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Opfere Deinen Sohn!

Das 'Isaak-Opfer' im Judentum, Christentum und Islam

0424
2007
978-3-7720-5126-5
978-3-7720-8126-2
A. Francke Verlag 
Bernhard Greiner
Bernd Janowski
Hermann Lichtenberger
<?page no="0"?> Bernhard Greiner Bernd Janowski Hermann Lichtenberger (Hrsg.) Opfere deinen Sohn! Das ‚Isaak-Opfer’ in Judentum, Christentum und Islam <?page no="1"?> Opfere deinen Sohn! <?page no="3"?> Bernhard Greiner / Bernd Janowski / Hermann Lichtenberger (Hrsg.) Opfere deinen Sohn! Das ‚Isaak-Opfer’ in Judentum, Christentum und Islam <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. Gedruckt mit Unterstützung des Graduiertenkollegs »Die Bibel - ihre Entstehung und Wirkung« der Universität Tübingen. © 2007 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar.Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.francke.de E-Mail: info@francke.de Druck: Gulde, Tübingen Bindung: Nädele, Nehren Printed in Germany ISBN 978-3-7720-8126-2 <?page no="5"?> Inhalt Bernd Janowski, Hermann Lichtenberger, Bernhard Greiner Vorwort VII Hermann Deuser „Und hier hast du übrigens einen Widder.“ Genesis 22 in aufgeklärter Distanz und religionsphilosophischer Metakritik 1 Thomas Naumann Die Preisgabe Isaaks. Genesis 22 im Kontext der biblischen Abraham-Sara-Erzählung 19 Stéphane Mosès Die Opferung Isaaks in der jüdischen Tradition 51 Bianca Kühnel Abrahams Opfer als Chiffre des Tempels. Ein kunstgeschichtlicher Beitrag zur jüdisch-christlichen Polemik 73 Ruth Kartun-Blum Political Mothers. Women’s Voice and the Binding of Isaac in Israeli Poetry 93 Elazar Benyoetz Keine Macht beherrscht die Ohnmacht. Eine ungebundene Lesung um Abraham und seinen Gott 109 Johann Anselm Steiger Ad Deum contra Deum. Zur Exegese von Genesis 22 bei Luther und im Luthertum der Barockzeit 135 Bernhard Greiner Die Stellvertretung im Opfer. Figurationen ihres Entwurfs und ihrer Rücknahme: Iphigenie (Euripides/ Goethe) und Elektra (Hofmannsthal) 155 Norbert Oellers Abraham in der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts. Else Lasker-Schüler, Franz Kafka, Nelly Sachs 171 <?page no="6"?> Inhalt VI Gunther Klosinski Abrahams Infantizidversuch. Psychodynamische und interpretative Annäherungen aus der Sicht eines Kinder- und Jugendpsychiaters 185 John Lowden The Sacrifice of Isaac in the Bibles Moralisées 197 Lutz Richter-Bernburg Göttliche gegen menschliche Gerechtigkeit. Abrahams Opferwilligkeit in der islamischen Tradition 243 Das Graduiertenkolleg „Die Bibel - ihre Entstehung und ihre Wirkung“ Kunst im Kontext. „Isaaks Opferung“ in der jüdischen, christlichen und islamischen Kunst 257 Hermann Lichtenberger Predigt über Genesis 22,1-19 313 Register 327 <?page no="7"?> Vorwort Wir freuen uns, die Vorträge, die im Sommersemester 2002 auf dem von dem Tübinger Graduiertenkolleg „Die Bibel - ihre Entstehung und ihre Wirkung“ veranstalteten Internationalen Symposion über „Genesis 22 in Judentum, Christentum und Islam“ gehalten wurden, endlich in gedruckter Form vorlegen zu können. Drei Tage lang haben vierzehn Kolleginnen und Kollegen aus Israel, England und Deutschland dieses sensible Thema erörtert und die Stipendiatinnen und Stipendiaten des Graduiertenkollegs dazu eine kleine, aber feine Ausstellung arrangiert, die überraschende Einblicke in die Wirkungsgeschichte der „Opferung / Bindung Issaks“ gewährte (unten 257ff). Ein sensibles Thema, in der Tat, und eine gefährliche Geschichte, ganz gewiß. Man lese nur M. Luthers Predigt über Gen 22 (unten 321ff), S. Kierkegaards Reflexionen in seiner Schrift „Furcht und Zittern“ (unten 324ff) oder betrachte Rembrandts berühmte Gemälde und Zeichnungen (unten 297). Was ist das für ein Gott, der, wenn auch nur zur Probe, von seinem Erwählten verlangt, seinen einzigen, geliebten Sohn zu opfern? Fordert denn Gott, so könnte man fragen, ein Menschenopfer? Wenn die Philosophie die Fähigkeit besitzt, zu allen Menschen zu sprechen und dabei nicht nur Einsichten, Werte und Anschauungen klärt, sondern diese auch befördert, um das Leben der Zeitgenossen humaner zu gestalten, so gilt dies auch für die Religion. Die Dinge liegen bei ihr aber komplizierter, weil die Religion immer wieder über Texte verfügt, die nicht nur den Intellekt, sondern auch das Gemüt herausfordern. Ein solcher Text ist Gen 22 und seine kontroverse Rezeption in Judentum, Christentum und Islam. Berühmt und zugleich berüchtigt sind etwa seine Ablehnungen im Namen der Moralität und der Psychologie. So hat Immanuel Kant in seiner Schrift „Streit der Fakultäten“ von 1798 entschiedenen Widerspruch gegen Abraham eingelegt. „Er hätte“, schreibt Kant, „auf diese vermeintliche Stimme antworten müssen: Daß ich meinen guten Sohn nicht töten solle, ist ganz gewiß; daß aber du, der du mir erscheinst, Gott sei, davon bin ich nicht gewiß und kann es auch nicht werden, wenn sie auch vom (sichtbaren) Himmel herabschallete“ 1 . Und die Psychologin Alice Miller fragt in ihrer Studie „Wenn Isaak den Opfertisch verläßt“ knapp 200 Jahre später, wie diese Geschichte eines „gedankenlosen Mörders seines Kindes“ ausgehen würde, wenn das zum Opfer bestimmte Kind sich nicht stumm in sein Schicksal ergäbe, sondern aus der Rolle des Opfers herausträte. Dann griffe Isaak zum Messer, so A. Miller. Das 1 I. Kant, Der Streit der Facultäten in drei Abschnitten (Kant's gesammelte Schriften VII), Berlin 1917, 63 (vgl. unten 323f). <?page no="8"?> Vorwort VIII aber wäre das alte Spiel, nur in neuer Besetzung. Als Alternative entwickelt die Autorin folgenden Dialog: „Isaak fragt: Vater, warum willst du mich umbringen? Und bekommt zur Antwort. Es ist Gottes Wille. - Wer ist Gott? fragt der Sohn. - Unser aller größter und gütigster Vater, dem wir gehorchen müssen, antwortet Abraham. Tut es dir weh, möchte der Sohn wissen, diesen Befehl auszuführen? - Ich habe nicht nach meinen Gefühlen zu fragen, wenn Gott etwas befiehlt. - Wer bist du dann, fragt Isaak, wenn du die Befehle ohne Gefühle ausführst, und wer ist Gott, der das von dir verlangt? Es könnte sein, daß Abraham zu alt ist, daß es für ihn zu spät ist, die Botschaft des Lebens zu vernehmen, die ihm sein Sohn bringt. Es kann auch sein, daß er sagt: Halt den Mund, davon verstehst du nichts. Es kann aber auch sein, daß er sich den Fragen öffnet, weil es auch seine Fragen sind, die seit Jahrzehnten unterdrückt geblieben waren.“ 2 In den Vorträgen kommen auch andere Stimmen zu Wort. Etwa die, daß Gott gerade kein Menschenopfer fordert und die sog. „Opferung“ Isaaks auf etwas anderes als eine brutale Kindestötung hinauswill. Ja, ist hier überhaupt und von Anfang an von einer Opferdarbringung die Rede? Es gibt auch andere Antworten auf diese Frage und, wie mehrere Beiträge zeigen, bei geduldiger Lektüre sogar neue Perspektiven auf den alten Text. Als Initiatoren des Symposions und Herausgeber dieses Bandes haben wir versucht, unterschiedliche Forschungsgebiete mit ihren spezifischen Perspektiven zu Wort kommen zu lassen und damit den interdisziplinären Dialog zu fördern. Beteiligt sind die Religionsphilosophie und die Psychologie, die Kunst- und die Literaturwissenschaft, die Judaistik und die Islamwissenschaft und natürlich auch die Theologie mit ihren Einzeldisziplinen. Alle Vorträge wurden von den Referentinnen und Referenten noch einmal überarbeitet, der Beitrag von Stéphane Mosès wurde von Frau Birgit Schlachter übersetzt und das Ganze in einem aufwendigen Verfahren von unseren Mitarbeitern David Cloutier und Florian Lippke für den Druck eingerichtet. Allen Beteiligten, besonders aber den zuletzt Genannten, sind wir zu großem Dank verpflichtet. In diesen Dank schließen wir auch Frau Dr. Kathrin Liess und Frau Monika Merkle ein, die die Korrekturen mitgelesen haben, sowie Frau Katharina Ruopp, die die Register angefertigt hat. Mögen die hier versammelten Stimmen nicht nur Verlegenheit und Beklemmung auslösen, sondern das Verstehen eines nach wie vor herausfordernden Textes fördern! Tübingen, im Mai 2006 B. Janowski / H. Lichtenberger / B. Greiner 2 A. Miller, Wenn Isaak den Opfertisch verläßt, in: dies. , Der gemiedene Schlüssel, Frankfurt a.M. 2 1988, 152-162. <?page no="9"?> Hermann Deuser „Und hier hast du übrigens einen Widder.“ Genesis 22 in aufgeklärter Distanz und religionsphilosophischer Metakritik Während Mitte des 19. Jahrhunderts die historische Forschung in vollem Gange ist und die kritische Bibelexegese ihren Erfolgen entgegeneilt, dichtet S. Kierkegaards pseudonymer Autor Johannes de Silentio einen Mann, dessen Begeisterung für Abraham, den Vater des Glaubens in Gen 22, gerade nicht darin besteht, den Textbestand historisch zu sichern um ihn verständlich zu machen, sondern darin, in ebenso humanem wie religiösem Respekt vor ihm zurückzuschrecken: „Jener Mann war kein gelehrter Exeget, er konnte kein Hebräisch; hätte er Hebräisch gekonnt, vielleicht hätte er die Erzählung und Abraham mit Leichtigkeit verstanden.“ 1 Die mangelnde Sprachkenntnis steht hier pars pro toto für das bewußte Fehlen des Instrumentariums wissenschaftlicher Verfahrensweisen - und damit umgekehrt für den Gewinn an Gleichzeitigkeit mit dem Erzählten, wenn die wissenschaftliche Distanz verschwindet. Der in dieser Hinsicht alles Folgende überragende Eingangsteil der kleinen Schrift Furcht und Zittern ist deshalb konsequent mit „Stimmung“ überschrieben, und diese einzigartige Vergegenwärtigung Abrahams, Isaaks und Saras im inneren Verhältnis zum Ereignis auf dem Berg im Land Morija, diese vier märchenhaft-meditativen Szenenmodelle zeigen Dimensionen des religiösen (christlichen) Glaubens, mit denen dieses Büchlein Geschichte gemacht hat: Der Glaube Abrahams ist offenbar keine Form von Wissen und Verstehen, sondern ein paradoxes Ereignis im Vollzug von Verlust und Wiedergewinnen in Lebenssituationen, aus denen diese Wendung gerade nicht vorherzusehen ist. Vor allen folgenden Theoriefiguren, die auch Kierkegaard auf die Szenenmodelle folgen läßt, ist deshalb daran zu erinnern, daß „Stimmung“ den Ort der (sokratischen) „Unterredung“ meint, an dem Menschen im „Ernst“ zueinander sprechen, der Ort der Zueignung, der Aneignung und der Predigt - und damit der Ort des Sündenbegriffs, der darüber hinaus keinen wissenschaftlichen Ort seiner Begründung hat, sondern für den verstehenden Zugriff immer schon vorausge- 1 S. Kierkegaard, Furcht und Zittern. Dialektische Lyrik von Johannes de Silentio (Kopenhagen 1843), wird zitiert und übersetzt nach Søren Kierkegaards Skrifter 4 [SKS 4], hg. v. Søren Kierkegaard Forskningscenteret, Kopenhagen 1997, jeweils mit Hinweis auf die Fundstelle in der dt. Ausg. der Gesammelten Werke, hg. v. E. Hirsch / H. Gerdes / H. M. Junghans, vgl. das Abkürzungsverzeichnis in: Kierkegaard Studies Yearbook [KSYB], Berlin / New York 1997ff.; hier: SKS 4, 106; FZ, 8. <?page no="10"?> Hermann Deuser 2 setzt werden muß. 2 Genau dies gilt für Abrahams Glauben, dessen Problemkonstellation durchaus theoretisch gemustert und dialektisch bestimmt werden kann - Kierkegaard tut dies gründlich in drei Durchgängen unter der Überschrift „Problemata“ 3 -, der aber aus seiner ursprünglichen „Stimmung“ salva veritate nicht ablösbar ist. Deshalb soll im Folgenden jeweils von einem Kerngedanken der Szenenmodelle ausgegangen werden, wobei die ursprünglichen vier aus Furcht und Zittern um ein weiteres aus Kierkegaards späteren Aufzeichnungen 4 erweitert werden. Vorauszugehen hat, wie bei Kierkegaard selbst, der Bezugstext aus Gen 22,1f.: „Und Gott versuchte Abraham und sprach zu ihm, nimm Isaak, Deinen einzigen Sohn, den Du liebst, und gehe hin in das Land Morija und opfere ihn dort als ein Brandopfer auf einem Berg, den ich Dir zeigen werde.“ 5 1. Selbstopfer: Rollenspiel des Abstoßenden Er stieg auf zum Berg Morija, aber Isaak verstand ihn nicht. Da wandte er sich einen Augenblick von ihm ab, als aber Isaak wiederum Abrahams Antlitz sah, da war es verändert [...] Da erschauderte Isaak und rief in seiner Angst: ‚Gott im Himmel, erbarme Dich meiner, Gott Abrahams, erbarme Dich meiner, habe ich keinen Vater auf Erden, so sei Du mein Vater! ’ Aber Abraham sprach leise bei sich selbst: ‚Herr im Himmel, ich danke Dir; es ist doch besser, daß er glaubt, ich sei ein Unmensch, als daß er den Glauben an Dich verlöre.’ 6 Die Szene hat etwas Anrührendes: Das verlangte Opfer wird zum Selbstopfer zugunsten des Sohnes, des Partners, des Abhängigen. Doch auch dieser gar nicht verwerfliche, sondern geradezu ethische Sinn setzt voraus, daß die 2 Zu dieser existenzdialektisch zentralen Begrifflichkeit vgl. die „Einleitung“ zu der Schrift Der Begriff Angst (1844), SKS 4, 322f.; BA, 11ff., bes. SKS 4, 322,26ff. (Anm.); BA, 11 (Anm.): „Daß auch die Wissenschaft im selben Maße wie Poesie und Kunst beim Produzierenden wie beim Rezipierenden Stimmung voraussetzt, daß ein Fehler in der Modulation ebenso störend ist wie ein Fehler in der Entwicklung des Gedankens, hat man in unserer Zeit gänzlich vergessen [...].“ 3 Problema I: „Gibt es eine teleologische Suspension des Ethischen? “; Problema II: „Gibt es eine absolute Pflicht gegen Gott? “; Problema III: „War es ethisch verantwortlich von Abraham, daß er sein Vorhaben vor Sara, vor Elieser, vor Isaak verschwieg? “ 4 Søren Kierkegaards Papirer [Pap.], Kopenhagen 1968-1979, hier: Pap. X 5, A 132 (aus dem Jahr 1853); T 5, 168f. („Neues ‚Furcht und Zittern’“). 5 SKS 4, 107,2ff.; FZ, 8. - Zur exegetisch-historischen und literarischen Interpretation innerhalb des Alten Testaments vgl. O. Kaiser, Die Bindung Isaaks. Untersuchungen zu Eigenart und Bedeutung von Genesis 22, in: ders., Zwischen Athen und Jerusalem. Studien zur griechischen und alttestamentlichen Theologie und ihren Beziehungen, Berlin / New York 2003 (BZAW 320); hier heißt es (aaO. 200, 208f.): „Schlichter kann man kaum erzählen, aber auch kaum eindrücklicher“; es handelt sich um ein „Meisterstück hebräischer Kunstprosa“, aber auch um eine „theologisch konstruierte[n] Erzählung in der Form eines Berichts.“ 6 SKS 4, 107f.; FZ, 9. - Daß im Kontext hier auch Sara genannt wird, ist eine Zutat in Kierkegaards romantisch gehaltener Fiktion, vgl. den Nachweis zum Buch Judit (Pap. III A, 197) in SKS K4 [Kommentarbd.], 107. <?page no="11"?