theologie. Leipzig 2 1780. (S. 43 f). J ohann G eorg A rnold O elrichs , Commentatio de vera et certa eorum qui medio secundo atque ineunte tertio saeculo floruerunt patrum de ratione sive relatione filii seu verbi cum patre sententia. Göttingen 1787. (S. 42); ders ., Commentatio de doctrina Platonis de deo. Marburg 1788. (S. 42). D ionysius P etavius , Opus de theologicis dogmatibus, auctius in hac nova editione [...] & notulis Theophili Alethini [i.e. Johannes Clericus]. 6 Bde. Antwerpen 1700. (S. 40, 78). C hristoph M atthaeus P faff , Historia succincta controversiae de processione spiritus sancti a patri filioque. Tübingen 1749. (S. 43). G ottlieb J acob P lanck , Einleitung in die theologische[n] Wissenschaften. 2 Bde. Leipzig 1794-1795. (S. 43 f, 47); ders ., Geschichte der Entstehung, der Veränderungen und der Bildung unsers protestantischen Lehrbegriffs vom Anfang der Reformation bis zur Einführung der Concordienformel. 6 Bde. Leipzig 1781-1800. (S. 7R, 41). J ohn P otter , Clementis Alexandrini Opera quae extant recognita & illustrata per Joannem Potterum. Oxford 1715. (S. 147). E use`be R enaudot , Liturgiarum orientalium collectio. 2 Bde. Paris 1716. (S. 154); ders ., La Perpe ´tuite ´ de la foy de l’E´ glise Catholique touchant l’Eucharistie. Bde. 4 und 5. Paris 1711. (S. 154). N icolaus R igault , Q. Sept. Florentis Tertvlliani Opera ad vetustissimorum exemplarium fidem locis quamplurimis emendata [...]. Paris 2 1641. (S. 147). <?page no="280"?> 248 Johann Sebastian Drey C hristian F riedrich R ösler , Lehrbegriff der christlichen Kirche in den drei ersten Jahrhunderten. Frankfurt a. M. 1775; ders ., Bibliothek der Kirchen-Väter in Uebersetzung und Auszügen aus ihren fürnehmsten besonders dogmatischen Schriften; sammt dem Original der Hauptstellen und nöthigen Anmerkungen. 10 Bde. Leipzig 1776-1786. (S. 40). B onifaz M artin S chnappinger , Entwurf der Catholisch-christlichen Religions- und Dogmen-Geschichte. Karlsruhe 1807. (S. 6R, 39). J ohann C aspar S chweitzer , Joh. Caspari Suiceri Thesaurus ecclesiasticus e Patribus Graecis ordine alphabetico exhibens: quaecunque phrases, ritus, dogmata, haereses, & huiusmodi alia spectant. 2 Bde., Amstelaedami 1682 [ 2 1728]. (S. 41). Socratis Scholastici et Hermiae Sozomeni Historia ecclesiastica. Henricus Valesius Graecum textum emendavit, Latine vertit, et annotationibus illustravit. Moguntiae 1677. (S. 198). M atthieu S ouverain , Le Platonisme Devoile ´, Ou Essai Touchant le Verbe Platonicien. Köln 1700; deutsch: J osias F riedrich C hristian L öffler , Versuch über den Platonismus der Kirchenväter oder Untersuchung über den Einfluß der platonischen Philosophie auf die Dreyeinigkeitslehre in den ersten Jahrhunderten. Züllichau, Freystadt 2 1792. (S. 42). K arl F riedrich S täudlin , [Lehrbuch der] Dogmatik und Dogmengeschichte. Göttingen 1800, 3 1809. (S. 39). L ouis T homassin , Dogmatum theologicorum tomi tres. Paris 1684-1689. (S. 39). G iuseppe M aria T ommasi , Institutiones theologicae antiquorum Patrum. 3 Bde. Rom 1709-1712. (S. 40). A dam T ribbechov , De doctoribus scholasticis et corrupta per eos divinarum humanarumque rerum et scientia liber singularis. Gießen 1665. (S. 41). J acobus U sherius [J ames U ssher ], Historia dogmatica. Controversiae inter Orthodoxos & Pontificios de scripturis et sacris vernaculis. London 1690. (S. 39). J ohann G eorg W alch , Historia controversiae graecorum latinorumque de processione spiritus sancti. Jena 1751. (S. 43, 92, 94). J oseph W eber , Philosophie, Religion und Christenthum im Bunde zur Veredelung und Beseligung der Menschen. 7 Bde. München 1808-1811. (S. 196). D aniel W hitby , Disquisitiones modestae in clarissimi Bulli defensionem fidei Nicenae. London 2 1720. (S. 42). C harles W itasse [V uitasse ], Tractatus de sacramento poenitentiae. 2 Bde. Paris 1717. (S. 154). W erner K arl L udwig Z iegler , Beytrag zur Geschichte des Glaubens an das Daseyn Gottes in der Theologie. Göttingen 1792. (S. 42); ders ., Theologische Abhandlungen. Bd. 1. Göttingen 1791. (S. 43). <?page no="281"?> Text Nr. 3: Observata quaedam ad illustrandam Justini Martyris de regno millenario sententiam [Millenniumsschrift] Teil A: Einleitung von Max Seckler I. Bibliographische Angaben Der vollständige Text des Titelblatts lautet: Natalem diem Regis augustissimi et potentissimi Friderici Regis Würtembergiae rel. rel. domini nostri clementissimi VI. novembris ab alma universitate Fridericiana Elvacensi peractis solemnibus sacris publica oratione pie celebrandum rite indicit D. Joannes Sebastianus Drey theol. dogmat. prof. p.o. Insunt observata quaedam ad illustrandam Justini Martyris de regno millenario sententiam. Gamundiae typis Joann. Georg. Ritter, typographi. − Bei dem im Titelblatt genannten Datum (VI. novembris) handelt es sich um den 6. November 1814 1 , das Jahr der Drucklegung ist im Originaldruck nicht angegeben. - Umfang: 8 Seiten, Folio (die Rückseite des Titelblatts ist unbedruckt). Die dissertatio wurde bei J ohann G eorg R itter in Schwäbisch Gmünd in geringer Stückzahl gedruckt und war nicht im Buchhandel erhältlich. Das Exemplar der Bibliothek des Wilhelmsstifts Tübingen (Signatur: Gd 198.2 ° -3) ist mit akademischen Reden von C ölestin S pegele , J ohann N e pomuk B estlin und C arl W achter zusammengebunden. Der bibliographisch übliche Titel lautet: Observata quaedam ad illustrandam Justini Martyris de regno millenario sententiam. Als Arbeitstitel wird die Bezeichnung Millenniumsschrift (MS) verwendet. II. Erläuterungen 1. Das literarische Genus der Millenniumsschrift im Kontext der Ellwanger Universitätsschriften und -reden a. Ihr Charakter als dissertatio und zugleich als wissenschaftliche oratio Zu den regelmäßig wiederkehrenden Höhepunkten im akademischen und gesellschaftlichen Leben an der Friedrichsuniversität in Ellwangen, an der D rey während ihres fünfjährigen Bestehens (1812-1817) die Professur für Dogmatik, Dogmengeschichte, Enzyklopädie und Methodologie 2 innehatte, 1 Diese Präzisierung bringt bereits C arl J oseph H efele , Nekrolog [auf J ohann S ebastian D rey ], in: ThQ 35 (1853) 341-349, 346. 2 Siehe Königliche Verordnung, das General-Vikariat, die katholische Landes-Universität und das <?page no="282"?> 250 Erläuterungen gehörten jedes Jahr der Festakt zur Feier des Geburtstags des Universitätsgründers und regierenden Königs Friedrich 3 , der jeweils am 6. November begangen wurde, sowie der Tag der öffentlichen Prüfungen und Disputationen, die stets am Ende des Studienjahres stattfanden. Der akademische Charakter des Festakts zum Geburtstag des Königs wurde teilweise dadurch betont, daß im Rahmen dieser Veranstaltung auch die Vergabe der Preise für studentische Preisaufgaben sowie andere Ehrungen vorgenommen wurden. Der Festakt zum Geburtstag des Königs wurde in seiner formalen Gestaltung jährlich nach denselben feststehenden Regeln abgehalten, für deren korrekte Anwendung und Umsetzung der Rektor der Universität zuständig war. Das akademische Herzstück des Programms war ein wissenschaftlicher Vortrag zu einer theologischen Fachfrage in lateinischer Sprache, den turnusmäßig einer der Professoren zu übernehmen hatte. Der im Voraus gedruckte und von der Priester-Seminar in Ellwangen betreffend, vom 28. September 1812, in: T heodor E isenlohr , Sammlung der württembergischen Kirchen-Geseze. Dritter Theil. Enthaltend die katholischen Kirchen- Gesetze vom Jahre 1803 bis zum Jahr 1834 und die Einleitung in dieselben. Von J ohann J akob L ang (= A ugust L udwig R eyscher (Hg.), Vollständige, historisch und kritisch bearbeitete Sammlung der württembergischen Gesetze 10). Tübingen 1836, 410. - Zum Lehrdeputat und zur akademischen Stellung D reys an der Friedrichsuniversität in Ellwangen siehe TüA 2 (Praelectiones dogmaticae) 14*-33* und 46*; TüA 3 (Kurze Einleitung) 122*-126* Anm. 8; 106* ff; im vorliegenden Band die Einleitungen zu Text Nr. 1, Anm. 2; zu Text Nr. 2, Ziff. II.3, sowie zu Text Nr. 6, Ziff. II.5. 3 F riedrich W ilhelm K arl von W ürttemberg , * 6.11.1754 in Treptow an der Rega (Hinterpommern), † 30.10.1816 in Stuttgart, war 1797-1806 als F riedrich II. Herzog von Württemberg, 1803 Kurfürst, und von 1806 bis zu seinem Tod unter dem Namen F riedrich I. der erste König von Württemberg. F riedrich gilt als der bedeutendste Herrscher Württembergs der neueren Zeit (R obert U hland ), der durch ebenso zielstrebige wie effiziente Politik den Umfang Württembergs durch den Zugewinn von überwiegend katholisch bevölkerten Gebieten um mehr als das Doppelte vergrößerte und dem modernen württembergischen Staat seine Gestalt gab. Im Zuge der Neuordnung des Kirchenwesens hatte er am 18. Oktober 1812 die Katholische Landesuniversität Ellwangen (»Friedrichsuniversität«) ins Leben gerufen. - Lit.: M ax M iller , Die Organisation und Verwaltung von Neuwürttemberg unter Herzog und Kurfürst Friedrich. Stuttgart, Berlin 1934; NDB 5 (1961), 596-598 (R obert U hland ); I na U lrike P aul , Württemberg 1797-1816 19. Quellen und Studien zur Entstehung des modernen württembergischen Staates (Quellen zu den Reformen in den Rheinbundstaaten 7). München 2005; dies . »Catholiken und Protestanten ... nunmehr zu Brüdern umgewandelt«? Das Ringen um die faktische Parität der Konfessionen zwischen Staat und katholischer Kirche in Württemberg im 19. Jahrhundert, in: M atthias B lum , R ainer K ampling (Hg.), Zwischen katholischer Aufklärung und Ultramontanismus. Neutestamentliche Exegeten der »Katholischen Tübinger Schule« im 19. Jahrhundert und ihre Bedeutung für die katholische Bibelwissenschaft (Contubernium 79). Stuttgart 2012, 9-42. - Zur Geschichte der Friedrichsuniversität siehe F ranz X aver F unk , Die katholische Landesuniversität in Ellwangen und ihre Verlegung nach Tübingen, in: Festgabe der Universität Tübingen zum fünfundzwanzigjährigen Regierungsjubiläum Seiner Majestät des Königs Karl von Württemberg. Tübingen 1889, 3-30; E ugen H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität Ellwangen 1812-1817. Erinnerungsschrift zur feierlichen Eröffnung des Königl. Württemb. Gymnasiums Ellwangen am 4. November 1817. Ellwangen [1917], 1-64; J oseph Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (1812-1817) und sein erster Rat Dr. Joseph von Mets. Nebst erstmaliger Herausgabe der Autobiographie des Geistlichen Rats Dr. von Mets. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der Diözese Rottenburg, in: ThQ 109, 1928, 3-160 (Autobiographie von M ets hier 67-157), bes. 3-22; ders ., Die Errichtung der katholisch-theologischen Fakultät in Tübingen im Jahre 1817, in: ThQ 108 (1927) 77-158. <?page no="283"?> 251 Millenniumsschrift (1814) Universitätskuratel zu genehmigende 4 Text des Vortrags lag beim akademischen Festakt vor. Da das Druckwerk den Charakter einer wissenschaftlichen Abhandlung hatte, wurde diese als dissertatio bezeichnet (vgl. den fachlichen Titel oben in Ziff. I), aber indem sie im Festakt mündlich vorgetragen wurde, figurierte sie im Festprogramm als (wissenschaftliche) oratio (Präsentationstitel der Millenniumsschrift). Die dissertatio oratio konnte wegen ihrer zentralen Stellung im Festprogramm terminologisch mit diesem gleichgesetzt oder auch einfach als Programm bezeichnet werden (siehe H aug ). Für den Festakt am 6. November 1814 war D rey mit der Ausarbeitung der dissertatio oratio im Festplenum betraut. Der Text dieser dissertatio oratio (d.h. der MS) ist Gegenstand der vorliegenden Edition. b. Andere Fälle von dissertationes orationes sowie von andersartigen Universitätsreden Gemäß dem Programm der Festakte zum königlichen Geburtstag folgte auf den wissenschaftlichen Vortrag eine zeremonielle Festrede des Universitätsrektors. Die zeremoniellen Reden trugen die Bezeichnung sermo, sie wurden zum Teil ebenfalls in lateinischer Sprache gehalten und konnten auch wissenschaftliche Themen behandeln, aber sie erschienen nicht im Druck. Zu diesen zeremoniellen Reden gibt es im Gegensatz zu den wissenschaftlichen Vorträgen nur indirekte und lückenhafte Informationen. Die Fachvorträge und zeremoniellen Reden, die zum Geburtsfest des Königs im Laufe der Jahre gehalten wurden, sind nachfolgend zusammengestellt, soweit die Überlieferungslage es zuläßt 5 . Die nicht zu dieser Kategorie gehörenden Universitätsschriften und -reden sind in Ziff. II.1.b der Einleitung zu Text Nr. 4 angeführt. In den Festakt am 6. November 1813 brachte J ohann N epomuk B estlin eine dissertatio oratio mit dem Titel: De nexu arctissimo qui virtutem inter et veri cognitionem intercedit ein, die auch gedruckt wurde (Gamundiae 1813); von der Festrede des Rektors S pegele ist weder das Thema noch der Text überliefert. Ursprünglich sollte für den Festakt am 6. November 1813, in dem gleichzeitig eine Preisverleihung vorgenommen wurde, P eter A lois G ratz eine lateinische dissertatio für den öffentlichen Vortrag ausarbeiten. G ratz reichte am 14. Juli 1813 bei der Kuratel ein Manuskript mit Untersuchungen über J ustin ein, das aber von der Behörde nicht akzeptiert wurde, da es in Deutsch verfaßt 4 Genehmigungspflichtig waren nicht nur das Thema und die Form des Textes, sondern auch sein Inhalt im Hinblick auf Rechtgläubigkeit und Opportunität. Im Falle der Beichtschrift (siehe Text Nr. 4) gab es diesbezüglich einige Probleme, die zu Textänderungen führten. Texte anderer Autoren wurden aus formalen Gründen nicht akzeptiert. 5 Quellen: F unk , Die katholische Landesuniversität in Ellwangen (wie Anm. 3), bes. 15 f; H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität (wie Anm. 3), bes. 9-12 und 42-46; N orbert W olff , Peter Alois Gratz (1769-1849). Ein Theologe zwischen »falscher Aufklärung« und »Obscurantismus« (Trierer theologische Studien 61). Trier 1998, bes. 105 f, sowie eigene Recherchen (siehe auch Einleitung zu Text Nr. 4, Anm. 1). <?page no="284"?> 252 Erläuterungen und für den mündlichen Vortrag viel zu umfangreich sei. Die Kuratel wies den Rektor S pegele am 23.7.1813 an, daß D rey oder B estlin die wissenschaftliche Rede halten solle. Tatsächlich kam dann die oben genannte dissertatio aus der Feder von B estlin zum Vortrag; sie umfaßte im Druck 11 Seiten. G ratz ließ seine verschmähte Schrift mit dem Titel Kritische Untersuchungen über Justins apostolische Denkwürdigkeiten ein Jahr später (1814) in Stuttgart bei H asselbrink (und nicht beim Universitätsdrucker R itter ) im Druck erscheinen; sie hatte einen Umfang von 76 Seiten. Am 6. November 1814 wurde in Ellwangen der 60. Geburtstag des Stifters der Friedrichsuniversität gefeiert. D rey steuerte dazu die MS als dissertatio oratio bei. Im Anschluß an D reys Rede hielt der Universitätsrektor K arl W achter die zeremonielle Festrede über Die alten Akademien 6 . Zum 6. November 1815 hielt K arl W achter die wissenschaftliche Rede (dissertatio oratio) mit dem Titel De statistica ecclesiastica (gedruckt: Elvaci 1815) 7 ; über die Festrede, für die er als amtierender Universitätsrektor zuständig war, ist nichts bekannt. Für den 6. November 1816 war ein von G ratz zu gestaltendes Festprogramm vorgesehen, das jedoch nach dem Tod des Königs (30. Oktober 1816) nicht zur Ausführung kam. Das bereits gedruckte Programm beinhaltete die dissertatio oratio von G ratz mit dem Präsentationstitel: Regiae Academiae Fridericianae, quae est Elvaci, nomine solemnia natalitia Regis augustissimi et potentissimi Friderici Regis Württembergiae rel. rel. domini nostri clementissimi die VI. novembris in aula academica publice pieque celebranda indicit Dr. Gratz, exegeseos et critices N.T. prof. p.o. Inest disquisitionum in Pastorem Hermae Partic. I. Diese Rede wurde 1816 bei R itter in Ellwangen gedruckt; von ihr scheint nur ein einziges Exemplar in der Landesbibliothek Stuttgart erhalten geblieben zu sein 8 . Das Jahr 1817 brachte mit der Aufhebung der Friedrichsuniversität durch königliche Verordnung vom 20. Oktober 1817 auch das Ende der Festprogramme. Zwar soll B estlin zum Geburtsfest des neuen Königs, der den 6 Dazu H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität (wie Anm. 3) 46, Anm. 1: »Nach dem Württemb. Regierungsblatt 1814 Nr. 51 S. 397 sprach Wachter dabei die feurigsten Wünsche für das ununterbrochene Wohl Sr. Kgl. Majestät und die Empfindungen des tiefsten Dankes für die der Universität gegebenen Beweise der allerhöchsten Gnade aus«. 7 Zu dieser theologiegeschichtlich bemerkenswerten dissertatio siehe Text Nr. 9, Einleitung zu Misz. Nr. 16, bei und in Anm. 14-16; vgl. auch unten bei und in Anm. 14. 8 Die ungedruckte Festrede des Rektors W achter sollte De gravi difficilique munere Doctoris theologiae handeln; ihr Text ist nicht erhalten. - G ratz veröffentlichte seine Untersuchung außerdem unter dem Titel Disquisitio in Pastorem Hermae im Archiv für die Pastoralkonferenzen in den Landkapiteln des Bisthums Konstanz 16 (1817) Bd. 2, 224-234; einen weiteren Abdruck widmete er 1820 seinem neuen Landesherrn in Bonn, dem preußischen König Friedrich Wilhelm III., zum Geburtstag: Natalitia augustissimi ac potentissimi principis ac domini Friderici Guilelmi III. Regis Borussorum optimi, rel. rel. in alma universitate rhenana publice pieque celebranda rectoris ac senatus academici nomine indicit Dr. Gratz, facultatis cath. theol. professor o.p. ac p.t. decanus. Inest disquisitionum in Pastorem Hermae Partic. I. Indicantur simul quaestiones praemiis coronandae. Bonnae, 1820. Typis Kupferbergianis. <?page no="285"?> 253 Millenniumsschrift (1814) Namen W ilhelm I. angenommen hatte 9 , am 20. [? ] September 1817 noch eine Festrede gehalten haben, aber eine dissertatio oratio scheint in den Festakt nicht mehr eingebracht worden zu sein 10 . 2. Der Gegenstand der Millenniumsschrift Gegenstand der MS ist die Frage, ob J ustin der M artyrer als Zeuge dafür in Anspruch genommen werden kann, daß die zu seiner Zeit auch unter vielen als rechtgläubig geltenden Christen verbreitete Lehre vom tausendjährigen Reich von ihm als allgemein verbindliches Dogma angesehen wurde. Diese Frage werde in der Dogmengeschichtsschreibung vielfach bejaht, aber das sei falsch. J ustin selbst sei zwar ein überzeugter Chiliast gewesen, aber er anerkenne gleichwohl, daß es rechtgläubige Christen gebe, die den Chiliasmus zurückwiesen. Daraus folge, daß J ustin nicht nur persönlich die Lehre vom tausendjährigen Reich nicht als unbedingt glaubensverbindlich aufgefaßt habe, sondern daß er darüber hinaus historisch bezeuge, daß in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts diese Lehre nicht als verbindliches Dogma in Geltung stand. 3. Wissenschaftlicher Charakter und dogmengeschichtlicher Ertrag dieser Schrift D rey betont zu Beginn seiner Abhandlung, daß er mit ihr einen Beitrag zur Dogmengeschichte (historia dogmatum) vorlegen wolle. Den Ausgangspunkt bilde die Deutung der Position J ustins , wie sie unlängst (nuper) von angesehenen Dogmenhistorikern vertreten worden sei. Es genüge, dafür exemplarisch auf H einrich C orrodi 11 und W ilhelm M ünscher 12 zu verweisen. Die Unter- 9 F riedrich W ilhelm C arl von W ürttemberg , * 27.9.1781 in Lüben (Schlesien), † 25.6. 1864 in Cannstatt, war vom 30.10.1816 bis zu seinem Tod als Nachfolger F riedrichs I. der zweite König von Württemberg. Zu seinen ersten Maßnahmen gehörte die Aufhebung der Friedrichsuniversität und ihre Eingliederung als Katholisch-Theologische Fakultät in die Eberhard-Karls-Universität in Tübingen. Zu ihm: ADB 43 (1898) 209-213 (E ugen S chneider ); Das Haus Württemberg. Ein biographisches Lexikon. Hg. von S önke L orenz , D ieter M ertens , V olker P ress . Stuttgart 1997, 302-306 (O tto -H einrich E lias ); P aul S auer , Reformer auf dem Königsthron. Wilhelm I. von Württemberg. Stuttgart 1997; siehe auch Z eller , Die Errichtung der katholisch-theologischen Fakultät (wie Anm. 3). 10 Infolge der von ihm verfügten Aufhebung der Friedrichsuniversität und der damit verbundenen Aufbruchstimmung galten für den Festakt wohl nicht mehr die bisherigen Regeln. 11 H ans H einrich C orrodi , * 31.7.1752 in Zürich, † 14.9.1793 ebd., Neologe und Gegner des Chiliasmus, ab 1786 Prof. für Naturrecht und Sittenlehre in Zürich. - D rey meint C orrodis Schrift: Kritische Geschichte des Chiliasmus Oder der Meynungen über das tausendjährige Reich Christi. 3 Bde., Frankfurt und Leipzig 1781-1783; 4 Bde. Zürich 1794. 12 Gemeint ist: W ilhelm M ünscher , Handbuch der christlichen Dogmengeschichte. 4 Bde., Marburg 1797-1809, bes. Bd. 2, Marburg 2 1804, §§ 264-279; vgl. auch ders ., Programma an dialogus cum Tryphone Justino Martyri recte adscribatur? Marburg 1799; ders ., Historische Entwickelung der Lehre vom tausendjährigen Reiche in den drei ersten Jahrhunderten, in: Magazin für Religionsphilosophie, Exegese und Kirchengeschichte, hg. von H einrich P hilipp C onrad H encke . Bd. 6. Zweites Stück (1796) 233-254. - Nähere Angaben zu M ünscher : Einleitung zu Text Nr. 2, Anm. 7. <?page no="286"?> 254 Erläuterungen suchung ist darauf angelegt, die von diesen Autoren repräsentierte Justindeutung zu widerlegen und ad temporis opportunitatem die wahren Sachverhalte zutage zu fördern (extricare), die zum einen das Denken J ustins und zum andern die dogmengeschichtliche Stellung des Chiliasmus im 2. Jahrhundert betreffen. Die Textanalysen, die D rey zu diesem Zweck vornimmt, sind ungemein scharfsinnig. Aufs Ganze gesehen tritt D rey in der MS als entschiedener Vertreter der historisch-kritischen Methode auf dem Gebiet der Dogmengeschichtsschreibung in Erscheinung. Er darf insofern neben dem Neutestamentler P eter A lois G ratz 13 als klarer Vertreter der historischkritischen Richtung gelten, die sich seit 1812/ 13 an der Friedrichsuniversität formierte 14 . In der MS setzte D rey für seine Person die historisch-kritische Methode zum ersten Mal zur Klärung einer dogmatischen Frage ein. Da es sich bei dieser Untersuchung um den ersten wissenschaftlichen Text handelt, den er nach der Revisionsschrift von 1812 im Druck vorlegte, ist sie als Signal für den Vorrang, den er dieser Methode von Anfang an als Systematiker einräumte, zu werten 15 . In die gleiche Richtung weist der Umstand, daß er den Wortlaut dieser Untersuchung bei der ersten Gelegenheit vorgetragen hat, wo er in einem gehobenen akademischen Rahmen sich profilieren konnte. Sein Vortrag hatte insofern den Charakter (und aus seiner Sicht wohl auch die Funktion) einer Antrittsvorlesung. 13 Zu ihm: Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 74. 14 Als weiterer Vertreter der kritischen Ellwanger Richtung ist K arl W achter zu nennen, der den amtlichen Dokumenten zufolge an der Friedrichsuniversität den Lehrstuhl für Kirchengeschichte und Kirchenrecht innehatte und nach den eigenen Angaben in seiner obengenannten dissertatio (siehe Anm. 7) auch die junge Disziplin der Kirchlichen Statistik vertrat (zu W achter siehe Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 108; zu seiner Pionierleistung auf dem Gebiet der Kirchlichen Statistik siehe Text Nr. 9, Einleitung zu Misz. Nr. 16, bei und in Anm. 14-16). Gleichzeitig mit D rey und seiner dissertatio von 1815 über die Ohrenbeichte war W achter mit den kritischen Thesen seiner dissertatio von 1813 denunziert und Gegenstand eines kirchenamtlichen römischen Beanstandungsverfahrens geworden (vgl. Einleitung zu Text Nr. 4, Anm. 76). 15 D rey hat diese Methode bereits in seiner Vorlesung zur Geschichte des katholischen Dogmensystems (siehe Text Nr. 2) zum Einsatz gebracht und dort auch den Standpunkt, den er in der MS vertritt, im Kontext der Eschatologie (ebd. § 24) präzise dargelegt. Weitere Zeugnisse dieser Art werden seine Beichtschrift (siehe Text Nr. 4) sein, die er ein Jahr später, 1815, im Druck vorlegte, sowie vor allem seine Neuen Untersuchungen über die Constitutionen und Kanones der Apostel. Ein historisch-kritischer Beitrag zur Literatur der Kirchengeschichte und des Kirchenrechts. D rey hatte die erste Fassung dieser Untersuchung unter dem Titel Ueber die apostolischen Constitutionen, oder neue Untersuchungen über die Bestandtheile, Entstehung und Zusammensetzung, und den kirchlichen Werth dieser alten Schrift in der Theologischen Quartalschrift (ThQ 11, 1829, 397-477, 609-723) veröffentlicht. In dem neuen Titel bzw. Untertitel, unter dem er diese Untersuchung annähernd auf den doppelten Umfang erweitert 1830 in einem Separatdruck herausbrachte, hat D rey sie denn auch in hervorgehobener Weise als historisch-kritischen Beitrag gekennzeichnet (siehe auch Einleitung zu Text Nr. 1, bei und in Anm. 132). <?page no="287"?