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Johann Sebastian Drey: Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie. Ideen zur Geschichte des Katholischen Dogmensystems. Vom Geist und Wesen des Katholicismus.

Mit anderen frühen Schriften 1812-1819 sowie mit Dokumenten zur Gründungsgeschichte der Theologischen Quartalschrift

0128
2015
978-3-7720-2494-8
978-3-7720-2493-1
A. Francke Verlag 
Johann Sebastian Drey
Max Seckler
Winfried Werner

Gegenstand dieses Bandes ist die kritische Edition von 27 Schriften aus der Feder von Johann Sebastian Drey (1777-1853), dem Begründer der Katholischen Tübinger Schule, den man im Hinblick auf die Neuheit und Fruchtbarkeit seines theologischen Denkens als den "Founder" und "Church Father at Tübingen" (Thomas F. O'Meara) bezeichnet hat. Der Schwerpunkt der Edition liegt auf den Abhandlungen, die er in der ersten Phase seines theologischen Schaffens veröffentlichte: Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812), Millenniumsschrift (1814), Beichtschrift (1815), Oratio (1817/19) und Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819), dazu das Autograph seiner Vorlesung zur Geschichte des Katholischen Dogmensystems (1812/13), das hier erstmals kritisch ediert wird. In diesen Texten hat Drey programmatisch die Grundzüge für sein eigenes Werk und für eine epochale Neuorientierung der katholischen Theologie entwickelt. Es eignet ihnen ein "eigentümlicher Zug freudiger Frische und genialer Jugendlichkeit", der "Glanz neu aufgehenden Lichtes kräftiger Gedanken" und "ursprünglicher geistiger Erfahrung" (Bernhard Welte). Darüber hinaus sind in diesem Band sämtliche verfügbaren Dokumente zur Gründungsgeschichte der Theologischen Quartalschrift zusammengestellt. Aus ihnen geht auch die Führungsrolle Dreys für den Charakter dieser Zeitschrift hervor. Eine dritte Gruppe von Texten vereint unter der Bezeichnung Miscellanea 1819-1835 die 19 Texte, in denen Drey in diesem Zeitraum mit Erläuterungen, Berichten und Analysen zum kirchlichen Zeitgeschehen sich äußerte. Den hier edierten Texten sind zur historischen und aktuellen Erschließung großenteils monographieartige Einleitungen des Herausgebers beigefügt, die auch Forschungsbeiträge enthalten, die zu tiefgehenden Korrekturen gängiger Auffassungen führen und das Frühwerk Dreys in einem neuen Licht erscheinen lassen. Mit dem vorliegenden Band, dem in der Tübinger Ausgabe (TüA) der Nachgelassenen Schriften Dreys 1997 die Edition seines Theologischen Tagebuchs (TüA 1), 2003 seiner Praelectiones dogmaticae (TüA 2) und 2007 seiner Kurzen Einleitung in das Studium der Theologie (TüA 3) vorausgegangen ist, wird nunmehr zusammen mit ihm als TüA 4 das ganze theologische Frühwerk vollständig dokumentiert und dieses in seiner Einheitlichkeit erkennbar sein.

<?page no="0"?> Johann Sebastian Drey Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie. Ideen zur Geschichte des Katholischen Dogmensystems. Vom Geist und Wesen des Katholizismus. Mit anderen frühen Schriften 1812-1819 sowie mit Dokumenten zur Gründungsgeschichte der Theologischen Quartalschrift. Herausgegeben von Max Seckler <?page no="1"?> Johann Sebastian Drey · Revision der Theologie <?page no="2"?> Johann Sebastian Drey Nachgelassene Schriften Herausgegeben von Max Seckler Vierter Band <?page no="3"?> Johann Sebastian Drey Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie. Ideen zur Geschichte des Katholischen Dogmensystems. Vom Geist und Wesen des Katholizismus. Mit anderen frühen Schriften 1812-1819 sowie mit Dokumenten zur Gründungsgeschichte der Theologischen Quartalschrift. Mit textkritischen und sachbezogenen Apparaten, Verzeichnissen und Registern Herausgegeben und mit Einleitungen versehen von Max Seckler Editorisch bearbeitet von Winfried Werner <?page no="4"?> Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http: / / dnb.ddb.de abrufbar. Gedruckt mit Unterstützung des Bistums Rottenburg-Stuttgart © 2015 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.francke.de E-Mail: info@francke.de Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Printed in Germany ISBN 978-3-7720-2493-1 <?page no="5"?> Johann Sebastian Drey. Einziges überliefertes Portrait Dreys. Lithographie von Louis Helvig, 1834 (Originalformat 13,7 x 15,7 cm). Tübingen, Wilhelmsstift. <?page no="7"?> Inhalt Zu diesem Band . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII Text Nr. 1 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie [Revisionsschrift] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) I. Bibliographische Angaben (Erstdruck. Abdruck. Nachdrucke. Übersetzung) . . . . . . . . 1 II. Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1. Das Manuskript der Revisionsschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 2. Der Fragmentcharakter der Revisionsschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 a. Inhaltliche Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 b. Zwingende Indizien für den Fragmentcharakter der Revisionsschrift . . . . . . . . . . 6 c. Die Frage nach dem Grund der Fragmentierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 d. Wo ist der fehlende Teil geblieben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3. Zum zeitgeschichtlichen und personellen Hintergrund der Revisionsschrift . . . . . . . 10 a. Der zeitgeschichtliche Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 b. Regionale und persönliche Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 4. Der Titel der Revisionsschrift im Spannungsfeld von Aufklärung und Romantik . . 14 a. »Revision« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 b. »... des gegenwärtigen Zustandes der Theologie« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 c. Schelling et alii . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 d. Anhang: Die von Drey in der Revisionsschrift angeführten Personennamen . . . 27 5. Von Rottweil nach Ellwangen. Zur Stellung und Rolle der Revisionsschrift in der wissenschaftlichen Vita Dreys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 a. Zur Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 b. Drey »im dogmatischen Fach ausgezeichnet«. Die Revisionsschrift als gezielt verfaßter Qualifikationsausweis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 c. Die Verankerung der Revisionsschrift in der Religionsphilosophie Dreys . . . . . . 32 6. Der Autor der Revisionsschrift in Ellwangen (1801-1806; 1812-1817): Die Konsistenz seines Denkens und die Kontinuität seiner Überzeugungen auf dem Prüfstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 a. Der Sinn der Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 b. Ein »erstaunlicher Gesinnungswandel«? Die Bruchhypothese . . . . . . . . . . . . . . . . 37 c. Beobachtungen zum wahren Sachverhalt in den Ellwanger Verhältnissen . . . . . . 45 α . Drey und Bestlin; Bestlin oder Schelling? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 β . Die »Bestlinkreise« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 γ . Drey, Gratz, Mets und die »Abendgesellschaft« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 δ . Spannungen? Eine Richtigstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 7. Die Revisionsschrift als Programmschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 a. Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 b. Die Revisionsschrift als epochale Programmschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 <?page no="8"?> VIII Inhalt c. Die Revisionsschrift als persönliche Programmschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 d. Die Revisionsschrift als erste der Dreyschen Programmschriften . . . . . . . . . . . . . 60 8. Zur Rezeptionsgeschichte der Revisionsschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 a. Ihr »Schicksal« im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 α . Der Auftakt im Konstanzer Pastoralarchiv (Wessenberg, Mets, Burg) . . . . . . 63 (1.) Offene Kritik im Januarheft 1812 (Wessenberg, Mets, Burg) . . . . . . . . . . 64 (2.) Verdeckte Stellungnahmen im Dezemberheft 1811 (Wessenberg, Burg) . . 68 β . Interpretatives Nachspiel (Werkmeister, Wessenberg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 γ . Auswirkungen auf Drey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 δ . Zum weiteren Verlauf im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 b. Im 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 α . Neubewertung bei Lauchert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 β . Geiselmann und seine Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 TEIL B: I. Johann Sebastian Drey: Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie . . . . . . . 85 II. Bemerkungen über den durch Hrn. Professor Drey zu Rotweil eingesendeten Aufsatz (A. Joseph Mets. - B. Joseph Vitus Burg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Text Nr. 2 Geschichte des Katholischen Dogmensystems. I. Band. Geschichte der drey ersten Jahrhunderte oder 1 te Periode. Mit Benutzung von Münschers Handbuch dargestellt von J. S. Drey Pr. 1812-1813. [Dogmensystem] TEIL A: Einleitung (Winfried Werner) I. Bibliographische Angaben (Autograph. Erstdruck. Kollegmitschrift) . . . . . . . . . . . . 107 II. Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 1. Manuskriptbeschreibung (Zustand. Textanlage. Korrekturen. Marginalien. Auswertung der Befunde. Editorischer Hinweis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 2. Das Manuskript in der akademischen Lehrtätigkeit Dreys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 3. Inhaltliche Charakterisierung des Manuskripts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 4. Zur Vernetzung der Vorlesung im Frühwerk Dreys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 5. Die Disposition der Vorlesung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 6. Rezeptionsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 a. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 b. In der Fachliteratur vertretene Auffassungen (Thesenliste) . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 α . Zur Bedeutung bzw. Leistung der Vorlesung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 β . Zu Quellen / Inspirationen der Vorlesung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 c. Verzeichnis der berücksichtigten Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 III. Anhang Franz Joseph Manz: Dogmengeschichte nach den Vorlesungen v. Herrn Prof. Dr. Drey. Tübingen, im Sommersemester 1822. [Kollegmitschrift] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 1. Manuskriptbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 2. Disposition der Kollegmitschrift Manz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 TEIL B: Johann Sebastian Drey: Geschichte des Katholischen Dogmensystems. I. Band. Geschichte der drey ersten Jahrhunderte oder 1 te Periode. Mit Benutzung von Münschers Handbuch dargestellt von J. S. Drey Pr. 1812-1813 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Von Drey angeführte Literatur (Winfried Werner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 <?page no="9"?> IX Inhalt Text Nr. 3 Observata quaedam ad illustrandam Justini Martyris de regno millenario sententiam [Millenniumsschrift] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 II. Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 1. Das literarische Genus der Millenniumsschrift im Kontext der Ellwanger Universitätsschriften und -reden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 a. Ihr Charakter als dissertatio und zugleich als wissenschaftliche oratio . . . . . . . . . 249 b. Andere Fälle von dissertationes orationes sowie von andersartigen Universitätsreden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 2. Der Gegenstand der Millenniumsschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 3. Wissenschaftlicher Charakter und dogmengeschichtlicher Ertrag dieser Schrift . . . 253 4. Zur Rezeption der Millenniumsschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 TEIL B: Johann Sebastian Drey: Observata quaedam ad illustrandam Justini Martyris de regno millenario sententiam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 Von Drey angeführte Literatur (Winfried Werner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Text Nr. 4 Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos in ecclesia catholica ex documentis ecclesiasticis illustrans. Sectio I ma [Beichtschrift] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 II. Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 1. Beschreibung der Beichtschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 a. Die Beichtschrift als Disputationsvorlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 b. Die Beichtschrift im Kontext der Ellwanger Universitätsschriften und -reden . 266 α . Disputationsdissertationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 β . Weitere Schriften und Reden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 c. Gegenstand, Ziel und Methode der Beichtschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 d. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 e. Zum Ertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 f. Der ominöse Annex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 2. Zur literarischen und theologiegeschichtlichen Situierung der Beichtschrift . . . . . . 278 3. Die Beichtfrage im theologischen Werk Dreys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 4. Schwierigkeiten mit der Beichtschrift in Rom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 a. »Übelwollende Berichte« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 b. Amtliche Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 α . Im Vorfeld der kirchenamtlichen Beanstandungen: Kellers Gespräche in Rom (1815-1816) sowie erstes Wetterleuchten im Breve vom 21. März 1816 . . . . 291 β . »Ellwanger Professoren« im Visier: Das Breve vom 26. März 1817 . . . . . . . . 293 γ . Der Brief Consalvis vom 27. März 1817 an Keller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 δ . Die Antwort Kellers vom 19. Juni 1817 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 c. Zum vatikaninternen Verfahren gegen die Beichtschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 d. Ist Drey wegen der Beichtschrift nicht Bischof geworden? . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 5 <?page no="10"?> X Inhalt 5. Zur Rezeptionsgeschichte der Beichtschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 a. Im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 b. Im 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 c. Exkurs: Vermeil, Drey und Gratz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 TEIL B: Johann Sebastian Drey: Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos in ecclesia catholica ex documentis ecclesiasticis illustrans. Sectio I ma . . 315 Von Drey angeführte Literatur (Winfried Werner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 Text Nr. 5 Oratio de dogmatum christianorum incremento institutioni divinae haud adverso [Oratio] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 II. Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 1. Thema, Aufgabenstellung und Charakter der Oratio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 2. Ist der Text der Oratio bereits 1815 entstanden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 3. Zum Inhalt der Oratio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 4. Ihr Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 a. Die Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 b. Der argumentative Hauptteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 c. Der Schluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 d. Die Anmerkung der Schriftleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 5. Datierung der Oratio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 6. Bedeutung der Oratio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 a. Für die Problematik der Beichtschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 b. Für das theologische Werk Dreys insgesamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 c. Für die Theologiegeschichtsschreibung und die Theorie der Dogmenentwicklung 360 d. Für die Biographie Dreys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 7. Rezeptionsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 TEIL B: Johann Sebastian Drey: Oratio de dogmatum christianorum incremento institutioni divinae haud adverso . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 Text Nr. 6 Vom Geist und Wesen des Katholicismus [Katholizismusschrift] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) I. Bibliographische Angaben (Erstdruck. Nachdrucke. Übersetzung) . . . . . . . . . . . . . . . 369 II. Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 1. Beschreibung und Situierung der Katholizismusschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 2. Präzisierungen zum Katholizismusbegriff Dreys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 3. Zum methodischen Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 4. Die Katholizismusschrift als Programmschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 5. Das Katholizismusthema im Frühwerk Dreys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 6. Zur Datierung der Katholizismusschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 7. Zum Verhältnis Katholizismusschrift / Revisionsschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 <?page no="11"?> XI Inhalt 8. Zur Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Katholizismusschrift . . . . . . . . . . . . 420 a. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 b. Im 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 TEIL B: Johann Sebastian Drey: Vom Geist und Wesen des Katholicismus . . . . . . . . . . 453 1. Beziehung des Katholicismus auf das Urchristenthum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 2. Beziehung des Katholicismus auf die Grundprincipien des Urchristenthums . . . . . 461 3. Beziehung des Katholicismus auf christliche Religiosität, und christliche Gottesverehrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 4. Beziehung des Katholicismus auf christliches Kirchenthum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 Von Drey angeführte Literatur (Winfried Werner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 Texte Nr. 7 Dokumente zur Gründungsgeschichte der Theologischen Quartalschrift [ThQ-Dokumente] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 1. Dokument Nr. 1: Die Ankündigung der ThQ von 1818/ 1819 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 2. Dokument Nr. 2: Nachtrag zur Ankündigung von 1819 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 3. Dokumente Nr. 3: Erklärung und Widerlegung von 1820 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 4. Dokumente Nr. 4: Zwei Briefe (Keller / Drey) von 1821 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 5. Dokument Nr. 5: Grundsätze für die reformierte Quartalschrift (1826/ 27) . . . . . . . . . . 493 6. Dokumente Nr. 6: Brief Dreys vom 18. Dezember 1831 an die Mitherausgeber sowie Anordnungen der Redaktion vom 2. Januar 1832 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 II. Erläuterungen zu diesen Dokumenten im ganzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 1. Begründung für die Aufnahme dieser Dokumente in den vorliegenden Band . . . . 494 2. Die Frage nach dem Anteil der am Zustandekommen der Theologischen Quartalschrift beteiligten Personen in der Fachliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 a. Drey als Begründer der Theologischen Quartalschrift (Karl Werner) . . . . . . . . 495 b. Stephan Lösch über die Führungsrolle Dreys und die Anteile der Gründungsherausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 c. Andere Stimmen (Rudolf Reinhardt, Norbert Wolff) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 3. Zur Vorgeschichte der Theologischen Quartalschrift. Personen und Faktoren . . . 501 4. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 III. Erläuterungen zu den einzelnen Dokumenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 1. Zu Dokument Nr. 1 (Ankündigung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 a. Sinn und Zweck der Ankündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 b. Der Vertrag der Herausgeber mit dem Verleger Heinrich Laupp vom 6. Juli 1818 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 c. Warum und wozu diese neue Zeitschrift? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 d. Inhalt und Bedeutung der Ankündigung nach Vermeil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 e. Zur Frage der Autorschaft Dreys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 α . Die besondere Kompetenz Dreys für das wissenschaftliche Zeitungswesen . 513 β . Die Leitmotive im Text der Ankündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 γ . Das Theologische Tagebuch als »die Vorform« der ThQ? . . . . . . . . . . . . . . . . 514 δ . Die Anspielung auf das Bayerische Konkordat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 ε . Die sprachlichen und stilistischen Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 ζ . Die Ankündigung im Lichte der Dokumente Nr. 3, 4 b, 5 und 6 . . . . . . . . . . 515 <?page no="12"?> XII Inhalt 2. Zu Dokument Nr. 2 (Nachtrag zur Ankündigung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 3. Zu den Dokumenten Nr. 3 a (Erklärung gegen Gerhauser) und Nr. 3 b (Widerlegung gegen v. Mastiaux) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 a. Zu Dokument Nr. 3 a (Erklärung gegen Gerhauser) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 b. Zu Dokument Nr. 3 b (Widerlegung gegen v. Mastiaux) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 4. Zu den Dokumenten Nr. 4 a (Brief Keller) und Nr. 4 b (Brief Drey) . . . . . . . . . . 526 a. Zu Dokument Nr. 4 a (Brief von Generalvikar Bischof Johann Baptist von Keller an die Herausgeber der Theologischen Quartalschrift vom 4. Februar 1821) . . . . . . . . . 526 b. Zu Dokument Nr. 4 b (Drey als Redacteur der Theologischen Quartalschrift im Namen der Herausgeber an Bischof Keller. Brief vom 8. Mai 1821) . . . . . . . . . . . 530 5. Zu Dokument Nr. 5 (Grundsätze für die reformierte Quartalschrift. 1826/ 27) . . . . . . . 535 6. Zu den Dokumenten Nr. 6 a (Brief Dreys an die Mitherausgeber) und Nr. 6 b (Anordnungen der Redaction der Quartalschrift) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 a. Zu Dokument Nr. 6 a (Brief Dreys vom 18. Dezember 1831 an die Mitherausgeber) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 b. Zu Dokument Nr. 6 b (Anordnungen der Redaction der Quartalschrift in der Sitzung vom 2. Januar 1832) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 TEIL B: Die Dokumente zur Gründungsgeschichte der Theologischen Quartalschrift Nr. 1: Die Ankündigung der ThQ (1818/ 19) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 Nr. 2: Der Nachtrag zur Ankündigung (1819) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 Nr. 3 a: Die Erklärung (1820) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542 Nr. 3 b: Die Widerlegung (1820) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546 Nr. 4 a: Brief von Generalvikar Keller an die Tübinger Professoren (4. Februar 1821) . 549 Nr. 4 b: Brief der Herausgeber der ThQ an Generalvikar Keller (8. Mai 1821) . . . . . . . 551 Nr. 5: Grundsätze für die reformierte Quartalschrift (1826/ 27) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557 Nr. 6 a: Brief Dreys an die Herausgeber (18. Dezember 1831) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559 Nr. 6 b: Anordnungen der Redaktion (2. Januar 1832) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562 Text Nr. 8 Das Bayerische Concordat [Konkordatsaufsatz] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 II. Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 1. Der Konkordatsaufsatz Dreys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 a. Der Text (Gegenstand, literarisches Genus, Datierung, Ort in der ThQ) . . . . . 565 b. Zum Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569 2. Zur Stellung des Konkordatsaufsatzes im Werk Dreys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575 3. Auflistung der für den Konkordatsaufsatz im weiteren Sinn relevanten Texte Dreys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578 a. Äußerungen Dreys zum Verhältnis von Kirche und Staat im Theologischen Tagebuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578 b. Abhandlungen und Berichte (1819-1848) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579 c. Rezensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580 4. Einschlägige Titel im Büchernachlaß Dreys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581 5. Zur Rezeptionsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 TEIL B: Johann Sebastian Drey: Das Bayerische Concordat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584 <?page no="13"?> XIII Inhalt Texte Nr. 9 Miscellanea 1819-1835 [Misz.] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601 Misz. Nr. 1: Erläuterung I [zu drei Thesen von Claus Harms] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 602 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 602 II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 602 TEIL B: Johann Sebastian Drey: [Erläuterung I] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604 Misz. Nr. 2: Erläuterung II [zu Christian Heinrich Schützes Entstellung des Katholicismus] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 TEIL B: Johann Sebastian Drey: [Erläuterung II] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 609 Misz. Nr. 3: Literarische Nachricht [»eine neue griechisch-lateinische Ausgabe des N.T.« von Peter Alois Gratz] TEIL A: Hinweise zu diesem Text (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615 II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615 TEIL B: entfällt Misz. Nr. 4: Kirchliche Nachricht [Administration der vom Bistum Konstanz abgetrennten schweizerischen Kantone] TEIL A: Hinweise zu diesem Text (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616 II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616 TEIL B: entfällt Misz. Nr. 5: Literärische Berichtigung [Chronique religieuse, Dissertation Spegele] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 617 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 617 II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 617 TEIL B: Johann Sebastian Drey: Literärische Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619 Misz. Nr. 6: Ueber den gegenwärtigen Zustand der katholischen Kirche und Geistlichkeit in Frankreich [Frankreichbericht] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620 II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620 III. Biographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625 TEIL B: Johann Sebastian Drey: Ueber den gegenwärtigen Zustand der katholischen Kirche und Geistlichkeit in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 626 Misz. Nr. 7: Kirchliche Nachrichten [zur gegenwärtigen Lage der katholischen Kirche in Schweden; Erhebung Johann Baptist Kellers zum Generalvikar] TEIL A: Hinweise zu diesem Text (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642 <?page no="14"?> XIV Inhalt II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 643 TEIL B: Johann Sebastian Drey: Zur gegenwärtigen Lage der katholischen Kirche in Schweden; Erhebung Johann Baptist Kellers zum Generalvikar . . . . . . . . . . . . . . . 643 Misz. Nr. 8: Universitätsnachrichten [Tübingen, Breslau, Bonn, Corfu] TEIL A: Hinweise zu diesem Text (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 645 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 645 II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 TEIL B: entfällt Misz. Nr. 9: Erklärung [gegen Dr. Gerhauser] [Querverweis auf Dokument Nr. 3 a in Texte Nr. 7] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 646 Misz. Nr. 10: Widerlegung [gegen die Litteraturzeitung (v. Mastiaux)] [Querverweis auf Dokument Nr. 3 b in Texte Nr. 7] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 646 Misz. Nr. 11: Kirchliche Nachrichten [Budget für Geistlichkeit und Kultus in Frankreich 1820; Chorherr Glutz Koadjutor des Bischofs von Basel] TEIL A: Hinweise zu diesem Text (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 647 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 647 II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 647 TEIL B: entfällt Misz. Nr. 12: Kirchliche Nachrichten [Konkordats- und Kirchenangelegenheiten in Bayern und Preußen] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 648 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 648 II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 648 TEIL B: Johann Sebastian Drey: Konkordats- und Kirchenangelegenheiten in Bayern und Preußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 650 Misz. Nr. 13: Nekrolog [auf Franz Andreas Frey] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 652 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 652 II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 652 TEIL B: Johann Sebastian Drey: Nekrolog auf Frey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 654 Misz. Nr. 14: Nekrolog [auf Patriz Benedikt Zimmer] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655 II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655 TEIL B: Johann Sebastian Drey: Nekrolog auf Zimmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 663 Misz. Nr. 15: Kirchliche Nachrichten [Verhältnisse der katholischen Kirche in Sachsen-Weimar] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 666 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 666 II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 669 TEIL B: Johann Sebastian Drey: Verhältnisse der katholischen Kirche in Sachsen-Weimar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 673 6 <?page no="15"?> XV Inhalt Misz. Nr. 16: Von den Verhältnissen der nichtunirten griechischen Kirche in den österreichischen Staaten TEIL A: Einleitung (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681 II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681 TEIL B: Johann Sebastian Drey: Von den Verhältnissen der nichtunirten griechischen Kirche in den österreichischen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 689 Misz. Nr. 17: Stimmen aus der Kirche [zu den Hirtenschreiben der Bischöfe von Münster, Freiburg, Ermeland und Köln bzgl. Synodalwesen und Fastenverordnungen] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 718 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 718 II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 718 TEIL B: Johann Sebastian Drey: Zu den Hirtenschreiben der Bischöfe von Münster, Freiburg, Ermeland und Köln bzgl. Synodalwesen und Fastenverordnungen . . . . . . . 721 Misz. Nr. 18: Gute Aussichten für die Kirche TEIL A: Einleitung (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 725 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 725 II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 725 TEIL B: I. Johann Sebastian Drey: Gute Aussichten für die Kirche . . . . . . . . . . . . 732 II. Gute Aussichten für die Kirche [Stuttgarter Stellungnahme] . . . . . . . . . 734 Misz. Nr. 19: Vorwort [für Peter Schleyer] TEIL A: Einleitung (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 738 I. Bibliographische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 738 II. Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 738 TEIL B: Johann Sebastian Drey: Vorwort für Schleyer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 744 Anhang Zum wissenschaftlichen Nachlaß von P. Pierre Chaillet SJ (Max Seckler) 749 I. Der Drey betreffende Nachlaß Chaillets in Vanves . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 752 II. Die Disposition der von Chaillet geplanten Dreyedition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 754 Abbildungen mit Bildlegenden (Max Seckler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 757 Verzeichnisse, Listen, Register (Winfried Werner) Hinweise zu den Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 799 In Kurzform angezeigte Archive und Bibliotheken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 801 Bibliographische Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 801 Weitere Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 801 In TüA 4 verwendete Kürzel und Arbeitstitel für Schriften Dreys . . . . . . . . . . . . . . . . . . 802 Bibelstellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 802 Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 804 <?page no="17"?> Zu diesem Band Mit diesem Buch erhält die vor 17 Jahren begonnene Tübinger Ausgabe (TüA) der Schriften Johann Sebastian Dreys eine besonders reichhaltige Fortsetzung. Es enthält neben anderen für die Zielsetzung dieses Bandes einschlägigen Materialien mehr als 30 Dreytexte unterschiedlicher Art und Länge. Ihr Umfang reicht von einer halben bis zu über 100 Seiten. Der Art nach handelt es sich um wissenschaftliche Abhandlungen, den Text einer handschriftlich erhalten gebliebenen Vorlesung, Dokumente zur Gründungsgeschichte der Theologischen Quartalschrift (ThQ) und einen Block von Miszellen. Chronologisch gesehen gehören die meisten Texte der ersten theologischen Schaffensperiode Dreys und somit seinem Frühwerk an. Sie komplettieren die in den vorausgehenden Bänden in Angriff genommene editorische Erschließung seines Frühwerks, zu dem es zuvor großenteils nur ungefähre Vorstellungen, lückenhafte Kenntnisse und vielfach auch abenteuerliche Mutmaßungen gab. Die Dreyforschung wird mit ihnen für ihre künftige Arbeit in dinglich-textueller Hinsicht über verläßliche Grundlagen verfügen. Sie wird so auch in der Lage sein, das innovatorische Frühwerk Dreys nach seiner inhaltlichen Seite neu anschauen und würdigen zu können. Nicht zuletzt wird dieser Band dazu führen, die Irrtümer und Fehleinschätzungen, die das Bild des frühen Drey entstellten, zu beseitigen. Dieser Band schließt sich nicht nur numerisch, sondern auch gegenständlich und werkbezogen an die bisher erschienenen Bände der TüA an, die gleichfalls Schriften aus der ersten Schaffensperiode Dreys enthalten. Ihm vorausgegangen ist 1997 mit Band I die kritische Edition von Dreys Mein Tagebuch über philosophische, theologische und historische Gegenstände 1812-1817 (TüA 1), 2003 als Band II in gleicher Weise die Dokumentation seiner Praelectiones dogmaticae 1815-1834 in 2 Teilbänden (TüA 2), und 2007 in Band III die Kurze Einleitung in das Studium der Theologie von 1819 (TüA 3). Der vorliegende Band IV beinhaltet alle jene dem Frühwerk Dreys entweder direkt zugehörenden oder eine enge Beziehung zu ihm aufweisenden Schriften, die in den Bänden I - III noch nicht berücksichtigt werden konnten, weil jeder dieser Bände monothematisch auf die Edition der einen Schrift abgestellt ist, die er zum Gegenstand hat, und weil jede dieser Schriften wegen ihres Umfangs ja auch »ihren« Band ausfüllte. Wenn der vorliegende Band den übrig gebliebenen Rest der zum Frühwerk Dreys gehörenden Schriften beinhaltet, so ist er deswegen kein Restesammler geringeren Grades. Im Gegenteil. Er enthält die das Frühwerk am prägnantesten darstellenden Stücke. <?page no="18"?> XVIII Zu diesem Band Und da für alle diese Stücke die Revisionsschrift Dreys als Matrix seines ganzen Frühwerks tonangebend und richtungweisend war, drängte es sich auf, diesem Band den Kurztitel »TüA 4 (Revision der Theologie)« mit auf den Weg zu geben. Insgesamt wird in den Bänden I - IV nunmehr das ganze theologische Frühwerk Dreys, soweit es handschriftlich überliefert ist oder im Druck vorliegt, komplett erfaßt und editorisch erschlossen sein. Das zu tun, war nicht von Anfang an geplant. Vorgesehen war anfangs nur, die im strengen Sinn des Wortes »nachgelassenen«, d.h. von Drey nicht selbst im Druck veröffentlichten Schriften aus seiner Feder zu edieren, wie es ja auch in der Titelei der TüA angezeigt ist. Diesem Vorhaben entsprechen die Bände I und II der TüA insofern ganz genau, als sie mit dem Theologischen Tagebuch und den Dogmatikvorlesungen Autographe Dreys beinhalten. Der der Kurzen Einleitung gewidmete Band III war bereits ein Grenzfall. Sie erschien 1819 zwar in Buchform, aber das dem Herausgeber vorliegende Handexemplar Dreys enthält so viele und teilweise in den Text eingreifende Korrekturen, Ergänzungen und andere Bemerkungen, die Drey wohl auch im Hinblick auf eine von ihm in Aussicht genommene zweite Auflage in es eingetragen hat, daß es von daher gerechtfertigt war, auch sie unter dem Label Nachgelassene Schriften herauszugeben. Hinzu kam, daß in diesem Band zwei Kollegmitschriften zu Dreys Enzyklopädievorlesungen dokumentiert und erstmals ediert werden konnten. Der vorliegende Band enthält dagegen teils Texte von der Art »echter« nachgelassener Schriften, teils solche, die von Drey im Druck veröffentlicht worden sind. Konkret verhält es sich so: In der Seitenzählung dieses Bandes erstreckt sich die Edition der Dreytexte, die dem Kriterium nachgelassener Schriften genau entsprechen, auf gut 130 Druckseiten. Bei zwei weiteren Schriften handelt es sich insofern um Grenzfälle, als sie zwar für einen universitätsinternen Zweck gedruckt wurden, sie aber nicht in den Buchhandel kamen; ihr Umfang beläuft sich auf annähernd 40 Druckseiten. Die übrigen Schriften sind seinerzeit regulär im Druck erschienen; sie haben einen Umfang von rund 170 Druckseiten. Somit enthält dieser Band etwa zur Hälfte nachgelassene Schriften und zur Hälfte den editorisch bearbeiteten Nachdruck von Dreytexten. Mit der Aufnahme der letzteren in diesen Band ist bezüglich des ursprünglichen Editionsplans, der ja auf die Nachgelassenen Schriften Dreys abgestellt war, infolgedessen eine Änderung bzw. Ausweitung eingetreten. Maßgeblich dafür war die Überlegung, daß auf diese Weise alle zum Frühwerk Dreys gehörenden theologischen Schriften erfaßt und ediert sein werden, soweit sie nicht schon in den vorausliegenden Bänden berücksichtigt sind, und daß somit in den Bänden I - IV der TüA das ganze theologische Frühwerk Dreys lückenlos dokumentiert sein wird 1 . 1 Der handschriftliche Nachlaß Dreys aus dessen Rottweiler Zeit (1806-1812) gehört nicht <?page no="19"?> XIX Zu diesem Band Nachdem in den vorliegenden Band zwangsläufig auch von Drey selbst veröffentlichte Schriften und Texte aufzunehmen waren, und nachdem somit die für die TüA ursprünglich vorgesehene Eingrenzung auf seine nachgelassenen Schriften überschritten wurde, war zu überlegen, ob und wie es mit der TüA weitergehen könnte. Dem Herausgeber wurde von verschiedenen Seiten signalisiert, daß es wünschbar wäre, das TüA-Projekt auf andere, abgelegene Druckschriften Dreys, die es wert seien, der Forschung neu zugänglich gemacht zu werden, auszudehnen. Deswegen ist nun geplant, in zwei weiteren Bänden die nicht mehr zum Frühwerk Dreys gehörenden Rezensionen und Abhandlungen Dreys herauszugeben, die zwischen 1819 und 1852 (Rezensionen) bzw. 1819 und 1844 (Abhandlungen) erschienen sind. Dies zur Ausweitung des Editionsprojekts. * Der Terminus »Frühwerk« bedarf einer kurzen Erläuterung. Er war bisher in der Klarheit, in der er hier verwendet wird, nicht üblich. Gesehen wurde natürlich, daß es sich bei dem einen oder anderen dieser Texte um Schriften der Anfangszeit Dreys und insofern aus seinem Frühwerk handelt, aber vom Umfang und von der prägnanten Eigenart dieses Frühwerks gab es nur vage und widersprüchliche Vorstellungen. Der Herausgeber gesteht, daß er erst beim genauen Studieren dieser Schriften, und erst bei der Abklärung der verwickelten Verhältnisse und Umstände, in denen sie entstanden sind, zu der Einsicht gelangte, daß das theologische Frühwerk Dreys eine klar abgrenzbare und durchaus in-sich-ständige literarische Größe darstellt, die als solche ausweisbar ist und in ihrer Ganzheit dokumentiert zu werden verdient. Es ist in der Tat von faszinierender Eigenart und darf künftig, als Ganzes betrachtet, im Gesamtwerk Dreys den ihm gebührenden Rang einnehmen. Um zu dieser Einsicht zu gelangen, mußte ein langer Weg von der Sekundärliteratur zu den Quellen und durch das Gestrüpp rezeptionsgeschichtlicher Irrwege beschritten werden. So sind auch die umfangreichen Einleitungen zu den Dreytexten entstanden. Die Bezeichnung Frühwerk bietet sich an, weil sie die erste literarische Schaffensperiode Dreys abdeckt und weil die dazu gehörenden Schriften über die chronologische Perspektive hinaus auch inhaltlich und intentional eine Einheit bilden. Um Jugendschriften handelt es sich bei ihnen aber nicht. Drey realisierte diesen Werkkomplex während seines ersten Septenniums als bedazu. Dieser umfaßt gesichert über 800 und ungesichert zusätzlich rund 600 Seiten. Darunter befinden sich auch religionsphilosophische Aufzeichnungen, aber die meisten davon haben andere Thematiken (z.B. mathematische, naturphilosophische und physikalische) zum Gegenstand. Sie wären für die Dokumentation seines theologischen Frühwerks allenfalls nur indirekt von Belang. Während seiner Zeit als Philosophieprofessor in Rottweil hat Drey nichts veröffentlicht. Eine gesonderte Edition seines Rottweiler Nachlasses wäre eine Aufgabe für sich, die vorerst hintanzustellen ist. <?page no="20"?> XX Zu diesem Band stallter Professor der Theologie (ausgenommen die 1812 erschienene, aber noch in Rottweil entstandene Revisionsschrift, mit der Drey seinen Übergang zur Theologie öffentlich machte). Das war seine beste schöpferische Zeit. Als er im Januar 1812 mit dem Artikel Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie, seiner ersten Publikation überhaupt, an die Öffentlichkeit trat, war er 35 Jahre alt, und 1819, als er mit der Kurzen Einleitung und der Abhandlung Vom Geist und Wesen des Katholicismus sein Frühwerk abrundete, hatte er als 42jähriger Tübinger Ordinarius den Eintritt ins Schwabenalter hinter sich. Die knapp sieben Jahre, die er zuvor, von 1806 bis 1812, als »Profeßor der Philosophie« (so seine Selbstbezeichnung in dieser Zeit) am Lyzeum in Rottweil zugebracht hatte, waren für ihn Jahre des Lehrens und Lernens gewesen. Sie waren, wie sich in der Revisionsschrift herausstellte, die er gegen Ende seiner Rottweiler Jahre verfaßte, die Inkubationszeit für sein künftiges theologisches Schaffen. Am Ende dieser Zeit hatte er das Programm, dem er sich als Theologe verschreiben würde, nicht nur fertig im Kopf, sondern auch schon weitgehend schriftlich fixiert. Er hat das im Herbst 1812, also ganz zu Beginn seiner Zeit als Professor der Theologie an der Friedrichsuniversität in Ellwangen, in einer Tagebuchnotiz detailliert umrissen. Es geht aber auch aus den Inhalten der Revisionsschrift prägnant hervor. Diesen revolutionären Artikel hatte er in aller Form als Programmschrift konzipiert und ihn der Öffentlichkeit als solche präsentiert; in ihm hatte er die Desiderate für eine seines Erachtens überfällige epochale Erneuerung der Theologie vorgetragen, denen er dann auch für seine Person sich sogleich gestellt hat. Seine Jahre an der Friedrichsuniversität waren im Hinblick darauf eine Zeit der planmäßigen Umsetzung der Programmpunkte im Hörsaal und am Schreibtisch. Aus den Programmideen der Revisionsschrift ist somit sein ganzes Frühwerk und sind zumal die im vorliegenden Band zusammengestellten Schriften hervorgegangen. Auch der Geist und die Richtung der gegen Ende dieser Werkphase ins Leben gerufenen ThQ gehören dazu, wie den in diesen Band aufgenommenen ThQ-Dokumenten und den dazu gehörenden Einleitungen zu entnehmen ist. In dieser Zeit, und mit den Schriften seiner ersten literarisch produktiven Schaffensperiode, gewann Drey das geistige Profil, das sein wissenschaftliches Lebenswerk im ganzen kennzeichnen sollte, und von da aus wurde er zu jener Instanz erster Ordnung für den Weg der Theologie in eine neue Zeit, als welche er unterdessen unangefochten gilt. Aus den im Frühwerk gelegten Fundamenten ist nicht zuletzt auch die Katholische Tübinger Schule hervorgegangen, die, ineins mit der ThQ, ihrem dafür ins Leben gerufenen Organ, in Tübingen sogleich aufblühte und schon Mitte der 1820er Jahre ihren weithin ausstrahlenden Höhepunkt erreichte. Die im vorliegenden Band dokumentierten Abhandlungen aber bilden zusammen mit der Kurzen Einleitung das publizistische Herzstück seines Frühwerks. Prospektiv gesehen, d.h. wenn man davon ausgeht, wie der noch unbekannte, aber ungemein kühne Selbst- <?page no="21"?> XXI Zu diesem Band denker am Anfang, als Verfasser der Revisionsschrift, einem ungeschriebenen, wenngleich laut raschelnden Blatt gleichend, sich ins Offene hinauswagte, so wird ex post, wenn man die Schriften des Frühwerks zusammen vor Augen hat, erkennbar, daß er in ihnen Schritt für Schritt und mit vollkommener Konsistenz seine Programmideen realisierte. Dazu gehörte (1.), der Theologie schon in ihrem wissenschaftstheoretischen Ansatz ihre »mystische«, d.h. originär religiöse Dimension, die ihr im Rationalismus der Aufklärung und in den Formalismen der scholastischen Schultheologie abhanden gekommen war, zurückzugeben, ineins damit aber (2.) die Positivität des Christentums, d.h. dessen Charakter als geschichtlich gestiftete und im Prozeß der Geschichte fortdauernde und je und je aus der Kraft seines Ursprungs und den Geist seines Wesens zu lebendiger Gegenwart sich vermittelnde Religion neu zu durchdenken und daraus die nötigen Schlüsse zu ziehen. Zu denen gehören (a) ein Begriff der Theologie, der auf der spekulativen Vermittlung von Glaube und Vernunft im Fleisch der Geschichte aufruht, (b) eine organologische Theorie der Entwicklung der christlichen Dogmen und Heiltümer, und (c) der Wille, die Geschichte des Christentums mit den Methoden der historisch-kritischen Forschung ungeschönt zu rekonstruieren und deren Ergebnisse zu einer Instanz der Dogmatik zu erheben, koste es, was es wolle. Und es hat ihn viel gekostet, wenn man etwa an die üblen Auswirkungen der Beichtschrift denkt. Anders, als gewöhnlich angenommen wird, gehört diese Potenzierung der historisch-kritischen Methode substantiell zu den Programmideen des Dreyschen Frühwerks, und nicht nur die spekulative Aufwertung des Geschichtlichen und der organologische Traditionsbegriff. Die Matrix dieser Programmideen aber war die Revisionsschrift. Drey ist davon nie abgewichen, sämtliche Schriften sind daraus hervorgegangen, und von Kontinuitätsbrüchen, wie sie dem Drey des Frühwerks unterstellt wurden, kann nicht entfernt die Rede sein. * Wer sich mit den Texten befaßt, die in den vorliegenden Band Aufnahme gefunden haben, begibt sich auf eine wahre Entdeckungsreise. Das gilt primär für die Inhalte, die erst in ihrer Zusammenstellung zu einem Ganzen und in ihrer wechselseitigen Verflochtenheit ihren wirklichen Gehalt freigeben. Aber die Entdeckungsreise begann für den Herausgeber bereits bei der Frage nach den in diesen Band aufzunehmenden Texten. Von den 34 hier edierten Texteinheiten sind nämlich nur fünf unter dem Namen Dreys im Druck erschienen, für einige andere stand seine Verfasserschaft zwar gleichfalls fest, aber der große Rest mußte aus einem Meer anonymer Veröffentlichungen herausgefischt und Drey als ihr Autor identifiziert werden. Dies deshalb, weil in der ThQ, der die meisten dieser Texte entnommen sind, von 1819 bis 1831 alle Beiträge samt und sonders ohne Verfasserangabe veröffentlicht wurden. Für <?page no="22"?> XXII Zu diesem Band die Verfasserschaftszuschreibungen konnte glücklicherweise weitgehend auf Lösch zurückgegriffen werden, aber es gab Grenzfälle, Lücken und Fehlzuschreibungen, die eingehendere Recherchen nötig machten. Mit den in diesem Band versammelten Texten sind, je bezogen auf die Kategorien, denen sie zugehören, wie gesagt sämtliche dafür einschlägigen Beiträge aus der Feder Dreys erfaßt und für sie seine Autorschaft gesichert. Im einzelnen stellt sich die Verfasserschaftsfrage folgendermaßen dar: (1.) Für fünf Beiträge steht Drey als Autor fest, weil sie mit Angabe seines Namens im Druck erschienen sind (Revisionsschrift, Millenniumsschrift, Beichtschrift, Oratio, Schleyervorwort). - (2.) Da das Manuskript der Vorlesung von 1812/ 13 zur Geschichte des katholischen Dogmensystems als Autograph vorliegt, ist auch für diesen Text die Verfasserschaft Dreys direkt gesichert. - (3.) Für 20 der in der ThQ ususgemäß ohne Verfasserangabe veröffentlichten Texte konnte die Verfasserschaft Dreys erschlossen werden (Katholizismusschrift, Konkordatsaufsatz, Miszellen Nr. 1 - 18). - (4.) Für fünf der neun Dokumente, die die Gründungsgeschichte der ThQ betreffen (Texte Nr. 7), ist die Verfasserschaft Dreys direkt oder indirekt unterschriftlich ausgewiesen (Erklärung und Widerlegung von 1820 [Dokumente Nr. 3a und 3b], Brief von 1821 [ebd. 4b], Grundsätze für die reformierte Quartalschrift von 1826/ 27 [ebd. 5] und Brief von 1831 [ebd. 6a]). - (5.) Für die Ankündigung der ThQ durch die Gründungsherausgeber von 1818 und den dazu gehörenden Nachtrag von 1819 zeichnete Drey formell als Mitherausgeber (ebd. Dokumente Nr. 1 und 2). - (6.) Für die Anordnungen von 1832 (siehe ebd. 6b) konnte nachgewiesen werden, daß sie in ihrer Existenz und Substanz auf Drey zurückgehen. Diese 34 Texte lassen sich im Hinblick auf ihren literarischen Charakter in folgende vier Typen bzw. Gruppen aufteilen: I. Vorlesungsmanuskripte. Damit ist hier in erster Linie das Manuskript der Vorlesung Dreys zur Geschichte des katholischen Dogmensystems von 1812/ 13 gemeint. Dieses Manuskript ist als Autograph erhalten geblieben. Es wurde von Drey bis 1822 für Vorlesungen benutzt und dafür weiter bearbeitet. Zu seiner Vorlesung von 1822 existiert eine studentische Kollegmitschrift. Das Manuskript Dreys ist im vorliegenden Band erstmals den Regeln einer kritischen Edition gemäß wiedergegeben; in ihn aufgenommen ist ferner die Disposition der Mitschrift. Damit ist nunmehr zugleich das letzte der bisher noch nicht textgetreu veröffentlichten wissenschaftlichen Manuskripte aus dem theologischen Frühwerk Dreys editorisch erschlossen. II. Wissenschaftliche Abhandlungen 1812-1819 (Revisionsschrift, Millenniumsschrift, Beichtschrift, Oratio, Katholizismusschrift, Konkordatsaufsatz). Die ersten fünf von ihnen sind für das Frühwerk Dreys zentral, sie stehen für den Abhandlungsteil des Frühwerks. Mit der letzten von ihnen, dem Konkordatsaufsatz von 1819, der chronologisch gesehen noch der Phase seines Frühwerks zu- <?page no="23"?> XXIII Zu diesem Band geordnet werden könnte, hatte Drey dagegen bereits die Serie seiner zeitgeschichtlichen Berichte und Analysen (siehe unten in Ziff. IV) eröffnet; dem literarischen Genus nach gehört er eher zu ihnen. Die für das theologische Frühwerk Dreys einschlägigen fünf Abhandlungen wurden von Drey stilistisch ganz unterschiedlich ausgefertigt. Sie sind auch in unterschiedlicher Form und verstreut über mehrere Publikationsorgane im Druck herausgekommen. Drei von ihnen sind in lateinischer Sprache verfaßt (Millenniumsschrift, Beichtschrift, Oratio), die beiden ersten sind als halböffentliche Universitätsdrucke nicht in den Buchhandel gekommen. So waren die fünf Abhandlungen teils schwer auffindbar, teils sprachlich schwierig zugänglich, teils wurden sie als universitätsinterne Funktionsschriften von vorne herein zu niedrig gehängt. Mit Ausnahme der Revisionsschrift und der Katholizismusschrift wurde in der Fachliteratur ihre inhaltliche Relevanz für das theologische Frühwerk Dreys kaum erkannt. Die Existenz der Oratio wurde völlig übersehen, die Millenniumsschrift wurde bestenfalls in Bibliographien erwähnt, die Beichtschrift wurde zwar mit Getöse bekämpft, aber mit so massiv vergröberten und polemisch instrumentalisierten Inhaltsangaben, daß leicht zu erkennen ist, daß sie kaum gelesen, geschweige denn vorurteilsfrei studiert wurde. Der werkgeschichtliche Rang und die theologische Bedeutung der drei lateinischen Abhandlungen wurde rebus sic stantibus nicht erkannt. Vom Frühwerk Dreys konnte infolgedessen nur lückenhaft, nebulös und mit bizarren Verzerrungen die Rede sein. Es wurde angenommen, es habe bei Drey kein Frühwerk aus einem Guß gegeben, sondern nur disparate Themenbehandlungen. Im vorliegenden Band sind die Abhandlungen des Dreyschen Frühwerks in der Reihenfolge ihrer Publikation zusammengestellt und im Wortlaut der Vorlagen wiedergegeben. So wird hier - unter Gewähr ihrer Vollständigkeit - erstmals ein Überblick auf diesen Schriftkomplex und eine Zusammenschau der Themen und Inhalte ermöglicht. Das mit dem Begriff »Frühwerk« Gemeinte gewinnt so nicht nur klare Konturen, sondern auch die Wucht eines bei aller Diversität der Themen und der Diskurstypen ganzheitlichen Phänomens. Während in der Dreyforschung bisher keine hinlängliche Vorstellung vom tatsächlichen Umfang des Dreyschen Frühwerks vorhanden war und man sich, je nach Wissensstand und Interessenlage, damit begnügte, dieses oder jenes Stück herauszupicken und es zum Teil recht einseitigen, ja abenteuerlich abwegigen Beurteilungen zu unterziehen, wird jetzt eine solide Arbeitsgrundlage zur Verfügung stehen. Es ist nicht zuviel behauptet, wenn festgestellt wird, daß das Frühwerk Dreys oft nur ein Tummelplatz quellenferner Mutmaßungen, durchsetzt mit bösen Unterstellungen, war, und vielfach nur eine Gelegenheit zum Weiterkolportieren rezeptionsgeschichtlicher Versatzstücke, die im Verlauf der »Verschreyung« des frühen Drey aufkamen. Davon war die Revisionsschrift als vermeintlich unausgegorenes Produkt eines <?page no="24"?> XXIV Zu diesem Band dem romantischen Mystizismus verhafteten und sich übernehmenden Anfängers betroffen, und unter umgekehrten Vorzeichen die Beichtschrift als bloß kritizistisches Experimentierstück eines am Dogma rüttelnden Aufklärers, beide aber bewertet als disparate Erscheinungen eines diskontinuierlichen Entwicklungsgangs in der wissenschaftlichen Vita Dreys. Solche Fehlurteile konnten sich nur einstellen und behaupten, wo man die Texte nur oberflächlich oder nur vom Hörensagen kannte. Selbst die Akten der kirchlichen Zensurbehörden verraten eine unglaublich oberflächliche Kenntnis der inkriminierten Beichtschrift. Und die Oratio wurde auch dort nicht mehr erfahrungsrelevant zur Kenntnis genommen. III. ThQ-Dokumente 1818 19-1832. Die in Texte Nr. 7 zusammengestellten Schriftstücke haben die Gründungsgeschichte der ThQ und die erste Phase ihrer konzeptionellen Ausgestaltung zum Gegenstand. Die Gründungsherausgeber waren am 7. Juli 1818 vertraglich übereingekommen, diese Zeitschrift als Organ ihrer theologischen Richtung herauszugeben. Die urkundlichen Gründungsdokumente haben sie anfangs 1819 im ersten Heft der ThQ veröffentlicht. Im Hinblick auf den zeitlichen Rahmen des vorliegenden Bandes hätte es genügt, nur diese Texte, an deren Zustandekommen und Inhalten Drey maßgeblich beteiligt war, in ihn aufzunehmen. Damit wäre immerhin angezeigt gewesen, daß der Anteil, den Drey in sie einbrachte, noch zu seinem Frühwerk gehört. Die Anfänge des ThQ-Projekts reichen ja ohnehin auf die Ellwanger Zeit, die Zeit der Grundlegungen und somit auch des Dreyschen Frühwerks, zurück. Bei der Aufbereitung der Materialien stellte sich indessen heraus, daß die die Gründungsphase der ThQ dokumentierenden Schriftstücke von 1818 bis 1832 ein Ganzes bilden und nicht auseinandergerissen werden sollten. Dies vor allem deshalb, weil die meisten von ihnen der Feder Dreys entstammen und sie der von ihm betriebenen Umsetzung und Weiterentwicklung des ThQ-Programms von 1818/ 19 dienten. Eine Verschiebung ihrer Wiedergabe auf einen späteren Band hätte diese Zusammenhänge zerrissen und wäre für die Dreyforschung zumindest unpraktisch gewesen. Aus diesen Gründen wurden für den vorliegenden Band sämtliche Schriftstücke zusammengestellt, die die Gründungsphase der ThQ von 1818 bis 1832 betreffen. Damit wird der Forschung zum ersten Mal eine vollständige und lückenlose Sammlung dieser Dokumente zur Verfügung gestellt. IV. Zeitgeschichtliche Berichte, Stellungnahmen und Analysen 1819-1829 (1835). In der ThQ konnten wie bereits erwähnt 18 Beiträge identifiziert werden, in denen Drey als Beobachter und Berichterstatter des Zeitgeschehens in Erscheinung trat. Sie sind im Kapitel Texte Nr. 9 unter der Sammelbezeichnung Miscellanea angeführt. Darunter finden sich auch simple Nachrichten aus dem Leben von Kirche und Universität. Dreys Hauptinteresse galt aber »Ereignissen«, »Entwicklungen« und »Zuständen« in Kirche und Staat, soweit sie <?page no="25"?> XXV Zu diesem Band ekklesiologisch Relevantes betrafen. Auf diesen Gebieten formulierte er mitunter recht temperamentvoll, aber stets mit dem Engagement eines dem Zeitgeschehen zugewandten professionellen Ekklesiologen, seine Auffassungen. In einigen dieser Beiträge übersteigen seine Ausführungen ihren Anlaß, sie bereichern deshalb unsere sonstigen Kenntnisse seines ekklesiologischen Denkens und seiner kirchenpolitischen Einstellungen substantiell und werfen auch für sein Persönlichkeitsbild einiges ab. Diese Beiträge sind in den ersten elf Jahrgängen der ThQ erschienen, nach 1829 hat Drey in dieser Rubrik nichts mehr veröffentlicht. Im vorliegenden Band sind somit auch alle in diese Rubrik fallenden Texte Dreys erfaßt und dokumentiert. Auch für diesen Textblock gilt das oben in Ziff. III zu den ThQ-Dokumenten Gesagte: Die für Band IV der TüA vorgesehene Eingrenzung auf die Zeit des Dreyschen Frühwerks wurde überschritten, um alle derartigen Texte Dreys beieinander zu haben. - Das Schleyervorwort von 1835 wurde als Misz. Nr. 19 in diesen Textblock aufgenommen, weil es seiner literarischen Art nach ein Einzelfall in seinen Schriften überhaupt ist und weil sonst für es eine eigene Rubrik hätte eingeführt werden müssen. * Der vorliegende Band hat einen Gesamtumfang von 848 Seiten. Er ist daraufhin konzipiert, die genannten 34 Texte zu dokumentieren und sie durch Erläuterungen zu erschließen. Die Realisierung dieses Vorhabens bildet demgemäß den Hauptteil dieses Bandes. Dieser erstreckt sich auf annähernd 750 Seiten. Davon entfallen insgesamt 340 Seiten auf die edierten Texte und 401 Seiten auf Einleitungen zu ihnen. Dem Hauptteil angefügt sind 36 mit Erläuterungen versehene Abbildungen sowie ein Anhang zur Rezeptionsgeschichte Dreys in Frankreich. Dieser Block umfaßt 48 Seiten. Am Ende des Bandes finden sich Verzeichnisse, Listen und Register. Eröffnet wird er mit einem detaillierten Inhaltsverzeichnis, das besonders darauf abgestellt ist, die zahlreichen in den Einleitungen behandelten Themen und Stoffe anzuzeigen. Es kann deshalb als eine Art Sachregister benutzt werden. Da mit diesem Band die Tübinger Ausgabe der Schriften Dreys fortgesetzt wird, ist er in seiner formalen Gestaltung den bisherigen Bänden angeglichen. Auch die für sie geltenden editorischen Grundsätze wurden weitestgehend beibehalten. Die hier edierten Dreytexte, denen in einigen Fällen zusätzliche Schriftstücke beigefügt wurden, sind mitsamt den jeweils zu ihnen gehörenden Einleitungen in neun Texteinheiten, die den Charakter von Kapiteln haben, aufgeteilt. Die Kapitelüberschriften geben Auskunft über die unter ihnen angeführten Schriften bzw. Dokumente. Die Abfolge der Kapitel ist chronologisch geordnet. Die Texte bzw. Texteinheiten sind im Hinblick auf den praktischen Umgang mit ihnen, d.h. für Zitierungen und Querverweise, unter dem Kürzel »Text Nr. ...« bzw. »Texte Nr. ...« durchnumeriert. In »Text <?page no="26"?> XXVI Zu diesem Band Nr. 1« bis »Text Nr. 6« sowie in »Text Nr. 8« ist jeweils eine der zum Frühwerk Dreys gehörenden Schriften untergebracht. Sie repräsentieren im vorliegenden Band die im eigentlichen Sinn wissenschaftlichen Stücke von Dreys Frühwerk. In »Texte Nr. 7« sind die neun Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ zusammengestellt, die diesen Vorgang erstmals lückenlos und aus erster Hand dokumentieren. Sie haben größtenteils Drey zum Verfasser und belegen dessen Anteil an der Gründung und Ausgestaltung der ThQ. Auch sie sind aus praktischen Gründen durchnumeriert. Das letzte Kapitel umfaßt unter dem Kürzel »Texte Nr. 9« und unter der Überschrift »Miscellanea 1819-1835« die 19 Texte, in denen Drey als Beobachter und Berichterstatter zeitgeschichtlicher Vorgänge in Erscheinung getreten ist. Auch in diesem Kapitel sind alle dieser Kategorie zugehörenden Texte Dreys erstmals nachgewiesen und zusammengestellt. Jeder Textkomplex, bestehend aus dem zur Edition gelangten Dreytext und der dazu gehörenden Einleitung, ist als in sich eigenständige Einheit gestaltet. Die beiden Teile, aus denen diese Einheiten zusammengesetzt sind, sind mit den Buchstaben A und B gekennzeichnet. Die A-Teile enthalten demgemäß stets die Einleitungen des Herausgebers (bzw. in Text Nr. 2 seines Mitarbeiters Winfried Werner), in den B-Teilen sind die Dreytexte nach den Regeln einer kritischen Edition wiedergegeben. In den A-Teilen finden jeweils unter Ziff. I die bibliographischen Angaben zum Fundort der Dreytexte und zum Verfasserschaftsnachweis sowie gelegentlich weitere Hinweise; im Anschluß daran sind jeweils unter Ziff. II in Einleitungsform die Erläuterungen zur Erschließung und Einschätzung der Dreytexte untergebracht. Die Anmerkungen sind in jeder Texteinheit neu durchnumeriert. Dem editorischen Hauptteil angefügt ist der erwähnte Anhang zum wissenschaftlichen Nachlaß von Pierre Chaillet SJ, der sich in Vanves in Paris befindet (749-756). Chaillet spielte in der Rezeptionsgeschichte Dreys eine herausragende Rolle. Der Nachlaß enthält Projekte zur Einführung Dreys in Frankreich, dazu die ersten, noch unveröffentlichten Übersetzungen von Dreytexten ins Französische, auch sie von Chaillet. Dieser Nachlaß war bisher in der Dreyforschung nicht bekannt. Die dem Band mit auf den Weg gegebenen Abbildungen (757-795) können über ihren direkten Informationsgehalt hinaus auch etwas zur atmosphärischen Situierung hergeben. Sie sind vermittels der ihnen beigegebenen Legenden mit den Dreytexten vernetzt. Zu ihnen gehören faksimilierte Titelblätter, Texte bzw. Textproben und vor allem Konterfeis von Personen, die in näherer oder entfernterer Weise mit den Dreytexten in Verbindung stehen. Von Joseph Mets, der in der wissenschaftlichen Vita Dreys eine bemerkenswert vielseitige Rolle spielte, konnte leider trotz intensiver Recherchen kein Portrait ausfindig gemacht werden. Er ist deshalb im Abbildungsteil mit einer auf seine Wandlungsfähigkeit in Sachen Zensur hindeutenden Textprobe ver- <?page no="27"?> XXVII Zu diesem Band treten. Abbildungen, die im vorliegenden Band vermißt werden, finden sich vielleicht in den anderen Bänden der TüA. * Und der Ertrag des vorliegenden Bandes? Wie jede kritische Edition historischer Texte darauf angelegt sein muß, mehr oder weniger schwer zugängliche oder verderbte Texte in ihrer Originalfassung zu dokumentieren und zu erschließen, so gilt das auch für den vorliegenden Band bezüglich der in ihn aufgenommenen Schriften Dreys. Das A und O einer solchen Ausgabe liegt demnach im Handwerk der Edition, und nach den dabei erzielten Ergebnissen ist sein Ertrag zu bemessen. Genau genommen liegt dieser Ertrag auf verschiedenen Ebenen. Er betrifft zum einen die Texte, die nun für sich selbst sprechen und so aus sich heraus ihre Wirkungsgeschichte entfalten können. Mit der Ausgabe dieser Texte wird ihnen und ihrem Autor im theologischen Diskurs der Gegenwart gleichsam zu Sitz und Stimme verholfen, und Drey kann sich nun wie ein lebendig Sprechender seine Leser suchen. Diesbezüglich beinhalten die in diesem Band dokumentierten Texte einiges Potential: In ihnen tritt ein Denken zutage, das für seine Zeit gezielt innovativ sein wollte, zugleich aber kräftig genug ist, seinen zeitgeschichtlichen Kontext zu überschreiten. Selbst der Sprache Dreys eignet eine unverbrauchte Frische. Sie ist mit den Stilmerkmalen, die so viele Schriften des 19. Jahrhunderts verstaubt und veraltet erscheinen lassen, erstaunlich wenig behaftet. Weitaus die meisten der in diesem Band dokumentierten Schriften gehören der ersten literarischen Schaffenszeit Dreys an. Sie bilden zusammen wie oben dargelegt sein theologisches Frühwerk als eine im Dreyschen Gesamtwerk klar abgrenzbare Größe von eigener Identität. Semantisch gesehen signalisiert der Terminus Frühwerk, daß es hier ein Ganzes gibt, das die Einzelteile überwölbt und ihnen ihren Stellenwert zumißt. Und in dieser Hinsicht liegt der Ertrag dieses Bandes darin, daß der Drey des Frühwerks in seinen Texten unverfälscht und unverstellt zu Wort kommen kann. Zum andern liegt der Ertrag in dem, was dieser Band zur Erschließung der Texte mit sich bringt. Bei den Untersuchungen, die zum Anlaß, Kontext und Inhalt der Dreytexte sowie zu ihrer Rezeptionsgeschichte unternommen wurden, stellte sich wie schon angedeutet heraus, daß die bisherige Kenntnis und Einschätzung der Texte beträchtliche Mängel aufweist. Es ging dabei nicht um Interpretationsfragen, die ihre Stärken und Schwächen haben und je nachdem kontrovers diskutiert werden können, sondern um Tatbestände und Sachfragen, an denen bei entsprechender Kenntnis nicht zu rütteln ist, und dabei nicht selten um massive Fehlurteile. Darüber hinaus förderten die Recherchen Überraschendes zur wissenschaftlichen Vita und zum Persönlichkeitsbild Dreys ans Licht. In der Literatur zum Frühwerk Dreys und zu seiner Person haben sich wie gesagt schon früh Vorurteile eingenistet und sich im <?page no="28"?> XXVIII Zu diesem Band Laufe der Zeit quasi more scientifico zu Gemeinplätzen verfestigt, die zu hinterfragen sich als notwendig erwies. Sie betreffen teils direkt den blanken Gehalt der Texte, teils ihre zeitgeschichtliche und biographische Situierung. Das Frühwerk Dreys und sein Autor ist auf diesen Gebieten von der ersten Stunde an zu einem Tummelplatz polemischer Unterstellungen, aus der Luft gegriffener Behauptungen und selbst abgefeimter Gemeinheiten geworden, die das Geschehen verfälscht, das Bild Dreys eingetrübt und seine Schriften entstellt haben. Das alles hat sich unter den Gespinsten scheinbarer Informiertheit fortgepflanzt. Es bedurfte eines langen Anlaufs und eingehender Nachforschungen, um dieses Dickicht lichten und die Dinge richtigstellen zu können. Zu bemerken war aber auch, daß es in der Fachliteratur zum Frühwerk Dreys wahre Perlen gibt, die zum Glänzen zu bringen eine Freude war. Die dabei erzielten Ergebnisse können im Rahmen eines Vorworts nicht im einzelnen angeführt werden. Einige Hinweise mögen genügen. An erster Stelle hervorhebenswert sind die bereits angesprochenen Erkenntnisse zur textuellen Seite des Frühwerks. Sie betreffen hauptsächlich die Revisionsschrift und die Beichtschrift. Für die erstere wurde zwingend nachgewiesen, daß der im Konstanzer Pastoralarchiv veröffentlichte Text nur ein Teil, genauer genommen nur der historische Einleitungsteil des von Drey verfaßten Revisionsaufsatzes ist. Der Rest, d.h. der systematische Hauptteil, blieb ungedruckt. Die bisherigen Interpretationen der Revisionsschrift haben darunter gelitten, daß ihr Fragmentcharakter nicht berücksichtigt und somit pars pro toto gesetzt wurde. Ähnlich, nur mit viel gravierenderen Folgen, verhält es sich mit der Beichtschrift. Der unter diesem Kurztitel in der Dreyforschung rezipierte Text ist in Wahrheit nur der erste, auch er nur der historische Teil eines größeren Ganzen. Daß der systematische Hauptteil fehlt, wurde nie berücksichtigt, in diesem Fall mit besonders verheerenden Folgen für die Beurteilung des Dreyschen Denkens und Wollens. Hier konnte nachgewiesen werden, daß dieser ungemein wichtige Hauptteil 1819 von Drey unter dem Titel Oratio (de dogmatum christianorum incremento institutioni haud adverso) veröffentlicht wurde, auch er übrigens im Pastoralarchiv Wessenbergs. In den Diskussionen um die Beichtschrift, die diesseits und jenseits der Alpen stattfanden, mit den bekannten Folgen für Drey persönlich und für die Einschätzung seines theologischen Frühwerks, wußte man nicht einmal um die Existenz der Oratio. Daß darunter die Interpretation und Beurteilung der Beichtschrift litt, versteht sich von selbst. Drey hat in der Oratio nicht nur die Intentionen freigelegt, die er mit der Beichtschrift verfolgte, sondern zu ihr den systematischen Überbau nachgeliefert, mit Systemgedanken, die zum Wichtigsten und Innovativsten nicht nur seines Frühwerks, sondern seines theologischen Denkens überhaupt gehören. Wenn Geiselmann, gestützt auf die Katholizismusschrift, das organologische Geschichtsdenken Dreys und seinen Begriff der lebendigen Überlieferung als besondere Leistungen herausstellte, <?page no="29"?> XXIX Zu diesem Band und dies mit Recht, so ist ihm - und allen, die sich in diesen Sachen auf Geiselmann verlassen haben - wegen der Unkenntnis der Oratio eine andere und gewiß nicht weniger wichtige Seite im Geschichtsdenken Dreys entgangen, nämlich der schon erwähnte Einsatz der historisch-kritischen Methoden zur Freilegung des wahren Verlaufs der Kirchengeschichte an einem von Drey ausgewählten, besonders brisanten Beispiel. Die organische Entwicklung des Dogmensystems erfolgte zwar nicht ohne innere Logik, aber sie ist durchsetzt mit Stolpersteinen, die um der Redlichkeit der Theologie willen nicht plattgewalzt werden dürfen. Sie sind der epistemologische Ernstfall der Dogmengeschichte, ihrer Wechselfälle und Formenwelten. Drey illustrierte das in der Beichtschrift an den vicissitudines des Bußsakraments, und er handelte sich damit die bekannten Schwierigkeiten ein, aber in der Oratio entwickelte er die Grundsätze für eine in diesen Dingen ehrliche und sie zugleich in sich aufnehmende theologische Prinzipien- und Erkenntnislehre. Hier geht es um die pragmatische Seite im Traditionsbegriff Dreys. Der von Geiselmann herausgearbeitete Traditionsbegriff muß von daher ergänzt werden. Wenn es nach ihm eine der großen und vielleicht die größte Leistung Dreys war, der Geschichte im theologischen Begriff des Christentums als positiver, d.h. geschichtlich gestifteter Religion zu ihrem Recht verholfen zu haben, und daß diese Leistung in seiner spekulativen Vermittlung von Vernunft und Geschichte einerseits und seinem organologischen Verständnis des Überlieferungsgeschehens anderseits liege, so ist diese Auffassung ergänzungsbedürftig. Für den Drey der Beichtschrift und der Oratio bildet sich in der pragmatologischen Erforschung der Dogmengeschichte ein eigener theologischer Parameter heraus, und die historisch-kritische Methode ist das Instrument der Wahrheitsfindung für das geschichtliche Wesen und Gewesensein des Christentums in den klippenreichen Gewässern seiner Vergangenheit, und sie ist für Drey deshalb eine elementare Instanz der Dogmatik. Wenn von seiten der an dieser Methode besonders interessierten Historiker gewöhnlich behauptet wurde, sie habe erst in der zweiten oder dritten Generation der Katholischen Tübinger Schule Einzug in sie gefunden, so entspricht das infolgedessen nicht den Realitäten. Es war vielmehr Drey, der in seinem Frühwerk sowohl theoriegeleitet als auch in praxi das bereits vorgenommen hat. Die ersten großen Historiker der Katholischen Tübinger Schule waren auch in dieser Hinsicht Schüler Dreys. Der Herausgeber konnte sich für seine Einleitungen zu den Dreytexten zwar vielfach auf die Sekundärliteratur stützen, aber es stellte sich bei den Vorarbeiten heraus, daß ihr nicht uneingeschränkt zu trauen ist. Es gab da manche desillusionierende Überraschung und Enttäuschung. Die Ergebnisse sind in die Einleitungen eingegangen. In ihnen wird deshalb grundsätzlich nicht das bisher Geläufige oder scheinbar wissenschaftlich Gesicherte unbesehen weitertransportiert. Sie haben den Charakter von eigenständigen For- <?page no="30"?> XXX Zu diesem Band schungsbeiträgen. Die Probleme betreffen neben schieren Inhaltsfragen und Verfasserschaftszuschreibungen vor allem die zeitgeschichtlichen Bezüge der Schriften, ihre Verwicklung in Konflikte und die Rekonstruktion von Geschehensabläufen, und immer wieder die Rückkoppelungen auf Drey, seine Person und Biographie. Die hier erzielten Ergebnisse greifen tief in lieb oder unlieb gewordene Klischees ein, sind aber so zahlreich, daß sie in einem Resümee nicht einzeln aufgeführt werden können. Ein Blick in das detaillierte Inhaltsverzeichnis kann einen ersten Eindruck davon vermitteln. Das Spektrum dieser Abklärungen erstreckt sich praktisch auf alle hier zur Debatte stehenden Schriften Dreys und ihre Einbettung in seine wissenschaftliche Vita. Die genaue Rekonstruktion der Konflikte um die Revisionsschrift - und noch viel mehr um die Beichtschrift - ist wohl besonders hervorhebenswert. Und was schließlich die Gründungsgeschichte der ThQ und die Rolle Dreys in ihr angeht, so werden die dazu zusammengestellten Dokumente auch auf diesem Feld künftig für Klarheit sorgen. * Im Vorausgehenden wurde verschiedentlich angedeutet, daß die Vorarbeiten für diesen Band einer Reise glichen, auf der es Neues und Überraschendes zu entdecken gab. Manches konnte ausgegraben und vieles mußte umgepflügt werden, was bei der Projektplanung noch nicht abzusehen war. Aus diesem Grund, aber auch wegen anderer Publikationspflichten, hat das Erscheinen dieses Bandes länger auf sich warten lassen, als ursprünglich veranschlagt war. Jetzt, nachdem er fertiggestellt ist, denkt der Herausgeber dankbar an die Helfer und Hilfen zurück, die zum Gelingen beigetragen haben. Unter ihnen ist wiederum - wie auch schon bei den vorangegangenen Bänden der TüA - sein ständiger Mitarbeiter Dr. Winfried Werner zu nennen, der mit seiner in vielen Jahren erworbenen Kompetenz, gepaart mit unermüdlicher Hilfsbereitschaft und selbstlosem Einsatz in dürftiger Zeit, stets aufs Beste kooperierte. Er hat in diesen Jahren mit mir die Freuden und Leiden geteilt, die sich auf dem dornenreichen Weg zur inventiven Erschließung des Dreyschen Frühwerks einstellten. Ihm oblag in erster Linie die editorische Ausfertigung der Dreytexte, angefangen bei ihrer Transkription, ihrer kritischen Bearbeitung und elektronischen Erfassung bis zu ihrer definitiven Formatierung, darüber hinaus aber auch die technische Erstellung der Druckvorlage für diesen Band nach dem Regelwerk des Tübinger Systems von Textverarbeitungs-Programmen (TUSTEP). Für den Text von Nr. 2 verfaßte er außerdem den dazu gehörenden Einleitungsteil. Auch die Anfertigung der Verzeichnisse, Listen und Register fiel in seinen Zuständigkeitsbereich, desgleichen alle Schreibarbeiten, die bei einer besseren personellen Ausstattung des Projekts Sache einer Schreibkraft gewesen wären. Nichts war ihm zuviel. Dr. Reinhold Rieger hat vor Jahren die erste Transkription von Text Nr. 2 vorgenommen und die <?page no="31"?> XXXI Zu diesem Band erste, vorläufige Fassung der dazu gehörenden Apparate erstellt. Eugen Fesseler, der ehemalige Leiter der Bibliothek des Wilhelmsstifts, war in Notfällen wie immer ein hilfsbereiter Ansprechpartner. Sehr zu danken ist ferner den Damen und Herren der Bibliothek des Wilhelmsstifts, der Diözesanbibliothek, der Universitätsbibliothek, der Seminarbibliotheken sowie anderer Bibliotheken und Institute z.B. in Stuttgart und Konstanz. Gleiches gilt für das Universitätsarchiv in Tübingen, das Diözesanarchiv in Rottenburg und das Staatsarchiv in Ludwigsburg. P. Robert Bonfils SJ, dem Leiter des Archivs der Ordensprovinz Paris der Gesellschaft Jesu in Vanves, ist für detaillierte Auskünfte und Kopien besonders Dank zu sagen. Auch Professor Joseph Hoffmann (Straßburg), Professor Joseph Rief (Ellwangen), Professor Immo Eberl (Ellwangen) und Professor Norbert Wolff (Traunstein) haben durch Auskünfte sich verdient gemacht, desgleichen Frau He´le`ne Poisson (Quebec) mit Materialien aus dem Nachlaß Chaillet. Meine Fakultät hat durch administrative Hilfen und durch die Bereitstellung des für die Projektarbeiten nötigen Raumes mitgewirkt. Frau Maria Reger hat auch dieses Mal das ganze Projekt mit den kritischen Augen und dem kundigen Rat der Germanistik begleitet und mit dem guten Geist anhaltender Gastfreundschaft gefördert; sie hat auch die Korrekturen mitgelesen. Der Firma Pagina ist für die Unterstützung bei der Satzerstellung mit dem Tübinger System von Textverarbeitungs-Programmen (TUSTEP) zu danken. Und nachdem die Deutsche Forschungsgemeinschaft für die Bände I bis III der TüA die Finanzierung übernommen hatte, hat dieses Mal der Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Dr. Gebhard Fürst, die Basisfinanzierung für den vorliegenden Band sichergestellt. Dafür, und für das Wohlwollen überhaupt, mit dem er dieses Projekt begleitete, gebührt ihm großer Dank. Es freut den Herausgeber, daß Bischof Dr. Fürst und seine Diözese auf diese Weise an der Verlebendigung Dreys, der für das weltweite Ansehen dieser Ortskirche so viel getan hat, maßgeblich mitgewirkt haben. Zu guter Letzt ist dem Verleger, Dr. Gunter Narr, und dem Francke Verlag für die gute Betreuung dieses Bandes herzlichst zu danken. Tübingen, 28. August 2014, am Fest des heiligen Augustinus Max Seckler <?page no="33"?> Text Nr. 1: Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie [Revisionsschrift] Teil A: Einleitung von Max Seckler I. Bibliographische Angaben 1. Erstdruck: J ohann S ebastian D rey , Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie, in: Archiv für die Pastoralkonferenzen in den Landkapiteln des Bisthums Konstanz. 1812, Jahrgang 11, Band I, Heft 1 (Januar) 3-26. Konstanz und Freyburg, in der Herderschen Buchhandlung. - Die Verfasserangabe findet sich am Ende des Textes mit dem Wortlaut: »Rotweil. Joh. Sebast. Drey. Professor«. Unmittelbar im Anschluß an die unter Nummer I. figurierende Abhandlung D reys ist unter Nummer II. im Rang einer eigenen Abhandlung eine zweiteilige Stellungnahme aus dem Mitarbeiterstab W essenbergs mit der Überschrift Bemerkungen über den durch Hrn. Professor Drey zu Rotweil eingesendeten Aufsatz abgedruckt (27-44), für deren Teil »A.« (27-37) »Jos. Mets, Bischöfl. Geistl. Regierungsrath« zeichnet, für den Teil »B.« (38-44) »Burg, geistl. Regierungsrath und Commissär«. Das von I gnaz H einrich von W essenberg als Generalvikar und Geistlicher Regierungspräsident des Bistums Konstanz seit 1804 herausgegebene Archiv für die Pastoralkonferenzen in den Landkapiteln des Bisthums Konstanz war in Verbindung mit den von ihm erneuerten und streng geregelten Pastoralkonferenzen das wichtigste Instrument zur Verwirklichung seiner Reformpläne. Es hatte den Gründungsdokumenten von 1803 gemäß die Beförderung der Religiosität und die fortschreitende Bildung des Klerus zum Ziel. In es wurden neben den besseren Arbeiten der Konferenzteilnehmer auch andere, den Reformabsichten W essenbergs dienlich erscheinende Aufsätze aufgenommen. Es erschien in monatlichen Heften von 1804 bis 1827. W essenberg hatte neben der Herausgeberschaft auch persönlich die Schriftleitung inne. Dem Organ vorausgegangen war die 1802 gleichfalls von W essenberg begründete Geistliche Monatschrift mit besonderer Rücksicht auf die Konstanzer Diözese, an deren Stelle 1804 das Pastoralarchiv trat. Im folgenden wird als Arbeitstitel für die Abhandlung D reys die Bezeichnung Revisionsschrift (RS) verwendet. <?page no="34"?> 2 Bibliographische Angaben 2. Abdruck: J ohann S ebastian D rey , Kurze Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie, in: I gnaz H einrich von W essenberg , Die wichtigsten Ergebnisse der Pastoralkonferenzen im Bisthum Konstanz von 1802-1827 in systematischem Zusammenhang geordnet, oder: Das Archiv für die Pastoralkonferenzen im Bisthum Konstanz, im Auszuge 1. Ehingen a.d.D. 1835, 205-219 (die Auswahledition erschien zwischen 1835 und 1839 in acht Bänden). Der Abdruck ist bis auf Änderungen auf der Ebene der Disposition (siehe dazu unten Ziff. II.2.b) wortgetreu. - In dem Band sind auch die kritischen Bemerkungen abgedruckt (219-229), die J oseph von M ets und J oseph V itus B urg im Konstanzer Pastoralarchiv im Anschluß an die Abhandlung D reys angebracht hatten. 3. Nachdrucke: a. Neusatz: J ohann S ebastian D rey , Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie, in: Geist des Christentums und des Katholizismus. Ausgewählte Schriften katholischer Theologie im Zeitalter des deutschen Idealismus und der Romantik. Herausgegeben, eingeleitet und erklärt von Joseph Rupert Geiselmann (Deutsche Klassiker der katholischen Theologie aus neuerer Zeit. Hg. von H einrich G et zeny . 5). Mainz 1940, 83-97. Der Wortlaut des Neusatzes stimmt mit dem Erstdruck überein. - Die Bemerkungen von M ets und B urg sind bei G eisel mann nicht aufgenommen. b. Fotomechanischer Nachdruck des Erstdrucks: J ohann S ebastian D rey , Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie, in: J ohann S ebastian D rey , Revision von Kirche und Theologie. Drei Aufsätze. Herausgegeben und eingeleitet von Franz Schupp. Darmstadt 1971, 1-24 (unveränderter reprographischer Nachdruck, mit neuer Paginierung. Dieser Band enthält neben der Revisionsschrift zwei weitere Abhandlungen D reys aus den Jahren 1824 und 1830). Die Wissenschaftliche Buchgesellschaft brachte zwischen 1951 und 1975 unter dem Reihentitel Libelli ca. 350 »für die Entwicklung der Wissenschaften wichtigste und bleibend bedeutsame Arbeiten« heraus. In dieser Reihe figuriert das von S chupp herausgegebene Bändchen unter der Nummer 312. c. Eine unveränderte Fassung des von S chupp herausgegebenen Bändchens findet sich in dem 1984 von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft in Darmstadt aus acht Bänden der Reihe Libelli zusammengestellten Schuber Theologen und Philosophen des 19. Jahrhunderts an zweiter Stelle (die einzelnen Bände sind weder numeriert noch als Neuauflage bezeichnet, noch ist ihre Zugehörigkeit zu dieser Ausgabe vermerkt). Das alphabetisch angeordnete Konvolut enthält neben dem Bändchen mit den drei Abhandlungen D reys Werke von F ranz von B aader (Über den Begriff der Zeit. Über den Zwiespalt des religiösen Glaubens und Wissens als die geistige Wurzel des Verfalls der religiösen und politischen Societät in <?page no="35"?> 3 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) unserer wie in jeder Zeit. Libelli 18, 1958), L udwig F euerbach (Das Wesen des Glaubens im Sinne Luthers. Ein Beitrag zum »Wesen des Christentums«. Libelli 280, 1970), E duard von H artmann (Grundriß der Religionsphilosophie. Libelli 171, 1968), F ranz O verbeck (Über die Anfänge der patristischen Literatur. Libelli 15, 1954), F riedrich S chleiermacher (Monologen. Eine Neujahrsgabe. Libelli 10, 1953; Die Weihnachtsfeier. Ein Gespräch. Libelli 11, 1953) und A ugust F ried rich C hristian V ilmar (Die Theologie der Tatsachen wider die Theologie der Rhetorik. Bekenntnis und Abwehr. Libelli 231, 1968). 4. Übersetzung: J ohann S ebastian D rey , Toward the Revision of the Present State of Theology, in: Romance and the Rock. Nineteenth-Century Catholics on Faith and Reason. Edited and introduced by Joseph Fitzer (Fortress Texts in Modern Theology). Minneapolis 1989, 62-72. F itzer nennt in einer Fußnote auf S. 62 den Nachdruck bei G eiselmann 1940 als Quelle, hiernach hat er die Übersetzung angefertigt. Der ursprüngliche Erscheinungsort im Konstanzer Pastoralarchiv ist in Klammern angegeben. Der von F itzer herausgegebene Band enthält insgesamt 14 Beiträge aus Schriften katholischer Autoren des 19. Jahrhunderts, die für die Erneuerung der Theologie und für die Ausformung des modernen Katholizismus repräsentativ seien. Im ersten Teil dieses Bandes rangiert D rey zwischen C hate aubriand und M öhler als Instanz für »The New Romantic Vision«. II. Erläuterungen 1. Das Manuskript der Revisionsschrift Die im Konstanzer Pastoralarchiv 1812 unter dem Titel Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie veröffentlichte Abhandlung endet mit dem von D rey selbst stammenden Vermerk: »Rotweil. Joh. Sebast. Drey. Professor«. Daraus geht hervor, daß das Manuskript dieser Abhandlung in der württembergischen Oberamtsstadt (seit 1802, zuvor Reichsstadt) Rottweil a.N. entstanden ist. D rey war nach seiner Vikarszeit in Röhlingen bei Ellwangen (1801-1806) dank einer Empfehlung seines damaligen Prinzipals J ohann N epomuk B estlin (1766-1831) im Februar 1806 als Professor in die philosophische Abteilung am Lyzeum in Rottweil berufen worden 1 , was in Anbetracht seines Lebensalters und seiner bisherigen Stellung einer außergewöhnlichen Beförderung gleichkam und einen gewaltigen Karrieresprung bedeutete. Sein Lehrdeputat umfaßte dort die Fächer Mathematik, Physik, 1 Näheres dazu: Einleitung zu TüA 2 (Praelectiones dogmaticae) 14* ff, bes. Anm. 30. <?page no="36"?> 4 Erläuterungen Geschichte der Philosophie und Religionsphilosophie (nach anderer Überlieferung Mathematik, Physik, Philosophiegeschichte und philosophische Propädeutik) 2 . Er selbst verstand und bezeichnete sich dort als »Profeßor der Philosophie« 3 , sein Schwerpunkt lag auf dem Gebiet der Religionsphilosophie. D rey hatte diese Professur bis zu seiner Berufung an die Friedrichsuniversität in Ellwangen auf Herbst 1812 inne. Da der Text der RS im ersten Heft (Januar) des Jahrgangs 1812 im Konstanzer Pastoralarchiv im Druck erschienen ist, steht zunächst einmal fest, daß D rey den Artikel noch während seiner Rottweiler Zeit geschrieben hat. Der genaue Zeitpunkt, zu dem er das Manuskript verfaßte oder zu dem er es in Konstanz einreichte hat, läßt sich nicht mehr ermitteln, aber beides dürfte zeitnah zur Drucklegung, d.h. in der zweiten Hälfte des Jahres 1811, anzusetzen sein. Die Verwicklungen, die der Artikel D reys in Konstanz auslöste (Näheres dazu unten in Ziff. II.8.a. α [»kritische Aufsätze«] und vor allem ebd. [»Vorspiel«]), lassen jedenfalls an eine Verzögerung von einigen Monaten denken. Das Manuskript selbst ist nicht erhalten geblieben, sowenig wie ein Manuskript des als Fortsetzung gedachten Teils der Abhandlung, den das Konstanzer Pastoralarchiv nicht mehr brachte. Da D rey die Fortsetzung im Pastoralarchiv ausdrücklich anzeigte, ist anzunehmen, daß der diesbezügliche Teil des Manuskripts zu diesem Zeitpunkt bereits vorlag (siehe dazu auch Ziff. II.2). Im Nachlaß D reys aus der Rottweiler Zeit 4 finden sich keine Notizen zu diesem Manuskript. Es gibt auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß D rey am Lyzeum in Rottweil direkt eine Vorlesung zum Thema Revision der Theologie abgehalten hat. Es spricht aber viel dafür, daß er die Thematik der RS bereits innerhalb seiner religionsphilosophischen Vorlesungen behandelte und daß sie sowohl nach ihrer inhaltlichen Orientierung als auch in ihrer situativen Ausrichtung aus dem Rahmen der Religionsphilosophie, wie er sie in Rottweil lehrte, nicht herausfällt (vgl. Ziff. II.5.c). 2 Näheres dazu ebd. 14* ff und TüA 3 (Kurze Einleitung) 125* Anm. 8; vgl. 106* ff. 3 Vgl. dazu TüA 2 (Praelectiones dogmaticae) 14*. 4 Der in der Bibliothek des Wilhelmsstifts in Tübingen aufbewahrte wissenschaftliche Nachlaß D reys aus der Rottweiler Zeit ist bibliographisch aufgelistet in: A braham P eter K ustermann / E ugen F esseler , Bibliographie der Schriften Johann Sebastian Dreys, in: A braham P eter K u stermann (Hg.), Revision der Theologie - Reform der Kirche. Die Bedeutung des Tübinger Theologen Johann Sebastian Drey (1777-1853) in Geschichte und Gegenwart. Würzburg 1994, 309-339, hier 332-334. Er umfaßt lediglich mathematische, naturwissenschaftliche, meteorologische und physikalische Manuskripte. Beschreibung und Auswertung dieser Manuskripte (vor allem im Hinblick auf ihre (religions- und natur-) philosophische Relevanz) bei: E berhard T iefensee , Die religiöse Anlage und ihre Entwicklung. Der religionsphilosophische Ansatz Johann Sebastian Dreys (1777-1853) (Erfurter Theologische Studien 56). Leipzig 1988, 21-25 und passim, Auszüge ebd. 240-249, sowie in: ders ., »Erläuterung aus dem Beispiel der Naturgeschichte unserer Erde«. Naturphilosophische Wurzeln des Entwicklungsbegriffs bei Drey, in: K ustermann , Revision der Theologie (wie oben) 229-245. Vgl. dazu auch TüA 2 (Praelectiones dogmaticae) 16* Anm. 36. Nicht erhalten geblieben sind dagegen die von D rey im Theologischen Tagebuch erwähnten »Manuskripte«, zu denen der zweite Teil der RS gehört haben könnte (siehe Einleitung zu Text Nr. 6, Ziff. II.6, bes. c., d. und f.; vgl. auch T iefensee , Die religiöse Anlage (wie oben) 8 f). <?page no="37"?> 5 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) 2. Der Fragmentcharakter der Revisionsschrift Die Annahme, daß es sich bei der 1812 im Konstanzer Pastoralarchiv unter dem Titel Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie veröffentlichten Abhandlung nur um ein Teilstück eines größer angelegten Manuskripts handelt, gehört nicht zum Gemeingut der Dreyforschung. In der Fachliteratur finden sich zwar gelegentlich Hinweise, die in diese Richtung gehen, doch gewöhnlich wird stillschweigend davon ausgegangen, daß die RS in ihrer vorliegenden Form ein ganzheitlicher Text sei. Zum Gegenstand einer eingehenderen Untersuchung ist das Fragmentproblem in der Dreyforschung bislang nicht geworden. Für den Fragmentcharakter der im Konstanzer Pastoralarchiv veröffentlichten Abhandlung sprechen folgende Befunde: a. Inhaltliche Gesichtspunkte (1.) Der Titel der Abhandlung läßt erwarten, daß D rey sich direkt mit dem »gegenwärtigen« Zustand der Theologie befassen werde. Das geschieht aber nicht. Die Abhandlung beginnt - ausgehend von einem Idealbild der mittelalterlichen Theologie - mit einer weit ausholenden Schilderung ihrer nachmittelalterlichen »Schicksale« im Sinne einer Verfallsgeschichte. Die Schilderung endet an der Schwelle zur Gegenwart, die eigentlich zu erwartende Beschreibung und Analyse des »gegenwärtigen« Zustandes wird nicht mehr gegeben, abgesehen von einer Anspielung auf sie im letzten Satz der Abhandlung (26). Diese Fehlanzeige könnte bereits darauf hindeuten, daß der diesbezügliche Teil der Abhandlung ungedruckt geblieben ist. Zwingend wäre diese Annahme für sich allein genommen allerdings nicht. Es ist a priori nicht vollkommen auszuschließen, daß D rey sich der indirekten Methode bediente, um im Durchgang durch die Verfallsgeschichte der zeitgenössischen Theologie den Spiegel vorzuhalten, doch eine Diskrepanz zwischen der vollmundigen Ankündigung und ihrer faktischen Einlösung fällt gleichwohl auf. (2.) Stärker ins Gewicht fällt der Umstand, daß die Abhandlung keine systematische Darstellung des neuen bzw. zu erneuernden Theologiebegriffs enthält. Es ist kaum vorstellbar, daß der Systematiker D rey sich auf die wenigen Andeutungen beschränken wollte, die sich im geschichtlichen Teil seiner Ausführungen finden, anstatt in einem konstruktiven Haupt- und Schlußteil die Grundsätze für die von ihm ins Auge gefaßte Neugestaltung der Theologie zusammenhängend darzustellen. Die Vermutung, daß im Konstanzer Pastoralarchiv nur ein Teilstück des von D rey zur Veröffentlichung vorgesehenen Manuskripts zum Abdruck gelangte, erhärtet sich anhand der nachfolgend (Ziff. II.2.b) angeführten Sachverhalte zur Gewißheit. Es ist anzunehmen, daß der Abbruch der Drucklegung mit einer redaktionellen Intervention zusammenhängt (Ziff. II.2.c). Aus den Beobachtungen und Überlegungen in Ziff. II.2.d wird hervorgehen, <?page no="38"?> 6 Erläuterungen daß es zumindest der oben in (2.) angesprochene systematische Teil war, der dieser Intervention zum Opfer gefallen ist, dieser aber mit Sicherheit. Offen bleiben muß dagegen die Frage, ob das ursprüngliche Manuskript auch noch ein Teilstück mit Ausführungen zur zeitgeschichtlichen Situation der Theologie im Sinne von (1.) umfaßte. b. Zwingende Indizien für den Fragmentcharakter der Revisionsschrift Formale Befunde in der Druckfassung deuten unweigerlich auf eine unvorhergesehene Fragmentierung des Textes hin. Dazu gehört (1.) eine grobe Ungereimtheit in der Disposition der Abhandlung. D rey eröffnet seine Ausführungen mit einer »Vorerinnerung«, in der er sich zum Zweck und zu den Adressaten der Abhandlung äußert (3-4). Dem danach beginnenden Textkorpus wird sodann in plakativer typographischer Hervorhebung der folgende Dispositionspunkt vorangestellt: »I. Abschnitt. Von den Schicksalen der Theologie seit den Zeiten der Scholastik, und ihrem Einflusse auf den Zustand der Religion überhaupt« (5). Weitere Dispositionspunkte gibt es danach nicht mehr, insbesondere keinen »II. Abschnitt«, wie es formal zwingend zu erwarten ist. Zu vermuten, es könnte sich um ein Versehen handeln (derartige Unachtsamkeiten finden sich z.B. in der Disposition der Kurzen Einleitung von 1819), wäre angesichts des kurzen und leicht zu überschauenden Textes der Druckfassung abwegig. Selbst wenn D rey dieses Versehen unterlaufen wäre, hätte es angesichts der in die Augen springenden typographischen Formatierung des ersten und einzigen Zwischentitels der Redaktion des Pastoralarchivs auffallen müssen. Es bleibt die Schlußfolgerung, daß man zum Zeitpunkt der Drucklegung davon ausgegangen war, daß die Abhandlung zumindest mit einem »II. Abschnitt« fortgesetzt werde. Ob die Realisierung dieses Vorhabens von seiten der Schriftleitung des Pastoralarchivs direkt vereitelt wurde oder ob die Kritiken D rey veranlaßten, den noch nicht gedruckten Teil seines Manuskripts von sich aus zurückzuziehen, ist nicht auszumachen. (2.) Im Text des »I. Abschnitts« bemerkt D rey : »Ich will ... meiner Revision bloß eine kurze Darstellung der verschiedenen größtentheils ungünstigen Schicksale der Theologie vorangehen lassen, damit man in dieser Geschichte selbst die Gebrechen allmählig sich entwickeln sehe, die dieser Wissenschaft ihre Auflösung zubereitet haben« (6 f; Hervorhebungen nicht im Original). Daraus geht hervor, daß er die im »I. Abschnitt« untergebrachten Bemerkungen zur Verfallsgeschichte der Theologie selber nur als eine »kurze« historisch-genetische Hinführung zum eigentlichen Revisionsteil als den Hauptteil der RS konzipiert hatte, der in der Disposition als »II. Abschnitt ...« (mit angefügter Inhaltsangabe und in gleicher Formatierung wie der vorausgehende I. Abschnitt) hätte figurieren müssen. Doch Text und Titel dieses Hauptteils fehlen in der Abhandlung, sie bricht in der Druckfassung am Ende des I. Abschnitts kommentarlos ab. <?page no="39"?> 7 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) (3.) Als W essenberg 5 die Abhandlung D reys 1835 in den ersten Band seiner Textsammlung aus dem Konstanzer Pastoralarchiv aufnahm (siehe oben Ziff. I.2), geschah das mit zwei signifikanten Korrekturen. Während der Originaltitel D reys im Konstanzer Pastoralarchiv »Revision des gegenwärtigen Zustandes ...« lautete, heißt es jetzt: »Kurze Revision ...« (205). In der harmlos erscheinenden, aber sachlich nunmehr zutreffenden Bezeichnung der Abhandlung D reys als »Kurze Revision ...« kann der Kundige wohl erkennen, daß die Kürze durch eine Kürzung veranlaßt sein mochte. Darüber hinaus griff W essenberg glättend in den ursprünglichen Zwischentitel ein, indem er das verräterische Dispositionsmerkmal »I. Abschnitt« kommentarlos tilgte. Insgesamt kann man freilich die Aufnahme der Abhandlung D reys in die Sammlung der »Wichtigsten Ergebnisse« aus dem Konstanzer Pastoralarchiv, die W essenberg 23 Jahre später vornahm, als eine späte Respektbezeugung für den inzwischen hochgeachteten D rey einschätzen 6 . 5 I gnaz H einrich (Reichs-) Freiherr von W essenberg , * 4.11.1774 in Dresden aus altem schwäbischen Adel, † 9.8.1860 in Konstanz, Grab im Münster ebd., 1790-1792 Studium am Lyzeum der Exjesuiten zu St. Salvator in Augsburg und bis zu S ailers Absetzung 1792-1794 in Dillingen, 1794-1796 in Würzburg, 1799 Subdiakonatsweihe und Domkapitular in Konstanz, 1802 Berufung zum Generalvikar des Konstanzer Bistums und zum Präsidenten der Konstanzer Geistlichen Regierung durch Fürstprimas K arl T heodor von D alberg , im selben Jahr Gründung der Geistlichen Monatsschrift, ab 1804 fortgesetzt u.d.T. Archiv für die Pastoralkonferenzen des Bistums Konstanz (bis 1827) mit W essenberg als Herausgeber und Schriftleiter, 1812 Priesterweihe, 1813 vom Papst wegen kirchenpolitischer Dissonanzen erwirkte Suspendierung als Generalvikar, nach D albergs Tod 1817 Wahl zum Kapitularvikar in Konstanz, von Rom nicht anerkannt, aber bis 1827 Bistumsverweser. - W essenberg war als Schüler S ailers eine der tatkräftigsten und überzeugendsten kirchlichen Führungspersönlichkeiten im Umbruch des beginnenden 19. Jahrhunderts, mit Schwerpunkt auf Reformen in Erziehung, Bildung und kirchlicher Praxis in der Diözese Konstanz. Mit seinen politischen Zielsetzungen zur Organisation der Kirche in Deutschland im Sinne D albergs ist er am Widerstand Roms gescheitert, desgleichen mit seinen Aspirationen auf den Bischofsstuhl in Konstanz, Freiburg und Rottenburg. Sein schriftstellerisches Werk umfaßt 460 Titel (A land ). Zu ihm: K urt A land , Wessenbergstudien I, in: ZGO N.F. 56 (1943) 550-620, Wessenbergstudien II, ebd. 57 (1948) 450-467, und Wessenbergstudien III, ebd. 105 (1957) 475-511; ders ., Ignaz Heinrich von Wessenberg. Biographie, in: Ignaz Heinrich von Wessenberg 1774-1860. (Gedächtnisausstellung 1974). Konstanz 1974; W olfgang M üller , Ignaz Heinrich von Wessenberg (1774-1860), in: H einrich F ries , G eorg S chwaiger (Hg.), Katholische Theologen Deutschlands im 19. Jahrhundert 1. München 1975, 189-204; M anfred W eitlauff , Zwischen katholischer Aufklärung und kirchlicher Restauration. Ignaz Heinrich von Wessenberg (1774-1860), der letzte Generalvikar und Verweser des Bistums Konstanz, in: RoJbKG 8 (1989) 111-132 (mit guter Charakterisierung des Archivs für die Pastoralkonferenzen in den Landkapiteln des Bisthums Konstanz auf S. 121 ff); ders ., Ignaz Heinrich von Wessenberg (1774-1860). Domkapitular von Konstanz und Augsburg, Generalvikar des Bistums Konstanz; kirchlicher Reformer und Kirchenpolitiker zwischen Säkularisation und Neuorganisation der Kirche Deutschlands. Mit einem Quellen- und Dokumentenanhang. Zum 150. Todestag (Jahrbuch des Vereins für Augsburger Bistumsgeschichte 44.1) Augsburg, Lindenberg 2010; M ichael B angert , Bild und Glaube. Ästhetik und Spiritualität bei Ignaz Heinrich von Wessenberg (1774-1860) (Studien zur christlichen Religions- und Kulturgeschichte 11). Freiburg i.Ü., Stuttgart 2009 (mit biographischer Skizze 15-53 und Bericht zum Stand der Wessenbergforschung 77-83). BBKL 13 (1998) 976-988 (K laus -G unther W esseling ). 6 Die Hochschätzung W essenbergs für D rey ist auch in Briefen belegt. In einem Brief W es - <?page no="40"?> 8 Erläuterungen c. Die Frage nach dem Grund der Fragmentierung D rey bemerkt am Ende der »Vorerinnerung«, es sei der Zweck dieser Abhandlung, »ein prüfendes Nachdenken unter den Theologen zu veranlassen«, und fügt hinzu: »Ich bin überzeugt, daß jenes Nachdenken darüber nicht ohne praktische Wirkung seyn kann; darum übergebe ich die Abhandlung der Redaktion des Archivs, damit diese, wenn sie meiner Ueberzeugung ist,* sie darinn aufnehmen möge« (4). An der mit * markierten Stelle brachte die Redaktion folgende Anmerkung an: »Wenn die Redaktion gleich in vielen Stücken dieser Ueberzeugung nicht ist; so nimmt sie doch keinen Anstand, den Aufsatz aufzunehmen, hält es aber zugleich aus Achtung für die Wahrheit für Pflicht, ein paar kritische Aufsätze mit berichtigenden Anmerkungen beyzufügen. A. d. R.«. Diese »Aufsätze« sind unter dem Titel »Bemerkungen über den durch Hrn. Professor Drey zu Rotweil eingesendeten Aufsatz« der Abhandlung D reys am Ende angefügt (27). Sie bestehen aus zwei Teilen. Für Teil »A.« (27-37) zeichnet »Jos. Mets, Bischöfl. Geistl. Regierungsrath«, für Teil »B.« (38-44) »Burg, geistl. Regierungsrath und Commissär«. Die Verfasser dieser Bemerkungen waren als Amtsträger Mitarbeiter W essenbergs in der Redaktion des Pastoralarchivs (zu ihnen und ihrer Kritik an der RS siehe unten Ziff. II.8.a. α mit Anm. 138 und 139). Mit diesen außerordentlich senbergs vom 25.8.1822 an den Züricher Staatsrat P aul U steri (1768-1831) heißt es: »Württemberg hat nun Professor Drey zu seinem Bischof designiert. Dieser Drey ist ein Mann von seltener Gelehrsamkeit und sein Charakter flößt Vertrauen ein« (wiedergegeben bei S tephan L ösch , Die Anfänge der Tübinger Theologischen Quartalschrift (1819-1831). Gedenkgabe zum 100. Todestag Joh. Ad. Möhlers. Rottenburg a.N. 1938, 45; zum Kontext ebd. 42-47). Ähnlich äußerte sich W essenberg in einem Brief vom 4.1.1840 an den Rottenburger Domdekan I gnaz J aumann (1778-1862), den Freund D reys , in dem er die Hoffnung ausspricht, Professor D rey , »diesem gelehrten und vielverdienten Mann«, zusammen mit J aumann in Konstanz wiederzusehen (wiedergegeben bei M ax M iller , Die Tübinger Kath.-theologische Fakultät und die württembergische Regierung vom Weggang J. A. Möhlers (1835) bis zur Pensionierung J. S. Dreys (1846). Ein Beitrag zur württembergischen Staatskirchenpolitik im Vormärz, in: ThQ 132 (1952) 22-45; 213-234, 34). D rey scheint W essenberg einer handschriftlichen Notiz in seinem Landeskalender vom 3.10.1824 zufolge 1824 aufgesucht zu haben (siehe A braham P eter K ustermann , »Daß ich der Universität und der katholisch theologischen Fakultät nützen könne ...« Zum 200. Geburtstag Johann Sebastian von Dreys. Biographische Hinweise und Quellen, in: R udolf R einhardt (Hg.), Tübinger Theologen und ihre Theologie. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Katholisch-Theologischen Fakultät Tübingen (Contubernium 16). Tübingen 1977, 49-116, 102). - W essenberg hatte für seinen kirchenpolitischen Kurs in der Theologischen Quartalschrift von Anfang an Unterstützung gefunden (vgl. F ritz V igener , Bischofsamt und Papstgewalt. Zur Diskussion um Universalepiskopat und Unfehlbarkeit des Papstes im deutschen Katholizismus zwischen Tridentinum und Vatikanum I (Kirche und Konfession 6). 2. Aufl., überarb. u. mit e. biogr. Nachw. hg. von G ottfried M aron . Göttingen 1964, 74 ff). - Die Vorgänge um die Designierung W essenbergs zum ersten Bischof von Rottenburg durch die württembergische Regierung (Januar 1822) und (nach dessen Ablehnung durch Rom) wenig später auch D reys dürfte die beiden Schicksalsgenossen einander zusätzlich persönlich nähergebracht haben. Vgl. dazu M ax M iller , Ignaz Heinrich Freiherr von Wessenberg als württembergischer Bischofskandidat im Jahre 1822, in: WVLG 38 (1932) 369-400; ders ., Professor Dr. Johann Sebastian Drey als württembergischer Bischofskandidat (1822-1827), in: ThQ 114 (1933) 363-405. <?page no="41"?> 9 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) kritischen »berichtigenden Anmerkungen« haben die Zensoren die Fortsetzung der Drucklegung faktisch gestoppt, der noch fehlende systematische Teil der RS blieb ungedruckt. d. Wo ist der fehlende Teil geblieben? Nach dem bisher Gesagten ist davon auszugehen, daß D rey im Sommer oder Herbst 1811 ein Manuskript verfaßt hatte, zu dem der in der Druckfassung der RS im Konstanzer Pastoralarchiv angekündigte »II. Abschnitt« als systematischer Hauptteil gehörte. Das Manuskript selbst ist nicht erhalten geblieben - weder für das im Konstanzer Pastoralarchiv veröffentlichte Teilstück, noch für den dort nicht veröffentlichten Hauptteil. Es ist deshalb nicht auszuschließen, daß mit dem handschriftlichen Dokument auch der im Konstanzer Pastoralarchiv ungedruckt verbliebene Hauptteil nicht nur dinglich, sondern auch inhaltlich verloren gegangen sein könnte. Doch das ist nur eine abstrakte Möglichkeit. Da D rey den »II. Abschnitt« seines Manuskripts als systematischen Hauptteil ansah und er infolgedessen in ihn das beste Stück seines bisherigen Schaffens mitsamt den auch für ihn selbst zukunftweisenden Ideen seines Revisionsdenkens investiert hatte, kann zumindest der Inhalt des fraglichen Manuskriptteiles kaum spurlos verschwunden sein. Es spricht viel für die Annahme, daß er die Veröffentlichung des Hauptstückes der RS in seiner Abhandlung Vom Geist und Wesen des Katholicismus (Katholizismusschrift, siehe Text Nr. 6) nachholte, wenngleich dann in einer überarbeiteten Fassung, die inzwischen gewonnene Einsichten aufnahm und auf die Situation von 1819 abgestimmt war (vgl. Einleitung zu Text Nr. 6, Ziff. II.5 - II.7). Kein anderer Text aus der Feder D reys erfüllt auch nur annähernd die methodischen und inhaltlichen Vorgaben, die er sich im »I. Abschnitt« der RS für den Hauptteil gesetzt hatte, wonach in der angezielten Neubegründung der Theologie das »Geschichtliche, Symbolische, Mystische« (25) zur Geltung kommen müsse. In der Katholizismusschrift hat D rey die Programmideen, die er im I. Abschnitt der RS angetönt hatte, um sie danach in dem angekündigten II. Abschnitt in die systematische Darstellung seines Revisionsvorschlags einzubringen, tatsächlich aufgegriffen und als tragende Pfeiler seiner Prinzipienlehre eingesetzt. Nicht zu übersehen ist auch, daß die Katholizismusschrift in der Frische ihrer Sprache und in der Leidenschaftlichkeit der Gedankenführung, aber auch in ihrem Pathos der RS nahekommt wie kein anderer Text im Frühwerk D reys . Die Dreyforschung wird künftig ernsthaft damit rechnen dürfen, daß zwischen der fragmentarischen RS von 1812 und der Katholizismusschrift konstruktiv, inhaltlich und literarisch eine enge Verbindung besteht. Unter dieser Voraussetzung werden sich auch die begrifflichen Unschärfen und die systematischen Mängel, die die ersten Kritiker an der RS feststellten, weitgehend als unbegründet erweisen; der Autor der RS mußte keineswegs schon im I. Abschnitt das bringen, was er für den II. Abschnitt vorgesehen hatte (vgl. dazu auch Einleitung zu Text Nr. 6, Ziff. II.7). <?page no="42"?> 10 Erläuterungen 3. Zum zeitgeschichtlichen und personellen Hintergrund der Revisionsschrift a. Der zeitgeschichtliche Kontext 7 Die während der napoleonischen Wirren entstandene RS ist ein Manifest des Aufbruchs und des Neubeginns. Der Schock der französischen Revolution, der Umsturz der staatlichen und kirchlichen Verhältnisse, der Untergang des Reiches, die Zerstörung der Bildungseinrichtungen, die Erschütterungen der Säkularisation und insgesamt das Ende des Ancien Re´gime gehörten ebenso zu ihren Entstehensbedingungen wie die Rückwirkungen der Deutschen Bewegung auf die Kulturwissenschaften und das mit dem Namen K ants verbundene Ziel einer Revolution der Denkungsart. D rey bemüht sich zwar, den »gegenwärtigen Zustand« der Theologie, zu dessen Überwindung er mit der RS beitragen will, hauptsächlich auf ihre innere, über die ganze Neuzeit sich erstreckende Verfallsgeschichte zurückzuführen, aber die synchrone Verflochtenheit der RS mit der Zeitgeschichte, zu deren Merkmalen zum Zeitpunkt ihrer Niederschrift auch die prekäre Koexistenz von Aufklärung und Frühromantik gehört, ist evident. D rey selbst verweist zu Beginn der RS darauf, daß es stets »eine auffallende Gleichförmigkeit in der politischen und in der Litterärgeschichte eines Volkes« gebe, die auch auf die Theologie und auch auf den Zustand der Religion »überhaupt« durchschlügen (5 f). In § 84 der Kurzen Einleitung verdeutlichte er denn auch, wo die Trompeten für eine Umgestaltung der Theologie blasen und unter welchem Druck er die Theologie durch die philosophischen und wissenschaftlichen Umwälzungen seiner Zeit gesetzt sieht: »Seit den drey letzten Decennien haben die großen Revolutionen, die auf dem Gebiete der deutschen Philosophie vorgefallen sind, natürlich auch auf die Theologie herübergewirkt«. Dadurch habe sich »das Gefühl der Nothwendigkeit« ergeben, wie die Wissenschaft selbst, so auch die »Einleitung« in sie, d.h. ihre Grundlegung und ihren Begriff, »umzubilden« (vgl. dazu Ziff. II.7.b). Das ist die Sprache des Revisionsdenkens, in diesem Fall übertragen auf das Projekt der Kurzen Einleitung. Auf diese Weise hätte D rey auch sein Revisionsprojekt von 1812 chakakterisieren und verorten können. Die Kurze Einleitung ist zwar erst 1819 im Druck erschienen, aber projektiert und zumindest in ihren Grundzügen zu Papier gebracht hatte er sie unmittelbar nach der Veröffentlichung der RS, wie man aus seinem Theologischen Tagebuch erschließen kann (siehe Ziff. II.5.c in und bei Anm. 58). Chronologisch einander benachbart, gehören die in dem obigen Zitat angesprochenen Sachverhalte gleichermaßen zu ihren Entstehungsbedingungen. Die genaue Kenntnis dieser Sachverhalte hatte D rey sich mit Sicherheit am Lyzeum in Rottweil erworben, wo er als Professor der Philosophie sich mit 7 Zur literarischen Situierung der RS siehe Ziff. II.4, zu ihrer Stellung in der akademischen Laufbahn D reys Ziff. II.5.b, zu ihrem Charakter als epochaler sowie auch persönlicher Programmschrift neben Ziff. II.2.d vor allem Ziff. II.7.b und c. <?page no="43"?> 11 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) dem »Gebiete der deutschen Philosophie« und so auch mit den »großen Revolutionen« professionell zu befassen hatte. Das bedeutet, daß die beiden Schriften, was ihren zeitgeschichtlichen philosophischen Kontext angeht, in der gleichen Bewußtseinslage verwurzelt sind. b. Regionale und persönliche Faktoren (1.) D rey verweist am Anfang der RS auf die Pflicht eines jeden Theologen, »den Geist, der ihm in seinen Studienjahren angebildet wurde, und in dem er handelt, fortwährend zu prüfen, und dies um so mehr, wenn sich zeigen ließe, daß die Wissenschaft, die er übt, [...] seit Jahren an mancherley Gebrechen leide, und daß gerade in jenen Gebrechen eine vorzügliche Ursache liege, warum die Religion sowohl an innerer Lebendigkeit, als auch an äusserer Hochschätzung immer mehr verlieren mußte, und verlor« (3 f; Hervorhebung nicht im Original). Was D rey hier als Pflicht eines jeden Theologen herausstellt, beinhaltet zweifellos in besonderer Weise ein Stück eigener Lebenserfahrung. D rey hatte nach seiner Gymnasialzeit in Ellwangen sein Theologiestudium am Lyzeum St. Salvator in Augsburg (von 1797 bis 1799) und im Priesterseminar der Diözese Augsburg in Pfaffenhausen (von 1799 bis 1801) persolviert. Das waren die normalen Ausbildungsstätten für den Priesternachwuchs in der Fürstprobstei Ellwangen, vier der ersten fünf Professoren der 1812 errichteten Friedrichsuniversität waren diesen Ausbildungsweg gegangen. Von besonderem Interesse ist hier das Lyzeum in Augsburg. Es war dazu angetan, nachhaltige Eindrücke zu hinterlassen. Das St. Salvatorkolleg war 1582 als Institut der Gegenreformation in Augsburg errichtet worden und wurde bis zur Aufhebung der Gesellschaft Jesu (1773) von Jesuiten geführt, die nach der Entbindung von ihren Gelübden (1776) als »Exjesuiten« ihre Lehrtätigkeit am Lyzeum fortsetzen konnten. Es hatte namhafte Männer der Kirche und der Wissenschaft hervorgebracht. Gut ausgestattete Lyzeen waren Universitäten vergleichbar, nur war den Lyzeen das Promotionsrecht grundsätzlich vorenthalten. Wenn von St. Salvator oft herabsetzend die Rede war, so ist das zum einen auf den geistlos gewordenen, scholastizistischen Studienbetrieb zu beziehen, zum andern auf die kirchen- und theologiepolitische Richtung, die sich in ihm eingenistet hatte. Als Hort der alten Kirche gegründet, hatte es sich von einem Institut der Gegenreformation zu einem Kristallisationspunkt der Gegenaufklärung und zu einem berüchtigten Zentrum des antiaufklärerischen Widerstandes in Süddeutschland weiterentwikkelt. Das war die geistige Welt, in der D rey seine fachtheologische Ausbildung genossen und die theologische Wissenschaft vorgeführt bekommen hatte 8 . Außer den oben bereits erwähnten späteren Kollegen D reys hatten 8 W essenberg , der 1790-1792 gleichfalls an diesem Lyzeum Theologie studiert hatte, gab eine kritische Darstellung des veralteten, geistlosen Lehrsystems der dortigen Jesuiten (siehe I gnaz H einrich von W essenberg , Unveröffentlichte Manuskripte und Briefe. 4 Bde., hg. von <?page no="44"?> 12 Erläuterungen hier auch W essenberg und M ets studiert (W essenberg von 1790 bis 1792, M ets von 1780-1784), die in der Publikationsgeschichte der RS eine wichtige Rolle spielen sollten. H efele führt in seinem Nekrolog auf D rey 9 als dessen Lehrer H ohenbichler , F eindl und R ose sowie Z allinger an 10 . Die Frage K urt A land und W olfgang M üller . Freiburg (u.a.) 1968-1987, Bd. 1.1: Autobiographische Aufzeichnungen (1968) 178 f). Im Hause W essenberg bezeichnete man das Lyzeum St. Salvator als »Mittelpunkt und Arsenal des Obskurantismus« (ebd. 178). D rey hat diese Einschätzung sicher geteilt. Auch der antijesuitische Affekt, der ihm nachgesagt wird, dürfte auf seine Augsburger Zeit zurückgehen. Bemerkenswert ist freilich auch die »Virtuosität in Latinität«, in die die Studenten dort eingeübt wurden; sie kennzeichnet die lateinischen Schriften D reys (vgl. bes. Text Nr. 5). Zum Augsburger Lyzeum siehe R ainer A. M üller , Akademische Ausbildung zwischen Staat und Kirche. Das bayerische Lyzealwesen 1773-1849 (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte. Neue Folge 7). Paderborn 1986, bes. Bd. 1, 268-272. Zu St. Salvator als einem »Mittelpunkt des antiaufklärerischen Widerstandes in Süddeutschland« siehe W olf gang M üller , Wessenberg und seine Bemühungen um die Bildung der Priester, in: G eorg S chwai ger (Hg.), Kirche und Theologie im 19. Jahrhundert (Studien zur Theologie und Geistesgeschichte des Neunzehnten Jahrhunderts 11). Göttingen 1975, 41-53; C hristoph W eiss , W olfgang A lbrecht (Hg.), Von »Obscuranten« und »Eudämonen«. Gegenaufklärerische, konservative und antirevolutionäre Publizisten im späten 18. Jahrhundert. St. Ingbert 1997 (bes. M ichael S chaich 77-125); H ans -J oachim H ecker , Die Augsburger Jesuiten und das Kolleg St. Salvator von 1773-1807, in: W olfram B aer , H ans -J oachim H ecker , Die Jesuiten und ihre Schule St. Salvator in Augsburg 1582. München 1982, 77-81. 9 C arl J oseph H efele , Nekrolog [auf J ohann S ebastian D rey ], in: ThQ 35 (1853) 341-349. 10 Bei H efele , ebd. 343, sind genannt: J ohann E vangelist H ohenbichler (andere Namensformen: H ochbichler , H och - oder H ohenbüchler ), * 24.12.1740 in Zell, Tirol, † 27.6. (Z eller : 25.6., B antle : 8.7.) 1817 in Polazk, Weißrußland. 1757 SJ, Studium in Landshut, Gymnasiallehrer für Grammatik, Physik u.a. in München und Ellwangen, 1773-1801 für Kirchenrecht, Moral und Dogmatik in Augsburg. - Lit.: ADB 12 (1880) 518-519 (K arl W erner ); F ranz X aver B antle , Unfehlbarkeit der Kirche in Aufklärung und Romantik. Eine dogmengeschichtliche Untersuchung für die Zeit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert (Freiburger Theologische Studien 103). Freiburg 1976, 39-40 (Lit.); J oseph Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (1812-1817) und sein erster Rat Dr. Joseph von Mets. Nebst erstmaliger Herausgabe der Autobiographie des Geistlichen Rats Dr. von Mets. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der Diözese Rottenburg, in: ThQ 109 (1928) 3-160, darin: J oseph von M ets , Skizzen meiner eigenen Lebensgeschichte oder Kurzer Abriß meiner eigenen Lebensgeschichte [Autobiographie; 1818] 67-157 (Register 158-160). D reys Augsburger Lehrer F eindl und R ose lassen sich in ihrer von H efele angegebenen Namensschreibweise nicht identifizieren. Der Augsburger R ose ist nicht zu verwechseln mit dem Augsburger Geistlichen Rat und Exjesuiten J ohann (J oseph ? ) L udwig R oessle (1739-1823), der von 1772 bis zur Aufhebung 1804 Regens des Priesterseminars in Pfaffenhausen war und in Dillingen gemeinsam mit den konservativen Augsburger Exjesuiten die Entfernung der progressiven Professoren von ihren Lehrstühlen betrieb. Zu ihm: T homas S pecht , Geschichte des ehemaligen Priesterseminars Pfaffenhausen (1743-1804), in: Jahrbuch des Historischen Vereins [Dillingen] 30 (1917) 1-78; 31 (1917) 41-48; 32 (1919) 1-15; 33 (1920) 1-31; A lbert H aemmerle , Die Canoniker der Chorherrenstifte St. Moritz, St. Peter und St. Gertrud in Augsburg bis zur Saekularisation. [München] 1938, 101 Nr. 432; H ildebrand D uss ler , Johann Michael Feneberg und die Allgäuer Erweckungsbewegung. Ein kirchengeschichtlicher Beitrag aus den Quellen zur Heimatkunde des Allgäus (Allgäuer Heimatbücher 62). Kempten 1959, 52. J akob A nton Z allinger zum T hurn , * 26.7.1735 in Oberbozen, † 16.1.1813 in Bozen. 1753 SJ, Studium in Ingolstadt, 1765 Priesterweihe, 1766 Gymnasialprof. in Trient; 1767 am Lyzeum in München, 1770-1773 am Jesuitenkolleg in Dillingen (Liz. und Mag. phil., 1773 theol.), 1776 Lehrer der Physik in Innsbruck, 1777-1807 Prof. für Kirchenrecht am Lyzeum <?page no="45"?> 13 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) nach den fachlichen Qualitäten seiner Lehrer, die in der Dreyliteratur unterschiedlich beantwortet wird - D rey selbst hat sich nie abschätzig über sie geäußert -, steht hier nicht zur Debatte, aber es ist nicht zu bezweifeln, daß der Typus von Theologie, der ihm von ihnen »angebildet« (oder vielmehr anzubilden versucht) wurde, ihm nicht zusagen konnte. Die Penaten seiner Jugend waren K ant , F ichte und S chelling , wie H efele gleichfalls im Nekrolog auf D rey zu berichten weiß. Wir wissen nicht, wann D rey erstmals an die Abfassung einer Schrift zur Revision der Theologie dachte, aber es ist gut möglich, daß das bereits in Augsburg und Pfaffenhausen begann. Aber selbst wenn dem nicht so sein sollte, so gehören seine Augsburger Erfahrungen doch zumindest zum negativ eingefärbten lebensgeschichtlichen Hintergrund der RS. Es ist nicht zu übersehen, daß in dem oben aus der Vorerinnerung der RS angeführten Zitat ein autobiographischer Ton mitschwingt. (2.) Die Situation in Rottweil und am dortigen Lyzeum, wo das Manuskript der RS entstanden ist, war anders. Die Stadt am oberen Neckar gehörte bis zur Neuordnung der Diözesanstrukturen im Königreich Württemberg (1821) zu Konstanz, dem Sitz der großen und weltläufigen Diözese, in deren kulturellem Gedächtnis die spätmittelalterlichen Reformkonzilien unvergessen waren. Am Lyzeum in Rottweil war 1797/ 98 die Maria-Theresianische Studienreform eingeführt worden, sodaß D rey hier im beruflichen Alltag in engste Berührung mit den Programmideen dieser Reform gekommen war. Seit 1806, nachdem das Lyzeum zu einer der höheren Studieneinrichtungen im Königreich erhoben worden war, war Stuttgart darauf bedacht, es institutionell auszubauen, personell besser auszustatten und ihr akademisches Niveau anzuheben 11 . In Konstanz war W essenberg , der führende Kopf der kirchlichen Reform im Südwesten aus dem Geist der katholischen Aufklärung, seit 1802 Generalvikar. Er stand zu der Zeit, in der D rey die RS verfaßte, im Zenit seines reformerischen Wirkens. Sein literarisches Reforminstrument, das seit 1802 bzw. 1804 bestehende Archiv für die Pastoralkonferenzen in den Landkapiteln des Bisthums Konstanz, war die erste Instanz für positive und konstruktive Beiträge zur Reform der pastoralen Praxis und zur Einübung des Klerus in sie vermittels einer Anhebung ihrer theologischwissenschaftlichen Bildung. D rey war den Reformideen und dem Reformeifer W essenbergs zugetan, er stimmte darin mit den beiden für ihn wichtigsten St. Salvator in Augsburg, 1786 Dr. jur. der Universität Dillingen, 1797-1802 Rektor von St. Salvator. Z allinger wurde 1833 als »Seele der kölnischen Nuntiatur« unter P acca (1785-1794 Nuntius in Köln) eingeschätzt (Rez.: Des Kardinals Bartholomäus Pacca historische Denkwürdigkeiten, in: B enedikt A lois P flanz (Hg.), Freimüthige Blätter über Theologie und Kirchenthum 5 (N.F. 2) (1833) 57-95, 69). - Lit.: BBKL 15 (1998) 1553-1555 (S tephan H aering ) (Lit.). 11 Dazu A ugust S teinhauser , Das Gymnasium in Rottweil am Neckar, 1630-1930, in: ders . (Hg.), Dreihundert Jahre Gymnasium Rottweil (1630-1930). Jubiläumsschrift. Rottweil 1930, 15-172, bes. 90-102. <?page no="46"?> 14 Erläuterungen Amtsträgern im Königreich - W erkmeister 12 in Stuttgart und J aumann in Rottenburg 13 - überein. W essenberg war Pragmatiker, aber er schätzte die Bedeutung der Theologie für die religiöse und pastorale Praxis sehr hoch ein, während er für die theologische Wissenschaft nach ihrer spekulativen Seite wenig übrig hatte und die Scholastik und den Mystizismus mit Skepsis betrachtete. In dieses Spannungsfeld begab sich D rey , als er für die Veröffentlichung der RS das Hausorgan W essenbergs auswählte. Es gibt keinen vernünftigen Grund für die Annahme, daß D rey damit den Konstanzern direkt den Fehdehandschuh hinwerfen wollte (vgl. jedoch unten in Ziff. II.4.c). In der Wahl dieses Publikationsorgans kommt vielmehr eine elementare Zustimmung zur Richtung W essenbergs und dessen Reformzielen zum Ausdruck, wenngleich nicht ohne ein allerdings folgenreiches distinguo in Sachen Scholastik und Mystik. Es spricht viel dafür, daß D rey mit seiner Abhandlung im Einklang mit dem theologischen Reformprogramm W essenbergs zu stehen glaubte und es zu unterstützen trachtete, indem er die Fragestellung vertiefte und einen Begriff der Theologie herausarbeitete, der an die Wurzeln der Übel ging. Er war sich wohl auch bewußt, daß er dabei mit einem gewissen Überbietungsanspruch auftrat, den die Reformmatadoren in Konstanz (W es senberg , M ets und B urg ) freilich in die falsche Kehle bekamen. Aus diesen Zusammenhängen geht insgesamt hervor, daß die RS, was ihre regionale Situiertheit angeht, ein Text im Kontext der Reformvorhaben W essenbergs ist, die D rey bejaht und zu fördern intendiert, wobei er aber, fern einer plumpen reformistischen Linientreue, seinen eigenen Weg ging, indem er für die Problembehandlung die Meßlatte so hoch wie nur möglich ansetzte. 4. Der Titel der Revisionsschrift im Spannungsfeld von Aufklärung und Romantik Mit dem Titel, unter dem D rey seine RS in den Druck gegeben hat, verhält es sich ähnlich wie mit dem Titel des Einleitungswerkes, das D rey sieben Jahre später vorlegte, seiner Kurzen Einleitung in das Studium der Theologie. Beide zeigen zwar exakt den Gegenstand der jeweiligen Schrift an, aber sprachlich gesehen sind beide so untechnisch formuliert, daß ihnen nicht anzusehen ist, auf welche Art der Stoffbehandlung der Leser sich einzustellen hat oder welchem wissenschaftlichen bzw. literarischen Genus der von ihnen angezeigte Text zuzuordnen ist 14 . Da sie gewissermaßen vortechnisch formuliert sind, 12 Zu W erkmeister siehe unten Ziff. II.4, Anm. 36. 13 Zu J aumann siehe unten Ziff. II.6, Anm. 93. 14 Im Fall der Kurzen Einleitung ist dieser Sachverhalt besonders deutlich gegeben. Ihr Titel ist so unprätentiös und vortechnisch gehalten, daß man sie von daher für eine der x-beliebigen Einführungen in das Studium der Theologie ad usum Delphini halten könnte. Daß es sich in ihr (a.) um eine hochtechnische Einleitungsschrift im Sinne einer wissenschaftstheoretischen Grundlegung der Theologie, (b.) um eine innovative Formalenzyklopädie zur Architektur <?page no="47"?> 15 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) d.h. unter Verzicht auf die Merkmale einer spezifisch fachsprachlichen Terminologie, eignet ihnen bei aller Präzision jene ins Offene weisende verhaltene Kraft einer originären Diktion, die den Selbstdenker auszeichnet, aber die fachliche Zurüstung der nachfolgenden Stoffbehandlungen verraten sie nicht. Da auch der Text selbst nicht zu erkennen gibt, in welchem wissenschaftsgeschichtlichen und literarischen Kontext er zu verorten ist, verdient die Frage nach der historischen Situierbarkeit der RS und ihres Titels ein besonderes Interesse. a. »Revision« Da der Revisionsbegriff umgangssprachlich geläufig ist - z.B. aus dem Gerichts- und Verlagswesen oder auch aus dem politisch-ideologischen Bereich (»Revisionismus«) -, wird er in der Dreyforschung wie ein Autosemantikon verwendet, wobei das dem Mittellateinischen entstammende Wort revisio (von lat. revidere) im Sinne von prüfender Wiederdurchsicht dem Verständnis die Generalrichtung vorgibt. Als Umschreibungen werden demgemäß lexikalisch ausgewiesene Synonyme wie »(neuerliche) Überprüfung«, »(kritische) Durchsicht«, »Kontrolle« o.ä. herangezogen 15 . Auf dieser Linie präzisiert auch D rey sein dem Revisionsbegriff unterstelltes Vorhaben, indem er in der Vorerinnerung der RS mitteilt, es sei der Zweck seiner Abhandlung, »die Gebrechen«, »die den Geist der Theologie unsrer Zeit überhaupt charakterisieren«, »zur Sprache zu bringen, sie als solche aufzudecken, und ein prüfendes Nachdenken unter den Theologen zu veranlassen« (4; Hervorhebungen nicht im Original). In dieser Erläuterung seines Vorhabens ist zugleich auch sein Verständnis des Revisionsbegriffs und der in diesem konnotierten Funktionen angezeigt. Doch auch D rey verfährt hier so, als ob diese Auslegung des Revisionsbegriffs sich von selbst verstünde, begriffsgeschichtliche Alternativen, von denen er sich abzusetzen hätte, bleiben unberücksichtigt. Er bezieht die Plausibilität seines Revisionsbegriffs in Wahrheit aus einem Sprachgebrauch seiner Zeit, der in der traditionskritischen Bewegung der Aufklärung zu verorten der Theologie und (c.) um eine pädagogisch-didaktische Hinführung zur Praxis und zur Spiritualität des Theologiestudiums handelt, darüber hinaus aber zugleich um eine komplexe Synthese dieser drei sonst nur getrennt voneinander vorkommenden literarischen Gattungen, ist am Titel nicht abzulesen. Siehe dazu Einleitung zu TüA 3 (Kurze Einleitung), Kap. I, Die Kurze Einleitung im Spiegel ihres Titels, 3*-37*. 15 Vgl. Art. Revision, in: Deutsches Fremdwörterbuch (begonnen von H ans S chulz , fortgeführt von O tto B asler , weitergeführt im Institut für Deutsche Sprache) 3. Berlin 1977, 407-408; Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache. 8 Bde. (hg. und bearb. vom Wissenschaftlichen Rat und den Mitarbeitern der Dudenredaktion unter der Leitung von G ünther D rosdowski . 2., völlig neu bearb. und stark erw. Aufl.) 6. Mannheim 1994, 2775; Deutsches Wörterbuch. Bedeutungsgeschichte und Aufbau unseres Wortschatzes. Begr. von H ermann P aul , 10., überarb. und erw. Aufl., hg. von H elmut H enne . Tübingen 2002, 799. - In den führenden philosophischen und theologischen Fachlexika gehört der Revisionsbegriff nicht zum Repertoire der Stichwörter. Dem entspricht, daß der Revisionsbegriff als solcher in der Fachliteratur zur RS bisher nie eigens thematisiert wurde. <?page no="48"?> 16 Erläuterungen ist. Von daher der Eindruck, daß auch für ihn der Revisionsbegriff eine semantisch insichständige und selbstexplikative Sprachfigur ist. In gleicher Weise präsentiert er seine Abhandlung gleichsam als ein morgenfrisch aus seinem Kopf hervorgegangenes Erzeugnis, ohne auf eventuelle literarische Vorgänger oder Vorbilder Bezug zu nehmen. Indem er von einer historischen, literarischen und gattungstheoretischen Kontextualisierung seiner Abhandlung absieht, will er sie im Hinblick auf ihre Aktualität und Formgebung offensichtlich ganz auf sich selbst gestellt sehen. Hier dürfte auch der Grund dafür liegen, daß in der Dreyforschung bisher eine Situierung der RS in der literarischen Gattung der Revisionsliteratur, die seit der Mitte des 18. Jahrhunderts sich herausbildete und zur Zeit Dreys in breiter thematischer Streuung vorlag, unterblieben ist. G eiselmann kommt zwar das Verdienst zu, die RS erstmals einem konkreten literarischen Opus zugeordnet zu haben, indem er sie inhaltlich in die Nähe der Methodenschrift S chellings rückte 16 , aber der gattungsspezifische Aspekt als solcher interessierte ihn nicht. Nicht anders verhält es sich mit der besonders von G eiselmann angeheizten Erörterung der Frage, ob die RS kulturmorphologisch der Aufklärung oder der Romantik zuzuordnen ist 17 . Auch in der Folgezeit blieb es bestenfalls bei der Vernetzung der RS mit Motiven der Aufklärung und/ oder der Romantik, während die literarische Bewegung, in die D rey seine Abhandlung von 1812 hineinschrieb, unbeachtet blieb. Da indessen sowohl die historische Kontextualisierung einer Schrift als auch ihre Verortung in der literarischen Gattung, der sie zugehört, in hohem Maße auslegungsrelevant sind, blieb der Erkenntnisgewinn, den dieses Zuordnungsverfahren grundsätzlich verspricht, im Fall der RS bisher weitgehend ungenutzt. Bereits ein erster und notgedrungen oberflächlicher Blick auf das der Abfassung der RS vorausliegende Publikationswesen läßt erkennen, daß es sich bei der Abhandlung, die D rey 1812 unter dem Titel Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie veröffentlichte, weder sachlich noch thematisch um ein solitäres oder präzedenzloses Unternehmen handelte. Wenn man von der konkreten Zielsetzung der RS und von der dafür erbrachten Leistung absieht, muß man zumindest sagen, daß D rey bei der Konzipierung dieser Abhandlung auf eine Vielzahl von Publikationen zurückblicken konnte, die man zusammenfassend als Revisionsliteratur bezeichnen kann. Ob diese förmlich den Charakter einer besonderen literarischen Gattung aufweist, kann vorerst offenbleiben, zumindest ist aber festzustellen, daß D rey sich mit dem 16 J oseph R upert G eiselmann , Die Glaubenswissenschaft der Katholischen Tübinger Schule in ihrer Grundlegung durch Johann Sebastian v. Drey, in: ThQ 111 (1930) 49-117, bes. 54-66. Es handelt sich um S chellings Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen 1803. Mehr dazu unten in Anm. 41. 17 Mehr dazu unten bei und in Anm. 39 sowie in Ziff. II.8.b in und bei Anm. 165 mit rezeptionsgeschichtlichen Befunden. <?page no="49"?> 17 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) Titel der RS und infolgedessen auch mit der typologischen Ausrichtung dieser Abhandlung dem Gebiet der Revisionsliteratur und insoweit auch einer sie tragenden Strömung beigesellt hat. So ergibt schon eine mit den Zufälligkeiten einer elektronischen Suchmaschine behaftete Sichtung, daß in der Zeit von ca. 1750 bis 1820 im deutschen Sprachraum mehr als 200 Bücher und Artikel erschienen sind, die das Wort »Revision« im Titel führen. Bei der Auswertung dieses Befundes ist freilich zu beachten, daß das Vorkommen des Revisionsbegriffs in Titeln kein verläßlicher Indikator für den wahren Umfang des betreffenden Schrifttums ist. So kommt z.B. der Begriff »Reform« erstaunlich selten in Werktiteln um die Zeit D reys vor, obwohl es seit der Epoche der Aufklärung eine breite Reformbewegung mit zahllosen Schriften zur Reform von Theologie und Kirche gab. Interessanterweise hat auch D rey auf diesen Begriff verzichtet. Was den Revisionsbegriff angeht, so fällt seine Hochkonjunktur in die Aufklärungszeit, nach 1810 nimmt seine Häufigkeit signifikant ab. Verwendung findet er in allen möglichen Wissenschaftsgebieten, so z.B. in der Botanik 18 , der Zoologie 19 , der Arzneiwissenschaft 20 , der Wiesenwirtschaftslehre 21 , usw., vereinzelt auch in der Kultur- und Gesellschaftskritik 22 , vor allem aber in den verschiedensten Zweigen der Jurisprudenz, des Gerichts- und Verwaltungswesens, mit einer Fülle von Schriften zu prinzipiellen oder auch sektoralen und kasuistischen Revisionsfragen, deren Einzelnachweis hier zu weit führen würde. In der theologischen Literatur kommt der Revisionsbegriff weniger häufig vor, und wenn, dann eher in exotisch getönten Unternehmungen, kaum aber mit dem Gewicht einer die Grundlagen dieser Wissenschaft betreffenden Zielsetzung, obwohl die Titelformulierungen gerade das oft erwarten lassen. In dieser Hinsicht bleiben auch die Schriften von S alomon M aimon 23 hinter den von ihren Titeln geweckten Erwartungen 18 Vgl. G eorg W olfgang F ranz P anzer , Ideen zu einer künftigen Revision der Gattungen der Gräser. München 1813. 19 D ers ., Kritische Revision der Insektenfaune Deutschlands. 2 Bde., Nürnberg 1805-06. 20 Z.B. J ohann -J acob G ünther , Revision der Kriterien, deren sich die gerichtliche Arzneiwissenschaft der Frage bedient: Ob todtgefundene Neugeborne eines natürlichen oder gewaltsamen Todes gestorben seyen. Köln 1820. 21 Z.B. H ans F riedrich P ohl , Das Verjüngen der Wiesen. Nebst einer vorausgeschickten Revision der Wiesenwirthschaftslehre. Leipzig 1810. 22 Z.B. J ohann G ottlob H eynig , Versuch einer Revision der Cultur und Aufklärung nach ihren Prinzipien und Endzwecken. [s.l.] 1810; J ohann T raugott M angelsdorf , Revision der vorhandenen wahren und blos scheinbaren Aufklärung. In Briefen. Leipzig 1790; Allgemeine Revision des gesammten Schul- und Erziehungswesens von einer Gesellschaft praktischer Erzieher. 16 Bde., hg. von J oachim H einrich C ampe . Hamburg 1785-1792. 23 Vgl. die von S alomon M aimon (* 1753 in Sukowiborg, damals Litauen; † 22.11.1800 in Nieder-Siegersdorf, Schlesien) verfaßte Ankündigung und Aufforderung zu einer allgemeinen Revision der Wissenschaften. Einer Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin vorgelegt von Salomon Maimon. Berlin 1792 (ähnlich in: Deutsche Monatsschrift 1792, Bd. 3, 42-52). Daneben veröffentlichte M aimon Beiträge zur Revision der »Erfahrungsseelenkunde«. <?page no="50"?> 18 Erläuterungen zurück, wenngleich sich in ihnen das Bewußtsein einer den Status der Wissenschaften angehenden Grundlagenproblematik bekundet. An theologisch einschlägigen Titeln wären nach S wedenborg 24 in bunter Vielfalt S emler 25 und etliche Exoten zu erwähnen, mit viel verheißenden, aber wenig bringenden Titeln wie Revision der vorhandenen wahren und blos scheinbaren Aufklärung 26 , Kurze Revision der wichtigsten christlichen Religionslehren 27 , Revision einer von ihm durchlebten fünfzigjährigen theologischen Periode 28 , Revision der Literatur der Theologie, Philosophie und Pädagogik 29 , Revision des Kirchenglaubens 30 . Die Revision der Katechisirkunst zur Verbesserung ihrer Theorie und Ausübung von 1805 31 läßt trotz ihrer eingeschränkten Thematik erkennen, daß sich für Schriften dieser Art so etwas wie standardisierte Kriterien entwickelt hatten, die darauf hindeuten, daß sie zumindest ansatzweise als eine besondere literarische Gattung angesehen wurden. So konnte z.B. in einer Rezension der oben erwähnten Schrift M angelsdorfs kritisch vermerkt werden, der Revisionsbegriff sei hier irreführend verwendet, und um »eine wahre und nicht scheinbare Revision der wahren und nicht scheinbaren Aufklärung zu schreiben« müsse man besseres leisten 32 . Etikettenschwindel also, oder Selbstüberschätzung? Hier wird je- 24 [E manuel S wedenborg ], Revision der bisherigen Theologie, sowol der Protestanten als Römischkatholischen. Nebst einem Prüfungsversuche: Ob es wol schon ausgemacht sei, daß Swedenborg zu den Schwärmern gehöre. Breslau 1786. Dazu S emlers Reaktion: D. Joh. Sal. Semlers Unterhaltungen mit Herrn Lavater, über die freie practische Religion; auch über die Revision der bisherigen Theologie. Leipzig 1787. 25 Siehe die in Anm. 24 angeführte Reaktion auf S wedenborgs Revisionsschrift; sowie J ohann S alomo S emler , Zur Revision der kirchlichen Hermeneutik und Dogmatik. Halle 1788 (es handelt sich um eine Sammlung kritischer Bemerkungen zu Kirchengeschichte, Kirchenverfassung, Pädagogik, Philologie, Kanon, Moral, u.a.). 26 M angelsdorf , Revision (wie Anm. 22). 27 A nonymus , Kurze Revision der wichtigsten christlichen Religionslehren in Aphorismen. Von einem Freunde der Wahrheit. Deßau und Leipzig 1785. 28 J ohann B althasar L üderwald , Revision einer von ihm durchlebten fünfzigjährigen theologischen Periode von 1740 bis 1790. Helmstädt 1789. 29 A nonymus , Revision der Literatur der Theologie, Philosophie und Pädagogik. Heidelberg 1810 (»Revision« ist hier als Synonym für »Rezension« bzw. »Sammelrezension« gebraucht). 30 Gottlieb Denkers letzte Revision des Kirchenglaubens. Herausgegeben vom Herausgeber des Elpizon. [Zerbst] 1799; neue Ausgabe Zerbst 1805 (C hristian F riedrich S intenis hat hier unter dem Pseudonym »Gottlieb Denker« eine fingierte Revision verfaßt, in der dargelegt wird, wie dieser Denker unter Prüfung der Grundlagen des lutherischen Kirchenglaubens anhand der Vernunftkritik K ants den alten Kirchenglauben aufgibt und zum reinen Vernunftglauben findet. Vgl. dazu die Rezension von »Ad.« in: Neue allgemeine deutsche Bibliothek 1800, Bd. 51, 2. St., 279-290). 31 G eorg W ilhelm B lock , Revision der Katechisirkunst zur Verbesserung ihrer Theorie und Ausübung. Hannover 1805; vgl. dazu die Rezension in: Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung 5 (1808) Bd. 1, Nr. 50, 399-400 (J ohann C hristian D olz ), die im Hinblick auf die Kriterienfrage ergiebig ist. 32 So in der Buchanzeige eines »El.« zu: J.T.Mangelsdorf, Revision der vorhandenen wahren und blos scheinbaren Aufklärung, in: Allgemeine deutsche Bibliothek 1792, Bd. 106, 2. St., 339-341, hier 340; im gleichen Sinne eine anonyme Rezension zu M angelsdorf in: Allgemeine Literatur-Zeitung 1792, Bd. 2, Nr. 103, 137-139; ähnlich äußert sich ein »Es.« in: Allgemeine deutsche Bibliothek 1792, Bd. 106, 2. St., 484, zu L üderwald , Revision einer von ihm durchlebten fünfzigjährigen theologischen Periode (siehe Anm. 28). <?page no="51"?> 19 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) denfalls sichtbar, daß es so etwas wie einen falschen Gebrauch des Revisionsbegriffs geben kann, dem ein offenbar etabliertes Gattungsverständnis entgegengehalten wird. Und wenn es möglich war, eine literarische Karikatur einer Revisionsschrift zu verfassen 33 , so deutet das in die gleiche Richtung. Es bleibt die Frage, wie Reform und Revision sich begrifflich zueinander verhalten. Wenn in G aluras »Plan zur Reform der Theologie« 34 , den D rey kannte 35 , der Revisionsbegriff keine Rolle spielt, sondern der Reformbegriff verwendet wird, so deutet das darauf hin, daß man sich des Unterschiedes zwischen Reform- und Revisionsschriften bewußt gewesen zu sein scheint: Reformen zielen auf die Verbesserung des Bestehenden, ohne dessen Fundamente anzurühren, Revisionen gehen an die Grundlagen und ins Prinzipielle, in ihnen wird etwas Bestehendes, ein »Zustand« oder das Produkt eines Prozesses hinterfragt. Ein Beispiel aus dem Umfeld D reys zeigt, daß der Reformbegriff in die Nähe des Revisionsbegriffs führen kann, ohne aber dessen Radikalität zu erreichen. Als der vom Reformgeist der katholischen Aufklärung durchdrungene Exbenediktiner B enedikt M aria W erkmeister 36 , 33 So in: Gottlieb Denkers letzte Revision des Kirchenglaubens (siehe Anm. 30). Der theologisch konservative C hristian F riedrich S intenis hat diese Revisionsschrift inszeniert, um die zur Mode gewordene Revisionswut der Rationalisten zu verspotten. Ein Rezensent der Erstausgabe ist S intenis prompt auf den Leim gegangen (siehe Rez. in: Neue allgemeine deutsche Bibliothek 1800, Bd. 51, 2. St., 279-290). 34 B ernard [B ernhard ] G alura , Neueste Theologie des Christenthumes, wie selbes von Ewigkeit im Sinne Gottes war, und in der Zeit aus dem Munde des Sohnes Gottes gekommen ist. Ein Plan zur Reform der Theologie, und ein Versuch, die Lehre vom Christenthume auf die ursprüngliche Sprache, Simplizität und Schönheit wieder zurückzuführen; der gelehrten Welt zur Prüfung vorgelegt. 6 Bde., Augsburg 1800-1804. 35 D rey hatte sich in seinem Theologischen Tagebuch (II, 161-170; TüA 1, 115-120, Text 40*) in einem Eintrag von 1813 Exzerpte und Notizen zur Verwendung des Reich-Gottes-Motivs bei G alura gemacht. 36 B enedikt M aria ( von ) W erkmeister , * 22.10.1745 in Füssen (Taufname L eonhard ), † 16.7.1823 in Stuttgart, 1765-1767 Studium der Philosophie und Theologie in der Benediktinerabtei Neresheim (1765 Profeß ebd.) und 1767-1769 am Studium commune der bayerischen Benediktinerklöster in Benediktbeuern, 1769 Priesterweihe in Augsburg. 1770-1784 Lehrtätigkeiten (Philosophie) in Neresheim und am bischöflichen Lyzeum in Freising sowie klösterliche Funktionen (Novizenmeister, Archivar, Bibliothekar, Sekretär des Abtes, Studienleiter), Eintritt in den Illuminatenorden in Freising (1780), 1784-1796 Hofprediger an der herzoglichen Hofkapelle in Stuttgart, 1791 Weltpriester, 1796 Pfarrer in Steinbach bei Nürtingen, 1807 Berufung in den Katholischen Geistlichen Rat (ab 1816: Katholischer Kirchenrat) bei der Staatsregierung in Stuttgart, 1812 in die Kuratel der Friedrichsuniversität in Ellwangen, 1817 Oberkirchenrat, 1819 Aufgabe der Pfarrei Steinbach. - W erkmeister war das geistige Haupt und der literarische Wortführer der katholischen Aufklärung in Württemberg. Ab 1782 umfangreiche schriftstellerische Tätigkeit, 1802 gründete er zusammen mit P hilipp J oseph B runner (1758-1829; zu ihm I gnaz von L ongner , Beiträge zur Geschichte der oberrheinischen Kirchenprovinz. Tübingen 1863, 267 ff; Badische Biographien 1, 136; ADB 3 (1876) 447 (F riedrich von W eech ); J osef B ayer , Dr. Philipp Joseph Brunner, Ministerialrat in Karlsruhe und Pfarrer in Hofweier, in: FDA 92, 1972, 201-221; R udolf R einhardt , Neue Quellen zu Leben und Werk von Johann Sebastian Drey. Dreys Antwort auf das »Pastoralschreiben« des Rottenburger Generalvikars im Jahre 1821, in: ders ., Tübinger Theologen (wie Anm. 6) 117-166, 140 ff; zu B runner siehe auch unten in Ziff. II.5, Anm. 48) das Journal für katholische Theologie. Von <?page no="52"?> 20 Erläuterungen der im württembergischen Hochschulwesen zu großem Einfluß gelangte, 1806 sein Reformorgan, die Ulmer Jahrschrift für Theologie und Kirchenrecht der Katholiken begründete, erläuterte er im Eröffnungsheft sein Vorhaben im Anschluß an J akob D anzers Beyträge zur Reformation der christlichen Theologie überhaupt, und der katholischen Dogmatik insbesondere 37 , die er »in einem sehr erweiterten Umfange« fortzusetzen gedenke, folgendermaßen: Die Gegenstände seiner Zeitschrift werden sich auf »religiöse Gegenstände« überhaupt erstrecken und auf alle Gebiete von Theologie und Kirche; »sie werden alles umfassen, was zur Reinigung des katholischen Lehrbegriffs, zur Bildung aufgeklärter und liberal denkender Religionslehrer, und zur Vervollkommnung der öffentlichen Gottesverehrungen, näher oder entfernter beytragen kann« 38 . In dieser Programmformulierung finden sich deutliche Anklänge an einer Gesellschaft katholischer Theologen, von dem nur ein »Erster Band« (in Hadamar) herauskam, 1806 gemeinsam mit »einigen katholischen Theologen« (Titelblatt; in Wahrheit als alleiniger Herausgeber, Schriftleiter und Hauptautor) die in Ulm erschienene Jahrschrift für Theologie und Kirchenrecht der Katholiken, ein kritizistisches Reformorgan von beeindruckender Lebendigkeit und beachtlichem Niveau, das er auf sechs Bände brachte (der 6. Band erschien postum 1824-1830 mit autobiographischen Aufzeichnungen von W erkmeister ). Seit 1803 pflegte W erkmeister Briefverkehr mit W essenberg , der als Generalvikar von Konstanz für Steinbach zuständig war und für den W erkmeister sich später als einflußreicher Staatsbeamter vehement einsetzte, 1805 publizierte er Beiträge im Konstanzer Pastoralarchiv. Einen Ruf an die Universität Heidelberg schlug er aus (1804), desgleichen Angebote u.a. aus Straßburg. W erkmeister betätigte sich jahrzehntelang in Theorie und Praxis als Protagonist tiefgreifender Reformen im Geist der Aufklärung auf den Gebieten der Bildung, des Gesundheitswesens, der Schulpolitik und der Gottesdienstgestaltung. Staatskirchenrechtlich dem Josephinismus und Febronianismus zugetan, hat er (auch personal-) politisch die Stellung der katholischen Kirche im Königreich Württemberg maßgeblich mitbestimmt. Geistig ungemein lebendig, verkörperte W erkmeister in Sachen der Religion und der Theologie vielfach wegweisend den progressiven Geist seiner Epoche. In einer 1823, dem Todesjahr W erkmei sters , veröffentlichten Rezension würdigte ihn J ohann S ebastian D rey als einen »so lange und so ruhmvoll tätigen Theologen«, den »scharfsinnigen Veteranen unserer theologischen Literatur« (ThQ 5, 1823, 690). - Lit.: A ugust H agen , Die kirchliche Aufklärung in der Diözese Rottenburg. Bildnisse aus einem Zeitalter des Übergangs. Stuttgart 1953, 9-215; N orbert W olff , Zwei Studenten des ehemaligen Klosters Benediktbeuern als Reformer im katholischen Württemberg. Benedikt Maria v. Werkmeister (1745-1823) und Joseph v. Mets (1758-1819). München 1998; K onstantin M aier , Mönch ohne Zukunft - Flucht in die Welt. Benedikt Maria (Leonhard) Werkmeister (1745-1823), in: Fortschrittsglaube und Zukunftspessimismus, hg. vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Verbindung mit der Landeshauptstadt Stuttgart. Tübingen 2000, 10-24; ADB 42 (1897) 11-13 (J ohann F riedrich von S chulte ); LThK 3 10 (2001) 1101-1102 (K onstantin M aier ). 37 J akob D anzer , * 4.3.1743 in Lengenfeld (Taufname J osef ), † 4.9.1796 in Buchau, war ein zunehmend radikaler werdender Aufklärer, der von 1785 bis zu seiner Entlassung 1792 an der (Benediktiner-) Universität Salzburg Dogmatik, Moral- und Pastoraltheologie lehrte und wie W erkmeister vormals Benediktiner (in Isny) war. 1793 brachte D anzer anonym die Beyträge zur Reformation der christlichen Theologie überhaupt, und der katholischen Dogmatik insbesondere. Von einigen Freunden der Wahrheit in Ulm heraus; davon ist nur ein erster Band (Umfang 190 S.) erschienen. - Lit.: ADB 4 (1876) 754-755 (K arl W erner ); NDB 3 (1957) 514-515 (H er mann T üchle ); BBKL 1 (1990) 1222-1223 (F riedrich W ilhelm B autz ). 38 A nonymus [B enedikt M aria W erkmeister ], Plan der Jahrschrift, in: Jahrschrift für Theologie und Kirchenrecht der Katholiken. Ulm, 1 (1806), Heft 1, III-IV. <?page no="53"?> 21 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) die von D rey in der Vorerinnerung der RS dargelegte Zielsetzung. Doch obwohl das Reformprogramm W erkmeisters so weitgespannt und radikal wie nur möglich gedacht ist, so bewegt es sich doch in einer dem Reformbegriff eigentümlichen Weise nur im Innenraum bestehender Geltungen, während der Revisionsbegriff im Sinne D reys an die Fundamente geht und die Prinzipien der theologischen Architektur betrifft. Hier zeigt sich, daß die Analyse des von D rey in den Titel seiner Abhandlung aufgenommenen Revisionsbegriffs im Kontext der Gattungsfrage es erlaubt, die Intentionen D reys wie auch die fundamental-theologische Programmatik im Text der RS genauer zu erfassen. Doch damit nicht genug. Indem sich herausstellt, daß die RS historisch wie auch typologisch der Revisionsliteratur zugehört, wird erkennbar, daß D rey in ihr ein originäres Anliegen der Aufklärung verfolgt. Das tritt auch in den Formulierungen zutage, mit denen er den »Zweck der Abhandlung« bestimmt: Es sei nötig, »den Geist«, dem man in Sachen der Theologie verhaftet sei, »fortwährend zu überprüfen« (RS, Vorerinnerung 3-4); in diesem Sinne wolle er mit seiner Abhandlung »ein prüfendes Nachdenken« veranlassen (4). Das ist genuine Aufklärungsterminologie. Sie erhärtet die Annahme, daß es sich bei der RS um ein aus dem Geist der Aufklärung entstandenes und von ihm durchdrungenes Unternehmen handelt. Damit läßt sich auch die besonders seit G eiselmann strittige Frage, ob die RS ein Werk der Aufklärung oder der Romantik sei 39 , einer konstruktiven Beantwortung zuführen. Sie ist beides in Einem; D rey verfolgt in ihr ein elementares Anliegen der Aufklärung, dies jedoch durchaus im Anhauch der romantischen Bewegung, die gerade in den Jahren, die D rey in Rottweil zubrachte, die lebendigsten Köpfe unter den Theologen affizierte (vgl. Einleitung zu Text Nr. 6, Ziff. II.1), und im Geiste dieser Bewegung. Mehr noch: Der Problemsicht und der Problembehandlung in der RS liegen die Kategorien und Ziele der Frühromantik evidentermaßen zu Grunde. b. »... des gegenwärtigen Zustandes der Theologie« Den »gegenwärtigen Zustand« einer Sache zu beschreiben und zu hinterfragen, ist eine der in der Revisionsliteratur häufig verfolgten Absichten. Es handelt sich insofern um einen gattungsspezifischen Topos. Bezüglich der 39 Die Behandlung dieser Frage erfolgte bei G eiselmann im Sinne einer disjunktiven Alternative, die nur ein Entweder - Oder zuläßt, wobei er für die RS (und für D rey überhaupt) vehement auf die Karte Romantik setzte. Vgl. G eiselmann , Die Glaubenswissenschaft der Katholischen Tübinger Schule (wie Anm. 16) 54-66, bes. 56 f; ders ., Geist des Christentums (wie I.3.a.) XIII ff; XVII; ders ., Lebendiger Glaube aus geheiligter Überlieferung. Der Grundgedanke der Theologie Johann Adam Möhlers und der katholischen Tübinger Schule (Die Überlieferung in der neueren Theologie 1-2). Freiburg i.Br. 1942, unverändert 2 1966, 120-298; G eiselmann taxiert den D rey der RS sogar als vollwertiges Glied der Frühromantik (vgl. 126); ders ., Die theologische Anthropologie Johann Adam Möhlers. Ihr geschichtlicher Wandel. Freiburg 1955, 97; ders ., Die Katholische Tübinger Schule. Ihre theologische Eigenart. Freiburg i.Br. 1964, 20; 280-302. - Siehe auch oben bei und in Anm. 17 sowie unten Anm. 165. <?page no="54"?> 22 Erläuterungen thematischen Hinordnung seines Revisionsvorhabens auf den »Zustand der [gegenwärtigen] Theologie« spricht indessen alles dafür, daß D rey diese Formulierung der Neunten Vorlesung (Über das Studium der Theologie) in S chel lings Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums entnommen hat (siehe aber auch die Ausführungen zu F ichte sowie zu W essenberg unten in Ziff. II.4.c). S chelling unterzieht dort die im Laufe der Neuzeit zur Vorherrschaft gelangte Verfassung der Theologie, ihre »Erkenntnisart« und ihren »ganzen Standpunkt«, einer Fundamentalkritik. Die diesbezüglichen Zustandsbeschreibungen und Analysen sind so ausführlich, daß sie fast drei Viertel der Vorlesung in Anspruch nehmen. Sie enden mit der Bemerkung: »Ich mußte über den Zustand der Theologie reden, weil ich das, was mir über das Studium der Wissenschaft zu sagen nötig schien, nicht anders als durch den Gegensatz gegen die herrschende Art desselben deutlich zu machen hoffen konnte« 40 . c. Schelling et alii In seiner vorliegenden Sprachgestalt könnte der Titel der RS ohne weiteres im allgemeinen Kontext der zeitgenössischen Revisionsliteratur entstanden sein. Rein für sich genommen wäre die sprachliche Übereinstimmung des Titels mit der oben zitierten Formulierung aus der Neunten Vorlesung S chellings kein Beweis für S chelling als Titellieferant. Erst der inhaltliche Vergleich der Abhandlung D reys mit dieser Vorlesung führt zu der Einsicht, daß S chel ling für den Titel der RS tatsächlich direkt Pate gestanden sein muß. Dieser Schluß ist zwingend: D rey hat mit der Titelformulierung auch den inhaltli- 40 S chelling , Vorlesungen über die Methode des academischen Studium (wie Anm. 16). Neunte Vorlesung. Über das Studium der Theologie, 626-635, 633 (Hervorhebung nicht im Original). - Zur Situierung dieses Topos ist auch die unten bei und in Anm. 44 angeführte Schrift von W essenberg zu beachten, sowie auch das achtteilige Werk des Juristen K arl I gnaz W ede kind , Geist der Zeit. In einer pragmatischen Darstellung der merkwürdigsten Ereignisse in der physischen, moralischen, literarischen und politischen Welt. Freiburg, Konstanz 1810-1817 (in D reys Büchernachlaß vorhanden), das deskriptive Ausführungen zum »Religionszustand« (1810, 40-52) und zum »Zustand der Theologie« (1810, 138-145) enthält. Zu dem mehrfach angesprochenen Verfallsmotiv ist hinzuweisen auf P atriz B enedikt Z immer , Philosophische Untersuchungen über den allgemeinen Verfall des menschlichen Geschlechtes. Landshut 1809 (ebenfalls in D reys Büchernachlaß; in seinem Nekrolog auf Z immer äußert sich D rey anerkennend zu diesem Werk, siehe ThQ 2 (1820) 751; siehe auch unten Misz. Nr. 14; zum Büchernachlaß D reys siehe W infried W erner , »Bibliothek des verstorbenen Prof. von Drey«. Zwei Listen zu seinem Büchernachlaß, in: M ichael K essler , O ttmar F uchs (Hg.), Theologie als Instanz der Moderne. Beiträge und Studien zu Johann Sebastian Drey und zur Katholischen Tübinger Schule (Tübinger Studien zur Theologie und Philosophie 22). Tübingen 2005, 413-443). Nach Abfassung der RS hat D rey sich in diesem Kontext seiner Auseinandersetzung mit S chel lings Naturphilosophie mit dem Verfallsproblem befaßt und auf Autoren wie O uwaroff , B akker , D oornik und W eiller bezogen, wie Notizen in seinem Theologischen Tagebuch zum »allgemeinen Menschenverfall« und »Verfall des menschlichen Geschlechtes« belegen (siehe z.B. Theologisches Tagebuch II, 60-69, 71-95 und IV, 5-14, in TüA 1, 50-57, 59-78 und 268-274, Texte 20* f, 23* f und 77*, Zitate TüA 1, 50 f). <?page no="55"?> 23 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) chen Kontext, in den sie bei S chelling eingebettet ist, weitgehend mit übernommen. Mit dieser Beobachtung stellt sich die Frage nach dem Einfluß S chellings auf die RS. Daß er hoch anzusetzen ist, wurde von G eiselmann erkannt 41 . Demnach hat D rey sich für die ganze Fragestellung (G eiselmann ) der RS wesentlich an S chelling orientiert. Inhaltliche Übereinstimmungen finden sich in der kritischen Analyse des Zustandes der Theologie und in der Ätiologie ihrer gegenwärtigen Verfassung bis hin zur Kritik der eindimensionalen Rationalitäts- und Wissenschaftskultur, der Verflachung des Religionsbegriffs und der Geschichtsauffassung, der Verkopfung der Theologie und der Irrwege des Schriftprinzips, desgleichen nach der positiven Seite hin auch die konstruktiven Vorschläge, die S chelling zur Behebung der Mißstände ins Auge gefaßt hatte. Unter dem Eindruck dieser Befunde ließ G eiselmann sich zu dem Schluß verleiten, daß S chelling »die Quelle« der RS sei (60 f mit Anm. 1). Dieser Schluß ist mit Sicherheit überzogen. In der RS finden sich tragende Ideen und Denkmuster, die nicht auf S chelling zurückzuführen sind (z.B. die Verklärung des Mittelalters bzw. des mittelalterlichen Katholizismus, die Kritik des Protestantismus und das historiographische Verfallsschema). G ei selmann weiß das eigentlich. Denn indem er D reys »theologische Erstlingsarbeit nach ihrer geistesgeschichtlichen Seite hin« als »einen typischen Ausdruck romantischer Geistesart« einschätzt (ebd. 58), lenkt er den Blick doch auch über S chelling hinaus auf jene mit dieser »Geistesart« verbundenen Merkmale und Motivbündel, die sich in der Neunten Vorlesung nicht finden, wohl aber in der RS. G eiselmann verweist dafür etwa auf H erder , B urke , J ohannes von M üller , A dam M üller , die Brüder S chlegel , vor allem aber auf F riedrich von H ardenberg (N ovalis ) und dessen Rede Die Christenheit oder Europa, zu der die RS in einigen Stücken und »bis in den Rhythmus der Sprache hinein« signifikante Übereinstimmungen aufweise. »Aber nicht bloß denselben Geist atmet die Revision Dreys wie das Europafragment des Novalis. Wir können die Ähnlichkeit ihrer Auffassungen auch im einzelnen feststellen« (ebd. 61). G eiselmann stellt somit die Europarede aus inhaltlichen Gründen praktisch gleichrangig neben die Vorlesung S chellings . Anderseits ist er überzeugt, daß D rey den Text der Europarede nicht oder 41 Vgl. dazu oben in und bei Anm. 16. Bei G eiselmann erstmals in: ders ., Die Glaubenswissenschaft der Katholischen Tübinger Schule (wie Anm. 16) 54-66 (hiernach die oben folgenden Seitennachweise). Vgl. außerdem: ders ., Geist des Christentums (wie oben in Ziff. I.3.a) XV; 472 ff; ders ., Die Katholische Tübinger Schule (wie Anm. 39) 14, 17, 20, 23, 32 f, 146, 164, 191, 287 f, 294. Zum Verhältnis D rey - S chelling in weiter ausgreifenden geistes- und ideengeschichtlichen Perspektiven vgl. T homas F ranklin O’M eara , Romantic Idealism and Roman Catholicism: Schelling and the Theologians. Notre Dame, London 1982, 4 ff, 94-108; zu S chel ling im Werk D reys insgesamt siehe Einleitung zu TüA 3 (Kurze Einleitung), 106*-121*, sowie unten Ziff. II.6.c bei und in Anm. 89-94 und Ziff. II.7 bei und in Anm. 124 f. <?page no="56"?> 24 Erläuterungen jedenfalls nicht direkt gekannt haben konnte, da dieser erst 1826 im Druck erschienen sei. Aus diesem Grund könne eine Abhängigkeit der RS von N ovalis »nicht in Betracht kommen«. »Schelling dagegen ist die Quelle, aus der Drey geschöpft hat« (ebd. 60 f mit Anm. 1). G eiselmann verwickelt sich in der Quellenfrage ersichtlich in Widersprüche. Da es ihm nicht gelingt, das Problem anders zu lösen, setzt er schließlich alles auf die Karte S chelling , selbst in Motivkomplexen, für die dieser nicht in Frage kommt. Doch der Überschuß an Geist, Denkart und Inhalten, der der RS im Vergleich zu S chelling eignet, und besonders die Affinitäten zu N ovalis sind durch den Gewaltstreich G eiselmanns weder erklärt noch aus der Welt geschafft. Der Umstand, daß der Autor der RS den vollständigen Text der Europarede aus keinem der vor 1810 öffentlich zugänglichen Drucke kennen konnte, berechtigt keineswegs zu dem Schluß, daß sie ihm nicht auf anderen Wegen zur Kenntnis gelangt sein mochte. Die dafür einschlägigen Befunde in der RS zwingen zu dieser Annahme. N ovalis (1772-1801) hatte die Rede am 13. oder 14. November 1799 im Rahmen eines Jenaer Treffens des Romantikerkreises vorgetragen, anwesend waren T ieck , A ugust W ilhelm und C aroline S chlegel , F riedrich S chlegel und D o rothea V eit , S chelling , R itter und N ovalis ’ Bruder K arl . Die Rede wurde im Zuhörerkreis heftig kritisiert, sie wurde vor allem von S chelling radikal abgelehnt. S chelling verfaßte dazu eine giftige Satire in Knittelversen. Die Widerstände gegen die Rede waren so groß, daß ihre Drucklegung im Athenäum, der Zeitschrift der Brüder S chlegel , unterbleiben mußte, nicht zuletzt auf Anraten G oethes . Von der Rede ist kein Autograph des Verfassers überliefert. Die Geschichte ihrer Drucke ist grotesk. Der von F riedrich S chlegel und L udwig T ieck besorgte Erstdruck erfolgte 1802 in Berlin, doch er verdient diesen Namen nicht. Er enthält in seinen aus dem Zusammenhang gerissenen acht Textstücken kaum ein Drittel der solcherart purifizierten Rede. Dasselbe gilt für die zweite Ausgabe von 1805. Die vierte Ausgabe (von 1826) brachte - erstmals mit dem nicht von N ovalis stammenden Titel Christenheit oder Europa - angeblich den ganzen Redetext, was aber nicht richtig ist. Es wurden auch hier Streichungen vorgenommen, die vor allem die Texte betreffen, die die Kritik H ardenbergs am Protestantismus und an dem an ihm festgemachten Verfallsschema betreffen, sowie die positiven Bewertungen des Katholizismus. Man hielt die Rede vor allem für eine Apologie des Katholizismus, was man aber keinesfalls wahrhaben oder unterstützen wollte. So war die Drucklegungsgeschichte eine Folge ideologisch motivierter Textmanipulationen 42 . Gleichwohl wurde die Rede im ersten 42 Zur Europarede als Apologie des Katholizismus vgl. H ugo E rnst K äufer , Novalis - Vorbote Europas, in: ders ., Lesezeichen. Ausgewählte Essays, Reden und Rezensionen aus fünfzig Jahren. Düsseldorf 2001, 18-25; bei K äufer sind die einschlägigen Stellen angeführt. Zur Druck- und Manipulationsbzw. Verstümmelungsgeschichte der Rede siehe vor allem M ario Z a - <?page no="57"?> 25 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts öffentlich intensiv diskutiert, ihre Inhalte waren zumindest den Insidern bekannt, die Diskussionen sorgten für ihre Verbreitung. D rey hielt sie offensichtlich für so gewichtig und überzeugend, daß er sie konstruktiv in die RS aufnahm. Auf welchem Weg sie zu seiner Kenntnis gelangten, ist noch nicht genügend geklärt. Nach Lage der Dinge kommen dafür auch Rezensionen, Literaturberichte, Intelligenzblätter, Streitschriften und ähnliche Texte aus der Zeit zwischen 1799 und 1811 in Frage. Eine bedeutende Informationsquelle ist jedoch im literarischen Umfeld der Katholizismusschrift (Text Nr. 6) auszumachen. Es handelt sich um ein in dieser Sache tatsächlich höchst instruktives Werk, das D rey sehr wahrscheinlich seit 1808 kannte und anhaltend schätzte 43 . Eine weitere gewichtige Inspirationsquelle für die RS dürfte neben S chel ling und N ovalis J ohann G ottlieb F ichte gewesen sein. Dafür spricht nicht nur, daß - wie H efele im Nekrolog auf D rey eigens vermerkte - gerade der junge D rey sich mit den Schriften F ichtes befaßte, sondern auch eine inhaltliche Nähe der RS zu F ichtes Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters (Erstdruck Berlin 1806). F ichte kennzeichnet in diesem Werk, das auf 17 im Winter 1804/ 05 in Berlin gehaltene Vorlesungen zurückgeht, das »gegenwärtige« Zeitalter vor dem bei ihm hier alles überlagernden religiösen Hintergrund als Epoche der Entfremdung und des geistlosen Buchstabens im Hinblick auf die eigentliche Zielbestimmung der Menschheit zur wahren Erkenntnis, die in der Vereinigung mit der Vernunft im höchsten rechtfertigenden Wissen liege (zum Einfluß F ichtes auf D reys Katholizismusschrift vgl. Einleitung zu Text Nr. 6, Ziff. II.1.). Mit Sicherheit ist schließlich anzunehmen, daß auch vom Stimmführer der kirchlichen Reformen in Südwestdeutschland, I gnaz H einrich von W essen berg , Anstöße auf die Konzeption der RS ausgegangen sind. W essenberg war 1802 von D alberg zum Generalvikar der Diözese Konstanz berufen worden, zu der auch Rottweil, wo die RS entstanden ist, gehörte. Als Generalvikar und Präsident der Konstanzer Geistlichen Regierung entwickelte der nach Höherem strebende W essenberg umfassende Reformaktivitäten, für die nucchi , Novalis - Poesie und Geschichtlichkeit. Die Poetik Friedrich von Hardenbergs. Paderborn 2006, bes. 64-115, sowie bereits H ans -J oachim M ähl , Einleitung und Kommentar zu Novalis: Die Christenheit oder Europa, in: ders ., R ichard S amuel (Hg.), Novalis. Werke, Tagebücher und Briefe Friedrich von Hardenbergs 3. München 1987, 579-604, hier bes. 584-594. Weitere Literatur zu N ovalis und zu seiner Rede über Die Christenheit oder Europa in Ziff. II.1 der Einleitung zu Text Nr. 6 (Katholizismusschrift), Anm. 34-39. 43 J ohann A ugust E berhard , Der Geist des Urchristenthums. Ein Handbuch der philosophischen Cultur für gebildete Leser aus allen Ständen in Abendgesprächen herausgegeben. 3 Bde., Halle 1807-08. - Zu diesem Werk und seinem Verfasser siehe Einleitung zu Text Nr. 6, Anm. 24. Daß D rey E berhards Schriften schon in Rottweil kannte, geht aus einem im Herbst 1811 notierten Eintrag im Theologischen Tagebuch II, 10 (TüA 1, 9) hervor. Ein eklektizistischer Vielschreiber, wie vielfach in der Literatur behauptet wird, war E berhard nicht (trotz Theologischem Tagebuch, a.a.O.). <?page no="58"?> 26 Erläuterungen er als publizistisches Instrument 1802 die Geistliche Monatschrift mit besonderer Rücksicht auf die Konstanzer Diözese und 1804 sein Archiv für die Pastoralkonferenzen in den Landkapiteln des Bisthums Konstanz ins Leben rief (vgl. oben in Ziff. I.1 sowie Anm. 5). D rey war dem Reformprogramm und der Person W essenbergs zugetan, sein erstes literarisches Erzeugnis, die RS, veröffentlichte er im Konstanzer Pastoralarchiv (vgl. oben Ziff. I.1). W essenberg selbst hatte 1801, ein Jahr vor seiner Berufung zum Generalvikar, seine erste literarische Programmformulierung in einem stattlichen Buch vorgelegt 44 . Dieses durch die humanistische Bildung und das hohe Ethos seines Autors ausgezeichnete Buch ist von jenem Geist des Aufbruchs und der Reformfreude durchdrungen, den die Jahrhundertwende weitum mit sich brachte. Es war nicht das Werk eines Philosophen, sondern ein praxisorientiertes Manifest eines den Reformgeist des beginnenden Jahrhunderts paradigmatisch in sich versammelnden Kultur- und Kirchenpolitikers zur Reformierung der aus dem 18. Jahrhundert überkommenen intellektuellen, moralischen und lebensweltlichen Zustände im Sinne einer temperierten katholischen Aufklärung. Es war aber auf seine Art modellrelevant für die RS: Der »Geist des neuen Jahrhunderts« läßt »große Veränderungen« erwarten (220), und insgesamt eine »Reformation der Denkart« (262) bezüglich der »anarchischen Verwirrung der Köpfe und Herzen« (19), die aus einer »verkehrten«, »seichten«, »schiefen« Aufklärung hervorgegangen ist (21; 40 u.ö.). Hinzu kämen die verderblichen Neigungen zur »Barbarey des Mittelalters« (256) und zu einem jeder Vernunft sich verschließenden Mystizismus (238 ff). Es komme dagegen darauf an, den »Geist des Christentums« wieder zu erheben und zu ihm hinzuführen (16). Die atmosphärische und topologische Nähe der RS zu dem Buch W essen bergs springt in die Augen, nicht weniger aber auch der veränderte Zuschnitt, den D rey den Problemen gab. Eine Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie gehörte unter anderem zwar auch zu den Zielen W essenbergs , aber D rey maß der Theologie - einer zu sich selbst gebrachten Theologie in Gestalt einer wahren scientia fidei - einen ganz anderen Stellenwert bei als W essenberg . Es lag sicher in seiner Absicht, die motivationalen Vorgaben der Programmschrift W essenbergs bejahend aufzugreifen, aber er erkühnte sich, die Probleme in einer anderen Höhenlage zu bedenken und von da aus - ineins mit den philosophischen Vordenkern vom Range S chel lings , aber die viel weniger tiefgehenden Reformprogramme der Praktiker von der Art des Konstanzer Geistlichen Regierungsrats J oseph V itus B urg 44 [I gnaz H einrich von W essenberg ], Der Geist des Zeitalters. Ein Denkmal des achtzehnten Jahrhunderts zum Besten des neunzehnten errichtet von einem Freunde der Wahrheit. Zürich 1801. Wie aus den weiteren Darlegungen hervorgeht, dürfte diese Schrift W essenbergs nicht nur für die RS, sondern im gleichen Zug für deren ungedruckten Hauptteil (d.h. der Katholizismusschrift D reys ) modellrelevant gewesen sein, sodaß auch aus dieser Sicht ein Argument für den Fragmentcharakter der RS zu gewinnen wäre. <?page no="59"?> 27 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) (siehe unten Ziff. II.8.a. α ) weit hinter sich lassend - seine Vorstellungen zur Überwindung der Übel vorzulegen. Kein Wunder, daß man in Konstanz empfindlich reagierte. d. Anhang: Die von Drey in der Revisionsschrift angeführten Personennamen Wie bereits erwähnt, nimmt D rey in der RS keinen Bezug auf Personen oder Werktitel aus dem Gebiet der Revisionsliteratur. Er nennt aber Namen von Theologen (überwiegend aus dem Mittelalter), die im weiteren Sinn im Argumentationsgang seiner Abhandlung eine Rolle spielen. Auch wenn das Vorkommen dieser Namen im einzelnen nicht allzu hoch zu gewichten ist, so geben sie in ihrer Gesamtheit doch Aufschluß über die Personenwelt, in der D rey sich hier bewegt, und über die theologiegeschichtliche Vernetzung bzw. Situiertheit seines Denkens. In der nachfolgenden Zusammenstellung sind die Namen in der von der RS vorgegebenen Schreibweise und Aufeinanderfolge angeführt. Die biographischen Präzisierungen sind nicht von D rey . Die in Klammern vermerkten Seitenangaben beziehen sich auf den Erstdruck von 1812. V enerabilis B eda (9): B eda V enerabilis , * um 673 in Wearmouth (Northumberland), † 26.5.735 im Kloster Jarrow (Grafschaft Durham). - BBKL 1 (1990) 453-454 (F riedrich W ilhelm B autz ). J oannes S cotus E rigena (9): J ohannes S cotus E riugena , * um 810 in Irland, † um 877. - BBKL 3 (1992) 563-567 (U do K rolzik ). P eter D amiani (9 f): doctor ecclesiae (L eo XII), * 1006/ 07 Ravenna, † 1072. - BBKL 7 (1994) 346-358 (S tephan F reund ). L anfranc (10): L anfranc von B ec , Prior von Le Bec, Erzbischof von Canterbury, Theologe. * ca. 1010 in Pavia, † 28.5.1089 Canterbury. - BBKL 4 (1992) 1074-1076 (K laus R einhardt ). A nselmus (10): A nselm von C anterbury , * 1033 Aosta, † 21.4. 1109 Canterbury. - BBKL 1 (1990) 182-184 (F riedrich W ilhelm B autz ). B ernhard von C lairvaux (10): * 1090 Fontaines bei Dijon, † 20.8.1153 Clairvaux. - BBKL 1 (1990) 530-532 (F riedrich W ilhelm B autz ). B onaventura (10): J ohannes F idanza B onaventura , * 1221 Bagnorea (Latium), † 15.7.1274 Lyon. - BBKL 1 (1990) 679-681 (F riedrich W ilhelm B autz ). R ichard von S t . V ictor (10): Augustinerchorherr, † 16.3.1173 Paris. - BBKL 8 (1994) 216-218 (J osef T heodor R ath ). H ugo von S t . V ictor (10): * Ende des 11. Jahrhunderts, † 11.2. 1141 in Paris. - BBKL 2 (1990) 1148-1151 (F riedrich W ilhelm B autz ). P eter A beillard (11): P eter A baelard , * 1079 Le Pallet (Bretagne), † 21.4.1142 Kloster St. Marcel-sur-Saoˆ ne, Chaˆlons. - BBKL 1 (1990) 2-4 (F riedrich W ilhelm B autz ). <?page no="60"?> 28 Erläuterungen R oscellin (11): R oscelin von C ompie`gne , Theologe u. Philosoph, * um 1050 Compie`gne, † 1120/ 25. - BBKL 8 (1994) 660-661 (K laus K ienzler ). W ilhelm de C hampaux (11): W ilhelm von C hampeaux (G uglielmus de C ampellis ), * um 1070 in Champeaux, † 1121 in Chaˆlons-sur-Marne, ebd. Bischof ab 1113, Philosoph. - LThK 2 10 (1965) 1130-1131 (C harles H. L ohr ). A lmaricus (11): A maury (A lmaricus ) de M ontfort , um 1124 Abt von Montfort-Sur-Risle, † um 1140. D avid de D inanto (11): D avid D yonensis , D avid von D inant , Philosoph, * in Dinant (Belgien), † 1206/ 10: HW: De tomis, hoc est de divisionibus; Quaternuli. - BBKL 1 (1990) 1233 (F riedrich W ilhelm B autz ); LThK 2 3 (1959) 178 (E rhard -W olfram P latzeck ); RGG 3 2 (1958) 51 (M artin A nton S chmidt ). P etrus L ombardus (12; vgl. 39): * 1095/ 1100 in Lumellogno bei Novara; † 1160 in Paris. - J osef R ief , Die moraltheologische Konzeption in den Sentenzen des Petrus Lombardus, in: ThQ 144, 1964, 290-315; BBKL 5 (1993) 197-202 (L udwig H ödl ). S emmler (21): J ohann S alomo S emler , ev. Theologe, * 18.12.1725 Saalfeld (Thüringen), † 14.3.1791 Halle. - BBKL 14 (1998) 1444-1473 (W erner R aupp ). B ahrdt (21): K arl F riedrich B ahrdt , dt. Aufklärungstheologe, * 25.8. 1741 Bischofswerda (Oberlausitz), † 23.4.1792 Nietleben bei Halle. - BBKL 1 (1990) 346-347 (F riedrich W ilhelm B autz ). V oltär (22): V oltaire (eigentlich: F ranc¸ ois -M arie A rouet ), Aufklärer, Enzyklopädist, Historiker und Dichter, * 21.11.1694 Paris (nach V.s Angaben: 20.2.1694 in Chaˆtenay), † 30.5.1778 Paris. - BBKL 13 (1998) 1-55 (K laus -G unther W esseling ). H ume (22): D avid H ume , Philosoph, Historiker, * 7.5.1711 in Edingburgh, † 25.8.1776 ebd. - BBKL 2 (1990) 1175-1178 (T homas U ecker ). F e´nelon (24): F ranc¸ ois de S alignac de la M othe -F e´ nelon , Erzbischof von Cambrai (1695), Schriftsteller, * 6.8.1651 Schloß Fe´nelon (Dordogne), † 7.1.1715 Cambrai. HW: Traite ´ de l’e ´ducation des filles 1681/ 87; Les aventures de Te ´le ´maque, fils d’Ulysse (um 1690); Explication des maximes des Saints sur la vie inte ´rieure 1697. - BBKL 2 (1990) 16-19 (F riedrich W ilhelm B autz ). B laise P ascal (24): Naturwissenschaftler, christlicher Denker und Mystiker, * 19.6.1623 Clermont-Ferrand, † 19.8. 1662 Paris. - BBKL 6 (1993) 1563-1565 (K arl D ienst ). <?page no="61"?> 29 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) 5. Von Rottweil nach Ellwangen. Zur Stellung und Rolle der Revisionsschrift in der wissenschaftlichen Vita Dreys a. Zur Fragestellung Chronologisch gesehen steht die RS am Ende der Zeit, die D rey als Philosophieprofessor im Lyzeum in Rottweil verbrachte (1806-1812) und zugleich am Anfang seiner universitären Laufbahn als Theologe in Ellwangen (1812-1817). Noch in Rottweil als Abhandlung verfaßt und noch während seines Aufenthaltes in der Stadt am oberen Neckar publiziert, lag sie fast noch druckfrisch vor, als D rey am 28. September 1812 auf den Dogmatiklehrstuhl an der neu errichteten katholischen Landesuniversität in Ellwangen, der Friedrichsuniversität, berufen wurde. Allein schon im Hinblick auf den Zeitpunkt ihrer Abfassung und Veröffentlichung kommt ihr somit eine Zwischenstellung im beruflichen Werdegang D reys zu. Da er mit ihr, wie man im Nachhinein erkennen kann, seinen amtlich-professionellen Wechsel von der Philosophie zur Theologie in die Wege leitete, steht sie, von außen betrachtet, für einen entscheidenden Wendepunkt in seiner wissenschaftlichen Vita. Fraglich ist, ob es sich im Hinblick auf ihre Inhalte um eine abrupte Neuorientierung handelt, oder um einen Aufbruch zu Neuem, in dem D rey die Kontinuität seines Denkens zu wahren wußte. Diese Frage ist nicht nur von biographischem Interesse, sie betrifft auch die Stellung der RS im Zuordnungsverhältnis von Philosophie und Theologie im Denken D reys , was für die Hermeneutik dieser Schrift von Bedeutung ist. Die Sachlage ist ziemlich verwickelt. Aus der Feder des Philosophieprofessors in Rottweil geflossen, hat die RS dennoch nicht den Charakter einer philosophischen Abhandlung, jedenfalls formal betrachtet, sondern eindeutig den einer theologischen. D rey selbst präsentiert sich in ihr umstandslos als Theologe und nicht etwa als theologisch beschlagener Philosoph. Wer die berufliche Stellung D reys in Rottweil kannte, konnte wohl denken, daß hier - aus welchen Gründen auch immer - ein Philosoph in einem fremden Revier wildern geht. Es bedarf tatsächlich einer genaueren Kenntnis des philosophisch-theologischen Denkens des Autors aus Rottweil, um die scheinbaren Ungereimtheiten sachgerecht aufzulösen. Zudem ist zu berücksichtigen, daß D rey sein philosophisches Lehramt am Lyzeum in Rottweil im Rahmen der Priesterausbildung ausübte. b. Drey »im dogmatischen Fach ausgezeichnet«. Die Revisionsschrift als gezielt verfaßter Qualifikationsausweis? Wenn man allein auf die fachliche Stellung D reys in Rottweil und auf die dort von ihm vertretenen Lehrfächer blickt, die mit der Theologie direkt nichts zu tun hatten, mag es als verwunderlich erscheinen, wie er anfangs 1812 plötzlich eine so pointiert theologische Abhandlung, wie es die RS nach Form und <?page no="62"?> 30 Erläuterungen Inhalt ist, der Öffentlichkeit vorlegen konnte. Persönliche Beweggründe gab D rey nicht zu erkennen, er präsentierte die Abhandlung als einen vom Zustand der Theologie erzwungenen Denkanstoß eines besorgten Beobachters. Was gerade ihn, den Philosophieprofessor im Lyzeum in Rottweil, dazu bewogen haben mochte, plötzlich wie ein Theologe in den Ring zu steigen, teilt er nicht mit. Wenn man die Hintergründe dieser überraschenden Intervention ausleuchtet, tun sich Zusammenhänge auf, die auf obrigkeitliche Pläne und ineins damit auf persönliche Absichten D reys verweisen. Die inneren Qualitäten der RS sind davon nicht betroffen, so wenig wie ihre zeitgeschichtliche Einschlägigkeit und ihre sachliche Überfälligkeit, aber die Umstände, die zu ihrer Abfassung geführt haben, zeigen, daß auch hier die Väter großer Gedanken irdische Wohnsitze haben. In diesem Fall handelt es sich um die Vorgeschichte der im Herbst 1812 in Ellwangen errichteten theologischen Fakultät, an die D rey noch im selben Jahr berufen wurde. D rey wußte zum Zeitpunkt der Abfassung bzw. Veröffentlichung der RS natürlich, daß die Pläne zur Errichtung dieser Fakultät ihr heißes Endstadium erreicht hatten. In den staatlichen Organisationsplänen zur verwaltungsrechtlichen Neuordnung der 1803 und in den nachfolgenden Jahren erworbenen katholischen Landesgebiete war seit 1806 die Gründung einer universitären Lehranstalt für das Studium der katholischen Theologie, die mit fünf Lehrstühlen ausgestattet werden solle, vorgesehen 45 . Die konkrete Planung und Umsetzung dieses Vorhabens oblag 45 Das erste Organisationsedikt vom 1. Januar 1803 wurde noch von Kurfürst F riedrich erlassen. Nach der Erhebung des Herzogtums zum Königreich (26. Dezember 1805) wurde am 18. März 1806 der Katholische Geistliche Rat (KGR) als staatliche Behörde im Königreich Württemberg mit Zuständigkeit für Angelegenheiten der katholischen Kirche im Verhältnis Staat - Kirche (und somit auch für die Weiterentwicklung und Umsetzung des Organisationsplans) eingerichtet. Der KGR war dem Kultusminister unterstellt. - In der württembergischen Bildungspolitik und im Aufbau des katholischen Bildungswesens nahm insbesondere B enedikt M aria W erkmeister , Förderer und Freund D reys , lange Zeit eine Schlüsselstellung ein. W erkmeister gehörte dem KGR seit Juli 1807 als zweiter der beiden geistlichen Amtsträger an, sein Ressort war das (katholische) Unterrichtswesen im Königreich. Er war damit auch für die Einrichtung der katholischen Landesuniversität in Ellwangen zuständig. Nach der Errichtung dieser Lehranstalt am 28. September 1812 gehörte er (zusammen mit J ohann B aptist K eller , dem späteren Bischof der Diözese Rottenburg) zur Universitätskuratel. - Der Plan, die seit 1806 in Aussicht genommene Lehranstalt mit fünf Lehrstühlen auszustatten, gehörte in den Konkordatsverhandlungen der württembergischen Regierung mit dem päpstlichen Nuntius A nnibale D ella G enga im Jahre 1807 zu den Verhandlungsgegenständen. Nachdem die Konkordatsverhandlungen gescheitert waren, nahm der Staat die Angelegenheit in die Hand und errichtete 1812 kraft eigener Kompetenz die mit fünf theologischen Lehrstühlen bestückte Friedrichsuniversität in Ellwangen. - Zur Errichtungsurkunde des Generalvikariats und der Universität in Ellwangen vom 28. September 1812 siehe T heodor E isenlohr , Sammlung der württembergischen Kirchen-Geseze. Dritter Theil. Enthaltend die katholischen Kirchen-Gesetze vom Jahre 1803 bis zum Jahr 1834 und die Einleitung in dieselben. Von J ohann J akob L ang (= A ugust L udwig R eyscher (Hg.), Vollständige, historisch und kritisch bearbeitete Sammlung der württembergischen Gesetze 10). Tübingen 1836, 409-411, Nr. 264. Näheres zum Ganzen bei F ranz X aver F unk , Die katholische <?page no="63"?> 31 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) dem Katholischen Geistlichen Rat in Stuttgart als Regierungsbehörde mit B enedikt M aria W erkmeister (zu ihm siehe oben in und bei Anm. 36) als zuständigem Ressortchef. W erkmeister kannte diese Pläne nicht nur, sondern er war mit ihrer Ausarbeitung und Realisierung ex officio betraut. Er war der »lenkende Kopf« und die »treibende Kraft« zur Auswahl der Kandidaten für die zu besetzenden Lehrstühle wie überhaupt für das Unternehmen Ellwangen; es war sein Werk 46 . Die personelle Vorschlagsliste für die fünf in Ellwangen zu besetzenden Professuren wurde also vom Katholischen Geistlichen Rat in Stuttgart als der dafür zuständigen Behörde erstellt, konkret von W erkmeister . Maßgebend für die Auswahl der Professoren war zunächst generell die bisherige Tätigkeit der Kandidaten in der Wissenschaft überhaupt. Darüber hinaus wurde aber in der Beschlußvorlage, die über das Ministerium an den König ging, die spezifische Eignung der für die betreffenden Lehrstühle jeweils erkorenen Personen angeführt. Zu D rey heißt es darin, er sei »im dogmatischen Fach ausgezeichnet« 47 . Damit konnte nach Lage der Dinge literarisch gesehen nur die ein halbes Jahr zuvor im Konstanzer Pastoralarchiv erschienene Abhandlung Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie gemeint sein. Die Frage, von woher D rey den Anstoß (oder Wink? ) zur Abfassung dieser Qualifikationsschrift gerade noch rechtzeitig im Vorfeld seiner Berufung bekommen haben mochte, ist rebus sic stantibus leicht zu beantworten, auch wenn die Antwort verständlicherweise aktenmäßig nicht zu beweisen ist. Es dürfte W erkmeister selbst gewesen sein 48 . Von diesen Hintergründen dürften die beiden Zensoren Landesuniversität in Ellwangen und ihre Verlegung nach Tübingen, in: Festgabe der Universität Tübingen zum fünfundzwanzigjährigen Regierungsjubiläum Seiner Majestät des Königs Karl von Württemberg. Tübingen 1889, 3-30, bes. 3-8; E ugen H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität Ellwangen 1812-1817. Erinnerungsschrift zur feierlichen Eröffnung des Königl. Württemb. Gymnasiums Ellwangen am 4. November 1817. Ellwangen [1917], 1-64, bes. 1-12, 27 ff; Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 10), bes. 3-22; ders ., Die Errichtung der katholisch-theologischen Fakultät in Tübingen im Jahre 1817, in: ThQ 108 (1927) 77-158, bes. 77-81; R udolf R einhardt , Die Katholisch-theologische Fakultät Tübingen im ersten Jahrhundert ihres Bestehens. Faktoren und Phasen der Entwicklung, in: ders ., Tübinger Theologen (wie Anm. 6) 1-42, bes. 7-10. 46 Zu dieser Einschätzung siehe H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität (wie Anm. 45) 7 f, 11. Vgl. dazu auch C lemens B auer , Politischer Katholizismus in Württemberg bis zum Jahr 1848 (Schriften zur deutschen Politik, hg. von G eorg S chreiber , Heft 23 und 24). Freiburg i.Br. 1929, 15 (bes. Anm. 1). - Die operative Durchführung des Berufungsverfahrens war dann Sache des Universitätsrektors C ölestin S pegele (1761-1831). S pegele war von der Regierung durch Erlaß vom 29. September 1812 zum 1. Professor und Rektor bestimmt worden. Er war zu diesem Zeitpunkt Gymnasialprofessor und Spitalkaplan in Rottweil (seit 1810). Er wurde am 2. Oktober 1812 angewiesen, seine künftigen vier Kollegen nach Ellwangen einzuberufen. Der Vorlesungsbetrieb sollte Mitte November aufgenommen werden, der Unterricht begann aber infolge des verspäteten Eintreffens der Professoren und Studenten erst am 18. Dezember 1812. Der Festakt zur Eröffnung der Universität fand am 5. März 1813 statt. - Zur Vorgeschichte der Universitätsgründung siehe oben Anm. 45. 47 Nachweis bei H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität (wie Anm. 45) 27. 48 Es ist aber auch möglich, daß der Wink von P hilipp J oseph B runner kam (zu ihm siehe Anm. 36). B runner war seit 1802 Schulrat und Mitglied der kurfürstlichen Kirchenkom- <?page no="64"?> 32 Erläuterungen in Konstanz, M ets und B urg , schwerlich in Kenntnis gesetzt worden sein. In ihren Augen hatte wohl ein fachlich unausgewiesener philosophischer Grünschnabel aus Rottweil mit der theologisch hochgespannten Zielsetzung seiner Abhandlung die Grenzen der Selbstbescheidung überschritten. Doch dürfte gerade diese Abhandlung für die Berufbarkeit D reys auf den theologischen Lehrstuhl in Ellwangen von den Berufungsinstanzen als besonders griffiger Qualifikationsausweis in Rechnung gestellt worden sein. Daß sie darüber hinaus die religionsphilosophische Praxis D reys in Rottweil zusätzlich zu würdigen wußten, ist anzunehmen. Eher unwahrscheinlich ist aber, daß sie eine Vorstellung davon hatten, wie D rey vom inneren Verhältnis der Religionsphilosophie zur Theologie dachte. c. Die Verankerung der Revisionsschrift in der Religionsphilosophie Dreys In der mit drei Professuren ausgestatteten philosophischen Abteilung des Lyzeums in Rottweil hatte A lbert I gnaz W erfer 49 als Fachkollege D reys die Fächer Logik, Metaphysik und philosophische Moral zu vertreten, während das Lehrdeputat D reys die Fächer Religionsphilosophie, Physik und Mathematik umfaßte. Für die theologische Abteilung des Lyzeums waren vier Professuren eingerichtet, darunter eine für Dogmatik, doch scheint es in mission in Bruchsal, seit 1807 Geistlicher Rat in der mittelrheinischen Regierung in Karlsruhe und seit 1810 Ministerialrat für das Referat Katholische Schulsachen beim Ministerium des Inneren in Karlsruhe. Zwischen ihm und seinem Amtskollegen W erkmeister bestanden enge persönliche und dienstliche Verbindungen mit regelmäßigem Austausch. In ihrem Kampf gegen Schwärmerei und Obskurantismus traten sie 1823 gemeinsam mit D rey auf (vgl. ThQ 5, 1823, 694-741). Von D rey ist bekannt, daß er mit B runner häufig korrespondierte und mit ihm gelegentlich zusammentraf. Wann der Briefwechsel und die Freundschaft zwischen ihnen begonnen hat, ist ungewiß (Näheres dazu sowie zur Vita B runners insgesamt bei R einhardt , Neue Quellen (wie Anm. 36) 140-151; 164-166. Dort auch Literatur- und Quellenangaben). 49 A lbert I gnaz W erfer , * 9.7.1774 in Ellwangen, † 23.12.1838 in Neuhausen, D reys Schulfreund am Ellwanger Gymnasium, 1797 Priesterweihe, Vikar in Ellwangen und Jagstzell, 1806 mit D rey Professor für Philosophie in Rottweil, 1817 Rektor und Erster Professor am Gymnasium in Ellwangen, 1831 Pfarrer in Westhausen, 1835 in Neuhausen; tit. Kirchenrath. - W erfer hatte sich in seinen Vorlesungen zur spekulativen Philosophie in Rottweil die Philosophie S chellings zur Grundlage genommen (vgl. F riderich E ser , Aus meinem Leben (1798-1873). Hg. von P aul B eck . Ravensburg 1907, 117). D rey und W erfer scheinen gemeinsam - vielleicht schon am Gymnasium in Ellwangen, spätestens aber während ihrer Vikarszeit - zur Philosophie S chellings gefunden und sich gegenseitig darin bestärkt zu haben. Beide standen sich bis zum Tod W erfers (1838) persönlich und fachlich sehr nahe. Noch im Todesjahr W erfers pilgerten sie gemeinsam auf den Schönenberg bei Ellwangen. - Lit.: S tephan J akob N eher , Statistischer Personal-Katalog des Bisthums Rottenburg. Festschrift zum 50-jährigen Jubiläum dieses Bisthums. Schwäbisch Gmünd 1878, 450; A lbert W erfer [1815-1885], Erinnerung an Albert Werfer [1774-1838], ehemaligen Professor und ersten Rektor am Gymnasium in Ellwangen, in: Pastoralblatt für die Diözese Rottenburg 2 (1884) 34-35, 44-45; F ranziska W erfer , Die Familie Werfer in der Geschichte der Stadt Ellwangen, in: EllwJB 25 (1973/ 74) 321-391; M aria G laser -F ürst , Franziska Werfer 1906-1985. Die erste katholische Theologin und Religionslehrerin im Dienst der Kirche in der Diözese Rottenburg. Zeugnis eines Lebens aus Glaube, Wahrheit, Liebe. Weißenhorn 2001. <?page no="65"?> 33 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) dieser Abteilung zur Zeit D reys keine stabilen Verhältnisse gegeben zu haben 50 . Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß D rey sich in der theologischen Abteilung fachlich betätigt haben könnte (etwa durch Aushilfen oder Stellvertretungen). Er legte Wert darauf, als »Profeßor der Philosophie« zu gelten. In seinem Rottweiler Nachlaß finden sich keine theologica. Auch literarisch ist er in seiner Rottweiler Zeit auf theologischem Gebiet nicht in Erscheinung getreten, außer schließlich mit der Abhandlung von 1812 zur Revision der Theologie. Die Kompetenzen dafür muß er sich neben seinen privaten Studien in der Vikarszeit vor allem in seiner Tätigkeit in der philosophischen Abteilung erworben haben, wenn man nicht annehmen will, daß er sie aus seinem Theologiestudium in Augsburg mitbrachte. Der Geist und die Inhalte der völlig anders gearteten RS lassen sich aber nicht darauf zurückführen. Für sie sind in Rottweil neue Momente ins Spiel gekommen, die nach Lage der Dinge mit seinen Obliegenheiten in der philosophischen Abteilung zusammenhängen müssen. Diese Annahme ist keine bloße Vermutung. Es gibt in der wissenschaftlichen Biographie und im theologischen Werk D reys Befunde, aus denen zwingend hervorgeht, daß er aus seiner Arbeit in der philosophischen Abteilung am Lyzeum in Rottweil für sein theologisches Schaffen vielfältig Gewinn gezogen hat, ja daß sein späteres theologisches Denken überhaupt elementar dort verwurzelt ist. Im Licht dieser Beobachtungen wird auch erklärbar, wie eine so prägnant theologische Abhandlung, wie es die RS ist, in Rottweil in der Stube eines Philosophieprofessors entstehen konnte. Der Vollständigkeit halber seien zunächst zwei Stimmen angeführt, die den Kern des Problems indirekt berühren. S tephan L ösch hat darauf hingewiesen, daß die Kompetenzen, die D rey sich im professionellen Umgang mit seinen philosophischen Fächern in Rottweil erwarb, sein theologisches Denken nachhaltig befruchtet haben. L ösch legt den Akzent auf den Denk- und Sprachstil des Theologen D rey , der sich in Rottweil herausbildete 51 . Er hätte in diesem Sinn auch auf die Horizonterweiterungen verweisen können, die die intensive Begegnung mit der philosophischen Vernunft, das Kennenlernen unterschiedlicher Philosophien und insbesondere das Eindringen in den theologienahen Stoff der Religionsphilosophie für D rey mit sich brachten. Der zuletzt genannte Punkt wurde von C arl J oseph H efele deutlicher herausgestellt. H efele bemerkt in seinem Nekrolog auf D rey im Hinblick auf dessen Tätigkeit als Lehrer der Philosophie: »...und mit der ihm eigenen geistigen Energie und Gewandtheit drang er auch in dieses Gebiet des Wissens auf eine so tüchtige Weise ein, daß alle seine spätern Arbeiten, Vorträge und Schriften 50 Einzelheiten dazu bei S teinhauser , Das Gymnasium in Rottweil (wie Anm. 11) 17-172, bes. 103-109. 51 S tephan L ösch , Das Gymnasium Rottweil und die Tübinger kath. Theologen-Schule im 19. Jahrhundert, in: S teinhauser , Dreihundert Jahre Gymnasium Rottweil (wie Anm. 11), 219-250, 220 f. <?page no="66"?> 34 Erläuterungen das Gepräge einer gründlichen philosophischen Durchbildung an sich trugen« 52 . In der Sicht H efeles war es vor allem die Religionsphilosophie, die D rey »eine tüchtige Vorbereitung für seinen künftigen höheren Beruf als Professor der Dogmatik« einbrachte, habe doch gerade sie ihn »zu jener spekulativen Behandlung der Theologie [befähigt], wodurch er sich in Bälde so rühmlich hervorthat« 53 . In den Einschätzungen L öschs und H efeles ist noch nicht erkennbar, in welche Nähe zur Theologie D rey in seinem philosophischen Lehrdeputat auch inhaltsbezogen geführt wurde. Sie bewegen sich eher nur in den Kategorien der formalen Vorbildung und Ertüchtigung, während die Frage nach den theologischen Dimensionen in der philosophischen Lehrtätigkeit D reys , also die entscheidenden Punkte der Fragestellung, von ihnen noch nicht ins Auge gefaßt wurden. Für die Beantwortung dieser Frage gibt es zwei einschlägige Sachverhalte. Der eine betrifft generell das, was man die theologische Finalität der philosophischen Lehrfächer an lyzealen Lehranstalten der Rottweiler Art nennen könnte, der andere speziell die Konzeption der Religionsphilosophie, die D rey für dieses sein Hauptfach entwickelte. Zunächst zum ersten Punkt. Nach der auch für das Lyzeum in Rottweil geltenden allgemeinen Studienordnung der katholischen Theologie ist dem eigentlichen Theologiestudium ein mehrjähriges Studium der Philosophie kurrikular vorgeordnet. Wissenschaftsenzyklopädisch gesehen hat hier das Philosophiestudium die Funktion einer theologischen Propädeutik. Auch wenn darin die Autonomie des philosophischen Diskurses zu respektieren ist, so sorgt die funktionale Hinordnung des Philosophiestudiums auf die Theologie doch dafür, daß der Blick auf die Theologie in ihm strukturell verankert ist und daß die Sache der Theologie ständig mitzubedenken ist. Die entelechiale Präsenz der Theologie in der Behandlung der philosophischen Stoffe aber hat zur Voraussetzung, daß der Lehrer der Philosophie die erforderlichen theologischen Interessen und Kenntnisse mit sich bringt oder sich ad hoc aneignet. Insofern konnte die Theologie für den Philosophieprofessor in Rottweil auch beruflich kein fremdes oder abseits gelegenes Gebiet sein 54 . 52 H efele , Nekrolog (wie Anm. 9) 345. 53 Ebd. - Vgl. auch A lbert W erfer , Professor Dr. Johann Sebastian v. Drey (1777-1853), in: Württembergische Volksbibliothek. 1. Abt.: Württembergischer Bildersaal 1. Stuttgart 1858, 190-200, 194: »Das Lehramt der Religionsphilosophie war für ihn [D rey ] eine tüchtige Vorbereitung auf seinen künftigen Beruf als Professor der Dogmatik«. (Dieser A lbert W er fer [1815-1885] war ein Neffe des oben (bei und in Anm. 49) als philosophischer Fachkollege D reys angeführten A lbert I gnaz W erfer ). 54 Von der generellen theologischen Finalität der philosophischen Lehrfächer, die diesen im Hinblick auf ihre propädeutische Funktion zukommt, ist die philosophisch-theologische Propädeutik als besonderes Lehrfach zu unterscheiden. Auch letzteres gab es in Rottweil. Einem Schulkatalog zufolge scheint D rey 1811/ 12 zumindest einmal dieses Fach an Stelle der Religionsphilosophie vorgetragen zu haben (vgl. dazu S teinhauser , Das Gymnasium in Rottweil <?page no="67"?> 35 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) Der für unsere Fragestellung wichtigste Sachverhalt betrifft indessen die Religionsphilosophie, das Hauptfach D reys in Rottweil. D rey hat ihr in seinem theologischen Gesamtwerk stets eine herausragende Rolle eingeräumt, wenngleich in unterschiedlichen wissenschaftstheoretischen Ansätzen im Lauf der Jahre, und in variabler Terminologie 55 . Während er sie in seinem Spätwerk, der dreibändigen Apologetik 56 , deren erster Band 1838 erschien, nach Kräften aus den Inhalten der christlichen Glaubenslehre, dem Lehrstoff der Dogmatik, herauszuhalten suchte 57 , hatte er in der Kurzen Einleitung von 1819 diese Zurückhaltung noch nicht gekannt 58 . Weit entfernt davon, ihr nur eine propädeutische Rolle im Vorfeld der Theologie zuzudenken, integrierte er sie hier in die Theologie und machte sie geradezu zu deren wissenschaftlichem Herzstück. Dies in zweifacher Hinsicht. Zum einen im ersten Teil der Kurzen Einleitung, genau genommen sogar als deren »Erstes Hauptstück« 59 , worin er ihr im Sinne einer (religionsphilosophischen) theologia generalis den Part einer einleitungswissenschaftlichen Grundlegung der Theologie überhaupt zuweist, zum andern hat er sie in seiner Encyclopädischen Darstellung der Haupttheile des theologischen Studiums 60 direkt als theologische Disziplin innerhalb des Fächerkanons der Theologie in Ansatz gebracht. Sie übernimmt dort in der Form der »apologetischen« bzw. »philosophischen« Theologie die Grundlegung der »wissenschaftlichen Theologie« im engeren Sinne des Wortes, d.h. der Dogmatik 61 . Es kennzeichnet das Frühwerk D reys , dessen bestes Stück die Kurze Einleitung von 1819 war und geblieben ist, daß der religionsphilosophische Diskurs der Theologie nicht nur präoperativ vor- und zugeordnet wird, sondern in sie integriert ist. Es ist nicht zu bezweifeln, daß D rey die Religionsphilosophie bereits in Rottweil in diesem Sinne konzipiert und betrieben hatte, wenngleich vielleicht noch nicht in der enzyklopädischen Durchbildung der Kurzen Einleitung. T iefensee zufolge könnte er bereits in Rottweil die Religionsphilosophie (wie Anm. 11) 108). Für dieses Fach gelten naturgemäß die obigen Ausführungen in erhöhtem Maße. 55 Vgl. dazu T iefensee , Die religiöse Anlage (wie Anm. 4) 7-11. 56 J ohann S ebastian D rey , Die Apologetik als wissenschaftliche Nachweisung der Göttlichkeit des Christenthums in seiner Erscheinung. Erster Band: Philosophie der Offenbarung. Mainz 1838 ( 2 1844). Der zweite Band erschien 1843 ( 2 1847), der dritte 1847. 57 Vgl. dazu Einleitung zu TüA 3 (Kurze Einleitung), 151* ff. 58 Konzeptionell geht die Kurze Einleitung auf die Anfangszeit D reys in Ellwangen zurück. Einer Tagebuchnotiz von Ende 1812 ist zu entnehmen, daß er sie bereits zu diesem Zeitpunkt - und damit in größter Nähe zur Abfassung der RS - im »Grundriß« entworfen hatte. Vgl. dazu D rey , Theologisches Tagebuch III, 49 (TüA 1, 170, Text 52*, Ziffer c der dortigen Publikationsliste; Wortlaut des Tagebucheintrags unten Einleitung zu Text Nr. 6, Anm. 78). 59 Vgl. D rey , Kurze Einleitung, Titelei vor § 1 (TüA 3, 9). Dieses als »Allgemeine Einleitung« bezeichnete »Erste Hauptstück« umfaßt die §§ 1-85, wobei vor allem die §§ 1-37 ein strikt religionsphilosophisches Gepräge aufweisen. 60 So der Titel des »Zweyten Hauptstücks« vor § 107 (TüA 3, 64). 61 Vgl. D rey , Kurze Einleitung §§ 221-247 (TüA 3, 119-130). <?page no="68"?> 36 Erläuterungen geradezu als »dogmatisches Fach« verstanden haben 62 - eine Feststellung, die terminologisch wohl überzogen ist, sachlich aber durchaus in die richtige Richtung geht. Da die religionsphilosophischen Vorlesungsmanuskripte D reys aus der Rottweiler Zeit, deren einstige Existenz gesichert ist, verloren gegangen sind, läßt sich, wie bereits erwähnt, über ihre Inhalte im einzelnen nichts mehr ausmachen 63 , jedoch läßt ein glücklicher Umstand Rückschlüsse auf die theologische Einschlägigkeit der in Rottweil konzipierten Religionsphilosophie zu. Kaum in Ellwangen angekommen, stellte D rey eine Liste der »Schriften« auf, die »zuerst« im Druck erscheinen könnten. In ihr findet sich an erster Stelle der folgende Arbeits- und Projekttitel: »a. Christliche Religionsphilosophie, oder philosophisch historische Construction des Christentums aus seiner Grundidee vom Reiche Gottes« 64 . Dieser redundanten Titelformulierung ist hinreichend deutlich zu entnehmen, wie und worauf hin seine Religionsphilosophie angelegt war: Ein theologisches Ziel (»Construction des Christentums«), erarbeitet im Stoff der Theologie (»Grundidee vom Reiche Gottes«), aber in der Methode der neuesten Philosophie (»Construction«). D rey muß sich schon bald nach dieser Tagebuchnotiz entschlossen haben, diese Religionsphilosophie nicht direkt als Buch zu veröffentlichen, sondern sie in der oben verdeutlichten Weise in sein Grundlagenwerk zur Theorie des Christentums und des Theologiestudiums, für das die Kurze Einleitung steht, aufzunehmen. Diese Schrift hatte er zum Zeitpunkt der Tagebucheintragung (1812/ 13) wie gesagt im »Grundriß« bereits entworfen 65 . Durch den systematischen Einbau dieser religionsphilosophischen Elemente in die Kurze Einleitung trat deren Theologierelevanz umso deutlicher in Erscheinung. Die Frage, wie der Rottweiler »Profeßor der Philosophie« es wagen konnte, sich mit einer Abhandlung zur Revision der Theologie in die Geschäfte der Theologen einzumischen, ist somit überraschend klar zu beantworten, nicht nur im Hinblick auf die generelle Kompetenz des Autors, sondern bis in sein Hauptfach, die Religionsphilosophie, hinein, deren theologischen Charakter er alsbald in der Kurzen Einleitung konstruktiv zum Tragen bringen konnte. Die Theorie der Religion, des Christentums und der Theologie, die D rey in der RS entwickelte, war das genuine Produkt seines religionsphilosophischen Denkens. Sie ist zugleich ein Bindeglied zwischen seiner Rottweiler und seiner Ellwanger Zeit und steht für die Kontinuität seines philosophischtheologischen Schaffens, an der auch in dieser Sache nicht zu rütteln ist. 62 T iefensee , Die religiöse Anlage (wie Anm. 4) 9. 63 Zum Abhandenkommen von D reys Rottweiler Vorlesungsmanuskripten siehe T iefensee in Anm. 4. Zu den von D rey im Theologischen Tagebuch III, 49 (TüA 1, 171, Text 52*), Ziffer f, angesprochenen Manuskripten siehe Einleitung zu Text Nr. 6, bei und in Anm. 82 und 83). 64 Theologisches Tagebuch III, 49 (TüA 1, 170). 65 Siehe oben Anm. 58. <?page no="69"?> 37 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) 6. Der Autor der Revisionsschrift in Ellwangen (1801-1806; 1812-1817): Die Konsistenz seines Denkens und die Kontinuität seiner Überzeugungen auf dem Prüfstand a. Der Sinn der Fragestellung J ohann S ebastian D rey verbrachte insgesamt 30 Jahre seines Lebens in der Fürstpropstei Ellwangen: Die ersten zehn Jahre als Kind in seiner Heimatgemeinde Röhlingen / Killingen bei Ellwangen (1777-1787), das zweite Jahrzehnt als Gymnasiast in Ellwangen (1787-1797), sodann nach seiner Priesterweihe wiederum fünf Jahre als Vikar in Röhlingen (1801-1806), und nach seinem Rottweiler Intermezzo (1806-1812) schließlich fünf Jahre als Professor an der Friedrichsuniversität in Ellwangen (1812-1817). Die beiden zuletzt genannten Aufenthalte in der Fürstpropstei (1801-1806; 1812-1817) sind für die nachfolgend zu erörternde Frage nach der Konsistenz seines Denkens und der Kontinuität seiner Überzeugungen aufschlußreich. Das Interesse richtet sich hauptsächlich auf die personellen Konstellationen, in denen D rey seine geistige Identität gewann und behauptete. Die erste dieser beiden Phasen liegt noch im entfernteren Vorfeld der RS, in der zweiten geht es um D reys Stellung als Autor der RS im Kräftespiel der Ellwanger Verhältnisse. In sie fällt auch die Ausarbeitung seiner der RS nachfolgenden Programmschriften, vor allem der Kurzen Einleitung in das Studium der Theologie und der Abhandlung Vom Geist und Wesen des Katholicismus, die er beide 1819 im Druck vorlegte. Sie werden unten (Ziff. II.7) als konsequente Umsetzung der Programmideen der RS vorgestellt - eine Einschätzung, die sich aus dem inhaltlichen Vergleich der RS mit ihnen ergibt. Diese Einschätzung hat aber auch eine biographische Dimension. Sie hat zur Voraussetzung, daß zumal zwischen 1812 und 1819 kein Bruch in den tragenden Überzeugungen und keine tiefergehende Neuorientierung im theologischen Denken D reys erfolgt sein kann. Denn wenn es zuträfe, daß zwischen dem D rey der RS und dem D rey der nachfolgenden Programmschriften ein Kontinuitätsbruch stattfand, dann wären diese Schriften unausweichlich in ein Flackerlicht getaucht, was nicht ohne Rückwirkungen auf die Interpretation der RS und die Hermeneutik der ihr folgenden beiden Programmschriften bleiben könnte. Aus diesem Grund nun ein Blick auf die Ellwanger Jahre unter diesem biographischen Aspekt, wobei das Hauptinteresse D reys Jahren an der Friedrichsuniversität gilt. b. Ein »erstaunlicher Gesinnungswandel«? Die Bruchhypothese Den Anlaß für die Erörterung dieser Frage bildet eine erst in den 1970er und 80er Jahren aufgekommene Behauptung, wonach D rey während seiner Zeit an der Friedrichsuniversität für seine Person Um- und Neuorientierungen vorgenommen habe, die einem Bruch der besagten Art gleichkämen. Da es <?page no="70"?> 38 Erläuterungen sich hier um einen gravierenden Sachverhalt von beträchtlicher Tragweite handelt, mit dem D rey bis dahin noch nie behaftet worden war, bedarf diese Behauptung einer besonderen Überprüfung. Es wird sich herausstellen, daß sie in jeder Hinsicht unrichtig ist. Sie findet nicht nur keine direkte Stütze in den verfügbaren Quellen, sondern steht darüber hinaus allem entgegen, was über den D rey der Ellwanger Zeit historisch und sachlich eruierbar ist. Völlig unerklärlich ist das Zustandekommen dieser irrigen Annahme indessen nicht. Die Behauptung, daß es in der Vita D reys Wandlungen gegeben habe, ist eine Unterstellung, die anfangs der 1830er Jahre aufkam. Sie ist im Kontext der bei M öhler gegen Ende der 1820er Jahre eingetretenen, dezidiert kirchlichen und strengkatholischen Umorientierung entstanden. D rey selbst hat diese Wende nicht mitgemacht, aber es gab in den Auseinandersetzungen um den Richtungswechsel M öhlers Stimmen aus dem Lager der Gegner M öhlers , die die Treue D reys zu seinen bisherigen Überzeugungen anzweifelten oder auch eine Abkehr von ihnen unterstellten. Es handelte sich damals um eine mehr oder weniger bösartige Übertragung des Wendemotivs von M öhler auf D rey (zu diesem Übertragungsmechanismus weiter unten mehr). So kam der Topos vom Gesinnungswandel D reys , ursprünglich bezogen auf die Situation in Tübingen anfangs der 1830er Jahre, in die Welt. Wenn neuerdings behauptet wird, D rey habe bereits während seiner Ellwanger Zeit Wendemanöver vollzogen, so handelt es sich infolgedessen - topologisch betrachtet - um die Vordatierung einer durch die Sagenwelt irrlichternden, aber von Anfang an verfehlten Unterstellung um annähernd 20 Jahre auf den frühen D rey (d.h. auf die Jahre 1814/ 15). Seinen Anfang nahm dieser mißliche Vorgang 1974 in einem für einen breiteren Leserkreis bestimmten Beitrag von R ief 66 . In diesem seinem literarischen Genus gemäß ohne fachliche Belege auskommenden Essay wird der fragliche Sachverhalt in historiographischer Aufmachung - und scheinbar auf Fakten gestützt - erstmals in die Biographie D reys eingeführt. Auf ihm, und genau genommen allein auf ihm, fußen die verstärkt in die gleiche Richtung gehenden Darstellungen bei R einhardt 67 und K ustermann 68 . 66 J osef R ief , Johann Sebastian von Drey (1777-1853), in: H einrich F ries , G eorg S chwaiger (Hg.), Katholische Theologen Deutschlands im 19. Jahrhundert 2. München 1975, 9-39, bes. 11-18. 67 Angestoßen von R ief , hat R einhardt seit 1977 den Topos vom Gesinnungswandel zu wiederholen, zu pluralisieren und mit zusätzlichen Facetten auszustatten sich bemüht. Es würde hier zu weit führen, seine diesbezüglichen Äußerungen, die sich verstreut in seinen zahlreichen Beiträgen zu D rey und zur Katholischen Tübinger Schule finden, im einzelnen nachzuweisen. Hinreichend instruktiv für seine Sichtweise und seine Methode: R einhardt , Neue Quellen (wie Anm. 36) 117-166, bes. 131 ff. 68 Vgl. K ustermann , »Daß ich der Universität ...« (wie Anm. 6) 66; ders ., Vereine der Spätaufklärung und Johann Sebastian Drey. Ein Beitrag zum sozial- und ideengeschichtlichen Standort des Tübinger Theologen, in: EllwJB 28 (1979/ 80) 23-81, 25; 35; ders ., Die erste Generation der »Katholischen Tübinger Schule« zwischen Revolution und Restauration, in: RoJKG 11 (1993) 11-34, 20 f; ders ., Die Apologetik Johann Sebastian Dreys. Kritische, historische und systematische Unter- <?page no="71"?> 39 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) R ief zufolge hat der in der RS noch von der mystischen Spiritualität B estlins 69 geprägte D rey als Professor an der Friedrichsuniversität einen Gesinnungswandel vollzogen, der ihn zur Preisgabe seiner bisherigen religiös-weltanschaulichen Orientierungen und zu einem veränderten Wissenschaftsverständnis geführt habe. Ineins damit soll D rey sich auch im Kräftespiel der in Ellwangen vorhandenen, einander widerstreitenden kirchlichen bzw. weltanschaulichen Richtungen neu positioniert haben. Es falle auf, daß D rey in den beiden ersten Schriften, die er nach der RS 1814 und 1815 an der Friedrichsuniversität verfaßte 70 , »den Weg der historisch-kritischen Methode« beschritten habe. Und »ungefähr zu dem selben Zeitpunkt« 71 habe bei D rey auch eine gesellschaftliche Neuorientierung stattgefunden. Diese werde in seiner öffentlichen Abkehr von B estlin 72 und dem Bestlinkreis 73 und seinem suchungen zu Forschungsgeschichte, Programmentwicklung, Status und Gehalt (Contubernium 36). Tübingen 1988, 71 f; ders ., »Post meridiem profectus Sum Elvaco Tubingam« - Nach Mittag Aufbruch von Ellwangen nach Tübingen. Der Abschied Johann Sebastian Dreys von Ellwangen im Spiegel seiner Kalender-Notizen von Januar bis Mai 1818, in: EllwJB 37 (1997/ 98) 164-191, 170. 69 Zu B estlin siehe Anm. 72. Der Frage nach dem Verhältnis D rey - B estlin - Bestlinzirkel wird unten in Ziff. II.6.c nachgegangen. 70 Gemeint sind die beiden Abhandlungen D reys , Observata quaedam ad illustrandam Justini Martyris de regno millenario sententiam. Gamundiae [1814] (= Millenniumsschrift, in der vorliegenden Edition Text Nr. 3) sowie seine Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos in ecclesia catholica ex documentis ecclesiasticis illustrans. Elvaci [1815] (= Beichtschrift, in der vorliegenden Edition Text Nr. 4). Es handelt sich bei diesen dissertationes um akademische Funktionsschriften, zu denen die Professoren der Friedrichsuniversität turnusmäßig verpflichtet waren. D rey nutzte diese Gelegenheit, um auf einem seiner Fachgebiete, der Dogmengeschichte, die historisch-kritische Methode für seine Person erstmals einzusetzen, was ihm wegen der damit erzielten Ergebnisse im Fall der Beichtschrift nachhaltigen Ärger eintrug. Es ist möglich, daß D rey zur Anwendung dieses Verfahrens von seinem Kollegen G ratz (zu ihm siehe Anm. 74) bestärkt wurde, der mit der Einführung und konsequenten Anwendung der historisch-kritischen Methode in seiner Disziplin zum führenden Vertreter dieser Verfahrensrichtung in der katholischen Theologie in den ersten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wurde (vgl. M arius R eiser , Bibelkritik und Auslegung der Heiligen Schrift. Beiträge zur Geschichte der biblischen Exegese und Hermeneutik (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 217). Tübingen 2007: G ratz betrieb aufgeklärte Exegese »von höchstem Niveau« (241); besonders sein Matthäuskommentar von 1821/ 23 brauche »den Vergleich mit protestantischen Kommentaren nicht zu scheuen« (285); dazu auch: D ominik B urkard in: M ichael E ckert u.a. (Hg.), Lexikon der theologischen Werke. Stuttgart 2003, 450 f). G ratz , der, von S ailer herkommend, die Reformbestrebungen W essenbergs unterstützte, war bereits von 1812 bis 1814 mit einschlägigen Schriften dieser Art hervorgetreten (vgl. P eter A lois G ratz , Neuer Versuch, die Entstehung der drey ersten Evangelien zu erklären. Tübingen 1812; ders ., Kritische Untersuchungen über Justins apostolische Denkwürdigkeiten. Stuttgart 1814; ders ., Ueber Interpolationen in dem Briefe Paulus an die Römer, und ihrer Veranlassung mehrerer Schwierigkeiten in diesem Briefe. Ellwangen 1814); dazu: N orbert W olff , Von der »moralischen« zur »kritischen« Bibelauslegung. Peter Alois Gratz (1769-1849), in: M atthias B lum , R ainer K ampling (Hg.), Zwischen katholischer Aufklärung und Ultramontanismus. Neutestamentliche Exegeten der »Katholischen Tübinger Schule« im 19. Jahrhundert und ihre Bedeutung für die katholische Bibelwissenschaft (Contubernium 79). Stuttgart 2012, 83-102. 71 R ief , Johann Sebastian von Drey (wie Anm. 66) 13. 72 J ohann N epomuk B estlin , * 28.2.1766 in Ellwangen, † 14.7.1831 in Lauchheim, 1788-1790 Theologiestudium in Dillingen, 1790 Priesterweihe, 1790-1801 Vikar in Jagstzell, 1801-1805 Wallfahrtspeister auf dem Schönenberg, 1805-1818 Pfarrer in Röhlingen, 1812-1817 zugleich <?page no="72"?> 40 Erläuterungen Übertritt zur Gegenpartei, der »Abendgesellschaft« um seinen Kollegen P e ter A lois G ratz 74 , greifbar. Das sei im Zuge einer »Neugruppierung« unter Professor der Moral und Pastoral an der Friedrichsuniversität und Generalvikariatsrat in Ellwangen, 1818-1831 Stadtpfarrer in Lauchheim. Als Lieblingsschüler und Freund S ailers war B estlin »ein Mystiker edler Art« (L orenz L ang ) und Zentralfigur der Sailerschen Richtung in Ellwangen; »orthodox, aber im liberalen Sinn« (J ohann B aptist H irscher ), war er der süddeutschen Aufklärung und den Zielen der Wessenbergschen Reformbewegung zugetan. Dem Staatskirchentum abhold, jedoch vor allem aus persönlicher Abneigung gegen das protestantische Tübingen, widersetzte er sich der Verlegung der Friedrichsuniversität nach Tübingen, legte 1817 seine Professur nieder und profilierte sich zunehmend als Gegner der württembergischen Kirchenpolitik. Seine diesbezügliche Rolle ist aber wesentlich moderater anzusetzen, als bisher angenommen wurde, solange er fälschlicherweise als Verfasser der Flugschrift Stimme der Katholiken im Königreich Württemberg. Bitten und Wünsche galt (dazu Richtigstellung bei R udolf R einhardt , Wer war der Verfasser der Flugschrift »Stimme der Katholiken im Königreich Württemberg. Bitten und Wünsche«. Ein Nachtrag, in: ders ., Tübinger Theologen (wie Anm. 6) 353-357). »Bestlin kann erst in seinen letzen Lebensjahren als kurialistisch gefärbt angesehen werden« (B auer , Politischer Katholizismus (wie Anm. 46) 18), doch blieben ihm »die in seiner ganzen Natur liegende Freimütigkeit und Toleranz« stets erhalten (H irscher ). - J oseph M ets , mit dem zusammen B estlin bis 1817 als Geistlicher Rat des Generalvikariats in Ellwangen tätig war, vermerkt in seinen im Herbst 1817 verfaßten Lebenserinnerungen, in denen er auch die Verhältnisse in Ellwangen eingehend schildert, zu B estlin , er sei »ein würdiger, edler, geschickter Mann, nur etwas zu viel von der Mystik befangen, welches ihn zum praktischen Geschäftsmann bei einem Vikariate in etwas untauglich machte ... Wir lebten übrigens recht gut und als Freunde zusammen« (M ets , Autobiographie (wie Anm. 10) 139). - Lit.: N eher , Personal-Katalog (wie Anm. 49) 11; L orenz L ang , Andenken an Johann Nepomuk Bestlin, in: ders . (Hg.), Kirchenblätter für das Bisthum Rottenburg 2 (1831) II, 65-74; ders . (Hg.), Denkmal der Achtung und Liebe, errichtet dem Dr. Joh. Nepomuk Bestlin von einem seiner vertrautesten Freunde [A lois W agner ]. Tübingen 1832; J ohann B aptist H irscher , Nekrolog [auf J ohann N epomuk B estlin ], in: ThQ 13 (1831) 749-775 (separat: J ohann B aptist H irscher , Erinnerungen an Dr. Johann Nepomuk Bestlin, Stadtpfarrer zu Lauchheim, vormaligen General-Vikariatsrat und ordentlichen Professor der Theologie zu Ellwangen. Tübingen 1831); J ohann G ottfried P ahl , Denkwürdigkeiten aus meinem Leben und aus meiner Zeit. Nach dem Tode des Verfassers hg. von dessen Sohne W ilhelm P ahl . Tübingen 1840, 143 ff, 208 ff; Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 10) 58 f; A ugust H agen , Gestalten aus dem Schwäbischen Katholizismus 1. Stuttgart 1948, 7-39. 73 Näheres dazu weiter unten. - Die Darstellung bei R ief weist hier Unstimmigkeiten auf. Zum einen werden diese Vorgänge chronologisch »ungefähr« auf 1814/ 15 datiert, zugleich aber auf den Zeitpunkt, »nachdem« die Freundschaft zwischen G ratz und K arl W achter in die Brüche gegangen war (13), was frühestens im Herbst 1816 stattfand; zum andern gehörte D rey dem Bestlinkreis nie an (dazu unten mehr). 74 P eter A lois G ratz , * 17.8.1769 in Mittelberg (Allgäu), † 1.11.1849 in Darmstadt, 1786-1788 Studium der Philosophie und 1788-1791 der Theologie in Dillingen, 1792 Priesterweihe, 1795-1805 und 1807-1809 Pfarrer in Untertalheim (bei Horb), 1809 Schulinspektor, 1812-1817 Professor der neutestamentlichen Exegese in Ellwangen, 1817-1819 in Tübingen, 1819 Mitbegründer und erster Schriftleiter der Theologischen Quartalschrift, 1819-1823 Neutestamentler an der neu gegründeten Universität Bonn, deren katholisch-theologische Fakultät er als Professor primarius nach Tübinger Vorbild organisierte, 1820-1824 Begründer und Herausgeber der Zeitschrift Der Apologet des Katholicismus. 1828-1839 nach Anfeindungen durch Hermesianer und Rheinländische Ultramontane Geistlicher Rat und Schulrat in Trier. - Wie B estlin war auch G ratz Schüler S ailers , gehörte aber nicht zum engeren Freundeskreis. Spätestens seit 1803 pflegte G ratz den Kontakt zu W essenberg , stand dessen Reformbestrebungen ebenso nahe wie der süddeutschen Aufklärung und bejahte ein gemäßigtes Staatskirchentum. Als Autodidakt erwarb G ratz sich die Kompetenzen, die ihn zu einem herausragenden katholischen Vertreter der historisch-kritischen Exegese im frühen <?page no="73"?> 41 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) den Professoren der Universität erfolgt 75 . Bezüglich der Motive D reys bemerkt R ief , es werde »wohl immer ein Rätsel bleiben, warum der ganz anders geartete [? ] Drey in Ellwangen die enge Freundschaft mit Gratz und Mets gesucht [! ] hat ...« 76 . Ein Rätsel im Hinblick auf die Rekonstruierbarkeit des angeblichen Wechsels? Oder bezüglich des Charakterbildes D reys ? Ein Schelm, wer Schlimmes dabei denkt. Auf dem von R ief vorgezeichneten Weg sind R einhardt und K uster mann weitergeschritten. D rey wird nun ohne weiteres ein »erstaunlicher Gesinnungswandel« mit »Frontwechseln« attestiert, sein Überwechseln »zur Abendgesellschaft um Mets« wird als der erste jener »Brüche« dargestellt, deren es in der Folgezeit eine Reihe anderer gegeben habe 77 . Das Bild D reys erhält hier letztlich die Züge eines Wendehalses. Es würde hier zu weit führen, sich insgesamt mit diesen fatalen Verzeichnungen auseinanderzusetzen, aber die Darstellung, die R einhardt der Sache hier gibt, bedarf sowohl in methodologischer als auch in inhaltlicher Hinsicht einer kurzen Stellungnahme. Die von R ief immerhin noch zögerlich (wenngleich in suggestiver Entdeckermanier) insinuierte Neuorientierung D reys in Ellwangen, die in Wahrheit nie stattgefunden hat, wird hier nicht nur wie eine feststehende Tatsache behandelt, sondern zu einem Bruch verstärkt, der seinerseits den Auftakt zu einer Reihe weiterer Brüche bilden soll. Im Vergleich zu R ief wird hier eine neue Stufe in der Verzeichnung der Tatsachen und zugleich in der Zerstörung des Charakterbildes D reys erreicht. Historisch haltbar, sachhaltig begründbar und moralisch vertretbar ist dieses Verfahren nicht. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß das Bruch- und Wendemotiv in seiner Anwendung auf den Tübinger Theologen seinen Ursprung in den unter der Führung M öhlers eingetretenen ekklesiologischen Neuorientierungen der 1830er Jahre hatte. Was M öhler angeht, so wurde dessen Neuorientierung von niemand bestritten, auch nicht von ihm selbst. Im Gegenteil. In dieser epochalen Wendezeit wurde im Lager der Gegner M öhlers auch die Stellung D reys in diesen Entwicklungen kritisch diskutiert. Kritisch deswegen, weil D rey sich nicht 19. Jahrhundert werden ließen. - Die Zeit in Ellwangen 1812-1817 gehörte wohl zu den harmonischsten Abschnitten im Leben von G ratz ; zur dortigen »Abendgesellschaft« um ihn und zu den personellen Konstellationen in Ellwangen weiter unten; zum möglichen Einfluß auf D rey siehe auch oben Anm. 70. - Lit.: N eher , Personal-Katalog (wie Anm. 49) 35 f; Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 10) 53, bes. Anm. 21; R udolf R einhardt , Ein Kapitel katholischer Aufklärung. Neues über Peter Alois Gratz (1769-1849) und seine Zeitgenossen, nebst sieben seither unbekannten Briefen des Theologen, in: ThQ 154, 1974, 340-365; N orbert W olff , Peter Alois Gratz (1769-1849). Ein Theologe zwischen »falscher Aufklärung« und »Obscurantismus« (Trierer Theologische Studien 61). Trier 1998 (Lit.); ders ., Von der »moralischen« zur »kritischen« Bibelauslegung (wie Anm. 70). 75 R ief , Johann Sebastian von Drey (wie Anm. 66) 13 f. 76 Ebd. 14 (Hervorhebungen nicht im Original). Ein »Rätsel« ist es nur, wenn und weil die Prämissen nicht stimmen. 77 R einhardt , Neue Quellen (wie Anm. 36) 137; vgl. auch K ustermann , »Daß ich der Universität...« (wie Anm. 6) 65. <?page no="74"?> 42 Erläuterungen genügend als Parteigänger ihrer radikalen kirchenpolitischen Träume erwies. Konkret handelte es sich um die von den alten Progressisten in Württemberg und Baden heftig betriebene Aufhebung des Zölibatsgesetzes und um die Wiedereinführung von Diözesansynoden. Im schwäbischen Klerus waren es vor allem B enedikt A lois P flanz 78 und F ridolin H uber 79 , die in D rey einen 78 B enedikt A lois P flanz , * 25.11.1797 in Espachweiler bei Ellwangen, † 23.11.1844 in Schörzingen bei Rottweil, 1812-1815 Studium der Philosophie am Lyzeum in Ellwangen, 1815-1817 Studium der Theologie an der dortigen Friedrichsuniversität (Kurskollege M öh lers ) und 1817-1818 in Tübingen, 1818-1819 Lehramtsstudium ebd., 1820 Priesterweihe, anschließend Vikar in Höchstberg und Duttenberg bei Neckarsulm und 1821-1822 in Oberndorf am Neckar, 1823 Gymnasiallehrer in Ehingen an der Donau, 1826 Professor am unteren, 1828 am oberen Gymnasium in Rottweil (für Philosophie und Philologie), 1831 und 1833 Landtagsabgeordneter für Rottweil (mit Unterbrechung bis 1838), 1833 Ehrenbürger der Stadt Rottweil, 1837 Pfarrer in Moosheim bei Saulgau, 1843 in Schörzingen. - P flanz gehörte zu den intelligentesten Köpfen im schwäbischen Klerus. Unbeirrbar den Reformzielen der radikalen Aufklärer in den Diözesen Rottenburg und Freiburg zugetan, übernahm er in der 1830 von ihm gegründeten Zeitschrift Freymüthige (seit 1833 Freimüthige) Blätter (siehe Anm. 80) die Meinungsführerschaft im Einsatz für diese Ziele und zugleich im Kampf gegen die »neukatholische« Kirchlichkeit der Möhlerschen Richtung und gegen den ultramontanen Revisionismus. Seine Bemühungen um einen Lehrstuhl für Kirchengeschichte in Freiburg (1831-32) und für Moraltheologie in Tübingen (1838; 1840) sowie um eine Berufung in den Katholischen Kirchenrat in Stuttgart (1840) blieben ohne Erfolg. - Lit.: Nekrolog in: Freimüthige Blätter Bd. 27 (N.F. 24) (1844) 343-356; N eher , Personal-Katalog (wie Anm. 49) 465 f; ADB 25 (1887) 677 (F ranz H einrich R eusch ); H agen , Die kirchliche Aufklärung (wie Anm. 36) 279-335; G erhard V alerius , Deutscher Katholizismus und Lamennais. Die Auseinandersetzung in der katholischen Publizistik 1817-1854 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B 39). Mainz 1983, 42 f; BBKL 7 (1994) 423-427 (D ominik B urkard ); NDB 20 (2001) 346 (D ominik B urkard ). 79 F ridolin H uber , * 21.10.1763 in Hochsal bei Waldshut, † 17.10.1841 in Deißlingen, 1780-1786 Gymnasium in Konstanz (Humaniora; Philosophie), 1786-1789 Studium der Theologie im Generalseminar in Freiburg im Breisgau, 1789 Priesterweihe, danach Lehrer in Altbreisach, 1790 Vikar in Feldkirch im Breisgau, 1793 Dr.theol. der Universität Freiburg, anschließend Kaplan in Oberndorf am Neckar, 1796 Pfarradministrator und 1799 Pfarrer in Waldmössingen, 1809-1841 in Deißlingen, 1827-1828 zugleich Regens am Priesterseminar in Rottenburg, 1839 Verleihung des Titels »Kirchenrat«; Ritter des württembergischen Kronordens. - H uber war ein hervorragend gebildeter Seelsorger und überaus produktiver Schriftsteller. Er verwandte sich unermüdlich für die Ziele der Aufklärung mit Blick auf die Belange der Seelsorge und agierte publizistisch gegen die kuriale Auffassung der päpstlichen Primatialgewalt. W erkmeister nahestehend und mit W essenberg freundschaftlich verbunden, verfaßte er neben zahlreichen Büchern über hundert Beiträge für das Konstanzer Pastoralarchiv sowie gewichtige Artikel für die Freymüthigen (Freimüthigen) Blätter. - D rey hat H ubers Vertheidigung der katholischen Religion gegen Angriffe neuerer Zeit (Frankfurt 1826) relativ knapp, aber fair rezensiert (in: ThQ 10, 1828, 154-159); möglicherweise liegt darin ein - wenn auch kaum nachvollziehbarer - Grund der abfälligen Äußerung H ubers über D rey in einem Brief vom 24.1.1830 an W essenberg (vgl. W ilhelm S chirmer (Hg.), Aus dem Briefwechsel J. H. von Wessenbergs weil. Verwesers des Bistums Konstanz. Konstanz 1912, 179). - Lit.: F ranz K arl F elder (Hg.), Gelehrten- und Schriftsteller-Lexikon der deutschen katholischen Geistlichkeit. Bd. 1, Landshut 1817, 329 ff, Bd. 3, hg. von F ranz J oseph W aitzenegger , Landshut 1822, 502; B enedikt A lois P flanz , Doctor Fridolin Hubers Leben und literarisches Wirken. Eine demselben aus Veranlassung seines Priesterjubiläums von mehrern seiner Verehrer gewidmete Denkschrift. Konstanz 1839 (auch in: Freimüthige Blätter Bd. 19 (N.F. 16), 1840, 14-65); N eher , Personal- Katalog (wie Anm. 49) 389 f; ADB 13 (1881) 231 (J ohann F riedrich von S chulte ); H agen , Die kirchliche Aufklärung (wie Anm. 36) 216-278; LThK 2 5 (1960) 502 (M ax M iller ); BBKL 2 (1990) 1097-1098 (F ranz S eiffer ). <?page no="75"?> 43 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) Verbündeten vermutet und erhofft hatten, sich in ihren Erwartungen aber zuletzt enttäuscht sahen. In den von P flanz herausgegebenen Freymüthigen Blättern 80 , dem scharfzüngigen Forum der alten Kämpfer, wurde 1834 denn auch beklagt, D rey habe nicht mehr den alten Reformergeist 81 . 1835 legte P flanz erstmals die »Frage« [! ] vor, ob »Drey sich nicht selber untreu worden« 82 . In der Clique der Radikalreformer im schwäbischen Klerus sind derartige Behauptungen und Unterstellungen nach der Wende, die M öhler aus- 80 Freymüthige Blätter über Theologie und Kirchenthum. Unter Verantwortlichkeit der Verlagshandlung herausgegeben von einer Gesellschaft. Erster Band. Rotweil, 1830. In der Herder’schen Buchhandlung. - Die Freymüthigen (ab 1833 Freimüthigen) Blätter erschienen von 1830 bis 1844 in insgesamt 27 Bänden. Für die in ihnen veröffentlichten Texte wurde der Name des Autors zumeist nicht angegeben, der Löwenanteil der ungezeichneten Beiträge entstammt zweifellos der Feder von P flanz . Der Erscheinungsverlauf der Zeitschrift war formal nicht homogen. Die ersten drei Bände sind fortlaufend paginierte Jahresbände zu je drei Heften. Ab Band 2 (1831) gibt sich »B. A. Pflanz, Professor am Gymnasium zu Rotweil« auf dem Titelblatt als Herausgeber zu erkennen. Mit Band 4 (1833) wechselt der Verlag zu N eff nach Stuttgart, die Schreibung des Titels ändert sich in Freimüthige Blätter ..., zugleich beginnt die Zählung einer Neuen Folge (= N.F. 1), es erscheinen nun pro Jahrgang zwei Bände mit je drei Heften; nur in Bd. 4 (1833) sind die drei Hefte (1-3) getrennt paginiert, in Bd. 5 (N.F. 2) (1833) trägt Heft 3 die Jahresangabe 1834 bei fortlaufender Paginierung. Bd. 6 (N.F. 3) und Bd. 7 (N.F. 4) mit je Heft 1-3 bilden den Jahrgang 1834; Bd. 8 (N.F. 5) mit Heft 1-3 und Bd. 9 (N.F. 6) mit Heft 4-6 bilden den Jahrgang 1835. Diese Form, jeweils bandweise fortlaufend paginiert, hält sich durch bis Bd. 22 (N.F. 19) (1842), Heft 1-3 und Bd. 23 (N.F. 20) (1842), Heft 4-6. Ab 1843 erscheinen die Hefte monatlich, Bd. 24 (N.F. 21) (1843) enthält die Hefte Januar - Juni, Bd. 25 (N.F. 22) (1843) die Hefte Juli - Dezember, die Bände sind fortlaufend paginiert, so auch im letzten Jahrgang 1844: Bd. 26 (N.F. 23) (1844), Hefte Januar - Juni und Bd. 27 (N.F. 24) (1844), Hefte Juli - Dezember, endend mit einem Nachruf auf den am 23.11.1844 verstorbenen »Gründer und Redakteur dieses Journals« (343-356, 343). - Ihrer Richtung nach verstehen sich die Freimüthigen Blätter auf der Linie von W essenbergs Pastoralarchiv (1802 bzw. 1804-1827) und des Kritischen Journals für das katholische Deutschland, hg. von J ohann E vangelist B rander (10 Bde., 1820-1829/ 30), solange dies unter W erkmeisters Einfluß stand (vgl. dazu Freymüthige Blätter Bd. 1, 1830, 116-123). (Gute Charakterisierung der Freimüthigen Blätter sowie des Kritischen Journals bei V alerius , Deutscher Katholizismus (wie Anm. 78) 42 f und 41). 81 Freimüthige Blätter (wie Anm. 80) Bd. 6 (N.F. 3), 1834, 277-302; Bd. 7 (N.F. 4), 1834, 121-132. 82 Freimüthige Blätter (wie Anm. 80) Bd. 9 (N.F. 6), 1835, 175, mit dem Zusatz: »Er - ? -- Doch wir wollen unsere Gedanken und unsern Schmerz in ein bedeutungsvolles Wort verhüllen: Et tu quoque Brute! «. Verhüllt hat P flanz seine »Gedanken« und seinen »Schmerz« hier gewiß nicht, zumal da er im Shakespearezitat an die Stelle des Fragezeichens ein Ausrufezeichen setzte. P flanz ließ sich 1835 offensichtlich von der gerade zu dieser Zeit von den Radikalreformern aufgeputschten Stimmung übermannen; er kehrte später wieder stärker zu größerer Besonnenheit und zum alten Respekt vor D rey zurück (vgl. dazu auch Bd. 12, N.F. 9, 1837, 9-11). - In einer ausführlichen Rezension zu ThQ 11 (1829) lobte P flanz , die Herausgeber der ThQ »blieben auch stets ihrem vorgesteckten Plane und den in ihrer ersten Ankündigung ausgesprochenen Grundsätzen treu - was bei solchen Instituten eine Hauptsache ist« (in Freymüthige Blätter (wie Anm. 80) 1 (1830) 99-115, 99); diese Anerkennung konnte und wollte P flanz zum Ausdruck bringen, obwohl er in der selben Rezension eine einzelne Abhandlung des Jahrgangs 1829 samt der Richtung ihres Verfassers (M öhler ) aufs allerschärfste kritisierte (ebd. 105-115; vgl. auch Freimüthige Blätter 5, 1833, 177-179). Wenn P flanz 1835 zu D rey eine spitze Frage stellt und literarisch ausschmückt, darf ihr Gewicht in Relation zu seiner Kritik an M öhler als gering bewertet werden. <?page no="76"?> 44 Erläuterungen gangs der 1820er Jahre effektvoll vollzogen hatte, auch auf D rey übertragen worden. Sie hatten bis dahin gewähnt, in D rey einen Gesinnungsfreund für ihre Bestrebungen vor allem in der Zölibats- und Synodenfrage vorzufinden. Ihre Enttäuschung und ihr Groll waren groß, nachdem sich schließlich herausgestellt hatte, daß ihre Erwartungen illusorisch waren. Doch nicht D rey hatte sich gewandelt, sondern die Reformgeister hatten sich anfangs ein falsches Bild von ihm gemacht 83 . Später wurde die in den politischen Grabenkämpfen aufgekommene Unterstellung für bare Münze genommen und ging als Selbstläufer in die historiographische Kolportage ein. Zur Frage der durchgängigen Konsistenz und der Überzeugungstreue D reys aber ist es hilfreich, die hierfür einschlägigen, sine ira et studio anhand der Primärquellen vorgenommenen Untersuchungen von M ax M iller zu Rate zu ziehen 84 . Was aber das eigentlich theologische Denken D reys angeht, so war dieses während seiner ganzen Ellwanger Zeit nicht weniger konsistent. Zwischen der RS und den in den Jahren danach in Ellwangen entstandenen Schriften gibt es keine signifikanten Veränderungen, weder doktrinal, noch mental. Anderslautende Behauptungen sind aus der Luft gegriffen und als Erzeugnisse einer desorientierten investigativen Phantasie einzuschätzen. Die RS war kein Ausreißer, von deren Inhalten und Zielen D rey alsbald abgerückt wäre; sie enthielt vielmehr als erste seiner Programmschriften (vgl. unten Ziff. II.7.b und d) auch sein persönliches theologisches Programm (vgl. Ziff. II.7.c), an dessen Umsetzung er danach kontinuierlich und konsistent weitergearbeitet hat. Ein inhaltlicher Vergleich der RS, mit der er 1812 sein theologisches Schaffen initiierte, mit seiner Abhandlung Vom Geist und Wesen des Katholicismus, die er am Ende seiner Ellwanger Zeit verfaßte und im ersten Jahrgang der 1819 ins Leben gerufenen Theologischen Quartalschrift veröffentlichte - sie wurde alsbald als die eigentliche Programmschrift der Katholischen Tübinger Schule aufgefaßt (vgl. Einleitung zu Text Nr. 6, Ziff. II.4), - besteht inhaltlich eine ungebrochene Übereinstimmung (vgl. ebd., Ziff II.7). 83 Auch auf der Gegenseite, im Kreis der Möhlerenthusiasten, wurde D rey einer Wende bezichtigt, hier jedoch unter umgekehrten Vorzeichen: Der in seiner Anfangszeit auf Abwege geratene verlorene Sohn wäre demnach unter dem guten Einfluß M öhlers gleichsam zum Vater heimgekehrt. Mochte die Freude darüber auch mehr oder weniger scheinheilig gewesen sein, so trug diese gleichfalls falsche Unterstellung doch auf ihre Weise dazu bei, Züge der Instabilität in das Charakterbild D reys hineinzutragen. Ein ziemlich heimtückisches Beispiel dafür bietet P ius B onifacius G ams , Johann Adam Möhler. Ein Lebensbild von Balthasar Wörner. Mit Briefen und kleinern Schriften Möhler’s herausgegeben von Pius Bonifacius Gams O.S.B. Regensburg 1866, 123. Zu den Fehlleistungen von G ams siehe auch Einleitung zu Text Nr. 4 (Beichtschrift), Anm. 79 und 97. In diese Rubrik gehört auch die Schilderung der Studienverhältnisse durch G ams (a.a.O. 4-5). 84 Siehe M iller , Professor Dr. Johann Sebastian Drey (wie Anm. 6) passim, und ders ., Die Tübinger Kath.-theologische Fakultät (wie Anm. 6) passim! Vgl. außerdem H agen , Die kirchliche Aufklärung (wie Anm. 36) 273; 307-309; 328. <?page no="77"?> 45 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) Die nachfolgenden Beobachtungen sind auf die Ellwanger Zeit D reys begrenzt. Aus ihnen wird hervorgehen, daß es dort bei D rey in keiner Weise den besagten Kontinuitätsbruch gab. c. Beobachtungen zum wahren Sachverhalt in den Ellwanger Verhältnissen α . Drey und Bestlin; Bestlin oder Schelling? Über die Beziehung zwischen D rey und B estlin weiß man wenig. Auf ihrem beruflichen Weg gab es zwei Phasen engerer Zusammenarbeit. Die erste fällt in die Zeit, in der D rey als Vikar bei B estlin in Röhlingen seinen Dienst verrichtete, d.h. vom 31. Mai 1805 bis zu seiner Berufung nach Rottweil am 2. Februar 1806, die zweite erstreckt sich auf die fünf Jahre von 1812 bis 1817, in denen D rey und B estlin als Kollegen ihre Professuren an der Friedrichsuniversität verwalteten. Die Konstellation in Röhlingen war objektiv wohl nicht geeignet, eine unbefangene Freundschaft zwischen beiden zu begründen. D rey hatte im Juni 1801 seine erste Stelle als Vikar in Röhlingen, seiner Heimatgemeinde, angetreten, bei Pfarrer M artin Z iegler , seinem väterlichen Förderer und Freund. Nach dem Tod Z ieglers († am 27.4.1805, von 1778 bis 1805 Pfarrer in Röhlingen) bewarben sich D rey und B estlin als Konkurrenten um die Pfarrei, D rey als Vikar vor Ort, der elf Jahre ältere B estlin als Wallfahrtspriester auf dem Schönenberg bei Ellwangen, woraus B estlin , der zu diesem Zeitpunkt bereits 15 Jahre Dienst als unständiger Geistlicher verrichtet hatte, als Sieger hervorgegangen war. Unter diesen Vorzeichen dürfte ihr daran sich anschließendes Convivium in Röhlingen, das ein halbes Jahr dauerte, einigermaßen delikat gewesen sein. Wenn B estlin seinem Vikar bei erster und bester Gelegenheit die Berufung auf die Philosophieprofessur am Lyzeum in Rottweil unterstützte, so gelang es ihm damit, die mißliche Situation zu einem guten Ende zu führen, was freilich ein echtes Wohlwollen nicht ausschließt. B estlin war eine über jeden Zweifel erhabene, liebenswürdige Persönlichkeit, ein Mystiker eigener Prägung, Schüler und Freund S ailers und Promotor der Sailerbewegung im Ellwängischen, für die der Begriff »Aufklärung«, so, wie sie ihn verstanden (d.h. im Sinne S ailers ), durchaus einen hellen Klang hatte. S ailer war die Ikone, die man verehrte, B estlin der Inbegriff eines Seelsorgers nach dem Bilde S ailers . Es ist möglich, daß die persönliche Verbindung D reys mit S ailer 85 und mit dem Freundeskreis S ai - 85 Vgl. dazu z.B. J ohann M ichael S ailer , Erinnerungen an Carl Schlund, Pfarrer zu Marktoffingen im Riese. Ein Beytrag zur Bildung der Geistlich-Geistlichen. München 1819. S ailer widmet diesen Erinnerungsband zunächst den Verwandten S chlunds , dazu »allen seinen Freunden, und unter diesen besonders dem lieben Drey ...« (Vorwort V; es werden danach noch drei weitere Freunde genannt). Mit »seinen« Freunden sind zwar Freunde S chlunds gemeint, aber daß D rey , und er allein, als »lieber Drey« bezeichnet wird, ist eine Aussage S ailers und geht auf dessen Bewertungskonto. - Das oben angeführte Zitat ist der Originalausgabe von 1819 entnommen, wo der Name D reys korrekt mit »y« geschrieben ist. K ustermann (in: Die <?page no="78"?> 46 Erläuterungen lers 86 in ihren Anfängen bis auf die Zeit zurückreicht, die D rey als Vikar bei Apologetik Johann Sebastian Dreys (wie Anm. 68) 73, Anm. 119) ist in seiner Kommentierung dieser Stelle auf Grund einer falschen Wiedergabe dieses Namens (ohne »y«) einer kuriosen Fehldeutung erlegen. - D rey war spätestens seit 1815 mit S ailer persönlich bekannt (siehe H ubert S chiel , Johann Michael Sailer, Leben und Briefe. Bd. 1: Leben und Persönlichkeit in Selbstzeugnissen, Gesprächen und Erinnerungen der Zeitgenossen. Regensburg 1948. Bd. 2: Briefe. Regensburg 1952. Hier in Bd. 1, 514 f). 86 Vgl. C hristoph von S chmid , Erinnerungen aus meinem Leben. 4 Bde., hg. von A lbert W erfer , Augsburg 1853-1857, Bd. 4, 100: »Sailer besuchte Christoph Schmid einige Male in Stadion; in den Ferien kamen Drey und Eschenmayer aus Tübingen zu ihm; auch Demeter, damals Pfarrer in Sasbach in Baden, und Domkapitular Wagner in Rottenburg, beide Schüler und Freunde Sailers.« S chmid gehörte zum engsten Freundeskreis S ailers . Daß er aber bis in seine alten Tage die Verbindung zu D rey pflegte und sich in dessen Gesellschaft wohlfühlte, geht aus der folgenden hübschen Episode hervor, über die er in einem Brief vom 6. August 1842 an seine Schwester berichtet (in: Erinnerungen 4, 232): »In Tübingen besuchten wir [d.h. S chmid und sein Begleiter] die Herren Professoren Drey, Hefele etc. etc. Wir speisten in dem sehr trefflichen Gasthofe zur Post zu Nacht und fuhren am nächsten Morgen hierher nach Kannstadt«. S chmid , der sich auf einer Bäderreise von Bad Imnau nach Bad Cannstatt befand, machte zunächst den Domherren und dem Bischof in Rottenburg seine Aufwartung (»im Fluge«). Der Bischof wollte die Besucher »mit aller Gewalt über Mittag behalten«, was diese aber ausschlugen, um sich statt dessen in Tübingen reichlich Zeit zu gönnen. C hristoph ( von ) S chmid , * 15.8.1768 in Dinkelsbühl, † 3.9.1854 in Augsburg, 1785-1791 Studium der Theologie und Philosophie in Dillingen, 1791 Priesterweihe, Kaplan in Nassenbeuren, 1792 in Seeg, 1796 Kaplan und Schuldirektor in Thannhausen, 1806 zugleich Schulinspektor, 1816 Pfarrer in Oberstadion (bei Ehingen an der Donau). Rufen an die Universitäten Dillingen, Heidelberg und Landshut zog er die Schriftstellerei vor. 1826 Domkapitular in Augsburg, 1832 ebd. Mitglied des Kreisscholarchats; 1837 Nobilitierung, 1848 Ehrendoktor der Universität Prag, 1850 Kompturkreuz des Verdienstordens vom Hl. Michael. - Lit.: ADB 31 (1890) 657-659 (B inder ); BBKL 9 (1995) 384-387 (S ilvia W immer ); NDB 23 (2007) 144-145 (U to M eier ); U to M eier , Christoph von Schmid. Katechese zwischen Aufklärung und Biedermeier. St. Ottilien 1991; U rsula C reutz , Christoph von Schmid 1768-1854. Weißenhorn 2004. A dolph C arl A ugust ( von ) E schenmayer , * 4.7.1768 in Neuenbürg (bei Pforzheim), † 17.11.1852 in Kirchheim/ Teck, 1783-1796 Studien der Philosophie und Medizin in Tübingen und Stuttgart (Karlsschule), 1797 Arzt in Kirchheim, Physikus in Sulz, 1811 a.o. Prof. für Medizin und Philosophie, 1818-1836 o. Prof. für praktische Philosophie an der Philosophischen Fakultät in Tübingen. E schenmayer war jahrzehntelang ein von S chelling geschätzter philosophischer Gesprächs- und Streitpartner. Auf dem Gebiet der Naturphilosophie und vor allem der Philosophie der Offenbarung gibt es Berührungspunkte und Übereinstimmungen zwischen E schenmayer und D rey , die auf S chelling zurückverweisen. Daß E schenmayer und D rey in Tübingen über das Fachliche hinaus auch freundschaftliche Beziehungen zueinander pflegten, geht u.a. aus ihrer oben erwähnten gemeinsamen Ferienreise zu C hristoph S chmid in Stadion hervor. In D reys Büchernachlaß sind folgende Werke E schenmayers verzeichnet: Archiv für den thierischen Magnetismus (hg. von E schenmayer ). 8 Bde., Altenburg, Leipzig, Halle 1817-1826; Einleitung in Natur und Geschichte. Bd. 1, Erlangen 1806; System der Moralphilosophie. Stuttgart, Tübingen 1818; Religionsphilosophie. Erster Theil. Rationalismus. Zweiter Theil. Mysticismus. Dritter Theil. Supernaturalismus, oder die Lehre von der Offenbahrung des Alten und Neuen Testaments (3 Bde.), Tübingen 1818-1824; Grundlinien zu einem allgemeinen kanonischen Recht. Tübingen 1825; Die Allöopathie und Homöopathie verglichen in ihren Principien, Tübingen 1834 (siehe W erner , Büchernachlaß (wie Anm. 40) 421). - Lit.: K arl W erner , Geschichte der apologetischen und polemischen Literatur der christlichen Theologie 5. Schaffhausen 1867, 232-234; W alter W uttke , Materialien zu Leben und Werk A.K.A. von Eschenmayers, in: Sudhoffs Archiv. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte 56 (1972) 255-296; ADB 6 (1877) 349 f (E duard A lberti ); NDB 4 (1959) 644 f (H ermann Z eltner ); BBKL 17 (2000) <?page no="79"?> 47 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) B estlin verbrachte. Man darf durchaus annehmen, daß die Lebenswelt B est lins , die D rey in diesen Monaten näher kennenlernte, für ihn in mancher Hinsicht bereichernd war. Genaueres darüber oder über seine geistige Einstellung zu seinem kurzzeitigen Chef weiß man nicht, ganz im Unterschied zu H irscher , D reys Nachfolger im Röhlinger Pfarrhaus, der von B estlin tief beeindruckt war und dies auch öffentlich und warm bezeugte 87 . Zum Kreis der engeren Freunde und Verehrer B estlins gehörte D rey nicht, sie zählten ihn nicht zu den ihrigen 88 . Die Beziehung D reys zur Person B estlins war sicher respektvoll, aber es gab keine Nähe, aus der er sich später hätte lösen können oder wollen. Dasselbe gilt a fortiori von der Denkwelt B estlins . Es ist bekannt, daß D rey während seiner Vikarszeit K ant , F ichte und S chelling im Tornister trug 89 , was darauf hindeutet, daß er schon in diesen Jahren im Reich des Geistes seinen eigenen Weg ging und sich in einer Höhenlage bewegte, auf der ein B estlin nichts zu bestellen hatte. Selbst wenn er von der mystischen Spiritualität seines Prinzipals eine hohe Meinung gehabt haben sollte (wofür es keine Anhaltspunkte gibt), so wäre es doch verfehlt, den Mystizismus B est lins auf den jungen D rey zu übertragen oder die Bedeutung, die D rey dem 347-354 (S tefan L indinger ). I gnaz A nton D emeter , * 1.8.1773 in Augsburg; † 21.3.1842 in Freiburg i.Br., 1793-1796 Theologiestudium in Dillingen, 1796 Priesterweihe, anschließend auf Empfehlung S ailers Vikar in Ried in der Herrschaft S chenk von S tauffenberg , 1802 Pfarrer im Stauffenbergischen Lautlingen, 1809 auf Fürsprache W essenbergs Direktor des Lehrerseminars, Prof. für Pädagogik am Gymnasium, Stadtpfarrer und Dekan in Rastatt, 1818 Pfarrer und 1831 Dekan in Sasbach, 1833 Domkapitular und 1837 (auf Druck der badischen Regierung) Erzbischof von Freiburg. - Lit.: NDB 3 (1957) 591 (W olfgang M üller ); H ubert B astgen , Die Vorgänge bei der Wahl des Erzbischofs von Freiburg im Jahre 1836. Freiburg 1928; H ubert S chiel , Ignaz Demeter und die Erweckungsbewegung in der Diözese Augsburg. Freiburg 1930; E rwin G atz , Demeter, Ignaz Anton, in: Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1785 1803 bis 1945. Berlin 1983, 122-123. - Zu dem oben von S chmid genannten Rottenburger Domkapitular (F ranz A lois ) W agner siehe unten Anm. 99. 87 J ohann B aptist H irscher , * 20.1.1788 in Alt-Ergarten bei Ravensburg, † 4.9.1865 in Freiburg i.Br., 1803-1807 Studium am Lyzeum in Konstanz und 1807-1809 an der Universität Freiburg, 1809 Priesterseminar in Meersburg, 22.9.1810 Priesterweihe in Konstanz, 1810-1812 Vikar bei B estlin in Röhlingen, 1812 Repetent am Priesterseminar und zeitweilig auch Professor für neuere Philosophie am Lyzeum in Ellwangen, 1817 kurzzeitig Gymnasialprofessor und Kaplan in Rottweil, 1817 Professor für Moral- und Pastoraltheologie an der Universität Tübingen und 1837-1863 an der Universität Freiburg. - Zu seiner Zeit als Vikar bei B estlin und zu seinem Verhältnis zu B estlin äußert sich H irscher im Nekrolog auf seinen Prinzipal (wie Anm. 72) bzw. in seinen Erinnerungen an Dr. Johann Nepomuk Bestlin (wie Anm. 72). - Lit.: W alter F ürst , Wahrheit im Interesse der Freiheit. Eine Untersuchung zur Theologie J. B. Hirschers (1788-1865) (Tübinger theologische Studien 15). Mainz 1979; BBKL 2 (1990) 897-899 (F riedrich W ilhelm B autz ; in der Online-Ausgabe Literaturnachträge bis 2008). 88 Vgl. L ang , Denkmal der Achtung und Liebe (wie Anm. 72) 35. D rey wird hier nur einmal ganz marginal erwähnt. 89 Siehe H efele , Nekrolog (wie Anm. 9) 345. - In dem als verläßlich geltenden Nekrolog H efeles ist an der gegebenenfalls zu erwartenden Stelle (344 f) von einem Einfluß B estlins auf D rey keine Rede. <?page no="80"?> 48 Erläuterungen mystischen Ansatz für den Begriff der Religion und und für die Wissenschaftstheorie der Theologie in der RS beimißt, von dem Röhlinger Pfarrherrn herzuleiten. Nicht B estlin , sondern S chelling ist dafür Pate gestanden, wie bereits weiter oben (in Ziff. II.4.c) nachgewiesen wurde. Waren es dort formale und inhaltliche Kriterien, die zu diesem Schluß führten, so läßt dieser sich zudem biographisch verankern. Die Schellinglektüre des Vikars D rey , von der H efele berichtet, ist gewichtiger, als es zunächst scheint. Die Arbeit D reys stand in Rottweil von Anfang an im Zeichen einer intensiven Schellingrezeption 90 . Die Zurüstung dafür und überhaupt die Konzentration auf S chelling muß D rey aus seiner Vikarszeit mitgebracht haben 91 . S chel ling war in der ersten Dekade des 19. Jahrhunderts den jungen katholischen Intellektuellen »teacher and guide, prophet and sun« - auch bezüglich der mystischen Dimensionen der Religion und der Theologie 92 . Wie seine Vikarskollegen W erfer und J aumann 93 , und gemeinsam mit ihnen, die zeitlebens 90 Siehe T iefensee , Die religiöse Anlage (wie Anm. 4) 8 f, bes. 21-25, 35-48 u.ö.; zu D reys Rottweiler Schellingrezeption siehe Einleitung zu TüA 3 (Kurze Einleitung), 106*-109* (siehe auch oben Anm. 41). 91 Auffallend ähnlich verhielt es sich mit A lbert I gnaz W erfer , der 1806 gleichzeitig mit D rey auf eine Philosophieprofessur am Lyzeum in Rottweil berufen worden war und dort als nächster Fachkollege D reys auch seinerseits sofort philosophisch voll auf S chelling setzte (siehe oben in Anm. 49). W erfer und D rey hatten zuvor ihre Vikarszeit gleichzeitig verbracht, D rey von 1801 bis 1806 in Röhlingen, W erfer von 1798 bis 1806 in Ellwangen und Jagstzell. Eng miteinander befreundet, muß die Schellingbegeisterung sie schon dort erfaßt haben und zum Gegenstand gegenseitigen Austauschs geworden sein (vgl. dazu die in Anm. 49 angeführte Literatur). 92 O’M eara , Romantic Idealism and Roman Catholicism (wie Anm. 41) 7; vgl. dazu bes. 4 ff; 96 ff. 93 I gnaz J aumann , * 26.1.1778 in Wallerstein, † 12.1.1862 in Rottenburg, Studium in Augsburg, Priesterseminar in Pfaffenhausen, 13.5.1801 Priesterweihe in Augsburg, Vikar in Marktoffingen und Minderoffingen, 1803 Schloßkaplan in Schwendi, 1805 Pfarrer in Großschafhausen, 1811 auch Schulinspektor, 1814 Dekan und Stadtpfarrer in Rottenburg, 1817 Generalvikariatsrat ebd., 1818-1821 Abgeordneter beim Frankfurter Bundestag, 1825-1851 Mitglied der Abgeordnetenkammer im württembergischen Landtag, 1828 Domdekan des neu errichteten Kapitels in Rottenburg, 1845-1848 Kapitularvikar des Bistums Rottenburg. - J aumann war und blieb neben W erfer einer der beiden engsten Freunde D reys . Als Vikarstrio teilten sie ihre Schellingbegeisterung. Wie von D rey , so wird auch von J aumann berichtet, daß er sich als Vikar in die Schriften von K ant , F ichte und S chelling einarbeitete und dabei die Hilfe D reys in Anspruch nahm (»namentlich stund er, in Beziehung der neuern Philosophie und der Systeme von Kant, Fichte und Schelling, mit seinem Freunde, dem spätern so berühmten Professor Dr. Drey in vielfältigem mündlichen und schriftlichen Verkehre«, so B ernhard R itter , Das Leben und Wirken des Herrn Domdekans von Jaumann. Nach dessen Tode zusammengestellt von seinem Hausarzte. Schwäbisch Gmünd, Rottenburg 1862, 7). Dazu gehört, daß J aumann D rey häufig nach Schwendi holte, wo sich eine literarische Gesellschaft gebildet hatte, in der darüber diskutiert wurde. Es gab zu dieser Zeit einen Briefwechsel zwischen D rey und J aumann , von dem J aumann selbst berichtet (I gnaz J aumann , Geschichte einer Gemäldesammlung. Gabe für Freunde und Kunstgenossen [Autobiographie]. München 1855, 23; vgl. A ugust H agen , Ignaz Jaumann, in: ders ., Die kirchliche Aufklärung (wie Anm. 36) 336-402, 339). Einem Brief J aumanns an W essenberg vom 15. Juli 1840 ist zu entnehmen, daß J aumann in München mit S chelling verkehrte (vgl. H agen , ebd. 398, Anm. 172). - Weitere Lit.: N eher , Personal-Katalog (wie Anm. 49) 17; ADB 13 (1881) 730-733 (A ugust W intter lin ); BBKL 2 (1990) 1580-1581 (R einhard T enberg ). <?page no="81"?> 49 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) seine engsten Freunde blieben, so gehörte auch der junge D rey zu den von S chelling faszinierten Köpfen. Selbst von S ailer ist bezeugt, daß er im April 1803 S chelling in Jena aufsuchte, um dem Star seine Reverenz zu erweisen 94 . So gehörte für D rey die Initiation in das philosophische Frühwerk S chellings , die er in seiner Vikarszeit vollzog, zur unmittelbaren Vorgeschichte seiner professionellen Schellingrezeption in Rottweil, aus der als erste literarische Frucht die RS hervorgegangen ist. Mit B estlin hatte das alles nichts zu tun. Bei der Transferierung der Friedrichsuniversität nach Tübingen (1817), die D rey bejahte und betrieb, der B estlin sich aber widersetzte 95 , trennten sich ihre (politischen) Wege. Der in seinen amtlichen Verrichtungen ängstlich streng gewordene B estlin 96 gesellte sich der gegen den württembergischen Staatskatholizismus gerichteten Protestbewegung in Ellwangen zu 97 . Doch das geschah nach 1817. D rey ließ es sich nicht nehmen, die Form zu wahren und vor seinem definitiven Weggang nach Tübingen Pfarrer B estlin , der seine Professur niedergelegt hatte, in Röhlingen seinen Abschiedsbesuch abzustatten 98 . β . Die »Bestlinkreise« In der Fachliteratur herrschen bezüglich der personellen Konstellationen um B estlin Unschärfen und Unstimmigkeiten. Einen förmlichen Bestlinkreis, den D rey im Dissens verlassen haben könnte, um zur Gegenseite, der (ihrerseits durchaus personell und gesellig formierten) »Abendgesellschaft« um G ratz und M ets überzuwechseln, gab es in Ellwangen nicht. Die Gruppe der Bestlinverehrer, aus deren Mitte das oben erwähnte Denkmal der Achtung und Liebe, errichtet dem Dr. Joh. Nepomuk Bestlin von einem seiner vertrautesten Freunde hervorging, existierte, aber sie zählte D rey nie zu den ihren. Es existierte ferner eine »Sailersche Richtung«, die im Ellwängischen Klerus stark vertreten war, mit Sympatisanten in einem Kreis von Honoratioren, dem, folgt man mit diesen Angaben Z eller , B estlin , die Brüder J osef und A lois 94 Siehe X avier T illiette , Schelling. Biographie. Stuttgart 2004, 128; S chiel , Johann Michael Sailer (wie Anm. 85), Bd. 1, 351, Nr. 411-413. 95 Näheres dazu bei Z eller , Die Errichtung der katholisch-theologischen Fakultät in Tübingen (wie Anm. 45); ders ., Die Verlegung der kirchlichen Institute von Ellwangen nach Tübingen und Rottenburg im Jahre 1817, in: EllwJB 10 (1926/ 28) 31-58; R einhardt , Die Katholisch-theologische Fakultät Tübingen (wie Anm. 45) 1-42. 96 So H irscher im Nekrolog auf B estlin (wie Anm. 72) 761 (im Separatdruck 15). 97 Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 10) 59 f; ders ., Die Errichtung (wie Anm. 95) 92 f. 98 Kalendernotiz D reys vom 25. März 1818. Die handschriftlichen Kalendernotizen D reys wurden von A braham P eter K ustermann teilweise ediert in: ders ., »Daß ich der Universität ...« (wie Anm. 6) 96-116. Die Notiz findet sich auf Seite 98, der Besuch fand am 25. März 1818 statt. <?page no="82"?> 50 Erläuterungen W agner 99 , Prof. B letzger 100 und Stadtpfarrer K lingenmayer 101 angehörten und der der Generalvikar, Fürst von H ohenlohe 102 , sowie die Vikariatsräte 99 [F ranz ] J osef W agner , * 1764 in Jagstzell, † 14.3.1816 in Ellwangen, 1783-1787 (1784-1788? ) Studium in Dillingen, 1787 ebd. Priesterweihe, bis 1796 Prof. am Ellwanger Gymnasium, ab 1796 Pfarrer in Stimpfach, 1798-1816 Geistlicher Rat und Stiftspfarrer in Ellwangen und Generalkommissär des exemten Sprengels, 1806 Stifts- und Landkapitelsdekan und Direktor der Pastoralprüfungskommission, 1812 (zweiter) Generalvikariatsrat in Ellwangen (vgl. N e her , Personal-Katalog (wie Anm. 49) 8; Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 10) 40 f; 57 f; bes. 61 f; 126; 138 f). [F ranz ] A lois W agner , * 1771 in Jagstzell, † 1837 in Rottenburg, jüngerer Bruder des J osef W agner , 1790-1793 (? ) Studium in Dillingen, 1794 Priesterweihe in Würzburg, bis 1796 Kaplan in Stimpfach, ab 1796 Professor am Ellwanger Gymnasium und ab 1798 Pfarrer in Stimpfach (beides jeweils als Nachfolger seines Bruders J osef ), 1806 auch Kapitelsdekan in Bühlertann, 1809 auch kgl. bayer. Distriktschulinspektor für Crailsheim, Dinkelsbühl und Feuchtwangen, ab 22.10.1816 (vierter) Generalvikariatsrat in Ellwangen (wiederum in Nachfolge seines älteren Bruders J osef ) und Regens des Priesterseminars auf dem Schönenberg. A lois W agner war als eifriger Anhänger der Sailerschen Richtung dem Geistlichen Rat in Stuttgart (W erkmeister ) unlieb und wurde 1817 auf Betreiben des Ministers von W angen heim bei der Verlegung der Institute nach Rottenburg von der Leitung des Priesterseminars entfernt. 1817 Generalvikariatsrat in Rottenburg, 1819-1825 Mitglied der Abgeordnetenkammer, 1828 Domkapitular (zweiter Domherr). - A lois W agner , Biograph und Sammler der Lebensnotizen und Schriften B estlins , wird von L orenz L ang als einer der »vertrautesten Freunde« B estlins bezeichnet (vgl. L ang , Denkmal der Achtung und Liebe (wie Anm. 72) XIII). Er war auch mit G ottfried P ahl befreundet und verfaßte wie B estlin einige Beiträge zu dessen National-Chronik der Teutschen (vgl. F elder (Hg.), Gelehrten- und Schriftsteller-Lexikon (wie Anm. 79), Bd. 2, hg. von F ranz J oseph W aitzenegger , Landshut 1820, 470-472; N eher , Personal-Katalog (wie Anm. 49) 18 f; Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 10) 37; 41; bes. 58-63). 100 F ranz G eorg B letzger , * 5.9.1766 in Ellwangen, † 8.1.1830 in Westhausen, studierte Theologie an den Gymnasien zu Augsburg und Ellwangen und bewarb sich nach seiner Priesterweihe 1789 um die Professur für Physik am Gymnasium in Ellwangen nach Abgang des Professors H öpfel auf die Pfarrei Stödtlen; später war er Professor der Rhetorik und leitete bis 1815 den Rhetorikkurs am Gymnasium in Ellwangen. 1800 entstand ein Streit zwischen den Professoren K lingenmayer und B letzger um den ausschließlichen Einsatz des letzteren im Fach der ersten Rhetorik; 1802 übernahm B letzger dazu die Ökonomieverwaltung am Collegium Ignatianum. 1815 erfolgte seine Ernennung zum Pfarrer in Westhausen mit der Bestimmung, seine Lehrstelle bis zu einer anderweitigen Besetzung (bis 1817) weiter zu versehen (siehe StAL B 433 Bü 124; Bü 104; Bü 139 und E 202 Bü 1369; vgl. Königlich- Württembergisches Hof- und Staats-Handbuch von Württemberg auf die Jahre 1808, 718; 1810, 178; 1812, 191). - Lit.: Nekrolog in: L ang , Kirchenblätter (wie Anm. 72) 2 (1831) II, 151-159; N eher , Personal-Katalog (wie Anm. 49) 355; Z eller , Die Errichtung (wie Anm. 95) 93 Anm. 1 mit Verweis auf L ang , Denkmal der Achtung und Liebe (wie Anm. 72). 101 J ohann A lois K lingenmayer , * 1768 in Rodamsdörfle bei Dewangen, † 1831 in Waldstetten, 1791 Priesterweihe, 1794-1798 Kaplan in Bühlertann (StAL B 431 Bü 94), 1798 Nachfolger von A lois W agner als Professor für Rhetorik am Ellwanger Gymnasium (StAL B 431 Bü 127, B 433 Bü 137; zum Streit zwischen den Professoren K lingenmayer und B letzger siehe Anm. 100), 1805-1814 Stadtpfarrer von St. Vitus in Ellwangen, 1814 wurde er, weil er »auf einmal gegen die neuen (radikalen) Aufklärer in eine unerwartete Opposition trat«, nach Waldstetten bei Gmünd versetzt (L ang , Denkmal der Achtung und Liebe (wie Anm. 72), 165 f). 102 F ranz K arl J oseph Fürst zu H ohenlohe -W aldenburg -S chillingsfürst , * 27.11.1745 in Waldenburg, † 9.10.1819 in Augsburg, 1787 Priesterweihe in Köln, am 7.6.1802 Ernennung zum Domkapitular und am 17.7.1802 zum Weihbischof von Augsburg, 1812 nach dem Tod von C lemens W enzeslaus von S achsen Generalvikar in Ellwangen für die an Württemberg gefallenen Teile des Bistums Augsburg, 1815-1817 Mitglied der Kammer der Standesherren <?page no="83"?> 51 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) M ets und H uberich 103 nahegestanden haben sollen 104 . Eine Zugehörigkeit D reys zu diesem Freundeskreis ist nirgends belegt. Daneben gab es auf persönlicher Basis ein »Kleeblatt« von alten Freunden, das B estlin zusammen mit den Brüdern W agner auf Grund ihrer in ihre Jugendjahre zurückgehenden Freundschaft bildete 105 . Damit hatte D rey erst recht nie etwas zu tun. γ . Drey, Gratz, Mets und die »Abendgesellschaft« Nachdem es sich gefügt hatte, daß D rey und M ets im Herbst 1812 gleichzeitig ihren Dienst in Ellwangen antraten - M ets als Erster Rat im Generalvikariat, D rey als Ordinarius an der Friedrichsuniversität -, gestaltete sich ihre wechselseitige Beziehung zumindest freundlich und zunehmend wohl auch freundschaftlich 106 . Einen Kristallisationspunkt dafür bildete der von M ets als »Abendgesellschaft« bezeichnete kollegiale Gesprächszirkel um G ratz 107 , dem neben G ratz , ihrem mutmaßlichen Spiritus rector, die Herren des Königreichs Württemberg (Vertreter des Generalvikariats), im Herbst 1817 Umzug des Generalvikariates nach Rottenburg, 5.2.1818 Ernennung zum Bischof von Augsburg. 103 A nton N ikolaus H uberich , * 1766 in Igersheim, † 1833 in Neuhausen, 1791 Priesterweihe, 1801 Pfarrer in Sechtenhausen, 1814 Stadtpfarrer von St. Vitus, 1817-1819 erster Rat des bischöflichen Kommissariats, 1819 Dekan und Stadtpfarrer von Ellwangen, 1826 Pfarrer in Neuhausen. »Er ist ein feiner, gebildeter und gefälliger Mann, der sich gleich ganz und immer mehr an mich anschloß und stets fest mein Freund und treuester Korrespondent blieb« (M ets , Autobiographie (wie Anm. 10) 139). - Z eller bemerkt zu ihm: »stets Freund und Korrespondent von Mets, stand er aber Bestlin nicht weniger nahe und unterhielt mit demselben regen brieflichen und persönlichen Verkehr. Zum Umzug nach Rottenburg verstand er sich nicht« (Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 10) 64). - Zu M ets siehe Anm. 138. 104 Vgl. dazu Z eller , Die Errichtung (wie Anm. 95) 93; ders ., Die Verlegung (wie Anm. 95) 44. - H agen zufolge gehörte dem persönlichen Freundeskreis um B estlin ferner K aspar R egele an (vgl. A ugust H agen , Gestalten aus dem Schwäbischen Katholizismus 1. Stuttgart 1948, 28). - S ilvester K aspar R egele , * 1768 in Thannhausen, † 1798 in Zalling, 1785-1791 Studium der Philosophie und Theologie in Dillingen, 1791 Priesterweihe zusammen mit C hristoph S chmid ebd., danach Vikar in Stimpfach, Minderoffingen und Augsburg und Pfarrer in Zalling bei Augsburg. »Sein innigster Freund und Mitschüler, J. N. Bestlin, V.R. und Stadtpfarrer in Lauchheim hat ihm im Felderischen Magazin, ein würdiges Denkmal nach der reinsten Wahrheit errichtet« (J ohann A loys H assl , Kern praktischer Pastoral, oder ein Vade mecum für angehende Theologen und Geistliche, [...]. Schwäbisch Gmünd 1823, VII-VIII). - Die verläßlichsten Auskünfte über den Kreis der Sailerfreunde im Ellwängischen finden sich bei S chiel , Johann Michael Sailer (wie Anm. 85), Bd. 1, 77 f, 226, 284; Bd. 2, 129-132, 135 f, 140, 343. 105 Vgl. dazu Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 10) 58. 106 Vgl. Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 10) 55. Auch noch nach ihrem Weggang von Ellwangen pflegten D rey und M ets ihre Verbundenheit, wie etwa an einem Besuch von M ets bei G ratz und D rey in Tübingen im Sommer 1818 zu ersehen ist, an den sich M ets in seiner Autobiographie in warmen Tönen erinnert (M ets , Autobiographie (wie Anm. 10) 148). 107 Die Bezeichnung »Abendgesellschaft« für diesen Zirkel ist von M ets bezeugt (siehe M ets , Autobiographie (wie Anm. 10) 142). Es handelte sich um eine gesellige Verbindung im Geiste der Romantik auf der Basis gesinnungsmäßiger Übereinstimmungen und persönlicher Sympathien. Die Zusammenkünfte der genannten Herren scheinen nach Möglichkeit täglich stattgefunden zu haben (vgl. ebd. 141), was eher an eine Art gehobener Stammtisch der Gesin- <?page no="84"?> 52 Erläuterungen M ets , W achter 108 , H uberich und D rey angehörten 109 . Und wenn es die nungsfreunde denken läßt, was freilich nicht ausschließt, daß der Austausch ernsthaft war und Niveau und Richtung hatte. In diesem Kreis ist wohl auch die Idee zur Gründung der Theologischen Quartalschrift geboren worden. Auch M ets war in die Planungen involviert, wie einem Brief von G ratz an W essenberg vom 12.8.1818 zu entnehmen ist (»Von dem Vorhaben der Herausgabe einer theologischen Zeitschrift wird Euer Excellenz schon Herr Geistlicher Rath v. Mets benachrichtigt haben. Ich bin so frei in der Anlage die Ankündigung derselben zu übermachen.« - Wiedergabe dieses Briefes bei R einhardt , Ein Kapitel katholischer Aufklärung (wie Anm. 74) 360 f); siehe dazu auch Einleitung zu Text Nr. 7 (ThQ-Dokumente), bei Anm. 13. - Es ist möglich, daß Kardinalstaatssekretär E rcole C onsalvi (1757-1824) in seinem an Provikar J ohann B aptist von K eller gerichteten Schreiben vom 27. März 1817 auf diese Abendgesellschaft Bezug genommen hat. C onsalvi teilt dem Provikar in dem Beschwerdebrief die Besorgnis des Papstes über die Geistesart und die Lehren der Ellwanger Professoren mit, wobei D rey (als Autor der Beichtschrift von 1815) und M ets namentlich genannt und besonders kritisiert werden. M ets , der in Ellwangen »den ausgezeichnetsten Rang« habe, trage die Hauptschuld daran, daß die Irrtümer D reys und anderer Professoren nicht schon längst öffentlich widerrufen worden seien. Im unmittelbaren Anschluß daran ist von einer in Ellwangen bestehenden, giftstreuenden »literarischen Gesellschaft« die Rede (interessant an den Ausführungen C onsalvis ist nicht zuletzt, daß hier M ets u.a. geradezu als Protektor D reys gilt). - Zu dem »wie es scheint, bisher unbekannten Schreiben« (M iller 1933) C onsalvis siehe M iller , Professor Dr. Johann Sebastian Drey (wie Anm. 6) 367-369, bes. 368 (vgl. dazu auch Einleitung zu Text Nr. 4). - Es ist aber nicht völlig auszuschließen, daß C onsalvi mit der von ihm genannten »literarischen Gesellschaft« eine in Ellwangen existierende geistliche Lesegesellschaft meinte, wie sie es seit 1807 in den katholischen Gebieten Württembergs auf Dekanatsebene (Pastoralkonferenzen) gab, doch der Kontext im Brief C onsalvis läßt eher an unsere »Abendgesellschaft« denken. In Ellwangen plante G ratz 1813 eine Lesegesellschaft an der Universität, doch lehnte die Kuratel diesen Plan ab; 1814 gründete H uberich eine Lesegesellschaft unter Ellwanger Geistlichen und Honoratioren (siehe W olff , Peter Alois Gratz (wie Anm. 74) 114 f). 108 K arl (C arl ) W achter (Taufname: M einrad ), * 16.1.1764 in Sigmaringen, † 9.12.1822 in Sulmingen, 1781 Zisterzienser im Reichsstift Salem, 1788 Priesterweihe, anschließend Prof. an der Ordensschule Salem, nach der Aufhebung seines Stifts (1804) Prof. für Pastoral und Katechese am Lyzeum Konstanz, 1805 Pfarrer in Sulmingen (ab 1809 mit Nebenämtern als bischöflicher Deputat, kgl. württ. Schulinspektor sowie Konkursexaminator), am 27.9.1812 zum Professor für Kirchengeschichte und Kirchenrecht an der Friedrichsuniversität in Ellwangen berufen, 1814 Rektor der Universität, seit 1795 Verfasser wissenschaftlicher Schriften, darunter mehrere Beiträge für das Konstanzer Pastoralarchiv (W achter war Anhänger der Richtung W essenbergs ). Wie D rey (vgl. Anm. 107), so zählte auch er zu den von Rom als mißliebig erachteten Professoren der Friedrichsuniversität. Seit Sommer 1816 war bei der römischen Inquisition eine Untersuchung einer kanonistischen Abhandlung W achters wegen irriger Lehren anhängig (auf Grund der Ellwanger Disputationsschrift: C arl W achter , Theses ex iure ecclesiastico ad leges patrias adaptato, una cum praeviis positionibus ex iure naturae et gentium. Gamundiae 1813; zu dieser Schrift siehe H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität (wie Anm. 45) 44). Das Verfahren verlief aber im Sande, und zu einer förmlichen Verurteilung kam es nicht (vgl. dazu H ubert W olf , Index. Der Vatikan und die verbotenen Bücher. München 2006, 87-89, sowie unten Einleitung zu Text Nr. 4, Ziff. II.4.c). W achter wurde von B estlin (und H efele ) als »vir eruditionis soliditate et ambitu maxime insignis« eingeschätzt (vgl. H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität (wie Anm. 45) 32). Bereits im Herbst 1815 richtete er an die Regierung ein Gesuch um Entlassung aus seiner Professur mit der Begründung, er habe schon 1812 vorgehabt und damals auch seinen Pfarrkindern versprochen, nach dreijähriger Amtszeit als Professor wieder ganz in seine Pfarrei Sulmingen zurückzukehren. Das Gesuch blieb 1815 unbeantwortet; 1817 wurde sein im Zusammenhang mit der Transferierung der Fakultät nach Tübingen erneut eingereichtes Entlassungsgesuch positiv beschieden. - Aus dieser Vorgeschichte ergibt sich, daß sein Rücktritt von 1817 auf den alten Gründen von 1812 <?page no="85"?> 53 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) erwiesenen Gemeinsamkeiten ihrer Geistesrichtung waren, auf die G ratz und D rey ihre lebenslange freundschaftliche Beziehung mit Sicherheit schon vor 1815 in Ellwangen gründeten, spricht alles dafür, daß D rey schon bei der Geburt der Abendgesellschaft mit von der Partie war. Was aber das Verhältnis M ets - D rey angeht, so konnte M ets sich in Ellwangen rasch davon überzeugen, daß der Autor der RS kein Freund eines finsteren Mittelalters und beruhte (hinzu kam 1817 noch eine Kränkung seines ausgeprägten Selbstgefühls durch die derbe Anfrage der Behörde, ob er nach Tübingen wechseln oder resignieren wolle; siehe dazu den Kurzen Lebens-Abriß (s.u.) 135). In der von H aug (32) offensichtlich erschöpfend angeführten Begründung seines Entlassungsgesuchs ist von staatskirchenpolitischen bzw. religiöskirchlichen Motiven zu Recht nicht die Rede. W achter war von seiner ganzen Veranlagung und Neigung her ein unbeugsamer kritischer Geist voll ausgeprägter Reformgesinnung im Sinne W essenbergs und W erkmeisters . Die W achter später unterstellten ideologischen Umstände, die ihn zunächst der »Abendgesellschaft« entfremdet und dann der »Gegenpartei« zugeführt haben sollen, gehören ins Reich der Klitterungen, desgleichen die Annahme eines dramatischen »Frontwechsels«. - Lit.: F elder , W aitzenegger , Gelehrten- und Schriftsteller- Lexikon 2 (wie Anm. 99) 468-470; Kurzer Lebens-Abriß des verstorbenen Herrn Karl Wachter, Doktors der Theologie, und Pfarrers zu Sulmingen im Landkapitel Wiblingen, in: J ohann E vange list B rander (Hg.), Kritisches Journal für das katholische Deutschland 4 (1823) 128-137; M ets , Autobiographie (wie Anm. 10) 141 f; H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität (wie Anm. 45) 31-32, 40, 43 ff; Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 10) 53 f. - zu W achter und seiner Dissertation De statistica ecclesiastica siehe Text Nr. 9, Einleitung zu Misz. Nr. 16 mit Anm. 14-16. 109 Dazu M ets in seiner Autobiographie (wie Anm. 10) 141 f: »Meinen näheren Umgang in Ellwangen hatte ich mit den Hr. Akademischen Professoren und dem Geistl. Rat Huberich. Dr. Wachter, Graz und ich machten die ersten Jahre ein wahres Kleeblatt aus, wir waren immer zusammen. Später aber wurde eines dieser Blätter wurmstichig. Dr. Wachter trennte sich immer mehr von Graz, und endlich ganz von unserer Abendgesellschaft. Ich setzte die Verbindung mit Wachtern fort, besuchte aber auch täglich die Abendgesellschaft, und in der Gesellschaft von Dr. Graz, Drey und Huberich genoß ich in Ellwangen die frohesten Stunden; sehr angenehm und lehrreich war mir diese Gesellschaft, die mir inzwischen nicht mehr ersetzt wurde. Ich entbehre diese Gesellschaft sehr ungern, sie bleibt mir auch stets unvergeßlich.« Man hat aus diesem Text den Schluß gezogen, daß der Beitritt D reys zugleich mit dem Weggang W achters aus der Abendgesellschaft erfolgt sei, derart, daß der Bruch W achters mit ihr und der D rey unterstellte »Bruch« mit dem Bestlinkreis zeitlich einander korrespondierten (R ief : »Neugruppierung«! ). Doch der Text gibt das in keiner Weise her, weder chronologisch noch ideologisch. Zu entnehmen ist ihm (a.) die Nicht-Zugehörigkeit D reys zum ursprünglichen »Kleeblatt«, (b.) der gesellig-lehrreiche Charakter der Abendgesellschaft und (c.) die ungetrübte Beziehung zwischen M ets und D rey bzw. M ets und W achter . Die Aussage, daß W achter sich »später«, d.h. nach einigen Jahren seiner Zugehörigkeit zur Abendgesellschaft, von G ratz und seinem Kreis trennte, hat infolge der unzulässigen Ausdehnung dieser Terminierung auf D rey zu dem Mißverständnis geführt, daß auch er erst »später«, d.h. nach einigen Jahren, zur Abendgesellschaft um G ratz hinzugekommen bzw. »übergetreten« sei, was angesichts der notorisch engen Beziehung G ratz - D rey völlig undenkbar ist. Die durch nichts belegte Annahme, daß der Beitritt D reys zur Abendgesellschaft zeitgleich mit dem Weggang W achters erfolgt sei und daß beide ineins damit einen »Frontwechsel« vollzogen haben sollen, wurde fälschlicherweise in den Kontext einer weiter ausgreifenden dramatischen »Neugruppierung« gestellt. - Es gilt übrigens keineswegs als sicher, daß der kranke und innerlich zerrissene W achter förmlich einem (oder »dem«) Bestlinkreis beigetreten ist. Er war »später« (d.h. im unmittelbaren Vorfeld des Umzugs nach Tübingen) lediglich »der Richtung Bestlins zugetan« (vgl. Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 10) 54 Anm. 22). <?page no="86"?> 54 Erläuterungen kein Mystikus war, wie er einst als Zensor in Konstanz in der Hitze seines Übereifers angenommen und befürchtet hatte. Der von M ets als »sehr angenehm und lehrreich« taxierte Umgang mit D rey in Ellwangen und die auch später noch gepflegte freundliche Verbindung mit ihm setzen voraus, daß die Fehleinschätzung von 1812 inzwischen von ihm erkannt und auch persönlich mit D rey bereinigt worden war 110 . δ . Spannungen? Eine Richtigstellung Am Ende dieser Überlegungen noch einmal ein Blick auf die Verhältnisse in Ellwangen, in deren Kontext der ominöse Kontinuitätsbruch in der wissenschaftlichen und politisch-weltanschaulichen Vita D reys stattgefunden haben soll. Der oben referierten Bruchhypothese zufolge ereignete sich die angebliche Umorientierung und Neupositionierung D reys im Zuge einer über seine Person hinausreichenden dramatischen Entwicklung, in der alte Freundschaften und Loyalitätsbindungen zerbrachen und neue Gruppierungen in der Form von zwei miteinander rivalisierenden Parteien auftraten, mit M ets , G ratz und D rey auf der einen und B estlin und seinen Freunden auf der anderen Seite. In diesem Zusammenhang wurde wie gesagt bezüglich der Verhältnisse in Ellwangen ein Bild der Zerrissenheit gezeichnet, mit Spannungen und Kollisionen, die zur Entzweiung geführt haben sollen 111 . Daß es sich bei dieser Sicht der Dinge - wie überhaupt bei der Bruchhypothese - um eine Verzeichnung der an der Friedrichsuniversität bestehenden realen Verhältnisse handelt, dürfte sich aus oben angeführten Beobachtungen und Argumenten, die sich vermehren ließen, klar genug ergeben haben. Da es indessen zu dem oben zuletzt genannten Punkt ein Zeugnis aus erster Hand gibt, in dem die wahren Verhältnisse geschildert werden, sei dieses hier zum Schluß vorgebracht. Es handelt sich um einen Passus aus der Autobiographie von J oseph M ets , eines im Zentrum des Geschehens stehenden Zeugen also 112 . M ets war, wie auch B estlin , Ordinariatsrat im Ellwanger Generalvikariat und hatte B estlin dort zum Kollegen, B estlin und D rey waren Kollegen an der Friedrichsuniversität, und dank seiner Zugehörigkeit zur Abendgesellschaft um G ratz pflegte M ets besondere Beziehungen zu der daran beteiligten Professorenschaft. Er spricht somit in diesem Beziehungsgeflecht durchaus als Insider. Es würde zu weit führen, seine Schilderung der 110 Siehe dazu auch den Hinweis unten in Anm. 120. 111 Siehe vor allem K ustermann , »Daß ich der Universität ...« (wie Anm. 6) 65; ders ., Vereine der Spätaufklärung (wie Anm. 68) 35; ders ., Die erste Generation (wie Anm. 68) 20. 112 Die von M ets zwischen dem 1. September und dem 23. November 1818 zu Papier gebrachte Autobiographie, die 1928 zum hundertjährigen Jubiläum der Diözese Rottenburg von J oseph Z eller ediert wurde (siehe Anm. 10; vgl. dazu das Vorwort der Redaktion ebd. 1 f), wird von Z eller als zuverlässig und für die Zeitgeschichte wichtig und ergiebig eingeschätzt, besonders für das zweite Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts in Ellwangen (ebd. 68 f). - Zur hier einschlägigen Passage siehe M ets , Autobiographie 139-142. <?page no="87"?> 55 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) Ellwanger Verhältnisse vollumfänglich zu zitieren, statt dessen darf hier der Kürze halber auf Z eller zurückgegriffen werden, der die Metsschen Ausführungen korrekt wiedergibt und sich auch zu eigen macht 113 . Z eller stellt zunächst fest, daß bei M ets infolge seiner biographischen Vorgeschichte »kein engeres Freundschaftsverhältnis zwischen ihm und den echten Jüngern des großen Meisters Sailer ..., mit denen er in Ellwangen zusammentreffen sollte, Platz greifen konnte. Dank der irenischen Natur der Beteiligten kam es immerhin zu keinen Zerwürfnissen, wie denn Mets eine sehr konziliante Natur gewesen sein muß, die sich mit den verschiedensten Charakteren zurechtfand. Nur mit den Provikaren, Reininger in Konstanz und v. Keller in Ellwangen, wollte es nicht gelingen« 114 . Und weiter 115 : »Die Schilderung, die Mets in seiner Autobiographie von den Ellwanger Verhältnissen gibt, ist ebenso anschaulich als aufschlußreich. ›Von Anfang bis zu unserer Trennung herrschte unter uns ununterbrochen die schönste Harmonie. Wie Brüder arbeiteten wir mit vereinigten Kräften und gleichem Eifer zu dem Einen guten Zwecke unseres Berufes. Kollisionen hatten unter uns durchaus keine statt‹« 116 . »Dagegen ergab sich eine ganz natürliche Opposition gegen den Kath. Geistl. Rat in Stuttgart 117 , der sich im wesentlichen das Kirchenregiment anmaßte, während das Vikariat pflichtmäßig um die Rechte des Bischofs sich annehmen mußte ..., ›so entstand notwendig immer eine Spannung zwischen denselben und hie und da unangenehme Kollisionen‹« 118 . Hier liegt nun, wie es scheint, der Hase im Pfeffer. Während M ets die »Spannungen« und »Kollisionen« eindeutig auf die Arbeitsverhältnisse zwischen dem Ellwanger Generalvikariat und dem Stuttgarter Geistlichen Rat (W erkmeister ) bezog, konnte eine flüchtige Lektüre seines (syntaktisch verwickelten) Textes dazu führen, sie auf die Verhältnisse unter den Kollegen in Ellwangen zu beziehen und für die Ellwanger Verhältnisse daraus ein Bild der Zerstrittenheit zu konstruieren 119 . 113 Vgl. Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 10) 49-64. 114 Ebd. 51 f (Hervorhebung nicht im Original). 115 Ebd. 52. 116 Zitat aus M ets , Autobiographie (wie Anm. 10) 140 (Hervorhebung nicht im Original). Vgl. dazu auch M ets , Autobiographie 150, über sich selbst: »Dies Zeugnis darf ich mir selber geben, daß ich von der Epoche an, als ich selbst zu denken vermochte, durchaus keiner Schule, noch irgend einer Partey unbedingt huldigte ...«. 117 Hervorhebung bei Z eller , a.a.O. 52; vgl. M ets , Autobiographie (wie Anm. 10) 140. 118 Z eller , a.a.O. 52 mit Zitat aus M ets , Autobiographie (wie Anm. 10) 141 (Hervorhebungen nicht im Original). Vgl. dazu auch Z eller a.a.O. 57. 119 Zu dieser Fehldeutung hat vielleicht auch eine Bemerkung H augs beigetragen. H aug zufolge glaubte die Regierung in Stuttgart, die Entlassungsgesuche der Professoren S pegele , G ratz und W achter unter anderem auch auf die »Unzufriedenheit und Disharmonie der verschiedenen Geistlichen in Ellwangen« zurückführen zu können (siehe H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität (wie Anm. 45) 32). Diese Zustände im Ellwanger Klerus mochten dem Personenkreis, der in den vorstehenden Beobachtungen behandelt wurde, unbehaglich gewesen sein, es ist aber, wie sich gezeigt hat, nicht angebracht, sie auf diesen Kreis zu übertragen. <?page no="88"?> 56 Erläuterungen Für die internen Verhältnisse in der Friedrichsuniversität und zu den Personen des Generalvikariats ist abschließend ein Vorgang erwähnenswert, den M ets folgendermaßen schildert: »Den 16. September 1816 wurde mir ohne mein Ansuchen, aus eigenem, freyen und einstimmigen Beschlusse des Akademischen Senats der Friedrichs-Universität zu Ellwangen die Doktors-Würde, nach einer öffentlichen Disputation, auf eine rührende und sehr feyerliche Weise erteilt durch den damaligen Rektor der Universität, den Herrn Generalvikariatsrat Bestlin, welcher dabei eine sehr religiöse und lehrreiche Anrede hielt, mir hierauf den Akademischen Scepter reichte und den Doktorring ansteckte, welchen Ring mir der Herr Fürst von Hohenlohe, Generalvikar, als Beweis seiner lebhaften Teilnahme, zum Geschenk machte. Hierauf bestieg ich die Kanzel und hielt eine Dissertation de censorio judicio in rebus religionis samt einer kurzen Danksagungsrede ...« 120 . Das Promotionsverfahren für M ets hatte B estlin am 21. Juni 1816 als Rektor der Universität in Gang gebracht 121 . 7. Die Revisionsschrift als Programmschrift a. Fragestellung In der neueren Fachliteratur ist es üblich, die RS der literarischen Gattung der (theologischen) Programmschriften zuzuordnen. Da D rey selber sie nie als solche bezeichnete, weder im Text der Abhandlung, noch später im Rückblick, handelt es sich bei dieser Klassierung um eine Einschätzung anhand formaler und inhaltlicher Merkmale der Abhandlung. Ihr Titel gibt dafür keine Hilfestellung. Er ist so offen und unspezifisch formuliert, daß der programmatische Charakter der Abhandlung an ihm nicht ohne weiteres abzulesen ist. Steht der Revisionsbegriff hier nur für die kritische Sichtung des Zustandes der Theologie im Sinne einer Beschreibung und Analyse, wobei natürlich anzunehmen wäre, daß hinter einer derartigen Befunderhebung eine Reformabsicht steht, oder sollte der Revisionsbegriff auch schon die Mittel zur Behebung der Mißstände anzeigen und mithin ein Reformprogramm ankündigen? Da D rey in der »Vorerinnerung« der Abhandlung bemerkt, ihr Zweck sei es, die Gebrechen im gegenwärtigen Zustand der Theologie »zur Sprache zu bringen, sie als solche aufzudecken, und ein prüfendes Nachdenken unter den Theologen zu veranlassen« (4), scheint er sich auf das erstere Vgl. dazu auch M ets , Autobiographie (wie Anm. 10) 141: »Mit den Ellwanger Geistlichen hatte ich wenig Umgang, die wenigern waren genießbar, blieben nur unter sich«. 120 M ets , Autobiographie (wie Anm. 10) 142. Das Manuskript der Rede mit dem genauen Titel De Censorio judicio in religionis negotiis befindet sich im UAT 44/ 173-42 (handschriftlich). Ob M ets bei der Wahl dieses Themas wohl an den Vorgang im Konstanzer Pastoralarchiv von 1812 dachte? Direkte inhaltliche Bezüge darauf enthält das Manuskript nicht. 121 Vgl. dazu Z eller , Die Errichtung (wie Anm. 95); H einrich G raf , Theologische und kirchenpolitische Entwicklungen an der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen im Spiegel des Promotionswesens (1812-) 1818-1926. Tübingen 1986 (maschinenschriftlich), 47 f. <?page no="89"?> 57 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) beschränken zu wollen. Aus seinen Ausführungen im Textkorpus ergibt sich jedoch eindeutig, daß er sich keineswegs mit einer Zustandsbeschreibung und einem Denkanstoß begnügt, sondern auch schon die Richtlinien eines zielführenden Reformprogramms vorlegt. Insofern erfüllt die RS sowohl nach der Absicht ihres Verfassers als auch nach objektiven literarischen Kriterien die Bedingungen einer Programmschrift. Als potentielle Handlungsträger des Revisionsprozesses, den D rey anstoßen will, sind die Leser der Abhandlung angesprochen. Zwar ist der RS anzusehen, daß ihr Autor sich selber durchaus wegweisend in diesen Prozeß einbringen will. Aber indem D rey in aller Form »die Theologen« nennt, stellt er das Reformprogramm in einen transpersönlichen Rahmen. D rey teilt nicht mit, was er selbst zu tun gedenke, sondern nimmt die Theologen in die Pflicht, den gegenwärtigen Zustand »der Theologie« zu revidieren. Wenn die Abhandlung von 1812 als Programmschrift bezeichnet wird, ist infolgedessen in erster Linie an diese ihre überindividuelle, epochenbezogene Ausrichtung und Funktion zu denken. Erst danach ist die Rolle der RS in der Lebensplanung D reys und ihre Stellung in seinem theologischen Werk ins Auge zu fassen. b. Die Revisionsschrift als epochale Programmschrift Der Rang und die Wucht der RS ist nur vermittels ihrer theologiegeschichtlichen Situierung zu erkennen (siehe oben Ziff. II.3 und II.4). Ihr Verfasser steht unter dem Eindruck der Umwälzungen, die er als Zeitgenosse beobachtet. In der Kurzen Einleitung von 1819, deren Grundzüge D rey sogleich nach dem Antritt seines theologischen Lehramtes in Ellwangen und somit direkt im Anschluß an die Veröffentlichung der RS konzipiert hatte, spricht er von den »großen Revolutionen«, die »seit den drey letzten Decennien ... auf dem Gebiete der deutschen Philosophie vorgefallen sind« und die »natürlich auch auf die Theologie herübergewirkt« haben, »und zwar wegen der innigern Berührung der beyden Wissenschaften, auf die Theologie zum Theil stärker als auf die übrigen Wissenschaften«. Daraus habe sich »das Gefühl der Nothwendigkeit« ergeben, die Theologie umzugestalten und zumal ihre »Sachen« aus ihren tiefsten Prinzipien neu zu begründen 122 . Diese Feststellungen lesen sich wie eine Regieanweisung für die Tonlage und die Absichten der RS. Betrafen die »großen Revolutionen« im Sinne D reys die innere Verfassung der Theologie, so hatten die politischen Verhältnisse auf ihre Weise die Misere der Theologie offengelegt und verschärft. Im Gefolge der Säkularisation war das katholische Bildungswesen in Deutschland zertrümmert, die Zeichen der Zeit standen auf einen Neubeginn im Äußeren wie im Inneren, der Kairos dafür war eingetreten 123 . Das »Gefühl der Nothwendigkeit« für eine Total- 122 Siehe KE § 84 (TüA 3, 51-52). <?page no="90"?> 58 Erläuterungen revision der religiösen Verhältnisse und der theologischen Zustände hatte zu dem Zeitpunkt, als D rey die RS verfaßte, seine akuteste Phase erreicht. Hatte bereits die kritische Philosophie K ants die alten Gewißheiten zerstört und die Brandfackeln auch in die Theologie hineingetragen, so war es die im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert aufblühende Romantik, die die Energien für einen radikalen Neubeginn freisetzte und dafür die Denkformen schuf und die Ziele vorgab. N ovalis und der Kreis der Frühromantiker, und für die Theologen insbesondere der frühe S chleiermacher und der frühe S chel ling , kennzeichnen am deutlichsten die Epochenschwelle, die neuen Wissenschaftslehren des romantischen Idealismus wirkten mit Macht in die Theologie »herüber« (D rey ) 124 . Hinzu kam, daß auf der politischen Ebene im engeren Lebensfeld D reys in dem nach der Säkularisation neu geschaffenen Königreich Württemberg seit 1806 der Neuaufbau des Bildungswesens energisch vorangetrieben wurde. Für den D rey der RS gewann S chelling die größte Bedeutung. D rey hatte wie gesagt schon während seiner Vikarszeit das Frühwerk S chellings zu studieren begonnen, derart, daß er sich im Anschluß daran auf seiner Philosophieprofessur in Rottweil sogleich an jene intensive Schellingrezeption machen konnte, die sein dortiges Schaffen kennzeichnet. Vor allem die achte und neunte Vorlesung in der Methodenschrift S chellings 125 , die 1803 herausgekommen war, haben ihm die Augen dafür geöffnet, in der reformerischen Betriebsamkeit der Theologen ein Oberflächenphänomen zu erblicken, dem auf den Grund zu gehen ist. Der Autor der RS hatte erfaßt, daß die reformerischen Umtriebe bodenlos sind, wenn sie nicht auf den Einsichten einer Fundamentalrevision beruhen. Diesen radikalen Revisionsbedarf erkannt und daraus die nötigen Konsequenzen gezogen zu haben, gehört zu den bedeutenden Leistungen seiner Abhandlung, die in dieser Hinsicht die theologischen Reform- und Revisionsschriften jener Wendezeit hinter sich läßt. Sie hat, bezogen auf die Bedürfnislage ihrer Zeit, in zweifacher Hinsicht den Charakter einer epochalen Programmschrift, zum einen wegen ihrer Funktion als Alarmruf und Aufbruchsignal in jener no- 123 Einen Überblick vermittelt R oger A ubert , Die Anfänge der katholischen Bewegung in Deutschland, in: H ubert J edin (Hg.), Handbuch der Kirchengeschichte VI/ 1, Freiburg i.Br. 1971 [1985], 259-271 (= Kap. 13); ders ., Die komplexe Belebung der kirchlichen Wissenschaften, ebd. 287-307 (= Kap. 15). 124 Vgl. z.B. D onald J. D ietrich , The Goethezeit and the Metamorphosis of Catholic Theology in the Age of Idealism (European University Studies XXIII, 128). Bern 1979 (28 ff zu den Anfängen der katholischen Reformbewegung, 75 ff und 129 ff zu D reys Stellung und Leistung in ihr); O’M eara , Romantic Idealism and Roman Catholicism (wie Anm. 41); J oseph F itzer , J. S. Drey and the Search for a Catholic Philosophy of Religion, in: The Journal of Religion 63 (1983) 231-246 (zu ihm siehe auch unten bei und in Anm. 191 sowie Einleitung zu Text Nr. 6, Anm. 23), sowie die einschlägigen Passagen der Einleitung zu Text Nr. 6 und zu TüA 3 (Kurze Einleitung), bes. Kap. III. 125 Siehe S chelling , Vorlesungen über die Methode des academischen Studium (wie Anm. 16); - zu D rey und S chelling siehe auch die Hinweise oben in Anm. 41. <?page no="91"?> 59 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) torischen Epochenschwelle der Theologie, als deren Anwalt D rey auftritt, zum andern durch den positiven Aufweis der Prinzipien, die für den Neubeginn zur Anwendung kommen sollen. Im Rückblick ist zu erkennen, daß die RS mit ihren Impulsen und Optionen doch wohl überhaupt die markanteste Initialschrift für den Aufbruch der katholischen Theologie in die Moderne war. Der epochale Zuschnitt der RS wurde von den Zeitgenossen D reys noch nicht erkannt, die Zensoren in Konstanz schrieben den schrillen Alarmruf der jugendlichen Vermessenheit eines aufmüpfigen Anfängers zu und erachteten die durch die Reizwörter »Mystik«, »Mittelalter« und »Scholastik« vermeintlich angezeigte inhaltliche Richtung der Abhandlung als abwegige romantisierende Schwärmerei. Daß in der RS ein »klassischer Entwurf über die Aufgaben einer wissenschaftlichen Theologie für seine, für eine neue Zeit« 126 entstanden war, blieb ihnen verborgen. Das generative Potential dieser Programmschrift entpuppte sich zum einen im theologischen Gesamtwerk D reys und zum andern in der gewaltigsten Hervorbringung seines Schaffens, der Katholischen Tübinger Schule, deren theologische Eigenart in und mit dieser Schrift erstmals aufleuchtet. c. Die Revisionsschrift als persönliche Programmschrift War der Philosophieprofessor in Rottweil in seinem theologischen Denken und in seiner Lebensplanung kühn genug, sich selbst das vorzunehmen, was er in der RS nach außen hin als epochale Aufgabe vorstellte? Dafür sprechen folgende Gesichtspunkte: (1.) Es darf als erwiesen gelten 127 , daß er die Abhandlung gezielt im Hinblick auf seine unmittelbar bevorstehende Berufung auf den zentralen theologischen Lehrstuhl an der Friedrichsuniversität verfaßte. Zu fragen ist infolgedessen nur, ob er dabei auch schon inhaltlich an sein künftiges Schaffen in Ellwangen dachte. Für den als tunlich erachteten Qualifikationsausweis hätte es genügt, eine gelehrte theologische Behandlung eines dafür geeigneten theologischen Stoffes vorzulegen. Er gab ihr aber tatsächlich die Form einer Programmschrift (vgl. oben Ziff. II.7.b). Angesichts der persönlichen Situation, in der D rey sich - die universitäre Zukunft vor Augen - bei der Abfassung der Abhandlung befand, ist es unvorstellbar, daß er dabei nicht auch inhaltsbezogen an sein künftiges wissenschaftliches Schaffen dachte und daß er ihre Programmatik nicht auch darauf bezog. Er war zu diesem Zeitpunkt 34 Jahre alt, einem guten Alter für den Entwurf eines persönlichen Arbeitsprogramms in der besagten Situation. Daß er die RS nicht explizit als persönliche Programmschrift vorlegte, spricht nicht dagegen, daß er entschlossen war, sich für seine Person der epochalen Aufgabe zu stellen. Es wäre absurd, wenn dem nicht so gewesen wäre. − (2.) Kaum in 126 L ösch , Das Gymnasium Rottweil (wie Anm. 51) 221. 127 Vgl. dazu oben in Ziff. II.5, bes. Ziff. II.5.b. <?page no="92"?> 60 Erläuterungen Ellwangen angekommen, war D rey in der Lage, für sich selbst ein präzises literarisches Arbeitsprogramm zu Papier zu bringen, was diese Vermutung zur Gewißheit erhärtet. In einer Notiz in seinem Theologischen Tagebuch, die auf Ende 1812 zu datieren ist, hält er fest, welche Schriften aus seiner Feder »zuerst erscheinen könnten« 128 . Er hat in der Folgezeit zwar innerhalb dieses Planes Umschichtungen vorgenommen 129 , aber den Arbeitszielen ist D rey ebenso treu geblieben wie den in der RS skizzierten prinzipiellen Orientierungen. Er hat im Fortgang seines theologischen Schaffens die letzteren Schritt für Schritt so ins Werk gesetzt, daß die Abhandlung von 1812 effektiv für ihn selbst als Programmschrift anzusehen ist. d. Die Revisionsschrift als erste der Dreyschen Programmschriften Neben der RS wird in der Fachliteratur noch anderen Texten aus der Feder D reys die Qualität von Programmschriften zuerkannt, wobei deren Anzahl noch nie eingehend diskutiert oder genau festgelegt wurde. In Band 5 der von H einrich G etzeny herausgegebenen Quellensammlung Deutsche Klassiker der katholischen Theologie aus neuerer Zeit hatte G eiselmann ausgewählte Schriften zum Geist des Christentums und des Katholizismus 130 zusammenstellt, denen er den Rang theologischer Programmschriften beimaß. Darin sind nicht weniger als sechs Texte D reys aufgenommen: Die RS von 1812 (Nachdruck), Textstücke aus D reys Theologischem Tagebuch von 1812 bis 1818 (Erstdruck), die Abhandlung Vom Geist und Wesen des Katholizismus von 1819 (Nachdruck), die Vorlesung [Ideen zur] Geschichte des katholischen Dogmensystems von 1812/ 13 (Erstdruck), sowie die Abhandlungen Ueber den Satz von der alleinseligmachenden Kirche von 1822 (Nachdruck) und Der katholische Lehrsatz von der Gemeinschaft der Heiligen, aus seiner Idee und in seiner Anwendung auf verschiedene andere Lehrpuncte dargestellt, gleichfalls von 1822 (Nachdruck) (in dieser Reihenfolge). Die Kurze Einleitung von 1819 wurde von G eiselmann nicht berücksichtigt, wohl weil sie bereits in Buchform vorlag und sie deshalb - aber auch wegen ihres Umfangs - für sein Editionsprojekt nicht in Frage kam. Auch die Millenniumsschrift D reys von 1814 (siehe Text Nr. 3) sowie seine Beichtschrift von 1815 (siehe Text Nr. 4) und seine Oratio von 1819 (siehe Text Nr. 5) wurden von G eiselmann nicht in sein Konvolut von programmatischen Texten aufgenommen. Dies wohl vor allem deshalb, weil sie in lateinischer Sprache verfaßt sind. Für die Frage, welchen Schriften D reys der Charakter von Programmschriften zuzuerkennen ist, gibt es keine zwingenden Kriterien. Innovativ und 128 Theologisches Tagebuch III, 49 (TüA 1, 170 f, Text 52*). Der Wortlaut dieses Eintrags ist unten in der Einleitung zu Text Nr. 6, Anm. 78, wiedergegeben. 129 Näheres dazu: Einleitung zu TüA 2 (Praelectiones dogmaticae), 3* ff mit Anm. 1 ff (hier auch Hinweise zur Datierung) sowie Einleitung zu Text Nr. 6, Ziff. II.6 (c.). 130 Der vollständige Titel dieses Sammelbandes ist oben in Ziff. I.3.a angeführt. <?page no="93"?> 61 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) in dieser Hinsicht auch von programmatischen Absichten getragen war D rey eigentlich in allen seinen Schriften. Um aber einen inflationären Gebrauch des Programmschriftprädikats zu vermeiden, empfiehlt es sich, es auf jene Schriften einzugrenzen, die zu seinem Frühwerk gehören und in der ersten, grundlegenden Phase seines Schaffens entstanden sind, mithin zwischen 1812 und 1819. Dazu gehören neben seinen von ihm nicht veröffentlichten [Ideen zur] Geschichte des katholischen Dogmensystems von 1812/ 13 (siehe Text Nr. 2) insgesamt nur die Millenniumsschrift, die Beichtschrift mit der dazu gehörenden Oratio, die Katholizismusschrift und last but not least die Kurze Einleitung. Zur Begründung bzw. Erörterung des programmatischen Charakters dieser Schriften sei im Falle der Kurzen Einleitung auf die Einleitung zu TüA 3, 3*-222* (bes. 63*-65*) verwiesen 131 und bei den anderen auf die Einleitungen in die Texte Nr. 2 - 6 im vorliegenden Band. Die Mutter aller seiner Programmschriften aber ist die Revisionsschrift. Dies nicht nur aus chronologischer Sicht, sondern wegen ihrer grundlegenden Optionen, deren wichtigste Motive D rey danach je und je aufgriff und zum Gegenstand monographischer Behandlungen machte. In der Millenniumsschrift praktizierte er erstmals für seine Person, aber ersichtlich in programmatischer Absicht, die historisch-kritische Methode zur Klärung einer dogmengeschichtlichen Frage (dieser Methode wußte er sich bleibend verpflichtet, mit besonders nachhaltigem Erfolg praktizierte er sie in der Abhandlung Ueber die apostolischen Constitutionen, oder neue Untersuchungen über die Bestandtheile, Entstehung und Zusammensetzung, und den kirchlichen Werth dieser alten Schrift 132 ); in der Beichtschrift und in der thematisch und konzeptionell zu ihr gehörenden 131 Ergänzend M ax S eckler , Auf dem Weg zu Johann Sebastian Drey. Beobachtungen zur Geschichte seiner Wiederentdeckung und zur Neuevaluierung seiner ›Kurzen Einleitung‹ von 1819, in: ThQ 189 (2009) 1-28. - Zur Einschätzung der Katholizismusschrift als Programm der Schule siehe E dmond V ermeil , Jean-Adam Moehler et l’e ´cole catholique de Tubingue (1815-1840). E´ tude sur la the ´ologie romantique en Wurtemberg et les origines germaniques du modernisme. Paris 1913, 34-36 (die Abhandlung Vom Geist und Wesen des Katholicismus enthält V ermeil zufolge »le ve´ritable ›programme‹ de l’e´cole«, das dann in der Folgezeit von den Schülern D reys in allen wesentlichen Punkten ausgeführt worden sei); P ierre C haillet , L’Esprit du Christianisme et du Catholicisme, in: RSPhTh 26 (1937) 483-498; 713-726, 719 (D reys Abhandlung diente als »programme a` l’e´cole naissante«); B ernard M.G. R eardon , Religion in the Age of Romanticism. Cambridge 1985, 137 (sie ist »indicative for the whole drift of the Tübingen Catholic religious Philosophy for the years to come«). Zum Ganzen siehe M ax S eckler , Johann Sebastian Dreys Programmschrift ›Vom Geist und Wesen des Katholizismus‹ neu gelesen, oder: Die kultisch-liturgische Dimension in der theologischen Architektur des Christentums, in: M ichael K essler , M ax S eckler (Hg.), Theologie, Kirche, Katholizismus. Beiträge zur Programmatik der Tübinger Schule von Joseph Ratzinger, Walter Kasper und Max Seckler. Mit reprographischem Nachdruck der Programmschrift Johann Sebastian Dreys von 1819 über das Studium der Theologie (Kontakte 11). Tübingen 2003, 37-59. - Zu D rey als Lehrer M öhlers siehe S eckler , Auf dem Weg zu Johann Sebastian Drey (wie oben) 21 (mit Anm. 48 zu G odet ) und 26-28. 132 In: ThQ 11 (1829) 397-477, 609-723; stark erweiterte Fassung separat u.d.T. Neue Untersuchungen über die Constitutionen und Kanones der Apostel. Ein historisch-kritischer Beitrag zur Literatur der Kirchengeschichte und des Kirchenrechts. Tübingen 1832. <?page no="94"?> 62 Erläuterungen Oratio nahm er die Frage nach der Entwicklung der Ohrenbeichte exemplarisch zum Probierstein für jenes Verhältnis von Dogma und Geschichte im organischen Wachstum des Glaubens und Lebens der Kirche, für das er in der Revisionsschrift optiert hatte, und entwickelte ineins damit die Grundsätze für diese Problemsicht überhaupt; die Katholizismusschrift ist darauf abgestellt, den Geist und das Wesen des Katholizismus im Blick auf die Lebensprinzipien des Christentums unter den Bedingungen der Geschichte strukturell zu rekonstruieren, wie es ihm in der Revisionsschrift vor Augen geschwebt hatte; in der Kurzen Einleitung legte er schließlich die Wissenschaftstheorie zu dem Theologieverständnis vor, das er 1812 zu entfalten begonnen hatte. Die tragende und bleibende Bedeutung der Visionen, aus denen er die Revisionsschrift verfaßt hatte, ließe sich aber mehr oder weniger deutlich im ganzem Werk D reys nachweisen 133 . In diesen Zusammenhängen ist der Blick schließlich auch noch auf die Theologische Quartalschrift (ThQ) zu richten. Auf der einen Seite hat D rey die Katholizismusschrift, die genetisch, literarisch und inhaltlich eine besondere Nähe zur (fragmentarischen) Revisionsschrift aufweist (vgl. oben Ziff. II.2.d und Einleitung zu Text Nr. 6, Ziff. II.7), in einer Weise an den Anfang der 1819 neu ins Leben gerufenen ThQ gestellt - als erste Abhandlung der ThQ überhaupt -, daß alle Welt erkennen konnte, daß sie als Programmschrift für diese Zeitschrift aufzufassen sei. D rey hat auf diese Weise der ThQ als dem Organ der Katholischen Tübinger Schule inhaltlich die Richtung gewiesen. Vor allem mit ihr ist er zum Lehrer seiner Schule geworden (vgl. Anm. 131). So kam die Revisionsschrift via Katholizismusschrift in der ThQ inhaltlich zur Geltung. Zum andern läßt aber auch der Charakter der ThQ, ihr Geist und ihr wissenschaftlich-publizistisches Ethos, auf die RS zurückblicken. Diese hatte neben ihren inhaltlichen Optionen ja doch zugleich auch den Sinn und Geist eines Aufbruchsignals für einen neuen Weg und eine neue Form der Theologie. Von diesem Geist ist die ThQ vor allem im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens zutiefst geprägt gewesen, zum Ärger ihrer, wie man sagte, »strengkatholischen« Kritiker, und zur Bewunderung in der übrigen Wissenschaftswelt. Die Begründer und die erste Herausgebergeneration der ThQ haben, mit D rey als treibender und lenkender Kraft, diese programmatische Ausrichtung in ihrer auf den 7. Juli 1818 datierten Ankündigung der ThQ 134 in aller Klarheit mitgeteilt und in ihre publizistischen Richtlinien eingebracht. Diesen 133 Vgl. dazu L ösch , Das Gymnasium Rottweil (wie Anm. 51) 222. L ösch zufolge sind die »Kerngedanken« der Revisionsschrift in allen Schriften D reys virulent; selbst »die Hauptgedanken« der Apologetik, deren drei Bände zwischen 1838 und 1847 erschienen sind, seien schon in der Revisionsschrift zu erkennen. Vgl. dazu in der Einleitung zu TüA 2 (Praelectiones dogmaticae), 16*, Anm. 37. 134 Veröffentlicht in ThQ 1 (1819) 3-5, mit Nachtrag ebd. 6-7. Diese Texte sind im vorliegenden Band in Text Nr. 7 (Dokumente Nr. 1 und Nr. 2) wiedergegeben und erläutert. <?page no="95"?> 63 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) Geist hatte D rey in der RS intoniert. Er ist dort vor allem atmosphärisch zugegen, in der Ankündigung von 1818 erlangte er seine ausformulierte Umsetzung in Form von Grundsätzen und Zielangaben. Wie aus den unten in Text Nr. 7 zusammengestellten Dokumenten nebst beigefügten Erläuterungen hervorgeht, war D rey dafür der »führende Kopf« 135 . Aus diesen Gründen ist es angebracht, der RS auch im Hinblick auf die ThQ eine gewichtige programmatische Bedeutung beizumessen. 8. Zur Rezeptionsgeschichte der Revisionsschrift a. Ihr »Schicksal« im 19. Jahrhundert Die Verwendung des Schicksalsbegriffs in der Überschrift dieses Paragraphen bedarf einer Begründung. Mit ihm wird ein Terminus aufgegriffen, der zur Zeit D reys ohne pathetischen Beigeschmack in theologiegeschichtlichen Darstellungen die neutrale Behandlung des Verlaufs von Entwicklungen anzeigt 136 . Nicht selten war das Moment des Verhängnisvollen konnotiert. In den Schriften D reys kommt dieser Begriff immer wieder vor, so auch in der RS, wo er zwischen den beiden Bedeutungen changiert. Er bietet sich in diesem Sinn zur Kennzeichnung der Rezeptionsgeschichte der RS besonders deshalb an, weil sie unter einem Unstern stand. Dies nicht nur, weil sie das Schicksal der anderen frühen Schriften D reys teilte, die wegen ihres innovativen Geistes anhaltend angefeindet wurden, sondern weil zumal der RS eine besonders schwere Hypothek in die Wiege gelegt war, die für lange Zeit ihre Beurteilung prädeterminierte. α . Der Auftakt im Konstanzer Pastoralarchiv (Wessenberg, Mets, Burg) Bei den Erörterungen zum Fragmentcharakter der RS hat sich gezeigt, daß der Druck dieser Schrift infolge der Kritik, die sie in Konstanz fand, abgebrochen wurde (siehe oben in Ziff. II.2.c). Da diese Kritik, soweit sie an die Öffentlichkeit dringen sollte, im Pastoralarchiv dokumentiert ist, gehören diese Vorgänge zur Rezeptionsgeschichte der RS und bilden ihren Auftakt. Sie war ungewöhnlich vielschichtig. Das gilt sowohl im Hinblick auf die an ihr beteiligten Personen mit ihren unterschiedlichen Funktionen und Stellungen als auch für ihre Formen und Inhalte, nicht zuletzt aber auch wegen der Aufmachung und Anordnung der Texte im Pastoralarchiv. Die Kritik erfolgte 135 Zu diesem Begriff siehe in diesem Zusammenhang L ösch , Die Anfänge (wie Anm. 6), bes. 18 und 30, sowie die Erläuterungen in der Einleitung zu Text Nr. 7. 136 Vgl. dazu z.B. im vorliegenden Band die Hinweise auf H egel , Der Geist des Christentums und sein Schicksal (1798/ 1800) in der Einleitung zur Katholizismusschrift, Ziff. II.1, Anm. 3, sowie auf H efele , Ueber die Schicksale der Kirche seit dem Tridentinum (ThQ 28 (1846) 3-54) in Anm. 159 der Einleitung zur RS, und M ünch , Vollständige Sammlung aller ältern und neuern Konkordate, nebst einer Geschichte ihres Entstehens und ihrer Schicksale (2 Bde., Leipzig 1830-1831) in den Erläuterungen zum Konkordatsaufsatz, Ziff. II.4. Zu D rey vgl. KE §§ 178, 180 u.ö. <?page no="96"?> 64 Erläuterungen (1.) mit offenem Visier und unter expliziter Bezugnahme auf die RS durch W essenberg , M ets und B urg im selben Heft des Pastoralarchivs (d.h. im Januarheft des Jahrgangs 1812), in dem der Text D reys das Licht der Welt erblickte. Ihr vorangegangen waren indessen (2.) verdeckte Stellungnahmen zur RS in Gestalt zweier Artikel aus der Feder W essenbergs und B urgs (im letzten Heft des Jahrgangs 1811). In ihnen ist die RS nicht ausdrücklich genannt, ihre Zugehörigkeit zum Komplex der Kritiken ist erst bei genauerem Zusehen zu erkennen. (1.) Offene Kritik im Januarheft 1812 (Wessenberg, Mets, Burg) Die Kritik erfolgte hier zum einen in Gestalt einer Fußnote, die von seiten der Redaktion (d.h. W essenbergs ) auf der zweiten Druckseite der Abhandlung D reys angebracht wurde, sodann in zwei dem Text D reys angefügten Artikeln, für die mit J oseph M ets und J oseph V itus B urg zwei Mitarbeiter W essenbergs unter Angabe ihrer Amtstitel als Verfasser zeichneten. Was hier zunächst auffällt, ist die Verteilung der Kritik auf drei Personen sowie ihre Aufspaltung in zwei literarische Genera: Auf der einen Seite der Herausgeber / Schriftleiter, der das Pastoralarchiv repräsentiert, seine kritische Stellungnahme aber nur in Form einer Fußnote abgibt, in der er mitteilt, er halte den Artikel D reys für kritikwürdig und wolle ihm aus Achtung vor der Wahrheit »ein paar kritische Aufsätze« (d.h. die Artikel von M ets und B urg ) beifügen. Wie diese Aufsätze zustandekamen, gibt er nicht an. Dann am Ende der RS die beiden als eigenständige literarische Beiträge aufgemachten Artikel von M ets und B urg , die sich als Mitglieder der geistlichen Regierung in Szene setzen. Die Aufspaltung der Kritik wirft Fragen auf. Warum hat W essenberg die eigentliche Kritik den Mitarbeitern überlassen? Ging es ihm vielleicht schlicht um Arbeitsentlastung? Wollte er sich nicht selbst in das Hick-Hack der Einzelbeanstandungen begeben? Wollte er der Kritik eine breitere Basis verleihen? Wollte er aus Rücksicht auf D rey oder auf dessen Förderer in Stuttgart (und/ oder anderswo? ) sich persönlich nicht allzu stark exponieren? Keine dieser Fragen ist aus der Luft gegriffen, für jede der darin angesprochenen Möglichkeiten ließen sich unter Berücksichtigung anderer Quellen wohl Argumente finden, die aber vom Kern der Fragestellung wegführen würden. Bei einer genaueren Analyse der im Pastoralarchiv veröffentlichten Schriftstücke wird sich herausstellen, wo der Hase im Pfeffer liegt. Es wird sich zeigen, daß es Kräfte gab, die auf eine Kritik der RS drängten und W essenberg dafür einspannten. Es ging dabei konkret um ein Alternativprogramm zur RS, dem entgegenzutreten D rey kühn genug war. Diese Konstellationen verdienen auch deshalb näher betrachtet zu werden, weil sie über die Vorgänge in Konstanz hinausweisen auf die geistesgeschichtliche Situation, in der die Anfänge der Rezeptionsgeschichte der RS zu verorten sind. <?page no="97"?> 65 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) Daß D rey mit der RS sich in ein Wespennest setzte und daß er aufs Ganze gehen wollte, wird erkennbar, wenn man sich ansieht, wie er sein Manuskript einreichte. Dafür ist die »Vorerinnerung« aufschlußreich, mit der er sein Manuskript versah. Er vermerkt in ihr, er übergebe seine Abhandlung der Redaktion des Pastoralarchivs, »damit diese, wenn sie meiner Ueberzeugung [! ] ist, sie darinn aufnehmen möge« (4). Normalerweise gehört eine solche Bemerkung in den Begleitbrief. D rey hat sie aber in die Präambel seiner Programmschrift aufgenommen und sie damit zum Bestandteil der RS gemacht. Er siedelte seine konditionierte Erwartung auf der Überzeugungsebene an. Und anstatt abzuwarten, ob die Abhandlung entweder wegen ihres Inhalts abgelehnt oder trotz ihres Inhalts akzeptiert, also toleriert werde, wollte er mehr: Die Aufnahme seiner Abhandlung in das Pastoralarchiv sollte Ausdruck einer gemeinsamen Überzeugung zwischen ihm und der Redaktion in puncto Revisionsbedarf und Revisionsprojekt sein. Handelte es sich um einen Schachzug, mit dem D rey das Pastoralarchiv (oder jedenfalls dessen Herausgeber und Schriftleiter) für sein kühnes Vorhaben auf seine Seite ziehen und eventuelle Widersacher matt setzen wollte? Dafür spricht, daß mit der Aufnahme seiner Abhandlung in das offizielle Publikationsorgan W essenbergs für jeden Leser, der die Präambelbemerkung zur Kenntnis nehmen würde, diese Überzeugungsübereinstimmung ipso facto öffentlich dokumentiert wäre. Um eine strategische Finesse handelte es sich wohl schon, aber damit ist keineswegs ausgeschlossen, daß D rey der Redaktion diese Übereinstimmung ehrlich unterstellte. Dafür, daß er dem Konstanzer Generalvikar aufrichtig zugetan war und daß er dessen Reformwerk gänzlich bejahte, gibt es viele externe Belege. Doch die Rechnung D reys ging nicht auf. Daß die Präambelbemerkung in Konstanz als Provokation aufgefaßt wurde, geht aus dem Wortlaut der Fußnote W essenbergs hervor. Anknüpfend an die Formulierung D reys teilt »die Redaktion« hier mit, sie sei »in vielen Stücken dieser Ueberzeugung nicht« und wolle deshalb dem Aufsatz D reys »ein paar kritische Aufsätze mit berichtigenden Anmerkungen« beifügen (4, Fußnote). Genau betrachtet geht es in der Fußnote nicht um eine Distanzierung im ganzen, sondern um »Stücke« in ihr und um »ein paar« darauf bezogene »Aufsätze« mit »Anmerkungen«. Es ist zu erkennen, daß die Einstellung W essenbergs zu dem Artikel D reys bei weitem nicht so negativ ist wie die von M ets und B urg , die D rey nicht nur »in vielen Stücken« nach Kräften am Zeug flicken, sondern seine Ausführungen in der Quintessenz für total verfehlt halten. Letzteres vor allem bei B urg . Man beginnt zu ahnen, daß es bei der Drucklegung der RS in Konstanz mit M ets und B urg Kräfte gab, die auf W essenberg Druck ausübten. Und wenn D rey mit seinem beim Pastoralarchiv eingereichten Artikel jemandem den Fehdehandschuh hinwerfen wollte, wie L auchert erkannte 137 , so 137 F riedrich L auchert , Franz Anton Staudenmaier (1800-1856) in seinem Leben und Wirken dargestellt. Freiburg i.Br. 1901, 34. <?page no="98"?> 66 Erläuterungen gewiß nicht W essenberg , sondern den »Freunden und Mitarbeitern des Archivs« (L auchert ), und in erster Linie B urg . Dieser scheint der Motor hinter W essenberg gewesen zu sein. Dazu weiter unten mehr. Zuvor ein Blick auf die der RS angehängten kritischen Aufsätze von M ets und B urg . Sie sind unter der gemeinsamen Überschrift »Bemerkungen über den durch Hrn. Professor Drey zu Rotweil eingesendeten Aufsatz« (27) untergebracht (27-44). Es sind zwei rezensionsartige Kritiken, die einem völligen Verriß gleichkommen. Der erste, nur mit dem Buchstaben A überschriebene Beitrag umfaßt elf Seiten (27-37), als Autor zeichnet am Ende »Jos. Mets, Bischöfl. Geistl. Regierungsrath« 138 , der zweite, unter B laufende Beitrag zählt sechseinhalb Seiten (38-44) und endet mit der Verfasserangabe »Burg, geistl. Regierungsrath und Commissär« 139 . Von Amtspersonen vorge- 138 J oseph ( von ) M ets , * 9.3.1758 in Ebenhofen bei Marktoberdorf, † 4.1.1819 in Ulm, 1780-1784 Studium der Philosophie und Theologie am Lyzeum St. Salvator in Augsburg, 1784-1786 Priesterseminar in Pfaffenhausen, 1786 Priesterweihe in Augsburg. Aus der Augsburger Zeit mit S ailer bekannt, vermittelte ihm dieser 1786 die Hofmeisterstelle bei der Familie S chenk von S tauffenberg in Dillingen, wo er bis 1789 auch den Vorlesungen S ailers beiwohnte. 1789-1797 zusammen mit seinen Zöglingen Studienaufenthalte in Straßburg, Mainz und Würzburg. 1797-1802 Seelsorgetätigkeit in der Pfarrei Freihalden bei Günzburg und Schloßkaplan im nahegelegenen Eberstall, seit 1801 mit dem Titel Geistlicher Rat. Über die Familie S chenk von S tauffenberg mit dem Konstanzer Bischof T heodor von D alberg bekannt geworden, bewog dieser ihn, eine Pfarrei in seinem Bistum zu übernehmen. Im Juli 1802 übernahm M ets die Pfarrei Rißtissen bei Ehingen/ Donau, 1803 Dekan ebd. Seit 1803 dienstliche Korrespondenz mit W essenberg (auch kirchen- und personalpolitisch, z.B. Empfehlungen für F riedrich D ossenberger und I gnaz J aumann , die später Domkapitulare in Rottenburg wurden), 1810 zum Geistlichen Rat im Konstanzer Generalvikariat berufen, gehörte er bis 1812 zu den engsten Mitarbeitern W essenbergs . Nach Errichtung des Generalvikariats sowie der Friedrichsuniversität in Ellwangen gehörte M ets 1812-1817 als Erster Generalvikariatsrat in Ellwangen zu den wichtigsten Amtsträgern in der Vorgeschichte der Diözese Rottenburg. Der gemäßigten katholischen Aufklärung (W essenberg ) verbunden, spielte M ets als versierter kirchlicher Verwaltungsmann eine maßgebliche Rolle in den Geschäften des Ellwanger Generalvikariats. Zusammen mit P eter A lois G ratz , K arl W ach ter , A nton N ikolaus H uberich und J ohann S ebastian D rey bildete er am Ort der Friedrichsuniversität den als »Abendgesellschaft« bezeichneten, progressiv orientierten Akademikerkreis, der als wichtigste Keimzelle der Katholischen Tübinger Schule anzusehen ist (siehe Ziff. II.6.c. γ ). 1816 Ehrenpromotion zum Dr. theol. (siehe ebd. δ ). Nach seinem Rückzug auf die Pfarrei Rißtissen (1817) verfaßte er seine zeitgeschichtlich instruktive Autobiographie (siehe Anm. 10 und Anm. 100). - Lit.: M ets , Autobiographie (wie Anm. 10); Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 10); A ugust H agen , Staat, Bischof und geistliche Erziehung in der Diözese Rottenburg (1812-1934). Rottenburg a.N. 1939; J osef R ief , M ax S eckler , Zum Weg der Theologischen Quartalschrift, in: ThQ 150 (1970) 28-33; N orbert W olff , Zwei Studenten des ehemaligen Klosters Benediktbeuern als Reformer im katholischen Württemberg: Benedikt Maria v. Werkmeister (1745-1823) und Joseph v. Mets (1758-1819). München 1998; BBKL 16 (1999) 1062-1065 (N orbert W olff ). 139 J oseph V itus B urg (Taufname J oseph A nton ), * 27.8.1768 in Offenburg, † 22.5.1833 in Mainz, 1787 Aufnahme in das Kloster der Franziskaner-Konventualen in Speier, 1788 Studium der Philosophie in Regensburg und der Theologie in Würzburg, 1791 Priesterweihe in Straßburg, anschließend Prof. am Gymnasium der Franziskaner in Überlingen. 1799 Pfarrer in Pfaffenhofen (Owingen), danach Kaplan der Deutschordenskommende auf der Insel Mainau und Mitarbeiter der Konstanzer bischöflichen Kanzlei; 1802 Pfarrer und Dekan in Herth bei Basel, seither Freundschaft mit W essenberg ; 1809 Pfarrer von Kappel am Rhein, bi- <?page no="99"?> 67 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) brachte Kritiken also. Bei M ets wird deutlich, daß es sich um eine Auftragsarbeit handelt, während B urg in-sich-ständiger argumentiert 140 . Während der 22 Punkte umfassende Artikel von M ets eine minutiöse Auflistung der Kritikpunkte anstrebt und schulmeisterlich eifrig Korrekturen an der Form und am Inhalt der RS vorbringt, ohne damit ganz fertig zu werden, ist B urgs Kritik konzentrierter, klarsichtiger und wuchtiger, und sie ist im Tonfall mitunter pikiert ironisch 141 . Der gereizte Ton und die polemische Machart der beiden Rezensionen lassen erkennen, daß die Zensoren in Konstanz vom Inhalt der RS alarmiert und über ihren Stil verärgert waren. Man tadelt den »besondere[n] Geist« der RS und die ihr »eigene Tendenz« (M ets 27). Sie sei »in hohem Grad anmaßend, absprechend, imponierend durch blendende Formen« (ebd.). Inhaltlich zurückgewiesen wird D reys Darstellung der »Schicksale« der Theologie seit ihrer mittelalterlichen Hochzeit, seine Diagnosen zum Verlauf der Theologiegeschichte und zum »gegenwärtigen Zustand der Theologie« sowie die von ihm empfohlenen Mittel zur Heilung der »Gebrechen«. Die entschiedene Abweisung der inhaltlichen Hauptpunkte ist reichlich garniert mit einer Vielzahl von »berichtigenden Anmerkungen« zum Text D reys , die teils berechschöflicher Kommissär und Vikar der im Großherzogtum Baden liegenden 96 rechtsrheinischen Pfarreien des Bistums Straßburg, die er in das Bistum Konstanz überführen sollte; 1810 landesherrlicher (badischer) Dekan und Schulinspektor sowie päpstlicher Subdelegierter für die Ausstattung des neuen Erzbistums Freiburg i.Br., 1812 Promotion zum Dr.theol. h.c. in Freiburg, 1817 Mitglied der Frankfurter Konferenzen. B urg fungierte als Vertrauensmann W essenbergs auf dessen Romreise 1817/ 18. 1823 wurde B urg Mitglied der Katholischen Kirchensektion im badischen Ministerium des Inneren, 1827-1829 war er Domdekan in Freiburg, 1828-1829 Weihbischof ebd., 1830-1833 Bischof von Mainz. - Der gemäßigten katholischen Aufklärung (W essenberg ) zugeneigt, war B urg als Fachmann für Staatskirchenrecht maßgeblich an den Vorbereitungen zur Errichtung der oberrheinischen Kirchenprovinz und an der Abfassung der Verordnungen zur Wahrung des landesherrlichen Schutz- und Aufsichtsrechts über die katholische Kirche beteiligt, wobei er trotz seiner landeskirchlichen Neigungen die päpstliche Position unterstützte. Seine Amtszeit als Bischof von Mainz war überschattet von heftigen Kontroversen mit dem theologisch konservativen und ultramontanen Mainzer Kreis. - In einem Brief vom 1.9.1822 an J ohann H einrich D avid H ennenhofer bekundet B urg seine Freude darüber, daß der König von Württemberg D rey zum Bischof von Rottenburg designiert habe (vgl. dazu H ermann B aier , Zum Charakterbilde Joseph Vitus Burgs, in: ZGO N.F. 40 [79] (1927) 591-630, 592). Weitere Lit.: ADB 3 (1876) 590 (F riedrich von W eech ); A lexander S chnütgen , J. V. Burg, in: H erman H aupt (Hg.), Hessische Biographien 2. Darmstadt 1927, 1 ff; LThK 1 2 (1931) 642; NDB 3 (1957) 43 (A nton P h . B rück ); H ubert W olf , Staatsbeamter und katholischer Bischof - Joseph Vitus Burg (1768-1833) aus Offenburg zwischen Historiographie und Ideologie, in: FDA 116 (1996) 41-59; C hristoph S chmider , Versierter Jurist, wendiger Politiker. Weihbischof Joseph Vitus Burg (1768-1833), in: Konradsblatt Nr. 2 vom 13.01.2002. 140 Diese Kritiken sind auf den im Pastoralarchiv gedruckten Teil der RS, dem sie angefügt sind, abgestellt. Das kann bedeuten, daß M ets und B urg den nicht zum Druck gelangten Hauptteil der RS nicht kannten; sie haben sich jedenfalls inhaltlich nicht darauf bezogen. 141 »Die Abhandlung des H. Professors Drey ... macht allerdings dem Herzen ihres Verfassers Ehre, denn sie ist ein deutlicher Beweis seiner religiösen Gesinnung, wenn gleichwohl seine ganz eigene philosophische und theologische Ansicht einseitig und nicht gründlich ist« (B urg 38). <?page no="100"?> 68 Erläuterungen tigt, teils oberflächlich oder auf Mißverständnissen beruhend, weithin aber eher das Produkt eines besserwisserischen Widerlegungseifers sind. Überzeugt von der Evidenz seiner Vision, waren D rey tatsächlich stilisierende Vereinfachungen mit nicht hinlänglich umsichtig explizierten Optionen unterlaufen. Der Umstand, daß D rey seinen Ausführungen ein überhöhtes Maß an diskursiver Stringenz beizumessen schien, wurmte die Kritiker zusätzlich. Der jugendliche Philosophieprofessor in Rottweil, der offenbar meinte, das Pulver erfunden zu haben, wird schulmeisterlich zurechtgewiesen, aber das große Anliegen der RS - die Neubegründung der theologischen Wissenschaft aus dem Geist der Mystik und letztlich aus der Unmittelbarkeit der religiösen Erfahrung und die organische Sicht des Christentums als je und je gegenwärtige Lebens- und Wahrheitsmacht, was bei D rey zu einer Neubestimmung des Verhältnisses der gelebten Gegenwart in Christentum und Kirche und zu einer Fundamentalkritik des Schriftprinzips führte - wird nicht oder nur oberflächenkritisch in den Blick genommen. Man bewegt sich an der Peripherie von Mißverständnissen, verhakt sich an von D rey positiv besetzten Reizwörtern wie »Mystik«, »Mittelalter« und »Scholastik« und verwahrt sich gegen die scheinbar verderbenbringenden Ziele der RS, mit denen die Errungenschaften der Aufklärung verloren gehen und »die Finsternisse der rohesten Zeiten des Mittelalters zurücke kehren« würden (B urg 43). Die aufgeklärte Obrigkeit bekundet ihre Sorgen und schreitet ein. (2.) Verdeckte Stellungnahmen im Dezemberheft 1811 (Wessenberg, Burg) Mit den offenen Kritiken an der Abhandlung D reys im Januarheft 1812 ist die »Rezeptionsgeschichte« der RS im Pastoralarchiv nicht erschöpfend wiedergegeben. W essenberg und B urg , die beiden Hauptfiguren, hatten sich nämlich wie gesagt bereits zuvor mit der RS befaßt, in einem verdeckten Vorspiel sozusagen. Bezüglich der Rolle, die W essenberg als Herausgeber und alleiniger Schriftleiter in der Kritik an der RS und speziell mit seinem Artikel im Dezember 1811 spielte, besteht die Gefahr, von irrigen Voraussetzungen auszugehen und einem allerdings gängigen Fehlurteil zu erliegen. W essen berg war zwar vorwiegend ein Mann der Tat, ein politischer Kopf und ein auf praktische Reformen bedachter Generalvikar, der von abstrakter Theologie nicht viel hielt und dem die mystischen Umtriebe, die von Bayern und dem Allgäu und auch von der Schweiz herüberkamen, ebenso wie jede andere Art von Schwärmerei zuwider waren. Man hat daraus geschlossen, daß er für Mystik überhaupt nichts übrig hatte und daß es für ihn nur konsequent gewesen sein mußte, der Abhandlung D reys , die B urg als Ausgeburt des Mystizismus hinstellte, von sich aus entgegenzutreten. Auf dieser Linie bewegte sich ja auch W erkmeister , von dem noch die Rede sein wird. Doch diese Annahme hat ein falsches Bild von W essenberg zur Voraussetzung, ein <?page no="101"?