> „Und hier hast du übrigens einen Widder“ 3 Gesamtanlage der Erzählung - auf Gottes Befehl hin den Sohn der Verheißung töten zu müssen - überhaupt konstruktiv verstanden werden kann; und es ist diese Autoritätsprämisse, die in aufgeklärten Zeiten rundweg bestritten werden mußte. Thomas von Aquin, für den die letztinstanzliche Gottesautorität, über Leben und Tod zu entscheiden, auch Abrahams Situation in Gen 22 entschuldigt sein läßt 7 , merkt immerhin an, daß „für sich betrachtet“ das Ereignis in Gen 22 „gegen das richtige Handeln gemäß menschlicher Einsicht“ verstößt 8 ; und es ist I. Kants Moralphilosophie, die in theoretisch gründlicher Distanz zur göttlichen Autoritätsprämisse diesen Einwand menschlicher Vernunft zum modernen Standard erhoben hat. Das vernünftig einsehbare „moralische Gesetz“ ist selbstverständlich letztes Kriterium auch für „majestätische“ Gotteserscheinungen wie in Gen 22. Noch vor allen zynischen, witzigen, humorigen Anwendungen dieser Kritik bis heute - zuerst muß die berühmte Fußnote aus Kants Der Streit der Fakultäten (1798) in dieser Sache angehört werden: Zum Beispiel kann die Mythe von dem Opfer dienen, das Abraham, auf göttlichen Befehl, durch Abschlachtung und Verbrennung seines einzigen Sohnes - (das arme Kind trug unwissend noch das Holz hinzu) - bringen wollte. Abraham hätte auf diese vermeinte göttliche Stimme antworten müssen: ‚daß ich meinen guten Sohn nicht töten solle, ist ganz gewiß; daß aber du, der du mir erscheinst, Gott sei, davon bin ich nicht gewiß, und kann es auch nicht werden, wenn sie auch vom (sichtbaren) Himmel herabschallete.’ 9 Was trägt es da noch bei, wenn der polnische Philosoph Leszek Kolakowski aus dieser Szene eine Befehl-Gehorsam-Satire komponiert, die darin endet, 7 Vgl. STh 2-2, q. 64, a. 6, ad 1; q. 104, a. 4, ad 2. 8 STh 2-2, q. 154, a. 2, ad 2: „quamvis hoc, secundum se consideratum, sit communiter contra rectitudinem rationis humanae“. - Zum Problem der theologischen bzw. metaphysischen Rationalität der Moralbegründung auf Befehl Gottes (am Beispiel von Gen 22) vgl. N. Kretzmann, Abraham, Isaac, and Eutyphro: God and the Basis of Morality, in: Philosophy of Religion: The Big Questions, ed. by. E. Stump / M. J. Murray, Oxford 1999, 417- 427; H. Schulz, Der grausame Gott. Kierkegaards Furcht und Zittern und das Dilemma der Divine-Command-Ethics, in: Essener Unikate. Berichte aus Forschung und Lehre 21, Universität Duisburg-Essen 2003, 72-81. 9 I. Kant, Der Streit der Fakultäten, A 102f. u. Anm.; vgl. analog (im Zusammenhang der Wunderkritik) ders., Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793), Zweites Stück, Allgemeine Anmerkung, A 111f. - Zur Aufnahme dieser Kritik in der gegenwärtigen Kierkegaard-Forschung (auch im Blick auf Fichte, Schelling und Hegel) vgl. H. Rosenau, Die Erzählung von Abrahams Opfer (Gen 22) und ihre Deutung bei Kant, Kierkegaard und Schelling, in: NZSTh 27 (1985), 251-261; W. Dietz, Sören Kierkegaard. Existenz und Freiheit, Frankfurt am Main 1993, 240ff.; T. Beyrich, Ist Glauben wiederholbar? Derrida liest Kierkegaard, Berlin / New York 2001 (KSMS 6), 147ff.; M. Nientied, Kierkegaard und Wittgenstein, Berlin / New York 2002 (KSMS 7), 318ff.; H. Schulz, Du sollst, denn du kannst. Zur Selbstunterscheidung der christlichen Ethik bei Sören Kierkegaard, in: Ethik der Liebe. Studien zu Kierkegaards „Taten der Liebe“, hg. v. I. U. Dalferth, Tübingen 2002, 47-70; R. M. Green, Fear and Trembling: A Jewish Appreciation, in: KSYB 2002, 137-149; U. Knappe, Kant’s and Kierkegaard’s Conception of Ethics, in: KSYB 2002, 188-202; D. Glöckner, Literaturbericht, in: KSYB 2002, 330-352. <?page no="12"?> Hermann Deuser 4 daß Gott „gutmütig“ lächelnd Abraham „auf die Schulter“ klopft, und wir alle „lachen [...] bis zum Umfallen über den herrlichen Spaß Gottes“? 10 Oder wenn Woody Allen die gefährliche Gottesautorität dadurch ironisch zurücknimmt, daß er Abraham auf die kritischen Vorhaltungen Isaaks antworten läßt: „Ich stehe da um zwei Uhr nachts in meinen Unterhosen vor dem Schöpfer des Universums. Sollte ich streiten? “ Und schließlich ist es „der Herr“ selbst, der Abraham vorwirft, keinen „Spaß“ zu verstehen, und damit die aufgeklärte Religionskritik demokratisch fortsetzt: „Und der Herr sprach: ‚Das beweist, daß einige Menschen jedem Befehl folgen, ganz egal, wie kreuzdämlich er ist, solange er von einer wohlklingenden, melodischen Stimme kommt.’“ 11 Kierkegaard gibt keine theoretische Ableitung der Gottesautorität, auch nicht des Gewißheitsproblems, sondern er wendet solche Gegenfragen zurück in das ganz und gar menschliche Ereignis: den Vater-Sohn-Konflikt im Extrem, worin eine dritte Instanz unwiderruflich ausschlaggebend ist. Diese Sympathie für die Opfersituation tragen noch die genannten Satiren und Ironisierungen von Gen 22 weiter, denn nachzuempfinden ist der situationsintensive, emotionale Konflikt in jeder denkbaren Variation der Erzählung. Auch wenn es Johannes de Silentio darauf ankommt, Abrahams Glauben so weit wie irgend möglich vom menschlichen Normalverständnis abzuheben, umgekehrt verläuft immer zugleich die Intention, die innere Spannungslage der Geschichte und ihrer deshalb variierenden Szenen so nahe wie möglich zu bringen. Wenn also der Gottesbefehl zur Opferung des Sohnes nicht verallgemeinerungsfähig sein kann, Kants Moralphilosophie also Recht behält, so ändert das doch nichts an der sympathetischen Situation, daß Vater Abraham aus Liebe zu seinem Sohn Isaak diesen noch im Todesaugenblick schützen, seinen Gottesglauben bewahren will, indem er das innere Entsetzen am väterlichen Herzen noch einmal vergrößert. Abraham ist nicht nur zum befohlenen Opfer entschlossen, er ist darüber hinaus zum Selbstopfer bereit, weil er in den Augen des Sohnes diesen haßt, damit aber von sich selbst ablenkt und die Väterlichkeit Gottes bewahren hilft. Es ist die Selbsterfahrung des Sich-Opferns, die hier in engster menschlicher Relation vor Augen kommt, im Extrem noch so verschärft, daß dem Anderen geholfen wird, ohne darüber mit ihm ins Verständnis kommen zu dürfen. Die Abstoßung wird zum unvermeidlichen Rollenspiel, das im Selbstopfer gegen sich selbst durchgehalten werden muß. Kommentierend sagt Johannes de Silentio: Abraham ist „groß durch die Liebe, die Haß ist auf sich selbst.“ 12 10 L. Kolakowski, aus: Der Himmelsschlüssel. Erbauliche Geschichten (1965), zitiert nach: G. v. Rad, Das Opfer des Abraham, München 1971, 81-85; hier: 84f. 11 W. Allen, Ohne Leit kein Freud (Without Feathers), Reinbek bei Hamburg 1987, 27ff. 12 SKS 4, 113,31f.; FZ, 14. - Damit wird die (religionstheoretisch feststellbare) Sonderstellung der Opferforderung in Gen 22: Gott verlangt ein „unschuldige[s] Opfer“ (N. Luhmann, Die Religion der Gesellschaft, hg. v. A. Kieserling, Frankfurt am Main 2000, 121) von Kierkegaard auf Abrahams Verhältnis zu sich selbst angewandt. <?page no="13"?> „Und hier hast du übrigens einen Widder“ 5 Ist solch eine widersprüchliche, geradezu widersinnige Situation denn ohne Anhalt an menschlicher Erfahrung? Sie ist zwar in einem präskriptiven Sinne nicht verallgemeinerungsfähig: Auf leidenschaftlichen Konfliktsituationen als solchen läßt sich keine Ethik für alle begründen; gleichwohl sind derartige Erfahrungen für alle jederzeit möglich, ihr ethischer Rang - und sei es der der Ausnahmesituation - ist ihnen gerade nicht abzusprechen. Mehr muß hier zunächst gar nicht festgehalten werden als dies: Es gibt eine Allgemeinheit der Ethik (etwa im Sinne der 2. Tafel der 10 Gebote), die Kierkegaard keineswegs bestreitet, diese Allgemeinheit ist aber nicht ohne Ausnahme, und diese Ausnahme könnte religiös gesehen gerade das Entscheidende sein. Ethik und Religion, vernünftige Verallgemeinerungsfähigkeit und religiöser Glaube treten nach und gegen Kant in ein erneuertes und anders geartetes Abhängigkeitsverhältnis ein. 2. Geopfert werden: Resignation Dann ritten sie schweigend ihres Weges, und Abrahams Blick war auf die Erde geheftet [...] Schweigend schichtete er das Brennholz auf, band Isaak, schweigend zog er das Messer; da sah er den Widder, den Gott ausersehen hatte. Den opferte er und zog heim. - - - Von dem Tag an war Abraham alt geworden, er konnte nicht vergessen, daß Gott dies von ihm gefordert hatte. 13 Das Verstehen/ Nicht-Verstehen Abrahams tritt mit dieser zweiten Szene dem Gottesverhältnis sehr viel näher. Auch hier ist es Abraham selbst, an dem das Opferwerden rückwirkend noch einmal exekutiert wird. Nach dem, was auf dem Opferberg geschah, ist Abrahams Gottes- und Weltverhältnis zerbrochen, es ist, mit einem der Kernbegriffe von Furcht und Zittern gesagt, die „unendliche Resignation“, die den Abraham der zweiten Szene gefangen nimmt. Sein Scheitern bedeutet eine entschiedene Rückwendung allein auf sich selbst, „nach innen gebogen“ 14 nennt Johannes de Silentio diese erste „Bewegung“. Sie gehört zu jener „Doppel-Bewegung“, mit der der Abraham von Gen 22 erst vollständig beschrieben ist. 15 „Leidenschaft“ 16 im Verhältnis zur eigenen Existenz vorausgesetzt bedeutet Resignation die notwendige Vorstufe des (leidenschaftlichen) Glaubens, der dann zustande kommt, wenn es in einer zweiten „Bewegung“ gelingt, „das Dasein zu ergreifen“. 17 Genau das wird am Ende zwischen Abraham und Isaak geschehen, doch beide Bewegungen sind nicht aus theoretisch gewußten Bedingungen zu deduzieren, sondern unableitbar, von außen wie von innen gesehen unverständlich. Kierkegaard setzt polemisch gegen die Ethik der theoretischen Verallgemeinerungsfähigkeit die Begriffe des „Paradox“ und des „Absurden“ um anzu- 13 SKS 4, 109; FZ, 10. 14 SKS 4, 138,27; FZ, 44. 15 SKS 4, 131ff.; FZ, 34ff. 16 SKS 4, 137,22ff. (Anm.); FZ, 42 Anm. 17 SKS 4, 40,32-36; FZ, 47. <?page no="14"?> Hermann Deuser 6 zeigen, was sich der Religion in den Grenzen der bloßen Vernunft entzieht. Das leidenschaftliche Wunder des Glaubens aber ist als solches wiederum allgemein menschlich, „denn das, worin alle Menschen geeint sind, ist in Leidenschaft, und der Glaube ist eine Leidenschaft.“ 18 Resignation also ist ein Moment jener Doppel-Bewegung, die den religiösen Glauben auszeichnet. Er beginnt offenbar dann bewußt zu werden, wenn dieses Element auftritt, wenn die innere Erfahrung sozusagen zurückschreckt vor der äußeren und jene sich dadurch überhaupt erst gewinnt - und damit ist mehr zum Ausdruck gebracht als nur die Beschreibung einer unglücklichen Individualität. Die religionsgeschichtliche Unterscheidung zwischen magischer Ritualität und mythischer Religion, zwischen blindem Vollzug des Opfers und Distanznahme in der Erinnerung an die begründete Beendigung des Opfers - dieser Schnitt läßt sich religionsphilosophisch bestätigen, wenn in genau dieser Unterscheidung der (europäische) Begriff der Religion fundiert wird. 19 J. Derrida hat mit diesen Überlegungen seine Interpretation von Gen 22 bzw. Furcht und Zittern eingeleitet, daß das alte, unbegriffene „dämonische Geheimnis“ von der „Innerlichkeit“ eines „mysterium tremendum“ abgelöst wird. Dessen religiöses Bewußtsein tritt neu als personale „Verantwortung“ in die Geschichte ein, allerdings so, daß die Opferherkunft, der Gewinn des Lebens über den Tod, immer nachschwingen wird. Diese Auslegung wirkt gemessen am Bemühen um eine rationale Ethik der Moderne riskant, Derridas Interpretationsansatz ist aber soweit zuzustimmen, als es ihm gelingt, die Begriffe der Verantwortung und des Einzelnen religionsbegrifflich so zu orientieren, daß ihre vorrationale Bindung nicht nur historisch, sondern systematisch relevant erscheint. Was Kierkegaard als Resignation ausgezeichnet hat, ist der erste notwendige Schritt zur geistigen Distanz und Reflexion, die bei sich selbst in grenzenloser Möglichkeit das wiederentdeckt, was an Realisierungen geopfert werden mußte. Die „unendliche Resignation“ wirft auf sich selbst zurück, und allein schon diese Seite des Geopfertwerdens macht einen Menschen zum Einzelnen, der sich nach außen hin nicht mehr erklären kann. Kierkegaards Problema I („Gibt es eine teleologische Suspension des Ethischen“) gilt folglich der Frage, wie Abraham nach Resignation und Wiedergewinn Isaaks überhaupt zu verstehen sei, wenn er sich selbst schon dazu nicht verständlich machen kann. Gesucht wird „eine neue Kategorie“, die nicht das Allgemeine zum Darstel- 18 SKS 4, 159,18f.; FZ, 73; zu den Begriffen des „Paradox“ und des „Absurden“ vgl. bereits durchgängig in der Vorläufigen Expektoration, SKS 4, 123-147; FZ, 23-56. 19 Vgl. die knappe Skizzierung dieser Zusammenhänge in H. Deuser, Zeichenkonzeptionen der Religion vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart, in: Semiotik. Ein Handbuch zu den zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur, Bd. 2 (HSK 13.2), hg. v. R. Posner, Berlin / New York 1998, 1743-1760. - Vgl. zum Folgenden J. Derrida, Den Tod geben, in: Gewalt und Gerechtigkeit. Derrida - Benjamin, hg. v. A. Haverkamp, Frankfurt am Main 1994, 331-445; die religionsgeschichtliche These wird mit J. Pato ka entwickelt, vgl. ebd., 331-337. Zur genauen Kommentierung des Verhältnisses Derrida - Kierkegaard vgl. Beyrich (Anm. 9), Teil II. <?page no="15"?> „Und hier hast du übrigens einen Widder“ 7 lungsmittel braucht - denn schon die Sprache verallgemeinert 20 -, sondern den Einzelnen. Weil dieses Vorhaben aber widersprüchlich in sich selbst ist (keine Darstellung ohne Verallgemeinerung! ) gelangt Kierkegaard konsequent zu einem Paradox, das in der beschriebenen Unmöglichkeit besteht: sich ohne Vermittlungsbedingungen des (ethisch) Allgemeinen als Einzelner „in ein absolutes Verhältnis zum Absoluten“ zu setzen. 21 Dies ist zugleich die gesuchte teleologische Suspension des Ethisch-Allgemeinen: Nicht das Ethische als Verallgemeinerungsforderung selbst wird suspendiert, sondern es wird allein im Blick auf die Sonderstellung in der unbedingten Entscheidungssituation unbenutzbar. Diese Unvertretbarkeit des einzelnen Menschen ist eben die Situation des Opfers bzw. des Sterbens, Derridas Interpretation hängt an dieser Identifikation: „Ebenso wie niemand an meiner Stelle sterben kann, kann niemand eine Entscheidung, das, was man eine Entscheidung nennt, an meiner Stelle treffen.