> 255 Millenniumsschrift (1814) 4. Zur Rezeption der Millenniumsschrift Dem Umstand, daß die MS in lateinischer Sprache verfaßt ist und daß sie als Programmschrift für eine inneruniversitäre Veranstaltung in Broschürenform gedruckt wurde, ist es zweifellos zuzuschreiben, daß sie im öffentlichen wissenschaftlichen Publikationswesen unbeachtet blieb und in der Versenkung verschwand, mit der Folge, daß sie bisher weder in der Dogmengeschichtsschreibung eine ihr zustehende Beachtung fand, noch in ihrer Bedeutung für die wissenschaftliche Vita D reys wahrgenommen wurde. Aus der Ferne betrachtet, konnte man sich zu der Annahme verleiten lassen, daß es sich bei ihr eher nur um eine akademische Fleißübung handelt. Für eine angemessene Würdigung dieser Schrift fällt zunächst ins Gewicht, was oben zu ihren methodologischen Aspekten und zu ihrem dogmengeschichtlichen Ertrag im Hinblick auf J ustin festgestellt wurde. Dort hat sich auch abgezeichnet, daß es sich keinesfalls um eine zeitenthobene Studie handelt, sondern daß D rey mit seiner Thematik direkt und offensiv in die zu seiner Zeit (nuper) herrschende Dogmengeschichtsschreibung eingegriffen hat. Über diesen wissenschaftlichen Gegenwartsbezug hinaus weist die MS aber einen weiteren Aspekt an zeitgeschichtlicher Aktualität auf, den D rey zwar nicht direkt anspricht, wohl aber durch Wendungen wie nostris temporibus und ad tempus opportunitatem zu erkennen gibt. Seinem Auditorium wird die Bezogenheit der Ausführungen D reys auf die millenaristischen Sektenbewegungen nicht entgangen sein, die das religiöse und kirchliche Leben in jenen Jahren erschütterten, auch im Ellwängischen und im Fränkischen. Das chiliastische Sektenwesen war während der napoleonischen Kriegswirren in Württemberg besonders virulent 16 . Diese bedrängende zeitgeschichtliche Problematik gehört zu dem Kontext, in dem die Millenniumsschrift auch zu lesen und zu würdigen ist. 16 Siehe M agnus J ocham , Memoiren eines Obskuranten. Eine Selbstbiographie. Nach dem Tode des Verfassers herausgegeben von Magnus Sattler. Kempten 1896; I sidor S ilbernagel , Die kirchenpolitischen und religiösen Zustände im neunzehnten Jahrhundert. Ein Kulturbild. Landshut 1901; A ugust F riedrich L udwig , Neue Untersuchungen über den Pöschlianismus. Regensburg 1906; ders ., Die chiliastische Bewegung in Franken und Hessen im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Mit einem Sendschreiben Möhlers. Regensburg 1913; H enri L eclerq , Mille ´narisme, in: DACL 11,1 (1933) 1181-1195. - Das Generalvikariat in Ellwangen gab am 15. Juli 1817 einen Erlaß über »Umtriebe von Sektierern« heraus (siehe Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 3) 66). - Später fanden die chiliastischen Ideen sogar Eingang in die nächste Verwandtschaft M öhlers . Dazu ist ein Brief M öhlers erhalten geblieben. Vgl. dazu L udwig , Die chiliastische Bewegung (wie oben) 33 ff; S tephan L ösch , Johann Adam Möhler. Bd. I: Gesammelte Aktenstücke und Briefe. Mit 1 Bildnis Möhlers. Herausgegeben und eingeleitet von Stephan Lösch. München [1928], 370-385; hier ist der vollständige Text des Briefes im Druck wiedergegeben (vgl. dazu bereits L ösch , J. A. Möhler und die Lehre von der Entwicklung des Dogmas, in: ThQ 99, 1917/ 18, 28-59; 129-152, 140 f). <?page no="288"?> Teil B: Johann Sebastian Drey, Observata quaedam ad illustrandam Justini Martyris de regno millenario sententiam. Redeunt nobis, cives Academici, sacra natalitia Augustissimi Regis nostri [3] Friderici, piis animis agenda, votisque solemnibus pro salute Potentissimi 5 Principis Deo O. M. nuncupatis prosequenda maxime a nobis, qui cum alma hac universitate Fridericiana insignia Fundatori nostro debemus beneficia. Hujus igitur dici venerandam laetitiam dum indicere Senatus academici nomine mihi contigit, pauca quaedam praefari lubet, ad historiam dogmatum pertinentia. Sunt ea nimirum observata quaedam ad illustrandam Justini Mar- 10 tyris de regno millenario sententiam. Cujus dum ego rei mentionem injicio, nemo utique rerum prudens expectaverit, me id acturum, ut ostendam, quid ipse Justinus de omni hac materia senserit. Constat enim apud omnes, qui viri hujus scripta perlegerint, eum omnibus fere dogmatis, fatuis etiam, adhaesisse, quae Chiliastarum vulgari 15 nomine feruntur. Namque et animas justorum, etiam christianorum statim post mortem in coelum recipi negat, imo hanc sententiam ut haereticam graviter insectatur (dialog. cum Tryph. Nr. 80 edit. Prud. Mar.), sed potius piorum quidem animas in meliore loco manere, iniquorum autem et malorum in deteriore, judicii tempus expectantes asserit (ib. Nr. 5.); et hierosolymorum 20 locum restaurandum fore, populumque Christianum congregandum atque cum Christo beate victurum mille annos una cum Patriarchis et Prophetis, iisque qui ex Judaeorum genere fuerunt, Tryphoni interroganti fatetur (ib. Nr. 80.); et Antichristum atrocissimum christiani nominis hostem jam imminere, ac pro foribus adstare non dubitat (ib. Nr. 32.). Haec utique satis clare 25 evincunt, in plerisque cum caeteris millenariis consensisse Justinum, quamvis et fatendum sit, crassiores illorum sententias, ad rudiora Judaeorum ingenia conformatas, puta de regni terrestris corporeis voluptatibus, sabbatis, et sacrificiis, vix apud hunc reperiri. Ast gravior de Justino Martyre moveri quaestio potest; num scilicet ean- 30 dem sententiam, quam fuerat ipse in his doctrinis secutus, communem omnium orthodoxorum sententiam, adeoque universalem Ecclesiae catholicae persuasionem censuerit, ita ut ne christianos quidem habendos existimaret, qui Jerosolymam restituendam et mille Christi in his terris regnantis annos negarent? − Contenderunt et abhinc et nuper plures in dogmatum historia 35 egregie versari scriptores, praeconceptas judaeorum de regno Messiae in his terris splendido lateque diffuso opiniones, a christianis quos judaisantes vocant, per omnem christicolarum coetum dimanasse, ac proinde chiliasmum duobus <?page no="289"?> 257 Justini Martyris de regno millenario sententia (1814) saltem primis saeculis in dogmatum numero venisse. Ex illis, qui ita sentiunt, Corrodium et Münscherum nominasse sufficiat, quorum iste in − kritische Geschichte des Chiliasmus II. Th. S. 24 Note 1 asserit, verosimilius nullam aliam 4 saeculo secundo doctrinam pro orthodoxa habitam esse, nisi doctrinam christianorum judaisantium; hic autem qui similia contendit − Handbuch der christ- 5 lichen Dogmengeschichte II. B. §. 271. S. 453 f. 2 Justini potissimum confidit testimoniis. Quam ob rem in hac causa sane gravi me operare pretium facturum existimo, si, quae Münscherus ad sententiam suam comprobandam ex Justino affert (est autem locus quidam insignis) observationibus non nullis illustrare, et quid antiquissimus ibi scriptor affirmet, extricare pro temporis 10 opportunitate studeam. Habetur locus iste, cujus mentionem feci, in dialogo cum Tryphone Nr. 80. edit. Prud. Marani: atque quo magis pateat sensus, juvat illum subjungere integrum, iis tantum summatim interjectis, quae ad controversiam nihil faciunt. Posteaquam igitur Justinus et Trypho de vaticiniis messianis, praesertim 15 de illo, quod apud Esaiam habetur VII. 14 seq. multum utrinque disceptarunt, Trypho interrogat: „verene hunc vos Hierosolymorum locum instauratum iri fatemini, ac populum vestrum congregatum iri, et cum Christo beate victurum exspectatis unacum Patriarchis ac Prophetis iisque qui ex nostro genere fuerunt, vel etiam se nobis adjunxerunt, antequam Christus vester veniret, an 20 ut nos videreris in disputando superare, eo confugisti ut haec diceres? “ Ad quae Justinus respondet: „ ουχ ο ë υτω ταλας εγω, ω τρυϕων, ω ë ς ε ë ρετα λεγειν παρ ’ α ë ϕρονω · ω ë μολογησα ουν σοι και προτερον, ο ë τι εγω μεν και αλλοι πολλοι ταυτα ϕρονουμεν, ω ë ς και παντως επιστασθε τουτο γενησομενον · Πολλους δ ’ αυ και των της καθαρας και ευσεβους οντων χριστιανων γνωμης τουτο μη γνωριζειν εση - 25 μανασοι. τουσ γαρ λεγομενουσ μεν χριστιανουσ, οντασ δε αδεουσ και ασεβεισ αι Æ ρεσιωτας, οτι κατα παντα βλασϕημα και αδεα και ανομτα διδασκαλουσιν, εδηλωσα σοι . − − Tum interposita sinceritatis suae protestatione pergit: ει γαρ συνεβαλετε υ ë μεις τισι λεγομενοις χριστιανοις, και τουτο μη ο ë μολογουσιν, αλλα και βλασϕημειν τολμωσι τον Θεον Αβρααμ, και τον Θεον Ισαακ και τον Θεον 30 Ιακωβ, ο ë ι και λεγουσιν μη ειναι νεκρων αναστασιν, αλλα α ë μα τω αποδνησκειν, τας ψυχας αυτων αναλαμβανεσθαι εις τον ουρανον, μη υ ë πολαβητε αυτους χρι στιανουσ . − − Quos dum comparasset diversis inter Judaeos sectariis, qui judaei quidem nomine dicantur, re autem tales non sint, his verbis concludit: εγω δε και ειτινες εισιν ορθογνωμονες κατα παντα χριστιανοι, και σαρκος ανα - 35 στασιν γενησεσθαι επισθαμεθα, και χιλια ετη εν Ιερουσαλημ οικοδομηθειση à και κοσμηθειση à και πλατυνθειση à οι ë προϕηται Ιεζηχιηλ και Ησαιας και ο ë ι αλλοι ο ë μολογουσιν .“ 1 Hervorhebung im Originaldruck durch Fraktur 2 Hervorhebung im Originaldruck durch Fraktur <?page no="290"?> 258 Johann Sebastian Drey Antequam ad explicandam hunc locum, qui sane difficultatibus laborat, accedo; praemittenda mihi videtur animadversio modum concernens, quo nostris temporibus doctrina chiliastica passim tractatur: ita enimvero plerumque tractatur, ut res et sententiae, quas a se invicem discerni oportet, confundantur, et commune de omnibus feratur judicium, cum singulare de sin- 5 gulis ferendum foret. Certe caput, imo si severi sumus in discernendo, summa erroris chiliastici una hac sententia continetur: in secundo Christi adventu Hierosolymam magnificentius restitutum iri, ibique Christum cum sanctis regnaturum per mille annos omni voluptatis ac beatudinis affluentia. Cum hac autem sententia et aliae cohaerent, ita quidem, ut si etiam eas a chiliasmo 10 penitus rejecto separes, tamen adhuc subsistant, subsistere saltem possint suis utique argumentis nixae; si vero conjugas, aliter omnino de istis sentire nunc debeas, quam antea senseris. In his doctrinis veniunt, quas de resurrectione mortuorum, de statu animae proxime a morte corporis, de extremo judi-cio et 5 rel. nimonamus. Eas et alii PP. chiliastae et noster hic quoque Justinus 15 commemorat, dum de mille annis loquitur. Quare in explicandis ipsius verbis cautos nos et sagaces esse oportet, ut probe discernamus, quomodo de singulis istis doctrinis tum judicet ipse, tum alios judicare dicat. Deveniamus nunc ad expositionem loci. Et primo quidem videmus adposite ad interrogationem Tryphonis respon- 20 dere Justinum. Discreverat ille interrogans christianorum sententiam a sententia Justini (verene vos creditis? an tu solum eo confugisti? ) Simili modo hic respondens discernit suam sententiam a christianorum sententia, et imprimis fatetur, hanc e s s e suam sententiam: ita omnia eventura, quemadmodum Judaei exspectent ( ω ë μολογησα ο ë τι εγω μεν και ). Pergit nunc expromere, quae sit 25 sententia christianorum; sed quia conformem et unanimem non esse noverat, una eam responsione expromere nequit, diversis igitur commatis diversas exponit sententias christianorum. Et primo quidem affirmat, multos alios christianorum eadem de regno Christi millenario sentire, quae sentiat ipse Justinus ( και αλλοι πολλοι − −). Mox autem subjungit, multos vicissim alios, etiam qui 30 purae et piae sententiae sint addicti, ista non recipere, scilicet quae de Hierosolyma restauranda et de regno Christi terrestri sciscitatus fuerat Trypho ( πολλους δ ’ αυ εσημανα σοι ). Quoniam vero aliud superat christianorum genus, qui saltem christianos se dicebant, istorum quoque mentio fuit facienda; et meminit horum Justinus, sed non sine indignatione; ac nova insignienti 35 particula acrique verborum insectatione hos a prioribus christianis discernit, inferens: namque quod illos attinet, qui christiani quidem dicuntur, sed athei et impii sunt haeretici, istos blasphema in omnibus et athea et insana docere jam demonstravi tibi. Non quidem diserte hic effatur, quid haeretici isti de regno millenario doceant, ast concludendum id relinquit: dum nimirum in 40 omnibus eos impie sentire dicit, simul indigitat, neque in his eos meliora sentire; vel etiam innuit, istorum sententiam, quaecunque demum ea sit, <?page no="291"?> 259 Justini Martyris de regno millenario sententia (1814) omnino negligendam esse et nullius auctoritatis. Quoniam vero Trypho tantarum in haereticos irarum causas desiderare poterat, certosque characteres, quibus falsi hi christiani a veris et piis discerni queant; ad recensenda impia et blasphema haereticorum dogmata progreditur, interjecta, ut dixi, sinceritatis suae protestatione ( ει γαρ και συνεβαλετε υ ë μεις τισι λεγομενοις χρ... και τουτο 5 μη ο ë μολογουσιν, αλλα και − − − −). Hic quidem jam diserte enunciat, istos haereticos pariter non tenere ea, quae judaei ac Justinus ipse cum multis aliis tenebant, atque in his quidem sentire haereticos cum illis genuinis christianis, quos secundo loco commemoraverat; interim tamen hanc non esse causam haereticae pravitatis, sed illa impia blasphema et insana dogmata: scilicet, 10 quod Deum Abrahae et Deum Isaac et Deum Jacob blasphemiis appetere audeant, nullam esse mortuorum resurrectionem dicant, sed animas suas statim a morte in coelum suscipi. Quae quidem Gnosticorum dogmata praecipua ita illis solis erant propria, ut ab omnibus catholicis, etiam qui millenariorum sententiam non probarent, rejicerentur; atque in his quidem Justinus haere- 15 ticos discernit ab illis orthodoxis, quos altero loco posuerat. Sub finem denique repetit praecipuam orthodoxiae notam scilicet resurrectionem mortuorum, simulque mille annos in Jerosolyma restaurata a prophetis promissos affirmat, suam pariter repetens sententiam. Quare si ex celebri hoc Justini Martyris testimonio paucis deducere opor- 20 teat, quid de regno millenario tum senserit ipse, tum alios christianos sensisse dicat; primo quidem ipse aperte se chiliastam profitetur, quod autem reli- 6 quorum christianorum hac in re sententiam attinet, triplex satis clare christianorum genus distinguit: Sunt, qui cum Justino chiliasmum tenent, utique orthodoxi; sunt, qui chiliasmum rejiciunt, caetera autem pure et pie sentiunt, 25 et hi orthodoxi; sunt demum, qui et chiliasmum rejiciunt, et alia insuper omnibus orthodoxis probata dogmata, hi haeretici sunt, non veri christiani, sed nomen tantum usurpantes. Ex quo consequitur, sententiam de regno Christi millenario a Justino pro tali habitam esse, quam quis salva orthodoxia tenere poterat aut respuere, proinde in dogmatum numero eam non venisse. 30 Ast objicit Münscherus l. c. pag. 455, textum, qualis habetur, purum esse non posse, sed mendis laborare. Namque aperte sibimet ipsi repugnare Justinum, dum superiore loco dicat: multos esse orthodoxos christianos, qui regnum millenarium respuant, in fine autem subjungat: se cum omnibus orthodoxis istam opinionem tenere. Quare cum Dallaeo particulam negativam 35 in illo commate: πολλους δ ’ αυ, και των - (μη) - καθαρας etc. inserendam putat: ratus, hanc olim ab illis, qui exemplaria manu describerent, vindicandi Justini gratia excussam fuisse. Tali modo repugnantiam tolli, et facile intelligi opinatur, cur in sequentibus uberius de istis haud genuinis christianis agat Justinus. Idque confirmari putat exinde, quod Justinus dogma de resurrectio- 40 ne et de millenario regno tam arcte conjunxerit, ut nonnisi duplex christianorum genus nosse videatur, gnosticos, qui utrumque negabant, et orthodoxos, qui utrumque tenebant. <?page no="292"?> 260 Johann Sebastian Drey Ad ista paucis volo respondere. Et imprimis quidem dico, nullibi sibi repugnare Justinum: non enim dicit, quod Münscherus eum dicere asseverat. Affirmat quidem superius paulo ab initio loco, quem attuli: multos esse christianos etiam ex orthodoxorum genere, qui regnum millenarium respuant; ast in fine non subjungit, se cum omnibus orthodoxis eam regni millenarii 5 sententiam tenere, sed scire se cum omnibus orthodoxis, carnis resurrectionem futuram. Quis hic sibi repugnare Justinum dicat? Poterant omnes orthodoxi carnis resurrectionem tenere, et multi simul chiliasmum respuere, quemadmodum haud ita multo post Origenes aliique chiliasmi impugnatores acerrimi resurrectionem tamen corporum professi sunt. Quoniam tamen ad carnis 10 resurrectionem statim mille annos ex Prophetis adjungit auctor noster, quomodo adjungat, examinari oportet. Patet autem facile cuivis ipsius Justini verba inspicienti: non iisdem vocabulis et de resurrectione et de mille annis disseri; namque de resurrectione dicit: εγω δε και ειτινες εισιν ορθογνωμονες κατα παντα χριστιανοι, και σαρκος ανασταςιν γενησεσθαι ε π ι σ τ α μ ε θ α ; de 15 mille annis vero asserit: και χιλια ετη εν Ιερουσαλημ - - ο ë ι προϕηται - ο ë μολογουσιν . Ipsa proinde constructionis variatio indicat, non parem utrique dogmati auctoritatem a Justino tribui: in resurrectione − communem omnium orthodoxorum doctrinam pronunciat, in mille annis Prophetarum vaticinia ad suam sententiam interpretatur. Talem autem Prophetarum interpretationem non 20 omnibus orthodoxis fuisse communem, sed privatam Justini et aliorum chiliastarum, ex eo colligi potest, quod Justinus non ponit: εγω δε και ειτινες - - τους προϕητας ο ë μολογειν ε π ι σ τ α μ ε θ α , quemadmodum antea, sed simpliciter effert: ο ë ι προϕηται ο ë μολογουσιν . Prius igitur affirmat dogmatice, alterum historico-exegetice. 25 Sed ex his ulterius liquet, non ita confusam a Justino ac permixtam fuisse utramque doctrinam de resurrectione scilicet et de mille annis (quemadmodum vult Münscherus) ut nonnisi duplex christianorum genus nosse dicen- 7 dus sit. Namque et hic utramque aperte distinquit, uti probavi, et aliis quoque in locis, ubi de istis rebus sermonem injicit, idem facit. Sic Dial. Nro. 81, quo 30 sententiam de mille annis sacrorum librorum auctoritate corroborare pergit, sub finem ad Apocalypsin Johanneam adpellans post mille annos in Jerusalem traductos καθολικην και αιωνιαν ο ë μοθυμαδον α ë μα παντων αναστασιν γενησε σθαι και κρισιν commemorat. Imo Apol. I. Nr. 52. resurrectionem universalem et judicium extremum cum secundo Christi adventu ita conjungit, ut nil 35 prorsus, multo minus mille annorum regnum interjiciat. Ex quo Cl. Lumper. (Histor. Theol. Crit. P. II. pag. 246.) infert, probabilius Justinum, dum illam Apologiam scriberet, alienum adhoc a chiliastica sententia fuisse. Novit igitur Justinus, uti jam supra exposui, triplex christianorum genus, et hoc ipsa periodorum concinnatione distinquit, quemadmodum facile licet 40 cognoscere. Enimvero dum ex una parte se multosque alios sententiae millenariae asseclas profitetur, ex altera vero multos vicissim istius sententiae inimicos, <?page no="293"?> 261 Justini Martyris de regno millenario sententia (1814) quis non videat, ipsa hac oppositione duplicem christianorum classem statui a Justino, una quidem sententia discrepantem, numero autem et auctoritate parem. Sed et alteram classem inter orthodoxos adhuc referri ab auctore nostro, nec vero Gnosticos jam hic intelligi, ex eo patet, quod multos hos dicendo pares illis facit. Atqui alienum est prorsus a more Patrum, haereticorum sectas aequi- 5 parare orthodoxis: non enim multos dicunt haereticos, sed nonnullos; quemadmodum et Justinum facere videmus, dum paulo infra Gnosticorum dogmata recenset: „nam si incidistis etiam in nonnullos,“ ait. In hoc igitur commate tertio de Gnosticis agere aggreditur, et tertium christianorum genus, sed qui hoc nomen immerito usurpent, recensere. Quare nullo pacto assentiri possum 10 Münschero contendenti, jam in secundo commate Gnosticos intelligi. Accedit et hoc; Justinum, dum ad finem loci supra positi fidem resurrectionis omnium orthodoxorum communem esse affirmat, hac formula uti: ego vero et si qui sunt orthodoxi etc. non autem ista: ego vero et multi alii; ex quo infero, eadem formula ipsum et ab initio usum fuisse, si millenariorum sententiam omnibus ortho- 15 doxis probatam voluisset dicere; posuisset nimirum: ego vero et siqui sunt orthodoxi, − non autem: ego vero et multi alii. Non est igitur, cur cum Dallaeo dicere oporteat, particulam negantem in secundo commate excidisse, aut omnino piis quidem sed haud prudentibus librariorum studiis excussam fuisse, quemadmodum Münscherus l. c. conten- 20 dit: nunquam enim eam Justinus posuerat. Immo non possum non mirari, qua ratione viros hos sagacissimos fugerit, nullum omnino locum particulae neganti ibi esse posse, contradicente ipso orationis contextu. In altero enim commate, quod incipit: πολλους δ ’ αυ − particula confirmans et copulans και plane non potest stare cum particula negante: illa namque indicat, ea quae 25 sequuntur, aliquo saltem modo cum praecedentibus ita cohaerere, ut periodum absolvant; haec vero totum sermonem omnino converteret. Aut quis non hiare sentiat orationis contextum, si Justinus diceret: „multos vicissim etiam illorum christianorum, qui non sequuntur piam et orthodoxam sententiam, haec non agnoscere indicavi; “ et quid miri diceret, si ista diceret? Equidem sic 30 judico: quodsi Justinus in altero commate haereticos intelligi voluisset, contextus ratio exigebat, ut pro particula κ α ι conversivam α λ λ α poneret; ita enim efficeretur sensus: „ast multos vicissim, sed illorum christianorum, qui non sequuntur piam et orthodoxam sententiam etc.“ Quare, dum Justinum hiantis et vitiosae dictionis incusare nefas foret, utpote qui accurato dicendi 35 8 genere inter antiquos Patres facile eminet, locum, uti extat, prorsus genuinum et mendis carentem agnoscere oportebit: non enim, nisi ita legeris, contextus sensui respondebit. Haec potissimum habui, quae ad illustrandum Justinum, atque ad eludendas quasdam hujus scriptoris explicationes haud satis firmas afferrem. Id 40 enimvero me evicisse arbitror, perperam ad Justinum confugere, qui contendunt; sententiam regni millenarii omnibus orthodoxis probatam saeculo se- <?page no="294"?> 262 Johann Sebastian Drey cundo, et dogmatis instar habitam fuisse, siquidem contrarium ex ipsius Justini verbis demonstravi. Et mirum sane videri deberet, quomodo ea ipsa sententia saeculo tertio ineunte ac deinceps debellari a Cajo Presbytero, ab Origine, − et a Dionysio Alexandrino tam felici successu potuerit, si late adeo per omnem Ecclesiam orthodoxam diffusa fuisset. 5 * * * Quod reliquum est, invitamus vos, cives Academici, omnesque viros conspicuos, qui in partem laetitiae communis venire cupiunt, ad audiendum sermonem, quem ipso die festo peractis solemnibus Sacris C a r o l u s Wa c h t e r , 10 Rector Universitatis, hist. Eccles. et jur. Eccles. P. P. O. habebit in Auditorio Academico. Cui orationi, quam pia animorum sensa, votaque nostra pro Salute et REGIS nostri potentissimi, et omnis regiae Familiae nuncupata sequentur, ut frequentes adesse velitis, perdecenter vos et officiose rogamus. <?page no="295"?> 263 Justini Martyris de regno millenario sententia (1814) Von Drey angeführte Literatur (Winfried Werner) H ans H einrich C orrodi , Kritische Geschichte des Chiliasmus. 3 Tle. in 4 Bdn., Frankfurt und Leipzig 1781-1783 [Nachdruck u.d.T.: H einrich C orrodi , Kritische Geschichte des Chiliasmus. Oder der Meynungen über das Tausendjährige Reich Christi. 4 Bde., Zürich 1794], Teil 2. (S. 3 f) Joannes Dallaeus, De usu Patrum ad ea definienda religionis capita, quae sunt hodie controversa, libri dvo. Latine e Gallico nunc primum a I. Mettayero redditti. Genevae 1655. (S. 6-7) G ottfried L umper , Historia theologico-critica de vita, scriptis, atque doctrina Sanctorum Patrum, aliorumque scriptorum Ecclesiasticorum trium primorum saeculorum ex virorum doctissimorum literariis monumentis collecta. 