> 69 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) Wessenbergbild, das zu korrigieren die neuere Forschung unternommen und vorangetrieben hat 142 . In ihr kommen die Züge des vielseitig gebildeten, überaus kunstsinnigen und von mystischer Spiritualität durchdrungenen Edelmanns zu ihrem Recht, desgleichen dessen im Grunde friedfertiger, auf ausgleichende Gerechtigkeit und gemessene Urteile bedachter Charakter. Das Wissen um die spirituelle Dimension in der Religiosität W essenbergs wurde jüngst durch die oben in Anm. 5 angeführte Untersuchung von M ichael B angert substantiell bereichert. Demnach maß W essenberg der Mystik an und für sich (und auch der Theologie, sofern sie sich nicht in scholastischen Spitzfindigkeiten erging, und der mystischen Tiefe des Religiösen und Theologischen) einen sehr hohen Stellenwert bei, theoretisch und literarisch sowohl als auch in seiner persönlichen Religiosität, mit F e´nelon als dem Leitstern und S ailer als Gesinnungsfreund und Lehrer. Er hatte während seiner Studienzeit in Dillingen in dieser Hinsicht von S ailer die entscheidende Prägung erhalten, wie er selbst bekennt. Eine grundsätzliche Gegnerschaft W essenbergs zu dem von D rey in die RS eingebrachten mystischen Ansatz ist von daher auszuschließen, und D rey seinerseits konnte durchaus davon ausgehen, daß er mit der Redaktion des Pastoralarchivs das Heu auf der selben Bühne habe. Anders dagegen B urg , der politische Schulmann und aufgeklärte Praktiker. Er legte in seiner Kritik zwar ein Lippenbekenntnis zum Recht der echten Mystik ab, wie er sie, zurückgestutzt auf seine Begriffe, für zulässig halten mochte, aber er erblickte in der Abhandlung D reys nicht den Geist der Mystik, sondern den gärenden Ungeist eines verderblichen Mystizismus. Und indem er die Abhandlung D reys begrifflich dem Mystizismus zuschlug, konnte er in seinem Aufsatz die Mystik im Sinne W essenbergs wenigstens verbal gelten lassen. M ets und B urg hatten in ihren beiden Artikeln nicht offen zu erkennen gegeben, welches Ziel sie letztlich damit verfolgten. Daß B urg die RS aus dem Feld zu schlagen suchte, um für ein konkurrierendes Projekt Raum zu schaffen, ist in seinen Artikeln verhüllt. Es tritt erst zutage, wenn man das Blickfeld über die bisher angeführten Befunde hinaus ausweitet. Man stößt dann auf eben die beiden Artikel, die im Pastoralarchiv kommentarlos in dem Heft abgedruckt sind, das dem Heft mit dem Text D reys unmittelbar vorausgeht. Der erste stammt von W essenberg , der zweite von B urg . Beide haben den Mystizismus zum Thema 143 - gerade jenen Mystizismus, aus dem die 142 Zum Gang und Stand der Wessenbergforschung siehe den Bericht bei B angert , Bild und Glaube (wie Anm. 5) 53-83 sowie die oben in Anm. 5 angeführte Literatur und die Quelleneditionen von K urt A land und W olfgang M üller in Anm. 8. 143 Die Artikelfolge im Überblick: 1. Pastoralarchiv 10 (1811) 401-409 (Dezemberheft): Ueber Mystizismus (W essenberg ). 2. Ebd. 410-427: Kann Mystizismus die Religiosität in unserm Zeitalter retten? (B urg , mit dem Zusatz: »Vorgetragen in der Pastoralkonferenz den 18. Juni 1811 zu Kappel am Rhein im Landkapitel Lahr«). <?page no="102"?> 70 Erläuterungen Abhandlung D reys als Mißgeburt hervorgegangen sein soll, wie B urg dann in seinem der RS angehängten Artikel aufzuweisen unternehmen wird. Daß B urg in seinem der RS unmittelbar vorangestellten Vortragstext sein eigenes Reformprogramm vorstellte (und es redaktionell der RS voranstellen ließ), zeigt sich erst bei genauerem Zusehen im Inhalt dieses Textes. Durch die Anordnung seiner beiden Artikel im Pastoralarchiv - des Vortragstextes B urgs unmittelbar vor der RS, des kritischen Verrisses unmittelbar nach ihr -, wird die RS von B urg in die Zange genommen. Kann es ein Zufall sein, daß im Pastoralarchiv die beiden Artikel von W essenberg und B urg unmittelbar vor der RS plaziert wurden? Es wäre ein hübscher, aber ungemein einschlägiger Zufall. Solche Zufälle mag es geben, aber im vorliegenden Fall sprechen nicht nur die Rollenverteilungen dagegen, sondern auch terminologische und inhaltliche Beziehungen. B urg eröffnet seinen Beitrag leitmotivisch unter Verwendung der Termini »Gebrechen« und »Zeitalter«, genau so also wie D rey in der RS. Auch der Artikel W essenbergs ist darauf zentriert. Dessen Beitrag ist freilich, wie er einleitend hervorhebt, darauf angelegt, für »Unbefangene« (! ) den Unterschied zwischen dem Wesen der Mystik und ihren Ausartungen im Mystizismus herauszuarbeiten. Es gibt keine Anzeichen dafür, daß er die RS zu den letzteren gezählt sehen will. Eher scheint er eine Hermeneutik der Begriffe im Sinn gehabt zu haben, um angesichts des Mystizismusartikels B urgs , den er vorliegen hatte und dem er seinen eigenen Mystizismusartikel voranstellte, für die grundsätzliche Akzeptanz der Abhandlung D reys Raum zu schaffen. Seine im Grundsätzlichen positive Einstellung zur Gedankenwelt D reys in Sachen Mystik wird er später zu erkennen geben (siehe in β ). In dem Text B urgs geht es dagegen - in Übereinstimmung mit dem freilich recht verhalten formulierten Titel seines Artikels - um die (rhetorische) Frage, ob der Mystizismus die Religiosität »in unserm Zeitalter« retten könne. Diese höhnische Formulierung ist zweifellos auf die RS gemünzt. In seiner der RS angehängten Kritik wird er diese Schrift rundweg dem Mystizismus zuordnen und deren Vorschläge zur Heilung der Gebrechen entsprechend disqualifizieren. Das Mystizismusetikett fungiert hier als selbstläuferischer Totschläger. In der Sache selbst geht es um die Therapie der Gebrechen und um die richtige Therapie. Während D rey eine Revision der Theologie für nötig hält, liegt für B urg die Abhilfe in einer Reform des Bildungswesens und der Kirchendisziplin. Beide, B urg und D rey , stehen somit für Programme, die sich auf Grund ihres Ansatzes und ihrer konzeptionellen 3. Pastoralarchiv 11 (1812) 4 (Januarheft): Fußnote »A. d. R.« (W essenberg ). 4. Ebd. 27-37: Bemerkungen über den durch Hrn. Professor Drey zu Rotweil eingesendeten Aufsatz. A. (M ets ). 5. Ebd. 38-44: Bemerkungen über den durch Hrn. Professor Drey zu Rotweil eingesendeten Aufsatz. B. (B urg ). Die Nummern 1 und 2 betreffen das verdeckte »Vorspiel«, 3 bis 5 die offene Kritik. <?page no="103"?> 71 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) Gewichtung in die Quere kommen: B urg wollte die Revisionsideen D reys aus dem Weg räumen. Ein Problem liegt in der Chronologie der Veröffentlichungen. Der im Pastoralarchiv der Abhandlung D reys vorangestellte Artikel ist als Text eines Konferenzvortrags ausgewiesen, den B urg am 18. Juni 1811 in Kappel gehalten hat, mithin rund ein halbes Jahr, bevor die Abhandlung D reys im Pastoralarchiv abgedruckt wurde. Mit dem Artikel B urgs endete der Jahrgang 1811 des Pastoralarchivs, mit dem D reys begann der Jahrgang 1812. Konnte B urg das Manuskript D reys schon im Juni 1811 gekannt und, davon angestoßen, seinen Vortrag daraufhin konzipiert haben? Das würde bedeuten, daß das Manuskript D reys in Konstanz schon ein halbes Jahr vor dem Druck vorlag, sodaß B urg mit seinem Vortrag darauf reagieren konnte. Dafür spricht, daß die topologischen Übereinstimmungen, die zwischen dem Vortragstext und der RS unabweisbar bestehen, anders kaum erklärbar sind. Die andere Möglichkeit, daß D rey vom Vortrag B urgs Kenntnis hatte und diesem mit seinen Revisionsideen entgegentreten wollte, ist weniger wahrscheinlich. Sicher ist jedenfalls, daß es in den Artikeln um Alternativprogramme geht. β . Interpretatives Nachspiel (Werkmeister, Wessenberg) Zu der im Pastoralarchiv inaugurierten Rezeptionsgeschichte der RS gab es außerhalb des Pastoralarchivs, aber in direktem Zusammenhang mit den im Vorausgehenden besprochenen Artikeln, eine Fortsetzung. Sie wirft im Nachhinein ein klärendes Licht auf die Rollenverteilung in Konstanz und kennzeichnet zudem die Situation, in die D rey sich nun versetzt sah. Die handelnden Personen waren der Dienstvorgesetzte B enedikt M aria W erkmeister , und W essenberg . W erkmeister , der prominente und mächtige Wortführer der katholischen Aufklärung in Stuttgart, ging 1815 in einer Broschüre mit dem »neuesten Mysticismus« und den »neuen Mystikern«, denen Einhalt zu gebieten sei, ins Gericht 144 . Der Hauptstoß richtete sich gegen die »mystische Rezensentenbruderschaft« der Felderschen Literaturzeitung 145 , aber auch D rey , eigentlich W erkmeisters Schützling, wird ins Visier genommen. W erkmeister bedauert, daß »im ersten Heft des besagten Pastoralarchivs, Jahrgang 1812, ein ganz verunglückter Aufsatz des sonst sehr geschätzten Professors Drey in Rotweil (jetzt in Ellwangen)« vorkomme, »worin er behauptet, die Mystik habe im Mittelalter der Menschheit und dem Christenthume die herrlichsten Dienste geleistet, und man solle sich ihr wieder, um der Religion und der Tugend aufzuhelfen, in die Arme werfen« (103). Und 144 In: [B enedikt M aria W erkmeister ], Die Zeichen der gegenwärtigen Zeit oder Aufschlüsse über den neuesten Mysticismus. Deutschland 1815. 145 Dazu: A ugust H agen , Franz Karl Felder (1766-1818) und seine Literaturzeitung für katholische Religionslehrer, in: ThQ 128 (1948) 28-70, 161-200, 324-342, bes. 44 ff; ders ., Die kirchliche Aufklärung (wie Anm. 36), bes. 151 ff, 171 ff. <?page no="104"?> 72 Erläuterungen weiter: »Gegen die überspannten Anpreisungen der Mystik durch Herrn Professor Drey haben sich sogleich in eben dem Pastoralarchiv die beyden bischöflichen geistlichen Räthe Mets und Burg erhoben« (104), und der »erhabene Redakteur des Archivs« (101) habe diesen Gegenstand für so wichtig gehalten, daß er dem »Conferenzaufsatz« B urgs »durch eine Vorrede noch mehr Eingang und Kraft zu verschaffen suchte« (100). W erkmeister stützt seine Kritik an D rey somit nicht nur auf die im Januarheft der Abhandlung D reys beigefügten kritischen Artikel von M ets und B urg , sondern bezieht auch die zuvor im Dezemberheft angebrachten Artikel »des würdigen Herrn Generalvikars von Wessenberg« (101) sowie denjenigen B urgs in seine Argumentation ein. Das bedeutet, daß er um die Bezogenheit des Konferenzaufsatzes B urgs auf die RS wußte (! ). Hatte er sie wohl erraten? Oder hatte er darüber Informationen erhalten? Darüber ist nichts ausfindig zu machen, aber auffällig ist es immerhin. Besondere Beachtung verdient die Diskrepanz zwischen dem Mystizismusartikel W essenbergs und der Deutung, die W erkmeister ihm gab. Es war eine eklatante Fehldeutung. Es muß offenbleiben, ob W erkmeister ihr nur im Eifer des Gefechtes erlag und er den hohen Amtsträger und Gesinnungsfreund in Konstanz dermaßen auf seiner Seite wußte, wie er es hinstellte, oder ob dabei eine bewußte Vereinnahmungstaktik im Spiel war. W erkmeister gab zwar den Begriff des Mystizismus aus dem Artikel W essenbergs von 1811 korrekt wieder 146 , aber er schien nicht zu erkennen, daß die RS davon gar nicht betroffen sein konnte. W essenberg war zwar zehn Jahre vorher gegen die mystizistische Schwärmerei ins Feld gezogen, die in die »Barbarey des Mittelalters« zurückführe und »wie die Pest ansteckt und sich ausbreitet« 147 , mit Stichworten also, die zum üblichen Repertoire der aufgeklärten Romantikkritik gehörten und wie bei B urg auch bei W erkmeister auftauchen, aber 1811, als er die RS vor Augen hatte, führte W essenberg diese Topoi nicht mehr an. Den Mystizismus, den er hier kritisiert, definiert er so, daß die RS 146 In dem Zitat aus dem Mystizismusartikel W essenbergs , das W erkmeister auf S. 105 zur Unterstützung seiner Kritik an D rey anführt, macht W essenberg »die Mystik in ihrer [mystizistischen] Ausschweifung« an folgenden Merkmalen fest: Mißachtung der Regeln des gesunden Menschenverstandes, Verächtlichmachung der Denkkraft bzw. deren Darstellung als etwas der wahren Frömmigkeit Gefährliches, Vernachlässigung des Tätigen und Gemeinnützigen. Das ist aber etwas anderes als das, was W erkmeister dann von sich aus gegen D rey vorbringt: Falsche Einschätzung der mittelalterlichen Mystik, überspannte Anpreisungen der Mystik und verfehlte Empfehlung der Mystik als Heilmittel der Gebrechen (103). Das war auch die Linie B urgs , aber nicht W essenbergs . 147 In: [W essenberg ], Der Geist des Zeitalters (wie Anm. 44), hier z.B. 243, 256 (zur Bedeutung dieser Schrift für D reys Konzeption der RS siehe oben Ziff. II.4.c, bei Anm. 44). W essen berg meint dazu, Mystiker könne man selten bekehren; man müsse die Partei der Vernunfthasser von Lehrstellen und Unterrichtsanstalten fernhalten (247). - Auch B urg scheint in seinem Artikel von 1812 bei dem Hinweis auf den »berühmte[n] Zeichner unsers Zeitgeistes« (43), mit dem er seine Ausführungen stützen wollte, die Schrift W essenbergs von 1801 gemeint zu haben. <?page no="105"?> 73 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) damit nicht gemeint sein konnte. Es bietet sich die bereits weiter oben angesprochene Vermutung an, daß W essenberg in seinem Mystizismusartikel von 1811 der RS hermeneutisch Raum schaffen wollte. Für diese Vermutung sprechen auch spätere Äußerungen W essenbergs . In seiner 1835 in Buchform herausgekommenen Auseinandersetzung mit der Schwärmerei 148 , in die er auch seinen Mystizismusartikel von 1811 integrierte 149 , ergriff er die Gelegenheit, sich dreimal zustimmend auf D rey zu beziehen 150 . Eine späte Rechtfertigung D reys also, die man zudem als Beitrag zur Klärung seiner (d.h. W essenbergs ) eigenen Position von 1811/ 12 auffassen kann. γ . Auswirkungen auf Drey Es ist nicht bekannt, wie D rey die Zensurierung im Konstanzer Pastoralarchiv aufgenommen hat. Zu einem Zerwürfnis zwischen den Kontrahenten ist es nicht gekommen. Zwischen D rey und W essenberg entwickelte sich in der Folgezeit ein freundschaftlich gestimmtes Verhältnis gegenseitiger Hochschätzung 151 . Nicht anders verhielt es sich mit seiner Beziehung zu M ets , mit dem er von 1812 bis 1817, also während seiner ganzen Ellwanger Zeit, in ungetrübte amtliche und persönliche Verbindung zu stehen kam 152 . In ihrer weltanschaulichen Richtung und in ihren kirchenpolitischen Zielen stimmten die Konstanzer und D rey im Großen und Ganzen ohnehin überein. D rey selbst mochte wohl nicht unzufrieden damit gewesen sein, seine Abhandlung zur Revision der Theologie im Konstanzer Pastoralarchiv, dem angesehensten Reformorgan der Zeit, überhaupt untergebracht zu haben 153 . Es ist nicht zu erkennen, daß ihm das Konstanzer Vorkommnis unmittelbar geschadet haben könnte. Die erste objektive Auswirkung der Kollision liegt darin, daß für die Abhandlung von 1812 keine direkte Fortsetzung zustande kam (daß D rey effektiv eine solche vorgesehen hatte, muß als erwiesen gelten) 154 . Literarisch 148 I gnaz H einrich von W essenberg , Ueber Schwärmerei. Historisch-philosophische Betrachtungen mit Rücksicht auf ihre jetzige Lage. Heilbronn 1835, 2 1848. 149 Ebd. 225-302. 150 Ebd. 178; 247; 279. W essenberg bezieht sich hier auf die Abhandlung D reys Ueber das Verhältniß des Mysticismus zum Katholicismus, mit Nutzanwendung für unsere Zeit, in: ThQ 6 (1824) 219-248, in der D rey seine Position gegenüber der Mystik und dem Mystizismus präzisierte. W essenberg bezieht sich zustimmend auf »236 ff«, »234« und »215«. 151 Vgl. dazu oben in II.2 bei und in Anm. 6. 152 Der Zufall wollte es, daß M ets noch im selben Jahr 1812, an dessen Anfang die Konstanzer Affaire stand, nach Ellwangen übersiedelte, wohin auch D rey am 3. Oktober 1812 als Professor an der Friedrichsuniversität berufen worden war. M ets übernahm im September 1812 im neu errichteten Ellwanger Generalvikariat die Stelle des Ersten Rats; er hatte dieses Amt bis 1817 inne, d.h. bis zur Aufhebung der Friedrichsuniversität. Zum Verhältnis M ets - D rey in Ellwangen siehe in Ziff. II.6.c. γ . 153 Wie bereits erwähnt, nahm W essenberg die Abhandlung D reys später (zusammen mit den Kritiken von M ets und B urg ) in seine Sammlung der wichtigsten Dokumente des Konstanzer Pastoralarchivs auf (vgl. dazu oben in Ziff. I.2). 154 Vgl. dazu oben in Ziff. II.2. <?page no="106"?> 74 Erläuterungen ist D rey nie ausdrücklich darauf zurückgekommen, weder auf den redaktionellen Vorfall, noch auf seine Abhandlung. Trotzdem ist die Konstanzer Kritik im theologischen Werk D reys nicht ohne Auswirkungen geblieben. An den Hauptpunkten seiner Auffassung, wie er sie in der Abhandlung von 1812 skizziert hatte, hielt er unbeirrbar fest, baute sie aus und widmete ihnen eigene Schriften. So ist die Neubegründung der theologischen Wissenschaft aus der Unmittelbarkeit der religiösen Erfahrung zum wissenschaftstheoretischen Herzstück seiner Kurzen Einleitung von 1819 geworden, und zum zweiten Hauptpunkt der RS, einer neuen Ekklesiologie in der Denkform der Romantik, legte er im selben Jahr seine Abhandlung Vom Geist und Wesen des Katholicismus vor und plazierte sie in betont programmatischer Absicht im ersten Band der 1819 neu gegründeten Theologischen Quartalschrift 155 . Die RS war und blieb für ihn die Mutter seiner Programmschriften 156 . Doch scheint sich D rey anhand der Kritiken im Konstanzer Pastoralarchiv deutlicher bewußt geworden zu sein, daß die Dinge nicht ganz so einfach sind, wie er sie sich in dem stürmischen Essay von 1812 vorgestellt hatte, und daß seine Optionen einer umsichtigeren Darstellung und Begründung bedürfen, was denn auch in den beiden Programmschriften von 1819 geschah. 1824 kam D rey mit einem eigenen Artikel auf das Mystik-Problem zurück, wiederum unbeirrt in der Sache von 1812, aber in den Argumentationsgängen besser abgesichert und »mit Nutzanwendungen für unsere Zeit« versehen 157 . Einen befruchtenden Anstoß für sein theologisches Schaffen dürfte D rey auch aus den Überlegungen B urgs zu dem Begriffspaar Mystizismus / Rationalismus und aus dessen Plädoyer für einen Weg der Mitte zwischen den Extremen (vgl. B urg 41-43) erhalten haben, aber das war ein Problem, an dem die katholischen Vermittlungstheologen dieser Zeit ohnehin arbeiteten. Das Ziel, eine via media zwischen Rationalismus und Mystizismus, Rationalismus und Traditionalismus, Rationalismus und Fideismus, Naturalismus und Supranaturalismus zu suchen und im gleichen Zug Glauben und Wissen, Vernunft und Offenbarung, Dogma und Geschichte zueinander zu vermitteln und die Gegensätze konstruktiv miteinander auszusöhnen, ist im theologischen Werk D reys ständig präsent, angefangen in der Kurzen Einleitung, wo es z.B. im Begriff des »theologischen (positiven) Rationalismus« (§ 46 in Verbindung mit § 56) in formelhafter Verdichtung zum Zentrum seiner theologischen Prinzipien- und Erkenntnislehre geworden ist, bis zu seinem systematischen Spätwerk, der Apologetik, deren erster Band zur Philosophie der Offenbarung 155 J ohann S ebastian D rey , Vom Geist und Wesen des Katholicismus, in: ThQ 1 (1819) 8-23, 193-210, 369-391, 559-574 (= Text Nr. 6). 156 Näheres dazu oben in II.7.b - d. 157 J ohann S ebastian D rey , Ueber das Verhältniß des Mysticismus zum Katholicismus, mit Nuzanwendung für unsere Zeit, in: ThQ 6 (1824) 219-248 (wieder abgedruckt in: S chupp , Revision (wie oben in Ziff. I.3.b) 25-54). <?page no="107"?> 75 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) gänzlich darauf ausgerichtet ist 158 . D rey ist auch mit diesem Vermittlungsprogramm nach dem Urteil der einschlägigen Theologiegeschichtsschreibung für die theologische Eigenart der Tübinger Schule richtungweisend geworden 159 . δ . Zum weiteren Verlauf im 19. Jahrhundert Nach den Kritiken von M ets und B urg wurde es für lange Zeit still um die RS. D rey selbst ist diesen Kritiken literarisch nicht entgegengetreten, weshalb diese von der Fachwelt als letztes Wort in der Sache empfunden werden konnten. Auch der Wiederabdruck der RS in W essenbergs Sammelband von 1835 160 änderte daran nichts, zumal da er zusammen mit den Artikeln von M ets und B urg erfolgt war. Der Umstand, daß H efele die RS in seinen biographisch-bibliographischen Artikeln zu D rey nie für erwähnenswert hielt, ist zum einen ein Indiz für den Grad der Vergessenheit, der sie anheimgefallen war, zum andern hat H efele damit zur weiteren Nichtbeachtung dieser Schrift beigetragen. Eine indirekte Wirkungsgeschichte der RS bzw. der von D rey in ihr vertretenen Optionen gab es im 19. Jahrhundert dagegen sehr wohl. Die bedeutendsten Köpfe der Tübinger Schule waren Schüler D reys . Wie D rey in seinem theologischen Werk stets an den zentralen Ideen der RS festhielt und sie konsequent zum Tragen brachte, ohne dies eigens hervorzuheben, so sind sie auch in seine jahrzehntelange Lehrtätigkeit im Hörsaal eingegangen und haben von da aus, schulbildend wie sie waren, auf seine Hörer eingewirkt. Der Einfluß, den D rey in den 34 Jahren seiner Lehrtätigkeit (1812-1846) auf 158 Siehe D rey , Apologetik (wie Anm. 55), bes. Bd. 1, 250-286. 159 In der Fachliteratur zur Katholischen Tübinger Schule gehört diese Einschätzung seit K arl W erner zum Standard ihrer Bestimmungen (K arl W erner , Geschichte der katholischen Theologie. Seit dem Trienter Concil bis zur Gegenwart (Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Neuere Zeit 6). München 1866, 480; vgl. bereits C arl J oseph H efele , Ueber die Schicksale der Kirche seit dem Tridentinum, in: ThQ 28, 1846, 3-54, 7). Vgl. dazu ferner: P aul S chanz , Systematische Theologie, in: W ilhelm L exis (Hg.), Die deutschen Universitäten. Für die Universitätsausstellung in Chicago 1893. 2 Bde., Berlin 1893, Bd. 1, 256-267, 260 f; ders ., Die Katholische Tübinger Schule, in: ThQ 80 (1898) 1-49, 18; P aul G odet , Drey, in: DThC 4 (1911) 1825-1828, 1828; V ermeil , Jean-Adam Moehler et l’e ´cole catholique de Tubingue (wie Anm. 131) 34, 115-124; L e´once de G randmaison , Johann-Adam Möhler. L’E´ cole catholique de Tubingue et les origines du modernisme, in: RSR 9 (1919) 387-409, 391 f; B auer , Politischer Katholizismus (wie Anm. 46) 54-56; G eiselmann , Die Katholische Tübinger Schule (wie Anm. 39) 13; P ierre C haillet , Introduction, in: ders . (Hg.), L’E´ glise est Une. Hommage a` J. A. Möhler. Paris 1939, 9-16, bes. 10-13; M ax S eckler , Una »guida pionieristica della teologia odierna«. Introduzione, in: J ohann S ebastian D rey , Breve introduzione allo studio della teologia con particolare riguardo al punto di vista scientifico e al sistema cattolico (Teologia N.S. 1). A cura e con introduzione di Max Seckler. Premessa di Joseph Ratzinger. Postfazione di Bruno Forte. Brescia 2002, 43 f mit Anm. 56. - Der von D rey in KE § 321 (Anm.) in einem speziellen Punkt verwendete Begriff »glückliche Mittelstraße« (vgl. dazu neben KE § 46 auch KE § 56) wurde in der Fachliteratur zur generellen Kennzeichnung seines Vermittlungsdenkens herangezogen (siehe dazu auch Einleitung zu Text Nr. 8 (Konkordatsaufsatz) bei und in Anm. 19). 160 Bibliographische Angaben oben in Ziff. I.2. <?page no="108"?> 76 Erläuterungen seine Schüler unmittelbar ausübte, ist hoch anzusetzen. Er läßt sich z.B. an seinen Äußerungen zur mittelalterlichen Kultur und zur Theologie der Hochscholastik, um derentwillen er als Autor der RS sich noch die Finger verbrannt hatte, veranschaulichen. So führte der für die Fundiertheit seiner Urteile bekannte Tübinger Historiker B ihlmeyer 1919 unter den Anstößen, die M öhler von seinem Lehrer D rey empfangen habe, u.a. auch die Hochschätzung der mittelalterlichen Scholastik an; wenn M öhler auf die »vielgeschmähte Scholastik« zu sprechen kam, sie in Schutz nahm und sie zum gründlichen Studium empfohlen habe, so sei dazu festzustellen: »Auch hierin [! ] den Spuren seines Lehrers Drey folgend, der schon 1812 - damals freilich noch ein einsamer Rufer auf weitem Felde - die Notwendigkeit betonte, durch Zurückgehen auf die sogenannte ›barbarische‹ Schule der Scholastik die heruntergekommene Theologie zu erneuern« 161 . Nicht anders B rosch 1963, hier bezogen und ausgeweitet auf die diesbezügliche Orientierung der Schule D reys überhaupt: »Drey ist wie auch in vielen übrigen Sentenzen der Vater der Schule für das Verhältnis zur Scholastik« 162 . Das hier zur Wirkungsgeschichte der RS in einem konkreten Punkt Angemerkte gilt mutatis mutandis für alle »Sentenzen« der RS, soweit D rey mit ihnen in seine Schule hineingewirkt hat. 161 K arl B ihlmeyer , J. A. Möhler als Kirchenhistoriker, seine Leistungen und Methode, in: ThQ 100 (1919) 134-198, 160. B ihlmeyer brachte diese Abhandlung im Jubiläumsjahrgang zum 100jährigen Bestehen der Theologischen Quartalschrift. 162 H ermann J oseph B rosch , Das Übernatürliche in der katholischen Tübinger Schule (Beiträge zur neueren Geschichte der katholischen Theologie 3). Essen 1962, 178. B rosch hat in Kap. 9 dieses Bandes »Das Verhältnis der Tübinger Schule zur Scholastik« eingehend untersucht (171-190); siehe auch H ermann J oseph B rosch , Vom Wesen wahrer Theologie. Das Verhältnis der katholischen Tübinger Schule im 19. Jahrhundert zur Scholastik, in: Wissenschaft und Weisheit 19 (1956) 1-16, bes. 1-3. - Vgl. dazu ferner den Dreyschüler W enzeslaus M attes , Die alte und die neue Scholastik, in: ThQ 28 (1846) 355-404, 578-620. Ergänzend: G eiselmann , Geist des Christentums (wie oben in Ziff. I.3.a) XIV f, 474; ders ., Das Übernatürliche in der Katholischen Tübinger Schule, in: ThQ 143 (1963) 422-453, bes. 437 f; T homas J. A. H artley , Thomistic revival and the modernist era (St. Michael’s in Toronto Studies in Religion and Theology. Dissertation series 1), Toronto 1971; O’M eara , Romantic Idealism and Roman Catholicism (wie Anm. 41). - H irscher , der Zeit seines Lebens der Scholastik »spinnefeind« (so J akob S chmitt , Hirscher, in: WWKL 2 6, 1889, 28-34, 32) war, nahm in der Resolutheit dieser Einstellung in der alten Tübinger Schule eine Sonderstellung ein (vgl. J ohann B aptist H irscher , Ueber das Verhältniß des Evangeliums zu der theologischen Scholastik der neuesten Zeit im katholischen Deutschland. Zugleich als Beitrag zur Katechetik. Tübingen 1823; ders ., Ueber einige Störungen in dem richtigen Verhältniße des Kirchenthums zum Zwecke des Christenthums, in: ThQ 5, 1823, 193-262, 371-420; dazu G eiselmann , Die Katholische Tübinger Schule (wie Anm. 39) 167; F ürst , Wahrheit im Interesse der Freiheit (wie Anm. 87) 75-86, 102-107 u.ö.). Wenn H irscher noch 1849 bemerkt, »auf das Mittelalter zurückgreifen, scheint mir ein großer und äußerst gefahrvoller Mißgriff« (in: H irscher , Die kirchlichen Zustände der Gegenwart. Tübingen 1849, 93), so kann man darin auch eine Spitze gegen die von der RS eingeleitete positive Einstellung zum Mittelalter (und insofern einen kritischen Beitrag zur Rezeptionsgeschichte der RS) erkennen. <?page no="109"?> 77 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) b. Im 20. Jahrhundert Die Einstellung zur RS, ihre Wahrnehmung und Beurteilung, veränderte sich im 20. Jahrhundert in eklatanter Weise. In den Werkverzeichnissen D reys wurde die Abhandlung von 1812 nun zu einem festen und vielfach besonders hervorgehobenen Posten. Ihre Rezeption erfolgte nahezu ausschließlich unter positiven Vorzeichen. Mit dazu beigetragen hat zweifellos ihr ebenso anspruchsvoller wie vielverheißender Titel, der nunmehr einen hellen Klang erhielt; der Revisionsbegriff selbst wurde zu einem positiv besetzten Signalwort zur Kennzeichnung des Aufbruchs der katholischen Theologie in eine neue Zeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts sowie der Rolle D reys in diesem Neubeginn. Die RS wurde in ihrer Eigenart und Bedeutung als primordiale Programmschrift für das Gesamtwerk D reys und zugleich als programmatischer Ausgangspunkt für die Katholische Tübinger Schule erkannt. Dieser Prozeß begann unmittelbar nach der Jahrhundertwende und nahm seit den 1930er Jahren - zumal nachdem G eiselmann den Text der Abhandlung neu herausgegeben und somit leichter zugänglich gemacht hatte - die Form einer steil ansteigenden Kurve an. Der neue Blick auf die RS bildete sich synchron mit der weiter ausgreifenden Wiederentdeckung D reys im ganzen heraus und ging einher mit der Neuevaluierung seines theologischen Schaffens und seiner geschichtlichen Leistung. α . Neubewertung bei Lauchert Die rezeptionsgeschichtliche Wende begann mit F riedrich L auchert , der 1901 in seiner Staudenmaierbiographie die bis dahin »meist unbeachtet gebliebene« RS aus der Versenkung hervorholte 163 . Indem er zu ihr bemerkte, daß ihr Autor »auch in seiner frühesten Periode mit der damals modernen rationalistischen Aufklärung im Prinzip nichts gemeinsam hatte« (33; vgl. 35), widersprach er der am Ende des 19. Jahrhunderts gängig gewordenen Auffassung, wonach die frühen Schriften D reys - und so auch die RS - noch allzusehr dem Ungeist der Aufklärung und des Rationalismus vom Typus W essenbergs und W erkmeisters verhaftet gewesen seien. Diese Sicht der Dinge hatte P aul S chanz noch 1898 in seinem vielbeachteten Artikel über die Katholische Tübinger Schule sich zu eigen gemacht und von sich aus bekräftigt 164 . L auchert machte demgegenüber geltend, D rey sei in der RS diesem Ungeist vielmehr entgegengetreten, und indem er sie »originellerweise« zur Veröffentlichung an das Konstanzer Pastoralarchiv einsandte, habe er der »von den Freunden und Mitarbeiterndes Archivs vertretenen [rationalistischen] Richtung den Fehdehandschuh« hingeworfen (34) 165 . Auch wenn 163 L auchert , Franz Anton Staudenmaier (wie Anm. 137) 33-35. 164 Vgl. dazu Einleitung zu Text Nr. 4, Ziff. II.4.a. 165 In der Fachliteratur wurde seit L auchert die Frage, ob die RS der Aufklärung oder der <?page no="110"?> 78 Erläuterungen L auchert in der Kürze seiner Ausführungen den Inhalt und die Tragweite der RS nicht genauer analysierte und ihr noch eine gewisse Unklarheit zusprach, so war doch er es, der für die Rezeption dieser Schrift im 20. Jahrhundert die Türe aufgestoßen hat. Die von ihm eingeleitete Wende hat 1905 bei G oyau 166 , 1913 bei V ermeil 167 und 1917/ 18 bei R eatz 168 ihre ersten Früchte getragen. Unter diesen Voraussetzungen konnte P hilipp F unk 1919/ 20 in einem beschwingten Essay zum Lob der Tübinger Schule 169 auch den frühen Romantik beizuzählen sei, zumeist im Sinne einer Entweder-Oder-Alternative diskutiert (siehe dazu auch oben bei und in Anm. 17 und 39). Doch unter Zugrundelegung abstrakter kontradiktorischer Typisierungen ist dieses Problem nicht lösbar. Es ist zu bedenken, daß es durchaus möglich ist, die Denkform der Romantik und die Reformabsichten der (kirchlichen) Aufklärung miteinander zu verbinden, derart, daß die erstere mit ihren denkerischen Ansätzen in den Dienst der letzteren genommen wird. Gerade das ist aber bei der RS der Fall. K obusch hat z.B. diese Art der Verschränkung im Hinblick auf S ailer eingehend erörtert und ist für S ailer zum gleichen Befund gekommen (T heo K obusch , Glaube und Vernunft. Zur Wirkung Jacobis in der Tübinger Schule und im spekulativen Theismus, in: W alter J aeschke , B irgit S and kaulen (Hg.), Friedrich Heinrich Jacobi. Ein Wendepunkt der geistigen Bildung der Zeit (Studien zum achtzehnten Jahrhundert 29). Hamburg 2004, 376-394). Vgl. dazu auch die Ausführungen bei A nton van H arskamp , Theologie. Text im Kontext. Auf der Suche nach der Methode ideologiekritischer Analyse der Theologie, illustriert an Werken von Drey, Möhler und Staudenmaier. Aus dem Niederländischen von Hedwig Meyer-Wilmes und Andrea Blome (Tübinger Studien zur Theologie und Philosophie 13). Tübingen 2000, 29; 331 ff, aus denen sich ergibt, daß Aufklärung und Romantik gerade beim D rey der RS funktional und produktiv miteinander koexistieren. H arskamp folgert daraus zu Recht, daß die Zugehörigkeit D reys zur Gruppe um M ets und G ratz in Ellwangen keinesfalls einen Bruch mit den Grundüberzeugungen der RS bedeutete. 166 G eorges G oyau , L’Allemagne religieuse. Le Catholicisme 2. Paris 1905, 22. 167 V ermeil , Jean-Adam Moehler et l’e ´cole catholique de Tubingue (wie Anm. 131) 27-29. In seinem konzisen Referat zu Inhalt und Absicht der RS arbeitet V ermeil vor allem die Grundzüge im theologiegeschichtlichen Argumentationsgang D reys in ihrer Stimmigkeit und Tragweite für seine neue Fassung der Theologie im Geiste der Romantik heraus. Der Artikel D reys sei im übrigen »de tout importance« (27); er enthalte sowohl nach ihrer theoretischen als auch ihrer praktischen Seite die Grundideen der künftigen Katholischen Tübinger Schule. 168 A ugust R eatz , Reformversuche in der katholischen Dogmatik Deutschlands zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Mainz [1917/ 18]. R eatz ordnet die RS in die Reformbewegungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts und in das Spannungsfeld zwischen Aufklärung und Scholastik ein (6-9). »Nicht alle hatten den tiefschauenden Blick eines Drey, der schon 1812 das zukünftige Programm der Tübinger Schule verkündete. Nicht alle waren wie er davon überzeugt, daß nur auf dem Boden einer großen Vergangenheit die große Zukunft erstehen könne« (9). R eatz hält D rey zugute, die Reformprinzipien der Aufklärung und die Spiritualität der mittelalterlichen Theologie zueinander vermittelt zu haben. 169 P hilipp F unk , Die katholische Tübinger Schule, in: Der Schwäbische Bund 1 (1919/ 20) 293-305. Dieser Artikel ist insofern bemerkenswert, als in ihm die in den ersten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts rasch um sich greifende Wende zur positiven Bewertung der Katholischen Tübinger Schule - und insbesondere ihrer Frühzeit - erstmals in einem auf publizistische Breitenwirkung angelegten Artikel gesamthaft vorgestellt und besungen wurde. Vom gleichen Typus, doch gewichtiger in seiner Wirkungsgeschichte, wenige Jahre später K arl A dam , Die Katholische Tübinger Schule. Zur 450-Jahrfeier der Universität Tübingen, in: Hochland 24 II (1927) 581-601 (wieder in: K arl A dam , Gesammelte Aufsätze zur Dogmengeschichte und Theologie der Gegenwart, hg. von F ritz H ofmann , Augsburg 1936, 389-412). Im selben Jahr legte auch G eiselmann in einem Publikumsbeitrag sein erstes Ideogramm zur Schule D reys vor: Die Katholische Tübinger Schule und ihre Glaubenswissenschaft, in: Festbeilage des Deutschen <?page no="111"?> 79 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) D rey und dessen RS entsprechend würdigen: D rey , der 1812 »als erster unter den Tübingern und in ausschlaggebender Weise zur ungebrochenen Tradition zurückfand«, ist mit den bereits in der RS formulierten Prinzipien zum Vater der Katholischen Tübinger Schule und zum Begründer ihrer Methode geworden 170 . 1931 war es so weit, daß selbst in dem renommierten protestantischen Handbuch der Kirchengeschichte die RS als die die Katholische Tübinger Schule eigentlich eröffnende Abhandlung bezeichnet werden konnte 171 . Doch die negative Einschätzung der ersten Generation der Tübinger Schule und des frühen D rey , die P aul S chanz am Ende des 19. Jahrhunderts mit magistralem Gestus in der Theologischen Quartalschrift festgeschrieben hatte, war damit noch nicht völlig überwunden. Selbst in der Fakultät D reys glaubte man es bis herauf zu G eiselmann der theologischen und kirchlichen Korrektheit schuldig zu sein, den reformerischen Impetus der Ellwanger und Tübinger Gründergeneration im Sinne von P aul S chanz diskreditieren zu sollen, was eine gewisse Zwiespältigkeit auch in der Einschätzung der RS zur Folge hatte. So bei S ägmüller 172 , A dam 173 und L ösch 174 , aber auch bei Volksblatts zum 450jährigen Jubiläum der Universität Tübingen, 23. Juli 1927, Nr. 166, 6-7. Eine wortgetreue Abschrift dieses schwer zugänglichen Textes liegt in elektronischer Fassung vor in: R ichard K ager , Die theologische Hermeneutik Johann Adam Möhlers (1796-1838). Diss. theol. Freiburg i.Ü. 2004 (http: / / ethesis.unifr.ch/ theses/ downloads.php? file=KagerR.pdf), 321-332 (Anhang I, 1-12). 170 F unk , Die katholische Tübinger Schule (wie Anm. 169) 298 f. F unk verortet die »Geistigkeit« D reys »in Anlage und Ausdruck« in der klassischen Periode des deutschen Geisteslebens (299). 171 H orst S tephan , Handbuch der Kirchengeschichte für Studierende, hg. von G ustav K rüger . Bd. 4: Die Neuzeit. 2. Aufl., neu bearb. von H orst S tephan und H ans L eube . Tübingen 1931, 271. - Auch hier wird die RS als Programmschrift gewürdigt, wenn auch nicht so bezeichnet. 172 Vgl. J ohann B aptist S ägmüller , Wissenschaft und Glaube in der kirchlichen Aufklärung (ca. 1750-1850). Zur Erwiderung auf Professor Merkles Rede und Schrift: »Die katholische Beurteilung des Aufklärungszeitalters« und zur Charakterisierung der kirchlichen Aufklärung. Essen [1910], 75 f, 93 f; ders ., Unwissenschaftlichkeit und Unglaube in der kirchlichen Aufklärung (ca. 1750-1850). Eine Erwiderung auf Professor Merkles Schrift: »Die kirchliche Aufklärung im katholischen Deutschland«. Essen 1911, 76 f. Für S ägmüller ist S chanz immer noch die maßgebliche Instanz, was ihn aber nicht daran hindert, die Beurteilung der RS von L auchert zustimmend zu erwähnen; D rey wollte demnach in der RS zugleich auch die durch die Aufklärung heruntergekommene Theologie durch die Zurückkehr zur alten Scholastik bessern. 173 Vgl. A dam , Die Katholische Tübinger Schule (wie Anm. 169). A dam ist der Sichtweise von S chanz verhaftet, erwähnt aber: »Schon in Ellwangen (1812) hatte Drey darauf aufmerksam gemacht, wie bedeutungsvoll für eine Erneuerung der Theologie das Zurückgehen auf die sogenannte ›barbarische Schule der Scholastik‹ sei« (586 bzw. 395). 174 L ösch , Das Gymnasium Rottweil (wie Anm. 51) 220: »Eine gewisse Neigung zum Rationalismus« sei beim frühen D rey noch vorhanden, doch habe sich das »bald« (? ) gebessert (das Wendemotiv läßt grüßen! ). Dann aber doch: Die RS sei D reys »erster Versuch«, oder »besser zu sagen« sein »klassischer Entwurf über die Aufgaben einer wissenschaftlichen Theologie für seine, für eine neue Zeit« und »für den Neubau eines theologischen Systems«. Die »Kerngedanken« der RS »brechen [...] in seine späteren Abhandlungen herüber«, selbst in der Apologetik 1838/ 47 seien »bezüglich einer bedeutenden Anzahl von Fragen« noch »die Hauptgedanken« der Abhandlung von 1812 zu erkennen (221 f). <?page no="112"?> 80 Erläuterungen H aug 175 und Z eller 176 . Die Denkschablonen des 19. Jahrhunderts erwiesen sich als zählebig gerade dort, wo man die beurteilten Verhältnisse und Texte nicht näher kannte 177 . β . Geiselmann und seine Wirkungen Nach der von L auchert in die Wege geleiteten neuen Sicht auf die RS begann mit G eiselmanns Arbeiten zur Katholischen Tübinger Schule eine neue Phase in der Rezeptionsgeschichte dieser Schrift. Dies zum einen durch die Neuedition der Abhandlung von 1812 und ihre Aufnahme in den Aufsehen erregenden Sammelband ausgewählter Schriften katholischer Theologie im Zeitalter des Deutschen Idealismus und der Romantik (1940) 178 , wodurch G eiselmann der Forschung einen leichten Zugang zum Text der RS verschaffte, womit er aber zugleich die RS signifikant in den Rang eines epochalen Quellentextes erhob, zum andern - einsetzend bereits 1927 179 - durch 175 H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität (wie Anm. 45): Bei D rey mache sich »eine Entwicklung und Umwandlung vom Standpunkt der Uebergangszeit zu einem mehr und mehr positiven und kirchlich korrekten bemerkbar« (41). Selbst H aug kann sich der unsinnigen Unterstellung einer Wende in der wissenschaftlichen Vita D reys hier nicht entziehen, bleibt aber die Begründung schuldig und verrät auch nicht, ob er die RS vor oder nach der fabulösen »Umwandlung« verortet sehen würde. Zu D reys Geschichte des katholischen Dogmensystems (siehe Text Nr. 2) bemerkt H aug indessen: »So schreibt kein Rationalist« (42). (Dieses Manuskript ist 1812/ 13 entstanden, mithin unmittelbar nach der Veröffentlichung der RS). 176 Vgl. Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 10) 55. - Die auf das 19. Jahrhundert zurückgehende Einschätzung des frühen D rey und die damit einhergehende Unterstellung einer Wende oder eines Bruchs in der wissenschaftlichen Vita D reys endet im 20. Jahrhundert nicht mit A dam ; sie wurde auch in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts von Außenseitern weiterkolportiert, wenngleich in einer veränderten Interessenlage. War es im 19. Jahrhundert (und mit Nachklängen bis herauf zu A dam ) die von den Ultrakonservativen betriebene Verschrieenheit der Reformer aus der ersten Zeit der Tübinger Schule, der man sich aus Gründen der theologischen Korrektheit auch für den frühen D rey glaubte anschließen zu sollen, um wenigstens den späten D rey aus der Schußlinie nehmen zu können, so war es in der Zeit nach G eiselmann (der selbst noch eine Zeitlang zögerte) fast nur noch das von der Korrektheitsfrage inzwischen entlastete investigative Vergnügen (und mitunter auch eine gewisse Häme), dem inzwischen zum Selbstläufer gewordenen Wendemotiv Tribut zu zollen und am Glanz D reys zu kratzen. Siehe oben Ziff. II.6.b. 177 Ein besonders skurriles Beispiel der bodenlosen Meinungsmacherei bezüglich des frühen D rey und der RS findet sich bei H ermann W etzel , Das Erwachen des Kurialismus in Württemberg vor 100 Jahren. Der politische Katholizismus außerhalb der Kammer 1815-1833, in: BlwüKG 26 (1922) 159-178, 171: »Drey’s Stellung ist in unserer Zeit [d.h. an der Friedrichsuniversität in Ellwangen] vermittelnd. 1812 noch antikurial [! ]. Später kam er mehr in Abhängigkeit von Möhler [! ]«. Derartige Beispiele gäbe es viele, besonders auf dem Feld der unfundierten Spielereien mit den D rey unterstellten Standpunktänderungen und Wendemanövern. 178 G eiselmann , Geist des Christentums (wie oben in Ziff. I.3.a), hier 83-97; vgl. auch ebd. XIV f, 474 f. 179 Nachdem G eiselmann sich zuvor hauptsächlich mit mediävistischen Studien beschäftigt hatte, wendete er sich, angestoßen durch K arl A dam und beflügelt durch die Konkurrenz zu seinem gleichfalls aufstrebenden, aber schon besser ausgewiesenen Fakultätskollegen L ösch , 1927 der Erforschung der Katholischen Tübinger Schule zu. Den Auftakt bildete sein oben in Anm. 169 angeführter Aufsatz im Deutschen Volksblatt 1927. G eiselmann verortet hier die <?page no="113"?> 81 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) seine Darstellung des Inhalts dieser Schrift und die Würdigung ihrer theologiegeschichtlichen Bedeutung 180 . G eiselmann ist mit diesen Erschließungsarbeiten zum Nestor der Dreyforschung geworden. Von jetzt an kam die RS als Initiations- und Schlüsseltext zu Ansehen. An erster Stelle ist hier der französische Jesuit P ierre C haillet 181 zu nennen, der sich als erster die Einschätzung G eiselmanns , die er während seiner Aufenthalte in Tübingen kennengelernt hatte 182 , zu eigen machte und kraft eigener Kompetenz vervollständigte 183 . Seine Ausführungen zur RS gehören überhaupt zum Besten, das je zu diesem Text D reys geschrieben wurde, sowohl historisch als auch sachlich. Schon vor C haillet - und vor G eiselmanns Neuedition der RS - hatte indessen H ermann J oseph B rosch die Existenz der RS hervorgehoben und sich kritisch mit dem Text D reys auseinandergesetzt, was aber erst 1962 öffentlich bekannt wurde 184 . Anfänge der Tübinger Schule in dem Bestreben, die Theologie als Wissenschaft neu aufzubauen. »Dieses Streben [...] verrät gleich schon die Formulierung des Themas jener Abhandlung, in der der Schöpfer der Tübinger Schule und ihrer theologischen Eigenart, Joh. Seb. Drey (1777-1853), seine Gedanken zum erstenmal aussprach: Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie. In ihr finden wir die Hauptmängel der Theologie seiner Zeit lebhaft ausgesprochen. Drey sieht sie in der Verkennung der mystischen Seite aller Religion und in der falschen Wertung des Geschichtlichen. Von da aus gestaltet er nun positiv die neue Theologie in dem von ihm stammenden Aufsatz, der die Theologische Quartalschrift, das literarische Organ der Tübinger Schule im Jahre 1819 eröffnen sollte: Vom Geist und Wesen des Katholizismus, sowie in [dem] im gleichen Jahre erschienenen Werke: Kurze Einleitung in das Studium der Theologie mit Rücksicht auf den wissenschaftlichen Standpunkt und das katholische System (Tübingen 1819), endlich in seinem reifsten Werke, seiner Apologetik« (a.a.O. 6; Abschrift K ager (wie Anm. 169) 322, Anhang I, 2). 180 G eiselmann tritt der Zuordnung des frühen D rey und der RS zur Aufklärung und zum Rationalismus vehement entgegen, verortet sie in der Romantik und arbeitet insbesondere den Einfluß S chellings auf sie heraus (vgl. G eiselmann , Die Glaubenswissenschaft der Katholischen Tübinger Schule (wie Anm. 16), bes. 56 ff; ders ., Geist des Christentums (wie oben in Ziff. I.3.a) XIV f, 474 f; ders ., Die katholische Tübinger Schule; siehe Anm. 41). Die Zuschreibungen G eiselmanns sind nicht immer zuverlässig, seine Urteile teilweise inkonsistent, doch insgesamt zeichnen sich seine Forschungen durch ein vor ihm unerreichtes Maß an Sachkenntnis, Scharfsinn und Auffassung aus. 181 Zu ihm siehe im vorliegenden Band die Angaben in der Einleitung zu Text Nr. 6 (Katholizismusschrift), Ziff. II.8.b, sowie im Anhang an Ende des Bandes. 182 Näheres dazu an den in Anm. 181 angegebenen Stellen. 183 In: C haillet , L’Esprit du Christianisme (wie Anm. 131), bes. 713-718. 184 Siehe B rosch , Das Übernatürliche (wie Anm. 162) 22, 25, 36 f, 40, 79, 117, 172 f, 182. B rosch erblickte in der RS einen »revolutionierenden Aufsatz« (25). »Im Jahre 1812 schrieb Drey, der Vater der Schule, der ihr auch in der ersten Periode die Grundlinien gezeichnet hat, den Artikel ›Revision ...‹, den man mit Geiselmann als ›einen typischen Ausdruck romantischer Geistesart‹ bezeichnen muß. Er ist der Auftakt zu seinem theologischen Lebenswerk! So kündigt es sich an als Kampfansage gegen den Rationalismus, die Aufklärung und den Naturalismus. Wie Drey sich die theologische Reform dachte, mag ihm im einzelnen noch unklar gewesen sein« (36 f). D rey , H irscher und M öhler gehören zusammen, weil »Möhler und Hirscher sich den Reformgedanken ihres Lehrers Drey engstens anschließen« (6). B rosch setzte sich in der Frage nach den Quellen der RS in Einzelheiten kritisch mit G eiselmann auseinander. - Die Untersuchung B roschs war 1935 (als Dissertation an der Gregoriana) abgeschlossen. Sie beruht infolgedessen auf dem Forschungsstand von vor 1935; <?page no="114"?> 82 Erläuterungen Mit G eiselmann (und C haillet ) war der Folgezeit die Richtung vorgegeben: Die RS ist die die Katholische Tübinger Schule »eigentlich eröffnende Abhandlung« 185 , sie bezeugt, daß D rey schon in seiner Ellwanger Zeit »den Grund für sein bahnbrechendes Neuerungswerk in der Theologie« legte 186 , sie steht mit ihrem revolutionären Nein zur voraufgehenden Zeit für den »epochalen Aufbruch«, in dem D rey zum »geistigen Initiator« der Tübinger Schule wurde 187 . Die Einschätzung der RS als generativen Schlüsseltext hatte zur Folge, daß der Blick sich verstärkt auch auf ihre Inhalte richtete, wobei man jedoch für längere Zeit über die von G eiselmann ins Spiel gebrachten Gesichtspunkte kaum hinauskam. Häufig handelte es sich nur um eine variierende Wiedergabe der geläufig gewordenen Topoi, sodaß es sich erübrigt, die diesbezüglichen Stimmen hier zu inventarisieren. Zum Gegenstand einer umfassenden Untersuchung und monographischen Behandlung ist die RS bislang nicht geworden. Gleichwohl sind im Erkenntnisgang der Forschung Fortschritte zu verzeichnen, die sich gegen Ende des Berichtszeitraumes häufen. B antle verwies 1976 auf die mögliche Bedeutung W erkmeisters für das Zustandekommen der RS 188 , der Fragmentcharakter der RS wurde 1977 erstmals von R uf angesprochen 189 . Das sich seit den 1970er Jahren verstärkende Interesse an der RS wird nicht zuletzt daran erkennbar, daß S chupp 1971 - und nochmals 1984 - einen neuen Nachdruck der RS herausbringen konnte 190 , sie erschien erst 1962 im Druck. - Ein frühes, rezeptives Echo auf die frühen Aufsätze G eiselmanns findet sich bezüglich der RS bereits bei J oseph R anft , Der Ursprung des katholischen Traditionsprinzips. Würzburg 1931, 46-48. 185 B ernhard C asper , Der Systemgedanke in der späten Tübinger Schule und in der deutschen Neuscholastik, in: PhJ 72 (1964/ 65) 161-179, 162. 186 L eo S cheffczyk , Theologie in Aufbruch und Widerstreit. Die deutsche katholische Theologie im 19. Jahrhundert (Sammlung Dieterich 300). Bremen 1965, 1 f. Eingehender zum Inhalt der RS, doch auch hier gänzlich im Einklang mit G eiselmann : ders ., Philosophie im Denken der Tübinger Schule: Johann Sebastian von Drey (1777-1853), Johann Adam Möhler (1796-1838) und Johann Evangelist von Kuhn (1806-1877), in: E merich C oreth , W alter M. N eidl , G eorg P fligersdorffer (Hg.), Christliche Philosophie im katholischen Denken des 19. und 20. Jahrhunderts 1. Graz 1987, 86-108, 89 f. 187 B ernhard W elte , Zum Strukturwandel der katholischen Theologie im 19. Jahrhundert, in: Gestaltende Kräfte im 19. Jahrhundert. Freiburger Dies Universitatis. Band 2, 1953 54. Freiburg i.Br. 1954, 25-55; wieder in: ders ., Auf der Spur des Ewigen. Philosophische Abhandlungen über verschiedene Gegenstände der Religion und der Theologie. Freiburg i.Br. 1965, 380-409, hier 380 und 383, vgl. 387 (siehe dazu auch Einleitung zu TüA 3 (Kurze Einleitung), 220*). 188 F ranz X aver B antle , Unfehlbarkeit der Kirche in Aufklärung und Romantik. Eine dogmengeschichtliche Untersuchung für die Zeit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert (Freiburger Theologische Studien 103). Freiburg 1976, bes. 533 f, 539-544. Der Hinweis auf W erkmeisters Einfluß verdient Beachtung, er ist richtig. B antle befaßt sich auch mit der Frage nach einem Entwicklungsgang im Denken D reys , in den das Wendemotiv hineingeistert. Er verwickelt sich dabei in jene Widersprüche, die für alle Versuche, D rey eine Wende zu unterstellen, kennzeichnend sind. 189 W olfgang R uf , Johann Sebastian von Dreys System der Theologie als Begründung der Moraltheologie [Diss. 1958] (Studien zur Theologie und Geistesgeschichte des Neunzehnten Jahrhunderts 7). Göttingen 1974, 36 f. 190 Bibliographische Angaben dazu oben in Ziff. I.3.b und c. <?page no="115"?> 83 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) dem 1989 von F itzer die Übersetzung der RS ins Englische zur Seite gestellt wurde 191 . In seinen von einem religionsphilosophischen und ideengeschichtlichen Interesse geleiteten Erläuterungen zur RS erachtet F itzer die folgenden Punkte als zentral: Die Theologie müsse, um den angezielten neuen Stand zu gewinnen, ihr mittelalterliches Erbe unter Einbeziehung der besten dafür geeigneten Ideen der romantischen Philosophie und der damit verbundenen akademischen Methode aktuieren; das von D rey gezeichnete Ideogramm der mittelalterlichen Kultur habe archetypischen Charakter, es sei deshalb mit dem modernen Wissenschaftsverständnis kompatibel; in der von D rey angezielten Synthese werde die neue Wissenschaftlichkeit als Vehikel der Reform eingesetzt. Die wichtigsten Impulse für die »neue romantische Vision« der christlichen Religion und ihrer Theologie sind F itzer zufolge von C hate aubriands Ge ´nie du Christianisme ausgegangen 192 . Wie schon bei V ermeil und W elte , so zeigt sich auch bei F itzer , daß der philosophische Blick auf die RS geeignet ist, über binnentheologische Einengungen hinauszuführen 193 . Davon gekennzeichnet sind auch die von T iefensee aufgezeigten Perspektiven sowie dessen Differenzierungen und Klarstellungen zum Mystikbegriff und zu der zwischen G eiselmann und B rosch strittigen Frage nach der Stellung D reys zur Aufklärung. T iefensee erblickt in der RS eine »dezidierte Position der Mitte« zwischen Mystizismus und Verstandestheologie 194 . 191 D rey , Toward the Revision (wie Ziff. I.4), mit einer kurzen Einführung (60 f) und zwei Anmerkungen (72 f) des Herausgebers. In diesem Sammelband vereint F itzer insgesamt 14 ausgewählte Schlüsseltexte katholischer Autoren des 19. Jahrhunderts, die für die Ausformung des modernen Katholizismus ebenso wie für die Erneuerung der Theologie repräsentativ seien. F itzer hat die von ihm erstellte Übersetzung der RS unter die drei ersten Texte aufgenommen, mit denen er auf Grund ihrer innovativen Bedeutung die Formierungsgeschichte des Katholizismus im 19. Jahrhundert beginnen läßt; in dieser Trias der Initiierungstexte steht die RS in der Mitte zwischen C hateaubriands Ge ´nie du Christianisme (siehe Anm. 192) und M öhlers Symbolik. - Bereits sechs Jahre zuvor hatte sich F itzer eingehend mit D rey und der RS befaßt in: ders ., J. S. Drey and the Search for a Catholic Philosophy of Religion (wie Anm. 124). 192 F ranc¸ ois R ene´ A uguste de C hateaubriand , Ge ´nie du Christianisme, ou Beaute ´s de la religion chre ´tienne. Paris 1802. Die deutsche Übersetzung war 1803 unter dem Titel Genius des Christenthums oder Schönheiten der christlichen Religion herausgekommen. Zur Bedeutung C hate aubriands für D rey siehe Einleitung zu Text Nr. 6 (Katholizismusschrift), Ziff. II.1, bei Anm. 12 und bes. bei und in Anm. 24. 193 Vgl. dazu auch O’M eara , Romantic Idealism and Roman Catholicism (wie Anm. 41); R alph W. F ranklin , Nineteenth-Century Churches. The History of a New Catholicism in Württemberg, England, and France (Modern European History). New York, London 1987 [Diss. 1975]; G erald A. M c C ool , Catholic Theology in the Nineteenth Century: The Quest for a Unitary Method (A Crossroad Book). New York 1977; dazu schon A lexander D ru , The Church in the Nineteenth Century: Germany 1800-1918 (Faith and fact books 103). London 1963. 194 T iefensee , Die religiöse Anlage (wie Anm. 4), zur Stellung D reys zur Aufklärung 150 f; zum Mystikbegriff D reys 152-154 und zu dessen Nähe zu H erder , G oethe , D e W ette und S chelling 152 (hier nicht direkt auf die RS bezogen). Zum variantenreichen Gebrauch des Wendemotivs (vgl. 110, Anm. 417) geht T iefensee deutlich auf Distanz (151). - Von T ie fensee stammt der bisher eindringendste Beitrag zur Erforschung der von D rey vor allem in Rottweil, dem Entstehungsort der RS, ausgebildeten Religionsphilosophie (siehe dazu oben bei und in den Anm. 4, 55, 62 und 90). <?page no="116"?> 84 Erläuterungen Einen Höhepunkt erreichte die Rezeptionsgeschichte der RS bei F ürst 195 . Angeleitet von der Interessenlage des durch seine Hirscherarbeit von 1979 ausgewiesenen Vertreters der praktischen Theologie, verbindet F ürst die textbezogene Rekonstruktion der Ideen D reys mit einer aktualisierenden Auslegung dieser Schrift. Der theologiehistorisch angelegte Gedankengang wird in seinen Strukturen durchleuchtet und in seiner Bezogenheit auf die Situation, für die die RS geschrieben ist, aufgehellt. D rey zielte in seiner Darstellung der Verfallsgeschichte auf den zeitgenössischen Status der Theologie, der historische Exkurs war zugleich ein Mittel zur Veranschaulichung der Negativa und zum mitlaufenden Aufweis seines neuen, erneuernden Theologiebegriffs, zu dem die konstruktive Vermittlung von bildungsfeindlicher Mystik und irreligiöser Verstandestheologie gehört. F ürst faßt die von D rey schon in der RS konzipierte Methode der Theologie typologisch im Begriff »mystische Dialektik«. Es ist das mystische Prinzip, aus dem für die Arbeit des Theologen die entscheidenden kritischen Funktionen erwachsen. Die Kontinuität im Denken D reys zwischen der RS und den späteren Schriften steht für F ürst außer Frage, auch das Ziel, für die Theologie den Status »einer freien, aus sich selbst herausgebildeten Wissenschaft« (D rey ) zu gewinnen, steht von Anfang an fest. Für F ürst erschöpft sich die von D rey in Vorschlag gebrachte Konzeption der Theologie keineswegs darin, ein epochenverhafteter Reformbeitrag zu sein, so hoch er auch in dieser Hinsicht anzusetzen sei; er übersteige in seiner Sachgemäßheit die zeitgeschichtlichen Konstellationen. Bei F ürst ist zu beobachten, wie in der Rezeptionsgeschichte der RS die rekonstruierende Wiedergabe und aktualisierende Auslegung dieser Schrift und auch die bejahende Aneignung ihrer Botschaft sich verbinden können. 195 W alter F ürst , Theologie und Praxis. Über Perspektiven und Schicksale der Tübinger Theologie in ihrer praktischen Version von J. S. Drey und J. B. Hirscher bis J. Ev. Kuhn und F. X. Linsenmann, in: RoJbKG 1 (1982) 69-141, bes. 82-85; ders ., Revision der Theologie - Reform der Kirche? Das Systemprogramm Johann Sebastian Dreys und seine antagonistische Rezeption in der frühen Tübinger Schule als Lehrstück, in: M ichael K essler , O ttmar F uchs (Hg.), Theologie als Instanz der Moderne. Beiträge und Studien zu Johann Sebastian Drey und zur Katholischen Tübinger Schule (Tübinger Studien zur Theologie und Philosophie 22). Tübingen 2005, 119-144, bes. 121 f; vgl. auch schon ders ., Wahrheit im Interesse der Freiheit (wie Anm. 87). <?page no="117"?> Teil B: I. Johann Sebastian Drey, Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie. II. Die Bemerkungen von Mets und Burg I. Johann Sebastian Drey, Revision des gegenwärtigen Zustandes der 5 Theologie. Vorerinnerung. Diese Abhandlung hat nicht zum Zwecke, irgend ein bestimmtes System der Theologie zu untersuchen, oder ein andres aufzustellen, in welcher Hinsicht sie zur Aufnahme in eine Zeitschrift nicht geeignet wäre, die zunächst nur für 10 die Bedürfnisse der in der Seelsorge stehenden Geistlichen bestimmt ist; sie hat also keine bloß spekulative Tendenz. Da es indessen unmöglich ist, daß der im Amte stehende Geistliche ohne alles System handle, da er von der Schule her sein theologisches System zum Dienste mitbringt, folglich dieses System auch auf seine praktischen Verrich- 15 tungen Einfluß hat; so kann er sich schon um seiner selbst willen, und noch mehr um der Früchte willen, die er schaffen soll, nicht von der Pflicht lossagen, den Geist, der ihm in seinen Studienjahren angebildet wurde, und in dem er handelt, fortwährend zu prüfen, und dies um so mehr, wenn sich 4 zeigen ließe, daß die Wissenschaft, die er übt, sowohl in Hinsicht ihrer 20 theoretischen Begründung, als auch ihrer praktischen Darstellung (als Seelenleitung) seit Jahren an mancherley Gebrechen leide, und daß gerade in jenen Gebrechen eine vorzügliche Ursache liege, warum die Religion sowohl an innerer Lebendigkeit, als auch an äusserer Hochschätzung immer mehr verlieren mußte, und verlor. 25 Diese Gebrechen nun, die den Geist der Theologie unsrer Zeit überhaupt charakterisieren, die einzeln schon früher entstanden, die sich mit dem Laufe der Zeiten mehrten, die nun vereint einen sehr nachtheiligen Einfluß zuerst auf die Denkungsart der Geistlichen, und dadurch auch auf das christliche Volk geoffenbaret haben − diese Gebrechen zur Sprache zu bringen, sie als 30 solche aufzudecken, und ein prüfendes Nachdenken unter den Theologen zu veranlassen − dies ist der Zweck dieser Abhandlung. Ich bin überzeugt, daß jenes Nachdenken darüber nicht ohne praktische Wirkung seyn kann; darum übergebe ich die Abhandlung der Redaktion des Archivs, damit diese, wenn sie meiner Ueberzeugung ist, *) sie darinn aufnehmen möge. 35 * Wenn die Redaktion gleich in vielen Stücken dieser Ueberzeugung nicht ist; so nimmt sie <?page no="118"?> 86 Johann Sebastian Drey I. Abschnitt. 5 Von den Schicksalen der Theologie seit den Zeiten der Scholastik, und ihrem Einflusse auf den Zustand der Religion überhaupt. Es darf uns nicht wundern, wenn wir bey näherer Betrachtung eine auffallende Gleichförmigkeit in der politischen und in der Litterärgeschichte eines 5 Volkes finden. Denn was ist der wissenschaftliche Zustand einer Nation anders, als der höchste idealische Ausdruck dessen, was in ihr selbst liegt, was sie bewegt, als ihr geistiges Leben. − Wie sie ihre Kraft beweißt durch ihre Krieger, ihre produzirende Kunst durch ihre Fabrikanten, ihre Gerechtigkeit durch ihre Gesetzgeber, so spricht sich ihr Handeln aus durch die öffentliche 10 Sittlichkeit, und ihr Denken durch ihre Gelehrten, durch den Zustand der Wissenschaften. Nie denkt oder handelt in einem Volke die ganze Masse, sondern wie in dem einzelnen Menschen die Funktionen des ganzen Lebens unter gewisse Organe vertheilt sind; so sind es auch in einem Volke die eminenten Individuen, durch welche sein Leben offenbar wird. 15 Gilt es nun von den Wissenschaften überhaupt, daß ihr Zustand unter einem Volke, ihr Gang und ihre Schicksale in der ganzen übrigen Geschichte desselben eine Parallele haben müssen, durch welche die Litterärgeschichte eben so gedeutet werden kann, wie hinwieder diese durch jene; − so wird es vorzüglich von der Theologie gelten, als derjenigen Wissenschaft, welche 20 6 zwar unmittelbar eben so wenig auf die ganze Masse der Nation wirkt, als jede andere Wissenschaft, aber mittelbar durch ihre Organe allgemeiner und eingreifender als vielleicht alle übrigen zusammen. Denn sie ist die Wissenschaft des Heiligsten und Höchsten, dessen die Menschheit empfänglich ist: wie sie dies Höchste faßt, wird sie auch das Gemeine fassen, faßt sie es groß mit 25 Achtung und mit Liebe; so muß sie selbst dadurch gehoben werden, so wird sie mit einem Charakter von Größe, und ehrfurchtgebiethender Kraft in der Völkergeschichte dastehen, − faßt sie es gemein und niedrig, oder faßt sie es nicht, stößt sie es wohl gar von sich, eine solche Nation eilt ihrer Kraftlosigkeit und ihrer Auflösung entgegen, was auch vorübergehende Phänomene 30 dagegen beweisen möchten! Wer dem Baume die Wurzeln abschneidet, der macht ihn verdorren und fallen, und keine künstliche Treibhaus-Pflege wird ihm sein Leben fristen. So wäre es also möglich und vielleicht auch interessant, die Geschichte der Theologie in unsrer Nation (denn von dieser kann hier eigentlich nur die 35 Rede seyn) parallel mit der übrigen Geschichte zu betrachten, und aus ihrer Nebeneinanderstellung die beyderseitigen Begebenheiten zu begreifen. Ich will und kann aber meiner Absicht gemäß es jetzt nicht thun; sondern mit doch keinen Anstand, den Aufsatz aufzunehmen, hält es aber zugleich aus Achtung für die Wahrheit für Pflicht, ein paar kritische Aufsätze mit berichtigenden Anmerkungen beyzufügen. A. d. R. [Anmerkung der Redaktion des Pastoralarchivs zu dieser Stelle.] <?page no="119"?> 87 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) Beyseitesetzung aller andern Rücksichten will ich meiner Revision bloß eine kurze Darstellung der verschiedenen größtentheils ungünstigen Schicksale der Theologie vorangehen lassen, damit man in dieser Geschichte selbst die 7 Gebrechen allmählig sich entwickeln sehe, die dieser Wissenschaft ihre Auflösung zubereitet haben, wie ähnliche anderwärts der Nation. Sollte der Leser 5 in dieser isolirten Darstellung dennoch mancherley Correlate ungesucht entdecken, so wird ihm meine obige Behauptung nur um so evidenter erscheinen. 2. Kaum ist das Geschrey verhallt, welches man wohl über ein halbes Jahrhundert lang gegen die alte Scholastik anstimmte − und dennoch muß die 10 Theologie bis zu ihr immer wieder zurückkehren, wenn sie von ihrem Anfange als Wissenschaft reden will. Und was wird man dazu sagen, wenn behauptet wird, daß alles Schreiens dagegen ungeachtet die Theologie nimmer und nirgends in einer wissenschaftlichen Form bestanden habe, als in jener sogenannten barbarischen Schule? − Und dennoch ist es nicht anders. 15 Jener rege Eifer in immer neuer und neuer Darstellung der Lehren des Christenthums, nicht nur vereinzelt, sondern im Ganzen, jenes tiefe Spiel der Reflexion und der Phantasie, jener ins Unendliche gehende Scharfsinn in der feinsten Spaltung und Sonderung der Begriffe, jene Erschaffung der reichhaltigsten Terminologie für die unzähligen Distinctionen, jene Consequenz in 20 der Darstellung − dieses rege philosophische Leben in einem geschlossenen Kreise, welches so viele Doktoren mit den ruhmvollsten Beynamen erzeugt hat, wann hat man es seitdem wieder gesehen? − Man hat dieses treffliche Spiel und denkwürdige Kunststück des menschlichen Geistes als eine hohle 8 Nuß weggeworfen − weil es − nichts als Worte enthielt. 25 Hart wäre dieser letzte Vorwurf, wenn er so unbedingt wahr wäre, als man ihn, auch nur wieder um einer freylich neuen Autorität willen, angenommen hat. Ist er aber auch wirklich so wahr? Jenes Spiel in Worten muß aus seiner Zeit beurtheilt werden, wenn es recht beurtheilt werden soll: und wird es dies; so wird es zwar noch immer als Spiel erscheinen, aber als ein Spiel, welches 30 wie jene der Kinder, den Ernst des Lebens und wirklichen Sinn hat. Jenes Zeitalter, in welchem die Scholastik sich bildete, war das Zeitalter der innigsten Religiosität: das Christenthum hatte aller Sinne und Vermögen des Geistes sich bemächtigt, es herrschte als eigentlicher Geist der Zeit, und konnte so herrschen, weil es die einige Cultur der damals von kurz zuvor noch 35 rohen Völkern überschwemmten und nun ruhig besessenen Welt war. Daher sind alle Erfindungen, Künste, Handlungen, ja Kriege sogar, im religiöschristlichen Geiste. Konnte die neu sich bildende Wissenschaft eines andern Geistes seyn? Von dem Christenthum allein konnte die neue Philosophie samt aller Cultur ausgehen; die Philosophie − indem die alte nicht mehr war − 40 mußte durch Religion, nicht umgekehrt die Religion, wie es in unseren Tagen <?page no="120"?> 88 Johann Sebastian Drey der Fall ist, durch die Philosophie begründet werden. Und diese Religion war eine gegebene, überlieferte, nicht durch Demonstrationen künstlich erzeugte; eine Religion, an der das Gemüth hieng, nicht der Ver-stand − das Gemüth, 9 weil es den mildernden, besänftigenden, beruhigenden Einfluß fühlte. Wie aber Kinder ihre Gefühle objectiviren in den ersten Spielen der erwachenden 5 intellectuellen Thätigkeit; so suchten auch die ersten Denker jener Zeit die innern Anschauungen ihres Glaubens durch Begriffe festzuhalten und näher zu bestimmen, so war ihre ganze Philosophie und Theologie ein Spiel ihres erwachenden Verstandes, und weiter bedurften sie nichts; denn die Ueberzeugung von den Lehren des Christenthums hatten sie schon anderwärts her: 10 aber wichtig und interessant ward ihnen das Spiel, weil es der Abdruck ihres Gemüthes war, und den Verstand befriedigte, welcher auch denken wollte − Zweifler und Ungläubige gab es nicht, gegen welche die neuere Theologie zu Felde zog. Auf diesem Wege entwickelte sich nothwendig der doppelte Charakter der 15 Philosophie und Theologie des Mittelalters. Hervorgegangen aus dem Drange lebendig religiöser Anschauung mußte sie ihrem innern Wesen nach religiös und christlich seyn: aber als Bestreben die innere religiöse Welt auch nach aussen zu entfalten, einen Abdruck von ihr in Begriff und Wort darzustellen, mußte sie Dialektik werden. Mit diesem doppelten Charakter finden wir sie 20 schon in den Schriften der spätern Kirchenväter, in den Schriften des Venerabilis Beda, noch bestimmter bey den Schriftstellern des 11ten und 12ten Jahrhunderts, z. B. bey Joannes Scotus Erigena, Peter Da-miani [,] Lanfranc, 10 Anselmus *) u. a. Der Geist aller dieser Schriftsteller ist der mystische, d. h. der rein religiöse und christliche, der in allem Zeitlichen und Endlichen eine 25 Allegorie und Andeutung des Göttlichen sieht, und eben darum weder von einem eigenen Charakter oder Wesen dieser endlichen Dinge reden, noch ihrer Natur nachforschen kann, indem er diese Natur in dem ewigen Willen, und in der Ordnung Gottes viel klarer erkennt, als sie ihm in der zerstükkelten zeitlichen Erscheinung gegeben werden mag. Aber gerade diese Los- 30 gebundenheit von dem sogenannten Realen machte es möglich, daß sich der philosophirende Geist jener Zeit in den mannigfaltigsten Entwickelungen versuchen, und ein weites Feld von Abstraktionen und dialektischer Kunst abstecken konnte; denn wo die Wissenschaft sich zum Empirischen herabgelassen hat, haftet der Begriff am Objekte und an bestimmter Form, und 35 kann derselben nimmer los werden. Indessen war es leicht vorauszusehen, daß die Dialektik nicht immer im Dienste der Mystik bleiben, sondern wie sie sich von dieser getrennt haben würde, sogar als Gegnerinn derselben auftreten werde. Denn wie der Verstand der Herrschaft des Glaubens entwächst; so wird er der natürliche und 40 * Bernhard von Clairvaux, − Bonaventura − Richard und Hugo von St. Victor. − <?page no="121"?> 89 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) nothwendige Feind des Uebersinnlichen. Diese Trennung erfolgte wirklich, und bildete den Gegensatz der Nominalisten und Realisten, der unter ver- 11 ändertem Namen durch das ganze Zeitalter der Scholastik, und bis zu ihrer gänzlichen Auflösung fortgedauert hat. Vergebens mischte sich die Kirche in den Streit der Dialektiker, der die christliche Glaubenslehre zu bedrohen 5 schien, vergebens zwang der tiefsinnige Mystiker und Scholastiker Peter Abeillard den Roscellin und Wilhelm de Champaux 1 , die Häupter der Partheyen, ihre Behauptungen einzuschränken; die bald nachher durch die Araber verbreitete aristotelische Dialektik von aller Mystik entblößt zog sich in die Schranken der Philosophie zurück, um nun freyere Hände zu haben, und das 10 Ansehen zu vermeiden, als wollte sie in Glaubenssachen etwas entscheiden, was sie der Theologie überließ, die nun fortan von der Philosophie getrennt blieb, und nunmehr die dialektische Kunst mit ihr theilte. Diese Trennung der beyden Elemente der Scholastik war in mehr als einer Hinsicht von den schädlichsten Folgen. Die philosophische Scholastik, da sie 15 nicht mehr in der Anschauung des Göttlichen lebte, und eben so wenig zur klaren Erkenntniß des Endlichen in der Erfahrung durchgedrungen war, ward erst jetzt zu einem leeren Wortspiele ohne Gehalt und Bedeutung; nur der von der logischen und dialektischen Richtung der Wissenschaft unabhängige religiöse Geist des Zeitalters hielt diese lose Formalität noch aufrecht; 20 aber nicht selten fieng sie jetzt schon an, gegen die Glaubenslehre in Opposition zu treten, wie durch Almaricus und David de Dinanto; und später hatte 12 sie an den großen Religionszwistigkeiten einen bedeutenden Antheil. Die theologische Scholastik aber, die für sich selbst von der philosophischen nicht verschieden war, zugleich auch das mystische Element verlohren hatte, mußte 25 sich gleichermaßen in eine Menge nichtsbedeutender Spitzfindigkeiten verlieren, und sich um so mehr damit befangen, weil eben diese oft als Einwürfe gegen theologische Behauptungen gebraucht werden konnten. Diese Scholastik verwandelte sich in eine Eristik. Erst in diesen Zeiten der Sonderung und Trennung bildete sich die thörichte Einbildung eines wesentlichen und 30 natürlichen Gegensatzes der Vernunft und der Offenbarung, wodurch die Theologie zu allen den verkehrten Mitteln verleitet worden ist, die ihre Auflösung als Wissenschaft herbeygeführt haben. In dem berühmten Streite der Nominalisten und Realisten lag die nächste Veranlassung dazu; sanctionirt aber ward dieser Gegensatz durch die Methode des Petrus Lombardus, die für 35 alle folgenden Jahrhunderte das Muster der theologischen Scholastiker blieb. Dadurch daß er nach seinen Beweisen für die theologischen Sätze immer einige sogenannte Einwürfe aus der Philosophie beyfügte, die er, wo sichs thun ließ, aus anderen philosophischen Gründen, oder wo er nicht ausreichte, durch die Auctorität der Kirchenväter zu widerlegen suchte, nährte und 40 1 in der Vorlage: champaux <?page no="122"?> 90 Johann Sebastian Drey bestärkte er den Glauben, als wenn die Philosophie der Theologie entgegen strebe, und eben so die Vernunft überhaupt. Die schädlichen Folgen dieses Wahnes werden wir später berühren. Eine eben so nothwendige Folge jener Trennung des mystischen und 13 dialektischen Elements der Scholastik war jene, daß nun die Mystik selbst sich 5 gegen die herrschende Philosophie und Theologie erhob, beyde auf gleiche Weise verachtend und verächtlich machend. Das Wesen der Religion empfindend mußte es nämlich die Mystik unverzeihlich finden, daß man es menschliche oder göttliche Weisheit nenne, mit Worten zu spielen, deren eigentlicher Sinn und Geist jenen Schulen unbekannt geworden war. Und so half die 10 Mystik selbst, aus der jene Scholastik hervorgegangen war, am Ende diese verdrängen; alles trug bey, das alte ehrwürdige Kunstwerk aus den Zeiten der erwachenden christlichen Cultur aufzulösen. 3. Ihrer gänzlichen Auflösung mußte diese alte Theologie unterliegen, als sich mit dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts ein ganz neuer Geist unter den 15 europäischen Nationen zu regen anfieng. Jenes Mittelalter muß als das Kindesalter der neuern Welt betrachtet werden: denn diesem glich es an Fülle innerer Anschauung und Empfindung, an Einfalt der Begriffe und der Sitten, an Armuth der Erfahrung und der äussern Bildung. − Aber eben darum mußte es enden, und einer neuern Zeit Platz machen, die sich als die Zeit einer 20 rüstigen, nach Freyheit ringenden, überall in das Leben und die objektive Welt einbrechenden Jugend charakterisirt hat. Den ersten Anstoß erhielt die erwachende Jugendkraft dieser neuern Zeit durch die Denkmäler altgriechischen und altrömischen Kunstsinnes und Geschmackes, die ewig das Muster 14 objektiver und realer Bildung bleiben werden. Als sich in diesen Denkmälern 25 der Kunst und der Wissenschaft ein Leben offenbarte, so klar und besonnen, so offen und anziehend, so reich an Bildern und Geschichte, wie hätte da noch die an Begriffen unendlich reiche, an Anschauungen aber eben so arme Scholastik sich halten und über die Köpfe herrschen können? Die erste unmittelbare Wirkung der erwachten Liebhaberey für alte Bildung war zwar 30 zunächst nur diese, daß sich die bessern Köpfe der Scholastik entzogen, und sich gegen diese erhoben. Aber eine andere noch weit nachtheiligere konnte nicht ausbleiben. Das freye selbstständige Leben brachte Zwiespalt in die Hallen der heiligen Wissenschaft selbst und in die Gemüther den Sitz ehrwürdiger Meinungen. 35 Der Misbrauch der Authorität, auf welche sich seit der Urzeit der Menschheit aller Glaube und alles Erkennen gegründet hatte, und worauf er sich nothwendig gründen muß, weil der Einzelne mit allem seinem Wissen nur einen kleinen Theil der Zeit und des Raumes umfaßt − der Misbrauch der Authorität verleitete die jugendlich brausenden Köpfe, alle Authorität selbst zu 40 verwerfen, und an deren Stelle die eigene individuelle Einsicht zu setzen. So <?page no="123"?> 91 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) rächte sich die Inconsequenz der Scholastiker, die in ihrem Dünkel die Authorität eines Einzelnen dem unverwerflichen Ansehen einer allgemeinen Tradition und des großen Körpers der Gläubigen gleich gesetzt hatten, durch eine gleiche Inconsequenz der Reformatoren. Alle diese Ereignisse konnten nicht anders als erschüt-ternd auf die Theologie wirken, und es war voraus- 5 15 zusehen, daß sie sich nothwendig eine andere Gestalt geben müsse. Diese neuere Gestalt unterschied sich zwar jetzt n a c h d e m A e u s s e r n noch nicht besonders von der Aeltern: weil die Reformatoren in der Theologie ihre erste Bildung selbst noch in den Schulen der Scholastik erhalten hatten, und größtentheils in den Künsten der Dialektik durchgeübt waren, also ihre Meinun- 10 gen gerne in jenen Formen durchführten; auch konnte eine neue Theologie ohne eine neue Philosophie schlechterdings nicht erschaffen werden, und diese letztere war noch nicht, so viele Versuche dazu auch gemacht wurden. Aber wesentlich unterschied sich dennoch die neuere von der ältern Theologie dadurch, daß jene, indem sie ihre Behauptungen einzig auf ihre subjek- 15 tive Erkenntniß gründen wollte, für diese subjektive Erkenntniß eine objektive Stütze anderer Art, als die bisher vorzüglich geltende, suchen mußte: und diese − dem Anscheine nach − höchstwichtige objektive Stütze fand sie in − den heiligen christlichen Büchern, die nunmehr der einzige Glaubensgrund, die einzige theologische Beweisquelle werden sollten. 20 Durch eine solche Wendung der Dinge wurde aber der Theologie ihr gänzlicher Untergang vorbereitet, indem sie in eine solche Abhängigkeit von einer Menge zufälliger dem Christenthum und Glauben ganz fremder, profaner und empirischer Dinge gerathen mußte, daß sie auf den Namen einer freyen aus sich selbst herausgebildeten Wissenschaft keinen Anspruch mehr 25 machen konnte. Denn hatte bisher der Theolog in der Kirche, d. h. in der 16 Anschauung des lebendigen Organismus, wie er sich aus dem ihm einwohnenden Lebensprinzip entwickelt hatte, gelebt, − und war seine Theologie eine Kopie dieses Organismus gewesen, selbstlebendig und getreu; so mußte der Reformator zu anderen Dingen seine Zuflucht nehmen. Den lebendigen 30 Organismus verließ er, weil sich hin und her einige Abscesse angesetzt hatten, die entweder von selbst abgefallen oder zu rechter Zeit durch chirurgische Hilfe weggenommen worden wären: ohne den Organismus selbst konnte und wollte er auch nicht leben; daher wandte er sich zu einer Kopie und Beschreibung welche die Geschichtschreiber seiner Jugend hinterlassen hatten, 35 und glaubte aus dieser Beschreibung − so unvollständig sie auch auf uns gekommen ist, Natur und Beschaffenheit des Organismus besser zu ergründen, als aus der Anatomie des Körpers selbst. Nichts davon zu sagen, daß ein solches Verfahren an sich selbst ungereimt war, auf welche Folgen mußte es führen? − Bücher, in alten abgestorbenen Sprachen geschrieben − von Män- 40 nern geschrieben, deren eigene Muttersprache zum Theil jene Sprachen nicht waren, die also den Geist und Gang ihrer ursprünglichen Denk- und Aus- <?page no="124"?> 92 Johann Sebastian Drey drucksweise in kaum gelernte fremde Sprachen übertrugen, deren jeder wie natürlich, seine eigenthümliche Vorstellungsart hatte, − die nur gelegenheitlich schrieben, ohne eine erschöpfende, Alles umfassende Darstellung vom Ganzen geben zu wollen − die vom organischen Ganzen keine andre Beschreibung geben konnten, als in wieferne es sich damals schon entwickelt 5 17 hatte − zu einer Zeit, wo dieses Ganze noch zu keiner freyen und fröhlichen Existenz gelangt war, sondern erst noch den langen Kampf gegen Heidenthum und Judenthum, und eine verfallene Philosophie zu kämpfen hatte − diese Bücher sollten nach fünfzehn hundert Jahren und noch für Jahrtausende künftiger Völker und Geschlechter, unter einer ganz veränderten Cultur, eine 10 eben so klare, genügende, umfassende Darstellung des Christenthums geben, als sie sie zu ihrer Zeit, begleitet von der mündlichen Erläuterung, begleitet von andern verloren gegangenen Stücken, geben konnten. Diese höchst unvollständige[n] und keineswegs genügenden Urkunden sollten nun zur Anschauung des reinen Christenthums und zur wissenschaft- 15 lichen Construktion desselben dienen, indem sie der Kunst und der Kraft des einzelnen Dollmetschers preis gegeben wurden. Es mußte über frühe oder späte kommen, daß sich die ganze Theologie in eine Grammatik und Philologie, und zwar in eine Philologie, die mit Worten kramt, verwandelte. Jetzt konnte es nicht mehr das lebendige Christenthum seyn, wie es sich mit dem 20 Laufe der Zeit unter der Leitung des göttlichen Geistes entwickelt hatte, wie es in der Kirche leibte und lebte, was die Theologie als Wissenschaft und System wiedergeben sollte − »denn jene Entwickelung hatte ja unter Menschenhänden einen ganz verkehrten Gang genommen, der Körper der Kirche war voll Geschwüre und Eiter, und der göttliche Geist hatte nicht den 25 18 lebendigen Leib, sondern nur den todten Buchstaben bewacht, damit dieser nicht untergienge« 2 , dieser todte Buchstabe war es, den die Wissenschaft beleben sollte, dieser Buchstabe, den man so lange verkannt hatte, sollte wieder zu Ehren kommen. Aber wie wollte man ihm dazu verhelfen? Alle jene großen Wunderkräfte, die ihn einst belebt, und ihm den Sieg über die Welt 30 verschafft hatten, als der Geist Gottes zuerst ihn durch den Mund einfältiger Männer aussprach, alle diese Wunderkräfte schliefen jetzt, als menschliche Weisheit ihn meistern wollte; und da diese Hülfe nicht von oben kam, mußte man sich selber Rath schaffen. Nun wurde Kenntniß jener alten Sprachen, Auslegungskunst, Forschung und Deutung alter ausländischer Gebräuche 35 und Redensarten, kühne Hypothesen, geschickte Hinüberschiebung der modernen Denkweise in jene alte Zeit, Sammlung von Handschriften, Fragmenten und Varianten, kurz der ganze Apparatus Eruditionis, so zerrissen und vereinzelt als alle die Dinge in der Welt existiren mochten − dies ward jetzt die unerläßliche Bedingung einer ächten Theologie; aus diesen Ueberresten sollte 40 2 Zitat durchgehend an jedem Zeilenbeginn gekennzeichnet; nicht identifiziert <?page no="125"?> 93 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) sich der verjüngte Phönix erheben. Jeder, der von dieser Zufälligkeit sich etwas angeeignet hatte, bis auf den Grammatiker herab, konnte jetzt den spekulativesten Theologen meistern. − Jedoch bis zu dieser Profanirung kam es mit dem Anfange der Reformation noch nicht: der bessere Geist der Reformatoren hielt sie noch eine 5 Zeitlang auf. Diese Männer nämlich hatten von ihrer und der vorhergehen- 19 den Zeit noch ein Erbtheil erhalten, welches ihren Bemühungen einen religiösen Anstrich, und selbst das Gelingen gab. Es war die Mystik, die gerade jetzt bey dem sichtbaren Verfall der Scholastik ihr Haupt siegender als je erhob, und an die Gemüther Forderungen machte, die durch keine profane 10 Wissenschaft, die nur durch ein wahrhaft religiöses Glauben und Leben befriedigt werden konnten. Darum war es jenen Männern nicht um das Wort zu thun, des bloßen Wortes, sondern des Glaubens und des Gewissens wegen, und sie traten vom lebendigen Körper der Kirche aus, weil sie meynten, das lebendige und lebendigmachende Wort sey dort nicht mehr zu hören. Nicht 15 aus Irreligiösität gieng die Häresis hervor, sondern aus dem Irrthume: und es ist dieser Irrthum einer der beyden Abwege, auf welche die Mystik gerathen kann, wenn sie der Dünkel übernimmt, daß sie ihre inneren subjektiven Anschauungen auch objektiv für allgemeingiltig erklären, und dem allgemeinen Glauben entgegen setzen will. So lange noch dieser Geist, so lange 20 noch religiöser Ernst diese Theologen beseelte, mußte von ihm noch immer etwas in die ausgeartete Wissenschaft übergehen, und man konnte von ihnen sagen, daß ihr Herz besser sey, als ihr Ruf. Jener Geist aber dauerte noch über hundert Jahre nach dem Verfalle der Theologie, und der noch nicht ermüdete wörtliche und thätliche Widerspruch der Katholiken gegen die Protestanten 25 zwang die letztern einen ernsten Ton in der Theologie zu behaupten. 4. Endlich aber mußte der Verfall doch einmal offenbar werden. Der empi- 20 rische Geist in den Wissenschaften überhaupt, das reine Produkt der neuern Zeit, griff überall mehr um sich, und drang gewaltsam auch auf das Gebieth der Theologie ein, einer Wissenschaft, die, wenn je eine, auf einem höhern 30 Grunde, als dem der Zeit und der Endlichkeit bauen muß. Dieser empirische und sinnliche Geist verdrang zuerst die Mystik, die doch die Seele des Christenthums ist, und indem durch Verschwindung der Mystik auch die erhabnere Auffassung des Christenthums als eines großen die ganze Geschichte der Menschheit umfassenden Rathschlusses Gottes verschwand, auch der Begriff 35 von der Kirche als von der ins Unendliche fortschreitenden Realisirung dieses Rathschlusses sich verlor, mußte sich eine Ansicht von dem Christenthume bilden, die dasselbe als eine zufällige Erscheinung in der Menschheit betrachtete, und sie aus eben so zufälligen Ursachen zu erklären unternahm. Denn nur das Zufällige ist der Empirie willkommen, weil es dabey für sie etwas auf 40 ihrem Wege zu untersuchen, zu erklären, und zu begreifen giebt: es ist hier ein <?page no="126"?> 94 Johann Sebastian Drey Tappen erlaubt, weil das Zufällige aus mehrerley Ursachen entsprungen seyn kann, − ein wahrscheinlich Machen, weil man das Rechte doch nicht sogleich treffen kann − ein Hypothesen-Erfinden, weil doch etwas gesagt werden soll, und des Grübelns ist auch nicht leicht ein Ende, weil der Zufall so weit und breit ist, als die Welt. 5 Eine solche Ansicht kam einer Theologie erwünscht, die vermöge ihres 21 ersten Grundsatzes sich auf lauter empirische Data fußen mußte, kam erwünscht einem Systeme, welches die untheilbare Einheit des Christenthums und seiner Geschichte aufgehoben, die ursprüngliche Kirche der spätern entgegengesetzt, und seine Vertheidigung auf eine vergangene Zeit und Ge- 10 schichte gebaut hatte. Nun erst mußte der Protestantismus begierig nach allen jenen obengenannten Hilfsmitteln greifen, die bisher unbenützt in ihm wie ein verborgenes Waffenmagazin gelegen waren, und ihm eine nach seiner Ansicht allerdings entschiedene Ueberlegenheit über seine Gegner geben mußten, welche, indem sie in einer ewigen Gegenwart lebten, auch von jener Vergan- 15 genheit keine Notiz haben konnten. Nun fieng das Erklären aus Zufälligkeiten an − und nicht lange, so hatte man schon eine Menge Dinge im Christenthum gefunden, die sich zufälliger Weise darinn eingeschlichen hatten, und daher als ausserwesentliche, als Nebendinge entfernt werden mußten. S e m m l e r und B a h r d t erhielten darüber große Triumphe, und das Reizen- 20 de dieser so leicht errungenen Lorbeeren setzte nun viele andere in Bewegung: reger und lebendiger war es auf dem Gebiethe der Theologie noch nie hergegangen, als jetzt. Dazu gesellte sich noch ein andrer Umstand. Derselbe Geist, der die Theologie ganz auf das empirische Gebieth hereingezogen hatte, hatte in 25 jenem der Philosophie ein noch ausgebreiteteres Feld gewonnen, und hatte 22 über die mißverstandenen Spekulationen, die innerhalb dieser Zeit von einigen scharfsinnigen Philosophen gewagt worden waren, die Oberhand behalten. Auf diesem Felde, wo ihm gar keine Authorität und Geschichte entgegenstand, mußte er bald an seine natürliche Grenze gelangen: die Empirie 30 endete mit Materialismus und Skepticismus. Weil nun für die Philosophie nichts weiter mehr zu thun blieb; so kehrten sich die ausgemachten (! ) Philosophen gegen die Religion und ihre Verfechter, und beschossen diese mit dem ganzen Vorrathe von Vo l t ä r ’ s tiefem Witze, und H u m e ’ s melancholischen Zweifeln. Das Heer der Theologen aber, schon seit lange in 35 schlechter Verfassung, verstand von der Kriegskunst so wenig, als manches andre Heer, und ließ sich von seinen Gegnern auf ein Schlachtfeld locken, das nicht ungünstiger für sie hätte seyn können. Sie ließen sich nämlich beygehen, den Naturalismus auf seinem eigenen Grund und Boden anzugreifen, auf welchem das Christenthum nun und nimmer zu vertheidigen seyn wird. Man 40 glaubte sich stark genug, nach Verlassung alles Wunderbaren, Ausserordentlichen, Göttlichen − wogegen die Naturalisten ohnehin höchlich protestirten <?page no="127"?> 95 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) − mit einem einzigen natürlichen Wunder auszureichen, mit dem Wunder der Geschichte, wogegen Niemand, der nur gesunde Augen habe, etwas würde einwenden können. Aber die Vertheidiger hatten vergessen, daß sie die Geschichte, in dem Sinne, wie sie allerdings die Naturalisten widerlegen konnte, selbst vernichtet hatten. Denn sie erkannten die Geschichte nicht als das 5 23 Werk einer ewigen Nothwendigkeit, die der religiöse Mensch Vorsehung nennt, sondern als das Werk der subjektiven Freyheit und daher als das Werk des Zufalls, durch die willkührlichen Handlungen von einzelnen Menschen und Nationen zusammengewehet: diese christlichen Theologen waren nach ihren Grundsätzen selbst Naturalisten, nur wußten sie es nicht. Es war deß- 10 wegen auch kein andrer Erfolg möglich, als daß die Naturalisten Recht behielten, und die Theologen einen haltbaren Ort um den andern abtreten mußten. Diese mußten zufrieden seyn, wenn jene sich bequemen wollten, weniger wild über das Christenthum zu schreyen, und unter mancherley Modificationen ihm noch eine gewisse Brauchbarkeit für den Pöbel zu zuge- 15 stehen. Man tröstete sich über den Verlust, indem man das sonst strenge und ernste Studium der Theologie dem leichtern und spielendern der Philologie und des Alterthums näher brachte, − und das Spielen mit Worten, Redensarten und sprachengelehrtem Kram ward eben so kindisch, als es in der Scholastik das Spielen mit Begriffen und Distinktionen gewesen war. Nur 20 sank die ehrwürdigste Wissenschaft, die Wissenschaft göttlicher Dinge, immer mehr zu einer profanen Scienz herab, und nach dem regellosesten Spiele der Willkühr endete sie damit, daß Niemand wußte, wie man daran sey: ihr einziges Bollwerk die Authorität eines göttlichen Buches, hatten sie eingerissen. 25 Ich mußte so vieles von der protestantischen Theologie sprechen, weil − 24 von der katholischen wenig zu sagen ist. Einzelne Mißgeschicke hatte sie mit jener gemein: so zum Beyspiel verschwand auch aus ihr der mystische Geist, und diejenigen, die ihn noch zu retten gesucht hatten, wie ein F e n e l o n , P a s c a l , wurden von der Gegenparthie gedrückt, und durften nicht mehr 30 reden. Diese Gegenparthie, die nun das Wort an sich gerissen hatte, war, so sehr sie für den Katholizismus eiferte; doch protestantischen Geistes, indem sie ebenso wie jener am Buchstaben klebte − am Buchstaben der Bibel, am Buchstaben der Tradition und der Geschichte, am Buchstaben der Väter und der Concilien. Sie hatten von den Vortheilen, welche ihnen die feste, konse- 35 quente, organische Form des Katholizismus gegen ihre Gegner gab, so wenige Kenntniß, daß sie von Protestanten darauf aufmerksam gemacht werden mußten, − sie konnten das Ganze, das ihnen doch lebendig in der Anschauung gegeben war, in einem wissenschaftlichen Systeme so wenig wiedergeben, daß ihre ungeschickte Behandlung der besten Sache die Sache selbst auch 40 unter den ihrigen zweifelhaft machen mußte. Sie giengen noch lange Zeit in veralteten geschmacklosen Formen der Darstellung und Beweisart einher, so <?page no="128"?> 96 Johann Sebastian Drey daß dadurch die Beweise selbst entstellt werden mußten, weil keine Ahnung irgend einer andern Nothwendigkeit darinn lag, als die Nothwendigkeit einer zwar ausgesprochenen, aber nicht verstandenen (göttlichen) Auctorität. Und indem so einer dem andern nachschrieb, und wenige sich weiter 25 umsahen, was etwa auf dem Gebiethe der übrigen Wissenschaften, und in der 5 veränderten Denkart der Zeit vorgehen möchte, mußten sie diese mißverstehen, und auch ebenso wieder mißverstanden werden. Endlich drang aber doch der Geist der Zeit über die wohlbewachten Schranken auch in diese Theologie ein, brachte aber nur seine Schwächen mit. Nun kam es, daß diese Grundsätze von der Zufälligkeit aller Dinge im Christenthum auch bey diesen 10 Theologen die herrschenden wurden: diesen zufolge fieng man nun auch an aufzuräumen, und vieles als abgelebt und grundlos aufzugeben, weil man nur die Schale, aber den Kern nicht kannte; die Schale aber freylich alt und ungestalt geworden war. So sehr man hierin den Protestanten nacheilte, so wollte es doch mit den philologischen Künsten bisher noch nicht recht voran; 15 aber ein größeres Glück machte die praktische Vernunft, denn die war ja − praktisch, und dazu leicht verständlich. Jetzt wunderte man sich, wie die Väter doch auch rechtliche Christen seyn konnten, da sie von keinem praktischen Christenthum und keiner moralischen Religion gewußt hatten. Man eilte diese moralische Religion, die gerade recht zu der Immoralität der Zeit gekommen 20 war, überall zu verschreiben; und weil die einfachsten Medizinen die besten seyn sollen, so mußte auch diese so rein wie möglich, und ohne die Zusätze des Positiven gegeben werden. Alles Geschichtliche, Symbolische, Mystische suchte man zu verdrängen, weil man nun ein lauteres und klares Panacee 26 gefunden hatte. 25 Mir schienen hierinn die Katholiken gescheider, als die Protestanten zu verfahren: denn die erstern warfen jetzt brevi manu und mit einem kategorischen Imperativ als Ballast über Bord, worüber die anderen sich ein halbes Jahrhundert lang, und mit Foliantengelehrsamkeit gequält hatten, wie es hinaus geschafft werden könne. 30 Rotweil. J o h . S e b a s t . D r e y . Professor. <?page no="129"?> 97 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) II. Bemerkungen über den durch Hrn. Professor Drey zu Rotweil eingesendeten Aufsatz. A. Joseph Mets Ueber Nro. 1. 5 Der vorliegende Aufsatz enthält nur eine allgemeine Uebersicht, doch leuchtet aus derselben der besondere Geist, und die eigene Tendenz ganz klar hervor. Die Schrift kündiget sich in hohem Grad a n m a ß e n d , a b s p r e c h e n d , i m p o n i e r e n d durch blendende Formen an, ist aber im Ganzen sehr e i n s e i t i g . Es wird darinn der jedesmalige bessere Zeitgeist nicht genug 10 gewürdiget, und der allgemeine, ununterbrochene Erziehungsplan Gottes mit den Menschen, hie und da ganz übersehen; über die heiligen Urkunden des Christenthums mit zu weniger Achtung weggesehen, dabey der Mystizismus allein als der allmächtige Retter und Erlöser der Menschheit zu allen Zeiten, und von allen Uebeln vorgestellt. Wahrhaft religiöse Menschen gab es, hatte 1 15 der Verf. recht, ausser der auserwählten Zahl der Mystiker keine, und kann 28 auch keine geben. Was aber der Mystizismus eigentlich sey, wird nirgends deutlich genug ausgesprochen, obgleich er der eigentlich wahre Geist des Christenthums seyn soll. Ueber Nro. 2. 20 1) Der wahre, lebendige Organismus des Christenthums bestehn 2 dennoch im Mystizismus? und alles Verderben der Menschen rühre allein vom Abweichen vom Mystizismus her? Ausser dem Mystizismus wäre kein Heil, und alle Bemühungen der Gelehrten zu allen Zeiten waren eitles Werk, Irrthum und todter Buchstabe. 25 So hätte also der heilige Stifter des Christenthums, eigentlich nicht das Christenthum, sondern den Mystizismus gestiftet, und Er selbst wäre der erste Mystiker gewesen − ? Er, der doch seine Lehre so einfach, so natürlich, so allgemein faßlich aussprach? 2) Einerseits werden der Gang und die Schicksale der Theologie sehr treffend 30 und lehrreich gezeichnet, zugleich aber werden auch gewagte ungegründete und ungerechte Behauptungen ausgesprochen − welche der bessern Natur des Menschen, dem Zwecke des endlichen Geistes, welcher im ewigen Fortscheidten 3 bestehen muß, widersprechen. Sonderbar und neu ist die Behauptung, daß ausser dem Mittelalter, ausser der barbarischen Schule dieser Epo- 35 che, in Hinsicht der Theologie nie eine eigentliche wissenschaftliche Form 1 wohl für: hätte 2 wohl für: bestehe 3 wohl für: Fortschreiten <?page no="130"?> 98 Bemerkungen von Joseph Mets bestanden habe? Diesem Zeitalter waren sonst überhaupt die wissenschaft- 29 lichen Formen am wenigsten eigen. 3) Dem Verf. aber ist das Mittelalter − vermuthlich das eilfte, zwölfte und dreyzehende Jahrhundert − das eigentliche Zeitalter der Scholastik besserer Art und der i n n i g s t e n R e l i g i o s i t ä t . 5 In diesem goldenen Zeitalter hätte sich nach dem Urtheile des Verfassers das Christenthum aller Sinne und Vermögen des Geistes bemächtiget; da herrschte eigentlich der Geist des Christenthums, und der wahre Geist des Christenthums war eigentlich Geist der Zeit... Der Beweis davon möchte für den Verf. eine schwere Aufgabe seyn, wenn er nicht einseitig ausfallen soll. 10 Die Epoche des Christenthums bey seinem Ursprunge, unter der unmittelbaren Leitung des göttlichen Stifters, und seiner Apostel und ersten Jünger. Diese Epoche wird gar nicht berührt, da hätte also der wahre Geist des Christenthums noch nicht so ganz geherrschet. F r ü h e r und s p ä t e r ! als wie im Mittelalter − hätte der lebendige Organismus des Christenthums nicht 15 geherrschet? 4) Vom Christenthum allein konnte die wahre Philosophie und alle Kultur ausgehen − wahr und falsch zugleich, je nachdem die Sache angesehen wird; − Christus hat sich nirgend als eigentlichen Philosophen angekündiget; Er war aber die Weisheit selbst; − und daß alle K u l t u r vom Christenthume 20 ausgieng, dafür mögen in der Geschichte die Beweise kaum zu finden seyn; denn vor dem Christenthum hatte, was gewöhnlich Kultur genannt wird, 30 einen hohen und glänzenden Grad erreicht. 5) Die Religion begründe die Philosophie − Religion aber hafte im G e m ü t h e , und nicht im Verstande − also konsequent: Religion begründet eine 25 Philosophie ohne Verstand, eine Philosophie des Gemüthes, als wenn Religion nicht den ganzen Menschen mit allen seinen Kräften in Anspruch nähme, und nur durch das medium des Verstandes in das Gemüth übergienge − nihil est volitum, quod non sit antea cogitatum, bleibt unveränderlicher Grundsatz; und das Wesen der wahren Religion wird doch nicht bloß in der müßigen 30 Empfindung bestehen, sondern sich nothwendig auch in Gesinnung und Thaten aussprechen müssen, wie in dem Vorbilde Jesus selbst? 6) Die ersten Denker, jener Zeit des Mittelalters, suchten die innere Anschauung ihres Glaubens durch Begriffe festzuhalten und näher zu bestimmen − das ist aber doch gewiß eine Operation des Verstandes, und müssen nicht 35 alle Denker aller Zeiten so verfahren? ist dieses ein eigenthümlicher Vorzug jener Zeiten? − Sonderbar! Jenen Auserwählten war Philosophie und Theologie nur ein Spiel ihres erwachenden Verstandes − mehr bedurften sie nicht; denn die Ueberzeugung von den Lehren des Christenthums hatten sie anderwärts her; 40 − Woher wohl? Aus der Quelle der Mystik? und ohne das Geschäft des Denkens? Wozu denn noch ein Denken, ein Verstand überhaupt? <?page no="131"?> 99 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) 7) Das Denken wäre dem Philosophen des Mittelalters nur ein Spiel des 31 Verstandes wichtig und interessant gewesen? wozu aber ein Denken, des bloßen Denkens, nur des angenehmen Spieles wegen? Solch Spiel unterbleibe lieber, wenn es nur ein Spiel ist; aber mit so erhabnen und ernsten Dingen soll wahrlich keine Schule spielen wollen. Religion ist Licht und Wahrheit − setzt 5 wesentlich im Menschen Verstand und Vernunft voraus, wenn der ganze Mensch und all sein Thun, nicht ein blindes Spiel seyn soll. 8) Zweifler und Ungläubige gab es damals nicht − das war freylich ein auserwähltes, heiliges Volk, und ein wahrhaft goldenes Zeitalter − wo Niemand zweifelte und Niemand ungläubig war − wie denn auch nur unter den 10 Menschen Zweifler und Ungläubige entstehen konnten? Zu den Zeiten der Apostel gab es schon Zweifler und Ungläubige genug? − und es gab ihrer wohl in allen Epochen, wenn man die Geschichte unpartheyisch durchgehet... 9) Nach dem Urtheile des Verfassers herrschte nur im Mittelalter wahre, und 15 würdige Philosophie und Theologie − diese entstand eigentlich in dieser Epoche; − Wo finden sich aber die K l a s s i k e r darüber? − Aus dem heiligen Drange der lebendig religiösen Anschauung − die von Jenen nothwendig religiös und christlich ist − nach Aussen aber in Begriff und Wort dargestellt, als Dialektik erscheinen muß, soll wahre Philosophie und Theologie entstan- 20 den seyn. Dahin weiset der Verfasser zurück − als an die reine Urquelle, und 32 alle spätern Fortschritte und Bemühungen der edelsten Menschen sind ein Abweichen von der Quelle, ein Abfall von der Wahrheit. Muß so ein Urtheil nicht in höchstem Grade entehrend für die bessere Menschheit, und für den bessern Genius aller Zeiten seyn? 25 10) Die eigentlichen Geistesmänner, und das auserwälte Volk dieser Zeit − waren aber nur die M y s t i k e r − nur diese waren vom rein religiösen und christlichen Geiste beseelt? (ob wohl auch ein P a u l u s unter die Zahl dieser Auserwählten gehören mag? von Christus selbst nichts zu melden.) »Nur wer in allem Zeitlichen und Endlichen eine Allegorie und Deutung des Göttlichen 30 sieht, und von keinem Wesen der zeitlichen Dinge spricht − − « 4 Wer aber sieht in allem Endlichen, nicht die Spur des Göttlichen, und welcher Vernünftige hält dann die Spur für das Wesen Gottes selbst? Wie oft entlehnt nicht der göttliche Lehrer des Christenthums Bilder aus der Natur, um seine Lehre bildlich darzustellen? − Die Mystiker aber reden gar nicht von 35 einem eigenen Charakter oder Wesen der endlichen Dinge? Doch reden sie von ihnen, wie andere auch, und tausendmal wird der Mensch durch seine Natur veranlaßt, von endlichen Dingen zu sprechen, da er sich auch endlich fühlet − und in diesem Gefühle eigentlich erst den Unendlichen anzubeten vermag. − 40 4 Zitat nicht wörtlich; vgl. oben p. 10 <?page no="132"?> 100 Bemerkungen von Joseph Mets 11) Der Mystiker kennet die Natur schon anders, woher besser, als durch die Natur − nämlich in dem ewigen Willen Gottes, und in der Ordnung Gottes? 33 Aber Christus hat ja vorzüglich diesen ewigen Willen Gottes und die Ordnung geoffenbahret, und machte doch immer auf die Spuren dieser Ordnung in der Natur aufmerksam, und ist dann die Fassungskraft des Menschen 5 u n e n d l i c h ? Allerdings ist die Natur, zumal für unsere beschränkte Kenntniß von ihr, zu sehr Stückwerk, und die zeitlichen Erscheinungen geben keine richtige Auskunft. − Aber ist es nicht unstreitig, daß die Erkenntniß des Menschen der Natur oder der Sinnenwelt bedürfe, als daß sie nicht von der Aussenwelt allein abhänge? Ist und bleibt sie übrigens nicht immer ein Stück- 10 werk? oder wer vermag die Ordnung Gottes im Ganzen zu überschauen? 12) Nur die Losgebundenheit von dem s o g e n a n n t e n R e a l e n − macht es allein möglich, sich auf die eigentliche Höhe der Philosophie zu erheben; wohl! aber muß nicht auch der geistreichste und tiefsinnigste Philosoph von der höchsten Höhe wieder in das Reich des sogenannten Realen sich herab- 15 lassen, und macht er nicht immer einen Theil desselben aus. Wie kann er sich also je ganz davon losreissen? − 13) Muß die Wissenschaft nicht nothwendig auch zum Empyrischen herabsteigen? oder steigt sie nicht erst vielmehr vom Empyrischen in die eigentliche Geistessphäre? Warum sollte sie sich, wenn sie sich einmal mit dem Empy- 20 rischen befaßt, nicht mehr davon losmachen können? dann würde wohl unter Menschen alle Wissenschaft unmöglich. 14) Seit dem Mittelalter lebt die philosophische Scholastik nicht mehr. − 34 »Weil sie nicht mehr in der Anschauung des Göttlichen haftet? « 5 − Eine harte und ungerechte Beschuldigung. Soll denn unser Zeitalter mit den frühern, der 25 Anschauung des Göttlichen ganz beraubt seyn? »Eben so wenig dringet die Philosopie durch − bis zur klaren Erkenntniß des Endlichen in der Erfahrung? « 6 − Doch wenigstens die, zu welcher der Verfasser sich bekennt? und wie viel ist nicht eben in dieser Hinsicht seit dem Mittelalter geleistet worden! der Blick derjenigen, die sehen wollen, hat sich erweitert, und es sind dicke 30 Nebel vor ihm verschwunden. 15) Aber alles ist nur leeres Wortspiel ohne Gehalt und Bedeutung? − wohl Vieles; aber denn doch nicht Alles − und vielleicht auch nur deßwegen, weil das Element des Mystizismus, als das Universal-Lebens-Element mangelt, und ausser diesem alles Gehaltlos ist? 35 16) Vernunft und Offenbarung sollen wohl nie als Gegensatz genommen werden, aber wo geschieht denn dieses so allgemein? Auch sind immer Theologen und Philosophen, wenn sie rechter Art sind − in steter Harmonie und nicht im Widerspruche begriffen − den Glauben 5 Zitat ungenau; vgl. oben p. 11 6 Zitat ungenau; vgl. oben p. 11 <?page no="133"?> 101 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) bestärken helfen durch philosophische Gründe − ist ein Beweis dieser Harmonie mehr. − 17) Alles trug bey, das alte, ehrwürdige Kunstwerk aus den Zeiten der erwachenden christlichen Kultur aufzulösen, und zu verdrängen. − Aber in 35 was bestund denn eigentlich diese Kultur? und soll diese Kultur der erst 5 erwachenden Menschheit, die Kultur der Menschheit überhaupt seyn und bleiben, und Fortschreiten soll keines statt haben? vielmehr soll alles Heil der Menschen nur im Zurückschreiten auf die Stufe des goldenen Mittelalters − allein zu finden seyn − arme Menschheit, verdammt zum ewigen Zurücksinken von der höhern Stufe zur niedern − zum Verirren auf den Bahnen des 10 redlichen Strebens noch Weisheit, um nach Jahrhunderten − nach Millionen vergeblichen Versuchen, in der Mystik, des Mittelalters wieder zur wahren Religion und Philosophie zurückzukehren? Ueber Nro. 3. Es erfolgte also endlich eine gänzliche Auflösung und ein gänzlicher Abfall 15 von der wahren Kirche und der Wahrheit; die Pforten der Hölle hätten also doch gesiegt über die Kirche − mit dem 15ten Jahrhundert, bis in unsere Zeiten, läge die Welt im Argen. − Das glückliche Zeitalter war vorüber, und damit gieng a l l e F ü l l e innerer Anschauung und Empfindung, alle Einfalt der Begriffe und der Sitten, die 20 Anmuth der Erfahrung der äussern Bildung zu Ende u. s. w. Eine herrliche Grabschrift auf die Menschheit späterer Jahrhunderte! ! und Gott endigte seine Erziehung der Menschheit mit dem Mittelalter? und überließ dann die Menschheit ihrem eigenen Schicksale? Welch einseitige und unwürdige Ansicht des Ganzen? Die Menschen sollen 25 36 in jeder Hinsicht in ewiger Kindheit verharren, und wenn sie sich weiter wagen wollen, verirren sie sich − und müssen wiederkehren in Kindesalter − und sich dahin leiten lassen, durch den erlösenden, rettenden Mystizismus. 17) 7 Den ersten Anstoß erhielt die Jugendkraft dieser neuen Zeit durch die Denkmäler altgriechisch und altrömischer Kunstwerke − des Geschmackes 30 und Kunstsinnes. Die Mystik liebt doch die Aesthetik, mithin hätten ihr diese Werke eher zusagen sollen! aber nein! diese schönen Meisterwerke der Kunst − hätte man vor der erwachenden Jugend des Mittelalters − und später noch − sorgfältig verbergen sollen, um sie der Kindheit nicht zu entreissen − um die Theologen 35 nicht zu blenden, − Eine neue Lehre! diese Kunstwerke waren für die Menschheit verderblich, und untergruben die bessere Scholastik. − Diese wich und man huldigte den schönen Künsten. 18) Wohl hat man der Kirche vielfältig ihre Authorität geraubt, aber der Verfasser setzt diese ungebührlich weit über die Authorität der heiligen Ur- 40 kunden, die für die Kirche selbst die höchste Authorität haben. 7 Zählung wiederholt, vgl. oben p. 34 <?page no="134"?> 102 Bemerkungen von Joseph Vitus Burg 19) »Das Christenthum wie es in der Kirche l e i b t e und lebte − gieng ganz verloren.« 8 − Das L e i b e n mag eher aufgehört haben; aber das L e b e n und der Geist des Christenthums waltet noch − wenn nicht in Allen − doch in Vielen. . . 20) Die ganze Exegetik mit aller Sprachkenntniß − verwirft der Verfasser 5 37 unter die elenden Zufälligkeiten ohnen allen Werth. − Wer wird dann ohne dem künftig den Geist der Urkunden noch richtig auffassen und verstehen können? − Der Verfasser sieht dieses edle Bemühen als eine Profanation des Heiligen an − als wenn nicht eben durch Blindheit das Heilige am meisten profanirt und herabgewürdiget werden müßte. Die Wahrheit läßt sich doch 10 nicht empfinden, ehe sie als solche erkannt wird? 21) Mystiker waren noch die einzigen Retter, ausgehend vom lebendigen Organismus der Kirche. − Hier zeigt aber der Verfasser ganz richtig den Abweg, auf dem auch diese sich vereinen: wenn sie nehmlich ihre subjektive Anschauung zur objektiven allgemeinen Glaubensregel erklären. − Aber die- 15 ser Irrthum ist eben der Mystik so oft eigen. . . J o s . M e t s , Bischöfl. Geistl. Regierungsrath. B. Joseph Vitus Burg Die Abhandlung des H. Professors Drey: R e v i s i o n d e s g e g e n w ä r t i g e n 20 38 Z u s t a n d e s d e r T h e o l o g i e , macht allerdings dem Herzen ihres Verfassers Ehre, denn sie ist ein deutlicher Beweis seiner religiösen Gesinnung, wenn gleichwohl seine ganz eigene philosophische und theologische Ansicht einseitig und nicht gründlich ist. Er sieht, was viele seiner Zeitgenossen mit großem Bedauern wahrnehmen, daß der Glaube an das Uebersinnliche immer 25 schwächer, innige Religiosität und feste Ueberzeugung von der Wahrheit positiver Religion immer und fast mit jedem Tage, besonders bey der sogenannten gelehrten und gebildeten Menschenklasse seltener werde. Eine Beobachtung, die sich jedem Menschenkenner von selbst aufdringt, und in der täglichen Erfahrung unläugbar gegründet ist. Die Ursache hievon glaubt der 30 Verfasser darinn zu finden, daß die Vernunft, die ehemals, wo die Theologie noch schulgerecht behandelt, und mit dunklen Spitzfindigkeiten vorgetragen wurde, ganz unter der Herrschaft des Glaubens stand, in unserm Zeitalter nun keine höhere Autorität mehr anerkenne, sondern sich selbst das ausschließliche Recht anmaße, auch sogar in Glaubenssachen höchste Schiedrichterinn 35 39 8 Zitat ungenau; vgl. oben p. 17 <?page no="135"?> 103 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) zu seyn, wodurch alle positive Religion, die doch den Bedürfnissen und Anlagen der menschlichen Natur einzig und allein entsprechen kann, durch den kalten, unbestimmten, unfruchtbaren, und für den Menschen, wie er wirklich ist, unzureichenden Rationalismus verdrängt werden müßte. Er glaubt in der Geschichte der Theologie hinlängliche Beweise zu finden, daß 5 die Religiosität in dem Verhältnisse bisher abnahm, in welchem die schulgerechte Lehrmethode der Theologie, so wie sie nämlich nach dem Zeitalter der Kreuzzüge in den damaligen Mönchsschulen bestand, in Abgang kam, und daß der Rationalismus seine anmaßende Herrschaft um so weiter ausdehnte, je weiter die Theologen sich vom Mystizismus entfernten. Er drückt sich frey- 10 lich nicht deutlich aus, was er unter Mystizismus verstehe; es scheint aber, daß er nicht die reine Mystik, jenes religiöse Gefühl, das in der ganzen Schöpfung, vorzüglich aber in der positiven Offenbarung die Gottheit wahrnimmt, und sich mit inniger Liebe von ihm hinreißen läßt, meyne, sondern vielmehr eine unbegränzte Phantasie-Religion, die das Gemüth mit eigen erschaffenen Bil- 15 dern und Mythen beschäftiget und affiziert. Von diesem Standpunkte aus untersuchte er die Schicksale der Theologie und ihre verschiedenen Systeme, von der Zeit des Petrus Lombardus an, des Vaters der Scholastik, die nach seiner Meynung das goldene Zeitalter der wissenschaftlichen Theologie genennt werden sollte, bis auf unsere Zeiten. Er 20 ist einmal in diesen Gesichtspunkt verliebt, daher ist auch seine Darstellung 40 so sonderbar, und daher scheint er auch die Absurdität derselben nicht zu bemerken. Was kann er mehr thun, als seinem Lieblingsgegenstande selbst das Ansehen der hl. Schrift, diesen allgemein anerkannten göttlichen Urkunden zum Opfer zu bringen? So weit gieng noch kein Scholastiker; die Vernunft 25 will er nichts gelten lassen; die hl. Schrift findet er mangelhaft und unzulänglich; woran soll sich der Mensch nun halten, um den Weg zu seinem Ziele zu finden? an die Mystik, sie soll ihm Licht und Trost seyn. Lehrten Bonzen, Alrunen, Derwische, Flagellanten, Münzer und andere Schwärmer nicht ähnliche und vielleicht noch gesündere Grundsätze? Welch ein Elend würde über 30 die Menschheit kommen, wenn die Phantasie, die meistentheils eine Dienstmagd der erhitzten Sinnlichkeit ist, die Autorität der Religion hätte! Wo wäre Sicherheit des Eigenthums, Sicherheit der Unschuld, Sicherheit des Lebens, Sicherheit des Thrones, Sicherheit der ganzen bürgerlichen Ordnung? Er nennt selbst die Theologie jenes von ihm gepriesenen Zeitalters ein Spiel der 35 Phantasie, wünscht aber doch, daß man zu diesem tändelden Spiele zurückkehren möchte. Warum dies? Weil er glaubt, daß mit diesem Spiele der mystische Geist und die religiöse Denkungsart jener rohen und barbarischen Zeiten wieder zurückkehren würden, ohne dabey zu bemerken, daß dadurch der Zustand weit schlimmer werden müßte, weil die indessen der Minder- 40 41 jährigkeit entwachsene Vernunft an jenem Spiele keinen Unterhalt mehr finden könnte. Jedes nachherige Bemühen, Licht in das zu jenen finstern Zeiten <?page no="136"?> 104 Bemerkungen von Joseph Vitus Burg gebaute Lehrsystem zu bringen, scheint ihm ein verwegener Eingriff. Soll also Christenthum und Glaube an geoffenbarte Religion ferner fortbestehen; so müssen, dies gehet aus der ganzen Abhandlung deutlich hervor, dem immer weiter greifenden Rationalismus durch den Mystizismus Schranken gesetzt werden. Ein Mittel, das, wenn es auch so leicht angewendet werden 5 könnte, der positiven Religion weit gefährlicher wäre, als selbst der Rationalismus. Dieser erkennt selbst in Glaubenssachen doch die Vernunft als Schiedsrichterinn, und gestehet aber zugleich ein, daß sie begränzt und betrüglich ist; jener hingegen verwirft alle Gründe der Vernunft, und begnügt sich mit den Träumen seiner Einbildung, in welchen er ruhig schlummert, 10 und sich an seinen frommen dunklen Gefühlen erquickt, wenn er nicht von außen gestört wird, um zu den schrecklichsten Unternehmungen aufzuwachen. Beyde Extreme führen ins Verderben, und entfernen sich gleichweit vom Geiste des Christenthums, obschon auf ganz entgegen gesetzten Wegen. Der Rationalismus leitet zum Unglauben, der Mystizismus zur Superstition, 15 Separatismus, Intoleranz und Fanatismus. Würde letzterer wieder herrschend, die Barbarey vergangener Jahrhunderte käme ganz gewiß mit allen ihren Schreckensszenen wieder zurück, und wer würde dabey mehr verlieren, als die von Jesus Christus gestiftete Kirche? Man muß ganz fremd in der Geschichte 42 seyn, wenn man das läugnen wollte. Die christliche Religion, die Gott im 20 Geiste und in der Wahrheit anbethen lehrt, und sich auf die Worte und Beyspiele Jesu allein stützet, hält sich in der Mitte, sie ist gleich weit von Unglauben und Aberglauben entfernt. Wenn sie dem Verstande seine Gränzen festsetzt; so läßt sie ihm innerhalb derselben seinen Wirkungskreis. Mit frömmelnden Empfindungen und süßen Gefühlen tändelt sie nicht, sie will aber, 25 daß das empfindsame Herz von der Schönheit der Tugend durchdrungen werde, und mit freudigem Muthe belebt sey, jede Gattung der Aufopferung zu machen, wenn ein Befehl der Religion soll vollzogen, oder eine Eroberung für das Reich Gottes soll gemacht werden. Sie scheut auch das Licht der Vernunft nicht, im Gegentheile, sie will von demselben überall beleuchtet 30 werden, so wie sie das Feuer des empfindsamen Herzens stets unterhält. Der Verstand des Menschen strebt durch natürliche Anlage nach Wahrheit, und bedarf wirksame Motive zur Ueberzeugung; das Herz, durch tausenderley Eindrücke beunruhiget, bedarf einer sichern Richtung zur Beruhigung. Rationalismus kann dies nicht leisten; dies giebt nur eine Religiosität, die aus 35 dem ächten Christenthume hervorgehet. Vernunftreligion wird daher nie die katholische, das ist, allgemeine Religion werden, denn sie liegt nicht in der Absicht des Schöpfers; aber Mystizismus wird auch nie die Religion vernünftiger Menschen seyn können. Die wissenschaftlichen Lehr-systeme werden 43 sich mit jedem Zeitalter ändern; aber nur die Form, nicht aber die Sache wird 40 dabey verloren gehen. Und sollte sich auch der menschliche Verstand verirren, und die Phantasie Thorheiten gebären; so werden daraus nur neue Beweise für <?page no="137"?> 105 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812) die Wahrheit der christlichen Religion hervor gehen, welche ewig die nemliche bleibt. Wenn rationelle Theologen unsers Zeitalters, vielleicht in der besten Absicht, um manchen Spöttereyen und Verläumdungen frivoler Menschen zu begegnen, die Lehren des Christenthums mit Beseitigung des Wunderglaubens auf eine ganz natürliche Weise darzustellen suchen, und wir 5 dabey bemerken müssen, daß dadurch der wahrhaft religiöse Sinn unter den Christen abnehme, und das Christenthum zu kalten Spekulationen herabgewürdiget werde, wie selbst der berühmte Zeichner unsers Zeitgeistes sich ausdrückt; so wollen wir darum unsre Zuflucht zu keinem entgegengesetzten und desperaten Mittel nehmen, und wieder in die Finsternisse der rohesten 10 Zeiten des Mittelalters zurücke kehren. Tugend und Wahrheit stehen immer in der Mitte. Jene Mystik, die uns Jesus lehrte: »Gott ist ein Geist, und will im Geiste angebethet werden; wenn dich dein Aug ärgert; so reiß es heraus; wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt; so halte ihm auch die linke hin; wer dir Böses zufügt, dem thue Gutes, u. s. w.« Jene Mystik, die uns sein vor- 15 trefflicher Schüler lehrte: »ich bin um Christi willen ein Thor geworden; ich bin Allen Alles geworden, um Alle zu gewinnen; wer die Güter dieser Erde ge-braucht, sey, als brauche er sie nicht; wenn ich glaubte meinen Bruder zu 44 ärgern mit Etwas, was ich auch nach meiner Ueberzeugung nicht für böse hielte; so würde ich es in Ewigkeit nicht thun u. s. w.« Jene erhabene ächte 20 Mystik des Evangeliums wollen wir hochachten, damit unsern Verstand und Phantasie beschäftigen, und von dem, der seine Kirche auf Felsen gründete, sicher erwarten, daß in derselben die wahre Religiosität nicht werde verloren gehen. B u r g , 25 geistl. Regierungsrath und Commissär. <?page no="139"?> Text Nr. 2: Geschichte des Katholischen Dogmensystems. I. Band. Geschichte der drey ersten Jahrhunderte oder 1te Periode. Mit Benutzung von Münschers Handbuch dargestellt von J. S. Drey Pr. 1812-1813. [Dogmensystem] Teil A: Einleitung von Winfried Werner I. Bibliographische Angaben 1. Das Autograph Das Manuskript (Autograph) J ohann S ebastian D reys , das in seinem wissenschaftlichen Nachlaß erhalten geblieben ist, trägt auf dem vorderen beweglichen Vorsatz den eigenhändigen Titel: Geschichte des Katholischen Dogmensystems I Band Geschichte der drey ersten Jahrhunderte oder 1 te Periode. * Mit Benutzung von Münschers Handbuch dargestellt von J. S. Drey Pr. 1812-1813. Das 209 beschriebene Seiten umfassende Autograph wird in der Bibliothek des Wilhelmsstifts in Tübingen unter der Signatur Hs Gf 1081 aufbewahrt (Manuskriptbeschreibung unten Ziff. II.1). Als Arbeitstitel wird die Bezeichnung Dogmensystem (DS) verwendet. 2. Erstdruck J ohann S ebastian D rey , Ideen zur Geschichte des katholischen Dogmensystems, in: Geist des Christentums und des Katholizismus. Ausgewählte Schriften katholischer Theologie im Zeitalter des deutschen Idealismus und der Romantik. Herausgegeben, eingeleitet und erklärt von Joseph Rupert Geiselmann (Deutsche Klassiker der katholischen Theologie aus neuerer Zeit. Hg. von H einrich G etzeny . 5). Mainz 1940, 235-331; 455-465 (Anmerkungen D reys und G eiselmanns ) und 481-482 (Erläuterungen G eiselmanns ). Der Text des Manuskripts D reys wurde von G eiselmann unter dem vom Haupttitel des Originals abweichenden Titel Ideen zur Geschichte des katholischen Dogmensystems versehen und von ihm in dem genannten Sammelband mit ausgewählten Schriften D reys und anderer Autoren zum ersten und bisher einzigen Mal der Forschung im Druck zugänglich gemacht. D reys Text ist bei G eiselmann in modernisierter Orthographie wiedergegeben. Im übrigen ist die Transkription weitgehend zuverlässig, abgesehen von dem durch G ei - <?page no="140"?> 108 Erläuterungen selmann veränderten Titel des Manuskripts sowie einigen Eingriffen in die Disposition D reys und der Wiedergabe der Marginalien 1 . 3. Kollegmitschrift Zu der von D rey im Sommer 1822 wohl letztmalig (siehe unten Ziff. II.2) gehaltenen Vorlesung zur Geschichte des Katholischen Dogmensystems ist eine Kollegmitschrift aus der Feder von F ranz J oseph M anz erhalten (Beschreibung unten im Anhang zu Ziff. II). Weitere Kollegmitschriften zu dieser Vorlesung D reys sind nicht überliefert. II. Erläuterungen Die Vorlesung J ohann S ebastian D reys über die Geschichte des Katholischen Dogmensystems nimmt in seinem Frühwerk (1812-1819) 2 im Hinblick auf seine Theorie der Dogmengeschichte und darüber hinaus für die Rekonstruktion seines »Systems der Theologie« 3 eine zentrale Stellung ein. Sie repräsentiert in ihrer Konzentration auf die Geschichtlichkeit des Christentums außerdem einen gewichtigen Baustein in der Grundlegung der Katholischen Tübinger Schule und ihrer theologischen Eigenart. Eine monographische Behandlung dieser Vorlesung, die ihrer werkimmanenten Bedeutung und ihrem theologiegeschichtlichen Rang angemessen wäre, gibt es bisher in der Dreyforschung nicht. Die nachfolgenden Erläuterungen können diese Lücke nicht auffüllen, sie sind als Handreichungen gedacht. 1 D rey gab dem Einleitungsteil (§§ 1-7; S. 1-45) die Teilüberschrift Ideen zur Geschichte des katholischen Dogmen-Systems. G eiselmann dagegen wählte die Formulierung »Ideen zur Geschichte des katholischen Dogmensystems« nicht nur als Gesamttitel (235; vgl. Inhaltsverzeichnis S. VI), er überschrieb damit auch die von D rey nachträglich angebrachten Marginalien der Seiten 1-4 und stellte sie in der Form einer Vorrede (236) dem ersten Paragraphen des Haupttextes voran. Dem Haupttext gab G eiselmann die im Original nicht vorhandene Überschrift »I. Band. Geschichte der drei ersten Jahrhunderte oder erste Periode« (237). Erst zu Beginn der »Anmerkungen« (einer diffusen Mischung aus Belegangaben und Marginalien D reys mit Bemerkungen G eiselmanns ) figuriert (versehentlich? ) der korrekte Originaltitel »Geschichte des Katholischen Dogmensystems« (455). Problematisch ist auch der Umgang G eiselmanns mit den Marginalien D reys . Sie wurden ohne erkennbaren Rang und ohne eindeutigen Bezug zum Haupttext in den Anmerkungsteil des Bandes verbannt und sind dort von den Anmerkungen des Herausgebers nicht eindeutig unterschieden. 2 Mit D reys Theologischem Tagebuch (siehe TüA 1), seinen Praelectiones dogmaticae (siehe TüA 2) und seiner Kurzen Einleitung in das Studium der Theologie (siehe TüA 3) wurden bereits 1997, 2003 und 2007 große Bestandteile seines Frühwerkes ediert. Die übrigen Schriften aus dieser Schaffensperiode sind mit den Texten Nr. 1 (Revisionsschrift), Nr. 3 (Millenniumsschrift), Nr. 4 (Beichtschrift), Nr. 5 (Oratio de dogmatum christianorum incremento) und Nr. 6 (Katholizismusschrift) im vorliegenden Band versammelt. Zu diesem Komplex gehört auch die Vorlesung zur Geschichte des katholischen Dogmensystems. Einschlägig für die programmatischen Zielsetzungen des Frühwerks sind aber auch die in Text Nr. 7 zusammengestellten Dokumente zur Gründungsgeschichte der Theologischen Quartalschrift. 3 Siehe dazu unten in Anm. 16 das Zitat aus D reys DS. <?page no="141"?> 109 Geschichte des Katholischen Dogmensystems (1812/ 13) 1. Manuskriptbeschreibung a. Zustand Das handschriftliche Original des DS ist in einfacher Fadenheftung gebunden. Es umfaßt 26 eigenhändig numerierte und voll beschriebene Bogen zu je acht Seiten in durchweg einheitlicher, guter Papierqualität (Seitenformat ca. 16,7 x 21 cm); das Manuskript weist somit einen Gesamtumfang von 208 Textseiten auf, hinzu kommt ein von D rey selbst auf dem Vorsatz gestaltetes Titelblatt. Die Paginierung ist von späteren Händen. Dinglich zeigt der Band starke Gebrauchsspuren, enthält aber (verglichen mit anderen Manuskripten aus dem Nachlaß D reys ) nur wenige Notizen und Markierungen von fremder Hand. Die heute erheblich beschädigte Bindung wurde von D rey wohl frühzeitig veranlaßt, die äußere Abnutzung kann aber nicht allein dem Autor zugeschrieben werden; der vierfach mit Schildern überklebte Rücken zeugt von wenig pfleglichen Nutzern des in der Bibliothek des Wilhelmsstifts benutzbaren Originals. b. Textanlage Das Manuskript wurde von D rey von Anfang an den Zwecken einer Vorlesungsgrundlage entsprechend gestaltet. Der Band ist durchgehend zweispaltig angelegt. Der erste Bogen ist durch senkrechten Knick in der Mitte in zwei gleich große Spalten geteilt. Auf Seite 1 steht der Haupttext auf der linken Spalte, die Marginalien sind auf der rechten Spalte plaziert; auf den Seiten 2-8 ist der Haupttext rechts, die Marginalien links. Bei den übrigen Bogen (2-26) ist durch Knick ein gut 4 cm breiter Außenrand abgetrennt; die einzige Ausnahme bildet der einspaltige Bogen 4 (S. 25-32). Durch diese Anlage wurden zwei Textebenen, der Haupttext und flankierende Marginalien, eingerichtet. Vereinzelte Hinweise im Text lassen vermuten, daß darüber hinaus eine dritte Textebene mit weitergehenden Erläuterungen, Kommentaren oder Korrekturen existiert hat, die im vorliegenden Manuskript nicht ausgeführt sind. Diese Hinweise, die oft den Charakter von Regieanweisungen haben (z.B. »Explicatur« 22; »* Nota. Verbessert.« 26; häufig nur »N.« oder »N B .« für »Nota bene« / »Nebenbemerkung«), entbehren in der Regel eines korrespondierenden Textes, den D rey möglicherweise nur mündlich oder nach Notizen auf losen und nicht erhaltenen Zetteln vorgetragen hat. c. Korrekturen D rey fertigte den Haupttext in aller Sorgfalt und ohne Anzeichen von Eile aus. Er ist in Schönschrift und weitgehend ohne Verwendung von Kürzeln und Abbreviaturen geschrieben. Er enthält auch auffallend wenig Korrekturen. Sie können verschiedenen Kategorien von Texteingriffen zugeordnet werden: (a) Quantitativ am häufigsten sind Berichtigungen von Fehlern, die <?page no="142"?> 110 Erläuterungen für eine Abschrift bzw. Reinschrift nach einer Vorlage typisch sind, wie etwa Ergänzung ausgelassener Wörter oder Tilgung von Verdoppelungen. (b) Eine geringere Anzahl von Korrekturen betrifft Rechtschreibung, Grammatik, Satzbau und Stil; auch in den beiden letzteren Fällen bleiben, abgesehen von der Verbesserung des Ausdrucks, Inhalt und Intention der Aussage unberührt. (c) Die zahlenmäßig kleinste Gruppe besteht aus inhaltlich relevanten Korrekturen. Sie sind meist nur auf einzelne Wörter bezogen; überwiegend handelt es sich um begriffliche Präzisierungen, deren sachliches Gewicht nicht immer klar zu valuieren ist, da sie oftmals mit unausgeführten Korrekturanweisungen (wie oben beschrieben) und weiteren Randbemerkungen verbunden sind 4 . (d) Eine letzte Gruppe von Korrekturen ist innerhalb der Paragraphenzählung und der Ordnungszahlen und -buchstaben angesiedelt und steht zum Teil in Zusammenhang mit Marginalien zur Überarbeitung der Disposition der Vorlesung im Laufe der Semester 5 . d. Marginalien Auch bei den Marginalien sind unterschiedliche Kategorien festzustellen: (a) Auf den Randspalten der Seiten 1-24 (§§ 1-4) finden sich stichpunktartige Aspekte und erläuternde Notizen, die eine Vorschau auf den Gedankengang der Einleitung geben und zugleich eine andere Disposition der einleitenden Paragraphen vornehmen 6 . Stichpunkte zum Gedankengang eines Paragraphen sind auch in einigen Passagen des Hauptteiles am Rand ergänzt. (b) Mit Abstand am häufigsten sind am Rand Literaturangaben und -nachträge notiert; an erster Stelle stehen Referenzen auf das im Titel des Vorlesungsmanuskripts genannte Handbuch von W ilhelm M ünscher 7 , die sich über das 4 Ein ungewöhnlicher Fall von Korrektur findet sich auf Seite 166: D rey übersetzt einen in seiner Vorlage abgedruckten griechischen Text von C lemens von A lexandrien ins Deutsche und bringt bei einer nachträglichen Revision seiner Übersetzung sieben Verbesserungen an. Diese Dichte von Korrekturen auf einer Seite wird im DS nicht mehr überboten. 5 Näheres dazu unten in Ziff. II.1.d (a) sowie in der Auswertung in Ziff. II.1.e. - Sämtliche Korrekturen werden im Editionsteil (Teil B) in der letztgültigen Textgestalt dokumentiert und im textkritischen Apparat erläutert. 6 Die veränderte Paragraphenzählung in den Marginalien der Seiten 1-4 entspricht weder dem Haupttext in D reys Autograph noch der Kollegmitschrift von M anz von 1822. Es ist nicht eindeutig auszumachen, ob sie sich auf eine dem DS vorausgegangene Konzeptfassung oder auf ein nachfolgendes Zwischenstadium der Vorlesung beziehen, letzteres ist auf Grund der etwa von D reys Praelectiones dogmaticae her bekannten Praxis naheliegend. 7 W ilhelm M ünscher , * 15.3.1766 in Hersfeld, † 28.7.1814 in Marburg; 1781-1784 Studium der Theologie in Marburg, 1789 Stiftsprediger, 1792 Prof. der Theologie, Konsistorialrat und reformierter Inspektor, 1811 Direktor des Philosophischen Seminars in Marburg, 1813 Wahl zum Rektor der Universität ebd.; einen auf S chleiermacher zurückgehenden Ruf an die neue Universität in Berlin lehnte M ünscher 1810 ab. Seine Beiträge zur Dogmengeschichtsschreibung fanden Beachtung, weil er als einer der ersten den dogmenhistorischen Stoff in einer zeitlichen Ordnung darstellte. - Hauptwerke: Lehrbuch der christlichen Dogmengeschichte. Marburg 1811; Kassel 3 1832-1838; Lehrbuch der christlichen Kirchengeschichte. Marburg 1804; 3 1826. - Das Handbuch der christlichen Dogmengeschichte war wegen einer bis dahin für die <?page no="143"?> 111 Geschichte des Katholischen Dogmensystems (1812/ 13) ganze Manuskript erstrecken. (c) Ergänzungen und Nachträge mit Belegstellen in der neutestamentlichen Literatur und besonders in Werken der Patristik sind vor allem auf den Seiten 68-119 (§§ 11-23) in großer Zahl festgehalten. (d) Worterklärungen, kleinere Erläuterungen und Zusätze zum Inhalt sind in unterschiedlicher Konzentration, insgesamt aber geringer Häufigkeit auf den Randspalten anzutreffen. Hierzu können auch die in Ziff. II.1.c (c) genannten Präzisierungen und Korrekturen gezählt werden. e. Auswertung der Befunde Das äußere Erscheinungsbild läßt darauf schließen, daß dem vorliegenden Manuskript eine (nicht erhalten gebliebene) Konzeptfassung vorausgegangen ist. Wenn die Datierung auf dem Titelblatt zutrifft - es gibt keine Indizien, daran zu zweifeln -, trat D rey im Spätherbst 1812 in Ellwangen mit einem sorgfältig ausgefertigten Vorlesungsmanuskript an, das schon in Rottweil entstanden sein dürfte. D rey benutzte das vorliegende Autograph während seiner Ellwanger Zeit 1812-1817 und danach auch noch in Tübingen als Grundlage und Arbeitsinstrument für Vorlesungen zu der im Titel angegebenen Thematik. Wechsel in Schriftbild und Tintenfarbe der Korrekturen und Nachträge bezeugen, daß D rey sein Manuskript mehrfach und zu verschiedenen Zeiten überarbeitet hat. Literaturnachträge reichen mindestens bis 1818. Gravierende sachliche Änderungen oder gar Retraktationen sind in den späteren Randnotizen und Korrekturen nicht erkennbar. Die unten im Anhang zu Ziff. II näher zu beschreibende Kollegmitschrift von F ranz J oseph M anz vom Sommer 1822 zeigt, daß die Korrekturen der Disposition in patristische Zeit nicht erreichten Fülle der Belege allgemein geschätzt. Es erschien in Marburg in vier Bänden: Bd. 1: 1797, verbessert und z.T. umgearbeitet 2 1802 (Nachdruck 1809), unverändert 3 1817 (Neusatz); Bd. 2: 1798, verbessert 2 1804 (Nachdruck 1809), unverändert 3 1818 (Neusatz); Bd. 3: 1802 (Nachdrucke 1804, 1809), unverändert 2 1818 (Neusatz); Bd. 4: 1809 (der Neusatz der Bde. 1-3 ist bei unverändertem Text nicht seitenidentisch mit der Vorgängerauflage). D rey benutzte davon hauptsächlich die Bände 1 und 2 in der zweiten Auflage, hat aber nach Erscheinen der dritten Auflage 1817/ 18 für seine Tübinger Vorlesung in seinem Manuskript teilweise die Seitenzahlen der neuen Auflage nachgetragen. Für die dogmengeschichtliche Vorlesung an der Ellwanger Friedrichsuniversität war seitens der Aufsichtsbehörde kein »Vorlesebuch« als Grundlage vorgeschrieben. D rey entschied sich für M ünschers Handbuch auf Grund der hervorragenden Materialsammlung, in der systematischen Anlage seiner Vorlesung ging er jedoch eigene Wege. Er lobt am Handbuch, daß hier eine Ordnung in der Geschichte der Dogmen erkannt wurde, kritisiert aber die bloß chronologische Systematik; eine Geschichte der Entwicklung der Dogmen müsse das System nicht in der Zeit, sondern »in den Dingen selbst finden« (Dogmensystem, § 2, p. 6 R - 7 R), wofür er gute Ansätze in G ottlieb J acob P lancks Geschichte der Entwicklung des protestantischen Lehrbegriffs sieht (ebd.). - In D reys Büchernachlaß: W ilhelm M ünscher , Handbuch der christlichen Dogmengeschichte. Bd. 1. Marburg 3 1817; ders ., Lehrbuch der Dogmengeschichte. 3 Bde., Kassel 3 1832 (siehe W erner , Büchernachlaß (wie Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 40) 432). - Zu M ünscher siehe: L udwig W achler , Über Wilhelm Münscher. Frankfurt a. M. 1814; Dr. Wilhelm Münscher’s Lebensbeschreibung und nachgelassene Schriften. Hg. von L udwig W achler . Frankfurt a. M. 1817; ADB 23 (1886) 22 (H einrich H oltzmann ); BBKL 21 (2003) 1044-1048 (M atthias W olfes ) (Lit.). <?page no="144"?> 112 Erläuterungen D reys Autograph in der Vorlesung von 1822 großenteils exakt zur Umsetzung kamen, in einigen Fällen aber schon überholt waren. f. Editorischer Hinweis Für die vorliegende Edition des Autographs von D reys Geschichte des Katholischen Dogmensystems gelten prinzipiell die Regelungen, die sich bereits bei der kritischen Ausgabe des in seiner Art vergleichbaren Manuskripts der Praelectiones dogmaticae D reys bewährt haben 8 . Besonders zu betonen ist der editorische Grundsatz der originalgetreuen Wiedergabe, der dem transkribierten Autograph den höchstmöglichen Informationsgehalt sichern soll. Abweichend davon ist die Behandlung von Abbreviaturen, Kürzeln und Verschleifungen von Endsilben in D reys Autograph zu nennen, die nun im Falle eindeutiger Lesbarkeit stillschweigend aufgelöst und nur in Zweifelsfällen als solche gekennzeichnet werden 9 . 2. Das Manuskript in der akademischen Lehrtätigkeit Dreys Das amtliche Lehrdeputat D reys umfaßte an der Friedrichsuniversität in Ellwangen die Fächer Dogmatik in Verbindung mit Dogmengeschichte sowie Enzyklopädie und Methodologie 10 . Ab 1814 hatte D rey zusätzlich und aus eigenen Stücken das Fach Apologetik als neue Disziplin eingeführt 11 . Als die Friedrichsuniversität 1817 in Form einer katholisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen einverleibt wurde, behielt D rey seine in Ellwangen vertretenen Fächer bei 12 . Laut Lehrplan war für den Ellwanger Studiengang bereits beim Vortrag der Dogmatik im 2. Kurs die Geschichte jedes einzelnen Dogmas zu berücksichtigen. Erst im 3. Kurs war in beiden Halbjahren eine jeweils zweistündige Vorlesung über die Geschichtliche Entwicklung des Katholizismus vorgesehen, die einen vertiefenden Überblick über die Dogmengeschichte in ihrem Zusammenhang geben sollte. Bei planmäßigem Studien- 8 Siehe dazu den Editionsbericht in TüA 2, 112*-120*. 9 Dies betrifft die Regeln ebd. B. 1.c, 113*, und B. 2.l, 115*. 10 Zur Lehrstuhl- und Fächereinteilung an der Ellwanger Friedrichsuniversität siehe die Königliche Verordnung, das General-Vikariat, die katholische Landes-Universität und das Priester-Seminar in Ellwangen betreffend vom 28.9.1812, in: T heodor E isenlohr , Sammlung der württembergischen Kirchen-Geseze. Dritter Theil. Enthaltend die katholischen Kirchen-Gesetze vom Jahre 1803 bis zum Jahr 1834 und die Einleitung in dieselben. Von J ohann J akob L ang (= A ugust L udwig R ey scher (Hg.), Vollständige, historisch und kritisch bearbeitete Sammlung der württembergischen Gesetze 10). Tübingen 1836, 409-411, Nr. 264. - Weitere Hinweise in der Bandeinleitung zu TüA 3, 122*-126*. 11 Das Datum 1814 nennt D rey im ersten Satz seiner Vorrede vom 1. Oktober 1837 zum ersten Band seines Werkes Die Apologetik als wissenschaftliche Nachweisung der Göttlichkeit des Christenthums in seiner Erscheinung. Erster Band: Philosophie der Offenbarung. Mainz 1838 ( 2 1844), 1. Aufl., S. III. - Weitere Belege: Tabelle der Prädicate zum 19.9.1814, UAT 44/ 173-31; Prüfungsankündigung vom 31.8.1814, UAT 44/ 173-29a; Matrikelbuch UAT 44/ 173-26, S. 49-51 und 62-64. 12 Siehe dazu Bandeinleitung zu TüA 3, 126*, bes. Anm. 10. <?page no="145"?> 113 Geschichte des Katholischen Dogmensystems (1812/ 13) verlauf hätte D rey seine Geschichte des Katholischen Dogmensystems in zwei Teilen insgesamt fünfmal gelesen. Als Prüfungsfach taucht diese Vorlesung jedoch nur zweimal in den Prädikatentabellen auf: 1813 und 1817; in den Jahren 1814 und 1815 sind die einschlägigen Aufgaben der Vorlesung Dogmatik in Verbindung mit Dogmengeschichte entnommen, die relevanten Prüfungsgegenstände von 1816 sind nicht überliefert 13 . Ob D rey die Geschichte des Dogmensystems auch 1814-1816 tatsächlich gelesen hat, ist bislang nicht geklärt. Die Form der Dogmatik in Verbindung mit Dogmengeschichte behielt D rey in Tübingen bis zur Entpflichtung vom Vortrag der Dogmatik im Sommer 1838 bei 14 . Die Geschichte des katholischen Dogmensystems dagegen ist in den Tübinger Vorlesungsverzeichnissen nur zweimal aufgeführt: im Sommer 1819 als zweistündige Vorlesung unter dem Titel: Geschichte der Entwickelung und Ausbildung des katholischen Dogmensystems, und im Sommer 1822 als vierstündige Vorlesung unter dem Titel: Geschichte der christlichen, besonders der katholischen Dogmen. Zu dieser überhaupt wohl letzten Vorlesung D reys zur Geschichte des Dogmensystems existiert als einziges studentisches Kollegmanuskript in dieser Disziplin die Mitschrift von F ranz J oseph M anz : Dogmengeschichte nach den Vorlesungen v. Herrn Prof. Dr. Drey. Tübingen, im Sommersemester 1822. F. Jos. Manz 15 . Somit kann insgesamt nur für vier vollständige Durchgänge durch die Geschichte des katholischen Dogmensystems ein sicherer Nachweis anhand amtlicher Dokumente geführt werden. 3. Inhaltliche Charakterisierung des Manuskripts D reys Manuskript Geschichte des Katholischen Dogmensystems weist zwei in sachlicher Hinsicht klar unterschiedene Teile auf, die in der Disposition aber von D rey nicht deutlich als solche gekennzeichnet sind. Der erste hat den Charakter einer weiter ausholenden Einführung, in der D rey sein Vorhaben in seinem eigenen, übergreifenden Systementwurf sowie in der Fachliteratur verortet (§§ 1-7; S. 1-45) 16 . Hier erhalten auch die theologischen Optionen, 13 Vgl. UAT 44/ 173-28, 29a, 31, 36, 38. 14 Zur Dogmatik im akademischen Lehramt Dreys insgesamt siehe Einleitung zu TüA 2, 14*-50*. 15 Vorstellung und Beschreibung der Kollegmitschrift von F ranz J oseph M anz unten in Ziff. III. Anhang. 16 Dazu D rey , Geschichte des Katholischen Dogmensystems: »Es gehört zur Consequenz meines Systems im Vortrage der Theologie, daß nachdem ich in der Einleitung die Nothwendigkeit und Wirklichkeit einer Offenbarung dargethan, nachdem ich ebenda die Idee des Christentums überhaupt dargestellt, nachdem ich in der Dogmatik dieselbe Idee in ihrem ganzen Umfang und in allen ihren Theilen erklärt habe, es gehört sage ich zur Consequenz meines Systems, daß ich in der Geschichte des Dogmensystems zeige, wie dieselben Dogmen in der ersten Verkündung des Evangeliums zwar schon ausgesprochen worden, aber in ihrem vollen Lichte anfangs noch nicht deutlich erkannt werden, sondern erst allmälig unter der Leitung eines göttlichen von Christus selbst verheißenen Princips zur Klarheit bestimmter Glaubenssätze, zur Natur eigentlicher Dogmen, und nach und nach zur Gestalt eines eigentlichen auch <?page no="146"?> 114 Erläuterungen die D rey bereits in der Revisionsschrift von 1812 angesprochen hatte, eine erhellende und schlüssige Verdeutlichung. Das eigentliche Thema aber ist die Geschichte des (katholischen) Dogmensystems, d.h. die Geschichte der Entfaltung der Dogmen in ihrer Gesamtheit und in ihrem Zusammenhang. D rey faßt die Dogmengeschichte als Geschichte eines »Systems«, das die einzelnen Dogmen in ihrer Verbindung zu einem einheitlichen Ganzen aufzeigt. Dieses System ist von einem inneren Geist belebt, und es ist das Werk einer stetig wirkenden Ursache. Dieses »lebendige Punctum saliens« im System (10) kann, wie ein System überhaupt, nur vernünftig gedacht werden. Die menschliche Vernunft ringt nach dem Absoluten, besitzt es aber nur in Anschauung und Idee. Zur »höchsten, d.h. religiößen Entwickelung und Ausbildung der [menschlichen] Vernunft« (14 f) bedarf es einer unmittelbaren göttlichen Offenbarung. Die Aufnahme dieser Offenbarung durch die menschliche Vernunft unterliegt selbst einer Entwicklung, die unter einer göttlichen Leitung steht; Ursprung und Entwicklung der Offenbarung folgen demselben göttlichen Plan. Daher geht D rey davon aus, daß das System der Dogmen »im ewigen Verstande Gottes empfangen, der menschlichen Vernunft nur mitgetheilt sei und unter der Leitung eines göttlichen Princips sich entfaltet habe« (13). Grundlegung und Entfaltung dieses Systems sind wiederum Werk Gottes und seines Geistes. Es ist D reys Überzeugung, »daß sich durch die ganze Geschichte des Menschengeschlechts ein ewiger Erziehungsplan Gottes hinzieht«, der dem Menschen in einer allesumfassenden Offenbarung kundgetan wird (17) 17 . Der im Titel des Manuskripts angesprochene katholische Charakter des Dogmensystems wird von D rey strikt ekklesiologisch gefaßt auf den theologischen Begriff des Katholizismus bezogen, gemäß dem die katholische Kirche »als Organ der göttlichen Offenbarung als ein verkörpertes System, das sich fortwährend von innen heraus durch die Regung eines unsichtbaren Geistes bildet und gestaltet. Ein großer und der größte Theil seines geheimen Wirkens offenbart sich uns in der Entfaltung des Dogmensystems« (19 f). In seiner 1819 erschienenen programmatischen Abhandlung Vom Geist und Wesen des Katholizismus (siehe Text Nr. 6) hat D rey diesen Aspekt thematisiert. Der erste Teil des DS enthält auch persönliche Bemerkungen zu seiner Einstellung zum Handwerk des Theologen, zu seinem Ethos und Selbstverständnis (bes. 16 f). Ausführungen dieser Art sind im Gesamtwerk D reys eine wissenschaftlich darstellbaren Systems gelangen konnten« (18 f; Hervorhebungen nicht im Original). 17 Mit diesem Religions- und Offenbarungsverständnis, das in D reys Werk immer wieder hervorleuchtet (vgl. Text Nr. 1: Revisionsschrift 12, 17, 21 u.ö.; Theologisches Tagebuch II 71-72 [TüA 1, Text 23*, 59-60], II 97-99 [TüA 1, Text 26*, 80-82]; Praelectiones dogmaticae III 47 [TüA 2, 334]; KE §§ 1-15; 16-28 [bes. § 27! ]; ThQ 1, 1819, 28; bis hin zu seiner Apologetik) fährt er die Ernte seiner Studien L essings (Entwicklungsmodell) und S chellings (Systemgedanke; Freiheit und Notwendigkeit in der Geschichte) ein. <?page no="147"?> 115 Geschichte des Katholischen Dogmensystems (1812/ 13) Seltenheit, sie sind für seine wissenschaftliche Biographie von erheblicher Bedeutung und wurden in der Dreyforschung auch entsprechend wahrgenommen und bewertet. Der zweite Teil des DS beinhaltet die materialen Ausführungen zur Entwicklung des katholischen Dogmensystems (§§ 8-33; S. 45-208). Er hat, wie im Titel angekündigt, die »Erste Periode« der Dogmengeschichte zum Gegenstand und umfaßt die Zeit von den Anfängen bis ins 4. Jahrhundert (in der Ekklesiologie und Sakramentenlehre [§§ 28-33, S. 137-208] mit Streiflichtern bis ins frühe Mittelalter). Auf dem Titelblatt ist das Manuskript als »I Band« der Geschichte des Katholischen Dogmensystems bezeichnet. Ein zweiter Band ist nicht erhalten und wird von D rey selbst im Gegensatz zu anderen verlorenen Handschriften auch nirgendwo erwähnt. Aus der Kollegmitschrift von M anz zur Dogmengeschichte nach den Vorlesungen v. Herrn Prof. Dr. Drey vom Sommer 1822 geht hervor, daß D rey genügend Stoff parat und wohl auch schriftlich fixiert hatte, um einen zweiten Band zu füllen. Damit ist die Frage nach der Existenz eines entsprechenden Manuskripts freilich nicht beantwortet. Die Sache liegt komplizierter. 1822 hatte D rey nicht nur die »Erste Periode« der Dogmengeschichte behandelt, sondern auch einen »Zweyten« und »Dritten Zeitraum« 18 . Der »Dritte Zeitraum« in der Vorlesung von 1822 (§§ 43-55) deckt sich aber materialiter mit der Ekklesiologie und Sakramentenlehre im Schlußteil von D reys Manuskript von 1812/ 13 (§§ 28-33). In einer Vorbemerkung zu § 28 legt D rey dar, worauf es ihm bei seiner Vorlesung ankommt: Nicht um materiale Vollständigkeit der zu behandelnden Lehren ist es ihm zu tun, sondern um den Aufweis einer inneren Logik ihrer Entwicklung und um die Rekonstruktion des Systems 19 . Aus den materialen Differenzen zwischen den 18 Siehe dazu die Hinweise in der Vorstellung der Kollegmitschrift von F ranz J oseph M anz unten im Anhang zu Ziff. II. 19 1812/ 13 hatte D rey die Aufnahme von Gegenständen späterer Epochen in die Behandlung der ersten Epoche folgendermaßen begründet: »1. Wir haben von § 23 bis daher fast durchgehends solche Lehren berührt, die ihrer Natur nach in der gegenwärtigen Periode ihre volle Bestimmung noch nicht erhalten konnten. Dieß ist besonders mit jenen Ideen des Christentums der Fall, die sich auf eine ferne Zukunft beziehen, und von Christus und seinen Aposteln selbst in einem geheimnisvollen Dunkel gelassen wurden. Aber insoferne sie neu waren - noch mehr insoferne dadurch eine große Idee des Judentums eine nähere Berichtigung erhielt, - besonders aber insoferne diese Berichtigung von christlichen Lehrern selbst nicht ganz begriffen wurde, und daher Discussionen eingeleitet wurden, konnten sie nicht unberührt bleiben. So sehen wir denn zu der sogenannten Eschatologie des Christentums die ersten Keime sich in dieser Periode entfalten, wenn auch gleich die weitere Entwickelung einer spätern vorbehalten bleiben mußte, ja sie bis jetzt nicht vollendet ist. - 2. Aus dem gleichen Grunde nun, warum ich die anfängliche Entwickelung jener Lehren noch in die erste Periode aufgenommen habe, habe ich auch die ersten Keime derjenigen Lehren noch darein aufgenommen, welche sich auf die Kirche und die Sacramente beziehen. - Der Grund ist, weil die Keime ihrer Entwickelung noch in diese Periode fallen - weil diese keimenden Dogmen ihre Gestalt und Erläuterung von den andern schon mehr entwickelten hernehmen, beide sich wechselseitig beleuchten - weil man sonst bei der fernern Darstellung immer wieder bis auf <?page no="148"?> 116 Erläuterungen Vorlesungen von 1812/ 13 und 1822 kann keine Änderung dieser Zielsetzung abgeleitet werden. Entscheidend ist der Gedanke der Entwicklung des Systems, der bei jeder Stoffauswahl transparent werden müßte. Ein zweiter Band zur Geschichte des Katholischen Dogmensystems wäre für diese Erkenntnisziele D reys kein besonderer Gewinn. Trotzdem ist an D reys Bezeichnung seines Manuskripts als »I Band« auf dem Titelblatt nicht zu rütteln. Vielleicht war dabei eine materiale Stofferweiterung als zweiter Band geplant 20 . Mit Blick auf das in drei Bänden überlieferte Manuskript D reys zu seinen Praelectiones dogmaticae (siehe TüA 2) ist jedoch auch denkbar, daß der zweite Band seines Dogmensystems nicht materiale Zusätze, sondern eine didaktisch weiterentwikkelte Fassung dieser Vorlesung enthalten sollte. 4. Zur Vernetzung der Vorlesung im Frühwerk Dreys Abgesehen von Verbindungslinien, die sich auf D reys Katholizismusbegriff und sein Verständnis des katholischen Systems beziehen 21 und von D reys Revisionsschrift (siehe Text Nr. 1) über seine Katholizismusschrift (siehe Text Nr. 6), deren Anfänge ebenfalls in der Rottweiler Zeit liegen 22 , bis hin zu seiner Kurzen Einleitung reichen (sie führt »das katholische System« im Titel und wurde zeitgleich mit dem DS entworfen), sind hier vor allem die Stellen im frühen Schrifttum D reys zu nennen, an denen er sich ausführlich oder zumindest in kürzeren, grundsätzlichen Äußerungen mit dem Thema der Geschichte des katholischen Dogmensystems befaßt: Die Millenniumsschrift (siehe Text Nr. 3) ist einem ausgewählten Thema aus der Eschatologie gewidmet; D rey geht hier gezielt der in der Forschung neu diskutierten Frage nach, ob J ustin als Zeuge dafür gelten kann, daß die Lehre vom 1000jährigen Reich allgemeine Lehre in der frühen Kirche war (vgl. dazu DS § 24, S. 119-122). In der Beichtschrift (siehe Text Nr. 4) skizziert D rey in § 1 den theoretischen Ausgangspunkt seiner anschließenden Einzelfallbehandlung und spricht dabei vom Hinzukommen neuer Lehren zum ursprünglichen System 23 . In seiner Kurzen Einleitung bestimmt er den enzyklopädischen Ort die ersten Zeiten zurückgehen müßte, folglich eine zu scharfe Trennung und daher Verwirrung der Materien entstehen würde« (DS 137 f). 20 In seinen Publikationsplänen in einer Ende 1812 entstandenen Tagebuchnotiz nannte D rey »Unter den Schriften, die zuerst erscheinen könnten« an fünfter Stelle »Eine pragmatische Geschichte des katholischen Dogmensystems« - jedoch ohne Bandzahl (Theologisches Tagebuch III 49 [TüA 1, Text 52*, 171]). Zum Wortlaut dieses Tagebucheintrag D reys siehe Einleitung zu Text Nr. 6, Anm. 78. 21 Die Ellwanger Vorlesung Geschichte des katholischen Dogmensystems trug im amtlichen Lehrplan, an dem die Professoren mitgewirkt hatten (dazu Bandeinleitung zu TüA 3, 126* f), die Bezeichnung Geschichtliche Entwicklung des Katholizismus (vgl. oben in Ziff. II.2). Diese Formulierung dürfte von D rey stammen. Er verwendet sie in seiner Vorlesung an zentraler Stelle (vgl. DS § 3, S. 17). 22 Näheres dazu unten in der Einleitung zu Text Nr. 6, bes. Ziff. II.7. 23 Siehe BS § 1 (S. 1): »Accedunt inde primitivo systemati novae eaeque uberiores doctrinae, accedunt nova lumina«. <?page no="149"?> 117 Geschichte des Katholischen Dogmensystems (1812/ 13) dieses Zweiges der Theologie (siehe TüA 3); es verdient Beachtung, daß D rey im Vorlesungstext des DS auf den entsprechenden Abschnitt des damaligen Entwurfs seiner Enzyklopädie verweist 24 . Sehr prägnante Äußerungen zum Thema Dogmengeschichte bzw. Dogmenentwicklung brachte D rey in seiner Oratio de dogmatum christianorum incremento von 1817/ 19 (siehe Text Nr. 5) vor. Wie in der Einleitung des Bandherausgebers zu Text Nr. 5 erstmals dargelegt wird, nimmt die Oratio in dieser Hinsicht eine Sonderstellung ein: Sie ist nicht nur gänzlich und grundsätzlich auf die Thematik von Dogmengeschichte und Dogmenentwicklung abgestellt, sie ist dies zugleich in einer Perspektive, die mit ihrer Zielsetzung als Apologie der Beichtschrift zusammenhängt. D rey liefert in der Oratio den systematischen Teil der Beichtschrift. Er versteht die Geschichte der Entwicklung der Beichte als Musterfall (specimen) der Dogmengeschichte. Er verdeutlicht an diesem Musterfall seine Auffassung von den Prinzipien der Dogmenentwicklung, und er radikalisiert hier zugleich die Problematik der Dogmenentwicklung, indem er für sein organologisches Entwicklungsdenken ein Anwachsen der Dogmen und einen Zuwachs an Dogmen annimmt. Hinsichtlich seiner Auffassung von Dogmengeschichte und Dogmenentwicklung ist keine sachliche Diskrepanz zur Oratio von 1817/ 19 und den anderen einschlägigen Texten zu erkennen. Die Kontinuität im dogmengeschichtlichen Denken D reys erweist sich auch daran, daß er seine Vorlesung auch nach 1819 gehalten hat, ohne von seiner Theorie der Dogmenentwicklung abzurücken (vgl. Kollegmitschrift M anz von 1822). 5. Die Disposition der Vorlesung Das Autograph D reys enthält keine eigene Disposition. Die nachfolgende Übersicht ist nach dem Manuskript rekonstruiert: Abkürzungen D reys sind beibehalten, fehlende Paragraphentitel oder Zwischenüberschriften in eckigen Klammern ergänzt; Seitenangaben entsprechen der Originalpaginierung. Geschichte des Katholischen Dogmensystems: Geschichte der drey ersten Jahrhunderte oder 1. Periode [Erster Teil: Einleitung] Ideen zur Geschichte des katholischen Dogmensystems § 1. [Unterschied Dogmengeschichte - Geschichte des Dogmensystems] 1 § 2. [Rechtfertigung der Idee - einer Geschichte des Dogmensystems] 5 § 3. Von dem Standpunct, aus welchem die Geschichte des kath. Dogmensystems zu betrachten ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 § 4. Von der Form der Dogmengeschichte oder eig. der Gesch. des Dogm.Syst. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 24 Vgl. KE § 179 und §§ 189-201; Verweis auf den Entwurf der Enzyklopädie in DS § 5 (S. 26). <?page no="150"?> 118 Erläuterungen § 5 Epochen der Entw. des kath. Dogmensystems . . . . . . . . . . . . . . . 26 § 6 ’Quellen und Hilfsmittel’ der Entwickelung des katholischen Dogmensystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 § 7 Litterärgeschichte dießes Zweiges der Theologie . . . . . . . . . . . . . 36 [Zweiter Teil: Hauptteil] Geschichte der Entwickelung des katholischen Dogmensystems. 1. Periode § 8 Von dem Verhältnis der Lehre Christi, wie er sie selbst vortrug - zu der spätern Entwickelung derselben Lehre. . . . . . . . . . . . . . 45 § 9 Von dem Verhältnis der Lehre der Apostel zu dem christlichen Dogmensystem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 § 10 Übergang zu der ersten Periode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 § 11 Entwickelung der Lehre von Gott als erster Hauptlehre . . . . . . . 67 § 12. Erste Entwickelung der Trinitätslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 § 13. Fortsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 § 14 [Fortsetzung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 § 15 Fortsetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 § 16 Fortsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 § 17. [Fortsetzung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 § 18 Entwickelung der Lehren, die das Verhältnis der Schöpfung zu Gott betreffen: zweite Hauptlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 § 19. Die Lehre von der Schöpfung überhaupt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 § 20 Die Lehre von dem Menschen und seiner Natur. . . . . . . . . . . . . . 95 § 21. Das Ganze der Schöpfung - oder die Lehre von den Engeln . . 104 A von den guten Engeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 § 22. B. Von den bößen Engeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 § 22 [! ] Lehre von der Vorsehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 § 23 Von dem Ursprung der Sünde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 § 24. Eschatologie - Die Versinnlichung des Reichs Gottes in der Lehre vom Chiliasmus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 § 25. Lehre vom Zustand nach dem Tode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 § 26. Von der Auferstehung der Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 § 27. Lehre vom Weltgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 Keimende Dogmen § 28 Lehre von der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 § 29 Lehre von den Sacramenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 § 30 Lehre von der Taufe u. von der Confirmation . . . . . . . . . . . . . . 146 § 31 Lehre von dem Abendmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 § 32 Lehre von den übrigen Sacramenten - I. Buße. . . . . . . . . . . . . . 189 § 33 Von der Priesterweihe - Krankenölung - Ehe. . . . . . . . . . . 200-208 <?page no="151"?> 119 Geschichte des Katholischen Dogmensystems (1812/ 13) 6. Rezeptionsgeschichte a. Überblick Abgesehen von der anonymen Wirkungsgeschichte der Vorlesungen D reys zur Geschichte des Katholischen Dogmensystems in seinem Schülerkreis (z.B. M öh ler ; S taudenmaier ; H efele ) begann ihre Rezeption im engeren Sinn erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Im Kontext der Möhlerrezeption kam die theologiegeschichtliche Erforschung dieser Vorlesungen in Gang. F ranz X a ver F unk wertete Vorlesungsverzeichnisse und andere amtliche Dokumente aus und konnte 1889 als erster darauf hinweisen, daß D rey zwischen 1812/ 13 und 1822 Vorlesungen zur Geschichte des Katholischen Dogmensystems gehalten hat 25 P aul S chanz griff diese Hinweise 1898 auf und wurde damit vor allem in Frankreich rezipiert. E ugen H aug machte erstmals 1917 auf die Existenz eines ungedruckten Vorlesungsmanuskripts D reys im Tübinger Wilhelmsstift aufmerksam. H aug war wohl auch der erste, der Einblick in den Text des Autographs nahm und aus § 3 des Einleitungsteils ein längeres Textstück mitteilte, in dem sich auch einige der oben erwähnten autobiographischen Bemerkungen D reys finden. Allerdings hatte H aug - in bester Absicht - aus einem im Original D reys mehr als vier Seiten umfassenden Text eine Blütenlese herausgezogen 26 , die weniger als ein Viertel des ursprünglichen Umfangs aufweist, ohne die Auslassungen, Glättungen und Veränderungen kenntlich zu machen, die zum Teil zu einer Modifikation der Aussageabsicht D reys führen 27 . H aug verfolgte die Absicht, D rey gegen 25 Bibliographische Angaben und Nachweise unten in Ziff. II.6.c in der Liste einschlägiger Literatur. 26 Der Wortlaut bei H aug : »Ich aber, der ich mich in Sachen ernstlicher Untersuchung nicht durch öffentliche Meinung bestimmen lasse, sondern das, was die Wahrheit zu sein scheint, wähle, werde die geschichtliche Entwicklung des Katholizismus aus dem zweiten Standpunct bearbeiten. Als Gründe führe ich einmal meine Überzeugung an, die ich nicht ohne vieles Nachdenken, auch nicht ohne manches Abweichen vom Weg der Wahrheit mir zu eigen gemacht habe, daß sich durch die ganze Geschichte des Menschengeschlechts ein ewiger Erziehungsplan Gottes hinzieht, der in der Geschichte der Menschen, namentlich aber in der Geschichte der Religion und Offenbarung kund geworden ist. Aus dieser Überzeugung ist der Entschuß in mir hervorgegangen, als ich zum Lehramt der christlichen Dogmatik berufen wurde, das ganze System der christlichen Dogmen in diesem Sinn auf spekulative und wissenschaftliche Weise darzustellen. Ich habe Achtung vor dem allgemeinen und öffentlichen Glauben der Kirche und der göttlichen Offenbarung, es gibt keine unbeschränkte Willkür menschlichen Forschens; ich stütze mich auf die vielen Theologen, die als Werkzeug des hl. Geistes zur Errichtung des großen Gebäudes mitgeholfen haben. Darum ist mir die hl. katholische Kirche so ehrwürdig, weil sie der höchste lebendige Ausdruck einer harmonischen Einheit, weil sie die höchste Konsequenz, das vollendetste aller Systeme ist. In der Heterodoxie zieht mich die scheinbare Klarheit und die glatte Begreiflichkeit nicht an.« (bei H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität 41 f; vgl. aber D rey , DS 16-21). 27 D rey äußert sich im Vorfeld der von H aug angezogenen Stelle zu seinem Vorhaben, »nicht sowohl eine Geschichte der Dogmen, sondern eine Geschichte des Dogmensystems« vorlegen zu wollen. Er sieht sich vor der Wahl zwischen dem Zufallsprinzip des historischen Positivismus und dem Vernunftprinzip des theologischen Rationalismus und entscheidet sich für zweiteres (siehe oben in Anm. 25, vgl. den Wortlaut bei D rey , DS § 3.5, S. 16-17). - Zum Ganzen siehe auch Einleitung zu TüA 2, 58*-60*. <?page no="152"?> 120 Erläuterungen damals herrschende Rationalismusvorwürfe zu verteidigen, erwies ihm dabei aber einen Bärendienst, indem er meinte, den Gegnern D reys Konzessionen bezüglich solcher Tendenzen in dessen Frühwerk machen zu sollen, um den späteren D rey zu exkulpieren (siehe dazu Einleitung zu Text Nr. 1, Ziff. II.6.b und II.8.b, Anm. 167). Leider hatte H aug seine Quelle falsch angegeben und damit die inhaltliche Rezeption von D reys Manuskript des DS erschwert, indem er als Quelle D reys die »dogmatischen Vorlesungen« - das Manuskript der Praelectiones dogmaticae - angab. Gleichwohl dürften G eiselmann und vielleicht auch L ösch von dem Hinweis H augs auf die Existenz der Handschriften profitiert haben. Vor dem Bekanntwerden des Textes des Vorlesungsmanuskripts D reys in der Edition G eiselmanns im Jahre 1940 beschränkte sich die Rezeption der Vorlesungen D reys zur Geschichte des Katholischen Dogmensystems auf Erwägungen zum Inhalt anhand der bis dahin bekannten Titel in Vorlesungsverzeichnissen und Lehrplänen sowie einschlägiger Passagen in der Kurzen Einleitung D reys . Nachdem G eiselmann 1940 den Text des DS erstmals der Öffentlichkeit im Druck zugänglich gemacht und die Aufmerksamkeit der Forschung verstärkt darauf gelenkt hatte, setzte eine neue Phase der Rezeption des DS ein. Die Berücksichtigung des DS wurde nun zu einem festen Posten innerhalb der Wahrnehmung des wissenschaftlichen Gesamtwerkes D reys . Sie wurde vor allem in der Diskussion der Dreyforschung um Rolle und Leistung D reys auf dem Gebiet der (katholischen) Dogmengeschichtsschreibung eingesetzt. G eiselmann selbst hatte bereits 1930 und 1931 auf die Bedeutung des Manuskripts hingewiesen und verschiedene Aspekte dazu hervorgehoben. In seiner rezeptionsgeschichtlich bedeutsamen Ausgabe des Textes des DS von 1940 taxierte er das Manuskript als einen von S chelling und dem Geist der Romantik geprägten Klassiker der Lehre von der Dogmenentwicklung und lobte diese Pionierleistung, mit der D rey starken Einfluß auf M öhler ausgeübt habe. Wie sehr D rey in seinen Reflexionen zum Verhältnis von Idee und Geschichte Anregungen S chellings aufzunehmen und zu einer das DS tragenden Konzeption auszubauen verstand, hat gut 40 Jahre nach G eisel manns Edition T homas F ranklin O’M eara wirksam dargelegt; auch in den Studien von E berhard T iefensee und J ohn E. T hiel sind bedeutende Beiträge zur breiteren philosophie- und theologiegeschichtlichen Situierung des DS zu sehen 28 . Als Forschungsdesiderat bezüglich des DS D reys kann eine genaue Analyse ihrer Stellung im Entwicklungsgang der Dogmengeschichtsschreibung 28 O’M eara 1982, 101-107, bes. 104; T iefensee 1988 sowie ders ., »Erläuterung aus dem Beispiel der Naturgeschichte unserer Erde«. Naturphilosophische Wurzeln des Entwicklungsbegriffs bei Drey, in: A braham P eter K ustermann (Hg.), Revision der Theologie - Reform der Kirche. Die Bedeutung des Tübinger Theologen Johann Sebastian Drey (1777-1853) in Geschichte und Gegenwart. Würzburg 1994, 229-245; T hiel 1986, 1991, 1994. <?page no="153"?> 121 Geschichte des Katholischen Dogmensystems (1812/ 13) gelten; bislang ist weder das Verhältnis des DS zu Vorläufern (v.a. M ünscher und P lanck , aber auch M arheineke ) noch zu späteren Ansätzen gründlich erforscht. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfuhr das DS in der Dreyforschung eine Vielzahl unterschiedlicher Einschätzungen und Interpretationen, die in der nachfolgenden Zusammenstellung zur Vereinfachung in 18 Gruppen erfaßt und gegliedert werden. Die Aussageintentionen der betr. Autoren (-gruppen) sind den Gruppierungen jeweils in der Form von Thesen vorangestellt. Die Thesenform beinhaltet keine Aussage über die Richtigkeit der Positionen, sie hat allein referentiellen Charakter. Desgleichen enthält auch die Reihenfolge der Thesen keine Aussage zu ihrer sachlichen Gewichtung. Die den Autorennamen in Klammern beigefügten Jahreszahlen sollen das Auffinden der einschlägigen Titel in der Literaturliste erleichtern. In der Literaturliste werden bei jedem Autor zunächst die relevanten Seitenzahlen angegeben, die im Anschluß daran angefügten Ziffern sind auf die Numerierung in der Thesenliste zu beziehen. An diesen Nummern ist zu erkennen, welche Positionen der betr. Autor in seinem Forschungsbeitrag jeweils vertritt. b. In der Fachliteratur vertretene Auffassungen (Thesenliste) α . Zur Bedeutung bzw. Leistung der Vorlesung (1) D rey hat dem geschichtlichen Denken in der Theologie eine Bahn gebrochen (H imes 1992, S chupp 1970, T iefensee 1988). (2) D rey etabliert die historische Methode in der katholischen Theologie (B antle 1976, B ihlmeyer 1919, G odet 1911, H imes 1992, S chreurs 1999). (3) D rey wird als Pionier/ Initiator der katholischen Dogmengeschichtsschreibung gerühmt (A dam 1927, A ubert 1971, H ammans 1965, H inze 1993, H ocedez 1948, H ünermann 1965/ 66, 1967, P etri 1985, S cheffc zyk 1985, 1987, S öll 1971, T hiel 1986, T iefensee 1988). (4) D rey entwickelt als Erster eine Theorie der Dogmenentwicklung (A dam 1927, C hadwick 1957, C haillet 1937, G eiselmann 1942/ 66, G odet 1907, 1911, G oyau 1905, G randmaison 1919, 1928, H ammans 1965, H inze 1993, H ocedez 1948, L ösch 1917/ 18, 1963, O’M eara 1982, R anft 1931, R eardon 1985, R uf 1958/ 74, S chanz 1898, S cheffczyk 1987, T hiel 1986, Z ierlein 1967/ 68). (5) D rey entwickelt die Theorie der Dogmenentwicklung vor M öhler und N ewman (und D öllinger ) (A dam 1927, C hadwick 1957, C haillet 1937, F insterhölzl 1975, G odet 1907, 1911, G oyau 1905, G randmai son 1919, H ocedez 1948, R eardon 1985, S chanz 1898, T hiel 1986, V ermeil 1913). <?page no="154"?> 122 Erläuterungen (6) D reys DS gilt als ein Klassiker der Lehre von der Entwicklung des Dogmas (D ietrich 1979, G eiselmann 1940). (7) D rey entwickelt einen neuen Traditionsbegriff (lebendige Überlieferung) (A ubert 1971, C ornelissen 1972, F insterhölzl 1975, G eisel mann 1942/ 66, R anft 1931, S cheffczyk 1965, 1987, V ermeil 1913). (8) D reys Entwurf zur Dogmengeschichte basiert auf einem neuartigen Systembegriff / geschichtsphilosophischen Systemprogramm (C ornelis sen 1972, R uf 1958/ 74, S chupp 1970, T hiel 1991, T iefensee 1988, V ermeil 1913, W elte 1967). (9) D rey konzipiert die Dogmengeschichte als neue theologische Disziplin bzw. neue Wissenschaft (B ihlmeyer 1919, P h .F unk 1929, H imes 1992, S chanz 1898, S chreurs 1999). (10) D reys DS erfüllt die Postulate seiner Revisionsschrift (C ornelissen 1972, S cheffczyk 1965). (11) D reys Entwurf zur Dogmengeschichte übt Einfluß auf M öhler aus (Geschichts-, Kirchenbegriff; Einheitsmotiv) (C hadwick 1957, F ehr 1981, G eiselmann 1931, 1957, W elte 1967). β . Zu Quellen / Inspirationen der Vorlesung (12) D rey greift in seinem DS Impulse der protestantischen Theologie auf (vor allem S chleiermacher ) (A ubert 1971, H inze 1993, S talder 1969, T hiel 1986, 1994, T iefensee 1988, V ermeil 1913). (13) D reys DS steht unter dem Einfluß der Romantik (Motive; organisches Wachstum u.a.) (A ubert 1971, F ehr 1981, G eiselmann 1930, 1942/ 66, G eisser 1966, O’M eara 1982, P etri 1985, R uf 1958/ 74, S talder 1969, T hiel 1991, W elte 1967, Z ierlein 1967/ 68). (14) D reys DS ist beeinflußt von S chelling (Geschichtsphilosophie) (A u bert 1971, B antle 1976, C hadwick 1957, P h .F unk 1929, G eiselmann 1942/ 66, 1964, H imes 1992, H inze 1993, O’M eara 1982, S cheffczyk 1965, 1987, S chupp 1969, 1970, S talder 1969, T hiel 1991, 1994, T ie fensee 1988). (15) Tragende Gedanken des DS D reys sind von L essing beeinflußt (T hiel 1991, T iefensee 1988). (16) D reys Entwurf zur Dogmengeschichte steht in Opposition zur Philosophie/ Theologie der Aufklärung (H aug 1917, S chulz 1969, V ermeil 1913). (17) D reys Entwurf zur Dogmengeschichte folgt einer katholischen Tradition (u.a. P etavius ) (B ihlmeyer 1919, L ösch 1917/ 18). (18) G eiselmanns Interpretation des DS D reys (Einfluß der Romantik bzw. S chellings ) findet Zustimmung (B antle 1976, C hadwick 1957, C or nelissen 1972, F ürst 1979, L achner 1986, O’M eara 1982, S cheffczyk 1965, 1987, S chulz 1969, W elte 1967, Z ierlein 1967/ 68). <?page no="155"?> 123 Geschichte des Katholischen Dogmensystems (1812/ 13) c. Verzeichnis der berücksichtigten Literatur (alphabetisch) K arl A dam , Die Katholische Tübinger Schule, in: Hochland 24 II (1927) 581-601, wieder in: ders ., Gesammelte Aufsätze... Augsburg 1936, 389-412, hier 390: (3), (4), (5). R oger A ubert , Die komplexe Belebung der kirchlichen Wissenschaften, in: H ubert J edin (Hg.), Handbuch der Kirchengeschichte VI/ 1, Freiburg 1971, 287-307, 295: (3), (7), (12), (13), (14). F ranz X aver B antle , Unfehlbarkeit der Kirche in Aufklärung und Romantik. Eine dogmengeschichtliche Untersuchung für die Zeit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert (Freiburger Theologische Studien 103). Freiburg 1976, 533 f, 542 f: (2), (14). K arl B ihlmeyer , J. A. Möhler als Kirchenhistoriker, seine Leistungen und Methode, in: ThQ 100 (1919) 134-198, 138 f: (2), (9), (17). O wen C hadwick , From Bossuet to Newman. The Idea of Doctrinal Development. Cambridge 1957, 98 f, 107-119: (4), (5), (11), (14). P ierre C haillet , L’Esprit du Christianisme et du Catholicisme, in: RSPhTh 26 (1937) 483-498, 713-726, 719+722: (4), (5). R ob J. F. C ornelissen , Offenbarung und Geschichte. Die Frage der Vermittlung im Überlieferungsverständnis bei J. A. Möhler in seiner Frühzeit (Beiträge zur neueren Geschichte der katholischen Theologie 14). Essen 1972, 49: (7), (8), (10). D onald J. D ietrich , The Goethezeit and the Metamorphosis of Catholic Theology in the Age of Idealism (European University Studies XXIII 128). Bern 1979, 76: (6). W ayne L. F ehr , The Birth of the Catholic Tübingen School. The Dogmatics of Johann Sebastian Drey (American Academy of Religion, Academy Series 37). Chico 1981, 268: (11), (13). J ohann F insterhölzl , Die Kirche in der Theologie Ignaz von Döllingers bis zum ersten Vatikanum. Aus d. Nachlaß hg. v. J ohannes B rosseder . Göttingen 1975, 292, 403 ff: (5), (7). F ranz X aver F unk , Die katholische Landesuniversität in Ellwangen und ihre Verlegung nach Tübingen. FS zum 25jährigen Regierungsjubiläum Sr. M. des Königs Karl v. Württemberg. Tübingen 1889, 9: (F. X. F unk weist als erster auf das Faktum der dogmengeschichtlichen Vorlesungen D reys hin). P hilipp F unk , Die geistige Gestalt Johann Adam Möhlers, in: Hochland 27 I (1929) 97-110, 106: (9), (14). W alter F ürst , Wahrheit im Interesse der Freiheit. Eine Untersuchung zur Theologie J. B. Hirschers (1788-1865) (Tübinger Theologische Studien 15). Mainz 1979, 206 f, 347: (18). J oseph R upert G eiselmann , Die Glaubenswissenschaft der Katholischen Tübinger Schule in ihrer Grundlegung durch Johann Sebastian v. Drey, in: ThQ 111 (1930) 49-117, 52 f: (13). <?page no="156"?> 124 Erläuterungen ders ., Johann Adam Möhler und die Entwicklung seines Kirchenbegriffs, in: ThQ 112 (1931) 1-91, 82 f: (11) (ein Spezifikum des Entwurfs zur Dogmengeschichte sei die Verbindung von wissenschaftlicher und historischer Konstruktion). ders ., Geist des Christentums und des Katholizismus. Ausgewählte Schriften Katholischer Theologie im Zeitalter des Deutschen Idealismus und der Romantik (Deutsche Klassiker der Katholischen Theologie aus neuerer Zeit 5). Mainz 1940, XIV: (6). ders ., Lebendiger Glaube aus geheiligter Überlieferung. Der Grundgedanke der Theologie Johann Adam Möhlers und der katholischen Tübinger Schule. Freiburg 1942 (unverändert 2 1966), 131, 147, 150, 185, 187: (4), (7), (13), (14). ders . (Hg.), Johann Adam Möhler: Die Einheit in der Kirche oder das Prinzip des Katholizismus dargestellt im Geiste der Kirchenväter der drei ersten Jahrhunderte. Köln 1957, [31]-[38]: (11). ders ., Die katholische Tübinger Schule. Ihre theologische Eigenart. Freiburg 1964, 19, 21, 24, 29, 41, 173, 289 ff: (14). H ans F riedrich G eisser , Glaubenseinheit und Lehrentwicklung bei Johann Adam Möhler (Kirche und Konfession 18) [1966]. Göttingen 1971, 39: (13). P aul G odet , Kuhn et l’e ´cole catholique de Tubingue, in: Annales de Philosophie chre´tienne 78 (1907) 26-47, 164-182; 29: (4), (5), (D rey gibt der Dogmengeschichte »le droit de bourgeoisie«). ders ., Drey, in: DThC 4 (1911) 1825-1828, 1827: (2), (4), (5). 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Manuskriptbeschreibung Das Manuskript mit einem Umfang von 354 Seiten wird in der Bibliothek des Wilhelmsstifts in Tübingen aufbewahrt unter der Signatur Hs Gf 1081a. - Aus der Beschreibung von R uf , Johann Sebastian von Dreys System der Theologie (siehe in Ziff. II.6.c) 33, Nr. 17, wird das Verhältnis der studentischen Kollegmitschrift zum Autograph D reys nicht ganz ersichtlich. Zum einleitenden Teil stellt R uf fest, »daß nur die ersten sechs Paragraphen weggelassen wurden, in denen er [D rey ] seinen Standpunkt darlegt und Möglichkeit und Notwendigkeit eines Dogmensystems erweist«; tatsächlich ist die Einleitung ohne sachliche Lücken um etwa ein Fünftel gerafft. Dagegen dokumentiert die Mitschrift M anz nicht nur eine materiale Ausweitung des Vorlesungsstoffes D reys (Christologie, Gnadenlehre, Prädestination §§ 13[b]-41), sondern auch eine Ausdehnung des Zeitraumes der Untersuchung bis ins Mittelalter (»Zweyter« und »Dritter Zeitraum«, Seiten 129-271 und 271-354). Es fällt auf, daß der Systembegriff 1822 weniger explizit Verwendung fand als 1812/ 13; die beste Erklärung dafür dürfte darin liegen, daß dieses Denken inzwischen eingeführt und etabliert ist (vgl. dazu auch KE §§ 255 ff und 268 ff). Ein Abweichen D reys von seiner ursprünglichen Konzeption läßt sich daraus, wie auch R uf betont, nicht ableiten. Wie bereits erwähnt, ist auch der Umstand bemerkenswert, daß ein Großteil der Korrekturen der Disposition in D reys Autograph in der Vorlesung von 1822 exakt zur Umsetzung kam. Daraus geht hervor, daß D rey sein Ellwanger Manuskript in den im Stoff übereinstimmenden Teilen noch 1822 als Grundlage im Hörsaal benutzte; Abweichungen im Wortlaut deuten auf ein frei formuliertes Diktat D reys hin. Inwieweit D rey für die neu hinzugenommenen Stoffe, für die kein Manuskript aus seiner Hand erhalten ist, auf anderweitige Aufzeichnungen, etwa Materialien und Belege aus seinen Praelectiones dogmaticae, zurückgegriffen hat, wäre zu untersuchen. - Nachfolgend wird die rekonstruierte Disposition der Kollegmitschrift von M anz wiedergegeben. 2. Disposition der Kollegmitschrift Manz In der nachstehenden Rekonstruktion der Disposition der Kollegmitschrift folgen die Titel der Paragraphen der eigenhändigen, bis § 17 reichenden Inhaltsübersicht von M anz , ab § 18 sind die Titel aus dem Textfortgang des Manuskripts erhoben. Schreibweise und Zeichensetzung sind nicht diplomatisch genau; Abkürzungen aufgelöst; Seitenangaben nach der eigenhändigen Paginierung; in runden Klammern Angabe der entsprechenden Paragraphen im Manuskript D reys . <?page no="160"?> 128 Kollegmitschrift Franz Joseph Manz Dogmengeschichte nach den Vorlesungen v. Herrn Prof. Dr. Drey. Tübingen, im Sommersemester 1822. - F. Jos. Manz. § 1. Begriff der Dogmengeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 § 2. Möglichkeit der Veränderungen im Lehrbegriffe Christi pp. (§ 1 / 2) 1 § 3. Behandlung und der Standpunkt der Dogmengeschichte (§ 3) . . . 9 § 4. Quellen derselben (§ 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 § 5. Geschichte und Litteratur (§ 5 / 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Geschichte der Entwicklung des christ-katholischen Systems. Erste Periode. Von Christus bis ins 4. Jahrhundert. Erster Abschnitt. Bemerkungen, wie Christus seine Lehre und die Apostel vortrugen im Verhältniß zur spätern Entwicklung derselben. § 1. Eben diese Bemerkungen (§ 8 / 9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 § 2. Verhältniß dieser Lehren zu ihrer späteren Entwicklung (§ 8 / 9) 45 § 3. Uebergang zu der I Periode der Entwicklung des christlichen Systems (§ 10) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 § 4. Lehre von Gott (§ 11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 § 5. Erste Entwicklung der Trinitätslehre (§ 12-17) . . . . . . . . . . . . . . . 64 § - Lehre vom heiligen Geist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 § 6. Lehre von der Schöpfung (§ 19) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 § 7. Lehre vom Menschen u. seiner Natur (§ 20) . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 § 8. Lehre von den Engeln (§ 21) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 § 9. Lehre von der Vorsehung (§ 22b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 § 10. Lehre von dem Ursprung der Sünde (§ 23) . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 § 11. [Fortsetzung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 § 12. Auferstehung der Körper (§ 26) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 § 13. Lehre vom Weltgericht (§ 27) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Zweyter Zeitraum - Vorbemerkung. In diesem Zeitraum werden die Lehren abgehandelt: von dem Charakter, der Person und Würde Christi; von seinem Amt und seinem Werke (Erlößung) - Lehre von den Gnadenwirkungen im Verhältniß zum freien Willen des Menschen, von diesem selbst und von der Prädestination. . . . . . . . . . . . . . . 129 § 13. [! ] Charakter, Person und Schiksale Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 § 14. Person Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 § 15. Leben und Schiksale Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 § 16. Weitere Entwicklung dieser Lehren, zugleich der Trinitätslehre 143 § 17. Versuche die nicenische Formel umzustoßen . . . . . . . . . . . . . . . . 153 § 18. Fortsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 § 19. Lehre der Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur in Christus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 § 20. Erste kirchliche Entscheidung gegen Nestorius . . . . . . . . . . . . . 173 § 22. [! ] 2. kirchliche Entscheidung gegen Eutyches und die Monophysiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 <?page no="161"?> 129 Geschichte des Katholischen Dogmensystems (1812/ 13) § 23. Neue Unruhen durch Einmischung der Kaiser in GlaubensSachen, und monotheletische Streitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Zweyte Abtheilung. Lehren, die durch Jesus der Menschheit zugegangenen Wohlthaten, besonders die Erlößung betreffend . . . . . . . . . 187 § 24. [Fortsetzung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 § [25] Weitere Entwickelung dieser Lehren vom 4. Jahrhundert . . . . . 196 § [26] Ausbildung bestimmter Vorstellungen über die Erlößung im engen Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 § 27. Noch einige zur Vervollständigung der Erlößungstheorien nothwendige Punkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 § 28. Lehren von der Theilnahme an der Erlößung oder auch von der Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 § 29. Fortsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 § 30. Fortsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Vierter Abschnitt [§ 31] Lehre von der Gnadenwirkung und der Praedestination . . . . . . 211 § 32. [Fortsetzung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 § 33. Von der ursprünglichen Natur des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . 221 § 34. Lehre von den Folgen des Sündenfalls für die moralischen Anlagen des Menschen vor Augustin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 § 35. Augustinischer Lehrbegriff von der ersten Sünde des Menschen und ihren Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 § 36. Lehre von der Gnade, oder von der moralischen Kraft des Menschen nach dem Sündenfall - in der 2. Periode vor Augustin . . . 237 § 37. Augustinischer Lehrbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 § 38. Lehre von der Prädestination in [der] 2. Periode . . . . . . . . . . . . 246 § 39. Augustinischer Lehrbegriff von der Vorherbestimmung . . . . . . . 248 § 40. Kirchliche Entscheidungen über die Pelagische Lehre . . . . . . . . 253 § 41. Wirkungen des Augustinischen Lehrbegriffs und Wirkungen desselben durch mittlere Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 § 42. Entwickelung einiger Hauptpunkte der Lehre von der Eschatologie, wodurch diese eine bleibende Gestalt in der Dogmatik annahmen . . . 265 Dritter Zeitraum Entwickelung der Lehren, die äußere Gestalt des Christenthums und sein öffentliches Leben betreffend, oder die Lehre von der Kirche und den Sakramenten § 43. [ohne Titel] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 § 44. [ohne Titel] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 § 45. [ohne Titel] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 § 46. [ohne Titel] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 § 47. Lehre von den Sakramenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 § 48. Lehre von der Taufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 <?page no="162"?> 130 Kollegmitschrift Franz Joseph Manz § 48. [! ] Lehre von der Firmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 § 49. Lehre von dem Abendmahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 § 50. [Fortsetzung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 § 51. Wirkungen der Eucharistie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 § 52. Die Eucharistie als Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 § 53. Lehre von der Buße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 § 44. [! ] [Fortsetzung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 § 55. Priesterweihe u. Oelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 1.) [Priesterweihe] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 2.) Krankenölung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 3.) Von der Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 4.) [Fortsetzung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352-354 <?page no="163"?> Teil B: Geschichte des Katholischen Dogmensystems. I Band. [I] Geschichte der drey ersten Jahrhunderte oder 1 te Periode. Mit Benutzung von Münschers Handbuch dargestellt von J. S. Drey Pr. 1812-1813 Ideen zur Geschichte des katholischen Dogmen-Systems. 1 [1] 1 § 1. Bei dem Beginne dieser Vorlesungen halte ich für nothwendig, sowohl 1 L ihren Inhalt zum Voraus zu bestim¯ en, als auch den Standpunct genau zu bezeichnen, von welchem ich denselben betrachten und darstellen werde. In Rücksicht des Inhalts bemerke ich, daß es nicht so fast eine Geschichte der 10 Dogmen ist, die hier vorgetragen werden soll, als vielmehr eine Geschichte des Dogmensystems, wie es sich in der katholischen Kirche, als der alleinigen vollkommenen Darstellung der Kirche 2 Christi allmälig entwickelt und gebildet hat. Es ist aber weder in Rücksicht des Stoffes noch der Behandlung einerlei, ob 15 man eine Geschichte der Dogmen, oder eine Geschichte des Dogmensystems 2 R versuche. Zwar was die Dogmen selbst betrifft, so sind es freilich dieselben, die in beiden vorkommen. Aber schon der Unterschied, daß dort die Dogmen gleichsam vereinzelt, hier aber in der Verbindung zu einem Ganzen betrachtet werden, macht auch einen Unterschied in der Auswahl der Materien noth- 20 wendig. Da die gewöhnliche Geschichte der Dogmen − und dieße ist bisher fast ausschließig betrachtet worden − ihren Stoff vereinzelt aufgreift, so muß ihr in dieser 3 Vereinzelung eine Materie so wichtig sein als die andere, höchstens daß die zahlreichern Widersprüche, die eine gefunden hat, oder die Menge historischer Monumente, die über sie vorhanden sind, dieser einen 25 zufälligen Vorzug geben können. Die Geschichte des Dogmensystems, da sie für sich schon voraussetzt, daß die christlichkatholischen Dogmen ein Ganzes und zwar ein systematisch verbundenes Ganzes seien, kan¯ , wen¯ ihr auch alle Dogmen ihrer Wahrheit nach, gleich wichtig sind, doch um des Systems willen, nicht so gleich giltig sein, und kann nicht allen eine gleiche Wichtig- 30 3 R keit, nicht allen eine gleiche Ausführlichkeit angedeihen lassen. Ihr werden diejenigen die wichtigsten sein, und die größte Ausführung zu verdienen 1 Die Überschrift der Einführung erstreckt sich in Form eines Kopftitels über beide Textspalten und ist von diesen mit einer doppelten Trennlinie abgesetzt (zur Textanlage siehe oben Einleitung Ziff. II.1.b; Disposition der Vorlesung siehe Ziff. II.5). − Die erste Fassung der vorliegenden Transkription nebst Apparat wurde von Reinhold Rieger erstellt. Dafür gebührt ihm Anerkennung und Dank. 2 Ge überschrieben mit Ki 3 danach gestrichen einz <?page no="164"?> 132 Johann Sebastian Drey scheinen, welche als die Anhaltpuncte des Systems erscheinen, und um welche gleichsam als ihre Centra sich die übrigen her angeschlossen haben. − Noch mehr unterscheidet sich die gewöhnliche Geschichte der Dogmen von der Geschichte des Dogmensystems in Rücksicht der Behandlung. Da beide eine Geschichte darstellen, so ist zwar auch in beiden die Darstellung histo- 5 risch, aber jede dennoch auf eine andere Weiße, wie es überhaupt eine zweifache Bearbeitung der Geschichte giebt. Es giebt nämlich eine blos fragmentarische Behandlung der Geschichte, wobei bloß die Data, Materien und Belege gesam¯ elt, und auf die bestmöglichste Weiße zusammengestellt werden; diese könnte man füglicher Geschichtforschung oder noch besser Geschicht- 10 sammlung nennen. Und es giebt eine 4 andere Behandlung der Geschichte, wobei die Kenntnis der Materialien zwar vorausgesetzt aber noch mehr als dieß gefordert wird, nämlich eine solche Verbindung der Materien daß darinn nicht nur ein gewißer Zusam-menhang überhaupt wahrgenommen werden 4 R kan¯ , sondern auch dieß ganze als von einem innern Geiste belebt, als das 15 Werk einer stätig wirkenden Ursache erscheine. Dieße letztere Behandlung der Geschichte ist eine systematische, weil hier alles aus einer einzigen Triebfeder hervorgegangen erscheint, wie in einem System alles aus einer einzigen Idee ausfließt, in sie zurückkehrt, von ihr zusammengehalten wird. Man hat diese systematische Behandlung der Geschichte auch die pragmatische genan¯ t, 20 entweder weil hiebei in die Begebenheiten ein Geist und eine Ubereinstim¯ ung kom¯ t, wodurch sie ein vernünftiges Ganzes, ein πραγμα Werk und Handlung der Vernunft werden, oder weil sie den Weisen 5 zur Selbstbeschauung dienen, ihnen Maximen zum Handeln an Handen geben, Richtschnur des eigenen Verhaltens werden. 25 Wenden wir nun das Gesagte wieder auf die Geschichte an, von der jezt die Rede ist, so müßen wir vordersamst auch den oben von der Geschichte des Dogmensystems aufgestellten Begriff rechtfertigen, ob eine solche möglich sei, und wir uns nicht vielmehr mit der Dogmengeschichte, wie sie bisher 5 R war, begnügen müßen. 30 c § 1 Unterschied einer eigentlichen Dogmengeschichte − und einer Geschichte 1 R des katholischen Dogmensystems. − − Er liegt darin¯ : a die erste kan¯ mehr oder weniger speciell sein; die andere ist allumfaßend. − b der erstern sind alle Dogmen gleich wichtig, der andern weniger. − c. Die erste muß mehr Kronik u. Geschichtsam¯ lung sein: die andere ist Geschichte im höhern Sinn 35 * § 1 Der Inhalt beider insofern er beiden gemein ist - sind 6 die Veränderungen, die mit dem Lehrbegriff des Christentums vorgegangen sind und vorgehen mußten confer M. I. § 1 pag 1-4 7 4 über der Zeile ergänzt 5 ß korrigiert zu s 6 korrigiert aus ist <?page no="165"?> 133 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) * § 2 Ursprüngliches Christentum, was es sei? − Davon muß die Dogmenge- 2 L schichte ausgehen * § 3 Sind in jenem Urchristentum Veränderungen möglich? − selbst nach dem Sinne und der Absicht seines Stifters − nach seinem Wesen − nach dem Willen der Providenz 5 § 4 Erstes Princip der Entwickelung - der innere Geist des Christentums selbst in seiner Beziehung zu dem natürlichen Forschungstrieb der menschlichen Vernunft. b. Äußere Einflüße, Erregungen aus dem wissenschaftlichen besonders philosophischen Zustande der Zeiten. − α 8 Möglichkeit und Wirklichkeit eines solchen 10 Einflußes - β Kritik desselben ob jeder solche Einfluß eine Entstellung des 3 L Xtums sei - und wan¯ ? Munscher I § 5-10 c. Wirkungen der Entwickelung auf die Beweißart. Wichtigkeit und technische Bezeichnungsart. Munscher pag. 4 et 5 d. Kurze Ubersicht M. pag. 6 15 § 5 Oben der erste vom Unterschied der Dogmengeschichte und des Dogmensystems a (§ 1) a9 § 6 Rechtfertigung dieser Idee unten (§ 2.) b item § 3 et 4.) b10 § 7 Von den Bedingungen der Dogmengeschichte. Münscher § 2-4 § 8 Werth der Dogmengeschichte. M. § 10-14 20 § 9 Methode der geschichtlichen Darstellung und Abtheilung in Perioden. 4 L S. Unten § 4 et 5) Münscher § c11 § 2. Wen¯ wir bei dieser Untersuchung uns an die bisherige Erfahrung halten, 5 R und nur darauf sehen wollten, wie bisher die Geschichte der christlichen Dogmen behandelt wurde, so würde wenig günstiges für unsere Idee daraus 25 resultiren. a 12 Es ist zwar nicht zu läugnen, daß schon in frühern Zeiten den Freunden des Christentums der Gedanke nicht fremd war, wie die Dogmen selbst, also auch die Geschichte derselben systematisch zu verbinden. Aber merkwürdige Ausführungen dießes Gedankens finden sich dennoch nicht. 7 L: Die Angabe Münscher (auch: Munscher) oder abgekürzt M. verweist auf das von Drey benutzte Handbuch der Dogmengeschichte von Wilhelm Münscher (siehe oben Einleitung Ziff. II.1.d mit Anm. 7), wenn nicht anders angegeben auf Bd. 1 der 2. Aufl. (1802). - Erläuterungen zu der von Drey angeführten Literatur nachfolgend unter dem Sigel »L«. 8 über der Zeile ergänzt 9 a-a: mit dunklerer Tinte nachgetragen 10 b-b: mit dunklerer Tinte nachgetragen; davor § 2 mit dunklerer Tinte eingeklammert 11 c-c: Neben dem Haupttext des § 1 ist auf den Seiten 1-4 eine Übersicht zu §§ 1-9 plaziert, deren Gegenstand sich nicht exakt mit den Paragraphen gleicher Nummer im Haupttext deckt. Bei diesen Marginalien dürfte es sich um stichpunktartige Ergänzungen und Noten (mit Asterisken) zu einer späteren Fassung der Vorlesung handeln; der mehrfach wechselnde Schriftduktus zeigt an, daß sie nicht in einem Zug notiert wurden. − L: Die letzte Paragraphenangabe fehlt, gemeint ist: Bd. 1, § 23, S. 98-108. 12 über der Zeile eingefügt <?page no="166"?> 134 Johann Sebastian Drey Vielmehr als bald nachher die Umstände der Zeiten ein kritisches Forschen nach dem Einzelnen wie überall so auch in der Theologie zum Hauptgeschäfte machten, verlor sich auch das Studium der Geschichte der Dogmen in dieß Forschen nach dem Einzelnen. Dieß war zwar nicht ohne großen Nutzen, den¯ es lieferte eine Menge kritisch und historisch geprüfter Materialien, 5 die für den dereinstigen umfassenden Bearbeiter der Dogmengeschichte von dem größten Vortheil ja ein unentbehrliches Hilfsmittel sind und werden 6 R können. In diesem Geiste des Forschens nach dem Einzelnen sind die Bemühungen der großen Männer, die besonders die katholische Kirche in größerer Zahl als die Protestanten nach dem eigenen Geständnis dieser hervor- 10 gebracht hat, u. welche uns die großen und schätzbaren Werke des 17 und zum Theil noch des 18 Jahrhunderts geliefert haben. Aber bei allem dem, und bei den vielfachen Vorarbeiten konnte doch noch keine systematische Behandlung der Dogmengeschichte zustande kommen. d Zur erstern Classe dieser Schriften die Werke der ältern fast durchgehends d13 b 14 Was in frühern Zeiten 15 was selbst in der letzten noch hierinfalls geschehen ist, besteht darin¯ , daß entweder die historischen Belege für die einzelnen Dogmen ohne besondere Ordnung zusammengestellt wurden; oder wie man je eine Ordnung in der Geschichte der Dogmen beobachten zu müßen glaubte, so reihte man dieselben nach der chronologischen Folge etwa mit Auszeichnung gewißer Pe- 20 rioden aneinander, e zur andern [Classe] z. B. Münscher e15 oder man legte die in der Dogmatik angenommene Section, sogenannte Tractatus zum Grunde f nach der dritten hat Schnappinger sein Compendium geschrieben f16 erst in der jüngsten Zeit haben es einige Protestantische Theologen versucht, eine Geschichte der Entwickelung des protestantischen Lehrbegriffs zu liefern. 25 7 R g z.B. Plank g17 Durch dieße Bearbeitungen ist aber die Geschichte der Dogmen noch im¯ er keine systematische 18 geworden. Den¯ wiewohl in der Zeit selbst alle Dinge die da geschehen zusammenhangen, so ist doch die Zeit noch kein System; dieß muß sich in den Dingen selbst finden, die sich in ihr entwickeln. 30 c. 19 Und dieß ist nun eben die Frage, die über unsere Idee entscheidet: es wird nämlich gefragt, und muß hier gefragt werden: ist in den christlichen Dogmen, ist in dem Ganzen der Dogmen der katholischen Kirche ein System, oder ist keines darinn? - Ist in den Dogmen der katholischen Kirche ein System, so ist wenigstens auch eine systematische Geschichte derselben, oder 35 13 d-d: Einweisung 14 nachträglich eingefügt 15 e-e: am Rand, Schrift wie d-d; - L: Bd. 1, § 23, S. 98. 16 f-f: am Rand, Schrift wie d-d und e-e 17 g-g: Einweisung (z.B. nachgetragen); - L: siehe unten S. 41; vgl. Münscher, Bd. 1, S. 94. 18 korrigiert aus dogmatische 19 Ergänzung auf der linken Spalte <?page no="167"?> 135 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) es ist eine Geschichte des Dogmensystems möglich; wäre aber in unsern Dogmen kein System, so würde auch keine systematische Behandlung ihrer Geschichte möglich sein. Dieß letztere ist für sich selbst klar: denn es giebt 20 überhaupt nur zwei Arten, wie die Dinge entstehen, entweder sie entstehen auseinander selbst durch eine 5 Entwickelung aus einem innern Kern und Keim oder sie reihen sich blos zufällig und ohne in¯ ere Verbindung in der Zeit an einander. Von der erstern 8 R ist eine systematische Behandlung ihrer Entwickelung möglich, also auch eine systematische Geschichte derselben; von der andern, da sie ihre Entstehung dem Zufall verdanken und nichts nothwendiges in ihnen ist, läßt sich auch 10 keine eigentliche Geschichte schreiben; denn wer wollte eine Geschichte des Zufalls unternehmen. Was nun die Frage selbst betrifft; - ob in den Dogmen unserer Kirche ein System sei, so haben selbst die Gegner derselben dieß zugegeben, obwohl sie es manchmal indirecte fast wieder läugneten. Indessen abgesehen von der 15 Bejahung oder Verneinung dieser Frage durch die Einzelnen können und müßen wir hier die Frage schon längstens für entschieden halten - nämlich durch die Dogmatik selbst, welche wie sie auch immer von den Theologen behandelt wurde, doch immer als eine systematische Wissenschaft betrachtet und behandelt wurde. Dieß wäre aber nicht möglich gewesen, wen¯ nicht in 20 den Dogmen selbst ein System wäre. Und somit ist es allerdings außer Zweifel, daß gleichwie in den Dogmen selbst ein System ist, also auch in ihrer Entfaltung noch ein solches anzutreffen, also eine Geschichte des katholi- 2 21 9. schen Dogmensystems möglich sein müße. d 22 Dieße Geschichte des Dogmensystems wird also folgende Aufgaben zu 25 lößen haben, insofern sie nämlich die Geschichte eines Systems ist: α . 23 In einem System ist Etwas was man die Einheit oder auch das Eine - und Etwas was man die Vielheit oder das Einzelne nennt, jenes das Lebendige, Bewegende, Leitende, Durchdringende; dießes das Belebte, Bewegte, Geleitete, Durchdrungene; - jenes der Geist, dießes der Körper, jenes der Orga- 30 nismus, dießes die Masse. Auch in der Geschichte eines Systems muß dieser Unterschied noch wahrzunehmen zu sein, und es ist auch hier noch die Hauptsache - das Eine in dem Vielen überall nachzuweißen. Die erste Sorge muß hier sein zu zeigen, wie Alles aus dem Einen hervorgegangen sei. h Uberhaupt religiößer Standpunct. h24 35 β . Aber was systematisch sich entwickelt, das 25 entwickelt sich so, daß auch das Einzelne aus dem Einzelnen begreiflich ist, d.h. unter dem Einzelnen und 20 danach gestrichen: nur 21 Kopftitel (unterstrichen) am Beginn von Bogen 2: Ideen zur Gesch. des kath. Dogmens. 22 nachträglich angefügt 23 Abschnittsbezifferung aus lateinischer in griechische Schrift korrigiert, ebenso unten β - δ . 24 h-h: am Absatzende angefügt 25 korrigiert aus daß <?page no="168"?> 136 Johann Sebastian Drey Vielen geht eines voraus u. das andere folgt: und es könnte das zweite nicht sein, wenn nicht das erste, und das dritte nicht sein, wenn nicht das zweite schon gewesen wäre. Auch dieß muß in der Geschichte eines Systems beobachtet, und vorangestellt werden, was vorausgehen mußte, ehe das folgende begreiflich ward. 5 γ . Nach diesem Grundsatz, muß der Stoff der Geschichte überhaupt dargestellt, aber bei demjenigen am längsten verweilt werden, was als Keim vieler andern Entwickelungen er-scheint. Diese Einzelnen Entwickelungen müßen 10 dann wieder nach ihrer Dignität und Wichtigkeit geordnet werden. δ . ZeitAbschnitte sind in aller Geschichte, also auch in der Geschichte des 10 Dogmensystems. Aber wie im System nichts willkührlich, so können auch die Zeitabschnitte nicht willkührlich genommen, sondern sie müßen so dargestellt werden, wie in der Entwickelung das innwohnende Princip eine größere Energie oder einen ausgezeichneten Charakter geoffenbaret hat. Davon nachher! 15 i § 2. Rechtfertigung der Idee - einer Geschichte des Dogmensystems, und 5 L Erweiß 26 , daß eine solche möglich ist. a Frühere Behandlungsart: forschen nach den einzelnen Documenten u. Materialien. Munscher. I. § 19-22. 27 b. Behandlung in der neuern Zeit 20 c. Die Möglichkeit einer ächt historischen Behandlung liegt darinn, daß in den Dogmen ein System ist d. Folgerungen für die ächt historische Behandlung der Geschichte des kath. Dogmensystems. i28 § 3 29 Von dem Standpunct, aus welchem die Geschichte 25 [10] des kath. Dogmensystems zu betrachten ist Daß 30 in der Geschichte eines Systems ein gewißer Punct sein müße, von welchem aus alle Entwickelung darzustellen ist, ist schon gesagt worden; denn ohne einen solchen schwäme alles in chaotischer Verworrenheit durch einander und in charakterloser Unbedeutsamkeit. Im System selbst ist ein 30 lebendiges Punctum saliens, wodurch es System wird, und ebendießes hat die Geschichte des selben 31 darzustellen, wenn sie Geschichte des Systems sein will. Dieser lebendige Punct im System, wenn er aufgefaßt ist, bestimmt 26 e überschrieben mit E 27 L: S. 71-97. 28 i-i: auf der linken Spalte neben dem Beginn des Haupttextes notierte Disposition von § 2, wohl gleichzeitig mit den Korrekturen der Abschnittsziffern 29 dazu am Rand: N. Dieser ganze § fällt eigentlich noch in den zweyten. − 30 zum Textbeginn am Rand: a. Das zur ächt historischen Darstellung, von dem religiößen Standpunct aus nothwendige Princip der Einheit ist - 31 darunter gestrichen: Systems <?page no="169"?> 137 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) zugleich den Standpunct, aus welchem die ganze Geschichte zu betrachten und zu entwerfen ist. Es ist also eine Hauptfrage für den Geschichtentwick- 11 ler; wo sich der bewegende, der Lebenspunct seiner Geschichte finde, und dieße Frage muß er sich mit der größten Bestimmtheit beantwortet haben, ehe er an seine Arbeit geht. Daher auch für uns die Hauptfrage, wo finden wir den 5 lebendigen Punct in der Geschichte unseres Dogmensystems, und mit ihm den Standpunct derselben? 2. 32 Die Beantwortung dieser Frage wird uns dadurch erleichtert, daß hier von der Geschichte eines Systems, und also von einem System selbst die Rede ist, welches gleichwie es nirgends existieren kan¯ als in der Vernunft, also auch nur 10 von der Vernunft empfangen sein, nur von einer Vernunft und für sie entwickelt werden kan¯ . Es bleibt also, weil alle Vernunft j an und für sich selbst j33 aus unveränderlichen Grundsätzen handelt, der Zufall oder die Willkühr als leitendes Princip von unserer Geschichte ausgeschlossen. Mag in der gewöhnlichen Geschichte, die der Spiegel des freien Handelns ist, dem Zufall vieles 15 zugeschrieben werden, in einem System, welches der reinste Ausdruck der Consequenz und Nothwendigkeit ist, kann nichts von ihm herrühren. - Der lebendige Punct in unserer Geschichte ist also ein festes, unveränderliches, mit sich selbst übereinstimmendes Princip, und weil ein solches Vernunft voraussetzt, ein vernünftiges. In irgend einer Vernunft und ihrem Geist 20 12 müßen wir demnach jenes Princip suchen, und aus diesem Standpunct, dem einer mit Absicht und Bewußtsein, einer mit Besonnenheit und Consequenz wirkenden Ursache müßen wir die Entwickelung unseres Systems in der Zeit darstellen. 3. 34 Nun kennen 35 wir aber die Vernunft, den Sitz aller Systeme von einer 25 doppelten Seite: einmal wie sie nach dem Absoluten ringt, aber es aus Ursache einer angeborenen Beschränkung auf reale Weiße nie erreicht, je 36 dennoch 37 durch die ihr auf ideale Weise vorschwebenden Anschauung des Absoluten desselben theilhaftig wird; und dann die des Absoluten aus sich selbst und mit eigener Machtvollkommenheit genießende Vernunft, das ganze Absolute 30 selbst, die absolute Vernunft. Auf die erste Weiße ist die Vernunft im Menschen, auf die andere in Gott; der ersten werden wir in 38 uns selbst gewahr und besitzen sie realiter: die andere erscheint uns nur und besitzen wir nur in der Idee. - Wie die Vernunft so sind auch alle Systeme entweder im Menschen 32 dazu am Rand: - b Nicht der Zufall kann es sein, eine Vernunft − 33 j-j: über der Zeile, darunter gestrichen: ihrem Wesen nach nur 34 dazu am Rand: c Also die göttliche oder menschliche [korrigiert aus: Also aus der göttlichen oder menschlichen ] 35 korrigiert aus: können 36 am Rand angefügt 37 danach gestrichen: aber 38 über der Zeile <?page no="170"?> 138 Johann Sebastian Drey oder in Gott, so muß auch das System der Dogmen entweder im Menschen oder in Gott sein. Und wenn daher die Geschichte desselben dargestellt werden soll, so kann dieselbe Geschichte entweder aus der menschlichen oder aus der göttlichen Vernunft dargestellt werden. Ich sage, es sei möglich, d.h. es lasse sich vorläufig denken, daß das ganze 5 13 System unserer Dogmen 39 aus der menschlichen Vernunft und durch ihre Anstrengungen ganz allein sich entwickelt habe - ebenso als es möglich ist, daß es im ewigen Verstande Gottes empfangen, der menschlichen Vernunft nur mitgetheilt sei 40 und unter der Leitung eines göttlichen Princips sich entfaltet habe. 10 4. 41 Aber dieß erhellt sogleich, daß, je nachdem man sich den Ursprung unseres Dogmensystems denkt, auch die Behandlung seiner Geschichte und der Standpunct der ganzen Darstellung ein anderer sein müße. 42 Denkt man sich das System als ein rein menschliches, als das bloße Werk der Vernunft, so wird auch die ganze Geschichte desselben dargestellt werden müßen als ein 43 15 Schauplatz eines nothwendigen unermüdeten Ringens nach der Lößung einer Aufgabe, ohne welche die Vernunft ihre wichtigsten Forderungen nie befriedigt finden konnte. k Ein Ringen aber, welches sich in den einzelnen Zeiten, Menschengeschlechtern wiederholt und auf die manchfaltigste Weiße wiederholt. NB. k44 Menschen allein werden alsdan¯ in dieser Geschichte handeln, 20 werden ihre glücklichern oder unglücklichern Versuche wagen, werden Wahrheit oder Irrtum, oder beides untereinander zu Tage fördern, werden in ihren Speculationen durch die Umstände der Zeit, durch Vorurtheile und Meinungen, auch durch Leidenschaften und fremdartige Absichten begünstigt 45 oder gehindert werden. Und aus diesem bunten Getriebe, aus dieser chaotischen 25 Verwirrung bei welcher Zufall und Willkühr unmöglich ausgeschlossen werden können, wird ein harmonisches System, aus der Zerstückelung, in welche 14 das Streben der Vernunft durch die Zeit nothwendig aufgelößt wird, wird ein großes und schön verbundenes Ganze hervorgehend gesehen werden. l Reflexionen über die Voraussetzung nro 3 s.f. l46 − 30 Denkt man sich dagegen 47 das System unserer Dogmen im ewigen Verstande Gottes ursprünglich empfangen, und der menschlichen Vernunft nach und nach theilweiße mitgetheilt, also eigentlich als das Werk Gottes als Offenbarung Gottes, so wird dabei zwar die menschliche Thätigkeit, ein Ringen der 39 danach gestrichen: sich 40 über der Zeile 41 dazu am Rand: d. woraus zween verschiedene Standpuncte erwachsen 42 zum folgenden am Rand: ( α . der Profane 43 korrigiert aus der 44 k-k: Einweisung 45 b korrigiert aus g 46 l-l: Einweisung; zum folgenden am Rand: ( β der religiöße 47 Einweisung <?page no="171"?> 139 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) forschenden Vernunft nicht ausgeschlossen: denn da die einzelnen Glieder nur, nicht aber das Ganze System der Vernunft von Gott jedesmal 48 gegeben werden, so wird diese zufolge ihrer innern Natur nach der Einheit und dem Systeme ringen, aus der Erforschung der geoffenbarten Wahrheiten, und aus ihrer Vergleichung sowohl unter sich als mit dem ganzen Vorrath ihrer Er- 5 kenntnisse in den Besitz des Ganzen zu gelangen suchen, und dabei nicht minder thätig sich äußern, als wenn sie eine selbstgewählte Aufgabe zu lösen hätte; ja das Ansehen einer göttlichen Offenbarung wird dem Streben der Vernunft einen Ernst, und eine heilige Energie leihen, wozu sich die Menschheit bei eigenen und willkührlichen Untersuchungen nie erheben würde. - 10 Aber dießes Streben der Vernunft wird von einer andern Seite her ein ganz anderes Ansehen gewinnen, als da man sich dasselbe rein menschlich dachte. Denn hat man einmal die Uberzeugung gewonnen, daß zur höchsten, d.h. religiößen Entwickelung und Ausbildung der Vernunft ein unmittelbarer 15 göttlicher Unterricht, eine unmittelbare göttliche Offenbarung nöthig war, so 15 hat man damit auch den nächsten Schritt zu der zweiten gethan und kann ihr nicht mehr ausweichen, der 49 Uberzeugung nämlich, daß in der Entwickelung der Offenbarung, weil sie selbst nur eine im Geheimen fortlaufende Offenbarung ist, derselbe göttliche Plan, dieselbe göttliche Concurrenz angenommen werden müße, wie bei dem Ursprung der Offenbarung selbst. Von 20 diesem Standpunct erscheint also nicht nur die Grundlegung oder der Keim unseres Dogmensystems, sondern die ganze Entwickelung desselben als Werk Gottes und seines Geistes; und damit öffnen sich für das Feld der Dogmengeschichte ganz andere Ansichten als auf jenem Standpunct, der sie als reines Werk der menschlichen Vernunft betrachtet. Es bleibt zwar wie gesagt, das 25 menschliche Treiben dabei gerade so wie es die Zeit und die Geschichte dargestellt hat, aber dieß menschliche Treiben steht unter einer höhern göttlichen Leitung, es bleibt die Freiheit und Willkühr des menschlichen Forschens, aber sie wird geregelt und zusammengehalten durch die geheimen Grundsätze der göttlichen Vernunft, von welchen sich auch die ausschwei- 30 fendsten Untersuchungen, selbst grobe Irrtümer, nicht unwiderbringlich verlieren können. Es bleibt für die gewöhnliche Betrachtung ein Hin und Herschwanken der Meinung, ein scheinbares Vor und Zurückschreiten, aber 16 mitten in 50 dießen sich durchkreutzenden Bewegungen im Kampf und Wechsel der Meinungen erreicht der unsichtbare Geist des Christentums seinen 35 Zweck, eine immer vollkommenere Entfaltung der Offenbarung, ein immer mehr sich schließendes System des Glaubens - dessen Licht wieder auf alle Zweige der menschlichen Erkenntnis zurückwirkt, und zu neuen Entwickelungen der Offenbarung vorbereitet. Kurz es bleiben alle historischen Daten 48 Einweisung 49 korrigiert aus das 50 über der Zeile, darunter gestrichen: durch <?page no="172"?> 140 Johann Sebastian Drey in ihrem Werth; aber wenn sich der gemeinen Betrachtung der Dinge in der Geschichte der Dogmen mehr ein verzerrtes als wohlgeordnetes Bild zeigt, so bringt der höhere Standpunct wie in einem konischen Spiegel alle die Zerrbilder in ein schönes und göttliches Gemälde zusam¯ en. 5. 51 Die Standpuncte sind nun bezeichnet, von welchen es möglich ist, die 5 Geschichte der Entwicklung des Dogmensystems zu betrachten. Uns bleibt also die Wahl oder es erhebt sich vielmehr die Forderung, für welchen wir uns entscheiden sollen. Sehen wir auf die Äußerungen, welche sich in der letztvergangenen Zeit über diese Wahl und Entscheidung haben vernehmen lassen, so ist es nicht mehr zweifelhaft, daß die Meinung der Mehrzahl für die 10 erste, d.h. die rein menschliche Ansicht ist; denn von diesem Gesichtspunct sind die meisten neuern Versuche über Dogmengeschichte gefaßt. Ich aber, der ich mich in Sachen ernstlicher Untersuchungen durch die öffentliche Meinung nicht bestimmen lasse, sondern das was mir die Wahrheit zu sein scheint, wähle; ich werde die geschichtliche Entwickelung des Katholicismus 3 52 17 aus dem zweiten Standpunct bearbeiten und darstellen, und es ist mir ein Vergnügen, Ihnen m. H. die Gründe die mich dazu bestimmen, vorläufig, soweit es sich thun läßt darzulegen. Einmal habe ich mir, und ich darf sagen nicht ohne vieles Nachdenken, auch nicht ohne manches Abweichen vom Weg der Wahrheit, einmal hab ich mir 20 die Uberzeugung eigen gemacht, daß sich durch die ganze Geschichte des Menschengeschlechts ein ewiger Erziehungsplan Gottes hinzieht, daß dieser Erziehungsplan, in wie weit und weil ein solcher in der wirklichen Erziehung auch dem Zögling offenbar werden muß, in der Geschichte der Menschen, namentlich aber in der Geschichte der Religion und Offenbarung kund ge- 25 worden, aber wie es die Natur der Sache erforderte, am Anfang nur dunkel und stückweiße, jedoch nach dem Bedürfnis und der Fassungskraft der zu Erziehenden - daß durch Christus die Zeit der Unterscheidung 53 und des schärfern Denkens herbeigeführt worden, und damit zugleich die Nothwendigkeit erwachsen ist, den Erziehungsplan in seiner Umfassung und auf eine 30 der erhöheten Denkkraft angemessenen Weiße darzulegen - daß im Christentum in wieferne es speculativ ist und dogmatische Lehren enthält, dieser Erziehungsplan auf speculative Weiße und für die Vernunft geoffenbart ist, und das ganze dogmatische Christentum aber nichts anders als die ewigen Ideen Gottes über die Erziehung des Menschengeschlechts ist. −− Aus dießer 35 Uberzeugung ist der Entschlus in mir hervorgegangen, als ich zum Lehramte 18 der christlichen Dogmatik berufen wurde, das ganze System der christlichen Dogmen in diesem Sinne auf speculative und wissenschaftliche Weiße dar- 51 dazu am Rand e Wahl eines der beiden. − 52 Kopftitel am Beginn von Bogen 3: Ideen zur Gesch. des kathol. Dogmensystems 53 Korrektur am Rand, dafür gestrichen: Volljährigkeit <?page no="173"?> 141 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) zustellen, wozu mir Gott Zeit und Kräfte geben wolle − Bei dieser Uberzeugung von 54 einer alles umfassenden Offenbarung, einer von jeher über unserm Geschlechte waltenden göttlichen Leitung, wie könnte ich in der Geschichte der Entwickelung des christlichen Dogmensystems auf einmal bloßes Menschenwerk sehen, wie den Faden meiner Uberzeugung zerreißen? Als ob 5 derselbe göttliche Beistand und Einflus, der von jeher die religiößen Angelegenheiten der Menschen geleitet hat, nun im Christentum fehlen dürfte, oder uns eine Erziehung einmal etwas überflüßiges werden könnte? Es gehört zur Consequenz meines Systems im Vortrage der Theologie, daß nachdem ich in der Einleitung die Nothwendigkeit und Wirklichkeit einer Offenbarung 10 dargethan, nachdem ich ebenda die Idee des Christentums überhaupt dargestellt, nachdem ich in der Dogmatik dieselbe Idee in ihrem ganzen Umfang und in allen ihren Theilen erklärt habe, es gehört sage ich zur Consequenz meines Systems, daß ich in der Geschichte des Dogmensystems zeige, wie dieselben Dogmen in der ersten Verkündung des Evangeliums zwar schon 15 ausgesprochen worden, aber in ihrem vollen Lichte anfangs noch nicht deutlich erkannt werden, sondern erst allmälig unter der Leitung eines göttlichen von Christus selbst verheißenen Princips zur Klarheit bestimmter Glaubenssätze, zur Natur eigentlicher Dogmen, und nach und nach zur Gestalt eines 19 eigentlichen auch wissenschaftlich darstellbaren Systems gelangen konnten. 20 Zum andern würde mich schon die Achtung vor 55 den allgemeinen und öffentlichen Glauben der Kirche dazu bestimmen, die vorzüglich auf der Voraussetzung eines fortdauernden göttlichen Einflußes ruht. Es ist keinem Zweifel unterworfen, daß wenn in den Sachen des Christentums, und besonders wenn in den Dogmen desselben, die über das ganze System herrschen, 25 alles der menschlichen Willkühr, der bloßen Meinung hingegeben wird, die Kirche dann nicht mehr ist auch nicht mehr sein kann. Welche Consequenz man immer der Vernunft beilegen 56 , wie sehr auch der Inhalt der christlichen Dogmen in 57 der Natur des menschlichen Geistes liegen mag, die rein menschliche Speculation ist immerhin individuell zeitlich, wandelbar, verän- 30 derlich und willkührlich, ihre Geschichte kann nie eine strenge Einheit sehen lassen, und dieße wird auch hier wie überall nur aus einer höhern Ursache begreiflich. Gerade darum, weil selbst eine göttliche Offenbarung der unbeschränkten Willkühr rein menschlichen Forschens überlassen in absoluter Verwirrung zerfließen und allen Character verlieren würde, gerade darum 35 postuliren wir eine Kirche, als die äußere wohl organisirte Erscheinung der religiößen Providenz oder des Reiches Gottes, und postuliren die Kirche 54 über der Zeile 55 korrigiert aus für 56 danach gestrichen mag 57 über der Zeile ergänzt <?page no="174"?> 142 Johann Sebastian Drey vorzüglich in dogmatischer Beziehung als Organ der göttlichen Offenbarung als ein verkörpertes System, das sich fortwährend von innen heraus durch die Regung eines unsichtbaren Geistes bildet und gestaltet. Ein großer und der größte Theil seines geheimen Wirkens offenbart sich uns in der Entfaltung 20 des Dogmensystems. Wie könnte ich mich von der in der Geschichte der 5 Kirche unverkennbaren systematischen Ordnung wegwenden und mich mit dem Scharfsinn oder der Flachheit, mit der Redlichkeit oder den Ränken der Tausende von Theologen beschäftigen, die als Handlanger des göttlichen Geistes als Handlanger der Kirche zur Errichtung des großen Gebäudes mitgeholfen haben. 10 Mögen andere mehr Vergnügen darin finden, in der Geschichte der Dogmen mehr auf das Individuelle, Persönliche, Zeitliche zu sehen, mögen sie gewiße Entscheidungen dem überwiegenden Einfluß dießes oder jenes Kopfes zuschreiben, mögen sie ein ganzes System einzelner Vorstellungen aus 58 dem Geiste der Zeitalter 59 erklären und ableiten: so bin ich nicht von ihrer Parthei: 15 denn ich bin gewiß, daß auf diesem Wege sich alle Einheit und Consequenz verlieren, alles unzusam¯ enhängend und verworren 60 , und darum am Ende bezweifelt und vernichtet werden muß. Ich aber, der ich überall auf wissenschaftliche Weiße forsche, Einheit und System überall voraussetze und suche, alles nur in einer durchgreifenden Identität und nichts zufällig sondern als 20 nothwendig begreife, ich finde was ich suche auf dem obengenannten Standpunct. Darum ist mir die heilige und katholische Kirche so ehrwürdig, weil sie der höchste lebendige Ausdruck einer harmonischen Einheit, weil sie die höchste Consequenz, das vollendetste aller Systeme ist. Dieß selbst nach dem Geständnis ihrer Gegner ist, und ohne höhern Beistand dieß alles nicht sein 25 könnte. - Darum zieht mich selbst die scheinbare Klarheit und die glatte 21 Begreiflichkeit der Heterodoxie nicht an. Denn gerade dieße Klarheit und Begreiflichkeit hat noch immer seit 17hundert Jahren mit der totalsten Verwirrung geendet und sich selbsten aufgerieben. Vestigia terrent. § 4. Von der Form der Dogmengeschichte 30 oder eig. der Gesch. des Dogm.Syst. 61 Jedes wissenschaftliche Werk, oder überhaupt jede gelehrte Behandlung eines Gegenstandes hat seine bestimmte Form, die sich vorzüglich auf die Verbindung der Materien untereinander, und durch dieße auf die ganze Darstellung erstreckt. 62 35 58 über der Zeile 59 danach gestrichen zuschreiben 60 danach gestrichen werden 61 dazu am Rand: Aus dem angegebenen Standpunct ergiebt sich die Form von selbst s. angef. bei nro. 6 62 am Rand: N. ad § 4. <?page no="175"?> 143 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) 2. Die Form wird nicht so fast durch die Materie selbst bestimmt, als durch den Standpunct, aus welchem der Gegenstand betrachtet wird. Es kann ein und derselbe Gegenstand oder eine und dieselbe Materie in gar verschiedener Form dargestellt werden. Im allgemeinen giebt es aber nur zwei Hauptformen, in denen ein Gegenstand erscheinen kann: es ist die Form der Zufällig- 5 keit und die Form der Nothwendigkeit; in jener erscheint überhaupt alles was nicht eigentlich wissenschaftlich gedacht ist, in dieser alles Wissenschaftliche und Gewiße. Bei jener kann sich allenfalls noch Gelehrsamkeit zeigen: bei dießer muß nicht nur Gelehrsamkeit sondern noch ein höherer Geistesblick 22 offenbar werden. 10 3. Unter dem was in 63 der Form der Nothwendigkeit erscheint, unterscheiden wir zuerst dasjenige worinn das Princip der Nothwendigkeit mit ihr selbst bestimmt und deutlich ausgesprochen wird: dann dasjenige, woran zwar die Nothwendigkeit deutlich zu erkennen ist, aber nicht das Princip der Nothwendigkeit, welches vielmehr im Dunkel gehalten wird, und durch ein an- 15 deres erscheint. Die Form, die die Nothwendigkeit samt ihrem Princip ausspricht, ist die wissenschaftliche Form. Diejenige, die nur die Nothwendigkeit ohne das Princip ausspricht, ist die Kunst 64 Form. ( Explicatur ). b Wissenschaft und Kunst 65 sind ihrem Wesen nach eins, aber in der Form verschieden - 66 20 c Wird in einer Form das Princip der Nothwendigkeit zwar verhüllt, aber doch so daß es durch Reflexion hervorgehoben werden kann, so ist es die eigentliche Form der Geschichte d Ist es aber absolut verhüllt, daß es die Reflexion nicht finden, also die Form von dem Wesen, und das Wesen von der Form nicht trennen kann, so ist das 25 Wesen in der Form aufgegangen: es ist die reinste und höchste Erscheinung der Form, es ist Kunst. e Die Geschichte steht also in der Mitte zwischen Wissenschaft und Kunst: 23 sie ist dem Wesen nach gleich der Wissenschaft, aber sie hat die Form der Kunst. Daher die Geschichte für den wissenschaftlichen Denker und für den 30 Künstler gleich interessant ist: der erste findet sein System, der andere seine Poesie in ihr realisirt. - Darum sind alle ächten Geschichtswerke Kunstwerke: bei den alten aber am meisten, was aber begreiflich ist. 4. 67 Nach dießer Digression müßen wir nun zu der Geschichte unseres Dogmensystems zurückkehren. 35 63 danach gestrichen: wissenschaftlicher 64 über der Zeile, darunter gestrichen: historische 65 über der Zeile, darunter gestrichen: Geschichte 66 daneben am Rand: In der Geschichte erscheint die Nothwendigkeit im Ganzen, im Einzelnen die Freiheit: in der Kunst ist es umgekehrt. 67 dazu am Rand: NB. ausg <?page no="176"?> 144 Johann Sebastian Drey Da sie Geschichte ist, so muß sie auch die Form der Geschichte haben, und worin¯ diese bestehe, ist nro 3 68 et c gesagt b. Wollten wir nun eine im strengen Sinn so zu nennende Geschichte liefern, die Kunstwerk zugleich wäre, so dürften wir nur darstellen, nur erzälen, aber nicht reflectiren. Der wahre Geschichtschreiber reflectirt nicht, er beschreibt 5 nur und erzält; daran erkennt man ihn von dem falschen. c. Aber die Geschichte des Dogmensystems ist erstlich Geschichte eines Systems - und schon um deßwillen können wir das reflectiren nicht vermeiden. - Sie ist aber auch 69 Geschichte des Dogmensystems, also eine religiöße Geschichte, daher selbst religiöß. In der Religion aber wird die Wissenschaft 10 mit der Kunst verschmolzen, oder sie ist Wissenschaft und Kunst zugleich. Also auch um deßwillen kann die 70 Geschichte des Dogmensystems nicht 24 reines Kunstwerk bleiben; wir müßen in ihr reflectiren: denn das Princip der Nothwendigkeit, Gott durchbricht die Form und wird sichtbar. Wir müßen den Gott in dieser Geschichte zeigen, weil er sich selbst darinn zeigt. 15 5. Wollen wir also die Form bestimmen, die der Geschichte der Entwickelung des Dogmensystems gebührt, so ist sie weder die rein künstliche noch die rein historische; aber sie hat von beiden etwas. Die Form der Kunst verliert sich beim Vortrag noch mehr; dagegen müßen wir desto ernstlicher bedacht sein die historische festzuhalten: deren Grundlage in der Nothwendigkeit des 20 Erfolgs aller Erscheinungen ruht, deren eigentümlicher Charakter durch Verhüllung des Princips der Nothwendigkeit sich darthut. 6. 71 Dazu werden wir Anlas genug finden durch das was in der Geschichte überhaupt und ebenso in der religiößen als zufällig erscheint. Dieß zufällige ligt darinn, daß alle Geschichte sich an den Menschen und zunächst durch 25 ihre Thätigkeit sich entwickelt, die frei und daher zufällig gedacht werden muß. Dieß ist die Hülle hinter der sich der handelnde Gott versteckt. 7. Aber dieße Zufälligkeit ist nur in der Betrachtung des Einzelnen, in der Betrachtung des Ganzen verschwindet sie und zeigt sich als Nothwendigkeit. Die Betrachtung dießes Ganzen, eben weil es ein Ganzes, und in diesem 4. 72 25 Ganzen ein System ist, wird uns überzeugen; daß es nicht durch die Thätigkeit der Einzelnen, die als handelnde Personen auftraten, zu Stande kommen konnte: daß über den Einzelnen ein einiger Geist gewaltet, ihrer für sie allerdings freien und zufälligen Handlungen, ihrer sich oft widersprechenden Speculationen sich bemächtigt und als Mittel bedient habe, das consequen- 35 teste System zu entfalten. Der Zusammenhang und die Einheit der Lehren, 68 danach gestrichen: a 69 über der Zeile 70 danach gestrichen: Dog- 71 dazu am Rand: N. ang. 72 Kopftitel am Beginn von Bogen 4: Ideen zur Gesch. des kath. Dogmensyst. <?page no="177"?> 145 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) die sich ungesucht anbieten wird, wird uns zu Reflexion nöthigen, die den Gang der erzählenden Darstellung unterbrechen, zum Glauben und zur Bewunderung / der religiößen / erheben werden. 8. Unsere Entwickelung der Geschichte des katholischen Dogmensystems wird sich also in ihrer Form von den bisher gewöhnlichen wesentlich unter- 5 scheiden. Obwohl die Meisten, die etwa einen Versuch der Dogmengeschichte wagten, an eine höhere Einwirkung dabei glaubten, stellten sie doch die ganze Entwickelung so dar, daß sie blos als Resultat menschlicher Meinung und Discussionen erschien, wogegen es der ungläubigen Parthie nicht zu verargen, wenn sie gegen diese schlechte Darstellung immer neue und für diesen 10 Standpunct unwiderlegliche Einwürfe vorbrachte - / Man denke an die Geschichte einzelner Väter und Concilien! / Gegen dieße Einwürfe rückten die Gläubigen mit dem bloßen Auctoritätsglauben der Kirche hervor, ohne diesen durch Nachweißung der innern Harmonie des Systems zu rechtfertigen. 26 Sie stellten dar wie die Ungläubigen, und wollten doch ein anderes Resultat 15 finden. § 5 Epochen der Entw. des kath. Dogmensystems conf. Encyclop. Art. Histor. Theol. Einleitung. 73 1. Daß jede Geschichte ihre Perioden habe, ist theils aus der wirklichen Darstellung derselben bekannt, theils läßt es sich aus der Idee der Geschichte 20 darthun. Denn wenn die Geschichte nicht, wie es gewöhnlich geschieht, als ein Haufe von zufälligen Begebenheiten betrachtet wird, sondern als die in der Zeit sichtbar werdende Erscheinung eines Geheimen und Verborgenen Wesens, welches sich mit Consequenz und Nothwendigkeit entwickelt, so begreift man leicht, daß wie das Geheime und Verborgene seine bestimmte 25 Natur, oder bestimmte Gesetze seiner Entwickelung hat, also auch diese Gesetze in der Geschichte selbst sich offenbaren müßen. Die Wahrnehmung der Gesetze des Verborgenen Wesens in der zeitlichen Erscheinung heißt Periode oder Epoche. m Nota. Verbessert. m74 - Erläuterung aus dem Beispiel der Naturgeschichte unserer Erde 30 2. Dieße Perioden sind Ruhepuncte wie für das sich in der Zeit entwickelnde verborgene Wesen, also für den Geschichtsforscher um durch ihre Verbindung das Ganze der Geschichte leichter darzustellen und zu übersehen. 3. Nur lassen sich die Perioden auf doppelte Weiße bestim¯ en, d.h. die 27 Geschichtsforscher haben sie von jeher auf doppelte Weiße bestim¯ t und be- 35 stimmen sie noch so. Dieß rührt daher, weil auch die Geschichte auf doppelte 73 Verweisung auf ein im Herbst 1812 vorliegendes, nicht erhaltenes Manuskript Dreys zu seiner Enzyklopädievorlesung (siehe oben in der Einleitung bei und in Anm. 24). 74 m-m: Einweisung <?page no="178"?> 146 Johann Sebastian Drey Weiße betrachtet werden kan¯ : einmal als Masse zufälliger Thatsachen, oder als System von Thatsachen. −− Nach der ersten Betrachtungsweiße giebt es eigentlich keine fest bestim¯ ten Perioden: der Zufall macht sie, oder die Willkühr oder 75 Bequemlichkeit des Geschichterzälers. Indessen weil in der Geschichte doch ein System, wenn 5 auch der Geschichterzäler nichts davon weiß, und weil zufolge jenes Systems in einer gewißen Zeit sich merkwürdige Begebenheiten zusammendrängen, so kann auch dem des Systems der Geschichte Unkundigen jener Zusammenfluß nicht entgehen, und er wird dadurch genöthigt, jene Zeiten als Wendepunctszeiten oder als Perioden der Geschichte zu erkennen. Und auf dieße Weiße 10 sind selbst von den weniger gründlichen Geschichtsforschern doch die Hauptsächlichsten Perioden der Geschichte, wenn auch nicht alle richtig gefaßt und bestimmt worden - Demjenigen der die Geschichte als die Entwickelung eines Systems begreift, muß es ohnehin darum zu thun sein, die Perioden richtig zu bestimmen; sie 15 ergeben sich ihm aus der Idee des Systems selbst, oder er findet sie in der Geschichte - um so leichter, als er sie sucht. 4. Dem gemäß muß also die Geschichte unseres Dogmensystems auch ihre Perioden haben - umso mehr da sie Geschichte eines nicht zu verkennenden Systems ist; und es ist nicht ohne Nutzen dieße zum Voraus zu bestimmen; 20 indem uns durch sie und in ihnen eine allgemeine Ubersicht der ganzen Geschichte gegeben ist. 5. Dieße Perioden nun um zu bestimmen, brauchen wir nicht mehr, als den Uberblick des Systems selbst. - Da dießer durch die Dogmatik gegeben ist, 28 so könnte ich ihn zwar voraussetzen, halte aber für nothwendig, ihn kurz hier 25 einzuflechten, weil ich ihn im Vortrage der Dogmatik bisher noch nicht entwickeln konnte. Das Christentum überhaupt, und somit die Dogmatik des Christentums als der innerste Geist desselben - ist Offenbarung der ewigen Rathschlüße Gottes über unser Geschlecht, eine solche Offenbarung, welche uns nicht nur dieße 30 Rathschlüße Gottes wie sie in dem Verstande Gottes sind, sondern auch wie sie in der Zeit und an unserm Geschlechte in Erfüllung gingen, darstellt. - Daher weil dieße Offenbarung selbst in einer bestimmten Zeit geschahe - bezieht sich das Christentum auf alle drei Zeiten - auf die Vergangene - Alte, - vorchristliche - Auf die gegenwärtige - eigentlich christliche - und auf die 35 Zukünftige noch nicht geoffenbarte. - Die Offenbarung der Rathschlüße Gottes, die sich auf die gegenwärtige oder christliche Zeit beziehen, da dieße noch nicht abgelaufen ist, und jene Rathschlüße daher noch nicht vollkommen realisirt sind, heißt das Christentum im eigentlichen engeren Sinn - Und 75 und überschrieben mit oder <?page no="179"?> 147 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) daher ist die Geschichte des christlichen Dogmensystems nichts anders als die Geschichte der Entwickelung jener Rathschlüße für das Erken¯ tnisvermögen der Menschen, welcher Entwickelung der Ideen auch eine gleiche in der wirklichen christlichen Geschichte parallel läuft, von welcher letztern wir jedoch nicht zu reden haben, den¯ sie ist das Object der Kirchengeschichte 76 . 5 Aber jene in der Wirklichkeit und nicht mehr bloß in der Idee stattfindende - der Entwickelung der eigentlich christlichen Dog-men parallel laufende Ent- 29 wickelung - oder die Geschichte der Realisirung des Christentums in der Erscheinung wird selbst in der Dogmatik als eine Idee postulirt, dieße Idee ist die der Kirche 10 6. Daher zerfällt die Geschichte unseres Dogmensystems eigentlich in zwei Theile: in die Geschichte des christlichen Dogmensystems als eines solchen - und in die Geschichte der Idee der Kirche. Indessen weil doch dieße eine Idee selbst ist, können wir sie den übrigen ohne weiteres anschließen; aber in der Entwickelung der Ideen mußte sie eine der letzten entwickelt werden. 15 7. Nach Vorausschickung dieser Begriffe lassen sich nun die Perioden unserer Geschichte bestim¯ en. a. Da das Christentum als eine Erscheinung in der Zeit auftratt, die sich im bestim¯ testen Zusam¯ enhange mit der alten Zeit darstellte, so mußten sich 77 diejenigen Ideen zuerst entwickeln, die das Verhältnis des Christentums zu der 20 alten Zeit ausdrücken: die Ideen, die sich auf den gegenwärtigen Zustand beziehen - namentlich die Idee der Kirche später. b. Unter jenen mußten wieder diejenigen sich zuerst entwickeln, die den Charakter der alten Zeit unmittelbar und für sich angeben; denn ohne den Charakter und die Bedeutung der alten Zeit wäre weder der Charakter des 25 Christentums noch sein Zusam¯ enhang mit jener alten Zeit zu erken¯ en. Die erste Periode der Entwickelung des christlichen Dogmensystems ist also 30 diejenige, wo die wahren Lehren des Christentums über die alte Zeit sich aussprechen im Gegensatze gegen die falschen Lehren, Irrtümer und Meinungen oder - in der ersten Periode entwickelt sich 78 der die Vorwelt betref- 30 fende Theil der christlichen Dogmen im Kampfe mit Juden, Heiden, Gnostikern. War dieß nicht natürlich? c. Nachdem dieß Verhältnis als das erste erkannt, mußte sich die Entwickelung derjenigen Ideen hervordrängen, die das eigenere Wesen des Christentums - und besonders die Bedeutung Jesu, die mit dem Geiste der alten Zeit 35 in der engsten Verbindung steht, aussprechen. In der zweiten Periode entwickeln sich ebenso natürlich die Ideen, die die Natur, Sendung, Zweck und Bedeutung Jesu aufklären: n Dogmen die die Art aussprechen, wie das Christentum entstand n79 76 Do überschrieben mit Kir 77 danach gestrichen: zuerst 78 über der Zeile <?page no="180"?> 148 Johann Sebastian Drey d. Nach und nach muß der Geist der neuern Zeit im¯ er mehr erkannt werden, zuerst nach seiner innern unsichtbaren Seite, nach welcher er ein heiliges und heiligmachendes Princip ist. Daher hier die Ideen, die unsere Heiligung betreffen, offenbar ausgesprochen werden: die Lehren von der Gnade, Heiligung und dem heiligen Geist. o Natur des Menschen, freyen Willen o80 5 e. Sodann aber auch dieselben Ideen nach ihrer äußern Erscheinung oder der Realisirung des Christentums / confer supra 5. et 6 / d.h. die Idee der Kirche im Kampf gegen den Protestantismus. f. Es sind also bisher die Ideen des Christentums, die sich auf die Vergangenheit und 81 Gegenwart beziehen, entwickelt; was noch zu entwickeln ist, 10 31 sind die Ideen die sich auf die Zukunft beziehen. Da aber das Christentum in Ansehung dieser mehr Prophezeiung als klare Lehren enthält, so läßt sich nicht bestimmen, inwieweit dieße noch mehr entwickelt werden sollen. Soviel ist gewiß, wenn neue Entwickelungen geschehen sollen, so können sie sich nur über dieße Lehren erstrecken; und wenn neue Ketzereien noch möglich 15 sind, so werden sie jene Lehren angreifen. Anmerk. Es versteht sich, daß das zuletzt gesagte sich auf die Entwickelung des Dogmensystems unter den Völkern Europens, oder unter den bisher cultivirten Völkern bezieht. Dringt das Christentum unter die wilden Völker, so wird es zwar auch dort dieselben Perioden der Entwickelung durchlaufen, 20 aber da es zu ihnen auch unter andern äußern Verhältnissen kommt, und zum Theil in verschiedener Darstellung, so wird die äußere Geschichte des Christentums unter jenen Völkern eine andere Gestalt annehmen als bei uns. Anmerk. Ideen über die Art und Weiße, wie das Christentum den annoch wilden Völkern vorgetragen werden sollte: oder Instructio Missionariorum. − − 25 § 6 p Quellen und Hilfsmittel p82 der Entwickelung des katholischen Dogmensystems Unter Quellen versteht man, wen¯ von etwas geschichtlichem die Rede ist, 32 solche schriftlichen Urkunden, - wohl auch authentische, mündliche Uberlieferungen, woraus die darzustellenden Thatsachen - als das Materiale der 30 Geschichte entnommen werden. - Die Quellen oder Hilfsquellen der geschichtlichen Entwickelung unseres Dogmensystems sind also gleichfalls solche Urkunden. 2. Es versteht sich, daß die wirkliche Entwickelung unseres Dogmensystems nicht anders denn historisch dargestellt werden kann, und also auf lauter 35 79 n-n: zwischen den Zeilen eingefügt 80 o-o: zwischen den Zeilen eingefügt 81 danach gestrichen: Zukunft 82 p-p: über der Zeile ergänzt, darunter gestrichen: Hilfsquellen und Geschichte <?page no="181"?> 149 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) glaubwürdigen Daten und Urkunden beruhen muß. Denn nicht darinn unterscheidet sich unsere Darstellung von der gewöhnlichen, daß sie etwas anderes erzählte als gewöhnlich erzählt wird oder mit Fug der Wahrheit erzählt werden kann, oder daß sie der geschichtlichen Zeugnisse entbehrte; sondern darinn, daß wir ein höheres Princip bei der Entwickelung annehmen, 5 als sonst gewöhnlich angenommen wird, wobei übrigens die Thatsachen als solche bleiben was sie sind, aber von dem höhern Princip eine andere Bedeutung und einen anderen Werth erhalten. Auch können wir die Geschichte der Einzelnen nach ihrer Ausführlichkeit nicht entbehren: haben aber dabei unser Auge auf das Ganze selbst beim Einzelnen gerichtet, und möchten dann 5 83 33 gerne das Einzelne aus jenem begreifen. 3. Man kan¯ alle Quellen, aus denen wir die Thatsachen der Entwickelung unseres Dogmensystems schöpfen, in zwei Classen theilen: nämlich in solche, die an und für sich eine geschehene Entwickelung aussprechen - und in solche, die davon blos referiren oder nur einen entferntern Schluß erlauben. 15 4. Es wird hier aus der Dogmatik vorausgesetzt, daß jeglicher Glaubenssatz des Christentums nur dadurch zur Würde eines entschiedenen eigentlichen Dogmas erhoben wird, wenn die Kirche, d.h. die Lehrorgane derselben - mit Reflexion und Selbstbewußtsein diesen Satz als allgemeinen der Kirche ausspricht. Den¯ es kan¯ ein gewißer Satz als ein wahrer in 84 der Kirche, d.h. von 85 20 ihren Gliedern einzelnen, mehrern, den meisten, oder von allen für einen wahren gehalten werden, ohne daß die Kirche ihn bestimmt als ihre Uberzeugung erkän¯ te, - ohne daß sie ihn als ein zum System des Glaubens gehörigen mit Reflexion begriffe. - So sind viele Gedanken in mir, ohne daß ich mich ihrer und zwar als meiner bestimt bewußt würde; es sind noch 25 34 mehrere Gedanken in mir, ohne daß ich mir deutlich bewußt würde, in welches System und wie sie darein gehören. Wenn wir daher von der Entwickelung gewißer Dogmen in der Kirche sprechen, so können wir es nicht entwickelt nennen, solange biß wir sie von der Kirche mit Reflexion erkannt, als allgemeinen Kirchenglauben ausgesprochen wissen. - Sie mögen wohl, 30 und müßen sogar, schon früher in ihrer Entwickelung angetroffen werden, aber geschlossen ist die Entwickelung jedes einzelnen Dogmas und so des ganzen Systems nur unter der besagten Bedingung. 5. Daher sind für uns diejenigen Quellen die wichtigsten, welche eine solche allgemeine Entscheidung enthalten. Weil nun durch die längste Zeit in der 35 Kirche die Entscheidungen, Selbsterkenntniße p. derselben in Concilien ausgesprochen wurden, so sind die Acta Conciliorum die erste und wichtigste Quelle für die geschichtliche Entwickelung unseres Dogmensystems. 83 Kopftitel am Beginn von Bogen 5: Ideen zur Gesch. des kath. Dogm. Systems 84 über der Zeile, darunter gestrichen: von 85 über der Zeile ergänzt <?page no="182"?> 150 Johann Sebastian Drey Anmerk. Die Schrift kan¯ hier eigentlich nicht in Betrachtung kommen, auch nicht die Tradition selbst. einigermaßen doch! 86 Den¯ in der Schrift ligt das System noch unentwickelt und die Tradition stellt überhaupt die Entwik- 35 kelung dar. Der Sinn der Schrift und der Tradition wird erst durch die Kirche gedeutet: oder Schrift und Tradition werden erst durch die Erklärung der 5 Kirche Schrift und Tradition. Ipsi evangelio non crederem, nisi me Ecclesiae catholicae moveret auctoritas. Augustin. - Symbola Inwieweit die Kirche außer einem Concilium ihren Glauben aussprechen könne? - Namentlich durch Ausschließung gewißer Behauptungen als ketzerischer? - Inwieweit sogenannte Provincial od. particular Concilien, Deci- 10 sionen der Päbste als Quellen der Entwickelung des Dogmensystems betrachtet werden können? q conf. M. I pag. 51-58 q87 6. Nur Entscheidungen der Kirche bestim¯ en also zunächst und unmittelbar die bestim¯ te Entwickelung eines einzelnen Dogmas und so des Ganzen Systems. Dieße werden uns kund gethan unmittelbar durch allgemeine Conci- 15 liarbeschlüße durch allgemeine Verwerfung gewißer Meinungen von allen einzelnen Kirchen, wie in den ersten Jahrhunderten - durch Beitritt aller Kirchen zur Entscheidung von particulären, oder zu päbstlichen Decisionen. 36 Weil aber diesen letztern nur durch andere Zeugen und historische Belege constatirt werden können - so muß nun auch von dem Werthe dießer noch 20 etwas gesagt werden. Die Zeugnisse der Väter können von doppelter Art sein - einmal indem sie von der allgemeinen und daher auch öffentlich bekannt ausgesprochenen Uberzeugung der Kirche referiren - und inwiefern sie ohne von einer solchen etwas zu melden blos für sich aus der Schrift oder Tradition argumentiren. Im ersten Fall zeugen sie von einer schon geschehenen, im 25 andern von einer erst geschehenden Entwickelung. 7. Weswegen schon um deßwillen und auch noch aus andern Rücksichten bei ihrer Benutzung eine genaue Kritik und andere Vorsichtsmaßregeln notwendig werden. Wan kan¯ die bloße Erzälung der Väter einen Beweiß sein für die Entwickelung eines Dogma? Wie weit kan¯ ihre bloße Argumentation einen 30 Beweiß geben? Nota. − − Synodik - Archäologie - Patrologie - Kritik. Exegese. M. I pag. 58-70. 8. In wieweit andere Geschichtschreiber, kirchliche und andere - auch son- 37 stige Schriftsteller besonders die Schriften der Häretiker benutzt werden 35 können? Und mit welcher Vorsicht? 86 Einweisung 87 q-q: am Rand angefügt <?page no="183"?> 151 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) § 7 Litterärgeschichte dießes Zweiges der Theologie Was hier zuerst in Betrachtung kommen müßte, wäre die Litterärgeschichte der Quellen selbst, aus denen unsere Geschichte zu schöpfen hat: nämlich die Geschichte der Litteratur der Concilien und Väter, und anderer kirchlichen Geschichtschreiber, damit man die Geschichte dieser Quellen und Litteratur 5 kennen lerne. Davon ist hier aber der Ort nicht zu reden - da eigene Vorlesungen über die Synodik, Patristik und kirchliche Litterärgeschichte bestehen, worin¯ von diesem allem auch gehandelt werden muß. 2. Wir werden uns also bloß an die Litterärgeschichte unseres Faches selbst 10 halten: was bisher in diesem Fache geleistet worden ist, wo, und in wieweit man sich Raths holen, was für Werke man benutzen kan¯ . 3 Dabei ist es nun allerdings unangenehm, gestehen zu müßen, daß wir über die Geschichte der Ent-wickelung des katholischen Dogmensystems nicht ein 38 einziges, r ausführliches u. vollständiges r88 , wen¯ auch nur mittelmäßiges Werk 15 haben. - Selbst die Protestanten, so schreibseelig in Allem, haben es bisher noch nicht versucht, die Geschichtliche Entwickelung des Christlichen Dogmensystems auf ihre Weiße darzustellen. - Erst in der letzten Zeit sind von ihnen einige Versuche gemacht worden, die geschichtliche Entwickelung des protestantischen Lehrbegriffs zu beschreiben, wohin besonders gehört: Bret- 20 schneider’s Versuch einer systematischen Entwickelung aller in der Dogmatik vorkommenden Begriffe nach den symbolischen Büchern der protestant. lutherischen Kirche nebst der Litteratur über alle Theile desselben. - Lpz. 1805: welches Werk dogmatisch und historisch zugleich ist, und daher unserer Idee nicht zusagt. - Auch könnte hieher gezogen werden Marheineke’s System des 25 Katholicismus in seiner symbolischen 89 Entwickelung. 2 Bde Heidelb. 1810. - Allein ungeachtet des manchen Guten geht der Verf. von einem unrichtigen Standpunct aus, weswegen sein Resultat und seine Tendenz von der unsrigen ganz abweicht. 4. Was also übrig bleibt für die Geschichte und Litteratur dießes Zweiges, das 30 sind Versuche der gewöhnlichen Dogmengeschichte. - Und nicht einmal hier haben wir ein einziges Werk, welches die Geschichte aller Dogmen auf die 39 gewöhnliche Weiße behandelte wenigstens mit Ausführlichkeit behandelte. Was in der letztern Zeit hierüber zum Vorschein gekommen ist, das sind Compendien der Dogmengeschichte entweder der Dogmatik angehängt, wie 35 jenes von Stäudlin, - oder auch von der Dogmatik abgesondert: wie die von Augusti u. einigen andern und das in jeder Hinsicht fehlerhafte von Schnappinger. NB. 88 r-r: Einweisung; zu Beginn verdoppelt, durchgestrichen: wen¯ auch nur 89 Einweisung, dafür gestrichen: historischen <?page no="184"?> 152 Johann Sebastian Drey Wir haben also kein einziges vorzügliches Werk, welches nur die Geschichte der Dogmatik nach dem rein empirischen Standpunct umfaßte. Was in dieser Hinsicht früher geleistet worden ist, das umfaßt die Geschichte der Dogmen auf einen gewißen Zeitraum - einige Jahrhundert eingeschränkt oder es begreift die durch alle Jahrhunderte durchgeführte Geschichte ein- 5 zelner Dogmen. Wir wollen die erstern; sodann die andern in Rücksicht auf ihren Werth hieher setzen. 5. a. Werke, die die Geschichte aller Dogmen, aber nur bis auf einen gewißen Zeitraum umfassen Jac. 90 Usherii historia dogmatum. Lond. 1690. 4 91 10 Dogmata 92 theologica: auctore Ludovico Thomasino Paris. Tom. III. 1684-1689. fol. x 93 Dionysii 94 Petavii Opus de theologicis Dogmatibus edit. auct. cum notis Theoph. Al- 40 ethini Jo. Clerici Tom. I. VI. Antw. 1700. Fol. xxx 95 Instructiones 96 historico theologicae de doctrina christiana, et vario rerum statu, ortisque 15 erroribus et controversiis; jam inde a temporibus apostolicis ad tempora usque Saec. XVII. Studio Joan. Forbesii a Corse. Amstel. 1703. fol. xx 97 In diesen Werken dehnt sich die Dogmengeschichte über den weitesten Zeitraum aus; aber es ist darin die Geschichte aller Dogmen nicht entwickelt. b. Folgende Werke enthalten die Geschichte der Dogmen in ziemlicher All- 20 gemeinheit, aber sie schränken sich nur auf einen gewißen Zeitraum ein Für die ersten Jahrhunderte, und die Periode der Kirchenväter Institutiones theologicae antiquorum Patrum coll. a Jos. Mar. Tommasi Card Tom. I-III. Rom. 1709-1712. 98 Christoph. Fried. Rösler Lehrbegriff der drei ersten Jahrhunderte. Frkf. u. 25 Lpz. 1775. 8 99 Ebendess. Bibliothek der Kirchenväter in Ubersetzung und Auszügen aus ihren, besonders dogmatischen Schriften: mit Anmerk. Leipz. Th. I-IX. 1776-1787. 100 Joh. Laur. Moshemii Comment. de turbata per errores Platon. ecclesia - hinter Cud- 6 41 worth Syst. intellect. Tom. II. pag. 707. Lugd. Batav. 1773. 90 davor gestrichen a. 91 L: Münscher, Bd. 1, S. 86. 92 davor gestrichen b. 93 Markierung Dreys. − L: Münscher, Bd. 1, S. 81. 94 davor gestrichen c. 95 Markierung Dreys. − L: Münscher, Bd. 1, S. 80 f. 96 davor gestrichen d. 97 Markierung Dreys. − L: Münscher, Bd. 1, S. 87. 98 L: Münscher, Bd. 1, S. 83. 99 L: Münscher, Bd. 1, S. 94. 100 L: Ebd. <?page no="185"?> 153 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) Nota. Hierüber haben auch Keil und Loeffler geschrieben. 101 Auch gehört hieher als Hilfsquelle Suiceri Thesaurus ecclesiasticus. Uber die Periode des Mittelalters Adam Tribechovii de doctoribus scolasticis et corrupta per eos divinarum rerum scientia. Giessae. 1665 5 Auch die letzten Bände der cramerschen Fortsetzung des Bossuetschen Werks. 102 Uber die Periode der Reformation Plank’s Geschichte der Entstehung, Entwickelung, und der Veränderungen des protestantischen Lehrbegriffs Leipz. Bd I-III. 1781-1789. 103 10 Ferner die Hauptwerke der Reformatoren c. Folgende Werke enthalten die Geschichte einzelner Dogmen. Trinitätslehre Georg. Bull »Defensio fidei Nicaenae de aeterna divinitate filii Dei ex script. S.S. P.P., qui intra tria prima saecula floruerunt. - - - - 15 42 Ejusdem judicium Ecclesiae catholicae trinum saeculorum de necessitate credendi, quod Christus sit verus Deus - Ejusd. Tractatus de primitiva et apostolica traditione Dogmatis de J. Chr. divinitate: in G. Bullii Opp. omn. Lond. 1703 f * Antitrinitarische Schriften 20 Antenicenismus - et brevis oppositio ad Bullii Defensionem Syn. Nicaenae: auctore Gilberto Clerke - cum vera et antiqua fide de divinitate Christi, aperta contra Bulli judicium ecclesiae cath. per Anonym. 1695. 8 - - - Disquisitiones modestae - in Bull. Defensionem fid. Nic. auct. Dan. Whitby. ed. 2 da . Lond. 1720 104 25 Le Platonisme devoile ´ par Souverain Cologne 1700; deutsch von Jos. Fr. Christ. Löffler. zw. Aufl. Züllichau. 1792 Joh. Georg. Oellrichs Commentatio de vera et certa PP rum Saec. 2 et 3. sententia de relatione filii seu Logi cum Patre. Goett. 1787. 8 105 * Aeltere u. mittlere Gesch. der Lehre von Gott 30 Oellrichs commentatio de doctrina Platonis de Deo a Christianis et recentioribus Platonicis varie explicata et corrupta Marb. 1788. 8 101 L: Münscher, Bd. 1, S. 96. 102 L: Jacob Benignus Bossuet, Einleitung in die Geschichte der Welt, und der Religion, fortgesetzt von Johann Andreas Cramern. 6 Bde., Leipzig 1752-1785. Cf. Münscher, Bd. 1, S. 93. 103 L: Münscher, Bd. 1, S. 94. 104 L: Münscher, Lehrbuch der Dogmengeschichte, 3. Aufl., Cassel 1832, S. 160 f. 105 L: Oelrichs <?page no="186"?> 154 Johann Sebastian Drey W. Karl Ludw. Zieglers Beiträge zur Geschichte des Glaubens an Gott. 43 Goett. 1792. * Historia descensus Christi ad inferos Joh. Aug. Dietelmayer edit. Altorf. 1762. * Lehre vom h. Geist 5 Historia Succincta controversiae de Processione Spiritus St i a Patre. Filioque. Auct. Christ. Pfaffio Tub. 1749 Joh. Georg. Walch Controversiae Graecorum Latinorumque de processione Spiritus Sancti W. C. L. Ziegler - Geschichtsentwickelung des Dogma vom h. Geist von 10 den frühesten Zeiten der Kirche an bis zu der Synode von Florenz - in seinen theol. Abh. Gött. 1791. S. 77 ff. * NB 106 Die weitern Schriften dieser Art sehe man in Planks Einl. in die theolog. Wiss. II Theil pag. 300-334 15 auch Noesselts Anleitung zur Kenntniß der besten allgemeinen Bücher in allen Theilen der Theologie Leipz 1780 § 395-403. * 6. Hieher gehören gleichfalls als Hilfsmittel und zwar als sehr bedeutende die Geschichtlichen Darstellungen der Ketzereien im Gegensatz gegen den all- 20 gemeinen Kirchenglauben. Man findet hier viele Materialien für die künftige 44 Bearbeitung der geschichtlichen Entwickelung des k. Dogmensystems. α Die einzelnen Schriften über die Geschichte der Ketzereien überhaupt findet man bei Plank loc. cit. pag. 334-336. Noesselt l.c. § 472. 473 25 β Schriften, worin¯ die Geschichte einzelner Ketzereien beschrieben sind, findet man nach der chronologischen Ordnung gestellt in Plank l.c. pag. 336-343 Noesselt § 474-483 * 30 7. Dieß ist der Zustand der Literatur in diesem Zweige der Theologie. Daß der Gedanke an eine umfassende Entwickelung des ganzen Dogmensystems nicht früher entstand, mag wohl die vorzüglichste Ursache dieße sein, daß vor der Reformation und den Zeiten des Conciliums von Trient die Entwickelung des Systems noch nicht bestimmt genug war; indem es erst im 35 Kampfe mit dem Protestantismus sich bestimmt aussprach, seinen Schlus- 45 stein erhielt; Nach der Reformation aber kämpften die katholischen Theologen lange Zeit mit den Protestanten um diejenigen Dogmen und ihre Geschichte, die von den Protestanten damals geläugnet worden waren. 40 106 am Rand <?page no="187"?> 155 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) Wie aber der innere Geist des Protestantismus auf das Negiren alles Systems schon ursprünglich gerichtet war, diese seine Tendenz aber erst in der letzten Zeit ganz offenkundig geworden ist, so ist damit auch die Nothwendigkeit eingetretten, das ganze System sowohl philosophisch zu deduciren, als auch seine Entwickelung historisch darzustellen. 5 Dieß ist gegenwärtig die einzig wahre Polemik, die ihren Zweck erreichen kan¯ . * * 107 * Geschichte der Entwickelung des katholischen Dogmensystems Erste Periode 108 10 Vorläufige und nothwendige Bemerkungen § 8 Von dem Verhältnis der Lehre Christi, wie er sie selbst vortrug - zu 46 der spätern Entwickelung derselben Lehre. s M. I § 1. pag. 109 ss. s109 1. Es ist schon seit langer Zeit einer der gangbarsten und dem Anscheine nach 15 einer der gegründetsten Vorwürfe gewesen, den man gegen das ganze christliche Dogmensystem vorgebracht hat: daß sich eben dieses System von der Lehre Christi, wie sie in den Evangelien dargestellt ist, so himmelweit unterscheide; nicht nur in Absicht auf die Art des Vortrags, der in unserm System ganz gelehrt und schulgerecht seit Jahrhunderten geworden ist, dagegen Chri- 20 stus sich der höchsten Popularität bediente, - sondern auch in Absicht auf den Inhalt: indem in unserm Systeme Lehren und Ausdrücke vorkommen, wovon Christus nichts gewußt, wovon er wenigstens nichts gesagt haben soll. Daher haben mehrere Theologen - protestantische nämlich, vorgeschlagen, mit Verlassung des bisherigen ganzen Systems sowohl nach seinem Inhalt 25 als 110 seiner Form zu den Evangelien zurückzukehren, und das Christen-tum 47 so wie es dort verzeichnet ist, darzustellen. t die sogenan¯ ten biblischen und populären Dogmatiken. V. Pl. Einleit. § pag. t111 Und dieß zwar um so mehr, weil nach Aussage der neuern protestantischen Exegeten 112 das Christentum schon in dem Geist Pauli ganz ein anderes geworden sein soll, als es in dem 30 Geist Christi war, und Johan¯ es wieder andere Christen gebildet haben soll als Paulus. u Paulinische Johan¯ eische Christen. u113 107 § 8 überschrieben mit * * 108 eine Zeile darunter mit Asterisken übermalt: § 8 109 s-s: neben der Überschrift am Rand ergänzt 110 und überschrieben mit als 111 t-t: Einweisung; - L: Planck, Einleitung in die theologische[n] Wissenschaften. Bd. 2, S. 493 ff. 112 danach Verdoppelung gestrichen: das Christentum 113 u-u: Einweisung <?page no="188"?> 156 Johann Sebastian Drey 2. Es ist daher nothwendig, von dem Verhältnis der Lehre Christi, wie er sie selbst vortrug, zu der spätern Entwickelung überhaupt - und dan¯ wieder von dem Verhältnis der Lehre Christi nach dem Vortrage einiger Apostel zu eben derselben, wie sie im Vortrage Christi gewesen sein mochte, etwas zu sagen. 3. Wen¯ wir die Evangelien sowohl nach ihrem Inhalt als nach ihrer Form 5 durchgehen, und das Christentum als Lehre, wie es eine ganz freie rücksichtloße Abstraction dort herausheben mag, mit dem Christentum, wie es nun in unserm Systeme erscheint, vergleichen: so ist keineswegs zu läugnen, daß es hier allerdings ein anderes Aussehen hat, als dort. Es ist dieß auch sogar von der katholischen Kirche in ihrer Lehre gegen die bloßen Bibelgläubigen gar 10 nicht geläugnet worden; vielmehr ist es ein Lehrsatz der allgemeinen Kirche, daß es Wahrheiten des Christentums geben können und gebe, die überhaupt nicht in der Bibel, geschweige den¯ in den vier Evangelien stehen. Und wen¯ 48 man den¯ von diesem eigenen Beken¯ tnis der Kirche noch weiter geht und das Treiben der Theologen, wie sie bisher gewöhnlich waren, untersucht, so wird 15 man sich gleichermaßen überzeugen, daß auch die Theologen - ausgehend von dem Vorsatz, alle Dogmen in der Bibel zu finden, oder auch ausgehend von der gutgemeinten aber irrigen Uberzeugung, es müße sich nun einmal aus der Bibel alles beweißen lassen, und alles müße daraus bewiesen werden - daß sag ich, auch die Theologen 114 häufig etwas in die Bibel hineingetragen haben, 20 was sich keineswegs darinn findet, und aus der Bibel beweißen wollten, was sich nicht daraus beweißen läßt. Anmerk. Beispiele von Lehren, die von der Kirche als christliche anerkannt sind, obwohl sie nicht in der Bibel stehen - und Beispiele von Beweißen, die nichts beweißen. 25 Dieß also geben wir zu, daß das ganze System v unserer Dogmen v115 so wie es sich nach und nach in der Kirche entwickelt hat, nicht in den Evangelien steht, weder wörtlich noch in dem Zusammenhange von Christus vorgetragen worden ist 4. Indeßen kan¯ dieß unserm System auf keine Weiße zum Nachtheil gereichen: 30 es kan¯ daraus nicht gefolgert werden, daß unser System nicht mehr christlich, 7 49 viel weniger daß es falsch sei. Es kan¯ nicht gesagt werden, was die Protestanten seit ihrem Abfall von der Kirche nicht aufgehört haben zu sagen, daß die Lehre Christi mit dem Laufe der Zeiten entstellt, daß menschliche Meinungen, Menschensatzungen in das Christentum aufgenommen worden, daß 35 es also wieder davon gereinigt werden müße, und daß es jetzt Zeit sei, es davon zu reinigen. - Der Erweiß dieser Behauptung 116 , und die Rechtfertigung einer nothwendigen mit der Zeit fortschreitenden weitern Entfaltung 114 danach gestrichen: trotz ihrer Bestrebung 115 v-v: korrigiert aus unseres Dogmensystems 116 über der Zeile, darunter gestrichen: Erweiß <?page no="189"?> 157 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) des uns durch Schrift und Tradition überlieferten Christusglaubens gehört nicht hieher, sondern in die Einleitung zur Dogmatik, wohin ich auch verweiße: den¯ gerade für eine solche Entfaltung ist die Kirche von Christus vorzüglich gestiftet, gerade dafür ist ihr der h. Geist verheißen und gegeben, daß er bei ihr bleiben soll. Indessen mußte das hier wiederholt werden, theils 5 um die falschen Urtheile der Heterodoxen über unser System und dessen Darstellung niederzuschlagen, theils um vor Misverständnissen zu warnen wegen dessen, was nun über den ersten Keim und Anfang desselben Systems gesagt werden wird. 5. Von diesem Keim muß nun unsere Darstellung ausgehen, wen¯ sie die 10 Darstellung einer Ent-wickelung sein soll. Dieser Keim und Anfang ligt in 50 der Darstellung der Lehre Christi, wie er sie selbst vorgetragen, wenigstens nach der Erzählung der Evangelisten vorgetragen hat; u. eine andere geschichtliche Erzählung von seinem eigenen Vortrag haben wir nicht, wen¯ auch die welche wir haben immer unvollständig ist. 15 Wir müssen also die Lehre Christi nach seinem eigenen Vortrag kennen lernen, um einen festen Punct für unsere Entwickelung zu haben. Aber auch die Untersuchung, warum Christus seine Lehre auf diese Weiße vorgetragen haben möchte, ist nicht ohne Interesse. 6. Wen¯ man den Inhalt der vier Evangelien so zusammenzöge, daß alles was 20 Jesus selbst vortrug, auf gewiße Titel oder Rubriken reducirt würde, so möchten diese sum¯ arischen Rubriken ungefähr folgende Sein: Lehren und Versicherungen, die seine eigene Person und Sendung, Lehren die den Zweck und die Aufklärung seiner Sendung betreffen, Erläuterung des ganzen jüdischen Religionssystems; allgemeinsittliche und religiöße Vorschriften 25 a. In Absicht auf seine eigene Person, so concentrirte sich sein Vortrag vorzüglich darinn, daß er behauptete und durch seine Thaten bewieß: er sei der Sohn Gottes, sei vom Vater gesendet an die Menschheit um großer Zwecke willen, habe zu Ausführung dieser Zwecke alle die Macht und die 51 Mittel erhalten, die dazu gehören, besitze sie zwar durch Ubertragung von 30 dem Vater, aber doch wie sein eigen, indem er mit dem Vater eines sei. Kurz: was er über sich selbst und seine eigene Person lehrte, betraf die wahre Göttlichkeit seiner Person, die Göttlichkeit seiner Sendung, und die Mittel sie zu vollstrecken, worüber wie es natürlich war, er sich nicht mit bloßen Worten, sondern durch seine Thaten und Werke auswieß. Und obwohl er 35 seine Verhältnisse zu dem Vater nicht so genau und mit denselben Ausdrücken bezeichnete, als sie in unserm Systeme nun bezeichnet sind, so hat er doch die Göttlichkeit seiner Person so scharf behauptet und factisch dargethan, daß man selbst der Bibel widersprechen müßte, wenn man läugnen wollte, er habe sich nicht für den wahren Sohn Gottes ausgegeben. 40 <?page no="190"?> 158 Johann Sebastian Drey b. Uber den Zweck seiner Sendung hat er sich auf vielfache Weiße geäußert, aber gerade dadurch dem anfangenden Schriftforscher schwierig gemacht, diesen Zweck auf die erste Betrachtung in einem Centralpunct zu finden. Bald und meistens war es die große, vielumfassende Idee vom Reich Gottes, worunter er das Ganze seiner Sendung zusammenfaßte, und worüber er sich 5 durch viele Parabeln verständlich zu machen suchte, wiewohl diese Parabeln häufig die äußere Geschichte des Christentums bloß betreffen - bald war es 52 die Vergebung der Sünden, die meistens an das Reich Gottes angeschlossen wurde - bald auch die Rettung der Verlorenen zuerst des Haußes Israel und dann aller Völker - bald eine bessere Erkenntnis Gottes, bald eine größere 10 Tugend, Heiligkeit - bald wieder das Ewige Leben, die Vereinigung mit Gott. Uberhaupt ließen sich noch mehrere dergleichen Darstellungen finden Aus dieser verschiedenen Darstellung des Endzwecks seiner Sendung gieng es natürlich hervor, daß sie vieldeutiger werden, obwohl sie im Grund nur eine ist, und daher weniger begriffen werden mußte. Indessen waren diese 15 beiden Gegenstände doch die Hauptsache seines Vortrags, weil sie auch ganz allgemein waren: davon redete er am häufigsten und Johannes, der unter den Zwölfen den Sinn seines Meisters vielleicht am besten gefaßt hat, spricht in seinem Evangelium fast nur einzig davon. Ihm ist der Herr, d.h. Christus der Sohn Gottes, und seine Liebe und seine Größe, und das ewige Leben Alles. 20 Beide große Cardinalpuncte standen auch in unzertren¯ licher 117 Verbindung. War gleich der Zweck seiner Sendung das was die Menschheit am nächsten anging, so war doch dieser Zweck selbst weder möglich noch begreiflich, noch glaubwürdig ohne die Göttlichkeit seiner Person und ohne die Beweiße dafür. 25 c. Die beiden andern Gegenstände: Aufschlüße über die jüdische Religion - 53 und reinere Sittenlehre behandelte er blos als Mittel zu seinem Zwecke, oder als nothwendige Folgen desselben Was seine Aufklärungen der jüdischen Religion betrifft, so lassen sich dieselbe auf drei Puncte einschränken: Bestättigung und Erweiterung der 30 alten Grundlehren dieser Religion, namentlich Berichtigung ihres Begriffes von Gott, der ganz umgeändert wurde: Deutung der ganzen einst durch Moses von Gott getroffenen Anstalt auf sich den Sohn Gottes und den Zweck seiner Sendung, welches als der Hauptpunct bei dieser Sache betrachtet werden darf: endlich Berichtigung vieler irriger Vorstellungen der Juden, falscher 35 Auslegungen des Gesetzes, menschlicher Traditionen, steifer Ceremonien; hieruber ließ sich aber Jesus meistens nur gelegentlich ein, wen¯ ihn der Umgang und die böße Gemüthsart der Pharisäer dazu nöthigte, - außerdem fand er eben in der tiefen Herabwürdigung der Mosaischen Anstalt durch pharisäische Traditionen und in ihrem steifen Hangen an den Ceremonien ein 40 117 unüber der Zeile ergänzt <?page no="191"?> 159 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) großes Hindernis unter seinem Volke, welches auch den Eifer erklärt, mit welchem Jesus gegen den Pharisäismus redete. Ubrigens aber lag es so wenig in dem Sinne Jesu daß blos der Judaismus reformirt werden solle 118 , daß ich hier den großen Irrtum nicht ungerügt lassen kan¯ , der seit geraumer Zeit von mehrern Theologen hierin¯ zu Tage 5 54 gebracht worden ist, und vermöge dessen sie bald behaupten, Christus habe die bisher unter den Juden angenommene Religionslehre nicht verdrängen, keinen neuen theologischen Lehrbegriff aufstellen wollen, wie z.B. Münscher I pag 110-111 und andere - bald, das Xtum 119 sei nur ein gereinigtes, veredeltes Judentum, wie neben mehrern selbst Hug in seiner Einl. ins N.T. sagt. - Es 10 ist aber der Begriff von Gott im Christentum ein ganz anderer als jener im Judentum - dieser national, jener allgemein, dieser ein zürnender Gott, jener Liebe, Vater, Providenz, dreieinig pp - es ist die Anbetung Gottes eine andere Joan. IV. 23. - Das Christentum hat ganz neue dem Judentum fremde Ideen, u.s.w. 120 Das Judentum ist durchaus nur Symbol, Figur des Christentums wie 15 mit seiner Messiasidee, so in allem andern; das Symbol ist für sich ganz, und keiner Veredelung, Läuterung fähig, es muß untergehen, wen¯ die Sache kömt. Das Judentum war reine positive Vorbereitungsanstalt, Mittel zum Zweck, nie selbst Zweck. Was von dem Judentum ins Christentum übergehen konnte, war bloß der Monotheismus, der sich aber auch außer dem Judentum nur 20 nicht so rein erhielt, aber eben da eine Strenge und Einseitigkeit erhielt, daß die Idee eines Sohnes Gottes gerade das hauptsächliche Aergernis wurde, um 55 dessen willen auch sonst bessere Juden Jesum verwarfen. d. Die Moral Jesu muß in doppelter Hinsicht betrachtet werden. Daß Jesus überhaupt auf Sittlichkeit, und zwar auf reinere Sittlichkeit drang als den 25 Juden ihre Bücher und Lehren geben konnten, das war in der Ordnung: je reiner das Herz, desto empfänglicher ist es für die Wahrheit. Jesus mußte also um der leichtern Uberzeugung willen, so wie für sich selbst auf Sittlichkeit dringen. - Daß er aber kein bloßer Moralist war noch sein wollte, erhellt schon 30 daraus: der bloße Moralist ist eben darum einseitig und streng, und hart gegen die Sünder; Jesus aber nahm sie auf und begnadigte sie. Daß aber Jesus eine besondere Sittenlehre gegründet habe, muß schon um deßwillen einzusehen sein, weil er auch eine eigene Religion verkündet, den Grund der Sittenlehre, so wie die Haupttendenz aller einzelnen Handlungen nach seiner 35 Religionslehre bestimmt hat. 118 korrigiert aus sollte 119 über der Zeile, darunter gestrichen: Judentum 120 daneben auf dem Rand: Der Mosaismus wie er allgemein gemacht, auf alle Völker ausgedehnt wurde, mußte schlechterdings aufhören. <?page no="192"?> 160 Johann Sebastian Drey Anmerk. Nothwendige Begründung aller Moral durch Religion; Liebe das Grundprincip der christlichen Moral parallell mit dem Grundprincip der christlichen Religion: Verläugnung des Irdischen als Tend-enz der christlichen 56 Tugend parallell oder Consequenz / praktische/ der Hauptlehren / theoretischen/ des Christentums - Rückkehr aller Dinge zu Gott. 5 7. Allgemeine Ubersicht. In der Lehre Christi wie er sie selber vortrug, ist kein eigentliches, wenigstens kein vollendetes System - Aber es liegen in derselben die Keime eines Systems; es liegt der Grund eines allumfassenden Systems in der Idee vom Reiche Gottes; es liegen darin¯ Andeutungen genug und eigentliche Aufforderungen zur Entwickelung: indem Jesus seine Anstalt 10 als Weltanstalt, als eine sich über das ganze Menschengeschlecht über alle Zeiten ausdehnende darstellte; wodurch zugleich die historische Ansicht des Christentums gegeben ist. Es liegt Stoff und Reitzung genug in den von Christus ausgesprochenen Geheimnissen, die die Wege der Providenz, das Wesen Gottes, das Wesen und die Person Jesu, den Geist, die Zukunft be- 15 treffen. Daß Jesus selbst kein System weiter entwickelte, that er wegen der Zuhörer, vor denen er lehren wolte, wegen der Nachwelt, wegen der Universalität seiner Sendung, die für die Welt war. Was in der Schule empfangen ist, durchdringt die Welt nicht. 20 § 9 w (§ 2). w121 Von dem Verhältnis der Lehre der Apostel zu dem 8 57 christlichen Dogmensystem. Uber 122 dießes Verhältnis läßt sich noch weniger sagen, als über das Verhältnis der Lehre, wie sie Christus vortrug. Den¯ über den Vortrag Christi haben wir doch kurzgefaßte Memorabilien / απομνημονευματα - ευαγγελια Justin / . 25 Uber den Vortrag der Apostel aber haben wir keine dergleichen Memoires außer dem Wenigen, was uns in der Apostelgeschichte aufbewahrt ist. x Nota uber die Ap. Gesch. M. I pag. 115 x123 Die Briefe der Apostel enthalten keineswegs den ganzen Unterricht, den sie von Jesu und seiner Lehre gaben; sie waren auch nicht in der Absicht 124 geschrieben, den ganzen Inhalt des Chri- 30 stentums darzustellen, oder die Juden und Heiden zur Annahme desselben zu bewegen: sondern sie sind an Leser gerichtet, welche schon mit dem Hauptinhalt des Christentums bekannt waren, und nur über einzelne Puncte eine nähere Belehrung, oder über gewiße Pflichten besondere Ermahnungen bedurften. Solche Belehrungen, Ermahnungen, Rathschläge u.s.w. durch be- 35 sondere Veranlassung nothwendig geworden enthalten die Briefe der Apostel. Beispiele. 121 w-w: spätere Paragraphenangabe mit heller Tinte 122 davor gestrichen a. 123 x-x: Einweisung 124 danach gestrichen: Jesu <?page no="193"?> 161 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) a) 125 Aus diesen Briefen können wir also nie eine vollständige Kenntnis erlangen von der Art, wie die Apostel die Lehre Christi im Zusammenhang sich dachten und sie vortrugen. Dennoch indem sich die Briefe der Apostel 58 auf Misverständnisse einzelner Lehren, auf die Sitten, die äußere Disciplin des Christentums sich beziehen, und daher mancherlei Puncte theils absichtlich, 5 theils beiläufig berührt werden mußten, gewähren sie uns wenigstens eine theilweiße Einsicht in die Vorstellungen der Apostel von der Lehre Christi. b) 126 Und daraus lernen wir denn im Ganzen dießes, daß die Apostel der Lehre ihres Herrn treulich anhingen, lehrten wie sie Ihn selbst lehren gehört hatten, dieselben Hauptgegenstände heraushoben, wie Er selbst, und alles 10 andere darauf bezogen wie Er selbst. Er hatte sie ja in die Welt gesendet sein Evangelium zu verkünden, der Welt bekannt zu machen: und treue Boten, Herolden des Herrn waren sie - in weitere Entwickelungen der Lehre ihres Herrn ließen sie sich kaum oder gar nie ein, viele neue Folgerungen zogen sie nicht heraus, neue Beweiße für die Wahrheit erfanden sie nicht, sie beriefen 15 sich auf das, worauf Christus sich auch berufen. Sie waren bloße Referenten, das Sprachrohr Christi an die fernen Völker. − y Außer was sie zu besserer Verständlichkeit als Erläuterung beyfügten. e.gr. Brief an die Hebräer; überhaupt Eigenthümlichkeit Pauli. y127 Also mußte es auch sein: das Christentum mußte zuerst blos verbreitet, der Welt bekannt werden - ehe es sich weiter 20 entwickeln konnte / Beispiel vom Samenkorn/ . Und als Christentum konnte und sollte es in keiner andern Gestalt in die Welt ausgehen, sich dort verbreiten, als in jener, worinn es von Christus selbst dargestellt worden war. Die erste Periode des Christentums ist die einer einfachen, anspruchloßen, unge- 59 künstelten Ausbreitung der Lehre Christi − 25 d). 128 Wie also in der Lehre Christi nach seiner Darstellung noch kein eigentliches System war, so ist auch bei den Aposteln keines zu suchen. Indessen unterscheiden sie sich doch in etwas Petrus und Jakobus in ihren Briefen zeigen Belesenheit in den Büchern des A.T. und dringen, besonders Jakobus, auf christliche Gesinnung und christ- 30 liche Handlungsweiße. Petrus berührt zwar einzelne und zwar die Hauptlehren des Christentums aber er trägt sie bloß in ihrer moralischen Nutzanwendung, ohne sie weiter zu entwickeln, vor. Verschieden von diesen ist Johannes. Dießer gemütvolle Mann hat die Grundidee des Christentums z Anmerk. aus M. I pag. 115-116 z129 in der Person 35 Christi aufgefaßt, und ist mit ihrer Darstellung einzig beschäftigt. Christus 125 b. mit hellerer Tinte korrigiert zu a) 126 c. mit hellerer Tinte korrigiert zu b) 127 y-y: Einweisung 128 Klammer mit hellerer Tinte 129 z-z: Einweisung <?page no="194"?> 162 Johann Sebastian Drey der Sohn Gottes - Christus der Erlößer der sündigen Welt - aus Liebe uns gegeben, ist sein Thema in seinen Erzählungen - daher Flucht der Welt und Liebe der Brüder seine Moral. So waren auch seine Schüler. Paulus zeigt noch größere Verschiedenheit seiner Darstellung und Denkart. Er war ein Gelehrter nach der Art der Juden. Daher entwickelt er Gedanken 5 auseinander, reiht sie an einander, zieht Folgerungen und stellt Beweiße auf, was die andern Apostel nicht thun, sondern blos in Sentenzen sprechen. − 60 Man kan¯ von Paulus sagen, daß er das Christentum in ein System für sich selbst gebracht hatte, welches theils seiner natürlichen Denkart angemessen war, theils aus seinen Briefen hervorleuchtet, indem eben dieße Briefe gewiße 10 Grundlehren des Christentums in ihrem Zusammenhang darstellen. Daß wir aber auch von seinem System nur Bruchstücke, und höchstens über eine und die andere Idee des Christentums eine weitere Entwickelung haben, rührt theils von den zufälligen Umständen her, wodurch er zum Schreiben veranlaßt wurde, theils von dem besondern Umstand, daß er zeit seines Lebens eine 15 gewiße Abneigung der Judenchristen zu erfahren hatte, weil er am freiesten sich über die Auflößung des a. Gesetzes erklärt hatte, was ihm von den Juden nicht bloß um der religiößen, sondern auch um politischer Rücksichten willen - gemäß dem damaligen Zustand der Dinge - sehr übel genommen worden. Aus dieser Ursache findet man in allen seinen Briefen gewiße Tendenzen und 20 Darstellungen, wodurch er theils sich selbst zu rechtfertigen, theils das Christentum in Beziehung auf das Judentum darzustellen bemüht ist. Seine Hauptabsicht geht dahin zu erweißen: daß das Judentum eine Vorandeutung, ein Symbol, eine Figur des Christentums gewesen sei: daß es also schon um deßwillen nicht habe ewig bestehen können: daß es aber als Figur 25 61 und als gegeben einer kindlich einfältigen sinnlichen unvollkom¯ enen Zeit gleichfalls unvollkom¯ en habe sein müßen, und also selbst die Absichten Gottes nicht habe erfüllen können. Das alte vorangedeutete sei in Christus erfüllt, mit dem überhaupt die Zeit einer größern Reife und Vollkommenheit gekommen sei, wodurch auch das Judentum habe aufhören müßen. Daher 30 seine manchmal kühnen und gesuchten, manchmal auch treffenden Beziehungen und Deutungen Uberhaupt ist ihm die alte Zeit Zeit der Sünde, gegen welche das Gesetz zwar gegeben wurde, ohne aber die Sünde aufheben zu können - so redet er auch zu den Heiden - und zieht theils gegen die Juden, theils gegen alle Christen 35 die gehörigen Folgerungen daraus - namentlich auch in Beziehung auf die Bedeutung und den Charakter Christi. Es ist gewiß, daß Paulus diejenigen Puncte zuerst aufgefaßt hat, welche nach dem Ganzen System des Christentums zuerst in Entwickelung kommen mußten, und daß deßwegen seine Schriften in der ersten Periode sowohl von Häretikern als Orthodoxen am 40 meisten gebraucht wurden. conf. supra § 130 130 Paragrahenangabe fehlt <?page no="195"?> 163 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) * d) 131 Die auf die Zeiten der Apostel unmittelbar folgende - oder die Zeit der Apostolischen Väter - konnte noch keine besondere Entwickelung des christlichen Lehrsystems herbeiführen. Denn die Männer, die jetzt lehrten, waren 62 solche, die von den Aposteln unmittelbar gebildet worden, und wie sie diesen 5 nach ihren natürlichen Anlagen ziemlich gleich waren, also auch in ihrer neuen Bildung, ihren Lehrern getreu und ähnlich blieben. Zufälliger Weiße erlangten die Schüler des Johannes einen größern Ruf, als die Schüler Pauli. Daher auch in dieser Periode so wenig Gelehrsamkeit an den apostolischen Vätern wahrgenommen wird. Die berühmtern Männer dieser Zeit, von denen 10 wir noch Schriften besitzen, sind Barnabas, Hermas, Clemens, Ignatius, Polykarpus, Papias u.s.w. Die Absicht ihrer Briefe ist nicht, Lehren des Christentums zu entwickeln, sondern zur Eintracht zu ermahnen, weswegen sie vorzüglich die äußern Anstalten, die Christus in seiner Kirche getroffen, hervorheben, und eigentlich den Organismus der Kirche entwickeln. 15 conf. M. I. pag. 117-125. § 10 (3) 132 Ubergang zu der ersten Periode Das Christentum als Vollendung der alten Zeit und Anfang einer neuen mußte sich offenbar allem entgegensetzen, was bisher als herrschende Religion gegolten hatte. 20 Indem es sich aber allem Alten entgegensetzte, theils es aufhebend, theils für erfüllt erklärend, mußte es anfangen seinen eigenen innern Charakter aus- 63 zusprechen, und zwar ihn im Verhältnis zur alten Zeit überhaupt auszusprechen. Denn es war vorauszusehen, daß, obwohl nach dem Plane der ewigen Vorsehung die Welt für das Christentum reif sein mußte, als es erschien, daß 25 dennoch das Alte dem Christentum einen Widerstand entgegensetzen, und daß sich also dieses 133 über sein eigenes Verhältnis zum Alten erklären mußte. NB 134 Obwohl für den Geschichtforscher die ganze vorchristliche Zeit trotz mancher Verschiedenheiten doch einen gemeinschaftlichen Charakter hat, und 30 der Jude - seinen klaren Monotheismus abgerechnet - mit dem Heiden gleiche Denk- und Handlungsweiße hatte, 135 so stand 136 doch das Christentum in einem andern Verhältnisse zum Judentum als zum Heidentume. Jenes war bloße nähere Vorbereitung zum Christentum gewesen; dießes bereitete das Christentum nicht vor a directe und positiv - aber indirecte, und negativ a137 , 35 konnte aber von einer andern Seite zur Bestättigung des Christentums dienen. 131 e. mit hellerer Tinte korrigiert zu d) 132 spätere Paragraphenangabe mit heller Tinte 133 über der Zeile, darunter gestrichen: das Christentum 134 ohne weiteren Text am Absatzende angefügt 135 am Rand: NB 136 über der Zeile, darunter gestrichen: war 137 a-a: Einweisung <?page no="196"?> 164 Johann Sebastian Drey Daher hatte das Christentum weder an dem einen noch an dem andern einen Widerstand finden sollen, wenn der Jude seine alte Constitution, und der Heide die unausbleiblichen Folgen seiner Superstition begriffen hätte. Aber ein großer Theil der Juden und Heiden begriff dießes nicht, und darum mußte es beiden die Augen öffnen. Durch den Widerspruch beider 138 ge- 5 drungen sprach das Christentum sein Verhältnis zu beiden aus. Gegen den 64 Juden mußte das Christentum die Idee des Messias ergreifen, und dieße Idee als in Christus realisirt darstellen; gegen den Heiden mußte es mehr. Es mußte gegen ihn das Wesen Gottes, und seine Verhältnisse zu dem Menschen aufklären, wovon die ursprünglichen Traditionen in seinen Mythen verloren 10 gegangen waren; es mußte die Einheit und die geistigen Eigenschaften Gottes in ein helleres Licht setzen, es mußte dann über den Charakter und die Bedeutung des Christentums, und wie es eine ewig beschlossene, in der Zeit sichtbar gewordene Anstalt Gottes sei, das Nothwendigste entwickeln. / Trinitæt / 15 Aber indem es auf dieße Weiße sich gegen den Juden und Heiden erklärte, konnte es nicht umhin, sich auch in Berührung mit den unter beiden vorhandenen, und um dieße Zeit ausgebreiteten WeisheitsLehren zu setzen: das Christentum mußte also auch auf die philosophischen Systeme der Juden und Griechen Rücksicht nehmen, und indem es sich beiden verständlich machte, 20 mußte es zu seinen Lehren die Ausdrücke, Bezeichnungen oder Bilder von jenen entlehnen. Indem es aber so zu verschiedenen Classen von Menschen sprechen mußte, sich nicht mehr in seiner Ankündung auf das Volk einschränkte, sondern selbst zu Weißen und Gelehrten - die es waren oder sein wollten, sich kehrte - mußte dadurch nothwendig eine weitere Entwickelung 9 65 seiner Ideen versuchen, und der erste Grund zu seinem Systeme gelegt werden. Dieß war also der erste Zeitpunct, wo der von Christus seiner Kirche verheißene Geist sein unsichtbares Werk beginnen, und wie er bisher sichtbarlich durch Zeichen und Wunderkraft eine äußere Ausdehnung derselben bewirkt hatte, auch ihre innere Entfaltung und Bildung leiten sollte. 30 Indem wir also das Christentum in offenbarer Opposition mit dem Heidentum, mit dem Judentum, und mit der Philosophie beider erblicken, lassen sich auch zum Voraus die Gegenstände bestimmen, über welche sich dasselbe erklären mußte. Es sind die Lehren 1. a. von Gott, von seinem Wesen überhaupt, seinen bisher weniger erkann- 35 ten Eigenschaften: b. Namentlich aber von jenem dreifachen Verhältnis in Gott, auf dessen Erkenntnis das ganze Christentum in seiner allgemeinsten Bedeutung beruht, worinn das Ganze seiner Geheimnisse gegeben ist, oder die Trinitätslehre. 40 138 danach gestrichen: sprach <?page no="197"?> 165 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) 2. 139 Weil aber dießes innere Verhältnis Gottes sich auch auf die Verhältniße der Schöpfung zu Gott wesentlich bezieht, weil 140 das Verhältnis der Menschheit zu Gott in ihrer dreifachen Periode der Providenz damit 66 gesetzt ist, so mußten sich auch die Lehren c. von der Schöpfung überhaupt 5 f. 141 Von dem Ursprung des Bößen - d. 142 Von der Natur und Bestimmung des Menschen e. 143 Von der ganzen Oekonomie der Schöpfung näher entwickeln; denn auf der Erkenntnis dieser Lehren ruht auch größtentheils das Verhältnis der neuen christlichen Periode zu den frühern 10 und ursprünglichen. 3. Die im Judentum liegende Andeutung / Präfiguration / des Christentums als einer alles umfassenden göttlichen Anstalt 144 hatte unter den Juden selbst eine Ausbildung und Richtung erhalten, die zwar von dem wahren Geist des Christentums gänzlich abwich, aber gerade durch diese Abweichung den 15 Zweck erreichte, den sie sollte: nämlich durch den schärfsten Contrast das Bedürfnis und die Göttlichkeit des Christentums den Juden fühlbar zu machen. Das Christentum mußte sich gegen die jüdischen Meßiasidee erklären, sich ihr anbequemen, oder sich über sie erheben. Weil aber diese Fragen sich über die 20 zukünftigen Dinge drehten, so mußten auch die auf die Zukunft bezughabenden Ideen berührt werden. b Wiewohl sie, die da größtentheils ganz neu waren, noch keine völlige Entwickelung erhalten kon¯ ten. b145 Daher finden wir in dieser ersten Periode besonders 146 67 g. Die Versin¯ lichung des Reichs Gottes in dem tausendjährigen Reich 25 Christi ausgeführt und widerlegt h. Die damit in Verbindung stehenden Lehren von dem Zustand nach dem Todt i. der Auferstehung k Und dem Weltgericht berührt, aber noch in einer gewißen Verwirrung 30 Die Entwickelung dieser Lehren wird die Geschichte der ersten Periode füllen. c Wie sich das Christentum gegen Juden und Heiden über seinen Inhalt, so mußte es sich auch über seine Erscheinung erklären; daher Geschichte seiner Apologetik c147 NB. Keimende Lehren 139 c überschrieben mit 2 140 danach gestrichen damit 141 d mehrfach korrigiert, zuletzt: f (wohl Umstellung, vgl. p. 67) 142 e korrigiert zu d 143 f korrigiert zu e 144 Einfügung 145 b-b: Einweisung 146 danach gestrichen: die 147 c-c: Einweisung <?page no="198"?> 166 Johann Sebastian Drey § 11 d (§. 4.) d148 Entwickelung der Lehre von Gott als erster Hauptlehre 1. Wie Christus selbst und die Apostel in ihren Vorträgen von Gott überhaupt gesprochen haben, ist aus den heil. Schriften bekannt, und gehört eigentlich nicht hieher. conf. Munscher I pag. 380 ss. 2. Als sich aber das Christentum wegen seiner neuen Lehre von Gott ver- 5 theidigen mußte, mußte es sowohl die Idee von Gott, als die Wege zu dieser Idee zu gelangen entwickeln 3. Gegen den Vorwurf des Atheismus, den ihnen die Heiden machten, ver- 68 theidigten sich die Christen, indem sie nicht nur ihren Glauben an Gott bekannten, sondern auch Beweiße für seine Existenz vorbrachten 149 : indem 10 a) 150 sie bald die Idee Gottes angeboren nan¯ ten; Arnobius adv. gentes. l. I pag. 18; Clem. Al. Stromat. l. V pag. 698. e Tertull. de testim. an. e151 − b 152 bald sich auf die Uberzeugung aller Völker beriefen. Cypr. de idol. vanit. pag. 14 c.5 153 ; Tert. Apolog. c. 17 et de testim. animæ; Clem. Stromat. l. V. pag. 729 ss. 154 f c) 155 Arg. Ontol. Athenag. Leg.; Aug. de lib. arb. L. II c.3-15 156 ; Boethius de consol. phil. L. 15 III, 10. d) 157 Argum. Cosmolog. Diodor. Tars. libro de fato. Phot. C. 123. f158 − e) 159 bald sich des physikotheologischen Beweises bedienten. Theophil. ad Autolycum L. I. §.5 160 pag 340 ss Min. Felix in Octav. cap. 17. 18.; Athenagoras Legat. pro Christo pag 283. 161 g Athan. c. gentes; Greg. Naz. Orat. 24; - Nyssen. Or. Cat. Ambros. exp. hexäem. Aug. Conf. L. X. Basil. in Hexäem. g162 − f 163 Doch hielten 20 sie eine ursprüngliche Offenbarung für nothwendig. Clem. Al. Strom. l. V. 695 ss; l. VI. pag. 802; Iren. adv. hæres. l. IV. cap. 6; Origenes contra Cels. l. VII §.42 164 pag 724 ss; Lactant. instit. div. l. II. c. 14; Athenag. Legat. pr. Chr. pag 285; h − ad a). h165 i Argum. morale: Clem. Al. Strom. V.; Athanas. c. gent. c. 30; i166 148 d-d: spätere Paragraphenangabe 149 dazu am Rand: M. I pag. 382. 150 am Rand angefügt 151 e-e: über der Zeile 152 − überschrieben mit b 153 über der Zeile 154 L: Münscher, Bd. 1, S. 383. 155 nachträglich eingefügt 156 über der Zeile 157 nachträglich eingefügt 158 f-f: am Rand ergänzt 159 − überschrieben mit e) 160 über der Zeile 161 am Rand, teils überschrieben: p. 385 [vgl. Münscher, Bd. 1, S. 384 f] 162 g-g: Einweisung 163 nachträglich eingefügt 164 über der Zeile 165 h-h: am Absatzende angefügt 166 i-i: neben h-h am Rand ergänzt <?page no="199"?> 167 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) 4. Im Gegensatz gegen das Heidentum mußte sich vorzüglich die Einheit Gottes bestimmt entwickeln: die Christen sahen sie als Unterscheidungslehre an j M. I. p. 386 j167 - Dieße suchten sie zu erweißen aus dem Begriffe des Höchsten. Minut. Felix in Oct. c. 18. Tertull. adv. Marc. L. I. cap. 3. 4. 5. 11. 69 k Ignat. ad Magnes. c. 8. Cyprian. de idol. vanit. c. 5. k168 l M. pag. 387. 390. 391 l169 - 5 Lactant. inst. div. l. I. c. 3. 5 m De ira Dei cap. 11 Gr. m170 - Oder auch aus der Harmonie des so manchfaltig complicirten Weltalls, welches nur einen 171 Urheber haben könne. Origenes contra Cels. L. I § 23. Lactant. inst. div. L. I cap. 3. 172 n Athenag. Legat. Cyrill. hier. Cat. VI. cap. 7.; a) 173 Greg. Nyss. Or. cathech. prooem; Boeth. cons. phil. III n174 - Einen eigenen aus der Mathematik herge- 10 nommenen Beweiß hat Athenagoras leg. pro Christ. pag. 285. − Endlich beriefen sie sich hierin¯ auf die Ubereinstimmung der angesehensten griechischen Philosophen. Athenag. l. c. pag 283. 284. Lactant. inst. div. L. I. cap. 5. Minut. Fel. Octav. cap. 19. 175 o c) Iren. III, 1 o176 p / Tertullian de anima cap. 177 et de testimon. animae innatam dicit unitatem Dei; adv. Marc. I, 3. Athan. adv. gent. 7 p178 15 5. Ebenso war es nothwendig, daß 179 im Gegensatz gegen das Heidentum, dessen Götter endliche Wesen waren, die Unendlichkeit und Erhabenheit Gottes - seine Natur und sein Wesen - klar ausgesprochen wurden. q M. I. pag. 394-397 q180 Hiezu benutzten sie einen Spruch des Platon, der da gesagt hatte: Gott habe nicht ein blos gutes Wesen, er sei vielmehr über das Wesen erhaben. 20 Justin. Dialog. cum Tryphone. pag. 105. - Daher hange allen unsern Vorstellungen von ihm etwas anthropopathisches, und unvollkommenes an. Theophil. ad Autolyc. l. I. pag. 339. Min. Fel. Oct. cap. 18. Clem. Al. Strom. L. V. Pædag. L. I. Iren. adv. hær. l. II. cap. 14. Orig. Princ. l. I. c. 1; Adv. Cels. l. VII. § 38. Novatian. de trin. cap. 2. r − Die späteren Väter. Dobm. § 34. 181 * n. 4. quibus adde 25 Greg. Naz. Orat. 33; Cyrill. hieros. catech. 6; Hilar. de Trin. l. IV. August. Confess. l. I. Reverenter accedunt r182 167 j-j: auf dem Rand ergänzt 168 k-k: am unteren Rand der Seite 68 ergänzt 169 l-l: Einweisung 170 m-m: Einweisung 171 E überschrieben mit e 172 L: Münscher, Bd. 1, S. 388. 173 über der Zeile eingefügt 174 n-n: auf dem Rand ergänzt 175 L: Münscher, Bd. 1, S. 389. 176 o-o: am Rand ergänzt 177 Angabe fehlt 178 p-p: am Absatzende angefügt 179 danach gestrichen sich 180 q-q: auf dem Rand ergänzt - L: vgl. Münscher, Bd. 1, S. 393-397. 181 L: Dobmayer, Systema theologiae, Bd. 1, § 34, S. 65. 182 r-r: am Absatzende und auf der Randspalte angefügt <?page no="200"?> 168 Johann Sebastian Drey 6. Daher kam es auch, daß die Lehrer der ersten Zeit Gott namenlos nannten. s M. I pag. 391-394 s183 Die Ursachen warum Gott keinen Namen haben könne, 70 sind ihnen: weil sonst ein höherer über ihm wäre, weil er als der Einzige keines Namens bedarf, und alle Namen nur Bezeichnungen von gewißen Eigenschaften sind. Justin. Apolog. min. c. 6. 184 ; Min. Fel. Oct. cap. 18; Lact. inst. 5 div. L. I. cap. 6; Clem. Strom. L. V; Theoph. ad Autol. L. I; Nov. de Trin. cap. 4; Orig. contra Cels. L. VI. § 65 milderte oder deutete diese Behauptung 185 - Ubrigens konnten sie sich hier auch auf Platon berufen - das Beispiel der Juden hatten sie für sich, und gegen die vielen Götternamen der Heiden stach die Behauptung ab. t c) Deus ens a se, independens: Iren. II, 16; Clem. Pædag. I, 8; 10 Athan. Orat. 5 adv. A. Cyrill. H. Cat. 6. In Verbindung mit der Ewigkeit Ambr. de aetern. Aug. de civ. Dei XI, 5. Boeth. de c. Ph. V, 6. t186 7. Mit der Unendlichkeit Gottes hieng auch seine Unermeßlichkeit, welche sie aber meistens 187 als mathematische Unermeßlichkeit dachten, oder wenigstens durch solche räumliche Verhältnisse zu erläutern suchten. u M. I. p. 404 u188 15 Theoph. ad Autol. l. II pag. 341; v : τοποσ των ω ë λων. ε ë ρω τ ì ω τοποσ v189 Athenag. Leg. pro Christ. pag. 282; * 190 Cypr. de idol. van; Novat. de Tr. c. 2; Theoph. ad Aut. l. II; Arnob. adv. gent. l. I. Novat. de Tr. c. 25 w Allgegenwart. * Irenæus IV, 36. ** Athanas. ep. 1. ad Serap.; Hilar. Tract. in Ps. 118; Cyrill. hier. Catech. VI, c. 9; Greg. Naz. orat. 21; Greg. Nyss. e contra Eunom. l. 1; Ambros. i in Luc. c. 19. 20 Chrysost. hom. 20 in Hebr; Hieron. in ψ 70; August. serm. de temp. 104. Hieron. ad Marcellam e.i. w191 Dieße etwas gröbern Vorstellungen berichtigten die Alexandriner: Clem. Strom. l. II c. 2 192 ; l. V; Orig. adv. Cels. l. VI. § 71; Clemens negat localitatem continentem et contentam. 8. Mit der Unermeßlichkeit Gottes - besonders im mathematischen Sin¯ - 25 hieng auch ebenermaßen die Frage zusam¯ en: ob Gott einen Körper habe und haben könne? x M. I p. 397 ss. x193 Einige der frühern Lehrer schienen sich Gott ohne alle Körperlichkeit nicht denken zu können: wie Melito von Sardica; 71 Tertullian de carne Christi cap. 11 194 ; y Tertull. corpus opponit nihilo vel abstracto. y195 183 s-s: auf dem Rand ergänzt 184 Kapitelangabe über der Zeile ergänzt 185 L: Münscher, Bd. 1, 393 f. 186 t-t: auf dem Rand 187 über der Zeile, darunter gestrichen: noch mehr 188 u-u: auf dem Rand; Seitenzahl korrigiert aus 304 - gemeint ist S. 403 (bei Münscher falsch paginiert) 189 v-v: über der Zeile 190 erste Einweisungsstelle für Irenæus IV, 36. (siehe unten bei w-w) 191 w-w: zweiteilige Einweisung unter dem Gesamttitel Allgegenwart - für die Angabe Irenæus IV, 36. war bereits weiter oben eine Einweisungsstelle markiert; tiefgestellte Kleinbuchstaben von Drey 192 Kapitelangabe über der Zeile ergänzt 193 x-x: am Rand ergänzt - L: Münscher, Bd. 1, S. 397-403. 194 L: Münscher, Bd. 1, S. 398 f. 195 y-y: Einweisung <?page no="201"?> 169 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) de anima cap. 7. 8; Novatian de Trin. 6. Ubrigens darf man es diesen Männern nicht verargen, daß sie sich von Geist und Körper noch keine so deutlichen Begriffe 196 hatten wie wir: die Schärfe dieser Unterscheidung konnte erst allmälig durch das Christentum herbeigeführt werden. Ubrigens war dieß nicht die allgemeine Meinung: Arnob. adv. Gent. l. I. legte Gott keinen Kör- 5 per, andere und wieder namentlich die Alexandriner schlossen aufs bestimmteste alles Körperliche von Gott aus. Tatian. Orat. ad Græcos; Clem. Strom. l. V. p. 689; Origenes Princ. præf. l. I. cap. 1; contra Cels. L. VI §§ 69. 70; homil. I in Genes.; de Orat. § 23 et alibi. contra Cels. l. VII, 38. z G. Naz. Orat. 34. Basil. hom. 3, c. 7; Cyrill. h. catech. 6, 11; 9, 1; Ambros. Hex. 6, 7; in Psalm 43; Augustin. de 10 Trin. 12, 7. Epiphan. hær. 70. Socrat. H. E. VIII, 11. Cass. Coll. X, 5. z197 9. Die übrigen Eigenschaften Gottes finden sich in unzähligen Stellen der Väter ausgedrückt a M. p. 406 a198 : a Die Ewigkeit: Justin Dial. cum Tryph. pag. 108; Tat. Orat. ad Gr. cap. 6 10 199 ; b Athenag. Legat. cap. 5; Tertull. a. Prax. c. 27; Orig. de Princ. 1, 6. b200 - b Die Unsichtbarkeit c b) cf. locos de incorporalitate. c201 - 15 c Die Allwissenheit; Clem. Strom. l. VI. §.17. 202 p. 821; Min. Fel. Oct. c. 10 et 33; d c) Orig. comm. in Gen. Cypr. op. 2; serm. de laps. c. 5. Hilar. de Trin. l. 12. Ambros. de fide 1, 7; August. ad Simpl. l. 2. q. 2. de Gen ad lit. 5, 18. d203 d 204 Das Bestehen der menschlichen Freiheit neben der göttlichen Vorwissenheit: Orig. com¯ . in Gen. Opp. Tom. II pag. 9-11; contra Cels. L. II. pag. 405 seqq; de princ. l. 20 II. cap. 9. 205 − e 206 Uber die Allmacht hat Origenes eine besondere nicht ganz richtige Vorstellung. De princ. l. II. cap. 9; l. III. cap. 5. Huet in Origenianis Op. Orig. Tom. IV pag. 107; 207 e d) Clem. Rom. I, 27. Tert. a. Prax. 10. Cl. Alex. Strom. 7, 13; Gr. Naz. carm. 4; e208 − f 209 Die Güte: Athen. leg. pro Chr. pag. 302; Clem. Strom. l. I pag 369 conf. l. VII pag. 855; Pædag. l. I. c. 8; 210 f e) Orig. hom. 1. 25 72 in Jerem; Lact. inst. div. 6, 9; Basil. in Jes. § 25; Cyrill. h. cat. 2, 19; G. Naz. Orat. 10, 3; Aug. de Trin. 8, 3. f211 - f Die Strafgerechtigkeit - worüber die Alexandriner eine mildere Clem. Strom. IV. VII; Pædag. l. I. c. 8; Origenes de princip. l. 196 ergänze: gemacht 197 z-z: Einweisung 198 a-a: auf dem Rand 199 p. 246 korrigiert zu cap. 6 − 10 über der Zeile ergänzt 200 b-b: Einweisung 201 c-c: am Rand ergänzt 202 über der Zeile 203 d-d: am Rand ergänzt 204 Einfügung, undeutlich 205 L: Münscher, Bd. 1, S. 408. 206 d korrigiert zu e 207 L: Münscher, Bd. 1, S. 409. 208 e-e: vor Korrektur der Ziff. d zu e am Rand ergänzt 209 e korrigiert zu f 210 L: Münscher, Bd. 1, S. 409. 211 f-f: Einweisung (vor Korrektur der Ziff. e zu f im Haupttext Seite 71) <?page no="202"?> 170 Johann Sebastian Drey II. cap. 10 - die Africaner eine strengere Vorstellung haben. Tertull. contra Marc. l. I. c. 25. 26; l. II. cap. 13. 14. 16; Lactant. de via Dei cap. 4. 5. g f) Cyrill. h. cat. 4, 4; Greg. Nyß. or. cat. c. 21; Chrysost. hom. 9 in I Cor. Basil. serm. 7 de peccatis cap. 12 g212 § 12. h (§ 5.) h213 Erste Entwickelung der Trinitätslehre 5 i Verhaeltnis dieser Lehre zu i214 Im Judentum war die Lehre von einem einzigen Gott so oft und so nachdrücklich empfolen worden, daß es nicht nur sehr begreiflich ist, wie 215 es die Juden für Gotteslästerung hielten, wenn sich Jesus den Sohn Gottes nan¯ te, sondern daß man es fast für unbegreiflich halten sollte, wie die Idee eines zwar 10 der Natur nach einzigen, der Persönlichkeit nach aber dreifach verschiedenen Gottes nur jemals bei einem Juden Eingang finden konnte. Judentum 216 Indessen lag doch im Judentum eine andere Idee, welche sich mit dem Laufe der Zeiten im¯ er mehr ausbildete und ausbilden mußte, und zuletzt wenigstens 15 die Lehre von einem Sohn Gottes begreiflich machte. Dieß ist die Idee von einem Meßias. Dunkel - oder wenn man will deutlich aber nur in einem sehr eingeschränkten Sinn sprach und weißagte schon Moses von ihm. Noch vielfacher und in manchfaltiger Beziehung redeten davon die Pro- 10 73 pheten - und als nachher die Zeiten wirklich kamen, die vorher verkündet 20 waren, hiengen die Juden noch fester an der Idee des Messias. Je größer 217 nachher die Unterdrückung, desto mächtiger mußte der Messias sein; und so bildete sich, wenigstens bei einem Theile der Juden, der Glaube an den Messias als ein übermenschliches Wesen / M. I. 480 / 218 . Demungeachtet blieb auch diesen ein Sohn Gottes als ein wahrhaftiger Gott immer noch etwas 25 unbegreifliches j und Heidentum j219 2. Den Heiden dagegen war ein Sohn Gottes als wirklicher Gott nichts unbegreifliches. Sie hatten ja dergleichen mehrere in ihrer Mythologie. Aber eines mußte dem Heiden unbegreiflich sein, wie ein persönlich von dem Vater 30 verschiedener Sohn Gottes doch nur einiger Gott sein sollte. 212 g-g: im Anschluß an Einweisung f-f am Rand ergänzt 213 h-h: spätere Paragraphenangabe 214 i-i: Stichwort bzw. Randtitel, fortgesetzt beim folgenden Absatz und Ziff. 2. 215 über der Zeile, darunter gestrichen: daß 216 Fortsetzung zu i-i am Rand, siehe auch j-j 217 danach gestrichen sich 218 L: Bd. 1 (2. Aufl.), S. 419. 219 j-j: zweite Fortsetzung zu i-i <?page no="203"?> 171 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) k Wesentlichkeit derselben k220 3. Indessen lag im Christentum ein dreifaches Verhältnis in einem Gott aufs bestim¯ teste ausgesprochen? Wie oft hatte nicht Jesus vom Vater und zwar vom Vater als dem einen wahren Gott gesprochen, in mancherlei Beziehung gesprochen? Wie oft hatte er nicht sich selbst den Sohn genannt, und obwohl 5 von dem Vater gesendet doch behauptet dem Vater gleich zu sein? Wie bestim¯ t hatte er nicht vor seinem Hingang aus dieser Welt von dem Geiste geredet, der das Werk des Sohnes ausführen, und alle Macht haben sollte, die der Sohn selbst hat, also in dieser Hinsicht dem Sohn gleich wäre. - Zuletzt sendete er seine Schüler in die Welt mit der bestim¯ ten Erklärung: alle Völker zu taufen 10 74 auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des heil. Geistes. - l conf. M. I. § 86. 87. l221 Der Glaube an Vater, Sohn und heiligen Geist als drei göttliche Principien ist also eine nicht weniger entschiedene Lehre des Christentums, als die Lehre von einem einzigen Gott. - Damit enthielt sie aber etwas wodurch sie bei den 15 Heiden und Juden auf gleiche Weise anstieß; der Heide begriff die Einheit der drei göttlichen Principien nicht, der Jude die drei Principien in dem einigen Gott nicht. Gegen beide mußte sich also das Christentum erklären, und die Vereinbarlichkeit der drei Principien mit der Einheit Gottes zu erweißen suchen. 20 Dieß war die äußere Veranlassung, wodurch die Untersuchung über die Trinitätslehre geweckt werden mußte: eine andere gleichfalls äußere wird später berührt werden. / Gnostische Untersuchungen m Bey dieser Entwickelung der Trinitätslehre ist zu bemerken, daß die Väter der drey ersten Jahrhunderte, wie der Augenschein giebt, bemüht waren, sie 25 im Ganzen darzustellen; weßwegen sie hier weniger genau sind, die Natur der einzelnen Personen zu erschöpfen. In der hist. Darstellung muß also auch dieser Gang beobachtet werden. −− m222 § 13 Fortsetzung n Mögliche Einleitungen der Untersuchung n223 Bei der nähern Bestimmung des Verhältnisses der drei Principien zu der 30 Einheit Gottes waren zwei Wege möglich, und beide wurden versucht. Entweder kon¯ te man von der Einheit Gottes ausgehen, aber dan¯ war es leicht, die wahre Verschiedenheit der drei Principien aufzuheben, und sie als bloße Eigenschaften Gottes darzustellen; und dieß geschah auch - Oder man kon¯ te die in der Schrift ausgesprochene Verschiedenheit der Principien zum Grund 35 legen; aber dan¯ hielt es schwer sie mit der Einheit Gottes in Harmonie zu 75 220 k-k: Stichwort bzw. Randtitel 221 l-l: Einweisung; - L: S. 415-423. 222 m-m: auf dem Rand 223 n-n: Stichwort bzw. Randtitel <?page no="204"?> 172 Johann Sebastian Drey bringen; und auch dieße Schwierigkeit zeigte sich; und darum konnte sich die Lehre von der Dreieinigkeit nur langsam deutlicher entwickeln. - Es ist gerade in dieser Lehre, der sublimsten und allumfassendsten, wichtig der Entwickelung Schritt für Schritt zu folgen § 14 In den Zeiten der apostolischen Väter, wo noch die apostolische Einfalt 5 herrschte, und die Lehrer des Christentums noch zu dem Häuflein der Unmündigen redeten, war wie überhaupt keine, also noch weniger eine Entwikkelung dieser sublimen Lehre zu erwarten: sie hielten sich mehr oder weniger an die schlichten Worte Jesu und der Apostel; und behaupteten höchstens gegen jene, die den Sohn für ein Geschöpf hielten, seine Präexistenz vor aller 10 Schöpfung. Man sehe M. I pag. 387. 224 §. 88. Ignatius. o Clem. ep. I. c. 2. 20. 32. Ignat. ad Smyrn. 1. - ad Polyc. 3. 8. - ad Ephes. 1. 7. 18. Barnab. 12. 14. quibus in locis Filius vel Deus dicitur (Clem. 225 Ignat.) vel perfectiones similitudo et aequalitas cum Deo tribuuntur o226 p Anfang der Untersuchung durch die platonisirenden Väter p227 15 b. Als aber das Christentum auch zu den gelehrten Heiden sprechen mußte, als es durch Männer sprach, die selbst in griechischer Weltweisheit erzogen, mußte es um verstanden zu werden, auch in einer Sprache reden, die sowohl den Lehrern als den zu Belehrenden angemessen war. Hiebei ist es nun unläugbar, daß Begriffe in die bisherigen christlichen, und 20 Ausdrücke in die bisherige einfache Sprache der christlichen Urkunden eingemengt wurden, die mit diesen keine Verwandtschaft zu haben scheinen. 76 Aber es ist eben so unläugbar, daß diese Einmengung nothwendig war - daß sie das Geheimnis wenigstens für die Vernunft aufzuklären anfieng, und den ersten Schritt zu einer richtigern Bestimmung möglich machte - daß sie also 25 ihren Zweck wirklich erreichte - und nachher einer schärfern Bestim¯ ung der Offenbarungslehre wich. q Grundlegung gewißer Stellen des A.T. q228 c. Es war natürlich, daß die Lehrer bei der nähern Entwickelung des Verhältnißes vom Vater, Sohn und heiligen Geist zuerst auf die Schriften des 30 alten Testaments sahen, um darin¯ über ihre Aufgabe zu forschen: und wirklich fanden sie dort mehreres, was ihnen über ihre Frage Aufschluß geben konnte: namentlich die 229 personificirte Darstellung vom Wort und der Weisheit Gottes - welche beide in der Ubersetzung mit λογοσ gegeben wurden. conf. M. I 224 Seitenzahl der 3. Aufl., davor gestrichen: 422. (2. Aufl.) 225 v überschrieben mit C 226 o-o: auf dem Rand 227 p-p: Stichwort bzw. Randtitel 228 q-q: Stichwort bzw. Randtitel 229 davor gestrichen von <?page no="205"?> 173 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) pag. 424. 425 230 - Es war ferner natürlich, daß sie bei ihren Darstellungen die damals herrschenden philosophischen Ideen von einer Emanation aller Dinge aus Gott benützten, um so mehr, als dieße ein Auskunftmittel abgab, die endliche Natur mit der göttlichen überhaupt, und namentlich die endliche Natur in Christo mit der göttlichen in Verbindung zu bringen M. l.c. 425 Die 5 Schriften des Philo der die Emanationslehre mit der platonischen Philosophie verbunden hatte, wurden damals auch häufig gelesen: und so bildete sich die Unterscheidung eines λογοσ ενδιαθετοσ und λογοσ προϕορικοσ . M. I. 231 §. 89. 77 pag. 391-394 Anmerkung. Berichtigung des so oft behaupteten Einflußes der platonischen 10 Philosophie auf die ersten Bestimmungen der Trinitätslehre. ib. §. 90 394-397. 232 r der doppelte Logos r233 d. Diese Vorstellung von einem seinem Ursprung nach gleichen und Einfachen, der 234 Art seines Existirens nach zweifachen Logos findet man wirklich 15 bei den allerersten Kirchenlehrern Justinus, Tatianus, Theophilus, Athenagoras. s Justin. Apol. I c. 63. Dial. cum Tryph. c. 56. 1. Tatian or. cap. 5. Athenag. Leg. c. 10. Theoph. ad Aut. L. II. c. 10. s235 Der Logos als der Verstand oder die Weisheit Gottes war von Ewigkeit in Gott, als ein Gott gleiches Wesen, aber durch keine eigene Persönlichkeit von ihm geschieden. Als Gott die Welt 20 erschaffen wollte, trat dieser Verstand als eine eigene Persönlichkeit aus Gott hervor, emanirte und stellte sich zwar außer dem Vater dar, aber blieb doch bei ihm. Dem Wesen nach als der personificirte Verstand Gottes war er wirklicher und wahrer Gott, und dem Vater, der ihn als seinen eigenen Verstand von Ewigkeit gezeugt hatte, gleich: aber als aus dem Vater erst mit 25 dem Anfang der Zeit hervorgegangener und in der Zeit producirender Logos war er geringer als der Vater. So schienen jene Lehrer die beiderlei Außerungen Jesu über sein Verhältnis zum Vater mit einander vereinigt zu haben. Dieser persönliche oder λογοσ προϕορικοσ wurde dann zu gehöriger Zeit Mensch, und hieß Jesus u.s.w. 30 Daß diese Väter diese Vorstellungen gehabt haben, hat schon Dyonisius Pe- 78 tavius 236 erwiesen, aber einen großen Tumult dadurch erregt. Die Belege dazu finden sich in ihren Schriften; wovon ich hier einige Stellen citire: Apol. maj. § 6; pag. 47, pag. 56 ed. Cotel; § 13 pag. 51 - ed. Cot. pag. 60: item pag. 63; Dialog cum Tryph. pag. 151. 221. 222. 152. t Münscher I pag. 397. 408. o˙ § 91 item § 93. t237 35 230 L: 2. Aufl. 231 danach 425. 426. (2. Aufl.) gestrichen und Angaben zur 3. Aufl. ergänzt 232 426-430 (2. Aufl.) gestrichen (vgl. Münscher, Bd. 1, 426-429) und überschrieben mit §. 90 - danach Seitenangabe zur 3. Aufl. angefügt 233 r-r: Stichwort bzw. Randtitel 234 s überschrieben mit d 235 s-s: am Rand ergänzt 236 L: Opus de theologicis dogmatibus, Bd. 2. <?page no="206"?> 174 Johann Sebastian Drey u 2. Unterordnung - Diener des Vaters 3. Abstracte Ausdrücke: Wort und Weisheit des Vaters. Ex voluntate Patris. Brenn. I. 122 f. u238 § 15 v (§ 5. nro 3) v239 Fortsetzung. w Widersprüche dagegen w240 Dieße ersten allerdings unvollkommenen Versuche der Entwickelung des 5 Verhältnißes vom Sohn zum Vater genügten aber mehrern nicht, und so wurden darinn Verbesserungen vorgenommen Der erste, der damit unzufrieden war, ist Irenæus. x M. I pag. § 95 pag. 411- x241 Er war ohnehin kein Freund von gelehrten und speculativen Untersuchungen über die Lehren der Religion, und hatte ohnehin mit Eifer die Gnostiker 10 bestritten, mit deren Emanationsprincipien die Darstellung der ersten Väter wenigstens eine Aehnlichkeit hatte. Er wurde also aus zwei Ursachen zu ihrer Berichtigung geführt, u. sein Zeugnis muß um deßwillen mehr gelten, weil er bei seiner geringern Gelehrsamkeit sich mehr an die Tradition und den allgemeinen Kirchenglauben hielt. Seine Kritik über die gelehrten Bemühungen 15 kann man adv. hæres. l. I. cap. 10; l. II. cap. 13; l. II. cap. 28 finden. Dem Sohn 79 schrieb er nicht nur Präexistenz vor seiner Geburt aus Maria l. III cap. 18; l. IV. cap. 6 zu; sondern er nen¯ t auch bestim¯ t Jesum Christum wahren Gott und wahren Menschen; l. IV. cap. 6; y L. III c. 6 et 19. y242 verwirft mit Abscheu die Meinung der Ebioniten l. I. cap. 26; IV. cap. 33; V. cap. 1. Und wiewohl er sich 20 über die Persönlichkeit und besondere Substanzialität des Logos manchmal unbestim¯ t ausdrückt: l. II cap. 30; §. 9. IV. cap. 6; §. 6. V. c. 18; § 1. 243 - so ergiebt sich doch aus der Vergleichung anderer Stellen, daß er den Sohn für ein besonderes Subject gehalten habe. l. III. cap. 6 § 1. l. IV. cap. 20. § 11; cap. 10. § 2. schreibt ihm auch Ewigkeit zu l. II cap. 25. § 3; l. II. cap. 30, § 9. 25 Unterdeßen setzt er ihn unter den Vater in dem Sinn, wie er unter ihm gedacht werden muß. l. IV. cap. 7, § 4; lib. II. cap. 28, § 8. 244 2. Mehr trug Clemens Alexandr. zur weitern Entwickelung und nähern Bestim¯ ung des wahren Verhältnisses von 245 Vater und Sohn bei, aber doch weniger als von ihm zu erwarten gewesen wäre. z l. c. § 96. 417-423 z246 Die 30 Kirchenlehre trägt er wie die andern vor Pæd. l. I. cap. 6, a Strom. V. p. 710. a247 237 t-t: Einweisung; 430 (2. Aufl.) korrigiert zu 397 (3. Aufl.), 408 mit Korrektur, unklar 238 u-u: am Rand ergänzt; − L: Brenner, Freye Darstellung der Theologie. Bd. 1, S. 122 f. 239 v-v: spätere Paragraphenangabe 240 w-w: Stichwort bzw. Randtitel 241 x-x: am Rand Verweis auf Münscher, Bd. 1, 3. Aufl.; vor § 95 gestrichen: 445-451 (2. Aufl.) 242 y-y: Einweisung 243 Paragraphenangaben jeweils am Rand, eingewiesen 244 L: Münscher, Bd. 1, 2. Aufl., § 95, S. 445-451. 245 zw überschrieben mit von 246 z-z: Verweis am Rand, 452-457 (2. Aufl.) korrigiert zu § 96. 417-423 (3. Aufl.) 247 a-a: Einweisung <?page no="207"?> 175 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) hielt den Sohn für wahren Gott und wahren Menschen. Cohort. ad Græc. b cap. 1 et 10. b248 pag 82. - Und obwohl sich bei ihm Stellen finden, woraus man schließen könnte, er habe den Logos blos für eine Kraft oder Eigenschaft des Vaters gehalten: Strom. V. pag 646 ss; VII. pag 831: so erhellt doch das Gegentheil aus andern Stellen ganz entschieden: Strom. VII pag 831. Cohort. ad 5 80 Gr. pag 86 et 78. - Die Zeugung oder Entstehung des Logos denkt er sich nicht ganz wie die frühern Väter: Strom. V pag 654. VI pag 769. V. pag 699. Doch verwarf der den λογοσ προϕορικοσ nach der Analogie des ausgesprochenen Wortes, berichtigte noch andere unrichtige Vorstellungen Strom. l. IV. pag 635. und obwohl er dem Logos alle Eigenschaften des Vaters beilegt, 10 scheint er doch die Persönlichkeit desselben nicht für ewig gehalten zu haben, nennt ihn auch nicht dem Vater gleich, sondern gleichgemacht durch den Willen des Vaters Strom. VI. pag 699. 249 3. Aber kein anderer Lehrer der Kirche hat die zwei Hauptsätze der Trinitätslehre - drei wahrhaft verschiedene und wahrhaft 250 göttliche Personen, 15 und doch nur ein Gott, so scharf ausgesprochen als Tertullian in seiner Schrift gegen Praxeas. c l. c §. 97 423-433 c251 Die Verschiedenheit der Personen gründet er wie die frühern Väter auf eine Emanationstheorie, und auf die Distinction eines λογοσ ενδιαθετοσ und προϕορικοσ . cap. 5. 6 .7. 26. 31. Die Einheit Gottes auf die Einheit der Substanz und des Willens. cap. 3. 9. 4. 8. auch 13. 20 15. 22. 21. 2 pp Ihm verdankt man die ersten Benen¯ ungen Trinitas, persona, substantia u.s.w. Übrigens muß man diesem Schriftsteller das Grelle und Materielle seiner Ausdrücke in Anschlag bringen. Cf. etiam Apolog. c. 21. 252 d M. I. §. 100 437-446. d253 11 81 Außer ihm hat Origenes vorzüglich viel zu weitern Aufklärungen beigetra- 25 gen. Zuerst trägt er wie sein Lehrer die Kirchenlehre vor: de princ. praef. - Dan¯ behauptet er bestim¯ t: der Logos ist wirklich und persönlich von dem Vater unterschieden, und es muß ihm Präexistenz vor der Welt, und zwar von Ewigkeit, beigelegt werden adv. Cels. VIII. et alibi in Comm. Er verwarf auch die gröbere Emanation und andere unrichtige Erklärungsarten wie der Sohn 30 vom Vater ausgehe: de princ. l. I. cap. 2. § 2-6. - Sonst unterscheidet er eine doppelte Einheit des Vaters und Sohnes durch einerlei Willen, und einerlei Substanz. Setzt aber den Sohn geringer als den Vater / und den h. Geist geringer als den Sohn / sowohl dem Ausdruck nach - ο ë θεοσ der Vater, θεοσ der Sohn - als auch der Wirkung nach, wobey er sich auf die Schrift Joh. I 3; 35 248 b-b: über der Zeile 249 L: Münscher, Bd. 1, S. 452-457. 250 danach gestrichen: verschiedene 251 c-c: Verweis am Rand, 458-469 (2. Aufl.) korrigiert zu §. 97 423-433 (3. Aufl.) 252 L: Münscher, Bd. 1, 2. Aufl., S. 462-469. 253 d-d: Verweis am Rand, pag. 473-480 (2. Aufl.) korrigiert zu §. 100 437-446. (3. Aufl.) <?page no="208"?> 176 Johann Sebastian Drey XIV. 28. 13. com¯ ent. in Joh. Tom. IV. pag 50; adv. Cels. VII. Tom I. de princ. l. I. cap. 2; de orat. pag 222. 254 Eine besonders merkwürdige Stelle über die ganze Ansicht des Origenes von der Trinitätslehre findet sich adv. Cels. l. I. cap. 3 pag 62. e M. I § 101 pag. 446-454 e255 5 Eine der spätern Entwickelung sehr nahe kommende Darstellung der Trinitätslehre giebt Dyonisius Bischof von Rom. in Athanas. de decret. Synod. Nicænæ. f Lactant. inst. d. l. IV. c. 8. 29. Arnob. a.g. l. I. f256 Er tadelt den Ausdruck: drei Hypostasen, dessen sich Origenes bedient, aber in einem andern Sinn ge- 82 nom¯ en. 10 § 16 g (§. 5. nro 4) g257 Fortsetzung h N B . Bey der verbeßerten Darstellung muß künftig die Ordnung beobachtet werden, daß zuerst der Glaube der ersten Kirche von der Trinitätslehre im Ganzen dargestellt werde, aus den hieher passenden Stellen aller KL; sodan¯ die eigentümlichen Lehren von dem Vater, Sohn und Geist ins- 15 besondere. Nur jene erstere ward jetzt eigentlich bestim¯ t, die letztere erst in der folgenden Periode h258 i Verhältnis des Geistes zum Vater und Sohn i259 Bisher haben wir betrachtet, wie sich die durch Christus ausgesprochene Lehre von einem dreifach persönlich verschiedenen Verhältnis in Gott in der 20 Kirche ausgebildet habe: indem man um die Einheit Gottes als das leicht begreifliche unbeküm¯ ert sich mehr darüber aufzuklären strebte, wie jenes dreifach persönliche Verhältnis zu denken und für die Vernunft anschaulich zu machen sei. Und zwar wollte ich bisher die allmälig sich läuternden Vorstellungen über 25 das Verhältnis des Vaters zum Sohn bis zu einer gewißen Periode durchführen, damit die Consequenz der Entwickelung desto anschaulicher würde. Wie man sich das Verhältnis der dritten Person zu Gott dachte, darüber ist bisher noch nichts gesagt worden. Es ist also Zeit, auch hievon zu reden. Uberhaupt läßt sich leicht zum Voraus ermessen, daß die Begriffe über den heil. Geist als ein 30 ideales, unsichtbares Princip nicht so frühe und nicht so schnell sich entwikkeln, und zu einer entschiedenen dogmatischen Lehre sich ausbilden konnten. Daher dürfen wir uns auch nicht wundern, wenn wir diese Lehre theils 83 254 L: Münscher, Bd. 1, 2. Aufl., S. 478-480. 255 e-e: Verweis am Rand, pag 490 (2. Aufl.) korrigiert zu § 101 pag. 446-454 (3. Aufl.) 256 f-f: am Rand ergänzt 257 g-g: spätere Paragraphenangabe 258 h-h Nota bene auf der Randspalte 259 i-i: zeitlich nach dem Nota bene (h-h) hinzugefügte Überschrift zu § 16, den dazu eingeklammerten Titelzusatz Fortsetzung umgebend <?page no="209"?> 177 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) weniger berührt, theils weniger erörtert finden, als die Lehre vom Verhältnis des Sohnes zum Vater. Was sich in dieser Periode davon findet, ist folgendes. 1. Die ersten Kirchenväter sprechen ganz kurz von dem Verhältnis des h. Geistes, und scheinen ihm nicht eine gleiche Personalität, Selbständigkeit und Subsistenz mit dem Sohn oder Logos zugeschrieben, wenigstens wird dieß 5 letztere aus zwei besonderen Bemerkungen scheinbar wahrscheinlich. j M. I. pag 434-437. - item 442-445 j260 − a) 261 Die erste Bemerkung ist, daß sie häufig den Logos und den Geist miteinander zu verwechseln scheinen k Ignat. ad Magn. 15 Herm. Simil. V. c. 4.5.6. k262 : indem sie die Inspiration der Propheten manchmal für eine Wirkung des Logos ausgeben - Justin. Apolog. maj. § 36. 10 Theophil. libr. II § 10; - beiden den Namen Weisheit beilegen Theoph. l. II. § 10; - ja der Logos selbst zuweilen Geist und heil. Geist genannt wird - Justin. Apol. Mai. § 33. Tatian. Orat. § 7; dagegen aber - außerdem daß selbst die hier citirten Äußerungen einer andern Deutung fähig sind, lassen sich für das Gegentheil die Stellen anführen, wo sie bestim¯ t dem Logos die zweite, dem 15 Geist die dritte Stelle in der Verehrung der Christen anweisen Justin Apol. Mai. § 6 et 13; wo sie den Logos und die Weisheit deutlich unterscheiden Theoph. l. II § 10. 11 et l. I. § 5. 7 et pag 399. − − b) 263 Die zweite Bemerkung ist, daß sie ihn als ein Geschenk Gottes auf die Menschen niedersteigend, und in seinen Wirkungen darstellen Justin. cohort. § 30. Tatian Orat. pag. 253 et 255. 20 84 Ferner daß sie, besonders Athenagoras, ihn als ein nach Art der Sonnenstralen von Gott ausfließendes und wieder zu Gott zurückkehrendes Wesen beschreiben, wodurch die Persönlichkeit des Geistes am meisten zweifelhaft zu werden scheint. Athenag. leg. cap.10. 264 pag. 287. Daß namentlich Athenagoras den Vater und Sohn Gott nen¯ t, aber den h. Geist nicht - Indessen spricht 25 doch selbst Athenagoras von einer Verschiedenheit in der Ordnung der dreien - und macht wieder andere Vergleichungen, woraus auf eine Persönlichkeit des Geistes geschlossen werden kan¯ , pag 302. − l c) Drittens die Unterordnung - biblisch. l265 2. Auch bei Irenäus findet dieselbe Ungewissheit und Unbestim¯ theit der 30 Ausdrücke statt. / M. I. pag. 448-451. / - - In den noch vorhandenen Werken des Clemens Alex. findet sich fast keine Äußerung über den heiligen Geist, m doch Pædag. I. c. 6. m266 indem sein Werk von der Weissagung und der Seele, worin¯ er versprochen hatte zu lehren, was der h. Geist sei, verloren gegangen sind. - - 35 260 j-j: bei Ziff. 1 am Rand notierter Verweis auf Münscher, Bd. 1, 2. Aufl. 261 Bezifferung nachträglich eingefügt 262 k-k: am Rand ergänzt 263 Bezifferung nachträglich eingefügt 264 über der Zeile 265 l-l: am Absatzende angefügt 266 m-m: über der Zeile eingefügt; - L: Münscher, Bd. 1, 2. Aufl., S. 452. <?page no="210"?> 178 Johann Sebastian Drey 3. Tertullian und Origenes dagegen drücken das Verhältnis des h. Geistes zu dem Vater und Sohn viel bestim¯ ter aus 267 / wie überhaupt in ihren Schriften die ganze Trinitätslehre weit mehr entwickelt ist, als bei ihren Vorgängern / . Sie unterscheiden aufs bestim¯ teste den heiligen Geist von dem Sohn und 85 Vater und legen ihm ebenso bestimmt Persönlichkeit und Selbständigkeit bei - 5 aber wie sie in manchem den Sohn unter den Vater 268 setzen, so setzen sie noch mehr den Geist unter den Sohn. Was den Tertullian betrifft, findet man die Belege zum erstern adv. Prax. cap. 4. 13. 26. 27. 31. 269 / M. I pag 463 et 464. 270 / zum andern cap. 8. 13. 25. Apolog. cap. 21. 271 - - Was den Origenes betrifft, vorzügl. comm. in Joan. Opp. Tom IV. pag 60 Edit. Ruæi. et 235. / M. I pag 10 443-445. 272 / - - n 3. Diserta P.Prum testimonia de singularitate et divinit. Sp. S. testimonia Clem. R I. ep. c. 11. 46. Ignat. ad Smyrn. 1. Herm. mand. 3 mand. V. c. 1. 2. mand. X. c. 4. 3; mand. XI. XII. Simil. V. Justin. Ap. M. c. 13. Athenag. L. c. 10. Tatian. Or. c. 10 Iren. IV. 37. Tertull. adv. Prax. 4. 13 Clem. Al. in Pæd. L. I, c. 6; L. III. 15 c. 12. Origenes. Prædic. Apl. et ecclesiæ de princ. I, 13 et 31. Comm. in Gen. l. I. - in Joh. Cypr. ep. 73. ad Jub. * Athan. ep. ad Ser. de Sp. S. Cyrill. hieros. Cat. IV. c. 19; XVI. c. 3; XVII. c. 5. Hilar. de Trin. ll. 2. 8. 12. N B . Basil. l. III de Sp. S. c. 19. 9; Adv. Eunom. l. V; epist. 8. de sec. cap. 3 et. 11. epist. 78. Deum app. Greg. Naz. Orat. 6. et 37. 44. 50. Deum appellat et consubstantialem. Greg. Nyss. 20 Orat. 1. contra Eunom. Ambros. de Sp. S. L. III. c. 19. Deum. Synod. Constantpl. adv. Pneumatom. hoc loco diserte Deum dicit. Den Inhalt summarisch Dobm. §. 86. n. 2. n273 o Explicatio per patres secutos: Tribuunt opera divina moralia et physica, perfectiones, cultu[s] o274 25 Bei mehrern folgenden Vätern findet sich keine weitere Entwickelung der Trinitätslehre überhaupt und also auch keine weitere über das Verhältnis des Geistes zum Vater und Sohn, den¯ sie folgten entweder dem Tertullian, wie Cyprianus oder Novatianus; oder dem Origenes wie Gregorius Thaumaturgos u.a. § 17. p (§. 5. nro 5.) p275 Während dem die Rechtgläubigen die Einheit Gottes 30 überall voraussetzend die Verschiedenheit der Personen in das Licht zu setzen 267 über der Zeile ergänzt 268 über der Zeile, darunter gestrichen: Sohn 269 zur Unterstreichung von cap. 13 führt eine Linie zu dem auf gleicher Höhe am Rand stehenden, ebenfalls unterstrichenen Satz: hoc loco diserte Deum dicit. 270 L: Münscher, Bd. 1, 2. Aufl. 271 L: Münscher, Bd. 1, 2. Aufl., S. 466-468. 272 480-483 (2. Aufl.) korrigiert zu 443-445 (3. Aufl.) 273 n-n: Belegangaben zu Ziff. 3 am Rand der Seiten 84 und 85; − L: Dobmayer, 1. Bd., S. 250 f. 274 o-o: unterhalb von n-n am Rand ergänzt, veränderter Schriftduktus; zuletzt Endung verwischt 275 p-p: spätere Paragraphenangabe <?page no="211"?> 179 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) sich bestrebten, hatten andere eben in der genauen bestim¯ ten Verschiedenheit einen Anstoß gegen die Einheit Gottes gefunden; und daher sich von der katholischen Partei abzusondern angefangen. Dieß sind diejenigen Häretiker, welche auch die wahre Trinität läugnend von der Kirche verworfen wurden. 86 So verschieden sie auch in mancher Ansicht waren, so kamen sie doch darin¯ 5 alle überein, daß sie den Vater, Sohn und Geist nur als drei verschiedene Kräfte oder Eigenschaften oder Wirkungsarten eines und desselben Gottes hielten, also nur eine einzige Persönlichkeit lehrten. Wiewohl nun häretische Meinungen nicht geradezu zu unserm System gehören, so können wir sie doch nicht ganz unberührt lassen, weil die Kirche ihre Lehre im¯ er jener der 10 Häretiker entgegengesetzt hat, und jene aus dieser begreiflich wird. 2. Schon frühere Häretiker, die Jesum für einen bloßen Menschen hielten, wie die Ebioniten und Cerinthus - konnten unmöglich die Trinitätslehre in ihrer Reinheit annehmen. Praxeas - den wir bloß aus Tertullian ken¯ en, läugnete allerdings die dreifache Persönlichkeit in Gott, und die Trinität bestand ihm 15 blos in einer dreifachen Form oder Handlungsweiße Gottes als eines und desselben untheilbaren persönlichen Wesens, dafür nen¯ t ihn Tertullian einen Patropassianer u. zieht noch viele andere ungereimte Folgerungen aus dessen System. M. I pag 432 276 . q * Ob nicht Praxeas indische Ideen eingemischt? Sein Ausdruck: idem q277 20 3. Den Ebioniten folgten nachher Theodotus und Artemon M. I. § 98 278 ; 87 dem Praxeas Epigonus und Cleomenes. berühmter als sie wurde Noetus. ib. § 99. pag. 436. 279 4. Ganz bestimmt hielt Sabellius die Trinität nur für eine Trinität von Kräften und Wirkungen, wobei er den Ausdruck προσωπα braucht, den der υ ë πο - 25 στασεων aber verwirft. Doch hatte er Emanationsideen beibehalten und kam darin¯ den Meinungen früherer Kirchenlehrer nahe, von denen er jedoch sich darinn unterschied, daß er jenen προσωποις keine Selbständigkeit und beharrliche Existenz zuschrieb, was dieße doch nicht geläugnet hatten. M. I. § 101. vergl. mit § 102 280 . 