“ 22 Abrahams Stellung zeigt diese Relation zum religiösen Geheimnis, die selbst auf dem Paradox ihrer Unerklärlichkeit beharren muß. Darin besteht der (erschreckende) Vorrang der Religiosität, die jenseits des Ethisch-Allgemeinen dieses nicht etwa generell aufhebt, aber in seinem Geltungsbereich und Erklärungsanspruch beschränkt. Für Kants Ethik unterliegen personale, existentielle Bedingungen immer der Universalität der Pflicht (gegenüber dem Allgemeinen) und der Einsicht in diesen Zusammenhang. Ein „irrendes Gewissen“, sagt Kant, ist deshalb ein „Unding“, weil das Gewissen im moralischen Urteil bezüglich des vernünftig Allgemeinen besteht und dies im Vollzug selbst auch von sich weiß. 23 Abrahams Reaktion auf das Allgemeine aber ist Resignation, und diese macht ihn im Augenblick der Entscheidung zum unvertretbar Einzelnen - worin sich umgekehrt die Besonderheit des Gottesverhältnisses zeigt. 3. Opferfolge: Reue [Abraham] ritt des öfteren seinen einsamen Weg, doch er fand keine Ruhe. Er konnte nicht begreifen, daß es eine Sünde war, daß er Gott das Beste hatte opfern wollen, was er besaß, das, wofür er gerne selbst sein Leben viele Male gelassen hätte; und wenn es eine Sünde war, wenn er Isaak nicht derart geliebt hatte, dann 20 SKS 4, 153,24-31; FZ, 64. 21 SKS 4, 155,14f.; FZ, 67. 22 Derrida (Anm. 19), 386. Zum unmittelbaren Kontext gehört der Satz: „In dem Maße, wie Abraham, indem er das Wesentliche, nämlich das Geheimnis zwischen Gott und ihm, nicht sagt, nicht spricht, nimmt er Verantwortung auf sich, die darin besteht, im Moment der Entscheidung stets in seiner eigenen Einzigartigkeit allein und abgeschnitten zu sein.“ 23 I. Kant, Die Metaphysik der Sitten (1797), Einleitung zur Tugendlehre, A 38. (Von diesem „subjektiven“ Urteilen des Gewissens unterscheidet Kant hier das „objektive“, „ob etwas Pflicht sei oder nicht“, darin „kann man wohl bisweilen irren“.) <?page no="16"?> Hermann Deuser 8 konnte er nicht verstehen, daß sie vergeben werden konnte; denn welche Sünde wäre entsetzlicher? 24 Die dritte Szene hat ihren Erfahrungskern nach dem Ereignis: Alles ist geschehen, wie berichtet wird, aber gerade in der Folge dessen wird das Geschehene unbegreiflich und damit belastend. In dieser Annäherung zum Verstehen/ Nicht-Verstehen von Abrahams Glaube ist es das Element der Reue, worin sich Abstoßung und Sympathie konzentrieren. Weder Gottes Forderung erscheint begründbar (also hat Abraham falsch gehandelt), noch ist nach der bösen Tat das Wiedergewinnen Isaaks nachvollziehbar. In dieser Weise dem vergangenen Ereignis in seiner Folge ausgeliefert zu sein, darin besteht die Reue. Sie kommt nachträglich, ist aber immer gegenwärtig. Im Problema II: „Gibt es eine absolute Pflicht gegen Gott? “ wird die Reue deshalb auch als Ausdruck des nachträglichen Ausgeliefertseins an das Allgemeine herangezogen. Mit der Reue „kehrt“ der Einzelne „zurück“ zum Ethisch- Allgemeinen, an dem er doch nur scheitern kann. 25 Umgekehrt wird dadurch die Sonderstellung des Glaubens wiederum grell beleuchtet: Negativ gesprochen entgeht der Glaube dem Ethischen und der Reue dadurch, daß er ganz und gar in der Gewißheit und Leidenschaft des paradoxen Augenblicks 26 - ganz und gar vereinzelt und abgeschnitten ist; positiv liegt der Akzent auf der „inkommensurablen“ Individualität persönlicher Verantwortung, sie ist inkommensurabel für den philosophischen Begriff 27 , d.h. was ein Mensch im Grunde ist, bestimmt sich immer erst sekundär über rationale Verallgemeinerungen, primär über sein Gottesverhältnis. Dieses aber ist absolut, hängt unmittelbar mit Tod und Leben zusammen, hat - begrifflich gesehen - Geheimnischarakter und stützt damit die Unvertretbarkeit des Einzelnen. Daß Abraham Isaak über alles liebt, gerade indem er Gottes Befehl nachkommt, zeigt, wie hier Pflicht und Absolutheit kollidieren. Abraham ist kein Mörder wie Kain 28 , und doch erscheint Abraham in seinem absoluten Gottesverhältnis zugleich pflichtvergessen - darin besteht seine spezifische (paradoxe, glaubende) „Innerlichkeit“ 29 , die „Frechheit des Paradoxons“ (Derrida). 30 Wenn Kierkegaard auf dieser Konfliktstrukur besteht, daß Liebe nach außen hin als Haß erscheinen muß, während die Liebe sich notwendig nicht erklären kann, dann ist es auch konsequent, daß Kierkegaard sich von der (ästhetisch [miß-]verstandenen) Unmittelbarkeit des religiösen Glaubens di- 24 SKS 4, 110; FZ, 10f. 25 SKS 4, 169,3f.; FZ, 86 (der Einzelne ist hier in Kierkegaards Modelldiskussion der „Glaubensritter“, dem der anders zu bestimmende „tragische Held“ gegenüber gestellt wird). 26 Vgl. SKS 4, 169; FZ, 86f. 27 Vgl. SKS 4, 161; FZ, 75; H. Deuser, Die Kontingenz des Inkommensurablen. Modalität und Kategorialität, Freiheit und Besorgnis, in: Vernunft, Kontingenz und Gott, hg. v. I. U. Dalferth / Ph. Stoellger, Tübingen 2000, 233-254; S. 237. 28 Vgl. SKS 4, 165,29; FZ, 81. 29 SKS 4, 161,19; FZ, 75. 30 Derrida (Anm. 19), 388. <?page no="17"?> „Und hier hast du übrigens einen Widder“ 9 stanziert. Unmittelbarkeit, Gefühl hat jeder Mensch schon vorweg, das lehrt die Philosophie, indem sie Vermittlungen empfiehlt; gebrochene Unmittelbarkeit aber, die sich im Allgemeinen nicht vermitteln kann, hat so wenig jeder Mensch wie nicht alle Menschen Christen sind. 31 Die absolute Pflicht ist also allein Gott gegenüber legitim 32 , und das Ethisch-Allgemeine behält sein relatives Recht, sonst gäbe es z.B. keine Unterscheidung mehr zwischen der (glaubenden, paradoxen) „absoluten Isolation“ und dem Sektierertum. 33 Letzteres sucht indirekt den Erfolg, ist eine uneingestandene (religiöse) Rückkehr zum Allgemeinen (dem Beifall der Gleichgesinnten) und steht dazu - ganz anders als die Reue - nicht einmal in einem innerlich gebrochenen Verhältnis. Ist diese Konstellation der personalen Unvertretbarkeit aufgrund eines inneren, absoluten Gottesverhältnisses aber als solche zu denken - und damit wiederum verallgemeinerungsfähig? Kierkegaard selbst versucht dieser Frage dadurch einen Riegel vorzuschieben, daß es Johannes de Silentio ist, der Gen 22 erklärt, indem er immer wieder beteuert, Abrahams Glauben gerade nicht verstehen zu können. Derrida dagegen zeigt in seiner Übereinstimmung mit Kierkegaards Thesen die Tendenz, diese philosophisch handhabbar zu wiederholen. Die Opfersituation Abrahams erscheint dann als „die alltäglichste und geläufigste Erfahrung der Verantwortung [...] die allgemeinste Sache“. 34 Dann allerdings wird die Krise in der Ausnahmesituation Abrahams zum Normalfall, und Derridas Beispiele unterstützen diese Interpretation. Richtig ist daran, daß mit der These der Inkommensurabilität Kierkegaard durchaus etwas Prinzipielles zum Ausdruck bringen wollte, doch wie ist dieses Prinzipielle zu verallgemeinern? Jedenfalls nicht so, daß jede Wahrnehmung von Verantwortung, weil sie andere gleichzeitige Verantwortlichkeiten negieren muß, damit schon als Opfer auszugeben wäre. Menschen wären dann ständig und immer „auf diesem Berge Moria“ 35 , die unumgängliche Verallgemeinerung der Ethik würde sozusagen von der Ausnahme- und Opfersituation her nachgestellt, eine Hyperkonzeption von Philosophie. Bleibt es dagegen mit Kierkegaard beim Nachweis der Inkommensurabilität als besonderer Sphäre, dann können Rationalität und Verallgemeinerungsfähigkeit einerseits von vorrationaler Absolutheit im Gottesverhältnis andererseits unterschieden werden. 36 In diesem Sinne bleibt Kierkegaards Interpretation bescheiden, sie mahnt dazu, in der Hinführung zu Abraham die Reue nicht außer Betracht zu lassen, die schmerzliche Form ethischer Verallgemeinerung. 31 Vgl. SKS 4, 165f.; FZ, 81f. 32 Vgl. SKS 4, 171,29; FZ, 90. 33 SKS 4, 170,20f.; FZ, 88. 34 Derrida (Anm. 19), 394; und im Folgenden 395f. 35 Ebd. 396 (s. u. Anm. 58). 36 J. Habermas, Glauben und Wissen, Frankfurt am Main 2001, 27f., hat mit und gegen Derrida auf diese unaufgebbare Unterscheidung hingewiesen. <?page no="18"?> Hermann Deuser 10 4. Opfertat: Folgen des Entsetzlichen [Indem Abraham] sich abwandte und das Messer zog, da sah Isaak, daß Abrahams Linke sich in Verzweiflung ballte, daß ein Schaudern durch seinen Körper ging - doch Abraham zog das Messer. Dann kehrten sie wieder heim, und Sara eilte ihnen entgegen, aber Isaak hatte den Glauben verloren. Niemals ist in der Welt ein Wort darüber gesprochen worden, und Isaak erzählte niemals einem Menschen von dem, was er gesehen hatte, und Abraham ahnte nicht, daß einer es gesehen hatte. 37 Auch in dieser Szene geht es um eine Folge des Ereignisses, diesmal aus der Perspektive des abhängigen Partners: Isaak ist aktiv im Beobachten der Verzweiflung, die mit Abraham vor sich geht, und er ist passiv in der innerlichen Reaktion auf das Entsetzliche, das er gesehen hat. Auch damit wird eine Annäherung zum Glauben Abrahams versucht, die eine Warnung aufstellt: Das Resultat in Gen 22,16f. („Weil du das getan hast und deinen einzigen Sohn mir nicht vorenthalten hast, will ich dir Segen schenken in Fülle [...].“) ist nicht garantiert, nicht der Normalfall. Es kann geschehen wie in der Szene beschrieben, daß es zu einem Mißverhältnis und einseitig-dramatischen Mißverständnis kommt, das mit dem Gottesverhältnis verwechselbar erscheint, sich aber doch um Welten von der Doppel-Bewegung in Resignation und Glaube 38 unterscheidet: Das Dämonische - die Ausnahmeexistenz einer inneren Verschlossenheit, die sich vom Ethisch-Allgemeinen ebenfalls paradox abhebt, vom Allgemeinen her gesehen unbegreiflich erscheinen muß, sich aber in keiner zweiten Bewegung in die Wirklichkeit, Offenheit und Freiheit eines neuen Lebensverhältnisses zurück gewinnen kann. 39 Das Festhalten eines (schrecklichen) Geheimnisses allein ist also noch nicht der Ausweis des paradoxen Glaubens, Kierkegaard diskutiert die dazu fälligen Unterscheidungen in Problema III unter der Frage: „War es ethisch verantwortlich von Abraham, daß er sein Vorhaben vor Sara, vor Elieser, vor Isaak verschwiegen hat? “ Die Antwort ist weder Ja noch Nein, sondern komplex: Nach dem Maßstab des Ethisch-Allgemeinen hat Abraham nicht verantwortlich gehandelt, denn er hat sich weder verantwortet noch in der Kommunikation mit den Betroffenen geantwortet. Seine Antwort an Isaak in Gen 22,8 („Gott wird sich das Opferlamm aussuchen, mein Sohn.“) ist keine Antwort, denn sie sagt eigentlich nichts; genauer: sie bezeugt die Haltung der wissenden Unwissenheit, die Kierkegaard mit Sokrates zu Recht als Ironie ausgezeichnet 37 SKS 4, 111; FZ, 11. 38 SKS 4, 203,1-4; FZ, 131. 39 Vgl. die Analogie und Differenz von „dämonischem Paradox“ und „göttlichem“ in SKS 4, 194,25f.; FZ, 120; entsprechend SKS 4, 186f.; FZ, 110. - Die Kategorie des Dämonischen wird an mehreren literarischen Beispielen durchgeführt, das bekannteste ist Kierkegaards Interpretation des Märchenmotivs von „Agnete und dem Wassermann“, SKS 4, 183ff.; FZ, 106ff.; zu Kierkegaards Textvorlagen vgl. SKS K4, 149f.; zur ausführlicheren Interpretation vgl. Nientied (Anm. 9), 318ff. <?page no="19"?> „Und hier hast du übrigens einen Widder“ 11 hat. 40 Abraham ist unwissend im Bezug auf die bloß negative Resignation, die Möglichkeiten der Reue und des Dämonischen, er ist wissend im Bezug auf den Glauben, die Rückgewinnung der Wirklichkeit - und genau dies ist nicht kommunikationsfähig. Das zu wahrende Geheimnis darf deshalb nicht ästhetisch bestimmt werden, weil damit (entsprechend Kierkegaards Auffassung des Romantisch- Ästhetischen) die Wirklichkeit der existentiellen Entscheidung und Verantwortung gerade nicht erreicht würde; das Geheimnis kann aber aus den genannten Gründen auch nicht ethisch-allgemein bestimmt werden - folglich bedarf es einer neuen, „späteren“ Unmittelbarkeit (gemessen an der ästhetischen oder „ersten“). 41 Diese liegt als Gottesverhältnis in der Doppel- Bewegung der Leidenschaft; in einem Geheimnis, das Schweigen verlangt, weil Widersprüchliches keiner Verallgemeinerung zugänglich ist. Ist Gott heute keine kulturelle Selbstverständlichkeit mehr, was für Kierkegaard trotz und wegen aller Zeitkritik durchaus noch der Fall war, so muß in diesem Punkt des absoluten und entscheidenden Geheimnisses die Fundierung des Gotteszugangs sozusagen mit verankert werden. Derridas Interpretation von Furcht und Zittern ist dafür typisch, und die bereits angesprochene Problematik einer nach-kierkegaardianischen Verallgemeinerung des erreichten (paradoxen) philosophischen Befundes hängt nun ganz und gar vom Gelingen dieses Projektes ab. „Absolute Pflicht“ wird auf den „absoluten Anderen“ bezogen, und die beiden Konzeptionen erklären sich gegenseitig. 42 Diese Wechselseitigkeit liegt bei Kierkegaard allerdings so nicht vor; wenn er verallgemeinert, sichert er Unterscheidungen, z.B. die zwischen dem Ästhetischen, Ethischen und Religiösen. Andererseits eröffnet Kierkegaard indirekt eine Gotteserklärung, die über die absolute Andersheit der Ausnahmesituation, wie sie sich in Abrahams Doppel-Bewegung spiegelt, nahegelegt wird. Diese Gotteserklärung hält sich aber in den dogmatischen Kategorien von Sünde und Glaube, sofern in Abrahams Glaubensparadox auch die schwierige Nähe und Ferne des christologischen Paradoxes bereits vorscheint. Die Gleichzeitigkeit des Christus muß wie der Glaube Abrahams an „die Angst, die Not, das Paradox“ 43 gebunden werden; und es ist diese Sperre, die doch einen Zugang zum religiösen Glauben nahelegen will. Nicht daß Kierkegaards Text ihn vollständig erklären, anpreisen oder gar vermitteln könnte, es scheint hier alles immer ausgesprochen schwer zu fallen; doch darin liegt umgekehrt wiederum die eigentliche Stärke und Erfahrungsnähe desselben Textes, wenn die extremen Kollisionen von Gen 22 nicht kaschiert, sondern gezielt exponiert werden. 