13 Bde., Bd. 2: Complectens patres saeculi secundi fere dimidii, atque selecta quorumdam Sanctorum Martyrum acta. Augustae Vindelicorum 1784. (S. 7) P rudentius M aranus , Του εν αγιοις πατρος ημων Ιουστινου ϕιλοσοϕου και μαρτυρος τα ευρισκομενα παντα . S. P. N. Justini philosophi et martyris opera quae extant omnia. Necnon Tatiani adversus Graecos oratio, Athenagorae ... legatio pro Christianis, S. Theophili Antiocheni tres ad Autolycum libri, Hermae philosophi Irrisio Gentilium Philosophorum: item ... supposita Justino opera, cum actis illius martyrii [et] excerptis operum deperditorum ... Justini et Tatiani [et] Theophili; cum Mss. codicibus collata, ac novis interpretationibus ... illustrata ... Opera et studio unius ex monachis Congregationis S. Mauri. Paris, Den Haag 1742; Venedig 1747; Würzburg 1777. (S. 3-7) W ilhelm M ünscher , Handbuch der christlichen Dogmengeschichte. 4 Bde., Marburg 1797-1809; Bd. 2, 2 1804. (S. 3-7) <?page no="297"?> Text Nr. 4: Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos in ecclesia catholica ex documentis ecclesiasticis illustrans. Sectio I ma [Beichtschrift] Teil A: Einleitung von Max Seckler I. Bibliographische Angaben Der vollständige Text des Titelblatts lautet: Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos in ecclesia catholica ex documentis ecclesiasticis illustrans. Sectio I ma quam pro materia disputationis propositam a praeside Joanne Sebastiano Drey Theol. Doct. ac Prof. in Universitate Fridericiana Elvac. die [18] Septembris MDCCCXV publice defendent Melchior Erhard Zoebinganus, Caspar Herderer Rotwilanus, Tiberius Keller Dietenheimensis, Andreas Kolb, Guilielmus Wolf ex urbe Wila theologiae candidati. Elvaci, typis Joan. Georg. Ritter, Univ. Typographi et Bibliopolae [1815]. - Für das Tagesdatum ist im Druck ein Spatium freigelassen. Im Exemplar der Bibliothek des Tübinger Wilhelmsstifts (Signatur: Gf 650.4 ° ) ist an dieser Stelle von Hand eingetragen: 18 (September 1815). Umfang: VI, 40 Seiten, Quart. Die dissertatio wurde bei J ohann G eorg R itter , dem von Schwäbisch Gmünd nach Ellwangen übersiedelten Hausdrucker der Friedrichsuniversität, in geringer Stückzahl gedruckt und war nicht im Buchhandel erhältlich. Der bibliographisch übliche Titel lautet: Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos in ecclesia catholica ex documentis ecclesiasticis illustrans. Als Arbeitstitel wird die Bezeichnung Beichtschrift (BS) verwendet. II. Erläuterungen 1. Beschreibung der Beichtschrift a. Die Beichtschrift als Disputationsvorlage An der Friedrichsuniversität in Ellwangen fanden jedes Jahr im September zum Abschluß des Studienjahres die öffentlichen Prüfungen statt, deren Höhepunkt die Disputation einer dissertatio war. Die Dissertationen wurden vor dem Prüfungstermin gedruckt und den Kandidaten, die in der Regel für die Druckkosten aufzukommen hatten, zur Vorbereitung auf die Disputation <?page no="298"?> 266 Erläuterungen ausgehändigt; weitere Druckexemplare wurden den vom Rektorat der Friedrichsuniversität ausgegebenen Einladungen (Programmen) zu den feierlichen Disputationen beigegeben. Die Disputationen waren ein hochrangig eingestuftes akademisches und zugleich gesellschaftliches Ereignis, das vor dem Festplenum der Universität über die Bühne ging. Der Vorsitz im Disputationsgeschehen oblag demjenigen Universitätslehrer, der mit der Abfassung der dissertatio betraut worden war. Die Disputationsveranstaltung verlief gewöhnlich in drei Akten: Einbringung der dissertatio als Disputationsvorlage in den Disputationsvorgang durch den Verfasser, Disputation der Vorlage mit den dafür ausgewählten Kandidaten und Schlußwort des Vorsitzenden, ggf. verbunden mit der Erläuterung eines die dissertatio disputatio betreffenden, besonders schwierigen Sachverhalts. Letzteres konnte als peroratio (Epilog) bezeichnet werden; diese Ausführungen waren nicht für den Druck vorgesehen. Die Schrift, die nachfolgend als Text Nr. 4 wiedergegeben ist, wurde von D rey am 18. September 1815 als Disputationsvorlage in die Prüfungsveranstaltung eingebracht. Das Auditorium war das selbe Universitätsplenum, vor dem er ungefähr zwei Jahre später die inzwischen zum amtskirchlichen Streitfall gewordene dissertatio erläutern und für seine Person verteidigen sollte (siehe Text Nr. 5). Die dissertatio ist, wie es die geltende Ordnung vorsah, in lateinischer Sprache verfaßt. b. Die Beichtschrift im Kontext der Ellwanger Universitätsschriften und -reden Das nachfolgende Verzeichnis dient der Kontextualisierung der BS im Umfeld der akademischen Dissertationen und Reden, die für die Jahre 1812-1817 nachweisbar sind 1 . Da die Überlieferungslage teilweise lückenhaft und unsicher ist, konnte keine Vollständigkeit erreicht werden. Nicht angeführt ist die Gruppe der dissertationes orationes, die jährlich beim Festakt zur Feier des Geburtstags des Königs, der jeweils am 6. November stattfand, gehalten wurden, da diese bereits in der Einleitung zu Text Nr. 3 (Millenniumsschrift) 1 Quellen: L orenz L ang (Hg.), Denkmal der Achtung und Liebe, errichtet dem Dr. Joh. Nepomuk Bestlin von einem seiner vertrautesten Freunde [A lois W agner ]. Tübingen 1832; F ranz X aver F unk , Die katholische Landesuniversität in Ellwangen und ihre Verlegung nach Tübingen, in: Festgabe der Universität Tübingen zum fünfundzwanzigjährigen Regierungsjubiläum Seiner Majestät des Königs Karl von Württemberg. Tübingen 1889, 3-30; E ugen H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität Ellwangen 1812-1817. Erinnerungsschrift zur feierlichen Eröffnung des Königl. Württemb. Gymnasiums Ellwangen am 4. November 1817. Ellwangen [1917]; J oseph M ets , Skizzen meiner eigenen Lebensgeschichte, in: J oseph Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (1812-1817) und sein erster Rat Dr. Joseph von Mets. Nebst erstmaliger Herausgabe der Autobiographie des Geistlichen Rats Dr. von Mets. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der Diözese Rottenburg, in: ThQ 109, 1928, 3-160, darin die Autobiographie von M ets 71-156; N orbert W olff , Peter Alois Gratz (1769-1849). Ein Theologe zwischen »falscher Aufklärung« und »Obscurantismus« (Trierer theologische Studien 61). Trier 1998, sowie eigene Nachforschungen (siehe auch Einleitung zu Text Nr. 3, Anm. 5). <?page no="299"?> 267 Die Beichtschrift (1815) zusammengestellt sind. Die Disputationsdissertationen der fünf Ellwanger Studienjahre sind überliefert, während von den zugehörigen Reden von 1813, 1816 und 1817 Genaueres nicht bekannt ist. α . Disputationsdissertationen K arl W achter , Theses ex jure ecclesiastico ad leges patrias adaptato, una cum praeviis positionibus ex jure naturae et gentium, quas praeside D. Carolo Wachter juris canonici professore publico ordinario in alma universitate Fridericiana Elvacensi solenni disputationi subjiciunt D. Ferdinandus Marx D. Leonardus Steinle D. Aloysius Weber. Die [XX.] septembris anno MDCCCXIII. Gamundiae, typis Io. Georgii Ritter. [1813; Umfang 83 S.]. - Zur peroratio des Präses (W ach ter ) ist nichts überliefert. P eter A lois G ratz , Ueber Interpolationen in dem Briefe Paulus an die Römer, und ihrer Veranlassung mehrerer Schwierigkeiten in diesem Briefe. Geschrieben von Prof. Dr. Gratz und in öffentlicher Disputation vertheidiget von Joseph Faulhauer [...], Georg Freudenreich [...], Sebastian Gluns [...], Michael Knappich [...], Karl Negele [...]. Ellwangen 1814 [Umfang 34 S.]. - Die peroratio des Präses (G ratz ) handelte de Critices sacrae pretio. J ohann S ebastian D rey , Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos in ecclesia catholica ex documentis ecclesiasticis illustrans. Sectio I ma . Elvaci 1815 [zu Umfang und Kandidaten siehe oben Ziff. I]. - Die Dissertation enthält am Schluß (39) die Bemerkung: »Perorabit praeses − de dogmatum christianorum incremento institutioni divinae haud adverso«. Der Text dieser peroratio ist nicht überliefert, die von D rey 1819 veröffentlichte Oratio de dogmatum christianorum incremento institutioni divinae haud adverso (in: Archiv für die Pastoralkonferenzen in den Landkapiteln des Bisthums Konstanz 18 (1819) Band 2, Heft 7/ 8, 89-103) ist trotz des gleichlautenden Titels damit nicht identisch (siehe Text Nr. 5). K arl W achter , Dissertatio historica de administratione bonorum ecclesiasticorum. Una cum selectis thesibus, quas praeside Carolo Wachter s.s. theologiae doctore jur. eccl. et hist. eccl. professore p. o. in alma Fridericiana Elvacensi publice defendent die [XVI.] sept. ann. MDCCCXVI. D. Tiberius Keller [...], D. Andreas Kolb [...]. Typis Ioann. Georg. Ritter, univers. typographi. [Ellwangen 1816; Umfang 40 S.]. - Am Textende dieser dissertatio (38) findet sich der Hinweis, daß im Anschluß an die öffentliche Disputation die Ehrenpromotion von J oseph M ets erfolge. In seiner Autobiographie hielt M ets dazu fest: »Den 16. September 1816 wurde mir ohne mein Ansuchen, aus eigenem, freyen und einstimmigen Beschlusse des Akademischen Senats der Friedrichs-Universität zu Ellwangen die Doktors-Würde, nach einer öffentlichen Disputation, auf eine rührende und sehr feyerliche Weise erteilt durch den damaligen Rektor der Universität, den Herrn Generalvikariatsrat Bestlin, welcher dabei eine sehr religiöse und lehrreiche Anrede hielt, mir hierauf den <?page no="300"?> 268 Erläuterungen Akademischen Scepter reichte und den Doktorring ansteckte, welchen Ring mir der Herr Fürst von Hohenlohe, Generalvikar, als Beweis seiner lebhaften Teilnahme, zum Geschenk machte. Hierauf bestieg ich die Kanzel und hielt eine Dissertation de censorio judicio in rebus religionis samt einer kurzen Danksagungsrede ...«. (M ets , Autobiographie 142. Handschriftliches Manuskript dieser Rede mit dem Titel De Censorio judicio in religionis negotiis in UAT 44/ 173-42). - Die dissertatio W achters wurde wieder abgedruckt in: Archiv für die Pastoralkonferenzen in den Landkapiteln des Bisthums Konstanz 16 (1817) Band 1, Heft 6, 385-434; zu Beginn die »Anm. d. Red.«: »Wir glauben, daß diesem Aufsatz in dem Pastoral-Archiv um so mehr ein Platz gebühre, als sein Gehalt dem Seelsorger besonders wichtig ist, und der verdienstvolle Herr Verfasser eine Pfarrei im Bisthum Konstanz inne hat, und meistens solchen Schülern, die zum Bisthum Konstanz gehören, an der hohen Schule zu Ellwangen den Unterricht im Kirchenrecht ertheilt.«). P eter A lois G ratz , Ueber die Grenzen der Freiheit, die einem Katholiken in Betreff der Erklärung der heiligen Schrift zusteht. Von Professor Dr. Gratz. In öffentlicher Disputation vertheidiget von Alois Klingenmaier [...]. Franz Xaver Khuon [...]. Johann Anton Lenz [...]. Joseph Wörner [...]. Kandidaten der Theologie auf der Königlich-Württembergischen Friedrichs-Universität Ellwangen. Ellwangen, bey dem Universitäts-Buchdrucker und Buchhändler Ritter. 1817. [Umfang 36 S.] - Das Druckexemplar enthält keine Hinweise auf weitere Programmpunkte oder Reden. β . Weitere Schriften und Reden Zur Inaugurationsfeier der Friedrichsuniversität, die am Namenstag ihres Stifters am 5. März 1813 begangen wurde, lud der amtierende Rektor, C öle stin S pegele , zusammen mit einer lateinischen Abhandlung ein, in der er die Verdienste der katholischen Bibelwissenschaft seit der Scholastik darlegte. Der Präsentationstitel des 18seitigen Foliodrucks, Regiae, catholicae Universitatis Fridericianae, quae est Elvaci, inaugurationem solennem die V. mensis Martii hujus anni MDCCCXIII celebrandam omnibus, quorum id scire interest, indicit Rector, cum professoribus reliquis, et de studio biblico, a catholicis numquam penitus neglecto quaedam disserit. Gamundiae [R itter , 1813], nennt nur das Amt, nicht den Namen des Verfassers; zudem gibt der Text keine Hinweise auf weitere Programmpunkte des Festaktes, auch nicht auf den von G ratz bei der selben Feier gehaltenen Vortrag über Die mannigfaltigen Prinzipien der Theologie. - In der von H enri G re´goire in Paris herausgegebenen Chronique religieuse (Bd. 1, 1819, Heft 2, 36 f) wurde S pegeles Abhandlung fälschlich dem Freiburger Exegeten J ohann L eonhard H ug zugeschrieben, woraufhin D rey folgende, auch für die Usancen der akademischen Festakte in Ellwangen aufschlußreiche Literärische Berichtigung anbrachte: »Die hier angezeigte wirklich gelehrte Abhandlung wurde nicht als Dissertation vorgelesen, sondern als Einladungs- <?page no="301"?> 269 Die Beichtschrift (1815) programm zur Inauguration ausgetheilt. Sie hat auch nicht H. Dr. von Hug zum Verfasser, sondern H. Dr. Spegele, damaligen ersten Rector der neuen Universität« (ThQ 1, 1819, 726; siehe Texte Nr. 9, Misz. Nr. 5). Zur Übergabe des Rektorats 1814 hielt S pegele eine Rede De antiquis scholis scholarumque rectoribus. Zu der im Dezember 1816 abgehaltenen Trauerfeierlichkeit der Universität für den am 30. Oktober 1816 verstorbenen König F riedrich hielt B estlin eine Rede. Am 27. März 1817 fand die Doktorpromotion von Professor J ohann G eorg H erbst statt. H erbst verteidigte dabei seine Dissertation Observationes quaedam de Pentateuchi quatuor librorum posteriorum auctore et editore. Commentatio critica quam pro summis in theologia honoribus rite adipiscendis defendet die [ xxvii ] martii MDCCCXVII. 1817 [Umfang 62 S., bei R itter in Ellwangen; ohne Hinweise auf weitere Programmpunkte]. - Rektor B estlin hielt bei diesem Anlaß eine Rede über die Bedeutung des Alten Testaments. c. Gegenstand, Ziel und Methode der Beichtschrift Dem Titel dieser dissertatio zufolge handelt es sich um eine theologiegeschichtliche Untersuchung (Dissertatio historico-theologica) zum Ursprung (origo) des Sündenbekenntnisses (exomologeseos) und zu seinen Modifikationen (vicissitudines) in der katholischen Kirche im Licht kirchlicher Zeugnisse. Am Ende des ersten Paragraphen präzisiert D rey sein Vorhaben dahingehend, daß er die Samen, das Hervorsprießen, das Anwachsen und das gottgesetzte Geschick der Beichte zu schildern beabsichtigt (Itaque aggredimur hic exponere, quid de seminibus, ortu, progressu fatisque exomologeseos notavimus [3]). Den in schultheologischer Manier formulierten Angaben im Titel ist nicht ohne weiteres zu entnehmen, was der Leser tatsächlich zu erwarten hat. Dazu folgende Hinweise: Mit der methodologischen Bestimmung und Verortung der dissertatio in der literarischen Gattung einer theologiegeschichtlichen Untersuchung setzt D rey sie von der in der orthodoxen Schultheologie üblichen rechtsdogmatischen Behandlung der Beichtfrage bzw. von der systemhermeneutischen Herleitung der Beichte aus dem Bußsakrament ab. Er will das geschichtliche Zustandekommen der Exomologese mit den Mitteln der historischen Forschung anhand der literarischen Quellen erheben. Die Option für diese Methode und dieses Ziel war in der Diskussion der Beichtfrage zur Zeit D reys nichts Neues. Sie war in den kontroverstheologischen Auseinandersetzungen bei der Frage nach der biblischen Legitimation der Beichte seit der Reformation geläufig, ohne daß übereinstimmende Ergebnisse erzielt wurden. In der Epoche der Aufklärung wurde sie in ideologischer Zuspitzung als Instrument radikaler Beichtkritik verwendet. Die historische Rückfrage nach dem Ursprung der Beichte, und das Ziel, die Geschichte ihrer Entwicklung aus den frühchristlichen und altkirchlichen Zeugnissen zu erheben, war in- <?page no="302"?> 270 Erläuterungen sofern im Prinzip keine Pioniertat. Neu war eher die Entschiedenheit, mit der D rey als katholischer Theologe für den ergebnisoffenen Einsatz der historisch-kritischen Methode in der Auswertung der Quellen optierte, wobei zu beachten ist, daß die Anwendung dieser Methode in den Jahren 1812-1815 an der Friedrichsuniversität auch von G ratz und W achter geübt wurde (siehe Einleitung zu Text Nr. 3, Ziff. II.3), sodaß sie von daher - und ineins mit D rey - zu den frühesten Merkmalen der beginnenden Schule geworden ist. D rey selbst verwendet den Namen dieser Methode im Titelblatt der dissertatio nicht förmlich, aber seine Ausführungen im letzten Absatz der praefatio, wo er seine Methode ausdrücklich in diesem Sinne umschreibt, sind deutlich genug. Absolut innovativ war dagegen die Deutung der historischen Befunde durch D rey im Vergleich mit den Alternativen, die er als Autor der dissertatio auf seinem Feld vorfand. Die historische Erforschung der Genese der Beichte hatte bis dahin zu folgenden Lösungstypen geführt, die D rey vor Augen hatte: (a.) Bejahung der historischen Rückfrage mit der erkenntnisleitenden Erwartung, die Einsetzung der Beichte durch Christus gleichwohl anhand biblischer Texte historisch bzw. exegetisch nachweisen zu können (vgl. dazu unten in Ziff. II.5.a die Ausführungen zu B runnquell ); (b.) kritischer Nachweis der Entstehung der Beichte in nachbiblischer Zeit mit der Schlußfolgerung, daß sie infolgedessen als eine menschliche, gar pfäffisch-hierarchische Erfindung anzusehen sei (das war die von vielen protestantischen Autoren vertretene Auffassung); (c.) Anerkenntnis der nachbiblischen Entstehung der Beichte, aber rechtsdogmatische Verankerung ihres sakramentalen Charakters als Einrichtung göttlichen Rechts in der Vollmacht der Kirche (dieser gemischte Lösungstypus wurde von den historisierenden Dogmatikern als der katholische Königsweg zur Sicherung der Sakramentalität der Beichte unter Anerkennung der Ergebnisse der historischen Forschung angesehen). D rey schloß sich keiner von diesen Denkschulen an. Er entwickelte einen Lösungstypus, der es erlaubte, auf der Grundlage einer innovativen Theorie der Dogmenentwicklung das Wissensgewissen des Historikers mit den Interessen des Dogmatikers und den Belangen des Dogmas zueinander zu vermitteln. D rey brachte hier einen Entwicklungsbegriff zum Tragen, dem zufolge es in der Dogmengeschichte nicht nur eine Binnenentwicklung innerhalb der Dogmen im Sinne fortschreitender Präzisierungen oder vertiefender Erklärungen gibt, sondern ein reales Anwachsen der Dogmen und einen Zuwachs an Dogmen. Er bezeichnete diesen Prozeß als incrementum und das Produkt als incrementa. Die oben angeführten organologischen Metaphern (semina, ortus, progressus, fata) dürfen nicht dazu verleiten, diesen Vorgang nach dem in der Schultheologie üblichen Muster zu deuten. Für den D rey der BS liegt die Pointe nicht darin, daß das Dogma im Fortgang der Dogmengeschichte klarer erkannt wird - diese schulorthodoxe Deutung D reys hat W es senberg 1819 vorgenommen (siehe dazu Einleitung zu Text Nr. 5, Ziff. <?page no="303"?> 271 Die Beichtschrift (1815) II.4.d) -, oder daß es sich selbst in seinem organischen Wachstum intern entfaltet, sondern es ist die Sache Jesu, die Sache des Christentums, die auf ihrem Weg in der Geschichte zu neuen Determinationen voranschreitet, um sich je und je in neue Verhältnisse einzubringen. Nicht nur um festgeschriebene Lehren handelt es sich, die weitertransportiert werden, sondern um göttlich gestiftete Realien, die in den Wechselspielen (vicissitudines) ihrer geschichtlichen Selbstbehauptung sich fortwährend zu neuer Gegenwart vermitteln. Dem Begriff der Dogmenentwicklung liegt bei D rey (zumindest beim D rey der BS und der Oratio von 1817/ 19) trotz der organologischen Wachstumsmetaphern, die er verwendet, nicht die triviale Vorstellung einer linearen organischen Entfaltung zu Grunde. Es ist, wie D rey zufolge das Studium der Geschichte zeigt, eine andere Art von Lebensprozeß. Das Studium der Geschichte, die historisch-kritische Erforschung der vicissitudines des Bußsakramentes, ist demnach unabdingbar, um den Lebensprozeß wahrheitsgetreu nachvollziehen zu können. Das ist die Leitidee, unter der D rey sich auf die historische Rekonstruktion des Ursprungs und der Metamorphosen des Sündenbekenntnisses in den ersten drei Jahrhunderten eingelassen hat. Die Geschichte wird hier zu einer Instanz der Theologie, die geschichtlichen Realitäten sind theologisch anzuerkennen und dogmatisch zu reflektieren. Deshalb ist es wichtig, der historisch-kritischen Forschung ihre methodologischen Rechte, ihre wissenschaftliche Würde und ihre theologische Relevanz zuzuerkennen. Es bedeutet in der Frage des Sündenbekenntnisses, daß das Bußsakrament radikal geschichtlich zu denken ist, derart, daß die erst im 3. Jahrhundert in Übung gekommene Beichte zwar durchaus etwas Neues war, aber gleichwohl »das Ursprüngliche selbst nur in einer anderen Form«, wie D rey 15 Jahre später in einer Rezension der Beichtschrift K lees verdeutlichte 2 . Die oben genannte Leitidee, der er seine Dissertatio historico-theologica von 1815 unterstellte, hat er in dieser Schrift nicht ausführlich dargelegt, sondern nur en passant angesprochen; ihre systematische Darstellung wollte er getrennt davon später nachliefern. Er legte sie erst 1819 im Druck vor (siehe Text Nr. 5). Dem Titelblatt der dissertatio ist in der Tat zu entnehmen, daß dieser Text ein erstes Teilstück (Sectio I ma ) ist und von D rey am [18.] September 1815 in dieser Form als Disputationsvorlage in den auf diesen Tag anberaumten öffentlichen Prüfungsakt eingebracht wurde. Die Frage, ob Sectio I ma auf das Prüfungsverfahren zu beziehen ist (in diesem Fall wäre ihre Vorlage als erster 2 In: ThQ 11 (1829) 85-96, 92. Gegenstand der Rezension ist H einrich K lee , Die Beichte, eine historisch-kritische Untersuchung von Heinrich Klee, Doktor der Theologie, derselben und der Philosophie Professor am bischöflichen Seminar in Mainz. Frankfurt am Main bei L. Reinherz. 1828. VIII u. 372 S. in 8. - Es gibt keine Anzeichen dafür, daß K lee die dissertatio D reys von 1815 gekannt haben könnte. D rey ergreift hier die Gelegenheit, sein der dissertatio von 1815 zu Grunde liegendes Lösungsmodell in Abhebung von der scheinbar ihm nahekommenden Auffassung K lees , deren methodologische Schwächen er mit scharfem Skalpell freilegt, zu reformulieren. <?page no="304"?> 272 Erläuterungen Teil des Disputationsgeschehens aufzufassen), oder ob D rey damit anzeigen wollte, daß es sich beim Text der dissertatio um das erste Teilstück einer darüber hinausreichenden und insgesamt größer angelegten Behandlung der Beichtfrage handelt, läßt sich schon anhand der Syntax eindeutig zugunsten der zuletzt genannten Alternative beantworten. Es gibt für diese Annahme noch andere Gründe, auf die weiter unten zurückzukommen ist (vgl. dazu auch Einleitung zu Text Nr. 5). Wenn aber die dissertatio nur das erste Teilstück in der Behandlung der Beichte sein soll, ist zu fragen, ob es einen zweiten Teil dazu gab und gibt. Es gibt ihn tatsächlich. D rey hat den in Redeform verfaßten lateinischen Fortsetzungstext 1819, zwei Jahre nach seiner Übersiedelung nach Tübingen - und somit volle vier Jahre nach der Vorlage der dissertatio in Ellwangen -, im Konstanzer Pastoralarchiv veröffentlicht 3 . In der Druckfassung ist sie in ihrem Titel fettgedruckt als Oratio bezeichnet. Den Lesern des Pastoralarchivs wurde nicht mitgeteilt, wann und wo sie gehalten wurde, auch in der zweieinhalbseitigen »Anm. d. Red.«, die ihr am Ende angefügt ist, findet sich kein Hinweis darauf. Daß sie mit der dissertatio von 1815 zusammenhängt, ist bereits aus ihrem Titel zu erschließen, der mit dem Titel der im Disputationsprogramm von 1815 angekündigten peroratio, die als besonderer Programmpunkt im Festakt gedacht war, wörtlich übereinstimmt. Es geht aber vor allem aus dem Inhalt der Oratio zwingend hervor. D rey hat den Text der Oratio mit Sicherheit - jedoch zu einem nicht mehr ganz genau zu bestimmenden Zeitpunkt - in Gestalt einer realen Rede vorgetragen 4 , und zwar ausdrücklich als Ergänzung der dissertatio und zu ihrer Verteidigung (siehe Text Nr. 5 mit Einleitung). In der Rezeptionsgeschichte der BS wurden die Hinweise auf den Teilcharakter der dissertatio nie beachtet. Da der Blick auf sie sich verändert, wenn sie als Teil eines größeren Ganzen zu lesen ist, hat sich dieses Versäumnis in der Geschichte ihrer Wahrnehmung fatal ausgewirkt, zunächst für D rey persönlich. Aber vor allem der Theologie ist dadurch eine der originellsten und zukunftträchtigsten Leistungen im Frühwerk D reys entgangen. 