30 5. Paulus von Samosata läugnete bestim¯ ter als Sabellius die Personalität der dreifachen Principien in Gott und hielt den Logos für eine bloße Eigenschaft Gottes wodurch er mit sich selbst in Widerspruch gerieth, wen¯ er die Gottheit Christi doch behaupten wollte. r Er unterschied υι ë οσ θεου propter miraculum conceptionis und λογοσ , wobei er wieder den ενδιαθετοσ u. προϕορικοσ unter- 35 schied, ο ë μοουσιοσ behauptend ohne Persönlichkeit. r281 ib. § 103. 282 276 459-469 (2. Aufl.) korrigiert zu 432 (3. Aufl.) 277 q-q: am Rand ergänzt 278 am Rand ergänzt: pag. 433 ff. (3. Aufl., vgl. 2. Aufl., S. 469-472) 279 pag. 436. (3. Aufl.) angefügt 280 am Rand neben Ziff. 4 ergänzt: pag. 447. (3. Aufl.) <?page no="212"?> 180 Johann Sebastian Drey § 18 s (§. 6. n. 1.) s Entwickelung der Lehren, die das Verhältnis der Schöpfung zu Gott betreffen s : zweite Hauptlehre s283 Es war sehr natürlich, daß das Christentum jene Lehren, die das Verhältnis des Universums zu Gott - als das Verhältnis des Schöpfers zu den Geschöpfen betreffen, in Anregung bringen und darüber seine eigenen Ansichten ent- 5 88 wickeln mußte. Den¯ Gleichwie die Begriffe des Christentums von dem Wesen Gottes an sich ganz verschieden waren von jenen Begriffen, die im Heidentum, und selbst von jenen, die im Judentum über das höchste Wesen die herrschenden gewesen, so mußten es ebenso auch die Vorstellungen sein, die das Verhältnis des höchsten Wesens als des Schöpfers zu den endlichen er- 10 schaffenen Dingen ausdrücken. Das Heidentum hatte vermöge seiner Richtung auf das Endliche die Götter selbst endlich gemacht, und sie gewißermassen 284 auf eine Linie mit den Menschen gestellt: ja der edlere Theil des Menschengeschlechtes leitete zufolge der Mythen seinen Ursprung aus einer unmittelbaren Zeugung von 15 Göttern ab. Der ganze Inbegriff aller vernünftigen Wesen hieng gewißermaßen durch eine Reihe von Genealogien zusammen, und selbst ein Theil der lebloßen Wesen hatte seine Entstehung mancherlei Metamorphosen zu verdanken, wovon Ovid einen beträchtlichen Theil gesam¯ elt und zusam¯ engestellt hat. Die heidnischen Mythen kan¯ ten nur eine Entstehung durch Zeugung 20 oder Verwandlung, aber keine durch eigentliche Schöpfung; noch viel weniger eine Schöpfung aus Nichts. Wie ihm Schöpfung und Schöpfer ganz fremde Begriffe waren, so mußte ihm noch mehr das Verhältnis des Schöpfers zu den Geschöpfen ein ganz fremdes sein; u. dieß um so mehr, da sich der 12 89 große Abstand, der sich nach unseren Begriffen zwischen Gott und den 25 Geschöpfen findet, in jenen Theogonien ganz unmerklich verlor. Indem sich also das Christentum dem Heidentum, die neue Lehre von Gott der alten von Göttern entgegensetzte, mußten auch bald die Ideen über das Verhältnis des Schöpfers zu den Geschöpfen in Anregung kommen. In Absicht auf den Gegensatz zwischen Judentum und 285 Christentum hatte es 30 zwar nicht dasselbe Bewandnis, aber doch mußte auch hierin¯ das letztere dem erstern gegenüber erweiterte Ansichten entwickeln. Das Judentum bewahrte in seinen aeltesten heiligen Urkunden die Idee eines Weltschöpfers, es hatte schon frühzeitig daraus die Lehre einer Schöpfung aus nichts entwickelt, und auf allen Blättern des A. T. wird der große Abstand zwischen dem Schöpfer 35 und den Geschöpfen angedeutet. - Aber es hatte sich durch die eigenen 281 r-r: am Rand ergänzt 282 am Rand neben Ziff. 5 ergänzt: pag. 455. (3. Aufl.) 283 s-s: spätere Paragraphenangabe und zugleich Zusatz zum Paragraphentitel 284 danach gestrichen: selbst 285 danach gestrichen: Heiden <?page no="213"?> 181 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) Schicksale des jüdischen Volkes, durch seine Gesetzgebung und durch die Bestim¯ ung desselben ein Begriff unter den Juden gebildet, wodurch das wahre Verhältnis des Schöpfers zu seinen Geschöpfen ganz entstellt wurde. Der Welt- und allgemeine Schöpfer war durch besondere Begünstigungen auch auf eine besondere Weiße der Juden eigener Gott geworden. In dieser besonderen 5 Aneignung hörte er gewißermaßen auf, der Gott aller Menschen zu sein, war wenigstens nicht mehr aller Menschen Gott auf gleiche Weiße. Nach den Begriffen des Juden vergas Gott der Allheit seiner Geschöpfe, oder wen¯ er 90 sich daran erin¯ erte, so geschah es nur, um sie den Auserwählten und Lieblingen zu subordiniren. 10 Nun ist aber der vorherrschende Charakter des Christentums in allen seinen Lehren ein absoluter Universalismus, der Gott des Christentums der Gott aller Menschen auf gleiche Weise, die Liebe des Schöpfers zu seinen Geschöpfen eine allumfassende. Das Christentum, indem es die Lehre von einem Weltschöpfer, und einer Schöpfung aus Nichts beibehielt, mußte also diese 15 Lehren der jüdischen Einseitigkeit entreißen, und das Verhältnis des Schöpfers zu den Geschöpfen in der größten Allgemeinheit, in seinem ganzen Umfang darstellen Wir sehen also, wie sich die Lehren, die das genan¯ te Verhältnis ausdrücken, vermöge einer gewißen Nothwendigkeit frühzeitig im Christentum ausbilden 20 mußten; denn sie gehören zu denjenigen, wodurch das Christentum einen bestim¯ ten Gegensatz gegen die alte Welt überhaupt, gegen Heidentum und Judentum bildet - Wir wollen daher die Entwickelung dieser Lehren im Einzelnen betrachten. § 19. t (§ 6. n. 2.) t286 Die Lehre von der Schöpfung überhaupt. 25 u M. II. § 126-129 Symbola: Deus est creator mundi. u287 1. Drei wichtige Lehren waren es, die sich gleich in der ersten christlichen Zeit als entschiedene dogmatische Lehren festsetzten - und sich um deßwillen festsetzen mußten, theils weil sie schon im Judentum bekan¯ t 288 , theils weil sie 91 aus den christlichen Begriffen von Gott leicht abzuleiten waren: dieße Lehren 30 sind a) Der eine wahre Gott ist auch zugleich der Schöpfer dieser sichtbaren Welt. Dieße Lehre hatten schon die Juden, und da sie von Christus selbst überall 286 t-t: spätere Paragraphenangabe 287 u-u: Verweis auf Münscher (2. Aufl., S. 40-47) auf Seite 90 unten am Rand neben Ziff. 1; die folgende Stichwort- oder Titelangabe zu einer späteren Vorlesungsdisposition ist auf Seite 91 oben am Rand plaziert 288 danach gestrichen waren <?page no="214"?> 182 Johann Sebastian Drey vorausgesetzt, auch öfters deutlich berührt wird, kan¯ hier ohne weiters 289 übergangen werden. v Symbol. Apostol. et Nic. Artic. 1. Conc. Tolet. I. cap. 1 et 9; Bracar. ao 563 serm. I. Later. IV. c. Firmit. v290 w Clem. R. I, 19. 20. 33. Herm. Past. mand. 1. Tatian. Orat. c. 7; Justin. Apol. I, Tert. a. Marc. I, 12 Clem. Al. Strom. 1, 16. Minut. F. i. O. c. 17. Orig. a. Cels. 5 IV. 99. Basil. Hex. I, 1. 6. Greg. Naz. Orat. 2. Ambros. Hex. I, 2. 4. 6. 9. w291 b. Dieße Welt ist nicht aus einer schon vorher unabhängig von Gott vorhandenen Materie, sondern aus Nichts erschaffen worden« 292 . Dieße Lehre hatte sich gleichfalls auch schon bei den Juden ausgebildet. II. Mach. VII, 28. Sie findet sich in dem N.T. deutlich Hebr. XI, 3; Apoc. IV, 11. 293 Alle christlichen 10 Lehren stim¯ en darin¯ überein. Herm. Pastor Mandat 1; x Vin. I, 1. 3. x294 Tatian Orat. ad Græc. y cap. 18 et 12. Br y295 pag. 246. 247; Iren. adv. hær. l. II. cap. 10. z IV, 37. ex semet. z296 - Tertull. Apolog. cap. 17; a adv. Prax. 6. a297 b de præscr. 13. reg. fidei b298 Lactant. Inst. div. l. II. cap. 8 + 9 299 − c Origen. de princ. in prooem. 2; et I, 1. 7; II, 1; maxime III, 5. atheum dicit contrarium. c300 15 d c) Athenag. Leg. 19. d. Theoph. a. A. L. II, 4; f. Tert. c. Marc. I, 12 g. Clem. Al. loc. cit. h. Orig. hom. 1. in Gen. - de princ. 1, 7; II, 1; III, c. 5; Athan. in g. 2; Greg. Naz. 20 Orat. 2. Basil. hom. 1 pp. Aug. de Gen. cont. Manich. I, 5. 7. Conf. XI, 5. d301 c. Auch die dritte Lehre lag in den Büchern des A.T. noch mehr lag sie in den Begriffen des Christentums von Gott. Daß nämlich die Welt nicht von Ewigkeit, sondern in der Zeit erschaffen worden. Auch hierin¯ stim¯ en die Väter überein. Athenag. Legat. e c. 19 e302 pag. 291; - Minut. Fel. Octav. c. 18; Tertull. 25 adv. Prax. cap. 5. 6. f Orig. de princ. in prooemio. f303 Selbst daß Clemens Alex. Strom. VI, 16, pag. 813; und Justin. Apolog. Maj. pag. 48 - 304 eine ursprünglich formlose und gährende Materie g ( υ ë λη α Æ μορϕοσ, α Æ χρονοσ ) g305 annehmen, be- 92 289 danach gestrichen vorausgesetzt werden 290 v-v: am Absatzende angefügt 291 w-w: neben Ziff. a. am Rand ergänzt 292 öffnendes Anführungszeichen fehlt 293 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 44. 294 x-x: über der Zeile 295 y-y: über der Zeile 296 z-z: über der Zeile 297 a-a: über der Zeile 298 b-b: unter der Zeile, eingewiesen 299 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 45. 300 c-c: am Absatzende angefügt 301 d-d: neben Ziff. b. am Rand ergänzt 302 e-e: über der Zeile 303 f-f: Einweisung 304 daneben am Rand (§. 39.) 305 g-g: unter der Zeile <?page no="215"?> 183 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) weißt keineswegs, daß sie eine ewige Materie behaupteten, h Es ist ihnen das Thohu Vabohu der Genes. I, 2 coll. Sap. XI, 18 ( εξ α Æ μορϕου υ ë λης ), - das Chaos im christlichen Sinne. h306 vielmehr deuten andere Stellen ihrer Schriften gerade auf das Gegentheil. Justin cohort. ad Græc. pag 23, i cap. 29. 30 i307 ; Tatian Orat pag 253; Clem. Cohort. ad Gentes pag 55; Strom. VI pag 816. - Sie bestreiten 5 sogar das anfangslose Dasein der Materie: wer ihre Gründe ken¯ en lernen will, lese Theoph. ad Autolyc. l. II. pag. 349, 350. - Lactant. instit. div. l. II. cap. 8 - Methodius de libero arbitrio in Phot. Bibl. cod. 236; 308 j M. II. § 129-133; pag. 49-55 praemittitur nro 1. mo j309 10 2. Dieße Grundlehren des Christentums wurden demungeachtet von einigen Män¯ ern bestritten, welche griechischer oder asiatischer Philosophie zugethan waren - So behauptete Hermogenes die Ewigkeit der Materie, weil er ohne sie den Ursprung des Übels für unerklärlich hielt, - und Gott ohne sie nicht von Ewigkeit Herr gewesen wäre: man sehe seine Behauptungen, so wie Tertul- 15 lians Gegengründe nach in des letztern Schrift adv. Hermog. cap. 2. 3. 310 - Die Gnostiker 311 behaupteten, nicht nur die Ewigkeit der Materie gleichfalls, sondern sie nahmen auch einen eigenen Weltschöpfer an, der zwar von Gott entsprungen, aber ihm an Vollkommenheit weit nachstehe. lib. de recta in Deum fide in opp. Orig. Tom. I. pag 841. 312 - Zu diesem Behufe dichteten sie gar 20 mancherlei Emanationen, und abentheuerliche Fictionen / Worüber Walch Ketzerhistorie I Bd; Beausobre histoire de Manichees; und Mosheim Commentarii de 93 rebus christianorum ante Constantinum nachzusehen ist 313 / Marcion insbesondere hielt den Teufel für den Herrn der Materie gegen welchen ein Aeon [oder von Gott erschaffenes höheres uneigentlich Gott zu nennendes aber weit unter 25 den einigen Gott stehendes Wesen] auftratt, Demiurg, oder Weltbildner, auch Jehova der Judengott, wurde, blos gerecht aber nicht gütig war, bis auch dieser Demiurg durch einen anderen Aeon Christus seiner Herrschaft entsetzt wurde u.s.w. k M. II. pag 55-57 k314 - Gegen diese Irrtümer bildete sich den¯ die katholische Lehre: daß der höchste Gott, der Vater J. Chr. auch zugleich der 30 Schöpfer der Welt und der Gott des A.B. sei. Man sehe Irenæus adv. hær. II. cap. 10; Tertull. de præfer. hæret. cap. 13; Origen. de princ. prooem pag 47; item Irenæus l. II. cap. 2. Tert. adv. Marc. l. I. cap. 13. 14; - cap 15. 315 l Vide n. 1. a. l316 306 h-h: Einweisung 307 i-i: Einweisung 308 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 49. 309 j-j: Verweis auf Münscher (2. Aufl.) am Rand neben Ziff. 2; darunter Vermerk zu einer späteren Vorlesungsdisposition 310 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 50. 311 daneben am Rand: Marcioniten. 312 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 51. 313 L: nach Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 52. 314 k-k: auf dem Rand (2. Aufl.) <?page no="216"?> 184 Johann Sebastian Drey m M. II. § 133. p. 57-61 adnectitur nr. 1. c. et fil d. m317 3. Ob vor dem zeitlichen Anfang dieser Welt nichts oder etwas gewesen sei, − das rechnete Origenes unter die unentschiedenen Stücke; deßwegen, obwohl er die Lehre einer unerschaffenen Materie verwarf, auch einen Zeitursprung 5 dieser Welt behauptete: de princ. prooem. Fragm. Com¯ . in Genesin T. II pag 2. 3. de princ. l. II. cap. 1. § 4; Com¯ ent. in Joh. Tom IV. pag. 19 − glaubte er doch eine unzählige Reihe von Welten annehmen zu dürfen, die vor dieser waren und nach ihr sein werden: de princ. l. III. cap. 5. § 3; Photii Bibl. cod. 235; diese 94 Meinung soll auch Clem. Alex. gehabt haben. Photii Bibl. cod. 109 − Ihn 10 suchte Methodius zu widerlegen Phot. Bibl. cod. 235. 318 * Athan. Orat. II. c. Arian. August. Conf. XI, 10 sq. de civ. Dei XI, 3-6. XII, 15-17. n d. Antheil des Sohns an der Schöpfung V. Nro. 5. n319 o M. II. § 134-137 o320 4. Den Zweck und die Absicht der Schöpfung betreffend lehrten die ersten 15 Väter, a) 321 daß Gott die Welt nicht um seines Bedürfnisses willen erschaffen habe. Athenag leg. pag 291; p Propter se Clem. R. I, 33; Tertull. Apolog. c. 17; Aug. de l. arb. III, 11. p322 − b) 323 daß die niedrigeren Geschöpfe um der höhern Willen, alle aber für den Menschen erschaffen seien. q Tatian. Orat. c. 7. q324 Tertull. adv. Marc. l. I. cap 13; Justin. Apolog. Mai. pag. 48. Orig. homil. in Genes. 20 Tom II pag 56; contr. Cels. l. IV. § 74; r et 99. VI, 60; r325 Lactant. de ira Dei cap. 10. 326 13; instit. div. l. VII. cap. 4 et 5; 327 s II, 8. 9. s328 t Cyrill. Cat. 12, 5; Basil Hexaem. hom. I. §. 5. 6. item homil. XX. §. 5. t329 - Die Gnostiker und Manichäer legten der Schöpfung dieser Welt einen Zweck unter, der ihrem übrigen Systeme angemessen war: man sehe Walch und Mosheim - Origenes 25 stim¯ te im allgemeinen mit der obenangeführten Lehre der andern Väter überein, erklärte sie aber dahin, daß die Körperwelt erschaffen sei, damit jedes vernünftige Geschöpf einen seinem vorherigen freien Verhalten angemesse- 315 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 55-56. 316 l-l: am Absatzende angefügt 317 m-m: Verweis auf Münscher (2. Aufl.) am Rand neben Ziff. 3; darunter Vermerk zu einer späteren Vorlesungsdisposition 318 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 57-60. 319 n-n: auf der Randspalte Seite 94 oben 320 o-o: am Rand neben Ziff. 4. 321 über der Zeile ergänzt 322 p-p: am Rand ergänzt; L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 61. 323 über der Zeile ergänzt 324 q-q: am Rand ergänzt 325 r-r: über der Zeile 326 über der Zeile ergänzt 327 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 62. 328 s-s: über der Zeile ergänzt 329 t-t: Einweisung <?page no="217"?> 185 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) nen Zustand fände. Dieße Ansicht gründete sich auf die Präexistenz der Seelen und andere dem Origenes eigene Ideen, die er an verschiedenen Orten vorträgt. Münscher II § 135 - Auch hier suchte Methodius den Origenes zu widerlegen: Photii Bibl. cod. 234. 330 u conf. M. II. § 137. u331,332 5 95 5. Über die Art der Schöpfung war es allgemeiner Glaube, daß der Vater die Welt durch den Logos erschaffen habe: den Antheil, den jeder dabei hatte, bestimmen sie nicht ganz gleich: Orig. adv. Cels. l. VI. § 60. Phot. Biblioth. cod. 235. Auch die Mosaische SchöpfungsUrkunde deuteten einige wörtlich Theoph. ad Autol. l II. pag 355; andere allegorisch Clem. Al. Stromat. VI pag 813; 10 Origen. contra Cels. l. VI. § 60; de princip. l. IV. pag. 174. 175. § 20 v (§. 7) v333 Die Lehre von dem Menschen und seiner Natur. M. II §§ 145-160 pag. 83-121. w334 Es ist begreiflich, daß im Anfange des Christentums über die eigentliche metaphysische Natur des Menschen wenige Begriffe vorhanden sein konnten. 15 Die biblische Lehre des Christentums enthält keine schulgerechte Psychologie, und im A.T. war über diesen Gegenstand weniger philosophirt worden. Das Heidentum selbst war dürftig in derlei Begriffen: die ganze alte Zeit war eine Zeit der Objectivität, des Hinaustrettens außer sich gewesen; erst durch das Christentum sollte der Mensch in sich selbst zurückgeführt, über sein 20 in¯ eres verborgenes Wesen aufgeklärt werden. Deßwegen lag wohl und ligt dem Ganzen des Christentums eine sehr bestim¯ te Anthropologie und Psychologie zum Grunde, aber sie konnte nur allmälig 96 herausgehoben werden. x pag. 83/ 4 x335 25 1. Die Kirchenlehre enthielt bloß die Begriffe von der Substantialität der Seele, von der Freiheit des Willens - von der Fortdauer der Seele, und von der Vergeltung. Uber ihren Ursprung und weiteres Wesen war am Anfange nichts bestimmt. Origen. de princip. prooem. pag 48. y pag. 85-87. y336 30 2. Indessen veranlaßte eben das Christentum durch seine anderweitigen dogmatischen und moralischen Lehren bald ein weiteres Forschen über die Natur 330 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 71. 331 u-u: am Rand neben Ziff. 5. 332 L: 2. Aufl., S. 72-74. 333 v-v: spätere Paragraphenangabe, dabei 7 über der Zeile, darunter gestrichen: 6. n. 3 334 w-w: auf dem Rand; Seitenangabe (2. Aufl.) mit hellerer Tinte ergänzt 335 x-x: auf dem Rand; 89 (2. Aufl.) mit hellerer Tinte korrigiert zu 83/ 4 (3. Aufl.) 336 y-y: auf dem Rand; Seitenangabe mit hellerer Tinte korrigiert, wohl 89-93 (2. Aufl.) überschrieben mit 85-87 (3. Aufl.) <?page no="218"?> 186 Johann Sebastian Drey des Menschen. Eine eigentlich aus der platonischen Philosophie herrührende durch die Bibel I Thess. V. 23; Hebr. IV. 12 nicht angefochtene Meinung herrschte damals: daß die Seele 337 oder eigentlich der Mensch aus drei Theilen bestehe - aus dem Geist - der Seele, - und dem Körper: jedoch dachten nicht alle Väter hierüber ganz gleich. z Den Unterschied S. Münsch. S. 85. z338 a Justin 5 in Dial. c. 4. a339 Tatian. Orat. pag. 253. b c. 7. et 12 b340 255; Iren. adv. hær. l. II. cap. 29. § 3; cap. 33. §. 4; l. V. cap. 6. 7. 9. 10. 12; Clem. Al. Strom. l. VI. pag. 808; Origen. l. III. cap. 4; item in Comm. in Matth. et epist. ad Rom. I, 18. 341 Andere, wie die Gnostiker behaupteten auch eine doppelte Seele, eine vernünftige und unvernünftige - Tertullian und Lactantius verwerfen den Unterschied zwi- 10 schen Seele und Geist, und lassen den Menschen blos aus zwei Theilen bestehen: de anima cap. 10. 11. 20. 21 Lact. de opif. Dei cap. 18; instit. l II. cap. 12. - Hieronym ad Hedibi. qu. 12; in Daniel. III, 39. Gennad. de D. E. c. 15. 20. c Theoph. II, 18. 28. Clem. Pædag. I, 3. Tertull. c. Marc I, 4 Lact. Opific. et inst. VII, 5. Basil. hom. 21, Greg. Naz. Or. 38 Ambros. de Parad. cap. 10. Hieron. 15 Comm. in epist. ad Philem. August. de Civ. D XIV, 11. c342 d pag. 87. d343 13 97 b) Uber die Natur der Seele selbst herrschten anfangs zwei verschiedene Vorstellungsarten - eine gröbere die die Seele für körperlich wenigstens körperähnlich hielt: Tertull de anima cap 5-14 et 37. Iren. adv. hæres. l. II. cap. 19 20 et 34; item l. V cap. 7 § 1; Tatian. Orat. adv. Græc. pag 235-256 344 ; Arnobius adv. Gent. l II. pag. 52; Theodotus apud Clem. Alex. e pag. 89. e345 - und eine feinere, die sie zwar für unkörperlich aber doch nicht ganz für immateriell hielten. Origen. princ. l. I. cap. 1. § 7; l. II cap. 2; exhort. ad Martyr. § 47 et alibi; Clem. Alex. Strom. l. VI. pag 766 ss. − − Ubrigens darf diese doppelte Vorstellungs- 25 art nicht befremden, und muß auf das in nro 1 Gesagte Rücksicht genom¯ en werden. f pag. 90. f346 3. Kein anderes Dogma das Wesen der Seele betreffend findet sich bei allen Vätern so entschieden, als jenes von der αυτεξουσια oder von der Freiheit. 30 g Man vergl. M. II § 214-227. g347 Clemens Alex. Strom. l. I pag. 368; l. IV. p 633; Justin. Apol. min. pag. 93; Dialog cum Tryph. pag. 186; Tatian. Orat. ad Græc. pag. 337 danach gestrichen: aus 338 z-z: dazu am Rand ergänzt 339 a-a: über der Zeile 340 b-b: am Rand angefügt 341 Kapitel- und Versangabe nachträglich eingefügt 342 c-c: Nachträge auf der Randspalte S. 96 unten 343 d-d: auf dem Rand; 93 (2. Aufl.) mit hellerer Tinte korrigiert zu 87. (3. Aufl.) 344 236 korrigiert zu 256 345 e-e: auf dem Rand; 95 (2. Aufl.) mit hellerer Tinte korrigiert zu 89. (3. Aufl.), davor gestrichen: pp 346 f-f: auf dem Rand; 97 (2. Aufl.) mit hellerer Tinte korrigiert zu 90. (3. Aufl.) 347 g-g: am Rand ergänzt (3. Aufl.) <?page no="219"?> 187 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) 249; Athenag. leg. pro Chr. pag. 362; Iren. adv. hær. l. IV. cap. IV. Theoph. ad Autol. l. II. § 27; Tertull. adv. Marc. l. II. cap. 6 et 7; Novat. de Trinit. cap. 1; Lact. inst. div. l. VII. cap. 5; Origenes de princ. l. III. cap. 1 et 4. § 2 et 3; in ep. ad Rom. l. I Opp. l. 4 et alibi. h pag. 99. h348 Die Valentinianer und nochmehr die Manichäer hatten abweichende Meinungen. 5 4. Uber den Ursprung der Seelen war nur Eines ent-schieden: daß sie ihn von 98 Gott haben. i pag 93. i349 Der größere Theil leitete denselben aus einer Art von Emanation aus dem Wesen Gottes selbst ab. Justin. Fragm. de Res; Dial. cum Tryph. pag. 106; Tat. Orat. pag. 253 ss; Tertull. de anima cap. 11 et 3; adv. Prax. cap. 5; Lact. Instit. l. II. cap. 12. − 350 Andere wie Origenes verwarfen alle Art 10 von Emanation; auch Clem. Al. Strom. l. II pag. 468 ss. − 351 Arnobius glaubte nicht, daß die Seelen von Gott geschaffen sein: adv. gent. l. II pag. 68-75. − 352 Die Gnostiker und Manichäer folgten den aeltern EmanationsTheorien. Iren. adv. hær. l. I. cap. 5 et 24. 5. Verwandt mit der Frage über den ersten und allgemeinen Ursprung der 15 Seelen war die zweite über die Art, wie die einzelnen Seelen entstehen, und sich zu ihren Leibern verhalten? In den frühesten Zeiten war hierüber wenig entschieden: deßwegen finden sich drei verschiedene Vorstellungsarten: j pag 95 j353 die erste der Tertullian k Tert. de anima c. 20-27 contra Plat. c. 32. 33. k354 zugethan ist, aber sonst keinen bekan¯ ten Vertheidiger hat l später Augustin 20 ambigue ep. ad Oceanum; später ein Theil der Orientalen teste Hieron. l355 , läßt die Seele zugleich mit dem Körper und durch Zeugung fortgepflanzt werden; seine Meinung und seine Gründe finden sich de anima cap. 20-27; ibid. cap. 32 et 33. m cf. Doed. § 162. Obs. 2. m356 − 357 Die andere, der Lactantius zugethan ist, und welche späterhin die herrschende wurde n durch Hieronymus n358 , läßt 25 die Seelen unmittelbar bei der Geburt von Gott erschaffen werden und in die Leiber wandern. Lact. Instit. div. l. III. cap. 18; de opificio Dei cap. 19. o Greg. 99 Naz. Orat. XXI. − Nyss. de hom. opif. Hilar. Tract. in ψ . 91. Hieronym. ep. 61 et al. Leo M. ep. 15. ad Turribium ad fidem catholicam recensat. Ambros. l. de Noe ¨. Hilar. L. X. de Trin. o359 , − 360 Die dritte, welcher mehrere frühere Väter und 30 348 h-h: am Rand ergänzt (2. Aufl.) 349 i-i: auf dem Rand; 100 101 (2. Aufl.) mit hellerer Tinte korrigiert zu 93. (3. Aufl.) 350 am Rand gestrichen: pag. 102 (2. Aufl.) 351 am Rand gestrichen: pag. 100 − 99 korrigiert zu 100 (2. Aufl.) 352 am Rand gestrichen: pag. 99 (2. Aufl.) 353 j-j: auf dem Rand; 103. 104 (2. Aufl.) mit hellerer Tinte korrigiert zu 95 (3. Aufl.) 354 k-k: Einweisung 355 l-l: Einweisung 356 m-m: am Rand ergänzt; L: Doederlein, Institutio 357 am Rand gestrichen: pag. 108 (2. Aufl.) 358 n-n: Einweisung 359 o-o: Einweisung 360 am Rand gestrichen, undeutlich: pag. 104 107 (2. Aufl.) <?page no="220"?> 188 Johann Sebastian Drey namentlich Origenes zugethan waren, läßt die Seelen schon vor der Bildung des Leibes existiren, und zur Strafe zugleich, und zur Reinigung in die Körper von Gott gesetzt werden. De princ. l. I. cap. 8; In cant. Cantic; Comment in Joh. et Matthæum. et alibi. p Justin. Dial. c. T. c. p361 q Clem. Al. Strom. l. IV. et ap. Phot. cod. 109. Pierius et 362 Pamphilius apud eundem cod. 119. Damnata sententia in c. 5 Const. II. a. 553 can. 1. adv. Orig. q363 Die Gnostiker hatten dieselbe Meinung; Clem. Alex. Strom. l. IV. pag 534. 600. - Schon die Essener Joseph. de bell. jud. l. II. cap. 8; und Philo hatte die Idee − r Der Orient. Herodot. II, 25. r364 Den darüber hart angegriffenen Origenes vertheidigte Pamphilus. Phot. Bibl. cod. 119. 365 10 s M. pag. 101. s366 6. Die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele oder eigentlich von ihrer unmittelbaren Fortdauer nach dem Todte des Körpers gieng anfangs, wenigstens bei den Vätern, deren Schriften wir noch haben, - nicht über den Buchstaben der Schrift hinaus, d.h. sie enthielt nicht mehr als was im All- 15 gemeinen dort von Belohnung und Strafe in einem andern Leben ausgesprochen ist: da nun in der Bibel nichts von einer natürlichen aus dem Wesen der Seele fließenden Unsterblichkeit vorkömt, so finden wir auch bei den 100 aeltesten Vätern nichts hievon. t pag. 108-110 t367 Nach der Lehre des Justinus, des Tatianus, und des Theophilus ist die Seele von Natur aus, also mit 20 Nothwendigkeit weder sterblich noch unsterblich, sondern für sich indifferent: sie kan¯ aber beides werden: sterblich durch Sinnlichkeit, fleischliches Gelüsten, und das Weichen des unsterblichen göttlichen Geistes; unsterblich durch eben diesen Geist und den Gehorsam gegen ihn. Indessen folgt daraus keineswegs, daß sie die Unsterblichkeit überhaupt geläugnet hätten: vielmehr 25 ist dieß ihre 368 Meinung; die Seelen der Frommen sterben vermöge des ihnen mitgetheilten göttlichen Geistes ohnehin nicht, die Seelen der Bößen aber würden mit dem Körper natürlicherweiße sterben, wen¯ nicht 369 Gott sie zur Strafe beim Dasein erhielte gleich nach dem Todte, oder sie bei der allgemeinen Auferstehung dazu erweckte. Justin dial. cum Tryph. pag 107 ss. pag 200; 30 Tatian. Orat. adv. Græcos pag 254; Theoph. ad Autol. l. II pag 366-368. Man sieht, wie nahe dem Körperlichen verwandt sie die Seele sich denken. - Dießer Meinung ist auch Arnobius adv. gentes l. II pag 59 et ss. u pag. 112 113 u370 361 p-p: Einweisung in p-p 362 danach gestrichen: Euseb 363 q-q: Einweisung 364 r-r: über der Zeile eingefügt 365 am Rand: pag. danach gestrichen 106. 107. (2. Aufl.) 366 s-s: neben Ziff. 6 am Rand (3. Aufl.) 367 t-t: zum folgenden am Rand (Münscher, Bd. 2, 2. Aufl.) 368 seine korrigiert zu ihre 369 Einweisung 370 u-u: auf dem Rand (2. Aufl.) <?page no="221"?> 189 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) der sogar die Seele von Natur für sterblich hält, und die entgegengesetzte platonische Behauptung falsch und gefährlich nen¯ t, aus dem gleichen Grunde 101 warum wir des Arnobius Meinung für gefährlich halten, und auf eine natürliche Unsterblichkeit schließen. b. Indessen giengen doch die folgenden Väter über den Buchstaben der 5 Schrift hinaus, und fiengen an, durch die anderweitigen erhabenen Ideen des Christentums geleitet, die Seele ihrer Natur nach für unsterblich zu erklären. v pag 110 v371 Von Origenes erwartet man dieß ohnehin vermöge seiner ganzen christlichen Religionsphilosophie; er bestritt auch einige arabische Lehrer, welche ein temporäres Sterben der Seele gelehrt hatten: Euseb. hist. Eccl. l. VI 10 cap. 37; item de princ. l. IV. § 36; exhort. ad Martyr. − w pag. 110 w372 Irenæus adv. hæres. l. II, cap. 34; l. V. cap. 4 et 7 vertheidigt die natürliche Unsterblichkeit der Seele. − Tertull. de anima cap. 51 ebenfalls; zufolge seines Begriffes über den allgemeinen Ursprung der menschlichen Seele, was sonst nicht leicht von ihm zu erwarten war. − x 113-115 x373 Auch Lactantius der sich mit vielerlei 15 Beweißen darüber herausläßt, aus denen zu schließen ist, daß wenigstens die Seele nach ihrem ursprünglichen Zustand, und nach der Bestim¯ ung Gottes unsterblich ist. Inst. div. l. II. cap. 12; l. VII cap. 5. 9. 10 et 11. y pag 109. y374 102 7. Uber den Körper des Menschen urteilen selbst die katholischen Väter nicht 20 am günstigsten, die Gnostischen und Manichäischen Partheien nen¯ en ihn ohnehin, als etwas Materielles, absolut böß, ein Werk des Teufels. Man muß aber die katholischen Väter nicht misverstehen: wen¯ sie nämlich den Körper als böße und als ein Werkzeug des Teufels darstellen, wie z.B. Lactantius inst. div. l. II. cap. 12, so haben sie den durch den Sündenfall verdorbenen Körper, 25 den Sitz aller bößen Gelüste, im Auge: den ursprünglich erschaffenen Körper nen¯ en die meisten, Lactantius selbst, ein Ebenbild Gottes. Clemens Al. quis dives salvetur; und selbst Lact. inst. div. l. VII. cap 5 375 urtheilt günstiger; Origenes aber wie begreiflich weniger günstig. z pag 110. z376 30 8. Die biblische Lehre - daß der Mensch nach dem Ebenbild Gottes erschaffen sei - deuten sie nicht gleich - einige dehnen diese Aehnlichkeit auch auf den Körper aus: Justin Fragm. de Resurr. - Iren. adv. hær. l. V. cap. 6. § 1; welcher jedoch Bild und Aehnlichkeit Gottes unterscheidet, und letztere in die Bestim¯ ung zur Unsterblichkeit setzt l. V. cap. 16, et IV cap. 38; anderswo 35 371 v-v: zum folgenden am Rand (Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 110-112) 372 w-w: zum folgenden am Rand (2. Aufl.) 373 x-x: zum folgenden am Rand (Münscher, Bd. 2, 2. Aufl.) 374 y-y: neben Ziff. 7 am Rand; 117 (2. Aufl.) mit hellerer Tinte korrigiert zu 109. (3. Aufl.) 375 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 118. 376 z-z: neben Ziff. 8 am Rand; 118. 119 (2. Aufl.) mit hellerer Tinte korrigiert zu 110. (3. Aufl.) <?page no="222"?> 190 Johann Sebastian Drey auch in die Vernunft und Freiheit l. IV. cap. 4; so auch Methodius Phot. Bibl. cod. 234. a Lactant. de opif. D. Epiph. Hæres. 70. Das Urbild ist der λογοσ ενσαρκωθεισ ; so Justin, Irenæus, Tertullian. a377 b pag. 120. 121 b378 - b Andere setzen das Ebenbild Gottes in die Seele des Menschen und ihrer 5 Vorzüge mit Ausschlus des Körpers: als Tertull. adv. Marc. l. II cap. 5; de 103 baptismo cap. 5; - Clemens Alex. der auch wie Tertullian Bild und Aehnlichkeit unterscheidet. Strom. l. II. pag. 220, 480-500; l. VI. pag 798; V. pag 783; Protrept. pag. 78. Die Vorstellung desselben hat auch Origenes, der an vielen Orten davon redet c pag. 122 c379 : de princ. l. III cap. 6; contra Cels. l. IV pag. 522; 10 VI pag 680, homil. 1 in Gen., hom. 2 in Jerem; comment. in Joh; homil. VIII in Luc. et alibi; endlich Novat. de trin. cap. 1. d Augustin in ratione et libertate imaginem, in immortalitate et gratia sanctificante similitudinem ponit. d380 e Vernunft Theodoret in c. 27 Ez. Aug. Tract. 3 in Joh. freie Willensthätigkeit Leo M. Theodor M. 381 Tert. adv. M. I, 7-15. Hieron. Tit. Bostr. Ambros. 15 Damasc. Herrschaft über die Erde in die Vernunft u. Unsterblichkeit setzen sie das Ebenbild, in den guten Gebrauch der Freiheit die Aehnlichkeit mit Gott. e382 f Negare debuerunt Gnostici et Manich. pag 115. f383 9. Die Bestim¯ ung des Menschen war eine Idee, welche sie aus dem Ebenbilde 20 Gottes ableiten konnten. Ein guter Gebrauch der ihm anerschaffenen, durch Christus hergestellten Anlagen, und die solchen Anstrengungen entsprechende Seeligkeit ist diese Bestim¯ ung. Iren. adv. hær. l. IV. cap 4; Clem. Strom. l. II; Orig. de princ. l. III. cap. 6; Novat. de trin. cap. 1. Lactantius rechnet auch besonders die Verehrung Gottes zur Bestim¯ ung des 25 Menschen g p. 123. 124 g384 : de ira Dei cap. 14; inst. div. l. II. cap. 5. 10. Die Mosaischen 385 Nachrichten über die Schöpfung und Wohnung des ersten Menschenpaares legten einige buchstäblich aus h pag. 116 h386 wie Theophil. ad Autol. l. II pag. 362 ss. Tertull. apol. cap. 47; Irenæus adv. hær. l. I. cap. 5. Lactant. inst. div. l. II cap. 12; Tatian. Orat. ad græc. 30 104 377 a-a: zu Ziff. 8 am Rand ergänzt 378 b-b: neben Ziff. b am Rand (2. Aufl.) 379 c-c: daneben am Rand (2. Aufl.) 380 d-d: am Absatzende angefügt 381 unsicher 382 e-e: zu Ziff. 8.b am Rand der Seite 103 383 f-f: neben Ziff. 9 am Rand; beim Verweis auf Münscher, Bd. 2, 123 (2. Aufl.) mit hellerer Tinte korrigiert zu 115. (3. Aufl.) 384 g-g: auf dem Rand (Münscher, Bd. 2, 2. Aufl.) 385 im Original versehentlich: Mosaischung 386 h-h: am Rand; 124 (2. Aufl.) mit hellerer Tinte korrigiert zu 116 (3. Aufl.) <?page no="223"?> 191 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) i pag. 125. 126 i387 b. Die Alexandriner dagegen deuteten sie allegorisch, und hatten hierüber eigene Vorstellungen. Clem. Alex. Pæd. l. I. cap. 3; Strom. l. V. pag. 689 ss; Phot. Bibl. 109. Origenes adv. Cels. l. IV. 530 ss; de princ. l. IV. pag 175 11. In Absicht auf den ersten Zustand des erschaffenen Menschen - seine 5 Vollkommenheit betreffend - stellen sie ihn als Kind dar, mit den Anlagen und der Bestimmung sich allmälig zu entwickeln. j pag. 126-128 j388 Irenæus adv. Hæres. l. IV. cap. 38 § 1 et 3; Theoph. ad Autolyc. l. II pag 367; - Clem. Alex. Strom. l. VI pag. 788 et 632; - Origenes de princ. l. III. cap. 6. § 1 § 21. (§.8.) 389 Das Ganze der Schöpfung - oder die Lehre von den Engeln 10 k M. II §§ 111 - 126 k390 l pag. 1 - 3 l391 1. Dieße Lehre ist keine eigene des Christentums; es fand sie schon entwickelt bei den Juden und Heiden: wie viele Stellen des A. Testaments und die heidnische Mythologie hinlänglich beweißen conf. M. II. S. 2. 3. 15 2. Den Ursprung dieser Lehre unter Juden und Heiden nachzuweißen, ist hier der Ort nicht. Was die ursprüngliche Offenbarung; was der Glaube − die 14 105 ganze Schöpfung, auch die dem menschlichen Auge sich entziehenden Regionen sich beseelt und bewohnt zu denken; - was die ursprüngliche Vorstellung von Gott als dem Allesbewirkenden durch sich oder durch gewiße 20 Diener als die Werkzeuge seines Willens; - was der alles Abstracte personificirende DichterSinn; was überhaupt Anthropomorphismus und der nicht ermüdende Hang nach mythischen Sagen - was alle diese Ursachen zur Entstehung und Ausbildung der Dämonologie beigetragen haben mögen, wird nie ganz mit Zuverläßigkeit entschieden werden können; aber zuverläs- 25 sig ist es, daß man der sogenan¯ ten Uncultur zuvielen Antheil an derselben Lehre beigemessen hat: conf. M. II. pag. 2. 392 m pag. 3. 4 m393 3 Ebenso findet sich theils in den Schriften der Juden, theils in den Sagen der andern Völker die Unterscheidung von guten und bößen Engeln, und na- 30 mentlich von einem Fürsten der bößen Geister ............................................................................ 394 . Die Lehre von den zweierlei 387 i-i: auf dem Rand (2. Aufl.) 388 j-j: auf dem Rand (2. Aufl.) 389 spätere Paragraphenangabe mit heller Tinte 390 k-k: neben dem Paragraphentitel am Rand 391 l-l: neben Ziff. 1 am Rand (Münscher, Bd. 2, 2. Aufl.) 392 daneben am Rand wiederholt: pag. 2. 393 m-m: neben Ziff. 3 am Rand (2. Aufl.) 394 auf den Seiten 105-111 einige Unterstreichungen mit blaßroter Tinte <?page no="224"?> 192 Johann Sebastian Drey Gattungen der Engel bildete sich in den verschiedenen ReligionsSystemen ....................................... nach dem eigenen Geiste der letztern .............................................................................. aus. M. II. § 112. n p. 5 n395 4. Christus und seine Apostel behielten die Lehre von den Engeln bei, wie sie unter den Juden sich entwickelt hatte. Wenigstens findet man nicht, daß sie in 5 Be-zug auf diese Lehre irgend ein Vorurtheil bestritten hätten: vielmehr 106 scheint Jesus und seine Apostel noch neue Aufschlüße darüber gegeben zu ................................................................................................................................................ haben ............ . Conf. M. II. § 113. p. 6 396 - Ebenso behielten die ersten Christen diese christliche Dämonologie bei, ohne darinn eine Accomodation zu finden; ja sie verwebten diese Lehre in das ganze System des Christentums ............................................................................................................................. . M. II. § 114. p. 10 6. 7. 397 - Unser Geschäft ist, eben diese Verwebung zu zeigen: denn gerade dadurch erhielt die biblische Dämonologie wiewohl nicht viele, doch einige Erweiterung und Zusätze: − und hier handeln wir zuerst - A von den guten Engeln. o p. 8. 9 o398 15 5. Uber das Dasein und den Ursprung der guten Engel war unter den Orthodoxen nur eine Meinung, daß Gott viele dergleichen erschaffen habe. Origen. de princ. prooem. § 10. 399 − p. 9 400 Einige häretische Parteien hielten sie nicht für permanente Substanzen, wahrscheinlich nach der Erklärung der Sadduzäer : Justin. dial. cum Tryph. pag. 221 : andere p p. 9. 10. p401 wie die 20 Gnostiker, vielleicht auch Lactant. inst. div. l. IV cap. 8. ................................................................................................ leiteten ihren Ursprung durch eine besondere Emanation aus Gott ab. ......................................................................... q Justin. dial. cum Tr. c. 57. Athenagoras Legat. c. 24. Euseb. præp. evang. l. 7. dem. L. III, 5 Tertull. Apol. c. 22. de anima. 37. Lactant. Inst. IV. 8. Athanasius 402 de essent. Patris Hilar. Tr. in ψ . 129. Basil. in ψ . 32. Epiphan. Hær. 65. August. de Civ. Dei. V, 19; XI, 9. ψ . 25 103. Theod. epist. d.d. c. 5. Greg. M. epp. V, 54. q403 − r p. 10. 11. r404 b) 405 Die Zeit ihrer Schöpfung war durch die Kirchenlehre nicht bestim¯ t, und ist es noch 107 nicht: indessen scheint es doch herrschende Meinung gewesen zu sein, daß die Geisterwelt lange vor der Körperwelt erschaffen worden. s Herm. Past. Sim. V. §. 5. s406 Origen. Comm. in Matth. Tom. III pag 692. Novatian de trin. cap. 1; Tatian 30 395 n-n: neben Ziff. 4 am Rand 396 Seitenangabe am Rand 397 Seitenangaben am Rand 398 o-o: neben Ziff. 5 am Rand 399 Paragraphenangabe über der Zeile ergänzt 400 Seitenangabe am Rand 401 p-p: auf dem Rand 402 August. überschrieben mit Athanasius 403 q-q: auf dem Rand 404 r-r: zu Ziff. b) am Rand 405 über der Zeile ergänzt 406 s-s: über der Zeile <?page no="225"?> 193 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) Orat. ad Græcos t cap. 5 t407 u Chrysost. homil. 5 in Joh.; Hieronymus in Tit. cap. 1; Joh. Damasc. de orth. fide l. 2. cap. 3. − Prima die. Theod. Mops. l. I. in Gen; Augustin. (et Lombardus) de civ. Dei lib. 2. cap. 9. − Post hominem Gennad. de dogm. eccles. u408 v p. 11. 12 v409 5 6. Uber die Natur der Engel - der guten - haben sie sehr große Begriffe. - A. 410 Es sind sehr vollkom¯ ene seelige Geister Clem. Al. Strom. l. VII. pag 831; - mit freiem Willen begabt: Justin. dial. cum Tryph. pag 186; Athenag. Legat. pag. 302; Iren. adv. hær. l. IV, cap. 37. Clem. Al. Strom. l. VII seq; Origen. princ. l. I cap. 5 et 8 et alibi w in Prooem. w411 x Lactant. Inst. div. IV, 8; Hilar. Comm. in 10 Matth. 18; Basil. de spir. S. c. 16. Leo M. ad Theod. ep. 15. c. 6. x412 - B 413 Daß die Väter der ersten Zeiten den Engeln keinen groben Körper nach Art des menschlichen beilegten, ist gewiß; daß sie aber dieselben doch nicht überhaupt ohne Körperlichkeit .......................................... dachten y Ohne Körper Orig. Greg. Naz. Orat. II et XXIX; Greg. Nyss. de vita Mosis; Greg. M. Moral. L. IV. c. 19. Cyrill. Al. in Joh. 15 IV, 10. Nic. II. in Symb. α Æ σοματουσ . y414 − erhellt aus Tertull. adv. Marc. l. II. cap. 8; de carne Christi cap. 6; Origen. de princ. l. I cap. 6 et 7; de Orat. Op. Tom. I pag. 268; Phot. Bibl. cod. c. V; aus ihren Meinungen vom Fall der Engel, und daß diese eine Speiße genießen Justin dial. c. Tr. pag 154; Clem. Pæd. l. I. cap. 6; - bestättigt: conf. Psalm. 78, 25. Sap. 25, 2. IV Esdr. I, 19. 20. z Nur corpus vel 20 carnem ad tempus apparitionis, aber nicht carnem propriam et manentem - nahmen die Väter an. z415 a p. 13. 14 a416 7. Eine Eintheilung der Engel in verschiedene Ordnungen - lag zum Theil schon im alten Testament ................................. ; auch im Neuen ..................... : Col. I, 16; Ephes. I, 21; sie findet 25 sich daher auch bei den Vätern .............. . b Ignat. ad Smyrn. VI; ad Trall. c. 5. αγνωστα ad 108 Col. I, 16. b417 Iren. adv. hær. l. II cap 30; Orig. de princ. l. I. cap. 5; Clem. Strom. l. VI. pag 813; item Orig. de princ. l. I. cap. 8 et al. c Die nachher übliche Eintheilung in 9 Chöre findet sich zuerst in den ap. Constit. l. VII. c. 35; VIII. c. 1-2. c418 − Am meisten ausgeführt ist diese Stuffenfolge in der cælestis ............. 30 hierarchia .................. des Pseudodionysius .................................. : d doch nur allmählig angenommen von, d419 407 t-t: über der Zeile 408 u-u: am Absatzende und am Rand (ab Tit. cap. 1) angefügt 409 v-v: neben Ziff. 6 am Rand 410 Ziff. A. nachträglich eingefügt 411 w-w: über der Zeile 412 x-x: Einweisung zu A. 413 Ziff. B nachträglich eingefügt 414 y-y: Einweisung zu B 415 z-z: Einweisung 416 a-a: neben Ziff. 7 am Rand 417 b-b: Einweisung 418 c-c: Einweisung 419 d-d: am Absatzende angefügt, letztes Wort undeutlich <?page no="226"?> 194 Johann Sebastian Drey e August. ad Oros. c. 11 dubitat. e420 f primo loco κυριοτητεσ . secundo αιωνεσ κ. στρα τιαι . f421 8. Uber die Geschäfte der Engel ist in einem Hauptpuncte eine allgemeine Ubereinstimmung: daß sie unter der allgemeinen Regentschaft Gottes die Sorge und Einrichtung der einzelnen Dinge tragen. g p. 15. 16 g422 Schon im 5 A.T. findet diese dem menschlichen Geiste so naheliegende Vorstellung ihre Bestättigung, wiewohl durch einen Fehler der 70 Ubersetzer ..................................................... h −− 17 h423 : im N.T. wird sie bestättigt und daher findet sie sich bei allen Vätern fast ohne ................................................................................................... Ausnahme ...................... . Herm. Past. Vis. III: Papias in Grab. Spicil. P.P. Justin. apol. min. l.c. 424 pag. 92; Athenag. Leg. pro Chr. c. 24 425 pag 287 ss. Clem. Strom. l. V; i et 10 VIII. i426 pag. 650; Tert. adv. Prax. cap. 3; Orig. adv. Cels. l. V; Homil VIII in Numer; homil. XI j et XX j427 in Num; homil. XXXV in Luc; item homil. XII in Luc. prooem. 428 10. k ad 8. Euseb. dem. evang. l. III. c. 5 Hilar. an. in ψ 134. Athan. c. Ar. Orat. 4 et Orat. 2 Basil. c. Eunom. L. III, 1. Comm. in Jes. cap. 8 Greg. Naz. Orat. 40. 15 Ambros. l. de viduis Hieron. in Ecclen. c. 8 429 ; in Matth. 18; Jesaj. c. 66; Zach. 14. Chrysost. homil. 14 in ep. ad Hebr. August. in ψ . 103. Cyrillus Al. contra Julian L. IV. Theodoret. in Dan. Orat. 10. k430 b) Ebendaher rührt es, daß viele einzelne Geschäfte ....................................... den Engeln angewiesen; und diese davon benamset werden. l p. 18. 19 l431 Nach Origenes ist Raphael der 20 Engel der Kranken. Gabriel der Kriege, Michael des Gebetes. de princ. l. I cap. 8; christliche Gemeinden haben Engel nach Apocal. I, selbst die Erde, das Wasser, die Thiere. homil. in Jer. X ma ; homil. XIV in Num; adv. Cels. l. VIII pag 109 764; sie bringen die Gebete zu Gott, und den Segen herab, flößen gute Gedanken und Kräfte in der Versuchung ein: ib. l. V. pag. 579. - In demselben 25 Sin¯ e theilen nach Clem. Strom. VI. cap. 17 die Engel unsichtbare Wohlthaten aus, gaben den Griechen ihre Philosophie: ib. l. VII pag. 839; u mehr anderes Pædag. l. II. cap. 9. - Es giebt Bußengel Herm. Past. mand 1 et 4; Bethengel Tertull. de orat. cap. 12. - 420 e-e: am Rand; Schriftduktus wie d-d 421 f-f: an e-e anschließend; veränderter Schriftduktus 422 g-g: Seitenangaben zu Münscher am Rand (Bd. 2, 2. Aufl.) 423 h-h: Seitenangabe am Rand 424 über der Zeile 425 Kapitelangabe über der Zeile 426 i-i: über der Zeile 427 j-j: über der Zeile 428 davor gestrichen de Princ. 429 7 korrigiert zu 8 430 k-k: neben Ziff. 8 am Rand 431 l-l: Seitenangabe am Rand <?page no="227"?> 195 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) Die gnostischen Parteien knüpften an die Lehre von den Engeln ihre eigenen Meinungen von der Unordnung in der Welt an, denen sich Athenag. leg. pag. 303 nähert. m p. 17. 18 m432 p. 20 433 9. Daraus begreift man leicht, wie sich frühzeitig der Begriff von besondern 5 Schutzengeln auch unter den Christen festsetzen konnte, der bei den Heiden und bei den Juden schon vorhanden war. Act XII, 15; Matth. XVIII 10. − 21 434 - Einige geben dem Menschen einen guten und bößen Geist zugleich bei: − 21 435 Testam. Jud. in Grab. Spic. Sec. I. Herm. Past. Mand. 6; - 23 436 Tertull. de anima cap. 57; Lactant. inst. div. l. II. cap. 14; - - einige nur einen 10 guten: −− supr. 437 Clem. Strom. l. V pag. 701; − 22 438 Origenes nur einen alternativ: Comment. in Matth. Tom. III. pag 644; homil. XX in Numer; Comment. in Matth. pag 606; bald zwei: homil. XI in Luc; hom 35; bald viele: homil. 23 439 in Jes. Nave. n Unum: Basil. homil. in ψ 48. §. 9 Chrysost. homil. 14 in Hebr. c. 8; Hier. in Matth. 18, 10. Theodoret in Dan. Orat. 10. - de fidelib solum exponunt n440 15 10. Spuren von Verehrung der Engel lassen sich nicht läugnen, wiewohl man 110 den Heiden gegenüber ....................................... hierinfalls sehr behutsam war. o p. 24 25 26 27. o441 Athenag. leg. pro Christo pag. 292; Iren. adv. hær. l II. cap. 32; Clem. Strom. l. VII. pag 881 ss. - Origenes adv. Cels. l. V. T. I pag. 579 ss .............................................................. ; l. VIII pag 751; Origenian .................. Huet. Op. Tom .............................. . IV. pag 174; Euseb. Praep. Evang. .......................................... l. VII cap 15. 20 §. 22. B Von den bößen Engeln M. II § 121-126 442 1. Das Dasein derselben ................................... war allgemein als Kirchenlehre anerkan¯ t. p M. II. pag 28 29 30 p443 Orig. de princ. q in prooemio §. 6. q444 - Ebenso daß sie von Gott, ursprünglich gut ................................... - und mit Freiheit begabt ........................................ erschaffen worden - durch deren ........... 25 Misbrauch ...................... gefallen sein. Hingegen die Gnostiker .............................. hielten mit den Manichäern den Teufel für das böse Grundwesen, also nicht von Gott erschaffen. M. II. § 121 432 m-m: Seitenangabe am Rand 433 neben Ziff. 9 am Rand (Münscher Bd. 2, 2. Aufl.) 434 Seitenangabe am Rand 435 Seitenangabe am Rand 436 Seitenangabe am Rand 437 Verweis am Rand 438 Seitenangabe am Rand 439 über der Zeile 440 n-n: Ergänzung zu Ziff. 9 am Seitenrand 441 o-o: Seitenangaben zu Münscher (Bd. 2, 2. Aufl.) neben Ziff. 10 ohne eindeutige Zuordnung untereinander am Rand notiert; auf den Seiten 110-111 mehrere Unterstreichungen mit roter Tinte (hier punktiert) 442 Angaben zu Münscher (Bd. 2, 2. Aufl.) neben dem Paragraphentitel am Rand 443 p-p: Seitenangaben zu Münscher neben Ziff. 1 untereinander am Rand notiert 444 q-q: Einweisung <?page no="228"?> 196 Johann Sebastian Drey r ad. 1. Just. Apol. I, 28. Athenag. L. c. 24. 25. Tatian. Or. c. 7 Iren. l. V. IV, 40. Tertull. Apol. c. 22. Origenes l. c. Lact. Inst. div. II, 9. 15. Euseb. dem. Ev. III, 5. Athan. de virg. Cyrill. H. Cat. II, XVI. Basil. in Jesaj. c. 9. − hom. IX. c. 9. Ambros. ep. 84. Hieron. in Ezech. 2. cap. 16. August. de genesi ad lit. II, 14; de civ. Dei VIII, 22; ad Julianum comitem. Lat. IV. c. 1. cf. Brenn. n. A. pag. 233. − r445 5 b. 2. Die Ursache und Veranlassung des Falls setzen einige Kirchenlehrer in Untreue des Berufs ........................................ a) 446 − 30 447 böße Begierden ................................. - Hochmuth ...................... b) 448 - Neid .......... 111 c) 449 31 450 bei dem Satan oder Fürsten der Teufel. 31 451 - b) Als Ursache der Sünde bei den übrigen Engeln geben sie an, was I B. Mos. VI, 2 steht, 32 452 10 worüber sie schon Philo’s u. Josephus Erklärung u. a. vor sich hatten: nämlich einen fleischlichen Umgang der Engel mit den Töchtern der Menschen ........................................................................................................................................ . d) 453 33 454 Eines Parachronismus können sie um deßwillen nicht beschuldigt werden. / M. II. § 122 / s ad 2) a) Method. Tyr. Phot. Bibl. c. 243 b) Orig. hom. IX in Ezech. Euseb. dem. 15 Evang. IV, 9. August. de catechiz. rud. 30; Enchirid. c. 28. c) Iren. IV, 40; Lact. Inst. div. II, 8; Greg. Nyss. Orat. cat. c. 6. Cass. collat. VIII, 10. d) Fere omnes usque ad Chrysostomum, qui homil. 22 in Genes. cum August. de civ. Dei XV, 22 sq. Cyrill Alex. contr. Anthropomorph. c. 17; c. Julian. IX, 97; Theodoret. Quaest. 47 in Gen istam explicationem rejecit. s455 20 3. Ihre Natur schließt einen Körper nicht aus 34 456 / vergl. § 21. nro 6/ - b) noch Nahrung und Wohnung. - c) An Kenntnis u. Macht sind sie den ................................................................................ Menschen überlegen ........................................... 35 457 4. Ihr Bestreben geht unaufhörlich dahin 36. 37 458 - physisches und moralisches Ubel zu stiften, als a) 459 Abgötterei, b) Zauberei ................................................... , c) Krankheiten, d) .................................. 25 Gottlosigkeit, Unglaube ................................................... - e) Einige schreiben jedem Menschen wie einen eigenen guten, so auch bößen Dämon bei. - 38. 39 460 f) Die nachtheiligen 445 r-r: Ergänzung am Rand neben Ziff. 1; mit dem abschließenden Literaturverweis dürfte (trotz »n.A.«) gemeint sein: Friedrich Brenner, Freye Darstellung der Theologie, Bd. 2 (1816). 446 über der Zeile 447 Seitenangabe zu Münscher am Rand neben Ziff. 2. 448 über der Zeile 449 über der Zeile 450 Seitenangabe am Rand 451 wiederholte Seitenangabe am Rand 452 Seitenangabe zu Münscher am Rand 453 über der Zeile 454 Seitenangabe am Rand 455 s-s: Ergänzung zu Ziff. 2. am Rand der Seite 111 456 Seitenangabe zu Münscher am Rand 457 Seitenangabe am Rand 458 Seitenangabe am Rand 459 über der Zeile eingefügt, ebenso die folgenden Ordnungsbuchstaben b) - f) 460 Seitenangabe am Rand <?page no="229"?> 197 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) Folgen, die diese Vorstellungen im praktischen Leben der Menschen hervorbringen könnten, suchen die Väter durch viele religiöße Betrachtungen ............................................................................ zu entkräften. 5. Was die Strafen der bößen Engel betrifft, 40 461 so stimmen die meisten 112 Lehrer darinn überein, daß sie in ihrer vollen Strenge erst beim Weltgericht 5 anfangen werden. − 41 462 Uber das endliche 463 Schicksale derselben ist schon in der ersten Zeit die Meinung derer, die die bößen Engel auf ewig verdammen, überwiegend über die gelindere t des Clem. Al. Strom. I, 17; Orig. hom. 8. in Exod.; de princ. III, 6. t464 u Just. Apol. I. c. 28 II. c. 8. Tatian Orat. c. 10. Tertull. ad scap. 2 Apol. 23. Orig. c. Cels. VII. §. 4. Lact. inst. div. II, 16. VII, 26 Hil. in 10 ψ . 116, 11. Athan. de incarn. V. Cyrill. H. Cat. IV, 1. Ambros. de fide V, 4. Hier. Apol. II. adv. Ruf.; in Jesaj. 24. Aug. de civ. Dei XXI, 17. u465 § 22 (§. 9) Lehre von der Vorsehung M. II. § 138-145 466 Dieße, wie anderwärts gezeigt worden - dem Xtum eigentümliche, durch es 15 zuerst klar ausgesprochene Lehre gehört unter diejenigen, welche gleich am Anfang besonders im Gegensatz gegen das Heidentum entwickelt werden mußten. - Vergleiche § 10. 18 v / Flav. Jos. Ant. l. XVIII cap. 1; de bello Jud. l. II cap. 8 v467 2. Daher finden wir sie gleich in der ersten Zeit dem Schicksalsglauben der 20 Heiden, w der Epicuräer u. w468 besonders der Stoiker, so wie der damals herrschenden astrologischen Vorstellung von dem Einfluß der Gestirne auf die menschlichen Begebenheiten und Handlungen entgegengesetzt. pag. 74-78. 469 x Clem. Strom. I et VI; Athenag. Leg. c. 12; Orig. Comm. in Genes (I, 14) Diod. Tars. apud Phot. c. 223. August. de civ. Dei. V, 1. Nemes. de nat. hom. c. 35-39. x470 25 3. So sehr aber die christlichen Lehrer die Vorsehung behaupteten, allen 15. 113 Zufall und alle blinde Nothwendigkeit ausschließend, so weit waren sie entfernt, durch die göttliche Regierung die Freiheit des menschlichen Willens aufzuheben. Justin in Apol. maj. - Origenes in l. V. adv. Cels. § 21 471 item comm. in 461 Seitenangabe am Rand 462 Seitenangabe am Rand 463 davor gestrichen S 464 t-t: am Absatzende angefügt 465 u-u: Ergänzung am Rand zu Ziff. 2. 466 Angaben zu Münscher (Bd. 2, 2. Aufl.) neben dem Paragraphentitel am Rand (bei Münscher endet das Kapitel mit § 144). 467 v-v: am Absatzende angefügt 468 w-w: über der Zeile eingefügt 469 Seitenangabe zu Münscher am Rand neben Ziff. 2. 470 x-x: Ergänzung am Rand zu Ziff. 2. 471 Paragraphenangabe über der Zeile <?page no="230"?> 198 Johann Sebastian Drey Genes. pp − pag. 78. 79 472 y 2 Beweise aus der Erfarung. Lactant. de opif. D. c. 473 . Clem. Strom. V.; VI - Lact. instit. I, 2. Basil. Hexaem. 6. 7; Ambr. Hex. VI, 4; Theod. de Provid. orat. 2; Salvianus de gubern. Dei. L. 8 (5 ff) Orosius y474 4. Ubrigens haben mehrere Väter jener Zeit die Vorstellung, daß zwar Gott die Aufsicht über das Ganze führe, die Besorgung des Einzelnen aber den 5 Engeln übertragen habe. pag. 80 475 z Just. Dial. c. Tr. p. 218; Clem. Strom. l. VI pag. 821 ss; Novat. de Trin. cap. 8. z476 a 4. 477 Specielle Vors. Clem. Strom. L. VII. Novat. d. Trin. c. 8. Nemes. c. 44 August. de Genes. ad lit. IV, 12. NB - Hierony. Chabac. I, 14. a478 4. 479 In Absicht auf die Theodicee selbst, d.h. die Frage wie das Ubel in der 10 Welt mit einer gütigen und heiligen Vorsehung sich vereinigen lasse - waren die Erklärungen nicht gleich, wen¨ es schon die Tendenz war. Die Gnostiker nahmen ihre Zuflucht zu einer ursprünglich bößen von Gott nicht geschaffenen Materie, pag. 81 480 die Manichäer zu einem doppelten Grundwesen; - selbst noch Lactantius, instit. l. II. c. 8 vergl. mit l. II cap. 12; V. cap. 7; de ira 15 Dei cap. 13 − nähert sich der Erklärungsart der Gnostiker − 82.83 481 − Die meisten stim¯ en darinn überein a. Daß das Böße nicht von Gott herkom¯ e - auch nicht von einer ursprünglich bößen Materie − 83-88 482 b. Daß man zwischen dem moralischen und physischen Ubel unterscheiden 20 114 müße. Tertull. Justin. Athenag. Theophilus. Origenes. b Nur jenes nicht dieses ist ein w. Uebel. Basil. Tert. a-d. Tatian. Or. c. 19. b483 c. Das moralische Ubel schreiben alle dem freien Willen des Menschen zu, den Gott nicht aufgeben könne, ohne auch das moralischgute mit aufzuheben. Clem. Alex. unterscheidet hiebei zuerst einen wirkenden und zulassenden 25 Willen Gottes. c Athan. adv. gent. c. 3-6; adv. Apollin. c. 6.7. c484 d. Das physische Ubel betrachten die meisten als eine nothwendige Folge des moralischen: wie Tertullian, Theophilus, Tatian 485 , Origenes: andere schreiben es 472 Seitenangabe zu Münscher am Rand neben Ziff. 3. 473 Kapitelangabe fehlt 474 y-y: Ergänzung am Rand neben Ziff. 3 (Bezifferung zu Beginn der Marginalie wohl versehentlich nicht korrigiert) 475 Seitenangabe zu Münscher am Rand neben Ziff. 4. 476 z-z: am Absatzende angefügt 477 5 überschrieben mit 4 478 a-a: Ergänzung am Rand neben (der ersten) Ziff. 4 479 Bezifferung nicht korrigiert 480 Seitenangabe zu Münscher am Rand 481 Seitenangabe zu Münscher am Rand 482 Seitenangabe zu Münscher am Rand 483 b-b: am Absatzende angefügt 484 c-c: am Absatzende angefügt 485 über der Zeile eingefügt <?page no="231"?> 199 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) der Nachläßigkeit der Engel wie Athenagoras, - oder dem Satan zu, wie Justin und Tertullian theilweise 486 ; so daß sie hierüber die waltende Vorsehung und heilsame Zwecke annehmen, worüber sich Clem. Alex. und Origenes weitläufiger auslassen d Greg. Naz. Theodoret. L. IX. c. Græc. zur Schönheit u. Manchfaltgkt. d487 - der letzte gründet auf seine Theodicee sein ganzes theologisches 5 System. S. oben § 19. nro 4 e Athanasius adv. Gent. cap. 3; de incarn. c. 4. e488 f Justin dial. p. 197 - Apol. M. 46. - min. ap. 94. Athen. Legat. p. 303. Theoph. Aut. II, 17. Tert. a. Marc. II, 6. Clem. Al. Str. I. 367. - - IV. 602. Cypr. ep. ad Dem. Orig. de Pr. II, 9. - - III, 2 - a. Cels. IV. 553 ss - VI - Hom. XIV in Num. - in Joh. T. IV. p. 65. Arnob. a G. L. II. Lact. Athanas. folio sep. not. m. XLIII. 10 Basil. Hexaem. hom. II. Greg. Naz. Or. XVI. Augustin de Genes. ad lit. c. 5; de civ. Dei L. 489 . in ψ . 54. - Theodor. − et contra Græc. L. IX f490 § 23 (§ 9. B.) Von dem Ursprung der Sünde M. II §§ 160-174. 491 1. Die Frage nach dem Ursprung des moralischen Übels ist schon an sich mit 15 den Untersuchungen über die Vorsehung verknüpft; - die Theodicee der aeltesten Väter vorh. § - wieß auf dasselbe als die Ursache alles andern hin - die große und allgemeine Voraussetzung des Xtums, allgemeiner moralischer 115 Verfall der Menschheit treibt zu Untersuchungen über den Ursprung und die Veranlassung desselben so gerade, daß wir uns nicht wundern dürfen, solche 20 Untersuchungen auch jetzt schon angestellt zu finden, wenn gleich eine umfaßende systematische und mehr speculative Behandlung dießes Gegenstandes erst in spätern Zeiten eintretten konnte, nachdem gewiße andere Lehren des Xtums, die mit ihr in der engsten Verbindung stehen, schon weiter entwickelt waren. Die gegenwärtige Lehre gehört also zu denen, deren Keime bloß in die 25 gegenwärtige Periode fallen, die aber erst später für sich eine Epoche beginnen konnten. 2. Den Anfang der Sünde in der Welt, d.h. - den Ubergang aus dem ursprünglich vollkommenen Zustand in den schlechtern, dergleichen alle Mythen der Völker enthalten - erklären alle aeltesten Väter nach der aeltesten 30 ebräischen Urkunde, die bei den Christen wie bei den Juden göttliches Ansehen hatte. pag. 130 492 Nur darin¯ weichen sie von einander ab, daß 486 über der Zeile 487 d-d: zwischen den Zeilen ergänzt 488 e-e: am Absatzende angefügt 489 Buchangabe fehlt 490 f-f: Ergänzung zu der zweiten (nicht korrigierten) Ziff. 4 am Rand der Seite 114. 491 Angaben zu Münscher (Bd. 2, 2. Aufl., S. 130-164) neben dem Paragraphentitel am Rand 492 Seitenangabe zu Münscher am Rand neben Ziff. 2. <?page no="232"?> 200 Johann Sebastian Drey a) Einige Väter, wie Justin - Tatian - Theophilus Irenaeus, Tertullian, Lactantius eine wahre Geschichte annehmen, dem Wortverstand folgen, und den Anfang der Sünde einer Versuchung des Teufels zuschreiben − pag. 130-132 493 b. Andere aber, wie einige Gnostiker, und selbst Clemens Alex. und Origenes, 5 116 eine Allegorie sehen, worunter entweder Wohllust, verbotener Beischlaf - oder die geheimere Geschichte des Menschen abgebildet sei g pag. 132-135 auch Greg. Nyss. u. Chrysostomus g494 Münscher II. p. 135. 136 §. 164. 495 10 3. Wie aus der ursprünglichen Verirrung des ersten Menschenpaars die allgemeine moralische Verdorbenheit, von der die Bibel A. u. N. T. deutlich spricht, habe hervorgehen können, darüber darf man in dieser Zeit noch keine feste und entschiedene Erklärung erwarten. Weswegen man die frühesten Väter bald als Zeugen für, bald als Zeugen gegen die Erbsünde hat aufführen 15 können. II. 496 h Wie die Väter die Allgemeinheit und Erblichkeit der Sünde erklären. C) Präexistenz. Alexandrini. A) Verlust - Græci B) Mitsündigen Latini h497 4. Darinn stim¯ en alle überein, daß die Menschen seit Adam dem Tode 498 und der Versuchung der Schlange daher auch der wirklichen Sünde (necessitas 20 peccandi) 499 unterworfen - daß sie den unsterblich und heiligmachenden Geist durch jenen Sündenfall verloren, und dadurch der Herrschaft der Sinnlichkeit, der Begierden und den Reitzungen der Dämonen preisgegeben sind, schwach zum Guten geworden« 500 diese Äußerungen finden sich in verschiedenen Stellen bei 501 25 a) Justinus - Apol. Maj. § 6 (et 10; i min. c. 5. 14. i502 Dial. cum Tryph. p. 176. c.124. 503 ) pag. 138-141. 504 a) Athenagoras - (192. 204. 231. Apol. min. § 14; ) - Leg. 141.142 505 a) Tatianus - pro Chr. pag. 304. 302. 305; ) - Orat. a. Græcos c. 11. 18. pag. 117 142.-153. 506 30 493 Seitenangabe zu Münscher am Rand neben Ziff. a) 494 g-g: am Rand neben Ziff. b.; Schriftduktus wechselnd 495 Angaben zu Münscher am Rand neben Ziff. 3. 496 ohne eindeutigen Bezug am Rand vor Ziff. 4 497 h-h: am Rand neben Ziff. 4.; Ordnungsbuchstaben korrigiert: a zu C - b zu A - c zu B 498 dt korrigiert zu d 499 Gedankenstriche überschrieben mit geraden Klammern, hellere Tinte wie vorausgehende Unterstreichung 500 öffnendes Anführungszeichen fehlt 501 danach gestrichen J 502 i-i: über der Zeile 503 über der Zeile 504 Seitenangabe zu Münscher am Rand 505 Seitenangabe zu Münscher am Rand 506 Seitenangabe zu Münscher am Rand <?page no="233"?> 201 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) a) Theophilus - ad Autol. l II. p. 368. − 143. 507 b) Irenäus - l. IV, c. 2. 5. 37. V, c. 1. 16. 17. 21. 22. III, 20. Traducianer indirecte. − 144.145 508 Methodius - und unter den Lateinern − 153. 154 509 b) Tertullian j adv. Marc. II, 2. 25. V, 17; j510 de anima 16. 41. 60; de testim. an. c. 3; 5 Cypr. ep. 69 ad Fid. − 154-160 511 k contagium mortis antiquae aliena peccata k512 l infectionem vocat inolitam et coalitam cum natura nostra ad instar naturalitatis vitium originis. l513 Arnobius - − 160 514 Lactantius - Inst. div. II, 12; m in carne m515 VI, 13. − 161. 516 10 a) Chrysostomus homil. de Adam et Eva. Homil. 10 11.12.13. in Rom; Homil. 2 in Ps. 50; H. 16 in Gen. b) Einen Zusammenhang zwischen der Sünde des ersten Menschenpaares und der Allgemeinheit des moralischen Verderbens ihrer Nachkommen behaupten 517 - und zwar in der Maße, daß jener diese nach sich gezogen, also der Satz 15 aufgestellt werden kann, »weil jene sündigten, sündigen auch wir«, - daß namentlich der Tod 518 die Folge und Wirkung der ersten Sünde für alle gewesen sei - ist einstim¯ ige Lehre. - Die Ansichten - wie jener Zusam¯ enhang stattfinde, sind dagegen nicht bei allen gleich: indessen gehen sie hinaus auf einen allgemeinen Verlust, eine allgemeine Schwäche zum Guten, Reitzbarkeit 20 und Neigung zum Bößen, Gewalt und Versuchung der Dämonen, ohne daß sie sich auf fernere Untersuchungen über die genannten Ursachen der Sündhaftigkeit einlassen. n Hilar. tr. in ψ . 68 Athan. de sal. adv. Cyrill. H. Cat. 2, 4 Basil. Hom. quod Deus n’ sit auct. pecc. Greg. Nyss. II. c. Eun. Ambr. de Parad. c. 7. - in Hex. V, 7. p 25 Hieron. in Hiob. 31. August. de Gen. ad. l. XI, 30; de civit. Dei XIV, 15. 17. Ja sie sagen, daß wir mit Adam, von Anfange gesündigt: Iren. Basil. Greg. Naz. Ambr. 519 ohne Traducianer zu seyn; auf die fortgepflanzte Natur berufen sich Cyprian. Athanas. Hilar. Gr. Nyss. Chrys. n520 507 Seitenangabe zu Münscher am Rand 508 Seitenangabe zu Münscher am Rand 509 Seitenangabe zu Münscher am Rand 510 j-j: über der Zeile, darunter gestrichen − Cyprian 511 Seitenangabe zu Münscher am Rand 512 k-k: zwischen den Zeilen eingefügt 513 l-l: am Rand angefügt 514 Seitenangabe zu Münscher am Rand; Buchangabe zu Arnobius fehlt 515 m-m: über der Zeile 516 Seitenangabe zu Münscher am Rand; nachfolgende Angaben zu Chrysostomus zwischen den Zeilen eingefügt, Schriftduktus wechselnd 517 Einweisung 518 dt korrigiert zu d 519 über der Zeile 520 n-n: Ergänzung am Rand zu Ziff. b) <?page no="234"?> 202 Johann Sebastian Drey 5. Indessen behaupten sie nebenbei auf das bestim¯ teste die Freiheit des Wil- 118 lens, so daß die unmittelbare Ursache aller wirklichen Sünde, und der allgemeinen Sündhaftigkeit die freie Wahl, des Menschen eigener Entschlus ist. locis supra citatis −− o Chrysost. homil. de Adam et Eva o521 b. Besonders beschäftigen sich die Alexandriner damit, die Verdorbenheit 5 dem freien Willen des Menschen zuzuschreiben - wie Clem. Alex. der jedoch auch von den Versuchungen und der Gewalt der Dämonen redet. p α ë μαρται νειν εστι, πασιν εμϕυτον και κοινον . Clem. Pæd. 3, 12. Strom. 3, 16. pag 146-148 p522 Origenes muß wohl zufolge seines ganzen Systems von einer angeborenen 10 Sünde reden, aber man begreift daß er es in einem ganz andern Sinne als dem spätern thue. Außerdem schreibt er die wirklichen Sünden, die der Mensch in seinem Leben begeht, der Freiheit des Willens, der schlechten Erziehung, dem bößen Beispiel - nicht aber dem Körper, oder dem Teufel zu. - Indessen folgt doch, daß Origenes auch eine angeborene Neigung zum Bößen anneh- 15 men mußte. q p. 148-153 homil. 14 in Luc. homil. 8 in Levit. et 12 in ep. ad Rom. V, 1. adv. Cels. IV, 40. q523 6. Indessen giebt es doch auch in dieser Periode Väter welche schon eine Imputation der Sünde Adams lehren, oder lehren, daß wir in Adam gesündigt haben. Irenaeus l. V. c. 16. 17; p. 143.144 524 andere Stellen lassen sich auf 20 zweierlei Weise auslegen - Clem. Alexandrinus Pædag. l. III. c. 12 pag 148 525 119 spricht von einer eingepflanzten Sünde, worinn jedoch nicht der augustinische Sin¯ stecken muß - am wichtigsten hierin¯ falls ist Tertullians vielfache Aüßerung. Den¯ obwohl er an einer Stelle de bapt. c. 11 p.154 526 die Kinder von Sünde frei zu sprechen scheint, so sprechen doch mehrere Stellen de 25 testimon. animae. c. 3; 16. 40 de anima, contra Marc. V. 17. ganz unzweideutig davon, daß Adams Sünde mit uns geboren wurde. - Auch hängt seine Vorstellung von dem tradux animae, de anima c. 25. mit dem tradux peccati aufs engste zusam¯ en. 155-158 527 b) Hilar. in Ps. 118 b) Ebenso Ambros. de Tobia; in Ps. 48, in Luc. 7, 15; Hieron. in c. 3 Jonae. Rufin in Ps. 50; August. de civ. Dei 30 14, 1; de pecc. mer. 1, 11. b) Greg. Naz. Or. 5. 14. 42; b) Nyss. de beatit. orat. 6. Traducianus b) Basil. hom. 8 in fame: solve veteris culpae reatum! epist. 65 ad Socopolit. Athan. contra Ari. Orat. 2. Paulinisch fatum: et Hilarius Cyprian hatte wohl dieselbe Meinung mit seinem Lehrer p.158-160 528 Der spätere Lehrbegriff Augustins hat also hier seine Keime. 35 521 o-o: am Rand neben Ziff. 5 522 p-p: am Rand Ergänzung zu Clemens mit Seitenangabe zu Münscher 523 q-q: Seitenangabe zu Münscher und Ergänzung zu Origenes am Rand 524 Seitenangabe zu Münscher am Rand 525 Seitenangabe zu Münscher am Rand 526 Seitenangabe zu Münscher am Rand 527 Seitenangabe zu Münscher am Rand; anschließend Ergänzungen zur Stelle 528 Seitenangabe zu Münscher am Rand <?page no="235"?> 203 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) § 24. Eschatologie Die Versinnlichung des Reichs Gottes in der Lehre vom Chiliasmus. M. II § 64-80 529 1. Die nahe Verwandtschaft der christlichen biblischen Idee vom Reiche Gottes mit der jüdischen Meßiasidee mußte Untersuchungen und Erklärun- 5 gen der Christen gegen Juden gleich im ersten Zeitraum veranlassen. pag. 120 442-445 530 Die Gestalt, welche die Idee eines messianischen Reiches nach und nach unter den Juden erhalten, die Wichtigkeit, die das jüdische Volk gerade zu den Zeiten Jesu auf jene alte Idee legte und legen mußte, sind kein Gegenstand unserer gegenwärtigen Darstellung in extenso. 10 2. Aber wichtiger ist zu bemerken - daß die Apostel bei den Lebzeiten Jesu die von ihm so oft ausgesprochene Idee eines Reiches Gottes mit der Idee des messianischen Reiches für gleichbedeutend nahmen, - / unerachtet sich Jesus deutlich dagegen erklärt hatte / - daß dieß auch nach der Auferstehung Jesu der Fall war. p. 445. 446. 531 Hiegegen beweißen ihre Briefe, daß sie nachher 15 von ihrer frühern, irrigen Vorstellung ganz abgekommen sind, indem sie die Vollendung und Herrlichkeit des Reiches Jesu nicht mehr auf diese Erde, sondern in höhere Regionen I Thess. IV. 15-17; oder in einen neuen Him¯ el und eine neue Erde / wie Petrus und Johanes / verlegen. II Petr. III. 1-14. Apocal. 20 3. Die Vorstellung von einem tausendjährigen Reich Christi auf Erde ist also 16 121 weder eine christliche noch apostolische. p. 446-447 449 532 Indessen wird es doch aus der oben berührten Verwandtschaft, aus der frühern Vorstellungsart der Anhänger Jesu, aus gewißen Äußerungen Jesu in der letzten Zeit seines Erdenlebens, aus der Denkart der zum Xtum übertrettenden Juden, aus dem 25 Druck der ersten Christen begreiflich, wie die Idee des Messias-Reiches und des christlichen Gottesreiches in ein solches tausendjähriges Reich Jesu durch Combination habe zusam¯ enfließen können. p. 448 533 - Was die Apokalypse dazu habe beitragen können, wird jeder selbst ermessen. Deßwegen darf es nicht befremden, daß wir den Chiliasmus schon im Brief des Barnabas, in den 30 sybillinischen Büchern, dem Testament der 12 Patriarchen, der Schrift des Papias u.s.w. antreffen. p. 450-453 534 4. Daß und wie mehrere der ersten Väter eine sichtbare Vollendung des Reiches Gottes in dem tausendjährigen Reich Christi nach der Auferstehung 529 Angaben zu Münscher am Rand (gemeint sind §§ 264-279 in Bd. 2, 2. Aufl.) 530 Seitenangabe zu Münscher am Rand 531 Seitenangabe zu Münscher am Rand 532 Seitenangaben zu Münscher am Rand (untereinandergeschrieben) 533 Seitenangabe zu Münscher am Rand 534 Seitenangaben zu Münscher am Rand <?page no="236"?> 204 Johann Sebastian Drey und vor dem Weltende behauptet, und mit welchen Gründen sie ihre Behauptung unterstützt haben, muß hier allerdings erläutert werden p. 453-462. 535 : denn es ist dieß eine Deutung der Grundidee des Xtums, die später ver- 122 worfen wurde. 5. Daß aber der Chiliasmus keine in der katholischen Kirche allgemein herr- 5 schende Vorstellungsart, vielweniger eine kirchliche Lehre - wie einige behaupten wollen - sondern Meinung einzelner gewesen − − dieß erhellt selbst a. Aus der vielfach bestrittenen Stelle Justins. p. 453-456 536 b. Aus dem Symbolum des Irenäus und der andern aeltern Väter. 537 c. Aus der frühen und glücklichen Bestreitung dießes Irrtums durch den 10 römischen Presbyter Caius, und Origenes. − 462-465 538 6. Weßwegen auch die Bemühung des Methodius, Nepos, Victorin und Lactantius in spätern Zeiten 539 ihn nie wieder in Aufnahme bringen konnten. p. 465-471 540 § 25. (§. 10) Lehre vom Zustand nach dem Tode 541 M. § 258-264 542 15 1. Da das Christentum zuerst die Lehre von der Unsterblichkeit bestim¯ t und als allgemeinen Lehrsatz ausgesprochen - den¯ die Mythen der Heiden, die 123 Meinungen der griechischen Philosophen, selbst die unter den Hebräern herrschende Vorstellungsart waren weder bestim¯ t genug, noch allgemein - so schloß sich die Frage nach dem Zustand der Verstorbenen zunächst an jene 20 Lehre, und mußte Untersuchungen darüber veranlassen. Etwas dazu mußten auch die chiliastischen Erwartungen beitragen, so wie sie gerade auf die eigene Form der Vorstellungen über diesen Gegenstand Einfluß haben mußten. r NB. Diese Materie sollte erst nach der Lehre von der Auferstehung und 25 dem Weltgericht abgehandelt werden. r543 2. Dieße ganze Materie mit allem was sich auf die unsichtbare Zukunft bezieht, gehört also unter jene, die gleich in der ersten Zeiten in Anregung kommen, deren Entwickelung aber aus mehrerlei Gründen sehr schwankend und dürftig ausfallen mußte. # 544 Denn woher sollten die ersten Christen die 30 535 Seitenangabe zu Münscher am Rand neben Ziff. 4. 536 Seitenangaben zu Münscher am Rand 537 Wiederholungszeichen für die Seitenangaben zu Münscher von Ziff. a. 538 Seitenangaben zu Münscher am Rand 539 über der Zeile, darunter gestrichen spätern 540 Seitenangaben zu Münscher am Rand 541 t korrigiert zu e 542 Angaben zu Münscher (Bd. 2, 2. Aufl., S. 430-441) am Rand 543 r-r: Notabene am Rand der Seite 123 oben - wohl zu der Markierung (#) in Ziff. 2. 544 wohl Einweisungszeichen für r-r (s.o.) <?page no="237"?> 205 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) nähern Aufschlüße nehmen, um den Zustand nach dem Todte aufzuklären? M. pag. 428 429 545 − Christus selbst hatte zwar eine Unsterblichkeit, ein Weltgericht, und eine bei diesem stattfindende endliche Entscheidung des Schicksals der Frommen und Gottlosen bestim¯ t gelehrt, aber über den Zustand der einsweilen Dahinsterbenden nichts, oder höchstens etwas weniges 5 124 nur gelegentlich und ohne Absicht vorgetragen* 546 . - Die Apostel erläuterten wohl zuweilen die von Jesus entschieden vorgetragenen Lehren, z.B. I Thess. V, 23. I Cor. XV. u.a.; aber gerade über diesen Punct äußerten sie sich nicht. 3. Es blieb ihnen daher nichts übrig, als die von Xtus bestim¯ t ausgesprochenen Lehren mit dem zusam¯ enzustellen, was früherhin unter den Juden als 10 herrschende Meinung über diesen Gegenstand gegolten hatte, um durch Vergleichung auf neue Folgerungen zu kom¯ en. Und so thaten sie. p. 426 ss 547 Nun herrschte bei den Hebräern seit langem die Vorstellung von einem Schatten oder Todtenreich / auch die Mythen der Heiden enthielten ähnliche Begriffe/ wo nur ein schlafähnliches Leben herrscht, selbst im Sirakiden 15 XVII, 27. 28; XIV, 17; XLIV, 13. 14. herrscht noch der Gedanke. − 427 548 Hiegegen im Prediger XII, 7; und in den noch späteren Schriften der Weisheit II u a; und dem zweiten Buch der Macchabäer treffen wir auf andere Vorstellungen − 428 549 4. Aus dieser Dißharmonie der hebräischen Bücher und der Dunkelheit der 20 christlichen rührt es also her, daß wir auch die Vorstellungen der ersten 125 christlichen Väter nicht in allen Puncten zusam¯ enstimmend finden: a Darin¯ kamen alle überein, daß die Seelen der Abgeschiedenen nach dem Todte an einen besonderen Ort - die Unterwelt im Mittelpunct der Erde kommen, und dort aufbehalten werden, bis zur allgemeinen Auferstehung 25 und dem Weltgericht, wo erst die volle Vertheilung von Belohnungen und Strafen eintretten werde. p. 429 550 b. Welches aber der nähere Zustand der Seelen in der Unterwelt sei, darin¯ stim¯ en 551 sie nur insofern zusam¯ en, daß sie in keinem schlafähnlichen Zustand sich befinden, sondern im vollen Gebrauch ihrer Geisteskräfte sind, ein Vor- 30 gefühl ihres künftigen Schicksals haben, und die Guten und Bößen wie sie von einander abgesondert sind, also auch ihrem frühern Zustand angemessene Empfindungen von Freude oder Qual haben. s NB. Hier fehlt Münscher s552 545 zum folgenden Seitenangaben zu Münscher am Rand 546 Asteriskus, Bezug unklar 547 Seitenangaben zu Münscher am Rand 548 Seitenangabe zu Münscher am Rand 549 Seitenangabe zu Münscher am Rand 550 Seitenangabe zu Münscher am Rand 551 danach gestrichen: nicht alle überein. Einige der ältern Vorstellungen der Hebräer folgend stim¯ en 552 s-s: Notabene am Rand neben Ziff. b. <?page no="238"?> 206 Johann Sebastian Drey c. Uber den Ort ihres Aufenthaltes reden nicht alle gleichförmig. Einige unterscheiden Paradiß und Aufenthaltsort der From¯ en überhaupt, wie Tertullian; andere nicht wie Origenes; einige lassen die Bößen in die Unterwelt hinabsteigen, dieß thun die Meisten; andere lassen sie um die Gräber schwei- 126 fen wie Origenes: endlich reden einige überhaupt unbestim¯ ter, wie Justin und 5 Irenaeus, Novatian, Lactantius d. Die hieher gehörigen Stellen im Einzelnen sehe man bei M. pag. 430-440. 5. Häretische Parteien, die die Auferstehung der Leiber läugneten, mußten ganz folgerecht andere Vorstellungen haben: sie stim¯ ten aber nicht mit einander überein. Ihre Hypothesen sind kurz berührt M. § 463 p. 440. 441. 553 10 § 26. (§. 11) Von der Auferstehung der Körper M. II. § 280-293 554 1. Auch diese Lehre in der Form und Allgemeinheit, worinn sie vom Christentum vorgetragen wurde, ist eine neue und ihm eigene, wenn gleich nicht zu läugnen ist, daß die Seelenwanderung unter den Heiden ein 555 Typus, und die jüdische Auferstehungslehre ein noch bestimmteres Symbol ist. Die jü- 15 dische Auferstehungslehre war beschränkter in Absicht auf Umfang und Zweck t M. p. 472-476. 477 t556 2. Nachdem Christus und die Apostel ganz bestimmt die Auferstehung der 127 Körper gelehrt, war es nicht zu verwundern, daß diese Lehre frühzeitig zu einer Glaubenslehre wurde, die sich in den aeltesten Symbolen findet, und 20 woran 557 man die ächten und unächten Christen unterschied 3. Aber bei der allgemeinen Ubereinstimmung in der Lehre selbst wird man es dennoch begreiflich finden, daß die ersten Lehrer der Kirche theils in den Beweißen, theils in der Vorstellungsart sich von einander entfernten. In einer Materie, die an sich über die Erfarung hinausligt, damals noch ganz neu und 25 unbearbeitet war, ist es nicht anders zu erwarten. Was die Beweiße betrifft, so mußte es den christlichen Lehrern daran gelegen seyn 558 , diese Idee gegen die Heiden aus der Vernunft zu rechtfertigen; daher findet man bei ihnen viele Vernunftbeweiße aus der Moral, Psychologie und der Natur überhaupt zusam¯ engehäuft, und Rücksicht genom¯ en auf die Einwürfe der Gegner z.B. bei 30 Clem. Romanus, Justinus, Athenagoras vorzüglich, Theophilus, Tatian p 559 - Die spätern, die es schon mehr mit Irrtümern der Häretiker über diesen Punct zu 553 Seitenangaben zu Münscher am Rand 554 Angaben zu Münscher (Bd. 2, 2. Aufl., S. 472-516) am Rand 555 ersetzt über der Zeile als 556 t-t: Seitenangaben zu Münscher am Rand 557 korrigiert aus worinn 558 Einfügung, über der Zeile 559 dazu am Rand p. 442-451. - dort gestrichen: 479-488 <?page no="239"?> 207 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) thun hatten, berufen sich auch außerdem noch auf die Bibel, wie Irenaeus, Tertullian, Cyprian, Novatian p. 560 4. Was die Begriffe über die Art und Umstände der Auferstehung betrifft, 128 könnte eine oberflächliche Kenntnis der Väter auf die Behauptung führen, daß hierin eine große Verschiedenheit herrsche, die doch in der That so groß 5 nicht ist. Zwei verschiedene Parteien, eine mit gröbern sinnlichern Vorstellungen, und eine andere mit geläuterten schriftgemäßern lassen sich allerdings unterscheiden, aber auch diese stimmen doch mehr zusammen, als z.B. Munscher behauptet. Wie alle christlichen Lehrer einstimmig lehrten, daß eine Auferstehung der Körper sein werde, ebenso waren auch alle darinn eins, daß 10 »eines jeden Menschen individueller Körper auferstehen werde«. - Nur die Gränzen dieser Individualität bestimmten sie nicht auf gleiche Weiße. Väter, die für sich dem Chiliasmus anhiengen, behaupteten zu diesem Zweck die völlige Wiederherstellung des vorigen Körpers nicht nur nach seiner Form / Gestalt, Lineamente, Größe pp/ sondern auch nach seiner Materie und allen 15 seinen Theilen, insofern diese dem menschlichen Körper wesentlich zukommen mit Ausschlus jedoch zufälliger Gebrechen. Dahin gehört Justinus 561 , noch mehr aber Irenaeus 562 , - noch mehr Tertullianus 563 , - auch noch 20 Methodius 564 und Lactantius 565 − Hiebei ist jedoch zu bemerken, daß diese 566 Väter, besonders die drei letztern eine doppelte Auferstehung / eine zum tausendjährigen 17 129 Reich, woran nur die Gläubigen Antheil nehmen/ und eine allgemeine zum Weltgericht unterscheiden. Nur bei der ersten steht ganz der vorige Körper 25 wieder auf, bei der zweiten geht mit den Körpern der Gerechten eine Verklärung vor. v. l. cit. 4. Andere Väter, die von chiliastischen Vorstellungen frei oder gar dagegen eingenommen waren, behaupten zwar auch die Herstellung des individuell vorigen Körpers, aber sie lassen mit diesem eine wesentliche Veränderung 30 vorgehen, eine solche nämlich, worauf die Schrift deutet, und die sich zu der neuen seligen oder unseligen Bestimmung der Auferweckten schickt. Was wegfällt, 567 das ist die Verweßlichkeit, der grobe irdische Stoff, alle Schwachheiten des Fleisches, manche Glieder die jetzt überflüßig sind, u.s.w. Dießer 560 auf dem Rand p. 457-460. Ersetzt 488-499 danach it. 515 561 dazu am Rand: p. 480-483 562 dazu am Rand: p. 488-491 563 dazu am Rand: p. 491-499 564 dazu am Rand: p. 513. 514 565 dazu am Rand: p. 516 566 ersetzt über der Zeile Menschen andere 567 danach gestrichen sind <?page no="240"?> 208 Johann Sebastian Drey Vorstellungsart war Athenagoras 568 ergeben, der sich jedoch hierauf nicht ausführlich einläßt, Clemens Alexandrinus, und besonders 569 Origenes, der sich ausführlich darüber verbreitet. Daß übrigens die nähere Bestimmung über das Wie der Auferstehung nicht 5 zur Kirchenlehre gehörte, erhellt daraus, daß mehrere Väter sich darüber gar nicht äußern wie Cyprian, Arnobius u.a. 5. Die häretischen Parteien, die den Körper und die Materie für den Sitz des 130 Bößen hielten, konnten die Wiederherstellung des alten Körpers nicht annehmen; sie verwarfen also die Auferstehung - was gerade den Orthodoxen 10 Anlas gab, sie desto stärker zu behaupten 570 § 27. (§. 12) Lehre vom Weltgericht M. § 293-308 571 Wie die vorhergehende, so und noch mehr ist die gegenwärtige Lehre eine ganz neue, erst durch das Christentum ans Licht gebracht. Wohl findet sich in der griechischen Mythologie die Sage von einem Gericht in der Unterwelt, 15 das Minos, Aeakos und Rhadamanthus ausüben; aber es ist ein geheimes, über jeden Einzelnen, gleich nach dem Todte, ein nothwendiges Erzeugnis der Vernunft, die eine Vergeltung und daher ein Gericht statuirt. 572 - Wohl hatte sich auch unter den Juden einerseits durch ihre Verheißungen, andererseits durch den abwechselnden Druck, den sie von den fremden Nationen leiden 20 mußten, allmälig die Idee eines göttlichen Gerichtes ausgebildet, besonders durch die Schriften der Propheten. Aber jenes göttliche Gericht ist ein politisches, über die Völker, nicht über einzelne, sein Endzweck nicht moralische Vergeltung, sondern Rechtfertigung Jehovas über seine Verheißungen, und Beweiß seiner Allmacht; auch gieng der Urtheilsspruch dießes Gerichtes 25 131 nicht über das gegenwärtige Leben hinaus, stund in keiner Beziehung auf die überirdische Zukunft. Die jüdische Vorstellung von einem göttlichen durch den Meßias über die feindlichen Völker zu haltenden Gerichte kann um ihrer beschränkten und fremdartigen Begriffe willen höchstens für ein Symbol des Weltgerichts nach christlichem Sinn genommen werden: die sinnlichen Be- 30 griffe, die jenem zu Grunde ligen, konnten auf die Entwickelung des moralischen Gefühls, und auf moralische Begriffe dieser Art führen, und daher die Gemüther auf die neue ganz moralische Lehre des Xtums vorbereiten; wie dieß bei 573 allen Typen und Symbolen des A. T. der Fall ist, deren unmittel- 568 dazu am Rand: p. 487. 569 dazu am Rand: p. 499-501 p. 501-513 570 dazu am Rand: p. 478. 571 Angaben zu Münscher (Bd. 2, 2. Aufl., S. 520-554) am Rand 572 dazu am Rand: p. 520 573 davor gestrichen der Fall <?page no="241"?> 209 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) bare Bedeutung immer national und zeitlich war, die aber gerade dadurch zum Nachdenken über absolute Wahrheiten veranlaßten, und so die Gemüther vorbereiteten. Darum ist jene Nation von Gott zu welthistorischen Zwecken auserwählt, weil alles nationale und zeitliche in ihr auf etwas absolutes führen und vorbereiten konnte - 5 Wohl 574 findet sich in den spätern Schriften der Hebräer auch die Idee einer moralischen Vergeltung an das Gottesgericht angeknüpft II Macch. VII. 36; Sap. III, 3. 7. 18; V, 16. 23; es ist aber dieß weiter nichts als Folge einer geläuterten moralischen Denkart unter den Juden; die Vergeltung betrifft 132 doch nur die Juden. Man sieht eben, wie das Symbol seine Wirkung thut, aber 10 doch immer noch Symbol bleibt. 2. 575 Die Lehre vom Weltgericht selbst wie sie von Jesus und den Aposteln vorgetragen worden, erhielt schon im ersten Zeitraum einige beträchtliche Erläuterungen: −− a. Alle Väter stimmen darinn überein, daß das Weltgericht von Christus 15 gehalten werden soll, und zwar bei der zweiten Erscheinung desselben. Justinus, Tatian. Irenaeus u.s.w. b. Auch darinn stimmen alle überein, daß erst nach diesem Gericht, wozu alle Todten auferstehen, die eigentliche volle Vergeltung anfangen soll für Gute und Böße 20 c. Nicht weniger ist es allgemeine Lehre, daß die Belohnungen der Guten ewig dauern sollen. d. Uber die Dauer der Strafen, die den Gottlosen zuerkannt werden, finden wir zwar keine absolute Ubereinstimmung: jedoch behauptet die Lehre der strengen Väter - daß die Strafen der Verdammten ewig sein, ein so entschei- 25 dendes Ubergewicht der Mehrheit, daß man sie schon damals die herrschen- 133 de, wenn gleich nicht die Kirchenlehre nennen kann. 576 Arnobius, der eine allmälige Vernichtung der Gottlosen zu lehren, und Origenes, der nach seiner Privatmeinung eine ανακαταστασισ aller Dinge lehrt, machen allein die Ausnahme. Von der letztern nachher. 577 Justinus kan¯ nicht hieher gezogen werden. 30 Klarer als er stim¯ en für die Ewigkeit der Strafen Tatianus pag. 254. 255. 578 Theophilus L. I. pag. 346. Irenaeus l. V. cap. 27. §. 2. IV. cap. 28. Tertullianus. Apol. c. 48. poen. c. 12. de resurr. carn. 35. de test. anim. c. 4 35 Minucius Felix - Octav. 35. 574 dazu am Rand: p. 521. 575 dazu am Rand: p. 522. 576 dazu am Rand: p. 557 577 dazu am Rand: p. 523-526 578 auf dem Rand neben den folgenden Namen p. 526 - 527 - 527-530 - 530-531 - ib p. 556 p. 557-559 <?page no="242"?> 210 Johann Sebastian Drey Cyprianus ad Demetr. p. 195. 196. Lactantius Inst. l. VII, c. 21. e Uber die Natur der Belohnungen und der Strafen denken auch nicht alle Väter einstimmig, und wird es hier sichtbar, welchen Einflus geistige Cultur auf die Formung der Religionsideen hat. Die sinnlicher denkenden Väter 5 schildern die ewige Seeligkeit mit etwas derbern Zügen, vor allem aber sind sie bemüht die Qualen der Verdammten unter den Bildern eines fressenden Feuers so grell als möglich darzustellen. So selbst Justinus; noch mehr aber Tertullianus, Minucius Felix, Cyprianus, Lactantius am a. O. - Irenaeus hat über die Belohnungen der Seeligen eigene auf die Umformung der Schöp- 10 134 fung sich beziehende Vorstellungen: die Strafe der Verdammten setzt er gegen seine sonst realistische Denkart nicht so fast in körperliches Leiden, als in die Beraubung der Gemeinschaft mit Gott und den Seeligen. - Die feinern Alexandriner beschreiben die Freuden der Seeligen geistiger - nehmen auch Fortschritte der Vollkommenheit und Seeligkeit an / Clem. Alex. pag 535 et 15 536 M; Origenes pag 543-546 / Die Strafen der Bößen schildern sie nicht als ein eigentliches Feuer, sondern setzen dieselbe in geistige Leiden / V. M. p. 546-549. 3. Noch eine allgemeine Behauptung findet sich bei allen Vätern, nämlich einer Begebenheit, die bei dem Weltgerichte eintretten soll. Es ist die Auf- 20 lößung der gegenwärtigen Schöpfung durch einen großen Weltbrand und die Herstellung einer neuern vollkommenern. Nur begreift man, daß jeder dieße große Begebenheit anders motivirt, und eine andere Anwendung davon macht. Man vergleiche hierüber Justinus l. c. - Tatianus l. c. besonders Irenaeus p. 528 - Clem. Al. p. 537. 538. - Origenes p. 540-541; - Methodius 25 p. 555 4. An diese auf mehrern Bibelstellen gegründete schloß sich eine andere sehr natürlich an, welche man auch bei allen spätern Kirchenlehrern dießes Zeitraums findet - es ist die Vorstellung von einem reinigenden Feuer, welches 135 am allgemeinen Gerichtstag ausbrechen, also der Weltbrand selbsten sein, 30 durch welches alle auch die Heiligen und Gerechten gehen sollen, nur mit dem Unterschied, daß diese ganz unverletzt durchkom¯ en, die übrigen aber mehr oder weniger beschädigt werden sollen, je nachdem sie noch mehrere oder wenigere Fehler an sich haben. Bei Clem. Alex. pag. 532-535 findet sich diese Lehre zuerst, obwohl die frühern Väter sie wahrscheinlich schon gehabt 35 haben; Origenes führt sie mehr aus p. 540-543. Auch Cyprian hat sie p. 556. und Lactantius p. 557. 558. Eine Stelle Pauli - eine alte selbst heidnische Sage, - die allgemeine Nothwendigkeit einer durchgreifenden Umschaffung, die Idee des Weltgerichtes selbst mögen zur Entwickelung dieser Idee beigetragen haben. 40 <?page no="243"?> 211 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) 5. Merkwürdig und bis jetzt noch nicht ganz entschieden ist eine PrivatMeinung des Origenes, die man die Wiederbringung aller Dinge nennt, und wobei ein Ende aller Strafen, und die endliche Begnadigung aller Verdammten, selbst des Satans angenommen wird. - Daß Origenes dieß bestimmt gelehrt, daß er es auch nur gedacht habe, wird sich schwerlich erhärten lassen 5 - wiewohl auch die Gründe 579 derer, die die Orthodoxie des Vaters hierüber gänzlich zu retten suchten, nicht fest sind. - Was gewiß ist, besteht darinn: 136 a. 580 Daß er aufrichtig die Kirchenlehre hierüber vorträgt. b. Daß er selbst an mehrern Orten von einem ewigen Feuer und von ewigen Strafen redet 10 c. daß er namentlich dem Satan die Möglichkeit abspricht seelig zu werden d. Aber auch gewiß, daß er neben dieser Herablaßung zu dem herrschenden Lehrbegriff seine eigene Ansicht über diesen wie über andere Gegenstände der Religion hatte, - die er aber sehr ängstlich und behutsam vortrug. e. Gewiß daß er namentlich auch über die göttlichen Strafen und die Freiheit 15 des Willens seine besonderen Grundsätze hatte, und besondere Folgerungen daraus zog f. Daß unter diese Folgerungen ein ewiger Kreislauf der Dinge gehörte, worin¯ im¯ er ein Vor- und Zurückschreiten möglich bleibt für alle freien Wesen - im Ganzen aber doch die Schöpfung ihrer Bestim¯ ung, einer höhern Vervollko- 20 m¯ enung entgegenrückt, wiewohl nur in einem unendlichen Progressus. In diesem unendlichen Progressus ligt die Möglichkeit der Bekehrung auch der Verdammten, die Möglichkeit des Aufhörens ihrer Strafen - und mehr als diese Möglichkeit wollte Or. nicht behaupten Keimende Dogmen 581 18 137 § 28 §. 43. 582 Lehre von der Kirche M. II § 250-258 583 1. 584 Wir haben von § 23 bis daher fast durchgehends solche Lehren berührt, die ihrer Natur nach in der gegenwärtigen Periode ihre volle Bestimmung noch nicht erhalten konnten. Dieß ist besonders mit jenen Ideen des Christentums der Fall, die sich auf eine ferne Zukunft beziehen, und von Christus 30 und seinen Aposteln selbst in einem geheimnisvollen Dunkel gelassen wur- 579 dazu am Rand: p. 549 580 neben den Abschnitten a. - f. stehen auf dem Rand die Seitenangaben M. p. 554 - - 550. 551. - - 552. - 550 554 - 551 - 553 - p. 553 - 551 581 Abschnittsüberschrift nachträglich eingefügt 582 spätere Paragraphenangabe mit rotem Farbstift 583 Angaben zu Münscher (Bd. 2, 2. Aufl.) am Rand 584 auf dem Rand Dieser ganze Gegenstand von der Kirche u. den Sacramenten, da er erst vom Mittelalter an in Widerspruch kam u. Entscheidungen erhielt, wird am besten in der dritten Epoche abgehandelt <?page no="244"?> 212 Johann Sebastian Drey den. Aber insoferne sie neu waren - noch mehr insoferne dadurch eine große Idee des Judentums eine nähere Berichtigung erhielt, - besonders aber insoferne diese Berichtigung von christlichen Lehrern selbst nicht ganz begriffen wurde, und daher Discussionen eingeleitet wurden, konnten sie nicht unberührt bleiben. So sehen wir denn zu der sogenannten Eschatologie des 5 Xtums die ersten Keime sich in dieser Periode entfalten, wenn auch gleich die weitere Entwickelung einer spätern vorbehalten bleiben mußte, ja sie bis jetzt nicht vollendet ist. 2. Aus dem gleichen Grunde nun, warum ich die anfängliche Entwickelung jener Lehren noch in die erste Periode aufgenommen habe, habe ich auch die 10 ersten Keime der-jenigen Lehren noch darein aufgenom¯ en, welche sich auf 138 die Kirche und die Sacramente beziehen. - Der Grund ist, weil die Keime ihrer Entwickelung noch in diese Periode fallen - weil diese keimenden Dogmen ihre Gestalt und Erläuterung von den andern schon mehr entwikkelten hernehmen, beide sich wechselseitig beleuchten - weil man sonst bei 15 der fernern Darstellung im¯ er wieder bis auf die ersten Zeiten zurückgehen müßte, folglich eine zu scharfe Tren¯ ung und daher Verwirrung der Materien entstehen würde. § 44 585 3. Was nun gerade die zwei Materien betrifft, von denen sich die kirchlichen 20 Begriffe in diesem Zeitraum erst zu bilden anfangen - nämlich die Kirche und die Sacramente - so ist es nicht schwer, die Ursache davon anzugeben. Ich will zuerst nur von der Kirche reden. Ob Christus eine einige, alle Christen umfassende Kirche gewollt, ob seine Apostel die Vollstrecker seines Willens dieselbe Idee verfolgt haben oder nicht: Die Entscheidung dieser Frage ge- 25 hört nicht hieher sondern in die Dogmatik; wohl aber hieher gehören die Meinungen der ersten und der folgenden Kirchenväter über jenen Willen Christi und die Uberzeugung der Apostel. - Wollte aber auch Jesus eine 139 einige allumfassende Kirche, und verfolgten auch die Apostel dieselbe Idee, so konnte doch jene Kirche nicht auf einmal sondern nur allmälig werden. 30 Dieß ligt in ihrer Idee selbst: es mußte das Christentum zuerst verbreitet werden, verbreitet durch die Apostel und durch andere von ihnen gebildete Lehrer. Dieße als mündliche Herolde des Evangeliums konnten nicht zu der ganzen Welt, sondern nur zu einzelnen Menschen und an einzelnen Orten sprechen. Was sich durch ihren Vortrag bildete, das waren kleinere oder 35 größere Häuflein von Gläubigen an einem gewißen Orte und dessen nächsten Umgebungen - einzelne größere oder kleinere christliche Gemeinden: selbst der rastloße Paulus konnte nicht mehr. Dieße einzelnen Gemeinden blieben vereinzelt und von einander getrennt durch Entfernung und bürgerliche 585 spätere Paragraphenangabe mit rotem Farbstift <?page no="245"?> 213 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) Verhältnisse längere Zeit. Später als der lauterwerdende Name der Christen für einen Partheinamen, und für das Lößungswort einer Verschwörung gegen Götter und Staat zu gelten anfieng, wurde die Verbindung der einzelnen Gemeinden absichtlich erschwert und verhindert. Es bestanden also anfangs in der Wirklichkeit nur einzelne Kirchen, keine Kirche: daher auch die Kirche 5 noch eine bloße Idee. 4. Sollte eine Kirche werden, so mußte sie entweder in der Wirklichkeit dastehen, dann konnte sie sich ihrer selbst bewußt werden: oder es mußte sich woher immer in den einzelnen Kirchen die Idee Einer Kirche zu bilden 140 anfangen, als die trotz aller Hinderniße zu bewerkstelligende Realisirung einer 10 nothwendigen Aufgabe. Dieß letztere konnte früher geschehen als das erstere, u. es geschah. 5. Um in den einzelnen Kirchen die Idee einer einigen ganzen und allumfassenden Kirche zu erregen, bedurfte es schlechterdings, außer dem biblischen Lehrbegriff, äußerer Erscheinungen und Veranlassungen. Wie der Mensch 15 selbst zum 586 Bewußtsein seiner selbst gelangt nur durch die Anschauung von Dingen, die nicht er selbst sind, so konnte es auch die Kirche nur auf ähnliche Weiße. Und es ist daher hier der Ort, jene äußern Veranlassungen auszuzeichnen. 6. Einen Wink konnte den einzelnen Gemeinden auch nur die oberflächlichste 20 Reflexion über die biblischen Stellen geben, - worinn Xtus von einer, von seiner Kirche - als einer einzigen redet. Nun sahen sie aber nur einzelne und viele Gemeinden; und es bot sich die Frage an, wo den¯ in dieser Vielheit und Verschiedenheit der Gemeinden die Kirche Christi - die eine und ganze - sei? 7. 587 Der erste Gedanke auf diese Frage war wohl der von der Einheit des 25 141 Ursprungs. Alle Gemeinden waren entweder von Schülern Christi oder Schülern der Apostel gestiftet - viele Gemeinden von einem und ebendemselben Apostel - alle daher im Grunde Gemeinde Christi - seine Kirche b. Als solche konnte sie auch nur eine Lehre haben - umso mehr, als die Apostel in ihren Sendschreiben auf die Einheit der Lehre drangen; eine 30 Gemeinde die Mutter anderer wurde. c. Von dieser Einheit der Lehre überzeugten sie sich nicht blos durch Vernunftschlüße, sondern durch eigene Anschauung; durch Mittheilung ihrer heiligen Schriften, durch encyclische Briefe, durch große Reißen berühmterer Kirchenvorsteher 35 586 davor gestrichen nur 587 auf dem Rand Wie die einzelnen Gemeinden allmälig erkan¯ ten, daß sie Eins sein in dem Wesen des Xtums, erkannten sie sich auch als Eine Gemeinde - eine Kirche. Puncte der Einheit. a Ursprung b. Lehre. c. Liebe d. Äußerer Cult. e. Verfassung die Einheit des Fundaments, der Fels Petrus <?page no="246"?> 214 Johann Sebastian Drey d. Zu dieser Einheit in Lehrbegriff und Gesinnung trat noch die Einheit der Empfindung und brüderlichen Liebe, wozu sie in wechselseitiger Hilfe aller Art Anlaß und Aufforderung fanden. 588 8. So bildete sich die Idee der Kirche als eines durch innere unsichtbare Bande zusam¯ engehaltenen - wen¯ gleich nach außen in vielen Individualitäten er- 5 scheinenden Ganzen: und da sowohl der Glaube an die eine wahre Lehre 142 Christi, als auch die Einheit der Liebe gleich wichtige Gegenstände für die ersten Christen waren, so mußten die Einzelnen Kirchen daraus die Nothwendigkeit erkennen, die Einheit zu erhalten, nach Einheit zu streben. Es mußte auf diese Weiße die Idee einer einzigen Kirche sich bilden, - und zwar 10 als eine im¯ er mehr zu realisirende Aufgabe. 9. Noch sahen die einzelnen Gemeinden die Mittel und Wege nicht ein, wie die Aufgabe gelößt werden sollte. Der über dem Christentum waltende Geist führte sie herbei. Es erhoben sich sehr frühe Lehrer, welche ihre subjective Ansicht für Lehre Christi ausgaben, - die Christen fanden solche Lehren 15 fremde, der apostolischen Tradition - und dem allgemeinen Glauben entgegen: sie verwarfen die neuen Lehren als Irrtümer. Dagegen bildeten die Häretiker unter sich Partheien, Gemeinden, Kirchen, und setzten sich so der Einheit der Orthodoxen entgegen. Jetzt erst als sich außer dieser Einheit Partheien zu bilden anfiengen, als die Einheit und Gleichheit der Uberzeu- 20 gung - gegründet auf ursprüngliche Uberlieferung - sich aller Orten auszusprechen Gelegenheit fand - als die äußern Partheiungen eine gleiche unter 143 den Rechtgläubigen nothwendig machte, da mußte sich die bisher in lauter einzelnen Gemeinden bestandene Allheit der Gläubigen nicht nur als eine sondern auch als die allgemeine katholische Kirche erken¯ en. Die Katholicität 25 im Gegensatze gegen die Particularität und in¯ ere Entzweiung der Häretiker hob die bisherige Einheit ans Licht hervor, und die Einheit mit der Katholicität zugleich gegründet auf Apostolicität vollendete den Begriff der Kirche, die sich nun erkan¯ te, als ihr die Elemente ihres Bewußtseins gegeben waren - durch bestim¯ te Gegensätze außer ihr. 30 (§. 45) 589 10. 590 Mit diesen Merkmalen findet man den¯ die Kirche schon bei den aeltesten Lehrern, weiter aber dehnt sich auch der Begriff der Kirche nicht aus, da es noch an der genauern äußern Organisation fehlte. Man sehe hierüber die Äußerungen des −− 35 Irenaeus - pag. 413-415 M. II. 591 588 dazu am Rand: M. p. 408 bis 413. − L: 2. Bd., 2. Aufl. 589 spätere Paragraphenangabe 590 auf dem Rand ad nrum 10 Stellen in den apost. Vätern: 591 folgende Angaben aus Münscher, Bd. 2, 2. Aufl. <?page no="247"?> 215 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) Tertullianus - 415 Clem. Alex. - 416-418 Origenes - 418-420 Cyprianus - 420-422 Lactantius - 422-424 5 11. In Absicht auf die Folgerungen - die aus der Einheit, Apostolicität und 144 Katholicität der Kirche gegen die Ketzer gezogen wurden - waren die Lateiner strenger als die Alexandriner. v. loc. cit. § 29 (§. 47) Lehre von den Sacramenten 1. Diese Lehre finden wir schon zum Theil in dieser Periode entwickelt, zum 10 Theil noch in Dunkel gehüllt. Beides ist begreiflich. Denn gleichwie die heiligen Lebensgeheimniße im Christentum theils solche sind, die sich an alle Menschen ohne Ausnahme mit absoluter Nothwendigkeit wiederholen, theils solche, welche sich nur auf relativ nothwendige oder gar zufällige Lebensverhältnisse beziehen, so mußten die ersten vor den andern eine größere 15 Wichtigkeit, auch eine größere Publicität erlangen, daher auch ihr Wesen für den kirchlichen Lehrbegriff früher ausgesprochen werden. 2. Unter die erstern gehört die Taufe mit Einschluß der Confirmation - das Abendmal; zur Klasse der relativ oder zufällig nothwendigen Sacramente die übrigen vier. Wegen der Wichtigkeit der ersten, wurden sie in den öffentli- 19. 145 chen Cultus aufgenommen, und darum weil die Christen sich über ihren Cultus frühezeitig gegen die Heiden erklären mußten, finden wir von ihnen nicht nur Nachrichten, sondern auch Erklärungen bei den aeltesten Vätern. - Unter den relativ nothwendigen hatte von Anfange die Ordination die größte Wichtigkeit, und weil ohne sie kein Cultus, und überhaupt keine Verfassung 25 der Kirche war, wurde auch der Act der Ordination unter die Handlung des Cultus gesetzt, wiewohl in den ersten Jahrhunderten Ursachen vorhanden waren, die Ordinationen geheim zu halten. - Die übrigen Sacramente beziehen sich auf zufällige Lebensverhältnisse, konnten also nie ein Theil des eigentlichen Cultus werden, darum fehlt es beson- 30 ders aus den ersten Zeiten an Nachrichten und Entwickelungen darüber. Nur inwiefern öffentliche und bedeutende Sünden den Charakter der Kirche selbst schändeten, fand sich die Kirche veranlaßt, auch öffentliche Büßungen und Versühnungen darüber zu verhängen, und so kommt die Kirchenbuße zwar nicht als Theil des Cultus, was sie nie sein konnte, sondern als Theil der 35 öffentlichen Kirchendisciplin vor. 3. Im Ganzen aber begreift man soviel, daß wegen der besondern Beziehung 146 der Sacramente auf die Kirche überhaupt - auf ihren Cultus u. ihre Cere- <?page no="248"?> 216 Johann Sebastian Drey monien - auch auf ihre Verfassung und Disciplin - - der Lehrbegriff über beide sich immer in paralleller Richtung entwickeln mußte, was auch die Geschichte bestättigt. Erst als der Begriff der Kirche nach ihrem innern Wesen und ihrer äußern Organisation festgesetzt war, wurde es auch der Lehrbegriff über die Sacramente. 5 Wieweit er in den ersten Perioden gediehen, wollen wir nun hören § 30 Lehre von der Taufe u. von der Confirmation M. II § 227 - 592 1. Die Bedeutung und Wirksamkeit der Taufe erscheint schon in den ersten Zeiten bestimmt ausgesprochen: dieße Wirkungen sind Nachlassung und Wegtilgung der vorherbegangenen Sünden - eine mit der Seele vorgehende - 10 plötzliche Veränderung, wodurch sie erleuchtet, mit dem Geistes Gottes und neuen Kräften zum Guten erfüllt, der moralischen Vollendung nahe gebracht 147 wird, u.s.m. 593 Barnab. epist. cap. 11. edit. Coteler. Amstel. 1724 Hermae Past. Mand. IV. 594 15 Justinus Apol. Maj. edit. Prud. Mar. Hag. com. 1742, pag. 79. 80; Dial. cum Tryph. pag 114. 140. 184; dessen mit den übrigen Vätern einstim¯ ige Meinung M - - fruchtlos zu verhüllen sucht. Theophil. ad Autol. II. pag 361 - Clemens Alex. edit. Joh. Potter. Oxon. 1715 - Pæd. l. I cap. 6. 20 Origenes edit. Ruaei Paris 1733. in Jes. Nave Hom. XV; in Exod. hom. XI; in Luc. Homil. XXII; adv. Cels. l. III. § 51; in Evang. Joh. comm. Opp. IV. pag. 133 Tertullian. edit. Nicol. Rigalt. Paris. 1641. - de baptismo cap. 4. 5. 6. 15; wo eine ihm eigene Nebenvorstellung vorköm¯ t. 25 Cyprianus edit. Joh. Fell. Brem. 1690 - de gratia Dei pag. 3; epist. 69 ad Magn. wo er der Taufe auch die Wirkung zuschreibt, Teufel auszutreiben. Anmerk. M. 595 sucht diese so frühen Vorstellungen - / : und so ausnehmend hohen : / von den Wirkungen der Taufe in erdichteten Ursachen 596 , um die wahre umgehen zu können, die in der Idee des Xtums von der Wiedergeburt 30 ligt; was auch die Väter deutlich sagen. Anmerk. 2 597 Die Gnostiker hatten noch besondere Ansichten von den Wir- 148 kungen der Taufe: so betrachteten die Valentinianer sie als ein Filtriermittel 592 Angaben zu Münscher (Bd. 2, 2. Aufl.) am Rand 593 dazu am Rand: M. II pag. 327-335 594 am Rand M. IV. pag. 349-357. (Münscher, Handbuch Bd. 4, 1809) 595 dazu am Rand: M. IV. pag. 351-353 596 davor gestrichen , um die 597 auf dem Rand M. pag. 331. 335. <?page no="249"?> 217 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) die bößen Geister abzuschütteln Theodot. excerpt. in Opp. Clem. pag. 991. - als ein Mittel der Befreiung von dem Fatum. ib. pag. 987; Menander mit den Valentinianern schrieb ihr die Kraft zu, vor dem Todt zu schützen ib. - Einfluß auf Unsterblichkeit schrieben ihr selbst orthodoxe Väter zu: Tertull. de bapt. cap. 1. 2; Iren. adv. Hæres. l. III cap. 17. § 2 edit. Renat. Massuet. Par. 1710; 5 Clem. Al. Pæd. I. cap. 6. - Nach Iren. adv. Hær. I. cap. 21; Theodoret. hæret. Fabul. ep. I. cap. 10. Tert. de bapt. c. 1. läugneten einige die Nothwendigkeit der Wassertaufe. 2. Daraus begreift man denn wohl, daß sie die Taufe für höchst wichtig und nothwendig zum Heile hielten: 10 Herm. Pastor. Simil. IX §. 16. 598 Iren. adv. Hæres. l. III. cap. 10. u et 17. §. 2. u599 edit. Renat. Maßuet. Paris. Origenes exhort. ad Martyr. § 30; in Gen. hom. XIII. Tertullian de bapt. cap. 12. 13 - Cyprian. epist. 73 ad Jubajanum. 600 15 Anmerk. 601 Weil nun daraus die Nothwendigkeit hervorzugehen schien, dem Ungetauften die Seligkeit absprechen zu müßen, so wurden mehrere Väter zu 149 dem Auswege getrieben, eine Taufe der AltVäter und Frommen in der Unterwelt anzunehmen: Herm. Past. l. cit.; Clem. Alex. Stromat. II pag 452; VI. pag. 762 ss. - Für ein zweites Surrogat wurde die Bluttaufe gesetzt. Orig. Exh. 20 ad. Mart. § 30; Tert. de bapt. c. 16; Cypr. epist. 73 602 3. 603 Uber die Giltigkeit und Zuläßigkeit der Kindertaufe schien anfangs der Lehrbegriff schwankend: den¯ a) Die Schriftbeweise aus Marc. X, 14; Matth. XVIII, 4. 6; I Cor. I, 16 beweißen ebensowenig für als Matth. XXVIII, 19 gegen dieselbe. 25 b. Ebensowenig die Stelle Justin. Dial. cum Tryph. pag. 139; 604 wo das Wort Alle die Erwachsenen bedeuten kann, und wohl nichts anders bedeutet. c. Entscheidender ist die Stelle des Irenæus. adv. hæres. l. II. cap. 22. § 4; 605 doch setzt sie Kinder voraus, die schon für Unterricht und Beispiele empfänglich sind. 30 d. Tertullian de bapt. cap. 18 606 spricht zuerst ganz deutlich, und seine Ausdrücke setzen voraus,daß die Kindertaufe schon damals zu einer Gewohnheit müße geworden sein. Neben den mancherlei Gründen, aus denen er sie 598 dazu am Rand: M. pag. 338-339. M. IV. pag. 353-358. 599 u-u: über der Zeile 600 Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 338 f. 601 am Rand: 340. (Münscher, Bd. 2, 2. Aufl.) 602 Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 340. 603 auf dem Rand M. pag. 340-351. M. IV. pag. 358-364 604 Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 342. 605 Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 343. 606 Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 344. <?page no="250"?> 218 Johann Sebastian Drey misräth, verschweigt er doch seinen Hauptgrund, der ohne Zweifel in seinen 150 montanistischen Vorstellungen lag, wie er deutlich zu erkennen giebt durch die Worte: »wer die Wichtigkeit der Taufe kennt, wird sich mehr fürchten, sie zu empfangen, als zu verschieben« - Indessen bestreitet hier Tert. keineswegs die Giltigkeit der Kindertaufe, vielmehr setzt er sie voraus, wie die objectiven 5 Wirkungen der Taufe überhaupt. e. Origenes in Levit. homil. VIII; in Luc. hom. XV; in epist. ad Rom. comm. l. V. pag. 565 607 nimmt die Kindertaufe in Schutz, und stellt sie als einen unter den Christen gewöhnlichen Gebrauch dar, der von den Aposteln herrühre. Dieß lag auch in seinem ganzen System, besonders in seinen Vorstellungen von der 10 angeborenen Unreinigkeit. f. Auch Cyprian. epist. 64 ad Fidum 608 weicht hier ganz von der Meinung des Tertullian ab, dem er doch sonst meistens folgt. 4. 609 Die Giltigkeit der Ketzertaufe erregte einen viel lebhafteren und länger dauernden Streit in der Kirche. - 15 Clem. Alex. Stromat. l. I. pag. 375 scheint sie zu verwerfen; Tertullian. de bapt. cap. 15; de praescript. hæret. c. 12; 610 de pudic. cap. 19 151 verwirft sie ausdrücklich und allgemein; − ihm folgten die Afrikaner: cypr. epist. 71. 73; auch viele asiatischen Kirchen Euseb. hist. eccl. l. I, cap. 7; Cyprian war der eifrigste Gegner der Ketzertaufe, 20 der römische Papst Stephanus entgegen nahm sie in Schutz: die Gründe und das Verfahren der beiden streitenden Partheien findet man in den Briefen des erstern epist. 69-75 611 Das Ansehen Roms und der Abendländer, so wie das Verfahren der Novatianer und Donatisten brachten bald die Afrikaner von ihrer Meinung zurück, 25 und Augustinus vertheidigte nachher die Ketzertaufe selbst. Die bisher in zu großer Allgemeinheit und Unbestimmtheit bisher verhandelte Streitfrage wurde in folgenden Jahrhunderten erst näher bestimmt, wovon zu seiner Zeit das Ausführlichere. 5. 612 Daß die Taufe nur einmal ertheilt werden könne, darüber war man 30 durchaus einig. Clem. Strom. III pag. 548; Tertull. de bapt. cap. 15; Cypr. epist. 63. 71; 613 6. 614 Der äußere Ritus bei der Taufe findet sich beschrieben Justin. loc. cit., die 152 Katholischen hielten sich von jeher genau an die biblische Formel: Tertull. adv. 607 Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 346. 608 Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 350. 609 auf dem Rand M. p. 352-357 M. IV. pag. 367-373. 610 Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 352f. 611 Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 353-356. 612 am Rand M. p. 338 613 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 338. 614 auf dem Rand M. 336. 337. M. IV. pag. 373 377. − L: 2. Bd., 2. Aufl., 4. Bd. <?page no="251"?> 219 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) Prax. c. 26; de corona c. 3; 615 - Die gnostischen und andere häretische Partheien änderten die Taufformel verschiedentlich. * Iren. l. I. c. 18 616 - Selbst die bei Kranken später eingeführte Taufe durch Besprengung sahe die römische Kirche nicht gern. Euseb. hist. eccl. VI. c. 43; Cyprian. epist. 69 617 vertheidigte sie. - Doch dieß gehört in die Geschichte der christlichen Gebräuche. 5 * §. 48) 618 1. 619 Über die Confirmation finden sich in diesem ersten Zeitraum keine ausführlichen Äußerungen, v über dieselbe als ein für sich bestehendes Sacrament v620 aber gar keine. Die Ursache liegt darinn, daß in den ersten Jahrhunderten, die Confirmation mit der Taufe verbunden war; und erst 10 später, als die Kindertaufe allgemein eingeführt war, auch wegen der veränderten äußern Lage selten Jemand Erwachsener mehr zur Taufe kam, das Bedürfnis gefühlt wurde, sie von dieser zu trennen, und besonders zu ertheilen. Was die historischen Documente darüber lehren, besteht in folgendem: 15 a. Die Confirmation, die im¯ er mit der Taufe noch verbunden war, kom¯ t im¯ er 20 153 neben ihr unter dem Namen der Hände Auflegung vor, in Beziehung auf Act. VIII, 17. Die hieher gehörigen Stellen finden sich zerstreuet in den Schriften der Väter. Vide Nat. Alex. de Sacr. confirm. b. Dieße Hände Auflegung scheint jedoch in der frühesten Zeit für einen 20 Ritus angesehen worden zu sein, der mit zur Taufe gehöre. Weswegen mehrere Väter, namentlich Justinus, da er von der Taufe redet, der Händeauflegung nicht erwähnt. Unbekan¯ t konnte er dem Justinus nicht sein, weil Väter des zweiten und dritten Jahrhunderts ihn bestimmt für apostolische Tradition ausgeben; also that er seiner keine Erwähnung, weil er entweder ihn in der 25 Taufe mitbegriff, oder er als Presbyter nur die Taufe ohne HändeAuflegung nach dem Gebrauch der römischen Kirche ertheilte. Man hatte auch Grundes genug, die Hände Auflegung als Komplement der Taufe zu betrachten in dem Verfahren der Apostel. Act. VIII; X, XIX. Cypr. ep. 73; w concil. illis can. 38 et 77 w621 30 c. Für einen in der Kirche allgemein angenommenen Ritus, und zwar für einen solchen, der sich auf die Anordnung und Tradition der Apostel gründe, 154 615 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 337. 616 Angaben zu Irenäus eingewiesen 617 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 337. 618 spätere Paragraphenangabe 619 danach durchgestrichen 7. 620 v-v: korrigiert aus: als eines für sich bestehenden Sacraments − darunter am Rand: Die Confirmation ist dadurch ganz bestimmt von der Taufe unterschieden, daß die Väter der ältesten Zeit einer jeden eine eigene Wirkung zuschreiben, der Taufe die Vergebung der Sünden, der Confirmation die Ertheilung des h. Geistes. 621 w-w: auf dem Rand <?page no="252"?> 220 Johann Sebastian Drey wurde sie schon in den ersten Zeiten gehalten. Dies bezeugt Tertullian de baptismo c. 17; de resurrect. carn. cap. 8 - Cyprian epist. 70 ad Jan; epist. 73; Anmerk. Die anderweitigen Stellen der Väter und Concilien besonders der späteren Zeiten findet man gesammelt bei Witasse und Juvenin in comm. histor. et dogm. de Sacram. 622 - und die Belege aus den liturgischen Büchern der latei- 5 nischen und griechischen Kirchen bei Renaudot. Perpet. fid. Tom. IV et V; 623 und Tom. II liturg. orient. pag 308 ss. 624 644. 2. 625 Daß die Confirmation für ein von Christus selbst angeordnetes, von der Taufe ganz unabhängiges Sacrament gehalten worden wäre, im Sinne der spätern Zeiten, läßt sich wenigstens durch kein Zeugnis der drei ersten Jahr- 10 hunderte erweißen. Jene Idee bildete sich erst später, da selten ein Erwachsener mehr getauft wurde, also die Confirmation von der Taufe getrennt, und in dem abendländischen Patriarchat nach einem alten Gebrauch der römi- 155 schen Kirche, der sich auf die Beispiele der Apostel stützen konnte, den Bischöfen allein vorbehalten blieb. 15 3. 626 Von den Wirkungen der Hände Auflegung sprechen die Väter nach dem Vorgang der Schrift: sie schreiben ihr zu die Mittheilung des h. Geistes Aug. de Trin. l. XV cap. 16. Cyprian. ep. 73; - Tertull. de bapt. cap. 17. Dießer letzte drückt sich de resurr. carn. also darüber aus: »Der Leib wird gesalbet, damit die Seele geheiligt, der Leib wird bezeichnet, damit die Seele gestärkt; der Leib 20 wird durch HandAuflegung überschattet, damit die Seele durch den Geist erleuchtet werde.« - c. 8. Anmerk. Die äußern Ceremonien bei der Confirmation gehören nicht hieher. § 31 (§. 49) Lehre von dem Abendmal M. II. § 240-250 627 Drei Stücke sind es, die in dieser Lehre vorzüglich in Betracht kommen. Die 25 Bedeutung der Eucharistie - ihre Wirkung auf den einzelnen Menschen - ihre Bedeutung und Wirkung auf das Ganze der Kirche als Opfer 622 L: Witasse, Tractatus 623 L: Renaudot, Perpe´tuite´ 624 L: Renaudot, Liturgiarum orientalium collectio, 2. Bd. 625 ersetzt d − daneben auf dem Rand: Daß sie aber auch nicht für Eins mit der Taufe - auch nicht für einen bloßen Taufritus gehalten worden, erhellt aus der Gewohnheit der Kirche, auch in denjenigen Fällen wo die Taufe der Ketzer für giltig gehalten wurde, die Confirmation doch noch nachträglich zu ertheilen, so wie aus einer Menge von Synodalkanonen hierüber. Für die andern - eigentlichen Taufritus fand so Etwas nicht statt. Daher, wen¯ auch die Confirmation in den ersten Jahrhunderten nicht, oder selten ein Sacrament genan¯ t wird, so wurde sie doch dafür gehalten 626 ersetzt e 627 Angaben zu Münscher (Bd. 2, 2. Aufl.) am Rand <?page no="253"?> 221 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) 1. Bedeutung der Eucharistie 156 A) Darüber stimmen alle Väter ohne Ausnahme überein - daß sie die Eucharistie, oder auch was Eucharistie wird durch die Segnung, nämlich - Brod und Wein den Leib und das Blut des Herrn nennen. - Stellen hierüber besonders anzuführen, ist überflüßig, da jene Ausdrücke in den bald anzu- 5 führenden Stellen überall vorkommen. B) 628 Wie und in welchem Sinne die Eucharistie der Leib und das Blut Christi sei? oder die Frage mit den Ausdrücken der spätern Jahrhunderte gestellt, wie Christus in der Eucharistie sei und wie er darein komme? Darüber haben sich in den Zeiten der Reformation drei verschiedene Ansichten ausgebildet, wel- 10 che allgemein bekan¯ t sind. Keine der drei Ansichten findet sich deutlich und bestim¯ t ausgesprochen bei den Vätern der ersten Periode; alle aber sprechen so erhaben von der Eucharistie, daß ihre Äußerungen nur begreiflich sind, wen¯ man voraussetzt, daß sie eine wirkliche Gegenwart Christi in derselben geglaubt haben. Die wirkliche, wahrhafte, körperliche Gegenwart Christi ist 15 157 also das einzige, was schon in dieser Periode als christliches Dogma vorkömt. Ignatius epist. ad Rom; ad Ephes. cap. 20; ad Smyrn. cap. 7; edit. Cotel. Amstelod. 1724 - 629 setzt offenbar eine leibliche und fleischliche Gegenwart Christi voraus, aber von Impanation oder Transsubstantiation findet sich bei ihm keine Spur. 20 Justinus Apolog. maj. nro 60 edit Prud. Mar. 630 vergleicht die Consecration der Eucharistie mit der Einfleischung 631 des Logos, und behauptet um deßwillen eine wahre leibliche Gegenwart Christi. Für Impanation, wie Münscher meint, folgt so wenig als für Transsubstantiation aus seinen Worten; denn aus diesen läßt sich gar nicht entnehmen, wie sich Justin die Verbindung des Logos mit 25 den Eucharistischen Materien gedacht habe: es ist möglich, daß er sich diese Verbindung gedacht habe - entweder als eine bloße Verbindung des Logos mit dem unveränderten Brod und Wein als einer besondern Art von Leib, wo das Brod die Stelle des Fleisches, der Wein jene des Blutes vertretten würde: und so glaubt M. - oder für eine Verbindung des eingefleischten Logos mit 30 dem unveränderten Brod und Wein als bloßen Hüllen seines wahren Leibes und Blutes - oder endlich als eine Verbindung des bloßen Logos mit dem dem 632 Brod und Wein, welche aber hier durch Verwandlung in ebendenselben 158 Leib und dasselbe Blut verwandelt würden, die er bei der Menschwerdung aus Maria angenommen. 35 628 auf dem Rand Joh. VI, 27-40 wird von Hermas Simil. V, cap. 5, v. 8 von den Geboten also von der Lehre gedeutet 629 auf dem Rand M. p. 366 630 auf dem Rand M. p. 366-370 631 Korrektur am Rand, dafür gestrichen: Fleischannahme 632 Doppelung wohl durch Seitenwechsel bedingt <?page no="254"?> 222 Johann Sebastian Drey Anmerk 1. Ich sagte: aus den bloßen Worten Justins folge keine der drei möglichen Vorstellungsarten mit Gewisheit. Indessen da Justin sagt: »daß die Speiße - Brod und Wein - nachdem sie durch Gebete mit Danksagung geweiht worden, Jesu Fleisch und Blut sei«. - das unveränderte Brod und der unveränderte Wein aber nur sehr uneigentlich Jesu Fleisch und Blut genannt 5 werden könnten, so wird es sehr unwahrscheinlich, daß Justin eine der beiden ersten Vorstellungsarten gehabt habe; es bliebe folglich nur die dritte über, welche die Transsubstantiationslehre wäre. Allein Justin nennt die Eucharistie des Fleischgewordenen Jesu Fleisch und Blut. Er dachte sich also den Logos nach der Menschwerdung nie ohne Fleisch und Körper, und dieß ist auch 10 natürlich u. der Bibel gemäß. Was ist also des Fleischgewordenen Jesu Fleisch und Blut? was ist das Fleisch eines Menschen, der schon lange Fleisch angenommen hat? Offenbar nur jenes anfängliche, das er nie mehr abgelegt hat: wie könnte er also zu dem Fleische, das er seit der Menschwerdung hat, noch ein anderes in der Eucharistie annehmen durch Verwand-lung des Brodes und 15 159 Weines? Wäre dießes neue Eucharistische nicht ein Fleisch über das Fleisch, steckte also nicht der eine Leib in dem andern, Christus also in einem doppelten Leibe? - (Dieße Unschicklichkeit war es ohne Zweifel, die spätere Theologen z.B. Johannes Damascenus pp nöthigte, eine eigentliche und totale Destruction des Brodes u. Weines anzunehmen, nachdem bei der Consecra- 20 tion Christus mit seinem ersten Leib auf den Altar niedersteigt.) Im Ganzen bleibt also die Stelle Justini dunkel, und vielleicht dachte er gar nicht an eine besondere Art, wie die Eucharistie Fleisch und Blut Christi sei. - Anmerk. 2. Aus dem Worte μεταβολη folgt gar nichts für die Transsubstantiationslehre: den¯ es ist hier, wie der Zusammenhang zeigt, keine Metabole 25 des Brodes in den Leib Christi, sondern eine Verdauung des Brodes und Assimilation im Magen gemeint, oder wohl auch eine Verwandlung der geweiheten Speiße, d.h. des Leibs Christi in unser Fleisch und Blut. Man höre nachher. Irenæus 633 nennt das Brod, worüber die eucharistischen Worte ausgesprochen 30 worden, mit den Gnostikern den Leib des Herrn, und folgert daraus, daß die Ketzer dieß nicht einmal glauben können, ohne Christum für den Sohn und 160 Logos des Weltschöpfers zu halten, was sie doch nicht wollten. l. IV. adv. hæres. cap. 18. § 3. 4. 634 - Dieße Argumentation Irenäi gegen die Gnostiker ist nur treffend, wen¯ in der Eucharistie eine wirkliche Gegenwart des Logos, u. 35 ein wirklicher materieller Leib angenom¯ en wird, doch erscheint diese Stelle, auf einen eigenen eucharistischen Leib in dem zwar veränderten aber nicht verwandelten Brod zu deuten 633 auf dem Rand M. pag. 376-385 634 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 377. <?page no="255"?> 223 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) β . In andern Stellen, wo er aus der Eucharistie die Möglichkeit und Hoffnung einer Auferstehung der Körper gegen die Gnostiker demonstrirt, schließt Ir. zuförderst bestimmt alle bloß symbolische Deutung aus. Ob aber aus seinen Worten überhaupt etwas für eine der drei übrigen Vorstellungsarten gefolgert werden könne - namentlich für die Münschersche pag. 384 635 muß dahinge- 5 stellt werden. Die Redeformel: daß der Logos zu Brod und Wein hinzukom¯ e, giebt keinen Grund, M. Vorstellungsart dem Ir. beizulegen: indem dieselbe ehender die Impanation zu bestättigen scheint. Ebensowenig folgt aus der Formel: Brod 636 und Wein würden von den Gläubigen geopfert - etwas gegen die wahre Gegenwart oder Transsubstantiation; - den¯ Irenæus kan¯ mit dem 10 Opfer die sogenan¯ te Oblation gemeint haben; wo dan¯ seine Worte buch- 21 161 stäblich wahr sind. l. IV. cap. 17. 18; l. V. cap. 2. § 2. 3 637 Anmerk. M. hauptsächliches Argument für seine Vorstellungsart, die er dem Irenäus unterlegen will, ruht auf dem Satz, daß Irenäus jene Grundlehre der Gnostiker widerlegen wolle, zufolge deren Gott der Vater nicht der Urheber 15 der erschaffenen Dinge sein soll, - und daß seine Widerlegung nicht bündig wäre, wen¯ nicht durchaus Brod in der Eucharistie bliebe. - Allein Irenäus konnte schon aus dem bloßen Gebrauch und der Oblation des Brods und Weins zur Eucharistie die Widerlegung führen. - - Clemens Alexandr. spricht Pæd. l. I cap. 6 638 allegorisch und mystisch über Joh. 20 VI. Deutlicher und bestim¯ ter aber Pædag. II. cap. 2 639 - Die vorgebliche Dunkelheit der Stelle, die allerdings für den ersten Anblick da ist, muß schon allein durch die Schlußworte gehoben werden: »Der Geist nämlich wird in der That mit der Seele, welche von ihm geleitet wird, vereinigt, - das Fleisch aber, um dessen willen der Logos Fleisch geworden ist, mit dem Fleische.« - Der 25 idealistische Alexandriner, der alles auf den Geist bezieht, und in allem 162 Materiellen eine Allegorie von etwas Geistigem sieht, unterscheidet zuerst ein fleischliches und ein Geistiges Abendmal, ebenso ein doppeltes Blut, - eine doppelte Wirkung. Von diesem Standpunct aus wird sich dann die genan¯ te Stelle leicht deuten lassen. 30 a) Es ist ein doppeltes Blut des Herrn, nicht - wie M. meint - das am Kreutze vergoßene und das in der Eucharistie; sondern ein und dasselbe Blut, welches am Kreutze vergoßen ward und auch in der Eucharistie empfangen wird, ist ein doppeltes in Absicht auf seine Wirkung und die daherrührende Betrachtungsweiße. »Durch das leibliche - d.h. wahre materielle Blut, sind wir von 35 der Verwesung erlößt, indem es beim Abendmal in unser eigen Blut übergeht, 635 L: 2. Bd., 2. Aufl. 636 davor gestrichen daß 637 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 373-381. 638 auf dem Rand M. pag. 385-389 639 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 385-387. <?page no="256"?> 224 Johann Sebastian Drey und ihm die Unverweßlichkeit mittheilt / : nach der Vorstellungsart Justini, Ignatii, Irenæi : / - das geistige Blut, d.h. die geistige Wirkung des leiblichen Blutes, oder die Wirkung des mit dem Blute verbundenen Logos giebt unserm Geiste Salbung, theilt uns den Geist und die Gesinnungen Jesu mit. Dießer Sinn, der hier nur unter mystischen Ausdrücken verhüllt ist, wird ganz 5 klar und unverhüllt am Schluße dargelegt. b. Die nächste, körperliche Wirkung der Eucha-ristie, ist also die Theilnahme 163 an der Unverweßlichkeit des Herrn - oder das Vermögen, das unser Körper / Fleisch und Blut/ erhält, mit der Zeit wieder aufzustehen aus der scheinbaren Verwesung. Darin¯ 640 besteht das eigentliche Abendmal, insofern es ein wirk- 10 liches, physisches Trinken / u. Essen/ ist: das »heißt das Blut des Herrn trinken« - c. Der überall das Geistige unter der Hülle des Materiellen suchende Alexandriner fängt nun an 641 zu allegorisiren und zu symbolisiren. Daher ist ihm das Trinken des Blutes weder das Einzige noch das vorzüglichste, was im Abend- 15 mal vorgehet: das Blut und das Trinken des Blutes sind ihm Symbole von Etwas Höherem, Geistigen. Der Logos besteht nämlich 642 aus Geist von Ewigkeit her, und aus Fleisch, das er in der Zeit angenommen; und das Fleisch - oder eigentlicher der Körper, den er mit uns gemein hat, aus Blut als dem seelischen belebenden Princip, und aus Fleisch als dem dienenden Maße: 20 »Die Kraft des Logos ist der Geist, die Kraft des Fleisches ist das Blut« - d. Diese Duplicität eines Höhern und eines niedern, eines Geistigen Wesens, und einer gröbern Hülle, einer Kraft und ihres materiellen Substrats und Symbols führt er nun durch den ganzen Ritus der Eu-charistie hindurch, um 164 zu zeigen, was die sinnliche, materielle, - und was die geistige Wirkung 643 , 25 und wie in jener geheimnißvollen Handlung die letztere im¯ er durch die erste versin¯ bildet sei. - »In der Eucharistie kömt vor die Mischung des Weines mit dem Wasser als sinnliches Symbol 644 andeutend die unsichtbare Vereinigung des Geistes / λογοσ / mit dem Menschen: wie die erste Mischung einen erquickenden Trank giebt, so giebt die andere Vereinigung die Unverweßlich- 30 keit / die sinnliche Wirkung des sinnlichen Symbols ist noch Symbol der unsinnlichen Wirkung des unsinnlichen Geistes - »In der Eucharistie aber ist nicht bloß Mischung von Wein und Wasser zu einen bloßen Tranke, sondern Mischung des Logos mit dem Tranke, und diese letztere ist eigentlich Eucharistie, ein vortreffliches, Geist und Leib heiligendes Gnadengeschenk, 35 wenn es mit Glauben genossen wird. Denn die ganze Wirkung der Eucharistie 640 davor gestrichen Dieß 641 danach gestrichen Alleg 642 am Rand angefügt 643 danach gestrichen sei 644 danach gestrichen von der geistigen Mischung − Zitat an jedem Zeilenbeginn mit Anführungszeichen markiert, Zitatende nicht gekennzeichnet <?page no="257"?> 225 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) ist eine Mystische Vereinigung des Menschen mit dem Geiste 645 und zwar 646 auf die doppelte Art, die die oben schon verzeichneten Schlusworte bestim¯ t und deutlich aussprechen NB 647 Anm. Dieß ist die ungezwungene Deutung der Stelle Clemens nach 165 M. Ubersetzung. Aber bei genauer Durchsicht des Textes fand ich, daß er in 5 mehrern wesentlichen Puncten falsch übersetzt habe. Die griechische Stelle, wie sie M. selbst anführt / : ob richtig oder nicht kann ich jetzt nicht sagen, da ich Clemens Werke nicht zur Hand habe: / heißt: 648 Διττον το αι ë μα του κυριου. το μεν γαρ εστι αυτου σαρκικον, ì ω ë τησ ϕθορασ λελυτρωμεθα. το δε πνευματικον, τουτ ’ εστιν, ì ω ë κεχρισμεθα. και τουτ ’ εστιν πιειν 10 το αι ë μα του Ιησου, τησ κυριακησ μεταλαβειν αϕθαρσιασ. Ισχυσ δε του λογου το πνευμα, ω ë σ αι ë μα σαρκοσ; αναλογωσ τοινυν κιρναται, ο ë μεν λογοσ / M. übersetzt Wein/ τ ì ω υ ë δατι, τ ì ω δε ανθρωπ ì ω το πνευμα. και το μεν εισ πιστιν / M. ließt ποτον/ ευωχει το κραμα. το δε εισ αϕθαρσιαν ο ë δηγει το πνευμα. ë Η δε αμϕοιν αυθισ κρασισ, ποτου δε και λογου, ευχαριστια κεκεληται, χαρισ επαινουμενη και καλη, 15 η ë σ οι ë κατα πιστιν μεταλαμβανοντεσ, α ë νιαξονται και σωμα και ψυχην; το θειον πραγμα, τον ανθρωπον, του πατρικου βουληματοσ πνευματι και λογ ì ω συνκρι ναντοσ μυστικωσ. και γαρ ω ë σ αληθωσ μεν το πνευμα ω ë κειωται τ ì η απ ’ αυ Æ του ϕερομενη ψυχη, η ë δε σαρξ τ ì ω λογ ì ω, δι ’ η ë ν λογοσ γεγονεν - σαρξ. x »Es giebt ein doppeltes Blut des Herrn: das eine ist das Blut seines Fleisches, 20 166 wodurch wir von der Verwesung erlößt sind; das andere ein geistiges, nämlich jenes womit wir gesalbet sind. Und das heißt (zunächst) 649 das Blut Jesu trinken, der Unverweßlichkeit / Unsterblichkeit/ des Herrn theilhaftig werden. Nun ligt die Kraft des Logos in dem Geiste, sowie 650 jene des Fleisches in 651 dem Blute; daher auf gleiche Weiße der Logos mit 652 dem Tranke sich 653 25 verbindet, der Geist desselben aber mit dem Menschen; das erste, nämlich die Verbindung des Logos mit dem Tranke 654 macht stark im Glauben, das andere aber, nämlich der Geist führt zur Unverweßlichkeit. Hinwieder heißt dieselbe Mischung aus beiden, dem Tranke nämlich und dem Logos Eucharistie, (das will sagen) ein preiswürdiges und herrliches Gnadengeschenk, wodurch die, 30 welche nach 655 dem Glauben davon genießen, an Leib und Seele geheiligt werden, indem der Wille des Vaters / : in jener Veranstaltung: / den Menschen, 645 Zitat an jedem Zeilenbeginn mit Anführungszeichen markiert, Zitatende nicht gekennzeichnet 646 danach gestrichen eine doppelte − Zitatende nicht gekennzeichnet 647 dreifach unterstrichenes Notabene am Rand 648 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 386 f. 649 Einweisung 650 über der Zeile 651 davor gestrichen aber 652 davor gestrichen sich 653 über der Zeile 654 ersetzt über der Zeile Wasser 655 davor gestrichen mit Glaub <?page no="258"?> 226 Johann Sebastian Drey der selbst ein göttliches Gebilde / aus Leib und Seele/ ist, mit dem Geiste und dem Logos verbindet auf eine mystische Weiße.« x656 Denn, gleichwie / bei der ursprünglichen Schöpfung/ der Geist mit der Seele 657 , die von ihm gehalten 167 wird (werden sollte) wahrhaft auf das innigste vereinigt worden ist / ì ωκειωται / so wird auch hier der Logos mit dem Fleische des Menschen, um dessen 5 willen der Logos Fleisch wurde, verbunden. Anmerk. Man sieht, wie sehr dieße Ubersetzung, die allein dem griechischen Text entspricht, von M. Ubersetzung abweicht, und wie diese Stelle in vielen Stücken, besonders am Schluße einen ganz andern Sinn giebt, so daß man gar nicht mehr die alte Stelle zu hören glaubt: ein abermaliges merkwürdiges 10 Beispiel, wie noch heutzu Tage Männer von bedeutenden Namen auf das willkührlichste mit Väterstellen umgehen, und wiewenig allen Ubersetzungen besonders in Controversen Dogmen zu trauen ist. Der Sinn der Stelle ist durch die fast wörtliche Ubersetzung viel klarer geworden. Die ganze Tendenz derselben geht dahin, eine doppelte Euchari- 15 stie, und eine doppelte Wirkung derselben zu unterscheiden: nämlich eine nach der offenen Kirchenlehre, und eine mystische, welche durch die erstere nur symbolisirt ist; und dieße durchgängige Unterscheidung des Exoterischen und Esoterischen Christentums ist den Alexandrinern, besonders dem Clemens ganz eigen. 20 Daher unterscheidet er 658 168 a. Ein doppeltes Blut des Herrn - das exoterische welches nach der Kirchenlehre am Kreutze vergoßen um uns vom Untergange, ewigen Verderben, oder der Verwesung zu erlößen - und das esoterische, Mystische, welches uns die geistige Salbung ertheilt. 25 b. Beide sind auch nach Clemens in der Eucharistie zu unterscheiden. Deßwegen heißt das Blut des Herrn trinken, zunächst nach dem offenen Sinn der Kirchenlehre, und mit Beziehung auf seine Wirkung - »der Unverweßlichkeit des Herrn theilhaftig werden. c. Aber es ist des Logos Kraft der Geist, wie des Fleisches Kraft das Blut: 30 wenn also das Blut des Herrn als die eigentliche Kraft seiner körperlichmenschlichen Natur unserm Körper die Unverweßlichkeit ertheilt, so ist es des Logos Geist, der unserm Geiste die Salbung giebt: der Geist des Logos ist demnach das geistige Blut des Herrn, von dem das leibliche nur ein Symbol ist. 35 d. Diese zweifache Duplicität - Logos u. Geist des Logos; Fleisch und Blut wird nun wieder auf die Eucharistie angewendet, und in dieser überall eine ähnliche ( αναλογωσ ) Verbindung gezeigt: 656 x-x: Zitat an jedem Zeilenbeginn mit Anführungszeichen gekennzeichnet 657 danach gestrichen wahrhaft 658 danach Verdoppelung er gestrichen <?page no="259"?> 227 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) erstens die des Logos mit dem Tranke ( υ ë δωρ muß hier für den eucharistischen 22 169 Trank überhaupt und nicht für bloßes Wasser genom¯ en werden : / - dan¯ die des Geistes mit dem Menschen; die erstere ist im Sinne des Clemens eine physische, und als solche bloßes Symbol der andern rein geistigen. e. Ebenso bestim¯ t er auch die Wirkungen beider: die erste Verbindung ist für 5 sich Gegenstand des Glaubens, und macht überhaupt gläubig: die andere führt zur Unsterblichkeit - alles symbolische u. mysteriöse wird blos vom Glauben erfaßt und geübt in der Gläubigkeit. f. Die erstere Verbindung heißt Eucharistie, u. ihre Wirkung nun deutlicher ausgesprochen ist Heiligung des Geistes und Leibes. 10 g. Die folgenden Worte sind eine bloße Erklärung wie die Eucharistie den Menschen an Leib und Seele heilige: zuerst im Allgemeinen; »indem nämlich diese Veranstaltung des göttlichen Vaters den Menschen mit dem Logos und Geist verbindet, und dadurch το θειον κραμα hervorbringt.« (oder το θειον κραμα könnte sich auch als bloßes appositum auf σωμα και ψυχην und τον 15 ανθρωπον , zwischen denen es steht, beziehen, so daß es den Sinn hätte: den Menschen, dießes θειον κραμα aus Leib und Seele); dan¯ noch deutlicher: 170 »denn wahrhaftig verbindet sich der Geist ganz mit der Seele, deren er sich bemächtigt hat, das Fleisch aber mit dem Logos, der um dieses menschlichen Fleisches willen selbst Fleisch annahm« - 20 h. Hieraus läßt sich nun leicht darthun, was nach dem Clemens in der Eucharistie ist: es ist darinn der Logos und der Trank; und zwar der eingefleischte Logos, d.h. der Geist des Logos und sein Fleisch; dieß sagen die Schlusworte deutlich. Nach Clemens 659 ist also Christus in der Eucharistie durch Impanation, und seine klaren Worte schließen allen Gedanken an Transsub- 25 stantiation aus M. II. p. 388. 660 i. Diese Vorstellungen des Alexandriners von der Eucharistie finden sich auch in den übrigen Stellen. Merkwürdig ist eine in den Auszügen des Theodotus aufbewahrte, wo er das Brod im Abendmal mit dem Oel bei der Confirmation, 30 und mit dem Taufwasser in eine Classe stellt, und dann von allen dreien sagt, daß sie durch die Kraft des Namens eine geistige Wirkung erlangen, und nicht mehr bloß das sein, was sie scheinen. Opp. Clem. pag. 988. Nun aber bleiben Confirmationsöl und Tauf-wasser auch nach der Segnung noch Oel, 171 und Wasser; folglich auch das Brod im Abendmal. - Wen¯ Clemens ferner 35 Pædag. l. II. cap. 2 pag. 185. 186. das mystische Symbol des heil. Blutes, die allegorische Bedeutung des Logos nen¯ t, so ist dieß nach a. b. c. d. h zu 659 davor gestrichen Christus 660 auf dem Rand - L: Diese wie die folgenden Angaben aus Münscher, Bd. 2, 2. Aufl. <?page no="260"?> 228 Johann Sebastian Drey nehmen; und würde der Vater gänzlich misverstanden, wenn man ihn nach dem Sinne der Figuranten deuten wollte. confer. Strom. l. IV. pag. 637. 661 Origenes ist unter allen Vätern dieser Periode derjenige, dessen Vorstellungsart von der Bedeutung der Eucharistie die meisten Schwierigkeiten verursacht. Da der Stellen, wo er davon spricht, zu viele sind, so muß man die, 5 worinn ungefähr gleiche Äußerungen vorkommen, zusam¯ enstellen a. Allererst sagt er an mehreren Stellen, die Eucharistie sei der wahre Leib Christi. Hom. XIII in Exod. nro 3; hom. V in div. loc. Matth. VIII, 8; Contra Cels. l. VIII, cap. 22; M. II. pag. 389. 390 662 10 b. In andern Stellen nen¯ t er das Brod im Abendmal den typischen und Symbolischen Leib des Herrn; und setzt diesem entgegen den Logos selbst, 172 den er zwar Fleisch und die wahre Speise nennt, aber in einem geistigen Sinn. Daselbst sagt er auch, das Brod der Eucharistie erfahre im Magen des Genießenden dieselben Veränderungen wie gemeines Brod: und das zum Brod 15 hinzugekommene Gebet bringe seine geistige Wirkung nur hervor nach Maßgabe des Glaubens, seiner Gemüthstim¯ ung und Vorbereitung. Comm. in Matth. (Tom. XI nro 14.) Opp. Tom. III pag 498 ss; conf. homil. III in Levit. nro 5; in Psalm. VI. nro 6; Aus diesen Stellen folgt bloß, daß Origenes an keine Transsubstantiation 20 geglaubt habe, aber nicht bestimmt wenigstens, daß er die wirkliche Gegenwart des eingefleischten Wortes geläugnet habe; vielmehr scheinen die Schlusworte der Stelle dieß letztere zu widerlegen. Denn seine Ausdrücke: Symbol, Typus pp müßen wie bei Clem. Alex. gedeutet werden. / : Die Meinung Justins: / 25 M. II pag. 391-393 663 c. Wieder an andern Stellen will er das Abendmal in einem ganz geistigen u. mystischen Sinn verstanden wissen; und tadelt gewißermaßen, stellt wenigstens als einfältig die Leute dar, die andere Begriffe vom Abendmal hatten, und ihm physische Wirkungen oder an den Genuß desselben geknüpfte 30 173 heiligmachende Kräfte zuschrieben. Besonders comment. in Matth. Opp. Tom. III. pag. 898 - y Tract. 35 in Matthæum; so auch hom. 9 in Leviticum; hom. 16 in Numer. y664 versteht er die EinsetzungsWorte blos vom Wort und der Lehre Christi, besonders von der Lehre des Erlößungstodtes. Hieher gehören noch homil. VII in Levit. (nro 5) Opp. Tom. II pag. 222 et 225; homil. 32. in Joh. nro 16 35 661 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 388. 662 Angaben zu Münscher am Rand 663 Angaben zu Münscher am Rand 664 y-y: zu Tom. III. am Rand ergänzt; darunter: * kapharnaiten Sin¯ (Referenz des Asteriskus nicht angegeben) <?page no="261"?> 229 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) (opp. Tom. IV pag. 444, welche Stelle aber ohne Grund gegen die Transsubstantiationslehre gebraucht worden; 665 Prol. in Cant. pag. 28, welche Stelle aber nichts für die bloß symbolische Bedeutung der Eucharistie beweißt. Anmerk. Nach allem dem ist es erstens zu rasch geschlossen, wen¯ man mit M. behauptet, Origenes habe das Abendmal für eine bloß symbolische Handlung 5 im Sinne der Calvinisten gehalten; conf. a et b; 666 - aber ebenso gezwungen sind die Auslegungen, welche die ganze spätere Ansicht vom Abendmal schon bei demselben finden wollen. Auffallend bleibt aber im¯ er die große Hochachtung des Origenes selbst gegen die Symbole des Abendmals; welche Ehrfurcht er auch dem Volke empfiehlt, und bis zu der ängstlichen Warnung ausdehnt »ja 10 174 nichts von dem Leibe des Herrn auf die Erde fallen zu lassen.« - Hom. XIII in Exod. Opp. Tom. II. p. 176. 667 - - Dieß sollte, wie ich glaube, für einen Beweiß der wirklichen Gegenwart gelten. - Er erklärt sich überall nur gegen den fleischlichen Sinn; und die physischen Wirkungen der Eucharistie Tertullian hat gleichfalls mehrere Stellen, die nicht alle die gleiche Ansicht von 15 der Eucharistie zu enthalten scheinen. M. pag. 393-396 668 a. Die Stelle contra Marc. l. IV. cap. 40 ist von den Figuranten für einen Beweiß gebraucht worden, daß T. das Abendmal für eine blos symbolische Handlung gehalten habe: allein mit Ungrund. Zwar nennt T. das Brod eine 20 Figur des Leibes Christi, und folgert daraus, daß Christus einen wahren, keinen bloßen Scheinleib gehabt habe. Allein man sieht deutlich, daß er das Brod die Figur des Leibes Jesu nennt nicht in Beziehung auf das Abendmal, oder eine Figur des eucharistischen Leibes, sondern eine Figur des Leibes, der da gekreuzigt werden sollte: das Brechen und Hingeben des Brodes sollte 25 nämlich den Todt und die versöhnende Hingabe seines Leibes bezeichnen. Selbst in Beziehung auf den eucharistischen Leib konnte Tert. wie andere Väter der ersten Zeit das Brod eine Figur, das heißt ein sichtbares Bild des 175 unsichtbar aber dennoch wahrhaft gegenwärtigen Leibes nennen; der Transsubstantiationslehre allein wären alsdann solche Stellen ungünstig. - Dieß 30 erhellt noch deutlicher, wo er vom Blute spricht, dessen Vergießung am Kreutze Chr. jetzt durch das Leeren des Kelches andeuten wollte, wie er / nach der symbolisirenden Auslegung Tertullians / schon ehemals durch den Propheten Esaj. LXIII, 1 ss. den Wein und die weinrothen Kleider des Keltertreters als Vorbild seines künftigen Leidens aufgestellt hatte. - Da diese 35 Stelle nicht die Absicht hat, etwas über die Eucharistie auszusagen: so darf auch hier die Meinung T. nicht gesucht werden; wie man auch seine sonder- 665 schließende Klammer fehlt 666 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 392. 667 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 393. 668 Angaben zu Münscher am Rand (Bd. 2, 2. Aufl., bes. S. 395). <?page no="262"?> 230 Johann Sebastian Drey bare Wortstellung: ita et nunc sanguinem in vino consecravit, qui tunc vinum in sanguine figuravit - deuten mag. - Verglichen hiemit müssen werden Contra Marc. l. I. cap. 14; l. III. cap. 19; De resurr. carn. c. 37; de orat. cap. 6. 669 b. An andern Stellen spricht er deutlicher von der wirklichen Gegenwart Christi in der Eucharistie l. de idolol. cap ; de resurr. carnis cap. 6 et 8, wo er dem 5 Abendmal eine Wirkung auf den Leib des Menschen zuschreibt, die nur 176 unter der Voraussetzung des wahren Leibes Christi stattfinden kann. - Auch die große Hochachtung, die er wie Origenes auch auf die äußere Sorgfalt ausdehnt, ist ein Beweiß davon. De coron. mil. cap. 3; conf. de præscript. hæret. cap. 41; contra Marc. l. V. cap. 1. 10 c. Von einer Transsubstantiation findet sich nichts bei Tertull. M. pag 397-400 670 Cyprianus hat weitläufig über die äußern Symbole der Eucharistie gehandelt in dem Briefe an den Cæcilius, der Ordnung nach dem 63ten. Die Hauptabsicht des Briefes ist nicht eigentlich den Inhalt der Eucharistie aufzudecken, 15 sondern die alte Gewohnheit, Wein neben dem Wasser im Kelche zu haben, gegen eine Neuerung der sogenannten - Hydroparastaten, Aquarier - zu vertheidigen. Die Nothwendigkeit des Weins folgert er aus der Bedeutung der Symbole zuerst. M. pag. 397 - wo offenbar die einzelnen an sich zweideutigen Worte so erklärt werden müßen, wie es der Absicht des Schriftstellers ange- 20 messen ist. Wäre nun die ganze Eucharistie nichts als Symbol, so wäre seine 23 177 ganze Behauptung eitel, und nichtig: denn warum sollte man beim bloßen Wasser nicht auch das Blut Christi denken können? Ferner erhellt der Hauptsatz des Carthag. Bischoffs ganz deutlich, der kein anderer ist, als: »es muß scheinen, daß das Blut des Herrn im Kelche sey 671 ; nun aber kan¯ dieß nicht 25 scheinen p, also - - Daraus läßt sich nun das Argument bilden: nach Cyprian soll das Blut des Herrn scheinen im Kelche zu sein, es soll den Gläubigen durch irgend ein Symbol sinnlich gemacht, gezeigt werden: also muß es nach der Vorstellung dieses Kirchenvaters wirklich im Kelche sein. Den¯ ist es nicht im Kelche, wozu soll es den¯ gezeigt werden, warum soll es darinn zu sein 30 scheinen? Wäre der Schein nicht ein leerer, ein Betrug? - Ist es aber darinn, so muß weil es unsichtbarer Weise darin¯ ist, sein unsichtbares Dasein durch ein sichtbares Symbol anschaulich, scheinbar, ostensibel gemacht werden; und zwar durch ein bezeichnendes Symbol, nämlich den / rothen/ Wein, den auch Cyprian wie Tertullian für ein schon im A. T. aufgestelltes Symbol des Blutes 35 Christi hält. Die Ausdrücke videri, ostendi, intelligi, exprimi bedeuten daher bei 178 Cyprian eine sinnliche sichtbare Darstellung des unsichtbar gegenwärtigen Blutes durch ein prägnantes Symbol. 669 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 395. 670 Angaben zu Münscher am Rand (Bd. 2, 2. Aufl.). 671 über der Zeile, darunter gestrichen: ist − Zitatende nicht gekennzeichnet <?page no="263"?> 231 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) Noch deutlicher spricht sich der Glaube Cyprians an eine wirkliche Gegenwart Christi in der Eucharistie durch den zweiten Theil seiner Beweißführung, wo er die Nothwendigkeit des Weins aus der beabsichtigten Wirkung des Abendmals deducirt. Dieße Wirkung soll sein die Verbindung der Menschen mit Christus; diese Verbindung wird bewirkt nicht durch die Mischung 5 von Wasser und Wein, sondern durch den wirklichen Genuß des Leibes Christi; dieser Genus und seine Wirkung, die Vereinigung der Gläubigen mit Christus ist das geistige und him¯ lische Sacrament. Angedeutet nur und in sinnlichen Symbolen erkan¯ t wird es durch die Mischung von Wasser und Wein; weil nun die Andeutung vollständig sein soll wie das Sacrament, so 10 müßen beide symbolische Elemente vorhanden sein. - So zeigt er es auch vom Brode. b. Andere Gründe - für den Glauben Cyprians an eine wirkliche Gegenwart Christi im Abendmal - geben die erhabenen Ausdrücke, in welchen er die Wirkungen desselben schildert. epist. ad Cæcil. pag. 153 - die große Hochach- 15 179 tung, die er gegen dasselbe empfielt, - die Wunder, die er erzält de laps. pag. 132. cf. epist. 61 ad Magnum. * M. pag 403. nota 672 Macarius 673 Magnes ist der Verfasser eines Fragments über die Eucharistie, worinn die Worte vorkommen: Æ Ου γαρ τυποσ σωματοσ και 20 τυποσ αι ë ματοσ, ω ë σ τινεσ ερραψωδησαν πεπηρωμενοι, αλλα κατ ’ αληθειαν αι ë μα και σωμα χριστου . - Allein es ist ungewiß, ob der Verfasser schon im dritten oder vierten Jahrhundert gelebt habe. * Faßen wir nun alles zusam¯ en, was sich aus den bisher angeführten Väterstellen 25 ergiebt über die Bedeutung der Eucharistie, so findet sich mit Ausnahme des Origenes die einstim¯ ige Uberzeugung von einer wirklichen Gegenwart Christi in derselben. Wie Christus hier sei oder darein komme, hierüber findet sich nicht eine einzige bestimmte Äußerung, doch scheinen die meisten Väter der Vorstellung zugethan gewesen zu sein, daß Brod und Wein als die Symbole 30 seines Fleisches und Blutes bleiben: dieß läßt sich weniger bestimmt aus den 180 Worten Justins, mit mehr Gewisheit aus Irenäus, Clem. Alexandr., Tertullian, und Cyprian folgern. - Die Transsubstantiationslehre war also in dieser Periode noch ganz unbekan¯ t. C. In den spätern Zeiten, als man über das Geheimnis der Eucharistie eine 35 Menge spitzfindiger Fragen aufzuwerfen anfieng, wurde auch die für sehr wichtig gehalten: was für ein Leib Christi in dem Abendmal sei? / Qualitas corporis Christi / die Begriffe über die Qualität des Leibes Christi, worüber im Mittelalter gestritten wurde, sind den Vätern dieser Zeit, wie natürlich unbe- 672 Angaben zu Münscher am Rand (Bd. 2, 2. Aufl.). 673 danach gestrichen: oder <?page no="264"?> 232 Johann Sebastian Drey kan¯ t. Unbefangen beziehen sie die Eucharistie entweder auf die Fleischwerdung des Logos, oder auf seinen Todt, und sie wissen von keinem andern Leibe als dem, der aus Maria geboren ward, und am Kreutze starb. Man vergleiche hierüber die oben citirten Stellen des Justinus Irenæus; Clem. Alex; Tertullian. 5 (§ 51) 674 181 2. Wirkungen der Eucharistie. 1. Darüber finden sich bei den Vätern dieser Periode schon bestimmte, wiewohl nicht ganz einstimmige Äußerungen. Und gerade diese deutlich bezeichneten Wirkungen machen es möglich einen Schluß auf ihre Vorstellungen von 10 der Bedeutung des Abendmals zu ziehen, worüber sie sich weniger deutlich ausdrücken. a. Merkwürdig ist es, daß die meisten Väter dieser Zeit der Eucharistie eine vorzügliche Wirkung auf unsern Körper zuschreiben, ja mehrere scheinen nur diese physische Wirkung allein zu kennen. Und nicht nur in dieser Periode 15 entstand und bildete sich diese Vorstellung aus, sie verbreitete und erhielt sich, wie wir hören werden, auch noch in der folgenden bis gegen das 8 te Jahrhundert hin. Diese physische Wirkung der Eucharistie besteht darin¯ , daß sie durch die Verbindung und eigentliche Verwandlung des Fleisches Christi in das unsrige unserm Leibe eine Art von Unzerstöhrbarkeit, u. 20 Unsterblichkeit / αϕθαρσια / und das Vermögen wieder aufzustehen vom Todte mittheilt, welche Eigenschaften der Leib Christi für sich selbst gehabt hat. Diese Vorstellung hatte 675 Ignat. epist. ad ephes. c. 20; darauf deutet Justin Apol. 182 Maj. pag. 83; aufs allerbestim¯ teste und als einen seiner Hauptsätze gegen die Gnostiker spricht sie Irenæus aus l. IV cap. 18, § 5; l. V cap. 2. § 2 et 3; Clemens 25 Al. hat sie Pædag. l. II, cap. 2; und Tertullianus de resurr. carnis cap. 8. Um zu begreifen, wie die Väter dieser Zeit zu einer solchen Vorstellung gelangten, darf man sich nur erinnern, daß sie die Abendmalslehre im Zusammenhang mit den andern wichtigeren Lehren des Xtums und mit ihren eigenen Ansichten darüber ausbildeten; und anders kann sich ein Lehrbegriff 30 nicht einmal ausbilden. - - Nun war die Lehre Christi 676 von der Auferstehung eine den Heiden ganz fremde, den Juden aber eine blos im beschränkten 677 Prospect auf das Messianische Reich bekannte Idee: ja nicht einmal die Seele wurde von Justinus, Tatianus, Theophilus u. a. für natürlich unsterblich 674 spätere Paragraphenangabe 675 unterstrichen, darunter: findet sich bei 676 über der Zeile ergänzt 677 Einweisung <?page no="265"?> 233 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) gehalten, wie oben § gezeigt worden ist. Sollte also nicht nur die Seele durch Christus Unsterblichkeit erhalten, sondern sogar der Leib der Wiedererstehung fähig werden, so konnte dieß nur durch eine Art von Nahrung und Speiße geschehen, 678 deren Genus unsterblich macht die Seele wie den Leib, wie auch nach der alten Tradition der Genuß einer Speiße den menschlichen 5 183 Leib sterblich gemacht hatte. Eine 679 gewöhnliche Speiße konnte dieß nicht, es mußte eine heilige göttliche sein; und eine solche war nur das Abendmal, dafür erklärte sie schon der Apostel Paulus I Cor. X: Dafür galt sie vermöge ihrer ursprünglichen Anordnung, dafür wurde sie von den ersten u. aeltesten Lehrern des Xtums gehalten. z Der beste biblische Beweiß für diese Ansicht 10 von der Eucharistie läßt sich vielleicht aus den Worten Christi bey Joh. VI p. tot. führen; wo allerdings das als künftiges Geschenk dargestellt wird, was Christus 680 nachher wirklich ausgeführt hat. - z681 - In Verbindung mit der Auferstehungslehre stand auch die Lehre von der Natur des Menschen und dem Sündenfalle, über welche beide letztern die Ansichten der alten Väter 15 Ideen enthielten, die sich leicht mit der Eucharistie verbinden ließen. - Was endlich dem Glauben an eine körperliche Wirkung der Eucharistie den meisten Vorschub gab, war der Umstand, daß sich frühzeitig die Erwartung eines sinnlichen tausendjährigen Reiches Christi auf Erden unter einem großen Theil der 682 Christen ausbildete, denen also die Auferstehung und Wieder- 20 herstellung des sterblichen Körpers besonders wichtig sein mußte, und daher seine Wiederherstellung auf die bestmögliche Art darzuthun bemüht waren. Insofern nun diese Vorstellung über die Wirkungen der Eucharistie in der Kirche längere Zeit fast allgemein herrschend gewesen, sie aber schlecht-erdings die wirkliche Gegenwart, eigentlicher den wirklichen Genuß des Leibes 25 184 Christi voraussetzt, ohne welchen sie nicht gedenkbar ist, insofern 683 giebt diese bestim¯ t und vielfach ausgesprochene Vorstellung einen überzeugenden Beweiß von dem frühern Glauben der ersten Kirche an die wirkliche Gegenwart Christi in der Eucharistie b. Verwandt mit dieser - eigentlich physischen - Wirkung der Eucharistie, 30 war die zweite von geistiger Art, die auch jetzt schon von mehrern Väter deutlich angegeben wird, aber erst in spätern Zeiten für die eigentliche, und noch später für die einzige gehalten wurde - Es ist die Verbindung des Geistes Jesu mit unserm Geiste nebst den anderweitigen Folgen, die man sich bei dieser Vereinigung dachte. Clemens Alex. ist der erste, der in seiner oben 35 angeführten Stelle die geistige Wirkung der Eucharistie von der physischen 678 danach gestrichen: die unst 679 korrigiert aus Keine 680 Vorlage: Chrus 681 z-z: Einweisung 682 danach gestrichen Erde aus 683 davor gestrichen so <?page no="266"?> 234 Johann Sebastian Drey unterscheidet. Der Grund der Unterscheidung liegt in der doppelten Natur des fleischgewordenen Logos, der aus Geist und Fleisch besteht. Daß ein geistvoller gebildeter Man¯ wie Clemens auch die geistige Wirkung erwähnt, ist begreiflich. - Noch mehr begreiflich, daß der Idealist und Symbolisirer 24 185 Origenes nur geistige Wirkungen der Eucharistie kennt. - Am ausführlichs- 5 ten spricht von den Wirkungen der Eucharistie Cyprianus, aber er erkennt keine andere als geistige. - So ist ihm eine der ersten, eigentlich die Hauptwirkung - die Verbindung der Gläubigen mit Christus epist. 62. ad Cæcil. pag. 153. 154; christliche Weisheit, Freude des Herzens, Erneuerung des Geistes u.s.w. - das ewige Leben. orat. domin; Standhaftigkeit im Martertum. epist. 55. 10 (§. 52) 684 3. Eucharistie als Opfer - Messe Es ist zu verwundern, wie die Reformatoren der Eucharistie die Bedeutung und Wirkung eines Opfers absprechen konnten, da sich doch diese Lehre allgemein bei den ersten Vätern ................................................................... schon findet. Alle erkennen die Eucharistie 15 für ein Opfer, das seinen Werth und seine Wirkung für sich hat, wenn sie auch den Zweck des Opfers nicht alle auf gleiche Art bestimmen. M. I pag. 369-372 685 Justin nennt die Eucharistie das einzige jetzt noch giltige, Gott angenehme Opfer, - das von der ganzen Christenheit durch ihre Priester, und für sie 20 186 dargebracht wird - Dial. cum Tryph. pag. 209. 210. - - Der Zweck dießes Opfers ist Danksagung für Gottes Gaben, - für die Schöpfung, - und für die Erlößung durch das Leiden Jesu ibid. und pag. 137 686 Justin sagt freilich nur daß wir uns dabei an das Leiden Jesu erinnern, und für die Versöhnung danken: aber er betrachtete doch ebendarum die Eucharistie auch als Ver- 25 söhnungsopfer. M. I pag. 372-378 687 Irenæus stellt die Eucharistie als Dankopfer - der ganzen Kirche - für seine Gaben und Werke dar, welches Opfer Gott zwar nicht bedarf, aber des Menschen aufrichtiges Gemüth ausdrückt, welches seinen in¯ ern Werth hat 30 von dem Logos, durch den es 688 seinen äußern von der Kirche, von der es dargebracht wird. Die Idee eines Sühnopfers findet sich bei ihm nicht; aber man muß sich erinnern, daß Irenäus gegen die Gnostiker schreibt, welche die irdischen Dinge, also die Gaben Gottes nicht für das Werk des wahren Gottes hielten. Ihm war es also bei der Eucharistie blos darum zu thun, sie als ein 35 684 spätere Paragraphenangabe 685 Angaben zu Münscher, Bd. 2 (! ), 2. Aufl., am Rand. 686 L: ebd. 370. 687 Angaben zu Münscher, Bd. 2 (! ), 2. Aufl., am Rand. 688 danach gestrichen darge <?page no="267"?> 235 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) Dankopfer für die irdischen Güter darzustellen, um daraus den Irrtum jener Secte zu widerlegen. l. IV. adv. hæres. cap. 17. 18 Tertullianus spricht öfters von den Opfern, die die Christen bringen z.B. exhort. 187 castit. cap. 11; - von Oblationen für Verstorbene: oblationes pro defunctis annua die facimus. De corona cap. 3 - aber die Eucharistie selbst nen¯ t er nirgends ein 5 Opfer; vielmehr die Gebete und Danksagungen. l. IV contra Marc. cap. 1. - - Allein Tertullian versteht in der That unter jenen Oblationen und Gebeten nichts anders als die bei der Consecration üblichen Gebete, Aufopferungs und Weisungsformel; also in der That doch die Eucharistie selbst. Den¯ das war der 689 Sprachgebrauch der ersten Jahrhunderte: constit. Apost. L. 8. 10 a NB. de orat. cap. 13. accepto corpore et sanguine domini et reservato utrumque salvum est, et participatio sacrificii et executio officii. Dumm! was heißt denn: accepto corpore et sanguine ? a690 Cyprianus hat zuerst die Eucharistie als Opfer nach der noch herrschenden Ansicht dargestellt. epist. 63 pag. 155. Auch daß der Verstorbenen in dem 15 Opfer gedacht wurde, erwähnt er an mehrern Orten z.B. epist. 1 pag. 3; epist. 12. pag. 28; epist. 39 pag. 77; epist. 58. 60. 63. 66. 76. 77; de Orat. Dom. De unit. ecclesiæ. * M. verdrehet offenbar und auffallend die Worte Cyprians; so wie er das Emporkommen der Messe ganz fälschlich der Erinnerung an die Verstorbe- 20 nen zuschreibt. - Vielmehr lag die Ausbildung der Messe zu einem vom übrigen Gottesdienst ganz abgesonderten Opfer in ganz andern Ursachen, 188 worüber man Aufschlus findet bei Euseb. histor. eccl. libr. VII; Chrysost. homil. 3 in Anom.; Cyrillus cat. Mystagog. nro. 5; August. de civ. Dei l. XXII; conc. carthag. III (anno 397) apud Harduin. tom. III; Act. conv. Attin. ibidem; - Act. Ord. S. 25 Bened. apud Mabill. T. 1; - Bona rerum liturgic. Libr. I cap. 18. b Gregor. Nyssen. Orat. 1. In Pasch. Chrysost. hom. 24 in I ad Cor. Ambros. in Luc. I. Hieron. ep. 146. ad Damas. August. 691 epist. 23 ad Bonif. b692 * * Weitläufige Sammlungen von Väterstellen über die Eucharistie als Opfer findet man bei Bellarm. de Sacr. Euchar. cap. 7. 693 30 * * * Ich habe die erste Entwickelung der dogmatischen Vorstellungen von der Eucharistie so ausführlich dargestellt, theils um selbst eine klare Übersicht über diese Materie / dunkle/ zu bekommen, theils wegen der Wichtigkeit der Sache, theils wegen der Verdrehungen und frivolen Willkühr protestantischer Theologen. Im Vortrage kan¯ manches abgekürzt werden. 35 689 das überschrieben mit der 690 a-a: Notabene am Rand neben den Ausführungen zu Tertulian 691 danach gestrichen: de civ. D. 692 b-b: Ergänzungen am Rand 693 L: Bellarmin, De sacramento Eucharistiae, in: Disputationes de controversiis Christianae fidei. <?page no="268"?> 236 Johann Sebastian Drey § 32 (§. 53) 694 Lehre von den übrigen Sacramenten 189 I. Buße. (1) a. Nothwendigkeit der Vergebung der Sünden, die von Gläubigen nach der Taufe begangen worden 1) Wen¯ von Vergebung der Sünden in Absicht auf die Buße die Rede ist, so 5 können nicht die Sünden gemeint sein, die vor der Taufe und vor dem Eintritt ins Christentum begangen worden; denn von dieser Sündenvergebung, und ihren Bedingungen wird später unter dem Titel »von der Rechtfertigung als Sünden gehandelt werden / m. s. M. II § 204. 205-208 / 695 Sondern es werden die Sünden gemeint, die der Christ nach der Taufe begeht. 10 2) Daß der Christ, der nach der Taufe wieder sündigt, einer neuen Vergebung dieser Sünden bedürfe, war natürlich schon allgemeine Lehre der Väter dieser Zeit. Sie setzen diese Nothwendigkeit überall voraus, wo sie von der Nothwendigkeit der Buße als des einzigen Mittels jene Sündenvergebung zu erlangen, sprechen; wie nachher erhellen wird. 15 (2) b. Möglichkeit, Vergebung der nach der Taufe begangenen Sünden zu 190 erlangen 1. Auch diese setzen die Lehrer dieser Zeit allgemein voraus, wie aus den unten bei der Buße selbst vorkommenden Stellen erhellen wird. Indem sie alle 696 Sünder auffordern, durch die Buße Vergebung ihrer Sünden zu suchen, 20 müßen sie wohl diese für möglich halten. 2. Diese Möglichkeit dehnen sie auf alle Arten von Sünden aus, so daß sie keine für unerläßlich halten. Dies erhellt α überhaupt daraus, daß wenn sie von der Vergebung der Sünden reden, sie keine Ausnahme machen. 25 β . Aus den ausdrücklichen Versicherungen mehrerer sehr alter Väter z.B. Tertullianus de Poenit. cap. 4; Cyprian. epist. 54 γ . Aus der frühen Verwerfung der entgegengesetzten Meinung der Montanisten und Novatianer. Beide Partheien behaupteten, daß die Kirche nur diejenigen Sünder zur Kirchenbuße u. Vergebung der Sünden zulassen könne, 30 welche geringere und minder auf-fallende Vergehen begangen, hingegen für 191 Idololatrie, Mord, Ehebruch u.s.w. keine Begnadigung stattfinden dürfe. c Tertull. de Pudic. cap. 2 et 16. c697 - Zwar bleibt es zweifelhaft, ob beide Partheien solche schwere Verbrechen überhaupt für unerläßlich hielten, oder 694 in Klammern spätere Paragraphenangabe 695 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 261-273. 696 im Original verdoppelt 697 c-c: Einweisung <?page no="269"?> 237 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) nur behaupten wollten, die Kirche könne ihnen keine Begnadigung angedeihen lassen, wenn gleich bei Gott eine Vergebung derselben möglich sei: ja von Seite der Novatianer ist es fast gewiß, daß sie bloß das Letztere behaupten wollten. Allein die Orthodoxe K. 698 nahm auf diese Unterscheidung keine Rücksicht, sondern verwarf vielmehr diesen strengen Lehrbegriff in der dop- 5 pelten Beziehung als schädlichen Irrtum. Gegen die Novatianer schrieb Cypr. de lapsis d Jagerhueb. pag. 269 d699 ; und ihre Lehre wurde auf den Concilien zu Karthago im J. 252; zu Rom 255; in Kappadokien unter Firmilian verworfen / S. Ketzergeschichte/ Euseb hist. Eccl. L. V. c. Diese Möglichkeit gründen die Väter auf die von Christus der Kirche 10 verliehene Gewalt, in seinem Namen Vergebung der Sünden zu verkünden und auszusprechen. 1. Zwar finden sich bei den Vätern dieser Zeit wenige, und nicht so bestimmte Erklärungen von der Gewalt der Kirche; ja es scheint nach diesen, daß sie die 192 eigentliche Vergebung der Sünden Gott zuschrieben, ohne hiebei der Kirche 15 einigen Antheil zu gestatten. So sprechen selbst orthodoxe Lehrer, z.B. Cyprian de laps. cap. 700 2. Indessen gleichwie die Kirche seit der Mitte des zweiten Jahrhunderts größere besonders offenkundige Vergehungen - und nur von solchen ist bei den ersten Vätern überall die Rede - mit der Ausschließung aus der Kir- 20 chengemeinschaft bestrafte, so verbanden sie ebendarum auch die Wiederaufnahme in ihre Gesellschaft mit der Lossprechung von Sünden: d.h. die Kirche glaubte nicht irgend einen Sünder wieder aufnehmen zu können, dem seine Sünden nicht vergeben sein; indem sie also wieder ihn 701 aufnahm, war die Aufnahme selbst eine Erklärung, daß ihm seine Sünden vergeben seien. Die 25 Vergebung ertheilte Gott, die Aufnahme in die Gemeinschaft die Kirche. So floßen Sündenvergebung und Kirchengewalt in einander; und die Kirche glaubte um so mehr einen Antheil an der Sündenvergebung zu haben, als sie ihr Bußinstitut für eine göttliche Anordnung, wenigstens für eine apostolische Tradition hielt. e Ob auch für ein Sacrament? Ist nicht erweißlich - e702 30 Daher wen¯ sie auch gleich Vergebung der Sünden verhieß, machte sie doch 25. 193 die Beobachtung des Bußinstituts zur nothwendigen Bedingung derselben. Cyprian. de laps. cap. Tertullian de Poenit. cap. 703 3. Hiebei konnte man frühzeitig auf zween Abwege gerathen: indem 704 man einseitig auf die bloße Vergebung der Sünden, die Gott ertheilt - oder auf die 35 698 über der Zeile 699 d-d: Einweisung 700 Kapitelangabe fehlt 701 auf dem Rand 702 e-e: Einweisung 703 Kapitelangaben fehlen 704 korrigiert aus ent <?page no="270"?> 238 Johann Sebastian Drey kirchliche Aussöhnung sahe. Da wir von der erstern in einzelnen Fällen nie gewiß versichert sein können, so 705 konnte man schließen: also soll auch die Kirche keinen schweren Sünder mehr aufnehmen; weil sie ihm eine Sündenvergebung damit ankündet, die er vielleicht von Gott noch nicht erhalten hat. Auf diesem Wege kamen Montanus und Novatius 706 zu ihren strengen Grund- 5 sätzen. - Auf der andern Seite kon¯ te die Kirche bei großer Strenge einem die Gemeinschaft versagen, dem Gott seine Sünden schon vergeben hat: also - konnte man folgern - soll die Kirche jeden Sünder, der Zeichen der Buße giebt, wieder aufnehmen. Auf diesem Wege bildete sich in einzelnen Kirchen die übergroße Milde, gegen welche Tertullian - und selbst orthodoxe Schrift- 10 steller wie Cyprian, und noch später mehrere andere eiferten. Anfangs gieng man die Mittelstraße; allmälig aber wurden die Grundsätze milder, nicht eben 194 zum Besten der Kirche. M. II pag. 269-283 707 (3) d. Dabei werden aber von Seite des Sünders mehrere Bedingungen er- 15 fordert, unter denen allein er die Vergebung seiner Sünden erhalten kann. - Dieße Bedingungen begreiffen sie allgemein unter dem Namen Buße, - und von ihr sprechen Herm. Past. Simil. 7. pag. 110; Clem. Alex. Strom. l. II cap. 6 pag. 443 ss; l. IV. pag. 580; quis dives Salv. pag. 937 - Origenes homil. IV in Jes. Nave; hom. XI in Lev; contra Cels. l. III § 69; Tertullian. de Poenit; 708 Cypr. de 20 lapsis; Lactant. Instit. div. L. VI, cap. 24. 709 - Unter diesen Bedingungen ist die erste α Schmerz, Reue, Traurigkeit über die begangenen Sünden, und zwar je größer diese ist, desto schneller und leichter erhält er die Vergebung seiner Sünden. Herm. Past. loc. cit.; - Clemens Alex. Stromat. L. IV pag 580 710 , der 25 auch schon zweier Classen von Büßenden Meldung thut, der zahlreichen die durch Furcht, und der edlern, die durch innere Scham getrieben wird. - Origenes hom. IV in Jes. Nave; - Tertull. de Poenit. cap. 4 et 6; Cyprianus 711 de laps. pag. 137; epist. 31 pag. 64; Lact. Inst. div. l. cit. 712 β Außer dem Busschmerz verlangen sie auch den Bußgeist, die Μετανοια . 30 195 Clemens Alex. Stromat. l. II cap. 6 pag 443. 458-460; Lact. Inst. div. loc. cit. 713 γ Außer diesen beiden Bedingungen reden sie fast allgemein noch von einer dritten Bedingung - nämlich von allerlei Züchtigungen, wobei es einige 705 davor gestrichen also 706 sic! - danach auf überschrieben mit zu 707 Angaben zu Münscher am Rand (Bd. 2, 2. Aufl.). 708 danach Streichung einer Angabe zu Tertullian; unleserlich 709 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 269-273. 710 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 270. 711 Vorlage: cyprianus 712 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 270-273. 713 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 270. 273. <?page no="271"?> 239 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) unentschieden lassen, ob sie darunter die Züchtigung durch die Kirchenstrafen, oder selbstgewählte Peinigungen verstehen. Von Züchtigungen überhaupt reden Herm. Past. Simil. 7; von Selbstpeinigungen Tertullian de Poenit. cap. 9; Origenes homil. II in Levit; Cypr. de laps. pag. 137 ss. 714 δ . Es findet sich schon bei den Vätern dieser Zeit, indem sie dieser und noch 5 einiger anderer Bedingung der SündenVergebung erwähnen, der Ausdruck von einer Satisfaction, die dadurch geleistet werde: Cypr. de laps. pag. 135. 137; Tertull. de Poenit. cap. 5 et 6; - Lactant. Instit. div. l. VI cap. 24. 715 - Der Sinn des Wortes ist aber nicht, wie der Zusammenhang giebt, als wenn dadurch Gott ein Ersatz oder eine Vergütung geschehe für die Sünden - auch nicht ganz 10 der, welchen man in den spätern Zeiten mit der Satisfaction verbunden hat, - sondern sie wollen damit nur erklären, es werde durch jene Bedingungen 196 geleistet, was Gott geleistet haben will, um Sündenvergebung zu erlangen. Die Buße überhaupt und im Ganzen ist Satisfaction ε . Auch von einem Beken¯ tnisse, das den Priestern abgelegt werden soll, 15 sprechen einige Väter dieser Zeit. Tertull. de Poenit. cap. 3 et 4; Origen. homil. II in Psalm. 37; homil. II in Levit; f Hom. III in Lev. - XVII in Luc. f716 Cyprian Serm. de laps. g Lactant. Inst. div. VII. cap. 17 et 30. g717 - Jedoch sprechen sie davon als von einer Gewohnheit, ohne sich bestim¯ t über die Nothwendigkeit desselben zu erklären. Soviel erhellt aber aus dem ganzen Zusam¯ enhang, daß sie von 20 diesem Beken¯ tnis in Beziehung auf die öffentliche Kirchenbuße reden. Wer durch sie Vergebung der Sünden suchte, mußte allerdings den Priestern ein Beken¯ tnis seiner Sünden ablegen. Insofern man aber die Kirchenbuße selbst für annoch geheime wen¯ gleich schwere Sünden nur rieth, ohne sie für absolut nothwendig zu halten 718 - und insofern man außer der Kirchenbuße auch 25 noch andere Mittel der Sündenvergebung kan¯ te, wie gezeigt werden wird: darf man wohl behaupten, daß man in jenen ersten Zeiten ein Beken¯ tnis seiner Sünden nicht für absolut nothwendig zur Sündenvergebung gehalten habe. conf. Web. III pag 304-309 719 h Man hielt das Beken¯ tnis zusam¯ t der Buße für nothwendig aus verschiedenen Gründen nur nicht aus dem, wie jetzt h720 30 ζ . Dieß Alles zusammen dachte man sich schon am Anfang unter der Buße, 197 die also ungefähr die nämlichen Bedingungen einschloß, die nach dem gegenwärtigen Lehrbegriff damit verbunden werden. Nur ist ein mehrfacher Unterschied zwischen dem alten und spätern Lehrbegriff. - Erstens war die alte Buße mit allen ihren Theilen eine öffentliche / : Reue, Sündenbekenntnis, 35 714 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 269-272. 715 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 272f. 716 f-f: Einweisung 717 g-g: Einweisung 718 korrigiert aus erhalten 719 L: Weber, Philosophie, 3. Bd. 720 h-h: Einweisung <?page no="272"?> 240 Johann Sebastian Drey Büßungen, Lossprechung alles war in dem Charakter der Oeffentlichkeit organisirt : / die spätere eine geheime: zweitens zog man in der alten Zeit nicht soviele Sünden vor die Buße, als in der spätern: nur größere, bekan¯ te oder wenigstens solche, die nicht wohl lange unbekan¯ t bleiben konnten: - Drittens so sehr auch die Alten die Buße empfalen, u. ihre Wirkungen hervorhoben, so 5 ward sie doch nicht in dem Sinne für nothwendig gehalten, in welchem sie jetzt für nothwendig gehalten wird, nämlich necessitate præcepti, wie die Scholastiker sagen: man empfahl außer der Buße, und empfal 721 zum Theil mehr als sie noch andere Mittel der Sündenvergebung; wie gleich erhellen wird - Ein vierter Unterschied bestand darin¯ , daß man - 10 η . Die Sündenvergebung durch die Buße nur einmal, und nicht öfter möglich hielt. - So sehr die Kirche sich der Strenge der Montanisten und Novatia-ner 198 widersetzte, die gewiße Verbrechen geradezu von der Kirchenbuße ausschloßen, so beharrte sie anderntheils ebensofest auf dem Grundsatz, daß durch die Buße nur einmal Vergebung der Sünden gefunden werden könne. 15 Dieß versichern Hermas Past. Mand. IV; Clemens Alex. Strom. l. II cap. 6; und quis dives Salv. pag. 937; Origenes in Lev. hom. XI Cyp. Tom. II pag. 262; Tertull. de Poenit. cap. 7; 722 i Auch hierin¯ änderten sich später die Grundsätze i723 Anmerk. Die äußere Form der Kirchenbuße, die verschiedenen Strafen, die Eintheilung und Grade der Pönitenten pp gehört in die Kirchengeschichte: 20 conf. Socrates hist. Eccl. L. IV; Epist. Canon. Gregor. Neocaesar. Anmerk. 2. In dem dritten Jahrhundert kam ein Surrogat der Buße auf, wodurch sie entweder ganz oder wenigstens zum Theil erlassen wurde. Dieß war die für verdienstlich und übertragbar gehaltene Fürsprache der Märtyrer, welche schriftlich aufgesetzt ward, und nach Gutbefinden des Bischofs einen 25 Erlaß der Kirchenbuße 724 bewirkte: besonders nach der harten Verfolgung unter Decius 725 fanden mehrere derlei Erläße statt. Mit hohem Ernst widersetzte sich Cyprianus dieser neuen Erfindung als einem höchst schädlichen 199 Misbrauche; aber sie behauptete sich dennoch, und legte den Grund zu den später so berufen gewordenen Abläßen. Origenes Exh. ad Mart. I pag. 293. 30 Cypr. de laps. pag. 129. 138; Tertull. de pudic. cap. 22. e) Noch sind die übrigen Mittel anzuführen, deren die Väter der ersten Zeit nebst der Buße die Kraft zuschreiben, die Sündenvergebung zu bewirken; sie sind 721 danach gestrichen: sie 722 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 269-272. 723 i-i: zwischen den Zeilen 724 danach gestrichen: bewilligte 725 dazu am Rand: Jahr 251. 252. <?page no="273"?> 241 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) 1. Martertodt für Christus. Sehr enthusiastisch schildern die Väter seine Sündentilgende Kraft. Clem. Alex. Stromat. l. IV pag 596; Tertullian. Scorpiac. cap. 6 et 12; Apologet. cap. 49; Origenes homil. VII in libr. Jud; homil. X in Num; Comment. in Matth. Opp. Tom. III pag. 719. 726 2. Allmosen und überhaupt Liebeswerke. Veranlassung zu dieser Vorstellung 5 gaben den Vätern mehrere Stellen des A. T. - Dießes Mittel empfehlen Barnabas epist. cap. 29; Clemens Alex. Stromat. l. II cap. 15; Cyprian. de opere et eleem. Opp. pag. 167 ss; Lactantius instit. div. l. VI cap. 727 13, 728 wo doch die Einschränkung beigefügt wird, daß kein Sünder in der Hoffnung auf seine Allmoßen fortsündigen dürfe; - andere leiten die Kraft der Allmosen anstelle 10 vom guten Willen des Gebers vielmehr von der vielgeltenden Fürbitte der Armen ab Herm. Pastor Simil. II; Origenes Com¯ . in Matth. Opp. T. III pag. 200 626. 729 3. Auch dem Fasten schrieb man eine ähnliche Kraft zu, doch nur in Verbindung mit der Buße, bei der sie einen Theil der Selbstpeinigungen aus- 15 machte. Tertull. de Poenit. cap. 9; de jejun. cap. 3 730 4. Origenes homil. II in Levit. Opp. tom. II pag. 190. 191. - zählt alle in dem Evangelium enthaltenen Mittel der Sündenvergebung auf: sie sind α . Die Taufe - β das Märtyrerthum - γ Allmosen δ Verzeihung der Beleidigungen - ε Bekehrung eines Sünders - ζ Uberflus christlicher Liebe - η Buße. 20 § 33 Von der Priesterweihe - Krankenölung - Ehe. I. Priesterweihe. a. Schon die Apostelgeschichte thut häufige Meldung von der Aufstellung der Vorsteher einzelner Gemeinden, welche theils unmittelbar durch die Apostel selbst geschahe, theils in ihrem Namen durch diejenigen, die von den 26 201 Aposteln schon angestellt worden waren. Dieße Vorsteher heißen επισκοποι von ihrem Amte, und πρεσβυτεροι von ihrem Alter. - Daß die Aufstellung und bleibende Fortdauer solcher in der Natur einer jeden religiößen Gesellschaft, in der 731 Natur der christlichen Kirche aber besonders gelegen ist, dieß zu erweißen gehört nicht hieher 30 2. Die Aufstellung solcher Vorsteher, ob sie - wie sie nun geschieht, auch damals schon mit einer Art von Feierlichkeit und Ritus geschehen sei, läßt sich nicht mit Bestim¯ theit angeben. In der Apostelgeschichte wird wenigstens 726 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 272 f. 727 davor gestrichen pag. 728 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 279. 729 L: Münscher, Bd. 2, 2. Aufl., S. 280. 730 L: Ebd. 731 davor gestrichen dem <?page no="274"?> 242 Johann Sebastian Drey der Hände Auflegung u. was sich dabei mitversteht, des Gebetes und from¯ er Segnung Meldung gethan: und daß diese Ceremonie auch in spätern Zeiten beibehalten worden sei, wird nicht nur aus Documenten dieser Periode sondern aus spätern noch bewießen. 3. So gewiß es ist, daß in allen christlichen Gemeinden die Bestellung von 5 Vorstehern und andern Kirchendienern fortgedauert hat vom Anfange, so wenige Beschreibungen findet man in den Schriften dieser Zeit davon. 202 Bischöfe, Presbytern und andere Kirchendiener findet man häufig genan¯ t: von Ordinationen ausführliche Meldung fast keine. Die Archive der römischen Kirche, und die Schriften des Pseudodionysius sind die einzigen Quel- 10 len, wo man darüber etwas findet. Man hatte aber Ursache, die Ordinationen geheim zu halten vor den Heiden. b. Daher finden sich 732 seltener Äußerungen über die Wirkung und Bedeutung der Ordination. Man kann also auch aus 733 Abgang zuverläßiger Erklärungen nichts näheres bestimmen, über die Vorstellungen der ersten Chri- 15 stenlehrer in diesem Stücke. (NB. Brenner. III. pag. 503 ss. aliter) 734 Wie auch immer die spätern Theologen die Stellen Pauli I Tim. IV, 14; II Tim. I, 6 angewendet, um daraus eine geheime Kraft der Ordination zu beweißen, so machen doch die Väter der ersten Zeit, obwohl sie beide Stellen öfters berühren, keinen solchen Gebrauch davon. Die Ordination scheint ihnen 20 nichts anders gewesen zu sein, als das gesetzlich angeordnete Vehikel zur rechtmäßigen Ubertragung der christlich apostolischen Kirchengewalt und Kirchenpflicht von einem Individuum auf das andere. - Darum sahe man in der aeltesten Zeit so strenge auf eine rechtliche Ordination. Canon. apost. 1. et 2. und selbst Häretiker und Schismatiker bewarben sich im¯ er um die 25 203 Ordination von Bischöfen. epist. cornel. Pap. ad Fab. Antioch. c. Aber die Abstufung zwischen Bischöfen, Presbytern, und Diakonen bildete sich schon jetzt aus. Die Presbytern traten allmälig in ein subordinirtes Verhältnis gegen die Bischöfe, und schon jetzt waren diese im Ausschlüßlichen Besitze des Rechtes zu ordiniren. Doch dieß gehört mehr in die Geschichte 30 der Hierarchie. j Brenner l. c. pag. 506-523. j735 II Krankenölung. Von der Gewohnheit die Kranken zu salben, kommt nicht ein einziges Zeugnis vor bei den Vätern dieser Periode; ja selbst der Pseudodionysius, der in seiner Schrift de hierarchia und de theologia Mystica sechs symbolische und heilige Handlungen aufzält, erwähnt ihrer nicht. 35 732 danach gestrichen noch 733 über der Zeile eingefügt 734 L: Brenner, Freye Darstellung, 3. Bd. 735 j-j: am Rand neben Ziff. c. − ( L: Brenner, Freye Darstellung, 3. Bd.) <?page no="275"?> 243 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) Bei Origenes allein homil. II in Levit. wird der Text des Apostels Jacobus V, 14 angeführt: k * est adhuc et 7 ma licet dura et laboriosa per poenitentiam remissio peccatorum cum lavat peccator in lacrymis stratum suum et cum non erubescit sacerdoti Domini indicare peccatum suum, et quaerere medicinam secundum eum, qui ait: Pronuntiabo adversum me. Ps. 31. 5. In quo impletur et illud, quod Jacobus Ap. dicit: si 5 quis p. k736 aber Origenes versteht ihn von geistiger, nicht von leiblicher Krankheit, und wendet ihn auf die Buße an, von welcher auch in der citirten Stelle 204 durchaus die Rede ist. Wenn nun gleich das bloße Stillschweigen der Väter von einem dogmatischen Gegenstande noch kein Beweiß ist, daß der nicht erwähnte Gegenstand zu 10 ihrer Zeit gar nicht bekannt gewesen sei; so möchte doch aus dem Stillschweigen des Pseudodionysius, der die Absicht hat von den symbolischen Gebräuchen der Christen zu handeln, und aus der Erklärung des Origenes, der bestimmt nur von der Buße handelt, so viel mit Recht geschlossen werden, daß die Oelung der Kranken in den ersten drei Jahrhunderten nicht als 15 ein abgesonderter selbständiger Actus betrachtet, - sondern höchstens der Buße als ein Complement angehängt gewesen sei, wie die Confirmation der Taufe angehängt war. l Daher heißt sie auch poenitentiae consummatio. V. Klupfel II Bd. pag. 403. l737 m Chrysost. L. Sacrum. exeuntium, oratio cum oleo, Sacrum oleum, sacra unctio pp m738 20 III. Ehe - Mit diesem Sacrament hat es dasselbe Bewandtnis, wie mit der Krankenölung: - selten und wenig Aufschlus gebend sind die Äußerungen der Väter. Indessen ist soviel gewiß, 739 n **) De Sacramento unctionis confer etiam Sequentes: Chrysost. L. III. de Sacerd. - 25 Cyr. Alex. de orat. in spir. et verit. l. VI; Innocent. epist. ad Decent. cap. 8 Cæsarius Serm. 215. 279. n740 1. Daß die Kirche schon in den ersten Zeiten das eheliche Verhältnis und Leben unter 741 ihre Aufsicht und Vorsorge genommen habe. Die ehelichen 205 Verbindungen wurden - abgesehen davon, was der Staat darüber verfügt 30 haben mochte - vor der Gemeine und mit ihrem Vorwissen, und mit besonderer Zuziehung des Bischofs / de sententia episcopi / eingegangen; auch mit religiößen Ceremonien, wie aus einer Stelle Tertullians erhellen wird, war die Verlobung gefeiert. Ignat. II epist. ad Polycarp. c. 5. Tertullian. de Monogam; Clemens Alex. Pædagog. l. III, cap. 11. 35 736 k-k: am Rand der Seiten 203-204; Kürzel aufgelöst 737 l-l: mit verändertem Schriftduktus angefügt; dazu Einweisung m-m − L: Klüpfel, Institutiones, 2. Bd. 738 m-m: Einweisung zu l-l 739 danach gestrichen daß 740 n-n: am Rand neben Ziff. III; Einweisungszeichen im Text fehlt 741 davor gestrichen schon <?page no="276"?> 244 Johann Sebastian Drey 2. Daß die Ehe der Christen für ehrwürdiger, als die der Heiden - daß sie für etwas heiliges gehalten wurde: »quæ nuptiæ secundum dominum sint, et non secundum cupiditatem«. Ignat. epist. ad Polyc. - »Connubia Jacobi rei per Christum perficiendæ figura fuerunt - - Nam magnorum sacramentorum oeconomiæ et dispensationes in quolibet ejus generis facto sunt celebratæ. Justin. Dial. cum Tryph. nro - »Ma- 5 trimonium aliquid sacrum est et divinum.« Clemens Alex. Stromat. L. III cap. 3. o Pædagog. L. III, cap. 11. o742 - Unde sufficiamus ad enarrandam felicitatem matrimonii, quod ecclesia conciliat, et confirmat oblatio, et obsignat benedictio, angeli renunciant, Pater ratum habet? Tertull. l. II ad uxor. p cap. 9 p743 ; de Pudic. cap. 4; Wollte man aber aus diesen Stellen schließen, die ersten Väter hätten die Ehe 10 in dem Sinn für heilig und geheimnisvoll gehalten, in welchem sie es jetzt 206 wird, und für ein Sacrament, so würde man zum Theil fehlschließen. Den¯ aus den drei ersten Stellen erhellt, daß die Ehe als ein Symbol und eine Allegorie nach dem Sinne Pauli Ephes. V, 32 für heilig gehalten ward. - Tertullian legt zwar ein besonderes Gewicht auf die oblatio und benedictio; aber man sieht, daß 15 er nur von einer besondern Glückseligkeit einer so eingegangenen Ehe redet, nicht aber von einer unsichtbaren Gnade: eine seegenbringende Kraft schrieb man aber der Fürbitte, besonders der Fürbitte der Kirche zu. (? ) q Basil. Homil. VII in Hexaemer.; Ambros. epist. X ad Vigil.; Siricius epist. I ad Himer. c. 4; Innoc. I epist. ad Victor. Rhotomag. 744 ; Epiph. Hær. 67; Cyrill. Alex. Comm. in 20 Joh. L. III, cap. 22. cf. Brenner III. pag. 565. n. 2 - 563. n. 1. - pag. 566. n. 3. q745 3. Die Einheit der Ehe war unter den Christen entschieden - Mit Abscheu verwarfen sie die Polygamie - und sehr ungerne sahe man die zweite, noch mehr die dritte und vierte Ehe. Hermas Past. Mand. IV; Athenagoras, Tertullianus, Clemens Alex., Origenes äußern sich mit Unwillen darüber. confer. Co- 25 telier ad Herm. Past. l. II. - Mehrere Secten wie die der Montanisten, und Novatianer verwarfen die zweite Ehe gänzlich, und Tertullian im 1 Buch an seine Frau bittet sie dringend, nach seinem Todte unverehelicht zu bleiben. 4. Nicht so entschieden war der Lehrbegriff über die Ehescheidung. - Den¯ hierüber bestanden in den römischen Gesetzen seit alten Zeiten bestim¯ te 30 207 Verfügungen, und da Ehe und Ehescheidung ganz natürlich auch 746 vor die Gerichte des Staates gehören, kon¯ te und wollte die Kirche den Gesetzen des Staates nicht leicht widersprechen. b. Unter Juden und Heiden war die Trennung der Ehe in bestim¯ ten Fällen üblich, und selbst von ernsten und rechtlichen Männern für erlaubt gehalten. 35 742 o-o: Einweisung 743 p-p: über der Zeile eingefügt; nachfolgende Stellenangabe mit verändertem Schriftduktus 744 d.i. Victricius von Rouen 745 q-q: Einweisung − L: Brenner, Freye Darstellung, 3. Bd. 746 danach gestrichen für <?page no="277"?> 245 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) c. Selbst die Schriften des Neuen T. Matth. XIX, 9; I Cor. VII, 15 sprechen in gewißen Fällen eine Trennung der Eheleute für erlaubt aus, die man eben so leicht für eine perpetuirliche und gänzliche Trennung des ehelichen Bandes erklären kann, als für eine temporäre Scheidung des ehelichen Zusam¯ enlebens; eine Tren¯ ung, die man um so ehender für eine eigentliche Ehescheidung 5 nehmen mußte, als in jener Zeit die temporäre unbekan¯ t war. d. Auf der andern Seite hatte Jesus in der That die Ehegesetze 747 der Juden reformirt, auf das ursprüngliche natürliche Verhältnis der Ehe aufmerksam gemacht, welches unstreitig auf eine ewige Dauer der Ehe deutet - die Kirche hatte gleich am Anfang die Ehe für etwas heiliges wen¯ auch nur als Symbol 10 gehalten - 208 e. Dieße Gründe von beiden Seiten mußten das Urtheil über Tren¯ barkeit oder Untren¯ barkeit der Ehe am Anfang sehr erschweren; und eine völlige Ubereinstim¯ ung unmöglich machen. Und so finden wirs auch wirklich. Tertullian l. IV adv. Marc. cap. 34; Lact. Instit. div. l. VI, cap. 23 getrauen sich nicht zu 15 entscheiden: es fanden auch wirklich Ehescheidungen unter den Christen statt. - Allein auf der andern Seite wurde es den Montanisten zum Vorwurfe gemacht / : auch den Ebioniten: / daß sie die Tren¯ barkeit der Ehe gesetzlich aussprachen. Euseb. hist. Eccl. l. IV cap. 22; Niceph. hist. Eccl. l. IV; Epiph. hæres. 30. 20 Und so sieht man im Ganzen die richtige Ansicht von der Ehe frühe in der Kirche sich bilden. In der Idee ist die Ehe unauflößlich: in einzelnen Fällen, wo das Wesen der Ehe verschwunden ist, u. nur mehr der leere Schein geblieben, duldet die Kirche den Widerspruch gegen die Idee - als das geringere von zwei Ubeln 748 , - und läßt die Tren¯ ung geschehen, ohne sie zu 25 billigen, oder noch weniger gesetzlich zu machen. - - 749 747 danach gestrichen refor 748 über der Zeile, darunter Endung en [zweien] gestrichen 749 Textende von fremder Hand mit »Finis« gekennzeichnet. Danach zwei leere Seiten (hinterer beweglicher Vorsatz) <?page no="278"?> 246 Johann Sebastian Drey Von Drey angeführte Literatur (Winfried Werner) J ohann C hristian W ilhelm A ugusti , Lehrbuch der christlichen Dogmengeschichte. Leipzig 1805; 2 1811. (S. 39). I saac de B eausobre , Histoire Critique de Maniche ´e et du Maniche ´isme. 2 Bde. Amsterdam 1734, 1739. (S. 92 f). R obert B ellarmin , Disputationes de controversiis Christianae fidei adversus hujus temporis haereticos. Ingolstadt 1586-93 (u.ö.). (S. 188). G eorge B ull , Defensio fidei Nicaenae de aeterna divinitate filii Dei ex scriptis sanctorum patrum, qui intra tria prima ecclesiae christianae saecula floruerunt, ders ., Judicium Ecclesiae catholicae trinum saeculorum de necessitate credendi, quod Christus sit verus Deus, ders ., Tractatus de primitiva et apostolica traditione Dogmatis de Jesu Christi Divinitate, in: Georgii Bulli opera omnia. London 1703. (S. 41 f). J ohann A ndreas C ramer , Jacob Benignus Bossuet, Bischofs von Meaux, Einleitung in die Geschichte der Welt, und der Religion, fortgesetzt von Johann Andreas Cramern. 6 Bde., Leipzig 1752-1785 (mehrere Ausgaben). (S. 41). F riedrich B renner , Freye Darstellung der Theologie in der Idee des Himmelreichs, oder: Neueste katholische Dogmatik. 3 Bde. Bamberg, Würzburg 1815-1818. (S. 78, 202 f, 206); ders ., Versuch einer historisch-philosophischen Darstellung der Offenbarung als Einleitung in die Theologie. Bamberg, Würzburg [1810] 2 1812. (S. 110? ). K arl G ottlieb B retschneider , Versuch einer systematischen Entwickelung aller in der Dogmatik vorkommenden Begriffe. Leipzig 1805. (S. 38). G ilbert C lerke , Tractatus tres quorum qui prior ante-Nicenismus dicitur [...]. London 1695. (S. 42). J ohann A ugustin D ietelmaier , Historia dogmatis de descensu Christi ad inferos literaria. Altdorf 2 1762. (S. 43). M arianus D obmayer , Systema Theologiae Catholicae. 8 Bde. Sulzbach 1807-1809. (S. 69, 85). J ohann C hristoph D oederlein , Institutio Theologi christiani in capitibus religionis theoreticis nostris temporibus accomodata. 2 Bde. Nürnberg 6 1797. (S. 98). J ohn F ell , Sancti Caecilii Cypriani Opera recognita & illustrata per Joannem Oxoniensem Episcopum. Bremen 1690. J oannes F orbesius , Instructiones historico-theologicae, de doctrina Christiana, & vario rerum statu, ortisque erroribus & controversiis, jam inde a` temporibus Apostolicis, ad tempora usque seculi decimi-septimi priora. Prece & studio Joannis Forbesii a` Corse [Ed. nova]. Amsterdam 1702. (S. 40). J oannes H arduinus , Acta conciliorum et epistolae decretales, ac constitutiones summorum pontificorum. 12 Bde. Paris 1714-1715. (S. 188). <?page no="279"?> 247 Geschichte des katholischen Dogmensystems (1812/ 13) P etrus D anielus H uetius , Origeniana [1668], in: C arolus -V incentius D e larue , Origenis opera omnia quae graece vel latine tantum exstant et ejus nomine circumferuntur. Bd. 4. Paris 1759. (S. 71). J ohann L eonhard H ug , Einleitung in die Schriften des Neuen Testaments. 2 Bde. Tübingen 1808. (S. 54). I gnaz J agerhueber , Dissertationes theologicae de sacramentis poenitentiae, extremae unctionis, ordinis et matrimonii. Graz 1759. (S. 191). E ngelbert K lüpfel , Institutiones theologiae dogmaticae. 2 Bde. Wien 1789. (S. 204). P hilipp M arheineke , Das System des Katholizismus in seiner symbolischen Entwickelung. 3 Bde. Heidelberg 1810-13. (S. 38). R enatus M assuet , Sancti Irenaei Episcopi Lugdunensis et martyris detectionis et eversionis falso cognominatae agnitionis, seu contra haereses libri quinque. Paris 1710. (S. 148). J ohann L orenz M osheim , De rebus Christianorum ante Constantinum Magnum commentarii. Helmstadii 1753. (S. 93 f); ders ., Commentatio de turbata per errores Platonis, in: R alph C udworth , Systema intellectuale huius universi, 2. Bd., 2. Aufl., Jena 1773. (S. 41). W ilhelm M ünscher (siehe oben Einleitung, Anm. 7). J ohann A ugust N össelt , Anweisung zur Kenntniß der besten allgemeinern Bücher in allen Theilen der Theologie. Leipzig 2 1780. (S. 43 f). J ohann G eorg A rnold O elrichs , Commentatio de vera et certa eorum qui medio secundo atque ineunte tertio saeculo floruerunt patrum de ratione sive relatione filii seu verbi cum patre sententia. Göttingen 1787. (S. 42); ders ., Commentatio de doctrina Platonis de deo. Marburg 1788. (S. 42). D ionysius P etavius , Opus de theologicis dogmatibus, auctius in hac nova editione [...] & notulis Theophili Alethini [i.e. Johannes Clericus]. 6 Bde. Antwerpen 1700. (S. 40, 78). C hristoph M atthaeus P faff , Historia succincta controversiae de processione spiritus sancti a patri filioque. Tübingen 1749. (S. 43). G ottlieb J acob P lanck , Einleitung in die theologische[n] Wissenschaften. 2 Bde. Leipzig 1794-1795. (S. 43 f, 47); ders ., Geschichte der Entstehung, der Veränderungen und der Bildung unsers protestantischen Lehrbegriffs vom Anfang der Reformation bis zur Einführung der Concordienformel. 6 Bde. Leipzig 1781-1800. (S. 7R, 41). J ohn P otter , Clementis Alexandrini Opera quae extant recognita & illustrata per Joannem Potterum. Oxford 1715. (S. 147). E use`be R enaudot , Liturgiarum orientalium collectio. 2 Bde. Paris 1716. (S. 154); ders ., La Perpe ´tuite ´ de la foy de l’E´ glise Catholique touchant l’Eucharistie. Bde. 4 und 5. Paris 1711. (S. 154). N icolaus R igault , Q. Sept. Florentis Tertvlliani Opera ad vetustissimorum exemplarium fidem locis quamplurimis emendata [...]. Paris 2 1641. (S. 147). <?page no="280"?> 248 Johann Sebastian Drey C hristian F riedrich R ösler , Lehrbegriff der christlichen Kirche in den drei ersten Jahrhunderten. Frankfurt a. M. 1775; ders ., Bibliothek der Kirchen-Väter in Uebersetzung und Auszügen aus ihren fürnehmsten besonders dogmatischen Schriften; sammt dem Original der Hauptstellen und nöthigen Anmerkungen. 10 Bde. Leipzig 1776-1786. (S. 40). B onifaz M artin S chnappinger , Entwurf der Catholisch-christlichen Religions- und Dogmen-Geschichte. Karlsruhe 1807. (S. 6R, 39). J ohann C aspar S chweitzer , Joh. Caspari Suiceri Thesaurus ecclesiasticus e Patribus Graecis ordine alphabetico exhibens: quaecunque phrases, ritus, dogmata, haereses, & huiusmodi alia spectant. 2 Bde., Amstelaedami 1682 [ 2 1728]. (S. 41). Socratis Scholastici et Hermiae Sozomeni Historia ecclesiastica. Henricus Valesius Graecum textum emendavit, Latine vertit, et annotationibus illustravit. Moguntiae 1677. (S. 198). M atthieu S ouverain , Le Platonisme Devoile ´, Ou Essai Touchant le Verbe Platonicien. Köln 1700; deutsch: J osias F riedrich C hristian L öffler , Versuch über den Platonismus der Kirchenväter oder Untersuchung über den Einfluß der platonischen Philosophie auf die Dreyeinigkeitslehre in den ersten Jahrhunderten. Züllichau, Freystadt 2 1792. (S. 42). K arl F riedrich S täudlin , [Lehrbuch der] Dogmatik und Dogmengeschichte. Göttingen 1800, 3 1809. (S. 39). L ouis T homassin , Dogmatum theologicorum tomi tres. Paris 1684-1689. (S. 39). G iuseppe M aria T ommasi , Institutiones theologicae antiquorum Patrum. 3 Bde. Rom 1709-1712. (S. 40). A dam T ribbechov , De doctoribus scholasticis et corrupta per eos divinarum humanarumque rerum et scientia liber singularis. Gießen 1665. (S. 41). J acobus U sherius [J ames U ssher ], Historia dogmatica. Controversiae inter Orthodoxos & Pontificios de scripturis et sacris vernaculis. London 1690. (S. 39). J ohann G eorg W alch , Historia controversiae graecorum latinorumque de processione spiritus sancti. Jena 1751. (S. 43, 92, 94). J oseph W eber , Philosophie, Religion und Christenthum im Bunde zur Veredelung und Beseligung der Menschen. 7 Bde. München 1808-1811. (S. 196). D aniel W hitby , Disquisitiones modestae in clarissimi Bulli defensionem fidei Nicenae. London 2 1720. (S. 42). C harles W itasse [V uitasse ], Tractatus de sacramento poenitentiae. 2 Bde. Paris 1717. (S. 154). W erner K arl L udwig Z iegler , Beytrag zur Geschichte des Glaubens an das Daseyn Gottes in der Theologie. Göttingen 1792. (S. 42); ders ., Theologische Abhandlungen. Bd. 1. Göttingen 1791. (S. 43). <?page no="281"?> Text Nr. 3: Observata quaedam ad illustrandam Justini Martyris de regno millenario sententiam [Millenniumsschrift] Teil A: Einleitung von Max Seckler I. Bibliographische Angaben Der vollständige Text des Titelblatts lautet: Natalem diem Regis augustissimi et potentissimi Friderici Regis Würtembergiae rel. rel. domini nostri clementissimi VI. novembris ab alma universitate Fridericiana Elvacensi peractis solemnibus sacris publica oratione pie celebrandum rite indicit D. Joannes Sebastianus Drey theol. dogmat. prof. p.o. Insunt observata quaedam ad illustrandam Justini Martyris de regno millenario sententiam. Gamundiae typis Joann. Georg. Ritter, typographi. − Bei dem im Titelblatt genannten Datum (VI. novembris) handelt es sich um den 6. November 1814 1 , das Jahr der Drucklegung ist im Originaldruck nicht angegeben. - Umfang: 8 Seiten, Folio (die Rückseite des Titelblatts ist unbedruckt). Die dissertatio wurde bei J ohann G eorg R itter in Schwäbisch Gmünd in geringer Stückzahl gedruckt und war nicht im Buchhandel erhältlich. Das Exemplar der Bibliothek des Wilhelmsstifts Tübingen (Signatur: Gd 198.2 ° -3) ist mit akademischen Reden von C ölestin S pegele , J ohann N e pomuk B estlin und C arl W achter zusammengebunden. Der bibliographisch übliche Titel lautet: Observata quaedam ad illustrandam Justini Martyris de regno millenario sententiam. Als Arbeitstitel wird die Bezeichnung Millenniumsschrift (MS) verwendet. II. Erläuterungen 1. Das literarische Genus der Millenniumsschrift im Kontext der Ellwanger Universitätsschriften und -reden a. Ihr Charakter als dissertatio und zugleich als wissenschaftliche oratio Zu den regelmäßig wiederkehrenden Höhepunkten im akademischen und gesellschaftlichen Leben an der Friedrichsuniversität in Ellwangen, an der D rey während ihres fünfjährigen Bestehens (1812-1817) die Professur für Dogmatik, Dogmengeschichte, Enzyklopädie und Methodologie 2 innehatte, 1 Diese Präzisierung bringt bereits C arl J oseph H efele , Nekrolog [auf J ohann S ebastian D rey ], in: ThQ 35 (1853) 341-349, 346. 2 Siehe Königliche Verordnung, das General-Vikariat, die katholische Landes-Universität und das <?page no="282"?> 250 Erläuterungen gehörten jedes Jahr der Festakt zur Feier des Geburtstags des Universitätsgründers und regierenden Königs Friedrich 3 , der jeweils am 6. November begangen wurde, sowie der Tag der öffentlichen Prüfungen und Disputationen, die stets am Ende des Studienjahres stattfanden. Der akademische Charakter des Festakts zum Geburtstag des Königs wurde teilweise dadurch betont, daß im Rahmen dieser Veranstaltung auch die Vergabe der Preise für studentische Preisaufgaben sowie andere Ehrungen vorgenommen wurden. Der Festakt zum Geburtstag des Königs wurde in seiner formalen Gestaltung jährlich nach denselben feststehenden Regeln abgehalten, für deren korrekte Anwendung und Umsetzung der Rektor der Universität zuständig war. Das akademische Herzstück des Programms war ein wissenschaftlicher Vortrag zu einer theologischen Fachfrage in lateinischer Sprache, den turnusmäßig einer der Professoren zu übernehmen hatte. Der im Voraus gedruckte und von der Priester-Seminar in Ellwangen betreffend, vom 28. September 1812, in: T heodor E isenlohr , Sammlung der württembergischen Kirchen-Geseze. Dritter Theil. Enthaltend die katholischen Kirchen- Gesetze vom Jahre 1803 bis zum Jahr 1834 und die Einleitung in dieselben. Von J ohann J akob L ang (= A ugust L udwig R eyscher (Hg.), Vollständige, historisch und kritisch bearbeitete Sammlung der württembergischen Gesetze 10). Tübingen 1836, 410. - Zum Lehrdeputat und zur akademischen Stellung D reys an der Friedrichsuniversität in Ellwangen siehe TüA 2 (Praelectiones dogmaticae) 14*-33* und 46*; TüA 3 (Kurze Einleitung) 122*-126* Anm. 8; 106* ff; im vorliegenden Band die Einleitungen zu Text Nr. 1, Anm. 2; zu Text Nr. 2, Ziff. II.3, sowie zu Text Nr. 6, Ziff. II.5. 3 F riedrich W ilhelm K arl von W ürttemberg , * 6.11.1754 in Treptow an der Rega (Hinterpommern), † 30.10.1816 in Stuttgart, war 1797-1806 als F riedrich II. Herzog von Württemberg, 1803 Kurfürst, und von 1806 bis zu seinem Tod unter dem Namen F riedrich I. der erste König von Württemberg. F riedrich gilt als der bedeutendste Herrscher Württembergs der neueren Zeit (R obert U hland ), der durch ebenso zielstrebige wie effiziente Politik den Umfang Württembergs durch den Zugewinn von überwiegend katholisch bevölkerten Gebieten um mehr als das Doppelte vergrößerte und dem modernen württembergischen Staat seine Gestalt gab. Im Zuge der Neuordnung des Kirchenwesens hatte er am 18. Oktober 1812 die Katholische Landesuniversität Ellwangen (»Friedrichsuniversität«) ins Leben gerufen. - Lit.: M ax M iller , Die Organisation und Verwaltung von Neuwürttemberg unter Herzog und Kurfürst Friedrich. Stuttgart, Berlin 1934; NDB 5 (1961), 596-598 (R obert U hland ); I na U lrike P aul , Württemberg 1797-1816 19. Quellen und Studien zur Entstehung des modernen württembergischen Staates (Quellen zu den Reformen in den Rheinbundstaaten 7). München 2005; dies . »Catholiken und Protestanten ... nunmehr zu Brüdern umgewandelt«? Das Ringen um die faktische Parität der Konfessionen zwischen Staat und katholischer Kirche in Württemberg im 19. Jahrhundert, in: M atthias B lum , R ainer K ampling (Hg.), Zwischen katholischer Aufklärung und Ultramontanismus. Neutestamentliche Exegeten der »Katholischen Tübinger Schule« im 19. Jahrhundert und ihre Bedeutung für die katholische Bibelwissenschaft (Contubernium 79). Stuttgart 2012, 9-42. - Zur Geschichte der Friedrichsuniversität siehe F ranz X aver F unk , Die katholische Landesuniversität in Ellwangen und ihre Verlegung nach Tübingen, in: Festgabe der Universität Tübingen zum fünfundzwanzigjährigen Regierungsjubiläum Seiner Majestät des Königs Karl von Württemberg. Tübingen 1889, 3-30; E ugen H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität Ellwangen 1812-1817. Erinnerungsschrift zur feierlichen Eröffnung des Königl. Württemb. Gymnasiums Ellwangen am 4. November 1817. Ellwangen [1917], 1-64; J oseph Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (1812-1817) und sein erster Rat Dr. Joseph von Mets. Nebst erstmaliger Herausgabe der Autobiographie des Geistlichen Rats Dr. von Mets. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der Diözese Rottenburg, in: ThQ 109, 1928, 3-160 (Autobiographie von M ets hier 67-157), bes. 3-22; ders ., Die Errichtung der katholisch-theologischen Fakultät in Tübingen im Jahre 1817, in: ThQ 108 (1927) 77-158. <?page no="283"?> 251 Millenniumsschrift (1814) Universitätskuratel zu genehmigende 4 Text des Vortrags lag beim akademischen Festakt vor. Da das Druckwerk den Charakter einer wissenschaftlichen Abhandlung hatte, wurde diese als dissertatio bezeichnet (vgl. den fachlichen Titel oben in Ziff. I), aber indem sie im Festakt mündlich vorgetragen wurde, figurierte sie im Festprogramm als (wissenschaftliche) oratio (Präsentationstitel der Millenniumsschrift). Die dissertatio oratio konnte wegen ihrer zentralen Stellung im Festprogramm terminologisch mit diesem gleichgesetzt oder auch einfach als Programm bezeichnet werden (siehe H aug ). Für den Festakt am 6. November 1814 war D rey mit der Ausarbeitung der dissertatio oratio im Festplenum betraut. Der Text dieser dissertatio oratio (d.h. der MS) ist Gegenstand der vorliegenden Edition. b. Andere Fälle von dissertationes orationes sowie von andersartigen Universitätsreden Gemäß dem Programm der Festakte zum königlichen Geburtstag folgte auf den wissenschaftlichen Vortrag eine zeremonielle Festrede des Universitätsrektors. Die zeremoniellen Reden trugen die Bezeichnung sermo, sie wurden zum Teil ebenfalls in lateinischer Sprache gehalten und konnten auch wissenschaftliche Themen behandeln, aber sie erschienen nicht im Druck. Zu diesen zeremoniellen Reden gibt es im Gegensatz zu den wissenschaftlichen Vorträgen nur indirekte und lückenhafte Informationen. Die Fachvorträge und zeremoniellen Reden, die zum Geburtsfest des Königs im Laufe der Jahre gehalten wurden, sind nachfolgend zusammengestellt, soweit die Überlieferungslage es zuläßt 5 . Die nicht zu dieser Kategorie gehörenden Universitätsschriften und -reden sind in Ziff. II.1.b der Einleitung zu Text Nr. 4 angeführt. In den Festakt am 6. November 1813 brachte J ohann N epomuk B estlin eine dissertatio oratio mit dem Titel: De nexu arctissimo qui virtutem inter et veri cognitionem intercedit ein, die auch gedruckt wurde (Gamundiae 1813); von der Festrede des Rektors S pegele ist weder das Thema noch der Text überliefert. Ursprünglich sollte für den Festakt am 6. November 1813, in dem gleichzeitig eine Preisverleihung vorgenommen wurde, P eter A lois G ratz eine lateinische dissertatio für den öffentlichen Vortrag ausarbeiten. G ratz reichte am 14. Juli 1813 bei der Kuratel ein Manuskript mit Untersuchungen über J ustin ein, das aber von der Behörde nicht akzeptiert wurde, da es in Deutsch verfaßt 4 Genehmigungspflichtig waren nicht nur das Thema und die Form des Textes, sondern auch sein Inhalt im Hinblick auf Rechtgläubigkeit und Opportunität. Im Falle der Beichtschrift (siehe Text Nr. 4) gab es diesbezüglich einige Probleme, die zu Textänderungen führten. Texte anderer Autoren wurden aus formalen Gründen nicht akzeptiert. 5 Quellen: F unk , Die katholische Landesuniversität in Ellwangen (wie Anm. 3), bes. 15 f; H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität (wie Anm. 3), bes. 9-12 und 42-46; N orbert W olff , Peter Alois Gratz (1769-1849). Ein Theologe zwischen »falscher Aufklärung« und »Obscurantismus« (Trierer theologische Studien 61). Trier 1998, bes. 105 f, sowie eigene Recherchen (siehe auch Einleitung zu Text Nr. 4, Anm. 1). <?page no="284"?> 252 Erläuterungen und für den mündlichen Vortrag viel zu umfangreich sei. Die Kuratel wies den Rektor S pegele am 23.7.1813 an, daß D rey oder B estlin die wissenschaftliche Rede halten solle. Tatsächlich kam dann die oben genannte dissertatio aus der Feder von B estlin zum Vortrag; sie umfaßte im Druck 11 Seiten. G ratz ließ seine verschmähte Schrift mit dem Titel Kritische Untersuchungen über Justins apostolische Denkwürdigkeiten ein Jahr später (1814) in Stuttgart bei H asselbrink (und nicht beim Universitätsdrucker R itter ) im Druck erscheinen; sie hatte einen Umfang von 76 Seiten. Am 6. November 1814 wurde in Ellwangen der 60. Geburtstag des Stifters der Friedrichsuniversität gefeiert. D rey steuerte dazu die MS als dissertatio oratio bei. Im Anschluß an D reys Rede hielt der Universitätsrektor K arl W achter die zeremonielle Festrede über Die alten Akademien 6 . Zum 6. November 1815 hielt K arl W achter die wissenschaftliche Rede (dissertatio oratio) mit dem Titel De statistica ecclesiastica (gedruckt: Elvaci 1815) 7 ; über die Festrede, für die er als amtierender Universitätsrektor zuständig war, ist nichts bekannt. Für den 6. November 1816 war ein von G ratz zu gestaltendes Festprogramm vorgesehen, das jedoch nach dem Tod des Königs (30. Oktober 1816) nicht zur Ausführung kam. Das bereits gedruckte Programm beinhaltete die dissertatio oratio von G ratz mit dem Präsentationstitel: Regiae Academiae Fridericianae, quae est Elvaci, nomine solemnia natalitia Regis augustissimi et potentissimi Friderici Regis Württembergiae rel. rel. domini nostri clementissimi die VI. novembris in aula academica publice pieque celebranda indicit Dr. Gratz, exegeseos et critices N.T. prof. p.o. Inest disquisitionum in Pastorem Hermae Partic. I. Diese Rede wurde 1816 bei R itter in Ellwangen gedruckt; von ihr scheint nur ein einziges Exemplar in der Landesbibliothek Stuttgart erhalten geblieben zu sein 8 . Das Jahr 1817 brachte mit der Aufhebung der Friedrichsuniversität durch königliche Verordnung vom 20. Oktober 1817 auch das Ende der Festprogramme. Zwar soll B estlin zum Geburtsfest des neuen Königs, der den 6 Dazu H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität (wie Anm. 3) 46, Anm. 1: »Nach dem Württemb. Regierungsblatt 1814 Nr. 51 S. 397 sprach Wachter dabei die feurigsten Wünsche für das ununterbrochene Wohl Sr. Kgl. Majestät und die Empfindungen des tiefsten Dankes für die der Universität gegebenen Beweise der allerhöchsten Gnade aus«. 7 Zu dieser theologiegeschichtlich bemerkenswerten dissertatio siehe Text Nr. 9, Einleitung zu Misz. Nr. 16, bei und in Anm. 14-16; vgl. auch unten bei und in Anm. 14. 8 Die ungedruckte Festrede des Rektors W achter sollte De gravi difficilique munere Doctoris theologiae handeln; ihr Text ist nicht erhalten. - G ratz veröffentlichte seine Untersuchung außerdem unter dem Titel Disquisitio in Pastorem Hermae im Archiv für die Pastoralkonferenzen in den Landkapiteln des Bisthums Konstanz 16 (1817) Bd. 2, 224-234; einen weiteren Abdruck widmete er 1820 seinem neuen Landesherrn in Bonn, dem preußischen König Friedrich Wilhelm III., zum Geburtstag: Natalitia augustissimi ac potentissimi principis ac domini Friderici Guilelmi III. Regis Borussorum optimi, rel. rel. in alma universitate rhenana publice pieque celebranda rectoris ac senatus academici nomine indicit Dr. Gratz, facultatis cath. theol. professor o.p. ac p.t. decanus. Inest disquisitionum in Pastorem Hermae Partic. I. Indicantur simul quaestiones praemiis coronandae. Bonnae, 1820. Typis Kupferbergianis. <?page no="285"?> 253 Millenniumsschrift (1814) Namen W ilhelm I. angenommen hatte 9 , am 20. [? ] September 1817 noch eine Festrede gehalten haben, aber eine dissertatio oratio scheint in den Festakt nicht mehr eingebracht worden zu sein 10 . 2. Der Gegenstand der Millenniumsschrift Gegenstand der MS ist die Frage, ob J ustin der M artyrer als Zeuge dafür in Anspruch genommen werden kann, daß die zu seiner Zeit auch unter vielen als rechtgläubig geltenden Christen verbreitete Lehre vom tausendjährigen Reich von ihm als allgemein verbindliches Dogma angesehen wurde. Diese Frage werde in der Dogmengeschichtsschreibung vielfach bejaht, aber das sei falsch. J ustin selbst sei zwar ein überzeugter Chiliast gewesen, aber er anerkenne gleichwohl, daß es rechtgläubige Christen gebe, die den Chiliasmus zurückwiesen. Daraus folge, daß J ustin nicht nur persönlich die Lehre vom tausendjährigen Reich nicht als unbedingt glaubensverbindlich aufgefaßt habe, sondern daß er darüber hinaus historisch bezeuge, daß in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts diese Lehre nicht als verbindliches Dogma in Geltung stand. 3. Wissenschaftlicher Charakter und dogmengeschichtlicher Ertrag dieser Schrift D rey betont zu Beginn seiner Abhandlung, daß er mit ihr einen Beitrag zur Dogmengeschichte (historia dogmatum) vorlegen wolle. Den Ausgangspunkt bilde die Deutung der Position J ustins , wie sie unlängst (nuper) von angesehenen Dogmenhistorikern vertreten worden sei. Es genüge, dafür exemplarisch auf H einrich C orrodi 11 und W ilhelm M ünscher 12 zu verweisen. Die Unter- 9 F riedrich W ilhelm C arl von W ürttemberg , * 27.9.1781 in Lüben (Schlesien), † 25.6. 1864 in Cannstatt, war vom 30.10.1816 bis zu seinem Tod als Nachfolger F riedrichs I. der zweite König von Württemberg. Zu seinen ersten Maßnahmen gehörte die Aufhebung der Friedrichsuniversität und ihre Eingliederung als Katholisch-Theologische Fakultät in die Eberhard-Karls-Universität in Tübingen. Zu ihm: ADB 43 (1898) 209-213 (E ugen S chneider ); Das Haus Württemberg. Ein biographisches Lexikon. Hg. von S önke L orenz , D ieter M ertens , V olker P ress . Stuttgart 1997, 302-306 (O tto -H einrich E lias ); P aul S auer , Reformer auf dem Königsthron. Wilhelm I. von Württemberg. Stuttgart 1997; siehe auch Z eller , Die Errichtung der katholisch-theologischen Fakultät (wie Anm. 3). 10 Infolge der von ihm verfügten Aufhebung der Friedrichsuniversität und der damit verbundenen Aufbruchstimmung galten für den Festakt wohl nicht mehr die bisherigen Regeln. 11 H ans H einrich C orrodi , * 31.7.1752 in Zürich, † 14.9.1793 ebd., Neologe und Gegner des Chiliasmus, ab 1786 Prof. für Naturrecht und Sittenlehre in Zürich. - D rey meint C orrodis Schrift: Kritische Geschichte des Chiliasmus Oder der Meynungen über das tausendjährige Reich Christi. 3 Bde., Frankfurt und Leipzig 1781-1783; 4 Bde. Zürich 1794. 12 Gemeint ist: W ilhelm M ünscher , Handbuch der christlichen Dogmengeschichte. 4 Bde., Marburg 1797-1809, bes. Bd. 2, Marburg 2 1804, §§ 264-279; vgl. auch ders ., Programma an dialogus cum Tryphone Justino Martyri recte adscribatur? Marburg 1799; ders ., Historische Entwickelung der Lehre vom tausendjährigen Reiche in den drei ersten Jahrhunderten, in: Magazin für Religionsphilosophie, Exegese und Kirchengeschichte, hg. von H einrich P hilipp C onrad H encke . Bd. 6. Zweites Stück (1796) 233-254. - Nähere Angaben zu M ünscher : Einleitung zu Text Nr. 2, Anm. 7. <?page no="286"?> 254 Erläuterungen suchung ist darauf angelegt, die von diesen Autoren repräsentierte Justindeutung zu widerlegen und ad temporis opportunitatem die wahren Sachverhalte zutage zu fördern (extricare), die zum einen das Denken J ustins und zum andern die dogmengeschichtliche Stellung des Chiliasmus im 2. Jahrhundert betreffen. Die Textanalysen, die D rey zu diesem Zweck vornimmt, sind ungemein scharfsinnig. Aufs Ganze gesehen tritt D rey in der MS als entschiedener Vertreter der historisch-kritischen Methode auf dem Gebiet der Dogmengeschichtsschreibung in Erscheinung. Er darf insofern neben dem Neutestamentler P eter A lois G ratz 13 als klarer Vertreter der historischkritischen Richtung gelten, die sich seit 1812/ 13 an der Friedrichsuniversität formierte 14 . In der MS setzte D rey für seine Person die historisch-kritische Methode zum ersten Mal zur Klärung einer dogmatischen Frage ein. Da es sich bei dieser Untersuchung um den ersten wissenschaftlichen Text handelt, den er nach der Revisionsschrift von 1812 im Druck vorlegte, ist sie als Signal für den Vorrang, den er dieser Methode von Anfang an als Systematiker einräumte, zu werten 15 . In die gleiche Richtung weist der Umstand, daß er den Wortlaut dieser Untersuchung bei der ersten Gelegenheit vorgetragen hat, wo er in einem gehobenen akademischen Rahmen sich profilieren konnte. Sein Vortrag hatte insofern den Charakter (und aus seiner Sicht wohl auch die Funktion) einer Antrittsvorlesung. 13 Zu ihm: Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 74. 14 Als weiterer Vertreter der kritischen Ellwanger Richtung ist K arl W achter zu nennen, der den amtlichen Dokumenten zufolge an der Friedrichsuniversität den Lehrstuhl für Kirchengeschichte und Kirchenrecht innehatte und nach den eigenen Angaben in seiner obengenannten dissertatio (siehe Anm. 7) auch die junge Disziplin der Kirchlichen Statistik vertrat (zu W achter siehe Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 108; zu seiner Pionierleistung auf dem Gebiet der Kirchlichen Statistik siehe Text Nr. 9, Einleitung zu Misz. Nr. 16, bei und in Anm. 14-16). Gleichzeitig mit D rey und seiner dissertatio von 1815 über die Ohrenbeichte war W achter mit den kritischen Thesen seiner dissertatio von 1813 denunziert und Gegenstand eines kirchenamtlichen römischen Beanstandungsverfahrens geworden (vgl. Einleitung zu Text Nr. 4, Anm. 76). 15 D rey hat diese Methode bereits in seiner Vorlesung zur Geschichte des katholischen Dogmensystems (siehe Text Nr. 2) zum Einsatz gebracht und dort auch den Standpunkt, den er in der MS vertritt, im Kontext der Eschatologie (ebd. § 24) präzise dargelegt. Weitere Zeugnisse dieser Art werden seine Beichtschrift (siehe Text Nr. 4) sein, die er ein Jahr später, 1815, im Druck vorlegte, sowie vor allem seine Neuen Untersuchungen über die Constitutionen und Kanones der Apostel. Ein historisch-kritischer Beitrag zur Literatur der Kirchengeschichte und des Kirchenrechts. D rey hatte die erste Fassung dieser Untersuchung unter dem Titel Ueber die apostolischen Constitutionen, oder neue Untersuchungen über die Bestandtheile, Entstehung und Zusammensetzung, und den kirchlichen Werth dieser alten Schrift in der Theologischen Quartalschrift (ThQ 11, 1829, 397-477, 609-723) veröffentlicht. In dem neuen Titel bzw. Untertitel, unter dem er diese Untersuchung annähernd auf den doppelten Umfang erweitert 1830 in einem Separatdruck herausbrachte, hat D rey sie denn auch in hervorgehobener Weise als historisch-kritischen Beitrag gekennzeichnet (siehe auch Einleitung zu Text Nr. 1, bei und in Anm. 132). <?page no="287"?> 255 Millenniumsschrift (1814) 4. Zur Rezeption der Millenniumsschrift Dem Umstand, daß die MS in lateinischer Sprache verfaßt ist und daß sie als Programmschrift für eine inneruniversitäre Veranstaltung in Broschürenform gedruckt wurde, ist es zweifellos zuzuschreiben, daß sie im öffentlichen wissenschaftlichen Publikationswesen unbeachtet blieb und in der Versenkung verschwand, mit der Folge, daß sie bisher weder in der Dogmengeschichtsschreibung eine ihr zustehende Beachtung fand, noch in ihrer Bedeutung für die wissenschaftliche Vita D reys wahrgenommen wurde. Aus der Ferne betrachtet, konnte man sich zu der Annahme verleiten lassen, daß es sich bei ihr eher nur um eine akademische Fleißübung handelt. Für eine angemessene Würdigung dieser Schrift fällt zunächst ins Gewicht, was oben zu ihren methodologischen Aspekten und zu ihrem dogmengeschichtlichen Ertrag im Hinblick auf J ustin festgestellt wurde. Dort hat sich auch abgezeichnet, daß es sich keinesfalls um eine zeitenthobene Studie handelt, sondern daß D rey mit seiner Thematik direkt und offensiv in die zu seiner Zeit (nuper) herrschende Dogmengeschichtsschreibung eingegriffen hat. Über diesen wissenschaftlichen Gegenwartsbezug hinaus weist die MS aber einen weiteren Aspekt an zeitgeschichtlicher Aktualität auf, den D rey zwar nicht direkt anspricht, wohl aber durch Wendungen wie nostris temporibus und ad tempus opportunitatem zu erkennen gibt. Seinem Auditorium wird die Bezogenheit der Ausführungen D reys auf die millenaristischen Sektenbewegungen nicht entgangen sein, die das religiöse und kirchliche Leben in jenen Jahren erschütterten, auch im Ellwängischen und im Fränkischen. Das chiliastische Sektenwesen war während der napoleonischen Kriegswirren in Württemberg besonders virulent 16 . Diese bedrängende zeitgeschichtliche Problematik gehört zu dem Kontext, in dem die Millenniumsschrift auch zu lesen und zu würdigen ist. 16 Siehe M agnus J ocham , Memoiren eines Obskuranten. Eine Selbstbiographie. Nach dem Tode des Verfassers herausgegeben von Magnus Sattler. Kempten 1896; I sidor S ilbernagel , Die kirchenpolitischen und religiösen Zustände im neunzehnten Jahrhundert. Ein Kulturbild. Landshut 1901; A ugust F riedrich L udwig , Neue Untersuchungen über den Pöschlianismus. Regensburg 1906; ders ., Die chiliastische Bewegung in Franken und Hessen im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Mit einem Sendschreiben Möhlers. Regensburg 1913; H enri L eclerq , Mille ´narisme, in: DACL 11,1 (1933) 1181-1195. - Das Generalvikariat in Ellwangen gab am 15. Juli 1817 einen Erlaß über »Umtriebe von Sektierern« heraus (siehe Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 3) 66). - Später fanden die chiliastischen Ideen sogar Eingang in die nächste Verwandtschaft M öhlers . Dazu ist ein Brief M öhlers erhalten geblieben. Vgl. dazu L udwig , Die chiliastische Bewegung (wie oben) 33 ff; S tephan L ösch , Johann Adam Möhler. Bd. I: Gesammelte Aktenstücke und Briefe. Mit 1 Bildnis Möhlers. Herausgegeben und eingeleitet von Stephan Lösch. München [1928], 370-385; hier ist der vollständige Text des Briefes im Druck wiedergegeben (vgl. dazu bereits L ösch , J. A. Möhler und die Lehre von der Entwicklung des Dogmas, in: ThQ 99, 1917/ 18, 28-59; 129-152, 140 f). <?page no="288"?> Teil B: Johann Sebastian Drey, Observata quaedam ad illustrandam Justini Martyris de regno millenario sententiam. Redeunt nobis, cives Academici, sacra natalitia Augustissimi Regis nostri [3] Friderici, piis animis agenda, votisque solemnibus pro salute Potentissimi 5 Principis Deo O. M. nuncupatis prosequenda maxime a nobis, qui cum alma hac universitate Fridericiana insignia Fundatori nostro debemus beneficia. Hujus igitur dici venerandam laetitiam dum indicere Senatus academici nomine mihi contigit, pauca quaedam praefari lubet, ad historiam dogmatum pertinentia. Sunt ea nimirum observata quaedam ad illustrandam Justini Mar- 10 tyris de regno millenario sententiam. Cujus dum ego rei mentionem injicio, nemo utique rerum prudens expectaverit, me id acturum, ut ostendam, quid ipse Justinus de omni hac materia senserit. Constat enim apud omnes, qui viri hujus scripta perlegerint, eum omnibus fere dogmatis, fatuis etiam, adhaesisse, quae Chiliastarum vulgari 15 nomine feruntur. Namque et animas justorum, etiam christianorum statim post mortem in coelum recipi negat, imo hanc sententiam ut haereticam graviter insectatur (dialog. cum Tryph. Nr. 80 edit. Prud. Mar.), sed potius piorum quidem animas in meliore loco manere, iniquorum autem et malorum in deteriore, judicii tempus expectantes asserit (ib. Nr. 5.); et hierosolymorum 20 locum restaurandum fore, populumque Christianum congregandum atque cum Christo beate victurum mille annos una cum Patriarchis et Prophetis, iisque qui ex Judaeorum genere fuerunt, Tryphoni interroganti fatetur (ib. Nr. 80.); et Antichristum atrocissimum christiani nominis hostem jam imminere, ac pro foribus adstare non dubitat (ib. Nr. 32.). Haec utique satis clare 25 evincunt, in plerisque cum caeteris millenariis consensisse Justinum, quamvis et fatendum sit, crassiores illorum sententias, ad rudiora Judaeorum ingenia conformatas, puta de regni terrestris corporeis voluptatibus, sabbatis, et sacrificiis, vix apud hunc reperiri. Ast gravior de Justino Martyre moveri quaestio potest; num scilicet ean- 30 dem sententiam, quam fuerat ipse in his doctrinis secutus, communem omnium orthodoxorum sententiam, adeoque universalem Ecclesiae catholicae persuasionem censuerit, ita ut ne christianos quidem habendos existimaret, qui Jerosolymam restituendam et mille Christi in his terris regnantis annos negarent? − Contenderunt et abhinc et nuper plures in dogmatum historia 35 egregie versari scriptores, praeconceptas judaeorum de regno Messiae in his terris splendido lateque diffuso opiniones, a christianis quos judaisantes vocant, per omnem christicolarum coetum dimanasse, ac proinde chiliasmum duobus <?page no="289"?> 257 Justini Martyris de regno millenario sententia (1814) saltem primis saeculis in dogmatum numero venisse. Ex illis, qui ita sentiunt, Corrodium et Münscherum nominasse sufficiat, quorum iste in − kritische Geschichte des Chiliasmus II. Th. S. 24 Note 1 asserit, verosimilius nullam aliam 4 saeculo secundo doctrinam pro orthodoxa habitam esse, nisi doctrinam christianorum judaisantium; hic autem qui similia contendit − Handbuch der christ- 5 lichen Dogmengeschichte II. B. §. 271. S. 453 f. 2 Justini potissimum confidit testimoniis. Quam ob rem in hac causa sane gravi me operare pretium facturum existimo, si, quae Münscherus ad sententiam suam comprobandam ex Justino affert (est autem locus quidam insignis) observationibus non nullis illustrare, et quid antiquissimus ibi scriptor affirmet, extricare pro temporis 10 opportunitate studeam. Habetur locus iste, cujus mentionem feci, in dialogo cum Tryphone Nr. 80. edit. Prud. Marani: atque quo magis pateat sensus, juvat illum subjungere integrum, iis tantum summatim interjectis, quae ad controversiam nihil faciunt. Posteaquam igitur Justinus et Trypho de vaticiniis messianis, praesertim 15 de illo, quod apud Esaiam habetur VII. 14 seq. multum utrinque disceptarunt, Trypho interrogat: „verene hunc vos Hierosolymorum locum instauratum iri fatemini, ac populum vestrum congregatum iri, et cum Christo beate victurum exspectatis unacum Patriarchis ac Prophetis iisque qui ex nostro genere fuerunt, vel etiam se nobis adjunxerunt, antequam Christus vester veniret, an 20 ut nos videreris in disputando superare, eo confugisti ut haec diceres? “ Ad quae Justinus respondet: „ ουχ ο ë υτω ταλας εγω, ω τρυϕων, ω ë ς ε ë ρετα λεγειν παρ ’ α ë ϕρονω · ω ë μολογησα ουν σοι και προτερον, ο ë τι εγω μεν και αλλοι πολλοι ταυτα ϕρονουμεν, ω ë ς και παντως επιστασθε τουτο γενησομενον · Πολλους δ ’ αυ και των της καθαρας και ευσεβους οντων χριστιανων γνωμης τουτο μη γνωριζειν εση - 25 μανασοι. τουσ γαρ λεγομενουσ μεν χριστιανουσ, οντασ δε αδεουσ και ασεβεισ αι Æ ρεσιωτας, οτι κατα παντα βλασϕημα και αδεα και ανομτα διδασκαλουσιν, εδηλωσα σοι . − − Tum interposita sinceritatis suae protestatione pergit: ει γαρ συνεβαλετε υ ë μεις τισι λεγομενοις χριστιανοις, και τουτο μη ο ë μολογουσιν, αλλα και βλασϕημειν τολμωσι τον Θεον Αβρααμ, και τον Θεον Ισαακ και τον Θεον 30 Ιακωβ, ο ë ι και λεγουσιν μη ειναι νεκρων αναστασιν, αλλα α ë μα τω αποδνησκειν, τας ψυχας αυτων αναλαμβανεσθαι εις τον ουρανον, μη υ ë πολαβητε αυτους χρι στιανουσ . − − Quos dum comparasset diversis inter Judaeos sectariis, qui judaei quidem nomine dicantur, re autem tales non sint, his verbis concludit: εγω δε και ειτινες εισιν ορθογνωμονες κατα παντα χριστιανοι, και σαρκος ανα - 35 στασιν γενησεσθαι επισθαμεθα, και χιλια ετη εν Ιερουσαλημ οικοδομηθειση à και κοσμηθειση à και πλατυνθειση à οι ë προϕηται Ιεζηχιηλ και Ησαιας και ο ë ι αλλοι ο ë μολογουσιν .“ 1 Hervorhebung im Originaldruck durch Fraktur 2 Hervorhebung im Originaldruck durch Fraktur <?page no="290"?> 258 Johann Sebastian Drey Antequam ad explicandam hunc locum, qui sane difficultatibus laborat, accedo; praemittenda mihi videtur animadversio modum concernens, quo nostris temporibus doctrina chiliastica passim tractatur: ita enimvero plerumque tractatur, ut res et sententiae, quas a se invicem discerni oportet, confundantur, et commune de omnibus feratur judicium, cum singulare de sin- 5 gulis ferendum foret. Certe caput, imo si severi sumus in discernendo, summa erroris chiliastici una hac sententia continetur: in secundo Christi adventu Hierosolymam magnificentius restitutum iri, ibique Christum cum sanctis regnaturum per mille annos omni voluptatis ac beatudinis affluentia. Cum hac autem sententia et aliae cohaerent, ita quidem, ut si etiam eas a chiliasmo 10 penitus rejecto separes, tamen adhuc subsistant, subsistere saltem possint suis utique argumentis nixae; si vero conjugas, aliter omnino de istis sentire nunc debeas, quam antea senseris. In his doctrinis veniunt, quas de resurrectione mortuorum, de statu animae proxime a morte corporis, de extremo judi-cio et 5 rel. nimonamus. Eas et alii PP. chiliastae et noster hic quoque Justinus 15 commemorat, dum de mille annis loquitur. Quare in explicandis ipsius verbis cautos nos et sagaces esse oportet, ut probe discernamus, quomodo de singulis istis doctrinis tum judicet ipse, tum alios judicare dicat. Deveniamus nunc ad expositionem loci. Et primo quidem videmus adposite ad interrogationem Tryphonis respon- 20 dere Justinum. Discreverat ille interrogans christianorum sententiam a sententia Justini (verene vos creditis? an tu solum eo confugisti? ) Simili modo hic respondens discernit suam sententiam a christianorum sententia, et imprimis fatetur, hanc e s s e suam sententiam: ita omnia eventura, quemadmodum Judaei exspectent ( ω ë μολογησα ο ë τι εγω μεν και ). Pergit nunc expromere, quae sit 25 sententia christianorum; sed quia conformem et unanimem non esse noverat, una eam responsione expromere nequit, diversis igitur commatis diversas exponit sententias christianorum. Et primo quidem affirmat, multos alios christianorum eadem de regno Christi millenario sentire, quae sentiat ipse Justinus ( και αλλοι πολλοι − −). Mox autem subjungit, multos vicissim alios, etiam qui 30 purae et piae sententiae sint addicti, ista non recipere, scilicet quae de Hierosolyma restauranda et de regno Christi terrestri sciscitatus fuerat Trypho ( πολλους δ ’ αυ εσημανα σοι ). Quoniam vero aliud superat christianorum genus, qui saltem christianos se dicebant, istorum quoque mentio fuit facienda; et meminit horum Justinus, sed non sine indignatione; ac nova insignienti 35 particula acrique verborum insectatione hos a prioribus christianis discernit, inferens: namque quod illos attinet, qui christiani quidem dicuntur, sed athei et impii sunt haeretici, istos blasphema in omnibus et athea et insana docere jam demonstravi tibi. Non quidem diserte hic effatur, quid haeretici isti de regno millenario doceant, ast concludendum id relinquit: dum nimirum in 40 omnibus eos impie sentire dicit, simul indigitat, neque in his eos meliora sentire; vel etiam innuit, istorum sententiam, quaecunque demum ea sit, <?page no="291"?> 259 Justini Martyris de regno millenario sententia (1814) omnino negligendam esse et nullius auctoritatis. Quoniam vero Trypho tantarum in haereticos irarum causas desiderare poterat, certosque characteres, quibus falsi hi christiani a veris et piis discerni queant; ad recensenda impia et blasphema haereticorum dogmata progreditur, interjecta, ut dixi, sinceritatis suae protestatione ( ει γαρ και συνεβαλετε υ ë μεις τισι λεγομενοις χρ... και τουτο 5 μη ο ë μολογουσιν, αλλα και − − − −). Hic quidem jam diserte enunciat, istos haereticos pariter non tenere ea, quae judaei ac Justinus ipse cum multis aliis tenebant, atque in his quidem sentire haereticos cum illis genuinis christianis, quos secundo loco commemoraverat; interim tamen hanc non esse causam haereticae pravitatis, sed illa impia blasphema et insana dogmata: scilicet, 10 quod Deum Abrahae et Deum Isaac et Deum Jacob blasphemiis appetere audeant, nullam esse mortuorum resurrectionem dicant, sed animas suas statim a morte in coelum suscipi. Quae quidem Gnosticorum dogmata praecipua ita illis solis erant propria, ut ab omnibus catholicis, etiam qui millenariorum sententiam non probarent, rejicerentur; atque in his quidem Justinus haere- 15 ticos discernit ab illis orthodoxis, quos altero loco posuerat. Sub finem denique repetit praecipuam orthodoxiae notam scilicet resurrectionem mortuorum, simulque mille annos in Jerosolyma restaurata a prophetis promissos affirmat, suam pariter repetens sententiam. Quare si ex celebri hoc Justini Martyris testimonio paucis deducere opor- 20 teat, quid de regno millenario tum senserit ipse, tum alios christianos sensisse dicat; primo quidem ipse aperte se chiliastam profitetur, quod autem reli- 6 quorum christianorum hac in re sententiam attinet, triplex satis clare christianorum genus distinguit: Sunt, qui cum Justino chiliasmum tenent, utique orthodoxi; sunt, qui chiliasmum rejiciunt, caetera autem pure et pie sentiunt, 25 et hi orthodoxi; sunt demum, qui et chiliasmum rejiciunt, et alia insuper omnibus orthodoxis probata dogmata, hi haeretici sunt, non veri christiani, sed nomen tantum usurpantes. Ex quo consequitur, sententiam de regno Christi millenario a Justino pro tali habitam esse, quam quis salva orthodoxia tenere poterat aut respuere, proinde in dogmatum numero eam non venisse. 30 Ast objicit Münscherus l. c. pag. 455, textum, qualis habetur, purum esse non posse, sed mendis laborare. Namque aperte sibimet ipsi repugnare Justinum, dum superiore loco dicat: multos esse orthodoxos christianos, qui regnum millenarium respuant, in fine autem subjungat: se cum omnibus orthodoxis istam opinionem tenere. Quare cum Dallaeo particulam negativam 35 in illo commate: πολλους δ ’ αυ, και των - (μη) - καθαρας etc. inserendam putat: ratus, hanc olim ab illis, qui exemplaria manu describerent, vindicandi Justini gratia excussam fuisse. Tali modo repugnantiam tolli, et facile intelligi opinatur, cur in sequentibus uberius de istis haud genuinis christianis agat Justinus. Idque confirmari putat exinde, quod Justinus dogma de resurrectio- 40 ne et de millenario regno tam arcte conjunxerit, ut nonnisi duplex christianorum genus nosse videatur, gnosticos, qui utrumque negabant, et orthodoxos, qui utrumque tenebant. <?page no="292"?> 260 Johann Sebastian Drey Ad ista paucis volo respondere. Et imprimis quidem dico, nullibi sibi repugnare Justinum: non enim dicit, quod Münscherus eum dicere asseverat. Affirmat quidem superius paulo ab initio loco, quem attuli: multos esse christianos etiam ex orthodoxorum genere, qui regnum millenarium respuant; ast in fine non subjungit, se cum omnibus orthodoxis eam regni millenarii 5 sententiam tenere, sed scire se cum omnibus orthodoxis, carnis resurrectionem futuram. Quis hic sibi repugnare Justinum dicat? Poterant omnes orthodoxi carnis resurrectionem tenere, et multi simul chiliasmum respuere, quemadmodum haud ita multo post Origenes aliique chiliasmi impugnatores acerrimi resurrectionem tamen corporum professi sunt. Quoniam tamen ad carnis 10 resurrectionem statim mille annos ex Prophetis adjungit auctor noster, quomodo adjungat, examinari oportet. Patet autem facile cuivis ipsius Justini verba inspicienti: non iisdem vocabulis et de resurrectione et de mille annis disseri; namque de resurrectione dicit: εγω δε και ειτινες εισιν ορθογνωμονες κατα παντα χριστιανοι, και σαρκος ανασταςιν γενησεσθαι ε π ι σ τ α μ ε θ α ; de 15 mille annis vero asserit: και χιλια ετη εν Ιερουσαλημ - - ο ë ι προϕηται - ο ë μολογουσιν . Ipsa proinde constructionis variatio indicat, non parem utrique dogmati auctoritatem a Justino tribui: in resurrectione − communem omnium orthodoxorum doctrinam pronunciat, in mille annis Prophetarum vaticinia ad suam sententiam interpretatur. Talem autem Prophetarum interpretationem non 20 omnibus orthodoxis fuisse communem, sed privatam Justini et aliorum chiliastarum, ex eo colligi potest, quod Justinus non ponit: εγω δε και ειτινες - - τους προϕητας ο ë μολογειν ε π ι σ τ α μ ε θ α , quemadmodum antea, sed simpliciter effert: ο ë ι προϕηται ο ë μολογουσιν . Prius igitur affirmat dogmatice, alterum historico-exegetice. 25 Sed ex his ulterius liquet, non ita confusam a Justino ac permixtam fuisse utramque doctrinam de resurrectione scilicet et de mille annis (quemadmodum vult Münscherus) ut nonnisi duplex christianorum genus nosse dicen- 7 dus sit. Namque et hic utramque aperte distinquit, uti probavi, et aliis quoque in locis, ubi de istis rebus sermonem injicit, idem facit. Sic Dial. Nro. 81, quo 30 sententiam de mille annis sacrorum librorum auctoritate corroborare pergit, sub finem ad Apocalypsin Johanneam adpellans post mille annos in Jerusalem traductos καθολικην και αιωνιαν ο ë μοθυμαδον α ë μα παντων αναστασιν γενησε σθαι και κρισιν commemorat. Imo Apol. I. Nr. 52. resurrectionem universalem et judicium extremum cum secundo Christi adventu ita conjungit, ut nil 35 prorsus, multo minus mille annorum regnum interjiciat. Ex quo Cl. Lumper. (Histor. Theol. Crit. P. II. pag. 246.) infert, probabilius Justinum, dum illam Apologiam scriberet, alienum adhoc a chiliastica sententia fuisse. Novit igitur Justinus, uti jam supra exposui, triplex christianorum genus, et hoc ipsa periodorum concinnatione distinquit, quemadmodum facile licet 40 cognoscere. Enimvero dum ex una parte se multosque alios sententiae millenariae asseclas profitetur, ex altera vero multos vicissim istius sententiae inimicos, <?page no="293"?> 261 Justini Martyris de regno millenario sententia (1814) quis non videat, ipsa hac oppositione duplicem christianorum classem statui a Justino, una quidem sententia discrepantem, numero autem et auctoritate parem. Sed et alteram classem inter orthodoxos adhuc referri ab auctore nostro, nec vero Gnosticos jam hic intelligi, ex eo patet, quod multos hos dicendo pares illis facit. Atqui alienum est prorsus a more Patrum, haereticorum sectas aequi- 5 parare orthodoxis: non enim multos dicunt haereticos, sed nonnullos; quemadmodum et Justinum facere videmus, dum paulo infra Gnosticorum dogmata recenset: „nam si incidistis etiam in nonnullos,“ ait. In hoc igitur commate tertio de Gnosticis agere aggreditur, et tertium christianorum genus, sed qui hoc nomen immerito usurpent, recensere. Quare nullo pacto assentiri possum 10 Münschero contendenti, jam in secundo commate Gnosticos intelligi. Accedit et hoc; Justinum, dum ad finem loci supra positi fidem resurrectionis omnium orthodoxorum communem esse affirmat, hac formula uti: ego vero et si qui sunt orthodoxi etc. non autem ista: ego vero et multi alii; ex quo infero, eadem formula ipsum et ab initio usum fuisse, si millenariorum sententiam omnibus ortho- 15 doxis probatam voluisset dicere; posuisset nimirum: ego vero et siqui sunt orthodoxi, − non autem: ego vero et multi alii. Non est igitur, cur cum Dallaeo dicere oporteat, particulam negantem in secundo commate excidisse, aut omnino piis quidem sed haud prudentibus librariorum studiis excussam fuisse, quemadmodum Münscherus l. c. conten- 20 dit: nunquam enim eam Justinus posuerat. Immo non possum non mirari, qua ratione viros hos sagacissimos fugerit, nullum omnino locum particulae neganti ibi esse posse, contradicente ipso orationis contextu. In altero enim commate, quod incipit: πολλους δ ’ αυ − particula confirmans et copulans και plane non potest stare cum particula negante: illa namque indicat, ea quae 25 sequuntur, aliquo saltem modo cum praecedentibus ita cohaerere, ut periodum absolvant; haec vero totum sermonem omnino converteret. Aut quis non hiare sentiat orationis contextum, si Justinus diceret: „multos vicissim etiam illorum christianorum, qui non sequuntur piam et orthodoxam sententiam, haec non agnoscere indicavi; “ et quid miri diceret, si ista diceret? Equidem sic 30 judico: quodsi Justinus in altero commate haereticos intelligi voluisset, contextus ratio exigebat, ut pro particula κ α ι conversivam α λ λ α poneret; ita enim efficeretur sensus: „ast multos vicissim, sed illorum christianorum, qui non sequuntur piam et orthodoxam sententiam etc.“ Quare, dum Justinum hiantis et vitiosae dictionis incusare nefas foret, utpote qui accurato dicendi 35 8 genere inter antiquos Patres facile eminet, locum, uti extat, prorsus genuinum et mendis carentem agnoscere oportebit: non enim, nisi ita legeris, contextus sensui respondebit. Haec potissimum habui, quae ad illustrandum Justinum, atque ad eludendas quasdam hujus scriptoris explicationes haud satis firmas afferrem. Id 40 enimvero me evicisse arbitror, perperam ad Justinum confugere, qui contendunt; sententiam regni millenarii omnibus orthodoxis probatam saeculo se- <?page no="294"?> 262 Johann Sebastian Drey cundo, et dogmatis instar habitam fuisse, siquidem contrarium ex ipsius Justini verbis demonstravi. Et mirum sane videri deberet, quomodo ea ipsa sententia saeculo tertio ineunte ac deinceps debellari a Cajo Presbytero, ab Origine, − et a Dionysio Alexandrino tam felici successu potuerit, si late adeo per omnem Ecclesiam orthodoxam diffusa fuisset. 5 * * * Quod reliquum est, invitamus vos, cives Academici, omnesque viros conspicuos, qui in partem laetitiae communis venire cupiunt, ad audiendum sermonem, quem ipso die festo peractis solemnibus Sacris C a r o l u s Wa c h t e r , 10 Rector Universitatis, hist. Eccles. et jur. Eccles. P. P. O. habebit in Auditorio Academico. Cui orationi, quam pia animorum sensa, votaque nostra pro Salute et REGIS nostri potentissimi, et omnis regiae Familiae nuncupata sequentur, ut frequentes adesse velitis, perdecenter vos et officiose rogamus. <?page no="295"?> 263 Justini Martyris de regno millenario sententia (1814) Von Drey angeführte Literatur (Winfried Werner) H ans H einrich C orrodi , Kritische Geschichte des Chiliasmus. 3 Tle. in 4 Bdn., Frankfurt und Leipzig 1781-1783 [Nachdruck u.d.T.: H einrich C orrodi , Kritische Geschichte des Chiliasmus. Oder der Meynungen über das Tausendjährige Reich Christi. 4 Bde., Zürich 1794], Teil 2. (S. 3 f) Joannes Dallaeus, De usu Patrum ad ea definienda religionis capita, quae sunt hodie controversa, libri dvo. Latine e Gallico nunc primum a I. Mettayero redditti. Genevae 1655. (S. 6-7) G ottfried L umper , Historia theologico-critica de vita, scriptis, atque doctrina Sanctorum Patrum, aliorumque scriptorum Ecclesiasticorum trium primorum saeculorum ex virorum doctissimorum literariis monumentis collecta. 13 Bde., Bd. 2: Complectens patres saeculi secundi fere dimidii, atque selecta quorumdam Sanctorum Martyrum acta. Augustae Vindelicorum 1784. (S. 7) P rudentius M aranus , Του εν αγιοις πατρος ημων Ιουστινου ϕιλοσοϕου και μαρτυρος τα ευρισκομενα παντα . S. P. N. Justini philosophi et martyris opera quae extant omnia. Necnon Tatiani adversus Graecos oratio, Athenagorae ... legatio pro Christianis, S. Theophili Antiocheni tres ad Autolycum libri, Hermae philosophi Irrisio Gentilium Philosophorum: item ... supposita Justino opera, cum actis illius martyrii [et] excerptis operum deperditorum ... Justini et Tatiani [et] Theophili; cum Mss. codicibus collata, ac novis interpretationibus ... illustrata ... Opera et studio unius ex monachis Congregationis S. Mauri. Paris, Den Haag 1742; Venedig 1747; Würzburg 1777. (S. 3-7) W ilhelm M ünscher , Handbuch der christlichen Dogmengeschichte. 4 Bde., Marburg 1797-1809; Bd. 2, 2 1804. (S. 3-7) <?page no="297"?> Text Nr. 4: Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos in ecclesia catholica ex documentis ecclesiasticis illustrans. Sectio I ma [Beichtschrift] Teil A: Einleitung von Max Seckler I. Bibliographische Angaben Der vollständige Text des Titelblatts lautet: Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos in ecclesia catholica ex documentis ecclesiasticis illustrans. Sectio I ma quam pro materia disputationis propositam a praeside Joanne Sebastiano Drey Theol. Doct. ac Prof. in Universitate Fridericiana Elvac. die [18] Septembris MDCCCXV publice defendent Melchior Erhard Zoebinganus, Caspar Herderer Rotwilanus, Tiberius Keller Dietenheimensis, Andreas Kolb, Guilielmus Wolf ex urbe Wila theologiae candidati. Elvaci, typis Joan. Georg. Ritter, Univ. Typographi et Bibliopolae [1815]. - Für das Tagesdatum ist im Druck ein Spatium freigelassen. Im Exemplar der Bibliothek des Tübinger Wilhelmsstifts (Signatur: Gf 650.4 ° ) ist an dieser Stelle von Hand eingetragen: 18 (September 1815). Umfang: VI, 40 Seiten, Quart. Die dissertatio wurde bei J ohann G eorg R itter , dem von Schwäbisch Gmünd nach Ellwangen übersiedelten Hausdrucker der Friedrichsuniversität, in geringer Stückzahl gedruckt und war nicht im Buchhandel erhältlich. Der bibliographisch übliche Titel lautet: Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos in ecclesia catholica ex documentis ecclesiasticis illustrans. Als Arbeitstitel wird die Bezeichnung Beichtschrift (BS) verwendet. II. Erläuterungen 1. Beschreibung der Beichtschrift a. Die Beichtschrift als Disputationsvorlage An der Friedrichsuniversität in Ellwangen fanden jedes Jahr im September zum Abschluß des Studienjahres die öffentlichen Prüfungen statt, deren Höhepunkt die Disputation einer dissertatio war. Die Dissertationen wurden vor dem Prüfungstermin gedruckt und den Kandidaten, die in der Regel für die Druckkosten aufzukommen hatten, zur Vorbereitung auf die Disputation <?page no="298"?> 266 Erläuterungen ausgehändigt; weitere Druckexemplare wurden den vom Rektorat der Friedrichsuniversität ausgegebenen Einladungen (Programmen) zu den feierlichen Disputationen beigegeben. Die Disputationen waren ein hochrangig eingestuftes akademisches und zugleich gesellschaftliches Ereignis, das vor dem Festplenum der Universität über die Bühne ging. Der Vorsitz im Disputationsgeschehen oblag demjenigen Universitätslehrer, der mit der Abfassung der dissertatio betraut worden war. Die Disputationsveranstaltung verlief gewöhnlich in drei Akten: Einbringung der dissertatio als Disputationsvorlage in den Disputationsvorgang durch den Verfasser, Disputation der Vorlage mit den dafür ausgewählten Kandidaten und Schlußwort des Vorsitzenden, ggf. verbunden mit der Erläuterung eines die dissertatio disputatio betreffenden, besonders schwierigen Sachverhalts. Letzteres konnte als peroratio (Epilog) bezeichnet werden; diese Ausführungen waren nicht für den Druck vorgesehen. Die Schrift, die nachfolgend als Text Nr. 4 wiedergegeben ist, wurde von D rey am 18. September 1815 als Disputationsvorlage in die Prüfungsveranstaltung eingebracht. Das Auditorium war das selbe Universitätsplenum, vor dem er ungefähr zwei Jahre später die inzwischen zum amtskirchlichen Streitfall gewordene dissertatio erläutern und für seine Person verteidigen sollte (siehe Text Nr. 5). Die dissertatio ist, wie es die geltende Ordnung vorsah, in lateinischer Sprache verfaßt. b. Die Beichtschrift im Kontext der Ellwanger Universitätsschriften und -reden Das nachfolgende Verzeichnis dient der Kontextualisierung der BS im Umfeld der akademischen Dissertationen und Reden, die für die Jahre 1812-1817 nachweisbar sind 1 . Da die Überlieferungslage teilweise lückenhaft und unsicher ist, konnte keine Vollständigkeit erreicht werden. Nicht angeführt ist die Gruppe der dissertationes orationes, die jährlich beim Festakt zur Feier des Geburtstags des Königs, der jeweils am 6. November stattfand, gehalten wurden, da diese bereits in der Einleitung zu Text Nr. 3 (Millenniumsschrift) 1 Quellen: L orenz L ang (Hg.), Denkmal der Achtung und Liebe, errichtet dem Dr. Joh. Nepomuk Bestlin von einem seiner vertrautesten Freunde [A lois W agner ]. Tübingen 1832; F ranz X aver F unk , Die katholische Landesuniversität in Ellwangen und ihre Verlegung nach Tübingen, in: Festgabe der Universität Tübingen zum fünfundzwanzigjährigen Regierungsjubiläum Seiner Majestät des Königs Karl von Württemberg. Tübingen 1889, 3-30; E ugen H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität Ellwangen 1812-1817. Erinnerungsschrift zur feierlichen Eröffnung des Königl. Württemb. Gymnasiums Ellwangen am 4. November 1817. Ellwangen [1917]; J oseph M ets , Skizzen meiner eigenen Lebensgeschichte, in: J oseph Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (1812-1817) und sein erster Rat Dr. Joseph von Mets. Nebst erstmaliger Herausgabe der Autobiographie des Geistlichen Rats Dr. von Mets. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der Diözese Rottenburg, in: ThQ 109, 1928, 3-160, darin die Autobiographie von M ets 71-156; N orbert W olff , Peter Alois Gratz (1769-1849). Ein Theologe zwischen »falscher Aufklärung« und »Obscurantismus« (Trierer theologische Studien 61). Trier 1998, sowie eigene Nachforschungen (siehe auch Einleitung zu Text Nr. 3, Anm. 5). <?page no="299"?> 267 Die Beichtschrift (1815) zusammengestellt sind. Die Disputationsdissertationen der fünf Ellwanger Studienjahre sind überliefert, während von den zugehörigen Reden von 1813, 1816 und 1817 Genaueres nicht bekannt ist. α . Disputationsdissertationen K arl W achter , Theses ex jure ecclesiastico ad leges patrias adaptato, una cum praeviis positionibus ex jure naturae et gentium, quas praeside D. Carolo Wachter juris canonici professore publico ordinario in alma universitate Fridericiana Elvacensi solenni disputationi subjiciunt D. Ferdinandus Marx D. Leonardus Steinle D. Aloysius Weber. Die [XX.] septembris anno MDCCCXIII. Gamundiae, typis Io. Georgii Ritter. [1813; Umfang 83 S.]. - Zur peroratio des Präses (W ach ter ) ist nichts überliefert. P eter A lois G ratz , Ueber Interpolationen in dem Briefe Paulus an die Römer, und ihrer Veranlassung mehrerer Schwierigkeiten in diesem Briefe. Geschrieben von Prof. Dr. Gratz und in öffentlicher Disputation vertheidiget von Joseph Faulhauer [...], Georg Freudenreich [...], Sebastian Gluns [...], Michael Knappich [...], Karl Negele [...]. Ellwangen 1814 [Umfang 34 S.]. - Die peroratio des Präses (G ratz ) handelte de Critices sacrae pretio. J ohann S ebastian D rey , Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos in ecclesia catholica ex documentis ecclesiasticis illustrans. Sectio I ma . Elvaci 1815 [zu Umfang und Kandidaten siehe oben Ziff. I]. - Die Dissertation enthält am Schluß (39) die Bemerkung: »Perorabit praeses − de dogmatum christianorum incremento institutioni divinae haud adverso«. Der Text dieser peroratio ist nicht überliefert, die von D rey 1819 veröffentlichte Oratio de dogmatum christianorum incremento institutioni divinae haud adverso (in: Archiv für die Pastoralkonferenzen in den Landkapiteln des Bisthums Konstanz 18 (1819) Band 2, Heft 7/ 8, 89-103) ist trotz des gleichlautenden Titels damit nicht identisch (siehe Text Nr. 5). K arl W achter , Dissertatio historica de administratione bonorum ecclesiasticorum. Una cum selectis thesibus, quas praeside Carolo Wachter s.s. theologiae doctore jur. eccl. et hist. eccl. professore p. o. in alma Fridericiana Elvacensi publice defendent die [XVI.] sept. ann. MDCCCXVI. D. Tiberius Keller [...], D. Andreas Kolb [...]. Typis Ioann. Georg. Ritter, univers. typographi. [Ellwangen 1816; Umfang 40 S.]. - Am Textende dieser dissertatio (38) findet sich der Hinweis, daß im Anschluß an die öffentliche Disputation die Ehrenpromotion von J oseph M ets erfolge. In seiner Autobiographie hielt M ets dazu fest: »Den 16. September 1816 wurde mir ohne mein Ansuchen, aus eigenem, freyen und einstimmigen Beschlusse des Akademischen Senats der Friedrichs-Universität zu Ellwangen die Doktors-Würde, nach einer öffentlichen Disputation, auf eine rührende und sehr feyerliche Weise erteilt durch den damaligen Rektor der Universität, den Herrn Generalvikariatsrat Bestlin, welcher dabei eine sehr religiöse und lehrreiche Anrede hielt, mir hierauf den <?page no="300"?> 268 Erläuterungen Akademischen Scepter reichte und den Doktorring ansteckte, welchen Ring mir der Herr Fürst von Hohenlohe, Generalvikar, als Beweis seiner lebhaften Teilnahme, zum Geschenk machte. Hierauf bestieg ich die Kanzel und hielt eine Dissertation de censorio judicio in rebus religionis samt einer kurzen Danksagungsrede ...«. (M ets , Autobiographie 142. Handschriftliches Manuskript dieser Rede mit dem Titel De Censorio judicio in religionis negotiis in UAT 44/ 173-42). - Die dissertatio W achters wurde wieder abgedruckt in: Archiv für die Pastoralkonferenzen in den Landkapiteln des Bisthums Konstanz 16 (1817) Band 1, Heft 6, 385-434; zu Beginn die »Anm. d. Red.«: »Wir glauben, daß diesem Aufsatz in dem Pastoral-Archiv um so mehr ein Platz gebühre, als sein Gehalt dem Seelsorger besonders wichtig ist, und der verdienstvolle Herr Verfasser eine Pfarrei im Bisthum Konstanz inne hat, und meistens solchen Schülern, die zum Bisthum Konstanz gehören, an der hohen Schule zu Ellwangen den Unterricht im Kirchenrecht ertheilt.«). P eter A lois G ratz , Ueber die Grenzen der Freiheit, die einem Katholiken in Betreff der Erklärung der heiligen Schrift zusteht. Von Professor Dr. Gratz. In öffentlicher Disputation vertheidiget von Alois Klingenmaier [...]. Franz Xaver Khuon [...]. Johann Anton Lenz [...]. Joseph Wörner [...]. Kandidaten der Theologie auf der Königlich-Württembergischen Friedrichs-Universität Ellwangen. Ellwangen, bey dem Universitäts-Buchdrucker und Buchhändler Ritter. 1817. [Umfang 36 S.] - Das Druckexemplar enthält keine Hinweise auf weitere Programmpunkte oder Reden. β . Weitere Schriften und Reden Zur Inaugurationsfeier der Friedrichsuniversität, die am Namenstag ihres Stifters am 5. März 1813 begangen wurde, lud der amtierende Rektor, C öle stin S pegele , zusammen mit einer lateinischen Abhandlung ein, in der er die Verdienste der katholischen Bibelwissenschaft seit der Scholastik darlegte. Der Präsentationstitel des 18seitigen Foliodrucks, Regiae, catholicae Universitatis Fridericianae, quae est Elvaci, inaugurationem solennem die V. mensis Martii hujus anni MDCCCXIII celebrandam omnibus, quorum id scire interest, indicit Rector, cum professoribus reliquis, et de studio biblico, a catholicis numquam penitus neglecto quaedam disserit. Gamundiae [R itter , 1813], nennt nur das Amt, nicht den Namen des Verfassers; zudem gibt der Text keine Hinweise auf weitere Programmpunkte des Festaktes, auch nicht auf den von G ratz bei der selben Feier gehaltenen Vortrag über Die mannigfaltigen Prinzipien der Theologie. - In der von H enri G re´goire in Paris herausgegebenen Chronique religieuse (Bd. 1, 1819, Heft 2, 36 f) wurde S pegeles Abhandlung fälschlich dem Freiburger Exegeten J ohann L eonhard H ug zugeschrieben, woraufhin D rey folgende, auch für die Usancen der akademischen Festakte in Ellwangen aufschlußreiche Literärische Berichtigung anbrachte: »Die hier angezeigte wirklich gelehrte Abhandlung wurde nicht als Dissertation vorgelesen, sondern als Einladungs- <?page no="301"?> 269 Die Beichtschrift (1815) programm zur Inauguration ausgetheilt. Sie hat auch nicht H. Dr. von Hug zum Verfasser, sondern H. Dr. Spegele, damaligen ersten Rector der neuen Universität« (ThQ 1, 1819, 726; siehe Texte Nr. 9, Misz. Nr. 5). Zur Übergabe des Rektorats 1814 hielt S pegele eine Rede De antiquis scholis scholarumque rectoribus. Zu der im Dezember 1816 abgehaltenen Trauerfeierlichkeit der Universität für den am 30. Oktober 1816 verstorbenen König F riedrich hielt B estlin eine Rede. Am 27. März 1817 fand die Doktorpromotion von Professor J ohann G eorg H erbst statt. H erbst verteidigte dabei seine Dissertation Observationes quaedam de Pentateuchi quatuor librorum posteriorum auctore et editore. Commentatio critica quam pro summis in theologia honoribus rite adipiscendis defendet die [ xxvii ] martii MDCCCXVII. 1817 [Umfang 62 S., bei R itter in Ellwangen; ohne Hinweise auf weitere Programmpunkte]. - Rektor B estlin hielt bei diesem Anlaß eine Rede über die Bedeutung des Alten Testaments. c. Gegenstand, Ziel und Methode der Beichtschrift Dem Titel dieser dissertatio zufolge handelt es sich um eine theologiegeschichtliche Untersuchung (Dissertatio historico-theologica) zum Ursprung (origo) des Sündenbekenntnisses (exomologeseos) und zu seinen Modifikationen (vicissitudines) in der katholischen Kirche im Licht kirchlicher Zeugnisse. Am Ende des ersten Paragraphen präzisiert D rey sein Vorhaben dahingehend, daß er die Samen, das Hervorsprießen, das Anwachsen und das gottgesetzte Geschick der Beichte zu schildern beabsichtigt (Itaque aggredimur hic exponere, quid de seminibus, ortu, progressu fatisque exomologeseos notavimus [3]). Den in schultheologischer Manier formulierten Angaben im Titel ist nicht ohne weiteres zu entnehmen, was der Leser tatsächlich zu erwarten hat. Dazu folgende Hinweise: Mit der methodologischen Bestimmung und Verortung der dissertatio in der literarischen Gattung einer theologiegeschichtlichen Untersuchung setzt D rey sie von der in der orthodoxen Schultheologie üblichen rechtsdogmatischen Behandlung der Beichtfrage bzw. von der systemhermeneutischen Herleitung der Beichte aus dem Bußsakrament ab. Er will das geschichtliche Zustandekommen der Exomologese mit den Mitteln der historischen Forschung anhand der literarischen Quellen erheben. Die Option für diese Methode und dieses Ziel war in der Diskussion der Beichtfrage zur Zeit D reys nichts Neues. Sie war in den kontroverstheologischen Auseinandersetzungen bei der Frage nach der biblischen Legitimation der Beichte seit der Reformation geläufig, ohne daß übereinstimmende Ergebnisse erzielt wurden. In der Epoche der Aufklärung wurde sie in ideologischer Zuspitzung als Instrument radikaler Beichtkritik verwendet. Die historische Rückfrage nach dem Ursprung der Beichte, und das Ziel, die Geschichte ihrer Entwicklung aus den frühchristlichen und altkirchlichen Zeugnissen zu erheben, war in- <?page no="302"?> 270 Erläuterungen sofern im Prinzip keine Pioniertat. Neu war eher die Entschiedenheit, mit der D rey als katholischer Theologe für den ergebnisoffenen Einsatz der historisch-kritischen Methode in der Auswertung der Quellen optierte, wobei zu beachten ist, daß die Anwendung dieser Methode in den Jahren 1812-1815 an der Friedrichsuniversität auch von G ratz und W achter geübt wurde (siehe Einleitung zu Text Nr. 3, Ziff. II.3), sodaß sie von daher - und ineins mit D rey - zu den frühesten Merkmalen der beginnenden Schule geworden ist. D rey selbst verwendet den Namen dieser Methode im Titelblatt der dissertatio nicht förmlich, aber seine Ausführungen im letzten Absatz der praefatio, wo er seine Methode ausdrücklich in diesem Sinne umschreibt, sind deutlich genug. Absolut innovativ war dagegen die Deutung der historischen Befunde durch D rey im Vergleich mit den Alternativen, die er als Autor der dissertatio auf seinem Feld vorfand. Die historische Erforschung der Genese der Beichte hatte bis dahin zu folgenden Lösungstypen geführt, die D rey vor Augen hatte: (a.) Bejahung der historischen Rückfrage mit der erkenntnisleitenden Erwartung, die Einsetzung der Beichte durch Christus gleichwohl anhand biblischer Texte historisch bzw. exegetisch nachweisen zu können (vgl. dazu unten in Ziff. II.5.a die Ausführungen zu B runnquell ); (b.) kritischer Nachweis der Entstehung der Beichte in nachbiblischer Zeit mit der Schlußfolgerung, daß sie infolgedessen als eine menschliche, gar pfäffisch-hierarchische Erfindung anzusehen sei (das war die von vielen protestantischen Autoren vertretene Auffassung); (c.) Anerkenntnis der nachbiblischen Entstehung der Beichte, aber rechtsdogmatische Verankerung ihres sakramentalen Charakters als Einrichtung göttlichen Rechts in der Vollmacht der Kirche (dieser gemischte Lösungstypus wurde von den historisierenden Dogmatikern als der katholische Königsweg zur Sicherung der Sakramentalität der Beichte unter Anerkennung der Ergebnisse der historischen Forschung angesehen). D rey schloß sich keiner von diesen Denkschulen an. Er entwickelte einen Lösungstypus, der es erlaubte, auf der Grundlage einer innovativen Theorie der Dogmenentwicklung das Wissensgewissen des Historikers mit den Interessen des Dogmatikers und den Belangen des Dogmas zueinander zu vermitteln. D rey brachte hier einen Entwicklungsbegriff zum Tragen, dem zufolge es in der Dogmengeschichte nicht nur eine Binnenentwicklung innerhalb der Dogmen im Sinne fortschreitender Präzisierungen oder vertiefender Erklärungen gibt, sondern ein reales Anwachsen der Dogmen und einen Zuwachs an Dogmen. Er bezeichnete diesen Prozeß als incrementum und das Produkt als incrementa. Die oben angeführten organologischen Metaphern (semina, ortus, progressus, fata) dürfen nicht dazu verleiten, diesen Vorgang nach dem in der Schultheologie üblichen Muster zu deuten. Für den D rey der BS liegt die Pointe nicht darin, daß das Dogma im Fortgang der Dogmengeschichte klarer erkannt wird - diese schulorthodoxe Deutung D reys hat W es senberg 1819 vorgenommen (siehe dazu Einleitung zu Text Nr. 5, Ziff. <?page no="303"?> 271 Die Beichtschrift (1815) II.4.d) -, oder daß es sich selbst in seinem organischen Wachstum intern entfaltet, sondern es ist die Sache Jesu, die Sache des Christentums, die auf ihrem Weg in der Geschichte zu neuen Determinationen voranschreitet, um sich je und je in neue Verhältnisse einzubringen. Nicht nur um festgeschriebene Lehren handelt es sich, die weitertransportiert werden, sondern um göttlich gestiftete Realien, die in den Wechselspielen (vicissitudines) ihrer geschichtlichen Selbstbehauptung sich fortwährend zu neuer Gegenwart vermitteln. Dem Begriff der Dogmenentwicklung liegt bei D rey (zumindest beim D rey der BS und der Oratio von 1817/ 19) trotz der organologischen Wachstumsmetaphern, die er verwendet, nicht die triviale Vorstellung einer linearen organischen Entfaltung zu Grunde. Es ist, wie D rey zufolge das Studium der Geschichte zeigt, eine andere Art von Lebensprozeß. Das Studium der Geschichte, die historisch-kritische Erforschung der vicissitudines des Bußsakramentes, ist demnach unabdingbar, um den Lebensprozeß wahrheitsgetreu nachvollziehen zu können. Das ist die Leitidee, unter der D rey sich auf die historische Rekonstruktion des Ursprungs und der Metamorphosen des Sündenbekenntnisses in den ersten drei Jahrhunderten eingelassen hat. Die Geschichte wird hier zu einer Instanz der Theologie, die geschichtlichen Realitäten sind theologisch anzuerkennen und dogmatisch zu reflektieren. Deshalb ist es wichtig, der historisch-kritischen Forschung ihre methodologischen Rechte, ihre wissenschaftliche Würde und ihre theologische Relevanz zuzuerkennen. Es bedeutet in der Frage des Sündenbekenntnisses, daß das Bußsakrament radikal geschichtlich zu denken ist, derart, daß die erst im 3. Jahrhundert in Übung gekommene Beichte zwar durchaus etwas Neues war, aber gleichwohl »das Ursprüngliche selbst nur in einer anderen Form«, wie D rey 15 Jahre später in einer Rezension der Beichtschrift K lees verdeutlichte 2 . Die oben genannte Leitidee, der er seine Dissertatio historico-theologica von 1815 unterstellte, hat er in dieser Schrift nicht ausführlich dargelegt, sondern nur en passant angesprochen; ihre systematische Darstellung wollte er getrennt davon später nachliefern. Er legte sie erst 1819 im Druck vor (siehe Text Nr. 5). Dem Titelblatt der dissertatio ist in der Tat zu entnehmen, daß dieser Text ein erstes Teilstück (Sectio I ma ) ist und von D rey am [18.] September 1815 in dieser Form als Disputationsvorlage in den auf diesen Tag anberaumten öffentlichen Prüfungsakt eingebracht wurde. Die Frage, ob Sectio I ma auf das Prüfungsverfahren zu beziehen ist (in diesem Fall wäre ihre Vorlage als erster 2 In: ThQ 11 (1829) 85-96, 92. Gegenstand der Rezension ist H einrich K lee , Die Beichte, eine historisch-kritische Untersuchung von Heinrich Klee, Doktor der Theologie, derselben und der Philosophie Professor am bischöflichen Seminar in Mainz. Frankfurt am Main bei L. Reinherz. 1828. VIII u. 372 S. in 8. - Es gibt keine Anzeichen dafür, daß K lee die dissertatio D reys von 1815 gekannt haben könnte. D rey ergreift hier die Gelegenheit, sein der dissertatio von 1815 zu Grunde liegendes Lösungsmodell in Abhebung von der scheinbar ihm nahekommenden Auffassung K lees , deren methodologische Schwächen er mit scharfem Skalpell freilegt, zu reformulieren. <?page no="304"?> 272 Erläuterungen Teil des Disputationsgeschehens aufzufassen), oder ob D rey damit anzeigen wollte, daß es sich beim Text der dissertatio um das erste Teilstück einer darüber hinausreichenden und insgesamt größer angelegten Behandlung der Beichtfrage handelt, läßt sich schon anhand der Syntax eindeutig zugunsten der zuletzt genannten Alternative beantworten. Es gibt für diese Annahme noch andere Gründe, auf die weiter unten zurückzukommen ist (vgl. dazu auch Einleitung zu Text Nr. 5). Wenn aber die dissertatio nur das erste Teilstück in der Behandlung der Beichte sein soll, ist zu fragen, ob es einen zweiten Teil dazu gab und gibt. Es gibt ihn tatsächlich. D rey hat den in Redeform verfaßten lateinischen Fortsetzungstext 1819, zwei Jahre nach seiner Übersiedelung nach Tübingen - und somit volle vier Jahre nach der Vorlage der dissertatio in Ellwangen -, im Konstanzer Pastoralarchiv veröffentlicht 3 . In der Druckfassung ist sie in ihrem Titel fettgedruckt als Oratio bezeichnet. Den Lesern des Pastoralarchivs wurde nicht mitgeteilt, wann und wo sie gehalten wurde, auch in der zweieinhalbseitigen »Anm. d. Red.«, die ihr am Ende angefügt ist, findet sich kein Hinweis darauf. Daß sie mit der dissertatio von 1815 zusammenhängt, ist bereits aus ihrem Titel zu erschließen, der mit dem Titel der im Disputationsprogramm von 1815 angekündigten peroratio, die als besonderer Programmpunkt im Festakt gedacht war, wörtlich übereinstimmt. Es geht aber vor allem aus dem Inhalt der Oratio zwingend hervor. D rey hat den Text der Oratio mit Sicherheit - jedoch zu einem nicht mehr ganz genau zu bestimmenden Zeitpunkt - in Gestalt einer realen Rede vorgetragen 4 , und zwar ausdrücklich als Ergänzung der dissertatio und zu ihrer Verteidigung (siehe Text Nr. 5 mit Einleitung). In der Rezeptionsgeschichte der BS wurden die Hinweise auf den Teilcharakter der dissertatio nie beachtet. Da der Blick auf sie sich verändert, wenn sie als Teil eines größeren Ganzen zu lesen ist, hat sich dieses Versäumnis in der Geschichte ihrer Wahrnehmung fatal ausgewirkt, zunächst für D rey persönlich. Aber vor allem der Theologie ist dadurch eine der originellsten und zukunftträchtigsten Leistungen im Frühwerk D reys entgangen. 3 Archiv für die Pastoralkonferenzen in den Landkapiteln des Bisthums Konstanz 18 (1819) Bd. 2, Heft 7/ 8, 89-103, unter dem Titel: Oratio de dogmatum christianorum incremento institutioni divinae haud adverso. Der Text dieser Rede ist unten als Text Nr. 5 dokumentiert. 4 Der Annahme, daß es sich bei diesem Text »um den Druck der Abschlußrede Dreys gelegentlich der feierlichen September-Disputation an der Friedrichs-Universität in Ellwangen 1815« handelt (siehe A braham P eter K ustermann / E ugen F esseler , Bibliographie der Schriften Johann Sebastian Dreys, in: A braham P eter K ustermann (Hg.), Revision der Theologie - Reform der Kirche. Die Bedeutung des Tübinger Theologen Johann Sebastian Drey (1777-1853) in Geschichte und Gegenwart. Würzburg 1994, 309-339, 317, Anm. 1), stehen textinterne Befunde entgegen. D rey kann diesen Redetext erst später verfaßt und diese Rede erst später gehalten haben (vgl. dazu Einleitung zu Text Nr. 5). Nicht auszuschließen ist indessen, daß D rey in der September-Disputation einen Vortrag im Sinne des oben angeführten Themas gehalten hat. <?page no="305"?> 273 Die Beichtschrift (1815) d. Inhalt Inhaltlich hat die BS die Entwicklung des Bußsakraments zur Privatbeichte in den ersten drei Jahrhunderten zum Gegenstand. Der in 13 Paragraphen gegliederte Gedankengang der Abhandlung und die Ergebnisse werden von D rey am Ende in § 13 in sechs Punkten zusammengefaßt (37-38): Den hl. Schriften ist über den Ursprung (origo) der Beicht (exomologeseos) wenig Sicheres und Klares zu entnehmen; hervorgegangen ist sie aus der öffentlichen Buße (poenitentia publica), die es schon zur Zeit der Apostel gab; wie diese Buße (poenitentia), so war auch das den schwersten Verfehlungen vorbehaltene Sündenbekenntnis (confessio) öffentlich und diente primär der Versöhnung mit der Kirche, zugleich aber mit Gott; je mehr die Autorität der Kirche als göttlich angesehen wurde, umso heiliger erschien die Notwendigkeit eines solchen Sündenbekenntnisses, wenngleich dafür direkt kein göttliches Gebot und keine kirchliche Verpflichtung geltend gemacht wurden; das Sündenbekenntnis (confessio) wurde nicht nur vor der Kirche, sondern zugleich vor Gott abgelegt, dem allein zunächst auch die Vergebung der Sünden vorbehalten war, doch kam bereits im 2. Jahrhundert die Formel auf, daß die Kirche die Sünden nachlasse; schon zur Zeit C yprians waren Buße und Sündenbekenntnis an bestimmte Regeln gebunden, die dann dahingehend reformiert wurden, daß die Beichte (exomologesis), die zuvor öffentlich war, in der Kirchenordnung zur geheimen und privaten Beicht vor einem Priester wurde; die öffentliche Buße blieb zwar erhalten, aber fortan war es selten, daß jemand seine Sünden öffentlich beichtete. e. Zum Ertrag D rey hat sich in seinen Ausführungen strikt an das im Titel der dissertatio angekündigte Vorhaben gehalten, eine historische Untersuchung zum Ursprung und zur Entwicklung des Sündenbekenntnisses anhand der kirchlichen Dokumente (der ersten drei Jahrhunderte) vorzulegen 5 . Die von ihm erzielten Ergebnisse können somit allein dem Urteil der historischen Forschung unterliegen, wie übrigens D rey selbst es auch für die Ergebnisse seiner Untersuchung wünschte und beanspruchte 6 . Daß er mit seiner Befunderhebung auch noch in der einschlägigen Forschung im 20. Jahrhundert 7 5 Vgl. dazu die lesenswerten Erläuterungen, die Drey in der praefatio (III-VI) der Beichtschrift zu seinem Vorhaben und seiner Methode gibt (vor allem im letzten Absatz der praefatio). 6 Siehe ebd.: »Neque aliis volo legibus judicari egomet« (VI). 7 Vgl. dazu K arl A dam , Die kirchliche Sündenvergebung nach dem hl. Augustinus. Paderborn 1917; ders ., Die abendländische Kirchenbuße im Ausgang des christlichen Altertums, in: ThQ 110 (1929) 1-66; P aul G altier , A´ propos de la pe ´nitence primitive. Me ´thodes et conclusions, in: RHE 30 (1934) 517-557; 797-843; ders ., De paenitentia. Tractatus dogmatico-historicus. Romae 1950; I vo Z ei ger , De statu disputationis in historia sacramenti paenitentiae, in: Gregorianum 14 (1933) 432-441. - Zum Teil abweichend davon: B ernhard P oschmann , Die abendländische Kirchenbuße im Ausgang des christlichen Altertums (MSHTh 7). München 1928; ders ., Die abendländische Kirchenbuße <?page no="306"?> 274 Erläuterungen keine schlechte Figur gemacht hätte, wenn ihr die dissertatio inhaltlich zur Kenntnis gekommen wäre, ist immerhin bemerkenswert. Gegenüber der Bußlehre des Konzils von Trient befand D rey sich mit den Ergebnissen der dissertatio zum Zeitpunkt ihres Erscheinens allerdings in einer heiklen Lage. Das Konzil hatte unter anderem gelehrt, die ältesten Väter hätten übereinstimmend das geheime Sündenbekenntnis empfohlen, das die katholische Kirche »von Anfang an immer« in Übung gehabt habe, während das öffentliche Sündenbekenntnis fakultativ gewesen sei und kein göttliches Gebot 8 . Doch D rey hatte die scheinbar gegen ihn sprechenden Texte genau genug gelesen, um sich einen kollisionsfreien Weg für seine Auffassungen bahnen zu können. Er war davon überzeugt, mit seinem Modell zur Entwicklung der Beichte dem Konzil dogmatisch nicht in die Quere zu kommen 9 . Eine genaue Sichtung der Konzilstexte im Licht der jüngeren Forschung bestätigt aus heutiger Sicht die Richtigkeit seiner Auffassung 10 . Daß er sich mit der disserim frühen Mittelalter (BSHTh 16). Breslau 1930; ders ., Paenitentia secunda. Die kirchliche Buße im ältesten Christentum bis Cyprian und Origenes. Eine dogmengeschichtliche Untersuchung (Theophaneia 1). Bonn 1940. 8 Vgl. Cap. 5 der Doctrina de sacramento paenitentiae des Konzils (Denz. 1683) sowie Can. 6 der Canones de sacramento paenitentiae (Denz. 1706). - Zur Interpretationsgeschichte dieser Lehrpunkte siehe H ans -P eter A rendt , Bußsakrament und Einzelbeichte. Die tridentinischen Lehraussagen über das Sündenbekenntnis und ihre Verbindlichkeit für die Reform des Bußsakramentes (FThSt 121). Freiburg i. Br. 1981. 9 Dem Theologischen Tagebuch ist zu entnehmen, daß D rey sich im Vorfeld der Abfassung der dissertatio eingehend mit der Bußlehre des Konzils befaßt und sich auch mit den in der Kontroverstheologie aufgeworfenen Interpretationsfragen im einzelnen auseinandergesetzt hatte. Vgl. dazu besonders seine »Bemerkungen zu der XIV Sitzung des Tridentinischen Concil’s«, im Theologischen Tagebuch III 105-120 (TüA 1, Text 72*, 206-216) sowie seine minutiös ausgearbeiteten Responsiones ad Objectiones, quae contra varias assertiones Dissertationis meae obmoveri possent, ebd. III 169-192 (TüA 1, Text 74*, 244-260). Zu diesen Texten und zu weiteren einschlägigen Tagebucheintragungen sowie zu deren Datierung siehe unten in Ziff. II.3.a. Aus ihrer Gesamtheit geht hervor, daß seine Überzeugung von der Kompatibilität der dissertatio mit der Bußlehre der Konzilien und besonders des Tridentinums fundierter nicht hätte sein können. - Auch im Vergleich mit der in den Schuldogmatiken seiner Zeit anzutreffenden Sicht der Dinge befand D rey sich mit den in der dissertatio erzielten Ergebnissen keineswegs in einem substantiellen Gegensatz. Vgl. dazu besonders E ngelbert K lüpfel , Institutiones theologiae dogmaticae in usum auditorum. 2 Bde., Wien 1789 ( 2 1800; 3 1807. Quartis curis recognitae opera et studio G regorii T homae Z iegler . Wien 1821; zwischen 1790 und 1838 erschienen mindestens sieben weitere nicht gezählte Ausgaben. D rey benutzte meist die 3. Auflage 1807), §§ 92-104 (in sämtlichen Auflagen seit 1789), sowie I ldephons S chwarz , Handbuch der christlichen Religion. 3 Bde., Bamberg, Würzburg 1793-1794 ( 2 1797; 3 1800 und 1801; 4 1803; 5 1818, hier 163-164). Es verdient hier festgehalten zu werden, daß der von hyperorthodoxen Denunzianten aufgebrachte und seit 1815 kursierende Vorwurf der Heterodoxie der Ergebnisse der dissertatio, gegen die deswegen in Rom ein Beanstandungsverfahren lief (siehe unten in Ziff. II.4), in den zeitgenössischen Dogmatiken keinerlei Stütze finden konnte. 10 Vgl. dazu B ernhard P oschmann , Buße und letzte Ölung, in: HDG IV/ 3. Freiburg i.Br. 1951, §§ 13 und 14. P oschmann zufolge lehrt das Tridentinum dogmatisch nur die Notwendigkeit der Beichte sowie ihre göttliche Einsetzung. Im Gegensatz zur ersten Fassung des Konzilstextes, »die auch die geheime Form der Beicht als schlechthin göttlichen Rechts erklären wollte, begnügte sich das Konzil aber damit, die Behauptung zurückzuweisen: modum secrete <?page no="307"?> 275 Die Beichtschrift (1815) tatio gleichwohl in ein Wespennest gesetzt hatte, sollte sich alsbald herausstellen. Handelte es sich bei ihr der Form nach nur um die historische Erhebung eines Befundes auf dem Gebiet der altkirchlichen Bußpraxis, um eine methodologisch eng umgrenzte Aufgabenstellung und eine für den Schulgebrauch zu Prüfungszwecken bestimmte Spezialfrage also, wie es zu diesem Zweck unendlich viele hätte geben können, so sorgte die in ihr behandelte Thematik mit ihren Ergebnissen faktisch doch für eine hochgradige Brisanz. D rey stellte sich in der dissertatio einem Problem, das in der zeitgeschichtlichen Diskussion zu den heikelsten und umstrittensten gehörte (siehe unten Ziff. II.2 - II.4). D rey begnügt sich nicht mit der punktuellen Behandlung einer strittigen Frage, sondern rückt diese in die weiter ausgreifenden Zusammenhänge der Dogmengeschichte bzw. -entwicklung ein. Der Untersuchungsgegenstand wird so zu einem Fallbeispiel zur Anwendung und zur hermeneutischen Bewährung für seine Auffassung vom Verhältnis von Dogma und Geschichte und für seine Theorie der Dogmenentwicklung. Daß er die Dinge so sah, geht auch aus folgendem hervor. Im Druckexemplar der dissertatio ist dem Text der Untersuchung in einer Art Regievermerk die Bemerkung angefügt, daß nun der Vorsitzende der Disputation (D rey ) dazu anleiten wolle, im geschichtlichen Anwuchs (incremento) der Dogmen (dogmatum) keinesfalls einen Gegensatz zu deren göttlicher Stiftung erkennen zu sollen: Perorabit praeses - de dogmatum christianorum incremento institutioni divinae haud adverso (39). In dem Plural (dogmatum) wird die Ausweitung des Betrachtungshorizontes auf alle potentiell davon betroffenen Sachverhalte der Dogmengeschichte erkennbar, derart, daß die Problembehandlung in der dissertatio den Charakter eines Paradigmas im Hinblick auf die Beurteilung der innerkirchlichen Prozesse der Dogmenentwicklung im Lichte eines darauf abgestellten Begriffs der traditio viva annimmt. D rey legte diesen Traditionsbegriff 1819 mit dem Druck der Oratio (siehe Text Nr. 5) und zeitgleich in seiner Abhandlung Vom Geist und Wesen des Katholicismus (siehe Text Nr. 6) einer weiteren Öffentlichkeit vor. Wenn man den Text der dissertatio losgelöst von ihrem Kontext liest, handelt es sich um eine historisch-kritische Untersuchung, die in ihren Ergebnissen für den göttlichen Ursprung der Beichte keinen Raum zu lassen scheint. Aber sie ist wie gesagt eingebettet in eine übergreifende Konzeption und wird demgemäß in ihrem Titel als Sectio I ma bezeichnet. Die oben angeführte Regieanweisung für das weitere Verfahren bestätigt das 11 . Es war die Absicht confitendi soli sacerdoti ... alienum esse ab institutione et mandato Christi (can. 6). Den Charakter göttlichen Rechts legt es also nur der Beicht überhaupt bei, so daß die Bestimmung ihrer Form für die Kirche frei bleibt. Auf diese Weise läßt das Dogma Raum für die durch die spätere Forschung festgestellte Entwicklung des Bußverfahrens« (P oschmann a.a.O. 107). P oschmann bezieht sich hier nicht auf D rey , aber seine Ausführungen lesen sich wie eine Bestätigung D reys . 11 Vgl. dazu auch praefatio VI, letzter Satz: »Damus igitur primam historicae lucubrationis partem ad instar speciminis: reliquas partes citius aut tardius addituri ...«. <?page no="308"?> 276 Erläuterungen D reys , in dem angekündigten zweiten Teil darzulegen, daß und warum die historische Rekonstruktion der Exomologese dem Dogma keineswegs widerspricht, sondern vielmehr nur die Entwicklung der von ihm getragenen Bußformen und schlußendlich des Dogmas selbst nachzeichnet. In der unten in Text Nr. 5 dokumentierten Oratio hat D rey dieses Vorhaben unter Bezugnahme auf die BS in aller Form eingelöst. f. Der ominöse Annex Der gedruckten Fassung der dissertatio, die für die öffentliche Disputation am Ende des Studienjahres 1814/ 15 als Disputationstext diente, sind die Can. VI-VIII aus der Bußlehre des Tridentinums (Denz. 1706-1708) als Anhang mit auf den Weg gegeben (39 f). Zur Begründung dieser auffallenden Maßnahme vermerkt D rey , er wolle damit »unreifen« und »unüberlegten« Beurteilungen seiner Schrift zuvorkommen 12 . Genützt hat es wenig, weder bei den Denunzianten, noch in der späteren Rezeptionsgeschichte der BS. Wohl aber könnte diese Sicherheitsmaßnahme dazu beigetragen haben, daß das in Rom gegen die BS in Gang gebrachte Zensurierungsverfahren zu keiner kirchenamtlichen Verurteilung führte (siehe Ziff. II.4). Die Idee, die Ergebnisse der dissertatio durch den besagten Anhang abzusichern, stammte ursprünglich nicht von D rey . Man stößt hier auf interessante Zusammenhänge, die Einblick in die Entstehungsbedingungen der dissertatio gewähren. An der Friedrichsuniversität waren seit Juli 1814 alle für den Druck vorgesehenen Universitätsschriften der Professoren einer vorgängigen Zensur unterworfen 13 . In den Verfahrensbestimmungen war zunächst eine inneruniversitäre Begutachtung vorgesehen, danach mußten die betreffenden Schriften der Universitätskuratel in Stuttgart 14 zur Genehmigung zugesandt werden, was im Falle der dissertatio am 5. Juli 1815 geschah 15 . Die 12 »Ad praescindenda quaevis immatura et inconsiderata judicia« (39); vgl. auch praefatio IV (letzter Absatz). 13 Mit Schreiben der Universitätskuratel vom 22. Juli 1814 an Rektorat und Senat der Friedrichsuniversität werden S pegele und W achter als Zensoren für die bei Ritter erscheinenden theologischen und kanonistischen Schriften aufgestellt; auch vom »Seminarpersonal« verfaßte Schriften unterlagen der Zensur (UAT 44/ 173, 28a, Ausfertigung, 22.7.1814). 14 Die Universitätskuratel, die an der Friedrichsuniversität kraft Königlichem Mandat, die katholische Landes-Universität im Königreiche betreffend, vom 6. Oktober 1812 (vgl. T heo dor E isenlohr , Sammlung der württembergischen Kirchen-Geseze. Dritter Theil. Enthaltend die katholischen Kirchen-Gesetze vom Jahre 1803 bis zum Jahr 1834 und die Einleitung in dieselben. Von J ohann J akob L ang (= A ugust L udwig R eyscher (Hg.), Vollständige, historisch und kritisch bearbeitete Sammlung der württembergischen Gesetze 10). Tübingen 1836, 412-414, 413), die Oberaufsicht in wissenschaftlicher, religiöser und disziplinarer Hinsicht auszuüben hatte, bestand aus dem Direktor und den beiden geistlichen Mitgliedern des Katholischen Geistlichen Rates in Stuttgart. In der Sache D rey waren das P hilipp M oritz F reiherr von S chmitz -G rollenburg (* 22.12.1765 in Mainz; † 27.11.1849 in Baden-Baden) als Direktor sowie W erkmeister und F ranz J oseph S chedler (1777-1859) als Räte, wobei W erkmeister im engeren Sinne zuständig war. - Zur Kuratel vgl. A ugust H agen , Staat, Bischof und geistliche Erziehung in der Diözese Rottenburg (1812-1834). Rottenburg a.N. 1939, 5. 15 Siehe UAT 44/ 173, 28a, Ausfertigung, 14.7.1815. <?page no="309"?> 277 Die Beichtschrift (1815) Genehmigung erfolgte am 14. Juli 1815, verbunden mit der Eröffnung, daß der Verfasser »um Mißdeutungen zu verhindern, wohl thun werde, am Ende der Dissertation noch einige dogmatische Theses entweder aus dem ganzen Traktat De Pönitentia oder wenigstens aus der Abhandlung über die katholische Beichtanstalt beizufügen« 16 . W erkmeister , der persönlich einer der profiliertesten Akteure in der zeitgenössischen Kritik der Ohrenbeichte war, und zwar durchaus im Sinne D reys , hatte die Brisanz der dissertatio wohl früher und besser erkannt als ihr Verfasser D rey . Es ist anzunehmen, daß er mit den von ihm verlangten salvatorischen Thesen den orthodoxen Charakter der Disputationsvorlage, die ja einer offiziellen Genehmigung durch die staatliche Kirchenbehörde bedurfte, die sich ihrerseits als rechtgläubig zu erweisen hatte, sicherstellen wollte. Darüber hinaus konnte W erkmeister auch daran gedacht haben, D rey selbst zu schützen. Welchen »Traktat« und welche »Abhandlung« die Kuratel meinte, ist nicht angegeben, vermutlich war es das für die Friedrichsuniversität verbindlich vorgeschriebene Dogmatiklehrbuch von E ngelbert K lüpfel 17 . D rey kam dem Begehren der Kuratel auf seine Weise nach, indem er die dissertatio gerade nicht dem Schutzschild einer Schuldogmatik unterstellte, sondern dem Wortlaut der einschlägigen Konzilsbeschlüsse, und dies durchaus nicht in Thesenform 18 . 16 Hier der ganze Wortlaut des Schreibens, das sich im UAT 44/ 173, 28a, befindet: »Wir haben den unterm 5. d. M. eingeschickten hier zurückfolgenden Dissertations-Entwurf des Professors D r Drey zur EndesDisputation eingesehen und stehet nun dem Drucke desselben nichts mehr entgegen, jedoch ist dem Verfasser zu eröffnen, daß er, um Mißdeutungen zu verhindern, wohl thun werde, am Ende der Dissertation noch einige dogmatische Theses entweder aus dem ganzen Traktat De Pönitentia oder wenigstens aus der Abhandlung über die katholische Beichtanstalt beizufügen. Gegeben Stuttgart in unserer Königl. Curatel der kathol. LandesUniversität den 14. July 1815. FhrSchmitzGrlbrg Werkmeister«. - Die Wendung, daß »nun« dem Druck des Dissertationsentwurfs nichts mehr entgegenstehe, läßt vermuten, daß dem Genehmigungsakt ein Hin und Her bezüglich der Art und des Inhalts der Theses vorausging. 17 K lüpfel , Institutiones theologiae dogmaticae (wie Anm. 9). 18 In den Auseinandersetzungen um die BS ist in den Akten zugunsten D reys verschiedentlich vermerkt, D rey habe seiner Untersuchung Thesen angefügt, aus denen die dogmatische Korrektheit der dissertatio hervorgehe. Das ist aber nicht richtig. Es wäre zwar der Wunsch der Kuratel gewesen, doch scheint D rey sich dem widersetzt zu haben (siehe Anm. 16). Am Ende der dissertatio stehen jedenfalls nur die Canones VI-VIII im Wortlaut des Konzils, die Untersuchung selbst endet mit einer Zusammenfassung ihrer historischen Ergebnisse in sechs Punkten, die D rey nicht als theses, sondern als positiones bezeichnet (vgl. § 13, Vorbemerkung). - In seinem Antwortschreiben vom 19.6.1817 an Kardinalstaatssekretär C onsalvi auf dessen Begleitschreiben zum Breve P ius ’ VII. vom 26.3.1817 schrieb K eller (zu ihm siehe unten Anm. 49) u.a.: »Le professeur Drey a de´clare´ que pour faire preuve d’orthodoxie, il avoit ajoute´ a` son e´crit sur la confession auriculaire des theses secundum canones Concilii Tridentini« (E mil G öller , Die Vorgeschichte der Bulle »Provida sollersque«, in: FDA NF 28, 1927, 143-216; NF 29, 1928, 436-613, hier 452 f mit Anm. 40 und Anm. 43). Vgl. auch M ax M iller : Bezüglich D rey sollte K eller nach Rom schreiben, »daß er die Materie der Ohrenbeichte wissenschaftlich bearbeitet und am Schlusse zur Beurkundung seiner Rechtgläubigkeit Theses secundum Canones Concilii Tridentini angehängt habe« (M ax M iller , Professor Dr. Johann Sebastian Drey als württembergischer Bischofskandidat (1822-1827), in: ThQ 114, <?page no="310"?> 278 Erläuterungen 2. Zur literarischen und theologiegeschichtlichen Situierung der Beichtschrift D rey gibt im Vorwort zur BS, das im Originaldruck vier Seiten umfaßt, zu erkennen, in welche Zusammenhänge er seine Untersuchung eingeordnet sehen will. Er teilt zunächst mit, sie betreffe ein Teilgebiet seines persönlichen Forschungsprogramms. Er befasse sich seit einigen Jahren, auch in historischer Perspektive, mit den Hauptkapiteln des christlichen Gottesdienstes und der Kirchendisziplin und sei in der Abfolge der Untersuchungsgegenstände schließlich auch auf die Beichtfrage gestoßen 19 . Eine Durchmusterung der Fachliteratur habe ergeben, daß es von der Geschichte des Bußwesens und der Exomologese kein klares und sicheres historisches Wissen gebe. So sei eine neue Untersuchung der Materie keinesfalls überflüssig. Im Hinblick darauf, daß die theologische und historische Diskussion der Beichtfrage in der Reformationszeit begann und immer noch andauere, nimmt D rey sodann die Autoren und Schriften ins Visier, denen er innerhalb dieses Zeitraums für sein Vorhaben besondere Bedeutung beimißt 20 , und zwar in der Form eines kurzgefaßten und prägnanten Forschungsüberblicks. Angesichts der von D rey vorgenommenen Auswahl und der damit verbundenen kritischen Besprechung der ausgewählten Autoren bzw. Schriften kann man sagen, daß hier durch ihn selbst die literarische Situierung seiner dissertatio erfolgt. Der Schwerpunkt liegt auf der Kontroverstheologie des 16. und 17. Jahrhunderts. D rey zollt ihr Respekt, konstatiert aber nicht ohne Ironie die kontroverstheologisch bedingten Einseitigkeiten, denen man verhaftet gewesen sei. Jede Partei presse ihre Dokumente aus und verzerre sie, dergestalt, daß sie zwar beanspruchen, die historischen Sachverhalte wiederzugeben, in Wirklichkeit aber ihren jeweiligen Dogmen zuzuarbeiten sich ängstlich bemühten. Wer der Wahrheit näherkommen wolle, tue gut daran, beide Seiten gegeneinander zu halten. Bezüglich der Behandlung seiner Frage in jüngerer Zeit sei dagegen zu vermerken, daß nur wenige Autoren sich damit befaßt haben, und wenn, dann nur sektoral oder methodologisch unpassend. 1933, 363-405, 367 ff, Anm. 1, hier 369, mit der Quellenangabe: »Württ. Kultministerium, Konkordat VI«), sowie S tephan L ösch , Prof. Dr. Adam Gengler 1799-1866. Die Beziehungen des Bamberger Theologen zu J.J.J. Döllinger und J.A.Möhler. Ein Lebensbild mit Beigabe von 80 bisher unbekannten Briefen, darunter 47 neuen Möhler-Briefen. [...]. Würzburg 1963, 47 f mit Anm. 19. Bei K eller , M iller und in anderen Aktenstücken sind die sechs positiones und die drei Canones durcheinander gebracht, indem sie als (dogmatische) Thesen bezeichnet wurden, die D rey zum Erweis seiner Rechtgläubigkeit formuliert habe. 19 Nach Auskunft seines Theologischen Tagebuchs (wie Anm. 9) hat D rey sich schon seit 1812 intensiv mit der Beichtfrage befaßt und umfangreiche Materialsammlungen zur Vorbereitung seiner dissertatio angelegt (im Theologischen Tagebuch ca. 90 Seiten, auf weitere, mindestens 96 Seiten umfassende Exzerpte wird verwiesen). Siehe dazu unten in Ziff. II.3. 20 Vgl. dazu den bibliographischen Nachweis der von D rey angeführten Literatur im Anhang zu Teil B. <?page no="311"?> 279 Die Beichtschrift (1815) In seinen Bemerkungen zur Behandlung der Beichtfrage in neuester Zeit sieht D rey aus Gründen, denen nachzugehen von Interesse ist, davon ab, Namen von Autoren oder Titel von zeitgenössischen Schriften preiszugeben. Er verweist lediglich auf eine in der »Jahrsschrift [sic] für Theologie und Kirchenrecht der Katholiken T. III. pag. 435« anonym erschienene Abhandlung 21 . Da dieser Artikel 1813 und somit unmittelbar vor der Abfassung der dissertatio erschienen ist, schaltet D rey sich mit dieser Bezugnahme direkt in die zeitgenössische Diskussion seiner Thematik ein. Der durchaus im Geist der kirchlichen Orthodoxie verfaßte Artikel in der Jahrschrift gibt im großen und ganzen die Auffassungen wieder, zu denen die gemäßigten kirchlichen Aufklärungstheologen um 1813 gelangt waren. D rey bemängelt an ihm die Anwendung der dogmatischen Methode auf den historischen Stoff. Ein Vergleich dieses Artikels mit der dissertatio ergibt, daß - abgesehen davon - beide in puncto Fragestellung, Aufbau, Resultat und Betonung der Konformität der Ergebnisse mit der Bußlehre des Tridentinums ein Höchstmaß an formaler und inhaltlicher Übereinstimmung aufweisen. Der entscheidende Unterschied liegt, abgesehen von der Prägnanz der Sprache und der Gedankenführung bei D rey , in der Begründungsfigur (»Erklärungsart«) für die Entwicklung des Beichtwesens und das Zustandekommen der Grundlagen des tridentinischen Dogmas. Der Umstand, daß D rey aus der neueren Literatur allein die in der Jahrschrift 1813 erschienene Abhandlung anführte, erklärt sich zunächst sicher daraus, daß sie ihm als Vorlage gedient hatte. Jeder einigermaßen orientierte Leser oder Hörer hätte das ohnehin leicht feststellen können. Daß die Hervorhebung dieser Abhandlung neben der Verortung der dissertatio und trotz 21 Praefatio V. Gemeint ist Ueber die Nothwendigkeit der Ohrenbeicht, in: Jahrschrift für Theologie und Kirchenrecht der Katholiken, Bd. 3, Heft 3, 1813, 435-503. Wie bei den meisten der in der Jahrschrift erschienenen Beiträgen ist auch hier der Autor nicht angegeben. In der Regel ist davon auszugehen, daß alle Beiträge aus der Feder W erkmeisters stammen, der die Jahrschrift als Herausgeber, Redakteur und Autor praktisch im Alleingang betreute. In diesem Fall war der Artikel aber von B eda P racher verfaßt (vgl. A ugust H agen , Die kirchliche Aufklärung in der Diözese Rottenburg. Bildnisse aus einem Zeitalter des Übergangs. Stuttgart 1953, 183, Anm. 39; zur Jahrschrift insgesamt und zu ihrem Herausgeber siehe Einleitung zu Text Nr. 1, Ziff. II.4.a, bes. Anm. 36. - B eda P racher , * 24.6.1750 in Holnstein (Oberpfalz), † 25.7.1819 in Rottenburg, war ursprünglich (wie W erkmeister ) Benediktinermönch im Kloster Neresheim, W erkmeister war dort 1770-1772 sein Novizenmeister und Philosophielehrer. P racher setzte sich 1783 in St.Gallen und 1785 in Stuttgart besonders für die Verbesserung der Landschulen ein. 1787 wurde er, nachdem er zum Weltpriesterstand übergewechselt war, Pfarrer in Drackenstein, 1790 in Leinstetten, 1809 Schulinspektor, dann Dekan und Stadtpfarrer in Stockach (Baden), 1810 Pfarrer in Schörzingen und Dekanatskommissär für Ebingen (letzteres bis 1815), 1817 Generalvikariatsrat in Rottenburg. - P racher und W erkmei ster hatten theologisch und kirchenpolitisch ihr Heu auf dem gleichen Boden. P rachers Verdienste um das württembergische Schulwesen fanden höhere Anerkennung als sein Wirken als Schriftsteller im Sinne der kirchlichen Aufklärung. - Lit.: S tephan J akob N eher , Statistischer Personal-Katalog des Bisthums Rottenburg. Festschrift zum 50-jährigen Jubiläum dieses Bisthums. Schwäbisch Gmünd 1878, 9-10; H agen , Die kirchliche Aufklärung (s.o.) 213-215. <?page no="312"?> 280 Erläuterungen der methodologischen Kritik, die D rey an ihr übte, zugleich eine Reverenz an die Adresse P rachers (und W erkmeisters ) in sich schloß, mochte nicht ungern mitgespielt haben. Doch damit nicht genug. Indem D rey in diesem Zusammenhang auffällig betont, daß er die neuere Literatur zur Beichtfrage sehr wohl kenne, bezieht er sich ausdrücklich (wenngleich indirekt) auch auf diese, ohne aber Roß und Reiter beim Namen zu nennen. Es seien nur wenige (pauci omnino), die die Materie berührten. Wen er damit meint, überläßt er der Kundigkeit des Lesers, doch der Artikel P rachers enthält seinerseits die nötigen Fingerzeige. Dieser endet nämlich mit einer »Anmerkung der Redaktion«, d.h. W erkmeisters , die die gesuchten Literaturangaben enthält 22 . Sie hat folgenden Wortlaut: »Um den Werth dieser schönen Abhandlung richtig beurtheilen zu können, wollen wir die Leser noch a) auf die Eybelsche Schrift von der Ohrenbeicht 23 , b) auf die Gründe für und wider die Ohrenbeicht, welche im dritten Bande des Freymüthigen (eines Journals, welches von 1784 bis 1788 zu Ulm in der Wohlerschen Buchhandlung herauskam) angeführt sind 24 , c) auf die 22 In: Jahrschrift 1813 (wie Anm. 21) 503. 23 Gemeint ist J oseph V alentin E ybel , Was enthalten die Urkunden des christlichen Alterthums von der Ohrenbeichte? Wien 1784. - E ybel (* 3.3.1741 in Wien, † 30.6.1805 in Linz), von Haus aus Jurist (1777 Professor in Wien, später Landrat in Linz), steuerte als eifriger Aktivist des josephinischen Systems einen kirchenreformerischen und papstkritischen Kurs. Seine Introductio in jus ecclesiasticum catholicorum (1777, 2 1778) war bereits am 16. Februar 1784 von der Indexkongregation indiziert worden, seine 88 Seiten umfassende Schrift über die Ohrenbeichte wurde von P ius VI. in einem Breve vom 21. November 1784 verurteilt und verboten, da sie falsche, ketzerische und vom Trienter Konzil als ketzerisch erklärte Lehren und Sätze enthalte (E ybel hatte sich in dieser Schrift im wesentlichen die Auffassung zeitgenössischer protestantischer Autoren von der historischen Genese der Ohrenbeichte zu eigen gemacht). Zwei Jahre später kam der Papst auf E ybels Schrift Was ist der Papst? von 1882 zurück und verurteilte auch diese (Breve vom 28. November 1786). Zu diesen Zensurierungen siehe F ranz H einrich R eusch , Der Index der verbotenen Bücher. Ein Beitrag zur Kirchen- und Literaturgeschichte 2.2. Bonn 1885, 948-950. - Zur Zeit D reys war die Beichtschrift E ybels in der strengkirchlichen Publizistik zum Inbegriff einer pamphletistischen Beichtkritik geworden und E ybel selbst zum bösen Feind in der Beichtfrage, den man auch mit wenig sachlichen Argumenten anging (z.B. H einrich B rück , Die rationalistischen Bestrebungen im katholischen Deutschland besonders in den drei rheinischen Erzbisthümern in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Kirchengeschichte. Mainz 1865, 14, Anm. 18: E ybels Beichtschrift sei »fast ganz aus der Abhandlung des Protestanten Pertsch ›Vom Rechte der Beichtstühle‹ abgeschrieben«). 24 Gemeint ist Der Freymüthige. Eine periodische Schrift von einer Gesellschaft zu Freyburg im Breisgau, Bd. 3, Zweites Stück, 1784, der auf S. 391-652 unter dem Titel Gründe für und wider die Ohrenbeicht eine Abhandlung mit einer Sammlung von Argumenten und Zeugnissen für und wider die Ohrenbeichte enthält. - Der Freymüthige (nicht zu verwechseln mit den in der Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 80, vorgestellten Freymüthigen Blättern, die 1830-1844 von B enedikt A lois P flanz herausgegeben wurden) erschien 1782-1788 in 4 Bänden (Bde. 3 und 4 zu je 2 Stücken) in Ulm und Freiburg; Herausgeber und Autor der meisten (anonymen) Beiträge war der Freiburger »Universitätsbibliothekar und Professor der griechischen Sprache am Gymnasium« und spätere Kirchenrechtler J ohann K aspar A dam R uef (* 25.1.1748 in Ehingen an der Donau, † 25.1.1825 in Freiburg i.Br.); die »Professoren Dannenmayer und Sauter« waren fleißige Mitarbeiter R uefs (vgl. Der Freymüthige, Bd. 4, Vorbericht (1788) 2. - <?page no="313"?> 281 Die Beichtschrift (1815) wichtige Abhandlung, welche in den Frankfurter Beyträgen zur Verbesserung des äußern Gottesdienstes in der katholischen Kirche I B. 1 St. (Frankfurt 8. 1789) enthalten ist 25 , d) und endlich auf das, was in dieser Jahrschrift (im ersten Bande, zweyten Hefte, von Seite 336 - 342) hierüber gesagt wird 26 , aufmerksam machen.« Zu K aspar R uef siehe ADB 29, 1889, 587-588 (J ohann F riedrich von S chulte ); zu M atthias D annenmayer , * 13.2.1744 in Opfingen, † 8.7.1805 in Wien, Prof. der Kirchengeschichte in Freiburg, siehe ADB 4, 1876, 745 (K arl W erner ); zu J osef A nton S auter , * 1742 in Riedlingen in Baden, † 6.4.1817 in Freiburg, Prof. für Kirchenrecht und Philosophie ebd., siehe ADB 30, 1890, 422 (J ohann F riedrich von S chulte )). - Zu der genannten Abhandlung vgl. auch die Erste Beylage, die Ohrenbeicht betreffend, wider eine in der Litteratur des katholischen Deutschlands befindliche Recension, in: Beylagen zum Freymüthigen [worinn die Meynungen und Grundsätze desselben erläutert, bestätiget, und gegen verschiedene genannte und ungenannte Gegner vertheidiget werden], Bd. 1/ 3.1786/ 87.1786, 7-80, eine geharnischte Erwiderung aus der Feder von K aspar R uef auf eine kritische Rezension seiner Abhandlung über die Ohrenbeichte; die anonyme Rezension erschien in der Litteratur des katholischen Deutschlands, dem »von katholischen Patrioten« herausgegebenen Organ der Benediktiner des Klosters Banz, in Bd. 5, 4. Stück, 1784/ 85, S. 487-533. 25 Gemeint sind die 1789 in Frankfurt anonym herausgekommenen Beyträge zur Verbesserung des äußeren Gottesdienstes in der Catholischen Kirche, als deren Verfasser F elix A nton B lau (* 15.2. 1754 in Walldürn, Odenwald, † 23.12.1798 in Mainz) und A nton J osef D orsch (* 11.6.1758 in Heppenheim; † Mai 1819 in Paris) gelten. D orsch und B lau , eng miteinander befreundet, waren zunächst Professoren der Theologie bzw. Philosophie in Mainz, wurden aber im Zuge der Französischen Revolution aus ihrer theologischen bzw. kirchlichen Bahn geworfen und in politische Händel verstrickt. Sie wurden der Gruppe der subversiven »Befreiungstheologen« zugezählt. In den Beyträgen nahmen sie einen als aufklärerisch-rationalistisch geltenden Standpunkt ein, zu dem W erkmeister sich aber sehr positiv äußerte. W erkmeister zufolge war B lau ein »Muster aller katholischen Theologen an Freimüthigkeit, Wahrheitsliebe und ruhiger Prüfung verjährter Meinungen« (siehe Jahrschrift (wie Anm. 21) Bd. 2, Heft 3, 1810, 703 (vgl. 688); vgl. ADB 42, 1897, 12). D orsch und B lau gehörten zu einer Freundesgruppe um W erkmeister . Wie bei E ybel , so wurde auch bei D orsch und B lau , die in der strengkirchlichen Publizistik wegen ihrer politischen Richtung und ihrer problematischen Biographie verrufen waren, die negative Beurteilung ihrer Person ohne weiteres auf ihre Beyträge zur Beichtfrage übertragen. 26 Es handelt sich um den zweiten Teil der anonym vorgelegten Gedanken über das katholische Dogma von der Unfehlbarkeit der Kirche und der Ohrenbeichte, in der Jahrschrift (wie Anm. 21) Bd. 1, Heft 2 (1806) 325-342, hier b. Von der Ohrenbeichte, 336-342. Der Artikel besteht aus zwei Teilen, einer umfangreichen Anmerkung zu Beginn (325-327) und dem Haupttext mit Ausführungen Ueber die Unfehlbarkeit der Kirche (a.) und Von der Ohrenbeichte (b.). Die Anmerkung, die mit Sicherheit von W erkmeister verfaßt ist (vgl. 327, letzter Absatz), enthält Auskünfte über den Anlaß und den Gegenstand des Artikels sowie über die Gründe für seine Aufnahme in die Jahrschrift. Es wird hier berichtet, daß »Pfarrer Brunner in Tiefenbach« (zu ihm siehe unten) hauptsächlich wegen zweier Rezensionen, in denen er die Kritische Geschichte der kirchlichen Unfehlbarkeit zur Beförderung einer freiern Prüfung des Katholizismus (Frankfurt 1791) von F elix [A nton ] B lau und die Beyträge zur Verbesserung des äußeren Gottesdienstes in der Catholischen Kirche (siehe Anm. 25) »sehr günstig« beurteilt habe, 1793 vom Fürstbischof von Speyer, A ugust Graf von L imburg -S tyrum , inhaftiert und seiner gelehrten Korrespondenz beraubt wurde. Dieser Vorgang zeigt, unter welchen äußeren Umständen neben dem Unfehlbarkeitsthema auch die Beichtfrage im Vorfeld der dissertatio D reys diskutiert wurde. Der zweite Teil des o.g. Artikels dürfte B runner zum Autor haben; es kann aber auch sein, daß es W erkmeister selbst war, der dann in ihm die fachlichen Äußerungen B runners protokollartig wiedergegeben hätte. Inhaltlich wird dargelegt, daß die Beichte nicht direkt von Christus eingesetzt sei, sondern kraft göttlichen Rechts von der Kirche; das Dogma von Trient <?page no="314"?> 282 Erläuterungen Eine Durchsicht dieser Beiträge ergibt, daß sie, was ihre Absicht und grosso modo auch ihre Inhalte angeht, für D reys Vorhaben tatsächlich höchst einschlägig waren, auch wenn sie seinen wissenschaftlichen Ansprüchen kaum genügen konnten. Sie repräsentieren indessen den literarischen und diskursiven Kontext, den D rey bei der Abfassung der dissertatio vor Augen hatte und in dem sie in ihren aktuellen Bezügen zu verorten ist. Aber es waren überaus verfängliche Namen und Schriften, in deren Gesellschaft sich nominatim zu begeben dem Dogmatiker D rey , der eben erst seinen Lehrstuhl in Ellwangen bestiegen hatte, nicht ratsam sein mochte. Hinzu kamen die Unterschiede im literarischen Genus. War es dort eine publizistisch aufgezäumte Interessenlage, die den Charakter der Darstellungen bestimmte, so wollte D rey für die Behandlung der Beichtfrage in der dissertatio Maßstäbe anlegen, die seinem Wissenschaftsbegriff entsprachen. Genützt haben ihm seine Vorsicht und seine Methode nicht viel, wie sich alsbald herausstellte. 3. Die Beichtfrage im theologischen Werk Dreys Während die oben in Ziff. II.2 erhobenen Befunde zur literarischen und theologiegeschichtlichen Situierung der dissertatio von 1815 dazu verhelfen, die von D rey mit dieser Schrift verfolgte Absicht näher zu bestimmen und die in ihr erbrachte Leistung zu erfassen, versprechen die Beobachtungen zur Stellung der Beichtfrage im theologischen Werk D reys Aufschlüsse über sein persönliches Engagement in dieser Sache. Hier wie dort sind die Ergebnisse dazu angetan, die in der Dreyforschung anzutreffende Fehleinschätzung bzw. Geringschätzung dieser Schrift zu korrigieren. Eine Durchsicht der Manuskripte und Schriften D reys führt nämlich zu dem überraschenden Befund, daß der in der dissertatio behandelte Stoff zu den Themen gehört, mit denen ihr Autor sich jahrzehntelang intensiv befaßte, beginnend 1812, bereits im ersten Jahr seiner akademischen Tätigkeit an der Friedrichsuniversität also, und zumindest bis zur Veröffentlichung seiner Abhandlung Ueber öffentliche oder liturgische Beichten im Jahr 1832 27 , mithin über eine Spanne von wenigstens 20 Jahren. Das Beichtthema erreichte in seinem beinhalte nur den göttlichen Charakter der Beichte, nicht aber die Art ihrer Einsetzung. Diese Auffassung teilte zweifellos auch W erkmeister . - P hilipp J oseph ( von ) B runner , * 7.5.1758 in Philippsburg, † 4.11. 1829 in Karlsruhe, 1780 Dr. theol., 1783 Priesterweihe und Pfarrer in Tiefenbach (16 Jahre), 1793 Konfiskation seiner Papiere, 1803 Schul- und Kirchenrat bei der katholischen Kirchenkommission in Bruchsal, 1807 Geistlicher Rat bei der Regierung in Karlsruhe, 1809 Geistlicher Ministerialrat im katholischen Kirchendepartement. B runner war Illuminat. - Lit.: I gnaz von L ongner , Beiträge zur Geschichte der oberrheinischen Kirchenprovinz. Tübingen 1863, 267-272; F riedrich K össing , Badische Biographien 1 (1875) 136 f; W ilhelm K osch , Das katholische Deutschland. Biographisch-bibliographisches Lexikon. 3 Bde., Augsburg 1933-1939, Bd. 1, 269; J osef B ayer , Dr. Philipp Joseph Brunner, Ministerialrat in Karlsruhe und Pfarrer in Hofweier, in: FDA 92 (1972) 201-221. 27 In: ThQ 14 (1832) 494-525. <?page no="315"?> 283 Die Beichtschrift (1815) theologischen Schaffen zwar bei weitem nicht den Rang der großen Themen, auf die seine Hauptwerke, die Kurze Einleitung und die Apologetik, angelegt sind, aber das Engagement, das er in die Beichtfrage und Bußlehre einbrachte, ist gleichwohl höchst beachtenswert. Es erklärt sich zum einen daraus, daß diese Materie zu seiner Zeit zu den brennendsten und heftigst diskutierten Problemen der Kirchenordnung gehörte. Im Hinblick darauf sind seine Beiträge zur Beichtfrage ein Indikator für die Art und den Grad der Gegenwartsbezogenheit seiner theologischen Arbeit. Zum andern war die Frage nach dem Ursprung und der Entwicklung des Beichtsakraments für D rey von Anfang an ein Kristallisationspunkt für die Ausbildung seiner Theorie der Dogmenentwicklung und seines innovativen Traditionsbegriffs. Ein kurzgefaßter Überblick führt zu folgenden werkinternen Befunden: (a.) Die ergiebigste Quelle sind die vier erhalten gebliebenen Bände seines Theologischen Tagebuchs 28 . Vor allem aus ihnen geht hervor, daß D rey sich von 1812 bis 1815 eingehendst mit der Beichtfrage befaßte. Das Thema der dissertatio war kein spontaner Einfall für die Disputation vom Herbst 1815. Wenn D rey in der praefatio zu dieser Schrift bemerkt, er habe zur Erforschung der Geschichte der Beichte jahrelang Hand und Herz (manum mentemque; animum) eingesetzt, so ist das nach Ausweis seiner Eintragungen in den Bänden II und III seines Theologischen Tagebuchs keine bloß akademische Andienungsfloskel gewesen, sondern eine wahrheitsgetreue Auskunft über die der dissertatio zu Grunde liegende Forschungsarbeit. Keinem anderen Thema hat D rey im Theologischen Tagebuch so viel Raum gewidmet. Der Hinweis auf die besondere wissenschaftliche Fundiertheit der dissertatio mochte D rey dann vor allem im Hinblick auf die Brisanz ihres Inhalts geraten erschienen sein. Bei den Eintragungen im Theologischen Tagebuch, die teils nur die Sache der dissertatio betreffen, teils aber auch einen ausdrücklichen Bezug auf diese Schrift aufweisen, handelt es sich um folgende Texte bzw. Textgruppen: (1.) Umfangreiche Exzerpte und Notate im Vorfeld der dissertatio: Theologisches Tagebuch II 170-173 (TüA 1, Text 41*, 120-122); 173 (TüA 1, Text 42*, 122 f); 174 f (TüA 1, Text 43*, 123 f); 175 f (TüA 1, Text 44*, 124 f); 182 (TüA 1, Text 46*, 129). Theologisches Tagebuch III 105-120 (TüA 1, Text 72*, 206-216); 121-162 (TüA 1, Text 73*, 217-243). Die Einträge 41*-44*, 46* und 72*-73* mit Materialien zur Geschichte der Beichte sind undatiert; sie müssen aus inhaltlichen Gründen vor Juli 1815 entstanden sein. (2.) Responsiones ad Objectiones, quae contra varias assertiones Dissertationis meae obmoveri possent: Theologisches Tagebuch III 169-192 (TüA 1, Text 74*, 244-260). D rey antizipiert hier schulmäßig aufbereitete Einwände gegen seine dissertatio 28 Von D reys Tagebuch über philosophische, theologische und historische Gegenstände, zum überwiegenden Teil entstanden zwischen 1812 und 1817, sind die Bände II-V erhalten (siehe TüA 1). <?page no="316"?> 284 Erläuterungen und entkräftet sie gemäß akademischen Disputationsregeln. Es ist nicht völlig unmöglich, aber sehr unwahrscheinlich, daß er diese minutiös ausformulierten Disputationspunkte bereits zu dem Zeitpunkt zu Papier gebracht hatte, zu dem er den Text der dissertatio der Universitätskuratel zur Genehmigung vorlegte. Für eine didaktische Fingerübung zur abstrakten Vorbereitung auf die Disputation ist dieses brillante Argumentationsgebäude aber viel zu sorgfältig und umsichtig ausgearbeitet. Dieses Schriftstück umfaßt in der Handschrift D reys immerhin 23 und selbst im Druckformat der Edition noch 16 Seiten, obwohl es sprachlich und argumentationstechnisch so konzis durchkonstruiert ist, daß man kein Wort daraus entfernen könnte, ohne das Sinngefüge zu zerstören. Einen derartigen Aufwand betreibt niemand für eine inneruniversitäre Disputation, ein D rey schon gar nicht. Er mußte hingegen in dem Moment, in dem er diesen sozusagen gerichtsfest ausgearbeiteten Text - »gerichtsfest« vor dem Forum der wissenschaftlichen Vernunft - zu Papier brachte, ein Bewußtsein für bedrohliche Schwierigkeiten gehabt haben und vor möglichen Weiterungen vorgewarnt worden sein. Das Schriftstück ist nicht datiert, es dürfte nach Lage der Dinge während des Genehmigungsverfahrens zu Papier gebracht worden sein, als die Kuratel D rey anriet, die dissertatio mit ihr anzufügenden dogmatischen Thesen zum Erweis seiner Rechtgläubigkeit abzusichern (vgl. dazu oben Ziff. II.1, bes. bei und in Anm. 16 und 18). Im Zusammenhang mit Text 74* sind auch die Tagebucheinträge 72* und 73* zu sehen. In Text 72* (siehe oben Ziff. a.) befaßt D rey sich eingehend mit der XIV. Sitzung des Tridentinums (bis hinein in konzilsinterne Diskussionen), in Text 73* (siehe oben Ziff. a.) setzt er sich u.a. ausführlich mit den Canones 6, 7 und 8 des Bußdekrets des Konzils auseinander. Da er mit der Anfügung dieser Canones am Schluß seiner dissertatio dem Verlangen der Universitätskuratel nach einer dogmatischen Absicherung erst nach dem 14. Juli 1815 (Datum des Genehmigungsschreibens) nachgekommen sein konnte, spricht auch das für die oben vorgenommene Einordnung von Text Nr. 74*. - Aus Querverweisen in 73* geht hervor, daß D rey außerdem aus J akob B oileaus Geschichte der Ohrenbeichte 29 Exzerpte im Umfang von mindestens 96 Seiten angefertigt hatte (vgl. TüA 1, 229 mit Anm. 21 und 232 mit Anm. 27). Diese Exzerpte sind nicht erhalten. (3.) Die fortschreitende Entwickelung des Christentums nach allen seinen Beziehungen als ein Grundprincip des kath. Kirchen- und Glaubensystems erläutert und bewießen v. Dr. Joh. Sebast. Drey: Theologisches Tagebuch IV 95 f (TüA 1, Text 101*, 339 f). Unter diesem Titel verbirgt sich der in Disputationsform ausgearbeitete Plan 29 J acobus B oileau , Historia Confessionis auricularis ex antiquis Scripturae, patrum, pontificum conciliorum monumentis cum cura et fide expressa. Lutetiae Parisiorum 1683. Dieses Werk befand sich im Büchernachlaß D reys . <?page no="317"?> 285 Die Beichtschrift (1815) einer Erklärung und Verteidigung der dissertatio von 1815. Der von D rey eigenhändig auf den 24. April 1816 datierte Tagebucheintrag ist mithin ein gutes halbes Jahr nach der Disputation an der Friedrichsuniversität entstanden. D rey nimmt hier ausdrücklich Bezug auf »die zum Theil schon vernommenen, zum Theil noch zu erwartenden Urtheile über meine Dissert. de Origine et Progressu Exomol.«. Der Streit um sie ist also in vollem Gange. Die Angriffe »dürften« ihn, wie er schreibt, »vielleicht veranlassen, den von mir in meinem Systeme der Theologie zu Grunde gelegten, und auch jener Dissertation zu Grunde ligenden Grundsatz öffentlich auseinander zu setzen und geltend zu machen«. Die Verteidigung ist somit durchaus offensiv gedacht, D rey trägt sich mit der Absicht, die Leitideen der dissertatio nunmehr, in der Sache unbeirrt, öffentlich geltend zu machen. Es spricht alles dafür, daß er mit der 1819 im Druck erschienenen Oratio (siehe Text Nr. 5 mit Einleitung) dieses Vorhaben mit dreijährigem Verzug realisierte (vgl. dazu aber auch die Bemerkungen unten in (5.) ). (4.) Im Theologischen Tagebuch V 132 und 136 (TüA 1, Text 147*, 527 und 530 f) findet sich innerhalb eines am 20.4.1817 beendeten Rezensionsexzerpts eine Verteidigung der Ohrenbeichte gegen den Anglikaner H erbert M arsh 30 . (5.) Aus dem Theologischen Tagebuch V 147 f (TüA 1, Text 149*, 537 f) geht wiederum hervor, daß D rey sich anhaltend mit der dissertatio und ihrer Verteidigung befaßte. Der Eintrag ist undatiert, dürfte aber auf Grund der Datierung der umliegenden Einträge in der Zeit zwischen 20.4. und 4.5.1817 entstanden sein. Die Ausführungen in dem Eintrag 149* sind in zweifacher Hinsicht aufschlußreich. D rey präzisiert hier noch einmal die von ihm in der dissertatio eingenommene Position, und zwar anhand der Unterscheidung von apostolischer und kirchlicher Tradition. Diese für das Verständnis der dissertatio an und für sich recht wichtige Unterscheidung will er, wie es nun heißt, »für eine künftige Umarbeitung meiner Abhandlung« nutzen. Diese Formulierung könnte bedeuten, daß er bei dem oben in (3.) erwähnten Plan einer Verteidigungsschrift an eine überarbeitete Fassung der dissertatio selbst dachte, was aber unwahrscheinlich ist, weil die in dem Eintrag 101* aufgestellten Dispositionspunkte sich kaum in die dissertatio hätten einarbeiten lassen. Die 30 Vgl. D rey , Bemerkungen zu des Dr. Marsh Schrift: a comparative View of the Churches of England and Rome. Cambridge u. London. 1814. S. 250, in: Theologisches Tagebuch V 88-140 (TüA 1, Text 147*, 494-534). Es handelt sich bei diesem Tagebucheintrag um einen sehr umfangreichen und stark kommentierenden Ausschrieb aus einer Rezension in der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung 14 (1817) Bd. 1, Januar, Nr. 1, Sp. 1-8, Nr. 2, Sp. 9-14, von D rey »geendet den 20 April 1817« (V 140; TüA 1, 534). - Zu der deutschen Version: H erbert M arsh , Vergleichende Darstellung der protestantisch-englischen und römisch-katholischen Kirche oder Prüfung des Protestantismus und Katholicismus nach dem gegenseitigen Gewicht der Grundsätze und Lehren dieser beyden Systeme. Aus d. Engl. übers. u. mit Anm. u. Beyl. vers. von J ohann C hristoph S chreiter . Sulzbach 1821, brachte D rey eine Besprechung in ThQ 4 (1822) 60-81. <?page no="318"?> 286 Erläuterungen Formulierung setzt indessen die Umarbeitung eines bereits vorliegenden Textes voraus. Ist damit vielleicht die Rede (peroratio) gemeint, die D rey bei der Disputation in Ellwangen gehalten hat und deren Manuskript er in diesem Fall aufbewahrt hätte? Dem steht entgegen, daß mit dem im Disputationsprogramm angekündigten perorare schwerlich eine ausgearbeitete Rede gemeint sein konnte (vgl. dazu die Hinweise in der Einleitung zu Text Nr. 5, Ziff. II.2 und II.5). Außerdem spricht D rey hier von einer zu überarbeitenden »Abhandlung«. (b.) Das Vorlesungsmanuskript Geschichte des katholischen Dogmensystems. I. Band. Geschichte der drei ersten Jahrhunderte oder erste Periode. Mit Benutzung von Münschers Handbuch. 1812-1813 (siehe Text Nr. 2 des vorliegenden Bandes) enthält chronologisch wohl die frühesten Aussagen D reys zur Beichte. D rey behandelt hier die Entwicklungsgeschichte des Bußsakraments auf den Seiten 189-200, ohne aber auf die Frage nach der Entstehung der Ohrenbeichte besonders einzugehen. Aus der Sicht dieser Vorlesung ist die Disputationsschrift von 1815 die Vertiefung einer Spezialfrage. (c.) In den Praelectiones dogmaticae behandelt D rey in Band III im Rahmen der Sakramentenlehre in den §§ 257-261 (336-337, TüA 2, 471-472) das Bußsakrament. Den dogmatischen Lehrtexten sind Annotationes angefügt, die zu verschiedenen Zeiten niedergeschrieben und jeweils mehrfach überarbeitet sind. Daraus geht hervor, daß D rey sich mit der Thematik weiterhin und wiederholt auch in seinen Dogmatikvorlesungen befaßte. In Praelectiones dogmaticae III, 449 l: § 245. Confessio peccatorum, Zeile 31 (TüA 2, 564), findet sich mit »Cf. m. Exomol.« eine aus dem Jahr 1829 stammende Verweisung auf die dissertatio, was bedeutet, daß D rey 14 Jahre später auch in seiner Dogmatikvorlesung zu ihr steht. Auch in Praelectiones dogmaticae III, 502 (TüA 2, 624, Zeile 19: »cf. meam dissert. et addit. ad Exomol.«) und ebd. 506 (TüA 2, 629, Zeile 21: »Vide meine Dissert.«) verweist Drey ausdrücklich auf sie; ebd. 449 l-r (TüA 2, 565) verweist er zudem auf seine Abhandlung Ueber öffentliche oder liturgische Beichten von 1832. Da D rey solche Querverweise auf eigene Schriften äußerst selten vorgenommen hat, sind sie ein besonderes Indiz dafür, wie anhaltend wichtig ihm die Sache war. (d.) Die Beichtthematik in gedruckten Schriften Dreys. Neben der dissertatio von 1815 und der Oratio von 1819 kommen dafür folgende Werke in Betracht 31 : 31 In der Literatur wurde oft der anonym in ThQ 3 (1821) 682-699 erschienene Artikel Öffentliche Beichten werden in Vorschlag gebracht D rey zugeschrieben, er stammt aber von H irscher (siehe S tephan L ösch , Die Anfänge der Tübinger Theologischen Quartalschrift (1819-1831). Gedenkgabe zum 100. Todestag Joh. Ad. Möhlers. Rottenburg a.N. 1938, 69, sowie unten Ziff. II.5.b, Anm. 96). Die im Inhaltsverzeichnis ThQ 1 (1819) 742 für den ersten Band angezeigte Erläuterung »über das kath. Beichtwesen« (ThQ 1, 1819, 180-184) wird von L ösch (a.a.O. 54) <?page no="319"?> 287 Die Beichtschrift (1815) (1.) Rezension zu Joseph Schmalstig, Ausführlicher Beichtunterricht zum Gebrauche für angehende Katecheten, Schullehrer und Eltern. Stuttgart 1823, in: ThQ 6 (1824) 692-696. Es geht hier um die rechte Verwaltung und Benutzung des »jetzt noch« (693) in der katholischen Kirche bestehenden »Bußinstituts«. D rey ist das »jetzt noch« wohl angesichts der 1824 auch in der katholischen Kirche weit fortgeschrittenen Erosion der Ohrenbeichte in die Feder geflossen. Mit Sicherheit hat er dabei aber vor allem diese Entwicklung im Luthertum seiner Zeit vor Augen 32 . D rey kritisiert an dem Buch S chmalstigs u.a., daß darin »alles auf die Beichte bezogen, von dem Sakrament der Buße hingegen nur so im Anhange S. 216 die Rede wird« (695). Worauf es ihm auch hier ankommt, ist die Integration der Beichte in das größere Ganze des Bußsakramentes, für das es verschiedene Formen gebe. In diesen Zusammenhang gehört seine unten in (3.) angeführte Abhandlung. (2.) Rezension zu Heinrich Klee, Die Beichte, eine historisch-kritische Untersuchung. Frankfurt a.M. 1828, in: ThQ 11 (1829) 85-96. In dieser umfangreichen und von einem Tenor des Wohlwollens getragenen Rezension setzt D rey sein Verständnis der Sache scharfsinnig von der Bearbeitung des historischen Stoffes durch K lee ab. Seine Ausführungen sind eine wichtige Interpretationshilfe zum Verständnis seiner dissertatio von 1815. Aus der Rezension geht zugleich hervor, daß D rey auch noch 1829 unverändert an der in der dissertatio von 1815 vorgelegten Sicht der Dinge festhielt und sie - nach Jahren der Reflexion - nunmehr auch im Medium der deutschen Sprache prägnant und unbefangen zu reformulieren weiß. (3.) Abhandlung Ueber öffentliche oder liturgische Beichten, in: ThQ 14 (1832) 494-525. Vgl. dazu oben in (1.). gleichfalls H irscher zugeschrieben (mit Fragezeichen), der Text steht inhaltlich in keinem Zusammenhang mit der BS. 32 In den deutschen lutherischen Landeskirchen galt die Privatbeichte als rechtlich verordnete Pflicht auf der Grundlage der Wittenberger Beichtpraxis und war bis zum 30jährigen Krieg als alleinige Beichtform fester Bestandteil der Kirchenordnung und der Kirchenzucht. Der Prozeß ihrer Abschaffung wurde hauptsächlich durch die Kritik des Pietismus an der als unbefriedigend empfundenen, rigoros verrechtlichten Beichtpraxis vorangetrieben, und in der rationalistischen Theologie der Aufklärung wurden der Beichte prinzipiell die theologischen Fundamente entzogen. Am Ende des 18. Jahrhunderts und zur Zeit D reys war im progressiven Luthertum die Beichte theoretisch und praktisch abgeschafft, vorausgegangen war die zunehmende Gewährung der Beichtfreiheit durch die Landesherren. Zum Ganzen siehe L aurentius K lein , Evangelisch-lutherische Beichte. Lehre und Praxis. Paderborn 1961; K urt A land , Die Privatbeichte im Luthertum von ihren Anfängen bis zu ihrer Auflösung, in: ders ., Kirchengeschichtliche Entwürfe. Alte Kirche, Reformation und Luthertum, Pietismus und Erweckungsbewegung. Gütersloh 1960, 452-519; E rnst B ezzel , Frei zum Eingeständnis. Geschichte und Praxis der evangelischen Einzelbeichte. Stuttgart 1982, 164-175. Zur Situation am Ende des 18. Jahrhunderts siehe besonders G ottfried B enjamin E isenschmid , Geschichte der vornehmsten Kirchengebräuche der Protestanten. Ein Beytrag zur Verbesserung der Liturgie. Leipzig 1795. <?page no="320"?> 288 Erläuterungen 4. Schwierigkeiten mit der Beichtschrift in Rom a. »Übelwollende Berichte« Von der Beichtschrift weiß man in der Regel nur, daß es sie gibt und daß D rey mit ihr Probleme in Rom hatte. Das eine ist den Dreybibliographien zu entnehmen, das andere gehört seit den 1820er Jahren zum Lebensbild D reys , es zu erwähnen wird in kaum einer Lebensskizze D reys versäumt. Das Spektrum der Hinweise reicht von dunklen Andeutungen bis zu vermeintlich klaren Auskünften: D rey habe sich mit seiner lateinischen dissertatio von 1815 »nicht ohne Mithilfe anderer« in Rom nachhaltig in Mißkredit gebracht 33 , sie habe ihm »durch römischen Mißverstand« mehr Verdruß bereitet als jede andere 34 , D rey sei wegen ihr »verurteilt« worden 35 , sie sei auf den »Index« gekommen 36 . Von daher stellt sich die Frage nach der historischen Wahrheit und nach der näheren Bewandtnis der Schwierigkeiten. Auf sicherem Boden steht man zunächst mit der Bemerkung H efeles , der als Historiker der Tübinger Fakultät ein Schüler und Kollege D reys war, aus dem Todesjahr D reys , wonach gegen D rey und seine dissertatio »von gewisser Seite her, wie es scheint aus persönlicher Mißgunst, übelwollende Berichte nach Rom erstattet [wurden], ohne daß jedoch dem Verfasser Unannehmlichkeiten daraus erwachsen wären« 37 . Wenn man an die nachhaltige Schädigung seines kirchlichen Ansehens denkt, die ihm aus dieser üblen Geschichte entstand, oder auch nur an die persönlichen Belastungen, die er infolge seiner Verketzerung durchzustehen hatte 38 , wird man die Beschwichtigung H efeles 33 J osef R ief , Johann Sebastian von Drey (1777-1853), in: H einrich F ries , G eorg S chwaiger (Hg.), Katholische Theologen Deutschlands im 19. Jahrhundert 2. München 1975, 9-39, 13. 34 A braham P eter K ustermann , Die Apologetik Johann Sebastian Dreys. Kritische, historische und systematische Untersuchungen zu Forschungsgeschichte, Programmentwicklung, Status und Gehalt (Contubernium 36). Tübingen 1988, 27. 35 R udolf R einhardt , Die Katholisch-theologische Fakultät Tübingen im ersten Jahrhundert ihres Bestehens. Faktoren und Phasen der Entwicklung, in: ders . (Hg.), Tübinger Theologen und ihre Theologie. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Katholisch-Theologischen Fakultät Tübingen (Contubernium 16). Tübingen 1977, 1-42, 16 (so auch schon 1969, 1972 und 1975; vgl. auch unten Anm. 107). 