40 SKS 4, 206f.; FZ, 136; vgl. die Aufnahme bei Derrida (Anm. 19), 403f. 41 SKS 4, 172,20ff.; FZ, 91f. 42 Derrida (Anm. 19), 399; vgl. S. 394ff. u. S. 404f.: „Wenn Gott der ganz andere ist, die Figur oder der Name des ganz anderen, so ist jeder andere ganz anders/ ist jeder andere jeder andere“. - Zu Derridas Formel „tout autre est tout autre“ und seinem Rückgriff in dieser Sache auf E. Levinas vgl. die Darstellung bei Beyrich (Anm. 9), 165ff. 43 SKS 4, 158,30; FZ, 72. <?page no="20"?> Hermann Deuser 12 Läßt sich dies alles religionsphilosophisch noch einmal in einer Hyperkonzeption darstellen? Kierkegaards Vorbehalte sind deutlich, erst recht Johannes de Silentio würde davon Abstand nehmen, denn ein Geheimnis ist und bleibt eben nur dann ein Geheimnis, wenn keiner darüber spricht. Doch hat er gegen diese Regel nicht bereits selbst verstoßen, wenn er uns über Isaaks furchtbares Geheimnis in der Folge des Entsetzlichen, das auf dem Opferberg geschah, informiert hat? 5. Opferrealität: Immanenz und Transzendenz - - und er zog das Messer - - und er stieß es in Isaak. Im selben Augenblick stand der Herr Jehova in leiblicher Gestalt an Abrahams Seite und sprach: ‚Alter Mann, alter Mann, was hast Du getan? Hörtest Du denn nicht, was ich sagte, hörtest Du mich nicht rufen; Abraham, Abraham, halt ein.’ Doch Abraham antwortete, ‚[...] in der Freude darüber, mit ihm im Einverständnis zu sein, habe ich Deine Stimme überhaupt nicht gehört, sondern selbst, wie ich es verstand, gehorsam das Messer in das gehorsame Opfer gestoßen.’ Da rief Jehova Isaak wieder ins Leben zurück [...], und er erbarmte sich über Abraham und machte wie immer alles gut, unendlich besser als wenn das Verkehrte nicht geschehen wäre, und er sagte zu Abraham: ‚Hättest Du meine Stimme gehört, inne gehalten - so hättest Du Isaak für dieses Leben bekommen, doch [die Sache] mit der Ewigkeit wäre Dir nicht deutlich geworden. Du bist zu weit gegangen, Du hast alles verdorben - doch ich mache es noch besser, als wenn Du nicht zu weit gegangen wärest: es gibt eine Ewigkeit.’ 44 Dieses Szenenmodell gehört nicht mehr zu den vier Stücken des Eröffnungskapitels Stimmung in Furcht und Zittern, sondern es ist das letzte - und deutlich anders geartete - einer Reihe von weiteren Szenen-Varianten, die Kierkegaard Anfang der 50er Jahre seinen Aufzeichnungen anvertraut. 45 Im Rahmen seines Spätwerkes und in der Vorbereitung seines Angriffs auf die Kirche seiner Zeit steht dann auch die Auslegung von Gen 22 - überschrieben mit „Neues ‚Furcht und Zittern’“. Einerseits zeigt dies, wie ernst es Kierkegaard mit der Selbstanwendung dieses Modells von Versuchung, Opfer, Glaube und Gewinn des Lebens bzw. Handlung gewesen ist, andererseits steht diese letzte Aufzeichnung so sehr außerhalb der literarischen Bedingungen von Furcht und Zittern, daß daran die aufgeworfene Frage einer Hy- 44 Pap. X 5, A 132, S. 141 (aus dem Jahr 1853); T 5, S. 168f. 45 Vgl. Pap. X 4, A 338; T 5, S. 29f. (1851) - X 4, A 357; T 5, S. 32f. (1851) - X 4, A 458 (1852) - X 4, A 572 (1852). - Zu den Bedingungen von Kierkegaards Spätwerk vgl. H. Deuser, Dialektische Theologie. Studien zu Adornos Metaphysik und zum Spätwerk Kierkegaards, München / Mainz 1980. - Die beiden ersten Aufzeichnungen aus dem Jahr 1851 stehen denen in Furcht und Zittern noch sehr nahe und beschreiben Abrahams Glauben, ab 1852 setzt sich ein kritischer Ton gegenüber dem Alten Testament durch - zugunsten einer noch höher angesetzten Fassung des Konfliktes in betont christlicher Sicht. - Zur ersten Aufzeichnung 1851 und zur letzten aus 1853 vgl. die Kommentierung bei Beyrich (Anm. 9), 172-177. <?page no="21"?> „Und hier hast du übrigens einen Widder“ 13 perkonzeption des nicht ethisch verallgemeinerbaren, paradoxen Glaubens auch von Kierkegaards Text aus diskutiert werden kann und muß. Die hier präsentierte Szene ist deshalb befremdlich, weil sie die Opferhandlung vollzogen sieht. Dies geschieht zugleich mit der durchgängigen Verstärkung märchenhafter Züge: Gott tritt leibhaftig als Gesprächspartner auf, Gott tut unvermittelt Wunder, Abraham und Isaak erscheinen wie Marionetten in einem göttlichen Plan. - Damit realisiert Kierkegaard ironische Wendungen der Stilform, wie wir sie bei L. Kolakowski und W. Allen gesehen haben. Mit der immer härteren Kritik gegen die zeitgenössische Christenheit als unhaltbarer Zustand einer verweltlichten, unchristlichen, verlogenen, politisch angepaßten Kirche, wird auch das Glaubensparadox instrumentalisiert, aus dem literarischen Kontext von Furcht und Zittern herausgenommen und auf gesellschaftliche Handlungssituationen angewandt. Die auf Abstand von Verstehen/ Nicht-Verstehen bisher in Szene gesetzte Entscheidungssituation Abrahams, seine mit Respekt konstatierte Doppel-Bewegung rückt aus dem Zentrum der Faszination. Stattdessen taucht ein theologisches Mißverständnis auf, dessen Abrahams Übereifer sich schuldig macht, und aus dessen Elementen ergibt sich die neue Wendung: Abraham hat mit Isaak ein Einverständnis erzielt, d.h. er hat die unendliche Resignation, die eigentliche Absurdität des Befehls abschwächen können. Daß damit die ursprüngliche Doppel-Bewegung gar nicht mehr zustande kommen kann, wird überspielt durch Gottes ausgleichendes Eingreifen, d.h. Abraham ist die Initiative entzogen. Der Fehler Abrahams aber besteht darin, Gott falsch verstanden, nicht richtig zugehört zu haben. Deshalb ist der eigentliche Ausgang der Geschichte: Isaak, den wirklichen - nicht den verewigten - zurück zu bekommen, verdorben worden. Anstelle dessen aber kommt nun - sozusagen vom göttlichen Außenverhältnis her - ein Begriff der Ewigkeit ins Spiel, der nach dem Tod, nach diesem Leben erst den Ausgleich herbeiführt. Obwohl Abraham alles falsch gemacht hat, wird dadurch erst recht die wahre Ewigkeit ins Licht gesetzt. Kierkegaard verschiebt damit deutlich die Unbegründbarkeit der Doppel- Bewegung, das eigentlich Leidenschaftliche an Abrahams Glauben, auf eine zweite Ebene: Gottes Ewigkeit, die immanent nicht erreichbar, transzendent erst wirksam sein kann. Daß Kierkegaard (am Ende der Aufzeichnung von 1853) diese Wendung als Differenz von „Judentum und Christentum“ geltend macht, hat theologisch den Sinn, das Paradox der Christologie in seiner Härte gegen ein sich historisierendes Staatschristentum des 19. Jahrhunderts zu markieren; es hat aber auch den Sinn, dem Modell Abraham und damit dem Alten Testament verweltlichte Immanenz zuzuschieben, während die wahre Transzendenz dem Christentum reserviert wird. Die Stelle lautet: Dies ist das Verhältnis zwischen Judentum und Christentum. Christlich wird Isaak wirklich geopfert - aber dann die Ewigkeit; im Judentum war es nur eine Prüfung, <?page no="22"?> Hermann Deuser 14 Abraham behält Isaak, aber so bleibt das Ganze doch wesentlich innerhalb dieses Lebens. 46 Bemerkenswert für den Religionsvergleich ist Kierkegaards (ihm selbst nicht bewußte) Nähe zu jüdischen Auslegungen: Isaaks Tod gehört dazu ebenso wie seine durch Gott bewirkte Wiederbelebung. 47 Religionsphilosophisch entscheidender ist die Relation von Immanenz und Transzendenz, mit der Kierkegaard eine zusätzlich abstoßende Wirkung in die Erzählung bzw. in das christliche Verständnis von Gottes Gnade einbauen will. Es muß „Wahnsinn“ 48 sein, christlich zu handeln. Kierkegaards Handlungsforderungen im Spätwerk, um einem neutestamentlich gleichzeitigen, authentischen Christentum in der Moderne die Wahrung seiner Identität zu sichern, scheinen direkte ethisch-religiöse Konsequenzen aus der paradoxen Glaubensbegründung ziehen zu wollen. Die Verborgenheit der Transzendenz, die Abrahams Situation auszeichnete, wird dadurch zwar nicht widerrufen, eher noch verstärkt; aber die dialektische Beziehung zwischen Immanenz und Transzendenz droht zu unterliegen. Denn für Abrahams leidenschaftlichen Glauben ist es gerade konstitutiv, daß Immanenz und Transzendenz nicht verteilt werden auf eine jenseitige und eine diesseitige Welt. Unendliche Resignation, Reue und religiöses Geheimnis verlaufen an der Grenze, wo Immanenz und Transzendenz sich treffen und im entscheidenden Augenblick ununterscheidbar sein können. Die spätmoderne Auslegung von Gen 22 kann mit guten Gründen auf diesen „boundary conditions“ oder „borderline“- Dimensionen (R. C. Neville 49 ) der Erfahrung bestehen, wie sie Abraham, Isaak und Sara - in je eigener Reaktion - doch gemeinsam sind. Es macht einen Unterschied, ob die Sonderstellung des paradoxen Glaubens in einer Religionsphilosophie (unter Voraussetzung des Besonderen und in dialektischer Beziehung von Immanenz und Transzendenz) zu denken versucht wird, oder ob das schwierige Zuordnungsverhältnis von Ethik und Religion - und allein darauf hat Kierkegaard in Furcht und Zittern aufmerksam gemacht - dann doch aufgelöst werden soll. Letzteres geschieht, wenn die Radikalität der Ausnahme als solche generalisiert wird. Kierkegaards Spätwerk hat bisweilen diese Tendenzen. Der literarische wie der christologische Sinn der Interpretationen in Furcht und Zittern aber hält dies alles noch in einer Schwebe, die ganz gezielt die leidenschaftliche Glaubenssituation auf Abstand bringt, um die jeweils eigene Entdeckung und genuine Erfahrung jedes einzelnen Menschen nicht zu blockieren, sondern freizusetzen. 46 Pap. X 5, A 132, S. 142; T 5, S. 169. - Vgl. in Pap. X 4, A 572 entsprechend die Unterscheidung zwischen der Erwachsenenreligion des Christentums gegenüber der kindlichen des Judentums, wo anstelle des Ernstes nur eine Prüfung stehe. 47 Vgl. die Textauswertungen bei Beyrich (Anm. 9), 171 Anm. 15 und 176f. Anm. 22; entsprechend Green (Anm. 9), 139-143. 48 In Pap. X 4, A 458 wird eingangs direkt gesagt, die „Stimmung“ sollte den „Wahnsinn streifen“. 49 R. C. Neville, The Truth of Broken Symbols, Albany 1996, XVIII, 11. <?page no="23"?> „Und hier hast du übrigens einen Widder“ 15 Derridas Auslegung dagegen zeigt diese neue und eigensinnige Tendenz zur Verallgemeinerung, die dazu führt, den Berg im Land Morija in die Schlagzeilen zeitgenössischer Religionstheorien zu bringen. 50 Über Kierkegaards immer indirekt gehaltene Präsentation des Paradox hinausgreifend soll Abraham für eine „Moral der Moral“ Pate stehen, die Gottes fremde Andersheit als Hintergrund des Geheimnisses nutzt, an dem jede Ethik scheitern muß. 51 Kann eine Moral höherer Einsicht umstandslos verallgemeinert werden? Das ist jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn die Moralkonzeption paradox in ihrer Unzugänglichkeit ausgewiesen wurde. Sie widerlegt sich selbst, soll ihre Paradoxalität dann doch im Allgemeinen anwendbar werden. Letzteres aber proklamiert Derrida, wenn er Abrahams „Geheimnis“ als solches „von uns allen lesbar“ darstellt. 52 Hier hängt alles davon ab, wie diese Lesbarkeit verstanden werden soll. Bedeutet sie die Opfertod-Erfahrung „eines jeden Augenblicks“, so daß Morija sozusagen überall vorkommt und es gegenüber Analogisierungen zwischen den Religionen (Christentum, Judentum, Islam) und den Texten und ihren Überlieferungen kein Halten mehr gibt? 53 So kommen - durch Verallgemeinerung der Ausnahmesituation - in aktualisierter Anwendung auch Rechtssysteme, politisches Recht und Unrecht ins Rutschen 54 ; und das alles geschieht, weil Paradoxie allgemein sein soll, anstatt sie im Geheimnis des Glaubensparadox zu halten. Dem folgenden Satz Derridas ist deshalb ganz prinzipiell (aber auch im Namen Kierkegaards) zu widersprechen: „Das Absolute der Pflicht und der Verantwortung setzt zugleich voraus, daß man jede Pflicht, jede Verantwortung und jedes menschliche Gesetz aufkündigt, abweist und transzendiert.“ 55 Folgende Gründe sprechen gegen diese Implikation: Wird der Gottesbegriff über die generalisierte Andersheit - und nur so - eingeführt, wie Derrida es tut 56 , ist die Kontingenz der Ausnahmesituation bereits verlassen, und die Besonderheit des religiösen Verhältnisses wird unter der Hand der Ethik gegenüber aufgegeben. Das ist aber weder der Erzählung in Gen 22 gemäß noch ihrer dramatischen Vergegenwärtigung in Kierkegaards Furcht und Zittern. 50 Vgl. auch J. Derrida, Glaube und Wissen. Die beiden Quellen der „Religion“ an den Grenzen der bloßen Vernunft, in: Die Religion, hg. v. J. Derrida / G. Vattimo, Frankfurt am Main 2001, 106: „Vielleicht ist es dies, was ich von einem gewissen Berg Moria sagen wollte [...].“ 51 Derrida, Den Tod geben (Anm. 19), 394. - Beyrich (Anm. 9), 150 und 165f. bestätigt diese Differenz der Interpretationsgrenzen, die Kierkegaard einhält und Derrida überschreitet. 52 Derrida (Anm. 19), 405. 53 Vgl. zum Einsatz des Augenblicks in dieser Funktion ebd. 405, 398; zu den Analogisierungen von Religionen und Opfern ebd. 396f. 54 Vgl. die Serie von Beispielen ebd. 411ff. 55 Ebd. 393. 56 Vgl. ebd. 394; s. o. Anm. 42. - Hierzu ist vielleicht zwischen der „Ethik der Dekonstruktion“ (im Einflußbereich der Philosophie von E. Levinas) und einem Gottesbegriff aufgrund des Geheimnisses zu unterscheiden, vgl. zu beiden Interpretationen Beyrich (Anm. 9), 197ff.; 235ff. <?page no="24"?> Hermann Deuser 16 Wird dieser Weg nicht gewählt, so ist umgekehrt klar, daß weder das Ethisch-Allgemeine negiert noch die gesamte Philosophie „von Platon bis Hegel“ als unzuständig beklagt werden muß. Im Gegenteil, es ist keine Ethik und keine Philosophie denkbar, die nicht ihren Anteil am religiösen Geheimnis, wie versteckt auch immer, kenntlich machen müßte. Wenn Kierkegaard dem Glauben die „höchste Leidenschaft“ zuerkennt, die unableitbar und - nur insofern! - existentiell allgemein ausgewiesen werden kann 57 , so ist das keine Hyperkonzeption von Philosophie (die die Grenzen zwischen Ethik und Religiosität niederreißt), sondern das Aufmerksammachen auf eine kategoriale Bedingung menschlicher Erfahrung, die allein in den Religionen bzw. in personaler Religiosität ihren immer besonderen Ort hat. Der Satz: Jeder Mensch ist wie Abraham (Isaak und Sara), ist dann richtig, wenn er als religiöser Erfahrungsausdruck die Besonderheit wahrt; er ist falsch, wenn darin eine universalisierte Erfahrungsparadoxalität behauptet werden soll, die ubiquitär in jeder menschlichen Handlungsweise und Hinsicht destruktiv zur Wirkung käme - als ob (laut Derridas Auslegung) alltägliche Verpflichtungen oder Wahrnehmungen immer andere wie in einer Opfersituation (paradox) ausschließen müßten. 