3 Archiv für die Pastoralkonferenzen in den Landkapiteln des Bisthums Konstanz 18 (1819) Bd. 2, Heft 7/ 8, 89-103, unter dem Titel: Oratio de dogmatum christianorum incremento institutioni divinae haud adverso. Der Text dieser Rede ist unten als Text Nr. 5 dokumentiert. 4 Der Annahme, daß es sich bei diesem Text »um den Druck der Abschlußrede Dreys gelegentlich der feierlichen September-Disputation an der Friedrichs-Universität in Ellwangen 1815« handelt (siehe A braham P eter K ustermann / E ugen F esseler , Bibliographie der Schriften Johann Sebastian Dreys, in: A braham P eter K ustermann (Hg.), Revision der Theologie - Reform der Kirche. Die Bedeutung des Tübinger Theologen Johann Sebastian Drey (1777-1853) in Geschichte und Gegenwart. Würzburg 1994, 309-339, 317, Anm. 1), stehen textinterne Befunde entgegen. D rey kann diesen Redetext erst später verfaßt und diese Rede erst später gehalten haben (vgl. dazu Einleitung zu Text Nr. 5). Nicht auszuschließen ist indessen, daß D rey in der September-Disputation einen Vortrag im Sinne des oben angeführten Themas gehalten hat. <?page no="305"?> 273 Die Beichtschrift (1815) d. Inhalt Inhaltlich hat die BS die Entwicklung des Bußsakraments zur Privatbeichte in den ersten drei Jahrhunderten zum Gegenstand. Der in 13 Paragraphen gegliederte Gedankengang der Abhandlung und die Ergebnisse werden von D rey am Ende in § 13 in sechs Punkten zusammengefaßt (37-38): Den hl. Schriften ist über den Ursprung (origo) der Beicht (exomologeseos) wenig Sicheres und Klares zu entnehmen; hervorgegangen ist sie aus der öffentlichen Buße (poenitentia publica), die es schon zur Zeit der Apostel gab; wie diese Buße (poenitentia), so war auch das den schwersten Verfehlungen vorbehaltene Sündenbekenntnis (confessio) öffentlich und diente primär der Versöhnung mit der Kirche, zugleich aber mit Gott; je mehr die Autorität der Kirche als göttlich angesehen wurde, umso heiliger erschien die Notwendigkeit eines solchen Sündenbekenntnisses, wenngleich dafür direkt kein göttliches Gebot und keine kirchliche Verpflichtung geltend gemacht wurden; das Sündenbekenntnis (confessio) wurde nicht nur vor der Kirche, sondern zugleich vor Gott abgelegt, dem allein zunächst auch die Vergebung der Sünden vorbehalten war, doch kam bereits im 2. Jahrhundert die Formel auf, daß die Kirche die Sünden nachlasse; schon zur Zeit C yprians waren Buße und Sündenbekenntnis an bestimmte Regeln gebunden, die dann dahingehend reformiert wurden, daß die Beichte (exomologesis), die zuvor öffentlich war, in der Kirchenordnung zur geheimen und privaten Beicht vor einem Priester wurde; die öffentliche Buße blieb zwar erhalten, aber fortan war es selten, daß jemand seine Sünden öffentlich beichtete. e. Zum Ertrag D rey hat sich in seinen Ausführungen strikt an das im Titel der dissertatio angekündigte Vorhaben gehalten, eine historische Untersuchung zum Ursprung und zur Entwicklung des Sündenbekenntnisses anhand der kirchlichen Dokumente (der ersten drei Jahrhunderte) vorzulegen 5 . Die von ihm erzielten Ergebnisse können somit allein dem Urteil der historischen Forschung unterliegen, wie übrigens D rey selbst es auch für die Ergebnisse seiner Untersuchung wünschte und beanspruchte 6 . Daß er mit seiner Befunderhebung auch noch in der einschlägigen Forschung im 20. Jahrhundert 7 5 Vgl. dazu die lesenswerten Erläuterungen, die Drey in der praefatio (III-VI) der Beichtschrift zu seinem Vorhaben und seiner Methode gibt (vor allem im letzten Absatz der praefatio). 6 Siehe ebd.: »Neque aliis volo legibus judicari egomet« (VI). 7 Vgl. dazu K arl A dam , Die kirchliche Sündenvergebung nach dem hl. Augustinus. Paderborn 1917; ders ., Die abendländische Kirchenbuße im Ausgang des christlichen Altertums, in: ThQ 110 (1929) 1-66; P aul G altier , A´ propos de la pe ´nitence primitive. Me ´thodes et conclusions, in: RHE 30 (1934) 517-557; 797-843; ders ., De paenitentia. Tractatus dogmatico-historicus. Romae 1950; I vo Z ei ger , De statu disputationis in historia sacramenti paenitentiae, in: Gregorianum 14 (1933) 432-441. - Zum Teil abweichend davon: B ernhard P oschmann , Die abendländische Kirchenbuße im Ausgang des christlichen Altertums (MSHTh 7). München 1928; ders ., Die abendländische Kirchenbuße <?page no="306"?> 274 Erläuterungen keine schlechte Figur gemacht hätte, wenn ihr die dissertatio inhaltlich zur Kenntnis gekommen wäre, ist immerhin bemerkenswert. Gegenüber der Bußlehre des Konzils von Trient befand D rey sich mit den Ergebnissen der dissertatio zum Zeitpunkt ihres Erscheinens allerdings in einer heiklen Lage. Das Konzil hatte unter anderem gelehrt, die ältesten Väter hätten übereinstimmend das geheime Sündenbekenntnis empfohlen, das die katholische Kirche »von Anfang an immer« in Übung gehabt habe, während das öffentliche Sündenbekenntnis fakultativ gewesen sei und kein göttliches Gebot 8 . Doch D rey hatte die scheinbar gegen ihn sprechenden Texte genau genug gelesen, um sich einen kollisionsfreien Weg für seine Auffassungen bahnen zu können. Er war davon überzeugt, mit seinem Modell zur Entwicklung der Beichte dem Konzil dogmatisch nicht in die Quere zu kommen 9 . Eine genaue Sichtung der Konzilstexte im Licht der jüngeren Forschung bestätigt aus heutiger Sicht die Richtigkeit seiner Auffassung 10 . Daß er sich mit der disserim frühen Mittelalter (BSHTh 16). Breslau 1930; ders ., Paenitentia secunda. Die kirchliche Buße im ältesten Christentum bis Cyprian und Origenes. Eine dogmengeschichtliche Untersuchung (Theophaneia 1). Bonn 1940. 8 Vgl. Cap. 5 der Doctrina de sacramento paenitentiae des Konzils (Denz. 1683) sowie Can. 6 der Canones de sacramento paenitentiae (Denz. 1706). - Zur Interpretationsgeschichte dieser Lehrpunkte siehe H ans -P eter A rendt , Bußsakrament und Einzelbeichte. Die tridentinischen Lehraussagen über das Sündenbekenntnis und ihre Verbindlichkeit für die Reform des Bußsakramentes (FThSt 121). Freiburg i. Br. 1981. 9 Dem Theologischen Tagebuch ist zu entnehmen, daß D rey sich im Vorfeld der Abfassung der dissertatio eingehend mit der Bußlehre des Konzils befaßt und sich auch mit den in der Kontroverstheologie aufgeworfenen Interpretationsfragen im einzelnen auseinandergesetzt hatte. Vgl. dazu besonders seine »Bemerkungen zu der XIV Sitzung des Tridentinischen Concil’s«, im Theologischen Tagebuch III 105-120 (TüA 1, Text 72*, 206-216) sowie seine minutiös ausgearbeiteten Responsiones ad Objectiones, quae contra varias assertiones Dissertationis meae obmoveri possent, ebd. III 169-192 (TüA 1, Text 74*, 244-260). Zu diesen Texten und zu weiteren einschlägigen Tagebucheintragungen sowie zu deren Datierung siehe unten in Ziff. II.3.a. Aus ihrer Gesamtheit geht hervor, daß seine Überzeugung von der Kompatibilität der dissertatio mit der Bußlehre der Konzilien und besonders des Tridentinums fundierter nicht hätte sein können. - Auch im Vergleich mit der in den Schuldogmatiken seiner Zeit anzutreffenden Sicht der Dinge befand D rey sich mit den in der dissertatio erzielten Ergebnissen keineswegs in einem substantiellen Gegensatz. Vgl. dazu besonders E ngelbert K lüpfel , Institutiones theologiae dogmaticae in usum auditorum. 2 Bde., Wien 1789 ( 2 1800; 3 1807. Quartis curis recognitae opera et studio G regorii T homae Z iegler . Wien 1821; zwischen 1790 und 1838 erschienen mindestens sieben weitere nicht gezählte Ausgaben. D rey benutzte meist die 3. Auflage 1807), §§ 92-104 (in sämtlichen Auflagen seit 1789), sowie I ldephons S chwarz , Handbuch der christlichen Religion. 3 Bde., Bamberg, Würzburg 1793-1794 ( 2 1797; 3 1800 und 1801; 4 1803; 5 1818, hier 163-164). Es verdient hier festgehalten zu werden, daß der von hyperorthodoxen Denunzianten aufgebrachte und seit 1815 kursierende Vorwurf der Heterodoxie der Ergebnisse der dissertatio, gegen die deswegen in Rom ein Beanstandungsverfahren lief (siehe unten in Ziff. II.4), in den zeitgenössischen Dogmatiken keinerlei Stütze finden konnte. 10 Vgl. dazu B ernhard P oschmann , Buße und letzte Ölung, in: HDG IV/ 3. Freiburg i.Br. 1951, §§ 13 und 14. P oschmann zufolge lehrt das Tridentinum dogmatisch nur die Notwendigkeit der Beichte sowie ihre göttliche Einsetzung. Im Gegensatz zur ersten Fassung des Konzilstextes, »die auch die geheime Form der Beicht als schlechthin göttlichen Rechts erklären wollte, begnügte sich das Konzil aber damit, die Behauptung zurückzuweisen: modum secrete <?page no="307"?> 275 Die Beichtschrift (1815) tatio gleichwohl in ein Wespennest gesetzt hatte, sollte sich alsbald herausstellen. Handelte es sich bei ihr der Form nach nur um die historische Erhebung eines Befundes auf dem Gebiet der altkirchlichen Bußpraxis, um eine methodologisch eng umgrenzte Aufgabenstellung und eine für den Schulgebrauch zu Prüfungszwecken bestimmte Spezialfrage also, wie es zu diesem Zweck unendlich viele hätte geben können, so sorgte die in ihr behandelte Thematik mit ihren Ergebnissen faktisch doch für eine hochgradige Brisanz. D rey stellte sich in der dissertatio einem Problem, das in der zeitgeschichtlichen Diskussion zu den heikelsten und umstrittensten gehörte (siehe unten Ziff. II.2 - II.4). D rey begnügt sich nicht mit der punktuellen Behandlung einer strittigen Frage, sondern rückt diese in die weiter ausgreifenden Zusammenhänge der Dogmengeschichte bzw. -entwicklung ein. Der Untersuchungsgegenstand wird so zu einem Fallbeispiel zur Anwendung und zur hermeneutischen Bewährung für seine Auffassung vom Verhältnis von Dogma und Geschichte und für seine Theorie der Dogmenentwicklung. Daß er die Dinge so sah, geht auch aus folgendem hervor. Im Druckexemplar der dissertatio ist dem Text der Untersuchung in einer Art Regievermerk die Bemerkung angefügt, daß nun der Vorsitzende der Disputation (D rey ) dazu anleiten wolle, im geschichtlichen Anwuchs (incremento) der Dogmen (dogmatum) keinesfalls einen Gegensatz zu deren göttlicher Stiftung erkennen zu sollen: Perorabit praeses - de dogmatum christianorum incremento institutioni divinae haud adverso (39). In dem Plural (dogmatum) wird die Ausweitung des Betrachtungshorizontes auf alle potentiell davon betroffenen Sachverhalte der Dogmengeschichte erkennbar, derart, daß die Problembehandlung in der dissertatio den Charakter eines Paradigmas im Hinblick auf die Beurteilung der innerkirchlichen Prozesse der Dogmenentwicklung im Lichte eines darauf abgestellten Begriffs der traditio viva annimmt. D rey legte diesen Traditionsbegriff 1819 mit dem Druck der Oratio (siehe Text Nr. 5) und zeitgleich in seiner Abhandlung Vom Geist und Wesen des Katholicismus (siehe Text Nr. 6) einer weiteren Öffentlichkeit vor. Wenn man den Text der dissertatio losgelöst von ihrem Kontext liest, handelt es sich um eine historisch-kritische Untersuchung, die in ihren Ergebnissen für den göttlichen Ursprung der Beichte keinen Raum zu lassen scheint. Aber sie ist wie gesagt eingebettet in eine übergreifende Konzeption und wird demgemäß in ihrem Titel als Sectio I ma bezeichnet. Die oben angeführte Regieanweisung für das weitere Verfahren bestätigt das 11 . Es war die Absicht confitendi soli sacerdoti ... alienum esse ab institutione et mandato Christi (can. 6). Den Charakter göttlichen Rechts legt es also nur der Beicht überhaupt bei, so daß die Bestimmung ihrer Form für die Kirche frei bleibt. Auf diese Weise läßt das Dogma Raum für die durch die spätere Forschung festgestellte Entwicklung des Bußverfahrens« (P oschmann a.a.O. 107). P oschmann bezieht sich hier nicht auf D rey , aber seine Ausführungen lesen sich wie eine Bestätigung D reys . 11 Vgl. dazu auch praefatio VI, letzter Satz: »Damus igitur primam historicae lucubrationis partem ad instar speciminis: reliquas partes citius aut tardius addituri ...«. <?page no="308"?> 276 Erläuterungen D reys , in dem angekündigten zweiten Teil darzulegen, daß und warum die historische Rekonstruktion der Exomologese dem Dogma keineswegs widerspricht, sondern vielmehr nur die Entwicklung der von ihm getragenen Bußformen und schlußendlich des Dogmas selbst nachzeichnet. In der unten in Text Nr. 5 dokumentierten Oratio hat D rey dieses Vorhaben unter Bezugnahme auf die BS in aller Form eingelöst. f. Der ominöse Annex Der gedruckten Fassung der dissertatio, die für die öffentliche Disputation am Ende des Studienjahres 1814/ 15 als Disputationstext diente, sind die Can. VI-VIII aus der Bußlehre des Tridentinums (Denz. 1706-1708) als Anhang mit auf den Weg gegeben (39 f). Zur Begründung dieser auffallenden Maßnahme vermerkt D rey , er wolle damit »unreifen« und »unüberlegten« Beurteilungen seiner Schrift zuvorkommen 12 . Genützt hat es wenig, weder bei den Denunzianten, noch in der späteren Rezeptionsgeschichte der BS. Wohl aber könnte diese Sicherheitsmaßnahme dazu beigetragen haben, daß das in Rom gegen die BS in Gang gebrachte Zensurierungsverfahren zu keiner kirchenamtlichen Verurteilung führte (siehe Ziff. II.4). Die Idee, die Ergebnisse der dissertatio durch den besagten Anhang abzusichern, stammte ursprünglich nicht von D rey . Man stößt hier auf interessante Zusammenhänge, die Einblick in die Entstehungsbedingungen der dissertatio gewähren. An der Friedrichsuniversität waren seit Juli 1814 alle für den Druck vorgesehenen Universitätsschriften der Professoren einer vorgängigen Zensur unterworfen 13 . In den Verfahrensbestimmungen war zunächst eine inneruniversitäre Begutachtung vorgesehen, danach mußten die betreffenden Schriften der Universitätskuratel in Stuttgart 14 zur Genehmigung zugesandt werden, was im Falle der dissertatio am 5. Juli 1815 geschah 15 . Die 12 »Ad praescindenda quaevis immatura et inconsiderata judicia« (39); vgl. auch praefatio IV (letzter Absatz). 13 Mit Schreiben der Universitätskuratel vom 22. Juli 1814 an Rektorat und Senat der Friedrichsuniversität werden S pegele und W achter als Zensoren für die bei Ritter erscheinenden theologischen und kanonistischen Schriften aufgestellt; auch vom »Seminarpersonal« verfaßte Schriften unterlagen der Zensur (UAT 44/ 173, 28a, Ausfertigung, 22.7.1814). 14 Die Universitätskuratel, die an der Friedrichsuniversität kraft Königlichem Mandat, die katholische Landes-Universität im Königreiche betreffend, vom 6. Oktober 1812 (vgl. T heo dor E isenlohr , Sammlung der württembergischen Kirchen-Geseze. Dritter Theil. Enthaltend die katholischen Kirchen-Gesetze vom Jahre 1803 bis zum Jahr 1834 und die Einleitung in dieselben. Von J ohann J akob L ang (= A ugust L udwig R eyscher (Hg.), Vollständige, historisch und kritisch bearbeitete Sammlung der württembergischen Gesetze 10). Tübingen 1836, 412-414, 413), die Oberaufsicht in wissenschaftlicher, religiöser und disziplinarer Hinsicht auszuüben hatte, bestand aus dem Direktor und den beiden geistlichen Mitgliedern des Katholischen Geistlichen Rates in Stuttgart. In der Sache D rey waren das P hilipp M oritz F reiherr von S chmitz -G rollenburg (* 22.12.1765 in Mainz; † 27.11.1849 in Baden-Baden) als Direktor sowie W erkmeister und F ranz J oseph S chedler (1777-1859) als Räte, wobei W erkmeister im engeren Sinne zuständig war. - Zur Kuratel vgl. A ugust H agen , Staat, Bischof und geistliche Erziehung in der Diözese Rottenburg (1812-1834). Rottenburg a.N. 1939, 5. 15 Siehe UAT 44/ 173, 28a, Ausfertigung, 14.7.1815. <?page no="309"?> 277 Die Beichtschrift (1815) Genehmigung erfolgte am 14. Juli 1815, verbunden mit der Eröffnung, daß der Verfasser »um Mißdeutungen zu verhindern, wohl thun werde, am Ende der Dissertation noch einige dogmatische Theses entweder aus dem ganzen Traktat De Pönitentia oder wenigstens aus der Abhandlung über die katholische Beichtanstalt beizufügen« 16 . W erkmeister , der persönlich einer der profiliertesten Akteure in der zeitgenössischen Kritik der Ohrenbeichte war, und zwar durchaus im Sinne D reys , hatte die Brisanz der dissertatio wohl früher und besser erkannt als ihr Verfasser D rey . Es ist anzunehmen, daß er mit den von ihm verlangten salvatorischen Thesen den orthodoxen Charakter der Disputationsvorlage, die ja einer offiziellen Genehmigung durch die staatliche Kirchenbehörde bedurfte, die sich ihrerseits als rechtgläubig zu erweisen hatte, sicherstellen wollte. Darüber hinaus konnte W erkmeister auch daran gedacht haben, D rey selbst zu schützen. Welchen »Traktat« und welche »Abhandlung« die Kuratel meinte, ist nicht angegeben, vermutlich war es das für die Friedrichsuniversität verbindlich vorgeschriebene Dogmatiklehrbuch von E ngelbert K lüpfel 17 . D rey kam dem Begehren der Kuratel auf seine Weise nach, indem er die dissertatio gerade nicht dem Schutzschild einer Schuldogmatik unterstellte, sondern dem Wortlaut der einschlägigen Konzilsbeschlüsse, und dies durchaus nicht in Thesenform 18 . 16 Hier der ganze Wortlaut des Schreibens, das sich im UAT 44/ 173, 28a, befindet: »Wir haben den unterm 5. d. M. eingeschickten hier zurückfolgenden Dissertations-Entwurf des Professors D r Drey zur EndesDisputation eingesehen und stehet nun dem Drucke desselben nichts mehr entgegen, jedoch ist dem Verfasser zu eröffnen, daß er, um Mißdeutungen zu verhindern, wohl thun werde, am Ende der Dissertation noch einige dogmatische Theses entweder aus dem ganzen Traktat De Pönitentia oder wenigstens aus der Abhandlung über die katholische Beichtanstalt beizufügen. Gegeben Stuttgart in unserer Königl. Curatel der kathol. LandesUniversität den 14. July 1815. FhrSchmitzGrlbrg Werkmeister«. - Die Wendung, daß »nun« dem Druck des Dissertationsentwurfs nichts mehr entgegenstehe, läßt vermuten, daß dem Genehmigungsakt ein Hin und Her bezüglich der Art und des Inhalts der Theses vorausging. 17 K lüpfel , Institutiones theologiae dogmaticae (wie Anm. 9). 18 In den Auseinandersetzungen um die BS ist in den Akten zugunsten D reys verschiedentlich vermerkt, D rey habe seiner Untersuchung Thesen angefügt, aus denen die dogmatische Korrektheit der dissertatio hervorgehe. Das ist aber nicht richtig. Es wäre zwar der Wunsch der Kuratel gewesen, doch scheint D rey sich dem widersetzt zu haben (siehe Anm. 16). Am Ende der dissertatio stehen jedenfalls nur die Canones VI-VIII im Wortlaut des Konzils, die Untersuchung selbst endet mit einer Zusammenfassung ihrer historischen Ergebnisse in sechs Punkten, die D rey nicht als theses, sondern als positiones bezeichnet (vgl. § 13, Vorbemerkung). - In seinem Antwortschreiben vom 19.6.1817 an Kardinalstaatssekretär C onsalvi auf dessen Begleitschreiben zum Breve P ius ’ VII. vom 26.3.1817 schrieb K eller (zu ihm siehe unten Anm. 49) u.a.: »Le professeur Drey a de´clare´ que pour faire preuve d’orthodoxie, il avoit ajoute´ a` son e´crit sur la confession auriculaire des theses secundum canones Concilii Tridentini« (E mil G öller , Die Vorgeschichte der Bulle »Provida sollersque«, in: FDA NF 28, 1927, 143-216; NF 29, 1928, 436-613, hier 452 f mit Anm. 40 und Anm. 43). Vgl. auch M ax M iller : Bezüglich D rey sollte K eller nach Rom schreiben, »daß er die Materie der Ohrenbeichte wissenschaftlich bearbeitet und am Schlusse zur Beurkundung seiner Rechtgläubigkeit Theses secundum Canones Concilii Tridentini angehängt habe« (M ax M iller , Professor Dr. Johann Sebastian Drey als württembergischer Bischofskandidat (1822-1827), in: ThQ 114, <?page no="310"?> 278 Erläuterungen 2. Zur literarischen und theologiegeschichtlichen Situierung der Beichtschrift D rey gibt im Vorwort zur BS, das im Originaldruck vier Seiten umfaßt, zu erkennen, in welche Zusammenhänge er seine Untersuchung eingeordnet sehen will. Er teilt zunächst mit, sie betreffe ein Teilgebiet seines persönlichen Forschungsprogramms. Er befasse sich seit einigen Jahren, auch in historischer Perspektive, mit den Hauptkapiteln des christlichen Gottesdienstes und der Kirchendisziplin und sei in der Abfolge der Untersuchungsgegenstände schließlich auch auf die Beichtfrage gestoßen 19 . Eine Durchmusterung der Fachliteratur habe ergeben, daß es von der Geschichte des Bußwesens und der Exomologese kein klares und sicheres historisches Wissen gebe. So sei eine neue Untersuchung der Materie keinesfalls überflüssig. Im Hinblick darauf, daß die theologische und historische Diskussion der Beichtfrage in der Reformationszeit begann und immer noch andauere, nimmt D rey sodann die Autoren und Schriften ins Visier, denen er innerhalb dieses Zeitraums für sein Vorhaben besondere Bedeutung beimißt 20 , und zwar in der Form eines kurzgefaßten und prägnanten Forschungsüberblicks. Angesichts der von D rey vorgenommenen Auswahl und der damit verbundenen kritischen Besprechung der ausgewählten Autoren bzw. Schriften kann man sagen, daß hier durch ihn selbst die literarische Situierung seiner dissertatio erfolgt. Der Schwerpunkt liegt auf der Kontroverstheologie des 16. und 17. Jahrhunderts. D rey zollt ihr Respekt, konstatiert aber nicht ohne Ironie die kontroverstheologisch bedingten Einseitigkeiten, denen man verhaftet gewesen sei. Jede Partei presse ihre Dokumente aus und verzerre sie, dergestalt, daß sie zwar beanspruchen, die historischen Sachverhalte wiederzugeben, in Wirklichkeit aber ihren jeweiligen Dogmen zuzuarbeiten sich ängstlich bemühten. Wer der Wahrheit näherkommen wolle, tue gut daran, beide Seiten gegeneinander zu halten. Bezüglich der Behandlung seiner Frage in jüngerer Zeit sei dagegen zu vermerken, daß nur wenige Autoren sich damit befaßt haben, und wenn, dann nur sektoral oder methodologisch unpassend. 1933, 363-405, 367 ff, Anm. 1, hier 369, mit der Quellenangabe: »Württ. Kultministerium, Konkordat VI«), sowie S tephan L ösch , Prof. Dr. Adam Gengler 1799-1866. Die Beziehungen des Bamberger Theologen zu J.J.J. Döllinger und J.A.Möhler. Ein Lebensbild mit Beigabe von 80 bisher unbekannten Briefen, darunter 47 neuen Möhler-Briefen. [...]. Würzburg 1963, 47 f mit Anm. 19. Bei K eller , M iller und in anderen Aktenstücken sind die sechs positiones und die drei Canones durcheinander gebracht, indem sie als (dogmatische) Thesen bezeichnet wurden, die D rey zum Erweis seiner Rechtgläubigkeit formuliert habe. 19 Nach Auskunft seines Theologischen Tagebuchs (wie Anm. 9) hat D rey sich schon seit 1812 intensiv mit der Beichtfrage befaßt und umfangreiche Materialsammlungen zur Vorbereitung seiner dissertatio angelegt (im Theologischen Tagebuch ca. 90 Seiten, auf weitere, mindestens 96 Seiten umfassende Exzerpte wird verwiesen). Siehe dazu unten in Ziff. II.3. 20 Vgl. dazu den bibliographischen Nachweis der von D rey angeführten Literatur im Anhang zu Teil B. <?page no="311"?