36 A ugust H agen , Geschichte der Diözese Rottenburg 1. Stuttgart 1956, 43 (so auch schon in: ders ., Staat (wie Anm. 14) 22, Anm. 65); G eorg M ay , Mit Katholiken zu besetzende Professuren an der Universität Tübingen von 1817 bis 1945. Ein Beitrag zur Ausbildung der Studierenden katholischer Theologie, zur Verwirklichung der Parität an der württembergischen Landesuniversität und zur Katholischen Bewegung (Kanonistische Studien und Texte 28). Amsterdam 1975, 238, Anm. 105. - Dagegen schon F ranz X aver F unk , Die katholische Landesuniversität in Ellwangen und ihre Verlegung nach Tübingen, in: Festgabe der Universität Tübingen zum fünfundzwanzigjährigen Regierungsjubiläum Seiner Majestät des Königs Karl von Württemberg. Tübingen 1889, 3-30, 15: »Die Schrift erfuhr indessen keine Zensur«. 37 C arl J oseph H efele , Nekrolog [auf J ohann S ebastian D rey ], in: ThQ 35 (1853) 341-349, 346 (Hervorhebung nicht im Original). - Nach H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität (wie Anm. 1) war es »ein übelwollender Bericht« (Singular) (40), doch scheint es sich hier um eine ungenaue Wiedergabe H efeles zu handeln. 38 Daß D rey selbst um seine Verketzerung wußte, ist aktenkundig (siehe M iller , Professor Dr. Johann Sebastian Drey (wie Anm. 18) bes. 374 f); es geht a fortiori aus den Bemerkungen <?page no="321"?> 289 Die Beichtschrift (1815) nicht ganz ernst nehmen können (H efele selbst hat sie denn auch mit einer Einschränkung versehen; siehe unten bei und in den Anm. 79 und 97). H efele versäumte es, die »gewissen« Denunzianten 39 beim Namen zu nennen (falls er sie überhaupt kannte) 40 . Wer waren sie? H agen zufolge »steht fest«, von woher der Heilige Stuhl seine Informationen erhielt 41 , doch ist mit seinen Angaben nicht viel anzufangen, da er im Grunde nur auf das für den süddeutschen Raum ohnehin bekannte Berichterstatterfeld verweist, wenngleich in einer Auswahl, die er nicht begründet. Eine andere Spur führt zu dem von 1812 bis 1817 für die kirchlichen Verhältnisse in Ellwangen und Stuttgart von Amts wegen zuständigen Generalvikar F ranz K arl von H o henlohe 42 , der zur fraglichen Zeit einen »Bericht über die rationalistischen Professoren in Ellwangen« nach Rom geliefert haben soll 43 . Nach Lage der hervor, die D rey in der Oratio von 1819 zur Veranlassung dieses Redetextes machte (siehe Einleitung zu Text Nr. 5). 39 Sie wurden selbst von Provikar K eller in seinen amtlichen Schreiben an Kardinalstaatssekretär C onsalvi (siehe unten in Ziff. II.4.b. δ ) als solche bezeichnet. 40 In den beiden Nachdrucken des Nekrologs (in: WWKL 12, 1856, 308; WWKL 2 3, 1884, 2067) hat H efele den Passus »von gewisser Seite her« weggelassen. 41 »Aus welchen Quellen der Heilige Stuhl seine Angaben [gemeint sind die Beschuldigungen, die Kardinalstaatssekretär C onsalvi in seinem Schreiben vom 27. März 1817 gegen D rey , M ets und W erkmeister vorbrachte; vgl. dazu unten in Ziff. II.4.b. ψ ] schöpfte, steht fest. Es ist die Korrespondenz, welche Weihbischof Z irkel in Würzburg, Geistlicher Rat F elder in Waltershofen, Abt S peckle (früher in St. Peter), Abt Ö xle in Salem und P aul D umont mit dem Heiligen Stuhl bzw. mit der Luzerner Nuntiatur führten« (H agen , Geschichte 1 (wie Anm. 36) 208). Bei den von H agen genannten Personen handelt es sich um G regor ( von ) Z irkel (1762-1817), der von 1802 bis 1817 als Weihbischof in Würzburg fungierte und seit 1810 als Mitarbeiter in F elders Litteraturzeitung den römisch-kurialen Standpunkt vehement vertrat; F ranz K arl F elder (1766-1818), der seit 1810 die Litteraturzeitung für katholische Religionslehrer herausgab und einen Kreis von Ultramontanen um sich scharte (siehe Einleitung zu Text Nr. 7, Anm. 61); I gnaz (J oseph A nton ) S peckle (1754-1824), 1802 Abt von St. Peter, seit 1813 Führer der badischen Ultramontanen; K aspar Ö xle (1752-1820), seit 1802 Abt in Salem und in einem besonderen Vertrauensverhältnis mit F elder stehend, und schließlich Abbe´ P aul D umont (1762-1820) OSB, der als Deutschlandexperte der Kurie seit 1814 in Rom ansässig war und zuvor während seiner Deutschlandaufenthalte »ein weitgespanntes Informations- und Agitationsnetz aufgebaut« hatte (D ominik B urkard , Staatskirche, Papstkirche, Bischofskirche. Die »Frankfurter Konferenzen« und die Neuordnung der Kirche in Deutschland nach der Säkularisation (Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte: Supplementband 53). Rom, Freiburg, Wien 2000, 106; vgl. 309 f; 319 ff). D umont gehörte in Rom zur Partei der Zelanti und in der Sache D reys mit Sicherheit zu den Scharfmachern. - H agen verrät nicht, aus welchen Quellen er sein »festes« Wissen bezog. Angesichts der zahlreichen Informanten und Denunzianten, die zum römischen Informationssystem gehörten (vgl. dazu B urkard 319 ff und passim) erscheint seine Auswahl - abgesehen von D umont als Zentralfigur - als ziemlich willkürlich. 42 F ranz K arl J oseph Fürst zu H ohenlohe -W aldenburg -S chillingsfürst (zu ihm siehe auch Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 102), seit 1793 Stiftsdekan in Ellwangen, 1802 Titularbischof von Tempe, am 9. Oktober 1812 feierliche (staatliche) Einsetzung als Generalvikar in Ellwangen, als solcher vom Hl. Stuhl erst am 21. März 1816 bestätigt. Zu ihm in unseren Zusammenhängen Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 1) 22 ff; H agen , Geschichte 1 (wie Anm. 36) 173-216. 43 So H ermann W etzel , Das Erwachen des Kurialismus in Württemberg vor 100 Jahren. Der politische Katholizismus außerhalb der Kammer 1815-1833, in: BlwüKG 26 (1922) 159-178, 168 f. Dazu <?page no="322"?> 290 Erläuterungen Dinge konnten mit diesen Professoren nur D rey , G ratz und W achter gemeint sein, die wegen ihrer wissenschaftlichen Richtung bei ihren strengkirchlichen Kritikern in diesem Rufe standen. Auch wenn H ohenlohe keine übelwollenden Motive zu unterstellen sind und sein Bericht nicht den Charakter einer Anzeige gehabt haben dürfte, so kann es für das Bild, das man sich in Rom von der Ellwanger Richtung machte, durchaus ins Gewicht gefallen sein. Einen entscheidenden Schritt weitergekommen ist man in der Frage nach den Denunzianten D reys und insbesondere seiner dissertatio seit der Öffnung der Archive der Glaubenskongregation im Januar 1998. So konnten von dem Münsteraner Historiker W olf , der in seinen archivalischen Erkundungsgängen ein besonderes Augenmerk auch auf die Causa D rey richtete 44 , aufschlußreiche Papiere ausfindig gemacht werden. Den Auslöser für das römische Vorgehen gegen die dissertatio bildete demnach die Anzeige eines in der Nähe von Ellwangen amtierenden Pfarrers namens C hristoph M ayer 45 . Z eller , a.a.O. 43: »der [von W etzel erwähnte] Bericht nach Rom über die Lehre der Ellwanger Professoren hat ganz und gar auszuscheiden; doch kann an dieser Stelle nicht näher darauf eingegangen werden«. Die Gründe für seine ominöse Enthaltung gibt Z eller nicht an, er scheint später auch nicht darauf zurückgekommen zu sein. Immerhin bestätigt Z eller hier indirekt die Existenz eines solchen Berichts. - Dafür, daß es einen Bericht dieser Art gegeben haben kann, spricht der Umstand, daß H ohenlohe im Hinblick auf die von ihm betriebene päpstliche Bestätigung als Generalvikar, die nach einigem Hin und Her erst im Oktober 1816 erteilt wurde, durchaus Gründe hatte, in seinen Berichten seine korrekte Kirchlichkeit im kurialen Sinn unter Beweis zu stellen. Hinzu kam, daß er persönlich dem kurialistischen Bund der bayerischen Konföderierten angehörte (so W etzel ) oder ihm zumindest zugetan war. - In diesem Zusammenhang ist aber zu beachten, daß man in Rom schon lange zuvor über die Entwicklungen an den deutschen Universitäten unter dem Einfluß der Aufklärung alarmiert war. Vor allem von den Nuntiaturen in Wien und München waren seit Beginn des Jahrhunderts Berichte über anmaßende philosophische Produktionen deutscher Schriftsteller und perverse deutsche Professoren mit ruinösen Lehren (vor allem in Mainz und Würzburg) sowie über die Bischöfe, die nicht entschieden genug gegen die Neuerer vorgingen, nach Rom gegangen. Genaueres dazu bei B eda B astgen , Bayern und der Heilige Stuhl in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Nach den Akten des Wiener Nuntius Severoli und der Münchener Nuntien Serra-Cassano, Mercy d’Argenteau und Viale Prela`, sowie den Weisungen des römischen Staatssekretariates aus dem vatikanischen Geheimarchiv (Beiträge zur altbayerischen Kirchengeschichte 17 und 18). 2 Bde., München 1940; C hristian G öbel , Kants Gift. Wie die ›Kritik der reinen Vernunft‹ auf den ›Index Librorum Prohibitorum‹ kam, in: N orbert F ischer (Hg.), Kant und der Katholizismus. Stationen einer wechselhaften Geschichte (Forschungen zur europäischen Geistesgeschichte 8). Freiburg u.a. 2005, 91-138 (bes. 108 ff). 44 Dazu H ubert W olf , Angezeigt, doch nicht verurteilt. Zum römischen Schicksal von Johann Sebastian Dreys »Beichtschrift«, in: P eter N euner , P eter L üning (Hg.), Theologie im Dialog (Festschrift für H arald W agner ). Münster 2004, 309-322; ders ., Johann Sebastian Drey: Karriereknick durch Gerüchte? , in: ders ., Index. Der Vatikan und die verbotenen Bücher. München 2006, 84-95. Ergänzend: ders ., Johann Sebastian Drey auf dem Index? Zu Mutmaßungen über die »Beichtschrift« von 1815, in: K ustermann , Revision der Theologie (wie Anm. 4) 92-102. Zur Öffnung der Archive siehe W olf , Index 62-65; Angezeigt 311 f. 45 C hristoph M ayer (1743-1818) war seit 1770 Pfarrer in der zwischen Ellwangen und Schwäbisch Gmünd liegenden Gemeinde Leinzell (ab 1815 Kaplan in Neukirch). Von ihm ist bekannt, daß er in zahlreiche Händel verstrickt war (zu ihm siehe N eher , Personal-Katalog (wie Anm. 21) 408; W olf , Angezeigt (wie Anm. 44) 314 f; Index 89 f). Er wurde in der Kurie unter positiven Vorzeichen als »zelante Ecclesiastico« bezeichnet (siehe W olf ebd.). <?page no="323"?> 291 Die Beichtschrift (1815) Dieser beschuldigte D rey als Autor der Disputationsschrift über die Beichte in einem in lateinischer Sprache verfaßten und an P ius VII. adressierten Brief mit Datum vom 20. Dezember 1815 der Irrlehre. In einem zweiten, mit zahlreichen Beilagen ausgestatteten Schreiben vom 7. August 1816 wiederholte und erhärtete er seine Beschuldigungen 46 . Es ist anzunehmen, daß die Beilagen, die M ayer diesem Brief mit auf den Weg gab, zum Zweck der Beweisführung von der Kurie angefordert worden waren. b. Amtliche Folgen Die Denunziationen blieben nicht ohne amtliche Folgen. Gegen D rey (und zugleich gegen seinen Ellwanger Kollegen K arl W achter 47 ) wurden in Rom Vorermittlungen aufgenommen, die auf ein Zensurierungsverfahren angelegt waren 48 . Daneben fand die Angelegenheit seit 1816 Aufnahme in römische Verlautbarungen und in einschlägige Korrespondenzen, deren wichtigste unten zusammengestellt sind, soweit sie D rey betreffen. Bereits im Vorfeld dieses Papierkrieges waren die Probleme in Rom zum Gegenstand mündlicher Erörterungen zwischen Kardinalstaatssekretär C onsalvi und dem von der württembergischen Regierung dazu beauftragten Geistlichen Rat (ab Juli 1816 Provikar) K eller aus Stuttgart geworden. α . Im Vorfeld der kirchenamtlichen Beanstandungen: Kellers Gespräche in Rom (1815-1816) sowie erstes Wetterleuchten im Breve vom 21. März 1816 Nachdem der König am 28. September 1812 zusammen mit der Gründung der Friedrichsuniversität in Ellwangen für die neu erworbenen katholischen Gebiete im Königreich Württemberg eigenmächtig ein Generalvikariat errichtet und den Augsburger Weihbischof F ranz K arl von H ohenlohe zum Generalvikar bestellt hatte, wurde der Geistliche Rat J ohann B aptist K eller aus Stuttgart von der Regierung am 27. Juli 1815 nach Rom entsandt, um die päpstliche Genehmigung dieser Maßnahmen zu erreichen und außerdem das Zustandekommen eines seit 1807 geplanten württembergischen Konkordats voranzubringen 49 . Mit ersterem hatte K eller Erfolg 50 , das letztere wurde von 46 Näheres dazu bei W olf , Angezeigt (wie Anm. 44) 314 ff sowie - teilweise abweichend von W olf - unten in Ziff. II.4.c. 47 Zu ihm siehe Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 108, sowie unten in Ziff. II.4.c. 48 Näheres dazu unten in Ziff. II.4.c. 49 Genaueres bei Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (wie Anm. 1) 24 ff; 38 f; H agen , Geschichte 1 (wie Anm. 36) 173 ff, bes. 201-204. - Zur Vorgeschichte dieser Konkordatsverhandlungen: Nachdem mit der Erhebung Württembergs zum Königreich (1806) die Grundlagen für die Möglichkeit eines Konkordats gegeben war, betrieb F riedrich I. den Abschluß einer solchen Konvention mit dem Hl. Stuhl. Rom willigte in das Vorhaben ein. Am 25. September 1807 traf der Nuntius A nnilale della G enga zu den Konkordatsverhandlungen in Stuttgart ein. Sie waren dem Abschluß nahe, wurden aber am 1. November 1807 auf Geheiß N apoleons abgebrochen. Unzufrieden damit, hatte der König bereits 1808 den <?page no="324"?> 292 Erläuterungen der Kurie hinhaltend behandelt. Der Aufenthalt K ellers in Rom dauerte ein volles Jahr. Er endete damit, daß er zum Provikar und Koadjutor H ohen lohes bestellt 51 und am 4. August 1816 von P ius VII. höchtpersönlich zum Bischof von Evara i.p.i. geweiht wurde. K eller wurde nach seiner Rückkehr in Anerkennung seiner Verdienste vom König in den persönlichen Adelsstand erhoben (4. Oktober 1816). K eller führte in der Sache der Denunziationen während seines Romaufenthaltes Gespräche »namentlich« mit C onsalvi . »Keller pflegte selber oft zu erzählen, wie viele Mühe es ihn während seines Aufenthaltes in Rom gekostet habe, namentlich bei dem Cardinal-Staatssekretär von Consalvi, die unkatholischen Tendenzen des königlichen katholischen geistlichen Raths [gemeint ist der Katholische Geistliche Rat (ab 1816: Katholischer Kirchenrat) als Institution, und in ihm vor allem W erkmeister 52 ], dessen Mitglied zu sein er [d.h. K eller ] selbst die Ehre hatte, sowie der damaligen Ellwanger Professoren [gemeint sein können nur D rey und W achter 53 ] in Abrede zu stellen. Der Cardinal habe ihm unter anderen die denkwürdigen Worte gesagt: Geistlichen Rat K eller zum ersten Mal nach Rom entsandt mit dem Ziel, den Abschluß des Konkordats zu erwirken. Nach der Gefangennahme des Papstes und seiner Wegführung nach Savona am 6./ 7. Juli 1809 war K eller unverrichteter Dinge nach Stuttgart zurückgekehrt. Dazu: O tto M ejer , Die Concordatsverhandlungen Württembergs vom Jahre 1807. Mit bisher ungedruckten Actenstücken. Stuttgart 1859; M ax M iller , Die römische Kurie, die württembergische Königswürde und der Beginn der Konkordatspolitik, in: ThQ 112 (1931) 223-235; H agen , Geschichte 1 (wie Anm. 36) 173 ff. J ohann B aptist J udas T haddeus von K eller , * 16. Mai 1774 in Salmansweiler (Salem), † 17. Oktober 1845 in Bartenstein bei Künzelsau. Zunächst Zisterzienser in Salem, 1793 - 1797 Studium in Dillingen und Salzburg, 1797 Priesterweihe in Salzburg, 1806 Stadtpfarrer in Radolphszell (Radolfzell), 1808 Berufung in den Katholischen Geistlichen Rat von Württemberg, zugleich Stadtpfarrer und Dekan in Stuttgart, ab 1811 auch Mitglied der Studiendirektion, 15. Juli 1816 Provikar des Generalvikariats für die katholischen Landesteile in Württemberg und Koadjutor H ohenlohes , 4. August 1816 Bischofsweihe in Rom, 4. Oktober 1816 Zivilverdienstorden und Staatsrat, 7. Dezember 1819 Generalvikar, 20. Mai 1828 Inthronisation als erster Bischof von Rottenburg. Zu ihm: [I gnaz L ongner ], Johann Baptist von Keller, erster Bischof von Rottenburg. Eine biographische Scizze, nebst Blicken auf die katholische Kirche Württembergs. Aus den Papieren eines Verstorbenen [d.i. I gnaz L ongner ] herausgegeben von Dr. Wilhelm Binder. Regensburg 1848 (L ongner wurde als Verfasser dieser Papiere ermittelt von S ebastian M erkle , Zum württembergischen Mischehenstreit, in: ThQ 119, 1938, 60-108, hier 104-106); H ubert W olf , Johann Baptist von Keller (1774-1845). Das Bild eines Bischofs im Spannungsfeld von Staat und Kirche, von Aufklärung und Orthodoxie, in: RoJbKG 3 (1984) 214-233. 50 Die Bestätigung H ohenlohes als Generalvikar erfolgte durch Breve vom 21. März 1816 (Text bei L ongner , Beiträge (wie Anm. 26) 621-623). 51 Breve vom 15. Juli 1816 (L ongner , Beiträge (wie Anm. 26) 623-624). 52 Zu ihm siehe Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 38. 53 Der Ellwanger Generalvikariatsrat M ets (zu ihm siehe Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 138), der zu diesem Zeitpunkt in Rom gleichfalls persona non grata war und von K eller zweifellos auch verteidigt wurde, hatte an der Friedrichsuniversität keine Professur inne. Ob G ratz (zu ihm siehe Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 74) schon während des Romaufenthalts K ellers Gegenstand von Beanstandungen war, ist ungewiß. Sein Name taucht erst im Schreiben C onsalvis vom 16. Februar 1820 auf. Gegen ihn wurde 1823 bei der Indexkongregation ein Verfahren eröffnet (siehe W olff , Peter Alois Gratz (wie Anm. 1) 306-312, bes. 309). <?page no="325"?> 293 Die Beichtschrift (1815) ›die meisten Ketzereien und Spaltungen in der Kirche kommen von den Mönchen her‹ (eine Anspielung auf Herrn von Werkmeister und Professor Wachter in E.)« 54 . Die Denunziationen hatten somit schon während des Romaufenthaltes K ellers in den ersten Monaten des Jahres 1816 hohe Wellen geschlagen, die bis zur Spitze des Staatssekretariats hinaufreichten. Die »viele Mühe« aber, die K eller auf ihre Widerlegung verwendete, war nicht nur dem Beschützertrieb des angehenden Provikars entsprungen, sondern gründete in einer Instruktion des Königs vom 16. April 1816 55 . Auch in Stuttgart befaßte man sich somit schon zu dieser Zeit an höchster Stelle mit der Angelegenheit. Wie wenig Erfolg die Bemühungen K ellers hatten, stellte sich massiv im Frühjahr 1817 in einem Breve P ius ’ VII. vom 26. März und einem Brief C onsalvis vom 27. März d.J. heraus, begann sich aber noch während seines Romaufenthalts abzuzeichnen. In dem bereits erwähnten Breve vom 21. März 1816, das die Bestätigung H ohenlohes zum Gegenstand hatte, wird unter dessen Amtspflichten hervorgehoben, er müsse dafür sorgen, daß bei den ihm anvertrauten Gläubigen die Reinheit des katholischen Glaubens bewahrt werde 56 . Daß es sich um »Vorwürfe gegen die [Ellwanger] Professoren« 57 handelt, ist dem Text nicht zu entnehmen, auch nicht andeutungsweise. Erst im Licht der Vorgänge von 1817 ist im Rückblick zu erkennen, daß sie (mit-) gemeint waren. Daß Rom 1816 nicht deutlicher wurde, ist wohl den Bemühungen K ellers zuzuschreiben. β . »Ellwanger Professoren« im Visier: Das Breve vom 26. März 1817 Ein halbes Jahr nach der Rückkehr K ellers an seinen Stuttgarter Amtssitz schlug der Unmut der Kurie über die kirchlichen Verhältnisse in Württemberg im Breve P ius ’ VII. vom 26. März 1817 deutlicher zu Buche. Generalvikar von H ohenlohe wird wegen seiner Amtsführung und seiner politischen Haltung scharf getadelt, etwaige ungültige Amtsgeschäfte werden aber konvalidiert. Im letzten Absatz des dreiseitigen Schreibens fordert der Papst ihn schließlich auf, seinen Amtspflichten zum Schutz der katholischen Kirche gewissenhafter nachzukommen. Er, der Papst, habe seine diesbezügliche Be- 54 In: [L ongner ], Johann Baptist von Keller (wie Anm. 49) 17. - Der zitierte Text ist bei H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität (wie Anm. 1) mit Verweis auf B inder teilweise in indirekter Rede wiedergegeben (40 mit Anm. 4). 55 Die Ausfertigung dieser Instruktion vom 16. April 1816 befindet sich einer Mitteilung R einhardts zufolge in den Handakten K ellers aus den Jahren 1811-1817 (vgl. R udolf R einhardt , Neue Quellen zu Leben und Werk von Johann Sebastian Drey. Dreys Antwort auf das »Pastoralschreiben« des Rottenburger Generalvikars im Jahre 1821, in: ders ., Tübinger Theologen (wie Anm. 35) 117-166, 122, Anm. 21). 56 »... ut omni studio, ac sollicitudine commissis Tibi a Nobis fidelibus populis invigiles et adlabores, ut remotis erroribus et novitate opinionum integritas catholicae fidei istic conservetur« (Breve vom 21. März 1816; Text bei L ongner , Beiträge (wie Anm. 26) 622; Hervorhebung nicht im Original). 57 So u.a. fälschlicherweise auch R einhardt , Neue Quellen (wie Anm. 55) 122, Anm. 21. <?page no="326"?> 294 Erläuterungen sorgtheit bereits in einem früheren Schreiben zum Ausdruck gebracht 58 . Daran anknüpfend, präzisiert der Papst: Seine Sorge gelte der Sinnesart und der Lehre vor allem jener Ellwanger Professoren, die ja doch wegen ihrer öffentlich verbreiteten Irrtümer in ganz Deutschland verschrieen seien. Er solle gegen sie einschreiten und dazu die Hilfe des Königs in Anspruch nehmen, weil diese Leute ebenso Feinde der königlichen Gewalt wie der Kirche seien 59 . Die Namen der Übeltäter werden aber nicht genannt, auch Schriften oder Themen werden nicht angeführt. Der Papst beschränkt sich in seiner Präzisierung auf die anonymisierte Feststellung, die Sinnesart und die Lehre von Professoren »vor allem in Ellwangen« seien anstößig. In der Fachliteratur wird dieses Verdikt häufig (allein) auf D rey und seine Beichtschrift bezogen, doch der Text als solcher gibt das nicht her. Es ist deshalb festzuhalten, daß D rey und seine dissertatio von 1815 in diesem Breve (das in der Causa D rey überhaupt das wichtigste und deutlichste war) keineswegs verurteilt, ja nicht einmal beim Namen genannt wurden. γ . Der Brief Consalvis vom 27. März 1817 an Keller In einem auf den 27. März 1817 datierten und an Provikar K eller adressierten Brief 60 , der offensichtlich als Erläuterungsschreiben zum Breve vom 58 Damit dürfte das oben in Anm. 56 angeführte Breve vom 21. März 1816 und die dort ausgesprochene allgemeine Ermahnung gemeint sein. 59 »Adjungimus exhortationes Nostras, ut commissa Tibi administratione sancte fungaris, sanamque praesertim catholicae Ecclesiae doctrinam tuearis, qua de re magna sumus in sollicitudine ut jam tibi prioribus nostris litteris significavimus. Non ignoramus enim cujusnam ingenii et doctrinae inter professores praesertim Elvangi homines adnumerentur, qui nempe ob errores suos publice disseminatos tota late Germania diffamati sunt. Exspectamus quidem hac super re a te aliquid: frustra tamen ad hanc usque diem exspectantes conscientiaque Nostra minime permittente, ut in tantis animarum periculis taceamus, monemus iterum Fraternitatem tuam, ut implorato etiam praesidio Majestatis suae, cujus potestati non minus quam Ecclesiae, hujusmodi homines infensi censendi sunt, opportunum gravissimo huic malo remedium afferatur.« (Vollständiger Text des Breves bei L ongner , Beiträge (wie Anm. 26) 624-627, hier 626; Hervorhebungen nicht im Original). 60 Der Brief ist in seiner lateinischen Originalfassung bisher nicht bekannt geworden. Eine deutsche Version befindet sich in den Akten des württembergischen Kultministeriums, Konkordat I-VI, 1807 - 1818 (H agen , Geschichte 1 (wie Anm. 36) 207), die einschlägigen Auszüge sind in deutscher Übersetzung veröffentlicht bei M iller , Professor Dr. Johann Sebastian Drey (wie Anm. 18) 367 ff, Anm. 1. Aus ihnen wird nachfolgend zitiert. - Um die von C onsalvi gegen D rey , W erkmeister und M ets vorgebrachten Beanstandungen angemessen gewichten zu können, ist zu beachten, daß die Auszüge M illers nur jenen Teil des Briefes wiedergeben, in dem C onsalvi sich mit diesen Personen befaßte. Der Brief selbst ist aber wesentlich umfangreicher. M iller teilt nicht mit, was in den von ihm nicht veröffentlichten Teilen des Briefes steht und welche Mißstände C onsalvi darin ggf. anprangerte. Da das Breve vom 26. März drei Seiten lang war und in ihm nur der letzte Absatz den Ellwanger Professoren galt, könnten für das Erläuterungsschreiben vom 27. März ähnliche Proportionen gelten. Wenn das nicht beachtet wird, entsteht der Eindruck, daß der Brandbrief C onsalvis nur gegen D rey , W erkmeister und M ets gerichtet war. - K eller hatte nach seiner Ernennung zum Provikar und Koadjutor H ohenlohes diesen praktisch vollständig aus den Amtsgeschäften des Generalvikariats verdrängt, was im übereinstimmenden Interesse Stuttgarts und Roms lag. Der Brief C onsalvis war deshalb an Provikar K eller gerichtet. <?page no="327"?> 295 Die Beichtschrift (1815) 26. März gedacht war, präzisiert Kardinalstaatssekretär C onsalvi die Übel, welche die katholische Religion zur Entrüstung des Papstes im Königreich erleide. Namentlich hervorgehoben werden hier nun D rey , W erkmeister 61 und M ets , mit D rey als Autor der Beichtschrift an erster Stelle. Der Papst habe schon seit dem verflossenen Jahr einigen Wink gegeben von der Verderbtheit, »welche man sehr wohl erkennt in der Lehrart an der Universität Ellwangen, an welcher unter anderm der Professor Drey sich beigehen ließ, verschiedene Irrtümer gegen die Ohrenbeicht vorzubringen, und an welcher auch andere Professoren 62 in ihrem respektiven Wirkungskreise irrige Lehren äußern. Sie werden mit mir übereinstimmen, daß das Vikariat von Ellwangen diesen Irrtümern sich hätte widersetzen und das gegebene Ärgernis durch öffentlichen Widerruf hätte gutmachen, auch dabei den geistlichen Jünglingen verbieten sollen, solche gar nicht orthodoxe Schulen zu frequentieren« 63 . In diesem Passus des Briefes C onsalvis gipfelte das Vorgehen Roms gegen D rey und die Beichtschrift überhaupt, soweit es in der Form eines amtlichen Schriftstücks die Mauern des Vatikans verlassen hat 64 , und abgesehen von einem bedeutungslos gebliebenen Nachspiel 65 ist es dabei geblieben. Von einer Verurteilung D reys kann auch hier nicht die Rede sein. Es handelt sich um eine Beanstandung von seiten des Kardinalstaatssekretärs, die verwaltungsintern in der Form eines Briefes übermittelt wurde, der nie amtlich veröffentlicht wurde. Von seinem Inhalt weiß die Forschung erst seit seiner auszugsweisen Wiedergabe durch M iller im Jahr 1933. Wenn in der kirchenpolitischen Publizistik (und später auch in der Fachliteratur) eine kirchenamtliche römische Verurteilung oder Beanstandung D reys kolportiert wurden, so konnte 61 Noch im selben Jahr 1817 wurde das Publikationsorgan W erkmeisters , die Jahrschrift für Theologie und Kirchenrecht der Katholiken (zu ihr siehe Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 38) durch Dekret der Indexkongregation vom 30. September 1817 auf den römischen Index gesetzt (vgl. R eusch , Der Index (wie Anm. 23) 1082; J oseph H ilgers , Der Index der verbotenen Bücher in seiner neuen Fassung dargelegt und rechtlich-historisch gewürdigt. Freiburg i.Br. 1904, 456). 1823 kam D reys Kollege J ohann B aptist H irscher mit seiner Schrift Missae genuinam notionem eruere eiusque celebrandae rectam methodum monstrare tentavit. Accedunt duae formulae missales lingua vernacula exaratae (Tubingae 1821) auf den Index (H ilgers 458; R eusch 1112 ff). 62 Wie bereits erwähnt (siehe oben bei und in Anm. 53) können nur D reys Kollegen W achter und eventuell auch schon G ratz gemeint sein, gegen die in Rom gleichfalls ermittelt wurde (siehe unten in Ziff. II.4.c). Gegen M ets (der in Ellwangen keine Professur innehatte) und gegen den Geistlichen Rat in Stuttgart (mit W erkmeister an erster Stelle) werden in diesem Brief (unter Nennung ihrer Namen) aber die gravierendsten Vorwürfe formuliert. 63 Text nach M iller , Professor Dr. Johann Sebastian Drey (wie Anm. 18) 368. 64 Zu den vatikaninternen Vorgängen siehe unten Ziff. II.4.c. 65 Drei Jahre später, in einem Schreiben vom 16. Februar 1820, kam C onsalvi nämlich auf seine Vorwürfe gegen die Ellwanger Professoren (die zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr in Ellwangen weilten, sondern bereits 1817 an die Universität Tübingen umgezogen waren) zurück. In diesem Schreiben suchte C onsalvi die inzwischen recht alt gewordenen Beanstandungen gegen D rey (und nun auch gegen G ratz ) mit Stellen aus ihren Schriften zu belegen. Der König verfügte, auf dieses Schreiben nicht mehr zu reagieren (siehe H agen , Geschichte 1 (wie Anm. 36) 209 f). <?page no="328"?> 296 Erläuterungen das bis 1933 infolgedessen nur auf Gerüchten beruhen 66 , in denen zudem die Beanstandung zu einer Verurteilung hochgetrimmt wurde. Man muß ferner beachten, daß die Hauptstoßrichtung der päpstlichen Verlautbarungen und auch des Briefes C onsalvis nicht D rey galt, sondern den mißliebigen Zuständen im Königreich Württemberg, für die D rey und seine Beichtschrift als Fallbeispiel besonders herhalten mußten. δ . Die Antwort Kellers vom 19. Juni 1817 Die Reaktion des Generalvikars auf den Brief C onsalvis ließ auf sich warten, sie erfolgte erst am 19. Juni 1817 67 . Die Verzögerung erklärt sich daraus, daß K eller für das Antwortschreiben die Weisungen der Staatsregierung einzuholen hatte, ja daß er ihr den Entwurf seines Briefes auch noch zur Korrektur vorlegen mußte. Die Regierung verlangte von K eller , die Beschuldigungen zurückzuweisen und zu widerlegen 68 . In dem Brief werden die Verdienste des Königs um die katholische Sache in Württemberg hervorgehoben, der König selbst wache stets auf die Rechtgläubigkeit des Lehrpersonals. Bezüglich der Anschuldigungen wird vorgebracht, daß sie auf böswilligen Denunziationen beruhen; sie rührten von Menschen her, die im Dunklen operieren und sich ein besonderes Geschäft daraus machten, das Mißtrauen des apostolischen Stuhles zum Schaden der Religion nicht allein gegen die Regierung, sondern auch gegen die Vorsteher der Kirche, die Bischöfe und ihre Räte, zu erregen. 66 Nicht anders verhält es sich mit der Behauptung, der Heilige Stuhl habe verlangt, dem Autor der Beichtschrift die Lehrbefugnis zu entziehen. Der einschlägige Passus im oben angeführten Brief C onsalvis vom 27. März 1817 an K eller lautet: Das Vikariat Ellwangen hätte [! ] den Studenten verbieten sollen, »solche gar nicht orthodoxe Schulen [! ] zu frequentieren«. Das ist etwas ganz anderes. Es ist grammatikalisch gesehen außerdem ein Irrealis der Vergangenheit, mit dem in erster Linie die Palette der Vorwürfe gegen Hohenlohe angereichert werden sollte, wohl wissend, daß dieser in der Verbotsfrage ohnehin nichts hätte ausrichten können. Ein die damalige Gegenwart betreffender oder in die Zukunft weisender Imperativ ist daraus jedenfalls nicht abzuleiten. - Hinter der Bemerkung C onsalvis stand ein vatikaninternes Votum des mit der Bearbeitung der Causa D rey betrauten Kurialbeamten R affaele M azio , in welchem vorgeschlagen worden war, der Kardinalstaatssekretär solle verlangen, D rey zum Glaubensbekenntnis zu zwingen und ihm die Lehrbefugnis zu entziehen (Genaueres dazu unten in Ziff. II.4.c). Das Ansinnen M azios hat in dem Brief C onsalvis die besagte Abmilderung erfahren. Diese Umstände mißachtend, haben übrigens die Hermesianer später behauptet, C onsalvi habe in Stuttgart tatsächlich ein Vorlesungsverbot für D rey verlangt (siehe W olff , Peter Alois Gratz (wie Anm. 1) 190 f; 285 f; vgl. dazu auch W olf , Drey auf dem Index? (wie Anm. 44) 98-100). 67 Das Antwortschreiben K ellers , von dem die Forschung erst seit 1928 Näheres weiß, befindet sich im Arch. Vat. Segret. di Stato Nr. 255 (1814-1819) f 275 (siehe E mil G öller , Die Vorgeschichte der Bulle »Provida sollersque«, in: FDA NF 28 (1927) 143-216; FDA NF 29 (1928) 436-613, hier 452-453; dazu auch H agen , Geschichte 1 (wie Anm. 36) 208, wo auf Württ. Kultm., Generalvikariat Ellwangen Nr. 27, verwiesen wird, und R einhardt , Neue Quellen (wie Anm. 55) 122 mit Hinweis auf BOA Rttbg. Altreg. A 3.1). Die nachfolgende Darstellung stützt sich im wesentlichen auf das Referat G öllers , der auf Seite 452 (Anm.) vermerkt: »Der Wortlaut des Briefes soll an anderer Stelle veröffentlicht werden«. 68 Vgl. M iller , Professor Dr. Johann Sebastian Drey (wie Anm. 18) 369; [L ongner ], Johann Baptist von Keller (wie Anm. 54) 16. <?page no="329"?> 297 Die Beichtschrift (1815) K eller spricht hier zweifellos auch aus eigener Erfahrung. Zu D rey wird bemerkt, er habe in seiner Schrift über die Ohrenbeicht die Materie wissenschaftlich bearbeitet und am Schluß zum Beweis seiner Rechtgläubigkeit »Theses secundum canones Concilii Tridentini« angefügt (K eller kannte offensichtlich die diesbezügliche Passage in der dissertatio D reys nicht aus eigener Lektüre). Im übrigen hätten der Generalvikar und er den Professoren nun aufs Neue eindringlich empfohlen, auf die Korrektheit ihrer Lehre und ihres Unterrichts sorgfältigst zu achten. C onsalvi war mit dem Brief K ellers zwar nicht zufrieden, ließ aber vorerst Ruhe einkehren. Erst nach einer dreijährigen Pause kam er, wie bereits erwähnt 69 , noch einmal darauf zurück, doch die Angelegenheit war inzwischen so verstaubt, daß seine Reprise in Stuttgart unbeachtet blieb. c. Zum vatikaninternen Verfahren gegen die Beichtschrift Parallel zu den nach außen gehenden Verlautbarungen des apostolischen Stuhls bezüglich der Sinnesart und Lehre »gewisser Ellwanger Professoren« gab es vatikaninterne, geheime Verwaltungsvorgänge gegen D rey und Kollegen, von denen man seit der Öffnung der Archive Genaueres weiß 70 . So wurden gegen die gezielt von Pfarrer C hristoph M ayer beim Papst zur Anzeige gebrachte Beichtschrift D reys alsbald Ermittlungen aufgenommen. Mit der Auswertung der Anzeige war zunächst Abbe´ P aul D umont , von dem oben bei der Nennung der Denunzianten bereits die Rede war, als Deutschlandexperte beauftragt. Dieser übergab am 19. März 1817 seine Stellungnahme 71 an den Sekretär der deutschen Partikularkongregation R affaele M azio 69 Siehe oben Anm. 65 sowie unten in Ziff. II.4.c. 70 Vgl. dazu vor allem die oben in Anm. 44 angeführten Untersuchungen. 71 D umont beschränkte sich in seiner Stellungnahme auf eine Erörterung der sechs »Theses«, in denen D rey die Ergebnisse seiner dissertatio zusammengefaßt hatte (von D rey dort nicht als theses, sondern als positiones bezeichnet; die dissertatio selbst scheint D umont nicht im einzelnen studiert zu haben). Diese »Theses« stünden im Widerspruch zur katholischen Lehre und zum Konzil von Trient und seien den von W ycliff , C alvin , P ietro d ’O sma , D aille´ und E ybel vertretenen Irrlehren sehr ähnlich. Nach der von W olf wiedergegebenen Fassung der Ausführungen D umonts lautet dessen Stellungnahme zu den sechs »Theses« D reys wie folgt: »In der 1. These sagt der Professor, daß in der Hl. Schrift wenig Klares und Eindeutiges zum Ursprung der Beichte steht. Und doch hat die Kirche immer geglaubt und gelehrt, daß die Beichte ihren Ursprung in göttlicher Einsetzung hat (nella istituzione divina) und auf der Hl. Schrift gründet, insbesondere auf Mt 18,18 und Joh 20,22. Und dieser Ursprung ist erfolgreich von allen Theologen bewiesen worden, besonders vom hochgebildeten Benediktiner Dionysius von S. Marthe, durch den sich alle Haarspaltereien und Spitzfindigkeiten des so gefährlichen Werkes von Daille´ in nichts aufgelöst haben. In der 2. These führt der Verfasser die Beichte auf die öffentliche Buße zurück, obwohl er das genaue Gegenteil sagen sollte. Doch der Verfasser will wie die Protestanten den Eindruck erwecken, daß die Notwendigkeit der Beichte nicht auf göttlichem Gesetz beruht; zu diesem Zweck führt er sie auf die öffentliche Buße zurück. Denn da diese nach dem Konzil von Trient, Sessio 14, De Sacramento poenitentiae, nicht auf göttlichem Gesetz beruht, wäre die Beichte, die nach Ansicht des Autors auf sie zurückzuführen ist, auch nicht im göttlichen Gesetz begründet. <?page no="330"?> 298 Erläuterungen (1765-1832) 72 , der in dieser Sache der Adjunkt C onsalvis war und als solcher die Auffassung D umonts sich zu eigen machte. Das Breve P ius ’ VII. vom 26. März 1817 und der Brief C onsalvis vom 27. März 1817 sind daraus hervorgegangen; sie nehmen sich vor diesem Hintergrund vergleichsweise moderat aus. Da indessen die Beschwichtigungen, die K eller in seinem Antwortschreiben vom 19. Juni 1817 vorgebracht hatte, von ihnen als unbefriedigend taxiert wurden, faßte man ein schärferes Vorgehen ins Auge. Im Hinblick darauf verfertigte M azio ein internes Statement zu Händen des Kardinals 73 Ich übergehe die 3. These, obwohl der Verfasser hier behauptet, daß die öffentlichen und die geheimen Sünden gleichermaßen der öffentlichen Buße unterworfen waren, was die meisten Gelehrten anders sehen. Die 4. These wird vom VI. Kanon des Konzils von Trient ausdrücklich verurteilt. 1. weil der Autor zu verstehen zu geben scheint, daß die Beichte von der Kirche nicht immer für notwendig gehalten wurde. 2. weil er den Eindruck erwecken will, daß sie nicht auf der Grundlage göttlichen Gesetzes vorgeschrieben wird (non e` di diritto divino prescritta). Man beachte auch die Formulierung ubi auctoritas Ecclesiae divina haberi coepit, womit der listige Professor sich den Weg für seine Lehre / Behauptung ebnet, daß die Autorität der Kirche in der ersten Zeit nicht so wie später gesehen wurde (guardato dallo stesso occhio). Die 5. These läßt mich daran zweifeln, daß der Verfasser an die Macht der Priester zu binden und zu lösen glaubt: ipsam peccatorum remissionem Deo passim reservabant. Mit diesen Worten kommt der Verfasser der Thesen [tesista] aus Ellwangen dem im IX. Kanon des Konzils von Trient, De Sacramento poenitentiae, verurteilten Irrtum nahe. Da die 6. These trotz einiger Ungenauigkeiten zum größten Teil auf historischer Wahrheit beruht, verdient sie keine besondere Aufmerksamkeit. Es ist nicht abzustreiten, daß die These, von der wir sprechen, zumindest indirekt eine der Grundlagen des Katholischen Glaubens angreift, auf dessen Erhaltung der Hl. Stuhl immer sehr bedacht war. Deshalb hat, als der berüchtigte Eybel die Irrtümer der Häretiker in bezug auf die Ohrenbeichte übernahm/ wieder aufkommen ließ, Pius VI. es nicht versäumt, die häretische Schrift des deutschen Neuerers zu verurteilen; und das Verbot dieses skandalösen Büchleins ist so streng, daß es, wenn eine Erlaubnis zum Lesen der verbotenen Bücher erteilt wird, davon ausgenommen wird. Ich bin also der Meinung, daß die Thesen auch verurteilt werden sollen. Aber bevor dies geschieht, muß man sich ein gedrucktes Exemplar [! ] der besagten Thesen beschaffen. Diese können dann einer neuen und strengeren Prüfung unterzogen werden. Wenn es der Hl. Vater für angemessen hält, kann ich einem Freund schreiben, damit dieser ein Exemplar der erwähnten Thesen zu beschaffen versucht. Wenn diese dann vorliegen, müssen dem königlichen Gesandten Vorhaltungen wegen der Konzeption des Unterrichts [concezione dell’insegnamento] und dem Generalvikar schwere Vorwürfe wegen der Nachlässigkeit gemacht werden, mit der er die Äußerung solcher Irrtümer duldet. Der Professor muß zum Glaubensbekenntnis gezwungen und ihm muß die Lehrbefugnis entzogen werden, wozu man den König ohne Weiteres wird bewegen können.« (Siehe W olf , Angezeigt (wie Anm. 44) 317 f). 72 Zu ihm B urkard , Staatskirche (wie Anm. 41) 323 f. 73 Das Schriftstück findet sich im ASV, Carte Mazio, Nr. 13. Es ist undatiert, muß aber nach dem 19. Juni 1817 verfaßt sein. Es wird von W olf , Angezeigt (wie Anm. 44) 320, in deutscher Übersetzung wie folgt wiedergegeben: »Ich bin in keiner Weise mit den Briefen der zwei Bischöfe zufrieden, und ich finde ihre Entschuldigungen nicht überzeugend. Die ihnen gemachten Vorwürfe können in vier Punkten zusammengefaßt werden: 1. Der Bischof von Tempe hat auf Anfrage des Königs die Verwaltung der Teile der Diözesen Konstanz, Worms und Speyer übernommen, ohne dazu die Genehmigung des Hl. Stuhls erhalten zu haben. 2. Die Lehre an der Universität Ellwangen. <?page no="331"?> 299 Die Beichtschrift (1815) sowie den Entwurf eines neuen Schreibens an K eller , indem es heißt: »Was Professor Drey betrifft, so sagt Ihr, dieser habe erklärt, zum Beweis der Rechtgläubigkeit seiner Schrift über die Ohrenbeichte den Regeln des Konzils von Trient entsprechende Thesen beigefügt zu haben. Aber was hilft das, wenn seine eigenen Thesen in völligem Gegensatz zu diesem Konzil stehen und offensichtlich falsch sind? Diese im September 1815 in Ellwangen vertretenen Thesen befinden [sich] in den Händen des Hl. Vaters, und Seine Heiligkeit hat erkannt, daß sie im Gegensatz zur katholischen Lehre stehen und der Irrlehre Wycliffs, Calvins, Pietro d’Osmas, Daille´s und des berüchtigten Eibel [sic], welcher von Pius VI. seligen Angedenkens verurteilt wurde, sehr ähnlich sind.« M azio übernimmt danach die Beurteilung der sechs »Theses« aus der Feder D umonts und fährt fort 74 : »Außer den Dingen, die in der erwähnten These Professor Dreys der kirchlichen Lehre von der Ohrenbeichte widersprechen, findet man dort auch verschiedene andere Grundsätze, die im Gegensatz zum offenbarten Glauben stehen. Als einfaches Beispiel soll der folgende genügen, der auf S. 1 der Thesen zu finden ist: ›Ea est religionum omnium, et illarum praeprimis, quas a peculiari sua institutione positivas dicimus, indoles atque natura; ut non obstante sanctione divina, [...] temporum decursu multis modis immutari debeant.‹ Wie Ihr seht, wird in dieser Aussage angenommen, daß die Glaubensdinge Veränderungen unterliegen können, ja müssen, und damit niemand glaubt, daß in diesem Abschnitt der Disziplin zu unterwerfende [appartenenti a disciplina] Dinge gesagt werden, äußert er im nächsten Abschnitt der These folgende Überlegung: ›Immutatur praeprimis basis ipsa vel potius summa horum institutorum, doctrina scilicet, 3. Verschiedene gefährliche Neuerungen und skandalöse Mißstände. 4. Der berüchtigte Werckmeister [sic], Feind der katholischen Religion, und der Stuttgarter Kirchenrat [...]. Als Antwort auf den bezüglich der Lehre gemachten Vorwurf sagt der Bischof von Tempe, daß er von seinen Professoren den Glaubensschwur verlangt hat, daß er mit seinen Beratern [consiglieri] an den öffentlichen Prüfungen teilnimmt und dabei nie etwas im Gegensatz zur Glaubenslehre Stehendes entdeckt hat, daß er den Professoren nochmals eingeschärft hat, sich jeder Neuerung zu enthalten, und daß er ihnen den sie betreffenden Paragraph des päpstlichen Breves vorgelesen hat. Diese Entschuldigungen reichen nicht. wir haben die Beweise für die irrgläubige Lehre an der Universität Ellwangen in Händen. Habt die Güte, die Abhandlung von Professor Drey, die ich Euch vor circa einem Jahr überließ, nochmals zu prüfen, in dieser Abhandlung finden sich nicht nur Dinge gegen die Ohrenbeichte, sondern auch andere im Widerspruch zur offenbarten Religion stehende Grundsätze. [...] Man darf sich nicht wundern, wenn Keller versucht, die irrgläubige Ellwanger Universität zu entschuldigen, denn sie hat ihm und seinem treuen Freund Werkmeister ein Doktordiplom verliehen.« 74 Das Schreiben befindet sich im ASV, Carte Mazio Nr. 12. Die Auszüge in deutscher Übersetzung sind gleichfalls aus W olf , Angezeigt (wie Anm. 44) 319 f, übernommen. W olf zufolge wurde es nie abgeschickt, es dürfte aber in den oben in Anm. 65 erwähnten Brief C onsalvis an K eller eingeflossen sein (die Abfolge der Ereignisse ist bei W olf teilweise undurchsichtig und inkonsistent dargestellt; Klärungen wurden oben soweit möglich stillschweigend vorgenommen). <?page no="332"?> 300 Erläuterungen quatenus complexus est quidam veritatum vel idearum, quae unde unde hominibus datae a ratione humana usucapi et possideri incipiunt.‹ An all dem erkennt Ihr, wie schwach die Begründung ist, mit der Ihr diesen Professor zu entschuldigen glaubtet. Seid überzeugt, daß es nicht obskure Denunziationen oder Verleumdungen verärgerter und boshafter Menschen sind, durch welche, wie Ihr anzunehmen scheint, gegen die Lehren dieses Professors ungerechtfertigterweise Anklage erhoben wurde; es handelt sich vielmehr um eifrige Katholiken, denen, wie es sein muß, die Reinheit der Lehre am Herzen liegt, und der Hl. Vater hat sichere und echte Beweise für die schlechte Lehre in der Hand. Meine bisherigen Äußerungen müssen Euch davon überzeugen, daß ich Euch nicht zu Unrecht in meinem letzten Brief über die Beschwerden Seiner Heiligkeit bezüglich der Lehre einiger Ellwanger Professoren in Kenntnis gesetzt habe, und die gegen Professor Drey vorgebrachten Beweise werden Euch versichern, daß Seine Heiligkeit auch über das Unrecht einiger anderer informiert ist« 75 . Daß man im Vatikan die Angelegenheit mit vertiefter Gründlichkeit weiter verfolgen wollte, geht daraus hervor, daß M azio auf Anordnung C onsalvis die dissertatio D reys (zusammen mit derjenigen W achters ) mit Schreiben vom 23. Juni 1817 an den Kommissar der Inquisition A ngelo M aria M e renda (1755-1820) mit der Bitte um gründliche Überprüfung und Votierung übersandte 76 . Dieser scheint zu dem Ergebnis gekommen zu sein, daß es besser ist, die Causa D rey nicht weiter voranzutreiben. Vielleicht hat er sogar die Bösartigkeit und Oberflächlichkeit der Vorgänge erkannt. Jedenfalls versandete das Verfahren gegen D rey und W achter 77 nun lautlos - abgesehen 75 Die beiden lateinischen Zitate sind dem § 1 der dissertatio entnommen (im Original S. 1, die Originalpaginierung ist dem unten edierten Text am Rand beigegeben). Anders, als im Schreiben M azios behauptet wird, handelt es sich um die beiden ersten, unmittelbar aufeinanderfolgenden Sätze, mit denen D rey seine Abhandlung eröffnete; sie stehen mit den eigentlich inkriminierten sechs »Theses«, die D rey am Ende der dissertatio in der Form von positiones angefügt hatte, in keinem direkten Zusammenhang. Die beiden Zitate wollen den Eindruck erwecken, der Referent habe den Text der dissertatio gelesen, wobei er über die ersten Sätze nicht hinausgekommen und bis zu den sechs Theses, um die es eigentlich ging, gar nicht vorgedrungen zu sein scheint. 76 Vgl. W olf , Angezeigt (wie Anm. 44) 313; ders ., Index (wie Anm. 44) 88. 77 Bei den Nachforschungen W olfs zur Causa D rey hat sich herausgestellt bzw. bestätigt, daß an der Kurie gleichzeitig mit dem Verfahren gegen D rey auch eines gegen W achter eingeleitet wurde, das dessen Ellwanger Disputationsschrift von 1813 (W achter , Theses ex jure ecclesiastico; siehe oben in Ziff. II.1.b. α ) zum Gegenstand hatte. Zu ihr existiert ein 40 handschriftliche Seiten umfassendes Gutachten aus der Feder des Dominikaners M aurizio B enedetto O livieri (1769-1845), dem Primus Socius des Hl. Offiziums zu dieser Zeit, in welchem die Zensurierung der Schrift W achters »tanquam continentem propositiones respective falsas, male sonantes, Episcopis, concilii, Romanis Ponteficibus injuriosus, Ecclesiae et praecipue Sanctae sedis jurium laesivas, Ecclesiastici Regiminis eversivas, erroneas, alias damnatas, in Schisma, et haeresim inducentes, haereticas« vorgeschlagen wird (Archiv der Glaubenskongregation, Sanctum Officium, Censura librorum 1816/ 17 Nr. 13; vgl. W olf , Angezeigt (wie Anm. 44) 312). Der Zensurierungsvorschlag fiel also wesentlich härter aus als der gegen D rey . - Damit endete auch dieses Verfahren, zu einer Indizierung W achters kam <?page no="333"?> 301 Die Beichtschrift (1815) von dem oben 78 erwähnten Nachhaken C onsalvis am 16. Februar 1820. Zu einer Zensurierung D reys oder einer Indizierung der Beichtschrift kam es jedenfalls auch in den vatikaninternen Vorgängen nicht einmal annähernd. Es gab dort nach dem gegenwärtig bekannten Stand der Aktenlage nicht einmal eine Beschlußvorlage der Konsultoren, geschweige denn den Entwurf eines Verbotsdekrets in der Indexkongregation. d. Ist Drey wegen der Beichtschrift nicht Bischof geworden? J ohann S ebastian D rey wurde durch Königliches Dekret vom 13. August 1822 zum ersten Bischof der Diözese Rottenburg designiert. Der Papst verweigerte die Zustimmung, aber die Staatsregierung hielt an der Designation fest und machte sie danach noch dreimal geltend (1823, 1824, 1826), bis sie 1827 definitiv davon Abstand nahm. Es stellt sich die Frage, welche Rolle die BS am Scheitern der Bischofskandidatur spielte. H efele bemerkte im Nekrolog auf D rey , seine Kandidatur zum ersten Bischof von Rottenburg sei »zum Theil« deshalb gescheitert, »weil das oben erwähnte Schriftchen [die BS] zu seinen Ungunsten wieder in Erinnerung gebracht wurde« 79 . Wo, wie und von wem das Schriftchen »wieder in Erinnerung« gebracht wurde, teilte H efele wie bereits erwähnt nicht mit. Er dürfte an die Diskussionen und Agitationen gedacht haben, die in Süddeutschland bei der Erstellung der Kandidatenlisten stattfanden, wie er sie noch persönlich miterlebt hatte, und wohl auch an die damit einhergehenden Denunziationen in Rom. Der Bemerkung H efeles ist auch nicht zu entnehmen, wie hoch er den Anteil einschätzte, den die Erinnerung an die BS bei der Verhinderung D reys gehabt haben mochte. Seit H efele wird in der Fachliteratur die Rolle der BS häufig sehr hoch eingeschätzt, teilweise gilt sie als einziger Grund. Diesen Fehlurteilen muß hier auf Grund der Aktenlage entgegengetreten werden 80 . es nicht. Zum Ganzen siehe W olf , Angezeigt (wie Anm. 44) 312-314. - Bei H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität (wie Anm. 1) 44, findet sich eine umfangreiche (und arglose) Zusammenfassung des Inhalts der Schrift W achters . 78 Siehe Anm. 65. 79 H efele , Nekrolog (wie Anm. 37) 347. - H efeles Schüler G ams nahm es mit den historischen Abläufen noch weniger genau und erzählte seiner breiten Leserschaft, D reys »Ernennung zum Bischofe« sei wegen der BS »rückgängig« gemacht worden (P ius B onifacius G ams , Johann Adam Möhler. Ein Lebensbild von Balthasar Wörner. Mit Briefen und kleinern Schriften Möhler’s herausgegeben von Pius Bonifacius Gams O.S.B. Regensburg 1866, 123; zu den von G ams ausgesäten Gerüchten siehe auch unten Anm. 97 sowie Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 83). 80 Zu den einschlägigen Aktenstücken siehe M iller , Professor Dr. Johann Sebastian Drey (wie Anm. 18) 364 ff. Die nachfolgende Rekonstruktion der Vorgänge stützt sich auf die von M iller erschlossenen Dokumente. Zum Ganzen vgl. auch B urkard , Staatskirche (wie Anm. 41) 555-584, sowie R aimund L achner , Das ekklesiologische Denken Johann Sebastian Dreys. Ein Beitrag zur Theologiegeschichte des 19. Jahrhunderts. Frankfurt a.M. 1986. L achner befaßt sich hier eingehend und eigenständig mit den Fragen um die Bischofskandidatur D reys (27-36). Leider bin ich auf diese Seiten erst nach der Fertigstellung meines Manuskripts gestoßen. Umso erfreuter konnte ich eine weitgehende Übereinstimmung mit meiner Darstellung und Würdigung der Sache feststellen. <?page no="334"?> 302 Erläuterungen In dem Verfahren, das zur Kandidatur und zur Designation D reys führte, wird die BS als mögliches Hindernis erstmals in einem Brief des Rottenburger Generalvikariatsrats J aumann 81 vom 23. Januar 1822 an Staatsrat S chmidlin 82 , in dessen Händen die Vorbereitung der Kandidatenliste bei der Regierung lag, angetönt. In dem Brief verwendet J aumann sich für D rey , nachdem man die Chancenlosigkeit W essenbergs in Stuttgart eingesehen hatte. Das einzige Hindernis, an dem die Kandidatur scheitern könnte, sei eine mögliche »Selbstresignation« D reys , zu der D rey angesichts seiner Schwierigkeiten mit Rom neige. Doch »die levis macula, die er als Professor auf der Universität in Rom haben möchte, wäre leicht zu heben« 83 . In der Sicht J aumanns , der als engster Freund D reys dessen Einstellung und Gemütsverfassung genau kannte, würde eine Bischofskandidatur D reys somit allenfalls an dessen Selbstverzicht scheitern und nicht etwa an einer römischen Exklusive. Da J aumann diese Einschätzung dem in der Regierung für die Bischofsfrage zuständigen Staatsrat S chmidlin schriftlich zu wissen gab, kommt ihr für die Gewichtung möglicher Hindernisse große Bedeutung zu: Nicht an Rom, sondern an D rey wird es vorerst liegen, ob der Plan der Regierung sich realisieren ließe. Im weiteren Verlauf der Angelegenheit bestätigte sich die Richtigkeit der Einschätzung J aumanns . S chmidlin , dem - wie der Regierung überhaupt - die römischen Beanstandungen der Ellwanger Professoren bekannt waren, suchte D rey in »drei ausführliche[n] Unterredungen«, die anfangs August 1822 in Stuttgart stattfanden, zur Annahme der Kandidatur zu bewegen. D rey sträubte sich; er glaubte, wie S chmidlin berichtet, die Kandidatur »um deswillen ablehnen zu müssen, weil er bei seiner dem römischen Hofe wohlbekannten Denkungsart [! ] befürchten müsse, die päpstliche Bestätigung nicht zu erhalten und durch diese Nichtbestätigung in der öffentlichen Meinung und in seiner Wirksamkeit als Lehrer gefährdet zu werden 84 . Jene Besorgnis gründete er einesteils auf die schon öfter geäußerte 81 Zu I gnaz J aumann siehe Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 93. 82 C hristoph F riedrich von S chmidlin (1780-1830) war 1818 als Oberregierungsrat nach Stuttgart gekommen, seit 1821 Mitglied im Geheimen Rat, dann Staatsrat und provisorischer Vorstand des mit der Bischofsfrage befaßten Departements, 1827 Minister. - Lit.: ADB 54 (1908) 86-89 (J ulius H artmann ). 83 Text des Briefes bei M iller , a.a.O. 366 f, hier 367. Dazu M iller : »Gemeint ist wohl die Schrift über das Bußwesen in der alten Kirche« (367, Anm. 1). Das ist möglich, aber nicht sicher. Gegen die Tübinger Professoren und ihr wissenschaftliches Organ, die Theologische Quartalschrift, waren gerade um 1822 heftige Agitationen und Denunziationen im Gange (siehe Einleitung zu Text Nr. 7). Doch so oder so, dem Brief J aumanns ist zu entnehmen, daß D rey selbst sich 1822 in Rom geringe Chancen einräumte. 84 Hier wird erkennbar, warum D rey dem Vorhaben der Regierung, ihn zum ersten Bischof von Rottenburg zu designieren, zähen Widerstand entgegensetzte, und weshalb es der »drei ausführliche[n] Unterredungen« bedurfte, um ihn wenigstens zu einer bedingten Zustimmung zu bewegen. Die in der Dreyliteratur verbreitete und neuerdings vermehrt kolportierte Annahme, er habe von sich aus Bischof werden wollen und sei, nachdem dieser Wunsch sich zerschlagen habe, aus Ärger krank geworden, ist unhaltbar. Es handelt sich um eine bösartige <?page no="335"?> 303 Die Beichtschrift (1815) Unzufriedenheit des päpstlichen Stuhls mit der katholisch-theologischen Fakultät zu Tübingen überhaupt, andernteils aber auf die ihm nicht unbekannt gebliebene Verketzerung einer von ihm schon im Jahre 1815 zu Ellwangen herausgegeben[en] akademischen Streitschrift, worin er den biblischen Ursprung der Ohrenbeichte geleugnet habe« 85 . S chmidlin gelang es, D rey insoweit umzustimmen, daß er es dem König anheimgeben wolle, die Designation nach eigenem Gutdünken vorzunehmen. Im Nachgang zu diesen Unterredungen bestätigte D rey in einem Schreiben an den Staatsrat mit Datum vom 11. August 1822 seine bedingte Zustimmung 86 . D rey schreibt, es sei dem Staatsrat ja bekannt, und er habe diesen auch darauf hingewiesen, »daß die römische Kurie mit meinen theologischen Grundsätzen [! ], wie mit denen aller aufgeklärteren Katholiken, sehr unzufrieden ist. Die von dorther wiederholt geschehenen Anregungen gegen mich und die durch neuere Tatsachen ausgesprochene Beharrlichkeit der römischen Kurie auf ihren Grundsätzen geben mir die Überzeugung, daß meine Konfirmation als Landesbischof zu Rom großen Schwierigkeiten unterworfen wäre ...«. Die BS wird hier nicht erwähnt, die Schwierigkeiten mit ihr klingen wohl an, als entscheidend erachtet D rey nur seine theologischen Grundsätze, die aber kein besonderes Proprium seiner Person seien, sondern eine die aufgeklärteren Katholiken allgemein kennzeichnende Angelegenheit. Zwischen diesen Grundsätzen und denen der römischen Kurie bestehe ein unüberwindbarer Gegensatz. D rey subsumiert die BS und deren Schwierigkeiten somit unter den höherrangig anzusetzenden überindividuellen Grundsätzen. Was ist damit gemeint? Die wissenschaftlichen Grundsätze, aus denen die BS hervorgegangen ist? Oder in einem weiteren Sinn die theologischen Grundsätze, Unterstellung, die erstmals in einem Brief von Pfarrer F ridolin H uber an W essenberg greifbar wird. In dem Brief heißt es: »Prof. Drey ärgert sich zum Krankwerden, daß er nicht Bischof wurde« (Fridolin Huber an Wessenberg, Brief vom 24. Januar 1830, in: W ilhelm S chirmer (Hg.), Aus dem Briefwechsel J. H. von Wessenbergs weil. Verwesers des Bistums Konstanz. Konstanz 1912, 179; zum Kontext dieses Briefes siehe Einleitung zu Text Nr. 1, bei und in Anm. 79; mit Lit.). Dazu L ösch , Prof. Dr. Adam Gengler (wie Anm. 18) 181, Anm. 32: »Zu der Behauptung von Frid. Huber im Brief an v. Wessenberg vom 24. Januar 1831 [gemeint ist 1830] [...], daß Drey diesen Ausgang der Bischofswahl für seine Person als bittere Enttäuschung empfunden habe, lassen sich keine zeitgenössischen Stimmen vernehmen«. Auch dieser Befund spricht gegen H uber , der sich mit seiner üblen Geschwätzigkeit bei W essen berg , dessen Bischofsambitionen zuvor mehrfach an Rom gescheitert waren, mit der über D rey , den Konkurrenten, ausgegossenen Häme einschmeicheln und Öl in die Wunden seines hohen Korrespondenzfreundes gießen wollte. Mit Sicherheit ist anzunehmen, daß D rey das von 1822 bis 1827 andauernde Hickhack um seine ihm aufgedrungene und schließlich gescheiterte Bischofskandidatur als rufschädigend im Sinne seiner gegenüber S chmidlin geäußerten Besorgnisse empfunden haben mußte. Wenn schon, dann ärgerte sich D rey höchstens darüber, daß er sich von der Regierung dazu hatte nötigen lassen, in seine Nominierung zur Kandidatur einzuwilligen bzw. eingewilligt zu haben. 85 Bericht S chmidlins an den König vom 11. August 1822 (Text bei M iller , a.a.O. 374 f ). 86 Brief D reys an Staatsrat S chmidlin , eigenhändige Ausfertigung vom 11. August 1822, abgedruckt bei M iller , a.a.O. 399-400. <?page no="336"?> 304 Erläuterungen die für die Denkart und die Richtung der von Rom angeprangerten Ellwanger Professoren, die zur Zeit der Kandidatensuche in Tübingen saßen und dort mit neuen Gründen angefeindet wurden? Die BS wäre dann in den Augen D reys nur noch ein nicht mehr besonders hervorzukehrender Teil des Richtungsproblems. Oder ist das Problem der Grundsätze auf die politische Ebene zu beziehen? Dann würde D rey mit den »aufgeklärteren Katholiken«, denen er sich beizählt, W essenberg , W erkmeister etc. und deren kirchenpolitisch einschlägigen Grundsätze meinen. Die Hauptstoßrichtung im Brief C onsal vis vom 27. März 1817 hatte ja nicht D rey , sondern W erkmeister (und M ets ) und deren staatskirchlicher Einstellung gegolten, und die Portierung W es senbergs war vor allem aus staatskirchenrechtlichen und politischen Gründen am Widerstand Roms gescheitert 87 . Nun sollte nach den Plänen der Regierung einer aus dieser Richtung - D rey - in das Bischofsamt einrücken. Die Ellwanger (und Tübinger) Professoren wurden von der Kurie tatsächlich als der universitäre Flügel der Wessenbergschen und Werkmeisterschen Richtung angesehen. Hinzu kam, daß für die Regierung in Stuttgart als Bischofskandidat nur eine Person in Frage kam, die die Frankfurter Kirchenverfassung 88 anerkannte. Die Designation D reys war erst erfolgt, nachdem dieser schriftlich erklärt hatte, er habe in den ihm vorgelegten »Grundsätzen und Bestimmungen der vereinigten deutschen Fürsten und Staaten über die neuen kirchlichen Verhältnisse und namentlich in der Kirchenpragmatik und dem Fundations-Instrument nichts gefunden«, was seiner Überzeugung zuwider wäre; er nehme »keinen Anstand, die gedachten Staatsgrundsätze als in den Rechten der Staaten begründet und bei liberaler Anwendung der Kirche unnachteilig anzuerkennen« und für die seinigen zu erklären 89 . War diese Erklärung für die Regierung die conditio sine qua non für die Designation D reys , so war gerade sie für Rom der absolute Ausschließungsgrund: »Aufs bestimmteste ließ der Papst erklären, er werde niemand zum Bischof ernennen, der die Kirchenpragmatik anerkannt habe. Damit war auch Professor Drey verworfen« 90 . Hier brachte Rom seine von D rey angesprochenen Grundsätze zur Geltung. In dieser politischen Höhenlage spielte die BS keine nennenswerte Rolle mehr. Zu fragen, welche Rolle die BS für die Kandidatur D reys hätte spielen können, wenn es die Frankfurter Kirchenpragmatik und ihre Aner- 87 Eingehend dazu M ax M iller , Ignaz Heinrich Freiherr von Wessenberg als württembergischer Bischofskandidat im Jahre 1822, in: WVLG 38 (1932) 369-400, bes. 369 ff; 399; ders ., Die Errichtung der Oberrheinischen Kirchenprovinz, im besonderen des Bistums Rottenburg, und die württembergische Regierung, in: HJ 54 (1934) 317-347; K urt A land , W olfgang M üller (Hg.), Ignaz Heinrich von Wessenberg. Unveröffentlichte Manuskripte und Briefe. Band 1.1: Autobiographische Aufzeichnungen. Freiburg 1968. 88 Zur Frankfurter Kirchenverfassung siehe B urkard , Staatskirche (wie Anm. 41) passim; zu ihrer Verwerfung durch Rom ebd. 397 ff. 89 Brief D reys an Staatsrat S chmidlin (wie Anm. 86). 90 M iller , a.a.O. 377. <?page no="337"?> 305 Die Beichtschrift (1815) kennung durch D rey nicht gegeben hätte, wäre reine Spekulation. Es gibt außerdem viele Beispiele dafür, daß die Beanstandung einer Schrift für Rom kein Grund sein muß, ihren Autor bleibend vom Bischofsamt auszuschließen. Nach Auskunft der Akten aber ist die BS für die Kandidatur D reys nicht der Stolperstein gewesen. 5. Zur Rezeptionsgeschichte der Beichtschrift a. Im 19. Jahrhundert Im August 1817 erschien in der Felderschen Litteraturzeitung eine umfangreiche, auf vier Hefte verteilte Rezension zur BS 91 aus der Feder des Dominikaners P ius B runnquell 92 . Mit ihr begann die literarische Rezeptionsgeschichte dieser Schrift. Die Rezension ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Zunächst im Hinblick auf den Zeitpunkt ihres Erscheinens und den chronologischen Kontext. D rey stand seit dem Frühjahr 1817 in amtlichem Feuer aus Rom. Den Auftakt hatte das Breve P ius ’ VII. vom 26. März gebildet, in dessen Visier mit Sicherheit auch D rey stand, ohne direkt beim Namen genannt zu sein (siehe Ziff. II.4.b. β ). In dem dazugehörenden Erläuterungsschreiben C onsalvis vom 27. März 1817 war aber Roß und Reiter nominatim angeführt und D rey mit seiner dissertatio von 1815 massiv beanstandet worden (siehe Ziff. II.4.b. γ ). Mit Datum vom 19. Juni hatte K eller ein Entlastungsschreiben ausgefertigt, mit dem man in Rom jedoch nicht zufrieden war (siehe Ziff. II.4.b. δ ). Da B runnquell die Rezension im Laufe des Monats Juli zu Papier gebracht haben muß, lagen zwischen ihrer Niederschrift und dem Brief K ellers , mit dem Rom sich nicht beruhigt hatte, nur wenige Wochen. Es stellt sich die Frage, ob die Rezension im Hinblick auf diese Vorgänge verfaßt wurde und ob sie als erste, indirekte Reaktion Roms auf den Brief K ellers einzuschätzen ist. Zwar waren die Briefe C onsalvis und K ellers der Öffentlichkeit nicht zugänglich, aber einige merkwürdige 91 Bei der »Felderschen Litteraturzeitung« (so der übliche Kurztitel) handelt es sich um die von F ranz K arl F elder (siehe oben Anm. 41) 1810 begründete und bis zu seinem Tod von ihm herausgegebene und redigierte Litteraturzeitung für katholische Religionslehrer. Die Rezension erschien in Jahrgang 8 (1817), Bd. 3, Heft 62 (5. August) 174-176, Heft 63 (7. August) 177-187, Heft 64 (12. August) 193-202, Heft 65 (14. August) 209-216. Sie ist mit P.B. unterzeichnet und hat ausschließlich die dissertatio D reys zum Gegenstand. 92 P ius B runnquell (1752-1828), 1770 Dominikaner, 1780 Prof. der Philosophie und Theologie an der Ordenshochschule in Bamberg, 1792 letzter Prior des Dominikanerklosters ebd., war eine der Hauptfiguren in den literarischen Auseinandersetzungen mit der Eybelschen Richtung in der Beichtfrage. Er gehörte zum Kreis der süddeutschen Ultramontanen, mit engen Verbindungen zur Felderschen Litteraturzeitung und zu den Nuntiaturen. Dazu: A ugust H agen , Franz Karl Felder (1766-1818) und seine Literaturzeitung für katholische Religionslehrer, in: ThQ 128 (1948) 28-70, 161-200, 324-342, bes. 167; ders ., Die kirchliche Aufklärung (wie Anm. 21) 184. Zu den Autoren der Litteraturzeitung und zu den Verbindungen dieses Personenkreises zu P aul D umont , der sich im römischen Verfahren gegen D rey besonders hervortat, siehe B urkard , Staatskirche (wie Anm. 41), bes. 319 f, zu D umont siehe außerdem oben in Ziff. II.4.a, Anm. 41, und in Ziff. II.4.c. <?page no="338"?> 306 Erläuterungen Umstände deuten darauf hin, daß der Rezensent eingeweiht war und daß er in höherem Auftrag handelte. B runnquell galt als Experte in Sachen der Ohrenbeichte. Er hatte sich bereits früher in die öffentliche Debatte eingeschaltet 93 und als linientreu erwiesen 94 . Nun also holte er die dissertatio von 1815 aus der Versenkung und machte sie zum Gegenstand einer Rezension. Hier ist zu fragen, wie er überhaupt an ein Exemplar der öffentlich nicht erhältlichen dissertatio herangekommen sein konnte. Warum wurde einer inneruniversitären Disputationsvorlage älteren Datums die Ehre einer Rezension, dazu solchen Umfangs, zuteil? B runnquell stand offensichtlich das Wissen und die Hilfe von Insidern zur Verfügung, ineins mit deren Begehren nach einer wissenschaftlichen Beurteilung der dissertatio in einem nichtamtlichen Organ. Wurde mit der Rezension ein neues Kapitel in der kirchenamtlichen Bekämpfung der BS vorbereitet? Der Inhalt und die Form der Rezension waren dazu bestens geeignet. Sie ist sachlich und ernsthaft gehalten, nicht unfreundlich und nicht ohne Niveau, doch auch mit spöttischen Anspielungen auf das gepflegte Latein und die strenge historische Methode des gelehrten Professors durchsetzt. Aber sie ist in ihrem harten Kern darauf angelegt, die historischen Argumentationen D reys zu widerlegen und die Verfehltheit seiner Schlüsse aufzuweisen. Der Haupteinwand gilt dem hermeneutischen Ansatz D reys . Wenn dieser die Texte von Anfang an im Lichte des Dogmas gelesen hätte, wäre er auch historisch zu anderen Einsichten gekommen, so der Tenor. Das bedeutet im Grunde, daß B runnquell , wenn er sich für die biblische Begründbarkeit der Ohrenbeichte ausspricht, methodologisch vom Schriftprinzip her argumentiert: nicht das Dogma als solches soll demnach die göttliche Einsetzung der Beichte gewährleisten, sondern der historische Schriftbeweis. Die Bibelhermeneutik müßte nach seiner Vorstellung so sein, daß der Bibeltext die historische Begründung für das Dogma direkt hergibt. Der Rezensent kommt deshalb zu dem Schluß, daß die von D rey erzielten Resultate mit dem Neuen Testament, dem Dogma der Kirche und der Bußlehre des Tridentinums unvereinbar seien; die von D rey der dissertatio angefügten Canones würden daran nichts ändern. Mit dieser Rezension war der nachfolgenden Rezeptionsgeschichte die Richtung vorgegeben. Die BS selbst wurde im Originaltext überhaupt nicht gelesen 95 , eher schon B runnquell , der sprachlich und dinglich leichter zu- 93 Siehe P ius B runnquell , Kurze Geschichte der Kirchenbuße und Apologie der sakramentalischen Beichte. Zugleich Antwort auf die Gegenbemerkungen der Abhandlung: Ueber die Nothwendigkeit der Ohrenbeichte in der Jahrschrift für Theologie und Kirchenrecht der Katholiken. 3. B. 3. H. Bamberg und Würzburg 1816. In diesem über 400 Seiten starken Buch bezieht B runnquell deutlich Stellung zu der von E ybel ausgelösten Debatte um die Beichte (siehe oben in Ziff. II.2, in und bei Anm. 21-26). Von D rey ist darin noch nicht die Rede. 94 Das gilt für die innerkatholische Diskussionslage und besonders im Hinblick auf die von W erkmeister in der Jahrschrift veröffentlichten Beiträge (siehe Anm. 21). <?page no="339"?> 307 Die Beichtschrift (1815) gänglich war. Aber eigentlich war es nur das dogmatische und methodologische Verdikt B runnquells , das - losgelöst vom Namen und vom Text B runnquells - gleichsam anonymisiert den Weg in die Bücher fand. Verstärkt wurde der negative Blick auf die BS dadurch, daß D rey seit 1821 auch noch als Verfasser eines in jenem Jahr in der Theologischen Quartalschrift anonym erschienenen Artikels galt, in dem zu Lasten der Privatbeichte öffentliche Beichten »in Vorschlag gebracht« worden waren 96 . Und hinzu kamen die unsterblichen Gerüchte einer römischen Verurteilung der BS sowie die Schatten, die sich auf den frühen D rey überhaupt gelegt hatten. Eine Schlüsselrolle in der Rezeptionsgeschichte der BS wuchs H efele , dem ersten Biographen D reys , zu. H efele tat viel für die Wiederherstellung des Ansehens D reys , aber er wurde mit seiner Mißbilligung der BS, die er 1856 in seinem Personalartikel zu D rey eingestreut hatte, infolge der Autorität, die er genoß, zu einer gewichtigen Instanz für die negative Beurteilung der BS in der Dreyliteratur der Folgezeit 97 . Daß H efele sich für sein sum- 95 Eine gewichtige Ausnahme war E dmond V ermeil , Jean-Adam Moehler et l’e ´cole catholique de Tubingue (1815-1840). E´ tude sur la the ´ologie romantique en Wurtemberg et les origines germaniques du modernisme. Paris 1913, wobei allerdings rätselhaft ist, ob und ggf. wie V ermeil an den Originaltext der BS, der nicht in den Buchhandel gekommen war und deshalb auch bibliothekarisch zu den rarissima gehörte, gelangt sein konnte. - Zu V ermeil und seiner bewundernswerten Interpretationsleistung siehe unten in II.5.c. 96 Es handelt sich um den Artikel Öffentliche Beichten werden in Vorschlag gebracht [anonym], in: ThQ 3 (1821) 682-699. In den ersten 13 Jahren ihres Bestehens sind bekanntlich in der ThQ sämtliche Aufsätze und Rezensionen ohne Angabe des Verfassers erschienen. Erst durch L ösch wurde mit Sicherheit J ohann B aptist H irscher als Autor identifiziert (L ösch , Die Anfänge (wie Anm. 31) 69; zur Anonymität der ThQ-Beiträge 1819-1831 und zur diesbezüglichen Forschungsarbeit L öschs siehe auch Einleitung zu Text Nr. 7, in den Ziffern II.2.b und III.2). Zu dem Artikel war in der (nunmehr von K aspar A nton M astiaux herausgegebenen) Felderschen Litteraturzeitung gleichfalls eine kritischen Besprechung erschienen: Ueber den in der theologischen Quartalschrift (von Tübingen) gemachten Vorschlag öffentlicher Beichten. Bemerkungen eines Layen, in: Litteraturzeitung (wie Anm. 41) 13 (1822), Bd. 2, Heft Nr. 36 (2. Mai) 145-160 und Heft Nr. 37 (7. Mai) 161-165. Dieser Artikel ist mit N.M. (M astiaux ? ) unterzeichnet. - Zu den Folgen der falschen Zuschreibung auch unten Anm. 101, zur Verfasserfrage siehe auch oben in Anm. 31. 97 C arl J oseph H efele hatte in seinem Nekrolog auf D rey , den er im Todesjahr D reys 1853 in der Theologischen Quartalschrift veröffentlichte, zwar auf die Verketzerung der BS hingewiesen (vgl. oben Anm. 37), sich dabei aber noch einer eigenen Beurteilung enthalten. Drei Jahre später fügte er in seinem Personalartikel zu D rey in den die BS betreffenden Satz, den er aus dem Nekrolog übernahm, hinzu, daß sie »allerdings nicht ganz gebilligt werden kann« (in: WWKL 12, 1856, 308; so auch in WWKL 2 3, 1884, 2067). Auf welchen Sachverhalt in der BS diese Einschätzung zu beziehen ist und aus welcher Quelle er sie nachträglich bezogen hat, gibt H efele nicht an. Die disqualifizierende Taxierung der BS war 1856 offenbar so im Gange, daß er glaubte, er müsse ihr auf diese Weise Rechnung tragen. Als Beispiel für die üble Stimmungsmache gegen D rey , die bis in die Schülerkreise H efeles hineinreichte, ist an die hinterhältigen Äußerungen zu denken, die der Benediktiner (seit 1855) G ams (1816- 1892) zu D rey in seine vielgelesene Möhlerbiographie hineinstreute: G ams , Johann Adam Möhler (wie Anm. 79), zur BS vgl. 123. Zu den von G ams verbreiteten Unterstellungen und Halbwahrheiten vgl. auch oben Anm. 79 (Bischofsfrage) sowie Einleitung zu Text Nr. 1 (Revisionsschrift), Anm. 83 (Wendemotiv). - Kennzeichnend für die Einschätzung und Ächtung D reys bei den Strengkirchlichen um die Mitte des 19. Jahrhunderts ist auch eine <?page no="340"?> 308 Erläuterungen marisches Verdikt der BS, um die er nur vom Hörensagen wußte, hergab, gehört nicht zu seinen Ruhmesblättern. Wenn dann der vielgelesene, wenngleich bei weitem nicht so angesehene Geschichtsschreiber H einrich B rück 1889 dem Autor der BS »sehr unkorrekte und irreführende Ansichten bezüglich der göttlichen Einsetzung der Beicht« zuschrieb und sie als »Erstlingsarbeit« herablassend als »minder gelungen« bezeichnete 98 , so ist das unschwer als Verschnitt aus B runnquell und H efele zu erkennen. An diesem Positionsbezug gegenüber der BS fällt auf, daß B rück dabei die ganz anders geartete Stellungnahme K arl W erners von 1866, die ihm nicht unbekannt gewesen sein konnte, für seine Bewertung völlig beiseite ließ - ein Vorgang, der kennzeichnend ist für die Generaltendenz zur hartnäckigen Disqualifizierung der BS im Gesamtverlauf ihrer Rezeptionsgeschichte. W erner hatte nämlich bereits 1866 in seinem Standardwerk zur Theologiegeschichte des 19. Jahrhunderts eine viel differenziertere, sachhaltigere und ohne Heterodoxievorwurf auskommende Einschätzung der BS vorgelegt: Die BS D reys »schien«, so W erner , »auf den Gedanken hinauszulaufen, daß die Beicht von Christus nicht unmittelbar, sondern mittelbar eingesetzt worden sei durch die Kirche, welche die mit dem kirchlichen Bußwesen aufkommende Sitte zu beichten zu einem integrirenden Bestandtheile des sacramentalen Bußaktes erhoben habe« 99 . W erner gibt zu erkennen, daß er die BS nicht selber gelesen hat, doch ist seine Stellungnahme so informativ und zugleich behutsam, daß danach, auch angesichts der Reputation seines theologiegeschichtlichen Werkes überhaupt, eigentlich bezüglich des Inhalts der BS keine jener primitiven Bemerkung H einrich D enzingers in einem Privatbrief vom 6. November 1852 an F ranz X aver H uber SJ, damals Spiritual des Collegium Germanicum in Rom: »Es ist hohe Zeit, daß dieser ultraspeculativen und semirationalistischen Richtung von Günther, Pabst, Baader, Sengler, Drey & Consorten einmal das Handwerk gelegt werde, da sie die ganze deutsche Theologie verdorben haben und noch verderben und zum Theil noch weit schlimmer sind als Hermes«, zit. bei M anfred W eitlauff , Kirche zwischen Aufbruch und Verweigerung. Ausgewählte Beiträge zur Kirchen- und Theologiegeschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Herausgegeben von Franz Xaver Bischof und Markus Ries als Festgabe für Manfred Weitlauff zum 65. Geburtstag. Stuttgart 2001, 105 f mit Anm. 14 und 160 f mit Anm. 78 (eine Edition der in dem genannten Archiv befindlichen Briefe D enzingers und H ergenröthers an H uber wurde von W eit lauff ebd, 140 Anm. 1 angekündigt). - Vgl. dazu auch Einleitung zu Text Nr. 7 (ThQ- Dokumente), Anm. 53. 98 H einrich B rück , Geschichte der katholischen Kirche in Deutschland im neunzehnten Jahrhundert 2: Vom Abschlusse der Concordate bis zur Bischofsversammlung in Würzburg im März 1848. Mainz 1889, 464. 99 K arl W erner , Geschichte der katholischen Theologie. Seit dem Trienter Concil bis zur Gegenwart. München 1866, 389 f (= 2 1889, 381 f). - Im Sinne W erners , aber mit einer Vergröberung der Einsetzungsfrage: J ohann F riedrich von S chulte , Die Geschichte der Quellen und Literatur des canonischen Rechts von Gratian bis auf die Gegenwart 3.1. Von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Das katholische Recht und die katholischen Schriftsteller. Stuttgart 1880, 325; desgleichen Calwer Kirchenlexikon 1. Calw, Stuttgart 1891, 409, sowie auch H ugo H urter , Nomenclator literarius theologiae catholicae 3. Innsbruck 2 1895, 946: »opus quod non omnibus arrisit, videtur enim institutionem confessionis sacramentalis mediatam tantum, per Ecclesiam scil., concedere«. <?page no="341"?> 309 Die Beichtschrift (1815) Vergröberungen mehr hätten erfolgen dürfen, die zwangsläufig zur dogmatischen bzw. kirchlichen Disqualifizierung dieser Schrift führen. Doch der Drang zur weiteren Verketzerung war stärker, er brachte auch im 20. Jahrhundert seine giftigen Früchte hervor. Das 19. Jahrhundert aber endet sogar in Tübingen mit einem kläglichen Tribut an den damals den Anfängen der Katholischen Tübinger Schule und insbesondere ihrem Begründer D rey abholden Zeitgeist. P aul S chanz , Inhaber des Dreyschen Lehrstuhls zu dieser Zeit und an sich durchaus darauf bedacht, die »guten« Vertreter der alten Tübinger Schule zu rühmen, glaubte konstatieren zu müssen: Es »läßt sich nicht bestreiten, daß der Standpunkt der zweiten Generation, eines Möhler, Hefele, Kuhn dem kirchlichen Leben in seinen vielen Äußerungen weit mehr gerecht wurde als der noch etwas an Aufklärung und Rationalismus erinnernde Standpunkt ihrer Lehrer. [...] Ich erinnere nur z.B. daran, daß Drey in der Lehre von den Sakramenten, besonders vom Sakrament der Buße, die historische kritische Methode in einseitiger Weise zur Anwendung brachte« 100 . b. Im 20. Jahrhundert Die Rezeptionsgeschichte der BS im 20. Jahrhundert bewegte sich im Oberflächenstrom der Meinungsbilder weithin auf den von B runnquell , H efele etc. verlegten Geleisen. Die Perspektive blieb die gleiche, die alten Gerüchte waren nicht vergessen, die überkommenen Versatzstücke zur Inhaltsangabe der BS und zu ihrer Beurteilung wurden mehr oder weniger phantasievoll variiert und weitertransportiert. Es ist so gut wie sicher, daß die BS selbst niemand in die Hand genommen und gelesen hat, ausgenommen vielleicht V ermeil , der seinerseits aber in Deutschland nicht gelesen wurde. Eine umfassende Zusammenstellung der Befunde kann deshalb hier unterbleiben. Zur Charakterisierung des Gesamtbildes dürften die nachfolgend in chronologischer Reihenfolge angeführten Beispiele genügen: D rey habe in der BS »einen nicht einwandfreien Standpunkt eingenommen«, er sei »späterhin« aber wiederholt in der Theologischen Quartalschrift seiner früheren Haltung entgegengetreten 101 ; in der BS spiegeln sich »les ide´es libe´rales du jour« 102 . H aug , 100 P aul S chanz , Die katholische Tübinger Schule, ThQ 80 (1898) 1-49, 8-9. 101 F riedrich L auchert , Franz Anton Staudenmaier (1800-1856). In seinem Leben und Wirken dargestellt. Freiburg i.Br. 1901, 33. Die Behauptung, D rey habe »späterhin« in der Beichtfrage seinen Standpunkt verändert oder er sei von der BS abgerückt, ist völlig aus der Luft gegriffen. Es ist dies ein Beispiel für die unbegründete (und in diesem Fall auf einer falschen Verfasserschaftszuschreibung beruhende) Unterstellung von Wendemanövern oder Brüchen in der wissenschaftlichen Vita D reys (zu diesem Problem siehe Einleitung zu Text Nr. 1, Ziff. II.6.a und b). Doch der Umstand, daß D rey 117 Jahre lang, d.h. bis zur Klärung der Sachlage durch L ösch (siehe Anm. 96), als Autor des Artikels von 1821 galt, beeinflußte nicht nur in der besagten Weise das Dreybild im ganzen, sondern wirkte sich auch auf die Wahrnehmung und Einschätzung der BS aus: Wer dachte, daß der der Ohrenbeichte abholde Hirschertext von D rey stammt, neigte in der Regel auch zu dem Fehlurteil, schon die BS sei auf die Delegitimierung dieser Beichtform angelegt gewesen. <?page no="342"?> 310 Erläuterungen der in seiner Geschichte der Friedrichsuniversität das historische Wissen um die BS in ihrer Außenbetrachtung wesentlich ausgeweitet hat, machte sich für seine Beurteilung dieser Schrift zunächst die oben zitierte Stellungnahme W erners wörtlich zu eigen (ohne Angabe der Quelle), fügte aber (in Anlehnung an H efele ) hinzu, die BS könne »vom katholischen Standpunkt aus nicht ganz gebilligt werden« 103 . G eiselmann hingegen führt in seiner ersten, bahnbrechenden Untersuchung zu D rey die Schwierigkeiten, die die BS ihm einbrachte, auf ein Mißverständnis zurück; D rey habe die Entstehung der Beichte »streng historisch« untersuchen wollen, sei aber dogmatisch verstanden worden 104 . Doch der so vielseitig beschlagene Erforscher der Katholischen Tübinger Schule, zu dem G eiselmann sich von da an entwickelte, scheint das, was er über die BS wußte, allein aus den sie betreffenden Tagebucheintragungen (und aus B runnquell ) bezogen zu haben. Interessant ist jedoch, wie er später den ekklesiologischen Traditions- und Entwicklungsbegriff, den D rey 1819 in seiner Programmschrift Vom Geist und Wesen des Katholicismus (siehe Text Nr. 6) vorlegte, mit der BS in Verbindung brachte: Schon in der BS wollte D rey den Katholizismus als dasjenige System erweisen, »welches die Notwendigkeit [des reinen ununterbrochenen Fortbestandes einer Tatsache] behauptet, diesen selbst in sich von seinem Anfange an rein und ununterbrochen zu erhalten gestrebt hat, die Wege und Mittel als die Belege dieser Erhaltung anzugeben weiß, und daher in der festen Überzeugung lebt, daß in ihm das Urchristentum als etwas Faktisches fortbestehe« 105 . Ansonsten das gewohnte Bild, auch bei H agen 106 und R einhardt 107 und bei 102 P aul G odet , Drey, in: DThC 4 (1911) 1825-1828, 1826. In diesem Sinne auch A braham P eter K ustermann : »Die in Ellwangen entstandenen Schriften der Professoren, durchweg okkasionell veranlaßte akademische Programmschriften, galten von jeher als (je nach dem gewünschten) Beweis ihrer aufgeklärten, wenn nicht rationalistischen Gesinnung«, in: ders ., Die erste Generation der »Katholischen Tübinger Schule« zwischen Revolution und Restauration, in: RoJbKG 11 (1993) 11-34, 18. 103 H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität (wie Anm. 1) 45; vgl. 40-46. 104 J oseph R upert G eiselmann , Die Glaubenswissenschaft der Katholischen Tübinger Schule in ihrer Grundlegung durch Johann Sebastian v. Drey, in: ThQ 111 (1930) 49-117, 100 Anm. 1. 105 Siehe Geist des Christentums und des Katholizismus. Ausgewählte Schriften katholischer Theologie im Zeitalter des deutschen Idealismus und der Romantik. Herausgegeben, eingeleitet und erklärt von Joseph Rupert Geiselmann (Deutsche Klassiker der katholischen Theologie aus neuerer Zeit. Hg. von H einrich G etzeny . 5). Mainz 1940, 197 (wörtliches Zitat aus der von G eiselmann auf den Seiten 193-234 edierten Schrift D reys ). Dazu G eiselmann : »Das hat Drey nachzuweisen versucht in seiner Schrift: Dissertatio Historico-Theologica originem ac vicissitudines exomologeseos illustrans. Ellwangen 1815« (481). 106 H agen , Geschichte 1 (wie Anm. 36) 209: »Dreys Schrift mit ihrer Leugnung der unmittelbaren göttlichen Einsetzung der Beicht (sie sei durch die Kirche eingeführt worden) ließ sich vom katholischen Standpunkt nicht halten« (mit Verweis auf B runnquell ebd. Anm. 180); sie sei auf den Index gekommen (ebd. 43; ders ., Staat (wie Anm. 14) 22, Anm. 65) (siehe auch oben Anm. 36). 107 R udolf R einhardt , Im Zeichen der Tübinger Schule, in: Attempto 25/ 26 (1967/ 68) 40-57, 52: »Drey bestritt in seiner indizierten [! ] Schrift vom Jahre 1815 den biblischen Ursprung der Ohrenbeichte.« (Vgl. auch oben Anm. 35). <?page no="343"?> 311 Die Beichtschrift (1815) den vielen auf sie sich stützenden Autoren. Als Kuriosum sei schließlich die Behauptung erwähnt, daß der von D rey in der BS vorgelegte Entwicklungsgedanke auf Anregungen S chleiermachers zurückzuführen sei 108 . c. Exkurs: Vermeil, Drey und Gratz Ein Sonderfall in der Rezeptionsgeschichte der BS, auf den abschließend näher einzugehen ist, liegt bei dem französischen Germanisten E dmond V er meil (1878-1964) 109 und dessen epochalem Werk zur Katholischen Tübinger Schule aus dem Jahr 1913 vor 110 . Epochal deshalb, weil V ermeil mit dieser von der Sorbonne approbierten Arbeit zum Pionier für die historische Erforschung dieser Schule überhaupt geworden ist, vor allem ihrer ersten, von D rey bis M öhler sich erstreckenden Phase, in der sie bereits ihre höchste Aufgipfelung erreicht habe. Bei V ermeil ging diese Forschungsarbeit einher mit einer luziden ideogrammatischen Rekonstruktion ihrer theologischen Eigenart. Das gilt unabhängig von der prekären Modernismusthese, mit der er seine Arbeit in Verruf brachte 111 . V ermeil dürfte nach G ratz 112 der erste 108 Siehe R obert S talder , Grundlinien der Theologie Schleiermachers. I. Zur Fundamentaltheologie. Mit einem Geleitwort von Jean-Louis Leuba (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 53; Abt. für Abendländische Religionsgeschichte). Wiesbaden 1969, 112. - Ein besonders verquerer Auswuchs der um D rey sich rankenden Schleiermacherlegenden findet sich bei E lert , dem zufolge D rey wegen seiner Nähe zu S chleiermacher nicht Bischof geworden sei, vgl. W erner E lert , Der Kampf um das Christentum. Geschichte der Beziehungen zwischen dem evangelischen Christentum in Deutschland und dem allgemeinen Denken seit Schleiermacher und Hegel. München 1921, 100. - Zum Verhältnis S chleiermacher - D rey siehe TüA 3, 70*-106*. 109 Umfassend zu ihm: K atja M armetschke , Feindbeobachtung und Verständigung. Der Germanist Edmond Vermeil (1878-1964) in den deutsch-französischen Beziehungen. Köln 2008 (Lit.). 110 V ermeil , Jean-Adam Moehler et l’e ´cole catholique de Tubingue (wie Anm. 95). 111 Zur Forschungsleistung V ermeils und auch zur Strittigkeit seiner Modernismusthese siehe TüA 3, 118*, 211*-215*; M ax S eckler , Auf dem Weg zu Johann Sebastian Drey. Beobachtungen zur Geschichte seiner Wiederentdeckung und zur Neuevaluierung seiner ›Kurzen Einleitung‹ von 1819, in: ThQ 189 (2009) 1-28, bes. 14, 17 f und 20-23. 112 Der Neutestamentler P eter A lois G ratz (zu ihm siehe Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 74), der an der Friedrichsuniversität in Ellwangen zusammen mit D rey und K arl W achter (zu ihm siehe Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 108, sowie oben in Ziff. II.4.c) die »Ellwanger Richtung« begründet hatte, war anfangs der 1820er Jahre in seinem Matthäuskommentar in einer auch rezeptionsgeschichtlich sehr bemerkenswerten Weise auf die der dissertatio D reys von 1815 zurückgekommen. Er kannte als ehemaliger Ellwanger diese Schrift natürlich aus unmittelbarer persönlicher und fachlicher Nähe und hatte offensichtlich ihre auch für sein Fachgebiet einschlägige Bedeutung erfaßt. Jetzt verwies er für seine Auslegung von Mt 18, 17 f (Binde- und Lösegewalt der Kirche) auf die dogmenhistorischen bzw. hermeneutischen Grundsätze der BS, wonach es der Christus der Kirchengeschichte ist, der in den Entwicklungen des Dogmas und in der Kirchenpraxis weiterwirkt. »Mit großer Einsicht hat diese Sache mein werthester Collega [D rey ] dargestellt« (P eter A lois G ratz , Kritisch-historischer Kommentar über das Evangelium des Matthäus. 2 Bde., Tübingen 1821 und 1823, Bd. 2, 224). Als Beleg führte G ratz ein längeres Zitat aus § 6 der dissertatio D reys an (ebd. 225), abgedruckt bei W olff , Peter Alois Gratz (wie Anm. 1) 285). Zur Interessenrichtung bei G ratz vgl. bereits G ratz , Ueber Interpolationen in dem Briefe Paulus an die Römer (Ellwangen 1814), und ders ., Ueber die Grenzen der Freiheit, die einem Katholiken in Betreff der Erklärung der heiligen <?page no="344"?> 312 Erläuterungen Autor gewesen und der einzige geblieben sein, der die dissertatio D reys näher kannte und deren Bedeutung für das Werk D reys und für die Grundlegung der Tübinger Schule erfaßte. Sie bildet V ermeil zufolge zusammen mit der Revisionsschrift von 1812 eine Einheit. In diesen beiden Schriften seien die Leitmotive und Grundideen der mit ihnen einsetzenden Tübinger Schule bereits klar ausgedrückt (29 f): In der Revisionsschrift habe D rey die Ansatzpunkte seines Revisions- und Reformprogramms dargestellt, in der Beichtschrift wendete er deren Ideen auf ein spezielles Problem der Dogmenentwicklung bzw. Kirchenordnung an (27-29). Ein neuer historischer Sinn bahnte sich hier seinen Weg, zum einen in der rigorosen Anwendung der historischkritischen Methode auf den Entwicklungsgang des Bußwesens in den ersten drei Jahrhunderten, zum andern in der unterscheidenden Ermittlung des sich in dem geschichtlichen Prozeß durchhaltenden Wesenhaften, das in seinen Metamorphosen einer organischen Weiterbildung unterliegt nach den Gesetzmäßigkeiten der Akkommodation. Christus, der Stifter des Bußsakraments, wollte, daß die Kirche nicht starr und unbeweglich sei, sondern unter der Einwirkung von pastoralen Notwendigkeiten und Bedürfnissen Leben zeige. Die Notwendigkeit von Reformen sei für eine positive Religion evident. Von daher impliziere der Begriff der organischen Entwicklung auch eine Kriteriologie der Reformen (26-30 sowie IX-XIV). V ermeil verweist in diesem Zusammenhang außerdem auf verblüffende Gemeinsamkeiten zwischen D rey und G ratz 113 . Er bezieht sich dafür auf die Abhandlungen, die G ratz schon in seiner Ellwanger Zeit vorgelegt hatte 114 . G ratz hatte dort den gleichen Traditionsbegriff und das gleiche hermeneutische Prinzip zum Tragen gebracht wie D rey in seiner dissertatio, hatte diese Grundsätze aber auf die Textgeschichte des Neuen Testaments und auf die Arbeit des Exegeten angewendet. Die Weiterbildung der Texte war demnach kein literarisches μη Á ο Æ ν  , kein Verderbnis eines sakrosankten Urtextes, sondern ein legitimer Effekt des Traditionsgeschehens. Wenn der Exeget Interpolationen oder eine bibelinterne Textgeschichte feststellt, bedeutet das keine Kompromittierung der kanonischen Texte. Maßgeblich für die frühe Kirche war nicht eine bestimmte Textgestalt, sondern die apostolische Glaubensnorm, die sie lebendig in sich trug und geschichtlichen Determinationen zuführte. Die historische Wahrheit im Entwicklungsgang der Texte gefährdet das Dogma nicht, es ist nicht an den Buchstaben gebunden und darum auch nicht an die historische Exegese der Texte, die das Geschäft des Exegeten ist. Deshalb Schrift zusteht (Ellwangen 1817) (zu diesen beiden Schriften siehe auch oben in Ziff. II.1.b. α ). - Sowohl die Bedeutung der BS an und für sich wie auch ihrer Rezeption bei G ratz wurde erst von V ermeil erkannt (siehe weiter unten). 113 V ermeil , Jean-Adam Moehler et l’e ´cole catholique de Tubingue (wie Anm. 95) 30-31. 114 Zu G ratz , Ueber Interpolationen in dem Briefe Paulus an die Römer, und ders ., Ueber die Grenzen der Freiheit, die einem Katholiken in Betreff der Erklärung der heiligen Schrift zusteht, siehe Anm. 112. Die einschlägige Passage im Matthäuskommentar führt V ermeil nicht an. <?page no="345"?> 313 Die Beichtschrift (1815) kann die historische Arbeit des Exegeten am Text mit dem Dogma nicht kollidieren. Der Exeget, der das Dogma selbstverständlich zu respektieren hat, braucht das Dogma deswegen nicht historisch zurückzudatieren. Er empfängt es von der lebendigen Kirche, die kraft der in ihr waltenden lebendigen Überlieferung der apostolischen Glaubensnorm dazu ermächtigt ist, im Fortgang der Geschichte ihre Determinationen vorzunehmen. Soweit V er meil zu G ratz . * Was hier, bei D rey und G ratz , stattgefunden hatte, verdient eine zweifache Zwischenbemerkung. Zunächst im Hinblick auf die Schlüsse, die G ratz aus dem Theorem D reys für die theologische Erkenntnislehre und für die Methodologie seines Faches zog. Indem er die Anwendbarkeit des Dreyschen Traditionsverständnisses auf die innerbiblische Textgeschichte wahrnahm, erkannte er die fächerübergreifende Relevanz dieses Traditionsbegriffs. Er, dieser Begriff, verhilft dem Exegeten im Umgang mit seinen Texten zur gleichen Freiheit der Forschung und zur gleichen dogmatischen Unbedenklichkeit seiner Forschungsergebnisse wie dem Dogmenhistoriker auf dessen Feldern. D rey hatte diesen Traditionsbegriff 1817 in seiner Oratio (siehe Text Nr. 5) als dem zweiten Teil seiner BS systematisch entwickelt. D rey selbst hatte zu erkennen gegeben, daß er die BS vor diesem systematischen Hintergrund verfaßt hatte und daß er sie als konkreten Anwendungsfall für die Prinzipien seines Traditionsverständnisses auf dem Gebiet der Dogmengeschichte in der Entwicklung der Ohrenbeichte konzipiert hatte. Nach diesem Vorbild hat G ratz die Prinzipienlehre D reys auf sein eigenes Fachgebiet übertragen. Hier zeigt sich die methodologische Bedeutung der BS, die nach G ratz (und V ermeil ) nicht mehr wahrgenommen wurde. Der zweite Aspekt betrifft das Problem des Schriftprinzips in der Frage nach der biblischen Begründung der Beichte. Wie L essing , K ant , S chelling et alii, so war auch D rey ein Kritiker des Schriftprinzips. Am deutlichsten formulierte er seine Kritik aus der Sicht seines Traditionsverständnisses 1819 in seiner Programmschrift Vom Geist und Wesen des Katholicismus (siehe Text Nr. 6), aber die BS setzt methodologisch und konzeptionell diesen Standpunkt voraus. Für die theologische und dogmatische Legitimierung der Beichte bedarf es keines direkten und verbalen Schriftbeweises, so der Tenor der BS. Wenn man von da aus auf die Kritik B runnquells an der BS blickt, wird erkennbar, daß dort das Schriftprinzip Regie führt. Andernfalls hätte der Rezensent kein so großes Gewicht auf den Schriftbeweis gelegt und das dogmatische Wohl und Wehe der BS nicht derart rigide ihm unterstellt. Das gilt übrigens gleichermaßen für die einem biblizistischen Fundamentalismus verhaftete Kritik der Hyperorthodoxen an der ›liberalen‹ Theologie und der historisch-kritischen Methode zur Zeit D reys generell. Es bedeutet, daß es <?page no="346"?> 314 Erläuterungen beim Streit um die BS verkappt auch um eine Kollision zwischen dem Traditionsprinzip, wie D rey es in die Katholische Tübinger Schule, seine Schule, einbrachte, und dem Schriftprinzip, das sich bei seinen Gegnern unbedacht eingenistet hatte, gegangen ist. Mit dieser Einsicht - Traditionsprinzip versus Schriftprinzip als Schlüssel für die Deutung der BS und für ihre Würdigung - ist für die künftige Rezeption dieser Schrift eine neue Basis gewonnen. Denn wenn der Streit um die BS letztlich ein Methodenstreit war - und ein Streit zwischen zwei Welten im theologischen Denken -, und wenn sie nach ihrer grundsätzlichen Seite eine Pioniertat und ein Signal für die Befreiung der Forschung aus den Fesseln des Biblizismus war, dann ist sie ihrer theologiegeschichtlichen Stellung und sachlichen Leistung gemäß neu zu würdigen. * Im kläglichen Verlauf der Rezeptionsgeschichte der BS nimmt V ermeil wie gesagt eine Sonderstellung ein. Er war und blieb ein Ausnahmefall, weil er sich in die Lage versetzt hatte, sich kompetent zu ihrem Inhalt äußern zu können. Im übrigen kannte man sie nur vom Hörensagen, aus vergröbernden und entstellenden Inhaltsangaben in Verbindung mit Gerüchten. Bestenfalls wurde versucht, in die äußeren Umstände ihrer Entstehung und Diffamierung etwas Licht zu bringen, wobei selbst hier der Faden der forschen Fehlurteile nahezu ungehindert weitergesponnen wurde. Für die Wissenschaftlichkeit der theologischen Beurteilung theologiegeschichtlicher Sachverhalte stellt diese Art von Rezeptionsgeschichte kein gutes Zeugnis aus. Doch so mißlich die bodenlose Beurteilung einer Schrift auch ist, von deren Inhalt man nur gerüchteweise etwas weiß, so bleibt doch die Frage, warum die dissertatio D reys nicht mehr gelesen wurde, nachdem sich der erste Pulverdampf verzogen hatte. Die Gründe dafür wurden im Verlauf der Einleitung zu Text Nr. 4 bereits vereinzelt angesprochen, sie lassen sich abschließend wie folgt zusammenfassen: (1.) Die dissertatio existiert nur in Gestalt einer universitären Druckschrift, sie war im Buchhandel nicht erhältlich und in den Bibliotheken nicht vorhanden; (2.) sie hat von außen gesehen den Charakter einer für inneruniversitäre Prüfungszwecke verfaßten Disputationsvorlage, eines ad usum Delphini angefertigten Instruments gewissermaßen, für das eine über den gegebenen Anlaß hinausreichende Bedeutung gewöhnlich nicht zu erwarten ist und darum auch nicht erwartet wurde; (3.) an der Art, in der D rey sie der Universitätsöffentlichkeit präsentierte, ist nicht zu erkennen, daß es sich um eine wissenschaftliche Publikation zu Händen der theologischen Fachwelt handeln könnte; (4.) ihr Thema, die vielbehandelte historische Frage nach der Genese der Ohrenbeichte, war nicht dazu angetan, über ihre mögliche zeitgeschichtliche Bedeutung hinaus nachhaltige Interessen zu wecken; (5.) selbst wenn sie leichter zugänglich gewesen wäre, so hätte der Umstand, daß es sich bei ihr um einen lateinischen Text handelt, eine zusätzliche Schwie- <?page no="347"?> 315 Die Beichtschrift (1815) rigkeit mit sich gebracht. Alles in allem konnte es deshalb dazu kommen, daß die Existenz der BS allein wegen ihrer Brisanz für die Biographie D reys beachtet wurde. Mißlich war infolgedessen nicht nur, daß sie nicht gelesen wurde, sondern daß vorgegeben wurde, sie inhaltlich zu kennen. Wer so verfuhr, konnte mit seiner vorgespielten Kenntnis des Textes dem Inhalt der BS nicht gerecht werden, mit der Folge, daß auch die wahren Sachverhalte dieser Schrift nicht erkannt werden konnten. Hinzu kam, daß die betreffenden Autoren auf diese Weise das »on dit« der dogmatischen und methodologischen Schieflage der BS als textbegründet ausgaben und gewissermaßen von sich aus erhärteten. Teil B: Johann Sebastian Drey, Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos in ecclesia catholica ex documentis ecclesiasticis illustrans. Sectio I ma Praefatio. [III] Cum ex aliquot inde annis ad examinanda cultus divini inter christianos, nec non disciplinae ecclesiasticae capita praecipua, atque ad historiam illarum rerum certius cognoscendam animum adjecissem, ipso materiarum ordine ad institutum quoque poenitentiae, et quae cum illo connexa est, ad exomolo- 20 gesin, seu confessionem peccatorum, deductus fui. Ubi dum ea, quae ab aliis retro scriptoribus meditata, et tanquam summa rei in medium prolata fuerunt, evolverem, atque inter se donferrem, nullam inveni lucubrationem adeo numeris absolutam omnibus, ut nil vel firmitatis vel certitudinis historicae desiderandum relinqueret, ac nova istius materiae tractatio supervacanes videri 25 posset. Etenim instituto hoc omni a reformatoribus Saeculi XVI passim rejecto, IV omnes, quotquot hanc in rem prodiere libri libellique ex utraque parte, ad dogmaticam et polemicam disputationem deflectere coeperunt, Theologis catholicis ad id solummodo incumbentibus, ut canones a Concilio Tridentino 30 editos vindicarent, protestanticis, ut subruerent. Et quemadmodum lite fervente fieri consuevit, neque in deligendis argumentis prudentiam, neque in communiendis robur pensi magnopere habebant. Sedatis aliquantisper aestibus pacatius tempus successit, reditumque est ad examen materiae controversae historicum, ubi documentis et testibus res 35 <?page no="348"?> 316 Johann Sebastian Drey agitur. Prodiit hoc tempore Dallaei opus de sacramentali latinorum confessione. Genev. 1661. accuratissimum opus ex parte Protestantium; decem annis ante Joh. Morinus suam historiam sacramenti poenitentiae Parisiis vulgaverat; secutus est Jacobus Boileau, historiam confessionis auricularis Paris. 1683 Dallaeo opponens, mox etiam Dionysius Sammarthanus, qui tractatum de confessione gallico 5 sermone Paris. 1685 edidit. Et hi quidem ex Catholicis notissimi praeter alios, qui dissertationes breviores de eadem materia scriptis suis inseruerunt, quemadmodum Gabriel Albaspinaeus, Dionysius Petavius, Natalis Alexander et alii. Verum et hi sat magni nominis viri, quantumvis ad argumenta historica rem V omnem revocarent, documentis etiam omnium saeculorum mira opera col- 10 lectis, non tamen omne studium partium animo depellere, aut scriptis suis detergere potuerunt; ita quippe saepius documenta sua urgent, torquentque, ita subinde negligunt criticam, ut dum historiam dare praetendunt, dogmate sua anxie adstruere laborent. Cujus quidem rei qui certus esse cupit, unum tantummodo adeat alterutrius partis virum, verbi gratia: Dallaeum et ejus 15 impugnatorem Jacobum Boileau. Recentiorum vero, quod equidem scio, pauci omnino istam materiam attigerunt, qui autem attigerunt, vel nimium arctis limitibus operam suam circumscripserunt, vel in dogmate potius quam in historia desudarunt, quemadmodum sat prolixa lucubratio inserta Annalibus: Jahrsschrift für Theologie und Kirchenrecht der Katholiken T. III. pag. 435 20 testatur. Quo facto est, ut etiamnum desideretur historia exomologeseos ita quidem integra et completa, ut perfectam disciplinae ecclesiasticae, variis temporibus variae, ideam effingat, ita sui juris et libera, ut dum dogma non respicit, genuine, quod invenit, pronunciet. Atque hoc ipsum me impulit, ut ad istam 25 lucubrationem manum mentemque admoverem, sperans, si successus ausis respondeat, fore ut defectus quidam satis notabilis in historia speciali disciplinae ecclesiasticae resarciatur. Quare tota haec disquisitio historica est, nil omnino asserens, praeterquam VI quod omnium temporum testes loquuntur, neque aliquid studiose aggravans, 30 neque anxie elevans. In hoc omnis fui, ut, quaecunque ad rem facere documenta possent, conquirerem, ad fidem criticam examinarem, sincereque explicarem. Neque aliis volo legibus judicari egomet: qui secus fecerit, scopum non minus auctoris quam historiae leges ignoraverit. Damus igitur primam historicae lucubrationis partem ad instar speciminis: reliquas partes citius aut 35 tardius addituri, prouti suppellectilis historicae major, quam nunc est, copia praesto erit. §. 1. Ea est religionum omnium, et illarum praeprimis, quas a peculiari sua [1] institutione positivas dicimus, indoles atque natura; ut non obstante sanctione divina, cui innituntur origine tenus, et quae cum ipsis per saecula descendit, 40 temporum decursu multis modis immutari debeant. Immutatur praeprimis <?page no="349"?> 317 Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos (1815) basis ipsa vel potius summa horum institutiorum, doctrina scilicet, quatenus complexus est quidam veritatum vel idearum, quae unde hominibus datae a ratione humana usucapi et possideri incipiunt. Quodsi iisdem auctoritas quaedam divina suffragatur, multo magis excitant, exercentque insitum illud mentibus humanis studium indagandi in praeclaras illas notiones, quae ad religio- 5 nem pertinent. Accedunt inde primitivo systemati novae eaeque uberiores doctrinae, accedunt nova lumina − utinam non etiam quandoque tenebrae accederent! − ex omni reliqua mentis humanae cultura, ex literarum omnium et scientiarum incremento, quarum uti in omnem vitam, ita et in ipsa religionum dogmata magna est vis et non evitanda. Immutari oportet etiam, idque 10 multo magis et saepius, illa religionum praecepta, quae cultum externum Numinis, ritus sacros, moresque pios concernunt. Quippe cum ista a temporum hominumque genio quamplurimum dependeant, crebrioribus etiam casibus ac vicissitudinibus obnixia sunt, quam theoreticae sententiae. Quo fit, ut per temporum intervalla et sensus religiosi vigor identidem restaurandus, et 15 morum correctio nunquam negligenda novis continuo adminiculis indigeat, atque hanc ob rem illa subsidia pietatis et virtutis primitus constituta novas etiam formas induere, novis regulis muniri debeant. Decuerat sane id non praetermitti aut posthaberi ab ipsis religionis chri- 2 stianae rectioribus et magistris, multoque minus id decuerat, dum persuasi 20 sumus omnes, divinum hoc institutum et eo fine concessum esse hominibus, et a suis inde principiis naturali quadam vi eo contendisse, ut religio vere catholica, religio omnium populorum, qui ab extrema barbarie ad cultum quemdam et ad humanitatem eluctati essent, evaderet. Quodsi hic finis praefixus est religioni christianae, certe etiam ejusdem auctor, quem, quid vellet, 25 non fugiebat, institutum suum non eo usque rigidum et immobile esse voluit, ut nullas prorsus mutationes caperet; sed potius sic attemperavit aevi sui hominibus, ut et posteriorum temporum genio arridere, omnes diversi cultus, diversaeque indolis populos pervadere, omnes erudire, excolere, et ad omnis perfectionis summam perducere posset. Haec, inquam, non ignorari aliquan- 30 do aut praetermitti, sed probe expendi decuit. Tunc enim nec ex una parte tot homines oleum operamque perdidissent, dum probare contenderent, has illasve doctrinas cum omnibus suis determinationibus jam ab ipso Christo prolatas, haec illave instituta ad illam formam composita, qua extant hodiedum, jam a principio rei christianae tradita fuisse; tunc vero nec altera pars 35 praecipiti nimis et praepostero studio sententias, ritusque rejecisset non aliam ob causam, nisi quod documentis historicis non constaret, hos illasve a Christo descendere, primitusque viguisse: multo minus eo procedere reformandi ardor potuisset, ut suaderet, redigendam esse rem omnem christianam ad statum primigenium, quod quidem consilium neque expedit, neque si expe- 40 diat, effectum unquam sortiri potest. <?page no="350"?> 318 Johann Sebastian Drey Haec mihi praesenti disputationi praemittenda videbantur, quoniam illi materiae, quae hic expenditur, triste fatum contigit, ut a diversis partibus ad istos praeconceptos errores dijudicaretur, tractareturque frustra reclamantibus antiquitatis ecclesiasticae documentis. Nos, qui certi sumus, multarum rerum, quae postmodum late per ecclesiam christianam patuerunt, patentque adhuc, 5 semina tantum jacta esse primitus, ista rimamur, hinc inde emergentia contemplantes, deinde ubi paulatim seges aliqua apparare coepit, quid illi eveniat, solliciti spectatores notamus, ubi coli, ubi resecari, ubi extirpari, ubi reflo- 3 rescere mutatis formis et coloribus contigit. Itaque aggredimur hic exponere, quid de seminibus, ortu, progressu fatisque exomologeseos notavimus. 10 §. 2. Atque ut inde ordiamur, unde omnis historia christiana progreditur, nimirum a sacris illis documentis, quae, quid Christus ejusque Apostoli instituerint, ex parte saltem nobis commemorant, illorum hic etiam mentionem interjicere oportet: mentionem, inquam, quoniam illius exomologeseos, de qua nobis sermo est, nullum in istis deprehenditur vestigium ita certum, ut 15 inde aliquid ad historiam confessionis texendam decerpi possit. Quamvis enim a plerisque Theologis catholicis plura afferri consueverint in hanc rem S. S. literarum testimonia, si tamen ad leges justae interpretationis examinentur, eo robore haud gaudere invenies, quod illis passim tribuebatur. Nam et locus Joann. epist. I. cap. I. v. 9. humili tantum et sincero animo peccatorum 20 nostrorum veniam a Deo nos exspectare jubet 1 ); et Jacobi V. 16. de distincta quadam peccatorum confessione loquitur, sed pro certa solummodo hominum classe, et ad peculiarem quemdam finem 2 ). 1 Planus est hic sensus textus citati. Cum enim v. 7. dicat apostolus: »nos, siquidem in luce ambulamus« (id est: in veritate et sanctitate; lux enim ex mente Joannis recta est omnium rerum aestimatio, cognitio veri et amor boni) »ab omni peccato emundari per Christum; « v. 8. ad contrariam sententiam delabitur, eamque dissuadet, nimirum »ne in tenebris ambulantes nos ipsos decipiamus didentes: nos esse sine peccatis, quod non nisi excaecatorum et arrogantium est.« Rediens igitur ad priorem sententiam adhortatur ad rectam sui aestimationem, et ad fiduciam in Deo ponendam, subjungens: »Si nos peccatores esse et agnoscamus et confiteamur, benignum esse Deum et promissorum suorum tenacem, ut nobis peccata nostra remittat, quemadmodum hanc remissam per Christum pollicitus sit.« −− Confessio peccatorum nil aliud hic significat, nisi humilem et sinceram nostri aestimationem, qua et nos peccatores esse agnoscimus, idque coram Deo cordis nostri arbitro confitemur, et coram aliis, ubi expedit. 2 Quemadmodum totum hoc caput epistolae varia pro variis hominum generibus, ita v. 14-19. monita pro aegrotis continet. Vult illos convalescere Apostolus, ast non communi medicorum ope, verum illa inter primos christianos insigni, et ab auctore Christo concessa, quam χαρισματα ιαματων vocat Paulus I. Cor. XII, 9. Hoc quidem donum omnibus credentibus solemne esse voluit Christus Marc. XVI, 18; Apostolis autem et reliquis verbi praeconibus speciali quodam modo, qui etiam isto charismate usi sunt semper et ubivis. Matth. X, 1 sq. Marc. VI, 13. et Act. plur. loc. Hujus jam charismatis memores facit Jacobus aegrotantes, monens v. 14.: ασθενει τις εν υ ë μιν, προσκαλησασθω τους πρεσβυτερους της εκκλησιας κ. τ. λ. Quoniam autem inter illos esse poterant, qui (ex vulgata judaeorum opinione) morbos sibi peccato aliquo contraxissent − κ α ν ’ α ë μ α ρ τ ι α ς η π ε π ο ι η κ ω ς v. 15. − peccata sua confiteri jubet fratribus et presbyteris maxime, orantibus, ut ista confessione placatus Deus supplican- <?page no="351"?> 319 Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos (1815) Superest et tertius quidam locus, factum aliquod narrans, unde id saltem 4 elucet, primis jam rei christianae temporibus multos credentium, partim conscientiae terroribus actos, partim ut cum fidelium coetu in gratiam redirent, libere aliquando et publice crimina quaedam atrociora coram Apostolis et ecclesia professos fuisse. Tale factum est illud, quod Actor. XIX, 18. 19. 5 narratur. »Multi autem illorum, qui crediderant, veniebant, confitentes 3 ) et annunciantes actus suos 4 )« hos vero actus artes quasdam magicas vel his similes fuisse pluribus argumentis vix non manifestum fit 5 ). »Multi etiam ex 5 eis, qui fuerant curiosa sectati, contulerunt libros et combusserunt coram omnibus.« −− Hoc ut facerent, conscientia illos adegit et metus, ne similia 10 experirentur istis, quae septem filiis Scevae cujusdam, sacerdotis judaei, acciderant, dum nomine Jesu ad turpe lucrum et ad exorcismos abuterentur 6 ). tium preces exaudiat facilius, et condonata culpa ceu causa morbi, sanitatem aegris restituat − ευχεσθε υ ë περ αλληλων, ο Á πως ιαθητε v. 15. − Haec igitur exomologesis aegrotantibus mandata valetudini restaurandae inserviat ex mente Apostoli. Conf. Storr. dissert. exeget. in ep. Jacobi pag. 55. sq. 3 Non generalem quamdam sui incusationem, neque talem exomologesin hic innui, qualem baptisandis olim praescriptam fuisse theologi quidam existimant apud Natal. Alex. hist. eccles. Tom. VII. pag. 587, sed distinctam certorum criminum confessionem, probant tum verba ipsa ( πραζεις αυτων ) quae singularis cujusdam generis facta designant; tum vis verbi αναγγελλειν , quod idem est, ac speciatim recensere, quemadmodum etiam reddidit Syrus. v. Schleusneri Lex. ad h. V. 4 Nemo nunc temporis πραζεις miracula esse dicet, uti primorum reformatorum aliqui cum catholicis rixantes contenderunt, melius sibi tum consulere nescii; sed praxes malas intelligi confirmat auctoritas antiqui codicis, qui pro voce πραζ . habet α ë μαρτιας , nec non Syr. et Erp. qui utramque vocem πραζεις και α ë μαρτιας conjungunt − Griesb. ad h. l. − et explicatio versu sequenti, qui synonymice ponit περιεργα . 5 Id enim − si magiam latius sumas non pro arte solummodo, qua daemonum ope agi possit in homines aut alia corpora, sed pro arte, qua ope virium potentiorum agi etiam possit in ipsos daemones − et ratio contextus, et locus ipse, ubi ista contigerunt, evincit. Namque v. 13−17. exorcistae, id est daemonorum incantatores, proinde genus quoddam magorum perhibentur, qui cum male habiti essent a daemoniacis, multi etiam christianorum, percrebescente rumore et ipsi perterriti, veniebant confitentes publice, quid pecassent. Et additur v. 19. Sat multos illorum π ε ρ ι ε ρ γ α π ρ α ζ α ν τ ω ν libros combuisse; περιεργα autem sunt utique artes otiosorum, curiosorumque hominum, divinationes, hariolationes, magia et ejusmodi. Vid. Schleusner et Suiceri Thes. Nec multum obstat, confessores fuisse christianos, qui quidem ab ejusmodi artibus abhorrere debuerant. Namque Ephesi factum istud contigisse refertur, urbe nimirum et magicis artibus et auri cupidine satis celebri: notissima quippe erant apud veteres − ε ϕ ε σ ι α γ ρ α μ μ α τ α , vel libri artem magicam docentes, vel characteres aut schedulae magicae; conf. Heinrichs Nov. Test. Graec. Vol. III. part. poster. pag. 159. 160. Quare admodum est probabile, plures ex Ephesiis, dum jam Christo nomen dedissent, vel ob consuetum jam artium magicarum studium, vel ob cupidinem lucri christiana professione similiter abusos id Christi nomine vel vi aliorum Symbolorum christianorum efficere voluisse, quod antea literis ephesiis aut alia ope effecerant: praesertim cum magna nomini illi fama ex miraculis, morbis depulsis, daemonibusque vexatis esset, et, ut in novis religionibus evenire solet, indignos asseclas tum miraculorum stupor, tum avaritia etiam et lucri spes pelliceret. 6 Non aliam certe rationem hujus facti ipse contextus demonstrat. Cum enim innotuisset omnibus, quod exorcistis acciderat, revereri omnes nomen Jesu coeperunt; et timore percelli illos praecipue oportuit, qui mali similis sibi conscii erant, vel quod haud recto consilio ad rem christianam accesserant, vel quod ad lucrum, et ad ostentationem illa abusi erant. Conscientiae igitur malae tumultus, et infortunii metus peccata confiteri, librosque comburere suasit. <?page no="352"?> 320 Johann Sebastian Drey Habemus igitur hic quidem exomologesin, sed talem, quae et causis, unde profecta est, et fine, quem spectabat, et reliquis circumstantiis multum ab illa 6 posteriorum temporum differt. Interim eam silentio praeterire nolimus, ut nimirum omnia persecuti, quae ad originem exomologeseos explicandam quomodocunque facere possent, candide dijudicaremus. 5 §. 3. Et quidem haec ipsa historia, quam modo retulimus, si non originem exomologeseos, causam tamen saltem remotam nobis indigitat, unde originem sumere potuit. In tanto hominum numero, qui ad professionem christianam statim ab initio accedebant, et quidem de plebe plurimi, non potuit non fieri, ut inter professos etiam essent, quorum vita et mores non respondebant genio 10 novae religionis, innocentiam et sanctitatem omnibus modis professae, ardua insuper ac tristia exigentis a suis: omnium horum mores proinde non potuit emendare, si virtutem etiam religionis ponas, quantum vis maximam. Proselyti tales, facinorosi vel moribus tantum haud probatis, christianorum nomini maculam adspergere, ipsiusque religionis sanctitati detrahere apud exteros 15 poterant 7 ), cum tamen integritatis laude quam plurimum staret laeta illius propagatio, et doctrinae ipsi vitio detur, quod peccant ignavi et perjuri. Quo factum est, ut, qui ecclesiis praeerant, viri ad omnem pietatem instructi, omni contentione in servanda religionis puritate elaborantes, et ipso munere suo ad istas curas adstricti, de mediis atque institutis cogitare necesse 20 habuerint, quibus et sua sanctitas moribus christianorum, et nomini ipsi suus honos servaretur. Haec incitamenta fuere atque initia omnis disciplinae ecclesiasticae, inde exorta est rigida illa censura, quae, licet in multis hispida et tristis videatur aevi nostri hominibus, quamdiu tamen valuit, ad mores coercendos non minus certe valuit, quam illa Romanorum legibus celebrata. 25 Exempla sibi sumebant ecclesiarum praesides ab ipsis apostolis, et sumere poterant: namque ab his ipsis multa salubriter ad modestiam tuendam et ad honestatem constituta esse, ipsis sacris literis, Pauli praecipue epistolis dace- 7 mur. Inter quae praecipuum caput fuit, quo cavebant, ne sceleratorum quorundam consortio et temeritate etiam probi corrumperentur, aut a rarioribus 30 exemplis libere progressa pernicies in societatem universam redundaret. Quam in finem non solum flagitiosorum aut novas res molientium christianorum consortio interdixere reliquis eo etiam, ut ne convivari quidem cum talibus, aut eos salutare permitterent − II. Thessal. III, 6. II. Tim. III, 5. sq. Tit. III, 10. II. Joann. 10. 11. − verum etiam extorres omnino fieri ipsius 35 foederis et Ecclesiae christianae volebant, non sine diris quibusdam, rituque solemni − I. Cor. V, 3−6. I. Tim. I, 19. 20. − Haec exempla jam ab ipsis apostolis proposita imitati ecclesiarum rectores, qui proximi ab istis eadem et 7 Et sane diu multumque exprobatum est huic religioni ab adversariis ejus, philosophis scilicet et rhetoribus graecis, omnes fere ejus asseclas ex infima plebe, abjectaque hominum classe adlectos fuisse, quemadmodum legere est v. g. apud Origenem contr. Cels. l. III. cap. 59. Minut. Fel. in Octav. Cap. 8. et al. <?page no="353"?> 321 Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos (1815) studia et officia sibi sumserant, optimum judicarunt tam ad temeritatem scelerum reprimendam, quam ad bonam christiani nominis famam conservandem, ut flagitiosi quivis a sacra christianorum republica exularent, utpote altioris animi expertes, et nomine ipso indigni. Haec origo fuit illius disciplinae, quam postea excommunicationem dixerunt 8 ). 5 Verum ista in sceleribus vindicandis severitas non penitus desperandum esse censuit etiam de improbis hominibus, nec in perpetuum rejiciendos, qui peccassent; immo suadere videbatur summa Christi atque totius instituti christiani humanitas, ut etiam illis, quos ejici ex Ecclesia propter flagitia oportebat, ad eandem reditus pateret, dum animum vitamque mutavissent. Haec, 10 inquam, temperantia in puniendis vitiis severitati copulata congruere videbatur genio et Magistri et instituti; quoniam hoc corrigendis hominum mo- 8 ribus maxime destinatum pravos non negligere, immo illorum praecipuam curam genere decebat, ille vero se in has terras venisse dixerat, non ut justos solum ad se traheret, sed potius ut peccatores ad poenitentiam, et meliorem 15 vitam revocaret − Matth. IX, 13. Luc. XV, 1−10. XIX, 10. − Quare accommodate ad illum finem his, qui ab ecclesia separabantur, tempus concessum fuit ad resipiscendum, quo si animi sui mutationem argumentis indubiis probaverant, in christianorum denuo societatem recipiebantur. Sic poenitentia nata est una cum excommunicatione, institutum, quod vel apostolorum jam 20 temporibus invaluit, vel haud ita multo post, eoquod poenitentiae alicujus solemnis vestigia in ipsis Patrum apostolicorum scriptis deprehenduntur, quin vel in his ipsis, vel in apostolorum libris initium ejus et origo describatur. §. 4. Haec poenitentiae disciplina, cum ipsa ecclesia exorta, sine qua vacillare etiam hanc necesse erat, simul invexit in ecclesiam exomologesin quo- 25 que, his quidem rationibus, quas nunc expromere volo, et quae, licet nullo facile documento historico confirmari queant, tamen vel cum rei ipsius visceribus, vel cum natura humana ita sunt conjunctae, ut assensum suo jure exposcere videantur. Quibus expositis fore confido, ut omnibus appareat, ab ecclesia separatos et vere resipiscentes naturalibus causis, nulla etiam lege 30 proposita, facile eo deduci potuisse, ut peccata sua coram ecclesiae coetu profiterentur. Atque hic mihi ante omnia commemorandum videtur, eam esse animi humani indolem, ut siquis non ex asse flagitiosus aut omnino deperditus se 8 Canon. Apost. 3. 5. 12. 13. 24. et al. Licet incertum sit, quo tempore, et quo auctore canones hi literis consignati fuerint, licet etiam extra omne dubium positum sit, eosdem longe post apostolorum tempora conscriptos, collectosque fuisse; id tamen statui potest, res ipsas, quas praecipiunt, ex maxima saltem parte apostolorum niti dectretis, quae longo tempore in ecclesiis christianis moris instar, aut consuetudinis loco viguerant, donec paulatim canonum apostolicorum nomine conscriberentur, divulgarenturque. Mos certe, graviorum scelerum reos arcendi ab ecclesia, ab apostolis descendere recte dicitur; quin immo poenitentiae cujusdam lugubris, quae excommunicationem excipiebat, jam Hermas meminit vir apostolicus. Past. Similit. 7. mand. IV. cap. 3. <?page no="354"?> 322 Johann Sebastian Drey gravi quodam scelere constrinxerit, illo torqueri incipiat, nec animo quies redeat ante, quam lethale telum vulnere excusserit. Urget nimirum conscientia mali, vexat turpitudo sceleris secum ipso dissentientem animum, haud secus quam ille vexatur, qui crudam escam stomacho, vel lethale virus concepit visceribus; et quemadmodum viscera naturali contractione infestam materiam 5 excutere vomitu conantur, ita anima quoque infestum peccatum. Quo fit, ut qui mala conscientia vexantur, quae peccarunt, aliis exponere ament, tali ratione se relevatum iri sperantes; ac si peccatum exeat animo, simul atque peccati confessio ore processit. Hanc equidem animi constitutionem adeo 9 prudentibus cunctis cognitam esse puto, ut supervacaneum habeam, ad quo- 10 tidiana hujus rei exempla provocare, in illa hominum classe etiam crebriora, ubi vel ignavia, vel scelerum familiaritas nondum nativam indolem transmutavit. Quodsi haec animi indoles stimulis insuper aliis adjuvetur, tantam vim exserit, ut et ferociores naturas ad sinceram peccatorum confessionem adigat, quale factum Matth. III, 6. Luc. III, 7 sq. Marc. I, 5. legimus 9 ). 15 Demus etiam, ad hanc animi indolem alias causas accedere, ob quas peccati conscientia magis excruciet sontem; demus tales causas, unde non solum pudor mali, sed etiam juris aut foederis laesi poenitentia oriatur, multo fortiori vi ad deprecandum errorem nocens compelletur. Ita enim a natura ad societatem et ad familiaritatem cum aliis homo est compositus, ut si casu aliquo societatis 20 jura violaverit, cum laesis in gratiam redire agnito errore penitus desideret, neque hunc ipsum errorem confiteri pudeat. Sic liberos videmus, dum iratos parentes experiuntur, sponte juvenilia peccata confiteri et deprecari; sic amicos aut amantes, casu quodam distractos, simili modo reconciliari, ruptaque foedera resarcire. Jam vero haud absimilis istis primorum christianorum so- 25 cietas fuit et vicissitudo mutua, multumque discrepans a moribus nostris, et animorum conjunctione, et societatis religione. Namque cum inter graves casus, imminentibus undique periculis, christianorum societas exoriri, augerique coepisset; cum et leges civiles, et imperatores, et inveterata priscorum mythorum superstitio ad opprimendam religionem novam conspirassent; mi- 30 rum quantum christianorum animos coalescere in unam quodammodo familiam, et amicitiae familiaritatem oportuit, quoniam in hac arctissima conjunc- 10 tione unicum solamen et subsidium erat. Quare etiam multo durius accidere debuit illis, qui ab ista societate propter scelera quaedam detrusi fuerant ac relegati, nec ulla adfuit spes veniae et 35 reconciliationis, nisi ad frugem rediissent. Quid igitur his magis exoptandum, 9 Peccatorum confessionem legimus, liberam quidem, et non generalem quandam, sed certorum quorundam vitiorum. Id primo et ipsa verba − εζομολογουμενοι τας α ë μαρτιας αυτων − extra dubium mihi ponere videntur, deinde illud etiam magis, quod sequitur, Joannem diversis hominum generibus diversa praecipisse, accommodata quidem ad eas peccatorum species, quarum se reos confessi erant. Quidni et generalibus praeceptis eos ad virtutem exhortatus esset, si generatim tantum se mala fecisse dicerent? − Quidni et durum videretur, scelera exprobrare hominibus − Luc. III, 13. 14. − quae nulla confessione constarent? <?page no="355"?> 323 Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos (1815) quid magis naturale fuit, quam ut, dum resipiscentiae documenta darent ecclesiae, interposita saepius peccatorum suorum confessione et deprecatione veniam flagitarent, atque ita demum fratribus reconciliarentur? Qui melioris erant indolis, quibusve revera cordi erat reconciliatio cum ecclesia, hi naturali ad id impetu ferebantur; deterioris autem conditionis homines simulare saltem 5 poenitentiam, simulatoque dolore, simulata confessionepacem atque amicitiam ambire poterant. His ego rationibus factum esse puto, ut, quemadmodum vetustissima documenta testantur, poenitentia et peccatorum confessio, communi loquendi more vel conjunctae sint, vel communi prorsus vocabulo significatae, vocabulo nimirum exomologeseos. Namque cum more poeniten- 10 tium ipso nulla poenitentia sine confessione esset, proinde res ipsae sibi essent sociatae, adeoque affine, ipsi quoque rerum conceptus affinitate quadam et societate jungi coeperunt, unde consecuta est vocabulorum etiam vel conjunctio vel permutatio. Neque aliter concipi potest, qua ratione vocabulum exomologeseos, quod quidem naturali et propria significatione confessionem vel 15 laudis vel gratiarum, vel cujuscunque demum rei denotat, sensu adeo alieno et improprio ad significandam poenitentiam ecclesiasticam transferri potuerit, nisi, dum res ipsae multum differunt, more aliquo hominum id effectum fuisset. §. 5. Restat, ut quae hactenus philosophantes magis quam narrantes de 20 exomologeseos origine diximus, argumentis etiam historicis comprobemus, non iis quidem, quae ipsam originem nobis exhibeant, verum talibus, quae nostrae argumentationi suffragentur. Extant enim documenta, eaque antiquissima, ex quibus plane patet, exomologesin primis jam saeculis poenitentiae ecclesiasticae vel conjunctam, vel pro ipsa poenitentia, loquendi more recepto, 25 usurpatam fuisse; ex quo sine dubio recte inferimus, id fieri non potuisse, quin peccatorum confessio, et quidem publica coram ecclesia, atque certorum 11 quorundam peccatorum usu recepta, et poenitentiae ecclesiasticae conjuncta fuerit. Primum quidem documentum ex S. Clemente Rom. − Epist. II. ad Cor. 30 pag. 17. Edit. Oxon. − afferimus: »quamdiu sumus in hoc mundo, de malis, quae in carne gessimus, ex toto corde resipiscamus, ut a Domino salvemur, dum habemus tempus poenitentiae. Postquam enim e mundo exivimus, non amplius possumus ibi confiteri aut poenitentiam adhuc agere 10 ).« En hic conjunctam poenitentiae exomologesin! Verum cum priscorum virorum de 35 hujus epistolae authentia non est omnino firma sententia 11 ), nec nos hoc testimonium nimis urgebimus. 10 Μετα γαρ το εζελθειν η ë μας εκ του κοσμου, εκετι δυναμεθα εκει ε ζ ο μ ο λ ο γ η σ α σ θ α ι , η μ ε τ α ν ο ι ε ι ν ετι. 11 Eusebius hist. eccles. l. III. cap. 38 de altera Clem. Rom. ad Cor. epistola ita judicat: ου μεν εθ ’ ω ë μοιως τη προτερα, και ταυτην γνωριμον επισταμεθα . Haec quidem durioribus verbis reddiderunt Rufinus et Hieronymus, uti monet editor anglus − Patricius Junius − qui primus Oxoniae 1677 duas excudi curavit epistolas sub Clementis Romani nomine, quarum alteram non eandem quidem fidem mereri cum prima affirmat, non tamen omnino repudiandam censet, <?page no="356"?> 324 Johann Sebastian Drey Certiora nobis Irenaeus suppeditat. Hic enim, cum l. III. adv. Haeres. cap. 9. Magi cujusdam et haeretici Marci dogmata et pravas artes recenset, ait: »adhuc etiam et amatoria et adlectantia efficit, ut et corporibus ipsarum« − mulierum scilicet quarumdam − « contumeliam irroget hic idem Marcus, quibusdam mulieribus, licet non universis. Hae saepissime conversae ad Ec- 5 clesiam Dei confessae sunt, et secundum corpus exterminatas se ab eo velut cupidine, et inflammatas valde illum se dilexisse.« − Et mox subjungens ejus rei exemplum pergit: »ut et diaconus quidam illorum, qui sunt in Asia, suscipiens eum in domum suam inciderit in hujusmodi calamitatem. Nam cum esst uxor ejus speciosa, et sententia et corpore corrupta esset a mago isto, et 10 secuta eum esset multo tempore, post deinde cum magno labore fratres eam convertissent, omne tempus in exomologesi consummavit plangens et lamen- 12 tans ob hanc, quam passa est ab hoc mago, corruptelam. − Conf. etiam Epiphan. haer. 34, ubi ex Irenaeo additur: quasdam illarum mulierum, qui erubescerent exomologesin facere, a vita Dei desperasse. 15 Primum hoc est et antiquissimi scriptoris documentum, ubi vocabulum - exomologesis - pro poenitentia ipsa usurpatur. Illo enim significatu sumendum esse, nemo non prudens intelligit. Quis enim sanus putaverit, mulieram illam, postquam ad ecclesiam iterum reversa est, omne reliquum vitae suae tempus confitendis peccatis consummasse? Confessa sit, cum rediret, quemad- 20 modum et reliquae ejus sociae, quantum verecundia permittebat, et mentis affectus et corporis corruptiones confessae sunt, repetierit etiam peccatorum suorum commemorationem, cum poenitens ecclesiae reconciliationem flagitaret; illa certe exomologesis, qua reliquum vitae tempus duxisse perhibetur, is ipse actus est continuus, quem alias etiam poenitentiam dixere veteres. Hoc 25 enim mutatum animi sensum probare, hoc delinire ecclesiam, hoc deprecari veniam oportebat; quod quidem etiam verba subjecta ostendunt − plangens et lamentans −; his enim actionibus, tristi nimirum habitu, multa animae afflictione, demisso animo, et crebra castigatione poenitudinem geri jam Hermas commemorat loco supra citato, multo etiam fusius describit Tertullianus, Irenaeo 30 paululum suppar; l. de poenit. cap. 9. Eadem significandi potestate idem vocabulum in alio quodam Irenaei loco pollet, libro nimirum III. cap. 4. Ibi Cerdonis meminit, noti apud antiquos haeretici, et ait: »Cerdon autem, qui ante Marcionem, et hic sub Hygino, qui fuit octavus episcopus, saepe in Ecclesiam veniens, et exomologesin faciens sic 35 consummavit, modo quidem latenter docens, modo vero exomologesin faciens.« − Ipse narrationis contextus manifestum facit, utrumque significari ab Irenaeo, Cerdonem simul errores suos, quos clam disseminaverat, coram tum quod in antiquissimo quodam exemplari compareat, tum quod varios probabilitatis gradus admittat libri alicujus auctoritas. − Magis etiam fidendum ait Eusebii testimonio graecis verbis expresso, quam Hieronymi aut Rufini, cum fides esse debeat penes authorem, non interpretem. <?page no="357"?> 325 Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos (1815) ecclesia confessum esse, et poenitentiam suscepisse, qua resipiscentiam sponderet. Perpensis igitur omnibus, quae jam ab apostolis constituta, quaeque non multum ab apostolorum tempore usitata fuisse in ecclesia christiana docu- 13 mentis historicis comperimus; habita insuper ratione indolis et naturae hu- 5 manae; circumstantiarum quoque, quarum est magna vis in ipsam naturam, singularis autem in animos primorum christianorum esse debuit; his, inquam, omnibus perpensis et collatis hanc ego de origine exomologeseos opinionem verisimillimam judicio: ultro illam natam fuisse ex peccatorum ad ecllesiam habitu situque. Ejicebantur enim peccatores, id est, graviore aliquo crimine 10 foedati, ex ecclesia; quod hi ceu grave damnum aegre ferentes, reconciliari suis, recipique in societatem omnibus modis expetebant. Ast quoniam sciebant, se votis suis potiri non posse, si non certae resipiscentiae documenta dedissent, nulla non ratione id demonstrare studebant; quare cum fateri errorem, odisse est, et resipiscendi initium, candidique simul animi indicium, 15 publica peccatorum confessione ceu potissimo ad finem suum consequendum medio uti coeperunt; nec latere quemquam puto, quod in omnibus alicujus frugis hominibus naturale quodammodo videatur. Aliam certe originem exomologeseos ex documentis historicis perdifficile fuerit eruere; praecepti enim alicujus divini aut ab apostolis traditi, vel legis etiam ecclesiasticae tantum, 20 unde confitendi necessitas orietur, nullum est vestigium invenire. Id unum hic addere volo, frustra litigari, si quaeritur, cujus generis peccata primis hisce temporibus in confessione exposita fuerint. Desunt enim nobis plura ejus rei exempla, quibus tamen ad illam litem dirimendam opus esset, cumque in allatis nos sistere, et ad finem confessionis descriptum cuncta 25 revocare oporteat, id unum respondere possumus: peccata exponebantur certe gravia, certe talia, quae in notitiam ecclesiae venerant, quippe sola haec societate christiana privabant. Nec tamen censeo, modum a nobis poni posse poenitentium fervori, quin etiam peccata exponerent occulta adhuc, nec publice cognita. 30 §. 6. Haec prima poenitentiae et confessionis facies non quidem mutari, sed novis tamen stimulis augeri, magisque firmari coepit mox tum, ubi ipsa ecclesiae facies est mutata. Namque cum antea, ab initio scilicet, multi seorsim coetus christiani, multae seorsim ecclesiae pro locorum et circumstantium opportunitate extitissent, non quidem penitus separatae, sed et nimine auc- 35 14 toris Christi, et communibus vel magistris vel doctrina vel fatis, mutua enim charitate et ope, quasi vinculis quibusdam connexae; aucto tamen christianorum numero, et per orbem divulgato nomine generis, accedentibus insuper et aliis causis, arctius identidem illae ecclesiae constringi, atque ita constringi, ut unam se tantum ecclesiam, unum quasi corpus ex multis membris com- 40 positum se esse intelligerent, persuasumque haberent. Tum vero ecclesiae crevit auctoritas, et quae universae debebatur reverentia, in singulas quasque <?page no="358"?> 326 Johann Sebastian Drey redundavit, quoniam quaevis universae pars, imago universam repraesentans videbatur, quemadmodum et universa ecclesia imago Christi, hunc eundem, imo Deum ipsum repraesentans. Qua idearum connexione factum est, ut qui a sua ecclesia vel descivisset vel rejectus esset, ab universa ecclesia, immo a Deo ipso descivisse vel rejectus esse existimaretur, et qui in ecclesiam peccasset, in 5 Christum et Deum peccaverit. Unde etiam major poenitentiae et exomologesi auctoritas; reconciliatus ecclesiae, et Deo reconciliatus, confessus ecclesiae, et Deo confessus censebatur; qui ecclesiam celabat sua crimina, et Deum celaverat eadem, qui ecclesiam fallere sectabatur, eandem injuriam Deo fecerat. Ubi tam magnifice de ecclesia sentire christiani coeperant, tum omne insti- 10 tutum poenitentiae et exomologeseos ad Deum referri coepit. Coepit autem utrumque satis mature. Omnia enim systematis hujus elementa, quamvis dispersa, in Tertulliani scriptis deprehenduntur, quemadmodum ex succincta adumbratione ostendam. Et primo quidem, cum apud Irenaeum exomologesis ecclesiae facta esse 15 expressis verbis dicatur, apud Tertullianum Deo fieri non minus clare dicitur: »Hujus igitur poenitentiae secundae et unius, quanto in arcto negotium est, tanto operosior probatio, ut non sola conscientia proferatur, sed aliquo etiam actu administretur. Is actus, qui magis graeco vocabulo exprimitur et frequentatur, exomologesis est, qua delictum Domino nostrum confitemur, non qui- 20 dem ut ignaro, sed quatenus satisfactio confessione disponitur, confessione poenitentia nascitur, poenitentia Deus mitigatur 12 ); « et paulo infra, postquam actum illum exomologeseos curate et vivis coloribus depinxisset, ad quem 15 etiam pertinebat, ut poenitentes aris advolverentur, adgenicularentur sacerdotibus, omnibus fratribus legationes deprecationis suae injungerent, pergit: »Haec omnia 25 exomologesis, ut poenitentiam commendet, ut de periculi timore Dominum honoret, ut in peccatorem ipsa pronuncians pro Dei indignatione fungatur, et temporali afflictione aeterna supplicia, non dicam frustretur, sed expungat 13 ).« Domino igitur fit confessio (quemadmodum et satisfactio et poenitentia) non ita quidem, ut non etiam publice simul et coram ecclesia facta sit, id enim luce 30 meridiana clarius patet, sed finis poenitentiae et satisfactionis et confessionis proximus non est reconciliatio cum Ecclesia, sed cum Deo. Id etiam multo magis inde elucet, quod poenitentes ad superandum pudorem, qui multos a confessione et poenitentia publica retrahere poterat, adhortaturus, in fratribus esse ecclesiam, ecclesiam autem Christum ostendit. 35 »Caeterum inter fratres atque conservos, ubi communis spes, metus, gaudium, dolor, passio (quia communis spiritus de communi Domino et Patre) quid tuos aliud, quam te opinaris? quid consortes casuum tuorum ut plausores fugis? Non potest corpus de unius membri vexatione laetum agere, condoleat 12 De poenitentia cap. 9. recens. Seml. pag. 59. Vol. IV. 13 Ib. pag. 60. conf. cap. 5. pag. 49 et al. <?page no="359"?> 327 Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos (1815) universum et ad remedium conlaboret necesse est. In uno et altero ecclesia est, ecclesia vero Christus. Ergo cum te ad fratrum genua protendis, Christum contrecas, Christum exoras. Aeque illi cum super te lacrymas agunt, Christus patitur, Christus Patrem deprecatur 14 ).« Nec prodesse ait, homines, ecclesiam scilicet, celare peccata, cum Deus norit: »grande plane emolumentum verecundiae occultatio 5 delicti pollicetur. Videlicet siquid humanae notitiae subduxerimus, proinde et Deum celabimus? Adeone existimatio hominum et Dei conscientia comparantur? An melius est damnatum latere, quam palam absolvi 15 ).« Ex hac ipsa magnifica ecclesiae aestimatione, immo cum Deo ipso confusione, illa etiam severitas Tertulliani erga poenitentes atque aliae ejus 10 16 sententiae profectae sunt, quae magnam postea nomini ipsius invidiam conflarunt. Inde enim factum est, ut, quod apud ipsum primo legimus, ecclesiae quidem adjudicaret potestatem remittendi peccata, sed negaret, eam hac potestate uti posse , ne pluribus peccandi licentia detur. »Sed habet, inquis, ecclesia potestatem delicte donandi? Hoc ego magis et agnosco, et dispono, 15 qui ipsum Paracletum in prophetis novis habeo dicentem: potest ecclesia donare delictum, sed non faciam, ne et alia delinquant 16 ).« Quare mansuetudinem illam exsibilat, quae atrocioribus peccatis veniam dabat: »Nam et Ecclesia proprie et principaliter ipse est spiritus, in quo est trinitas unius divinitatis, Pater et Filius et Spiritus sanctus. Illam ecclesiam congregat, quam 20 Dominus in tribus posuit. Atque ita ex inde numerus omnis, qui in hanc fidem conspiraverint, ecclesia ab auctore et consecratore censetur; et ideo quidem ecclesia delecta donabit, sed ecclesia spiritus per spiritalem hominem, non ecclesia numerus episcoporum. Domini enim, et non famuli, est jus et arbitrium, Dei ipsius, non sacerdotis 17 ).« Sponsam Christi scilicet carere omni 25 etiam aurium, id est calumniae et malae famae, macula volebat 18 ). − Inde denique, quod itidem apud Tertullianum primo invenitur, omnis generis peccata in duas classes distribuit, unam eorum, quibus ecclesia veniam dare potest, et peracta etiam poenitentia debet, alteram illorum, quibus quidem poenitentiam debet, ast non veniam 19 ). 30 Quod reliquas exomologeseos circumstantias attinet; ea ex Tertulliano confirmantur, quae praecedentibus paragraphis asserimus. Et primo quidem solemne mansisse, poenitentiam et confessionem delicti communi vocabulo appellare, patet ex eo loco, quem omnium primum ex Tertulliano subjunximus, 17 ubi omnis actus poenitentiae exomologesis dicatur; et alibi etiam ipsam poe- 35 14 Ibid: cap. 10. pag. 61. 15 Ibid. 16 De pudicitia cap. 21. Vol. IV. pag. 431. 17 Ibid. pag. 433. 18 Ibid. cap. 1 et 18. pag. 365. 419. 19 De pudic. cap. 2. 3. et cap. 19. »Haec enim erit poenitentia, quam et nos deberi quidem agnoscimus multo magis, sed de venia Deo reservamus« pag. 422. − Quodsi igitur in Ecclesiam peccavit Tertullianus, ex nimia illius aestimatione peccavit. <?page no="360"?> 328 Johann Sebastian Drey nitentiam confessionem alicujus delicti vocat 20 ). Deinde ex eodem loco citato evincitur, publicam fuisse atque in frequenti christianorum coetu illam confessionem, qua quis se peccatorem esse pronunciaret; ad aras quippe et coram sacerdotibus prosternebantur poenitentes. Illud etiam memorabile, quod quidem explicatu difficile non est, Tertullianum primum ante alios dicere, exo- 5 mologesin a Domino institutam, indictam jam ab aevo mundi, et multis etiam factis, quae ex veteri testamento adducit, praesignatam fuisse. Id inde profectum est, quod exomologesin et poenitentiam passim confundit 21 ). Demum si de qualitate criminum quaeratur, quae exomologesi purgabantur Tertulliani temporibus, libro quidem de poenitentia omnia utriusque generis peccata, facti 10 scilicet et spiritus, carnis et voluntatis poenitudine delenda censet 22 ). Ast in aliis libris, in eo praecipue, qui est de pudicitia inscriptus, tria tantum vulgata commemorat, αποστασιας scilicet, et μοιχειας et homicidii: unde et ista tantum quemadmodum poenitentiae publicae, ita et exomologesi subjecta fuisse putandum est. 15 §. 7. Posteaquam vero huic instituto major dignitas accrevit, et quae primum disciplinae loco habebatur, ad rem quandam divinam et ad officium traducta fuit poenitentia et exomologesis, tum simul cura et sedulitas sacerdotum in persuadenda re tam necessaria crevit. Judicabant enim, hanc esse poenitentiae praecipuam vim, ut, qui eam susciperet peccator, aequam sui 20 ipsiusmet, submissam scilicet et humilem, aestimationem concipiat animo, a se ipso scelerum poenas exigat, atque utroque hoc medio divinam sibi misericordiam cum peccatorum venia conciliet 23 ). Cui quidem operi simplex et nuda confessio coronidem quasi imponere videbatur, quandoquidem vix 18 aliud quiddam tam grave est vel ad humilitatem vel ad poenam, quam sua 25 delicta fateri. Quare ex hoc tempore scriptores ecclesiasticos spontaneam exomologesin modis omnibus inculcandi sollicitos deprehendimus. Verum ipsa rei molestia multos, qui etiam isto remedio indigebant, deterrebat, quare vel se poenitentiae et exomologesi subducere, vel differre saltem eam studebant. Haec quidem jam Tertullianus queritur 24 ), qui fortissimi etiam argu- 30 mentis morem justum dissuadet 25 ). Multi etiam exspectabant, donec ab aliis 20 De carne christ. cap. 8; adv. Marcion. l. II. cap. 24. 21 De poenit. cap. 12. pag. 64. Confer. etiam cap. 2−5. − 22 Cap. 3 et 4. 23 Itaque exomologesis prosternendi et humilificandi hominis disciplina est, conversationem injungens misericordiae illicem. − − In quantum non peperceris tibi, in tantum tibi, crede, Deus parcet. de poenit. cap. 9. 24 »Plerosque tamen hoc opus ut publicationem sui subterfugere, aut de die in diem differre praesumo; pudoris magis memores, quam salutis: velut ii, qui in partibus verecundioribus corporis contracta vexatione, conscientiam medentium vitant, et ita cum erubescentia sua pereunt. Intolerandum scilicet pudori, domino offenso satisfacere, saluti prodactae reformari! de poenit. cap. 10.« 25 Totis tribus capitibus libri de poenitentia, scilicet 10. 11. 12. laborat, ut vel excutiat pudorem, vel excuset incommoda corporis cum poenitentia connexa, vel generatim ad poenitentiam exstimulet. <?page no="361"?> 329 Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos (1815) criminum causa apud ecclesiam delati ad poenitentiam damnarentur. Hunc enim, alios accusandi, morem, maturae etiam in ecclesiam introductum fuisse, ex Origene colligitur, qui auditores suos adhortatur, ne ab aliis accusari exspectent, sed sui accusatores fiant, immo quodammodo evocat, ut siquem nossent, qui propter crimen ex ecclesia ejici debeat, deferant 26 ). Ex duplici 5 hac causa, quod maximi fieret exomologesis apud ecclesiae Patres, multi 19 autem christianorum poenitentiam subterfugere putarentur, factum est, ut scriptores saeculi secundi et tertii fere non loquantur de poenitentia et exomologesi, nisi illam multis argumentis persuadentes. De Tertulliano jam audivimus, sed nec segnior in ea commendanda Origenes est. 10 Hic enim, apud quem multa est et frequens poenitentiae atque exomologeseos mentio, id unum ubique agit, ut diversis argumentis auditores suos 27 ) ad utramque permoveat. Nunc enim angelorum applausum commemorat 28 ), nunc docet: omnia, que in occulto male gerimus, in lucem atque notitiam hominum esse protrahenda, ita, ut vel nos ipsi id ultro facturus sit, omnium 15 nostrum accusator. Melius esse autem, praevenire Satanam 29 ). Quin et alio 26 »Quia scio, nihil latere Deum, ideo potius ipse me arguo, ipse me confuto, non exspecto accusatorem, cum accusator meus constientia mea mecum sit, sic forte et ille mihi parcet, si mihi ipse non parcam.« homil. 2. in Psalm. 37. cap. 1. »Unde deprecor vos, qui fideles estis, ut ita vitam vestram et conservationem servetis, ne in aliquo vel ipsi scandalum patiamini, vel scandalum faciatis; sed sit vobis summi studii, nequis in hanc sanctam congregationem vestram pollutus introeat, nequis Jebusaeus habitet vobiscum, qui interpretatur conculcatio: et quia non possumus ejicere eos, qui nos conculcant, eos saltem ejiciamus, quos possumus, quorum peccata manifesta sunt: ubi enim peccatum non est evidens, ejicere de ecclesia neminem possumus.« − homil. 21. in Jes. Nave cap. 1.; conf. homil. 2. in judic. cap. 5.; adv. Cels. l. III. cap. 51.; comment. in Matth. Tom. XIII. cap. 30. 27 Omnia fere, quae hic afferuntur, loca ex illa parte operum Origenianorum desumta sunt, quorum quidem textus originarius non amplius extat, sed versio solum a Ruffino adornata, puta ex homiliis ipsius Origenis. Huic quidem versioni multa crimini vertuntur, plus etiam aequo vexatae ab Hieronymo, aliisque Ruffini osoribus. Interim tamen cum ορθοδοζια Origenis, quamvis in multis, in capite tamen hoc, quod est de poenitentia, a nemine in dubium vocata est, plane non video, cur Ruffinus hic quaedam adulteravit, aut nos ejus versioni fidem detrahere debeamus. 28 Homil. 17. in Genes. cap. 8.; ubi, more solito ad allegoriam traducens illa verba: Juda, te laudabunt fratres tui, ait: denique, quod ad sensum moralem spectat, Judas confessio interpretatur. Qui ergo vel peccata sua confessus poenitentiam agit, vel Christum in persecutione coram hominibus confitetur, collaudatur a fratribus suis, angelis Dei in coelo. 29 Homil. 3. in Levit. cap. 4.: Etenim omni genere pronuncianda sunt et in publicum proferenda cuncta, quae gerimus. Siquid in occulto gerimus, siquid in sermone solo, vel etiam intra cogitationum secreta commisimus, cuncta necesse est publicari, cuncta proferri: proferri autem ab illo, qui et accusator peccati est et incentor. Ipse enim nos, ut peccemus, instigat, ipse etiam cum peccaverimus, accusat. Si ergo et in vita praeveniamus eum, et ipsi nostri accusatores simus, nequitiam diaboli inimici nostri et accusatoris effugimus. Dic tu iniquitates tuas prior, ut justificeris. Jesaj. XLIII, 26. − − Vide ergo, quia pronunciare peccatum remissionem peccati meretur; praeventus enim diabolus in accusatione ultra nos accusare non poterit, et si ipsi simus nostri accusatores, proficit nobis ad salutem; si vero exspectemus, ut a diabolo accusemur, accusatio illa nobis cedit ad poenam; habebit enim socios in gehenna, quos convicerit criminum socios.« − − Idem nonnihil brevius repetit. homil. 2. in Psalm. 38. cap. 5. <?page no="362"?> 330 Johann Sebastian Drey quodam loco hortatur, nequis se vel vituperio hominum vel risu absterreri 20 sinat, quo minus peccata sua confiteatur; quin, quam salubre sit et necessarium confiteri, cogitet 30 ). Similem etiam esse hominem, peccati alicujus conscientia vexatum, illi dicit, qui materiam stomacho molestam concepit, nec relevatur, nisi evomuerit 31 ). Illud tamen notatu dignum, quod hic Origenes 5 suadet; non enim mox publice coram Ecclesiae coetu peccata exponere jubet, sed mitius quoddam consilium expromit. Jubet namque prudenti viro omnem prius conscientiae suae causam patefacere, ejusque sequi consilia, qui idem 21 simul dijudicaturus sit, an peccatori necesse sit, peccata sua ecclesiae confiteri, et poenitentia publica reluere 32 ). 10 §. 8. Juvat ex his, quae ex Origene audivimus, observationes quasdam decerpere, historiam confessionis illustrantes. Et imprimis quidem observamus; cum varia proferat argumenta Origenes, quibus poenitentiam et exomologesin utilem, immo necessariam esse demonstrat, nullius tamen percepti vel divini vel ecclesiastici eum facere mentionem. Hoc quidem legis instar in 15 ecclesiaviguisse etiamnum videmus, ut, cujus crimina manifesta essent, is ecclesia proscriberetur, ast nullam legem, quae occulte commissa publicare juberet, quamvis ad ejusmodi publicationem Origenes hortetur et peccatorem ipsum, et alios christianos, si ejus crimina coperta haberent. Quare legem aliquam confessionis positivam, ut aiunt, haec tempora ignorasse videntur; 20 pendebat etiam ejusmodi lex a potestate Ecclesiae in ipsa peccata, de qua 30 Homil. 2. in Psalm. 37. »Si peccator memor delicti sui confitetur, quae commisit, et humana confusione parvi pendat eos, qui exprobrant eum confitentem, vel irrident: ille vero intelligens, per hoc veniam sibi dari, et in die resurrectionis pro his, quibus nunc confunditur coram hominibus, tunc ante angelos confusionem atque opprobrium evasurum, nolit tegere maculam suam, nec velit esse sepulcrum dealbatum, quod deforis quidem appareat hominibus speciosum, ut videntibus se quasi justus appareat, intus qutem sit repletus omni immunditia et ossibus mortuorum. Si ergo talem detestari incipiant, quem admirabantur, et ab amicitiis ejus recedere, super his dicit,qui exomologesin, id est, confessionem facit: amici mei et proximi mei adversum me propinquaverunt et steterunt. Sed haec non oportet formidare eum, qui post delictum salvari cupit, sed cogitare de anima sua, et exorare Deum, ut ab eo sublevetur post casum suum, et possit dicere, quae sequuntur: quoniam iniquitatem meam ego pronunciabo, et cogitabo pro peccato meo. Quia scio, nihil latere Deum, ideo potius ipse me arguo et r. ut supra.« 31 Homil. 2. in Ps. 37. cap. 6. »Quoniam iniquitatem meam pronuncio. Vide ergo, quid edocet nos divina scriptura, quia peccatum oportet non celare intrinsecus; fortassis etiam sicut ii, qui habent intus inclusam escam indigestam, aut humoris vel phlegmatis stomacho graviter et moleste imminentis abundantiam, si vomuerint, relevantur, ita etiam hi, qui peccaverunt; siquidem occultant et retinent intra se peccatum, intrinsecus urgentur et propemodum suffocantur a phlegmate peccati: si autem ipse sui accusator fiat, dum accusat semetipsum et confitetur, simul evomit et delictum, atque omnem morbi digerit causam.« 32 Ibid. »Tantum circumspice, cui confiteri debeas peccatum tuum: proba prius medicum, cui debeas causam lanquioris exponere; qui sciat infirmari cum infirmante, flere cum flente, qui condolendi et compatiendi noverit disciplinam; et ita demum, siquid ille dixerit, qui se prius et eruditum medicum ostenderit et misericordem, siquid consilii dederit, facias et sequaris. Si intellexerit et praeviderit, talem esse lanquorem tuum, qui in conventu totius ecclesiae exponi debeat et curari, ex quo fortassis et caeteri aedificari poterunt, et tu facile sanari: multa hoc deliberatione, et satis perito medici illius consilio procurandum est. Ibid. <?page no="363"?> 331 Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos (1815) potestate quale judicium his temporibus fuerit, sequenti paragrapho exponemus. Poenitentia porro et exomologesis publica. In excusandis enim et elevandis incommodis, quae publica poenitentia haud dubie habebat, maxime versantur viri ecclesiastici. Ast ipsa rei molestia jam nunc mitius consilium excogitare 5 coe¨git, quo et instituto poenitentiae et hominum pudori consulerentur. Privatae id fuit et secretae confessionis species, quae viro alicui prudenti fieret ab eo, quem peccati conscientia urgebat. Primum hoc confessionis privatae apud Origenem vestigium, certum quidem et indubitandum; sed consilii tantummodo rationem habebat illa privata confessio, et consilii, quod Origenes 10 dederat. Id vero manifestum est, eandem certorum quorundam peccatorum confessionem fuisse, quemadmodum etiam publicam exomologesin, quod 22 pluribus Origenis locis evincitur 33 ). Cum confessio, quemadmodum poenitentia publica, coram ecclesia fieret, quae sine presbyteris nunquam congregabatur, simul et coram presbyteris 15 fiebat. Quare nihil prorsus pugnat, et eadem semper res est, quando viri ecclesiastici horum temporum nunc exomologesin ecclesiae, nunc presbyteris factam dicunt. Verum cum presbyteri ecclesiae praeessent, magnaque jam ab initio auctoritate pollerent, cuivis facile est intelligere, poenitentes mox etiam coepisse confiteri coram presbyteris, id est, ante presbyteros stantes vel pro- 20 stratos. Praeterquam enim, quod id jam ex Tertulliano audivimus 34 ), id claris etiam verbis Origenes dicit 35 ). Cuinam vero fieri confessionem illam privatam voluerit Origenes, nos non audemus dijudicare. Neque enim mox cum Petavio 36 ), et Jacobo Boileau 37 ) inferimus, factam esse sacerdoti, neque contrarium facile probari possit: non 25 illud, quoniam ad prudentem quidem virum, tanquam ad medicum accedere suadet Origenes, sed sacerdotem claris verbis haud nominat; immo quod circumspiciendum esse dicit, cui quis debeat confiteri peccatum suum, in sacerdotes vix quadrat, cum tanta sacerdotum copia tunc temporis non esset, ut optioni vel circumspectioni multae locus fuerit. Neque confirmatur ista 30 sententia ex alio quodam Origenis loco, ubi similia inculcat, nimirum revelanda esse peccata non solum Deo, sed et illis, qui mederi peccatis nostris possint 38 ). Namque et hic in genere tantum sermo versatur, et nulla in specie 23 33 Homil. 3. in Levit. cap. 4. Homil. 2. in Psalm. 37. cap. 1 et 6. 34 De poenit. cap. 9. 35 »Est adhuc et septima, licet dura et laboriosa per poenitentiam remissio peccatorum; cum lavat peccator in lacrymis stratum suum, et fiunt ei lacrymae suae panes die ac nocte, et cum non erubescit sacerdoti Domini indicare peccatum suum, et quaerere medicinam, secundum eum, qui ait: dixi, pronunciabo adversum me injustitiam meam Domino, et tu remisisti impietatem cordis mei.« - homil. 2. in Levit. cap. 4; conf. homil. X. in Numeros cap. 1. 36 In Notis ad Epiphan. haeres. LIX. pag. 249. sq. 37 Historia confess. auricul. cap. V. pag. 91. et seq. 38 »Si peccaverimus, debemus dicere: peccatum meum notum feci tibi, et iniquitatem meam non absconi: dixi, annunciabo injustitiam meam contra me Domino. Ps. 31. Si enim hoc feceri- <?page no="364"?> 332 Johann Sebastian Drey sacercotis mentio fit. − Sed haud probabilior est altera sententia contrarium asserens. Non enim sacerdotes virorum prudentium numero excludit Origenes, immo cum tales commemorat, sacerdotes maxime et ipse respexisse censendus est, et intellexere christiani, quoniam priscis illis temporibus, ubi populi praecipue suffragiis fiebant sacerdotes, non alii utique deligebantur, 5 nisi qui pietate et prudentia spectati essent. Atque genuine fateor, hanc mihi videri primam fuisse confessionis privatae originem causamque. Ab initio, ut vidimus, omnia, quae peccatorum causam spectabant, fuere publica. Verum id grave ac molestum plerisque visum est, illis praecipue, qui quidem aliquo se crimine obstrinxerant, verum haud ita 10 divulgato et evidenti, ut etiam non confessi ecclesiae sententia proscribi atque ad agendam poenitentiam adigi potuerint. Hi vel proprio consilio, vel hortatu etiam, uti ex Origene audivimus, praeceptorum ad prudentem aliquem virum se contulerunt, a quo detecta animi sui conscientia, quid agendum ipsis esset, explorabant. Cumque inter reliquos christianos sacerdotes prudentia maxime 15 florerent, horum passim consilia exquirere peccantes. Consuetudo haec ex re et sponte sua nata in legem postea abiit, ubi poenitentia et exomologesis ad certas quasdam regulas redacta est, quemadmodum sequentibus explicabimus. Verum quoniam omnis quaestio, quae tum de necessitate tum de modo confessionis moveri potest, dilucide et cum certitudine aliqua extricari nequit, 20 quin ante patuerit, quaenam ecclesiae partes in expiandis delictis fuerint, quidve de illius potestate in peccata judicatum sit hisce temporibus, evidentibus id documentis nunc demonstrandum venit. §. 9. Quod ut ex ordine faciamus, illa praemittemus, quae constare ex hucusque allatis quivis facile concedet. In his autem primum est illud: ecclesia 25 24 judicium aliquod, et potestatem in christianorum peccata sibi sumsit jure suo, quia sanctitas ipsius Ecclesiae et bona christianorum apud exteros fama id exigebant. Quare etiam non in leviora quaevis aut quotidiana errata, sed in atrociora solum eaque manifesta crimina animadvertit, eorum tamen, quae occulta adhuc forent, non incuria, sed ita potius curiosa, ut ad illorum pu- 30 blicationem omnibus modis exhortaretur. Nec minus juste et salubriter id quoque: cum atrox quodvis facinus in lucem aliquando dies protrahat, nec minus periculum corpori immineat ex cancro clam serpente, quam ex patulo et hianti vulnere. Ita porro in singulorum peccata animadvertebat ecclesia, ut et salus publica tuta foret, et proscriptis reditus pateret, si mores suos emen- 35 dassent. Hanc ipsam morum emendationem in poenitentium potestate esse voluit, et recte quidem, precibus nihilominus suis et adhortationibus illos adjuvans. Si praestiterant, quod fieri oportebat, reconciliatos sibi habebat ecclesia; nec minus etiam reconciliatos Deo, verum ipsam peccatorum veniam mus, et revelaverimus peccata nostra non solum Deo, sed et his, qui possunt mederi vulneribus nostris atque peccatis, delebuntur peccata nostra ab eo, qui ait: ecce delebo ut nubem iniquitates tuas. Jes. XLIV, 22. Homil. 17. in Luc. cap. 2. <?page no="365"?> 333 Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos (1815) ab eodem impetratam judicabat. Haec quidem tum ex ipsa rei natura justa, tum ex documentis historicis, quae inspeximus, indubia. Ast difficilior quaestio inde exoritur, quod jam nunc sermonem subinde incidere de potestate ecclesiae videmus, qua et ipsa remittat peccata. Qua in re historicorum more agentes, ne nostrorum aut seriorum temporum judicia antiquis illis inferamus, 5 serio et graviter examinare scriptorumhujus aevi testimonia oportet, ut, quonam sensu ecclesiam posse remittere peccata intellexerint, appareat. Tertulliani hac in re sententiam jam supra exposuimus (§. 6.). Esse quidem in ecclesia potestatem donandi delicta concedit, sed ecclesiae nomine spiritum ipsum intelligit, qui colligit et gubernat ecclesiam, non autem numerum episcoporum. 10 Eundem spiritum, utpote divinum, remittere peccata etiam mortalia, quae in ipsum admissa sunt, et in templum ejus, eundem etiam Prophetis et Apostolis potestatem ejusmodi dedisse, verum hanc potestatem divinitatis donum peculiare fuisse, non autem disciplinae, sive consueti regiminis ecclesiastici. Deum igitur solum remittere peccata, quae in ipsum admissa sunt: nam, quod illa attinet, 15 quae unusquisque homo in alterum peccat, haec indulgere unumquemque 25 non solum posse, verum et juberi a Christo 39 ). − Aliam quam hanc potestatem donandi delicta Tertullianus non agnoscit in Ecclesia. Verum quoniam haec scripsit, cum jam ad Montani sententiam deflexisset, Origenem audire juvat, ab isto utique errore alienum. 20 Antequam autem, quid de virtute remittendi peccata sentiat, exponamus, connexae quaedam et affines huic sententiae ejusdem scriptoris recensendae sunt. Quemadmodum enim triplex peccatorum genus distinquit, ita tria potissimum media, quibus illorum venia impetratur, ac triplex adeo facultas aut potestas remittendi. 25 Quantum ad classes ipsas peccatorum, varias ponit variis in locis 40 ); at in nostram rem illa facit maxime distinctio, ubi, fere consentiens cum Tertulliano, peccata omnia vel offensas graves in Deum esse ait, vel leviores ac quotidianas noxas; has quidem facile et iteratis vicibus dimitti, illas difficulter et fere semel 41 ); de iis vero, quae in proximum admittuntur, eodem prorsus 30 modo judicat, quo Tertullianus 42 ). 39 Libro de pudicitia toto capite 21. 40 Homil. X. in Exod. cap. 3. Homil. IX. in Ezech. cap. 2. Commentar. in Matth. Tom. X. cap. 24. 41 Si nos aliqua culpa moralis * invenerit, quae non in crimine mortali, non in blasphemia fidei, quae muro ecclesiastici et apostolici dogmatis cincta est, sed vel in sermone, vel in morum vitio consistat, hoc est, vendidisse domum, quae in vico est, cui murus non est. Haec ergo venditio et hujuscemodi culpa semper reparari potest, nec aliquando tibi interdicitur, de commissis hujusmodi poenitudinem gerere; in gravioribus enim criminibus semel tantum poenitentiae conceditur locus, ista vero communia, quae frequenter incurrimus, semper poenitentiam recipiunt, et sine intermissione redimuntur. Homil. XV. in Levit. cap. 2. (in Lev. XXV, 29-31.) * Communiter legunt mortalis; ast ex mente Origenis, quam et hic et in aliis locis Nro. 2.) citatis expromit, legendum est moralis, quemadmodum etiam editiones antiquiores Erasmi, Grynaei, Humphridii habent. 42 De Oratione cap. 28. Vid. infra nota 6 [i.e. 44]. <?page no="366"?> 334 Johann Sebastian Drey Pro triplici hoc peccatorum genere triplex etiam remedium esse statuit, sive tres potissimum modos, quibus remissio impetratur. Notissimus quidem locus est 43 ) ubi septem omnino modos veniae recenset; ast si duos priores, qui 26 peccata ante baptismum commissa spectant, excipias, reliqui quinque ad tres istos redeunt: scilicet, peccata quaedam eleemosynis aut aliis pietatis operibus 5 redimuntur; quae invicem alter in alterum peccamus, remittuntur mutua indulgentia; quae vero in Deum admissa sunt, poenitentia expiantur. Triplicem pariter potestatem seu virtutem remittendi peccata distinquit. Sunt peccata, quorum remittendorum facultas est penes quemvis hominem. Sunt alia, quae solvi, aut dimitti, aut auferri tantummodo a sacerdote possunt; sunt denique, 10 quae Deus solus dimittit, cujus est proprie dimittere peccata 44 ). Quaenam 27 43 Homil. II. in Levit. cap. 4. »Sed fortasse dicant auditores ecclesiae: melius fere agebatur cum antiquis, quam nobiscum, ubi oblatis diverso ritu sacrificiis peccantibus venia praestabatur, apud nos una tantummodo est venia peccatorum, quae per lavacri gratiam in initiis datur. − − verum audi, quantae sint remissiones peccatorum in evangelio. Est illa prima, qua baptizamur in remissionem peccatorum. Secunda remissio est in passione martyrii. Tertia est, quae pro eleemosynis datur. Luc. XI, 41. Quarta nobis fit remissio peccatorum per hoc, quod et nos remittibus peccata fratribus nostris. Matth. VI, 14. Quinta peccatorum remissio estcum converterit quis peccatorem ab errore viae suae. Jac. V, 20. Sexta quoque fit remissio per abundantiam caritatis. I Petr. IV, 8; est adhuc et septima, licet dura et laboriosa, per poenitentiam remissio peccatorum et rel. vid. supra §. 8. not. 3 [i.e. 41]. Conf. etiam homil. II. in Jerem. cap. 2 et 3. ubi poenitentiae etiam adjungit ignem purgantem, in die judicii erupturum. 44 De Orat. cap. 28. »Dimitte nobis peccata nostra, siquidem ipsi dimittimus omni debenti nobis. Habemus igitur omnes potestatem remittendi peccata in nos admissa. − Sed is, in quem Jesus insufflavit, quemadmodum in Apostolos − dimittit, quae dimitteret Deus, et insanabilia peccata retinet, ministrans soli dimittendorum peccatorum potestatem habenti Deo. Sic autem habent in Evangelio secundum Joannem, quae de remissione ab apostolis concedenda scripta sunt: accipite spiritum sanctum et rel. − Quae si absque examine accipiantur, accusandi videbuntur apostoli, quod non omnibus remittant, ut omnibus remittatur, sed quorumdam retineat peccata, ita ut per eos etiam apud Deum retineantur. At sicuti prohibentur legis sacerdotes pro quibusdam delictis offerre sacrificia, sic apostoli, et qui simils aopstolis sunt, sacerdotes juxta magnum Pontificem disciplina divini cultus instructi et a spiritu edocti sciunt, pro quibus peccatis, et quando, et quomodo offerre sacrificium oporteat, et pro quibus non oporteat, norunt. − − Sunt tamen nonnulli, qui nescio quomodo sibi arrogant ea, quae sacerdotalem superant dignitatem, sorte etiam rudes sacerdotalis disciplinae, glorianturque, quasi possint etiam idolatriam condonare, adulteriaque et fornicationes remittere, quasi modo pro iis oraverint qui ejusmodi facinora perpetrarunt, solvendum sit etiam, quod ad mortem est peccatum.« »Qui meliores sunt, inferiorum semper peccata suscipiunt. Si peccet laicus, ipse suum non potest auferre peccatum, sed indiget sacerdote, immo pontifice opus est, ut peccatorum possit remissionem accipere. Unde dixit Dominus ad Aaron: tu et filii tui sumetis peccata sanctorum. − − Igitur qui sancti sunt, pro peccatis poenitudinem gerunt, vulnera sua sentiunt, requirunt sacerdotem, sanitatem deposcunt, purificationem per pontificem quaerunt. Homil. X. in Numeros cap. 1. − − »Sed redeamus ad Pontificem nostrum, Jesum Dominum nostrum, et videamus, quomodo ille cum filiis suis, Apostolis scilicet et martyribus, sumat peccata sanctorum. Et quidem quod Dominus Jesus Christus venerit et morte sua peccata deleverit, nullus Christianus ignorat. Pro iis etiam, quibus scribebat, immolari se dicit apostolus. II. Cor. XII, 15. Hostia autem ad hoc immolatur, ut eorum, pro quibus jugulatur, peccata purgentur. − De martyribus autem scribit Joannes in Apocalypsi VI, 10. quod adsistant altari, consequenter ostenditur fungi sacerdotis officio, quod est, pro populi supplicare peccatis.« Ibid. cap. 2. <?page no="367"?> 335 Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos (1815) peccata a singulo quovis, clare, quaenam autem a sacerdote remitti possint, nuspiam distincte enunciat. Illud autem satis explicat, quomodo, et quanam ratione sacerdotes peccata remittant. Remittunt, dum pro peccatoribus orant, et supplicant 45 ); remittunt verbo Dei et expurgant, cum illud medicinae instar animis audientium instillant 46 ); remittunt, cum ipsi sanctitatis et innocentiae 5 exempla praebent populo 47 ); remittunt, dum omnibus modis docendo et monuendo ad poenitentiam et conversionem peccatores adducunt 48 ). Haec 28 sunt, quae in Origene extant de sacerdotum in peccata potestate testimonia. Haec autem eo redeunt, ut constet, non aliam ex mente hujus scriptoris potestatem ipsis competere, quam ut ad frugem reducant peccatores, ita 10 dispositis eorum animis, ut simul a Deo veniam impetrent. Quare si ejus generis sint peccata, quae sacerdotum opera facile discedant animo peccatoris, haec remitti a sacerdotibus dicit; quae autem longa et difficili curatione indigeant, poenitentiae nimirum ecclesiasticae et ignis purgantis remediis, qualia sunt illa graviora, vel peccata ad mortem, mortalia, haec sacerdotes non remittere 15 posse, sed ea esse retinenda, atque a solo Deo dimittenda 49 ). Quibus expositis videmus, non ita multum a Tertulliano hac in re distare sententiam Origenis; nec sane mirum est, cum omnis haec de remittendis peccatis disputatio inde proficiscatur, quae sit natura peccati. Jam vero familiare fuit priscis ecclesiae patribus, Tertulliano, Origeni ipsi, magis etiam Cypriano, naturam peccati 20 non tam in animi humani vitio, quam in injuria aut offensa ponere, Deo ipsi illata. Quare cum ita res ipsa ferat, ut injuria nonnisi ab eo indulgeri, 29 45 Patet ex locis nota praecedente collatis. 46 »Pro vitiis et passionibus animae remedia quidem habet sermo Dei in sacris voluminibus: est in eo nitrum est poa, quibus sordes abluantur; non tamen omne peccatum nitro sermonis et poa potest emundari, sed sunt aliqua delicta, quae non facili indigent curatione, nec ad nitrum et poam tantum abluta discedunt. − Si ergo mortale peccatum est, non possumus nitro poaque mundari, sed spiritu judicii, spiritu combustionis et poenae.« − Homil. II. in Jerem. cap. 2 et 3. 47 »Dicit ergo lex: sacerdos, qui obtulerit, edet illud in loco sancto in atrio tabernaculi testimonii. Levit. VI, 26. Consequens enim est, ut secundum imaginem ejus, qui sacerdotium ecclesiae dedit, etiam ministri et sacerdotes ecclesiae peccata populi accipiant, et ipsi imitantes magistrum remissionem peccatorum populo tribuant. Debent ergo et ipsi ecclesiae sacerdotes ita perfecti esse, et in sacerdotalibus officiis eruditi, ut peccata populi in loco sancto ipsi non peccando consumant. Porro in ecclesia Dei locus sanctus est fides perfecta, charitas de corde puro, et conscientia bona; qui in his stat in ecclesia, in loco sancto stare se cognoscat. In hoc itaque loco positus sacerdos ecclesiae populi peccata consumat, ut hostiam jugulans verbo Dei et doctrinae sanae victimas offerens purget a peccatis conscientias auditorium.« Homil. V. in Levit. cap. 3. 48 »Discant sacerdotes, quorum delicta repropitient. Scilicet si assumseris peccatorem, et monendo, docendo adduxeris eum ad poenitentiam, ut ei Deus propitius fiat pro delicto, repropitiasse diceris, et tunc tibi datur pars eorum, quos correxeris, (Levit. VII, 9.) ut illorum meritum tua merces sit, et illorum salus tua gloria. Intelligant igitur sacerdotes domini, ubi eis data portio est, et in hoc vacent: non se inanibus et superfluis actibus implicent, sed sciant se in nullo alio partem habituros apud Deum, nisi in eo, quod offerant pro peccatis, id est, a via peccati converterint peccatores.« Ibid. cap. 4. 49 De Orat. cap. 28. Homil. II. in Jerem. cap. 2 et 3. <?page no="368"?> 336 Johann Sebastian Drey remittique possit, cui irrogata est, recte simul inferebant, peccata graviora in Deum ipsum admissa ab eo solo, delicta vero in homines ab his ipsis condonari, quae autem aliquis in se ipsum admiserit, vel alias inconsiderate peccaverit, quoniam nullam injuriae rationem haberent, in solo animi vitio posita, remitti vel potius auferri 50 ) a sacerdote existimabant, adhibitis preci- 5 bus, suasionibus atque exemplis. Quo etiam factum est, ut, cum phrasis haec − ecclesiam aut sacerdotes remittere peccata − in dies magis percrebesceret, (nec vero negari potest, eandem primis temporibus jam usurpatam fuisse,) atque ex hac ipsa incaute et indiscriminatim adhibita disciplinae ecclesiasticae vigor infringi coepisset, solertiores ecclesiae doctores formulae illius vim 10 accuratius determinarent, atque in istam vocabulorum, notionumque confusionem, nec non in abusus inde enatos inveherentur, quemadmodum Tertullianus, inclementius etiam et non sine propriis praejudiciis, toto libro de pudicitia et alias fecit, Origenes locis citatis 51 ), Cyprianus deinde 52 ); cujus sententiam omnino mox examinabimus. 15 Sed redeundum nobis est ad materiam disputationis. Atque patere ex his quidem puto, non uniformem inter omnes, nec eandem, qualis nunc est, sententiam fuisse olim de peccatorum remissione in ecclesia. Quare nec eandem argumentationem instituere, vel ex illa peccatorum remissione aliquid inferre ad necessitatem confessionis poterant, ecclesiae aut sacerdotibus fa- 20 ciendae, quemadmodum recentiori aevo inter Theologos consuevit: ad poenitentiam unice referebant confitendi necessitatem. §. 10. Juvat nunc ad illorum, quae hucusque disseruimus, confirmationem Cypriani quoque audire sententiam. Et in genere quidem animadvertere volumus, eundem in plerisque tum de poenitentia et exomologesi, tum de 25 peccatorum remissione consentire cum Tertulliano et Origene, paulo etiam 30 fusius tractare hanc materiam ob celebrem illam controversiam, quae illi de libellis martyrum supplicibus cum poenitentibus fuit. Agnoscit nimirum, ecclesiae esse suas partes in solvendis vel ligandis peccatorum poenis 53 ), ast summas et supremas Dei ipsius esse, quibus nulla 30 hominum suffragia derogare possint 54 ), quare reconciliationem, sive pacem 50 Homil. X. in Num. cap. 1. Homil. II. in Jerem. Homil. V. in Levit. ubi peccata a sacerdotibus non remitti dicit, sed emundari, sumi, consumari, jugulari − paucis − destrui. 51 loc. cit. de Orat. cap. 28. Homil. V. in Levit. cap. 4. 52 Serm. de lapsis praecipue, et alibi. 53 »Nec enim fas erat, aut permittebat paterna pietas, et divina clementia, ecclesiam pulsantibus claudi, et dolentibus et deprecantibus spei salutaris subsidium denegari, ut de saeculo recedentes sine communicatione aut pace domini dimitterentur, cum permiserit ipse, qui legem dedit, ut ligata in terris etiam in coelis ligata essent, solvi autem possent illic, quae hic prius in ecclesia solverentur« epist. 42. ad Cornel. conf. epist. 76. ad Magn. 54 »Plus modo in dominum manibus atque ore delinquunt (lapsi, dum in eucharistiam involant) quamcum dominum negaverunt. Ante expiata delicta, ante exomologesin factam criminis, ante purgatam conscientiam sacrificio et manu sacerdotis, ante offensam placatam indignantis domini et minantis pacem putant esse, quam quidam verbis fallacibus venditant. Non est pax <?page no="369"?> 337 Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos (1815) lapsis datam ad preces Martyrum, nulla acta poenitentia, irritam ac nullam esse declarat: immo institutum hoc poenitentiae cum partibus suis ad Dei mandatum traducit 55 ). Plus etiam adlaborat, ut poenitentiam, et sinceram peccatorum confessionem omnibus modis persuadeat illis, qui quomodocunque in persecutione 5 lapsi essent. Hunc in finem varia ultionis divinae exempla profert, qua prodigiose correpti sint, qui apostasiam suam celantes ad christianorum sacra accedere ausi fuerant 56 ), terret Numine omniscio 57 ), illorum proponit atque 31 commendat exempla, qui, quoniam de facto aliquo sacrilego vel tantum cogitaverunt, id tamen apud sacerdotem confitentur, et poenitentia reluunt 58 ); 10 minora etiam hujus generis delicta, atque penitus secreto admissa expiare oportet illis remediis 59 ). − Magna de caetero exomologeseos et remissionis sacerdotalis aestimatio 60 ); quin Majestatem supremi Numinis laedi ait, si posthabita ira divina, spretisque poenis aeternis pax ecclesiastica, et remissio detur peccatoribus, priusquam delicta sua poenitentia et exomologesi exsol- 15 verint 61 ). §. 11. Primus quoque est Cyprianus illorum temporum scriptor, apud quem definita inveniuntur redactae in certum ordinem poenitentiae vestigia. illa, sed bellum. − Nemo se fallat, nemo decipiatur, solus dominus misereri potest; veniam peccatis, quae in ipsum admissa sunt, solus potest ille largiri, qui peccata nostra portavit, qui pro nobis doluit, quem Deus tradidit pro peccatis nostris. Homo Deo esse non potest major, nec remittere aut donare indulgentia sua servus potest, quod in dominum delicto graviore commissum est.« Serm. de lapsis. 55 »Nemo, fratres dilectissimi, infamet Martyrum dignitatem, nemo eorum glorias destruat et coronas. Manet incorruptae fidei robur incolume, nec dicere aliquid aut facere contra Christum potest, cujus et spes, et fides, et virtus et gloria omnis in Christo est. Ut ab episcopis contra mandatum Dei fiat, auctores esse non possunt, qui ipsi Dei mandata fecerunt.« Ibid. 56 Ibid. 57 Viderit, an minore vel dedecore, vel crimine apud homines publicaverit, quod admisit. Deum tamen judicem subterfugere et vitare non poterit, cum dicat Spiritus sanctus in Psalmis: quod est imperfectum, viderunt oculi tui; et rel. − Videt ille corda et pectora singulorum, et judicaturus non tantum de factis, sed et de verbis et de cogitationibus nostris, omnium mentes voluntasque conceptas in ipsis adhuc clausi pectoris latebris intuetur. 58 »Denique quanto et fide majore, et timore meliore sunt, qui quamvis nullo sacrificii aut libelli facinore constricti, quoniam tamen de hoc vel cogitaverunt, hoc ipsum apud sacerdotes Dei dolenter et simpliciter confitentur, exomologesin conscientiae faciunt, animi sui pondus exponunt, salutarem medelam parvis licet, et modicis vulneribus exquirunt, scientes scriptum esse: Deus non deridetur.« 59 Minus plane peccaverit non videndo idola, nec sub oculis circumstantis atque insultantis populi sanctitatem fidei profanando, non polluendo manus suas funestis sacrificiis, nec sceleratis cibis ora maculando. Hoc eo proficit, ut sit minor culpa, non ut innocens conscientia. Facilius potest ad veniam criminis pervenire, non est tamen immunis a crimine. Nec cesset in agenda poenitentia, atque in Domini misericordia deprecanda, ne, quod minus esse in qualitate delicti videtur, in neglecta satisfactione cumuletur. 60 Confiteantur singuli, vos quaeso fratres, delictum suum, dum adhuc, qui deliquit, in saeculo est, dum admitti confessione ejus potest, dum satisfactio et remissio facta per sacerdotes apud Dominum grata est, ib. Conf. Epist. 43. ad cornel. 61 Epist. 43 ad Cornel.; Epist. 52 ad Anton. Epist. ad Plebem. 2. <?page no="370"?> 338 Johann Sebastian Drey Atque id plus inde momenti habet, quod apud caeteros altum omnino est 32 hujus rei silentium, tum etiam, quoniam apud illum deprehendere est, quamnam rationem exomologesis tunc temporis ad ipsum poenitentiae negotium habuerit. Neque enim Cypriani tempestate a confessione poenitentia incipiebat, quemadmodum prius: vel duplex potius distinquenda est peccatorum 5 confessio, una, qua quis poenitentiam ecclesiasticam flagitabat aut subibat: altera, qua veniam petebat. Qualis illa prior fuerit, publicane, an secreta apud sacerdotem, ex Cypriano haud liquet; illud autem aliunde constat, eandem mox a Cypriani temporibus lege certa ab Episcopis definitam fuisse. Priorem illam exomologesin poenitentia ipsa sequebatur, quam quidem Cyprianus 10 iisdem fere operibus ac satisfactionibus comprehendit, quibus illam Tertullianus circumscripserat. Hanc si peccator multo tempore sustinuisset, datisque resipiscentiae documentis meliorem vitam ecclesiae spopondisset, ita ut, se receptum iri denuo, sperare posset, tum demum, coram ecclesia scilicet, peccata confitebatur, pacem simul et communionem enixe efflagitans. Qui si 15 probatus esset, tum sacerdos precibus poenitentis annuens, atque pro eo Deum exorans manum imponebat in signum reconciliationis 62 ). Haec quidem quam clarissime elucet ex Cypriani epistolis, unde aliqua tantum testimonia afferre juvat 63 ). Illud denique ex Cypriano satis clare docemur, eam disci- 33 plinae ecclesiasticae regulam fuisse, ut et exomologesis coram episcopo fieret, 20 et poenitenti pax atque remissio ab eodem impertiretur. Hanc regulam Cypriani temporibus adhuc viguisse, nec reliquis Clericis potestatem tum in poenitentes aliquam fuisse, inde concludimus, quod episcopus carthaginiensis emergente casu quodam singulari hanc copian facit suis clericis, ut quamdiu ipse ecclesia sua abesse cogeretur, Presbyteri, aut his deficientibus, etiam Diaconi 25 62 Iste ordo poenitentiae continetur loco supra citato, serm. de laps. »Ante expiata peccata, ante exomologesin factam criminis, ante purgatam conscientiam sacrificio et manu sacerdotis, ante offensam placatam indignantis Numinis. cf. §. 10. not. 2.) [i.e. 54] 63 »Nam cum in minoribus peccatis agant peccatores poenitentiam justo tempore, et secundum disciplinae ordinem ad exomologesin veniant, et per manus impositionem episcopi et cleri jus communicationis accipiant, nunc crudo tempore, persecutione adhuc perseverante, nondum restituta ecclesiae ipsius pace, ad communionem admittitur, et offertur nomen eorum, et nondum poenitentia facta, nondum exomologesi finita, nondum manu eis ab episcopo aut clero imposita eucharistia illis datur, cum scriptum sit: qui ederit panem, aut biberit calicem Domini indigne, reus erit corporis et sanguinis Domini.« Epist. 10 ad Cler. − »Illi contra evangelii legem, vestram quoque honorificam petitionem, ante actam poenitentiam, ante exomologesin gravissimi atque extremi delicti factam, ante manum ab episcopo et Clero in poenitentiam impositam offerre pro illis et eucharistiam dare, id est, sanctum Domini corpus profanare, audent, cum scriptum sit: qui ederit et rel.« Epist. 11 ad Mart. − »Audio quosdam tamen de presbyteris, nec evangelii memores, nec quid ad nos Martyres scripserint, cogitantes, nec episcopo honorem sacerdotii sui et cathedrae servantes, jam lapsis communicare coepisse, offerre pro illis, et eucharistiam dare, cum oporteat ad haec per ordinem pervenire. Nam cum in minoribus delictis, quae non in Deum committuntur, poenitentia agatur justo tempore, et exomologesis fiat inspecta vita ejus, qui agit poenitentiam, nec ad communicationem venire quis possit, nisi prius illi ab episcopo et Clero manus fuerit imposita, quanto magis in his gravissimis et extremis delictis caute omnia et moderate secundum disciplinam Domini observari oportet.« Epist. 12 ad Pleb. <?page no="371"?> 339 Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos (1815) exomologesin morientium excipere, atque reconciliationem dare illis possint 64 ). §. 12. Vergente ad finem saeculo tertio poenitentiae institutum notabiliter est immutatum, unde et formam exomologeseos immutari contigit. Nam ad haec usque tempora, quantum quidem a Tertulliano et Cypriano accepimus, 5 poenitentia agebatur tristi habitu, atque aspera multa agendo, ferendoque: verum penes poenitentes erat, quanam id ratione exsequi vellent, nec operis alicujus forma, nec temporis, quamdiu poenitendum foret, modus aliquis aut terminus erat constitutus, praeterquam quod in gravissimis criminibus semel 34 tantum poenitere, et fere non ante mortem expiari liceret 65 ), levioribus autem 10 peccatis pro poenitentium studiis animisque serius aut citius venia daretur. In eo solum moderari pristinus disciplinae rigor paulatim coepit, ut, quibus olim in ipso etiam mortis discrimine communio negata fuisset, hi nunc reciperent 66 ) verum et hoc moderationis specimen nec apud omnes ecclesias, nec quovis in casu obtinuit. Rei vero totius cura ac regimen penes episcopos erat. 15 Ast jam sub illud tempus, quod notavimus, ista omnia aliter se habere coeperunt. Plura suis jam temporibus mutata refert Cyprianus in diversis epistolis, exigente in hominum causa et circumstantiarum; tum interjecto brevi temporis intervallo apparere sat magnus regularum aut canonum numerus, qui de poenitentia inscribuntur. Fuerant hi canones in diversis conciliis 20 vel recens conditi, vel a more ac consuetudine veterum ad legem traducti; multos etiam episcopi severi morum exactores aut constituerant, aut aliunde collectos in usus ecclesiarum suarum converterant. Horum igitur canonum ope poenitentiae forma undequaque definita et ad systema quoddam revocata est: ipsa poenitentiae opera descripta, et quantum fieri potuit criminum qua- 25 litati accommodata, nullam amplius optionem poenitenti relinquebant. Poenitentium porro classes quaedam constitutae, atque cuivis classi suus habitus designatus, temporis insuper spatium adjectum, quo per singulas classes atque adeo per omne poenitentiae curriculum evadere ad pacem et communionem quemvis oporteret. Antiqua censura remissa est in quibusdam, aucta in aliis. 30 His omnibus ita constitutis episcopi, quibus solita ecclesiarum cura distentis molestias sane graves facessere poterat tam multiplex poenitentium inspectio, onus id a se ipsis remotum ad presbyteros transtulerunt, constituto per singulas ecclesias aliquo, cui a poenitentia moderanda presbyteri poenitentiarii cognomen fuit. 35 64 »Quoniam tamen video, facultatem veniendi ad vos nondum esse, et jam aestatem coepisse, quod tempus infirmationibus assiduis et gravibus infestat, occurrendum puto fratribus nostris, ut qui libellos a Martyribus acceperunt, si incommodo in aliquo et infirmitatis periculo occupanti fuerint, non exspectent praesentiam nostram, quin apud presbyterum quemcunque praesentem, vel si presbyter repertus non fuerit, apud diaconum quoque exomologesin facere delicti sui possint, ut manu eis in poenitentiam imposita veniant ad Dominum cum pace, quam dari Martyres literis ad nos factis desideraverunt. Epist. 14 ad Clem. Conf. Epist. 15. 65 Cyprian. Epist. 42; item Epist. 10. 11. 12. 52; Epist. ad Clerum Rom. 66 Epist. cit. <?page no="372"?> 340 Johann Sebastian Drey Quibus quidem causis ista disciplinae ecclesiasticae immutatio exorta sit, 35 nec demonstrari facile poterit, nec hujus loci est indagare. Illud autem nobis notatu maxime dignum est, nova hac poenitentiae forma vicissitudinem quandam exomologesi quoque inductam fuisse, quae, cum huc usque fere non nisi publica fuerat, privata et secreta evasit. Namque dum poenitentium nullus, 5 quid agendum sibi esset, proprio amplius consilio eligeret, verum ex canonum praescripto et stationem et tempus poenitendi accipere a presbytero poenitentario deberet, ad hunc accedendum fuit; qui nec ipse quidem poenitentis habitum dijudicare, nec quae injungenda ex regulis forent, discernere poterat, nisi is, qui poenitentiam flagitaturus venerat, animi sui causam, peccatorum- 10 que qualitatem exposuisset. Quare cum regulis et poenitentario exorta simul est confessio privata, secreta quidem ea, et pudori minus obnoxia, sed magis etiam exacta et explanata. Quin eadem publicae confessioni derogavit, atque, ut in desuetudinem paulatim veniret, effecit, non quidem mox et ubivis, sed pedetentim, accedentibus nimirum aliis etiam causis, et rerum vicissitudini- 15 bus. Certe qui secreta semel confessione defunctus fuerat, et conscientiae et pudori satisfecisse sibi jure videbatur; et viri ecclesiastici, quorum a saeculo quarto et deinceps extant scripta, publicae confessionis raram mentionem injiciunt, quin imo subsequentibus temporibus legum ecclesiasticarum et episcoporum auctoritate cautum videmus, nequis nisi lubens et sponte peccata sua 20 publice enunciaret, imo ne publicaret omnino; cujus rei testimonia in altera parte hujus dissertationis proferemus. Superest, ut, quibus nixi auctoritatibus ista affirmemus, comprobemus etiam et exponamus. Atque mirandum sane esset, neminem scriptorem illorum temporum, in quae incidit notabilis illa poenitentiae et exomologeseos 25 vicissitudo, ejus rei instituere narrationem, si non compertum haberemus, quemadmodum in multis aliis et hic usu venisse, ut instituta ecclesiastica sensim et in diversis partibus reformarentur, et reformata demum aut jam stabilita in hominum ora venirent, scriptisque traderentur. Quare hoc ipsum nobis in hac materia contingit, ut, dum rei nascentis documenta conquirimus, 30 ea apud scriptores deprehendamus, qui interituram jamjam describunt. So- 36 cratis quippe et Sozomeni historicorum testimoniis aliquid nobis innotescit de origine causisque illius vicissitudinis, de qua sermonem instituimus. Ita enim ille narrat historiae ecclesiasticae libr. V. cap. 19. 67 ) »ex quo tempore Novatiani ab ecclesia discesserant, quoniam illis, qui in persecutione 35 67 Αϕ ο ë υ Ναυατιανοι της εκκλησιας διεκριθησαν, τοις επταικοσιν εω τω επι δεκιου διωγης κοινωνησαι μη δελησαντες, ο ë ι επισκοποι τον πρεσβυτερον τον επι της μετανιοας προςεθεσαν, ο ë πως αν ο ë ι μετα το βαπτισμα πταισαντες επι του προςληθοντες τουτου πρεςβυτερου εζομολογωνται τα α ë μαρτηματα: ë Οντος ο ë κανων κρατει μεχρι νυν εν ταισ αλλαις α ë ιρεσεσι, μονοι δε ο ë ι του ο ë μοουσιου ϕρονηματος, και ο ë ι τουτοισ κατα την πιστιν ο ë μοϕρονες Ναυατιανοι τον επι της μετανοιας πρεςβυτερον παρητη σαντο: Ναυατιανοι μην γαρ ουθε την αρχην την προςθηκην ταυτην εδεζαντο: ο ë ι δε νυν των εκκλη σιων κρατουντες, ε ë ως πολλου ϕυλαζαντεσ, επι νεκταριου του επισκοπου μετεθεσαν . Histor. eccles. l. V. cap. 19. edit. Vales. <?page no="373"?> 341 Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos (1815) sub Decio lapsi fuerant, communicare nolebant, episcopi presbyterum poenitentiae praefecerunt, ut, qui post baptismum peccassent, coram illo presbytero peccata sua confiterentur. Valet ista regula etiamnum apud reliquas sectas, soli autem homoousii dogmatis asseclae, et qui cum his fide conspirant, Novatiani presbyterum poenitentiae praepositum repudiarunt. Etenim No- 5 vatiani ne ab initio quidem additamentum istud receperunt, illi autem, qui nunc ecclesiarum potiti sunt, postquam sat longo tempore id observassent, sub Nectario episcopo semoverunt.« Simili fere modo presbyteri poenitentiarii et confessionis secretae originem narrat Sozomenus, nisi quod ortus ipsius non tempus solum, verum causas 10 etiam pro suo scilicet ingenio adsignet 68 ). »Quandoquidem nil omnino pec- 37 care praestantioris erat naturae, quam quae est in homine, poenitentibus vero, etiamsi saepe peccaverint, veniam impertiri Deus jussit, dummodo in deprecandis debitis simul confiterentur delictum, grave ac molestum ab initio visum est jure sacerdotibus, tanquam in theatro, adstante pro teste frequente ec- 15 clesiae coetu, peccata enumerare. Quare ex presbyteris versatissimis quendam secretorum tenacem et prudentem ei muneri praefecerunt, ad quem peccatores accederent atrociora crimina exposituri. Ille autem pro cujusque delicto quid eum facere aut luere oporteret, ad instar mulctae injungens dimittebat, cum a se ipsis poenam exegissent. Verum Novatianis, quibus nulla poenitentiae ratio, 20 nihil horum opus erat: ast apud caeteras factiones usque nunc illud tenetur sollicite, in occidentis quoque ecclesiis, in Romana maxime, observatur.« − §. 13. Juvat nunc ea, quae hucusque de origine et vicissitudinibus exomologeseos e documentis ecclesiasticis eruta, atque fusius a nobis disputata sunt, brevioris conspectus causa ad paucas positiones contrahere, et coronidis 25 loco hic addere. a.) Cum ex sacris literis ad originem exomologeseos dilucidandam parum certitudinis et claritatis hauriri queat, (§. 2.). b.) eam ipsam originem ex poenitentia publica deducimus, quae apostolorum jam tempore hominibus improbis ab ecclesia proscriptis ad resipiscend- 30 um aut imposita est, aut ultro suscepta (§§. 3. 4. 5.) c.) Erat illa confessio, quemadmodum poenitentia ipsa, publica, gravissimorum nonnisi criminum, sive divulgata jam fuerint inter credentes sive non, reconciliandae imprimis ecclesiae, simul et placandi Numinis causa suscepta (Ibid.). 35 68 Επει γαρ το μη παντελως α ë μαρτειν θειοτερας η κατα ανθρωπον εδειτο ϕυσεως, μεταμελουμενοις δε, και πολλακις α ë μαρτανουσι, συγγνωμην νεμειν ο Âë Θεος παρεκελευσατο, εν τω περιαιτεσθαι συνομο λογειν την α ë μαρτιαν χρεων, ϕορτικον, ως εικως, εζ αρχησ τοισ ι ë ερευσιν εδοζεν, ω ë ς εω θεατρω, υ ë πο μαρτυρι τω πληθει της εκκλησιας, τας α ë μαρτιασ εζαγγελλειν: πρεςβυτερον δε των αριστα πολιτευ μενων εχεμυθον τε, και εμϕονα επι τουτο τεταχασιν, ω ë δε προσιοντες ο ë ι η ë μαρτηκοτες τα βεβιωμενα ω ë μολογουν: ο ë δε προς την ε ë καστου α ë μαρτιαν, ο ë τι χρη ποιησαι, η εκτισαι επιτιμιον δεις απελυε, παρα σϕων αυτων την δικην εισπραζαμενους. Αλλα ναυατιανοις μην, ο ë ις ου λογος μετανοιας, ουδεν τουτο εδεησεν, εν δε ταις αλλαις α ë ιρεσεσιν εις ετι νυν τουτο κρατει επιμελως, και δε εν ταις κατα δυσιν εκκλησιαις ϕυλαττεται, και μαλισταεν τη Πωμαιων. Hist. eccles. l. VII. cap. 16. edit. Vales. <?page no="374"?> 342 Johann Sebastian Drey d.) Deinde vero, ubi auctoritas ecclesiae divina haberi coepit, sanctior etiam confessionis necessitas visa est, multisque argumentis persuasa a sanctis 38 Patribus, quin tamen praecepti cujusdam divini aut ecclesiastici obligationem inducant (§§. 6. 7. 8.) e.) Immo, licet eorundem Patrum testimoniis constet, confessionem non 5 ecclesiae solum, sed Deo simul fieri solitam, ipsam peccatorum remissionem Deo passim reservabant. Negari tamen nequit, saeculo jam secundo usurpatum fuisse formulam: ecclesiam remittere peccata (§§. 9. 13.). f.) Poenitentia et peccatorum confessio Cypriani jam temporibus ad leges quasdam disposita (§. 11.), non ita multo post notabiliter est reformata. Qua 10 mutatione factum est, ut exomologesis huc usque publica, ecclesiae scilicet et sacerdotibus facta ex instituto ecclesiastico, in secretam abierit, constituto presbytero poenitentario, apud quem unusquisque, qui poenitentia egeret, privatim sua peccata confiteretur. Mansit tamen poenitentia publica; raro autem ex hoc tempore poenitens aliquis publice confitebatur (§. 12.). 15 Perorabit praeses − de dogmatum christianorum incremento institutioni di- [39] vinae haud adverso. 1 Ad praescindenda quaevis immatura et inconsiderata judicia, idoneum visum est hic subtexere canones, quibus Synodus Tridentina doctrinam catholicam de confessione comprehendit. 2 20 Canon VI. Siquis negaverit confessionem sacramentatem vel institutam, vel ad salutem necessariam esse jure divino; aut dixerit, modum secrete confitendi soli sacerdoti, quem ecclesia catholica ab initio semper observavit et observat, alienum esse ab institutione et mandato Christi, et inventum esse humanum; 25 anathema sit. 1 Drey hielt zum feierlichen Abschluß des Disputation eine Oratio zu dem hier angegebenen Thema; ob die 1819 im Konstanzer Pastoralarchiv veröffentlichte Oratio de dogmatum christianorum incremento institutioni divinae haud adverso (in: Archiv für die Pastoralkonferenzen in den Landkapiteln des Bisthums Konstanz 18, 1819, II 89-101) textlich mit der Rede vom September 1815 übereinstimmt, läßt sich nicht mehr sicher feststellen. 2 Die nachfolgend von Drey angeführten Texte sind dem Dekret des Konzils von Trient über das Sakrament der Buße entnommen (Sess. XIV, 25.11.1551, Can. VI-VIII [Denz. 1706-1708]). <?page no="375"?> 343 Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos (1815) Canon VII. Siquis dixerit, in sacramento poenitentiae ad remissionem peccatorum necessarium non esse jure divino confiteri omnia et singula peccata mortalia, quorum memoria cum debita et diligenti praemeditatione habeatur, etiam occulta, et quae sunt contra duo ultima decalogi praecepte, et circumstantias, 5 quae peccati speciem mutant; sed eam confessionem tantum esse utilem ad erudiendum et consolandum poenitentem, et olim observatam fuisse tantum ad satisfactionem canonicam imponendam; aut dixerit eos, qui omnia peccata [40] confiteri student, nihil relinquere velle divinae misericordiae ignoscendum; aut demum non licere confiteri peccata venialia; anathema sit. 10 C anon VIII. Siquis dixerit confessionem omnium peccatorum, qualem ecclesia servat, esse impossibilem, et traditionem humanam, a piis abolendam; aut ad eam non teneri omnes et singulos, utriusque sexus, Christi fideles juxta magni lateranensis concilii constitutionem semel in anno, et ob id suadendum esse Christi 15 fidelibus, ut non confiteantur tempore quadragesimae; anathema sit. Sess. XIV. de Sanct. Poenit. Sacr. <?page no="376"?> 344 Johann Sebastian Drey Von Drey angeführte Literatur (Winfried Werner) G abriel A lbaspinaeus − D ionysius P etavius − N atalis A lexander (S. IV) 1 . J acobus B oileau , Historia Confessionis auricularis ex antiquis Scripturae, patrum, pontificum & conciliorum monumentis cum cura et fide expressa. Lutetiae Parisiorum 1683. (S. IV f, 22) 2 . J oannes D allaeus , De sacramentali sive auriculari latinorum confessione disputatio. Genevae 1661. (S. IV f). J ohann J acob G riesbach , Novum Testamentum Graece. Textum Ad Fidem Codicum Versionum Et Patrum Emendavit Et Lectionis Varietatem Adiecit. Teil 1: Evangelia Et Acta Apostolorum Complectens. Halae 1777. (S. 4) 3 . J ohann H einrich H einrichs , Acta Apostolorum Graece perpetua annotatione illustrata (= J ohann B enjamin K oppe , Novum Testamentum Graece perpetua annotatione illustratum, Vol. 3.1-2). Vol. 3.2: Cap. 13-fin. Gottingae 1812, 159 f (zu Apg 18, 18). (S. 5) 4 . J oannes M orinus , Commentarius historicus de disciplina in administratione sacramenti poenitentiae. Paris 1651. (S. IV). N atalis A lexander , Historia ecclesiastica veteris novique testamenti ab orbe condito ad annum p. Chr. n. 1600. Paris 1699. (S. 4) 5 . D ionysius P etavius , Tu En Hagiois Patros Hemon Epiphaniu Konstanteias ... Hapanta Ta Sozomena = Sancti Patris Nostri Epiphanii Constantiae ... Opera Omnia in duos tomos distributa. Dionysius Petavius Aurelianensis recensuit, Latine vertit, et animadversionibus illustravit. Cui accessit Vita Dionysii Petavii ab 1 D rey gibt an dieser Stelle nicht an, welche thematisch einschlägigen »kürzeren Dissertationen« dieser Autoren hier gemeint sind. 2 Dieses Werk ist im Büchernachlaß D reys verzeichnet (siehe W erner , Büchernachlaß (wie Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 40) 417). 3 Aus den Notizen in D reys Theologischem Tagebuch (TüA 1, 222 und 225) geht hervor, daß D rey dem Werk von G riesbach auch die erwähnten Stellen der syrischen und arabischen Übersetzungen (letztere in der Ausgabe von T homas van E rpen ) entnommen hat. - G ries bachs NT befand sich im Büchernachlaß D reys (siehe W erner , Büchernachlaß (wie oben) 423). 4 Auch dieses Werk benutzte D rey im Theologischen Tagebuch bei seinen Materialsammlungen zur Beichtthematik; siehe TüA 1, 223. 5 Titel späterer Ausgaben leicht variierend. − Nach Auskunft seines Theologischen Tagebuchs (= TüA 1, hier 247-250, 254-259) benutzte und exzerpierte D rey die Ausgabe Paris 1730: Natalis Alexandri [...] Historia Ecclesiastica Veteris Novique Testamenti. Ab Orbe Condito ad Annum Domini MDC. Et in loca ejusdem insignia Dissertationes Historicae, Chronologicae, Criticae, Dogmaticae [...]. Tomus Septimus, saeculum Decimum-Tertium, & Decimum-Quartum continens. Parisiis 1730; zu der oben angegebenen Stelle »Tom. VII. pag. 587« siehe bes. TüA 1, 254. <?page no="377"?> 345 Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos (1815) Henrico Valesio Oratione descripta. Ed. nova iuxta Parisinam Anni MDCXXII adornata. Coloniae 1682. (S. 22). [B eda P racher ], Ueber die Nothwendigkeit der Ohrenbeicht, in: Jahrschrift für Theologie und Kirchenrecht der Katholiken, Bd. 3 (1813), Heft 3, 435-503. (S. V). D ionysius S ammarthanus (D enis de S ainte -M arthe ), Traite ´ de la confession contre les erreurs des Calvinistes. Paris 1685. (S. IV). J ohann F riedrich S chleusner , Novum lexicon Graeco-Latinum in Novum Testamentum congessit et variis observationibus philologicis illustravit. Leipzig 1792. (S. 4 f). J ohann C aspar S chweitzer , Joh. Caspari Suiceri Thesaurus ecclesiasticus e Patribus Graecis ordine alphabetico exhibens: quaecunque phrases, ritus, dogmata, haereses, & huiusmodi alia spectant. 2 Bde., Amstelaedami 1682 [ 2 1728]. (S. 5) 6 . Socratis Scholastici et Hermiae Sozomeni Historia ecclesiastica. Henricus Valesius Graecum textum emendavit, Latine vertit, et annotationibus illustravit. Moguntiae 1677. (S. 36). G ottlob C hristian S torr , Dissertatio exegetica in epistolam Jacobi. Tubingae 1784. (S. 3) 7 . 6 D rey benutzte S chweitzers Thesaurus im Theologischen Tagebuch unter anderem bei seinen Materialsammlungen zur Beichtthematik; siehe TüA 1, 217. 7 D rey erwähnt in seinem Theologischen Tagebuch (= TüA 1, hier 224) kurz S torrs Auslegung zu »Jac. V. 16.« (Beichte vor dem Priester). <?page no="379"?> Text Nr. 5: Oratio de dogmatum christianorum incremento institutioni divinae haud adverso [Oratio] Teil A: Einleitung von Max Seckler I. Bibliographische Angaben Die Veröffentlichung erfolgte unter dem Titel Oratio de dogmatum christianorum incremento institutioni divinae haud adverso in dem von I gnaz H einrich von W essenberg als Generalvikar (seit 1802) und Bistumsverweser (seit 1817) der Diözese Konstanz herausgegebenen Archiv für die Pastoralkonferenzen in den Landkapiteln des Bisthums Konstanz, Jahrgang 18 (1819) Band 2, Heft 8, 89-101. Unter dem Titel steht in Klammern: Authore D re Drey, Professore Facultatis Theologiae catholicae in Universitate Tübingana. Der Text ist in die Rubrik Abhandlungen als Nr. II eingefügt. Er hat einen Umfang von 13 Druckseiten. Am Ende des Textes findet sich eine unter einem Asteriskus angehängte Anmerkung der Schriftleitung (101-103). Es gibt von diesem in lateinischer Sprache verfaßten Text keine Übersetzungen und keine Nachdrucke. Er wurde - im Gegensatz zur Revisionsschrift (siehe Text Nr. 1) - von W essenberg nicht in seine spätere Anthologie Die wichtigsten Ergebnisse der Pastoralkonferenzen im Bisthum Konstanz von 1802-1827 in systematischem Zusammenhang geordnet, oder: Das Archiv für die Pastoralkonferenzen im Bisthum Konstanz, im Auszuge, (8 Bde., Ehingen a.d.D. 1835-1839) aufgenommen. Als Arbeitstitel wird die Bezeichnung Oratio verwendet. II. Erläuterungen 1. Thema, Aufgabenstellung und Charakter der Oratio Der Titel der Druckschrift ist streng sachlich gehalten. Er gibt Auskunft über die literarische Gattung, der sie zuzuordnen ist (Oratio), über ihr Thema (de dogmatum christianorum incremento) und ihr Beweisziel (institutioni divinae haud adverso), letzteres in Form einer assertorischen These, in der das Ergebnis angekündigt wird. Daß es in ihr um eine D rey persönlich und aktuell bedrängende Angelegenheit geht, ist im Titel nicht angezeigt, desgleichen nicht, ob es sich bei dem Text um eine literarisch fingierte oder um eine tatsächlich gehaltene Rede handelt. Aus dem Inhalt geht hervor, daß D rey sie vor einem hohen Gremium an der Friedrichsuniversität in Ellwangen mündlich vorge- <?page no="380"?> 348 Erläuterungen tragen hat. Der Zeitpunkt, zu dem das geschah, ist nicht angegeben, aber der institutionelle Rahmen, in dem die Rede stattfand, ist angedeutet. Thematisch gesehen enthält sie systematische Ausführungen zu dem im Titel angeführten Sujet, das zum Gebiet der dogmatischen Prinzipien- und Methodenlehre gehört, handlungsleitend ist dagegen die Absicht, die Dissertatio historicotheologica originem ac vicissitudines exomologeseos in ecclesia catholica ex documentis ecclesiasticis illustrans (»Beichtschrift«), die D rey als Disputationsvorlage für die Finalprüfungen am Ende des Studienjahres 1814/ 15 verfaßt und dort am 18. September 1815 vorgetragen hatte (siehe Text Nr. 4), zu verteidigen und ihre Methode wie auch ihr Ergebnis zu rechtfertigen. Es handelt sich mithin um eine Apologie der Beichtschrift (BS) von 1815. Der Text hat fast den Charakter einer Gerichtsrede, der Autor befindet sich in einer aufgewühlten Verfassung. Da D rey die Oratio im Redetext ausdrücklich auf die Disputation von 1815 und auf die dortige dissertatio (BS) bezieht und dabei bekundet, er wolle jetzt die bis dato ausstehenden prinzipiellen Erläuterungen zu den Leitideen jener Abhandlung vorlegen, steht der enge Zusammenhang zwischen beiden zweifelsfrei fest. Es handelt sich bei der Oratio offensichtlich um den zweiten, systematischen Teil der Beichtschrift, der nun nachgeliefert wird. Daß ein solcher Fortsetzungsteil von D rey schon 1815 geplant war, geht aus folgendem hervor. Auf dem Titelblatt des gedruckten Exemplars der dissertatio (BS) ist vermerkt, dieser Text sei der erste Teil (sectio I ma ) [eines größeren Projekts; siehe Text Nr. 4, Titelblatt]. Zu diesem Projekt gab D rey dann in der Einleitung der dissertatio (BS) diese Erläuterung: Die historische Untersuchung, die er hier vorlege, sei als ein Probebeispiel (specimen) gedacht, die übrigen Teile (reliquas partes), die die Ebene einer historisch-kritischen Befunderhebung überstiegen, würden früher oder später (citius aut tardius) hinzukommen. Um wieviele Teile es sich handeln werde, gab D rey damals nicht an. Sie sind unauffindbar und scheinen so, wie sie von ihm ursprünglich geplant waren, nie realisiert worden zu sein. Doch aus inneren und äußeren Befundmerkmalen ergibt sich eindeutig, daß D rey mit dem Text der Oratio das bisher Versäumte nachholen wollte und sie mithin als zweiten, systematischen Teil der Beichtschrift ansah und präsentierte. 2. Ist der Text der Oratio bereits 1815 entstanden? Im Druckexemplar der von D rey am 18. September 1815 als Disputationsvorlage eingebrachten und vorgetragenen dissertatio (BS) findet sich am Ende der Abhandlung ein Anhang, der typographisch als eigener Punkt im Programm der Veranstaltung formatiert ist. Es gehörte zum Ritus des Disputationskomplexes, daß der wissenschaftliche Leiter der Disputation, der auch die Disputationsvorlage geliefert hatte, am Ende ein Schlußwort in Gestalt <?page no="381"?> 349 Oratio de dogmatum christianorum incremento (1819) einer die Ergebnisse zusammenfassenden Abschlußerörterung vortrug. Sie wurde nomenklatorisch als peroratio geführt. Sie figuriert im vorliegenden Fall im Druckexemplar auf Seite 39 mit der Titelformulierung: Perorabit praeses − de dogmatum christianorum incremento institutioni divinae haud adverso. Damit ist zugleich der Gegenstand und das Ergebnis jener peroratio angegeben. Dazu enthält der gedruckte Text der Beichtschrift die nackte Wiedergabe der Canones VI-VIII des vom Konzil von Trient in der 14. Sitzung am 25. November 1551 verabschiedeten Dekrets über das Bußsakrament 1 . In der mit kaum drei Zeilen sehr kurz gehaltenen Vorbemerkung zu dieser Dokumentation heißt es sinngemäß, mit der Wiedergabe der Lehre des Konzils solle unreifen und unüberlegten Beurteilungen der dissertatio (BS) vorgebeugt werden (S. 39; vgl. dazu Einleitung zu Text Nr. 4, Ziff. II.1.f). Es ist anzunehmen, daß D rey in seinem Schlußwort (peroratio) diese Canones nicht nur zitierte, sondern sie wohl auch erläuterte und in Beziehung zu seiner dissertatio (BS) setzte, derart, daß deren dogmatische Korrektheit gesichert sein sollte. Er kann dabei auch die im Titel der peroratio angekündigten Ausführungen zu einem incrementum der Dogmen, das ihrer göttlichen Einrichtung nicht entgegenstehe, vorgetragen und auf die dissertatio (BS) angewendet haben. Ob er den Wortlaut seiner Erläuterungen vorher zu Papier gebracht hatte oder sich mit einigen Notizen begnügte und im übrigen frei gesprochen hat, ist unbekannt. Dazu ist nichts überliefert, weder beschreibend noch textuell. Es fällt nun aber auf, daß der Titel der 1819 veröffentlichten Oratio (d.h. unser Text Nr. 5) wörtlich mit der Überschrift der peroratio von 1815 übereinstimmt. Man hat deshalb angenommen, daß es sich beim Text der Oratio »um den Druck der Abschlußrede Dreys gelegentlich der feierlichen September-Disputation an der Friedrichs-Universität in Ellwangen 1815« 2 handle. Diese Annahme kann jedoch unmöglich richtig sein. Bereits die oben bei der Beschreibung der peroratio festgestellten Sachverhalte sprechen gegen sie. Vor allem aber führt eine Analyse des Textes der Oratio zu dem Schluß, daß es sich bei ihr um Ausführungen handelt, die wesentlich später und in einer neuen Situation entstanden sein müssen. Man weiß zwar, daß der Inhalt der dissertatio (BS) schon bei der Disputationsveranstaltung am 18. September 1815 als heikel empfunden wurde und daß es schon in deren Vorfeld Probleme mit ihr gab. Dafür spricht auch die oben angeführte Vorbemerkung in der peroratio. Sie deutet darauf hin, daß die universitäre Zensurbehörde, der jede Disputationsdissertation zur Genehmigung vorgelegt werden mußte, bevor sie die Druckerlaubnis gab, Bedenken geltend gemacht und Vorsichtsmaßnahmen 1 Vgl. Denz. 1706-1708 (im Druckexemplar der dissertatio S. 39-40). 2 A braham P eter K ustermann / E ugen F esseler , Bibliographie der Schriften Johann Sebastian Dreys, in: A braham P eter K ustermann (Hg.), Revision der Theologie - Reform der Kirche. Die Bedeutung des Tübinger Theologen Johann Sebastian Drey (1777-1853) in Geschichte und Gegenwart. Würzburg 1994, 309-339, 317, Anm. 1. <?page no="382"?> 350 Erläuterungen angeordnet hatte (siehe Einleitung zu Text Nr. 4, Ziff. II.1.f). Aber im Nachgang zu der Disputation gab es dann doch große Probleme mit der dissertatio (BS). D rey wurde wegen ihr in Rom angezeigt, und es kam dort zu einem amtlichen Verfahren, das in der Folgezeit eskalierte (siehe ebd., Ziff. II.4). Der Streit um die dissertatio (BS) wurde dann zunehmend auch öffentlich ausgetragen. Vor dieser neuen Situation ist die Oratio zutiefst gekennzeichnet, sie ist durchbebt von der Wucht dieses Streites (lis), auf den D rey in ihr ausdrücklich Bezug nimmt. Um eine ad-hoc-Überarbeitung der peroratio von 1815 kann es sich bei der Oratio deshalb nicht handeln. Wohl aber ist davon auszugehen, daß D rey bereits in der peroratio von 1815 die Problemsicht und das Lösungsmodell vor Augen hatte, welche er dann später in der Oratio systematisch darlegte und druckreif ausformulierte. Dafür spricht die Überschrift der peroratio, die mit dem Titel der Oratio wörtlich übereinstimmt. Diesen systematischen Teil hatte er ja bereits in der Titelei und in der Vorbemerkung der dissertatio (BS) - und unabhängig von der peroratio - »früher oder später« in Aussicht gestellt. Mit dieser Zeitangabe konnte er unmöglich die peroratio gemeint haben, die ja in derselben Veranstaltung stattfand. 3. Zum Inhalt der Oratio Der Umstand, daß D rey zur Präzisierung seines Vorhabens im Titel der Oratio den Terminus incrementum und im Redetext die Pluralform incrementa verwendet, bedeutet eine Verschärfung der Fragestellung. Der Sache nach betreffen seine Ausführungen zwar ein Problem der Dogmengeschichte, näherhin der Dogmenentwicklung, und D rey selbst verortet sie auch dort. Aber während die üblicherweise verwendeten Metaphern der Dogmenentwicklung bzw. Dogmenentfaltung an Vorgänge der inneren Ausgestaltung der Dogmen denken lassen und unausweichlich einen ihre Verwendung steuernden, aber auch verharmlosenden Theoriehintergrund voraussetzen, begibt D rey sich nicht auf diese Geleise. Die Termini incrementum incrementa besagen, daß es in den Augen D reys ein Anwachsen der Dogmen oder einen Zuwachs an Dogmen gab. Daß es ein solches Wachstum in der Geschichte der Glaubenslehre, des Kultus und der Kirchendisziplin gab, ist für D rey eine von der historischen Forschung gesicherte Tatsache, die hinzunehmen ist und der er sich stellen will. Die dissertatio (BS) von 1815 hatte er selbst ja doch als specimen für eine solche historisch-kritische Befunderhebung vorgelegt. An den historischen Tatsachen aber kommt der Dogmatiker nicht vorbei, wenn er sich den geschichtlichen Realitäten und der Arbeit der Historiker nicht prinzipiell verschließen will. Die historischen Befunde sind somit eine Instanz, die es zu achten gilt. Einmal unverrückbar festgestellt, sind sie theologisch zu akzeptieren und dogmatisch zu reflektieren. Das sind die Voraussetzungen, unter denen D rey in der Oratio als dem zweiten, ins Grundsätzliche gehenden <?page no="383"?> 351 Oratio de dogmatum christianorum incremento (1819) Teil seines Projektes das Problem der Dogmengeschichte theologisch reflektiert, mit dem Ziel, die historischen Entwicklungen aus den für sie geltenden Wachstumsgesetzen heraus zu erklären und auch zu legitimieren. Der entscheidende Punkt liegt in der Frage, ob die Anerkenntnis von historischen Befunden, aus denen ein Anwachsen oder ein Zuwachs der Dogmen abzuleiten ist, mit dem für alle Dogmen konstitutiven Merkmal einer göttlichen Einsetzung vereinbar ist. Diese Frage bejaht D rey mit eben der Entschiedenheit, die sich bereits im Titel der Oratio ankündigt. Die Rede ist gänzlich darauf angelegt, die geschichtliche Notwendigkeit und die theologische Legitimität einer substantiellen Dogmenentwicklung im Willen und im Beispiel Jesu Christi zu begründen und ineins damit die Gesetzmäßigkeiten aufzuzeigen, denen die Substanz des Christlichen auf ihrem Weg durch die Geschichte unterliegt und aus sich selbst heraus sich unterzieht. Von der Beichte ist in der Oratio kategorial nicht mehr die Rede, wohl aber wird nun eine Theorie der Dogmenentwicklung vorgelegt, die es erlaubt, auch die Thesen der dissertatio (BS) unter ihr schützendes Dach aufzunehmen, derart, daß das Wissensgewissen des Historikers und die Axiome der dogmatischen Prinzipienlehre miteinander versöhnt werden. 4. Ihr Aufbau Der im Konstanzer Pastoralarchiv veröffentlichte Text der Oratio weist keine Zwischenüberschriften auf. Er umfaßt ohne besondere Gliederungskennzeichnung (a.) einleitende Vorbemerkungen (2 Seiten), (b.) das argumentative Hauptstück (9 1/ 2 Seiten) und (c.) ein kurzes Schlußwort (1/ 2 Seite). Am Ende (d.) ist eine Anmerkung der Schriftleitung im Umfang von 2 1/ 2 Seiten angefügt. a. Die Vorbemerkungen D rey spricht, wie er einleitend feststellt, vor der selben »höchstansehnlichen Versammlung«, vor der unlängst (nuper) die Disputation seiner dissertatio (BS) stattgefunden habe. Inzwischen sei ein Streit entstanden, der auf die Kürze seiner damaligen Ausführungen zurückzuführen sei. Jetzt, da er die Gelegenheit dazu erhalten habe 3 , wolle er ausführlicher zu Werke gehen und einsichtiger darstellen, um was es in der Streitfrage hauptsächlich gehe. Vielleicht könne er den Streit damit beilegen, zumindest wolle er es gewiß machen, daß niemand mehr rechtens behaupten kann, die Geschichte widerstreite dem 3 Diese Bemerkung ist aufschlußreich. Der Streit um die dissertatio war zu dem Zeitpunkt, zu dem D rey die Rede hielt, offensichtlich so eskaliert und wurde an der Friedrichsuniversität als derart bedrängend empfunden, daß man ihm die höchstmögliche inneruniversitäre Plattform, das akademische Festplenum der Universität, für seine wissenschaftliche Selbstverteidigung zugestand bzw. zuwies (nunc vero, cum hanc dicendi opportunitatem nactus sum [90]). <?page no="384"?> 352 Erläuterungen Dogma (woraus sich ergibt, daß das auch für die Ergebnisse der dissertatio (BS) von 1815 gelten muß). Er habe vielleicht eine neue und wohl ganz und gar ungewohnte Fragestellung entwickelt und eine Lehrmeinung vertreten, die nicht von allen gebilligt werde. Jetzt gehe es darum, unabhängig von den daraus entstandenen Mißlichkeiten das Gewicht der Sache und die Kraft der Argumente für sich sprechen zu lassen. Für das, was er jetzt aus dem Innersten der heiligen Lehre heraus (ex ipsis doctrinae sacrae visceribus) über das rechte und legitime Anwachsen der christlichen Dogmen darlege, wünsche er sich kompetente und wohlwollende Zuhörer. D rey appelliert dafür an die humanitas der Hörer (humanitas im Sinne einer höheren und verstehensoffenen Bildung, die zur Unparteilichkeit befähigt): pro vestra humanitate (letzter Satz der Vorbemerkungen). D rey spricht, wie auch aus anderen Wendungen der Oratio hervorgeht, in einer Situation der Bedrängnis und der Erregung 4 . Bei dem Auditorium, dem er seine Auffassung darlegt und die causa vorlegt, handelt es sich um das höchste akademische Gremium im katholischen Teil Württembergs, das Plenum der Friedrichsuniversität. Die Gelegenheit, zu diesem zu sprechen und vor ihm sich zu rechtfertigen, war ihm zugestanden oder vielleicht sogar auferlegt worden. Der Streit um ihn hatte sich zum Zeitpunkt der Rede offenbar so zugespitzt, daß dieses Verfahren tunlich erschien. Diese Situation war im Gefolge des Breves P ius ’ VII. vom 26. März 1817 und des Briefes C onsalvis vom Tag danach eingetreten. Man war nun an der Friedrichsuniversität und in Stuttgart hochgradig alarmiert. b. Der argumentative Hauptteil D rey gliedert den Gedankengang in acht durchnumerierte Abschnitte folgenden Inhalts: (1.) Präzisierung des status quaestionis gegenüber möglichen 4 Das Sommersemester 1817, während welchem diese Veranstaltung stattfand, war das letzte in Ellwangen. Durch Dekret vom 25. Oktober 1817 wurde die Friedrichsuniversität nach Tübingen transferiert, die Ellwanger Professoren fanden sich im Spätherbst in Tübingen ein, der Lehrbetrieb wurde dort verspätet im Dezember 1817 aufgenommen, doch ohne D rey . Dieser hatte für das Wintersemester 1817/ 18 einen halbjährigen Krankheitsurlaub zugestanden bekommen. Den Kalendernotizen, in denen er während dieser Monate häufig auch persönliche Angelegenheiten festhielt, ist zu entnehmen, daß er anhaltend unter schweren Depressionen litt. In der Forschung ist dieser Zustand als erste, schwere Gesundheits-, ja Lebenskrise D reys bekannt. Sie muß zu dem Zeitpunkt, zu dem D rey um den Krankheitsurlaub einkam, in einem akuten Stadium gewesen sein. Es spricht alles dafür, in dieser Krise eine Nachwirkung der Verwicklungen um die Beichtschrift von 1815 zu sehen, die im Sommersemester 1817 ihren Höhepunkt erreicht hatten (siehe unten Ziff. II.5). Vgl. dazu die Kalendernotizen vom 12., 13., 15., 16., 19., 21.-24., 26.-31. Januar 1818, 6., 7. Februar, 4., 5., 14., 15., 17.-19., 24., 26. und 27. März 1818. Die Eintragungen D reys für die Zeit von Januar bis Mai 1818 sind vollständig ediert bei A braham P eter K ustermann , »Post meridiem profectus Sum Elvaco Tubingam« - Nach Mittag Aufbruch von Ellwangen nach Tübingen. Der Abschied Johann Sebastian Dreys von Ellwangen im Spiegel seiner Kalender-Notizen von Januar bis Mai 1818, in: EllwJB 37 (1997/ 98) 164-191 (Text der Notizen ebd. 171-191). (Die Kalendernotizen der Jahre 1816 und 1817 sind gegenwärtig trotz intensiver Bemühungen in der Bibliothek des Wilhelmsstifts nicht mehr auffindbar). <?page no="385"?> 353 Oratio de dogmatum christianorum incremento (1819) Einwänden, die summarisch umschrieben werden. Er sei überzeugt, daß ein gewisser Anwuchs der Dogmen ihrer göttlichen Stiftung nicht widerstreite. (2.) D rey stellt seine Auffassung vom Wachstum der christlichen Lehre dem Theologumenon von der Perfektibilität der Offenbarung oder der christlichen Glaubenslehre entschieden entgegen und grenzt diese seine Position vehement von der Perfektibilitätsdoktrin protestantischer Theologen ab. (3.) Nicht menschliche Weisheit bringe das Wachstum zustande, sondern die Weisheit Gottes. Der Sache Christi wohne eine Kraft inne, die sie von Tag zu Tag zum Blühen bringe. Dies dürfe man nicht nur sagen, man müsse es. Das wolle er nun schrittweise erläutern. (4.) Die frohe Botschaft vom Reiche Gottes soll im Laufe der Zeit den ganzen Erdkreis durchdringen und das ganze Menschengeschlecht umfassen, was nur im Fortgang der Geschichte möglich sei und in Prozessen der Inkulturation und Adaption. (5.) Die christliche Religion sei von ihrem Stifter zugerüstet, sich und ihre Heilsmittel in die verschiedensten Zeiten und Völker und in die unterschiedlichsten menschlichen Verhältnisse voll einbringen zu können. (6.) Christus selbst habe zu seiner Zeit so gehandelt, und er habe seine Jünger dazu angehalten, es nach seinem Vorbild gleichfalls zu tun. Er wollte auch, daß seine Lehre sich bei denen, die sie angenommen haben, weiter ausbilde. (7.) Der Heilige Geist, den er verheißen und seiner Kirche eingepflanzt hat, sei ein lebendiger Geist und eine die Ausbreitung des Evangeliums in allen Belangen lenkende Kraft. (8.) Es sei der eine und selbe lebendige Geist, der den Samen zum Baum heranwachsen läßt, der das Teppichmuster uns allmählich besser erkennen lehrt, uns Schritt für Schritt den Gipfel des Berges ersteigen hilft und uns zur Ausgestaltung des herrlichen Tempels, der die Kirche ist, befreit. c. Der Schluß Die Rede endet mit einem Appell an die Kritiker: Es möge sich nun also die Ängstlichkeit der Kleinmütigen beruhigen, es solle die Anfeindung der Widersacher verstummen. Vom Wachstum der Dogmen sei nichts zu fürchten. Denn - und damit verdeutlicht D rey , was er genau damit meinte, als er am Ende des Vorwortes die Entwicklung der Dogmen aus dem Innersten der Glaubenslehre (ex ipsis doctrinae sacrae visceribus) herleiten zu wollen ankündigte - nichts Fremdes ist der Zuwachs der Dogmen, sondern Eigenes, nicht von anderswoher aufgenommen ist er, sondern dem Inneren entsprossen, nicht regelwidrig oder zufallsbedingt ist er hinzugekommen, sondern von Christus als Urheber zubereitet, damit er bei denen weiterreife, denen er die Obsorge für seine Sache anvertraute. Was er pflanzte, wird vom Geist zur Reifung gebracht und von der Kirche zur rechten Zeit in die Scheunen eingebracht; die Ehrfurcht, die ihm entgegenzubringen ist, darf nicht geringer sein, als wenn es von Anfang gegeben gewesen wäre. <?page no="386"?> 354 Erläuterungen d. Die Anmerkung der Schriftleitung Ähnlich wie 1812 bei der Revisionsschrift ist auch hier dem Text D reys eine Stellungnahme der Redaktion angehängt, jedoch mit aufschlußreichen Unterschieden. Im Falle der Revisionsschrift war es eine hitzige fachliche Auseinandersetzung mit dem Geschichtsbild und den Revisionszielen D reys in Form zweier kritischer Rezensionen, als deren Verfasser M ets und B urg sich zu erkennen gaben (siehe in der Einleitung zu Text Nr. 1, Ziff. II.8.a. α ), während die von der Redaktion dazu angebrachte Fußnote maßvoller ausgefallen war. Bei der Oratio dagegen hat die Stellungnahme der Redaktion (d.h. wiederum W essenbergs ) den Charakter einer autoritativen Klarstellung, in der eine höhere Intelligenz in Aktion tritt. Sie ist in ihrem Tenor wohlwollend und bejahend, ist aber doppelbödig. Konzediert wird, daß eine »spezielle Entwikelung« der von D rey vorgelegten Idee »nicht anders, als höchst anziehend und lehrreich seyn« könnte. Doch dann werden die Grundsätze in Erinnerung gerufen, die für die Arbeit des Dogmenhistorikers verbindlich seien. Es sind die Prinzipien der dogmatischen Erkenntnislehre in ihrer herkömmlichen schultheologischen Fassung. Gerade sie hatte D rey in der dissertatio (BS) und in der Oratio vermittels seiner Anwuchstheorie aber aufsprengen und verflüssigen gewollt. Indem W essenberg - bewußt oder unbewußt? - die Ausführungen D reys plattfüßig im Licht der orthodoxen schultheologischen Prinzipienlehre »deutet«, sie also auf sie zurückschneidet, zieht er ihnen den Giftzahn. Man kann sich fragen, ob W essenberg hier in der Eile D rey mißverstanden hat, oder ob er, die Verwegenheit der »Idee« D reys erkennend, mit seiner naiven Klarstellung D rey zu kritisieren die Absicht hatte. Verharmlosend ist seine Deutung der Oratio auf jeden Fall. Es ist indessen möglich, ja wahrscheinlich, daß er mit seiner orthodox bemühten Auslegung der Oratio D rey angesichts des gegen ihn laufenden Lehrzuchtverfahrens schützen wollte. Dafür könnten neben seiner Sympathie für D rey und außer der notorisch gewordenen Gefahrenlage auch der an und für sich nicht mehr erwartbare Zeitpunkt der Veröffentlichung des Redetextes sprechen. D rey hatte die Rede höchstwahrscheinlich im Sommer 1817 gehalten, mit Sicherheit vor der Transferierung der Friedrichsuniversität von Ellwangen nach Tübingen, die wie gesagt im Herbst 1817 erfolgte. Daß er und W essenberg sich 1819 ohne gewichtigen Grund für den Druck des inzwischen angestaubten Manuskripts entschieden haben könnten, ist kaum vorstellbar. Wußte man 1819 in Konstanz (W essenberg ), Rottenburg (K eller , J aumann ), Stuttgart (W erkmeister ) und Tübingen (D rey ), daß in Rom in der Causa D rey ein neues Schreiben mit neuen Maßnahmen gegen D rey vorbereitet wurde (siehe Einleitung zu Text Nr. 4, Ziff. II.4.c)? Daran ist nicht zu zweifeln. D rey und W essenberg hofften wohl, mit dem Druck der Oratio den Römern den Wind aus den Segeln nehmen zu können. In diesem Kontext <?page no="387"?> 355 Oratio de dogmatum christianorum incremento (1819) findet die »Anm. d. Red.« die beste Erklärung. Im übrigen hatte der Praktiker W essenberg an dogmentheoretischen Spitzfindigkeiten, um die es in seinen Augen wohl ging, bekanntlich kein Interesse. Deshalb ist die »Anm. d. Red.« wohl als fürsorgliche flankierende Schützenhilfe aufzufassen. 5. Datierung der Oratio Den obigen Feststellungen zum Anlaß, Inhalt und Ziel der Oratio sind Eckdaten für ihre Datierung zu entnehmen. Dazu gehört ihre enge Beziehung zur Examensdisputation vom 18. September 1815 und zu der dissertatio (BS) über die Entstehung der Ohrenbeichte, die D rey als Disputationsvorlage in sie eingebracht hatte. Um diese dissertatio (BS) und die in ihr verhandelte Sachfrage ist inzwischen wie gesagt einheftiger Streit ausgebrochen, den D rey mit den Klarstellungen, die er in der Oratio vornimmt, beilegen zu können hofft. Mit der prozeduralen Verortung der Oratio im Streit um die dissertatio (BS) öffnet sich ein Zeitfenster, das vom Herbst 1815 bis zum Herbst 1817 recht, d.h. bis zum Abschluß des Studienjahres 1816/ 17 Ende September. Dem Text der beiden Schriften sind Angaben zu entnehmen, die unabhängig von der Streitfrage zum Verständnis der Entstehung der Oratio und ihrer Chronologie beitragen. Auf sie wurde bereits weiter oben hingewiesen. Sie besagen zum einen, daß D rey bereits in der dissertatio, also bevor sie zur Streitsache wurde, eine zweite Schrift zu ihrer Thematik geplant und angekündigt hatte. Dafür ist nach einigem Hin und Her - auch nach Auskunft seines Theologischen Tagebuchs - schließlich der Text der Oratio zum Stehen gekommen. Sie war somit kein reines Streitprodukt. Zum andern enthalten die beiden Schriften direkt datierungsrelevante Angaben. Als D rey in der dissertatio (BS) zu erkennen gab, ihr werde »früher oder später« (citius aut tardius) eine Fortsetzung folgen, hatte er bei aller Bestimmtheit seines Vorhabens doch eine recht vage Formulierung zur Zeitangabe gewählt. Sie besagt, daß er im Herbst 1815 sich über den Zeitpunkt ihrer Realisierung noch nicht im klaren war und ihn jedenfalls nicht als unmittelbar bevorstehend ansah. Einen Schritt weiter führt die Bemerkung in der Oratio, wonach die Disputation vom 18. September, in der er die dissertatio (BS) vorgelegt hatte, nuper stattgefunden habe. Diese adverbiale Bestimmung ist dehnbar. Lexikalisch kann nuper sowohl »vor nicht langer Zeit«, »vor kurzem«, als auch »vor längerer Zeit«, »ehedem«, bedeuten. Damit können sprachlich gesehen sowohl einige Wochen oder Monate wie auch ein oder zwei Jahre gemeint sein. Es bedeutet auf jeden Fall, daß die Oratio mit einem signifikanten zeitlichen Abstand vom Herbst 1815 vorgetragen wurde, und zwar vor dem selben Gremium wie damals, wie D rey ausdrücklich bemerkt. Von daher gesehen wäre die Oratio auf den Herbst 1816 oder 1817 datierbar, d.h. auf einen der beiden Prüfungstermine am Ende des Studienjahres 1816 oder 1817, zu dem <?page no="388"?> 356 Erläuterungen das besagte akademische Gremium jeweils zusammentrat. Mit der Aufhebung der Friedrichsuniversität im Spätherbst 1817 schließt sich das Zeitfenster für die Datierung der Oratio, sodaß der Blick sich nun auf die beiden Termine von 1816 und 1817 richten muß. Dafür ist zunächst das Theologische Tagebuch D reys von Interesse. Eine von D rey eigenhändig auf den 24. April 1816 datierte Notiz 5 hat folgende Überschrift: Die fortschreitende Entwickelung des Christentums nach allen seinen Beziehungen als ein Grundprincip des kath. Kirchen- und Glaubensystems erläutert und bewießen v. Dr. Joh. Sebast. Drey. Der erste Satz der Notiz lautet: »Die zum Theil schon vernommenen, zum Theil noch zu erwartenden Urtheile über meine Dissert. de Origine et Progressu Exomol. dürften mich vielleicht veranlassen, den von mir in meinem Systeme der Theologie zu Grunde gelegten, und auch jener dissertation zu Grunde ligenden Grundsatz öffentlich auseinander zu setzen und geltend zu machen.« Diesem Satz ist zu entnehmen, daß D rey im April 1816 erste »Urtheile« über die dissertatio (BS) von 1815 »vernommen« hatte und daß weitere zu erwarten seien. Man erinnert sich 6 , daß D rey am 20. Dezember 1815 von einem schwäbischen Pfarrer aus der Nähe Ellwangens in Rom angezeigt worden war, daß in dem Denunzierungsschreiben gegen D reys dissertatio (BS) von 1815 der Vorwurf der Irrlehre erhoben wurde, daß diese Sache bei den süddeutschen Ultramontanen hohe Wellen schlug und daß der Geistliche Rat K eller aus Stuttgart während seines Romaufenthalts im Frühjahr 1816 in dieser Angelegenheit mit Kardinalstaatssekretär C onsalvi schwierige Gespräche führte. Das war die Situation, in der D rey am 24. April 1816 die oben zitierte Notiz zu Papier brachte. Er war sich da noch nicht schlüssig, ob er sich bei dieser Sachlage mit einer Verteidigungsschrift an die Öffentlichkeit wenden würde, doch wenn, dann würde er darin das »Grundprincip« seiner dissertatio (BS) erläutern und geltend machen. Genau das hat er in der Oratio getan. Daß die von ihm im April 1816 erwogene Verteidigungsschrift die Form einer Rede haben würde, dachte er zu diesem Zeitpunkt sicher noch nicht, aber für die Annahme, daß er sein Verteidigungsprojekt effektiv in der Oratio realisierte, gibt es gute Gründe. Dafür spricht zunächst die Überschrift der Tagebuchnotiz, die in ihrem Sachgehalt mit der Thematik der Oratio übereinstimmt. Die daraus abzuleitende Vermutung erhärtet sich zur Gewißheit, wenn man die Oratio mit den sechs Punkten in der Tagebuchnotiz vergleicht, in denen D rey das Gerüst der in Aussicht genommenen Verteidigungsschrift skizzierte 7 . Wenn aber die Oratio 5 J ohann S ebastian D rey , Mein Tagebuch über philosophische, theologische und historische Gegenstände IV, 95-96 (= TüA 1, 339-340, Text 101*). 6 Siehe Einleitung zu Text Nr. 4, Ziff. II.4.a und b. 7 Im Anschluß an den oben zitierten Eingangssatz präzisiert D rey sein Vorhaben so: »Nach der richtigen Festsetzung des Begriffes dürfte der Beweiß auf folgende Weiße geführt werden. 1. Erweiß der innern Nothwendigkeit einer solchen Entwickelung des Christentums als einer <?page no="389"?> 357 Oratio de dogmatum christianorum incremento (1819) in dieser Entwicklungslinie zu verorten ist, kann D rey ihren Text frühestens einige Zeit nach dem 24. April 1816, der nun vorerst als frühest möglicher terminus a quo anzusehen ist, verfaßt haben. Aus ihrer Verortung in dieser Entwicklungslinie ergeben sich ferner Schlußfolgerungen für ihre literarische Identität: Sie ist die Einlösung eines literarischen Vorhabens in Redeform. In einer späteren, im Frühjahr 1817 eingetragenen Tagebuchnotiz 8 hält D rey Überlegungen zur Unterscheidung zwischen apostolischen und kirchlichen Traditionen fest, um dann zu bemerken: »Dieß alles, besonders das zuletzt gesagte, gilt von der Privatbeichte: in Ansehung deren für eine künftige Umarbeitung meiner Abhandlung zu bemerken ist, daß wenn sie selbst auch nicht als unmittelbare apostolische Tradition nachgewiesen werden kann, sie doch aus einer andern nachweißlichen apost. Tradition - der Kirchenbuße - entsprungen ist durch jene natürlichen Veranlassungen, deren sich der heilige Geist als Vorbereitung zu Entwickelung neuer Dogmen bedient.« 9 Dachte D rey bei diesen beiden Tagebuchnotizen (April 1816 und Frühjahr 1817) an ein Umarbeiten der dissertatio von 1815? Das ist aus den genannten Gründen nicht anzunehmen. Dasselbe gilt für die peroratio von 1815, die ja nicht entfernt den Charakter einer Abhandlung haben konnte. Es ist deshalb davon auszugehen, daß er für die Thematik der peroratio im Kontext seiner oben zeitlichen Erscheinung unter den Menschen überhaupt; besonders aber als einer geoffenbarten. 2. Erweiß einer solchen Nothwendigkeit aus den eigenen Aüßerungen Jesu sowohl in Beziehung auf seine Lehre als Kirche. 3. Historischer Beweiß, daß diese Entwickelung unter den christlichen Lehrern der frühern Zeit, wiewohl in anderer Gestalt anerkannt worden. 4. Erweiß, daß das, was die katholische Kirche sowohl selbst als auch das, was die katholischen Theologen ohne Ausnahme über die Infallibilität und das Richterliche Ansehen ebenderselben allgemein anerkennen, nichts anders in der That ist, als was ich behaupte. Angeflochten wird hier der Erweiß aus der Analogie des A.T. in welchem die spätern Zusätze doch allgemein als weitere Entwickelung der Mosaischen, sowie diese selbst wieder als Entwickelung der patriarchalischen Offenbarungen betrachtet werden; nur mit dem Unterschiede, daß dort einzelne begeisterte Männer, Propheten u.a. die Stelle der Kirche vertretten. 5. Erweiß d[aß] der Katholicismus im Gegensatz des Protest. wenn jener consequent seyn will, jene Entwickelung als eines seiner Hauptmerkmale annehmen muß. 6. Einfluß dieses Grundprincips auf die Darstellung der Theologie überhaupt, der sogenannten kirchlichen Dogmatik und Dogmengeschichte insbesondere.« Daß die Punkte 4-6 in der Oratio nicht so ausführlich zum Zuge kamen, wie D rey in der Projektskizze dachte, ist kaum als Einwand gegen ihre Identifizierung mit dem Vorhaben vom April 1816 zu werten. In der Realisierung eines literarischen Vorhabens können erfahrungsgemäß Abweichungen von einer Projektskizze eintreten, zumal in einzelnen Punkten. Im Falle der Oratio sind die Abweichungen im Hinblick auf den Gesamtduktus der Beweisführung marginal, eine ausführliche Behandlung der Punkte 4-6 hätte wegen ihrer schulbuchmäßigen Verzwicktheit ohnehin nicht in das rhetorische Genus der Oratio gepaßt. 8 Theol. Tagebuch V, 147-148 (TüA 1, 537-538, Text 149*). Die Notiz ist undatiert, dürfte aber auf Grund der gesicherten Datierung der umliegenden Einträge zwischen dem 20.4. und dem 4.5.1817 entstanden sein (vgl. Theol. Tagebuch V, 140, und V, 168, in TüA 1, 534, 553). 9 TüA 1, 538. <?page no="390"?> 358 Erläuterungen angeführten Tagebuchnotizen die betreffende »Abhandlung« bereits entworfen und weitgehend skizziert hatte. Mochte D rey im April 1817 sein Vorhaben noch aufgeschoben haben, um weitere »Urtheile« abzuwarten und auf sie eingehen zu können, so überschlugen sich im Sommer 1817 die Ereignisse. Den Startpunkt hatten das schon erwähnte Breve P ius ’ VII. vom 26. März 1817 gebildet (siehe Einleitung zu Text Nr. 4, Ziff. II.4.b. α und β ), in dem mit höchster Autorität die Lehrart und Lehre der Ellwanger Professoren (ohne einzelne Namen zu nennen) beanstandet worden waren, sowie das Schreiben C onsalvis vom 27. März 1817 (siehe ebd., Ziff. II.4.b. γ ), in dem D rey und seine dissertatio (BS) direkt attakiert wurden. Die Antwort des Generalvikars, die auf eine Protektion D reys hinauslaufen sollte und von der D rey sich eine Entlastung erhoffen mochte, verzögerte sich, weil sie mit der Staatsregierung in Stuttgart abzustimmen und der Brief in seinem Wortlaut von ihr zu genehmigen war; sie ging unter dem Datum des 19. Juni 1817 nach Rom (siehe ebd., Ziff. II.4.b. δ ). Man gab sich dort damit aber nicht zufrieden, sondern faßte sofort ein schärferes Vorgehen gegen D rey ins Auge. Schon am 23. Juni 1817 ordnete C onsalvi die weitere Verfolgung der Causa mit vertiefter Gründlichkeit an (siehe ebd., Ziff. II.4.c). Im August 1817 veröffentlichte dann der Dominikaner P ius B runnquell eine umfangreiche Rezension der dissertatio (BS) in vier Teilstücken in der Felderschen Litteraturzeitung mit dem Fazit, sie sei mit dem Neuen Testament, dem Dogma der Kirche und der Bußlehre des Tridentinums unvereinbar (siehe ebd., Ziff. II.5.a). Sie war offensichtlich als öffentliche wissenschaftliche Grundlage für das weitere Prozedere im Vatikan gedacht. D rey war nun in äußerster Bedrängnis sowohl im Hinblick auf Rom und die von dort zu befürchtenden Schritte als auch gegenüber der Staatsregierung und der Universitätsleitung, die nach Lage der Dinge erwarten und darauf drängen mußten, daß er sich erkläre und entlaste. Das wolle er jetzt (nunc) tun, nachdem er eine günstige Gelegenheit (opportunitatem) dafür erhalten habe, heißt es in seinen Vorbemerkungen zur Oratio. Da der 25. August 1817 als Tag der öffentlichen akademischen Examina den letzten und eigentlich einzigen institutionellen Rahmen dafür bot - D rey sprach von der selben »höchstansehnlichen Versammlung« (amplissimo consessu) wie 1815 - bleibt nur der Schluß, daß er die Oratio an diesem Tag, in dieser Veranstaltung und vor diesem Forum vorgetragen hat und sie kurz zuvor in der Form verfaßt haben muß, in der sie 1819 im Pastoralarchiv W essenbergs abgedruckt wurde. Daß der Text der Rede erst 1819 in den Druck ging, aber daß sie schließlich eben doch noch veröffentlicht wurde, dürfte sich daraus erklären lassen, daß von seiten C onsalvis ein neuer Schub in der Causa D rey vorgesehen war (siehe Einleitung zu Text Nr. 4, bes. Anm. 65, sowie oben Ziff. II.4.d). <?page no="391"?> 359 Oratio de dogmatum christianorum incremento (1819) 6. Bedeutung der Oratio Die in der Dreyforschung bislang so gut wie vollständig unbeachtet gebliebene Oratio ist in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung: a. Für die Problematik der Beichtschrift Da die dissertatio (BS) von 1815 und die Oratio von 1819 formal und inhaltlich zusammengehören und konzeptionell eine Einheit bilden, interpretieren und ergänzen sie sich gegenseitig. Die bisher übliche isolierte Betrachtung der dissertatio (BS) als D reys »Beichtschrift« schlechthin war deshalb methodologisch verfehlt und mußte zwangsläufig zu Fehlurteilen führen. Es wurde nicht erkannt, daß die dissertatio (BS) von 1815 von D rey nur als erster, historischer Teil »ad instar speciminis« für die dem Fortsetzungsteil vorbehaltene systematische Reflexion über das Problem der Dogmenentwicklung gedacht war, eines Problems, das die Entwicklung der Beichte in den ersten drei Jahrhunderten für den Dogmatiker unweigerlich aufwirft. Diente die dissertatio (BS) von 1815 dem Zweck, dieses Problembewußtsein zu erzeugen, so ist die Oratio darauf angelegt, die Ansatzpunkte für die dogmatische Bewältigung des Problems aufzuweisen und den Einsatz der historisch-kritischen Methode auf dem Gebiet der Dogmengeschichte grundsätzlich zu rechtfertigen. b. Für das theologische Werk Dreys insgesamt D rey hat seine Leitidee zur Theorie der Dogmenentwicklung nirgends so profiliert dargelegt wie in der Oratio. Diese hat zwar nicht die Form einer fachlichen Abhandlung, sondern den Charakter einer wissenschaftlichen Rede. Es tritt in ihr aber seine Vision von den Gesetzmäßigkeiten, denen die Sache des Christentums auf ihrem Weg durch die Geschichte unterworfen ist - und so auch von den Entwicklungsbedingungen des Dogmas und dem Anwachsen der Dogmen - umso unverstellter zutage. Besonders bedeutsam ist, daß D rey die incrementa der Dogmengeschichte nicht im Sinne eines die Dinge gern verharmlosenden organologischen Entwicklungsmodells deutet, wie es dem gängig gewordenen Dreybild entspräche. Für den Autor der Oratio war es der Wille Jesu, daß seine Botschaft im Prozeß der Ausbreitung und unter den Herausforderungen der Geschichte in unvorhersehbarer Weise je und je für neue Determinationen offen ist. Das von G eiselmann für D rey in Anspruch genommene organologische Entwicklungsmodell ist deshalb im Lichte der Oratio, die G eiselmann nicht beachtete, zu überprüfen und zu korrigieren. Auch für die Auffassung D reys zum Verhältnis von Dogma und Geschichte enthält die Oratio im Verein mit der dissertatio (BS) ein Moment, das zur Korrektur des gängigen Dreybildes Anlaß gibt. Gewöhnlich wird vor allem die spekulative Einbringung der Dimension der Geschichtlichkeit in <?page no="392"?> 360 Erläuterungen den Begriff des Christentums als eine der bedeutendsten Leistungen D reys angesehen, während die entschiedenere Option für die historisch-kritische Methode erst später zu den Merkmalen der Tübinger Schule aufgestiegen sein soll. Das erstere ist richtig, das letztere nicht. Die beiden Schriften stehen für die elementare Bedeutung nicht nur der Geschichte, sondern der geschichtswissenschaftlichen Methode. Erst so konstituiert sich das Problem, dem der Autor der Oratio sich stellte. Der springende Punkt liegt aber nicht nur im Einsatz der Methode, die ephemer sein könnte, sondern darin, daß D rey sie zu einer Instanz der dogmatischen Prinzipienlehre erhoben hat. c. Für die Theologiegeschichtsschreibung und die Theorie der Dogmenentwicklung Die Stellung, die D rey in der Theologie des 19. Jahrhunderts auf dem Gebiet der die Dogmengeschichte betreffenden Theoriebildung einnimmt, konnte in der Theologiegeschichtsschreibung infolge der Unbekanntheit der Oratio ineins mit der Mißdeutung der dissertatio (BS) von 1815 bisher nicht hinlänglich erkannt werden. Es war deshalb bislang auch nicht möglich, den Theoriegehalt der beiden Schriften in die theologische Reflexion der Geschichtlichkeit des Christentums und speziell des Verhältnisses der Sache des Christlichen zu den vicissitudines der Geschichte einzubringen. d. Für die Biographie Dreys Solange man die Oratio und ihre Hintergründe nicht kannte, waren die Konflikte, die D rey im Zusammenhang mit der Beichtschrift während seiner Ellwanger Zeit durchzustehen hatte, ein Spielfeld übelwollender Gerüchte und forscher Mutmaßungen. Mit den nun zur Verfügung stehenden Informationen kann eine der wichtigsten Lücken im Leben und im Werk D reys aufgefüllt werden. Darüber hinaus bringt die Oratio Aufschlüsse zur Person und zur wissenschaftlichen Persönlichkeit D reys , die keiner anderen seiner Schriften in dieser Deutlichkeit zu entnehmen sind: Ungewohnt deutliche Merkmale persönlichen Betroffenseins, ein Konfliktverhalten, aus dem ein unbeirrbarer Wille zum Einsatz für das als richtig Erkannte auch in höchster Bedrängnis hervorsticht, kommunikative Kompetenz in der rhetorischen Behandlung eines diffizilen Sachverhalts, eine poetische Ader im Einsatz von Bildern, Metaphern und Redefiguren, und nicht zuletzt das faszinierende ciceronische Latein, in dem D rey sich ebenso sicher wie geschmeidig auszudrücken verstand. <?page no="393"?> 361 Oratio de dogmatum christianorum incremento (1819) 7. Rezeptionsgeschichte Es konnten keine Anhaltspunkte dafür ausfindig gemacht werden, daß in der Zeit zwischen 1819 und 1976 in der Fachliteratur auch nur die Existenz der Oratio zur Kenntnis genommen wurde. Auch in der 1958 von W olfgang R uf erstellten und 1974 veröffentlichten Liste sämtlicher Werke Johann Sebastian Dreys ist sie nicht verzeichnet 10 . Auf ihr Vorhandensein wurde 1976 in einer kritischen Besprechung dieser Liste hingewiesen 11 . T iefensee hat die Oratio 1988 im Rahmen seiner Untersuchung des Dreyschen Entwicklungsbegriffs mehrfach erwähnt 12 , ohne indessen auf ihre spezielle Thematik näher einzugehen. Das erste Werkverzeichnis, in dem die Oratio angeführt ist, ist die von K ustermann und F esseler erstellte Bibliographie der Schriften Johann Sebastian Dreys aus dem Jahr 1994 13 . In den danach erschienenen Dreymonographien wurde die Oratio jedoch nicht mehr berücksichtigt. 10 W olfgang R uf , Johann Sebastian von Dreys System der Theologie als Begründung der Moraltheologie (Studien zur Theologie und Geistesgeschichte des Neunzehnten Jahrhunderts 7). Göttingen 1974, 26-54. Es handelt sich um die 1958 in Freiburg i.Br. abgeschlossene Doktoratsdissertation; sie wurde nach dem Tod des Verfassers († 9. Oktober 1968) 1974 von B ernhard C asper herausgegeben. Die Liste der Werke D reys wurde dort vom Herausgeber teilweise ergänzt. 11 Siehe A lfons A uer , A braham K ustermann , Zur Theologie J. S. von Dreys, in: ThQ 156 (1976) 232-236, 233. Es handelt sich um eine Rezension der von C asper herausgegebenen Arbeit R ufs . Der Hinweis auf die in der Liste R ufs fehlende Oratio findet sich in dem von K us termann verfaßten Teil der Rezension. Es scheint, daß hier seit 1819 zum ersten Mal in der Fachliteratur auf die Existenz der Oratio hingewiesen wurde. 12 E berhard T iefensee , Die religiöse Anlage und ihre Entwicklung. Der religionsphilosophische Ansatz Johann Sebastian Dreys (1777-1853) (Erfurter Theologische Studien 56). Leipzig 1988, 56; 60. 13 K ustermann / F esseler , Bibliographie (wie Anm. 2) 317. <?page no="394"?> Teil B: Oratio de dogmatum christianorum incremento institutioni divinae haud adverso. (Authore Dre D r e y , Professore Facultatis Theologiae catholicae 89 in Universitate T ü b i n g a n a .) 1 5 Cum nuper examinandam mihi, atque in hoc amplissimo concessu disputandam materiam selegissem eam, quae, si rem ipsam spectes, instituto certe divino innitatur, si vero circumstantias rei atque adjuncta, non unam tamen nec eandem speciem exhibuerit diversis temporibus, continuo etiam intellexi, hanc causam esse ex illis, quae contradictionibus in utramque partem carere 10 non possint. Sunt enim e christianis, qui cuncta respuunt, quorum nulla 90 exstat memoria vel in tabulis et literis sacris, vel in antiquissimis saltem documentis. Sunt praeter hos alii, quibus difficile est capere, aliqua a Christo provideri et institui potuisse, quin de illa auctoris voluntate cunctis temporibus aequalis prorsus evidentia constiterit. Illos sententia nostra, hos historia 15 offendat necesse est. Quare in ipso dissertationis nostrae limine pauca quaedam delibavi, unde et quid ego sentiam, et quid utrisque respondendum putem, haud obscure elucescet. Nunc vero, cum hanc dicendi opportunitatem nactus sum, agam etiam copiosus, dicam apertius, quid in ista disceptatione rei summam judicem. 20 Etenim sic mihi persuasi, sic sentio. Cum negari non possit, in ecclesia christiana multa sucessu temporum in lucem esse protracta, quae antea quasi velis quibusdam fuerant contecta, multa quoque stabilita et confirmata, quae olim fuerant vel dubia, vel libera et in utramque partem disputata; quis non videat, non de factis, sed de jure quaestionem esse instituendam. Quid vero 25 obfuerit doctrinae christianae, ea omnia esse facta, si non solum jure facta esse, sed fieri etiam debuisse, argumentis gravissimis demonstrari possit. In eo igitur posita est et versatur tota quaestio: num doctrina christiana 91 talis sit, quae dogmatum suorum incrementa capere, atque ita capere possit, ut haec ipsa incrementa origini et auctoritati religionis haud adversentur? Quodsi 30 talem esse demonstravero, litem forsan composuero; id certe efficiam, ut historiam dogmati repugnare nemo jure affirmare possit. Proposui quaestionem novam fortassis et haud usitatam, probavi sententiam non omnibus 1 Diese in Klammern gesetzte Angabe des Namens des Verfassers findet sich in dieser Form im Originaldruck unmittelbar unter dem Titel und dürfte redaktionellen Ursprungs sein. <?page no="395"?> 363 Oratio de dogmatum christianorum incremento (1819) probatam: Superest, ut causae novitatem et dicentis mediocritatem rei ipsius gravitas et argumentorum vis commendet. Quare id unum mihi a vobis tribui concedique exopto, auditores amplissimi, ut oratorem de dogmatum christianorum incremento justo et legitimo ex ipsis doctrinae sacrae visceribus disserentem pro vestra humanitate benigne audiatis. Favete! 5 1) Si oratoris est, in omni causa dicenda statum quaestionis accurate definire; ut, postquam exposuerit, quid aliis concedat, aut in medio relinquat, eo certius et felicius ad id incumbere possit, quod ipse sibi vindicat: id multo magis mihi video faciendum, et quid in quaestione facile largiar explorandum. Disseritur itaque de incremento quodam dogmatum; quod ego dicam non 10 adversari origini et insti-tutioni religionis, et quidem illius religionis, quam 92 ego non solum a praeceptorum suorum praestantia longe praeclarissimam, verum etiam ab auctoris sui persona divinitus datam cum optimo quovis agnosco et profiteor. Ast hoc ipsum est, quod multi hujus religionis tum amici tum adversarii, illi quidem sincere, hi vero subdole arripiunt, ut negent, 15 religionem, quae sit ejusmodi incrementi alicujus, maxime si de placitis dogmaticis quaeratur, compotem esse atque capacem. Quos ego omnes hoc fere modo mihi videor argumentantes: »tune rem divinam, tune donum immortale a Deo concessum hominibus augeri etiamnum posse dicis, et increscere? Tune es, qui putes, mancam esse doctrinam atque imperfectam, quam Christus 20 tradidit, neque pro hac nostri generis conditione omnium necessitatibus sufficientem? Num humanae quidquam sapientiae, vel opinionum commenta, quae profert deletque dies, accedere institutioni divinae posse existimas? Vel an novas continuo abditarum rerum revelationes, et unde aut quo jure exspectas? 2 25 2) Sic fere illi. A quibus ego, ut dissentiam, tantum absum, ut etiam adfirmare, et quodammodo mihi arrogare audeam, neminem facile inveniri posse, cui magis persuasa sit quam mihi completa et numeris omnibus 93 absoluta institutionis christianae p e r f e c t i o . Neque enim me fugit omnem institutionem quae a Deo profecta sit, ad homines erudiendos atque educan- 30 dos profectam esse, unde consequatur necesse est, ut omnia fini suo congrua et necessaria complectatur: neque is sum qui putem, fieri unquam posse, ut divina sapientia humano ingenio superetur, vel doctrina divina opinionum humanarum commentis exornetur, perficiaturque. Ista omnia mihi tam certa tam firma sunt, ut omnibus etiam modis contendam, doctrinam religionis a 35 Christo traditam, neque alio quodam nomine praeter hoc ipsum ad auctoritatem, neque aliis argumentis praeter domestica ad certitudinem, neque ad- 2 schließendes Anführungszeichen fehlt. − Drey referiert hier gegnerische Einwände und setzt diese durch Anführungszeichen von seiner eigenen Rede ab, es handelt sich hierbei wohl nicht um ein Zitat. <?page no="396"?> 364 Johann Sebastian Drey ditamentis quibusdam aliunde petitis ad perfectionem indigere. Haec omnia si aliis concedo, neque solum concedo, sed ita etiam cum reliquis teneo, ut nemo facile ea firmius tenere queat, nunc demum mihi liceat meam explicare sententiam atque ostendere, quonam ego sensu dicam, augeri doctrinam christianam posse vel quaenam capere dogmatum incrementa. 5 3) Esto igitur, quod concessimus, non possit doctrina christiana aliunde petere quidquam; verum quid impediat, quominus ex semetipsa possit? Esto, non possit alienis au-geri additamentis; quidni suis non possit explicari in- 94 crementis? Esto, humana nequeat sapientia exornari; num divina quoque, eaque innata quasi virtute in dies magis eflorescere nequeat? Nihil casui, nihil 10 fortunae, nihil hominibus, nihil opinionum commentis debeat; ast quis turpe esse dicat, si sibi debet quidquam, si auctori Deo, si propriae virtuti, si singulari cuidam et domesticae providentiae? − Quid in ista repugnans, quid contrarium, quid falsum, quid divina institutione indignum? Quin ad hanc ipsam institutionem divinam respiciens ita confirmor, ut asseverem pro divina 15 sapientia, et ex ipsa Christi sententia fieri non tantum potuisse, sed etiam debuisse, ut, quod beneficium singularis quaedam divini numinis benignitas instituto christiano conclusit atque abdidit, ut illud, inquam, beneficium in dogmatum etiam ubertate et copia sensim se exserat magis, ac luculentius existat. Quod ut verbis demonstrem per gradus quosdam eniti mea debebit 20 argumentatio. 4) Atque primo quidem existimo, neminem fore, qui repugnet, si affirmo, hoc Dei consilium, hanc Christi fuisse mentem, ut religio coelestis ipso auctore ex altissimo domicilio in has terras delata ceu commune omnibus bonum, omnibus etiam hominibus innotesceret, omnium mentes voluntatesque pe- 25 95 netraret, atque ad veram sapientiam omnes erudiendo, ad pietatem instruendo, tranquillos beatosque efficeret. Quod ut firmissime teneamus, non solum Christi sententia nos impellit, qua edocti sumus, Deum universorum parentem aequo ac paterno amore omne hominum genus complecti; sed multo etiam magis id nobis persuadet evidentissimum illud momentum, quo idem religio- 30 nis nostrae auctor discipulos suos ceu legatos instruxit, ut totum terrarum orbem peragrantes laetum regni divini nuntium ubivis divulgarent. Non tamen uno quasi temporis momento omnem terrarum orbem pervadere, aut ad omnes diversissimae indolis populos pervenire Christi religio potuit; sed quemadmodum historia ipsa testatur, inter cultiores orbis antiqui nationes pri- 35 mum propagata sensim tantum et serius ad reliquas etiam pervenit, ita rem omnem moderante aeterni patris sapientia, ut commode aptisque temporibus ista religio illucesceret, quo facilius recipi animisque audientium firmari posset. <?page no="397"?> 365 Oratio de dogmatum christianorum incremento (1819) 5) Jam vero, si hoc fuit Christi, immo patris divini consilium, quis non et alterum concedat, quod inde sequitur? Quis non videat, hanc ipsam religionem ab auctore suo ita comparatam fuisse, nec non comparari de-buisse, ut 96 omnibus iisque diversissimis temporibus, populis atque necessitatibus sufficeret? Quis non perspiciat, eandem his omnibus suffecturam haud fuisse, nisi 5 cultum quemdam atque incrementa recipere potuisset? Quod quidem ille solus negaverit, qui nesciat, quantis casibus humana conditio, quantis mutationibus mortalium ingenia, quantis vicissitudinibus animorum necessitates obnoxiae sint. Unde efficitur, ut diversis conditionibus diversa remedia, diversis ingeniis diversa lumina, diversis indigentiis diversa subsidia afferri atque adhiberi 10 oporteat. Atqui hoc ipsum religionis esse et praecipue quidem christianae, quis non intelligat? Verum quid ego multum ratiociniis ago, cum praesto sit, quid Christus ipse voluerit, fecerit, constituerit. 6) Liceat mihi ante omnia illud commemorare, quod non solum divini praeceptoris sapientiam commendat, verum modum etiam clare demonstrat, 15 quo suam ipse perficere doctrinam voluit. Posteaquam per plures annos familiariter usus iis, quos intimos sibi et discipulos et amicos adlegerat, omnibus modis docendo, erudiendo instituendoque percoluerat, non tamen eos idoneos judicavit, quibus omnia sua dogmata crederet vel enunciaret; sed urgente etiam tempore, cum jam ipsi discedendum a suis es-set omnibus palam pro- 20 97 fessus est: multa quidem superesse, quae scitu maxime necessaria libenter communicaret, verum ea, quoniam inpraesentiarum ipsi neque capere, neque etiam ferre possent, in aliud tempus reservari a se, ubi valentiores ingenio eadem demum perspicere possent. Ex quibus praeclare in rem meam inferri posse existimo: quodsi magister omnium longe praestantissimus viris etiam a 25 se excultis atque designatis omnium gentium praeceptoribus non omnia continuo religionis sua praecepta tradere potuit, quid de reliquis hominibus censebimus, qui utique non tam prospera conditione usi ne illa quidem capere aut ferre poterant, quae apostoli? Si multa tradere suis temporibus Christus non potuit summus docendi artifex, quid de apostolis censebimus, quos quam 30 magnifice etiam sentiamus de illis Christo tamen aequiparare nequaquam fas est. 7) Verum ne quis ideo injuriam Christo irroget, vel ejus discipulis, ne quis inde ansam arripiat incusandi vel doctrinam divinam vel doctores. Secuta est divina providentia in gravissimo hoc religionis moderandae negotio idem 35 consilium, quod in regundis omnibus rebus creatis exsequitur. Non enim omnia ubivis terrarum, neque etiam omnia uno simul tempore gignit aut progenerat divina virtus, sed modum quemdam rerum atque temporum 98 ordinem servat, ita tamen, ut aptis quaeque momentis et locis proveniant, atque inde ornatissimus hic universorum mundus evolvatur. Idem ergo con- 40 <?page no="398"?> 366 Johann Sebastian Drey silium divinus religionis nostrae auctor secutus, ut ecclesiam suam ceu alterum quemdam et sublimiorem mundum ornaret ac perficeret, divina illam virtute, vitali quasi Spiritu implevit; illo, inquam, spiritu, quem parem sibi, parem aeterno patri rerum omnium moderatorem primus ipse renuntiavit hominibus. Hunc spiritum divinum primo quidem ostendit, mox etiam de 5 coelo demisit apostolis; hunc adesse suis, hunc adesse ecclesiae perpetuo voluit, ut illo rectore cuncta gubernarentur; atque novum hoc dei opificium saeculis revolutis consummaretur. Qualis autem et quanta rerum vonversio hunc gubernatorem secuta sit, quis ignorat? Debuerat hic spiritus ex promisso Christi trepidantibus animos addere; addidit: eloquentiae rudes disertos fa- 10 cere; fecit: caecutientes uberiore cognitionum lumine illustrare; illustravit: ignaris scientiae abdita patefacere; patefecit: de Christi fontibus hausta excolere; hausit et excoluit. 8) Quodsi haec virtus divini spiritus tanta factorum magnitudine sub initio rei christianae enituit, nec est aliquis facile tam impudens, qui ea negare 15 audeat, quis demum erit tam vecors, ut eandem virtutem succedentibus 99 temporibus imminutam fuisse dicat, aut exspirasse? Spirat, spirat adhuc coelestis ille vigor, et quamvis mortalium oculis haud conspiciatur, inspirat tamen et agitat, perficitque Christi ecclesiam, neque huic adesse aliquando desiit, neque eam regere unquam cessabit. Quanam autem ratione opus suum per- 20 fecerit et adhucdum perficiat, id nemini dubium esse posse, arbitror. Non alia certe ratione opus suum perficit, quam illa, qua incepit, non alia certe ratione perficit adultiorem ecclesiam, quam illa, qua excoluit nascentem. Quemadmodum enim ab initio, ita et postmodum multa superesse oportuit minus clara, quibus major lux affundi posset; affudit hanc lucem rector ille spiritus. 25 Quemadmodum ab initio ita et postmodum multorum dogmatum habitus anceps existimari potuit et dubius: munivit nutantia, firmavit dubia rector ille spiritus. Quemadmodum ab initio, ita et postmodum novae continuo exoriri necessitates et indigentiae potuerunt pro temporum vicissitudinibus, quas Christus prospiciens remedia quidem providit idonea, sed abdidit simul et 30 quasi in arca recondidit, ut suis temporibus protrahi posent: protraxit in lucem rector ille spiritus. Atque in hoc quidem positam esse puto summam omnis instituti christiani praestantiam. Hoc enim in-stitutum cum appello, ex 100 ipsa Christi mente semen quoddam appello, minutum illud quidem sed quod innata vi in arborem exsurgens ramos frondesque latissime explicet. Hoc 35 institutum dum nomino, tapetem quemdam artificiose pictum, multisque modis complicatum nomino, qui quo magis explicetur, eo plus venustatis ostendat. Hoc institutum cum significo, hortum quemdam late patentem significo cujus formas et colores eo distinctius oculis perlustrare poteris, quo altius ascenderis collem, horto imminentem. Atqui qui semen illud rigando, 40 collustrando, calefaciendo in arborem educit, spiritus est: qui tapetem illum <?page no="399"?> 367 Oratio de dogmatum christianorum incremento (1819) nobis in dies magis explicat, idem spiritus, qui ad collis in horto positi verticem nos pedetentim deducit, unus is idemque spiritus. Quin idem ne de suoquidem addit quidquam quamvis divina forent, quae adderet doctrinae christianae, de iis, quae Christi sunt, sumit omnia: Christi sunt, quae colit et rigat, Christi sunt, quae explicat, Christi sunt, quae in clarissima luce ante 5 oculos nostros collocat. Non invenit ipse, sed ut nos inveniamus, efficit; non creat denuo, sed jam creata relegit; non nova ministrat, sed nos, uti docet, ministratis fundamentis a Christo positis inaedificat, materiam a Christo congestam exornat, ad formam a Christo delineatam splendidissimum illud 101 ecclesiae templum absolvit. 10 Conquiescat igitur pussillanimorum timiditas, obmutescat dissentientium obtrectatio. Non est timendum ab incrementis dogmatum christianorum. Non enim aliena sunt, sed propria, non aliunde inserta, sed sponte pronata, non temere aut casu adscita, sed ab ipso jam auctore Christo praeparata, et illis curis ad maturitatem perducta, quibus omnia sua moderanda ille transmisit. 15 Quae Christus plantavit, spiritus perficit et matura jam suis temporibus ecclesia recondit in horreis, non minus utique utilia, nec minori etiam reverentia complectenda, quam si statim ab initio recondita fuissent. *) *) Eine spezielle Entwikelung der von dem Verfasser hier in allgemeinen 20 Zügen gegebenen Idee der Ausbildung der christlichen Dogmatik in der kathol. Kirche könnte nicht anders, als höchst anziehend und lehrreich seyn. Es kann zwar keine neuen Glaubenslehren geben, die nicht Christus selbst gelehret hat; aber die von ihm gelehrten Glaubenslehren können nach dem Bedürfniß der zu Belehrenden einer nähern Beleuch- 25 tung und weiteren Entwikelung bedürfen. Diese Beleuchtung und Ent- 102 wikelung sehen wir schon in den Briefen der Apostel, und die ganze Geschichte der Kirche Gottes liefert uns davon Belege in den Apologeten des Christenthums, in den Entscheidungen der Konzilien, in den Schriften der heil. Väter, und anderer gottseliger Lehrer. Niemals gab es 30 in der christlichen Kirche eine g e h e i m e Dogmenlehre für eine Klasse der Eingeweihten, und eine g e m e i n e populäre für den Haufen, sondern sie hat n u r e i n e Lehre, die a l l e n ihren Gliedern bekannt gemacht ist. Auch hierin zeigt sich ein göttlicher Vorzug der christl. Kirche vor allen heydnischen Religionsgebäuden, Doctrina apostolorum schreibt I r e - 35 n ä u s (lib. III. c. 15.) manifesta et firma et nihil subtrahens, neque alia quidem in abscondito, alia vero in manifesto docentium. Hoc enim fictorum et prave seducentium et hypocritarum est molimen. − Es ist unmöglich, daß hier ein anderer Grund des Glaubens gelegt werden könne, als den Christus gelegt hat. Was nicht auf diesem Grund gegründet ist, gehört nicht zum 40 <?page no="400"?> 368 Johann Sebastian Drey Christenthum. Aber auf diesem Grund − die Formen des Unterrichts, die religiösen Lehranstalten und Vorstellungen nach der Zeiten Bedürfniß zweckmäßig einzurichten, liegt in der göttlichen Vollmacht der Kirche; und sie hat sich dieser Vollmacht stets mit gesegnetem Erfolg 103 bedient. So hat sie, so oft Kezereyen entstunden, die angefochtenen oder 5 getrübten Wahrheiten, näher in’s Licht gesetzt, und entwikelt; und sie mußte es thun, um die Einheit des Glaubens zu erhalten. In so ferne haben auch die Kezereyen jeder Zeit gedient, eine neue Aufhellung und tiefere Begründung der Wahrheit (gegen die Angriffe der Gegner) zu veranlassen. − Es ist die Aufgabe der Dogmengeschichte, dieß im Ein- 10 zelnen zu zeigen, und darzuthun: daß immer n u r d a s als wesentliche Glaubenslehre in der Kirche gegolten: quod semper, quod ubique, quod ab omnibus credictum [sic] est. − Schwieriger ist wohl die gründliche Beantwortung der Frage: ob und wie ferne die g e l e h r t e u n d s k o l a s t i s c h e Behandlung der Dogmen in den verschiedenen Zeitaltern der Religion 15 Vortheil oder Nachtheil gebracht, ihr zur Aufhellung oder Verdunklung gedient habe? − Aber einer guten Dogmengeschichte liegt ob, auch diese Aufgabe zu lösen. Quaedam, sagt G r e g o r d e r G r o ß e orat. III. de pace p. 89. fidei soli donanda, quaedum [sic] etiam ratiotinationibus. 3 Anm. d. Red. 3 In der Anmerkung der Redaktion angeführte Literatur: I renäus von L yon (* um 140; † um 200), Adversus Haereses III, 15; V inzenz von L e´rin († nach 434), Commonitorium II, 5 [Zitat aus dem sog. Kanon des V inzenz mit der zu W essenbergs Zeit geläufigen Umstellung; im Original lautet der Text: quod ubique, quod semper, quod ab omnibus creditum est]; G regor der G rosse (* um 540; † 604), orat. III. de pace p. 89 [welchem Werk G regors W essenberg das Zitat aus der »Rede über den Frieden« entnommen hat, konnte nicht festgestellt werden]. <?page no="401"?> Text Nr. 6: Vom Geist und Wesen des Katholicismus [Katholizismusschrift] Teil A: Einleitung von Max Seckler I. Bibliographische Angaben 1. Erstdruck: J ohann S ebastian D rey , Vom Geist und Wesen des Katholicismus, in: Theologische Quartalschrift 1 (1819) 8-23; 193-210; 369-391; 559-574. Ohne Verfasserangabe. Formale und inhaltliche Merkmale sowie rezeptionsgeschichtliche Befunde sprechen zwingend für D rey als Verfasser 1 Der Text umfaßt vier Teilstücke, die von D rey als »Aufsätze« bezeichnet werden (siehe die Vorbemerkung D reys zu Beginn des ersten Teilstücks). Sie sind auf die vier Hefte des ersten Jahrgangs der 1819 neu gegründeten Theologischen Quartalschrift (ThQ) aufgeteilt. Mit dem ersten Aufsatz wird in der Rubrik Abhandlungen der wissenschaftliche Teil des ersten Heftes (und somit die ThQ überhaupt) und in gleicher Weise jedes der drei nachfolgenden Hefte eröffnet. Die vier Aufsätze weisen einen Gesamtumfang von 72 Druckseiten auf. Sie sind numeriert und jeweils mit eigenen Teilüberschriften versehen: 1. Beziehung des Katholicismus auf das Urchristenthum (9-23); 2. Beziehung des Katholicismus auf die Grundprincipien des Urchristenthums (193-210); 3. Beziehung des Katholicismus auf christliche Religiosität, und christliche Gottesverehrung (369-391); 4. Beziehung des Katholicismus auf christliches Kirchenthum (559-574). Da die vier Aufsätze einen gemeinsamen Haupttitel haben und somit als eine einzige Abhandlung in vier Teilstücken anzusehen sind, werden sie in den Bibliographien gewöhnlich mit dem Titel Vom Geist und Wesen des Katholizismus angeführt. 1 Vgl. dazu auch S tephan L ösch , Die Anfänge der Tübinger Theologischen Quartalschrift (1819-1831). Gedenkgabe zum 100. Todestag Joh. Ad. Möhlers. Rottenburg a.N. 1938, 52, Anm. 2, sowie A braham P eter K ustermann / E ugen F esseler , Bibliographie der Schriften Johann Sebastian Dreys, in: A braham P eter K ustermann (Hg.), Revision der Theologie - Reform der Kirche. Die Bedeutung des Tübinger Theologen Johann Sebastian Drey (1777-1853) in Geschichte und Gegenwart. Würzburg 1994, 309-339, 317. - Wie die vorliegende Katholizismusschrift, so wurden in den ersten 13 Jahrgängen (1819-1831) der ThQ nahezu sämtliche Beiträge ohne Angabe der Verfassernamen veröffentlicht (siehe Einleitung zu Text Nr. 7, Ziff. II.2.b und III.2). <?page no="402"?> 370 Bibliographische Angaben Als Arbeitstitel wird die Bezeichnung Katholizismusschrift (KS) verwendet. 2. Nachdrucke: a. Neusatz: J ohann S ebastian D rey , Vom Geist und Wesen des Katholizismus, in: Geist des Christentums und des Katholizismus. Ausgewählte Schriften katholischer Theologie im Zeitalter des Deutschen Idealismus und der Romantik. Herausgegeben, eingeleitet und erklärt von Joseph Rupert Geiselmann (Deutsche Klassiker der katholischen Theologie aus neuerer Zeit. Hg. von H einrich G etzeny . 5). Mainz 1940, 193-234; Anmerkungen D reys 455, Erläuterungen des Herausgebers 481. - Der Wortlaut des Neusatzes stimmt mit dem Erstdruck weitgehend überein. Orthographie und Zeichensetzung sind durchgängig modernisiert, Druckfehler stillschweigend korrigiert, formale Unregelmäßigkeiten ausgeglichen (z.B. fehlende Klammern ergänzt). Hervorhebungen D reys sind nicht immer korrekt wiedergegeben (G eiselmann setzt z.B. S. 198, bei einem im Originaldruck dreieinhalb Seiten langen Text (14-17), den D rey zu Beginn jeder Zeile durch Anführungszeichen als Zitat kennzeichnete, bereits nach zwei Zeilen ein schließendes Anführungszeichen); zwei kleinere Textauslassungen zeigt G eiselmann durch Punktierung an (211, im Original 207). b. Teilnachdruck / Neusatz: J ohann S ebastian D rey , Vom Geist und Wesen des Katholizismus, in: Theologie in Aufbruch und Widerstreit. Die deutsche katholische Theologie im 19. Jahrhundert. Herausgegeben und eingeleitet von Leo Scheffczyk (Sammlung Dieterich 300). Bremen 1965, 4-16. - S cheffczyk bringt folgende Auszüge: Vorbemerkung (4 f), von Teil 1 die Seiten 9-13 der Vorlage (5-8), von Teil 2 die Seiten 193, 197-200, 203-208 (9-16); die Übereinstimmung zweier durch Punktierung angezeigter Auslassungen (15) deutet darauf hin, daß S cheffczyk sich an G eiselmann zumindest angelehnt hat. Orthographie und Interpunktion sind modernisiert, Hervorhebungen D reys sind teilweise übernommen. 3. Übersetzung: a. J ohann S ebastian D rey , Lo spirito e l’essenza del cattolicesimo e altri saggi. Introduzione di Max Seckler. Citta` del Vaticano 2007, 35-96 (Memoria viva 2). Die Übersetzung besorgte G ianliugi P asquale auf Grundlage des Nachdrucks bei G eiselmann 1940; dem Band sind Übersetzungen von zwei Abhandlungen D reys aus dem Jahr 1822 beigegeben: Ueber den Satz von der alleinseligmachenden Kirche (Circa il principio sulla Chiesa unica in cui c’e ` salvezza, 97-135), sowie Der katholische Lehrsatz von der Gemeinschaft der Heiligen, aus seiner Idee und in seiner Anwendung auf verschiedene andere Lehrpuncte dargestellt (La dottrina cattolica della Communione dei santi. Presentata a partire dalla sua idea e nella sua applicazione a diversi altri punti dottrinali, 137-182). <?page no="403"?> 371 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) b. Eine von P ierre C haillet angefertigte, jedoch nicht veröffentlichte Übersetzung der vollständigen Abhandlung D reys ins Französische wird im Archiv der Jesuiten in Vanves, Paris, aufbewahrt. Das Typoskript hat einen Umfang von mehr als 70 Seiten und trägt kein Datum (für diese Informationen ist dem Archivar P. R obert B onfils SJ sehr zu danken). c. W ayne L. F ehr teilte in seiner 1978 an der Yale University in New Haven (Connecticut) abgeschlossenen Dissertation zur Dogmatik D reys mit, eine englische Übersetzung der Katholizismusschrift »is currently being prepared at the Catholic University of America« (Washington, DC) (W ayne L. F ehr , The Birth of the Catholic Tübingen School. The Dogmatics of Johann Sebastian Drey (American Academy of Religion, Academy Series 37). Chico, CA 1981, 14 Anm. 37). II. Erläuterungen Vorbemerkung Die Abhandlung Vom Geist und Wesen des Katholizismus von 1819 nimmt im theologischen Werk J ohann S ebastian D reys und darüber hinaus in der Gründungsgeschichte der Katholischen Tübinger Schule eine Sonderstellung ein. Sie ragt vermöge ihres ansprechenden Titels und ihres innovativen Gehalts ebenso wie durch die Umstände ihrer Veröffentlichung und die darin bekundeten programmatischen Absichten ihres Verfassers aus der Gesamtheit seiner Schriften heraus. Sie wurde von J oseph R upert G eiselmann als das Tiefste und Vollendetste bezeichnet, was D rey je geschrieben habe 2 . Das Thema dieser Schrift ist nicht die Katholizität der Kirche, sondern der Geist und das Wesen des »Katholizismus«. In der Fachliteratur wird zur Bezeichnung dieser Schrift manchmal der sympathische Kurztitel Geist und Wesen verwendet. In der von D rey gewählten Überschrift ist aber »Katholizismus« das grammatikalische Subjekt, »Geist und Wesen« sind attributive Bestimmungen. Aus diesem Grund verdient der Kurztitel Katholizismusschrift (KS) den Vorzug. Das bedeutet: Gegenstand der Katholizismusschrift ist nicht das dritte Merkmal der Kirche im Sinne der dogmatischen oder apologetischen Theologie (Katholizität als proprietas bzw. nota Ecclesiae), sondern eine Denkfigur, deren intentionaler Gegenstand der »Katholizismus« ist. Das empirische Denominat dieses Ideogramms ist zwar durchaus die Ecclesia catholica, aber es handelt sich um die Frage nach der Bauform des Christlichen im Hinblick auf die Strukturen, die diesem als geschichtliche Gestalt des ek- 2 J oseph R upert G eiselmann , Zur Einführung, in: Geist des Christentums und des Katholizismus. Ausgewählte Schriften katholischer Theologie im Zeitalter des Deutschen Idealismus und der Romantik. Herausgegeben, eingeleitet und erklärt von Joseph Rupert Geiselmann (Deutsche Klassiker der katholischen Theologie aus neuerer Zeit. Hg. von H einrich G etzeny . 5). Mainz 1940, XV. <?page no="404"?> 372 Erläuterungen klesialen Christentums in der Wirkungsgeschichte seiner Gründungsereignisse gemäß den Prinzipien eines genuinen Überlieferungsgeschehens auf dem Weg in der Geschichte gegeben und aufgegeben sind. Indem D rey den Katholizismusbegriff verwendet und ihn auf diesen Sachverhalt bezieht, bewegt er sich außerhalb des in der Schultheologie Üblichen. Zu einem theologischen oder gar dogmatischen Fachterminus hatte es dieser Begriff bis dahin nicht gebracht. Seine Karriere in der Alltagssprache und sein Einzug in bestimmte Bereiche der theologischen und politischen Literatur hatte im Zeitalter der Kirchenspaltungen begonnen. Zur Zeit D reys stand er symmetrisch zum Begriff des Protestantismus auf der Tagesordnung der beschreibenden und vergleichenden Konfessionskunde. Wenn D rey , daran anknüpfend, aber zugleich zutiefst sich davon absetzend, in der Abhandlung Vom Geist und Wesen des Katholizismus diesen Begriff mit neuen Konnotationen versah, so konnte er das nicht in den Formgesetzen eines dogmatischen Traktats vornehmen. Literarisch hat seine Schrift deshalb die Form einer freien Abhandlung, in der, frisch im Stil und beflügelt von Entdeckerfreuden, mit systematischer Kraft eine Modellskizze zum Gegenstand der Betrachtung vorgelegt wird. Diese ist aber konsequent darauf abgestellt, den Begriff des Katholizismus mit einer (fundamental-) theologisch hochwertigen Semantik auszustatten. D rey griff 1819 mit dieser Abhandlung in die Diskussion um die strukturelle Eigenart und funktionale Architektur der Konfessionen ein, die mit dem Reformationsjubiläum von 1817 besonders akut geworden war. Er erhob dabei aber die Problemsicht und die Problemlösungsperspektiven auf ein diagnostisches Niveau, das bis dahin - jedenfalls im Hinblick auf den Modellcharakter des Katholizismus, erfaßt als dessen Geist und Wesen - nie erreicht worden war. Er hat mit der Abhandlung von 1819 nicht nur der Theologie im katholischen Raum ein neues Gesicht gegeben (G eiselmann ), sondern dem Katholizismus selbst, und zwar sowohl innerhalb der Theorie des Christentums als auch in der Phänomenologie der Konfessionen. Die nachfolgenden Ausführungen zielen primär nicht auf eine interpretative Rekonstruktion des von D rey verfaßten Textes im Blick auf die einzelnen Inhalte oder den Aufbau der Gedankenführung, sondern auf die Erschließung des historischen und sachlichen Verstehenshorizontes für ihn vermittels der dafür einschlägigen Informationen, die in der bisherigen Dreyforschung kaum Beachtung fanden oder überhaupt unbekannt waren. Die ersten Erkundungsgänge gelten deshalb (1.) der begrifflichen, literarischen, epistemologischen und zeitgeschichtlichen Situierung der Abhandlung sowie (2.) der Klärung des Dreyschen Katholizismusbegriffs und (3.) des methodischen Ansatzes für sein Ideogramm. Im Anschluß daran wird (4.) der Charakter der Abhandlung als Programmschrift beleuchtet und (5.) der Vernetzung ihrer Thematik im Frühwerk D reys nachgegangen. Das führt (6.) zur <?page no="405"?> 373 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) Frage nach der Datierung der Abhandlung sowie (7.) nach ihrem Verhältnis zur ersten Programmschrift D reys , die 1812 unter dem Titel Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie herausgekommen war. Der Ausblick auf die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Abhandlung (8.) ist auf die Hauptpunkte ihrer bisherigen Wahrnehmung abgestellt. 1. Beschreibung und Situierung der Katholizismusschrift In dem essayistisch formulierten Titel Vom Geist und Wesen des Katholicismus ist das Vorhaben D reys exakt angezeigt: Bestimmung der begrifflichen Identität des Katholizismus in den Kategorien Geist und Wesen. Mit der Wahl dieser beiden Titelworte greift D rey auf zwei begriffsgeschichtlich heterogene Termini zurück, deren Gebrauch - je für sich genommen - zur Kennzeichnung derartiger Vorhaben in der Literatur der Zeit verbreitet war 3 , mit Anfängen seit der Mitte des 18. Jahrhunderts. Die Kombination der beiden Begriffe war eher selten 4 ; es scheint, daß erst D rey sie als Formel und in einem Werktitel in 3 Der der Schulterminologie entstammende Wesensbegriff war insbesondere in der neuzeitlichen Frage nach dem Wesen des Christentums im Gebrauch, mit seiner Wahl schreibt D rey sein Vorhaben in diese Zusammenhänge ein (Genaueres dazu weiter unten). Zur Verwendung des Geistbegriffs vgl. M ontesquieu , De l’esprit des lois (1748; deutsch: Der Geist der Gesetze, 1753); S aint -J ust , L’esprit de la re ´volution et de la constitution de France (1791); H erder , Vom Geist des Christenthums (1798); H egel , Der Geist des Christentums und sein Schicksal (1798/ 1800); W. v . H umboldt , Über den Geist der Menschheit (1797); W essenberg , Der Geist des Zeitalters (1801); C hateaubriand , Ge ´nie du Christianisme, ou Beaute ´s de la religion chre ´tienne (1802; deutsch: 1803/ 04); M arheineke , Allgemeine Darstellung des theologischen Geistes der kirchlichen Verfassung und kanonischen Rechtswissenschaft (1806); B lessig , Einige Bemerkungen über den Geist des Protestantismus (1808); G ügler , Einige Worte über den Geist des Christenthums und der Literatur [...] (1810); beachtenswert auch L igne , Logique et Philosophie du Catholicisme (1807/ 1816, vgl. unten Anm. 10). Die Übersetzungsgeschichte von C hateaubriands Ge ´nie du Christianisme ist aufschlußreich. In der Übersetzung, die dem D rey der KS zugänglich war, lautete der deutsche Titel: Genius des Christenthums oder Schönheiten der christlichen Religion von Franz August Chateaubriand. Aus dem Französischen übersetzt und mit berichtigenden Anmerkungen begleitet von Carl Venturini. 4 Bde., Münster 1803. Von dieser Übersetzung gab es Teilausgaben in Solothurn 1819 und 1820 sowie in Mainz 1828, wo der Geniusbegriff jedoch ersatzlos unterdrückt war. Der Geniusbegriff wurde aber in der zweiten Übersetzung beibehalten: Genius des Christenthums von dem Vicomte v. Chateaubriand. Uebers. von [Julius Franz] Schneller. 12 Teile (= Sämmtliche Werke des Vicomte v. Chateaubriand, Bde. 29-40). Freiburg i.Br., Teile 1-4: 1828; Teile 5-12: 1829. In den nachfolgenden Übersetzungen wurde dagegen »Genius« durch »Geist« ersetzt: Franc ¸ois-Rene ´ de Chateaubriand, Ausgewählte Werke. Übersetzt von Hermann Kurtz, Bde. 3-6: Geist des Christenthums. Ulm 1844; Der Geist des Christenthums von F. R. Chateaubriand. Übers. von J. F. Schneller. 2., nach der neuesten Originalausg. rev. und berichtigte Ausg., besorgt durch J. König. 2 Teile, Freiburg i.Br. 1857. - Zur Austauschbarkeit der beiden Begriffe vgl. I gnaz H einrich von W essen berg , Der Geist des Zeitalters [...]. Zürich 1801, 9: »Den Innbegrif der wesentlichsten Karakterzüge eines Zeitalters kann man füglich dessen Geist oder Genius nennen« (Hervorhebungen im Original). - Zur Bedeutung dieser Schrift W essenbergs für die Revisionsschrift D reys (und auch für die KS) siehe Einleitung zu Text Nr. 1, bei und in Anm. 44. 4 Vgl. z.B. L ouis C laude de S aint -M artin , Vom Geist und Wesen der Dinge [...]. Aus dem Franz. des Herrn von St. Martin übersetzt von G. G. Schubert [= G otthilf H einrich S chubert ] (mit einer Vorrede von F ranz B aader ). 2 Tle., Leipzig 1812. Titel der Originalausgabe: De l’esprit <?page no="406"?> 374 Beschreibung und Situierung der Katholizismusschrift die Theologie eingeführt hat 5 . Sie bilden im Titel der KS eine Art Hendiadyoin, ohne daß darin aber die jeweilige Eigenbedeutung der Begriffskomponenten verlorengeht. In der Art, in der D rey sie verwendet 6 , steht der Wesensbegriff für die bestimmte Einheit eines komplexen organischen Systems, das in seinen Strukturmerkmalen und Bestimmungsgründen lege artis zu ergründen ist. Im Hinblick darauf rekonstruiert D rey das Wesen des Katholizismus. Während der Wesensbegriff als philosophisch-theologischer Fachterminus herkömmlich auf die Definition einer Sache durch die Bestimmung ihrer substantiellen Proprietäten abgestellt ist (in der zeitgenössischen Frage nach dem Wesen des Christentums aber auch die in eine Wesensformel zu fassende Grundidee des Christlichen im Hinblick auf die Pluralität seiner konfessionellen Erscheinungen bezeichnen konnte), zielt die Geistmetapher, des choses [...]. Paris 1799. Der deutsche Werktitel zeigt an, daß 1812 das französische esprit von 1799 mit Geist und Wesen wiedergegeben werden konnte. - Der nachbarschaftliche (aber noch nicht zu stehender Formel zusammengefügte) Gebrauch der beiden Begriffe innerhalb von Texten ist dagegen auch in theologischen Untersuchungen um diese Zeit nichts Besonderes. Ein Beispiel dafür bietet die Schrift des Heidelberger Theologen F riedrich H einrich C hri stian S chwarz , Das Christenthum in seiner Wahrheit und Göttlichkeit betrachtet. Erster Theil. Die Lehre des Evangeliums aus den Urkunden dargestellt (Heidelberg 1808), auf die D rey selbst in seinem Theologischen Tagebuch III, 49 (TüA 1, 171, Text 52*) hinweist (Näheres dazu unten bei und in Anm. 85). 5 Eine mögliche Alternative wäre das von I gnaz T hanner (1770-1856) 1816 verwendete Begriffspaar Form und Wesen (des Katholicismus) gewesen, das D rey kannte und mit dem er sich auseinandersetzte (vgl. D reys Rezension von T hanner , Wissenschaftliche Aphorismen der katholischen Dogmatik zum Behufe des akademischen Lehrvortrages nach dem Bedürfniße der Zeit. Salzburg 1816, in: ThQ 1, 1819, 24-33). T hanner setzte das Begriffspaar zur Bestimmung des Verhältnisses des Katholizismus zum Christentum ein: Der Katholizismus ist für ihn die historische Form, in der sich das Wesen des Christentums (d.h. das Urchristentum) rein und mit objektiver Gültigkeit erhalten hat; die »Eigenthümlichkeit des Katholicismus« liegt demnach in der »Congruenz der Form mit dem Wesen« (siehe D rey 27-29). D rey dagegen bezieht in der KS den Wesensbegriff auf die Ecclesia catholica (die seit den Kirchenspaltungen als Konfession existiert). - Angeboten hätte sich ferner das Begriffspaar Geist und Sinn, das in den Jahren, in denen die KS entstand, gleichfalls zur Bestimmung der Identität des Katholizismus im Gebrauch war (vgl. unten in und bei Anm. 41). In den prinzipienorientierten Theoriebildungen zur kulturphänomenologischen Eigenart der jeweiligen Konfessionen, die bei F erdinand C hristian B aur ihren Höhepunkt erreichten, wurde bereits zur Frühzeit D reys auch schon das Begriffspaar Prinzip und Wesen verwendet (siehe weiter unten). 6 »Der Geist und das Wesen eines Systems religiöser Ideen läßt sich auf zweyfache Weise erkennen: einmal aus dem Inhalt seiner Lehren selbst, insoferne diese vollständig angegeben, genau bestimmt, und gehörig verbunden werden; sodann aus seinen Beziehungen - entweder auf das Wesen aller Religion überhaupt, oder wenn es eine positive Religion ist, auf die ursprüngliche historische Grundlage dieser, den Geist und Charakter der sich darinn offenbart. So wird auch der Geist und das Wesen des Katholicismus erkennbar aus einer genauen Darstellung seiner Dogmen [...] oder aus seinen Beziehungen auf das Wesen der Religion überhaupt, und im besondern auf die positive Grundlage des Christenthums, wovon er neben vielen andern eine besondere Gestaltung und Erscheinung ist; und in diesen seinen Beziehungen ihn darzustellen, wollen wir hier versuchen« (ThQ 1, 1819, 8). - In der Kurzen Einleitung von 1819 hat D rey sich verschiedentlich mit derartigen Alternativen befaßt, vgl. bes. KE § 222: »Wie das Christentum überhaupt, so kann auch sein Wesen angeschauet und untersucht werden, entweder als reiner Begriff (System von Begriffen), oder als lebendige Kraft [d.h. Geist], die sich ihre Welt gestaltet ...« (Hervorhebung nicht im Original). <?page no="407"?> 375 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) wie D rey sie im Bereich der Wesensfrage vorfindet, auf die intellektuelle Anschauung der inneren Kraft, die einem organischen System eignet, es belebt und es in seinen Merkmalen eint. In diesem Sinn war die Geistmetapher in der Philosophie und Literatur der Goethezeit zum »regierenden Fundamentalbegriff« geworden 7 . In H egels Systemfragment von 1800 liest sich das so: »Geist ist die lebendige Einigkeit des Mannigfaltigen im Gegensatz gegen dasselbe als seine Gestalt, [...] nicht im Gegensatz gegen dasselbe als von ihm getrennte, tote, bloße Vielheit; denn alsdann wäre er die bloße Einheit, die Gesetz heißt und ein bloß Gedachtes, Unlebendiges ist. Der Geist ist belebendes Gesetz in Vereinigung mit dem Mannigfaltigen, das alsdann ein Belebtes ist« 8 . D rey konnte das Systemfragment zwar nicht gekannt haben - es erschien erstmals 1907 im Druck -, aber was der junge H egel hier ins Wort faßte, entspricht dem in solchen Zusammenhängen gebrauchten Geistbegriff, der den Systementwürfen H egels vorausging und außerhalb davon fortdauerte 9 . Auf dieser Linie war 1802 auch C hateaubriands Ge ´nie du Christianisme, ou Beaute ´s de la religion chre ´tienne herausgekommen - ein publizistisches Großereignis, das in Deutschland als das öffentlich wirksamste Signal für einen neuen Blick auf das Christentum und den Katholizismus wahrgenommen wurde 10 . Das Ausmaß dieses Vorgangs in Deutschland läßt sich an J ohann 7 Siehe O do M arquard , Geist, in: HWPh 3 (1974) 182-191, bes. 186 ff. 8 Hegels theologische Jugendschriften nach den Handschriften der Kgl. Bibliothek in Berlin herausgegeben von Herman Nohl. Tübingen 1907, hier: Systemfragment von 1800, 343-351, 347. 9 Kennzeichnend dafür sind die Bestimmungsmerkmale, die der Breslauer Popularphilosoph F ülleborn (1769-1803) in einem vielbeachteten programmatischen Aufsatz für diesen Begriff des Geistes gegeben hatte: das »Innere« einer Sache, das »Wesentliche« und »Ganze«, das »Wichtigste« und »Reine«, das »Lebendige« und »Belebende« (G eorg G ustav F ülleborn , Was heißt den Geist einer Philosophie darstellen? , in: ders . (Hg.), Beyträge zur Geschichte der Philosophie. 5. Stück, Züllichau und Freystadt 1795, 191-203). 10 Vgl. B ernard M. G. R eardon , Religion in the Age of Romanticism. Studies in Early Nineteenth Century Thought. Cambridge 1985; bes. ders ., Liberalism and Tradition. Aspects of Catholic Thought in Nineteenth-Century France. Cambridge 1975, 5-7. - Ein kennzeichnendes Beispiel für die populäre Art der Chateaubriandrezeption in Frankreich und Deutschland stellt das folgende, von M arheineke 1816 in Berlin gleichzeitig in einer französischen und deutschen Fassung herausgegebene und mit einem bissigen Vorwort versehene Bändchen dar: Philosophie du Catholicisme par le Prince de L. [C harles J oseph de L igne , 1735-1814] avec la Re ´ponse par Madame la Comtesse M. de B. [M argy de B rühl , geb. S chleierweber ] et une pre ´face par Ph. Marheinecke. Berlin 1816; Philosophie des Catholicismus von dem Fürsten von L. Nebst der Antwort von Frau Gräfinn M. von B. und einer Vorrede des Herrn Dr. Marheinecke. Aus dem Französischen übersetzt [von C hristian L udwig C ouard ]. Berlin 1816. Das Bändchen enthält als Hauptstück einen in 35 Thesen gegliederten Text des Fürsten L igne unter dem bemerkenswerten Titel Logique et Philosophie du Catholicisme, der - konzeptionell ganz auf der Linie C hate aubriands - als Plädoyer zugunsten des Katholizismus angelegt ist. Die Ausführungen L ignes sind inhaltlich ohne Niveau, aber der adelige Autor erfreute sich nicht nur als Feldmarschall und Diplomat, sondern auch als gewandter Schriftsteller und grandioser Vertreter eines von C hateaubriand inspirierten, gegenrevolutionären Katholizismusbildes eines hohen Ansehens. Besonders beachtenswert ist, daß von ihm das Chateaubriandsche Ge ´nie du Christianisme auf den Nenner Logique et Philosophie du Catholicisme gebracht wurde. D rey <?page no="408"?> 376 Beschreibung und Situierung der Katholizismusschrift M ichael S ailer , dem gewaltigen Anreger für den Weg der katholischen Theologie in das Denken der neuen Zeit auch in der Frage nach dem Geist und Wesen des Christentums, des Katholizismus und der Kirche, verdeutlichen. S ailer hatte sich immer wieder mit dieser Frage befaßt, mit wechselhaften Methoden und unterschiedlichen Ergebnissen: traditionell ansetzend im Hinblick auf die Fundamentalartikel des katholischen Christentums, dann im Anschluß an L essing und H erder mit dem Begriff der lebendigen Überlieferung zu ständig neuer Gegenwart versus »archäologischem« Schriftprinzip, und weiter - nun mit S chelling und A ugust W ilhelm S chlegel - mit der Kirche als Kunstwerk, ja als höchstes Kunstwerk Gottes, bis schließlich C hateaubriands Ge ´nie du Christianisme ihn dazu bewog, »überall den Einen Geist des Christentums hervorzuziehen« und selbst seine dreibändige Pastoraltheologie von 1788/ 89 bzw. 1793/ 94 für die jetzt anstehende neue, dritte Auflage daraufhin zu überarbeiten 11 . Das war 1812, im selben Jahr, in dem D rey seine Revisionsschrift (bzw. den ersten Teil derselben 12 ) im Druck veröffentlichte. Es zeigt nicht nur, wie stark C hateaubriand auf S ailer einwirkte, der auch darob »der große Anreger, Führer und Wegbereiter« 13 und »Neuschöpfer lebendigen, universellen christlichen Geistes auf der Grundlage der Überlieferung« 14 wurde, sondern es kennzeichnet zugleich die Situation, in der D rey sich der Frage nach dem Geist des Christentums und des Katholizismus zuwandte, soweit dafür Anstöße von S ailer / C hateaubriand auf ihn einwirkten. dürfte (schon wegen des Engagements M arheinekes ) die Schrift - oder wenigstens ihren in die Augen springenden Titel - gekannt haben, zumindest aus den kritischen Rezensionen in der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung (Jg. 14, 1816, Ergänzungsblätter Jg. 5, Bd. 2, Nr. 65, Sp. 129-136) sowie in der Allgemeinen Literaturzeitung (1817, Bd. 1, Nr. 12, Sp. 92-94), die er fleißig las. Die Formel Logique et Philosophie du Catholicisme entspricht topologisch den Formeln Geist und Wesen bzw. Geist und Sinn etc., zeigt aber zugleich das ideogrammatische Gefälle der Katholizismus-Protestantismus-Debatte an. - Die Gräfin M. von B., deren protestantische Stellungnahme zu dem Text von L igne in beiden Bändchen mit abgedruckt ist, war mit M arheineke befreundet, sie starb 1816 in Berlin. Bei L igne gab es Querverbindungen zu M me de S tae¨l (1766-1817), die 1804 A ugust W ilhelm S chlegel als Hauslehrer für ihre Kinder gewonnen hatte. Die in den genannten Bändchen abgedruckten Texte L ignes und B rühls gehen auf Manuskripte aus dem Jahr 1807 zurück, die die Gräfin nach Berlin mitgebracht hatte. - Zur Beachtung C hateaubriands in Ellwangen und Tübingen siehe unten Anm. 24. 11 Vgl. dazu J oseph R upert G eiselmann , Johann Adam Möhler und die Entwicklung seines Kirchenbegriffs, in: ThQ 112 (1931) 1-91; ders ., Geist des Christentums (wie Anm. 2), bes. VII-XI; ders ., Von lebendiger Religiosität zum Leben der Kirche. Johann Michael Sailers Verständnis der Kirche geistesgeschichtlich gedeutet. Stuttgart 1952. - Das Zitat ist einem Brief S ailers vom 11. Januar 1812 entnommen (siehe G eiselmann , Geist des Christentums VII mit Anm. 4. Unter den von G eiselmann in diesen Band aufgenommenen Quellentexten befinden sich drei einschlägige Texte S ailers neben der KS D reys ). 12 Zum Fragmentcharakter der Revisionsschrift siehe unten Ziff. II.7 sowie Einleitung zu Text Nr. 1, Ziff. II.2. 13 G eiselmann , Geist des Christentums XI. 14 H einrich von S rbik , Deutsche Einheit. Idee und Wirklichkeit vom Heiligen Reich bis Königgrätz. 4 Bde., München 1935-1942, Bd. 1, 176 (vgl. G eiselmann , Geist des Christentums VII). <?page no="409"?> 377 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) In diesem Geschehen haben jene Schüler S ailers , die die von ihrem Meister angezeigte Neuorientierung mit Enthusiasmus ihrerseits ins Werk zu setzen suchten, für D rey mit Sicherheit signalgebend mitgewirkt, darunter A lois G ügler 15 , der seine Auffassungen freilich mit der Intransigenz seines Charakters zur Geltung zu bringen suchte. Die daraus sich entwickelnden Streitigkeiten, die zum Konflikt zwischen dem alten und dem neuen Geist hochstilisiert wurden, sorgten weithin für Aufsehen. Als besonders wirksamer Zündsatz erwiesen sich polemische Rezensionen, die G ügler im Frühjahr 1810 veröffentlicht hatte 16 und noch im selben Jahr in erweiterter Form in einem Sammelband mit dem Gesamttitel Einige Worte über den Geist des Christenthums und der Literatur im Verhältnis zu den Thaddäus Müllerschen Schriften erscheinen ließ 17 . Ein systematischer Teil daraus wurde von G eiselmann in seine Ausgewählten Schriften katholischer Theologie im Zeitalter des Deutschen Idealismus und der Romantik aufgenommen und dort von ihm als »das erste Stück einer echten theologischen Romantik« in der katholischen Theologie im Zeitalter der deutschen Bewegung vorgestellt 18 . Der Luzerner Streit, in den auch politische Verwicklungen und persönliche Animositäten hineinspielten, schlug so hohe Wellen, daß selbst W essenberg als Konstanzer Generalvikar 15 J oseph H einrich A lois G ügler , * 25. August 1782 in Udligenschwyl, † 18. Februar 1827 in Luzern; 1801 Studium in Solothurn und Luzern, 1802-1804 in Landshut bei S ailer und P atriz B enedikt Z immer , 1805 Priesterweihe und Prof. der Exegese in Luzern, 1816 Chorherr. Ausgehend von S ailer und literarisch beeinflußt von C lemens B rentano und F ried rich S chlegel , war er einer der Hauptvertreter der Luzerner Romantik. Unter dem Einfluß des französischen Traditionalismus (L amennais ) übernahm er zunehmend die Rolle eines konservativen Zeitkritikers und intransigenten Aufklärungsgegners mit Verbindungen zur Nuntiatur. - Lit.: ADB 10 (1879) 95-99 (K arl W erner ); NDB 7 (1966) 253-254 (J oseph R upert G eiselmann ); E lmar K linger , Alois Gügler (1782-1827), in: H einrich F ries , G eorg S chwaiger (Hg.), Katholische Theologen Deutschlands im 19. Jahrhundert 1. München 1975, 205-226. S tephan L ösch , J. A. Möhler und die Lehre von der Entwicklung des Dogmas, in: ThQ 99 (1917/ 18) 28-59; 129-152, 43 f. - Zur Luzerner theologischen Romantik vgl. H ans J. M ünk , Die deutsche Romantik in Religion und Theologie, in: H elmut S chanze (Hg.), Romantik- Handbuch. Stuttgart 1994, 556-586, bes. 580 f (mit Lit.). 16 Die Folge von acht Rezensionen G üglers zu verschiedenen Schriften von T haddäus M üller erschien im Februar und März 1810 in der Neuen oberdeutschen allgemeinen Literaturzeitung, Nr. 41-44 und 54-57 (27. Februar - 21. März 1810). - T haddäus M üller , * 2. Oktober 1763 in Luzern, † 10. April 1826 ebd., 1796 Stadtpfarrer in Luzern, 1798 Bischöflicher Kommisar, Vertrauensmann W essenbergs und Statthalter der Konstanzer Behörden in Luzern. - Lit.: ADB 22 (1885) 675-677 (P lacid M eyer von S chauensee ); NDB 18 (1997) 475-476 (M an fred W eitlauff ); BBKL 6 (1993) 304-308 (M anfred W eitlauff ) (Lit.). 17 Das Titelblatt dieses Bandes nennt weder Autor noch Verlagsort, das Vorwort trägt jedoch die Unterschrift: »Luzern, 12. Juli 1810. Professor Gügler.« (11). G ügler reagiert in diesem Band auch auf M üllers Gegenrezension und fügt weiter ausgreifende, systematische Reflexionen an. - Eine von K linger , Alois Gügler (wie Anm. 15) 225, erwähnte zweite Auflage in Landshut 1810 konnte bibliographisch nicht nachgewiesen werden. 18 G eiselmann , Geist des Christentums XI; hier auf den Seiten 53-82 der Text G üglers . - Durch G eiselmanns unvollständige Wiedergabe des Titels in seinem Editionsteil entsteht der Eindruck, daß der Text G üglers ein thematisch in sich stehender Artikel zum »Geist des Christentums und der Literatur« war, was zu einer überhöhten Einschätzung des Textes führt (zu Auslassungen im Text siehe unten Anm. 22). <?page no="410"?> 378 Beschreibung und Situierung der Katholizismusschrift sich damit befassen mußte 19 . Der Streit und der Streitgegenstand waren weithin bekannt, es ging um die Ziele der Sailerschen Erneuerungsbewegung in Luzern, auf die die dortigen Schüler S ailers sich eingeschworen hatten, mit G ügler , G eiger 20 und W idmer 21 , dem Luzerner theologischen »Dreigestirn«, an der Spitze. Der Beitrag G üglers spielte in den Auseinandersetzungen eine zentrale Rolle, einmal wegen der scharfzüngigen, plakativen Zuspitzung des Streitgegenstandes auf einen Konflikt zwischen einem alten und einem neuen Geist des Christentums, wodurch der lokale Zank in die höhere Sphäre einer epochalen Umwälzung erhoben wurde, zum andern durch seine theologische Leistung in der Darstellung der Grundzüge des neuen Geistes, sodaß G üg lers Reflexionen geradezu als ideogrammatisches Manifest dieses Geistes aufgenommen werden konnte. Mit der Thematik und Titelformulierung des Sammelbandes - Geist des Christentums - hat die Sailerschule in Luzern den programmatischen Buchtitel in der katholischen Theologie auch bibliographisch auf den Schild gehoben. Er war somit zu der Zeit, in der D rey sich anschickte, an der Friedrichsuniversität in Ellwangen seine Arbeit aufzunehmen, zu einem fachlichen Topos für den katholischen Theologen geworden. Falls D rey , der mit Sicherheit um die Vorgänge in Luzern wußte, nicht nur den Buchtitel kannte, sondern auch den Text G üglers im Wortlaut, konnte er 19 Näheres dazu bei M ichael B angert , Bild und Glaube. Ästhetik und Spiritualität bei Ignaz Heinrich von Wessenberg (1774-1860) (Studien zur christlichen Religions- und Kulturgeschichte 11). Freiburg i.Ü., Stuttgart 2009, 321-343, bes. 331. 20 F ranz G eiger , *16. Mai 1755 in Harting bei Regensburg, Taufname J ohann N epomuk , Ordensname F ranz T iburtius , † 8. Mai 1843 in Luzern; Studium in Regensburg und Würzburg, 1773 OSF (bis 1805) in Luzern, 1779 Priesterweihe, danach Prof. der Poetik und Rhetorik am Ordensgymnasium in Offenburg und Lektor der Philosophie in Freiburg i.Ü., 1788 Lektor der Theologie im Kloster und Stiftsprediger zu Solothurn, 1792-1819 Prof. der Dogmatik und Kirchengeschichte in Luzern, 1808 Chorherr. G eiger war ausgeprägt ultramontan eingestellt und galt als Informant der Luzerner Nuntiatur. - Lit.: ADB 8 (1878) 506-507 (F ranz H einrich R eusch ). - G eiselmann hat in seinem Sammelband Geist des Christentums auf den Seiten 45-52 eine kurze Abhandlung G eigers zum organischen Kirchenbegriff gebracht. Nach L ösch war G eiger der »Hauptvermittler zwischen Deutschland, Schweiz und Frankreich«. Die Luzerner Theologenschule hatte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit den Tübingern »so enge Verbindung gewahrt, daß man in ihren Werken (...) ein, wenn auch jenes ersten romantischen Schwunges entbehrendes, Kompendium der Tübinger Theologie erblicken könnte« (S tephan L ösch , J. A. Möhler im Jahre 1834 35, in: ThQ 106, 1925, 66-99, 90-91). 21 J oseph W idmer , * 15. August 1779 in Waldisbühl / Hochdorf (Luzern), † 10. Dezember 1844 in Beromünster, Studium am Lyzeum in Luzern, von 1802 bis 1804 gemeinsam mit G ügler an der Universität Landshut bei S ailer und Z immer . 1804 Priesterweihe in Konstanz, im selben Jahr Prof. der Philosophie in Luzern, 1819 der Moral- und Pastoraltheologie ebd.; 1816 mit G ügler Chorherr an St. Leodegar, 1833 wegen reaktionärer Aktivitäten von der Regierung amtsenthoben, danach Kanonikus und Probst in Beromünster. Er gab im Auftrag und unter der Anleitung S ailers ab 1833 dessen Sämmtliche Werke in 40 Bänden heraus, desgleichen die Werke seiner Freunde und Kollegen G ügler (7 Bde., Luzern und Sarmensdorf 1828-1840) und G eiger (8 Bde., Flüelen 1823-1839). 1822 publizierte er P. B. Zimmer’s Wissenschaft, ausführlich dargestellt (mit Nachtrag zu Zimmer’s Biographie 1823). - Lit.: ADB 42 (1897) 361 (F riedrich L auchert ); BBKL 17 (2000) 1541-1543 (F ranz X aver B ischof ). <?page no="411"?> 379 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) feststellen, daß G ügler dort nicht nur den Geist des Christentums, sondern ausdrücklich auch den Geist des Katholizismus darzustellen sich vorgenommen hatte 22 . Doch so oder so, die seit N ovalis (1799) und C hateaubriand (1802) virulent gewordene Frage nach dem Geist des Katholizismus hatte nun auch die katholische Theologie erreicht. Parallel dazu war die Frage nach dem »Geist und Sinn« des Katholizismus in den Jahren, in denen D rey die KS konzipierte, zu einem der großen Themen des allgemeinen öffentlichen Diskurses selbst im Brockhaus aufgestiegen (siehe weiter unten). Im Unterschied zu G ügler , dessen Beitrag - den Umständen hitziger Rezensionen gemäß - über die Skizzierung einer auf den Begriff der lebendigen Überlieferung abgestellten Idee kaum hinauskommt, hat D rey sich in der KS seines Gegenstandes systematisch angenommen. Zwar atmet auch die KS die Luft einer Gewitterfront, aber D rey hat den Horizont ausgeweitet und das Gelände von Grund auf neu vermessen und wissenschaftlich kartographiert. Gewiß eignen der KS auch kämpferische Züge, die Merkmale einer beschwingten Sprache, einer sich mitteilenden Entdeckerfreude und eines persuasiven Argumentationsstils, aber in ihrem harten Kern ist sie einschränkungslos eine stringent durchkonstruierte fachliche Abhandlung. Sie ist in ihrem wissenschaftlichen Charakter eine Prinzipienlehre zum theologischen Begriff des Katholizismus, wie es sie zuvor nicht gab, bei weitem auch nicht bei den Luzernern. Sie unterscheidet sich in vielfacher Hinsicht auch von C hateaubriands Ge ´nie du Christianisme. Dieses Werk war zwar zweifellos ein Leuchtturm für den Autor der KS, aber zwischen ihm und der KS liegen Welten. D rey bringt keineswegs nur eine »gewisse Präzisierung« in die »breite romantische Vision« C hateaubriands , die er »weithin geteilt« hätte 23 . Diese Einschätzung ist oberflächlich und falsch. Gemeinsam ist ihnen gewiß das Vorhaben, den Geist und 22 Der erste Satz, mit dem er den systematischen Teil des Bandes eröffnet, lautet: »Wir wollen den in Frage stehenden Geist des Katholizismus und des Christentums klar und kurz darlegen ...« (G ügler , Einige Worte über den Geist des Christenthums (wie bei Anm. 17) 102). G eiselmann hat nach eigenen Angaben in seiner Edition des Textes G üglers »den ersten, rein polemischen Teil« der Rezensionen weggelassen, sodaß der von ihm edierte Text mit diesem Satz beginnt (vgl. G eiselmann , Geist des Christentums 55 und die Erläuterungen des Herausgebers zu S. 53, ebd. 472, sowie oben Anm. 18). G eiselmann hat aber auch innerhalb des von ihm zum Abdruck gebrachten Textes zahlreiche und zum Teil recht umfangreiche Textstücke weggelassen, ohne es mitzuteilen und ohne den Ort der Auslassungen zu kennzeichnen, sodaß die von ihm zusammengestellten Auszüge den Anforderungen einer zuverlässigen Edition nicht genügen. - Der Name G üglers taucht bei D rey aber in keiner seiner Schriften auf; auch in seinen Büchernachlaßlisten ist keine Güglerschrift angeführt. 23 So J oseph F itzer , Romance and the Rock. Nineteenth-Century Catholics on Faith and Reason. Edited and introduced by Joseph Fitzer (Fortress Texts in Modern Theology). Minneapolis 1989, 60. Abgesehen von dieser Fehleinschätzung hat F itzer das Verdienst, in seiner Zusammenstellung primordialer Texte des 19. Jahrhunderts D rey mit dessen Revisionsschrift als Hauptfigur zwischen C hateaubriand und M öhler plaziert und diesem Dreigestirn die Grundlegung der späteren Entwicklungen zuerkannt zu haben (vgl. dazu Einleitung zu Text Nr. 1, Ziff. I.4, sowie bes. bei und in Anm. 191). <?page no="412"?> 380 Beschreibung und Situierung der Katholizismusschrift das Wesen des Katholizismus bzw. das Ge ´nie du Christianisme (gemeint ist auch hier der Katholizismus) darzustellen, hier wie dort aus einer bejahenden Einstellung gegenüber ihrem Sujet und einer protreptischen Absicht heraus; anführen kann man ferner den vielleicht nicht ganz zufälligen 24 Umstand, daß die KS in vier Aufsätze gegliedert ist und das Werk C hateaubriands in vier Teile, aber in ihrer Themenstellung stimmen die Teile keineswegs überein, sowenig wie in der jeweiligen Verfahrensweise. C hateaubriand referiert (1.) über die Dogmes et doctrines des Katholizismus, um von da aus weiterzu- 24 Bei dem Aufsehen, das C hateaubriands Ge ´nie du Christianisme bekanntermaßen in Deutschland erregt hatte, ist unbedingt davon auszugehen, daß D rey dieses Werk kannte. Das Interesse D reys an C hateaubriand geht überdies daraus hervor, daß während der Ellwanger Zeit D reys das folgende Werk für die Bibliothek der Friedrichsuniversität angeschafft wurde: J ohann A ugust E berhard , Der Geist des Urchristenthums. Ein Handbuch der philosophischen Cultur für gebildete Leser aus allen Ständen in Abendgesprächen. Bd. 1 und 2 Halle 1807, Bd. 3 Halle 1808 (Nachweis bei E ugen H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität Ellwangen 1812-1817. Erinnerungsschrift zur feierlichen Eröffnung des Königl. Württemb. Gymnasiums Ellwangen am 4. November 1817. Ellwangen [1917], 26; die Anschaffung erfolgte wohl 1816 auf Veranlassung D reys , der mit E berhards Schriften schon in Rottweil vertraut war). Das Werk beinhaltet 86 »Untersuchungen zum Geist des Urchristenthums« (vgl. Bd. 3, Vorrede III) in der Form literarischer Reportagen von Gesprächen, die in einer »Abendgesellschaft auserlesener Männer« stattgefunden haben sollen. Die »Untersuchungen« E berhards sind durch C hateaubriands Ge ´nie du Christianisme angestoßen und kreisen gänzlich um dessen Ideen. Die erste Untersuchung beginnt mit den Worten: »Wir haben nun Alle das Werk des Herrn von C h a t e a u b r i a n t gelesen ...« (Bd. 1, 5). Der Gewinn, den D rey aus den 86 Untersuchungen E berhards gezogen hat (bes. für die zweite Abhandlung der KS, aber wohl auch schon für die Revisionsschrift) würde eine eigene Untersuchung verdienen (zu E berhard siehe auch Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 43). - J ohann A ugust E berhard (1739-1809) war von 1778 bis 1809 Professor der Philosophie in Halle. F riedrich S chleiermacher war E ber hards bekanntester Schüler. - Zu ihm: F riedrich N icolai , Gedächtnißschrift auf Johann August Eberhard (1810), jetzt in: F riedrich N icolai , Sämtliche Werke. Briefe. Dokumente. Berliner Ausgabe, Hg. von P hillip M. M itchell [u.a.]. Bd. 6, Erster Teil. Bern 1995, 149-180; ADB 5 (1877) 569-571 (A rthur R ichter ); R udolf E isler , Philosophen-Lexikon. Leben, Werke und Lehren der Denker. Berlin 1912, 146 f; Eberhard, Johann August, in: W alther K illy (Hg.), Literaturlexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache 3. Gütersloh 1989, 140-142; G erda H assler , Johann August Eberhard (1739-1809). Ein streitbarer Geist an den Grenzen der Aufklärung. Mit einer Auswahl von Texten Eberhards (Schriftenreihe zur Geistes- und Kulturgeschichte. Texte und Dokumente). Halle 2000. Daß man auch in Tübingen anhaltend auf C hateaubriand achtete, geht aus ThQ 1 (1819) 360 hervor, wo G ratz eine kurze Litterärische Nachricht über dessen Reise von Paris nach Jerusalem bringt und auf eine kritische Rezension verweist. Zu erwähnen ist hier auch F ranz A nton S taudenmaier , Der Geist des Christentums, dargestellt in den heiligen Zeiten, in den heiligen Handlungen und in der heiligen Kunst. Mit einer Zugabe von Gebeten. Mainz 1835 ( 8 1880). S tau denmaier , der als Schüler D reys der Katholischen Tübinger Schule beigezählt wird, bewegt sich in diesem zum Bestseller gewordenen liturgischen Meditationsbuch gänzlich im Fahrwasser von C hateaubriands Ge ´nie du Christianisme, ohne aber dessen Namen zu nennen. Obwohl er die Herkunft seiner Ideen verschweigt, ist das zweibändige Werk als massives Zeugnis für die Ausstrahlung C hateaubriands nach Tübingen (bzw. Gießen) zu bewerten. Zum Verhältnis S taudenmaier - C hateaubriand vgl. C arl B raig , Über Geist und Wesen des Christentums. Eine Studie zu Chateaubriands Ge ´nie du Christianisme und verwandten Erscheinungen, in: Festschrift der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg zum fünfzigjährigen Regierungsjubiläum des Großherzogs Friedrich. Freiburg 1902, 13-62. - Zur Chateaubriandrezeption in Deutschland vgl. auch oben Anm. 10. <?page no="413"?> 381 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) schreiten zur Darstellung (2.) der Poe ´tique du christianisme, (3.) der Beaux-arts et litte ´rature und (4.) des Culte, D rey dagegen will keine Inhalts- und Zustandsbeschreibungen geben und schließt gerade den doktrinalen Ansatz für sein Vorhaben aus, um statt dessen formale Verhältnisbestimmungen vorzunehmen: (1.) Beziehung des Katholizismus auf das Urchristentum, (2.) Beziehung auf die Grundprinzipien des Urchristentums, (3.) Beziehung auf Religiosität und Gottesverehrung, (4.) Beziehung auf Kirchentum. Daß hier wie dort die mit der Denkform der Romantik verbundenen kategorialen und motivischen Ingredienzien zum Zuge kommen, versteht sich im Zeitalter der Romantik von selbst. Aber in der Sache liegen wie gesagt Welten zwischen beiden. Bei C hateaubriand handelt es sich ausdrücklich um eine Apologie des Katholizismus in der Absicht, dieser seit V oltaire so verachteten Religion zu ästhetischem, bürgerlichem und politischem Ansehen zu verhelfen und diese Religion in Form einer operativen Kampfschrift als Ordnungs- und Heilsmacht zur politischen Gestaltung der napoleonischen Gegenwart ins Spiel zu bringen. Theologisch gesehen kommt C hateaubriand über eine flache Schönrednerei kaum hinaus. D rey hingegen entwickelt in der KS eine relationale Strukturontologie zum theologischen Begriff des Katholizismus in der Disziplin einer wissenschaftlichen Abhandlung, wie es seinem Wissenschaftsverständnis entspricht. Daß sie im Endeffekt auf eine Apologie des Katholizismus hinausläuft, liegt an ihren Ergebnissen, aber in ihrem literarischen Genus ist die KS eine Abhandlung vom Typus der wissenschaftlichen »Apologetik«, wie sie von D rey in der Kurzen Einleitung (die er im selben Jahr wie die KS herausbrachte) konzipiert ist 25 . Die wissenschaftliche Apologetik hat die »Rechtfertigung des Christentums und des [christlichen] Kirchentums« (vgl. KE § 237) zum Ziel; sie hat gemäß dem herkömmlichen Gliederungsraster, den D rey kennt, die Aufgabenfelder der demonstratio religiosa, christiana und catholica zu übernehmen, wenngleich nach Maßgabe des von D rey für die katholische Theologie neu konzipierten Apologetikbegriffs. D rey unterscheidet hier zwei Teilfunktionen, die er als »Apologetik« (im Sinne der philosophischen Theologie) bzw. »Polemik« (im Hinblick auf die konfessionellen Gestaltungen des Christentums) bezeichnet (vgl. KE §§ 230-236; 237-247; D rey verwendet den Terminus »Apologetik« sowohl als Oberbegriff für die beiden Teilfunktionen, d.h. zur Bezeichnung der ganzen damit gemeinten Disziplin, als auch zur Bezeichnung der erstgenannten Teilfunktion). Im Hinblick auf die Dreysche Aufgliederung der Apologetik in die beiden Teilfunktionen ist die KS diskurstypologisch eindeutig dem Gebiet der »Polemik« bzw. der »polemischen« Theologie zuzuweisen, wobei jedoch die prägnant wissenschaftstheoretische Fassung seines Polemikbegriffs zu beachten ist. Mit polemischen Stilmerkmalen oder mit der Literaturgattung der Polemik im publizistischen oder 25 Siehe KE §§ 221-229; dazu Bandeinleitung zu TüA 3, 151*-158*. <?page no="414"?> 382 Beschreibung und Situierung der Katholizismusschrift umgangssprachlichen Gebrauch dieses Wortes hat das nichts zu tun. Gemäß dem Apologetikbegriff D reys beschränkt sich die »Polemik« als wissenschaftliche »Apologetik des Katholicismus« auf die methodologisch fundierte Erhebung der »Charakteristik des Katholicismus« und ist mit dieser strikt identisch 26 . * Bei der Frage nach dem Geist und Wesen des Katholizismus handelt es sich tatsächlich historisch wie sachlich um ein Spezialproblem innerhalb der Frage nach dem Wesen des Christentums. Sie ist deshalb, was ihr Erkenntnisinteresse und ihren epistemologischen Status angeht, im Licht der letzteren zu würdigen. Diese ist, wie W agenhammer nachgewiesen hat, in ihren Vorformen so alt wie das Christentum, aber zu ihrer förmlichen begrifflichen Ausbildung gelangte sie - mit Wurzeln in der Mystik und im Pietismus - erst im Laufe der Neuzeit 27 , um schließlich in der Philosophie und Theologie der Aufklärung sich zu einer eigenständigen Form der christlichen Selbstvergewisserung abseits der schultheologischen Dogmatik auszusondern. In diesem Sinn war sie in und mit der Aufklärung zu einer der epochalen Leitfragen der Neuzeit aufgestiegen 28 . Im Zeichen der sich verselbständigenden Wesensfrage trat der dogmatischen Ekklesiologie somit eine freie oder jedenfalls methodologisch freiere Alternative zur Seite, die in der philosophischen und theologischen Literatur sich auch eine eigene Sprache und eigene Denkprojekte schuf. Allein schon am Titel der KS ist abzulesen, daß D rey sie auf diesem Feld angesiedelt sehen wollte, und die inhaltlichen Merkmale der Abhandlung bestätigen diese Annahme. Nicht nur die Art der Fragestellung und der Terminologie, sondern auch der methodische Ansatz und mit ihm die Erkenntniskriterien und die Typik der Argumentation lassen keinen Zweifel daran zu, daß es sich bei ihr um keinen dogmatischen Traktat handelt, sondern um eine Abhandlung aus dem Geist der neuzeitlichen Wesensfrage. Gleichfalls nicht zu bezweifeln ist jedoch auch der einschränkungslos theologische Charakter dieses Essays im Sinne der apologetischen Theologie sowie auch die Hintergrundgeltung des Dogmas. 26 Diese Gleichsetzung ist D rey 1819 in einer Rezension derart beiläufig in die Feder geflossen, daß er sie als geläufig angesehen haben muß (vgl. ThQ 1, 1819, 32). 27 Siehe H ans W agenhammer , Das Wesen des Christentums. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung (Tübinger theologische Studien 2). Mainz 1973; M ax S eckler , Christentum, in: LThK 3 2 (1994) 1105-1117, bes. 1107-1115. 28 Siehe H einrich H offmann , Zum Aufkommen des Begriffs »Wesen des Christentums«, in: ZKG 45 (1927) 452-459; ders ., Die Frage nach dem Wesen des Christentums in der Aufklärungstheologie, in: Harnack-Ehrung. Beiträge zur Kirchengeschichte ihrem Lehrer Adolf von Harnack zu seinem siebzigsten Geburtstage (7. Mai 1921) dargebracht von einer Reihe seiner Schüler. Leipzig 1921, 353-365; S tephen S ykes , The Identity of Christianity. Theologians and the Essence of Christianity from Schleiermacher to Barth. Philadelphia 1984; M arkus S chröder , Die kritische Identität des neuzeitlichen Christentums. Schleiermachers Wesensbestimmung der christlichen Religion (Beiträge zur historischen Theologie 96). Tübingen 1996. <?page no="415"?> 383 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) Der Ort, den die KS im Horizont der neuzeitlichen Frage nach dem Wesen des Christentums einnimmt, bedarf einer genaueren Bestimmung, da es innerhalb dieser Leitfrage zu unterschiedlichen Problemkonfigurationen und gegensätzlichen Lösungsmodellen gekommen ist. Ging es im Rationalismus der ersten Phase darum, das geschichtliche Erscheinungsbild des Christentums als einer positiven Religion zu übersteigen, die Wesensfrage also zu »entpositivieren«, um auf dem Weg einer vernunftautonomen Rekonstruktion sein wahres Wesen als Vernunftreligion zu ermitteln, so führte der Widerstand gegen die Religionsprojekte der Aufklärung sowie das neue Wirklichkeitsverständnis der Romantik zu einer Neubewertung des Geschichtlich-Positiven, derart, daß nun das Wesen des Christentums gerade in seiner deduktiv unableitbaren Eigenart als positive Religion zu bestimmen gesucht wurde. Diese Umpolung im Erkenntnisgegenstand und in den Bewertungskriterien betraf zunächst das Christentum als solches, und somit die Frage nach seinem reinen geschichtlich gestifteten Wesen überhaupt, das den Konfessionen als individuellen Gestaltungen des Christentums vorausliegt, wiewohl es in ihnen zur Erscheinung gelangen kann. Doch damit veränderte sich alsbald auch der Blick auf die Konfessionen, denen nun gleichfalls ein ihnen je »eigenthümliches« Wesen zuerkannt werden konnte. So kam es zur Frage nach dem Wesen des Katholizismus und des Protestantismus. Gab es zuvor begrifflich nur ein Christentum, das Christentum, mit Abirrungen, Abspaltungen und Verunstaltungen auf doktrinalen und disziplinären Gebieten, so erscheinen nun die großen christlichen Konfessionen kraft ihrer systemischen Eigenart als wesenhaft unterschiedliche Realisationsformen des Christentums. Die Übertragung des Wesensbegriffs auf die Konfessionen führte zu einem neuen Verständnis der Konfessionen als unterschiedliche, aber intentional je ganzheitliche Auffassungen und Gestaltungen des einen Christentums. Nicht durch einzelne Lehrdifferenzen und Verfassungsmerkmale unterscheiden sie sich somit letztlich, sondern in der Totalität ihres ihnen »eigenthümlichen« Wesens, das seinerseits auf unterschiedliche, je und je identitätsstiftende Prinzipien zurückgeführt wird. Ihren Anfang nahm diese Entwicklung gegen Ende des 18. Jahrhunderts in der Selbstreflexion protestantischer Theologen auf den Identitätskern des Protestantismus, aus der auch der Neuprotestantismus 29 hervorging, geistesgeschichtlich kennzeichnet er den Übergang vom Rationalismus der Aufklärung zu den holistischen Deutungen der Konfessionen in der Romantik und im Idealismus. Die Diskussion konzentrierte sich von da an zum einen auf die Frage nach dem Prinzip oder den Prinzipien des 29 Zu diesem Begriff vgl. K urt L eese , Der Protestantismus im Wandel der neueren Zeit. Texte und Charakteristiken zur deutschen Geistes- und Frömmigkeitsgeschichte seit dem 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart (Kröners Taschenausgabe 180). Stuttgart 1941; V olker D rehsen , Neuprotestantismus, in: TRE 24 (1994) 363-383; H ermann F ischer , Protestantismus. I. Begriff und Wesen, in: TRE 27 (1997) 542-551. <?page no="416"?> 384 Beschreibung und Situierung der Katholizismusschrift Protestantismus bzw. Katholizismus in ihrer Gegensätzlichkeit, zum andern entwickelte sich die Frage nach dem Geist und Wesen der Konfessionen zu einem eigenen theologischen und literarischen Topos. In dem vor allem von F ichte , S chleiermacher und H egel vorangetriebenen Paradigmenwechsel 30 wurden zur Bestimmung der Wesensart bzw. der Prinzipien des Protestantismus und Katholizismus und ihres Verhältnisses zueinander zwei Ideogramme modelliert: das des kontradiktorischen Gegensatzes der Konfessionen bei F ichte , H egel und den theologischen Hegelianern, und das ihrer potentiellen Gleichrangigkeit als jeweils eigentümliche, aber gleichwohl authentische Gestaltungen des Christlichen bei S chleier macher . F ichte hatte bereits 1798 in seinem System der Sittenlehre im Sinne von Modell I den »Geist des Protestantismus« und den »Geist des Papismus« einander entgegengestellt; in seinen Berliner Vorlesungen über Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters (1804/ 05, Erstdruck 1806) und in seinen Reden an die Deutsche Nation (1807/ 08, Erstdruck 1808) entwickelte er dieses Gegensatzdenken weiter und faßte jetzt den Protestantismus als Bildungsmacht aus den Prinzipien der Vernunft und Freiheit im Umgang mit den Quellen des christlichen Glaubens in kontrastierender Abhebung vom Katholizismus. Der Protestantismus ist in Ansehung dieser Prinzipien das wahre Christentum gemäß seiner Selbstbestimmung zu vernünftiger Allgemeingültigkeit und insofern die wahre »katholische« Form des Christentums. Er steht für das Prinzip des Fortschreitens im geschichtlichen Wandel des kirchlichen Glaubenssymbols, sein Korrelat ist der Vernunftstaat, der Katholizismus für das Festhalten am Alten und für das Bestreben, die allgemeine Vernunft zum Stillstand zu bringen, sein Korrelat ist der Despotismus 31 . Auf dieser Linie auch H egel , dessen diesbezügliche Ausführungen in der Phänomenologie des Geistes (1802) und in der Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1817) gleichfalls in die Entstehungszeit der KS fallen. Als eigentliches Charaktermerkmal des Katholizismus gilt hier die Äußerlichkeit im Verhältnis zu Gott und zum Geist; daraus resultieren die unfreien, ungeistigen und abergläubischen Zustände in dieser mittelalterlichen und damit überwundenen Gestalt des Chri- 30 Dazu H ans J oachim B irkner , Deutung und Kritik des Katholizismus bei Schleiermacher und Hegel, in: ders ., Schleiermacher-Studien. Eingel. und hg. von H ermann F ischer (Schleiermacher- Archiv 16). Berlin, New York 1996, 125-136; K urt F rör , Die Wesensbestimmung des Katholizismus unter der Einwirkung des Hegelschen Idealismus, in: NKZ 43 (1932) 336-370; 385-390; G ünter M eckenstock , Protestantismustheorien im Deutschen Idealismus, in: A rnulf von S che liha , M arkus S chröder (Hg.), Das protestantische Prinzip. Historische und systematische Studien zum Protestantismusbegriff (FS H ermann F ischer ). Stuttgart, Berlin, Köln 1998, 39-54; R ein hold R ieger , Reflexion oder Spekulation. Prinzipien zur Deutung des Konfessionspluralismus bei Möhler und Baur, in: MThZ 65 (1994) 247-270; C hristian A lbrecht , Historische Kulturwissenschaft neuzeitlicher Christentumspraxis. Klassische Protestantismustheorien in ihrer Bedeutung für das Selbstverständnis der Praktischen Theologie (Beiträge zur historischen Theologie 114). Tübingen 2000. 