58 Diese (unzulässige) Übertreibung folgt nur dann, wenn der logisch-kosmologische Zusammenhang von Identität und Differenz ignoriert bzw. selbst wiederum als Paradoxie gefaßt wird. Die fragliche Darstellung des Unausdenkbaren kann also nur so erfolgen, daß sie nicht inhaltlich verallgemeinert, sondern strukturell gewahrt wird. Es müssen Wege der Explikation von Besonderheit gesucht werden, wie sie Kierkegaards Verfahren der indirekten Mitteilung - etwa durch das Pseudonym Johannes de Silentio - praktiziert hat. Grenzerfahrungen sind wissenschaftstheoretisch heute mathematisch-naturwissenschaftlich ebenso gängig und anerkannt wie sprachphilosophisch, systemtheoretisch oder ethisch. Daraus folgt die Berechtigung und Wiederentdeckung religiöser Erfahrungen, in denen die besondere Situation unbegründbarer Verlust- und Geschenkwiderfahrnis so erzählt wird, daß eine Ontologie der besonderen und darin realen Möglichkeiten davon lernen kann. Die Leidenschaft des Glau- 57 Vgl. SKS 4, 209; FZ, 140f.; Derrida (Anm. 19), 407. - In M. Luthers Genesis-Auslegung ist diese existentielle Verallgemeinerung, die in Zurückhaltung besteht, genau getroffen, z.B. in der Bemerkung: „Dies sei nun genug gesagt von dieser Historie, die da recht geistlich ist, welches zwar ich, als ein fleischlicher und einer von den Eselsfüßen, welcher nicht mit auf den Berg gehet, nicht vollkömmlich verstehen oder auslegen kann“ (zit. nach der Ausg. von J. G. Walch, in: G. v. Rad (Anm. 10), 56; vgl. Dr. Martin Luthers Sämtliche Schriften, hg. v. J. G. Walch, Nachdruck der 2. überarbeiteten Aufl., St. Louis, Missouri 1880-1910, Bd. 1, Groß Oesingen 1986, 1522; vgl. WA 43, 223,26ff.). 58 Vgl. Derridas Beispielreihe (Anm. 19), 396 (s. Anm. 35). - Derridas Begriff der Differenzbildung ist zeichentheoretisch problematisch, worauf gerade in Sachen Religion Luhmann (Anm. 12), 35 hingewiesen hat. <?page no="25"?> „Und hier hast du übrigens einen Widder“ 17 bens an erster Stelle 59 ist dann zu unterscheiden vom Ethisch-Allgemeinen an zweiter Stelle; und die kontinuierliche Verständigungsmöglichkeit über diese Unterscheidung steht als geistiger Zusammenhang an dritter Stelle. Was bedeutet dies für die Interpretation von Gen 22? Opfertradition, paradoxer Glaube, die Grenzerfahrung von Immanenz und Transzendenz sind erzählend zu vergegenwärtigen und religionsphilosophisch zu bestimmen. Das erfordert im Verhältnis zu einer rein historisch angelegten Forschung eine wissenschaftstheoretisch bewußte, reflexive Remythologisierung, die Gewalt und Opfer nicht leugnen muß, während die Beendigung des Zwangsopfers die zu wiederholende Erinnerung und das fortgesetzte Thema ist. Diese Anforderung von Mehrstufigkeit, die wissenschaftliche Reflexion kenntlich macht und trotzdem erzählen kann, hat überragend Thomas Mann erreicht, wenn er Jakob die Versuchung Abrahams so erinnern läßt, daß Joseph als Ausleger das göttliche Wissen um Sinn und Ende der Erzählung humorvoll mitrepräsentieren kann: Als Abraham sich anschickte, [das Opfer] zu bringen, da sprach der Herr: ‚Unterstehe dich! Bin ich Melech, der Baale Stierkönig? Nein, sondern ich bin Abrahams Gott, des Angesicht ist nicht zu sehen wie der Acker, wenn ihn die Sonne zerreißt, sondern vielmehr wie des Mondes Angesicht, und was ich befahl, habe ich nicht befohlen, auf daß du es tuest, sondern auf daß du erfahrest, daß du es nicht tun sollst, weil es schlechthin ein Greuel ist vor meinem Angesicht, und hier hast du übrigens einen Widder.’ 60 59 Diese erste Stelle ist im kosmologischen Sinne der Ermöglichung zu verstehen; nicht im ästhetischen Sinne, wovon Kierkegaard die Unmittelbarkeit des Glaubens strikt abgrenzt, s. o. Anm. 31; zur „ontologischen Kontingenz“ vgl. Deuser (Anm. 27), 240. 60 Th. Mann, Joseph und seine Brüder I: Die Geschichten Jaakobs. Roman, hg. v. P. de Mendelssohn, Frankfurt am Main 1983, 105 (Erstes Hauptstück / Die Prüfung). - Zum Verständnis von Th. Manns Mythosbegriff vgl. H. Deuser, Mythos und Kritik. Theologische Aufklärung in Thomas Manns Josephsroman, in: Mythos und Rationalität, hg. v. H. H. Schmid, Gütersloh 1988, 288-309. <?page no="26"?> Hermann Deuser 18 Hermann Deuser 18 <?page no="27"?> Thomas Naumann Die Preisgabe Isaaks. Genesis 22 im Kontext der biblischen Abraham-Sara-Erzählung Die Begegnung mit dieser Erzählung ist wie der Blick in einen Abgrund, es ist „eine Geschichte zum Davonlaufen“ 1 . Aber sie streckt ihre Hand aus und man kommt nicht von ihr los: Was für ein Gott, der von seinem Freund die Schlachtung des geliebten Sohnes verlangt? Und was für ein Mensch, nein, was für ein Mann, der einer solchen Forderung nachkommt? Was für eine Art der Hingabe, die Abraham hier praktiziert? Und was für eine Heilige Schrift, in der ein solches Geschehen überliefert und mit dem Nimbus religiöser Normativität versehen wird? Damit nicht genug, denn hinzu kommt, daß die drei Religionen (Judentum, Christentum und Islam), in denen diese Erzählung von der Forderung Gottes nach dem Opfer des geliebten Sohnes bekannt ist, diese Geschichte nicht etwa verschämt übergehen, sondern in jeweils unterschiedlicher Weise mit einer Fülle konstruktiver und identitätsstiftender Bedeutungen aufgeladen haben, in der die Aspekte der absoluten Bindung an einen (auch) Furchtbares fordernden göttlichen Willen wie die Bereitschaft zur Selbsthingabe eine Rolle spielen. 2 Dabei verschlingen sich 1 So O. H. Steck, Ist Gott grausam? Über Isaaks Opferung aus der Sicht des Alten Testaments, in: W. Böhme (Hg.), Ist Gott grausam? Eine Stellungnahme zu Tilman Mosers „Gottesvergiftung“, Stuttgart 1977, 78. 2 Einblicke in die jüdische, christliche und islamische Rezeption von Gen 22 bieten u.a. S. Spiegel, The Last Trial. On the Legends and Lore of the Command to Abraham to offer Isaac as a Sacrifice. The Akedah (trans. J. Goldin), New York 1959 [Jüdische Akeda- Traditionen]; J. D. Levenson, Death and Resurrection of the Beloved Son. The Transforming of Child Sacrifice in Judaism and Christianity, New Haven 1993; ders., Abusing Abraham. Traditions, Religious Histories and Modern Misinterpretation, Judaism 47 (1998), 259-277; M. Krupp, Den Sohn opfern? . Die Isaak-Überlieferung bei Juden, Christen und Muslimen, Gütersloh 1995 [Quellentexte, u.a. Neuübersetzung des Midrasch Genesis Rabba]; D. Lerch, Isaaks Opferung christlich gedeutet, Tübingen 1950; R. P. Schmitz, Akedat Jiz aq. Die mittelalterlich jüdische Auslegung von Gen 22 in ihren Hauptlinien, Hildesheim 1979; L. Kundert, Die Opferung/ Bindung Isaaks, 2 Bde., Neukirchen-Vluyn 1998 (WMANT 78/ 79) [Neues Testament, Frühjudentum, frühe rabbinische Schriften]; W. Zuidema (Hg.), Isaak wird wieder geopfert. Die „Bindung Isaaks“ als Symbol des Leidens Israels. Versuche einer Deutung, Neukirchen-Vluyn 1987; S. Schreiner, Die „Bindung Isaaks“ im islamischen Gewande, Judaica 59 (2003), 49-55; M. Caspi / S. B. Cohen, The Binding [Aqedah] and its Transformations in Judaism and Islam: The Lambs of God, Lewiston u.a. 1995 (Mellen Biblical Press Vol. 32); F. Manns (Hg.), The Sacrifice of Isaac in the Three Monotheistic Religions, Jerusalem 1995 (SBFA 41); E. Noort / E. Tigchelaar (Hg.), The Sacrifice of Isaac: The Aqedah (Genesis 22) and its Interpretations, Leiden u.a. 2002 <?page no="28"?> Thomas Naumann 20 Opfer- und Selbstopfervorstellungen ineinander. So reflektiert die jüdische Tradition in der akedat jizchak (Bindung Isaaks) das bedrängte Festhalten an der eigenen Identität in den vielfältigen Erfahrungen des jüdischen Martyriums. Die Vergegenwärtigung dieser Leidbewältigungsmetapher ist in die Liturgie des jüdischen Neujahrsfestes (Rosch Haschana) wie des Versöhnungstages (Jom Kippur) eingebunden. 3 Das Christentum sieht die Geschichte typologisch als Urbild seines Erlösungsmythos von Tod und Auferstehung, in dem Gott seinen einzigen und eingeborenen Sohn zur Erlösung der Welt in den Tod gegeben hat, um ihn hernach zu erhöhen. 4 Im Islam zeigt die auf Sure 37,102ff. zurückgehende Überlieferung, in der Gott Ibrahim in einer Traumoffenbarung auf die Probe stellt, die unbedingte Bereitschaft Ibrahims und ebenso diejenige seines (hier nicht namentlich genannten) Sohnes, 5 sich diesem göttlichen Willen zu beugen. Als Festlegende des wichtigsten islamischen Festes (Opferfest) und als wesentliche Station im Wallfahrtsritual ist gerade diese Geschichte liturgisch an prominenter Stelle verankert. 6 Für gegenwärtige Wahrnehmungen bestehen die moralischen und theologischen Herausforderungen dieser Erzählung vor allem darin, daß Gott hier in grotesk unmoralischer Weise auftritt, sich gewissermaßen an sein eigenes Gebot nicht zu halten scheint. Ich erinnere hierzu an das berühmte Diktum Immanuel Kants: Daß es aber nicht Gott sein könne, dessen Stimme er (der Mensch) zu hören glaubt, davon kann er sich wohl in einigen Fällen überzeugen; denn, wenn das, (Themes in Biblical Narrative 4). Weitere Literatur ist über die in Anm. 13 genannten Bibliographien leicht erschließbar. 3 Vgl. D. Vetter, Rechtfertigung im Gericht. Die Bedeutung von Gen 22 für Rosch Ha- Schana und Jom Kippur, in: ders., Das Judentum und seine Bibel. Gesammelte Aufsätze, (Religionswissenschaftliche Studien Bd. 40), Würzburg / Altenberge 1996, 364-368. 4 Daher finden sich die liturgischen Bezüge auf Gen 22 vor allem in der Osterliturgie. Vgl. G. Braulik, Das Opfer Abrahams, wie die Liturgie es sieht. Zur liturgischen Hermeneutik von Genesis 22 als Lesung der Ostervigil, Bibel und Liturgie 72 (1999), 155-163. 5 In der islamischen Tradition waren bis ins 10. Jahrhundert beide Auffassungen hinsichtlich des im Koran gemeinten Sohnes (Ishak oder Ismail) verbreitet. Danach setzte sich allmählich die Ansicht durch, Ismail sei der opferbereite Sohn Ibrahims gewesen. Vgl. S. Bashear, Abraham’s Sacrifice of his Son and Related Issues, Islam 67 (1990), 243-277; R. Firestone, Abraham´s son as the Intended sacrifice (Qur’an 37, 99-113). Issues in Qur’anic Exegesis, Journal of Semitic Studies 34 (1989), 95-131; ders., Journeys in Holy Lands. The Evolution of Islamic Exegesis in the Abraham-Ishmael Legends, New York 1999; ders., Merit, mimesis and martyrdom. Aspects of Shi’ite meta-historical exegesis on Abraham’s sacrifice in light of Jewish, Christian, and Sunni Muslim Tradition, JAAR 66 (1998), 93- 116; und jüngst F. Leemhuis, Ibr h m’s Sacrifice of His Son in the Early Post-Koranic Tradition, in: Noort / Tigchelaar (Anm. 2), 125-139. 6 Diese im Opferfest erinnerte Hingabebereitschaft wird vertikal als unbedingte Gottesliebe und horizontal als solidarisches Handeln gegenüber den Nächsten und den Armen erinnert und praktiziert. Das bei diesem Fest in den Familien geschlachtete Schaf (der Widder Abrahams) wird zum größeren Teil an Bedürftige verteilt. Vgl. R. Hassan, Feast of Sacrifice in Islam, in: A. LaCoque (Hg.), Commitment and Commemoration. Jews, Christians and Muslims in Dialogue, Chicago 1994, 131-150. <?page no="29"?> Die Preisgabe Isaaks 21 was ihm durch sie geboten wird, dem moralischen Gesetz zuwider ist, so mag die Erscheinung ihm noch so majestätisch und die ganze Natur überschreiten dünken: er muß sie doch für Täuschung halten. [...] Zum Beispiel kann die Mythe von dem Opfer dienen, das Abraham, auf göttlichen Befehl, durch die Abschlachtung und Verbrennung seines einzigen Sohnes - (das arme Kind trug unwissend noch das Holz hinzu) - bringen wollte. Abraham hätte auf diese vermeinte göttliche Stimme sagen müssen: ‚daß ich meinen guten Sohn nicht töten solle, ist ganz gewiß; daß aber du, der du mir erscheinst, Gott sei, davon bin ich nicht gewiß, und kann es auch nicht werden, wenn sie auch vom (sichtbaren) Himmel herabschallete. 7 Doch sind es nicht erst die aufgeklärten Europäer, die von der Amoralität des Gottesbildes herausgefordert wurden. Diese Frage begleitet die Rezeptionsgeschichte seit der frühesten jüdischen Nacherzählung im Jubiläenbuch. 8 Eine weitere Zumutung liegt darin, daß Abrahams Glaubensgehorsam sich kaum von einem blinden Kadavergehorsam, der aufgrund eines höheren Befehls grausam über Leichen zu gehen bereit ist, zu unterscheiden scheint. Nicht von ungefähr wurde das berühmte Experiment des amerikanischen Psychologen Stanley Milgram zum Verhältnis von „Autorität und Gehorsam“ ausdrücklich mit Abraham verbunden. Milgram hatte die Bereitschaft getestet, inwieweit Menschen bereit sind, aufgrund der Forderung einer Autoritätsperson ihre normalen moralischen Maßstäbe außer Kraft zu setzen, und anderen Menschen Schmerzen zuzufügen. 9 Und in Zeiten eines religiös legitimierten Terrorismus steht Abrahams Opferbereitschaft von vornherein im Verdacht, eher das Paradigma eines religiösen Wahns denn eine Urerfahrung des Glaubens zu sein. So nimmt es nicht Wunder, daß die zeitgenössische allgemeine Kritik am Christentum gerade auf die Geschichte von der „Opferung Isaaks“ 10 hinweist, um das im Christentum wirksame repressive und sadistische Gottesbild herauszustellen. In Deutschland ist das Buch 7 I. Kant, Der Streit der Fakultäten, in: B. Kellermann (Hg.), Kants Werke (Akademieausgabe) 1916, Bd. 7, 62. Und dazu H. Rosenau, Die Erzählung von Abrahams Opfer (Gen 22) und ihre Deutung bei Kant, Kierkegaard und Schelling, Neue Zeitschrift für Systematische Theologie 27 (1985), 251-261. 8 Vgl. u. Anm. 42. 9 In dem Experiment, dessen Ergebnisse ab 1963 veröffentlicht wurden, waren die Versuchspersonen aufgefordert, den vorgeblichen Lernprozeß einer anderen Person dadurch zu fördern, daß sie dieser für Fehlreaktionen zunehmend stärkere, im Höchstmaß lebensgefährliche elektrische Schläge verabreichen. Dabei wurden Schmerzlaute simuliert. Zwischen 48 und 65% der Probanden in den U.S.A. ließen sich zur Verabreichung der Höchststrafe bestimmen. Entsprechende Versuche des Max-Planck-Instituts in Deutschland in den 70-er Jahren erbrachten sogar eine Rate von ca. 86% bei männlichen Probanden. Der Dokumentarfilm, der 1970 über diese Versuche berichtet, trägt den Titel „Abraham. Ein Versuch“. Vgl. S. Milgram, Das Milgram Experiment. Zur Gehorsamsbereitschaft gegenüber Autorität, Reinbek 1974 (Rowohlt TB 1982); Th. Blass, Obedience to authority. Current Perspectives on the Milgram paradigm, New York 2004. 