> 279 Die Beichtschrift (1815) In seinen Bemerkungen zur Behandlung der Beichtfrage in neuester Zeit sieht D rey aus Gründen, denen nachzugehen von Interesse ist, davon ab, Namen von Autoren oder Titel von zeitgenössischen Schriften preiszugeben. Er verweist lediglich auf eine in der »Jahrsschrift [sic] für Theologie und Kirchenrecht der Katholiken T. III. pag. 435« anonym erschienene Abhandlung 21 . Da dieser Artikel 1813 und somit unmittelbar vor der Abfassung der dissertatio erschienen ist, schaltet D rey sich mit dieser Bezugnahme direkt in die zeitgenössische Diskussion seiner Thematik ein. Der durchaus im Geist der kirchlichen Orthodoxie verfaßte Artikel in der Jahrschrift gibt im großen und ganzen die Auffassungen wieder, zu denen die gemäßigten kirchlichen Aufklärungstheologen um 1813 gelangt waren. D rey bemängelt an ihm die Anwendung der dogmatischen Methode auf den historischen Stoff. Ein Vergleich dieses Artikels mit der dissertatio ergibt, daß - abgesehen davon - beide in puncto Fragestellung, Aufbau, Resultat und Betonung der Konformität der Ergebnisse mit der Bußlehre des Tridentinums ein Höchstmaß an formaler und inhaltlicher Übereinstimmung aufweisen. Der entscheidende Unterschied liegt, abgesehen von der Prägnanz der Sprache und der Gedankenführung bei D rey , in der Begründungsfigur (»Erklärungsart«) für die Entwicklung des Beichtwesens und das Zustandekommen der Grundlagen des tridentinischen Dogmas. Der Umstand, daß D rey aus der neueren Literatur allein die in der Jahrschrift 1813 erschienene Abhandlung anführte, erklärt sich zunächst sicher daraus, daß sie ihm als Vorlage gedient hatte. Jeder einigermaßen orientierte Leser oder Hörer hätte das ohnehin leicht feststellen können. Daß die Hervorhebung dieser Abhandlung neben der Verortung der dissertatio und trotz 21 Praefatio V. Gemeint ist Ueber die Nothwendigkeit der Ohrenbeicht, in: Jahrschrift für Theologie und Kirchenrecht der Katholiken, Bd. 3, Heft 3, 1813, 435-503. Wie bei den meisten der in der Jahrschrift erschienenen Beiträgen ist auch hier der Autor nicht angegeben. In der Regel ist davon auszugehen, daß alle Beiträge aus der Feder W erkmeisters stammen, der die Jahrschrift als Herausgeber, Redakteur und Autor praktisch im Alleingang betreute. In diesem Fall war der Artikel aber von B eda P racher verfaßt (vgl. A ugust H agen , Die kirchliche Aufklärung in der Diözese Rottenburg. Bildnisse aus einem Zeitalter des Übergangs. Stuttgart 1953, 183, Anm. 39; zur Jahrschrift insgesamt und zu ihrem Herausgeber siehe Einleitung zu Text Nr. 1, Ziff. II.4.a, bes. Anm. 36. - B eda P racher , * 24.6.1750 in Holnstein (Oberpfalz), † 25.7.1819 in Rottenburg, war ursprünglich (wie W erkmeister ) Benediktinermönch im Kloster Neresheim, W erkmeister war dort 1770-1772 sein Novizenmeister und Philosophielehrer. P racher setzte sich 1783 in St.Gallen und 1785 in Stuttgart besonders für die Verbesserung der Landschulen ein. 1787 wurde er, nachdem er zum Weltpriesterstand übergewechselt war, Pfarrer in Drackenstein, 1790 in Leinstetten, 1809 Schulinspektor, dann Dekan und Stadtpfarrer in Stockach (Baden), 1810 Pfarrer in Schörzingen und Dekanatskommissär für Ebingen (letzteres bis 1815), 1817 Generalvikariatsrat in Rottenburg. - P racher und W erkmei ster hatten theologisch und kirchenpolitisch ihr Heu auf dem gleichen Boden. P rachers Verdienste um das württembergische Schulwesen fanden höhere Anerkennung als sein Wirken als Schriftsteller im Sinne der kirchlichen Aufklärung. - Lit.: S tephan J akob N eher , Statistischer Personal-Katalog des Bisthums Rottenburg. Festschrift zum 50-jährigen Jubiläum dieses Bisthums. Schwäbisch Gmünd 1878, 9-10; H agen , Die kirchliche Aufklärung (s.o.) 213-215. <?page no="312"?> 280 Erläuterungen der methodologischen Kritik, die D rey an ihr übte, zugleich eine Reverenz an die Adresse P rachers (und W erkmeisters ) in sich schloß, mochte nicht ungern mitgespielt haben. Doch damit nicht genug. Indem D rey in diesem Zusammenhang auffällig betont, daß er die neuere Literatur zur Beichtfrage sehr wohl kenne, bezieht er sich ausdrücklich (wenngleich indirekt) auch auf diese, ohne aber Roß und Reiter beim Namen zu nennen. Es seien nur wenige (pauci omnino), die die Materie berührten. Wen er damit meint, überläßt er der Kundigkeit des Lesers, doch der Artikel P rachers enthält seinerseits die nötigen Fingerzeige. Dieser endet nämlich mit einer »Anmerkung der Redaktion«, d.h. W erkmeisters , die die gesuchten Literaturangaben enthält 22 . Sie hat folgenden Wortlaut: »Um den Werth dieser schönen Abhandlung richtig beurtheilen zu können, wollen wir die Leser noch a) auf die Eybelsche Schrift von der Ohrenbeicht 23 , b) auf die Gründe für und wider die Ohrenbeicht, welche im dritten Bande des Freymüthigen (eines Journals, welches von 1784 bis 1788 zu Ulm in der Wohlerschen Buchhandlung herauskam) angeführt sind 24 , c) auf die 22 In: Jahrschrift 1813 (wie Anm. 21) 503. 23 Gemeint ist J oseph V alentin E ybel , Was enthalten die Urkunden des christlichen Alterthums von der Ohrenbeichte? Wien 1784. - E ybel (* 3.3.1741 in Wien, † 30.6.1805 in Linz), von Haus aus Jurist (1777 Professor in Wien, später Landrat in Linz), steuerte als eifriger Aktivist des josephinischen Systems einen kirchenreformerischen und papstkritischen Kurs. Seine Introductio in jus ecclesiasticum catholicorum (1777, 2 1778) war bereits am 16. Februar 1784 von der Indexkongregation indiziert worden, seine 88 Seiten umfassende Schrift über die Ohrenbeichte wurde von P ius VI. in einem Breve vom 21. November 1784 verurteilt und verboten, da sie falsche, ketzerische und vom Trienter Konzil als ketzerisch erklärte Lehren und Sätze enthalte (E ybel hatte sich in dieser Schrift im wesentlichen die Auffassung zeitgenössischer protestantischer Autoren von der historischen Genese der Ohrenbeichte zu eigen gemacht). Zwei Jahre später kam der Papst auf E ybels Schrift Was ist der Papst? von 1882 zurück und verurteilte auch diese (Breve vom 28. November 1786). Zu diesen Zensurierungen siehe F ranz H einrich R eusch , Der Index der verbotenen Bücher. Ein Beitrag zur Kirchen- und Literaturgeschichte 2.2. Bonn 1885, 948-950. - Zur Zeit D reys war die Beichtschrift E ybels in der strengkirchlichen Publizistik zum Inbegriff einer pamphletistischen Beichtkritik geworden und E ybel selbst zum bösen Feind in der Beichtfrage, den man auch mit wenig sachlichen Argumenten anging (z.B. H einrich B rück , Die rationalistischen Bestrebungen im katholischen Deutschland besonders in den drei rheinischen Erzbisthümern in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Kirchengeschichte. Mainz 1865, 14, Anm. 18: E ybels Beichtschrift sei »fast ganz aus der Abhandlung des Protestanten Pertsch ›Vom Rechte der Beichtstühle‹ abgeschrieben«). 24 Gemeint ist Der Freymüthige. Eine periodische Schrift von einer Gesellschaft zu Freyburg im Breisgau, Bd. 3, Zweites Stück, 1784, der auf S. 391-652 unter dem Titel Gründe für und wider die Ohrenbeicht eine Abhandlung mit einer Sammlung von Argumenten und Zeugnissen für und wider die Ohrenbeichte enthält. - Der Freymüthige (nicht zu verwechseln mit den in der Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 80, vorgestellten Freymüthigen Blättern, die 1830-1844 von B enedikt A lois P flanz herausgegeben wurden) erschien 1782-1788 in 4 Bänden (Bde. 3 und 4 zu je 2 Stücken) in Ulm und Freiburg; Herausgeber und Autor der meisten (anonymen) Beiträge war der Freiburger »Universitätsbibliothekar und Professor der griechischen Sprache am Gymnasium« und spätere Kirchenrechtler J ohann K aspar A dam R uef (* 25.1.1748 in Ehingen an der Donau, † 25.1.1825 in Freiburg i.Br.); die »Professoren Dannenmayer und Sauter« waren fleißige Mitarbeiter R uefs (vgl. Der Freymüthige, Bd. 4, Vorbericht (1788) 2. - <?page no="313"?> 281 Die Beichtschrift (1815) wichtige Abhandlung, welche in den Frankfurter Beyträgen zur Verbesserung des äußern Gottesdienstes in der katholischen Kirche I B. 1 St. (Frankfurt 8. 1789) enthalten ist 25 , d) und endlich auf das, was in dieser Jahrschrift (im ersten Bande, zweyten Hefte, von Seite 336 - 342) hierüber gesagt wird 26 , aufmerksam machen.« Zu K aspar R uef siehe ADB 29, 1889, 587-588 (J ohann F riedrich von S chulte ); zu M atthias D annenmayer , * 13.2.1744 in Opfingen, † 8.7.1805 in Wien, Prof. der Kirchengeschichte in Freiburg, siehe ADB 4, 1876, 745 (K arl W erner ); zu J osef A nton S auter , * 1742 in Riedlingen in Baden, † 6.4.1817 in Freiburg, Prof. für Kirchenrecht und Philosophie ebd., siehe ADB 30, 1890, 422 (J ohann F riedrich von S chulte )). - Zu der genannten Abhandlung vgl. auch die Erste Beylage, die Ohrenbeicht betreffend, wider eine in der Litteratur des katholischen Deutschlands befindliche Recension, in: Beylagen zum Freymüthigen [worinn die Meynungen und Grundsätze desselben erläutert, bestätiget, und gegen verschiedene genannte und ungenannte Gegner vertheidiget werden], Bd. 1/ 3.1786/ 87.1786, 7-80, eine geharnischte Erwiderung aus der Feder von K aspar R uef auf eine kritische Rezension seiner Abhandlung über die Ohrenbeichte; die anonyme Rezension erschien in der Litteratur des katholischen Deutschlands, dem »von katholischen Patrioten« herausgegebenen Organ der Benediktiner des Klosters Banz, in Bd. 5, 4. Stück, 1784/ 85, S. 487-533. 25 Gemeint sind die 1789 in Frankfurt anonym herausgekommenen Beyträge zur Verbesserung des äußeren Gottesdienstes in der Catholischen Kirche, als deren Verfasser F elix A nton B lau (* 15.2. 1754 in Walldürn, Odenwald, † 23.12.1798 in Mainz) und A nton J osef D orsch (* 11.6.1758 in Heppenheim; † Mai 1819 in Paris) gelten. D orsch und B lau , eng miteinander befreundet, waren zunächst Professoren der Theologie bzw. Philosophie in Mainz, wurden aber im Zuge der Französischen Revolution aus ihrer theologischen bzw. kirchlichen Bahn geworfen und in politische Händel verstrickt. Sie wurden der Gruppe der subversiven »Befreiungstheologen« zugezählt. In den Beyträgen nahmen sie einen als aufklärerisch-rationalistisch geltenden Standpunkt ein, zu dem W erkmeister sich aber sehr positiv äußerte. W erkmeister zufolge war B lau ein »Muster aller katholischen Theologen an Freimüthigkeit, Wahrheitsliebe und ruhiger Prüfung verjährter Meinungen« (siehe Jahrschrift (wie Anm. 21) Bd. 2, Heft 3, 1810, 703 (vgl. 688); vgl. ADB 42, 1897, 12). D orsch und B lau gehörten zu einer Freundesgruppe um W erkmeister . Wie bei E ybel , so wurde auch bei D orsch und B lau , die in der strengkirchlichen Publizistik wegen ihrer politischen Richtung und ihrer problematischen Biographie verrufen waren, die negative Beurteilung ihrer Person ohne weiteres auf ihre Beyträge zur Beichtfrage übertragen. 26 Es handelt sich um den zweiten Teil der anonym vorgelegten Gedanken über das katholische Dogma von der Unfehlbarkeit der Kirche und der Ohrenbeichte, in der Jahrschrift (wie Anm. 21) Bd. 1, Heft 2 (1806) 325-342, hier b. Von der Ohrenbeichte, 336-342. Der Artikel besteht aus zwei Teilen, einer umfangreichen Anmerkung zu Beginn (325-327) und dem Haupttext mit Ausführungen Ueber die Unfehlbarkeit der Kirche (a.) und Von der Ohrenbeichte (b.). Die Anmerkung, die mit Sicherheit von W erkmeister verfaßt ist (vgl. 327, letzter Absatz), enthält Auskünfte über den Anlaß und den Gegenstand des Artikels sowie über die Gründe für seine Aufnahme in die Jahrschrift. Es wird hier berichtet, daß »Pfarrer Brunner in Tiefenbach« (zu ihm siehe unten) hauptsächlich wegen zweier Rezensionen, in denen er die Kritische Geschichte der kirchlichen Unfehlbarkeit zur Beförderung einer freiern Prüfung des Katholizismus (Frankfurt 1791) von F elix [A nton ] B lau und die Beyträge zur Verbesserung des äußeren Gottesdienstes in der Catholischen Kirche (siehe Anm. 25) »sehr günstig« beurteilt habe, 1793 vom Fürstbischof von Speyer, A ugust Graf von L imburg -S tyrum , inhaftiert und seiner gelehrten Korrespondenz beraubt wurde. Dieser Vorgang zeigt, unter welchen äußeren Umständen neben dem Unfehlbarkeitsthema auch die Beichtfrage im Vorfeld der dissertatio D reys diskutiert wurde. Der zweite Teil des o.g. Artikels dürfte B runner zum Autor haben; es kann aber auch sein, daß es W erkmeister selbst war, der dann in ihm die fachlichen Äußerungen B runners protokollartig wiedergegeben hätte. Inhaltlich wird dargelegt, daß die Beichte nicht direkt von Christus eingesetzt sei, sondern kraft göttlichen Rechts von der Kirche; das Dogma von Trient <?page no="314"?> 282 Erläuterungen Eine Durchsicht dieser Beiträge ergibt, daß sie, was ihre Absicht und grosso modo auch ihre Inhalte angeht, für D reys Vorhaben tatsächlich höchst einschlägig waren, auch wenn sie seinen wissenschaftlichen Ansprüchen kaum genügen konnten. Sie repräsentieren indessen den literarischen und diskursiven Kontext, den D rey bei der Abfassung der dissertatio vor Augen hatte und in dem sie in ihren aktuellen Bezügen zu verorten ist. Aber es waren überaus verfängliche Namen und Schriften, in deren Gesellschaft sich nominatim zu begeben dem Dogmatiker D rey , der eben erst seinen Lehrstuhl in Ellwangen bestiegen hatte, nicht ratsam sein mochte. Hinzu kamen die Unterschiede im literarischen Genus. War es dort eine publizistisch aufgezäumte Interessenlage, die den Charakter der Darstellungen bestimmte, so wollte D rey für die Behandlung der Beichtfrage in der dissertatio Maßstäbe anlegen, die seinem Wissenschaftsbegriff entsprachen. Genützt haben ihm seine Vorsicht und seine Methode nicht viel, wie sich alsbald herausstellte. 3. Die Beichtfrage im theologischen Werk Dreys Während die oben in Ziff. II.2 erhobenen Befunde zur literarischen und theologiegeschichtlichen Situierung der dissertatio von 1815 dazu verhelfen, die von D rey mit dieser Schrift verfolgte Absicht näher zu bestimmen und die in ihr erbrachte Leistung zu erfassen, versprechen die Beobachtungen zur Stellung der Beichtfrage im theologischen Werk D reys Aufschlüsse über sein persönliches Engagement in dieser Sache. Hier wie dort sind die Ergebnisse dazu angetan, die in der Dreyforschung anzutreffende Fehleinschätzung bzw. Geringschätzung dieser Schrift zu korrigieren. Eine Durchsicht der Manuskripte und Schriften D reys führt nämlich zu dem überraschenden Befund, daß der in der dissertatio behandelte Stoff zu den Themen gehört, mit denen ihr Autor sich jahrzehntelang intensiv befaßte, beginnend 1812, bereits im ersten Jahr seiner akademischen Tätigkeit an der Friedrichsuniversität also, und zumindest bis zur Veröffentlichung seiner Abhandlung Ueber öffentliche oder liturgische Beichten im Jahr 1832 27 , mithin über eine Spanne von wenigstens 20 Jahren. Das Beichtthema erreichte in seinem beinhalte nur den göttlichen Charakter der Beichte, nicht aber die Art ihrer Einsetzung. Diese Auffassung teilte zweifellos auch W erkmeister . - P hilipp J oseph ( von ) B runner , * 7.5.1758 in Philippsburg, † 4.11. 1829 in Karlsruhe, 1780 Dr. theol., 1783 Priesterweihe und Pfarrer in Tiefenbach (16 Jahre), 1793 Konfiskation seiner Papiere, 1803 Schul- und Kirchenrat bei der katholischen Kirchenkommission in Bruchsal, 1807 Geistlicher Rat bei der Regierung in Karlsruhe, 1809 Geistlicher Ministerialrat im katholischen Kirchendepartement. B runner war Illuminat. - Lit.: I gnaz von L ongner , Beiträge zur Geschichte der oberrheinischen Kirchenprovinz. Tübingen 1863, 267-272; F riedrich K össing , Badische Biographien 1 (1875) 136 f; W ilhelm K osch , Das katholische Deutschland. Biographisch-bibliographisches Lexikon. 3 Bde., Augsburg 1933-1939, Bd. 1, 269; J osef B ayer , Dr. Philipp Joseph Brunner, Ministerialrat in Karlsruhe und Pfarrer in Hofweier, in: FDA 92 (1972) 201-221. 27 In: ThQ 14 (1832) 494-525. <?page no="315"?> 283 Die Beichtschrift (1815) theologischen Schaffen zwar bei weitem nicht den Rang der großen Themen, auf die seine Hauptwerke, die Kurze Einleitung und die Apologetik, angelegt sind, aber das Engagement, das er in die Beichtfrage und Bußlehre einbrachte, ist gleichwohl höchst beachtenswert. Es erklärt sich zum einen daraus, daß diese Materie zu seiner Zeit zu den brennendsten und heftigst diskutierten Problemen der Kirchenordnung gehörte. Im Hinblick darauf sind seine Beiträge zur Beichtfrage ein Indikator für die Art und den Grad der Gegenwartsbezogenheit seiner theologischen Arbeit. Zum andern war die Frage nach dem Ursprung und der Entwicklung des Beichtsakraments für D rey von Anfang an ein Kristallisationspunkt für die Ausbildung seiner Theorie der Dogmenentwicklung und seines innovativen Traditionsbegriffs. Ein kurzgefaßter Überblick führt zu folgenden werkinternen Befunden: (a.) Die ergiebigste Quelle sind die vier erhalten gebliebenen Bände seines Theologischen Tagebuchs 28 . Vor allem aus ihnen geht hervor, daß D rey sich von 1812 bis 1815 eingehendst mit der Beichtfrage befaßte. Das Thema der dissertatio war kein spontaner Einfall für die Disputation vom Herbst 1815. Wenn D rey in der praefatio zu dieser Schrift bemerkt, er habe zur Erforschung der Geschichte der Beichte jahrelang Hand und Herz (manum mentemque; animum) eingesetzt, so ist das nach Ausweis seiner Eintragungen in den Bänden II und III seines Theologischen Tagebuchs keine bloß akademische Andienungsfloskel gewesen, sondern eine wahrheitsgetreue Auskunft über die der dissertatio zu Grunde liegende Forschungsarbeit. Keinem anderen Thema hat D rey im Theologischen Tagebuch so viel Raum gewidmet. Der Hinweis auf die besondere wissenschaftliche Fundiertheit der dissertatio mochte D rey dann vor allem im Hinblick auf die Brisanz ihres Inhalts geraten erschienen sein. Bei den Eintragungen im Theologischen Tagebuch, die teils nur die Sache der dissertatio betreffen, teils aber auch einen ausdrücklichen Bezug auf diese Schrift aufweisen, handelt es sich um folgende Texte bzw. Textgruppen: (1.) Umfangreiche Exzerpte und Notate im Vorfeld der dissertatio: Theologisches Tagebuch II 170-173 (TüA 1, Text 41*, 120-122); 173 (TüA 1, Text 42*, 122 f); 174 f (TüA 1, Text 43*, 123 f); 175 f (TüA 1, Text 44*, 124 f); 182 (TüA 1, Text 46*, 129). Theologisches Tagebuch III 105-120 (TüA 1, Text 72*, 206-216); 121-162 (TüA 1, Text 73*, 217-243). Die Einträge 41*-44*, 46* und 72*-73* mit Materialien zur Geschichte der Beichte sind undatiert; sie müssen aus inhaltlichen Gründen vor Juli 1815 entstanden sein. (2.) Responsiones ad Objectiones, quae contra varias assertiones Dissertationis meae obmoveri possent: Theologisches Tagebuch III 169-192 (TüA 1, Text 74*, 244-260). D rey antizipiert hier schulmäßig aufbereitete Einwände gegen seine dissertatio 28 Von D reys Tagebuch über philosophische, theologische und historische Gegenstände, zum überwiegenden Teil entstanden zwischen 1812 und 1817, sind die Bände II-V erhalten (siehe TüA 1). <?page no="316"?> 284 Erläuterungen und entkräftet sie gemäß akademischen Disputationsregeln. Es ist nicht völlig unmöglich, aber sehr unwahrscheinlich, daß er diese minutiös ausformulierten Disputationspunkte bereits zu dem Zeitpunkt zu Papier gebracht hatte, zu dem er den Text der dissertatio der Universitätskuratel zur Genehmigung vorlegte. Für eine didaktische Fingerübung zur abstrakten Vorbereitung auf die Disputation ist dieses brillante Argumentationsgebäude aber viel zu sorgfältig und umsichtig ausgearbeitet. Dieses Schriftstück umfaßt in der Handschrift D reys immerhin 23 und selbst im Druckformat der Edition noch 16 Seiten, obwohl es sprachlich und argumentationstechnisch so konzis durchkonstruiert ist, daß man kein Wort daraus entfernen könnte, ohne das Sinngefüge zu zerstören. Einen derartigen Aufwand betreibt niemand für eine inneruniversitäre Disputation, ein D rey schon gar nicht. Er mußte hingegen in dem Moment, in dem er diesen sozusagen gerichtsfest ausgearbeiteten Text - »gerichtsfest« vor dem Forum der wissenschaftlichen Vernunft - zu Papier brachte, ein Bewußtsein für bedrohliche Schwierigkeiten gehabt haben und vor möglichen Weiterungen vorgewarnt worden sein. Das Schriftstück ist nicht datiert, es dürfte nach Lage der Dinge während des Genehmigungsverfahrens zu Papier gebracht worden sein, als die Kuratel D rey anriet, die dissertatio mit ihr anzufügenden dogmatischen Thesen zum Erweis seiner Rechtgläubigkeit abzusichern (vgl. dazu oben Ziff. II.1, bes. bei und in Anm. 16 und 18). Im Zusammenhang mit Text 74* sind auch die Tagebucheinträge 72* und 73* zu sehen. In Text 72* (siehe oben Ziff. a.) befaßt D rey sich eingehend mit der XIV. Sitzung des Tridentinums (bis hinein in konzilsinterne Diskussionen), in Text 73* (siehe oben Ziff. a.) setzt er sich u.a. ausführlich mit den Canones 6, 7 und 8 des Bußdekrets des Konzils auseinander. Da er mit der Anfügung dieser Canones am Schluß seiner dissertatio dem Verlangen der Universitätskuratel nach einer dogmatischen Absicherung erst nach dem 14. Juli 1815 (Datum des Genehmigungsschreibens) nachgekommen sein konnte, spricht auch das für die oben vorgenommene Einordnung von Text Nr. 74*. - Aus Querverweisen in 73* geht hervor, daß D rey außerdem aus J akob B oileaus Geschichte der Ohrenbeichte 29 Exzerpte im Umfang von mindestens 96 Seiten angefertigt hatte (vgl. TüA 1, 229 mit Anm. 21 und 232 mit Anm. 27). Diese Exzerpte sind nicht erhalten. (3.) Die fortschreitende Entwickelung des Christentums nach allen seinen Beziehungen als ein Grundprincip des kath. Kirchen- und Glaubensystems erläutert und bewießen v. Dr. Joh. Sebast. Drey: Theologisches Tagebuch IV 95 f (TüA 1, Text 101*, 339 f). Unter diesem Titel verbirgt sich der in Disputationsform ausgearbeitete Plan 29 J acobus B oileau , Historia Confessionis auricularis ex antiquis Scripturae, patrum, pontificum conciliorum monumentis cum cura et fide expressa. Lutetiae Parisiorum 1683. Dieses Werk befand sich im Büchernachlaß D reys . <?page no="317"?> 285 Die Beichtschrift (1815) einer Erklärung und Verteidigung der dissertatio von 1815. Der von D rey eigenhändig auf den 24. April 1816 datierte Tagebucheintrag ist mithin ein gutes halbes Jahr nach der Disputation an der Friedrichsuniversität entstanden. D rey nimmt hier ausdrücklich Bezug auf »die zum Theil schon vernommenen, zum Theil noch zu erwartenden Urtheile über meine Dissert. de Origine et Progressu Exomol.«. Der Streit um sie ist also in vollem Gange. Die Angriffe »dürften« ihn, wie er schreibt, »vielleicht veranlassen, den von mir in meinem Systeme der Theologie zu Grunde gelegten, und auch jener Dissertation zu Grunde ligenden Grundsatz öffentlich auseinander zu setzen und geltend zu machen«. Die Verteidigung ist somit durchaus offensiv gedacht, D rey trägt sich mit der Absicht, die Leitideen der dissertatio nunmehr, in der Sache unbeirrt, öffentlich geltend zu machen. Es spricht alles dafür, daß er mit der 1819 im Druck erschienenen Oratio (siehe Text Nr. 5 mit Einleitung) dieses Vorhaben mit dreijährigem Verzug realisierte (vgl. dazu aber auch die Bemerkungen unten in (5.) ). (4.) Im Theologischen Tagebuch V 132 und 136 (TüA 1, Text 147*, 527 und 530 f) findet sich innerhalb eines am 20.4.1817 beendeten Rezensionsexzerpts eine Verteidigung der Ohrenbeichte gegen den Anglikaner H erbert M arsh 30 . (5.) Aus dem Theologischen Tagebuch V 147 f (TüA 1, Text 149*, 537 f) geht wiederum hervor, daß D rey sich anhaltend mit der dissertatio und ihrer Verteidigung befaßte. Der Eintrag ist undatiert, dürfte aber auf Grund der Datierung der umliegenden Einträge in der Zeit zwischen 20.4. und 4.5.1817 entstanden sein. Die Ausführungen in dem Eintrag 149* sind in zweifacher Hinsicht aufschlußreich. D rey präzisiert hier noch einmal die von ihm in der dissertatio eingenommene Position, und zwar anhand der Unterscheidung von apostolischer und kirchlicher Tradition. Diese für das Verständnis der dissertatio an und für sich recht wichtige Unterscheidung will er, wie es nun heißt, »für eine künftige Umarbeitung meiner Abhandlung« nutzen. Diese Formulierung könnte bedeuten, daß er bei dem oben in (3.) erwähnten Plan einer Verteidigungsschrift an eine überarbeitete Fassung der dissertatio selbst dachte, was aber unwahrscheinlich ist, weil die in dem Eintrag 101* aufgestellten Dispositionspunkte sich kaum in die dissertatio hätten einarbeiten lassen. Die 30 Vgl. D rey , Bemerkungen zu des Dr. Marsh Schrift: a comparative View of the Churches of England and Rome. Cambridge u. London. 1814. S. 250, in: Theologisches Tagebuch V 88-140 (TüA 1, Text 147*, 494-534). Es handelt sich bei diesem Tagebucheintrag um einen sehr umfangreichen und stark kommentierenden Ausschrieb aus einer Rezension in der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung 14 (1817) Bd. 1, Januar, Nr. 1, Sp. 1-8, Nr. 2, Sp. 9-14, von D rey »geendet den 20 April 1817« (V 140; TüA 1, 534). - Zu der deutschen Version: H erbert M arsh , Vergleichende Darstellung der protestantisch-englischen und römisch-katholischen Kirche oder Prüfung des Protestantismus und Katholicismus nach dem gegenseitigen Gewicht der Grundsätze und Lehren dieser beyden Systeme. Aus d. Engl. übers. u. mit Anm. u. Beyl. vers. von J ohann C hristoph S chreiter . Sulzbach 1821, brachte D rey eine Besprechung in ThQ 4 (1822) 60-81. <?page no="318"?> 286 Erläuterungen Formulierung setzt indessen die Umarbeitung eines bereits vorliegenden Textes voraus. Ist damit vielleicht die Rede (peroratio) gemeint, die D rey bei der Disputation in Ellwangen gehalten hat und deren Manuskript er in diesem Fall aufbewahrt hätte? Dem steht entgegen, daß mit dem im Disputationsprogramm angekündigten perorare schwerlich eine ausgearbeitete Rede gemeint sein konnte (vgl. dazu die Hinweise in der Einleitung zu Text Nr. 5, Ziff. II.2 und II.5). Außerdem spricht D rey hier von einer zu überarbeitenden »Abhandlung«. (b.) Das Vorlesungsmanuskript Geschichte des katholischen Dogmensystems. I. Band. Geschichte der drei ersten Jahrhunderte oder erste Periode. Mit Benutzung von Münschers Handbuch. 