31 Zum Einfluß F ichtes auf die Revisionsschrift vgl. Einleitung zu Text Nr. 1, Ziff. II.4.c. <?page no="417"?> 385 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) stentums. Das Prinzip des Protestantismus, das die konfessionell-orthodoxe Lehrbildung und -bindung hinter sich läßt, ist der freie Geist in seiner Vernunfttätigkeit und Wahrheit im Prinzip der selbstdenkenden Subjektivität, er ist in seinem Gegensatz zum Katholizismus allein die gegenwartsgemäße und zukunftsmächtige Form des Christentums. Das Prinzip des Katholizismus aber liege im Festhalten an den Strukturen des Vergangenen. D rey geht in der KS auf diese konfessionalistischen Konstrukte nicht direkt ein, obwohl sie in der zeitgenössischen Selbstdeutung des Protestantismus und in dem damit verknüpften Katholizismusbild so en vogue waren, daß er sie mit Sicherheit kannte und er sich infolgedessen gerade angesichts der Thematik der KS zu einer expliziten Auseinandersetzung mit ihnen hätte gedrängt fühlen müssen. Die Gründe, weshalb er sich in der KS weder mit der Schematik von Modell I und der in ihr zutage tretenden kulturphilosophischen Hypokrisie ausdrücklich befaßte, noch das von S chleiermacher ins Spiel gebrachte irenische Gleichstellungsangebot bejahend aufgriff, hat D rey nicht mitgeteilt. Beide sind jedoch in der KS unterschwellig präsent und finden eine Erwiderung, die sich sachlogisch aus dem Dreyschen Ideogramm des Katholizismus ergibt. Der methodische Ansatz, den D rey dafür wählt, ist davon gekennzeichnet, daß er die doktrinale Seite der konfessionellen Lehrbegriffe außer Betracht lassen will. Auf die Stilisierung inhaltsbezogener Merkmale der Konfessionen läßt er sich infolgedessen nicht ein. So wenig, wie er sich auf inhaltsorientierte Kurzformeln zur Bestimmung der theologischen oder kulturellen Identität der Konfessionen bezieht, so wenig befaßt er sich mit einer darauf fußenden Komparatistik. Ein eigenes Modell zur Deutung der Eigentümlichkeiten der Konfessionen zu entwickeln war nicht seine Absicht, Anhaltspunkte für ein solches Modell ergeben sich nur sekundär aus der Logik seines Ansatzes. D reys Theorie des Katholizismus ist auf der vorkonfessionellen Ebene angesiedelt, der eigentliche Gegenstand der KS ist nicht der Katholizismus als Konfession, sondern das Christentum in sich selbst, dies jedoch im Hinblick auf die »katholischen« Strukturen seines geschichtlichen Daseins. Hier aber tritt D rey mit seinem innovativen Traditionsbegriff, dem Theorem der organischen Selbstüberlieferung der christlichen Urtatsache, der These von der Antiquiertheit des Katholizismus gleichermaßen entgegen wie der Konfessionalisierung des Katholizismusbegriffs. Es liegt zweifellos in der Absicht D reys , mit seinem Begriff des Katholizismus, der strukturell auf die organische Vermittlung von historischem Ursprung, lebendiger Gegenwart und ungebrochener Zukunftsmächtigkeit angelegt ist, das Katholizismusbild seiner ungenannten Kontrahenten zu unterlaufen. - Mit dem Vernunft- und Freiheitsproblem befaßte D rey sich in anderen Schriften, vor allem in der Kurzen Einleitung und in der Apologetik. <?page no="418"?> 386 Beschreibung und Situierung der Katholizismusschrift * Im Alternativmodell S chleiermachers ist die Denkform der Romantik in der Einschätzung des Wesens der christlichen Konfessionen voll zum Tragen gekommen. Es ist für die Eigenart der KS nicht weniger aufschlußreich. S chleiermacher hatte in der Nachrede zur zweiten Auflage der Reden Über die Religion, die 1806 herauskam, erstmals die beiden Konfessionen als »Formen« des Christentums gedeutet, in denen jeweils »die Idee des Christenthums auf eine eigenthümliche Weise ausgesprochen ist«, derart, daß beide trotz ihrer Unterschiede und Gegensätze grundsätzlich als gleichberechtigte authentische Gestaltungen des Christentums einzuschätzen sind 32 . Er stellte sich damit gegen die von F ichte und H egel angebahnte und dann vor allem von den Vertretern der spekulativen Restauration des orthodoxen Protestantismus eingenommene Auffassung vom elementaren Unwesen des Katholizismus. Er hielt auch später daran fest 33 . Der von S chleiermacher sowohl kategorial als auch axiologisch eröffnete Blick auf die Konfessionen hat sich auf das Vorhaben D reys in der KS zweifellos befruchtend und ermutigend ausgewirkt, zum einen im Hinblick auf das unverhoffte theologische Geltenlassen des Katholizismus in der konfessionellen Ekklesiologie eines S chlei - 32 Der Text der Nachrede S chleiermachers ist abgedruckt in KGA I.12, 313-325; zu den angeführten Zitaten siehe ebd. 315 f. - Zur Anwendung der Kategorie der »Eigenthümlichkeit« auf die Konfessionen als unterschiedliche individuelle Gestaltungen des Christlichen und zu den Ursprüngen dieses Denkens bei H erder , sofern dieser den Sinn für die Eigentümlichkeit des Individuellen und die Achtung für es geweckt hatte, vgl. R udolf H aym , Die romantische Schule. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Geistes. Berlin 1870, 4 1920, hier 495 mit 152. 33 Vgl. dazu die Ausführungen S chleiermachers in der Vorlesung über Christliche Sittenlehre von 1826/ 27: »Viele Protestanten sprechen der katholischen Kirche den eigentümlichen Charakter ganz ab und halten dafür, daß sie, wenn sie ihre Mißbräuche und Irrtümer ablege, mit der unsrigen zusammenfallen müsse. Aber wir denken anders, wir sind überzeugt, daß gerade dann erst der wahre eigentümliche Charakter der katholischen Kirche hervortreten und klar werden müsse, daß es zwischen ihr und uns Differenzen gibt, die alle in ihrem guten Rechte sind und bleiben. Denn wenn die katholische Kirche auch die Schrift als einziges Fundament der christlichen Lehre und des christlichen Lebens annähme und ebenso alles übrige, wovon wir mit Recht glauben, daß es keiner christlichen Gemeinschaft fehlen darf, und wenn sie andererseits den Papst beseitigte und alles übrige, wovon wir mit Recht glauben, daß es in keiner christlichen Gemeinschaft gelten darf: so würde dennoch z.B. beim Kultus in unserer Kirche immer das Wort, in der katholischen die symbolische Handlung vorherrschen. Es kann also nie Recht sein, mit den Irrtümern der katholischen Kirche auch ihren eigentümlichen Charakter zu bekämpfen, wenn derselbe doch keineswegs zu ihren Irrtümern gehört« (F riedrich S chleiermacher , Die christliche Sitte nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche, in: ders ., Sämmtliche Werke I.12, hg. von L udwig J onas . Berlin 1843, 212). Auf der Gegenseite ist z.B. an den Heidelberger Dogmatiker C arl D aub (1765-1836) zu denken, der zeitlebens daran festhielt, den Katholizismus als Papismus, Pfaffentum, Aberglauben etc. einzuschätzen und den Geist des Katholizismus mit Unfreiheit und Selbstbelügung gleichzusetzen (vgl. C arl D aub , Orthodoxie und Heterodoxie. Ein Beitrag zur Lehre von den symbolischen Büchern [anonym], in: C arl D aub , F riedrich C reuzer [Hg.], Studien 1, 1805, 104-173; ders ., Die dogmatische Theologie jetziger Zeit oder die Selbstsucht in der Wissenschaft des Glaubens und seiner Artikel. Heidelberg 1833, 423-430). <?page no="419"?> 387 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) ermacher , zum andern wegen der Affinität dieser Option zur romantischen Bewegung. In der Sache selbst aber hat D rey die Schleiermachersche Sicht der Dinge nicht übernommen. Eine theologische Gleichwertigkeit der Prinzipien des Katholizismus und des Protestantismus kam für ihn nicht in Frage. Für ihn wird allein der Geist und das Wesen jenes Katholizismus, wie er ihn in der KS strukturologisch faßt, dem geschichtlichen Wesen des Christentums gerecht. Dabei ist jedoch zu beachten, daß der Bezugsgegenstand des Dreyschen Katholizismusbegriffs eigentlich nicht der Katholizismus in der Eigentümlichkeit einer Konfession ist, sondern das Christentum im Hinblick auf die Strukturen seiner geschichtlichen Existenz. Sein normatives Ideogramm des Katholizismus ist nicht konfessionalistisch konzipiert. Das ist auch einer der Gründe, weshalb D rey sich - anders als S chleiermacher - mit inhaltsbezogenen Merkmalen der real existierenden Konfessionen kaum befaßt. Zur zeitgeschichtlichen Kennzeichnung der Problemlage ist nun noch einmal auf die von der romantischen Bewegung für die Emergenz des Katholizismus und des Katholizismusbegriffs hervorgebrachten neuen Perspektiven und Realitäten zu verweisen. S chleiermacher hatte seine Neubewertung der Konfessionen - und insbesondere des Katholizismus - zweifellos unter dem schmerzlichen Eindruck (und Druck! ) der Konversionen vor allem im Kreis der Frühromantiker vorgenommen; gäbe es doch »Einige«, nämlich »treffliche und ehrenwerte Dichter und Künstler, und wer weiß was für eine Schaar von Anhängern ..., welche sich aus der protestantischen zu retten scheinen in die katholische Kirche, weil in dieser allein die Religion wäre, in jener aber nur die Irreligiosität, die aus dem Christenthum selbst gleichsam hervorwachsende Gottlosigkeit« (Nachrede 315). S chleiermacher war dem Kreis der Jenaer Frühromantik eng verbunden. Er kannte auch die Rede F riedrich von H ardenbergs (N ovalis ’) über Die Christenheit oder Europa, die dieser am 13. oder 14. November 1799 in Jena vorgetragen hatte, und so auch das darin gesungene Hohe Lied auf den Katholizismus, mitsamt den schockierenden Folgewirkungen, die S chleiermacher in der Nachrede anspricht. Mit der Rede H ardenbergs hat es in dem Punkt, der hier von Interesse ist, eine besondere Bewandtnis, traten in ihr doch erstmals der neue Blick auf den Katholizismus und auch die persönliche Hinneigung H ardenbergs , des »Propheten der Romantik« (H aym ), zu ihm im inneren Kreis der Jenaer Frühromantiker, der Avantgarde der neuen Zeit, offen zutage. E ichendorff , der beste Kenner und Analytiker der Szene und verläßlicher Zeuge der Verhältnisse, bemerkte dazu in seinen auf die Jahre 1806-1809 zurückgehenden Aufzeichnungen: »Wir sehen also, er [H ardenberg ] hatte seine Sache unumwunden auf die katholische Wahrheit gestellt« 34 . Die Behauptung, daß »fast 34 J oseph von E ichendorff , Zur Geschichte der romantischen Poesie in Deutschland (1846), in: ders ., <?page no="420"?> 388 Beschreibung und Situierung der Katholizismusschrift alle Zeitgenossen ... die Dichtung [d.h. die Rede H ardenbergs ] für eine Apologie der römisch-katholischen Kirche im bekennenden Sinne« hielten 35 , ist wohl cum grano salis zu nehmen, was die Ausdehnung auf »fast alle Zeitgenossen« angeht, aber sie gibt zutreffend wieder, wie der Redetext von denen, die ihn kannten, aufgefaßt wurde und werden mußte, wofür ja auch die Nachwirkungen zeugen. Die Verwirrung und Betretenheit im engeren Zirkel, bei den Hütern der alten konfessionellen Zuschreibungen, war jedenfalls groß, man suchte ihre verfänglichen Inhalte nach Kräften zu minimalisieren und dissimulieren. Auf die fatalen Interpretationskünste, die nach dem frühen Tod H ardenbergs (1802) mit jahrzehntelangen Manipulationen an den Druckfassungen der Rede einhergingen, ist hier im einzelnen nicht einzugehen 36 . Nur ein kennzeichnendes Detail sei angeführt. H ardenberg selbst hatte den Redetext als einen »Aufsatz über Katholicismus« angesehen und angekündigt, wie F riedrich S chlegel S chleiermacher im voraus mitteilte 37 , aber schon wenige Wochen post festum galt sie nur noch als »Aufsatz über Christenthum« (Hervorhebungen nicht im Original). Vielleicht war die Änderung in diesem Fall keine Absicht, sondern nur ein Versehen, aber sie ist verräterisch und zeigt an, in welche Richtung man die Dinge dann doch zu lenken suchte. Die Manöver konnten nicht verhindern, daß H ardenberg für den einsetzenden Umschwung in der Einschätzung des Katholizismus und für die damit verbundene Konversionsbewegung 38 eine Schlüsselstellung zu- Werke 3. Schriften zur Literatur. Hg. von K laus -D ieter K rabiel . München 1976, 9-50, hier 28. Die Fortsetzung lautet: »Aber ebensowenig können wir es uns verhehlen, daß er selbst auf diesem heiligen Boden nicht fest stand« (ebd.). 35 H ugo E rnst K äufer , Novalis - Vorbote Europas, in: ders ., Lesezeichen. Ausgewählte Essays, Reden und Rezensionen aus fünfzig Jahren. Düsseldorf 2001, 18-25, 18. 36 Siehe Einleitung zu Text Nr. 1, Ziff. II.4.c. 37 Brief S chlegels an S chleiermacher vom oder um den 10.10.1799. Der Brief ist abgedruckt in KGA V.3, 212-215 (hier 212). S chlegel seinerseits hielt es post festum für opportun, den Redetext nur noch als »Aufsatz über Christenthum« zu bezeichnen: »Er [H ardenberg ] hat uns einen Aufsatz über Christenthum vorgelesen und fürs Athenaeum gegeben« (Brief an S chleiermacher , »wohl Mitte November 1799« zu datieren. Der Brief ist abgedruckt in KGA V.3, 240-244, hier 240; H ardenberg hatte den »Aufsatz« wie gesagt am 13. oder 14. November 1799 im Jenaer Kreis der Frühromantiker vorgetragen, die beiden Briefe sind somit kurz vorbzw. nachher entstanden). Ins Athenäum, die Zeitschrift der Brüder S chle gel , gelangte der Redetext jedoch nicht, nachdem G oethe davon abgeraten hatte (siehe Einleitung zu Text Nr. 1, Ziff. II.4.c). 38 F riedrich von S tolberg konvertierte 1800, F riedrich und C hristian R iepenhausen 1804, A dam M üller 1805, K arl von H ardenberg , der Bruder F riedrichs , und F erdinand von E ckstein 1807, F riedrich und D orothea S chlegel 1808, Z acharias W erner 1810, F ried rich A ugust von S tralsund 1811, H enriette M endelssohn 1812, F riedrich O verbeck (dem weitere Nazarener folgten) 1813, R ahel V arnhagen 1814, C lemens und C hristian B rentano sowie E duard von S chenk 1817, u.s.w. - Lit.: D avid A ugust R osenthal , Convertitenbilder aus dem 19. Jahrhundert. Deutschland. Bde. I.1-3. Schaffhausen 1866-1872; A ndreas R äss , Die Convertiten seit der Reformation nach ihrem Leben und aus ihren Schriften dargestellt. Bde. 11-13. Freiburg i.Br. 1873-1880; G eorges G oyau , L’Allemagne religieuse. Le Catholicisme (1800-1848) 1. Paris 1905, 161-250; A lfred von M artin , Romantischer »Katholizismus« und katholische »Romantik«, in: Hochland 23.1 (1925/ 26) 315-337; ders ., Romantische <?page no="421"?> 389 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) wuchs. Er konnte deshalb auch als Ahnherr der Konvertitenbewegung eingeschätzt werden 39 . 1806, als S chleiermacher die oben zitierte Nachrede in die zweite Auflage der Reden Über die Religion einrückte, sah er sich angesichts der zwischen 1799 und 1806 eingetretenen Entwicklungen offenbar genötigt, dem Katholizismus das besagte »eigenthümliche Wesen« im positiven Sinn zuzugestehen, wobei er sich freilich gleichzeitig bemühte, die Konversionen als eigentlich unnötig hinzustellen. Vor diesem Hintergrund kann die KS von D rey in einer Nebenabsicht durchaus auch als Beitrag zur theologischen Rechtfertigung der Konversionen gedacht gewesen sein, obgleich er auf direkte Bezugnahmen verzichtete und die Abhandlung in die Sphäre reiner Sachlichkeit erhoben hat. Doch ineins damit bedeutete die KS zugleich eine klare Korrektur an der romantischen Auffassung vom Geist und Wesen des Katholizismus, die sich weithin in der poetischen und kunstbetrachtenden Wahrnehmung dieser Religion, der sinnreichen Symbolik der katholischen Glaubenswelt und ihrer Kultformen, der Architektonik des Bauwerkes und des Katholizismus als Lebensgefühl erschöpfte. D rey setzt dieser Auffassung vom Geist des Katholizismus aber nicht etwa kurzweg die Strenge des Dogmas und die Ansprüche der konkreten Kirchenverfassung entgegen. Er entwickelt vielmehr von einem phänomenologischen Ansatz her ein neuartiges Ideogramm vom Geist und Wesen des Christentums, in welchem der poetische Sinn und die ästhetische Betrachtung zu ihrem Recht kommen, zugleich aber ihrem irrlichternden Vagantentum fester Halt in der theologischen Struktur gegeben wird. Doch gerade damit unterfängt er positiv zugleich auch jenen zweiten Grundzug in der Katholizismusfreundlichkeit der Romantiker, kraft welchem sie im Glaubenssystem und in der Verfaßtheit der katholischen Kirche die Verläßlichkeit einer haltgebenden Autorität suchten. D rey kommt der romantischen Sicht der Dinge entgegen, läßt sich davon inspirieren, verhilft dem Glasperlenspiel aber zu theologischer und auch institutioneller Substanz. So kann er - nicht ohne ersichtliche Beschwingtheit - auch jene Motive der Romantiker auf- Konversionen, in: Logos. Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur 17 (1928) 141-164; B enno von W iese , Friedrich Schlegel. Ein Beitrag zur Geschichte der romantischen Konversionen (Philosophische Forschungen, hg. von K arl J aspers , 6). Berlin 1927, 89 f.; ders ., Novalis und die romantischen Konvertiten, in: Romantikforschungen (Deutsche Vierteljahrschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte. Buchreihe 16). Halle 1929, 205-242; H orst S tephan , Handbuch der Kirchengeschichte für Studierende, hg. von G ustav K rüger . Bd. 4: Die Neuzeit. 2. Aufl., neu bearb. von H orst S tephan und H ans L eube . Tübingen 1931, 223 ff; J utta O sinski , Katholizismus und deutsche Literatur im 19. Jahrhundert. Paderborn 1993, bes. 57-63; vgl. 75-87, 139. Zur Problematisierung der Konversionsbewegung vgl. A llan W. P orter field , Einige weitverbreitete Mißverständnisse über die deutsche Romantik (1916), in: H elmut P rang (Hg.), Begriffsbestimmung der Romantik (Wege der Forschung 150). Darmstadt 1968 ( 2 1972), 17-47. 39 Vgl. dazu die Differenzierungen bei W iese , Novalis (wie Anm. 38) 227-242 (bes. 227 in Verbindung mit 242). <?page no="422"?> 390 Beschreibung und Situierung der Katholizismusschrift greifen, die auf den Katholizismus als Erlebnisstoff zielen, und kommt verschiedentlich ausdrücklich auch auf das »Lebensgefühl« des Katholizismus zu sprechen. Ohne die Blütenträume der Romantiker, und ohne deren Blick auf das eigentümliche Wesen des Katholizismus, hätte er die KS nicht so schreiben können, wie sie ist. Insgesamt ist sie aber trotz der elementaren Richtigstellungen, die D rey gerade gegenüber dem romantischen Schwärmertum vornimmt, keinesfalls als Dokument der heraufziehenden politisch-ideologischen Restauration einzuschätzen. * Die im Vorausgehenden ermittelten Befunde zur begriffsgeschichtlichen und epistemologischen Situierung der KS lassen sich durch einen Blick auf die öffentliche Bewußtseinslage ergänzen, die D rey zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der KS bzw. in den Jahren unmittelbar zuvor vorfand. Die beste Informationsquelle ist in erstaunlicher Weise das führende Konversationslexikon in jener Zeit, der Brockhaus, an dessen interner Redaktionsgeschichte zwischen 1809 und 1826 sich zugleich der öffentliche Entwicklungsgang in Ansehung des Katholizismus ablesen läßt. Das Lexikon enthält 1816 in seiner dritten Auflage zum ersten Mal einen Artikel zum Stichwort Catholicismus 40 . 40 Die 1. Auflage war 1809-1811 unter dem Titel Conversations-Lexicon oder kurz gefaßtes Handwörterbuch für die in der gesellschaftlichen Unterhaltung aus den Wissenschaften und Künsten vorkommenden Gegenstände mit beständiger Rücksicht auf die Ereignisse der älteren und neueren Zeit in 6 Bänden und 2 Bänden mit Nachträgen herausgekommen, 1812-1819 unter dem gleichen Titel die 2. Auflage in 10 Bänden. In diesen beiden Auflagen gab es noch kein Stichwort Catholicismus. Die 3. Auflage, die 1814-1819 mit dem neuen Titel Conversations-Lexicon oder enzyclopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände in 10 Bänden herauskam (ab Band 5 identisch mit der 2. Auflage), enthält erstmals den Artikel Catholicismus (Bd. 2, 1816, 377-382), der in der 4. (1817-1819; Bd. 2, 1817, 372-376), 5. (1819-1820 u.d.T. Allgemeine deutsche Real- Encyclopädie für die gebildeten Stände. (Conversations-Lexicon.); Bd. 2, 1819, 424-429) und 6. Auflage (1824, Titel wie 5. Aufl., Bd. 2, 1824, 395-400) praktisch wortgleich wieder abgedruckt wurde. 1822, 1824, 1825 und 1826 kamen u.d.T. Conversations-Lexicon. Neue Folge zwei (in vier Bände aufgeteilte) Ergänzungsbände mit Anhängen heraus, »Artikel enthaltend, welche die Glaubenslehre und Verfassung der römisch-catholischen Kirche betreffen. Von einem Catholiken bearbeitet« (Titelblatt). Der Katholizismus war nun offensichtlich für die gebildeten Stände so beachtenswert geworden, daß dem Herausgeber dieses Verfahren tunlich erschien. Behandelt werden in den Ergänzungsbänden Stichwörter wie z.B. Ablaß, Abendmahl, Buße, Canonisches Recht, Fegfeuer, Feste, Gelübde, Gottesdienst und gottesdienstliche Gebräuche, Heilige, Papst, Prozession, Sakramente, Urchristentum etc. in über 30 Artikeln, darunter auch ein zusätzlicher Artikel zum Stichwort Catholicismus im Umfang von 20 Seiten (gegliedert in I. Glaubensgrund des Catholicismus, II. Lehre des Catholicismus, III. Kirchenverfassung des Catholicismus, oder catholische Kirche, IV. Verhältniß der catholischen Kirche zum Staat). Der Umstand, daß damit in den 1820er Jahren das Thema Katholizismus im Brockhaus zweimal behandelt wurde - einmal redaktionell, einmal »von einem Catholiken« - zeigt den Rang an, der diesem Thema nun beigemessen wurde. Beide Artikel (d.h. der Originalartikel von 1816, der beibehalten wurde, und der zusätzliche Artikel Catholicismus in den Ergänzungsbänden) sind qualitativ hochstehend. Das Bild, das der Brockhaus seit 1816 vom Katholizismus zeichnete, blieb in diesem Lexikon erstaunlicherweise bis in die 1830er Jahre im wesentlichen unverändert beibehalten. <?page no="423"?> 391 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) Aus ihm geht hervor, welchen Stand die Katholizismusfrage und der reale Katholizismus zehn Jahre nach S chleiermachers Nachrede - und in manifester, wenngleich unausgesprochener Anknüpfung an sie - in der öffentlichen Wahrnehmung gewann. Das Wort Catholicismus habe - so wird 1816 mitgeteilt - »seiner wahren [! ] Bedeutung nach« durch die Bedeutung, die ihm »neuere Dichter, Künstler und vorzüglich ihre Beurtheiler geben«, »ein allgemeines Interesse für die gebildete Welt gewonnen« (377). Es bezeichne »den eigenthümlichen Geist und Sinn 41 , durch den die catholische Kirche sich in ihren Lehren, Einrichtungen und Ceremonien von anderen christlichen Kirchen unterscheidet« (377). (Als maßgeblich gelten hier mit der Glaubensregel und den Satzungen des Tridentinums Bibel, Tradition, Papst, Bischöfe und Konzilien.) Nach der »allgemeinen Stimmung« (! ) stehe der jetzige Katholizismus »noch in seiner alten Glorie da« (378 f); er wisse »die Mehrheit der jetzt lebenden Christen an sich zu fesseln« (379). Als Motive werden die anziehende Mystik, der reizende poetische Anstrich, die Pracht und der Zauber seiner Gottesdienste, Musik, Malerei und Plastik, sowie die festen Formen des Katholizismus und in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Hierarchie angeführt (379, 382). Unter den Wegbereitern werden »Novalis, Tiek, die Schlegel« namentlich genannt 42 . So hätten nun »mehrere namhafte Gelehrte, Im Conversations-Lexikon der neuesten Zeit und Literatur (4 Bde., 1832-1834; zugleich Supplement zur 7. Auflage des Brockhaus von 1827) kam die inzwischen veränderte konfessionelle Wetterlage dagegen voll zum Zuge. In dem Artikel Katholizismus in der neuesten Zeit (Bd. 2, 1833, 679-692) tritt die hyperkritische Einstellung zum Katholizismus, ineins mit einer konfessionalistischen theologischen Glorifizierung des Protestantismus, massiv zutage. Es gäbe indessen auch gute Entwicklungen im Katholizismus, die aber von der ultramontanen Restauration unterdrückt würden. Inhaltlich wird in dieser Hinsicht in larmoyanter Weise ein Standpunkt vertreten, dessen Sitz im Leben bei den Aufklärern im süddeutschen Klerus zu suchen ist, die sich in jenen Jahren auch auf D rey eingeschossen hatten (vgl. dazu Einleitung zu Text Nr. 1, bei und in Anm. 79, sowie zu Text Nr. 4, Anm. 84). Die stilisierende Schwarz-Weiß-Malerei des protestantisch-katholischen Gegensatzes, einhergehend mit einer verheerenden ideologischen Zeichnung des Katholizismus in der Art D aubs , ist schließlich in der Real-Encyklopädie für protestantische Theologie und Kirche restlos zum Durchbruch gekommen (siehe Bd. 7, 1857, 481-497). 41 Hervorhebungen nicht im Original. - Zu diesem Begriffspaar vgl. oben Anm. 5. Es wurde von D rey nicht übernommen. Statt dessen griff er auf die Begriffe Geist und Wesen zurück, die in Anbetracht ihres überkommenen philosophischen Gebrauchs den Charakter von termini technici hatten und fachlich präziser waren. 42 Zur Kennzeichnung der Problemsicht und Stimmungslage wird ausgeführt: »Der Ueberfluß an poetischem Apparat, an sinnvollen Symbolen und mächtigen Hebeln zur Anregung des Gemüths, mit dem der Catholicismus ausgestattet ist, konnte den Augen protestantischer Dichter nicht entgehen. In demselben Zeitpunkte, da der überhandnehmende Rationalismus der Theologen und die Aufklärungswuth ihrer Nachbeter alle Formen des historischen Christenthums zu durchbrechen und jeden Anhalt des kirchlichen Glaubens zu stürzen drohten, fingen Lutheraner, Reformirte, ja sogar poetische Juden in Berlin, Jena u.s.w. an, die Jungfrau Maria und die Schaar der Heiligen, mit der der Catholicismus sie umgibt, zu besingen; wir wurden mit Romanen, Legenden und Sonetten überschwemmt, die nichts als Madonnen, Meßopfer, wunderthätige Bilder und Reliquien im Munde führten, und man kann wohl sagen, daß in der catholischen Kirche selbst die poetischen Momente ihres Glaubens <?page no="424"?> 392 Beschreibung und Situierung der Katholizismusschrift und in ihrem Gefolge eine Schaar von Nachtretern und Schwärmern« dem Protestantismus den Rücken gekehrt und der katholischen Kirche ihre Schwüre und Federn geweiht: »Stolberg und Schlegel sind in der letzten Zeit die merkwürdigsten unter ihnen« (381). Diese Entwicklungen vor Augen, hat D rey es unternommen, die in dem Brockhausartikel angesprochene »wahre Bedeutung des Wortes Catholicismus« seinerseits zu erheben 43 . Als er 1819 die KS in betont programmatischer Absicht veröffentlichte (siehe Ziff. II.4), war mit dem Reformationsjubiläum von 1817 für sein Vorhaben jedoch bereits eine neue Situation entstanden. Im Rückblick ist zu erkennen, daß dieses Ereignis die Epochenschwelle für den nun einsetzenden Konfessionalismus des 19. Jahrhunderts war, mit dem sich formierenden Neuprotestantismus auf der einen und der katholischen Restauration auf der Gegenseite. Am Vorabend des Jubiläums hatte das von den Frühromantikern eingeleitete und getragene neue Ansehen des Katholizismus als breite Strömung auch die »gebildete Welt« erreicht, wie der Brockhaus 1816 eindrucksvoll bezeugte, aber seit 1817 kam der Frost über die Blüten 44 . Es (siehe Feßlers Theresia, auch s. Abelard), nie mit der Begeisterung gefeiert und in so glühenden Bildern verherrlicht wurden, als es jetzt von Ketzern geschah. Dieser Enthusiasmus gab uns liebliche, hinreißende Dichtungen. Novalis, Tiek, die Schlegel entrückten uns in die Magie eines südlichen Himmels ...« (381). 43 Der Brockhausartikel beginnt mit folgendem Satz: »Catholicismus - ein Wort, das seiner wahren Bedeutung nach wegen der neuangeregten Idee einer Vereinigung der christlichen Religionsparteien zur Tagesordnung kommen mußte, aber auch durch die Bedeutung, die ihm neuere Dichter, Künstler und vorzüglich ihre Beurtheiler geben, ein allgemeines Interesse für die gebildete Welt gewonnen hat ...« (a.a.O., 1816, 377; Hervorhebungen nicht im Original). - Wie der Artikel insgesamt als erstrangiges Dokument zur Bestimmung der zeitgeschichtlichen Situation um 1816 einzuschätzen ist, so auch der Inhalt dieses Satzes. Er besagt: (1.) Es gibt nach der Auffassung des Autors eine »wahre Bedeutung« des Katholizismusbegriffs; (2.) kraft dieser Bedeutung hat der Begriff ein allgemeines Interesse »für die gebildete Welt« gewonnen; (3.) er mußte darüber hinaus wegen der Idee einer Vereinigung der christlichen Religionsparteien »zur Tagesordnung« kommen (zu dieser »Idee« und der in dem Brockhausartikel angesprochenen Aktualität vgl. P hilipp K onrad M arheineke , Ueber das wahre Verhältniß des Katholicismus zum Protestantismus und die projectirte Kirchenvereinigung. Briefe an Herrn Consistorialrath Planck. Heidelberg 1810. - M arheineke pflegte enge Kontakte zum Romantikerkreis). 44 D rey bemerkt dazu 1821: »Seit einigen Jahren erhebt sich in Deutschland wieder die Polemik, oder um das Ding mit seinem wahren Namen zu nennen, der bittere Sektenhaß, die kirchliche Verdammungssucht, das Schauspiel theologischer Gladiatoren. Den Anfang machten unläugbar protestantische Schriftsteller, welche, entblöst von dem Geiste des Christenthums und des Evangeliums, ihre Freude über die wiederkehrende Säcularfeyer der Reformation - nicht anders auszudrücken wußten, als durch Schmähungen gegen den Katholicismus. Die Schmähungen wurden auf eine Art erwiedert, die neue Schmähungen hervorrief, und seitdem steigt der Unfug mit jedem Jahre« (ThQ 3, 1821, 342 f); 1822 stellt er fest, daß »die Protestanten seit dem Beginn ihrer neuen polemischen Begeisterung, d.h. seit 1817, den Katholicismus bekämpfen« (J ohann S ebastian D rey , Ueber den Satz von der allein seligmachenden Kirche, in: P eter A lois G ratz (Hg.), Der Apologet des Katholicismus. Eine Zeitschrift zur Berichtigung mannichfaltiger Entstellungen des Katholicismus, Heft 5, Mainz 1822, 39; dies ist die einzige Abhandlung, die D rey zu der Zeitschrift von G ratz beigesteuert hat). In der KS hat D rey diese Polemik und ihren Anlaß stillschweigend übergangen. Er war trotz der enzyklopädischen Stellung, die er der polemischen Theologie in der Kurzen Einleitung im Fächerkanon der <?page no="425"?> 393 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) zeigte sich, daß die alten Gegensätze der Konfessionen und die darauf fokussierten Unterscheidungsmechanismen in der Schönwetterlage der Frühromantik und in den noch von der Aufklärung inspirierten ökumenischen Einheitsträumen, die im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts die Geister beflügelten, nur vorübergehend übertüncht gewesen waren. Das Reformationsjubiläum von 1817 entpuppte sich schon bald als Startsignal für die Rückbesinnung der Konfessionen auf ihre spezifischen und antagonistischen Identitäten. In dieser Wendezeit ist die KS entstanden. Sie ist darauf abgestellt, die theologische und die phänomenologische Identität des Katholizismus vermittels eines neuen Ansatzpunktes aus den konfessionalistischen Engführungen dieses Begriffs zu befreien und ihn semantisch auf eine ganz andere Ebene zu heben. Die Schwierigkeiten, denen der Autor der KS sich bei der Beantwortung der Frage nach der »wahren Bedeutung des Wortes Catholicismus« in seiner eigenen Konfession ausgesetzt war, lassen sich pars pro toto an einem Konflikt verdeutlichen, der just in den beiden Jahren vor der Veröffentlichung der KS im engeren Lebensumfeld D reys am Kochen war. Die Verwicklungen um den rechten Begriff des Katholizismus, die D rey hier beobachtete, haben mit Sicherheit dazu beigetragen, mit seiner dem Geist und Wesen des Katholizismus gewidmeten Schrift über die unseligen Querelen hinausführen zu wollen. Was war geschehen? Der Anlaß des Konflikts lag weit zurück, den Startpunkt bildete eine Publikation des lutherischen Theologen H einrich E ber hard G ottlob P aulus aus dem Jahr 1801. P aulus , ein glänzender Vertreter des aufgeklärten Luthertums, der damals noch in Jena lehrte - es war derselbe P aulus , mit dem P eter A lois G ratz , der Kollege D reys , während ihrer gemeinsamen Zeit an der Friedrichsuniversität in Ellwangen als Exeget in wissenschaftlichen Briefwechsel treten sollte (siehe Einleitung zu Text Nr. 7, bei und in Anm. 25) - hatte zu Beginn des Jahrhunderts einen aufsehenerregenden Band mit Schriften englischer Autoren in deutscher Übersetzung herausgebracht. Der Titel des von ihm zusammengestellten Konvoluts lautete: Coopers Briefe ueber den Neusten Zustand von Irland nebst einer Apologetischen Schilderung des Katholicismus in England. Zur Beurteilung der nothwendigen Emancipation und politischen Gleichstellung der Katholiken in dem unierten Koenigreich. Aus dem Englischen herausgegeben von H. E. G. Paulus [Verfasser: G eorge C ooper , A lexander G eddes ; Übersetzer: D ietrich W ilhelm A ndreä ]. (Jena 1801), umgangssprachlich war nur von »Coopers Briefen« die Rede. P aulus , der die wissenschaftlichen Theologie grundsätzlich einräumte (vgl. KE §§ 237-247), niemals ein konfessioneller Polemiker. In dieser Hinsicht unterscheidet sich auch der Kurs der Theologischen Quartalschrift, solange D rey ihn maßgeblich bestimmte, in konfessionellen Angelegenheiten eklatant von der Zeitschrift, die G ratz nach seinem Weggang von Tübingen auf diesem Konfliktfeld 1820 begründete und unter dem oben genannten Titel bis 1824 in Mainz herausgab (zu G ratz siehe Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 74). <?page no="426"?> 394 Beschreibung und Situierung der Katholizismusschrift Verhältnisse im Vereinigten Königreich aus eigener Anschauung kannte, wollte mit diesem Band im Hinblick auf die notorisch üble Lage der Katholiken über die neuesten Entwicklungen berichten, in denen sich nach seinem Dafürhalten ein Weg der Versöhnung und eine neue Akzeptanz des Katholizismus abzeichnete. Mit diesen Informationen griff P aulus indirekt auch in den Streit um den rechten Begriff des Katholizismus in Deutschland ein. Wenn diese Dokumentation in der Folgezeit gewöhnlich als »Coopers Briefe« bezeichnet wurde, so war das eine irreführende Verkürzung. Das Herzstück des Bandes war eine Apologie des Katholizismus aus dem Jahr 1800, verfaßt von dem katholischen Theologen A lexander G eddes ; beigefügt waren Briefe über Irland aus der Feder des Anglikaners G eorge C ooper von 1799. Der von G eddes vorgeschlagene Weg sollte dahin gehen, im Begriff des Katholizismus zwischen dem »ächt Katholischen«, seinen »papistischen« Ausprägungen und ihrem »Zuviel« an dogmatischen und usuellen Eigentümlichkeiten zu unterscheiden und letztere sei es als polemische Entstellungen, sei es als tatsächliche Mißbildungen aufzuweisen. Dieses Verfahren und dieses Ziel fanden nicht nur bei P aulus Anklang, sondern auf dem Weg über P aulus auch bei W essenberg . W essenberg stellte 1810 in dem von ihm herausgegebenen Konstanzer Pastoralarchiv in der Rubrik Bücher-Anzeige den von P aulus herausgegebenen Band in Form einer gerafften Inhaltswiedergabe vor. Der knapp zweiseitige Text hat den Charakter einer Leseempfehlung. Er beginnt so: »Der ganze Inhalt dieses merkwürdigen Buches ist für jeden Katholiken von anziehendem Interesse. Der erste Theil desselben besteht in einer apologetischen Darstellung des Katholicismus mit besonderer Hinsicht auf die bürgerlichen Verhältnisse in Irland. Der Verfasser hat mit eben so viel Scharfsinn, als Gelehrsamkeit den Katholicismus in seiner reinen Gestalt den irrigen Vorstellungen davon entgegengesetzt, welche unter den Reformirten in Großbritanien verbreitet worden sind ...« (Hervorhebung nicht im Original). Mit dieser Anzeige, und zumal mit der oben hervorgehobenen Wendung, die später, nachdem die Causa W essenberg eskaliert hatte, ausgegraben und gegen ihn und seinen Katholizismusbegriff ins Feld geführt wurde, hatte er mehr oder weniger arglos die Diskussion um den rechten Begriff des Katholizismus angeheizt. Seine Anzeige wurde 1816 zum Gegenstand einer Korrespondenz zwischen dem Bruchsaler Kanoniker J o hann A dam G ärtler , einem engagierten Papalisten, und Erzbischof K arl T heodor von D alberg , dem Dienstherrn seines Generalvikars W essenberg in Konstanz. Dieser Briefwechsel war über die Wiener Nuntiatur nach Rom gelangt. Der Nerv der Sache war die positive Würdigung des von P aulus vorgelegten Werkes durch W essenberg . In einer Note von Kardinalstaatssekretär C onsalvi vom 2. September 1817 an W essenberg wird unter anderem geltend gemacht, er habe den Inhalt des Werkes »Coopers Briefe« im Pastoralarchiv als »reiner Katholicismus« bezeichnet. Am 30. September 1817 wurde <?page no="427"?> 395 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) das von P aulus edierte Werk auf den Index gesetzt. Nun erfolgte ein gewaltiges Rauschen im Blätterwald, mit einer Reihe von Kampfschriften pro und kontra 45 . Auf diese Weise hatte für D rey die Frage nach der »wahren Bedeutung des Wortes Catholicismus« eine besondere Zuspitzung und Aktualität bis in das engere Tagesgeschehen hinein erlangt. Zumal die Formel vom Katholicismus in seiner reinen Gestalt, auf die sich die zahlreichen Kampfschriften mit Getöse eingeschossen hatten, mußte in seinen Ohren gellen. D rey nahm in der KS darauf nicht ausdrücklich Bezug, aber am Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung ist abzulesen, daß sie von ihm auch in diese Richtung als klärendes Wort gedacht sein mußte. 2. Präzisierungen zum Katholizismusbegriff Dreys Im Titel der KS ist angezeigt, daß es in dieser Abhandlung um den Geist und das Wesen »des Katholizismus« geht. Der bestimmte Artikel, den D rey hier verwendet, läßt nicht erkennen, daß die Termini Katholizismus und Protestantismus seit ihrem Aufkommen im 16. Jahrhundert als Bezeichnungs- und 45 Bei dem von P aulus in deutscher Übersetzung herausgegebenen Schriften handelt es sich um A lexander G eddes , A Modest Apology for the Roman Catholics of Great Britain: addressed to all moderate Protestants; particularly to the Members of both Houses of Parliament (London 1800) und G eorge C ooper , Letters on the Irish Nation: Written during a Visit to that Kingdom, in the Autumn of the Year 1799 (London 1800). Die Apology von G eddes ist mit großer Zustimmung rezensiert in der Allgemeinen Literatur-Zeitung vom 18. November 1800 (Nr. 328, Sp. 385-389); ihrem Autor wird beste Sachkenntnis und Untersuchungsgabe attestiert, verbunden mit edler und feiner Gesinnung fern aller Parteisucht. P aulus würdigt G eddes in der Vorrede seiner deutschen Ausgabe als »einen der denkendsten und freymüthigsten Schriftsteller in England«; er habe mit »Liberalität und Geisteskraft ... seinen prüfenden Blick gebraucht«. Zu dem von P aulus herausgegebenen Band siehe die weniger enthusiastische Rezension in der Allgemeinen Literatur-Zeitung vom 13. Oktober 1801 (Nr. 291, Sp. 84-88). Die in ihrem Tenor auf die Rezension von 1800 abgestimmte, empfehlende Anzeige W essenbergs findet sich im Archiv für die Pastoralkonferenzen in den Landkapiteln des Bisthums Konstanz 9 (1810), Band II, Heft 8, 638-639. Zu den diesbezüglichen Anklagen gegen W essenberg siehe F ranz X aver B ischof , Das Ende des Bistums Konstanz. Hochstift und Bistum Konstanz im Spannungsfeld von Säkularisation und Suppression (1802 03-1821 27) (Münchener kirchenhistorische Studien 1). Stuttgart 1989 457 ff (bes. Anm. 145). In der anonym erschienenen Flugschrift Die gegenwärtige Lage der Diöcese Konstanz aus dem kirchen- und staatsrechtlichen Gesichtspunkte betrachtet (Rom und Konstanz [i.e. Bamberg] 1817) setzte F ranz A ndreas F rey , ihr Verfasser, sich mit der Anzeige W essenbergs kritisch auseinander (siehe auch Einleitung zu Misz. Nr. 13, bes. Anm. 6); W essenberg habe darin ein Werk, in dem »der Katholizismus auf reinen Rationalismus zurückgeführt« werde (61), empfohlen. 1818 wurde der Text der Anzeige kommentarlos in der offiziellen badischen Denkschrift über das Verfahren des Röm. Hofs bei der Ernennung des General- Vikars Frhrn. v. Wessenberg zum Nachfolger im Bisthum Konstanz und zu dessen Verweser, und die dabei von Sr. Königlichen Hoheit dem Großherzog von Baden genommenen Maßregeln (Frankfurt a.M. 1818, 153) dokumentiert. Zu dieser Zeit häuften sich die Flugschriften in dieser Sache; sie sind so zahlreich und in ihren Titeln so umständlich, daß hier von ihrer Aufzählung abgesehen werden muß. Einen abschließenden Überblick zugunsten W essenbergs brachte C arl von R otteck (anonym) heraus: Freymüthige Beurtheilung sämmtlicher in der Angelegenheit des Frhrn. Ign. Heinr. v. Wessenberg erschienenen Streitschriften ... (Leipzig 1820). Im Zentrum stand stets die Frage nach der »reinen Gestalt des Katholizismus«. <?page no="428"?> 396 Präzisierungen zum Katholizismusbegriff Dreys Reflexionsbegriffe eine Vielzahl von Bedeutungen angenommen hatten. Das semantische Spektrum erstreckt sich von ihrem schlichten Gebrauch als Konfessionsbezeichnungen über ihre politischen und soziologischen Sinngehalte bis zu den kulturphilosophischen und ideologischen Fassungen, die sie seit dem Ende des 18. Jahrhunderts als Reflexionsbegriffe erhalten haben. D rey präzisiert in der KS nicht eigens den denotativen Gegenstand seiner Untersuchung. Da er sich im Sprachgebrauch und in den Fragestellungen seiner Zeit bewegt, ist zu erwarten, daß auch seine Ausführungen konfessionsbzw. konfessionenbezogen sind. Dafür spricht z.B. der Umstand, daß er in der KS die Termini Katholizismus und katholische Kirche einige Mal synonym verwendet, wie das ja auch in dem oben angeführten Brockhausartikel der Fall war. Bei näherem Zusehen stellt sich aber heraus, daß die KS weder konfessionskundlich, noch konfessionstheoretisch angelegt ist. Auch auf die zur Zeit der Abfassung der KS virulent gewordene Frage nach den identitätsstiftenden Prinzipien des Protestantismus und des Katholizismus als eigentümliche Gestaltungen des Christentums in der Form von Konfessionen läßt er sich nicht direkt ein. Er geht darin jedenfalls einen eigenen Weg. Seine Ausführungen gelten dem Christentum unter dem Aspekt der geschichtlichen Fortdauer der es begründenden Urtatsache und der Institutionalität dieser Fortdauer. In diesem Ansatz thematisiert er keineswegs den Katholizismus als Konfession oder als Proprietät einer Konfession, und selbst die ekklesiale Dimension dessen, was er als Katholizismus bezeichnet, bringt er in sein Ideogramm erst an vierter und letzter Stelle zum Tragen. Sein Thema ist die Morphologie des Christentums im Horizont der oben genannten Fragestellung. Dieser elementare Ansatz und diese Art der Stoffbehandlung dürfte, nebenbei bemerkt, erheblich dazu beigetragen haben, daß das theologische Potential der KS nach ihrem Erscheinen, als die Frage nach den Prinzipien der Konfessionen die Geister beherrschte, so wenig erkannt und kaum in die fachtheologischen Diskurse eingebracht wurde. Es muß kaum hinzugefügt werden, daß der Katholizismusbegriff der KS mit demjenigen der modernen Katholizismusforschung, der darauf abgestellt ist, den Katholizismus als eigenständiges kulturelles Phänomen neben der Kirche anzusehen und dieses zum Gegenstand empirischer Forschungen zu machen, nichts zu tun hat. Der Zeitpunkt, in dem die KS entstanden ist, liegt den seit den 1830er Jahren eingetretenen Entwicklungen voraus, in deren Verlauf der politische, gesellschaftliche und kulturelle »Katholizismus« sich zu einer auch institutionell eigenständigen und vorwiegend von Laien getragenen Entität neben der Kirche, wenngleich als eine ihrer Ausstrahlungen, formierte. Der Katholizismusbegriff der KS ist dagegen strikt theologisch, christentumstheoretisch und ekklesiologisch. Die Frage nach dem Verhältnis von Katholizismus und Kirche in der Sicht der KS ist aber nicht zu umgehen. Eine krude Ineinssetzung beider nimmt <?page no="429"?> 397 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) D rey nicht vor. Beide sind begrifflich voneinander zu unterscheiden, können aber auch faktisch auseinanderklaffen. So, wie es ein der Kirche entfremdetes Christentum, ja selbst eine dem Christentum entfremdete Kirche geben kann, so auch Kirchen oder christliche Konfessionen, auf die der theologische Begriff des Katholizismus je nachdem anwendbar oder auch nicht anwendbar ist. Jedenfalls ist für D rey der mit dem theologischen Katholizismusbegriff gemeinte Sachverhalt im empirischen Begriff der Kirche nicht eo ipso mitgesetzt. Er ist ihr vielmehr normativ vor- und aufgegeben. Das bedeutet, daß in der KS der Begriff »Katholizismus« als Bezeichnungsterminus im Endeffekt die konkrete Kirche dieses Namens meint, als theologischer Reflexionsbegriff aber jene Geist- und Wesensbewandtnis in ihr, gemäß welcher sie den Bedingungen des Christentums als einer positiven, geschichtlichen Religion gerecht zu sein vermag. Im Licht dieser Unterscheidung wird erkennbar, warum D rey dem Titel der KS zufolge formell nicht den Geist und das Wesen der katholischen Kirche, sondern des Katholizismus darstellen will. Es verhält sich bei der Unterscheidung Katholizismus/ Kirche ähnlich wie bei dem Begriffspaar Christentum/ Kirche, das in der Aufklärung des 18. Jahrhunderts in kirchenkritischer Absicht aufkam und zur Zeit D reys Eingang in die katholische Theologie gefunden hatte und dort für Reformziele eingesetzt wurde 46 . In der KS ist das Binar Christentum/ Kirche stillschweigend ausgeweitet auf die Trias Christentum/ Katholizismus/ Kirche. Diese Begriffe stehen in der Reihenfolge dieser Aufzählung in einem logisch generativen und axiologisch normativen Verhältnis zueinander. Gemäß dieser Abfolge behandelt D rey die »Beziehung des Katholicismus auf christliches Kirchenthum« (KS 559, Überschrift) erst an vierter und letzter Stelle (559-574); vorausgegangen waren die Darstellung der Beziehung des Katholizismus auf »das Urchristenthum« (d.h. auf das Christusereignis als »Urthatsache«, auf die alle christlichen Konfessionen sich zurückführen) in der ersten der vier Abhandlungen (9-23), auf die »Grundprincipien des Urchristenthums« (d.h. auf die erste, grundlegende Gestalt des Christentums im Zeugnis der kanonischen Schriften des Neuen Testaments) in der zweiten (193-210) und auf »christliche Religiosität und christliche Gottesverehrung« (d.h. auf die vom Christentum adoptierte und zugleich aus sich selbst heraus mitgesetzte religionshafte, religionsgemäße Kultur der Frömmigkeit) an dritter Stelle (369-391). Katholizismus als Kirchentum ist somit der vierte und letzte Aspekt im theologischen Begriff des Katholizismus. Das bedeutet: (1.) Das Wort Katholizismus bezeichnet die Gesamtheit 46 Vgl. z.B. J ohann B aptist H irscher , Ueber einige Störungen in dem richtigen Verhältniße des Kirchenthums zu dem Zwecke des Christenthums, in: ThQ 5 (1823) 193-262; 371-420. - D rey hat sich in der Kurzen Einleitung, die im selben Jahr wie die KS im Druck erschienen ist, verschiedentlich zur »Verwirklichung des Christentums in der Kirche« geäußert (siehe KE §§ 53, 55, 195, 225). - Zu den Anfängen dieser Unterscheidung siehe S eckler , Christentum (wie Anm. 27) 1115-1117. <?page no="430"?> 398 Präzisierungen zum Katholizismusbegriff Dreys der Wesensmerkmale, die sich an diesen vier Bezugsgrößen verdeutlichen lassen; (2.) sein Name steht für das dem Christentum als positiver Religion im Hinblick auf seine Existenz unter den Bedingungen der Geschichte adäquate strukturelle System; (3.) der Geist des Katholizismus liegt in der Weise, in der das Christusereignis sich im Gang der Geschichte kontinuierlich zu lebendiger Gegenwart vermittelt; (4.) die katholische Kirche aber ist in ihrem theologischen Begriff die der geschichtlichen Selbstüberlieferung der christlichen Urtatsache adäquate, institutionell verfaßte Form des »Katholicismus«, der ihr in begrifflich nahezu hypostasierter Weise aufgegeben ist und ihr strukturelles Wesen als Instrument und Träger des Überlieferungsgeschehens ausmacht. Für den Katholizismusbegriff D reys wie auch für die Plazierung des ekklesialen Elements an vierter Stelle, die D rey in der KS vornimmt, ist ein Vergleich mit einer Notiz im Theologischen Tagebuch vom 15. Januar 1815 aufschlußreich 47 . D rey setzt sich dort mit der »in der neuern Zeit« um sich greifenden Auffassung auseinander, wonach das Christentum sich in doppelter Form als Kirchen ausgestaltet habe (nämlich im Katholizismus und im Protestantismus). Er hält diese Theorie der Konfessionen für falsch. Sie beruhe bezüglich des Protestantismus außerdem auf einem inneren Widerspruch. D rey legt seiner Analyse die seit der Aufklärung gängig gewordene Auffassung bezüglich der kontradiktorischen Gegensätzlichkeit der Prinzipien des Katholizismus (als Religion der kirchlichen Zwänge) und des Protestantismus (als Religion der Freiheit) zu Grunde: der Protestantismus negiert die Grundbedingung alles Kirchentums, »indem er die Einzelheit und Selbstheit [der Individuen] von aller Unterordnung entbindet, den Menschen in Religions-Sachen gänzlich freiläßt« und somit die Kirche selbst aufhebt, während das Wesen des Katholizismus »in der Unterordnung der Einzelheit und Selbstheit unter das Ganze« und in der Bindung des inneren Geistes des Christentums an die Objektivität der Kirche als Institution liege; »so begreift man von selbst, daß die eine nothwendige Grundform aller Religion, insofern sie sich zu einer Kirche ausbildet, der Katholicismus sei« 48 . (D rey hatte noch kurz vor dem Tagebucheintrag bei dem Heidelberger Lutheraner S chwarz , mit dessen Schriften er sich mehrfach auseinandersetzte, nachlesen können, »Protestantismus« sei weniger der Name für einen »kirchlichen Verein« als vielmehr einer »religiösen Denkart« 49 ). Das Alleinstellungsmerkmal des Ka- 47 Es handelt sich um eine Notiz in Band II, 125-128 (TüA 1, 95-97, Text 32*). Vgl. dazu auch unten Anm. 73. 48 Ebd. 126 f (TüA 1, 96). - Die von D rey angesprochene Selbstwidersprüchlichkeit und Inkonsequenz des kirchlichen Protestantismus wurde bereits von F ichte diagnostiziert (vgl. M eckenstock , Protestantismustheorien (wie Anm. 30) 46 f). D rey dürfte die Kritik F ichtes gekannt haben. 49 Vgl. F riedrich H einrich C hristian S chwarz , Die Kirche in dieser Zeit. Zweytes Heft. Vorschläge. Heidelberg 1814, 5 f und 27. Daß D rey diese Schrift kannte, ist einer Notiz in seinem Theologischen Tagebuch V, 21-22 (TüA 1, 444-445, zu Text 127*) entnehmen. - Zu S chwarz siehe unten Anm. 85. <?page no="431"?> 399 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) tholizismus im Hinblick auf die Ausgestaltung des Christentums als institutionelles Kirchentum, wie D rey es hier urgiert, ist das Ergebnis einer Begriffsanalyse unter Zugrundelegung der konfessionellen Unterscheidungslehren, wie sie gerade von den auf diesem Gebiet fortschrittlichsten evangelischen Theologen, den Begründern des Neuprotestantismus zumal, einhellig vertreten wurde. Man kann ihnen in den Augen D reys nicht zuerkennen, was sie selbst negieren. Man kann bei der Position, die D rey in dieser Sache einnimmt, wohl von einem Exklusivitätsanspruch des Katholizismus bezüglich des kirchlichen Charakters des Christentums und von einer Gleichsetzung des Katholizismus als Kirchentum mit der wahren Überlieferungsgestalt des Christentums sprechen, aber um eine konfessionalistische Überheblichkeit handelt es sich nicht. D rey hat in seinem Katholizismusbegriff seine Kontrahenten nur beim Wort genommen. Nicht zu übersehen ist, daß D rey in der Tagebuchnotiz das Wesen des Katholizismus einzig und allein an den von ihm repräsentierten Kirchentum festmacht, während er in der KS diesen Aspekt, wie oben festzustellen war, erst an vierter Stelle anführt. Das bedeutet, daß der Katholizismusbegriff der KS differenzierter und reichhaltiger ist. D rey hat hier für den Geist und das Wesen des Katholizismus drei weitere, noch elementarere Beziehungssachverhalte zu einer komplexen Einheit verschmolzen. Einen Widerspruch zwischen den von ihm im Theologischen Tagebuch und in der KS eingenommenen Positionen braucht man darin nicht zu erblicken, wenn beachtet wird, daß die Analyse in Text 32* okkasionell auf die in diesem Text von D rey genannten Kontrahenten abgestellt ist. Zu bemerken ist schließlich, daß der viergliedrige Katholizismusbegriff der KS geeignet war, den wichtigsten Strömungen der Zeit Rechnung zu tragen, angefangen bei dem Rückgang auf die biblischen Grundlagen (= erste und zweite Abhandlung) über die Integrierung der Aspekte der Religion und Religiosität, die den Romantikern so wichtig waren (= dritte Abhandlung) bis zur bejahenden Aufnahme jenes Prinzips des Katholizismus, das protestantischerseits dem ekklesialen Katholizismus kritisch entgegengehalten wurde (= vierte Abhandlung). Ein letzter Gesichtspunkt betrifft den Beitrag der KS zur konfessionellen Unterscheidungslehre. Die KS enthält durchaus die Prinzipien für eine solche Unterscheidungslehre, aber der von D rey entwickelte theologische Begriff des Katholizismus ist im Gegensatz zu den sonst üblichen Verfahrensweisen keineswegs darauf abgestellt, das konfessionelle Sondergut der katholischen Kirche (z.B. Papst, Konzilien, Hierarchie, Heiligenverehrung, Fegefeuer, Ablässe etc.) zu erheben. Das Wesen des Katholizismus ist demnach nicht - oder nur in mehr oder weniger entfernter Konsequenz - in solchem Sondergut zu erblicken, sondern primär in den von D rey herausgearbeiteten Prinzipien seiner theologischen Identität. Diese werden von ihm auch im Blick über die Grenzen seiner Konfession hinaus wissenschaftlich geltend gemacht. <?page no="432"?> 400 Zum methodischen Ansatz Wie immer in seinem theologischen Denken, ist D rey auch und gerade in der KS im Hinblick auf das konfessionelle Problem auf klare Unterscheidungen bedacht, ohne konfessionalistischen Engführungen zu erliegen. Er hat in dieser Schrift die Reflexion auf den Begriff des Katholizismus in eine Höhe geführt, die vor ihm nicht entfernt erreicht worden war. Seine eigene Einschätzung der KS als Programmschrift (siehe Ziff. II.4) ist von daher zu würdigen. 3. Zum methodischen Ansatz D rey verdeutlicht in der einleitenden Vorbemerkung zur KS (8 f) den Gegenstand, das Ziel und die Methode seines Vorhabens. Die Angaben sind auf eine erste, noch grob gerasterte methodologische Verortung seiner Abhandlung angelegt, erforderliche Binnendifferenzierungen nimmt er von Fall zu Fall im Verlauf seiner Abhandlung vor, doch durchgängig verzichtet er darauf, Namen oder Werke anzugeben, mit denen er sich auseinandersetzt oder von denen er sich abhebt. Der Gegenstand der Untersuchung ist der Katholizismus als »System religiöser Ideen«. Da D rey hier von einer genaueren Bestimmung des Systembegriffs absieht, ist davon auszugehen, daß er sich im philosophischtheologischen Sprachgebrauch der Zeit bewegt, in der der Systembegriff üppig verwendet wurde, wenngleich in den Kontexten des Rationalismus bzw. Idealismus in unterschiedlichen Fassungen. Der Umstand, daß D rey den Katholizismus als ein »System« von »Ideen« (Plural! ) ansieht, verweist darauf, daß er den Systembegriff K ants bereits hinter sich gelassen hat und dem Systemdenken des romantischen Idealismus folgt. Nicht die Einheit des Mannigfaltigen unter einer Idee rational zu rekonstruieren ist das Ziel, sondern einen lebendigen Organismus, wie es der Katholizismus ist, als komplexe Einheit zu begreifen. In diesem Systemgedanken erscheint das Lebendige als ein Organismus, als ein organisches System, das sich seiner Geschichte und in seinen Beziehungen offenbart. D rey verweist in der Vorbemerkung noch nicht explizit auf die Eigenart dieser Denkform, sondern begnügt sich mit einer simplen methodologischen Weichenstellung für sein Vorhaben. Demnach kommen für das Ziel, den Geist und das Wesen des Katholizismus zu »erkennen« (8) bzw. zu »begreifen« (559), zwei Möglichkeiten mit unterschiedlichen Ansatzpunkten in Betracht 50 . Die eine besteht darin, das Gesuchte »aus dem Inhalt seiner Lehren« zu 50 Wie bereits bemerkt, hat D rey sich in der Kurzen Einleitung von 1819 verschiedentlich mit derartigen Alternativen befaßt, vgl. bes. KE § 222 (siehe oben in Anm. 6). Die Alternative ist dort jedoch auf die Frage nach dem Wesen des Christentums bezogen, für das es D rey zufolge auch einen reinen Vernunftbegriff gibt. Ob das Wesen des Katholizismus gleichfalls in einem solchen Begriff darstellbar wäre, wird in der KS nicht erörtert. - Zum Begriff der »Kraft« in der Wesens- und Geistfrage vgl. oben in und bei Anm. 6 und 7. <?page no="433"?> 401 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) erheben, »insoferne diese vollständig angegeben, genau bestimmt, und gehörig verbunden werden«, d.h. »aus einer genauen Darstellung seiner Dogmen«, »wovon jedoch hier in einer solchen Zeitschrift die Rede nicht seyn kann« 51 . Dieses Verfahren ist offensichtlich an dem in der Schultheologie verbreiteten Systembegriff W olffs orientiert. Er ist auf die Systematisierung von Lehrsätzen und auf eine inhaltsbezogene Erkenntnisleistung abgestellt, wie es in der zeitgenössischen Dogmatik und dogmengeschichtlichen konfessionellen Komparatistik geübt wurde. Diesen Weg will D rey nicht gehen. Die Alternative, für die er sich entscheidet, liegt darin, bei den »Beziehungen« anzusetzen, die wesenhaft zum Katholizismus als lebendigem geschichtlichen Organismus gehören und in denen sich sein »Geist und Charakter ... offenbart« (8) 52 . Das von D rey gewählte Verfahren ist somit in keiner Weise inhaltsorientiert, sondern gänzlich auf strukturelle Beziehungsmerkmale ausgerichtet. Das bedeutet, daß sowohl die Inhalte des Dogmensystems im ganzen außer Betracht bleiben, als auch die speziellen Lehraussagen zum Selbstverständnis des Katholizismus wie auch alle außerkatholischen Deutungen des Katholizismus, die auf Inhaltsmerkmalen aufbauen. Es versteht sich von selbst, daß auch die von D rey in der KS geübte Argumentationsmethode diskurstypologisch nicht dogmatisch ist. 51 Hervorhebung nicht im Original. - Man kann sich fragen, ob diese Bemerkung auf den Charakter der ThQ zu beziehen ist. In diesem Fall wäre sie für die Vorstellung, die D rey sich von der wissenschaftlichen Eigenart der neu gegründeten Zeitschrift anfangs machte, von erheblichem Interesse. Sie würde bedeuten, daß der 1819 in Aussicht genommene Charakter der ThQ die Darstellung von Dogmen nicht zuließe. D rey spricht immerhin von einer »solchen Zeitschrift«, wie es die ThQ »hier« sei. Oder denkt er lediglich an den Umfang, den eine vollständige Darstellung des katholischen Dogmensystems beanspruchen und infolgedessen den Rahmen einer Zeitschrift überhaupt sprengen würde? 52 Das Verfahren, das Christentum oder den christlichen Glauben zu anderen Referenzgrößen (z.B. zur Vernunft) in Beziehung zu setzen, war D rey vertraut. In einer Notiz im Theologischen Tagebuch, die auf den Spätherbst 1815 zu datieren ist (IV, 24-26; TüA 1, 280-281, Text 81*), befaßt D rey sich mit F riedrich K oeppens Philosophie des Christentums (2 Teile, Leipzig 1813 und 1815), in der die Frage nach dem Wesen des Christentums auf dem Feld der »christlich kirchlichen Dogmatik« angesiedelt ist und wo K oeppen für die ausgewählten Dogmen »die genauesten Beziehungen zu gewißen Vernunftideen« aufweisen will. D rey hält ein derartiges Verfahren für sinnvoll, kritisiert aber die Art der Durchführung. Im übrigen gehörte die Frage nach dem Verhältnis von Offenbarung und Vernunft, Glauben und Wissen zu den Standardfragen der philosophischen Theologie bzw. Fundamentaltheologie und der Vermittlungstheologie zumal im Hinblick auf den Rationalismus der Aufklärung. D rey selbst hat dazu in der Kurzen Einleitung sein Projekt eines »theologischen (positiven) Rationalismus« entwickelt (vgl. bes. KE § 46 und § 65). - Ein weiteres Verfahren des In-Beziehung-Setzens, hier auf dem Felde der konfessionskundlichen Komparatistik der verschiedenen Lehrbegriffe mit dem Ziel, den Geist und das Wesen des Protestantismus bzw. Katholizismus durch wechselseitigen Vergleich zu ermitteln, war seit Begründung dieser Methode durch G ottlieb J akob P lanck (siehe unten bei und in Anm. 71) in Übung. Für D rey vgl. dazu besonders P hilipp K onrad M arheineke , Ueber das wahre Verhältniß des Katholicismus zum Protestantismus (wie Anm. 43); ders ., Das System des Katholicismus in seiner symbolischen Entwickelung (Christliche Symbolik oder historischkritische und dogmatischkomparative Darstellung des katholischen, lutherischen, reformirten und socinianischen Lehrbegriffs). Heidelberg, Bde. 1 und 2 1810, Bd. 3 1813. <?page no="434"?> 402 Zum methodischen Ansatz Mit diesem strukturologischen Ansatz und der daraus resultierenden »Constructionsmethode« (vgl. 562) setzt D rey sich von den Verfahren ab, mit denen bis dahin das Wesen der Konfessionen oder des Christentums zu ermitteln gesucht wurde. Er räumt zwar ein, daß das Ziel auch auf dem Weg einer inhaltlichen Darstellung und Auswertung des dogmatischen Stoffes zu erreichen ist, aber das zu tun ist nicht seine Absicht in der KS 53 . Der Verzicht auf den Weg über die Inhalte hat zur Folge, daß D rey sich besonders auch von den beiden vorherrschend gewordenen Paradigmen zur inhaltsorientierten Beantwortung der Wesensfrage absetzt: Zum einen von der Ermittlung der Fundamentalartikel als der traditionellen Methode, zum andern von der Aufstellung einer inhaltsorientierten Wesensformel, wofür F ichte , H egel und S chleiermacher die effektvollsten Beispiele entwickelt hatten 54 . Zwar spielt die Frage nach dem Prinzip des Katholizismus in der KS eine zentrale Rolle, auch terminologisch, aber mit einer kulturphilosophischen Prinzipienmacherei hat das nichts zu tun. Am nächsten kommt D rey einer Wesensformel (seiner Wesensformel), wo er dem Katholizismus die Wesensbewandtnis einer »freyen, lebendigen, bewußthandelnden Ueberlieferung« des Christlichen beimißt (19; vgl. 14), diese aber unter Absehen von Inhalten rein strukturologisch begründet. Der Gegenstand der Darstellung ist bei D rey nicht der Katholizismus als partikulare Konfession, deren spezifisches Sondergut darzustellen wäre 55 , sondern das Christentum als positive Religion und als organisches System unter den Bedingungen der Geschichte. Die normativen Richtgrößen zur Bestimmung des Geistes und Wesens dieses Katholizismus sind, wie D rey in der Vorbemerkung nunmehr präzisiert, die Religion »überhaupt« (d.h. die Religion nach ihrem Vernunftbegriff), und vor dieser Folie das Christentum als positive Religion. D rey leitet daraus ein vierfaches Beziehungsgefüge ab und will deshalb in einer »Reihe von [vier] Aufsätzen« jeweils »eine der wichtigsten Beziehungen des Katholicismus auf Religion und Christenthum zu seinem Thema machen«. Die Beziehungspole sind wie gesagt (1.) »das Urchristenthum« (d.h. die christliche Urtatsache als »die positive Grundlage des Christenthums, wovon er [der Katholizismus] neben vielen andern eine besondere Gestaltung und Erscheinung ist«), 53 Die Leistungsfähigkeit der Praelectiones dogmaticae D reys für die Wesensfrage würde eine eigene Untersuchung verdienen. 54 Siehe oben bei und in Anm. 30. 55 Hier ist zur Kontrastierung wiederum ein Blick auf den oben angeführten Brockhausartikel (siehe Anm. 40-43) instruktiv, da er in dieser Sache für die zu dieser Zeit vorherrschende Methode und ihr partikularistisches Darstellungsziel repräsentativ ist. Der Begriff des Katholizismus steht dort denominativ für den »eigenthümlichen Geist und Sinn, durch den die catholische Kirche sich in ihren Lehren, Einrichtungen und Ceremonien von andern christlichen Kirchen unterscheidet« (Bd. 2, 3 1816, 377; Hervorhebungen nicht im Original). D rey setzt in der KS dagegen weder methodologisch bei inhaltsorientierten Vorgaben an, noch ist es sein Ziel, im Sinne einer konfessionskundlichen Unterscheidungslehre sich mit dem Sondergut der katholischen Kirche im Erscheinungsbild der Konfession zu befassen. <?page no="435"?> 403 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) (2.) »die Grundprincipien des Urchristenthums« (d.h. die ersten, kanonisch gewordenen Gestaltungs- und Erscheinungsprinzipien des Christlichen), (3.) die christlichen, christentumsspezifischen Formen der »Religiosität« und »Gottesverehrung« und (4.) »christliches Kirchenthum« (d.h. das Christentum in seiner ekklesialen Verfaßtheit). Die Merkmale für den Geist und das Wesen des Katholizismus leitet D rey somit im Grunde stets aus dem Geist und dem Wesen des Christentums als positiver Religion ab. Unter diesem Aspekt enthält die KS auch eine Antwort auf das Problem der Konfessionen: Ausgehend von der empirischen Beobachtung, daß der Katholizismus »neben vielen andern eine besondere Gestaltung und Erscheinung« des Christentums ist, gelangt D rey zu dem Ergebnis, daß nur der Katholizismus nach seinem von ihm, D rey , eruierten Geist und Wesen den Kriterien für die sachadäquate geschichtliche Gestaltung und Erscheinung des Christentums entspricht. 4. Die Katholizismusschrift als Programmschrift In der Fachliteratur wird die KS allgemein den Programmschriften D reys beigezählt und oft überhaupt als deren wichtigste angesehen 56 . Da D rey weder sie, noch irgend eine andere seiner Publikationen so bezeichnete, können solche Einschätzungen nur auf Grund inhaltlicher Sachverhalte vorgenommen werden oder auf andere Indizien sich stützen. D rey selbst hat gelegentlich indirekt programmatische Absichten zu erkennen gegeben, so in der Revisionsschrift von 1812 (siehe Text Nr. 1), in der Beichtschrift von 1815 (siehe Text Nr. 4) und in der Oratio (siehe Text Nr. 5). Bei der vorliegenden Katholizismusschrift ist das besonders deutlich der Fall. Hier sind es vor allem die Umstände ihrer Veröffentlichung und die darin zutage tretenden Absichten. Am 7. Juli 1818 unterzeichneten »Die katholischen Theologen Dr. Gratz. Dr. Drey. Dr. Herbst. Hirscher« den Text einer Vereinbarung zur Gründung einer neuen Zeitschrift 57 , den sie später im ersten Heft dieser Zeitschrift unter dem Titel Ankündigung veröffentlichten (ThQ 1, 1819, 3-5, mit Nachtrag 6-7). Sie kamen überein, »mit dem Anfange des neuen Jahres 1819« eine Zeitschrift herausgeben zu wollen, die jährlich in vier Heften erscheinen und daher den Titel Theologische Quartalschrift führen solle. Als anfangs 1819 das erste Heft 56 Zu den Programmschriften D reys und zu ihrem Begriff siehe Einleitung zu Text Nr. 1, Ziff. II.7; vgl. ebd. Ziff. II.6.a sowie auch M ax S eckler , Johann Sebastian Dreys Programmschrift »Vom Geist und Wesen des Katholizismus« neu gelesen, oder: Die kultisch-liturgische Dimension in der theologischen Architektur des Christentums, in: M ichael K essler , M ax S eckler (Hg.), Theologie, Kirche, Katholizismus. Beiträge zur Programmatik der Tübinger Schule von Joseph Ratzinger, Walter Kasper und Max Seckler. Mit reprographischem Nachdruck der Programmschrift Johann Sebastian Dreys von 1819 über das Studium der Theologie (Kontakte 11). Tübingen 2003, 37-59, hier bes. 41 f mit Anm. 5 auf S. 54 f. 57 Zu den näheren Umständen siehe L ösch , Die Anfänge (wie Anm. 1) 14-17. Vgl. dazu auch die Einleitung zu Text Nr. 7 (Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ) im vorliegenden Band. <?page no="436"?> 404 Die Katholizismusschrift als Programmschrift vorlag, figurierte in ihm an erster Stelle - unmittelbar nach der Ankündigung - die Abhandlung Vom Geist und Wesen des Katholicismus. Genau genommen war es hier nur das erste Stück der auf vier Teile (von D rey als »Aufsätze« bezeichnet) angelegten Abhandlung. Die übrigen drei Teilstücke erschienen in den drei nächsten Heften, und zwar so, daß jedes dieser Hefte in gleicher Weise wie das erste Heft und mit gleichlautend wiederholtem Titel mit dem für es vorgesehenen Teilstück eröffnet wurde. Das bedeutet, daß nicht nur das erste Heft des ersten Bandes, sondern jedes Heft des ersten Jahrgangs im Zeichen des (Haupt-) Titels herauskam. Deutlicher hätte die programmatische Absicht, die D rey mit dem Inhalt seiner Abhandlung(en) und mit deren Plazierung in der ThQ hegte, der Öffentlichkeit nicht signalisiert werden können. Es wurde denn auch von den Mitherausgebern und den Lesern der ThQ so verstanden. Dieser Sachverhalt ist in mehrfacher Hinsicht aufschlußreich. Zunächst geht daraus hervor, daß D rey selbst die Abhandlung als Programmschrift auffaßte und daß er ihr für das wissenschaftliche Publikationsorgan der Tübinger pointiert die Rolle eines Ausgangs- und Basistextes zuwies. So sahen es auch die Kollegen, die sich mit D rey zum »Viererbund« 58 für die Begründung und Herausgabe der ThQ zusammengeschlossen hatten. Sie haben die Programmidee D reys zweifellos mitgetragen. Das alles geschah zu dem für ein solches Unternehmen frühest möglichen Zeitpunkt 59 . Es steht zugleich für den förmlichen Anfang der Tübinger Schule in der Tübinger Fakultät. An der Gesamtkonstellation ist ferner abzulesen, daß D rey der führende Kopf nicht nur in der Begründung der ThQ und ihrer ideellen 58 Vgl. dazu L ösch , Die Anfänge 14. 59 Zwischen der Errichtung der Katholisch-Theologischen Fakultät in Tübingen durch das königliche Reskript vom 27. Oktober 1817 (siehe J oseph Z eller , Die Errichtung der katholischtheologischen Fakultät in Tübingen im Jahre 1817, in: ThQ 108, 1927, 77-158) und dem ersten Heft der ThQ, das anfangs 1819 herauskam, scheinen zwei Jahre zu liegen, aber die Anfänge der Fakultät und der ThQ sind in Wahrheit viel enger beisammen. Seit Oktober 1817 stand zwar die personelle Besetzung der fünf Tübinger Lehrstühle (mit G ratz , D rey , H erbst , H irscher und D resch ) fest, der Lehrbetrieb wurde aber erst im Dezember 1817 aufgenommen, zunächst noch ohne D rey , der krankheitsbedingt erst zum Sommersemester 1818 von Ellwangen nach Tübingen kam. Kaum vollzählig in Tübingen anwesend, bildeten G ratz , D rey , H erbst und H irscher ihren »Viererbund« zur Gründung der ThQ als gemeinsames Publikationsorgan. Der Umstand, daß D resch nicht zu diesem Viererbund gehörte, erklärt sich wohl daraus, daß er kein Theologe war, sondern Historiker in der Philosophischen Fakultät und als solcher mit der kommisarischen Vertretung des Lehrstuhls für Kirchengeschichte und Kirchenrecht betraut (zu ihm siehe Z eller , Die Errichtung (wie oben) 109 f und 151 f; zum möglichen Anteil H erbsts an der Konzeption der ThQ siehe Einleitung zu Text Nr. 7, Ziff. III). Da die Gründungsvereinbarung von den vier Theologen am 7. Juli 1818 unterzeichnet wurde, müssen sie den Plan zur Gründung der Zeitschrift im Sommersemester 1818 ausgearbeitet haben, mithin alsbald nach dem Eintreffen D reys in Tübingen. Somit war auch das erste Quartal 1819 der frühest mögliche Zeitpunkt, zu dem das erste Heft der ThQ herauskommen konnte. Die ThQ wurde von den Herausgebern ausdrücklich nicht als Fakultätsorgan, sondern als »ihre« Zeitschrift, mithin als Organ des »Viererbundes« begründet (vgl. L ösch , Die Anfänge 22-24). <?page no="437"?> 405 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) Ausrichtung gewesen sein muß 60 , sondern es zumindest in rebus theologicis auch für seine Fakultät war. Seine darüber hinausreichende Führungsrolle ist in der Fachliteratur durchaus bekannt. Von besonderem Interesse ist hier aber eine Situationsbeschreibung von 1823 (mit Nachträgen bis 1838) aus der Feder von M artin J oseph M ack 61 , dem Schüler und nachmaligen Kollegen D reys , der mit den Verhältnissen in der Fakultät bestens vertraut war, sowie eine speziell den Programmcharakter der KS betreffende Äußerung M acks aus dem Jahr 1842, auf die weiter unten zurückzukommen ist. Zunächst zur Situationsbeschreibung von 1823. M ack skizziert in knappen Strichen das akademische Wirken der Mitglieder des damaligen »Fakultätskollegiums« (er nennt D rey , H erbst , F eilmoser , M öhler und H irscher ) und faßt dann seine Beobachtungen so zusammen: »Diese alle [! ] im Anschlusse an [! ] ihren eben genannten Senior, den Dogmatiker Drey, dessen sichtendes Urteil ihrem Wirken in keinem Punkte vorenthalten blieb ...« 62 . Zu D rey wird ferner bemerkt, daß er »der anerkannte Vormann des Lehrerkollegiums« sei 63 . 60 Vgl. dazu L ösch , Die Anfänge 18, sowie Einleitung zu Text Nr. 7, Ziff. III. 61 M artin J oseph M ack , Zum Gedächtnis an Möhler, in: A lbert W erfer , J. G. S chick , Leben des Dr. Johann Adam Möhler und des Clemens Brentano (Leben ausgezeichneter Katholiken der drei letzten Jahrhunderte herausgegeben unter Mitwirkung anderer von Albert Werfer 16). Schaffhausen 1861, 7-15. Auf S. 7 teilt W erfer mit, daß M ack ihm seinen Beitrag zum Druck überlassen habe. Dieser Text ist auch abgedruckt in: S tephan L ösch , Johann Adam Möhler. Bd. I: Gesammelte Aktenstücke und Briefe. Mit 1 Bildnis Möhlers. Herausgegeben und eingeleitet von Stephan Lösch. München [1928], 538-544. Auf diese Ausgabe sind die Seitenangaben in Anm. 62-63 zu beziehen. - M artin J oseph M ack , * 19.2.1805 in Neuhaus, Gemeinde Igersheim (der Heimatgemeinde M öhlers ), † 24.9.1885 in Ziegelbach, 1823-1827 Theologiestudium in Tübingen, 1829 Repetent am Wilhelmsstift, 1830 Hilfslehrer (bei D rey ), 1832 a.o. und 1835 o. Prof. der neutestamentlichen Exegese (Nachfolge F eilmoser ), 1839-1840 Rektor der Universität Tübingen, 1840 im Mischehenstreit mit der Regierung seines akademischen Amtes enthoben sowie seines Lehrstuhles entsetzt und unter Beibehaltung von Titel und Rang eines Ordinarius der Universität Tübingen auf die Pfarrei Ziegelbach (straf-) versetzt, 1845-1868 Mitglied der Kammer der Abgeordneten, 1867-1876 Dekan für Waldsee. Seine Berufung auf Professuren in Bonn, Hildesheim und Breslau kam aus politischen Gründen nicht zustande. M ack war mit M öhler bis zu dessen frühem Tod (1838) eng befreundet. - Lit.: K arl K lüpfel , Geschichte und Beschreibung der Universität Tübingen. Tübingen 1849, 449 ff; J oseph G eiger , Fest-Predigt auf das 50jährige Priester-Jubiläum des H.H. Dekan Prof. Dr. theol. J. M. von Mack, gehalten von seinem Neffen J. Geiger. Leutkirch und Saulgau 1878; S tephan J akob N eher , Statistischer Personal-Katalog des Bisthums Rottenburg. Festschrift zum 50-jährigen Jubiläum dieses Bisthums. Schwäbisch Gmünd 1878, 40 f, 328 f; R udolf R einhardt , Martin Joseph Mack (1805-1885). Theologieprofessor - Universitätsrektor - Dorfpfarrer, in: RoJKG 12 (1993) 95-112; F rank R aberg , Biographisches Handbuch der württembergischen Landtagsabgeordneten 1815-1933 (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg). Stuttgart 2001, 531; ADB 52 (1906) 148-150 (F riedrich L auchert ). 62 M ack , Zum Gedächtnis an Möhler (wie Anm. 61) 543 (Hervorhebung nicht im Original). M ack vermerkt in diesem Zusammenhang, daß die Professoren der Fakultät »durch ihre schriftstellerischen Leistungen den öffentlichen Ruf, durch das Gewicht ihrer Persönlichkeiten die akademische Geltung, durch das wissenschaftliche Aufstreben der katholischen Theologen ihren Einfluß auf das kirchliche Leben im In- und Auslande so fest begründet [hatten], daß die wissenschaftliche Selbständigkeit dieser theologischen Schule« schon damals als »gesichert gelten konnte« (539; Hervorhebung nicht im Original). Diese Äußerung ist eines der frühesten Zeugnisse für die öffentliche Wahrnehmung der Tübinger Fakultät als Katholische Tübinger Schule (Genaueres dazu in: M ax S eckler , Die Katholische Tübinger Schule - die <?page no="438"?> 406 Die Katholizismusschrift als Programmschrift Der selbe M ack war es, der 1842 - 19 Jahre nach der obigen Situationsschilderung - in einer Rezension auf die Katholische Tübinger Schule und den Anteil D reys am Zustandekommen ihrer Identität zu sprechen kam. Gegenstand der Rezension ist eine im Jahr zuvor im Druck erschienene Arbeit des evangelischen Theologen H einrich M erz 64 , in der dieser zum Ärger von M ack ein falsches Bild der Katholischen Tübinger Schule gezeichnet hatte. M ack bemerkt dazu, M erz hätte sich ja doch leicht über »das [! ] Programm der ›Tübinger Schule‹ [! ], wie es die Theologische Quartalschrift durch die Abhandlung ›Vom Geist und Wesen des Katholicismus‹ in ihrem ersten Jahrgang veröffentlicht hat«, informieren können 65 . M ack verzichtet hier darauf, D rey als Autor der Abhandlung zu nennen. In seinen Augen 66 kam es darauf an, die KS gleichsam zu entindividualisieren, dergestalt, daß es »die« ThQ in corpore war, welche 1819 mit dieser Abhandlung 67 das Programm der Tübinger Schule veröffentlicht hat. Damit ergibt sich insgesamt folgendes Bild: (1.) Die KS war von D rey als Programmschrift konzipiert; (2.) ihre Positionierung im ersten Heft der ThQ erfolgte in programmatischer Absicht als theologischer Basistext für diese Zeitschrift, zu deren Herausgabe sich die ersten Professoren der Tübinger Fakultät vereinigt hatten; (3.) sie haben sich damit auch für sich selbst auf diese programmatische Richtungsanzeige verständigt; (4.) nachdem die Tübinger Fakultät in den 1820er und 1830er Jahren ihren weit ausstrahlenden Höhepunkt erreicht hatte, konnte zu Beginn der 1840er Jahre selbst in der »jüngste« der Tübinger theologischen Schulen? Klärungen und Richtigstellungen zu ihren Anfängen und ihrer Begriffsgeschichte, in: M ichael K essler , O ttmar F uchs (Hg.), Theologie als Instanz der Moderne. Beiträge und Studien zu Johann Sebastian Drey und zur Katholischen Tübinger Schule (Tübinger Studien zur Theologie und Philosophie 22). Tübingen 2005, 217-244, bes. 228 ff, 233 f). 63 M ack , Zum Gedächtnis an Möhler (wie Anm. 61) 539. 64 H einrich M erz , Das System der christlichen Sittenlehre in seiner Gestaltung nach den Grundsätzen des Protestantismus im Gegensatze zum Katholicismus. Tübingen 1841. Es handelt sich bei dieser Schrift um die überarbeitete Fassung einer 1837 in der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen angefertigten Preisarbeit. - Die Rezension M acks findet sich in: ThQ 24 (1842) 272-286 (zu M erz und zur Rezension M acks siehe S eckler , Die Katholische Tübinger Schule (wie Anm. 62) 226-230). 65 ThQ 24 (1842) 274 (Hervorhebung nicht im Original). 66 In den ersten 13 Jahrgängen der ThQ (1819-1831) wurden sämtliche Abhandlungen, Rezensionen und sonstige kleinere Beiträge anonym, d.h. ohne Verfasserangabe, veröffentlicht (siehe Einleitung zu Text Nr. 7, Ziff. II.2.b und III.2), mithin auch die Abhandlung D reys Vom Geist und Wesen des Katholicismus. M ack wußte mit Sicherheit, daß D rey der Autor war. Wenn er seinen Namen hier nicht preisgab, so schwerlich allein deshalb, weil er die Anonymität um ihrer selbst willen respektieren wollte, sondern weil der anonym-kollektive Veröffentlichungsmodus seiner Absicht entgegenkam, die Abhandlung D reys als Programmschrift der ThQ und somit der »Tübinger Schule« in Erinnerung zu rufen. 67 Vgl. dazu S eckler , Johann Sebastian Dreys Programmschrift »Vom Geist und Wesen des Katholizismus« (wie Anm. 56) 42 mit Anm. 10 (auf S. 55 f). Dort ist die Programmäußerung von M ack auf die Ankündigung in Heft 1 der ThQ von 1819 bezogen und nicht, wie es richtig gewesen wäre, auf die Abhandlung D reys . <?page no="439"?> 407 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) interkonfessionellen scientific community die KS als aktuelles und maßgebliches Programm der »Tübinger Schule« geltend gemacht werden. Die Äußerungen M acks sind gewiß kein Produkt der Parteilichkeit. M ack war keineswegs ein spezieller Anhänger D reys , sondern Freund und Verehrer M öhlers . M öhler war zu diesem Zeitpunkt schon drei Jahre tot († 1838), und sein Nachruhm war gewaltig. M öhler hatte sich während seiner Tübinger Zeit, d.h. bis zu seinem Weggang nach München (1835), durch seine Auseinandersetzung mit F erdinand C hristian B aur und besonders durch seine Symbolik (1832, mit rasch folgenden Neuauflagen) den Ruf eines glänzenden Kontroverstheologen und bereits seit seiner Schrift über Die Einheit in der Kirche (1825) das Ansehen eines geistvollen Ekklesiologen erworben, aber schon während seiner Zeit in München hatte ein wahrer Möhlerkult begonnen. Er galt nach seinem Tod im Rückblick weithin als Haupt der Tübinger Schule, sein Werk als Inbegriff ihrer Theologie, der Glanz seines Namens überstrahlte nun alle Tübinger. Daß M ack 1842 trotzdem den überragenden Programmcharakter der KS mit D rey als spiritus rector herausstellen und rühmen konnte, ist deshalb besonders gewichtig. 68 68 Zu einer historischen Korrektur der gängigen Auffassung vom absoluten Übergewicht M öh lers unter den Tübingern in den 1830er Jahren gibt ein Zeugnis aus dem Jahr 1838 Anlaß, das für die zeitgenössische Wahrnehmung der Tübinger Verhältnisse einschlägig ist. Dies umso mehr, als es von einem auswärtigen Beobachter von einigem Rang stammt und bisher so gut wie unbeachtet blieb (vgl. jedoch C lemens B auer , Politischer Katholizismus in Württemberg bis zum Jahr 1848. Freiburg i.Br. 1929, 41). Es findet sich in den Beobachtungen eines Reisenden über die kirchlichen Verhältnisse in Baden und Würtemberg, die im zweiten Band der Historisch-politischen Blätter (1838) ohne Verfasserangabe auf den Seiten 543-555 im Druck erschienen sind. Als herausragende Köpfe unter den Tübingern bis zum Weggang M öhlers nach München und H irschers nach Freiburg werden dort M öhler , H irscher und D rey genannt und im Begriff eines »erlauchten Triumvirats« (! ) zusammengefaßt (554), mit der Erläuterung: »Die Namen Möhler, Hirscher und Drey sind leuchtende Namen, ihr Wirken an der Universität Tübingen kann nicht erfolglos geblieben seyn« (ebd.). M öhler , H irscher und D rey sind in der Wahrnehmung des Reiseberichterstatters von 1838 also gemeinsam die Tübinger Koryphäen. Das bedeutet: Wenn seit den Schriften G eiselmanns H irscher und D rey wieder im Sinne des Berichterstatters M öhler gleichgewichtig zur Seite gestellt wurden, so war das nicht so umstürzend, sondern entsprach nur ihrer Beurteilung durch jenen Zeitzeugen, der seinerseits gewiß nicht nur seine eigene Einschätzung wiedergab. G eisel mann hat die Arbeit B auers wahrscheinlich nicht gekannt, aber es ist kennzeichnend für die Situation am Ende der 1920er Jahre, als G eiselmann in die Erforschung der Tübinger Schule einstieg, daß eine Arbeit wie diejenige B auers zeitgleich und unabhängig von G eiselmann herauskommen konnte. - Der anonyme Verfasser des Reiseberichts war kein Geringerer als F riedrich E manuel H urter (1787-1865) aus Schaffhausen. H urters Verfasserschaft ist nachgewiesen bei D ieter A lbrecht , B ernhard W eber , Die Mitarbeiter der Historisch-politischen Blätter für das katholische Deutschland 1838-1923. Ein Verzeichnis (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen 52). Mainz 1990, 15 und 91. Der Besuch H urters in Tübingen hatte 1837 stattgefunden, sein erster Ansprechpartner war dort H efele , der 1834 den ersten Band von H urters Geschichte Pabst Innozenz III. anerkennend rezensiert hatte (in: ThQ 16, 1834, 716 ff), im Jahr darauf den zweiten Band (ThQ 17, 1835, 563 ff); H urter veröffentlichte 1837, 1840 und 1842 Beiträge in der ThQ. Bei seinem Besuch in Tübingen, den er 1837 auf seiner Reise zur Feier des 100jährigen Bestehens der Universität Göttingen einlegte, wurde er »durch ihn [H efele ] mit anderen Professoren bekannt« (F ried - <?page no="440"?> 408 Das Katholizismusthema im Frühwerk Dreys 5. Das Katholizismusthema im Frühwerk Dreys Das Katholizismusthema nahm in der Schaffensperiode D reys an der Friedrichsuniversität in Ellwangen (1812-1817) - mithin im gesamten Vorfeld der KS - eine zentrale Stellung ein. Die wichtigsten Zeugnisse dafür sind seine Vorlesungen und Tagebucheintragungen. D rey hielt gleich zu Beginn seiner Lehrtätigkeit in Ellwangen im Studienjahr 1812/ 13 die Vorlesung [Ideen zur] Geschichte des Katholischen Dogmensystems (siehe Text Nr. 2). Da sein Lehrdeputat die Fächer Dogmatik, Dogmengeschichte, Enzyklopädie und Methodologie umfaßte 69 , fiel diese Vorlesung fachlich in das Gebiet der von ihm zu behandelnden Dogmengeschichte. D rey nahm mit der auch im Titel dieser Vorlesung erkennbaren Ausrichtung der Thematik auf die Geschichte des katholischen Dogmensystems eine Spezifizierung vor, die terminologisch und thematisch auf die dafür einschlägigen Schriften M arheinekes 70 und P lancks 71 zurückverweist 72 . rich H urter , Geburt und Wiedergeburt. Erinnerungen aus meinem Leben und Blicke auf die Kirche. 3 Bde. Schaffhausen 1845, Bd. 2, 1-8 (Reise nach Göttingen 1837), hier 3; in der 4. Aufl. 1867 in Bd. 1, 214-215). - Der Topos vom »glorieux triumvirat« wurde 1952 aufgegriffen von E dgar H ocedez , Histoire de la the ´ologie au XIX e sie `cle 2. Brüssel, Paris 1952, 298. 69 Zum Lehrdeputat D reys siehe TüA 2 (Praelectiones dogmaticae) Kap. II, 14* ff, sowie TüA 3 (Kurze Einleitung) Kap. IV, bes. 122*-126*. In Ellwangen waren die dogmengeschichtlichen Vorlesungen stets unter dem Titel Geschichtliche Entwicklung des Katholizismus angekündigt; in den Tübinger Vorlesungverzeichnissen variieren die Bezeichnungen (teils auch für das Fach Dogmatik, wobei die Titel im Erscheinungsjahr der KS Beachtung verdienen), danach las D rey Dogmatische Theologie mit angehängter Dogmengeschichte (1818; 1818/ 19), Geschichte der Entwickelung und Ausbildung des katholischen Dogmensystems (1819), Dogmatische Theorie der katholischen Kirche und des katholischen Cultus (1819; 1820/ 21), Dogmengeschichte (1821; 1821/ 22), Geschichte der christlichen, besonders der katholischen Dogmen (1822; 1822/ 23; 1823-1830 enthalten die Verzeichnisse keine Auskünfte zu dogmengeschichtlichen Vorlesungen), Dogmatik in Verbindung mit Dogmengeschichte (1830/ 31; 1831/ 32), Dogmatik mit Dogmengeschichte (1832; 1835 las M öhler Kirchen- und Dogmengeschichte), Christlich-katholische Glaubenslehre in Verbindung mit der Dogmengeschichte (1836/ 37; 1837; 1837/ 38 und 1838; 1839 übernahm K uhn die dogmatischen Vorlesungen). Abgesehen von den Vorlesungen zur Theologischen Encyklopädie und Methodologie las D rey in Tübingen Apologetik der christlichen Religion (1818), Apologetische Theologie (1819; 1820 angekündigt; 1821), Apologetischer Theil der Theologie (1820/ 21), Apologetik (1822), Grundzüge der apologetischen Theologie (1823), Grundsätze der apologetischen Theologie (1824; 1825), Über christliche und katholische Apologetik (1827; 1828-1839 ließ D rey dieses Fach von Hilfslehrern versehen). 70 Vgl. M arheineke , Das System des Katholicismus (wie Anm. 52). D rey erwähnt M arheineke bereits in seiner Vorlesung Geschichte des Katholischen Dogmensystems (siehe Text Nr. 2), 38, hier jedoch erst die beiden ersten, 1810 erschienenen Bände des Systems des Katholicismus, ferner im Theologischen Tagebuch II, 126 (TüA 1, 95) sowie in seinen Erläuterungen in ThQ 1 (1819) 712-720, 713 (siehe Text Nr. 9, Misz. Nr. 2); zu späteren Erwähnungen im dritten Band seiner Praelectiones dogmaticae siehe TüA 2, 312, 330, 373 f, 703 f, 706; vgl. dazu auch TüA 3, 216 f, 389. 71 G ottlieb J akob P lanck , Abriß einer historischen und vergleichenden Darstellung der dogmatischen Systeme unserer verschiedenen christlichen Hauptpartheyen nach ihren Grundbegriffen, ihren daraus abgeleiteten Unterscheidungslehren und ihren praktischen Folgen. Zum Behuf seiner Vorlesungen darüber nebst der Einleitung zu diesen. Göttingen 1796, 2 1804, 3 1822. P lanck , der Lehrer M arheinekes , gilt als Begründer dieser Forschungsrichtung. <?page no="441"?> 409 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) Der bereits erwähnten Tagebuchnotiz vom 15. Januar 1815 ist zu entnehmen, daß D rey zu diesem Zeitpunkt an eine eigene Arbeit zu dieser Thematik dachte 73 . In der KS ist der Vergleich der konfessionellen Systeme ständig präsent, obwohl sie nicht direkt komparatistisch angelegt ist, sondern monothematisch im Hinblick auf den Geist und das Wesen des Katholizismus. In einer früheren Tagebuchnotiz hatte D rey in einer Aufstellung seiner »zuerst« zu realisierenden Publikationsvorhaben Eine pragmatische Geschichte des katholischen Dogmensystems vorgesehen 74 . Dieses Vorhaben ist in der Liste an fünfter Stelle angeführt. Wie an der Rekonstruktion der Dogmensysteme überhaupt, so war D rey an der vergleichenden Darstellung der dogmatischen Systeme anhaltend interessiert 75 . 72 Zum relativ freien Umgang D reys mit dem Lehrdeputat und den amtlichen Lehrplänen siehe Einleitung zu TüA 2 (Praelectiones dogmaticae), Kap. II, 14* ff, bes. 23*-26*. 73 Siehe Theologisches Tagebuch II, 125-128 (TüA 1, 95-97, Text 32*). Der eigenhändig auf den »15 Jan. 1815« datierte Text hat die Überschrift Katholicismus, Mystik, Protestantismus. Der Notiz ist nicht zu entnehmen, daß D rey sie direkt im Hinblick auf ein Publikationsvorhaben zu Papier brachte, aber die ausformulierte Überschrift deutet auf einen solchen Plan hin. Er realisierte ihn wohl in dem Artikel Ueber das Verhältniß des Mysticismus zum Katholicismus, mit Nuzanwendung für unsere Zeit (ThQ 6, 1824, 219-248). - Die Ausführungen D reys in Text 32* betreffen die zu dieser Zeit besonders aktuelle Theorie der christlichen Konfessionen, zu der D rey hier prägnant Stellung bezieht (vgl. dazu auch oben bei und in Anm. 47). Der scharfsinnige Text ist in mehrfacher Hinsicht wichtig: (1.) D rey tritt der Auffassung entgegen, daß in der einen Christusreligion das Christentum sich in den beiden Konfessionen jeweils zur Objektivität von Kirchen gestalte. Die eine notwendige Form des sich zur Kirche ausgestaltenden Christentums sei der Katholizismus, während das Prinzip des Protestantismus, dem D rey die Anerkennung nicht völlig versagt, indem er es mystisch deutet, die Grundbedingung des Kirchentums sachlogisch aufhebe. - (2.) Aus dem Text geht hervor, daß D rey sich zu Beginn des Jahres 1815 intensiv mit der Theorie der Konfessionen befaßte und daß er zu diesem Zeitpunkt bereits klare Vorstellungen vom Geist und Wesen des Katholizismus entwickelt hatte (die Termini »Geist« und »Wesen« zieht D rey hier bereits theorierelevant für sein Ideogramm heran). - (3.) D rey verweist in dem Text ausdrücklich auf »Salats Religionsphilosophie« (gemeint ist: J akob S alat , Die Religionsphilosophie. Landshut 1811) und »Marheinekes Schriften; unter andern: sein Sendschreiben über einen Hauptpunct der Constitution der freien Stadt Frankf. am Mayn. 1814. S. 32«, die er als herausragende Beispiele für eine verkehrte Theorie der Konfessionen ansieht und anführt. Bei den »andern« Schriften M arheinekes wäre an dessen System des Katholicismus (siehe Anm. 70) zu denken, ferner an ders ., Aphorismen zur Erneuerung des kirchlichen Lebens im protestantischen Deutschland. Berlin 1814; Ueber das wahre Verhältniß des Katholicismus zum Protestantismus (siehe Anm. 43), und wohl auch an seine Allgemeine Darstellung des theologischen Geistes der kirchlichen Verfassung und kanonischen Rechtswissenschaft in Beziehung auf die Moral des Christenthums und die ethische Denkart des Mittelalters. Nürnberg und Sulzbach 1806. 74 In: Theologisches Tagebuch III, 49 (TüA 1, 170-171, Text 52*; vgl. dazu unten Anm. 78). 75 Dafür zeugen auch die Rezensionen D reys auf diesem Themengebiet in den ersten Jahrgängen der ThQ: (a.) zu H erbert M arsh , Vergleichende Darstellung der protestantisch-englischen und der römischkatholischen Kirche, oder Prüfung des Protestantismus und Katholicismus. Übersetzt von J ohann C hristoph S chreiter . Sulzbach 1821, in: ThQ 4 (1822) 60-81. - Die englische Originalausgabe war 1814 unter dem Titel A comparative View of the Churches of England and Rome (London, Cambridge) herausgekommen. D rey hatte dazu im Frühjahr 1817 ein langes Exzerpt aus einer in der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung erschienenen Rezension angefertigt und mit zahlreichen eigenen Bemerkungen versehen (siehe Theologisches Tagebuch V, <?page no="442"?> 410 Zur Datierung der Katholizismusschrift Terminologisch von Interesse ist, daß D rey im ersten Satz der KS den Katholizismus als »System religiöser Ideen« ansieht 76 . Im übrigen werden von ihm die Begriffe Katholizismus, System des Katholizismus und katholisches System synonym verwendet. Die zur Wortfamilie des Begriffs Katholizismus gehörenden Termini tauchen im Theologischen Tagebuch signifikant oft auf (ca. 50 mal). Im Gebrauch des Begriffspaars Katholizismus/ Protestantismus treten häufig komparatistische Interessen zutage. Direkte Hinweise auf die Verfertigung oder das Vorhandensein eines Manuskripts der KS sind im Theologischen Tagebuch nicht vorhanden. Daß D rey sich aber schon 1815/ 16 eingehend mit dem »Geist und Charakter« des Protestantismus und Katholizismus befaßte, geht aus dem Theologischen Tagebuch IV, 54-64 (TüA 1, 312-318, Text 94*) hervor 77 . 6. Zur Datierung der Katholizismusschrift Ein Manuskript der KS ist nicht erhalten geblieben, weder in der 1819 in der Theologischen Quartalschrift zum Abdruck gelangten Endfassung, noch in Vorstufen, Skizzen oder Entwürfen, die es wahrscheinlich gegeben hat. D rey selbst hat die KS nicht datiert. In der Fachliteratur ist die Datierungsfrage bisher nicht erörtert worden, sei es, weil sie als unwichtig galt, sei es, weil stillschweigend davon ausgegangen wurde, daß D rey die KS unmittelbar vor ihrer Veröffentlichung verfaßte. Beide Annahmen müssen jedoch mit einem Fragezeichen versehen werden. Es ist zwar richtig, daß die KS in ihrer Druckfassung das Denken D reys zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung wiedergibt, d.h. 1819, und mithin am Ende und zum krönenden Abschluß der Schriften seines Frühwerkes, 88-140 (TüA 1, 494-534, Text 147*); in TüA 1, 494, Apparat zu Ziff. E., sind Querverweise auf die KS angeführt). Der Abschluß dieser Tagebucheintragung ist von D rey auf den 20.4.1817 datiert. (b.) Zu L eonhard A loys N ellessen , Was ist Katholizismus? Veranlasset durch den ungenannten katholischen Geistlichen in seiner Rechtfertigung der gemischten Ehen zwischen Katholiken und Protestanten und seinen Vorwort-Sprecher Leander Van Eß und beantwortet von Leonhard Aloys Nellessen. Aachen 1822, in: ThQ 4 (1822) 515-522. (c.) Zu M aximilian P rechtl , Beleuchtung der Dr. Tschirnerischen Schrift: Protestantismus und Katholicismus aus dem Standpuncte der Politik betrachtet. Sulzbach 1823, in: ThQ 5 (1823) 439-450. (d.) Zu J ohann G ottlieb R ätze , Das Suchen nach Wahrheit, oder Vergleichung der katholischen und protestantischen Kirche mit der apostolischen der ersten Jahrhunderte. Leipzig 1823, in: ThQ 5 (1823) 450-484. 76 Vgl. dazu auch den Titel der Kurzen Einleitung von 1819, dem zu entnehmen ist, daß D rey darin »das katholische System« besonders »berücksichtigen« wolle. 77 Es handelt sich um ein mit umfangreichen, kritischen Bemerkungen D reys durchsetztes Exzerpt aus einer Rezension des Werkes von K arl M oritz E duard F abritius , Apologie des dogmatischen Protestantismus nach seinen kirchlichen und christlich religiösen Verhältnissen zum reinen Katholicismus. Stuttgart 1814, in den Heidelbergischen Jahrbüchern der Literatur 8 (1815) Heft 10, Nr. 59, 934-938 (vgl. auch Theologisches Tagebuch IV, 73-93, TüA 1, 325-338, Text 98*). <?page no="443"?> 411 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) zugleich aber im Übergang zu seiner Tübinger Zeit, die er mit ihr programmatisch einleitete. Es gibt indessen gewichtige Anhaltspunkte dafür, daß die Anfänge der KS konzeptionell und auch redaktionsgeschichtlich bis in die Anfänge seines philosophisch-theologischen Schaffens in Rottweil (1806-1812) zurückreichen und daß er sich mit der Thematik der KS auch während seiner Zeit an der Friedrichsuniversität in Ellwangen (1812-1817) befaßte. Wenn es damit seine Richtigkeit hat, dann kommt der Datierungsfrage werkgeschichtlich eine erhebliche Bedeutung zu. Die nachfolgend zusammengestellten Beobachtungen und Erwägungen sind für diese Frage von Belang. a. Als D rey 1819 die KS in anspruchsvoller Form als Programmschrift in die Theologische Quartalschrift einrückte, mußte sie von ihm thematisch und inhaltlich als aktuell und in der Problembehandlung als auf dem Stand der Zeit befindlich eingeschätzt worden sein. Das spricht dafür, daß sie zeitnah zu ihrer Veröffentlichung ihre letzte Fassung erhalten haben muß. Um die unveränderte Wiedergabe eines alten Manuskriptes oder alter Manuskripte kann es sich nicht gehandelt haben (D rey hat in die Druckfassung - wenn auch nicht an zentralen Stellen - Literatur bis 1818 eingearbeitet; vgl. ThQ 1 (1819) 385: H enri G re´goire , Recherches historiques sur les congre ´gations hospitalie `res des fre `res Pontifes. Paris 1818, sowie 560: Aphorismen über Religion, Kirche und Staat - von W ilhelm M ejer , [Göttingen] 1817). b. Die Begründer und Herausgeber der ThQ haben den Text, den sie zur Ankündigung der Theologischen Quartalschrift vorsahen (siehe Text Nr. 7), am 7. Juli 1818 unterzeichnet. In ihm ist als eines der beiden Hauptziele der neuen Zeitschrift angegeben, »den Sinn für den Geist des Christenthums, und dessen fruchtbare Anwendung auf die Gemüther zu beleben« (Hervorhebung nicht im Original). Diese Formulierung deutet darauf hin, daß die Thematik der KS dahinter steht und daß die Herausgeber darum wußten. Ob ihnen auch das Manuskript der KS bereits vorlag, läßt sich nicht ausfindig machen. D rey war zweifellos in Zeitnot. Er war nach seiner schweren Erkrankung in Ellwangen erst anfangs April 1818 nach Tübingen übergesiedelt, der ersehnte Neubeginn an der Alma mater Tubingensis mit allem, was dazu gehört, nahm Zeit und Kraft in Anspruch. Hinzu kommt, daß D rey gleichfalls 1819 mit dem Druck anderer, umfangreicher Texte - darunter der Kurzen Einleitung in Buchform, der Oratio (siehe Text Nr. 5), des 30seitigen Konkordatsaufsatzes (siehe Text Nr. 8), sowie Rezensionen im Umfang von 53 Seiten - an die Öffentlichkeit trat. In den wenigen Monaten, die ihm bis zum Erscheinen des ersten Heftes der Theologischen Quartalschrift in Tübingen zur Verfügung standen, muß er auch die Endfassung der KS zu Papier gebracht haben. Es ist bei aller Schaffenskraft D reys kaum vorstellbar, daß er im Gedränge seiner ersten Tübinger Monate die Zeit gefunden haben könnte, die KS von Grund auf neu zu konzipieren. Es ist daran zu denken, daß er dafür - wie auch bei der <?page no="444"?> 412 Zur Datierung der Katholizismusschrift Kurzen Einleitung - auf Vorlagen zurückgreifen konnte, um sie für die Veröffentlichung in der ThQ auszuwerten und auf den jüngsten Stand zu bringen. c. Damit richtet sich der Blick auf das Theologische Tagebuch, dessen Eintragungen in den vier erhalten gebliebenen Bänden die Zeit von 1812 bis 1818 umfassen. Doch anders als bei allen bis 1819 erschienenen Schriften D reys ist dort - mit Ausnahme der Revisionsschrift von 1812 - die KS, oder eine Vorstufe derselben, nicht angeführt, jedenfalls nicht direkt. Wohl aber erwähnt D rey in einer auf Ende 1812 zu datierenden Notiz die Existenz von Manuskripten, auf die er zu gegebener Zeit zurückgreifen könne. Die diesbezügliche Bemerkung findet sich in der Liste mit Publikationsplänen, in der D rey sechs Schriften anführt, die »zuerst erscheinen könnten« 78 . An erster Stelle ist dort (unter Ziff. »a.«) eine »Christliche Religionsphilosophie, oder philosophisch historische Construction des Christentums aus seiner Grundidee vom Reiche Gottes« angeführt (Hervorhebung nicht im Original), und an dritter Stelle (unter Ziff. »c.«) eine »Einleitung in das Studium der Theologie«. Das Projekt »c.« hat D rey zweifellos in der Kurzen Einleitung von 1819 literarisch realisiert. Da die Kurze Einleitung indessen in weiten Teilen religionsphilosophischen Charakter hat 79 (so in ihrem ganzen Ersten Hauptstück, aber auch in den Partien, in denen D rey mit der Methode der »philosophischen« bzw. »apologetischen« Theologie eine Konstruktion des Christentums vornimmt), ist daran zu denken, daß das ursprüngliche Projekt »a.« wenigstens teilweise in die Kurze Einleitung eingegangen ist. Gänzlich aufgegangen in ihr ist es aber nicht, denn auch die KS hat durchaus religionsphilosophischen Zuschnitt 80 . Insofern steht der Annahme, daß das Projekt »a.« in der KS eigenständig zur 78 Theologisches Tagebuch III, 49 (TüA 1, 170-171, Text 52*). Die Notiz trägt die Überschrift: »Unter den Schriften, die zuerst erscheinen könnten, wäre ...«. D rey nennt folgende Projekte: »a. Christliche Religionsphilosophie, oder philosophisch historische Construction des Christentums aus seiner Grundidee vom Reiche Gottes b. Eine neue Kritik der Offenbarung größtentheils polemisch sowohl gegen die Ältern als neuern Feinde der Offenbarung als auch gegen ihre bisherigen Vertheidiger, wo nämlich die falschen Vorstellungen gerügt und bessere Begriffe an ihre Stelle gesetzt werden c. Einleitung in das Studium der Theologie nach dem schon entworfenen Grundriß; diese Einleitung da sie zum Handbuch für die Studierenden bestimt ist und also kurz gefaßt sein muß, würde sich in den wichtigsten Stücken auf die beiden vorhergehenden Schriften beziehen d. Ein Handbuch der christlichen Dogmatik, auf allen drei vorhergehenden ruhend e. Eine pragmatische Geschichte des katholischen Dogmensystems f. Allgemeine Religionsgeschichte - alle alten u. neuen Formen umfassend. Als Vorbereitung zu a) könnten meine Manuscripte gebraucht werden: auch müßten mehrere hieher gehörige Schriften z.B. Zimmers christliche Religionsphilosophie, und wenn sonst etwas dergleichen erschienen ist, etwa Schwarzens der Geist des Christentums, benützt werden« (Hervorhebung nicht im Original). 79 Vgl. dazu oben die Hinweise in und bei Anm. 25 und 26, ferner die Ausführungen in der Einleitung zu Text Nr. 1, Ziff. II.5.c, sowie Bandeinleitung zu TüA 3 (Kurze Einleitung) 151*- 158*. In der KE hat D rey auch die »Grundidee vom Reiche Gottes« plangemäß zum Tragen gebracht. 80 Zum diesbezüglichen Charakter der KS siehe oben in und bei Anm. 25 und 26. <?page no="445"?> 413 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) Ausführung gelangte, kein ernsthafter Grund entgegen. Zwar geht es in der KS formell nicht wie in Projekt »a.« vorgesehen um eine Konstruktion des Christentums, sondern des Katholizismus, aber erstens gehört die Theorie des Katholizismus ohnehin zur Theorie des Christentums, und zweitens ist die KS konzeptionell gerade darauf angelegt, den Katholizismus als die einzig genuine und authentische institutionelle Gestaltung des Christentums überhaupt aufzuweisen; D rey geht es hier keineswegs um das partikulare konfessionelle Sondergut der katholischen Kirche 81 . Wenn aber die Konstruktion des Christentums, wie D rey sie in der KS vornimmt, fachlich zum Projekt »Christliche Religionsphilosophie« gehört, dann ist auch der folgende Befund auf dieses Projekt zu beziehen. In einem Nachtrag zu dem an erster Stelle genannten Vorhaben bemerkt D rey nämlich, als »Vorbereitung« für es »könnten meine Manuscripte gebraucht werden« 82 . Es existieren somit »Manuscripte« 83 D reys aus der Zeit vor der Niederschrift dieser Projektskizze Ende 1812, auf die er bei der Realisierung des Projekts »Christliche Religionsphilosophie, oder philosophisch historische Construction des Christentums ...« zurückgreifen könne. Der Nachtrag enthält einen weiteren, aufschlußreichen Fingerzeig: »auch müßten mehrere hieher gehörige Schriften z.B. Zimmers christliche Religionsphilosophie 84 , und wenn sonst etwas dergleichen erschienen ist, etwa Schwarzens der Geist des Christentums 85 , benützt werden« (Hervorhebung nicht 81 Siehe oben in Ziff. II.2. 82 Siehe letzter Absatz des oben in Anm. 78 wiedergegebenen Textes 52*. 83 Mit der Wendung »meine Manuscripte« können nicht Vorlesungsmanuskripte gemeint sein, solche Papiere bezeichnet D rey als »meine Hefte«. Auszuscheiden ist auch die Annahme, daß es sich um die (erhalten gebliebenen) naturphilosophischen Entwürfe handeln könnte, die D rey in seiner Rottweiler Zeit verfertigte (siehe E berhard T iefensee , Die religiöse Anlage und ihre Entwicklung. Der religionsphilosophische Ansatz Johann Sebastian Dreys (1777-1853) (Erfurter Theologische Studien 56). Leipzig 1988, 9). Die von D rey erwähnten »Manuscripte« gelten als verschollen. 84 Es handelt sich um P atriz B enedikt Z immer , Philosophische Religionslehre. Erster Theil. Lehre von der Idee des Absoluten. Landshut 1805 (in D reys Büchernachlaß). Z immer sucht in diesem Werk, zu dem kein Fortsetzungsband erschienen ist, die »Ansichten der neuesten Philosophie von Gott und Religion« gegen den Religionsbegriff K ants zum Tragen zu bringen, ihre »wahre und eigenthümliche Gestalt« (Vorrede 1). Die Vertreter der »neuesten Philosophie« waren für ihn in dieser Sache in den Jahren kurz vor 1805 S chleiermacher , F ichte und S chelling . Für Z immer entspricht allein der Katholizismus infolge seiner realen Beziehung zur Geschichte den Kriterien des »neuen« Religionsbegriffs. Die Anstöße, die von Z immer auf D rey im Vorfeld der KS ausgingen, sind nicht zu übersehen, sollten aber nicht zu hoch angesetzt werden. Von D rey ist bekannt, daß er sich schon in seiner Vikarszeit intensiv mit F ichte und S chelling befaßt hatte und so aus eigenem Antrieb in die »Ansichten der neuesten Philosophie von Gott und Religion« eingedrungen war. Z immer , den er schätzte, mag ihn dann als katholischer Theologe darin ermutigt haben. - Zu Z immer (1752-1820) siehe unten Text Nr. 9 (Miscellanea), Einleitung zu Misz. Nr. 14, Anm. 3. 85 Ein Autor namens S chwarz mit einem so betitelten Werk ist bibliographisch nicht nachweisbar. Gemeint ist F riedrich H einrich C hristian S chwarz , Das Christenthum in seiner Wahrheit und Göttlichkeit betrachtet, von 1808 (siehe oben Anm. 4). S chwarz will, gleichfalls gegen K ant und mit S chelling , den »Geist« der christlichen Religion erheben, indem er <?page no="446"?> 414 Zur Datierung der Katholizismusschrift im Original). Bei der Titelformulierung, die D rey hier irrtümlich in die Feder geflossen ist, handelt es sich um eine Art Freudscher Fehlleistung, aus der hervorgeht, an was D rey bei dem genannten Autor und dessen Schrift 1812 eigentlich dachte. Sie besagt zugleich, daß in dem von ihm Ende 1812 angezielten Projekt das Thema Geist des Christentums bis in die Titelgestaltung hinein eine zentrale Rolle spielen werde. d. Der Text 52* enthält die wichtigsten Auskünfte zur Vor- und Entstehungsgeschichte der KS, die das Theologische Tagebuch dazu zu bieten hat. Sie führen zu folgenden Einsichten: (1.) Zu Beginn seiner Ellwanger Zeit befaßt D rey sich mit literarischen Plänen und notiert sich »unter den Schriften, die zuerst erscheinen könnten«, sechs Titel (Ende 1812). Für das an erster Stelle angeführte Projekt »Christliche Religionsphilosophie, oder philosophisch historische Construction des Christentums« »könnten« bereits vorliegende Manuskripte verwendet werden. Diese Manuskripte muß er aus Rottweil mitgebracht haben, wo die Vertretung des Faches Religionsphilosophie eine seiner wichtigsten akademischen Pflichten war, der er auch aus persönlicher Vorliebe besonders intensiv nachkam. (2.) Die Religionsphilosophie, wie D rey sie am Lyzeum in Rottweil zu vertreten hatte, zählte gemäß Studienordnung zur theologischen Propädeutik. Es handelt sich bei ihr nicht um eine abstrakte philosophische Vorschule der Theologie, sie hatte vielmehr intrinsisch philosophisch-theologischen Charakter nach Art einer philosophischen Theologie 86 . Dieser Punkt ist wichtig. Aus ihm erklärt es sich, daß D rey das »das Wesen des Christenthums aus den Schriften des Neuen Testaments« rekonstruiert (Vorrede IX; Hervorhebungen nicht im Original). Er verweist dafür auf »einige Bücher desselben Gegenstandes«, die in der Leipziger Literatur-Zeitung rezensiert worden seien; sie hätten ihn für sein Vorhaben den Mut gestärkt (Vorrede X). Die Parallelen zu Z immer sind nicht zu übersehen. Zu S chwarz findet sich noch in einem späteren Band des Theologischen Tagebuchs (V, 21-22, TüA 1, 444-445, Text 127*) unter der Überschrift »Kirche - KirchenVerfassung« eine Notiz, in der D rey eine in der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung (13, 1816, Bd. 2, Mai, Nr. 88, 231-232) erschienene kurze Rezension exzerpiert und kommentiert. Gegenstand der Rezension war S chwarz , Die Kirche in dieser Zeit. Vorschläge (wie Anm. 49). Die »Vorschläge« betreffen die zu dieser Zeit besonders virulenten Bemühungen einer Vereinigung von Protestantismus und Katholizismus sowie Fragen der Kirchenverfassung und sind insofern für die KS weniger von Belang, jedoch wird dabei, wie auch die Rezension mitteilt, auch der »Geist« und das »Wesen« des Protestantismus und des Katholizismus behandelt. Für D rey waren die Notizen zu S chwarz in Text 127* wichtig genug, um sie in seinem eigenhändigen Register zu Band V mit sieben Stichworten zu erschließen (vgl. ebd. 203-205, TüA 1, 581 f). F riedrich H einrich C hristian S chwarz (* 30.5.1766 in Gießen, † 3.4.1837 in Heidelberg) war 1804-1837 Professor der lutherischen Dogmatik und Dogmengeschichte an der Universität Heidelberg und Fakultätskollege von D aub und M arheineke , mit deren philosophischer Richtung und ihrem Weg von K ant über S chelling zur spekulativen Theologie im Gefolge H egels er weitgehend übereinstimmte. Zu ihm: ADB 33 (1891) 235-236 (F ried rich von W eech ); G erhard S chwinge , »freundlich und ernst«. Friedrich Heinrich Christian Schwarz (1766-1837). Theologieprofessor und Pädagoge in Heidelberg von 1804 bis 1837 und die Heidelberger Gesellschaft seiner Zeit (Archiv und Museum der Universität Heidelberg. Hg. von W erner M oritz . Schriften 11). Heidelberg, Ubstadt-Weiher 2007. 86 Vgl. dazu Einleitung zu Text Nr. 1, Ziff. II.5.c, sowie T iefensee , Die religiöse Anlage (wie Anm. <?page no="447"?> 415 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) Projekt von 1812 als christliche Religionsphilosophie bezeichnen konnte. Er mußte seine dafür in Frage kommenden Rottweiler Manuskripte nicht erst noch für eine theologische Fragestellung umarbeiten. (3.) Es ist zu erwägen, ob zu den von D rey erwähnten »Manuscripten« auch jener zweite, systematische Teil der Revisionsschrift gehörte, dessen Veröffentlichung im Konstanzer Pastoralarchiv im Frühjahr 1812 gescheitert war. (4.) Der Bemerkung D reys ist indirekt zu entnehmen, daß in den Aufzeichnungen und Schriften, die er für das an erster Stelle genannte Projekt benützen will, das Thema »Geist des Christentums« eine zentrale Rolle spielt. (5.) Rebus sic stantibus ist davon auszugehen, daß zwischen den alten Manuskripten und dem neuen Projekt konzeptionelle und textuelle Zusammenhänge bestehen. (6.) Die Jahre, in denen D rey in Rottweil seine Religionsphilosophie konzipierte, waren genau jene Zeit, in der die romantische Philosophie in die katholische Theologie hineinzuwirken begann. D rey selbst hatte voll darauf gesetzt (was ihm beim Inhalt der Revisionsschrift Ärger eintrug), wie auch die Schriften von Z immer und S chwarz , die D rey anführt, gänzlich auf diese damals »neueste Philosophie« abgestellt waren. Die KS ist noch in ihrer Atmosphäre, ihrem Denk- und Sprachstil, weithin von diesem aufschäumenden Entdeckergeist belebt. Daß sich das Denken D reys bis zur definitiven Niederschrift der KS unter dem Einfluß der fachlichen Diskussionslage nach 1812, in der M arheineke eine führende Rolle übernommen hatte, entsprechend weiterbildete, versteht sich von selbst. Nicht weniger dürften die außerfachlichen, aber für die KS von 1819 höchst einschlägigen Entwicklungen, über die der Brockhausartikel 1816 berichtete, das Ihre dazu beigetragen haben. Einschlägig für die Datierungsfrage ist auch folgende Beobachtung. G ei selmann erkannte in seiner Abhandlung Johann Adam Möhler und die Entwicklung seines Kirchenbegriffs (in: ThQ 112, 1931, 1-91, 64; vgl. 86 f mit Anm. 2) eine Beziehung zwischen D reys Begriff »Gemeingeist« (KS 566) und dem Begriff »Esprit de corps« (Theologisches Tagebuch II, 21; TüA 1, 18), mithin sei die von D rey in der KS entfaltete Idee des Geistes als »Prinzip und Organ der inneren Einheit der Kirche« bereits in jenem im Frühjahr 1812 in Rottweil entstandenen Tagebucheintrag Über die erste Verfassung der Kirche fixiert (M ax M iller , Professor Dr. Johann Sebastian Drey als württembergischer Bischofskandidat (1822-1827), in: ThQ 114, 1933, 363-405, verweist 373 zustimmend auf diese werkgenetischen Beobachtungen G eiselmanns ). e. Für die Annahme, daß die von D rey erwähnten »Manuscripte« in der KS auch formal Spuren hinterlassen haben, spricht vielleicht auch der Umstand, daß D rey die vier Teilstücke, aus denen die KS besteht, beiläufig als eine 83) 7-11. T iefensee verweist in diesem Zusammenhang auf eine Bemerkung von A lbert I gnaz W erfer , wonach D reys Religionsphilosophie in Rottweil zum Fachgebiet der Dogmatik gehörte (a.a.O. 9). Diese Klassierung ist allzu grobkörnig, aber sie bestätigt sinngemäß den intrinsisch theologischen Charakter dieser Religionsphilosophie. <?page no="448"?> 416 Zur Datierung der Katholizismusschrift »Reihe von Aufsätzen« bezeichnet (siehe KS 8 f; Hervorhebung nicht im Original). Es handelt sich bei diesen Teilstücken tatsächlich um vier thematisch relativ selbständige »Aufsätze«, die D rey für den Druck in der ThQ zu einer Einheit zusammengefügt haben könnte. Gleichwohl bildet die KS in ihrer vorliegenden Endgestalt ein auf das Thema Geist und Wesen des Katholizismus ausgerichtetes und konsistent durchstrukturiertes einheitliches Ganzes. Der innere Grund dafür, daß das ohne erkennbare Bruchstellen möglich war, dürfte darin zu suchen sein, daß die für die Endfassung der KS verwendeten Manuskripte bereits auf die hier formell zum Tragen gebrachte Gesamtthematik angelegt waren. Im Rückblick würde das wiederum auf die Konsistenz im Entwicklungsgang des Denkens D reys von Rottweil über Ellwangen bis Tübingen schließen lassen. f. Es bleibt die Frage, ob ein Vergleich der KS mit den zwischen 1812 und 1819 zum Druck gelangten Schriften D reys in der Datierungsfrage weiterhilft. Dafür kommen - neben der Revisionsschrift - inhaltsbedingt nur die Kurze Einleitung und die Oratio, die beide im selben Jahr wie die KS herauskamen, in Betracht. Einem Vergleich in chronologischer Perspektive steht im Falle der Kurzen Einleitung die Schwierigkeit entgegen, daß sie, werkgeschichtlich gesehen, auch ihrerseits nicht in einem Zug entstanden ist. Sie lag, wie D rey in Text 52* des Theologischen Tagebuchs festhielt, bereits Ende 1812 im »Grundriß« vor und dürfte insoweit zu den Manuskripten aus der Rottweiler Zeit gehört haben. In ihre Endfassung sind dann mit Sicherheit die Früchte der enzyklopädisch-methodologischen Vorlesungen eingegangen, die D rey zwischen 1812 und 1817 in Ellwangen hielt. Auch in ihr ist infolgedessen zumindest textuell mit Entwicklungsschichten zu rechnen, die aber im einzelnen nicht mehr identifizierbar und datierbar sind. Es ist deshalb von vorne herein ungewiß, was in der KS und was in der Kurzen Einleitung unter chronologischen Aspekten miteinander zu vergleichen wäre. Solange die jeweiligen Textschichten nicht identifiziert und datiert sind, ist deshalb nur der synchrone Vergleich der gedruckt vorliegenden Endfassungen möglich, der aber aus den genannten Gründen für die Datierungsfrage kaum etwas abwerfen kann. Ein solcher Vergleich wurde bisher in der Dreyforschung nicht vorgenommen. Was bereits bei einer ersten Lektüre in die Augen springt, sind Unterschiede im Sprach- und Denkstil und auch in der Couleur der fachlichen Begriffe, was zu einem guten Teil sicher auf die unterschiedlichen literarischen Genera - hier ein Lehrbuch, dort ein Essay - zurückzuführen ist, vielleicht aber auch auf verschiedene Abfassungsdaten verweist. Was aber gleichwohl auffällt, ist eine signifikante Eigenständigkeit der KS gegenüber der Kurzen Einleitung in den einander berührenden Sachverhalten, fast so, wie wenn beide nicht voneinander wüßten. Sachliche Gegensätze oder positionelle Widersprüchlichkeiten zwischen beiden gibt es gleichwohl nicht. Es scheint, daß die Frische der Sprache, der Höhenflug des Begeistertseins und die doktrinale <?page no="449"?> 417 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) Leichtigkeit der Gedankenführung - bei aller dogmatischen Korrektheit - im wesentlichen doch den zermürbenden Konflikten um die Beichtschrift, die D rey 1817 an den Rand der Erschöpfung brachten, vorausliegen. Daß auch die hochgespannte Programmidee von 1819 den Autor der KS aufs Neue beflügelt haben dürfte, erklärt noch nicht alles. g. Einfacher liegen die Dinge bei einem Vergleich der KS mit der Oratio. Diese ist 1817 in einem Guß entstanden, sodaß man für Datierungsfragen festen Boden unter den Füßen hätte. Hier zeigt sich indessen nur, daß das in der Oratio zur Verhandlung anstehende Problem der Dogmenentwicklung fachlich so bedacht wird, wie es dem höchsten Reifegrad eines versierten Dogmatikers im schultheologischen Rüstzeug entspricht. Von Leidenschaftlichkeit durchpulst sind beide Schriften. Ein Vergleich der Ausführungen D reys zum Entwicklungsgang der Kirche unter dem Einfluß geschichtlicher Herausforderungen in der vierten Abhandlung der KS mit den analogen Ausführungen in der Oratio zeigt indessen, daß diese Passagen vor der Oratio entstanden sein müssen. 7. Zum Verhältnis Katholizismusschrift / Revisionsschrift Wie die geistes- und wissenschaftsgeschichtliche Situierung der KS und ihre Vernetzung innerhalb des theologischen Schaffens des frühen D rey in einem größeren Rahmen, so kann auch die Frage nach dem Verhältnis der KS zur Revisionsschrift (RS) zur Auslegung der KS im Hinblick auf ihre Entstehungsgeschichte und ihre Stellung im Frühwerk D reys sowie zur Beseitigung von Fehlurteilen beitragen. Bereits in der Einleitung zu Text Nr. 1 (Revisionsschrift) wurde darauf hingewiesen, daß der KS jener zweite Teil der RS zu Grunde liegen könnte, dessen Veröffentlichung im Konstanzer Pastoralarchiv 1812 infolge einer Intervention der Schriftleitung nicht zustande gekommen war 87 . Da das Manuskript der RS, und insbesondere dessen zweiter Teil, nicht erhalten geblieben ist und sich auch im Nachlaß D reys keine direkten Hinweise auf dieses Manuskript finden, ist die Forschung auf anderweitige Anhaltspunkte angewiesen. Zwingend anzunehmen ist, daß es sich bei dem ungedruckt gebliebenen Teil der RS um den systematischen Hauptteil handelte. Es ist darüber hinaus bekannt, daß D rey seine Manuskripte aus Rottweil, wo die RS - und somit auch deren zweiter Teil - entstanden ist, aufbewahrte und nach Ellwangen mitbrachte, um sie für neue literarische Vorhaben benutzen zu können 88 . Ob sich das komplette Manuskript der RS - oder wenigstens dessen unveröffentlicht gebliebener Teil - darunter befand, ist nicht bekannt. Da dieser Teil die Ausführungen D reys zur systematischen 87 Vgl. Einleitung zu Text Nr. 1, bes. Ziff. II.2.d, II.7 und II.8.a. 88 Siehe D rey , Theologisches Tagebuch III, 49 (TüA 1, 170 f), vgl. dazu oben bei und in den Anm. 74, 78 und 82 sowie Ziff. II.6.d und f. <?page no="450"?> 418 Zum Verhältnis Katholizismusschrift / Revisionsschrift Untermauerung seines Revisionsprojektes enthielt, dürfte der Autor sie für entsprechend wichtig und aufbewahrenswert gehalten haben. Ein D rey , der seine Abhandlungen nicht mit leichter Feder hinschrieb, wirft so etwas nicht einfach weg. Einem genauen Vergleich der KS mit der RS steht die Schwierigkeit entgegen, daß der im Druck vorliegende Teil der RS Fragmentcharakter hat. Er enthält nur den »I. Abschnitt« des ursprünglichen Manuskripts, d.h. lediglich die historische Problemexposition. Doch trotz der dadurch recht eingeschränkten Vergleichsmöglichkeiten ist zu erkennen, daß die KS diesem Text sprachlich und inhaltlich so nahe kommt wie keine andere Schrift im gesamten Frühwerk D reys . Sachliche Unterschiede in der theologischen Grundorientierung sind nicht festzustellen, geschweige denn Gegensätze oder Widersprüchlichkeiten. Von Anzeichen für die in der neueren Dreyliteratur kursierende Annahme einer Wende oder gar eines Bruches, der zwischen 1812, dem Jahr der Veröffentlichung der RS, und 1819, dem Jahr, in dem die KS herauskam, im theologischen Denken D reys stattgefunden haben soll, keine Spur 89 . Die Unterschiede, die zwischen den beiden Schriften bestehen, sind sachlich gesehen marginal. Sie erklären sich aus der 1819 im Vergleich mit 1812 inzwischen veränderten persönlichen Situation D reys sowie aus der jeweiligen Themenstellung. Es gibt zum einen Merkmale einer fachlichen Weiterentwicklung im reflektierten Gebrauch von Begriffen, die aus dem siebenjährigen professionellen Umgang des akademischen Lehrers mit dem Stoff seiner Vorlesungen resultieren, wobei sich aber die Grundorientierungen D reys und der Sachgehalt seiner Aussagen nicht änderten. Zum andern ist zu berücksichtigen, daß die beiden Schriften nicht das gleiche Thema haben. Für den Fall, daß D rey für die Abhandlung von 1819 auf den ungedruckt gebliebenen systematischen Teil der RS zurückgegriffen hat, wofür vieles spricht, verlangte die neue Themenstellung eine auf sie abgestellte Überarbeitung. Daß D rey sich 1819 auf die Katholizismusthematik glaubte konzentrieren zu sollen, erklärt sich aus der inzwischen eingetretenen interkonfessionellen Diskussionslage, zu deren Kennzeichnung neben F ichte , S chleiermacher und H egel vor allem auf M arheineke , S chwarz und D aub zu verweisen ist, sowie aus der Katholizismusnostalgie der romantischen Bewegung, die nach 1812 auch in der katholischen Theologie verstärkt wahrgenommen wurde. Indem D rey sich diesen Herausforderungen stellte, thematisierte er in der KS die Frage nach dem Geist und Wesen des Katholizismus, während die RS zu ihrer Zeit nicht zuletzt im Blick auf S chelling auf den rechten Begriff der Theologie ausgerichtet war. Den Text des systematischen Teils der RS konnte D rey rebus sic stantibus nicht ohne entsprechende Überarbeitung übernommen haben. Da das Manuskript des systematischen Teils 89 Siehe dazu Einleitung zu Text Nr. 1, Ziff. II.6. <?page no="451"?> 419 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) der RS verlorengegangen ist, ist ein direkter Vergleich der KS mit ihm zwar nicht möglich. Der im Druck vorliegende Teil der RS enthält indessen genügend systematische Anhaltspunkte, die (a.) Rückschlüsse auf die doktrinale Substanz des systematischen Teils der RS erlauben und (b.) zu dem Urteil führen, daß bezüglich der theologischen Grundorientierungen im Denken D reys zwischen den beiden Schriften keine Veränderungen eingetreten sind. Im theologischen Verständnis von Christentum, Kirche Katholizismus und Theologie und der Statuierung ihrer Prinzipien stimmen die beiden Schriften sachlich völlig überein. Auch schon in der RS geht D rey von der »unteilbare[n] Einheit des Christenthums und seiner Geschichte« aus (RS 21); auch hier schon erblickt D rey im Katholizismus die konsequente organische Form des Christentums (24). Der Theologiebegriff ist in beiden Schriften darauf abgestellt; die Theologie bildet sich in der unmittelbaren Anschauung ihres Lebensprinzips, in der vermittelten Unmittelbarkeit der religiösen Erfahrung, wie sie im gelebten Leben des christlichen Glaubens sich offenbart und in der theologischen Arbeit zu ihrer kognitiven Selbsterfassung gelangen soll (vgl. 16 f). Die RS und die KS stimmen infolgedessen in allen Hauptpunkten der theologischen Prinzipienlehre überein. Das Gleiche gilt z.B. für den Problemfall Mystik: die Mystik, die D rey in die RS so positiv eingebracht hatte, ist in der dritten Abhandlung der KS das Herz der lebendigen Überlieferung. Von daher steht der Annahme, daß D rey für die KS auf ein ursprünglich für den zweiten Teil der RS verfaßtes Manuskript zurückgreifen konnte und tatsächlich wohl auch zurückgegriffen hat, keine ernsthafte Schwierigkeit entgegen. Nicht anders verhält es sich mit der programmatischen Absicht, die D rey in den beiden Schriften hegte. Der Sturm und Drang, zu dem der Autor der RS sich hatte hinreißen lassen, ist gezähmt, aber die KS ist nicht weniger glühend mit dem Herzblut des engagierten Reformers geschrieben. Die Annahme, daß D rey für die KS auf ein ursprünglich für den zweiten Teil der RS konzipiertes Manuskript zurückgriff, hat somit alles in allem genommen viel für sich. Beachtenswert ist schließlich, daß das Zurückkommen auf einen alten Konfliktfall und ein altes Manuskript, wie es sich den obigen Erwägungen zufolge im Verhältnis der KS von 1819 zur RS von 1812 darstellt, im Frühwerk D reys kein einmaliges Vorkommnis wäre. Es gibt dazu vielmehr eine verblüffende Parallele im Verhältnis der Oratio (siehe Text Nr. 5) zur Beichtschrift (= BS; siehe Text Nr. 4). Wie die RS nur aus einem »I. Abschnitt« besteht, so auch die als dissertatio gedruckte BS nur aus einer »Sectio I ma «. Beide haben insofern gleichermaßen Fragmentcharakter, beidemal handelt es sich nur um den historischen Teil eines größer angelegten Ganzen. Im Falle der BS hat D rey deren systematischen Teil vier Jahre später in Gestalt der Oratio vorgelegt, bei der KS wäre es mutatis mutandis nicht anders. Und wie die Oratio der Sache nach die »Sectio II a « der BS ist, so kann die KS ihrerseits für den »II. Abschnitt« der RS zu stehen gekommen sein. <?page no="452"?> 420 Zur Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Katholizismusschrift Doch damit nicht genug. Wie die RS 1812 am Beginn einer neuen Lebensphase im beruflichen Werdegang D reys herauskam, so hat D rey auch die KS in einer Schwellensituation vorgelegt; wie er 1812 die RS zugleich als eine Frucht der Rottweiler Jahre und als Programmschrift zu seinem Neubeginn an der Friedrichsuniversität veröffentlichte, so stellte er die in Ellwangen herangereifte KS, kaum an der Alma mater Tubingensis angekommen, ausdrücklich als richtungweisendes wissenschaftliches Gründungsdokument an den Beginn seines theologischen Schaffens in der Katholischen Tübinger Schule, in ihr und mit ihr. Sollte in diesen Zusammenhängen allein der Zufall Regie geführt haben? 8. Zur Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Katholizismusschrift a. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts Es ist bei D rey generell angebracht, zwischen der mehr oder weniger anonymen Wirkungsgeschichte seines theologischen Schaffens und der expliziten Rezeptionsgeschichte seiner Schriften zu unterscheiden. Zu beachten ist ferner, daß das Wirken D reys im Hörsaal und seine Nachwirkungen als akademischer Lehrer auf dem Weg über seine Schüler ungleich größer waren als die förmliche Rezeption seines literarischen Werkes. Zwar übte er nach der Gründung der Theologischen Quartalschrift mit seinen Aufsätzen und Rezensionen jeweils einen beträchtlichen wissenschaftlichen und theologiebzw. kirchenpolitischen Einfluß aus, er war in dieser Hinsicht eine Instanz erster Ordnung, aber nach seinem Tod fanden im wesentlichen nur noch seine Kurze Einleitung von 1819, seine historisch-kritische Abhandlung über die Apostolischen Konstitutionen von 1829, die 1832 erweitert auch als Separatdruck herauskam, und vor allem sein spätes Hauptwerk, die dreibändige Apologetik (1. Band 1838, 2 1844; 2. Band 1843, 2 1847; 3. Band 1847) anhaltende literarische Beachtung. Letztere fand auch den Weg in die internationale Schultheologie und zählte schon im 19. Jahrhundert zu den Standartwerken der katholischen Apologetik bzw. Fundamentaltheologie. O’M eara hat zur Kennzeichnung der Wirkungsart D reys eine treffliche Metapher ersonnen, deren besonderer Reiz darin liegt, das organologische Geschichtsverständnis D reys auf dessen eigene Wirkungsgeschichte abzustellen: »Like an organic idea, he lived on in his students and school« 90 . 90 T homas F ranklin O’M eara , Romantic Idealism and Roman Catholicism. Schelling and the Theologians. Notre Dame, London 1982, 108. Vgl. dazu auch R eardon , Religion in the Age of Romanticism (wie Anm. 10): »Dreys influence on nineteenth-century german catholic thought was far reaching, from both his writings and his personal teaching« (139); G erald A. M c C ool , Catholic Theology in the Nineteenth Century. The Quest for a Unitary Method. New York 1977: D reys theologische Methode erwies sich als »a brilliant invention that showed its fruitfulness in the theology of the Catholic Tübingen School« (81); »today, however, thanks to Geiselmann, the whole theological community has been made aware of the historical and doctrinal significance of the School as a whole. Geiselmann has given us a clearer and more <?page no="453"?> 421 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) Diese Feststellung ist zwar auf das gesamte theologische Schaffen und Weiterwirken D reys zu beziehen, aber sie trifft in besonderer Weise auf seine erste Schaffensperiode zu, in der die KS einen herausragenden Rang einnimmt. Vor allem mit ihr wurde D rey zum »Initiator« und »Inspirator« seiner Schule 91 . Doch gerade sie ist ein Paradebeispiel für die Anonymität seines Wirkens und Weiterwirkens. D rey hatte mit ihr zwar in betont programmatischer Aufmachung 1819 die Theologische Quartalschrift eröffnet (siehe oben in Ziff. II.4), aber da in dieser Zeitschrift von 1819 bis 1831 sämtliche Beiträge ohne Angabe ihres Verfassers publiziert wurden, war auch die KS anonym erschienen. Hier liegt der entscheidende Grund für die Anonymität ihrer Wirkungsgeschichte, nach außen wie nach innen. Sie war unter seinem Namen praktisch nicht zitierbar. Weder konnte sein Name auf ihre Akzeptanz zurückwirken, noch konnte sie, wo sie beachtet wurde, zum Glanz seines Namens beitragen. Hinzu kommt, daß die theologischen Ideen und Optionen, die D rey in den vielen Jahren seiner Lehrtätigkeit seinen Schülern vermittelte, von ihnen mehr oder weniger stillschweigend resorbiert wurden, ohne daß sie sich der innovatorischen Leistung D reys vielleicht bewußt waren. Alle, die in der Katholischen Tübinger Schule im 19. Jahrhundert theologisch zu Rang und Namen kamen, sind seine Schüler gewesen, seine Lehren sind in deren Schriften wirksam geworden, doch wiederum ohne Nennung seines Namens. D rey selbst hat sich dazu im Falle seiner Praelectiones dogmaticae nicht ohne Bitterkeit geäußert 92 . Ein wichtiger Faktor für die Namenlosigkeit seiner Wirkungsgeschichte war nicht zuletzt der Rufmord, der an D rey im Blick auf seine erste Schaffensperiode begangen wurde, beginnend bereits in seiner Ellwanger Zeit (vgl. dazu Einleitung zu Text Nr. 4, Ziff. II.4.a). Der üble Ruf des Kritizismus und des Aufklärertums blieb an ihm haften, er verstärkte sich im Zuge der seit dem Ende der 1820er Jahre um sich greifenden theologischen Restauration mit der Folge, daß sein Name in den theologischen Annalen entweder totgeschwiegen oder nur mit Vorbehalten erwähnt wurde. Allein schon der Titel der Revisionsschrift hatte genügt, ihn als revisionistischen Neuerer einzustufen (siehe Einleitung zu Text Nr. 1), wegen der Beichtschrift stellten die Verleumder ihn als dogmatisch unzuverlässig, theologisch liberal, vom Ungeist der Aufklärung infiziert und kirchlich verurteilt hin (siehe Einleitung zu Text Nr. 4), im Hinblick auf die Kurze Einleitung galt er als schleiermacherisierend und protestantisierend (siehe TüA 3, bes. 65*-106*), wegen seiner Zustimmung accurate understanding of the theological method which Drey’s disciples derived as a common heritage from the teaching of their master« (68). 91 Vgl. P ierre C haillet , L’Esprit du Christianisme et du Catholicisme, in: RSPhTh 26 (1937) 483-498, 713-726, hier 485; siehe dazu M ax S eckler , Auf dem Weg zu Johann Sebastian Drey. Beobachtungen zur Geschichte seiner Wiederentdeckung und zur Neuevaluierung seiner ›Kurzen Einleitung‹ von 1819, in: ThQ 189 (2009) 1-28, 26. 92 Siehe dazu Einleitung zu TüA 2, 7*-9*. <?page no="454"?> 422 Zur Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Katholizismusschrift zur Frankfurter Pragmatik als staatskirchenrechtlich und kirchenpolitisch desorientiert (siehe Einleitung zu Text Nr. 4, Ziff. II.4.d) usw. Hinzu kam, daß die Beiträge zur Zölibatsfrage, zum Ersatz der Privatbeichte durch öffentliche, liturgische Beichten, zur Kirchenkritik, zur Liturgiereform und zum kirchlichen Synodalwesen, die vor allem H irscher in den 1820er Jahren anonym in der Theologischen Quartalschrift veröffentlicht hatte, fälschlicherweise ihm zugeschrieben und angelastet wurden 93 . Die Leistungen, die der solcherart verzeichnete und belastete D rey in seinen Frühschriften und besonders in der KS für die Grundlegung der Katholischen Tübinger Schule erbracht und darüber hinaus in den theologischen Diskurs über den Begriff des Katholizismus überhaupt eingebracht hatte, wurden unter diesen Umständen mit seinem Namen nicht mehr verknüpft. Erst mit V ermeil , der den Blick von M öhler auf D rey zurücklenkte, begann das Blatt sich zu wenden 94 . Die Einsicht, daß M öhler die großen Ideen seiner Ekklesiologie und seines Katholizismusverständnisses D rey zu verdanken hat, stellte sich erst mit C haillet und G eiselmann ein 95 . M öhler 93 Dem dritten Heft des zweiten Jahrgangs der Theologischen Quartalschrift (ThQ 2, 1820, 551-557) ist ein Beispiel für die Zuschreibungsmechanismen und Anschuldigungen zu entnehmen, von denen D rey - ineins mit seiner Fakultät und dem Herausgeberkreis der ThQ - im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens betroffen war. D rey setzt sich hier in einer Erklärung (»von Seite der Redaction«) »mehrere Irrthümer die theologische Quartalschrift betreffend« (551) mit der Abhandlung über das Gespräch Jesu mit Nikodemus und über das Evangelium Johannis überhaupt. Einer andern Abhandlung hiervon entgegengesetzt. Zugleich eine Beantwortung der Frage: Was ist Christenthum? Vom Professor der Schriftexegese, und Regens des Klerikalseminars zu Dilingen Dr. Gerhauser. Dilingen 1820, auseinander. G erhauser hatte den in ThQ 1, 1819, 575-578 anonym erschienenen Beitrag Ueber Joh. 3. K. 13-21 Vers einer harschen Kritik unterzogen und dabei den ›katholischen Aufklärern‹ und ›Rationalisten‹ (in Tübingen) die Zerstörung des »Wesens des Christentums« vorgeworfen (III f). Der ungezeichnete Beitrag stammte von G ratz . Da dieser Beitrag in der ThQ unmittelbar nach dem dritten Aufsatz D reys Vom Geist und Wesen des Katholicismus plaziert war, ist anzunehmen, daß G erhauser bei seiner Verwendung des Wesensbegriffs den Aufsatz D reys vor Augen hatte und sich an dessen Titel anlehnte. D rey solidarisiert sich zwar mit der Methode und im Endeffekt auch mit dem Inhalt des Gratzschen Beitrags, aber er verweist in seiner Erklärung mit Nachdruck darauf, daß die Meinung eines einzelnen Verfassers nicht der Gesamtheit der Herausgeber und der Tübinger Fakultät zugeschrieben werden dürfe; er verwahrt sich vehement dagegen, daß G erhauser »den Schein auf sie werfe, als wüßten sie nicht, was zum Wesen des Christenthums und zur Auctorität heiliger Schriften gehöre« (ThQ 2, 1820, 555), wobei er aber den Namen von G ratz nicht preisgibt. - Wegen derartiger Verwicklungen haben die Herausgeber der ThQ 1831 auf Antrag M öhlers das Anonymitätsprinzip aufgegeben, ab 1832 erschienen sämtliche Beiträge mit Verfasserangabe. - Zum Text der Erklärung D reys siehe Text Nr. 7, Dokument Nr. 3.a. 94 Siehe E dmond V ermeil , Jean-Adam Möhler et l’e ´cole catholique de Tubingue (1815-1840). E´ tude sur la theologie romantique en Wurtemberg et les origines germaniques du modernisme. Paris 1913. 95 Zu C haillet siehe S eckler , Auf dem Weg zu Johann Sebastian Drey (wie Anm. 91), 26 f; sowie Bandeinleitung zu TüA 3 (Kurze Einleitung), 196* f. Einzelnachweise zum Einfluß D reys (und besonders der KS) auf M öhler bei J osef R upert G eiselmann , Lebendiger Glaube aus geheiligter Überlieferung. Der Grundgedanke der Theologie Johann Adam Möhlers und der katholischen Tübinger Schule (Die Überlieferung in der neueren Theologie 1-2). Freiburg i.Br. 1942, unverändert 2 1966. G eiselmann hat in dieses auf M öhler abgestellte Werk ein umfangreiches Zweites Buch <?page no="455"?> 423 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) selbst hat es verschwiegen oder war sich dessen nicht hinreichend bewußt. Erst G eiselmann rückte die Dinge zurecht, als er den D rey der KS als den »gemütstiefen und geistvollen Führer einer neuen Theologenschule« rühmte, »die dem Katholizismus des 19. Jahrhunderts weithin Gesicht und Gepräge gegeben hat« 96 . Das Genie und die Leistungen eines M öhler sind gewiß nicht in Frage zu stellen, aber der wahre Vater war der anonyme D rey . Für die Diskrepanz zwischen expliziter Rezeptions- und anonymer Wirkungsgeschichte in der Fakultät D reys ist die KS ein Paradebeispiel. Die ersten Auskünfte dazu hat der Tübinger Neutestamentler M artin J oseph M ack (1805-1885) hinterlassen. Es handelt sich um Zeugnisse aus den Jahren 1823 und 1842, die bis vor kurzem unbeachtet geblieben waren. Das von 1823 ist erst 1861 an abgelegener Stelle im Druck erschienen, das zweite versteckte sich in der Weitläufigkeit einer scheinbar belanglosen Rezension, die 1842 in der Theologischen Quartalschrift stand. Da über diese beiden Texte bereits oben (120-298) über D rey aufgenommen, dessen Titel Lebendige Überlieferung als Selbstüberlieferung des Urchristentums zu beständiger Gegenwart. Der Überlieferungsbegriff von Johann Sebastian Drey, dem Gründer der katholischen Tübinger Schule zugleich auch die Bedeutung des Inhalts der KS für M öhler signalisiert. Zum Einfluß D reys auf die Einheitsschrift M öhlers von 1825 vgl. auch die zahlreichen Hinweise G eiselmanns in: J ohann A dam M öhler , Die Einheit in der Kirche oder das Prinzip des Katholizismus, dargestellt im Geiste der Kirchenväter der drei ersten Jahrhunderte. Herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Josef Rupert Geiselmann. Köln 1957 (hier [13]-[85] und 319-628). G eiselmann erblickt bereits in D reys Vorlesung [Ideen zur] Geschichte des katholischen Dogmensystems von 1812/ 13 (siehe Text Nr. 2) den »Schlüssel« für das rechte Verständnis der Einheitsschrift, in ihr finde sich auch schon »die Idee der Urform der Einheit Möhlers« (siehe [34], [37] und [63]), und für den zweiten Ansatz zur Konstruktion der Einheitsschrift habe M öhler auf die Abhandlung »Vom Geist und Wesen des Katholizismus« seines Lehrers D rey zurückgegriffen ([63]; vgl. 595, 608 f, 621 f). Wie G eiselmann , so findet auch P eter F riedrich , Ferdinand Christian Baur als Symboliker (Studien zur Theologie und Geistesgeschichte des Neunzehnten Jahrhunderts 12). Göttingen 1975, daß die Gedankengänge D reys zur Konfessionsthematik, die insbesondere in der Revisionsschrift und in der KS ihren literarischen Niederschlag fanden, den jungen M öhler geprägt haben. Vgl. auch R ear don , Religion in the Age of Romanticism (wie Anm. 10) 140 (Anm. 51), 141-144. R eardon pflichtet der Darstellung G eiselmanns bezüglich »Möhler’s debt to Drey« ausdrücklich bei (vgl. 280, Anm. 51). J oseph F itzer , Moehler and Baur in Controversy 1832-38. Romantic-idealist Assessment of the Reformation and Counter-Reformation (American Academy of Religion studies in religion 7). Tallahassee, FLA, 1974, zufolge soll M öhler selbst »the theology of Drey in the writings of the fathers of the church« entdeckt haben (15; siehe auch unten in Anm. 131). Zum Verhältnis D rey - M öhler ist ebenfalls einschlägig: H arald W agner , Die eine Kirche und die vielen Kirchen. Ekklesiologie und Symbolik beim jungen Möhler (Beiträge zur ökumenischen Theologie 16). München 1977, bes. 114-118. 96 G eiselmann , Lebendiger Glaube aus geheiligter Überlieferung (wie Anm. 95) 133. - Zur Würdigung des Autors der KS als Lehrer einer »Schülergeneration« vgl. auch S cheffczyk , Theologie in Aufbruch und Widerstreit (siehe unten Anm. 178) 3. Zu D rey als Lehrer M öhlers siehe S eckler , Auf dem Weg zu Johann Sebastian Drey (wie Anm. 91) 20 (mit Anm. 48 zu G odet ), sowie 26-28. - Wenn dagegen K arl B arth noch 1938 allein in M öhler den »Vater des neueren deutschen Katholizismus« erblickte, der dem Katholizismus zu einem neuen theologischen Selbstverständnis und Selbstbewußtsein verholfen habe, so befand er sich damit noch nicht auf der Höhe der Forschung (siehe K arl B arth , Die kirchliche Dogmatik I.2 [1938], Zollikon, Zürich 4 1948, 622-628, bes. 624; vgl. dazu M ax S eckler , Katholische Tübinger Schule, in: LThK 3 10, 2001, 287-290). <?page no="456"?> 424 Zur Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Katholizismusschrift detailliert berichtet wurde (siehe Ziff. II.4), kann hier darauf zurückverwiesen werden. In diesen Texten wird sowohl die dominante Stellung erkennbar, die D rey als akademischer Lehrer in seiner Fakultät einnahm - als »mentor and pater familias to his colleages at Tübingen and to his students« 97 -, als auch die herausragende Rolle der KS als Programmschrift für das theologische Identitätsbewußtsein der frühen Tübinger Schule. Die Darstellung, die M ack von ihr und ihrer Bedeutung gibt, ohne aber seinerseits den Namen D reys als ihren Autor preiszugeben, ist in sich selbst ein Paradigma für die krause Art ihrer Rezeptionsgeschichte: Ihr von den Begründern der Theologischen Quartalschrift gewollter Sinn als Programmschrift der Katholischen Tübinger Schule, ihre offensichtliche und quasi offiziöse Geltung in der Fakultät noch um 1842 auf der einen und die anhaltende Anonymität ihres Verfassers auf der anderen Seite. Das erste literarisch greifbare Echo auf die KS war anfangs der 1820er Jahre im »Königreich Württemberg« zu vernehmen, »in unserem nicht [mehr] so ausschließlich lutherischem Vaterlande« 98 . Es handelt sich um eine kuriose Affaire, die nur verdient erwähnt zu werden, weil sie die interkonfessionelle Situation beleuchtet, in der die KS herauskam, und weil aus ihr hervorgeht, in welches Wespennest D rey mit ihr in seinem eigenen »Vaterlande« auch stechen konnte, und zwar gleichfalls im Halbdunkel einer nur intern halbwegs gelüfteten Anonymität. In der seit 1821 in Stuttgart erscheinenden Zeitschrift Hesperus 99 , einer aufklärungsfreundlich sich gebenden, regierungsnahen Po- 97 J ames T unstead B urtchaell , Drey, Möhler, and the Catholic School of Tübingen, in: N inian S mart , J ohn C layton , S teven T. K atz , P atrick S herry (Eds.), Nineteenth Century Religious Thought in the West 2. Cambridge 1985, 111-139, hier 125. 98 Württemberg war bis zu dem Zeitpunkt, zu dem es durch den Erwerb von großen Gebieten mit katholischer Bevölkerung im Zuge der Säkularisation und der napoleonischen Neuordnung, in der es zum Königreich erhoben wurde, sowohl demographisch als auch verfassungsmäßig ein monokonfessionell lutherisches Land. Ab 1803/ 06 wurden den katholischen Landeskindern gesetzmäßig staatsbürgerliche Rechte und konfessionelle Parität zugestanden. Doch »die verfassungsmäßige Gleichberechtigung der Angehörigen der verschiedenen christlichen Konfessionen war in Württemberg im wesentlichen toter Buchstabe geblieben« (G e org M ay , Mit Katholiken zu besetzende Professuren an der Universität Tübingen von 1817 bis 1945. Ein Beitrag zur Ausbildung der Studierenden katholischer Theologie, zur Verwirklichung der Parität an der württembergischen Landesuniversität und zur Katholischen Bewegung (Kanonistische Studien und Texte 28). Amsterdam 1975, 192 f). Die Abneigung gegen Katholiken war im württembergischen Protestantismus verbreitet (193); von höheren Staatsämtern waren sie fast gänzlich ausgeschlossen; die Protestanten waren die alleinherrschende, die Katholiken die beherrschte Religionspartei in Württemberg (194). Weitere Belege (mit Lit.) bes. 105 und 191 ff. Vgl. ferner A ugust H agen , Geschichte der Diözese Rottenburg 1. Stuttgart 1956: »Im Herzogtum Württemberg war der Protestantismus Staatsreligion, die evangelische Kirche Staatsgewalt. In den Religionsreversalien war jede Änderung verboten. Alle Ämter durften nur mit Protestanten besetzt werden. Protestanten, welche katholisch wurden, mußten das Land verlassen« (139). Durch das Religionsedikt vom 14. Februar 1803 wurde den Katholiken in Neuwürttemberg Religionsausübung und Toleranz zugesichert, nicht aber in Altwürttemberg (164), usw.; siehe auch I na U lrike P aul in der Einleitung zu Text Nr. 3, Anm. 3. 99 Der als Encyclopädische Zeitschrift für gebildete Leser (Untertitel) konzipierte Hesperus wurde von <?page no="457"?> 425 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) stille, fand sich im Januar 1822 die Einsendung eines Tübinger Korrespondenten 100 , in der die »Katholische, theologische Quartalschrift« und mit ihr die »katholische Fakultät in Tübingen« unter Verweis auf »Seite 198 f des zweiten Heftes« [des ersten Jahrgangs der Quartalschrift] der antiprotestantischen Polemik, der konfessionellen Intoleranz und der Begünstigung des Aberglaubens geziehen wurden. Das Trauma der Konversionen wirkt ersichtlich nach. Während die Theologische Quartalschrift im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens gerade im Urteil protestantischer Theologen als liberal galt und hier in hohem wissenschaftlichen Ansehen stand und eigentlich nur von fundamentalistischen bzw. ultramontanen Katholiken befeindet wurde, auch in Rom, kam nun das Feuer von seiten eines altwürttembergischen Lutheraners 101 . Der Name des wirklichen Verfassers der KS wird nicht genannt, sei es, weil der Toleranzwächter ihn tatsächlich nicht kannte, sei es, weil er den in der Tübinger Schwesterfakultät geschätzten D rey direkt zu attackieren sich nicht getraute. Vielleicht kam ihm aber die Anonymität des Artikels zupaß, dem Journalisten C hristian K arl A ndre´ 1809-1821 in Prag und 1822-1831 in Stuttgart und Tübingen herausgegeben. A ndre´ war 1821 von König W ilhelm (wohl zu diesem Zweck) nach Stuttgart berufen worden. Zu ihm: C onstant von W urzbach , Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich 1. Wien 1856, 35 f. 100 Die Einsendung ist gezeichnet mit dem Zahlencode »68«, der nicht entschlüsselt werden konnte. Es scheint, daß im Hesperus die gelegentlichen Korrespondenten unter einem Zahlencode geführt wurden, während die ständigen Mitarbeiter mit den Initialen ihres Namens zeichneten. 101 Die Einsendung hat folgenden Wortlaut: »Tübingen, 15. Jänner 1822. Katholische, theologische Quartalschrift. Die theologische Quartalschrift, welche die katholische Fakultät in Tübingen bey Laupp herausgibt, polemisirt viel gegen den Protestantismus. Wem Preßfreyheit und Religionsfreyheit im Staate theuer und lieb ist, wird sich über diese Erscheinung des Zeitalters in unserem nicht so ausschließlich lutherischen Vaterlande herzlich freuen. So darf doch auch der Katholik seine Sache öffentlich vertheidigen! Allein daß auch unsere Würtembergischen Katholiken sich dessen als eines Vorzugs ihrer Kirche (2. Heft, S. 198 f.) rühmen, daß ›die großen Momente des Lebens Christi und seiner Geschichte sich noch täglich bey ihr in Wahrheit begeben, und von den Gläubigen angeschaut werden in Sakrament ec. daß sich in ihr unaufhörlich die größten Wunder wiederholen ec. daß der Chor seiner Apostel in ihren Hierarchen fortexistirt, und der von Christus ausgezeichnete Apostel noch in seinen Nachfolgern lebt ec., daß daher der Katholik auf wirkliche Anschauung hin glaube ec. daß daher nur Eine Zeit sey, die des Urchristenthums und alle folgende des Katholicismus bis jezt ec.‹ was in ihren Augen etwas viel höheres und sichereres seyn soll als der Glaube der Protestanten, insofern er sich auf Vernunft und Bibel gründe: - - muß das nicht selbst den Unbefangensten an Görres, Haller und Stollberg, an den Fürsten von Hohenlohe und den Bauren Michel erinnern? Sollte sich das heutige katholische Deutschland, das mit vollem Recht auf seine Wessenberge, Werkmeister und andere ausgezeichnete Theologen stolz seyn darf, nicht sach- und zeitgemäßer ausdrücken? Wäre es nicht klüger und würdiger, wenn statt einer solchen veralteten, sich in das Dunkel der Mystik flüchtenden Polemik, seine aufgeklärteren Theologen den Schaden Josephs im Stillen auszubessern und mit dem Zeitgeiste, der sie heutzutag so glücklich begünstiget, vorwärts zu schreiten suchten? 68.« (Hesperus (wie Anm. 99) Bd. 31, Nr. 19, 22. Januar 1822, 75-76). - Der Vorwurf, daß die ThQ gegen den Protestantismus viel polemisiere, war zumindest zu diesem Zeitpunkt durch Tatsachen nicht begründbar. Ein derartiges Polemisieren hatten die Herausgeber der ThQ für ihre Zeitschrift von Anfang an denn auch in aller Form ausgeschlossen (vgl. dazu Ziff. V im Text der Ankündigung von 1818, in ThQ 1 (1819) 5; siehe Text Nr. 7, Dokument Nr. 1). <?page no="458"?> 426 Zur Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Katholizismusschrift um die aufblühende Fakultät und ihre Zeitschrift ohne Namensnennung, aber aus konkretem Anlaß anschwärzen zu können. Das in der KS so munter vorgetragene und argumentativ zugerüstete neue Selbstbewußtsein des Katholizismus scheint ihn besonders gestochen zu haben. Er erblickte in dieser Abhandlung wohl nur ein besonders ärgerliches, weil schwergewichtiges Manifest eines konfessionell katholischen Triumphierens. Doch anstatt sich auf die Gedankenführung und Absicht D reys auch nur entfernt einzulassen, zog er es vor, einen Topos herauszupicken, der ihm mit entsprechender Verzerrung geeignet erschien, seine Empörung zu begründen und die Gefährlichkeit des Katholizismus als Machtgebilde des Aberglaubens herauszustellen. In Stuttgart reagierte man besonnen, aber man glaubte, reagieren zu müssen. Das spricht dafür, daß die Einsendung nicht als Stimme eines Einzelnen eingeschätzt wurde, sondern als Sprachrohr eines größeren Kreises, dem der Hesperus zu Diensten war. Der König beauftragte den u.a. für das Kirchenwesen zuständigen Staatsrat S chmidlin 102 mit einer Untersuchung, deren Ergebnis 103 auf die Abfertigung des Denuntianten und auf die Entlastung D reys , um dessen Verfasserschaft der Staatsrat wußte, angelegt war. S chmid lin suchte im übrigen die Sache herunterzuspielen: Es handle sich um einen 102 Staatsrat C hristoph F riedrich von S chmidlin (1780-1830) spielte bei der Kandidatur D reys zum ersten Bischof von Rottenburg eine überaus konstruktive Rolle, er war D rey persönlich und politisch sehr gewogen (siehe Einleitung zu Text Nr. 4, Ziff. II.4.d, mit biographischen Daten zu S chmidlin in Anm. 82). 103 Der Text des Untersuchungsbefundes, der auf den 30. Januar 1822 datiert ist, ist auszugsweise abgedruckt bei M ax M iller , Professor Dr. Johann Sebastian Drey als württembergischer Bischofskandidat (1822-1827), in: ThQ 114 (1933) 363-405, hier 373 f. Aus ihm das nachfolgende Zitat: »Die von dem Hesperus gerügte Stelle findet sich in einem Aufsatze ›Vom Geist und Wesen des Katholizismus‹ in dem zweiten Hefte der Theologischen Quartalschrift vom Jahre 1819 [...] und datiert sich mithin aus einer Zeit, welche den Fürsten von Hohenlohe und den Bauern Michel noch gar nicht, die Görres, Haller und Stolberg aber wenigstens noch nicht von dieser Seite kannte. Der ganze Aufsatz gehört nicht unter die gelungensten Arbeiten des mutmaßlichen Verfassers desselben, Professor Drey zu Tübingen, und namentlich die in dem Hesperus angeführte Stelle hat einen allzu poetischen Anstrich, der in Glaubenssachen so leicht in Mystizismus überfließt. Noch greller wird dieser Anstrich durch die Art und Weise, wie die einzelnen Sätze jener Abhandlung aus ihrer Verbindung herausgerissen und mit Hinweglassung einzelner, den wahren Sinn des Verfassers bezeichnenden Worte in dem Hesperus zur Schau gestellt werden. Diese wohl nicht zufällige Verstümmelung jener Stelle sowie überhaupt die Arglist, mit welcher ein längst vergessener Aufsatz aus dem ersten Jahrgange der Quartalschrift hervorgesucht, den Lesern des Hesperus, deren wenige jene Zeitschrift auch nur dem Namen nach kennen, ohne der Jahrzahl zu gedenken, und somit als die neueste Lehre der württembergischen Katholiken vorgetragen und mit den Verirrungen der neuesten Zeit in Verbindung gesetzt wird, gereicht dem Verfasser des Aufsatzes im Hesperus nicht zur Ehre. Die ganze Abhandlung, aus welcher jene Stelle gezogen ist, hat keine polemische Tendenz; einige neuere, wirklich polemisierende Aufsätze, z.B. die Rezension der Paulusschen Schrift gegen Stolberg, Jahrgang 1821, S. 329, halten sich in den Grenzen der Defensive des Anstandes und der Versöhnlichkeit. Daß namentlich eine Verteidigung der hohenlohischen Wunderkuren nicht in dem Plane der Tübinger Quartalschrift liege, geht aus dem Wenigen, das hierüber der neueste Jahrgang 1821 (im Bericht steht: 1820), 4. Heft, S. 734, enthält, mit unwidersprechlicher Klarheit hervor«. <?page no="459"?> 427 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) längst vergessenen Aufsatz, der zudem nicht zu den gelungensten Arbeiten D reys gehöre. Ob es sich bei dieser Beurteilung um die persönliche Überzeugung S chmidlins handelte, oder um eine taktische Beruhigungspille im Interesse der Regierungspolitik, ist ungewiß. Doch so oder so, an dem Hesperus-S chmidlin -Vorgang ist paradigmatisch abzulesen, wie die KS in der ersten Zeit nach ihrem Erscheinen politisch und ideologisch eingeordnet werden konnte. Im Hesperus äußern sich in einer polemischen Stimmung ein Unbehagen und ein Ärger, die sicher der KS insgesamt gelten, d.h. dem in ihr sich artikulierenden neuen Selbstverständnis und Selbstbewußtsein des Katholizismus und dem damit verbundenen, strukturologisch begründeten Anspruch, auch wenn das an einem verzerrt wiedergegebenen Einzelpunkt festgemacht wird. Daß das von Tübingen aus geschah, der alten Hochburg des württembergischen Protestantismus, und daß dafür gerade W essenberg und W erkmeister als Vorbilder aufgeklärter katholischer Toleranz ins Spiel gebracht werden, ist aufschlußreich. Doch wenn eine Person von der Stellung und dem Format eines S chmidlin sich dazu verstehen konnte, zur Entlastung D reys und zur Beruhigung der Gemüter die Bedeutungslosigkeit der KS quasi amtlich festzuschreiben und sie der Vergessenheit anheimzustellen, so zeigt das auch, wie es 1822 um die Wirkung der KS einerseits und um die Verfasserfrage anderseits stand. Ein dritter Fall - neben M ack und Hesperus-S chmidlin und zeitgleich mit jener ersten Phase der Katholischen Tübinger Schule (d.h. der 1820er und 1830er Jahre), für die M ack die Führungsrolle D reys und die Geltung der KS als Programmschrift dieser Schule festhielt - liegt bei F erdinand C hristian B aur vor. Dieser Fall führt ins Zentrum der Auseinandersetzung, die zwischen B aur und M öhler zwischen 1832 und 1836 über den katholisch-protestantischen Gegensatz ausgetragen wurde. Die KS wird hier - zusammen mit einer Rezension D reys aus dem Jahr 1829 - von B aur mehrfach angeführt. Der Name D reys wird von B aur nicht genannt, wohl aber die Originaltitel der Abhandlung von 1819 und der Rezension von 1829, beidemal mit Angabe des Fundortes. B aur bringt ausführliche Zitate, deren Inhalt er zustimmend aufgreift und in seine eigene Gedankenführung einbaut. Die Anonymität der beiden Schriften bleibt in diesem Verfahren formell gewahrt, aber es ist nicht zu bezweifeln, daß es beim ersten der beiden Texte die Autorität des ungenannten D rey und beim zweiten zumindest die Autorität der Theologischen Quartalschrift war, was B aur dazu bewog, die zitierten Texte als repräsentativ für katholisches Denken »in neuerer Zeit« einzuschätzen. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit der KS im ganzen findet bei B aur nicht statt, aber das Kernstück der KS, den neuen Traditionsbegriff, hat B aur erfaßt und ihm eine geradezu epochale Bedeutung beigemessen. M öhler seinerseits hat sich in seinem Clinch mit B aur mit dieser Sache kritisch befaßt und hat in seine Kritik eine bemerkenswerte Beurteilung der KS eingefloch- <?page no="460"?> 428 Zur Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Katholizismusschrift ten, ohne aber den Namen D reys und den Titel der KS direkt anzugeben. Mit diesen verwickelten Vorkommnissen beginnt die eigentliche theologische Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der KS im Zeichen ihrer Anonymität. Da dieser gewichtige Sachverhalt in der Forschung bisher nicht beachtet wurde, ist nachfolgend etwas ausführlicher darauf einzugehen. Der anonyme (oder vielmehr quasianonyme) D rey kommt bei B aur auf zwei Argumentationsfeldern ins Spiel. Der eine, weniger gewichtige Fall betrifft die Typisierung des Protestantismus bzw. Katholizismus bei D rey , der andere dessen Traditionsbegriff und die Schlüsse, die B aur daraus für eine epochale Wende im Verhältnis der Konfessionen zueinander zog. Im ersten Argumentationszusammenhang wird die KS von B aur ausdrücklich erwähnt. B aur , der seit 1826 in Tübingen lehrte 104 und bereits 1827, fünf Jahre vor dem Erscheinen der Symbolik M öhlers , seine erste Symbolikvorlesung hielt, hatte schon in dieser Vorlesung sich mit den »Hauptsätzen« der KS zum protestantisch-katholischen Gegensatz auseinandergesetzt 105 . In seiner Kontroverse mit M öhler kam B aur auf die katholische Typisierung des Protestantismus zurück und führte dafür als Belege zwei Texte aus der Theologischen Quartalschrift an 106 . Den ersten fand er »in der die theolog. Quartalschr. (Tüb. 1819. 1. Heft S. 1. f.) auf würdige Weise eröffnenden Abhandlung vom Geist und Wesen des Katholicismus« 107 , den zweiten in der »Recension der Brenner’schen Dogmatik in der theolog. Quartalschrift, 1829. S. 104 F erdinand C hristian B aur , * 21.6.1792 in Schmiden bei Fellbach, † 2.12.1860 in Tübingen (sein Grab befindet sich - wie auch dasjenige D reys - auf dem alten Stadtfriedhof in Tübingen), 1809-1814 Theologiestudium in Tübingen, ab 1817 Professor für Alte Sprachen in Blaubeuren, ab 1826 Professor für Kirchen- und Dogmengeschichte in der Evangelisch- Theologischen Fakultät der Universität Tübingen. - Zu ihm: ADB 2 (1875) 172-179 (E duard Z eller ); TRE 5 (1980) 352-359 (K laus S cholder ); BBKL 1 (1990) 427-428 (F riedrich W ilhelm B autz ); U lrich K öpf , Der Tübinger Jurist Marum Samuel Mayer als Gegner Ferdinand Christian Baurs und seiner Schüler, in: S önke L orenz , V olker S chäfer (Hg.), Tubingensia. Impulse zur Stadt- und Universitätsgeschichte (Tübinger Bausteine zur Landesgeschichte 10) (FS W ilfried S etzler ). Ostfildern 2008, 427-443. 105 Diese Vorlesung ist ediert in F riedrich , Baur als Symboliker (wie Anm. 95). B aur führt hier zur Kennzeichnung des katholischen Standpunktes in der Vergleichung des Katholizismus und Protestantismus »Hauptsätze« an, die der KS entnommen sind (vgl. bei F riedrich bes. 94 f; 126). Das bedeutet zugleich, daß B aur spätestens seit 1827 die Abhandlung D reys von 1819 kannte und sie für entsprechend wichtig hielt. 106 F erdinand C hristian B aur , Der Gegensatz des Katholicismus und Protestantismus nach den Principien und Hauptdogmen der beiden Lehrbegriffe. Mit besonderer Rücksicht auf Hrn. Dr. Möhler’s Symbolik. Tübingen 1834, 427-429. Diese Schrift war zuvor schon (ohne Vorrede) unter dem Titel: Der Gegensatz des Katholicismus und Protestantismus, nach den Principien und Hauptdogmen der beiden Lehrbegriffe, mit besonderer Rücksicht auf Hrn. D. Möhler’s Symbolik oder Darstellung der dogmatischen Gegensätze der Katholiken und Protestanten, nach ihren öffentlichen Bekenntnisschriften. 1. Ausg. Mainz 1832. 2. Ausg. ebd. 1833, in: Tübinger Zeitschrift für Theologie 1833, drittes und viertes Heft, S. 1-438 erschienen (gleiche Paginierung). In der zweiten Auflage (Tübingen 1836, 594 ff) gab B aur der hier interessierende Sache eine sinngleiche, aber kompaktere Darstellung. 107 B aur , Der Gegensatz (wie Anm. 106), 1833 und 1834, 426 f. <?page no="461"?> 429 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) 305« 108 . Beide waren ohne Verfasserangabe erschienen, beide stammen von D rey . Im ersten Fall ist anzunehmen, daß B aur um die Verfasserschaft D reys wußte 109 , im zweiten eher nicht 110 . Den ersten Beleg entnahm B aur in Form eines mehrseitigen Zitats somit der KS 111 , den zweiten der zehn Jahre danach erschienenen Rezension 112 . B aur , der dafür unterschiedliche Verfasser an- 108 Ebd. 429, Anm.; vgl. ebd. 433, Anm. 109 Darauf deutet auch die Wendung »auf würdige Weise« hin. Es ist fast undenkbar, daß B aur dabei nicht gezielt an die Person D reys dachte, dessen Fairness und wissenschaftliche Würde von protestantischer Seite oft rühmend vermerkt wurde. Vgl. z.B. A nton F riedrich L udwig P elt , Theologische Encyklopädie als System im Zusammenhange mit der Geschichte der theologischen Wissenschaft und ihrer einzelnen Zweige entwickelt. Hamburg und Gotha 1843: D rey »mit seinem gewöhnlichen feinen Tacte« (569), der »treffliche« (18; 218), »verehrungswürdige« (558), »geistreiche« (399), »geistvolle« (655) D rey ; sein Werk (d.h. die Kurze Einleitung von 1819) sei »ein Muster dafür, wie man ohne in der eigenen Confession zu schwanken ächter Katholik sein und doch im Mittelpunkte des Christenthums stehen könne« (67). - Der als Systematiker und Theologiehistoriker renommierte P elt (1799-1861) lehrte von 1835-1852 in Kiel (zu ihm im Hinblick auf D rey vgl. Bandeinleitung zu TüA 3 (Kurze Einleitung), 90*-93*; 111* f). Wenn B aur der KS eine »würdige Weise« der Stoffbehandlung attestiert, so bedeutet das wohl auch, daß er sie gegen ihre Verleumder in Schutz nehmen (Hesperus läßt grüßen! ) und zugleich von der Schreibart M öhlers , über die er erzürnt war, positiv abheben wollte. In seiner Erwiederung auf Herrn Dr. Möhlers’s neueste Polemik gegen die protestantische Lehre und Kirche in der Schrift: Neue Untersuchungen der Lehrgegensätze zwischen den Katholiken und Protestanten. Eine Vertheidigung meiner Symbolik gegen die Kritik des Herrn Prof. D. Baur in Tübingen. Von D. J. A. Möhler, ordentl. Professor der kathol. Facultät in Tübingen (Tübingen 1834), kritisiert B aur das »Unwürdige« in der Polemik M öhlers (3), der »unwürdige Mittel« gebrauche (6). B aur verweist immer wieder auf das Erfordernis der »wissenschaftlichen Haltung und Würde« (z.B. 4; vgl. 1). In Der Gegensatz (1836, XVII f) wird von B aur anonym auf »würdige«, »aufrichtig verehrte« Kollegen in der katholischen Kirche hingewiesen. S tau denmaier seinerseits hatte, wie B aur zu vermerken nicht versäumt, bei B aur »einen durchaus unwürdigen Standpunkt der Polemik« festgestellt (B aur , Der Gegensatz, 1836, XIII, Anm.; vgl. F ranz A nton S taudenmaier , Dr. Baur: Ueber Katholicismus und Protestantismus [Doppelrezension zu B aurs Schriften Der Gegensatz, 1833/ 34, und Erwiederung, 1834], in: Jahrbücher für Theologie und christliche Philosophie, Bd. 3, Heft 1, 139-196). - Es muß offenbleiben, ob B aur bei seinem Lob der KS nur an den Stil dieser Abhandlung dachte, oder ob er damit zugleich ausdrücken wollte, daß die inzwischen in höchstem Ansehen stehende ThQ mit der KS durch eine ihr würdige, d.h. ihr qualitativ angemessene Abhandlung eröffnet wurde. 110 Die Anonymität der beiden Texte kam B aur vielleicht gelegen, um die von ihm zitierten Aussagen generalisierend der katholischen Seite »in der neuesten Zeit« zuschreiben zu können. 111 Aus ThQ 1 (1819) 19-21, siehe B aur , Der Gegensatz (wie Anm. 106), 1833 und 1834, 427-429. Der von B aur wiedergegebene Textblock stimmt, obwohl er in Anführungszeichen gesetzt ist, mit dem Original nicht genau überein; er enthält Auslassungen, Raffungen und frei formulierte Übergänge, die als solche nicht kenntlich gemacht sind. Der Aussagegehalt des Originals wird inhaltlich nicht verfälscht, aber die Schlüssigkeit der Gedankenführung leidet darunter. - In der Auflage von 1836 beschränkt B aur sich auf eine freie, referierende und kürzer gefaßte Wiedergabe des Dreyschen Textes (594 f). 112 Rezension von: Katholische Dogmatik von Dr. Fr. Brenner. II. Bd. der speciellen Dogmatik erster Bd. Frankfurt am Mayn 1828, in: ThQ 11 (1829) 298-308 (siehe B aur , Der Gegensatz (wie Anm. 106), 1833 und 1834, 429; 1836, 595). Der (anonyme) Verfasser der Rezension war D rey (vgl. L ösch , Die Anfänge (wie Anm. 1) 108). Das Zitat hat B aur der Seite 305 der Rezension entnommen. Es lautet: »Stereotypisch kann man wohl die Ansicht vom Christenthum und der Theologie nennen, nach welcher jenes, wie es einmal aus dem Munde Christi und der Apostel gekommen, als Etwas rein gegebenes, äußeres, in Schriftzeichen ausgepräg- <?page no="462"?> 430 Zur Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Katholizismusschrift nimmt, hält die in diesen Texten enthaltene Charakterisierung des Protestantismus für »vollkommen« richtig, will sie aber nur in »einer bestimmten, in der protestantischen Kirche vor noch nicht langer Zeit sehr gewöhnlichen und auch jetzt noch sich geltend machenden Richtung« vorfinden. »Es ist dieß jener unlebendige, rein äußerliche, an dem todten Buchstaben hängende, ängstlich beschränkte Supranaturalismus, welcher in einer gleichgroßen Einseitigkeit befangen ist, wie der ihm gegenüber stehende Rationalismus« 113 . Mit dieser unumwundenen Anerkennung der in der KS von 1819 und in der Rezension von 1829 vorliegenden Typisierung des Protestantismus 114 ist tes und zusammengefügtes, stehendes und ruhendes, die Theologie aber und die Dogmatik im besondern, wie ein getreuer fehlerfreier Abdruck jener ursprünglich stehenden Schrift betrachtet wird. Diese Ansicht ist das bekannte Princip der gewöhnlichen protestantischen oder biblischen Dogmatik«. B aur führt dieses Zitat an, um zu belegen, daß der Protestantismus von katholischer Seite auf seine Mängel »wiederholt aufmerksam gemacht« worden sei (1833 und 1834, 429; 1836, 594). Aus dem Kontext ergibt sich, daß B aur bei diesem Plural nur die beiden Texte D reys vor Augen hat. Es ist möglich, daß B aur für die Rezension einen anderen Verfasser als für die Abhandlung von 1819 angenommen hat. Den Namen D reys nennt B aur bei keinem der beiden Texte. B aur kommt auf Seite 433 f in einem langen Zitat auf diese Rezension zurück. - In der Auflage von 1836 faßt B aur in einer Anmerkung die beiden Texte ohne Verfasserangaben zusammen, weil er in ihnen einen sachlich identischen Standpunkt erkennt. In seiner Kirchengeschichte des neunzehnten Jahrhunderts führt B aur als Repräsentant dieses Standpunktes unter Verweis auf »Drey, Apolog. 2. Bd. Vorr. S. IX über das Wesen des Protestantismus« ausdrücklich D rey an (F erdinand C hristian B aur , Kirchengeschichte des neunzehnten Jahrhunderts. Nach des Verfassers Tod herausgegeben von Eduard Zeller (Geschichte der christlichen Kirche 5). Tübingen 1862, 313). 113 B aur , Der Gegensatz (wie Anm. 106), 1833 und 1834, 429. 114 Daß B aur bei seiner positiven Würdigung der KS stillschweigend eine Kröte geschluckt hatte, zeigte sich, als die Auseinandersetzung zwischen M öhler und ihm ihr hitziges Stadium erreicht hatte. In seiner Erwiederung auf Herrn Dr. Möhlers’s neueste Polemik (wie Anm. 109), in der er M öhler vorwirft, »eine Kirche, gegen deren Lehren und Grundsätze er vergeblich ankämpft, als ein Erzeugniß der Lüge und des Irrthums, der tiefsten, mit keinem Namen hinlänglich zu bezeichnenden Verkehrtheit darzustellen« (92), kommt er mit folgenden Worten auf die KS zurück: Es sei »sehr zu wünschen, daß die katholischen Schriftsteller endlich von der leidigen Gewohnheit abkommen, uns Protestanten als Häretiker, und die protestantische Lehre als Häresis zu bezeichnen, mit welchem Namen selbst die hiesige theologische Quartalschrift in der sie eröffnenden Abhandlung vom Geist und Wesen des Katholicismus 1. Heft 1819. S. 19. f. den Protestantismus begrüßt hat« (91, Anm.). B aur bezieht sich hier genau auf jenes Textstück in der KS, das er 1833 und 1834 zitiert hatte, ohne damals diesen Punkt zu beanstanden. Auch in seiner Symbolikvorlesung von 1827/ 28, wo B aur dieses Textstück aus KS 19 f erstmals anführte, hatte er den Häresiebegriff noch nicht beanstandet (vgl. die Wiedergabe bei F riedrich , Baur als Symboliker (wie Anm. 95) 94 f). Jetzt in Rage, überzieht B aur . D rey hatte in seinen Ausführungen zur Unterscheidung unterschiedlicher Strukturtypen im geschichtlichen Erscheinungsbild des Christentums tatsächlich den Begriff »Häresis« verwendet; der damit bezeichnete Typus sei »im eigentlich sogenannten Protestantismus zu einem klaren Bewußtseyn seines Strebens und seiner Richtung« gelangt (KS 20 f). Es handelte sich, fern aller Polemik, um eine strukturanalytische Aussage ohne jegliche Bezugnahme auf den Protestantismus als Kirche oder Konfession. Man kann sich fragen, ob der von D rey verwendete Terminus »Häresis« zur Bezeichnung der von ihm gemeinten Sache glücklich gewählt war, aber »uns Protestanten als Häretiker, und die protestantische Lehre als Häresis« (B aur , Erwiederung 92) bezeichnet hat D rey hier keineswegs. Die von B aur bei D rey beanstandete Analyse des Protestantismus entspricht übrigens ziemlich genau den Ausführungen S chellings in der 9. Vorlesung der Methodenschrift, die D rey mit Sicherheit <?page no="463"?> 431 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) D rey zwar mehr oder weniger incognito ins Blickfeld getreten, aber im Grunde doch nur wegen seiner beschreibenden Darstellung einer Richtung im Protestantismus und insofern sachlich relativ marginal. Der viel bedeutendere Anteil D reys im Denken B aurs , seine kryptische Präsenz im Zentrum seiner Ausführungen, kommt erst auf der zweiten Argumentationsebene zum Vorschein. Das geht in stupender Weise aus folgendem hervor. Man sei, so B aur , im neuesten Entwicklungsgang der protestantischen Dogmatik inzwischen über den in den beiden oben zitierten Texten gerügten Zustand mit frischer Lebenskraft hinausgeschritten 115 . Es sei ein »geläuterter und vergeistigter Begriff der Tradition [! ], in welchem der Protestantismus, unbeschadet seines Princips, vielmehr dasselbe auf diese Weise ergänzend und lebendig entwikkelnd, dem Katholicismus näher tritt« 116 . B aur sucht diese Einschätzung durch Verweise auf »Schleiermacher Chr. Gl.-lehre Bd. 2. 2te Ausg. S. 356« und »in demselben Sinne« auf »Marheineke Grundlehren der christl. Dogm. S. 36« sowie auf Beiträge seiner Fakultätskollegen C hristian F riedrich S chmid 117 , J ohann C hristian F riedrich S teudel und F riedrich H einrich K ern 118 zu belegen. Genau besehen geben diese Belege nur ansatzweise das her, was B aur ihnen für seine Zwecke zudenkt. Sie sind, abgesehen von M arheineke , außerdem mehr als 10 Jahre nach der KS entstanden. Aber auch [! ] - so B aur - im Katholizismus gebe es »Stimmen, welche, wenn auch nur in einzelnen zufällig veranlaßten Aeusserungen, aber doch in sehr entschiedenem Tone gegen den alten hergebrachten Traditionsbegriff sich vernehmen lassen« und das wahre Wesen der Tradition »nur in einer lebendigen Bewegung und Entwicklung des Geistes in der Kirche finden können« 119 . Sie »kündigen zugleich auch eine neue Entwicklungsperiode des Katholicismus an« [! ] 120 . Hier führt nun B aur als (einzigen) Beleg »die Grundsätze« an, »die der Recensent der Brenner’schen Dogmatik in der theol. Quartalschrift 1829, kannte; auch S chelling hatte dort den Begriff »Häresis« verwendet (F riedrich W ilhelm J oseph S chelling , Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen 1803, 207). 115 B aur , Der Gegensatz (wie Anm. 106), 1833 und 1834, 430. 116 Ebd. 432. 117 »Man vergl. ferner über dieses Verhältniß des protestantischen Lehrbegriffs seinem wahren Geiste nach zur katholischen Lehre von der Tradition die ächtevangelische Abhandlung meines verehrten Collegen D. Schmid in dem Tübinger Pfingstprogramm v. J. 1831. Quaeritur: quatenus ex ecclesiae evangelicae principiis exsistere possit doctrinae christianae scientia, besonders S. 26. 27. 51 f« (ebd. 432 f, Anm.). 118 »Auch verdient verglichen zu werden, was von meinen verehrten Collegen D. Steudel und D. Kern aus Veranlassung der Feier des dritten Säkularfestes der Uebergabe der augsburg. Conf. in dem Programm: Exponuntur rationes, quibus catholicae etiam non minus quam evangelicae ecclesiae membra memoriam oblatae Augustae Confessionis aequa lataeque mente recolere possint, und in der Rede über die Geltung der symbolischen Bücher unserer evangelisch-lutherischen Kirche, in gleicher Richtung, ausgesprochen worden ist (s. die Schrift: Feier des dritten Säkularfestes ec. auf der Univers. Tüb. 1830. S. 1 f. S. 15. f.).« (ebd. 433). 119 Ebd. 433. 120 Ebd. 433 f. <?page no="464"?> 432 Zur Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Katholizismusschrift dessen Urtheil über die protest. Dogmatik S. 429. angeführt worden ist, aufstellt«. Es folgt ein Zitat im Umfang von mehr als zwei Seiten (im Kleindruck) aus dieser Rezension 121 , deren Verfasser, wie bereits bemerkt, gleichfalls der »geistvolle« 122 D rey ist, der hier den Traditionsbegriff der KS in kompakter Form rekapituliert. Beachtet man, daß B aur trotz des von ihm verwendeten Plurals keine weiteren »Stimmen« anzuführen weiß (hätte er S ailer , G eiger oder G ügler nennen können? ) und daß er sich auch faktisch nur auf die beiden anonymen Texte bezieht, die D rey zum Autor haben, so wird erkennbar, welche Rolle der anonyme D rey in dieser Sache spielt. Wenn man die Ausführungen B aurs unter die Lupe nimmt, ergibt sich das folgende Bild: (1.) Es gibt in der katholischen Theologie neuerdings einen »vergeistigten« (432), »geistigern« (436) Begriff der Tradition, da dieser nun auf die lebendige Bewegung und Entwicklung »des Geistes« in der Kirche abgestellt sei (433). (2.) In diesem Traditionsverständnis zeichne sich eine epochale Wende im Katholizismus ab, und auch der Protestantismus habe »in seiner neuesten Richtung schon [! ] an dem geistigern Traditionsbegriff neuerer katholischer Theologen einen nahen Antheil« (436). Jedenfalls sei nun »der Anstoß zu einer neuen Bewegung, woher er gekommen seyn mag« [! ], gegeben (ebd.) 123 . Es handelt sich bei dieser Bewegung in den Augen B aurs 121 Ebd. 433-435, Anm. 122 Dazu G eiselmann , Lebendiger Glaube (wie Anm. 95) 133: »Dem religiösen Sehnen nach lebendiger Kirchlichkeit aber hat er [D rey ] in seiner, schon von seinen Zeitgenossen als geistvoll (F. Chr. Baur) gerühmten Abhandlung vom Geist und Wesen des Katholizismus (1819) Ausdruck verliehen« (Hervorhebung nicht im Original). G eiselmann führt leider keinen bibliographischen Beleg an. Wahrscheinlich liegt bei ihm eine Verwechslung vor. B aur sprach (in: Der Gegensatz (wie Anm. 106), 1833 und 1834, 423) zwar von einer »geistreichen, den Protestanten vielfach ansprechenden Abhandlung«, aber er meinte damit A dam G engler (vgl. unten Anm. 124); kurz danach (ebd. 426 f, Anm.) bezeichnete er A nton G ünther als »geistvollen Verfasser der Vorschule zur speculativen Theologie des positiven Christenthums« (A nton G ünther , Vorschule zur speculativen Theologie des positiven Christenthums in Briefen. 2 Bde., Wien 1828-1829; die erste Auflage dieser Schrift ist anonym erschienen), was vielleicht eher zynisch gemeint war (vgl. Der Gegensatz, 1836, X f). - Dagegen hatte A ugust D etlev C hristian T westen in seinen Vorlesungen über die Dogmatik der Evangelisch-Lutherischen Kirche nach dem Compendium des Herrn Dr. W. M. L. de Wette. Erster Band, welcher die Einleitung und den ersten, kritischen Theil enthält (Hamburg 1826, 120) die KS als »geistreich« bezeichnet (ohne D rey als Autor zu identifizieren). Es ist dies ein Beleg, daß und wie die KS von einem protestantischen Systematiker wie T westen (und damit im engeren Umkreis S chleierma chers ; T westen stand S chleiermacher als dessen Schüler und Nachfolger in Berlin sowohl persönlich als auch sachlich sehr nahe) zur Kenntnis genommen wurde. - Zu »geistreich« vgl. auch die kritischen Bemerkungen bei J ohann C hristian F riedrich S teudel , Die Glaubenslehre der evangelisch-protestantischen Kirche nach ihrer guten Begründung, mit Rücksicht auf das Bedürfniß der Zeit, kurz dargestellt. Tübingen 1834, Vorrede VI. 123 Der Verzicht B aurs auf eine genauere Bestimmung des Von-Woher des Anstoßes ist schwerlich auf die in der Anonymität belassenen »Stimmen« in der katholischen Theologie zu beziehen. Vermutlich dachte er an eine Verlagerung des Erstgeburtsrechts, wenn nicht in die protestantische Theologie, so doch in die idealistische Philosophie des Geistes und die dort bereits entwickelte Theorie des Christentums bzw. des Protestantismus. Dafür spricht die Betonung, die B aur auf das geistigere, vergeistigtere Traditionsverständnis und auf die Entwick- <?page no="465"?> 433 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) um ein ökumenisches Phänomen, in dem die Überwindung des protestantisch-katholischen Gegensatzes sich abzeichnet. Rezeptionsgeschichtlich bedeutsam und sachlich aufschlußreich ist die Stellungnahme M öhlers zu diesen Ausführungen B aurs . M öhler weist - wie übrigens auf ihre Art auch G engler 124 und G ünther 125 als resolute Gegner des neuen Traditionsbegriffs - die von B aur insinuierte Annäherung des Protestantismus an den Katholizismus (und vice versa) zurück 126 . S chlei ermacher sei in dieser Hinsicht keineswegs einschlägig, in der von ihm ausgegangenen Richtung sei keine Annäherung zur katholischen Anschauung von der Kirche zu finden. Und »was Herr Baur die vergeistigte Auffassung der Tradition durch neuere Katholiken nennt, ist nichts Anderes als eine wissenschaftlichere Bestimmung eines uralten Begriffes; er hätte es schon daraus entnehmen können, daß dieselben Theologen kein Jota von dem Inhalte der Tradition hinwegnehmen« 127 . Diese Äußerung besagt (auch und zumal im Hinblick auf D rey , der, wie M öhler sicher erkannt hatte, bei B aur allein für die »Stimmen« der »neueren Katholiken« zu stehen gekommen war): (1.) M öhler greift die Wendung »neuere Katholiken« auf, ohne sie zu präzisieren oder zu kritisieren. (2.) Er taxiert sie (d.h. D reys KS) dahingehend, daß sie (er) in ihrer (seiner) »vergeistigten Auffassung der Tradition« »nichts Anderes als eine wissenschaftlichere Bestimmung eines uralten Begriffes« vorgenommen habe(n). (3.) Diese Einschätzung beinhaltet durchaus eine korrekte Charakterisierung und Wertung der KS, mit der D rey wohl zufrieden sein konnte, denn genau das war sein Ziel in der KS gewesen: mit einer »vergeistigten« Auffassung der Tradition einem »uralten Begriff« eine »wissenschaftlichere Bestimmung« ohne Preisgabe ihrer Inhalte zu geben. (4.) Aber D rey hatte ineins damit eben doch etwas epochal Neues gebracht. B aur sah das, er anerkannte und bewunderte es, aber M öhler wollte das so nicht gelten lassen. Aus seiner Einschätzung spricht eine Tendenz zur Herabstufung der Leistung D reys . lung des Geistes in der Kirche legt. Daß die Konzilianz B aurs doppelbödig sein könnte, ergibt sich auch aus folgendem. B aur konnte in D reys Bestimmung des Geistes und Wesens des Katholizismus alles in allem nur die Selbstdarstellung jener katholischen Form des Christentums erblicken, die aus seiner Sicht noch dem Prinzip der Heteronomie unterliegt und sich dem protestantischen Prinzip der geistgeborenen Autonomie nach wie vor verschließt. Anders konnten die KS und die Rezension von 1829 unmöglich verstanden werden. In eine explizite Auseinandersetzung mit dem Geistverständnis D reys ist B aur nicht eingetreten. 124 Siehe A dam G engler , Ueber eine angeblich zu hoffende Indifferenzirung des Katholizismus und Protestantismus in einem höheren Dritten, in: ThQ 14 (1832) 203-253. 125 Siehe Der letzte Symboliker. Eine durch die symbolischen Werke Doctor J.A.Möhler’s und Doctor F.C.Baur’s veranlaßte Schrift, in Briefen, von Anton Günther, Weltpriester. Wien 1834. 126 J ohann A dam M öhler , Neue Untersuchungen der Lehrgegensätze zwischen den Katholiken und Protestanten. Eine Vertheidigung meiner Symbolik gegen die Kritik des Herrn Professors Dr. Baur in Tübingen. Mainz 1834, 522-526; vgl. 450 ff. B aur kommt in Der Gegensatz, 1836, 613, noch einmal darauf zurück, nachdem er G ünther als Hauptgegner des neuen Traditionsbegriffs analysiert und zurückgewiesen hat. Er hält an seiner Auffassung fest. 127 M öhler , Neue Untersuchungen (wie Anm. 126) 526 (Hervorhebungen nicht im Original). <?page no="466"?> 434 Zur Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Katholizismusschrift Warum das? Man wird bei dieser Frage, bei der es ja doch auch um eine Würdigung des Dreyschen Traditionsbegriffs durch M öhler geht, zunächst an das von Animositäten nicht freie Verhältnis M öhlers zu seinem Lehrer denken. M öhler hat sich nie dazu verstanden, die Leistungen seines Lehrers mit guten Worten zu würdigen. Man kann sich auch fragen, ob es in der oben angeführten Sache für M öhler nicht honorig gewesen wäre, den Schleier der Anonymität zu lüften oder wenigstens anzudeuten, wo der von B aur angesprochene Protagonist zu suchen ist. Die Rezeptionsgeschichte der KS hätte dann einen anderen, d.h. würdigeren und expliziteren Verlauf genommen. Für die Herabstufungstendenz M öhlers sind darüber hinaus zwei weitere Gründe in Erwägung zu ziehen. Zum einen entsprachen der methodologisch vorkonfessionelle Ansatz D reys und dessen offener Katholizismusbegriff allzu wenig den Interessen, die der Autor der Symbolik gleichermaßen wie G engler und G ünther und ihre protestantischen Kontrahenten zu dieser Zeit verfolgten. Die konfessionellen Fronten hatten sich seit dem Beginn der 1830er Jahre signifikant verhärtet. Im Fokus stand nun die konfessionelle Unterscheidungslehre. Der Streit um die Identitäten des Protestantismus und des Katholizismus hatte geradezu scholastizistische Formen angenommen und sich auf eine kategoriale Ebene verlagert, auf der der Katholizismusbegriff D reys als allzu vortechnisch-naiv und archaisch gelten mochte. Zum andern hatten M öhler und seine katholischen Mitstreiter für eine Annäherung der Konfessionen auf der Grundlage des Dreyschen Traditionsverständnisses - und womöglich im Sinne B aurs - nichts übrig. M öhler hatte wohl erkannt, daß B aur den Traditionsbegriff D reys letztendlich für seine Deutung des Prinzips des Protestantismus vereinnahmen wollte. Hatte B aur etwa mit strategischer List eine Annäherung der neuen Richtung im Protestantismus an den neuen katholischen Traditionsbegriff konzediert, um diesen danach als eigentlich protestantisch dechiffrieren zu können? Es gibt in den Argumentationsgängen B aurs stichhaltige Indizien für diese Absicht, deren subjektive Lauterkeit deswegen nicht in Zweifel zu ziehen ist. Es spricht viel dafür, daß M öhler mit seiner bagatellisierenden (und ideologisierenden) Beurteilung der KS das wirksame Signal für die dann über ein Jahrhundert sich erstreckende Mißachtung dieser Schrift gesetzt hatte, wobei deren Anonymität das Ihre dazu beitrug. Es bleibt die Frage nach der tatsächlichen Auswirkung der KS auf M öhler selbst. Dabei ist davon auszugehen, daß D rey für die theologische Formation M öhlers insgesamt der dominierende Lehrmeister war. Dieses Lehrer- Schüler-Verhältnis wurde in der Fachliteratur seit G eiselmann und im 20. Jahrhundert ansatzweise bereits bei G odet 128 thematisiert und zunehmend 128 Vgl. P aul G odet , J. A. Moehler, in: RCF 15 (1909) 36-57, 38 f: »Il y aurait toutefois injustice a` ne pas mettre en un rang a` part l’ingenieux et savant Jean-Se´bastian Drey, le maı ˆtre direct et contigu de Moehler ...«. <?page no="467"?> 435 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) gewichtet 129 . P ierre C haillet , der das Genie M öhlers stets mit Wärme und Bewunderung anerkannte, gelangte auf Grund seiner wahrhaft genauen Kenntnis der Schriften D reys zu dem Schluß, daß M öhler seine fruchtbarsten Ideen (ses plus fe´condes ide´es) D rey schulde 130 . Das gilt in besonderer 129 Vgl. dazu TüA 3, 82* mit Anm. 15; 182*; 197*; 210* mit Anm. 70; 212*; 216* f; 218*; 220*. - Einige Stimmen dazu in Auswahl: K arl B ihlmeyer , J. A. Möhler als Kirchenhistoriker, seine Leistungen und Methode, in: ThQ 100 (1919) 134-198, 139 f: »Von Drey [...] haben nicht nur ein Möhler [...] am meisten gelernt« (vgl. 160: »Auch hierin den Spuren seines Lehrers D r e y folgend, [...]«); L e´once de G randmaison , Johann-Adam Möhler. L’E´ cole catholique de Tubingue et les origines du modernisme, in: RSR 9 (1919) 387-409, 388: »Drey [...] fut un ve´ritable initiateur«, der M öhler die entscheidenden Anstöße und Anregungen gegeben habe; C lemens B auer , Politischer Katholizismus in Württemberg (wie Anm. 68) 56: »Er [M öhler ] kam auf der Bahn der Dreyschen Grundsätze [...]«; vgl. auch R oger A ubert , Die ekklesiologische Geographie im 19. Jahrhundert, in: J ean D anie´lou , H erbert V orgrimler (Hg.), Sentire Ecclesiam. Das Bewußtsein von der Kirche als gestaltende Kraft der Frömmigkeit (FS H ugo R ahner ). Freiburg i.Br. 1961, 430-473, 445: »Diese vom Gründer der Schule, Johann Sebastian Drey, vorgetragenen [ekklesiologischen] Ideen werden wiederaufgegriffen und vertieft durch Möhler« (weitere einschlägige Aussagen finden sich bei A ndre´ M inon (siehe Anm. 176); vgl. auch B ernard R eardon oben in Anm. 90 und 95 sowie P ierre C haillet unten in Anm. 130). - Die Topoi von D rey als dem Begründer der Katholischen Tübinger Schule in ihrer theologischen Eigenart und als Lehrer und Ideengeber M öhlers finden sich auch in den beiden ersten Beiträgen G eiselmanns , mit denen er - mit K arl A dam als treibende Kraft im Hintergrund - seinen Weg zur Erforschung D reys und seiner Schule begann. Im ersten dieser Beiträge, der Die Katholische Tübinger Schule und ihre Glaubenswissenschaft zum Thema hatte (in: Festbeilage des Deutschen Volksblatts zum 450jährigen Jubiläum der Universität Tübingen, 23. Juli 1927, Nr. 166, 6-7; eine wortgetreue Abschrift dieses schwer zugänglichen Textes liegt in elektronischer Fassung vor in: R ichard K ager , Die theologische Hermeneutik Johann Adam Möhlers (1796-1838). Diss. theol. Freiburg i.Ü. 2004 - http: / / ethesis.unifr.ch/ theses/ downloads.php? file=KagerR.pdf, 321-332 = Anhang I, 1-12), stellte G eiselmann D rey als »Schöpfer« der Tübinger Schule und als ihr »Haupt« heraus (S. 6, Sp. 1, 2 und 4; bei K ager Anhang I, 2, 3, 5), und die Wege, die D rey aufgezeigt habe, sei M öhler gegangen (S. 6, Sp. 4, S. 7, Sp. 1; bei K ager Anhang I, 6); der zweite seiner Beiträge signalisiert bereits in seinem Titel Die Glaubenswissenschaft der Katholischen Tübinger Schule in ihrer Grundlegung durch Johann Sebastian v. Drey (in: ThQ 111, 1930, 49-117) die Stellung, die G eiselmann D rey in der Grundlegung seiner Schule zuweist. D rey wird hier - auch im Hinblick auf M öhler - hochrangig aufgewertet und diesem, wie W elte formulierte, als »ebenbürtig« zur Seite gestellt (B ernhard W elte , Zum Strukturwandel der katholischen Theologie im 19. Jahrhundert, in: Gestaltende Kräfte im 19. Jahrhundert. Freiburger Dies Universitatis. Band 2, 1953 54. Freiburg i.Br. 1954, 25-55; wieder in: ders ., Auf der Spur des Ewigen. Philosophische Abhandlungen über verschiedene Gegenstände der Religion und der Theologie. Freiburg i.Br. 1965, 380-409, hier 383). Inwieweit G ei selmann für seine gewöhnlich als innovativ eingeschätzte Gewichtung D reys in diesen Beiträgen von den oben angeführten Stimmen sich hatte inspirieren lassen, ist schwer zu sagen. Er hielt sich in solchen Dingen eher bedeckt und liebte es, sich als Entdecker und Wendepunkt in Szene zu setzen. Doch so oder so: Mit G eiselmanns Schriften kam die Neuevaluierung D reys rezeptionsgeschichtlich zum Durchbruch (zu diesem Sachkomplex vgl. die Hinweise oben in Anm. 68). 130 P ierre C haillet , Brief vom 16. Juni 1936 an H enri de L ubac . Zu diesem Brief siehe R ene´ e B e´darida , Pierre Chaillet - Te ´moin de la re ´sistance spirituelle. Paris 1988, 51, vgl. 40 f; siehe auch unten bei und in Anm. 173; vgl. auch P ierre C haillet , Introduction in: J ean -A dam M œhler , L’unite ´ dans l’e ´glise ou le principe du catholicisme [...]. Traduit de l’allemand par Dom Andre ´ de Lilienfeld, O.S.B. Avec une introduction par Pierre Chaillet, S.J. (Unam sanctam 2). Paris 1938, XI f: »Drey restera toujours pour ce disciple le maı ˆtre ve´ne´re´ [? ], dont l’influence ne se re´ve´lera qu’a` la longue, dans la concordance des the`mes fe´conds d’inspiration et l’accord secret des <?page no="468"?> 436 Zur Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Katholizismusschrift Weise für die Ekklesiologie M öhlers . Für das Jugendwerk M öhlers , Die Einheit in der Kirche, oder das Princip des Katholicismus, dargestellt im Geiste der Kirchenväter der drei ersten Jahrhunderte von 1825 ist das evident 131 . Es gilt aber auch für die spätere Ekklesiologie M öhlers , zumindest soweit darin das von D rey in der KS entwickelte Traditionsverständnis zum Tragen kommt, auch wenn M öhler die Ideen D reys auf seine Weise weiterbildete 132 . Diese Sachverhalte sind für die Frage der Wirkungsgeschichte der KS einschlägig. Man wird unweigerlich zu dem Schluß gelangen, daß zumindest die Einheitsschrift M öhlers direkt in die Wirkungsgeschichte der KS einzuschreiben ist. Und ergänzend wäre hinzuzufügen, daß die KS dann auf dem Weg über die Ekklesiologie M öhlers und in deren enormer Wirkungsgeschichte incognito bis zum Vatikanum II und darüber hinaus weitervermittelt wurde. * D rey dürfte B aurs (und auch M öhlers ) Wiedergabe und Würdigung dessen, was er in der KS und in der Rezension von 1829 ausgeführt und theologisch auf den Weg gebracht hatte, mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis genommen haben. Literarisch tat er nichts, um die Anonymität zu lüften und die Anstöße in aller Form für sich zu reklamieren. Es war nicht seine Art, seine Leistungen zu kommentieren oder hervorzukehren. Diese Feststellung gilt im Hinblick auf alle seine Programmschriften, eingeschlossen die Kurze Einleitung, die er sämtlich kommentarlos hinter sich ließ, sich damit begnügend, sie in den wissenschaftlichen Diskurs eingebracht zu haben, im Vertrauen auf die Macht des objektiven Geistes. Selbstzweifel als Motiv seiner Askese scheiden wohl aus, denn in der Sache selbst hielt er in der Regel unbeirrbar an einmal gewonnenen Einsichten fest. pense´es les plus personelles [...]. Et si la ce´le´brite´ du disciple e´clipsa les me´rites du maı ˆtre, ce n’est rien ravir a` la gloire de Moehler que de faire sortir de cette ombre trop tute´laire celui qui fut l’initiateur et le ve´ritable fondateur de l’E´ cole catholique de Tubingue«. 131 Siehe O’M eara , Romantic Idealism (wie Anm. 90) 148: »Möhler discovered [scil. in seiner Einheitsschrift] the theology of Drey in the writings of the fathers of the church«. O’M eara bezieht sich dafür auch auf J oseph F itzer , Moehler and Baur (wie Anm. 95) 15: »A little cynically, one might suggest that what Möhler did was to discover the theology of Drey in the writings of the fathers. It can hardly be denied, in any case, that the fathers are pressed into service − usually, it must be said, fairly convincingly − at witness to the truth of what Möhler learned from Drey«. - Die Abhängigkeit der Einheitsschrift M öhlers wurde bereits von den Zeitgenossen bemerkt und diskutiert. 132 Das gilt selbst für den christologischen Ansatz in der Symbolik M öhlers , so z.B. wenn M öhler dort formuliert, die sichtbare Kirche sei »der unter den Menschen in menschlicher Form fortwährend erscheinende, stets sich erneuende, ewig sich verjüngende Sohn Gottes, die andauernde Fleischwerdung desselben« (J ohann A dam M öhler , Symbolik, oder Darstellung der dogmatischen Gegensätze der Katholiken und Protestanten, nach ihren öffentlichen Bekenntnißschriften. Mainz 1832, 267; vgl. in der Ausgabe von G eiselmann , Köln / Darmstadt 1958, 389). Es handelt sich hier um eine Möhlersche Paraphrase bzw. Metamorphose des die KS D reys von A bis Z beherrschenden Grundgedankens D reys von der in der lebendigen Tradition fortwährend erfolgenden Selbstvermittlung der christlichen Urtatsache (= Inkarnation) zu lebendiger Gegenwart. <?page no="469"?> 437 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) Festzustellen ist schließlich, daß G eiselmann , der die Verfasser- und Urheberschaftsverhältnisse bezüglich der KS und der Rezension von 1829 kannte, das innovative Denken D reys in Sachen Traditionsbegriff nicht besser erfassen und taxieren konnte, als bereits B aur im Nebel der Anonymitäten und M öhler auf seine Weise es taten. Diesem Nebel ist es, ineins mit den weiter oben angeführten Gründen, zuzuschreiben, daß der Anteil D reys an der »neuen Entwicklungsepoche des Katholicismus« von der Theologiegeschichtsschreibung bis herauf zu G eiselmann nicht wahrgenommen wurde. Angesichts der hohen Einschätzung der KS durch M ack , über die oben berichtet wurde, wie auch im Blick auf die Sachverhalte bei B aur nimmt sich die Rezeptionsgeschichte der KS bei den Kollegen und Schülern D reys - und überhaupt in der katholischen Theologie des 19. Jahrhunderts - unbegreiflich kläglich aus. Weder M öhler , der sich wie gesagt nie dazu herabließ, seinem Lehrer Dank und Anerkennung zu zollen, obwohl er wie kein anderer auf dessen Schultern stand, noch der hochfahrende K uhn , der 1838/ 39 die Nachfolge D reys im Fach Dogmatik angetreten hatte, erwähnen die KS, auch nicht in den dafür besonders in Frage kommenden Schriften 133 . Auch S tau denmaier gibt sich bei dieser Thematik ganz auf sich selbst gestellt, obwohl allein schon die Titel der hier zu erwähnenden Schriften überdeutlich auf D rey zurückverweisen 134 . Nicht anders D ieringer und H irscher in ihren Artikeln zum Begriff des Katholizismus 135 . Bei H efele findet sich wenigstens 133 Bei M öhler wäre es wie gesagt zumindest dessen Einheitsschrift gewesen, aber auch die Symbolik, bei K uhn dessen Abhandlung Die formalen Principien des Katholicismus und Protestantismus, in: ThQ 40, 1858, 3-62, 185-251, 385-442. 134 Vgl. S taudenmaier , Der Geist des Christentums (wie Anm. 24); ders ., Das Wesen der katholischen Kirche. Mit Rücksicht auf ihre Gegner dargestellt. Freiburg 1839, 2 1845. Der Grund, weshalb S taudenmaier D rey nicht nennt, ist vielleicht dem Umstand zuzuschreiben, daß es sich um autark aufgemachte Meditationen handelt, für die er grundsätzlich auf literarische Bezugnahmen glaubte verzichten zu können. Auch C hateaubriand , in dessen Betrachtungsweise er sich gänzlich bewegt (vgl. dazu die Nachweise bei B raig , Über Geist und Wesen des Christentums, wie Anm. 24), wird nicht genannt. B raig seinerseits scheint übrigens trotz der Nähe des Titels seiner Abhandlung zum Titel der KS von D rey nichts zu wissen (zu C hateaubriand / S taudenmaier / B raig vgl. gleichfalls Anm. 24), was bei einigem Wohlwollen gegenüber B raig im Hinblick auf die Titelformulierung vielleicht als Beleg für das anonyme Weiterwirken D reys gelten kann. - Ein Zeugnis für die in der Tübinger Schule rare Loyalität gegenüber D rey ist darin zu erblicken, daß S taudenmaier »seinem teuern, unvergeßlichen Lehrer« [D rey ] 1837 und 1844 »aus herzlicher Dankbarkeit« zwei Werke widmete (vgl. F ranz A nton S taudenmaier , Der Geist der göttlichen Offenbarung, oder Wissenschaft der Geschichtsprincipien des Christenthums. Gießen 1837, sowie Die christliche Dogmatik 1. Freiburg i.Br. 1844). 135 F ranz X aver D ieringer , Katholicismus, in: J oseph A schbach (Hg.), Allgemeines Kirchen- Lexikon oder Alphabetisch geordnete Darstellung des Wissenswürdigsten aus der gesammten Theologie und ihren Hülfswissenschaften 3. Mainz 1850, 761-764; J ohann B aptist H irscher , Katholizismus, in: Staats-Lexikon oder Encyklopädie der Staatswissenschaften in Verbindung mit vielen der angesehensten Publicisten Deutschlands herausgegeben von Carl von Rotteck und Carl Welcker 9. Altona 1840, 226-238. Der Artikel H irschers wurde, eingebettet in eine Kontroverse, abgedruckt in: Zeitschrift für Theologie 5 (1841) 3-35; vgl. ebd. 7 (1842) 473-474. - D ieringer und H irscher waren Schüler D reys , die beiden Artikel beruhen ersichtlich auf der Prinzipienlehre der KS, erreichen aber bei weitem nicht die Lebendigkeit und Kraft eines D rey , obwohl man ihnen <?page no="470"?> 438 Zur Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Katholizismusschrift wieder eine bibliographische Spur zur KS 136 , desgleichen bei S chanz 137 , wenngleich kein genaueres Wissen um deren Inhalt und Rang. So endete das Jahrhundert D reys . Da aber die Rezeptionsgeschichte der KS noch nicht erforscht ist, kann man sich vielleicht noch auf überraschende Funde einstellen. b. Im 20. Jahrhundert Im Zuge der um die Jahrhundertwende einsetzenden und rasch sich ausweitenden aktualisierenden Rückbesinnung auf die große Zeit der Katholischen Tübinger Schule dehnte sich das Interesse von M öhler , dessen Glanz nie erloschen war, auf die Lehrer M öhlers und Pioniere der Schule aus, deren wahre Bedeutung allmählich deutlicher erkannt wurde 138 . Es war G eisel mann , der schließlich D rey und H irscher M öhler als ebenbürtig zur Seite stellte und in ihnen das Dreigestirn sehen lehrte, das die Schule zu ihrer ersten Blüte führte. Aus der Tübinger Schule als der Schule M öhlers wurde die Schule dieses Dreigestirns, mit D rey als dem eigentlichen Gründervater. Damit änderte sich nicht nur der historische, sondern auch der theologische Begriff der Katholischen Tübinger Schule. Indem die von 1812 bis zum Auftreten M öhlers um die Mitte der 1820er Jahre sich erstreckende Grünansieht, daß sie die Sache besser machen wollen. - Zum Anteil H irschers bei der Gründung der ThQ und der Festlegung ihrer theologischen Prinzipien in Gestalt der KS durch das Herausgeberkollegium bemerkt L ösch : »Für den jungen Hirscher mußte es ein Vergnügen sein, mit gutem Mut und allgemach hinterdreinzugehen ...« (L ösch , Die Anfänge (wie Anm. 1) 19). 136 Während H efele in seinem ersten Nekrolog auf D rey (siehe C arl J oseph H efele , Nekrolog [auf J ohann S ebastian D rey ], in: ThQ 35, 1853, 341-349) und in seinen Personalartikeln zu D rey (WWKL 1 12, 1856, 307-309 und WWKL 2 3, 1884, 2066-2069) die KS nicht erwähnte, führte er sie in der zweiten Fassung des Nekrologs unter den »Abhandlungen und Recensionen ..., die sich sämmtlich durch Klarheit, Präcision und Styl auszeichnen«, wenigstens dem ungefähren Titel nach und ohne Kommentar an (A nonymus [C arl J oseph H efele ], Nekrolog: Johann Sebastian Drey, in: Akademische Monatsschrift. Centralorgan für die Gesammtinteressen deutscher Universitäten (Deutsche Universitätszeitung) 5, 1853, 336-343, hier 339: »die [Abhandlung] über den Geist des Katholicismus«). 137 P aul S chanz , Die katholische Tübinger Schule, in: ThQ 80 (1898) 1-49, 9 f. S chanz führt hier den Titel der KS an und bezeichnet sie als »den ersten großen Aufsatz der Quartalschrift«, geht aber auf die Verfasserfrage nicht ein. Wenn man diesen Aufsatz oder die (von H irscher verfaßte und in ThQ 5, 1823, 193-262, 371-420 anonym erschienene) Abhandlung Über einige Störungen in dem richtigen Verhältniße des Kirchenthums zu dem Zwecke des Christenthums lese, so »wird man oft staunen über die freisinnigen Vorschläge zur Verbesserung des Kirchenwesens« (10). D rey habe »schon im ersten Band der Quartalschrift die neue Disziplin der Apologetik sowohl im Unterschiede zu der bisherigen allgemeinen Dogmatik als zu der konfessionellen Polemik nach Methode und Form scharf begrenzt« (18). Ob S chanz wohl die KS genau gelesen hatte - wenn überhaupt? 138 Zur Geschichte der Wiederentdeckung der Katholischen Tübinger Schule in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts vgl. Bandeinleitung zu TüA 3 (Kurze Einleitung), Kap. VIII, bes. 207*-222*; S eckler , Auf dem Weg zu Johann Sebastian Drey (wie Anm. 91), bes. 13-28; zur Entdeckung D reys als Lehrer und Ideengeber M öhlers siehe auch oben bei und in Anm. 95. <?page no="471"?> 439 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) derzeit neu bewertet wurde - galt sie zuvor nur als eine Zeit unsicheren Experimentierens und als Vorspiel für die eigentliche Tübinger Schule, so jetzt als ihre hochrangige erste Phase, in der die Prinzipien ihrer theologischen Eigenart erarbeitet wurden - kamen personell und literarisch neue Karten ins Spiel. Damit war auch für die Rezeptionsgeschichte der KS im 20. Jahrhundert das Tor aufgestoßen. Der entscheidende Wendepunkt ist auf die ersten Arbeiten G eiselmanns zur Katholischen Tübinger Schule (1927) 139 und zu D rey (1930) 140 anzusetzen. Die von G eiselmann erbrachte Leistung kam nicht aus dem Nichts. Eine kurze Befunderhebung führt zu dem Ergebnis, daß das von P aul S chanz mit seinem Artikel von 1898 141 in Bewegung gebrachte und von E dmond V ermeil (1913) 142 besonders stimulierte neue Interesse an der Katholischen Tübinger Schule einerseits, aus dem im unmittelbaren Vorfeld G eiselmanns die panegyrischen Beschreibungen ihrer Eigenart durch P hilipp F unk 1919/ 20 und K arl A dam 1926/ 27 143 hervorgegangen waren, und die Neubewertung der Gründerzeit und insbesondere D reys anderseits keineswegs synchron und homogen verliefen. Die aus dem 19. Jahrhundert stammenden und von S chanz aufgefrischten Bewertungsmaßstäbe, die weder ein uneingeschränkt positives Dreybild, noch eine angemessene Wahrnehmung der KS zuließen, wirkten noch bei A dam nach und haben anfangs selbst bei G eiselmann Spuren hinterlassen. Die Fehlurteile über den frühen D rey sind bis heute in der Fachliteratur nicht überall ausgemerzt. Der neue Blick auf die Gründerzeit stellte sich eher auf einer subversiven Seitenlinie ein, keimhaft bei F riedrich L auchert (1901) 144 , deutlicher bei P aul G odet (1911) 145 und A rnold G ilg (1915) 146 , im 139 G eiselmann , Die Katholische Tübinger Schule und ihre Glaubenswissenschaft (wie Anm. 129). 140 G eiselmann , Die Glaubenswissenschaft der Katholischen Tübinger Schule in ihrer Grundlegung durch Johann Sebastian v. Drey (wie Anm. 129). 141 P aul S chanz , Die katholische Tübinger Schule, in: ThQ 80 (1898) 1-49. 142 V ermeil , Jean-Adam Möhler et l’e ´cole catholique de Tubingue (wie Anm. 94). 143 P hilipp F unk , Die katholische Tübinger Schule, in: Der Schwäbische Bund 1 (1919/ 20) 293-305; K arl A dam , Die Katholische Tübinger Schule. Zur 450-Jahrfeier der Universität Tübingen, in: Hochland 24 (1926/ 27) 581-601 (wieder in: ders ., Gesammelte Aufsätze zur Dogmengeschichte und Theologie der Gegenwart. Hg. von F ritz H ofmann . Augsburg 1936, 389-412). Vgl. jedoch auch F ritz V igener , Drei Gestalten aus dem modernen Katholizismus: Möhler, Diepenbrock, Döllinger (Historische Zeitschrift, Beiheft 7). München, Berlin 1926. 144 F riedrich L auchert , Franz Anton Staudenmaier (1800-1856) in seinem Leben und Wirken dargestellt. Mit dem Bildnis Staudenmaiers. Freiburg i.Br. 1901. 145 P aul G odet , Drey, in: Dictionnaire de the ´ologie catholique 4 (1911) 1825-1828. 146 A rnold G ilg , Idee und Geschichte in der Theologie Fr. A. Staudenmaiers, in: Internationale Kirchliche Zeitschrift 5 (1915) 58-83, 162-177. Der Berner altkatholische Theologe G ilg schätzt hier die Kurze Einleitung D reys als eine der »allerbedeutsamsten Leistungen der katholischen Theologie des vorigen Jahrhunderts« ein, was bis dahin noch niemand auch nur annähernd vermocht hatte. Hier zeigt sich, wie weit die Evaluierung D reys außerhalb des Hauptstroms der katholischen Theologie zwischen 1901 und 1915 vorangeschritten war. - Wie G ilg , so war auch L auchert Altkatholik (bis 1899). Zwischen beiden gab es persönliche und wissenschaftliche Verbindungen. L auchert lehrte 1891-1893 in Bern und wurde 1896 von der Fakultät G ilgs zum Dr. theol. h.c. promoviert. Zu G ilg vgl. Bandeinleitung zn TüA 3 <?page no="472"?> 440 Zur Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Katholizismusschrift Endeffekt am wirksamsten bei V ermeil , wenngleich ohne dessen direkte Absicht. V ermeil war für die Hinwendung G eiselmanns zu D rey und zur KS faktisch der wichtigste Geburtshelfer. Mit der editorischen und interpretativen Erschließung der KS schuf G ei selmann die Grundlagen für die weitere Rezeptionsgeschichte dieser Schrift im 20. Jahrhundert. Indem er den im ersten Jahrgang der Theologischen Quartalschrift verstaubten Text 1940 neu zum Abdruck brachte, verschaffte er der Forschung einen leichten Zugang zu ihr. Die Inszenierung der Publikation war besonders dazu angetan, dem Text Beachtung zu verschaffen. G eisel mann plazierte ihn in einem Sammelband mit ausgewählten Schriften aus dem Zeitalter des Idealismus und der Romantik, dem er in offensichtlicher Anlehnung an den Originaltitel der Dreyschen Abhandlung den Gesamttitel Geist des Christentums und des Katholizismus gab, was auf eine Hervorhebung der KS hinauslief. Der Umstand, daß der Sammelband außerdem als Band 5 in der Reihe Deutsche Klassiker der katholischen Theologie aus neuerer Zeit herauskam 147 , war geeignet, den literarischen Rang der KS anzuzeigen. Hinzu kam, daß G eiselmann in seiner Einführung die KS als das Tiefste und Vollendetste vorstellte, das D rey überhaupt geschrieben habe 148 . Hier skizzierte G eisel mann auch den Inhalt der KS, ordnete sie (in seiner Weise) geistesgeschichtlich ein und stellte ihre theologiegeschichtliche Bedeutung heraus 149 . Nach diesen Leitlinien, von denen er später nie mehr abwich, arbeitete er im Fortgang seiner Forschungs- und Publikationstätigkeit in zahlreichen hochgestimmten Reprisen jene Deutungen und Würdigungen des theologischen Denkens D reys und zumal der KS heraus, mit denen er für die Folgezeit zum Wegweiser nicht nur der Dreyforschung, sondern darüber hinaus auch der internationalen theologischen und kirchlichen Wirkungsgeschichte D reys bis hin zum Zweiten Vatikanischen Konzil wurde. Was G eiselmann an der KS vor allem interessierte, war der Traditionsbegriff in ekklesiologischer Perspektive, während er die übrigen Aspekte im und zum Katholizismusbegriff vernachlässigte. Von daher die überhöhte Bedeutung, die er den Luzernern G eiger und G ügler für die KS beimaß. G eiselmann rezipierte die KS, wie wenn sie den Titel »Tradition und Kirche« gehabt hätte. Die kulturelle Relevanz der KS, die V ermeil angetönt hatte, arbeitete er hingegen kaum heraus, so wenig wie ihre theologiegeschichtliche und konfessionstheoretische Vernetzung im engeren Sinn oder das spezielle Potential des Dreyschen Katholizismusbegriffs als solchem. Von dieser Einseitigkeit ist auch die an G ei selmanns Vorgaben anknüpfende weitere Rezeption der KS gekennzeichnet. (Kurze Einleitung), 211* und 221*; S eckler , Auf dem Weg zu Johann Sebastian Drey (wie Anm. 91) 4. 147 Vollständige bibliographische Angaben zu dem von G eiselmann 1940 in Mainz herausgegebenen Sammelband Geist des Christentums und des Katholizismus oben in Anm. 2; der Text der KS findet sich darin auf den Seiten 193-234 (vgl. Ziff. I.2.a). 148 G eiselmann , Geist des Christentums XV (vgl. oben bei Anm. 2). 149 Ebd. XV-XVIII. <?page no="473"?> 441 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) Aus dem Vorfeld G eiselmanns sind in Sachen KS zwei Arbeiten hervorzuheben, die seine Forschung besonders stimulierten: Das bereits erwähnte Werk V ermeils sowie die Untersuchung von K arl E schweiler zu M öhlers Kirchenbegriff von 1930 150 . V ermeil (1878-1964), mit dessen Werk - bei aller Fragwürdigkeit seiner Modernismusthese - die historische Erforschung der Tübinger Schule im Grunde erst begann 151 , erblickte in der KS das wahre Programm der Schule (le ve´ritable programme de l’e´cole), das von ihr in der Zeit von 1819 bis 1840 in allen wesentlichen Punkten realisiert worden sei 152 . Sie enthalte - zusammen mit der Revisionsschrift von 1812 - die Hauptideen (les ide´es maı ˆtresses) der Reform, die zu einer weit ausgreifenden Erneuerung der katholischen Theologie und des Katholizismus geführt haben. D rey lege in ihr (in unausgesprochener Verbindung mit der Kurzen Einleitung von 1819, die von V ermeil hier zu einem eingehenden Vergleich herangezogen wird), eine ganzheitliche Sicht des Christentums vor, ineins mit einer romantischen Vision des Katholizismus als religiöse Gesellschaft, vollkommener Organismus und höchster Ausdruck des ewigen Christentums. Der Katholizismus repräsentiere in seiner organischen Komplexität das Urchristentum in seiner geschichtlichen Entwicklung zu lebendiger Gegenwart. D rey verbinde und versöhne Spekulation, Kritik und Frömmigkeit, die Subjektivität des religiösen Aktes und die Objektivität der Religion in der allgemeinen Kirche, zweifach geeint im Heiligen Geist und im Papsttum. Verglichen mit der Kurzen Einleitung behandle die KS den Katholizismus als Teilthema in der ganzheitlichen Sicht des Christentums durch D rey . V ermeil verortet die KS kulturphilosophisch in dem zeitgeschichtlichen Kontext, in dem ein neuer Katholizismus sich konstituiert und sich seine Theologie geschaffen habe. Aufs Ganze gesehen habe D rey so seiner Schule die theologischen und reformerischen Prinzipien vermittelt, aus denen ihr Verständnis des Katholizismus seine vitale Kraft schöpfte. Es ist nicht zu bezweifeln, daß die Hervorhebung und Deutung der KS durch V ermeil wesentlich dazu beigetragen hat, daß G eiselmann deren besondere Bedeutung frühzeitig erfaßte. Er kannte das Werk V ermeils spätestens seit 1927 153 und fand wiederholt anerkennende Worte 154 für dieses um 150 K arl E schweiler , Johann Adam Möhlers Kirchenbegriff. Das Hauptstück der katholischen Auseinandersetzung mit dem deutschen Idealismus. Braunsberg 1930. 151 Zu V ermeil und zu den von seiner Studie ausgehenden Impulsen siehe Einleitung zu Text Nr. 4, Ziff. II.5.c, sowie TüA 2 (Praelectiones dogmaticae) 53*-56*; TüA 3 (Kurze Einleitung) 211*-215*, und S eckler , Auf dem Weg zu Johann Sebastian Drey (wie Anm. 91) 14 f, 17-24. 152 Die Ausführungen V ermeils zu D rey und zur KS finden sich hauptsächlich auf den Seiten 32-36 sowie 308 ff; V ermeil thematisiert die auf D rey zurückgehenden Prinzipien des Katholizismus in seinen Analysen zur Katholischen Tübinger Schule jedoch immer wieder. Zu obigem Zitat siehe Seite 36. 153 Siehe G eiselmann , Die Katholische Tübinger Schule und ihre Glaubenswissenschaft (wie Anm. 129) 7 Anm. 15 (Abschrift K ager 325, Anhang I, 5); vgl. G eiselmann , Die Glaubenswissenschaft der Katholischen Tübinger Schule (wie Anm. 129) 50 und 80. Sein Wissen um das Werk V ermeils <?page no="474"?> 442 Zur Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Katholizismusschrift 1930 »vielerörterte« 155 und vielkritisierte Buch, dessen bleibende Leistung dürfte aber wesentlich weiter zurückgereicht haben. S ägmüller hatte es 1913 in der Theologischen Quartalschrift vorgestellt (J ohann B aptist S ägmüller in: ThQ 95 (1913) 482-484) (G eiselmann studierte 1910-1914 in Tübingen); L ösch hatte sich 1917/ 18 und B ihlmeyer 1919 eingehender mit ihm auseinandergesetzt (L ösch , Möhler und die Lehre von der Entwicklung des Dogmas (wie Anm. 15); K arl B ihlmeyer , J. A. Möhler als Kirchenhistoriker, seine Leistungen und Methode, in: ThQ 100 (1919) 134-198). In dem aus der Privatbibliothek K arl B ihlmeyers stammenden und nach dessen Tod in die Seminarbibliothek seiner Fakultät übergegangenen Exemplar finden sich zahlreiche, mit Bleistift und teilweise in Kurzschrift vorgenommene Eintragungen, die zeigen, daß B ihlmeyer das Werk V ermeils intensiv studiert hatte. Die Eintragungen enthalten zahlreiche Korrekturen aus der Sicht des mit der Materie sehr vertrauten Historikers. In dem Band finden sich auch Unterstreichungen, die von der Hand G eiselmanns stammen dürften. 154 Siehe G eiselmann , Möhler und die Entwicklung seines Kirchenbegriffs (wie Anm. 11) 5: V ermeil sei »durch die unglückliche Verbindung von Tübinger Schule und Modernismus um den besten Ertrag seiner so mühevollen und eindringenden Untersuchung gebracht« worden. In Die Katholische Tübinger Schule. Ihre theologische Eigenart. Freiburg i.Br. 1964, kam er erneut auf dieses »eindringende« Werk zu sprechen, dessen »Verdienst ... keineswegs geschmälert werden« solle (14; vgl. 13). Bereits L ösch und B ihlmeyer (wie Anm. 153) hatten die Modernismusthese V ermeils , die nicht nur das kirchliche Ansehen der alten Tübinger Schule bedrohte, sondern auf dem Höhepunkt der Modernismuskrise auch die Existenz ihrer Fakultät, zwar zurückgewiesen, im übrigen aber die Forschungsleistung V ermeils wissenschaftlich ernstgenommen und mit Respekt behandelt. Daß G eiselmanns Lob relativ verhalten ausfiel, hing sicher mit der in der französischen Theologie bis dahin unisono erfolgten Verurteilung der Modernismusthese V ermeils zusammen, aber vielleicht wollte er sich auch nicht ganz eingestehen, was er selbst für seine Forschungen der Untersuchung V ermeils zu verdanken hatte. Ungleich offener, konkreter und angesichts der anhaltenden Verschrienheit V ermeils auch couragierter würdigte dagegen der G eiselmann nahestehende C haillet das Buch V ermeils . Seine Beurteilung findet sich in den Einleitungen zu zwei theologisch hochrangigen und auf große Beachtung angelegten Publikationen, die im renouveau the ´ologique der 1930er Jahre eine Schlüsselstellung einnehmen sollten: in der von Rom behinderten französischen Neuübersetzung der Einheitsschrift M öhlers und in einem sie flankierenden Band mit Beiträgen zur Ekklesiologie, der als Hommage a` Moehler konzipiert war: »Le livre de M. Vermeil ... continuera a` eˆtre consulte´ avec fruit; en de´pit du contresens postiche du dernier chapitre ..., le me´rite de ce travail exhaustif, entrepris avec une vaillance exemplaire et un souci constant de justice et de sympathie tre`s compre´hensive, sera d’avoir ouvert une e`re nouvelle des e´tudes moehleriennes« (siehe J ean -A dam M œhler , L’unite ´ dans l’e ´glise ou le principe du catholicisme (wie Anm. 130) XIX, Anm. 2). »Um Möhler in sein Zeitmilieu zurückzuversetzen, wird man noch immer auf das Werk Edmond Vermeils zurückgreifen müssen: Jean-Adam Möhler et l’e ´cole catholique de Tubingue (1815-1840). E´ tude sur la theologie romantique en Wurtemberg et les origines germaniques du modernisme, 1913. Trotz des Versuches, Möhler als Vorläufer des Modernismus zu betrachten, den der vorliegende Band, wie wir hoffen, gründlich widerlegt, bekennen wir gerne, daß wir Vermeil die Entdeckung Möhlers verdanken; mit seinem erschöpfenden, vorbildlich mutigen Werk, dessen Wille zur Gerechtigkeit stets auf einer tiefen Sympathie für Möhler beruht, ist das Möhlerstudium in eine neue Phase getreten« (siehe Die Eine Kirche. Zum Gedenken J. A. Möhlers 1838-1938 dargereicht von K. Adam (u.a.), besorgt durch Hermann Tüchle. Paderborn 1939, 15. Es handelt sich um die deutsche Parallelausgabe von L’E´ glise est Une. Hommage a` J. A. Moehler. Publie ´ par Pierre Chaillet, avec la collaboration de MM. Sertillanges (u.a.), Paris 1939. Dort der Text inhaltsgleich im Avertissement auf S. 18). 155 So E schweiler 1930 (in: Johann Adam Möhlers Kirchenbegriff (wie Anm. 150) 167 mit Anm. 4). E schweiler bemerkt hier zu dem »übrigens vielerörterten« Buch V ermeils allerdings abschätzig, daß darin »ein mit großem Fleiß gesammeltes Material in ein Schema (Die Tübinger als Vorläufer des sogenannten Modernismus) gebracht worden ist, das grobschlächtig genug <?page no="475"?> 443 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) auch von Autoren wie O wen C hadwick und B ernard M. G. R eardon hervorgehoben wurde 156 . Der zweite Autor, der in der Frühzeit G eiselmanns , als dieser sich noch in der ersten Phase seiner Dreyforschungen befand, die KS beachtete und sie 1930 in einer G eiselmann besonders herausfordernden Weise in den Forschungsdiskurs einbrachte, war K arl E schweiler (1886-1936) 157 in der oben genannten Untersuchung zu M öhlers Kirchenbegriff 158 . E schweiler zog die war, um die ausgeprägtesten Charaktere in einen historischen Dunst verschwimmen zu lassen«; es handle sich um ein »äußerliche[s] Fleißzeugnis«. 156 Vgl. O wen C hadwick , From Bossuet to Newman. The Idea of Doctrinal Development. Cambridge 1957, 226, Anm. 1 (zu S. 105): »I must pay tribute to this discursive but excellent book. It has encountered criticism and conclusions need modyfying, but is still indispensable«; ähnlich R eardon , Religion in the Age of Romanticism (wie Anm. 10) 279 f, Anm. 34. - C hadwick und R eardon gehen ausführlich auch auf die KS D reys ein. 157 Zu diesem stets geistvollen und anregenden, aber auch umstrittenen Theologen, dessen Leben und Werk bisher nur in Ausschnitten bekannt war, gibt es neuerdings eine umfassende Biographie: T homas M arschler , Karl Eschweiler (1886-1936). Theologische Erkenntnislehre und nationalsozialistische Ideologie (Quellen und Studien zur neueren Theologiegeschichte, hg. von K arl H ausberger 9), Regensburg 2011. 158 E schweiler hatte sich schon 1921 in seiner Promotionsschrift markant mit der theologischen Erkenntnislehre D reys auseinandergesetzt. Da diese unveröffentlicht geblieben war, konnte G eiselmann sie nicht kennen, sie liegt erst seit kurzem im Druck vor: K arl E schweiler , Die katholische Theologie im Zeitalter des deutschen Idealismus. Die Bonner theologischen Qualifikationsschriften von 1921 22. Aus dem Nachlaß herausgegeben und mit einer Einleitung versehen von Thomas Marschler. Münster 2010. - M arschler hat diese Edition mit einer umfangreichen Einleitung versehen (IX-LXXI), in der er sich u.a. mit den Bemerkungen befaßt, die ich in meiner Skizze »Zur Entdeckungs- und Rezeptionsgeschichte der Praelectiones dogmaticae« im zweiten Band der Nachgelassenen Schriften D reys zu E schweiler angebracht habe (siehe TüA 2, 54*; M arschler XLVI f). M arschlers Kritik an meinen Ausführungen bedarf in den von ihm angeschnittenen Punkten im Interesse der Sache einer Stellungnahme. (1.) Zur produktiven Konkurrenz in Tübingen, auch wissenschaftstheoretisch betrachtet: Die Frage war, wie es dazu kam, daß die Katholische Tübinger Schule im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts »zu einem großen Thema« wurde, und insbesondere, wie G eiselmann zu diesem Thema gelangte. Dazu brachte ich folgende Bemerkung: »Wie bei S tefan L ösch , dem fakultätsinternen Konkurrenten G eiselmanns von Anfang an, so verbanden sich auch bei K arl E schweiler und G ottlieb S öhngen die Interessen an der Theologie der Tübinger Schule mit der Ambition auf den Lehrstuhl für Scholastische Philosophie und Apologetik, den G eiselmann als Privatdozent energisch und umsichtig anstrebte. E schweiler hatte sich 1925 um diesen Lehrstuhl beworben, S öhngen , der 1929 bei A dam den theologischen Doktorgrad erworben hatte, sollte sich 1933 mit besten Chancen um ihn bewerben. Es war nicht zuletzt diese Konkurrenzsituation, in der es freilich nicht nur um die Besetzung eines Lehrstuhls ging, sondern um Kompetenzerweise in Sachen der Katholischen Tübinger Schule, die G eiselmann zum Thema seines Lebens getrieben hat.« M arschler unterstellt anhand einer verkürzten und entstellenden Wiedergabe dieses Textes, daß S eckler hier »faktisch beziehungslose Tatsachen in eine Verbindung bringt, um Zweifel an den lauteren wissenschaftlichen Absichten Eschweilers zu säen» (! ) (XLVI; Hervorhebung nicht im Original). Eine solche Annahme ist - auch abgesehen von ihrer infamen moralischen Unterstellung - abwegig. Aus dem Originaltext geht hervor, daß meine Bemerkung auf alle darin genannten Autoren (also auf G eiselmann , L ösch , E schweiler und S öhngen ) bezogen war. In den Dekanatsakten der Tübinger Fakultät gibt es viele aufschlußreiche Belege für diese Konkurrenzsituation. In sachlicher Hinsicht ist zu bedenken, daß das Interesse, das ein Wissenschaftler an einem Thema entwickelt, immer auch einen Sitz im Leben hat. Und soll das Erstreben einer akademischen <?page no="476"?> 444 Zur Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Katholizismusschrift KS, der er den Charakter einer »bedeutenden Abhandlung« zuerkannte 159 , für seine Rekonstruktion des Entwicklungsganges des ekklesiologischen Denkens M öhlers im Vergleich zu D rey und in Abhebung von ihm heran. Die Fragestellung betraf das Verhältnis des Positiv-Kirchlichen und des Konstruktiv-Idealischen im Begriff der Kirche bei ihnen. M öhler habe schon früh erkannt, daß die Problemlösung bei D rey spekulativ ungenügend und ekklesiologisch unbefriedigend sei. E schweiler zufolge habe M öhler seine neue Sicht der Dinge erstmals 1823 in einer in der Theologischen Quartalschrift erschienenen Rezension 160 vorgelegt. Die Zuschreibung dieser Rezension an Karriere mit der Lauterkeit der wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung und dem Wahrheitsgewissen unvereinbar sein? - (2.) Zum Rationalismusbegriff: D rey bezeichnete in § 46 der Kurzen Einleitung seine erkenntnistheoretische Position als »theologischen (positiven) Rationalismus«. Er hat diese Selbstcharakterisierung dort vollkommen ungeschützt und terminologisch unbefangen vorgenommen. Das bedeutet, daß er zu diesem Zeitpunkt (1819) den Rationalismusbegriff im angegebenen positiven Sinn in einer katholischen Schrift zur Wissenschaftstheorie der Theologie an zentraler Stelle problemlos für verwendbar hielt. M arsch ler hat diese Gesichtspunkte nicht berücksichtigt und hat seine Kritik auch hier auf eine meine Aussage entstellende Zitierweise gestützt. - (3.) Zum Problem der Denkform: Die in der Dreyliteratur kursierende und auch von M arschler favorisierte These vom spekulativen Scheitern D reys beruht u.a. (vgl. dazu meine Ausführungen zu E schweiler im vorliegenden Beitrag in und bei Anm. 160-164 und 166) auf Prämissen der neuscholastischen Erkenntnislehre, die der Akzeptanz des Dreyschen Systemprogramms systemisch entgegenstehen. Aus diesem Grund plädierte ich für eine der neuscholastischen Befangenheitsstruktur vorausliegende Hermeneutik des Systemprogramms und der philosophisch-theologischen Denkform D reys (vgl. TüA 2, 69*; 71* f). Es war ein Plädoyer für eine von neuscholastischen Prämissen unverstellte Relektüre D reys , verbunden mit der Erwartung, daß eine dem Denken D reys historisch wie auch systematisch entsprechende Hermeneutik dem unseligen Verdikt vom Scheitern D reys ein Ende bereiten würde. So stellte sich ja auch, nun weiter ausgreifend, das neue Dreyverständnis und die Neubewertung der Anfangszeit der Katholischen Tübinger Schule, von denen oben die Rede war, erweislich erst im Zuge der Überwindung der neuscholastischen Prämissen ein. Die hämische Kritik, mit der M arschler diese Überlegungen bedenkt, wird dem Sinn und dem Wortlaut meiner Ausführungen nicht gerecht. - (4.) Zum Dogmatikprojekt und Systemprogramm D reys : Bei der Parole vom »Scheitern« D reys als Dogmatiker ist der Unterschied zwischen seinem literarischen Dogmatikprojekt und seinem epistemologischen Systemprogramm zu beachten. Das Vorhaben, seine Dogmatik zu publizieren, konnte er bekanntlich nicht realisieren (siehe TüA 2, 3*-13*). Es wäre zu prüfen, inwieweit dieses äußerliche Mißgeschick zur oben genannten Parole beigetragen hat. - (5.) Zu Eschweilers Dreykenntnis: Die von M arschler beanstandete Aussage, daß E schweiler D rey »im wesentlichen nur vom Hörensagen« gekannt habe, was ihn aber nicht daran gehindert habe, »dessen Dogmatikkonzeption mit einer plakativ hingeworfenen Kritik zu bedenken« (vgl. TüA 2, 66*; M arschler XLVI), war auf das Verfahren E schweilers im Umgang mit der Dogmatik D reys bezogen. Die handschriftlich in der Bibliothek des Wilhelmsstifts lagernden Dogmatikmanuskripte D reys kannte E schweiler jedoch nicht, sowenig wie D reys Tagebücher, die (in Auszügen) erst 1940 von G eiselmann publiziert wurden. Daß E schweiler sich indessen in seiner Promotionsschrift wenigstens mit der Kurzen Einleitung und der Apologetik D reys quellenmäßig befaßt hatte, ist erst seit 2010 bekannt (zu E schwei lers Kenntnis der KS siehe Anm. 166). 159 E schweiler , Johann Adam Möhlers Kirchenbegriff (wie Anm. 150) 49 (vgl. dagegen seine oben in Anm. 155 wiedergegebene abschätzige Beurteilung des Buches von V ermeil , die bei gleichzeitiger Festigkeit des Urteils von bestürzender Oberflächlichkeit getragen ist, was leider seinem Verfahren im Umgang mit D rey entspricht). 160 Rezension zu R ätze , Das Suchen nach Wahrheit (wie Anm. 75). <?page no="477"?> 445 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) M öhler ist jedoch falsch, ihr Autor war in Wahrheit D rey 161 . Hinzu kommt, daß E schweiler seine üble Beurteilung D reys zusätzlich auf die über 100 Seiten umfassende Abhandlung Ueber Religion und Kirche, Politik und Staat, Wissenschaft und Schule, und ihre gegenseitigen Verhältnisse stützte, die 1825 gleichfalls anonym erschienen war 162 . Ihr Verfasser war aber dieses Mal nicht D rey , wie E schweiler fälschlicherweise annahm, sondern der Rottenburger Domherr und Kirchenpolitiker I gnaz J aumann (1778 bis 1862) 163 . Das bedeutet, daß die These vom spekulativen und ekklesiologischen Fortschritt, den für E schweiler 1823 M öhler gegenüber D rey erbracht haben soll, sich in Luft auflöst. Sie beruht auf irrigen Verfasserschaftszuschreibungen und »steht und fällt« mit diesen 164 . Sie ist dank der Detektivkunst G eiselmanns somit dahingefallen und widerlegt 165 . 161 Nachweise bei G eiselmann , Möhler und die Entwicklung seines Kirchenbegriffs (wie Anm. 11) 27-30; sie wurden von L ösch , Die Anfänge (wie Anm. 1) 82 übernommen. Die irrige Zuschreibung an M öhler war schon vor E schweiler im Umlauf, sie scheint von A lois K nöpfler (1896) ausgegangen zu sein (vgl. G eiselmann 27 mit Anm. 1). Ihr Anteil an den Fehlbeurteilungen der Ekklesiologie D reys und am Zustandekommen der These vom spekulativen Scheitern D reys wäre noch genauer zu untersuchen. 162 In: ThQ 7 (1825) 199-225, 391-444, 585-611. 163 Nachweise bei G eiselmann , Möhler und die Entwicklung seines Kirchenbegriffs (wie Anm. 11) 25; L ösch , Die Anfänge 88, Anm. 3. - Zu J aumann siehe A ugust H agen , Die kirchliche Aufklärung in der Diözese Rottenburg. Bildnisse aus einem Zeitalter des Übergangs. Stuttgart 1953, 336-402. 164 G eiselmann , Möhler und die Entwicklung seines Kirchenbegriffs (wie Anm. 11) 27. 165 Es gibt für den hier angeführten Sachverhalt - die »Enteignung« D reys und die Zuschreibung eines Textes D reys an den überragenden M öhler - eine verblüffende Parallele. Sie betrifft in diesem Fall die Apologetik D reys bzw. M öhlers . M öhler (seit Mai 1823 Privatdozent und seit März 1826 a.o. Professor in der Fakultät D reys ) hat im Sommersemester 1826 in Vertretung des erkrankten D rey zum ersten und einzigen Mal eine Apologetikvorlesung gehalten. M öhlers Vorlesungsmanuskript ist im Autograph nicht erhalten, aber es gibt davon eine von S tephan L ösch angefertigte Abschrift, die 1989 erstmals veröffentlicht wurde (kritische Edition durch R einhold R ieger in: J ohann A dam M öhler , Nachgelassene Schriften. Nach den stenographischen Kopien von Stephan Lösch (1881-1966). Hg. von R udolf R einhardt . Bd. 1: Vorlesungen, Entwürfe, Fragmente. Übertragen, bearbeitet und eingeleitet von R einhold R ieger (Konfessionskundliche und Kontroverstheologische Studien 52). Paderborn 1989, 97-189). Es hat dort einen Umfang von 93 Druckseiten. Im Anschluß an L ösch , dem das Originalmanuskript M öhlers noch vorlag, wurde allgemein angenommen, daß M öhler der Autor des Textes dieser Vorlesung war. Aber das ist falsch, der wirkliche Autor war D rey (Nachweise bei A braham P eter K ustermann , Der Name des Autors ist Drey. Eine unvermeidliche Vorbemerkung zum Apologetik-Manuskript Johann Adam Möhlers, in: Cath(M) 43 (1989) 54-76; ders ., Die Apologetik Johann Sebastian Dreys (1777-1853). Kritische, historische und systematische Untersuchungen zu Forschungsgeschichte, Programmentwicklung, Status und Gehalt (Contubernium 36). Tübingen 1988, bes. 94, Anm. 35; ders ., Pseudepigraphie und literarische Anleihen in der Tübinger Theologie des 19. Jahrhunderts. Ein Plädoyer für den kritischen Umgang mit Texten, in: ZKG 101 (1990) 287-300, bes. 293 ff). D rey hatte dem ihn vertretenden M öhler sein eigenes Vorlesungsmanuskript in die Hand gegeben, im Manuskript M öhlers ist Möhlersches Eigengut »nur in minimalsten Spuren vorhanden« (K ustermann , Die Apologetik (wie oben) 94, Anm. 35). »Die ›Apologetik‹ Möhlers ist in Wahrheit die Apologetik Dreys« ( ders ., Pseudepigraphie (wie oben) 295). »Man stelle sich in diesem Fall wenigstens fiktiv eine anders verlaufene Editions- und Forschungssituation vor: Möhlers ›Apologetik‹ wäre schon vor Zeiten, als man mit seinem Namen gern alles um ihn herum in den Schatten zu stellen <?page no="478"?> 446 Zur Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Katholizismusschrift Die Schlüsse, die daraus zu ziehen sind, betreffen nicht nur das Verhältnis D rey - M öhler in den zur Debatte stehenden ekklesiologischen Fragen, sondern D rey selbst. Denn was E schweiler für 1823 dem Genie M öhlers an Neuem und Besseren zuschrieb, ist der reine D rey . Der auf eine vermeintliche Vorstufe seiner selbst zurückversetzte D rey , wie E schweiler ihn konstruierte, entsprach zwar einem verbreiteten Klischee, wurde aber dem realen D rey nicht gerecht. Damit wird nicht zuletzt auch der These vom spekulativen Scheitern D reys in der Frage der spekulativen Vermittlung des Positiv- Kirchlichen und des Konstruktiv-Idealischen im Kirchenbegriff das Fundament entzogen. Und nachdem feststeht, daß der Autor der Rätzerezension von 1823 D rey war, kommt ihr im Rückblick auf die KS eine erhebliche hermeneutische Bedeutung zu. Die beiden Texte stehen in einem komplementären Verhältnis zueinander und sind entsprechend komplementär zu interpretieren 166 . Diese durch die Richtigstellungen G eiselmanns erlangten Einsichten waren eigentlich nur ein Nebenertrag der Kontroverse. Das Hauptinteresse G eiselmanns galt dem Versuch E schweilers , den Kirchenbegriff M öhlers in wesentlichen Stücken von S chleiermacher und H egel herzuleiten. Demgegenüber wollte er die Verwurzelung der Ekklesiologie M öhlers im Mutterboden der katholischen Theologie aufweisen. Genau auf dieses Ziel ist auch der Dokumentationsband Geist des Christentums und des Katholizismus angelegt, den er nach langer Inkubationszeit 1940 herausbrachte. Daß dieser Band auf dieses Ziel angelegt ist, ergibt sich deutlich genug aus seinem Inhalt, Aufbau und Tenor, darüber hinaus hat C haillet eigens darauf hingewiesen 167 . gesonnen war, und lange vor der heutigen Kenntnis der Vorlesung Dreys ediert worden. Mit Sicherheit würde Möhlers Name in keiner Geschichte der Apologetik / Fundamentaltheologie unter deren glänzendsten Sternen und Bahnbrechern im 19. Jahrhundert fehlen. Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit gälte (nicht zuletzt auf Grund der unlogischen Prämisse ›post hoc ergo propter hoc‹) Dreys dreibändiges Hauptwerk [Die Apologetik als wissenschaftliche Nachweisung der Göttlichkeit des Christenthums in seiner Erscheinung. 3 Bde. Mainz 1838-1847] und insoweit seine apologetische / fundamentaltheologische Pionierleistung in der opinio communis theologica seitdem als von Möhler beeinflußt, wenn nicht gar abhängig (es begann erst ab 1838 zu erscheinen und es kehren in ihm natürlich viele Einzelheiten aus den zeitlich um das Möhler’sche Manuskript gruppierten Nach- und Mitschriften der Drey’schen Vorlesung wieder); mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit fände der Versuch einer Revision der herrschenden Meinung heute, gestützt auf den Nachweis der tatsächlichen Verhältnisse, nur eine schwache Resonanz... Die Theologiegeschichte wäre in diesem Punkt auf den Kopf gestellt, und es ist leider zu fürchten, sie fühlte sich ganz wohl dabei.« (Ebd. 295). E schwei ler läßt grüßen! 166 Ob E schweiler die KS überhaupt im Original gelesen hatte, ist fraglich. Er führte zwar den Titel dieser Schrift zweimal an, aber sein Informationsstand geht kaum über das hinaus, was er zu ihr bei V ermeil hatte lesen können. Bei einer persönlichen Lektüre der KS wäre seinem Scharfsinn der wahre Sachverhalt wohl kaum entgangen (vgl. dazu auch M arschler XLVI). 167 C haillet , dessen Aufenthalt in Tübingen in die Zeit fiel, in der G eiselmann diesen Band vorbereitete, teilte 1937 mit, er denke, G eiselmann sei bei der Zusammenstellung der Texte insgeheim (secre`tement) von der Absicht geleitet gewesen, seine Auffassung vom Entwicklungsgang der katholischen Ekklesiologie gegen E schweiler durch Dokumente zu belegen <?page no="479"?> 447 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) Im Vergleich zu dem, was G eiselmann in diesem Band ins Werk setzte, war der von E schweiler provozierte Artikel von 1931 nur eine erste Skizze. Später, d.h. nach 1940, stellte G eiselmann , wie bereits erwähnt, die Bedeutung D reys und der KS noch wesentlich deutlicher heraus. Die von G eiselmann für die Rezeptionsgeschichte der KS erbrachte Leistung läßt sich in drei Punkte zusammenfassen: (1.) Publikation, editorische Erschließung und Aktualisierung der KS als klassischer Grundlagentext der neueren katholischen Theologie und insbesondere der Katholischen Tübinger Schule; (2.) literarische Situierung und motivgeschichtliche Profilierung der KS in der auf den Geist und das Wesen des Christentums und des Katholizismus ausgerichteten Erneuerungsbewegung, die sich im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts formierte und in der Tübinger Schule ihren systematischen Höhepunkt erreichte; Einbettung der KS in das spirituelle Klima und in das ekklesiologische Kolorit dieser Bewegung; (3.) Engführung der Auslegung durch die Fokussierung des Interesses auf den Traditionsbegriff der KS, Ausblendung der darüber hinausgehenden Aspekte des Katholizismusbegriffs. * Damit war für die Rezeption der KS in der Folgezeit das Spiel gemacht. Die KS eroberte sich nun in der Fachliteratur unter den Schriften D reys eine herausragende Stellung; man orientierte sich in ihrer Beurteilung und in der Wiedergabe ihres Inhalts durchweg an G eiselmann , ohne über ihn hinauszuführen. Zu einer monographischen Behandlung der KS kam es nicht. Bei dieser Sachlage wäre es wenig sinnvoll, die Vielzahl der möglichen Belege (R uf , L aupheimer , C asper , R ief , H ünermann , Z ierlein , K linger , S tal der , S chupp , D ulles , C ornelissen , B antle , M enke , W agner , D ietrich , F ehr , O’M eara , S ykes , R eardon , L achner , H arskamp , T iefensee , K us termann , M c C ready , H inze , T hiel , R ohls und manche andere mehr 168 ) hier im einzelnen anzuführen. Besondere Beachtung verdienen indessen die beiden folgenden Autoren. An erster Stelle P ierre C haillet , der - zunächst als Sekundant G eisel manns , doch alsbald auch kraft eigener Kompetenz - für die Vermittlung des Tübinger Gedankenguts nach Frankreich in schwieriger Zeit eine eminent wichtige Rolle spielte 169 . Über ihn wird auch im Hinblick auf den Anhang im (vgl. C haillet , L’Esprit du Christianisme (wie Anm. 91) 484). In der Fachliteratur wurde diese Hintergrundbeleuchtung der Entstehensgründe des Dokumentationsbandes bisher nicht beachtet. 168 Die weiter ausholenden Ausführungen bei W alter K asper , »Vom Geist und Wesen des Katholizismus«. Bedeutung, Wirkungsgeschichte und Aktualität von Johann Sebastian Dreys und Johann Adam Möhlers Wesensbestimmung des Katholizismus, in: ThQ 183 (2003) 196-212, erstrecken sich auch auf die KS, doch wird die KS hier gänzlich im Lichte M öhlers gedeutet. 169 Zu der C haillet besonders von de L ubac und C ongar zugedachten Vermittlerrolle siehe <?page no="480"?> 448 Zur Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Katholizismusschrift vorliegenden Band eingehender berichtet. Angeleitet von seinem Mentor H enri de L ubac , aber besonders angestoßen durch das Buch V ermeils , dem er, wie er offen bekannte, die Entdeckung M öhlers verdankte, war er 1935 erstmals nach Tübingen gekommen 170 , um M öhler und »seine« Schule zu studieren. Tübingen, das Tübingen M öhlers und bald auch schon G eisel manns , galt zu dieser Zeit in der französischen Erneuerungsbewegung als ein Ort, zu dem man hinpilgerte, zumindest mental, besser noch persönlich. M öhler war und blieb auch für C haillet der Leuchtturm, in dessen Licht man Orientierung suchte. Es ist deshalb um so bemerkenswerter, daß und wie C haillet zu D rey hinfand, in dem er bald, worauf schon hingewiesen wurde, den »Initiator und Inspirator, den wahren Begründer der Katholischen Tübinger Schule« und den Lehrmeister M öhlers erkannte 171 , den aus dem Schatten M öhlers herauszuholen er sich im Anschluß an G eiselmann - und mehr noch als dieser 172 - nun zur persönlichen Aufgabe machte. Im Juni 1936 schrieb er an de L ubac : »Es gibt hier glücklicherweise einen sehr guten B e´darida , Pierre Chaillet (wie Anm. 130); H enri de L ubac , Me ´moire sur l’occasion de mes e ´crits. Namur 1989, 2 1992 (deutsch: Meine Schriften im Rückblick. Mit einem Vorwort von Erzbischof Christoph Schönborn. Einsiedeln, Freiburg 1996); ders ., Le Pe `re Pierre Chaillet. 1900-1972, in: Compagnie. Courrier de la Province de France. Juin 1972, 113-115; E tienne F ouilloux , Les chre ´tiens franc ¸ais entre crise et libe ´ration. 1937-1947. Paris 1997; D ominique B ertrand , Der Aufschwung der Patristik in Frankreich in der Mitte des 20. Jahrhunderts [1942-1958], in: H einz D uchhardt , G erhard M ay (Hg.), Geschichtswissenschaft um 1950 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte, Mainz; Beiheft 56). Mainz 2002, 113-126. - Die Rolle C haillets in der französischen Rezeption der Tübinger Schule ist in Deutschland kaum beachtet worden, sie wurde auch von C ongar und C henu , die neben de L ubac gewöhnlich als Hauptrezipienten genannt werden, nicht hinreichend gewürdigt. Vgl. dazu de L ubac , Meine Schriften (wie oben) 470, Anm. 7: »Nicht einmal die PP Congar und Chenu, die in ihren jüngsten Werken von einer Möhler-Renaissance sprechen, erwähnen dabei den Namen von P. Chaillet, der ihr Vorkämpfer gewesen ist.« - Die Vermittlungsabsicht C haillets ist in allen theologischen Schriften aus seiner Feder zu erkennen. Das von ihm besorgte französischdeutsche Gemeinschaftswerk L’E´ glise est Une Die Eine Kirche (wie Anm. 154) stellte dafür einen Höhepunkt dar. 170 Es scheint mehrere Aufenthalte C haillets in Tübingen gegeben zu haben. Der Biographie B e´daridas (wie Anm. 130) ist zu entnehmen, daß er 1935 zum ersten Mal in Tübingen weilte (47), im Herbst 1935 in Fourvie`re (33), im Frühjahr 1936 »in Deutschland« (34), im Sommer 1936 bis mindestens Mitte Juni in Tübingen (40 f), danach Rückkehr nach Frankreich (41). In einem Brief vom 16. Juni 1936 berichtet C haillet für den Sommer 1936 von seiner Teilnahme an Seminaren und Kursen in Tübingen und kündigt für das nächste Jahr (d.h. für 1937) eine engere Zusammenarbeit mit G eiselmann an (die Angaben dazu in TüA 3 (Kurze Einleitung) 82* f, Anm. 15, sind entsprechend zu präzisieren). Er selbst spricht pauschal von einem »se´jour de plusieurs mois a` l’Universite´ de Tubingue« (in: L’E´ glise est Une (wie Anm. 154) 13; in der deutschen Parallelausgabe auf S. 11 wiedergegeben mit »einem vielmonatlichen Aufenthalt in Tübingen«). Genaueres dazu wäre wohl im Archiv der Jesuiten in Vanves zu finden. 171 C haillet , L’Esprit du Christianisme (wie Anm. 91) 485. 172 C haillet würdigt zunächst G eiselmanns »ze`le pour rendre a` Drey sa place le´gitime« im Vorfeld M öhlers ; er sei ihm, so C haillet , für die »intimite´ intellectuelle avec Jean Se´bastien Drey«, zu der er unterdessen gelangt sei, eine Hilfe gewesen, aber G eiselmann habe D rey zugunsten M öhlers allzu fürsorglich (trop tute´laire) noch in dessen Schatten gelassen (ebd. 484 f). <?page no="481"?> 449 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) Spezialisten der Tübinger Schule, und ich habe die Absicht, nächstes Jahr in Zusammenarbeit mit Professor Geiselmann eine Vorarbeit über Drey, den wahren Begründer der Schule, dem Möhler seine fruchtbarsten Ideen schuldet, zu verfertigen.« 173 . C haillet geriet derart in den Bann D reys , daß aus der Vorarbeit zu M öhler zwei Bücher über D rey werden sollten, eine Monographie und ein Band mit Übersetzungen von Dreytexten, darunter die KS. Das Manuskript dieser Übersetzung ist in maschinenschriftlicher Form im Nachlaß C haillets erhalten geblieben 174 . Der Aufenthalt C haillets in Tübingen fiel in die Zeit, in der G eiselmann den Dokumentationsband Geist des Christentums und des Katholizismus in Arbeit hatte. An diesem Band fällt die disproportionale Berücksichtigung D reys auf. Er enthält nicht weniger als sechs Dreytexte im Umfang von insgesamt über 300 Seiten, während S ailer , G eiger , G ügler , M öhler und B erlage zusammen nur mit neun Texten und insgesamt 157 Seiten vertreten sind. Ob bei dieser Gewichtung D reys durch G eiselmann die Dreybegeisterung C hail lets eine Rolle spielte, ist nicht bekannt, aber daß der Band erst 1940 herauskam, obwohl es von ihm schon 1937 Druckfahnen gab, kann mit den Anregungen und Plänen C haillets zusammenhängen. C haillet selbst veröffentlichte 1937 einen Aufsatz, dessen Titel wörtlich mit dem Titel des 1940 herausgekommenen Dokumentationsbandes G eisel manns übereinstimmt 175 , doch dürfte diese Übereinstimmung daraus zu erklären sein, daß er für diesen Aufsatz bereits Einblick in die ersten Druckfahnen des Buches von G eiselmann hatte nehmen können, weshalb er den Aufsatz geradezu als eine Art Vorabrezension gestaltete 176 . Die Bescheidenheit, die der jüngere und bis dahin literarisch unausgewiesene C haillet sich damit auferlegte, war angesichts der historischen und interpretativen Eigenleistungen, die er in dem Artikel etwa zu S ailer , zu den Luzernern und nicht zuletzt auch zu D rey erbrachte, etwas übertrieben. C haillet gab sich hier als respektvoller Dolmetscher G eiselmanns , aber in seiner Würdigung D reys , in der er der KS übrigens eine herausragende Stellung einräumte, zeichnete sich 173 »Il y a heureusement ici un tre`s bon spe´cialiste de l’E´ cole de Tubingue, et je compte, l’an prochain, en collaboration avec le professeur Geiselmann, faire un travail pre´liminaire sur Drey, qui est le vrai fondateur de l’E´ cole et a` qui Moehler doit ses plus fe´condes ide´es« (Brief an H enri de L ubac vom 16. Juni 1936, siehe B e´darida , Pierre Chaillet (wie Anm. 130) 51). 174 Genaueres dazu im Anhang des vorliegenden Bandes. Vgl. dazu auch die Mitteilungen bei B e´darida , Pierre Chaillet (wie Anm. 130) 56 f; 227 f. 175 C haillet , L’Esprit du Christianisme (wie Anm. 91). 176 C haillet teilt 1937 mit: »Le livre paraı ˆtra bientoˆt chez Matthias Grünewald, a` Mayence; graˆce a` l’obligeance de M. Geiselmann, nous en posse´dions de ´ja` depuis quelques mois les premie`res e´preuves« (ebd. 483, Anm. 1; Hervorhebungen nicht im Original). - Für die Beachtung, die der von C haillet in der Revue des sciences philosophiques et the ´ologiques veröffentlichte Artikel (siehe Anm. 175 bzw. 91) auch und gerade im Hinblick auf D rey in Frankreich fand, ist A ndre´ M inon , L’attitude de Jean-Adam Moehler (1796-1838) dans la question du de ´veloppement du dogme (in: EthL 16 (1939) 328-382, hier 366-368 und 372-375) aufschlußreich. <?page no="482"?> 450 Zur Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Katholizismusschrift bereits jene über G eiselmann hinausgehende Auffassung von der Bedeutung D reys ab, die er in und mit den beiden in Angriff genommenen Büchern, auf die oben hingewiesen wurde, zum Tragen bringen wollte. Leider haben die Wirren der Zeit, von denen C haillet besonders betroffen war, das Erscheinen dieser Bücher vereitelt; sie wären nach Art und Umfang in der Rezeptionsgeschichte D reys und der KS ein Höhepunkt geworden. Den zweiten hervorhebenswerten Beitrag zur Rezeptionsgeschichte der KS im Gefolge G eiselmanns erbrachte L eo S cheffczyk 177 1965 in dem Dokumentationsband Theologie in Aufbruch und Widerstreit 178 , der in seiner konzeptionellen Eigenart und auch in seiner literarischen Aufmachung an den Dokumentationsband G eiselmanns von 1940 erinnert. Auch er beinhaltet eine Auswahl von Paradetexten, nur erstreckt sich hier die Auswahl auf die gesamte deutsche katholische Theologie des 19. Jahrhunderts. Hinzu kommt, daß auch diese Anthologie mit einem erhöhten literarischen Anspruch versehen war, indem sie als Jubiläumsband in der renommierten Sammlung Dieterich herauskam. In diesem Band brachte S cheffczyk große Stücke der KS in Anlehnung an die von G eiselmann edierte Textfassung erneut zum Abdruck (4-16) 179 . Angefügt ist ein Auszug aus der Apologetik, in dem D rey das in der KS entwickelte Offenbarungs- und Traditionsverständnis aufgegriffen hatte (16-29). S cheffczyk zählt die von ihm ausgewählten Texte zu den »Klassikern der Theologie«; das Merkmal »des Klassischen« erkennt er Texten zu, die »das Moment der eigenschöpferischen, ursprünglichen Gestaltung einer geistigen Wirklichkeit« aufweisen und denen »die Kraft zum befreienden Durchbruch in neue Geistesräume« eigne (XI). Und wie D rey mit seinem »bahnbrechenden Neuerungswerk« bei G eiselmann am Beginn der diesbezüglichen theologischen Bewegungen im 19. Jahrhundert stand, so setzte S cheffczyk die beiden Dreytexte an den Anfang seiner Anthologie. Der Rang und die Rolle, die F itzer der Revisionsschrift einräumte (vgl. Einleitung zu Text Nr. 1, Ziff. I.4 und Ziff. II.8, bei und in Anm. 191-193), wird von S cheffczyk somit in gehobener Weise der KS zuerkannt. 177 L eo S cheffczyk , * 21.2.1920 in Beuthen (Oberschlesien), † 8.12.2005 in München, 1938-1941 Theologiestudium in Breslau, 1946-1947 in Freising, 29.6.1947 Priesterweihe, 1952-1959 Dozent an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Königstein (Taunus), 1959-1965 als Nachfolger G eiselmanns Ordinarius für Dogmatik in Tübingen, 1965-1985 in München; 21.2.2001 Erhebung zum Kardinal. - Lit.: BBKL 30 (2009) 1215-1290 (P eter H. G örg ); siehe auch B enedikt XVI., Erinnerungen an Leo Scheffczyk (Interview) sowie J ohannes N ebel , Leo Kardinal Scheffczyk - ein biographisch-theologisches Portrait, in: L eo S cheffczyk , Katholische Glaubenswelt. Wahrheit und Gestalt. Mit einem Interview mit Papst Benedikt XVI. Paderborn 3 2008, IX-XII, XIII-XXX. 178 L eo S cheffczyk (Hg.), Theologie in Aufbruch und Widerstreit. Die deutsche katholische Theologie im 19. Jahrhundert. Herausgegeben und eingeleitet von Leo Scheffczyk (Sammlung Dieterich 300). Bremen 1965. S cheffczyk brachte diesen Band während seiner Tübinger Zeit und gleichsam unter den Augen G eiselmanns heraus. 179 Genaueres dazu oben in Ziff. I.2.b. <?page no="483"?> 451 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) Mit dieser markanten Plazierung der KS in der Theologiegeschichte des 19. Jahrhunderts hat S cheffczyk - ineins mit der literarischen Klassierung der KS und dem Neudruck des Textes - das Ansehen dieser Schrift in der Dreyforschung und im Bild der Katholischen Tübinger Schule nachhaltig befestigt und glänzend begründet. Ihren Inhalt gab S cheffczyk so wieder: D rey formulierte in ihr »das tiefste Anliegen der neuen theologischen Richtung, die das gegenwärtige Christentum als beständige Fortdauer des Ursprünglichen versteht und die Theologie als den Weg zum lebendigen Glauben an die Gegenwart des urchristlichen Faktums Jesus Christus in der Kirche konzipiert. Für diese Theologie sind deshalb die Bezüge zum Urchristentum und seinen Prinzipien, Glaube und Liebe, konstitutiv« (2) 180 . S cheffczyk selbst greift diese Sicht der Dinge bejahend auf. Er stimmt mit der KS auch in der Akzentuierung des Lebensmotivs überein, bezieht aber - anders als D rey - die katholische Dogmen- und Glaubenswelt konstruktiv in sein Ideogramm des Katholizismus ein und interpretiert die Lebensvollzüge des Katholizismus als gelebte Glaubenslehre. Insofern unterscheidet er sich im methodischen Ansatz von D rey (vgl. dazu oben in Ziff. II.3). Wie G eiselmann , so hat auch S cheffczyk die KS einseitig im Horizont der Überlieferungsfrage gedeutet und sie eigentlich nicht als Schrift zum Geist und Wesen des Katholizismus aufgefaßt, sondern als Beitrag zur Theorie des Christentums, wie es der Katholizismus (oder vielmehr »das Katholische«) in Geschichte und Gegenwart repräsentiere. Die Grenzen dieser Auffassung wurden bei ihm persönlich in seiner späteren Behandlung der Katholizismusthematik sichtbar. In seinem Hauptwerk zu dieser Thematik 181 , das er selbst bezeichnenderweise als »Besinnung auf das innere Wesen des ›Katholischen‹« charakterisierte (2 f), ist die Dreysche Strukturologie des Katholizismus wie weggeblasen. Die KS wird zwar in der historischen Problemexposition erwähnt (8), spielt aber in den ganzen Ausführungen S cheffczyks keine signifikante Rolle mehr. Was S cheffczyk herausarbeiten will, ist das vom Zeitgeist bedrohte und gegen ihn zu behauptende Wesen »des Katholi- 180 Und weiter: Als D rey »am 19. Februar 1853 in Tübingen starb, hatte er nicht nur einer neuen, auf dem lebendigen Verständnis der Offenbarung und ihrer Geschichte begründeten Theologie zum Durchbruch verholfen, sondern in J. A. Möhler, Fr. A. Staudenmaier, J. Ev. Kuhn, A. Berlage, F. X. Dieringer eine Schülergeneration herangebildet, die seine Gedanken ausweiten und vertiefen sollte« (3). - S cheffczyk ist indessen nie darüber hinausgekommen, in gelegentlichen Äußerungen im Sinne der neuscholastischen Bewertungsmaßstäbe die angeblichen dogmatischen Mängel im Frühwerk D reys hervorzukehren. 181 L eo S cheffczyk , Katholische Glaubenswelt. Wahrheit und Gestalt. Aschaffenburg 1977; 2 1978; 3 2008 (vgl. Anm. 177). S cheffczyk hat sich mehrfach mit der Frage nach dem Wesen »des Katholischen« befaßt, vgl. S cheffczyk , Das wesentlich und bleibend Katholische, in: F ranz B reid (Hg.), Die Kirchenkrise. Steyr 1996, 68-91; ders ., Strukturen katholischen Glaubensdenkens, in: W alter B randmüller (Hg.), Das eigentlich Katholische. Profil und Identität. Grenzen des Pluralismus. Aachen 1997, 9-34; ders ., Ökumene. Der steile Weg der Wahrheit (Quaestiones non disputatae 7). Siegburg 2004. <?page no="484"?> 452 Zur Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Katholizismusschrift schen«. Was S cheffczyk unter dieser diffusen Bezeichnung subsumiert und kämpferisch zur Geltung bringen will, ist methodologisch anders angelegt, begrifflich anders orientiert und auch mental anders verfaßt als die KS. Das Katholische im Sinne S cheffczyks ist materiell weiter ausgreifend und zugleich enger eingeschnürt als der Katholizismusbegriff in der KS. Auch springt der freiere Blick D reys , seine souveräne Gelassenheit in der Problembehandlung bei aller Glut seines Votums für den Geist und das Wesen des Katholizismus, in die Augen. Anderseits spricht allein schon der Umstand, daß und wie S cheffczyk auf die Dringlichkeit der Frage nach dem Wesen des Katholischen verwiesen hat, für die Aktualität der Dreyschen Fragestellung. Das gerade im Katholizismusbegriff der KS schlummernde Potential ist aber noch nicht wirklich erkannt und erhoben, solange das Interesse an ihr sich allein auf die Traditionsproblematik richtet. Abschließend ist zu bemerken, daß die bei S cheffczyk festgestellte Diskrepanz zwischen den warmen und kundig erscheinenden Worten, die er in seiner Anthologie von 1965 für die KS gefunden hat, und der gänzlich unzulänglichen Wirkung, die die KS in seinen späteren Schriften über Das Katholische hinterließ, für die ganze Rezeptionsgeschichte der KS kennzeichnend ist. Die von D rey in der KS dargestellten Sachverhalte haben sich tatsächlich in der Folgezeit in der Katholizismusdebatte - d.h. in den empirischen und dogmatischen Darstellungen und Erörterungen zum Begriff und zur Erscheinung des Katholizismus - kaum ausgewirkt. Der Ansatz D reys , mit dem er den Katholizismusbegriff auf eine neue Ebene gehoben hatte, blieb so gut wie unbeachtet, man bewegte sich wie eh und je im Dickicht der konfessionellen Besonderheiten. Das bedeutet, daß in der Behandlung der Frage nach dem Begriff und Wesen des Katholizismus (oder bezeichnenderweise des »Katholischen«) gerade jene Merkmale des konfessionellen Katholizismus das Feld beherrschten, die D rey strukturologisch als sekundär angesehen hatte. Damit sollen die anderweitigen Qualitäten der großen Werke, die dafür anzuführen wären, nicht in Zweifel gezogen werden, auch wenn sie die reine Luft und den freien Blick D reys nicht immer erreichten. Eine Relektüre der KS könnte die Fragestellung auf jene vier Kernpunkte hinlenken, an denen D rey den Geist und das Wesen des Katholizismus so souverän festmachte. <?page no="485"?> Teil B: Johann Sebastian Drey, Vom Geist und Wesen des Katholicismus. Der Geist und das Wesen eines Systems religiöser Ideen läßt sich auf [8] zweyfache Weise erkennen; einmal aus dem Inhalt seiner Lehren selbst, insoferne diese vollständig angegeben, genau bestimmt, und gehörig verbunden 5 werden; sodann aus seinen Beziehungen − entweder auf das Wesen aller Religionen überhaupt, oder wenn es eine positive Religion ist, auf die ursprüngliche historische Grundlage dieser, den Geist und Charakter der sich darinn offenbart. So wird auch der Geist und das Wesen des Katholicismus erkennbar aus einer genauen Darstellung seiner Dogmen, wovon jedoch hier 10 in einer solchen Zeitschrift die Rede nicht seyn kann, oder aus seinen Beziehungen auf das Wesen der Religion überhaupt, und im besondern auf die positive Grundlage des Christenthums, wovon er neben vielen andern eine besondere Gestaltung und Erscheinung ist; und in diesen seinen Beziehungen ihn darzustellen, wollen wir hier versuchen. Zu diesem Zwecke soll eine Reihe 15 von Aufsätzen die-nen, deren jeder eine der wichtigsten Beziehungen des 9 Katholicismus auf Religion und Christenthum zu seinem Thema machen wird. Wir wählen zuerst die − 1. Beziehung des Katholicismus auf das Urchristenthum. 20 Das Christenthum als eine positive göttliche Religion ist eine zeitliche Erscheinung, eine Thatsache. Als solche hat es eine Zeit, da es entstand, eine Zeit, da, und eine Gestalt, in der es als göttliche Offenbarung gegeben ward. Aber keine Thatsache überhaupt ist momentan, d. h. keine erlischt und verschwindet in dem Augenblicke wieder in dem sie entstand; sie greift vielmehr 25 ein in die Reihe und das Zusammenwirken aller übrigen, breitet sich aus und hemmt oder beschleunigt, oder ändert ab ihre gemeinsame Wirkung in engern oder weitern Kreisen; dadurch erlangt sie ihre eigene Geschichte. Noch weniger momentan ist eine Thatsache, die eine göttliche Offenbarung enthält: denn als ein Stück des großen Erziehungsplanes, welchen Gott im Ganzen der 30 Offenbarung an unserm Geschlechte ausführt, muß sie fortwirken bildend und erziehend unter Völkern und in Zeiten nach Maßgabe der Bildungsmittel, die sie in sich trägt: so gelangt auch sie, nothwendig zu einer Geschichte, in welcher sich der Moment ihrer Entstehung von ihrem fernern Verlaufe unterscheiden läßt. Auch ist unvermeidlich, daß eine solche positive Religion 35 <?page no="486"?> 454 Johann Sebastian Drey bey ihrem fortgesetzt, allseitigen Eingreifen in die Angelegenheiten der 10 Menschen, und bey stets gleicher Erhaltung ihres Wesens ihre Gestalt auf keine Weise ändern sollte; in ihrer Bestimmung, vielfache Bildung hervorzubringen, ligt auch für sie selbst die Möglichkeit einer vielfachen Gestaltung. Die mannigfaltigen Gestaltungen des positiven Christenthums in seinem Ver- 5 laufe sind anschaulich in den mannigfaltigen Confessionen derselben Religion. Da sie alle die gemeine Urthatsache voraussetzen, sich alle darauf beziehen und berufen, − welche darum auch das U r c h r i s t e n t h u m heißt, so kann ihre wesentliche Verschiedenheit, so wie der einer jeden eigenthümliche Charakter nur in der Art liegen, wie sich eine jede auf jenes Urchristenthum 10 bezieht; der eigenthümlichste Charakter des Katholicismus, seine wahrhaft wesentliche Verschiedenheit von andern christlichen Religionsbekenntnissen ist also weniger in einem Plus oder Minus von einzelnen Dogmen, als in dem Grunddogma seiner Beziehung auf das Urchristenthum zu suchen. Und dieses ist bekannt genug, kann es wenigstens seyn, denn er hat es zu 15 allen Zeiten allen akatholischen Confessionen, die sich neben ihm erhoben, bey ihrer Verschiedenheit von einander, auf gleiche Weise entgegengesetzt. Es heißt − genau und nach der jetzt üblichen Art sich auszudrücken: die wahrhaft objective, ununterbrochene, reine und consequente F o r t s e t z u n g des Urchristenthums. Die Nothwendigkeit einer solchen hat der Katholicismus 20 immer behauptet, darinn seine eigene und die Nothwendigkeit eines Kirchenthums wie nur das seinige ist, immer erkannt. Eine solche Fortsetzung 11 des Urchristenthums als einer Thatsache ist nicht eins mit der Fortdauer des Christenthums überhaupt, der Fortbestand jener Thatsache nicht eins mit der Erinnerung, selbst nicht mit dem Glauben an sie. Das Christenthum über- 25 haupt − der Christianismus − wird fortdauern, solange christliche Ideen gekannt seyn und gelten werden; und das werden sie, wenn auch der Glaube an ihre göttliche Auctorität, der Glaube an ihre Positivität einstens vieler Orten fallen sollte, wie zum Theile schon geschehen ist. Denn unverkennbar ist es die Bestimmung des Christenthums sowohl nach seiner Natur als nach 30 seiner Geschichte, in die ganze religiöse Bildung der neuern Zeit einzugreifen, und diese mehr oder weniger mit seinem Geiste zu durchdringen. Darum ist selbst in diesem weitern Sinne der Koran noch christlich, und der sogenannte Rationalismus, wenn es ihm gelingen könnte, sich die äußere Gestaltung einer Religionsgenossenschaft zu geben, würde es wider Willen noch mehr seyn 35 müssen. Aber Christenthum als Fortbestand der Urthatsache, Christenthum als die selbst gleiche, ununterbrochene, von ihrem Anfang an durch alle Jahrhunderte herablaufende Erscheinung ist weder der Koran, noch der Rationalismus; Christenthum in diesem Sinne ist nicht die, wenn auch vollständige historische Kenntniß von demselben, selbst nicht der in Einzelnen − 40 aber ausser dem stetigen Verlaufe des Urchristenthums sich ansetzende dogmatische Glauben an dessen Lehren. So besteht, um mich eines verwandten <?page no="487"?> 455 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) Beispiels zu bedienen, der Platonismus noch jetzt − urkundlich in Platon’s Schriften, historisch in der Geschichte der Phi-losophie, dogmatisch in den 12 Platonikern, deren es auch jetzt noch giebt; aber die Akademia − die erste mit den andern − ist längst dahin. − Mit Rücksicht nun auf diesen wichtigen Unterschied einer bloßen Ueber- 5 lieferung, die auf verschiedene Weise und in verschiedener Gestalt geschehen kann, und des reinen ununterbrochenen Fortbestands einer Thatsache ist der Katholicismus dasjenige christliche System, welches die Nothwendigkeit des letztern behauptet, diesen selbst in sich von seinem Anfange an rein und ununterbrochen zu erhalten gestrebt hat, die Wege und Mittel als die Belege 10 dieser Erhaltung anzugeben weiß, und daher in der festesten Ueberzeugung lebt, daß in ihm das Urchristenthum als etwas factisches fortbestehe. Wenn ein Religions System auf ganz positive Weise entsteht, d. h. wenn es unter göttlicher Auctorität, von einem eigens dazu bevollmächtigten, geweiheten, und gesandten Mann bekannt gemacht wird; wenn dieser, jenem hö- 15 hern positiven Auftrage gemäß, seine Lehre nicht ihrem fernern Schicksale, weder dem blinden Ohngefähr irdischer Zufälle; noch der zwar nicht blinden aber eigensinnigen und wandelbaren Willkühr der Menschen überläßt, sondern sie in bestimmte und sichere Hände von Männern niederlegt, die er zu diesem Behufe ebenso ausgeschieden, bevollmächtigt und geweihet hat, als er 20 es selbst von Oben war; wenn er diese Männer in Gemäßheit derselben, höhern Aufträge mit seiner Lehre und seinen Instituten aussendet und ihrem Berufe und ihrem Wirkungskreiße keine engern Gränzen setzt als die Grän- 13 zen der Erde; wenn er ihnen nicht blos den Anfang ihrer Thätigkeit, sondern auch ihr Ende bey seiner zweyten Wiederkunft bezeichnet, an diese Wieder- 25 kunft, die deswegen auch ein Gericht heißt, Belohnungen und Strafen nach eines jeden Verdienst, für sie und für alle andern knüpft; wenn diese Gesandten und Bevollmächtigten an andern ganz bestimmten Männern wieder thun, wie der erste Herr und Meister an ihnen gethan; − so trägt doch wohl ein solches durchein positives Institut den Charakter seiner Abgeschlossenheit 30 nach Inhalt, Organisation, Raum − und Zeitgränze so unverkennbar zu Tage, daß keine unbefangene Reflexion ihn übersehen kann, und sie an den Begriff eines solchen Instituts den einer bestimmten durch die bezeichneten sinnlichen Gränzen hinlaufenden, in sich harmonischen, scharf charakterisirten Erscheinung anknüpfen muß. Den Begriff einer solchen hat der Katholicis- 35 mus immer festgehalten, dafür hat er sich selbst immer angesehen. Zwar war es nicht gerade dieses Argument oder in diesen Formeln ausgedrückt, auch nicht andere reflexe Beweiße, die sich aus der Natur einer göttlichen Offenbarung, aus der unvermeidlichen Zerstückelung und Auflösung eines religiösen Instituts, welches nicht durch einen solchen streng 40 historischen Charakter zusammengehalten wird; aus der Unmöglichkeit, den reinen Charakter des Christenthums aus tausend Secten zusammenzusetzen, <?page no="488"?> 456 Johann Sebastian Drey führen lassen; es war überhaupt nicht die Reflexion und das Räsonniren, was den Katholicismus zu jener Ueberzeugung erst brachte, er fand sich von jeher darinn durch lebendige Anschauung. So wie das Gefühl des Seyns und 14 Lebens das erste ursprüngliche ist, und nicht erst durch das Cartesianische: cogito, ergo sum erzeugt wird, und so wie dasselbe sich in jeder Aeußerung von 5 Lebenskraft mit dem Bewußtseyn der substantiellen Identität erneuert; so gieng die Selbsterkenntniß, das Selbstbewußtseyn des Urchristenthums im Katholicismus durch alle Jahrhunderte herab an dem unveränderlichen Substrat einer ununterbrochenen sich immer gleichen objektiven Grundlage; und zur Reflexion über diese seine stetige Identität brachten ihn nur die hetero- 10 genen Bildungen, die seinen Boden, jene Grundlage verlassend einen neuen suchten, um darauf ein neues Christenthum zu erbauen, oder wie sie gleichwohl sagten, das bisherige in verbesserter Gestalt herzustellen. Diese Versuche nöthigten den Katholicismus, über seine Identität mit dem Urchristenthum, und über die, jene Identität vermittelnden substantiellen und objekti- 15 ven Grundlagen zu reflektiren, gleichsam auf seinen bisherigen Lebenslauf zurückzusehen. Und indem er darauf zurück sahe, konnte er zu jenen auf der Seite also sprechen: a »Von Christus bis auf uns ist dieses Bekenntniß nachweisbar vererbt, ist wie der Strom in übersehlicher Ebene zwischen sichern Ufern herabgeglitten. Christus hat ein solches unter bestimmten Befehlen 20 seinen Aposteln übergeben, diese übertrugen dasselbe unter denselben Befehlen wieder an andere, die sie zu diesem Zwecke zu Aufsehern, Aeltesten und Helfern ordneten; und wenn auch zwischenein ein Nichtgeordneter aus reinem Triebe das Wort, das er doch nur von Christus, oder einem Apostel, oder einem Geordneten haben konnte, weiter verkündete, so dachten wohl 25 15 die Apostel selbst an das, was Christus bey einer ähnlichen Gelegenheit zu ihrer Beruhigung gesprochen: w e h r e t i h m n i c h t , d e n n w e r n i c h t w i d e r e u c h i s t , d e r i s t f ü r e u c h . (Luc. IX. 49.) Wagte es aber einer wider die Apostel oder Geordneten zu seyn, oder ein anderes Wort als sie zu verkünden, der wurde bald bemerkt und verrufen. So weit können wir euch 30 die Vererbung unseres Bekenntnißes aus den heil. Schriften nachweisen. Wo diese aufhören, da fangen unsere Kirchen an; sieben Bekannte hat Johannes in Asien, weit mehrere Paulus von Asien bis nach Rom theils gegründet, theils eingerichtet, theils geleitet. Die letztere haben die zween namhaftesten Apostel zum Strebepfeiler für die andern gemacht. Was die Boten des Herrn 35 an Lehre und Einrichtung in diesen Gemeinden niedergelegt hatten, das wurde von bewährten Männern, die sie geordnet, und nach deren Abgang von andern, die das Zeugniß der Aeltesten und der Gemeinde hatten, getreu bewahrt, sorgfältig gepflegt; ihre Namen sind in allen Kirchen aufbehalten, ihre ununterbrochene Reihenfolge ist nachweislich, ihr Ruhm lebt in ihrem 40 Werke, und in unsterblichem Andenken. An diese Kirchen weisen wir euch, fragt bey ihnen nach, was ihr Glaube, welche ihre Einrichtung, Zucht und <?page no="489"?> 457 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) Ordnung sey? Was ihr bey allen gleich, worüber ihr sie in Uebereinstimmung findet, das kann nur aus der gemeinsamen und gleichen Quelle gekommen seyn; daran also haltet euch als an das lautere erste und wahre Christenthum; was aber diese Kirche so und jene anders hält, das ist von Menschen, ist 16 zufällige Meynung, örtlicher Gebrauch; damit möget ihrs halten, wie ihr 5 wollet, wir thun selbst nicht anders. − Dieß Zeugniß der ältesten apostolischen Kirchen, unsere lebendige Ueberlieferung, muß euch um so unverdächtiger seyn, als sie sich anfangs − jede einzeln, jede für sich und von den übrigen unabhängig − bildeten, daher keine absichtliche Verabredung statt fand. Längere Zeit blieben sie so, und als später verschiedene Ursachen, 10 besonders aber ihr Neuerer mit eurem unerhörten Christenthum eine gemeinsame Berathung, ein näheres Zusammentretten veranlaßten, siehe! da fand sich unter ihnen wundersame Uebereinstimmung; alle die in der Welt zerstreuten, apostolischen und von diesen abstammenden Kirchen erkannten sich hierinn als die eine katholische Kirche. Von diesem Zeitpunkt an, wo 15 alle Kirchen in Eine zusammengeflossen, war dieser Einen auf der Grundlage ihrer apostolischen Mutterkirchen und in der vollkommenen Uebereinstimmung aller die Gewißheit gesichert, daß unser Bekenntniß, unsere Einrichtungen und Vorschriften unverfälscht, und mit immer lebendigem Sinne von Christus auf uns herabgekommen seyn. − Nun weiset auch uns den 20 Apostel, oder apostolischen Mann, weiset uns die apostolische Kirche, oder eine spätere, weiset eine Reihenfolge der ersten und ältesten Aufseher, von denen ihr euer Bekenntniß ererbet, auf deren Zeugnisse ihr es angenommen, auf deren Ansehen ihr euch stützen könnet! Eure ersten und ältesten Häupter haben dies nicht gekonnt, haben es auch nicht versucht. Statt lebendiger 25 christlicher Zeugen nannten sie uns geheimnißvolle Zahlen, magische Fi- 17 guren, abentheuerliche Zeugungen, Ausgeburten jüdischer oder morgenländischer Phantasie, die schon die Apostel verworfen. 1 Tim. I, 34; IV, 1−8.) 1 . Marcion war der erste, der uns einen Apostel und einen namenlosen Evangelisten entgegenstellte; aber freylich nicht den lebendigen, oder sein leben- 30 diges Wort, sondern seinen bloßen Buchstaben, und auch diesen nicht ganz, sondern verstümmelt; er konnte die Kirche nicht nennen, noch andere glaubwürdige Männer, die seinen geschriebenen Apostel, die sein Evangelium bewahrt, die für seine Aechtheit hätten zeugen können. Wir aber konnten das in Ansehung unserer Schriften, und darum mußten wir seine unächte 35 Schrift für einen unglücklichen Fund, oder für eine noch unglücklichere Erfindung erklären. Wir konnten außer dem lebendigen Zeugnisse unserer Kirchen und ihrer Vorsteher, von welchem bisher die Rede war, auf eine große Zahl achtbarer Schriftsteller uns berufen, die was sie entweder selbst von den Aposteln gehört und gesammelt, oder was sie in den angesehensten 40 1 öffnende Klammer fehlt <?page no="490"?> 458 Johann Sebastian Drey Kirchen gefunden hatten, ihren Schriften anvertrauten, auf unsre frühezeitig in ihren Grundzügen verzeichneten, und allgemein verbreiteten Symbole, auf die schriftlichen Aussprüche einzelner oder der meisten Kirchen. So trugen wir, was vom Anfang an als unsterbliches Christenthum lebendig in unserm Seyn gewebt hatte, auch in Schrift über, und so zeugt unser kirch- 5 liches Leben, wie unsre todten Urkunden für uns. − a2 Dies ist die wahre παραδοσις des Katholicismus, die große allumfassende; 18 in diesem Sinne nahmen die ersten Jahrhunderte dieses Wort. Nicht, wie es eine spätere Scholastik oder der besondere Zweck einer gelehrten Zänkerey gedrehet hat, als blos mündlich erhaltene Lehre im Gegensatze gegen die 10 zugleich geschriebene, oder als dogmatischer Satz im Gegensatze gegen einen Ritual-Satz, u.s.w. Geschriebenes und ungeschriebenes Wort; Dogma, Sacrament und Ritus; hierarchische und disciplinare Ordnung. Die ganze objective Erscheinung des Urchristenthums ist Gegenstand; das kirchliche Leben, der Glaube und die Uebereinstimmung der Kirche, die schriftlichen 15 Zeugnisse sind die Formen; das Urtheil der Kirche über sich selbst in all ihren Erscheinungen ist das Kriterium der Tradition. Es thut Noth, diesen alten, wahren und fruchtbaren Sinn festzuhalten. Denn man kann sogenannte Traditionen in dem spätern scholastischen Sinne annehmen, ohne darum Katholik zu seyn. Von den ältern Häretikern wenigstens ist nicht bekannt, daß 20 sie mündliche Ueberlieferungen im Gegensatze gegen die Schrift verworfen hätten; vielmehr läßt sich sogar zeigen, daß die Meisten wo nicht alle doch die meisten Traditionen der Katholiken annahmen; so könnten selbst die Protestanten zu denjenigen, die sie wirklich mit uns annehmen, noch mehrere annehmen, die sie jetzt verwerfen, ohne daß sie darum Katholiken würden. 25 Hinwieder mag es öfters sehr schwer seyn, einzelne Traditionen auf dem von den Scholastikern vorgeschriebenen Wege nachzuweisen, um so mehr als viele Begriffe theils durch den Lauf der Zeiten selbst, theils durch neue Meynungen, die die Kirche bekämpft, Wendungen erhalten, und dadurch Beziehun- 19 gen und Verbindungen entstehen, welche vor den veranlassenden Ursachen 30 nicht zur Vorstellung kommen konnten. Hier kann nur die allgemeine Hinterlage zum Prüfungsmittel dienen; was dieser nicht widerspricht, was in ihren Grundzügen als den unwandelbaren Principien gelegen ist, das ist mit diesen vom Anfang an überliefert, ob ältere Schriftsteller alle jene Beziehungen der Principien schon ausgesprochen haben oder nicht. Die Autorität dieser selbst 35 als bloßer Privatpersonen kann das Selbstgefühl des Katholicismus als der freyen, lebendigen, bewußthandelnden Ueberlieferung wohl vermitteln, aber nie bestimmen. 2 a-a: Der dreieinhalb Seiten lange Text (14-17) ist im Originaldruck zu Beginn jeder Zeile durch Anführungszeichen als Zitat gekennzeichnet; ein schließendes Anführungszeichen fehlt. <?page no="491"?> 459 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) Verläßt man diese rein historische, und darum allein ganz positive Anschauung des Christenthums, so sind nur noch zween andere Wege möglich es zu beweisen, und es als theoretischen Gegenstand für die reflektirende Erkenntniß zu behandeln; der erste ist der Weg der rein philosophischen Contemplation, die alles positive und historische als Allegorie und Symbol von 5 Ideen betrachtet; der andere der Weg der gelehrten Kritik und des räsonierenden Verstandes, der alles positive und historische in seiner Vereinzelung auffassend, jede alte Thatsache, also auch die des Urchristenthums, als ein Räthsel betrachtet, welches er nach seiner Kunst zu deuten bemühet ist. Unter diese beyden Grundformen lassen sich alle von der Grundansicht des Ka- 10 tholicismus abweichenden christlichen Systeme zusammenfassen. Die erste erscheint in der Kirchengeschichte als Gnosis, und trat nach dem Geiste jener Zeiten und unter den damaligen Umständen auf eine natürliche Art zuerst 20 hervor. Der allgemeine Charakter dieses Systems, das sich in verschiedenen Seiten, auch in solchen, die gewöhnlich nicht zu den gnostischen im engern 15 Sinne gerechnet werden, dargestellt hat, ist − Umwandlung der Geschichte in Philosophie, des historisch-Realen in Ideen, des positiven Glaubens in Speculation, mit einem Worte Aufhebung des Geschichtlichen im Christenthum. Denn wenn sie auch dieses in Beziehung auf die ältere und neuere Offenbarung nicht geradezu umwarfen, so ließen sie es doch nur als bloßes Vehikel als 20 Andeutung der Ideen gelten, die sie offenbar gegen den Geist der beyden Testamente willkührlich in sie hineintrugen, und dem Buchstaben derselben meistens eine Deutung gaben, die nicht darinn liegt. Der herrschende Geist des Philosophirens verleitete selbst viele der katholischen Väter auf diesen Weg, und darum haben blos wegen dieser Tendenz manche, wie z. B. Ori- 25 genes und die andern Platoniker, den Ruf der reinen Orthodoxie bey der Nachwelt nicht behaupten können, obwohl sie keinem christlichen Dogma bestimmt widersprachen. In spätern Zeiten hat dies Anstreben gegen das eine Reale und Historische im Christenthum die blos speculative Tendenz verlassen und eine mehr praktische − in der Mystik − angenommen, aber auch in 30 dieser Gestalt manchen Anstoß verursacht, und erlitten. Der Weg der historischen Kritik, und des räsonnirenden Verstandes ist der Weg der spätern eigentlich abendländischen Häresis. So wie jenes Verfahren überhaupt erst möglich wird, wenn der geschichtliche Gegenstand schon in eine be-trächtliche Entfernung zurückgetretten ist, so konnte es auch in 35 21 Ansehung der Urthatsache des Christenthums erst hervortretten, als eine lange Fortsetzung und Entwickelung derselben eine Vergleichung und Entgegensetzung zwischen ihr und dieser gestattete. Daher trat dieses System gleich in seinen ersten Erscheinungen (in den Waldensern etc.) als Opposition gegen die Grundlage einer ununterbrochenen lebendigen Fortsetzung des 40 Urchristenthums, gegen Kirchenthum und Hierarchie auf, und gelangte erst nach vielen Versuchen sich einen positiven Charakter zu geben, im eigentlich <?page no="492"?> 460 Johann Sebastian Drey sogenannten Protestantismus zu einem klaren Bewußtseyn seines Strebens und seiner Richtung, nachdem eine gänzliche Veränderung in den wissenschaftlichen und gelehrten Bestrebungen des menschlichen Geistes diesen auf die Erforschung des Alterthums gelenkt hatte. In diesem antiquarischen Geiste wird das Christenthum als Thatsache einer längstvergangenen Zeit, wie ein 5 altes Monument betrachtet, an dessen Beschauung wir uns über Religion belehren und erwärmen; die Bibel ist der alte Autor, nach welchem jenes Monument allein studiert werden kann, die Theologie die Exegese dieses Autors; und die verschiedenen christlichen Confessionen, von diesem Gesichtspunkte betrachtet für sich selbst alle einander gleich, sind eben so viele 10 Theologeme und Versuche jenes Monument zu erklären. Dies System hebt also den historischen Charakter des Christenthums nicht auf, wie das erstere, aber es läßt als eigentlich christliches Factum nur jenes Geschichtliche gelten, was in der Zeit Christi und der Apostel beschlossen ist. Eine eigentliche Fortdauer desselben gibt es nicht, nur eine Ueberlieferung 15 22 vermittelst eines todten und stummen Vehikels − des Buchstabens. Vermittelst ebendesselben soll das ehemals lebendige der ursprünglichen Thatsache wieder erweckt werden, der Geist aus Todtem kommen; aber wie es sich hiebey selbst versteht, mit bloßer Subjektivität, und daher auch nothwendig mit einer ebenso großen Verschiedenheit der Ansichten, Meynungen und 20 Auslegungen, als verschieden die Subjekte, ihre Talente und Grundsätze sind. Es ist also auf diesem Wege nicht nur unmöglich das so erweckte Christenthum zu irgend einer Objektivität zu bringen, es muß selbst die vorausgesetzte u r s p r ü n g l i c h e Objektivität desselben nach der Natur dieses Verfahrens als etwas unsicheres, schwankendes, unbestimmteres als selbst eine un- 25 bekannte algebraische Größe gedacht werden. Zwischen diesen beyden Extremen, die ohngeachtet ihrer verschiedenen Richtung dennoch darinn zusammentreffen, daß sie durch ihr Verfahren das Christenthum in lautere Subjektivität verwandeln, und es gemäß dieser in unendlicher Verschiedenheit bestimmend sein Wesen gänzlich verwischen; − 30 zwischen diesen beyden Extremen hält der Katholicismus das Wesen und die Form des Christenthums in einem einzigen Bilde unveränderlich fest, welches Bild eben seine Geschichte ist, ein lebendiges und ununterbrochenes Ganzes durch die ganze christliche Zeit ausgebreitet. Diese Anschauung als die ihm wesentliche hält er auch eben darum für die allgemeine und allen nothwen- 35 dige, die sich wahre Christen nennen wollen. Auf ihr als Grundlage aber erlaubt er nicht nur, son-dern hält selbst für nothwendig (freylich nicht für 23 alle, sondern nur für die, denen es Bedürfniß ist) sowohl die philosophische Construction, als die reflektirende historische Kritik des Christenthums; durch jene bildet er sich die Wissenschaft des Christenthums, die er von jeher 40 gewiß in so strenger Form als die Gnosis, und in viel strengerer als die spätere Häresis besessen hat; durch diese verschaft er sich ein klares Bild von jeder <?page no="493"?> 461 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) einzelnen Begebenheit oder Zeit im langen Laufe seiner Entwickelung. So genügt er der, die höchste Einheit der Principien suchenden Vernunft, und den billigen Forderungen des mit dem Einzelnen beschäftigten Verstandes, aber zuerst und vorzüglich dem Bedürfnisse eines objektiven Glaubens und der hohen Achtung für eine göttliche Offenbarung. 5 2. [193] Beziehung des Katholicismus auf die Grundprincipien des Urchristenthums. 3 Der Geist und das Wesen eines religiösen Systems wird vorzüglich in seinen Principien erkannt, deren eine prüfende Beurtheilung vornehmlich zwey sucht und ins Auge faßt; ein theoretisches, in welchem und durch 10 welches ein religiöses System in das Gemüth des Menschen kommt, und darinn wurzelt; und ein praktisches, in welchem und durch welches die lebendige Religion des Gemüths wirksam wird, sich im Leben und Handeln äußert. In der Bibel sind auch diese beyden Principien für das Christenthum genau angegeben. Als theoretisches, eigentlich genetisches Princip des Christ- 15 enthums steht der G l a u b e voran, überall ausgezeichnet, und als nothwendig empfohlen; als praktisches Princip die L i e b e auf dieselbe Weise. Auf dem Glauben ruhet und von ihm geht eigentlich alle Religion aus, 194 insoferne Glauben Ueberzeugung ist; nur das Eigenthümliche der Ueberzeugung gibt dem Glauben hier einen besondern Charakter, und dort einen 20 besondern. Der besondere Charakter des christlich-religiösen Glaubens geht aus folgenden Eigenthümlichkeiten der Ueberzeugung hervor. Zuförderst ist diese eigentlicher Glaube, im engern Sinn’ und im Gegensatze gegen das Wissen, d. h. sie ist nicht vermittelt durch reine Analyse oder Synthese von Begriffen, als welche vielmehr wegen des überschwenglichen Ursprungs, und 25 wegen der überschwenglichen Natur der Lehren abgewiesen wird (II. Kor. X, 5.). Darum wird der christlich-religiöse Glaube zweytens, auch nicht dargestellt als etwas erworbenes, sondern als etwas gegebenes, nicht als des Menschen eigenes Erzeugniß, sondern als Geschenk Gottes (Ephes. II, 8.). Da er aber doch, wie aller Glaube, durch irgend etwas vermittelt seyn muß, so ist er 30 als an sein vermittelndes Element geknüpft an Christus, und zwar an Christus als Erscheinung, an den historischen Christus in seiner ganzen Glorie. Dieser ist nicht nur der Inhalt und Gegenstand, sondern er ist auch das Motiv des Glaubens, daher auch der Ausdruck − Glauben an Christus − gleichbedeu- 3 Fortsetzung der in Heft 1 begonnenen Abhandlung (ThQ 1, 1819, 8-23) in Heft 2 (193-210); der Teilüberschrift gehen die Angabe der Rubrik I. Abhandlungen. sowie der Haupttitel Vom Geist und Wesen des Katholicismus. voraus. − Die Paginierung 193-200 ist doppelt vergeben: an das Ende des ersten Heftes ist eine vom Verlag stammende Nachricht von neuen Büchern mit der Seitenzählung 193-200 angehängt, das zweite Heft der ThQ 1819 beginnt mit dem zweiten Teil der Abhandlung Dreys auf der nicht paginierten Seite 193. <?page no="494"?> 462 Johann Sebastian Drey tend mit der christlichen Religion überhaupt. An dieses Schema und Symbol heftet das empfangende Gemüth seinen Glauben oder seine vernünftige Ueberzeugung, und indem es sich vermittelst der reflexen Beziehung der innern Gaben, dessen was sich als höhere Idee im Gemüthe bewegt, auf jene äußere Grundlage seiner Ueberzeugung be-wußt wird, wird diese selbst zu einer 5 195 reflektirten, ähnelt dem Wissen *) . Diese Reflexion ist des Menschen Sache. Der Charakter des praktischen Princips der christlichen Religion − der Liebe − bedarf keiner besondern Exposition, sobald man nicht bey dem blos pathologischen stehen bleibt, sondern die Empfindung auf ihren Grund, die ganze Fassung und Richtung des Gemüths zurückführt. Dieses theoretisch 10 durch den Glauben von Gott ergriffen, wendet sich praktisch durch die Liebe ihm zu, ordnet sich mit seinem ganzen Wollen dem göttlichen Willen unter, (nach der Bibel: hält die Gebote,) und greift daher nur in dieser Unterordnung, aber ebendarum harmonisch, handelnd in das Ganze der Erscheinungen ein. Dieses harmonische Eingreifen erscheint in der menschlichen Ge- 15 sellschaft als Liebe des Nächsten. Glaube und Liebe − oder beyde Principien des Christenthums haben daher einen gemeinsamen Charakter. Es ist das Zarte, Weiche, Biegsame, Geschmeidige, es ist die Hingebung an Gott; und der rechte Grund von dem allem im Gemüthe selbst aufgesucht als eine Species von Muth, ist D e m u t h . 20 Sie ist das tiefste in der Religion, tiefer als Glauben und Liebe; nur durch sie wird es dem Menschen möglich, seinen Verstand zum Dienste des Glaubens, seinen Willen zum Dienste der Liebe aus freyer Entschließung hinzugeben. 196 Inwiefern nun der Katholicismus diese Grundprincipien nicht nur festhalte, sondern auch beyden ihre Wirksamkeit erleichtere, beyde in das christ- 25 lich-religiöse Leben einführe, und dadurch das lebendige Christenthum befördere, das ist zu untersuchen. − Zwar muß jedes christliche System, das nur die Bibel hat, Glaube und Liebe für die Hauptprincipien des Christenthums erkennen, es muß sie als die beyden Brennpunkte betrachten, um die sich das religiöse Leben in fester Bahn bewegt; das Wort, welches den Glauben pre- 30 digt, und die Liebe gebeut, ist zu klar ausgesprochen, es muß festgehalten, und immer neu verkündet werden. Und dies geschieht auch überall. Aber das Wort, welches den Glauben und die Liebe von außen herein wie ein allgemeines Gebot verkündet, schafft darum − durch sich selbst und unmittelbar − beyde noch nicht in’s Herz; der Glaube kann so wenig wie die Liebe 35 g e b o t e n werden, d. h. auf ein Gebot entstehen. Ihre Entstehung hängt außer dem höhern Einflusse, von dem wir hier wegsehen, theils von der oben schon gedachten tiefsten Grundlage im Gemüthe, theils von gewissen Anregungen ab, die das Gemüth, dem die Grundlage als erste Bedingung nicht * Die besondere Nebenbedeutung, welche der Glaube − die biblische πισις [sic] − als Rechtfertigungsmittel, besonders der Mosaischgesetzlichen Legalität gegenüber, in der Paulinischen Theorie erlangt, gehört nicht hieher. <?page no="495"?> 463 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) fehlt, zum Glauben und Lieben geneigt und immer geneigter machen. Dies ist der psychologische Gang des Glaubens und der Liebe im Menschen. In welchem Maße nun ein christliches System durch seinen Geist auf die Grundlage beyder, auf die Demuth hinarbeitet, in welchem Maße es durch seine Institutionen Anregungen bewirken kann, die das Glauben und Lieben 5 197 erleichtern, in demselben Maße belebt es die Grundprincipien und damit wirkliches inneres Christenthum in seinen Bekennern. In Ansehung dieser Verhältnisse − der psychologischen Bedingungen zum Glauben und der Liebe − können verschiedene christliche Systeme sich ungleich seyn; wir zeigen den Geist des Katholicismus von dieser Seite, wie er nämlich durch seine Insti- 10 tutionen das Gemüth zum Glauben und Lieben mannichfaltig anregt und geneigt macht, und wie er ihren gemeinschaftlichen Grund rein erhält und befestigt. Schon in der Grundanschauung des Katholicismus von ihm selbst, daß er sich betrachtet als ununterbrochene Fortsetzung, und im Wesentlichen un- 15 veränderte Fortdauer des Urchristenthums *) , liegen mancherley erleichternde Anregungen zum Glauben, die jenem Systeme mangeln, dem diese Selbstanschauung mangelt. Es liegt in jener Grundanschauung die leichtere Vermittlung des inneren subjektiven Glaubens durch das Objektive, an der historischen Basis. Wir haben schon bemerkt, daß der religiöse Glaube überhaupt, 20 um lebendig zu bleiben, eines objektiven Substrats bedürfe; der christliche Glaube insbesondere findet durch die eigenthümliche Beziehung seiner sämmtlichen Dogmen auf Christus in diesem seinen Mittelpunkt, und seine objektive Grundlage zugleich. In der wirklichen Anschauung Christi und seiner Geschichte, in der vollkommensten Ueber-einstimmung der Erschei- 25 198 nungen dieser Geschichte mit den Ideen der Religion fand der Glaube der ersten Christen seine Vermittelung, überzeugte sich von der Wahrheit, ward fest und lebendig. Einer solchen Vermittelung bedarf aber auch der Glaube aller Christen und zu allen Zeiten, es muß ihm folglich seine vermittelnde Objektivität erhalten werden, und je reiner und vollständiger diese erhalten, je 30 näher das Gemüth, das da glauben soll, der christlichen Urzeit, je näher es dem empirischen Christus gebracht wird, desto leichter wird es glauben können. Näher kann aber das nach Glauben ringende Gemüth Christo und seiner Zeit nicht gebracht werden, als es durch die Grundanschauung des Katholicismus geschieht. Denn nach dieser ist es ja nur eine Zeit, jene des Ur- 35 christenthums und die folgende, der Katholicismus läßt die Unterscheidung nur für die gemeine − profane − historische Reflexion gelten, hebt sie aber in der Dogmatik so wie im Cultus gänzlich auf. Christus ist noch da in seiner Kirche und bey ihr; die großen Momente seines Lebens und seiner Geschichte begeben sich noch täglich in Wahrheit, und werden von den Gläubigen 40 * Siehe Abh. im I. Hefte S. 13 ff. <?page no="496"?> 464 Johann Sebastian Drey angeschauet im Sacrament, gefeyert in Festen alljährlich. Die größten Wunder wiederholen sich unaufhörlich, und selbst was als rein äußeres gleichsam den Chor in der Handlung des Lebens Christi bildet, seine gesellschaftlichen Verbindungen dauern fort. Der Chor seiner Apostel existirt in den Hierarchen der Kirche, und der von Christus ausgezeichnete Apostel lebt noch in seinen 5 Nachfolgern; an den Schaaren der Gläubigen, die dieses göttliche Lehrerperso-nale umgaben und den Kreis der Kirche schlossen, hat es seither so wenig 199 gefehlt als am Anfange, so wie auch Zweifler, Gegner und Lästerer immer da gewesen und noch da sind. Dies ist die Grundanschauung des Katholicismus von Christenthum und christlicher Kirche; er trägt also beyde, wie sie ur- 10 sprünglich waren, noch jetzt in sich, und trägt sie in sich nicht blos historisch als Vergangenheit, sondern als etwas wahrhaft objektives, als etwas sinnlichwahrnehmbares in wahrer Wirklichkeit und Gegenwart. Wenn nun dem Katholiken die Worte des Glaubens verkündet werden, so sind es zwar keine andern, als die in der Bibel stehen, und die jeder andere 15 auch hat, wenn er nur die Bibel hat; aber anders müssen sie auf ihn wirken, anders ihn zum Glauben und zur Ueberzeugung stimmen, der sie mitten in jener Objektivität und durch sie empfängt, als auf den, welcher sie blos als Worte eines Buchs, wenn auch eines Buches von göttlichem Inhalt, liest oder hört. Jener empfängt sie als lebendiges Wort einer klaren gegenwärtigen Zeit, 20 ausgesprochen durch göttlichangeordnete, göttlichbeglaubigte Organe, verbürgt durch die Treue und Wahrhaftigheit des in seiner Kirche anwesenden Christus, verwirklicht entweder in der geheimnißvollen Objektivität der Sacramente, oder in der offenen Realität der kirchlichen Sitte und des kirchlichen Lebens. Ihm ist alles gegeben, was dazu gehört und was er wünschen 25 mag, um auf historische Autorität, oder vielmehr auf wirkliche Anschauung hin zu glauben. − Dieser hört oder liest das Wort, das wohl einmal lebendig gewesen, aber nachher geschrieben, und im Buchstaben gefesselt ward, so im 200 Laufe von Jahrhunderten bis zu uns herabkam, die unvermeidlichen Schicksale aller Schriften erfuhr, und nun im Einzelnen erst wieder lebendig werden 30 soll. Ihm ist außer dem Worte selbst nichts gegeben, weder was zur Belebung und zum Verständnisse, noch was zur Beglaubigung und Annahme beytragen kann. Die Personen, die das Wort zuerst aussprachen; der Geist, in dem sie es aussprachen: die Objektivität, in welche sie es aussprachen, liegen in weiter Ferne und Vergangenheit, und müssen daher durch Kunst erst wieder erweckt 35 und hergestellt werden, um das Wort zuerst zu verstehen und dann zu glauben. Wie weit aber die durch philologische und historische Kunst erweckte Vergangenheit an Klarheit der Anschauung, und Festigkeit der Gewißheit hinter der Gegenwart und Wirklichkeit zurückstehe, erfahren wir zur Genüge in allen Dingen. 40 Dieselbe Grundanschauung des Katholicismus, die durch die Klarheit der Gegenwart den Glauben an das Wort am leichtesten v e r m i t t e l t , e r h ä l t <?page no="497"?> 465 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) ihn auch am leichtesten dadurch, daß sie ihn gegen die gefährlichsten Stöhrungen sichert. Eine solche Stöhrung ist vorzugsweise der dem Menschen natürliche Hang zur Grübeley besonders über sehr entfernte, oder in Dunkel gehüllte, und dabey sehr interessante Gegenstände. Alle diese Eigenschaften vereinigen die Wahrheiten der Religion, spekulativ betrachtet, in sich, daher 5 es auch kein Wunder ist, daß dieser Hang durch die Lehren der christlichen Religion besonders ausgesprochen wird, als welche durch ihre spekulative Bedeutung nach innen, und durch ihr historisches Moment nach außen der 201 Grübeley ein unermeßliches Feld eröffnen. In welchem Gemüthe nun diese herrschend geworden ist, da stöhrt sie den ruhigen Glauben fortwährend, 10 indem sie den nüchternen, ängstlichen Forscher mit Mißtrauen, den schwindelnden mit Vermessenheit erfüllt, jenen an der Richtigkeit seines Urtheils, diesen an widersprechenden Erscheinungen Anstoß nehmen läßt. Die Stöhrungen aber aus Grübeley entsprungen, sind nicht zu besänftigen durch sie selbst, sie nährt und verjüngt sich nur aus sich, zum Wissen aus durchgeführ- 15 ter Speculation bringen es nur wenige, und die Vergangenheit als Geschichte behandelt, läßt unaufhellbare Dunkelheiten übrig. Jene Stöhrungen sind nur zu friedigen durch eine religiöse Anschauung, in welcher sowohl die Ideen der Speculation, als die Thatsachen einer vergangenen Geschichte verwirklicht und gegenwärtig erscheinen; und eine solche Anschauungsweise ist eben 20 die des Katholicismus. Er verwirklicht alle Ideen des Christenthums und seiner Dogmen im Sacrament esoterisch, im Ritus exoterisch; das Geschichtliche des Urchristenthums aber ist entweder in Ideen aufgelößt, und daher gegenwärtig wie diese, oder es besteht als immer gleiche ununterbrochene Thatsache in der völlig empirischen Erscheinung der Kirche und ihrer or- 25 ganischen Verfassung. Durch das erstere genügt der Katholicismus der speculativen, durch das andere der empirisch historischen Richtung, durch beydes setzt er der Grübeley in jeglicher Gestalt ihren Zielpunkt, und mit ihm ihre Grenze. Damit aber der Glaube b e f e s t i g t sey, muß er die Probe der Reflexion 30 202 auf sich bestehen und diese besteht darinn, daß der Glaubende sich des Grades und der Art der Gewißheit bewußt wird, die die Vermittlung seines Glaubens hat, also des Grades und der Art der Gewißheit, womit er wirklich glaubt, was er glaubt. Im Katholicismus, dessen Glaube auf lauterer Anschauung und Gegenwart ruht, könnte der Einzelne sich nur irren durch ein 35 Analogon von dem, was man Sinnentäuschung nennt; dieser Irrthum aber, wenn ein solcher stattfände, läßt sich leicht heben, denn nicht nur ist der Gegenstand des Glaubens immer gegenwärtig, er ist auch lebendig, und gibt dem Fragenden Antwort; so wird die Täuschung des Einzelnen aufgeklärt. Alle weiteren Fragen betreffen nicht mehr die Subjectivität seiner Anschau- 40 ung, sondern den objektiven Charakter der Gegenstände derselben, und dieser verbürgt sich ihm ebenso durch sich selbst, wie er sich den ersten Chri- <?page no="498"?> 466 Johann Sebastian Drey stusgläubigen durch sich selbst verbürgte. Die Reflexion des Glaubens auf sich hat also im Katholicismus weiter nichts zu berichtigen, als die unmittelbare Anschauung; nicht so in einem Systeme, welches keine unmittelbare Anschauung zuläßt, sondern eine alte Thatsache herstellen, eine Vergangenheit lebendig machen soll. Hier ist nicht der Gegenstand selbst, es sind nur die 5 Mittel zu seiner Construction gegeben, die Anschauung findet ihn nicht vor, sondern die Urtheilskraft muß ihn erschaffen; daher, wenn auch die Geschichte construirt ist, und der construirende ihr glaubt, so ist die wahre Basis seines Glaubens nicht das Objektive an ihr, sondern das Subjektive seiner Construction; folg-lich ist auch nie eine reine Auflösung des Glaubens in seinem 10 203 Gegenstande möglich, und in jener Auflösung liegt doch die wahre Gewißheit, die feste Ueberzeugung. Gerade nun in der Reflexion des Glaubens auf sich wird jener Mangel einer vollkommenen Objektivität aufgedeckt, und der reflektirende muß finden, daß er im Grunde nur s i c h s e l b s t e n glaubt. Dies Bewußtseyn, welches ihn nie verläßt, treibt ihn dann consequenterweise zu 15 immer neuen Untersuchungen, und so wird er von der dritten und letzten Station des Glaubens, auf welcher dieser befestigt werden sollte, immer wieder weggedrängt, und eben in jene Grübeleyen zurückgeworfen, die den Glauben stöhren, bis er seinen Standpunkt gänzlich verläßt, und sich auf jenen des Katholicismus stellt, oder er von der inneren Vortrefflichkeit der 20 Lehren des Glaubens so überwältigt wird, daß er auch auf das Reflektiren über die Basis seines Glaubens verzichtet. Bisher war vom Glauben die Rede, inwieferne er Ueberzeugung ist, oder auf Ueberzeugung ruht. Tritt aber die Ueberzeugung in das Handeln über, so wird der Glaube − Liebe. Was also jenen befördert, befördert auch diese 25 wenigstens mittelbar, und in dieser Beziehung wäre demnach der Einfluß des Katholicismus auf die Belebung des praktischen Princips des Christenthums schon dadurch nachgewiesen. Indessen kann derselbe Einfluß auf eine noch positivere Weise nachgewiesen werden, wenn man auf das hauptsächlichste Hinderniß der Liebe Rücksicht nimmt. Dies ist der Egoismus in allen seinen 30 Gestalten, als Eigenwille, Eigenliebe, Eigendünkel, Eigennutz u. s. w.; denn der eigent-liche Charakter der Liebe ist das Sichselbstvergessen um eines 204 andern willen, das Sichselbstverlieren in einem andern: ist jenes andere das große Ganze und seine Ordnung, so ist das Sichselbstvergessen und Sichselbstverlieren in demselben L i e b e z u G o t t , dessen Persönlichkeit uns auf 35 keine andere Weise offenbar werden kann; ist jenes andere ein Einzelwesen, oder eine Vielheit von Einzelwesen, so ist das Sichselbstvergessen, das Sichselbstverlieren darinn L i e b e z u d e n G e s c h ö p f e n , als einzelnen Menschen, menschlichen Gemeinwesen u. s. f. Wie ist aber ein solches Sichselbstvergessen, Sichselbstverlieren möglich, wo das Individuum sein Ich mit gan- 40 zer Kraft empor und entgegen hält? Es kann daher die Liebe, das praktische Princip des Christenthums, nur in dem Maße frei und lebendig hervortreten, <?page no="499"?> 467 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) in welchem der Egoismus zurückgedrängt wird, und wenn man von diesem Gesichtspunkt aus die praktische Tüchtigkeit verschiedener christlicher Systeme würdigt, so wird die Schätzung zu Gunsten desjenigen Systems ausfallen müssen, welches die meisten und stärksten Mittel in sich vereinigt, den Egoismus zurückzudrängen. Wir zeigen daher die Tüchtigkeit des Katholi- 5 cismus zur Beförderung des praktischen Princips der christlichen Religion von dieser Seite. Die unmittelbarste und erste Bedingung aller Liebe ist die Gesellschaft, die Gemeinschaft mit andern. Wenn es möglich wäre daß irgend ein Wesen ganz allein in oder außer dem Raume existirte, so müßte es nothwendig ohne Liebe 10 seyn; darum hat Gott von Ewigkeit seinen Sohn, weil er ohne Liebe nicht seyn kann, und aus dem Sohne ist die Welt. Die Gesellschaft aber, oder das 205 Seyn neben und mit andern ruft die Liebe hervor auf zweifache Weise; einmal sanft und friedlich, indem die göttliche Sehnsucht und Liebe dem Menschen eingeboren sich als Trieb zur Geselligkeit äußert, und in der Verbindung mit 15 andern ihr Ziel findet, wobey in reinen Naturen der Egoismus nicht aufkommen kann: sodann gebieterisch und wie im Kampfe, indem die Gesellschaft als größere und mächtigere Individualität dem Egoismus des Einzelnen entgegentritt, und ihn niederhält in unreinen Naturen, bis sie rein werden. Daraus wird man denn nun sehen, wie der Katholicismus durch die Macht der 20 Gesellschaftlichkeit die Liebe fördert. Er hat vor allen andern christlichen Systemen die Form einer religiöskirchlichen Gesellschaft am vollständigsten in sich ausgebildet, und darinn die zwey größten Ideen des Christenthums wirklich realisirt, die Idee einer allumfassenden Brüderschaft unter einem allgemeinen Vater, und die Idee eines allumfassenden Gottesreichs unter ei- 25 nem allgemeinen Herrn, davon die erste die göttliche Humanität, (man erlaube diesen Ausdruck,) die andere die göttliche Majestät versinnbildet. Die Kirche ist eine Brüderschaft und ist ein Reich zugleich; eine Brüderschaft denen, die dem Zuge der Liebe gerne folgen, den Freyen, die alles Unedle in sich zu beherrschen und niederzuhalten wissen; ein Reich denen, die sich 30 selbstsüchtig gegen die Brüderschaft erheben, den Sklaven, die den Feind der Liebe, den Egoismus nicht zu beherrschen vermögen. Als Brüderschaft wirkt sie mit allen sanften Reizmitteln der Geselligkeit auf ihre Mitglieder. Sie kündet sich an und erscheint als die große überall verbreitete Gesellschaft, 206 und schon in ihrem Namen liegt ein gewisser Zauber, der die Herzen erwei- 35 tert, daß einer sich im andern, und alle sich in Einem fühlen. Verbindungen unter wenigen eignen sich ihrer Natur nach zur Verborgenheit, zu geheimen Zwecken, und bey aller Innigkeit, bey dem festesten Zusammenhangen der Wenigen unter sich bilden sie im Grunde doch nur zur Engherzigkeit, zum Mißtrauen, zur Verschlossenheit gegen die große menschliche Gesellschaft, 40 und rufen gewöhnlich eine feindliche Stellung gegen diese hervor; der Sekten- Kasten- und Ordengeist in allen seinen Gestalten hat sich nie anders gezeigt. <?page no="500"?> 468 Johann Sebastian Drey Nur große Gesellschaften erweitern das Herz, indem sie ihm erlauben sich auszudehnen; verbannen das Mißtrauen, indem sie die Furcht verbannen; machen den Menschen gerade und wahr, indem sie alles öffentlich machen, und wecken eine Menge wohlwollender menschenfreundlicher Empfindungen, indem sie dem Herzen ein großes, ehrwürdiges Objekt vorhalten, wel- 5 ches durch die Mannigfaltigkeit seiner Entfaltung und seiner Bedürfnisse alle Fiebern des Herzens anregt, und der Liebe gestattet, sich in allen Gestalten und Richtungen zu äußern. Ein solches Objekt ist die katholische Kirche, alt genug, groß genug, öffentlich genug, reich genug an geselligen Formen, und religiösem Geiste. Bey der Mannichfaltigkeit ihrer kirchlichen Organisation 10 veranlaßt sie die vielfachsten Berührungen zwischen Volk und Priestern, zwischen Unterhirten und Oberhirten, zwischen allen kirchlichen Stufen und der obersten Stelle. Indem sie durchaus öffentlich auch einen sichtbaren Mittelpunkt in sich trägt, vereinigt sie alle Glieder der Gesellschaft um diesen her, 207 und gleicht durch diese Vereinigung allen Zwiespalt und alle Feindschaft aus, 15 a welche die Staatsverhältnisse und bürgerlichen Einrichtungen − wenn auch nothwendig, doch nicht zu Beförderung der Humanität − unter die Menschen setzen. a4 Zu diesen äußeren Banden der Brüderlichkeit kommen die innern, durch rein religiöse Kraft ziehenden und bindenden. So reich an äußeren Formen der Organisation, so reich ist auch der Katholicismus an Formen des 20 innern Lebens. Keine andere Kirche vereinigt ihre Glieder so oft zum Cultus, keine andere hat so viele wichtige Veranlassungen dazu, keine andere spricht durch den Reichthum ihrer Sacramente und ihrer Gebräuche alle Saiten des menschlichen Herzens mehr an, regt alle edlen Gefühle mehr auf, läßt alle Bedürfnisse des Geistes so hervortreten, und hat so viele Mittel ihnen zu 25 begegnen. Von der heilenden Kraft dieser Mittel soll hier die Rede noch nicht seyn, aber das muß bemerkt werden, daß zur Ausbildung und Erhaltung der Menschlichkeit und Liebe auch unter einer bestimmten Gesellschaft nichts so nothwendig ist, als daß die Menschen wirklich und öfters zusammenkommen, wäre auch ihr Zweck nicht gerade ein religiöser. b Auch hierinn ersetzt der 30 Katholicismus allein den Mangel eines öffentlichen Lebens, den Mangel von Volksversammlungen in den neuern Staateneinrichtungen in Vergleichung mit den ältern. b5 Vollendet wird der Geist der Liebe im Katholicismus durch die Verbindung, welche er unter allen seinen Mitgliedern über Raum und Zeit hinaus nicht nur im Dogma statuirt, son-dern auch praktisch durch manche 35 208 Institute unterhält. Wie nach der allgemeinen religiösen Ueberzeugung der Tod nur die Verbindung des Geistes mit irdischem Stoffe lößt, so kann er nach der katholischen Ueberzeugung die geistige Verbindung durch christliche Liebe nicht lösen. Diese dauert also zwischen den Erdewandlern und 4 a-a: bei Geiselmann 211 durch üppige Punktierung angezeigte Auslassung 5 b-b: bei Geiselmann 211 durch Punktierung angezeigte Auslassung <?page no="501"?> 469 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) zwischen den Verklärten noch fort, und wird durch die Entkleidung von allen fleischlichen Interessen, durch die Entkleidung von sinnlichen Motiven nur noch mehr geläutert. Es kann nur die reinste Liebe seyn, die hier auf Erden derer, die jenseits sind, gedenkt, mit Wünschen, Freuen, Theilnehmen die irdischen Schranken überfliegt, und die jenseits wohlwollend, flehend, schüt- 5 zend am Throne Gottes auf die irdischen Brüder herübersieht. Und das Band, das diese an jene knüpft, knüpft sie wohl alle an Gott selbst, den Mittelpunkt aller Geister. Doch weil die reine Liebe, die das Christenthum von seinen Bekennern verlangt, am Egoismus einen Feind findet, der ihr selten ganz erliegt, so muß 10 die große Brüderschaft auch Mittel in sich tragen, die Angriffe des Feindes abzuhalten, oder wenigstens unschädlich zu machen. Und diese Mittel liegen in ihrer Macht; als Macht tritt sie dem Egoismus entgegen. Nicht feindlich thut sie das; denn sie, der Christus sein Versöhnungsamt übertragen hat, kann auch ihre Macht nur mittelnd und versöhnend brauchen; aber die Versöhnung 15 ist die Tochter des Schmerzes, in Schmerz muß sich der Groll auflösen, durch Schmerz in Liebe übergehen. Und Schmerz entsteht aus Leiden. Auf diesem Wege versöhnt Gott den Sünder mit sich; er läßt ihn zuerst leiden, erweckt 209 durch Leiden Schmerzen, durch Schmerzen heilt er ihn von der Sünde; und der Geheilte kann nun wieder lieben. So heilt auch die Kirche. Unmittelbar 20 will sie nur die Liebe, die Eintracht, den Frieden; wer diese stöhrt, tritt in der Erscheinung als ihr Feind auf, wird ihren Zwecken gefährlich. Doch ist er, war wenigstens bisher ihr Kind; gegen ihn also kehrt sie ihre ganze auf die Liebe gerichtete Macht, die nun freylich i h m , der gegen sie eine feindliche Stellung genommen hat, auch feindlich erscheint, in der That es aber nicht ist. 25 Sie drückt auf ihn, lastet, beschwert und beschränkt, engt ein und macht ihm Schmerzen, und versucht, wenn gelinderer Andrang nicht wirken will, das Aeußerste. Alle Kirchengewalt, auf die Stöhrer des Kirchenfriedens angewendet, ist nur Friedenszwang; und an Mitteln, einen solchen auszuüben fehlt es ihr bey ihrer vollendeten Verfassung eben so wenig, als an der Befugniß 30 dazu, die sie von ihrem Ursprung an in sich trägt. So bildet sie durch die mannichfaltigsten Mittel ihre Mitglieder auf dem geraden Wege zur Liebe, und die Stöhrungen durch den sich erhebenden Egoismus gleicht sie aus. Am sichersten begründet aber ist die Liebe in ihr durch die Demuth. Wer in eine Verbindung mit der Kirche tritt, oder falls er darinn geboren ist, wer 35 mit vollem Bewußtseyn und freyem Willen in ihr bleibt, der kann das nur durch ein großes Opfer, durch einen entscheidenden Sieg über das selbstische Princip; denn er verbürgt sich, seine Einsicht einer höhern Weisheit, deren Aussprüche die Kirche bewahrt, und selbst seine Meynung über die Aus- 210 sprüche jener Weisheit dem Urtheile der Kirche über ebendieselben zu un- 40 terwerfen. Wie kann er das, wenn er nicht ein Automat oder ein Heuchler ist, ohne klares Gefühl und Selbstbekenntniß der Trüglichkeit seiner eigenen <?page no="502"?> 470 Johann Sebastian Drey Einsichten? Er macht im Praktischen die Zwecke einer großen Gesellschaft zu den Zwecken seines Handelns. Wie kann er das ohne klares Anerkenntniß objektiver Zwecke, ohne klares Anerkenntniß des objektiven Werths, der objektiven Giltigkeit der Menschenwürde im Gegensatze gegen die Subjektivität? − Eine solche Schätzung ist doch wohl Demuth. 5 3. [369] Beziehung des Katholicismus auf christliche Religiosität, und christliche Gottesverehrung. 6 Der Sitz aller Religion ist das Gemüth; im Gemüthe muß also auch die c h r i s t l i c h e Religion empfangen werden, aus ihm muß sie sich nach ihren 10 beyden Richtungen, der theoretischen und der praktischen, entfalten, um als lebendige Religion, d. i. als Religiosität zu erscheinen. Die Form, welche die religiöse Haltung des Gemüths in der Richtung ihrer theoretischen Entfaltung gewinnt, ist der G l a u b e ; er entsteht, indem das Hehre und Heilige, was sich dunkel im Gemüthe bewegt, ins klare Bewußtseyn als Idee (oder als 15 Ideen) emporwächst, und von der Vernunft als ewige Wahrheit angeschauet wird. Die Form, welche die religiöse Fassung des Gemüths in der Richtung 370 ihrer praktischen Entfaltung gewinnt, wird in der Bibel N. T. als L i e b e bezeichnet; sie entsteht, indem das Hehre und Heilige, welches sich ursprünglich dunkel im Gemüthe bewegt, und in der Idee zum Glauben erwächst, − 20 mit Bewußtseyn und Freyheit vom Willen als Maxime des Handelns aufgenommen, und ihr als dem Rechten und Guten gehuldigt wird. Die objectiven Bedingungen, unter welchen Glaube und Liebe, diese fundamentalen Functionen des religiösen Lebens stehen, wurden in der vorhergehenden Abhandlung kurz angegeben, und es wurde gezeigt, wie der Katholicismus jene 25 objectiven, den Glauben und die Liebe fördernden Bedingungen, in sich trage, daher auch wie er die beyden Grundprincipien des Urchristenthums festhalte und ihre Wirksamkeit erleichtere. Wie aber alle Tätigkeit im Materiellen bedingt ist durch Bewegung, und sie die allgemeine Form aller Action ist, so ist auch Bewegung die subjective 30 Bedingung jener Thätigheit des Gemüthes, wodurch Glaube und Liebe entstehen. Der dunkle Grund des Gemüths muß angeregt und bewegt werden, wenn das in demselben verschlossene Heilige im Bewußtseyn als Idee eintreten, und vom Willen als seine Maxime frey und klar aufgenommen werden soll. Diese Bewegung kann dem Gemüthe auf mancherley Weise und von 35 verschiedenen Seiten kommen; bald unmittelbar von Gott vermöge jener Wechselwirkung, worinn der Urgeist mit allen erschaffenen Geistern steht 6 Fortsetzung der Abhandlung (ThQ 1, 1819, Heft 1, 8-23; Heft 2, 193-210) in Heft 3, 369-391; der Teilüberschrift gehen wieder Angaben zur Rubrizierung I. Abhandlungen. − 1. sowie der Haupttitel Vom Geist und Wesen des Katholicismus. voraus. <?page no="503"?> 471 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) und stehen muß; bald von außen durch jede das Gemüth ansprechende Erscheinung; bald von innen durch jede Rückwirkung der Ideen und Gedanken 371 auf das Gemüth. Unter allen diesen Ursachen, die das Gemüth anregen und bewegen zu dem Behufe, daß das in jenem verschlossene Heilige disponirt wird, aus ihm heraus und in das Bewußtseyn hereinzutreten, entweder als Idee 5 der Wahrheit für die Vernunft, oder als Gesetz des Rechten und Guten für den Willen, − unter allen diesen wirkenden Ursachen ist die gewöhnlichste, kräftigste, zu dem gedachten Zwecke eigentlich geordnete der Inbegriff jener Erscheinungen und Handlungen, die wir unter dem Namen Cultus oder Gottesverehrung begreifen. Ich weiß nicht, ob diese meine Ansicht vom 10 Cultus die allgemeine oder jetzt herrschende ist, aber das weiß ich, daß man schon lange die Menschen, die den Cultus begierig suchen, an ihm warmen Antheil nehmen, r e l i g i ö s , und diesen ihren Charakter R e l i g i o s i t ä t genannt hat; was man doch wohl nur unter der Voraussetzung konnte, daß seine eigentliche Bestimmung sey, das Gemüth zu Erweckung der wahren Religion 15 zu bewegen, die im Glauben und in der Liebe besteht. Nach dieser Erläuterung wird man auch die Aufschrift und den Zweck dieser Abhandlung verstehen. Es soll nämlich gezeigt werden, wie der Katholicismus durch seinen Cultus, und zwar hier blos durch ihn, auf das Gemüth des Menschen wirke, um in demselben die Bewegung hervor zu 20 bringen, die den Keim des Göttlichen zur Blume der Religion entfaltet, gleichwie der Anstoß von Licht und Wärme im Pflanzenkeime die Erschütterung her-vorbringt, welche aus ihm Blatt und Blüthe aufschießen macht. 372 Die Kraft, solche Bewegung hervorzubringen, die der Katholicismus in den Gegenständen und Formen seines Cultus besitzt, ist dem Gesagten zufolge 25 seine Beziehung auf christliche Religiosität und christliche Gottesverehrung. Die Wirkung des Cultus auf das Gemüth ist die Wirkung eines Sinnlichen auf das Geistige zum Behufe des Uebersinnlichen; durch Sinnliches soll das Gemüth so angeregt werden, daß das übersinnliche Göttliche, welches gestaltlos und namenlos im Innersten des Menschen sich bewegt und offenbaren 30 will, in jener Bewegung an dem Sinnlichen Gestalt und Namen gewinnen, und in bestimmter lebendiger Erscheinung an dem Geiste des Menschen vorübergehen könne. Aller Cultus ist daher nothwendig sinnlich, und wie geistig auch das Christenthum seyn mag, sein Cultus ist nicht weniger aus sinnlichen Handlungen und Formen zusammengesetzt, als der einer jeden anderen Re- 35 ligion; wer das Sinnliche in ihm aufheben wollte, würde ihn selbst völlig aufheben. − Damit aber der Cultus das wirklich leiste, was er leisten soll, muß sein Sinnliches von bestimmter Art seyn. Es muß zuförderst dem Heiligen nur als Kleid und Hülle dienen, nie darf es den Wahn erzeugen, als sey das Uebersinnliche in dem Sinnlichen rein aufgegangen: dies unterscheidet das 40 Christenthum vom Heidenthum, den christlichen Cultus vom Fetischismus. Hinwieder muß das Sinnliche des Cultus das Uebersinnliche der Religion auch <?page no="504"?> 472 Johann Sebastian Drey wirklich offenbaren, wirklich vergegenwärtigen, und zwar nach den Ideen und dem Geiste der be-stimmten, hier der christlichen Religion; dies unter- 373 scheidet die bedeutsame, kräftig anregende Liturgie von der leeren todten Ceremonie, den einer jeden besonderen Religion natürlichen Gottesdienst von willkührlichen Spielen der Andächteley mit dem Heiligen. Das Sinnliche 5 des Cultus muß ferner, um das übersinnliche Göttliche dem Menschen erscheinen zu lassen, die Form der Schönheit haben, weil sich jenes nur in dieser Form den Sinnen zeigen kann; schon die Heiden erkannten, daß die Wahrheit und die Tugend, wenn sie den Menschen persönlich erscheinen könnten, als die vollkommenste Schönheit erscheinen müßten. Das Sinnliche des Cultus, 10 da es das Heilige, die Belehrungen und Ermunterungen der Religion den Menschen nach ihren verschiedensten Lagen im Leben und nach den mannichfaltigen Bedürfnissen der Gemüther vorhalten soll, muß endlich auch einen Reichthum eine Mannichfaltigkeit einschließen, die es ihm möglich machen, auf die Menschen nach Verhältniß ihrer Individualität zu wirken. − 15 Diese Grundsätze über die Natur und Beschaffenheit des Cultus können wohl von Niemand in Anspruch genommen werden, denn sie ergeben sich aus seiner Bestimmung, aus einer nothwendigen Function des Gemüthes, wiefern es der Sitz der Religion ist. Sie sind zugleich ganz allgemein, und gelten daher auch vom christlichen Cultus. Nach diesen Grundsätzen soll der Cultus des 20 Katholicismus, und seine Tauglichkeit, christliche Religiosität, ächte Verehrung Gottes nach dem Geiste Christi hervorzubringen, hier gewürdigt werden. Der katholische Cultus hat zuförderst Geheimnisse, ja sein ganzes Wesen 374 ist Geheimniß. Dadurch ist er ächt christlich im Gegensatze gegen den heid- 25 nischen Cultus; denn dieser hatte durch die Vergötterung des Endlichen das Mysterium aufgehoben, das Göttliche wie in tausend Erscheinungen aufgelößt. Das Christenthum dagegen kennt eine einzige Erscheinung, in welcher das wahre Göttliche persönlich und leiblich sich den Sinnen dargestellt hat, diese Erscheinung ist Jesus Christus, der menschgewordene Gott. Aber auch 30 in dieser Erscheinung ist die sinnliche manifestirende Hülle − das Menschliche − von dem manifestirten Göttlichen noch unterschieden; die beyden Naturen sind zwar auf das innigste miteinander verbunden, aber nicht vermischt, oder ineinander geflossen, und der Act so wie die Art der Verbindung, die Menschwerdung selbst, ist das Grundgeheimniß des Christen- 35 thums. Dieses Grundgeheimniß stellt der katholische Cultus in seinen verschiedenen Beziehungen auf die Menschheit dar, und er stellt es dar als bleibend, fortdauernd wirkend, stets gegenwärtig und wirklich, ohne seinen Charakter, − das Geheimnißvolle aufzuheben. Die wesentlichen Beziehungen jenes Grundgeheimnisses auf die Menschheit sind dargestellt in den Sacra- 40 menten, deren Bezeichnung schon das Geheimniß ausspricht, deren Ausspendung den wesentlichen Bestandtheil des katholischen Cultus ausmacht. In <?page no="505"?