10 In dieser Titelformulierung schlägt letztlich das vollzogene Opfer Christi durch, während in Gen 22 dieses Opfer zwar gefordert, aber gerade nicht vollzogen wird. Die jüdische Tradition stellt mit dem Gedanken der „Bindung Isaaks“ die Bedrohung des Sohnes, mit dessen Gefährdung sich das Judentum erinnernd identifiziert, in den Vordergrund. <?page no="30"?> Thomas Naumann 22 „Gottesvergiftung“ (1976) des Psychoanalytikers Tilman Moser sehr einflußreich geworden und hat eine längere Debatte ausgelöst. In ihm erinnert der Autor an seine eigene kindliche religiöse Sozialisation, in der ihm ein Abraham ganz selbstverständlich als Vorbild des Glaubens „zugemutet“ wurde, der bereit war, als Vater seinen eigenen Sohn zu schlachten: Ich habe dich, wie es mir deine Diener nahelegten, angestaunt ob deiner Güte, Abraham den Isaac nicht schlachten zu lassen. Du hättest es ja so leicht fordern können, er hätte es für dich getan, und mit dem Rest von Menschenwürde in deinem auserwählten Volk hätte es nur noch ein wenig fürchterlicher ausgesehen. Oder hattest du vielleicht nur ein unverschämtes Glück gehabt, daß dir in letzter Sekunde die Idee kam, einen Engel an den Ort des geplanten Gemetzels zu schikken? Vielleicht wären dem guten Abraham doch noch Zweifel an den Vorteilen seiner privilegierten Beziehung zu dir gekommen, wenn ihn erst Isaacs Blut bespritzt hätte? Bei deinem eigenen Sohn warst du dann ungenierter und hast deinem Sadismus freien Lauf gelassen. Man hat mir weis machen wollen, daß du mit seiner Opferung am Kreuz den neuen Bund der Liebe hast einläuten wollen. Und wiederum habe ich versucht, auf allgemeine Aufforderung hin, dich anzustaunen, weil du für mich armen Sünder deinen einzigen Sohn geopfert hast. Das macht natürlich Eindruck: Wie schlecht muß ich sein, daß es einer solchen Inszenierung bedarf, um mich zu erlösen? Seltsam, seltsam - keiner von den Predigern hat je Verdacht geschöpft, daß vielleicht nicht mit uns, sondern mir dir etwas nicht stimmt, wenn du vor lauter Menschenliebe deinen Sohn schlachten lassen mußtest. 11 Diese Erfahrung berührt nicht nur das Zentrum christlicher Heilslehre, sondern auch den Umgang mit Gen 22 in der christlichen Unterweisung und die Wirkung, welche eine solche in Kinderbibeln vielfach nacherzählte Geschichte auf Gottesbild und religiöse Sozialisation von Kindern hat. Denn die religionspädagogische Verwendung dieser Erzählung als im Prinzip vorbildliche und nachahmenswerte Gehorsamsleistung des Gottvertrauens, die Tilman Moser als quälend beschreibt, war keineswegs ein Einzelfall und findet sich bis in unsere Tage. Darüber hinaus verlangt die Frage, ob und in welcher Weise Kinder mit dieser Geschichte konfrontiert werden sollen, eine eingehende Reflexion und Klärung. 12 11 T. Moser, Gottesvergiftung, Frankfurt a. M. 1976, 20f. (Hervorhebung im Original). Zur Diskussion des Buches von Moser s. neben dem in Anm. 1 genannten Sammelband von Böhme: V. Weymann, Gottes Verharmlosung als Vergiftung des Lebens? Fragen im Zusammenhang mit Tilman Mosers „Gottesvergiftung“, Evangelische Theologie 44 (1984), 64-77; M. Plathow, Menschenleid als Leiden an Gottes Verborgenheit. Theologische Überlegungen zur psychoanalytischen Sicht von menschlicher Sünde und göttlichem Zorn, Theologische Zeitschrift 40 (1984), 275-295. Zur exegetischen und theologischen Auseinandersetzung vgl. jetzt auch B. Janowski, „Hingabe“ oder „Opfer“. Zur gegenwärtigen Kontroverse um die Deutung des gewaltsamen Todes Jesu, in: R. Weth (Hg.), Das Kreuz Jesu. Gewalt - Opfer - Sühne, Neukirchen-Vluyn 2001, 13-43. Tilman Moser hat sich unlängst mit dem Buch „Von der Gottesvergiftung zu einem erträglichen Gott. Psychoanalytische Überlegungen zur Religion“, Stuttgart 2003, noch einmal zum Thema geäußert. 12 Vgl. etwa F. Johannsen, Die Opferung Isaaks. Theologische und Religionspädagogische Gedanken zu einem problematischen Kapitel der jüdisch-christlichen Tradition, Der Evangelische Erzieher 39 (1987), 655-668; P. Höffken, Genesis 22 als religionspädagogi- <?page no="31"?> Die Preisgabe Isaaks 23 Nach diesen wenigen Andeutungen wundert es nicht, wenn die Erzählung von „Abrahams Opfer“ bzw. der „Bindung Isaaks“ zu den bis heute am meisten diskutierten Texten der Tora bzw. des Alten Testaments gehört und eine unübersehbare Fülle von Literatur zu ihrer Interpretation und zur Darstellung ihrer Rezeption in den „abrahamitischen“ Religionen, aber auch in der Philosophie, der Literatur und der Bildkunst hervorgebracht hat. 13 Und dieses Symposium zeigt ein ungebrochen anhaltendes Interesse. Im Rahmen einer rezeptionsorientierten Tagung kommt mir als Bibelwissenschaftler die Aufgabe zu, den biblischen Text der Erzählung selbst vorzustellen, der Grundlage oder Ausgangspunkt der vielfältigen Rezeptionen und Interpretationen ist. Ich verfolge damit ein sehr begrenztes Ziel. Ich werde seine Textstruktur beschreiben: Was wird erzählt und mit welchen literarischen Mitteln erzählender Kommunikation wird der Eindruck erzeugt, den die Geschichte hinterläßt? Neben der abgründigen Thematik ist die offene und mehrdeutige Erzählweise eine der Voraussetzungen für die ungewöhnlich vielschichtige Rezeptionsgeschichte, die bis heute anhält. Und ich werde in diesem Zusammenhang einige Problemfelder anschneiden, die in der alttestamentlichen Forschung diskutiert werden und die auch für die Rezeptionsgeschichte bedeutsam sind. Ich frage nach dem biblischen Text und seinen Sinndimensionen im Kontext des antiken Israel, nehme also eine historisch beschreibende Perspektive ein, lasse die Rezeptionsgeschichte beiseite, ohne freilich als ein Teil aus ihr aussteigen zu können, und verzichte auch darauf, die Vielfalt der gegenwärtigen theologischen Interpretationsmodelle vorzustellen, die sich u.a. sozialgeschichtlicher, genderorientierter, psychologischer, befreiungstheologischer Zugangsperspektiven zu diesem Text bedienen. Zunächst sollen einige historische Verstehensmodelle von Gen 22 exemplarisch genannt und der Erzähltext selbst in das Blickfeld gerückt werden, und endlich diskutiere ich einige inhaltliche Probleme. Warum erzählte sches Problem, in: F. Wintzer u.a. (Hg.), Frömmigkeit und Freiheit. FS H.-D. Bastian, Rheinbach-Merzbach 1995 (Hermeneutica 5), 221-237; H. Mendl, Vom Gott, der ins Dunkle führt. Eine exemplarische empirische Untersuchung zu Gen 22 (Die Opferung Isaaks), Religionspädagogische Beiträge 39 (1997), 65-92; H. K. Berg, Vätergeschichten, in: R. Lachmann u.a. (Hg.), Elementare Bibeltexte. Exegetisch - systematisch - didaktisch, Göttingen 2001 (Theologie für Lehrerinnen und Lehrer Bd. 2), 66-71; C. Dohmen, Wenn die Bibel Angst macht. Die „Opferung Isaaks“ in Kinderbibeln, Bibel und Liturgie 72 (1999), 234-238. Vgl. ferner R. Oberthür, Angst vor Gott? Über die Vorstellung eines strafenden Gottes in der religiösen Entwicklung und Erziehung, Essen 1986; H. G. Wirtz (Hg.), Der Glaube der Kinder und das Gottesbild in Kinderbibeln, Weimar 1997, sowie G. Adam u.a. (Hg.), Das Alte Testament in Kinderbibeln, Zürich 2004 (mit einem Beitrag von I. Weth zu Gen 22). 13 Da die Literatur zur Interpretation wie zur Rezeption von Gen 22 hier in keiner Weise sinnvoll dokumentiert werden kann, sei auf zwei umfangreiche neuere Bibliographien verwiesen, die beide Bereiche einschließen. Die Literatur bis 1998 verzeichnet G. Steins, Die „Bindung Isaaks“ im Kanon (Gen 22). Grundlagen und Programm einer Kanonisch- Intertextuellen Lektüre, Freiburg u.a. 1999 (HBS 20), 239-302; eine durch M. Popovic zusammengestellte und inhaltlich gegliederte Literaturübersicht (bis 2001) findet sich im neuesten Sammelband zum Thema: E. Noort / E. Tigchelaar (Anm. 2), 211-225. <?page no="32"?> Thomas Naumann 24 man sich im alten Israel eine solche Geschichte und warum griffen die Erzähler auf das Thema des Sohnbzw. Kinderopfers zurück? 1. Historische Interpretationsmodelle der Bibelwissenschaft Die Verständnismodelle, die in der historisch-kritischen Bibelwissenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts erarbeitet wurden, lassen sich sehr grob in zwei Typen gruppieren, die sich freilich wechselseitig ergänzen können und beide um die Bedeutung der Praxis bzw. der Metaphorik des von Abraham verlangten Sohnopfers kreisen. 14 Verbreitet ist das kult(ur)geschichtliche Verständnis von Gen 22 als einer Begründungsgeschichte (Ätiologie) für die Ablösung des Menschenopfers (Kultätiologie). 15 Dabei wird angenommen, hinter der Erzählung stehe eine archaische ätiologische Sage, die davon erzählt, daß der Brauch des Kinderopfers in vorisraelitischer Zeit geübt, dann aber durch Abraham ein für alle Mal abgeschafft wurde. Die vorisraelitische Sage kenne Gottheiten, die Menschenopfer fordern. Die israelitische Sage hingegen übertrage das Motiv in den israelitischen Gründungsmythos, um Kinderopfer im alten Israel von vornherein für obsolet zu erklären. Eine ähnliche Denkbewegung findet sich bereits als ein klassisches Verständnismuster der jüdischen Auslegungstradition, enthält sie doch ein apologetisches Moment. Denn sie bietet die Möglichkeit, die grausame Aufforderung Gottes nach dem Opfer des Sohnes im Kanon der heiligen Schriften dadurch „auszuhalten“ bzw. verstehbar zu machen, daß man sie unter das Postulat des „nie wieder“ stellen konnte. Was Gott dem Abraham abverlangt, ist furchtbar. Aber der Ahnvater hat das Thema in der Vergangenheit exemplarisch durchgekämpft. Ebendies zeigt Gen 22 als Bestandteil der Tora, daß der Gott Israels ein solches Opfer nicht verlangt, was auch in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Bestimmungen der Tora steht, in denen das Kinderopfer verboten wird. Die Bibelwissenschaft hat dieses alte Modell übernommen und im Grunde - getrieben von der religionsgeschichtlichen Frage nach den Menschenopfern in der Bibel, die vor allem das 19. Jahrhundert intensiv bewegt hat - nun kultur- und religionsgeschichtlich durchbuchstabiert. Das Skandalöse des Kinderopfers wird dabei als gängige Praxis in die vor- und außerisraelitische, kanaanäische Religionsgeschichte ausgelagert, während die israelitische Religion sich durch die Kritik an dieser Praxis auszeichne. Dieser Auslegungstyp, der sich tief in die Populärliteratur und das Feuilleton hinein verbreitet hat, ist derart populär geworden, daß Otto Kaiser sich in seiner Studie über die Kinderop- 14 Vgl. die Übersicht über die Auslegungsgeschichte im 20. Jh. bei G. Steins, Abrahams Opfer (Gen 22). Exegetische Annäherungen an einen abgründigen Text, ZThK 121 (1999), 311-324 und ders., Auf Sinnsuche. Abrahams Opfer in der Exegese des 20. Jahrhunderts, Bibel und Liturgie 72 (1999), 124-134. 15 Vgl. nach vielen Vorgängern im 19. Jh. den einflußreichen Kommentar von H. Gunkel, Genesis, Göttingen 3 1910 = 9 1977, 240f. <?page no="33"?> Die Preisgabe Isaaks 25 fer von 1976 genötigt sah, nur diejenigen Forscher im 20. Jahrhundert hervorzuheben, die dieser Deutung nicht zustimmten. 16 Dieser domestizierenden Deutung von Gen 22 stehen eine Reihe von Schwierigkeiten im Weg. Die Idee einer uralten vorisraelitischen Tradition bleibt unbeweisbare Spekulation. Immerhin ist es im vorliegenden Text der israelitische Gott selbst, der das Opfer anordnet, um es später zu verhindern. Eine explizite Kritik am Kinderopfer wird in Gen 22 nirgends formuliert, und es findet sich auch kein Hinweis darauf, daß fortan eine neue Kultpraxis gelten soll, die das Menschenopfer ablöst. Die Frage Isaaks in V.7 setzt indes den Normalfall tierischer Opfer voraus. Und im vorliegenden Erzählzusammenhang steht erkennbar nicht die Kultpraxis, sondern der Gehorsam Abrahams im Vordergrund. Auch die religionsgeschichtliche These von einer erst durch die biblische Religion überwundenen Praxis des Menschenopfers im alten Kanaan oder im Alten Orient ist in der heutigen religionshistorischen Forschung obsolet geworden. Kinderopfer als regelmäßige rituelle Praxis sind im Alten Orient oder im semitischen Raum bisher nirgends nachgewiesen worden. Einzige Ausnahme sind die im kultischen Kontext entdeckten Kinderbestattungen in Phönizien (Mutterland und Kolonien) im ersten Jahrtausend v. Chr. Daß diese Bestattungen auf Kinderopfer zurückgehen, ist auch hier nur eine von mehreren Deutungsmöglichkeiten. Ich komme auf das Thema ausführlicher zurück. Auch die in der Bibel mehrfach angesprochene kultische Vorstellung von der Ersetzung/ Auslösung der menschlichen Erstgeburt (Ex 22,28b; Ex 34,20 u.a.) kann nicht sinnvoll mit der Abrahamerzählung verbunden werden. Einerseits geht es in Gen 22 nicht um den erstgeborenen, sondern um den besonders geliebten Sohn, und andererseits hängt auch die kultische Idee von der Gabe der menschlichen Erstgeburt immer schon mit der Idee der Ersatzleistung zusammen. Anzunehmen, es hätte zu einer Zeit eine reale kultische Praxis gegeben, wo jede menschliche Erstgeburt geopfert wurde, widerspricht allem, was wir über die Religionsgeschichte des Vorderen Orients bisher wissen. 17 Eine weitere Variation des kultätiologischen Modells denkt an die Gründungslegende eines Kultortes. Aber auch der Ort des Opfers, der Berg Morija, bleibt in Gen 22 geheimnisvoll und dunkel, er trägt keinen historisch iden- 16 Vgl. O. Kaiser, Den Erstgeborenen deiner Söhne sollst du mir geben. Erwägungen zum Kinderopfer im Alten Testament (1976), in: ders., Von der Gegenwartsbedeutung des Alten Testaments. Gesammelte Studien zur Hermeneutik und zur Redaktionsgeschichte, Göttingen 1984, 142-166, bes. 143f. 17 So E. Noort, Genesis 22: Human Sacrifice and Theology in the Hebrew Bible, in: Noort / Tigchelaar (Anm. 2), 9f. Für die Gegenpositionen u.a. Kaiser (Anm. 16). An einer rituellen Verbindung zur Auslösung der Erstgeburt scheint auch I. Willi-Plein, Opfer und Ritus im kultischen Lebenszusammenhang, in: B. Janowski / M. Welker (Hg.) Opfer. Theologische und kulturelle Kontexte, Frankfurt a. M. 2000, 150-177, festzuhalten (S. 164: „Hinführung auf die Aus- oder Ablösung des Erstgeborenen/ ‚ Einzigen ‘ , wobei die religiös relevante Erstgeburt der Mutter entscheidend ist“). <?page no="34"?