1812-1813 (siehe Text Nr. 2 des vorliegenden Bandes) enthält chronologisch wohl die frühesten Aussagen D reys zur Beichte. D rey behandelt hier die Entwicklungsgeschichte des Bußsakraments auf den Seiten 189-200, ohne aber auf die Frage nach der Entstehung der Ohrenbeichte besonders einzugehen. Aus der Sicht dieser Vorlesung ist die Disputationsschrift von 1815 die Vertiefung einer Spezialfrage. (c.) In den Praelectiones dogmaticae behandelt D rey in Band III im Rahmen der Sakramentenlehre in den §§ 257-261 (336-337, TüA 2, 471-472) das Bußsakrament. Den dogmatischen Lehrtexten sind Annotationes angefügt, die zu verschiedenen Zeiten niedergeschrieben und jeweils mehrfach überarbeitet sind. Daraus geht hervor, daß D rey sich mit der Thematik weiterhin und wiederholt auch in seinen Dogmatikvorlesungen befaßte. In Praelectiones dogmaticae III, 449 l: § 245. Confessio peccatorum, Zeile 31 (TüA 2, 564), findet sich mit »Cf. m. Exomol.« eine aus dem Jahr 1829 stammende Verweisung auf die dissertatio, was bedeutet, daß D rey 14 Jahre später auch in seiner Dogmatikvorlesung zu ihr steht. Auch in Praelectiones dogmaticae III, 502 (TüA 2, 624, Zeile 19: »cf. meam dissert. et addit. ad Exomol.«) und ebd. 506 (TüA 2, 629, Zeile 21: »Vide meine Dissert.«) verweist Drey ausdrücklich auf sie; ebd. 449 l-r (TüA 2, 565) verweist er zudem auf seine Abhandlung Ueber öffentliche oder liturgische Beichten von 1832. Da D rey solche Querverweise auf eigene Schriften äußerst selten vorgenommen hat, sind sie ein besonderes Indiz dafür, wie anhaltend wichtig ihm die Sache war. (d.) Die Beichtthematik in gedruckten Schriften Dreys. Neben der dissertatio von 1815 und der Oratio von 1819 kommen dafür folgende Werke in Betracht 31 : 31 In der Literatur wurde oft der anonym in ThQ 3 (1821) 682-699 erschienene Artikel Öffentliche Beichten werden in Vorschlag gebracht D rey zugeschrieben, er stammt aber von H irscher (siehe S tephan L ösch , Die Anfänge der Tübinger Theologischen Quartalschrift (1819-1831). Gedenkgabe zum 100. Todestag Joh. Ad. Möhlers. Rottenburg a.N. 1938, 69, sowie unten Ziff. II.5.b, Anm. 96). Die im Inhaltsverzeichnis ThQ 1 (1819) 742 für den ersten Band angezeigte Erläuterung »über das kath. Beichtwesen« (ThQ 1, 1819, 180-184) wird von L ösch (a.a.O. 54) <?page no="319"?> 287 Die Beichtschrift (1815) (1.) Rezension zu Joseph Schmalstig, Ausführlicher Beichtunterricht zum Gebrauche für angehende Katecheten, Schullehrer und Eltern. Stuttgart 1823, in: ThQ 6 (1824) 692-696. Es geht hier um die rechte Verwaltung und Benutzung des »jetzt noch« (693) in der katholischen Kirche bestehenden »Bußinstituts«. D rey ist das »jetzt noch« wohl angesichts der 1824 auch in der katholischen Kirche weit fortgeschrittenen Erosion der Ohrenbeichte in die Feder geflossen. Mit Sicherheit hat er dabei aber vor allem diese Entwicklung im Luthertum seiner Zeit vor Augen 32 . D rey kritisiert an dem Buch S chmalstigs u.a., daß darin »alles auf die Beichte bezogen, von dem Sakrament der Buße hingegen nur so im Anhange S. 216 die Rede wird« (695). Worauf es ihm auch hier ankommt, ist die Integration der Beichte in das größere Ganze des Bußsakramentes, für das es verschiedene Formen gebe. In diesen Zusammenhang gehört seine unten in (3.) angeführte Abhandlung. (2.) Rezension zu Heinrich Klee, Die Beichte, eine historisch-kritische Untersuchung. Frankfurt a.M. 1828, in: ThQ 11 (1829) 85-96. In dieser umfangreichen und von einem Tenor des Wohlwollens getragenen Rezension setzt D rey sein Verständnis der Sache scharfsinnig von der Bearbeitung des historischen Stoffes durch K lee ab. Seine Ausführungen sind eine wichtige Interpretationshilfe zum Verständnis seiner dissertatio von 1815. Aus der Rezension geht zugleich hervor, daß D rey auch noch 1829 unverändert an der in der dissertatio von 1815 vorgelegten Sicht der Dinge festhielt und sie - nach Jahren der Reflexion - nunmehr auch im Medium der deutschen Sprache prägnant und unbefangen zu reformulieren weiß. (3.) Abhandlung Ueber öffentliche oder liturgische Beichten, in: ThQ 14 (1832) 494-525. Vgl. dazu oben in (1.). gleichfalls H irscher zugeschrieben (mit Fragezeichen), der Text steht inhaltlich in keinem Zusammenhang mit der BS. 32 In den deutschen lutherischen Landeskirchen galt die Privatbeichte als rechtlich verordnete Pflicht auf der Grundlage der Wittenberger Beichtpraxis und war bis zum 30jährigen Krieg als alleinige Beichtform fester Bestandteil der Kirchenordnung und der Kirchenzucht. Der Prozeß ihrer Abschaffung wurde hauptsächlich durch die Kritik des Pietismus an der als unbefriedigend empfundenen, rigoros verrechtlichten Beichtpraxis vorangetrieben, und in der rationalistischen Theologie der Aufklärung wurden der Beichte prinzipiell die theologischen Fundamente entzogen. Am Ende des 18. Jahrhunderts und zur Zeit D reys war im progressiven Luthertum die Beichte theoretisch und praktisch abgeschafft, vorausgegangen war die zunehmende Gewährung der Beichtfreiheit durch die Landesherren. Zum Ganzen siehe L aurentius K lein , Evangelisch-lutherische Beichte. Lehre und Praxis. Paderborn 1961; K urt A land , Die Privatbeichte im Luthertum von ihren Anfängen bis zu ihrer Auflösung, in: ders ., Kirchengeschichtliche Entwürfe. Alte Kirche, Reformation und Luthertum, Pietismus und Erweckungsbewegung. Gütersloh 1960, 452-519; E rnst B ezzel , Frei zum Eingeständnis. Geschichte und Praxis der evangelischen Einzelbeichte. Stuttgart 1982, 164-175. Zur Situation am Ende des 18. Jahrhunderts siehe besonders G ottfried B enjamin E isenschmid , Geschichte der vornehmsten Kirchengebräuche der Protestanten. Ein Beytrag zur Verbesserung der Liturgie. Leipzig 1795. <?page no="320"?> 288 Erläuterungen 4. Schwierigkeiten mit der Beichtschrift in Rom a. »Übelwollende Berichte« Von der Beichtschrift weiß man in der Regel nur, daß es sie gibt und daß D rey mit ihr Probleme in Rom hatte. Das eine ist den Dreybibliographien zu entnehmen, das andere gehört seit den 1820er Jahren zum Lebensbild D reys , es zu erwähnen wird in kaum einer Lebensskizze D reys versäumt. Das Spektrum der Hinweise reicht von dunklen Andeutungen bis zu vermeintlich klaren Auskünften: D rey habe sich mit seiner lateinischen dissertatio von 1815 »nicht ohne Mithilfe anderer« in Rom nachhaltig in Mißkredit gebracht 33 , sie habe ihm »durch römischen Mißverstand« mehr Verdruß bereitet als jede andere 34 , D rey sei wegen ihr »verurteilt« worden 35 , sie sei auf den »Index« gekommen 36 . Von daher stellt sich die Frage nach der historischen Wahrheit und nach der näheren Bewandtnis der Schwierigkeiten. Auf sicherem Boden steht man zunächst mit der Bemerkung H efeles , der als Historiker der Tübinger Fakultät ein Schüler und Kollege D reys war, aus dem Todesjahr D reys , wonach gegen D rey und seine dissertatio »von gewisser Seite her, wie es scheint aus persönlicher Mißgunst, übelwollende Berichte nach Rom erstattet [wurden], ohne daß jedoch dem Verfasser Unannehmlichkeiten daraus erwachsen wären« 37 . Wenn man an die nachhaltige Schädigung seines kirchlichen Ansehens denkt, die ihm aus dieser üblen Geschichte entstand, oder auch nur an die persönlichen Belastungen, die er infolge seiner Verketzerung durchzustehen hatte 38 , wird man die Beschwichtigung H efeles 33 J osef R ief , Johann Sebastian von Drey (1777-1853), in: H einrich F ries , G eorg S chwaiger (Hg.), Katholische Theologen Deutschlands im 19. Jahrhundert 2. München 1975, 9-39, 13. 34 A braham P eter K ustermann , Die Apologetik Johann Sebastian Dreys. Kritische, historische und systematische Untersuchungen zu Forschungsgeschichte, Programmentwicklung, Status und Gehalt (Contubernium 36). Tübingen 1988, 27. 35 R udolf R einhardt , Die Katholisch-theologische Fakultät Tübingen im ersten Jahrhundert ihres Bestehens. Faktoren und Phasen der Entwicklung, in: ders . (Hg.), Tübinger Theologen und ihre Theologie. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Katholisch-Theologischen Fakultät Tübingen (Contubernium 16). Tübingen 1977, 1-42, 16 (so auch schon 1969, 1972 und 1975; vgl. auch unten Anm. 107). 36 A ugust H agen , Geschichte der Diözese Rottenburg 1. Stuttgart 1956, 43 (so auch schon in: ders ., Staat (wie Anm. 14) 22, Anm. 65); G eorg M ay , Mit Katholiken zu besetzende Professuren an der Universität Tübingen von 1817 bis 1945. Ein Beitrag zur Ausbildung der Studierenden katholischer Theologie, zur Verwirklichung der Parität an der württembergischen Landesuniversität und zur Katholischen Bewegung (Kanonistische Studien und Texte 28). Amsterdam 1975, 238, Anm. 105. - Dagegen schon F ranz X aver F unk , Die katholische Landesuniversität in Ellwangen und ihre Verlegung nach Tübingen, in: Festgabe der Universität Tübingen zum fünfundzwanzigjährigen Regierungsjubiläum Seiner Majestät des Königs Karl von Württemberg. Tübingen 1889, 3-30, 15: »Die Schrift erfuhr indessen keine Zensur«. 37 C arl J oseph H efele , Nekrolog [auf J ohann S ebastian D rey ], in: ThQ 35 (1853) 341-349, 346 (Hervorhebung nicht im Original). - Nach H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität (wie Anm. 1) war es »ein übelwollender Bericht« (Singular) (40), doch scheint es sich hier um eine ungenaue Wiedergabe H efeles zu handeln. 38 Daß D rey selbst um seine Verketzerung wußte, ist aktenkundig (siehe M iller , Professor Dr. Johann Sebastian Drey (wie Anm. 18) bes. 374 f); es geht a fortiori aus den Bemerkungen <?page no="321"?> 289 Die Beichtschrift (1815) nicht ganz ernst nehmen können (H efele selbst hat sie denn auch mit einer Einschränkung versehen; siehe unten bei und in den Anm. 79 und 97). H efele versäumte es, die »gewissen« Denunzianten 39 beim Namen zu nennen (falls er sie überhaupt kannte) 40 . Wer waren sie? H agen zufolge »steht fest«, von woher der Heilige Stuhl seine Informationen erhielt 41 , doch ist mit seinen Angaben nicht viel anzufangen, da er im Grunde nur auf das für den süddeutschen Raum ohnehin bekannte Berichterstatterfeld verweist, wenngleich in einer Auswahl, die er nicht begründet. Eine andere Spur führt zu dem von 1812 bis 1817 für die kirchlichen Verhältnisse in Ellwangen und Stuttgart von Amts wegen zuständigen Generalvikar F ranz K arl von H o henlohe 42 , der zur fraglichen Zeit einen »Bericht über die rationalistischen Professoren in Ellwangen« nach Rom geliefert haben soll 43 . Nach Lage der hervor, die D rey in der Oratio von 1819 zur Veranlassung dieses Redetextes machte (siehe Einleitung zu Text Nr. 5). 39 Sie wurden selbst von Provikar K eller in seinen amtlichen Schreiben an Kardinalstaatssekretär C onsalvi (siehe unten in Ziff. II.4.b. δ ) als solche bezeichnet. 40 In den beiden Nachdrucken des Nekrologs (in: WWKL 12, 1856, 308; WWKL 2 3, 1884, 2067) hat H efele den Passus »von gewisser Seite her« weggelassen. 41 »Aus welchen Quellen der Heilige Stuhl seine Angaben [gemeint sind die Beschuldigungen, die Kardinalstaatssekretär C onsalvi in seinem Schreiben vom 27. März 1817 gegen D rey , M ets und W erkmeister vorbrachte; vgl. dazu unten in Ziff. II.4.b. ψ ] schöpfte, steht fest. Es ist die Korrespondenz, welche Weihbischof Z irkel in Würzburg, Geistlicher Rat F elder in Waltershofen, Abt S peckle (früher in St. Peter), Abt Ö xle in Salem und P aul D umont mit dem Heiligen Stuhl bzw. mit der Luzerner Nuntiatur führten« (H agen , Geschichte 1 (wie Anm. 36) 208). Bei den von H agen genannten Personen handelt es sich um G regor ( von ) Z irkel (1762-1817), der von 1802 bis 1817 als Weihbischof in Würzburg fungierte und seit 1810 als Mitarbeiter in F elders Litteraturzeitung den römisch-kurialen Standpunkt vehement vertrat; F ranz K arl F elder (1766-1818), der seit 1810 die Litteraturzeitung für katholische Religionslehrer herausgab und einen Kreis von Ultramontanen um sich scharte (siehe Einleitung zu Text Nr. 7, Anm. 61); I gnaz (J oseph A nton ) S peckle (1754-1824), 1802 Abt von St. Peter, seit 1813 Führer der badischen Ultramontanen; K aspar Ö xle (1752-1820), seit 1802 Abt in Salem und in einem besonderen Vertrauensverhältnis mit F elder stehend, und schließlich Abbe´ P aul D umont (1762-1820) OSB, der als Deutschlandexperte der Kurie seit 1814 in Rom ansässig war und zuvor während seiner Deutschlandaufenthalte »ein weitgespanntes Informations- und Agitationsnetz aufgebaut« hatte (D ominik B urkard , Staatskirche, Papstkirche, Bischofskirche. Die »Frankfurter Konferenzen« und die Neuordnung der Kirche in Deutschland nach der Säkularisation (Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte: Supplementband 53). Rom, Freiburg, Wien 2000, 106; vgl. 309 f; 319 ff). D umont gehörte in Rom zur Partei der Zelanti und in der Sache D reys mit Sicherheit zu den Scharfmachern. - H agen verrät nicht, aus welchen Quellen er sein »festes« Wissen bezog. Angesichts der zahlreichen Informanten und Denunzianten, die zum römischen Informationssystem gehörten (vgl. dazu B urkard 319 ff und passim) erscheint seine Auswahl - abgesehen von D umont als Zentralfigur - als ziemlich willkürlich. 42 F ranz K arl J oseph Fürst zu H ohenlohe -W aldenburg -S chillingsfürst (zu ihm siehe auch Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 102), seit 1793 Stiftsdekan in Ellwangen, 1802 Titularbischof von Tempe, am 9. Oktober 1812 feierliche (staatliche) Einsetzung als Generalvikar in Ellwangen, als solcher vom Hl. Stuhl erst am 21. März 1816 bestätigt. Zu ihm in unseren Zusammenhängen Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 1) 22 ff; H agen , Geschichte 1 (wie Anm. 36) 173-216. 43 So H ermann W etzel , Das Erwachen des Kurialismus in Württemberg vor 100 Jahren. Der politische Katholizismus außerhalb der Kammer 1815-1833, in: BlwüKG 26 (1922) 159-178, 168 f. Dazu <?page no="322"?> 290 Erläuterungen Dinge konnten mit diesen Professoren nur D rey , G ratz und W achter gemeint sein, die wegen ihrer wissenschaftlichen Richtung bei ihren strengkirchlichen Kritikern in diesem Rufe standen. Auch wenn H ohenlohe keine übelwollenden Motive zu unterstellen sind und sein Bericht nicht den Charakter einer Anzeige gehabt haben dürfte, so kann es für das Bild, das man sich in Rom von der Ellwanger Richtung machte, durchaus ins Gewicht gefallen sein. Einen entscheidenden Schritt weitergekommen ist man in der Frage nach den Denunzianten D reys und insbesondere seiner dissertatio seit der Öffnung der Archive der Glaubenskongregation im Januar 1998. So konnten von dem Münsteraner Historiker W olf , der in seinen archivalischen Erkundungsgängen ein besonderes Augenmerk auch auf die Causa D rey richtete 44 , aufschlußreiche Papiere ausfindig gemacht werden. Den Auslöser für das römische Vorgehen gegen die dissertatio bildete demnach die Anzeige eines in der Nähe von Ellwangen amtierenden Pfarrers namens C hristoph M ayer 45 . Z eller , a.a.O. 43: »der [von W etzel erwähnte] Bericht nach Rom über die Lehre der Ellwanger Professoren hat ganz und gar auszuscheiden; doch kann an dieser Stelle nicht näher darauf eingegangen werden«. Die Gründe für seine ominöse Enthaltung gibt Z eller nicht an, er scheint später auch nicht darauf zurückgekommen zu sein. Immerhin bestätigt Z eller hier indirekt die Existenz eines solchen Berichts. - Dafür, daß es einen Bericht dieser Art gegeben haben kann, spricht der Umstand, daß H ohenlohe im Hinblick auf die von ihm betriebene päpstliche Bestätigung als Generalvikar, die nach einigem Hin und Her erst im Oktober 1816 erteilt wurde, durchaus Gründe hatte, in seinen Berichten seine korrekte Kirchlichkeit im kurialen Sinn unter Beweis zu stellen. Hinzu kam, daß er persönlich dem kurialistischen Bund der bayerischen Konföderierten angehörte (so W etzel ) oder ihm zumindest zugetan war. - In diesem Zusammenhang ist aber zu beachten, daß man in Rom schon lange zuvor über die Entwicklungen an den deutschen Universitäten unter dem Einfluß der Aufklärung alarmiert war. Vor allem von den Nuntiaturen in Wien und München waren seit Beginn des Jahrhunderts Berichte über anmaßende philosophische Produktionen deutscher Schriftsteller und perverse deutsche Professoren mit ruinösen Lehren (vor allem in Mainz und Würzburg) sowie über die Bischöfe, die nicht entschieden genug gegen die Neuerer vorgingen, nach Rom gegangen. Genaueres dazu bei B eda B astgen , Bayern und der Heilige Stuhl in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Nach den Akten des Wiener Nuntius Severoli und der Münchener Nuntien Serra-Cassano, Mercy d’Argenteau und Viale Prela`, sowie den Weisungen des römischen Staatssekretariates aus dem vatikanischen Geheimarchiv (Beiträge zur altbayerischen Kirchengeschichte 17 und 18). 2 Bde., München 1940; C hristian G öbel , Kants Gift. Wie die ›Kritik der reinen Vernunft‹ auf den ›Index Librorum Prohibitorum‹ kam, in: N orbert F ischer (Hg.), Kant und der Katholizismus. Stationen einer wechselhaften Geschichte (Forschungen zur europäischen Geistesgeschichte 8). Freiburg u.a. 2005, 91-138 (bes. 108 ff). 44 Dazu H ubert W olf , Angezeigt, doch nicht verurteilt. Zum römischen Schicksal von Johann Sebastian Dreys »Beichtschrift«, in: P eter N euner , P eter L üning (Hg.), Theologie im Dialog (Festschrift für H arald W agner ). Münster 2004, 309-322; ders ., Johann Sebastian Drey: Karriereknick durch Gerüchte? , in: ders ., Index. Der Vatikan und die verbotenen Bücher. München 2006, 84-95. Ergänzend: ders ., Johann Sebastian Drey auf dem Index? Zu Mutmaßungen über die »Beichtschrift« von 1815, in: K ustermann , Revision der Theologie (wie Anm. 4) 92-102. Zur Öffnung der Archive siehe W olf , Index 62-65; Angezeigt 311 f. 45 C hristoph M ayer (1743-1818) war seit 1770 Pfarrer in der zwischen Ellwangen und Schwäbisch Gmünd liegenden Gemeinde Leinzell (ab 1815 Kaplan in Neukirch). Von ihm ist bekannt, daß er in zahlreiche Händel verstrickt war (zu ihm siehe N eher , Personal-Katalog (wie Anm. 21) 408; W olf , Angezeigt (wie Anm. 44) 314 f; Index 89 f). Er wurde in der Kurie unter positiven Vorzeichen als »zelante Ecclesiastico« bezeichnet (siehe W olf ebd.). <?page no="323"?> 291 Die Beichtschrift (1815) Dieser beschuldigte D rey als Autor der Disputationsschrift über die Beichte in einem in lateinischer Sprache verfaßten und an P ius VII. adressierten Brief mit Datum vom 20. Dezember 1815 der Irrlehre. In einem zweiten, mit zahlreichen Beilagen ausgestatteten Schreiben vom 7. August 1816 wiederholte und erhärtete er seine Beschuldigungen 46 . Es ist anzunehmen, daß die Beilagen, die M ayer diesem Brief mit auf den Weg gab, zum Zweck der Beweisführung von der Kurie angefordert worden waren. b. Amtliche Folgen Die Denunziationen blieben nicht ohne amtliche Folgen. Gegen D rey (und zugleich gegen seinen Ellwanger Kollegen K arl W achter 47 ) wurden in Rom Vorermittlungen aufgenommen, die auf ein Zensurierungsverfahren angelegt waren 48 . Daneben fand die Angelegenheit seit 1816 Aufnahme in römische Verlautbarungen und in einschlägige Korrespondenzen, deren wichtigste unten zusammengestellt sind, soweit sie D rey betreffen. Bereits im Vorfeld dieses Papierkrieges waren die Probleme in Rom zum Gegenstand mündlicher Erörterungen zwischen Kardinalstaatssekretär C onsalvi und dem von der württembergischen Regierung dazu beauftragten Geistlichen Rat (ab Juli 1816 Provikar) K eller aus Stuttgart geworden. α . Im Vorfeld der kirchenamtlichen Beanstandungen: Kellers Gespräche in Rom (1815-1816) sowie erstes Wetterleuchten im Breve vom 21. März 1816 Nachdem der König am 28. September 1812 zusammen mit der Gründung der Friedrichsuniversität in Ellwangen für die neu erworbenen katholischen Gebiete im Königreich Württemberg eigenmächtig ein Generalvikariat errichtet und den Augsburger Weihbischof F ranz K arl von H ohenlohe zum Generalvikar bestellt hatte, wurde der Geistliche Rat J ohann B aptist K eller aus Stuttgart von der Regierung am 27. Juli 1815 nach Rom entsandt, um die päpstliche Genehmigung dieser Maßnahmen zu erreichen und außerdem das Zustandekommen eines seit 1807 geplanten württembergischen Konkordats voranzubringen 49 . Mit ersterem hatte K eller Erfolg 50 , das letztere wurde von 46 Näheres dazu bei W olf , Angezeigt (wie Anm. 44) 314 ff sowie - teilweise abweichend von W olf - unten in Ziff. II.4.c. 47 Zu ihm siehe Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 108, sowie unten in Ziff. II.4.c. 48 Näheres dazu unten in Ziff. II.4.c. 49 Genaueres bei Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 1) 24 ff; 38 f; H agen , Geschichte 1 (wie Anm. 36) 173 ff, bes. 201-204. - Zur Vorgeschichte dieser Konkordatsverhandlungen: Nachdem mit der Erhebung Württembergs zum Königreich (1806) die Grundlagen für die Möglichkeit eines Konkordats gegeben war, betrieb F riedrich I. den Abschluß einer solchen Konvention mit dem Hl. Stuhl. Rom willigte in das Vorhaben ein. Am 25. September 1807 traf der Nuntius A nnilale della G enga zu den Konkordatsverhandlungen in Stuttgart ein. Sie waren dem Abschluß nahe, wurden aber am 1. November 1807 auf Geheiß N apoleons abgebrochen. Unzufrieden damit, hatte der König bereits 1808 den <?page no="324"?> 292 Erläuterungen der Kurie hinhaltend behandelt. Der Aufenthalt K ellers in Rom dauerte ein volles Jahr. Er endete damit, daß er zum Provikar und Koadjutor H ohen lohes bestellt 51 und am 4. August 1816 von P ius VII. höchtpersönlich zum Bischof von Evara i.p.i. geweiht wurde. K eller wurde nach seiner Rückkehr in Anerkennung seiner Verdienste vom König in den persönlichen Adelsstand erhoben (4. Oktober 1816). K eller führte in der Sache der Denunziationen während seines Romaufenthaltes Gespräche »namentlich« mit C onsalvi . »Keller pflegte selber oft zu erzählen, wie viele Mühe es ihn während seines Aufenthaltes in Rom gekostet habe, namentlich bei dem Cardinal-Staatssekretär von Consalvi, die unkatholischen Tendenzen des königlichen katholischen geistlichen Raths [gemeint ist der Katholische Geistliche Rat (ab 1816: Katholischer Kirchenrat) als Institution, und in ihm vor allem W erkmeister 52 ], dessen Mitglied zu sein er [d.h. K eller ] selbst die Ehre hatte, sowie der damaligen Ellwanger Professoren [gemeint sein können nur D rey und W achter 53 ] in Abrede zu stellen. Der Cardinal habe ihm unter anderen die denkwürdigen Worte gesagt: Geistlichen Rat K eller zum ersten Mal nach Rom entsandt mit dem Ziel, den Abschluß des Konkordats zu erwirken. Nach der Gefangennahme des Papstes und seiner Wegführung nach Savona am 6./ 7. Juli 1809 war K eller unverrichteter Dinge nach Stuttgart zurückgekehrt. Dazu: O tto M ejer , Die Concordatsverhandlungen Württembergs vom Jahre 1807. Mit bisher ungedruckten Actenstücken. Stuttgart 1859; M ax M iller , Die römische Kurie, die württembergische Königswürde und der Beginn der Konkordatspolitik, in: ThQ 112 (1931) 223-235; H agen , Geschichte 1 (wie Anm. 36) 173 ff. J ohann B aptist J udas T haddeus von K eller , * 16. Mai 1774 in Salmansweiler (Salem), † 17. Oktober 1845 in Bartenstein bei Künzelsau. Zunächst Zisterzienser in Salem, 1793 - 1797 Studium in Dillingen und Salzburg, 1797 Priesterweihe in Salzburg, 1806 Stadtpfarrer in Radolphszell (Radolfzell), 1808 Berufung in den Katholischen Geistlichen Rat von Württemberg, zugleich Stadtpfarrer und Dekan in Stuttgart, ab 1811 auch Mitglied der Studiendirektion, 15. Juli 1816 Provikar des Generalvikariats für die katholischen Landesteile in Württemberg und Koadjutor H ohenlohes , 4. August 1816 Bischofsweihe in Rom, 4. Oktober 1816 Zivilverdienstorden und Staatsrat, 7. Dezember 1819 Generalvikar, 20. Mai 1828 Inthronisation als erster Bischof von Rottenburg. Zu ihm: [I gnaz L ongner ], Johann Baptist von Keller, erster Bischof von Rottenburg. Eine biographische Scizze, nebst Blicken auf die katholische Kirche Württembergs. Aus den Papieren eines Verstorbenen [d.i. I gnaz L ongner ] herausgegeben von Dr. Wilhelm Binder. Regensburg 1848 (L ongner wurde als Verfasser dieser Papiere ermittelt von S ebastian M erkle , Zum württembergischen Mischehenstreit, in: ThQ 119, 1938, 60-108, hier 104-106); H ubert W olf , Johann Baptist von Keller (1774-1845). Das Bild eines Bischofs im Spannungsfeld von Staat und Kirche, von Aufklärung und Orthodoxie, in: RoJbKG 3 (1984) 214-233. 