> 473 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) allen Sacramenten ist das Göttliche dem Schauenden gegenwärtig, in allen wird der Empfangende desselben theilhaftig, aber wie im Grundgeheimnisse, dem Gott-Menschen, der Gott an den Menschen unzertrennlich aber unver- 375 mischt gebunden ist, so bleibt auch hier im Sacrament wieder das Geheimniß, indem das Zeichen von der Sache unterschieden ist. Gebunden ist diese an 5 jenes, auf daß das Göttliche unfehlbar mit jenem hervortrete, so gegenwärtig wie jenes werde, auf daß der Glaube es mit der festesten Gewißheit ergreife, die Liebe es mit der innigsten Sehnsucht umfange, aber das Zeichen ist nicht das Göttliche selbst. Es ist unnöthig, dieß an den einzelnen Sacramenten nachzuweisen. − Eine ähnliche Bewandtniß hat es mit den übrigen, weniger 10 wesentlichen Handlungen und Symbolen des katholischen Cultus, welche die merkwürdigsten Begebenheiten aus der Geschichte Christi und des Christenthums als untergeordnete und vorübergehende Erscheinungen des Göttlichen in der christlichen Zeit darstellen. Da in ihnen nicht ein eigentlich übersinnliches, nicht so fast eine Idee als vielmehr ein Factum versinnbildet werden 15 soll, so hat zwar der Ritus die Bestimmung, die Vergangenheit soviel als möglich zu vergegenwärtigen, aber seine symbolische Natur liegt offen am Tage. Wenn nun dadurch der ächt christliche, das Geheimniß nicht aufhebende Charakter des katholischen Cultus erwiesen ist, so muß noch seine Wirksamkeit von dieser Seite auf das Gemüth in’s Licht gestellt werden. Das 20 Heilige liegt im Gemüthe des Menschen als ein dunkles, unbegränztes, unendliches Wesen; indem es aus dem bewegten Gemüthe aufsteigt, und in eine bestimmte Anschauung für die Vernunft und den Willen heraustritt, gewinnt es Klarheit und einen gewissen Umriß; aber wenn es ein Heiliges bleiben soll, darf es auch in dieser seiner Erscheinung nicht dem Endlichen gleich werden, 25 376 es muß noch über diesem stehen und seiner Natur nach sich in der Unendlichkeit verlieren. Nun dies eben ist das Geheimniß, und Geheimnißvolle, die einzige dem Heiligen angemessene Form, in die es sich aus dem Gemüthe ergießen, als bestimmter Gegenstand erscheinen und doch noch hehr und heilig bleiben kann. Die Idee und das Ideal sind seine einzig würdigen For- 30 men, jene für die Vernunft dieses für das Herz; beyde liegen über dem Verstande und seinen Begriffen, sind für ihn Geheimnisse. Sucht der Verstand das Geheimniß zu lösen, zieht er es in seine Sphäre herab, so wird das Heilige zu einem Endlichen, d. h. eine verkehrte Operation des Verstandes will es dazu machen, aber das wahre Heilige im Gemüthe kann sich in so unpassende 35 Formen nicht ergießen; auf diese Weise angesprochen antwortet es nicht, bewegt sich nicht, das Gemüth fühlt sich nicht ergriffen, keine Andacht, keine fromme Rührung wird erweckt. Daher die allgemeine Beobachtung, daß mit der reinen Verständigkeit, mit den klarsten, bestimmtesten Begriffen keine religiöse Gluth anzufachen steht, daß das Herz in dem Grade kälter wird, in 40 welchem der Verstand seine Begriffe recht genau zu bestimmen, recht scharf auszuprägen sucht. Daher die Beobachtung, daß die religiöse Gesinnung in <?page no="506"?> 474 Johann Sebastian Drey den Vorstellungen eine gewisse Art und einen gewissen Grad von Dunkelheit liebt und sucht; wo sie dies Dunkle im öffentlichen Cultus nicht vorfindet, sich von demselben trennt; sich einen abgesonderten Cultus bildet, zu demselben sich sein Dunkles erschafft und in der durch nichts gehinderten 377 Erschaffung dieses Dunkeln bis in die Tiefen der Schwärmerey und des 5 Aberwitzes hinabsteigt. Aber selbst diese Entwürdigung des Heiligen ist nur veranlaßt durch die Scheu vor der Profanirung desselben in seiner Verendlichung. Nur in einem Falle ist diese letztere vermögend, Andacht und religiöse Rührung des Gemüths hervorzurufen, wenn nämlich der Verstandesbegriff bis zum rein sinnlichen Objecte durchgebildet und das Sinnliche selbst 10 das Göttliche geworden ist, was eben das Heidenthum und seinen Götzendienst bildet. − Der Cultus des Katholicismus ist gleichweit von allen diesen Extremen entfernt, darum geeignet, innige und ächte Religiosität in den Gemüthern zu erwecken. Er hat Geheimnisse, und läßt sie die Seinigen schauen, ihr mit der Natur des Göttlichen im Gemüthe gleicher Charakter 15 weckt dieses von außen herein auf, es erhebt sich lebendig im Gemüthe, und indem es an dem vorgehaltenen Geheimnisse seine passende Form und Hülle findet, tritt es in sie ein, und geht als lebendiger Gott an der Seele des Frommen vorüber, sie nach sich ziehend und über das Irdische erhebend. Indem der Verstand mit seinen irdischen Begriffen dem Glauben und dem 20 Geheimnisse untergeordnet ist, kann er die fromme Rührung der Seele nicht stöhren, vielmehr wird sein irdisches selbst vom himmlischen Lichte des Geheimnisses überstralt, und erlangt eine höhere Bedeutung. Indem ferner dem katholischen Cultus seine Geheimnisse gegeben sind, und sie für sich selbst so viel Dunkelheit haben, als die Andacht fordert, hat er weder zu 25 fürchten, daß fromme Seelen sich von ihm trennen um die nöthige Erwek- 378 kung zu finden, noch daß sie in die Tiefen der Schwärmerey hinabsteigen. Gegen jede Art von Götzendienst aber sichert ihn sowohl sein christlicher Geist, als die durch ihn auf das bestimmteste ausgesprochene Unterscheidung des Geheimnisses von seinem Zeichen. 30 Der katholische Cultus hat ferner einen gegenwärtigen Gott, ein geheimnißvoll aber wahrhaft und beständig gegenwärtiges Heiliges, ein anschauliches Heiligthum. Ein solches fordert die Bestimmung des Cultus, der ja das Göttliche wirklich offenbaren, es in sinnlichen Formen als Zeichen und Unterpfändern seiner Nahe vergegenwärtigen soll. Ein solches fordert das reli- 35 giöse Bedürfniß des Gemüths, welches durch den bloßen Begriff als eine ganz unangemessene Bezeichnung des Unendlichen wenig oder gar nicht, durch die blos historische Erinnerung an seine vorübergehende Erscheinung zwar mehr aber immer noch nicht hinlänglich angeregt und bewegt wird. In der eigentlichen Idee ist zwar das Heilige der Vernunft aufgeschlossen, inwieferne 40 es sich ihr aufschließen kann; aber die wenigsten können sich bis zur reinen Idee erheben, und selbst die gebildetste Vernunft will das Göttliche auch in <?page no="507"?> 475 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) seiner Verklärung im Sinnlichen schauen. Eine solche ist also Bedürfniß jeder frommen Seele. − Eine solche gewährt der katholische Cultus dem Glaubigen im gegenwärtigen Gott. Denselben Gott − Logos, der wegen uns Menschen, und um unseres Heiles willen aus dem Himmel herabkam, und in Kraft des heiligen Geistes Fleisch anzog aus Maria der Jungfrau; denselben der bey 5 379 Johannes sagt; »ich bin das lebendige Brod vom Himmel gekommen, wer von diesem Brod essen wird, der wird leben in Ewigkeit. Und das Brod, das ich geben werde, ist mein Fleisch, das ich geben werde zum Leben der Welt.« − Denselben, der von den seinigen scheinbar, d. h. für die gemeinen Sinne, scheidend zu ihnen sprach: »und siehe, ich bin bey euch alle Tage bis an der 10 Welt Ende; « − denselben Gott enthält das Sacrament, und weist den gegenwärtigen in der Gestalt, in der er wohnen will unter uns. Ihn, der als Herr Himmels und der Erde nicht wohnet in Tempeln mit Händen gemacht, ihn dessen auch nicht von Menschenhänden gepfleget wird als eines der Jemandes bedarf, sintemalen er selbst jedermann Leben und Odem gegeben, − densel- 15 ben verhüllen nach seiner Menschwerdung geheimnißvolle Gestalten, damit er bleiben könne unter uns, und zu seinem Heiligthume macht er Tempel, von Menschenhänden gebauet. Und damit sein irdisches Haus dem Himmel gleiche, und dieser in jenes herabgezogen erscheine, umgibt der katholische Cultus den gegenwärtigen Gott mit seiner ganzen himmlischen Begleitung. 20 Es dürfen die Engel nicht fehlen, die ihm dienen, die Väter und Seher der Vorwelt nicht, die an den Verheißenen geglaubt, auf ihn gehofft haben; noch weniger die selige Jungfrau, die ihn auf diese Welt gebar; es darf der Heiligen keiner fehlen, die den Christ, den erschienenen Gott mit Wort und That bekannt, für ihn gekämpft und geblutet haben. Und damit der gemeine Sinn 25 den frommen Glaubensblick nicht stöhre, ist auch die Wohnung des ge-genwärtigen Gottes und seiner himmlischen Gesellschaft von den Wohnungen 380 der Menschenkinder ausgezeichnet durch Charakter der Bauart, Größe des Umfangs, Erhabenheit der Massen, Reinheit und Verzierung, und durch alle sinnvollen Attribute jener Regionen, in welche die menschliche Phantasie 30 nebst dem Sitze Gottes den Ursprung alles Lichtes und Glanzes, und aller Schönheit versetzt. − Der katholische Cultus hat also ein Heiligthum, welches das Gemüth auf eine eigene Weise anspricht. Er hat einen gegenwärtigen Gott; wie ganz anders muß das Herz dem Glaubigen vor ihm bewegt werden, wie ganz anders muß es lieben, bitten, hoffen, als wenn es sich erst durch 35 unermeßliche Räume zu ihm erheben, oder was dem ungeübten Denker so schwer wird, erst den Begriff des geistig allgegenwärtigen zur Klarheit bringen muß! Er hat einen gegenwärtigen v e r m e n s c h t e n Gott. Um wie viel zutraulicher kann diesem der Mensch sich nahen, um wieviel freyer kann die beklommene Brust ihre Klagen und ihre Wünsche vor diesem ausschütten, 40 um wieviel kühner auf seine Theilnahme rechnen, um wieviel getroster diesem seine Verirrungen abbitten, um wieviel leichter zur Nachahmung dieses sich <?page no="508"?> 476 Johann Sebastian Drey erheben? − Er hat einen nicht in seiner Einzigkeit und Abgeschiedenheit allein dastehenden, sondern einen vom Kreise seiner vollendetern Geschöpfe umgebenen Gott. Und wie vieles trägt diese Umgebung bey, daß das weniger vollendete Geschöpf zu seinem Schöpfer hintrete, sich in seiner Nähe nicht fürchte, sich an den Kreis seiner Diener anschließe, in ihren ehemaligen 5 Unvollkommenheiten, die jetzt noch die seinigen sind, eine Fürsprache, 381 Beruhigung und Hoffnung, in ihrer gegenwärtigen Vervollkommnung einen eigenen Sporn und Antrieb finde? Und bey allen diesen Gott und den Himmel dem Menschen näher bringenden Umständen bleibt die Wohnung Gottes doch noch ein Heiligthum. Der Eintritt in dasselbe enthebt den Menschen der 10 gemeinen Gedanken, reißt ihn von den irdischen Sorgen los, läßt ihn das Niedere, sein Strohdach und den Qualm seiner Stube vergessen, und erhebt ihn selbst durch den Eindruck auf seine Sinne in ein höheres Gebiet, auf welchem die Andacht, der Gedanke an das Höhere zu Hause ist; welcher Gewinn für das Gemüth, dem das Himmlische nicht klar werden kann, so 15 lange Herz und Sinn an das gewohnte Alltagliche gefesselt sind? Der Eintritt in das Heiligthum erfüllt zugleich mit Ehrfurcht, ohne welche sich kein Sterblicher Gott nahen soll, und die Ehrfurcht erzeugt Demuth und jene äußere Stellung, die durch einen natürlichen Consensus des Innern mit dem Aeußern eben so unzertrennlich von der Andacht, wie die Demuth ihre 20 Grundlage ist. Wohl kann auch der Heuchler sich zusammennehmen, den Kopf neigen, das Knie beugen, die Hände falten; aber ich traue noch viel weniger dem eine Andacht zu, der vor Gott den Kopf hoch trägt, sich in die Brust wirft, oder sich wie zu Hause auf seinem Sopha ausstreckt. Gewiß ist jene äußere Sitte, die den Katholiken beym Gottesdienste und im Tempel 25 auszeichnet, die Wirkung seines Heiligthums, eine Wirkung, welche ein Haus ohne Gott, oft schmutziger als das Haus eines Bürgers, nicht hervorzubringen vermag. Der katholische Cultus ist in seinen äußeren Formen, den Zeichen der 382 Geheimnisse, der Hülle des Heiligthums − ästhetisch, und auch hierin ent- 30 spricht er der Natur alles Cultus und den Bedürfnissen des Gemüthes. Das Göttliche, wenn es im Sinnlichen erscheinen, sich den Sinnen offenbaren soll, kann nur in der Gestalt des Schönen erscheinen. Die Form des Schönen ist die dritte der Offenbarungsformen des Göttlichen; wie es der Vernunft sich darstellt als ewige Wahrheit, dem Willen als ewige Güte, so stellt es sich der 35 Sinnlichkeit dar als ewige Schönheit. Vom Himmel stammen diese drey Grundformen aller Dinge, sie sind nicht Gott oder das Göttliche selbst, aber wir vermögen ihn und es nicht anders als in diesen Formen zu erkennen; darum so wie von der Religion, als der Wechselwirkung des Göttlichen und Menschlichen, der Glaube an das Wahre, und die Liebe des Guten nicht 40 getrennt werden kann, vielmehr jener Glaube und diese Liebe die wahre i n n e r e Religion, die Religion des Herzens ausmachen, so kann auch von der <?page no="509"?> 477 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) Darstellung der Religion im Sinnlichen, von der ä u ß e r n Religion (und das eben ist der Cultus) die Anschauung des Schönen nicht getrennt seyn; wo immer ein Cultus ist, wird er die schönsten Formen zu seiner Darstellung suchen, zur Bezeichnung des Göttlichen das Schönste was die Menschen kennen wählen, oder wenn diesen die ihnen bekannte Natur mit ihren Schön- 5 heiten nicht mehr genügt, so werden sie zum Behufe ihres Cultus sich eine Kunst erschaffen. Dies ließe sich durch die vollständigste Induction aus der Geschichte nachweisen; der Erklärungsgrund des Geschichtlichen aber liegt 383 in der Natur des menschlichen Gemüthes, aus welchem das in ihm verborgene Göttliche nicht nur bis zur Idee in der Vernunft h i n a u f , und bis zur Regel 10 des Guten in den Willen h i n e i n , sondern auch bis zur Verkörperung im Sinnlichen h i n a u s zu dringen strebt, ja nach dem Gange der gesammten Entwickelung des Menschen muß dies letzte viel früher geschehen als das erste. Nach diesem allgemeinen Gesetze mußte auch im Christenthume sich nicht nur ein äußerer Cultus ursprünglich ansetzen, selbst wenn Christus 15 einen solchen nicht ausdrücklich angeordnet hätte, wie er doch gethan hat; jener christliche Cultus mußte auch in seinen Formen die höchste Schönheit suchen. Diesem Streben standen zwar in den allerersten Jahrhunderten mehrerley Hindernisse in dem Wege; die Verborgenheit, in welcher sich der christliche Cultus aus Furcht vor Verfolgungen halten mußte, die Unange- 20 messenheit der alten aus dem Polytheismus hervorgegangenen Kunst für den christlichen Cultus, der in ästhetischer Hinsicht wenig gebildete Sinn der ersten Bekenner des Christenthums u. s. m. Als aber das Christenthum als die herrschende, noch mehr, als es als die alleinige Religion der Welt dastand; da suchte auch der christliche Cultus in seinen Formen die Schönheit, und 25 erschuf, indem die alte untergegangen war, sich eine eigene und neue Kunst; anfangs zwar, wie natürlich, in unvollkommenen Versuchen, bis er in seinen Bildungen zu immer würdigerer Darstellung des Himmlischen durchdrang. Dies ist die Geschichte des katholischen Cultus, wie er in seinen rein äußeren 384 Formen jetzt besteht. Sieht man auf ihren Ursprung, so war es neben dem 30 allgemeinen Bestreben des Gemüthes, die innern Offenbarungen zu objectiviren, vorzüglich der lebendige Glaube an den gegenwärtigen Gott, die Ehrfurcht vor dem sichtbaren Heiligen, was die ganze Aesthetik des katholischen Cultus und damit die gesammte neuere Kunst hervorgerufen hat. Wie alles Leben im Sinnlichen nur die Nachbildung eines höhern übersinnlichen Le- 35 bens ist, so kann auch jede schöne und bedeutsame Darstellung des Höhern nur aus regem innern Gefühl, aus lebendiger innerer Anschauung hervorgehen. Wo es an diesen beyden Bedingungen der Productionen der heiligen wie jeder andern Kunst gebricht, mag keine Theorie, noch weniger Reflexionen des Verstandes etwas schönes, das Gemüth ansprechendes erzeugen. Dar- 40 um ist über den ästhetischen Werth des katholischen Cultus auch nur eine Stimme, selbst von Seiten derer, die ihn in anderer Hinsicht verkennen. Wer <?page no="510"?> 478 Johann Sebastian Drey aber den Kunstwerth dieses Cultus achtend seine vortheilhafte Wirksamkeit auf Religiosität nicht etwa nur bezweifelt, sondern ihm gar eine entgegengesetzte vorwirft, dem legen wir zum Nachdenken und zur Beantwortung folgende Fragen vor. Wie muß man es denn ansehen, daß Gott der Ewige und Unsichtbare, der reine Geist, der Körperlose sein an sich unergründliches 5 Wesen und seine Eigenschaften sinnlichen Dingen einzuprägen unternommen, diese als Darstellung seines ewig übersinnlichen Lebens und Wirkens hervorgebracht, und aus ihnen als Urkünstler diesen Kosmos, das Urbild aller menschlichen Kunst, gebil-det hat? Wie ist er darüber zurechtfertigen, da ein 385 ganzes Menschengeschlecht davon Anlaß genommen hat, Jahrtausende lang 10 seine Bilder für ihn selbst zu nehmen, ihnen statt ihm göttliche Verehrung zu erweisen, Abgötterey zu treiben; ein anderes Geschlecht von Menschen aber eben so lang oder noch länger, über seinen Bildern ihn selbst zu vergessen, sie zur Befriedigung niedriger, von ihm verbotener und gestrafter Lüste zu misbrauchen? − Wie kommt es, daß die Zeit, in welcher wir den katholischen 15 Cultus den Gipfel seiner Pracht und Schönheit erreichen sehen, eben die Zeit ist, in welcher nicht nur alle Tempel mit Gottesverehrern gefüllt sind, Gottes Lob und Preis in aller Menschen Munde tönt, seiner gedacht wird Tag und Nacht; sondern auch jeder Art von Nothleidenden von der christlichen Bruderliebe Zufluchtsörter errichtet werden, Armen- Kranken- Pilgerhäuser ent- 20 stehen, [sogar eine Gesellschaft von Brüdern Brückenbauern *) ; ] und dies freywillig ohne irgend einen Zwang? Dagegen in jenen Zeiten, seit welchen man jenem Cultus Vorwürfe der Unzweckmäßigkeit, der Schädlichkeit, des Götzendienstes etc. zu machen angefangen hat, die Tempel immer leerer und wüster, der Gottesläugner mehr, der Gottesverehrer weniger geworden sind, 25 so daß er sich kaum noch aus dem Munde der Kinder und der Säuglinge sein Lob bereiten kann? Daß in eben den genannten Zeiten jene vielen Denkmäler 386 christlichreligiöser Menschenliebe nach und nach zerfallen und eingezogen worden, und die Armen nun von Armen erhalten werden müssen in Kraft von − Steuern und Mandaten? − − 30 Der katholische Cultus hat endlich in seinen wesentlichen wie in seinen außerwesentlichen Bestandtheilen eine Mannichfaltigkeit, die es ihm möglich macht, auf die Gemüther nach Verhältniß ihrer Individualität zu wirken, ihnen Gott in der Gestalt erscheinen zu lassen, in welcher ihn der Mensch nach der besondern Lage seines Geistes sehen will oder zu sehen braucht, in 35 welcher das Höhere Uebersinnliche die bewegte Seele am meisten anspricht. Schon das Misverhältniß des Ewigen zum Zeitlichen, des Uebersinnlichen zum Sinnlichen bringt es mit sich, daß jenes, indem es sich in diesem offenbart, an eine einzige Offenbarungs-Form nicht gebunden seyn kann, sondern * Man sehe eine eigene Piec¸e hierüber vom Bischof G r e g o i r e : R e c h e r c h e s h i s t o r i q u e s s u r l e s c o n g r e g a t i o n s h o s p i t a l i e´ r e s d e s f r e r e s P o n t i f e s . P a r i s , 1 8 1 8 . [Fußnote Dreys; Akzentsetzung nach der Vorlage; lateinische Lettern hier gesperrt] <?page no="511"?> 479 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) deren mehrere suchen muß, um sich darein zu ergießen. Der Mensch selbst, obwohl sein Verhältniß zu Gott im Ganzen unveränderlich festgesetzt ist, durchlauft während seiner Entwickelung mehrere Zustände, als eben so viele Metamorphosen seines Geistes und seiner Seele, in deren jedem sein z e i t l i c h e s Verhältniß zu Gott ein anderes ist; und diesem Verhältnisse gemäß 5 soll der Cultus ihn anregen. Das religiöse Leben, wie es innerlich in der Brust des einzelnen Menschen pulsirt, ist nicht weniger regsam und reich an Bewegungen, als das empirische; und jenen inneren Bewegungen soll der Cultus entgegen und zu Hilfe kommen, auf daß der Geist der Re-ligion in seinen 387 Erzeugnissen ausgeboren werden könne. Selbst das gemeine Leben, dessen 10 Andrange der Mensch ausgesetzt ist, wechselt mit seinen irdischen Schicksalen, mit Wohl und Wehe, und bringt die Wirkungen seines Flutens nicht weniger in die Seele, als die Atmosphäre die Wirkungen ihres Flutens in den Körper des Menschen. Nun hat man es doch von jeher für eine Bestimmung der Religion mit angesehen, daß sie den Menschen über die Schicksale des 15 gemeinen Lebens erheben, dessen Stürme beschwichtigen, dessen Sonnenglanz verschönern müsse; darauf muß also auch der Cultus berechnet seyn. Aus allen diesen Betrachtungen geht hervor, daß der Cultus eine Mannichfaltigkeit von Formen haben müsse, um seiner Bestimmung zu entsprechen, und die Wirkungen die man von ihm erwartet, hervorbringen zu können. Wie 20 groß diese Mannichfaltigkeit in ihrem Umfange nach außen, wie gestaltet sie nach innen seyn müsse, das läßt sich freylich nicht haarscharf bestimmen; wir wollen indessen die Mannichfaltigkeit, die der katholische Cultus hat, in ihrer Angemessenheit zum Zwecke kurz beleuchten. Er begegnet zuförderst dem Menschen auf dem Wege seines Geistes in jedem Verhältnisse, in welches der 25 Mensch mit Gott kommen kann, und begegnet ihm in jedem Verhältnisse mit einem eigenen Geheimnisse. Den kaum gebornen Erdenbürger laßt er für eine höhere Welt wiedergeboren werden, und gibt ihm Bürgerrecht im Reiche Gottes ; den zum Gebrauche der Vernunft gekommenen macht er mann- und wehrhaft in diesem Reiche, haucht ihm den höhern Geist, die Quelle heiliger 30 und edler Gesinnungen, die Kraft zu jeder gottgefälligen That ein; begegnet 388 denn dem Gottgeweiheten das Menschliche, dem kein vom Weibe geborner entgeht, wird er von der Sünde übereilt oder auch schwerer verwundet, so stellt der katholische Cultus die Gesundheit der Seele, den Frieden mit Gott wieder her, indem er Vergebung der Sünden dem reuigen Bekenner spendet; 35 alle, den Gerechten wie den Büßer bringt er in die innigste Verbindung mit Christus und mit Gott durch Theilnahme am Leib und Blute des Herrn, wie am Geiste des Logos, und unterstützt das hochheilige Geheimniß durch die Kraft des heiligen Wortes in einfach belehrender und in schwunghaft begeisternder Rede. Und nachdem er den Gott suchenden Menschen auf solche Art 40 durchs Leben begleitet, weicht er von ihm auch im Tode noch nicht; mit dem letzten Geheimnisse tritt er an das Bett des Sterbenden, sänftiget die ringende <?page no="512"?> 480 Johann Sebastian Drey Seele, lößt ihre Flügel, und weist ihr die ungewohnte Bahn in die Regionen des Lichts. Die entseelte Hülle weihet er im Grabe zur Saat für die Auferstehung, mit dem entschwundenen Geiste aber unterhält er unsichtbare Gemeinschaft bis zum großen Tage, der alle wieder vereinigt. − In seinen übrigen Handlungen bewahrt derselbe Cultus einen Reichthum der mannich- 5 faltigsten und individuellsten Anregungen für das Gemüth. Nicht nur, daß er jene Verhältnisse und Verbindungen, auf welchen die fortwährende Ergänzung der bürgerlichen und der ethischen (kirchlichen) Gesellschaft ruhet, die Ehe und die Ordination, im Sacrament zu einer heiligen Sache macht, und in der Sache auch die Personen heiligt, nicht nur daß er die Ge-schichte Christi, 10 389 die er in Festen und Ceremonien symbolisch vergegenwärtigt, auf mannigfaltigste Art zu Aufstellung der reinsten Ideale für ein gottseliges Leben, und zu den kräftigsten Motiven für alles Gute benützt; selbst die so verkannte und angefochtene Verehrung der Heiligen, deren Geschichte er benutzt und symbolisirt wie die Geschichte Christi, ist in ihm auf wunderbare Weise zum 15 Beförderungsmittel lebendiger Religiosität verarbeitet. Denn sie ist, wenn die Geschichte Christi als Inbegriff moralischreligiöser Ideale und Motive betrachtet wird, die nothwendige Ergänzung von dieser. Hier in der Geschichte der Heiligen und ihres frommen Lebens erscheinen ja die von Christus aufgestellten Ideale verwirklicht, wie sie von Menschen, die an moralischer Kraft 20 unter ihm stehen, verwirklicht werden können, und sie erscheinen verwirklicht in einer weit größern Mannichfaltigkeit von irdischen Lagen und Verhältnissen, als das Ideal, die Geschichte Christi andeuten kann, da Christus in seinem irdischen Leben unmöglich in alle diese Lagen und Verhältnisse kommen konnte. So wird nicht nur die Entschuldigung des Trägen, die dieser von 25 der Unerreichbarkeit des Ideals hernehmen könnte, abgeschnitten, sondern es werden auch für alle möglichen Lagen des Menschen nach dem Verhältnisse von Geschlecht, Alter, Stand, Lebensschicksalen u. s. w. die hellsten, nachahmbarsten und nachahmungswürdigsten Muster aufgestellt. − Wie berechnet ist endlich jener Cultus auf die zufälligen und vorübergehenden Gemüths- 30 stimmungen des Menschen? Ist einer von seinem Geiste ergriffen zum Großen, will dieser sich erheben zu Entschlüssen, sich ergießen in Thaten; er tritt 390 in den majestätischen Dom, erhebt sich an den großen Gestalten, wird fortgerissen von dem begeisternden Choral, oder von der voll und vielstimmig tönenden Musik. Will der Geist still und ruhig bey sich einkehren, in die 35 heilige Tiefe der Meditation hinabsteigen, Gott nicht im Sturmwind und Donner von außen, sondern im leisesten innern Wehen der Seele vernehmen; ihn empfängt die finstre Kapelle, in der das sparsam von oben einfallende Licht den Weg Gottes in sein Herz, den Weg seiner Empfindungen zu Gott bezeichnet. Ist einer gestimmt zur Freude, will sein Herz sich erleichtern, des 40 Lebens Sorgen wegwerfen; der fröhliche Festtag, die volle Gemeine, der Schmuck der Tempel und der Beter, die heitre Musik bringen ihn in diese <?page no="513"?> 481 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) Stimmung oder erhalten ihn darin. Ist aber sein Herz traurig, und liebt es seiner Trauer nachzuhängen; das Fest aller Seelen, die Kirchtage für die verstorbenen, die ernstern Kirchenzeiten befriedigen diese vorübergehende Stimmung, und indem sie der Traurigkeit eine Brücke aus dem Herzen bauen, nehmen sie dieselbe eben darum hinweg. − Endlich verdient noch die Frey- 5 heit, welche dieser Cultus dem Gemüthe läßt, eine besondere Erinnerung. Wo die Handlung nicht blos auf alle berechnet ist, sondern auch alle bindend beschäftigt, wie dies bey der Predigt und bey dem a l l g e m e i n e n Gesange, Gebete u. s. w. der Fall ist, da ist die freye Bewegung des Gemüthes durch die bestimmten Begriffe der Rede, des Lieds, etc. beschränkt. Sagt nun der 10 gegebene unabwendbare Begriff der individuellen Stim-mung des Gemüthes 391 nicht zu, so wird dieses durch jenen nicht nur nicht angeregt, er ist der freyen lebendigen Entwickelung des Gefühls entgegen, wirkt also stöhrend auf den der andächtig seyn will. Im katholischen Cultus ist nun jede Handlung zwar auf alle berechnet, aber die Predigt und einige Gebete abgerechnet, bindet sie 15 nicht alle. Die übrigen hauptsächlichen Handlungen des Cultus, das Hochamt und die Vesper insbesondere, sprechen das Gemüth blos durch die allgemeinsten einem jeden bekannten Begriffe ihrer Bedeutung und Tendenz an, lassen aber den Erguß der einzelnen Empfindung ganz frey, die sich gestalten und in Begriffe auflösen kann, wie sie will, und wie es eines jeden Persönlichkeit nach 20 allen Beziehungen angemessen ist. Dieselbe Freyheit läßt dem Gefühle auch die Musik, insoferne sie als Instrumental-Musik wohl eine gewisse Empfindung, aber ohne bestimmte Begriffe ausdrückt; ja selbst der Gesang, da er nicht von allen, sondern nur von einigen ausgeführt wird, und die bestimmten Begriffe des Liedes nur den Sängern vorliegen, läßt dem Zuhörer die Frey- 25 heit, seine Empfindung bey größerer Aufmerksamkeit entweder in jene Begriffe des Liedes, oder in andere seinem Herzen und Verstande näher gelegene zu ergießen. Die gleiche Freyheit gestattet endlich auch die fremde Sprache der Liturgie, die nur in dieser Beziehung zu rechtfertigen, in jeder andern allerdings zu tadeln ist. 30 4. [559] Beziehung des Katholicismus auf christliches Kirchenthum. 7 Unter die wesentlichen Beziehungen eines Religionssystems gehört auch die Art und Weise, wie es sich überhaupt zu einer Kirche bildet, wie es diese organisirt, und wie es eben durch diese Organisation den Zweck seines Kir- 35 chenthums selbst zu erreichen strebt. Um den Geist und das Wesen des Katholicismus zu begreifen, ist es also schlechthin nöthig, ihn auch in dieser Beziehung zu betrachten. 7 Schlußteil der Abhandlung (ThQ 1, 1819, Heft 1, 8-23; Heft 2, 193-210; Heft 3, 369-391) in Heft 4, 559-574; der Teilüberschrift gehen wieder Angaben zur Rubrizierung I. Abhandlungen. − 1. sowie der Haupttitel Vom Geist und Wesen des Katholicismus. voraus. <?page no="514"?> 482 Johann Sebastian Drey Den Ursprung und die Bildung einer Kirche überhaupt leiten einige aus einem subjectiven Bedürfnisse der Religiosität ab, entweder aus einem praktischen Bedürfnisse, nämlich dem der äußern Stärkung der religiösen Gesinnung durch gemeinsame Andacht, *) oder aus einem theoretischen Bedürf- 560 nisse, nämlich dem der Mittheilung eigener religiöser Ideen zum Behufe einer 5 gemeinsamen Belehrung und Ueberzeugung. Allein aus einem so subjektiven Grunde ist kein nothwendiges und allgemeines Verhältniß der Kirche zur Religion abzuleiten; indem ja zuförderst jenes berührte Bedürfniß selbst nur zufällig und sehr leicht der Fall denkbar ist, daß Jemand jene äußern Stärkungen durch gemeinsame Andacht verschmähet, und auch weiter den Eifer 10 oder den Ehrgeiz nicht hat, seine religiösen Ueberzeugungen allgemein machen zu wollen. Die Erfahrung bestätigt dieß ja in hundert Fällen. Die Beziehung der Kirche zur Religion muß also in etwas anderm gesucht werden, das mehr Nothwendigkeit und Allgemeinheit hat als ein subjectives Bedürfniß. Ueberhaupt, d. h. in Ansehung aller Religionssysteme liegt diese 15 Beziehung darinn, daß wenn einmal ein solches sich in der Welt festsetzen, erhalten, und eine sichere Wirkung unter den Menschen hervorbringen will, es diese seine Absicht und seinen Zweck nur durch ein Kirchenthum erreichen kann. In einem gegebenen Falle aber, d. h. wo Jemand mit seinem Religionssysteme jenen Willen gefaßt hat, wie z. B. Christus, wird zur wirk- 20 lichen Begründung eines Kirchenthums noch weiter erfordert, daß er seinen ausgesprochenen Willen auch durch eine höhere Auctorität als die seiner Subjectivität, d. h. durch eine göttliche als eine allein wahrhaft objective, unterstützen könne. Hierinn liegt die Nothwendigkeit eines c h r i s t l i c h e n Kirchenthums. 25 561 Christus wollte, daß sich sein Religionssystem in der Welt festsetzen, erhalten und eine sichere bleibende Wirkung unter den Menschen hervorbringen sollte; − dieß ist so historisch gewiß, daß es selbst diejenigen, die kein Kirchenthum wollen, nicht läugnen können. Er mußte also auch ein Kirchenthum wollen; diese Consequenz ist so richtig, und nicht nur aus allgemeinen Be- 30 griffen, sondern auch aus der Erfahrung nachweisbar, daß wenn wir auch gar nichts von diesem zweyten Willen Christi wüßten, wir ihn voraussetzen müßten, und wenn er auch hierüber nichts festgesetzt hätte, diejenigen, die seinen ersten Willen aus- und sein begonnenes Werk in seinem Geiste fortführen sollten, jenes zu tun genöthigt gewesen wären. Die höhere Auctorität aber, 35 worauf Christus sein ganzes Werk, sowohl sein Lehramt als sein Kirchenthum gründete, ist unverkennbar von ihm ausgesprochen, und gewiß auch bethätigt. Indessen ist es nicht unsere Aufgabe, dieses zu beweisen, aber berühren mußten wir diese Prämissen, weil ohne sie die Beziehung des Katholicismus auf christliches Kirchenthum nicht begreiflich zu machen ist. 40 * Aphorismen über Religion, Kirche und Staat − von Wilhelm Mejer. 1817. S. 30 ff. <?page no="515"?> 483 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) Diese selbst liegt in der Grundanschauung des Katholicismus vom Christenthum überhaupt *) . Gleichwie er dieses nicht als eine momentane Thatsache, die nur durch todte Ueberlieferungsmittel auf die Nachwelt gebracht wird, sondern als eine in einer bestimmten Zeit zwar entstandene, aber von da an ununterbrochen fortbestehende, durch ihr lebendiges Daseyn sich selbst über- 5 liefernde Erscheinung betrachtet, so muß er auch aus diesem Gesichtspuncte 562 dasjenige, was dieser an sich religiösen Erscheinung bey ihrer Entstehung äußern Zusammenhalt, und dem in ihr sich aussprechenden Drängen religiöser Ideen und Gefühle die Gestaltung zu einer frommen Gesellschaft − Kirche − gab, eben so wenig für etwas blos vorübergehendes und zufälliges, 10 er muß es vielmehr für eben so fortdauernd und wesentlich halten, wie die ganze Erscheinung überhaupt. Diese Betrachtungsweise ist das eigentlichste und ächte Princip, wornach der Katholik sowohl das christliche Kirchenthum als sein eigenes construirt und beurtheilt; und jedes andere Princip kündigt sich schon durch seine Constructionsmethode als ein von jenem verschiedenes 15 an. In jedem anderen Systeme, außer dem katholischen, wird jede spätere Periode des Christenthums als eine Erscheinung angesehen, die sich aus sich selbst blos unter Leitung der todten Ueberlieferung des Urchristenthums bildet, und insofern eine solche Erscheinung wirklich den Charakter eines 20 Kirchenthums trägt, entsteht bey der historischen Beurtheilung derselben allerdings nothwendig auch die Frage, ob Christus überhaupt eine Kirche, und insbesondere ob er eine s o l c h e gewollt habe? Da die Frage so gestellt, den, der sie beantworten will, schon für sich selbst auf das Wort verweist, und die Ueberlieferung, aus welcher sie beantwortet werden soll, wieder nur Wort 25 ist, folglich die Beantwortung nirgends von einem Seyn, sondern lediglich vom Wort allein abhängt, so ist bey der Spärlichkeit und Vieldeutigkeit des letztern begreiflich, daß jene so verschiedenartig, als nur möglich, ausfallen müsse. Nach dem katholischen Princip kann jene Frage eigentlich gar nicht ge- 30 stellt werden, wenigstens thun die, welche sie so stellen, dieß nicht mit 563 klarem Bewußtseyn ihres Princips. Es ist überhaupt etwas sonderbar, darnach zu fragen, was einer gewollt habe, wenn sein lebendiges Seyn und Thun vor Augen liegt. Sehet nur zuerst nach, wie sich der benommen habe, der zuerst eine Summe religiöser Begriffe von allgemeiner Bedeutung und allgemeiner 35 Bestimmung unter die Menschen gebracht, wie er diese nicht nur ausgesprochen, und schon dadurch, so wie durch alles, was die Menschen ihm zuzuziehen fähig war, eine Schaar von Gläubigen um sich gebildet, sondern wie er aus dieser Masse sich noch eine Elite von Vertrauten und Vertrautesten ausgeschieden und mit sich enger verbunden, nicht blos um ein allgemein 40 * Man sehe 1s Heft, 1e Abh. <?page no="516"?> 484 Johann Sebastian Drey menschliches Bedürfniß zu befriedigen, sondern um aus ihnen Gehilfen seines Werkes, Vollstrecker seiner Absichten, den Stock und Kern der neuen Verbindung, die er unter den Menschen eingeleitet hatte, zu bilden. Sehet ferner nach, in welches Verhältniß er sich zu diesen, in welches Verhältniß er sie unter sich und zu allen übrigen, die in seine Verbindung treten würden, 5 gestellt, welche Sendung und Vollmachten, welche Aufträge und Befehle er ihnen zu diesem Zwecke gegeben, welche Voraussagungen er ihnen in Beziehung auf das ganze Werk gemacht, welche Verheißungen er ihnen gethan und erfüllt habe. Sehet endlich nach, wie nach seinem Verschwinden aus dem Sichtbaren diese Elite das ihr aufgetragene Werk weiter geführt und geför- 10 dert, wie sie zuerst vereinigt, dann zerstreuet gewirkt, welche Verbindung und durch welche Mittel sie auch in der Zerstreuung zu unterhalten gesucht, welche Haltung sie den einzelnen Gläubigen und den ersten Gemeinden gegenüber angenommen und behauptet, wie sie den Glauben und die Sitte, 564 Ordnung und Eintracht, Brüdersinn und Bundestreue nicht nur mit Wort und 15 Schrift gelehrt, sondern auch durch Verfassung und Zucht aufrecht zu erhalten gestrebt, worauf endlich sie die Vollmacht, dieß alles tun zu dürfen, gegründet habe. − Dies historische Bild liegt geschichtlich vor uns, es ist das Bild eines lebendigen Seyns und Wirkens, kein abstrakter Begriff, es ist das Bild des lebendigen Seyns und Wirkens einer Verbindung von Menschen 20 durch religiöse Begriffe und Bedürfnisse zu religiösen Zwecken, und diese Verbindung hat ein Mann − Jesus Christus − unter Berufung auf göttliche Auctorität, und unter vielfacher Bethätigung seiner Berufung zuerst bewirkt, seine Elite hat jene Verbindung auf die gleiche Weise fortgeführt und weiter verbreitet. Und diese Verbindung in ihrem ganzen Seyn und Wirken ist die 25 Kirche Christi; mit diesem Namen hat man sie immer, sie selbst hat sich so bezeichnet; wer den Namen anfechten will, mag es, die Sache selbst wird sich immer gleich bleiben. Darum kann man nicht fragen, ob Christus eine Kirche gewollt habe oder nicht, ob eine solche mit Recht oder Unrecht zu dem Christenthum hinzugekommen sey; denn es selbst war ja eine Kirche, es war 30 eine solche von dem Augenblick an, wie es den ersten Fuß in die Welt setzte, einen Urheber und Verbreiter hatte, und Anhänger gewann; in ein öffentliches sichtbares Leben übergegangen, und dieses auf sichtbare Weise bildend, mußte es Kirche werden. Gleichwie nun jenes ursprüngliche Christenthum in seinem Innern keine 35 momentane und zufällige Thatsache ist, also auch nicht in seinem äußern Leben als Kirche. Dieses ursprüngliche christliche Kirchenleben mit seinen 565 organischen Formen ist also der bleibende Typus alles christlichen Kirchenthums; die stätige, ununterbrochene, im Wesentlichen unveränderte Fortsetzung desselben das katholische Kirchenthum. Wir wollen versuchen zu zei- 40 gen, wie sich in diesem die wesentliche Urgestalt von jenem erhalten habe. Wie der Stifter des Christenthums nothwendig auch das Oberhaupt der christ- <?page no="517"?> 485 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) lichen Kirche war, und es allein blieb, so lang er sichtbar seine Gemeinde durch sich zusammenhielt, so erkennt auch die katholische Kirche ihn allein als ihr wahres Oberhaupt, von ihm benennt sie sich als die christkatholische Kirche. So wie er aber zugleich im Hinblick auf sein Verschwinden aus dem Sichtbaren, und nun wirklich verschwindend, das Amt, das Er bisher ver- 5 waltet, und die Vollmacht von oben, in der er bisher gehandelt, auf seine Vertrauten übertrug, und dadurch nicht blos sein Wort Wort der Apostel, sondern auch seine Gemeinde die Gemeinde der Apostel in einem wohl begreiflichen Sinne ward, so erkennt auch die katholische Kirche nach ihrem wahren seither unsichtbaren Oberhaupte Christus, zuerst jene nämlichen 10 Apostel, und nach ihnen in ununterbrochener Reihe wieder andere, die in das Amt und die Vollmachten der Apostel seither eingetreten sind, wie diese in das Amt und die Vollmachten Christi, als die Stellvertreter des wahren Oberhaupts, und sie entblödet sich nicht, die Apostel und ihre Nachfolger auch Häupter, Säulen, Grundlagen der Kirche oder mit jedem andern beliebigen 15 Namen zu nennen, der nur immer auf das Eine hindeutet, daß sie die Kirche Christi in seinem Namen leiten und zusammenhalten. Darum weil die katholische Kirche keinen repräsentativen Hirten, keinen repräsen-tativen Vor- 566 steher anerkennt, der nicht auf die bezeichnete Weise in das Amt eingetreten ist, nennt sie sich auch die apostolische Kirche. So wie nun ferner die Einheit 20 das erste und wesentliche Erforderniß zu einem Kirchenthum ist, und diese in der ursprünglichen Kirche durch das Daseyn und sinnliche Wirken Christi des Oberhaupts vermittelt war, so hält die katholische Kirche auch die Fortdauer jener Einheit und die Uebertragung des Mittelpuncts derselben von Christus auf ein anderes Organ für eben so nothwendig als die Fortdauer der 25 Urthatsache des Christenthums in ihrer ursprünglichen Gestalt überhaupt. Sie findet auch in den Institutionen Christi, da er seine Kirche seinen Aposteln anvertraute, ein solches Organ der Einheit einen solchen Mittelpunct auf zweyfache Weise bezeichnet; als Princip und Organ der innern geistigen Einheit verhieß und sendete er allen, nicht nur den Aposteln sondern auch 30 den Gläubigen, einen Geist, der, heilig wie Christus und eins mit ihm weil der seinige, sie von innen heraus in der Gesinnung als heiliger und christlicher Gemeingeist zusammenhalten sollte. Als Organ und Mittelpunct der äußern kirchlichen Einheit bezeichnete er natürlich ein sinnliches Wesen; einen aus der Mitte derer, denen er überhaupt seine Kirche übergab; denjenigen, an den 35 er sich zuerst gewendet, als nun die Gründung der Kirche zur Sprache kommen sollte, weil er vor den andern gewußt, worauf sie ruhen müßte, den er auch nach einem unglücklichen Begegniß von Schwäche noch immer für stark genug hielt, die andern zusammenzuhalten, auf den er das lieblichste Bild, unter welchem er sich selbst im Verhältnisse zu seiner Kirche dachte, 40 übergetragen, weil er ihn auch vor den andern der männlichsten Liebe fähig 567 hielt. Durch einen solchen Mittelpunct sollte die Kirche von außen hinein im <?page no="518"?> 486 Johann Sebastian Drey Bekenntnisse und kirchlichen Handeln zusammengehalten werden, und wir wissen, wie thätig dieser Mittelpunct in beyden Beziehungen sich erwiesen habe, so lange die Kirche sich noch in Jerusalem concentrirte. Ein solcher Mittelpunct blieb der Kirche zu allen Zeiten nöthig, er mußte sich zu allen Zeiten in ihr finden und finden lassen, wenn sie zu allen Zeiten als die reine im 5 Wesentlichen unveränderte Fortsetzung des ursprünglichen christlich-apostolischen Kirchenthums erscheinen sollte. Er fand sich auch immer und war erkannt; denn nachdem er in den ersten Jahrhunderten, − da die Kirche, sich über den ganzen kultivirten Theil der Erde verbreitend, und überall gedrängt, in beständiger Bewegung schwankte, − diesen Bedürfnissen gemäß zwischen 10 einzelnen großen Männern in der Kirche, die der Geist erweckte, und den apostolischen Kirchen als den Musterbildern für andere, und der römischen als der ansehnlichsten und ausgezeichnetsten unter jenen, und den großen Synoden selbst geschwankt und gewißermaßen vertheilt gewesen, hat jener Mittelpunct in den Zeiten der consolidirten Kirche im Sitze zu Rom seine 15 bleibende Unterlage gefunden, und er wurde hier anerkannt, weil die Männer, welche diesen Sitz einnahmen, sich eben sowohl um des Ortes willen, als wegen des Geistes und Charakters, den sie frühzeitig entwickelten, sich als die Nachfolger desjenigen zu betrachten das Recht hatten, den Christus für die apostolische Zeit als Mittelpunct der Einheit bezeichnet, und damit auch für 20 alle künftigen Zeiten den reinsten und kräftigsten Ausdruck derselben Einheit angegeben hatte. Nur der Orient hat in weltlicher Eifersucht auf seinen 568 Kaisersitz im neuen Rom jenen Mittelpunct anzuerkennen sich geweigert, und sich dadurch genöthigt gesehen, nach geschehener Trennung einen solchen Mittelpunct in einer höchst unvollständigen und kraftlosen Synode zu 25 suchen. In dem eben Entwickelten erkennt die katholische Kirche ihre wesentlichen Elemente, und da sie dieselben auf gleiche Weise in sich und in der ursprünglichen Kirche Christi findet, so hält sie sich mit Recht für die ununterbrochene, unveränderte Fortsetzung von dieser, eins mit ihr und daher sie 30 selbst. Wie sich dieses Wesentliche nach dem Geiste und den Bedürfnissen der Zeiten, der Oerter und Menschen weiter gestaltet hat, und wie es sich ferner gestalten mag, das hält sie für etwas Außerwesentliches, aber darum doch nicht gerade für ein Zufälliges. Denn zufällig ist nur, wovon sich die Ursache nicht einsehen läßt, was daher nach dem Urtheile der Menschen auch nicht 35 seyn, oder eben so gut anders seyn könnte. In der Kirche aber soll nichts geschehen und gestaltet werden ohne Ursache; denn wie sie selbst als ihr Oberhaupt erkennt den göttlichen Verstand und die Weisheit (den Logos), so muß auch sie alles ordnen und bestimmen mit Verstand und Weisheit, also aus erkannten und erwogenen Ursachen, zu erkannten und bedachten Zwecken. 40 Zweck und Mittel aber oder Ursache und Wirkung findet die Kirche gegeben in der jedesmaligen Lage von Zeit und Umständen, und in dem, was diese in <?page no="519"?> 487 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) Beziehung auf den großen und lezten Endzweck erheischen. Als eine für alle Zeiten und Völker von ihrem Stifter berechnete Anstalt muß sie fortschreiten mit den Zeiten, und hindurch durch die Völ-ker, überall weckend das rechte 569 Leben in Gott durch Christus, und das erweckte befestigend und ausbildend. Es ist aber mit dem geistigen Theile des Menschen, wie mit dem physischen, 5 er ist in allen Zeiten und unter allen Zonen derselbe, und doch in jeder wieder ein anderer; es sind dieselben Grundstoffe und Potenzen, die überall aber in andern Verhältnissen das thierische Leben unterhalten; es sind dieselben christlichen Mittel, wodurch die Kirche überall aber in anderer Anwendung das geistliche Leben unterhält. Darum wie sie dasselbe Wort Christi, aber zu 10 verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Menschen in anderer Einkleidung und mit anderen Accenten vorträgt, so gestaltet sie sich selbst auch äußerlich von Zeit zu Zeit anders, aber jedesmal nach dem Bedürfnisse der Menschen, nach den Erfordernissen ihrer Zwecke, und nach dem Geiste der Zeiten. Eine jede dieser Gestaltungen ist gut, wenn sie den gedachten An- 15 forderungen entspricht, sie hört auf es zu seyn, wenn diese anders werden. Es ist also die weitere Ausbildung des Wesentlichen zwar in Beziehung auf dieses selbst, welches immer unverändert bleiben muß, etwas außerwesentliches, aber doch nicht etwas zufälliges, sie hat eine relative Nothwendigkeit; sie muß, wenn auch nicht bleibend, doch zeitgemäß seyn. Dieß war nothwendig 20 zu sagen in Beziehung auf die katholische Kirche überhaupt, die, obwohl die ununterbrochene im Wesentlichen unveränderte Fortsetzung der ursprünglichen Kirche Christi, doch im Laufe so vieler Jahrhunderte im Außerwesentlichen sich nach allen Beziehungen vielfach umgestaltet hat, wie ihre Geschichte beweist. Es kann ihr zu keinem Vorwurfe gereichen, daß sie das that, 25 es kann nur untersucht werden, ob jede dieser Gestaltungen zeit- und zweck- 570 gemäß war. Es ist nicht ohne Interesse, darauf aufmerksam zu machen, in einer Zeit, in welcher schon der ruhige Gang der Entwickelung der Geister für sich allein eine Periode der Umgestaltung der Kirche in ihrem Außerwesentlichen herbeygeführt haben würde, in welcher aber die von außen 30 hinzugetretenen Stürme und Erschütterungen die Unhaltbarheit mancher bisher bestandenen Einrichtung noch auffallender bewiesen haben. In einer solchen Zeit thut es noth, das Zeit- und Zweckgemäße zu bedenken, und dieses weder in einer noch älteren als die abgelaufene Periode, noch in dem schnell vorübereilenden Moment des Tages zu suchen. 35 Was aber für die katholische Kirche von größerer Wichtigkeit ist als jede zeitliche Gestaltung des Außerwesentlichen, und unzertrennlich verbunden mit ihrer Grundanschauung von sich und von dem ursprünglichen christlichen Kirchenthum, das ist das Ansehen, worauf sich ihre Existenz und alle ihre Vollmacht gründet, die bindende Kraft, womit sie alle ihre Glieder 40 zusammenhält. Daß diese eine göttliche seye, daß derjenige, der ein Kirchenthum begründen will, sich auf eine solche Auctorität müsse berufen können, <?page no="520"?> 488 Johann Sebastian Drey ist schon oben gesagt worden. Denn das freyeste von allem, was der Mensch hat und haben kann, ist sein Glauben, und die Art, wie sein Gewissen ihn treibt, seinen Gott zu verehren. Nicht nur ist jeder physische Zwang, den ein Mensch oder eine Gesellschaft von Menschen etwa anwenden möchte, einen andern zu seinem (oder ihrem) Glaubensbekenntnisse, oder Cultus oder je- 5 dem andern kirchlichen Ritus zu nöthigen, das höchste Unrecht, ja nicht einmal vermö-gend, den beabsichtigten Erfolg hervorzubringen; auch nur die 571 bloße Aufforderung dazu mit Unterstellung einer b l o s m e n s c h l i c h e n Auctorität als moralischer Nöthigung oder Beweggrunds ist eine Verletzung fremden Rechts, ein Attentat einer geistigen Zwingherrschaft, welcher der 10 Angegangene die vollkommene Souveränität seines Geistes, so wie der vorgehaltenen Auctorität seine eigene als eine vollkommen gleiche entgegensetzen kann. Ja wenn es sich auch zufällig träfe, daß mehrere in ihren subjectiven Ansichten über Religion und Kirchenthum zusammenträfen, so wäre es doch nur die Subjectivität eines jeden, nicht die menschliche Auctorität der andern, 15 die ihn mit diesen verbände. Aber eben darum kann man einer solchen Verbindung mit der größten Gewißheit voraus sagen, daß sie nie in die Länge dauern werde. Nur eine göttliche Auctorität also, und diese selbst wieder nicht durch bloße Schlüsse, oder was ihnen gleich gilt, vermittelt, sondern durch Thatsachen beurkundet, enthält eine rechtliche und durch keine der 20 genannten Exceptionen abweisbare Aufforderung zum Glauben, sie allein gewährt ein festes und dauerhaftes Band einer kirchlichen Vereinigung. Auf eine solche hat Christus seine Kirche gegründet, eine solche hat er seiner Kirche hinterlassen, sowohl dadurch, daß er seine eigene Sendung und seine eigene Vollmachten den von ihm dazu Ausgewählten übertrug, als auch da- 25 durch, daß er sie überhaupt durch einen höhern unsichtbaren Beystand durch einen göttlichen Geist leitet. Und die katholische Kirche kann beweisen, daß jene ursprüngliche der Kirche Christi verliehene göttliche Auctorität sich auf sie vererbet habe. Sie kann es durch alle die Mittel, durch welche sie beweist, daß sie die ununterbrochene Fortsetzung jenes ursprünglichen Kirchenthums, 30 572 also mit ihm identisch ist. In ihr allein findet sich eine von den Aposteln und daher von Christus herabsteigende ununterbrochene Mission derer, die das Christenthum predigen, zum Eintritt in das christliche Kirchenthum mahnen, und dieses durch Regel und Vorschrift leiten. Und nur eine solche Mission kann ihrer Lehre, ihren kirchlichen Anforderungen und Vorschriften ein 35 höheres Ansehen als das ihrer Persönlichkeit geben; von jedem, der eine solche Mission nicht nachweisen kann, sind wir berechtigt zu fordern, daß er sich als Religions- und Kirchen-Stifter, oder wenigstens als einen, der die bestehende Religions- und Kirchengesellschaft zu leiten befugt ist, auf eben dieselbe Weise rechtfertige, wie Christus, (und dieser Fall ist seitdem nicht 40 vorgekommen, wird auch nie vorkommen); oder − wir sind berechtigt, seine Lehre und seine kirchlichen Anmaßungen von uns zu stoßen, schon allein <?page no="521"?> 489 Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819) darum, weil er, der doch nur auf seine individuelle menschliche Auctorität sich berufen kann, unserer eigenen Individualität und Freyheit Schranken setzen, uns etwas zumuthen will, was wir uns nur von Gott gefallen lassen, nur auf seine Auctorität annehmen. Auf j e n e M i s s i o n a l l e i n gründet die katholische Kirche ihr höheres Ansehen; mit Rücksicht auf jene Mission allein 5 unterwerfen sich die Katholiken ihrer Kirche und ihren Kirchenvorstehern; nicht einzelnen Menschen, wie fromm oder gelehrt, wie angesehen oder geachtet die auch seyn mögen, selbst nicht der ganzen großen allverbreiteten Gesellschaft unterwerfen sie sich, sie unterwerfen sich einzig einer göttlichen Auctorität, die Christus persönlich und amtlich besessen, die er in der leztern, 10 573 der amtlichen Beziehung auf seine Kirche übertragen hat. Darum, weil auf diesem ihrem Ansehen ihre ganze Existenz, ihr bleibendes Ansehen aber auf der bleibenden Mission ruhet, hält die katholische Kirche gleich fest und unverbrüchlich auf beyden. Aber eben darum, weil das Ansehen, das der einzelne Vorsteher in der 15 katholischen Kirche genießt, einzig von seiner Mission, nicht im mindesten aber von seiner Persönlichkeit oder Menschlichheit abhängt, kann der Katholik auch nachsichtiger gegen diese Menschlichkeit selbst seyn; auf keinen Fall aber können die Mängel, die er hieran entdecken möchte, ihn am Glauben an seine Kirche, an der Unterwerfung unter sie hindern. Nicht daß die 20 Kirche oder die Einzelnen in ihr gleichgiltig wären gegen die guten oder tadelhaften Eigenschaften ihrer Vorsteher. Nach dem Muster, wie Christus seine Apostel gebildet, nach den Forderungen, welche die Apostel an jene gemacht, die ein kirchliches Amt suchten oder verwalteten, bestimmt auch die katholische Kirche die persönlichen Eigenschaften derjenigen, denen sie ihre 25 Sendung übertragen will und übertragen hat, und die Einzelnen gründen ihre Erwartungen darauf. Aber wenn auch diese Erwartungen zuweilen nicht erfüllt werden, wenn sich unter die Verwaltung der Kirche menschliches Thun mischt, so können solche Unregelmäßigkeiten, nicht aus dem kirchlichen Amte, sondern aus der Menschlichkeit der Personen entsprungen, niemals 30 einen Grund enthalten, die Auctorität der Kirche selbst zu verdächtigen. Sie selbst kann zufrieden seyn, wenn sie auch in dieser Hinsicht der ursprünglichen Kirche gleicht. Nicht die Gelehrtesten, vielleicht nicht einmal die Besten schied Christus zu seinen Gehilfen aus, und doch wurden die Ausge- 574 schiedenen seine tüchtigen Bevollmächtigten an die Welt; seine Kirche mag 35 also wohl auch mitunter einen minder gelehrten oder minder guten Mann auf ihren Sitzen ertragen. Nicht ohne Fehl und nicht unfehlbar war derjenige Apostel, dem der Herr die Obhut über die anderen übertragen; wie möchte also Jemand in oder außer der Kirche von ihrem obersten Hirten Unfehlbarheit fordern, oder wenn irgend ein Nachfolger Petri, wie dieser, selbst gefehlt, 40 seinen Fehl zu Schwächung seines Amtes verdrehen? Nicht ohne Fehl und nicht unfehlbar war auch der andere, der dem Kephas in’s Angesicht wider- <?page no="522"?> 490 Johann Sebastian Drey standen, da er tadelhaft war; wohl mag also auch jezt noch in der Kirche ein Paulus dem Petrus einen Vorhalt machen, aber Niemanden befremde es, wenn auch dabey oder sonst etwas menschliches mit unterlauft. Das war der göttliche Charakter des Christenthums am Anfange, daß es große Dinge durch unscheinbare Mittel gethan; das wird der göttliche Charakter der christlichen 5 Kirche bleiben müssen, daß sie über den Schwächen ihrer Werkzeuge sich erhaben erhält, wie es die Natur des Göttlichen überhaupt ist, daß es in dieser Welt durch Menschen geschieht. Von Drey angeführte Literatur (Winfried Werner) H enri G re´goire , Recherches historiques sur les congre ´gations hospitalie `res des fre `res pontifes, ou constructeurs de ponts; par M. Gre ´goire, ancien E´ ve ˆque de Blois, etc, etc. Paris 1818. (S. 385). 1 W ilhelm J ohann M ejer , Aphorismen über Religion, Kirche und Staat. Von Wilhelm Mejer, Rechtsgelehrtem. Göttingen 1817. (S. 560). 2 1 Zum Verfasser dieser Schrift siehe unten Text Nr. 9 (Miscellanea), Einleitung zu Misz. Nr. 6, Anm. 4. 2 Verfasser: W ilhelm J ohann M ejer , * 23.9. 1789 in Osterode (Harz), † 18.9.1871 in Göttingen, Jurist, Advokat, Obergerichtsrat und Schriftsteller. Zu ihm: ADB 21 (1885) 204-207 (O tto M ejer ). <?page no="523"?> Texte Nr. 7: Dokumente zur Gründungsgeschichte der Theologischen Quartalschrift [ThQ-Dokumente] In den hier angeführten Texten sind sämtliche Schriftstücke zusammengestellt, die die Gründungsgeschichte der Theologischen Quartalschrift zum Gegenstand haben und sie aus erster Hand dokumentieren. Sie sind an verschiedenen Orten und in unterschiedlicher Weise überliefert. Über die Fundorte in den Archiven sowie ersatzweise bei S tephan L ösch als wichtigstem Gewährsmann wird jeweils an Ort und Stelle Auskunft gegeben. Die Dokumente umfassen den Zeitraum von 1818 bis 1832. Fünf davon stammen mit Sicherheit vollständig von D rey , drei gehen substantiell auf ihn zurück, ein korrespondierender Brief stammt aus der Feder von J ohann B aptist von K eller . Anhand der hier aneinandergereihten Dokumente konnten die Vorgänge um die Gründung der ThQ und die Geschichte ihrer konzeptionellen Weiterentwicklung in den ersten 13 Jahren ihres Bestehens in allen wesentlichen Punkten rekonstruiert werden. Sie belegen zugleich den führenden Anteil D reys an der Gründung und Weiterentwicklung dieser Zeitschrift. Teil A: Einleitung von Max Seckler I. Bibliographische Angaben 1. Dokument Nr. 1: Die Ankündigung der ThQ von 1818/ 1819 Mit diesem in ThQ 1 (1819) 3-5 veröffentlichten Dokument stellten die Gründungsherausgeber der ThQ unter der Überschrift Ankündigung der Öffentlichkeit das Projekt ihrer neuen Zeitschrift vor. Der mit »Die katholischen Theologen: Dr. Gratz. Dr. Drey. Dr. Herbst. Hirscher.« unterzeichnete Text trägt das Datum »Tübingen den 7 Jul. 1818«. Dieses Datum gibt den Zeitpunkt an, zu dem die Gründungsherausgeber den Text dieses Dokuments ausgefertigt und vertraglich festgelegt haben. Der Text dieses Dokuments wurde bereits im Sommer bzw. Herbst 1818 in verschiedenen Nachrichtenorganen veröffentlicht. Nachgewiesen werden konnten: Beilage zur Allgemeinen Zeitung [München] 1818, Nr. 93 (29. Juli 1818), 371 (mit minimalen Auslassungen, offensichtlich aus Platzgründen); Archiv für die Pastoralkonferenzen in den Landkapiteln des Bisthums Konstanz 17 (1818) Bd. II, Heft 11 [November], 300-303. <?page no="524"?> 492 Bibliographische Angaben Diesen beiden Abdrucken waren jeweils gleichlautende und ebenfalls auf den 7.7.1818 datierte Hinweise des Verlegers H einrich L aupp zu Erscheinungsweise, Ausstattung und Preis angeschlossen. Ein Abdruck der Ankündigung findet sich bei L ösch , Die Anfänge (wie Einleitung zu Text Nr. 6, Anm. 1) 15-17. L ösch liefert auch nähere Angaben zur Entstehungsgeschichte, zum Kontext und zur Deutung dieses Textes (ebd. 14 f; 17-20). 2. Dokument Nr. 2: Nachtrag zur Ankündigung von 1819 Dieser Text findet sich in ThQ 1 (1819) 6-7 unmittelbar im Anschluß an Dokument Nr. 1, ist aber durch drei Asterisken von diesem abgesetzt. Er trägt keine eigene Überschrift, ist undatiert und mit »Die Herausgeber« unterzeichnet. Aus den Anfangsworten geht eindeutig hervor, daß er als Nachtrag zur Ankündigung gedacht ist. Dieser Nachtrag ist bei den beiden Abdrucken der Ankündigung in der Allgemeinen Zeitung und im Konstanzer Pastoralarchiv (siehe Ziff. I.1) nicht enthalten. Der Text ist bei L ösch , Die Anfänge (siehe Ziff. I.1) 17 abgedruckt. 3. Dokumente Nr. 3: Erklärung und Widerlegung von 1820 a. Die Erklärung Dieser Text findet sich in ThQ 2 (1820) 551-557. Er trägt die Überschrift Erklärung und ist mit den Worten »Die Redaction der theol. Q.S.« unterzeichnet. Der Verfasser ist mit Sicherheit D rey . b. Die Widerlegung Dieser Text ist abgedruckt in ThQ 2 (1820) 558-563. Er trägt die Überschrift Widerlegung und ist mit den Worten »Die Redaction der theol. Quartalschrift« unterzeichnet. Der Verfasser ist mit Sicherheit D rey . 4. Dokumente Nr. 4: Zwei Briefe (Keller / Drey) von 1821 a. Generalvikar Bischof Johann Baptist von Keller an die Herausgeber der Theologischen Quartalschrift. Brief vom 4. Februar 1821 Der Brief trägt die Anschrift »Den Hochwürdigen, hochgelehrten Herren Professoren der Theologie der katholischen Facultät zu Tübingen«. Er ist »Gegeben in dem Bischöflichen Generalvicariat zu Rottenburg, den 4. Februar 1821«. Ausfertigung in Kanzleischrift mit der eigenhändigen Unterschrift: »Johann Baptist Bischof v. Evara, Generalvicar v. Keller, mppr.«. Fundort: DAR, Bestand G 1.1 D 8. 2 a (Personalakte D rey ). Von diesem Brief existiert ebd. der Entwurf in der Handschrift K ellers . Der Text der Ausfertigung ist abgedruckt bei R udolf R einhardt , Zwei Dokumente zur frühen Geschichte der Theologischen Quartalschrift, in: ThQ 150 (1970) 173-175 sowie in editorisch wesentlich verbesserter Form und mit <?page no="525"?> 493 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ Berücksichtigung der Vorstufen bei ders ., Neue Quellen zu Leben und Werk von Johann Sebastian Drey. Dreys Antwort auf das »Pastoralschreiben« des Rottenburger Generalvikars im Jahre 1821, in: ders . (Hg.), Tübinger Theologen und ihre Theologie. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Katholisch-Theologischen Fakultät Tübingen (Contubernium 16). Tübingen 1977, 152-155. Diese Edition wurde hier als Dokument Nr. 4 a übernommen (zu den Grundsätzen seiner Textgestaltung siehe ebd. 151 f), dabei wurden jedoch Orthographie und Interpunktion des Originals wiederhergestellt sowie Änderungen ihres Wortlauts im Apparat angezeigt. b. Johann Sebastian Drey als Herausgeber und Redacteur der Theologischen Quartalschrift und im Namen der Professoren der Katholisch-Theologischen Fakultät an Bischof von Keller. Brief vom 8. Mai 1821 Eigenhändige Antwort D reys auf den Brief des Generalvikars (siehe Dokument Nr. 4 a) mit Datum vom 8. Mai 1821. Das Original des Briefes ist unauffindbar. Text des Briefes gemäß erhalten gebliebenem Konzept. Fundort: UAT, Abt. 184/ 235 (Dekanatsakten 1821/ 22). Der Text der Konzeptfassung ist unter Berücksichtigung der von D rey vorgenommenen Überarbeitungen ediert bei R einhardt , Neue Quellen (wie Ziff. I.4.a) 155-161. Diese Edition wurde hier als Dokument Nr. 4 b übernommen (zu den Grundsätzen seiner Textgestaltung siehe ebd. 151 f), dabei wurden jedoch Orthographie und Interpunktion der Konzeptfassung wiederhergestellt. Die Textgenese des von D rey mehrfach überarbeiteten Konzepts ist nicht mehr exakt rekonstruierbar (siehe ebd.), bedeutsame Änderungen des Wortlauts werden im Apparat angezeigt. 5. Dokument Nr. 5: Grundsätze für die reformierte Quartalschrift (1826/ 27) Der Text dieses in der Handschrift D reys verfaßten Schriftstücks ist abgedruckt bei L ösch , Die Anfänge (siehe Ziff. I.1) 28-30. Das Original konnte nicht eingesehen werden. Es befindet (befand? ) sich L ösch zufolge in den Akten der ThQ-Schriftleitung (z.Zt. nicht auffindbar). 6. Dokumente Nr. 6: Brief Dreys vom 18. Dezember 1831 an die Mitherausgeber sowie Anordnungen der Redaktion vom 2. Januar 1832 a. Brief Dreys an die Herausgeber der Theologischen Quartalschrift (18. Dezember 1831) Schreiben D reys »An meine Herrn Collegen als Herausgeber der Theologischen Quartalschrift« mit der Datumsangabe »Tübingen, den 18. Dez. 1831«. Der Brief ist abgedruckt bei L ösch , Die Anfänge 124-126. Zum Fundort und zur äußeren Gestalt der Originale macht L ösch keine Angaben (weitere Informationen zu diesen Dokumenten bei L ösch ebd. 121 ff). <?page no="526"?> 494 Erläuterungen zu diesen Dokumenten im ganzen b. Anordnungen der Redaktion (2. Januar 1832) Die Anordnungen der Redaktion der Quartalschrift wurden in der Sitzung der Herausgeber der ThQ am 2. Januar 1832 beschlossen. Sie sind ohne Angaben zu Gestalt und Fundort abgedruckt bei L ösch , Die Anfänge 127-129. II. Erläuterungen zu diesen Dokumenten im ganzen 1. Begründung für die Aufnahme dieser Dokumente in den vorliegenden Band Die unter dem Rubrum Text Nr. 7 zusammengestellten Dokumente Nr. 1-6 nehmen in diesem Band eine Sonderstellung ein. Es handelt sich weder um Texte, mit denen D rey in eigener Verantwortung als Autor publizistisch an die Öffentlichkeit trat, wie es bei allen anderen in diesen Band aufgenommenen Schriften D reys der Fall war (ausgenommen die in Text Nr. 2 edierte, von D rey nicht veröffentlichte Vorlesung [Ideen zur] Geschichte des Katholischen Dogmensystems), noch überhaupt um Texte, die theologische Themen oder wissenschaftliche Fachfragen zum Gegenstand hätten. Sie haben vielmehr den Charakter von Dokumenten, die die Gründung der ThQ sowie die Grundsätze zu ihrer Gestaltung in den ersten zwölf Jahren ihres Bestehens betreffen. Die Dokumente Nr. 1-3 wurden 1819 und 1820 in der ThQ veröffentlicht, Nr. 4-6 sind nur archivalisch überliefert. Die Auswahl der Texte erfolgte unter zwei Gesichtspunkten: Maßgeblich war zum einen das Kriterium der Verfasserschaft. In dieser Hinsicht ist die Sachlage uneinheitlich: Dokument Nr. 1 (die Ankündigung) ist von G ratz , D rey , H erbst und H irscher als Gründungsherausgebern gemeinschaftlich unterzeichnet, Dokument Nr. 2 (der Nachtrag) mit »die Herausgeber«, die Dokumente Nr. 3 a und Nr. 3 b (die Erklärung und die Widerlegung) jeweils mit »die Redaction«. Nur für die Dokumente Nr. 4 b bis Nr. 6 steht die Verfasserschaft D reys von vorne herein fest. Für die Dokumente Nr. 3 a und Nr. 3 b ist sie mit Sicherheit erschließbar, während für die Dokumente Nr. 1 und Nr. 2 nach Ausweis der Unterschriften D rey formal nur als Mitverfasser beteiligt war. Es gibt, wie sich noch zeigen wird, gute Gründe für die Annahme, daß er auch für sie als Hauptautor anzusehen ist. Die Verfasserschaftsfrage wird von Fall zu Fall in den Erläuterungen zu den einzelnen Dokumenten (siehe unten Ziff. III) behandelt werden. Das zweite Auswahlkriterium betrifft die den sechs Dokumenten gemeinsame Thematik. Alle haben die Gründung und Gestaltung der ThQ zum Gegenstand. Sie betreffen somit auch den Anteil D reys an diesem Geschehen und bilden nach Geist und Inhalt ein Kontinuum. Das letzte der Dokumente ist 1831 entstanden, mit ihm kam die Gründungsphase der ThQ zum Abschluß. Im Hinblick auf diese beiden Kriterien kann man die Dokumente Nr. 1-6 als eine literarische Einheit ansehen, die im literarischen Schaffen D reys einen <?page no="527"?> 495 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ klar abgrenzbaren und sachlich wichtigen Posten darstellt. Die Ausweitung des Gesichtsfeldes bis zum Jahr 1831 schien angebracht zu sein, weil es sich bei den nach 1819 entstandenen Schriftstücken im Grunde nur um Präzisierungen der 1818/ 19 festgeschriebenen Absichten und um ihre erfahrungsbedingte Anpassung an neue Situationen handelt. Für die Aufnahme der nach 1819 entstandenen Schriftstücke sprach außerdem die Überlegung, daß diese in einem späteren Band der TüA nicht ohne Rückgriff auf die Grundlagentexte von 1818/ 19 untergebracht werden könnten. Der Anteil, der D rey am Zustandekommen, an der Verfassung und am Geist der ThQ zusteht, läßt sich nur aus der Gesamtheit der einschlägigen Dokumente erheben. Die hier zusammengestellten Dokumente ergeben in ihrer Summe eine solide Grundlage für die Rekonstruktion der Rolle D reys in der Gründungsphase der ThQ; sie erlauben außerdem Rückschlüsse auf den Anteil anderer Personen und Faktoren in ihr. 2. Die Frage nach dem Anteil der am Zustandekommen der Theologischen Quartalschrift beteiligten Personen in der Fachliteratur a. Drey als Begründer der Theologischen Quartalschrift (Karl Werner) In seiner Darstellung der Geschichte der katholischen Theologie. Seit dem Trienter Concil bis zur Gegenwart, dem noch mitten im theologischen Gewoge des 19. Jahrhunderts entstandenen Standardwerk, in dem zumal für das laufende Jahrhundert das Gelände der katholischen Theologie neu und für die Folgezeit wegweisend vermessen wurde, hielt K arl W erner lapidar fest, »im Vereine« mit seinen Mitherausgebern »begründete Drey die Quartalschrift« 1 . Der Formulierung ist anzusehen, daß W erner hier nicht nur seine eigene Meinung bekundete, sondern zugleich einem in der Fachwelt bestehenden Konsens zustimmend wiedergab, der dann auch in der Substanz der Aussage zu einem Fixum in der Biographie D reys und in der Darstellung der Gründungsgeschichte der ThQ geworden ist. Diese Auffassung wurde auch von L ösch in seiner Monographie über Die Anfänge der Tübinger Theologischen Quartalschrift mit Bestimmtheit vertreten. L ösch befaßte sich dort auch mit der Frage nach dem eventuellen Anteil der übrigen Gründungsherausgeber - G ratz , H erbst und H irscher - am Gründungsgeschehen der ThQ und erkannte ihnen gewisse Nebenrollen zu. Abweichend davon sind neuerdings Stimmen laut geworden, die die Führungsrolle D reys zurückzusetzen oder überhaupt in Frage zu stellen suchen. Über L ösch und sie ist nachfolgend kurz zu berichten, da sie auch für die 1 K arl W erner , Geschichte der katholischen Theologie. Seit dem Trienter Concil bis zur Gegenwart. München 1866, 472. Dieses Werk figuriert als Sechster Band in der durch die Historische Kommission bei der Königlichen Akademie der Wissenschaften in München herausgegebenen Reihe Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Neuere Zeit. Es kam 1889 in zweiter Auflage heraus. <?page no="528"?> 496 Erläuterungen zu diesen Dokumenten im ganzen Frage nach dem Anteil D reys an der Verfasserschaft der Dokumente Nr. 1 und Nr. 2 von Belang sind. b. Stephan Lösch über die Führungsrolle Dreys und die Anteile der Gründungsherausgeber Es handelt sich bei der 1938 von L ösch vorgelegten Untersuchung um die bisher einzige Monographie zu diesem Gegenstand. Das Hauptinteresse L öschs war darauf gerichtet, die Autoren sämtlicher Beiträge, die von 1819 bis 1831 in der ThQ anonym erschienen sind - der Grundsatz der Anonymität wurde 1831 aufgegeben - zu identifizieren, doch in den einleitenden Teilen seiner Untersuchung hat L ösch sich auch mit der Gründungsgeschichte der ThQ befaßt. Er ist in diesem Zusammenhang der Frage nach dem institutionellen Träger der ThQ im Sinne ihrer Begründer sowie nach dem individuellen Anteil der einzelnen Gründungsherausgeber an der Begründung und Positionierung der ThQ nachgegangen. Der institutionelle Träger war nach dem Willen der Herausgeber nicht die Fakultät, sondern der von den Herausgebern G ratz , D rey , H erbst und H irscher frei gebildete »Viererbund« 2 . Über den individuellen Anteil der einzelnen Herausgeber am Zustandekommen und der Verfassung der ThQ gibt es in den Akten keine Nachrichten, weshalb L ösch die Rolle des Detektivs übernahm. Anders als sonst ist seine Forschungsleistung in diesem Punkt ziemlich rudimentär und teilweise auch ungereimt. L ösch nahm folgende Zuweisungen vor: (1.) Zu Drey: »Die Tonung und Betonung der unbeugsam wissenschaftlichen Haltung in Aufsätzen wie in Kritiken, welchen Zweigen der Theologie oder sonstigen Forschung diese beiden auch gelten möchten, gehört in vorderster Linie dem Führer Drey an; ihm unzweifelhaft auch der Leitsatz, daß die Herausgeber oder ständigen Mitarbeiter mit eigenen Forschungen aus ihren nächsten Fachgebieten in ihrer Zeitschrift wechselnd hervorzutreten sich zur besonderen Aufgabe gemacht hätten. Die Sorge um Festhaltung dieses Grundzuges bei aller Wahrung der Freiheit der Anschauungen des einzelnen ist ihm das erste und das letzte, wie sein ... [siehe Dokument Nr. 6 a] Schreiben: ›An die Herrn Collegen als Herausgeber der ThQ‹ vom 18. Dez. 1831 nochmals eindringlich zum Ausdruck bringt und wie jede seiner zahlreichen in unermüdlichem Eifer, selbst mit Opfern an Gesundheit für die Zeitschrift verfaßten Abhandlungen und Rezensionen bis dahin übergenug bewiesen hatte« (18). Dem »Meister Drey« (23) kommt auch das Verdienst zu, »den Geist der Zeitschrift von allen etwaigen Bindungen an Amt und Kör- 2 Zu diesem Terminus siehe L ösch , Die Anfänge (wie Einleitung zu Text Nr. 6, Anm. 1) 14. - Gegen die Zuordnung der Herausgeberschaft an die Fakultät hatte sich vor allem die »Redaction« des Jahrgangs 1820 (D rey ) zur Wehr gesetzt (siehe Dokument Nr. 3 a, ThQ 2 (1820) 553, 555; dazu L ösch 22-24). <?page no="529"?> 497 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ perschaft losgelöst zu halten oder - wenn wir einer seiner philosophischen Lieblingsideen in schellingianischer Färbung etwa das Wort geben wollten - daß er das Organische der frei sich entfaltenden Persönlichkeit bei allen unvermeidlichen Berührungen mit Raum und Zeit fein säuberlich abgesondert zu erhalten unbeirrbar bemüht geblieben ist« (24). D rey , der »führende Kopf der jungen Theologenschule« (30), war es auch, der über Jahre hinweg »Pläne von Verbesserungsmöglichkeiten der Zeitschrift« entwickelte (27; vgl. 19). (2.) Zu Gratz: Da G ratz bereits im Sommer 1819 eine Professur in Bonn übernahm, ist sein fraglicher Einfluß auf die Gründung und Ausrichtung der ThQ auf die seinem Weggang von Tübingen vorausliegende Zeit einzugrenzen, mithin auf den Text der am 7. Juli 1818 von den Herausgebern beschlossenen und im ersten Heft der ThQ abgedruckten Ankündigung als terminus ad quem. L ösch ordnet das in Ziff. III der Ankündigung formulierte Vorhaben, »Materialien zur Geschichte und Beurtheilung des neuesten Kirchenwesens« den »Lieblingsplänen« G ratzens zu (18). Außerdem erkennt er in der in Ziff. IV festgeschriebenen Absicht, das »auf allgemeine Volksbildung berechnete Schulwesen und theologische Lehranstalten« zu berücksichtigen, den »Finger des früheren Schulinspektors« (18 f). L ösch konstatiert zwar korrekterweise, daß G ratz die Ankündigung als erster der Herausgeber unterzeichnet habe, aber er leitet daraus keine Führungsrolle für G ratz ab: In der Reihenfolge der Unterschriften kam ein Anciennitätsprinzip zur Anwendung, das mit dem Anteil der Unterzeichneten am Inhalt der Ankündigung nichts zu tun hatte. Anders verhält es sich mit dem Umstand, daß G ratz für den ersten Jahrgang der neuen Zeitschrift die Schriftleitung innehatte. L ösch denkt daran, daß G ratz , dem als Schriftleiter für den Jahrgang 1819 die letzte Überprüfung der Texte - und mithin auch der Ankündigung - zugestanden habe, Einfluß auf die »Form« der Ankündigung habe nehmen können (19). Diese Überlegung ist indessen abwegig, da der bereits am 7. Juli 1818 beschlossene Wortlaut der Ankündigung 1819 in der ThQ unverändert abgedruckt ist und G ratz infolgedessen noch gar nicht als Schriftleiter fungieren konnte. Und selbst wenn bei der Ausfertigung der Ankündigung am 7. Juli 1818 ausgemacht gewesen wäre, daß G ratz für den ersten Jahrgang der ThQ die Schriftleitung übernehmen werde und er - sozusagen im Vorgriff auf diese Funktion - bereits im Juli 1818 für die »Form« der Ankündigung diese Funktion ausgeübt hätte, würde das nicht viel bedeuten: Eine »letzte [redaktionelle] Überprüfung« der »Form« bedeutet nicht Autorschaft, weder für die Form, erst recht nicht für den Inhalt. L ösch geriet bei der Zuschreibung der Anteile von G ratz , H erbst und H irscher überhaupt verschiedentlich ins Schlingern. Er ist von der Führerschaft D reys überzeugt, greift aber zu imposant klingenden, aber nichtssagenden Floskeln, um auch G ratz und die anderen gelten zu lassen. So wenn <?page no="530"?> 498 Erläuterungen zu diesen Dokumenten im ganzen er D rey zwar den Inhalt, G ratz aber die »Form« der Ankündigung zuschreibt, ohne zu präzisieren, was er damit meint. Und wenn er anfügt, H erbst hätte mehr geglättet, D rey mehr gefeilt, so wird die Auskunft auch nicht präziser. Ähnliches gilt für die von L ösch angesprochenen Übereinstimmungen »in Text und Melodie«, die zwischen Ziffer V der Tübinger Ankündigung (Abwehr von Polemik) auf der einen Seite, und der Erklärung G ratzens zum Charakter der von ihm 1820 ins Leben gerufenen Zeitschrift Der Apologet des Katholicismus 3 anderseits bestünden. Genau besehen kann man im Text der Erklärung G ratzens jedoch nur recht entfernte topische Anklänge an die Tübinger Ankündigung erkennen, während sein Bonner Projekt im ganzen völlig anders angelegt war als die ThQ. Die konzeptionelle Eigenart der von G ratz allein gegründeten Bonner Zeitschrift läßt den Schluß zu, daß sein Anteil an der Konzeption der ThQ nicht dominierend gewesen sein kann. Der Unterschied zwischen dem Charakter der Theologischen Quartalschrift und dem Apologet des Katholicismus wurde denn auch z.B. 1822 im Hermes in einem kritischen Vergleich der beiden Zeitschriften deutlich genug herausgestellt. Die ThQ verdiene wegen ihrer freimütigen, gründlichen und dem Ultramontanismus abholden Linie »ausgezeichnet zu werden [...]; dagegen der von Gratz angefangene ›Apologet des Katholicismus‹ (Mainz 1820, 2 Hefte) durch die polemische Heftigkeit die Ruhe verloren hat, die zu gründlicher Untersuchung erforderlich ist« (siehe Kritische Übersicht der Theologischen Literatur in den ersten zwei Jahrzehnten des laufenden Jahrhunderts. Erste Abtheilung, in: Hermes oder kritisches Jahrbuch der Literatur. Leipzig, Nr. 13. Erstes Stück für das Jahr 1822, 249-309, 255; vgl. 251). Da diese Beurteilung auf die beiden ersten Hefte der Zeitschrift G ratzens zu beziehen ist, kann es sich nicht um einen Wandel im Sinne einer späteren Wegentwicklung von einer besseren, d.h. ThQ-konformen Konzeption gehandelt haben. Aus dem Charakter der allein von G ratz in Bonn begründeten Zeitschrift ist deshalb unweigerlich darauf zu schließen, daß sein Anteil an der in den Gründungsdokumenten festgeschriebenen Ausrichtung der ThQ nicht sehr hoch gewesen sein kann, jedenfalls nicht so hoch, wie besonders R einhardt und W olff ihn angesetzt haben (siehe Ziff. II.2.c). (3.) Zu Herbst: Die in der Präambel der Ankündigung in Absatz 3 enthaltene Bestimmung, wonach die ThQ nicht nur den Charakter eines »gewöhnlichen theologischen Journals« haben werde, sondern zugleich den eines »Magazins 3 Der Apologet des Katholicismus. Eine Zeitschrift zur Berichtigung mannichfaltiger Entstellungen des Katholicismus. Für Freunde der Wahrheit und Bruderliebe, herausgegeben von Dr. Gratz, Professor an der kath. theol. Facultät der Preußischen Rhein-Universität zu Bonn. Mainz 1820-1824. Diese kurzlebige Zeitschrift umfaßte insgesamt nur neun Hefte. Sie war von G ratz ausdrücklich nicht als streng wissenschaftliche Zeitschrift konzipiert, sondern als Organ zur fallweisen Apologie des Katholizismus für gebildete Leser. Zu dieser Zeitschrift vgl. auch Einleitung zu Text Nr. 6 (Katholizismusschrift), Anm. 45, und zu Text Nr. 1 (Revisionsschrift), Anm. 70 und 74. <?page no="531"?> 499 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ der neuern Kirchengeschichte«, dürfte L ösch zufolge in H erbst einen »besondern Befürworter« gehabt haben. Begründung: H erbst war zum Zeitpunkt der Abfassung der Ankündigung mit der Wahrnehmung des Faches Kirchengeschichte in der Fakultät betraut (L ösch 18) 4 . (4.) Zu Hirscher: »Für den jungen Hirscher mußte es ein Vergnügen sein, mit gutem Mut und allgemach hinterdreinzugehen; und die 3 Älteren: Drey, Herbst und Gratz, seit 1820 an des letzteren Stelle Feilmoser, ließen den Jüngeren - jedoch sicherlich, wie die Jahrgänge 1819/ 25 mehrfach spüren lassen, nicht ohne die eine oder andere, nach außen in Schweigen gehüllte, brüderlich belehrende Anweisung - tasten und suchen und ringen« (19). c. Andere Stimmen (Rudolf Reinhardt, Norbert Wolff) Sie betreffen den Anteil von G ratz und zielen darauf, ihn stärker zu gewichten. (1.) Reinhardt. Ihm zufolge konnte L ösch »nachweisen« [! ], daß die Schlußredaktion der Ankündigung von G ratz stamme 5 . »Weshalb sollte er nicht auch den Entwurf geliefert haben? « (ebd.). Auch falle auf, daß G ratz immer an erster Stelle erscheine, wenn die vier Herausgeber genannt werden (ebd.). »Noch deutlicher« werde die »führende Rolle« (ebd.), die G ratz »tatsächlich« (ebd.) gespielt habe, durch die zwei Briefe, die er am 12. August 1818 und am 28. Februar 1819 an den Generalvikar der Diözese Konstanz, W essenberg , geschrieben hat (351 f) 6 . Später formulierte R einhardt zurückhaltender: »Die 4 Eine Bestätigung dieser Annahme sieht L ösch darin, daß H erbst in ThQ 4 (1822) 522-537 eine Rezension zu J ohann S everin V ater , Anbau der neuesten Kirchengeschichte (Berlin 1820/ 22) brachte. Dieses Werk enthält tatsächlich urkundliche Mitteilungen zur zeitgenössischen Kirchengeschichte. Zwischen der Rezension und der Abfassung der Ankündigung liegen aber fünf Jahre! Zu beachten ist ferner, daß die Beiträge von H erbst in den ersten Jahrgängen der ThQ sich nicht mit der neueren oder neuesten Kirchengeschichte befassen (ausgenommen vielleicht die Rezension in ThQ 1 (1819) 73-75 zu der anonymen Schrift Der Papst im Verhältnis zum Katholicismus und die Urkunde zur Errichtung eines Generalvikariats in Vorarlberg in ThQ 2 (1820) 377-378). Von D rey ist dagegen bekannt, daß er die Wichtigkeit von Magazinen überhaupt und von Sammlungen von Informationen zu aktuellen Entwicklungen in der Kirche im Theologischen Tagebuch und in der Kurzen Einleitung betonte. Die Überlegungen L öschs zum Anteil von H erbst am Inhalt der Ankündigung sind deshalb insgesamt mit einem Fragezeichen zu versehen. Vgl. dazu auch D ominik B urkard , Herbst, Johann Georg, in: BBKL 14 (1998) 1086-1090, 1087 f; siehe auch unten Ziff. III.1.e. γ bei und in Anm. 42. 5 R udolf R einhardt , Ein Kapitel katholischer Aufklärung. Neues über Peter Alois Gratz (1769-1849) und seine Zeitgenossen, nebst sieben seither unbekannten Briefen des Theologen, in: ThQ 154 (1974) 340-365, 351. 6 Im Brief vom 12. August 1818 übermittelte G ratz an W essenberg den Text der Ankündigung und bat ihn - auch im Namen seiner »Herren Collegen« - bei der Verbreitung dieser doch auch in seinem Interesse liegenden Zeitschrift mitzuhelfen, »und sollten Euer Excellenz allenfalls ein und das andere durch dieses Blatt zur Publicität zu bringen wünschen, so steht solches zu Diensten.« Besonders dankbar wären die Herausgeber, »wenn Euer Excellenz uns mit interessanten Notizen, besonders von Rom, zu unterstützen die hohe Gnade haben wollten«. Dazu R einhardt : »Zweifelsohne [! ] hätte Gratz den Brief an den damals noch in hohem Ansehen stehenden ›Coadjutor‹ der Diözese Konstanz kaum [! ] geschrieben, wäre er nicht der führende Kopf der Herausgeber gewesen« (ebd. 351). R einhardt schließt hier aus einem geschäftlichen Vorgang auf eine Führungsrolle. Doch dafür, daß G ratz die Rolle des <?page no="532"?> 500 Erläuterungen zu diesen Dokumenten im ganzen Ankündigung dürfte auf Peter Alois Gratz (1769-1849) zurückgehen« 7 ; »Gratz, ein geschickter ›Geschäftsmann‹, hatte einen großen, meist unterschätzten Anteil an der Gründung der Theologischen Quartalschrift gehabt« 8 . (2.) Wolff. W olff ist in seiner soliden Gratzmonographie auch der Frage nach dem Anteil von G ratz an der Gründung der ThQ nachgegangen 9 . Er erörterte die Frage hauptsächlich in folgenden Punkten: (a.) G ratz als Erstunterzeichner der Gründungsdokumente: W olff erkannte, daß die Herausgeber »in der Reihenfolge ihres Lebens- und Dienstalters« angeführt sind (140); in der Reihenfolge der Namen kommt somit keine Abstufung ihrer Anteile an der Gründung der ThQ zum Ausdruck 10 . - (b.) Man könne gleichwohl fragen, ob Briefschreibers übernahm, gab es zwei einfache Gründe. Zum einen stand ihm diese Aufgabe dem Anciennitätsprinzip gemäß zu, weshalb er ja auch die Ankündigung als erster unterzeichnet hatte (vgl. dazu Anm. 10). Zum andern stand er seit 1803, 1805 und 1806 in eigenen wissenschaftlichen Angelegenheiten mit W essenberg in brieflichem Kontakt (siehe N orbert W olff , Peter Alois Gratz (1769-1849). Ein Theologe zwischen »falscher Aufklärung« und »Obscurantismus« (Trierer theologische Studien 61). Trier 1998, 68 ff). Für die Frage, ob G ratz darüber hinaus bei der Gründung der ThQ überhaupt der »führende Kopf« war, läßt sich aus dem Brief vom 12. August 1818 absolut nichts ableiten. - Gleiches gilt für den Brief vom 28. Februar 1819, den G ratz in seiner Funktion als Schriftleiter der ThQ an W essenberg schrieb. In diesem Brief bat er W essenberg um weitere Informationen zum deutschen und schweizerischen Kirchenwesen. Wie W essenberg darauf reagierte, ist nicht bekannt (Wortlaut der Briefe bei R einhardt , Ein Kapitel katholischer Aufklärung (wie Anm. 5) 360-362). 7 R einhardt , Neue Quellen (wie oben Ziff. I.4.a) 155 Anm. 2. 8 R udolf R einhardt , 175 Jahre Theologische Quartalschrift - ein Spiegel Tübinger Theologie, in: ThQ 176 (1996) 100-124, 102. 9 W olff , Peter Alois Gratz (wie Anm. 6) 139-143. 10 Man kann sich fragen, ob für die Reihenfolge G ratz - D rey - H erbst - H irscher das Lebensalter, das Jahr der Ordination oder das Dienstalter maßgeblich war. Im vorliegenden Fall führt zufällig jedes dieser Kriterien zur gleichen Reihenfolge (abgesehen von der Ordination H irschers ): 1. G ratz (geb. 1769, ord. 1792, Pfarramt 1795); 2. D rey (geb. 1777, ord. 1801, Prof. 1806); 3. H erbst (geb. 1787, ord. 1812, Prof. 1815); 4. H irscher (geb. 1788, ord. 1810, Prof. 1817). Ein Blick auf die Verhältnisse an der Friedrichsuniversität in Ellwangen führt zu folgendem Bild: Für die Professoren kam das Anciennitätsprinzip bei der Vergabe von Ämtern durchweg zur Anwendung (vgl. Bericht des Katholischen Geistlichen Raths an das Kultministerium vom 18. Oktober 1816, StAL E 211 I Bü 85 fol. 63; dazu W olff , Peter Alois Gratz (wie Anm. 6) 93 mit Anm. 104), wobei übrigens auch dort jedes der drei Kriterien zur gleichen Rangordnung geführt hätte: S pegele (geb. 1761, ord. 1786, Prof. 1786) war der erste Rektor an der Friedrichsuniversität, es folgten ihm K arl W achter (geb. 1764, ord. 1788, Prof. 1804) und B estlin (geb. 1768, ord. 1790, Prof. 1812), dann wäre G ratz und danach D rey an der Reihe gewesen. In Tübingen war D resch (geb. 1786, Prof. 1810) der erste Dekan (mit G ratz als Prodekan). G ratz wurde als Nachfolger D reschs für das Studienjahr 1818/ 19 zum Dekan gewählt. Als er im Sommer von Tübingen nach Bonn übersiedelte, hielt er es für selbstverständlich, daß das Dekanat D rey übertragen wurde, »den zur Übernahme desselben die beliebte Ordnung trift« (G ratz an die kath.-theol. Fakultät Tübingen, 8. Juni 1819, UAT 184/ 4, Zirkular, eigenhändig; das Schreiben ist bei W olff 134, Anm. 41, angeführt). Zum Ganzen siehe E ugen H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität Ellwangen 1812-1817. Erinnerungsschrift zur feierlichen Eröffnung des Königl. Württemb. Gymnasiums Ellwangen am 4. November 1817. Ellwangen [1917], 5 ff, 27 ff. Unter diesen Voraussetzungen ist nicht zu bezweifeln, daß die Reihenfolge der Unterschriften in den Gründungsdokumenten der ThQ einzig und allein auf dem Anciennitätsprinzip beruhte; für den faktischen Anteil der Unterzeichner ist daraus jedenfalls nichts abzuleiten. <?page no="533"?> 501 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ G ratz »mit dem Umzug von Ellwangen nach Tübingen nun in eine Führungsrolle hineingewachsen« war (ebd.; Hervorhebung nicht im Original). Anzeichen dafür erkennt W olff in der Betonung der Wissenschaftlichkeit der neuen Zeitschrift im Text der Ankündigung. Sie »korrespondierte [! ] mit Gratz’ Bemühungen um eine wissenschaftlich fundierte Ausbildung der Theologen und mit seiner Wertschätzung ›gelehrter Forschung‹ im allgemeinen.« (140). Gleichwohl könne die Betonung des wissenschaftlichen Charakters der neuen Zeitschrift nicht exklusiv einem der Herausgeber zugeschrieben werden (140 f). Ferner: Die meisten Beiträge im ersten Jahrgang der ThQ, die sich mit der Situation der katholischen Kirche in Deutschland, mit den Frankfurter Konferenzen oder mit der Angelegenheit W essenberg befassen, stammten von G ratz , »was darauf hinweist, daß gerade Gratz sich für diesen Themenbereich interessierte« (141; Hervorhebung nicht im Original). Außerdem könne wegen der starken Übereinstimmung der in der Ankündigung geäußerten Ideen mit Gratzschem Gedankengut davon ausgegangen werden, daß auch die wesentlichen Inhalte der Ankündigung »mit Gratz in Verbindung stehen« (ebd.; Hervorhebung nicht im Original). W olff ist ersichtlich bemüht, die Rolle G ratzens im Sinne R einhardts zu deuten, formuliert aber vorsichtiger und leitet aus den von ihm angeführten Indizien lediglich »eine« mögliche Führungsrolle G ratzens an der Ausrichtung der ThQ ab. Bei L ösch werde dagegen »die Tendenz sichtbar, die Bedeutung Dreys für die Quartalschrift überzubewerten« (5). - Was W olff zu den Inhalten der Ankündigung zugunsten von G ratz anführt, bewegt sich indessen so sehr im Allgemeinen, daß daraus keine konkreten Schlüsse auf seinen persönlichen Anteil an der Ankündigung gezogen werden können. Wenn W olff auch die Schriften D reys für Inhaltsvergleiche herangezogen hätte, hätten die Befunde erheblich stärker für D rey gesprochen. Es gibt zu nahezu allen Ideen und Inhalten der Ankündigung ausformulierte Parallelen bei D rey (vgl. dazu unten in Ziff. III.1 die Erläuterungen zu Dokument Nr. 1). 3. Zur Vorgeschichte der Theologischen Quartalschrift. Personen und Faktoren Der Text der Ankündigung der ThQ wurde am 7. Juli 1818 in Tübingen von G ratz , D rey , H erbst und H irscher unterzeichnet. In ihm ist die konzeptionelle Eigenart der ThQ, ihre Erscheinungsweise und ihr Erscheinungster- Für die Anwendung des Anciennitätsprinzips kann noch auf ein anderes Tübinger Beispiel verwiesen werden. Der am 10. Dezember 1817 an den König und den Kultminister gerichtete Brief, in dem die Tübinger Professoren für die Errichtung ihrer Fakultät danken, ist folgendermaßen unterzeichnet: »Prof. D. v. Dresch z.Z. Dekan, Prof. Dr. Gratz, für sich und vi commis[sionis] für Prof. Dr. Drey [Drey war im ersten Tübinger Semester wegen Krankheit beurlaubt], Prof. Dr. Herbst, Prof. Hirscher« (Wortlaut bei J oseph Z eller , Die Errichtung der katholisch-theologischen Fakultät in Tübingen im Jahre 1817, in: ThQ 108 (1927) 77-158, 154 f). <?page no="534"?> 502 Erläuterungen zu diesen Dokumenten im ganzen min festgelegt. Über die Vorgeschichte dieses Projektes, d.h. über das Wann, Wo und Wie der Planungen und Beratungen, die der Ankündigung vorausgegangen sein müssen, gibt es keine urkundlichen Aufzeichnungen, aber es gibt Anhaltspunkte, die geeignet sind, das Dunkel einigermaßen aufzuhellen. Bereits L ösch hatte vermutet, daß die ersten Beratungen »an der Friedrichsuniversität in Ellwangen« stattgefunden haben könnten 11 , doch wußte er davon nichts Genaueres mitzuteilen. Da dem in der Ankündigung vorgestellten Projekt eine längere Planungsphase vorausgegangen sein muß, kommt dafür tatsächlich nur die Zeit in Ellwangen in Frage. Es spricht viel dafür - und nichts dagegen -, daß die Keimzelle der ThQ vor allem in der von M ets 12 dort ins Leben gerufenen »Abendgesellschaft« 13 zu suchen ist. Damit richtet sich der Blick in erster Linie auf M ets , G ratz und D rey . Der Geistliche Rat (seit 1801) J oseph M ets , ein Mann W essenbergs von Beginn seiner Laufbahn an, war 1810 als Generalvikariatsrat in die Leitung der Diözese Konstanz eingetreten. Er hatte dort aus nächster Nähe Einblick in den Betrieb der Zeitschrift W essenbergs , das Archiv für die Pastoralkonferenzen in den Landkapiteln des Bisthums Konstanz, gewonnen, und er war in diesem Organ auch mit einem redaktionellen Verriß der Revisionsschrift D reys in Erscheinung getreten 14 . Die in Konstanz gesammelten Erfahrungen brachte er mit, als er 1812 zum Ersten Vikariatsrat in dem im selben Jahr errichteten Generalvikariat Ellwangen berufen wurde. Die Gründung der Friedrichsuniversität war im selben Jahr erfolgt. Es war eine Zeit des Neubeginns, für ihn ebenso wie für die Professoren, mit denen er - ungeachtet ihrer jeweiligen politischen Orientierung und kirchlichen Einstellung - generell freundliche Beziehungen pflegte. Gleichwohl versammelte sich um ihn auf der Basis gesinnungsmäßiger Übereinstimmungen jene »Abendgesellschaft«, die in der öffentlichen Wahrnehmung in besonderer Weise die progressive »Ellwanger Richtung« repräsentierte, vor allem mit K arl W achter 15 , G ratz und D rey . Wie M ets , so waren sie insgesamt dem Reformgeist W essenbergs 16 und W erkmeisters 17 zugetan. In den Augen der Konservativen und der römischen Kurie manifestierte sich die verschriene »Ellwanger Richtung« in erster Linie in den Personen W essenberg , W erkmeister , M ets , G ratz , W achter und D rey . Speziell bei W achter , G ratz und D rey kam ein an der historischkritischen Methode orientiertes Wissenschaftsverständnis hinzu, das sie in ihren Disziplinen so zum Tragen brachten, daß sie ernstliche Schwierigkeiten mit Rom bekamen 18 . Die Kräfte formierten sich also, und man schmiedete 11 L ösch , Die Anfänge (siehe Anm. 2) 24. 12 Zu ihm siehe Einleitung zu Text Nr. 1 (Revisionsschrift), bes. Ziff. II.8.a. α , Anm. 138. 13 Siehe Einleitung zu Text Nr. 1 (Revisionsschrift), Ziff. II.6.c. γ , bes. Anm. 107. 14 Vgl. Einleitung zu Text Nr. 1 (Revisionsschrift), bes. Ziff. II.8.a. α und Ziff. II.3.c. 15 Zu ihm siehe Einleitung zu Text Nr. 1 (Revisionsschrift), Ziff. II.6.c. γ , Anm. 108. 16 Zu ihm siehe ebd., Ziff. II.2.b, Anm. 5. 17 Zu ihm siehe ebd., Ziff. II.4.a, Anm. 36. <?page no="535"?> 503 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ Pläne. Und wie die in der »Abendgesellschaft« personell konzentrierte »Ellwanger Richtung« überhaupt als Keimzelle der Katholischen Tübinger Schule angesehen wird, so ist wie gesagt anzunehmen, daß in diesem Kreis auch die Idee zur Gründung einer Zeitschrift ausgebrütet wurde. Die Rolle, die M ets in der Vorgeschichte der ThQ spielte, ist ziemlich hoch anzusetzen. Vielleicht sind die ersten förmlichen Anstöße von ihm, dem im Betrieb einer Zeitschrift erfahrenen Verwaltungsmenschen, ausgegangen. Die vorantreibenden Kräfte sind jedoch eher bei den tatendurstigen Professoren zu suchen, die alles dafür taten, ihre kleine Universität auf ein überregionales wissenschaftliches Niveau zu heben, ihr eine aufgeklärte Richtung zu verleihen und mit ihrer eigenen Arbeit Anschluß an den großen theologischen Diskurs zu gewinnen, der ihnen im Zeitschriftenwesen ins Haus kam. D reys Theologisches Tagebuch gibt Aufschluß darüber, wie eifrig man die wissenschaftlichen Gazetten studierte. Er wird nicht der einzige derartige Interessent gewesen sein, G ratz und W achter waren den Gesetzen des öffentlichen wissenschaftlichen Diskurses nicht weniger aufgeschlossen. Über die Merkmale der in der »Abendgesellschaft« miteinander verbundenen Personen hinaus gibt es einen weiteren Anhaltspunkt für die Eingrenzung des Personenkreises, aus dem die ThQ hervorging. Es handelt sich um jene nach vorne und ins Weite drängenden Kollegen, die die Eingliederung ihrer Fakultät in die Universität Tübingen ersehnten und den Umzug nach Tübingen mit Freude auf sich nahmen 19 . Es waren dieselben, deren Name alsbald unter den Gründungsdokumenten der ThQ in Tübingen zu finden sein wird. Das alles spricht dafür, daß der von L ösch angesprochene »Viererbund« sich bereits in Ellwangen herausgebildet hatte. Doch zunächst noch einmal zu M ets , dem Moderator der »Abendgesellschaft«, der dank seiner persönlichen Erfahrungen mit der Zeitschrift W es senbergs eine besondere Kompetenz in die Beratungen einzubringen in der Lage war. Ihm war im Hinblick auf seine amtliche Stellung und seine besondere Nähe zu W essenberg von den Professoren wohl vor allem eine Art Protektorrolle zugedacht. Dafür spricht das Folgende. In dem oben angeführten Brief, den Gratz am 12. August 1818 an W essenberg schrieb (siehe oben Anm. 6), findet sich die Bemerkung: »Von dem Vorhaben der Herausgabe einer theologischen Zeitschrift wird Euer Excellenz schon Herr Geistlicher Rath v. Mets benachrichtigt haben« (a.a.O. 360 f). G ratz setzt somit voraus, 18 Siehe Einleitung zu Text Nr. 4 (Beichtschrift), Ziff. II.4, sowie Text Nr. 3 (Millenniumsschrift) und Text Nr. 5 (Oratio). 19 Siehe F ranz X aver F unk , Die katholische Landesuniversität in Ellwangen und ihre Verlegung nach Tübingen, in: Festgabe der Universität Tübingen zum fünfundzwanzigjährigen Regierungsjubiläum Seiner Majestät des Königs Karl von Württemberg dargebracht von der Universität Tübingen. Tübingen 1889, 3-30 (eigene Paginierung); Z eller , Die Errichtung (wie Anm. 10); ders ., Die Verlegung der kirchlichen Institute von Ellwangen nach Tübingen und Rottenburg im Jahre 1817, in: EllwJB 10 (1926/ 28) 31-58. <?page no="536"?> 504 Erläuterungen zu diesen Dokumenten im ganzen daß der in Ellwangen zurückgebliebene Geistliche Rat den Stand der Dinge kannte und daß dieser von sich aus W essenberg davon in Kenntnis gesetzt hatte. Mehr noch: M ets selbst vermerkte in seiner Autobiographie, er habe anfangs Juni 1818 eine Reise nach Tübingen unternommen. »Da wurde ich von meinem Freunde Dr. Gratz auf das freundschaftlichste aufgenommen und bewirthet« 20 . Er machte von Tübingen aus »seine« Besuche in Rottenburg, begab sich dann »ins Bad nach Niedernau« und kam »nach 8 Tagen wieder nach Tübingen zurück, wo ich noch mehrere Tage an der Seite meines Freundes Dr. Gratz lebte und zugleich die angenehmste Gesellschaft seiner und der übrigen Professoren Drey, Herbst und Hirscher genoß und wirklich die frohesten Tage verlebte« 21 . Wenige Wochen danach, am 7. Juli 1818, unterzeichneten G ratz , D rey , H erbst und H irscher die Ankündigung der ThQ. Es versteht sich von selbst, daß unter diesen Umständen in Tübingen das ThQ-Projekt im Kreis der genannten Personen besprochen und der Inhalt der Ankündigung vereinbart wurde 22 . Die Frage, wer danach den Wortlaut der Ankündigung ausarbeitete, steht auf einem anderen Blatt. Die Einheitlichkeit der Sprache, die Merkmale der Denkform und die Konsistenz der Programmformulierung lassen erkennen, daß hier eine Einzelperson und ein Meister der Prägnanz am Werk gewesen sein muß. Von da aus richtet sich der Blick auf die Unterzeichner der Ankündigung. Zu H erbst und H irscher hat L ösch seine bescheidenen Vermutungen ausgesprochen. Sie werden die Beratungen aus der Sicht ihrer Fachgebiete und Interessen befruchtet haben. Schwieriger ist es, die Rollen von G ratz und D rey genauer zu bestimmen. Auch dafür sind der Situation in Ellwangen Aufschlüsse zu entnehmen. G ratz und D rey waren an der Friedrichsuniversität Kollegen, die in ihrem Wissenschaftsverständnis und auch persönlich am gleichen Strang zogen. Sie hatten in der »Abendgesellschaft« zueinander gefunden, seit 1816 wohnten sie im selben Haus. Sie standen anhaltend in 20 Für die von M ets wiederholt erwähnte, enge Freundschaft zwischen ihm und G ratz , die dazu führte, daß er in Tübingen bei G ratz Quartier nahm, gab es auch lebensgeschichtlich bedingte Faktoren. Beide waren Landsleute (M ets stammte aus Ebenhofen bei Marktoberdorf, G ratz war im Nachbarort Stötten bei Marktoberdorf aufgewachsen), beide waren, vermittelt durch S ailer , nach ihrer Priesterweihe Hofmeister in Adelsfamilien (M ets seit 1786 bei S chenk von S tauffenberg in Dillingen, G ratz seit 1792 bei R assler von G amerschwang auf Schloß Weitenburg in der Nähe von Horb), beide hatten danach Pfarreien inne (M ets seit 1802 Rißtissen, G ratz seit 1795 Untertalheim), hinzu kamen die frühen Kontakte via Konstanz etc. Die Biographie von G ratz ist minutiös rekonstruiert bei W olff (wie Anm. 6), zu M ets siehe Einleitung zu Text Nr. 1 (Revisionsschrift), bes. Ziff. II.8.a. α , Anm. 138. 21 Siehe J oseph Z eller , Das Generalvikariat Ellwangen (1812-1817) und sein erster Rat Dr. Joseph von Mets. Nebst erstmaliger Herausgabe der Autobiographie des Geistlichen Rats Dr. von Mets. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der Diözese Rottenburg, in: ThQ 109 (1928) 3-160, darin: J oseph von M ets , Skizzen meiner eigenen Lebensgeschichte oder Kurzer Abriß meiner eigenen Lebensgeschichte [Autobiographie; 1818] 67-157 (Register 158-160). 22 Vgl. auch W olff , Peter Alois Gratz (wie Anm. 6) 142. W olff verweist dort auf eine weitere, angeblich einschlägige Stelle in der Autobiographie, die sich aber nicht verifizieren läßt. <?page no="537"?> 505 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ einer ungetrübt freundlichen und von gegenseitiger Hochschätzung geprägten Beziehung zueinander 23 . Aber G ratz war gut acht Jahre älter, stand M ets näher und rangierte in der Anciennität vor D rey . Er war publizistisch bei weitem der Produktivere 24 , hatte sich seit 1812 auf seinem Fachgebiet einen Namen gemacht und den Ruf eines den neuen Methoden der historisch-kritischen Bibelwissenschaft resolut ergebenen Pioniers innerhalb der katholischen Theologie erworben, woraus ihm Ärger mit Rom erwuchs und was ihm in Bonn schließlich seinen Lehrstuhl kosten sollte. Er pflegte seit 1814 einen intensiven fachlichen Austausch mit dem bei den Katholiken verschrieenen Heidelberger Neutestamentler H einrich E berhard G ottlob P aulus , der für ihn eine wissenschaftliche Instanz erster Ordnung war 25 . Selbst S chleier macher , der eher dem Grundsatz catholica non leguntur huldigte, hat ihn ernsthaft zur Kenntnis genommen und für seine Privatbibliothek die folgenden Werke von G ratz angeschafft: Neuer Versuch, die Entstehung der drey ersten Evangelien zu erklären (Tübingen 1812), Kritische Untersuchungen über Marcions Evangelium (Tübingen 1818) und Kritisch-historischer Kommentar über das Evangelium des Matthäus (2 Bde., Tübingen 1821-1823) 26 . Bemerkenswert ist ferner, daß G ratz in ThQ 1 (1819) 218-233 eine Rezension zu S chleiermachers 23 G ratz blieb nach seinem Weggang nach Bonn (1819) ein treuer Mitarbeiter in der ThQ; er ist darin bis 1831 mit zahlreichen Abhandlungen, Miszellen, Aktenpublikation und Rezensionen vertreten (siehe die Aufstellung bei W olff , Peter Alois Gratz (wie Anm. 6) XXIX-XXXII), D rey veröffentlichte 1822 seine Abhandlung Ueber den Satz von der alleinseligmachenden Kirche in der von G ratz begründeten und herausgegebenen Zeitschrift Der Apologet des Katholicismus. D rey besuchte im Oktober 1823 G ratz in Bonn, G ratz machte zwei Gegenbesuche in Tübingen (am 8. Juli 1824 und im Juni 1828) (Nachweise bei W olff 390, 291; vgl. 325). In seiner Millenniumsschrift (1814) und in seiner Beichtschrift (1815) sind, was die Anwendung der historisch-kritischen Methode auf die Dogmengeschichte angeht, Einflüsse von G ratz zu erkennen, der in seinen bibelwissenschaftlichen Arbeiten ganz auf diese Methode setzte; umgekehrt beruft sich G ratz 1823 in seinem Matthäuskommentar für die Auslegung von Mt 18, 17 f auf die der Beichtschrift D reys zu Grunde liegende Leitidee, wonach es der Christus der Geschichte ist, der in den Entwicklungen des Dogmas und in der Kirchenpraxis weiterwirkt: »Mit großer Einsicht hat diese Sache mein werthester Kollege [D rey ] dargestellt« (P eter A lois G ratz , Kritisch-historischer Kommentar über das Evangelium des Matthäus 2. Tübingen 1823, 224. G ratz führt als Beleg ein längeres Zitat aus § 6 der Beichtschrift an; vgl. dazu Einleitung zu Text Nr. 4, Ziff. II.5.c, Anm. 112). Die Ausführungen von G ratz lesen sich wie eine bibelwissenschaftliche Anwendung der dogmatischen Prinzipienlehre D reys (vgl. ebd. Ziff. II.5.c). G ratz anerkennt hier offensichtlich die Kompetenz des Systematikers in Sachen Prinzipienlehre. 24 Die Liste seiner Publikationen umfaßt zwischen 1799 und 1818 insgesamt 10 Titel (siehe W olff , Peter Alois Gratz (wie Anm. 6) XXVIII), darunter sechs zum Teil sehr umfangreiche Schriften. Sein Neuer Versuch, die Entstehung der drey ersten Evangelien zu erklären (Tübingen 1812) hat einen Umfang von 262 Seiten. 25 Siehe N orbert W olff , Peter Alois Gratz (1769-1849) und sein Verhältnis zu Heinrich Eberhard Gottlob Paulus (1761-1851), in: RoJbKG 16 (1997) 111-125. 26 Siehe G ünter M eckenstock , Schleiermachers Bibliothek nach den Angaben des Rauchschen Auktionskatalogs und der Hauptbücher des Verlages G. Reimer (2., verb. Aufl.), in: KGA I.15, 638-912, 726. Es gibt Anzeichen dafür, daß G ratz mit diesen Werken in den dafür einschlägigen exegetischen Schriften S chleiermachers Wirkungen hinterließ. In KGA I.8 ist die Beziehung S chleiermachers zu G ratz verharmlosend dargestellt (vgl. 62, Anm. zu Zeile 28). <?page no="538"?> 506 Erläuterungen zu diesen Dokumenten im ganzen Monographie Ueber die Schriften des Lukas ein kritischer Versuch. Erster Theil (1817; jetzt in: KGA I.8, 1-180) brachte. G ratz war ein umtriebiger Geist; zutiefst ein Apologet seiner Kirche und, wie M ets in seiner A utobiographie festhielt, ein »gewandter Geschäftsmann« 27 . D rey hatte nach der Revisionsschrift (1812) während seiner Ellwanger Zeit nur zwei Abhandlungen - die Millenniumsschrift (1814) und die Beichtschrift (1815) - in den Druck gegeben, seine größeren literarischen Projekte, die er sogleich nach der Übernahme seiner Professur an der Friedrichsuniversität aufgezeichnet hatte 28 , waren in Arbeit. 1819, gleichzeitig mit dem ersten Jahrgang der ThQ, legte er außer der Oratio (Text Nr. 5), in der er - gewissermaßen als zweiten Teil der Beichtschrift - die Prinzipien seiner Theorie der Dogmenentwicklung darstellte, die Katholizismusschrift (Text Nr. 6) und die in Buchform erschienene Kurze Einleitung (siehe TüA 3) vor, die gemeinhin als die beiden gewichtigsten Programmschriften für die nun sich mit Wucht formierende Katholische Tübinger Schule angesehen werden. Die vier Teile der Katholizismusschrift setzten die Begründer und Herausgeber der ThQ programmatisch je an den Anfang der vier Hefte des ersten Jahrgangs 29 . D rey , der Systematiker, der wie kein anderer auch professionell das große Ganze im Auge hatte und dafür auch die theoretischen Grundlagen ausgearbeitet hatte, war inzwischen zum Meister der Prinzipienlehre und zum Anführer der Schule in rebus theologicis aufgestiegen und hatte in dieser Hinsicht G ratz bei weitem überflügelt. G ratz war stets ein Mann der Bibelwissenschaft, konkret der Hermeneutik und Exegese des Neuen Testaments, verbunden mit einem wühlenden Interesse nicht nur an den Fortschritten auf seinen Fachgebieten, sondern zugleich am Freiheitsraum der Exegese und am Status seiner Wissenschaft in ihr. Hinzu kam sein ausgeprägter Sinn für innerkirchliche Entwicklungen und für kirchenpolitisch aktuelle Probleme. G ratz gehörte für das Zustandekommen der ThQ zweifellos in erster Linie zu den treibenden Kräften. Seine oben angesprochenen Einstellungen und Interessen, d.h. die individuellen Merkmale seiner wissenschaftlichen Persönlichkeit, haben aber im Text der Ankündigung keinen eindeutig erkennbaren Niederschlag gefunden. Wohl aber ist anzunehmen, daß er bei ihrer Konzipierung den Geist und die Merkmale der »Ellwanger Richtung« entschieden mitvertreten hat. 4. Ergebnisse Für die Frage nach der Vorgeschichte der ThQ bis zum Vorabend der Unterzeichnung der Ankündigung und für die Frage nach dem Anteil der Per- 27 M ets , Autobiographie (wie Anm. 21) 142; vgl. auch W olff , Peter Alois Gratz (wie Anm. 6) 94. 28 Siehe Theologisches Tagebuch III, 49 (TüA 1, 170-171, Text 52*); vgl. dazu Einleitung zu Text Nr. 6 (Katholizismusschrift), Ziff. II.6, bei und in Anm. 78 (mit Wortlaut des Eintrags), sowie Einleitung zu TüA 2 (Praelectiones dogmaticae), 3* ff mit Anm. 1 ff. 29 Siehe Einleitung zu Text Nr. 6 (Katholizismusschrift), Ziff. II.2 und II.4.a. <?page no="539"?> 507 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ sonen und Faktoren am Zustandekommen und dem Charakter der ThQ ergibt sich insgesamt folgendes Bild: (a.) Die ThQ ist nicht an einem Tag entstanden, sie wurde nicht von einer einzigen Person begründet. Es gab einen Entwicklungsprozeß, der in die Ellwanger Zeit zurückreicht. (b.) Der Kreis der beteiligten Personen läßt sich ziemlich genau eingrenzen. Von daher läßt sich auch ihr mutmaßlicher Anteil einigermaßen ermitteln. (c.) Über deren individuellen Anteil hinaus ist von Bedeutung, daß sie die Hauptträger der »Ellwanger Richtung« waren, deren Merkmale und Ziele in die ThQ und in den Text der Ankündigung eingeflossen sind. Der Umstand, daß gerade die »Richtung« der ThQ schon nach kurzer Zeit kirchenamtlich beanstandet wurde (vgl. Dokumente Nr. 4 a und 4 b), bestätigt diese Annahme. Die Unterzeichner der Ankündigung haben die ihnen gemeinsame Richtung aus Ellwangen mitgebracht, haben sie in Statuten gefaßt und in ihrer Zeitschrift praktisch zum Tragen gebracht. Insofern sind ihre individuellen Anteile von überindividuellen Faktoren überwölbt. (d.) Die Vorgeschichte der ThQ endete spätestens zu dem Zeitpunkt, zu dem der Inhalt und die einzelnen Punkte der Ankündigung von den Beteiligten vereinbart wurden. Bis dahin konnten sie ihre Vorstellungen in das Projekt einbringen. Diese Feststellung ist nur scheinbar trivial. Sie öffnet das Blickfeld für die Unterscheidung zwischen Inhalt und Text, zwischen dem Sachgehalt der Dokumente und ihrer Textgestalt bzw. ihrem Verfasser. Die Ankündigung ist in ihrer Form keineswegs das dürre Protokoll einer Vereinbarung, sondern die Leistung eines Autors, der, aus dem Fundus seiner Ideenwelt schöpfend, mit synthetischer Kraft die Einzelheiten zu einem Ganzen formte und darin seine geistige Handschrift hinterließ. Dafür kommt zuguterletzt tatsächlich nur D rey ernstlich in Frage. (e.) Diese Annahme erhärtet sich über die genannten Merkmale hinaus durch die der Ankündigung nachfolgenden Dokumente Nr. 3 a und b, 4 b, 5 und 6 a, für die die Autorschaft D reys feststeht. Aus ihnen geht hervor, daß er auch in der Auslegung und Anwendung der Grundsätze des ThQ-Projektes der führende Kopf war. Die Art und Weise, wie er sich hier für den Bestand und den Charakter der ThQ einsetzte und als ihr Anwalt auftrat, führt unweigerlich zu dem Schluß, daß er diese Rolle auch schon bei der Gründung und in den Gründungsdokumenten dieser Zeitschrift übernommen haben mußte. III. Erläuterungen zu den einzelnen Dokumenten 1. Zu Dokument Nr. 1 (Ankündigung) a. Sinn und Zweck der Ankündigung Der von G ratz , D rey , H erbst und H irscher am 7. Juli 1818 unterzeichnete Text ist das eigentliche Gründungsdokument der ThQ. Aus der von den Unterzeichneten gewählten Überschrift »Ankündigung« - »Ankündigung« war terminus technicus für die öffentliche Anzeige literarischer Projekte - <?page no="540"?> 508 Erläuterungen zu den einzelnen Dokumenten geht hervor, daß sie mit diesem Text die Öffentlichkeit über ihr Projekt einer neuen Zeitschrift unterrichten wollen. Das Dokument enthält Auskünfte über den von ihnen gefaßten Gründungsbeschluß, ihre Motive und Absichten sowie detaillierte Angaben zum Gesamtcharakter und zur rubrizistischen Gestaltung ihres Projekts. Es hat aber zugleich die Funktion einer internen Vereinbarung der Herausgeber, in der sie für sich selbst ihre Absichten und Grundsätze festgeschrieben haben. Es gilt in der Fachliteratur als zukunftweisendes Manifest für eine theologische Zeitschrift aus dem Geiste jener Aufbruchsituation, in der auch die Katholische Tübinger Schule sich formierte und sich ihr wissenschaftliches Organ schuf. b. Der Vertrag der Herausgeber mit dem Verleger Heinrich Laupp vom 6. Juli 1818 Einen Tag vor der Ausfertigung der Ankündigung wurde zwischen den Herausgebern der ThQ und dem Buchhändler H einrich L aupp , dem Inhaber der Laupp’schen Buchhandlung in Tübingen, der folgende Vertrag geschlossen 30 : Ü b e r e i n k u n f t zwischen den Herrn Professoren Dr. G r a t z , Dr. D r e y , Dr. H e r b s t und Dr.[! ] H i r s c h e r in Tübingen und Buchhändler Heinrich L a u p p in Tübingen. 1. Die genannten Herrn Professoren überlassen dem Buchhändler Laupp den Verlag einer von ihnen herausgegebenen » Q u a r t a l s c h r i f t f ü r k a t h o l i s c h e T h e o l o g i e u n d L i t e r a t u r «. Diese Schrift erscheint mit jedem Quartal in Heften von 10-12 Bogen in blauem Umschlag, broschiert, in Groß-Oktav-Format, wie die »Caecilia«. 2. Die A u f l a g e bestimmt der Verleger zunächst auf 1000 E x e m p l a r e und bezahlt an H o n o r a r für den gedruckten Bogen eilf fl., je nach Vollendung eines Heftes. 3. Außerdem erhält der jedesmalige Redactor für die R e d a c t i o n und Besorgung der Correctur ein besonderes Honorar von 10 fl. für ein Heft. 4. Die Herrn Herausgeber erhalten zusammen 20 F r e i e x e m p l a r e . 5. Der Verleger hängt jedem Heft ein I n t e l l i g e n z b l a t t an, das mit dem Texte in keine Berührung kommt; dieses Intelligenzblatt wird enthalten: kurze Buchhändler-Anzeigen und beim Verleger vorrätige theologische Literatur. 6. Der Verleger macht sich verbindlich, alle die S c h r i f t e n herbeizuschaffen, die für das Institut benützt werden sollen, sie den Herrn Herausgebern zur Ansicht zu liefern und, was davon nicht behalten wird, wieder 30 Wortlaut des Vertrags nach L ösch , Die Anfänge (siehe Anm. 2) 20 f. Dort auch Auskünfte zu den Vertragspartnern (vgl. 20-22). - L ösch datiert hier den Vertrag versehentlich auf den 6. Juli 1819. Das richtige Datum müßte lauten: 6. Juli 1818. <?page no="541"?> 509 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ anzunehmen. Das Behaltene wird halbjährlich mit dem üblichen Rabatt verrechnet. 7. So wie von den Herausgebern für das E m p o r b l ü h e n der Schrift alles getan werden wird, so wird auch der Verleger nichts unterlassen, was von ihm zum Vorteile des Instituts geschehen kann, und er wird den Herrn Herausgebern gerne jede Erleichterung verschaffen. 8. Sollte sich der Absatz dergestalt vermehren, daß ein größeres Honorar möglich ist, so wird der Verleger dazu immer bereit sein. Was in dieser Übereinkunft nicht angeführt oder nicht deutlich genug ausgedrückt ist, darüber werden sich die Contrahenten gütlich verstehen. Tübingen, den 6. Juli 1818. H. Laupp Dr. Gratz Buchhändler Dr. Drey Dr. Herbst Dr.[! ] Hirscher Aus dem Vertragstext geht hervor, daß zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses die neue Zeitschrift den Namen »Quartalschrift für katholische Theologie und Literatur« erhalten sollte. Die Gründe der nachträglichen Titeländerung sind unbekannt 31 . Die ThQ selbst trug von ihrem ersten Heft an den Titel Theologische Quartalschrift. Sie wird auch im Text der Ankündigung so bezeichnet. Während in ThQ 1 (1819) 3-5 der Text der Ankündigung ohne Bezugnahme auf den Verlagsvertrag und den Verleger veröffentlicht ist, findet sich bei ihrer Vorausveröffentlichung im Konstanzer Pastoralarchiv im November 1818 (siehe oben Ziff. I.1) unmittelbar im Anschluß an den Text der Ankündigung die folgende Notiz (dort 303 f): »Von genannter Zeitschrift erscheint regelmäßig Vierteljährig ein Heft von 10 bis 12 Bogen in gr. 8. geheftet, 4 Hefte machen einen Band aus, der nicht getrennt wird. Jedem Heft wird ein Intelligenzblatt beigefügt, für Buchhändler-Anzeigen; auch wird solches einen literarischen Anzeiger enthalten, mit besonderer Rücksicht auf die katholisch-theologische Literatur, die in der Verlagshandlung eingegangen und zu haben ist. Druck und Papier werden so beschaffen seyn, daß sich die Zeitschrift auch durch ihr Aeußeres empfiehlt. Man kann darauf in allen Buchhandlungen Deutschlands Bestellungen machen, die aber immer für einen ganzen Band gelten. Der Preis eines Bandes ist 5 fl. oder 2 Thlr. 20 gr. Wer bei der Verlagshandlung unmittelbar darauf unterzeichnet, erhält den Band für 4 fl. und die Hefte frei bis Stuttgardt geliefert. Tübingen, den 7. Juli 1818. H. Laupp, Buchhändler.« Die ThQ wurde von 1819 bis 1897 ununterbrochen von der Laupp’schen Buchhandlung verlegerisch betreut 32 . 31 Siehe aber auch L ösch ebd. 20, Anm. 2. <?page no="542"?> 510 Erläuterungen zu den einzelnen Dokumenten c. Warum und wozu diese neue Zeitschrift? Die Herausgeber geben im Präambelteil der Ankündigung Auskunft über die Motive zur Gründung der ThQ und umreißen ineins damit ihr geplantes Profil. Sie wollen mit ihr »eine der bedeutendsten Lücken in der katholischen Literatur« ausfüllen und dem »Mangel an solchen Zeitschriften« abhelfen, »die es sich zu ihrer Aufgabe machten, durch eigene gelehrte Forschungen, oder sonst durch ergreifende Darstellungen auf dem Gebiete der Theologie mehr Licht zu verbreiten 33 , die neuesten Geisteserzeugnisse auf demselben Gebiete durch Anzeigen und Beurteilungen zur Kenntniß der Wißbegierigen zu bringen, und auf diesem Wege nicht minder das Streben nach Wissenschaft anzuregen, als den Sinn für den Geist des Christenthums, und dessen fruchtbare Anwendung auf die Gemüther zu beleben.« Die Herausgeber wollen mit der neuen Zeitschrift ein »tief und sehr allgemein gefühltes Bedürfniß« befriedigen. Als besonderen Beweggrund führen sie die wundersame Aufbruchstimmung im deutschen Katholizismus der »jüngsten Zeit« an, zu deren Beförderung sie beitragen wollen. Zur Kennzeichnung der Lücke, auf die die Herausgeber sich beziehen, ist ein Blick auf die Situation im theologischen Zeitschriftenwesen zum Zeitpunkt der Gründung der ThQ aufschlußreich. Es existierten 1818/ 19 folgende katholische Zeitschriften 34 : Diözesanblatt für den Clerus der Fürstbischöflich 32 Die Laupp’sche Buchhandlung besorgte den Verlag der ThQ erneut von 1903 bis 1928; die Zeitschrift wurde auch unter anderen Verlegern von 1819 bis 1945 von der Druckerei H. Laupp in Tübingen gedruckt. 33 Diese Formulierung zum Ziel der ThQ verweist - zusammen mit den sachlich dazu gehörigen Topoi (nur der Wahrheit huldigen, Freiheit der Meinungsäußerung im öffentlichen Gebrauch der Vernunft, Kritik als Beruf des Theologen und der Theologie etc.) in der Ankündigung sowie im Nachtrag (siehe Dokument Nr. 2), in der Erklärung (Dokument Nr. 3 a) und im Brief Dreys an Generalvikar Keller (Dokument Nr. 4 b) - ganz auf die Denkart der Aufklärung. Man vergleiche sie und überhaupt die davon inspirierten Grundsätze der neuen Zeitschrift mit diesem geistesgeschichtlichen Hintergrund, wie er von K ant skizziert wurde (I mmanuel K ant , Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? [1783], in: Berlinische Monatsschrift 4 (1784) 481-494, siehe K ant , Werke in sechs Bänden. Hg. von W ilhelm W eischedel . Bd. 5. Darmstadt 1975, 53-61). 34 Angaben auf Grund eigener Recherchen sowie nach J ohann A ugust M oritz B rühl , Geschichte der Katholischen Literatur Deutschlands vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart in kritischbibliographischen Umrissen. Ein vervollständigender Beitrag zur National-Literaturgeschichte. Leipzig 1854; R udolf P esch , Die kirchlich-politische Presse der Katholiken in Deutschland vor 1848. Ein Überblick über die Entwicklung die katholischen Kirchenblattpresse in Deutschland mit einer Spezialuntersuchung der Kirchenblätter im preußischen Rheinland, einem Katalog und einer Dokumentation. Freiburg i.Br. 1964, 199-226 (erw. in: ders ., Die kirchlich-politische Presse der Katholiken in der Rheinprovinz vor 1848 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B 2). Mainz 1966); J oachim K irchner , Die Zeitschriften des deutschen Sprachgebietes von den Anfängen bis 1830. Mit einem Titelregister (Bibliographie der Zeitschriften des deutschen Sprachgebietes bis 1900; Bd. 1). Stuttgart 1969; M anfred B randl , Die deutschen katholischen Theologen der Neuzeit. Ein Repertorium. Band 2: Aufklärung. Salzburg 1978, XII-XV; G erhard V alerius , Deutscher Katholizismus und Lamennais. Die Auseinandersetzung in der katholischen Publizistik 1817-1854 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B 39). Mainz 1983, bes. 25-104, <?page no="543"?> 511 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ Breslauer Diöces (1803-1820); Archiv für die Pastoralkonferenzen in den Landkapiteln des Bisthums Konstanz (W essenberg ) (1804-1827); Jahrschrift für Theologie und Kirchenrecht der Katholiken (W erkmeister ) (1806-1830); Neues Magazin für katholische Religionslehrer (F elder ) (1809-1822); Litteraturzeitung für katholische Religionslehrer (F elder ) (1810-1823); Theologische Zeitschrift (F rint ) (1813-1825/ 26); Theologisch-praktische Monathschrift zunächst für Seelsorger (F reindaller ) (1802-1805; 1807-1812: »Neue ...; wieder 1821: »Neueste ...), Fortsetzung durch F reindaller ab 1812 u.d.T.: Quartalschrift für katholische Geistliche (1812-1813; 1814-1821) (teils mehrere Auflagen). Die Theologische Zeitschrift (B atz bzw. B renner ) (1809-1814) war 1814 erloschen. Das Neue Monatsblatt für die katholische Litteratur war schon ein Jahr nach seiner Gründung (1813) verstorben; auch vom Nachfolgeorgan Neues Monatsblatt für christliche Religion und Litteratur (H auber / W iedemann ) sind nur zwei Bände nachgewiesen (1815-1816). Der 1814 von J oseph G örres herausgegebene Rheinische Merkur war 1816 wieder eingegangen. Der Katholik; eine religiöse Zeitschrift zur Belehrung und Warnung (R äss / W eis ) wurde erst zwei Jahre nach der ThQ ins Leben gerufen, er entwickelte sich zum mächtigen Gegenpol der ThQ; Der Apologet des Katholicismus. Eine Zeitschrift zur Berichtigung mannichfaltiger Entstellungen des Katholicismus. Für Freunde der Wahrheit und der Bruderliebe (G ratz ) begann 1820 zu erscheinen, ein Jahr nach der ThQ (bis 1824), desgleichen das Kritische Journal für das katholische Deutschland (B rander ) (1820-1830). Zwischen 1821 und 1848 wurden zahlreiche Kirchenblätter ins Leben gerufen. Die theologischen Fakultäten in Freiburg, Würzburg, Landshut, Bonn und Breslau verfügten über keine eigenen Zeitschriften. Bei der evangelischen Schwesterfakultät in Tübingen existierte zum Zeitpunkt der Gründung der ThQ das von E rnst G ottlieb B engel (1769-1826) herausgegebene und bei Osiander verlegte Archiv für die Theologie und ihre neuste Literatur (von 1816 bis 1821) 35 . Die Lücke, die die Begründer der ThQ ausfüllen wollten, war somit offensichtlich vorhanden. Das gilt sowohl für den Zeitpunkt ihrer Gründung als auch in sachlicher Hinsicht, d.h. im Hin- 389-393; B ernhard S chneider , Katholiken auf die Barrikaden? Europäische Revolutionen und deutsche katholische Presse 1815-1848 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen 84). Paderborn 1998; D ominik B urkard , Presse und Medien, in: E rwin G atz (Hg.), Laien in der Kirche (Geschichte des kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern seit dem Ende des 18. Jahrhunderts 8). Freiburg i.Br. 2008. 35 Es wurde unter dem Titel Neues Archiv für die Theologie von 1822 bis 1826 fortgeführt und galt im Hinblick auf seine konservative, modernitätskritische und massiv supranaturalistische, mit rationalistischen Elementen durchsetzte Ausrichtung als Organ der älteren Evangelischen Tübinger Schule. Sein Vorgänger, das Magazin für christliche Dogmatik und Moral (F latt / S üskind ) (1796-1812) existierte nicht mehr, die Tübinger Zeitschrift für Theologie (S teudel ) begann erst 1828 zu erscheinen (bis 1840). Die der jüngeren Evangelischen Tübinger Schule zuzuordnenden Theologischen Jahrbücher (Z eller / B aur ) erschienen von 1842 bis 1857. Die von S chleiermacher , D e W ette und L ücke zeitgleich mit der ThQ gegründete Berliner Theologische Zeitschrift ging 1822 wieder ein (zu dieser Zeitschrift siehe auch unten in Ziff. III.2). <?page no="544"?> 512 Erläuterungen zu den einzelnen Dokumenten blick auf das Produkt, mit dem sie die Lücke gemäß den in der Ankündigung vorgelegten Grundsätzen auszufüllen trachteten. Zum Zeitpunkt ihrer Gründung hatte die ThQ tatsächlich einen singulären Charakter. Im Laufe der Zeit sind ihr andere Zeitschriften mit ähnlichen Zielsetzungen zur Seite getreten, sodaß sie ihre Alleinstellungsmerkmale einbüßte. Wie weit die Grundsätze der ThQ dabei konzeptionell direkt oder indirekt wegweisend waren, wäre eine eigene Untersuchung wert. Wenn sie heute, im Jahr 2014, in ihrem 194. Jahrgang herauskommt und inzwischen nach ununterbrochenem Dauerbestand »als die älteste fachtheologische Zeitschrift der ganzen Welt dasteht« (L ösch ), so spricht das aber für den Weitblick ihrer Gründer und die Tragfähigkeit ihrer Grundsätze. d. Inhalt und Bedeutung der Ankündigung nach Vermeil Im Zuge seiner innovativen Erforschung der Anfangsgestalt der Katholischen Tübinger Schule hat E dmond V ermeil 36 die Bedeutung der Ankündigung erkannt und sie historisch und kulturphilosophisch verortet. Da seine Wahrnehmung und Bewertung der Ankündigung zugleich ein Markstein in der Rezeptionsgeschichte dieses Dokuments ist, verdient sie es, hier angeführt zu werden. Seine Leistung läßt sich in folgenden Punkten zusammenfassen: (1.) Er erkannte wie niemand vor ihm die Relevanz dieses Dokuments als Schlüsseltext in der Genese der Tübinger Schule. (2.) Seine Wiedergabe des Inhalts der Ankündigung besticht durch den sicheren Blick für das Wesentliche wie durch die Präzision der Auffassung 37 . (3.) Die von V ermeil beigebrachte 36 Zu ihm siehe oben Einleitung zu Text Nr. 4, Ziff. II.5.c; Einleitung zu Text Nr. 6, Ziff. II.8.b, bes. bei und in Anm. 151-154; TüA 2 (Praelectiones dogmaticae) 53*-56*; TüA 3 (Kurze Einleitung) 211*-215*, und S eckler , Auf dem Weg zu Johann Sebastian Drey. Beobachtungen zur Geschichte seiner Wiederentdeckung und zur Neuevaluierung seiner ›Kurzen Einleitung‹ von 1819, in: ThQ 189 (2009) 1-28, 14 f, 17-24. 37 »En 1819 paraı ˆt le premier volume de la ‹Tübinger Quartalschrift›. Une bre`ve annonce en indiquait la raison d’eˆtre, la composition et la tendance. Les revues sont trop rares dans l’Allemagne catholique. Elles sont un instrument indispensable. Elles mettent au point les questions a` l’ordre du jour, font connaı ˆtre les livres nouveaux, e´veillent et entretiennent parmi les fide`les l’esprit de recherche, le gouˆ t de la science, le sens du ve´ritable christianisme. Les e´ve´nements contemporains sollicitent l’attention de tous. Le pre´sent est plein de promesses et il faut, en cre´ant une litte´rature catholique, assurer leur re´alisation dans l’avenir. La revue aura donc un double caracte`re. Elle sera, tout d’abord, une revue de the´ologie historique, dogmatique et pastorale qui, a` coˆ te´ d’articles de fond, rendra compte des principaux ouvrages catholiques ou protestants re´cemment parus. Elle sera ensuite une sorte de ‹Magazine› pour l’histoire moderne de l’Eglise. Elle amassera de pre´cieux mate´riaux en publiant des bulles, des textes de lois, des lettres pastorales et des documents de toute sorte. Elle essaiera surtout de dissiper les pre´juge´s qui, a` l’heure actuelle, faussent l’opinion publique sur le catholicisme. Son esprit sera un esprit de modestie et de liberte´. Etant donne´ l’e´tat des partis religieux en Allemagne, les re´dacteurs e´viteront toute e´troitesse sectaire. Ils serviront uniquement la ve´rite´. Pour que lumie`re se fasse, tous les aspects d’un proble`me doivent eˆtre e´tudie´s, toutes les opinions doivent eˆtre aux prises. Pas de progre`s intellectuel sans ardente fermentation d’ide´es. Tout avis pourra donc, en la revue, eˆtre pre´sente´ et provoquer l’examen, a` la seule condition d’eˆtre e´mis sans acrimonie. Les re´dacteurs sauront, d’autre part, demeurer fide`les et <?page no="545"?> 513 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ literarische und kulturelle Vernetzung der Ankündigung öffnet das Gesichtsfeld für weiter ausgreifende Zusammenhänge 38 . (4.) Ohne sich mit der Frage nach der Verfasserschaft eigens zu befassen, führte V ermeil zur ideellen Kontextualisierung dieses Dokuments faktisch nur Schriften D reys an, was auf eine indirekte Beantwortung der Verfasserschaftsfrage aus seiner Sicht hinausläuft 39 . e. Zur Frage der Autorschaft Dreys Zusätzlich zu den bereits oben in Ziff. II.3 und zuletzt in Ziff. III.1 vermerkten Beobachtungen und Erwägungen sprechen die folgenden Sachverhalte für D rey als federführenden Autor: α . Die besondere Kompetenz Dreys für das wissenschaftliche Zeitungswesen Aus D reys Eintragungen in den fünf Bänden seines Theologischen Tagebuchs, von denen die Bände II-V erhalten geblieben sind, geht hervor, daß er den theologisch einschlägigen Fachzeitschriften größte Aufmerksamkeit entgegenbrachte und ständig mit ihnen arbeitete. Vergleichbares ist von seinen Kollegen nicht bekannt. Man darf zwar annehmen, daß auch sie sich auf dem Laufenden hielten, aber bei D rey ging es über das Normalmaß weit hinaus. Auf Grund dieser Interessenlage und der damit erworbenen Kompetenzen war er wie kein anderer imstande, die Lage auf dem Zeitschriftenmarkt zu beurteilen und das Profil einer neuen Zeitschrift zu entwerfen oder dafür zumindest die Hauptrolle zu übernehmen. Daß und wie das tatsächlich der Fall war, beweisen die nachfolgenden Feststellungen. β . Die Leitmotive im Text der Ankündigung Vor allem im Präambelteil der Ankündigung werden Begriffe und Topoi verwendet und als Leitmotive in Anschlag gebracht, die für das Frühwerk D reys kennzeichnend sind, angefangen bei den Zustandsanalysen und Aufbruchsignalen der Revisionsschrift und den Denk- und Arbeitsmustern des Theologischen Tagebuchs bis zur Frühlingsblüte der Katholizismusschrift in ihren mentalen und kategorialen Merkmalen und bis zur Architektur der Kurzen Einleitung, ihren Grundideen, Leitmotiven und Zielen. So etwa die Art der Ausrichtung der neuen Zeitschrift auf Wissenschaft und Wissenschaftlichkeit, das Postulat fundierter, aber unpolemischer Kritik, die Fokussierung auf den Geist des respectueux envers l’autorite´ de l’Eglise et sa tradition. Mais ils se garderont de tout ‹pe´dantisme›, de tout conservatisme jaloux. Ici s’exprime, en termes clairs et simples, le libe´ralisme de l’e´cole. On entrevoit de`s maintenant a` quelles qualite´s et a` quelles habitudes la revue devra son succe`s et sa longue dure´e. De toutes les revues the´ologiques fonde´es a` cette e´poque par les catholiques allemands, elle est la seule qui ait subsiste´ jusqu’a` aujourd’hui.« (E dmond V er meil , Jean-Adam Moehler et l’e ´cole catholique de Tubingue (1815-1840). E´ tude sur la the ´ologie romantique en Wurtemberg et les origines germaniques du modernisme. Paris 1913, 32 f). 38 Vgl. ebd. bes. 32-36. 39 Vgl. ebd. 33 ff. <?page no="546"?> 514 Erläuterungen zu den einzelnen Dokumenten Christentums, seine wissenschaftliche Kultivierung durch die Theologie und seine Verlebendigung in der Kirche und im Katholizismus, die Verbindung von Theorie und Praxis überhaupt. Auch die für die neue Zeitschrift vielfältig in Aussicht genommene aktuelle Gegenwartsbezogenheit, zumal angesichts der Erschütterungen und Stürme der letzten Jahrzehnte und die als »wundersam« empfundenen Erscheinungen vor allem im Katholizismus der jüngsten Zeit, verweist für den Kenner der Frühschriften D reys evidentermaßen auf ihn als Autor. γ . Das Theologische Tagebuch als »die Vorform« der ThQ? Selbst in den in der Ankündigung für die ThQ vorgesehenen Rubriken ist - so selbstverständlich sie für eine neue, lebendige Zeitschrift auch erscheinen mögen - D rey zu erkennen. Das Vorhaben, Anzeigen und Beurteilungen der neuesten Geisteserzeugnisse zu bringen, sowie Nachrichten über theologische und kirchliche Gegenstände nebst Erläuterungen einzurücken und das Rezensionswesen besonders zu pflegen, atmen den Geist und die Praxis, die im Theologischen Tagebuch Regie führten. Und wie dieses - auch nach Auskunft des ihm von D rey gegebenen Titels 40 - sich in aller Form auf philosophische, theologische und historische Gegenstände erstreckt, so soll es auch für die ThQ in ihrer konzeptionellen Ganzheit und in ihren Rubriken sein. Nicht zu vergessen: wenn in Absatz 3 des Präambelteils der Ankündigung mitgeteilt wird, man wolle in der neuen Zeitschrift die Eigenschaft eines theologischen »Journals« 41 mit der eines »Magazins« der neueren Kirchengeschichte verbinden (vgl. dazu auch Ziff. III des Rubrikenteils), so hat auch das in den Tagebüchern D reys ein Korrelat: D rey hatte dort für sich persönlich ein ›Magazin der neueren Kirchengeschichte‹ angelegt 42 . Angesichts der formalen 40 Der Titel lautet: Mein Tagebuch über philosophische, theologische und historische Gegenstände 1812-1817 (siehe TüA 1). 41 Mit der Charakterisierung der im Entstehen begriffenen ThQ als »Journal« (im Sinne einer regelmäßig erscheinenden Publikation zu aktuellen wissenschaftlichen Themen) griff der Verfasser der Ankündigung einen Terminus auf, für dessen derartige Verwendung es Vorbilder gab. Wegweisend dafür war - als erstes literarisches und wissenschaftliches Periodikum dieses Namens - das seit 1665 bestehende Journal des sc ¸avants (seit 1816 Journal des savants). Als näherliegendes Vorbild kommt das Journal für auserlesene theologische Literatur in Frage, das von 1804 bis 1811 existierte (zuvor 1798-1800 als Neuestes theologisches Journal, dann 1801-1804 als Journal für theologische Literatur) und von dem Jenaer protestantischen Theologen J ohann P hilipp G abler in Nürnberg herausgegeben wurde. Den von G abler in der Vorrede zu Band 1 (1804) dargelegten »Grundsätzen« zufolge wollte dieses Organ »durch gelehrte Aufsätze und gründliche Rezensionen« (VIII), »Gelehrsamkeit, Unparteylichkeit und guten Ton« (IX) ihre Ziele, ein »gründliches Studium der Theologie« (VIII) in allen Fächern zu befördern und auch in die Praxis hineinzuwirken, erreichen. Es war auf »jährlich vier Stück« (VI) angelegt. Zu seinen ständigen Mitarbeitern gehörten die Göttinger P lanck und S täudlin . Beachtenswert ist aber auch der Umstand, daß der Terminus »Journal« als Bezeichnung für wissenschaftliche Tagebücher in Übung war, was an Zusammenhänge mit dem Theologischen Tagebuch D reys denken läßt und die diesbezügliche Annahme R ufs (siehe unten Anm. 43) stützen würde. In diesem Fall wäre der in der Ankündigung eigentlich recht unerwartet auftauchende Terminus ein zusätzliches Indiz für die Verfasserschaft D reys . <?page no="547"?> 515 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ und inhaltlichen Beziehungen, die zwischen dem Theologischen Tagebuch und der ThQ festzustellen sind, hat denn auch W olfgang R uf den Schluß gezogen, daß die fünf Bände des Tagebuchs geradezu als »die Vorform der Zeitschrift« 43 gelten können. R uf verwies zugunsten dieser Annahme u.a. darauf, daß die 1818/ 19 gegründete ThQ sich nahtlos an den von den Tagebüchern abgedeckten Zeitraum (1812-1817) anschloß. δ . Die Anspielung auf das Bayerische Konkordat Auch die in Absatz 3 des Präambelteils auffällig angesprochenen »neuesten Unterhandlungen von Concordaten«, die »allgemeine Aufmerksamkeit« fänden, verweisen auf D rey . Die Veröffentlichung des neu abgeschlossenen Bayerischen Konkordats war sechs Wochen vor der Abfassung der Ankündigung erfolgt. Sie hatte in den Medien große Beachtung gefunden. Der Konkordatspassus in der Ankündigung ist offensichtlich unter dem Eindruck dieses Geschehens entstanden. D rey selbst veröffentlichte noch im 1. Jahrgang der ThQ einen umfangreichen Aufsatz zu diesem Konkordat 44 . ε . Die sprachlichen und stilistischen Merkmale Zusätzlich zu den Beobachtungen, die den Inhalt der Ankündigung - thematische Gesichtspunkte, Leitmotive, Begriffe und Absichten - betreffen, verweist unser Text auch im Timbre seiner Sprache und seines Stils, in seiner Nervatur und in seiner Atmosphäre auf D rey . Obwohl diese Merkmale in einem so kurzen Text eher nur intuitiv zu erfassen als analytisch nachzuweisen sind, tragen sie zur Abrundung des Gesamtbildes doch erheblich bei. ζ . Die Ankündigung im Lichte der Dokumente Nr. 3 a und b, 4 b, 5 und 6 a Die Rolle, die D rey in diesen Dokumenten spielte, erlaubt gewichtige Rückschlüsse auf seinen Anteil an der Ankündigung. Sie ergänzen und erhärten die oben vorgebrachten Argumente, wonach er in der Konzipierung der ThQ, wie sie in der Ankündigung festgeschrieben ist, der führende Kopf und für deren Text der definitive Autor war. Gerade in der Frage nach dem Anteil 42 Das belegen seine im Theologischen Tagebuch in großer Zahl anzutreffenden, sachlich einschlägigen Exzerpte und Notizen zur Neuordnung des Kirchenwesens, besonders zum Verhältnis von Kirche und Staat. Für exegetische Gegenstände führte D rey ein von ihm so bezeichnetes Exegetisches Magazin (vgl. Theol. Tagebuch II, 150 und 160, in TüA 1, 110 und 115), das leider verschollen ist. Vgl. auch KE § 122. - Die Meinung von L ösch und W olff , daß H erbst hinter dieser Rubrik stehe, ist schlecht begründet. Die Texte von H erbst , die sie anführen, haben mit dem hier gemeinten Magazin nichts zu tun. - In Ziff. IV des Rubrikenteils dürfte dagegen tatsächlich ein Anliegen von G ratz sich niedergeschlagen haben. 43 W olfgang R uf , Johann Sebastian von Dreys System der Theologie als Begründung der Moraltheologie (Studien zur Theologie und Geistesgeschichte des Neunzehnten Jahrhunderts 7). Göttingen 1974, 25 f. - Die in der Einleitung zu TüA 1, S. XXX geäußerten Bedenken betreffen nicht den Kern der Annahme von R uf . 44 Das Bayerische Concordat, in: ThQ 1 (1819) 300-329. Der Verfasser dieses ohne Verfasserangabe veröffentlichten Aufsatzes war D rey (siehe L ösch , Die Anfänge (siehe Anm. 2) 56). - Der Text dieses Aufsatzes ist unten als Text Nr. 8 wiedergegeben und erläutert. <?page no="548"?> 516 Erläuterungen zu den einzelnen Dokumenten D reys an der Ankündigung ist deshalb dieses Dokument im Lichte der Dokumente Nr. 3 a und b, 4 b, 5 und 6 a zu lesen. Wenn in der letzten Zeit vereinzelt die Tendenz aufgekommen ist, den Anteil D reys in der Gründungsgeschichte der ThQ und speziell an der Ankündigung herabzusetzen, so nicht zuletzt deshalb, weil diese Dokumente nicht beachtet wurden. Sein Engagement an der Existenz und Gestalt der ThQ war nach Auskunft dieser Dokumente ohnegleichen, er muß sich von Anfang an als ihr Sachwalter verstanden haben. Vor allem sein Brief vom 8. Mai 1821 (siehe Dokument Nr. 4 b) führt vor Augen, wie er, das Profil und die Mission der ThQ verdeutlichend und die Mitherausgeber schützend, die Fäden in der Hand hielt. 2. Zu Dokument Nr. 2 (Nachtrag zur Ankündigung) Wie bereits erwähnt (siehe Ziff. I.2), findet sich dieser Text im ersten Heft der ThQ ohne eigene Überschrift unmittelbar im Anschluß an den Text der Ankündigung, ist aber durch drei Asterisken von ihr abgesetzt und somit als besondere Texteinheit gekennzeichnet. Inhaltlich bildet er jedoch zusammen mit der Ankündigung eine Einheit. Demgemäß hat denn auch D rey ihn in ThQ 2 (1820) 553 f (siehe Dokument Nr. 3 a) stillschweigend als Bestandteil der Ankündigung angesehen und angeführt. In dem Nachtrag erläutern und ergänzen die Gründungsherausgeber mit auffallender Prägnanz und Bestimmtheit die Grundsätze, von denen sie sich bei der Gestaltung ihrer Zeitschrift leiten lassen wollen. Die Stichworte lauten: »Freyheit der Meynung« für alle Mitarbeiter, keine »Parteysucht und Parteinahme«, »nur der Wahrheit huldigen«, die durch eine »vielseitige Beleuchtung« und »im Kampfe der Meynungen« »nur gewinnen kann«; Verpflichtung zur Gründlichkeit und Begründetheit »der Urtheile«; keine unsachliche Polemik; Treue zur »Lehre und Ueberzeugung ihrer Kirche«. Mit diesen Grundsätzen haben die Gründungsherausgeber tatsächlich das Profil ihrer Zeitschrift für viele Jahre vorbestimmt. Jeder dieser Grundsätze ist in sich selbst ein Baustein für es, vor allem aber bilden sie in ihrer Gesamtheit jene komplexe und spannungsgeladene Einheit, die das erste Jahrzehnt der ThQ besonders kennzeichnet. In ihr ist auch das Trinar Wissenschaftlichkeit, Zeitbezogenheit und Kirchlichkeit, das gerade in seiner unverbrüchlichen Einheit zum Kennzeichen der Tübinger Schule werden sollte, wegweisend grundgelegt. In der Frage nach der Verfasserschaft ist davon auszugehen, daß die Herausgeber in den im Nachtrag formulierten Bestimmungen grundsätzlich miteinander übereinstimmten, daß sie aber je und je ihre Desiderate in ihn einbrachten. Für das in ihm zutage tretende Wissenschaftsverständnis wurde bereits auf D rey als Spiritus rector hingewiesen. Dazu hier eine Ergänzung. D rey brachte in ThQ 2 (1820) 278-290, also gut ein Jahr nach der Veröffent- <?page no="549"?> 517 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ lichung des Nachtrags, eine Rezension des ersten Heftes der 1819 zeitgleich mit der ThQ von S chleiermacher , de W ette und L ücke gegründeten Theologischen Zeitschrift. In dieser Rezension zerpflückt er mit gnadenloser Gedankenschärfe vor allem den Beitrag S chleiermachers zu C alvins Lehre von der Erwählung (281 ff), schickte seiner Kritik aber einige nicht weniger kritische Seiten zum Wissenschaftsverständnis der Berliner Herausgeber und zur daraus resultierenden konzeptionellen Gestaltung ihrer Zeitschrift voraus (278-281). Ineins damit legte er die Gesichtspunkte dar, nach denen sich ein wissenschaftsgemäßes und wissenschaftsdienliches Organ im Hinblick auf den dialektischen Prozeßcharakter der theologischen Erkenntnis zu richten habe. Die Konzeption der ThQ erwähnt er hier nicht ausdrücklich, aber sie ist als Kontrastfolie natürlich präsent. Seine Ausführungen sind ein wichtiger Beleg für das wissenschaftstheoretische und wissenschaftspublizistische Reflexionsniveau, das von ihm her hinter den in der Ankündigung und vor allem im Nachtrag festgeschriebenen Grundsätzen stand. Da er in der Rezension fraglos seinen ureigenen Standpunkt vertrat, sind seine Ausführungen für die Ermittlung und Würdigung seines Anteils am Inhalt dieser beiden Texte wichtig. Ein weiterer, für die Verfasserschaftsfrage relevanter Punkt im Nachtrag betrifft im Zusammenhang mit der Zeitbezogenheit die Freiheit der Meinungsäußerung und das Anonymitätsprinzip. Letzteres ist im Nachtrag nicht angeführt, aber es wurde bereits im ersten Heft der ThQ angewendet und von da an bis zu seiner von D rey ultimativ geforderten Aufhebung im Jahre 1832 praktiziert (siehe Erläuterungen zu Dokument Nr. 6 b). Da G ratz für den ersten Jahrgang der ThQ die Schriftleitung innehatte, ist anzunehmen, daß er es einführte. D rey hat diese Regelung offensichtlich von Anfang an hingenommen und sich auch in den Jahren, in denen er Schriftleiter war, an sie gehalten, aber daß er ihr abgeneigt war, ist gleichfalls der oben genannten Rezension zu entnehmen. Er lobte dort an de W ette , daß dieser »der Anonymität und den daraus hervorgehenden üblen Folgen zu entgehen« bestrebt gewesen sei (281). Der Text des Nachtrags ist offensichtlich erst bei der redaktionellen Fertigstellung des ersten Heftes der ThQ entstanden. Er wurde somit kurzfristig und aktualitätsbedingt an die Ankündigung, die auf den 7. Juli 1818 zurückgeht, angehängt. In den ersten Abdrucken der Ankündigung, die als Beilage zur Allgemeinen Zeitung und im Pastoralarchiv W essenbergs erfolgten, war er noch nicht vorhanden. Im ersten Satz des Nachtrags wird auffallend auf die »gegenwärtige Stimmung der Gemüther in Deutschland« hingewiesen, was auf einen Konflikt im Hinblick auf die Programmatik der ThQ schließen läßt. Ob dieser allein von außen kam oder auch innerhalb des Herausgeberkollegiums stattfand, ist ungewiß. Die Dezidiertheit, mit der die Herausgeber »auf die unzweydeutigste Weise« ihre Grundsätze »noch weiter« präzisieren, sticht <?page no="550"?> 518 Erläuterungen zu den einzelnen Dokumenten jedenfalls in die Augen. Es ist möglich, daß die Lehrbeanstandungsverfahren, die u.a. gegen G ratz und D rey in Rom liefen und zu einer öffentlichen Stimmungsmache gegen die Ellwanger bzw. Tübinger Professoren geführt hatten - auch und gerade im Hinblick auf die von ihnen vertretene »Richtung«, deren Grundsätze sie in dem Nachtrag »auf die unzweydeutigste Weise« zu Papier zu bringen sich veranlaßt sahen -, zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Textes besonders virulent geworden waren. In diese Richtung weist auch der in den Dokumenten Nr. 4 a und 4 b ausgetragene Konflikt zwischen Generalvikar K eller und den Herausgebern, in dem D rey federführend tätig war, wobei er mit größter Entschiedenheit sozusagen ex sese, aber zugleich im Namen der Herausgeber die in dem Nachtrag formulierten Grundsätze zur Geltung brachte. Bei der Frage der Verfasserschaft des Nachtrags ist noch zu berücksichtigen, daß G ratz für das erste Heft der ThQ die Schriftleitung innehatte und daß ihm die Freiheit der wissenschaftlichen Meinungsäußerung ein besonderes Anliegen war. G ratz war dafür schon während seiner Zeit an der Friedrichsuniversität in Ellwangen hervorgetreten. Vierzehn Jahre nach der Gründung der ThQ äußerte B enedikt A lois P flanz , der Herausgeber der Freimüthigen Blätter und kritische Beobachter der Tübinger, im Rückblick auf ihre Anfänge die »Vermuthung«, daß G ratz , den man (? ) damals (! ) als den vorzüglichsten Gründer der ThQ angesehen habe, diese Bestimmung in die Gründungsdokumente aufgenommen habe 45 . Auch für das Insistieren auf einer aller Polemik abholden Form der wissenschaftlichen Auseinandersetzung gibt es ziemlich genaue Entsprechungen zwischen dem Nachtrag und den Grundsätzen, die G ratz 1820 für seine eigene Zeitschrift formulierte 46 . Dafür könnte (und dürfte) freilich umgekehrt der Nachtrag als Vorbild gedient haben. Für eine substantielle Beteiligung D reys an diesen Formulierungen spricht indessen seine oben erwähnte Rolle in der Auseinandersetzung mit Generalvikar K eller (siehe Dokument Nr. 4 b) 47 . 45 »Schon bei der ersten Ankündigung der Quartalschrift erklärten die Herausgeber, daß sie sich unter sich Freiheit der Meinung vorbehalten haben. Ref. [P flanz ] hat Grund zu vermuthen, daß die damaligen Herausgeber und unter ihnen der kluge, umsichtige Dr. Gratz, den man damals als den vorzüglichsten Gründer dieses Instituts ansah, diese Bestimmung weislich unter die Hauptbedingungen desselben aufnahm, weil er wohl einsah, daß von ihr das Gedeihen einer Zeitschrift, die mehrere von einander unabhängige Redaktoren hat, abhänge ...« (Freimüthige Blätter 5 (1833) 177). P flanz (zu ihm siehe Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 78) gibt in seiner Vermutung ein weit zurückliegendes on-dit ohne konkrete Angaben und Belege wieder. Er war zu diesem Zeitpunkt mit der ThQ unzufrieden und trauerte dem Weggang G ratzens , den er heroisierte, nach. - Zur Vorgeschichte in Ellwangen siehe P eter A lois G ratz , Ueber die Grenzen der Freiheit, die einem Katholiken in Betreff der Erklärung der heiligen Schrift zusteht. Ellwangen 1817. 46 Vgl. Der Apologet des Katholicismus, 1. Heft (1820), Erklärung (I-VIII). 47 Ähnliche Motive zur Bedeutung und Form der wissenschaftlichen Auseinandersetzung hat D rey bereits in seiner Revisionsschrift von 1812 ausgesprochen. <?page no="551"?> 519 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ 3. Zu den Dokumenten Nr. 3 a (Erklärung gegen Gerhauser) und Nr. 3 b (Widerlegung gegen v. Mastiaux) In ThQ 2 (1820) 551-563 (Heft 3) finden sich in der Rubrik Intelligenz-Blatt zwei Texte, die direkt auf die Verteidigung der ThQ gegen aktuelle Angriffe abgestellt sind. Der erste von ihnen trägt die Überschrift Erklärung; er umfaßt sieben Seiten (551-557). Für ihn wird in der vorliegenden Ausgabe die Kennziffer Dokument Nr. 3 a verwendet. Der zweite ist mit Widerlegung überschrieben; er hat einen Umfang von fünf Seiten (558-563). Für ihn steht hier die Kennziffer Dokument Nr. 3 b. Beide Texte sind jeweils mit »Die Redaction der theol. Quartalschrift« unterzeichnet, beide haben mit Sicherheit D rey zum Verfasser. D rey hatte für den Jahrgang 1820 die Schriftleitung der ThQ inne. Er hat die beiden Texte nicht etwa im Namen der Herausgeber gebracht, sondern in eigener Zuständigkeit und gleichsam als die Redaktion in persona. Darauf verweist auch der mehrmalige Gebrauch des Personalpronomens im Singular 48 . In beiden Texten tritt D rey profiliert als Sachwalter der Interessen der ThQ auf. Er vertritt diese Interessen zwar in seiner Funktion als Schriftleiter, aber seine Ausführungen enthalten einen solchen Überschuß an Engagement und an genauen konzeptionellen Vorstellungen (vor allem in der Erklärung), daß auch hier der besondere Grad an Verantwortungs- und Führungsbewußtsein erkennbar wird, den er für die ThQ hegte. Diese Einschätzung bestätigt sich, wenn man die beiden Texte im Kontext der anderen Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ liest und würdigt. Doch darüber hinaus werfen die Dokumente Nr. 3 a und 3 b für das Dreybild überhaupt einiges ab. Sie liefern wichtige Mosaiksteine für sein theologisches Denken wie auch für seinen Stil als Kombattant und für sein persönliches Temperament. a. Zu Dokument Nr. 3 a (Erklärung gegen Gerhauser) Gegenstand dieser Erklärung ist ein Buch 49 des Dillinger Professors der Dogmatik und der Hermeneutik des Neuen Testaments J ohann B althasar G er hauser 50 . Dieses Buch war 1820 in Gestalt einer Gegenschrift zu einem im 48 Siehe Erklärung 556 (»mir«) und 557 (»ich«, zweimal). 49 J ohann B althasar G erhauser , Abhandlung über das Gespräch Jesu mit Nikodemus und über das Evangelium Johannis überhaupt. Einer andern Abhandlung hiervon entgegengesetzt. Zugleich eine Beantwortung der Frage: Was ist Christenthum? Dillingen 1820. 50 J ohann B althasar G erhauser , * 24. September 1766 in Kaufbeuren, † 4. Juni 1825 in Dillingen, Studium der Philosophie und Theologie am Jesuitenkolleg St. Salvator in Augsburg und an der Universität Dillingen, hier 1789 Abschluß mit dem Dr.theol., im selben Jahr Priesterweihe und Präfekt am Konvikt in Dillingen. G erhauser wurde 1795 Dozent für Dogmatik und Exegese in Dillingen und 1804 Professor auch für Patrologie am dortigen Lyzeum; er war 1800-1812 und 1818-1824 zugleich Regens (ab 1818 auch Prof.) am Priesterseminar. G erhauser gehörte zur konservativen Professorenpartei in Dillingen, die u.a. die Entfernung von J ohann M ichael S ailer , J oseph W eber und P atriz B enedikt Z immer - <?page no="552"?> 520 Erläuterungen zu den einzelnen Dokumenten 1. Jahrgang der ThQ ususgemäß ohne Verfasserangabe erschienenen Text 51 in den Buchhandel gekommen. Zwischen dem ThQ-Text, der kaum vier Seiten umfaßt, und dem Buch G erhausers besteht quantitativ gesehen ein grobes Mißverhältnis. G erhauser war sich dessen wohl bewußt, wenn er den ThQ- Text im Titel seines Buches als »Abhandlung« bezeichnet; er erhebt ihn damit literarisch auf die Ebene seines Buches, das er gleichfalls als »Abhandlung« einstuft. Dieser nomenklatorische Trick dürfte darauf angelegt gewesen sein, das Mißverhältnis zu kaschieren, und zugleich dem ThQ-Text eine Bedeutung beizumessen, die eine umfangreiche Gegenabhandlung rechtfertigen sollte. In Wahrheit hatte es sich bei dem ThQ-Text um eine kleine Miszelle zu einer fachlichen Detailfrage aus dem Gebiet der biblischen Einleitungswissenschaft gehandelt, die unter normalen Umständen keine Aufregung, geschweige denn eine förmliche Gegenschrift in Gestalt eines Buches verdient gehabt hätte. Offensichtlich war mehr im Spiel, sowohl bei G erhauser als auch bei der scharfen Erklärung D reys . G erhauser hatte den ThQ-Text tatsächlich zum Aufhänger für einen ins Grundsätzliche gehenden Angriff auf die Tübinger und ihre Zeitschrift gemacht, und die Schärfe der Reaktion D reys erklärt sich daraus, daß er erkannt hatte, daß mit dem Buch G erhausers für die ThQ und ihre Herausgeber eine bedrohliche Situation eingetreten oder jedenfalls gefährlich zutage getreten war 52 . Auch eine höchstpersönliche Motivation mochte bei G erhauser mitgespielt haben 53 . des »Dillinger Kleeblatts« - aus ihrem Lehramt betrieben haben. Er wirkte in diesem Sinne 1793 an der Untersuchung und am Verhör der angeschuldigten Professoren mit (vgl. Johann Michael Sailer, Leben und Briefe, dargestellt von Hubert Schiel. Erster Band: Leben und Persönlichkeit in Selbstzeugnissen, Gesprächen und Erinnerungen der Zeitgenossen. Regensburg 1948, 204 mit Anm. 38). Zu ihm und seinem literarischen Werk: ADB 8 (1878) 783 (F ranz H einrich R eusch ); F ranz K arl F elder , J oseph W aitzenegger (Hg.), Gelehrten- und Schriftsteller-Lexikon der deutschen katholischen Geistlichkeit. 3 Bde., Bd. 1. Landshut 1817, 265; Bd. 3. Landshut 1822, 493; M anfred B randl , Die deutschen katholischen Theologen der Neuzeit. Ein Repertorium. Band 2: Aufklärung. Salzburg 1978, 84; T homas S pecht , Geschichte des Königlichen Lyceums Dillingen (1804-1904). Festschrift zur Feier seines 100-jährigen Bestehens. Regensburg 1904, 159-160; W olff , Peter Alois Gratz (wie Anm. 6) 24-26; H ans -M ichael K örner (Hg.), Große Bayerische Biographische Enzyklopädie 1. München 2005, 635. 51 [P eter A lois G ratz ], Ueber Joh. 3. K. 13-21 Vers, in: ThQ 1 (1819) 575-578. 52 Daß die ThQ von Anfeindungen bedroht war, nährte auch über die Landesgrenzen hinaus Befürchtungen. Im Februar 1823 berichtete M öhler aus Breslau von A nton D ereser (1757-1827), der seinerseits in seiner Straßburger Zeit (1791-1796) unter massiven Repressalien zu leiden hatte: »Der wahre Grund, aus welchem er [D ereser ] auf Gratzs Einladung keine Aufsätze in die Tübinger Quartalschrift schickt, ist die Furcht: wenn die Zeitschrift angeklagt würde, könnten sich seine alten Leiden erneuern« (J ohann A dam M öhler , Brief vom Februar 1823 an Professor H erbst , abgedruckt bei S tephan L ösch , Johann Adam Möhler. Bd. I: Gesammelte Aktenstücke und Briefe. Mit 1 Bildnis Möhlers. Herausgegeben und eingeleitet von Stephan Lösch. München [1928], 90). 53 G erhauser und G ratz kannten sich seit ihrer gemeinsamen Studienzeit in Dillingen (spätestens seit 1788). Bei der Ablegung des Eides, den G ratz zur Aufnahme in das Alumnat zu leisten hatte, fungierte G erhauser als Amtszeuge; bei den Untersuchungen gegen die aufklärerische Richtung an der Universität Dillingen, die 1795 zur Entfernung von S ailer , Z immer und W eber führte, machte G erhauser als Präfekt 1791 Aussagen zum Zustand des <?page no="553"?> 521 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ Der Auslöser und eigentliche Kern der Kontroverse war aber neben der speziellen Fachfrage - sie betrifft das Problem, ob »die schon ziemlich alte Hypothese der Exegeten« (D rey ), wonach die Verse 16-21 in Kapitel 3 des Johannesevangeliums nicht für unmittelbare Worte Jesu zu nehmen sind, sondern für Worte des Evangelisten, auf die Verse 13-15 auszudehnen sind - eine Bemerkung G erhausers zur Theologischen Quartalschrift, die D rey besonders in Harnisch brachte 54 . D rey befaßt sich in der Erklärung ausführlich mit beiden Punkten. Zunächst zerpflückt er die von G erhauser vertretene fachliche Position. Er deckt Ungereimtheiten im Argumentationsgefüge G erhausers auf und nimmt Richtigstellungen vor. In diesen Passagen treten die Prinzipien der theologischen Erkenntnislehre und der biblischen Hermeneutik D reys in bemerkenswerter Prägnanz zutage. Sie betreffen vor allem das Verhältnis von Exegese und Dogmatik, von historischer versus theologischer Authentizität, und speziell die Kompatibilität von historisch-kritischer Methode, theologischer Wahrheit und kirchlichem Dogma. Die Erklärung ist in dieser Hinsicht ein beachtliches Lehrstück aus dem Denken D reys . Ungereimtheiten findet D rey aber auch in der persönlichen wissenschaftlichen Orientierung G erhausers . Er stellt fest, daß G erhauser in seinem neuen Buch in Sachen Hermeneutik Auffassungen vertrete, die im Widerspruch zu seinen früheren Schriften stünden, in denen er sich durchaus auf der Höhe der einleitungswissenschaftlichen Theoriebildung bewegt habe 55 . Wo- Alumnats und beschuldigte G ratz der Unterlassung des Breviergebets (vgl. W olff , Peter Alois Gratz (wie Anm. 6) 25-26). Da G erhauser 1820 als Fachkollege mit Sicherheit wußte, wer in Tübingen unter den Herausgebern der ThQ die Professur für neutestamentliche Exegese innehatte, mußte für ihn bei der Abfassung seines gegen den ThQ-Text gerichteten Buches zweifelsfrei feststehen, daß als Autor dieser fachspezifischen Miszelle nur G ratz in Frage kam. Insofern konnten in seinem Angriff auf die Tübinger auch alte Vorbehalte gegen G ratz mitgespielt haben. 54 Bei G erhauser a.a.O. 3, vgl. dazu D rey , Erklärung 551. 55 In wissenschaftlicher Hinsicht war G erhauser für D rey kein Unbekannter. Er hatte sich nach Ausweis seines Theologischen Tagebuchs wiederholt mit Arbeiten G erhausers befaßt und Exzerpte daraus angefertigt, was dafür spricht, daß er G erhauser als wissenschaftlichen Autor achtete und ihn in seine eigenen Arbeiten einbezog. Im Frühsommer 1812 brachte er Bemerkungen zu Gerhaußers Abhandlung: Jesus Christus der Erlößer der sündigen Menschheit [Augsburg 1808] zu Papier (Theol. Tagebuch II, 35-39, siehe TüA 1, 29-32, Text 13*); im Herbst 1812 machte er sich Notizen zu Fragen der Einleitung und Einteilung der Theologie Nach Gerhauser (gemeint ist: Doctrina christiana theoretica in usum publicarum Praelectionum summatim exhibita. Partis I Sectio I. Seu de veritate religionis christianae generatim. Dillingen 1810) (Theol. Tagebuch III, 51, siehe TüA 1, 172, Text 54*). D rey hielt diese Tagebucheinträge für wichtig genug, um sie in seinen eigenhändigen Bandregistern detailiert anzuführen (Theol. Tagebuch II, 184, siehe TüA 1, 131; III, 197, siehe TüA 1, 264). In seinen Praelectiones dogmaticae (siehe TüA 2) und in seinen [Ideen zur] Geschichte des katholischen Dogmensystems (siehe Text Nr. 2 im vorliegenden Band) kommt G erhausers Name nicht vor, aber es gibt Anzeichen dafür, daß D rey in seinen nicht erhalten gebliebenen exegetischen Aufzeichnungen auch Material aus G erhauser gesammelt hatte. Noch 1838 setzt D rey sich durchaus sachlich, wenngleich in der Sache kritisch, mit G erhausers supranaturalistischer Auffassung vom Wesen der biblischen <?page no="554"?> 522 Erläuterungen zu den einzelnen Dokumenten her dieser jähe Wandel mit seinen Ungereimtheiten? Hat G erhauser sich für eine Auftragsarbeit hergegeben? D rey ist davon überzeugt, ohne es direkt auszusprechen. Er erblickt in dem Vorstoß G erhausers die Speerspitze einer gegen die Tübinger laufenden Kampagne, deren Drahtzieher den Tübingern geradezu ein »Verschwörungssystem« 56 andichten. G erhauser glaube wohl, »die Verbreitung wissenschaftlicher Ideen müsse verschwörungsweise getrieben werden« 57 . Der Sache nach laufen die Unterstellungen G erhausers darauf hinaus, daß die Tübinger Professoren als Herausgeber der ThQ und als Fakultät eine dem Kritizismus und Liberalismus verschworene und dogmatisch unzuverlässige Faktion sind, die sich in der ThQ ihr publizistisches Organ geschaffen hat. Die Erregtheit D reys ist ein deutliches Indiz dafür, daß er die Lage nicht nur als ärgerlich, sondern als bedrohlich einschätzt. Er verwahrt sich gegen die Auffassung G erhausers vom Status der ThQ und gegen dessen ideologische Mutmaßungen. Er entkoppelt die von G erhauser unternommene Ineinssetzung von Herausgebern, Professorenschaft in globo und Fakultät 58 , stellt die ThQ und ihre vier Herausgeber auf eigene Füße und insistiert zudem darauf, daß jeder von ihnen wie auch jeder andere Autor seine Beiträge in der ThQ in eigener Verantwortung und unter Achtung der wissenschaftlichen Meinungsfreiheit publiziere. Zur Begründung verweist D rey auf die in der Ankündigung bzw. in deren Nachtrag formulierten Grund- Wunder auseinander (siehe Apologetik I, 1838, 211, gleichlautend in Apologetik I, 2 1844, 200). Daß G erhauser nach der scharfen Kontroverse von 1820 in der ThQ nicht total geächtet war, zeigt sich daran, daß D reys Hilfslehrer M aximilian J oseph W ocher noch 1829 eine ganz fachlich angelegte Rezension zu G erhausers Biblische Hermeneutik. Erster Theil. Einleitung in die heiligen Schriften des alten und neuen Bundes. Nach seinen Vorlesungen herausgegeben von einem seiner ehemaligen Zuhörer. Kempten 1829, schreiben durfte (in ThQ 11 (1829) 279-289). Dieses Werk befand sich im Büchernachlaß D reys . Bereits im ersten Jahrgang der ThQ hatten G ratz G erhausers Charakter und Theologie des Apostels Paulus von 1816 und H erbst dessen Schrift Über die Psalmen von 1817 vorgestellt (siehe ThQ 1 (1819) 33-37 und 449). 56 Siehe D rey , Erklärung 554. - Der Terminus »Verschwörung« verdient Beachtung. Dieser mit den negativen Konnotationen des Konspirativen besetzte Begriff entstammt der politischen Sprache. Es war üblich, den Freimaurern und den Liberalen Verschwörungen gegen die Kirche zuzuschreiben. Bezogen auf die Tübinger und ihre Richtung, die somit als einheitliches Phänomen wahrgenommen wird, bedeutet das, daß ihnen eine heimliche, umstürzlerische Verbrüderung und eine ihrem »System« inhärierende subversive Absicht unterstellt wird. In der Kritik an den Tübingern und ihrer Zeitschrift fand dieser Topos schon früh Verwendung. Vgl. dazu auch Einleitung zu Text Nr. 4 (Beichtschrift), Anm. 97, wo von »Drey & Consorten« die Rede ist. 57 Ebd. Hervorhebung im Original. 58 Zu diesem Punkt sind die Erläuterungen bei L ösch , Die Anfänge (siehe Anm. 2) 23 f, besonders aufschlußreich. - Daß die Herausgeber der ThQ durchaus als »Gruppe« (in einem unpolemischen Sinn) wahrgenommen wurden, näherhin als Gruppierung jener Tübinger Professoren, die die ThQ als Organ ihrer Richtung, die alsbald als die »Katholische Tübinger Schule« bezeichnet wurde, begründet hatten, steht auf einem anderen Blatt (vgl. z.B. H ubert B echer , Der deutsche Primas. Eine Untersuchung zur deutschen Kirchengeschichte in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Kolmar [1944], bes. 196 f, mit Anm. 54a, 58 und 63). K lüpfel berichtet aus der Frühzeit der ThQ, daß sie »als Ausdruck der Tübinger Schule galt« (K arl K lüpfel , Geschichte und Beschreibung der Universität Tübingen. Tübingen 1849, 445 f). <?page no="555"?> 523 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ sätze 59 . D rey beurteilt die Äußerungen G erhausers insgesamt als eine »gehäßige Insinuation gegen die theol. Quartalschrift und gegen die sogenannte ganze theologische Fakultät bei dem Publikum«. »Gegen diese Insinuation mußte sich die Quartalschrift erklären, indem es den Herausgebern nicht gleichgültig seyn kann, daß man ihnen eine Richtung gegen das Wesen des Christenthums und gegen die Auctorität heiliger Schriften aufbürde, oder auch nur den Schein auf sie werfe, als wüßten sie nicht, was zum Wesen des Christenthums und zur Auctorität heiliger Schriften gehöre« 60 . Wie die Ausführungen D reys zu den Prinzipien der theologischen Erkenntnislehre und zur Bibelhermeneutik, die er in die Erklärung eingeflochten hat, für diesen Sektor seines Denkens in einer den Anlaß übersteigenden Weise aufschlußreich sind, so nicht weniger seine Klarstellungen zur ThQ für seine Auffassungen vom Charakter einer ideologiefreien wissenschaftlichen Zeitschrift. D rey wird diese Klarstellung in vergleichbarer Weise in einem kirchenamtlichen Kontext, d.h. in seinem Brief an Generalvikar K eller (siehe Dokument Nr. 4 b), in größerer Ausführlichkeit und nicht weniger bestimmt vornehmen. b. Zu Dokument Nr. 3 b (Widerlegung gegen v. Mastiaux) Der Text der Widerlegung ist nach seiner literarischen Seite ein Stück Polemik in Reinkultur, wie sie die Herausgeber der ThQ in ihrer Zeitschrift normalerweise nicht haben wollten und in ihren Richtlinien für den Charakter der ThQ denn auch grundsätzlich ausgeschlossen hatten (siehe Dokument Nr. 1, Ziff. V, und Dokument Nr. 2, zweiter Absatz; vgl. Dokument Nr. 5, Ziff. II e und f). Wenn D rey , der Verfasser dieses Textes, hier eine Ausnahme machte, so spricht das für die Schwere der Sache und für die Erregtheit der Tübinger. Im Vergleich mit der durchaus scharfen Kritik, der G erhauser in der Erklärung (Dokument Nr. 3 a) unterzogen wurde, hat D rey hier alle Zurückhaltung abgelegt und dem Gegner jeden Respekt versagt. Der Adressat ist zunächst generell die »(jetzt) vom Domherrn von Mastiaux« herausgegebene Litteraturzeitung für katholische Religionslehrer 61 , »die 59 D rey verweist in der Erklärung S. 553 f dafür besonders auf »Jahrgang I. Heft I. S. 6, 7« der ThQ, d.h. auf den Nachtrag, den er hier dem Titel der Ankündigung unterstellt und somit als Teil der Ankündigung ansieht. - In diesem Zusammenhang taucht auch der ominöse Begriff einer (Tübinger) »Richtung« auf (Erklärung 555), der bereits in der kirchenamtlichen Beanstandung der »Richtung« der Ellwanger Professoren vorgekommen war und dann wiederum in den Dokumenten Nr. 4 a und 4 b eine zentrale Rolle spielen wird. 60 Erklärung 555 (Hervorhebung im Original). 61 Die 1810 von F ranz K arl F elder (* 6. Oktober 1766 in Meersburg, † 1. Juni 1818 in Waltershofen) begründete Litteraturzeitung für katholische Religionslehrer hatte sich, getragen von einem guten Mitarbeiterstab, wegen ihres Niveaus und ihrer kämpferischen Lebendigkeit rasch zu einem einflußreichen Organ im politischen Leben des süddeutschen Katholizismus entwickelt, war aber schon in den letzten Lebensjahren F elders zur »derbpolemisch« agierenden Plattform einer hyperkirchlich sich gebenden Partei (d.h. besonders der bayerischen <?page no="556"?> 524 Erläuterungen zu den einzelnen Dokumenten häufig das kritische Geschäft treibt, wie die Kosaken den Krieg treiben«; sie habe »schon einigemal versucht, auch der theolog. Quartalschrift etwas anzuhaben« 62 . Der Zorn D reys gilt insbesondere den »lügenhaften Anschuldigun- Konföderierten; vgl. Einleitung zu Text Nr. 4, Anm. 41) »im Geiste einer gehässigen und gehaßten Streitsucht« geworden (so J ohann M ichael S ailer in einem freundschaftlichen Brief vom 8. März 1818 an F elder . In diesem lesenswerten, umfangreichen Brief listet S ailer die Kritik auf, die die Zeitung F elders nicht nur bei ihren erklärten Feinden, sondern auch bei »gediegenen Gelehrten«, »würdigen Pfarrern und Dekanen« »edlen gebildeten Männern aus allen Schichten« und »gutgesinnten Staatsmännern« finde. Der Brief ist abgedruckt in: H ubert S chiel , Johann Michael Sailer. Briefe. Regensburg 1952, 435-437 [Johann Michael Sailer, Leben und Briefe, dargestellt von Hubert Schiel. Zweiter Band: Briefe]). Nach dem Tod F elders übernahm K aspar A nton F rhr . von M astiaux (* 3.3.1766 in Bonn, † 12. (28.? ) 12. 1828 in München; zu ihm ADB 20 (1884) 574-575 (A nton W eis ); WWKL 1 6 (1851) 921 (C arl H aas ); WWKL 2 8 (1893) 979 (J oseph A nton F ritz ); vgl. auch ThQ 11 (1829) 189-190) die Herausgeberschaft und verwandelte sie zu einer gehässigen Postille, die vor keinem journalistischen Kampfmittel zurückschreckte, auch nicht vor Fälschungen, Lügen und anderen Gemeinheiten. In der Lebenswelt von D rey hatte sie sich vor allem auf B enedikt M aria ( von ) W erkmeister in Stuttgart (zu ihm siehe Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 36) eingeschossen. H agen , der selten so hart urteilt, attestiert ihr eine »verlogene Kampfweise« (siehe A ugust H agen , Franz Karl Felder (1766-1818) und seine Literaturzeitung für katholische Religionslehrer, in: ThQ 128 (1948) 28-70, 161-200, 324-342, hier 199; vgl. 194 ff) und stellt insgesamt zu ihr fest, sie sei unter M astiaux »zum Tummelplatz unwissenschaftlichen Tadels und Lobes wie persönlicher Angriffe auf die vortrefflichsten Männer geworden« ( ders ., Die kirchliche Aufklärung in der Diözese Rottenburg. Stuttgart 1953, 285; vgl. dazu auch TüA 3, 184*-186*). Im Blick auf eine frühe Phase des wandlungsreichen M astiaux bemerkte M öhler 1823 unter Berufung auf G ottlieb J acob P lanck , daß man wisse, daß M astiaux »der überspannteste Ultra-Liberale in kirchlicher Beziehung war«, P lanck habe gesagt, »daß Mastiaux, so oft die Rede auf die Päpste gekommen, mit solcher Wut auf sie hergefallen sei, daß er als Protestant sie sehr häufig in Schutz nehmen mußte« (J ohann A dam M öhler , Brief vom 4. Januar 1823 an Generalvikariatsrat M essner in Rottenburg, abgedruckt bei L ösch , Johann Adam Möhler (wie Anm. 52) 78 ff, 78). P flanz äußerte sich zur Felder-Mastiauxschen Literaturzeitung so: »Wie der römische Staat in den ersten 700 Jahren seiner Existenz alle Formen der Staats-Verfassung durchlaufen hat, so gehörte diese Literatur- Zeitung seit ihrer Entstehung unter ihren verschiedenen Redaktionen den verschiedensten Systemen an. Zuerst unter Hübner war sie liberal, unter Felder zuerst sailerisch-mystisch, dann immer mehr hinüberlenkend bis zum heftigsten Ultramontanismus, unter Mastiaux ganz bellendes Ultrablatt, und in neuerer Zeit wird wenigstens die v. Kerz’sche Fortsetzung wieder etwas gemäßigt-ultramontanistisch ...« (B enedikt A lois P flanz , Kritische Übersicht der dermalen in Deutschland erscheinenden katholisch-theologischen Zeitschriften, in: Freimüthige Blätter über Theologie und Kirchenthum 5 (1833) 174-199, 191 f. Vgl. auch den Hinweis zu Angriffen auf die ThQ in der Besnardschen Literaturzeitung, der Landshuter Fortsetzung des Felder-Mastiauxschen Organs, bei V alerius , Deutscher Katholizismus (wie Anm. 34) 39 f). 1820 entstand auf Anregung W essenbergs in Rottweil unter J ohann E vangelist B rander (1785-1866) das Kritische Journal für das katholische Deutschland, mit steter Berücksichtigung der Felder-Mastiauxschen Literaturzeitung, das in der zeitgenössischen Einschätzung als »wahrer Anti-Mastiaux« galt. 62 D rey , Widerlegung 558. - Was D rey damit genau meint, ist ungewiß. Eine Durchsicht der Jahrgänge 1819 und 1820 hat ergeben, daß sich dort keine ins Auge springenden Angriffe auf die ThQ finden. Möglicherweise denkt D rey an die in drei Folgen erschienenen, von »C. G.« gezeichneten Bemerkungen über eine Rezension »Der kurzen Darstellung einer Einleitung in die Bücher des alten Bundes nach Jahn [...] von Aloys Sandbichler. Salzburg 1813. bey Duyle,« welche in dem zweyten Quartalhefte, Jahrgang 1819, der theologischen Quartalschrift, Tübingen bey Heinrich Laupp, Seite 269 vorkommt, in: Litteraturzeitung für katholische Religionslehrer 10.4 (1819) 65-80, 81-95, 97-111, die in ihrer Tonlage aber relativ moderat sind. Der Verriß der Kurzen Einleitung D reys <?page no="557"?> 525 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ gen«, die in der Nr. 24 der Litteraturzeitung, Jahrgang 1820, S. 379, vorgenommen worden seien 63 . Die ThQ war dort der Fälschung und Verstümmelung von Urkunden beschuldigt worden. D rey schätzt das als ein Erzeugnis von Bosheit und Verläumdungssucht ein, gibt sich aber nolens volens dazu her, die falschen Behauptungen im einzelnen zu widerlegen 64 . Die Widerlegung ist wegen ihres Kontextes ein für die Frühgeschichte der ThQ wichtiges Dokument. Aufschlußreich ist in dieser Hinsicht nicht zuletzt der Zeitpunkt ihres Erscheinens. Das dritte Heft der ThQ, in dem D rey sie brachte, kam 1820 im dritten Quartal heraus, d.h. spätestens im September dieses Jahres. Er muß sie also im Juli oder August 1820 zu Papier gebracht haben. Bereits zu diesem Zeitpunkt - mithin eineinhalb Jahre nach der Gründung der ThQ, von der es bis dahin somit insgesamt nur sechs Hefte gab - stellt D rey fest, die ThQ sei »schon einigemal« von der Litteraturzeitung in der Litteraturzeitung (Jahrgang 1820, Heft 65 und 66 [15. und 17. August], 193-224) ist erst nach der Widerlegung erschienen und scheidet somit als Motiv für den Zorn D reys aus. 63 D rey , Widerlegung 560 und 558. Der Text, auf den D rey sich bezieht, findet sich unter der Überschrift: Lügen und Possen. Num. 4., in: Litteraturzeitung für katholische Religionslehrer 11.1 (1820) 379-380: »In der theologischen Quartalschrift, herausgegeben von Dr. G r a t z , D r e y , H e r b s t u n d H i r s c h e r , Professoren zu Tübingen, sind in jedem Hefte des Jahrgangs 1819 mehrere Urkunden abgedruckt, welche theils erdichtet, theils verstümmelt sind und mit den nämlichen Korruptionen hier erscheinen, wie sie in den politischen Zeitungen eines S t e g m a n n , Z s c h o k k e , R ü d e r , P f e i l s t i f t e r [! ], S e n d t n e r und anderer Lügenblätter verarbeitet waren. - H i e h i n gehören vorzüglich das päbstliche Breve vom 1. Hornung 1816 an die Erzbischöfe und Bischöfe Irlands; der Lehrplan des Jesuitenkollegii in der Schweiz, nebst dem Berichte des Erziehungsraths zu Freyburg etc. etc. Wie gleichgiltig den Herrn Herausgebern die historische Wahrheit überhaupt sey, beweisen ihre Berichte und Erzählungen über das Kirchenwesen in Deutschland. So versichert uns das zweyte Quartalheft S. 335 mit dürren Worten: › E n d l i c h w a r d ( 1 8 0 7 ) e i n K o n k o r d a t m i t B a i e r n z i e m l i c h g e n a u v e r a b r e d e t .‹ Hier muß noch bemerkt werden, daß Herr B e n e d i k t M a r i a v o n We r k m e i s t e r die Verwegenheit hatte, den Text und Inhalt dieses erdichteten Konkordats in einer besonderen Schrift zu erläutern, und daß die Phantasie des idealen Herrn von We r k m e i s t e r den Verhandlungen der protestantischen Fürsten zu Frankfurt im Jahre 1818 sogar zur Grundlage dienen sollte! ! - Item wir leben ja wirklich im neunzehnten Jahrhundert? «. 64 Nur wenige Monate nach D reys Widerlegung und diese unterstreichend konnte die ThQ ein weiteres Exempel für die Wahrheitsliebe der Litteraturzeitung unter M astiaux abdrucken, ohne daß einer der Tübinger zur Feder greifen brauchte: Im Intelligenzblatt des zweiten Heftes der ThQ 3 (1821) wurde auf den Seiten 388-391 unter der Überschrift »(Eingesandt.)« eine zweiteilige Mitteilung eingerückt, deren erster Teil folgenden Wortlaut hatte: »Die in das Intelligenzblatt Nr. III. des Merz-Heftes der Litteratur-Zeitung für kathol. Religionslehrer von Freyherrn von Mastiaux S. 43. u. fg. aufgenommene sogenannte Notizen, das Bisthum Konstanz betreffend, sind eine absichtliche Entstellung der Wahrheit. Dem gebildeten Publikum wird diese Erklärung genügen, um sein gerechtes Mißtrauen in Ansehung solcher Nachrichten zu bestärken, deren gehäßige Absicht die beygefügten Schmähungen schon hinlänglich bezeichnen. Konstanz am 6ten May 1821. Bischöffliches General-Vicariat. D. v. Vicari, Official« (388-389). Bei Teil 2 der Einsendung (389-391) handelt es sich dann um eine Gegendarstellung der Betroffenen »Aus dem Kapitel Stühlingen« gegen den in der Litteraturzeitung erhobenen Vorwurf von Unregelmäßigkeiten bei der Wahl des Dekans. Nach Richtigstellung der gröbsten Verzerrungen schließt der Einsender »mit dem Wunsche, daß die Mastiauxische Zeitschrift aufhören möchte, sich zur Marktschreyerbude gehäßiger Leidenschaften mißbrauchen zu lassen« (391). <?page no="558"?> 526 Erläuterungen zu den einzelnen Dokumenten angegriffen worden. Das bedeutet, daß die Umtriebe gegen sie sogleich nach ihrem Erscheinen eingesetzt hatten, und nicht etwa erst nach den besonderes Aufsehen erregenden Artikeln H irschers 65 , wie gewöhnlich angenommen wird. Wichtig ist hier vor allem auch die Angabe D reys zu den »neuen Jesuiten«, dieser »wohlbekannten Societät« 66 , als treibende Kraft der Polemik. Für D rey ist der Autor des mit dem Kürzel P. Z. gezeichneten Artikels, gegen den er die Widerlegung verfaßte, ein »obscurus Anonymus«, »der ein sehr warmer Freund und Geistesgenosse der neuen Väter zu seyn scheint« 67 . Der Umstand, daß D rey hier so offen und ungeschützt Roß und Reiter nennt, kann nur bedeuten, daß es sich im Sommer 1820 um eine als offenkundig geltende Tatsache handelte und daß sich schon damals die Fronten klar herausgebildet hatten. Aber die Wurzeln für die Verschrienheit der ThQ und der Tübinger Professoren reichten mit Sicherheit auf die Ellwanger Zeit der Fakultät (1812-1817) und die römischen Beanstandungen der »Ellwanger Richtung« (D rey , G ratz und W achter , dazu M ets und W erkmeister ) zurück (vgl. dazu Einleitung zu Text Nr. 4, bes. Ziff. II. 4), die regional und überregional hohe Wellen geschlagen hatten. 4. Zu den Dokumenten Nr. 4 a (Brief Keller) und Nr. 4 b (Brief Drey) a. Zu Dokument Nr. 4 a (Brief von Generalvikar Bischof Johann Baptist von Keller an die Herausgeber der Theologischen Quartalschrift vom 4. Februar 1821) Das an die »Professoren der Theologie der katholischen Facultät zu Tübingen« gerichtete Schreiben zerfällt thematisch in zwei Teile. Im ersten sind die »Herausgeber der Theologischen Quartalschrift« angesprochen (als solche werden im Text D rey , H erbst und H irscher genannt 68 ), im zweiten die 65 Es handelt sich vor allem um die Rezension H irschers zu Die erheblichsten Gründe für und gegen das katholisch-kirchliche Cölibatsgesetz, zu nochmaliger Prüfung dargelegt von Dr. Joh. Ant. Sulzer [...] in ThQ 2 (1820) 637-670 (Heft 4) sowie seine Abhandlungen Öffentliche Beichten werden in Vorschlag gebracht in ThQ 3 (1821) 682-699 und Ueber einige Störungen in dem richtigen Verhältniße des Kirchenthums zu dem Zwecke des Christenthums in ThQ 5 (1823) 193-262; 371-420. - Generalvikar K eller hatte sich in seiner Beanstandung der ThQ (siehe Dokument Nr. 4 a) vor allem auf die Rezension H irschers von 1820 bezogen und hatte zur Begründung seiner Intervention besonders auf das dieser Rezension geltende Murren in der Diözesangeistlichkeit verwiesen. 66 D rey , Widerlegung 561. 67 Ebd. Die Identität des mit »P.Z.« zeichnenden Verfassers der »Lügen und Possen« ist unklar. Die Vermutung, es könnte sich um P atriz B enedikt Z immer gehandelt haben, hat D rey wenige Wochen später mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen, indem er erklärte: »die Bemerkung dürfte für die weniger Unterrichteten nicht überflüssig seyn, daß Zimmer an der Felder’schen Literaturzeitung so gut wie [k]einen, an der Mastiaux’schen Literaturzeitung (bloß wegen des Druckortes die Landshuter zu nennen) ganz und gar keinen Antheil hatte und nahm. Diese Bemerkung, die wir aus den sichersten Quellen machen können, glaubten wir zur Ehre Zimmers machen zu müssen« (ThQ 2 (1820) 752-753, siehe unten Misz. Nr. 14, Nekrolog auf Patriz Benedikt Zimmer). 68 A nreas B enedikt F eilmoser (1777-1831) war bereits auf den 25. April 1820 zum Professor für neutestamentliche Exegese in die Tübinger Fakultät berufen worden; als Mitherausgeber der ThQ wird er jedoch erstmals im Impressum des Jahrgangs 1821 angeführt. <?page no="559"?> 527 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ »Professoren der Theologie der katholischen Facultät«. Das Schreiben hat »einige Wünsche und Bemerkungen« des Generalvikars zum Inhalt und ist von der Sorge um Erziehung und Ausbildung der Priesteramtskandidaten getragen. Es ist für das Verständnis von Dokument Nr. 4 b (Antwortschreiben D reys ) wichtig. Bezüglich der ThQ teilt der Generalvikar mit: »Nicht nur die Richtung, welche verschiedene Aufsätze dieser periodischen Schrift überhaupt« nähmen, »sondern vorzüglich der Aufsatz im 4. Hefte Jahrgangs 1820, welcher zwei Recensionen über Schriften für und wider den Coelibat der katholischen Geistlichen S. 637-670« enthalte, habe bei einem großen Teil des Klerus »tiefen Eindruck und Anstoß hervorgebracht, besonders der Seite 640-649 enthaltene Abriß des Lebenslaufes der katholischen Geistlichen« 69 . Befremdlich findet der Generalvikar in diesem Zusammenhang außerdem »Vorwürfe gegen die Vorsteher der Kirche«, die mit der »den Vorgesetzten schuldigen Achtung und Rücksicht« nicht zu vereinbaren seien. Der zweite Teil des Schreibens betrifft die Disputierübungen, die zum theologischen Studiengang der Studenten im Wilhelmsstift gehörten. Der Generalvikar beanstandet die für die Disputation am 25. Januar 1821 von einem Repetenten aufgestellten kirchengeschichtlichen Thesen, die »großen Mißdeutungen und Anstößen« unterlägen 70 . Er verweist eindringlich auf die »Verpflichtung und Verantwortlichkeit« der Professoren als »öffentliche Lehrer der Kirche«, über die Unverfänglichkeit der in der Disputation zu verteidigenden Thesen zu wachen. Den »freien Gang des gründlicheren Forschens« wolle er mit der Beanstandung keineswegs hemmen, doch erwarte er »eine Besonnenheit und stete Rücksicht auf das, was in der Kirche Gottes eher zerstörend als erbauend einzuwirken« geeignet sei. »Nach diesem Maßstab werden wir auch die Verdienste der in der Kirche aufgestellten öffentlichen Lehrer jederzeit beurtheilen und anerkennen.« 69 Es handelt sich um die in ThQ 2 (1820) 637-670 erschienene Sammelrezension der beiden Schriften: J ohann A nton S ulzer , Die erheblichsten Gründe für und gegen das katholisch-kirchliche Cälibatsgesetz. Constanz 1820; J ohann G eorg W einmann , Frage: Soll der Cölibat der katholischen Geistlichkeit ferner fortbestehen; oder soll er aufgehoben werden? beantwortet, und als Radikal- Mittel dem Mangel an katholischen Geistlichen abzuhelfen, und für alle Zukunft vorzubeugen. Tübingen 1820. Die Rezension war in der ThQ den von 1819 bis 1831 geltenden Regeln gemäß anonym erschienen; ihr Verfasser war H irscher (Nachweis bei L ösch , Die Anfänge (siehe Anm. 2) 66. Bis zu L ösch wurde allgemein angenommen, daß D rey der Verfasser des Artikels war, was wesentlich zur Schädigung seines Ansehens beigetragen hatte). In der Fachliteratur wird zuweilen behauptet, H irscher habe in dem Artikel grundsätzlich Stellung gegen den Zölibat bezogen. Diese Behauptung ist falsch. Wohl aber sorgt sich H irscher um die Zustände hinsichtlich der Erziehung und Bildung, die sich bei den Kandidaten des geistlichen Standes häufig fänden, fügte eigene Beobachtungen, Überlegungen und Vorschläge zur Verbesserung dieser Verhältnisse bei und stellte dabei auch den Nutzen des Zölibatsgesetzes in Frage. - Zur Stellung D reys in dieser Sache siehe die Erläuterungen zu Dokument Nr. 4 b. 70 Der dafür verantwortliche Repetent war in diesem Fall pikanterweise M öhler . - Die Thesen sind abgedruckt in: L ösch , Johann Adam Möhler (wie Anm. 52) 31 f. <?page no="560"?> 528 Erläuterungen zu den einzelnen Dokumenten Generalvikar K eller legte dem amtlichen Schreiben einen kurzen Brief an den »Vorsteher der Fakultät« bei 71 , in dem er das amtliche Schreiben eigenhändig und gewissermaßen privatim erläutert. Dieser Brief verdient hier besondere Beachtung. Er ist für die richtige Deutung und Gewichtung des amtlichen Schreibens wichtig, denn er enthält Informationen und Bemerkungen über die Beweggründe, von denen der Generalvikar sich bei der Abfassung seines amtlichen Schreibens hatte leiten lassen, sowie auch über seine persönliche Einstellung. Man hat unterstellt, dieses amtliche Schreiben sei entweder als Demonstration des bischöflichen, episkopalistisch getönten Selbstbewußtseins von »Johann Baptist Bischof v. Evara« aufzufassen oder als eine amtliche Disziplinierungsmaßnahme, mit der K eller sich in den Augen Roms für den Rottenburger Bischofsstuhl, der zur Besetzung anstand, empfehlen wollte. Es sei hier dahingestellt, ob auch solche Motive hintergründig mit im Spiel waren. Das isoliert für sich genommene Schreiben kann vielleicht zu derartigen Mutmaßungen führen. Und, rein für sich genommen, könnte es in viel höherem Maß als Eingriff in die Autonomie der Zeitschrift gelten, als es tatsächlich verdient, mit entsprechend grundsätzlichen Folgerungen für das Verhältnis der Rottenburger Amtskirche zur Tübinger Fakultät. In dieser 71 Generalvikar K eller an den Vorsteher der katholisch-theologischen Fakultät zu Tübingen [ohne Datum]: Hochwürdiger, wohlgeborner, hochzuehrender Herr Rector! Indem ich in der Anlage Euer Magnificenz mein herzlich gut gemeintes und mit ebenso großem Vertrauen als inniger Überzeugung entworfenes Pastoralschreiben an die öffentlichen Lehrer der Theologie an der Universität Tübingen katholischer Fakultät übersende, glaube ich durch einige beigefügte Zeilen an Sie, würdiger Herr Rector, meinem schweren Amte selbst einen guten Dienst zu erweisen. Den schiefen Deutungen - Mißverständnissen, soviel mir nur möglich ist, zuvorzukommen, rechne ich mir zur besonderen Pflicht. Und da hege ich unbedingtes Zutrauen zu der edlen Gesinnung eines würdigen Vorstehers der Fakultät, daß Mißdeutungen da nicht Platz finden können. Ich glaube ihren Charakter aus früheren Zeiten zu kennen, daß ich voraussetzen darf, Sie werden mich über Nebenrücksichten, welche mich zu diesen Bemerkungen hätten verleiten können, erhoben glauben! Ich fühle zu tief den Umfang meiner Verpflichtung, als daß ich außer diesen etwas anderes ins Auge fassen könnte. Ich bin von so vielfacher Seite mündlich und schriftlich, von würdigen Geistlichen aufgefordert worden, gegen die Quartalschrift von Tübingen, besonders gegen das 4. Heft des Jahrgangs 1820, den Aufsatz, welcher 2 Recensionen über den Coelibat enthält, amtliche Strenge eintreten zu lassen. Ich hoffe aber, Sie werden aus der Beilage sich überzeugen, daß ich die Erinnerungen, welche die Verantwortlichkeit meines Amtes mir auflegt, auf eine Art gefaßt habe, die mich die Erhöhung Ihres Zutrauens mit Recht erwarten läßt. Hiernach bitte ich die übrigen Herrn Professoren zu beruhigen, wenn je eine schiefe Deutung wollte angeregt werden, und sowohl dieselben als sich selbst von der ganz ausgezeichneten Hochachtung überzeugt zu halten, womit Ihnen von Herzen ergeben ist Johann Bischof von Evara Generalvicar mppr. Das eigenhändig ausgefertigte Schreiben befindet sich im Diözesanarchiv Rottenburg, Bestand G 1.1 D 8. 2 a (Personalakte D rey ). Es ist abgedruckt bei R einhardt , Zwei Dokumente (wie oben Ziff. I.4.a) 176, und wurde in dieser Druckfassung hier übernommen. <?page no="561"?> 529 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ Hinsicht wurde das Schreiben des Generalvikars bisher gewöhnlich überbewertet. Das Konfliktpotential, das zu jener Zeit im Verhältnis des pastoralen Amtes zu der vom Aufklärungsdenken beflügelten Tübinger Fakultät schwelte, ist gleichwohl nicht zu unterschätzen. Das wird auch in dem Antwortschreiben D reys (siehe Dokument Nr. 4 b) unverhüllt zum Ausdruck kommen. Der Adressat des Briefes, den K eller seinem amtlichen Schreiben informell beigelegt hatte, war D rey 72 . Wichtig ist zunächst, daß K eller in ihm das Schreiben vom 4. Februar 1821 ausdrücklich als Pastoralschreiben klassierte. Es war infolgedessen nicht als Dekret aufzufassen. Besonders instruktiv ist die Auskunft, die K eller zum Anlaß des Pastoralschreibens gab. Der Generalvikar gibt privat zu erkennen, daß er es nicht aus eigenem Antrieb verfaßte; er sei vielmehr »von so vielfacher Seite mündlich und schriftlich, von würdigen Geistlichen aufgefordert worden, gegen die Quartalschrift von Tübingen, besonders gegen das 4. Heft des Jahrgangs 1820, den Aufsatz, welcher 2 Recensionen über den Coelibat enthält, amtliche Strenge eintreten zu lassen.« Er stand somit unter dem Druck eines bedeutenden Teils seines Klerus und mußte etwas tun. Von den anderen Kräften in der Diözese, die den Weg der Tübinger mit freudiger Zustimmung verfolgten, ist nicht die Rede. Gleichwohl ist das Pastoralschreiben ein Dokument für die Stimmung und Stimmungsmache, die bei den Konservativen gegen die ThQ herrschte. Was in die Erklärung D reys in ThQ 2 (1820) 551-557 (siehe Dokument Nr. 3 a) hinein bereits wettergeleuchtet hatte, kam in dem Pastoralschreiben als Gewitter zum Ausbruch. K eller war in dem privaten Brief an D rey aber in geradezu herzlicher Weise darauf aus, die möglicherweise aufgeregten Gemüter in Tübingen zu besänftigen 73 und den ganzen Vorgang niedriger zu hängen. Zu 72 Daß D rey persönlich der Adressat des Briefes war, ist nicht von vorne herein klar. Der Adressat wird im Text als »Vorsteher der Fakultät« bezeichnet. Dekan der Fakultät war zu diesem Zeitpunkt H erbst , was für ihn als Empfänger sprechen würde. Die Anrede des Briefes richtet sich aber an den »Herrn Rector«. Rektor der Universität war vom 1.11.1820 bis 30.4.1821 D rey . Wenn K eller die Wendung »Vorsteher der Fakultät« gebraucht, so erklärt sich das wohl aus dem Umstand, daß D rey die Stellung des Professor primarius in der Fakultät innehatte. D rey war für den Jahrgang 1820 zugleich der Schriftleiter der ThQ. Für ihn als Adressaten spricht ferner die persönliche, vertrauliche und besonders respektvolle Tonlage des Briefes sowie auch der Umstand, daß dieser Brief sich zusammen mit dem Schreiben vom 4. Februar 1821 in der Personalakte D rey befand und befindet. 73 In dieselbe Richtung ging ein Schreiben, das der Generalvikar am 27. August 1821 an die Tübinger Professoren adressierte. Gegenstand des Briefes war eine Disputation, die am 16. August im Wilhelmsstift stattgefunden hatte. K eller ergriff somit die erste dafür sich anbietende Gelegenheit, sich nach dem Pastoralschreiben erneut zu einer Disputation zu äußern. Er zeigte sich nun sehr erfreut (indirekt auch über die guten Früchte seines Pastoralschreibens) und versäumte es nicht, den »reinen, guten und kräftigen Willen der Herren Professoren und ihren Eifer, das Reich Gottes, welches Jesus Christus auf Erden stiftete, immer mehr zu verbreiten«, hervorzuheben (Brief vom 27. August 1821, Universitätsarchiv Tübingen, Abt. 184, Dekanatsakten 1820/ 21. Der Wortlaut des Briefes ist abgedruckt bei R einhardt , Neue Quellen (wie oben Ziff. I.4.a) 162 f). <?page no="562"?> 530 Erläuterungen zu den einzelnen Dokumenten beachten ist, daß D rey bei seiner Beantwortung des Pastoralschreibens zwar den privaten Brief K ellers auf seinem Schreibtisch liegen hatte, daß er sich in seinem Antwortschreiben aber unbeirrt auf der Ebene des Pastoralschreibens bewegte und ihm gleichsam die »amtliche Strenge« des Professors entgegenstellte. b. Zu Dokument Nr. 4 b (Drey als Redacteur der Theologischen Quartalschrift im Namen der Herausgeber an Bischof Keller. Brief vom 8. Mai 1821) Es handelt sich bei diesem Dokument um den Brief, mit dem die Herausgeber der ThQ bzw. die Professoren der Fakultät auf das Pastoralschreiben (siehe Dokument Nr. 4 a) geantwortet haben. Der Brief ist von D rey im Namen der Professoren und Herausgeber unterschrieben. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß er der alleinige Verfasser des Briefes war. Anzeichen für eine direkte literarische Beteiligung seiner Kollegen (etwa im Umlaufverfahren) gibt es nicht. Nicht nur der Endtext des Briefes, sondern auch alle in das Briefkonzept eingetragenen Änderungen stammen von der Hand D reys . Der Brief ist somit - obwohl er im Namen der Herausgeber an den Bischof geht - ein Produkt aus der geistigen Werkstatt D reys . Er gewährt deshalb aus erster Hand Einblick in sein Denken in wissenschaftlich-kirchlichen Grundsatzfragen und gibt Auskunft über seine Stellung in einem konkreten kirchlichen Konflikt. Darüber hinaus ist der Brief ein zusätzlicher Beweis für die bereits in den Dokumenten Nr. 1 - 3 festgestellte Führungsrolle D reys in Sachen ThQ. D rey war nicht nur faktisch federführend, sondern hat in dem Brief auch die Grundsätze der ThQ selbständig ausgelegt und angewendet. Von einer Antwort K ellers auf den Brief ist nichts bekannt. Einigen im Text des Briefes stehen gebliebenen Wendungen ist zu entnehmen, daß er daraufhin konzipiert ist, von allen Herausgebern - d.h. von D rey , H erbst und H irscher - unterzeichnet zu werden (»wir Unterzeichneten«, »die Unterzeichneten«, »uns«). D rey muß somit den Inhalt des Briefes zumindest in den Grundlinien mit seinen Kollegen im Voraus abgestimmt oder ihn wenigstens im Hinblick auf deren präsumtive Zustimmung abgefaßt haben. Der Umstand, daß am Ende D rey jedoch allein unterschrieben hat, deutet indessen auf einen Dissens hin 74 . Hatte vielleicht H irscher in dem 74 Daß ein amtierender Schriftleiter allein und nur im Namen der Herausgeber ein Schriftstück unterschreibt, war nicht unüblich. Dazu aber, daß H erbst und H irscher den von D rey verfaßten Brief nicht unterschrieben haben, gibt es ein aufschlußreiches Gegenstück aus dem Jahr 1831, in dem gleichfalls ein Dissens in Sachen Zölibat mit Unterschriftsverweigerung auftrat. Im Frühjahr 1831 hatten vier Ehinger Gymnasialprofessoren einen »Verein für die kirchliche Aufhebung des Cölibatgesetzes« gegründet. Der Verein wurde alsbald von der Regierung verboten. Die an den bischöflichen Konvikten tätigen »Lehrer« mußten sich unterschriftlich verpflichten, sich in dieser Sache nicht weiter zu engagieren. H erbst und H irscher verweigerten die Unterschrift mit der Begründung, sie verstünden sich als Universitätsprofessoren nicht als Lehrer in einem Konvikt, während D rey , M öhler und M ack den Erlaß unterzeichneten. D rey fügte seiner Unterschrift bei, er habe »von Anfang an« das <?page no="563"?> 531 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ Brief eine stärkere Unterstützung erwartet? Oder waren H erbst und H ir scher der Meinung, daß in dem Brief nicht deutlich genug Stellung gegen das Zölibatsgesetz bezogen wird? Zu diesem Problem weiter unten Genaueres. Der Brief ist ausdrücklich nicht an das Generalvikariat in Rottenburg gerichtet, sondern unmittelbar und persönlich an Bischof K eller (siehe letzter Satz des Briefes). Man will von Tübingen aus aus der Angelegenheit keinen amtlichen Vorgang gemacht sehen. Der Brief bewegt sich somit auf der Ebene des an D rey persönlich adressierten Handschreibens, das K eller dem Pastoralschreiben beigelegt hatte, obwohl D rey - fern allem Anbiedern - mit keinem Wort sich darauf bezieht. Unternehmen der Ehinger Professoren »als ein gesetzwidriges, erfolgloses und die Ruhe des Staates mit der Kirche gefährdendes mit Unwillen angesehen« und sich »daher jeder Art von Teilnahme an demselben enthalten«. H irscher seinerseits brachte in ThQ 13 (1831) 371-385 eine Rezension der Werbeschrift, die im Frühjahr 1831 in Ulm unter dem Titel Ueber die Gründung eines Vereins für die kirchliche Aufhebung des Cölibatgesetzes zur Begründung und Erläuterung der Vereinsgründung herausgekommen war. Er anerkannte die Seriosität des Vereins und erörterte die für die Erreichung des Vereinsziels gangbaren Wege, warnte aber vor Agitationen. Ausführlich schilderte er wiederum (wie bereits in seiner Rezension von 1820) die Verhältnisse und Einstellungen im Klerus, die für eine auch von ihm erhoffte und prognostizierte Aufhebung des allgemeinen Zölibatsgesetzes sprächen. H irscher war kein grundsätzlicher Gegner des Zölibats. Er fand für ihn als evangelischen Rat und priesterliches Ideal warme und hochgestimmte Worte, die zweifelsfrei seine eigene Überzeugung wiedergaben, aber er hielt einen gesetzlichen Zwangszölibat theologisch für widersinnig und praktisch für kontraproduktiv. Deswegen setzte er sich für die Freiheit der Wahl und für die fakultative Ermöglichung der Priesterehe ein, nicht anders als auch schon 1820, und nicht anders als z.B. J ohann M ichael S ailer . Doch für eine sachgerechte Würdigung seiner differenzierten Auffassung hatte er in der Hitze des Zölibatssturms keine Chance, er wurde in rücksichtsloser Vergröberung den prinzipiellen Zölibatsgegnern zugeschlagen. Der in der Öffentlichkeit bis hinüber nach Frankreich ausgetragene Streit führte auch in der Tübinger Professorenschaft, die sich und ihre Zeitschrift an den Pranger gestellt sah, zu Polarisierungen, mit der Folge, daß für die ThQ, beginnend mit dem Jahrgang 1832, die Anonymitätsregel abgeschafft wurde. Im Licht der anfangs der 1830er Jahre eingetretenen Entwicklungen wird verständlich, weshalb H erbst und H irscher dem Brief D reys von 1821 nicht durch ihre persönliche Unterschrift beigetreten sind. Die Behandlung der Zölibatsfrage durch D rey mußte ihnen - und besonders H irscher - in der Form zu zurückhaltend und in der Sache zu eingeschränkt erschienen sein. Tatsächlich verbietet es nicht nur der Inhalt des Briefes, sondern zusätzlich auch der in der Unterschriftsverweigerung zutage getretene Dissens, D rey unter Berufung auf diesen Brief zum Parteigänger H irschers zu machen und ihn für die Zeit um 1821 als Zölibatsgegner hinzustellen. Literatur: Die beste Darstellung der Zölibatsdiskussion und der Vorgänge um den Ehinger Verein findet sich bei P aul P icard , Zölibatsdiskussion im katholischen Deutschland der Aufklärungszeit. Auseinandersetzung mit der kanonischen Vorschrift im Namen der Vernunft und der Menschenrechte (Moraltheologische Studien. Historische Abteilung 3). Düsseldorf 1975 (Lit.). Ergänzend: F elix H ammer , Der Zölibatssturm in Württemberg im Jahre 1831, in: Rottenburger Monatschrift 3 (1919/ 20) 111-115, 143-146, 158-160, 179-185, 202-206, 230-233; S tephan L ösch Die Diözese Rottenburg im Bilde der öffentlichen Meinung (1828-1840), in: Festschrift zum 100jährigen Jubiläum der Diözese Rottenburg. Rottenburg 1927, 64 ff; A ugust H agen , Die kirchliche Aufklärung in der Diözese Rottenburg. Stuttgart 1953, 304 ff; ders ., Geschichte der Diözese Rottenburg 1. Stuttgart 1956, 104-121; A ugust F ranzen , Die Zölibatsfrage im 19. Jahrhundert. Der »Badische Zölibatssturm« (1828) und das Problem der Priesterehe im Urteil Johann Adam Möhlers und Johann Baptist Hirschers, in: HJ 91 (1971) 345-383; W infried L einweber , Der Streit um den Zölibat im 19. Jahrhundert. Münster 1978. <?page no="564"?> 532 Erläuterungen zu den einzelnen Dokumenten Im ersten Teil des Briefes entwickelt und erläutert D rey die Grundsätze, nach denen aus seiner Sicht die Stellung und Funktion einer theologischen Fakultät und einer wissenschaftlichen theologischen Zeitschrift im Gesamt des kirchlichen Organismus zu bestimmen sind. Er verweist dafür auch auf die in der Ankündigung von 1818/ 19 formulierten »Grundsätze« 75 . Unbeirrt vom Tadel des Bischofs und unbeugsam in der Sache verweist D rey auf das Recht und die Pflicht der öffentlichen Lehrer und Schriftsteller, die kirchlichen Oberbehörden freimütig auf bestehende »Mängel und Mißbräuche« hinzuweisen, auch um für das nicht mehr existierende Synodalwesen und dessen kritische Funktionen in die Bresche springen zu können. Dafür habe der Theologe als öffentlicher Lehrer »von Berufs wegen die Natur«. Zugleich macht D rey geltend, es sei stets der unverbrüchliche Grundsatz der ThQ gewesen, der Echtheit der katholischen Lehre und den unveränderlichen Grundlagen des katholischen Glaubens nicht nur nichts zu vergeben, sondern sie zu unterstützen; selbst das, was der freien Kritik des Theologen unterliege, sei in der ThQ fern »der jetzt sehr allgemein beliebten, unbesonnenen und polternden Reformiersucht« behandelt worden. Nach diesen grundsätzlichen Klarstellungen kommt D rey auf die beiden Hauptpunkte des Pastoralschreibens, die die Zölibatsfrage betreffende Sammelrezension in ThQ 2 (1820) 637-670 76 und die Disputierübungen im Wilhelmsstift, zu sprechen. Seine Stellungnahme zu der von H irscher verfaßten, aber ususgemäß anonym erschienenen Rezension (der Name H irschers wird weder im Pastoralschreiben noch im Brief D reys genannt) verlangt ein genaues Zusehen; sie wird in der Fachliteratur gewöhnlich vergröbernd und mit falschen Zuschreibungen wiedergegeben. D rey spricht hier nicht in der Ichform für seine Person, sondern bringt ausdrücklich die Auffassung der »Unterzeichneten« zu Papier. Daß er den Brief schließlich allein unterzeichnete bzw. zu unterzeichnen sich gezwungen sah (dazu siehe weiter oben), ändert nichts 75 Prinzipielle Ausführungen zu der von D rey in dem Brief skizzierten Auffassung finden sich im Rahmen seiner enzyklopädischen Behandlung der Materie in der Kurzen Einleitung von 1819, bes. §§ 242-244 und §§ 258 f; D rey scheint in dem Brief die Kenntnis dieser Ausführungen stillschweigend vorauszusetzen. - Zur Interpretation der Auffassung D reys : J ohn E. T hiel , J. S. Drey on Doctrinal Development. The Context of Theological Encyclopedia, in: HeyJ 27 (1986) 290-305; ders ., Theological Responsibility. Beyond the Classical Paradigm, in: ThSt 47 (1986) 573-598; ders ., Imagination and Authority. Theological Authorship in the Modern Tradition. Minneapolis 1991, 63-94; M ichael J. H imes , Historical Theology as Wissenschaft. Johann Sebastian Drey and the Structure of Theology, in: M ary P otter E ngel , W alter E. W yman (Edd.), Revisioning the Past. Prospects in Historical Theology. Minneapolis 1992, 191-213; B radford E. H inze , Narrating History, Developing Doctrine. Friedrich Schleiermacher and Johann Sebastian Drey. Atlanta 1993, 177 ff; A braham P eter K ustermann , Observations concerning the Tübingen »Axiom« Then and Now: »That there must exist within the church an analogy to what within the state is called public opinion«, in: D onald J. D ietrich , M ichael J. H imes (Edd.), The Legacy of the Tübingen School. The Relevance of Nineteenth-Century Theology for the Twenty-First Century. New York 1997, 38-55. 76 Siehe oben Anm. 69. <?page no="565"?> 533 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ daran, daß der Text des Briefes von Grund auf darauf angelegt ist, die Auffassung sämtlicher Herausgeber zu formulieren. D rey hat den Text und den Aussagegehalt des Briefes gänzlich in dieser Absicht und nach dieser Maßgabe verfaßt. Der Brief gibt deshalb auch, aber nicht allein die Auffassung D reys wieder, und wie der Brief inhaltlich ausgesehen hätte, wenn D rey nur für seine Person gesprochen hätte, muß offen bleiben. Die Stellungnahme des Briefes läßt sich in folgende Punkte zusammenfassen: (1.) Der Zölibat ist eine Disziplinarsache und damit diskutabel; das Urteil über ihn war immer gespalten. (2.) In unserer Zeit hat das Zölibatsgesetz die Mehrheit der Kleriker gegen sich. (3.) Es wird eingeräumt, daß der Rezensent sich gegen das Zölibatsgesetz ausgesprochen hat, doch gerade das habe der Bischof nicht beanstandet 77 . Kritisiert habe er nur die in der Rezension vorkommende Schilderung des Lebenslaufs der Geistlichen in dieser Zeit. Dazu der Brief: Die einzelnen Ausdrücke und Ansichten sind in der ThQ immer Sache der Verfasser und nicht der Gesamtheit der Herausgeber. Und ob die Darstellung des Lebenslaufs vieler Geistlicher in der Rezension übertrieben sei oder nicht, sei dahingestellt. (4.) H irscher wird in dem Brief nur in dem einen Punkt in Schutz genommen, der die Schilderung der tatsächlichen Lage im Lebenslauf der Geistlichen betrifft. In dieser quaestio facti stimmt der Brief dem Rezensenten zu und appelliert an das eigene Urteil des Bischofs bezüglich der Realitäten. (5.) In dem Brief wird solidarisch die Einstellung »der Unterzeichneten« zum Ausdruck gebracht. (6.) Die Tübinger gelangen schließlich zu dem Fazit: »Die von dem Recensenten gegebene Schilderung des Laufs, den unsere Geistlichen vom väterlichen Hause aus machen, gehörte daher mit Recht unter die wichtigsten moralischen Motive [Hervorhebung nicht im Original], aus denen das Cölibatsgesetz bestritten werden kann und soll«. Zur Debatte stehen moralische Motive gegen das Zölibatsgesetz, nicht theologische oder anthropologische Argumente gegen den Zölibat, und nicht die persönliche Auffassung D reys . Der vorliegende Brief ist für die Beurteilung der Stellung D reys zur Zölibatsdiskussion der 1820er und 1830er Jahre wichtig. Diese Frage ist auch heute noch mit einem die Wahrnehmung verfälschenden Vorurteil belastet, dessen Anfänge auf die 1820er Jahre zurückreichen. Es gründet darin, daß die anonym erschienene Rezension D rey zugeschrieben wurde. D rey war nobel genug, den Namen des tatsächlichen Verfassers nicht aktenkundig zu machen, aber die falsche Zuschreibung führte dazu, den frühen D rey in die Ecke der Zölibatsgegner zu stellen, auch noch, als H irscher als Verfasser feststand. 77 Es war kein Geheimnis, daß Bischof K eller persönlich zu den Sympathisanten der Antizölibatsbewegung gezählt wurde. D rey bringt hier zum Ausdruck, daß man in Tübingen um die mißliche Lage weiß, in der K eller sich mit dem ihm abgenötigten Pastoralschreiben befand. Auch unter den Generalvikariatsräten gab es Sympathien für die Zölibatsgegner (bes. J aumann ). <?page no="566"?> 534 Erläuterungen zu den einzelnen Dokumenten Vor diesem Hintergrund ist neuerdings in der Fachliteratur die Behauptung aufgetreten, D rey habe sich anfangs - d.h. in dem Brief von 1821 - durch seine Unterstützung der Rezension H irschers als Gegner des Zölibats zu erkennen gegeben, habe später aber seine Einstellung zum Zölibat geändert und sei in das Lager M öhlers übergelaufen 78 . Es handelt sich bei diesen Behauptungen um ein Konstrukt, das auf Vergröberungen und Fehlinterpretationen beruht, die den Tatsachen nicht standhalten. Für den vorliegenden Brief ist das nach den oben vorgenommenen Präzisierungen zwingend anzunehmen. Nicht anders verhält es sich mit der Stellungnahme D reys zum Ehinger Antizölibatsverein 79 . Im letzten Teil des Briefes, der die Disputierübungen im Wilhelmsstift betrifft, wird eingeräumt, daß die vom Bischof beanstandeten Sätze einer Mißdeutung fähig seien und anstößig erscheinen können. Doch die Repetenten hätten die rechtliche Stellung von Dozenten, die nach ihrem eigenen Gutdünken die Disputationen leiten und die Thesen aufstellen. Den Professoren stehe es von Rechts wegen nicht zu, die Thesen abzuändern oder vorzuschreiben, und sie möchten von sich aus nichts tun, um die Selbständigkeit der Dozenten einzuschränken. Die Ausführungen D reys zur Rechtslage in der Beziehung der Professoren zum Studienbetrieb im Wilhelmsstift und zur Stellung der Repetenten zielen darauf, gegenüber dem Generalvikar die Einflußmöglichkeiten der Professoren zu minimalisieren. Er will mit seiner Berufung auf die Rechtslage und mit seiner Auslegung der einschlägigen Bestimmungen 80 die Professoren je- 78 Siehe R einhardt , Neue Quellen (wie oben Ziff. I.4.a) 129 f; 135-139. R einhardt , der auch in anderen Zusammenhängen D rey verschiedentlich eine große Inkonsistenz theologischer Überzeugungen und politischer Orientierungen unterstellt (vgl. dazu Einleitung zu Text Nr. 1, Ziff. II.6.b), nimmt an, daß D rey auch in der Zölibatsfrage zwischen 1821 und 1831 einen »radikalen Bruch« (134; vgl. 137 und 138) vollzogen habe, was aber gänzlich aus der Luft gegriffen ist. 79 R einhardt stützt seine Behauptung vom Gesinnungswandel D reys in Sachen Zölibat auf die Bemerkung, die D rey 1831 seiner Unterschrift unter das Schriftstück, mit dem die Regierung ihrem Verbot des Ehinger Antizölibatvereins bei den Professoren Nachdruck verschaffte, angefügt hatte (siehe oben Anm. 74). Bei dieser Unterschrift ging es jedoch nicht um seine Einstellung zum Zölibat, sondern um seine Beurteilung des Ehinger Antizölibatvereins, den er, wie er hier vermerkte, von Anfang an als ein gesetzwidriges und zur Erfolglosigkeit verdammtes Unternehmen angesehen habe. Ein Widerspruch mit dem Brief von 1821 könnte nur dann vorliegen, wenn es damals um den Antizölibatverein oder etwas Derartiges gegangen wäre und wenn D rey sich in irgend einer Weise für so etwas ausgesprochen hätte. Davon kann aber nicht entfernt die Rede sein. Auch für die Annahme, daß D rey in der Zölibatsfrage ins Lager M öhlers übergelaufen sei oder daß er für M öhlers Beleuchtung der Denkschrift für die Aufhebung des dem katholischen Geistlichen vorgeschriebenen Cölibates. Mit drei Aktenstücken (in: Der Katholik Jg. 8, Bd. 30 (1828) 1-32, 257-297) besondere Sympathien gehegt hätte, gibt es keinerlei Anhaltspunkte. 80 Zur rechtlichen Stellung und zum Studienbetrieb im Wilhelmsstift zur Zeit D reys siehe W erner G ross , Das Wilhelmsstift Tübingen 1817-1969. Theologenbildung im Spannungsfeld von Staat und Kirche (Contubernium 32). Tübingen 1978, 266-274, 37-69. Dort sind in Beilage 1 auch die für das Wilhelmsstift seit dem 22. Januar 1818 geltenden rechtlichen Bestimmungen abgedruckt (ebd. 293-302; vgl. bes. § 41). <?page no="567"?> 535 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ denfalls entlasten. Zugleich ergreift er die Gelegenheit, auch hier auf die Autonomie des Wissenschaftsbetriebs zu verweisen. Bemerkenswert ist immerhin die von ihm den Repetenten attestierte Selbständigkeit in wissenschaftlichen Fragen und in der Praxis des Studienbetriebs. Ob D rey in seinen Ausführungen auch die tatsächliche Lage, d.h. den völligen Verzicht der Professoren auf Einwirkung in wissenschaftlichen Studienbelangen, zutreffend beschrieben hat, sei hier dahingestellt. 5. Zu Dokument Nr. 5 (Grundsätze für die reformierte Quartalschrift. 1826/ 27) Das in der Handschrift D reys verfaßte Schriftstück ist undatiert und enthält keine Adressenangaben. Es wurde von D rey wahrscheinlich als persönliches Aide-me´moire für den Vortrag in einer Herausgebersitzung angefertigt, doch scheint er es zunächst unter Verschluß gehalten zu haben. In seinem Brief vom 18. Dezember 1831 An meine Herrn Collegen als Herausgeber der Theologischen Quartalschrift (= Dokument Nr. 6) findet sich die Bemerkung: »Ich habe mir schon vor 4 bis 5 Jahren gewisse Grundsätze für eine verbesserte Einrichtung mit unsern Abhandlungen und Rezensionen aufgezeichnet, welche ich in der Besprechung vorlegen will, um hier nicht zu viel schreiben zu müssen« 81 . Die Überschrift, unter der D rey die Aufzeichnungen von 1826/ 27 stellte, könnte erwarten lassen, daß er mit ihnen eine tiefergehende Revision der in den Dokumenten Nr. 1-3 festgeschriebenen Grundsätze beabsichtigte. Doch davon kann nicht die Rede sein. Die uneingeschränkte Weitergeltung der in den Gründungsdokumenten aufgestellten Grundsätze wird stillschweigend vorausgesetzt. D rey geht hier auch nicht auf die Angriffe ein, denen die ThQ in den ersten Jahren ihres Bestehens im Hinblick auf ihre vom Geist der Aufklärung gekennzeichnete »Richtung« ausgesetzt war. In dieser Hinsicht ist man um die Mitte der 1820er Jahre in Tübingen nach Ausweis von Dokument Nr. 5 offensichtlich unbeirrt. Es ist einzig und allein auf die praktische Gestaltung der ThQ 82 , die Qualität der Beiträge und die Auswahl der zu behandelnden Themen und Texte ausgerichtet. 81 Ebd. Ziff. 4. Dem Proömium des Briefes ist zu entnehmen, daß D rey mit diesem Brief eine Besprechung der Herausgeber vorbereiten wollte. Die oben angeführte Bemerkung aus Ziff. 4 ist für die Datierung von Dokument Nr. 5 wichtig. Wenn man von 1831 »4 bis 5 Jahre« zurückrechnet, müßte es 1826/ 27 entstanden sein. Der Umstand, daß D rey es 1831 seinem Brief beigelegt hat, läßt darauf schließen, daß er diese Aufzeichnungen noch zu diesem Zeitpunkt für aktuell angesehen hat. Und obwohl sie längst vor diesem Brief - und somit unabhängig von ihm - entstanden sind, sind sie Jahre später zu einem Bestandteil des Briefes geworden, was nicht nur für die Interpretation beider Dokumente von Bedeutung ist, sondern zugleich die bruchlose Kontinuität des Denkens D reys unterstreicht. 82 In dem Brief von 1831 charakterisiert Drey selber die Aufzeichnungen von 1826/ 27 als »gewisse Grundsätze für eine verbesserte Einrichtung mit unseren Abhandlungen und Recensionen« (Ziff. 4; Hervorhebung nicht im Original). <?page no="568"?> 536 Erläuterungen zu den einzelnen Dokumenten D rey begründet die Notwendigkeit einer Reform mit dem um die Mitte der 1820er Jahre eingetretenen Leserschwund - die ThQ hat »einen Teil der Leser verloren« - und mit den Kritiken aus dem Kreis der Leser, denen er zustimmt und die er mit eigenen Beobachtungen ergänzt. Die Rubrik Abhandlungen sei quantitativ und qualitativ vernachlässigt worden, einige seien »zu unbedeutend« gewesen, teils waren sie »zu leicht gearbeitet«. In der Rubrik Recensionen habe das Publikum am meisten geklagt, daß »so viele unbedeutende Schriften recensiert würden«. Auch Polemik und Antikritik fänden kein Interesse. Beiläufig läßt D rey auch interne Diskussionen bezüglich der mangelhaften Einhaltung der festgeschriebenen Grundsätze erkennen (»wie schon oft ausgesprochen«). Als Adressaten der ThQ gibt D rey neben dem pauschalen »Publikum« konkret »unsere Geistlichkeit« und »die Landgeistlichen« an. Das Dokument ist aufschlußreich für das der ThQ zugedachte Profil: (a.) Der wissenschaftliche Charakter muß gewährleistet sein, aber Spezialthemen für »Gelehrte von Profession« müssen zurücktreten; (b.) Eine starke Berücksichtigung des Pastoralen und die Brauchbarkeit der Inhalte ist nötig; (c.) Aktualität: In der Themenwahl sind die »Zeitverhältnisse« zu berücksichtigen, desgleichen die Beschaffenheit des Publikums. (d.) Niveau: Keine Belanglosigkeiten; »Interesse« und »Gehalt« als Richtpunkte; (e.) Stil: Keine Polemik, keine Antikritik, keine Streitereien. (f.) Der Abhandlungsteil und das Rezensionswesen gelten als tragende Säulen, die übrigen Rubriken sind maßvoll und diszipliniert zu berücksichtigen. Insgesamt ist das Dokument Nr. 5 trotz seiner Kürze eine wichtige Quelle zum ungebrochenen Charakter der ThQ im Selbstverständnis ihrer Herausgeber sechs Jahre nach ihrer Gründung, zu ihrer Situierung auf dem Zeitschriftenmarkt und ihrer faktischen Akzeptanz. Wie schon in den vorausliegenden Dokumenten, so erwies sich D rey auch hier als der führende und profilgebende Kopf, der nun auf Reformen dringt 83 , in denen das Programm der Ankündigung von 1818 wieder auflebt (siehe oben Punkt (e.) in Ziff. II.4). 6. Zu den Dokumenten Nr. 6 a (Brief Dreys an die Mitherausgeber) und Nr. 6 b (Anordnungen der Redaction der Quartalschrift) a. Zu Dokument Nr. 6 a (Brief Dreys vom 18. Dezember 1831 an die Mitherausgeber) Aus dem Brief geht hervor (wie auch schon aus Dokument Nr. 5), daß die Lage der ThQ ein so kritisches Stadium erreicht hatte, daß ihre Existenz akut 83 Mit seinem in Abs. II. k) vermerkten Vorschlag, vom turnusmäßigen jährlichen Wechsel der Schriftleitung abzugehen, damit »ein Mann, und zwar für längere Zeit, die Redaktion besorge«, ist D rey nach Ausweis des Impressums der nachfolgenden Jahrgänge nicht durchgedrungen. <?page no="569"?> 537 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ gefährdet war. In dieser Situation verfaßte D rey diesen Brief, in dem er seine Sorgen darlegt, seine Kritik am Zustand der ThQ im einzelnen konkretisiert und seinen Kollegen in ultimativer Form Vorschläge zur künftigen Gestaltung der Quartalschrift unterbreitet. Er bewertet seinen Vorstoß als »einem letzten Versuch, der Quartalschrift ihren Fortbestand zu sichern« und teilt mit, im Falle des Scheiterns aus dem Herausgeberkollegium auszutreten (siehe letzter Absatz des Briefes). D rey greift für seine Vorschläge auf die von ihm 1826/ 27 formulierten Grundsätze für die reformierte Quartalschrift (siehe Dokument Nr. 5) zurück, die er in die Herausgebersitzung am 2. Januar, in der über seine Vorschläge zu entscheiden sein wird, einzubringen ankündigt. Zur formellen Begründung seines erneuten Vorstoßes verweist er im ersten Absatz des Briefes darauf, daß er ihn als »das älteste Mitglied der Gesellschaft« [der Herausgeber] schreibe. Was er in dem Brief vorlege, seien »natürlich bloße Andeutungen«, »da die weiteren Erläuterungen und Beschlüsse einem Zusammentreten [der Herausgeber] vorbehalten bleiben müssen«; er habe mit diesem Brief »den Weg der vorläufigen schriftlichen Mitteilung gewählt«, damit die Kollegen sich auf die Besprechung vorbereiten können (siehe Absatz 1 des Briefes). Die enge Beziehung des Briefes mit der Sitzung der Herausgeber vom 2. Januar 1832 und mit den dort beschlossenen Anordnungen (siehe unten) ist ein weiteres Glied in der Kette der Beweise für die Führerschaft D reys in Sachen der ThQ. b. Zu Dokument Nr. 6 b (Anordnungen der Redaction der Quartalschrift in der Sitzung vom 2. Januar 1832) Die Anordnungen der Redaction der Quartalschrift wurden in der Herausgebersitzung vom 2. Januar 1832 durch D rey , H erbst , H irscher und M öhler zum Beschluß erhoben. Da M öhler für den Jahrgang 1832 der ThQ die Schriftleitung innehatte, ist anzunehmen, daß er es war, der die Beschlußvorlage in die Sitzung einbrachte und dem Text die definitive Fassung gab. Den Anstoß und die Grundlage dafür hatte D rey mit seinem Brief vom 18. Dezember 1831 (siehe oben) und zuvor schon mit den von ihm 1826/ 27 notierten Grundsätze für die reformierte Quartalschrift (siehe Dokument Nr. 5) geliefert. Ein Vergleich der Schriftstücke zeigt, daß die Anordnungen sowohl inhaltlich als auch prozedural weitestgehend auf D rey zurückgehen. Ein wichtiger Punkt in den Anordnungen betrifft die seit der Gründung der ThQ bestehende Regel, wonach bei sämtlichen in ihr zum Druck gelangten Beiträgen der Verfassername nicht angegeben wurde. Diese Regelung war von 1819 bis 1831 in Kraft, sie endete mit dem Beschluß vom 2. Januar 1832 (siehe ebd. Ziff. 5) 84 . D rey hatte sie von Anfang an nicht für gut gehalten, aber in 84 Dazu L ösch , Die Anfänge (siehe Anm. 2) 129: »So erschienen vom Jahrgang 1832 an sämtliche Aufsätze und Rezensionen mit Namensbezeichnung der Verfasser. Nur der eine oder andere Nekrolog wie der auf J. G. Herbst: 1836, 766-770 (Verfasser: Mack) und der auf Möhler: <?page no="570"?> 538 Erläuterungen zu den einzelnen Dokumenten seinem Brief vom 18. Dezember 1831 hatte er ihre Aufhebung ultimativ gefordert: »Die Anonymität paßt nicht zu einer Zeit, welche sich die freisinnige nennt; es waren keine guten Geister, die sie uns vorschlugen; und sie hat unserem Institut vielfach geschadet«. D rey verweist darauf, daß »die meisten und geschätztesten Zeitschriften die Anonymität in neueren Zeiten abgelegt« haben (ebd. Ziff. 5; vgl. dazu auch oben die Erläuterungen zu Dokument Nr. 2). Im Vorfeld der Anordnungen vom 2. Januar 1832, in denen in Ziff. 5 festgelegt wurde, daß künftig jede Abhandlung, jeder kleinere Aufsatz und jede Rezension nur mit der Unterschrift des Verfassers erscheine, hatte es unter den Herausgebern (vor allem zwischen M öhler und H irscher eine Verstimmung gegeben 85 , der durch die bis nach Frankreich ausstrahlende Aufregung 86 um eine im Frühjahr 1831 in der ThQ anonym erschienene Rezension 87 veranlaßt war. Sie hatte H irscher zum Verfasser 88 . H irscher hatte in ihr sein prinzipielles Einverständnis mit dem Anliegen des Antizölibatsvereins bekundet, aber seine Stellungnahme war sachlich differenziert und in der Form maßvoll, und sie war jeder Agitation abhold. Doch im öffentlichen Streit um die Rezension erreichte die schon lange schwelende Polemik um die Quartalschrift ihren Höhepunkt. Man sah in der Rezension von 1831 eine Bestätigung und Fortsetzung 89 einer mit dem Schleier der Anonymität bedeckten antizölibatären Tendenz der Quartalschrift überhaupt. 1838, 576-594 (Verfasser: Kuhn) ist ohne Namenszeichnung gelassen. Einige in den Jahrg. 1836/ 44 sich findende Rezensionen sind mit Namenskürzung (z.B.: F. H. = Friedr. Hurter) unterschrieben, andere von schwäbischen Seelsorgsgeistlichen stammende in angeborener Bescheidenheit oder solche von Tübinger Repetenten in überlieferungsgemäßer Schüchternheit ohne Namensunterschrift veröffentlicht.« 85 Dazu P ius B onifacius G ams , Johann Adam Möhler. Ein Lebensbild von Balthasar Wörner. Mit Briefen und kleinern Schriften Möhler’s herausgegeben von Pius Bonifacius Gams O.S.B. Regensburg 1866, 160: »Hirscher und Möhler standen in Tübingen längere Zeit nicht ganz gut. Hauptursache war eine Recension Hirschers in der ThQ vom Jahre 1831, 371 ff. Möhler beantragte nun, da diese Recension viel böses Blut machte, es solle fortan jeder Verfasser einer Einsendung seinen Namen unter seine Arbeiten setzen« (vgl. dazu L ösch , Die Anfänge 122 f). Die Darstellung bei G ams hat in der Folgezeit dazu geführt, daß in der Fachliteratur die Aufhebung der Anonymitätsregel dem Betreiben M öhlers zugeschrieben wurde. In Wahrheit war D rey von Anfang an die treibende Kraft, wie er denn auch in seinem Brief vom 18. Dezember 1831 die Aufhebung der Anonymitätsregel ultimativ forderte. 86 Einzelheiten dazu bei L ösch , Die Anfänge 122. 87 Es handelte sich um die in ThQ 13 (1831) Heft 2, 371-385 anonym erschienene Rezension Ueber die Bildung eines Vereins für die kirchliche Aufhebung des Cölibatgesetzes. Von einem katholischen Geistlichen in Württemberg. Ulm 1831 (der Verfasser dieser 39seitigen Schrift war der Gymnasialprofessor M aximilian J oseph W ocher (1803-1852), ein Mitbegründer des Ehinger Antizölibatsvereins). 88 Siehe oben Anm. 74. 89 Selbst der Verfasser der von H irscher rezensierten Schrift hatte am Ende seiner Ausführungen auf »die Tübinger Theolog. Quartalschrift von mehreren Jahrgängen« verwiesen, »nämlich 1820, S. 664. ff. 1821, S. 31. ff. 43. f. 423 ff. 1823, S. 289. ff. 1826, S. 430 ff. 524 f. 1828, S. 289. ff. 1830, S. 761. ff.« (a.a.O. 39). - Die Autoren der hier angeführten Texte waren 1820 H irscher , 1821 H erbst , 1823 M öhler , 1826 M öhler und D rey , 1828 F eilmoser und 1830 L ang . <?page no="571"?> 539 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ * Die hier in den Texten von Nr. 7 zusammengestellten Dokumente decken temporal und sachlich die Gründungsphase der ThQ ab und erstrecken sich über mehrere Reformstufen bis zur Revision ihrer herausgeberinternen Satzung am 2. Januar 1832. Die Analyse der Texte und Vorgänge führte zu dem Ergebnis, daß L ösch den Anteil D reys in der Gründungs- und Reformgeschichte der ThQ richtig einschätzte: D rey war der führende Kopf und der Steuermann 90 der ThQ, »die er mit Fug und Recht ›seine‹ Zeitschrift hätte nennen können« 91 , und D rey war es, der mit seiner Obsorge auch für das zweite Jahrzehnt und auf lange hinaus »die innere Haltung und äußere Formung der ThQ fast ausschließlich« bestimmte 92 . Teil B: Die Dokumente zur Gründungsgeschichte der Theologischen Quartalschrift Dokument Nr. 1: Die Ankündigung der ThQ (1818/ 19) Ankündigung. 15 [3] Eine der bedeutendsten Lücken in der katholischen Literatur bildet unstreitig der Mangel an solchen Zeitschriften, die es sich zu ihrer Aufgabe machten, durch eigene gelehrte Forschungen, oder sonst durch ergreifende Darstellungen auf dem Gebiete der Theologie mehr Licht zu verbreiten, die neuesten Geisteserzeugnisse auf demselben Gebiete durch Anzeigen und Beurteilungen 20 zur Kenntniß der Wißbegierigen zu bringen, und auf diesem Wege nicht minder das Streben nach Wissenschaft anzuregen, als den Sinn für den Geist des Christenthums, und dessen fruchtbare Anwendung auf die Gemüther zu beleben. Wenn eine solche Anregung und Belebung wirkliches, tief und sehr all- 25 gemein gefühltes Bedürfniß für den denkenden deutschen Katholiken ist, so findet sich derselbe andrerseits wundersam bewegt und gespannt durch die Erscheinungen der jüngsten Zeit, in der man endlich mit Ernst daran gekommen zu seyn scheint, die katholische Kirche in Deutschland über die Erschütterungen, welche sie durch die politische Stürme der letzten Jahrzehn- 30 te erfahren hat, zu trösten; und ihre hierarchische Verfassung, ihre Verwaltung und Zucht neu zu begründen. 90 L ösch , Die Anfänge 18; 30; 129. 91 Ebd. 123. 92 Ebd. 127. <?page no="572"?> 540 Johann Sebastian Drey Nicht nur für den Theologen, sondern für jeden gebildeten Katholiken, der mit Liebe seiner Kirche angehört, haben die neuesten Unterhandlungen von Concordaten, die auf diese hin noch weiter zu erwartenden organischen Bestimmungen der Staats- und Verordnungen der neuen Kirchen-Behörden das höchste - selbst für Protestanten wenigstens ein historisches - Interesse. 5 Mit Recht ist die allgemeine Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand gerichtet. Jenes Bedürfniß und diese Aufmerksamkeit erwägend haben sich die 4 Unterzeichneten zu der Herausgabe einer Zeitschrift vereinigt, welche die Eigenschaft eines gewöhnlichen theologischen Journals, mit der eines Magazins der neuern Kirchen-Geschichte verbinden soll. Sie wird mit dem An- 10 fange des nächsten Jahrs 1819 - der Jahrgang zu vier Heften - erscheinen, und daher den Titel führen: T h e o l o g i s c h e Q u a r t a l s c h r i f t . Nach der Einrichtung, welche wir für diese Zeitschrift angenommen haben, wird sie folgende stehende Rubriken enthalten: 15 I. A b h a n d l u n g e n − über Gegenstände der historischen, wissenschaftlichen und praktischen Theologie. Jedes Heft wird w e n i g s t e n s e i n e n solchen Aufsatz enthalten. II. R e c e n s i o n e n , a u s f ü h r l i c h e R e l a t i o n e n , u n d k u r z e A n z e i g e n − von neuen Schriften aus dem gesammten Gebiete der Theologie nebst 20 ihren Begründungs- und Hülfswissenschaften. Da unsere Zeitschrift der katholischen Literatur zunächst gewidmet ist, so werden wir vorzugsweise nur Werke katholischer Schriftsteller anzeigen und recensiren; jedoch protestantische Schriften keineswegs unbeachtet lassen, wenn sie die besondere Aufmerksamkeit des katholischen Theologen in Anspruch nehmen. 25 III. M a t e r i a l i e n z u r G e s c h i c h t e u n d B e u r t h e i l u n g d e s n e u e s t e n K i r c h e n w e s e n s . − Wir liefern hier sowohl historische Actenstücke, welche auf die neue Bestimmung des katholischen Kirchenwesens in seinem ganzen Umfange Bezug haben, als auch kurze Darstellungen der von Privat- Schriftstellern zu demselbigen Zwecke gemachten beherzigenswerthern Vor- 30 schläge. Die Actenstücke werden wir nach Inhalt und Umfang vollständig zu geben suchen, und zwar in Beziehung nicht blos auf Deutschland, sondern 5 auch auf andere Länder, zu welchem Zwecke wir uns um die nöthige Correspondenz beworben haben. Bescheidene Bemerkungen über definitive Anordnungen wie über unmaßgebliche Vorschläge dieser Art ligen in der Natur 35 eines kritischen Blattes, und in den Forderungen der Zeit; wir werden sie also nicht zurückhalten. IV. Ve r m i s c h t e N a c h r i c h t e n über theologische und kirchliche Gegenstände, wohin wir ausser den gewöhnlichen Notizen dieser Art insbesondere das auf allgemeine Volksbildung berechnete Schulwesen und theologi- 40 sche Lehranstalten zählen. <?page no="573"?> 541 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ (1818-1832) V. Neben diesen stehenden Rubriken behalten wir uns auf Nothfälle eine offen zu − E r l ä u t e r u n g e n . Wir wählen diesen bescheidenen Ausdruck, weil wir − was an uns ist − mit keinem Menschen zu streiten und zu rechten gedenken; aber da wir es für möglich halten müssen, daß über Katholicismus und katholisches Kirchenthum gerade in der gegenwärtigen Periode auch 5 noch ferner, wie bisher, gar manche einseitige Ansichten, unreife Urtheile und unbillige Vorwürfe in die Lesewelt ausgehen, so halten wir uns gegen diese, gegen die Wahrheit und selbst gegen die Irrenden verpflichtet, über Irrthum zu verständigen. Im übrigen hegen wir die Erwartung, daß der Geist dieser Zeitschrift vor 10 dem Publicum sich als einen freymüthigen und bescheidenen zugleich bewähren soll. Wem unser Unternehmen zusagt, den ersuchen wir es zu unterstützen, und werden ihm für jede Mittheilung den wärmsten Dank wissen. Tübingen den 7 Jul. 1818. − Die katholischen Theologen: 15 Dr. Gratz. Dr. Drey. Dr. Herbst. Hirscher. Dokument Nr. 2: Der Nachtrag zur Ankündigung (1819) 1 Im Nachtrage zu der Ankündigung ihrer Zeitschrift finden es die Heraus- 6 geber der gegenwärtigen Stimmung der Gemüther in Deutschland, und ihrem 20 eigenen Wahrheitsgefühle angemessen, sich auf die unzweydeutigste Weise noch weiter dahin zu erklären, daß, so wie sie von aller Parteysucht und Parteynahme entfernt überall nur der Wahrheit huldigen, und ihr die Huldigung ihrer Leser verschaffen wollen, sie diesem Grundsatze gemäß sich untereinander und ihren Mitarbeitern die Freyheit der Meynung vorbehalten 25 und zugesichert haben, indem sie überzeugt sind, daß gleichwie überhaupt die Wahrheit durch eine vielseitige Beleuchtung nur gewinnen kann, so im Kampfe der Meynungen und beym Gähren der Urtheile gründliche Resultate nur erreicht werden, wenn es jeder Ansicht frey steht, hervorzutretten und ihre Prüfung zu veranlassen. 30 In dieser Ueberzeugung konnten sie also keineswegs geneigt seyn, ihre Mitarbeiter in ihren verschiedenen Ansichten über die Gegenstände zu beschränken, welche das Gespräche des Tages, und das Ziel ihrer Untersuchung sind. Dabey haben sie aber auch vorausgesetzt, was sie eben so freymüthig erklären, daß dieselben Ansichten sich über einen der Untersuchung würdi- 35 1 Titel aus dem Textcorpus rekonstruiert. Im Original beginnt der Text ohne Titel auf einer neuen Seite (6) und ist mit drei Asterisken von Dokument Nr. 1 abgesetzt. <?page no="574"?> 542 Johann Sebastian Drey gen Gegenstand verbreiten, mit Gründen unterstützt, und in einem anständigen Tone vorgetragen werden. Bloßes Schimpfen, Spott über Sachen und Personen werden sie von ihrem Blatte ebenso ferne halten, als sehr sie dergleichen unedle Künste verabscheuen: daß ihnen die Lehre und Ueberzeugung ihrer Kirche heilig seyn werde, brauchen sie nicht erst zu versichern. 5 Indem sie nun über diesen Grundsätzen halten, die Freyheit der Meynung 7 schützen, im übrigen aber jeden einzelnen Mitarbeiter verbindlich machen, für seine Behauptungen und den literarischen Gehalt ihrer Gründe selbst zu stehen, hoffen sie eine ihrer Hauptabsichten zu erreichen, nämlich die, daß sich ihre Quartalschrift ebenso vor jeder Einseitigkeit wie vor ängstlichem 10 Pedantismus bewahren, und gerade dadurch dem unbefangenen, nüchternen Theile des Publicums am meisten sich empfehlen soll. Die Herausgeber. Dokument Nr. 3 a: Die Erklärung (1820) Erklärung. 15 Im vierten Heft der theologischen Quartalschrift − S. 575-580 2 findet sich ein 551 kleiner Aufsatz, worin die schon ziemlich alte Hypothese der Exegeten: Joh. III, 16-21. seyen nicht für unmittelbare Worte Jesu, sondern für Worte des Evangelisten zu nehmen, auch auf V. 13-15. ausgedehnt wird. Gegen diesen Aufsatz schrieb Hr. Prof. Dr. G e r h a u s e r zu Dillingen eine kleine Schrift 20 unter dem Titel: » A b h a n d l u n g ü b e r d a s G e s p r ä c h J e s u m i t N i k o d e m u s und über das Evangelium Johannis überhaupt; einer andern Abhandlung hiervon entgegengesetzt ec.« Diese kleine Schrift, welche hier zu recensiren unsere Absicht nicht ist, enthält S. 3 eine kleine Note von drey Zeilen, welche, da sie mehrere Irrthümer die theologische Quartalschrift 25 betreffend aufstellt, und diese Irrthümer unter dem lesenden Publikum weiter zu verbreiten dienen könnte, von Seite der Redaction folgende Erklärung nothwendig macht. Der Verfasser des obengedachten Aufsatzes hatte nämlich an einem Orte gesagt: » U n s dünkt es aber, man dürfe nur dem Fingerzeige 552 des Erasmus folgend die gedachten Stellen V. 13-15, wie die folgenden Verse 30 16-21, für Aeusserungen des Evangelisten ansehen, so würde alle Schwierigkeit verschwinden.« Zu diesen vom Hrn. Dr. Gerhauser in seiner Schrift angeführten Worten macht er nun folgende Note: »unter dem Worte U n s scheinen die s ä m m t l i c h e n H . H . H e r a u s g e b e r der Zeitschrift, d.i. eine 2 Richtig: 575-578 (vgl. Einleitung Anm. 51). <?page no="575"?> 543 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ (1818-1832) ganze theologische Facultät, verstanden zu werden.« − Gegen diese irrige Exegese des Wörtchens U n s erklärt die Redaction der Zeitschrift: 1) Hr. Dr. Gerhauser irrt sich gewaltig, wenn er glaubt, daß s ä m m t l i c h e H e r a u s g e b e r unter dem Uns zu verstehen seyen. Es wird hiemit ihm und andern, die seinen Irrthum theilen könnten, auf Ehre versichert, daß die 5 gedachte exegetische Hypothese blos die Ansicht eines einzigen unter ihnen, desselben nämlich, ist, von dem der Aufsatz herrührt, daß hingegen die übrigen drey Herausgeber sämmtlich keine besondern Schwierigkeiten dabey finden, den in Frage stehenden biblischen Abschnitt für unmittelbare Worte Jesu zu nehmen, daß sie ihn vor und nach der Erscheinung des Aufsatzes so 10 genommen haben, und in dieser Hinsicht auch der Schrift des Hrn. Dr. Gerhauser nicht bedurften. 2) Noch mehr irrt Hr. Dr. Gerhauser, wenn es ihm scheint, unter dem Wörtchen U n s sey e i n e g a n z e t h e o l o g i s c h e F a c u l t ä t zu verstehen. Er konnte und sollte doch wissen, daß die hiesige katholisch-theologische Fa- 15 cultät aus fünf Professoren besteht, wovon ein sonst verehrliches Mitglied keinen Antheil an der theologischen Quartalschrift hat; daß folglich auch die 553 sämmtlichen Herausgeber dieser als Ganzes genommen nicht eins sind mit der ganzen theol. Facultät. 3) Am allermeisten irrt sich Hr. Dr. Gerhauser an der Quartalschrift selbst, 20 wenn er sie für ein Institut oder Attribut unserer Facultät hält, wie er sie nach seiner Note zu halten scheint. Die Redaction weiß nicht, was Hr. Dr. Gerhauser zu den Attributen einer Facultät rechnen mag, aber eine Facultätszeitung, oder Facultätszeitschrift hat man bisher nicht darunter gerechnet. Daß die Herausgeber gerade an e i n e m Orte, und in e i n e m Wirkungskreise 25 angestellt sind, ist für die Zeitschrift selbst nur zufällig. Sie würde durch die nämlichen Herausgeber fortbestehen können, wenn diese auch an verschiedenen Orten und in verschiedenen Aemtern angestellt wären. − Die Redaction begreift nicht, nach welchen exegetischen Regeln Hr. Dr. Gerhauser, Professor der Exegese, dem Wörtchen u n s die Auslegung geben 30 konnte, die er ihm gab, und die so falsch ist. Die vielfache Zahl der Personen, worin der Verfasser eines Aufsatzes in einer Zeitschrift spricht, sollte ihn nicht zu jener Auslegung führen; denn wenn Hr. Dr. Gerhauser auch nur eine und die andere Zeitschrift liest, so muß er doch gefunden haben, daß sowohl die Verfasser von Aufsätzen wie die Recensenten nach einer unter ihnen üblich 35 gewordenen Redeform gern in der vielfachen Zahl von ihrer einfachen Individualität sprechen, und so lag ihm ja der richtige Sinn des Wörtchens U n s nahe genug. Vollends unmöglich aber war die gegebene Auslegung, wenn Hr. Dr. Gerhauser die Ankündigung der theologischen Quartalschrift Jahrgang I. Heft I. S. 6, 7 gelesen hätte. Hier erklären die Herausgeber wiederholter- 40 554 malen, »daß sie, zum Besten der Wahrheit und zur Förderung ungehinderter Untersuchung, wodurch allein die Wahrheit gewonnen werden kann, − sie <?page no="576"?> 544 Johann Sebastian Drey sich unter einander und ihren Mitarbeitern die Freyheit der Meynung vorbehalten und zugesichert haben, daß sie im Uebrigen jeden einzelnen Mitarbeiter verbindlich machen, für seine Behauptungen und den litterarischen Gehalt ihrer Gründe selbst zu stehen.« 3 - Das heißt mit anderen Worten doch eben so viel, als: jeder Einzelne schreibe für sich und nicht im Namen der 5 Herausgeber und der andern Mitarbeiter: das Institut der Quartalschrift sichere ihm die Freyheit, seine gelehrten und wissenschaftlichen Ansichten durch sie zu Tage zu bringen; aber es theile nicht nach gerade seine Ansichten, noch weniger wolle es die (wissenschaftliche) Rechtfertigung seiner Ansichten theilen. Es mag seyn, daß Hr. Dr. Gerhauser glaubt, die Verbreitung wissen- 10 schaftlicher Ideen müsse v e r s c h w ö r u n g s w e i s e getrieben werden; es mag sein, daß ein Theil des lesenden Publikums in der Meynung steht, gelehrte Journale seyen Klubbs, deren jeder nur gewisse Ideen und Systeme v e r s c h w ö r u n g s w e i s e allgemein zu machen streben müsse, wie denn nicht zu läugnen ist, daß ein solches Verschwörungssystem aus manchen Zeitschriften 15 unverkennbar hervorleuchtet; die Unternehmer der Quartalschrift waren nicht dieser Meynung. Diese ganze Erklärung hätte unterbleiben können, und wäre unterblieben, wenn Hr. Prof. Gerhauser sich bloß auf die Bestreitung einer exegetischen Hypothese beschränkt hätte. Die übrigen Herausgeber konnten sich wohl 20 eine solche an-dichten lassen, und dem eigentlichen Erfinder ihre Vertheidi- 555 gung überlassen. Aber Hr. Dr. Gerhauser bestreitet nicht bloß als E x e g e t jene Hypothese, er zieht d o g m a t i s c h e Folgerungen aus ihr, indem er S. 2 schreibt: »es ist, wie wir sehen werden, um das Wesen des Christenthums und um die Auctorität des Evangeliums Johannis zu thun.« Unter dem Gesichts- 25 punkte einer solchen Folgerung erscheint dann jene Note des Hrn. Prof. Gerhauser als e i n e g e h ä s s i g e I n s i n u a t i o n gegen die theol. Quartalschrift und gegen die sogenannte ganze theologische Facultät bey dem Publikum; gegen diese Insinuation mußte sich die Quartalschrift erklären, indem es den Herausgebern nicht gleichgültig seyn kann, daß man ihnen eine Rich- 30 tung g e g e n das Wesen des Christenthums und g e g e n die Auctorität heiliger Schriften aufbürde, oder auch nur den Schein auf sie werfe, als wüßten sie nicht, was zum Wesen des Christenthums und zur Auctorität heiliger Schriften gehöre. Darum gegen jene dogmatische Folgerung des Hrn. Prof. Gerhauser noch 35 folgendes. Er selbst hat mehrere Jahre die dogmatische Theologie vorgetragen; man sollte also vermuthen, daß er wissen könne, welchen Einfluß auf das Wesen des Christenthums und das Ansehen biblischer Schriften nicht etwa eine Schriftstelle, sondern eine z u f ä l l i g e Ansicht von einer Schriftstelle habe. Und dennoch ist man beynahe genöthigt, diese Vermuthung aufzuge- 40 3 Vgl. Dokument Nr. 2 (Nachtrag), p. 6-7 (Zitat nicht wortwörtlich). <?page no="577"?> 545 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ (1818-1832) ben. Es behauptet Jemand, ein paar Verse in einem unserer vier Evangelien seyen als Aeusserungen des Evangelisten und nicht als unmittelbare Worte Jesu zu nehmen. Hr. Prof. Gerhauser selbst giebt im Allgemeinen zu, daß die 556 Evangelisten bisweilen unter die von ihnen angeführten Reden Jesu ihre eigenen Bemerkungen einmischen, diese Bemerkungen gleichsam als Erläu- 5 terungen oder wie einen kleinen Commentar anhängen. Ausserdem ist in den Evangelien noch vieles als Thatsache nicht als Rede erzählt; die Evangelien enthalten also nicht bloß u n m i t t e l b a r e Reden Jesu, die Briefe der Apostel ohnehin nicht. Nach dieser innern Einrichtung der heil. Schriften ist es also ein völlig z u f ä l l i g e r Umstand, ob etwas unmittelbare Rede Jesu oder un- 10 mittelbares Wort eines Apostels oder Evangelisten ist und dafür genommen wird; auf das Wesen des Christenthums, auf das Ansehen einer (einzelnen) heiligen Schrift kann jener zufällige Unterschied keinen Einfluß haben, so lange nur eine Stelle als ä c h t anerkannt wird. Nimmt man noch auf das höhere (nicht bloß menschlich historische) Ansehen der heil. Schrift als 15 Schrift, und auf den Grund dieses Ansehens − göttliche Eingebung − Rücksicht, wie Hr. Dr. Gerhauser mit mir und allen katholischen Theologen gewiß thut, so fällt in d o g m a t i s c h e r Beziehung die Unterscheidung zwischen unmittelbarem Worte Jesu und unmittelbarem Wort eines Apostels völlig weg; das Wort des Apostels ist auch Wort Jesu, und das » u n m i t t e l b a r « ist nur 20 mehr ein die g r a m m a t i s c h h i s t o r i s c h e Form bezeichnendes Beywort, welches wohl für den Exegeten, nicht aber für den Dogmatiker von Wichtigkeit seyn kann. Darum haben es auch die Dogmatiker immer so gehalten; sie bewiesen die christlichen Lehrsätze eben so wohl mit Worten der Apostel aus ihren Briefen, aus der Apostelgeschichte und den Evangelien, wie mit 25 Worten Jesu aus den letztern; sie glaubten nicht, mit der ersten Art von 557 Beweisstellen weniger oder ein anderes Christenthum bewiesen zu haben, als mit der zweyten Art von Beweisstellen. Ich frage Hrn. Prof. Gerhauser, ob er selbst es anders gehalten habe? − Und namentlich in Beziehung auf das Evangelium Johannis wird er wohl mit mir einverstanden seyn, daß die 30 erhabenste, für das Wesen und die Grundlage des Christenglaubens − d i e G o t t h e i t J e s u − wichtigste Stelle desselben der Anfang V. 1-14 ist. Dieselbe Stelle ist offenbar nicht unmittelbare Rede Jesu, sondern Auesserung des Apostels, die Quintessenz alles dessen, was er sich über Jesus aus Sehen und Hören abstrahirt hatte (vergl. I. Joh. I, 1.2.). Nun frage ich Hrn. Prof. 35 Gerhauser, ob er wohl glaube, daß d a s We s e n d e s C h r i s t e n t h u m s u n d d i e A u c t o r i t ä t d e s E v a n g e l i u m s J o h a n n i s etwas gewinnen würde, wenn jener Abschnitt wirklich als unmittelbare Rede Jesu dargestellt wäre? Ob er je einen Versuch gemacht oder zu machen für nöthig gefunden habe, den Abschnitt auf irgend eine Weise wenigstens als indirecte Rede Jesu dar- 40 zustellen? − Und nun kehre er das Argument um, und wende es künftig zu einer billigern Beurtheilung exegetischer Hypothesen an, wenigstens ziehe er <?page no="578"?> 546 Johann Sebastian Drey nicht weiter dogmatische Folgerungen, welche nicht nur ganz unstatthaft, sondern aus seiner eigenen früher gezeigten Gründlichkeit im Denken völlig unbegreiflich sind. D i e R e d a c t i o n d e r t h e o l . Q . S . Dokument Nr. 3 b: Die Widerlegung (1820) 5 Widerlegung. Die Litteraturzeitung für katholische Religionslehrer, herausgegeben (jetzt) 558 vom Domherrn von Mastiaux, die häufig das kritische Geschäft treibt, wie die Kosaken den Krieg treiben, hat schon einigemal versucht, auch der theolog. Quartalschrift etwas anzuhaben. Da es aber einer alten Erfahrung zu Folge 10 eines der bewährtesten Mittel ist, unwürdige und leidenschaftliche Angriffe von sich abzuhalten, wenn man ihnen keinen Widerstand entgegensetzt, so haben die Mitarbeiter der Quartalschrift es sich zum Grundsatze gemacht, auf etwaige Ausfälle, welche in obengedachter Litteraturzeitung auf einzelne Recensionen und Abhandlungen gemacht werden möchten, n i c h t s zu erwi- 15 dern; und diesen Grundsatz werden sie auch ferner noch befolgen. Wenn die R e d a c t i o n der Quartalschrift sich hier eine Abweichung davon erlaubt, so geschieht es aus dem Grunde, weil in Nro. 24. der Litteraturzeitung Jahrg. 1820. S. 379 nicht eine Recension oder ein Aufsatz, wo jeder Einzelne seine subjektiven Ansichten aufstellt, sondern die Urkunden, welche 20 die Quartalschrift liefert, also etwas Objektives und zwar auf eine so boshafte Art angefochten werden, die nichts gleiches hat als die Unverschämtheit des Angreifers. In der gedachten Nro. liefert nämlich die Litteraturzeitung unter der Aufschrift: »Lügen und Possen« - neben einigen gegründeten Rügen mehrere von ihr selbst geschmiedete grobe Lügen und arge Possen, und unter 25 diesen sub Nro. 4 auch folgendes: »In der theologischen Quartalschrift, herausgegeben von Dr. Gratz, Drey, Herbst und Hirscher, Professoren zu 559 Tübingen, sind i n j e d e m H e f t e d e s J a h r g a n g s 1 8 1 9 m e h r e r e U r k u n d e n a b g e d r u c k t , w e l c h e t h e i l s e r d i c h t e t , t h e i l s v e r s t ü m m e l t s i n d , und mit den nämlichen Corruptionen hier erscheinen, wie sie in 30 den politischen Zeitungen eines Stegmann, Zschokke, Rüder, Pfeilstifter (Pfeilschifter), Sendtner und anderer Lügenblätter verbreitet waren. - H i e h i n g e h ö r e n v o r z ü g l i c h d a s p ä b s t l i c h e B r e v e v o m 1 . H o r n u n g 1 8 1 6 a n d i e E r z b i s c h ö f e u n d B i s c h ö f e I r l a n d s , d e r L e h r p l a n d e s J e s u i t e n - C o l l e g i i i n d e r S c h w e i z , n e b s t d e m B e r i c h t e d e s 35 E r z i e h u n g s r a t h s z u F r e y b u r g etc.« Hiewider bemerkt die unterzeichnete Redaction folgendes: <?page no="579"?> 547 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ (1818-1832) 1) Durch die Fassung der Worte: s i n d i n j e d e m H e f t e d e s J a h r g a n g s 1819 m e h r e r e U r k u n d e n a b g e d r u c k t , welche etc. wird der Vorwurf theils der Erdichtung, theils der Verstümmelung auf mehrere Urkunden in jedem Hefte, also so gut wie auf alle gewälzt, welche im ersten Jahrgang der Quartalschrift vorkommen. Und doch sind, um vorläufig nur 5 ein Beyspiel anzuführen, sämmtliche Urkunden des ersten Hefts theils aus der Denkschrift über das Verfahren des römischen Hofs, theils aus dem Badischen, theils aus dem Baierischen Regierungsblatte, also aus officiellen Gewährleistungen wörtlich und buchstäblich abgedruckt, wie jeder, der die Vergleichung anstellen will, finden kann. Welche unverschämte und unbeson- 10 nene Verläumdungssucht gehörte also dazu, um zu schreiben, wie Hr. P. Z. schrieb? Wenn nach dem Sprichworte der Lügner doch wenigstens ein gutes Gedächtniß, so muß der Verläumder noch weit mehr Umsicht im Ausdrucke 560 haben. 2) Es ist ein juridischer und zugleich moralischer Grundsatz, daß bey 15 Anschuldigungen von Fälschung und Stümmelung die Urkunden genau und namentlich angegeben werden, die gefälscht, erdichtet und verstümmelt seyn sollen. Hr. P. Z. hat blos drey Urkunden benamset, sich übrigens hinter ein v o r z ü g l i c h und ein etc. gesteckt. Zum Beweise, wie wenig wir uns vor seinen lügenhaften Anschuldigungen zu fürchten haben, fordern wir ihn 20 hiemit auf, sein etc. mit der genauen Angabe der Urkunden auszufüllen, die er ausser den benamseten dreyen als erdichtet oder verstümmelt verschreyen will. 3) Es ist ferner ein juridischer und moralischer Grundsatz, daß angeschuldigte Fälschungen von Urkunden auch bewiesen werden müssen, und sie 25 können es nur durch Producirung der ächten, oder durch den Erweis ihrer Nichtexistenz. Diese Beweisführung unterscheidet den rechtlichen Ankläger von dem boshaften Verläumder, und der Mangel eben dieser Beweisführung ist unser dritter rechtlicher Grund, warum wir dem Hrn. P. Z. das Prädikat geben, welches wir ihm geben. 30 4) Selbst über die von ihm namhaft gemachten Urkunden spricht er sein bequemes Urteil nach der Weise eines bekannten Gerichtshofs i n g l o b o aus. Wir wollen hierüber unsere Leser von der Wahrheit verständigen. Das päbstliche Breve an die irländischen Bischöfe erschien zuerst in dem (officiellen) Moniteur 1818. S. 1118. Der Moniteur sagt selbst, er gebe nur die Haupt- 35 stellen, und bezeichnet an etlichen Orten die Lücken durch Punkte, weßwegen zu vermuthen ist, daß die Lücken wirklich unbedeutend sind. Aus dem 561 Moniteur kam das Breve - mit Abkürzungen in die deutschen Zeitungen. Wir hoffen, dieses Breve, das in dieser Gestalt allerdings in das Intelligenzblatt hatte kommen sollen, selbst ohne die Lücken des Moniteurs, nachtragen zu 40 können. Mit welchem Rechte aber Hr. P. Z. ein obscurus Anonymus d e ß w e g e n unsere geschätztesten öffentlichen Blätter L ü g e n b l ä t t e r nennen dür- <?page no="580"?> 548 Johann Sebastian Drey fe, überlassen wir der Beurtheilung unserer Leser. - Von den beyden andern Aktenstücken, dem Lehrplane der Jesuiten in Freyburg und dem Gutachten des Erziehungsraths darüber, versichern wir, daß sie, wie alle andern auf die Schweiz sich beziehenden Aktenstücke, uns von einem bekannten und allgemein geachteten schweizerischen Staatsmanne mitgetheilt sind, dessen Lage 5 und Geschäftsgewandtheit ihn doch wohl in den Stand setzen, das Wahre zu erfahren und das Aechte vom Erdichteten zu unterscheiden, der jene beyden Piec¸en s e l b s t a u s d e n u n g e d r u c k t e n f r a n z ö s i s c h e n O r i g i n a l i e n übersetzt hat, und derselben Aechtheit so wie die Richtigkeit der Uebersetzung verbürgt. Freylich stellen jene beyden Aktenstücke das Institut der 10 neuen Jesuiten in keinem vortheilhaften Lichte dar, und wir glauben nicht zu irren, wenn wir der Meynung sind, daß gerade dieser Umstand und nichts anderes den Hrn. P. Z., der ein sehr warmer Freund und Geistesgenosse der neuen Väter zu seyn scheint, zu dem Angriffe auf die theolog. Quartalschrift vermocht habe, wie denn dieser Angriff einem Kunststücke der wohlbekann- 15 ten S o c i e t ä t vollkommen gleich sieht. Durch ein solches Kunststück konnte sich Hr. P. Z. per directionem intentionis oder per reservationem mentalem 562 allerdings einen ganz andern Lehrplan und ein ganz anderes Gutachten fingiren, wogegen die von uns gelieferten freylich wie erdichtet oder verstümmelt erscheinen würden; aber wir versichern, daß wir von solchen fingirten 20 Dingen nichts wissen, und lediglich keinen andern Lehrplan und kein anderes Gutachten darüber liefern konnten und wollten, als denjenigen Lehrplan, der unter den angegebenen Daten den betreffenden Regierungsbehörden w i r k l i c h übergeben, und dasjenige Gutachten, welches von dem Erziehungsrathe w i r k l i c h gestellt worden. Kennt Hr. P. Z. einen andern Lehrplan, den die 25 Freyburger Väter etwa nachher w i r k l i c h eingereicht haben, und der ein günstigeres Zeugniß verdient, so soll er ja nicht säumen, ihn bekannt zu machen, wiewohl auch dann der von uns gelieferte der erste bleiben wird. Wenn Hr. P. Z. am angeführten Orte den Herausgebern der theol. Quartalschrift Gleichgültigkeit gegen die historische Wahrheit vorwirft, und als 30 Beweis dafür eine Stelle anführt, wo das im Jahr 1807 zwischen dem päbstlichen Nuntius della Genga und der bayerischen Regierung verhandelte Concordat ein z i e m l i c h g e n a u v e r a b r e d e t e s genannt wird, so hat Hr. P. Z. die Herausgeber der theolog. Quartalschrift aller Antwort schon dadurch enthoben, daß er ein notorisches Faktum, eine archivalisch zu erhärtende 35 diplomatische Verhandlung ein e r d i c h t e t e s Concordat zu nennen die Unverschämtheit hat. Es bleibe also den Mitarbeitern der Mastiauxischen Litteraturzeitung die Freyheit, die evidentesten Begriffe und Thatsachen, wenn sie nicht in ihrem Kram tau-gen, herzhaft zu läugnen, es bleibe ihnen die 563 Freyheit ihrer feinen und humanen Weise; wir haben hiemit mit ihnen abge- 40 schlossen. Darum so viel und fast zu viel. Die Redaction der theol. Quartalschrift. <?page no="581"?> 549 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ (1818-1832) Dokument Nr. 4 a: Brief von Generalvikar Keller an die Tübinger Professoren (4. Februar 1821) Den Hochwürdigen, hochgelehrten Herren Professoren der Theologie der katholischen Facultät zu Tübingen. Wir sehen uns veranlaßt, den Herren Herausgebern der theologischen Quar- 5 talschrift, Professoren der Theologie katholischer Fakultät an der Königlichen Universität Tübingen, den D. D. Drey, Herbst und Hirscher einige Wünsche und Bemerkungen zugehen zu lassen, die wir um so weniger zu unterdrücken vermögen, als unerläßlich die Forderungen unserer Verpflichtung sind und diese unsre Bemerkungen nur in der reinen Achtung und 10 Zutrauen, welches wir in die ausgezeichneten Eigenschaften dieser öffentlichen Lehrer setzen, ihren Grund haben. Nicht nur die Richtung, welche verschiedene Aufsätze dieser periodischen Schrift überhaupt nehmen, sondern vorzüglich der Aufsatz im 4. Hefte Jahrgangs 1820, welcher zwei Recensionen über Schriften für und wider den 15 Coelibat der katholischen Geistlichen S. 637-670 enthält, hat bei einem großen Theile des unsrer väterlichen Leitung anvertrauten Clerus tiefen Eindruck und Anstoß hervorgebracht, besonders der Seite 640-649 enthaltene Abriß des Lebenslaufes der katholischen Geistlichen, wodurch letztere sich vor den Augen des Publikums auf eine Art bloßgestellt sehen, die mit der Würde 20 dieses Standes keineswegs vereinbar scheint, und die der Wirklichkeit wenigst in dieser Ausdehnung und Allgemeinheit, wir glauben es mit Zuversicht, keineswegs entspricht. Es mußte uns außerdem befremden, sogar Vorwürfe gegen die Vorsteher der Kirche darin zu finden und es diesen selbst zur Verantwortung aufgelegt 25 zu sehen, daß sie, wie es S. 663 heißt »auf eine ernstliche Berathung dieses Gegenstandes nicht eingehen«, obgleich es den Herrn Herausgebern nicht unbekannt sein kann, daß dieses nicht Sache der wenigen noch vorhandenen oder einzelner Kirchenvorsteher seyn kann, und allgemeine Berathungen und Versammlungen der Kirchen-Vorsteher gegenwärtig gar nicht stattfinden 30 können. Wenn nun Anregungen dieser Art schon an sich den zarteren Verhältnissen zu den Kirchenvorstehern und kirchlichen Oberbehörden überhaupt zuwider scheinen, so wissen wir nur um so weniger dieselben mit der den Vorgesetzten schuldigen Achtung und Rücksicht zu vereinbaren, deren Ermanglung auch 35 auf die übrige untergeordnete Geistlichkeit nicht anders als sehr nachtheilig zurückwirken kann. Mit diesen Bemerkungen in Hinsicht auf die theologische Quartalschrift finden wir uns veranlaßt, noch den besonderen dringlichen Wunsch zu verbinden, daß die Herren Professoren der katholischen Fakultät vermöge ihrer 40 <?page no="582"?> 550 Johann Sebastian Drey Verpflichtung als Lehrer in der katholischen Kirche künftig darüber wachen, daß bei Gelegenheit der in Folge der Organischen Bestimmungen zweckmäßig angeordneten Disputirübungen von den betreffenden Repetenten besonders aus dem Lehrfach der Theologie keine Sätze hervorgegeben werden, welche, wie sie da liegen, wenigst großen Mißdeutungen und Anstößen un- 5 terliegen, wie dies von den der kirchlichen Oberbehörde vorgelegten Sätzen aus der Kirchengeschichte, welche bei der am 25. des v. M. stattgehabten Disputirübung vertheidigt worden, der Fall ist. Es ist augenfällig, daß diese Sätze, wenn sie in ihrer weiteren Entwicklung konsequent verfolgt werden, zumal bei den Candidaten des geistlichen Stan- 10 des, beinahe unvermeidlich eine Richtung nehmen werden, die für ihre Überzeugung gerade in den erhebendsten Religionswahrheiten und für ihre Verpflichtung als Diener und Lehrer der Kirche sehr gefährdend werden müßte. Wir enthalten uns, in das einzelne einzugehen in dem Vertrauen, daß die öffentlichen Lehrer der Kirche selbst von dem tiefen Gefühl ihrer Verpflich- 15 tung und Verantwortlichkeit, die ihnen ihre Stellung als solche auflegt, durchdrungen, alles sorgfältig vermeiden werden, was zum Anstoß dient, besonders bei solchen Jünglingen, die bei allem Aufstreben der Talente und fortschreitendem Wissen noch nicht die Festigkeit der Überzeugung und die höhere Richtung derselben erreichen können, und die daher einer besonderen Lei- 20 tung und Aufsicht nur um so mehr bedürfen. Wir können auch keineswegs gemeint seyn, durch diese Bemerkungen und Wünsche den freien Gang des gründlicheren Forschens zu hemmen, vielmehr letzteres auf jede Art zu befördern ist unser angelegendstes Bestreben. Der Geist unsrer heiligen Kirche selbst schließt ein gründliches Forschen in den 25 Religionswissenschaften und Erweiterung der Kenntniß in dem umfassenden Gebiete der theologischen Wissenschaften keineswegs aus. Die um die Wissenschaften so hoch verdienten ausgezeichneten Männer und Lehrer, welche die Kirche aus allen Zeiten aufzuweisen hat, und ihre Werke, welche von tiefer Gelehrtheit zeugen, sind sprechende Belege zu dieser unserer ausgesproche- 30 nen Überzeugung. Aber sie wußten auf eine ebenso würdige als glückliche Weise mit ihrem tiefen und gründlichen Forschen bei der Hervorgehung ihrer Geisteswerke - sie sind noch nicht erreicht, - eine Besonnenheit und stete Rücksicht auf das, was in der Kirche Gottes eher zerstörend als erbauend einzuwirken geeignet ist, zu verbinden. Sie vermieden sorgfältig, was Anstoß 35 bringen kann, nahmen weise Rücksicht auch in minder wesentlichen Sachen auf ängstliche Gewissen und gaben ihren Schriften überhaupt eine höhere Richtung, die nach einer Reihe von Jahrhunderten das Forschen in ihren Werken jetzt noch höchst belehrend, anziehend und erbaulich macht. 4 4 Hiernach im Entwurf ein in der Ausfertigung entfallener Absatz in zwei Fassungen: [A] Dieses würdige Bestreben und Erheben zu der großen Bestimmung, welcher die Candidaten des geistlichen Standes entgegen gehen, wollen wir verbreitet wissen, und auf die <?page no="583"?> 551 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ (1818-1832) Nur eine in diesem Geist befestigte religiöse Überzeugung, die zugleich das Gemüth erhebt und zu heiligem Sinn und Wandel führt, wollen wir unter den Candidaten des geistlichen Standes verbreitet wissen. Nach diesem Maßstab werden wir auch die Verdienste der in der Kirche aufgestellten öffentlichen Lehrer jederzeit beurtheilen und anerkennen. 5 Gegeben in dem Bischöflichen Generalvicariat zu Rottenburg, den 4. Februar 1821. Johann Baptist Bischof v. Evara, Generalvicar v. Keller, mppr. Dokument Nr. 4 b: Brief der Herausgeber der ThQ an Generalvikar Keller (8. Mai 1821) Eure Bischöfliche Gnaden haben sich veranlaßt gesehen, den gehorsamst unterzeichneten Herausgebern der Theologischen Quartalschrift und Professoren an der katholischen Facultät zu Tübingen einige Wünsche und Bemerkungen zugehen zu lassen, 15 welche sich teils auf die Theologische Quartalschrift, namentlich eine in derselben befindlichen Recension, teils auf Thesen beziehen, die als Stoff zu Disputirübungen im katholischen Convikt vorgelegt wurden. Wenn die Unterzeichneten in der Sorgfalt Eurer Bischöflichen Gnaden für die Obliegenheiten ihres Amtes nur eine Veranlassung zu reiner Verehrung 20 finden, so legt ihnen die Rücksicht auf das Zutrauen, dessen dieselben uns zugleich versichern, die Verbindlichkeit auf, Eurer Bischöflichen Gnaden sowohl die Grundsätze, wonach die Unterzeichneten die Theologische Quartalschrift redigieren, als auch ihre Verhältnisse zu den Repetitionen und Disputirübungen, die im katholischen Convikt stattfinden, ehrfurchtsvoll und 25 gehorsamst vorzulegen. Klippen [Korrektur für: Folgen], welche der Hang des menschlichen Geistes, sich aller Fesseln, die ihm selbst der beschränkte Verstand anzulegen genöthigt ist, zu entwinden und ein Heer von Irrthümern herbeizuführen, die selbst das Band der menschlichen Gesellschaft locker zu machen drohen, aufmerksam zu machen, ist der Gegenstand unseres unablässigen Bemühens, das Reich Gottes auf Erden zu verbreiten. [B] Dieses würdige Bestreben nach einer erleuchteten Erkenntnis im Geiste der Kirche [Korrektur für: Religion] und eine befestigte religiöse Überzeugung, im Einklang mit der Erhebung ihres Gemüthes zu einem heiligen Leben, welche die Candidaten des geistlichen Standes allein ihrer hohen Bestimmung näherzubringen geeignet ist, wollen wir unter denselben verbreitet wissen. <?page no="584"?> 552 Johann Sebastian Drey Als wir uns zur Herausgabe einer theologischen Zeitschrift verbanden, war unser Zweck, was er sein mußte, ein wissenschaftlicher und ein katholischer; worüber wir uns im allgemeinen zwar kurz, aber doch, wie wir glauben, hinlänglich in dem Vorworte zu dem ersten Heft aussprachen. Dabei konnten und durften wir uns jedoch nicht verhehlen, daß wir bei der im ganzen 5 apologetischen Richtung unserer Zeitschrift manches in Satzungen oder Gebräuchen noch Bestehende würden als mangelhaft für unsere Zeit darstellen, manches andere mit Bescheidenheit rügen, manche kirchenhistorische oder kirchenrechtliche Ansicht, die ehemals Verteidiger fand und jetzt noch findet, würden berichtigen müssen. Dies zu tun gebot uns nicht etwa bloß die 10 schriftstellerische Rücksicht, daß sich die Zeitschrift vor dem Publikum halten möge, sondern dies geboten die Fortschritte aller Einsichten zumal der historischen, die veränderten Urteile und Bedürfnisse der Menschen, unsere eigene Überzeugung und unser Bestreben, die katholische Theologie, entkleidet von unhaltbaren Meinungen, die Zucht und Verfassung der Kirche 15 befreyet von unbrauchbar gewordenen Formen und fremdartigen Anhängseln darzustellen. Bei dieser Richtung, die wir den Aufsätzen und Recensionen zu geben suchten, blieb es aber immer der unverbrüchliche Grundsatz der Quartalschrift, der Aechtheit der katholischen Lehre und der unveränderlichen Grundlage des katholischen Glaubens nicht nur nichts zu vergeben, sondern 20 sie mit neuen Beweisen zu unterstützen; und hierüber berufen wir uns ganz getrost auf das eigene Urteil Eurer Bischöflichen Gnaden. Selbst in Ansehung dessen, was seiner Natur nach der freyen Kritik des Theologen unterworfen [oder ganz überlassen] ist, übten wir diese so bescheiden, hielten uns von der jetzt sehr allgemein beliebten, unbesonnenen und polternden Reformiersucht 25 so ferne, daß unser Journal um deßwillen den Beyfall dieser Partey nicht sonderlich gewann, wie wir denn darauf auch nicht gerechnet hatten und darnach nie streben werden. Ein freyes Wort hie und da im einzelnen, selbst auch gegen Verwaltungsmaximen kirchlicher Behörden glaubten wir dagegen auch nicht ängstlich unterdrücken zu müssen; indem ein solches, wenn es nur 30 gegründet ist, dem kirchlichen Schriftsteller von jeher erlaubt war und erlaubt bleiben muß. Statt vieler Beispiele, welche wir zum Belege dessen aus der Kirchengeschichte anführen könnten, wollen wir nur an den freymütigen Tadel erinnern, den der heilige Bernhard rücksichtslos gegen alle Mißbräuche in der Kirche und gegen das Betragen der Päpste selbst aussprach, und dies zu 35 einer Zeit, wo das Ansehen der letzteren seinen Gipfel erreicht hatte; und dennoch hielten sie den Mann, der sie tadelte, nicht für ihren Feind, glaubten auch ihr Ansehen nicht durch ihn gekränkt [sondern erwogen und benützten, was er sagte oder schrieb]. Wir sind weit entfernt damit eine Parallele ziehen zu wollen; aber die Freiheit möchten wir uns erbitten, auf das angeführte 40 Beyspiel das Recht des Theologen und des kirchlichen Schriftstellers zu gründen, über alle Gegenstände der Kirchenzucht seine Meinung und, wo <?page no="585"?> 553 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ (1818-1832) etwas in dieser sein Mißfallen erregt, auch dieses [frey und] unverhohlen ausdrücken zu dürfen, am allermeisten dann, wenn es nur Sachen, nicht Personen betrifft, und daher die christliche Liebe nicht verletzt wird. Dieses Recht scheint die [christliche] Kirche selbst zu ihrem eigenen Besten, zumal in der neueren Zeit, für ihre Schriftsteller aufrechterhalten zu müssen, indem 5 ihre äußeren Verhältnisse dasjenige Mittel abgeschnitten haben, wodurch in den älteren und mittleren Zeiten ihre Vorsteher sich über Mängel und Mißbräuche belehrten, sie abstellten und zweckmäßige neue Einrichtungen trafen: wir meinen die mehr oder (! ) allgemeinen Concilien. Unwidersprechlich zeigt die Geschichte der Kirche, daß, wie diese aufhörten, auch die Verbesserungen 10 in der Kirchenzucht aufhörten, die Mängel dagegen und Mißbräuche bis auf die letzten Zeiten sich immer mehr anhäuften, und natürlich, da die Mängel nun nicht mehr zur Sprache kamen, und die einzelnen Kirchenvorsteher Bedenken trugen, für sich allein zu handeln. a Ebenso gewiß ist aber auch, daß gegenwärtig durchaus keine Hoffnung 15 vorhanden ist, die Synoden wieder hergestellt zu sehen, daß dies namentlich in Deutschland nicht zu erwarten ist. Welches Mittel bliebe also den vereinzelten kirchlichen Oberbehörden, auf Mängel und Mißbräuche aufmerksam zu werden, welche äußere Veranlassung dem abzuhelfen, wenn es nicht die freymütige Stimme des kirchlichen Schriftstellers, wenn es nicht die durch sie 20 ausgesprochene öffentliche Meinung in der Kirche wäre! Den Geistlichen in der Seelsorge beschäftigt sein Dienst, er hat wenig Zeit, oft auch wenig Geschick, über die allgemeineren kirchlichen Angelegenheiten nachzudenken, auf keinen Fall aber den Beruf, über das nun einmal Bestehende seine Kritik auszusprechen, denn seine Pflicht ist es, gerade dies zu üben. Der Theolog 25 aber hat von Berufs wegen die Natur, alles dessen, was in der Kirche besteht, zu untersuchen, alles zu beweisen, daher auch zu prüfen; es muß ihm also auch das Recht zustehen, das Resultat seiner Prüfung auszusprechen, worin ihm außerdem seine Stellung, daß er Lehrer und nicht bloß ausführender Kirchendiener ist, zugute kommt. Gegen die der kirchlichen Autorität schul- 30 dige Ehrfurcht kann auch seine freye Kritik nicht verstoßen, wenn er alles, was er als gut und zweckmäßig vorschlagen zu müssen glaubt, durch sie genehmigt, nur durch sie ausgeführt wissen will. Er ehrt sie dadurch, daß er sich ihnen (! ) unterwirft, wenn sie auf seine Vorschläge auch keine Rücksicht nehmen. Aber auch in diesem Falle wird er es noch immer für seine Pflicht 35 erachten, seine Stimme abzugeben. a5 5 a-a: dazu erster Entwurf: Aber ebenso gewiß ist auf der anderen Seite, daß wenigstens für unser deutsches Vaterland durchaus keine Hoffnung vorhanden ist, die Synoden wieder hergestellt zu sehen. Welches Mittel blieb also den vereinzelten kirchlichen Oberbehörden, auf das Mangelhafte aufmerksam zu werden, welche äußere Veranlassung, welcher äußere Impuls, dem Mangelhaften abzuhelfen, wenn es nicht die freye Stimme des Theologen, wenn es nicht die durch sie ausgesprochene öffentliche Meinung in der Kirche wäre! Den Geistlichen im Amt beschäftigt sein Dienst; er hat weder die Zeit über die allgemeineren kirch- <?page no="586"?> 554 Johann Sebastian Drey Vor diesen allgemeinen Grundsätzen, nach welchen wir als Herausgeber einer theologischen Zeitschrift unsere Befugnisse und Pflichten bemessen, dürfen wir nun die Anwendung machen, um uns über die [Tendenz der] Recension von zwey Schriften, den Cölibat betreffend, zu erklären. Der Cölibat in der katholischen Kirche ist eine Disciplinarsache; seine Geschichte 5 beweist, daß von jeher das Urteil über ihn ebenso ungleich war als die Bereitwilligkeit sich dieses Gesetz gefallen zu lassen. In Beziehung auf unsere Zeit darf als entschieden angenommen werden, daß dies Gesetz die Meinung der Mehrheit der Kleriker ebenso gegen sich hat als ihre Neigung. Niemand kann das besser wissen als wir, die wir die Kandidaten des geistlichen Standes 10 fünf Jahre lang in allen ihren Neigungen und Äußerungen zu beobachten Gelegenheit haben. b Wir Unterzeichneten können daher nicht glauben, daß die fragliche Recension Eurer Bischöflichen Gnaden mißfallen haben, weil sie sich gegen den Cölibat ausspricht. Dieselben sagen dies auch nicht, sondern bezeigen nur 15 dero Mißfallen über die in der Recension vorkommende Schilderung des Lebenslaufs der Geistlichen in dieser Zeit, sowie darüber, daß wegen nicht genugsamer Beratung dieses Punktes ein Tadel auf die kirchlichen Oberen gewälzt werden wolle. Hierüber erlauben sich die Unterzeichneten zunächst die gehorsamste Erklärung, daß sie bei allen anderen Aufsätzen, also auch bei 20 dem vorliegenden die Darstellung, die einzelnen Ausdrücke und die Ansichten Sache des Verfassers sind und nicht der Gesamtheit der Herausgeber, welche jedem Mitarbeiter diese Freiheit lassen und nach der Natur eines solchen Instituts lassen müssen. Indessen glauben doch die gehorsamst Unterzeichneten Eure Bischöflichen Gnaden darauf aufmerksam machen zu dür- 25 fen, daß gerade das Cölibatsgesetz eine von den Hauptursachen ist, warum von dem Lebenslauf der Geistlichen keine günstige Schilderung gegeben werden kann, teils an sich, teils weil gegen jenes Gesetz so viele junge Leute in diesen Stand kommen, denen es an der ersten Erziehung mangelt, ein Mangel, der durch die nachfolgende Erziehung auf Schulen, selbst wenn diese voll- 30 kommener wäre, als sie ist und seyn kann, kaum mehr abzuhelfen ist. Ob lichen Angelegenheiten nachzudenken, noch den eigentlichen Beruf, seine Kritik darüber auszusprechen. Als Subalterner hat er nur das Bestehende auszuüben, und sein Verhältnis verbietet ihm, höheren Orts Vorstellungen zu machen. Aber in einer anderen Lage befindet sich der Theolog, der öffentliche Lehrer. Er hat von Berufs wegen die Natur, alles dessen, was in der Kirche besteht, zu untersuchen, alles zu beweisen, und daher auch zu prüfen, und das Resultat seiner Prüfung auszusprechen. Seine Stellung, daß er kein eigentlicher Kirchendiener ist, erlaubt und erleichtert ihm manches zu rügen, die Aufmerksamkeit der Vorsteher auf manches zu lenken, auch bei aller Unterwürfigkeit unter die kirchliche Autorität jenes zu tun. Er ehrt die letztere, indem er alles, was er als gut und zweckmäßig vorschlagen zu müssen glaubt, nur durch sie genehmigt, nur durch sie ausgeführt wissen will; er ehrt sie dadurch, daß er sich ihnen (! ) unterwirft, wenn sie auf seine Vorschläge auch keine Rücksicht nehmen. Aber seine Stimme abzugeben, rechnet er nicht nur zu den Rechten, sondern selbst zu den Pflichten seines Berufs. <?page no="587"?> 555 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ (1818-1832) übrigens die ungünstige Darstellung, welche von dem Lebenslaufe der Geistlichen in der fraglichen Recension gegeben ist, übertrieben sey oder nicht, darüber verbietet uns die Ehrfurcht, die wir Eurer Bischöflichen Gnaden schuldig sind, zu streiten. Doch erlauben wir uns gehorsamst zu bemerken, daß ein Recensent in der neuen, gewiß nicht übertreibenden Maynzer Zeit- 5 schrift Der Katholik, Heft 1, Seite 29 von dem Verfasser dieses Lebenslaufs sagt: »Er schildert den heutigen Klerus freilich nach dem Leben.« Über die Freyheit des kirchlichen Schriftstellers, selbst über kirchliche Verwaltungsmaximen seine Meinung zu äußern, haben wir uns bereits oben erklärt, stimmen übrigens Eurer Bischöflichen Gnaden vollkommen bei, daß einzelne 10 Kirchenbehörden in dem bestehenden Cölibatsgesetz keine Abänderung treffen können, was auch der Recensent in unserer Quartalschrift nicht behauptet, auch niemand im einzelnen tadeln wollte. b6 6 b-b: dazu erster Entwurf: In diesem Sinn ist die fragliche Recension im ganzen abgefaßt und die Unterzeichneten glaubten daher annehmen zu dürfen, daß sie Eurer Bischöflichen Gnaden nicht darum mißfallen habe, weil sie sich gegen den Cölibat ausspricht. Eure Bischöflichen Gnaden bemerken auch hierüber nichts, sondern bezeigen nur Hochdero Mißfallen über die in der Recension vorkommende Schilderung des Lebenslaufs der Geistlichen, von welcher Schilderung Hochdieselben glauben, daß sie wenigstens in ihrer Allgemeinheit übertrieben sei. Hierüber erlauben sich die Unterzeichneten zunächst die gehorsamste Erklärung, daß wie bei allen anderen Aufsätzen, also auch bei dem vorliegenden die Darstellung, das Kolorit, die einzelnen Ausdrücke und selbst die Ansichten Sache des Verfassers sind und nicht der Gesamtheit der Herausgeber, welche jedem Mitarbeiter diese Freiheit lassen müssen, wenn sie nicht die unmögliche Arbeit einer Redaktion durch sechs und acht Hände übernehmen und noch dazu jeden Mitarbeiter zurückscheuchen wollen. Wenn also auch die von dem Lebenslauf der gegenwärtigen Geistlichkeit gegebene Darstellung die Gebrechen derselben greller malte, als sie an sich sein mögen, so könnte der einzelne Herausgeber dieser Meinung sein, aber wir könnten das hier nicht aussprechen. Aber darin haben wir sämtlich mit dem Verfasser der Recension die gleiche Ansicht, daß ein Grundgebrechen der katholischen Geistlichkeit oder vielmehr die Quelle vielfacher Gebrechen darin liege, daß die Kandidaten dieses Standes, solange der Cölibat noch fortdauert, größtenteils und bald einzig aus Familien hervorgehen werden, worin die erste Erziehung mangelhaft sein muß, welchen Mängeln durch die bisherige Lage junger Studenten an den Gymnasien nicht nur nicht gesteuert, sondern im Gegenteil noch ein großer Vorschub getan wird, was leider selbst noch von den Verhältnissen gesagt werden muß, worin manche als Vicarien kommen. Die von dem Recensenten gegebene Schilderung des Laufs, den unsere Geistlichen vom väterlichen Hause aus machen, gehörte daher mit Recht unter die wichtigsten moralischen Motive, aus denen das Cölibatsgesetz bestritten werden kann und soll. Reflexionen und Vergleichungen, welche wir am hiesigen Orte über die hierin verschiedenen Verhältnisse der protestantischen und katholischen Kleriker anzustellen Gelegenheit hatten, haben uns vorzüglich diese schädliche Seite des Cölibats aufgedeckt. Im übrigen sind wir vollkommen von dem überzeugt, was Eure Bischöflichen Gnaden sagen: daß nämlich einzelne kirchliche Oberbehörden in dem bestehenden Gesetze keine Abänderungen treffen können. Wenn daher in der Recension gesagt ist, daß die kirchlichen Oberen diese Sache bisher zu wenig beachtet haben, so ist dies in dem allgemeinen Sinne gesagt, ohne alle besondere Beziehung. Wir schließen diese unsere gehorsamste Erklärung mit der zutrauensvollen Bemerkung, die wir schon einmal öffentlich zu geben veranlaßt wurden, daß nämlich die Theologische Quartalschrift überhaupt nicht eine Sache oder ein Attribut der hiesigen katholischen Facultät, sondern ein reines Privatunternehmen ist, welches mit unserem Verhältnisse als einer Corporation von Lehrern in keiner Verbindung stehet. <?page no="588"?> 556 Johann Sebastian Drey In Beziehung auf den zweyten Hauptgegenstand des verehrlichsten Schreibens Eurer Gnaden können die gehorsamst Unterzeichneten ihre Antwort kurz fassen. Es wurden am 25. Januar unter anderen Disputirsätzen im Convicte auch Thesen aus der Kirchengeschichte vorgelegt, welche allerdings einer Mißdeutung fähig sind und ohne Einschränkung genommen anstößig 5 erscheinen können. Insofern nun Eure Bischöflichen Gnaden sich deshalben gegen uns beklagen, sehen wir uns genötigt, jede Verantwortlichkeit darüber ehrerbietig von uns abzulehnen, indem wir Eure Bischöflichen Gnaden auf das Verhältnis aufmerksam machen, in welchem die Repetenten des Königlichen Convicts zu den Professoren der Facultät stehen. Jene sind diesen nur 10 insofern einigermaßen subordiniert, als sie mit den Convictoren gewisse theologische Fächer repetieren. In diesen Repetitionen müssen sie sich an den materiellen Vortrag des betreffenden Professors, nach seinem Lehrbuche oder seinen Heften binden, und auch dieses erst seit ganz kurzer Zeit infolge einer besonderen Vorschrift des katholischen Kirchenrats. Als Docenten aber sind 15 sie teils ganz unabhängig, teils hängen sie bloß von dem katholischen Kirchenrat ab, der ihnen nach Einsicht ihrer Vorschläge die Gegenstände und die Stunden bestimmt, worüber und wie oft sie Privatlectionen halten sollen. Als Docenten leiten sie auch die Disputirübungen und setzen die Thesen nach ihrem Gutdünken. Diese Thesen werden den Professoren bloß ad notitiam 20 mitgeteilt, um allenfalls dagegen opponieren zu können. Sie abzuändern oder vorzuschreiben steht nicht in der Befugnis der Professoren. Wir bitten Euere Bischöflichen Gnaden, sich durch die Einsicht der Organischen Bestimmungen für das katholische Convict, namentlich §§ 38-41 von dem Gesagtem zu überzeugen. Wenn auch die Professoren aus gewissen Rücksichten diesen Teil 25 der Bestimmungen etwas anders modifiziert wünschen möchten, so sprechen dagegen andere Rücksichten wieder für eine gewisse literärische Selbständigkeit der Repetenten; überhaupt möchten die Professoren keinen Schritt zur Beschränkung derselben tun. Was endlich den besonderen vorliegenden Fall betrifft, so erlauben sich die Unterzeichneten auch [unter Beziehung auf ihre 30 obige Äußerung] noch die [gehorsamste] Bemerkung beizufügen, daß die Thesen zur bloßen Disputirübung dienen sollten, in welcher Hinsicht eine gewisse Freyheit und selbst der Schein eines Paradoxon Entschuldigung finden kann. Auch haben wir von dem Repetenten Möhler, der die [besagten] Thesen aufstellte, eine so gute Meynung, daß wir mit Grund annehmen 35 können, er habe dabei keine andere Absicht gehabt, als eben diejenige, die wir soeben andeuteten. Im übrigen bitten wir Eure Bischöflichen Gnaden versichert zu sein, daß wir immer gern die großen und berühmten Männer der Kirche zu unseren Mustern nehmen, die Überlieferung der christlichen Lehre, wovon sie Zeugen 40 sind, wie sie annehmen, uns übrigens der Freyheiten, deren sie sich bedienten, ebenfalls bedienen und daher, wie sie, ihrer besten Einsicht, dem Geist und <?page no="589"?> 557 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ (1818-1832) den Bedürfnissen der Zeit folgend, sich von den Meinungen ihrer Vorgänger oder Zeitgenossen zu entfernen kein Bedenken trugen, uns auch in den geeigneten betreffenden Fällen von ihren Ansichten und Meinungen entfernen, wobei wir jedoch das Wort eines der größten unter ihnen uns zur Regel machen, die Liebe in allen Dingen zu bewahren. 5 Wir haben geglaubt, diese unsere ehrerbietige Antwort unmittelbar an Eure Bischöflichen Gnaden richten und es Hochderselben überlassen zu müssen, ob Hochdieselbe sie im Generalvicariate vorlegen wollen. Mit dem Ausdruck unserer schuldigen Verehrung verharrend, Tübingen, den 8. Mai 1821. 10 Eurer Bischöflichen Gnaden ganz gehorsamste Herausgeber der Theologischen Quartalschrift und Professoren der Katholisch-theologischen Facultät, 15 in deren Namen Dr. Drey als Redacteur für den Jahrgang 1820 Dokument Nr. 5: Grundsätze für die reformierte Quartalschrift (1826/ 27) Grundsätze für die reformierte Quartalschrift 20 I. Abhandlungen Nach solchen verlangt es den größten Teil der Leser vorzüglich, wie die hierüber eingezogenen Erkundigungen übereinstimmend bezeugen. Hieran ließ es die Quartalschrift am Anfange fehlen; und sie mag daher aus dieser Ursache einen Teil der Leser verloren haben. Auch waren einige teils für sich 25 zu unbedeutend, teils zu leicht gearbeitet. In der letzteren Zeit ist diesem Mangel zum Teil abgeholfen worden; indessen dürfte für die Zukunft folgendes zu befolgen sein: a) Jedes Heft soll wenigstens zwei, womöglich drei Abhandlungen enthalten. b) Unter diesen soll wenigstens eine wissenschaftlich sein, d. h. ein Thema aus 30 der Kirchengeschichte, der Dogmatik oder Moral oder aus dem Kirchenrecht enthalten. c) Eine aber praktisch, d. h. aus den Fächern der praktischen Theologie der Homiletik, Katechetik, Pastorallehre usw. genommen. Hieher gehören auch alle Vorschläge zu Verbesserungen in der Liturgie und Kirchenzucht. 35 <?page no="590"?> 558 Johann Sebastian Drey d) Fälle aus dem Pastoralleben und der Pastoralwirksamkeit, Predigten, Katechesen usw. gehören in ein Pastoralarchiv und nicht in die Quartalschrift. Bloß in das »Intelligenz-Blatt« könnte zuweilen etwas der Art, z. B. ein Formular, aufgenommen werden. e) Exegetische Abhandlungen sollen mehr die Kritik und die Grundsätze der 5 Auslegung als Erklärungen einzelner Stellen betreffen. Letztere können nur in selteneren Fällen als Zugabe zu den zwei Abhandlungen aufgenommen werden. Denn unter allen Arten theoretisch-theologischer Abhandlungen hat doch unsere Geistlichkeit den wenigsten Sinn (und wird ihn wohl immer haben) für die Exegese. 10 f) Für alle Abhandlungen und ihren Inhalt dürfte als erster Grundsatz gelten, daß der letztere an sich interessiert, und als zweiter Grundsatz, daß er durch die Zeitverhältnisse dargeboten sei. g) Endlich müsse die Form der Darstellung lediglich thetisch sein. II. Rezensionswesen 15 Da hierüber das Publikum am meisten geklagt hat, besonders daß so viele unbedeutende Schriften rezensiert würden, so müssen in dieser Hinsicht feste Grundsätze aufgestellt werden: a) Der erste möchte der sein, daß künftig (wie schon oft ausgesprochen, aber nie beobachtet worden) nur die gehaltreichsten Schriften angezeigt werden. 20 b) Unter diese aber müßte die Redaktion nach der Beschaffenheit ihres Publikums wieder nur diejenigen rechnen, welche mit der Gediegenheit ihres Inhalts zugleich allgemeine Brauchbarkeit verbinden. c) Sie müßte daher solche Schriften, welche zwar für sich selbst gehaltreich genug, aber doch nur für Gelehrte von Profession bestimmt sind und nur von 25 solchen gelesen und gewürdigt werden könnten, auch wider ihren Willen unangezeigt lassen. d) Da es indessen bei gehaltreichen und interessanten Schriften nicht auf ihren Umfang ankommt, so müßte auch auf kleinere Schriften, wie sie eine wichtige Zeitmaterie auf eine gründliche und würdige Weise abhandeln, besonderer 30 Bedacht genommen, e) Dagegen aber Schriften, deren Tendenz Polemik oder Antikritik, zumal aber persönliche Polemik und Kritik ist, wie z. B. die Schriften von Nellesen, Binterim u. dgl. niemals rezensiert werden. Denn solche Rezensionen müssen immer wieder polemisieren. 35 f) Insofern jedoch der Erfahrung zufolge das Publikum an dergleichen Streitigkeiten wenigstens ein vorübergehendes Interesse nimmt, könnte jährlich einmal, etwa im letzten Hefte, ein historischer Rapport darüber erstattet werden. Dieser würde seinen Platz im »Intelligenz-Blatt« unter der Aufschrift: »Theologische Nachrichten« finden. 40 <?page no="591"?> 559 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ (1818-1832) g) Auf eine ähnliche Art könnte es mit den jetzt so zahlreich erscheinenden Gebet- und andern Erbauungsbüchern gehalten werden. Die Landgeistlichen wünschen vornehmlich die neu herausgekommenen Schriften dieser Art zu kennen. Sie könnten daher jährlich ein- oder zweimal, ebenfalls im »Intelligenz-Blatt«, unter der Aufschrift: »Theologische Anzeigen« ganz kurz mit einer 5 summarischen Kritik angezeigt werden. h) Eine ähnliche Anzeige könnte einen jährlichen Hauptbericht über die übrigen bedeutenderen und nicht rezensierten theologischen Schriften erstatten. i) Zu diesem Ende dürfte die Herbeischaffung der zu rezensierenden Schriften nicht mehr der Willkür des Verlegers überlassen, sondern lediglich von der Redak- 10 tion bestellt werden. Die von andern Verlegern eingeschickten Schriften aber, sofern sie sich zu keiner besondern Anzeige unter den Rezensionen oder im »Intelligenz-Blatt« eignen, müssen zurückgeschickt werden. k) Aber gerade hier erhellt es, daß zu fester Handhabung der über die Rezensionsanstalt aufgesteckten Grundsätze es notwendig sei, daß ein Mann, 15 und zwar für längere Zeit, die Redaktion besorge. III. Intelligenz-Blatt 7 Dokument Nr. 6 a: Brief Dreys an die Herausgeber (18. Dezember 1831) An meine Herrn Collegen als Herausgeber der Theologischen Quartalschrift. Ich habe mich schon länger überzeugt, daß die Grundlagen der von uns 20 herausgegebenen Zeitschrift von Anfang an zu schwankend waren und manches, was bei dem ersten Versuch vielleicht unbestimmt gelassen werden mußte, mit der Zeit genauere Bestimmungen erheischte, wenn die Zeitschrift ungestört fortgehen sollte. Die Folgen dieses Mangels waren von Zeit zu Zeit sichtbar geworden, am allermeisten seitdem die Gesellschaft der Herausgeber 25 das Unglück gehabt hat, eines ihrer Mitglieder durch den Tod zu verlieren, und ein anderes durch andauernde Kränklichkeit gehindert ist, tätig einzugreifen. Dieser Zustand veranlaßt mich als das älteste Mitglied der Gesellschaft, meinen Herrn Collegen nachstehende Vorschläge mitzuteilen, von welchen ich glaube, daß sie geeignet sein dürften, unserer Zeitschrift eine 30 bessere Consistenz zu geben, ihren Fortgang zu sichern und, insofern ich aus meinem Gefühl reden darf, die Lust der Mitarbeiter an ihr zu erhalten; es sind natürlich bloße Andeutungen, was ich vorlege, da die weiteren Erläuterungen und Beschlüsse einem Zusammentreten vorbehalten bleiben müssen; und ich habe den Weg der vorläufigen schriftlichen Mitteilung gewählt, damit jedes 35 7 Dreys Text endet mit dieser Überschrift (vgl. Lösch, Die Anfänge 30, Anm. 2). <?page no="592"?> 560 Johann Sebastian Drey Verehrliche Mitglied die Sachen bei sich überlegen und umsomehr vorbereitet zu der Besprechung kommen könne: 1. Vor allem wird es nötig sein, daß die bisherigen Herausgeber, zugleich fast die einzigen Mitarbeiter, sich um eine Verstärkung ihrer Kräfte durch neue Mitarbeiter umsehen; denn es ist unmöglich, die Zeitschrift in der bisherigen 5 Weise und durch das bisherige Personale fortzuführen, da Prof. Hirscher nur wenig in Anspruch genommen werden kann und Prof. Herbst einen großen Teil seiner freien Zeit den Geschäften der Bibliothek widmen muß, also die Last der Arbeiten auf Herrn Prof. Möhler und mich fast allein fallen würde. Übrigens würde die Unterscheidung zwischen bloßen Mitarbeitern und Her- 10 ausgebern bleiben; nur müßten jenen, wenn sie tüchtig und als ordentliche Mitarbeiter angenommen sind, günstigere Bedingungen als bisher zugestanden werden. 2. Jeder der Herausgeber und jeder der ordentlichen Mitarbeiter macht sich zu bestimmten jährlichen Beiträgen an Abhandlungen und Rezensionen verbind- 15 lich, die ihm durch Übereinkunft nach seinem Vermögen zugeschieden werden. Ich halte dies für ebenso notwendig wie das erste; wenn die Zeitschrift ungestört fortgehen soll, dann muß sie vor allem in Ansehung des Vorrats an Material gesichert sein; eine andere Sicherung ist aber hier nicht möglich als durch Vertrag und bestimmte Zusage der Mitarbeiter; dies sollte die bisherige 20 Erfahrung hinlänglich bewiesen haben. So gewiß unsere Zeitschrift schon längst eingegangen wäre, wenn sie sich in freien Heften und nicht als Quartalschrift angekündigt hätte, so gewiß müßte sie auch als Quartalschrift unter den gegenwärtigen Umständen eingehen, wenn nicht für regelmäßige Beiträge gesorgt wird. Hätte ich nicht im Jahre 1829 die Abhandlungen größ- 25 tenteils selbst gearbeitet, so wäre sie schon damals eingegangen. 3. Neben größeren Abbandlungen muß ernstlich auch auf kleinere Aufsätze Bedacht genommen und ihre Anzahl vermehrt werden. Als Grundsatz, den auch andere Zeitschriften befolgen, wurde dies von uns schon mehrmals anerkannt, aber nicht befolgt. Zu jenen hat vielleicht nicht jeder künftige 30 Mitarbeiter Geschick; und der auch dieses hat, hat nicht immer die Zeit oder die Hilfsquellen dazu. 4. Das Rezensionswesen, dieses beständige Kreuz unserer bisherigen mangelhaften Einrichtung, sollte endlich einmal in gewisse Regeln gebracht werden. Ich habe mir schon vor 4 bis 5 Jahren gewisse Grundsätze für eine 35 verbesserte Einrichtung mit unsern Abhandlungen und Rezensionen aufgezeichnet, welche ich in der Besprechung vorlegen will, um hier nicht zu viel schreiben zu müssen. 5. Jede Abbandlung, Aufsatz oder Rezension trage den offenen Namen ihres Verfassers. Die Anonymität paßt nicht zu einer Zeit, welche sich die freisin- 40 nige nennt; es waren keine guten Geister, die sie uns vorschlugen; und sie hat unserem Institut vielfach geschadet. Sie hat von vornherein unsere Absichten <?page no="593"?> 561 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ (1818-1832) bei einem Teil des Publikums verdächtigt; manches - ich nehme mich selbst nicht aus - würde anders oder gar nicht gesagt worden sein, wenn man seinen Namen unmittelbar hätte darunter setzen müssen; auf der andern Seite würde manches, was auffiel, milder erschienen sein; manches, was Mißtrauen erregte, würde Zutrauen gewonnen haben, wenn man sich den bekannten Mann, von 5 dem es kam, hätte hinzudenken können. Überhaupt ist die Nennung seines Namens immer ein Sporn, seine Sache so gut als möglich zu machen, und würde besonders für die jüngeren Männer, die wir nun doch herbeiziehen müssen, wohltätig sein; endlich haben die meisten und geschätztesten Zeitschriften die Anonymität in neueren Zeiten abgelegt. 10 6. Da es schon geschehen ist und wieder geschehen kann, daß Aufsätze oder Rezensionen, wohl auch historische Berichte von Männern eingehen, welche die Gesellschaft nicht als ordentliche Mitarbeiter angenommen hat, so ist es der Natur der Sache gemäß, daß das die Redaction besorgende Mitglied einen solchen Artikel weder geradezu zurückweise noch auch aufnehme, ohne ihn 15 zuvor den übrigen Herausgebern zur Einsicht vorgelegt und ihre Zustimmung erhalten zu haben. 7. Überhaupt würde es der Zeitschrift zur Empfehlung gereichen, wenn in ihr mehr Planmäßigkeit als bisherig selbst in den rein wissenschaftlichen Leistungen, mehr Übereinstimmung und Consequenz in den Grundsätzen sicht- 20 bar würde. Dies würde sich zunächst durch Besprechung der Herausgeber untereinander und dann durch die zu treffende Auswahl von Mitarbeitern erreichen lassen; -und so wie ich mir selbst eine Bezeichnung der zu behandelnden Gegenstände gefallen ließe, würde dasselbe wohl auch bei den Mitarbeitern in ihrem Verhältnisse zu den Herausgebern der Fall sein dürfen. 25 Ich erkenne die ganze Schwierigkeit, diese Vorschläge zu realisieren, und darum betrachte ich diese Mitteilung und die dadurch zu veranlassenden Besprechungen und Verhandlungen nur als einen letzten Versuch, der Quartalschrift ihren Fortbestand zu sichern; ein solcher Versuch muß aber und zwar jetzt gemacht werden; denn die Umstände gebieten ihn. Gelänge er auch 30 nicht, so würden die bisherigen Herausgeber in den eingangs berührten Unglücksfällen wenigstens einen Entschuldigungsgrund finden, um von dem Publikum Abschied zu nehmen, was immer noch ehrenvoller wäre, als wenn die Zeitschrift in silentio et per socordiam einschliefe; ich wenigstens würde keinen Anstand nehmen, im Fall des Mißlingens des Versuchs meinen Austritt 35 geradezu zu erklären; und ich wiederhole, daß ich jeden Versuch zur Fortsetzung für mißlungen halte, der nicht wenigstens auf die in Nr. 1. 2. 5. 6 angegebenen Bedingungen gegründet ist. Tübingen, den 18. Dez. 1831. Drey 40 <?page no="594"?> 562 Johann Sebastian Drey Dokument Nr. 6 b: Anordnungen der Redaktion (2. Januar 1832) Anordnungen der Redaktion der Quartalschrift in der Sitzung vom 2. Januar 1832 1. In die Rubrik »Abhandlungen« werden für die Zukunft auch kleinere Aufsätze aufgenommen, jedoch in der Weise, daß in einem jeden Hefte eine ausführ- 5 lichere Abhandlung von wenigstens zwei Bogen sein muß. 2. Ohne den Unterschied zwischen Herausgebern und Mitarbeitern aufzuheben, werden ordentliche, zu laufenden Beiträgen verpflichtete Mitarbeiter zu erhalten gesucht. Denselben wird für einen Bogen (Abhandlungen oder Rezensionen) ein Honorar von 15 Gulden ausgesetzt. Die geeigneten Beiträge 10 sind dem Dozenten Mack, dem Direktor Schönweiler und dem Repetenten Halder unter den Inländern desfalls zu machen; Staudenmaier, Professor in Gießen, Hagel, Professor in Dillingen, und Gengler, Professor in Bamberg, werden vorläufig unter den Ausländern für die Quartalschrift zu gewinnen gesucht. 15 3. Desungeachtet verpflichtet sich ein jeder Mitherausgeber jährlich eine größere Abhandlung und wenigstens zwei Rezensionen, je eine von einem Bogen, zu liefern, womit jedoch kein absolutes Maß für die Arbeiten letzterer Art festgesetzt werden soll. Der Umfang und die Bedeutung eines anzuzeigenden Werkes einerseits und die geforderte Gründlichkeit andererseits kön- 20 nen weitläufigere Beurteilungen unerläßlich machen. Kleinere Aufsätze werden nicht in bestimmter Anzahl gefordert; jedoch wird die Einsendung einer solchen je zuweilen von einem jeden Herausgeber erwartet. 4. Jeder Herausgeber trägt Sorge, daß die besseren katholischen Schriften seines Faches, wo nur immer möglich, innerhalb eines Jahres nach ihrer Erscheinung 25 zur Anzeige kommen. Auch die ausgezeichnetsten Werke von Protestanten, die sein Fach bearbeiten, aber auch nur die ausgezeichnetsten, wird er berücksichtigen. Polemische Schriften, die ein bloß örtliches, persönliches, überhaupt ein bloß zufälliges und vorübergehendes Interesse vertreten oder, wenn sie auch das Verhältnis der verschiedenen Confessionen an sich berücksichtigen, aber 30 desfalls nicht vom wissenschaftlichen Standpunkte aus und in wissenschaftlichem Geiste behandeln, bleiben unbeachtet. Aszetische, homiletische und katechetische Werke, die keinen ausnehmenden Wert haben, sind nur in cumulativen, ganz kurzen Anzeigen oder vielmehr in übersichtlichen Berichten, die je in einem Hefte des Jahres erscheinen, zur Kenntnis des Publikums zu 35 bringen. 5. Das Anerbieten des Herrn Dr. Herbst, die Redaktion mit der neuesten theologischen, insbesondere katholischen Literatur fortwährend bekannt zu machen, wird mit Dank angenommen. Der zeitliche Geschäftsführer der Quartalschrift setzt sofort die einzelnen Herausgeber von den sie betreffenden 40 <?page no="595"?> 563 Dokumente zur Gründungsgeschichte der ThQ (1818-1832) Werken in Kenntnis; sie haben das Recht der Auswahl, und nur jene Schriften, die sie nicht selbst beurteilen wollen, werden den Mitarbeitern zur gefälligen Anzeige überlassen. Sollten aber diese irgendein wichtigeres literarisches Erzeugnis nicht rezensieren wollen, so bleibt jener Herausgeber, in dessen Fach es einschlägt, verbunden, für eine baldige Beurteilung selbst zu 5 sorgen. 6. Der Geschäftsführer der Redaktion wird je 1/ 4 Jahr vor dem Beginne des Drucks eines Heftes die Herausgeber auf ihre Arbeiten für dasselbe aufmerksam machen. 7. Das Heft erscheint je zu Anfang des Jahresviertels, für welches es bestimmt 10 ist, also nicht einmal erst in der Mitte des fraglichen Quartals, viel weniger erst zu Ende. Jedoch, wie sich von selbst versteht, mit Rücksicht auf die Schwierigkeiten, die die Ausführung dieser Anordnung für das Jahr 1832 haben wird. 8. Eine jede Abhandlung, jeder kleinere Aufsatz und jede Rezension erscheint 15 nur mit der Unterschrift der Verfassers. 9. Die Aufnahme von Aufsätzen jeder Art, die nicht von den Herausgebern und ordentlichen Mitarbeitern eingesendet werden, kann nur mit Wissen und Willen und nach vorhergegangener Einsichtnahme der Herausgeber stattfinden. Sollten die Ansichten über die Einrückung eines Aufsatzes geteilt sein, so 20 wird die Zustimmung von 3/ 4 der Herausgeber gefordert, wenn ihm Raum gegeben werden will. <?page no="597"?> Text Nr. 8: Das Bayerische Concordat [Konkordatsaufsatz] Teil A: Einleitung von Max Seckler I. Bibliographische Angaben J ohann S ebastian D rey , Das Bayerische Concordat, in: Theologische Quartalschrift 1 (1819), Heft 2, 300-329, Rubrik III. Kirchenwesen. Ohne Verfasserangabe, von L ösch mit Recht D rey zugeschrieben, von K ustermann / F esse ler übernommen 1 . Dieses Heft ist zu Beginn des zweiten Quartals (Ende März 1819) herausgekommen. Der Text hat einen Umfang von 29 Seiten. Es gibt von dem Text keine Ab- oder Nachdrucke und keine Übersetzungen. Als Arbeitstitel wird die Bezeichnung Konkordatsaufsatz (KA) verwendet. II. Erläuterungen 1. Der Konkordatsaufsatz Dreys a. Der Text (Gegenstand, literarisches Genus, Datierung, Ort in der ThQ) Gegenstand des 29seitigen Aufsatzes ist das am 5. Juni 1817 zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Königreich Bayern abgeschlossene Konkordat 2 , das am 26. Mai 1818 zum Staatsgesetz in Bayern erhoben und am 22. Juli 1818 im Gesetzblatt für das Königreich Baiern amtlich veröffentlicht worden war 3 . Der 1 Siehe L ösch , Die Anfänge (wie Einleitung zu Text Nr. 6, Anm. 1) 56, Anm. 1; K ustermann / F esseler , Bibliographie (wie Einleitung zu Text Nr. 6, Anm. 1) 317. 2 Die Selbstbezeichnung lautet: Conventio inter Sanctissimum Dominum Pium VII. Summum Pontificem et Majestatem Suam Maximilianum Josephum Bavariae Regem. - Uebereinkunft zwischen Sr. Heiligkeit Pabst Pius VII. und Sr. Majestät, Maximilian Joseph, König von Baiern (Gesetzblatt für das Königreich Baiern. XVIII. Stück. München, den 22. July 1818, 399/ 400; vgl. ThQ 1, 1819, 146/ 147; ed. W alter (siehe Anm. 3) 204, mit Zusatz: »d. 5. Iun. 1817«; ed. M ercati (siehe Anm. 3) 591: Concordato fra Pio VII e Massimiliano Giuseppe Re di Baviera). 3 Gesetzblatt für das Königreich Baiern (wie Anm. 2) XVIII, 22. July 1818, 397-436. Es trägt hier die Überschrift: Anhang zu dem 103. §. des Edictes über die äußern Rechtsverhältnisse der Einwohner des Königreichs Baiern in Beziehung auf Religion und Kirchliche Gesellschaften in der Beylage II. zu dem Tit. IV. §. 9. der Verfassungs-Urkunde des Königreichs. - Nro. I. Das die innern Katholischen Kirchen-Angelegenheiten im Königreiche ordnende Concordat mit Sr. päbstlichen Heiligkeit Pius VII. Der zweisprachig (lateinisch und deutsch) abgedruckte Text des Konkordats figuriert hier rechtssystematisch als Anhang Nr. I zu § 103 des Edictes über die äußern Rechtsverhältnisse der Einwohner des Königreichs Baiern in Beziehung auf Religion und Kirchliche Gesellschaften in der Beylage II. zu dem Tit. IV. §. 9. der Verfassungs-Urkunde des Königreichs (»Religionsedikt«). Das Edikt seinerseits war bereits fünf Wochen zuvor als »Beylage II« zur Verfassungsurkunde veröffent- <?page no="598"?> 566 Erläuterungen Aufsatz ist in 14 Absätze unterschiedlicher Länge ohne Zwischenüberschriften unterteilt. Er hat den Charakter einer kritischen »Besprechung« 4 des Konkordats und ausgewählter Punkte des Konkordatstextes. D rey gibt an, den Aufsatz »zu Anfang des Februars« [1819] geschrieben zu haben 5 . Den Konkordatstext selbst hatten die Herausgeber der ThQ bereits im ersten Heft ihrer Zeitschrift gleichfalls zweisprachig zum Abdruck gebracht 6 . Sie hatten schon 1819 in ihrer Ankündigung der ThQ auf das besondere Interesse an den »neuesten Unterhandlungen von Concordaten« hingewiesen, dem sie in der ThQ nachkommen wollen 7 . Mit diesen »neuesten Unterhandlungen« können die Herausgeber damals zwar auch an die Verhandlungen gedacht haben, die der Protest P ius ’ VII. gegen die Unterordnung des Konkordats unter das Religionsedikt nach sich zog; sie dauerten bis 1821, d.h. bis zur »Tegernseer Erklärung« M aximilians I. vom 15. September 1821. Aber vorrangig dachten sie zweifellos an die im Frühjahr 1818 in Gang gekommenen Frankfurter Beratungen und Verhandlungen über die Neuordnung der Angelegenheiten licht worden (Gesetzblatt für das Königreich Baiern. IX. Stück, 17. Juny 1818, 149-180). Auch durch die Chronologie der Veröffentlichung der Gesetzestexte wurde der Vorrang des Religionsedikts gegenüber dem Konkordat zum Ausdruck gebracht. Der Text des Konkordats wurde bereits vor der amtlichen Publikation bekannt (siehe: Konkordat zwischen dem heiligen Stuhle zu Rom, und dem Königreich Baiern, geschlossen am 5ten und publicirt im Consistorium zu Rom am 15. Nov. 1817, sammt den darauf sich beziehenden päpstlichen Bullen. Wörtlich aus dem östr. Beodachter und der Frankfurter Zeitung herausgezogen. Passau 1817). Edition der Texte in: F erdinand W alter (Hg.), Fontes iuris Ecclesiastici antiqui et hodierni. Bonn 1862, 204-226, Nr. XXXIII (Neudruck Aalen 1966); A ngelo M ercati (Hg.), Raccolta di concordati su materie ecclesiastiche tra la Santa Sede e la autorita` civili. Rom 1919, 591-597, Nr. LXXIX. Dazu: K arl H ausberger , Staat und Kirche nach der Säkularisation. Zur bayerischen Konkordatspolitik im frühen 19. Jahrhundert (Münchener theologische Studien I.23). St. Ottilien 1983 (Lit.). 4 W olfgang R uf , Johann Sebastian von Dreys System der Theologie als Begründung der Moraltheologie [Diss. 1958] (Studien zur Theologie und Geistesgeschichte des Neunzehnten Jahrhunderts 7). Göttingen 1974, 44, ordnete diesen Aufsatz in seiner Liste der Schriften D reys deshalb in die Gruppe der Rezensionen ein. Das ist nicht ganz korrekt. Man kann den Artikel D reys zwar als Besprechung des Konkordatstextes lesen, aber D rey selbst brachte ihn in ThQ 1 (1819) 300-329 als Aufsatz in der Rubrik Kirchenwesen. Bei K ustermann / F esseler (siehe Anm. 1) ist der Artikel D reys zu Recht in die Gruppe der »Aufsätze in Zeitschriften« eingereiht (317). 5 Siehe KA 327. Zur Datierung von Belang ist auch, daß D rey sich im KA 314 (Anm.) auf Heft 20 [1819] der von H enri G re´goire u.a. herausgegebenen Chronique religieuse bezieht, sowie der Hinweis D reys in Zeile vier seines Aufsatzes, daß seit dem Bekanntwerden des Konkordats »jetzt« ein ganzes Jahr vergangen sei. 6 Siehe ThQ 1 (1819) 145-179, Rubrik IV. Urkundensammlung. Auch der Text des Religionsedikts ist ebd. 122-144 abgedruckt. Die Titel der beiden Dokumente sind dort abgekürzt angeführt. In einer Fußnote wird das Konkordat fälschlicherweise als »Beilage« zum Religionsedikt bezeichnet (122). 7 Text der Ankündigung in ThQ 1 (1819) 3-5 (im vorliegenden Band Text Nr. 7, Dokument Nr. 1), 3. Für die Chronologie der Ankündigung ist zu beachten, daß sie in ihrem Wortlaut bereits am 7. Juli 1818 unter den Begründern der ThQ vertraglich festgelegt worden war, mithin noch während der ersten Sitzungsperiode der Frankfurter Konferenz, zwei Wochen vor der amtlichen Veröffentlichung des bayerischen Konkordats und ein halbes Jahr vor dem Druck der Ankündigung in der ThQ. <?page no="599"?> 567 Das Bayerische Concordat (1819) der katholischen Kirche in Deutschland 8 angesichts der rechtlichen Unsicherheiten, die die Umwälzungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts (Säkularisierung) hinterlassen hatten. Ihr Ziel war es, von staatlicher Seite 9 , aber unter Beteiligung von Theologen und Kanonisten und im Hinblick auf eine Einigung mit Rom, dem von der römischen Kurie betriebenen totalen Papalsystem, das im bayerischen Konkordat Erfolge gezeitigt hatte, ein »richtiges« Kirchensystem, das der Rechtslage im deutschen Reich vor der Säkularisation und auch den staatskirchlichen Ansprüchen der Staaten gerecht würde, entgegenzusetzen. Mit dem bayerischen Konkordat und den Frankfurter Konferenzen, die sich über zehn Jahre erstreckten, begann die Ära der Länderkonkordate in Deutschland. Die erste Periode, die zu den »Frankfurter Beschlüssen« und zur »Frankfurter Kirchenpragmatik« führte, die nebenbei bemerkt durch das Einvernehmen D reys mit ihnen, das er am 11. August 1822 erklärte, in dessen Biographie negativ zu Buche schlug 10 , dauerte vom 24. März 1818 bis zum 14. Oktober dieses Jahres. Württemberg hatte die Führungsrolle übernommen. Die kirchenpolitischen Ziele W essenbergs und seiner Richtung, sowie überhaupt die Sache W essenberg , die als eine Gesamtangelegenheit Deutschlands angesehen wurde, waren mit im Spiel und wirkten sich richtungsmäßig aus 11 , aber die Interessen der Konferenzteilnehmer und ihrer Regierungen lassen sich nicht darauf reduzieren. Ein wichtiger Punkt war die Frage, ob die Neuordnung in Form von Länderkonkordaten oder in einem gesamtdeutschen Konkordat vorgenommen werden solle. Die Verhandlungen waren geheim, aber es drang alles nach außen, teils in der Öffentlichkeit der Medien, vor allem aber auf personellen Informationswegen. Die Tübinger waren ziemlich gut informiert, wie auch dem Artikel von G ratz zu den Frankfurter Verhandlungen in der ThQ 12 zu entnehmen ist. Die Berücksichtigung von »Materialien zur Geschichte und Beurtheilung des neuesten Kirchenwesens« und der Abdruck dafür einschlägiger »Acten- 8 Umfassende und quellengesättigte Darstellung bei D ominik B urkard , Staatskirche, Papstkirche, Bischofskirche. Die »Frankfurter Konferenzen« und die Neuordnung der Kirche in Deutschland nach der Säkularisation (Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte, Supplementband 53). Rom, Freiburg, Wien 2000. 9 Teilnehmer waren die Länder Württemberg, Baden, Hessen-Darmstadt, Kurhessen, Nassau, Oldenburg, Mecklenburg, Schwarzburg, Anhalt, Waldeck, Lippe, Schaumburg-Lippe, beide Hohenzollern, Reuß, Frankfurt, Lübeck und Bremen. 10 Siehe dazu Einleitung zu Text Nr. 4, Ziff. II.4.d, bes. bei und in Anm. 89. 11 Die Sache W essenberg fand auch in den ersten Jahrgängen der ThQ starke Beachtung. Dies zu Gunsten W essenbergs . Daß man hier eine enge Verbindung zwischen dem Wessenbergkomplex und den Frankfurter Verhandlungen sah, geht aus den Beiträgen hervor, die G ratz zum Thema Rom und Wessenberg (ThQ 1, 1819, 96-102; 290-300) und zu den Verhandlungen zu Frankfurt im Jahre 1818 über die katholischen Kirchenangelegenheiten in den Staaten mehrerer deutschen protestantischen Höfe und [freyen] Städte (ThQ 1, 1819, 329-345; 460-478; 657-669) beisteuerte. Der KA ist in der ThQ von diesen Beiträgen flankiert. 12 Siehe Anm. 11. <?page no="600"?> 568 Erläuterungen stücke« in einer eigenen Rubrik war in Ziff. III. der Ankündigung als fester Programmpunkt für die ThQ angeführt. Die Herausgeber der ThQ sind diesem Vorhaben in den ersten Jahrgängen ihrer Zeitschrift durch Aktenveröffentlichungen, Berichte und Analysen mit großem Eifer nachgekommen und haben sich mit Leidenschaft an der Diskussion der damit zusammenhängenden Zeitfragen beteiligt, vor allem im Hinblick auf das Verhältnis von Staat und Kirche. »Darin bekundet sich zugleich das ekklesiologische Anliegen der neugegründeten Theologischen Quartalschrift« 13 . G ratz , D rey und H erbst sind in der Anfangszeit durch ihre Beiträge besonders hervorgetreten, am öftesten G ratz , der sich darin als treibende Kraft profilierte, bedachtsamer, doch nicht weniger dezidiert D rey , seltener H erbst mit seinen eher plakativen Positionsbezügen. In der Gesamtheit dieser Beiträge wird eine konsequente Linie der ThQ erkennbar, die auf einen Ausgleich zwischen der päpstlichen Zentralgewalt, nationalkirchlichen Bestrebungen, der vor der Säkularisation bestehenden Verfassung der Kirche in Deutschland und den staatskirchenrechtlichen Interessen der deutschen Fürsten zielte. Einig war man sich in der Abwehr eines übersteigerten Papalismus, wie er z.B. von den süddeutschen Ultramontanen um die Feldersche bzw. Mastiauxsche Litteraturzeitung 14 propagiert wurde und in Frankreich mit de M aistre ihren Wortführer gefunden hatte 15 . D rey beurteilte das bayerische Konkordat unausgesprochen im Horizont der Frankfurter Programme, vor allem, soweit sie den Grundsätzen und Zielen Württembergs entsprachen, mit denen er und seine Tübinger Kollegen nach Ausweis ihrer ThQ-Beiträge übereinstimmten. Festzustellen ist aber auch, daß er darüber hinaus im KA die Grundsätze seiner Ekklesiologie, wie er sie in seinem theologischen Werk kontinuierlich vertrat, zum Tragen brachte. 13 J osef R ief , Reich Gottes und Gesellschaft nach Johann Sebastian Drey und Johann Baptist Hirscher (Abhandlungen zur Moraltheologie 7). Paderborn 1965, 309; vgl. auch R aimund L achner , Das ekklesiologische Denken Johann Sebastian Dreys. Ein Beitrag zur Theologiegeschichte des 19. Jahrhunderts. Frankfurt a.M. 1986, 558. 14 Zur Litteraturzeitung für katholische Religionslehrer siehe Einleitung zu Text Nr. 7, Anm. 61. 15 Siehe J oseph M arie de M aistre , Du Pape. Paris 1819. Dieses Werk wurde, nachdem es 1822 in der Übersetzung von M oritz L ieber auf den deutschen Markt gekommen war, in der ThQ sogleich rezensiert und einem Verriß unterzogen (ThQ 4, 1822, 677-700; der Rezensent war H erbst ). Die Kritik galt vor allem der absolutistischen Deutung des Primats in Gestalt einer schrankenlosen Monarchengewalt des Papstes. D e M aistre hatte die Monarchie des Papstes staatsphilosophisch aus dem Begriff der Souveränität abgeleitet und ekklesiologisch im Jurisdiktionsprimat des Papstes begründet, H erbst machte geltend, daß das monarchische Kirchenbild de M aistres philosophisch abwegig und theologisch verfehlt sei und in den historischen Teilen auf Klitterungen beruhe. An seiner Rezension ist aber nicht abzulesen, in welch hohem Maße der päpstliche und kuriale Monarchismus schon vor der deutschen Ausgabe der von H erbst rezensierten Schrift in der öffentlichen Diskussion war, auch in Deutschland. An der Art, in der D rey im KA dem monarchischen Prinzip entgegentritt (vgl. KA 318 f), ist zu erkennen, daß er um diese Diskussionen weiß und daß er sich in sie einschreibt. <?page no="601"?> 569 Das Bayerische Concordat (1819) b. Zum Inhalt Die Konkordatsverhandlungen zwischen dem Königreich Bayern und dem päpstlichen Stuhl, die sich über Jahre hinzogen und am 5. Juni 1817 zum Abschluß der Konkordatsvereinbarung führten, waren in Bayern und in ganz Deutschland von einem heftigen Streit 16 der öffentlichen Meinungsträger begleitet. Dadurch war, wie D rey bemerkt, das Konkordat auch in der publizistischen Öffentlichkeit zu einer »Nationalangelegenheit« geworden (300) 17 . Zusätzliche Nahrung hatten die Auseinandersetzungen dadurch erhalten, daß das Konkordat als Anhang zum ominösen Religionsedikt veröffentlicht und eingestuft worden war, die beiden Gesetzestexte aber nach ihrem Geist und in vielen Einzelbestimmungen miteinander unvereinbar waren. In diesen Widersprüchlichkeiten kamen zugleich unausgesprochene Gegensätze zwischen konfessioneller Parität, religiöser Toleranz und rigider staatlicher Kirchenoberhoheit zum Vorschein. Damit war ein Streit vorprogrammiert, 16 Beispiele: Beleuchtung der in den »Ueberlieferungen zur Geschichte unserer Zeit« erschienenen Betrachtungen über das bayerische Konkordat. München 1818 [anonym]; Betrachtungen über das baierische Konkordat; aus den Ueberlieferungen zur Geschichte unserer Zeit, gesammelt von H. Zschokke, besonders abgedruckt. [s.l.] 1818, 2 1818 [anonym; Verf.: I gnaz von R udhart ]; Auch ein Wort über das bayerische Konkordat und dessen Gegner; nebst einem Beytrage zur Erörterung der Frage: »Was leiden die Protestanten in Baiern? « Besonders abgedruckt aus der allgemeinen Zeitung und dem Zeitschwingen. München 1818 [anonym; Verf.: J ohann B aptist von P feilschifter ]; J oseph S cheill , Das baierische Konkordat vertheidigt gegen die »Betrachtungen über das baierische Konkordat« in den Ueberlieferungen zur Geschichte unserer Zeit; gesammelt von H. Zschokke. Zweite Lieferung. München 1818; J ohann K arl M oser , Betrachtungen über das Baierische Konkordat. Frankfurt und Leipzig 1818 [Verf.: K aspar A nton von M astiaux ]. Weitere Informationen zum »publizistischen Kampf um das Konkordat« bei H ausberger , Staat und Kirche (wie Anm. 3) 210-222. 17 Dies vor allem deshalb, weil Bayern mit seinem konkordatären Sonderweg ein fait accompli geschaffen hatte, das den bis auf N apoleon zurückreichenden Bestrebungen nach einem alle deutschen Staaten (und damit die ganze deutsche »Nationalkirche«, wie D rey in KA 317 mißverständlich formuliert) umfassenden Konkordat in die Quere kam und ein solches mit seinen Regelungen faktisch auch inhaltlich präjudizierte. D alberg , der deutsche Fürstprimas, und W essenberg , sein Generalvikar in Konstanz, hatten ein Nationalkonkordat im Sinne eines gemäßigten Febronianismus zur Absicherung ihres Ziels - eine von einem Primas geleitete deutsche Nationalkirche in eingeschränkter Abhängigkeit von Rom - erstrebt. Auch der Heilige Stuhl hatte zwischendurch Interesse an einem Bundeskonkordat gezeigt, bevorzugte schließlich aber den Abschluß von Länderkonkordaten, auch um der Gefahr einer zu mächtigen deutschen Nationalkirche zu steuern. Der Abschluß von territorialen Sonderkonkordaten entsprach zudem den Souveränitätsbestrebungen der deutschen Fürsten. In Württemberg wurde seit 1806 der Abschluß eines Landeskonkordats betrieben (siehe O tto M ejer , Die Concordatsverhandlungen Württembergs vom Jahre 1807. Mit bisher ungedruckten Actenstücken. Stuttgart 1859; M ax M iller , Die römische Kurie, die württembergische Königswürde und der Beginn der Konkordatspolitik, in: ThQ 112, 1931, 223-235; B eda (H ubert ) B astgen , Die erste Fühlungnahme des Herzogs von Württemberg mit dem Heiligen Stuhl zur Errichtung eines Landesbistums in Ellwangen mit Fürst Hohenlohe als Bischof, in: ThQ 118 (1937) 47-77; B urkard , Staatskirche (wie Anm. 8) 117-128, 730). D rey neigte einem gesamtdeutschen Konkordat mit dem Papst als Vertragspartner zu. Für eine verfassungsmäßig etablierte deutsche Nationalkirche hatte er dagegen nichts übrig (vgl. z.B. KA 302 f), wohl aber setzt er sich im KA entschieden für die Respektierung des althergebrachten deutschen Kirchenrechts von seiten des Heiligen Stuhls ein. <?page no="602"?> 570 Erläuterungen dessen Ende und Ergebnis nach der Einschätzung D reys nicht absehbar war (301) und zu dessen Klärung und Schlichtung er mit dem KA seinen Teil beitragen wollte. So schaltet D rey sich in seinem Aufsatz in die öffentliche Diskussion ein, die er offensichtlich genau verfolgt hatte. Er skizziert in groben Strichen die Diskussionslage und die Interessen der Streitparteien, ohne aber Namen zu nennen. Was ihn stört, ist die Verbissenheit und ideologische Voreingenommenheit der »Partheygeister«, die das Konkordat - als Faktum und auch inhaltlich - entweder total ablehnen oder in globo billigen. D rey gesellt sich keiner der beiden Richtungen zu. Er stellt sich auf den Boden der Tatsachen, sichtet und prüft, spart nicht mit Kritik nach allen Seiten und würdigt wohl oder übel auch das Positive an dem Vertrag, dem er insgesamt nicht viel Gutes abgewinnen kann. Strategisch hat er nicht die Absicht, zwischen den Extremen oder gar auf deren Ebene zu vermitteln. Zwar weist er darauf hin, »daß in der Mitte auch noch eine Meynung ist«, die er geltend machen wolle (303 f) 18 , doch hat das mit Kompromißdenken oder politischer Irenik nichts zu tun und ist auch kein Ausfluß des Vermittlungsdenkens, für das er als Systematiker so oft plädiert hatte und das auch seinem Naturell entsprach 19 . Seine Stellungnahme zum Konkordat vollzieht er in Gestalt einer eigenständigen, sachorientierten Würdigung der einzelnen Konkordatsbestimmungen, dies freilich nach Maßgabe der staatskirchenrechtlichen und ekklesiologischen Grundsätze, die er auch sonst vertritt und in denen er mit der generellen Linie der ThQ übereinstimmt. Für das Verständnis der »Mitte«, für die D rey sich ausspricht, sind folgende Gesichtspunkte hilfreich. Es ist in den Augen D reys der »Partheygeist« (302 f) der Extremisten auf beiden Seiten, der eine sachlich unvoreingenommene Beurteilung des Konkordats verhindert. Wahrheit und Interessen stehen sich im Wege. Wenn D rey dafür plädiert, bei der Würdigung des Konkordats diesen Ungeist hinter sich zu lassen, so spricht er damit zunächst ein hermeneutisches Problem an. Eine an den Fakten orientierte und von der Parteien Haß und Gunst nicht vorgeprägte Hermeneutik führt zwangsläufig zu einer differenzierenden Sicht, die im Ergebnis irgendwo in der Mitte zwischen den Extremen liegt. Mit dieser Argumentation verortet D rey den KA eingangs auf der hermeneutischen und methodologischen 18 Zur Frage nach der Abhängigkeit bzw. Unabhängigkeit der Kirche vom Staat hatte D rey schon 1816 im Theologischen Tagebuch vermerkt: »Dieße Frage ... ist von einer gewißen Partey mit gleicher Hartnäckigkeit und Umsichtsloßigkeit bejahet, von einer andern geläugnet worden. Auch hier kann die Wahrheit nur in der Mitte liegen, d.h. in einer genauen Unterscheidung der Dinge« (Theologisches Tagebuch IV, 119, in TüA 1, 353, Text 107*). 19 Die Annahme, daß die Wahrheit stets in der Mitte zwischen den Extremen zu suchen sei, gehört zu den Leitmotiven im Systemdenken D reys , das von ihm immer wieder geltend gemacht wurde (vgl. z.B. Kurze Einleitung, § 321, Fußnote: »Die glückliche Mittelstraße«). Es wurde in der Fachliteratur in der Frage nach der methodologischen Eigenart der Katholischen Tübinger Schule geradezu als eines der Merkmale der Schule D reys eingeschätzt (siehe dazu auch Einleitung zu Text Nr. 1, bei und in Anm. 159). <?page no="603"?> 571 Das Bayerische Concordat (1819) Ebene, und demgemäß ist die von D rey angesprochene »Mitte« eine Konsequenz unparteiischer Hermeneutik. Aber das Motiv der Mitte beinhaltet zugleich einen Realitätsbezug; mit den Extremisten, die das Konkordat für ihre Ziele instrumentalisieren, sind die kurialistischen Papalisten und neuen Ultramontanen auf der einen und die Los-von-Rom-Bewegung auf der anderen Seite, wo das febronianische Gedankengut für nationalkirchliche und staatskirchliche Absichten herhalten muß, gemeint. Auch in dieser Hinsicht positioniert D rey sich und den KA auf der via media. Weiter unten wird sich zeigen, daß D rey hier im Grundsätzlichen mit der Richtung übereinstimmt, die seine Gesinnungsfreunde in die zeitgleich stattgefunden habenden Frankfurter Konferenzen, die keineswegs so staats- und nationalkirchlich ausgerichtet waren, wie sie oft dargestellt wurden, einzubringen suchten. Im übrigen besteht sein Aufsatz nicht nur aus »kritische[n] Glossen über Entstehung und Inhalt des baierischen Konkordates«, die er »in gemäßigter Stimmung und behutsamer Haltung« vortrüge 20 . Sie ist vielmehr geharnischt kritisch, und die Glossen sind nur Bestandteile einer sie überfassenden und steuernden Konzeption. Es geht ihm auch nicht um die Frage, »ob das aus dem 18. Jahrhundert überlieferte deutsche oder das gemeine papale Kirchenrecht gelten sollte« 21 . Das gerade nicht. Der D rey des KA vertritt weder die Ekklesiologie der Aufklärer, die ihn auf ihre Seite ziehen wollten, noch das Gegenteil. Nicht für das aus dem 18. Jahrhundert »überlieferte« deutsche Kirchenrecht tritt er ein, sondern für die Rechtsnormen der Universalkirche und für das Kirchenrecht des alten deutschen Reiches gegenüber den neuen Anmaßungen des Heiligen Stuhles und des bayerischen Staates, die er im Konkordat vorfindet. Auch dazu unten Genaueres. Neben einer Reihe von Einzelregelungen, denen er zustimmt, stellt er zum Konkordat im ganzen zunächst mit Befriedigung fest, daß in ihm die göttlichen Rechte und die kanonischen Satzungen und damit grundsätzlich die Selbständigkeit der Kirche im Staat gemäß der »Eigenthümlichkeit des Katholicismus« (304) anerkannt sei und daß das Konkordat für die Wiederherstellung und Ergänzung des kirchlichen Organismus in diesem Lande »mehreres« gebracht bzw. beibehalten habe (306). »Mehreres« zwar, aber beileibe nicht alles Nötige, wie er im Fortgang seiner Ausführungen aufzeigt, und nicht alles in der richtigen Weise. Pragmatisch rechnet er es zu den Positiva des Konkordats, daß es geeignet sei, den Mißhandlungen der Katholiken 20 So F ritz V igener , Bischofsamt und Papstgewalt. Zur Diskussion um Universalepiskopat und Unfehlbarkeit des Papstes im deutschen Katholizismus zwischen Tridentinum und Vatikanum I. Zweite Auflage, überarbeitet und mit einem biographischen Nachwort herausgegeben von G ott fried M aron . Göttingen 1964, 76. - Die 1. Aufl. trug den Titel: F ritz V igener , Gallikanismus und episkopalistische Strömungen im deutschen Katholizismus zwischen Tridentinum und Vaticanum. Studien zur Geschichte der Lehre von dem Universalepiskopat und der Unfehlbarkeit des Papstes, in: Historische Zeitschrift 111 (1913) 495-581. 21 Ebd. <?page no="604"?> 572 Erläuterungen durch Staatsbehörden und Beamte »in concordatsloser Zeit«, die noch in frischer Erinnerung seien - D rey denkt offensichtlich an die Zustände unter M ontgelas , der 1817 zum Rücktritt gezwungen worden war - ein Ende zu setzen und den Geistlichen wieder »freyere Wirksamkeit und Ehre« zu verschaffen (329). So lebe mit dem Konkordat, einer »seit vierthalbhundert Jahren [d.h. »seit den Aschaffenburger, oder vielmehr Wiener Concordaten«] in Deutschland nicht gesehene[n] Erscheinung« wieder auf, was für viele über alle Maßen befremdlich sei, hätten sie sich doch daran gewöhnt, »auch die katholische Kirche während dem Tumulte der Kriege sich friedlich in den Staat verschmelzen zu sehen« (301). Indem D rey das Gesichtsfeld auf die alten Konkordate ausweitet, knüpft er für seine Würdigung des neuen Konkordats an die alten Rechtsverhältnisse an und verortet sich in diesem Bezugsfeld, wie alsbald erkennbar wird. Hier beginnt seine grundsätzliche Kritik am Konkordat und an der Gesetzeslage in Bayern. Sie gilt vor allem dem selbstherrlichen Umgang Roms mit der Verfassung der Kirche und mit dem alten deutschen Kirchenrecht, den dem Staat zugestandenen Rechten auf dem Feld der Besetzung geistlicher Ämter, der absolutistischen Kirchenoberhoheit des Staates, die der Freiheit der Kirche vom Staat und im Staat Hohn sprächen, und den unausgeglichenen Widersprüchen zwischen Religionsedikt und Konkordat. Letztere arbeitet er detailliert heraus, was zu diesem Zeitpunkt eine besondere Leistung war. Die Kritik D reys ist in allen Punkten sachbezogen, argumentativ und wuchtig. Die späteren Entwicklungen haben ihr Recht gegeben. Aber wenn man seine Kritikpunkte gewichten will, dann sind seine Äußerungen zum deutschen Kirchenrecht, in denen er rechtsgeschichtlich und ekklesiologisch argumentiert, nicht aber politisch oder ideologisch, wohl am wichtigsten. Hier türmt sich eine Entrüstung auf, die er als Theologe mit einem geistlichen Kirchenbegriff und als Anwalt der althergebrachten Kirchenverfassung artikuliert. Bereits das Lob, das er dem Konkordat im Hinblick auf die Selbständigkeit der Kirche zollt, ist doppelbödig. Die Selbständigkeit der Weltkirche kommt im Faktum des Konkordats und der Konkordatsstruktur zum Ausdruck, aber die besondere Art der Selbständigkeit der deutschen Kirche wurde von seiten Roms in dem Konkordat grob mißachtet und aufgehoben. D rey verwahrt sich dezidiert gegen den anmaßenden Umgang des römischen Vertragspartners mit dem »ältern deutschen Kirchenrecht« (311), vor allem im Hinblick auf die Wahlrechte der Domkapitel sowie anderer ortskirchlicher Wahlgremien bei der Besetzung geistlicher Ämter, angefangen bei der Wahl der Bischöfe bis zu den Dekanen 22 . »Die Art, wie die bischöflichen Stühle und 22 Das hergebrachte Wahlrecht der Domkapitel wurde 1827 durch die Bulle Ad dominici gregis custodiam vom 11. April 1827 und das Breve Re sacra vom 28. Mai 1827 teilweise wiederhergestellt (siehe F ranz X aver B ischof , Das Ende des Bistums Konstanz. Hochstift und Bistum Konstanz im Spannungsfeld von Säkularisation und Suppression (1802 03-1821 27) (Münchener kirchenhistorische Studien 1). Stuttgart u.a. 1989, 535). <?page no="605"?