> Thomas Naumann 26 tifizierbaren Namen eines in Israel frequentierten Heiligtums, was in der Rezeptionsgeschichte seine Identifikation mit den prominenten Bergen der Gotteserscheinung, dem Zion (Jerusalem), dem Sinai oder - in der samaritanischen Variante - dem Garizim 18 erleichtert hat. Zwar ist in der Erzählung von Opfer und Opferstätten, von Altarbau und Brandopfern die Rede, von heiligen Orten und Bergen, auf denen die Gottheit erscheint. Aber dies sind kaum kulthistorisch verwertbare Informationen. Und auch der in Gen 22,10 geschilderte Opfervorgang selbst entspricht nicht dem im israelitischen Kultus üblichen Vollzug eines Brandopfers, bei dem der Altar nicht zur Schlachtung, sondern zum Verbrennen der Opfertiere und zur Applikation des sorgfältig aufgefangenen Opferblutes des am anderen Ort geschlachteten Tieres dient. In Gen 22 liegt jedoch aller Nachdruck auf der beabsichtigten Tötung Isaaks, der gebunden auf dem Altar liegt. 19 Im jetzigen Text scheint es eher so, daß der Erzähler die Opferterminologie und -metaphorik relativ frei handhabt und nicht den Eindruck erweckt, als hätte er eine konkrete Kultpraxis in einem konkreten Heiligtum vor Augen. Dies führt auf den zweiten Interpretationstyp, bei dem in der Erzählung von Gen 22 vor allem eine paradigmatische Gefährdungsgeschichte des Stammvaters gesehen wird, die in ihrer Motivwahl recht frei das Motiv des Kinderopfers als denkbar schlimmsten Fall der Bedrohung nutzt, um im Zusammenhang der familiären Dramatik der Abrahamerzählung die Schwere der Gefährdung in ein einprägsames Bild zu setzen. 20 Dieser Ansatz orientiert sich viel stärker an den Themen, die der Erzähltext selbst mitteilt, und sucht weniger nach Traditionen, die der jetzigen Erzählgestalt vorausliegen. Erst in diesem Modell wird das theologische Problem der Episode mit Wucht wieder sichtbar, daß nämlich der Gott, der auf grausamste Weise die Schlachtung des geliebten Sohnes verlangt, derselbe ist, der später vor ihr bewahrt. Nicht mehr abgelenkt durch religions- und kultgeschichtliche Spekulationen begegnet das Problem der Theodizee und das Thema der Sittlichkeit im Gottesbild neu. Die Frage ist dann nicht mehr, aus welchen archaischen Tiefen der Religionsgeschichte dieses Thema des Menschenopfers am Anfang der 18 Vgl. I. Kalimi, Der jüdisch-samaritanische Streit um den Ort der Opferung Isaaks, Trumah. Jahrbuch der Hochschule für Jüdische Studien 2 (1990), 47-52; ders., Zion or Gerizim. The Association of Abraham and the Aqeda with Zion/ Gerizim in Jewish and Samaritan Sources, in: M. Lubetski u.a. (Hg.), Boundaries of the Ancient Near Eastern World. A Tribute of C.H. Gordon, Sheffield 1998 (JSOT.S 273), 442-457. 19 Zu den kultischen Vorstellungen in Gen 22 vgl. I. Willi-Plein, Opfer und Kult im alttestamentlichen Israel, Stuttgart 1993 (SBS 153), 87ff., und C. Eberhart, Studien zur Bedeutung der Opfer im Alten Testament, Neukirchen-Vluyn 2002 (WMANT 94), 205f. 20 Vgl. die wegweisende Studie Gerhard von Rads, Das Opfer des Abraham, München 1971; ferner T. Veijola, Das Opfer des Abraham. Paradigma des Glaubens aus dem nachexilischen Zeitalter, ZThK 85 (1988), 129-164; J. Ebach, Theodizee. Fragen gegen die Antworten. Anmerkungen zur biblischen Erzählung von der ‚Bindung Isaaks’ (1 Mose 22), in: ders., Gott im Wort. Drei Studien zur biblischen Exegese und Hermeneutik, Neukirchen- Vluyn 1997, 1-25; H.-D. Neef, Die Prüfung Abrahams? Eine exegetisch-theologische Studie zu Gen 22,1-19, Stuttgart 1998. <?page no="35"?> Die Preisgabe Isaaks 27 Bibel auftaucht. Sondern sie lautet nun, welche historischen und religiösen Erfahrungen des antiken Israels in diesem Text paradigmatisch erzählbar gemacht werden und warum eine solche Geschichte im israelitischen Ursprungsmythos verankert wurde. Mit diesem Ansatz, dem auch mein Interesse gehört, ist es möglich, den Zusammenhang dieser Erzählung mit der kanonischen Abrahamgeschichte in den Blick zu nehmen. Ein Defizit kann vielleicht darin gesehen werden, daß sich die Thematik des „Opfers des eigenen Sohnes“ zu leicht zur bloßen Metapher einer denkbar schlimmsten Bedrohung verflüchtigt und nicht mehr hartnäckig genug gefragt wird, warum die altisraelitischen Erzähler ausgerechnet das Thema „Kinderopfer“ gewählt haben. Die Entstehungszeit der Erzählung ist nicht genauer eruierbar. Die einzelnen Vorschläge sind abhängig von den jeweiligen Hypothesen zur Literaturgeschichte. Es ist jedoch vielfach herausgestellt worden, daß Gen 22 in seiner literarisch äußerst verdichteten Gestalt und in den theologischen Themen, die hier behandelt werden, keineswegs ein archaischer, sondern vielmehr ein jüngerer und theologisch äußerst reflektierter Text ist, der sich in seiner Frage, daß nämlich Gott die Fratze des Dämonischen annehmen kann, eng mit Themen des nachexilischen Hiobbuches berührt. Auch das Thema von Menschen- oder Kinderopfer ist kein vorisraelitisches Relikt altkanaanäischer Religion, sondern begegnet als religiöses Problem in Israel und als Problem der Jhwh-Religion, nicht in den ältesten Texten, sondern verstärkt in Texten der späten Königszeit (8. und 7. Jh. v.Chr.). So variieren die Datierungsansätze für die Erzählung heute zwischen dieser späteren Königszeit und der nachexilischen Zeit. 21 In dieser Vielfalt bildet sich aber ein Konsens darin aus, daß die Erzählung nicht als eine archaische, vorisraelitische Mythe aus den Tiefen der Jahrtausende zu lesen ist, die im Überlieferungsbestand des alten Israel mehr oder weniger zufällig aufbewahrt worden ist, sondern als ein theologischer Schlüsseltext Israels. Ich gehe insgesamt davon aus, daß der Ausbau der kanonischen Abrahamgeschichte unbeschadet einzelner weniger vorexilischer Überlieferungen, zu der Gen 22 kaum gehören dürfte, erst in der exilischen und nachexilischen Zeit vonstatten ging. Erst in dieser Zeit wird sie als paradigmatische und damit Israels Identität beschreibende und stiftende Erzählung ausgebaut und als Gründungsmythos Israels an den Anfang des „geschichtlichen Gedächtnisses“ verlegt. 22 21 In der klassischen Urkundenhypothese wurde Gen 22 mit der elohistischen Quelle ins Nordreich des 8. Jh.s v. Chr. datiert. Veijola (Anm. 20) suchte dagegen Indizien für eine Datierung von Gen 22 erst in die nachexilischer Zeit. Ihm sind viele Ausleger gefolgt. In kritischer Auseinandersetzung mit Veijolas Argumenten hält jetzt Noort (Anm. 17) eine vorexilische Datierung für wahrscheinlicher. 22 Vgl. etwa die Übersicht über die Entstehungsgeschichte der Abrahamerzählung bei R. Albertz, Die Exilszeit, Stuttgart 2001, 191ff., die er in enger Anlehnung an E. Blum, Die Komposition der Vätergeschichte, Neukirchen-Vluyn 1984 (WMANT 57), entwickelt. <?page no="36"?> Thomas Naumann 28 2. Gen 22 im Kontext der biblischen Abraham-Sara-Erzählung Weil die Episode von der Opferung Isaaks in literarischer wie in theologischer Hinsicht als Erzählung von „unnachahmlicher Abgründigkeit“ gilt, wird sie in der wissenschaftlichen Exegese innerhalb der Abraham-Sara- Erzählung oft recht isoliert betrachtet. Mit dieser Isolierung wird eine christliche Deutungstradition fortgeschrieben, in der Gen 22 wegen der Isaak- Christus-Typologie von jeher aus dem Rahmen der übrigen Abrahamgeschichte herausgelöst wird. Demgegenüber möchte ich Gen 22 als Erzählung von „Abrahams Preisgabe Isaaks“ verstehen, die sowohl erzählerisch wie auch in ihrer anthropologischen und theologischen Problematik fest in den vorhergehenden und nachfolgenden Erzählablauf der Abraham-Sara-Erzählung (Gen 11,27-25,18) eingebunden ist. Dies gilt besonders für ihren Zusammenhang mit der Familiengeschichte in Abrahams Haus, in denen es um Sara, um Hagar und Ismael geht. Dabei umspannt der Begriff der „Preisgabe Abrahams“, den ich Irmtraud Fischer verdanke, 23 sowohl die beiden Episoden, in denen Abraham seine Frau Sara „preisgibt“, um sein Leben zu retten (Gen 12,10-20; 20), als auch die Auslieferung der schwangeren Hagar in die Gewalt Saras (Gen 16,6), besonders aber die dramatische und nun von Gott selbst geforderte Preisgabe seines erstgeborenen Sohnes Ismael und dessen Mutter (Gen 21). Die jüdische Tradition übrigens hat die Tendenz zur Isolierung der akedat jizchak im Rahmen der Abrahamgeschichte dadurch gemildert, indem sie das Ereignis in eine Abfolge von zehn Glaubensprüfungen einbindet, denen Abraham im Laufe seines Lebens ausgesetzt war, und von denen die akedat jizchak die schwerste, aber nicht die einzige war. 24 Es ist jedoch sogleich einzuräumen, daß die Begrenzung auf den literarischen Zusammenhang der Abraham-Sara-Geschichte auch in gewisser Weise 23 I. Fischer, Die Erzeltern Israels. Feministisch-theologische Studien zu Genesis 12-36, Berlin u.a. 1994 (BZAW 222); dies., Gottesstreiterinnen. Biblische Erzählungen über die Anfänge Israels, Stuttgart 1995. 24 Die durch Maimonides und Raschi kanonisch gewordene Vorstellung einer Reihe von zehn Glaubensprüfungen/ Versuchungen Abrahams ist bereits im frühjüdischen Jubiläenbuch aus dem 3.-2. Jh. v.Chr. belegt. Jub 18,8 nennt die akeda als die zehnte Prüfung Abrahams und Jub 17,17 bietet eine Liste von sieben ihr vorhergehenden Versuchungen. In der Folgezeit bleibt die Überlieferung bei der Zahl zehn, variiert aber die Episoden, die als Prüfungen anzusehen sind. Vgl. PRE 26; Pirqe Abot 5,3. Maimonides etwa nennt die folgende Reihung der zehn Glaubensprüfungen, denen Abraham sich unterziehen mußte: 1. Auszugsbefehl, 2. Hungersnot in Kanaan, 3. Entführung Saras durch den Pharao, 4. Kampf gegen die vier Könige, 5. Heirat mit Hagar, 6. Beschneidung im Alter, 7. Belästigung durch Abimelech und Entführung Saras, 8. Vertreibung Hagars, 9. Vertreibung Ismaels, 10. „Bindung Isaaks“. Vgl. R. Gradwohl, Bibelauslegung aus jüdischen Quellen, Bd. 1, Stuttgart 1986, 79. Im Zusammenhang dieser Idee der zehn Prüfungen rückt Abraham in der frühjüdischen Tradition in die Rolle dessen, der stellvertretend das Schicksal seiner Glaubensgemeinschaft auf sich nimmt, bis hin zum größten denkbaren Opfer der Bindung Isaaks, und der damit zum Mittler der Erlösung wird, eine Funktion, die im Neuen Testament mit Jesus Christus verbunden wird. Vgl. G. Oberhänsli-Widmer, Biblische Figuren in der rabbinischen Literatur, Bern 1998, 317ff. <?page no="37"?> Die Preisgabe Isaaks 29 künstlich ist, denn der kanonische Text, in dem wir die Geschichte jetzt lesen, umfaßt die ganze Tora beziehungsweise den ganzen Kanon. So hat Georg Steins 25 jüngst auf die intertextuellen Bezüge hingewiesen, die Gen 22 mit der Sinaioffenbarung in Ex 3f; 19f. verbinden, und will die Erprobung Abrahams auf dem Berg Morija als eine Vorausdeutung der Sinaioffenbarung verstehen. Von anderen methodischen Vorgaben ausgehend hat Siegfried Mittmann 26 nicht den Sinai, sondern den Jerusalemer Tempelkult auf dem Zion ganz im Fokus der erzählten Handlung von Gen 22 gesehen. Beide Perspektiven haben Anhalt in der späteren Auslegungstradition. Je nachdem, in welchem Bezugsrahmen und mit welchen Interessen der Text rezipiert wird, verändert er seinen Gehalt, ohne daß Sicherheit über seine Intention gewonnen werden könnte. Der Bezugsrahmen meiner Überlegungen ist die Abraham-Sara-Geschichte der Genesis in ihrer literarischen Endgestalt (Gen 11,27- 25,18), als deren Höhepunkt die Episode von der Preisgabe Isaaks in Gen 22,1-19 erscheint. Denn mit dem eigenhändigen Opfer des geliebten Sohnes wird all das in den Schatten gestellt, was von Abraham bisher verlangt wurde. Es geht um jenen lang ersehnten und einzigen Sohn der Sara, dessen wundersame Geburt durch die unfruchtbare und längst verwelkte Hauptfrau Abrahams gerade erst erzählt wurde (21,1ff.) und auf dem nun in Gen 22,1 alle Liebe, Hoffnung und Zukunft ruht. Zwischen der Geburt Isaaks und dem Opferungsbefehl werden zwei Begebenheiten erzählt: die Vertreibung Ismaels und Hagars anläßlich des Entwöhnungsfestes Isaaks (21,8-21) sowie eine Episode von Brunnenstreitigkeiten zwischen Abimelech und Abraham, die in einem Bundesschluß beigelegt werden (21,22-34). Damit werden sowohl der familiendramatische Erzählstrang bedient wie auch jener, der Abraham vor allem im Umgang mit seinen Nachbarn in Kanaan zeigt. 27 Der Neueinsatz in Gen 22,1 nimmt dann jedoch den familiendramatischen Erzählfaden wieder auf und schließt unmittelbar an die Episode von der Vertreibung Ismaels und Hagars an. So ergibt sich eine eng geknüpfte Ereigniskette im Familiendrama, die von der Geburt und Entwöhnung Isaaks über die Preisgabe Ismaels und seiner Mutter zur Preisgabe Isaaks führt. Nach der Geburt Isaaks hatte Sara die Vertreibung Ismaels und seiner Mutter gefordert, um den Miterben mit ihrem Sohn Isaak loszuwerden (21,9). Als Abraham dagegen protestiert, macht sich Gott selbst Saras Forderung zu 25 G. Steins (Anm. 13). 26 S. Mittmann, ha-Morijja - Präfiguration der Gottesstadt Jerusalem (Gen 22,1-14.19), in: M. Hengel / S. Mittmann u.a. (Hg.), La Cité de Dieu. Die Stadt Gottes, Tübingen 2000, 67-97. 27 Die Brunnenepisode, die dem Abrahamopfer unmittelbar vorausgeht, schließt inhaltlich an Gen 20 an und bildet eine Brücke zu Gen 26,13-33. Ihr Bezug zum familiendramatischen Geschehen ist gering. Vers 33 läßt Abraham in Beerscheba wohnen, jenem Ort, an den er nach Gen 22,19 auch nach den Ereignissen auf dem Berg Morija wieder zurück kehrt. Hierzu steht der folgende Vers 34 in Spannung, der nochmals einen längeren Aufenthalt Abrahams im Philisterland erwähnt. Durch V. 34 wird genau genommen das Philisterland, nicht Beerscheba, der Ort, an dem Abraham den Befehl von Gen 22,1 bekommt. <?page no="38"?