50 Die Bestätigung H ohenlohes als Generalvikar erfolgte durch Breve vom 21. März 1816 (Text bei L ongner , Beiträge (wie Anm. 26) 621-623). 51 Breve vom 15. Juli 1816 (L ongner , Beiträge (wie Anm. 26) 623-624). 52 Zu ihm siehe Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 38. 53 Der Ellwanger Generalvikariatsrat M ets (zu ihm siehe Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 138), der zu diesem Zeitpunkt in Rom gleichfalls persona non grata war und von K eller zweifellos auch verteidigt wurde, hatte an der Friedrichsuniversität keine Professur inne. Ob G ratz (zu ihm siehe Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 74) schon während des Romaufenthalts K ellers Gegenstand von Beanstandungen war, ist ungewiß. Sein Name taucht erst im Schreiben C onsalvis vom 16. Februar 1820 auf. Gegen ihn wurde 1823 bei der Indexkongregation ein Verfahren eröffnet (siehe W olff , Peter Alois Gratz (wie Anm. 1) 306-312, bes. 309). <?page no="325"?> 293 Die Beichtschrift (1815) ›die meisten Ketzereien und Spaltungen in der Kirche kommen von den Mönchen her‹ (eine Anspielung auf Herrn von Werkmeister und Professor Wachter in E.)« 54 . Die Denunziationen hatten somit schon während des Romaufenthaltes K ellers in den ersten Monaten des Jahres 1816 hohe Wellen geschlagen, die bis zur Spitze des Staatssekretariats hinaufreichten. Die »viele Mühe« aber, die K eller auf ihre Widerlegung verwendete, war nicht nur dem Beschützertrieb des angehenden Provikars entsprungen, sondern gründete in einer Instruktion des Königs vom 16. April 1816 55 . Auch in Stuttgart befaßte man sich somit schon zu dieser Zeit an höchster Stelle mit der Angelegenheit. Wie wenig Erfolg die Bemühungen K ellers hatten, stellte sich massiv im Frühjahr 1817 in einem Breve P ius ’ VII. vom 26. März und einem Brief C onsalvis vom 27. März d.J. heraus, begann sich aber noch während seines Romaufenthalts abzuzeichnen. In dem bereits erwähnten Breve vom 21. März 1816, das die Bestätigung H ohenlohes zum Gegenstand hatte, wird unter dessen Amtspflichten hervorgehoben, er müsse dafür sorgen, daß bei den ihm anvertrauten Gläubigen die Reinheit des katholischen Glaubens bewahrt werde 56 . Daß es sich um »Vorwürfe gegen die [Ellwanger] Professoren« 57 handelt, ist dem Text nicht zu entnehmen, auch nicht andeutungsweise. Erst im Licht der Vorgänge von 1817 ist im Rückblick zu erkennen, daß sie (mit-) gemeint waren. Daß Rom 1816 nicht deutlicher wurde, ist wohl den Bemühungen K ellers zuzuschreiben. β . »Ellwanger Professoren« im Visier: Das Breve vom 26. März 1817 Ein halbes Jahr nach der Rückkehr K ellers an seinen Stuttgarter Amtssitz schlug der Unmut der Kurie über die kirchlichen Verhältnisse in Württemberg im Breve P ius ’ VII. vom 26. März 1817 deutlicher zu Buche. Generalvikar von H ohenlohe wird wegen seiner Amtsführung und seiner politischen Haltung scharf getadelt, etwaige ungültige Amtsgeschäfte werden aber konvalidiert. Im letzten Absatz des dreiseitigen Schreibens fordert der Papst ihn schließlich auf, seinen Amtspflichten zum Schutz der katholischen Kirche gewissenhafter nachzukommen. Er, der Papst, habe seine diesbezügliche Be- 54 In: [L ongner ], Johann Baptist von Keller (wie Anm. 49) 17. - Der zitierte Text ist bei H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität (wie Anm. 1) mit Verweis auf B inder teilweise in indirekter Rede wiedergegeben (40 mit Anm. 4). 55 Die Ausfertigung dieser Instruktion vom 16. April 1816 befindet sich einer Mitteilung R einhardts zufolge in den Handakten K ellers aus den Jahren 1811-1817 (vgl. R udolf R einhardt , Neue Quellen zu Leben und Werk von Johann Sebastian Drey. Dreys Antwort auf das »Pastoralschreiben« des Rottenburger Generalvikars im Jahre 1821, in: ders ., Tübinger Theologen (wie Anm. 35) 117-166, 122, Anm. 21). 56 »... ut omni studio, ac sollicitudine commissis Tibi a Nobis fidelibus populis invigiles et adlabores, ut remotis erroribus et novitate opinionum integritas catholicae fidei istic conservetur« (Breve vom 21. März 1816; Text bei L ongner , Beiträge (wie Anm. 26) 622; Hervorhebung nicht im Original). 57 So u.a. fälschlicherweise auch R einhardt , Neue Quellen (wie Anm. 55) 122, Anm. 21. <?page no="326"?> 294 Erläuterungen sorgtheit bereits in einem früheren Schreiben zum Ausdruck gebracht 58 . Daran anknüpfend, präzisiert der Papst: Seine Sorge gelte der Sinnesart und der Lehre vor allem jener Ellwanger Professoren, die ja doch wegen ihrer öffentlich verbreiteten Irrtümer in ganz Deutschland verschrieen seien. Er solle gegen sie einschreiten und dazu die Hilfe des Königs in Anspruch nehmen, weil diese Leute ebenso Feinde der königlichen Gewalt wie der Kirche seien 59 . Die Namen der Übeltäter werden aber nicht genannt, auch Schriften oder Themen werden nicht angeführt. Der Papst beschränkt sich in seiner Präzisierung auf die anonymisierte Feststellung, die Sinnesart und die Lehre von Professoren »vor allem in Ellwangen« seien anstößig. In der Fachliteratur wird dieses Verdikt häufig (allein) auf D rey und seine Beichtschrift bezogen, doch der Text als solcher gibt das nicht her. Es ist deshalb festzuhalten, daß D rey und seine dissertatio von 1815 in diesem Breve (das in der Causa D rey überhaupt das wichtigste und deutlichste war) keineswegs verurteilt, ja nicht einmal beim Namen genannt wurden. γ . Der Brief Consalvis vom 27. März 1817 an Keller In einem auf den 27. März 1817 datierten und an Provikar K eller adressierten Brief 60 , der offensichtlich als Erläuterungsschreiben zum Breve vom 58 Damit dürfte das oben in Anm. 56 angeführte Breve vom 21. März 1816 und die dort ausgesprochene allgemeine Ermahnung gemeint sein. 59 »Adjungimus exhortationes Nostras, ut commissa Tibi administratione sancte fungaris, sanamque praesertim catholicae Ecclesiae doctrinam tuearis, qua de re magna sumus in sollicitudine ut jam tibi prioribus nostris litteris significavimus. Non ignoramus enim cujusnam ingenii et doctrinae inter professores praesertim Elvangi homines adnumerentur, qui nempe ob errores suos publice disseminatos tota late Germania diffamati sunt. Exspectamus quidem hac super re a te aliquid: frustra tamen ad hanc usque diem exspectantes conscientiaque Nostra minime permittente, ut in tantis animarum periculis taceamus, monemus iterum Fraternitatem tuam, ut implorato etiam praesidio Majestatis suae, cujus potestati non minus quam Ecclesiae, hujusmodi homines infensi censendi sunt, opportunum gravissimo huic malo remedium afferatur.« (Vollständiger Text des Breves bei L ongner , Beiträge (wie Anm. 26) 624-627, hier 626; Hervorhebungen nicht im Original). 60 Der Brief ist in seiner lateinischen Originalfassung bisher nicht bekannt geworden. Eine deutsche Version befindet sich in den Akten des württembergischen Kultministeriums, Konkordat I-VI, 1807 - 1818 (H agen , Geschichte 1 (wie Anm. 36) 207), die einschlägigen Auszüge sind in deutscher Übersetzung veröffentlicht bei M iller , Professor Dr. Johann Sebastian Drey (wie Anm. 18) 367 ff, Anm. 1. Aus ihnen wird nachfolgend zitiert. - Um die von C onsalvi gegen D rey , W erkmeister und M ets vorgebrachten Beanstandungen angemessen gewichten zu können, ist zu beachten, daß die Auszüge M illers nur jenen Teil des Briefes wiedergeben, in dem C onsalvi sich mit diesen Personen befaßte. Der Brief selbst ist aber wesentlich umfangreicher. M iller teilt nicht mit, was in den von ihm nicht veröffentlichten Teilen des Briefes steht und welche Mißstände C onsalvi darin ggf. anprangerte. Da das Breve vom 26. März drei Seiten lang war und in ihm nur der letzte Absatz den Ellwanger Professoren galt, könnten für das Erläuterungsschreiben vom 27. März ähnliche Proportionen gelten. Wenn das nicht beachtet wird, entsteht der Eindruck, daß der Brandbrief C onsalvis nur gegen D rey , W erkmeister und M ets gerichtet war. - K eller hatte nach seiner Ernennung zum Provikar und Koadjutor H ohenlohes diesen praktisch vollständig aus den Amtsgeschäften des Generalvikariats verdrängt, was im übereinstimmenden Interesse Stuttgarts und Roms lag. Der Brief C onsalvis war deshalb an Provikar K eller gerichtet. <?page no="327"?> 295 Die Beichtschrift (1815) 26. März gedacht war, präzisiert Kardinalstaatssekretär C onsalvi die Übel, welche die katholische Religion zur Entrüstung des Papstes im Königreich erleide. Namentlich hervorgehoben werden hier nun D rey , W erkmeister 61 und M ets , mit D rey als Autor der Beichtschrift an erster Stelle. Der Papst habe schon seit dem verflossenen Jahr einigen Wink gegeben von der Verderbtheit, »welche man sehr wohl erkennt in der Lehrart an der Universität Ellwangen, an welcher unter anderm der Professor Drey sich beigehen ließ, verschiedene Irrtümer gegen die Ohrenbeicht vorzubringen, und an welcher auch andere Professoren 62 in ihrem respektiven Wirkungskreise irrige Lehren äußern. Sie werden mit mir übereinstimmen, daß das Vikariat von Ellwangen diesen Irrtümern sich hätte widersetzen und das gegebene Ärgernis durch öffentlichen Widerruf hätte gutmachen, auch dabei den geistlichen Jünglingen verbieten sollen, solche gar nicht orthodoxe Schulen zu frequentieren« 63 . In diesem Passus des Briefes C onsalvis gipfelte das Vorgehen Roms gegen D rey und die Beichtschrift überhaupt, soweit es in der Form eines amtlichen Schriftstücks die Mauern des Vatikans verlassen hat 64 , und abgesehen von einem bedeutungslos gebliebenen Nachspiel 65 ist es dabei geblieben. Von einer Verurteilung D reys kann auch hier nicht die Rede sein. Es handelt sich um eine Beanstandung von seiten des Kardinalstaatssekretärs, die verwaltungsintern in der Form eines Briefes übermittelt wurde, der nie amtlich veröffentlicht wurde. Von seinem Inhalt weiß die Forschung erst seit seiner auszugsweisen Wiedergabe durch M iller im Jahr 1933. Wenn in der kirchenpolitischen Publizistik (und später auch in der Fachliteratur) eine kirchenamtliche römische Verurteilung oder Beanstandung D reys kolportiert wurden, so konnte 61 Noch im selben Jahr 1817 wurde das Publikationsorgan W erkmeisters , die Jahrschrift für Theologie und Kirchenrecht der Katholiken (zu ihr siehe Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 38) durch Dekret der Indexkongregation vom 30. September 1817 auf den römischen Index gesetzt (vgl. R eusch , Der Index (wie Anm. 23) 1082; J oseph H ilgers , Der Index der verbotenen Bücher in seiner neuen Fassung dargelegt und rechtlich-historisch gewürdigt. Freiburg i.Br. 1904, 456). 1823 kam D reys Kollege J ohann B aptist H irscher mit seiner Schrift Missae genuinam notionem eruere eiusque celebrandae rectam methodum monstrare tentavit. Accedunt duae formulae missales lingua vernacula exaratae (Tubingae 1821) auf den Index (H ilgers 458; R eusch 1112 ff). 62 Wie bereits erwähnt (siehe oben bei und in Anm. 53) können nur D reys Kollegen W achter und eventuell auch schon G ratz gemeint sein, gegen die in Rom gleichfalls ermittelt wurde (siehe unten in Ziff. II.4.c). Gegen M ets (der in Ellwangen keine Professur innehatte) und gegen den Geistlichen Rat in Stuttgart (mit W erkmeister an erster Stelle) werden in diesem Brief (unter Nennung ihrer Namen) aber die gravierendsten Vorwürfe formuliert. 63 Text nach M iller , Professor Dr. Johann Sebastian Drey (wie Anm. 18) 368. 64 Zu den vatikaninternen Vorgängen siehe unten Ziff. II.4.c. 65 Drei Jahre später, in einem Schreiben vom 16. Februar 1820, kam C onsalvi nämlich auf seine Vorwürfe gegen die Ellwanger Professoren (die zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr in Ellwangen weilten, sondern bereits 1817 an die Universität Tübingen umgezogen waren) zurück. In diesem Schreiben suchte C onsalvi die inzwischen recht alt gewordenen Beanstandungen gegen D rey (und nun auch gegen G ratz ) mit Stellen aus ihren Schriften zu belegen. Der König verfügte, auf dieses Schreiben nicht mehr zu reagieren (siehe H agen , Geschichte 1 (wie Anm. 36) 209 f). <?page no="328"?> 296 Erläuterungen das bis 1933 infolgedessen nur auf Gerüchten beruhen 66 , in denen zudem die Beanstandung zu einer Verurteilung hochgetrimmt wurde. Man muß ferner beachten, daß die Hauptstoßrichtung der päpstlichen Verlautbarungen und auch des Briefes C onsalvis nicht D rey galt, sondern den mißliebigen Zuständen im Königreich Württemberg, für die D rey und seine Beichtschrift als Fallbeispiel besonders herhalten mußten. δ . Die Antwort Kellers vom 19. Juni 1817 Die Reaktion des Generalvikars auf den Brief C onsalvis ließ auf sich warten, sie erfolgte erst am 19. Juni 1817 67 . Die Verzögerung erklärt sich daraus, daß K eller für das Antwortschreiben die Weisungen der Staatsregierung einzuholen hatte, ja daß er ihr den Entwurf seines Briefes auch noch zur Korrektur vorlegen mußte. Die Regierung verlangte von K eller , die Beschuldigungen zurückzuweisen und zu widerlegen 68 . In dem Brief werden die Verdienste des Königs um die katholische Sache in Württemberg hervorgehoben, der König selbst wache stets auf die Rechtgläubigkeit des Lehrpersonals. Bezüglich der Anschuldigungen wird vorgebracht, daß sie auf böswilligen Denunziationen beruhen; sie rührten von Menschen her, die im Dunklen operieren und sich ein besonderes Geschäft daraus machten, das Mißtrauen des apostolischen Stuhles zum Schaden der Religion nicht allein gegen die Regierung, sondern auch gegen die Vorsteher der Kirche, die Bischöfe und ihre Räte, zu erregen. 66 Nicht anders verhält es sich mit der Behauptung, der Heilige Stuhl habe verlangt, dem Autor der Beichtschrift die Lehrbefugnis zu entziehen. Der einschlägige Passus im oben angeführten Brief C onsalvis vom 27. März 1817 an K eller lautet: Das Vikariat Ellwangen hätte [! ] den Studenten verbieten sollen, »solche gar nicht orthodoxe Schulen [! ] zu frequentieren«. Das ist etwas ganz anderes. Es ist grammatikalisch gesehen außerdem ein Irrealis der Vergangenheit, mit dem in erster Linie die Palette der Vorwürfe gegen Hohenlohe angereichert werden sollte, wohl wissend, daß dieser in der Verbotsfrage ohnehin nichts hätte ausrichten können. Ein die damalige Gegenwart betreffender oder in die Zukunft weisender Imperativ ist daraus jedenfalls nicht abzuleiten. - Hinter der Bemerkung C onsalvis stand ein vatikaninternes Votum des mit der Bearbeitung der Causa D rey betrauten Kurialbeamten R affaele M azio , in welchem vorgeschlagen worden war, der Kardinalstaatssekretär solle verlangen, D rey zum Glaubensbekenntnis zu zwingen und ihm die Lehrbefugnis zu entziehen (Genaueres dazu unten in Ziff. II.4.c). Das Ansinnen M azios hat in dem Brief C onsalvis die besagte Abmilderung erfahren. Diese Umstände mißachtend, haben übrigens die Hermesianer später behauptet, C onsalvi habe in Stuttgart tatsächlich ein Vorlesungsverbot für D rey verlangt (siehe W olff , Peter Alois Gratz (wie Anm. 1) 190 f; 285 f; vgl. dazu auch W olf , Drey auf dem Index? (wie Anm. 44) 98-100). 67 Das Antwortschreiben K ellers , von dem die Forschung erst seit 1928 Näheres weiß, befindet sich im Arch. Vat. Segret. di Stato Nr. 255 (1814-1819) f 275 (siehe E mil G öller , Die Vorgeschichte der Bulle »Provida sollersque«, in: FDA NF 28 (1927) 143-216; FDA NF 29 (1928) 436-613, hier 452-453; dazu auch H agen , Geschichte 1 (wie Anm. 36) 208, wo auf Württ. Kultm., Generalvikariat Ellwangen Nr. 27, verwiesen wird, und R einhardt , Neue Quellen (wie Anm. 55) 122 mit Hinweis auf BOA Rttbg. Altreg. A 3.1). Die nachfolgende Darstellung stützt sich im wesentlichen auf das Referat G öllers , der auf Seite 452 (Anm.) vermerkt: »Der Wortlaut des Briefes soll an anderer Stelle veröffentlicht werden«. 68 Vgl. M iller , Professor Dr. Johann Sebastian Drey (wie Anm. 18) 369; [L ongner ], Johann Baptist von Keller (wie Anm. 54) 16. <?page no="329"?> 297 Die Beichtschrift (1815) K eller spricht hier zweifellos auch aus eigener Erfahrung. Zu D rey wird bemerkt, er habe in seiner Schrift über die Ohrenbeicht die Materie wissenschaftlich bearbeitet und am Schluß zum Beweis seiner Rechtgläubigkeit »Theses secundum canones Concilii Tridentini« angefügt (K eller kannte offensichtlich die diesbezügliche Passage in der dissertatio D reys nicht aus eigener Lektüre). Im übrigen hätten der Generalvikar und er den Professoren nun aufs Neue eindringlich empfohlen, auf die Korrektheit ihrer Lehre und ihres Unterrichts sorgfältigst zu achten. C onsalvi war mit dem Brief K ellers zwar nicht zufrieden, ließ aber vorerst Ruhe einkehren. Erst nach einer dreijährigen Pause kam er, wie bereits erwähnt 69 , noch einmal darauf zurück, doch die Angelegenheit war inzwischen so verstaubt, daß seine Reprise in Stuttgart unbeachtet blieb. c. Zum vatikaninternen Verfahren gegen die Beichtschrift Parallel zu den nach außen gehenden Verlautbarungen des apostolischen Stuhls bezüglich der Sinnesart und Lehre »gewisser Ellwanger Professoren« gab es vatikaninterne, geheime Verwaltungsvorgänge gegen D rey und Kollegen, von denen man seit der Öffnung der Archive Genaueres weiß 70 . So wurden gegen die gezielt von Pfarrer C hristoph M ayer beim Papst zur Anzeige gebrachte Beichtschrift D reys alsbald Ermittlungen aufgenommen. Mit der Auswertung der Anzeige war zunächst Abbe´ P aul D umont , von dem oben bei der Nennung der Denunzianten bereits die Rede war, als Deutschlandexperte beauftragt. Dieser übergab am 19. März 1817 seine Stellungnahme 71 an den Sekretär der deutschen Partikularkongregation R affaele M azio 69 Siehe oben Anm. 65 sowie unten in Ziff. II.4.c. 70 Vgl. dazu vor allem die oben in Anm. 44 angeführten Untersuchungen. 71 D umont beschränkte sich in seiner Stellungnahme auf eine Erörterung der sechs »Theses«, in denen D rey die Ergebnisse seiner dissertatio zusammengefaßt hatte (von D rey dort nicht als theses, sondern als positiones bezeichnet; die dissertatio selbst scheint D umont nicht im einzelnen studiert zu haben). Diese »Theses« stünden im Widerspruch zur katholischen Lehre und zum Konzil von Trient und seien den von W ycliff , C alvin , P ietro d ’O sma , D aille´ und E ybel vertretenen Irrlehren sehr ähnlich. Nach der von W olf wiedergegebenen Fassung der Ausführungen D umonts lautet dessen Stellungnahme zu den sechs »Theses« D reys wie folgt: »In der 1. These sagt der Professor, daß in der Hl. Schrift wenig Klares und Eindeutiges zum Ursprung der Beichte steht. Und doch hat die Kirche immer geglaubt und gelehrt, daß die Beichte ihren Ursprung in göttlicher Einsetzung hat (nella istituzione divina) und auf der Hl. Schrift gründet, insbesondere auf Mt 18,18 und Joh 20,22. Und dieser Ursprung ist erfolgreich von allen Theologen bewiesen worden, besonders vom hochgebildeten Benediktiner Dionysius von S. Marthe, durch den sich alle Haarspaltereien und Spitzfindigkeiten des so gefährlichen Werkes von Daille´ in nichts aufgelöst haben. In der 2. These führt der Verfasser die Beichte auf die öffentliche Buße zurück, obwohl er das genaue Gegenteil sagen sollte. Doch der Verfasser will wie die Protestanten den Eindruck erwecken, daß die Notwendigkeit der Beichte nicht auf göttlichem Gesetz beruht; zu diesem Zweck führt er sie auf die öffentliche Buße zurück. Denn da diese nach dem Konzil von Trient, Sessio 14, De Sacramento poenitentiae, nicht auf göttlichem Gesetz beruht, wäre die Beichte, die nach Ansicht des Autors auf sie zurückzuführen ist, auch nicht im göttlichen Gesetz begründet. <?page no="330"?> 298 Erläuterungen (1765-1832) 72 , der in dieser Sache der Adjunkt C onsalvis war und als solcher die Auffassung D umonts sich zu eigen machte. Das Breve P ius ’ VII. vom 26. März 1817 und der Brief C onsalvis vom 27. März 1817 sind daraus hervorgegangen; sie nehmen sich vor diesem Hintergrund vergleichsweise moderat aus. Da indessen die Beschwichtigungen, die K eller in seinem Antwortschreiben vom 19. Juni 1817 vorgebracht hatte, von ihnen als unbefriedigend taxiert wurden, faßte man ein schärferes Vorgehen ins Auge. Im Hinblick darauf verfertigte M azio ein internes Statement zu Händen des Kardinals 73 Ich übergehe die 3. These, obwohl der Verfasser hier behauptet, daß die öffentlichen und die geheimen Sünden gleichermaßen der öffentlichen Buße unterworfen waren, was die meisten Gelehrten anders sehen. Die 4. These wird vom VI. Kanon des Konzils von Trient ausdrücklich verurteilt. 1. weil der Autor zu verstehen zu geben scheint, daß die Beichte von der Kirche nicht immer für notwendig gehalten wurde. 2. weil er den Eindruck erwecken will, daß sie nicht auf der Grundlage göttlichen Gesetzes vorgeschrieben wird (non e` di diritto divino prescritta). Man beachte auch die Formulierung ubi auctoritas Ecclesiae divina haberi coepit, womit der listige Professor sich den Weg für seine Lehre / Behauptung ebnet, daß die Autorität der Kirche in der ersten Zeit nicht so wie später gesehen wurde (guardato dallo stesso occhio). Die 5. These läßt mich daran zweifeln, daß der Verfasser an die Macht der Priester zu binden und zu lösen glaubt: ipsam peccatorum remissionem Deo passim reservabant. Mit diesen Worten kommt der Verfasser der Thesen [tesista] aus Ellwangen dem im IX. Kanon des Konzils von Trient, De Sacramento poenitentiae, verurteilten Irrtum nahe. Da die 6. These trotz einiger Ungenauigkeiten zum größten Teil auf historischer Wahrheit beruht, verdient sie keine besondere Aufmerksamkeit. Es ist nicht abzustreiten, daß die These, von der wir sprechen, zumindest indirekt eine der Grundlagen des Katholischen Glaubens angreift, auf dessen Erhaltung der Hl. Stuhl immer sehr bedacht war. Deshalb hat, als der berüchtigte Eybel die Irrtümer der Häretiker in bezug auf die Ohrenbeichte übernahm/ wieder aufkommen ließ, Pius VI. es nicht versäumt, die häretische Schrift des deutschen Neuerers zu verurteilen; und das Verbot dieses skandalösen Büchleins ist so streng, daß es, wenn eine Erlaubnis zum Lesen der verbotenen Bücher erteilt wird, davon ausgenommen wird. Ich bin also der Meinung, daß die Thesen auch verurteilt werden sollen. Aber bevor dies geschieht, muß man sich ein gedrucktes Exemplar [! ] der besagten Thesen beschaffen. Diese können dann einer neuen und strengeren Prüfung unterzogen werden. Wenn es der Hl. Vater für angemessen hält, kann ich einem Freund schreiben, damit dieser ein Exemplar der erwähnten Thesen zu beschaffen versucht. Wenn diese dann vorliegen, müssen dem königlichen Gesandten Vorhaltungen wegen der Konzeption des Unterrichts [concezione dell’insegnamento] und dem Generalvikar schwere Vorwürfe wegen der Nachlässigkeit gemacht werden, mit der er die Äußerung solcher Irrtümer duldet. Der Professor muß zum Glaubensbekenntnis gezwungen und ihm muß die Lehrbefugnis entzogen werden, wozu man den König ohne Weiteres wird bewegen können.« (Siehe W olf , Angezeigt (wie Anm. 44) 317 f). 72 Zu ihm B urkard , Staatskirche (wie Anm. 41) 323 f. 73 Das Schriftstück findet sich im ASV, Carte Mazio, Nr. 13. Es ist undatiert, muß aber nach dem 19. Juni 1817 verfaßt sein. Es wird von W olf , Angezeigt (wie Anm. 44) 320, in deutscher Übersetzung wie folgt wiedergegeben: »Ich bin in keiner Weise mit den Briefen der zwei Bischöfe zufrieden, und ich finde ihre Entschuldigungen nicht überzeugend. Die ihnen gemachten Vorwürfe können in vier Punkten zusammengefaßt werden: 1. Der Bischof von Tempe hat auf Anfrage des Königs die Verwaltung der Teile der Diözesen Konstanz, Worms und Speyer übernommen, ohne dazu die Genehmigung des Hl. Stuhls erhalten zu haben. 2. Die Lehre an der Universität Ellwangen. <?page no="331"?> 299 Die Beichtschrift (1815) sowie den Entwurf eines neuen Schreibens an K eller , indem es heißt: »Was Professor Drey betrifft, so sagt Ihr, dieser habe erklärt, zum Beweis der Rechtgläubigkeit seiner Schrift über die Ohrenbeichte den Regeln des Konzils von Trient entsprechende Thesen beigefügt zu haben. Aber was hilft das, wenn seine eigenen Thesen in völligem Gegensatz zu diesem Konzil stehen und offensichtlich falsch sind? Diese im September 1815 in Ellwangen vertretenen Thesen befinden [sich] in den Händen des Hl. Vaters, und Seine Heiligkeit hat erkannt, daß sie im Gegensatz zur katholischen Lehre stehen und der Irrlehre Wycliffs, Calvins, Pietro d’Osmas, Daille´s und des berüchtigten Eibel [sic], welcher von Pius VI. seligen Angedenkens verurteilt wurde, sehr ähnlich sind.