> 573 Das Bayerische Concordat (1819) die höhern geistlichen Stellen nach dem deutschen Kirchenrechte besetzt wurden, war ein, wenn auch nur unvollkommener, Wiederschein der ältesten Gewohnheit der Kirche, ihre Hirten zu wählen [...]. Warum sollte man diesen Wiederschein nicht lassen, wenn man das vollkommenere - eine eigentliche Wahl durch die Gemeinde oder ihre Repräsentanten, nicht geben wollte? Warum den Schein aller Repräsentation in der Kirche verwischen [...]« (311). Die im Konkordat dem Staat von Rom durch ein »ewiges Indult« (313), ein »Indult auf ewige Zeiten« (317) - die Formulierung im Konkordatstext lautet »für alle Zeiten« (Art. 9); sie besagt, daß es nicht nur dem vertragschließenden König ad personam eingeräumt wurde, wie Rom es zuerst wollte, sondern auch seinen Nachfolgern - zugestandenen Nominations-, Präsentations- und Patronatsrechte sind mit der Verfassung der Kirche theologisch nicht zu vereinbaren und verletzen das allgemeine wie besonders auch das deutsche Kirchenrecht. Weder können dem weltlichen Souverän solche Rechte zugestanden werden, geschweige denn, daß sie eine der Krone innewohnende Kompetenz seien, noch könne der Papst Rechte vergeben, die er selbst nicht innehat. Er dürfe sich nicht das Recht beilegen, »über die Rechte der Kirchen nach Gutdünken zu verfügen«; es stehe ihm in keiner Weise zu, sich als »Monarch der Kirche zu benehmen« und »die Kanones einer großen Nationalkirche eigenmächtig ohne ihr Mitwissen und Mitwirken abzuändern« (317). Das Indult sei tatsächlich »etwas ganz neues in der Kirche« (312), es gäbe für so etwas »keine kanonische Begründung« (316). Der KA richtet sich bei aller Dezidiertheit des kritischen Standpunktes nicht gegen den Primat des Papstes, weder theologisch, noch politisch. D rey bejaht einschränkungslos den Primat und die Primatialgewalt des römischen Bischofs, wie sie noch im Vorfeld des Vatikanum I dogmatisch korrekt zu sehen waren und wie sie auch nach den Normen der Kanonistik zur Verfassung der Kirche gehören. Sie im Sinne eines radikalen Episkopalismus nach Art des Febronianismus einzuschränken, liegt ihm fern. Er betont, er sei »von der Nothwendigkeit einer obersten und centralen Gewalt in der Kirche überzeugt«, und er wünsche »um keinen Preiß, die Einheit der Kirche, die einzig nur durch einen Primat erhalten werden kann, in der haltungslosen Vielheit unabhängiger Nationalkirchen und Patriarchate verschwemmt zu sehen« (318). Aber der Papst habe eigentlich stets »nur wachend, leitend und verhütend« seines Amtes zu walten, und von daher könne er in Notfällen auch durch Ersatzvornahmen in ortskirchliche Wahlvorgänge eingreifen, um Böses zu verhüten (319). Derartiges gehöre zu seinem Wächteramt. Stets müsse der Papst als Hüter des Kirchenrechts darauf achten, daß es eingehalten werde (315), was er aber im Falle des bayerischen Konkordats durch seine eigenen Kompetenzanmaßungen nicht getan habe. So wendet D rey sich gegen die Usurpation neuer Kompetenzen durch die römische Kurie, die darauf hinausliefen, den Papst zum absoluten Monarchen über die Kirche zu machen. Aber <?page no="606"?> 574 Erläuterungen er widersetzt sich zugleich allem, was zur schismatischen Abspaltung einer deutschen Nationalkirche führen könnte. Wenn man die von D rey im KA vertretene Position in den zeitgeschichtlichen staats- und kirchenpolitischen Kräftefeldern nach ihren Grundsätzen und Zielen typologisch und personell verorten will, so ist in sachlicher Hinsicht somit an die auf das 15. Jahrhundert zurückreichenden Reformbestrebungen zur Erneuerung der vorpseudoisidorischen Kirchenverfassung und zur Wiederherstellung der Rechte der alten deutschen Reichskirche zu denken. Ihre prominentesten katholischen Vertreter in Süddeutschland, für die D rey Sympathien zeigte und mit denen er zum Teil in enger persönlicher Verbindung stand, waren unter anderen W essenberg 23 , W erkmeister 24 , J au mann 25 und B urg 26 . Seine spätere Zustimmung zur Frankfurter Kirchenpragmatik oder, um es genauer zu sagen, zu den Urkunden, die ihm von Staatsrat S chmidlin zur Unterschrift vorgelegt wurden 27 , ist auch in diesem Kontext zu sehen. Sie waren in ihrer Endfassung ein Werk der Mäßigung 28 , wie man inzwischen klarer sieht 29 . Bemerkenswert sind vor allem die sachlichen und selbst terminologischen Verbindungslinien, die zwischen dem KA und der Rede W angenheims zur Eröffnung der Frankfurter Verhandlungen vom 24. März 1818 30 bestehen 31 . Der profilierteste Vertreter dieser Richtung unter 23 Zu ihm siehe Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 5. 24 Zu ihm siehe ebd. Anm. 36. 25 Zu ihm siehe ebd. Anm. 93. 26 Zu ihm siehe ebd. Anm. 139. 27 Siehe dazu Einleitung zu Text Nr. 4, Ziff. II.4.d. 28 Diese Mäßigung im Sinne eines ausgewogenen Verhältnisses von Kirche und Staat ist vielleicht sogar dem Einwirken D reys via J aumann zuzuschreiben (vgl. A ugust H agen , Die kirchliche Aufklärung in der Diözese Rottenburg. Bildnisse aus einem Zeitalter des Übergangs. Stuttgart 1953, 346). 29 Siehe B urkard , Staatskirche (wie Anm. 8) passim und bes. 720-741; ders ., »Magna Charta libertatis ecclesiae catholicae romanae«. Das Frankfurter Kirchensystem von 1818: Anspruch und Bedeutung, in: W alter G. R ödel , R egina E. S chwerdtfeger (Hg.), Zerfall und Wiederbeginn. Vom Erzbistum zum Bistum Mainz (1792 97-1830). Ein Vergleich. FS für Friedhelm Jürgensmeier (Beiträge zur Mainzer Kirchengeschichte 7). Würzburg 2002, 393-414. 30 K arl A ugust F rhr . von W angenheim , * 14. März 1778 in Gotha, † 19. Juli 1850 in Coburg, Studium der Rechtswissenschaften in Jena und Erlangen, 1806-1823 im württembergischen Staatsdienst. Zu ihm: ADB 41 (1896) 153-155 (F riedrich W intterlin ); F rank R aberg , Biographisches Handbuch der württembergischen Landtagsabgeordneten 1815 - 1933 (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg). Stuttgart 2001, 987 f. - W angenheim selbst war Protestant, aber er war bis vor kurzem Staatsminister für Kirchen- und Schulsachen in Stuttgart gewesen und von daher sowohl mit der Sache als auch mit den Auffassungen W essenbergs , W erkmeisters und J aumanns vertraut. In seiner Begleitung war von katholischer Seite neben dem Direktor des Stuttgarter Katholischen Kirchenrats, P hilipp M oritz F rhr . von S chmitz -G rollenburg (1765-1849; S chmitz - G rollenburg war seit 1812 Direktor des Katholischen Geistlichen Rats in Stuttgart und ab 1817 Vizepräsident des Oberregierungskollegiums) der Rottenburger Vikariatsrat I gnaz J au mann , ein enger Freund D reys , während W erkmeister als graue Eminenz von Stuttgart aus mitwirkte. Die Rede W angenheims ist abgedruckt bei I gnaz von L ongner , Beiträge zur Geschichte der oberrheinischen Kirchenprovinz. Tübingen 1863, 409-416. <?page no="607"?> 575 Das Bayerische Concordat (1819) den Landgeistlichen war Pfarrer F ridolin H uber in Deißlingen 32 , dessen einschlägige Voten von den Tübingern genau zur Kenntnis genommen und größtenteils bejaht wurden 33 . 2. Zur Stellung des Konkordatsaufsatzes im Werk Dreys Der KA ist der einzige Text, in dem der Tübinger Theologe sich fachlich direkt und ausschließlich mit dem Konkordatsthema befaßte 34 . Veranlaßt war 31 Sie betreffen insgesamt die von W angenheim vorgetragenen Grundsätze zum Verhältnis von Kirche und Staat und zur Wiederherstellung der ursprünglichen Rechte und Freiheiten der »deutschen Nationalkirche«, die diese vor der Säkularisation innehatte, und sie reichen bis zu Übereinstimmungen in der Terminologie bzw. in den von D rey im KA verwendeten Grundbegriffen. Wangenheim bezog sich auf das »eigentümliche Wesen« der katholischen Kirche, kehrte deren »Selbständigkeit« nach dem Geist ihrer Verfassung, den Satzungen der allgemeinen Kirche und den althergebrachten Rechten der »deutschen Nationalkirche« hervor und prangerte die »Usurpation der römischen Curie« an. W angenheims Rede stimmte in ihrer inhaltlichen Orientierung mit der Linie der Stuttgarter Regierung in diesen Sachen vollkommen überein. Dafür hatte im Hintergrund W erkmeister , der wichtigste Inspirator der Stuttgarter Kirchenpolitik, der maßgeblich an der Vorbereitung der Frankfurter Konferenzen beteiligt war, und in Frankfurt J aumann und S chmitz -G rollenburg gesorgt. Zur Rede W angenheims allgemein: B ischof , Das Ende des Bistums Konstanz (wie Anm. 22) 476 ff; B urkard , Staatskirche (wie Anm. 8) 170-174, 56 f mit Anm. 3. Zur Würdigung des »Frankfurter Systems« und zur Führungsrolle Württembergs ebd. 135 ff, 603 f, 700-725. Die Rede W angenheims wurde von G ratz in seinem Bericht über die Verhandlungen zu Frankfurt im Jahre 1818 (in: ThQ 1, 1819, 329-345, 460-478, 657-669) vorgestellt und besprochen, wobei er über einiges Insiderwissen verfügte. - D rey selbst hat übrigens im Mai 1822 ein Exemplar seiner Kurzen Einleitung via J aumann an W angenheim als »Zeichen seiner tiefen Verehrung« übersandt (siehe B urkard , Staatskirche, 582, Anm. 201). Beachtlich sind auch die Übereinstimmungen, die zwischen der Stellungnahme von Abbe´ G re´goire im Februar 1819 in der Chronique religieuse zum bayerischen Konkordat sowie zur Frankfurter Deklaration und den Grundsätzen D reys , die er im KA vertritt, inhaltlich bestehen: Wiederherstellung der Disziplin der ursprünglichen Kirche in ihrer ganzen Reinheit, die Bedeutung der Wahlen und die Wiederherstellung der Rechte der Metropoliten, die Wahrung der Einheit und Verbindung mit dem erhabenen Oberhaupt der Kirche, die Anerkennung der heiligen Rechte des Nachfolgers Petri und die Kritik an der Beeinträchtigung der Rechte der deutschen Kirche durch die römische Kurie. Die Einschätzung der Frankfurter Beschlüsse durch G re´goire könnte übrigens zur positiven Einstellung D reys gegenüber diesen Beschlüssen mit beigetragen haben (zu D reys Kenntnis der Chronique religieuse siehe Ueber den gegenwärtigen Zustand der katholischen Kirche und Geistlichkeit in Frankreich, in: ThQ 2, 1820, 135-164, siehe unten Text Nr. 9 (Miscellanea), Misz. Nr. 6). 32 Zu ihm siehe Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 79, und Einleitung zu Text Nr. 4, Anm. 84. 33 Siehe vor allem F ridolin H uber , Wessenberg und das päbstliche Breve. Nebst einem Anhange über Kirchengewalt, bischöfliche und päbstliche Rechte. Tübingen 1817. Diese Schrift wurde in ThQ 1 (1819) 102-108 von Gratz zustimmend und mit Beifall rezensiert. Dazu auch: H uber , Vollständige Beleuchtung der Denkschrift über das Verfahren des römischen Hofes bey der Ernennung des Generalvikars Freyherrn von Wessenberg zum Nachfolger im Bisthum Konstanz, und zu dessen Verwesung. Nebst einem Anhange über die Eigenschaften eines Bischofs nach Paulus 1. Tim. 3, 1-7. Rotweil 1819. Diese Schrift wurde von G re´goire in der Chronique religieuse besonders hervorgehoben. 34 Die unten in Miszelle Nr. 12 enthaltenen Äußerungen D reys zu Problemen beim Vollzug des bayerischen Konkordats mit Seitenblicken auf Vorgänge im »Preussischen« stellen eine Fortschreibung bzw. einen Nachtrag zum KA dar. Beide Texte stehen in einem engen inneren Zusammenhang. Hinsichtlich der von D rey eingenommenen Positionen bilden sie eine Einheit. <?page no="608"?> 576 Erläuterungen dieser Aufsatz durch den am 5. Juni 1817 erfolgten Abschluß des bayerischen Konkordats, den D rey nun im zeitgeschichtlichen Kontext inhaltlich bespricht. Der KA hat somit okkasionellen Charakter und einen konkreten Gegenstandsbezug, doch kommen in ihm allgemeine Grundsätze des Verfassers zum Sinn und Zweck von Konkordaten, zur Verfassung der Kirche und zum Verhältnis Staat - Kirche zum Vorschein und zum Tragen. Seine systematische Konkordatslehre hat D rey in der Kurzen Einleitung (KE) vorgelegt. Sie figuriert dort innerhalb seiner Darstellung des Systems der christlichen Kirche (KE §§ 268-307), das er im Sektor B (Spezielle Wissenschaft) seines Aufrisses der wissenschaftlichen Theologie (§§ 221-323) verortet. Hier entwickelt er zunächst den Grundbegriff der christlichen Kirche im Hinblick auf die Grundzüge ihrer Verfassung (§§ 268-297) und wendet sich dann der »Festsetzung ihrer Verhältnisse dem Staate gegenüber« (§ 298) zu (§§ 298- 307). Der letzte dieser Paragraphen ist direkt dem Konkordatsthema gewidmet 35 . Der systematische Ort der Konkordatsfrage wird somit von D rey dispositionell genau festgelegt. In KE § 348 kommt D rey im Rahmen seiner Darstellung der Praktischen Theologie (§§ 324-388) noch einmal auf das Konkordatsthema zurück und erläutert in einer Anmerkung den Konkordatsbegriff 36 . 35 Dieser Paragraph hat folgenden Wortlaut: »Was sich durch eine Theorie dieser Verhältnisse der Kirche zu den Staaten bestimmen läßt, bleibt immer noch ein Allgemeines, was sich in jedem gegebenen Staate nach seiner Verfassung und der Eigentümlichkeit seines Volkes verschieden modificirt (§. 299.). Dieß Besondere erscheint in der Theorie als ein Zufälliges. Auch müssen sich jene Verhältnisse ändern, wenn sich die Verfassung des Staats oder der Kirche ändert, und keine von beyden kann für immer unverändert bleiben. So oft solche Veränderungen vorgehen, müssen in dem friedlichen Verhältnisse der Kirche und des Staats Stöhrungen eintreten, und je tiefer jene Veränderungen eingreifen, desto fühlbarer werden auch diese Stöhrungen. Sie sind nur durch neue Verträge zwischen Staat und Kirche wieder aufzuheben; der Begriff von Concordaten ist darum ein nothwendiger in der Theorie der Kirchenverfassung. Uebrigens gehört wohl wenig Einsicht dazu, um zu begreifen, daß in jedem Falle ein Concordat nur zwischen dem Staat und der Kirche, in so weit sie in ihm ist, verhandelt werden kann. Denn wenn sich die Kirche auch über andere Staaten erstreckt, und einen gemeinsamen Mittelpunct außer ihm hat - wie die katholische Kirche -, so geht diese Kirche doch den Staat nur in so fern an, als sie in ihm ist; wie sich diese mit dem Ganzen, wovon sie ein Theil ist, und mit ihrem Mittelpuncte stellen wolle, ist eine rein kirchliche Sache, worüber der Staat nicht erkennen, also auch nicht verhandeln kann.« (KE § 307 [Hervorhebungen im Original]). 36 Dieser Paragraph hat folgenden Wortlaut: »Tritt der Staat aus seiner Sphäre, so hat die Regierungsweisheit der Kirche kein anderes Mittel, das gestöhrte natürliche Verhältniß wieder herzustellen, als dasselbe, wodurch die Kirche überhaupt im Staate besteht, nämlich die Verständigung und Uebereinkunft. Dieß Mittel sucht sie, gestützt auf ihre innere Selbstständigkeit und Unabhängigkeit, geltend zu machen, und der Begriff von Concordaten, den die Theorie der Kirchenverfassung aufstellt (§. 307.), geht hier im Kirchenregiment in Wirklichkeit über. Die Anleitung dazu hat die Grundsätze und Regeln zu ihrer Abfassung aus derselben Theorie abzuleiten. * Concordate sind Gränzbestimmungen zwischen den Gebieten des Staats und der Kirche, wodurch sich beyde die freye Bewegung innerhalb derselben wechselseitig gewährleisten, sie sind das Hypomochlion, um welches beyde unter sich im Gleichgewicht bleiben. Da sie <?page no="609"?> 577 Das Bayerische Concordat (1819) Der Konkordatsaufsatz und die Kurze Einleitung sind zeitgleich (1819) herausgekommen. Es ist deshalb mit Sicherheit anzunehmen, daß in den Augen D reys beide im Grundsätzlichen übereinstimmen, was für die wechselseitige Hermeneutik der beiden Texte zu beachten ist. Im KA hat D rey sich nicht explizit auf seine Ausführungen in der KE bezogen, sowenig wie auf andere Texte aus seiner Feder. Bei einer Sichtung seines Gesamtwerkes im Hinblick auf die im KA behandelte Thematik zeigt sich, daß D rey sich mit diesem Aufsatz nicht auf ein für ihn fremdes Gebiet begeben hat. Im Gegenteil. Er hat sich vielmehr während seines ganzen theologischen Schaffens in zahlreichen Beiträgen und auch in Tagebuchnotizen mit den theologischen und rechtlichen Seiten der Kirchenverfassung und des Staatskirchenrechts befaßt und ist auch im dritten Band seiner Apologetik darauf zu sprechen gekommen 37 . Die einschlägigen Titel, die für die Verortung des KA im Gesamtwerk D reys hilfreich sein mögen, sind unten aufgelistet. Aus der Gesamtheit seiner Beiträge ergibt sich, daß die kirchliche Verfassungslehre und in Abhängigkeit davon die Frage nach dem Verhältnis Staat - Kirche ein Schwerpunkt seines theologischen Schaffens waren. In ihm manifestiert sich zum einen eine durchgängige Interessen- und Forschungsrichtung, zum andern wird erkennbar, daß D rey die kirchenpolitischen Entwicklungen intensiv und partizipativ verfolgte. Inhaltlich zeigt sich, daß seine Einstellungen auf diesem Gebiet entgegen anderslautender Behauptungen aus der Asservatenkammer der Rufmörder stabil und konsistent waren. Weder vertrat er irgendwann Auffassungen eines febronianischen Episkopalismus oder eines absolutistischen Staatskirchentums, noch gab es bei ihm später eine Hinwendung zur papalistischen, ultramontanen oder auch nur zur sogenannten »strengkirchlichen« Gegenseite. Zwar trat seine kritische Einstellung gegenüber staatsabsolutistisch-josephinischen Grundsätzen gegen Ende der 1820er Jahre deutlicher zutage, aber das bedeutet in der Sache selbst keinen Kontinuitätsbruch mit seinen schon im Theologischen Tagebuch bekundeten Auffassungen. Eine Zurückweisung der päpstlichen Primatsgewalt zugunsten einer deutschen Nationalkirche stand nie auf seinem theologischen Programm. Politische Ziele unterstellte er strikt der theologischen Verfassungslehre und den Normen des Kirchenrechts. Nur auf dieser Grundlage kritisierte er im KA den anmaßenden Umgang der römischen Kurie mit der immer nur zu einer gewissen Zeit und für dieselbe geschlossen werden, so sind sie allerdings vergänglicher Natur, und schon darum, so wie mit Rücksicht auf ihre Veranlassung nur ein Nothbehelf. Wer aber deßwegen überhaupt einen Tadel über sie aussprechen wollte, müßte zugleich verlangen, daß im Leben der Kirche und des Staats alles immer und ewig unbeweglich bliebe.« (KE § 348). 37 J ohann S ebastian D rey , Die Apologetik als wissenschaftliche Nachweisung der Göttlichkeit des Christenthums in seiner Erscheinung. Bd. 3: Die christliche Offenbarung in der katholischen Kirche. Mainz 1847 (vgl. §§ 38-41). <?page no="610"?> 578 Erläuterungen althergebrachten Verfassung der Kirche und mit den Rechtsgütern des deutschen Katholizismus. Auch wenn in ihm Fragen eines Ausgleichs zwischen Papalismus und Episkopalismus mit im Spiel sind, so läßt er sich genau genommen diesem Schema nicht zuordnen. Der D rey des KA spricht sich weder für ein gemildertes Papalsystem aus, noch für einen eingeschränkten Episkopalismus, sondern für die Verfassung der Universalkirche, zu der die Primatsgewalt des römischen Bischofs gehört, und für die Respektierung der ortskirchlichen Rechtsgüter, die auch theologisch gesehen zu den Strukturen der Weltkirche zu zählen sind. 3. Auflistung der für den Konkordatsaufsatz im weiteren Sinn relevanten Texte Dreys a. Äußerungen Dreys zum Verhältnis von Kirche und Staat im Theologischen Tagebuch Eintrag 33* (Theologisches Tagebuch II, 129-130; TüA 1, 97 f): Die höhere Beziehung der Kirche zum Staat. April 1812. Eigengut. Eintrag 98* (Theologisches Tagebuch IV, 73-93; TüA 1, 325-338): Deduction der christlichen Kirche (1815). Kommentierendes Rezensionsexzerpt ohne Nennung des besprochenen Werkes (zum Kirchenbegriff bes. IV, 76 und 89; TüA 1, 327 und 335). Eintrag 107* (Theologisches Tagebuch IV, 119-128; TüA 1, 353-358): Kirche und Staat - oder Ist die Kirche in irgend einer Beziehung vom Staat abhängig? (1816). Kommentierendes Exzerpt aus der Rezension Bemerkungen zu der Schrift: Ideen zu der Organisation der deutschen Kirche. Ein Beytrag zum künftigen Konkordate. Frankfurt, Mainz 1814, in: Litteraturzeitung für Religionslehrer (F el der ) 7 (1816) 50-61, 65-74, 92-96. Stellungnahme D reys zum Streit der Ultramontanen um F elder gegen D alberg und W essenberg . Seine Haltung ist hier identisch mit der im KA. Eine Passage auf S. 119 (= TüA 1, 353) zeigt wörtliche Anklänge an KA 303 (siehe oben bei und in Anm. 18). Eintrag 127* (Theologisches Tagebuch V, 21-22; TüA 1, 444-445): Kirche - KirchenVerfassung (1816). Rezensionsexzerpt ohne Nennung des Titels. Eintrag 147* (Theologisches Tagebuch V, 88-140; TüA 1, 494-534): Bemerkungen zu des Dr. Marsh Schrift: a comparative View of the Churches of England and Rome (1817). Stark kommentierendes Exzerpt aus der Rezension dieses Werkes in: Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung 14 (1817) Bd. 1, Januar, Nr. 1, Sp. 1-8, Nr. 2, Sp. 9-14 (zur Kirchenverfassung bes. V, 136-140; TüA 1, 530-534). Eintrag 148* (Theologisches Tagebuch V, 141-146; TüA 1, 534-537): Wer hat das Recht, die Sprengel der Bistümer und Pfarreyen festzusetzen und zu ändern? (1817). Eigengut. <?page no="611"?> 579 Das Bayerische Concordat (1819) b. Abhandlungen und Berichte (1819-1848) Kirchliche Nachrichten [Administration der vom Bistum Konstanz abgetrennten Schweizer Kantone - Autorschaft D reys unsicher], in: ThQ 1 (1819) 722-725 (siehe Text Nr. 9 (Miscellanea), Misz. Nr. 4). Ueber den gegenwärtigen Zustand der katholischen Kirche und Geistlichkeit in Frankreich, in: ThQ 2 (1820) 135-164 (siehe ebd. Misz. Nr. 6). Kirchliche Nachrichten [zur katholischen Kirche in Schweden], in: ThQ 2 (1820) 176-179 (siehe ebd. Misz. Nr. 7). Widerlegung [Erklärung der Redaktion der ThQ gegen die Litteraturzeitung für katholische Religionslehrer (M astiaux ) zum Vorwurf unwahrer Wiedergabe der Konkordatstexte in ThQ 1], in: ThQ 2 (1820) 558-563 (siehe Text Nr. 7, Dokument Nr. 3 b). Kirchliche Nachrichten [Budget für Geistlichkeit und Kultus in Frankreich 1820], in: ThQ 2 (1820) 563-564 (siehe Text Nr. 9, Misz. Nr. 11). Kirchliche Nachrichten [Konkordats- und Kirchenangelegenheiten in Bayern und Preußen], in: ThQ 2 (1820) 745-748 (siehe ebd. Misz. Nr. 12). Nekrolog [auf F ranz A ndreas F rey (1763-1820)], in: ThQ 2 (1820) 748 (siehe ebd. Misz. Nr. 13). Kirchliche Nachrichten [Verhältnisse der katholischen Kirche in Sachsen-Weimar], in: ThQ 6 (1824) 727-741 (siehe ebd. Misz. Nr. 15). Von der Landesreligion und der Weltreligion, in: ThQ 9 (1827) 234-274, 391-435. Von den Verhältnissen der nichtunirten griechischen Kirche in den österreichischen Staaten, in: ThQ 11 (1829) 195-250 (siehe Text Nr. 9, Misz. Nr. 16). Stimmen aus der Kirche [Hirtenschreiben zu Synodalwesen und Fastenverordnungen], in: ThQ 11 (1829) 368-375 (siehe ebd. Misz. Nr. 17). Ueber die apostolischen Constitutionen, oder neue Untersuchungen über die Bestandtheile, Entstehung und Zusammensetzung, und den kirchlichen Werth dieser alten Schrift, in: ThQ 11 (1829) 397-477, 609-723; stark erweiterte Fassung separat u.d.T.: Neue Untersuchungen über die Constitutionen und Kanones der Apostel. Ein historisch-kritischer Beitrag zur Literatur der Kirchengeschichte und des Kirchenrechts. Tübingen 1832. Gute Aussichten für die Kirche, in: ThQ 11 (1829) 592-595 (siehe Text Nr. 9, Misz. Nr. 18). Ueber die Anwendung weltlicher Regierungsweisen auf die Regierung der Kirche. Eine theologisch-historische Betrachtung, in: ThQ 13 (1831) 1-43. Was ist in unserer Zeit von Synoden zu erwarten? in: ThQ 16 (1834) 203-256 (unter identischem Titel auch separat: Tübingen 1834). Constitutiones et canones apostolorum, in: WWKL 2 (1848) 855-859. Constitutiones Apostolorum, sowie Canones Apostolorum [revidiert von H ermann S treber ] in: WWKL 2 3 (1884) 1026-1032. <?page no="612"?> 580 Erläuterungen c. Rezensionen Corbinian Gärtner: Einleitung in das gemeine und deutsche Kirchenrecht. Augsburg 1817, in: ThQ 2 (1820) 93-105. Karl Heinrich Sack: Ansichten und Beobachtungen über Religion und Kirche in England. Berlin 1819, in: ThQ 2 (1820) 105-117. Karl Heinrich Ritter von Lang: Geschichte der Jesuiten in Baiern. Nürnberg 1819, in: ThQ 2 (1820) 290-298. Leonard Aloys Nellessen: Richtige Ansicht des christlichen Ehevertrags und der gesetzgebenden Gewalt der Kirche über denselben. Aachen 1820; zusammen mit: [Anonymus]: Rechtfertigung der gemischten Ehen zwischen Katholiken und Protestanten, in statistisch-kirchlich- und moralischer Hinsicht. Köln 1821, in: ThQ 3 (1821) 700-728. Herbert Marsh: Vergleichende Darstellung der protestantisch-englischen und der römisch-katholischen Kirche. Übers. usw. von Johann Christoph Schreiter. Sulzbach 1821, in: ThQ 4 (1822) 60-81. Jean-Antoine Llorente (E´ d.): Projet d’une Constitution religieuse..., e ´crit par un Americain. Paris [1820], in: ThQ 4 (1822) 81-96. Genuina Ecclesiae Idea ... per positiones canonicas stabilita et contra Neotericorum systemata vindicata, quas sub ... Praeside P. Joanne Baptista Haitz ... publice propugnabunt RR. FF. Martinus Berger et Maurus Hensler. Einsidlae 1821, in: ThQ 5 (1823) 91-100. Maximilian Prechtl: Beleuchtung der Dr. Tschirnerischen Schrift: Protestantismus und Katholicismus aus dem Standpunkte der Politik betrachtet. Sulzbach 1823, in: ThQ 5 (1823) 439-450. Heinrich Gottlieb Tzschirner: Die Rückkehr katholischer Christen im Großherzogthume Baden zum evangelischen Christenthume. Leipzig 1823, in: ThQ 5 (1823) 726-740. [Anonymus, d.i. J ohann A nton T heiner ]: Die katholische Kirche Schlesiens dargestellt von einem katholischen Geistlichen. Altenburg 1826, in: ThQ 8 (1826) 504-527 (vgl. dazu L ösch , Die Anfänge (siehe Anm. 1) 94 mit Anm. 5). Johann Bapt. Kastner: Die katholische Kirche Deutschlands in ihrer projectirten und möglichen Verbesserung. Sulzbach 1829; zusammen mit: Georg Ludwig Carl Kopp: Die katholische Kirche im neunzehnten Jahrhunderte, und die zeitgemäße Umgestaltung ihrer äußeren Verfassung. Mainz 1830, in: ThQ 12 (1830) 525-547 und 547-569 [beide Titel sind S. 525 zusammen aufgeführt, 525-528 vergleichende Bemerkungen zu den Schriften]. [B artholomäus P acca ]: Historische Denkwürdigkeiten Sr. Eminenz des Cardinals Bartholomäus Pacca, über seinen Aufenthalt in Deutschland in den Jahren 1786 bis 1794. Augsburg 1832, in: ThQ 15 (1833) 548-562. [Anonymus]: Die neuesten Zustände der katholischen Kirche beider Ritus in Polen und Rußland seit Katharina II. bis auf unsere Tage. 2 Bde. Augsburg 1841, in: ThQ 24 (1842) 251-272. <?page no="613"?> 581 Das Bayerische Concordat (1819) Fidelis Haiz: Das kirchliche Synodalinstitut vom positiv historischen Standpunkte aus betrachtet mit besonderer Rücksicht auf die gegenwärtige Zeit. Freiburg i.B. 1849; zusammen mit: Josef Amberger: Der Klerus auf der Diöcesansynode. Regensburg 1849; und Th. Mauritius Filser: Die Diöcesansynode. Augsburg 1849, in: ThQ 31 (1849) 638-663. George Phillips: Die Diöcesansynode. Freiburg i.B. 1849, in: ThQ 31 (1849) 663-682. Fe ´lix-A.-Ph. Dupanloup: Ueber die weltliche Souveränetät des Papstes. Übers. von F. X. Karker. Breslau 1849, in: ThQ 32 (1850) 167-176. Karl Brandes: Der Papst als Fürst des Kirchenstaats. Einsiedeln 1849, in: ThQ 32 (1850) 325-334. Joseph Feßler: Ueber die Provincial-Concilien und Diöcesan-Synoden, in: ThQ 32 (1850) 460-476. Martin von Deutinger (Hg.): Beiträge zur Geschichte, Topographie und Statistik des Erzbisthums München und Freising. 1. Bd., 1. und 2. Heft. München 1850, in: ThQ 33 (1851) 120 und 128-135. Carlo Maria Curci: Der Papst als Staatsoberhaupt und die Demagogie in Italien. Übers. von E. v. Moy. Innsbruck 1849, in: ThQ 33 (1851) 611-621. [J oseph L onovics ]: Der Josephinismus und die kaiserlichen Verordnungen vom 18. April 1850 in Bezug auf die Kirche. Wien 1851, in: ThQ 34 (1852) 123-140. 4. Einschlägige Titel im Büchernachlaß Dreys 38 J oseph von U llheimer , Ad concordata nationis Germanicae integra documentorum fasciculus [...]. 4 Bde., Frankfurt, Leipzig 1725. J ohann B aptist von H orix , Concordata nationis Germanicae integra variis additamentis illustrata. Frankfurt 1771 [Frankfurt, Leipzig 1763]. D ominique G eorges F re´de´ric de R iom de P rolhiac de F ourt de P radt : Les quatre concordats. Suivis de conside ´rations sur le gouvernement de l’e ´glise en ge ´ne ´ral, et sur l’e ´glise de France en particulier, depuis 1515. 3 Bde., Paris 1818. J ean D enis L anjuinais [L anguinais ], Appre ´ciation du projet de loi relatif aux trois concordats. Avec les articles des deux derniers concordats, ceux du projet de loi, et une revue des ouvrages sur les concordats. Paris 5 1818. A lexander M üller , Preußen und Baiern im Concordate mit Rom. Im Lichte des 16. Artickels der deutschen Bundesacte und nach den Grundsäzen der h. Allianz. Neustadt an der Orla 1824. E rnst H ermann J oseph M ünch , Vollständige Sammlung aller ältern und neuern Konkordate, nebst einer Geschichte ihres Entstehens und ihrer Schicksale. 2 Bde., Leipzig 1830-1831. 38 Siehe W erner , Büchernachlaß (wie Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 40). <?page no="614"?> 582 Erläuterungen K arl A dolf C onstantin von H öfler , Concordat und Constitutionseid der Katholiken in Bayern. Eine historische Denkschrift mit Benützung bisher unbekannter Actenstücke. Augsburg 1847. 5. Zur Rezeptionsgeschichte Die Rezeption des KA konnte bis 1938, d.h. bis zum Nachweis der Verfasserschaft durch L ösch 39 , nur im Zeichen der Anonymität erfolgen, was die Beachtung dieses Aufsatzes zweifellos stark behinderte. Er wurde bis dahin in Verzeichnissen der Schriften D reys nie angeführt, mit der Folge, daß die im KA zutage tretenden Auffassungen D reys zum Verhältnis von Staat und Kirche bzw. des päpstlichen Primats zum deutschen Territorialkirchenrecht, sein Insistieren auf den theologischen und kanonischen Seiten der Kirchenverfassung und speziell der theologischen Bedeutung der Wahl der Hirten durch ihre Gemeinde, die Stellung D reys in den Auseinandersetzungen um D alberg / W essenberg und seine Haltung zu den Projekten einer deutschen Nationalkirche von daher unbekannt blieben. Der Anonymität des KA ist es wohl auch zuzuschreiben, daß dieser Aufsatz in der Würdigung D reys als Autor kirchenrechtlicher Beiträge bei J ohann F riedrich von S chulte , Die Geschichte der Quellen und Literatur des canonischen Rechts von Gratian bis auf die Gegenwart (3 Bde.). Bd. 3: Von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Halbbd. 1: Das katholische Recht und die katholischen Schriftsteller. Stuttgart 1880, 325, nicht erwähnt ist (angeführt sind: »1. Diss. hist. theol. originem ac vicissitudines exomologeseos in ecclesia cath. ex documentis ecclesiast. illustrans. Ellwang. 1815.« [Beichtschrift], und »2. Neue Untersuchungen über die Constitutionen und Canones der Apostel. Tübingen 1832.«; beiläufig wird noch genannt: »Tübing. theol. Quartalschr. 1832 S. 494« [Ueber öffentliche oder liturgische Beichten, ThQ 14 (1832) 494-525]). Dem Inhalt und der Richtung nach hätte der KA ohnehin am ehesten G ratz zugeschrieben werden können. Ein Beispiel für die ungemein positive Würdigung des KA (trotz Unkenntnis ihres Verfassers) findet sich bei V igener , Bischofsamt und Papstgewalt (wie Anm. 20), wo auf die Bedeutung der KA verwiesen und aus ihr zitiert wird, die Verfasserschaft aber nur »einem Katholiken« und »einem Mitarbeiter« der ThQ zugeschrieben wird (vgl. 75 ff; in der von M aron nach V igeners Tod überarbeiteten zweiten Auflage dieses Werkes von 1964 wird auf S. 74, Anm. 1, die Untersuchung L öschs zwar angeführt, aber im Fortgang der Ausführungen V igeners wird das nicht berücksichtigt). Anonyme Hinweise auf die Beachtung, die der KA im Kontext der Beurteilung der kirchenpolitischen Richtung der ThQ in ihren ersten Jahrgängen im Zusammenhang mit dem 39 L ösch , Die Anfänge (siehe Anm. 1) 56. <?page no="615"?> 583 Das Bayerische Concordat (1819) bayerischen Konkordat fand, sind 1944 bei B echer angeführt 40 . G eiselmann verweist 1961 in seiner Edition der Symbolik M öhlers darauf, daß M öhlers Lehrer D rey »schon 1823« (! ) ähnliche Gedanken entwickelt habe, und bringt zum Beleg ein langes Zitat aus »Th.Qu. 1819, S. 318/ 319«, d.h. aus dem KA 41 . Bei R uf ist der KA erstmals in einer Liste sämtlicher Werke Johann Sebastian von Dreys verzeichnet 42 . L achner lieferte in seinen 1986 erschienenen und für den damaligen Forschungsstand innovativen Untersuchungen zum ekklesiologischen Denken D reys den bis dahin eindringendsten Beitrag zum KA in diesem Themenkreis 43 . Er wertet dabei besonders den KA wie auch die KE D reys zur Erhebung von dessen frühen Gedanken zum Verhältnis von Episkopat und Primat aus und steuerte ebenso beachtliche Erkenntnisse zu D reys Positionen in der Frage des Verhältnisses von Staat und Kirche bei. L achner schätzt den KA insgesamt hoch ein 44 . 40 Siehe H ubert B echer , Der deutsche Primas. Eine Untersuchung zur deutschen Kirchengeschichte in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Kolmar [1944], 196-207. 41 Siehe J ohann A dam M öhler , Symbolik oder Darstellung der dogmatischen Gegensätze der Katholiken und Protestanten nach ihren öffentlichen Bekenntnisschriften. Herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Josef Rupert Geiselmann. Bd. 2, Darmstadt 1961, 755 f. Bei der Jahreszahl 1823 ist G eiselmann offensichtlich ein Irrtum unterlaufen (es gibt aus dem Jahr 1823 überhaupt keine Abhandlung D reys ). 42 R uf , Johann Sebastian von Dreys System (wie Anm. 4) 44, Nr. 50. 43 L achner , Das ekklesiologische Denken Johann Sebastian Dreys (wie Anm. 13) 420 f, 432, 458. 44 L achner ist der Meinung, daß es in der Frage nach dem Aufsichtsrecht des Staates über die Kirche zwischen dem KA und der KE einerseits und der Unterschrift D reys unter die Frankfurter Kirchenpragmatik anderseits gewisse Ungereimtheiten gäbe (514 f), doch es standen ihm für seine Einschätzung der Frankfurter Beschlüsse die bahnbrechenden Arbeiten B urkards (siehe Anm. 8 und 29), die mit den alten Fehldeutungen der Frankfurter Protokolle aufräumen, noch nicht zur Verfügung. <?page no="616"?> Teil B: Johann Sebastian Drey, Das Bayerische Concordat. Dieses Concordat, welches im I. Hefte abgedruckt ist 1 , hat in Deutschland ein 300 Aufsehen und eine Aufmerksamkeit erregt, die durch ihre Folgen es zu einer Nationalangelegenheit gemacht haben; es hat eine Menge Federn in Bewe- 5 gung gesetzt, die jetzt nach einem ganzen Jahre − schon ein langer Zeitraum 301 für deutsche Libellisten − noch nicht ruhen; und nachdem es von beyden contrahirenden Theilen schon lange unterzeichnet war, hat es im eigenen Lande, dem es gilt, Discussionen veranlaßt, deren Ende noch nicht bekannt ist. Die Ursache von dem allem lag allerdings in der Natur dieses Vertrags. Es 10 war zuförderst das erste, das einer der neuern deutschen Staaten mit dem römischen Stuhle förmlich abschloß, seit den Aschaffenburger, oder vielmehr Wiener Concordaten, und bey dem Mißlingen mehrerer Versuche dieser Art in den letzten Zeiten, eine seit vierthalbhundert Jahren in Deutschland nicht gesehene Erscheinung. − Es trat zwar ohne vielen Lärmen, der ihm vorher- 15 gegangen wäre, an das Licht; und bey der Gleichgültigkeit, womit man seit der Säcularisation die Angelegenheiten der Kirche zu betrachten und zu behandeln gewohnt war, hätte diese seine Bescheidenheit noch weniger Aufmerksamkeit erwarten dürfen. Aber es erregte sie dennoch, denn es war für viele über alle Maßen befremdend. Man hatte sich nämlich daran gewöhnt, 20 auch die katholische Kirche während dem Tumulte der Kriege sich friedlich in den Staat verschmelzen zu sehen; von dem Pabste aber glaubten sich viele berechtigt zu erwarten, daß er zufrieden mit dem Kirchenstaate sich seiner Kirchenrechte wohl begeben möchte. Nun sahe man aber nicht nur die Selbstständigkeit der Kirche wieder aufleben, man sahe sogar, daß der Pabst 25 zu den immer behaupteten Rechten noch neue erworben habe. Man erstaunte, wie Dinge hätten geschehen können, die man sich doch nicht hatte einbilden können, und zu dem Aergerniß, das die Erstaunenden an der Sache selbst 302 nahmen, gesellte sich der Aerger über die Selbsttäuschung. Es war natürlich, daß sich über diese Erscheinung nun die Stimmen er- 30 hoben, und sie konnten das um so leichter, als die Regierung über das schon bekannt gewordene Concordat noch so lange schwieg. Die Flugschriften, die sich darüber ausgesprochen haben, sind bekannt und gelesen genug, und darum halten wir es für überflüssig, sie anzuzeigen, oder über ihren Werth 1 Wiedergabe des zweisprachigen Konkordatstextes in ThQ 1 (1819) 145-179, Rubrik IV. Urkundensammlung; Wiedergabe des Religionsedikts ebd. 122-144 (siehe dazu oben in der Einleitung Ziff. II.1.a mit Anm. 3 und 6). <?page no="617"?> 585 Das Bayerische Concordat (1819) oder Unwerth im Einzelnen etwas zu sagen. Aber die allgemeine Bemerkung mögen wir nicht unterdrücken, daß sich in der Beurtheilung dieses Concordats zwey Partheyen offenbar hervorgestellt haben, deren Befangenheit dem nüchternen, sachverständigen Beobachter eben so unzweifelhaft als unangenehm auffallen mußte. Einem Theile der Beurtheiler war am ganzen Con- 5 cordate gar nichts recht, aus allen Artikeln wußten sie Staub auszuklopfen, ihr Urtheil sprach einen unbedingten Tadel aus; nebenein ward aller Vorwurf auf den römischen Hof gewälzt, wie wenn das Concordat als eine Art kirchlicher Constitution einseitig von dorther gegeben, und nicht durch Uebereinkunft der Regierung mit dem Pabste geschlossen worden wäre; man ergos sich in 10 allgemeine Schmähungen, und hie und da sprach wohl einer laut oder leise von einer gänzlichen Abtrennung der deutschen Katholiken von Rom, von einem deutschen Patriarchate, von einer Vereinigung mit der griechischen schismatischen Kirche, u.s.w. So konnte nur der Partheygeist sprechen, und diese Sprache verrieth demnach das Daseyn und den Geist einer Parthey. Auf 15 303 der andern Seite erhoben sich, wenn schon seltener und weniger laut Stimmen, die am Concordate alles lobten, jeden Artikel zweckmäßig fanden, und durch ihren Beyfall jene Schmähungen einigermaßen vergüten zu wollen schienen. Wer mit gewissen höchst unangenehmen und drückenden Verhältnissen des Kirchenthums in Bayern, die früherhin bestanden hatten, bekannt 20 war, begrif wohl die Möglichkeit einer unbedingten Freude über das Concordat, aber die unbedingte Billigung desselben mußte er darum nicht weniger für die Wirkung und Aeußerung eines andern Partheygeistes halten. Das Thun und Treiben dieser Parthey sprach sich auch sonst noch auf mancherley Weise aus. 25 Im allgemeinen wiederholte sich in diesem Theile der deutschen Tagesgeschichte das Eine Phänomen, welches der Anblick unserer gesammten publicistischen Schriftstellerey, und der öffentlichen Meynung gewährt. Die entgegengesetztesten Ansichten und Meynungen stellen sich in der Richtung einer Linie auf, und indem sich jede einzelne an die ihr am meisten verwandte 30 anschließt, bilden sich zween Pole der öffentlichen Meynung, deren Organe ungeachtet ihrer diametralen Entgegensetzung behaupten und glauben machen wollen, ihre freylich sehr ö f f e n t l i c h e Meynung sey auch die a l l g e m e i n e . Ihre beste Widerlegung sind nun freylich sie selbst; indessen lassen sich doch zwischenein immer auch einige Stimmen vernehmen, die wenn auch 35 ohne jene Anmaßung der Extreme doch immer so viel beweisen, daß in der Mitte auch noch eine Meynung ist; und das möchten wir von dem Bayeri- 304 schen Concordate geltend machen. Gegen die Meynung und den Willen Vieler hat dieses Concordat die Selbstständigkeit der katholischen Kirche thatsächlich ausgesprochen; daß es 40 dieses gethan hat, ist sein Verdienst, insoferne es Verdienst ist zu thun, was man nicht lassen darf. Daß der katholischen Kirche die Titel aller ihrer <?page no="618"?> 586 Johann Sebastian Drey Rechte, göttliche Anordnung und kanonische Satzungen anerkannt; daß ihr ihre Rechte selbst, und zwar mit jenen Eigenthümlichkeiten, die sie unter ihre Vorzüge rechnet, zugesichert und gewährleitet; (Art. 1.) 2 − daß den Bischöfen die ungehinderte Ausübung ihres Amts zugestanden (Art. 12.) 3 ; daß ihnen zu diesem Zwecke und damit die Aufsicht über die Erziehung, Aufnahme und 5 Bildung der künftigen Geistlichen, ihrer Gehilfen; die Aufsicht über die öffentliche Religions- und Sittenlehre in Schulen und Schriften freygelassen (Art. 5. 13.) 4 ; daß der Religion als der heiligsten Sache, der Kirche als einer Verbindung zu dem heiligsten Zwecke, und den Magistraten und Dienern dieser Gesellschaft die gebührende äußere Achtung erhalten (Art. 14.) 5 werde; 10 − dies sind doch wohl Punkte, die in der Selbstständigkeit einer nicht rationalistischen, sondern ganz positiven, nicht vom Staate, sondern von einem unmittelbaren Gottesgesandten angeordneten Religionsanstalt und Kirche von selbst liegen. Man mußte von der Eigenthümlichkeit des Katholicismus wegsehen, ihn der doch seine eigene innere Einrichtung, und damit das Recht 15 hat, sich nach ihr äußerlich zu gestalten, mit andern Confessionen vermi- 305 schen, die ganz andern Principien folgen, wenn man, wie von nicht unberühmten Männern geschehen ist, in diesem Concordate eine B e v o r r e c h t u n g der Katholiken, oder eine Hintansetzung des Grundsatzes von der Gleichheit der Rechte unter den verschiedenen christlichen Glaubensbekennt- 20 nissen sehen wollte; indem dieser letztere Grundsatz doch wohl nur von Rechten der Bürger unter Bürgern, keineswegs aber von dem Rechte der kirchlichen Freyheit dem Staatszwange gegenüber zu verstehen ist. Man mußte die Eigenthümlichkeit der Bildung zum geistlichen Stande verkennen, daß der Sinn für das Heilige ein eigener Sinn sey läugnen, und geflißentlich 25 ignoriren, welche Gewalt dem Staate zustehe über Zulassung oder Entfernung junger Leute zu und von allen Studien, wenn man aus dem Rechte des Bischofs, junge Männer n a c h g e e n d i g t e n S t u d i e n in die Seminarien aufzunehmen, und ihre letzte Bildung in demselben selbst leiten zu dürfen, heraus bringen wollte, daß auf diese Weise schlechte, selbst staatsgefährliche 30 Subjekte sich in den geistlichen Stand einschleichen könnten. Man mußte die Natur einer gesellschaftlichen Verbindung, die wie die Kirche blos auf der Meynung ruht, und nichts festes hat außer ihrem Symbol, gänzlich verkennen, und selbst ohne feste Meynung, d. h. ohne eine bestimmte religiöse und kirchliche Ueberzeugung seyn, wenn man einer solchen Gesellschaft das 35 Recht absprechen wollte, über die Erhaltung ihrer Basis zu wachen, und ihre Glieder vor Meynungen zu warnen, welche die Auflösung der Gesellschaft zur Folge haben müßten. Man mußte endlich geschichtlich unwissend seyn, 306 um die Beziehung des 14. Artikels nicht zu verstehen. 2 Vgl. Konkordat, in der Urkundensammlung ThQ 1 (1819) 148 149. 3 Vgl. ebd. 170-173. 4 Vgl. ebd. 160-163; 174 175. 5 Vgl. ebd. 174 175. <?page no="619"?> 587 Das Bayerische Concordat (1819) Das Bayerische Concordat hat in der Wiederherstellung, eigentlich Ergänzung des kirchlichen Organismus in diesem Lande mehreres von der bisher üblichen Einrichtung beybehalten: so sind zuförderst die alten Bischofssitze in allen Bestandtheilen des Königreichs beybehalten (Art. 2.) 6 ; die innere Organisation der Kapitel fast auf dieselbe Weise (Art. 3.) 7 ; die nähere Bezeich- 5 nung besonders der Gränzen der Diöcesen wurde vorbehalten. − Auch hieran wird der nüchterne Beurtheiler nichts erhebliches aussetzen. Was die Erhaltung der alten Bisthümer betrifft, so knüpft sich daran die Idee von der Unvergänglichkeit der Kirche: sie ist ein Ganzes, zusammengesetzt aus organischen Theilen, jenes dauert fort, wie diese fortdauern. Die Kirche eignet 10 der Menschheit, nicht dem Staate; dieser mag Landestheile verlieren, erwerben, umtauschen, seine Herrn, oder Herrenfamilien wechseln, die Kirche bleibt über alle diese Wechsel erhaben. Und möchten doch die Staaten selbst hierinn etwas von dem Grundsatze der Kirche annehmen; wahrlich es würde ihre Unveränderlichkeit nach außen, und Festigkeit des Bürgersinnes und der 15 Treue nach innen vermehren. Ob nicht wenigere Bischöfe die Bayerische Kirche leiten könnten, ist eine Frage, die wenigstens hier nicht in Anregung kommen kann, denn die Kirche behandelt die Seelen als Seelen, nicht wie Zahlen. − Die von der alten Einrichtung der deutschen Domkapitel beybehaltenen Dignitäten eines D o m p r o b s t e s und D o m d e c h a n t s stehen mit 20 der Natur einer solchen Corporation in Verbindung. Als geistliches Collegium 307 bedarf ein Kapitel eines Präsidenten, als ein in mehrern Fällen dem Bischofe gegenüberstehendes Corpus eines Vertreters und Geschäftsführers, bey erledigtem Sitze eines Bisthumsverwesers. Alle diese Functionen kann der Vorstand des Kapitels in sich vereinigen, und den Vorstand bezeichnet ja der 25 Name des Domprobsts. Der Domdechant war schon nach der alten Einrichtung der eigentliche Dompfarrer, besorgte die Gottesdienstordnung, und hatte über alle zum Kapitel gehörigen Geistlichen dieselbe Aufsicht, wie ein Pfarrer über seine Helfer. Dieser Dompfarrer kann er ja auch wieder seyn, ob er Pfarrer oder Dechant heißt, darauf wird wohl wenig ankommen. Ueber- 30 haupt waren nicht die alten Formen in der Einrichtung der Domkapitel fehlerhaft, sondern das war es, daß aus den Formen oder vielmehr aus den Männern, die in den Formen handeln sollten, der Geist entwichen war. Ob neue Formen an die Stelle der alten gesetzt den Geist zurückrufen, oder einen neuen geben können, möchte sehr zu bezweifeln seyn; die Experimente we- 35 nigstens, welche wir die Staaten mit neuen Formen in ihren sich schnell verdrängenden Organisationen haben machen sehen, sprechen nicht dafür: sollte wohl die Kirche glücklicher seyn? Alles kommt darauf an, ob die Männer, die auf Stellen kommen, den rechten Geist dazu mitbringen, oder 6 Vgl. ebd. 148-151. 7 Vgl. ebd. 150-153. <?page no="620"?> 588 Johann Sebastian Drey nicht. Was von beyden bey der im Concordate stipulirten Besetzungsart der Stellen der Fall seyn dürfte, wollen wir hier nicht aussprechen; aber diese Besetzungsart einmal vorausgesetzt, muß und kann erst der Erfolg lehren, ob 308 nicht selbst die Stelle eines T h e o l o g e n mit Vorbedacht geschaffen ist. Die Begründung der wesentlichen kirchlichen Institute im Realen, d. h. 5 durch Dotationen, und zwar in liegenden Gütern und ständigen Fonds spricht der Art. 4. 8 aus; der Betrag der jährlichen Einkünfte für die Bischöfe und alle bey den Kapiteln Angestellten ist angegeben; ähnliche Dotationen sind für die Seminarien bestimmt, oder sollen wo sie schon vorhanden sind, erhalten werden (Art. 5.) 9 ; für die Unterstützung von Geistlichen, die durch physische 10 Ursachen zum Kirchendienste untauglich geworden sind, sorgt Art. 6 10 ; für die Erhaltung und zeitgemäße Vermehrung des Kirchenguts sind Zusicherungen gemacht (Art. 8.) 11 . So wenig nun überhaupt nach der gänzlichen Einziehung des großen und allgemeinen Kirchenguts die Nothwendigkeit ein neues auszuscheiden geläugnet werden kann, oder geläugnet worden ist, so 15 haben doch Viele den Aufwand von jährlichen 297,200 fl. der ein Kapital von 5,944,000 in Gütern und Fonds voraussetzt, für die Religion zu groß gefunden; und dabey sind erst die noch nicht zu bestimmenden Dotationen für Seminarien, Ruhehäuser, Administrationskosten u.s.w. nicht berechnet. Allerdings ein bedeutender Aufwand! Aber wenn man dem Finanzmann, der 20 diese Fonds herschaffen soll, seine Verlegenheit nicht verargen darf, so findet man auf der andern Seite hier doch auch den Maßstab zur Berechnung dessen, was der Staat von der Kirche durch die Säcularisation genommen und dabey noch gewonnen hat, denn sicherlich ist jener Aufwand nicht der 20ste Theil vom Ertrage des alten Kirchenguts. Wohl ist kein Zweifel, daß wenn die 25 309 bestimmte Ausscheidung des Kirchenguts, (nicht nur in Bayern sondern auch anderwärts), gleich in den Jahren 1803. 1804. vollzogen worden wäre, der Aufwand für den Cultus − der nämliche oder selbst ein größerer als der jetzt stipulirt ist − weder so groß geschienen haben, noch in der That mit Rücksicht auf die wahren Staatskräfte so groß gewesen seyn würde. In der Wirth- 30 schaft wie in der Moral bewährt sich der Grundsatz; was du thun sollst, das thue behende. Wer übrigens die Sache selbst, für welche dieser Aufwand gemacht werden soll, desselben nicht werth hält, dem gestehen wir, daß wir keine Proportion kennen, wornach der Geldwerth jener Sache zu berechnen wäre; aber Reductionen kennen wir, öffentlich und viel besprochene in dieser 35 Zeit, die wenn sie ausgeführt würden, wohl ein Ersparnis im Staate abwerfen würden, das dreymal größer ist, als der ganze Aufwand für den Cultus. 8 Vgl. ebd. 152-161. 9 Vgl. ebd. 160-163. 10 Vgl. ebd. 162 163. 11 Vgl. ebd. 162-165. <?page no="621"?> 589 Das Bayerische Concordat (1819) Endlich bestimmt das Bayerische Concordat auch die Art und Weise, wie die Katholiken zu Bischöfen, Kirchenräthen, Seelsorgern etc. kommen sollen. Sie werden ihnen − g e g e b e n theils von der Regierung, theils von dem Pabste; einige Wahlen bleiben dem Bischofe und den Kapiteln. (Art. 9. 10. 11.) 12 Wir haben es bis daher verschoben von diesen Punkten zu sprechen, 5 weil wir ungern davon sprechen, und wir sprechen ungern davon, weil die Anordnungen dieser Artikel keinen unbefangenen Beurtheiler befriedigen können. − Zuerst könnte man fragen: ob es überhaupt nur nöthig war, in der 310 bis daher in Deutschland üblichen Art die kirchlichen Stellen zu besetzen, etwas abzuändern? Ob es überhaupt nöthig war, Concordate zu machen, oder 10 Uebereinkünfte zu treffen über etwas anderes als das, was die Kirche in den Stürmen der letzten Zeit gelitten hatte, und einer Restauration bedurfte. Sie hatte aber wirklich nur den Verlust ihrer Güter, ihrer physischen Subsistenzmittel gelitten; dieser Verlust mußte vergütet, darüber mußte ein Uebereinkommen zwischen Staat und Kirche getroffen werden. Die Berichtigung der 15 Gränzen der Diöcesen, die durch politische Veränderungen etwa nothwendig erscheinen mochte, war kein Gegenstand von besonderer Erheblichkeit, und konnte sich an den erstern Punkt anschließen. Darauf allein bezieht sich auch eigentlich, was im Reichsdeputationsrecesse von 1803 über eine neue Einrichtung der Bisthümer in Deutschland beschlossen worden; die übrigen früher 20 bestandenen Verhältnisse und Rechte werden theils in verschiedenen eigenen Paragraphen beybehalten, theils stillschweigend anerkannt. Wahr ist es zwar, daß während der Zeiten der Verwahrlosung der Kirche große Eingriffe in ihre i n n e r n Rechte und Freyheiten von Seite des Staats geschehen sind; aber jene Rechte und Freyheiten sind kein Gegenstand des Concordats, können durch 25 ein solches der Kirche weder gegeben noch genommen werden, wurden durch einzelne Gewalthandlungen zu allen Zeiten gestöhrt, und werden es auch künftig noch werden. Wie oft müßte man Concordate machen, wenn die Verwahrung jener unveräußerlichen Rechte der eigentliche Zweck derselben wäre? − Aber ebenso wenig nothwendig, glauben wir, war eine Abänderung 30 311 in der Art die kirchlichen Stellen zu besetzen. Die Art, wie die bischöflichen Stühle und die höhern geistlichen Stellen nach dem deutschen Kirchenrechte besetzt wurden, war ein, wenn auch nur unvollkommener, Wiederschein der ältesten Gewohnheit der Kirche, ihre Hirten zu wählen, einer Gewohnheit und eines Rechtes, welches in der Natur einer jeden Gesellschaft liegt, die 35 durch f r e y w i l l i g e Ve r b i n d u n g sich gebildet hat. Warum sollte man diesen Wiederschein nicht lassen, wenn man das vollkommenere − eine eigentliche Wahl durch die Gemeinde oder ihre Repräsentanten, nicht geben wollte? Warum den Schein aller Repräsentation in der Kirche verwischen, da man ihn doch im Staate überall herstellt? 40 12 Vgl. ebd. 164-171. <?page no="622"?> 590 Johann Sebastian Drey Aber das Concordat besagt (Art. 9.) 13 , daß Se. Heiligkeit in Erwägung der aus gegenwärtiger Uebereinkunft für die Kirche hervorgehenden Vortheile Sr. Majestät von Bayern ein ewiges Indult verleihen, zu den erledigten bischöflichen Stühlen zu ernennen. − Dagegen haben wir manches Bedenken. Zuförderst liegen die Vortheile selbst, die als Beweggrund dieser Abänderung 5 des ältern deutschen Kirchenrechts angegeben sind, nicht recht am Tage. Daß ein Staat einer Religionsgesellschaft, die er duldet, die von ihr für wesentlich und unveräußerlich gehaltenen Rechte garantirt, versteht sich doch wohl von selbst, und ist eine bloße Pflicht der Gerechtigkeit; der Staat müßte ja sonst diese Religionsgesellschaft ausschließen. Uebernimmt derselbe, dieser Reli- 10 gionsgesellschaft einen Theil desjenigen Vermögens, welches sie bisher recht- 312 lich besessen, er aber ihr genommen hat, zurückzustellen, so ist hierinn wiederum nichts als h ö c h s t e n s bloße Gerechtigkeit zu sehen; der Kirche aber erwächst kein Vortheil daraus; denn ein Theil ist ja doch weniger als das Ganze; − und da sie einen Cultus und Geistliche haben muß, so ist es für sie, 15 d. h. ihre Mitglieder − eins, ob der Staat die Unterhaltungskosten derselben durch ausgeschiedene Domänen bestreitet, und diesen Abgang durch höhere Besteuerung der Betheiligten deckt, oder ob sie jene Kosten durch Privatumlagen unter sich bestreiten. Die Vortheile müßten also nur in der Sache selbst liegen, nämlich darinn, daß die Regierung die w ü r d i g e n und t a u g l i c h e n 20 Geistlichen besser herauszufinden weiß, und sie lieber herausnimmt, als die Gemeinde oder die Geistlichen selbst es thun würden. Nach bloßen Grundsätzen möchte sich über die Entscheidung streiten lassen; die Erfahrung aber hat seit 1803. gelehrt, daß wenigstens bey Beförderungen auf niedere Kirchenstellen (und andere kamen seitdem nicht vor,) die Würdigkeit und Taug- 25 lichkeit gewöhnlich nach dem Maße der Pension beurtheilt wurde, die ein Geistlicher vom Staate bezog, der Gunst, die überall waltet, nicht zu gedenken. Wir müssen es daher lediglich erst abwarten, ob die Erfahrung künftig ein anderes Gesetz befolgen werde als bisher. Wenn wir also alles zusammenfassen, auch die (Art. 7.) 14 ausdrücklich als vortheilhaft bezeichnete Wieder- 30 herstellung der alten Mönchsorden, die (Art. 9.) 15 angehängten Annaten und Kanzleytaxen, und die (Art. 10.) 16 vorkommenden päbstlichen Vorbehalte mit einschließen, so können wir uns noch immer nicht von den Vortheilen 313 überzeugen, die aus diesem Concordate für die Kirche in Bayern hervorgehen; gewisser und reeller sind freylich die Vortheile für Rom, und man ist 35 daher mit Recht versucht zu glauben, daß die Erwägung der letztern in Rom selbst den richtigen Gesichtspunkt in etwas verrückt haben müsse. 13 Vgl. ebd. 164 165. 14 Vgl. ebd. 162 163. 15 Vgl. ebd. 164 165. 16 Vgl. ebd. 164-167. <?page no="623"?> 591 Das Bayerische Concordat (1819) Sodann scheint das Indult selbst, welches eine Wirkung der gerühmten Vortheile ist, bedenklich. Dies Indult ist etwas ganz neues in der Kirche. Im Concordate zwischen Franz I. und Leo X., in Folge dessen sich jener das Recht zueignete zuerst unter allen Fürsten zu den Erzbisthümern und Bisthümern zu ernennen, ist von einem solchen Indult keine Rede, vielmehr 5 erklärt der Gesetzes-Entwurf, den Ludwig XVIII. mit dem Concordate von 1817. der Deputirten-Kammer am 22. Nov. vorlegen ließ, und worinn sich ausdrücklich auf jenes Concordat von 1517. bezogen wird, jenes Recht für ein der Krone inwohnendes Recht; wiewohl dieses Kronrecht damals eben so neu war, als das Indult es jetzt ist. *) Und welchen Sinn kann dieses haben nach 10 314 der Lage der katholischen Kirche in Deutschland? Der Reichsdeputationsreceß von 1803 hatte alle deutschen Bischöfe ihrer Reichslehen, Reichsfürstenwürde (mit Ausnahme des Charakters) und der daran geknüpften Einkünfte beraubt; aber dieser rein politische Akt konnte sie ihres bischöflichen Amtes nicht entkleiden, ihre Beziehungen zur Kirche blieben unverändert. 15 Ganz dasselbe gilt von den Domkapiteln als Presbyterien. Welche Deutung auch von Regierungen oder Staatsbeamten jenem Reichsbeschlusse, dieser Unverletzlichkeit der kirchlichen Beziehungen entgegen, gegeben werden wollte, sie mußte als kirchlich nichtig angesehen werden, zuförderst der Pabst als Oberhirt der Kirche mußte sie so ansehen. Starb ein Bischof, so wählte das 20 Kapitel zuerst seinen Vicarius, und machte Anstalten zur Wahl eines neuen Bischofs wie bisher; unterließ das Kapitel diese Schritte, und unterließ der Metropolit als der nächste Aufseher über erledigte Bisthümer die geeigneten 315 Vorkehrungen zur provisorischen Verwaltung, so war der Fall gegeben, wo der Pabst vermöge jener Machtvollkommenheit einschreiten mußte, die ihm 25 gegeben ist, um zu ergänzen, was die Saumseligkeit der übrigen Kirchenprälaten gefehlt hat; er setzte im letzteren Falle, aber auch nur für den jedesmaligen Fall einen Bisthumsverweser. Machte aber der Staat Schwierigkeiten gegen die Wahl eines neuen Bischofs, etwa aus dem Grunde, weil die Dotation noch nicht ausgemittelt sey, so konnte das nur eine Veranlassung für 30 * Wie sehr sich die Grundsätze in Betreff der Kronrechte, welche die Regenten gegen die Kirche ansprechen, ändern können, erhellt aus folgenden zwey Beyspielen. Ludwig dem Heiligen, König von Frankreich, hatte sein Gesandter von Rom ein Privilegium des Pabstes mitgebracht, das ihn ermächtigte zu allen Prälaturen des Königreichs zu ernennen. Der König warf es aber sogleich in das Kamin, indem er zu seinem Minister sagte: »ich kann es gar nicht loben, daß [314] ihr mir dies Privilegium vom Pabste gebracht habet; denn ich bin überzeugt, daß ich es ohne Gefahr für mein eigenes und für das Heil meines Königreichs nicht annehmen kann.« Das andere Beyspiel ist von Ludwig dem Jüngern. Auch dieser hatte ein päbstliches Breve mit einem ähnlichen Privilegium erhalten. Er warf es ebenfalls in das Feuer mit den Worten: »besser, diese Papiere verbrennen, als daß ich mich der Gefahr aussetze, um ihretwillen ewig in der Hölle brennen zu müssen.« Die Vergleichung zwischen damals und jetzt überlassen wir unsern Lesern. Chronique religieuse, Cah. XX. S. 461. [Übertragung Dreys von Auszügen aus: Sentiment de M. Antoine Arnauld, sur ce qu’on a propose ´ pour reme ´dier aux de ´sordres que produit en France la longue vacance de tant d’e ´ve ˆche ´s, in: Chronique religieuse (hg. von Henri Gre ´goire u.a.), Tome premier. Paris 1819, Heft 20, 455-466, 461-462.] <?page no="624"?> 592 Johann Sebastian Drey ihn selbst seyn, die fehlende Dotation ins Reine zu bringen, die Maßregeln zur provisorischen Verwaltung des Bisthums in kanonischer Form konnte es aber keineswegs hemmen, so wie die verwaisten Kirchen ihrer Ansprüche auf einen Bischof nicht berauben. Das ist in den Kanonen, so mußte es gehalten werden, und der Pabst als Wächter über die Kanonen mußte vorzüglich darauf 5 sehen, daß es so gehalten wurde. Daß es nicht so, daß es wenigstens nicht ohne viele Verwirrungen so gehalten wurde, wissen wir. − Stand es aber länger oder nicht länger an, bis durch eine Uebereinkunft zwischen Staat und Kirche die nöthige Dotation ausgemittelt war, so konnte die längere oder kürzere Dauer der Sitzerledigung, die einzig durch den Staat veranlaßt war, 10 die deutschen Kapitel ihres Wahlrechts ebensowenig berauben, als der Akt der Säcularisation sie ihrer kirchlichen Existenz und ihrer damit verbundenen Rechte berauben konnte. Weder der Staat noch der Pabst gewann dadurch etwas an Rech-ten gegen sie, aufs mindeste bedurfte es einer Verzichtleistung 316 von ihrer Seite gegen den einen oder den andern, und es ist erst noch eine 15 Frage, ob die Domkapitel für sich, auch in ihrer Eigenschaft als temporäre und stellvertretende Repräsentation des Episcopats zu einer solchen Verzichtleistung befugt seyn, zumal die einzelnen. Uebrigens ist von einer solchen Verzichtleistung oder von Unterhandlungen deswegen nicht das mindeste bekannt geworden. Was aber namentlich Rom betrifft, so ist am allerwenig- 20 sten abzusehen, wie es aus der langen Sitzerledigung ein Erlöschen des Wahlrechts der Domkapitel ableiten könne, da wir doch Beyspiele haben, daß die römischen Cardinäle, die nicht nur der Stadt Rom einen Bischof, sondern der ganzen Kirche einen Pabst geben, den heiligen Stuhl zwey Jahre und darüber unbesetzt ließen, daß sie durch ihre Uneinigkeit die Kirche mit zwey und drey 25 Päbsten zumal, davon keiner ein rechter war, und mit einem traurigen Schisma auf viele Jahre heimsuchten. Wie wenn nun die Kirche darauf einen Titel, diesen Cardinälen ihr Wahlrecht zu nehmen, hätte gründen wollen? Jenes Indult also, von dem wir sprechen, hat in der, wiewohl traurigen, Lage der deutschen Kirche seit 1803 keine kanonische Begründung, durch diese Lage 30 konnte der Pabst nicht zu dem Rechte kommen, die Bischöfe in Deutschland zu ernennen, also auch nicht zu dem Indulte, wodurch er dieses Recht an einen Fürsten abtritt. Ja wenn die Lage der Zeiten auch wirklich einen Fall herbeygeführt hätte, wo der Pabst nach dem Rechte der Devolution oder einem ähnlichen den Bischof ernennt, (die Kanones und auch das deutsch 35 317 Kirchenrecht bezeichnen solche Fälle,) so konnte dies Recht doch nur ein vorübergehendes, ein auf den einzelnen Fall beschränktes seyn; ein Indult der Art konnte alsdann der Pabst ertheilen, aber nimmer ein I n d u l t a u f e w i g e Z e i t e n . Rechtliche Consequenz hat ein solches Indult nur dann, wenn der Pabst entweder die deutsche Kirche überhaupt, alle Bisthümer und Kapitel als 40 nicht existirend, und Deutschland wie ein Land betrachtet, in welchem Christenthum und Kirchenthum durch ihn wie einen Apostel erst eingeführt <?page no="625"?> 593 Das Bayerische Concordat (1819) werden muß; oder wenn er sich das Recht zuschreibt, die Kanones einer großen Nationalkirche eigenmächtig ohne ihr Mitwissen und Mitwirken abzuändern. Im erstern Falle mußte doch der Akt der Annihilation der bisher bestandenen Kirche bekannt seyn. Einen solchen hat der Pabst, wenn er es auch könnte, nirgends ausdrücklich erklärt; es bleibt also nur übrig anzuneh- 5 men, der Pabst habe durch den Akt des Concordats selbst anerkannt, daß die Kirche in Deutschland durch den Receß von 1803. vernichtet, und alle Bisthümer und Kapitel seyn darum aufgehoben, weil und inwieweit die Staatsregierungen sie aufgehoben haben und wissen wollen. Wie sehr ein solches Anerkenntniß mit der Bestimmung des apostolischen Stuhls, die ist dem 10 Niederreißen zu wehren, im Widerspruche stehe, und welches gefährliche Beyspiel dadurch gegeben werde, liegt am Tage, und dürfte sich aus dem weitern Verlaufe dieses Concordats noch mehr entwickeln. Legt sich aber der Pabst das Recht bey, über die Kanones und Rechte der Kirchen nach Gutdünken zu ver-fügen, so betrachtet und benimmt er sich als den Monarchen 15 318 der Kirche, und diese Ansicht kann die Kirche nie zu der ihrigen machen. Der Verfasser, der dies schreibt, ist von der Nothwendigkeit einer obersten und centralen Gewalt in der Kirche überzeugt, selbst wenn er von der Kirche blos auf menschliche Weise reden will; er wünscht um keinen Preiß, die Einheit der Kirche, die einzig nur durch einen Primat erhalten werden kann, in der 20 haltungslosen Vielheit unabhängiger Nationalkirchen und Patriarchate verschwemmt zu sehen, was unstreitig der Wunsch einiger Leidenschaftlichen war oder etwa noch seyn mag; er weiß aus der Kirchengeschichte, daß die Kirche in ihrer Verfassungsform auf gewisse Art das Gesetz der Staaten befolgt, und von einer Art ursprünglicher Demokratie zur Aristokratie, und 25 von dieser immer mehr zur Monarchie fortgeschritten; er versteht auch Kirche und Pabstthum nicht blos empirisch sondern in der Idee aufzufassen, und begreift aus dieser, wie die Centralkraft alles Peripherische nothwendig nicht nur an sich zu ziehen, sondern mit sich zu identificiren strebt, und von diesem Gesichtspunkt aus würdigt er im allgemeinen das Bestreben der Päbste, sich 30 die Alleingewalt in der Kirche zu verschaffen, ohne welches diese schon lange nicht mehr bestünde. Aber er kann die Idee einer reinen Monarchie weder für die höchste im Staate, noch in der Kirche halten, wie es neuerlichst philosophirende Publicisten und Theologen zu beweisen versucht haben. Die reine Monarchie ist einzig, wie Gott: sie ist die Ausgleichung aller Differenz, sie hat 35 ihren Sitz und Träger im Himmel; Gott allein ist es. Wir im Endlichen 319 müssen zufrieden seyn, wenn wirs zur möglichsten Annäherung an die Idee bringen − durch eine Dyarchie in einer beschränkten Monarchie. Hat doch das Göttliche selbst, als es in die Zeit herabstieg, nicht anders erscheinen können, als in der Zweygestalt. In zwey Naturen ist Jesus Christus, die höhere 40 ließ sich einengen und beschränken durch die niedere, jene ließ diese gewähren in allem, mit Ausnahme der Sünde; und doch ist in beyden Naturen nur <?page no="626"?> 594 Johann Sebastian Drey ein Christus. Nach sich hat er auch seine Braut die Kirche gebildet; auch sie subsistirt in zwey Naturen oder Gewalten: die höhere, die himmlische Einheit und Monarchie repräsentirend auf Erden, ist der Primat, die andere, die irdische Vielheit und Mannichfaltigkeit darstellend, ist der Episcopat. Jener seines Vorbildes in Christus eingedenk muß sich willig beschränken lassen 5 durch diesen, muß diesen gewähren lassen in den Aeußerungen der ihm natürlichen Thätigkeit; nur wachend, leitend, und verhütend greift er da ein, wo die abnorme Thätigkeit des letztern kirchlich Böses zu stiften beginnt. Und wie in Christus die Einheit der Person in der Zweyheit der Naturen wohl besteht, so kann auch die Einheit der Kirche, dieser fortdauernden Reprä- 10 sentation der Menschwerdung Gottes, in der Zweyheit der Gewalten wohl bestehen. − Nach diesen Principien ist das Bayerische Concordat, und das Benehmen Roms in demselben hier beurtheilt. So lag das Concordat längere Zeit zur Beurtheilung vor, ohne daß es von der Regierung officiell bekanntgemacht, oder der 18. Artikel desselben, dem- 15 zufolge es als Staatsgesetz erklärt werden sollte, vollzogen worden wäre. 320 Diese Zögerung, und vielleicht auch der Widerspruch, den es von Seite des Ministeriums gefunden haben konnte, veranlaßten das Gerücht, die Bayerische Regierung habe das Concordat suspendirt, was in dem Umstande einige Wahrscheinlichkeit fand, daß mittlerweile die Conferenzen der vereinigten 20 protestantischen deutschen Fürsten und Städte zu gleichem Zwecke in Frankfurt begannen, und man also denken konnte, daß Bayern denselben beytreten dürfte. Indessen jenes Gerücht bestätigte sich nicht, vielmehr wurde die neue Bayerische Constitution am 27. May 1818. bekannt gemacht, und mit ihr auch das Concordat als Beylage I. zu §. 103. des E d i k t s über die äußern Rechts- 25 verhältnisse der Einwohner des Königreichs Bayern in Beziehung auf Religion zu Tit. IV. §. 9. der Verfassungs-Urkunde. Dadurch war nun das Concordat als Staatsgesetz erklärt; aber noch immer hörte man nichts von dem Vollzuge desselben, und nichts von der Ankunft des apostolischen Nuntius, der nach Art. 2. 4. 10. 17 in Verbindung mit einer 30 königlichen Commission dazu mitwirken sollte. Erst gegen Ende Oktobers v. J. klärte sich das über dieser Sache liegende Dunkel auf, durch das Bekanntwerden der Anrede, die Se. Heiligkeit in einem geheimen Consistorium am 2. Okt. an die Cardinäle gehalten hatte. (Man sehe sie nach in der Urkunden- Sammlung 18 ). In dem Berichte, den der heil. Vater darinn über den weitern 35 Hergang der Sache seit der Ratification der Uebereinkunft den Cardinälen vorlegt, erwähnt derselbe auch vorzüglich des Kummers und Schmerz-gefühles, den er über die Bekanntmachung der neuen Bayerischen Constitution 321 empfunden, indem sowohl in ihr selbst als in ihren Beylagen mehreres ent- 17 Vgl. Konkordat, ThQ 1 (1819) 148-151; 152-161; 164-167. 18 Vgl. Urkundensammlung ThQ 1 (1819) 346-350. <?page no="627"?> 595 Das Bayerische Concordat (1819) halten sey, was die katholische Religion und Kirche angehe. Er berichtet dann ferner, wie Se. Maj. der König von Bayern von diesem Eindrucke der Constitution auf Se. Heiligkeit benachrichtigt, durch Ihren Bevollmächtigten, den Cardinal Häffelin, mittelst einer officiellen Note *) Sr. Heiligkeit eine beruhigende Erklärung, deren wesentlicher Inhalt angegeben ist, haben zugehen 5 lassen; und wie nun der Weg zur Ausgleichung der erhobenen Schwierigkeiten gebahnt sey, weswegen auch Se. Heiligkeit Ihren Nuntius zur gänzlichen Beendigung des Geschäftes unverzüglich nach München abgehen lassen würden. Aber auch diese Aufklärungen setzten das Publicum nicht aus aller Ver- 10 legenheit. Zuförderst sind die Punkte nirgends namentlich bezeichnet, wodurch die Constitution oder ihre Beylagen den durch das Concordat stipulirten Rechten der Kirche, oder ihrer Freyheit entgegen seyn soll, und man ist also genöthigt, sich mit eigenen Vergleichungen zu behelfen. Wenn man also auch alle Artikel der Constitution und des allgemeinen Religionsedicts durch- 15 geht, welche Beziehung auf die Kirche haben, und daher möglicherweise dem heil. Vater Betrübniß verursacht haben könnten, so findet man darunter nur wenige von dieser Art. Es kann die Thatsache selbst nicht seyn, daß die Bayerische Regierung in der Con-stitutions-Urkunde auch die ä u ß e r n 322 Rechtsverhältnisse der Religionsgesellschaften, die sie vorfindet, festsetzt: 20 denn dazu hat sie das unbestrittene Recht; und nur auf die ä u ß e r n Rechtsverhältnisse lautet die Aufschrift. Auch ist nicht wohl anzunehmen, daß die Liberalität, womit allen Gewissen die Freyheit ihrer Ueberzeugung, und allen bestehenden Religionsgesellschaften die Freyheit einer öffentlichen oder offenen Uebung ihrer Religion zugestanden ist, Sr. Heiligkeit misfallen habe: 25 denn wenn es gleich dem Oberhaupte der katholischen Kirche ziemt und erlaubt seyn muß, alle Spaltungen und Irrthümer außer der Kirche zu bedauern, so vermag es doch nichts gegen das Princip der bürgerlichen Duldung, welches die Staatsgewalt freylich nicht ohne eine Art von Indifferentismus adoptirt. Es könnten demnach nur Widersprüche zwischen dem früher 30 abgeschlossenen Concordate, und dem später ergangenen Religionsedicte seyn. Hiebey springt nun freylich die Verfügung des Religionsedicts §. 58. 19 verglichen mit dem Concordate Art. 12. besonders sub. e) 20 zuerst in die Augen. Daß nach jener Verfügung der Bischof seine Anordnungen noch f r e y k u n d m a c h e , kann man wohl nicht sagen, so wenig als man sagen kann, der 35 Professor habe Lehrfreyheit, der seine Hefte, oder der Schriftsteller habe Preßfreyheit, der sein Manuscript der Regierung vorher zur Genehmigung vorlegen muß. Freylich hat die Freyheit in der Erscheinung bis zur Nulle herab viele Grade, und wir rechnen auch die Pupillen noch unter die Freyen. * Sie ist besonders abgedruckt Nro. 2. − [Vgl. Urkundensammlung ThQ 1 (1819) 350-352.] 19 Vgl. Religionsedikt, in der Urkundensammlung ThQ 1 (1819) 134. 20 Vgl. Konkordat, ThQ 1 (1819) 172 173. <?page no="628"?> 596 Johann Sebastian Drey (Liberos sed non sui juris.) Diese Bemerkung ist eine allgemeine, dem Bayerischen Religionsedicte muß es aber nachgerühmt werden, daß der §. 59. 21 den 323 §. 58. um vieles mildert. In einem gleichen Verstoße steht §. 76. b. des Rel. Edicts 22 mit Art. 12. g) des Concordats 23 , dort wird als ein Gegenstand gemischter Natur angegeben, was hier dem Bischofe freystehen soll; auch mußte 5 ebendort unterschieden werden zwischen Andachten und Ceremonien, die einen wenn schon nicht wesentlichen Theil der ö f f e n t l i c h e n R e l i g i o n s ü b u n g ausmachen, und zwischen local- oder privat-Andachten. Diese letztern gehen die Kirche nicht an; jene aber gibt ja das Edict §. 1. 24 frey; auch muß ja der Staat erst von der Kirche vernehmen, was zu den wesentlichen 10 Theilen ihres Cultus gehöre, und was nicht. Nicht minder widerspricht §. 13. des Edicts 25 dem Art. 12. c) 26 ; jener erklärt die Giltigkeit der Eheverträge zwischen Personen, die verschiedenen Glaubensbekenntnissen zugethan sind, als beurtheilbar l e d i g l i c h nach den bürgerlichen Gesetzen; dieser räumt dem Bischofe das Recht ein i n s b e s o n d e r e E h e s a c h e n − d e m C o n c i - 15 l i u m v o n Tr i e n t g e m ä ß , b e y s e i n e m G e r i c h t e zu verhandeln und zu entscheiden. Wollte man auch sagen, der §. 13. verstehe sich nur mit der Beschränkung des §. 64. d) 27 , nämlich mit der Beschränkung auf den bürgerlichen Vertrag und dessen Wirkungen, so scheint der Beysatz l e d i g l i c h diese wie jede andere Limitation auszuschließen. Zudem ist die disparitas cultus 20 ein kanonisches Ehehinderniß von der annullirenden Art; die Praxis der katholischen Kirche hat zwar, in Deutschland wenigstens, es nie auf Ehen zwischen Katholiken und Protestanten ausgedehnt, aber es sind in Bayern außer den bezeichneten noch andere, selbst nichtchristliche Glaubensbe- 324 kenntnisse, − und das Gesetz spricht allgemein. Ob nicht dadurch Gewissens- 25 zwang eingeführt wird? Ueberhaupt hat die katholische Kirche gemischte Ehen nie gerne gesehen, und dies zwar nicht blos um jener Delikatesse willen, die in ihren Grundsätzen liegt, sondern aus gegründeter Sorgfalt für die Ruhe der Ehegatten, und für die religiöse Erziehung der Kinder, wobey wegen der nothwendigen Verwirrung kein Religionstheil etwas gewinnt. − Nicht wohl 30 vereinbarlich ist auch §. 64. g) des Edicts 28 mit Art. 11. des Concordats 29 : jener erklärt die B e s t i m m u n g e n über die Zulassung zu Kirchenpfründen für einen weltlichen Gegenstand, nach diesem kommt das Erkenntniß über die erforderlichen Eigenschaften der Präsentirten dem Bischofe zu, der sie zu dem 21 Vgl. Religionsedikt, ThQ 1 (1819) 134. 22 Vgl. ebd. 138. 23 Vgl. Konkordat, ThQ 1 (1819) 172 173. 24 Vgl. Religionsedikt, ThQ 1 (1819) 122. 25 Vgl. ebd. 124. 26 Vgl. Konkordat, ThQ 1 (1819) 170-174. 27 Vgl. Religionsedikt, ThQ 1 (1819) 135. 28 Vgl. ebd. 136. 29 Vgl. Konkordat, ThQ 1 (1819) 168-171. <?page no="629"?> 597 Das Bayerische Concordat (1819) Ende sogar selbst prüfen soll. − Noch unvereinbarlicher ist §. 76. d) des Edicts 30 mit Art. 5. des Concordats 31 . Hier werden die innere Einrichtung, der Unterricht, die Leitung und die Verwaltung der Seminarien der v o l l k o m m e n f r e y e n Aufsicht der Bischöfe untergeben, dort gehören die o r g a n i s c h e n Bestimmungen über geistliche Bildungsanstalten, (die Seminarien 5 nehmen aber unter diesen die oberste Stelle ein) unter die Gegenstände gemischter Natur. − Im Art. 12. des Concordats 32 wird die Ausübung der geistlichen Gerichtsbarkeit überhaupt und sub d) die Ausübung des Strafrechts insbesondere als ein Ausfluß des geistlichen Hirtenamts, geregelt durch die Kanones und die bestehende Kirchendisciplin, dargestellt; der §. 60. 33 10 stellt sie als einen Ausfluß der Staatsgewalt dar, indem zwar die A u s ü b u n g 325 der Kirchengewalt zustehen, die A n o r d n u n g aber und die Ve r f a s s u n g der Gerichte vor ihrer Einführung der landesherrlichen Bestätigung unterliegen soll. Die geistlichen Gerichte sind also Staatsbehörden in einem eigenen Wirkungskreise: diese Idee des Territorialsystems scheint im ganzen ersten 15 Kapitel des III. Abschnitts des Edicts durch, ungeachtet der dem Scheine nach entgegengesetzten Versicherungen der §.§. 50. 51. 34 Am auffallendsten erhellt dies aus §. 52. ff. 35 wo durch die Unbestimmtheit des Ausdrucks der sogenannte Recurs an den Staat in ein Cassationsgericht verwandelt ist. Unstreitig steht jedem Mitgliede einer Kirchengesellschaft das Recht zu, den 20 Schutz der Staats-Gesetze gegen diese Gesellschaft anzurufen, wenn die Gerichte der letztern in der Ausübung ihrer Gewalt Handlungen begangen haben, die eine bürgerliche Rechtsklage überhaupt begründen; aber nimmer können die Gesetze der Kirche, und die Principien ihrer Anwendung einer Reformation, oder Cassation durch die Staatsgewalt unterliegen; dies wäre ein 25 Eingriff in das Innere der Kirche. Wenn man also, wie gesagt, in Verlegenheit war, die Ausgleichung zu den Differenzen der beyden Urkunden zu finden, so wurde man durch die Note des Cardinals Häffelin nicht daraus gezogen; denn sie enthält als vorzüglichen Beruhigungsgrund für den heil. Vater die Stelle: »daß das der Verfassungs- 30 urkunde angehängte Edict, dessen Hauptzweck auf Erhaltung der Ordnung, Ruhe, und Eintracht unter s ä m m t l i c h e n U n t e r t h a n e n d e s R e i c h s gerichtet ist, b l o s f ü r d i e j e n i g e n , w e l c h e s i c h n i c h t z u r k a t h o l i - 326 s c h e n R e l i g i o n b e k e n n e n als Richtschnur dienen soll, während das Concordat für alle Katholiken als Norm gelten soll.« − Der Sinn dieser Stelle 35 bietet durch die gleichzeitige Beziehung e i n e s u n d d e s s e l b e n E d i c t s auf 30 Vgl. Religionsedikt, ThQ 1 (1819) 138. 31 Vgl. Konkordat, ThQ 1 (1819) 160-163. 32 Vgl. Konkordat, ebd. 170-173. 33 Vgl. Religionsedikt, ThQ 1 (1819) 134. 34 Vgl. ebd. 132. 35 Vgl. ebd. 132-134. <?page no="630"?> 598 Johann Sebastian Drey sämmtliche Unterthanen des Reichs und auf die bloßen Nichtkatholiken, so wie andrerseits durch die klaren Aufschriften der in Frage kommenden Aktenstücke, unüberwindliche exegetische Schwierigkeiten dar. Diese werden durch eine erläuternde Anmerkung nicht gehoben, welche zuerst die Münchner, und nach ihr die allgemeine Zeitung Nro. 299 zu der dunklen Stelle gab, 5 und welche, wie man sagt, aus dem Ministerium kam; sie lautet so: »Edict über die innern kirchlichen Angelegenheiten der protestantischen Gesammtgemeinde in dem Königreiche ddto 26. May 1818. Das andere Edict von dem nämlichen Tage über die äußern Rechtsverhältnisse des Königreichs Bayern in Beziehung auf die Religion und kirchliche Gesellschaften enthält die allge- 10 mein verbindlichen Bestimmungen für sämmtliche königliche Unterthanen.« Durch diese Note erfahren wir zwar, daß das besondere Edict für die Protestanten − was uns wieder unbegreiflich ist, den heil. Vater beunruhigt haben müsse, aber es wird nun eines zweyten Edicts für alle Unterthanen ausdrücklich erwähnt. Wenn wir es daher sehr wahrscheinlich finden, was öffentliche 15 Blätter gemeldet haben; die Regierung habe nämlich dem Cardinal über seine verwirrende Note ihre Unzufriedenheit zu erkennen gegeben; und wenn wir es ihr Dank wissen, daß sie durch ihren Erlaß vom 7. Nov. *) den ursprüng- 327 lichen klaren Stand der Dinge, insoweit ihn die bekannten Aktenstücke geben können, wiederhergestellt hat, so muß man auf der andern Seite fragen: nach 20 welcher Logik, nach welchen Regeln der Auslegung der römische Referent in dieser Sache eine Beruhigung für den heil. Vater aus des Cardinals Note herauszubringen gewußt habe? Man kannte doch in Rom wohl die appendices zu der Constitutions-Urkunde. Der Nuntius ist bekanntlich seit dem 31. Oktober v. J. in München; aber 25 von den Verhandlungen mit ihm, so wie von ihrem Resultate ist bis jetzt, (der Verf. schreibt das zu Anfang des Februars,) nichts officiell bekannt geworden; was davon verlautet hat, gründet sich auf Privatnachrichten und Gerüchte. Daß der Nuntius die Zurücknahme des allgemeinen Religionsedicts verlangt hat, ist eben so begreiflich und nach der Note des Cardinals Häffelin natür- 30 lich, als es andrerseits natürlich und begreiflich ist, daß der geheime Rath, von welchem das erstere ausgieng, auf dessen Aufrechterhaltung bestand. Daß die Regierung nichts versäumt hat, die Irrungen auszugleichen, beweisen außer den fortgesetzten Arbeiten im geheimen Rath der sogenannte Nuntiatur- Congreß, wozu verschiedene Mitglieder der General-Vicariate des König- 35 reichs zu den nöthigen Vorarbeiten von dem Nuntius mit Bewilligung der Regierung eingeladen waren, so wie die Einberufung der General-Vicare selbst, und die von diesen jüngst an die ehemaligen Mitglieder der Dom- 328 kapitel geschehenen Mittheilungen in Betreff ihrer neuen Anstellungen und Dotationen. Seit der ganzen Dauer dieser Discussionen haben gewisse Zei- 40 * M. s. Urkunden-Sammlung Nro. 3. − [Vgl. Urkundensammlung ThQ 1 (1819) 353-355.] <?page no="631"?> 599 Das Bayerische Concordat (1819) tungen glauben machen wollen, das Concordat habe die Meynung der Nation, und selbst die Stimmung der Geistlichkeit g e g e n sich; ebendasselbe hatten früher gewisse Flugschriften behauptet. Das erstere würde wahr seyn, wenn die Beamten die Nation wären; daß das andere nicht wahr sey, beweiset schon allein das officielle Verbot, daß die Geistlichen ohne besondere Erlaubniß 5 nicht zur Residenz kommen sollen, ein Verbot, welches zwar allgemein für alle Staatsdiener schon länger besteht, dessen Auffrischung aber für die Geistlichen seinen besondern Grund haben muß, den man nicht verfehlen kann. Dieselben Zeitungen haben zuletzt die immer mehr f ü r das Concordat sich aussprechende Stimmung der Geistlichkeit curialistischen Umtrieben zuge- 10 schrieben. Bey einzelnen Individuen möchte das wahr seyn, in Beziehung auf die ganze Geistlichkeit ist es nicht wahr. Es ist vielmehr ein ganz anderer Grund, den aber die Correspondenten jener Zeitungen nicht sehen, weil sie ihn nicht sehen wollen. Zwey mächtige und billige Wünsche liegen in jedes Menschen Brust, die man auch dem Geistlichen nicht verübeln darf. Es ist der 15 Wunsch nach einer so viel als möglich freyen Bewegung in seinem Wirkungskreise, und der Wunsch nach humaner achtungsvoller Begegnung. Von welcher Seite her dem Menschen die beyden Wünsche gewährt und gesichert werden, nach derselben hin wird er sich immer neigen. Wenn also die Bayerische Geistlichkeit, − in der Mitte stehend zwischen dem Concordate, das 20 329 ihr wohl nicht in allen Stücken lieb seyn mag, und zwischen der frischen Erinnerung an die von Staatsbehörden und Beamten erduldeten Mißhandlungen in concordatlosen Zeiten, − sich dennoch dem erstern zuwendet, weil es ihr wirklich die beyden Wünsche, freyere Wirksamkeit und Ehre, weit mehr sichert als der bisherige Zustand, so folgt sie hierinn blos einem psy- 25 chologischen Gesetze. − Und die psychologischen Gesetze hat Gott nicht nur für die Bayern, sondern für alle Menschen gegeben. Nach welchen Gesetzen aber die Bayerische Regierung den obschwebenden Handel schlichten werde, wartet man billig ab. <?page no="633"?> Texte Nr. 9: Miscellanea 1819-1835 [Misz.] Bei den hier unter der Dachbezeichnung Texte Nr. 9: Miscellanea 1819-1835 zusammengestellten Texten handelt es sich um Beiträge, die D rey zwischen 1819 und 1835 zu aktuellen Anlässen in der Theologischen Quartalschrift veröffentlichte. Sie bilden im Hinblick auf ihre okkasionelle Veranlassung und ihren von daher bestimmten literarischen Charakter eine eigene Gruppe unter den Schriften D reys 1 . Als zusammenfassender Nenner für sie bot sich die Bezeichnung Miscellanea an. In den Miszellen Nr. 1-19 sind sämtliche derartige Texte D reys erfaßt. Die meisten von ihnen sind in den Jahren 1819 und 1820 erschienen und gehören somit der allerersten Phase der ThQ an. Die Nachzügler von 1824, 1829 und 1835 wurden zur Vervollständigung dieser Textgruppe aufgenommen. Mit den in Texte Nr. 9 vereinigten Miszellen sind somit alle dieser Gruppe beizuzählenden Beiträge D reys erfaßt. 1 Bei K ustermann / F esseler , Bibliographie (wie Einleitung zu Text Nr. 6, Anm. 1) sind diese Beiträge mit einer einzigen Ausnahme unter Ziff. 2.a in der Rubrik Abhandlungen (317-320) untergebracht. Die Ausnahme betrifft das Vorwort D reys zu S chleyer (= Misz. Nr. 19), für das dort die besondere Rubrik Varia (327) vorgesehen wurde. W olfgang R uf , Johann Sebastian von Dreys System der Theologie als Begründung der Moraltheologie [Diss. 1958] (Studien zur Theologie und Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts 7). Göttingen 1974, hat diese Beiträge in seiner »Liste sämtlicher Werke Johann Sebastian von Dreys« (26-54) größtenteils der Rubrik Rezensionen und kleinere Beiträge in der Theologischen Quartalschrift unterstellt (Ziff. 3.c, 43-53); allein Misz. Nr. 16 figuriert bei den »Abhandlungen in der Theologischen Quartalschrift« (Ziff. 3.b, 37-43, hier 41 unter Nr. 40), Misz. Nr. 19 unter »Sonstiges« (Ziff. 4) als einziger Titel in »b) Ein Vorwort« (54); Misz. Nr. 1 und Nr. 12 sind bei R uf nicht aufgeführt. <?page no="634"?> 602 Miscellanea 1819-1835 Misz. Nr. 1: Erläuterung I [zu drei Thesen von Claus Harms] Teil A: Einleitung von Max Seckler I. Bibliographische Angaben Text: Theologische Quartalschrift 1 (1819), Heft 1, 184-185. In diesem Heft finden sich in Rubrik V. Erläuterungen zwei durch einen markanten Trennungsstrich von einander abgesetzte Texte, beide ohne Verfasserangabe und beide ohne eigene Überschrift. Der erste (180-184) ist auf eine »in Nro. 10. der Ergänzungs-Blätter zur Jenaschen Allg. Litt. Zeitung 1818. S. 74« erschienene Rezension 1 bezogen, der zweite (184-185) auf eine Schrift von C laus H arms 2 , näherhin auf die Thesen 92-94 dieser Schrift. L ösch hat als Verfasser beider Texte H irscher vermutet (mit Fragezeichen), aber ohne Angabe von Gründen 3 . Sprachliche und inhaltliche Merkmale sprechen dafür, daß der erste Text tatsächlich von H irscher stammt, der zweite aber von D rey (vgl. dazu auch Misz. Nr. 2). In der vorliegenden Edition wird der in Heft 1 der ThQ von 1819 auf den Seiten 184-185 abgedruckte Text als Erläuterung I bezeichnet, um ihn von der ebenfalls von D rey stammenden Erläuterung, die in Heft 4 der ThQ von 1819 auf den Seiten 712-720 abgedruckt ist, zu unterscheiden. Die letztere wird in Misz. Nr. 2 mit der Kennzeichnung Erläuterung II wiedergegeben. II. Bemerkungen In der Ankündigung der ThQ von 1818/ 19 (siehe Text Nr. 7, Dokument Nr. 1) sind für die »Einrichtung« der ThQ-Hefte fünf Rubriken vorgesehen: I. Abhandlungen, II. Rezensionen, III. Materialien, IV. Vermischte Nachrichten, V. Er- 1 Ergänzungsblätter zur Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung 15 (1818), Bd. 1, Nr. 10, Sp. 73-77. Gegenstand der mit dem Kürzel »Wz.« gezeichneten Rezension war die anonym erschienene Schrift: Versuch einer theologisch-juristischen Abhandlung über das Wesen und den Unterschied des katholischen und protestantischen Beichtsiegels, hauptsächlich in Beziehung auf Entdeckung und Beweis begangener, wie auch auf Verhütung künftiger Verbrechen. Bamberg 1813. 2 Der Originaltitel lautet: Das sind die 95 theses oder Streitsätze Dr. Luthers, theuren Andenkens. Zum besondern Abdruck besorgt und mit andern 95 Sätzen als mit einer Uebersetzung aus Ao. 1517 in 1817 begleitet von Claus Harms, Archidiakonus an der St. Nicolaikirche in Kiel. Kiel 1817. 3 Siehe L ösch , Die Anfänge (wie Einleitung zu Text Nr. 6, Anm. 1) 52, Anm. 1. Bei K uster mann / F esseler , Bibliographie (wie Einleitung zu Text Nr. 6, Anm. 1), sind diese Texte nicht angeführt (vgl. 317). <?page no="635"?> 603 Misz. Nr. 1: Erläuterung zu Harms (1819) läuterungen 4 . Die letzteren sind für »Nothfälle« gedacht (ebd.). Da D rey seinen Text in dieser Rubrik unterbrachte, handelt es sich in seinen Augen um einen solchen Notfall. Die irenische Sachlichkeit, in der D rey zu den Harmsschen Sätzen Stellung nimmt, stimmt in ihrem Tenor auffallend mit der in der Ankündigung für die fünfte Rubrik festgeschriebenen Absicht überein 5 . Sie kommt auch darin zum Ausdruck, daß D rey die »95 theses oder Streitsätze« von H arms (so im Titel der Harmsschen Schrift) nicht als Streitsätze, sondern einfach als »Sätze« bezeichnet. Der orthodoxe Lutheraner C laus H arms 6 hatte das 300jährige Jubiläum des Thesenanschlags dazu benutzt, unter Berufung auf den Reformator dessen Ablaßthesen moderne, in volkstümlicher Sprache verfaßte Thesen zur Seite zu stellen. An seiner Schrift ist abzulesen, in welchem Sinn die Lutherisch-Orthodoxen 1817 den Gedenktag des Thesenanschlags aufgefaßt sehen wollten. Ihre Stoßrichtung galt nicht dem Katholizismus, sondern den Abirrungen vom reinen Luthertum im zeitgenössischen Protestantismus. Ihr Sitz im Leben war der zum Reformationsjubiläum im Protestantismus tobende Richtungsstreit zwischen Rationalisten und Neologen, Lutheranern und Reformierten. Die Geringschätzung, die D rey den von ihm »erläuterten« Sätzen entgegenbringt, äußert sich darin, daß er die Darstellung des Katholizismus bei H arms als schädliche Spielerei (»spielender Witz« 7 ) qualifiziert. Oder sollte H arms »wirklich nicht wissen« - so die rhetorische Frage -, welchen 4 Siehe ThQ 1 (1819) 4-5. Der Terminus Erläuterungen wird hier folgendermaßen umschrieben: »Wir wählen diesen bescheidenen Ausdruck, weil wir - was an uns ist - mit keinem Menschen zu streiten und zu rechten gedenken; aber da wir es für möglich halten müssen, daß über Katholicismus und katholisches Kirchenthum gerade in der gegenwärtigen Periode auch noch ferner, wie bisher, gar manche einseitige Ansichten, unreife Urtheile und unbillige Vorwürfe in die Lesewelt ausgehen, so halten wir uns gegen diese, gegen die Wahrheit und selbst gegen die Irrenden verpflichtet, über Irrthum zu verständigen.« - B enedikt A lois P flanz , der im ersten Heft des ersten Bandes seiner Freymüthigen Blätter über Theologie und Kirchenthum eine ausführliche Rezension zum elften Band der ThQ von 1829 brachte (in: FBTK 1, 1830, 99-115) und damit eine sehr anerkennende Beurteilung dieser für ihn vorbildlichen Zeitschrift insgesamt verband, bemerkte zu der Rubrik »Erläuterungen« mit einem Ton des Bedauerns, dieser »Artikel« sei »schon seit mehreren Jahren ausgeblieben« (100). Tatsächlich enthielt nur der erste Jahrgang der ThQ Beiträge zu der Rubrik Erläuterungen in ThQ 1 (1819) Heft 1, 180-185 (siehe oben Ziff. I) und Heft 4, 712-720 (siehe Misz. Nr. 2), ab dem zweiten Jahrgang der ThQ ist diese Rubrik entfallen. 5 Diese Übereinstimmung kann insofern auch als Indiz für den Anteil D reys an der Verfasserschaft der Ankündigung angesehen werden, als sie der von D rey permanent vertretenen sachlich-irenischen Einstellung in konfessionellen und kontroverstheologischen Angelegenheiten entspricht. G ratz (und H irscher ) waren streitbarer. 6 C laus H arms , * 25. Mai 1778 im süddithmarschen Fahrstedt, † 1. Februar 1855 in Kiel, 1816 Archidiakon und 1835 Hauptpastor und Probst in Kiel; Schüler S chleiermachers . Er kämpfte als strenger, repristinatorischer Lutheraner mit publizistischen Mitteln gegen den Rationalismus der Aufklärung und gegen die Entfremdung der konfessionellen Theologien von ihren Ursprüngen. Die von D rey ins Visier genommene Schrift gilt in der Forschung allgemein als naives Machwerk ohne theologischen Gehalt. 7 Siehe dazu Einleitung zu Misz. Nr. 2, Anm. 9. <?page no="636"?> 604 Johann Sebastian Drey Rang die Wortverkündigung in der katholischen Kirche einnimmt? Daß D rey dem bei H arms zutage getretenen Zerrbild dennoch entgegentreten zu sollen dachte, deutet darauf hin, daß es gefährlich weit verbreitet war und daß er mit H arms ein Exempel statuieren wollte. Am wichtigsten in seinem Text ist die in ihm zum Ausdruck gebrachte Richtlinie zum Verhältnis der Konfessionen zueinander und zu ihrem Umgang miteinander. Teil B: Johann Sebastian Drey [Erläuterung I] Erläuterung 10 C l a u s H a r m s , stellt in seinen 95 Sätzen (Kiel 1817) folgende Sätze auf: 184 92. Die Evangelisch-Katholische Kirche ist eine herrliche Kirche. Sie hält und bildet sich vorzugsweise am Sacrament. 93. Die Evangelisch-Reformirte Kirche ist eine herrliche Kirche. Sie hält und bildet sich vorzugsweise am Worte Gottes. 15 94. Herrlicher als beyde ist die Evangelisch-Lutherische Kirche. Sie hält und 185 bildet sich am Sacrament wie am Worte Gottes. Soll dies blos spielender Witz seyn, oder sollte Harms wirklich nicht wissen, daß man in der Kathol. Kirche auch predige, und christl. Unterricht ertheile, und zwar an jedem Sonn- und Festtage? Oder kommt es hier auf das 20 viel Predigen an? − Wozu die Herabsetzung einer andern Kirche, um die Seinige zu erheben? Wie richterlich absprechend, wenn man geradezu seiner Kirche ein lebendigers religiöses Leben vindiciren will, da solches im Innern des Menschen sich offenbart, das Niemand als der Herzenserforscher kennt! Wir wollen doch nicht wieder in die alten Zeiten zurücktreten, wo man in der 25 Hitze des Kampfes einander nicht zu schätzen wußte. <?page no="637"?> 605 Misz. Nr. 2: Erläuterung zu Schütze (1819) Misz. Nr. 2: Erläuterung II [zu Christian Heinrich Schützes Entstellung des Katholicismus] Teil A: Einleitung von Max Seckler I. Bibliographische Angaben Text: Theologische Quartalschrift 1 (1819), Heft 4, 712-720. Dieser Text ist ohne eigene Überschrift und als einziger Text in der Rubrik V. Erläuterungen 1 untergebracht. Der Name des Verfassers ist nicht angegeben. Archivgestützte Berechnungen und inhaltliche Merkmale sprechen für D rey als Autor 2 . II. Bemerkungen Der gut achtseitige Artikel richtet sich insgesamt gegen Entstellungen des Katholizismus in der antikatholischen Polemik bei zeitgenössischen protestantischen Theologen, die das »unbelehrte Publikum« (713) falsch informieren und den Katholizismus lächerlich machen. Diese Polemik hatte im Umkreis der 300-Jahrfeier (»Reformationsjubiläum«) zum angeblichen Thesenanschlag vom 31. Oktober 1517 an der Schloßkirche zu Wittenberg nach einer Phase konfessioneller Irenik, die in den Jahren vor 1817 ihren Höhepunkt erreichte, erneut eingesetzt. Der Einzug der Katholisch-Theologischen Fakultät in Tübingen, der im Herbst 1817 nach ihrer Verlegung von Ellwangen in die Hochburg des württembergischen Protestantismus erfolgte, hatte übrigens, wie man damals festzustellen nicht versäumte, sinnigerweise unter dem Glockengeläut des Reformationsfestes stattgefunden 3 . Ineins mit der Rück- 1 Vgl. dazu Einleitung zu Misz. Nr. 1, Ziff. II mit Anm. 4. 2 Siehe L ösch , Die Anfänge (siehe Misz. Nr. 1, Anm. 3) 60 mit Anm. 3. Die Indizien, auf die L ösch diese Zuschreibung stützt, sind plausibel. Sie sind vermehrbar. Einige Schwächen im Argumentationsstil und in der Rhetorik, die hinter dem bei D rey sonst Gewohnten zurückbleiben, deuten darauf hin, daß der Artikel in großer Eile niedergeschrieben wurde. - L öschs Zuschreibung wurde von K ustermann / F esseler , Bibliographie (siehe Misz. Nr. 1, Anm. 3) übernommen (317 mit Anm. 3). 3 Siehe [I gnaz L ongner ], Johann Baptist von Keller, erster Bischof von Rottenburg. Eine biographische Scizze, nebst Blicken auf die katholische Kirche Württembergs. Aus den Papieren eines Verstorbenen [d.i. I gnaz L ongner ] herausgegeben von Dr. Wilhelm Binder. Regensburg 1848, 23: »Es war in der That sehr ominös, daß die Professoren und Studierenden der katholischen Theologie gerade zu der Zeit in Tübingen eingezogen, als man die Glocken zum Reformationsfeste <?page no="638"?> 606 Miscellanea 1819-1835 besinnung auf die Ursprünge des Protestantismus und auf die Identität der Konfessionen, für die große Geister wie F ichte und H egel die Marschrichtung vorgegeben hatten, bemächtigte sich nun die breitenwirksame Publizistik des Themas. In dieser Begleitmusik zum Reformationsjubiläum wurden auf entsprechendem Niveau die Gegensätze zwischen den Konfessionen zurechtstilisiert (siehe Misz. Nr. 1) und Zerrbilder des Katholizismus kolportiert. Daß dabei ein Trauma nachwirkte, das die auf die Frühromantik zurückgehende massive Konvertitenbewegung zur katholischen Kirche 4 im Protestantismus hinterlassen hatte, zeigt sich daran, daß in dem Artikel D reys allein schon in den wenigen von ihm angeführten Belegstellen aus S chütze der Name »Stollberg« 5 , der weithin zum Symbol- und Reizwort geworden war, zweimal vorkommt (712, 717). D rey konzentriert seinen Unmut hauptsächlich auf C hristian H einrich S chütze , Gespräche im Bücherzimmer über die von Pastor Harms zu Luthers Jubelfeier herausgegebenen 95 Streitsätze. Jean Paul Friedrich Richter [J ean P aul ] zugeeignet. Eine Mosaikarbeit. 3 Bde., Kiel 1818 6 . Da dieses Machwerk nicht nur im Tagesgespräch war, sondern selbst in der »allg. Hallischen Litteraturzeitung (1818 Nro. 144)« (713) 7 Beachtung und Zustimmung fand und gleichgesinnte prominente Namen 8 auf seiner Seite hatte, sah D rey sich zu der läutete« (zur Autorschaft L ongners siehe Einleitung zu Text Nr. 4, Anm. 49). Vgl. F ranz X aver F unk , Die katholische Landesuniversität in Ellwangen und ihre Verlegung nach Tübingen, in: Festgabe zum Fünfundzwanzigjährigen Regierungsjubiläum seiner Majestät des Königs Karl von Württemberg in Ehrfurcht dargebracht von der Universität Tübingen. Tübingen 1889, 1-30, 28 (getr. Zählung; auch als Sonderabdruck). - Siehe dazu auch Einleitung zu Text Nr. 6 (Katholizismusschrift), Ziff. II.1, bes. bei und in Anm. 45, sowie zu Misz. Nr. 1, Ziff. II, bei Anm. 5. 4 Siehe dazu Einleitung zu Text Nr. 6 (Katholizismusschrift), Ziff. II.1, bes. bei und in Anm. 32-39. 5 Es handelt sich um F riedrich L eopold zu S tolberg -S tolberg (1750-1819), der in Verbindung mit dem Münsterischen Kreis um die Fürstin A malie von G allitzin am 1. Februar 1800 zur katholischen Kirche konvertiert hatte, was im protestantischen Deutschland großes und anhaltendes Aufsehen erregte. Noch 19 Jahre später verfaßte sein Studienfreund J ohann H einrich V oss dazu die Streitschrift Wie ward Friz Stolberg ein Unfreier? (Frankfurt a.M. 1819). 6 C hristian H einrich S chütze , * 15.2.1760 in Altona, † 23.7.1820 in Barkau, 1785 Pastor in Krummendiek, 1787 in Barkau in Holstein, war Rationalist und hatte nie ein akademisches Lehramt inne; seine Streitschrift gegen H arms verschaffte ihm größere Bekanntheit als seine poetischen Werke. - Zu ihm: ADB 33 (1891) 137-138 (C arsten E rich C arstens ). 7 D rey bezieht sich hier auf eine anonyme Rezension der oben genannten Gespräche von S chütze in der Halleschen Allgemeinen Literatur-Zeitung vom Jahre 1818, Bd. II, Nr. 144 (Junius 1818), Sp. 313-315. Diese Rezension zu S chützes Schrift ist in der ALZ 1818 mit der Nummer »12« Teil einer durchnumerierten Folge von 17 Besprechungen, deren erste den 95 Thesen von H arms direkt gilt (ALZ 1818, Bd. I, Nr. 98, 777-782), die folgenden 16 Rezensionen haben Schriften verschiedener Autoren mit teils sehr kritischen Reaktionen auf H arms ’ Thesen zum Gegenstand (die Rezensionen 2-8 in ALZ 1818, Bd. I, Nr. 98-101, Rezensionen 9-17 in ALZ 1818, Bd. II, Nr. 143-145). D rey kommt im weiteren Verlauf dieses Textes noch einmal auf eine andere Rezension in dieser Reihe zurück (718), bezeichnet dabei aber die Quelle als »Jenar. Litteraturzeitung«. 8 D rey nennt »Dr. Marheineke«. Gemeint ist P hilipp C onrad M arheineke (1780-1846), nach <?page no="639"?> 607 Misz. Nr. 2: Erläuterung zu Schütze (1819) offensichtlich in Eile und Ärgerlichkeit verfaßten Erläuterung dieser »Witzspiele« (713) 9 veranlaßt. Er greift dafür »zwey Punkte« (712) heraus: Die Heiligenverehrung im Katholizismus, die zu einer Degradierung Jesu unter die Jungfrau Maria geführt haben soll (712-716), und die Stellung des Papstes in der katholischen Kirche (716-719). Zu ersterem rückt D rey die Dinge mit einem dogmatischen bzw. dogmengeschichtlichen Exkurs zurecht und fügt zudem einen Verweis auf den durchaus stimmigen Geist der Volksfrömmigkeit an, wie er etwa in der »Unterschrift unter dem Bildniß des Gekreuzigten an der Neckar-Brüke zu Rottenburg« (716) in Erscheinung trete. In diesem Zusammenhang findet sich auch eine Bemerkung zur Gemeinschaft der Heiligen, die L ösch zu Recht als Indiz für die Autorschaft D reys anführt 10 . Der zweite Punkt betrifft mit dem Papst ein »vorzügliches Lieblingsthema aller derer, die gegen den Katholicismus loszuziehen, und ihn recht verächtlich darzustellen Lust haben« (716), indem sie vorgeben, er sei »unfehlbar« und habe die Stellung eines »Despoten« in seiner Kirche (717). Hier fließen Bemerkungen ein, die wiederum auf die Autorschaft D reys schließen lassen 11 , Stationen in Göttingen, Erlangen und Heidelberg seit 1811 Professor an der neugegründeten Universität Berlin. Hauptwerk: Das System des Katholicismus in seiner symbolischen Entwickelung. 3 Bde., Heidelberg 1810-1813 (vgl. dazu Einleitung zu Text Nr. 6, Anm. 52 und 70). Das zitierte Witzspiel (»Bey den Katholiken sey die Mutter Gottes, bey den Protestanten der Sohn Gottes Gegenstand höchster Verehrung«) hat D rey jedoch nicht dem Werk M arheinekes im Original, sondern einer Besprechung dieses Werkes in »der Ulmer Jahres Schrift für Theologie und Kirchenrecht der Katholiken 4 Bd. 3 Hft. S. 567« (713) ebenso entnommen wie die anschließende, von D rey mit Zustimmung wiedergegebene Bemerkung des »ungenannten« Verfassers (»Wie ein Mann, der drey Bände über den Katholicismus geschrieben hat, so etwas zu sagen sich erlaubte, da ihn doch jeder kath. Katechismus vom Gegentheil überzeugen konnte, ist mir unbegreiflich«). Das Zitat findet sich in der wohl von W erkmeister verfaßten Abhandlung Vollständige und richtige Darstellung des Katholicismus. Von einem katholischen Theologen in Deutschland, in: Jahrschrift für Theologie und Kirchenrecht der Katholiken 4.3 (1818) 544-639, hier 567. Im ersten Teil dieser Abhandlung wird M arheinekes System des Katholicismus ausführlich besprochen und einer vehementen Kritik unterzogen (544-574), im zweiten Teil legt der Autor seine Auffassung »vom Wesen des Katholicismus« dar (575-639, Zitat 575). Näheres zur Ulmer Jahrschrift insgesamt und zu W erkmeister als ihrem Herausgeber siehe Einleitung zu Text Nr. 1, Ziff. II.4.a, bes. Anm. 36; vgl. Einleitung zu Text Nr. 4, Anm. 21. 9 In seiner Erläuterung der drei Thesen von H arms (siehe Misz. Nr. 1) hatte D rey dafür den Ausdruck »spielender Witz« verwendet, was auch als Indiz dafür gelten kann, daß beide Texte den selben Verfasser (D rey ) haben. Die Wendungen »Witzspiel« und »spielender Witz« kommen in der zeitgenössischen Literatur öfter vor, auch W erkmeister in der Ulmer Jahrschrift spricht an der von D rey zitierten Stelle (siehe Anm. 7) von einem »Witzspiel«; K ant erklärt in seinen Vorlesungen über Anthropologie von 1772/ 73: »Spielender Witz ist, der nicht mit dem Verhältniß der Dinge übereinstimmt, der nur vergleicht, aber keinen Grund der Vercknüpfung zeigt. Er unterscheidet sich vom Wahren Witz darinn, daß er zufällige Aehnlichkeiten, für wahre und beständige ansieht« (I mmanuel K ant , Gesammelte Schriften, Bd. 25 [Abt. 4, Bd. 2]. Hg. von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, bearb. von R einhard B randt und W erner S tark . Berlin 1997, 133). D reys differenzierter Umgang mit diesem Motiv zeigt sich bereits in seiner Revisionsschrift (siehe Text Nr. 1, bes. 7-9 und 23). 10 Gemeint ist die mit Sicherheit von D rey verfaßte Abhandlung Der katholische Lehrsatz von der Gemeinschaft der Heiligen, aus seiner Idee und in seiner Anwendung auf verschiedene andere Lehrpuncte dargestellt, in: ThQ 4 (1822) 587-634. <?page no="640"?> 608 Miscellanea 1819-1835 darüber hinaus aber für die Rekonstruktion des Dreyschen Denkens in zentralen Fragen von erheblicher Bedeutung sind. Die eine gilt der von ihm stets urgierten Freiheit der Forschung in der katholischen Kirche: »Was kein bestimmt anerkannter Glaubenssatz ist, darüber kann der Katholik so frey forschen als der Protestant« (718). D rey exemplifiziert das hier mit der Freiheit der exegetischen Forschung in Sachen der Schrifterklärung 12 , aber er verlangte es für alle Gebiete der theologischen Forschung und hatte es selbst in seiner Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos in ecclesia catholica ex documentis ecclesiasticis illustrans. (Beichtschrift) von 1815 auf einem Gebiet der Dogmengeschichte so praktiziert, daß es ihn an den Rand einer kirchenamtlichen Zensurierung brachte (siehe Text Nr. 4). Der Verweis auf G ratz lenkt in jene Jahre an der Friedrichsuniversität in Ellwangen zurück, in denen die nachmaligen Tübinger die Messer für die Postulate einer »freyen« kritischen Forschung gewetzt hatten, deren Grundsätze sie 1818/ 19 in die Programmatik der Theologischen Quartalschrift und von da aus in den Geist der Katholischen Tübinger Schule einbrachten. Nicht weniger kennzeichnend für die dezidierte Auffassung D reys bezüglich der (Nicht-)Unfehlbarkeit des Papstes 13 sind die lakonischen, fast schon 11 So hat die Bemerkung zum Wächteramt des Papstes (718) direkte Entsprechungen in dem im selben Jahrgang der ThQ veröffentlichten Konkordatsaufsatz D reys (siehe Text Nr. 8), und wenn hier recht unvermittelt »der gelehrte Marsh« mit einer Stelle aus »seinem Werk: A comperative view of the churches of England and Rome (Cambridge 1814.)« zur Unterstützung der Argumentation herangezogen wird (718), so ist zu beachten, daß D rey in ThQ 4 (1822) 60-81 die 1821 herausgekommene deutsche Übersetzung dieses Werkes einer größeren Rezension unterzog; bereits in einem auf den 20.4.1817 datierten Eintrag in seinem Theologischen Tagebuch (V, 88-140 = TüA 1, 494-534, Text 147*) fertigte D rey ein umfangreiches, stark kommentierendes Exzerpt aus einer Rezension zu M arshs Vergleich der englischen mit der römischen Kirche an (siehe dazu auch Einleitung zu Text Nr. 4, Anm. 30, sowie zu Text Nr. 6, Anm. 75). 12 »Ausführlich dargethan in der akademischen Disputirschrift: über die Grenzen der Freyheit, die einem Katholiken in Erklärung der heiligen Schrift zusteht. Von Dr. Gratz. Ellwangen 1817« (718) (siehe dazu auch Einleitung zu Text Nr. 4, Ziff. II.1.b. α ). 13 Die papale Unfehlbarkeitsdoktrin stieß in der deutschen Fachliteratur im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts nahezu gänzlich auf Ablehnung. Zur diesbezüglichen Situation siehe H er mann J osef P ottmeyer , Unfehlbarkeit und Souveränität. Die päpstliche Unfehlbarkeit im System der ultramontanen Ekklesiologie des 19. Jahrhunderts (Tübinger Theologische Studien 5). Mainz 1975, passim. Ergänzend: F ritz V igener , Bischofsamt und Papstgewalt. Zur Diskussion um Universalepiskopat und Unfehlbarkeit des Papstes im deutschen Katholizismus zwischen Tridentinum und Vatikanum I. Zweite Auflage, überarbeitet und mit einem biographischen Nachwort herausgegeben von G ottfried M aron . Göttingen 1964, 68-70 (bibliographische Angaben zur 1. Aufl. siehe Einleitung zu Text Nr. 8 [Konkordatsaufsatz], Ziff. II.1.b., Anm. 20); H ermann J osef P ottmeyer , »Auctoritas suprema ideoque infallibilis«. Das Mißverständnis der päpstlichen Unfehlbarkeit als Souveränität und seine historischen Bedingungen, in: G eorg S chwaiger (Hg.), Konzil und Papst. Historische Beiträge zur Frage der höchsten Gewalt in der Kirche (FS H ermann T üchle ). München 1975, 503-520; F ranz X aver B antle , Unfehlbarkeit der Kirche in Aufklärung und Romantik. Eine dogmengeschichtliche Untersuchung für die Zeit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert (Freiburger Theologische Studien 103). Freiburg i.Br. 1976, bes. 527-573; K arl -H einz M enke , Definition und spekulative Grundlegung des Begriffs »Dogma« im Werke Johann Sebastian von Dreys (1777-1853), in: ThPh 52 (1977) 23-56, 182-214; R aimund L ach - <?page no="641"?> 609 Misz. Nr. 2: Erläuterung zu Schütze (1819) formelhaften und wohl in Vorlesungen so eingeübten Feststellungen, die D rey dazu in seine Erläuterung einfließen läßt: »daß die kath. Kirche nie den Lehrsatz aufgestellt habe, daß der Pabst unfehlbar sey. Selbst die größten Verehrer Roms getrauten sich nie dieß zu behaupten. Wenn es auch einige Jesuiten gab, die dem Pabst gern das Prädicat der Unfehlbarkeit vindicirt hätten, so waren sie doch so bescheiden, dieß für keinen kirchlichen Lehrsatz auszugeben. Es spricht aber auch schon die ganze Kirchengeschichte dafür, daß man nie in unserer Kirche den Pabst für infallibel hielt.« (719). D rey gibt hier aber nur wieder, was in der kanonischen und dogmatischen Literatur im deutschen Sprachraum im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts noch sensus communis war, und seit den Reformen des Studienwesens unter M aria T he resia waren die Lehrbücher offiziell darauf eingeschworen (bis 1834). Selbst im Katholik, dem antiliberalen und strengkatholischen Organ der ersten Mainzer Theologenschule, war noch 1824 zu lesen: »Wenn es Schultheologen gab, welche für dogmatische Entscheidungen des Papstes die Irrthumslosigkeit behaupteten, so hat die kathol. Kirche diese Schulmeinung nie anerkannt, und wird sie nie anerkennen« 14 . Der Artikel endet mit einem Appell »zur Ehre der Wahrheit; der Bruderliebe; der Verträglichkeit, und der so hochgepriesenen Humanität unsers Jahrhunderts«; es solle »ein jeder Religionstheil sich des α Æ ληθειειν ε Æ ν α Æ γαπ ì η befleissen« (720). In der Dreyforschung scheinen die Werte dieses Artikels bisher nicht erkannt worden zu sein. Teil B: Johann Sebastian Drey [Erläuterung II] Erläuterung Herr Prediger Christ. Heinrich Schütze (zu Barkau bey Kiel) macht sichs in [712] seiner Schrift gegen Harms (Gespräche im Bücherzimmer über die von Pastor Harms zu Luthers Jubelfeyer herausgegebenen 95 Streitsätze. Kiel 1818) zu 30 einem zimmlichen Nebengeschäfte, über den Katholicismus loszuziehen. Es ist aber beym Herrn Prediger, ungeachtet derselbe mit seiner Belesenheit sehr groß thut, der Fall, wie bey so vielen andern Gegnern des Katholicismus, daß er denselben durchaus nicht kennt. Er dichtet demselben Lehren an, die in ner , Das ekklesiologische Denken Johann Sebastian Dreys. Ein Beitrag zur Theologiegeschichte des 19. Jahrhunderts. Frankfurt a.M. 1986, bes. 521-557. 14 Der Katholik Jg. 4, Bd. 12 (1824) 232. <?page no="642"?> 610 Johann Sebastian Drey ihm nie gelehrt worden sind. Bey solchem Benehmen wird es dann freylich nicht schwer, einen andern Religionstheil lächerlich darzustellen. Wir wollen für itzt nur zwey Punkte ausheben. Vielleicht gibt es Gelegenheit, auch noch über andere zu sprechen. S. 8. sagt Herr Prediger Schütze: » S t o l l b e r g gab zu seinem Uebergang den Grund an: Jesus werde unter den Protestanten nicht 5 genug geehrt; und er bedachte nicht, daß er als echter Katholik Jesus ex officio degradiren, ihn unter die Jungfrau Maria stellen müsse.« Ohne die mindeste Rüge verbreitete ein Rec. in der allg. Hallischen Litteraturzeitung (1818 Nro. 713 144) diese Entstellung des Katholicismus noch weiter in das unbelehrte Publikum. Nun möchten wir aber doch wissen, wo dann je die kath. Kirche 10 Jesum wirklich unter seine Mutter Maria gestellt habe? Dieß wird wohl so Prediger Schütze nicht einmal in dem schlechtesten theolog. Compendium aufzuweisen im Stande seyn. Will so Schütze nicht als Verläumder des Katholicismus dastehen, so ist es offenbar seine Sache, seine Behauptung gründlich und genügend zu erweisen. Auch Dr. Marheineke hat sich in dem Witz- 15 spiele gefallen: »Bey den Katholiken sey die Mutter Gottes, bey den Protestanten der Sohn Gottes Gegenstand h ö c h s t e r Verehrung.« Worauf ein ungenannter Verf. der Ulmer Jahres Schrift (für Theologie und Kirchenrecht der Katholiken 4 Bd. 3 Hft. S. 567. 1 bemerkt: »Wie ein Mann, der drey Bände über den Katholicismus geschrieben hat, so etwas zu sagen sich erlaubte, da 20 ihn doch jeder kath. Katechismus vom Gegentheil überzeugen konnte, ist mir unbegreiflich. 2 − Man muß wirklich bedauern, daß so mancher protest. Gelehrte gegen den Katholicismus sich Ausfälle erlaubt, den er nicht anders, als aus der übertriebenen Polemik, mit welcher man vor 300 Jahren solchen befähdete, kennen gelernt hat. − 25 Sollte man aber nicht nach 300 Jahren einmal nüchtern und ruhiger werden? Geben sich doch die Philologen so viele Mühe, die ächte Lesart eines alten Klassikers aufzufinden, woran am Ende oft erst nicht gar viel ligt, warum sollten die Theologen sichs nicht eben so ernstlich angelegen seyn las-sen das System einer andern christl. Parthie genau zu erfassen, wodurch 30 714 wenigst die christl. Liebe gewinnen würde? In der kath. Kirche war nie Abgötterey üblich, so daß in solcher je ein ausgezeichnet heiliger Mensch göttlich verehrt (angebetet) wurde. Die Katholiken v e r e h r e n blos die Heiligen, sie b e t e n solche nicht an. Die kath. Kirche hat auch von jeher zwischen A n b e t u n g und Ve r e h r u n g strenge 35 Gränzen gezogen, und nie hat man in unserer Kirche der Jungfrau Maria göttl. Verehrung (Anbetung), wie ihrem Sohne Jesus zugestanden. Selbst die ältesten kath. Theologen haben hierinn ihre bestimmtesten Bezeichnungen zwischen göttlicher Verehrung (Anbetung) und Verehrung der Heiligen Got- 1 schließende Klammer fehlt 2 schließendes Anführungszeichen fehlt <?page no="643"?> 611 Misz. Nr. 2: Erläuterung zu Schütze (1819) tes gehabt. Jene nannten sie cultum latriae, und diese cultum duliae. Und insofern sie der heil. Maria unter allen Heiligen einen Vorzug zugestanden, so bezeichneten sie ihre Verehrung mit dem Ausdrucke: cultus hyperduliae; welcher aber immer einen starken Gegensatz gegen Gottesverehrung (cultum latriae) bildete. 5 Es ist doch wirklich auffallend, daß einige Protestanten noch heut zu Tag den Katholiken Anbetung der Heiligen vorwerfen, da doch schon der alte Baumgarten (Untersuchung theolog. Streitigkeiten. Herausgegeben von Semler. Halle 1762. I. Bd.) seine Glaubensgenossen (S. 541) erinnert, daß der terminus A n b e t u n g hier nicht passe, indem die Katholiken die Anbetung 10 der Engel und Heiligen nicht einräumen, aber eine invocationem religiosam, einen cultum religiosum zugeben. Damit man aber sehe, wie nüchtern man, selbst vor 300 Jahren, in unsrer Kirche von der Anrufung der Heiligen gedacht habe, sey es erlaubt hier eine Stelle aus dem alten Salzburger Diö- 715 cesan Catechismus 1566 *) , anzuführen. In solchem heißt es S. 62 b . » D a m i t 15 a b e r d e r g e m a i n M a n n s e h e , d a s s o l c h e A n r ü f f u n g n i t w i d e r d a s m i t t e l a m p t C h r i s t i s e y , S o l d e m Vo l k f ü r g e b i l d e t und angezaigt werden, wie das teutsche wort, anrüffen, in disem fall nit so ainig, oder eingezogen verstanden werde, wie es der teutschen sprach nach, gewonlich verstanden werden möcht: Sonder weiter und gemainer, das ist, allain als 20 ain bitten, vnnd Brüderlich zuflucht suchen: welches bitten doch nit der mainung geschicht, als soltens vns die heyligen, die doch nur Diener Gottes sein, das hail geben, Sonder allein uns dasselb von Gott, durch jr fürbit helffen erwerben. Vnd ist die mainung gar nit, das wir die Hailigen neben Christo, oder an die stat Christi, Sonder neben vnser, als vnser Brüder vnd 25 Schwestern, zu fürbitten stellen, auff das sie mit sampt Vns, durch Christum den ainigen Mitler, für den Vatter tretten.« In der Anrufung der Heiligen hat demnach unsre Kirche nichts anders, als die hohherzige Idee der Verbindung der ganzen Geisterwelt ergriffen, in der sie selbst Verstorbene als ihre Brüder noch erkennt, und solche als liebevolle 30 716 Theilnehmer unsrer Anliegen hier auf Erden, ansieht. Der Katholik ruft solche um ihre Fürbitte an, wie einst Paulus seine Corinther (II. Br. 1 K. 11 v.) und seine Colosser (4 Kap. 3 v.) um solche ansprach. Da man sich übrigens so gern an den Bildern in einigen unsrer Kirchen stoßt, die der gemeine Mann für Mirakelbilder hält, so sey noch ferner 35 gegönnt eine Stelle aus dem Concil von Trident Sess. 25 decret. de invocatione et veneratione sanctorum anzuführen. * Christenliche, Catholische Vnterricht, wie sich die Pfarrer, Seelsorger und Prediger im Salzburger Bistumb vnd Provintz, in jren Predigen, zu Vnterrichtung des Christlichen Volcks, halten: vnd das Volck, sonderlich in nachvolgenden Articuln, zu Verhütung schädlicher irrung vnd spaltung, in vnserm waren Christlichen Glauben, nach alter Catholischer Leer, vnderweisen sollen. Anno salutis humanae M.D.LVI. - [Erscheinungsjahr oben im Text falsch]. <?page no="644"?> 612 Johann Sebastian Drey Dort heißt es von den Bildern der Heiligen: non quod credatur inesse aliqua in iis divinitas, vel virtus, propter quam sint colendae, vel quod ab eis sit aliquid petendum, vel quod fiducia in imaginibus sit figenda: veluti olim fiebat a Gentilibus, qui in idolis spem suam collocabant. Ganz in diesem Geist ist die Unterschrift unter dem Bildniß des Gekreu- 5 zigten an der Neckar-Brüke zu Rottenburg abgefaßt: Got ist. Das die Bildnvs beweyst. Aber nit die Bildnvs Got heist oder sey. Die beschav eben mit Gvttem Vleiß, den sie bedevt mit hertzem preyß 1530. Herr Prediger Schütze kommt auch in der nemlichen Flugschrift (S. 86.) auf das Oberhaupt der kath. Kirche, auf den Pabst zu sprechen. Ein vorzüg- 10 liches Lieblingsthema aller derer, die gegen den Katholicismus loszuziehen, und ihn recht verächtlich darzustellen Lust haben. Es ist erbärmlich was da der kath. Kirche mit ihrem Pabste alles aufgebürdet wird. Nach dem Vor- 717 geben dieser Gegner ist der Pabst u n f e h l b a r ; er ist ferner zugleich der D e s p o t seiner Kirchenangehörigen, die in keinem Stück anders denken 15 dürfen, als was sie derselbe denken lassen will. In lezterer Beziehung sagt Herr Schütze: » a l s ä c h t e r K a t h o l i k h a t S t o l l b e r g d e n P a b s t z u f r a g e n , w a s e r e r l a u b e n w i l l , u n t e r »Ta g e « d e r S c h ö p f u n g z u v e r s t e h e n ; d a n n i s t e r d o c h w e n i g s t e i n k o n s e q u e n t e r b l i n d g e h o r s a m e r K n e c h t d e s K n e c h t e s d e r K n e c h t e .« − Nun müssen wir den 20 Herrn Schütze wieder fragen: wo denn jemals in unserer Kirche gelehrt worden sey, daß der Pabst für sich allein Glaubenssätze machen könne; und wo ferner gelehrt werde, daß man auch in Sachen, die keine Glaubenssätze sind, (wie z. B. die Frage ist, was man unter den Tagen in der Schöpfungsgeschichte sich zu denken habe) mit dem Pabst gleich denken müsse? Solang 25 Herr Schütze dieß zu leisten nicht im Stande ist, so lang steht derselbe als muthwilliger und unwissender Spötter da. Nach den Grundsätzen des Katholicismus kann nur die allgemeine Kirche samt ihrem Oberhaupte einen Glaubenssatz aufstellen. Deßgleichen kann nach den Grundsätzen des Katholicismus nie ein blos philosophischer Gegenstand zu einem Glaubenssatze 30 gestempelt werden. Die kath. Kirche fodert von ihren Angehörigen blos Einheit der Lehre in Glaubenssachen, und läßt all das übrige den freyen Untersuchungen über. Es müßte auch einer in der Kirchengeschichte, und in der Geschichte des Tages wirklich ganz unbewandert seyn, wenn er glauben sollte, ein Katholik sey verbunden, in allen Sachen, auch in solchen, die kein 35 Gegenstand des christl. Glaubens sind, wie der Pabst zu denken. Wie stark ist 718 nicht in unsern Tagen die Opposition gegen manche ultramontanistischen Grundsätze? Der Pabst ist blos Wächter der von der allgemeinen katholischen Kirche anerkannten Glaubenssätze? Was kein bestimmt anerkannter Glaubenssatz ist, darüber kann der Katholik so frey forschen als der Protestant. 40 Dieß ist, in Bezug auf Schrifterklärung, ausführlich dargethan in der akademischen Disputirschrift: » ü b e r d i e G r e n z e n d e r F r e y h e i t , d i e e i n e m <?page no="645"?> 613 Misz. Nr. 2: Erläuterung zu Schütze (1819) K a t h o l i k e n i n E r k l ä r u n g d e r h e i l i g e n S c h r i f t z u s t e h t . Von Dr. Gratz. Ellwangen 1817. Nun glaubt man freylich, daß man über den Glaubenszwang unsrer Kirche, wenigst in Hinsicht der festgesezten D o g m e n spotten könne; allein dieser Spott gilt alsdann nicht weniger allen denjenigen protest. Kirchen, wo 5 noch fest auf die symbolische Bücher gehalten wird, wie z. B. in der englischen Kirche. Diese behauptet noch auf den heutigen Tag das Recht, öffentl. Glaubensnormen zu bestimmen, und die Glieder ihrer Kirche an solche verbindlich zu halten; und der gelehrte Marsh trägt in seinem Werk: A comperative view of the churches of England and Rome (Cambridge 1814.) im achten 10 Kapitel kein Bedenken, Dieß Recht seiner Kirche gegen alle Einwendungen der Gegner in Schutz zu nehmen. Der Nekerey mit der U n f e h l b a r k e i t d e s P a b s t e s hat sich Herr Schütze zwar enthalten, da aber solche in andern Zeit- und Flugschriften, *) noch sehr oft wiederholt wird, so wollen wir darüber nur dieß kurz bemer- 15 719 ken: daß die kath. Kirche nie den Lehrsatz aufgestellt habe, daß der Pabst u n f e h l b a r sey. Selbst die größten Verehrer Roms getrauten sich nie dieß zu behaupten. Wenn es auch einige Jesuiten gab, die dem Pabst gern das Prädicat der U n f e h l b a r k e i t vindicirt hätten, so waren sie doch so bescheiden, dieß für keinen kirchlichen Lehrsatz auszugeben. Es spricht aber auch schon die 20 ganze Kirchengeschichte dafür, daß man nie in unserer Kirche den Pabst für i n f a l l i b e l hielt. Davon mag unsere Gegner ein gelehrter Theolog ihrer Confession am besten überzeugen, auf den wir sie Kürze halber verweisen wollen: Jo. Frid. Cottae commentatio historico-theologica de fallibili pontificis romani auctoritate, ex actis concilii Constantiensis maximam partem deducta. Lugduni Ba- 25 tavorum 1732. 12 mo . − Mit grosser historischer Gelehrsamkeit wird in diesem Werk gezeigt, daß die gelehrtesten kath. Theologen die Unfehlbarkeit des Pabstes nie anerkannten; daß auch nie ein Concil diese Lehre aufstellte, sondern wohl manche Concilien, wie z. B. das Constanzer entgegen handelten. Zum Ueberfluß wol- 30 len wir die Gegner nur noch auf den vierten Satz der declaratio Cleri gallicani 1642 hinweisen, wo das judicium des Pabstes selbst in fidei quaestionibus als non irreformabile erklärt wird. Möchten doch zur Ehre der Wahrheit; der Bruderliebe; der Verträglichkeit, 720 und der so hochgepriesenen Humanität unsers Jahrhunderts dergleichen Ent- 35 stellungen in Zukunft verschwinden, und ein jeder Religionstheil sich des α Æ ληθειειν ε Æ ν α Æ γαπ ì η befleissen! * So wurde erst neulich in der Jenar Litteraturzeitung Nr. 101. geradezu behauptet: daß bey den Katholiken die Lehre von der Anbetung der Heiligen; vom Ablaß; vom Cölibat; von der Unfehlbarkeit des Pabstes recht eigentlich den unterscheidenden Geist des Katholicismus ausmache. <?page no="646"?> 614 Miscellanea 1819-1835 Von Drey angeführte Literatur (Winfried Werner) C hristian H einrich S chütze , Gespräche im Bücherzimmer über die von Pastor Harms zu Luthers Jubelfeier herausgegebenen 95 Streitsätze. Jean Paul Friedrich Richter zugeeignet. Eine Mosaikarbeit von Christian Heinrich Schütze, Prediger zu Barkau bei Kiel. 3 Bde., Kiel 1818 (712, 716-718). [»Hallische«] Allgemeine Literatur-Zeitung vom Jahre 1818. Bd. II, Nr. 144 (Junius 1818) 313-315 (713). P hilipp M arheinecke , Das System des Katholicismus in seiner symbolischen Entwikkelung (= Christliche Symbolik oder historischkritische und dogmatischkomparative Darstellung des katholischen, lutherischen, reformirten und socinianischen Lehrbegriffs 1.1-1.3). 3 Bde., Heidelberg 1810-1813 (713). Jahrschrift für Theologie und Kirchenrecht der Katholiken. Herausgegeben von einigen katholischen Theologen [B enedikt M aria W erkmeister ]. Band 4, Heft 3 (1818) 567 (713). J ohann S alomo S emler , Siegmund Jacob Baumgartens Untersuchung Theologischer Streitigkeiten. Mit einigen Anmerkungen, Vorrede und fortgesetzten Geschichte der christlichen Glaubenslehre herausgegeben von Johann Salomo Semler. 3 Bde., Halle 1762-1764; Bd. 1, 541 (714). [J ohann F aber (1504-1558)], Christenliche, Catholische vnderricht, wie sich die Pfarrer, Seelsorger vnd Prediger im Saltzburger Bistumb vnd Prouintz, in jren Predigen, zu vnderrichtung des Christlichen volcks, halten: vnnd das volck, sonderlich in nachuolgenden Articuln, zu verhütung schädlicher irrung vnnd spaltung, in vnserm waren Christlichen Glauben, nach alter Catholischer Leer, vnderweisen sollen. Dillingen 1556 (715). P eter A lois G ratz , Ueber die Grenzen der Freiheit, die einem Katholiken in Betreff der Erklärung der heiligen Schrift zusteht. Von Professor Dr. Gratz. Ellwangen 1817 (718). H erbert M arsh , A comparative View of the Churches of England and Rome. London, Cambridge 1814 (718). [»Jenar«] Allgemeine Literatur-Zeitung vom Jahre 1818. Bd. I, Nr. 101 (April 1818) 801-806 (718). J ohann F riedrich C otta , Jo. Frid. Cottae Commentatio historico-theologica de fallibili Pontificis Romani auctoritate, ex actis concilii Constantiensis maximam partem deducta, atque viro clarissimo Matth. Petitdidierio, theologo Gallo, opposita. Lugduni Batavorum 1732 (719). <?page no="647"?> 615 Misz. Nr. 3: Literarische Nachricht (1819) Misz. Nr. 3: Literarische Nachricht [»eine neue griechisch-lateinische Ausgabe des N.T.« von Peter Alois Gratz] Teil A: Hinweise zu diesem Text von Max Seckler I. Bibliographische Angaben Text: Theologische Quartalschrift 1 (1819), Heft 4, 721-722, Rubrik VI. Intelligenzblatt, Literarische Nachrichten. Ohne Verfasserangabe, von L ösch D rey zugeschrieben 1 . II. Bemerkungen In dem knapp einseitigen Text wird mitgeteilt, daß »Prof. D. Gratz« eine »neue griechisch-lateinische Ausgabe des N.T.« veranstalte, die im Verlag »Hr. Fues der jüngere in Tübingen« herauskommen werde. Dieses Vorhaben wird kurz umschrieben, eine eigene Ankündigung gebe darüber »nähere Auskunft«. Diese sei zusammen mit einer Probe von Druck und Papier »diesem Hefte beygebunden« 2 . Es dürfte sich bei dem Text in ThQ 1(1819) 721-722 um eine von G ratz verfaßte Selbstanzeige handeln 3 . Mit Rücksicht darauf, daß er von L ösch D rey zugeschrieben wurde, wird er hier als Miszelle angeführt, aber eine wörtliche Wiedergabe erübrigt sich. 1 L ösch , Die Anfänge (siehe Misz. Nr. 1, Anm. 3) 60. Vgl. dagegen K ustermann / F esseler , Bibliographie (siehe Misz. Nr. 1, Anm. 3) 317, Anm. 4. L ösch selbst relativierte seine Zuschreibung an D rey (60, Anm. 4). 2 Dieser Sachverhalt konnte anhand der in Tübinger Bibliotheken vorhandenen Exemplare der ThQ nicht verifiziert werden. - Das hier angekündigte Werk erschien erst zwei Jahre später im Druck: Novum testamentum Graeco-Latinum. Vulgata interpretatione Latina editionis Clementis VIII. Graeco textui ad editionem complutensem diligentissime expresso e regione opposita. Studio et cura D. Petri Aloysii Gratz in universitate borussica rhenana catholico-theologicae facultatis professoris primarii. Pars I. Quatuor evangelia complectens. Pars II. Actus apostolorum, epistolas et apocalypsin complectens. Tübingen (L udwig F riedrich F ues ) 1821. 3 So auch K ustermann / F esseler (siehe Anm. 1) 317, Anm. 4. <?page no="648"?> 616 Miscellanea 1819-1835 Misz. Nr. 4: Kirchliche Nachricht [Administration der vom Bistum Konstanz abgetrennten schweizerischen Kantone] Teil A: Hinweise zu diesem Text von Max Seckler I. Bibliographische Angaben Text: Theologische Quartalschrift 1 (1819), Heft 4, 722-725, Rubrik VI. Intelligenzblatt, Kirchliche Nachrichten. Ohne Verfasserangabe, von L ösch D rey zugeschrieben, von K ustermann / F esseler übernommen 1 . II. Bemerkungen Mitgeteilt werden die Apostolische Nuntiatur in Luzern betreffende Personalia im Zusammenhang mit der durch päpstliches Breve vom 9. Oktober 1819 herbeigeführten Neuregulierung der kirchlichen Administration der vom Bistum Konstanz abgetrennten schweizerischen Kantone 2 . Eine Analyse des Textes unter sprachlichen und inhaltlichen Gesichtspunkten führt zu dem Ergebnis, daß D rey als Verfasser oder Bearbeiter nicht in Frage kommt. Der Autor verfügt über ein Insiderwissen, zu dem D rey nicht gelangt sein konnte, weder als Beobachter, noch durch einen Mittelsmann, und die Nachricht ist unablösbar in den Stil des Schreibers eingepackt. Das gilt zumal für die Charakterisierung des Nuntiaturpersonals. Am ehesten ist an den Züricher Staatsrat P aul U steri (1768-1831) als Einsender zu denken, der die ThQ von 1819 bis 1829 regelmäßig mit Nachrichten und Aktenstücken zu den kirchlichen Verhältnissen in der Schweiz versorgte 3 , und auf den auch Sprache und Wortwahl des Textes hindeuten. So auch schon in ThQ 1 (1819), Heft 3, 517-545 (und wohl auch ebd. 548-550). Da G ratz für 1 L ösch , Die Anfänge (siehe Misz. Nr. 1, Anm. 3) 60; K ustermann / F esseler , Bibliographie (siehe Misz. Nr. 1, Anm. 3) 317. - L ösch zufolge läßt sich die Zuschreibung nicht restlos sicher vornehmen (60, Anm. 4). L öschs Zuschreibung ist mit den Angaben, die er zu den ersten Mitarbeitern an der ThQ macht (33-47), nicht genügend abgestimmt. 2 Dazu: U rban F ink , Die Luzerner Nuntiatur 1586-1873. Zur Behördengeschichte und Quellenkunde der päpstlichen Diplomatie in der Schweiz. Mit einem Nachwort von Erzbischof Dr. Karl-Josef Rauber (Collectanea Archivi Vaticani 40) (Luzerner historische Veröffentlichungen 32). Luzern, Stuttgart 1997; F ranz X aver B ischof , Das Ende des Bistums Konstanz. Hochstift und Bistum Konstanz im Spannungsfeld von Säkularisation und Suppression (1802 03-1821 27) (Münchener kirchenhistorische Studien 1). Stuttgart 1989. 3 Nachweise bei L ösch (siehe Anm. 1) 131, sowie speziell zu U steri und seiner Beziehung zur ThQ ebd. 40-47. <?page no="649"?> 617 Misz. Nr. 5: Literärische Berichtigung [Diss. (1819) den Jahrgang 1819 die Schriftleitung innehatte, ist daran zu denken, daß er es war, der via W essenberg die Verbindung U steri - ThQ zustandegebracht hatte 4 . Wegen der von L ösch und K ustermann / F esseler vorgenommenen Zuschreibung des Textes an D rey wird er hier als Miszelle Nr. 4 angeführt, aber da es sich nicht um einen Dreytext handeln kann, wird auf eine wörtliche Wiedergabe verzichtet.Spegele] (1819) Misz. Nr. 5: Literärische Berichtigung [Chronique religieuse, Dissertation Spegele] Teil A: Einleitung von Max Seckler I. Bibliographische Angaben Text: Theologische Quartalschrift 1 (1819), Heft 4, 725-726, Rubrik IV. Intelligenzblatt, Literärische Berichtigung. Ohne Verfasserangabe, von L ösch mit Recht D rey zugeschrieben, von K ustermann / F esseler übernommen 1 . II. Bemerkungen D rey bezieht sich hier auf eine in »II. Heft. S. 36. 37.« der von H enri G re´goire (zu ihm siehe Einleitung zu Misz. Nr. 6) herausgegebenen Chronique religieuse eingerückte Nachricht 2 , deren Inhalt einer Berichtigung bedürfe. 4 Vgl. dazu die Schreiben von G ratz an W essenberg vom 12. August 1818 und 28. Februar 1819 (siehe dazu Einleitung zu Text Nr. 7 [ThQ-Dokumente], Ziff. II.2.c.(a.) mit Anm. 6). 1 L ösch , Die Anfänge (siehe Misz. Nr. 1, Anm. 3) 60. Dazu L ösch : »Da Drey wiederholt aus der ›Chronique religieuse‹ Auszüge gibt, wird auch die obige kurze Notiz von ihm stammen« (ebd., Anm. 4). Zur Erhärtung der Vermutung L öschs ist hinzuzufügen, daß D rey nicht nur in der ThQ »wiederholt« aus der Chronique religieuse »Auszüge« gibt (ebd.), sondern sie aus genauester Lektüre für seine eigene Arbeit wiederholt auswertete (siehe Text Nr. 8 [Konkordatsaufsatz], 313 f, Note; bes. Misz. Nr. 6 [Frankreichbericht], 140, 141, 146, 147, 151, 153, 155; Misz. Nr. 7 [Kirchliche Nachricht] 176; siehe auch Einleitung zu Text Nr. 4 [Beichtschrift], Ziff. II.1.b. β , und zu Misz. Nr. 6, Ziff. II., bes. Anm. 5), sodaß unter den Tübingern tatsächlich allein er der Autor der Berichtigung sein konnte. - K ustermann / F esseler , Bibliographie (siehe Misz. Nr. 1, Anm. 3), haben sich der Einschätzung L öschs angeschlossen (317 mit Anm. 4). 2 In der Chronique religieuse werden an der von D rey genannten Stelle Auszüge aus einem in der »se´ance du onze juin« [1818? ] des Diario di Roma abgedruckten Bericht aus der Feder von L orenzo T ardi ` , vormaligem Provinzial der Augustinereremiten, mitgeteilt, worin S pegeles <?page no="650"?> 618 Miscellanea 1819-1835 Gegenstand der Berichtigung ist die »wirklich gelehrte Abhandlung« zum Thema »de Studio biblico a catholicis nunquam penitus neglecto«, die 1813 »bey Gelegenheit der Inauguration der katholischen Universität Ellwangen« vorgelegt worden und im selben Jahr im Druck erschienen war 3 , im Hinblick auf ihren wahren Verfasser und ihr richtiges literarisches Genus. Ihr Verfasser war nicht der Freiburger J ohann L eonhard H ug 4 , sondern der damalige Rektor der Friedrichsuniversität C ölestin S pegele 5 , einer von den Ellwanger Professoren also. Und bei der zur Debatte stehenden Abhandlung handelte es sich nicht um einen »als Dissertation« vorgelesenen Text, sondern um eine »als Einladungsprogramm« ausgeteilte Schrift 6 . Die Gründe für diese minutiösen Richtigstellungen sind leicht zu erschließen. Um einen bloß pedantischen und formalen Exaktheitseifer konnte Programmschrift zur Inaugurationsfeier der Friedrichsuniversität 1813 (siehe Anm. 3) fälschlich dem Freiburger Exegeten J ohann L eonhard H ug zugeschrieben wurde (siehe Chronique religieuse, Bd. 1, 1819, Heft 2, 36-37). 3 Es handelt sich um [C ölestin S pegele ], Regiae, catholicae Universitatis Fridericianae, quae est Elvaci, inaugurationem solennem die V. mensis Martii hujus anni MDCCCXIII celebrandam omnibus, quorum id scire interest, indicit Rector, cum professoribus reliquis, et de studio biblico, a catholicis numquam penitus neglecto quaedam disserit. Gamundiae [1813]. Auf dem Titelblatt ist der Name S pegeles nicht angeführt, wohl aber sein amtlicher Titel als Rektor, sodaß von daher seine Verfasserschaft zweifelsfrei feststeht. 4 J ohann L eonhard H ug (* 1. Juni 1765 in Konstanz; † 11. März 1846 in Freiburg). H ug war ab 1791 Prof. für orientalische Sprachen und Altes Testament, ab 1792/ 93 zugleich für Neues Testament an der Universität Freiburg i.Br., ab 1827 Domkapitular und ab 1843 Domdekan ebd.; zu ihm: NDB 10 (1974) 8 (W olfgang M üller ); E rwin K eller , Johann Leonhard Hug. Beiträge zu seiner Biographie, in: FDA 93 (1973) 5-233; G erald M üller , Johann Leonhard Hug (1765-1846). Seine Zeit, sein Leben und seine Bedeutung für die neutestamentliche Wissenschaft. Erlangen 1990. Bei der von D rey erwähnten Schrift handelt es sich um: J ohann L eonhard H ug , Das Hohe Lied in einer noch unversuchten Deutung. Programm der Zaeringisch-Badisch-Albertinischen Hohen Schule auf den XXV. des Monats Hornung MCCMXIII. Freiburg 1813. Diese Abhandlung war von H ug an der Universität in Freiburg in den Festakt zur Promotion der Ellwanger Professoren am 25. Februar 1813 eingebracht worden. 5 C ölestin S pegele (* 2. April 1761 in Weißenhorn; † 29. März 1831 in Ziegelbach bei Waldsee), ab 1810 Prof. für orientalische Sprachen am Lyzeum in Rottweil, 1812 auch für Altes Testament in Ellwangen und erster Rektor der Friedrichsuniversität, 1814 Pfarrer in Ziegelbach. Zu ihm: Beschreibung und Geschichte der Stadt und Universität Tübingen, herausgegeben in Verbindung mit mehreren Gelehrten von Dr. H[einrich] F[erdinand] Eisenbach. Tübingen 1822, 357 f; E ugen H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität Ellwangen 1812-1817. Erinnerungsschrift zur feierlichen Eröffnung des Königl. Württemb. Gymnasiums Ellwangen am 4. November 1817. Ellwangen [1917], 29-31 und 43. 6 Diese Unterscheidung gibt Einblick in die Regularien an der Friedrichsuniversität: Als dissertationes im protokollarischen Sinn wurden wissenschaftliche Abhandlungen bezeichnet, die bei öffentlichen Abschlußprüfungen am Ende der Studienjahre vorgetragen wurden, während die zur Inaugurationsfeier der Friedrichsuniversität, die am 5. März 1813 (Namenstag des Königs) stattfand, dem Festprogramm beigelegte wissenschaftliche Abhandlung (die literarisch durchaus den Charakter einer dissertatio hatte), protokollarisch als »Einladungsprogramm« (und in analogen Fällen einfach als »Festprogramm« oder »Programmschrift«) bezeichnet wurde (vgl. dazu Einleitung zu Text Nr. 4 (Beichtschrift), Ziff. II.1.a. und b. sowie zu Text Nr. 3 (Millenniumsschrift), Ziff. II.1). Solchen Programmschriften wurde ein höherer Geltungsanspruch beigemessen. <?page no="651"?> 619 Misz. Nr. 5: Literärische Berichtigung [Diss. (1819) es sich bei einem D rey - und überhaupt in der ThQ - nicht handeln. Ob es dem Tübinger nicht unwillkommen war, sich als Leser der Chronique religieuse und als selbstbewußter Gegenpart zu dem elitären Organ der Franzosen bemerkbar machen zu können, sei dahingestellt. Auch eine gewisse Rivalität der Tübinger gegenüber den Freiburgern mochte mitgespielt haben. H ug selbst wurde als Exeget von D rey hochgeschätzt (siehe TüA 1 [Theologisches Tagebuch] 323, 557, 560, 577 f, 580, 582; TüA 2 [Praelectiones dogmaticae] 646-648). In erster Linie ging es dem inzwischen zum Vater der Tübinger Schule herangereiften und auf die Sicherstellung ihrer theologischen Identität bedachten D rey mit Sicherheit jedoch darum, die Verfasserschaft an einer so wichtigen Schrift aus der Gründungsphase der Ellwanger Universität, in der der historische Rang der Bibelwissenschaft in der katholischen Theologie programmatisch dargestellt und verteidigt worden war, für einen der Ihrigen zu reklamieren. Und bemerkenswert ist immerhin, daß die Abhandlung S pe geles , die dieser zum Auftakt der Friedrichsuniversität im fernen Ellwangen vorgelegt hatte, sechs Jahre nach ihrer Drucklegung via Diario di Roma selbst in Paris noch (oder erneut) Beachtung fand. Bei den Richtigstellungen D reys ging es aufs Ganze gesehen um einen Beitrag zur Genealogie der Katholischen Tübinger Schule. Teil B: Johann Sebastian Drey Literärische Berichtigung 725 Die Chronique religieuse, herausgegeben von Gregoire, enthält in II. Heft. S. 36. 37. folgende Stelle: »Mehrere Schriftsteller haben behauptet, daß die Katholiken dieß Studium (der Bibel) vernachläßigt hätten. Es hat aber H. 25 Hug, Professor zu Freyburg im Breisgau, die Katholiken sehr gelehrt ver- 726 theidigt bey Gelegenheit der Inauguration der katholischen Universität Ellwangen im Jahr 1813.; wir empfehlen die von ihm über diesen Gegenstand vorgelesene und in Gmünd gedruckte Dissertation: de Studio biblico a catholicis nunquam penitus neglecto. Fol.« 1 − Diese Nachricht ist dahin zu berichtigen. Die 30 hier angezeigte wirklich gelehrte Abhandlung wurde nicht als Dissertation vorgelesen, sondern als Einladungsprogramm zur Inauguration ausgetheilt. Sie hat auch nicht H. Dr. von Hug zum Verfasser, sondern H. Dr. Spegele, damaligen ersten Rector der neuen Universität, jezt Pfarrer in Unterziegelbach bey Wurzach. Herr Dr. von Hug gab damals zur Promotion der neu 35 ernannten Professoren sein h o h e s L i e d heraus. 1 Zitat durch Anführungszeichen an jedem Zeilenbeginn gekennzeichnet. <?page no="652"?> 620 Miscellanea 1819-1835 Wir begreifen wohl die Möglichkeit eines solchen Verstosses in Paris, und entschuldigen ihn gerne; glauben aber doch, diese Berichtigung den Lesern der Chronik in Deutschland schuldig zu seyn. Misz. Nr. 6: Ueber den gegenwärtigen Zustand der katholischen Kirche und Geistlichkeit in Frankreich [Frankreichbericht] Teil A: Einleitung von Max Seckler I. Bibliographische Angaben Text: Ueber den gegenwärtigen Zustand der katholischen Kirche und Geistlichkeit in Frankreich, in: Theologische Quartalschrift 2 (1820), Heft 1, 135-164, Rubrik III. Kirchenwesen. Ohne Verfasserangabe, von L ösch auf Grund archivalischer Berechnungen D rey zugeschrieben, von K ustermann / F esseler übernommen 1 . Textinterne Merkmale sprechen eindeutig für die Verfasserschaft D reys . Dieses Heft ist im ersten Quartal (Anfang 1820) herausgekommen. Der Text hat einen Umfang von 29 Seiten. Es gibt von dem Text keine Ab- oder Nachdrucke und keine Übersetzungen. Als Arbeitstitel wird die Bezeichnung Frankreichbericht (FrB) verwendet. II. Bemerkungen D rey will in diesem Artikel »aus den gelesensten französischen kirchlichen Zeitschriften, aus ihren Nachrichten und aus ihrem Geiste, eine räsonnirende Darstellung von dem gegenwärtigen Zustande der katholischen Kirche und Geistlichkeit in Frankreich« vorlegen (136). »Räsonnirende Darstellung« besagt im Sprachgebrauch seiner Zeit, daß es sich um eine mit persönlichen Stellungnahmen und Urteilen des Autors durchsetzte Darstellung und Deutung faktischer Verhältnisse handelt. Indem D rey seinen Artikel diesem literarischen Genus zuordnet, kennzeichnet er ihn als Bericht 2 . Er figuriert in 1 L ösch , Die Anfänge (siehe Misz. Nr. 1, Anm. 3) 62; K ustermann / F esseler , Bibliographie (siehe Misz. Nr. 1, Anm. 3) 317 f (Nr. 2.08). 2 L ösch (siehe Anm. 1) verortet den FrB wohl versehentlich in der Rubrik Rezensionen (62); bei K ustermann / F esseler (siehe Anm. 1) ist er in der Sparte der Aufsätze angeführt. <?page no="653"?> 621 Misz. Nr. 6: Zustand der Kirche in Frankreich (1820) der ThQ demgemäß in der Rubrik III. Kirchenwesen. D rey ist mit diesem Artikel dem in der Ankündigung der ThQ (siehe Text Nr. 7, Dokument Nr. 1) angezeigten Vorhaben nachgekommen, »Materialien zur Geschichte und Beurtheilung des neuesten Kirchenwesens« zu bringen. Der 29seitige Artikel ist in der ThQ neun Monate nach dem Konkordatsaufsatz D reys (siehe Text Nr. 8) erschienen; er weist inhaltlich enge Beziehungen zu diesem auf. Soweit erkennbar, hat D rey sich für seinen FrB nur auf Beiträge gestützt, die in den Monaten Januar und Februar 1819 in der kurzlebigen, aber einflußreichen Chronique religieuse 3 , einem Organ reformorientierter Protagonisten um den konstitutionellen Bischof H enri G re´goire (»Abbe´ Gre´goire«) 4 , erschienen waren. Andere Informationsquellen scheint er nicht benutzt zu haben. D rey verweist in seinem Artikel mehrfach auf die Chronique religieuse bzw. G re´goire (140, 141, 146, 147, 151, 153, 155), desgleichen in seinem Konkordatsaufsatz (ThQ 1, 1819, 314) und zeitgleich in seiner Katholizismusschrift (ThQ 1, 1819, 385) 5 . Auch die Literärische Berichtigung, die er in ThQ 1, 3 Die Chronique religieuse erschien als Nachfolgeorgan der Annales de la religion von 1819 bis 1821 in Paris. Die Annales existierten von 1795 bis 1803, sie hatten wegen ihrer Kritik an dem 1801 zwischen N apoleon und Papst P ius VII. geschlossenen Konkordat ihr Erscheinen einstellen gemußt. Beide Zeitschriften hatten weitgehend denselben Mitarbeiterstab. 4 H enri J ean -B aptiste G re´goire (1750-1831), eine der politischen, kirchlichen und intellektuellen Zentralfiguren im revolutionären und nachnapoleonischen Frankreich, seit 1790 konstitutioneller Bischof von Blois, profilierte sich als »Abbe´ Gre´goire« zum geistigen Wortführer und politischen Vorkämpfer des republikanisch-reformorientierten Klerus in der Tradition jansenistischer und gallikanischer Vorstellungen. Vom deutschen Pietismus beeinflußt, arbeitete er unablässig an der Reform des Klerus und gegen die Entchristlichung Frankreichs. Von Rom als Bischof nie anerkannt, wurde er diesseits des Rheins als »transrhenanischer Kirchenvater« (siehe in und bei Anm. 7) wahrgenommen. Persönlich galt er als Mann von Charakter und als offener, gebildeter Geist von reiner Gesinnung. Weltbürgerlich orientiert und neben den europäischen Sprachen auch des Deutschen mächtig, hatte er ausgedehnte Deutschlandreisen gemacht und nahm an den geistigen und (kirchen-)politischen Entwicklungen in Deutschland den lebhaftesten Anteil. In WWKL 2 5 (1888) 1070-1075 findet sich ein von H efele verfaßter und trotz des ungünstigen Zeitgeistes recht respektvoller Artikel zu ihm, der auf einer Rezension H efeles in ThQ 20 (1838) 720-741 fußt. Zu ihm: DHGE 22 (1988) 60-72 (B ernard P longeron ); ders ., L’Abbe ´ Gre ´goire ou l’Arche de la Fraternite ´. Paris 1989; BBKL 31 (2010) 518-524 (M ayyada K heir ). 5 Die Titel der von D rey im FrB nur mit Seitenangaben angeführten Beiträge: - zu FrB 140: Depense ´s du Clerge ´ de France en 1817, in: Chronique religieuse, Tome II (Fe´vrier 1819) 256-258; - zu FrB 141: Considerations sur l’e ´tat actuel de l’e ´glise et du Clerge ´ de France, in: Chronique religieuse, Tome I (Janvier 1819) 49-62; Me ´moire justificatif d’un pre ˆtre du Dioce `se de Strasbourg, in: Chronique religieuse, Tome I (Janvier 1819) 121-132; Lettre sur feu M. Le Coz, archeve ´que de Besanc ¸on, ebd. 407-416; Observations sur la lettre pre ´cedente, ebd. 416-419; Observations sur les libellistes et sur les calomnies nouvelles, dirige ´es contre M. Reymond, e ´ve ˆque de Dijon, ebd. 431-439; Note sur l’e ´tat actuel des societe ´s religieuses en Sue `de, in: Chronique religieuse, Tome II (Fe´vrier 1819) 493-501; - zu FrB 151: Quelle est la diffe ´rence entre ces mots: Pe `re et Docteur de l’e ´glise? , in: Chronique religieuse, Tome I (Janvier 1819) 352-358; Le janse ´nisme dans tout son jour, ebd. 512-523; Des missions actuelles en France, in: Chronique religieuse, Tome II (Fe´vrier 1819) 25-39, bes. 31; - zu FrB 153: Dialogues sur la grace efficace par elle-me ˆme, entre Philocharis et Alethozette, in: Chronique religieuse, Tome I (Janvier 1819) 359-371; Le janse ´nisme dans tout son jour, ebd. <?page no="654"?> 622 Miscellanea 1819-1835 1819, 725-726 zu einer Falschmeldung in der »Chronique religieuse, herausgegeben von Gregoire« brachte (siehe Misz. Nr. 5), ist ein Beleg dafür, daß er sich in jenen Jahren eingehend mit den Heften dieser Zeitschrift und überhaupt mit G re´goire befaßte 6 . Ob er auch für ihn zu dieser Zeit als »transrhenanischer Kirchenvater« 7 galt, wissen wir nicht. Aber wenn D rey in seinem Artikel einfach auf »Gregoire, selbst Bischof« verweist (140), ohne es für nötig zu halten, die damit gemeinte Person seinen Lesern vorstellen zu müssen, so setzt er ihn als allseits bekannt voraus und pflegt selbst sozusagen familiären Umgang mit seinem Namen. Daß G re´goire seit dem Konkordat von 1801 nicht mehr Bischof war oder jedenfalls von Rom als solcher nicht mehr anerkannt wurde, verschweigt D rey 8 . Es verdient hier erwähnt zu werden, daß W essenberg in Konstanz, an dessen kirchenpolitischen Verwicklungen G re´goire das lebhafteste Interesse zeigte und dessen Richtung und Anliegen er nach Kräften unterstützte, und auch W erkmeister in Stuttgart zu den Briefpartnern G re´goires gehörten 9 , Personen also, die zum engeren Lebensfeld D reys gehörten. G re´goire stand hier in hohem Ansehen 10 . 512-523; Des missions actuelles en France, in: Chronique religieuse, Tome II (Fe´vrier 1819) 25-39; - zu FrB 155: Observations sur la lettre pre ´cedente, in: Chronique religieuse, Tome I (Janvier 1819) 416-419; Dole ´ances et Pe ´titions: Des fide `les perse ´cute ´s dans le dioce `se de Lyon, aux honorables Membres de la Chambre des Pairs et de celle des De ´pute ´s, in: Chronique religieuse, Tome II (Fe´vrier 1819) 204-218; Nouvelles plaintes: Des fide `les perse ´cute ´s dans le dioce `se de Lyon; Pour servir de suite a` leurs Dole ´ances et Pe ´titions, ebd. 289-299; Progre `s de la perse ´cution: Dans une partie du dioce `se de Lyon, sous MM. les Vicaires-Ge ´ne ´raux qui gouvernent en l’absence du cardinal Fesch, ebd. 361-378; Pie `ces justificatives, ebd. 378-380; La de ´claration suivante a e ´te ´ envoye ´e, le 16 avril dernier, a` M. le Pre ´fet de la Loire, par nombre d’habitants de Saint-Me ´dard qui l’ont signe ´e. Elle s’accorde fort bien avec le discours de leur desservant, relate ´ ci-dessus, pages 2 et suivantes, ebd. 380-383 (mit Nachtrag und Nota, ebd. 383-384). W essenberg , der G re´goire 1811 in Paris persönlich kennenlernte, hatte bereits im Jahr danach Considerations sur l’e ´tat actuel de l’instruction publique du clerge ´ catholique de France et en Allemagne (Zürich 1812) veröffentlich. Ob D rey diese Schrift - gewissermaßen als vorgängiges Pendant zu seinem FrB - kannte, läßt sich nicht feststellen. 6 Im Büchernachlaß D reys befand sich wenigstens eine Schrift G re´goires : Essai historique sur les liberte ´s de l’e ´glise gallicane et des autres e ´glises de la catholicite ´s, pendant les deux derniers sie `cles. Par M. Gre ´goire, ancien E´ ve ˆque de Blois, etc. Paris 1818 (Umfang XVI, 459 S.; Nachweis bei W erner , Büchernachlaß (wie Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 40) 423). Da in der Büchernachlaßliste bei weitem nicht seine ganze Privatbibliothek angeführt ist, ist es möglich, daß sich darin noch andere Schriften G re´goires befanden. 7 Als solchen bezeichnete ihn J ohann P hilipp v . W essenberg (1773-1858), der Bruder I gnaz v . W essenbergs (Nachweise bei A rnulf M oser , Wessenberg, Abbe ´ Gre ´goire und die Französische Revolution, in: FDA 111, 1991, 229-248, bes. 238). 8 In FrB 161 wirbt D rey um Verständnis für die Geistlichen, die den Eid auf die Constitution civile du clerge ´ geleistet hatten und »nicht gegen ihr Wort und ihre Ehre handeln« konnten; es dürfte »billig und klug zugleich seyn, ihnen die Beschämung einer förmlichen Retractation zu ersparen«. Die Annahme, daß D rey dabei besonders an »Gregoire, selbst Bischof« (140) dachte, ist sicher nicht abwegig. Wie man weiß, wurde diesem bis zur letzten Stunde seines Lebens auf beschämende und zuletzt geradezu brutale Weise zugemutet, die Retraktation zu leisten. 9 Näheres dazu bei M oser , Wessenberg (wie Anm. 7) 237 ff. 10 G re´goire kannte sogar den Flugschriftenstreit um W essenberg recht genau und hob daraus <?page no="655"?> 623 Misz. Nr. 6: Zustand der Kirche in Frankreich (1820) D rey bezieht sich an der oben angeführten Stelle zustimmend auf einen Artikel in der »Chronik«, in dem G re´goire die Zustände in Frankreich schilderte und sich mit deren Ursachen befaßte 11 . Es sei ein »lichtvoller Aufsatz« (140). Zwischen der Darstellung, die G re´goire dort von den Zuständen in Frankreich und ihrer Ätiologie gab, und dem Artikel D reys bestehen signifikante Übereinstimmungen, nicht nur im Hinblick auf die entsetzliche Lage, die G re´goire schildert und von D rey referierend wiedergegeben wird, sondern auch und vor allem in den Grundorientierungen, Themenpunkten und Reformzielen: Rückkehr zum Geist und zur Verfassung der alten Kirche, eingeschlossen die Wahl der Hirten durch ihre Gemeinden zumindest durch Repräsentativorgane; keine monarchische Alleingewalt des Papstes, aber Anerkennung der heiligen Rechte des Nachfolgers Petri; Respektierung der Rechte und Freiheiten der Orts- und Nationalkirchen unter strikter und wirksamer Wahrung der Einheit mit dem Oberhaupt der Kirche; kein Staatskirchentum; Kritik an der Tendenz zu Territorialkonkordaten und besonders am bayerischen Konkordat von 1817; Widerstand gegen den Aufstieg der Ultramontanen und der Jesuiten; Kummer über den Niedergang der französischen Theologie und Kirche: Roheit, fehlende Bildung, Mangel an moralisch-asketischer Erziehung, ein Geist des Zwiespalts, der Unduldsamkeit und einer unfaßlichen gegenseitigen Verfolgungssucht der Geistlichen jeder Couleur, und so weiter. Die Leitideen und Desiderate, die D rey hier im Anschluß an G re´goire antippt, sind - losgelöst von der Lage in Frankreich - auch in seinem Konkordatsaufsatz direkt oder indirekt wiederzufinden. Besonders aufschlußreich für das ekklesiologische Denken D reys - für seine Vorstellungen vom Verhältnis Staat-Kirche sowie vom Status einer theologisch gefestigten, freien und selbstbewußten Kirche im Staat - ist die Ursachenerklärung, die D rey für die französischen Zustände gibt. Die letzte Ursache erblickt er in dem seit Jahrhunderten bestehenden Ausgeliefertsein der französischen Geistlichkeit und ihrer Theologie an den Staat. Die eingeübte Dienstbarkeit und der Geist der Servilität hatten nicht nur eine Entselbstung und Entgeistigung zur Folge, sondern nährte auch das Bedürfnis, sich politischen Autoritäten auszuliefern. Daraus erklärt es sich zum einen, daß die französische Kirche der Revolution »so gar keinen Damm entgegen zu setzen, die Schrift von F ridolin H uber (zu ihm siehe Einleitung zu Text Nr. 1, Ziff. II.6.b, Anm. 79, und zu Text Nr. 4, Ziff. II.4.d, Anm. 84), Vollständige Beleuchtung der Denkschrift über das Verfahren des römischen Hofes bey der Ernennung des Generalvikars Freyherrn von Wessenberg zum Nachfolger im Bisthum Konstanz, und zu dessen Verwesung. Nebst einem Anhange über die Eigenschaften eines Bischofs nach Paulus 1. Tim. 3, 1-7. Rotweil 1819, besonders hervor (Nachweis bei M oser , Wessenberg [wie Anm. 7] 241; siehe auch Einleitung zu Text Nr. 8, Ziff. II.1.b, Anm. 33). 11 Siehe FrB 141. D rey verweist hier auf Tome I, Cahier III, S. 52-62 der Chronique religieuse. Der Aufsatz G re´goires , auf den D rey sich bezieht, hat dort den Titel Considerations sur l’e ´tat actuel de l’e ´glise et du Clerge ´ de France (Chronique religieuse, Tome I [Janvier 1819] 49-62). D rey hat für den Titel seines eigenen Aufsatzes somit den Titel G re´goires wörtlich übernommen. <?page no="656"?> 624 Miscellanea 1819-1835 ihren Lauf so gar nicht zu leiten vermochte« (160). Erst recht ist die Spaltung der Kirche Frankreichs in einen nationalistischen, staatsergebenen Gallikanismus und einen überhitzten Ultramontanismus die unausbleibliche Folge ihrer Entselbstung. An diesem Krebsübel leidet jetzt der französische Ultramontanismus, der, wie am fanatischen Gehabe des antikonstitutionellen Klerus abzulesen ist, seinen eigenen Terror hervorbringt. Zwar liegt diesem Ultramontanismus die Erkenntnis der Notwendigkeit zu Grunde, »gegen die Dissolution der einzelnen Nationalkirchen das monarchische Princip der Kirche zu verstärken«, aber diese Ultramontanen können dabei von der Servilität nicht mehr loskommen, die jetzt ihre Einstellung zur »obersten kirchlichen Auctorität« kennzeichnet (163). So jagt man ohne Selbstachtung und mangels einer gesunden Ekklesiologie entweder dem Phantom einer romfreien Nationalkirche nach, oder man setzt alles auf einen würdelosen Papalismus. Bei den französischen Papalisten bzw. Ultramontanen unterscheidet D rey zwei Richtungen: eine theoriegeleitet argumentierende, in der mit klarem Bewußtsein für das monarchische Prinzip in der Kirche eingetreten werde, und eine aus dem unvertilgbaren katholisch-kirchlichen Instinkt hervorgehende (163). Repräsentanten der beiden Richtungen nennt er nicht, vor allem de B onald , de M aistre und L amennais übergeht er mit Schweigen. Das Potential des philosophisch-theologischen Ultramontanismus erkannte er offensichtlich noch nicht 12 . Er bezweifelt, daß dieser »einen wahren und bleibenden Erfolg hervorbringen wird«, und nimmt an, daß es sich um Phänomene einer vorübergehenden Gärung handle. »Für uns« aber, so endet sein Bericht, »die wir uns außerhalb dieser Gährung befinden«, könne indessen »ihr Anblick und die Betrachtung der Ursachen, aus denen sich alles so ergeben, lehrreich seyn« (164). Es ist bemerkenswert, daß D rey 1820 das Geschehen in Frankreich und vor allem auch die Lage in Deutschland noch so einschätzen konnte. Der FrB ist für die Rekonstruktion des ekklesiologischen Denkens D reys von erheblicher Bedeutung. Das gilt sowohl für die Grundsätze seiner Ekklesiologie an und für sich als auch für den Einsatz ihres diagnostischen und therapeutischen Potentials. Darüber hinaus wird in der Empathie, in der D rey hier angesichts der Nöte in Frankreich direkt oder zwischen den Zeilen Stellung bezieht, etwas von dem sichtbar, was man seine ekklesiologische Spiritualität nennen könnte. In dieser Hinsicht enthält der Artikel zugleich einen Beitrag zum Persönlichkeitsbild D reys . Ähnliches gilt für die Weite der Interessengebiete und das Ausmaß der Informationsbeschaffungen, mit denen D rey auch hier über die Zäune blickte. 12 Das trifft auch für die anderen Herausgeber der ThQ im ersten Jahrzehnt ihrer Zeitschrift zu. D e M aistres Du Pape von 1819, das 1822 in deutscher Übersetzung herausgekommen war, wurde zwar von H erbst in ThQ 4 (1822) 677-700 kritisch rezensiert, aber danach war in der ThQ Stille um ihn. Der Name von L amennais taucht in der ThQ erstmals 1830 und 1831 beiläufig auf, de B onald ebenso. Zu diesem Verdrängungsphänomen vgl. G erhard V ale rius , Deutscher Katholizismus und Lamennais. Die Auseinandersetzung in der katholischen Publizistik 1817-1854 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B 39). Mainz 1983, 71-73. <?page no="657"?> 625 Misz. Nr. 6: Zustand der Kirche in Frankreich (1820) Daß dieser Artikel in seiner Relevanz für die in wacher Zeitgenossenschaft formulierte Ekklesiologie D reys in der Dreyforschung kaum beachtet wurde 13 , ist vor allem dem Umstand zuzuschreiben, daß er in der ThQ anonym erschienen war. Hinzu kam seine Rubrizierung als bloßer Bericht, in dem eher nur statistische Angaben von Tagesinteresse, aber nichts darüber Hinausgehendes zu vermuten war. III. Biographische Angaben Von D rey im FrB erwähnte Personen (ohne Päpste, Könige): P ierre L ouis J ean C asimir de B lacas d ’A ulps , (* 12. Januar 1771 bei Aulps; † 17. November 1839 in Wien), französischer Staatsmann und Diplomat, 1817 Gesandter N apoleons in Rom (S. 136). J ean -B aptiste de B elloy (* 9. Oktober 1709 in Morangles, De´p. Oise; † 10. Juni 1808 in Paris), 1752 Bischof von Glande`ves, 1755-1791 von Marseille, 1802 Erzbischof von Paris, 1805 Kardinal (S. 139). G iovanni B attista C aprara (* 29. Mai 1733 in Bologna; † 21. Juni 1810 in Paris), Apostolischer Nuntius in Köln, Kardinallegat in Paris, Exekutor des französischen Konkordats von 1801 (S. 145). J ean -E´ tienne -M arie P ortalis (* 1. April 1746 in Le Beausset; † 25. August 1807 in Paris), Jurist, Rechtsphilosoph und Minister für religiöse Angelegenheiten (S. 150). A ugustinus (354-430) (S. 151). P elagius (350-420) (S. 151). L uis de M olina (* September 1535 in Cuenca, Neukastilien; † 12. Oktober 1600 in Madrid), jesuitischer Theologe (S. 151). J oseph F esch (* 3. Januar 1763 in Ajaccio auf Korsika; † 13. Mai 1839 in Rom) war Stiefonkel N apoleons , Kardinal und Erzbischof von Lyon (S. 154). C ornelius J ansen (J ansenius ; * 28. Oktober 1585 in Acquoi bei Leerdam; † 6. Mai 1638), niederländischer Theologe (S. 156). P asquier Q uesnel (* 14. Juli 1634 Paris; † 2. Dezember 1719 Amsterdam), jansenistischer Theologe. 1713 verfaßte C lemens XI. auf Veranlassung von L udwig XIV. gegen den Jansenismus und besonders gegen Q uesnel die Bulle Unigenitus (S. 156). J acques B e´ nigne B ossuet (* 27. September 1627 in Dijon; † 12. April 1704 in Paris), 1681 Bischof von Meaux; Schriftsteller (S. 158). 13 Vgl. die Ausnahme bei L achner , Das ekklesiologische Denken Johann Sebastian Dreys (wie Einleitung zu Misz. Nr. 2, Anm. 13) 459-460. Von V alerius (siehe Anm. 12) wurde der FrB zwar beachtet und hervorgehoben, aber die Verfasserschaft D reys ist ihm entgangen. <?page no="658"?> 626 Johann Sebastian Drey F ranc¸ ois de S alignac de L a M othe -F e´nelon (* 6. August 1651 auf Schloß Fe´nelon im Pe´rigord; † 7. Januar 1715 in Cambrai), Erzbischof von Cambrai; Schriftsteller (S. 159). J ean -V ictor -M arie M oreau (* 14. Februar 1763 in Morlaix, Finiste`re; † 2. September 1813 in Laun, Böhmen), war ein französischer General zur Zeit der Revolution und des Konsulats und ein Gegner und Rivale N apoleons (S. 160). Nicht identifiziert: F ayet : »Die Missionarien in Clermont, und namentlich ein H. Fayet, hatten über das Thema von der allein seligmachenden Kirche gepredigt; ...« (S. 152; vgl. 153). C ourbon : »... Diöcese Lyon, jetzt nach der Resignation des Cardinals Fesch von einem H. Courbon als General-Vicar regiert« (S. 154). Teil B: Johann Sebastian Drey Ueber den gegenwärtigen Zustand der katholischen Kirche 15 135 und Geistlichkeit in Frankreich Bey der Wichtigkeit, welche die Gestaltung eines neuen Lebens in Frankreich seit seiner letzten Regeneration auch für das Ausland gewonnen hat, mußte auch die Kirche und die Geistlichkeit dieses Landes die Aufmerksamkeit der Fremden auf sich lenken, und zwar die Aufmerksamkeit der Geistlichkeit des 20 Auslandes in einem höhern Grade, nicht nur wegen des gemeinsamen Interesses bey gemeinsamem Berufe, sondern auch wegen des besondern Ansehens, welches die französische Kirche als die älteste und berühmteste katholische Nationalkirche bey ihren Glaubensgenossen immer behauptet hat. Von dem Zustande dieser Kirche, von dem Geist und Wirken ihrer Geistli- 25 chen haben zwar unsere Tagblätter in der letzten Zeit manches berichtet, aber im Tone und mit der Kürze abgebrochener Zeitungsartikel. Wir glauben daher mit Rück-sicht auf den Gegenstand und auf die Zwecke unsrer Zeit- 136 schrift keine unnütze Arbeit zu thun, wenn wir hier, nicht aus bloßen Zeitungsartikeln, sondern aus den gelesensten französischen kirchlichen Zeit- 30 schriften, aus ihren Nachrichten und aus ihrem Geiste, eine räsonnirende Darstellung von dem gegenwärtigen Zustande der katholischen Kirche und Geistlichkeit in Frankreich unsern Lesern mittheilen. Die äussere Lage dieser Kirche, d. h. ihr hierarchischer Organismus und die ihm angemessene Eintheilung der kirchlichen Verwaltung, ihr Verhältniß 35 <?page no="659"?> 627 Misz. Nr. 6: Zustand der Kirche in Frankreich (1820) zum Staate, und die Begründung ihrer Subsistenz, - ist großentheils noch dieselbe, wie sie durch das Concordat von 1801 bestimmt wurde. Einige spätere Versuche von Concordaten, wodurch jene Lage anders bestimmt werden sollte, sind nicht in Ausführung gekommen. Das berüchtigte Concordat von Fontainebleau vom 25. Jänner 1813 hatte ohnehin nur den Zweck, unter 5 trügerischen Versprechungen den Raub des Kirchenstaats zu sanctioniren, und den Pabst zum gesetzlichen Sklaven Napoleons zu machen; nie vollzogen, fiel es bald mit diesem Manne. Jenes aber, welches der Graf Blacas in Rom unterhandelt, unter dem 11. Juny 1817 zum Abschlusse gebracht, und welches die Absicht gehabt hatte, das Concordat zwischen Franz I. und Leo 10 X. an die Stelle des mit dem ersten Consul abgeschlossenen zu setzen, erfuhr den Widerspruch der Kammern, und beruhete seitdem auf sich. Das Provisorium, welches jüngst zu Stande gekommen, scheint sich, soviel man weiß, blos auf die Besetzung vieler bisher unbesetzten Bisthümer, und 137 auf eine längst schon nothwendige Vermehrung derselben zu beziehen. 15 Nur in einem Stücke hat sich die äussere Lage der französischen Kirche seit ihrer Wiederherstellung gebessert; die Dotation wurde zum Theile bestimmter und sicherer, und die unumgänglich nothwendigen Hülfsmittel zur Selbstergänzung des Clerus, die Seminarien, vermehrten sich. Schon Napoleon hatte, wenn gleich nicht aus reinen Beweggründen, diesen Bedürfnissen 20 der Kirche abzuhelfen versucht, und in dieser Hinsicht manches gethan, wozu er sich durch den Buchstaben des Concordats eben nicht anheischig gemacht hatte. Hieher gehört die Bewilligung von Pensionen für die General-Vikarien und Kapitel aus dem Staatsschatze; die Errichtung zuerst von 24,000, dann noch von weitern 6000 Hülfskirchen, die der Staat besoldete; 400 ganze, und 25 800 halbe Stipendien und Freytische zu Gunsten studierender Geistlichen; die Anweisung von Nationalgebäuden oder Summen zu Seminarien in vielen Bisthümern; Dekrete, welche die Rückgabe eines Theils der verlornen Einkünfte an die Kirchenbaufonds verordneten; Aufforderungen an die Departements-Versammlungen zu Zuschüssen zum Gehalte der Bischöfe, General- 30 Vikarien und Domkapitel, u. s. w. Nach der Wiederherstellung der alten Dynastie war es eine Angelegenheit der Kammern, besonders vom Jahre 1815 die Religion wieder zur Grundlage der öffentlichen Erziehung zu machen, und das Schicksal der Geistlichkeit zu verbessern, deren Existenz durch die weit unter der Nothdurft gebliebenen Besoldungen, und durch ihr häufiges 35 Stocken noch immer kümmerlich geblieben war. Zu diesem Zwecke wurde 138 zuerst ein Staatsgesetz bewirkt, welches die Geistlichen und Kirchen ermächtigte, Schenkungen anzunehmen. Ein gleiches verordnete die Zurückstellung des noch vorhandenen Theils der geistlichen Güter, insoferne sie nicht zu andern wohltätigen Zwecken verwendet worden. Auf dem Budget sollte ein 40 eigener Artikel von den Pensionen der Geistlichen unmittelbar nach dem von <?page no="660"?> 628 Johann Sebastian Drey der öffentlichen Staatsschuld creirt werden; welcher Vorschlag später dahin abgeändert wurde, daß der Kirche zur Entschädigung für die verkauften Güter ein Einkommen von 42 Millionen Fr. in Staatsrenten zugesichert wurde. Nach einer vom Minister des Innern der Kammer der Deputirten vorge- 5 legten Rechnung beliefen sich die Ausgaben für die Geistlichkeit im Jahr 1817 auf 20,700,000 Fr. und waren folgendermaßen vertheilt: 1) Büreau der geistlichen Angelegenheiten unter den Attributionen Sr. Eminenz des Cardinal-aumonier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60,022 Fr. 2) Fünf Cardinäle zu 30,000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98,250 Fr. 10 (drey derselben fiengen erst mit dem 28. Jul. 1817 an ihre Besoldung zu beziehen.) 3) Zwey Erzbischöfe, drey und dreyßig Bischöfe zu . 535,931 Fr. 31 C. (fünfzehn Sitze waren erledigt.) 4) Domkapitel von St. Denis (Paris) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175,000 Fr. 15 5) Neun General-Vikarien in den Erzbisthümern, hundert in den Bisthümern, vierhundert fünfzehen Kanoniker . . . . . . . . . 597,224 Fr. 60 C. 6) Zweytausend achthundert neun und fünfzig Pfarrer (Cure ´s) . . . . . . . . . 139 2,858,630 Fr. 60 C. 7) Zwey und zwanzigtausend vierhundert vierzehen Hülfspriester (desservans 20 ou succursalistes) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11,198,036 Fr. 8 C. (die vacanten Succursal-Pfarreyen beliefen sich auf dreytausend zweyhundert siebenzig.) 8) Dreytausend siebenhundert vier und fünfzig Entschädigungen für Geistliche, die zwey Pfarreyen versehen (indemnite ´s de binage) . . . . . . . . . . . . . 25 1,022,189 Fr. 94 C. 9) Viertausend siebenhundert siebenzig Unterstützungen für ständige Vikarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 995,291 Fr. 17 C. 10) Dreytausend dreyhundert vier Freytische (bourses) und sieben und vierzig Portionen (fractions de bourses) . . . . . . . . . . . . . . . . . 924,218 Fr. 31 C. 30 11) Unterstützungen für 19 Sammlungen von Frauen, und 3 Sammlungen von Missionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145,000 Fr. 12) Unterstützungen für Klosterfrauen-Beichtväter und alte oder kranke Geistliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421,666 Fr. 64 C. 13) Unterhaltungskosten der erzbischöflichen und bischöflichen Kirchen und 35 Seminarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500,000 Fr. 14) Unterhaltungskosten der Pfarrkirchen und Pfarrhäuser . . 400,000 Fr. 15) Entschädigungen für 28 ernannte (aber nicht im Dienste stehende) Bischöfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116,214 Fr. 50 C. 16) Missions-Anstalten in China, nach ihrem großen Beförderer tombeau du 40 cardinal de Belloy genannt . . . . . . . . . . . . . . . 49,286 286 [sic] Fr. 58 C. <?page no="661"?> 629 Misz. Nr. 6: Zustand der Kirche in Frankreich (1820) 17) Ausgaben insgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52,767 Fr. 51 C. 140 18) Reservefonds für Zahlungen nach der Anweisung des Büreau der geistl. Angelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550,000 Fr. Aus dieser Darstellung sieht man, daß sich die Zahl der katholischen Geistlichkeit in Frankreich nach den Numern 2, 3, 5, 6, 7, 9. (also mit 5 Ausschluß des Domkapitels zu St. Denis und der 28 nicht investierten Bischöfe) sich auf 30,507; - und ihre Besoldungen auf 15,283,353 Fr. 87 C. (mit Einschluß der Entschädigungen Nro. 8 und 15 aber auf 16,421,768 Fr. 44 C.) sich belaufen. *) Indessen drückt der Mangel an Geistlichen die französische Kirche weit 10 mehr und gewiß empfindlicher als der Mangel an Dotation. Das Concordat von 1801 hat die Zahl der Bisthümer so vermindert, daß jetzt mehrere zwey bis drey Departemente, d. h. über eine Million Seelen umfassen, ein Wirkungskreis, den ein Bischof, der nicht bloßer Figurant ist, wie es die Bischöffe vor der Revolution in Frankreich (und leider auch in Deutschland) größtent- 15 heils waren, nicht ausfüllen kann. Gregoire, selbst Bischof, versichert, daß auch das kleinste Departement den Eifer eines thätigen Bischofs, der den Umfang seiner Pflichten kennt, der nach der neuen Ordnung der Dinge selbst predigen, seine Hirtenbriefe selbst verfassen, seine Diöcese regelmäßig visitiren, die Confirmation ertheilen will, u. s. f. - hinlänglich beschäftigen 20 könne. Dazu kam, daß während der Zerwürfnisse Napoleons mit dem Pabste 141 viele Bisthümer erledigt wurden und blieben, und erst jetzt scheint die Ordnung in diesem höchst wichtigen Zweige der Kirchenverwaltung hergestellt werden zu wollen. Noch allgemeiner und empfindlicher ist der Mangel an Kirchendienern. Ungeheuer ist die Zahl der Pfarreyen, die weder eine Kirche, 25 noch ein Pfarrhaus, noch einen Seelenhirten haben, und die genöthigt sind, die geistliche Hülfe aus der Nachbarschaft, manchmal aus weiter Ferne zu verlangen. Ein lichtvoller Aufsatz der Chronik **) entwickelt die Ursachen dieses Mangels. Von der Geistlichkeit, die im J. 1789 im Dienste war, hat der bey weitem größte Theil die Schuld der Natur bezahlt, theils nach den Ge- 30 setzen der freywilligen Auflösung, theils gewaltsamerweise in den Kerkern und auf den Blutgerüsten der Revolution, oder endlich etwas langsamer aufgerieben durch die Folgen von Kummer, Elend und Verfolgung. Von den jüngern hat mancher Ausgewanderte sein Unterkommen im Auslande gefunden; mancher im Vaterlande gebliebene hat sich verheurathet, einen viel be- 35 trächtlichern Theil hat die Abneigung der durch das Concordat von 1801 anerkannten Bischöfe gegen beeidigte Priester vom Kirchendienste weggedrängt. Mannichfaltige Bedrückungen zwangen diese Geistlichen, die Mittel * Chronique religieuse. Tom. II. Cah. XI. pag. 256. ** Cahier III. S. 52-62. Tom. I. <?page no="662"?> 630 Johann Sebastian Drey ihrer Existenz im Handel, in bürgerlichen Aemtern, und durch den Unterricht zu suchen. In den letzten Jahren Napoleons waren 709 Priester unter verschiedenen Titeln bey der kaiserlichen Universität angestellt. Der Nachwuchs 142 konnte diese Lücken nicht ausfüllen. Die Seminarien waren längere Zeit ganz geschlossen, und wieder geöffnet brachten sie es selten zu voller Thätigkeit. 5 Der geistliche Stand bot jetzt nur mehr Arbeiten aber keine Vortheile an; viele Eltern hielten ihre Kinder und Verwandten selbst von diesem Stande ab; endlich riß die Conscription die werdenden Priester noch vom Fuß des Altars hinweg, und das zu einer Zeit, wo man von den Befreyungen, die die Regierung bewilligt haben sollte, soviel Rühmens machte. - Dies ist gegenwärtig 10 der äussere Zustand der französischen Kirche und Geistlichkeit. Aber so nothwendig der Kirche ihr äusserer Organismus, bestimmte Verwaltungs-Bezirke und Normen, ein sicherer Fonds und Pflanzschulen sind, indem sie nur durch diese Bedingungen ihrer Objektivität besteht und sich erhalten kann; so kann doch der Geist des kirchlichen Lebens selbst, die 15 Gesundheit und Schönheit der Kirche, nur von innen kommen. Nach den Grundsätzen des katholischen Kirchenthums geht alles kirchliche Leben aus von der Geistlichkeit; in ihr wird oder ist es ursprünglich erregt, sie regt es auf und unterhält es in den Gläubigen. Von dem Geiste also, der die Geistlichkeit belebt, hängt die Sittlichkeit und Religiosität des Volks größtentheils 20 ab, von jener hängt es ab, ob unter diesem christlicher Sinn, Friede, Eintracht, Selbstverläugnung und jede andere schöne Tugend neben einem möglichen Maße richtiger Begriffe und geläuterter Einsichten zu Hause seyn soll. Vor allem aber ist es die Einigkeit, die Einigkeit unter den Geistlichen selbst, die die Fülle und Reinheit des kirchlichen Lebens fördert. Die moralische Ver- 25 143 einigung aller Wesen unter sich und mit dem Höchsten ist die höchste dogmatische Idee, und die höchste praktische Forderung des Christenthums; diese Vereinigung muß zuerst realisirt erscheinen in der Geistlichkeit und durch sie; sie wird es durch brüderliche Liebe und Eintracht; in dieser Gestalt geht sie durch die Kraft des Beyspiels über in die Laien, und wird noch mehr 30 befestigt durch harmonisches Zusammenwirken der Hirten zu einem Zwecke. Aber gerade diese Betrachtungen sind es, die den Beobachter hindern, am Thun und Treiben der französischen Geistlichkeit Freude zu gewinnen, oder von ihr frohe Hofnungen zu schöpfen. Der Geist, der unter dem französischen Clerus herrscht, läßt sich im 35 Allgemeinen bezeichnen als ein Geist vielfachen Zwiespalts, und wechselseitiger Unduldsamkeit, ja Verfolgungssucht. Wie dieser Clerus handelt und wie er sich in Worten ausspricht, erscheint er getheilt in Ansehung der Stellung, welche er sich selbst in dieser Zeit geben, uneins in Ansehung der Zwecke, auf welche hin, und der Mittel, wodurch er wirken soll. 40 Die erste offenbare Spaltung, die auch wo nicht als der Grund aller andern doch als ihr Nahrungsstoff betrachtet werden kann, rief die Revolution oder <?page no="663"?> 631 Misz. Nr. 6: Zustand der Kirche in Frankreich (1820) vielmehr ihr Produkt, das Dekret der konstituirenden National-Versammlung vom Jahre 1791, »daß die Geistlichkeit den Bürgereid schwören solle,« hervor. Von diesem Augenblick an gab es g e s c h w o r n e und u n g e s c h w o r n e , konstitutionelle und unkonstitutionelle Geistliche, und die Regierung, die 144 durch jene Maßregel den Geist einer der bedeutendsten Corporationen im 5 Staate konzentriren wollte, hatte sie eben dadurch in sich entzweyet. Die bald darnach eben so ungesetzlich eingeleitete als gewaltthätig durchgeführte Civilverfassung des Clerus trug dazu bey, die Spaltung unheilbar zu machen. Denn das Oberhaupt der Kirche hatte jene Civilkonstitution des Clerus verworfen. Dies gab den Unbeeidigten Veranlassung, die Geschwornen als Ab- 10 trünnige von der Kirche zu betrachten, und der schon gehässigere Name eines S c h i s m a t i k e r s knüpfte sich an den eines Constitutionellen. Mittlerweile hatten sich die Ungeschwornen aus ihrem Vaterlande entfernt; dadurch so wie durch die Verfolgungswuth der Revolution waren viele kirchliche Stellen, höhere und niedere, erledigt worden; die dringendsten Bedürfnisse der Gläu- 15 bigen, die Noth der Kirche, die Rettung der ihrer Ausrottung nahen Religion erlaubten und geboten ausserordentliche Maßregeln, in Ansehung der kirchlichen Mission. Die kostitutionellen Geistlichen blieben auf ihren Stellen, oder bezogen andere, wie es das religiöse Bedürfniß zu erheischen schien; dafür wurden sie von den Ausgewanderten E i n g e d r u n g e n e genannt. Alle 20 diese Partheynamen, von den ausgewanderten Geistlichen erfunden, galten indessen nur unter ihnen; die Regierung, als sie ihre Sorgfalt wieder der Religion zuwandte, und diesen Geistlichen die Rückkehre erlaubte, erkannte klugerweise keinen jener Partheynamen an, und sie mußten vollends rechtlich verschwinden, als die auf dem Haupte Napoleons befestigte Regierung mit 25 dem Pabste das erste Concordat abschloß. Nirgends enthielt dieses auch nur 145 eine leise Spur oder Andeutung, daß die Amtshandlungen der konstitutionellen Geistlichen kirchlich unkräftig oder auch nur kirchlich unregelmäßig gewesen seyen; keine Art von Erklärung kommt in diesem Concordat vor, keine Handlung ist darin vorgeschrieben, die den Zweck gehabt hätte, jene 30 Handlungen aufs neue gültig zu machen, oder das Unregelmäßige an ihnen auszugleichen; was doch hätte geschehen müssen, wenn das Oberhaupt der Kirche die Gültigkeit jener den Constitutionellen von ihren Gegnern aufgehefteten Namen anerkannt hätte, Namen die, wie sie nur ihre Gültigkeit von einer großen oder von der obersten kirchlichen Autorität erhalten, also auch 35 von dieser anerkannt seyn, und wenn sie es waren, von ihr wieder förmlich entkräftet werden müssen. Nun wurden aber in Gemäßheit jenes Concordats Geschworne und Ungeschworne, Bischöfe und Priester auf gleiche Weise eingesetzt; daß alle neu eingesetzt wurden, traf beyde auf gleiche Art, und sollte nach der eigenen Erklärung des Pabstes nicht den Sinn haben, als würde 40 dadurch die Gültigkeit des Amtscharakters der bisherigen Tituläre, oder die Gültigkeit der Amtshandlungen in Zweifel gezogen; der Pabst erklärte es für <?page no="664"?> 632 Johann Sebastian Drey eine Maßregel, die ihren Grund einzig in den gegenwärtigen Umständen, und zu ihrem Zwecke das allgemeine Beste der Kirche habe. Selbst auf das Andringen eines Bischofs, der wegen der Constitutionellen wenigstens eine Clausel dem Concordat angehängt wünschte, erfolgte von Seite des Cardinals Caprara eine blos allgemeine Erinnerung, und später die Erklärung: »daß da 5 Se. Heiligkeit noch kein Urtheil über den Eid der Geistlichen gefällt hätten, 146 auch keiner zum Widerruf angehalten, noch auch deswegen mit einer kirchlichen Censur oder Strafe belegt werden könne; und wo dies doch geschehen seyn sollte, solle diese sogleich aufgehoben werden.« Alle diese Gründe sind seitdem vielfältig und ausführlich von den Constitutionellen ihren Gegnern 10 entgegengehalten worden, aber ohne den Geist der Partheysucht besänftigen zu können. *) Zwar getraute sich dieser während der Herrschaft Napoleons nicht sein Haupt öffentlich zu erheben; und es waren im Ganzen nur wenige Bischöfe und Priester, die das Concordat nicht annahmen, wodurch die Parthey der Ungeschwornen sich selbst in zwey Sekten, die der C o n c o r d a t i - 15 s t e n und A n t i c o n c o r d a t i s t e n , trennte, deren letztere sich um die vertriebene Dynastie in England sammelte, und selbst jetzt noch auf ihrem Widerspruche beharrend eine Art von kleiner Kirche bildet. Aber nach der Wiederherstellung der königlichen Herrschaft wurden die Partheynamen wieder hervorgesucht, und da die bisdahin niedergehaltene Parthey nun die 20 siegende geworden, so machte sie, um nach französischer Weise zu reden, den Beeidigten, Schismatikern und Eingedrungenen förmlich den Krieg. Viele der achtungswürdigsten, durch ihr Alter und mehr als dreyßigjährige Dienste in den schwersten Zeiten ausgezeichneter Geistlichen wurden ihres Amtes entsetzt und aller geistlichen Vollmachten beraubt, weil sie den Eid geleistet 25 hat-ten. Besonders thätig in diesem Kriege erwiesen sich die General-Vica- 147 rien, die erledigte Bisthümer verwalten; vor allen jener von Besanc¸on, und die General-Vicarien von Strasburg, die ein eigenes Epurations-Comite niedergesetzt haben. Die Chronique religieuse ist voll von Beyspielen solcher D e s t i t u t i o n e n , wie sie es nennen, von der Gewaltthätigkeit, womit dabey 30 verfahren wird, und den oft schlechten Mitteln, die gebraucht werden, den Zweck zu erreichen. Zuerst wird den Geschwornen zugemuthet, ihren vor beynahe 30 Jahren geleisteten Eid zu widerrufen; und das jetzt, nachdem jene erste Constitution durch zehen andere, diese alle durch die absolute Herrschaft, und diese wieder durch die jüngste Constitution verdrängt worden, die 35 Verhältnisse der Kirche zum Staat überhaupt durch das Concordat schon lange festgesetzt sind. Dann wird ihnen zu verstehen gegeben, daß die General-Vicarien mit einem Indult versehen sind, um die Ketzer und Schismatiker mit der Kirche auszusöhnen, d. h. dieselben, die das Concordat als * Die Chronique religieuse enthält mehrere solcher Deductionen. Tom. I. pag. 121. ff.; pag. 407 ff.; 416 ff.; 431 ff. u. s. f.; Tom. II. pag. 499 ff. <?page no="665"?> 633 Misz. Nr. 6: Zustand der Kirche in Frankreich (1820) rechtmäßige Kirchendiener anerkannt und eingesetzt hat. Da sich nun diese begreiflicher Weise zu einem so beschimpfenden und völlig nichtigen Antrage nicht verstehen, so erfolgt die Aufforderung zur Niederlegung des geistlichen Amtes, oder die Entsetzung selbst. Stoßen die General-Vicarien bisweilen auf einen Widerstand von der andern Seite, oder befürchten sie einen solchen, so 5 nehmen sie wohl auch ihre Zuflucht zu ganz schlechten Mitteln; man verschreyet die Geschwornen als Bonapartisten, macht Denunciationen, oder stiftet Gemeindemitglieder auf solche gegen ihre Pfarrer zu machen; drohet mit Einsperrung, oder schützt erdichtete Befehle der Regierung vor. So wird 148 einem erbitterten Partheygeiste, im besten Falle, den man sich denken mag, 10 der aber in der That nicht statt findet, dem Streit um kirchliche Formen der wahre Zweck der Kirche und des geistlichen Amtes, die Belehrung und Besserung der Menschen aufgeopfert, und dies unter einem Volke, bey welchem es unter den gegenwärtigen Umständen des reinsten und besonnensten Eifers, des vereinten brüderlichsten Zusammenwirkens seiner Geistlichen be- 15 dürfte, um der Religion wieder allgemeine Achtung und Anerkennung, ihren Lehren und Vorschriften wieder wahren Einfluß auf die Herzen zu verschaffen. Und nicht nur negativ schadet dieser bisher dargestellte Partheygeist der Religion, er schadet ihr auch positiv dadurch, daß das Volk, wie es auch nicht anders seyn kann, an den Befehdungen und Bedrückungen der Geistlichen 20 durch Geistliche das größte Aergerniß nimmt; daß sich viele vom Gottesdienst und vom Empfang der Sakramente zurückziehen, und sich laut äussern: »wir wollen damit zuwarten, bis die Priester einig sind, und die Urheber der Spaltung wieder Christen werden.« - Welchen Eindruck muß es auf das Volk machen, wenn es sieht, wie jetzt kein Geistlicher mehr dem andern den 25 Liebesdienst erweist, die Leiche seines Nachbars zu Grabe zu begleiten, was in Frankreich eine alte und auf jeden Fall erbauliche Sitte war; noch mehr wenn es hört, wie jetzt manchmal ein unbeeidigter Priester über einen verstorbenen Constitutionellen das Urtheil der ewigen Verdammung von der Kanzel oder auf öffentlicher Gasse ausspricht? Was aber das Schlimmste bey der Sache ist, 30 und das geistliche Amt überhaupt verhaßt macht, ist das, daß das Volk den 149 Schleier aller dieser Getriebe durchschauet, und hinter dem auf jeden Fall unbescheidenen Eifer für kirchliche Formen politische Absichten entdeckt, denen hier, wie sonst so oft, die Religion einen Deckmantel leihen muß. Wenn es schon an sich Niemand entgehet, daß der berüchtigten Parthey der 35 Ultras alles verhaßt ist, was nur an den Namen der Constitution erinnert, so sehen insbesondere alle Besitzer von Nationalgütern in den Retractationen, die man von den Geistlichen fordert, eine Maßregel, durch welche man von ihrer Seite nicht einen bloßen Widerruf, sondern eine Wiederherausgabe ihrer Güter einleiten will. Wirklich sind auch mehrere Geistliche schon so weit 40 gegangen, Gesunden und Sterbenden die Absolution zu versagen, die im Besitze von Nationalgütern dieselbigen nicht herausgeben wollten. <?page no="666"?> 634 Johann Sebastian Drey Zu diesen Spaltungen, die aus verschiedenen Ansichten von kirchlichen Formen hervorgegangen sind, hat sich nun neuerlich eine andere gesellt, die ihren Grund in der Verschiedenheit oder Entgegensetzung dogmatischer Meynungen und Lehren hat. Man erinnert sich aus der Kirchengeschichte des vorigen Jahrhunderts, daß die Jansenistischen Streitigkeiten, nachdem sie 5 durch die Bulle Unigenitus auf ihren höchsten Punkt getrieben worden waren, durch die weise Dazwischenkunft Benedikts XIV. zuerst gemildert, und dann durch die Aufhebung der Jesuiten selbst auch aufgehoben wurden; in dem Jahrzehend, das der Revolution vorherging, gab es wohl wenige Jansenisten mehr in Frankreich, wenigstens hielten sie sich ganz still. Aber wie gerade die 10 strengsten und ernstesten Ansichten über Religion in trüben und betrübten 150 Zeiten auf empfängliche Menschen den stärksten Eindruck machen, weil ihre Farbe mit jener der Zeit zusammenfällt, und das Gemüth an seinem innern Ernste sich eine Schutzwehr gegen die Frivolität und Ruchlosigkeit der Aussenwelt erbauet, so mag wohl mancher französische Geistliche, der während 15 der Revolution in seinem Vaterlande blieb, sich in das System des Jansenismus geflüchtet, und besonders in dessen schönerern und wahrern Seite, in dessen moralischen Maximen eine aufrechthaltende Stütze gefunden haben. Aber diese, soviel oder sowenig ihrer seyn mochten, blieben die Stillen im Lande, da in jener Zeit alle literarische, zumal theologische Thätigkeit in Frankreich 20 gänzlich darnieder lag. Sie würden wahrscheinlich auch jetzt noch still und unbekannt seyn; wenn nicht die Verpflanzung des antijansenistischen Prinzips nach Frankreich sie aufgeweckt und hervorgerufen hätte. Die unter dem Namen der Fideisten (Patres de fide) versteckten Jesuiten hatten, nach einem Berichte des Ministers Portalis an Napoleon, im Jahre 25 1805 schon mehrere Niederlassungen in verschiedenen Städten des Reichs, besonders in Lyon. Das Gesetz duldete sie nicht, aber sie behaupteten sich dennoch selbst unter Napoleon; unter der neuen Regierung wurden sie durch eine Parthey sogar unterstützt und hereingezogen. Wie es nun der natürliche Instinkt des Jesuiten ist, den Jansenisten überall zu wittern und auszuspüren, 30 so konnten jenen auch diese Stillen nicht entgehen; um wie viel heftiger mußte der Streit entbrennen, als der Jansenismus bey der offenen Verbreitung des Jesuitismus durch einen gleichen Instinkt sich getrieben sahe, auch seiner 151 Seits sich auszusprechen. Und das ist nun in der letzten Zeit auch geschehen. Die Chronique religieuse enthält mehrere, theils Aufsätze, theils Anzeigen und 35 Auszüge von Schriften, worin der alte dogmatische Jansenismus in seiner ganzen Strenge wieder aufgestellt wird. *) Wenn man in den Behauptungen: »die Lehre Augustins von der Gnade - nach der Auslegung der Jansenisten -, sey bis zum 17ten Jahrhundert die allgemeine und herrschende Lehre in der katholischen Kirche gewesen; Mo- 40 * Tom. I. Cah. XVI. pag. 357; Cah. XXII. pag. 512. Tom. II. Cah. II. pag. 31. <?page no="667"?> 635 Misz. Nr. 6: Zustand der Kirche in Frankreich (1820) lina habe nur den Lehrbegriff des Pelagius wieder aufgewärmt; der Molinismus sey eine verdammliche Neuerungssucht, ein freches Vernünfteln über Geheimnisse, u. s. w.« - wenn man, sage ich, in diesen Behauptungen auch nur einen gewöhnlichen Kunstgriff der Theologen und theologischer Schulen annimmt, um ihr System mit dem Alterthum und mit der Autorität der 5 Kirche zu decken; - wenn man die Fragen über die Wirksamkeit der Gnade wieder so gestellt sieht: »ist es der Mensch, der die Gnade zu ihrer Wirksamkeit bestimmt, oder ist es die Gnade, die uns zum Guten bestimmt (determine)? Ist unsre Einwilligung das Werk unsrer freyen Wahl, oder das Werk der göttlichen Allmacht? « und wenn man die Läugnung des freyen Willens, die in 10 der Assertion des zweyten Commas liegt, auch nur eine unfreywillige nennen mag; - so verfällt doch dieser wie-der erwachte Jansenismus sogleich in den 152 nämlichen, allerdings viel größern Fehler, den der frühere seinem Gegner immer vorgeworfen hat, Verketzerungssucht und theologischen Zelotismus; indem dieser Jansenismus seine besondern Schulmeynungen zu Dogmen der 15 Kirche stempelt, und die anders denkenden für Ketzer erklärt. Die Missionarien in Clermont, und darunter namentlich ein H. Fayet, hatten über das Thema von der allein seligmachenden Kirche gepredigt; und der Genannte hatte nach der Erläuterung des katholischen Dogmas die Instanz aufgeworfen: also werden alle Kinder, die ohne Taufe sterben, ver- 20 dammt? Hierauf antwortet er: »wer sagt euch das: die Kirche lehrt nur, daß sie keinen Antheil an der Seligkeit der Getauften haben, aber sie überläßt es euch, euch diese Kinder in einem Zustande zu denken, der ihnen das Seyn erwünschlicher macht, als das Nichtseyn. Wie viele Kinder sind dadurch gerettet, die ihr in die ewige Verdammniß begraben habt? « - Aber, fährt er in 25 der Instanz fort, doch die Kinder der Ketzer, obschon getauft, werden wohl verdammt? »Wie kommt ihr dazu? so lange sie ihre Religion nicht selbst und freywillig wählen können, nicht freywillig den Irrthümern anhängen, die ihnen vorgetragen werden, sind sie auch ohne Schuld und Verantwortlichkeit; ihre Ketzerey kann ihr Heil nicht gefährden.« - Aber doch die Ungläubigen, 30 die dahinsterben, ohne nur von Jesus Christus gehört zu haben, die Ungläubigen von Adam bis auf Christus und von Christus bis auf uns, diese werden doch wohl verdammt? Und hierauf erwidert H. Fayet: »nicht die Kirche 153 verdammt alle diese Menschen, ihr seyd es, die so verschwenderisch dieses Urtheil aussprechen. Die Kirche läßt euch den Glauben, daß die göttliche 35 Barmherzigkeit in ihrem Schoose wohl Mittel bewahre, die im Herzen eines rechtschaffenen Heiden, der dem natürlichen Gesetze folgt, ihre Wirkungen nicht verfehlen. Diese Mittel mögen wohl denen zur Seligkeit erklecken, die sie verdienen, wie groß auch die Menge solcher Menschen seyn mag, die ihr so zuversichtlich verdammet, und dabey alles Gehässige einer Behauptung auf 40 unsere Kirche wälzet, die doch ausschlüßig nur eure eigene Behauptung ist. Die Kirche verdammet Niemand namentlich, höchstens drey oder vier Indi- <?page no="668"?> 636 Johann Sebastian Drey viduen dieser Art mag man nennen. Ueber das Heil aller andern schweigt sie mit einer Schonung, die ihr nicht einmal zu würdigen verstehet, u. s. w.« - Ueber diese Aeusserungen des Missionars Fayet, welche wirklich nichts anderes als die Lehre der katholischen Kirche enthalten, die aber, wie man besonders gegen Ende merkt, auf die Jansenistische Härte anspielen, ereifert 5 sich nun ein Jansenist gewaltig in den oben angeführten Aufsätzen, und erklärt alle, die da lehren, wie H. Fayet, für Ketzer. *) Auf der andern Seite verfahren freylich die Gegner der Jansenisten noch viel ärger. Sie scheinen unter sich ein förmliches Verfolgungssystem organisirt zu haben, das an Atroci-tät und zugleich an Lächerlichkeit alles übertrifft, was 10 154 man aus der Geschichte der bekannten Constitutions-Streitigkeiten weiß. Der Mittelpunkt dieser Verfolgungen ist die Diöcese Lyon, die jetzt nach der Resignation des Cardinals Fesch von einem H. Courbon als General-Vicar regiert wird. Das Mindeste sind wohl zahlreiche D e s t i t u t i o n e n solcher Geistlichen, die man des Jansenismus verdächtig hält, und verdächtig macht, 15 sobald sie Geschworne sind. Aber Abscheu und Mitleiden zugleich erregt es, wenn man hört, wie die Beschuldigung der Ketzerey auf Menschen ausgedehnt wird, die wenigstens von dieser, da sie sich einzig auf theologische Spekulationen bezieht, auch nicht den mindesten Begriff haben können. Schlichten Landleuten wird unter dem Vorwande, daß sie Jansenistische Ket- 20 zer sind, öffentlich in der Kirche, selbst zur österlichen Zeit, auch dann wenn sie mit Beichtscheinen versehen sind, das Abendmahl verweigert; den Kranken unter dem gleichen Vorwurfe die Absolution und die Sakramente der Sterbenden, den Todten das kirchliche Begräbniß und die christliche Fürbitte versagt. Es ist schon vorgekommen, daß ein Pfarrer Leichen wieder ausgra- 25 ben und vor den Kirchhof werfen ließ, die auf Veranstaltung des Maire begraben worden waren; wie auch, daß Kindern von 11 und 7 Jahren das Begräbniß verweigert wurde. Man kann sich leicht denken, daß die armen Jansenisten auf den Dörfern auch nicht als Taufpathen zugelassen, ihre Ehen nicht proklamirt und eingesegnet werden. Sie sind mit einem Worte von aller 30 kirchlichen Gemeinschaft ausgeschlossen; nur die einzige Begünstigung ist ihnen von den eifernden Pfarrern ge-stattet, daß sie mit den übrigen Recht- 155 gläubigen ihre Gabe in das Opferbecken legen dürfen. Die Verfolgten haben schon wiederholtermalen an verschiedenen Orten rechtskräftig erhobene Darstellungen ihrer Beschwerden bey verschiedenen Stellen, selbst bey den Kam- 35 mern eingereicht, aber ohne Erfolg. **) Wenn die Vertheidigung solcher Menschen, die ein kirchlicher Fanatismus verfolgt, gewiß ein sehr löbliches Werk * Chronique religieuse. Tom. I. pag. 359. ff.; pag. 512. ff.; Tom. II. pag. 25. ff. ** Auszüge aus diesen Klag- und Bittschriften und andern Darstellungen der erwähnten Thatsachen, mit genauer Namens-Bezeichnung der Oerter, der Zeiten und Personen, enthält die Chronique religieuse. Tom. I. pag. 416. ff.; Tom. II. pag. 204; pag. 289 ff.; pag. 361-384. u. a. <?page no="669"?> 637 Misz. Nr. 6: Zustand der Kirche in Frankreich (1820) ist, so haben jene Vertheidiger doch unrecht, wenn sie die Regierung tadeln, daß sie nicht via facti gegen jenen Verketzerungs- und Verfolgungseifer einschreitet. Denn was Jansenismus sey? ob ein solcher vorhanden sey? Und was in diesem Falle nach den Gesetzen der Kirche Rechtens sey? - über diese Fragen maßt sie sich klüglich keine Entscheidung an, wie ihr auch keine 5 zukommt. Aber gegründeter allerdings sind die Vorwürfe, die sie dem Bisthums-Verweser machen, der die Pfarrer und Hülfspriester sein eigenes Rituel ungehindert übertreten läßt, welches ein ganz anderes Benehmen in solchen Fällen vorschreibt, als die Pfarrer wirklich befolgen. Von dem Geiste, von der Pastoraltüchtigkeit und von der Bildung dieser heftigen Zeloten erlangt man 10 aber erst einen vollkommenen Begriff, wenn man liest; wie sie 16jährige Dorfmädchen und alte Mütterchen die nicht lesen können, über die Bulle 156 Unigenitus katechisiren; wie sie eben solche Leute den Jansenius und den P. Quesnel, deren Namen jene in ihrem Leben nie gehört haben, verdammen machen; wie sie die Kranken fragen: ob sie auch an die v e r s t r e u t e Kirche 15 glauben wie an die v e r s a m m e l t e ? nicht damit zufrieden sind, wenn ein Inquisit bekennt: er glaube alles, was die katholische Kirche lehre, und verwerfe alle Irrthümer, die sie verwerfe, sondern fordern: er soll bekennen, daß er alles glaube, was sein Pfarrer glaube; wie sie auf der Kanzel die Infallibilität der Pabstes, und seine Superiorität über das Concilium predigen, am Altare 20 aber das Argumentum in ferio mit Fäusten und Fußtritten anwenden, u. s. w.! Billig verwundert man sich im Auslande, wie die französische Geistlichkeit, lange Zeit die einigste, die aufgeklärteste und gebildetste in der katholischen Christenheit, nicht nur bis zu diesen bedaurungswürdigen Spaltungen sich habe verirren, sondern auch in einem großen Theile ihrer Glieder zu 25 dieser eigentlichen Barbarey habe herabsinken können? - Manche Ursachen liegen wohl nahe genug. Die Revolution, die hier wie überall ein Werk und Ausbruch der Leidenschaften tief in die Gemüther einschneidet, hat den jüngern Geistlichen, die in ihr aufgewachsen sind, jene Rohheit mitgetheilt, die solchen Zeiten natürlich ist. Diese Rohheit wurde durch keine gelehrte 30 und wissenschaftliche Bildung, durch keine dem werdenden Geistlichen nothwendige moralisch-asketische Erziehung gemildert; roh also und unwissend, wie diese Menschen seyn müssen, eignen sie sich recht eigentlich zu Werkzeugen geheimer Partheyen, zu blinden Zeloten und Verfolgern. Darum sind 157 es gerade diese, über welche am meisten geklagt wird, welchen jene Excesse 35 eines fanatischen Eifers vorzugsweise zur Last fallen. Aber auch in den Gemüthern der ältern, aus der Auswanderung zurückgekehrten Geistlichen haben die erlittenen Verluste und Drangsalen eine Bitterkeit und ein psychologisch-natürliches Streben von Reaction zurückgelassen, das sich nun in irgend einem Kampfe Luft machen will, und wo dieses Streben nicht durch 40 strenge Sittlichkeit und richtige Religionsbegriffe im Zaume gehalten wird, sehr leicht in Spaltung und Verfolgung übergeht. Und schon vor der Revo- <?page no="670"?> 638 Johann Sebastian Drey lution hatte ein innerer Wurm an der französischen Geistlichkeit genagt; nicht gerade der Wurm der Spaltung und Intoleranz, denn nach aussen herrschte in ihr damals vollkommene Ruhe; es war eine geistige Apathie und Lethargie, welche die Vernachlässigung gründlicher Studien und guter theologischer Kenntnisse einerseits, und eine Hintansetzung ihrer geistlichen Pflichten und 5 geistiger Uebungen andererseits zur Folge hatte. Aus jener Lethargie wurde sie durch die Revolution aufgeschreckt; jene ist nun wieder in Thätigkeit übergegangen, aber die leitenden Principien einer heilsamen Thätigkeit des Geistlichen, ein durch richtige Kenntnisse erleuchteter Verstand, ein durch reinen Eifer getriebener Wille, fehlen; daher die Mißgriffe und Verwirrung. 10 Das sind aber nur die nächsten und allgemeiner bekannten Ursachen dieser Erscheinungen; die letzte Ursache, namentlich diejenige, welche die gedachte Lethargie unmittelbar, und dadurch auch die andern Wirkungen hervorgebracht hat, liegt tiefer, und ist weniger erkannt. Und darum ist es wohl der Mühe werth, sie näher zu bezeichnen: sie liegt aber in der D i e n s t b a r k e i t , 15 158 in welche die französische Kirche und Geistlichkeit an den Staat zuletzt hingegeben war, oder sich hingegeben hatte. Man weiß aus der Kirchengeschichte, wie schon in frühern Zeiten der französische Clerus dem immer weitern Umsichgreifen der päbstlichen Kirchengewalt, und die französischen Könige den Eingriffen der Päbste in weltliche Rechte vor andern mit dem 20 besten Erfolge widerstanden. Indem die Geistlichkeit in ihrer Sphäre, und die weltliche Macht in der ihrigen, jede für sich frey und selbstständig, das was sie als ihr Recht ansprechen konnte, wahrte, unterstützten sie sich wahrhaft, ohne daß die eine das Werkzeug der andern gewesen wäre. Aber nachdem Leo X., einer der Päbste, die die Interessen der Kirche 25 jenen ihrer Staatspolitik opferten, das bekannte Concordat von 1516 mit Franz I. abgeschlossen, und darin dem König die Verleihung aller Bisthümer und Abteyen überlassen hatte, wurde die ganze höhere Geistlichkeit vom Hofe abhängig, und die bisher ehrwürdige französische Kirche dem Staate, der Staatspolitik, und allein ihren Launen dienstbar. Dies zeigte sich beson- 30 ders seit der Regierung Ludwigs XIV. Als er im J. 1681 mit Innocenz XI. in den Streit über die sogenannte Regale gerieth, mußte die französische Geistlichkeit die so berühmt gewordenen vier Artikel als französische National- Dogmen deklariren und obschon die gleich darauf gefolgte Erhebung dieser Deklaration zu einem Staatsgesetze ihren wahren Ursprung nicht verkennen 35 ließ, so schien doch der große Bossuet selbst, der jene Artikel mit der ganzen 159 Macht seines Ansehens und seiner Beredsamkeit vertheidigte, nicht zu fühlen, daß seine ganze Theologie nur der Politik diene; so wenig als er in der Verfolgung des frommen Fenelons fühlte, daß er nur das Werkzeug eines erzürnten Königs sey. Eben diese französische Geistlichkeit mußte wenige 40 Jahre nachher, als sich die Politik und die Launen des Hofs geändert hatten, auf seinen Befehl von der Lehre der vier Artikel ablassen, trotz alles ihres <?page no="671"?> 639 Misz. Nr. 6: Zustand der Kirche in Frankreich (1820) Widerstrebens die Bulle Unigenitus annehmen, ja selbst gegen die beyden letzten Artikel, die das Concilium und das Urtheil der Kirche über den Pabst setzen, diejenigen als Ketzer verurtheilen, die von des Pabstes Bulle an ein Concilium appellirten. Endlich als sich die Politik abermals änderte, kamen die bey Seite gesetzten Artikel unter Ludwig XV. durch das Arret du Conseil 5 von 1756 wieder zu Credit. Durch jene Hingabe an den Staat und an die Politik hatte die Geistlichkeit ihre innere Haltung, die Festigkeit ihrer Maximen, die Consequenz im Handeln verloren; von da war der andere Schritt zur Unthätigkeit, Passivität und moralischen Erschlaffung leicht, welche Uebel den Krebsschaden des französischen Clerus unmittelbar vor der Revolu- 10 tion bezeichneten. Denn das ist das ewige Gesetz der Dinge, daß das Höhere nicht dem Niederen, das wahrhaft Geistige nicht dem Sinnlichen und seiner Wandelbarkeit dienen kann; will man es doch dazu zwingen, so entweicht es. Der Geist, der den Clerus zum Handeln treiben, und im Handeln leiten muß, ist nicht der Geist eines Volks und einer Regierung, ist überhaupt nicht der 15 Geist der Welt; es ist der höhere des Christenthums, seiner Dogmen, seiner Maximen und seiner übrigen Institute, welche alle zusammen die Kirche 160 bewahrt. Durch die Kirche allein kann der Geistliche in seiner Sphäre zum Handeln bestimmt werden, darum muß diese frey seyn. Ist sie es nicht, und gehen die Bestimmungen des Geistlichen zum Handeln von den irdischen 20 Elementen des Staats aus, so wird die Geistlichkeit in ihrem innersten Lebenskeime verdorben; sie wird sinnlich, weltlich, eitel, genuß- und lebenssüchtig, höfisch, hohl, charakterlos. Das Fröhnen für fremdartige Zwecke erzeugt in ihr eine S e r v i l i t ä t , die alle Impulse von aussen her erwartet, sich selbst aber keinen geben kann, und diese Servilität geht in Apathie und 25 Lethargie über. Daher kam es, daß die französische Geistlichkeit der ausbrechenden Revolution so gar keinen Damm entgegen zu setzen, ihren Lauf so gar nicht zu leiten vermochte. Seit langem gewohnt, sich von der Regierung Vorschriften geben zu lassen, was sie thun und wie sie lehren solle, seit langem gewohnt, von ihr in Bewegung gesetzt zu werden, wartete sie auch 30 jetzt darauf; aber jetzt war die Regierung kraftlos, unsicher, verworren; und die Befehle an den Clerus blieben aus, oder widersprachen sich; in ihm selbst fand sich der Geist nicht mehr, der das Rechte zu ergreifen, die Kraft nicht mehr, die es in der schweren Zeit durchzuführen gewußt hätte. Als sich daher die Geistlichkeit von der Regierung verlassen sahe, und diese selbst floh, 35 wußte auch jene nichts besseres zu thun, als zu fliehen, und verdiente darum wohl die Vorwürfe, die ihr von den Söhnen der Revolution selbst gemacht wurden. *) * Es ist bekannt, daß der General Moreau im Feldzug von 1796 zu mehrern ausgewanderten Geistlichen, die er übrigens in ihrem Asyl human behandelte, sagte: wäre ich beym Ausbruche der Revolution Priester gewesen, ich wäre am Fuße des Altars gestorben. <?page no="672"?> 640 Johann Sebastian Drey Die Revolution hatte es also vollkommen aufgedeckt, wie wenig eine 161 Geistlichkeit zum Besten des Staats selbst zu thun vermöge, die von ihm vorher durch Dienstbarkeit e n t g e i s t i g t worden. Die constituirende National-Versammlung fühlte es aber noch nicht; sie wollte dieselbe unbewegliche Geistlichkeit nun revolutionär-constitutionel machen, die die Könige vorher 5 monarchisch-constitutionel gemacht hatten. Was die National-Versammlung that, war gar nichts neues, sie führte nur konsequent und vollkommen durch, was die Könige unvollendet gelassen hatten. Aber nun erst, da die Dienstbarkeit der Kirche vollkommen proklamirt war, und die Folgen davon täglich mehr, bis zum Gräßlichen, entwickelte, nun erst giengen dem Clerus Galli- 10 canus die Augen auf. Zwar diejenigen, die sich die Constitution civile du clerge ´ hatten gefallen lassen, konnten nicht gegen ihr Wort und ihre Ehre handeln; sie benützten ihre eingeengte Stellung, um von der Religion in ihrem Vaterlande noch soviel zu retten, als ihnen möglich war. Niemand, auch nicht die jetzt überwiegende anti-constitutionelle Parthey, sollte so ungerecht seyn, 15 ihnen dies Verdienst zu schmälern, und sie von ihren Stellen verdrängen zu wollen; auch dürfte es in solchen Zeiten, wo jeder seine Sünden zu bekennen hat, billig und klug zugleich seyn, ihnen die Beschämung einer förmlichen Retractation zu ersparen. Indessen waren die Ausgewanderten beynahe durchgängig zur Einsicht 20 162 gekommen, wo das Uebel eigentlich liege, nämlich in dem Mangel eines kirchlichen Thätigkeits-Princips, in ihrer eigenen Haltungslosigkeit, die eine Folge ihrer Abhängigkeit vom Staat und Hof gewesen. In sich selbst, d. h. in der alten Idee des Clerus Gallicanus mußten sie verzweifeln den Haltungspunkt zu finden, da die Revolution und ihre Folgen so große Spaltungen 25 unter ihnen selbst erhoben; es blieb also nur die allgemeine Idee der Katholicität, deren Mittelpunkt der Pabst repräsentirt. Es war also sehr natürlich, und ist vollkommen begreiflich, daß der aus der Zerstreuung sich wieder sammelnde französische Clerus mit Verlassung seiner alten Idee sich dem Pabste zuwandte: denn das Pabstthum ist ein allgemeines und ist ein kirch- 30 liches Princip. Hat dieser neue Clerus, dessen Bischöfe wenigstens größtentheils das Concordat von 1817 wünschten, welches mit dem von 1516 dasselbe, ja noch etwas schlimmer ist, - hat, sage ich, dieser neue Clerus noch nicht begriffen, daß ihm damit noch keineswegs geholfen ist, so rührt dies blos daher, weil ihm die Augen noch nicht ganz aufgegangen sind, und der 35 Schrecken der Revolution noch zu stark in ihm steckt. Hat sich durch die Hinwendung zu dem Pabste nicht blos jene Verbindung wieder hergestellt, in der alle Katholiken mit ihm seyn müssen, und welche der alte Clerus Gallicanus manchmal zu lösen auf dem Punkte war; sondern offenbart sich darin über diese hinaus eine entschiedene Hinneigung zu dem, was man Ultra- 40 Montanismus nennt, so ist auch diese Erscheinung aus dem was vorhergieng, voll-kommen begreiflich. Es kommt nämlich blos darauf an, ob diejenigen, 163 <?page no="673"?> 641 Misz. Nr. 6: Zustand der Kirche in Frankreich (1820) die dahin neigen, es mit klarem Bewußtseyn thun, oder nicht. Die erstern erkennen die Nothwendigkeit, gegen die Dissolution der einzelnen Nationalkirchen das monarchische Princip der Kirche zu verstärken, die während der Dienstbarkeit erstorbene christlichkirchliche Thätigkeit wieder vom Mittelpunkt aus zu beleben, und dem noch fortdaurenden Andringen gegen die 5 Freyheit der Kirche die höchste, selbst politisch freye, Auctorität dieser letztern entgegenzustellen. Die andern leitet ein unvertilgbarer katholisch-kirchlicher Instinkt eben dahin, wohin die erstern der klare Begriff; aber eben weil es nur ein Instinkt ist, und ihnen die tiefere Einsicht fehlt, so gerathen sie bey diesem Uebergange von einem Extrem auf das andere; sie können der Ser- 10 vilität nicht sogleich los werden, die ihnen so lange angehangen, und die nun in der Form von Servilität unter der obersten kirchlichen Auctorität all das Unwesen hervorbringt, von dem wir oben Beyspiele gesehen haben; eine neue Belehrung für die Staaten innerhalb ihrer Bezirke die katholische Kirche mit einem Ultra von Beschränkung zu verschonen, wenn sie nicht einen Ultra- 15 Montanismus unvermeidlich herbeyrufen wollen. In Beziehung auf die französische Kirche kann also ihr gegenwärtiger Zustand nur als ein Uebergangszustand betrachtet werden, in welchem alle guten und bösen Elemente, alle Extreme mit einander kämpfen, um einen natürlichen und bleibenden Zustand hervorzubringen. Das ist gewiß, daß 20 keines der Systeme, die jetzt von der französischen Geistlichkeit geltend gemacht werden wollen, sich für immer be-haupten, und keines der Mittel, 164 die dafür angewendet werden, einen wahren und bleibenden Erfolg hervorbringen wird. Für uns, die wir uns außerhalb dieser Gährung befinden, kann aber ihr Anblick und die Betrachtung der Ursachen, aus denen sich alles so 25 ergeben, lehrreich seyn. Denn gleiche Ursachen bringen auch gleiche Wirkungen hervor; die Geschichte aber spricht anschaulicher als jedes abstracte Räsonnement, wiewohl auch für viele Menschen die Geschichte verloren ist. Doch wie das auch sey, wird man hoffentlich dieser Darstellung nachsagen, daß sie einem jeden, von dem in ihr die Rede war, sein Recht habe widerfah- 30 ren lassen. <?page no="674"?> 642 Miscellanea 1819-1835 Misz. Nr. 7: Kirchliche Nachrichten [zur gegenwärtigen Lage der katholischen Kirche in Schweden; Erhebung Johann Baptist Kellers zum Generalvikar] Teil A: Hinweise zu diesem Text von Max Seckler I. Bibliographische Angaben Text: Theologische Quartalschrift 2 (1820), Heft 1, 176-179, Rubrik V. Intelligenzblatt, Kirchliche Nachrichten. Dieser Nachrichtenblock besteht aus zwei Teilen: (1.) einem Bericht über die gegenwärtige Lage der katholischen Kirche in Schweden im Umfang von drei Seiten (176-179). Als Quelle dieser »Notizen« (176) ist »Ein Schreiben aus Stockholm, datirt vom 24. April 1819, und abgedruckt in der chronique religieuse, Tom. II. pag. 493 ff.« 1 angegeben (176). Es handelt sich nicht um einen wörtlichen Abdruck des Originals, sondern um eine referierende Wiedergabe der dem Tübinger Berichterstatter (d.h. D rey 2 ) wichtig erscheinenden Punkte. (2.) Einer zehn Zeilen umfassenden Nachricht über die nach dem Ableben von Generalvikar Fürst F ranz C arl von H ohenlohe , Bischof von Tempe 3 , staatlich genehmigte Erhebung des Provikars J ohann B aptist von K eller , Bischof von Evara 4 , zum Generalvikar für ein zu errichtendes Bistum im Königreich Württemberg (179). Als Quelle dieser Nachricht ist angegeben: »Königl. Würtembergisches Staats- und Regierungsblatt, 1819. Nro. 84.« 5 1 Siehe Note sur l’e ´tat actuel des socie ´te ´s religieuses en Sue `de, in: Chronique religieuse, Tome II (Paris, Fe´vrier 1819) 493-501. Der Name des schwedischen Korrespondenten ist in der Vorlage nicht genannt. Der Text in der ThQ macht knapp die Hälfte der Vorlage aus. Übernommen ist die Schilderung der gegenwärtigen Lage (497-501, bes. 499-501), während der geschichtliche Teil sowie einige ins Detail gehende Angaben nicht berücksichtigt sind. Die Übersetzung ist nicht wörtlich. 2 Zuschreibung an D rey bei L ösch , Die Anfänge (siehe Misz. Nr. 1, Anm. 3) 62, von K uster mann / F esseler , Bibliographie (siehe Misz. Nr. 1, Anm. 3) 318 übernommen. Für diese Zuschreibung sprechen neben archivalischen Berechnungen (L ösch ) die Sprachgestalt des Textes sowie die Nennung der Chronique religieuse, als deren Kenner D rey sich profiliert hatte (siehe Miszellen Nr. 5 und Nr. 6). 3 F ranz K arl J oseph Fürst zu H ohenlohe -W aldenburg -S chillingsfürst (* 27. November 1745, † 9. Oktober 1819) war als Weihbischof von Augsburg seit dem 28. September 1812 staatlich eingesetzter und seit 1816 päpstlich anerkannter Generalvikar für die katholischen Landesteile Württembergs (zu ihm siehe auch Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 102, sowie Einleitung zu Text Nr. 4, Anm. 42). Seit 1816 war ihm J ohann B aptist von (seit 1816) K eller , der spätere erste Bischof von Rottenburg, als Provikar zur Seite gestellt. 4 Zu ihm siehe Einleitung zu Text Nr. 4, Anm. 49. 5 Siehe Königlich Württembergisches Staats- und Regierungs-Blatt vom Jahr 1819. Stuttgart 1819, <?page no="675"?> 643 Misz. Nr. 7: Kirchliche Nachrichten [Kirche in Schweden; Keller] (1820) II. Bemerkungen Die von D rey vorgenommene Auswahl der für die Leser der ThQ als mitteilenswert erachteten Punkte mitsamt einigen kommentierenden Zwischenbemerkungen läßt Rückschlüsse auf den Wahrnehmungshorizont und die Interessenlage D reys im Jahr 1820 zu. Das gilt zumal für die starke Herausstellung des Toleranzproblems: Gesetzliche Gewährleistung der Toleranz für Katholiken, aber faktische Weitergeltung der alten gesetzlichen und gesellschaftlichen Repression des katholischen Bevölkerungsteils. Die württembergischen Leser der ThQ konnten diese Notizen auf ihre eigene Lage beziehen. Am Ende dieser Notizen, aber durch drei Asterisken von ihnen getrennt, findet sich auf Seite 179 die oben beschriebene Nachricht über den Amtsantritt K ellers . Auch der Text dieser Nachricht dürfte von D rey in die ThQ eingerückt worden sein 6 , aber er wirft für die Person und das Werk D reys nichts ab. Teil B: Johann Sebastian Drey Kirchliche Nachrichten 176 Ein Schreiben aus Stockholm, datirt vom 24. April 1819, und abgedruckt in der chronique religieuse, Tom. II. pag. 493 ff. - theilt über die gegenwärtige Lage der Katholiken in Schweden folgende Notizen mit, die, wie wir glauben, als 20 wenig bekannt, unsern Lesern angenehm seyn werden. Die Zahl der Katholiken in Schweden beläuft sich auf Tausend. Das Kirchspiel in Stockholm begreift deren ungefähr Achthundert. Es sind theils Deutsche und Abkömmlinge von Deutschen, die um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts von der Regierung ins Land gezogen worden, um die Tuch- 25 fabriken, Seidenmanufakturen und Glashütten zu heben, und die dadurch den Grund zur Toleranz der Katholiken in Schweden gelegt haben; theils Franzosen, die die Kunst oder der Herrendienst, auch Italiener, die Handelsspekulationen dahin geführt haben; auch kam durch die frühern Kriege man-cher 177 875-878, Nr. 84 (13. Dezember 1819), hier auf S. 876 die allerhöchste Genehmigung der schon durch päpstliches Breve vom 15. Juni 1816 für den Fall des Ablebens H ohenlohes vorgesehenen Nachfolgeregelung durch das Departement des Inneren. 6 Da L ösch und K ustermann / F esseler mit ihrer den ganzen Nachrichtenblock umfassenden Seitenangabe D rey als Autor angeben, erstreckt sich ihre Verfasserschaftszuschreibung auch auf diesen Text. In der Bibliographie von K ustermann / F esseler ist indessen - der Kürze halber oder aus Versehen - nur die Schweden betreffende Nachricht ausdrücklich angeführt (318, Anm. 6). <?page no="676"?> 644 Johann Sebastian Drey katholische Soldat nach Schweden, so daß sich unter den dortigen Katholiken Menschen aus allen Nationen befinden. Diese Gemeinde ist als solche sehr arm, aus Mangel an sichern Fonds fehlt es ihr an einer eigenen Kirche, sie hält daher ihren Gottesdienst in einem großen Saale, den sie um theures Geld von der Stadt gemiethet, und zu dessen 5 gehöriger Einrichtung die Propaganda die Kosten hergeschossen hat. Die milden Beyträge, die von ihr gesammelt werden, verwendet sie zur Unterstützung der Armuth, und zu einem besondern Institut, worin arme Kinder und Waisen unterhalten, gekleidet, und in der Religion unterrichtet werden. Es wäre zu wünschen, daß eine so achtungswürdige Anstalt einen festern 10 Grund hätte. Die Anzahl der im Innern von Schweden zerstreuten Katholiken ist noch immer bedeutend genug, um einen eigenen Geistlichen wenigstens in Gothenburg nothwendig zu machen, wo des Handels wegen katholische Fremde sich entweder beständig aufhalten, oder doch nur auf kurze Zeit abwesend 15 sind. Ludwig XVI. hatte schon einen Fonds bestimmt, um hier eine Pfarre zu gründen; man weiß aber, warum sein Vorsatz unausgeführt blieb. In Schweden sind die Katholiken zwar gesetzlich tolerirt, aber sie sind von allen Civilämtern ausgeschlossen; spätere Gesetze öfnnen ihnen jedoch Aussichten zu Beförderungen im Militär. Sie können Eigenthümer und Bürger 20 werden, und genießen gewisse Rechte, die sich daran knüpfen. Sonst gel-ten 178 noch die alten Gesetze, die den Eingebornen den Uebertritt zur katholischen Religion auf das strengste unter Verlust des Bürgerrechts und Eigenthums verbieten, dagegen den Uebergang von der katholischen zur lutherischen Religion begünstigen, wo die Aussichten eines bessern zeitlichen Fortkom- 25 mens, die den Uebertretenden geöffnet werden, dem Seeleneifer des katholischen Geistlichen, der sich ausser Stand findet, gleiche Unterstützungen anzubieten, manchmal Kummer machen können. Der Pabst ernennt den apostolischen Vikar, den der König durch eine Art Diplom authorisirt, im ganzen Umfange von Schweden seine Verrichtungen 30 ausüben zu können, unter der Bedingung, daß er sich den Landesgesetzen unterwerfe. Gegenwärtig befindet sich in Schweden die Leitung der ganzen katholischen Kirche in der Hand eines einzigen Geistlichen, den Pius VII. schon im J. 1805 mit dem Titel eines apostolischen Vikars dahin abordnete, um die Verrichtungen des Kirchendienstes bey den in Stockholm und in den 35 übrigen Städten Schwedens sich aufhaltenden Katholiken zu besorgen. Da seine Anwesenheit in der Hauptstadt nothwendig ist, so kann er sich auch nur selten und auf kurze Zeit entfernen, obwohl sich noch ein anderer französischer Priester in Stockholm befindet, der aber durch keine Mission zum Dienste verbunden ist. Es sollten nothwendig zwey Geistliche beständig da 40 seyn, um abwechselnd und zu bestimmten Zeiten die im Innern des Landes <?page no="677"?> 645 Misz. Nr. 7: Kirchliche Nachrichten [Kirche in Schweden; Keller] (1820) zerstreuten Katholiken besuchen, und ihnen den Trost der Religion bringen zu können. Die Propaganda hat sich alle Mühe gegeben, diesen eben so schönen als 179 heilsamen Plan zu verwirklichen; es gelang ihr auch am Anfange. Aber die Ereignisse der letztern Zeiten legten der weitern Verfolgung ihrer Absichten 5 ein Hinderniß in den Weg, das sie bis jetzt nicht zu heben vermochte. * * * Auf das am 9. Okt. v. J. erfolgte Ableben des General-Vikars, Fürsten F r a n z C a r l v o n H o h e n l o h e , Bischof von Tempe, ist mit allerhöchster Genehmigung und vermöge eines für diesen Fall schon unterm 15. Juny 1816 10 erlassenen päbstlichen Breve der bisherige Provicar, J o h a n n B a p t i s t v o n K e l l e r , Bischof von Evara, in die Stelle eines Vicarii generalis in Spiritualibus et Pontificalibus bis zur Errichtung eines Bisthums im Königreich und Ernennung eines Landes-Bischofs eingetreten. (Königl. Würtembergisches Staats- und Regierungsblatt, 1819. Nro. 84.) Misz. Nr. 8: Universitätsnachrichten [Tübingen, Breslau, Bonn, Corfu] Teil A: Hinweise zu diesem Text von Max Seckler I. Bibliographische Angaben Text: Theologische Quartalschrift 2 (1820), Heft 1, 180-188, Rubrik V. Intelligenzblatt, Universitäts-Nachrichten. Ohne Angabe des Verfassers bzw. Einsenders, von L ösch D rey zugeschrieben, von K ustermann / F esseler übernommen 1 . 1 L ösch , Die Anfänge (siehe Misz. Nr. 1, Anm. 3) 62; K ustermann / F esseler , Bibliographie (siehe Misz. Nr. 1, Anm. 3) 318. Es gibt hier Ungereimtheiten. Der Block der Universitäts- Nachrichten erstreckt sich auf die Seiten 180-188. Da L ösch dafür nur die Seiten 180-186 angibt (mit Zuschreibung an D rey ) und der Rest in seiner Aufstellung spurlos verschwunden ist, muß es sich um ein Versehen handeln. L ösch hat wohl angenommen, daß mit der neuen Überschrift auf Seite 186 ein ganz neuer Text beginne. In Wahrheit handelt es sich nur um eine Zwischenüberschrift, die wegen ihrer großen Formatierung den flüchtigen Leser zu der Annahme verleiten kann, mit ihr beginne ein neuer Text. Dem ist aber nicht so. Auf den von L ösch nicht berücksichtigten Seiten finden sich Nachrichten zu Breslau, Bonn und Corfu, die <?page no="678"?> 646 Miscellanea 1819-1835 II. Bemerkungen Der Text enthält Mitteilungen, die in den darin angeführten Vorgängen für die Universitätsgeschichte im Frühjahr 1820 von gewissem Interesse sind. Das gilt vor allem für die 1818/ 19 und 1819/ 20 von der Fakultät D reys ausgeschriebenen Preisaufgaben. Die erstere betrifft das Rationalismus-Naturalismus-Supranaturalismusproblem 2 , in der zweiten ist nach den Gründen für die Notwendigkeit einer übernatürlichen Offenbarung gefragt 3 . Diese Aufgaben kann nur D rey gestellt haben. Man kann daraus entnehmen, mit welchen Themen er sich 1819 und 1820 im Fakultätsleben befaßte und die Studenten befaßt sehen wollte. Im übrigen läßt der Nachrichtenblock insgesamt keinerlei individuelle Merkmale, die auf eine Verfasserschaft D reys oder auf einen speziell von ihm erbrachten Beitrag hindeuten könnten, erkennen. Wegen der von L ösch und dann auch von K ustermann / F esseler vorgenommenen Zuschreibung des Textes an D rey wird er hier als Misz. Nr. 8 angeführt, aber da es sich nicht eigentlich um einen Dreytext handelt, wird auf seine wörtliche Wiedergabe verzichtet. Misz. Nr. 9: Erklärung [Gegen Dr. Gerhauser] Siehe Texte Nr. 7, Dokumente zur Gründungsgeschichte der Theologischen Quartalschrift, Dokument Nr. 3 a. Misz. Nr. 10: Widerlegung [Gegen die Litteraturzeitung (v. Mastiaux)] Siehe Texte Nr. 7, Dokumente zur Gründungsgeschichte der Theologischen Quartalschrift, Dokument Nr. 3 b. zu den wichtigsten im ganzen Nachrichtenblock gehören. Das gilt besonders für die zur Bonner Fakultät mitgeteilten Personalia, die u.a. G ratz und H ermes betreffen. - Bei K us termann / F esseler lautet die Seitenangabe 180-187. Da für diese Begrenzung kein Grund erkennbar ist, muß es sich gleichfalls um ein Versehen handeln. 2 Wortlaut der Preisaufgabe von 1818/ 19: Num est discrimen - et quale inter ipsas notiones Rationalismi, Naturalismi et Supranaturalismi? et quoniam, nunc quidem, lis tantum versatur inter Naturalismum et Supranaturalismum, quaeritur: quodnam est caput rei et argumentum praecipuum, unde decidi controversia contra istum et pro hoc possit et debeat? 3 Wortlaut der Preisaufgabe von 1819/ 20: Quibusnam potissimum argumentis nititur necessitas revelationis, sive institutionis divinae, quam dicunt supernaturalem; cum ad effingendam in animis humanis religionem, tum ad rerum divinarum persuasionem alendam, confirmandamque? <?page no="679"?> 647 Misz. Nr. 11: Kirchliche Nachrichten [Frankreich; Basel] (1820) Misz. Nr. 11: Kirchliche Nachrichten [Budget für Geistlichkeit und Kultus in Frankreich 1820; Chorherr Glutz Koadjutor des Bischofs von Basel] Teil A: Hinweise zu diesem Text von Max Seckler I. Bibliographische Angaben Text: Theologische Quartalschrift 2 (1820), Heft 3, 563-564, Rubrik IV. Intelligenzblatt. Ohne Verfasserangabe, von L ösch D rey zugeschrieben, von K us termann / F esseler übernommen 1 II. Bemerkungen Die erste der beiden Nachrichten in Misz. Nr. 11 betrifft die 1820 eingetretenen Änderungen im Budget des Ministeriums des Inneren in Frankreich für die Geistlichkeit und den Kultus. Mit ihr schreibt D rey die von ihm in Misz. Nr. 6 auf S. 138 gegebenen Auskünfte fort. Als Informationsquelle nennt er den Courrier franc ¸ais 2 . Daraus geht hervor, daß zu diesem Zeitpunkt auch diese Zeitschrift, deren Existenz er als bekannt voraussetzt, zu seinem Lesestoff gehört haben dürfte. - Die zweite Nachricht, die die päpstliche Ernennung des Chorherrn G lutz 3 von St. Ursen in Solothurn zum Bischofskoadjutor von Basel betrifft, ist »öffentlichen Blättern« (564) entnommen. Mit Rücksicht auf die Zuschreibung an D rey wird diese Doppelnachricht hier als Dreymiszelle angeführt. Da sie aber ohne inhaltliche Relevanz für das theologische Werk D reys ist, kann auf ihre wörtliche Wiedergabe hier verzichtet werden. 1 L ösch , Die Anfänge (siehe Misz. Nr. 1, Anm. 3) 65 mit Anm. 1; K ustermann / F esseler , Bibliographie (siehe Misz. Nr. 1, Anm. 3) 318. L ösch begründet die Zuschreibung an D rey mit dem Rückverweis auf »theolog. Quartalschr. 1s Heft S. 138« (gemeint ist ThQ 2, 1820, Heft 1), der sich auf S. 138 der mit Sicherheit von D rey verfaßten Misz. Nr. 6 bezieht (L ösch (wie oben): »Mit seinem Hinweis auf 1820, 138 verrät sich Drey als Verfasser«). 2 Der Courrier franc ¸ais war eine 1820 in Paris gegründete, bis 1851 bestehende liberale Tageszeitung und Nachfolgeorgan des seit Juni 1819 von den »Doctrinaires« herausgebrachten Courrier. Welcher Ausgabe D rey seine Informationen entnahm, konnte nicht festgestellt werden. 3 V iktor F ranz A nton G lutz (-R üchti ), 1747-1824, 1785 Chorherr, 1809 Propst, am 29. Mai 1820 päpstliche Ernennung zum Koadjutor des Bischofs von Basel mit Nachfolgerecht. - Lit.: F ranz W igger , Die Verhandlungen über die Wiederbesetzung der Koadjutorie des Bistums Basel, in: JbSolG 47 (1974) 285-300. <?page no="680"?> 648 Miscellanea 1819-1835 Misz. Nr. 12: Kirchliche Nachrichten [Konkordats- und Kirchenangelegenheiten in Bayern und Preußen] Teil A: Einleitung von Max Seckler I. Bibliographische Angaben Text: Theologische Quartalschrift 2 (1820), Heft 4, 745-748, Rubrik IV. Intelligenzblatt, Kirchliche Nachrichten. Ohne Verfasserangabe, aus textinternen Gründen mit Sicherheit D rey zuzuschreiben 1 . II. Bemerkungen Für D rey als eigenständigem Verfasser dieses Nachrichtenblocks sprechen formale und inhaltliche Gründe: In Denk- und Sprachstil, Begrifflichkeit und Argumentationsweise ist die aus zweifelsfrei authentischen Dreytexten jener Jahre bekannte Feder D reys zu erkennen, und umgekehrt findet sich in dem Text nichts, was dagegen sprechen könnte. Literarisch hat der Text den Charakter einer Fortschreibung bzw. eines Nachtrags zum Konkordatsaufsatz D reys von 1819 (siehe Text Nr. 8), und in der Interessenrichtung sowie in den Urteilskriterien stimmen Text Nr. 8 und Misz. Nr. 12 vollkommen überein. Kein anderer Mitarbeiter der ThQ hätte diese Nachricht so verfassen können; ihr Gegenstand - die deutschen Sonderkonkordate und die mit dem Vollzug des bayerischen Konkordats verbundenen Probleme - war von D rey sozusagen besetzt; mit den die »Ausführung des Concordats« betreffenden Fragen hatte D rey sich im gleichen Tonfall und mit gleicher Skepsis bereits 1 Da L ösch diesen Text in seiner Gänze für einen bloßen »Abdruck« [einer Urkunde] hielt (siehe L ösch , Die Anfänge (siehe Misz. Nr. 1, Anm. 3) 66), stellte sich für ihn die Verfasserfrage nicht. Doch dabei ist ihm offensichtlich ein Flüchtigkeitsfehler unterlaufen. Der Text enthält zwar den wörtlichen Abdruck eines Reskripts vom 7. August 1820, aber dieses hat nur einen Umfang von 15 Zeilen (745 unten bis 746 oben), während der Text im ganzen den Charakter einer von persönlichen Stellungnahmen durchsetzten und insofern frei formulierten Nachricht hat, für die sich sehr wohl die Verfasserfrage stellt. Vielleicht ließ L ösch sich auch deshalb zu seiner Fehleinschätzung verleiten, weil in seinen Honorarberechnungen (wie oben, 65, Anm. 2) kein Platz für einen individuellen Verfasser übrig zu bleiben schien. Da D rey indessen für dieses Heft der ThQ die Schriftleitung innehatte, kann sich in der von L ösch aufgewiesenen Redaktionspauschale durchaus D rey als Autor verbergen. Eine Textanalyse führt zu dem Ergebnis, daß der Text von D rey stammen muß. - Der irreführenden Vorgabe bei L ösch entsprechend, ist der vorliegende Text bei K ustermann / F esseler , Bibliographie (siehe Misz. Nr. 1, Anm. 3) unberücksichtigt geblieben. <?page no="681"?> 649 Misz. Nr. 12: Kirchliche Nachrichten [Konkordatsangelegenheiten] (1820) in seinem Konkordatsaufsatz befaßt und sich dabei gleichfalls auf »Gerüchte« gestützt (vgl. 320, 327, 329) 2 . Ein besonders stichhaltiges Argument für die Verfasserschaft D reys , das zugleich zu einem Herzstück seiner Auffassung vom Verhältnis des Geistes zum Institutionellen hinführt, liegt darin, daß in den beiden Texten übereinstimmend der Geist bzw. der »rechte Geist« angesprochen wird, der die Handelnden in den Gegebenheiten des Amtes und der Gesetze erfüllen soll (vgl. Konkordatsaufsatz S. 307 mit S. 748 der vorliegenden Miszelle). Zur Hintergrundbeleuchtung für diese Äußerungen ist auf die diesbezüglichen Ausführungen zu verweisen, die D rey kurz zuvor in seiner Kurzen Einleitung von 1819 untergebracht hatte, vor allem in seinen Anleitungen zum Kirchenregiment 3 . Der in der Dreyforschung bisher unbeachtet gebliebene Text der vorliegenden Miszelle bereichert unser Wissen um D rey zur Zeit der ersten Jahrgänge der ThQ: Sein anhaltendes Interesse an der Konkordatsfrage, hier ausgedehnt auf die Vorgänge im »Preussischen«, seine kritische Einstellung zu den konkordatären Entwicklungen in Deutschland und die Persistenz seiner Beurteilungsmaßstäbe, und nicht zuletzt das, was man die geschichtstheologischen Leitideen seines Denkens in den Turbulenzen der Realgeschichte nennen könnte (vgl. bes. 748). 2 D rey nimmt es bei solchen Angaben genau: Bei den die Ausführung des bayerischen Konkordats betreffenden Vorgängen kann er sich nur auf Gerüchte beziehen (deren Wahrheitsgehalt gerade in diesem Fall nicht anzuzweifeln war), über die Frankfurter Konferenzen ist er dagegen offensichtlich genau unterrichtet und weiß (! ) (siehe 747: »wissen wir«) von dem eigenhändigen Brief C onsalvis an S chmitz -G rollenburg (vgl. dazu Einleitung zu Text Nr. 8 [Konkordatsaufsatz], Ziff. II.1.b., in und bei Anm. 30 und 31). 3 Siehe KE §§ 324 ff. Ein einschlägiger Passus lautet: »Die Bedingungen einer zweckmäßigen Einwirkung auf die christliche Kirche sind der Geist − reiner Sinn und lebendiges Interesse für die Verwirklichung des Reiches Gottes unter den Menschen, und Kenntniß des Christentums und der Kirche. Ohne den Geist wird jede Einwirkung auf die Kirche kraftlos und zufällig, ohne die Kenntniß bewußtlos und blind. Wie der Geist erworben wird, ist schon §. 326. angedeutet, die Kenntniß giebt die Wissenschaft. Die praktische Anleitung setzt beyde schon voraus« (KE § 328, Hervorhebungen im Original). In KE § 326 heißt es kurz und bündig: »Das Amt giebt die Kirche, den Geist des Amtes Gott ...« (siehe dazu die Schlußbemerkung der Misz. Nr. 12: »der Geist aber, mit dem die Kirchenhirten ihre Macht ausüben, sich ihre Stellung geben, ihre untergeordneten Gehülfen und das christliche Volk leiten sollen, dieser Geist, der die Hauptsache ist, läßt sich durch kein - auch das förmlichste - Concordat, selbst durch kein Concilium herdecretiren; er steht über allen menschlichen Verträgen, muß frey und unabhängig in eines jeden Brust vorhanden seyn und von oben kommen« [748]). <?page no="682"?> 650 Johann Sebastian Drey Teil B: Johann Sebastian Drey Kirchliche Nachrichten 745 Aus Baiern vernimmt man noch immer nicht das Geringste von Anstalten zur Ausführung des Concordats; es scheint vielmehr diese Ausführung immer 5 unwahrscheinlicher zu werden. Gerüchte, deren Zuverlässigkeit wir jedoch nicht verbürgen können, behaupten sogar, die baierische Regierung warte nur den Abschluß der zu Frankfurt gepflogenen Verhandlungen in Betreff der katholischen Kirchenangelegenheiten ab, um sich an das Resultat derselben anzuschließen. Andere vermuthen, daß die Reise des Kronprinzen von Baiern 10 nach Italien vielleicht eine Beziehung auf den Gegenstand haben, oder ein Resultat bewirken könnte. Daß übrigens die baierische Regierung nicht sehr geneigt ist, dem römischen Hofe und der in München neu errichteten Nuntiatur vielen Einfluß oder geheime Einwirkungen zugestatten, erhellt aus folgendem Umlaufschreiben der königlich-baierischen Provinzial-Regierung 15 in Würzburg: W ü r z b u r g , den 7ten August 1820. Durch ein höchstes Rescript ist die königliche Regierung angewiesen, darüber zu wachen, daß die Gesuche der königli-chen Unterthanen an den 746 päbstlichen Stuhl in den geeigneten Fällen nach den bestehenden Verordnun- 20 gen durch das königliche Staatsministerium des Aeussern und die mit der Beförderung derselben beauftragte königliche Gesandtschaft zu Rom dahin gebracht werden, daß ferner die königlichen Unterthanen durchaus keine unmittelbare Communication mit dem in der königlichen Residenzstadt anwesenden päbstlichen Nuntius pflegen. 25 Das bischöfliche Vicariat (Bamberg) wird daher ergebenst ersucht, diese allerhöchste Verfügung den gesammten Klöstern seines Sprengels durch ihre Vorstände, und den übrigen Geistlichen durch die Dekane bekannt machen zu lassen, und zu seiner Zeit die unterzeichneten Circulare als Beweis geschehener Insinuation anher gelangen zu lassen. 30 * * * Aus dem Preussischen dagegen erfährt man, daß die - nun schon lange dauernden - Unterhandlungen dieser Regierung mit dem päbstlichen Stuhle über ein Concordat endlich ihrem Ziele sehr nahe gerückt seyen. Der mit diesem Geschäfte seit zwey Jahren beauftragte preussische geheime Staatsrath 35 von Niebuhr soll das persönliche Zutrauen und die Hochachtung Sr. Heiligkeit in einem besondern Maaße genießen. Auch ist nun die Suspension der katholisch-theologischen Fakultät zu Münster durch eine königliche Reso- <?page no="683"?> 651 Misz. Nr. 12: Kirchliche Nachrichten (1820) lution wieder aufgehoben, und der bisherige Bischof von Corbey zum Bischof von Münster ernannt worden. Vielleicht mögen die in den letzten Monaten in Italien eingetretenen kritischen Umstände Pius den Siebenten, dessen wichtigste Angelegenheit nach seinen wiederholten Aeusserungen die definitive Berichtigung der katholischen Kirchenangelegenheiten in Deutschland war 5 747 und ist, bewogen haben, von gewissen Forderungen, deren Erreichung unter den jetzigen Zeitumständen und bey den bekannten Maximen der weltlichen Regierungen wohl nicht zu hoffen war, abzustehen, um nicht zuletzt die Frucht langer Anstrengungen ganz zu verlieren. Wenigstens wissen wir, daß unmittelbar nach den Begebenheiten vom 6ten Julius in Neapel der päbstliche 10 Staatssecretär, Cardinal Consalvi, an den Präsidenten der zu Frankfurt noch immer unterhandelnden Abgeordneten der vereinigten deutschen Fürsten und Städte, den königlich-würtembergischen Staatsrath von Schmitz-Grollenburg - ein eigenhändiges Schreiben erließ, worin er die größte Bereitwilligkeit des heiligen Vaters und auch seine eigene bezeugt, den gedachten 15 Unterhandlungen entgegen zu kommen, und diese Angelegenheit zu einem erwünschten Ende zu bringen. Wenn auch - eben wegen Umgehung gewisser zwischen den Ansprüchen der weltlichen Regierungen und jenen der römischen Curia für jetzt nicht auszugleichenden Punkte - die zu erwartende Uebereinkunft nicht den Na- 20 men eines förmlichen Concordats, sondern den eines Provisoriums erhalten sollte, so fühlt doch gewiß jeder Unbefangene, daß die Herstellung der kirchlichen Hierarchie nebst den damit verbundenen Instituten vor allem andern das dringendste, unabwendbarste äussere Bedürfniß für die katholische Kirche in Deutschland ist, und daß man die Uebereinkunft, wodurch diesem 25 Bedürfnisse abgeholfen wird, dankbar ergreifen müsse, heisse sie Concordat oder Provisorium. Die Gewalt ordnungsmäßig eingesetzter Kirchenhirten ist ja ohnehin nach katholischen Begriffen nie-mals provisorisch; der Geist aber, 748 mit dem die Kirchenhirten ihre Macht ausüben, sich ihre Stellung geben, ihre untergeordneten Gehülfen und das christliche Volk leiten sollen, dieser Geist, 30 der die Hauptsache ist, läßt sich durch kein - auch das förmlichste - Concordat, selbst durch kein Concilium herdecretiren; er steht über allen menschlichen Verträgen, muß frey und unabhängig in eines jeden Brust vorhanden seyn und von oben kommen. <?page no="684"?> 652 Miscellanea 1819-1835 Misz. Nr. 13: Nekrolog [auf Franz Andreas Frey] Teil A: Einleitung von Max Seckler I. Bibliographische Angaben Text: Theologische Quartalschrift 2 (1820), Heft 4, 748, Rubrik IV. Intelligenzblatt 1 , Untertitel Nekrolog. Ohne Verfasserangabe, von L ösch auf Grund archivalischer Berechnungen D rey zugeschrieben, von K ustermann / F esseler übernommen 2 . Auch sprachliche und inhaltliche Merkmale sprechen für D rey als Verfasser. II. Bemerkungen Mit diesem dürftigen Nekrolog setzte D rey dem am 24. Juni 1820 verstorbenen »geistliche[n] Rath, Professor und Kanonikus Franz Andreas Frey« 3 ein kleines Denkmal, das im Hinblick auf die Eigenständigkeit D reys in der 1 In der Ankündigung der ThQ von 1818/ 19 (siehe Text Nr. 7, Dokument Nr. 1) ist für die »Einrichtung« der ThQ-Hefte die Rubrik IV. Vermischte Nachrichten vorgesehen (5). Aber wie in allen sieben vorausgehenden Heften der ThQ ist diese Rubrik auch im vorliegenden Heft mit Intelligenzblatt betitelt. Sie umfaßt die Seiten 745-757. An erster Stelle sind hier Kirchliche Nachrichten untergebracht (745-748; siehe Misz. Nr. 12), an zweiter und dritter jeweils ein Nekrolog (748 auf F rey [= Misz. Nr. 13], 749-753 auf Z immer [= Misz. Nr. 14]; 753-755 folgen Nekrologe auf S pechtenhauser und S tapf aus der Feder von F eilmoser , danach Vorlesungsankündigungen). Die Bezifferung für die Rubrik Intelligenzblatt variiert von Heft zu Heft. 2 L ösch , Die Anfänge (siehe Misz. Nr. 1, Anm. 3) 66; K ustermann / F esseler , Bibliographie (siehe Misz. Nr. 1, Anm. 3) 318. 3 F ranz A ndreas F rey , * 20. Juli 1763 in Bamberg, † 24. Juni 1820 ebd.; Studium der Theologie und Rechtswissenschaft in Bamberg und Würzburg, 1787 Priesterweihe, 1788 Dr. theol., 1791 Kanonikus des Stiftes Sankt Stephan in Bamberg, 1798 Lizentiat beider Rechte, 1801 Syndikus des Bischöflichen Generalvikariats; Professor des Kirchenrechts an der Universität Bamberg und nach der Auflösung dieser Universität am dortigen Lyzeum. F rey war an den Vorbereitungen des bayerischen Konkordats von 1817 beteiligt. Sein Wirken als wissenschaftlicher und polemischer Schriftsteller fand in den kirchlich-politischen Diskursen starke Beachtung. Zu ihm: O tto M ejer , Zur Geschichte der römisch-deutschen Frage. I. Deutscher Staat und römisch-katholische Kirche von der letzten Reichszeit bis zum Wiener Congresse. Rostock 1871, 344 ff, 376, 390 ff; II.1. Die bayrische Concordatsverhandlung 1816-1821. Rostock 1872, 34 ff; K arl A ugust G eiger , Das bayerische Konkordat vom 5. Juni 1817. Säkular-Erinnerungen. Regensburg 1918, 84 ff; Lebensläufe aus Franken 2 (1922) 119-133 (W ilhelm H ess ); B eda B astgen , Bayern und der Heilige Stuhl in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Nach den Akten des Wiener Nuntius Severoli und der Münchener Nuntien Serra-Cassano, Mercy d’Argenteau und Viale Prela`, sowie den Weisungen des römischen Staatssekretariates aus dem vatikanischen Geheimarchiv (Beiträge zur altbayerischen Kirchengeschichte 17 und 18). 2 Bde., München 1940; 345, 349 <?page no="685"?> 653 Misz. Nr. 13: Nekrolog [auf Franz Andreas Frey] (1820) Beurteilung F reys beachtenswert ist. Der Bamberger Staats- und Kirchenrechtslehrer hatte zu den führenden Vertretern seines Faches gehört 4 , aber er hatte sich in den Auseinandersetzungen um den Neuaufbau des katholischen Kirchenwesens nach der Säkularisation zunehmend in der kirchenpolitischen Publizistik betätigt und war im Streit zwischen den ultramontanen und nationalkirchlichen Parteien schließlich zum polemisch engagierten Mitstreiter der Papalisten geworden, zu deren publizistischem Organ vor allem die Literaturzeitung von F elder und M astiaux gehörte 5 . Der hauptsächliche Streitpunkt war für ihn die Causa W essenberg , die er durchaus sachlich mit den Kompetenzen des rechtskundigen Fachmanns zu beleuchten vermochte, in der er sich aber zunehmend in den zwischen den Parteien verbissen geführten Streit hineinziehen ließ und zu dem er mit ins Fanatische gehenden Pamphleten auch anonym seinen Teil beisteuerte 6 . So zog er sich den besonderen Haß W erkmeisters und J aumanns zu 7 . In dieser Situation auf ihn in der ThQ einen Nachruf zu bringen, war eine heikle Sache. Schon allein der Entschluß, gerade für F rey einen der wenigen Nekrologe aufzubieten, die die ThQ im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens überhaupt brachte, mußte wie ein Signal wirken. Für den Fall einer ausgewogenen und insgesamt durchaus positiven Würdigung F reys galt das umso mehr. D rey und die ThQ standen W essenberg , seiner Richtung und seinen Freunden, nahe, was ja auch in den Beiträgen, die die Herausgeber der ThQ bis dahin dazu gebracht hatten, deutlich abzulesen und allgemein bekannt war. Doch anderseits hatten die Herausgeber für ihre Zeitschrift jede Parteilichkeit ausgeschlossen und sich verpflichtet, allein der Wahrheit wissenschaftlich Gehör verschaffen zu wollen (siehe Text Nr. 7, Dokument Nr. 1 und 2). Der vorliegende Nekrolog ist von dieser Einstellung gekennzeichnet; u.ö.; H ubert B echer , Der deutsche Primas. Eine Untersuchung zur deutschen Kirchengeschichte in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Kolmar [1944], 164-168 u.ö.; ADB 7 (1878) 357-359 (J ohann F riedrich von S chulte ); NDB 5 (1961) 417 (F ridolin D ressler ) (Lit.). 4 Hauptwerk: F ranz A ndreas F rey , Kritischer Commentar über das Kirchenrecht frei bearbeitet nach Anton Michl’s Kirchenrecht für Katholiken und Protestanten. 3 Teile. Bamberg 1812, 1818, 1820; 2 1823-33, besorgt von J oachim H einrich J äck ; Teile 4.1, 4.2 und 5: Fortgesetzt von J oseph S cheill . Kitzingen 1826-1833. 5 Zu ihr siehe Einleitung zu Text Nr. 7, Ziff. III.3.b mit Anm. 57. 6 Eine Auswahl: Ueber die Ernennung des Herrn Generalvikars Freyherrn von Wessenberg zum Coadjutor und Coadministrator des Bisthums Konstanz [1816]; Die gegenwärtige Lage der Diöcese Konstanz aus dem kirchen- und staatsrechtlichen Gesichtspuncte betrachtet [1817]; Mehr Noten als Text: zu der Denkschrift über das Verfahren des römischen Hofs bei der Ernennung des Generalvikars Freiherrn von Wessenberg zum Nachfolger im Bißthum Konstanz und zu dessen Verweser und die dabei von Sr. königl. Hoheit dem Großherzog von Baden genommenen Maßregeln [1818]; Revision des ausführlichen Rechtsgutachtens über das Verfahren des römischen Hofes in der Angelegenheit der Konstanzer Bisthumsverwaltung des Kapitularvikars Freihrn. v. Wessenberg. Zugleich mit Hinsicht auf Koopers Briefe über den neuesten Zustand in Irland verfaßt von Johann Ludwig Koch, b. R. Dr. herzogl. nassauischem Kirchen- und Oberschulrathe [1820] (siehe auch Einleitung zu Text Nr. 6, Anm. 45). 7 Vgl. A ugust H agen , Die kirchliche Aufklärung in der Diözese Rottenburg. Bildnisse aus einem Zeitalter des Übergangs. Stuttgart 1953, 149-151. <?page no="686"?> 654 Johann Sebastian Drey D rey macht sich in ihm ausdrücklich zum Sprecher der »Unbefangenen« und läßt sich davon nicht »abhalten«. Dies trotz W erkmeister und J aumann 8 . So kommen in dem Nekrolog die Grundsätze der ThQ ineins mit dem Gerechtigkeitssinn und dem wissenschaftlichen Wahrheitsgewissen D reys zum Tragen. Der Kummer über die Verstrickungen, in die eine so integre Persönlichkeit wie F rey geraten war, ist an dem Text deutlich abzulesen. Daß F rey auf seinem Fachgebiet zu den Befürwortern der päpstlichen Unfehlbarkeit gehört hatte, gegen die D rey sich kurz zuvor ganz dezidiert geäußert hatte (siehe Misz. Nr. 2), bleibt unerwähnt. Von der Absicht, F rey nach Kräften zu schonen und ihm ein Höchstmaß an wissenschaftlicher Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen, ist auch die Rezension gekennzeichnet, die G ratz im dritten Heft der ThQ 1820 zu ihm gebracht hatte 9 . Teil B: Johann Sebastian Drey Nekrolog 748 Am 24sten Juni d. J. starb zu Bamberg der geistliche Rath, Professor und Kanonikus F r a n z A n d r e a s F r e y , sieben und fünfzigst Jahre alt. Der Verstorbene war ein Mann von vielen Kenntnissen, und besaß besonders im Fache der Rechtswissenschaft, namentlich des Kirchenrechts, einen unge- 20 meinen Scharfsinn neben der ausgebreitetsten Belesenheit. Wenn in den letztern Jahren eine gewisse theologische Parthey ihn für sich gewann, und wenn die zu Gunsten dieser von ihm verfaßten Streitschriften, für deren Verfasser man ihn wenigstens hielt, weder den ungetheilten Beyfall fanden, noch auch den Werth wirklich haben, wie seine frühern aus freyer Forschung hervor- 25 gegangenen Schriften, so wird dieß doch keinen Unbefangenen abhalten, sein Urtheil über den Werth dieses Gelehrten auch gegen die Schmähungen, wo- 8 B enedikt M aria W erkmeister geiselte F rey als bekannten Römling und Schmeichler (in: Die Feinde des Herrn von Wessenberg, aus ihren Schmähschriften geschildert. Ulm 1819), I gnaz J aumann nannte ihn einen fanatischen Menschen, der alle Scham abgelegt habe und alles Heilige mit Kot beschmiere (Archivnachweis bei H agen [wie oben in Anm. 7] 350, Anm. 37). 9 Rezension zu: Kritischer Commentar über das Kirchenrecht, frei bearbeitet nach Anton Michl’s Kirchenrecht für Katholiken und Protestanten von Dr. und Prof. Franz Andreas Frey. Bamberg. I. Theil, 1812. S. 489. (Enthält das allgemeine katholische Kirchen- und Kirchenstaatsrecht.) II. Theil, 1818. S. 522. (Enthält das Personenrecht.), in: ThQ 2 (1820) 434-439. Ihr Verfasser war L ösch zufolge P eter A lois G ratz (siehe L ösch , Die Anfänge (siehe Anm. 2) 64. Die auffällig bemühte Verhaltenheit dieser Rezension läßt darauf schließen, daß ihr Tenor mit D rey abgestimmt war. <?page no="687"?> 655 Misz. Nr. 14: Nekrolog [auf Patriz Benedikt Zimmer] (1820) mit eine andere Parthey ihn überhäufte, zu behaupten, und den Verlust, den das katholische Deutschland und die theologische Literatur durch seinen Tod erlitt, wahrhaft zu bedauern. Misz. Nr. 14: Nekrolog [auf Patriz Benedikt Zimmer] Teil A: Einleitung von Max Seckler I. Bibliographische Angaben Text: Theologische Quartalschrift 2 (1820), Heft 4, 749-753, Rubrik IV. Intelligenzblatt 1 , Untertitel Nekrolog (Sammeltitel). Ohne Verfasserangabe, von L ösch auf Grund archivalischer Berechnungen D rey zugeschrieben, von K ustermann / F esseler übernommen 2 . Sprachliche und inhaltliche Merkmale sprechen zwingend für D rey als Autor. II. Bemerkungen Der Dogmatiker P atriz B enedikt Z immer 3 gehörte zu den Theologen, mit denen D rey sich in seinem wissenschaftlichen Werdegang und Werk einge- 1 Zu dieser Rubrik siehe Einleitung zu Misz. Nr. 13, Anm. 1. 2 L ösch , Die Anfänge (siehe Misz. Nr. 1, Anm. 3) 66; K ustermann / F esseler , Bibliographie (siehe Misz. Nr. 1, Anm. 3) 318. 3 P atriz B enedikt Z immer , * 22. Februar 1752 in Abtsgmünd bei Ellwangen, † 16. Oktober 1820 in Steinheim bei Dillingen (dort auch begraben), Studium am Jesuitengymnasium in Ellwangen und an der Universität Dillingen, 1775 Priesterweihe, 1783 Lehrstuhl für Dogmatik an der Universität Dillingen, seit 1793 zugleich Pfarrer in Steinheim. Z immer bildete in Dillingen zusammen mit J ohann M ichael S ailer (1751-1832) und J oseph W eber (1753-1831) das progressive „Dillinger Kleeblatt“, dem 1794 auf Betreiben der Exjesuiten von St. Salvator in Augsburg und der Dillinger Konservativen mit der Entfernung aus dem akademischen Lehramt ein vorläufiges Ende gesetzt wurde, bis sie fünf Jahre später an der Universität Ingolstadt (ab 1800 in Landshut) ihre Lehrtätigkeit wieder aufnehmen konnten. Dort übernahm Z immer 1799 als Nachfolger von M arianus D obmayer (1753-1805) den Lehrstuhl für Dogmatik, wurde aber 1806 als Opfer heftiger Kampagnen und Intrigen unter dem Vorwand mangelhafter patriotischer Loyalität sowie des Obskurantismus und Mystizismus vorläufig suspendiert (D rey spricht in dem Nekrolog die Dillinger und Landshuter Konflikte anonymisiert an). Nach kurzer Zwischenzeit rehabilitiert, wurde ihm 1807 ein Lehrstuhl für biblische Archäologie und Exegese übertragen. 1819 und erneut 1820 Rektor der Universität Landshut, 1819 zugleich Deputierter der Universität in der Zweiten Kammer <?page no="688"?> 656 Miscellanea 1819-1835 hend befaßte. Er hatte 1812 bei der Aufstellung des Lehrplans an der neugegründeten Friedrichsuniversität in Ellwangen vorgeschlagen, seine Fächer Dogmatik und Prolegomena »nach Zimmer« lesen zu dürfen. Dieser Vorschlag war damals auf P atritius B enedictus Z immer , Theologiae christianae specialis et theoreticae. Pars I-IV (Landishuti 1802, 1803, 1804, 1806) zu beziehen (für die Dogmatik), sowie auf dessen Veritas christianae religionis, seu Theologiae christianae dogmaticae. Sectio I-II (Augustae Vindelicorum 1789 und 1790) (für die Prolegomena). Für das Fach Dogmatik hatte die Universitätskuratel den Vorschlag D reys nicht akzeptiert und dafür die Dogmatik K lüp fels 4 als »Vorlesebuch« vorgeschrieben (vgl. TüA 2, 23*-25*; TüA 3, Kap. V, Ziff. I.1 bei Anm. 5). Gegenüber dem bekanntermaßen umstrittenen und an der Ständeversammlung des Königreichs Bayern. Z immer und S ailer waren durch eine innige Freundschaft miteinander verbunden (D rey hebt die Freundschaft zwischen S ailer und Z immer hervor). Am 5. September 1820 begab Z immer sich zum letzten Mal in seine Pfarrei Steinheim, wo er am 16. Oktober 1820 in den Armen des Freundes gestorben ist (D rey gibt fälschlicherweise den 15. Oktober als Sterbetag an). Z immer ist als ebenso fruchtbarer wie eifriger Pionier auf dem Feld der Vermittlung der mit K ant einsetzenden »neuen Philosophie« mit der christlichen Glaubenslehre in die Theologiegeschichtsschreibung eingegangen. In seinem insgesamt apologetisch ausgerichteten wissenschaftlichen Schaffen hatte er sich unterschiedlichen philosophischen Systemen zugewandt, zuletzt mit dem Schwerpunkt auf der Identitätsphilosophie S chellings . Zu ihm: Patritius Benedictus Zimmer’s kurzgefaßte Biographie und ausführliche Darstellung seiner Wissenschaft, herausgegeben von J. M. Sailer, Domkapitular von Regensburg. Mit einem Bildnisse des Verblichenen. Landshut 1822 (von D rey mit Insiderwissen in seinem Nekrolog auf S. 752 angekündigt). Der biographische Teil dieser Schrift stammt von S ailer , der wissenschaftliche von dessen Schüler J oseph W idmer (1779-1844) aus Luzern, der dort zusammen mit den Sailerianern F ranz G eiger und A lois G ügler das »Luzerner Dreigestirn« bildete (siehe Einleitung zu Text Nr. 6 [Katholizismusschrift], bei und in Anm. 11-22). W idmer veröffentlichte im Jahr danach einen Nachtrag zu Patritius Benedictus Zimmer’s Kurzgefaßter Biographie, oder desselben Theologie und Philosophie in gedrängter Kürze (Ury 1823). Im selben Jahr kam J akob S alat , Denkwürdigkeiten betreffend den Gang der Wissenschaft und Aufklärung im südlichen Deutschland; veranlaßt durch J. M. Sailers Denkschrift auf P. B. Zimmer in den Buchhandel, eine tratschsüchtige, aber in vielem äußerst informative Streitschrift. In ihr und in zahlreichen Schriften dieser Art wurde der von D rey angesprochene alte Streit um Z immer , seine Anliegen und sein Werk, fortgesetzt. - Weitere Lit.: K arl W erner , Geschichte der katholischen Theologie. Seit dem Trienter Concil bis zur Gegenwart [Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Neuere Zeit 6]. München 1866, 254-256, 310-317; ADB 45 (1900) 242-248 (F riedrich L auchert ); BBKL 14 (1998) 477-478 (P hilipp S chäfer ); ders ., Philosophie und Theologie im Übergang von der Aufklärung zur Romantik dargestellt an Patriz Benedikt Zimmer (Studien zur Theologie und Geistesgeschichte des Neunzehnten Jahrhunderts 3). Göttingen 1971 (»Mit vollständigem Verzeichnis des Schrifttums von und über Zimmer«); ders ., Patriz Benedikt Zimmer (1752-1820), in: H einrich F ries , G eorg S chwaiger (Hg.), Katholische Theologen Deutschlands im 19. Jahrhundert. 3 Bde., München 1975, Bd. 1, 94-113; ders ., Drey in seinem Verhältnis zu Vorgängern und Zeitgenossen, in: A braham P eter K ustermann (Hg.), Revision der Theologie - Reform der Kirche. Die Bedeutung des Tübinger Theologen Johann Sebastian Drey (1777-1853) in Geschichte und Gegenwart. Würzburg 1994, 103-113; T homas F ranklin O’M ea ra , Romantic Idealism and Roman Catholicism: Schelling and the Theologians. Notre Dame, London 1982, 47-51. 4 E ngelbert K lüpfel , Institutiones theologiae dogmaticae in usum auditorum. 2 Bde., Wien (1789; 2 1800) 3 1807 (Quartis curis recognitae opera et studio G regorii T homae Z iegler . Wien 1821; zwischen 1790 und 1838 erschienen mehrere nicht gezählte Ausgaben). <?page no="689"?> 657 Misz. Nr. 14: Nekrolog [auf Patriz Benedikt Zimmer] (1820) der modernen Philosophie allzu engagierten Z immer galt K lüpfel für das Dogmatikstudium als der Verläßlichere und Geeignetere. Für die Prolegomena wurde dem Vorschlag D reys stattgegeben 5 . Die Vorschläge D reys deuten darauf hin, daß er mit den bis dahin erschienenen Werken Z immers bestens vertraut war und sie schätzte. Dies sicher in erster Linie deshalb, weil Z immer sich mit vollem Einsatz der neuen Philosophie eines K ant , F ichte und S chelling zugewandt und sie in seinen Schriften zum Tragen gebracht hatte. Darauf kam auch D rey es an. Man weiß von ihm, daß er schon in seiner Vikarszeit (1801-1806) die Werke dieser Philosophen studierte (siehe Einleitung zu Text Nr. 1, bei Anm. 89). Das lag zwar bei der Kant- und Schellingbegeisterung, die die akademische Jugend in jenen Jahren erfaßt hatte (ebd. Anm. 90-92; TüA 3, Kap. III, Ziff. III.1), in der Luft, aber es ist anzunehmen, daß das Vorbild Z immers D rey darin beflügelte. Dies wahrscheinlich schon während seines Studiums bei den Exjesuiten an St. Salvator in Augsburg (1797-1799). Dort war Z immer zwar ein rotes Tuch, und ihre üble Rolle bei der Entfernung Z immers von seinem Dillinger Lehrstuhl war allzu bekannt, aber beides konnte den jungen D rey für den wagemutigen und begeisterungsfähigen Z immer nur zusätzlich eingenommen haben. So dürfte Z immer , der überdies ein enger Landsmann D reys war, für ihn die erste Brücke zur modernen Philosophie gewesen sein. Fachlich befaßte sich D rey mit Z immer zeitlebens. In seiner Vorlesung zur Geschichte des katholischen Dogmensystems von 1812/ 13 (siehe Text Nr. 2) orientierte er sich in wichtigen Stücken an der Einleitungsschrift Z immers von 1789 und 1790, desgleichen auf seinem Weg zur Bestimmung der Apologetik als philosophisch-theologische Einleitungswissenschaft, dessen Anfänge gleichfalls auf seine ersten Jahre an der Friedrichsuniversität zurückreichen 6 . Und weiter: In der Auflistung der Schriften, die aus seiner Feder »zuerst erscheinen könnten«, führte er 1812/ 13 eine »Allgemeine Religionsgeschichte« an, für die er »z.B. Zimmer’s Religionsphilosophie« 7 benützen wollte (Theologisches Tagebuch III, 49; siehe TüA 1, 171, Text 52*, sowie oben in Text Nr. 6 die Hinweise bei und in Anm. 84). Unmittelbar nach diesem Tagebucheintrag notierte D rey unter der Überschrift »Zimmers Einleitung« eine von ihm zugleich kurz kommentierte Inhaltswiedergabe der Kapitel 1-6 aus Z im - 5 Zu diesen Vorgängen siehe F ranz X aver F unk , Die katholische Landesuniversität in Ellwangen und ihre Verlegung nach Tübingen, in: Festgabe der Universität Tübingen zum fünfundzwanzigjährigen Regierungsjubiläum Seiner Majestät des Königs Karl von Württemberg dargebracht von der Universität Tübingen. Tübingen 1889, 3-30; E ugen H aug , Geschichte der Friedrichsuniversität (wie Einleitung zu Misz. Nr. 5, Anm. 5); A braham P eter K ustermann , Die Apologetik Johann Sebastian Dreys. Kritische, historische und systematische Untersuchungen zu Forschungsgeschichte, Programmentwicklung, Status und Gehalt (Contubernium 36). Tübingen 1988, 137-146, bes. 143; S chäfer , Philosophie und Theologie (wie Anm. 3) 103-114; 118-191. 6 K ustermann , Die Apologetik (wie Anm. 5), § 8 und § 9. 7 Gemeint ist Z immers Philosophische Religionslehre. I. Theil. Lehre von der Idee des Absoluten. Landshut 1805. Zu diesem »I. Theil« gab es keine Fortsetzung. <?page no="690"?> 658 Miscellanea 1819-1835 mers Veritas christianae religionis, seu Theologiae christianae dogmaticae Sectio I (ebd. III 50; siehe TüA 1, 171 f, Nr. 53*). Im Juni 1816 brachte D rey im vierten Band des Theologischen Tagebuchs elf Notizen zu »Inhalt und Methodengang der Theologie nach Zimmer« (ebd. IV 201; siehe TüA 1, 403 f, Nr. 121*), wobei er in Punkt 8 ausdrücklich auf »Den Inbegriff aller einzelnen Lehren von dem was Gott in sich ist« verweist, den man »bei Zimmer Theol. christ. theoret. P. I. § 4 in der Einleitung S. XIX« finde (ebd., TüA 1, 404). Im Kontext dieser Eintragungen führt D rey auch G erhauser , K lüpfel und P lanck an, jedoch nach Z immer . Im Einleitungsteil seiner Praelectiones dogmaticae vermerkte D rey 1818/ 19 in einem deutschsprachigen Einschub kritisch: »Das Christenthum wird in Philosophie verwandelt, wenn die Metaphysik irgend eines philosophischen Systems zu Grunde gelegt, u. die Lehren desselben als Dogmen des Christenthums dargestellt werden. Zimmer, Schleiermacher, Daub, Marheineke« (Praelectiones dogmaticae III, 42; siehe TüA 2, 330). In Abhebung davon definiert D rey an dieser Stelle seine eigene Methode. In einer später (ca. 1834) niedergeschriebenen Beilage wird D rey die Fichtesche und Schellingische Methode in Z immers Dogmatik dann aber doch als »notabilis« bezeichnen (ebd. III 94; TüA 2, 371). Insgesamt gehört Z immer in den Praelectiones dogmaticae, deren Manuskripte sich auf die Jahre 1815-1834 erstrecken, zu den sehr häufig angeführten Autoren (über 30 mal, aber nicht so oft wie K lüpfel und D obmayer ). In der Theologischen Quartalschrift bekundete D rey bei der ersten sich bietenden Gelegenheit, d.h. im ersten Heft des ersten Jahrgangs, seine Hochschätzung für Z immer . Er flocht diese Äußerung 8 in einen mit »Katholische Dogmatik« betitelten Artikel 9 ein, in dem er eine Art Literaturbericht gab, mit einer Rezension der Dogmatik T hanners 10 als Hauptstück. Sie stimmt in dem, was D rey wenig später in seinem Nekrolog an Z immer loben wird, tendentiell überein, aber hier wie dort sind genau besehen für Z immers »gediegene Werke philosophisch-theologischen Inhalts« nur das philosophische Talent und der Beruf zur Wissenschaft der Bezugspunkt des Lobes. Eine Würdigung der von Z immer in der Sache selbst erbrachten Leistung unterblieb hier wie dort. In seiner 1846 in der ThQ erschienenen Rezension 11 der 8 »Außer der schon vor mehrern Jahren erschienene[n] Darstellung der Dogmatik durch H. Prof. Zimmer in Landshut, der dadurch und seitdem noch durch andere gediegene Werke philosophisch-theologischen Inhalts sein wahrhaft philosophisches Talent und seinen Beruf zur Wissenschaft beurkundet hat, erhielten wir jüngst und beinahe gleichzeitig mehrere Darstellungen der katholischen Dogmatik ...« 9 ThQ 1 (1819) 24-33, hier 24 f. 10 Rezensiert wird I gnaz T hanner , Wissenschaftliche Aphorismen der katholischen Dogmatik zum Behufe des akademischen Lehrvortrages nach dem Bedürfniße der Zeit. Salzburg 1816. 11 ThQ 28 (1846) 295-320 (fortgesetzt in ThQ 30, 1848, 470-490). <?page no="691"?> 659 Misz. Nr. 14: Nekrolog [auf Patriz Benedikt Zimmer] (1820) Dogmatik S taudenmaiers 12 wird er die Dogmatiken von K lüpfel , Z immer und D obmayer als »Darstellungen« bezeichnen, »welche nun entschwundenen Entwicklungsstufen der Wissenschaft angehören« 13 . Sie werden somit vollständig historisiert. Eine positive Würdigung der historischen Leistung Z im mers war aus diesem Grund natürlich umso eher möglich. Im Einleitungsteil seiner Apologetik 14 , wo er sich ausführlich mit der »Geschichte und Literatur« dieses Faches befaßt, läßt er mit »Stephan Wiest und Patr. Zimmer« die »Sechste Periode« und die »neueste Gestaltung der Apologetik« beginnen: Sie haben »die Apologetik systematisch und mit Rücksicht auf die kritische Philosophie, als Einleitung und Grundlegung der Dogmatik« behandelt 15 und mußten unter dem Einfluß dieser Philosophie für die Apologetik »eine neue Form« suchen, und »von dieser Wendung beginnt für die Theologie das neunzehnte Janrhundert« (ebd.). D rey mißt Z immer somit auch noch im späten Rückblick einen hohen Anteil an der epochalen Wende (an der er ja selbst teilhat und die er über die Pioniere hinaus weitergetrieben hat) zu. Doch wenn man sein Lob genau liest, zeigt sich, daß er auch hier Z immer im Grunde nur das Suchen der neuen Form zubilligt. Die Beurteilung des Gelingens steht auf einem anderen Blatt, das D rey im wesentlichen verschlossen hielt. Seine grundsätzliche Kritik war, wie sich bei einer genauen Durchsicht seiner Aufzeichnungen zeigt, dort verschiedentlich angeklungen, so zum Beispiel in Praelectiones dogmaticae III, 42. In der Apologetik, wo Z immer insgesamt in den fachlichen Erörterungen kaum mehr präsent ist, kommt D rey bei der Diskussion des Wunderbegriffs kurz, aber in der Sache gewichtig, auf dessen Wunderverständnis zu sprechen und weist es als total verfehlt zurück 16 . Es sei in einer Weise supranaturalistisch, daß es nicht mehr zulasse, die Wunder als Erscheinungen in der Sinnenwelt denkbar zu machen. Für D rey ist der Wunderbegriff ein Probierstein für die denkerische Bewältigung des Verhältnisses von Schöpfung und Offenbarung. Hier steht alles auf dem Spiel, wenn man den Abwegen des Naturalismus und Supranaturalismus entgehen will. Am Wunderbegriff zeigt sich, ob es gelingt, das Vermittlungsanliegen phi- 12 Rezensiert wird F ranz A nton S taudenmaier , Die christliche Dogmatik. 3 Bde., Bde. 1 und 2 Freiburg 1844; Bd. 3 Freiburg 1848. In dieser Rezension äußert D rey sich zugleich zur Konzeption seiner eigenen Dogmatik und deckt in denkwürdiger Weise die Gründe für die unterbliebene Drucklegung seiner seit langem ausgearbeiteten und mehrfach überarbeiteten Dogmatikmanuskripte auf (vgl. dazu TüA 2, 9*-13*). 13 ThQ 28 (1846) 296. 14 J ohann S ebastian D rey , Die Apologetik als wissenschaftliche Nachweisung der Göttlichkeit des Christenthums in seiner Erscheinung. Bd. I: Mainz 1838, 2 1844; Bd. II: Mainz 1843, 2 1847; Bd. III: Mainz 1847. 15 D rey , Die Apologetik (wie Anm. 14) I 1838, 71 (gleichlautend in I, 2 1844, 66). D rey verweist für W iest auf dessen »Demonstratio religionis christianae contra aetatis nostrae incredulos. Tom. II. Pars prima theologiae dogmaticae generalis. Eichst. 1786.« und für Z immer auf »Veritas christianae religionis, seu theologiae christianae dogmaticae Sectio I. II. Aug. Vindel. 1789. 1790.« 16 D rey , Die Apologetik (wie Anm. 14) I 1838, 211 (gleichlautend in I, 2 1844, 200). <?page no="692"?> 660 Miscellanea 1819-1835 losophisch und theologisch einzulösen. So impliziert D reys Kritik am Wunderbegriff Z immers im Grunde ein vernichtendes Urteil über die Vermittlungstheologie Z immers überhaupt. Am Exempel des Wunderbegriffs tritt hier zutage, daß D rey sich insgesamt darüber im Klaren sein mußte, daß die den Vermittlungsversuchen Z immers zu Grunde liegende Option für die absolute Verschiedenheit der philosophischen und theologischen Erkenntnisprinzipien - weswegen die Philosophie und die Theologie sich grundsätzlich nicht in die Quere kommen können sollen - eine konstruktive Vermittlung schon im Ansatz verunmöglicht 17 . Die Freundschaft mit Z immer , und die Hochschätzung, die D rey im Nekrolog für ihn bekundet, haben ihn nicht daran gehindert, die Dinge so zu sehen. In D reys Büchernachlaßlisten, die aber lückenhaft sind, sind die Hauptwerke Z immers angeführt, außerdem Biographisches zu ihm 18 . Nun zum Nekrolog. Es handelt sich um einen wissenschaftlichen Nachruf auf einen Fachkollegen, der soeben die Augen für immer geschlossen hat, ein Wort der ersten Stunde also, in der im Pro und Kontra der Freunde und Feinde, die Z immer im Übermaß hatte, die Meinungen geteilt sind und die Urteile sich noch nicht bleibend verfestigt haben. D rey würdigt in Z immer den Pionier einer neuen theologischen Bewegung, der er unausgesprochen auch sich selbst beizählt, eine vorbildgebende Gestalt und bis zu einem gewissen Grad auch einen Schicksalsgefährten. Der Nekrolog ist darauf angelegt, mit Wärme ein respektvolles und respektgebietendes Bild von Z immer zu vermitteln und seinem wissenschaftlichen Streben und seiner Redlichkeit einen Kranz zu flechten. »Er war ein vorurtheilsfreyer, aber dabey den Lehren seiner Kirche aus Ueberzeugung ergebener Theolog« (752). Er gehörte »seit dreyßig Jahren zu den ausgezeichneten Theologen der katholischen Kirche in Deutschland, und dieß sowohl in der Eigenschaft als Schriftsteller, wie als Lehrer« (749). Die »vorherrschende Richtung seines Geistes in der Theologie« und der sie »auszeichnende Charakter« lagen im »philosophische[n]«, »ächt wissenschaftliche[n]« Denken, in der »strengen Prüfung der neuern philosophischen Systeme«, in der »ernsten und wahrheitliebenden Forschung 17 A nton G ünther hatte diesen Sachverhalt 1824 in einer kritischen Rezension der Darstellung, die W idmer 1823 in seinem Nachtrag zu Zimmer’s Biographie vorgelegt hatte (siehe Anm. 3) spöttisch, aber durchaus treffsicher auf die Formel gebracht, bei Z immer sei »der Theolog und der Philosoph im Verfasser sich wechselseitig aus dem Wege gegangen« (in [Wiener] Jahrbücher der Literatur 28 (1824) 87-168, 134). 18 Aufgelistet sind: Theologiae christianae specialis et theoreticae pars I-IV. Landshut 1802-1806; Philosophische Religionslehre. Teil 1. Landshut 1805; Philosophische Untersuchungen über den allgemeinen Verfall des menschlichen Geschlechtes. 2 Teile. Landshut 1809; ferner der Posten »Zimmer, Biographie« (damit dürfte die oben in Anm. 3 angeführte, von S ailer und W idmer verfaßte und von S ailer herausgegebene Biographie von 1822 gemeint sein, die auf den Seiten 151-154 als Anhang ein Postscript enthält, das an das Dillinger Kleeblatt adressiert ist). (Zum Büchernachlaß D reys siehe W erner , Büchernachlaß (wie Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 40) 442 f). <?page no="693"?> 661 Misz. Nr. 14: Nekrolog [auf Patriz Benedikt Zimmer] (1820) der menschlichen Vernunft« und in der Anwendung der »Resultate der neuern philosophischen Systeme auf die Darstellung der christlichen Religionslehre« (750). Und dann, wiederum sicher auch im Blick auf sich selbst: Z immer widerlegte »ein noch immer sehr allgemeines Vorurtheil gegen den Werth der Philosophie in der Theologie und namentlich in der Beziehung auf die sogenannte Identitäts- oder Naturphilosophie« (751), was ihm philosophischerwie theologischerseits übel genommen worden sei. D rey verweist auf die Agitationen der kirchlichen und antikirchlichen »Partheyen«, die, obgleich miteinander verfeindet, im Endeffekt gleichermaßen und gemeinsam, wenn auch mit unterschiedlichen Begründungen, die berufliche Vernichtung Z im mers betrieben haben, sowie auf die »Zeitungen und Zeitblätter, die mit einem Paar Federstrichen bändereiche Werke zermalmen« und Z immer zu einem »trüben Mystiker« stempelten und ihn »Obscurant, Mystiker, Jesuitenpater u. dgl. gescholten« haben (751 f). »Doch er lachte deß« (751). Unter den »bekannten bellenden Blättern« nimmt D rey besonders die »Mastiaux’sche Literaturzeitung« ins Visier (752; vgl. dazu Misz. Nr. 10 bzw. Text Nr. 7, Dokument Nr. 3 b 19 ). In den Worten D reys beben eigene Erfahrungen mit. Wenn man den Nekrolog vor dem Hintergrund der oben aus den Werken D reys erhobenen Befunde liest, wird erkennbar, was D rey in seinem Nachruf mit Schweigen übergeht oder nur andeutet und wo und wie er die Akzente setzt. Er verzichtet darauf, die wissenschaftliche Leistung Z immers auf dem Feld der spekulativen Vermittlung von Philosophie und Theologie, von Vernunft, Wissen und Glauben, in inhaltlicher Hinsicht anzusprechen oder sie auch nur in ihrer systematischen Eigenart zu präzisieren, geschweige denn, sich fachlich dazu zu äußern. Sein Urteil hätte im Endeffekt nicht viel anders ausfallen können als 1837 in seiner Apologetik I oder bei G ünther (vgl. oben Anm. 17). Statt dessen konzentriert er sich wie gesagt auf die wissenschaftliche und spirituelle Persönlichkeit Z immers , die Untadeligkeit seiner Gesinnungen, die Mustergültigkeit seiner wachen Zeitgenossenschaft und das Pionierhafte in puncto Rezeption der neuen philosophischen Systeme in der Theologie. Kritisches wird nur andeutungsweise vermerkt: Wie überall, wo ernsthaft geforscht werde, so gebe es auch bei ihm »Mängel und Unvollkommenheiten« (750). Konkret wird nur vermerkt, daß die Dogmatik Z immers von 1802-1806 noch nicht »aus einem Gusse« war 20 , im Blick auf eine nötige 19 Mit diesem Text in ThQ 2 (1820) 558-563 reagierte D rey auf Anfeindungen gegen die ThQ, die in der Mastiaux’schen Literaturzeitung abgedruckt und von einem »obscurus Anonymus« (ebd. 561) mit »P.Z.« gezeichnet seien. »Obscurus Anonymus« deswegen, weil die Initialen (heimtückischerweise? ) auf Z immer beziehbar waren. In der auffälligen Bemerkung am Ende des Nekrologs bekundet D rey , daß er zuverlässige Informationen darüber besitze, daß Z immer an der Literaturzeitung unter M astiaux keinen Anteil hatte; er wollte ihn trotz gleichlautender Initialen nicht mit den Angriffen auf die ThQ in Verbindung gebracht sehen. 20 Vgl. dazu J oseph R upert G eiselmann , Die Glaubenswissenschaft der Katholischen Tübinger Schule in ihrer Grundlegung durch Johann Sebastian v. Drey, in: ThQ 111 (1930) 49-117, 82 f: Z immer <?page no="694"?> 662 Miscellanea 1819-1835 Umarbeitung setzt D rey hinzu: »Ich weiß, daß er es im Sinne hatte« (ebd.). Und wenn D rey bemerkt, Z immer habe als theologischer Schriftsteller »in einer ziemlich langen Laufbahn rühmlich und fruchtbar« gewirkt und man könne »seine Wirksamkeit als Lehrer vielleicht noch höher anschlagen«, »denn seine Tiefe und Gründlichkeit, der geordnete und klare Gang seiner Darstellung, die Kraft und Lebendigkeit seiner Rede zog an; seine Seele war in seinem Vortrage« (751 f), so ist das gewiß als ehrliches Lob gedacht, zugleich freilich mit einer Akzentuierung, die eine kritische Gewichtung beinhaltet. Nicht zu vergessen ist indessen, daß D rey an den Stellen seiner Schriften, in denen es um die typologische Verortung der systematischen Ansätze und/ oder Konsequenzen geht, Z immer im Abseits sah. Insgesamt ist der Nekrolog in dem, was D rey zu Z immer zu sagen weiß, im Hinblick auf ihn selbst und sein eigenes Selbstverständnis ein aufschlußreiches Dokument. D rey thematisiert in dem Konterfei Z immers Charakterzüge sowie wissenschaftsbezogene Merkmale, die ersichtlich auch auf ihn selbst zutreffen. Ob er sich dessen direkt bewußt war, sei dahingestellt, aber objektiv ist es so. Der Nekrolog ist deshalb auch in dieser Hinsicht für jede Dreybiographie eine wahre Perle 21 . hatte 1804 »den dritten Band seiner Dogmatik erscheinen lassen, mit welchem er die theologische Welt insofern überraschte, als er mitten in ein und demselben Werk (vom 2. zum 3. Bande) von Fichte zu Schelling hinüberwechselte«. Dazu merkte G eiselmann (S. 83, Anm. 1) allzu zynisch an: »Zimmer war philosophisch eine außerordentlich wandlungsfähige Natur. In seiner theologischen Entwicklung konnten der Reihe nach Kant, Fichte, Schelling auf ihn Einfluß gewinnen. G. Hermes bemerkt spöttisch, Zimmer habe in seinem Leben jede neu aufkommende Philosophie einmal für die allein wahre gehalten (Christkathol. Dogmatik 1834, S. 91).« 21 Wie D rey , so hatte auch Z immer im »Ellwängischen«, d.h. in der Fürstprobstei Ellwangen, das Licht der Welt erblickt, Z immer westlich der Stadt, D rey auf der anderen Seite, und beide waren in Ellwangen zur Schule gegangen. Man darf annehmen, daß D rey sich dessen nicht ohne Freude bewußt war. Aber daß dieser letztlich doch periphere Umstand das von ihm zu Papier gebrachte Charakterbild Z immers substantiell beeinflußt haben könnte, wäre nicht weniger abwegig als die Annahme, D rey hätte im Hinblick darauf, daß er bei der Zeichnung dieses Bildes auch etwas über sich selbst aussagen und deshalb zu besonders leuchtenden Farben greifen wollen. Für die Objektivität seiner Beurteilung Z immers zeugen die Worte, die S ailer im Jahr nach dem Nekrolog D reys für Z immer fand: »Sich gleich und Eins mit sich im Denken und Lehren, war er es auch in seinem übrigen Leben. Dieselbe Festigkeit und Bestimmtheit des Geistes, mit welcher er die Gegenstände seines Lehrfaches behandelte, hat sich auch seinem sittlichen Charakter so eingedrückt, daß er im Umgange mit Großen und Kleinen, mit Gelehrten und Ungelehrten, in Mitte geliebter Freunde und liebender Zuhörer, dieselbe feste und bestimmte Haltung seines ganzen äußern Menschen in Blick, Miene, Ton, Geberde darstellte - dieselbe Haltung, die ihn in seinem Lehrfache auszeichnete. Sein ganzes Würde-volles Wesen, sein hoher, Achtung gebietender Ernst, mit dem er sonst auch minder wichtige Dinge erfaßte, konnte sich im kleinen Kreise seines häuslichen Lebens so wenig, als im größern seines öffentlichen Lehrberufes verläugnen. Ueberall erschien er als derselbe ernste, feste Mann, dem es nur um Wahrheit uud Recht zu thun ist.« (In: Patritius Benedictus Zimmer’s kurzgefaßte Biographie [wie Anm. 3] 17.). - Am 6. November 1820, wenige Wochen nach dem Heimgang Z immers , faßte S ailer sein Gesamturteil über Z immer in die Worte: »Bayern hat den kräftigsten Theologen und einen der treuesten Patrioten verloren« (Brief an J ohann N epomuk von R ingseis [1785-1880], in: Johann Michael Sailer, Leben und Briefe, <?page no="695"?> 663 Misz. Nr. 14: Nekrolog [auf Patriz Benedikt Zimmer] (1820) Teil B: Johann Sebastian Drey Nekrolog Den 15ten Oktober starb zu Steinheim bey Dillingen auf seiner Pfarre der 749 königlich-baierische geistliche Rath, Dr. P a t r i t i u s B e n e d i c t u s Z i m m e r , 5 Professor der Theologie an der Universität zu Landshut, im acht und sechszigsten Jahre seines thätigen Lebens. Die gehäuften Arbeiten, welche ihm in den letzten zwey Jahren das Rectorat der Universität, und noch mehr sein Beruf, als ihres gewählten Repräsentanten bey der baierischen Ständeversammlung aufgelegt hatten, hatten seine Gesundheit so angegriffen, daß sie 10 nach seiner Zurückkunft vom Landtage sehr zu wanken anfing, und wiewohl er sich von diesen Anfällen ziemlich bald wieder erholt hatte, ward er dennoch im Frühling dieses Jahrs neuerdings von einer schweren, lange lebensgefährlichen Krankheit befallen, der nur die größte Sorgfalt und Anstrengung seiner Collegen von der medizinischen Fakultät steuern konnte. Auf den Rath 15 seiner Freunde gieng er, um sich vollends herzustellen, in den Herbstferien auf seine geliebte Pfarre Steinheim, zwischen deren Besorgung und dem Lehramte fast sein ganzes öffentliches Leben getheilt war. Hier fand ihn der Tod. Zimmer gehörte seit dreyßig Jahren zu den ausgezeichneten Theologen 20 der katholischen Kirche in Deutschland, und dieß sowohl in der Eigenschaft als Schriftsteller, wie als Lehrer. Er gehörte mit unter diejenigen, die im letzten Drittheile des vorigen Jahrhunderts die katholische Dogmatik in einem gereinigten Geschmacke, ohne darum der wissenschaftlichen Gründlichkeit etwas zu vergeben, vortrugen; seine erste größere Schrift: Veritas chri- 25 stianae religionis etc. II. Tom. 1789. 1790. - beweist dieß. Schon in dieser Schrift ist die vorherrschende Richtung seines Geistes in der Theologie sichtbar; es 750 erscheint nämlich hier verbunden mit einer klaren kräftigen Darstellung der logisch-ordnende, streng unterscheidende, bündig-schließende, philosophische Geist. Dieser philosophische, ächt wissenschaftliche Geist blieb, wiewohl 30 Zimmer daneben sehr viele positive, besonders historisch-theologische Kenntnisse besaß, und diese in seinen Vorlesungen über die Religionsgeschichte in der alten Welt geltend machte, dennoch der auszeichnende Charakter seiner Theologie. Dadurch wurde er nach und nach zu einer strengen dargestellt von Hubert Schiel. Zweiter Band: Briefe. Regensburg 1952, 461-462, Zitat 462; wichtige Informationen zu den Umtrieben gegen Z immer ebd. Erster Band: Leben und Persönlichkeit in Selbstzeugnissen, Gesprächen und Erinnerungen der Zeitgenossen. Regensburg 1948, 324). (Zu den Gründen, weshalb S ailer den »Patriotismus« Z immers hier hervorhebt, siehe oben in Anm. 3). <?page no="696"?> 664 Johann Sebastian Drey Prüfung der neuern philosophischen Systeme, die alle auf dem Boden deutschen Geistes und Scharfsinnes erwuchsen, geleitet; und wie alles, was Resultat einer ernsten und wahrheitliebenden Forschung der menschlichen Vernunft ist, seiner Mängel und Unvollkommenheiten ungeachtet, der Wahrheit eine sichere Ausbeute gewährt, so nahm auch Zimmer keinen Anstand, die 5 Resultate der neuern philosophischen Systeme auf die Darstellung der christlichen Religionslehre anzuwenden. Dieß beweisen seine - Theologiae christianae specialis et theoreticae Partes IV. 1802-1806; - woraus man siehrt, wie ihr Verfasser sich nach und nach mit jenen Systemen befreundete; nur die gehäuften Arbeiten Zimmers in den letzten Jahren, und vielleicht eine kleine 10 Veränderung in seinen Lehrfächern mögen ihn gehindert haben, dieses Werk aus einem Gusse, wie man sagt, umzuarbeiten. Ich weiß, daß er es im Sinne hatte. Seine spätern Werke sind alle aus dem Geiste eines mit sich vollkommen einigen, in sich abgeschlossenen Systems gearbeitet, und auf einer streng philosophischen Grundlage ruhend - P h i l o s o p h i s c h e R e l i g i o n s l e h r e . 15 751 1805 - verbreiten sie sich mit tiefem und gründlichem Blicke über einen Theil der wichtigsten Punkte in der religiösen Geschichte der Menschheit: P h i l o s o p h i s c h e U n t e r s u c h u n g e n ü b e r d e n a l l g e m e i n e n Ve r f a l l d e s m e n s c h l i c h e n G e s c h l e c h t e s . II Thle. und U n t e r s u c h u n g ü b e r d e n B e g r i f f u n d d i e G e s e t z e d e r G e s c h i c h t e , ü b e r d i e v o r g e b - 20 l i c h e n M y t h e n i m I s t e n B u c h M o s i s u n d ü b e r O f f e n b a r u n g u n d H e i d e n t h u m . 1817. - Wenn Zimmer durch diese Schriften, worin bekannte sehr positive Lehren des Christenthums mit der größten philosophischen Tiefe durchgeführt und erwiesen sind, einerseits ein noch immer sehr allgemeines Vorurtheil gegen den Werth der Philosophie in der Theo- 25 logie und namentlich in der Beziehung auf die sogenannte Identitäts- oder Naturphilosophie widerlegte, so konnte es auch natürlich nicht fehlen, daß mans ihm auf einer andern Seite sehr übel nahm, solche Lehren noch beweisen zu wollen. Zeitungen und Zeitblätter, die mit einem Paar Federstrichen bändereiche Werke zermalmen, stempelten ihn dafür zu einem trüben Mystiker; 30 doch er lachte deß. Wenn aber auch Zimmer als theologischer Schriftsteller in einer ziemlich langen Laufbahn rühmlich und fruchtbar gewirkt hat, so kann man doch seine Wirksamkeit als Lehrer vielleicht noch höher anschlagen. Wie viele würdige Zöglinge, jetzt würdige Männer des geistlichen Standes, giengen aus seiner 35 Schule hervor in Dillingen, wie viele in Landshut? Und wie besucht waren seine öffentlichen und Privatvorlesungen? Denn seine Tiefe und Gründlichkeit, der geordnete und klare Gang seiner Darstellung, die Kraft und Le- 752 bendigkeit seiner Rede zog an; seine Seele war in seinem Vortrage. Ueber die Persönlichkeit des Mannes, des biedern kräftigen deutschen 40 Mannes, enthält sich dieser Nekrolog geflissentlich etwas zu sagen, da die vielen Verehrer des Verstorbenen erwarten können, daß sein vieljähriger <?page no="697"?> 665 Misz. Nr. 14: Nekrolog [auf Patriz Benedikt Zimmer] (1820) Freund und College S a i l e r , der den Freund wohl in die Ferien begleitete, aber nicht wieder zurück auf die Hochschule begleiten konnte, dem Hinübergegangenen ein Denkmal setzen werde, wie er es schon mehreren seiner ältern und jüngern Freunde gethan hat. Nur eines, was auf Zimmer den Lehrer und Schriftsteller Bezug hat, mag hier noch am rechten Orte stehen. 5 Er war ein vorurtheilsfreyer, aber dabey den Lehren seiner Kirche aus Ueberzeugung ergebener Theolog. Daß er das erste war, vergab ihm in einer gewissen Zeit eine Parthey von Theologen nicht, die ihn deßwegen (und wohl auch noch aus andern minder ostensibeln Beweggründen) zu verdächtigen suchte. Seine und Sailers - später auch Webers - Entfernung von Dillingen 10 war damals die Folge einer niedrigen Verläumdung und des Neides. Daß er das andere war, daß er an dem positiven Christenthum festhielt, vergab ihm in der letzten Zeit eine Parthey von - - und Zeitungsschreibern nicht, von welchen letztern er in den bekannten bellenden Blättern Obscurant, Mystiker, Jesuitenpater u. dgl. gescholten wurde. Hierauf bedarf es keiner Erwiederung; 15 aber d i e Bemerkung dürfte für die weniger Unterrichteten nicht überflüssig seyn, daß Zimmer an der Felder’schen Literaturzeitung so gut wie [k]einen, an der Mastiaux’schen Literaturzeitung (bloß wegen des Druckortes die 753 Landshuter zu nennen) ganz und gar keinen Antheil hatte und nahm. Diese Bemerkung, die wir aus den sichersten Quellen machen können, glaubten wir 20 zur Ehre Zimmers machen zu müssen. <?page no="698"?> 666 Miscellanea 1819-1835 Misz. Nr. 15: Kirchliche Nachrichten [Verhältnisse der katholischen Kirche in Sachsen-Weimar] Teil A: Einleitung von Max Seckler I. Bibliographische Angaben Text: Theologische Quartalschrift 6 (1824), Heft 4, 727-741, Rubrik IV. Intelligenzblatt 1 , Untertitel I. Kirchliche Nachrichten. Ohne Verfasserangabe, von L ösch auf Grund archivalischer Berechnungen D rey zugeschrieben, von K ustermann / F esseler übernommen 2 . L ösch stützt die Zuschreibung an D rey ausschließlich auf die Honorarabrechnung für Heft 4. Ausgewiesen sind dort nur die Honorarempfänger, der Seitenumfang ihrer Beiträge und in Relation dazu die Höhe des Honorars, nicht aber die Titel der Beiträge. Diese sind von den Seitenangaben her zu erschließen. Mit diesem Verfahren hat L ösch für diesen Text D rey als Autor (bzw. Honorarempfänger) ermittelt. Im vorliegenden Fall ist diese Zuschreibung nach Aktenlage tatsächlich zwingend 3 . Sie weist aber eine Besonderheit auf. D rey habe hier seinen in der Rubrik Kirchliche Nachrichten untergebrachten Beitrag »ausnahmsweise« nicht als Abdruck von Urkunden ausgewiesen (D rey war 1824 Schriftleiter; das Honorar für den Abdruck von Urkunden war normalerweise von der Pauschale des Schriftleiters abgedeckt), sondern als eine eigene (und darum gesondert abzurechnende) schriftstellerische Leistung, und das »mit berechtigtem Grunde, weil er diesem Bericht mehrere eigene Randbemerkungen beigegeben hatte« 4 . Mit diesen »Randbemerkungen« dürfte L ösch die fünf Fußnoten gemeint haben, die dem Text »beigegeben« sind. Wenn das richtig wäre, wäre die Eigenhonorierung D reys doch 1 Zu dieser Rubrik siehe Einleitung zu Misz. Nr. 13, Anm. 1. 2 L ösch , Die Anfänge (siehe Misz. Nr. 1, Anm. 3) 87; K ustermann / F esseler , Bibliographie (siehe Misz. Nr. 1, Anm. 3) 319. 3 »Eine Nachprüfung der Dreyschen Angaben über Seitenzahlen erweist die peinlichste Genauigkeit von dessen Rechnungsstellung zu 1824 IV, so daß eine andere als die oben versuchte Zuteilung an ihn und demzufolge an die übrigen Mitarbeiter als undurchführbar erscheint, wenn nicht volle Verwirrung entstehen soll« (L ösch , Die Anfänge (siehe Anm. 2) 86, Anm. 1). - Die konditionale Einschränkung, die L ösch am Ende des Satzes anbringt, ist unverständlich. L ösch scheint mit ihr immerhin die Möglichkeit anderer Zuschreibungen nicht total ausschließen zu wollen, aber die von D rey angegebenen Daten schließen eine solche Möglichkeit absolut aus. 4 Ebd. <?page no="699"?> 667 Misz. Nr. 15: Kirchliche Nachrichten (1824) einigermaßen problematisch. Doch der Rechtfertigungsversuch L öschs beruht auf falschen Voraussetzungen und ist unnötig. Es handelt sich bei dem Text nicht um einen Abdruck von Urkunden, sondern um Informationen über sie, mit Quellenstücken, Auslassungen, Schwerpunktsetzungen und Beurteilungen, die zusammengenommen sehr wohl den Charakter eines eigenständigen Berichterstatterbeitrags haben. Trotzdem stellt sich bei der Lektüre des Textes die Frage, ob D rey allein der Verfasser war. Es gibt sprachliche und sachliche Merkmale, die Zweifel wecken. Für D rey als Autor sprechen die Disziplin der Gedankenführung in der Berichterstattung, das Sortieren und Gewichten der Sachverhalte, wie er es z.B. in seinem Konkordatsaufsatz (siehe Text Nr. 8) vorgenommen hatte, und insgesamt der von dem Berichterstatter eingenommene Standpunkt in der Würdigung der Vorgänge. Auch die Bezugnahmen auf das bayerische Religionsedikt, mit dem D rey sich in dem Konkordatsaufsatz auseinandergesetzt hatte, können zugunsten seiner Verfasserschaft angeführt werden, desgleichen das in dem Text zweimal angesprochene Thema der »Proselytenmacherey«, mit dem D rey sich mehrfach monographisch befaßte 5 . Zu berücksichtigen ist allerdings, daß das bayerische Religionsedikt ebenso wie auch das Proselytenthema dem Berichterstatter in den von ihm besprochenen Akten gewichtig vorgegeben waren. Und ferner: Wenn der Autor sich nicht scheut, auf Übertreibungen, Fehlurteile und Ungeschicklichkeiten des Fuldaer Generalvikariats hinzuweisen und Kritik daran zu üben, so verträgt sich auch das gut mit einer Autorschaft D reys . Außerdem fügt sich der vorliegende Artikel gut in die Serie der Beiträge ein, die D rey in diesen Jahren zu kirchlichen bzw. die katholische Kirche (und ihr Verhältnis zum Staat) tangierenden Vorgängen in der ThQ brachte. Anderseits ist in dem Artikel jene besondere Lebendigkeit der Sprache und jenes Sich-Einbringen der Persönlichkeit des Autors und seiner Standpunkte, das in vergleichbaren Fällen die Texte D reys kennzeichnet, nicht so deutlich wie sonst zu erkennen. Es gibt in dem Artikel zudem Merkmale eines besonders geschulten Juristenverstandes, eines professionellen Umgangs mit der Hermeneutik von Gesetzestexten und einer Art von pointierter Sachlichkeit, die aufhorchen lassen. Im Hinblick darauf ist die alleinige Verfasserschaft D reys nicht über jeden Zweifel erhaben. Wenn im Hinblick auf die zuletzt genannten Merkmale, die die Substanz des Artikels freilich nicht betreffen, damit zu rechnen ist, daß eine fremde Feder oder ein anderer Kopf mit im Spiel war, stellt sich die Frage, wer das gewesen sein könnte. Es müßte ein Jurist gewesen sein. Nach Lage der Dinge richtet sich der Blick auf den Heidelberger Privatdozenten J ohann J akob 5 D rey brachte in ThQ 8 (1826) 622-666 einen Artikel Ueber Proselyten und Proselytenmachen und hatte bereits in ThQ 5 (1823) 694-741 vier Rezensionen einschlägiger Schriften (von B run ner , W erkmeister , T zschirner und J äck ) unter dem Sammeltitel Ueber Pietismus und Proselytenmacherey vereint. <?page no="700"?> 668 Miscellanea 1819-1835 L ang (1801-1862), der nach einigem Hin und Her 1825 zum außerordentlichen Professor der Rechte, besonders des katholischen Kirchenrechts, in der Tübinger Juristenfakultät ernannt wurde 6 . Damit hatte man die bisherige Regelung des Kirchenrechts an der Universität Tübingen, wonach dieses Fach von einem katholischen Juristen außerhalb der theologischen Fakultät zu besorgen ist, wieder aufgegriffen 7 . Von 1822 bis zur Berufung L angs war dieser Lehrstuhl vakant geblieben, 1823, 1824 und 1825 hatte M öhler als Privatdozent dieses Fach für die Konviktoren des Wilhelmsstifts aushilfsweise vertreten. Mit der Berufung L angs wurden die alten Zuständigkeitsverhältnisse für das Kirchenrecht wieder hergestellt. L ang war katholischer Konfession, galt als offener Mann mit kirchlich liberalen Ansichten und als Vertreter eines gemäßigten Standpunkts im Staatskirchenrecht. Er entwickelte in Tübingen ein gutes Verhältnis zur Richtung D reys in der Fakultät und veröffentlichte, beginnend 1826, Rezensionen in der Theologischen Quartalschrift 8 . L ang stimmte darin mit der Linie der ersten Generation der Katholischen Tübinger Schule überein, wogegen er später mit der von M öhler eingeschlagenen Richtung weniger gut auskam. Seine Interessen und Kompetenzen für die Rechtsverhältnisse in der katholischen Kirche und ihre Stellung im Staat, also für die Materie der vorliegenden Miszelle, waren damit bestens gegeben, und die Merkmale eines versierten Juristenverstandes, die diesen Text besonders kennzeichnen, können sich von daher erklären. Zumal 6 Siehe K arl K lüpfel , Geschichte und Beschreibung der Universität Tübingen. Tübingen 1849, 457 ff; S tephan L ösch , Johann Adam Möhler. Bd. I: Gesammelte Aktenstücke und Briefe. Mit 1 Bildnis Möhlers. Herausgegeben und eingeleitet von Stephan Lösch. München [1928], 105, 229, 351; ders ., Die Anfänge (siehe Misz. Nr. 1, Anm. 3) 39 f, 116 Anm. 1; G eorg M ay , Mit Katholiken zu besetzende Professuren an der Universität Tübingen von 1817 bis 1945. Ein Beitrag zur Ausbildung der Studierenden katholischer Theologie, zur Verwirklichung der Parität an der württembergischen Landesuniversität und zur Katholischen Bewegung (Kanonistische Studien und Texte 28). Amsterdam 1975, 183-187, 190, 248-252. 7 Diese Regelung war für D resch , den ersten und einzigen Vorgänger L angs , 1817 bei der Errichtung der Katholisch-Theologischen Fakultät eingeführt worden. G eorg L eonhard ( von ) D resch (1786-1835), der sich 1803 den Dr. phil. und 1807 den Doktor beider Rechte erworben hatte, war seit 1811 o. Prof. der Geschichte und Rechtsphilosophie in der Philosophenfakultät. Er erhielt mit Dekret vom 27. Oktober 1817 unter Beibehaltung seiner bisherigen Dienstverhältnisse zugleich die Zuständigkeit für die Fächer Kirchenrecht und Kirchengeschichte, wurde zur Verwaltung dieser Fächer zugleich Ordinarius in der Katholisch-Theologischen Fakultät und war deren erster Dekan. Nach seinem Weggang nach Landshut (1822) blieb sein Lehrstuhl bis 1825 vakant. Zu ihm: Leonhard Ritter von Dresch, in: Almanach der Ludwig-Maximilians-Universität 1 (1828) 106-109; ADB 5 (1877) 395-396 (L ud wig W ilhelm H ermann W asserschleben ); Georg Leonhard Dresch, in: ThQ 150 (1970) 43; W erner P aul S ohnle , Gelehrtenwirtschaft hinter Schloß und Riegel. Die Universitätsbibliothek Tübingen am Anfang des 19. Jahrhunderts (1798-1836) (Contubernium 9). Tübingen 1976, 22; W olfgang P iereth , Georg Leonhard v. Dresch, in: L aetitia B oehm , W infried M üller , W olfgang J. S molka , H elmut Z edelmaier (Hg.), Biographisches Lexikon der Ludwig-Maximilians-Universität München. Teil I: Ingolstadt - Landshut 1472-1826. Berlin 1998, 87. 8 Siehe ThQ 8 (1826) 344-356; 9 (1827) 290-318, 534-547; 10 (1828) 316-328, 382-384 (Nekrolog B ertholdi ), 478-511, 732-740; 12 (1830) 714-765; 13 (1831) 283-327 (Abhandlung), 551-557. <?page no="701"?> 669 Misz. Nr. 15: Kirchliche Nachrichten (1824) in der Art, in der in den Fußnoten des Textes die Rechtslage und das Vorgehen der Fuldaer beurteilt werden, ist die Feder eines Juristen zu erkennen, der seine Kritik in der Sache klar, in der Form aber behutsam zu formulieren weiß. Diese Merkmale würden auch gut zur Situation eines Dozenten passen, der am Beginn seiner beruflichen Laufbahn steht und dem Katholizismus in den Perspektiven der ThQ positiv zugewandt ist, ohne das besonders hervorzukehren und ohne sich scharfmacherisch exponieren zu wollen. Und der Umstand, daß mit L ang an der Universität und bald auch schon in der ThQ ein mit M öhler fast gleichaltriger Fachkollege als Konkurrent aus der juristischen Fakultät aufzutreten sich anschickte, könnte ein Grund dafür gewesen sein, daß D rey als Schriftleiter die Zusammenarbeit mit L ang diskret handhabte. Doch auf welche Weise L ang gegebenenfalls am Zustandekommen des Artikels mitgewirkt haben könnte - etwa durch schriftliche Anbringungen in einem Manuskript D reys -, ist nicht feststellbar. Fraglich ist freilich auch, wie es schon vor 1825 zu den entsprechenden Kontakten zwischen D rey und ihm gekommen sein könnte. Es gibt Anzeichen dafür, daß er schon im Vorfeld seiner Berufung Tübingen aufgesucht hatte. Fazit: Selbst wenn die alleinige Verfasserschaft D reys für den Text der vorliegenden Miszelle nicht über jeden Zweifel erhaben ist, kann und muß sie seinen Schriften beigezählt werden. Die Grundlage für diese Zuschreibung bildet die Tatsache, daß D rey sich in der Honorarabrechnung als Autor eingesetzt hat. Hinzu kommen die inhaltsbezogenen Merkmale. Insgesamt stimmt der Artikel in allen positionsrelevanten Punkten mit den Auffassungen, die D rey ansonsten in seinen Beiträgen zu kirchengeschichtlichen, kirchenpolitischen und staatskirchenrechtlichen Vorgängen vertreten hat, so überein, daß die zunächst nur aktengestützte Verfasserschaftszuschreibung auch von daher gesichert erscheint. II. Bemerkungen In dem auf dem Wiener Kongreß zum Großherzogtum erhobenen, zerklüfteten Flächenstaat Sachsen-Weimar-Eisenach war am 7. Oktober 1823 ein Gesetz zur Regelung der Verhältnisse der katholischen Kirchen und Schulen erlassen worden 9 . Den Anlaß dafür bildeten die neu dem Großherzogtum einverleibten katholischen Landesteile, die nach wie vor der Jurisdiktion des Generalvikariats Fulda unterstanden. Es war das erste derartige Gesetz, in dem nach dem Scheitern der Bemühungen um ein einheitliches Reichskonkordat ein deutscher Landesfürst in eigener Souveränität die staatskirchenrechtlichen Verhältnisse für sein Land autonom regelte. Grundlage des Gesetzes war die landesständliche Verfassung des Großherzogtums aus dem Jahr 9 Promulgiert in: Großherzogl. S. Weimar-Eisenachisches Regierungs-Blatt auf das Jahr 1823. Jahrgang 7, Nr. 16 vom 11. November 1823, 199-224. <?page no="702"?> 670 Miscellanea 1819-1835 1816, die im Vormärz als besonders fortschrittlich galt; in ihr waren nach den Grundsätzen des aufgeklärten konstitutionellen Absolutismus Religionsfreiheit und Toleranz festgeschrieben und zum Mißfallen anderer Landesfürsten z.B. auch die Pressefreiheit und die Freiheit der Meinungsäußerung. Der Gesetzgeber, Großherzog K arl A ugust , der Freund G oethes , hatte diesen einst (seit 1776) als Minister in seine Dienste genommen, in seiner Regierungszeit war die Weimarer Klassik aufgeblüht. Das 66 Paragraphen umfassende und aus staatlicher Sicht und Absicht keineswegs repressive Gesetz, das eine Gleichstellung der Katholiken mit den Protestanten brachte, wurde vom Fuldaer Generalvikariat ungemein scharf kritisiert. Die Aktenstücke, in denen es seine Proteste und Beschwerden formulierte, wurden zusammen mit den staatlichen Erwiderungen 1824 in Buchform unter dem Titel Vorstellungen und Beschwerden des bischöflichen Generalvikariats zu Fulda gegen das über die Verhältnisse der katholischen Kirchen und Schulen im Großherzogthume Sachsen-Weimar-Eisenach erlassene neueste Gesetz »in der Simon Müllerschen Buchhandlung« (Titelblatt) in Mainz veröffentlicht. »In« ihr, aber nicht von ihr! Dieses von D rey als Denkschrift bezeichnete Buch enthält kein Vorwort, keine Herausgeberangabe und keinerlei Erläuterungen, sondern nur die blanken Aktenstücke, diese aber jeweils versehen mit einem auf den 25. April 1824 datierten amtlichen Weimarer Beglaubigungsvermerk. Das bedeutet, daß nur das Fuldaer Generalvikariat dahinter stehen konnte und daß es mit dieser dokumentarischen Edition seinen eigenen Interessen dienen wollte. Man war sich in Fulda offenbar sicher, in den Aktenstücken eine gute Figur gemacht zu haben. Doch gerade anhand der Originaldokumente konnte jedermann sich davon überzeugen, daß die Fuldaer sich durch ihr überzogenes Verhalten, ihre ungeschickte Argumentationsstrategie und auch durch Fehlinterpretationen des Gesetzestextes eher selbst geschadet hatten 10 . Diese Einschätzung findet sich auch in Misz. Nr. 15. Auf diese Denkschrift, »aus lauter Aktenstücken bestehend«, will der Berichterstatter nun also »aufmerksam machen« und »von ihrem Inhalt einen Auszug geben« (728). Dem literarischen Genus nach handelt es sich beim Text von Misz. Nr. 15 somit um eine Rezension dieser Denkschrift, die wegen der Brisanz der in ihr dokumentierten Vorgänge und besonders im Hinblick auf die schroffe Art, in der das Fuldaer Generalvikariat seinen Standpunkt vertrat 11 , Aufsehen erregte 12 . 10 Die Aktenstücke wurden im November 1824 kommentarlos veröffentlicht in: Allgemeine Kirchen-Zeitung. Ein Archiv für die neueste Geschichte und Statistik der christlichen Kirche, nebst einer kirchenhistorischen und kirchenrechtlichen Urkundensammlung 3 (1824), Heft Nr. 139, 140 und 141, dort aber ohne amtliche Beglaubigungsvermerke. Diese Veröffentlichung zog in der AKZ Stellungnahmen nach sich, in denen die Vorstellungen und Beschwerden der Fuldaer sachkundig zerpflückt wurden (siehe Anm. 13 und 15). Das muß man anerkennen, obwohl die AKZ zu dieser Zeit oft noch gegen den Katholizismus polemisierte. Vgl. dazu [B enedikt M aria W erkmeister ], Ueber die allgemeine Kirchenzeitung des Herrn Hofpredigers Dr. Zimmermann in Darmstadt, wohlgemeynte Bemerkungen von einem katholischen Theologen. Augsburg 1823. <?page no="703"?> 671 Misz. Nr. 15: Kirchliche Nachrichten (1824) D rey berichtet über die in der Denkschrift zusammengestellten Aktenstükke (in der Reihenfolge der Vorlage), ausgenommen den Gesetzestext, den er als Redaktor des laufenden Jahrgangs bereits im vorausgehenden Heft abgedruckt hatte 13 . Vorgestellt und besprochen wird zunächst die »Eingabe des bischöflichen Generalvicariats, datirt vom 19. Decemb. 1823« (Denkschrift 30-32) nebst der ihr beigefügten »Anlage« mit ihren heftigen »Erläuterungen und Reclamationen« (728-732; Denkschrift 33-61). Die Stellungnahme des Berichterstatters ist nach Art und Inhalt bemerkenswert. Bezüglich der Beschwerde des Generalvikariats über § 6 des Gesetzes vermerkt er kurz und bündig: »Hier waltet ein Mißverstand [bei den Beschwerdeführern] ob«; das Weimarer Gesetz sei in diesem Punkt korrekt (729 f, Fußnote). Bezüglich § 38 (Beichtsigill) vermutet D rey ein Mißverständnis (»Das Generalvicariat scheint etwas anderes in das Gesetz hineinzulegen, als dieses zunächst zu meynen scheint«) (730, Fußnote), rügt aber zugleich am Gesetz, daß es so oder so die Beichtanstalt »gehäßig« mache und ihren Zweck zerstöre (730 f). Darüber hinaus greife das Gesetz teilweise in unveräußerliche Rechte der Kirche ein (732 f, Fußnote). Das Generalvikariat seinerseits wird weiterhin kritisiert, weil es in seine Beschwerden auch Punkte aufgenommen habe, die »für jetzt fast überall als Staatsmaximen gelten«; es habe dadurch die Kraft seiner berechtigten Anliegen unklugerweise geschwächt (ebd.) Kritik geübt wird also auch an der Strategie der Fuldaer. Das nächste Aktenstück, das der Berichterstatter bespricht, ist der ablehnende »Bescheid« der Weimarer Regierung vom 10. Februar 1824 (733 f; 11 Als Verfasser der Beschwerden gilt J ohann L eonhard P faff (1775-1848). P faff war zunächst Geistlicher Rath des Fürstprimas D alberg und Direktor des Lyzeums in Fulda, dann Inhaber der zweiten Domherrenstelle. Er gehörte neben Generalvikar von K empff zu den sieben Unterzeichnern der Beschwerdeschrift und trat auch in den nachfolgenden Auseinandersetzungen noch publizistisch in Erscheinung. 1832 wurde er Bischof von Fulda. Vgl. ADB 25 (1887) 594-595 (F ranz H einrich R eusch ). 12 Als Gegenstück zur Rezension D reys ist ein Artikel lesenswert, in dem unter dem Titel Beleuchtung der Vorstellungen und Beschwerden des bischöflichen Generalvicariats zu Fulda gegen das über die Verhältnisse der katholischen Kirchen und Schulen im Großherzogthume Sachsen-Weimar- Eisenach erlassene neueste Gesetz diese Denkschrift ausführlich besprochen wird (in: Allgemeine Kirchen-Zeitung [wie Anm. 11] 4, 1825, Nr. 23-25). Der Artikel ist mit P.G. gezeichnet. Er fand unter dem Titel Bemerkungen über die Vorstellungen und Beschwerden (weiter wie oben) in Nr. 39-43 eine Fortsetzung; er stammte »Von einem Katholiken«. Beide Artikel befassen sich sehr kritisch und auf hohem Niveau mit der Denkschrift. In Nr. 86 brachte der Fuldaer Generalvikar »v. Kempff« [F riedrich B onifaz Freiherr von K empff ] weitere Aktenstücke, »die Protestationen gegen das großherzogliche Edict über die Verhältnisse der katholischen Kirchen und Schulen betreffend« (siehe Anm. 15). 13 Siehe ThQ 6 (1824), Heft 3, 506-539, hier mit der Fußnote: »Dieses Gesetz, eine Art Kirchenpragmatik, erschien zuerst in der allgemeinen Kirchenzeitung Jahrg. 1823. N. 98 ff. - abgedruckt. Wir entlehnen es daraus, weil manche unserer Leser auf dem Lande die Kirchenzeitung nicht zu Gesicht bekommen, und dieß Gesetz in mehrern Beziehungen zu wichtig ist, als daß wir ihnen die Kenntniß desselben vorenthalten könnten«. - Mit der »allgemeinen Kirchenzeitung« ist das oben in Anm. 11 angeführte Organ gemeint. In der Denkschrift findet sich der Gesetzestext auf den Seiten 1-29. <?page no="704"?> 672 Johann Sebastian Drey Denkschrift 62-65). D rey zeigt hier Verständnis für die Wohlbegründetheit des Bescheids. - Im Anschluß daran wendet D rey sich der »neuen Vorstellung« Fuldas vom 8. März 1824 zu (734-738; Denkschrift 66-79) und berichtet ausführlich über die nach Inhalt und Argumentation unveränderten Auffassungen der Beschwerdeführer, enthält sich zwar eines Kommentars, thematisiert aber ausführlich das Problem der »Proselytenmacherey« und geht auch auf die hintersinnige Bezugnahme des Vikariats auf das »Baierische Religionsedikt« ein. - Den Beschluß des Ganzen bildet der Bericht über zwei weitere Aktenstücke, eines »Erlasses« der zur Aufsicht über das katholische Kirchen- und Schulwesen eingesetzten Weimarer Kirchenkommission vom 15. Januar 1824 »an den geistlichen Rath und Dechant Moris zu Geisa (738-740; Denkschrift 80-81) und einer zweiten »Vorstellung« »um Milderung des Religionsedikts«, die der Dechant im Namen seiner Pfarrer am 30. Januar 1824 direkt an den Großherzog gerichtet hatte (740-741; Denkschrift 82-87). Aus diesen Aktenstücken geht hervor, daß nun in den Beschwerdesachen nach dem Generalvikariat die vom Gesetz unmittelbar betroffenen Geistlichen von sich aus Protest erhoben hatten. Der Berichterstatter rügt die Unvollständigkeit dieses Schriftwechsels, für die es wohl obrigkeitliche Gründe gebe (739 f, Fußnote). Da er im letzten Satz des Artikels ausdrücklich darauf hinweist, sämtliche Aktenstücke der Denkschrift seien mit einer Beglaubigung des Großherzoglichen Sekretariats versehen, will er wohl auf diese Weise zu erkennen geben, daß eine Filterung stattgefunden hatte 14 . Der Artikel weist insgesamt ein Höchstmaß an Objektivität in der Berichterstattung und an Unparteilichkeit in der Würdigung der Sachverhalte auf. Das bedeutet auch, daß der Autor darauf verzichtete, sich als Anwalt oder Befürworter der kirchlichen Seite in Szene setzen zu wollen. Indem er dem Artikel den Charakter eines bloßen Berichts gab und ihn in der Rubrik Nachrichten unterbrachte, konnte er sich jedenfalls an die für dieses literarische Genus geltenden Normen halten und deshalb auf eine weiter ausgreifende Würdigung der Sachverhalte an und für sich verzichten. 14 Mit den in der AKZ 1824 erstmals veröffentlichten (siehe Anm. 11) und in der Denkschrift abgedruckten Aktenstücken war auch der aktenmäßige Streit nicht abgeschlossen. In einer mit »v. Kempff« gezeichneten und in der AKZ in 4 (1825) Nr. 86 veröffentlichten Einsendung gab der Generalvikar zu wissen, den Aktenstücken von 1824 »müssen noch folgende beigefügt werden« (mit wörtlicher Wiedergabe der angeführten Aktenstücke): I. Ein »Erlaß der großherzogl. Immediatcommission« »an den geistl. Rath und Landdechant Moris« vom 10. April 1824, II. ein »Schreiben der großherzogl. Immediatcommission« »an das bischöfl. Generalvicariat zu Fulda« vom 10. Mai 1824, dem III. die »Abschrift des großherzogl. Rescripts als Beilage zu obigem Erlasse« vom 4. Mai 1824 und IV. die »Rückantwort des bischöfl. Generalvicariats« vom 24. Mai 1824 sowie V. ein »weiteres Schreiben der großherzogl. Immediatcommission an das bischöfl. Generalvicariat zu Fulda« vom 1. Juni 1824 und VI. die »Antwort« des Generalvikariats an die Immediatkommission vom 5. Juni 1824 angefügt waren. Diese Aktenstücke lassen jeweils die unnachgiebigen Standpunkte erkennen, erwecken aber den Eindruck von auf gegenseitige Besänftigung zielenden Nachhutgefechten. <?page no="705"?> 673 Misz. Nr. 15: Kirchliche Nachrichten (1824) Teil B: Johann Sebastian Drey Kirchliche Nachrichten Das Großherzogl. Sachsen-Weimarische Gesetz über die Verhältnisse der ka- 727 tholischen Kirchen und Schulen, welches im 3. Hefte dieses Jahrgangs der Q. 5 Schr. S. 504-539. abgedruckt ist, hat das bischöfliche Generalvicariat zu Fulda zu Vorstellungen und Beschwerden veranlaßt und eine Korrespondenz zwischen eben diesem Generalvicariat und dem Großherzoglichen Staats-Ministerium nach sich gezogen, die in einer bey Simon Müller in Mainz 1824. unter dem Titel: Vo r s t e l l u n g e n u n d B e s c h w e r d e n d e s b i s c h ö f l i - 10 c h e n G e n e r a l v i c a r i a t s z u F u l d a g e g e n d a s ü b e r d i e Ve r h ä l t n i s s e d e r k a t h o l i s c h e n K i r c h e n u n d S c h u l e n i m G r o ß h e r z o g t h u m S a c h s e n - We i m a r - E i s e n a c h e r l a s s e n e G e s e t z - erschienenen Denkschrift abgedruckt ist. Da der Raum und andere Rücksichten die Aufnahme des Ganzen nicht erlauben, so wollen wir unsere Leser wenigstens auf 15 die ge-nannte Denkschrift, aus lauter Aktenstücken bestehend, aufmerksam 728 machen, und zum Behufe einer vorläufigen Kenntnißnahme von ihrem Inhalt einen Auszug geben. Voran stehet das Großherzoglich Weimarische Gesetz selbst. Auf dieses folgt eine unterthänigste Eingabe des bischöflichen Generalvicariats, datirt 20 vom 19. Decemb. 1823., gerichtet an S. Königliche Hoheit den Großherzog, und begleitet von einer ausführlichen Darstellung der Erläuterungen und Reclamationen, die das Generalvicariat in Betreff des fraglichen Gesetzes zu machen sich veranlaßt fand. - In der Eingabe selbst erklärt das bischöfliche Generalvicariat, unter Beziehung auf seine kirchliche Competenz in den Wei- 25 marischen Aemtern Geisa und Dermbach: »daß es weit entfernt sey, die Rechte der Staatsgewalt in Hinsicht der Kirche zu mißkennen, daß es die landesherrlichen Bestimmungen, welche innerhalb der Gränzen der Hoheitsrechte circa sacra getroffen werden, verehre; daß aber das Gesetz vom 7. October 1823. in die rechtmäßige Verfassung der geheiligten Lehre und Disciplin, 30 in den bisherigen Bestand der katholischen Kirche, und insonderheit in die kirchlichen Verhältnisse und Rechte, mit denen die Katholiken in den Aemtern Geisa und Dermbach unter die großherzogliche Herrschaft übergegangen seyn, verwundend eingreife; daß hiedurch die Ruhe im Staate gefährdet, die Gewissensfreyheit verletzt und der Saame des Unfriedens und Mißtrauens 35 ausgestreuet werde; daß die Mitglieder des Generalvicariats weder selbst gegen ihren Glauben, gegen ihre Kirchengesetze und gegen ihr Gewissen handeln, noch auch zugeben könnten, daß ihre Diöcesanen hiezu veranlaßt würden. Ueberzeugt, daß S. K. Hoheit dieses selbst nicht wollen, und im 729 <?page no="706"?> 674 Johann Sebastian Drey Vertrauen auf die bekannten Herrschertugenden, insbesondere auf die Duldsamkeit, Gerechtigkeit und Liebe des Großherzogs gegen seine katholischen Unterthanen, tragen sie nun, sowohl aus eigenem Antriebe als in Folge der Anrufung von Seite ihrer Untergeordneten, ihre Beschwerden und Protestationen gegen nicht wenige Artikel des Gesetzes vor, und bitten, dasselbe in 5 Betreff der bezeichneten Punkte suspendiren zu wollen. Unterzeichnet ist die Eingabe von den H. H. - v. Kempff, Komp, Pfaff, Kaiser, Schleichert, Schlereth, Trapp. Die in der Anlage ausgeführten Beschwerden zerfallen in zwey Abtheilungen, nämlich in Beschwerden über solche Punkte des Gesetzes, die mit den 10 Lehren, Grundsätzen und Rechten der katholischen Kirche größtentheils unvereinbarlich sind, und in Beschwerden über solche Punkte, die, um unanstößig zu seyn, einer Einschränkung oder doch Erläuterung bedürfen. Unter die erstern rechnet das Generalvicariat zuvörderst die Bestimmungen des Gesetzes §. 3. 5. 6, nach welchen alle kirchlichen Verordnungen und Erlasse 15 ( a u c h d i e E r l a s s e i n G e w i s s e n s - S a c h e n n i c h t a u s g e n o m m e n ) der Einsicht der Staatsbehörde, und insofern sie nicht blos geistliche Vorschriften enthalten, dem landesherrlichen Placet unterliegen, und dieses selbst zu jeder Zeit widerruflich ist; den Katholiken blos gleiche Rechte mit der protestantischen Kirche eingeräumt werden *) ; und gegen die Aeußerungen 20 der geistlichen Gewalt ein Recurs stattfindet, wobey untersucht werden soll, 730 ob die geistliche Behörde innerhalb ihrer Gränzen den gesetzlichen Gang und d i e k a n o n i s c h e n Vo r s c h r i f t e n beobachtet habe. Es beschwert sich ferner über die Verlegung der Festtage auf die Sonntage, über die Anordnung besonderer Feste, über die Anordnung von Kirchengebeten, über das Verbot 25 der Wallfahrten, insofern die Staatsgewalt (§. §. 7. 8. 9.) aus eigener Macht dergleichen verfüge. Es nimmt Anstoß an dem Ausdrucke, daß sich der Landesherr als Patronus ein Ve r g e b u n g s r e c h t der Pfarreyen (§. 17.) beylege, da ihm nur ein E r n e n n u n g s r e c h t zustehe; noch mehr an den Bestimmungen der §. §. 20-31., durch welche die Verwaltung des Kirchenver- 30 mögens ganz in die Hände des Staats gelegt, und die bischöfliche Behörde von jeder Mitwirkung dabey ausgeschlossen wird; insbesondere an den Bestimmungen des §. 38. das katholische Beichtsigill betreffend **) . Es findet die * Hier waltet ein Mißverstand ob. Der §. 6. spricht ausdrücklich von Ansprüchen an den Schutz des Staats, und von Rech-ten und Vorzügen in dieser Beziehung, d. h. von bürgerlichen Rechten der Kirchen; und hierin kann keine mehr ansprechen als die andere. Von innern, aus der kirchlichen Verfassung fließenden Rechten, und namentlich von den Rechten der Kirche der Staatsgewalt gegenüber, ist hier nicht die Rede. ** Das Generalvicariat scheint etwas anderes in das Gesetz hineinzulegen, als dieses zunächst zu meynen scheint, wenn es folgert: also können Criminalgerichte den Geistlichen, bey welchem ein i n U n t e r s u c h u n g b e g r i f f e n e r D e l i n q u e n t gebeichtet hat, rechtlich anhalten, die Verbrechen desselben zu offenbaren, u. s. w. Die Worte des Gesetzes aber: »sollte aber in einem solchen Falle durch die Aussage und Angabe des Geistlichen Unglück und Nachtheil von dem Staate oder von Einzelnen abgewendet; ein Verbrechen verhütet werden können« - <?page no="707"?> 675 Misz. Nr. 15: Kirchliche Nachrichten (1824) Bestimmung des §. 39., daß die Geistlichen als S t a a t s d i e n e r der Imme- 731 diatcommission untergeordnet seyn sollen, gefährlich weil zu Irrungen führend; und noch gefährlicher die Bestimmungen, die als neue Ehegesetze für die Katholiken gelten sollen. Daß nach §. 44. ihnen blos in dem Falle erlaubt seyn soll, die bischöfliche Dispensation in kanonischen Ehehindernissen nach- 5 zusuchen, wenn die letzteren zugleich im Großherzogthum als bürgerliche Gesetze recipirt seyn, sey eine Verletzung allgemeiner für die ganze katholische Kirche überall gültiger Gesetze und Einrichtungen; ebenso in Ansehung des Aufgebotes; daß die Eheversprechungen mit ihren Folgen nach §. 45. ledig-lich vor die weltlichen Gerichte gezogen werden, könne die geistliche 10 732 Behörde um so weniger zugeben, als es außer ihrer Befugniß liege, kirchliche Rechte sede vacante aufzugeben. Noch mehr beklagt sich das bischöfliche Generalvicariat über die Beeinträchtigung dieser Rechte, die aus den Bestimmungen des §. 48. 49. 50., Klagen auf Nullität und die Trennung der Ehe betreffend, hervorgehen. Es hebt die hieraus hervorgehende Verwirrung und 15 Einschläferung der Gewissen, die schädlichen Folgen für die Sittlichkeit, für die Ehrfurcht vor kirchlichen Gesetzen, und für den innern Frieden der Kirche, die hieraus unvermeidlich entstehen, stark hervor. Endlich beschwert es sich auch über die Bestimmungen der §. §. 51. 60. 61., in Betreff der religiösen Erziehung der Kinder aus gemischten Ehen, der Verfügungen über 20 Proselitenmacherey und in Betreff des Alters, wann es Jemanden erlaubt seyn soll, zu einem andern Glaubensbekenntnisse überzutreten. In der zweyten Classe von Beschwerden sind angeführt: die Bestellung von Synodalrichtern bey Berufungen an den Pabst §. 4.; die Bestellung der Immediat-Commission als Richterin über die bischöfliche Behörde §. 5.; die 25 Vorschriften über die Installation der Pfarrer §. 18.; die Bestimmungen in Betreff des Dechanten als Staatsdiener §. 31.; deßgleichen über die Visitation der Schulen und der Pfarreyen durch den Bischof §. 32. 33.; die Aufhebung der in der Fulder Diöcese den Geistlichen bisher zugestandenen Privilegien in Betreff des Testirens §. 36.; endlich Einiges in Ansehung der Bestimmungen 30 der §. §. 39. 40. 41. *) sprechen von einem n o c h n i c h t b e g a n g e n e n Ve r b r e c h e n , u n d v o n e i n e m e r s t i m Vo r s a t z e b e g r i f f e n e n , f o l g l i c h n o c h n i c h t e r g r i f f e n e n Ve r b r e c h e r ; und nur die Worte! oder den schädlichen Folgen eines begangenen Verbrechens abgeholfen werden, - sind allenfalls jener obigen Auslegung fähig, scheinen aber doch auch von einem noch nicht ergriffenen Verbrecher verstanden werden zu müssen. Indessen ist es ganz gewiß, daß das Gesetz im letztern Sinn die Beichtanstalt eben so gehäßig, ja noch gehäßiger als im erstern Sinne machen (weil der Geistliche nun erster und eigentlicher Delator aller Verbrechen, selbst derer würde, deren Ausführung noch ungewiß ist), daß es ebendamit diese Anstalt selbst aufheben, und den beabsichtigten Zweck selbst zerstören würde. * Vielleicht wäre es besser gewesen, über die in der zweyten Classe angeführten Punkte, die wenigstens für jetzt fast überall als Staatsmaximen gelten, stillschweigend hinweg zu gehen, auch Einzelnes unter den Beschwerden der ersten Classe weniger zu pressen, weil alsdann die übrigen Beschwerden über Punkte, die in die u n v e r ä u ß e r l i c h e n Rechte der Kirche <?page no="708"?> 676 Johann Sebastian Drey Auf diese Vorstellungen erfolgte unter dem 10 Febr. 1824. von Seite des 733 Weimarischen Staats-Ministerium, im Namen S. K. Hoheit des Großherzogs, der Bescheid: die katholische Kirche soll mit der protestantischen gleichen Anspruch an den Schutz des Staates haben und im Genusse gleicher Rechte und Vorzüge gesichert seyn; ihren Gliedern bleibe nicht nur völlige Gewis- 5 sensfreyheit, sondern auch das freye Bekenntniß ihres Glaubens und die freye Ausübung ihres Cultus vorbehalten, mit allen den Rechten, welche Folge dieser Anerkenntniß seyen. Abgesehen von einigen, sehr unbedeutenden Beschränkungen des äußern öffentlichen Cultus, deren Nothwendigkeit das weltliche Reformations-Recht, eben um jener beabsichtigten rechtlichen 10 Gleichheit und um polizeylicher Ordnung willen, erkannt und ausgesprochen hat, sey das Gesetz vom 7. October diesen Grund- und Hauptbestimmungen durchaus treu geblieben u. s. w. Es würde zuweit führen, und es sey keine Verbindlichkeit vorhanden das Gesetz gegen den Inhalt der Vorstellung zu rechtfertigen, doch verweise man in Ansehung der herausgehobenen §.§. 3. 4. 15 5-7. 20-30. 38. 39. 44. 45. 49. 50. 51. auf das Kön. Preussische Landrecht Th. II. Tit. XI. §. §. 117. 118. 141. 136-138. 50-57. 34. 35. 82. 19. 134. 444. und 734 Th. II. Tit. II. Abschn. II. §. 77. Tit. I. Abschn. VIII. §. §. 732-735.; also auf das Recht eines Staats, von welchem die päbstliche Bulle de Salute animarum sage: ejus propensam admodum invenimus et grato animo prosequimur voluntatem in 20 catholicos sibi subditos; nicht weniger auf das Baierische Edikt über die äußern Rechtsverhältnisse in Beziehung auf Religion und Kirchen Tit. III.; so wie auf das ältere Kirchenregulativ für das Großherzogthum alter Lande. Je weniger die Staatsregierung mehrern Behauptungen des hochw. Generalvicariats beystimmen möge, destoweniger sey eine Abänderung oder Suspension des Ge- 25 setzes zu erwarten; doch werde die Ausführung nach der Absicht des Gesetzgebers und in Befolgung der die fast fünfzigjährige Regierung S. K. Hoheit auszeichnenden Maximen geschehen. Ueber diese abweisende Erklärung drückte das bischöfl. Generalvicariat, in einer neuen Vorstellung an das Großherzogl. Ministerium vom 8. März 1824., 30 zuerst seine Trauer und die Versicherung aus, daß es sich dabey unmöglich beruhigen könne. Vertrauensvoll trage es daher, zur Beseitigung einiger Mißverständnisse und Gegensätze, und überhaupt zu besserer Erörterung einer so wichtigen Angelegenheit, noch einige Bemerkungen nach. Das Generalvicariat bemerkt hienach, daß die Verordnungen in Betreff der Feyertage und 35 anderer zum katholischen Cultus gehörender Uebungen die Katholiken in der Behauptung ihrer Gewissensfreyheit, in der freyen öffentlichen Ausübung ihres Cultus stören und die Zusicherungen des §. 9. des Gesetzes entkräften; was um so unnöthiger erscheine, als mit Ausnahme der Orte Weimar und 735 eingreifen, desto gewichtiger und gegründeter hervorgetreten wären. Doch bescheidet sich Ref. gern, indem es vielleicht Verhältnisse giebt, die ihm in der Ferne unbekannt sind. <?page no="709"?> 677 Misz. Nr. 15: Kirchliche Nachrichten (1824) Dermbach die Katholiken des Großherzogthums mit Protestanten nicht untermischt leben; und um so weniger staatsrechtlich begründet, als selbst vom Westphälischen Frieden abgesehen, das weltliche Reformationsrecht durch neuere Verträge und Beschlüsse beschränkt, und seiner Natur nach nur ein negatives Recht - jus cavendi, sey. Es bemerkt ferner, daß die Bestimmungen §. 5 3. 4. 5. 38. die kirchliche Jurisdiction hemmen, die Anordnungen verfassungsmäßiger kirchlicher Obern precär und unsicher machen, und sie dem Richteramt der Staatsgewalt unterstellen; daß durch die Aufhebung des Beichtsigills, kirchlicher Dispensationen in Ehehindernissen, durch die Einführung der Ehescheidung, durch die Cassation aller Ehepakten über die religiöse 10 Kindererziehung u. s. w. in das Innere der Kirche, in die Lehre und Verfassung Eingriffe geschehen und die Gewissen manchfaltig bedrängt würden. Nach mehrern allgemeinen und freymüthigen Bemerkungen über die Verletzungen der Kirchenfreyheit, über Souveränität und Legitimität, antwortet das bischöfliche Generalvicariat auf die Hinweisungen auf das Preussische Land- 15 recht erstens: daß Facta kein Recht begründen, vielmehr das natürliche Recht über den Ansichten einer zeitlichen Politik stehe; ferner daß das K. Preussische Landrecht zu einer Zeit erschienen sey, die eine von der gegenwärtigen sehr verschiedene Richtung befolgte, und namentlich das sogenannte Reformationsrecht über alle Gebühr ausdehnte; endlich, daß die Grundsätze dieses 20 Landrechts weder in dem mit Preußen weit näher verwandten Kurhessen, noch in Preussen selbst in Anwendung gekommen seyen. Im Kleveschen, in der Mark und im Münsterschen seyen die Katholiken im Genusse der 736 Rechte, die sie im Normaljahre besaßen, gelassen worden, ebenso wenig habe man bis jetzt die Katholiken auf der linken Rheinseite durch das Preussische 25 Landrecht beunruhigt. In allen rheinischen Provinzen üben die Diöcesanbehörden ihre kirchlichen Pflichten und Rechte ohne Einmischung der Regierung aus; alle kanonischen Ehehindernisse gelten, und die Dispensationsgesuche gehen verschlossen oder unverschlossen, je nachdem sie vor die Pönitentiarie oder Datarie gehören, nach Rom, wo sie von der Preussischen 30 Gesandtschaft besorgt werden; Ehescheidungen nach dem französischen Gesetze haben keine kirchliche Gültigkeit; das Kirchenvermögen wird von einer dem Bischof untergeordneten Behörde verwaltet: die bestehenden Feyertage und die liturgischen Processionen werden ohne Hinderung gehalten; selbst die Wallfarten sind nur beschränkt. Gleiche Freyheit genießen die Katholiken 35 im Eichsfelde. Diese Liberalität, so wie zunächst die Sorgfalt des Königs in Wiederherstellung der Bisthümer sey es, welche die päpstliche Bulle rühme. Rücksichtlich der Beziehung auf das Baierische Religionsedikt erinnert das Generalvicariat, daß dieß sich weit humaner ausspreche, wie die Vergleichung ergebe; das Kirchen-Regulativ für das Großherzogthum alter Lande könne 40 ebendarum, weil es für die alten Lande bestimmt war, keine volle Anwendung in den neuen finden; aber merkwürdig sey es doch, daß dieses Regulativ <?page no="710"?