« M azio übernimmt danach die Beurteilung der sechs »Theses« aus der Feder D umonts und fährt fort 74 : »Außer den Dingen, die in der erwähnten These Professor Dreys der kirchlichen Lehre von der Ohrenbeichte widersprechen, findet man dort auch verschiedene andere Grundsätze, die im Gegensatz zum offenbarten Glauben stehen. Als einfaches Beispiel soll der folgende genügen, der auf S. 1 der Thesen zu finden ist: ›Ea est religionum omnium, et illarum praeprimis, quas a peculiari sua institutione positivas dicimus, indoles atque natura; ut non obstante sanctione divina, [...] temporum decursu multis modis immutari debeant.‹ Wie Ihr seht, wird in dieser Aussage angenommen, daß die Glaubensdinge Veränderungen unterliegen können, ja müssen, und damit niemand glaubt, daß in diesem Abschnitt der Disziplin zu unterwerfende [appartenenti a disciplina] Dinge gesagt werden, äußert er im nächsten Abschnitt der These folgende Überlegung: ›Immutatur praeprimis basis ipsa vel potius summa horum institutorum, doctrina scilicet, 3. Verschiedene gefährliche Neuerungen und skandalöse Mißstände. 4. Der berüchtigte Werckmeister [sic], Feind der katholischen Religion, und der Stuttgarter Kirchenrat [...]. Als Antwort auf den bezüglich der Lehre gemachten Vorwurf sagt der Bischof von Tempe, daß er von seinen Professoren den Glaubensschwur verlangt hat, daß er mit seinen Beratern [consiglieri] an den öffentlichen Prüfungen teilnimmt und dabei nie etwas im Gegensatz zur Glaubenslehre Stehendes entdeckt hat, daß er den Professoren nochmals eingeschärft hat, sich jeder Neuerung zu enthalten, und daß er ihnen den sie betreffenden Paragraph des päpstlichen Breves vorgelesen hat. Diese Entschuldigungen reichen nicht. wir haben die Beweise für die irrgläubige Lehre an der Universität Ellwangen in Händen. Habt die Güte, die Abhandlung von Professor Drey, die ich Euch vor circa einem Jahr überließ, nochmals zu prüfen, in dieser Abhandlung finden sich nicht nur Dinge gegen die Ohrenbeichte, sondern auch andere im Widerspruch zur offenbarten Religion stehende Grundsätze. [...] Man darf sich nicht wundern, wenn Keller versucht, die irrgläubige Ellwanger Universität zu entschuldigen, denn sie hat ihm und seinem treuen Freund Werkmeister ein Doktordiplom verliehen.« 74 Das Schreiben befindet sich im ASV, Carte Mazio Nr. 12. Die Auszüge in deutscher Übersetzung sind gleichfalls aus W olf , Angezeigt (wie Anm. 44) 319 f, übernommen. W olf zufolge wurde es nie abgeschickt, es dürfte aber in den oben in Anm. 65 erwähnten Brief C onsalvis an K eller eingeflossen sein (die Abfolge der Ereignisse ist bei W olf teilweise undurchsichtig und inkonsistent dargestellt; Klärungen wurden oben soweit möglich stillschweigend vorgenommen). <?page no="332"?> 300 Erläuterungen quatenus complexus est quidam veritatum vel idearum, quae unde unde hominibus datae a ratione humana usucapi et possideri incipiunt.‹ An all dem erkennt Ihr, wie schwach die Begründung ist, mit der Ihr diesen Professor zu entschuldigen glaubtet. Seid überzeugt, daß es nicht obskure Denunziationen oder Verleumdungen verärgerter und boshafter Menschen sind, durch welche, wie Ihr anzunehmen scheint, gegen die Lehren dieses Professors ungerechtfertigterweise Anklage erhoben wurde; es handelt sich vielmehr um eifrige Katholiken, denen, wie es sein muß, die Reinheit der Lehre am Herzen liegt, und der Hl. Vater hat sichere und echte Beweise für die schlechte Lehre in der Hand. Meine bisherigen Äußerungen müssen Euch davon überzeugen, daß ich Euch nicht zu Unrecht in meinem letzten Brief über die Beschwerden Seiner Heiligkeit bezüglich der Lehre einiger Ellwanger Professoren in Kenntnis gesetzt habe, und die gegen Professor Drey vorgebrachten Beweise werden Euch versichern, daß Seine Heiligkeit auch über das Unrecht einiger anderer informiert ist« 75 . Daß man im Vatikan die Angelegenheit mit vertiefter Gründlichkeit weiter verfolgen wollte, geht daraus hervor, daß M azio auf Anordnung C onsalvis die dissertatio D reys (zusammen mit derjenigen W achters ) mit Schreiben vom 23. Juni 1817 an den Kommissar der Inquisition A ngelo M aria M e renda (1755-1820) mit der Bitte um gründliche Überprüfung und Votierung übersandte 76 . Dieser scheint zu dem Ergebnis gekommen zu sein, daß es besser ist, die Causa D rey nicht weiter voranzutreiben. Vielleicht hat er sogar die Bösartigkeit und Oberflächlichkeit der Vorgänge erkannt. Jedenfalls versandete das Verfahren gegen D rey und W achter 77 nun lautlos - abgesehen 75 Die beiden lateinischen Zitate sind dem § 1 der dissertatio entnommen (im Original S. 1, die Originalpaginierung ist dem unten edierten Text am Rand beigegeben). Anders, als im Schreiben M azios behauptet wird, handelt es sich um die beiden ersten, unmittelbar aufeinanderfolgenden Sätze, mit denen D rey seine Abhandlung eröffnete; sie stehen mit den eigentlich inkriminierten sechs »Theses«, die D rey am Ende der dissertatio in der Form von positiones angefügt hatte, in keinem direkten Zusammenhang. Die beiden Zitate wollen den Eindruck erwecken, der Referent habe den Text der dissertatio gelesen, wobei er über die ersten Sätze nicht hinausgekommen und bis zu den sechs Theses, um die es eigentlich ging, gar nicht vorgedrungen zu sein scheint. 76 Vgl. W olf , Angezeigt (wie Anm. 44) 313; ders ., Index (wie Anm. 44) 88. 77 Bei den Nachforschungen W olfs zur Causa D rey hat sich herausgestellt bzw. bestätigt, daß an der Kurie gleichzeitig mit dem Verfahren gegen D rey auch eines gegen W achter eingeleitet wurde, das dessen Ellwanger Disputationsschrift von 1813 (W achter , Theses ex jure ecclesiastico; siehe oben in Ziff. II.1.b. α ) zum Gegenstand hatte. Zu ihr existiert ein 40 handschriftliche Seiten umfassendes Gutachten aus der Feder des Dominikaners M aurizio B enedetto O livieri (1769-1845), dem Primus Socius des Hl. Offiziums zu dieser Zeit, in welchem die Zensurierung der Schrift W achters »tanquam continentem propositiones respective falsas, male sonantes, Episcopis, concilii, Romanis Ponteficibus injuriosus, Ecclesiae et praecipue Sanctae sedis jurium laesivas, Ecclesiastici Regiminis eversivas, erroneas, alias damnatas, in Schisma, et haeresim inducentes, haereticas« vorgeschlagen wird (Archiv der Glaubenskongregation, Sanctum Officium, Censura librorum 1816/ 17 Nr. 13; vgl. W olf , Angezeigt (wie Anm. 44) 312). Der Zensurierungsvorschlag fiel also wesentlich härter aus als der gegen D rey . - Damit endete auch dieses Verfahren, zu einer Indizierung W achters kam <?page no="333"?> 301 Die Beichtschrift (1815) von dem oben 78 erwähnten Nachhaken C onsalvis am 16. Februar 1820. Zu einer Zensurierung D reys oder einer Indizierung der Beichtschrift kam es jedenfalls auch in den vatikaninternen Vorgängen nicht einmal annähernd. Es gab dort nach dem gegenwärtig bekannten Stand der Aktenlage nicht einmal eine Beschlußvorlage der Konsultoren, geschweige denn den Entwurf eines Verbotsdekrets in der Indexkongregation. d. Ist Drey wegen der Beichtschrift nicht Bischof geworden? J ohann S ebastian D rey wurde durch Königliches Dekret vom 13. August 1822 zum ersten Bischof der Diözese Rottenburg designiert. Der Papst verweigerte die Zustimmung, aber die Staatsregierung hielt an der Designation fest und machte sie danach noch dreimal geltend (1823, 1824, 1826), bis sie 1827 definitiv davon Abstand nahm. Es stellt sich die Frage, welche Rolle die BS am Scheitern der Bischofskandidatur spielte. H efele bemerkte im Nekrolog auf D rey , seine Kandidatur zum ersten Bischof von Rottenburg sei »zum Theil« deshalb gescheitert, »weil das oben erwähnte Schriftchen [die BS] zu seinen Ungunsten wieder in Erinnerung gebracht wurde« 79 . Wo, wie und von wem das Schriftchen »wieder in Erinnerung« gebracht wurde, teilte H efele wie bereits erwähnt nicht mit. Er dürfte an die Diskussionen und Agitationen gedacht haben, die in Süddeutschland bei der Erstellung der Kandidatenlisten stattfanden, wie er sie noch persönlich miterlebt hatte, und wohl auch an die damit einhergehenden Denunziationen in Rom. Der Bemerkung H efeles ist auch nicht zu entnehmen, wie hoch er den Anteil einschätzte, den die Erinnerung an die BS bei der Verhinderung D reys gehabt haben mochte. Seit H efele wird in der Fachliteratur die Rolle der BS häufig sehr hoch eingeschätzt, teilweise gilt sie als einziger Grund. Diesen Fehlurteilen muß hier auf Grund der Aktenlage entgegengetreten werden 80 . es nicht. Zum Ganzen siehe W olf , Angezeigt (wie Anm. 44) 312-314. - Bei H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität (wie Anm. 1) 44, findet sich eine umfangreiche (und arglose) Zusammenfassung des Inhalts der Schrift W achters . 78 Siehe Anm. 65. 79 H efele , Nekrolog (wie Anm. 37) 347. - H efeles Schüler G ams nahm es mit den historischen Abläufen noch weniger genau und erzählte seiner breiten Leserschaft, D reys »Ernennung zum Bischofe« sei wegen der BS »rückgängig« gemacht worden (P ius B onifacius G ams , Johann Adam Möhler. Ein Lebensbild von Balthasar Wörner. Mit Briefen und kleinern Schriften Möhler’s herausgegeben von Pius Bonifacius Gams O.S.B. Regensburg 1866, 123; zu den von G ams ausgesäten Gerüchten siehe auch unten Anm. 97 sowie Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 83). 80 Zu den einschlägigen Aktenstücken siehe M iller , Professor Dr. Johann Sebastian Drey (wie Anm. 18) 364 ff. Die nachfolgende Rekonstruktion der Vorgänge stützt sich auf die von M iller erschlossenen Dokumente. Zum Ganzen vgl. auch B urkard , Staatskirche (wie Anm. 41) 555-584, sowie R aimund L achner , Das ekklesiologische Denken Johann Sebastian Dreys. Ein Beitrag zur Theologiegeschichte des 19. Jahrhunderts. Frankfurt a.M. 1986. L achner befaßt sich hier eingehend und eigenständig mit den Fragen um die Bischofskandidatur D reys (27-36). Leider bin ich auf diese Seiten erst nach der Fertigstellung meines Manuskripts gestoßen. Umso erfreuter konnte ich eine weitgehende Übereinstimmung mit meiner Darstellung und Würdigung der Sache feststellen. <?page no="334"?> 302 Erläuterungen In dem Verfahren, das zur Kandidatur und zur Designation D reys führte, wird die BS als mögliches Hindernis erstmals in einem Brief des Rottenburger Generalvikariatsrats J aumann 81 vom 23. Januar 1822 an Staatsrat S chmidlin 82 , in dessen Händen die Vorbereitung der Kandidatenliste bei der Regierung lag, angetönt. In dem Brief verwendet J aumann sich für D rey , nachdem man die Chancenlosigkeit W essenbergs in Stuttgart eingesehen hatte. Das einzige Hindernis, an dem die Kandidatur scheitern könnte, sei eine mögliche »Selbstresignation« D reys , zu der D rey angesichts seiner Schwierigkeiten mit Rom neige. Doch »die levis macula, die er als Professor auf der Universität in Rom haben möchte, wäre leicht zu heben« 83 . In der Sicht J aumanns , der als engster Freund D reys dessen Einstellung und Gemütsverfassung genau kannte, würde eine Bischofskandidatur D reys somit allenfalls an dessen Selbstverzicht scheitern und nicht etwa an einer römischen Exklusive. Da J aumann diese Einschätzung dem in der Regierung für die Bischofsfrage zuständigen Staatsrat S chmidlin schriftlich zu wissen gab, kommt ihr für die Gewichtung möglicher Hindernisse große Bedeutung zu: Nicht an Rom, sondern an D rey wird es vorerst liegen, ob der Plan der Regierung sich realisieren ließe. Im weiteren Verlauf der Angelegenheit bestätigte sich die Richtigkeit der Einschätzung J aumanns . S chmidlin , dem - wie der Regierung überhaupt - die römischen Beanstandungen der Ellwanger Professoren bekannt waren, suchte D rey in »drei ausführliche[n] Unterredungen«, die anfangs August 1822 in Stuttgart stattfanden, zur Annahme der Kandidatur zu bewegen. D rey sträubte sich; er glaubte, wie S chmidlin berichtet, die Kandidatur »um deswillen ablehnen zu müssen, weil er bei seiner dem römischen Hofe wohlbekannten Denkungsart [! ] befürchten müsse, die päpstliche Bestätigung nicht zu erhalten und durch diese Nichtbestätigung in der öffentlichen Meinung und in seiner Wirksamkeit als Lehrer gefährdet zu werden 84 . Jene Besorgnis gründete er einesteils auf die schon öfter geäußerte 81 Zu I gnaz J aumann siehe Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 93. 82 C hristoph F riedrich von S chmidlin (1780-1830) war 1818 als Oberregierungsrat nach Stuttgart gekommen, seit 1821 Mitglied im Geheimen Rat, dann Staatsrat und provisorischer Vorstand des mit der Bischofsfrage befaßten Departements, 1827 Minister. - Lit.: ADB 54 (1908) 86-89 (J ulius H artmann ). 83 Text des Briefes bei M iller , a.a.O. 366 f, hier 367. Dazu M iller : »Gemeint ist wohl die Schrift über das Bußwesen in der alten Kirche« (367, Anm. 1). Das ist möglich, aber nicht sicher. Gegen die Tübinger Professoren und ihr wissenschaftliches Organ, die Theologische Quartalschrift, waren gerade um 1822 heftige Agitationen und Denunziationen im Gange (siehe Einleitung zu Text Nr. 7). Doch so oder so, dem Brief J aumanns ist zu entnehmen, daß D rey selbst sich 1822 in Rom geringe Chancen einräumte. 84 Hier wird erkennbar, warum D rey dem Vorhaben der Regierung, ihn zum ersten Bischof von Rottenburg zu designieren, zähen Widerstand entgegensetzte, und weshalb es der »drei ausführliche[n] Unterredungen« bedurfte, um ihn wenigstens zu einer bedingten Zustimmung zu bewegen. Die in der Dreyliteratur verbreitete und neuerdings vermehrt kolportierte Annahme, er habe von sich aus Bischof werden wollen und sei, nachdem dieser Wunsch sich zerschlagen habe, aus Ärger krank geworden, ist unhaltbar. Es handelt sich um eine bösartige <?page no="335"?> 303 Die Beichtschrift (1815) Unzufriedenheit des päpstlichen Stuhls mit der katholisch-theologischen Fakultät zu Tübingen überhaupt, andernteils aber auf die ihm nicht unbekannt gebliebene Verketzerung einer von ihm schon im Jahre 1815 zu Ellwangen herausgegeben[en] akademischen Streitschrift, worin er den biblischen Ursprung der Ohrenbeichte geleugnet habe« 85 . S chmidlin gelang es, D rey insoweit umzustimmen, daß er es dem König anheimgeben wolle, die Designation nach eigenem Gutdünken vorzunehmen. Im Nachgang zu diesen Unterredungen bestätigte D rey in einem Schreiben an den Staatsrat mit Datum vom 11. August 1822 seine bedingte Zustimmung 86 . D rey schreibt, es sei dem Staatsrat ja bekannt, und er habe diesen auch darauf hingewiesen, »daß die römische Kurie mit meinen theologischen Grundsätzen [! ], wie mit denen aller aufgeklärteren Katholiken, sehr unzufrieden ist. Die von dorther wiederholt geschehenen Anregungen gegen mich und die durch neuere Tatsachen ausgesprochene Beharrlichkeit der römischen Kurie auf ihren Grundsätzen geben mir die Überzeugung, daß meine Konfirmation als Landesbischof zu Rom großen Schwierigkeiten unterworfen wäre ...«. Die BS wird hier nicht erwähnt, die Schwierigkeiten mit ihr klingen wohl an, als entscheidend erachtet D rey nur seine theologischen Grundsätze, die aber kein besonderes Proprium seiner Person seien, sondern eine die aufgeklärteren Katholiken allgemein kennzeichnende Angelegenheit. Zwischen diesen Grundsätzen und denen der römischen Kurie bestehe ein unüberwindbarer Gegensatz. D rey subsumiert die BS und deren Schwierigkeiten somit unter den höherrangig anzusetzenden überindividuellen Grundsätzen. Was ist damit gemeint? Die wissenschaftlichen Grundsätze, aus denen die BS hervorgegangen ist? Oder in einem weiteren Sinn die theologischen Grundsätze, Unterstellung, die erstmals in einem Brief von Pfarrer F ridolin H uber an W essenberg greifbar wird. In dem Brief heißt es: »Prof. Drey ärgert sich zum Krankwerden, daß er nicht Bischof wurde« (Fridolin Huber an Wessenberg, Brief vom 24. Januar 1830, in: W ilhelm S chirmer (Hg.), Aus dem Briefwechsel J. H. von Wessenbergs weil. Verwesers des Bistums Konstanz. Konstanz 1912, 179; zum Kontext dieses Briefes siehe Einleitung zu Text Nr. 1, bei und in Anm. 79; mit Lit.). Dazu L ösch , Prof. Dr. Adam Gengler (wie Anm. 18) 181, Anm. 32: »Zu der Behauptung von Frid. Huber im Brief an v. Wessenberg vom 24. Januar 1831 [gemeint ist 1830] [...], daß Drey diesen Ausgang der Bischofswahl für seine Person als bittere Enttäuschung empfunden habe, lassen sich keine zeitgenössischen Stimmen vernehmen«. Auch dieser Befund spricht gegen H uber , der sich mit seiner üblen Geschwätzigkeit bei W essen berg , dessen Bischofsambitionen zuvor mehrfach an Rom gescheitert waren, mit der über D rey , den Konkurrenten, ausgegossenen Häme einschmeicheln und Öl in die Wunden seines hohen Korrespondenzfreundes gießen wollte. Mit Sicherheit ist anzunehmen, daß D rey das von 1822 bis 1827 andauernde Hickhack um seine ihm aufgedrungene und schließlich gescheiterte Bischofskandidatur als rufschädigend im Sinne seiner gegenüber S chmidlin geäußerten Besorgnisse empfunden haben mußte. Wenn schon, dann ärgerte sich D rey höchstens darüber, daß er sich von der Regierung dazu hatte nötigen lassen, in seine Nominierung zur Kandidatur einzuwilligen bzw. eingewilligt zu haben. 85 Bericht S chmidlins an den König vom 11. August 1822 (Text bei M iller , a.a.O. 374 f ). 86 Brief D reys an Staatsrat S chmidlin , eigenhändige Ausfertigung vom 11. August 1822, abgedruckt bei M iller , a.a.O. 399-400. <?page no="336"?> 304 Erläuterungen die für die Denkart und die Richtung der von Rom angeprangerten Ellwanger Professoren, die zur Zeit der Kandidatensuche in Tübingen saßen und dort mit neuen Gründen angefeindet wurden? Die BS wäre dann in den Augen D reys nur noch ein nicht mehr besonders hervorzukehrender Teil des Richtungsproblems. Oder ist das Problem der Grundsätze auf die politische Ebene zu beziehen? Dann würde D rey mit den »aufgeklärteren Katholiken«, denen er sich beizählt, W essenberg , W erkmeister etc. und deren kirchenpolitisch einschlägigen Grundsätze meinen. Die Hauptstoßrichtung im Brief C onsal vis vom 27. März 1817 hatte ja nicht D rey , sondern W erkmeister (und M ets ) und deren staatskirchlicher Einstellung gegolten, und die Portierung W es senbergs war vor allem aus staatskirchenrechtlichen und politischen Gründen am Widerstand Roms gescheitert 87 . Nun sollte nach den Plänen der Regierung einer aus dieser Richtung - D rey - in das Bischofsamt einrücken. Die Ellwanger (und Tübinger) Professoren wurden von der Kurie tatsächlich als der universitäre Flügel der Wessenbergschen und Werkmeisterschen Richtung angesehen. Hinzu kam, daß für die Regierung in Stuttgart als Bischofskandidat nur eine Person in Frage kam, die die Frankfurter Kirchenverfassung 88 anerkannte. Die Designation D reys war erst erfolgt, nachdem dieser schriftlich erklärt hatte, er habe in den ihm vorgelegten »Grundsätzen und Bestimmungen der vereinigten deutschen Fürsten und Staaten über die neuen kirchlichen Verhältnisse und namentlich in der Kirchenpragmatik und dem Fundations-Instrument nichts gefunden«, was seiner Überzeugung zuwider wäre; er nehme »keinen Anstand, die gedachten Staatsgrundsätze als in den Rechten der Staaten begründet und bei liberaler Anwendung der Kirche unnachteilig anzuerkennen« und für die seinigen zu erklären 89 . War diese Erklärung für die Regierung die conditio sine qua non für die Designation D reys , so war gerade sie für Rom der absolute Ausschließungsgrund: »Aufs bestimmteste ließ der Papst erklären, er werde niemand zum Bischof ernennen, der die Kirchenpragmatik anerkannt habe. Damit war auch Professor Drey verworfen« 90 . Hier brachte Rom seine von D rey angesprochenen Grundsätze zur Geltung. In dieser politischen Höhenlage spielte die BS keine nennenswerte Rolle mehr. Zu fragen, welche Rolle die BS für die Kandidatur D reys hätte spielen können, wenn es die Frankfurter Kirchenpragmatik und ihre Aner- 87 Eingehend dazu M ax M iller , Ignaz Heinrich Freiherr von Wessenberg als württembergischer Bischofskandidat im Jahre 1822, in: WVLG 38 (1932) 369-400, bes. 369 ff; 399; ders ., Die Errichtung der Oberrheinischen Kirchenprovinz, im besonderen des Bistums Rottenburg, und die württembergische Regierung, in: HJ 54 (1934) 317-347; K urt A land , W olfgang M üller (Hg.), Ignaz Heinrich von Wessenberg. Unveröffentlichte Manuskripte und Briefe. Band 1.1: Autobiographische Aufzeichnungen. Freiburg 1968. 88 Zur Frankfurter Kirchenverfassung siehe B urkard , Staatskirche (wie Anm. 41) passim; zu ihrer Verwerfung durch Rom ebd. 397 ff. 89 Brief D reys an Staatsrat S chmidlin (wie Anm. 86). 90 M iller , a.a.O. 377. <?page no="337"?> 305 Die Beichtschrift (1815) kennung durch D rey nicht gegeben hätte, wäre reine Spekulation. Es gibt außerdem viele Beispiele dafür, daß die Beanstandung einer Schrift für Rom kein Grund sein muß, ihren Autor bleibend vom Bischofsamt auszuschließen. Nach Auskunft der Akten aber ist die BS für die Kandidatur D reys nicht der Stolperstein gewesen. 5. Zur Rezeptionsgeschichte der Beichtschrift a. Im 19. Jahrhundert Im August 1817 erschien in der Felderschen Litteraturzeitung eine umfangreiche, auf vier Hefte verteilte Rezension zur BS 91 aus der Feder des Dominikaners P ius B runnquell 92 . Mit ihr begann die literarische Rezeptionsgeschichte dieser Schrift. Die Rezension ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Zunächst im Hinblick auf den Zeitpunkt ihres Erscheinens und den chronologischen Kontext. D rey stand seit dem Frühjahr 1817 in amtlichem Feuer aus Rom. Den Auftakt hatte das Breve P ius ’ VII. vom 26. März gebildet, in dessen Visier mit Sicherheit auch D rey stand, ohne direkt beim Namen genannt zu sein (siehe Ziff. II.4.b. β ). In dem dazugehörenden Erläuterungsschreiben C onsalvis vom 27. März 1817 war aber Roß und Reiter nominatim angeführt und D rey mit seiner dissertatio von 1815 massiv beanstandet worden (siehe Ziff. II.4.b. γ ). Mit Datum vom 19. Juni hatte K eller ein Entlastungsschreiben ausgefertigt, mit dem man in Rom jedoch nicht zufrieden war (siehe Ziff. II.4.b. δ ). Da B runnquell die Rezension im Laufe des Monats Juli zu Papier gebracht haben muß, lagen zwischen ihrer Niederschrift und dem Brief K ellers , mit dem Rom sich nicht beruhigt hatte, nur wenige Wochen. Es stellt sich die Frage, ob die Rezension im Hinblick auf diese Vorgänge verfaßt wurde und ob sie als erste, indirekte Reaktion Roms auf den Brief K ellers einzuschätzen ist. Zwar waren die Briefe C onsalvis und K ellers der Öffentlichkeit nicht zugänglich, aber einige merkwürdige 91 Bei der »Felderschen Litteraturzeitung« (so der übliche Kurztitel) handelt es sich um die von F ranz K arl F elder (siehe oben Anm. 41) 1810 begründete und bis zu seinem Tod von ihm herausgegebene und redigierte Litteraturzeitung für katholische Religionslehrer. Die Rezension erschien in Jahrgang 8 (1817), Bd. 3, Heft 62 (5. August) 174-176, Heft 63 (7. August) 177-187, Heft 64 (12. August) 193-202, Heft 65 (14. August) 209-216. Sie ist mit P.B. unterzeichnet und hat ausschließlich die dissertatio D reys zum Gegenstand. 92 P ius B runnquell (1752-1828), 1770 Dominikaner, 1780 Prof. der Philosophie und Theologie an der Ordenshochschule in Bamberg, 1792 letzter Prior des Dominikanerklosters ebd., war eine der Hauptfiguren in den literarischen Auseinandersetzungen mit der Eybelschen Richtung in der Beichtfrage. Er gehörte zum Kreis der süddeutschen Ultramontanen, mit engen Verbindungen zur Felderschen Litteraturzeitung und zu den Nuntiaturen. Dazu: A ugust H agen , Franz Karl Felder (1766-1818) und seine Literaturzeitung für katholische Religionslehrer, in: ThQ 128 (1948) 28-70, 161-200, 324-342, bes. 167; ders ., Die kirchliche Aufklärung (wie Anm. 21) 184. Zu den Autoren der Litteraturzeitung und zu den Verbindungen dieses Personenkreises zu P aul D umont , der sich im römischen Verfahren gegen D rey besonders hervortat, siehe B urka