> 678 Johann Sebastian Drey neben manchen sehr harten Punkten auch viele den Katholiken günstige Verfügungen enthalte, welche letztere in dem neuesten Gesetz vom 7. Oct. weggefallen, ja durch ganz widersprechende ersetzt worden seyen, da doch 737 vielmehr gerade das Gegentheil hätte erwartet werden sollen. Den Schluß machen Erläuterungen über die Art, wie sich das bischöfliche 5 Generalvicariat gegen die §. §. 60. 61. des Gesetzes erklärt hatte. Das Generalvicariat erklärt, daß es bey seinen Erinnerungen zu gedachten §§en, um so mehr stehen bleiben müsse, als diese §§en nach der gemeinen Ansicht gegen das G. V. in Fulda gerichtet erschienen, und die verläumderischen Ausstreuungen protestantischer Schriftsteller über die Katholiken in Betreff des Pro- 10 selytenmachens überall hin ertönten, und selbst Proselitenmacherey wären. Es erklärt sich dann im Besondern über die Clauseln einer von ihm ausgegangenen Dispensations-Ertheilung in einem neuern Falle, wo die Verheurathung eines Protestanten mit einer Katholikin durch ein kirchliches Hinderniß aufgehalten worden war. Es erklärt sich ferner über seine, in dem Ministe- 15 rialbescheid gerügte Aeußerung: daß die Katholiken in Folge des Westphälischen Friedens mehr als eine bloße Gleichstellung mit dem Protestanten anzusprechen hätten - dahin, daß es damit nur auf die vertragsmäßigen Rechte, mit welchen die Aemter Geisa und Dermbach unter die Weimarische Herrschaft übergegangen seyn, so wie auf die Verschiedenheit der Stellung, 20 worin sich Katholiken und Protestanten als solche und in Ansehung des Kirchenthums, zum Oberhaupte des Staats befinden, habe Rücksicht nehmen wollen, damit nicht jene Gleichstellung zum Nachtheile der katholisch kirchlichen Grundsätze diene, und um politischer Zwecke willen das kirchlich Ungleiche, mit Verzerrung und Verstümmelung des sittlichen Körpers, in 25 durchaus gleiche Formen gezwänget werde. Endlich erklärt sich das bischöfl. 738 Generalvicariat auch darüber, wie es die Worte: daß es keine theologische Toleranz geben könne - gemeynt habe. Nach dem Contexte und der bekannten Schulsprache habe es damit keine Art von Lieblosigkeit, feindseliger Stimmung und Verfolgung gegen andere Religionsverwandte; sondern nur 30 die Gleichgültigkeit gegen die Wahrheit, das Gutheißen und Festhalten des erkannten Irrthums gemeynt. Dieser Gleichgültigkeit stehe gegenüber der Eifer für die Erkenntniß der sittlichen und religiösen Wahrheit, und für die Verbreitung derselben. Dieser Eifer, wenn er nur mit der christlichen Nächstenliebe verbunden sey, möge Proselytenmacherey oder Intoleranz genannt 35 werden; aber das Gehäßige, was man mit diesen Worten verknüpfe, könne ihn nicht treffen; und am wenigsten könnten die, welche freyes Denken und Glauben für sich selbst in Anspruch nehmen, dieses Recht Anderer versagen und in ihr geistiges Eigenthum eingreifen. Das bischöfliche Generalvicariat wiederholt daher im Vertrauen auf die Erleuchtung und Gerechtigkeit des 40 Großherzogl. Ministeriums noch einmal seine Bitte um Abänderung oder Suspension des Gesetzes vom 7. Oktober, und ersucht dasselbe, diese Bitte bey S. K. Hoheit dem Großherzoge zu unterstützen. <?page no="711"?> 679 Misz. Nr. 15: Kirchliche Nachrichten (1824) Angehängt sind noch zwey andere Aktenstücke: nämlich ein Erlaß der Großherzogl. zur Aufsicht über das katholische Kirchen- und Schulwesen gnädigst verordneten Immediat-Commission an den geistlichen Rath und Dechant Moris zu Geisa auf sein Schreiben vom 22. Dec. 1823. *) und eine zweyte unterthänigste Vorstellung und Bitte Ebendesselben im Namen der 5 739 übrigen katholischen Geistlichkeit an den Großherzog, vom 30. Jänner 1824. - In dem erstern d. d. 15. Jan. 1824. äußert die Großherzogl. Immediat- Commission ihr Befremden, daß die katholischen Pfarrer der Aemter Geisa und Dermbach erklärt hatten, sie könnten, wenn sie länger k a t h o l i s c h e Pfarrer bleiben wollten und sollten, mit gutem Gewissen dem Gesetze vom 7. 10 October sich nicht unterziehen, sondern müßten erst die Rücksprache Serenissimi mit der bischöflichen Oberbehörde abwarten. **) Zu einer Gesetzgebung wie die vorliegende, bedürfe es keiner Rücksprache des souveränen Landesherrn mit einer geistlichen Oberbehörde; denn es widerspreche der Idee einer höchsten Gewalt im Staate, eine noch höhere über sich oder nur 15 eine gleich hohe neben sich anzuerkennen; die Kirchengewalt könne nur insofern, als sie blos auf den Endzweck der Kirche gerichtet ist und keinen Einfluß in den Staat hat, von diesem unabhängig seyn, ausserdem sey sie der Staatsgewalt unterworfen. Hierauf beruft sich die Imm. Comm. eben-falls auf 740 die Preussische Gesetzgebung, und schließt: da es scheine, als seyen die 20 allerdings auffallenden Aeußerungen der Pfarrer aus einer augenblicklichen, irrigen Auffassung der Sache entsprungen, so wolle man es für dießmal dabey bewenden lassen, sie ernstlich auf ihre Unterthanen- und Staatsdiener-Pflicht aufmerksam zu machen, und erwarte, daß sie zum Gehorsam zurückkehren würden. 25 Die Pfarrer fanden sich aber damit nicht beruhigt, sondern reichten unter dem 30. Jänner eine Vorstellung um Milderung des Religionsedikts an den Großherzog selbst ein. Sie motiviren ihre Eingabe zunächst durch das Rescript der Immediat-Commission, und rechtfertigen sofort ihre Ansichten durch Heraushebung einiger aus denjenigen Punkten, die sie mit ihrem Ge- 30 wissen nicht vereinigen könnten. Darunter rechnen sie erstens die Bestimmungen wegen der Feiertage §. 7.; und wünschen zugleich, daß die Bestimmungen des §. 8. wenigstens im Einverständnisse mit der kirchlichen Behörde getroffen seyn möchten; zweitens die Bestimmungen des §. 38. über das Beichtsigill; drittens die Bestimmungen des §. 44. über die Aufhebung rein 35 kirchlicher Ehehindernisse; viertens die Bestimmungen der §§. 48. 49. 50. * Zur Vervollständigung der Akten scheint auch dieses erste Schreiben des Dechants Moris an die Immediat-Commission, welches hier fehlt, zu gehören. Sollte wohl die Mittheilung desselben von Seite dieser Behörde, oder der Abdruck Schwierigkeiten gefunden haben? ** Das bischöfliche Generalvicariat erklärte übrigens am Schlusse seiner Vorstellung vom 8. März ausdrücklich, daß es weder an dem Entschlusse der Pfarrer gegen das Gesetz ihre Beschwerden einzureichen, noch an dem Begehren des Consistorialraths Goeßmann zu Buttlar, von den Geschäften der Imm. Comm. entbunden zu werden, einen Antheil habe. <?page no="712"?> 680 Johann Sebastian Drey über die Ehescheidung. Indem sie, so weit es eine an den Landesherrn unmittelbar gerichtete Eingabe erlaubte, kurz darlegen, wie diese Bestimmungen in das Innere der katholischen Lehre und Kirchenverfassung eingreifen, das Gewissen und die Amtsthätigkeit des Geistlichen verletzen; in Ansehung aber der übrigen, die katholische Kirchenfreiheit beschränkenden, Bestim- 5 mungen auf die Verwendung ihrer geistlichen Behörde sich beziehen, rechtfertigen sie zugleich ihre Ansicht als eine ihnen durch ihren Glauben und ihr 741 Gewissen gebotene, nicht aber voreilig gefaßte und irrige; und bitten den Großherzog, sie bei den Zusicherungen des §. 6. des Gesetzes, bei ihrer Achtung für die legitime weltliche Gewalt, bei ihrem Bestreben ebendieser 10 auch die Achtung der katholischen Unterthanen zu verschaffen, diese selbst aber überhaupt bei der Freiheit ihres Glaubens, ihres Gewissens, ihrer kirchlichen Verfassung, und der nothwendigen Aeußerungen des kirchlichen Lebens erhalten zu wollen. So weit diese Aktenstücke, welche sämmtlich mit der Beglaubigung durch 15 das Großherzogl. geheime Secretariat versehen sind. <?page no="713"?> 681 Misz. Nr. 16: Verhältnisse der nichtunirten griechischen Kirche (1829) Misz. Nr. 16: Von den Verhältnissen der nichtunirten griechischen Kirche in den österreichischen Staaten. Teil A: Einleitung von Max Seckler I. Bibliographische Angaben Text: Theologische Quartalschrift 11 (1829), Heft 2, 195-250. Rubrik Abhandlungen, Titel: Von den Verhältnissen der nichtunirten griechischen Kirche in den österreichischen Staaten. Ohne Verfasserangabe, von L ösch auf Grund archivalischer Berechnungen D rey zugeschrieben, von K ustermann / F esseler übernommen 1 . Die Verfasserschaft D reys ergibt sich zwingend aus Eintragungen in seinem Theologischen Tagebuch 2 . Auch der Gebrauch des Personalpronomens »ich« verweist auf seine Verfasserschaft 3 . (Zur Begründung der Aufnahme dieser Abhandlung in die Miszellen D reys siehe unten Anm. 9). II. Bemerkungen Es handelt sich bei diesem Text um einen 56 Seiten umfassenden Bericht über »eine schon im Jahr 1819 erschienene Schrift des Herrn Csaplovics: Slavonien und zum Theil Croatien« 4 , die wie die meisten in Österreich erscheinenden 1 L ösch , Die Anfänge (siehe Misz. Nr. 1, Anm. 3) 107; K ustermann / F esseler , Bibliographie (siehe Misz. Nr. 1, Anm. 3) 319, Nr. 2.28. 2 Das Theologische Tagebuch enthält im vierten Band, eingebunden zwischen den Seiten 54 und 55, eine Einlage im Umfang von 34 Seiten aus Blättern unterschiedlichen Papierformats mit Notizen zu verschiedenen Gegenständen (Theologisches Tagebuch IV, E 1 - E 34, siehe TüA 1, 302-312). Sie betreffen zu großen Teilen das Stoffgebiet der vorliegenden Abhandlung. Einzelne Datierungen auf diesen Blättern bewegen sich im Zeitraum von 1824 bis 1834, während die normalen Eintragungen in Band IV des Theologischen Tagebuchs auf die Zeit von 1815 bis 1816 erstrecken. Daraus geht hervor, daß D rey die Blätter (Bögen) der Einlage lange Zeit lose aufbewahrte und das Theologische Tagebuch erst viele Jahre nach der Niederschrift aller dann in Band IV vereinigten Texte in der erhaltenen Form binden ließ. Die Seiten 23-33 (TüA 1, 307-312) stehen in enger zeitlicher und thematischer Nähe zum Text der vorliegenden Misz. Nr. 16, für den D rey somit vor- und nachbereitende Aufzeichnungen anfertigte. Weshalb er die Blätter auch nach der 1829 erfolgten Veröffentlichung des vorliegenden Artikels für aufbewahrenswert ansah und die sogar in Band IV einbinden ließ, läßt sich nicht feststellen. 3 So auf den Seiten 197-199, 210 f und 246. Die Person des Autors, auf die dieses »ich« sich bezieht, ist nirgendwo angegeben. Da D rey für das Jahr 1829 - und somit auch für das Heft, in dem er diesen Artikel brachte - die Schriftleitung innehatte, hat er vielleicht angenommen, daß die Leser das »ich« auf ihn beziehen. <?page no="714"?> 682 Miscellanea 1819-1835 Schriften das »Schicksal« 5 habe, in Deutschland »nicht recht bekannt und gelesen zu werden« (198). Diese Bemerkung hat es in sich. D rey verweist mit ihr auf ein rezeptionsgeschichtliches Defizit, dem er abhelfen wolle. Genau besehen begründet er in ihr nicht nur sein verzögertes Zurückkommen auf diese Schrift, sondern qualifiziert darüber hinaus sein Vorhaben. Der springende Punkt liegt in der Apposition »nicht recht«. Als umgangssprachliche Floskel genommen, würde sie lediglich besagen, die Schrift von C saplovics sei in Deutschland zu wenig beachtet worden. D rey , der wichtige Äußerungen auch sonst oft in beiläufigen Wendungen unterbringt, will mit ihr - positiv gewendet - ausdrücken, diese Schrift verdiene es, »recht« gelesen (d.h. in ihrem Inhalt richtig erfaßt) und »recht« bekannt (d.h. der Bedeutung ihres Inhalts angemessen) zu werden. Das zu tun ist seine Absicht. Warum ist D rey auf dieses Werk zurückgekommen? Seine Antwort ist dreistufig: Äußerer Anlaß, zeitgeschichtlicher Bedarf, innerer Sachgrund. Zunächst zum Anlaß. Er sei auf diese Schrift gestoßen, als er sich, angeregt durch die Beiträge des Historikers S trahl 6 zur russischen Kirchengeschichte 7 , nach »zuverlässigen Nachrichten« über die besonderen Verhältnisse der 4 J ohann von C saplovics , Slavonien und zum Theil Croatien. Ein Beitrag zur Völker- und Länderkunde, theils aus eigener Ansicht und Erfahrung, theils auch aus spätern zuverlässigen Mittheilungen der Insassen. - Erster Theil. Enthält: Ansichten des Landes, topographische Fragmente, Volk, dessen Haus- und Feldwirthschaft, Sitten, Gebräuche, Sprache. - Zweiter Theil. Enthält: Die orientalische Kirche in historischer, statistischer, hierarchischer und kirchlicher Beziehung. - Schulwesen und Literatur der Serbler. - Civilgerichtsbarkeiten. Militärgrenze. Verkehr mit den Türken. - Anhang: Trenk’s Panduren. Nachrichten über die Türken. Pesth 1819, in Hartleben’s Verlag. - Dieses Werk ist in D reys Büchernachlaßlisten angeführt (siehe W erner , Büchernachlaß (wie Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 40) 419). Es findet bis heute in der Südosteuropaforschung und Slavistik Anerkennung und Verwendung (siehe z.B. F ritz V aljavec 1958; W olfgang K essler 1981; H annes G randits 2002; W olfgang G eier 2006). J ohann von C saplovics (* 22. September 1780 in Felsö-Pre´bely, Groß-Honter Komitat, Ungarn; † 29. Mai 1847 in Wien), Jurist und Schriftsteller, 1805 Advokat, 1808 Gerichtsassessor, 1809-1812 bischöflicher Kommissär in Pakrac, Slovenien, 1813 im Dienst der Grafen S chönborn . - D rey verfügt zur Person und Biographie von C saplovics über Informationen, die er dem von ihm besprochenen Werk nicht hatte entnehmen können. 5 Zum Gebrauch dieses Begriffs siehe Einleitung zu Text Nr. 1 (Revisionsschrift), Ziff. II.8.a. 6 P hilipp K arl J oseph S trahl (1780[81? ]-1840) war seit 1818 Lektor und a.o. Professor der englischen, französischen und russischen Sprachen und der historischen Hilfswissenschaften an der Universität Bonn (1827 o. Prof.) und dort Kollege von P eter A lois G ratz . Zu ihm: F riedrich von B ezold , Geschichte der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität. Bd. 1, Bonn 1920, 251, 260; W ilhelm L evison , Das historische Seminar der Universität Bonn, in: ebd. Bd. 2, Bonn 1933, 250. S trahl hatte im selben Jahr 1823, in dem er in der ThQ die unten in Anm. 7 angeführten Artikel publizierte, in der von G ratz herausgegebenen Zeitschrift Der Apologet des Katholicismus (zu ihr siehe Einleitung zu Text Nr. 7 (ThQ-Dokumente), Ziff. II.2.b, Anm. 3) einen Beitrag zur Geschichte der russischen Kirche gebracht (siehe Heft 6 (1823) 17-31). L ösch vermutet, daß G ratz ihm wohl den Weg nach Tübingen gewiesen habe (L ösch , Die Anfänge (siehe Anm. 1) 39). 7 P hilipp S trahl , Beyträge zur russischen Kirchengeschichte. Bd. 1 (mehr nicht erschienen). Halle (Saale) 1827. - Auch dieses Werk ist in D reys Büchernachlaßlisten angeführt (siehe W erner , Büchernachlaß (wie Anm. 4) 439). Es wurde von M öhler in ThQ 11 (1829) 324-328 - im <?page no="715"?> 683 Misz. Nr. 16: Verhältnisse der nichtunirten griechischen Kirche (1829) slavonisch-griechischen Kirche umgesehen habe (198). In einem zweiten Schritt bezieht D rey die Angelegenheit auf die zeitgeschichtliche Situation und verortet den Informationsbedarf in ihr. Nachdem die westliche Theologie seit dem »großen Schisma« (d.h. seit der Trennung der Kirchen des Orients und des Okzidents) sich kaum mehr mit den Kirchen des Ostens befaßt hatte, fänden sie in jüngster Zeit ein verstärktes Interesse. Das gelte vor allem im Hinblick auf die nichtunierte griechische Kirche. Diese sei dank der über dem Christentum waltenden Vorsehung trotz widrigster äußerer Umstände am Leben geblieben und habe ihre besondere Kirchenform in innerer Freiheit bewahren und weiterentwickeln können. Speziell dieser Kirche - genauer: dieser »Kirchenform« - gilt das Interesse D reys , und mit dem Verweis auf die Vorsehung, die sich der inneren Freiheit dieser Kirche für ihr Ziel bediente, verankert er die theologische Relevanz seines Gegenstands in einer göttlichen Absicht. Hier wird zugleich der Sachgrund für das »Interesse dieses Gegenstandes« (197) erkennbar: Es geht um eine »Bereicherung« (198) der kirchengeschichtlichen Kenntnisse und zugleich um eine Horizonterweiterung für den Westen durch den Aufweis von Alternativen. D rey versetzt nebenbei der deutschen Theologie einen Seitenhieb: Der Blick über die Zäune kann ihr auch dazu verhelfen, ihre autistische und perspektivenlose Selbstverfangenheit aufzusprengen, ihre vom Streit der Konfessionen genährte polemische Hitze abzukühlen und die »gewaltigen Disputatoren wieder zu Athem kommen« lassen (197). Der Gewährsmann, auf den D rey sich in seinem Bericht stützt, ist »H. v. Csaplovics, ein geborner Ungar, übrigens Protestant« (198), die Quelle, der er die Informationen hauptsächlich entnimmt, ist dessen »Schrift« von 1819. Bei diesem zweibändigen Werk handelt es sich insgesamt nicht um das Genus einer wissenschaftlichen, d.h. systematisch durchgebildeten Darstellung, sondern eher um ein Sammelsurium aus Reiseeindrücken, Insiderinformationen und Lesefrüchten, durchsetzt mit Gesetzestexten und topographisch-statistischen Einschüben, aufgeschrieben von einem Juristen, der es genau nimmt, gleichen Heft wie Misz. Nr. 16 - sehr freundlich begrüßt und kurz vorgestellt. Wie zuvor D rey , so erwähnt auch M öhler , S trahl habe »zu einer von ihm zu bearbeitenden ausführlichen Geschichte der russischen Kirche Hoffnung gemacht, in Ansehung deren wir aufrichtig wünschen, daß es ihm gelingen möge, sie zu erfüllen« (D rey 197; M öhler 325 f). Von S trahl war in ThQ 5 (1823) 420-438, 579-633 die Abhandlung Zustand der griechischrussischen Kirche in ältester und neuester Zeit, historisch entwickelt vom Professor Strahl erschienen. D rey verweist auf sie (197), desgleichen ebd. auf dessen Artikel Der russische Metropolit Isidor und sein Versuch, die russisch-griechische Kirche mit der römisch-katholischen zu vereinen. (Aus russischen und andern Quellen vom Prof. Strahl in Bonn) in ThQ 5 (1823) 46-63. D rey bezieht sich für seine Informationen außerdem auf das »Wiener Jahrb. der Lit. XLII. Bd.« (206) (= Wiener Jahrbücher der Literatur 42, Febr.-März 1829, Art. III, 26-64 [Rezension zu Historia de expeditione Friderici Imperatoris, edita a quodam Austriensi clerico, qui eidem interfuit, nomine Ansbertus, nunc primum e Gerlaci chronico, cujus ea partem constituit, typis expressa. Curante Josepho Dobrowsky. Pragae, 1817. XIV. 138 S. 8.]). <?page no="716"?> 684 Miscellanea 1819-1835 und zugleich von einiger Sympathie für Land und Leute belebt. Aus ihm - und vor allem dem zweiten Teil des Werkes, in dem C saplovics sich »weitläufig mit der Geschichte, Statistik und Verfassung der orientalischen, d. h. nichtunirten Kirche in der österreichischen Monarchie« befasse (198) - will D rey einen »Auszug des Wichtigsten« vorlegen (ebd.). Er hat seine Vorlage daraufhin selektiv ausgewertet. Das »Wichtigste« im Gegenstand seiner Betrachtung ist für D rey die »Form« dieser Kirche, ihre »besondern Verhältnisse« und ihre eigentümliche »Verfassung«, und allein darauf hat er seinen Bericht abgestellt, während er die Gebiete der Dogmatik, der theologischen Doktrin und der Liturgie, denen C saplovics viele Seiten widmete, außer acht läßt. Die mit den Begriffen »Form«, »Verfassung«, »Zustand« und »Verhältnisse« angezeigte Fragerichtung unter gleichzeitiger Ausklammerung des Lehrbegriffs läßt erkennen, daß D rey sich auf ein Gebiet begibt, zu dessen wissenschaftlicher Behandlung sich in der zeitgenössischen Theologie ein eigenes Fach namens Kirchliche Statistik etabliert hatte. Er tut das der Sache nach, verzichtet aber in auffallender Weise darauf, diesen Begriff zur enzyklopädischen Verortung seines Beitrags heranzuziehen. Die Gründe dafür gibt er nicht an, aber es entspricht seiner sonstigen Einstellung in dieser Sache 8 . Zur Hintergrundbeleuchtung und zur literarisch-enzyklopädischen Verortung der vorliegenden Miszelle ist es hilfreich, einen Blick auf die geschichtliche Entwicklung und den zur Zeit D reys erreichten akademischen Status dieser Fachrichtung zu richten. Der Terminus Statistik war um die Mitte des 18. Jahrhunderts zur Bezeichnung der politischen »Status«- (Zustands-) Kunde in den Staatswissenschaften in Übung gekommen und hatte von da aus Eingang in die Theologie gefunden. Gewöhnlich wird angenommen, daß diese Übertragung zuerst im Raum der evangelischen Theologie erfolgte, mit J ohann A ugust N össelt (1791) und G ottlieb J akob P lanck (1794/ 95) als Pionieren 9 und K arl F riedrich S täudlin (1804) als eigentlichem Begründer 10 , bis schließlich S chleiermacher , der die Begründerrolle S täudlins ausdrücklich anerkannte, der »Kirchlichen Statistik« den Rang und Namen einer selbständigen theologischen Teildisziplin innerhalb der »Historischen 8 Während S chleiermacher (siehe Anm. 11) und W achter (siehe Anm. 14-16) sich 1811 und 1815 dafür stark gemacht hatten, der Kirchlichen Statistik, deren fachliche Anfänge in das 18. Jahrhundert zurückreichen, den Rang einer eigenständigen Disziplin im Fächerkanon der Theologie zuzuerkennen, ist D rey stets mit Schweigen darüber hinweggegangen und hat selbst diese Bezeichnung beharrlich gemieden. In seiner Kurzen Einleitung von 1819, wo er eine Encyclopädische Darstellung der Haupttheile des theologischen Studiums vorlegte (siehe KE § 107 ff), ist nicht einmal andeutungsweise zu erkennen, wo ein solches Fach wenigstens als Teildisziplin anzusetzen und unterzubringen wäre. 9 Siehe J ohann A ugust N össelt , Anweisung zu der Bildung angehender Theologen. Halle 2 1791; G ottlieb J akob P lanck , Einleitung in die theologische[n] Wissenschaften. 2 Bde. Leipzig 1794, 1795. 10 Siehe K arl F riedrich S täudlin , Kirchliche Geographie und Statistik. 2 Bde. Tübingen 1804. <?page no="717"?> 685 Misz. Nr. 16: Verhältnisse der nichtunirten griechischen Kirche (1829) Theologie« gab und ihre fachliche Identität wegweisend bestimmte (1811) 11 . Der Part katholischer Theologen in diesem Geschehen ist der auf S chlei ermacher und seine konfessionellen Vorgänger fixierten Fachliteratur nicht zu entnehmen. Hier wäre zunächst auf den Zisterzienser U lrich M ayr (1772) 12 und den Jesuiten F ranz X aver H oll (1779) 13 zu verweisen, und im Anschluß daran vor allem auf K arl W achter (1815), dessen Schrift De statistica ecclesiastica in die unmittelbare Nähe D reys führt 14 . Da der Inhalt und die fachliche Leistung dieser Schrift so gut wie unbekannt sind, soll sie hier kurz vorgestellt werden. Schon das Titelblatt hält eine Überraschung bereit. W achter tritt dort als juris can. histor. et statisticae eccl. prof. o. auf, während er den üblichen Angaben zu seiner Person zufolge an der Friedrichsuniversität die Professur für Kirchengeschichte und Kirchenrecht innehatte. Auch in den Berufungsakten von 1812 tauchte der Terminus Statistik nicht auf. Wie es zu der neuen Amtsbezeichnung gekommen ist, ist nicht bekannt. Zu Beginn seiner Statistikschrift rechtfertigt er die Wahl seines Themas mit der Bemerkung: Da er gnädigst beauftragt sei, neben seinen anderen Fächern kirchliche Statistik zu lesen 15 , und da diese Vorlesung auch im Vorlesungsverzeichnis 11 Siehe F riedrich S chleiermacher , Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen. Berlin 1811, 65-69, §§ 43-60 (KGA I.6, 294-297): Sie figuriert dort innerhalb der »Historischen Theologie« als deren 2. Hauptstück (neben der Dogmatik als 1. Hauptstück) mit folgender Bestimmung: »Die Kenntniß des gegenwärtigen Zustandes der Kirche oder die kirchliche Statistik hat vorzüglich zu betrachten die religiöse Entwiklung, die kirchliche Verfassung und die äußeren Verhältnisse der Kirche im gesamten Gebiet der Christenheit« (§ 43). Ihr Gegenstand ist somit die Verfassung (Verfaßtheit) der Kirche(n) im weiteren Sinn, d.h. ihre empirisch vorfindbaren »Formen« und ihre äußeren »Verhältnisse«, während die Dogmatik sich mit deren Lehrbegriff zu befassen hat. 1826, 1827 und dann noch einmal 1833/ 34 hielt S chleiermacher Vorlesungen über die kirchliche Geographie und Statistik (siehe KGA II.16, Berlin 2005), und in der 2. Auflage seiner Kurzen Darstellung (Berlin 1830) baute er den Statistikteil weiter aus und formalisierte ihn fachlich noch stärker (siehe KD 2 , §§ 232-250; KGA I.6, 408-413). 12 U lrich M ayr , Dissertatio historico-politica inauguralis de nexu statisticae, cum jurisprudentia ecclesiastica [...]. Ingolstadt 1772. Von dieser Schrift erschien 1774 eine zweite Auflage und 1777 ein Abdruck sowie 1778 eine deutschsprachige Ausgabe. - M ayr (1741-1811) war Zisterzienser und »der Gottesgelehrsamkeit und der Rechte Doktor, Professor der Theologie, und Bibliothekar im Reichsstift Kaisersheim« (Titelblatt 1778). 13 F ranz X aver H oll , Statistica ecclesiae Germanicae. Edid. in usum auditorum suorum, Tom. I (mehr nicht erschienen). Heidelberg 1779. Von diesem Werk erschien 1780 ebd. ein Abdruck und 1788 in Mannheim eine Neuausgabe. H oll (1720-1784) war Jesuit und seit 1779 Professor des canonischen Rechts an der Universität Heidelberg. Zu ihm: ADB 12 (1880) 746-747 (F ried rich von S chulte ). 14 W achters dissertatio wurde als Programmschrift für den akademischen Festakt der Ellwanger Friedrichsuniversität am 6. November 1815 gedruckt; der vollständige Text des Titelblatts lautet: Natalem diem Regis augustissimi et potentissimi Friderici Regis Würtembergiae etc. domini nostri clementissimi VI. novembris ab alma universitate Fridericiana Elvacensi peractis solenniis sacris pie celebrandum indicit D. Carolus Wachter juris can. histor. et statisticae eccl. prof. o. - D i s s e r i t u r d e s t a t i s t i c a e c c l e s i a s t i c a . Elvaci typis Joann. Georg. Ritter, univers. typographi [1815]. - Zu W achter und zu dieser Schrift siehe Einleitung zu Text Nr. 1 (Revisionsschrift), Anm. 108, sowie zu Text Nr. 3 (Millenniumsschrift) in Ziff. II.1.b. α . 15 In ipso quippe Fridericianae nostrae exordio provincia mihi gratiosissime demandata est, ut <?page no="718"?> 686 Miscellanea 1819-1835 öffentlich angekündigt werde 16 , wolle er hier den echten Begriff (notionem genuinam) und den Gegenstandsbereich (ambitum) dieses Faches vorstellen und es von den beiden Nachbardisziplinen, der Kirchengeschichte und dem Kirchenrecht, abgrenzen. W achter bezieht sich dabei auf die Werke von H oll und M ayr und anerkennt deren Leistung, setzt sich aber von ihnen ab. Die Stellung der Kirche(n) im deutschen Reich habe sich infolge der jetzt eingetretenen Umwälzungen (per nuperas revolutiones; gemeint ist die Säkularisation) tiefgehend verändert. Es gelte nun, die neuen Verhältnisse zu berücksichtigen und die statistica ecclesiastica daraufhin neu zu konzipieren. Sie habe es jetzt in Deutschland nicht mehr nur mit einer Kirche zu tun, sondern mit der Koexistenz mehrerer anerkannter Kirchen, deren Verfaßtheiten, Formen, Zustände und wechselseitige Verhältnisse zu erheben und miteinander zu vergleichen seien. In diese Aufgabenstellung seien zudem die französischen, spanischen »etc.« Kirchen einzubeziehen. Neu an der Konzeption W achters ist nicht nur die materiale Ausweitung des Gesichtsfeldes und damit des Gegenstandsbereichs der statistica ecclesiastica, sondern auch der veränderte, methodologisch zu Buche schlagende Blick auf den religiösen und ekklesialen Pluralismus, und ineins damit das Postulat, diese Disziplin nach dem Geist des Zeitalters (ex genio hujus saeculi) umzugestalten und sie wissenschaftsenzyklopädisch auf eigene Füße zu stellen. So hatte D rey 1815 die Neugeburt dieser Disziplin im Katholizismus aus nächster Nähe miterlebt. Wenn man unter diesen Voraussetzungen den Text der vorliegenden Miszelle durchgeht, ist festzustellen, daß er sich familiariter in dem von W achter vermessenen Gelände bewegt und daß sie als Beitrag zu dem von seinem ehemaligen Ellwanger Kollegen umrissenen Projekt einzuschätzen ist. Im Hinblick auf diese Voraussetzungen ist auch zu erkennen, daß es sich z.B. bei den Misz. Nr. 6, 7, 11 und 14 der Sache nach gleichfalls um Beiträge zur Kirchlichen Statistik im Sinne W achters (und auch S chleier machers ) handelt. Daß D rey diesen Terminus trotzdem nicht übernommen hat, weder zur Rubrizierung dieser Beiträge, noch in der Fachnomenklatur der Kurzen Einleitung, bleibt einigermaßen verwunderlich. * D rey ist auffällig darauf bedacht, die Verläßlichkeit seines Gewährsmannes C saplovics herauszustellen. Er verweist darauf, daß diesem die historischpraeter alias disciplinas Statisticam ecclesiasticam publice docerem (4). Am Ende betont er noch einmal den amtlichen Charakter dieser »auf einen weisen Rat« (! ? ) zurückgehenden Anordnung: ... ut haec disciplina in nostra Fridericiana publice doceatur, sapientissimo consilio ordinatum fuisse ... (6) (Hervorhebungen nicht im Original). 16 Nach dem offiziellen Vorlesungsverzeichnis las W achter jeweils im zweiten Studienhalbjahr des II. Kurses dreistündig »Kirchliche Statistik mit besonderer Rücksicht auf das Königreich Württemberg« (vgl. dazu H aug , Geschichte der Friedrichsuniveristät (wie Einleitung zu Misz. Nr. 5, Anm. 5) 15). <?page no="719"?> 687 Misz. Nr. 16: Verhältnisse der nichtunirten griechischen Kirche (1829) statistische Literatur des österreichischen Kaiserstaates »genau bekannt« (198) und er mit den dortigen Verhältnissen durch einen dreijährigen Aufenthalt in der von C saplovics im Titel genannten Provinz, und zwar als Sekretär »bey dem erzbischöflichen Consistorium in Karlowitz«, vertraut sei. Auch habe dieser sich auf Reisen »durch Selbstsehen« von den Gegenständen, die er beschreibe, kundig gemacht. »Die wichtigsten Notitzen aber, die ich hier mittheile, sind in seinem Buch unmittelbar aus den Quellen, aus königlichen Privilegien und allerhöchsten Resolutionen, Landtags-Abschieden, Verordnungen der obersten Hofstellen, bischöflichen Archiven und andern öffentlichen Urkunden entnommen, und mit diesen belegt« (199). Dies »zu mehrerer Beglaubigung der folgenden Notitzen« (198). Die üppige Absicherung der Verläßlichkeit deutet darauf hin, daß D rey die Sache für entsprechend wichtig hielt. Ein weiteres Indiz für diese Bewertung liegt darin, daß D rey seinem Bericht die Form und damit auch das Gewicht einer Abhandlung gab. Er figuriert in der ThQ in Heft 2 des Jahrgangs 1829 jedenfalls in der Rubrik Abhandlungen, und darin an erster Stelle. Inhaltlich setzte D rey mit diesem Artikel allerdings nur die Serie seiner Berichte über kirchliche Verhältnisse und Zustände fort, für die es in der ThQ eigentlich eine besondere Rubrik gab 17 . Ihn in diesem Fall als Abhandlung auszugestalten und vorzulegen, war vielleicht ein Notbehelf, weil ihm als Schriftleiter geeignete Beiträge für den Abhandlungsteil des Heftes nicht zur Verfügung standen 18 , aber es war dennoch kein reiner Etikettenschwindel. D rey investierte einige Mühe darauf, aus der chaotischen Vorlage die seinem Vorhaben dienlichen Elemente herauszufiltern und sie mit systematisierender Kraft zu einem Ganzen zusammenzufügen. Es handelt sich bei seinem Text weder nur um eine Aneinanderreihung von Ausschrieben, noch hat sie den Charakter einer spiegelbildlich gerafften Wiedergabe der Vorlage. Die zehn Kapitelchen, in denen er die Verfassungsmerkmale konkretisiert und kategorial verortet, entsprechen zwar dem Inhalt der Vorlage, sind dort aber in der Fülle des Informationsmaterials verborgen. Indem D rey mehrfach darauf verweist, daß es sich bei der nichtunierten griechischen Kirche um eine Entität innerhalb des Kaiserreiches - und also 17 Mit Rücksicht auf die Zugehörigkeit des Artikels zu dieser Serie, die im vorliegenden Band der TüA in der Abteilung Miszellen zusammengefaßt sind, hat der Herausgeber sich entschlossen, ihn hier einzureihen, anstatt ihn allein deshalb, weil D rey ihn als Abhandlung ausgab, erst in einem späteren Band der TüA, der für die eigentlichen Abhandlungen D reys vorgesehen ist, unterzubringen. Damit ist zugleich dem Umstand Rechnung getragen, daß der Artikel der Sache nach zu jenem Sektor im theologischen Werk D reys gehört, in dem er sich als Beobachter zeitgeschichtlicher Verhältnisse und Zustände betätigte. 18 D rey beklagte sich in seinen Grundsätze für die reformierte Quartalschrift von 1826/ 27 und in seinem Brief vom 18. Dezember 1831 an die Mitherausgeber (siehe Text Nr. 7 (ThQ-Dokumente), Dokument Nr. 5 und Dokument Nr. 6 a) heftig über diesen notorischen Mangel. <?page no="720"?> 688 Miscellanea 1819-1835 nicht um eine fern abgelegene orientalische Sache - handelt, bringt er zum Ausdruck, daß der Gegenstand seines Berichts zur eigenen politischen, kulturellen und kirchlichen Lebenswelt gehört. Darin kommt das Nah-Angehende seiner Mitteilungen zum Ausdruck. Es werden zugleich »Verhältnisse« vor Augen geführt, die zur »Orthodoxie« (auch bezüglich der zu Recht in Anspruch genommenen Rechtgläubigkeit im Sinn des Dogmas) gehören (vgl. 196). Dabei geht es um Sachverhalte, die zu einem Vergleich mit den kirchlichen Verhältnissen in Deutschland einladen. Sie betreffen neuralgische Punkte in der Reformprogrammatik der deutschen Theologen, die mit dem römischen Zentralismus im Clinch liegen (z.B. Synodenfrage, Zölibat, freie Bischofswahlen, Ausübung der Metropolitangewalt, Kompetenzen der Ortskirchen, Freiheit der Religionsausübung im Verbund mit staatlichen Gesetzen und bürgerlichen Rechten). Die Horizonterweiterung führt zur Wahrnehmung rechtgläubiger Alternativen, die, der Vorsehung sei Dank, sich in innerer Freiheit entwickeln konnten. Das Fazit, das D rey am Ende zieht, ist kurz und von verhaltener Glut: »Wir zweifeln nicht, daß unsere Leser in dieser Darstellung der Verhältnisse der nichtunirten Kirche ebensowohl die wahrhaft liberalen und toleranten Maximen der österreichischen Regierung, welche weit entfernt von kleinlichem Mistrauen jener Kirche eine innere freye Bewegung gestattet, die man anderwärts selbst bey der herrschenden Kirche für gefährlich hält; als auch die Fortschritte mit Vergnügen [d.h. mit Zufriedenheit] bemerken werden, welche eben diese nichtunirte Kirche in diesen Verhältnissen in ihrer Entwicklung und Bildung gemacht hat, wozu sie wegen ihrer Freyheit den Impuls sich selbst geben konnte. Denn das liebt der menschliche Geist, und nur das auf solche Weise aus ihm selbst entsprossene gedeiht und trägt bleibende Früchte« (249-250). Hier angefügt sei ein erstes literarisches Echo auf den Artikel D reys . B enedikt A lois P flanz 19 , der helle und wache Beobachter des Zeitgeschehens, dem als Schüler D reys nicht entgangen sein konnte, daß es für D rey eine akademische Disziplin namens »Kirchliche Statistik« nicht gab, ging 1830 in einer Rezension, die den 11. Jahrgang der ThQ (1829) zum Gegenstand hatte, mit folgender Bemerkung auf den Artikel ein. Er sei »ein Auszug aus dem Werk des ungarischen Gelehrten Csaplovics [...] und ein sehr schätzbarer Beitrag zur kirchlichen Statistik, den gewiß Niemand ohne Interesse, aber auch nicht ohne den Wunsch lesen wird, daß so ein wichtiger Zweig der Theologie, wie die kirchliche Statistik ist, sowohl auf Universitäten als von Schriftstellern mehr beachtet werden möchte« 20 . Es spricht für P flanz , daß er 19 Zu ihm siehe Einleitung zu Text Nr. 1 (Revisionsschrift), Anm. 78. 20 In: Freymüthige Blätter über Theologie und Kirchenthum 1 (1830), Heft 1, 99-115, 104 (Hervorhebung nicht im Original). Es ist anzunehmen, daß P flanz sich über den Verfasser des anonymen Artikels im Klaren war. <?page no="721"?> 689 Misz. Nr. 16: Verhältnisse der nichtunirten griechischen Kirche (1829) die Zugehörigkeit des Dreyschen Artikels zur kirchlichen Statistik als eines so »wichtige[n] Zweig[es] der Theologie« erkannte und sich für eine stärkere Beachtung dieses Fachgebiets »auf Universitäten« und »von Schriftstellern« aussprach 21 . Ein verschlüsseltes Lob auf den Artikel D reys und seinen Autor wollte P flanz sich hier nicht versagen, aber die wirkliche Brisanz dieses Berichts hatte er wohl nicht ganz erfaßt. Teil B: Johann Sebastian Drey Von den Verhältnissen der nichtunirten griechischen Kirche 195 in den österreichischen Staaten. 10 Der Theolog erhält in der Kirchengeschichte und Dogmatik wohl eine Kenntniß der alten griechischen und morgenländischen Kirche bis auf die Zeit des großen Schisma; von dieser Periode an schweigen aber jene beyden Disciplinen beynahe gänzlich von der getrennten Kirche, theils wegen der Trennung selbst, theils weil diese Kirche bald nachher innerlich in eine gei- 15 stige Lethargie verfiel, also von ihr wenig zu sagen blieb, von außen aber in ihrem Terrän zuerst durch die Saracenen, später durch die Osmanen immer mehr eingeschränkt wurde, vorzüglich aber darum, weil vom 12ten Jahrhundert an in der abendländischen Kirche die Bewegungen beginnen, welche zu Anfang des 16ten eine noch schärfere Trennung in dieser selbst herbeyführ- 20 ten, so daß von dieser Zeit an der Gegensatz von Katholicismus und Protestantismus die abendländischen Theologen fast einzig beschäftigt, und die griechisch-morgenländische Kirche aus ihren Studien und Schriften verdrängt hat. Indessen hat die über dem Christenthum waltende Vorsehung diese 196 Kirche nicht vergessen, und zum Beweise, daß es ihr daran gelegen sey, auch 25 diese Kirchenform zu erhalten, hat sie den Gang der Dinge dahin geleitet, daß um dieselbe Zeit, wo die griechische Kirche in ihrem alten ursprünglichen Sitze in Asien durch den Islam immer enger zusammengepreßt wurde, sie sich im östlichen und nordöstlichen Europa auf einem eben so weiten Gebiet ausbreiten konnte. Beynahe alle die zahlreichen Stämme, mit alleiniger Aus- 30 nahme der westlichsten, jenes großen Volks der Slawen, dessen Eindringen bis in die Mitte von Europa mit den Eroberungen der Saracenen der Zeit nach fast zusammenfällt, haben das Christenthum von Konstantinopel aus, 21 Damit konnten nur katholisch-theologische Fakultäten und katholische Autoren gemeint sein, denn auf evangelischer Seite war die kirchliche Statistik längst zu einem Zweig der Theologie erhoben (siehe Anm. 8). <?page no="722"?> 690 Johann Sebastian Drey und damit zugleich die griechische Kirchenform erhalten; und wiewohl ein Theil dieser Völker sich nach und nach mit der abendländisch-römischen wieder vereinigt hat, so gehört doch der größere Theil der Slawen bis heute der nichtunirten griechischen Kirche an. Wiewohl nun in Beziehung auf die Dogmen zwischen den slawischen Kirchen und der alten griechischen Mut- 5 terkirche vollkommene Uebereinstimmung herrscht (auch die römischkatholische Kirche erkennt keine wahrhaft dogmatische Differenz zwischen ihr und jener an), so haben sich doch aus ihrer äußern Stellung und Lage mehrerlei Verschiedenheiten ergeben, die man wissen muß, wenn man sich von der Verfassung und den Verhältnissen der sich durchweg o r t h o d o x und o r i - 10 e n t a l i s c h nennenden Kirche einen genauen Begriff verschaffen will. So hat z. B. die griechische Mutterkirche dadurch, daß sie unter die Herrschaft der Mosle-min kam, an innerer Freyheit gewonnen, die russisch-slawische Kirche 197 dagegen bey äußerm Schutze seit Peter dem Großen an derselben Freyheit verloren. Diese Verschiedenheit, vielleicht noch weit mehr die politische Be- 15 deutsamkeit jenes großen Staates, der gewissermaßen die slavisch-griechische Kirche repräsentirt, mag die Veranlassung gewesen seyn, daß man in der jüngsten Zeit angefangen hat, der nichtunirten griechischen Kirche wieder seine Aufmerksamkeit zuzuwenden, was, vom Interesse dieses Gegenstandes abgesehen, auch schon darum gut seyn möchte, damit unsere deutschen 20 Theologen von der bis zur Gefahr der Selbstentzündung gesteigerten polemischen Hitze sich abkühlen, und die gewaltigen Disputatoren wieder zu Athem kommen können. In Beziehung auf den bisher besprochenen Gegenstand hat unsere Zeitschrift schon früher (Jahrg. 1823.) Nachrichten von dem Zustande der griechisch-russischen Kirche in ältester und neuester Zeit, und 25 eine Geschichte des russischen Metropoliten Isidor (von 1437-1443) und seines Versuches; die russische Kirche mit der römischkatholischen zu vereinigen mitgetheilt. Herr Prof. Strahl in Bonn, dem wir diese Mittheilungen verdankten, hat seitdem - » B e y t r ä g e z u r r u s s i s c h e n K i r c h e n g e s c h i c h t e - H a l l e , b . R e n g e r 1827.« herausgegeben, und zu einer von 30 ihm zu bearbeitenden ausführlichen Geschichte der russischen Kirche Hoffnung gemacht, in Ansehung deren wir aufrichtig wünschen, daß es ihm gelingen möge, sie zu erfüllen. Indem ich nun durch diese Anregungen in dem Bestreben, mit den besondern Verhältnissen der slawisch-grie-chischen 198 Kirche bekannter zu werden, noch mehr ermuntert, mich nach zuverläßigen 35 Nachrichten darüber umsehe, stieß ich auf eine schon im Jahr 1819 erschienene Schrift des Herrn Csaplovics: » S l a v o n i e n u n d z u m T h e i l C r o a t i e n . P e s t h b e y H a r t l e b e n ,« deren zweyter Theil weitläufig mit der Geschichte, Statistik und Verfassung der orientalischen, d. h. nichtunirten Kirche in der österreichischen Monarchie, mit dem Schulwesen und der 40 Literatur der S e r b l e r sich befaßt. Da man zumal bey dem entfernten Verlagsorte voraussetzen darf, daß diese für den Liebhaber der Kirchengeschichte <?page no="723"?> 691 Misz. Nr. 16: Verhältnisse der nichtunirten griechischen Kirche (1829) interessante Schrift dasselbe Schicksal gehabt haben dürfte, wie die meisten in Oestreich erscheinenden Schriften, nämlich in Deutschland nicht recht bekannt und gelesen zu werden, diese Voraussetzung wenigstens bey den meisten Lesern der Quartalschrift anzunehmen ist, so habe ich geglaubt, daß es diesen nicht minder angenehm und für die Bereicherung ihrer kirchenge- 5 schichtlichen Kenntnisse dienlich seyn dürfte, unter der voranstehenden Aufschrift, einen Auszug des Wichtigsten aus ebengenannter Schrift zu lesen, als die Lektür des Ganzen angenehm und belehrend für mich war. Sollte sich durch diese Art von Anzeige ein Freund der Kirchengeschichte veranlaßt finden, daß Buch selbst zu lesen, desto besser. 10 Zu mehrerer Beglaubigung der folgenden Notitzen bemerke ich, daß mein Gewährsmann H. v. Csaplovics, ein geborner Ungar, übrigens Protestant, nicht nur mit der historisch-statistischen Literatur des österreichischen Kaiserstaats genau bekannt ist, sondern drey Jahre sich in der auf dem Titel 199 genannten Provinz, und zwar als Sekretär bey dem erzbischöflichen Consi- 15 storium in Karlowitz aufgehalten, auch sonst auf Reisen durch Selbstsehen von den Gegenständen, die er beschreibt, sich unterrichtet hat. Die wichtigsten Notitzen aber, die ich hier mittheile, sind in seinem Buch unmittelbar aus den Quellen, aus königlichen Privilegien und allerhöchsten Resolutionen, Landtags-Abschieden, Verordnungen der obersten Hofstellen, bischöflichen 20 Archiven und andern öffentlichen Urkunden entnommen, und mit diesen belegt. I. Bestand der nichtunirten griechischen Kirche nach der Volkszahl. Nach der Verschiedenheit der Völkerschaften bestehen die Anhänger dieser Kirche aus mehreren Nationen, meistens slavischen Ursprungs, als Serben, 25 Wlachen, Bulgaren, Albanesern, auch mehrern Nationalgriechen meistens aus Macedonien und Albanien. Der gemeine Sprachgebrauch, der für das Manchfaltige gern einen gemeinsamen Ausdruck sucht, und diesen von dem Hervorstechenden oder der Mehrheit hernimmt, bezeichnet deswegen diese Nichtunirten mit dem Namen Serbler und Walachen, weil bey weitem der 30 größte Theil jener aus diesen beyden Völkerschaften besteht. In Ungarn nennt man sie durchweg Raatzen oder Raiczen, selbst die Katholiken vom griechischen Ritus nennt man so, weil die Serben in der Geschichte anfänglich unter dem Namen Rascii vorkommen, und in den mittlern Jahr-hunderten der 200 Theil von Serwien zwischen dem Timok und der Morawa Rascia genannt 35 wurde. In den kaiserlichen Freybriefen von Leopold I., Joseph I., Karl VI. heißen sie populus Servianus et Rascianus, unter der Kaiserin Theresia urkundlich die getreue und vielgeliebte illyrische Nation, welche letztere Benennungen so wie die Privilegien sich jedoch nur auf die Ansiedler im Königreich Ungarn und den dazu gerechneten Ländern, Croatien, Slawinien und Banat 40 beziehen. <?page no="724"?> 692 Johann Sebastian Drey Die Volksmenge aller Nichtunirten, ohne Unterschied der Völkerschaften, kann gegenwärtig auf 2,400,000 Seelen angeschlagen werden. Denn nach den neuesten, von Seite der Geistlichkeit vollzogenen, Volkszählungen in den zum vereinigten Königreich Ungarn gehörigen acht Eparchien war der Stand der nichtunirten Bevölkerung folgender: 5 Erzbisthum Karlowitz (J. 1812) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148,945 Seelen Bisthum Arad (J. 1812) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346,696 - − Karlstadt (J. 1813) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174,370 - − Neusatz oder Ba´cs (J. 1814) . . . . . . . . . . . . . . . . 106,116 - − Ofen (J. 1811) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23,548 - 10 − Pakracz (J. 1814) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99,086 - − Temeswar (J. 1812) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386,690 - − Wersecz (J. 1817) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251,586 - hiezu kommen noch außer Ungarn Bisthum Sebenigo im K.R. Illyrien (J. 1817) . . . . . . . . . . 59,353 - 15 − Hermanstadt in Siebenbürgen . . . . . . . . . . . . . . 540,000 - − Czernowitz i. d. Bukowina . . . . . . . . . . . . . . . . . 220,000 - Summa 2,356,370 Seelen. Da man annehmen kann, daß in den Eparchien von Ungarn und Dalmatien 201 seit der zuletzt angegebenen Zählung die Bevölkerung noch zugenommen 20 habe, und andere statistische Angaben aus früherer Zeit die nichtunirte Volksmenge in Siebenbürgen auf 588,076 setzen, so möchte die obige runde Summe eher unter als über der Wirklichkeit stehen. Aus der Volkszahl der einzelnen Bisthümer läßt sich zugleich entnehmen, wie die Nichtunirten in Oesterreich nach den verschiedenen Ländern vertheilt sind. Bey den nicht 25 ungrischen ist es von selbst klar, bey den ungrischen hat man sich blos zu merken, daß Temeswar und Werschetz das Banat, Carlstadt Croatien, Carlowitz und Pakracz Slavonien repräsentirt, außer daß die Pakraczer Diöcese auch über einen Theil von Croatien sich erstreckt, die übrigen gehören dem eigentlichen Ungarn an. 30 Daß die Nichtunirten fast durchaus die Gränzbezirke bewohnen, und namentlich die weitgestreckte österreichische Militärgränze beynahe ganz von ihnen gebildet wird, ist die natürliche Folge davon, daß sie die Nachkommen von Einwanderern aus türkischen Provinzen sind, denen die Könige von Ungarn gegen Uebernahme der Gränzvertheidigung das Gränzland anwiesen. 35 Schon im Jahre 1427, als der Despota von Servien und Rascien, Georg Brancovics, dem König Sigmund Belgrad nebst seinen übrigen Besitzungen abtrat, und dafür ansehnliche Herrschaften in Ungarn erhielt, folgten ihm viele Serben und liessen sich auf seinen Besitzungen nieder. Im Jahre 1481 brachte der Knez Pa´wo, Commandant von Temeswar, durch einen Streifzug 40 nach Servien und Bulgarien über 50,000 Colonisten herüber. Auf der andern 202 Seite waren vor und nach der Schlacht bey Mohacz i. J. 1526 mehrere Tausend <?page no="725"?> 693 Misz. Nr. 16: Verhältnisse der nichtunirten griechischen Kirche (1829) griechische Christen aus Bosnien und Macedonien eingewandert, aus denen das Warasdiner und Karlstädter Generalat erwachsen ist. Im Jahr 1689 führte Georg Brancovics einen neuen Haufen Servier herüber; die stärkste Einwanderung erfolgte aber im nächsten Jahre darauf unter Anführung des serbischen Patriarchen Arsenius Csernovics 1 , der nicht weniger als 36,000 Familien 5 aus Servien und Albanien nach Sirmien, Slavonien und bis nach Ofen hinauf verpflanzte. Minder zahlreiche Einwanderungen erfolgten in den spätern Türkenkriegen, namentlich 1737, wo der letzte Patriarch von Jpek, Arsenius Joannovics, um nicht von den Türken verbrannt zu werden, mit 1200 Albanesern sich flüchtete, und als erster Erzbischof von Carlowitz die dortige 10 Residenz erbaute. II. Hierarchie. - Bisthümer und Bischöfe. Aus dem Voranstehenden sieht man, daß unter den Einwanderern nicht nur Geistliche und Bischöfe der Serben waren, sondern diese die Einwanderungen selbst leiteten. Die einwandernden Völkerhaufen brachten also ihre Hierar- 15 chie, ihre Bischöfe und Priester mit, und pflanzten sie im neuen Vaterland auf; wie hätten sie auch bey ihrer strengen Kirchlichkeit ohne solche Hirten seyn können? Indessen konnten in den ersten Zeiten nach der Einwanderung diese Bischöfe weder bestimmte bleibende Wohnsitze, noch bestimmte Umschrei- 203 bungen ihrer Sprengel haben. Während der langen Periode der türkischen 20 Einfälle und Eroberungen in Ungarn wurden manche bedeutende Städte und Festen verwüstet und stiegen nie wieder auf, in ruhigen Zeiten erhoben sich dagegen neue Orte zu großer Bedeutenheit, unter den Kriegsunruhen zogen sich wohl die Bischöfe größerer Sicherheit wegen gern in die festesten Plätze, überhaupt solang die Einwanderungen griechischer Christen, und damit die 25 Ländervertheilung, die Versetzung der Colonisten fortdauerten, konnten die Bischöfe weder unveränderliche Sitze, noch die Diöcesen unveränderliche Gränzen besitzen. Dieß zeigt sich auch in der Privilegien-Urkunde Leopold des Ersten vom Jahre 1695, wo die damaligen Bischöfe der Rascianischen Nation namentlich mit ihren Bischofssitzen, den alten und neuen oder auch 30 combinirten, aufgeführt sind. Es werden nämlich da genannt außer dem Patriarchen Arsenius Csernovics: Isaias Diacovich Temesvariensis, Jenopolitanus; Stephanus Metoviach Carolostadiensis et Zrinopoliensis; Jephtimias Drobnyak Szegediensis; Jephtimias Popovich Budensis et Alba-Regalensis; Jephtimias Tetovacs Mohacsiensis, Szigethiensis; Spiridion Stibicza Versacsiensis; et Jephrem Benianin Va- 35 radinensis et Agriensis. Von den hier genannten Orten haben Boros-Jenö, Zrin, Szegedin, Stuhlweisenburg, Moha´cs, Szigeth, Großwardein keine Bischöfe mehr, nur Temeswar, Karlstadt, Ofen, und Werschetz sind bischöfliche Sitze geblieben, und anstatt der eingegangenen neue hinzugekommen, worüber hier noch einiges mitgetheilt wird. 40 1 Vorlage: Csnernovics <?page no="726"?> 694 Johann Sebastian Drey 1. E r z b i s t h u m C a r l o w i t z . Die Serben hatten nach ihrer Bekehrung 204 zum Christenthum neben Bischöfen auch einen Erzbischof oder Metropoliten, der ihnen eben so wie den Russen jedesmal vom Patriarchen zu Konstantinopel zugeschickt wurde, und von Geburt ein Grieche war. Im Jahre 1206 erhielten sie vom griechischen Kaiser und dem Patriarchen, daß sie ihren 5 Metropoliten aus ihrer Nation wählen durften, welchen dann der Patriarch bestätigte. Dieß dauerte bis zum Jahre 1340, wo der große Herrscher von Servien, Stephan Duschan der Starke, der sich den Kaisertitel beylegte, auf dem Reichstage zu Skopia, unter Zustimmung seiner Geistlichkeit und der Stände, den bisherigen Metropoliten zum unabhängigen Patriarchen von Ser- 10 vien erklärte, welcher sofort Stephan zum Kaiser salbte. Hierüber legte der Patriarch von Konstantinopel den Bann auf den Kaiser Stephan, seinen Patriarchen und das ganze Land, welches auch über 30 Jahre unter demselben blieb. Erst im Jahre 1376 wurde der Friede zwischen der griechischen Kirche und der serbischen vermittelt, und diese behielt nun mit Zustimmung jener 15 ihren eigenen Patriarchen, welcher zu Jpek in Albanien seinen Sitz aufschlug. Der oben genannte Patriarch Arsenius Csernovics übertrug mit einem ansehnlichen Theil der Nation auch die kirchliche Primatialwürde nach Slavonien, doch blieben zu Jpek noch Patriarchen bis auf Arsenius Joannovics, der im Jahre 1737 die Reihe schloß, und den serbischen Patriarchenstuhl definitiv 20 nach Ungarn versetzte. Dieß ist der kirchenrechtliche Ursprung des Carlowitzer Erzbisthums als Mittelpunkts der nichtunirten Kirche im Königreich 205 Ungarn. Die Erzbischöfe machten jedoch keinen Anspruch auf den Patriarchentitel ihrer Vorgänger in Servien, welchen ihnen zu bewilligen die Könige von Ungarn vielleicht Anstand genommen haben dürften. - Doch war Car- 25 lowitz, welches selbst erst durch die eingewanderten Servier entstand, nicht gleich Anfangs Sitz der Erzbischöfe. Vielmehr scheinen in den ersten Zeiten der Einwanderung die Bischöfe von Pakracs sich als die Oberhäupter der nichtunirten Kirche gerirt zu haben, denn nicht nur ist dieses Bisthum eines der ältesten, da es urkundlich schon 1524 vorkommt, sondern es schrieben 30 sich auch mehrere Bischöfe, während der Türkenherrschaft in Niederungarn, zugleich Metropoliten von Possega, vermuthlich weil sie damals in dieser Stadt residirten. Aber auch der erste kanonische Erzbischof, der Patriarch A. Csernovics wohnte nicht in Carlowitz, sondern in St. Andrä bey Ofen; seine beyden Nachfolger im Kloster Krussedol, zwey Stunden von Carlowitz, nach 35 dem Passarowitzer Frieden, durch welchen Servien österreichisch wurde, wurde Belgrad Sitz des Erzbischofs, bis nach dem Belgrader Friedensschluß i. J. 1739 der Erzbischof A. Joannovics die erste bischöfliche Residenz in Carlowitz erbaute, die i. J. 1788 abbrannte, und bis jetzt nicht vollkommen hergestellt ist. 40 Unter der geistlichen Jurisdiction des Erzbischofs von Carlowitz stunden seit 1690 die oben genannten sieben Bisthümer innerhalb des Königreichs <?page no="727"?> 695 Misz. Nr. 16: Verhältnisse der nichtunirten griechischen Kirche (1829) Ungarn; die nichtunirten Bischöfe von Siebenbürgen, Bukowina und Dalmatien stunden wegen der frühern politischen Verhältnisse dieser Länder in 206 einem andern kirchlichen Nexus, wurden aber in neuerer und neuester Zeit in disciplinaribus et dogmaticis ebenfalls unter den Erzbischof von Karlowitz gestellt, so daß dieser nun als das Oberhaupt der nichtunirten Kirche in der 5 ganzen österreichischen Monarchie zu betrachten ist, und diese Kirche selbst, die Erzdiöcese mit eingeschlossen, aus eilf Bisthümern besteht. - Der Diöcesan-Sprengel von Carlowitz erstreckt sich über S i r m i e n , d. i. den östlichen Theil von Slavonien, mit den in der alten oder neuen Geschichte berühmten Orten: Essek, das alte Mursia; Mitrowitz, eigentlich Dmitrowitza, 10 das alte Sirmium; Slankemen durch den großen Sieg berühmt, Peterwardein die stärkste Festung in Ungarn, Semlin das alte Taurunum (S. Wiener Jahrb. der Lit. XLII. Bd. 2 Iter per Pannon. Friderici I. imper. - Seit A. Csernovics zählt man 13 Erzbischöfe, darunter mehrere durch vielfache Verdienste ausgezeichnete Prälaten: der gegenwärtige (1818) Erzbischof ist H. Stephan v. Strati- 15 mirovics, Edler von Kulpin, k. k. wirklicher geheimer Rath (mit dem Prädicat Excellenz) und des k. St. Leopold Ordens Großkreutz, seit 1791. 2. P a k r a c z e r B i s t h u m - eines der ältesten, begreift das westliche Slavonien, oder das Posseganer und Veröczer Comitat nebst dem Gradiscaner Gränzregiment, und in Croatien zwischen der Drave und Save das Warasdiner 20 Generalat, oder die Bezirke des Kreutzer und St. Georger Gr. Regiments. Seit 1690 zählt man ebenfalls 13 Bischöfe. Der gegenwärtige ist H. Joseph v. Putnik, mit 32 Jahren zum Bischof gewählt i. J. 1808. 3. B i s t h u m K a r l s t a d t in Croatien auf dem rechten Ufer der Save; dazu 207 gehören vornehmlich die Gränzbezirke des croatischen Banats und der Lic- 25 caner, Sluiner. Ottochaner, und Oguliner. Der Bischof wohnte sonst zu Plassky, einem Dorfe 7 Stunden von Karlstadt, unter Joseph II. wurde aber eine schöne bischöfliche Wohnung in der Stadt gebauet. Der jetzige Bischof ist H. Miokovics. 4. B i s t h u m We r s c h e t z im Temeswarer Banat, dessen südlichen, gegen 30 die Donau gelegenen Theil es umfaßt. Unter der oben angegebenen Seelenzahl sind 200,000 Walachen. Dieser Bischof hat die schönste Residenz unter seinen Collegen. Der letzte war H. Peter Joannovics v. Vidak, k. k. wirklicher geheimer Rath, gest. d. 21. Dec. 1818. 5. B i s t h u m Te m e s w a r - erstreckt sich über den nördlichen Theil des 35 Banats gegen den Marosch. Dieses Bisthum ist nach dem Erzbisthum das einträglichste; es zählt ebenfalls gegen 150,000 Walachen. Der Bischof ist H. Stephan v. Avakumoviks, k. k. wirklicher geheimer Rath. 6. B i s t h u m A r a d , ehemals Großwardein, dehnt sich über die auf der rechten Seite des Marosch gelegenen ungarischen Comitate und in Sieben- 40 2 Schließende Klammer fehlt <?page no="728"?> 696 Johann Sebastian Drey bürgen über die Zarander und Hunyader Gespannschaft aus. Die Bisthums Angehörigen sind fast lauter Walachen. Es war im Jahr 1818 erledigt. 7. B i s t h u m B a´ c s - ehemals Szegedin verbreitet sich über mehrere Gespanschaften zwischen der Theiß und Donau. Der Bischof wohnt in Neusaz; 208 der gegenwärtige ist H. Gedeon v. Petrovics. 5 8. B i s t h u m O f e n begreift die tiefer in Ungarn zerstreuten, aber nirgends zahlreichen Nichtunirten, daher es bey der größten räumlichen Ausdehnung doch nach der Seelenzahl das auffallend kleinste ist. Die bischöfliche Wohnung in St. Andrä ist baufällig, daher der jetzige Bischof, H. Dionys von Popovics in seinem eigenen Hause zu Ofen wohnt. 10 9. D a s B i s t h u m H e r m a n s t a d t umfaßt mit obiger Ausnahme ganz Siebenbürgen, und ist sowohl darum, als wegen der überwiegenden Zahl der Walachen in diesem Lande unter allen das größte. Der jetzige Bischof heißt Basilius Moga. 10. B i s t h u m C s e r n o w i t z begreift beynahe die ganze Bevölkerung der 15 Bukowina, da mit Ausnahme der Beamten und des Militärs, wegen der frühern Verbindung mit der Moldau, Alles der griechischen Kirche zugethan ist. Wirklicher Bischof H. Daniel Wlahovics. 11. B i s t h u m S e b e n i g o begreift vorzüglich das ehemals venetianische Dalmatien mit Iscrivia oder Cattaro, und einigen hundert Nichtunirten in 20 Ragusa und Istrien. Gegenwärtig ist Bischof H. Benedict von Kragliewics. III. Pfarreyen und Pfarrer. Die niedere Geistlichkeit der serbischen, wie der griechischen Kirche überhaupt, besteht aus Diakonen und Priestern, aber die letzten allein sind Pfarrer, und verrichten alle pfarr-liche Handlungen, predigen, taufen, spenden die 25 209 übrigen Sacramente aus, und führen die Aufsicht über die Gemeinde; keine dieser Verrichtungen ist dem Diakon erlaubt. Aber nach dem griechischen Ritus ist er eine nothwendige Person in der heiligen Liturgie, indem er nicht nur alles dazu Nöthige an Gefäßen, Opfergaben u. s. w. dem Priester zurichtet, sondern auch die Gemeinde auf alle Theile der heil. Handlung aufmerk- 30 sam macht, und selbst dem Bischof oder Priester den Gegenstand und Inhalt der von diesem zu sprechenden Gebete und Segnungen vorspricht. Daher finden sich an den Pfarreyen in Städten und auch auf dem Lande, wo das Einkommen zu Bestreitung eines ganz ritualgemäßen Cultus zureicht, ein oder mehrere Diakone angestellt; so hat z. B. die Carlowitzer Diöcese auf 150 35 Pfarrer, 90 Diacone (Weltgeistliche, nicht Mönche). Außer dem Altardienste liegt den Diaconen aber auch der katechetische, an manchen Orten der gesammte Schul-Unterricht, und wo Gymnasien sind, auch das Lehramt an diesen ob. In Beziehung auf das Pfarramt sind daher die Diakone als Candidaten oder Aspiranten zu betrachten. 40 <?page no="729"?> 697 Misz. Nr. 16: Verhältnisse der nichtunirten griechischen Kirche (1829) Unter den Pfarrern giebt es P r o t o p o p e n (In Rußland P r o t o h i e r e i ). - Erzpriester, die nach ihrem Range unsern Dekanen gleichkommen. Diese Würde ist theils eine bloße Auszeichnung, wie bey den Pfarrern in Städten, wo sich kein Bischof befindet, theils ein Amt, dessen wesentliches Geschäft darin besteht, die Gebühren, welche jeder Pfarrer dem Bischof jährlich zu 5 entrichten hat, zu berechnen, einzuziehen und einzuschicken. Von einem Aufsichts-Recht über die Pfarrer hab ich in der angezeigten Schrift nichts 210 gefunden, vielmehr visitiren die Bischöfe ihre Diöcesen selbst. Uebrigens ist das Protopopiat die höchste Würde, die ein (verheuratheter) Weltgeistlicher in der griechischen Kirche erreichen kann. Geht er aber nach dem Tode seiner 10 Frau in ein Kloster, so kann er ebenfalls Archimandrit und auch Bischof werden, wie das mit den vorgenannten Bischöfen von Ofen und Czernowitz wirklich der Fall ist. Die Anzahl der Protopopen richtet sich theils nach dem Umfang der Diöcese, theils nach der Menge bedeutender Orte in derselben. So hat z. B. die Pakraczer Diöcese deren 9, die Dalmatiner 10, die Sieben- 15 bürger 34. Die Zahl der Pfarreien, die L o k a l - C u r a t i e n mitgerechnet, denn das hierauf sich beziehende Gesetz Josephs des Zweyten v. J. 1783 wurde auch in der griechischen Kirche durchgeführt, - nebst der Zahl der Pfarrgeistlichen sammt den Diakonen war nach der Conscription von 1797 in den eilf Diöcesen folgende: 20 Diöcese. Hauptpfarren. Pf. überhaupt. Geistliche. Carlowitz . . . 140 . . . . . . . . . . 150 . . . . . . . . . . 243 . . . . . . . . Pakracs . . . . . 100 . . . . . . . . . . 146 . . . . . . . . . . 167 . . . . . . . . Karlstadt . . . 138 . . . . . . . . . . 159 . . . . . . . . . . 240 . . . . . . . . Wersecs . . . . . 249 . . . . . . . . . . 249 . . . . . . . . . . 459 . . . . . . . . 25 Temeswar . . . 309 . . . . . . . . . . 319 . . . . . . . . . . 650 . . . . . . . . Arad . . . . . . . 487 . . . . . . . . . . 511 . . . . . . . . . . 753 . . . . . . . . Ba`cs . . . . . . . 61 . . . . . . . . . . 70 . . . . . . . . . . 153 . . . . . . . . Ofen . . . . . . . 53 . . . . . . . . . . 64 . . . . . . . . . . 69 . . . . . . . . Hermanstadt . x . . . . . . . . . . 900 . . . . . . . . . 1200 wenigst. 30 Csernovics . . 211 . . . . . . . . . . 256 . . . . . . . . . . 330 wenigst. 211 Sebenigo . . . 120 . . . . . . . . . 189 . . . . . . . . . 200 i. J. 1818. Summe . . 1879 + x . . . . . 3002 . . . . . . . . . 4464 . . . . . . . . Bey den drey letzten Diöcesen ist die Gesamtzahl der Geistlichen durch Schätzung bestimmt, weil ich ihre Diakone nirgends angegeben fand. Aber 35 auch der wirkliche Bestand der Pfarreien und Kirchen dürfte die voranstehende ältere Angabe um ein bedeutendes übersteigen, da die besondere Sorgfalt, welche Kaiser Franz der geistigen Bildung seiner Unterthanen vom griechischen Ritus schenkt, sich vorzüglich durch Errichtung neuer Pfarreien und Schulen bethätigt. Durch diese väterliche Fürsorge hatte sich vom J. 1797 40 bis 1817 in der kleinen Pakraczer Diöcese die Zahl der Pfarreien um 10 vermehrt. Wenn Aehnliches in den übrigen Bisthümern geschehen ist, so steht jetzt die Gesammtzahl der Pfarreien um ein Bedeutendes über obiger Angabe. <?page no="730"?> 698 Johann Sebastian Drey IV. Klöster. Da das Mönchthum in der griechischen Kirche seinen Ursprung genommen, und sich dort bis jetzt ziemlich unangefochten erhalten hat, so dürfen wir uns nicht wundern, in einer Filiale derselben, obwohl einer ziemlich jungen Filiale, verhältnißmäßig viele Klöster anzutreffen. Aber das erregt Verwunde- 5 rung, daß diese Klöster unter so ungünstigen Verhältnissen entstehen konnten. Tausende von Eingebornen des im 14ten und 15ten Jahrhundert mächtigen Reichs der Serben verlassen nach und nach vor dem Andrange der 212 Osmanen ihre Heimat, und wandern mit Hinterlassung des größten Theils ihrer Habe nach Ungarn ein, müssen hier zuerst um ein Unterkommen be- 10 sorgt seyn, werden, als sie es kaum gefunden, von ihren Drängern auch hier erreicht, noch über hundert Jahre beunruhigt, ja sogar beherrscht, und erneuern dennoch die gewohnten klösterlichen Institute ihrer alten Heimat. Wie auch Jemand vom Mönchthume denken mag, so muß er doch in dieser Erscheinung die Kraft des religiösen Glaubens ehren und bewundern. Frei- 15 lich wurden sie in ruhigen Zeiten von der neuen Regierung wesentlich unterstützt, eigenthümliche Terräne den meisten Klöstern aus den königlichen Kameralgütern angewiesen, und Abgabenfreyheit bewilligt. Der Eifer der Kirchengenossen trug ebenfalls bey, der Fleiß der Mönche bebaute den verödeten Boden, und aus den Knechten, mit deren Hülfe sie ihre Felder bauten, 20 entstanden fast um jedes Kloster einige Dörfer, auch bis zu 50 und 60 Häusern, die auch von einwandernden Bosniern oder Serviern Zuwachs erhielten. So besaßen alle Klöster grundherrliche Rechte, doch nur eines - Gergetek - hat eine eigene Stimme in den Comitats-Versammlungen, die übrigen zusammen ebenfalls eine. Aber seit der Mitte des vorigen Jahrhun- 25 derts ist ihr Wohlstand im Sinken, und damit der Flor des Mönchthums selbst. Durch die Veräußerung der Kameralgüter wurden die Klöster in Streitigkeiten mit den neuen Grundherren verwickelt, hierauf ihre Güter mit Reallasten zu Gunsten der letztern beschwert; im Jahr 1775 ze-hen Klöster 213 aufgehoben, vier Jahre nachher die Sammlung von milden Gaben untersagt, 30 und endlich schien auch der Geist der neuern Zeit bis in jene von dem aufgeklärten Europa abgelegne Provinzen vordringen zu wollen. Wenn auch die Zahl der Klöster seit der Josephinischen Zeit nicht mehr abgenommen hat, so ist doch die Zahl der Mönche im Abnehmen. Wenn junge Männer von besserer Erziehung in ein Kloster gehen, so geschieht es in der Aussicht auf 35 höhere Kirchenstellen, welche in der ganzen griechischen Kirche nur an Mönche vergeben werden; den größern Theil ihrer Bevölkerung erhalten aber diese Klöster an alten Pfarrern und Schullehrern, welche als Wittwer gern eine solche Zufluchtstätte aufsuchen, weil für diese Kirchendiener keine Pensionsanstalt besteht; ein Grund für die Regierung, die Klöster unter diesem 40 Gesichtspunkt fortbestehen zu lassen. <?page no="731"?> 699 Misz. Nr. 16: Verhältnisse der nichtunirten griechischen Kirche (1829) Nach der obgemeldten Reduction der Klöster in Slavonien, und nachdem in Siebenbürgen gar kein Kloster mehr vorhanden ist, (monasterriis et monachis in tota Dioecesi penitus sublatis: Worte des H. Bischofs) war die Zahl und der Bestand der Klöster an Mönchen, im Jahr 1818, wie folgt: Bisthum. Klöster. Mönche. 5 Carlowitz . . . . . . . . . . . 13 . . . . . . . . . . . 96 Pakracz . . . . . . . . . . . . 3 . . . . . . . . . . . 24 Karlstadt . . . . . . . . . . . 1 . . . . . . . . . . . 10 Wersecs . . . . . . . . . . . . 2 . . . . . . . . . . . 12 Temeswar . . . . . . . . . . 3 . . . . . . . . . . . 24 10 Arad . . . . . . . . . . . . . . 1 . . . . . . . . . . . 13 Ba´cs . . . . . . . . . . . . . . . 2 . . . . . . . . . . . 17 214 Ofen . . . . . . . . . . . . . . 1 . . . . . . . . . . . 5 Dalmatien . . . . . . . . . . 11 . . . . . . . . . . . 65 Bukowina . . . . . . . . . . 5 . . . . . . . . unbekannt. 15 Es sind demnach mit Einschluß der Bukowina 42 Klöster, und ohne die letzte 266 Mönche, also kommen im Durchschnitt etwa 7 Mönche auf ein Kloster, ein Mißverhältniß, welches bald noch auffallender werden wird, da z. B. in den 13 Klöstern Sirmiens die Zahl der Mönche innerhalb 12 Jahren von 113 auf 96 herabgesunken ist. Uebrigens sind diese Klöster bis auf Eines Manns- 20 klöster. Ihre innere Verfassung ist dieselbe, wie in den griechischen Klöstern. Die Mönche befolgen die Regeln des heil. Basilius, welche im J. 1733 von dem Erzbischof Vincenz Johannovics den Localumständen angepaßt wurden. Den größern oder reichern Klöstern steht ein Archimandrit, den kleinern ein dem 25 erstern untergeordneter Igumen ( η ë γεμενος ) vor, welche Würden dem Abbt und Prior der lateinischen Klöster entsprechen. Die Bestellung der Archimandriten geschieht auf Vorschlag des Diöcesan-Bischofs durch den Erzbischof unter Zustimmung zweier anderer Bischöfe; der Igumen wird vom Klosterconvent gewählt, und vom Bischof bestätigt. Die Mönche fasten, wie 30 die griechischen, fast das ganze Jahr, und strenge, den Chor halten sie täglich nach der Weise wie die abendländischen, an Sonn- und Festtagen aber den pfarrlichen Gottesdienst für die Kloster-Unterthanen; in der Pakratscher Diöcese werden sie auch außer dem Kloster als Pfarrer angestellt. Die Probezeit 215 für den Novitzen (Monach) dauert drey Jahre, die Aufnahme geschieht unter 35 Einwilligung des Bischofs durch den Vorsteher; der Aufgenommene heißt nun Ipodiacon oder Klerik. Nach zurückgelegtem 25ten Jahr wird er zum Diakon geweiht, und später zum Priester (Hieromonach, Kaluger). Die Vorzüge der Mönche sind, daß wegen des auch in der griechischen Kirche gesetzlichen Cälibats der höhern Geistlichkeit, die Bischöfe und die ihren 40 Rath bildenden Prälaten nur aus den Mönchen genommen werden. <?page no="732"?> 700 Johann Sebastian Drey V. Kirchenrecht und Verfassung. Die Einwanderung der Serben, und ihre Aufnahme in das Königreich Ungarn erfolgte unter Zugrundlegung von Bedingungen, welche die Natur eines Vertrags hatten, aber im Verhältnisse neuer Unterthanen zu der neuen Regierung Privilegien genannt wurden. Dergleichen erhielten die frühern Einwan- 5 derer schon unter Matthias Corvinus und Wladislaw II., reichlicher und bestimmter gab sie den spätern Einwanderern Leopold I. in drey Urkunden von den Jahren 1690. 1691. 1695, welche von den nachfolgenden Regenten Joseph I. i. J. 1706, Karl VI. i. J. 1713, und von M. Theresia i. J. 1743 bestätigt wurden. Diese Privilegien wurden in dem letztgenannten Jahre vollständig 10 gesammelt und gedruckt, 18 Bogen in Fol., und bilden die ursprüngliche Grundlage sowohl des bürgerlichen als kirchlichen Rechts der Serben. Wir führen in Beziehung auf das letztere folgende Einzelheiten an: die freye 216 Religionsübung nach den Gesetzen und Gebräuchen der morgenländischen Kirche - den alten Kalender nicht vergessen; die freye Wahl des Erzbischofs 15 durch die geistlichen und weltlichen Stände der Nation; für den Erzbischof die freye Ausübung seiner Metropolitangewalt nach den Canones der griechischen Kirche, in allen Beziehungen, namentlich in Beziehung der Aufstellung von Bischöfen, und das Visitationsrecht; dieselbe Freyheit für die Uebung der bischöflichen Rechte; für die ganze serbische Kirche in ihren 20 besondern Ständen das ungestörte Eigenthums- und Verwaltungsrecht ihrer Güter; Personal-Immunität der Geistlichkeit; der Bezug von Stol- und ähnlichen Gebühren; die Befreyung der Nation von der Zehendreichung, außer an ihren Erzbischof, u. s. w. Indessen führte die Entwickelung der Verhältnisse, Collisionsfälle und 25 daraus erwachsene Beschwerden und Petitionen, die Nothwendigkeit genauerer Erörterungen und Bestimmungen herbei, wozu mehr als ein Versuch gemacht wurde; zuerst durch das R e g u l a m e n t u m P r i v i l e g i o r u m dd. 27. Sept. 1770; hierauf durch ein z w e y t e s R e g l e m e n t v. 1777; und weil dagegen Vorstellungen erhoben wurden, erfolgte ein weitläufiges E r l ä u t e - 30 r u n g s r e s c r i p t im J. 1779, welches alle kirchlichen Verhältnisse mit Ausnahme der kirchlichen Gerichtsbarkeit umfaßte, deren Normen durch die C o n s i s t o r i a l - O r d n u n g im J. 1782 bestimmt wurden. Endlich auf dem Reichstage 1791 wurden durch den 27. Artikel die Nichtunirten in Ansehung ihrer bürgerlichen Rechte andern ungarischen Reichsbürgern vollkommen 35 gleich gestellt, und in Folge dessen im nächsten Jahre durch das 10. Gesetz 217 dem Erzbischof und den Bischöfen Sitz und Stimme auf dem Landtage, wie den Katholischen eingeräumt. Die drey zuletzt genannten Akten, das Erläuterungsrescript, die Consistorialordnung und die Inarticulirung bilden das neuere, genauer bestimmte Kirchenrecht der nichtunirten Kirche in der 40 östreichischen Monarchie, woraus wir folgende Hauptpunkte ihrer Verfassung ausheben. <?page no="733"?> 701 Misz. Nr. 16: Verhältnisse der nichtunirten griechischen Kirche (1829) 1. D e r N a t i o n a l c o n g r e ß - die alte Volksversammlung der Serben, tritt nicht zu bestimmten Zeiten, sondern bey besondern Anläßen, aber jederzeit nach eingeholter allerhöchster Bewilligung, welche der Erzbischof als der erste Mann der Nation und in Erledigungsfällen der Administrator des Erzbisthums nachsucht, am Sitze desselben zusammen. Die Nation repräsen- 5 tirt sich auf demselben in der neuern Zeit durch ihre vier Körper, die Geistlichkeit, den Adel, das Militär, und die Bürger, wovon jeder 25 Deputirte schickt, welche sich durch Beglaubigungsschreiben von Seite ihrer Committenten vor dem k. Commissär, als Landtagsmarschall, ausweisen müssen. Er eröffnet und schließt den Congreß, bestimmt auch die Geschäftsordnung, 10 aber bey den Verhandlungen präsidirt der Erzbischof. Die Gegenstände der letztern sind theils allgemeine Angelegenheiten der Nation, besonders Beschwerden und Postulate, theils Kirchliche von demselben Charakter. Vorzüglich ist es die Wa h l d e s E r z b i s c h o f s , die nach dem Recht und Herkommen nur auf der Volksverfammlung vorgenommen werden kann, weshalb 15 in diesem Falle die k. Bewilligung niemals verweigert wird. Es erscheinen 218 dabey neben dem k. Commissär dieselben Deputirten, nur daß die Bischöfe selbst keine, wohl aber die Deputirten der Geistlichkeit ihre Stimme haben. Zur giltigen Wahl eines Erzbischofs gehört nicht blos Mehrheit, sondern Einigkeit der Stimmen, welche dadurch erreicht wird, daß nach einigen Scru- 20 tinien, wenn sich eine entschiedene Mehrheit herausgestellt hat, die Minderheit oder Minderheiten zu jener übertreten. Ueber die vollzogene Wahl wird ein Instrument aufgenommen, von sämmtlichen Deputirten unterzeichnet, und dem k. Kommissär zu Einholung der allerhöchsten Bestätigung übergeben. Bis diese eingelangt ist, bleibt der Congreß versammelt, worauf der 25 neue Erzbischof in der vorgeschriebenen Form sogleich installirt, und wenn sonst nichts zu verhandeln ist, der Congreß aufgelößt wird. 2. D i e S y n o d e unterscheidet sich vom Nationalcongresse sowohl durch ihre Zusammensetzung, indem auf ihr nur die Bischöfe erscheinen, als durch die Gegenstände ihrer Verhandlungen, welche rein kirchlicher Art sind. Nach 30 den ältern Vorschriften der griechischen Kirche sollte der Metropolit mit den ihm untergeordneten Bischöfen jährlich eine Synode halten, um die Angelegenheiten der Kirche zu besprechen. Wenn diese Vorschrift in den spätern Zeiten, auch von den serbischen Bischöfen, nicht so buchstäblich befolgt wurde, so fanden doch von Zeit zu Zeit Synoden statt, und zwar ohne 35 Anfrage höhern Orts, und ohne Beyseyn eines k. Commissärs. Im Jahre 1760 wurde aber verordnet, daß künftig zu Abhaltung von Synoden die landesherrliche Bewilligung eingeholt, und im Jahre 1788, daß dazu ein k. Com- 219 missär abgeordnet werden soll, dessen Functionen dieselbe wie bey dem Nationalcongresse seyn sollten. In dieser Form wurden bald nachher mehrere 40 Synoden gehalten, auf welchen die Regulirung der Klöster, die Verminderung der Feiertage, die Entwerfung eines Katechismus, die Organisirung der Con- <?page no="734"?> 702 Johann Sebastian Drey sistorien, u. s. w. zur Sprache kam. Ein hauptsächliches Vorrecht der Synode ist, d i e B i s c h ö f e z u w ä h l e n . Der Erzbischof schlägt nämlich für einen erledigten Sitz drey Candidaten in einer bestimmten Formel vor, die Bischöfe debattiren, bis sich ihre Stimmen in Einem der Vorgeschlagenen vereinigen; dem Erzbischof gebührt das votum conclusivum. Nach vollzogener Wahl werden 5 dieselben Förmlichkeiten wie bey der Wahl des Erzbischofs beobachtet, und am Schluß der Synode, wenn der Gewählte nicht schon wirklicher Bischof ist, und daher nicht blos von einem Bisthum auf das andere versetzt wird, der Tag seiner Consecration bestimmt. Zu einer solchen Versetzung wird aber eine besondere allerhöchste Genehmigung erfordert. Bey der Bischofswahl selbst, 10 d. h. bey dem Scrutinium darf der königliche Commissär nicht anwesend seyn; dasselbe gilt von denjenigen Sitzungen, worin dogmatische Gegenstände verhandelt werden. Die nicht zum Königreich Ungarn gehörigen Bischöfe, von Siebenbürgen und Bukowina (so wie jetzt auch von Dalmatien) werden zu der Synode nur berufen, wenn dogmatische oder disciplinäre Gegenstände 15 vorkommen. 3. D e r A d m i n i s t r a t o r . Wenn das Erzbisthum (oder ein anderes Bisthum) erledigt ist, so wird bis zur neuen Wahl ein Administrator bestellt, welchen der Landesherr er-nennt. Er genießt während seiner Administration 220 die Rechte des Erzbischofs, beym National-Congreß, und der Synode, und 20 erhält in vierteljährigen Anweisungen eine entsprechende Belohnung aus den Intercalargefällen des erledigten Erzbisthums oder Bisthums; der Administrator des erstern bezieht außerdem bestimmte Reisespesen und Diäten. Uebrigens versteht es sich, daß nur ein Bischof Administrator seyn kann. 4. Die B e s t e l l u n g d e r P f a r r e r geschieht weder durch königliche noch 25 durch patronatische Ernennung, sondern der Bischof vergiebt alle Pfarreien in seiner Diöcese, obwohl der König als ursprünglicher Grundherr den Pfarreien ihre Dotation in Grundstücken anweist, und die Grundherrschaften gewiße Verpflichtungen gegen die Pfarrer ihres Gebiets haben. Die Patronatrechte sind nämlich der griechischen Kirche fremd geblieben. Doch kön- 30 nen nur Inländer auf Pfarreien befördert werden. Die Zahl der Pfarrer in einer Gemeinde oder einem Orte richtet sich nach der Zahl ihrer Häuser; bis auf 150 Häuser wird nur ein, bis auf 250 dürfen nur zwey, und darüber drey, nirgends aber ohne königliche Erlaubniß mehr als drey dienstleistende Pfarrer angestellt werden, bey welchen Zahlen man aber wissen muß, daß in jenen 35 Gränzländern die Bevölkerung nach der Häuserzahl sich ganz anders als bey uns berechnet. Denn da dort noch die patriarchalische Sitte herrscht, und die jüngern Familienglieder auch nach ihrer Verheurathung im Hause bleiben, so trifft man keines unter 20, wohl aber manche Häuser mit 60 und noch mehr Bewohnern an. Die Einse-tzung des Pfarrers geschieht auf die Anzeige des 40 221 Bischofs, der ihn gewählt hat, durch den Civilbeamten in den Comitaten, oder den commandirenden Officier in der Gränze. Uebrigens ist jeder Pfarrer <?page no="735"?> 703 Misz. Nr. 16: Verhältnisse der nichtunirten griechischen Kirche (1829) ständig, ausgenommen das Vorrücken von geringer dotirten Stellen auf bessere. Von der Bestellung der Vorsteher in den Klöstern war schon oben die Rede. 5. D e r g e s a m t e K l e r u s hängt in Kirchen- und Disciplinar-Angelegenheiten von den Bischöfen und Consistorien ab, in Civil- oder Criminalfällen 5 aber von den betreffenden Landesbehörden. Jedoch werden bey Criminalprocessen zwey vom Bischof ernannte Geistliche als Beysitzer zugelassen, welche aber beym Urtheilsspruche nicht zugegen seyn dürfen. Wird der angeklagte Geistliche verurtheilt, so wird er vor der Vollstreckung des Urtheils dem Consistorium zur Degradation ausgeliefert. 10 VI. Kirchenverwaltung. Die Kirchenverwaltung in allen ihren Zweigen geht aus vom Bischofe, doch steht ihm hierin ein Rath zur Seite, dessen Mitglieder er nach seinem Vertrauen selbst wählt, aber auch selbst belohnen muß. Dieser Rath bildet also keinen selbstständigen Körper, wie die Domkapitel der lateinischen Kirche, 15 von welchen die griechische nie etwas gewußt hat. Nach der Organisation der letztern bilden die Räthe des Bischofs zugleich seinen Staat, und umgeben ihn bey allen öffentlichen Auftritten. In der großen Kirche (zu Konstan-tinopel) 222 waren sie ehemals sehr zahlreich und theilten sich in zwey Classen, die Groß- Officialen - Εζωκατακοιλοι , auch Εζωκατακελλοι genannt, weil sie außer dem 20 Patriarchalpallast aber in dessen Nähe wohnten, und die Hausprälaten und Hausofficianten - Συγκελλοι . Zu den erstern gehörten der Ober-Oekonom als Oberverwalter des Kirchenguts, der Obersacellar als Oberaufseher der Klöster, der Skevophylax als Intendant der Kirchengeräthschaften, der große Chartophylax als Kanzler und Sigelbewahrer, zugleich der Generalvicar des 25 Patriarchen, und in dieser Eigenschaft allen Gros-Officialen und selbst den Bischöfen und Metropoliten vorgehend; später wurde das letztere Amt dem Großlogotheten übertragen, so wie noch andere Aemter des Ober-Rhetors, Protonotars, Protoapostolarius ec. geschaffen wurden. Die Metropoliten und Bischöfe ahmten diese Einrichtungen im Kleinen nach, und so hatte auch der 30 serbische Patriarch, jetzt der Erzbischof von Carlowitz, sein geistliches Collegium nach obigem Typus gebildet. Es besteht gegenwärtig aus einem Archimandriten als ersten Prälaten, einem Protosynkell, Synkell, Archidiakon, Protodiakon, unter welche er einzelne Geschäfte der Kirchenverwaltung vertheilen kann; sie sind sämmtlich vom Mönchsstande, und gewöhnlich unter 35 den Vorstehern ausgelesen, indem sie zugleich die Pflanzschule für Bischöfe bilden. Seine Kanzlei besteht aus 1 Sekretär, 1 Protokollisten, und 2 Cancellisten, welche keine Geistlichen sind. In diesen Formen werden alle Gegenstände der kirchlichen Verwaltung besorgt, mit Ausnahme derjenigen, wel-che streitig werden und ein gericht- 40 223 <?page no="736"?> 704 Johann Sebastian Drey liches Erkenntniß nothwendig machen; diese werden im Consistorium verhandelt. Zu den Verwaltungsgegenständen gehört vorzüglich die Aufsicht über die Geistlichen, ihre Amtsführung und Sitten, über die Einhaltung der Kirchenzucht, über die Sittlichkeit überhaupt, über die Kirchen u. s. w. Zu diesem Zwecke visitiren die Bischöfe ihre Diöcesen selbst, wozu sie die 5 Königl. Genehmigung einholen, aber von keinem königlichen Commissär begleitet werden. Sie genießen dabey, wo dieß üblich war, Vorspann-Freyheit. Alle Bischöfe correspondiren, wie die Katholischen, unmittelbar mit den Hof- und Landes-Stellen, und werden in den Titulaturen den letztern gleichgehalten. In der Gränze bekomplimentiren die Stabs- und Oberofficiere den 10 reisenden Bischof ex officio, was sie auch ohne dieß thun würden, und überhaupt bezeugt sich das Militär nicht nur gegen ihn, sondern auch gegen die übrige Geistlichkeit gefällig und zuvorkommend. Was das Schutz- und Aufsichtsrecht des Staats in Kirchen-Sachen betrifft, so ist es damit, in Absicht auf die zuständigen Staatsbehörden, nicht immer 15 bey derselben Einrichtung geblieben. Nach der ursprünglichen Bestimmung der aufgenommenen Einwanderer, die Gränze zu vertheidigen, und daher bey ihrer durchaus militärischen Verfassung schien die geeignete Staatsbehörde der Hofkriegsrath, als das oberste Kriegscollegium zu seyn; und diesem sind auch die Nichtunirten sowohl in Civilals Kirchen-Sachen in den obenge- 20 nannten Privilegien untergeordnet. Im Jahre 1752 wurde zu diesem Zweck 224 eine eigene illyrische Hofdeputation angeordnet, aber nachdem ein bedeutender Theil der Gränzländer provincialisirt worden war, im J. 1777 wieder aufgehoben, und ihre Geschäfte an die ungrische Hofkanzlei übertragen, welche sie nach einer kurzen Unterbrechung unter Leopold II. noch besorgt, 25 so jedoch, daß kirchliche Gegenstände von größerer Wichtigkeit, insoweit sie die Militärgränze betreffen, zur Respicienz des Hofkriegsraths gehören. So z. B. erhalten die Bischöfe, deren Sprengel sich zugleich über das Provinciale und Militare erstrecken, zwey Bestätigungsdecrete, eines aus der u. Hofkanzlei, das andere aus dem Hofkriegsrathe, jedes von dem Kaiser und König 30 eigenhändig unterzeichnet. Untergeordnete Gegenstände gehören gleichermaßen zur Kenntnißnahme der königlichen Statthalterei in Ofen, und des betreffenden Generalcommando’s in der Gränze. Der Schutz und die Aufsicht über die Kirche ist also in allen Beziehungen den respectabelsten Behörden des Hofs und des Landes anvertraut. 35 VII. Die kirchliche Gerichtsbarkeit. Ihre Ausübung ist durch die auf der Synode im J. 1774 schon berathene, aber erst im J. 1782 bekannt gemachte Consistorial-Ordnung bestimmt. Nach dieser ist in jeder Diöcese ein Diöcesan Consistorium, die zweyte Instanz ist das Erzbischöfliche Appellatorium, von da wird an den Thron appellirt. 40 <?page no="737"?> 705 Misz. Nr. 16: Verhältnisse der nichtunirten griechischen Kirche (1829) 1. D i e g e i s t l i c h e J u r i s d i c t i o n der Consistorien er-streckt sich nur 225 auf geistliche und Kirchengegenstände, und zwar auf Giltigkeit der Sponsalien und der Ehen, Scheidungen vom Tisch und Bett, oder auch gänzliche Auflößung (im Falle des Ehebruchs), Verstoßung aus dem geistlichen Stande, Entscheidung der Streitigkeiten in Betreff der Administration der Sacramen- 5 te, überhaupt alles, was deren Giltigkeit angeht. Den Consistorien liegt ferner ob, die Kirchendisciplin auszuüben, schuldige Geistliche zu strafen, Archimandriten, Igumene und deren Stellvertreter zu richten, die Oberaufsicht über Kirchen, Kapellen und Kirchengeräthe zu führen, das Vermögen der Kirchen zu verwalten, über die Führung der Matrikeln zu wachen, die Rech- 10 nungen der Klöster zu revidiren, und die revidirten an den Metropoliten einzuschicken. 2. C o n s i s t o r i a l - P r o c e ß o r d n u n g . Alle Ehesachen, die Entfernung der Pfarrer, Igumene, Erzpriester, Archimandriten, Degradationen der Geistlichen überhaupt, müssen auf ordentlichem Proceßwege verhandelt, und nur 15 geringe Streitigkeiten können summarisch abgethan werden. Der Kläger reicht seine Klage dem Bischof oder dessen Stellvertreter ein. Sie muß im ersten Consistorium aufgenommen, und der Beklagte, wenn er im Orte wohnt, auf den 15ten Tag vorgeladen werden. Die Vorladung wird dem Beklagten durch seinen Pfarrer, in der Gränze durch den commandirenden 20 Officier eröffnet. Erscheint der Angeklagte nicht, so wird er für überwiesen angenommen, doch muß die Execution auf den fünfzehenten Tag aufgeschoben bleiben, während welcher Zeit es dem Beklagten freysteht, die Ursache der Nichterscheinung genügend anzugeben, und ohne weitere Citation 226 zu allegiren. Widrigenfalls wird er nach Verlauf des Termins auch in die der 25 Klagpartei verursachten Kosten verurtheilt. Beyde Sentenzen gehen dann an die Civilbehörde zur Execution. Der Beklagte kann auch wegen Nichtvertheidigung convincirt werden, doch finden in Ehesachen Convictionen ex contumacia nicht statt, sondern die Widerspänstigen müssen durch Kirchencensuren zur Folgsamkeit verhalten werden; der Consistorial-Fiscal aber ist 30 verpflichtet die Ehe aufs schärfste zu verfechten. - Erscheint der Kläger nicht, so wird der Beklagte frey gesprochen, und jener in den Kostenersatz verurtheilt, - im Allgemeinen dürfen, und zwar in exceptivis nicht mehr als drey, in merito nur vier Schriften gewechselt werden. - Unbescheiden Allegirende können mit Arrest belegt werden, Geldstrafen aufzulegen steht den Consi- 35 storien überhaupt nicht zu. - Die Zeugen, wenn sie von der nichtunirten Kirche sind, können dem Consistorium vorgeführt, und von demselben verhört, und falls sie des Zeugens sich weigern sollten und Civilisten sind, durch ihre Behörde, wenn Geistliche, durch Kirchencensuren von Seite des Consistoriums dazu angehalten werden. Katholiken, Unirte und Evangelische sind 40 durch ihre Behörden verhören zu lassen, und diese Verhöre sind authentisch. - Belege sind in Originali vorgewiesen, und dann beglaubigte Abschriften dem <?page no="738"?> 706 Johann Sebastian Drey Proceß beygelegt werden. - Als Rechtsmittel stehen den Partheien Declinatorium, Revocatio Procuratoris, Depositio causae mit 3 fl. und Ersatz der Kosten, Apellatio und Novum zu Gebote. - Als Ge-setze befolgen die Consistorien in 227 ihren Urtheilen folgende Bücher: a) das alte und neue Testament; b) die apostolischen Kanones; c) die 7 ökumenischen und 9 topischen Concilien; d) 5 die im 2. Kanon des Conciliums in Trullo benannten h. Kirchenväter; e) Directorium (Kormcsia) (russisch Kormtschaja Kniga, zu deutsch die Steuermannskunst, das eigentliche Corpus juris Canonici der griechisch-slawischen Kirche. Strahls Beytr. zur russ. Kirchengesch. S. 12. ff.) k) In Betreff der Mönche die Klosterregeln. - Die Processe werden ganz gelesen. Außer dem 10 Präsidenten sind dabei wesentlich drey Assessoren erforderlich; zuerst votiren die Priester, hierauf die Erzpriester, Igumenen, Archimandriten. Der Präsident muß der Mehrheit beystimmen, in paribus entscheidet seine Stimme. Ist er oder einer der Assessoren interessirt, so tritt er ab; die Interessenz erstreckt sich bis auf den vierten Grad der Blutsverwandtschaft, und den zweyten der 15 Schwägerschaft. Die Berufung an das Metropolitangericht muß innerhalb 10 Tagen nach der Publication der Consistorial-Sentenz eingelegt, innerhalb 6 Wochen die Ausfertigung der Transmissorialien bewirkt, und vor Ende eines Vierteljahrs dem Appellatorium überreicht werden. - Durch einen Eid beendigte, oder beym Appellationsgericht verlorne, hierauf erneuerte, aber in 20 der ersten Instanz wieder verlorne Processe dürfen nicht mehr appellirt werden. - Die Strafe der Excommunication kann ohne königl. Genehmigung nicht vollzogen werden. Privilegirte Processe sind - wegen Rücktritts von Eheversprechen, Störung der Ehe, und Processe der Armen. Diese können summarisch oder in förmlichem Wege, auch während eines Juristitium ver- 25 228 handelt werden. Der Fiscal hat sich dabey ex officio zu ingeriren, und zwar bey den letzten gratis. 3. C o n s i s t o r i a l - P e r s o n a l e - besteht aus dem Bischof als Präsidenten, zwey Klosterobern, zwey Erzpriestern und zwey Priestern als Assessoren; 1 Notar, 1 Fiscal und 1 Uebersetzer. Zu Assessoren schlägt der Bischof drey 30 Individuen vor, wovon die Assessoren eines wählen. Den Fiscal, Notar und Uebersetzer ernennt der Bischof vom Civilstande; der erste vertheidigt vorzüglich die Sacramente, der zweyte versieht das Amt eines Aktuars und besorgt die Registratur; der dritte übersetzt die Aktenstücke sowohl für die Partheien als das Consistorium. Gränzsoldaten erhalten von dem betreffenden 35 Generalkommando Anwälte zu ihrer Vertheidigung. - Die besser dotirten Bischöfe von Carlowitz, Temeswar und Werschetz müssen ihren Kanzleiaufwand nebst der Besoldung des genannten Kanzlei-Personals aus ihren eigenen Einkünften bestreiten; die übrigen haben jährlich die Consignation dieser Gehalte und der aufgelaufenen Kanzleikosten an den Erzbischof einzusenden, 40 und erhalten, so weit die ebenfalls auszuweisenden Gerichtssporteln nicht zureichen, das Fehlende aus dem Nationalfonds. Der Gehalt des Fiscals und <?page no="739"?> 707 Misz. Nr. 16: Verhältnisse der nichtunirten griechischen Kirche (1829) Notars in den geringer dotirten Bisthümern beträgt nur 150 fl., bey den drey andern mehr, der Uebersetzer berechnet seine Gebühren nach dem Bogen. Alle bey dem Consistorium angestellten Personen müssen beeidigt, und die Assessoren der orientalischen Kirche zugethan seyn; das Kanzlei-Personale 229 kann aus andern christlichen Kirchen genommen werden. 5 4. E r z b i s c h ö f l i c h e s A p p e l l a t i o n s g e r i c h t . Es ist zusammengesetzt aus dem Erzbischof als Präsidenten, ferner 2 andern Bischöfen, 2 Archimandriten, 2 Igumenen, 2 Erzpriestern und 2 Priestern, nebst einem Notar cum voto, als Assessoren. Sie votiren in aufsteigender Ordnung, und mit dem Votum des Präsidenten ist es wie bey den Consistorien. Die Assessoren wur- 10 den das erstemal von dem Erzbischof ernannt, von da an werden die erledigten Assessorate besetzt, wie bey den Consistorialgerichten; die Stelle des Fiscals und Uebersetzers versehen die bey dem erzbischöflichen Consistorium angestellten Individuen. - Das Appellationsgericht hat nur die in erster Instanz beendigten Processe zu revidiren. Mit Ausnahme der oben genannten 15 Fälle kann jeder Urtheilsspruch, auch in Betreff des auferlegten Eides, appellirt werden. Der Erzbischof bestimmt den Gerichtstag, macht ihn in Zeiten den Consistorien bekannt, von welchen appellirte Processe eingeschickt worden, und diese benachrichtigen die Parteien, sofort beruft er die Assessoren. Kein Proceß darf über vier Monate, vom Tage der Einsendung gerechnet, 20 unrevidirt liegen bleiben. Beym Gericht muß der ganze Proceß sammt Belegen gelesen werden. Die Sentenz wird, wenn sie nicht geeignet ist der Königlichen Genehmigung unterstellt zu werden, an die erste Instanz zur Vollziehung zurückgesandt. Ist ein Proceß vom erzbischöflichen Consistorium appellirt worden, so muß der Erzbischof das Präsidium in der Revision an 25 einen andern Bischof abtreten, und so tritt auch jeder Bischof ab, von dessen 230 Consistorium appellirt, oder der sonst in einer Sache betheiligt ist, wie in den Consistorialverhandlungen. Bey jeder Revision müssen außer dem Präsidenten und Notar, wenigstens sechs Assessoren gegenwärtig seyn, und die Sitzungen müssen fortdauren, bis alle Processe revidirt sind, ausgenommen, 30 wenn ein Juristitium einträte, während dessen nur Eheprocesse revidirt werden dürfen. - Zu dem ordentlichen Geschäftskreis des Metropolitangerichts gehört auch die Superrevision der von den Bischöfen revidirten Rechnungen der Klöster; es verfertigt hieraus eine Darstellung des Activ-, Passiv-, und Personal-Zustands sämmtlicher Klöster, welche Darstellung bereit gehalten 35 werden muß, um sie, wenn es gefordert wird, zur landesherrlichen Einsicht vorlegen zu können. Wenigstens einmal im Jahre muß zu diesem Zwecke das Appellatorium zusammentreten. Ueber die revidirten, und noch zu revidirenden, Processe und Klosterrechnungen muß Sr. Majestät berichtet werden. - Klagen gegen einen Bischof in seiner Amtsführung, oder gegen dessen Con- 40 sistorium, sind beym Erzbischof anzubringen, der zu ihrer Untersuchung eine außergerichtliche Commission aus den Mitgliedern des Appellationsgerichts <?page no="740"?> 708 Johann Sebastian Drey zusammensetzt. Sie besteht aus dem Erzbischof als Präsidenten, vier Assessoren und dem Notar. Von dem Spruche dieser Commission geht die Appellation an das ordentliche Metropolitangericht, und von da an den König. In einem solchen Falle dürfen die Beysitzer der Commission der Revision nicht beywohnen, und auch der Erzbischof muß sein Präsidium an einen der 5 231 ältern Bischöfe abtreten. VIII. Kirchengut. Ein allgemeines, d. h. der gesammten nichtunirten Kirchengesellschaft gehöriges, oder zu Bestreitung allgemein kirchlicher Zwecke bestimmtes Gut besaß diese Kirche in früherer Zeit nicht. Zwar hatten die Bisthümer, Klöster, 10 Pfarreien, und Kirchen theils bey der ersten Ansiedelung theils nachher Grundherrschaften, Grundstücke, Gefälle und anderes nutzbares Eigenthum entweder vom Landesherrn als Dotation, oder von Privaten als Schenkung erhalten, aber das Erhaltene war Privatgut der einzelnen Körperschaften, denen es vermacht worden war. Erst aus dem Nationalcongresse zu Carlowitz 15 im Jahr 1769 wurde der Grund zu einem N a t i o n a l f o n d s gelegt, der die Schulen mit eingerechnet, als allgemeines Kirchengut der ganzen serbischen Nation in ungrischen Landen zu betrachten ist. Die Hauptquelle dieses Fonds bildet die Hinterlassenschaft der Bischöfe. Bis auf die gedachte Zeit war nämlich der Erzbischof, vermöge National-Privilegien, der Erbe aller Bi- 20 schöfe; auf jenem Congresse aber ward beschlossen, daß ein unangreiflicher Fonds des Erzbisthums gebildet werden soll, die Bischöfe aber in Zukunft nur über die eine Hälfte ihres Vermögens innerhalb der Erblande testamentweise verfügen dürfen, die andere Hälfte aber dem Nationalfonds zuwachsen soll. Ist kein Testament vorhanden, so fällt die eine Hälfte der Verlassenschaft 25 232 dem National-, die andere dem Carlowitzer Klerikalfonds zu. Auch der Erzbischof kann nur über die Hälfte seines Vermögens testiren, die andere fällt ebenfalls, und wenn er ohne Testament stirbt, das Ganze dem Nationalfonds zu. Desgleichen gehören die Intercalargefälle des Erzbisthums und der übrigen Bisthümer demselben Fonds. Um ihm zu einem kräftigern Anwachsen 30 zu verhelfen, darf er vor der Hand mit keinen andern Ausgaben belastet werden, als der Besoldung der Fiscale und Notare und der Kanzleikosten in den geringer dotirten Diöcesen. Der unangreifbare Fonds ist aber nur e i n e Abtheilung des Nationalfonds; die andere ist der schon genannte Klerikalfonds, oder der Fonds der von dem 35 Erzbischof Vincenz Joannovitz um 1737 zu Bildung seiner Geistlichen gestifteten, und von dem Erzbischof Nenadovics vorzüglich bedachten Klerikalschule. Der letztere gründete ihren Fonds theils aus den ihr zugewiesenen Verlassenschaften der Bischöfe, theils aus milden Beyträgen seiner Kirchengenossen, theils durch besondere mit den neuernannten Bischöfen abge- 40 <?page no="741"?> 709 Misz. Nr. 16: Verhältnisse der nichtunirten griechischen Kirche (1829) schlossene Conventionen, wodurch sich diese anheischig machten, jährlich etwas zu dem Fonds beyzutragen. Welche Zuflüsse ihm der Nationalcongreß decretirte, ist eben gesagt worden. - Die dritte Abtheilung des Nationalfonds bildet der Trivial-Schulfonds, der seine Entstehung den vom Temeswarer Bischof, nachherigen Metropoliten, Vincenz Joannovics Vidak, im Banate 5 veranstalteten Collecten verdankt. Die Verwaltung des Nationalfonds besorgt ein Comite´, bestehend aus dem Erzbischof, einem Bischof, einem Offi-cier der Gränze und einem Civilbe- 233 amten, die der König auf den Vorschlag des Erzbischofs ernennt. Sie treten alle zwey Jahre zusammen, revidiren zugleich die Rechnungen, und machen 10 Anträge an den Hof zu Anlegung der Kapitalien gegen hinreichende Versicherung. In den ersten sechs Jahren war der Grundstock des Nationalfonds auf 84.699 fl., und bis zum Jahr 1790 auf 203,017 fl. angewachsen. Im Jahr 1811, unmittelbar vor der Reduction der Bankzettel war der Activstand: 15 1) des unangreiflichen Nationalfonds . . . . . . . . . . . . . fl. 133,537 2) des Klerikal-Schulfonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258,953 3) des Trivial-Schulfonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12,500 Summe fl. 404,990 Durch die Reduction sank er auf 306,082 fl. herab, betrug aber mit dem 20 letzten October 1813 wieder: 1) Bey dem unangr. Nationalf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . fl. 129,996 2) Bey dem Kler. Schulf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194,810 3) Bey dem Triv. Schulf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12,500 Summe fl. 337,306 25 IX. Einkommen der Bischöfe und Pfarrer ec. In den Privilegien vom Jahre 1691 sichert Leopold der Erste den Kirchen, Klöstern, so wie dem Erzbischof und den Bischöfen den ungestörten Besitz der Güter zu, welche diese von seinen Vorfahren auf dem Throne von Ungarn erhalten hatten. Die geistlichen Körperschaften der nichtunirten Kirche be- 30 saßen also von der frühern Ansiedelung her liegende Güter. Dem Erzbischof 234 insbesondere weißt der Kaiser in derselben Urkunde die Hinterlassenschaft der Bischöfe so wie überhaupt derer an, welche ohne Notherben sterben. In einem spätern Privilegium vom J. 1695 wird bewilligt, daß der von den Nichtunirten zu reichende Zehent zur Dotirung und Unterhaltung ihrer Bi- 35 schöfe verwendet werden, und jede Einsprache dagegen von Seite der katholischen Prälaten oder der königlichen Kameralämter unkräftig seyn soll. Ueber diesen Zehentbezug entstanden später Streitigkeiten, welche die Folge hatten, daß zwar den Gränzern die Zehentfreyheit blieb, die Bischöfe aber, auch in den Comitaten, zu keinem Zehenten gelangten. Es mußte daher auf 40 <?page no="742"?> 710 Johann Sebastian Drey andere Weise für ein sicheres Einkommen der Bischöfe gesorgt werden, da die ihnen von älterer Zeit her gehörigen Ländereien theils unzureichend, theils in den Verwirrungen verloren gegangen waren. Mit dem Erzbischofe verhielt es sich anders. Die Verdienste des Patriarchen A. Csernovics, der über 80,000 Colonisten aus Servien herübergeführt 5 hatte, bewirkten, daß ihm der Kaiser im J. 1695 die Herrschaft und das Castell Sziracs im Possegauer Comitat als erzbischöfliche Dotation anwies, und in aller Form Rechtens übergeben ließ. Drey Jahre später erhielt er dazu noch das Castell und den Markt Szekcsd bey Mohacs, und weil er es wegen der Ansprüche eines Dritten wieder herausgeben mußte, wurde ihm von Joseph I. 10 zur Entschädigung die Herrschaft Dalya mit den Dörfern Beloberdo und Borovo eingeräumt, welche noch jetzt zum Erzbisthum gehört. Vom Jahre 1708 bis 1778 waren die Erzbischöfe durch kaiserliche Schenkung auch im 235 Genusse der Einkünfte des Klosters Gergetek, aus mehrern Dörfern und Mühlen fließend. Als aber in dem letztgenannten Jahre das inzwischen ganz 15 aufgehobene Kloster auf den Wunsch der Nation wieder hergestellt, und ihm seine ehmaligen Güter zurückgegeben wurden, erhielten die Erzbischöfe zur Entschädigung jährliche 5000 Gulden aus dem Aerarium, bis zur Bestimmung eines andern Fonds. Diese Verfügung wurde in das Erläuterungsrescript eingeschaltet, und behält bis heute volle Kraft. - Auch seine in den 20 Privilegien begründeten Ansprüche auf den Zehenten wurden geehrt, und er erhielt, als in den Türkenkriegen die Regierung Korn brauchte, für seinen Zehent in Slavonien und Sirmien eine jährliche Reluition von 6000 fl. aus der Kammerkasse zu Essek. Im Banat gebührte dem Metropoliten ebenfalls als Zehentersatz eine gewisse Abgabe in Geld, unter dem Namen: Knezowske 25 Dukate. Diese lößte die Regierung gegen 3000 fl. aus, welche dem Erzbischofe bey der Kammerkasse zu Temeswar angewiesen wurden. Diese ganze Zehentreluition von jährlichen 9000 fl. ist ebenfalls durch das Erläuterungsrescript sanctionirt, so daß der Erzbischof über den Ertrag seiner Grundherrschaften noch jährlich 14000 fl. aus der Staatskasse bezieht. Ueberdies bezieht 30 er für die Investirungsbulle der Bischöfe Taxen, welche nach dem Verhältnisse ihres Einkommens von 100 bis 200 Kremnitzer Dukaten betragen; endlich bezieht er als Bischof von der Geistlichkeit und dem Volke seiner Diöcese dieselben Beyträge, wie die andern Bischöfe. Das Einkommen dieser besteht größtentheils aus den Beyträgen ihrer 35 236 Diöcesanen, da sie an Prädien und Ländereien weniger besitzen. Die von den Gemeinden jährlich zu leistenden Beyträge heißen Conventia, weil sie sich auf besondere in den siebenzigern Jahren eingegangene Verträge gründen, und nach Häusern berechnet sind. In der Gränze bezahlt kein Haus über 14 kr.; in Provinciali ist die Taxe sehr verschieden; hier wird sie durch die Erzpriester, 40 dort durch die Hauptleute eingezogen. Was die Pfarrgeistlichkeit dem Bischof jährlich zu entrichten hat, heißt Sydoxia, und beträgt für jedes Haus einen <?page no="743"?> 711 Misz. Nr. 16: Verhältnisse der nichtunirten griechischen Kirche (1829) Groschen. In diesem zusammen besteht das fixe Einkommen der Bischöfe. Zu dem veränderlichen gehören die Investiturgebühren der Pfarrer, die beträchtlich sind, da das Maximum derselben 30 kr., das Maximum 50 fl. für ein Haus ist. Auch beerbt der Bischof Pfarrer, die ohne Erben sterben; diese können überhaupt nur über ein Drittheil ihres Vermögens zu Gunsten ihrer Verwand- 5 ten testiren, zwey Drittel müssen dem Bischof bleiben; disponiren jene ohne vorläufige Einwilligung des letztern über mehr, so fällt die ganze Verlassenschaft dem Bischof heim, wie in dem Falle, wo kein Testament vorhanden ist. Für gewisse Amtshandlungen, wie z. B. für das Einweihen der Kirchen, der Altäre ( ανθυμις , ara portatilis) u. s. w. beziehen die Bischöfe Stolgebühren. - 10 Unter ihre Emolumente gehört die Nutznießung des sogenannten Fundus instructus, d. h. der Hauseinrichtung und Immobilien, der Kirchenornate, Brustkreutze, Bibliothek ec. Jeder Bischof benutzt das Vorhandene, darf aber nichts veräußern, vielmehr bleibt, was er unter dieser Kategorie auf eigene 237 Kosten angeschafft hat, oder ihm zum Geschenke gemacht worden ist, seinen 15 Nachfolgern. Deswegen wird nach seinem Tode das Inventarium untersucht, und das Fehlende aus der Verlassenschaft vor allem andern angeschafft. Das Verhältniß der ungleichen Einkünfte der Bischöfe läßt sich ungefähr aus dem Schematismus der Taxen entnehmen, welche die Bischöfe für ihre Bestätigung, beziehungsweise zu der ungarischen Hofkanzlei und zum Hofkriegs- 20 rath, zu entrichten haben. Sie betragen in Summe für den Erzbischof 3000, für den Temeswarer Bischof 2000, für den Wersecser 1800, für den Bacser 1400; für den Arader 1000, für den Ofner und Pakraczer 800, für den Karlstadter 700 Gulden. Um diese Ungleichheit einigermaßen auszugleichen, müssen die drey ersten, besser dotirten, Bischöfe den vier letzten gewisse bestimmte 25 Summen jährlich abgeben. Das Einkommen der Pfarrer besteht theils im Ertrage der Pfarrgüter, theils in fixer Besoldung, theils in Stolgebühren. Zu jeder Pfarre gehört nämlich nach neuern wiederholten Bestimmungen ein Gut von 34 Jaucherten nutzbaren Landes, Session genannt. In der Gränze wurden diese Pfarrgüter durch 30 das Regimentskommando ausgeschieden, und wo die Ausscheidung wegen Local-Verhältnissen nicht ganz bereinigt werden konnte, erhält der Pfarrer aus der Regimentskasse für jedes fehlende Jauchert 3 Gulden, wornach der jährliche reine Ertrag eines Pfarrwiddums zu 102 fl. angeschlagen ist. Im Provinciali mußten die Grundherrschaften (seit dem die Krone alle Kammergüter in 35 238 diesen Gegenden veräußert hat) den Pfarrern Urbarial-Sessionen anweisen, welche auf immer bey der Pfarre bleiben, und von allen herrschaftlichen und andern öffentlichen Lasten befreiet sind. Wo die Anweisung bis jetzt nicht vollkommen ausgeführt werden konnte, wird der Pfarrer durch Befreiung von Abgaben entschädigt, die auf den Grundnutznießungen seines Stamm- 40 hauses, wenn er in seiner Pfarrey zu Hause ist, oder wenn er für sich allein und abgesondert lebt, auf den von ihm erworbenen Grundstücken, bis zu einer <?page no="744"?> 712 Johann Sebastian Drey Session liegen. - Die fixe Besoldung, Bjr genannt, wurde durch das Regulativ von 1779 bestimmt, und besteht in einer Abgabe, welche jedes Haus der Gemeinde dem Pfarrer theils in Naturalien, theils in Geld zu entrichten hat. Die Rate ist nach den Bezirken verschieden, am meisten im Provinciale. In der croatischen und slavonischen Gränze giebt das Haus von jedem Jauchert 5 Erde, Wiesen und Weingärten mitgerechnet, dem Pfarrer 3 Oka (6 3/ 4 Pf.) selbsterzeugter Frucht. In der Peterwardeiner und Banater Gränze von einer ganzen Session 1 fl. 8 kr., und so nach Verhältnis von einer halben und Viertel-Session, als Geldablösungsbetrag. Die Brodfrucht nehmen jedoch die Pfarrer auch hier in Natura. Die Stolgebühren werden von den griechischen 10 Pfarrern, wie von denen anderer Kirchen bezogen. Der Erzpriester bekommt für seine Bemühungen von jedem Pfarrer seines Bezirks jährlich 100 Oka Weitzen reine Frucht, oder zwey Gulden, worin der Pfarrer die Wahl hat. Für den Einzug der Gebühren an den Bischof erläßt 239 ihm dieser seine eigene Sydoxia; auch gehört ihm von den Stolgebühren 15 seiner Pfarrei mehr als die Hälfte, wenn auch, wie gewöhnlich, noch mehrere Priester an derselben angestellt sind. Er stellt überdies alle Trauungs-Verkündscheine in seinem Bezirk aus, und bezieht dafür eine Gebühr. X. Schulen. So ungünstig sowohl die Zeit als die Umstände für die Errichtung von 20 Schulen anfänglich waren, so findet man doch, daß bald nach der großen Einwanderung daran gedacht wurde. Schon der zweyte serbische Erzbischof Jes. Diakovics suchte im Jahr 1706 die Erlaubniß nach, Buchdruckereien und Schulen im Land einzuführen. Sein frühzeitiger Tod vereitelte aber die Ausführung des Plans. Im Jahr 1723 ließ die Regierung selbst durch den Landes- 25 Commissär, Freyherrn v. Kalanek, mittels Kreisschreibens die Nation auffordern, daß in Städten, Märkten und auf dem Lande Schulen errichtet werden möchten. Doch scheint es, daß die Erzbischöfe, denen die Leitung dieser Angelegenheit anvertraut war, zuerst auf die Einführung solcher Lehranstalten Bedacht nahmen, wodurch die Geistlichkeit und die übrigen höhern 30 Volksklassen die nothwendigen Kenntnisse sich erwerben könnten. Wenigstens treten diese Lehranstalten zuerst geschichtlich hervor, daher auch zuerst von diesen, und zwar vorab. 1. D i e C a r l o w i t z e r H a u p t s c h u l e . Der Erzbischof Vincenz Johan- 240 nowitz errichtete sie im Jahr 1733, und versahe sie mit Lehrern, welche er aus 35 Kiew berufen hatte. Bey seinem Leben blühte sie, aber weil sie ohne bestimmten Fonds war, hieng ihr Flor von dem Interesse ab, welches die jedesmaligen Erzbischöfe an der Anstalt nahmen. Der jetzige, H. v. Stratimirovics, erwarb sich neben manchem andern auch dieses Verdienst, die Hauptschule der serbischen Nation nicht nur fest begründet, sondern sie auch trefflich eingerich- 40 <?page no="745"?> 713 Misz. Nr. 16: Verhältnisse der nichtunirten griechischen Kirche (1829) tet und mit guten Lehrern versehen zu haben. Zuförderst bewog er durch seinen Eifer und seine Beredtsamkeit gleich im ersten Jahre seines Pontificats einen reichen kinderlosen Bürger von Carlowitz, Namens Dmitar Anastasievics, daß er von seinem Vermögen 20,000 Gulden für die Schule legirte, und zu gleicher Zeit durch Vorhaltung dieses Beyspiels die übrigen angesehenern 5 Bürger, daß sie, 91 an der Zahl, 19,000 fl. zu demselben Zwecke zusammenschoßen. Ueber beyde Schenkungen wurden Stiftungsbriefe errichtet, welche ihren Zweck, und die Verwaltungsart genau bestimmten, und Orts bestätigt wurden. Nach diesen Bestimmungen ist die Lehranstalt an die Stadt Carlowitz unwiderruflich angeknüpft, die Kapitalien müssen bey der Bürgerschaft an- 10 gelegt bleiben, der Fonds ist unangreifbar und nur die Interessen sind auf die Schule zu verwenden, er wird verwaltet durch ein Patronat, bestehend aus dem Erzbischof als Oberpatron, vier gewählten Mitgliedern aus der Geistlichkeit, und ebensovielen aus der Bürgerschaft. Das Patronat führt die Aufsicht über die Anstalt, ernennt die Lehrer und bestimmt ihre Gehalte. Bis zum Jahr 15 241 1811 hatte sich der Fonds durch fortgesetzte milde Beyträge, besonders von Seite des H. Erzbischofs, auf 100,000 vermehrt. Der Unterricht an diesem Gymnasium wird in 6 Klassen, und von ebensovielen Professoren, über folgende Gegenstände ertheilt. Sprachen: die lateinische, altgriechische, serbische, deutsche, mit Erklärung vorzüglich der lateinischen und deutschen 20 Classiker, Stylübungen und Aufsätzen für das Leben, weil die vier untern Classen zugleich die Bestimmung einer Realschule haben; Humaniora: Alterthumskunde, Mythologie, Poetik, Rhetorik; Realien: Geographie, Naturgeschichte, Weltgeschichte; höhere Wissenschaften, Logik, Metaphysik, Psychologie, philosophische Moral, Mathematik bis zu den Anfangsgründen der 25 Astronomie, Physik mit Meteorologie. Den Religionsunterricht ertheilen die Pfarrer von Carlowitz. Anfangs hatte man den für das Königreich Ungarn geltenden Lehrplan zu Grund gelegt, wegen der gedachten Nebenbestimmung des Gymnasiums fand man es aber zweckmäßiger ihn mit dem in den übrigen Erblanden eingeführten Lehrplan, unter einigen Modificationen, zu 30 vertauschen. Mit der Lehranstalt ist für ärmere Studirende ein Convict und ein Alumneum verbunden; in dem erstern erhalten 30-40 Zöglinge gegen eine mäßige Gebühr eine sehr anständige, in dem letztern 60 ganz unentgeltlich hinreichende Kost. Die Freygebigkeit des H. Erzbischofs versorgt beyde Institute vom Anfang her mit Brod und Holz, und seiner Toleranz gemäß 35 nimmt er auch die Söhne unbemittelter katholischer Officiere und Beamten, so wie evangelischer Prediger unentgeltlich in den Convict auf. Die Frequenz 242 der Anstalt stieg in den letzten Jahren auf 200 Schüler, worunter etliche zwanzig Katholiken und einige Protestanten waren. 2. Aber auch in den übrigen Theilen von Ungarn haben die Nichtunirten, 40 sowohl Serben als Walachen und Griechen, mehrere zum Theil blühende, gelehrte Schulen. Derselbe Erzbischof, der die Carlowitzer Schule zuerst <?page no="746"?> 714 Johann Sebastian Drey gründete, errichtete zu gleicher Zeit lateinische Schulen zu Belgrad (damals unter Oestreich), Essek und Dalya. In der neuern Zeit besteht zu Neusatz ein serbisches Gymnasium, welches im J. 1819 200 Schüler zählte; zu Mischkolz, dem Congregationsort der Borsoder Gespannschaft, ein walachisches Gymnasium für die Arader Diöcese; zu Pesth und zu Temeswar neugriechische 5 Schulen; zu Werschetz Grammatikal-Schulen; zu Winkowcse, dem Stabsorte des Broder Gränzregiments, hat dieses ein eigenes Gymnasium, an welchem die Humaniora in sechs Classen, und außerdem die mathematischen Wissenschaften gelehrt werden. 3. Für die Bildung der Geistlichen sind in der neuesten Zeit t h e o l o g i - 10 s c h e L e h r a n s t a l t e n oder K l e r i k a l s c h u l e n errichtet worden. Auch hier gieng der H. Erzbischof von Stratimirowitsch mit edlem Beyspiele voran. Zu gleicher Zeit mit der Errichtung des Carlowitzer Gymnasiums entwarf er auch den Plan zu einer theologischen Bildungsanstalt, welche er mit jenem sowohl in Beziehung auf den Unterricht als die Subsistenzmittel in Verbin- 15 dung setzte. Es treten nämlich nur solche Jünglinge in die Anstalt, welche die Gymnasialstudien bereits vollendet haben, und den ärmern Klerikern kommt 243 vorzüglich auch der Convict und das Alumneum zu Statten. Die Lehrgegenstände sind: Exegese des N. T., Kirchengeschichte, Dogmatik, Moral, Pastoraltheologie mit Homiletik, Katechetik, die altslavische Kirchensprache, in 20 welcher auch alle theologischen Gegenstände vorgetragen werden, Liturgie und Kirchengesang, endlich Methodenlehre des allgemeinen Unterrichts. Den Vortrag dieser theologischen Lehrfächer besorgen drey höhere Geistliche aus dem Senate des Erzbischofs. Die Anstalt ist übrigens nicht blos auf das Erzbisthum beschränkt, es werden auch Kleriker aus andern Diöcesen aufge- 25 nommen, namentlich die Bacser sendet alle ihre Zöglinge dahin; die Anzahl derselben im Ganzen beträgt bis jetzt im Durchschnitt fünfzig. Die unter der nichtunirten Geistlichkeit immer allgemeiner werdende Bildung ist vorzüglich diesem Institute zuzuschreiben. - Dem Beyspiele des Erzbischofs folgte der Bischof von Pakracs, früher selbst Lehrer an der Carlowitzer Anstalt. 30 Auch er errichtete gleich im zweyten Jahre seines Amtes (1809) eine Klerikalschule am Sitze seines Bisthums, und richtete sie ganz nach dem Muster der Carlowitzer ein. Es werden darin die nämlichen Wissenschaften von zwey Lehrern vorgetragen, welche der Bischof aus seinen eigenen Mitteln besoldet. Auch stiftete er, um die Benutzung der Anstalt ärmern Klerikern zu erleich- 35 tern, ein Alumneum für 10-12 Studirende, deren Eltern monatlich einen gewissen Beytrag an Lebensmitteln in natura zu liefern haben, wozu dann der Bischof sowohl das übrige Zugehör, als auch das Brennmaterial, selbst sein 244 Geschirr und seine Küche hergiebt; die Verpflegung ganz armer, aber hoffnungsvoller Jünglinge ganz auf seine Rechnung übernimmt. - Auch zu Her- 40 manstadt besteht eine Klerikalschule, über welche wir aber nichts näheres mittheilen können. <?page no="747"?> 715 Misz. Nr. 16: Verhältnisse der nichtunirten griechischen Kirche (1829) 4. Sogar eine eigene K l o s t e r s c h u l e hat der um die Bildung seiner Geistlichkeit unabläßig bemühte Erzbischof im Jahr 1816 in dem Kloster Hopovo angelegt. Sie ist eine kleine Copie der Carlowitzer Schule, und es werden darin junge Mönche unterrichtet, welche bestimmt sind Kalugere zu werden. Einsweilen ist die Anstalt nur für die 13 Klöster in Sirmien berech- 5 net, und darum als Lehrer nur ein geeigneter Hieromonach angestellt. Die Unterhaltungskosten muß jedes Kloster für seine Zöglinge dem Kloster Hopovo ersetzen. - Uebrigens, obwohl sich die Lehranstalten der Nichtunirten in der neuern Zeit immer mehr heben, darf man doch den Grad der Bildung nicht einzig nach diesen Anstalten bemessen. Viele benützen die Lehranstalten 10 der Katholiken zu Possega, Essek, Agram, Groswardein ec., auch der Protestanten zu Käsmark, Leutschau, Lossoncz, Schemnitz ec.; und beynahe alle Individuen, welche gegenwärtig zu der höhern Geistlichkeit gehören, wie mehrere Bischöfe, alle Archimandriten, die Lehrer an den Gymnasien, haben sich auf höhern Anstalten ausgebildet, besonders auf der Universität zu Pesth, 15 auch zu Wien, Preßburg, Grätz, einige haben auch auswärtige Universitäten besucht. Der Herr Erzbischof ist Mitglied der königl. Societät der Wissenschaften zu Göttingen. 5. Mit der Einrichtung d e r Vo l k s s c h u l e n wurde noch im ersten Drittel 245 des vorigen Jahrhunderts der Anfang gemacht, unter der Regierung der 20 Kaiserin M. Theresia, und Joseph II. vermehrten, und verbesserten sie sich; das Meiste aber für die Volksbildung geschah unter des jetzt regierenden Kaisers Majestät. Im Jahre 1795 betrug die Zahl der Volksschulen in den 8 Eparchien, oder den zum Königreich Ungarn gehörigen Ländern, 658; im Jahre 1818 aber 1176; also hatten sie sich in 23 Jahren um 518 vermehrt, 25 wovon ein beträchtlicher Theil auf die Gränze fällt, da z. B. das wallachischillyrische Gränzregiment in seinem Bezirk allein 132 Schulen zählt. Um dem Schulwesen der Nichtunirten mehr Schwung und Uebereinstimmung zu geben, übertrug der Kaiser im Jahr 1816 die Leitung dieses Geschäfts einem Ober-Schulaufseher in der Person des H. Urosch Restorowitsch, mit einem 30 angemessenen Rang und Gehalt; im Jahr 1812 wurden in gleicher Absicht noch fünf Districtsinspectoren angestellt und dem erstern untergeordnet. Im folgenden Jahre wurden durch höchstes Decret zwey Präparanden-Schulen oder Schullehrer-Seminarien errichtet, das eine eine für die Walachen zu Arad, das andere für die Serben zu St. Andrä, später nach Zombor verlegt. Auch für 35 die Nationalgriechen sollte eine ähnliche Anstalt zu Pesth gegründet werden, aber die Griechen giengen auf den Antrag nicht ein. An jeder der beyden Anstalten wurden 4 Lehrer mit einem angemessenen Gehalt angestellt; um zugleich einen Schulfonds herzustellen, wurden mehrere Wege versucht. Am besten gelang eine Subscription, zu welcher viele wohlgesinnte Männer 40 246 ansehnliche Summen beytrugen; im Jahr 1818 war der Fonds bereits auf 200,000 gestiegen, und wird von einer Deputation verwaltet, die aus dem <?page no="748"?> 716 Johann Sebastian Drey Ober-Schulaufseher, und vier Verwaltungsmitgliedern, zwey Serben und zwey Walachen besteht. Zugleich hat der Kaiser bewilligt, daß, solang der Schulfonds noch nicht soweit angewachsen ist, um aus den jährlichen Zinsen alle Ausgaben bestreiten zu können, sowohl die Schuldirectoren als auch die Lehrer beyder Anstalten aus dem königlichen Schatze besoldet werden sollen. 5 Die Arader Präparandenschule gewann einen so schnellen Fortgang, daß sie im Jahr 1817 an 400 Zöglinge zählte. - In den drey übrigen Diöcesen steht es mit dem Schulwesen nicht so erfreulich. In Siebenbürgen sind nicht mehr als 8 Hauptschulen, der Dorfschulen wenige und schon darum in keinem guten Zustande, weil sie einzig und allein von den Gemeinden unterhalten werden. 10 Doch ist in der neuesten Zeit zu Hermanstadt ebenfalls ein Schullehrer Seminar errichtet worden. In Dalmatien gab es bis auf die österreichische Herrschaft gar keine Schulen; der jetzige Bischof aber, selbst ein gebildeter Mann und ein Freund der Bildung, ist in voller Thätigkeit, die Einrichtung zweckmäßiger Lehranstalten zu begründen. 15 6. Ich kann mich nicht enthalten, obwohl es weniger zum Zwecke dieser Darstellung zu gehören scheint, hier noch einen Blik auf die s e r b i s c h e L i t e r a t u r zu werfen, die bey den schnellen Fortschritten, welche sie in der letzten Zeit gemacht hat, unter den durch Sprachverschiedenheit geson-derten Zweigen der österreichischen Literatur einen ehrenvollen Platz einzuneh- 20 247 men verspricht. Sie beginnt mit dem Erzbischof Daniel, welcher unter dem serbischen König Milutin lebte, um das Jahr 1245, und zählt nach dem vom Herrn Csaplovics aufgeführten Namenverzeichnisse 104 Schirftsteller, wovon 67 im Jahre 1818 noch lebten. Schon hieraus erkennt man, um wie vieles die literarische Regsamkeit des letzten halben Jahrhunderts, die fünf ersten Jahr- 25 hunderte hinter sich zurücklasse. In Beziehung auf die Hauptgegenstände machen natürlich theologische, oder auf Religion sich beziehende Schriften die Mehrheit aus, weil unter allen Völkern die Cultur von der Religion ausgeht, und unter der obigen Summe von Schriftstellern sind 33 Geistliche, von welchen dies bemerkt ist, es sind aber gewiß noch mehrere, von welchen 30 es nicht bemerkt ist. Neben der Religion ist es aber auch die Geschichte, Poesie geistliche und weltliche, praktische Philosophie, Naturwissenschaften, Erziehungslehre, und gemeinnützige Kenntnisse, Landwirthschaft, Gesundheitslehre, u. s. w., welche die serbischen Schriftsteller für ihre Nation bearbeitet haben. Unter den schon gestorbenen Schriftstellern sind vorzüglich 35 merkwürdig der Fürst G e o r g B r a n k o w i t s c h durch seine Sammlung serbischer Geschichten; der Archimandrit J o h a n n R a i c s durch vielseitige literarische Thätigkeit, besonders durch sein Hauptwerk: Geschichte der slavischen Völker, besonders der Bulgaren, Croaten und Serben, aus dem Dunkel der Vergessenheit hervorgezogen; in IV Bänden, Wien 1794 und 1795; 40 D o s i t h e i O b r a d o w i t s c h , ebenso merkwürdig durch seine Lebens- 248 schicksale, wie durch seine Kenntnisse und den unermüdlichen Eifer seine <?page no="749"?> 717 Misz. Nr. 16: Verhältnisse der nichtunirten griechischen Kirche (1829) Nation zu bilden. Man kann ihn mit Recht den serbischen Anacharsis nennen; außer den alten klassischen lernte und lehrte er einen großen Theil der neuern europäischen Sprachen, zuerst Mönch zu Opovo, dann auf dem Berg Athos, hierauf abwechselnd Lehrling oder Lehrer zu Agram, Smyrna, Corfu, Hormovo in Albanien, Wien, Triest, Constantinopel, Jassy; in seinem 43ten Jahr 5 Zögling der Universitäten Halle und Leipzig, von wo er sich nach zweyjährigem Aufenthalt nach London begab, und 6 Monate da blieb. Nach diesen großen Reisen lebte er meistens zu Wien und Venedig, und starb 1811 zu Belgrad als Senator und Erzieher der Kinder des Fürsten Georg Czerny. Seine zahlreichen und nach ihrem Inhalt manchfaltigen Schriften haben alle die 10 Aufklärung seiner Nation zum Zwecke, als Schriftsteller überhaupt aber ist Obradowitsch vorzüglich darum merkwürdig, daß er der erste war, der die gemeinserbische Volkssprache zur Schriftsprache ausbildete, und rein in dieser schrieb, da vorhin, so wie jetzt noch von den meisten Serben slawenoserbisch, d. h. in einem Dialekt geschrieben wird, der aus der altslavischen 15 Kirchen- und der neuserbischen Volks-Sprache zusammengesetzt ist. Unter den noch lebenden Schriftstellern befinden sich drey hohe Prälaten, nämlich der Erzbischof und die Bischöfe von Pakracz und Ofen, die meisten Archimandriten, viele Pfarrer, auch Mönche, Aerzte, Juristen ec. Um die serbische Sprache und Literatur im Allgemeinen haben sich in der neuesten Zeit ein 20 besonderes Verdienst erwor-ben. Wu k S t e p h a n o w i t s c h , dessen serbische 249 Grammatik, serbisch-lateinisch-deutsches Wörterbuch, und Sammlung serbischer Volkslieder auch von deutschen Litteraturblättern mit verdientem Lob angezeigt worden sind; ferner D . D a v i d o w i t s c h , seit 1813 Herausgeber einer serbischen Volkszeitung, welche in drey Abtheilungen politische und 25 literarische Nachrichten nebst Aufsätzen zur Unterhaltung liefert. Seit 1816 hat er auch angefangen, serbische Almanache herauszugeben. Der gelehrte Archimandrit L u c i a n M u s s i c s k y arbeitet schon lang an einer vollständigen Geschichte der serbischen Literatur. Für die Walachen hat H . M i c h a e l B o j a d s c h i , Lehrer an der griechischen Schule in Wien, eine Macedo-Wa- 30 lachische Grammatik, und einen orbis pictus in 8 Sprachen herausgegeben. - Den Druck aller in der österreichischen Monarchie erscheinenden Werke in slavisch-serbischer Sprache besorgt bis jetzt eine eigene, privilegirte serbische Hofbuchdruckerei, welche 1771 in Wien angelegt, im J. 1796 aber mit der königl. Universitäts-Buchdruckerei zu Ofen vereinigt wurde. 35 Wir zweifeln nicht, daß unsere Leser in dieser Darstellung der Verhältnisse der nichtunirten Kirche ebensowohl die wahrhaft liberalen und toleranten Maximen der österreichischen Regierung, welche weit entfernt von kleinlichem Mistrauen jener Kirche eine innere freye Bewegung gestattet, die man anderwärts selbst bey der herrschenden Kirche für gefährlich hält; als auch die 40 Fortschritte mit Vergnügen bemerken werden, welche eben diese nichtunirte Kirche in diesen Verhältnissen in ihrer Entwicklung und Bildung gemacht 250 <?page no="750"?> 718 Miscellanea 1819-1835 hat, wozu sie wegen ihrer Freyheit den Impuls sich selbst geben konnte. Denn das liebt der menschliche Geist, und nur das auf solche Weise aus ihm selbst entsprossene gedeiht und trägt bleibende Früchte. Misz. Nr. 17: Stimmen aus der Kirche [Hirtenschreiben der Bischöfe von Münster, Freiburg, Ermeland und Köln bzgl. Synodalwesen und Fastenverordnungen] Teil A: Einleitung von Max Seckler I. Bibliographische Angaben Text: Theologische Quartalschrift 11 (1829), Heft 2, 368-375. Rubrik Intelligenzblatt. Titel: Stimmen aus der Kirche. Ohne Verfasserangabe, von L ösch auf Grund archivalischer Berechnungen D rey zugeschrieben, von K ustermann / F esseler übernommen 1 . II. Bemerkungen Dieser siebeneinhalbseitige Text zählt zur Serie der Berichte und Nachrichten, in denen D rey , beginnend 1820, in der ThQ als Beobachter kirchlicher Verhältnisse und Entwicklungen in Erscheinung trat. Solche Beiträge gehörten zu den Aufgaben, welche die Herausgeber der ThQ in den Gründungsdokumenten ihrer Zeitschrift sich gesetzt hatten. Ihr sind sämtliche Herausgeber seit 1819 regelmäßig und reichlich nachgekommen, sei es durch eigene Beiträge, sei es durch Wiedergabe von Urkunden, Hirtenbriefen oder anderen Verlautbarungen und Nachrichten. Eine strenge Ressortzuteilung, etwa nach fachlichen Zuständigkeiten, gab es dafür offensichtlich nicht. Außerdem kamen immer wieder auch externe Berichterstatter zu Wort. Im Jahrgang 1829 brachte D rey drei derartige Beiträge: Zuerst in Heft 2 die Abhandlung Von den Verhältnissen der nichtunirten griechischen Kirche in den österreichischen Staaten (siehe Misz. Nr. 16), dann im Intelligenzblatt desselben Heftes den vorliegenden Text Stimmen aus der Kirche, danach in Heft 3 die 1 L ösch , Die Anfänge (siehe Misz. Nr. 1, Anm. 3) 108; K ustermann / F esseler , Bibliographie (siehe Misz. Nr. 1, Anm. 3) 319. Die Berechnung L öschs ist schlüssig; auch inhaltliche Merkmale sprechen eindeutig für D rey . <?page no="751"?> 719 Misz. Nr. 17: Stimmen aus der Kirche (1829) Glosse Gute Aussichten für die Kirche (siehe Misz. Nr. 18). Daß D rey neben seinen wissenschaftlichen Arbeiten, die den größeren Einsatz verlangten 2 , sich als Beobachter und Kritiker intensiv am Zeitgeschehen beteiligte, geht auch aus den Abhandlungen, in denen er sich zwischen 1819 und 1834 mit aktuellen Problemen in Theologie und Kirche auseinandersetzte, sowie aus seinen vielen Rezensionen hervor. Im vorliegenden Text berichtet D rey über neueste bischöfliche Verordnungen und Erlasse, die einen Bezug zum Beginn der Fastenzeit aufweisen und zugleich als Signal für die innere Erneuerung der katholischen Kirche in Deutschland zu würdigen seien. Es habe eine zwanzigbis dreißigjährige Verwahrlosung, ja Zerrüttung ihrer äußeren und inneren Verhältnisse stattgefunden. Jetzt, nach der beinahe überall vollendeten Wiederherstellung ihres äußeren Organismus, sei es an der Zeit, auch ihr Inneres neu zu formen und zu beleben (368). »Vorzüglich von den neuen Bischöfen erwarten dieß die katholischen Kirchengenossen, und sind besonders begierig, wie sich diese aussprechen; auf was für Gegenstände sie ihre Gedanken und Sorgen richten, was ihnen als das Erste und Wichtigste und was als untergeordnet erscheine, welche Wege sie einschlagen, und welche Mittel sie vorkehren, ihre wohlgemeinten Absichten für das Beste der Kirche zu verwirklichen, wie sie hierüber zu ihren Geistlichen, und wie zu dem katholischen Volke sprechen« (369). Mit diesem Erwartungsprofil legt D rey die Meßlatte zum einen für die Bischöfe, zum andern für die Auswahl seiner »Stimmen« an. Beachtung findet (1.) »mit besonderer Auszeichnung« der Synodalerlaß des Bischofs von Münster, K aspar M aximilian Frhr. von D roste zu V ischering 3 vom 16. Oktober 1827 (369-371). Er erinnere als Synodalerlaß »an den großen Hebel kirchlicher Thätigkeit in den schönsten Jahrhunderten«, »wenn auch die Gestalt der neuern Synoden nicht mehr jene der alten ist«. D rey gibt seine positive Einstellung zum Synodalwesen zu erkennen 4 und begrüßt es, daß in 2 So hatte D rey in Heft 3 des Jahrgangs 1829 mit dem Abdruck seiner groß angelegten Untersuchungen Ueber die apostolischen Constitutionen, oder neue Untersuchungen über die Bestandtheile, Entstehung und Zusammensetzung, und den kirchlichen Werth dieser alten Schrift, hier im Umfang von über 80 Seiten, begonnen (ThQ 11 (1829) 397-477) und den Schlußteil mit über 114 Seiten in Heft 4 desselben Jahrgangs nachgereicht (609-723). Diese inhaltlich und methodologisch innovativen Untersuchungen erschienen nach einigen Jahren auf 462 Seiten erweitert in Buchform unter dem Titel Neue Untersuchungen über die Constitutionen und Kanones der Apostel. Ein historisch-kritischer Beitrag zur Literatur der Kirchengeschichte und des Kirchenrechts (Tübingen 1832) (siehe auch Einleitung zu Text Nr. 1, bei und in Anm. 132, sowie zu Text Nr. 3, Anm. 15). 3 K aspar M aximilian Frhr. von D roste zu V ischering (1770-1846) war von 1826 bis 1846 Bischof von Münster. 4 Die Ausführungen D reys zur Synodenthematik sind hier auffallend umfangreich. Daran ist indirekt abzulesen, daß ihm die Synodenfrage 1829 wichtig war, und die positive Einstellung zum Synodalwesen, die er hier bekundete, ist zur Hintergrundbeleuchtung für seine spätere Abhandlung Was ist in unserer Zeit von Synoden zu erwarten? (in: ThQ 16 (1834) 203-256) von Belang. <?page no="752"?> 720 Miscellanea 1819-1835 Münster eine Synode stattfand, findet den Synodenerlaß aber vor allem nach seiner inhaltlichen Seite für beachtens- und rühmenswert (369-371). Die beiden nächsten Stimmen aus der Kirche, die D rey für besonders bemerkenswert hält, sind die Sendschreiben zur Faste (Fastenhirtenbriefe) der Bischöfe von Freiburg und Ermland. D rey nimmt diese Schreiben zum Anlaß für eine grundsätzliche Besinnung auf die Beziehung der Bischöfe zu ihren Pfarrern und ihren Gemeinden und auf die zweckmäßige Einrichtung ihrer Fastenhirtenbriefe (371-374); diese sollten nicht zu bloßen Fastenanweisungen (»Speisezetteln«) (372) herabsinken, sondern als Chance für essentielle Hirtenworte aufgefaßt werden. In dieser Hinsicht habe (2.) das Sendschreiben zur Faste des Erzbischofs von Freiburg 5 »durch Neuheit der Gedanken und Wendungen, so wie durch ergreifende Darstellung« besonders angesprochen (371). Gleiches gelte (3.) für das Sendschreiben zur Faste des Fürstbischofs von Ermeland (Ermland) 6 , das »durch ächtchristliche populäre Belehrung über den Geist des kirchlichen Fasteninstituts, und durch manches zu rechter Zeit gesagte Wort« angesprochen habe (371). Nachträglich angefügt hat D rey (4.) einen Kurzbericht über die vom Erzbischof von Köln 7 für das laufende Jahr erlassene Fastenverordnung für die Erzdiözese Köln (374-375). Sie enthalte »einen im reinen Geiste des Christenthums gedachten und mit Wärme an das Herz gelegten Unterricht über die Nothwendigkeit und Kraft des Gebets, als der Wurzel und Grundlage eines christlichen Lebens« (374) sowie Formulare für eine besondere Andacht für die Fastenzeit. D rey erkennt darin »ein schönes Zeichen der Verbesserung unserer Liturgie«, wie er selbst sich das »immer gedacht« habe (375). Indem D rey hier speziell die Bischöfe anspricht und ihnen Wege zur Ausübung ihres Lehramts aufzuzeigen sucht, schaltete er sich auf dieser Ebene aktiv und in wegweisender Absicht in die kirchliche Erneuerungsbewegung ein. 5 Gemeint ist B ernhard B oll (1756-1836; Taufname J ohann H einrich , 1776 OCist), von 1827 bis 1836 erster (Erz-) Bischof von Freiburg. 6 Gemeint ist J oseph von H ohenzollern -H echingen (1776-1836). Dieser war von 1808 bis zu seinem Tod Bischof von Ermland (1818 Konsekration, 1821 päpstlicher Exekutor der Zirkumskriptionsbulle von 1821). 7 Gemeint ist F erdinand A ugust von S piegel (1764-1835), von 1824 bis 1835 Erzbischof von Köln. <?page no="753"?> 721 Misz. Nr. 17: Stimmen aus der Kirche (1829) Teil B: Johann Sebastian Drey Stimmen aus der Kirche Die deutschen Katholiken horchen noch immer mit großer Begierde und 368 Aufmerksamkeit nach jedem Laute, der ihnen aus dem Innern ihres neu 5 eingerichteten Kirchenwesens entgegentönt. Und das mit Recht. Denn was ist natürlicher, als daß während einer zwanzigbis dreißigjährigen Verwahrlosung, ja Zerrüttung, worein die katholische Kirche in Deutschland durch den Gang politischer Ereignisse gestürzt wurde, auch in ihrem Innern vieles verwahrlost und zerrüttet wurde? Und was in Folge dessen abermals natür- 10 licher, als daß die wahren Katholiken, d. h. diejenigen, die dieser Kirche mit ihrem Geist und ihrem Herzen angehören, jetzt nach der beinahe überall vollendeten Wiederherstellung ihres äußern Organismus sehnlichst wünschen und erwarten, daß nun auch auf gesetzlichem Weg und in der Form kirchlichen Rechts auf das Innere Bedacht genommen, das Verwahrloßte in Berat- 15 hung gezogen, das Beschädigte ausgebessert, das Unheilbar gewordene ausgeschieden werden möge. Vorzüglich von den neuen Bi-schöfen erwarten dieß 369 die katholischen Kirchengenossen, und sind besonders begierig, wie sich diese aussprechen; auf was für Gegenstände sie ihre Gedanken und Sorgen richten, was ihnen als das Erste und Wichtigste und was als untergeordnet 20 erscheine, welche Wege sie einschlagen, und welche Mittel sie vorkehren, ihre wohlgemeinten Absichten für das Beste der Kirche zu verwirklichen, wie sie hierüber zu ihren Geistlichen, und wie zu dem katholischen Volke sprechen. Manche höchstachtbare, weise und fromme Stimme haben wir aus dem Munde würdiger Oberhirten in der kurzen Zeit schon vernommen, und unsere 25 Zeitschrift hat nicht versäumt, diesen Stimmen eine größere Publicität zu geben, und ihnen auch außer dem Kreise, an welchen sie gerichtet waren, die gebührende Anerkennung zu verschaffen. Weil aber der beschränkte Raum unserer Blätter nicht gestattet, alle bischöflichen Erlasse und Verordnungen, die zu unserer Kenntniß gelangen, vollständig abzudrucken, so machen wir 30 uns ein angenehmes Geschäft daraus, wenigstens ihren wesentlichen Inhalt mitzutheilen, um die mannichfaltigen Richtungen und Bestrebungen, die sich auf diesem Gebiete hervorthun, bemerklich zu machen. Außer den frühern Mittheilungen glauben wir mit besonderer Auszeichnung zuerst des Synodalerlasses gedenken zu müssen, den der Herr Bischof 35 von Münster, Kaspar Maximilian Freyherr von Droste zu Vischering, am Schlusse der Herbst-Synode den 16. Oct. 1827 bekannt gemacht, und seitdem hat drucken lassen. Es ist nicht allein diese Form, die an den großen Hebel kirchlicher Thätigkeit in den schönsten Jahrhunderten erinnert, wenn auch 370 <?page no="754"?> 722 Johann Sebastian Drey die Gestalt der neuern Synoden nicht mehr jene der alten ist, es ist die Sache, welche hier in Betrachtung gezogen wurde, und eine der ersten aller Betrachtung werth ist. Der Hr. Bischof schärfte hier seiner Geistlichkeit die Synodalerlasse seiner Vorgänger seit dem Jahre 1784 zur Nachachtung ein, und sorgte für einen neuen Abdruck derselben. Offenbar gieng er hiebei von dem 5 wahren und wichtigen Gedanken aus, daß das religiöse Leben der Kirche in der geistigen und sittlichen Tüchtigkeit der Geistlichen seinen Halt habe, und daß der bekannte Spruch des Dichters: »und allemal, wenn die Kunst verfiel, ist sie durch die Künstler gefallen,« - sich mit gleichem Recht auf das Verhältniß der Priester zur Religion anwenden lasse. Diese also an ihre Bestim- 10 mung zu mahnen, ihren Geist und ihr Herz zu wecken, ihnen ihre wesentlichen Pflichten vorzuhalten, wurden die ältern Synodalvorschriften erneuert. Und in der That enthalten diese alle wesentlichen Punkte der kirchlichen Disciplin für die Seelsorger: Anstand in der ganzen äußern Haltung, untadeliger Lebenswandel vor der Gemeinde, Vorschriften zur zweckmäßigen 15 Führung des christlichen Predigtamts, Eifer für den Unterricht der Jugend, fleißigen Schulbesuch, Einführung der Sonntagsschulen, erbauliche Feier der gottesdienstlichen Handlungen, Treue und Weisheit in den Verrichtungen der privaten Seelsorge. Indem der Herr Bischof diese, alle Pflichten der Geistlichen umfassenden, Vorschriften erneuert, dringt er vorzüglich und mit vollem 20 Recht auf die Hauptregel für Religions-lehrer, nicht blos vermittelst des 371 Worts, sondern auch durch Beispiel und Leben zu lehren. Wenn man diesen Synodalstatuten noch etwas hinzugesetzt wünschte, so möchten es gewisse den Geist unmittelbar ergreifende Mittel seyn, um jene innere Stimmung hervorzubringen, die den Gesetzen willig ihren Beifall giebt, und sie befolgt. 25 Am allgemeinsten erscheinen die S e n d s c h r e i b e n z u r F a s t e . Es sind uns deren verschiedene zu Gesicht gekommen, unter welchen uns das des Herrn Erzbischofs von Freiburg durch Neuheit der Gedanken und Wendungen, so wie durch ergreifende Darstellung, und jenes des Herrn Fürst-Bischofs von Ermeland durch ächtchristliche populäre Belehrung über den 30 Geist des kirchlichen Fasteninstituts, und durch manches zu rechter Zeit gesagte Wort, besonders angesprochen hat. So begründet nun durch ihr Alter die Gewohnheit ist, daß die Bischöfe bei Herannahung der Fastenzeit in einer öffentlichen Bekanntmachung zu den Glaubigen ihres Sprengels sprechen, und so wenig die Unterlassung dieser Gewohnheit anzurathen seyn möchte, 35 schon darum, weil sonst es hie und da sich begeben könnte, daß eine große Kirchengemeinde die Stimme ihres Oberpriesters gar nicht mehr vernähme, so sind wir doch andererseits zugleich der Meinung, daß die Sendschreiben zur Faste zweckmäßiger eingerichtet seyn könnten, als sie es nach der bisherigen Sitte in Deutschland waren. Nach dieser dreht sich in der Regel ihr 40 Inhalt um die zwei Hauptgedanken, was der wahre Geist des Fastens im Sinne der Kirche sey, und wie uns dieser Geist zur Sinnesänderung im Ganzen, zu <?page no="755"?> 723 Misz. Nr. 17: Stimmen aus der Kirche (1829) einer fortschreitenden Besserung unseres Lebens, und damit zur vollen Theil- 372 nahme an der Gnade Gottes durch Jesus Christus unsern Erlöser führen könne und solle. Es ist gewiß nothwendig, daß man jeden katholischen Christen, zumal das sinnliche Volk, an jene beiden Gedanken erinnere, und sie ihm aus einander setze, es ist heilsam, daß es alle Jahre geschehe. Aber warum 5 soll dieß gerade durch den Bischof geschehen, und warum dieß soll gewissermaßen das Einzige seyn, worüber sich der Bischof öffentlich vernehmen läßt? Fordert er ja doch immer in demselben Fasten-Sendschreiben alle Pfarrer und übrigen Seelsorger seiner Diöcese auf, das was er über das Fastengebot gesagt, ihren Pfarrangehörigen noch weiter und ausführlicher an das Herz zu 10 legen, was der Pfarrer unstreitig besser und wirksamer kann als der Bischof, da dieser von dem sittlichen Zustande der einzelnen Gemeinden, von ihrer geistigen Bildung, von den in jeder herrschenden Neigungen und Vorurtheilen nur einen sehr unvollkommenen, der einzelne Pfarrer aber eine viel genauere Kenntniß hat, wenigstens haben kann, wenn er will. Um deßwillen 15 dürften wohl die eigentlichen Fastenpredigten den Pfarrern ganz überlassen werden, dem Bischof aber könnte genügen, diesen die Faste anzusagen und sie an ihre Pflichten zu erinnern. Aber darum sollen die sogenannten Fastenpatente zu keinem bloßen Speisezettel herabsinken; denn der Speisordnung wegen wird sich hoffentlich kein Bischof öffentlich und feierlich vernehmen 20 lassen, um so weniger, als diese Speisordnung wenigstens in Deutschland seit dem Anfang der Revolutionskriege immer dieselbe gewesen ist, und wohl 373 auch künftig bleiben wird, folglich alles was darüber gesagt werden kann, sich auf die zwei Worte reduciren läßt: es ist heuer, wie [sonst 1 ]. Sollte es [dagegen 2 ] nicht für passender gehalten werden, die von der Zeit und Gewohnheit 25 gebotene Gelegenheit zu benutzen, theils um allgemeine Wahrheiten der Religion und Moral, die von großer Wichtigkeit sind, aber meistens vergessen oder nicht recht angewandt werden, in Erinnerung zu bringen, ihre Anwendung auf die gegenwärtigen Verhältnisse zu zeigen, und dazu nachdrucksam aufzufordern; theils um bestehende Mißbräuche, Unordnungen und Irrthü- 30 mern zu rügen; theils endlich um das Beste der Kirche im Ganzen durch oberhirtliche Räthe, Belehrungen und Ermahnungen zu fördern, auf nähere oder entferntere Gefahren aufmerksam zu machen, und Schaden zu verhüten. Auf solche Weise würden die Bischöfe zugleich das Lehramt in einem höhern Sinn als ihre Pfarrer üben, und von ihrer fortgesetzten Wachsamkeit über ihre 35 Kirchensprengel Beweise geben. Es wird uns erlaubt seyn, in dieser Hinsicht auf das Beispiel der alten Bischöfe und Kirchenväter zu verweisen, die in ihren Festbriefen - epistolae festales - sich über jeden zeitgemäßen, von den Festen ganz abliegenden, Gegenstand verbreiteten, so wie in der neuern Zeit die 1 Vorlage: fernd 2 Vorlage: dagen <?page no="756"?> 724 Johann Sebastian Drey französischen Bischöfe die alte Sitte wieder aufgefrischt haben, ohne jedoch gerad überall das Passendste zu treffen. Auch in den Fastenpatenten unsrer deutschen Bischöfe, die in den frühern Jahrgängen dieser Zeitschrift abgedruckt wurden, kann man einige finden, welche sich über allgemeine Gegenstände von höherm Interesse, oder über die nächsten Bedürfnisse der lau- 5 374 fenden Zeit verbreiten; es ist nur zu wünschen, daß diese Beispiele allgemeinere Nachahmung finden mögen. Wir hatten dieß schon geschrieben, als uns die Fastenverordnung für die Erzdiöcese Köln zukam, und durch ihren Inhalt auf eine erfreuende Weise unsere Hoffnung bestätigte, daß unsere hochverehrten Bischöfe auf dem 10 bisher besprochenen Wege Besseres als das Hergebrachte in Uebung setzen werden. Die kölnische Fastenverordnung für das laufende Jahr enthält nämlich einen im reinen Geiste des Christenthums gedachten und mit Wärme an das Herz gelegten Unterricht über die Nothwendigkeit und Kraft des Gebets, als der Wurzel und Grundlage eines christlichen Lebens. Um aber nicht blos 15 zu lehren, sondern das als nothwendig erkannte in Uebung und Wirklichkeit zu versetzen, hat der Herr Erzbischof eine besondere Andacht für die Fastenzeit angeordnet, und die Formulare dazu mitgetheilt. Sie wird alle Freitage mit dem Geläute wie der sonntägliche Gottesdienst angekündet und unter der Ausstellung des Allerheiligsten abgehalten. Vor dem Introitus der 20 Messe und am Ende derselben betet der Priester abwechselnd mit dem Volke laut und mit Nachdruck, zu welchem Zweck eben die Formulare mitgetheilt sind, das Evangelium des Tages wird in deutscher Sprache vorgelesen, und über dasselbe eine kurze, der Fastenzeit angemessene Erbauungsrede gehalten. Während der heil. Messe werden Bußpsalmen oder andere deutsche 25 Lieder gesungen. Diese Anordnung der Fastenandacht bleibt auch für die Zukunft in Kraft, und andere Fasten-andachten können nur mit besonderer 375 erzbischöflicher Genehmigung stattfinden. Wir würden, wenn es uns der Raum erlaubte, wo nicht die ganze Verordnung, doch wenigstens die Formulare mitgetheilt haben, die gerade in der Weise abgefaßt sind, wie sich 30 Referent die Gebete beym öffentlichen Gottesdienst immer gedacht hat, und in welchen er ein schönes Zeichen der Verbesserung unserer Liturgie erkennt, deren sie gerad in diesem Theil am meisten bedarf. Wir wiederholen nun um so freudiger unser Obiges: möchten doch solche Beyspiele allgemeine Nachahmung finden! <?page no="757"?> 725 Misz. Nr. 18: Gute Aussichten für die Kirche (1829) Misz. Nr. 18: Gute Aussichten für die Kirche Teil A: Einleitung von Max Seckler I. Bibliographische Angaben 1. Erstdruck: Text: Theologische Quartalschrift 11 (1829), Heft 3, 592-595. Rubrik Intelligenzblatt. Titel: Gute Aussichten für die Kirche. Ohne Verfasserangabe, von L ösch auf Grund archivalischer Berechnungen D rey zugeschrieben, von K uster mann / F esseler übernommen 1 . 2. Abdrucke: (a.) [J ohann S ebastian D rey ], Tübingen. Gute Aussichten für die Kirche! in: Kirchenhistorischer Bemerker. Nro. 26. (Beilage zum allgem. Religions- und Kirchenfreund und Kirchencorrespondenten. October-Heft 1829.), Jg. 2, Bd. 6, Würzburg 1829, 385-387. (b.) [J ohann S ebastian D rey ], Gute Aussichten für die Kirche, in: Beilage zum Katholiken. Jahrgang 1829. N ro XI. = Der Katholik; eine religiöse Zeitschrift zur Belehrung und Warnung, Jg. 9 [hg. »von D r . Weis, Domkapitular und Bischöfl. Geistlichem Rathe zu Speyer«], Bd. 34, Beilage Nr. 11 [November], Speyer 1829, XXIII-XXV. (Näheres zu diesen beiden hier erstmals bibliographisch nachgewiesenen Abdrucken unten bei und in den Anm. 7-10.) II. Bemerkungen Es handelt sich bei diesem dreieinhalbseitigen Text um eine Glosse zu einem Verwaltungsvorgang, der sich »neulich« (592) in einer katholischen Pfarrei abgespielt habe. D rey gibt den Namen dieser Pfarrei nicht an und bemerkt zu ihr, in ihrer Ortsmarkung wachse ein Wein, den niemand geschenkt trinken möchte (594). Diese Feststellung sollte für Kenner der Verhältnisse wohl etwas zur Identifizierung der Pfarrei hergeben, aber mit ihr wollte D rey in 1 L ösch , Die Anfänge (siehe Misz. Nr. 1, Anm. 3) 108-109; K ustermann / F esseler , Bibliographie (siehe Misz. Nr. 1, Anm. 3) 320. Der von L ösch ausgewerteten Honorarabrechnung für Heft 3 zufolge kann der Artikel tatsächlich nur von D rey stammen. Für diese Zuschreibung sprechen auch im Text zu erhebende Merkmale (siehe die Bemerkungen in Ziff. II). <?page no="758"?> 726 Miscellanea 1819-1835 erster Linie anzeigen, daß es sich um eine wahrhaft arme Pfarrei handelt. Das Armutsmotiv spielt in seinen Ausführungen eine zentrale Rolle. Zunächst eine Bemerkung zum Gegenstand, zur literarischen Form und zur Stellung dieses Beitrags im Werk D reys . In seinen Schriften finden sich zwar häufig ironische und sarkastische Zwischenbemerkungen. Diese erfrischende Art der Meinungsäußerung war ihm keineswegs fremd, aber ein Text in Form einer literarisch eigenständigen Glosse ist bei ihm ein Sonderfall. Das scheint a priori zu bedeuten, daß es sich hier um eine entsprechend außergewöhnliche und absonderliche Sache gehandelt haben mußte. Absonderlich war sie denn auch, aber nicht außergewöhnlich. Es ging um einen durchaus regelmäßigen und regelkonformen Vorgang, wie er sich im Königreich Württemberg - und nicht nur hier in Deutschland - tagein tagaus abspielen konnte und tatsächlich auch abspielte. In ihm spiegeln sich die rechtlichen Verhältnisse und faktischen Zustände im Umgang einer staatlichen Behörde mit den ihrer Aufsicht unterworfenen Pfarreien ausgangs der 1820er Jahre. Nicht unwichtig ist, daß kurz vorher (1827) durch die Bulle Ad dominici gregis custodiam das Bistum Rottenburg errichtet und damit auch dem Staat gegenüber mit einem bis dahin nicht vorhandenen Maß an Selbständigkeit ausgestattet worden war. In dem von D rey kommentierten Vorkommnis wurde in einer allerdings reichlich komischen Weise sichtbar, wie die Wirklichkeit aussah. Eine grimmige Glosse verdiente der Vorgang in den Augen D reys wohl vor allem im Hinblick auf die ihm lächerlich erscheinende Kleinlichkeitskrämerei, zu der die Behörde sich verstiegen hatte. Was war geschehen? Da die Pfarrei vakant geworden war, hatte der zuständige Dekan ordnungsgemäß bei der staatlichen Oberbehörde, dem Katholischen Kirchenrat in Stuttgart 2 , einen Bericht über die pastoralen Verhältnisse in der Pfarrei eingereicht. Und da dem Kirchenrat unter anderem die Oberaufsicht über die Verwaltung des Kirchenvermögens und somit auch der Pfarreifinanzen zustand, hatte der dekanatamtliche Bericht auch dazu die nötigen Auskünfte enthalten. Die Aufsichtsbehörde setzte sich in ihrem Rezeß Punkt für Punkt und exakt durchnumeriert bis in kleinste Einzelheiten hinein mit den Angaben des Berichts auseinander. Diese »recessualischen 2 Der 1806 staatlicherseits eingerichtete Katholische Geistliche Rat (ab 1816 Katholischer Kirchenrat) war eine der Staatsregierung unterstellte Mittelbehörde mit der Bestimmung, die Kirchenhoheit des absolutistischen Staats über die katholische Landeskirche in concreto auszuüben. Seine Kompetenzen erstreckten sich auf alle Gebiete der Lenkung und Kontrolle der die Souveränitätsrechte des Staats berührenden Angelegenheiten im Sinne eines konsequenten Josephinismus. Der Katholische Kirchenrat hatte sich allmählich zu einer Instanz des Zentralismus, der Bürokratie und des aufklärerischen Kirchenreformertums entwickelt. Genaueres zur Beschreibung und Würdigung der Rechtslage und der Verwaltungspraxis bei A ugust H agen , Geschichte der Diözese Rottenburg. Bd. 1, Stuttgart 1956, 53-56, 261-309; G eorg M ay , Mit Katholiken zu besetzende Professuren an der Universität Tübingen (wie Misz. Nr. 15, Anm. 6), bes. 107 f, 142, 149 f (mit Angabe der Gesetzestexte und der einschlägigen Fachliteratur). <?page no="759"?> 727 Misz. Nr. 18: Gute Aussichten für die Kirche (1829) Bemerkungen« (592) sind Gegenstand der Glosse. D rey pickt sieben Nummern heraus, in denen der Kirchenrat auf Sparmaßnahmen gedrängt und Sparmöglichkeiten aufgewiesen hatte. Sie betrafen z.B. die Reduzierung des Verbrauchs von Kerzen und Weihrauch; beanstandet wurde u.a. auch, daß der Dorfschulmeister zum Schaden seiner eigentlichen Dienstobliegenheiten für überflüssige gottesdienstliche Verrichtungen, d.h. für allerlei Gebetsübungen, herangezogen werde. In alledem wird erkennbar, um was es dem Kirchenrat in Wirklichkeit ging: Er hatte die Schere angesetzt, um alte gottesdienstliche Zöpfe abzuschneiden und um in der Wahrnehmung der iura maiestatica circa sacra und selbst angemaßter iura in sacra sein aufgeklärtes gottesdienstliches Reformprogramm durchzusetzen. Die armutsbezogene Sparsamkeit mußte dafür herhalten. D rey kommentiert nun seinerseits die einschlägigen »recessualischen Bemerkungen«. Er richtet das Brennglas auf die behördlich verordneten Maßnahmen, vor allem im Hinblick auf die dadurch angeblich zu erzielenden Einsparungseffekte. Es macht ihm offensichtlich Vergnügen, als gelernter Mathematiker, der er war - zu seinem Lehrdeputat am Lyzeum in Rottweil hatte die Mathematik gehört -, die Höhe der jeweils einzusparenden Beträge genauestens nachzurechnen. Die Ergebnisse (und damit auch das Verhalten des Kirchenrats) verdienen in seinen Augen nur Spott und Hohn. Der Kirchenrat wird ihm später in einer Erwiderung auf seine Glosse (siehe weiter unten) allerdings nachweisen, daß er in seinen skurrilen Berechnungen teilweise von falschen Eckdaten ausgegangen sei und daß es sich durchaus um beachtliche Sparmöglichkeiten handle ... D rey anerkennt indessen, daß die Bemühungen des Kirchenrats wirklich »auf Bereicherung der [armen] Kirche berechnet« seien (592). Die Sparmaßnahmen seien freilich nötig, weil »die neuere Zeit ... bekanntlich die Kirche arm gemacht« habe (ebd.). Er bezieht sich mit dieser Floskel auf eine Stimmung, die unter vielen Katholiken in Anbetracht der mit der Säkularisation eingetretenen Vermögensverluste (und auch, weil der Staat seinen finanziellen Verpflichtungen ungenügend nachkam) verbreitet war, und er ordnet die dem Rezeß zu Grunde liegenden Absichten höhnisch dieser Stimmungslage und der vermeintlichen (und im Falle armer Pfarreien tatsächlich vorhandenen) Armut zu. Es ist nicht anzunehmen, daß er selbst diese Stimmung teilte oder daß er sich nicht im Klaren gewesen sein konnte, daß es der katholischen Kirche im Königreich Württemberg grundsätzlich so schlecht nicht ging, wie ja auch von manchen Protestanten gelegentlich nicht ohne Neid konstatiert wurde 3 . Wenn also F ridolin H uber in seiner Auseinandersetzung mit der Glosse D reys allen Ernstes geltend machte, D rey wolle entgegen den realen 3 Vgl. dazu die materialreiche und ortskundige Württembergische Kirchengeschichte. Herausgegeben vom Calwer Verlagsverein (»Calwer Kirchengeschichte«). Calw und Stuttgart 1893, bes. 644-671. <?page no="760"?> 728 Miscellanea 1819-1835 Verhältnissen die Kirche arm reden (siehe weiter unten), so hatte er, geblendet von seiner notorischen Haßliebe auf den Tübinger Professor, die Ironie in dem Zitat D reys nicht erkannt oder nicht wahrhaben wollen. Die Frage, wie D rey von den Vorgängen in der Pfarrei mit dem sauren Wein Kenntnis erhalten haben mochte (er selbst war, wie man aus seinen Kalendernotizen weiß, in dieser Hinsicht kein Kostverächter), muß offenbleiben. Da er das von ihm kritisierte Schriftstück bei der Abfassung seiner Satire mit Sicherheit vorliegen hatte, ist davon auszugehen, daß sein Informant über die dekanatamtlichen Akten verfügte. Wer der dafür in Frage kommende Dekan war und um welche arme Weinbaugemeinde es sich handelte, wäre, wenn man dafür Zeit aufwenden wollte, sicher den im Staatsarchiv lagernden Akten des Katholischen Kirchenrats zu entnehmen. Die vorliegende Glosse ist ein Unikat im gedruckten Schrifttum D reys . Sie bereichert auf ihre Weise das Charakterbild D reys mit Zügen, die erkennen lassen, daß er dem kritischen Amt des Theologen auch mit grimmigem Witz nachkommen konnte. Das schwere Geschütz einer fachlichen Abhandlung hat er hier nicht aufgefahren, er zündete nur einen Knallfrosch. Bemerkenswert ist indessen, daß er nicht davor zurückschreckte, der mächtigen Oberbehörde in Stuttgart nicht nur offen entgegenzutreten, sondern sie geradezu der Lächerlichkeit preiszugeben. Er fühlte sich jetzt anscheinend stark genug, sich das leisten zu können. Ob dahinter eine persönliche Verärgerung stand, ist nicht bekannt. Sicher ist, daß er ausgangs der 1820er Jahre für das bürokratische Unwesen in Kirche und Staat Unmut empfand. Der im dritten Heft des Jahrgangs 1829 plazierten Glosse hatte er im ersten Heft desselben Jahrgangs eine 37seitige Abhandlung über Die Schreiber in der Kirche vorausgeschickt 4 , in der er mit dem amtlich verordneten Schreibereiunwesen in der Kirche ins Gericht ging. In diese Zeit fallen auch noch andere, auf aktuelle kirchliche Probleme bezogene kritische Abhandlungen 5 . Daß D rey es für tunlich hielt, darüber hinaus einen örtlichen Vorfall mit einer Glosse in einem Organ wie der ThQ zu bedenken, kann nur bedeuten, daß er ihn als glänzendes Paradigma für das Schreibereiunwesen in der Kirche und für staatliche Gängeleien ansah und es deshalb »zur allgemeinen Kenntnis bringen zu müssen« (592) glaubte. Der Ort innerhalb der ThQ, den er dafür auswählte und auswählen mußte, war die Rubrik Intelligenzblatt. Eine solche Sparte war in der Ankündigung der ThQ (siehe Text Nr. 7, Dokument Nr. 1), in der die Gründungsherausgeber den Organisationsplan für die Gestaltung ihrer Zeitschrift vorgelegt hatten, 4 J ohann S ebastian D rey , Die Schreiber in der Kirche, in: ThQ 11 (1829) 38-75. 5 Siehe z.B.: Ueber die Anwendung weltlicher Regierungsweisen auf die Regierung der Kirche. Eine theologisch-historische Betrachtung, in: ThQ 13 (1831) 1-43; Was ist in unserer Zeit von Synoden zu erwarten? in: ThQ 16 (1834) 203-256 (zugleich separat mit eigener Paginierung unter dem Namen D reys erschienen). <?page no="761"?> 729 Misz. Nr. 18: Gute Aussichten für die Kirche (1829) noch nicht in Aussicht genommen. Im Verlagsvertrag vom 6. Juli 1818 taucht ein solches Vorhaben zwar auf, doch es war dort nur als Annex in der ThQ für Mitteilungen des Verlegers vorgesehen 6 . Aber bereits im ersten Heft der ThQ tauchte sie unvermittelt als eigene Rubrik im redaktionellen Teil der Zeitschrift auf. Da G ratz für den ersten Jahrgang der ThQ die Schriftleitung innehatte, ist anzunehmen, daß diese Neuerung auf ihn zurückging. Sie figuriert von da an regelmäßig in der ThQ und fungiert als Oberbegriff für Nachrichten und Berichte verschiedenster Art. Die Herausgeber schlossen sich damit dem in zeitgenössischen Publikationsorganen verbreiteten Brauch an, den Nachrichtenteil im Anschluß an den englischen Sprachgebrauch als Intelligenzblatt (intelligence in der Bedeutung von Nachricht) zu bezeichnen. Die allgemeine Entwicklung hatte dazu geführt, daß Zeitschriften in ihrem Intelligenzblatt vermittels der Auswahl und Kommentierung der Nachrichten ihre Identität pflegten und ihre Ausrichtung zum Tragen brachten. Im Zuge dieser Entwicklung wurden die Intelligenzblätter mitunter auch zu einem Forum der Gesellschaftskritik. Im Hinblick darauf konnte D rey seine spöttische Glosse gut darin unterbringen. Der Text D reys fand überregionale Beachtung. Er wurde vom seriösen Mainzer Katholik 7 und dem streitsüchtigen Würzburger Religionsfreund 8 , den beiden auf Breitenwirkung angelegten Zionswächtern des orthodoxen deutschen Katholizismus, unverzüglich aufgegriffen und wörtlich abgedruckt 9 . Es scheint nicht, daß es sich um eine Einsendung D reys handelte 10 . Der Text 6 Die »Übereinkunft zwischen den Herrn Professoren Dr. Gratz, Dr. Drey, Dr. Herbst und Dr. Hirscher in Tübingen und Buchhändler Heinrich Laupp in Tübingen« notierte in Ziff. 5: »Der Verleger hängt jedem Heft ein Intelligenzblatt an, das mit dem Texte in keine Berührung kommt; dieses Intelligenzblatt wird enthalten: kurze Buchhändler-Anzeigen und beim Verleger vorrätige theologische Literatur« (siehe Einleitung zu Text Nr. 7 (ThQ-Dokumente), Ziff. III.1.b). 7 Der Katholik; eine religiöse Zeitschrift zur Belehrung und Warnung. Diese 1821 von A ndreas R äss (1794-1887), dem späteren Bischof von Straßburg (1842), und N ikolaus W eis (1796-1869), später Bischof von Speyer (1842), als Organ des Mainzer Kreises gegründete Zeitschrift hatte sich dank tüchtiger Mitarbeiter und namhafter Autoren rasch zu einer angesehenen und einflußreichen Plattform des sich formierenden politischen Katholizismus entwickelt. 1825-1827 hatte J oseph G örres die Schriftleitung inne. Sie existierte bis 1918. 8 Allgemeiner Religions- und Kirchenfreund und Kirchencorrespondent; eine theologische und kirchenhistorische Zeitschrift. Diese Postille war 1822 von dem Würzburger Subregens (1832 Regens, 1838 Domdechant) F ranz J oseph B enkert unter dem Titel Der Religionsfreund für Katholiken mit Beiträgen religiös gesinnter Männer gegründet worden, ab 1827 erschien sie unter dem neuen Titel. Sie erreichte bei weitem nicht das Niveau der Mainzer Zeitschrift und war wegen ihrer konfessionalistischen Polemik und ihrer populistischen Machart wenig geschätzt. 9 Zuerst in: Kirchenhistorischer Bemerker. Nro. 26. (Beilage zum allgem. Religions- und Kirchenfreund und Kirchencorrespondenten. October-Heft 1829.), Jg. 2, Bd. 6, Würzburg 1829, 385-387; dann in der Beilage zum Katholiken. Jahrgang 1829. N ro XI., in: Der Katholik, Jg. 9, Bd. 34, Beilage Nr. 11 [November], Speyer 1829, XXIII-XXV. 10 Im Katholik ist dem Text D reys folgende Bemerkung vorangestellt: »Die theologische Quartalschrift von Tübingen liefert im III. Hefte nachstehende merkwürdige Notiz« (XXIII). Das kann nur bedeuten, daß man das ganze Heft als »Lieferant« vorliegen hatte. - Im Religions- <?page no="762"?> 730 Miscellanea 1819-1835 D reys wurde dort jeweils ohne Kommentar und ohne besondere Hervorhebung wiedergegeben, aber die Absicht war klar: Man regisrtrierte ihn als signifikanten Beitrag zur Illustrierung der verhaßten staatskirchlichen Verhältnisse und ihrer bürokratischen Begleitumstände. Auch die Reaktion der »verwundeten« 11 Gegenseite ließ nicht lange auf sich warten. Sie erfolgte in den beiden sich dafür besonders anbietenden Zeitschriften, der Darmstädter Allgemeinen Kirchen-Zeitung 12 und den Rottweiler Freymüthigen Blättern 13 . Erstere war deutschlandweit das führende protestantische Nachrichtenblatt, in vielen Teilen quasioffiziös und der Absicht nach überkonfessionell, letztere war das wackere Magazin der alttreuen und reformbedachten Aufklärer im Südwesten vom Schlage der Pfarrer B enedikt A lois P flanz und F ridolin H uber , mit W essenberg als Mitarbeiter und den Herren vom Kirchenrat als Gesinnungsfreunden. So erschien 1830 in den Freymüthigen Blättern der Beitrag von F ridolin H uber , in dem dieser sich, anknüpfend an den ersten Satz des Dreytextes, in ernsthafter Umständlichkeit und bar jeden Humors im einzelnen beflissen aufzuweisen bemühte, daß die neuere Zeit die Kirche keineswegs arm gemacht habe. Fast alles sei vielmehr besser geworden 14 Der Artikel geht völlig an dem vorbei, was D rey auf die Schippe genommen hatte. H uber hatte, wohl in Absprache mit Stuttgart, offensichtlich den Part übernommen, die Segnungen der Säkularisation und die Wohltaten des Staates herauszustellen. Der andere Part, die direkte Auseinandersetzung mit den Bemerkungen D reys , erschien unter dem gleichen Titel wie die Glosse D reys und im selben Jahr wie der Text H ubers in der Allgemeinen Kirchen-Zeitung 15 . Als Verfasser zeichnete »Ein katholischer Geistlicher in Würtemberg« (941). Der verteidigt penetrant die Maßnahmen der »Staatsbehörde, welche die Oberaufsicht über das Kirchenvermögen führt«, den »katholischen Kirchenrath«, die »Staatsaufsichtsbehörde in Würtemberg«, die »Oberbehörde« (u.s.w.), spricht in der »Ich«-Form und von »unsere[r] Oberbehörde« (939, 940), nennt sie »unsere hohe Staatsbehörde« (941), korrigiert mit Insiderkompetenzen die »in dem 3. Hefte des Jahres 1829 der theologischen Quartalschrift, herausgegeben von D. v. Drey, D. Herbst etc., Professoren der katholischen Faculfreund ist der Text ohne Vorbemerkung unter dem Titel Tübingen. Gute Aussichten für die Kirche! in der Beilage Kirchenhistorischer Bemerker untergebracht, aber am Ende mit der Quellenangabe »Tübinger Quartschrift 4. Q.H. d. J.« [Quartalheft dieses Jahres] versehen. 11 Siehe die einleitenden Bemerkungen in dem unten in Anm. 15 genannten und in Teil B, Ziff. II wörtlich wiedergegebenen Artikel. 12 Zu ihr siehe Einleitung zu Misz. Nr. 15, Anm. 11. 13 Zu ihnen siehe Einleitung zu Text Nr. 1, Anm. 80. 14 Freymüthige Blätter über Theologie und Kirchenthum, Ersten Bandes, erstes Heft, Rotweil 1830, 47-70. Der Titel des Beitrags lautet: Ist es wahr, daß die neuere Zeit bekanntlich die Kirche arm gemacht habe? 15 Gute Aussichten für die Kirche, in: Allgemeine Kirchen-Zeitung Jg. 9, Bd. 2 (1830) Nr. 115, 937-941. <?page no="763"?> 731 Misz. Nr. 18: Gute Aussichten für die Kirche (1829) tät der königl. würtembergischen Universität Tübingen« sich befindende »kirchengeschichtliche Nachricht, mit beigefügten Bemerkungen« (937), verwahrt sich gegen deren Art und Inhalt und sucht - wiederum en de´tail - die Maßnahmen der Oberbehörde als durchaus sinnvoll und sachlich wohlbegründet aufzuweisen. Der Verfasser muß ein Angehöriger des Kirchenrats gewesen sein 16 , er verteidigt mit der Beflissenheit eines Sprechers und dem Genauigkeitsgehabe eines witzlosen Rechners seine Behörde. Dieser Artikel ist doppelt so lang wie die Glosse (siehe unten in Teil B, Ziff. II). 16 Das Königlich Württembergische Hof- und Staats-Handbuch, Stuttgart 1828, gibt über die Zusammensetzung des Katholischen Kirchenrats zu diesem Zeitpunkt folgende Auskunft: »Vorstand: v. Camerer, Director. (Ober-Kirchen-)Räthe: Freyhr. v. Soden, Vice-Director; Mosthaf; Schedler, zugleich Ober-Studienrath; Assesor: Sinz, Ober-Kirchenrath, zugl. O.Studienrath u. Stadtpfarrer« (114). J ohann B ernhard v . C amerer (1765-1835) war von 1817 bis 1832 Direktor des Kirchenrats. C amerer war »ein kleinlicher überheblicher Bürokrat voll Machtdünkel ..., ein erklärter Feind nicht nur des Fanatismus, sondern auch des Ultramontanismus, des Mönchtums und des Zölibats« (H agen , Geschichte (wie Anm. 2) 53). R udolf A ugust v . S oden (1785-1849) war von 1818 bis 1832 Vizedirektor, danach Direktor. Zu ihm H agen : Er war mit dem staatskirchlichen Werk des Katholischen Kirchenrats »verwachsen und war blind für seine Enge und Beschränktheit« (54). L udwig P eter D amian v . M osthaf (1774-1851) war von 1819 bis 1829 als Laie und Verwaltungsfachmann interimistisch Kollegialmitglied im Kirchenrat (1832-1848 Regierungsdirektor des Jagstkreises in Ellwangen). F ranz J oseph v . S chedler (1777-1859) war seit 1809 Assesor und seit 1816 Kollegialmitglied des Kirchenrats. Er war »in der Schule Werkmeisters herangebildet worden ... und hielt bis zu seinem Tode treu zur Fahne, ohne eine große Rolle zu spielen« (H agen 54). G eorg A nton S inz (1773-1840) war seit 1823 als Stadtpfarrer von Stuttgart Assesor im Kirchenrat. Er wurde »wegen seiner strammen staatskirchlichen Gesinnung in den katholischen Kirchenrat berufen« (M ax M iller , Professor Dr. Johann Sebastian Drey als württembergischer Bischofskandidat, in: ThQ 114 (1933) 363-405, 370) und stand in enger Beziehung zu F ridolin H uber ; er allein hatte diesem bei der Bischofswahl 1821 seine Stimme gegeben (vgl. H agen , Die kirchliche Aufklärung (wie Einleitung zu Misz. Nr. 13, Anm. 7) 266. <?page no="764"?> 732 Johann Sebastian Drey Teil B: I. Der Text der Glosse Dreys II. Die Stuttgarter Stellungnahme zur Glosse Dreys 1 I. Johann Sebastian Drey Gute Aussichten für die Kirche Die neuere Zeit hat bekanntlich die Kirche arm gemacht. Es ist also gewiß 5 [592] erfreulich, wenn man hin und wieder das Bestreben gewahr wird, sie wieder reich zu machen. Eine Erscheinung dieser Art glauben wir zur allgemeinen Kenntniß bringen zu müssen. Neulich wurde die katholische Pfarrstelle zu *** erledigt. Während der Erledigung erfolgten auf den dekanatamtlichen Bericht über die Verhältnisse 10 der Pfarrei von Seite der Behörde, welche die Oberaufsicht über das Kirchenvermögen führt, recessualische Bemerkungen, aus welchen wir folgende, als auf Bereicherung der Kirche berechnet, ausheben. Nr. 3. In der Beilage 7 erscheint auf dem Gottesacker ein Beinhaus? Nr. 7. Die Werktagsmesse darf nicht im Geringsten zum Nachtheil der Schu- 15 le verlängert werden. Daher können die drei Vater unser - statt nach der Messe - schon nach des Priesters Communion gebethet werden, 593 und der Pfarrer kann an den Samstagen die Psalmen für sich besonders bethen. Nr. 8. Da der Schullehrer mehr als vormals angestrengt ist, so kann ihm der 20 Rosenkranz an den Samstagen und Festvorabenden nicht mehr aufgebürdet werden. Nr. 9. Das Aussetzen des Hochwürdigsten am Allerheiligenfeiertag lauft gegen die reine Kirchenordnung und gegen die Pflicht der Sparsamkeit. Nr. 10. Ebenso das Austheilen des Johannisweins. 25 Nr. 11. Der Pfarrer ist für eine Eheeinsegnung mit 1 fl. genug bezahlt. Die zumal unschicklichen Zugaben des Weines, Brodes und Sacktuchs sollen aufhören. Nr. 12. Die Intercalargefälle werden der Pfarrstelle zur Verbesserung überlassen. 30 Aus der letzten Bestimmung kann man entnehmen, daß die Pfarrei ***, wie man sagt, eine arme Pfarrei seyn müsse, und sie ist es auch. Um so fühlbarer werden ihr auch geringe Ersparnisse, und sie sind nicht einmal gering. Wenn man z. B. das Ersparniß an Weihrauch, Kohlen und Schwefelhölzchen, bei Nichtaussetzung des Hochwürdigsten am Allerheiligen-Tage, jährlich nur auf 35 1 Diese in der Allgemeinen Kirchenzeitung erschienene (siehe oben Anm. 15) offiziöse Stellungnahme zur Glosse D reys wird wegen ihres vielseitigen Informationsgehalts im Anschluß an den Text D reys in Ziff. II im Wortlaut wiedergegeben. <?page no="765"?> 733 Misz. Nr. 18: Gute Aussichten für die Kirche (1829) einen Sechser anschlägt, so beträgt es in hunderttausend Jahren die runde Summe von 10,000 fl. Posteritati prospiciendum est. Nicht so ergiebig dürfte das Ersparniß am Johanniswein ausfallen, wenn es auch anders scheint. Denn da dieser auf der Ortsmarkung gewachsen seyn wird, den ***er Wein aber 594 Niemand geschenkt trinken mag, so weiß ich das Ersparniß nicht zu berech- 5 nen. Hingegen von einer andern Seite, und diese bieten die obigen Bemerkungen ausdrücklich dar, ergiebt sich ein desto größerer Gewinn. Der Wein von *** ist nach seiner natürlichen Beschaffenheit nur geeignet, Abneigung und Widerwillen, nicht aber Zuneigung und Liebe zu erwecken, was doch die Wirkung des Johannisweins seyn soll. Es ist also zu erwarten, daß künftig die 10 christliche Liebe in dieser Gemeinde um ein Bedeutendes zunehmen wird, wenn sie keinen Johanniswein mehr zu trinken bekommt. Ebenso ist es mit den drei Vaterunsern. Nach einer guten Secundenuhr in Zeit verwandelt, betragen sie 0,00384 ..., oder in einem gemeinen Bruch ausgedrückt, 1/ 260 der täglichen Schulzeit. Um soviel wird also künftig auch die Volksbildung zu- 15 nehmen. So sehr man sich diese Ersparnisse, für die reine Kirchenordnung und die pecuniäre, wie die geistige Bereicherung der Kirche zum Danke verpflichtet fühlt, so wird man bei diesem Receß doch geneigt, zwei Fürbitten einzulegen, die eine für den künftigen Pfarrer, die andere für das Beinhaus. Wenn der 20 Pfarrer zu *** für eine Trauung nie mehr gehabt, als 1 fl., so muß auch der künftige sich damit begnügen; daß man diesem die bisher übliche, übrigens wie mir scheint an sich nicht unschickliche - da in Deutschland Alles Tr i n k g e l d ist - Zugabe an Wein entzieht, ist wohlverstanden eine Wohlthat, denn diese Entziehung dient aus oben bemerkter Ursache zur Verlängerung seines 25 Lebens; aber das Sacktuch sollte man ihm lassen, damit, wenn er wieder 595 abzieht, er doch etwas habe, worein er seine Habe packen könne, in sechs bis sieben Stücken kann ers. Für das Beinhaus; denn da bekanntlich unser Aller Gebeine nach unserm Tod auf dem Kirchhofe deponirt werden, so ist dieser selbst nichts anderes, als ein Beinhaus, mit Rasen bedeckt. Wenn also auch in 30 einer Ecke desselben einige dürre Schedel und Knochen demonstriren, was unter dem grünen Rasen versteckt ist, so ist dies eben der Schild des Kirchhofs, gegen welchen in polizeilicher Hinsicht um so weniger einzuwenden seyn dürfte, da man Beispiele hat, daß ausgegrabene, offene Särge ganze Wochen vor den Fenstern des Pfarrers liegen blieben. Und ein Pfarrer muß ja 35 an diesen Anblick gewöhnt seyn. <?page no="766"?> 734 Die Stuttgarter Stellungnahme zur Glosse Dreys II. Die Stuttgarter Stellungnahme (anonym) Gute Aussichten für die Kirche Unter dieser Aufschrift befindet sich in dem 3. Hefte des Jahres 1829 der [937] theologischen Quartalschrift, herausgegeben von D. v. Drey, D. Herbst etc., Professoren der katholischen Facultät der königl. würtembergischen Univer- 5 sität Tübingen, eine kirchengeschichtliche Nachricht, mit beigefügten Bemerkungen, welche die Art und Weise tadeln, wie die Staatsbehörde, welche die Oberaufsicht über das Kirchenvermögen führt (der katholische Kirchenrath), die armen Kirchen durch kleine Ersparnisse wieder reich machen, die Schullehrer in kirchlichen Geschäften schonen, und den Pfarrern eine geistige 10 und zeitliche Wohlthat entziehen wolle. - Diese Nachricht mit den Bemerkungen ist von den beiden katholischen Zeitschriften, dem Religions- und Kirchenfreund und Kirchencorrespondenten von D. Benkert, und dem Katholiken, von D. Weiß, aufgenommen, und hierdurch sehr verbreitet worden. Sie verwundet durch den Witz, mit dem sie gegeben wurde, und stellt die 15 Bemühungen des kön. kathol. Kirchenrathes lächerlich dar. Wenn dieß gleich nicht in der Absicht des Verf. des besagten Artikels gelegen sein mag, so kann er das Urtheil des Publicums nicht mehr hemmen, dem er diese Nachricht mitgetheilt hat. Quod semel emissum est, volat irrevocabile verbum. (Horat. Epist. I. 18, 71.) 20 Es bedarf aber dieser Artikel einer Berichtigung, die ich zu geben versuche. - Die belobte Nachricht mit ihren Bemerkungen sagt: 1) Die armen Kirchen wolle man reich machen durch kleine Ersparnisse, als durch Unterlassung des Aussetzens des Hochwürdigsten am Allerheiligenfeiertage, und des Austheilens des Johannisweines. 25 Hierauf kann versichert werden, daß die Staatsaufsichtsbehörde über die kathol. Kirche in Würtemberg (der kathol. Kirchenrath) in allem Ernste den armen Kirchen wieder aufhelfen, und die fast bei jeder Kirchenpflege vorhandenen Deficits (Unzulänglichkeit zur Bestreitung der stiftungsgemäßen Ausgaben) durch angemessene Sparsamkeit decken will. Diese Deficits sind 30 [938] meist durch die frühere, nicht zweckgemäße, Verwaltung entstanden; um dieser abzuhelfen, wurde die Kirchenpflege unter bessere Aufsicht gestellt, für die Erhaltung der noch vorhandenen Capitalien durch Anordnung von gerichtlichen Verpfändungen gesorgt, und endlich eine wirklich nöthige Sparsamkeit in den Ausgaben für Cultkosten angeordnet. Die Einschränkung der 35 öftern Aussetzung des Hochwürdigsten, die Verminderung der Zahl der angezündeten Wachskerzen, und das Verbot, den Communicanten- und JohannisWein auszutheilen, gehören hierher. Das Hochwürdigste soll nach der reinen Kirchenordnung nur an den vier Festen, d.i. an Weihnachten, Ostern, Pfingsten, Mariä Himmelfahrt, dann am 40 <?page no="767"?> 735 Misz. Nr. 18: Gute Aussichten für die Kirche (1829) Charfreitage, am Frohnleichnamstage und während dessen Octav ausgesetzt werden. Wenn daher das Hochwürdigste an einem anderen Feier- oder Festtage ausgesetzt wird; so läuft dieß sicher gegen die reine Kirchenordnung. Es ist aber bekannt, wie sehr diese Aussetzung des Hochwürdigsten vervielfältigt wurde; das Volk liebt dieselbe, und manche Geistliche ersparten 5 sich mit derselben die Abhaltung einer Predigt und christlichen Lehre. Daher wurde denn auch das Hochwürdigste ausgesetzt, Am Neujahr, Christi Erscheinung, Mariä Reinigung, Mariä Verkündigung, Himmelfahrtsfest, Peter und Paulsfest, Mariä Geburt, Kirchweih, Allerheiligen, Mariä Empfängniß; am Feste des Kirchenpatronen; an den Sonntagen der Bruderschaften, und so 10 oft ein Engelamt (Missa solemnis de ss. Sacramento) gehalten wird. Die Aussetzung des Hochwürdigsten erfordert, daß wenigstens vier bis sechs Wachskerzen auf dem Altare angezündet werden, und Kohlen und Weihrauch zur Räucherung. (Incensation.) Wir überlassen es nun dem verständigen Rechner, die Summe zu bestim- 15 men, welche erspart wird, wenn diese häufige Aussetzung des Hochwürdigsten auf die obige geordnete Zahl eingeschränkt wird. - Die vielen angezündeten Kerzen bei hellem Tage machen die Herzen der Anwohner in der Kirche nicht wärmer für die Christusreligion, und auch die 939 Köpfe der Kirchenglieder nicht heller, ebenso verbreitet der Weihrauch kei- 20 nen Wohlgeruch, wohl aber können durch ihn die Kirchengeräthe, Bilder, Statuen, Wände etc., eher schwarz werden, und Schaden leiden, der Unterordnung und Gefahr nicht zu gedenken, welche durch die oft muthwilligen und leichtfertigen Ministranten (Knaben, die am Altare dienen) welche das Kohlenfeuer unterhalten müssen, veranlaßt werden. 25 Der Speisewein bei der Ausspendung des Abendmahls kann füglich hinweggelassen werden, da es jedem Communicirenden leicht sein wird, ohne denselben die heil. Hostie zu genießen, und ohnehin gar Viele Bedenken tragen, aus dem nämlichen Kelche zu trinken, woraus Alle trinken. Den Johanniswein (der am Feste Johannis des Evangelisten geweiht wird) 30 tranken in manchen Pfarreien die Erwachsenen schon lange nicht mehr, sondern nur noch die Magistratspersonen oder die Schulkinder. Weil insbesondere die Letzteren manche Unfuge und Possen auszuüben sich erlauben, so unterließen schon längst manche Pfarrer, ohne Verbot von Oben zu haben, die Austheilung, und gewiß mit Recht. 35 Durch diese Beschränkung wird, wie leicht zu ermessen, bei jeder Pfarrei zum Beßten der Kirchenpflege Etwas erspart, dadurch das Deficit derselben vermindert, und somit allmählich denselben aufgeholfen. 2) Die Schullehrer wolle man schonen, und dadurch Zeit für die Schule gewinnen, daß sie die 3 Vaterunser nicht mehr nach der Messe, sondern nach 40 der Communion des Priesters beten sollen, und an Samstagen Vormittags nicht mehr auf den Priester warten dürfen, bis er die 3 Psalmen ad Tumbam gebetet hat. <?page no="768"?> 736 Die Stuttgarter Stellungnahme zur Glosse Dreys Der Schullehrer, will die Oberbehörde, soll nicht durch überflüssiges Vorbeten angestrengt werden. Denn hat der Lehrer in der Kirche sich durch Vorbeten eines Rosenkranzes erschöpft, wie wird er noch mit Kraft 3 Schulstunden abhalten können? Damit sind aber passende Gebete und Lieder nicht gemeint, die der Lehrer und die Schüler abwechselnd oder mit einander 5 vortragen. Christliche Gebete und erbauenden Gesang schreibt unsere Behörde sogar vor, aber das Abbeten des leidigen Einerlei des Rosenkranzes will sie abgeschafft wissen, und mit Recht, weil heutzutage, Gottlob! die Schulmeister lesen, singen, und auch die Orgel spielen können. Hat der Lehrer während der Werktagsmesse gebetet und gesungen, so sehe 10 ich nicht ein, wie er nach derselben nochmals 3 Vaterunser und die Psalmen an der Tumba beten solle; jene werden füglich nach der Communion des Priesters abgebetet, diese kann der Geistliche allein zu Hause verrichten. Es ist nothwendig, daß der Schullehrer vor oder mit den Schülern das Schulzimmer betrete; denn die Munterkeit der Kinder, ihr Hang zum Muthwillen verleitet 15 sie leicht, wenn sie ohne Aufsicht längere Zeit in dem Schulzimmer sind, zur Unruhe, Andere treiben Unfug, jodeln, machen Staub etc., was Alles beseitigt wird, wenn der Lehrer anwesend ist. Werden die Schüler zur Ordnung angewohnt, ihre Lebhaftigkeit eingeschränkt, und die volle zur Schule bestimmte Zeit - für den Unterricht 20 verwendet, so gehet reeller Nutzen für die Volksbildung daraus hervor. Es ist 940 nicht bloß 1/ 260 der täglichen Schulzeit gewonnen, sondern es wird auch der Geist der Ordnung, Regelmäßigkeit und des weisen Zeitgebrauches damit verbreitet. Im Allgemeinen gilt noch: Es ist im 19. Jahrhunderte wahrlich zu bedau- 25 ern, daß man nach so vielen gemachten Erfahrungen nicht wissen will, was dem Volke Noth thut, was zum wahren Gottesdienste gehört und wirklich zum Frommen der Christen wäre, und immer noch zu sehr an dem hängt, und das Gottesdienst nennt, was doch nicht im Geringsten den Unwissenden belehrt, den Lauen erbaut, den Sünder bessert, und das Christenvolk recht- 30 schaffener und verständiger macht. Was rechnen Christus und seine Apostel zum wahren Gottesdienste? 3) Dem Pfarrer wolle man durch Wegschaffung des Beinhauses auf dem Gottesacker das heilsame Memento mori entziehen; - und auch das Einkommen schmälern, indem man ihm das bei den Copulationen übliche Geschenk, 35 bestehend in einem Sacktuche, Fleisch, Brod und Wein entziehe, und nur 1 fl. Stolgebühren zu fordern gestatte. Es besteht die in den meisten Pfarreien ausgeführte Verordnung, daß die früher in den Beinhäusern aufgehäuften, aus den Gräbern gesammelten Gebeine, in ein Grab gelegt und mit Erde bedeckt werden; daher sind die 40 Beinhäuser überflüssig geworden, und wenn in einer Pfarreibeschreibung von einem solchen noch Meldung geschieht, so kümmert sich die Oberbehörde <?page no="769"?> 737 Misz. Nr. 18: Gute Aussichten für die Kirche (1829) mit Recht darum. Das Beinhaus soll man aber, bittet jene Bemerkung, vor den Augen des Pfarrers nicht wegschaffen; damit er, scheint es, das Sterben nicht vergesse. Wenn je ein Stand hinlängliche Erinnerungszeichen an den Tod hat, so ist es gewiß der Seelsorgerstand, der am Krankenbette, am Grabe so oft stehen, Leichenreden und Leichengottesdienste halten, und die Tod- 5 tenregister in duplo schreiben muß. Soll er hierdurch nicht an seine Sterblichkeit gemahnt werden? Muß es gerade das Beinhaus sein, das ihn hieran erinnert? - Das muß ein an Geist schwacher, und an Gesicht blinder Pfarrer sein, wenn ihm Todtenschädel und Knochen das Memento mori erst zurufen müssen! Erkennet man einen Gottesacker nur am Beinhause; nicht am Kreu- 10 ze, den Grabsteinen und Kreuzen auf den Gräbern? Weiß man nicht den Mißbrauch und Aberglauben, welcher mit den Schädeln und Knochen, die im Beinhause aufbewahrt waren, getrieben wurden? Die erwachsene Jugend nahm die Knochen zum Zuschlagen und um Obst von den Bäumen zu werfen, und die Schüler spielten oder kegelten gar mit den Todtenschädeln. 15 Ist es also nicht verständiger und achtungsvoller für die Menschengebeine, wenn sie in die Erde vergraben sind und bleiben, als wenn sie zur Schau für die Menschen, oder nur für den Pfarrer, und zur Entehrung, zum Mißbrauche und zur Beförderung des Aberglaubens aufbewahrt werden? Für eine eheliche Einsegnung ist 1 fl. Stolgebühr genug. Brod, Fleisch und 20 Wein sind Geschenke, die anzunehmen der Geistliche Bedenken trägt, der seine ordentliche Besoldung hat, und das Sacktuch braucht der würtembergische Geistliche nicht zum Einpacken seiner Habseligkeiten, denn unsere Oberbehörde, der katholische Kirchenrath, sorgt auf eine ehrenvolle Weise für den Unterhalt der Geistlichen. Ein Vicar hat jährlich nebst Kost, Trunk, 25 Logis, Wasche und Bedienung 50 bis 104 fl., und Antheil an den Stolgebüh- 941 ren; ein Pfarrverweser täglich 1 fl., freie Wohnung und sämtliche Stolgebühren, ein Caplan wenigstens jährlich 400 fl., und ein Pfarrer jährlich wenigstens 600 fl. Damit läßt es sich standesgemäß leben, und auch Etwas erhausen. Es darf der Geistliche nicht erst auf Sporteln warten, um daran zu leben; und 30 wenn gleich die Stolgebühren und Accidenzien heutzutage geringe sind, im Vergleiche mit der früheren Zeit, so ist gerade deßwegen die fixe Besoldung erhöhet worden. (Vergl. A.K.Z. Nov. 1829. S. 1487, wo genau angegeben ist, welche Ausbesserung durch den Intercalarfonds die kathol. Kirchenstellen erhalten haben.) 35 Aus der bisherigen Darstellung geht hervor, daß jene recessualische Bemerkungen einseitig aufgefaßt wurden, und leider das viele Gute mißkannt wird, das unsere hohe Staatsbehörde für die kathol. Kirche und den Stand der kathol. Geistlichen gethan hat und noch thut. Ihrer Bemühung verdanken wir auch die niederen Convicte zu Ehingen und Rottweil, den höheren Convict zu 40 Tübingen und die theologische Fakultät daselbst, und das Landesbisthum. Sie verdient daher den Dank der Katholiken. Ein katholischer Geistlicher in Würtemberg. <?page no="770"?> 738 Miscellanea 1819-1835 Misz. Nr. 19: Vorwort [Für Peter Schleyer] Teil A: Einleitung von Max Seckler I. Bibliographische Angaben Text: J ohann S ebastian D rey , Vorwort, in: P eter S chleyer , Würdigung der Einwürfe gegen die alttestamentlichen Weissagungen an dem Orakel des Jesaia über den Untergang Babels, C. XIII-XIV, 23. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der Chaldäer. Von Peter Schleyer, Lehramtskandidaten der theologischen Fakultät an der hohen Schule zu Freiburg i. B. Mit einem Vorworte von J. S. v. Drey, Doktor der Theologie, ord. öff. Professor an der Universität Tübingen und Ritter des Ordens der Württembergischen Krone. Rottenburg a. N., Verlag der J. B. Bäuerle’schen Buchhandlung. 1835, V-XII. Der Text trägt in der Druckfassung die Unterschrift: »Tübingen, im August 1835. S. Drey.« (XII). Damit ist die Verfasserschaft D reys und das Datum der Abfassung unmittelbar gesichert. Dieses Vorwort ist der Textgattung nach in den Schriften D reys ein Unikat 1 . II. Bemerkungen Der Freiburger Theologe P eter S chleyer 2 hatte, ausgestattet mit einem dreijährigen Reisestipendium (Herbst 1832 bis Herbst 1835) der badischen 1 Es ist demgemäß bei K ustermann / F esseler , Bibliographie (siehe Misz. Nr. 1, Anm. 3) in der Rubrik »4. Varia« als einziger Text angeführt (327). 2 P eter A nton S chleyer (* 17. März 1810 in Großeicholzheim in Baden, † am 25. Februar 1862 in Ettenheim), 1828-32 Studium der Philosophie und Theologie in Freiburg, danach dreijähriges Reisestipendium zur wissenschaftlichen Weiterbildung (Studienorte: 1832-1833 Bonn, 1833-1835 Tübingen). Sein in Tübingen entstandenes Erstlingswerk Würdigung der Einwürfe (siehe Ziff. I), zu dem D rey das Vorwort beisteuerte, erschien 1835 im Druck. Im Herbst 1835 Eintritt ins erzbischöfliche Seminar, gleichzeitig erster Lehrauftrag an der Theologischen Fakultät; 27. August 1836 Priesterweihe. Am 31. Oktober 1836 Ernennung zum a.o. und am 14. Mai 1839 zum o. Professor für Exegese und biblisch-orientalische Sprachen, 1845 für Kirchengeschichte und Patrologie. 1839 brachte er einen Nachdruck des oben genannten Werkes heraus (siehe Anm. 13), der das Vorwort D reys nicht mehr enthielt. 1843 setzte sich S chleyer als Dekan der Freiburger Fakultät mit einer 64seitigen Abhandlung für seinen öffentlich angefeindeten Fakultätskollegen H irscher ein (Hirscher und seine Ankläger, in: Zeitschrift für Theologie 9 (1843) 375-448 [Separatdruck Augsburg 1843]). S chleyer galt allgemein als krankhaft reizbar. Sein anhaltend leidenschaftliches Eintreten für den katholischen Charakter der Universität trug ihm zahlreiche Feindschaften ein. Am 23. März 1854 wurde er wegen ständiger Streitereien und Schmähung der Regierung aus dem Staatsdienst entlassen. Die von ihm herausgegebene Dokumentation Die Universität Freiburg. Ac- <?page no="771"?> 739 Misz. Nr. 19: Vorwort [Für Peter Schleyer] (1835) Regierung vom 4. September 1832 zur wissenschaftlichen Weiterbildung 3 , für das erste Jahr Bonn und für die zwei nachfolgenden Jahre Tübingen gewählt 4 . In einem vertraulichen Brief S chleyers an seinen Gönner in Freiburg, den Philologen K arl Z ell , heißt es: »Ich kann der Vorsehung nie genug dafür danken, daß sie mich nach Tübingen führte. Hier habe ich Männer gefunden, wie ich sie haben mußte, wenn meine Zweifel gelöst werden sollten: und sie werden gelöst. Brenner in seiner Dogmatik 5 widerlegt manchmal die gegen tenmäßige Darstellung meiner Entfernung vom theologischen Lehramte an derselben nebst einem auf Befehl des hochw. Herrn Erzbischofs Hermann verfaßten Promemoria über ihren Zustand (Schaffhausen 1854) gibt Auskunft über diese Vorgänge aus seiner Sicht. S chleyer übernahm dann die Pfarrei Kappel am Rhein. Im März 1860 mußte er wegen Beleidigung seiner Pfarrkinder Kappel verlassen. Er starb als Pensionär in Ettenheim. Das wissenschaftliche Werk S chleyers weist außer seiner Würdigung der Einwürfe von 1835/ 39 keine Monographien auf. Zu ihm: C ajetan J äger (Hg.), Gelehrtes Baden, oder Verzeichniß der im Großherzogthum Baden lebenden Schriftsteller. Erstes Heft, die Zu Freiburg im Breisgau lebenden Schriftsteller enthaltend [Literärisches Freiburg im Breisgau ...]. Freiburg 1839, 138-140; F riedrich von W eech (Hg.), Badische Biographieen. Dritter Theil. Karlsruhe 1881, 138-140; ADB 31 (1890) 477-478 (F ranz H ein rich R eusch ); E ugen S äger , Die Vertretung der Kirchengeschichte in Freiburg von den Anfängen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Schulgeschichte der Aufklärung (Beiträge zur Freiburger Wissenschafts- und Schulgeschichte 31). Freiburg i.Br. 1952; R udolf R einhardt , Zwei Briefe aus Tübingen 1833 34. Der Freiburger Theologe Peter Schleyer über die Katholisch-theologische Fakultät, in: ThQ 168 (1988) 139-149. 3 Im Hintergrund standen Überlegungen und Kämpfe um die Wiederbesetzung des 1832 vakant gewordenen Lehrstuhls für Kirchengeschichte an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg, für die zunächst eine Zwischenlösung in Form einer Suppletur durch einen jungen Lehramtskandidaten vorgesehen war. Dafür hatte sich S chleyer »unablässig und aufdringlich bei seinem Gönner Professor Zell, bei der Theologischen Fakultät und selbst beim Ministerium« angetragen (K arl B rechenmacher , Joseph Beck (1803-1883). Ein badischer Spätaufklärer (Contubernium 29). Tübingen 1984, 48). Das Ministerium hat denn auch S chleyer als Supplenten in Aussicht genommen, »wenn man erwarten darf, daß Lehramtskandidat Schleyer sich zur Übernahme der Lehrkanzel qualifiziere« (B rechenmacher 48 mit archivalischen Belegen). Wohl direkt im Hinblick darauf hatte S chleyer das Reisestipendium erhalten. Seine während seines Tübinger Aufenthalts entstandene Arbeit Würdigung der Einwürfe (wie oben in Ziff. I), für die D rey das Vorwort verfaßte, hatte demnach diesen Zweck. 4 Mit seiner Entscheidung für Tübingen als Studienort war S chleyer dem Rat des Freiburger Moraltheologen H einrich S chreiber (1793-1872) gefolgt, ursprünglich wollte er nach Breslau gehen. S chreiber repräsentierte an der Freiburger Theologischen Fakultät am entschiedensten die Aufklärung und die Richtung W essenbergs . Er wurde 1836 in die Philosophische Fakultät versetzt und trat 1845 zum Deutschkatholizismus über. Zu ihm siehe B rechenma cher , Joseph Beck (wie Anm. 3) 38-40, 82-84, 127-129. 5 Gemeint ist der Bamberger Dogmatiker F riedrich B renner (1784-1848), der dort von 1820 bis 1845 den Lehrstuhl für Dogmatik innehatte. Seine dreibändige Katholische Dogmatik ist 1826-1829 in Frankfurt a. M. herausgekommen (Nachdruck Rottenburg a. N. 1831). Die Bände 1 und 2 wurden von D rey rezensiert in: ThQ 10 (1828) 511-543; 11 (1829) 298-308; vgl. dazu auch ThQ 10 (1828) 668-707 sowie ThQ 20 (1838) 83-103 (Rezension D reys zu Bd. 1 der dritten Fassung; die erste Fassung von B renners Dogmatik erschien u.d.T. Freye Darstellung der Theologie in der Idee des Himmelreichs, oder neueste katholische Dogmatik nach den Bedürfnissen unserer Zeiten. 3 Bde., Bamberg, Würzburg 1815-1818; eine dritte Fassung u.d.T. System der katholischen speculativen Theologie. Bd. 1, Bd. 2.1-4, Regensburg 1837-1838, davon neue Aufl. u.d.T. Katholische Dogmatik, oder System der katholischen speculativen Theologie. Regensburg 1844). <?page no="772"?> 740 Miscellanea 1819-1835 das ein oder das andere Dogma vorgebrachten Einwürfe auf eine so unphilosophische, ja abgeschmackte Art und Weise, daß man durch diese Widerlegung nur noch mehr von der Wahrheit der Einwürfe überzeugt werden muß. Ganz anders ist dies hier bei dem geistreichen Herrn von Drey. Von Einwendungen, die unwiderleglich scheinen, weiß er, wahrhaft ingeniös, die Unhaltbarkeit nachzuweisen, und alles, was er sagt, ist durchdacht und hat Gewicht. Zu ihm kommt noch die schöne Form seiner Darstellung, was wohl auf Rechnung seiner klassischen Bildung zu schreiben ist« 6 . Bereits in einem Brief vom 29. Dezember 1833 an denselben Adressaten hatte S chleyer sich begeistert zu den Tübingern geäußert: »Die hiesige katholisch-theologische Fakultät ist in allem der Gegensatz der Freiburger. Unter den Professoren herrscht die schönste Harmonie und Einheit in der Darlegung des Lehrbegriffs, ohne daß der Einzelne seiner eigenthümlichen Richtung etwas vergäbe. [...] Den katholischen Lehrbegriff halten die jungen Theologen aus Überzeugung fest und man bildet hier nicht wie in Freiburg vollendete Heuchler. Die Professoren sind nun allerdings geistreiche Männer. Allein dies kann man von denen an der katholisch-theologischen Fakultät in Bonn nicht sagen, und doch bildet auch sie einen vortrefflicheren Clerus als die Freiburger« 7 . Das war die Situation, in der S chleyer die Arbeit verfaßte, zu der D rey das Vorwort beisteuerte. D rey teilt im Vorwort mit, S chleyer sei in Tübingen von Anfang an durch den Besuch seiner Vorlesungen und durch Privatunterredungen in engere Beziehung zu ihm getreten (V f). Er, D rey , sei dabei zum Zeugen seiner theologischen Denkweise und auch »der Wendung, welche diese während seines hiesigen Aufenthalts genommen hat«, geworden (VI) 8 . 6 Brief S chleyers an K arl Z ell vom 16. März 1834. Der Brief ist ediert bei R einhardt , Zwei Briefe (wie Anm. 2) 147-149. In diesem Brief finden sich auch Charakterisierungen H ir schers , M öhlers und H erbsts . - K arl Z ell (1793-1873) hatte von 1821 bis 1836 die Professur für (Alt-) Philologie an der Universität Freiburg inne, er war dort auch Dekan der Philosophischen Fakultät, Prorektor und Oberbibliothekar, 1836 Ministerialrat und Mitglied des Oberstudienrats, 1846 bis 1855 Professur für Archäologie in Heidelberg. Zu ihm: LThK 10 (1938) 1053 (J ulius D orneich ); ADB 45 (1900) 15-17 (F riedrich von W eech ); B re chenmacher , Joseph Beck (wie Anm. 3) 7, 48, 50 f, 71, 74, 107, 149-151. 7 Der Brief ist gleichfalls ediert bei R einhardt , Zwei Briefe (wie Anm. 2) 143-147, hier 145 f. Die oben zitierte Bemerkung ist für die Außenwahrnehmung der Katholischen Tübinger Schule anfangs der 1830er Jahre besonders im Hinblick auf die Charakterisierung »Einheit in der Darlegung des Lehrbegriffs«, aber »ohne daß der Einzelne seiner eigenthümlichen Richtung etwas vergäbe« von Interesse. Wenn nämlich neuerdings die Bezeichnung »Katholische Tübinger Schule« wegen der Verschiedenheit ihrer Repräsentanten und ihrer Theologie problematisiert wurde, so geschah das auf Grund eines monolitischen und uniformistischen Schulbegriffs. Die freie Selbständigkeit der Tübinger Theologen und ihre je »eigenthümliche Richtung« wurden dagegen unter Zugrundelegung eines angemessenen Schulbegriffs zu der Zeit, in der alle Welt von der »Katholischen Tübinger Schule« zu sprechen begonnen hatte, niemals als Argument gegen die Anwendbarkeit des Schulbegriffs auf sie angeführt, sondern vielmehr positiv als eines ihrer spezifischen Merkmale eingeschätzt. 8 Es war eine Wendung von den »Verirrungen, in welche die äußern Verhältnisse ihn im Beginne seiner theologischen Laufbahn verstrickt hatten« (VII), und allgemein vom »Suchen der Wahrheit« zur »Lösung von Zweifeln« (VI) in jeder Hinsicht aus apologetisch begrün- <?page no="773"?> 741 Misz. Nr. 19: Vorwort [Für Peter Schleyer] (1835) Er habe an S chleyer Eigenschaften beobachtet, welche überall den wahren Gelehrten bildeten: Aufrichtiges Suchen nach Wahrheit, Freiheit und Selbständigkeit des Geistes, Scharfsinn in der Erhebung und Behandlung von Zweifeln, ein bedächtiges und gründliches Forschen unter anhaltender Mühe etc. So habe er sich entschlossen, mit einem empfehlenden Vorwort zur günstigen Aufnahme der ersten schriftstellerischen Arbeit des jungen Gelehrten, die den Charakter einer Probeschrift habe, beizutragen, obwohl diese wegen ihrer wissenschaftlichen Qualitäten eigentlich keiner von außen kommenden Empfehlung bedürfe. Er möchte von sich aus trotzdem zwei Aspekte hervorheben. Zum einen die oben angesprochenen Eigenschaften und Fähigkeiten des Verfassers (V-VII), zum andern die Bedeutung des von S chleyer behandelten historischen Themas, das ganz aus dessen eigener Wahl hervorgegangen sei (VII). D rey vermerkt, daß S chleyer sich im systematischen, ersten Teil seiner Arbeit an seine Inspirationstheorie angeschlossen, sie aber gemäß seinem eigenen Denkvermögen frei verarbeitet habe 9 . Ganz behaglich war D rey diese Sache offensichtlich nicht, sowenig wie die weitschweifigen »Herzensergießungen« in der Vorrede S chleyers , die der Leser »bisweilen etwas stark finden« könne, in die der Verfasser freilich »ein ihn gewiß ehrendes Selbstbekenntniß« eingeflochten habe (VII). In dieser Art mischt deten Einsichten unter der Führung D reys . Über diese Verirrungen, die mit den geheuchelten Glaubenseinstellungen von Freiburger Professoren und vor allem mit deren heuchlerischen Ratschlägen für die Ablegung des Priestereides zusammenhingen, berichtet S chleyer in den beiden oben angeführten Briefen an Z ell . Probleme mit dem Priestereid sprach S chleyer auch in der Vorrede seiner Arbeit an. In ihr legte er überhaupt in seitenlangen Herzensergießungen die Motive seiner Verirrungen und die Gründe seiner Bekehrung dar. Im Lichte dieser Ausführungen, die D rey bei der Abfassung seines Vorworts kannte, ist dieses zu lesen. D rey deutet darin einige Distanz zu ihnen an, aber S chleyer hatte sie derart ins Zentrum seiner Vorrede gerückt und derart ergreifend dargestellt, daß D rey sich quasi genötigt sehen mußte, seinerseits relativ ausführlich darauf einzugehen. Daß S chleyer seine Tübinger Bekehrung, so echt er sie auch empfand, zugleich gekonnt in Szene zu setzen wußte, um D rey zu beeindrucken und zu blenden, ist angesichts seines Karrierestrebens durchaus anzunehmen. Dafür spricht umgekehrt, daß er 1839, nachdem er in Freiburg sein Ziel fürs erste erreicht hatte, das Vorwort D reys zusammen mit seiner bekennerhaften Vorrede umstandslos kassierte (siehe weiter unten). 9 Siehe D rey , Grundsätze zu einer genauern Bestimmung des Begriffs der Inspiration, in: ThQ 2 (1820) 387-411; 3 (1821) 230-261, 615-655. Dazu S chleyer in der Einleitung seiner Schrift von 1835 (ebenso 1839): »Die nun folgende Dissertation über die Möglichkeit der Weissagungen im dogmatischen Sinne des Wortes muß ich gewisser Maßen von dem übrigen Inhalte meiner Schrift absondern. Ich habe nämlich dabei kein anderes Verdienst, als die Ideen eines Aufsatzes verarbeitet zu haben, welchen der Herr Prof. von D r e y im Jahre 1820 und 1821 in die Tübinger Quartalschrift hat einrücken lassen. Der Aufsatz führt die Ueberschrift: »Grundsätze zu einer genaueren Bestimmung des Begriffs der Inspiration«, und ist das Beste, was ich je über die Inspiration gelesen habe. Wäre es mir möglich gewesen, etwas Vorzüglicheres in dieser Materie zu Tage zu fördern, so würde ich es gethan haben. Allein die genannte Arbeit ist so vortrefflich, daß ich gerne gestehe, auch im Jahre 1835 nichts Ausgezeichneteres in der Sache haben leisten zu können, als Herr Prof. v. Drey bereits im Jahre 1820 und 1821 geleistet hat. Ehre deßwegen, wem Ehre gebührt! « (S chleyer , Würdigung der Einwürfe (wie oben in Ziff. I) 11, Fußnote). <?page no="774"?> 742 Miscellanea 1819-1835 D rey verschiedentlich - und mehr oder weniger deutlich erkennbar - Wasser der Reserviertheit in den Wein des Lobes. Genau besehen sieht er die Stärken der Arbeit nicht in deren apologetischem Teil, sondern in der historischkritischen Leistung S chleyers und in der Wahl dieser Thematik (VIII f). Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen entfernt sich D rey immer mehr von der Vorlage, atmet freier und rekapituliert Grundsätze seines eigenen Denkens, vor allem aus seiner Vorlesung zur Geschichte des katholischen Dogmensystems von 1812/ 13 (siehe Text Nr. 2) und aus der theologischen Wissenschaftstheorie der Kurzen Einleitung von 1819: kein Widerspruch zwischen historisch-kritischer Textbehandlung und theologischer Signifikanz, Verankerung der spekulativen Theologie (als der eigentlichen theologischen Wissenschaft) im Geschichtlichen, Notwendigkeit eines gründlichen historischen Studiums als Grundlage der theologischen Schriftauslegung, Selbstentfaltung der Ideen in der Geschichte und Abwicklung des ewig Wahren und Wirklichen in den göttlichen Ratschlüssen an der Erscheinung (X f). Am Ende »versetzt Hr. v. D. dem Rationalismus einen tüchtigen Seitenhieb zum Abschiedsgruß« 10 . Zusammen mit einem im Frühjahr 1835 von D rey und H erbst erstellten positiven Gutachten 11 hat das Vorwort D reys sicher dazu beigetragen, daß S chleyer am 31. Oktober 1836 zum a.o. Professor der Exegese und der biblisch-orientalischen Sprachen ernannt wurde 12 . S chleyer fand während seines Tübinger Aufenthalts mit einer ersten Rezension auch Zugang zur ThQ (in: ThQ 17 (1835) 518-554). 1836 brachte die ThQ eine Abhandlung (in: ThQ 18 (1836) 403-434, 539-566) sowie zwei Rezensionen (ebd. 153-169; 301-318) aus seiner Feder. Von S chleyers Untersuchung erschien 1839 unter einem leicht veränderten Titel ein Nachdruck 13 , der einige Besonderheiten aufweist. Das Vorwort 10 So H einrich R hode (Breslau) in einer kritischen Stellungnahme zum Rationalismusbegriff im Dreyschen Vorwort, der dort ein nebelhaftes Gebilde und ein bequemes Sammelwort sei, in: Theologisches Literaturblatt. Zur Allgemeinen Kirchenzeitung 16, Nr. 116 (2. October 1837) 921. Diese Bemerkung findet sich zu Beginn einer umfangreichen Rezension (ebd. 921-928; Nr. 117, 929-935; Nr. 118, 937-941) der Arbeit S chleyers , der er viel Fleiß, Sachkenntnis und auch Scharfsinn attestiert. Sie sei ein guter und zum Teil sehr beachtenswerter Beitrag zu einem schwierigen Problem. R hode rügt aber den häufig unwissenschaftlichen Ton, leidenschaftliche Gereiztheit und zu viel Anmaßung und Absprecherei, und kritisiert außerdem zahlreiche fachliche Mängel und Fehler. 11 Gutachten vom 3. April 1835 zur Bewerbung S chleyers um einen Lehrauftrag für Kirchengeschichte in Freiburg (vgl. R einhardt , Zwei Briefe (wie Anm. 2) 142 Anm. 20). 12 Das Eintreten D reys für S chleyer wurde z.B. von B enedikt W elte als eines der »achtungswürdigsten öffentlichen Zeugnisse« für S chleyer bezeichnet (so W elte in seiner Rezension der Arbeit S chleyers in ThQ 19 (1837) 818-845, 818 f). W elte lobt hier die philologischen Kenntnisse, den Scharfsinn und die Gelehrsamkeit der Untersuchung, kritisiert aber vorschnelle und schiefe Folgerungen aus richtigen Prämissen und problematisiert auch das Inspirationsverständnis S chleyers . 13 P eter S chleyer , Würdigung der Einwürfe gegen die alttestamentlichen Weissagungen an dem Orakel des Jesaia über den Untergang Babels, C. 13-14, 23. Zugleich Darlegung eines historischen Irrthums, als <?page no="775"?> 743 Misz. Nr. 19: Vorwort [Für Peter Schleyer] (1835) D reys und die Vorrede S chleyers von 1835 sind darin nicht mehr enthalten, letztere ist durch eine gänzlich neue Vorrede, datiert auf »November 1838« (XX), ersetzt. In ihr suchte S chleyer seine Arbeit insgesamt neu zu positionieren. Er habe sich entschlossen, »die dogmatische Seite meines Buches gänzlich fahren zu lassen« und »nunmehr allen Nachdruck auf die historische Seite meiner Schrift« zu legen (VI). S chleyer teilt diesen Entschluß, mit dem er ja die auf D rey abgestellte Seite seiner Arbeit dahinfahren läßt, lediglich in dieser Vorrede mit, am Text seiner Arbeit hat er dagegen überhaupt nichts geändert. Der ganze Textteil des Erstdrucks, d.h. die Seiten 1-382, ist total unverändert geblieben und mit den alten Druckplatten wiedergegeben. Mit der in der neuen Vorrede vorgenommenen Neupositionierung seiner Arbeit gibt der Verfasser somit nur Auskunft über das, was er jetzt im Hinblick auf seine weiteren Karrierepläne als Historiker herausstellen will, der Rest ist Etikettenschwindel. Das alte Vorwort D reys ist dafür nicht mehr dienlich, sondern eher hinderlich. Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan. * Das Vorwort ist für die wissenschaftliche Biographie D reys beachtenswert. Es gibt unmittelbar Auskunft über die Denkungsart und die Lehrweise D reys aus der Sicht eines von Glaubenszweifeln zerrissenen Studenten, und dabei besonders über die seelsorgerliche Einstellung D reys und die existenzerhellende Dimension seiner Theologie. Darüber hinaus skizziert D rey selbst in ihm die Merkmale, die in seinen Augen jemand für den Weg in die Wissenschaft qualifizieren. Er rekapituliert außerdem Grundsätze seiner theologischen Prinzipien- und Erkenntnislehre, an denen die anhaltende Konsistenz seiner theologischen Wissenschaftstheorie zu erkennen ist. Konstatierenswert ist ferner der Optimismus, den D rey um die Mitte der 1830er Jahre im Hinblick auf die jüngere Theologengeneration hegte, kündige sich in ihr doch eine glücklichere Periode der Theologie an. seien die alten Babylonier oder Chaldäer zwei verschiedene Völker gewesen. Von Peter Schleyer, Doktor der Theologie, a.ö. [sic] Professor der Exegese und orientalischen Sprachen an der hohen Schule zu Freiburg im Breisgau. Freiburg im Breisgau, Verlag der Herder’schen Kunst- und Buchhandlung. 1839. <?page no="776"?> 744 Johann Sebastian Drey Teil B: Johann Sebastian Drey Vorwort Der hoffnungsvolle junge Gelehrte, welcher hier die ersten Früchte seiner [V] Muse dem Publikum übergiebt, hat geglaubt, daß ein kurzes Vorwort von 5 meiner Seite dazu beitragen könne, seiner Probeschrift eine günstige Aufnahme zu bereiten. Wiewohl ich nun der Meinung bin, daß seine Schrift einer fremden Empfehlung nicht bedarf, indem sie durch ihre Richtung den Verehrern des positiven Christenthums, und durch den in ihr zu Tag gelegten Fleiß und Scharfsinn ihres Verfassers jedem gründlichen Gelehrten sich von 10 selbst empfehlen wird, so hab’ ich doch aus zwei Gründen seinem Wunsche gern entsprochen. Einmal weil ich glaubte, daß der Verfasser, durch das Verhältniß, in welches er sich vom Anfang seines zweijährigen Aufenthalts in Tübingen zu mir VI freiwillig gestellt hatte, sich ein Recht auf ein solches öffentliches Zeugniß 15 erworben habe. Er machte mich nämlich nicht blos zum Zeugen seiner Studien durch den Besuch meiner Vorlesungen, und durch Privat-Unterredungen über dieselben, er machte mich auch zum Zeugen seiner ganzen theologischen Denkweise, und der Wendung, welche diese während seines hiesigen Aufenthalts genommen hat. Ich fand hiebei Gelegenheit, neben dem aufrichtigen 20 Suchen der Wahrheit jene Freiheit und Selbstständigkeit des Geistes, die sich nicht durch jede dargebotene Ansicht oder Auskunft befriedigen läßt, den gleichen Scharfsinn in der Erhebung und Lösung von Zweifeln, in jeder Richtung ein bedächtliches und gründliches Forschen, und für Gewinnung eines sichern Resultates eine aushaltende Mühe, d. h. die Eigenschaften zu 25 beobachten, welche überall den wahren Gelehrten bilden, welche aber ganz besonders dem Theologen in unserer Zeit Noth thun, wo einerseits durch das flachste und seichteste Räsonniren, andererseits durch scheinbar kühne und hohe aber doch luftige Geniesprünge, und von einer dritten Seite durch die bequeme Unbeweglichkeit und Anhänglichkeit an die hergebrachte Weise die 30 wahre Wissenschaftlichkeit in Gefahr kommt. Wenn daher der Leser in der VII Vorrede der vorliegenden Schrift die Herzensergießungen des Verfassers bisweilen etwas stark finden sollte, so möchte ich bitten, dieß dem lebhaften Gefühle des letztern von den Mißständen der Zeit zuzuschreiben; hat er ja doch auch kein Bedenken getragen, in diese Ergießungen ein ihn gewiß 35 ehrendes Selbstbekenntniß einzuflechten. Der andere Grund dieses Vorwortes liegt in dem Thema der Schrift selbst. Es gieng ganz aus der eigenen Wahl des Verfassers hervor, und hat seinen <?page no="777"?> 745 Misz. Nr. 19: Vorwort [Für Peter Schleyer] (1835) Grund einerseits in dem lebhaften Unwillen über die Verirrungen, in welche die äußern Verhältnisse ihn im Beginne seiner theologischen Laufbahn verstrickt hatten, andererseits in dem Verlangen, an einem namhaften Beispiele zu zeigen, daß der positive Glaube an die Offenbarung und an die Inspiration der heiligen Schriften sich auch dort noch behaupten lasse, wo er scheinbar 5 am meisten contestirt ist. Eine andere außer dieser allgemeinen polemischen Beziehung hat die Schrift nicht, wohl aber gab ihr Thema dem Verfasser Gelegenheit, außer den rein exegetischen Untersuchungen, denen er ursprünglich seine Studien zugewandt, sich auch noch in mehr allgemeinen, und besonders in historischen Untersuchungen zu üben. Wenn er in der ersten 10 Hinsicht, die allgemeinen in der strengen Vernunftprüfung haltbaren Grund- VIII sätze und Vorstellungen von der Inspiration betreffend, sich an die von mir gegebene Theorie angeschlossen hat, so wird man doch in der freien Verarbeitung derselben das eigene Denkvermögen des Verfassers, und sein Talent für streng theologische Erörterungen leicht erkennen. Die historischen Un- 15 tersuchungen aber, welche den größern Theil der Schrift ausmachen, weil sie gegen den Haupteinwurf wider den fraglichen Abschnitt aus Jesaia gerichtet sind, sind ganz das Werk des Verfassers, womit er unstreitig seinen Beruf für Arbeiten dieser Gattung beurkundet hat; da das Streben nach Gründlichkeit, welches im ganzen Gange der Untersuchung sichtbar ist, die richtige Unter- 20 scheidung dessen, worauf es ankomme, die ruhige Abwägung der Gründe und Gegengründe, und der Fleiß in Auffindung und Benutzung der Quellen zur Entscheidung der Hauptfrage dem Kenner nicht entgehen werden, der da weiß, wie schwankend bisher die Urtheile der Gelehrten über das Alter und die Ursitze der Chaldäer gewesen sind. 25 So trete denn diese Schrift als Probe einer gründlichen Behandlung einer historischen Monographie, und obschon in dieser Eigenschaft das theologische Gebiet nur auf der Grenzmark berührend, als eines der erfreulichen Anzeichen seiner bessern Gestaltung im Innern, in die theologische Welt. IX Unter den mancherlei Versuchen, den Glauben an die biblische Geschichte 30 und Begriffe herabzuwürdigen, konnte man seit Langem auch den Mißbrauch bemerken, der von der Profangeschichte, namentlich von der ältern und ältesten Völkergeschichte zu diesem Zwecke gemacht wurde. Da über dieser, wegen der weiten Entfernung, und weil außer den biblischen Nachrichten, welche selbst sehr kurz sind, nur abgerissene Bruchstücke von Ueberliefe- 35 rungen und entstellte Sagen zu uns gekommen, ein Dunkel liegt, welches ganz aufzuhellen nie gelingen wird, so hat einerseits bequeme Nachbeterei das in der vergangenen Zeit unrichtig oder gar verkehrt Aufgefaßte zum historischen Dogma gestempelt, andererseits willkührliche Dichtung Klares und Unklares so verdrehet, daß auf dem einen wie auf dem andern Wege die 40 Profangeschichte mit der biblischen in Widerspruch gesetzt wurde. Diesem Mißbrauche, und den hiedurch leicht errungenen Triumphen über die bibli- <?page no="778"?> 746 Johann Sebastian Drey sche Wahrheit begegnet nur ein gründliches historisches Studium; je mehr sich die wahren Theologen von der Nothwendigkeit eines solchen überzeugen, je sorgfältiger und gründlicher sie in diesem Gebiete arbeiten werden, desto mehr werden sie die Glaubwürdigkeit und Treue der biblischen Ge- X schichte, die bleibende unveränderliche Grundlage sowohl ihrer Wissenschaft, 5 als des socialen Christenglaubens befestigen. - Mit den historischen Studien verbinde sich aber auch das streng wissenschaftliche, jene höhere Richtung des Geistes und der Vernunft, welche in dem Geschichtlichen überhaupt die Selbstentfaltung der Ideen, die Abwicklung des ewig Wahren und Wirklichen an der Erscheinung, in der Geschichte der Offenbarung im Besondern aber 10 die Entfaltung und Abwicklung der göttlichen Rathschlüsse als des Grundes von allem Wahren und Wirklichen erkennt; dadurch erst kommt Geist in den Inhalt der Theologie und wahres Wissen in das Studium des Theologen, denn auch die gründlichste historische Kenntniß der Geschichte der Offenbarung und der Kirche kann ihm nichts als die bloßen Objecte des Glaubens an die 15 Hand geben, das Verständniß derselben und ihre Durchdringung mit dem Wissen wird ihm erst durch jene höhere Geistesrichtung geöffnet. Dieses Verhältniß des speculativen Wissens zu dem historischen ist zwar ein inneres, und darum die Verbindung beider mit einander zu allen Zeiten nothwendig, hat aber eine besondere Wichtigkeit in unserer Zeit und mit Rücksicht auf die 20 bisherige Lage der Theologie, wie sie seit mehreren Decennien war und noch XI ist. Jene unglückliche Richtung der Theologie treibenden Köpfe, die unter dem Namen des Rationalismus bekannt ist, hat, sofern die Erscheinung von der blos intellektuellen Seite aufgefaßt wird, ihren Grund zunächst in der Nichtkenntniß des Zusammenhangs des Historischen mit dem Idealen, und in 25 dem Unvermögen für das Letztere. Die, welche diese Richtung zuerst einschlugen, mochten wohl anfänglich einen dunkeln Gedanken gehabt haben, daß das Historische der Bibel und Offenbarung eine weitere und höhere Beziehung habe, nur konnten sie diese nicht finden, zu ihr sich nicht erheben, und so sanken sie zur Schätzung und Beurtheilung des Historischen nach dem 30 Maßstabe des gemeinen Verstandes und der Sinnlichkeit herab, welche beide Vermögen in allem Geschichtlichen nur Zeitliches, Oertliches, überhaupt Zufälliges erkennen. So ward denn die ganze Geschichte der Offenbarung, und die auf sie sich stützende positive Religionslehre angesehen, und wie nichts natürlicher ist, als daß, wenn einmal ein gewisser Weg glatt und breit 35 getreten ist, die bequemen und schwächlichen Fußgänger sich dahin wenden, so hat jener Weg des Rationalismus viele Liebhaber gefunden, dessen ganzes Thun ein Verneinen und Wegwerfen, dessen Wissen ein baares Nichtwissen ist, dessen Gotteslehre daher consequenterweise von Gott kaum noch weiß, XII daß er ist. Weil aber dieser vornehmthuenden Unwissenheit ungeachtet die 40 Bestimmung der Vernunft das Wissen bleibt, und das höchste wie im Grunde das alles umfassende Object des vernünftigen Wissens Gott und seine Thaten, <?page no="779"?> 747 Misz. Nr. 19: Vorwort [Für Peter Schleyer] (1835) so kann auch die Vernunft nicht überall und in die Länge sich verirren, sie muß zu ihrer Bestimmung und zum wahren Wissen wieder zurückkommen, wozu auf dem Gebiete der Theologie der günstigen Anzeichen immer mehrere werden. Der Rumor des Rationalismus ist im Verklingen, und wird größtentheils nur noch von den alten Meistern unterhalten, von jüngern 5 Adepten aber nur dort, wo der Umschwung der Wissenschaften der Rotation der Erde gegen die Pole folgt; immer bestimmter und allgemeiner kündigt sich in der Richtung und dem Bestreben der jüngern Generation das Heraufrücken einer glücklichern Periode der Theologie an, unter welchen Auspicien ich keinen Anstand nehme, auch die vorliegende Schrift zu begrüßen. 10 T ü b i n g e n , im August 1835. S . D r e y . <?page no="781"?> Anhang Zum wissenschaftliche Nachlaß von P. Pierre Chaillet SJ von Max Seckler Die herausragende Rolle, die der französische Jesuit P ierre C haillet (1900-1972) in Verbindung mit J oseph R upert G eiselmann in der Geschichte der Neuevaluierung D reys spielte, ist bislang in der Dreyforschung kaum bekannt. Der Herausgeber des vorliegenden Bandes hat dem durch Mitteilungen, deren Inhalt auf eigenen Recherchen beruhte, abzuhelfen begonnen 1 . Darin wurde auch darauf hingewiesen, daß es neben den im Druck zugänglichen, D rey und die Katholische Tübinger Schule betreffenden Arbeiten C haillets 2 im Archiv der Ordensprovinz Paris der Gesellschaft Jesu in Vanves aufbewahrte einschlägige Dokumente und Manuskripte von seiner Hand gibt. Es handelt sich vor allem um für den Druck vorgesehene Übersetzungen von Dreytexten sowie um die systematisch angelegte Disposition für einen Dokumentationsband zur Theologie D reys , die C haillet wegen der Ungunst der Kriegszeit nicht mehr herausbringen konnte. Die in Vanves vorhandenen Manuskripte sind aus der Absicht C haillets hervorgegangen, D rey als Gründer der Katholischen Tübinger Schule im französischen Sprachraum vorzustellen und sein theologisches Denken in die »Nouvelle The´ologie«, die sich in den 1930er Jahren formierte, einzubringen. C haillet hatte Tübingen aufgesucht, um unter der Anleitung G eiselmanns M öhler zu studieren. Dort hatte er D rey entdeckt und seine Bedeutung 1 Siehe M ax S eckler , Auf dem Weg zu Johann Sebastian Drey. Beobachtungen zur Geschichte seiner Wiederentdeckung und zur Neuevaluierung seiner ›Kurzen Einleitung‹ von 1819, in: ThQ 189 (2009) 1-28, 26-28; vgl. auch Einleitung zu TüA 2 (Praelectiones dogmaticae) 56*, 61* mit Anm. 122, 64*; Bandeinleitung zu TüA 3 (Kurze Einleitung) 82* f, 178* f, 182* f, 196* f, 209*-211*, 216*-218*, 220*; sowie im vorliegenden Band Einleitung zu Text Nr. 6 (Katholizismusschrift) 449-451 mit Anm. 169-176. 2 Siehe P ierre C haillet , L’Esprit du Christianisme et du Catholicisme, in: RSPhTh 26 (1937) 483-498, 713-726; ders ., Introduction. Jean-Adam Mœhler. Historien et the ´ologien de l’e ´glise, in: J ean -A dam M œhler , L’unite ´ dans l’e ´glise ou le principe du catholicisme [...]. Traduit de l’allemand par Dom Andre ´ de Lilienfeld, O.S.B. Avec une introduction par Pierre Chaillet, S.J. [Hg. von P ierre C haillet ] (Unam sanctam 2). Paris 1938, IX-XL; ders ., La tradition vivante. Hommage a` J. A. Mœhler, in: RSPhTh 27 (1938) 162-183; ders ., Centenaire de Mœhler: l’Amour et l’Unite ´; le myste `re de l’E´ glise, in: Revue Apologetique 66 (1938) 513-540; ders ., Introduction, in: L’E´ glise est Une. Hommage a` J. A. Möhler. Publie ´ par Pierre Chaillet, avec la collaboration de MM. Sertillanges (u.a.). Paris 1939, 9-16, deutsche Parallelausgabe: ders ., Einführung, in: Die Eine Kirche. Zum Gedenken J. A. Möhlers 1838-1938 dargereicht von K. Adam (u.a.), besorgt durch Hermann Tüchle. Paderborn 1939, 7-13; ders ., Principe mystique de l’Unite ´, in: L’e ´glise est une (wie oben) 194-220, in der deutschen Ausgabe: Das mystische Prinzip der Einheit, in: Die Eine Kirche 210-240. <?page no="782"?> 750 Anhang: Nachlaß Chaillet erkannt. In den von ihm angefertigten Übersetzungen wurden überhaupt erstmals Texte D reys ins Französische übertragen. Sie sind deshalb zunächst als historisches Faktum von einigem Belang zu würdigen. Aber da jede Übersetzung unausweichlich zugleich auch interpretativ ist, liegt darüber hinaus ein bleibender Wert darin, daß sich in ihnen der Verstehenshorizont eines französischen Theologen vom Rang C haillets in den 1930er Jahren im Hinblick auf eine Erneuerung der Theologie im Geiste D reys dokumentiert. Das gilt erst recht für die direkten und indirekten Aussagen, die der von C haillet konzipierte Dokumentationsband vermittels der Auswahl der Texte, ihrer Anordnung zu einem systematischen Ganzen und nicht zuletzt durch die rekonstruktive Leistung C haillets im Hinblick auf ein Gesamtbild D reys und seiner Theologie enthält. Für die französische Wahrnehmung D reys und für die Rezeption der Katholischen Tübinger Schule jenseits des Rheins, die bis dahin nahezu allein auf M öhler zentriert war, waren die Projekte C hail lets eine Pionierleistung ersten Ranges. Sie hatten es in sich, diese Rezeptionsgeschichte mit D rey auf eine neue Bahn zu bringen. Die ersten Hinweise auf den in Vanves aufbewahrten Nachlaß C haillets verdankt der Herausgeber des vorliegenden Bandes R ene´ e B e´darida 3 . Eine Nachfrage bei P. R obert B onfils SJ, Archivar in Vanves, führte zu dem Ergebnis, daß sich dort, verteilt auf zwei Archivschachteln in acht numerierten Faszikeln mit weiteren, nicht spezifizierten Unterteilungen, tatsächlich der wissenschaftliche Nachlaß C haillets mit Schriftstücken und Aufzeichnungen zu D rey befindet (Brief von B onfils an den Herausgeber mit Datum vom 29. Januar 2012). P. B onfils hat sich mit großer Bereitwilligkeit der Mühe unterzogen, über diese Bestände genauere Auskunft zu geben 4 , wofür ihm auch an diesem Ort sehr zu danken ist. Nachfolgend wird in Teil A das von P. B onfils angefertigte Verzeichnis (inventaire) der beiden Archivschachteln sowie in Teil B die Disposition, die C haillet für seinen über 400seitigen Dreyband erstellt hatte, im Wortlaut dokumentiert. An dem von P. B onfils angefertigten Inventaire fällt auf, daß die einzelnen Faszikel innerhalb dieser beiden Archivschachteln nicht nach der archivalischen Numerierung geordnet sind. Laut Inventar reicht die Numerierung von »P.Ch 15/ 31« bis »P.Ch 15/ 40«; die Nummern P.Ch 15/ 32 und P.Ch 15/ 35 3 Siehe R ene´ e B e´darida , Pierre Chaillet - Te ´moin de la re ´sistance spirituelle. Paris 1988, 56 f, 227 f. Wertvolle Mitteilungen zu den von C haillet in Tübingen verfolgten Zielen und seinen D rey betreffenden Publikationsplänen finden sich bei H enri de L ubac , Me ´moire sur l’occasion de mes e ´crits. Namur 1989, 2 1992, deutsch: Meine Schriften im Rückblick. Mit einem Vorwort von Erzbischof Christoph Schönborn. Einsiedeln, Freiburg 1996, hier bes. 470 (siehe auch unten bei Anm. 5). 4 In dem genannten Brief vom 29. Januar 2012 erklärte P. B onfils , er habe das maschinenschriftliche Inventar vor mehr als zehn Jahren angefertigt und danach handschriftlich vervollständigt. Die Dokumente selbst seien ungeordnet, fragmentarisch und unvollständig. <?page no="783"?> 751 Anhang: Nachlaß Chaillet sind in dem Inventar nicht angeführt. Ob die beiden zuletzt genannten Nummern D rey nicht betreffen, ob sie (und weitere? ) gänzlich fehlen oder, wie der handschriftliche Nachtrag der Nummer »[P.Ch 15] / 39« (siehe unten am Ende von Teil A) nicht ausschließen läßt, nur der Inventarisierung entgangen sind, ist unklar. Den Mitteilungen von de L ubac zufolge plante C haillet eine »Doktorarbeit über D rey « und »eine Übersetzung seiner Werke« 5 ; bei B e´darida finden sich Hinweise auf weitere geplante Monographien oder Editionen C haillets zu D rey : einen Band mit dem Titel »Christianisme et histoire« und einen weiteren Band mit dem Titel »Christianisme et catholicisme« 6 . Während es sich bei der von de L ubac genannten »Übersetzung« und den beiden von B e´darida angeführten Bänden um ein und dasselbe Manuskript handeln dürfte, das im Inventar unter der Nummer »P.Ch 15/ 34« verzeichnet ist, läßt sich C haillets Dissertationsvorhaben in keinem der im Inventar beschriebenen Manuskripte identifizieren. Im Inventar ist auch z.B. der Briefwechsel C haillets mit weiteren Auskünften über seine Dreystudien und Editionspläne nicht angeführt (siehe dazu B e´darida 40 f, 47, 51, 55-57, 227 f u.ö.). Über weitere Archivbestände zu C haillet (Umfang, Gegenstände [zu M öhler ? ]) liegen keine Angaben vor. Da es dem Herausgeber bisher leider nicht möglich war, den wissenschaftlichen Nachlaß C haillets in Vanves persönlich einzusehen und auszuwerten, möchte er der Dreyforschung wenigstens die im vorliegenden Anhang enthaltenen Informationen zur Verfügung stellen. 5 Siehe de L ubac , Meine Schriften im Rückblick (wie Anm. 3) 470. 6 Siehe B e´darida , Pierre Chaillet (wie Anm. 3) 56 f. <?page no="784"?> 752 Anhang: Nachlaß Chaillet I. Der Drey betreffende Nachlaß Chaillets in Vanves Inventaire des 2 boı ˆtes d’archives du fonds Chaillet contenant ses travaux sur Drey 7 1 e boı ˆte P.Ch 15/ 31 : 5 Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie; texte imprime´, pages 97-110. Anmerkungen, pages 505-511. Avec notes au crayon, en franc¸ais, dans la marge. 8 P.Ch 15/ 34 : Pierre Chaillet: Un pre´curseur, Jean Se´bastien Drey fondateur de l’Ecole 10 catholique de Tubingue (1777-1853). 26 pages dactylographie´es, date´es de 1942. J.S. Drey: Christianisme et catholicisme. Œuvres choisies traduites de l’allemand et pre´ce´de´es d’une introduction, par Pierre Chaillet sj, 1943; 389 pages dactylographie´es 9 15 P.Ch 15/ 40 : Un ensemble de notes manuscrites sur Lessing, Fichte, Schelling... 13 pages dactylo avec corrections manuscrites sur Geiselmann: L’e´cole catholique de Tubingue et sa science de la foi. Des groupes de pages manuscrites ou dactylographie´es sans titre. 20 7 Die Auskünfte liegen in zwei Fassungen vor, bei denen die handschriftlichen Eintragungen von P. R obert B onfils voneinander abweichen. Die handschriftlichen Eintragungen, die nur in der Version A enthalten sind, sind hier durch Kursivsetzung angezeigt, die abweichenden handschriftlichen Notizen der Version B werden in den Anmerkungen mitgeteilt. Schreibfehler wurden stillschweigend berichtigt. - Die Überschrift von der Hand B onfils lautet in der Version B: inventaire des 2 boı ˆtes du fonds Chaillet consacre ´es a` Drey 8 Es handelt sich hierbei um den Text der Revisionsschrift samt Anmerkungen in einer gedruckten Fassung, vermutlich aus dem Vorabdruck von G eiselmanns Geist des Christentums und des Katholizismus, zu dem C haillet schon 1937 eine Rezension in der RSPhTh brachte (L’Esprit du Christianisme et du Catholicisme; siehe Anm. 2). 9 Faszikel »P.Ch 15/ 34« enthält das vollständige Manuskript (Schreibmaschinenfassung) der von C haillet geplanten Dreyedition mit Übersetzungen von Texten D reys im Umfang von 389 Seiten und einem 26 Seiten umfassenden Portrait D reys als Einführung aus der Feder C haillets . Zu diesem Faszikel »P.Ch 15/ 34« gehört auch die unten in Teil B dokumentierte Disposition (Table des matie `res), der weitere Informationen zu Umfang und Anordnung der von C haillet ausgewählten und übersetzten Texte D reys zu entnehmen sind. <?page no="785"?> 753 Anhang: Nachlaß Chaillet S’agit-il d’e´tudes pre´alables au travail de traduction et d’annotation ou de notes destine´es a` faire suite a` la traduction? Seule une e´tude attentive des textes pourrait le dire. 10 2 e boı ˆte P.Ch 15/ 33 : 5 4 cahiers manuscrits: traduction des pages 169-358 (de quel ouvrage? ) 11 P.Ch 15/ 36 : 22 pages dactylographie´es avec corrections manuscrites: Kurze Einleitung in das Studium der Theologie mit Rücksicht auf den wissenchaftlichen Standpunkt... traduction § 174-201, 255-267. 10 24 pages manuscrites recto-verso intitule´es Syste `me de l’Eglise chre ´tienne 12 , § 268-321. 22 pages dact. J.S. Drey: De la the`se selon laquelle l’Eglise seule a qualite´ de sauver (Uber den Satz von der alleinseligmachenden Kirche, pp. 397-418). 9 pages manuscrites sans titre. 15 15 pages dactylo intitule´es 1828, pp. 154-159. 13 P.Ch 15/ 37 : 55 pages manuscrites (manque la 1 ° page) § (? ) 51-321 74 pages dactylo + nombreuses corrections manuscrites: Religion et re´ve´lation 20 20 pages manuscrites sans titre ; en latin (the`ses) et franc¸ais + 9 p. ms intitule ´es: § 5 loi de fide ´lite ´ et de croissance 14 10 Dieses Konvolut unterschiedlichster Schriftstücke beinhaltet handschriftliche Notizen zu L essing , F ichte , S chelling , Aufzeichnungen zu G eiselmann , »L’e´cole catholique de Tubingue et sa science de la foi« in Maschinenschrift mit Korrekturen von Hand (Teilübersetzung des Beitrags in ThQ 1930? ), und weitere hand- oder maschinenschriftliche Schriftstücke ohne Titel in ungenanntem Umfang. 11 Auf einer älteren Kopie des Inventars (Version B) ist die Anzahl der Hefte von B onfils von Hand korrigiert zu fünf Heften. Die Angaben erlauben keine Rückschlüsse auf die Vorlage der 190seitigen Übersetzung. 12 Übersetzung aus KE - wohl §§ 268-307: System der christlichen Kirche) (Hervorhebung im Original). 13 Übersetzung von KE §§ 174-201, 225-267 und 268-321 [307? ], Maschinenschrift mit Korrekturen von Hand; Übersetzung von D reys Abhandlung Über den Satz von der alleinseligmachenden Kirche (die Seitenangabe »pp. 397-418« bezieht sich wohl auf den in Anm. 8 genannten Vorabdruck von G eiselmanns Geist des Christentums und des Katholizismus), Maschinenschrift; 9 inhaltlich nicht näher bezeichnete Seiten und 15 weitere Seiten, unter denen sich wohl eine Übersetzung von D reys Rezension zu Fridolin Huber, Vertheidigung der katholischen Religion gegen Angriffe neuerer Zeit in ThQ 10 (1828) 154-159 befindet. <?page no="786"?> 754 Anhang: Nachlaß Chaillet P. Ch 15/ 38 : 26 pages manuscrites pagine´es de 77 a` 102; en marge: vol. III, pp.80-87 15 [P.Ch 15] 39 De ´veloppement de la doctrine chre ˆtienne 10 p ms Exomologesis. Dissert. 10 p. ms 5 Tagebuch 24 p. ms + pages dact. de Drey Des pages ms en allemand - Drey Philo et Physik “ “ “ en latin Drey Dogmatik I. II. III [zu III: ] (nombreuses pages) 16 II. Die Disposition der von Chaillet geplanten Dreyedition 10 P ierre C haillet Un pre ´curseur: Jean Se ´bastien Drey, fondateur de l’Ecole catholique de Tubingue (1777-1853). Les rapports du christianisme et de l’histoire Table des matie `res 17 Introduction: un the´ologien romantique 15 Jean Se´bastien Drey 1- Re´vision de l’e´tat pre´sent de la the´ologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [1] 2- L’esprit et l’essence du catholicisme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [19] I- Rapport du catholicisme avec le fait du christianisme primitif. [19] II- Rapport du catholicisme avec les principes du christianisme 20 primitif. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [31] III- Rapport du catholicisme avec la religion vivante. . . . . . . . . . [43] IV- Rapport du catholicisme avec l’Eglise chre´tienne. . . . . . . . . . [54] 14 Den inhaltlichen Angaben zufolge dürfte es sich bei den Papieren von »P.Ch 15/ 37« um Vorarbeiten zu dem geplanten Dreyband handeln; siehe in der Disposition in Teil B die Ziffern 7-I (zu »Religion et re´ve´lation«) und 7-III-5 (zu »§ 5 Loi de fide´lite´ et de croissance«). 15 Quelle und Gegenstand dieses nur 26 Seiten umfassenden Faszikels sind nicht erkennbar. 16 Die Angaben zu P.Ch 15/ 39 wurden von B onfils von Hand nachgetragen. In diesem Faszikel liegen demnach Übersetzungen und/ oder Auszüge aus D reys Oratio (»De´veloppement de la doctrine chreˆtienne«), der Beichtschrift (»Exomologesis. Dissert.«), aus D reys Theologischem Tagebuch (auch aus dem Physikalischen Tagebuch? ) sowie aus den Praelectiones dogmaticae. 17 Die Seitenzahlen wurden von P. Bonfils von Hand ergänzt. <?page no="787"?> 755 Anhang: Nachlaß Chaillet 3- The´ologie: construction historique et construction spe´culative. . [67] The´ologie chre´tienne. I- The´ologie et histoire. A- Histoire et the´ologie bibliques. B- The´ologie historique. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [78] 5 1. L’histoire exte´rieure du christianisme. . . . . . . . . . . . . . . [81] 2. L’histoire inte´rieure du christianisme. . . . . . . . . . . . . . . [85] 3. Me´thode de la the´ologie historique. II- The´ologie et Savoir. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [95] 1. Le syste`me de la doctrine chre´tienne. . . . . . . . . . . . . . . [96] 10 2. Le syste`me de l’Eglise chre´tienne. . . . . . . . . . . . . . . . . . [105] 3. Me´thode de la the´ologie scientifique. . . . . . . . . . . . . . . [115] 4- l’Eglise, unique institution de salut. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [118] 5- Le catholicisme et la mystique: applications au temps pre´sent. . . [140] 6- Histoire du de´veloppement du syste`me catholique des dogmes. . [151] 15 7- Re´ve´lation et Histoire. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [192] Pre´ambule. I- Religion et Re´ve´lation: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [196] 1. Le fait religieux. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [196] 2. L’origine de la religion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [207] 20 3. L’essence de la religion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [218] 4. Le de´veloppement de la religion par la Re´ve´lation. . . . [224] 5. Les buts de la Re´ve´lation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [240] 6. La Re´ve´lation dans son rapport avec le temps et l’histoire. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [252] 25 II- L’e´ducation religieuse de l’humanite´: . . . . . . . . . . . . . . . . . [260] 1. Re´ve´lation primitive et division des peuples. . . . . . . . . [268] 2. Voies paı ¨ennes: histoire et mythe. . . . . . . . . . . . . . . . . . [274] 3. Israe¨l en marche: histoire et prophe´tie. . . . . . . . . . . . . . [283] 4. Re´ve´lation de´finitive en J.C.: histoire et ple´nitude 30 des temps. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [295] 5. Christianisme et judaisme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [305] 6. Christianisme et paganisme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [312] III- Re´ve´lation et Eglise: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [317] 1. Limites de la tradition historique. . . . . . . . . . . . . . . . . . [317] 35 2. Transmission active et vivante. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [331] 3. Ecriture et tradition vivante. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [345] 4. Re´ve´lation et Re´demtion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [350] 5. Loi et fide´lite´ de croissance. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [372] 6. L’Eglise vivante. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [388] 40 <?page no="789"?> Abbildungen <?page no="791"?> 759 Abbildungen Abb. 1: Titelblatt des ersten Heftes des Konstanzer Pastoralarchivs von 1804 Nachdem Wessenberg (1774-1860) zum Generalvikar und Geistlichen Regierungspräsidenten des Bistums Konstanz berufen worden war (1802), gründete er sogleich die Geistliche Monatschrift mit besonderer Rücksicht auf die Konstanzer Diözese. Diese Zeitschrift mußte wegen ihres radikal reformerischen Geistes nach zwei Jahren ihr Erscheinen einstellen. An ihre Stelle trat 1804 das Archiv für die Pastoralkonferenzen in den Landkapiteln des Bisthums Konstanz, das bis 1827 in monatlichen Heften herauskam. Es war in Verbindung mit den von Wessenberg erneuerten und streng geregelten Pastoralkonferenzen sein wichtigstes Instrument zur Verwirklichung seiner Reformpläne und hatte den Gründungsdokumenten von 1803 gemäß »die Beförderung der Religiosität und die fortschreitende Bildung des Klerus« zum Ziel. In es wurden neben den besseren Arbeiten der Konferenzteilnehmer auch andere, den Reformabsichten Wessenbergs dienlich erscheinende Aufsätze aufgenommen. Wessenberg übte die Schriftleitung persönlich aus. Er brachte 1812 den ersten Teil der Revisionsschrift (siehe Text Nr. 1). Der Rest blieb ungedruckt. <?page no="792"?> 760 Abbildungen Abb. 2: Erste Textseite der Revisionsschrift von 1812 Das Faksimile zeigt die erste Seite der mit »Joh. Sebast. Drey. Professor.« unterzeichneten Abhandlung Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie aus dem ersten Heft des Jahrgangs 1812 in dem von Wessenberg als Generalvikar des Bistums Konstanz herausgegebenen Pastoralarchiv (siehe Abb. 1). Drey hatte die Revisionsschrift wohl schon vor Juni 1811 eingereicht, aber es gab Widerstände gegen sie (siehe Abb. 3, 4 und 5), sodaß sich ihr Druck um ein halbes Jahr verzögerte. Mit dieser Schrift, einem Paukenschlag erster Ordnung, trat Drey überhaupt erstmals literarisch in Erscheinung. Sie hat den Charakter einer Programmschrift im Hinblick auf die seines Erachtens überfällige epochale Totalrevision der Theologie, aber er formulierte in ihr zugleich die Aufgaben, denen er sich in seinem eigenen künftigen Schaffen stellen wollte. Das Manuskript dieser Abhandlung ist nicht erhalten geblieben. <?page no="793"?> 761 Abbildungen Abb. 3: Zweite Textseite der Revisionsschrift Auf dieser Seite - der zweiten in der Abhandlung Dreys - brachte »die Redaktion« des Pastoralarchivs, d.h. Wessenberg, die oben mit abgedruckte Fußnote an, in der sie sich »in vielen Stücken« von Drey absetzte und »ein paar kritische Aufsätze mit berichtigenden Bemerkungen« ankündigte, die dem Dreytext angefügt seien (siehe Abb. 4 und 5). Der personelle Kontext dieser Kritik und ihre Hintergründe sind in der Einleitung zu Text Nr. 1 aufgehellt. <?page no="794"?> 762 Abbildungen Abb. 4: Erste Textseite der Stellungnahme von Mets Die erste der beiden von Wessenberg angekündigten kritischen Stellungnahmen zur Revisionsschrift (siehe Abb. 3) ist vom »Bischöfl. Geistl. Regierungsrath« Joseph Mets (1758-1819) unterzeichnet. Mets gehörte von 1810 bis 1812 zur Diözesanleitung in Konstanz. Von 1812 bis 1817 war er Erster Vikariatsrat am 1812 errichteten Generalvikariat in Ellwangen. Er stand von daher in enger amtlicher Verbindung mit der gleichfalls 1812 gegründeten Friedrichsuniversität. Dort entwickelten sich freundlich-freundschaftliche Beziehungen zwischen ihm und dem progressiven Flügel der Ellwanger Professoren, dem auch Drey zugehörte. Diese Gruppierung war die Keimzelle der 1818 gegründeten Theologischen Quartalschrift (zu Mets siehe auch Abb. 18). <?page no="795"?> 763 Abbildungen Abb. 5: Erste Textseite der Stellungnahme von Burg Der zweite der von Wessenberg angekündigten kritischen Aufsätze zur Revisionsschrift (siehe Abb. 3) hatte Joseph Vitus Burg (1768-1833) zum Verfasser. Burg zeichnete hier als »geistl. Regierungsrath und Commissär«. Zwischen ihm als landesherrlichem badischen Dekan und Schulinspektor und Wessenberg bestand eine besonders enge Vertrauensbeziehung. 1828 wurde er Weihbischof in Freiburg, 1830 Bischof in Mainz (zu ihm siehe auch Abb. 20). <?page no="796"?> 764 Abbildungen Abb. 6: Ansicht der Stadt Rottweil Rottweil, die alte Reichsstadt (bis 1802) am oberen Neckar, gehörte bis zur Neuordnung der Diözesanstrukturen in der oberrheinischen Kirchenprovinz (1821) zum Bistum Konstanz, mit Wessenberg als Generalvikar und Geistlicher Regierungspräsident. Das Lyzeum in Rottweil war 1802 im Zeichen der Maria-Theresianischen Studienreform (1797/ 98) zu einer höheren Studieneinrichtung - einer Art Philosophisch-Theologischer Hochschule - im Königreich Württemberg erhoben worden. Hier hatte Drey von 1806 bis 1812 einen Lehrstuhl an der philosophischen Abteilung mit den Fächern Physik, Mathematik, Geschichte der Philosophie und Religionsphilosophie inne. Dort konzipierte er seine Programmideen zur Revision und Reform der Theologie, die er in der Revisionsschrift skizzierte und in den Schriften seines Frühwerks Schritt für Schritt umsetzte. <?page no="797"?> 765 Abbildungen <?page no="798"?> 766 Abbildungen Abb. 7: Königliche Verordnung, das General-Vikariat, die katholische Landes-Universität und das Priester-Seminar in Ellwangen betreffend, vom 28. September 1812 Mit dieser Verlautbarung erfolgte die Promulgierung des »allerhöchsten Rescripts« zur Errichtung der Friedrichsuniversität sowie des Generalvikariats und des Priesterseminars in Ellwangen. Der besondere Wert dieses Reskripts gegenüber der Königlichen Inaugurationsurkunde, die in einer Prunkausführung im Archiv der Universität Tübingen aufbewahrt ist (UAT: U 325, handschriftlich, sechs beschriebene Seiten im Ledereinband, mit eigenhändiger Unterschrift und Sigel des Königs) und als Königliches Mandat. Die katholische Landes-Universität im Königreiche betreffend, im Regierungsblatt Nr. 43 vom 10. Oktober 1812, S. 225-227 (vgl. Reyscher Bd. 10, Nr. 266, S. 412-414) veröffentlicht wurde, sowie gegenüber den Allerhöchsten Bestimmungen, die Katholische Landes Universität in Ellwangen betreffend (undatiert, Schriftstücken vom 28. und 30.9.1812 beigegeben; ungedruckt, StAL E 211 I Bü. 85) besteht in der präzisen Zuordnung von Personen und Ämtern von Generalvikariat, Friedrichsuniversität und Priesterseminar in Ellwangen. In diesem Gefüge war Drey von 1812 bis 1817 als Erster Professor tätig. Durch das Reskript vom 28. September 1812 und seine persönliche Ernennungsurkunde vom 3. Oktober 1812 wurden ihm die Fächer Dogmatik, Dogmengeschichte, Enzyklopädie und Methodologie zugewiesen. In Ellwangen hat Drey seine Vorlesung zur Geschichte des katholischen Dogmensystems (Text Nr. 2) mehrfach vorgetragen, hier entstanden seine Millenniumsschrift (Text Nr. 3), seine Beichtschrift (Text Nr. 4) und die dazu gehörende Oratio (Text Nr. 5); die Katholizismusschrift (Text Nr. 6) und die Kurze Einleitung (TüA 3) reiften hier ihrer Vollendung entgegen. <?page no="799"?> 767 Abbildungen Abb. 8: Titelblatt der Vorlesung Dreys zur Geschichte des Katholischen Dogmensystems von 1812/ 13 (Text Nr. 2) Das Titelblatt und damit auch die Angabe des genauen Titels dieser Vorlesung sind eigenhändig von Drey geschrieben. Geiselmann hat dieser Vorlesung in seiner Edition von 1940 den Titel Ideen zur Geschichte des katholischen Dogmen-Systems gegeben. Er griff dafür auf einen von Drey innerhalb seiner Vorlesung verwendeten Zwischentitel zurück, der dort aber nur einen Teil der Vorlesung abdeckt (vgl. Abb. 9). Dem Titel ist auch zu entnehmen, daß Drey ursprünglich damit rechnete, daß dem »I Band« ein weiterer folgen könnte, jedoch gibt es auf einen solchen keinerlei Hinweise. Im Fall seiner Praelectiones dogmaticae (siehe TüA 2) bedeutete die Bandzählung keine materiale Fortsetzung, sondern Stufen der Ausarbeitung des Vortragsstoffes. Demnach hätte der zweite Band des Dogmensystems nicht die zweite Periode der Dogmengeschichte beinhaltet, sondern die Überarbeitung der Darstellung der ersten Periode. <?page no="800"?> 768 Abbildungen Abb. 9: Erste Textseite aus dem Vorlesungsmanuskript Dreys (siehe Abb. 8) Drey hat seiner Vorlesung zur Geschichte des Katholischen Dogmensystems (Text Nr. 2) eine im Autograph 45 Seiten umfassende Einleitung vorangestellt und diese mit der Überschrift Ideen zur Geschichte des katholischen Dogmen-Systems versehen (siehe oben, Zeile 1 und 2). Geiselmann hat diese Überschrift irrtümlich zum Gesamttitel der Vorlesung erhoben (vgl. Legende zu Abb. 8). In den »Ideen« des Einleitungsteils skizziert Drey die systemtheoretischen Richtlinien zur wissenschaftlichen Betrachtung der Dogmengeschichte. Eingefügt in ihn sind außerdem auffallend prägnante Bemerkungen zum Handwerk und zum Ethos des Theologen, in denen Drey zugleich Auskunft über seine persönliche Einstellung und Haltung gibt. Derartige Bekenntnisse sind eine Rarität im theologischen Werk Dreys. <?page no="801"?> 769 Abbildungen Abb. 10: Die Seite 91 im Vorlesungsmanuskript (siehe Abb. 8) Drey hat die Vorlesung zur Geschichte des Katholischen Dogmensystems (Text Nr. 2) erstmals 1812/ 13 gehalten. Er hat dann für die späteren Vorlesungen das Manuskript in mehreren Stufen neu überarbeitet und Ergänzungen in es eingetragen. Die oben abgebildete Seite gewährt Einblick in seine Werkstatt und in die Weiterentwicklung seiner Auffassungen. <?page no="802"?> 770 Abbildungen Abb. 11: Titelblatt der Millenniumsschrift von 1814 Die Millenniumsschrift (Text Nr. 3) beinhaltet den Text des wissenschaftlichen Vortrags, den Drey im Rahmen des akademischen Festakts der Friedrichsuniversität zur Feier des 60. Geburtstags ihres Stifters König Friedrich am 6. November 1814 hielt. Drey behandelt darin die Frage, ob die Lehre vom 1000jährigen Reich Christi für Justin als allgemeinverbindliches Dogma galt. Inhaltlich war dieser Vortrag zugleich ein aktueller Beitrag zum zeitgenössischen Chiliasmus. Drey stellte sich mit diesem Vortrag erstmals dem akademischen Festplenum der Universität als Vertreter der historisch-kritischen Methode auf dem Gebiet der Theologie- und Dogmengeschichte vor, auch um deren Leistungsfähigkeit vor Augen zu führen. Die Millenniumsschrift hatte deshalb an der Friedrichsuniversität den Charakter einer Antrittsvorlesung. Der Text mit dem oben abgebildeten Titelblatt ist als Universitätsdruck erschienen und gelangte als solcher nicht in den Buchhandel. <?page no="803"?> 771 Abbildungen Abb. 12: Titelblatt der Beichtschrift von 1815 Die Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos in ecclesia catholica ex documentis ecclesiasticis illustrans (Beichtschrift, Text Nr. 4) diente als Disputationsgrundlage für die feierliche Abschlußdisputation des Studienjahres 1814/ 15 am 18. September 1815 vor dem akademischen Plenum der Friedrichsuniversität in Ellwangen. Wie schon bei der Millenniumsschrift (Text Nr. 3; siehe Abb. 11) handelt es sich auch hier um eine exemplarische Erörterung einer dogmengeschichtlichen Spezialfrage, die in diesem Fall besonders brisant war, mit dezidierter Anwendung der historisch-kritischen Methode. Auch dieser Text ist als Universitätsdruck erschienen und nicht in den Buchhandel gekommen. Die Beichtschrift erregte vor allem bei den hyperorthodoxen Hütern des Glaubens Aufsehen und führte auch zu kirchenamtlichen Beanstandungen. Zu einer römischen Verurteilung kam es - anders als oft behauptet - nicht, aber mit dem Rumor um die Beichtschrift begann die anhaltende »Verschreyung« ihres Autors. <?page no="804"?> 772 Abbildungen Abb. 13: Erste Textseite der Oratio von 1817/ 19 Drey trat mit der leidenschaftlichen Oratio de dogmatum christianorum incremento institutioni divinae haud adverso (Text Nr. 5), deren Text er am Ende des Studienjahres 1816/ 17 dem akademischen Plenum der Friedrichsuniversität vortrug, den gegen die Beichtschrift (siehe Abb. 12) erhobenen Einwänden und Anklagen entgegen, indem er nun zu ihr die Grundzüge seiner Theorie der Dogmenentwicklung nachlieferte. Sie war von ihm auch als Vorkehrung gegen eine drohende römische Verurteilung gedacht. Die Oratio enthält wichtige Ausführungen zur Theologischen Prinzipien- und Erkenntnislehre für das Gebiet innerkirchlicher Entwicklungen (und damit zum Dreyschen Traditionsverständnis), die in der Dreyforschung bisher nicht bekannt waren. Sie erschien 1819 im Pastoralarchiv Wessenbergs (siehe Abb. 1) in Jahrgang 18, Band 2, Heft 8, auf den Seiten 89-101 im Druck. <?page no="805"?> 773 Abbildungen Abb. 14: Titelblatt des ersten Heftes der Theologischen Quartalschrift von 1819 Die 1812 in Ellwangen errichtete katholische Landesuniversität (»Friedrichsuniversität«) wurde auf Herbst 1817 nach Tübingen transferiert und der Eberhard-Karls-Universität als Katholisch- Theologische Fakultät eingegliedert. Am 7. Juli 1818 unterzeichneten die Professoren Gratz, Drey, Herbst und Hirscher als »Viererbund« (Lösch) den Text der Ankündigung, der zufolge sie mit dem Anfange des Jahres 1819 eine neue Zeitschrift mit dem Titel Theologische Quartalschrift, den Jahrgang zu vier Heften, herausgeben wollen. Das erste Heft erschien anfangs 1819. Im Titelblatt sind »Dr. Gratz, Dr. Drey, Dr. Herbst, und Hirscher« als »Professoren der Theologie, kath. Facultät, an der Königl. Universität Tübingen« als Herausgeber angeführt. Die Dokumente zur Gründungsgeschichte der Theologischen Quartalschrift und zu den in den ersten Jahren ihres Bestehens aufgetretenen Problemen sind im vorliegenden Band in Kapitel Texte Nr. 7 zusammengestellt. Aus ihnen gehen auch die Anteile der Gründungsherausgeber und insbesondere Dreys als führendem Kopf hervor. <?page no="806"?> 774 Abbildungen Abb. 15: Erste Textseite der Katholizismusschrift Die vierteilige Abhandlung Vom Geist und Wesen des Katholicismus (Katholizismusschrift, Text Nr. 6) wurde von Geiselmann als das Tiefste und Vollendetste eingeschätzt, was Drey je geschrieben habe. Drey entwickelt in ihr von einem neuen Ansatz her seinen theologischen Begriff des Katholizismus. Diese Abhandlung wurde von Drey selbst als Programmschrift aufgefaßt. Sie galt in der öffentlichen Wahrnehmung alsbald aber auch als Programmschrift der Katholischen Tübinger Schule. Drey veröffentlichte sie in vier Teilen im ersten Jahrgang der Theologischen Quartalschrift. In jedem der vier Hefte dieses Jahrgangs steht einer dieser Teile in der Rubrik »Abhandlungen« an erster Stelle. Das erste Heft - und zusammen mit den drei nachfolgenden Heften der ganze Jahrgang der Theologischen Quartalschrift - wurde somit von den Herausgebern demonstrativ dieser Schrift unterstellt. <?page no="807"?> 775 Abbildungen Abb. 16: Die erste Seite aus dem Brief von Bischof Keller an die Herausgeber der Theologischen Quartalschrift vom 4. Februar 1821 (Konzeptfassung) Die 1819 gegründete Theologische Quartalschrift galt in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit wegen ihrer wissenschaftlichen Qualitäten, ihrer theologischen Richtung und nicht zuletzt auch wegen des Freimuts ihrer kritischen Urteile als führende katholische Zeitschrift Deutschlands. Sie war aber in den ersten Jahren ihres Bestehens, in denen sie die Grundsätze ihrer Gründungsdokumente noch ungebrochen vertrat, heftigen Anfeindungen vonseiten ihrer innerkirchlichen Gegner ausgesetzt. Auf dieser Linie wurde auch der Generalvikar der Diözese Rottenburg, Bischof Johann Baptist von Keller, zum Einschreiten gegen sie und ihre Richtung gedrängt. Sein Brief vom 4. Februar 1821 ist das wichtigste Dokument ihrer kirchenamtlichen Beanstandung (siehe Texte Nr. 7, Dokument Nr. 4 a). <?page no="808"?> 776 Abbildungen Abb. 17: Die erste Seite des Antwortschreibens Dreys vom 8. Mai 1821 an Bischof Keller (Konzeptfassung) In diesem Brief beantwortet Drey als »Herausgeber und Redacteur der Theologischen Quartalschrift und im Namen der Professoren der Katholisch-Theologischen Fakultät« den in Abb. 16 vorgestellten Brief Kellers und setzt sich energisch mit dessen Beanstandungen auseinander. Der Brief gilt als Paradebeispiel für die Selbstbehauptung der Theologischen Quartalschrift gegenüber autoritären Gängelungen und für das Selbstbewußtsein ihres Schriftleiters. Aus der handschriftlichen Fassung und den Inhalten des Briefes geht hervor, daß Drey in der Wahrung der Interessen der Theologischen Quartalschrift und ihrer Identität der führende Kopf war. Der Brief ist im vorliegenden Band in Kapitel Texte Nr. 7 als Dokument Nr. 4 b ediert. <?page no="809"?> 777 Abbildungen Abb. 18: Anrede und Vorstellung des Themas aus der Dissertatio de Censorio judicio in religionis negotiis von Joseph Mets vom 16. September 1816 Nachdem Joseph Mets 1812 als quasiamtlicher Zensor in Konstanz die Revisionsschrift Dreys einer harschen Kritik unterzogen hatte (siehe Abb. 4), entwickelten sich später zwischen ihm und den progressiven Professoren der Friedrichsuniversität in Ellwangen freundliche und freundschaftliche Beziehungen auf der Grundlage gemeinsamer Überzeugungen. Am 16. September 1816 wurde ihm dort ehrenhalber die Würde eines Dr. theol. verliehen. Bei diesem Anlaß hielt er eine wissenschaftliche Rede zum Thema De Censorio judicio in religionis negotiis (siehe oben). Das Zensurproblem, und ineins damit wohl auch die Erinnerung an seine einstige Tätigkeit in Konstanz, scheint ihn somit anhaltend beschäftigt zu haben. Es entbehrt nicht der Kuriosität, spricht aber für ihn, daß er sich bei dieser Gelegenheit und zumal vor dem Festplenum der Universität dieser Thematik stellte. Ein Bildnis von Mets konnte leider trotz intensiver Suche nicht gefunden werden. <?page no="810"?> 778 Abbildungen Abb. 19: Ignaz Heinrich von Wessenberg (1774-1860) Wessenberg gehörte sowohl kraft seines persönlichen Formats als auch wegen seiner amtlichen Stellung, seiner Reformprojekte und seiner kirchenpolitischen Orientierung zu den Penaten Dreys. Zwischen ihnen kam es auf der Grundlage gegenseitiger Wertschätzung zu zahlreichen persönlichen Kontakten und zu einer Jahrzehnte überdauernden freundlichen Beziehung. Daß beiden vonseiten Roms die Erhebung zum Bischof von Rottenburg versagt wurde, machte sie in dieser Hinsicht zu Schicksalsgenossen. Von Wessenberg war 1801 Der Geist des Zeitalters. Ein Denkmal des achtzehnten Jahrhunderts zum Besten des neunzehnten errichtet von einem Freunde der Wahrheit herausgekommen. Dieses Buch gehörte in Anbetracht seiner Ziele und seiner Kategorien zum Vorfeld der Revisionsschrift Dreys, auch wenn Drey sein Projekt auf einer anderen und geistig anspruchsvolleren Ebene ansiedelte. <?page no="811"?> 779 Abbildungen Abb. 20: Joseph Vitus Burg (1768-1833) Burg, vielseitig tätiger Kirchenmann mit Fähigkeiten und Ambitionen, die ihn zu Ämtern und Würden brachten, unterzog 1812 als badischer »geistl. Regierungsrath und Commissär« im Pastoralarchiv Wessenbergs zusammen mit Mets (siehe Abb. 18) die Revisionsschrift Dreys einer herablassend getönten zensorischen Kritik, in der er zugleich versuchte, zwischen Drey und Wessenberg in Sachen Mystik / Mystizismus einen Keil zu treiben. Burg wurde 1828 Weihbischof in Freiburg und 1830 Bischof von Mainz. <?page no="812"?> 780 Abbildungen Abb. 21: Benedikt Maria Werkmeister (1745-1823) Werkmeister zählte in herausragender Weise zu dem Personenkreis im Königreich Württemberg, dessen reformerische und staatskirchenpolitische Auffassungen Drey im Zeichen der katholischen Aufklärung teilte. Als für die katholischen Angelegenheiten zuständiger Amtsträger im Katholischen Kirchenrat (seit 1807) spielte er im Aufbau des katholischen Bildungswesens eine maßgebliche Rolle, die er durch zahlreiche Publikationen sowie als Herausgeber einer eigenen Zeitschrift literarisch untermauerte. Die Auswahl der an die Friedrichsuniversität zu berufenden Professoren war hauptsächlich sein Werk. 1812-1817 war er Vertreter der Regierung in der Kuratel der Universität. Die dogmatischen Absicherungen, die Drey in der Beichtschrift anbrachte, gehen auf ihn zurück. 1817 geriet Werkmeister zusammen mit Mets und den progressiven Professoren ins Visier des Heiligen Stuhls. <?page no="813"?> 781 Abbildungen Abb. 22: Johann Michael Sailer (1751-1832) Er war in der Wärme seiner Herzensbildung, der Weite seines Geistes, der Ausstrahlung seiner mystischen Frömmigkeit und nicht zuletzt durch die innovative Kraft seines theologischen Werkes der strahlende Stern in der Übergangszeit zwischen Aufklärung, Romantik und kirchlicher Erneuerung. Wessenberg, Bestlin, Gratz, Mets und zahlreiche andere Persönlichkeiten des kirchlichen und politischen Lebens rühmten sich, seine Schüler gewesen zu sein. Als Genie der Freundschaft zählte er auch Drey zu seinen Freunden. In wechselvollen Schicksalen zwischen Professuren, Absetzungen, Richtungskämpfen und schließlich als Bischof von Regensburg reifte er zum »bayerischen Kirchenvater« heran. <?page no="814"?> 782 Abbildungen Abb. 23: Johann Nepomuk Bestlin (1766-1831) Bestlin, Zentralfigur der Sailerschen Richtung in Ellwangen, war 1805/ 06 für ein halbes Jahr Dreys Pfarrherr in Röhlingen und 1812-1817 sein Kollege an der Friedrichsuniversität in Ellwangen, wo er zugleich das Amt eines Generalvikariatsrats innehatte. Bestlin war den Reformideen Wessenbergs zugeneigt, wandte sich aber gegen die württembergische Kirchenpolitik unter König Wilhelm und die Verlegung der Friedrichsuniversität nach Tübingen. <?page no="815"?> 783 Abbildungen Abb. 24: Johann Baptist Keller (1774-1845) Keller, der in Dillingen noch bei Sailer bis zu dessen Amtsenthebung 1794 studiert hatte, wurde 1808 in den Katholischen Kirchenrat in Stuttgart berufen und hatte sich dort ab 1811 als Mitglied der Studiendirektion neben Werkmeister auch mit Angelegenheiten der Friedrichsuniversität zu befassen. 1816 wurde er Provikar des Generalvikariats Ellwangen, 1819 Generalvikar in Rottenburg, 1828 erster Bischof der Diözese Rottenburg. Sein amtlicher Lebenslauf ist in vielfacher Weise mit Drey, dem er besonderen Respekt entgegenbrachte, verbunden. In den Spannungsfeldern zwischen Staat und Kirche zerrissen, setzte er sich in schwierigen Gesprächen und Korrespondenzen mit Rom für Drey ein. Als Generalvikar zum Einschreiten gegen die Theologische Quartalschrift genötigt, spielte er aufs Ganze gesehen eine mäßigende Rolle. <?page no="816"?> 784 Abbildungen Abb. 25: Ercole Consalvi (1757-1824) Consalvi war als Kardinalstaatssekretär in der Zeit der napoleonischen Wirren und der nachfolgenden Restauration der herausragende Diplomat der Päpste Pius VI. und Pius VII. Zu seinem Geschäftsbereich gehörte auch die Zähmung der in Rom verschrienen deutschen Professoren und ihrer politischen Freunde. Eine nachhaltige Disziplinierung Dreys konnte er beim König nicht erreichen, und das gegen den Verfasser der Beichtschrift in Rom hängige Verfahren verlief schließlich im Sande. Da Drey die Frankfurter Kirchenpragmatik unterzeichnet hatte, verhinderte er immerhin dessen Erhebung zum ersten Bischof von Rottenburg. <?page no="817"?> 785 Abbildungen Abb. 26: Ignaz Jaumann (1778-1862) Kunst und Wissenschaft waren seine Hobbys, politisches Handeln seine Leidenschaft, in der Verwaltung seiner kirchlichen Ämter erlangte er durch Klugheit und Weitsicht eine Vormachtstellung in der Diözese Rottenburg und beim Aufbau der oberrheinischen Kirchenprovinz, dank seiner Weltläufigkeit, seiner fachlichen Kompetenzen und seiner staatsfreundlichen Einstellung wurde er zum intimen Berater und Vertrauensmann der Landesregierung in regionalen und überregionalen Angelegenheiten. Drey und er hatten in ihrer Jugendzeit einen Bund der Freundschaft geschlossen, den sie zeitlebens pflegten. Zu den Ausgangspunkten dieser Freundschaft hatte die gemeinsame Lektüre Kants, Fichtes und Schellings gehört. Bei der Portierung Dreys zum Bischofskandidaten der Landesregierung war Jaumann maßgeblich mit im Spiel. <?page no="818"?> 786 Abbildungen Abb. 27: Patriz Benedikt Zimmer (1752-1820) Zimmer, ein unerschütterlicher und konfliktfreudiger Vorkämpfer für die Öffnung der Theologie zur zeitgenössischen Philosophie an der Seite Sailers, gehörte in dieser Sache zu den Vorgängern und Leitfiguren Dreys. Drey erblickte in Zimmer einen Pionier, dem, persönlich ohne Furcht und Tadel, aber unstet in seinen philosophischen Orientierungen, die spekulative Vermittlung von Philosophie und Theologie, Vernunft und Glaube, Naturalismus und Supranaturalismus freilich nicht wirklich gelungen sei. Drey brachte in der Theologischen Quartalschrift einen feinsinnigen Nekrolog auf ihn. <?page no="819"?> 787 Abbildungen Abb. 28: Peter Alois Gratz (1769-1849) Gratz gehörte als Inhaber des Lehrstuhls für neutestamentliche Exegese in Ellwangen (1812-1817), Tübingen (1817-1819) und Bonn (1820-1823) zu den Bahnbrechern der historischkritischen Methode in der katholischen Bibelwissenschaft seiner Zeit. Drey stand fachlich wie auch persönlich in bestem Einvernehmen mit ihm. Beide teilten das Schicksal, wegen ihres Wissenschaftsverständnisses und ihrer politischen Richtung in Rom angezeigt und dort einem Beanstandungsverfahren unterzogen zu sein. Gratz war an der Seite Dreys einer der maßgeblichen Gründer der Theologischen Quartalschrift und nutzte dafür auch seine Verbindungen zu Wessenberg. In den ersten Jahrgängen der Theologischen Quartalschrift setzte er sich mit Insiderwissen in Berichten und Rezensionen für Wessenberg ein. <?page no="820"?> 788 Abbildungen Abb. 29: Johann Georg Herbst (1787-1836) Herbst hatte seit 1815 an der Friedrichsuniversität in Ellwangen den Lehrstuhl für orientalische Sprachen und Hermeneutik des Alten Testaments inne. Er zählte zu den Gründungsherausgebern der Theologischen Quartalschrift und trat gelegentlich besonders vehement für deren Unabhängigkeit ein. Er übernahm 1832 zusätzlich das Amt des Oberbibliothekars an der Universitätsbibliothek und war 1833/ 34 Rektor der Universität Tübingen. <?page no="821"?> 789 Abbildungen Abb. 30: Fridolin Huber (1763-1841) Huber war als in Freiburg promovierter Landpfarrer eine der beiden Hauptgestalten (neben Pflanz, siehe Abb. 31) im schwäbischen Reformklerus in der Zeit Dreys. Im Hauptberuf eifriger Seelsorger, aber getrieben vom Widerwillen gegen Reaktion und Ultramontanismus, trat er in vielen Schriften für seine Ziele eines von barockem Aberglauben und kirchlicher Kriecherei gereinigten, den Anforderungen eines aufgeklärten Geistes entsprechenden Katholizismus ein. Ätzende Kritik verschmähte er nicht. Er stand mit Feuereifer auf der Seite Wessenbergs und schwang sich, Tod und Teufel nicht fürchtend, in Kampfschriften zum literarischen Anwalt Wessenbergs auf. Für die Zeitschriften von Wessenberg und Pflanz lieferte er über hundert Beiträge. Gegenüber Drey, von dessen gemäßigtem Reformkurs er enttäuscht war, war er allergisch und trat ihm auch publizistisch entgegen (vgl. z.B. Misz. Nr. 18). <?page no="822"?> 790 Abbildungen Abb. 31: Benedikt Alois Pflanz (1797-1844) Pflanz wurde als ein nach einer akademischen Lehrkanzel schmachtender Gymnasialprofessor und Landpfarrer mit der Herausgabe der Freymüthigen Blättern über Theologie und Kirchenthum, dem Organ der freisinnigen Richtung im Südwesten, zum Stimmführer dieser Richtung und zum Wächter ihrer Ziele. Persönlich ein gerechter, gerader und bescheidener Mensch, als Schriftsteller belesen und stets auf dem Laufenden, war er, sturer Polemik abhold, kein Verächter witziger und bissiger Glossen. Drey hatte in Ellwangen und Tübingen zu seinen Lehrern gehört, Möhler war dort Kursgenosse von ihm. In den 1830er Jahren trat er nicht ohne Haßliebe gegen die neue Kirchlichkeit Möhlers und auch gegen die in seinen Augen davon infizierte Theologische Quartalschrift auf. Im Zölibatsstreit fürchtete er zu Unrecht, Drey sei zur Linie Möhlers übergelaufen. Später korrigierte er sich. <?page no="823"?> 791 Abbildungen Abb. 32: Novalis (Friedrich von Hardenberg, 1772-1801) Novalis, die Überfigur der Frühromantik kraft seiner Rede Die Christenheit oder Europa, hatte mit seinem Idealbild des Katholizismus diesem zu unerhörtem Ansehen bei Künstlern, Intellektuellen und Adeligen verholfen und ihn zum Ziel einer weit ausgreifenden Konvertitenbewegung gemacht. Im Schwung dieser Bewegung gelangte der frühe Drey zu seiner neuen Auffassung Vom Geist und Wesen des Katholizismus (siehe Text Nr. 6), die er zumindest in ihren Grundzügen - und ineins mit der Revisionsschrift (siehe Text Nr. 1) - noch als Philosophieprofessor in Rottweil (1806-1812) konzipiert hatte. <?page no="824"?> 792 Abbildungen Abb. 33: Franc¸ois Rene´ Auguste de Chateaubriand (1768-1848) Chateaubriand wurde mit seinem Ge ´nie du Christianisme [gemeint ist der Katholizismus], ou Beaute ´s de la religion chre ´tienne von 1802 auch diesseits des Rheins zum Bannerträger für die Auferstehung der Religion aus den Trümmerfeldern der Revolution und zum Stichwortgeber für einen neuen Begriff des Katholizismus, indem er das »Genie« dieser Erscheinung aufzeigte und emphatisch rühmte. Sailer bekannte, daß ihn die Lektüre dieses Buches zu einer totalen Neuordnung seines theologischen Denkens verholfen habe. Die Revisionsschrift Dreys und mehr noch seine zeitgleich konzipierte Katholizismusschrift sind tiefgehend von Chateaubriands Werk und Lufthauch inspiriert. Doch auch wenn Chateaubriand für Dreys Abhandlung Vom Geist und Wesen des Katholizismus motivational Pate stand, so ließ Drey mit seinem strukturontologischen Begriff des Katholizismus die politisierende Ästhetik Chateaubriands weit hinter sich. <?page no="825"?> 793 Abbildungen Abb. 34: Joseph Rupert Geiselmann (1890-1970) Geiselmann wurde 1927 von seinem Lehrer Karl Adam auf den Weg zur Erforschung der frühen Katholischen Tübinger Schule gebracht. Er fand auf diesem Gebiet seine Lebensaufgabe und stieg mit seinen Editionen und Monographien für lange Zeit quasi zum Alleinherrscher in der wissenschaftlichen Verwaltung und ideographischen Rekonstruktion der Werke Möhlers und Dreys auf. Er zeigte, daß und warum Drey als Begründer der theologischen Eigenart der Tübinger Schule zu gelten hat und daß Möhler ihm, seinem Lehrer, viel mehr schuldet, als Möhler zuzugeben bereit war; die Wege, die Drey aufgezeichnet habe, sei Möhler gegangen. Geiselmanns Edition ungedruckter Schriften aus dem Frühwerk Dreys und seine Auslegung dieser Schriften waren seit 1940 (siehe Abb. 36) Basis der internationalen Dreyforschung. <?page no="826"?> 794 Abbildungen Abb. 35: Pierre Chaillet SJ (1900-1970) Chaillet suchte in den 1930er Jahren Tübingen auf, um hier im Interesse der »Nouvelle The´ologie« bei Geiselmann Möhler zu studieren. In seinen Vorarbeiten blieb er an Drey hängen, weil er in Drey den wahren Gründer der Katholischen Tübinger Schule erkannte, dem Möhler seine fruchtbarsten Ideen verdanke. Er arbeitete an einer Dreydissertation und fertigte einen 400seitigen Dokumentationsband zu Dreys Schriften an, für den er den Titel Christianisme et catholicisme vorsah. Es war sein Ziel, das Werk Dreys im Hinblick auf eine Erneuerung der Theologie im Geiste Dreys in Frankreich bekannt zu machen. Dafür wurden von ihm die wichtigsten Schriften Dreys erstmals ins Französische übersetzt (siehe den Chailletanhang im vorliegenden Band auf den Seiten 749-757). <?page no="827"?> 795 Abbildungen Abb. 36: Geiselmann, Geist des Christentums und des Katholizismus. Mainz 1940, Titelblatt. Die Abbildung zeigt das Titelblatt des von Geiselmann herausgegebenen Bandes mit »ausgewählten Schriften katholischer Theologie im Zeitalter des Deutschen Idealismus und der Romantik« aus dem Jahr 1940. Dieser Dokumentationsband erregte weltweit Aufsehen; er wurde als Pioniertat ersten Ranges für einen neuen Blick auf die Anfänge der Katholischen Tübinger Schule und insbesondere auf Drey und dessen Frühwerk wahrgenommen, das nun mit einem Schlag präsent wurde. Vor allem auf die von Geiselmann hier erstmals edierten umfangreichen Auszüge aus dem Theologischen Tagebuch und aus der Vorlesung Dreys zur Geschichte des katholischen Dogmensystems stützte sich in der Folgezeit die Dreyforschung, wobei der eigenwillige Umgang Geiselmanns mit den Handschriften Dreys so manches verfälschte. Doch insgesamt wirkte sich der Band mit seiner Fokussierung auf das Frühwerk Dreys ungemein anregend und befruchtend aus. <?page no="829"?> Verzeichnisse, Listen, Register <?page no="831"?> 799 Hinweise zu den Abbildungen Hinweise zu den Abbildungen Abb. 1: Archiv für die Pastoralkonferenzen in den Landkapiteln des Bisthums Konstanz, Jg. 3 (1804), Heft 1, Titelblatt (Aufnahme TüA-Archiv). Abb. 2: Ebd. Jg. 11 (1812), Heft 1, S. 3 (Aufnahme TüA-Archiv). Abb. 3: Ebd. S. 4 (Aufnahme TüA-Archiv). Abb. 4: Ebd. S. 27 (Aufnahme TüA-Archiv). Abb. 5: Ebd. S. 38 (Aufnahme TüA-Archiv). Abb. 6: Lithographie von Friedrich Bohnert (1819-1895) nach einer Zeichnung von M. Bach, in: Eduard Paulus, Beschreibung des Oberamts Rottweil. Hg. von dem Königlich statistisch-topographischen Bureau, Stuttgart 1875, S. V (Aufnahme TüA-Archiv). Abb. 7: Königlich-Württembergisches Staats- und Regierungs-Blatt Nr. 42, 3. Oktober 1812, S. 219-220 (Aufnahme TüA-Archiv). Abb. 8: Johann Sebastian Drey, Geschichte des Katholischen Dogmensystems. Autograph, BWT Hs Gf 1081, Titelblatt (Aufnahme TüA-Archiv). Abb. 9: Ebd. S. 1 (Aufnahme TüA-Archiv). Abb. 10: Ebd. S. 91 (Aufnahme TüA-Archiv). Abb. 11: Johann Sebastian Drey, Observata quaedam ad illustrandam Justini Martyris de regno millenario sententiam. Gamundiae 1814, Titelblatt (Aufnahme TüA-Archiv). Abb. 12: Johann Sebastian Drey, Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos in ecclesia catholica ex documentis ecclesiasticis illustrans. Elvaci 1815, Titelblatt (Aufnahme TüA-Archiv). Abb. 13: Archiv für die Pastoralkonferenzen in den Landkapiteln des Bisthums Konstanz, Jg. 18 (1819), Heft 8, S. 89 (Aufnahme TüA-Archiv). Abb. 14: Theologische Quartalschrift, Jg. 1 (1819), Heft 1, Titelblatt (Aufnahme TüA- Archiv). Abb. 15: Ebd. S. 8 (Aufnahme TüA-Archiv). Abb. 16: DAR G 1.1 D 8. 2 a, Personalakte Drey (Aufnahme DAR). Abb. 17: UAT 184/ 235 (Aufnahme UAT). Abb. 18: UAT 44/ 173-42 (Ausschnitte aus den Seiten 1 und 2) (Aufnahme UAT). Abb. 19: Kupferstich von Johann Jakob Lips (1791-1833) nach einem 1819 entstandenen Ölgemälde der von Wessenberg geförderten Marie Ellenrieder (1791-1863), in: Ignaz Heinrich von Wessenberg, Neue Gedichte, Konstanz 1826, S. IV (Internetdatei). Abb. 20: Johannes Gauff (1804-1858) fertigte die Lithographie des Mainzer Bischofs nach einem Gemälde von Heinrich Franz Schalck (1791-1832) (Internetdatei). Abb. 21: Punktierstich von Johann Daniel Laurenz d. J. (um 1770 - nach 1832) nach einem um 1803 entstandenen Gemälde von Ludowica Simanowitz (1759-1827) (Internetdatei). Abb. 22: Das Aquarell von Johann Georg Edlinger (1741-1819) entstand 1794, im letzten Jahr der Tätigkeit Sailers als Universitätsprofessor in Dillingen (Original in der Zentralbibliothek Zürich, Lavater-Nachlaß); Abb. nach: Hubert Schiel, Johann Michael Sailer, Leben und Briefe, Bd. 1, Regensburg 1948, vor S. 177 <?page no="832"?> 800 Hinweise zu den Abbildungen (Aufnahme TüA-Archiv). Abb. 23: Der Stahlstich von Carl Mayer (1798-1868) aus der gleichnamigen Kunstanstalt in Nürnberg geht wohl auf eine eigene Zeichnung Mayers vom Ende der 1820er Jahre zurück und ist von der Schmid’schen Buchhandlung in Wiesensteig verlegt worden (Internetdatei). Abb. 24: Lithographie von Franz Adam Schnorr (1794-1859) aus dem Jahr 1828 nach einem Portrait von Conrad Neukomm [Neukam] (geb. 1797 in Bräunlingen) von 1827 (Internetdatei). Abb. 25: Zu Consalvis Portrait waren keine näheren Angaben zu Künstler und Entstehungszeit zu finden (vgl. www.araldicavaticana.com/ cx108.htm). Abb. 26: Zu der Abbildung, die bei August Hagen, Die kirchliche Aufklärung in der Diözese Rottenburg. Bildnisse aus einem Zeitalter des Übergangs, Stuttgart 1953, nach S. 336 abgedruckt ist, konnten keine näheren Angaben zum Künstler und zur Entstehungszeit eruiert werden (Aufnahme TüA-Archiv). Abb. 27: Der Kupferstich wurde 1821 von Johann Carl Schleich sen. (1759-1842) nach einem 1811 entstandenen Gemälde von August Graf von Seinsheim (1789-1869) gefertigt; er ist als Frontispiz enthalten in: Patritius Benedictus Zimmer’s kurzgefaßte Biographie und ausführliche Darstellung seiner Wissenschaft. Herausgegeben von J. M. Sailer, Landshut 1822 (Aufnahme TüA-Archiv). Abb. 28: Lithographie eines unbekannten Künstlers, Bibliothek des Wilhelmsstifts Tübingen (Aufnahme TüA-Archiv). Abb. 29: Lithographie von Louis Helvig (1796-1855), 1834, Bibliothek des Wilhelmsstifts Tübingen. Der aus Stuttgart stammende Katholik Helvig hatte es übrigens Drey in seiner Eigenschaft als Rektor der Tübinger Universität zu verdanken, daß er 1822 in Tübingen die Stelle des zweiten Universitätszeichenlehrers (bis 1844) erhielt. - Das Portrait Dreys (siehe Frontispiz in diesem Band) wurde 1834 gleichfalls von Helvig angefertigt (Aufnahme TüA-Archiv). Abb. 30: Abbildung ohne Angaben zu Künstler und Entstehungszeit bei August Hagen, Die kirchliche Aufklärung in der Diözese Rottenburg. Bildnisse aus einem Zeitalter des Übergangs, Stuttgart 1953, nach S. 216 (Aufnahme TüA-Archiv). Abb. 31: Die von Adam Igelsheimer (1801-1844) angefertigte und von Gottfried Küstner (1800-1864) gedruckte Lithographie zeigt Pflanz als württembergischen Landtagsabgeordneten für Rottweil 1831/ 1833 (Aufnahme TüA-Archiv). Abb. 32: Dem Stahlstich von Friedrich Eduard Eichens (1804-1877) von 1845 liegt ein um 1799 entstandenes Portrait Novalis’ von Franz Gareis (1775-1803) zu Grunde (Internetdatei). Abb. 33: Ölgemälde von Pierre-Narcisse Gue´rin (1774-1833) (Internetdatei). Abb. 34: Fotographie von Arthur Gröger, 1949 (Universitätsbibliothek Tübingen, Bilddatenbank). Abb. 35: Fotographie Chaillets, aufgenommen im Jahr seiner Priesterweihe, Anfang 1931 (Internetdatei). Abb. 36: Geist des Christentums und des Katholizismus. Ausgewählte Schriften katholischer Theologie im Zeitalter des deutschen Idealismus und der Romantik. Herausgegeben, eingeleitet und erklärt von Joseph Rupert Geiselmann (Deutsche Klassiker der katholischen Theologie aus neuerer Zeit. Hg. von Heinrich Getzeny, Band 5), Mainz 1940, Titelblatt. Die Abbildung zeigt das Titelblatt eines Handexemplars Geiselmanns, das er eigenhändig mit den für ihn typischen Unterstreichungen mit Kugelschreiber in mehreren Farben versehen und der Bibliothek seiner Fakultät zu ihrem 150jährigen Bestehen übermacht hat (Aufnahme TüA-Archiv). <?page no="833"?> 801 Abkürzungen In Kurzform angezeigte Archive und Bibliotheken ASV: Archivio Segreto Vaticano Rom. BWT: Bibliothek des Wilhelmsstifts Tübingen. DAR: Diözesanarchiv Rottenburg. StAL: Staatsarchiv Ludwigsburg. UAT: Universitätsarchiv Tübingen. Bibliographische Abkürzungen Die bibliographischen Abkürzungen richten sich, soweit nicht anders aufgeführt, nach: Theologische Realenzyklopädie. Abkürzungsverzeichnis. Zweite, überarbeitete und erweiterte Auflage. Zusammengestellt von S iegfried M. S chwerdtner . Berlin 1994. Darüber hinausgehende wissenschaftliche Abkürzungen richten sich nach Lexikon für Theologie und Kirche, Dritte, völlig neubearbeitete Auflage, hg. von W alter K asper u.a., Bd. 11, Freiburg i.Br. 2001, Abkürzungsverzeichnis, 689*-746*. Weitere Abkürzungen TüA Tübinger Ausgabe der Schriften D reys = Johann Sebastian Drey. Nachgelassene Schriften. Herausgegeben von Max Seckler. Tübingen 1997 ff: TüA 1 Johann Sebastian Drey. Nachgelassene Schriften. Erster Band: J ohann S ebastian D rey , Mein Tagebuch über philosophische, theologische und historische Gegenstände 1812-1817 (Theologisches Tagebuch). Herausgegeben und eingeleitet von M ax S eckler . Tübingen 1997. TüA 2 Johann Sebastian Drey. Nachgelassene Schriften. Zweiter Band in zwei Teilbänden: J ohann S ebastian D rey , Praelectiones dogmaticae 1815-1834, gehalten zu Ellwangen und Tübingen. Herausgegeben und eingeleitet von M ax S eckler . Tübingen 2003. TüA 3 Johann Sebastian Drey. Nachgelassene Schriften. Dritter Band: J ohann S ebastian D rey , Kurze Einleitung in das Studium der Theologie mit Rücksicht auf den wissenschaftlichen Standpunct und das katholische System. Tübingen 1819 (= KE). Herausgegeben und eingeleitet von M ax S eckler . Tübingen 2007. TüA 4 Johann Sebastian Drey. Nachgelassene Schriften. Vierter Band: J ohann S ebastian D rey , Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie. Ideen zur Geschichte des Katholischen Dogmensystems. Vom Geist und Wesen des Katholicismus. Mit anderen frühen Schriften 1812-1819 sowie mit Dokumenten zur Gründungsgeschichte der Theologischen Quartalschrift. Herausgegeben und mit Einleitungen versehen von Max Seckler. Tübingen 2014. <?page no="834"?> 802 Abkürzungen In TüA 4 verwendete Kürzel und Arbeitstitel für Schriften Dreys RS Revisionsschrift (Text Nr. 1): J ohann S ebastian D rey , Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie, in: Archiv für die Pastoralkonferenzen in den Landkapiteln des Bisthums Konstanz, Jg. 11 (1812), Band I, Heft 1, 3-26. DS Dogmensystem (Text Nr. 2): J ohann S ebastian D rey , Geschichte des Katholischen Dogmensystems I Band Geschichte der drey ersten Jahrhunderte oder 1 te Periode. Mit Benutzung von Münschers Handbuch dargestellt von J. S. Drey Pr. 1812-1813. Autograph. BWT: Hs Gf 1081. MS Millenniumsschrift (Text Nr. 3): J ohann S ebastian D rey , Observata quaedam ad illustrandam Justini Martyris de regno millenario sententiam. Gamundiae [1814]. BS Beichtschrift (Text Nr. 4): J ohann S ebastian D rey , Dissertatio historico-theologica originem ac vicissitudines exomologeseos in ecclesia catholica ex documentis ecclesiasticis illustrans. Sectio I ma . Elvaci [1815]. − Oratio (Text Nr. 5): J ohann S ebastian D rey , Oratio de dogmatum christianorum incremento institutioni divinae haud adverso, in: Archiv für die Pastoralkonferenzen in den Landkapiteln des Bisthums Konstanz, Jg. 18 (1819), Band 2, Heft 8, 89-101. KS Katholizismusschrift (Text Nr. 6): J ohann S ebastian D rey , Vom Geist und Wesen des Katholicismus, in: ThQ 1 (1819) 8-23; 193-210; 369-391; 559-574. KA Konkordatsaufsatz (Text Nr. 8): J ohann S ebastian D rey , Das Bayerische Concordat, in: ThQ 1 (1819), Heft 2, 300-329. FrB Frankreichbericht (Texte Nr. 9, Misz. Nr. 6): J ohann S ebastian D rey , Ueber den gegenwärtigen Zustand der katholischen Kirche und Geistlichkeit in Frankreich, in: Theologische Quartalschrift 2 (1820) 135-164. Bibelstellenregister Angeführt sind sämtliche im vorliegenden Band vorkommenden Verweise D reys auf Stellen in der Heiligen Schrift. Die (ggf. variierenden) Bezeichnungen sowie die Schreibweise der Vorlage wurden beibehalten, die Anordnung der biblischen Bücher erfolgt gemäß der in LThK 3 11 (2001) 733* f aufgestellten Reihenfolge. A.T., A. Testament 181 f 191 194 200 Prediger XII, 7. 205 208 231 241 Weisheit II. 205 Genes. I, 2. 183 Sap. III, 3. 7. 18; V, 16. 23. 209 I B. Mos. VI, 2. 196 Sap. XI, 18. 183 Levit. VI, 26. 335 Sirakide XVII, 27. 28; XIV, 17; XLIV, 13. Levit. VII, 9. 335 14. 205 II. Buch der Macchabäer 205 Esaias VII. 14 seq. 257 II. Mach. VII, 28. 182 Jesaj. XLIII, 26. 329 II. Macch. VII, 36. 209 Jes. XLIV, 22. 332 Ps. 31. 331 Esaj. LXIII, 1 ss. 229 Ps. 31, 5. 243 <?page no="835"?> 803 Bibelstellenregister N.T., Bibel N.T., Neues T. 182 194 200 I. Cor. XII, 9. 318 245 470 I. Cor. XV. Matth. III, 6. 322 Corinther II. Br. 1 K. 11 v. 611 Matth. VI, 14. 334 II. Kor. X, 5. 461 Matth. IX, 13. 321 II. Cor. XII, 15. 334 Matth. X, 1 sq. 318 Ephes. II, 8. 461 Matth. XVIII, 10. 195 Ephes. V, 32. 244 Matth. XVIII, 4. 6. 217 Colosser 4 Kap. 3 v. 611 Matth. XIX, 9. 245 I Thess. IV. 15-17. 203 Matth. XXVIII, 19. 217 I Thess. V. 23. 186 205 Marc. VI, 13. 318 II. Thessal. III, 6. 320 Marc. X, 14. 217 I. Tim. I, 19. 20. 320 Marc. XVI, 18. 318 1 Tim. I, 34; IV, 1-8. 456 Luc. III, 7 sq. 322 I Tim. IV, 14. 242 Luc. III, 13. 14. 322 II Tim. I, 6. 242 Luc. IX, 49. 456 II. Tim. III, 5. sq. 320 Luc. XI, 41. 334 Tit. III, 10. 320 Luc. XV, 1-10. XIX, 10. 321 Brief an die Hebräer 161 Johannes 158 Hebr. XI, 3. 182 Joh. I, 1-14. 545 Hebr. IV. 12. 186 Joh. I, 3. 175 Jakobus Brief 161 Joh. III, 16-21., 13-15. 542 Jacobus v. 14. 243 Joan. IV. 23. 159 Jacobus v. 14., v. 15., v. 15. 318 Joh. VI. 223 233 Jacobus v. 16., v. 14-19. 318 Joh. VI, 27-40 221 Jac. v. 20. 334 Joh. XIV, 28. 13. 176 Petrus Briefe 161 Apostelgeschichte, Ap. Gesch. 160 242 I Petr. IV, 8. 334 Act. plur. loc. 318 II Petr. III. 1-14. 203 Act. VIII, 17. 219 I. Joh. I, 1. 2. 545 Act. VIII; X, XIX. 219 Joann. epist. I. cap. I. v. 9., v. 7., v. 8. 318 Act. XII, 15. 195 I. Joh. I, 1. 2. 545 Actor. XIX, 18. 19., v. 13-17., v. 19. 319 II. Joann. 10. 11. 320 Briefe der Apostel 160 f Apocalypsin, Apocal. 203 260 I Cor. I, 16. 217 Apocal. I. 194 I. Cor. V, 3-6. 320 Apoc. IV, 11. 182 I. Cor. VII, 15. 245 Apocalypsis VI, 10. 334 I. Cor. X. 233 <?page no="836"?> Namenregister Aaron 334 Bach, M. 799 Abaelard 27 89 392 Baer, Wolfram 12 Abraham 257 259 Bahrdt, Karl Friedrich 28 94 Adam 200-202 635 Baier, Hermann 67 Adam, Karl 78-80 121 123 273 435 439 442 f Bakker, Gerbrand 22 749 793 Bangert, Michael 7 69 378 Aeakos 208 Bantle, Franz Xaver 12 82 121-123 447 608 Aland, Kurt 7 12 69 287 304 Barnabas 163 172 203 216 241 Albaspinaeus, Gabriel 316 344 Barth, Karl 382 423 Alberti, Eduard 46 Basilius 166 169 f 178 182 184 186 192-196 Albrecht, Christian 384 198 f 201 f 244 699 Albrecht, Dieter 407 Basler, Otto 15 Albrecht, Wolfgang 12 Bastgen, Beda (Hubert) 47 290 569 652 Alethini, Theophilus [Johannes Clericus] 152 Batz, Johann Joseph 511 247 Bauer, Clemens 31 40 75 407 435 Alethozette 621 Bäuerle, Johann B. 738 Alexander, Natalis 219 316 319 344 Baumgarten, Siegmund Jacob 611 Almaricus (Amaury) de Montfort 28 89 Baur, Ferdinand Christian 374 384 407 423 Amberger, Josef 581 427-434 436 f 511 Ambrosius 166 168 f 178 182 186 f 194 197 f Bautz, Friedrich Wilhelm 20 27 28 47 428 201 f 235 244 Bayer, Josef 19 282 Anastasievics, Dmitar 713 Beausobre, Isaac de 183 246 Andre´, Christian Karl 425 Becher, Hubert 522 583 653 Andreä, Dietrich Wilhelm 393 Beck, Joseph 739 Ansbertus 683 Beck, Paul 32 Anselm von Canterbury 27 88 Beda Venerabilis 27 88 Antonius 337 Be´darida, Rene´e 435 448 f 750 f Arendt, Hans-Peter 274 Bellarmin, Robert 235 246 Arnauld, Antoine 591 Benedikt XIV. 634 Arnobius 166 168 f 176 186-189 199 201 Benedikt XVI. 450 208 f Bengel, Ernst Gottlieb 511 Artemon 179 Benianin, Jephrem 693 Aschbach, Joseph 437 Benkert, Franz Joseph 729 734 Athanasius 166-168 176 178 184 192 194 Berger, Martinus 580 196-199 201 f Berlage, Anton 449 451 Athenagoras 166-169 173 177 f 182 184 187 Bernhard von Clairvaux 27 88 192-200 206 208 244 263 Bertholdi, Johann Baptist 668 Aubert, Roger 58 121-123 435 Bertrand, Dominique 448 Auer, Alfons 361 Besnard, Franz 524 Augusti, Johann Christian Wilhelm 151 246 Bestlin, Johann Nepomuk 3 39 f 45 47-54 56 Augustinus XXXI 129 150 166-169 182 184 249 251 f 266 f 269 500 781 f 186 f 190 192-194 197-199 201 f 218 220 Bezold, Friedrich von 682 235273 625 634 Bezzel, Ernst 287 Autolycus 166-168 173 185 187 f 191 201 216 Bihlmeyer, Karl 76 121-123 435 442 263 Binder 46 Avakumoviks, Stephan von 695 Binder, Wilhelm 292 f 605 Binterim, Anton Joseph 558 Baader, Franz (von) 2 308 373 Birkner, Hans Joachim 384 <?page no="837"?> 805 Namenregister Bischof, Franz Xaver 308 378 395 572 575 Caprara, Giovanni Battista 625 632 616 Carstens, Carsten Erich 606 Blacas d’Aulps, Pierre Louis 625 627 Casper, Bernhard 82 361 447 Blau, Felix Anton 281 Cassianus 169 196 Blessig, Jean Laurent 373 Celsus 166-169 175 f 184 f 190 f 194 197 199 Bletzger, Franz Georg 50 216 228 238 320 329 Block, Georg Wilhelm 18 Cerdon 324 Blome, Andrea 78 Cerinthus 179 Blum, Matthias 39 250 Chadwick, Owen 121-123 443 Boehm, Laetitia 668 Chaillet, Pierre XXVI 61 75 81 f 121 123 371 Boethius 166-168 421 f 435 442 446-450 749-752 754 794 800 Bohnert, Friedrich 799 Chateaubriand, Franc¸ois-Rene´ Auguste de 3 Boileau, Jakob 284 316 331 344 83 373 375 f 379-381 437 792 Bojadschi, Michael 717 Chenu, Marie Dominique 448 Boll, Bernhard (Johann Heinrich) 720 Chrysostomus 168 170 193-195 200-202 235 Bonaventura 27 88 243 Bonfils, Robert XXXI 371 750 752 754 Clayton, John 424 Bonifatius 235 Clemens VIII. 615 Bossuet, Jacques Be´nigne 123 153 246 443 Clemens XI. 625 625 638 Clemens Romanus 169 172 178 182 184 206 Braig, Carl 380 437 323 339 Brancovics [Brankowitsch], Georg 692 f Clemens von Alexandrien 110 163 166-169 Brander, Johann Evangelist 43 53 511 524 174 177 f 182-184 186-191 193-195 197-200 Brandes, Karl 581 202 208 210 215-218 223 225-228 231 f 234 Brandl, Manfred 510 520 238-241 244 247 Brandmüller, Walter 451 Clemens Wenzeslaus von Sachsen 50 Brandt, Reinhard 607 Cleomenes 179 Brechenmacher, Karl 739 Clerke, Gilbert 153 246 Breid, Franz 451 Congar, Yves 447 f Brenner, Friedrich 174 196 242 244 246 428 f Consalvi, Ercole 52 277 289 291-301 304 f 431 511 739 352 356 358 394 649 651 784 800 Brentano, Christian 388 Constantinus 183 Brentano, Clemens 377 388 405 Cooper, George 393-395 653 Bretschneider, Karl Gottlieb 151 246 Coreth, Emerich 82 125 Brosch, Hermann Joseph 76 81 83 Cornelissen, Rob J. F. 122 f 447 Brosseder, Johannes 123 Cornelius 336 f Brück, Anton Philipp 67 Corrodi, Hans Heinrich 253 257 263 Brück, Heinrich 280 308 Corvinus, Matthias 700 Brühl, Johann August Moritz 510 Cotelier, Jean-Baptiste 173 216 221 244 Brühl, Margy de 375 f Cotta, Johann Friedrich 613 f Brunner, Philipp Joseph 19 31 f 281 f 667 Couard, Christian Ludwig 375 Brunnquell, Pius 270 305-310 313 358 Courbon 626 636 Brutus 43 Cramer, Johann Andreas 153 246 Bull, George 153 246 248 Creutz, Ursula 46 Burg, Joseph Vitus 1-2 8 14 26 32 63-75 85 Creuzer, Friedrich 386 102 105 354 574 763 779 Csaplovics, Johann von 681-684 686-688 Burkard, Dominik 39 42 289 298 301 304 f 690 f 716 499 511 567 569 574 f 583 Csernovics, Arsenius 693-695 710 Burke, Edmund 23 Cudworth, Ralph 152 247 Burtchaell, James Tunstead 424 Curci, Carlo Maria 581 Cyprian 166-169 178 199 201 f 207 f 210 Caecilius 230 f 234 215-220 230 f 234-241 247 273 f 335-339 Cajus (Presbyter) 204 262 342 Calvin 297 299 517 Cyrill von Alexandrien 193 f 196 243 f Camerer, Johann Bernhard (von) 731 Cyrill von Jerusalem 167-170 178 184 196 f Campe, Joachim Heinrich 17 201 235 <?page no="838"?> 806 Namenregister Czerny, Georg 717 Dresch, Georg Leonhard (von) 404 500 f 668 Dreßler, Fridolin 653 D’Argenteau, Mercy 652 Drey, Johann Sebastian (von) V XVII-XXXI Dalberg, Karl Theodor von 7 25 66 394 569 1-17 19-27 29-39 41-49 51-54 56-85 96 f 578 582 671 102 107-117 119-128 131 133 145 168 246 Dallaeus, Johannes 259 261 263 297 299 316 249-256 263 265-297 299-315 342 344 f 344 347-363 369-382 385-387 389-393 395-441 Damasus 235 443-453 461 478 490-510 512-539 541 546 Daniel (Prophet) 186 194 f 549 557 559 561 565-579 581-584 601-609 Daniel (serb. Erzbischof) 716 614-626 642 f 645-650 652-663 666-673 Danie´lou, Jean 435 681-689 718-721 725-732 734 738-744 747 Dannenmayer, Matthias 280 f 749-754 760-762 764 766-770 772-774 Danzer, Jakob 20 776-787 789-795 799-802 Daub, Carl 386 391 414 418 658 Drobnyak, Jephtimias 693 David von Dinant 28 89 Drosdowski, Günther 15 Davidowitsch, Demetrius 717 Droste zu Vischering, Kaspar Maximilian von De Belloy, Jean-Baptiste 625 628 719 721 De Bonald, Louis de 624 Droysen, Johann Gustav 125 De Pradt, Dominique Georges Fre´de´ric de Dru, Alexander 83 Riom de Prolhiac de Fourt 581 Duchhardt, Heinz 448 De Wette, Wilhelm Martin Leberecht 83 432 Dulles, Avery 447 511 517 Dumont, Paul 289 297-299 305 Decentius 243 Dupanloup, Fe´lix-A.-Ph. 581 Decius 240 341 Dussler, Hildebrand 12 Delarue, Carolus Vincentius [Ruaeus] 178 216 247 Eberhard, Johann August 25 380 Della Genga, Annibale 30 291 548 Eberl, Immo XXXI Demeter, Ignaz Anton 46 f Eckert, Michael 39 Demetrianus 199 210 Eckstein, Ferdinand von 388 Denker, Gottlieb [= Christian Friedrich Sin- Edlinger, Johann Georg 799 tenis] 18 f Eichendorff, Joseph von 387 Denzinger, Heinrich 274 276 308 342 349 Eichens, Friedrich Eduard 800 Dereser, Anton 520 Eisenbach, Heinrich Ferdinand 618 Deutinger, Martin (von) 581 Eisenlohr, Theodor 30 112 250 276 Diakovics [Diacovich], Jesaias 693 712 Eisenschmid, Gottfried Benjamin 287 Dienst, Karl 28 Eisler, Rudolf 380 Diepenbrock, Melchior 439 Elert, Werner 311 Dieringer, Franz Xaver 437 451 Elias, Otto-Heinrich 253 Dietelmaier, Johann Augustin 154 246 Ellenrieder, Marie 799 Dietrich, Donald J. 58 122 f 447 532 Engel, Mary Potter 124 532 Dilthey, Wilhelm 125 Epigonus 179 Diodorus 166 197 Epiphanius 169 190 192 244 f 324 331 344 Dionysius Sammarthanus 297 316 344 Erasmus 333 542 Dionysius von Alexandrien 262 Erhard, Melchior 265 Dionysius von Rom 176 Erpen, Thomas van 319 344 Dobmayer, Marianus 167 178 246 655 658 f Eß, Leander van 410 Dobrowsky, Joseph 683 Eschenmayer, Adolph Carl August (von) 46 Doederlein, Johann Christoph 187 246 Eschweiler, Karl 441-447 Döllinger, Johann Joseph Ignaz 121 123 125 Eser, Friderich 32 278 439 Eunomius 168 178 194 201 Dolz, Johann Christian 18 Eusebius 188 f 192 194-196 218 f 235 237 245 Doornik, Jacob Elisa 22 323 f Dorneich, Julius 740 Eutyches 128 Dorsch, Anton Josef 281 Eva 201 f Dossenberger, Friedrich 66 Eybel, Joseph Valentin 280 297-299 305 Drehsen, Volker 383 Ezechiel 257 333 <?page no="839"?> 807 Namenregister Faber, Johann 614 Funk, Philipp 78 f 122 f 439 Fabritius, Karl Moritz Eduard 410 Fürst, Gebhard XXXI Faulhauer, Joseph 267 Fürst, Walter 47 76 84 122 f Fayet 626 635 f Fehr, Wayne L. 122 f 371 447 Gabler, Johann Philipp 514 Feilmoser, Andreas Benedikt 405 526 538 652 Gabriel 194 Feindl (St. Salvator) 12 Gallitzin, Amalie von 606 Felder, Franz Karl 42 50 f 53 71 289 305 307 Galtier, Paul 273 358 511 520 523 f 526 568 578 653 Galura, Bernard [Bernhard] 19 Fell, John 216 247 Gams, Pius Bonifacius 44 301 307 538 Feneberg, Johann Michael 12 Gareis, Franz 800 Fe´nelon, Franc¸ois de Salignac de la Mothe- Gärtler, Johann Adam 394 Fe´nelon 28 69 95 626 638 Gärtner, Corbinian 580 Fesch, Joseph 622 625 f 636 Gatz, Erwin 47 511 Feßler, Ignaz Aurelius 392 Gauff, Johannes 799 Feßler, Joseph 581 Geddes, Alexander 393-395 Fesseler, Eugen XXXI 4 272 349 361 369 Geier, Wolfgang 682 565 f 601 f 605 615-617 620 642 f 645-648 Geiger, Franz Tiburtius [Johann Nepomuk] 652 655 666 681 718 725 738 378 432 440 449 656 Feuerbach, Ludwig 3 Geiger, Joseph 405 Fichte, Johann Gottlieb 13 22 25 47 f 384 386 Geiger, Karl August 652 398 402 413 418 606 657 662 752 f 785 Geiselmann, Joseph [Josef] Rupert XXVIII f Filser, Th. Mauritius 581 2 f 16 21 23 f 60 75-83 107 f 120-124 310 359 Fink, Urban 616 370-372 376-379 407 415 420 422 f 432 Finsterhölzl, Johann 121-123 434-451 468 583 661 f 749 752 f 767 f 774 Firmilian 237 793-795 800 Fischer, Hermann 383 f Geisser, Hans Friedrich 122 124 Fischer, Norbert 290 Gengler, Adam 125 278 303 432-434 562 Fitzer, Joseph 3 58 83 379 423 436 450 Gennadius 186 193 Flatt, Johann Friedrich 511 Gerhauser, Johann Balthasar 422 519-523 Forbesius, Joannes 152 246 542-545 647 658 Forte, Bruno 75 Gerlach (Abt) 683 Fouilloux, Etienne 448 Getzeny, Heinrich 2 60 107 310 370 f 800 Franklin, Ralph W. 83 Gilg, Arnold 439 Franz (Kaiser) 697 Glaser-Fürst, Maria 32 Franz I. (König v. Frankreich) 591 627 638 Gluns, Sebastian 267 Franzen, August 531 Glutz (-Rüchti), Viktor Franz Anton 647 Freindaller, Franz 511 Göbel, Christian 290 Freudenreich, Georg 267 Godet, Paul 75 121 124 310 423 434 439 Freund, Stephan 27 Goeßmann, Karl 679 Frey, Franz Andreas 395 579 652-654 Goethe, Wolfgang 24 83 388 670 Friedrich (I.) Wilhelm Karl von Württemberg Göller, Emil 277 296 (König) 30 249 f 252 f 256 291 685 770 Görg, Peter H. 450 Friedrich I. (Kaiser) 683 695 Görres, Joseph 425 f 511 729 Friedrich von Baden (Großherzog) 380 Goyau, Georges 78 121 124 388 Friedrich Wilhelm III. (König v. Preußen) 252 Graf, Heinrich 56 Friedrich, Peter 423 428 430 Grandits, Hannes 682 Fries, Heinrich 7 38 288 377 656 Grandmaison, Le´once de 75 121 124 435 Frint, Jacob 511 Gratian 308 582 Fritz, Joseph Anton 524 Gratz, Peter Alois 39-41 49 51-55 66 78 251 f Frör, Kurt 384 254 266-268 270 290 292 295 f 311-313 380 Fuchs, Ottmar 22 84 406 392 f 403 f 422 491 494-509 511 515 517 f Fues, Ludwig Friedrich 615 520-522 525 f 541 546 567 f 582 603 608 Fülleborn, Georg Gustav 375 613-617 646 654 682 729 773 781 787 Funk, Franz Xaver 30 119 123 250 f 266 288 Gre´goire, Henri Jean-Baptiste 268 411 478 503 606 657 490 566 575 591 617 619 621-623 629 <?page no="840"?> 808 Namenregister Gregor der Große 192 f 368 375 384 386 402 414 418 446 606 Gregor von Nazianz 166-169 178 182 186 f Heinrichs, Johann Heinrich 319 344 193 f 199 201 f Helvig, Louis V 800 Gregor von Nyssa 166-168 170 178 187 193 Hencke, Heinrich Philipp Conrad 253 200-202 235 Henne, Helmut 15 Gregor Thaumaturgos 178 Hennenhofer, Johann Heinrich David 67 Griesbach, Johann Jacob 319 344 f Hensler, Maurus 580 Gröger, Arthur 800 Herbst, Johann Georg 269 403-405 491 Groß, Werner 534 494-501 504 507-509 515 520 522 525 f Grünewald, Matthias 449 529-531 537 f 541 546 549 560 562 568 624 Grynaeus 333 729 f 734 740 742 773 788 Gue´rin, Pierre-Narcisse 800 Herder, Johann Gottfried 23 83 373 376 386 Gügler, Alois 656 Herderer, Caspar 265 Gügler, Joseph Heinrich Alois 373 377-379 Hergenröther, Joseph 308 432 440 449 Hermas 163 177 f 182 192 194 f 216 f 221 Günther, Anton 308 432-434 660 f 238-241 244 252 263 308 321 324 Günther, Johann-Jacob 17 Hermes, Georg 646 662 Hermogenes 183 Haas, Carl 524 Herodot 188 Haemmerle, Albert 12 Heß, Wilhelm 652 Haering, Stephan 13 Heynig, Johann Gottlob 17 Häffelin, Kasimir von 595 597 f Hieronymus 168 186 f 190 193-195 197 f Hagel, Maurus 562 201 f 235 323 f 329 Hagen, August 20 40 42 44 48 51 66 71 276 Hilarius 167-169 178 187 192-194 197 201 f 279 288 f 292 294-296 305 310 424 445 524 Hilgers, Joseph 295 531 574 653 f 726 731 800 Himerius von Tarragona 244 Haitz, Johann Baptist 580 Himes, Michael J. 121 f 124 532 Haiz, Fidelis 581 Hinze, Bradford E. 121 f 124 447 532 Halder, Joseph 562 Hirscher, Johann Baptist 40 47 49 76 81 84 Haller, Carl Ludwig von 425 f 123 286 f 307 309 397 403-405 407 422 437 f Hammans, Herbert 121 124 491 494-497 499-501 504 507-509 525-527 Hammer, Felix 531 530-534 537 f 541 546 549 560 568 602 f 729 Hardenberg, Friedrich von (Novalis) 23-25 738 740 773 387 f Hocedez, Edgar 121 125 408 Hardenberg, Karl von 24 388 Hödl, Ludwig 28 Harduinus, Joannes 235 246 Hoffmann, Heinrich 382 Harms, Claus 602-604 606 f 609 614 Hoffmann, Joseph XXXI Harnack, Adolf von 382 Höfler, Karl Adolf Constantin (von) 582 Harskamp, Anton van 78 447 Hofmann, Fritz 78 439 Hartleben, Conrad Adolf 690 Hohenbichler, Johann Evangelist 12 Hartley, Thomas J. A. 76 Hohenlohe-Schillingsfürst, Alexander von Hartmann, Eduard von 3 425 f Hartmann, Julius 302 Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst, Franz Hassl, Johann Aloys 51 Karl Joseph von 50 56 268 289-294 296 569 Hassler, Gerda 380 642 645 Hauber, Michael 511 Hohenzollern-Hechingen, Joseph von 720 Haug, Eugen 31 52 f 55 80 119 f 122 124 Holl, Franz Xaver 685 f 250-252 266 288 293 301 310 380 500 618 Holtzmann, Heinrich 111 657 686 Höpfel 50 Haupt, Herman 67 Horaz 734 Hausberger, Karl 443 566 569 Horix, Johann Baptist (von) 581 Haym, Rudolf 386 f Huber, Franz Xaver 308 Hecker, Hans-Joachim 12 Huber, Fridolin 42 303 575 623 727 730 f 753 Hefele, Carl Joseph 12 f 25 33 f 46-48 52 63 789 75 119 249 288 f 301 307-310 407 437 f 621 Huberich, Anton Nikolaus 51-53 66 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 63 311 373 Hübner, Lorenz 524 <?page no="841"?> 809 Namenregister Huet, Petrus Daniel 169 195 247 Jubajanus 217 Hug, Johann Leonhard 159 247 268 f 618 f Juda 329 Hugo von St. Victor 27 88 Julian 194 196 Humboldt, Wilhelm von 373 Jürgensmeier, Friedhelm 574 Hume, David 28 94 Justin 39 116 160 167-169 173 177 f 182-184 Humphridius 333 186-190 192-194 196-200 204 206 209 f Hünermann, Peter 121 125 447 216-219 221 f 224 228 231-234 244 249 Hurter, Friedrich Emanuel 407 f 538 251-253 255-263 770 799 802 Hurter, Hugo 308 Juvenin, Gaspare 220 Hyginus 324 Kager, Richard 79 81 435 Igelsheimer, Adam 800 Kaiser, Franz Anton 674 Ignatius 163 167 172 177 f 193 221 224 232 Kalanek, Johann Alexander von 712 244 Kampling, Rainer 39 250 Innozenz I. 243 f Kant, Immanuel 10 13 18 47 f 58 126 290 313 Innozenz III. 407 400 413 f 510 607 656 f 662 785 Innozenz XI. 638 Karker, Franz Xaver 581 Irenäus 166-168 174 178 182 f 186 f 189-191 Karl VI. (Kaiser) 691 700 193 195 f 200-202 204 206 f 209 f 214 217 Karl August von Sachsen-Weimar-Eisenach 219 222-224 231 f 234 f 247 324 326 367 670 Isaak 257 259 Karl von Württemberg (König) 31 123 250 Isidor (Metropolit) 683 690 266 288 606 Kasper, Walter 61 403 447 801 Jäck, Joachim Heinrich 653 667 Kastner, Johann Baptist 580 Jacobi, Friedrich Heinrich 78 Katharina II. (Zarin) 580 Jaeschke, Walter 78 Katz, Steven T. 424 Jäger, Cajetan 739 Käufer, Hugo Ernst 24 388 Jagerhueber, Ignaz 237 247 Keil, Carl August Gottlieb 153 Jahn, Johannes 524 Keller, Erwin 618 Jakob (Stammvater) 257 259 Keller, Johann Baptist (von) 30 52 55 277 f Jakobus (der Ältere) 161 289 291-294 296-299 305 354 356 491-493 Jakobus (Verf. des Jakobusbriefs) 243 f 318 f 510 518 523 526-531 533 549 551 605 642 334 345 645 775 f 783 Jansen, Cornelius (Jansenius) 625 637 Keller, Tiberius 265 267 Jaspers, Karl 389 Kempff, Friedrich Bonifaz von 671 674 Jaumann, Ignaz 8 14 48 66 302 354 445 533 Kephas 489 574 f 653 f 785 Kern, Friedrich Heinrich 431 Jebusaeus 329 Kerz, Friedrich 524 Jedin, Hubert 58 123 Kessler, Michael 22 61 84 403 406 Jeremias 334-336 Kessler, Wolfgang 682 Jesajas 257 329 332 738 742 745 Kheir, Mayyada 621 Joannovics Vidak, Vincenz 709 Khuon, Franz Xaver 268 Joannovics, Arsenius 693 f Kienzler, Klaus 28 Jocham, Magnus 255 Killy, Walther 380 Johannes (Apostel, Evangelist) 155 158 161 Kirchner, Joachim 510 163 188 193 203 260 318 320 322 334 422 456 Klee, Heinrich 271 287 475 519-521 542 544 f 735 Klein, Laurentius 287 Johannes Damascenus 193 222 Klingenmayer, Johann Alois 50 268 Johannes Scotus Eriugena 27 88 Klinger, Elmar 377 447 Johannovics [Joannovitz], Vincenz 699 708 Klüpfel, Engelbert 243 247 274 277 656 f 712 658 f Jonas, Ludwig 386 Klüpfel, Karl 405 522 668 Joseph (Stammvater) 425 Knappich, Michael 267 Joseph I. (Kaiser) 691 700 710 Knöpfler, Alois 445 Joseph II. (Kaiser) 695 715 Kobusch, Theo 78 Josephus, Flavius 188 197 Koch, Johann Ludwig 653 <?page no="842"?> 810 Namenregister Koeppen, Friedrich 401 Leuba, Jean-Louis 126 311 Kolb, Andreas 265 267 Leube, Hans 79 389 Komp, Heinrich 674 Levison, Wilhelm 682 König, Joseph 373 Lexis, Wilhelm 75 Köpf, Ulrich 428 Lieber, Moritz 568 Kopp, Georg Ludwig Carl 580 Ligne, Charles Joseph de 373 375 f Koppe, Johann Benjamin 344 Lilienfeld, Andre´ de 435 749 Körner, Hans-Michael 520 Limburg-Styrum, August Graf von 281 Kosch, Wilhelm 282 Lindinger, Stefan 47 Kössing, Friedrich 282 Linsenmann, Franz Xaver 84 Krabiel, Klaus-Dieter 388 Lips, Johann Jakob 799 Kragliewics, Benedict von 696 Llorente, Jean-Antoine 580 Krolzik, Udo 27 Löffler, Josias Friedrich Christian 153 248 Krüger, Gustav 79 389 Lohr, Charles H. 28 Kuhn, Johann Evangelist (von) 82 84 124 f Longner, Ignaz 19 282 292-294 296 574 605 f 309 408 437 451 538 Lonovics, Joseph 581 Kurtz, Hermann 373 Lorenz, Sönke 253 428 Kustermann, Abraham Peter M. 4 8 38 41 45 Lösch, Stephan 8 33 f 58 f 62 f 79 f 120-122 49 54 120 126 272 288 290 310 349 352 361 125 255 278 286 303 307 309 369 377 f 369 445 447 532 565 f 601 f 605 615-617 620 403-405 429 438 442 f 445 491-499 501-504 642 f 645-648 652 655-657 666 681 718 725 508 f 512 515 520 522 524 527 531 537-539 738 559 565 580 582 602 605 607 615-617 620 Küstner, Gottfried 800 642 f 645-648 652 654 f 666-668 681 f 718 725 773 Lachner, Raimund 122 125 301 447 568 583 Löser, Werner 125 608 f 625 Lubac, Henri de 435 447-449 750 f Lactantius 166-170 176 182-184 186 f 189 f Lücke, Friedrich 511 517 192 f 195-198 200 f 204 206 210 215 238 f Lüderwald, Johann Balthasar 18 241 245 Ludwig (IX.) der Heilige (König v. Frank- Lamennais, Hugues-Fe´licite´ Robert de 42 377 reich) 591 510 624 Ludwig XIV. 625 638 Lanfranc von Bec 27 88 Ludwig XV. 639 Lang, Johann Jakob 30 112 250 276 538 Ludwig XVI. 644 667-669 Ludwig der Jüngere (König v. Frankreich) Lang, Karl Heinrich von 580 591 Lang, Lorenz 40 47 50 266 Ludwig XVIII. (König v. Frankreich) 591 Languinais, Jean Denis 581 Ludwig, August Friedrich 255 Lauchert, Friedrich 65 f 77 79 f 309 378 405 Lukas (Evangelist) 168 194 f 321 f 332 334 439 447 656 506 Laupheimer, Fridolin 447 Lumper, Gottfried 260 263 Laupp, Heinrich 425 492 508-510 729 Lüning, Peter 290 Laurenz, Johann Daniel d.J. 799 Luther, Martin 3 602 606 609 614 Lavater, Johann Caspar 18 799 Lutz-Bachmann, Matthias 125 Le Coz, Claude 621 Leclerq, Henri 255 Mabillon, Jean 235 Leese, Kurt 383 Macarius Magnes 231 Lehmann, Karl 125 Mack, Martin Joseph 405-407 423 f 427 437 Leinweber, Winfried 531 530 537 562 Lenz, Johann Anton 268 Magnesius 167 177 216 Leo I. (Magnus) 187 193 Magnus 231 Leo X. 591 627 638 Mähl, Hans-Joachim 25 Leo XII. 27 Maier, Konstantin 20 Leopold I. 691 693 700 709 Maimon, Salomon 17 Leopold II. 704 Maistre, Joseph Marie de 568 624 Lessing, Gotthold Ephraim 114 122 313 376 Mangelsdorf, Johann Traugott 17 f 752 f Manz, Franz Joseph 108 110-112 115 117 <?page no="843"?> 811 Namenregister 127 f 250 266-268 289 292 294 f 304 354 502-506 Maranus, Prudentius 216 221 256 f 263 526 762 777 779-781 Marcella 168 Mettayerus, Johannes 263 Marcion 167 170 183 f 186 f 190 193 199 201 Meyer von Schauensee, Placid 377 229 f 235 245 324 328 457 505 Meyer-Wilmes, Hedwig 78 Marcus Magus 324 Michael 46 194 Marheineke, Philipp Konrad 121 151 247 373 Michel, Martin (›Wunderheiler‹) 425 f 375 f 392 401 408 f 414 f 418 431 606 f 610 Michl, Anton 653 f 614 658 Miller, Max 8 42 44 52 250 277 f 288 292 Maria (Mutter Jesu) 174 221 232 475 607 294-296 301-304 415 426 569 731 610 f 734 f Milutin (serb. König) 716 Maria Theresia (Kaiserin) 609 691 700 715 Minon, Andre´ 435 449 Markus (Evangelist) 318 322 Minos 208 Marmetschke, Katja 311 Minutius Felix 167-169 182 209 f 320 Maron, Gottfried 8 571 582 608 Miokovics (Bischof) 695 Marquard, Odo 375 Mitchell, Phillip M. 380 Marschler, Thomas 443 f Moga, Basilius 696 Marsh, Herbert 285 409 578 580 608 613 f Möhler, Johann Adam 3 8 21 38 41-44 61 75 f Martin, Alfred von 388 78-83 119 f 121-124 126 255 278 286 301 307 Marx, Ferdinand 267 309 311 f 369 376-379 384 405-408 415 Massuet, Renatus 217 247 422-424 427-430 433-439 441-446 448 f 451 Mastiaux, Kaspar Anton (von) 307 519 513 520 524 527 530 f 534 537 f 556 560 583 523-526 546 548 568 f 579 647 653 661 668 f 682 f 740 749-751 790 793 f Mattes, Wenzeslaus 76 Molina, Luis de 625 634 f Matthäus (Evangelist) 39 186 188 192-195 Montanus 238 333 311 f 318 321 f 329 333 f 505 Montesquieu, Charles de Secondat 373 Maximilian (I.) Joseph von Wittelsbach (Kö- Montgelas, Maximilian Joseph 572 nig) 565 f Moreau, Jean-Victor-Marie 626 639 May, Georg 288 424 668 726 Morinus, Johannes 316 344 May, Gerhard 448 Moris, Anton 672 679 Mayer, Carl 800 Moritz, Werner 414 Mayer, Christoph 290 f 297 Moser, Arnulf 622 f Mayer, Marum Samuel 428 Moser, Johann Karl (d.i. Mastiaux) 569 Mayr, Ulrich 685 f Moses 158 170 193 664 Mazio, Raffaele 296-300 Mosheim, Johann Lorenz 152 183 f 247 McCool, Gerald A. 83 420 Mosthaf, Ludwig Peter Damian (von) 731 McCready, Douglas 447 Moy de Sons, Kraft Karl Ernst 581 Meckenstock, Günter 384 398 505 Müller, Adam 23 388 Meier, Uto 46 Müller, Alexander 581 Mejer, Otto 292 490 569 652 Müller, Gerald 618 Mejer, Wilhelm Johannes 411 482 490 Müller, Johannes von 23 Melito von Sardica 168 Müller, Rainer A. 12 Menander 217 Müller, Simon 670 673 Mendelssohn, Henriette 388 Müller, Thaddäus 377 Menke, Karl-Heinz 447 608 Müller, Winfried 668 Mercati, Angelo 565 f Müller, Wolfgang 7 12 47 69 304 618 Mercy d’Argenteau 290 Münchner Nuntius Münch, Ernst Hermann Joseph 63 581 Merenda, Angelo Maria 300 Münk, Hans J. 377 Merkle, Sebastian 79 292 Münscher, Wilhelm 107 110 f 121 131-134 Mertens, Dieter 253 136 150 152 f 155 159-161 163 166-179 Merz, Heinrich 406 181-186 188-211 214 216-231 234-236 Messner, Philipp Joseph 524 238-241 247 253 257 259-261 263 286 802 Methodius 183 185 190 201 204 207 210 Münzer, Thomas 103 Metoviach, Stephanus 693 Mussicsky, Lucian 717 Mets, Joseph (von) XXVI 1 f 8 12 14 20 32 40 f 49 51-56 63-67 69 f 72 f 75 78 85 97 102 Napoleon 291 569 621 625-627 629-632 634 <?page no="844"?> 812 Namenregister Narr, Gunter XXXI Paul, Hermann 15 Nebel, Johannes 450 Paul, Ina Ulrike 250 424 Nectarius 341 Paulus (Apostel) 39 99 155 161-163 210 212 Negele, Karl 267 233 242 244 267 311 f 318 320 456 490 522 Neher, Stephan Jakob 32 40-42 48 50 279 290 575 611 623 735 405 Paulus von Samosata 179 Neidl, Walter Martin 82 125 Paulus, Eduard 799 Nellessen, Leonhard Aloys 410 558 580 Paulus, Heinrich Eberhard Gottlob 393-395 Nemesius 197 f 426 505 Nenadovics, Paul 708 Pa´wo (Knez von Temeswar) 692 Nepos 204 Pelagius 625 635 Nestorius 128 Pelt, Anton Friedrich Ludwig 429 Neukomm [Neukam], Conrad 800 Pertsch, Johann Georg 280 Neuner, Peter 290 Pesch, Rudolf 510 Newman 121 123 443 Petavius, Dionysius 122 152 173 247 316 331 Nicephalus Callistus 245 344 Nicolai, Friedrich 380 Peter Damiani 27 88 Niebuhr, Staatsrath 650 Peter der Große 690 Nikodemus 422 519 542 Petitdidierius, Matthaeus 614 Noetus 179 Petri, Heinrich 121 f 125 Nohl, Herman 375 Petrovics, Gedeon von 696 Nösselt, Johann August 154 247 684 Petrus (Apostel) 161 203 213 334 489 f 575 Novalis (Friedrich von Hardenberg) 23-25 623 735 58 379 387-389 392 791 800 Petrus Lombardus 28 89 103 193 Novatian 167-169 178 187 190 192 198 206 f Pfaff, Christoph Matthäus 154 247 Novatus [Novatius] 238 Pfaff, Johann Leonhard 671 674 Pfeilschifter, Johann Baptist 525 546 569 O’Meara, Thomas Franklin 23 48 58 76 83 Pflanz, Benedikt Alois 13 42 43 280 518 524 120-122 125 420 436 447 656 603 688 f 730 789 f 800 Obradowitsch, Dosithei 716 f Pfligersdorffer, Georg 82 125 f Oceanus 187 Philemon 186 Octavius 167 f 182 209 320 Phillips, George 581 Oelrichs, Johann Georg Arnold 153 247 Philo 173 188 Olivieri, Maurizio Benedetto 300 Philocharis 621 Origenes 166-169 175 f 178 182-200 202 204 Photius 166 206 208-211 215-218 228-231 234 238-241 Picard, Paul 531 243 f 260 262 274 320 329-333 335 f 459 Piereth, Wolfgang 668 Orosius 194 198 Pierius 188 Osinski, Jutta 389 Pius VI. 280 298 f 784 Osma, Pietro de 297 299 Pius VII. 277 291-293 298 305 352 358 565 f Ouwaroff, Sergej S. 22 621 644 650 784 Overbeck, Franz 3 Planck, Gottlieb Jakob 111 121 134 153-155 Overbeck, Friedrich 388 247 392 401 408 514 524 658 684 Ovid 180 Platon 152 f 167 f 455 Öxle, Kaspar 289 Platzeck, Erhard-Wolfram 28 Plongeron, Bernard 621 Pabst, Johann Heinrich 308 Pohl, Hans Friedrich 17 Pacca, Bartholomäus 13 580 Poisson, He´le`ne XXXI Pahl, Johann Gottfried 40 50 Polycarpus 163 172 244 Pahl, Wilhelm 40 Popovich, Jephtimias 693 Pamphilius 188 Popovics, Dionys von 696 Panzer, Georg Wolfgang Franz 17 Portalis, Jean-E´ tienne-Marie 625 634 Papias 163 194 203 Porterfield, Allan W. 389 Pascal, Blaise 28 95 Poschmann, Bernhard 273-275 Pasquale, Gianliugi 370 Potter, John 216 247 Patricius Junius 323 Pottmeyer, Hermann Josef 608 <?page no="845"?> 813 Namenregister Pseudodionysius 242 f 685 Pracher, Beda 279 f 345 Rödel, Walter E. 574 Prang, Helmut 389 Roessle, Johann [Joseph? ] Ludwig 12 Praxeas 169 175 178 f 187 194 219 Rohls, Jan 447 Prechtl, Maximilian 410 580 Roscelin von Compie`gne 28 89 Prela`, Viale 652 Rose (St. Salvator) 12 Press, Volker 253 Rosenthal, David August 388 Putnik, Joseph von 695 Rösler, Christian Friedrich 152 248 Rotteck, Carl von 395 437 Quesnel, Pasquier 625 637 Rüder, Friedrich August 525 546 Rudhart, Ignaz (von) 569 Raberg, Frank 405 574 Ruef, Johann Kaspar Adam 280 f Rahner, Hugo 435 Ruf, Wolfgang 82 121 f 125 127 361 447 514 f Raics, Johann 716 566 583 601 Ranft, Joseph 82 121 f 125 Rufinus 197 202 323 f 329 Raphael 194 Räß, Andreas 388 511 729 Sabellius 179 Rassler von Gamerschwang 504 Sack, Karl Heinrich 580 Rath, Josef Theodor 27 Säger, Eugen 739 Rätze, Johann Gottlieb 410 444 446 Sägmüller, Johann Baptist 79 442 Ratzinger, Joseph 61 75 403 Sailer, Johann Michael 7 39 f 45-47 49-51 55 Rauber, Karl-Josef 616 66 69 78 375-378 432 449 504 519 f 524 531 Raupp, Werner 28 655 f 660 662 f 665 781-783 786 792 799 f Reardon, Bernard M. G. 61 121 125 375 420 Saint-Just, Louis Antoine Le´on de 373 423 435 443 447 Saint-Martin, Louis Claude de 373 Reatz, August 78 Salat, Jakob 409 656 Regele, Silvester Kaspar 51 Salvianus 198 Reger, Maria XXXI Sammarthanus → Dionysius Reinhardt, Klaus 27 Samuel, Richard 25 Reinhardt, Rudolf 8 19 31 f 38 40 41 49 52 Sandbichler, Aloys 524 288 293 296 310 405 445 492 f 498 f 501 528 f Sandkaulen, Birgit 78 534 739 f 742 Sattler, Magnus 255 Reininger, Anton 55 Sauer, Paul 253 Reiser, Marius 39 Sauter, Josef Anton 280 f Renaudot, Euse`be 220 247 Sceva 319 Restorowitsch, Urosch 715 Schäfer, Philipp 656 f Reusch, Franz Heinrich 42 280 295 378 520 Schäfer, Volker 428 671 739 Schaich, Michael 12 Reymond, Henri 621 Schalck, Heinrich Franz 799 Reyscher, August Ludwig 30 112 250 276 766 Schanz, Paul 75 77-79 119 121 f 125 309 438 f Rhadamanthus 208 Schanze, Helmut 377 Rhode, Heinrich 742 Schauensee, Placid Meyer von 377 Richard von St. Victor 27 88 Schedler, Franz Joseph (von) 276 731 Richter, Arthur 380 Scheffczyk, Leo 82 121 f 125 370 423 450-452 Richter, Johann Paul Friedrich [Jean Paul] Scheill, Joseph 569 653 606 614 Scheliha, Arnulf von 384 Rief, Josef XXXI 28 38-41 53 66 288 447 568 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph (von) 13 Rieger, Reinhold XXX 131 384 445 16 22-26 32 45-49 58 81 83 114 120 122 125 f Riepenhausen, Christian 388 313 376 413 f 418 420 430 f 656 f 662 752 f Riepenhausen, Friedrich 388 785 Ries, Markus 308 Schenk, Eduard von 388 Rigault, Nicolaus 216 247 Schick, J. G. 405 Ringseis, Johann Nepomuk von 662 Schiel, Hubert 46 f 49 51 520 524 663 799 Ritter 24 Schirmer, Wilhelm 42 303 Ritter, Bernhard 48 Schlegel, August Wilhelm 23 f 376 388 391 f Ritter, Johann Georg 249 252 265 267 f 276 Schlegel, Caroline 24 <?page no="846"?> 814 Namenregister Schlegel, Dorothea 388 347 369-370 382 397 403 405 f 421-423 438 Schlegel, Friedrich 23 f 377 388 f 391 f 440 f 443 491 512 565 602 605 615-617 620 Schleich, Johann Carl sen. 800 642 645 647 f 652 655 666 681 718 725 738 Schleichert, Isidor 674 749 801 Schleiermacher, Friedrich 3 58 110 122 124 Seiffer, Franz 42 126 311 380 382 384-389 391 402 413 418 Seinsheim, August Graf von 800 431-433 446 505 511 517 532 603 658 Seligny, Theresia 392 684-686 Semler, Johann Salomo 18 28 94 326 611 614 Schleierweber, Margarethe 375 Sendtner, Jakob 525 546 Schlereth, Wilhelm Philipp 674 Sengler, Jakob 308 Schleusner, Johann Friedrich 319 345 Serapion 168 178 Schleyer, Peter XXII XXV 601 738-743 Serra di Cassano, Francesco 290 652 Schlund, Carl 45 Sertillanges, Antonin Gilbert 442 749 Schmalstig, Joseph 287 Setzler, Wilfried 428 Schmaus, Michael 125 f Severoli, Antonio Gabriele 290 652 Schmid, Christian Friedrich 431 Shakespeare, William 43 Schmid, Christoph (von) 46 51 Sherry, Patrick 424 Schmider, Christoph 67 Sigismund (Sigmund) von Luxemburg 692 Schmidlin, Christoph Friedrich von 302 f Silbernagel, Isidor 255 426 f Simanowitz, Ludowica 799 Schmidt, Martin Anton 28 Sintenis, Christian Friedrich 18 f Schmitt, Jakob 76 Sinz, Georg Anton 731 Schmitz-Grollenburg, Philipp Moritz von Siricius 244 276 f 574 f 649 651 Smart, Ninian 424 Schnappinger, Bonifaz Martin 134 151 248 Smolka, Wolfgang J. 668 Schneider, Bernhard 511 Socrates (Scholasticus) 169 240 248 340 345 Schneider, Eugen 253 Soden, Rudolf August von 731 Schneller, Julius Franz 373 Söhngen, Gottlieb 443 Schnorr, Franz Adam 800 Sohnle, Werner Paul 668 Schnütgen, Alexander 67 Söll, Georg 121 126 Scholder, Klaus 428 Souverain, Matthieu 153 248 Schönborn 682 Sozomenus 248 340 f 345 Schönborn, Christoph 448 750 Specht, Thomas 12 520 Schönweiler, Joseph 562 Spechtenhauser, Johann Baptist 652 Schreiber, Georg 31 Speckle, Ignaz (Joseph Anton) 289 Schreiber, Heinrich 739 Spegele, Cölestin 31 55 249 251 268 f 276 500 Schreiter, Johann Christoph 285 409 580 617-619 Schreurs, Nico 121 f 126 Spiegel, Ferdinand August von 720 Schröder, Markus 382 384 Srbik, Heinrich von 376 Schubert, G. G. 373 Stae¨l, Anne Louise Germaine de 376 Schulte, Johann Friedrich von 20 42 281 308 Stalder, Robert 122 126 311 447 582 653 685 Stapf, Franz 652 Schulz, Hans 15 Stark, Werner 607 Schulz, Winfried 122 126 Staudenmaier, Franz Anton 65 f 77 f 119 309 Schupp, Franz 2 74 82 121 f 126 447 380 429 437 439 451 562 659 Schütze, Christian Heinrich 605-606 609 f Stäudlin, Karl Friedrich 151 248 514 684 613 f Stauffenberg, Schenk von 47 66 504 Schwaiger, Georg 7 12 38 288 377 608 656 Stegmann 525 546 Schwarz, Friedrich Heinrich Christian 374 Steinhauser, August 13 33 f 398 412-415 418 Steinle, Leonhard 267 Schwarz, Ildephons 274 Stephan Duschan der Starke 694 Schweitzer → Suicer Stephan, Horst 79 389 Schwerdtfeger, Regina E. 574 Stephanus I. 218 Schwerdtner, Siegfried M. 801 Stephanowitsch, Wuk 717 Schwinge, Gerhard 414 Steudel, Johann Christian Friedrich 431 f 511 Seckler, Max XXXI 1 61 66 75 249 265 311 Stibicza, Spiridion 693 <?page no="847"?> 815 Namenregister Stolberg, Friedrich Leopold zu 388 392 425 f Usteri, Paul 8 616 f 606 610 Storr, Gottlob Christian 319 345 Valerius, Gerhard 42 f 510 524 624 f Strahl, Philipp Karl Joseph 682 f 690 706 Valesius, Henricus 340 f 345 Stralsund, Friedrich August von 388 Valjavec, Fritz 682 Stratimirovics, Stephan von 695 712 714 Varnhagen, Rahel 388 Streber, Hermann 579 Vater, Johann Seberin 499 Sudhoff, Karl 46 Veit, Dorothea 24 Suicer (Johann Caspar Schweitzer) 153 248 Venturini, Carl Heinrich Georg 373 319 345 Vermeil, Edmond 61 75 78 83 121 f 126 Sulzer, Johann Anton 526 f 307 309 311-314 422 439-442 444 446 448 Süskind, Friedrich Gottlieb 511 512 f Swedenborg, Emanuel 18 Viale Prela`, Michele 290 Sykes, Stephen 382 447 Vicari, Hermann 525 739 Victorinus 204 Tardı `, Lorenzo 617 Victricius von Rouen 244 Tatian 169 173 177 f 182-184 186-188 192 Vidak, Peter Joannovics von 695 196-198 200 206 209 f 233 263 Vigener, Fritz 8 439 571 582 608 Tenberg, Reinhard 48 Vilmar, August Friedrich Christian 3 Tertullian 166-170 175 178 f 182-184 186 f Vinzenz von Le´rin 368 189 f 192-201 207 209 f 215-218 220 229-232 Voltaire (Franc¸ois-Marie Arouet) 28 94 381 235-241 243 f 247 324 326-329 331 333 335 f Vorgrimler, Herbert 435 338 f Voß, Johann Heinrich 606 Tetovacs, Jephtimias 693 Thanner, Ignaz 374 658 Wachler, Ludwig 111 Theiner, Johann Anton 580 Wachter, Karl (Carl) 40 52 f 55 66 249 252 Theodor von Mopsuestia 190 193 254 262 267 f 270 276 290-293 295 300 f 311 Theodoret 190 192-195 198 f 217 500 502 f 526 684-686 Theodotus 179 186 217 227 Wagenhammer, Hans 382 Theophilus von Antiochien 166-168 173 177 Wagner, Franz Alois 40 46 47 49-51 266 183 186-188 191 198-201 206 209 216 233 Wagner, Franz Josef 49-51 263 Wagner, Harald 290 423 447 Thiel, John E. 120-122 126 447 532 Waitzenegger, Franz Joseph 42 50 53 520 Thomassin, Louis 152 248 Walch, Johann Georg 154 183 f 248 Tieck, Johann Ludwig 24 391 f Walter, Ferdinand 565 f Tiefensee, Eberhard 4 35 f 48 83 120-122 126 Wangenheim, Karl August von 50 574 f 361 413-415 447 Wartenburg, Paul Yorck von 125 Tilliette, Xavier 49 Wasserschleben, Ludwig Wilhelm Hermann Timoteus 320 668 Titus 320 Weber, Aloys 267 Tommasi, Giuseppe Maria 152 248 Weber, Bernhard 407 Trapp, Adam Franz 674 Weber, Joseph 239 248 519 f 655 665 Trenck, Franz von der 682 Wedekind, Karl Ignaz 22 Tribbechov, Adam 153 248 Weech, Friedrich von 19 67 414 739 f Tryphon 167 169 173 186-188 192 f 200 216 f Weiller, Cajetan 22 234 244 253 256-258 Weinmann, Johann Georg 527 Tüchle, Hermann 20 442 608 749 Weis, Anton 524 Turribius 187 Weiß, Christoph 12 Twesten, August Detlev Christian 432 Weis, Nikolaus von 511 725 729 734 Tzschirner, Heinrich Gottlieb 410 580 667 Weischedel, Wilhelm 510 Weitlauff, Manfred 7 308 377 Uecker, Thomas 28 Welcker, Carl 437 Uhland, Robert 250 Welte, Benedikt 742 Ullheimer, Joseph (von) 581 Welte, Bernhard 82 f 122 126 435 Ulysses 28 Werfer, Albert Ignaz 32 34 46 48 405 415 Usherius, Jacobus [James Ussher] 152 248 Werfer, Franziska 32 <?page no="848"?> 816 Namenregister Werkmeister, Benedikt Maria (von) 14 19-21 Wlahovics, Daniel 696 30-32 42 f 50 53 55 66 68 71 f 77 82 276 f Wocher, Maximilian Joseph 522 538 279 f 281 f 289 292-295 299 304 306 354 425 Wolf, Hubert 52 67 290-292 296-301 427 502 511 524-526 574 f 607 614 622 653 f Wolf, Wilhelm 265 667 670 731 780 783 Wolfes, Matthias 111 Werner, Karl 12 20 46 75 281 308 310 377 495 Wolff, Christian 401 656 Wolff, Norbert XXXI 20 39 41 52 66 251 266 Werner, Winfried XXVI XXX 22 46 107 111 292 296 311 498-501 504-506 515 520 f 344 f 581 622 660 682 Wörner, Balthasar 44 301 538 Werner, Zacharias 388 Wörner, Joseph 268 Wesseling, Klaus-Gunther 7 28 Wurzbach, Constant von 425 Wessenberg, Ignaz Heinrich von XXVIII 1 f Wuttke, Walter 46 7 f 11-14 20 22 25 f 39 f 42 f 47 f 52 f 63-73 Wycliff 297 299 75 77 270 302-304 347 354 f 358 368 373 Wyman, Walter E. 124 532 377 f 394 f 425 427 499-504 511 517 524 567 569 574 578 582 617 622 f 653 730 739 Zallinger zum Thurn, Jakob Anton 12 f 759-764 772 778 f 781 f 787 789 799 Zanucchi, Mario 24 f Wessenberg, Johann Philipp von 622 Zedelmaier, Helmut 668 Wette → De Wette Zeiger, Ivo 273 Wetzel, Hermann 80 289 f Zell, Karl 739-741 Whitby, Daniel 153 248 Zeller, Eduard 428 430 511 Widmer, Joseph 46 378 656 660 Zeller, Joseph 12 40 f 49-51 53-56 66 80 250 Wiedemann, Georg Friedrich 511 253 255 266 289-291 404 501 503 f Wiese, Benno von 389 Zeltner, Hermann 46 Wiest, Stephan 659 Ziegler, Gregor Thomas 274 656 Wigger, Franz 647 Ziegler, Martin 45 Wilhelm von Champeaux 28 89 Ziegler, Werner Karl Ludwig 154 248 Wilhelm von Württemberg (König) 425 782 Zierlein, Franz 121 f 126 447 Wimmer, Silvia 46 Zimmer, Patriz Benedikt 22 377 f 412-415 Wintterlin, August 48 519 f 526 652 655-665 786 800 Wintterlin, Friedrich 574 Zimmermann, Ernst 670 Witasse [Vuitasse], Charles 220 248 Zirkel, Gregor (von) 289 Wladislaw II. 700 Zschokke, Johann Heinrich Daniel 546 569 <?page no="849"?> Gegenstand dieses Bandes ist die kritische Edition von 27 Schriften aus der Feder von Johann Sebastian Drey (1777−1853), dem Begründer der Katholischen Tübinger Schule, den man im Hinblick auf die Neuheit und Fruchtbarkeit seines theologischen Denkens als den „Founder“ und „Church Father at Tübingen“ (Thomas F. O’Meara) bezeichnet hat. Der Schwerpunkt der Edition liegt auf den Abhandlungen, die er in der ersten Phase seines theologischen Schaffens veröffentlichte: Revision des gegenwärtigen Zustandes der Theologie (1812), Millenniumsschrift (1814), Beichtschrift (1815), Oratio (1817/ 19) und Vom Geist und Wesen des Katholicismus (1819), dazu das Autograph seiner Vorlesung zur Geschichte des Katholischen Dogmensystems (1812/ 13), das hier erstmals kritisch ediert wird. In diesen Texten hat Drey programmatisch die Grundzüge für sein eigenes Werk und für eine epochale Neuorientierung der katholischen Theologie entwickelt. Es eignet ihnen ein „eigentümlicher Zug freudiger Frische und genialer Jugendlichkeit“, der „Glanz neu aufgehenden Lichtes kräftiger Gedanken“ und „ursprünglicher geistiger Erfahrung“ (Bernhard Welte). Darüber hinaus sind in diesem Band sämtliche verfügbaren Dokumente zur Gründungsgeschichte der Theologischen Quartalschrift zusammengestellt. Aus ihnen geht auch die Führungsrolle Dreys für den Charakter dieser Zeitschrift hervor. Eine dritte Gruppe von Texten vereint unter der Bezeichnung Miscellanea 1819−1835 die 19 Texte, in denen Drey in diesem Zeitraum mit Erläuterungen, Berichten und Analysen zum kirchlichen Zeitgeschehen sich äußerte. Den hier edierten Texten sind zur historischen und aktuellen Erschließung großenteils monographieartige Einleitungen des Herausgebers beigefügt, die auch Forschungsbeiträge enthalten, die zu tiefgehenden Korrekturen gängiger Auffassungen führen und das Frühwerk Dreys in einem neuen Licht erscheinen lassen. Mit dem vorliegenden Band, dem in der Tübinger Ausgabe (TüA) der Nachgelassenen Schriften Dreys 1997 die Edition seines Theologischen Tagebuchs (TüA 1), 2003 seiner Praelectiones dogmaticae (TüA 2) und 2007 seiner Kurzen Einleitung in das Studium der Theologie (TüA 3) vorausgegangen ist, wird nunmehr zusammen mit ihm als TüA 4 das ganze theologische Frühwerk vollständig dokumentiert und dieses in seiner Einheitlichkeit erkennbar sein.