> Thomas Naumann 30 eigen und bringt Abraham schon hier in das aus Gen 22 bekannte furchtbare Dilemma, sich gegen Gott oder gegen seinen Sohn entscheiden zu müssen. Der göttliche Befehl zur Vertreibung Ismaels in die Wüste (und damit in den Tod! ) wird in seiner tödlichen Schärfe bereits in 21,12f. durch die göttliche Zusage in der gleichen Gottesrede abgemindert, daß Gott auch nach der Vertreibung mit seiner Verheißung bei Ismael bleiben wird. Auch aus ihm soll ein Volk hervorgehen, weil auch Ismael in einem theologisch qualifizierten Sinn „Same Abrahams“ ist und daher unter dem Segen des Abrahambundes steht (Gen 17,7f.20). Das Volk Israel freilich, so macht das Gotteswort klar, wird seine Identität als „Same Abrahams“ allein über Isaak gründen. Auch in Gen 21 führt die auf Gottes dunklen Befehl von Abraham unmittelbar und schweigend vollzogene Vertreibung Hagars und Ismaels in die Wüste sofort in Todesgefahr, der Ismael zu erliegen droht. Kurz bevor Ismael verdurstet, öffnet sich der Himmel für die verzagte Mutter und ein Bote Gottes bringt Rettung, Bekräftigung der Verheißung und künftigen Beistand. Es ist auch in dieser Szene derselbe Gott, der in einer akuten Todesbedrohung errettend eingreift, in die er zuvor selbst geführt hat. Beide Episoden von der Preisgabe der Söhne Ismael bzw. Isaak sind dramatisch, inhaltlich und formal z.T. bis in den Wortlaut hinein parallel gestaltet. Dies betrifft nicht allein die auffälligen Übereinstimmungen in den Aufbruchs- und Errettungsszenen, sondern zeigt sich in einer ganzen Reihe von Stichwortverknüpfungen. 28 So wird bereits formal erkennbar: Das Opfer Abrahams ist kein Einzelfall. Die „Vertreibung Ismaels“ ist in vieler Hinsicht eine Vorwegnahme der akedat jizchak. Zweimal hört Abraham jenes grausame Gotteswort „Gib deinen Sohn preis“. Und indem er dieser dunklen Gottesforderung - gegen alle Einsicht und Verstehbarkeit - nachkommt, verliert er am Ende keinen von beiden. Am Rand des Todes werden beide gerettet: Der eine verdurstend in der Wüste (21,17f.), der andere das Messer des eigenen Vaters bereits am Hals (22,10). Diese formale und inhaltliche Eigentümlichkeit ist in der Forschung bisher deshalb nicht hinreichend gewürdigt worden, weil in der jüdischen und christlichen Auslegungstradition Abrahams erstgeborener Sohn Ismael als Gegenpol Isaaks verstanden wurde. Die Bibelwissenschaft ist bis heute dieser Einschätzung gefolgt. Doch zeigt eine genauere Wahrnehmung der Ismael-(Hagar-)Episoden in der Abrahamerzählung, daß 28 Die Parallelität der beiden Episoden ist schon in der jüdischen Auslegung gesehen worden, worauf Blum (Anm. 22), 314f hinweist: „Die Vertreibung Ismaels wird zu einem Vorspiel, man möchte fast sagen, zu einer ‚Generalprobe’ für Gen 22“. Detaillierte Untersuchungen finden sich in meiner Habilitationsschrift: T. Naumann, Ismael. Theologische und erzählanalytische Studien zu einem biblischen Konzept der Selbstwahrnehmung Israels im Kreis der Völker aus der Nachkommenschaft Abrahams, Habil.-masch. Bern 1996, 207ff.; I. Fischer, Die „Opferung“ der beiden Söhne Abrahams. Gen 21 und Gen 22 im Kontext, in: A. Franz (Hg.), Streit am Tisch des Wortes? Zur Deutung und Bedeutung des Alten Testaments und seiner Verwendung in der Liturgie, St. Ottilien 1997, 17-36 sowie S. Nikaido, Hagar and Ishmael as Literary Figures: An Intertextual Study, Vetus Testamentum 51 (2001), 219-242. <?page no="39"?> Die Preisgabe Isaaks 31 sie keine Gegenstücke oder Kontrastfolien bieten, sondern Parallelen, die das Isaak-Geschehen präfigurieren. 29 Das betrifft bereits die Geburtserzählungen Ismaels wie Isaaks im Horizont der Verheißung eines leiblichen Sohnes (Gen 15,4f.), die Geburtsankündigung und Namensverleihung durch Gott, 30 die beiden Söhnen je für sich zugesagten Verheißungen, 31 aber auch die furchtbare Zumutung, auf Gottes Geheiß durch den eigenen Vater in den Tod geschickt und dann doch in letzter Not errettet zu werden: Nur steigert sich bei Isaak das Geschehen noch einmal, sowohl im Wunder der Geburt durch die unfruchtbare Sara wie auch in der Grausamkeit der Bedrohung durch den eigenen Vater. Die Übersicht 32 auf S.49f. versucht die auffällige Parallelität der beiden Episoden sichtbar zu machen und zeigt so die feste Einbettung der akedat jizchak in das vorausgehende Geschehen. Übrigens kennt die biblische Abrahamerzählung zwar Konflikte unter den Frauen in der Abrahamfamilie, aber keinen Bruderkonflikt zwischen Ismael und Isaak. Die Idee eines Bruderkonflikts im Hause Abrahams, die in der jüdischen wie in der christlichen, nicht aber in der islamischen Tradition ausgebildet wurde, gehört erst in die Rezeptionsgeschichte der biblischen Abrahamerzählung. 33 3. Die Erzählung und ihre Merkmale Die Episode Gen 22,1-19 ist literarisch relativ klar abgrenzbar. Unter literaturgeschichtlicher Perspektive besteht ein weitgehender Konsens darin, daß die zweite Verheißungsrede in V.15-18 wahrscheinlich erst im Zusammenhang einer späteren redaktionellen und theologischen Bearbeitung eingefügt wurde, auch wenn sie im jetzigen Zusammenhang als Verstärkung der Verheißung nach der von Abraham durchgestandenen Prüfung und als Brücke 29 Vgl. T. Naumann (Anm. 28); ders. Ismael. Abrahams verlorener Sohn, in: R. Weth (Hg.), Bekenntnis zu dem einen Gott? Christen und Muslime zwischen Mission und Dialog, Neukirchen-Vluyn 2000, 70-89. Auch die verdienstvollen Studien von I. Fischer, die Gen 21 u. 22 als Zwillingstexte anspricht (Anm. 28), sind noch immer im Kontrastschema gefangen. Nach Fischer wolle die Erzählung von Gen 21 (ohne den literarkritisch entfernten Gottesbefehl in V.12f.) Abraham vor allem darin kritisieren, daß er leichtfertig Hagar und Ismael in die Wüste geschickt habe. 30 Vgl. Gen 16,11 (Ismael); 17,19; 18,14 (Isaak). 31 Vgl. Gen 16,10 (Hagar); 17,20; 21,13.18 (Ismael); 17,19.21; 21,13; 22,15-18; 26,3-5 (Isaak). 32 In Aufnahme und Variation der von Fischer (Anm. 28) vorgelegten Übersicht. 33 Dies kann angesichts mancher aktuell politischer Bezugnahmen und Funktionalisierungen der Abrahamgeschichte im Nahost-Konflikt nicht deutlich genug betont werden. Am Ende der Abrahamgeschichte begraben beide Brüder den gestorbenen Vater gemeinsam. Da sie sich nicht gestritten haben, müssen sie sich auch nicht wieder versöhnen. Vgl. meine Anm. 28f. genannten Arbeiten sowie T. Naumann, Streit um Erbe und Verheißung? Der Fall Ismaels in der Genesis und in der christlichen Rezeptionsgeschichte, in: J. Kügler (Hg.), Impuls oder Hindernis. Mit dem Alten Testament in multireligiöser Gesellschaft, Münster 2004, 107-124. <?page no="40"?> Thomas Naumann 32 zur Isaakverheißung in Gen 26,3-5 eine theologische wichtige Rolle spielt. 34 Die verbleibende Erzählung muß jedoch als literarisch und überlieferungsgeschichtlich einheitlich betrachtet werden, auch wenn man berechtigte Mutmaßungen über ältere Traditionen anstellen kann, die möglicherweise in die jetzige Erzählform eingegangen sind, die sich aber m.E. kaum glaubhaft rekonstruieren lassen. Der eindrucksvolle Erzählstil von Gen 22,1-19 ist im Anschluß an die klassische Arbeit des Romanisten Erich Auerbach 35 oft beschrieben und gewürdigt worden. Bei jeder neuen Lektüre verblüfft, beeindruckt und erschreckt die eigentümliche Schlichtheit und Distanz der Darstellung, die mit ausgesuchter Wortwahl ganz auf der Ebene einer knappen Schilderung der Handlungen verbleibt, die nur an wenigen entscheidenden Stellen behutsam detailliert werden. Das sprachliche und metaphorische Inventar ist sehr begrenzt. Viele Worte und Themen werden wiederholt, variiert, umspielt, so daß ein enges Geflecht gegenseitiger Bezugnahmen entsteht. Nichts wird beschrieben, kein Detail ausgemalt, kaum ein Adjektiv, keine Beschreibung, bei der man Atem holen könnte. Vor allem auf der Ebene der Emotionen und Motivationen bleibt alles ungesagt, bestenfalls leicht angedeutet, nie ausgesprochen. Was denkt Abraham? Was geht in Isaak vor? Warum geht Abraham los? All dies erfahren wir nicht. Aber gerade durch dieses konsequente Verschweigen wird eine Welt von widerstreitenden Gefühlen und Vorstellungen beschworen, die in den Köpfen und Herzen der Rezipientinnen und der Rezipienten auf Entfaltung drängt, gerade weil sie „nicht ins Wort hereingeholt“ werden. Dieser Erzählstil, eine ununterbrochene, atemberaubende Handlungsfolge, gewinnt Wucht durch seine Nüchternheit, die nicht als Teilnahmslosigkeit mißverstanden werden darf. Die Art, wie hier erzählt wird, ist wesentlicher Teil der Sache selbst. 36 34 Vgl. R. W. L. Moberly, The Earliest Commentary on the Akedah, Vetus Testamentum 38 (1988), 302-323; Steins (Anm. 13); D. Dieckmann, Segen für Isaak. Eine rezeptionsästhetische Auslegung von Gen 26 und Kotexten, Berlin / New York 2003 (BZAW 329), 224ff. 35 E. Auerbach, Die Narbe des Odysseus, in: ders., Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur (1946), Bern 8 1988, 5-27, bes. 14f., hatte in der ambiguitären Erzählweise von Gen 22 gerade das Kennzeichen biblischer Erzählung gesehen und diese scharf gegen die angeblich vordergründige, alles ausmalende Erzählweise der homerischen Epen (besonders der Odyssee) profiliert. Dieses Urteil, das biblisches Erzählen gegen das homerische adelt, ist in der Bibelwissenschaft gern und häufig übernommen worden, bedarf aber hinsichtlich des homerischen Erzählstils der Modifikation. Vgl. hierzu die Bemerkungen bei U. Hölscher, Die Odyssee. Epos zwischen Märchen und Roman, München 1988, 342f. und zur homerischen Poetik I. de Jong, A Narratological Commentary on the Odyssey, Cambridge 2001; dies. / R. Nünlist, Homerische Epik in Stichworten, in: H. Latacz (Hg.), Homers Ilias Gesamtkommentar. Prolegomena, Leipzig 2000, 159-171. 36 Zum Erzählstil vgl. besonders von Rad und Veijola (Anm. 20); D. Vetter, Die Bindung Jizchacks. Das sprachliche Kunstwerk - „ein mit den Lippen geschlossener Bund“, in: ders., Das Judentum und seine Bibel. Gesammelte Aufsätze, Würzburg / Altenberge 1996 (Religionswissenschaftliche Studien Bd. 40), 430-453; E. Wiesel, Adam oder das Geheimnis des Anfangs. Brüderliche Urgestalten, Freiburg 1994. <?page no="41"?> Die Preisgabe Isaaks 33 Die Episode läßt sich dem Ablauf entsprechend grob in einzelne Szenen gliedern: V.1-2 Exposition und Opferungsbefehl V.3-5 Aufbruch und Weg bis nach Morija, Zurücklassen der Knechte V.6-8 Gemeinsamer Weg und Zwiesprache Abrahams und Isaaks V.9-10 Ankunft und Opferversuch V.11-13 göttlicher Einspruch (1. Gottesrede) V.14 Ersatzopfer und Benennung des Ortes V.15-18 Verheißungsrede (2. Gottesrede) V.19 Heimkehr nach Beerscheba 3.1 Exposition und Opferungsbefehl (V.1-2) 1) Und es geschah nach jenen Ereignissen, da prüfte 37 Gott (Elohim) den Abraham, und er sprach zu ihm: „Abraham! “, 2) und der sprach: „Hier bin ich! “ Und er sprach: „Nimm doch deinen Sohn, deinen einzigartigen, den du lieb hast, den Isaak. Gehe für dich ins Land Ha-Morija und bringe ihn dort als Brandopfer dar auf einem der Berge, den ich dir nennen werde! “ Hinter der lapidaren Einführungsformel, die das Folgende in einen größeren Erzählzusammenhang einbindet, verbirgt sich eine dramatische und traumatische Erfahrung Abrahams. Was jetzt auf ihn zukommt, ist für ihn nicht neu (vgl. Gen 21,12f.), und das, was schon hinter ihm liegt, macht die Tragik deutlich. Gerade noch hatte Gott die Vertreibung Ismaels damit begründet, daß sich Abrahams Israelnachkommen eben nach Isaak nennen werden. Indem Gott nun auch den Isaak von Abraham verlangt, fordert er restlos alles zurück, wofür er bisher gestanden hat: Verheißung, Segen, Begleitung, Nachkommen, Zukunft. Doch bevor er den Gottesbefehl ausspricht, wendet sich der Erzähler an den Leser und kategorisiert das Folgende als göttliche 37 Das Verb hebr. nsh wird hier im pi’el verwendet, „in der Faktitiv-Resultativform also, die nicht am Vorgang als solchem, sondern an seinem Ergebnis interessiert ist.“ I. Willi-Plein, Die Versuchung steht am Schluß. Inhalt und Ziel der Versuchung Abrahams nach der Erzählung Gen 22, Theologische Zeitschrift 48 (1992), 100-108, S. 107. Der Blick ist demnach von vornherein auf das Ergebnis der Bewährung Abrahams gerichtet. <?page no="42"?> Thomas Naumann 34 Prüfung oder Versuchung. Dies ist jedoch weniger ein Entlastungssignal an die Rezipienten, denn die israelitischen Leserinnen und Leser wissen von vornherein, daß Isaak nicht von Abrahams Hand gestorben ist, und daß Abraham die Prüfung nicht bestehen würde, ist weder durch Gen 21 noch durch den Status des Ahnvaters erwartbar. Durch diesen Hinweis drängt der Erzähler seine Adressaten jedoch, die Aufmerksamkeit vom denkbaren Vollzug des Opfers ganz auf Abraham und dessen Bewährung in dieser Situation zu lenken. Immerhin macht er uns zu Mitwissenden und zu Voyeuren, die das Geschehen betrachten und doch schon wissen, was Abraham und vollends Isaak nicht wissen können, und die daher die Last, die Abraham hier auferlegt wird, nicht zu teilen brauchen. Dieser gewünschten Leserperspektive entspricht auch sonst die narrative Fokussierung ganz auf die Handlungen Abrahams. Als Leserinnen und Leser können wir natürlich andere Perspektiven oder Themen in den Vordergrund stellen; etwa Isaak oder die Opferpraxis oder die Frage nach dem Berg Morija oder auch die Situation der nicht genannten und in diesen Szenen abwesenden Mutter Sara. Dies alles steht uns frei. Die Textgestalt jedoch drängt zur Beobachtung Abrahams und seiner Bewährung. Nach der vertrauten Anrede Gottes und Abrahams Erwiderung bricht die Forderung des Elohim als ungeheures Wort der Gewalt hervor. Dabei bildet die Reihung der Formulierungen des Befehls sprachlich eine Klimax des Furchtbaren, geradezu sorgfältig darauf abgestimmt, Abraham mit jedem Wort noch tiefer ins Herz zu schneiden. Der Hinweis auf „deinen Sohn“ ruft die Bindung des Vaters auf, die Folgeelemente verstärken und heben die Intensität der Beziehung Abrahams zu seinem Sohn hervor - einzigartig, besonders geliebt - bis dann zuletzt die Nennung des Namens Isaak folgt. In manchen Bereichen der Psychotherapie würde man eine solche Kontrastsituation eine „optimale Frustration“ nennen: d.h. sich in die Situation der denkbar schlimmsten Möglichkeit begeben. 38 Dies geschieht hier. Gott fordert das denkbar Härteste und sagt es auch so. Dabei ruft der Imperativ „Gehe für dich ... auf einen der Berge, den ich dir nennen werde“ die Anfangsszene der Abrahamgeschichte aus Gen 12,1 auf: „Gehe für dich in ein Land, das ich dir zeigen werde“. 39 Am Anfang war die Zumutung, das Vertraute zu verlassen, von den Hoffnungsmomenten und dem Vertrauen auf den mitgehenden Gott überstrahlt. Wenn er jetzt wieder aufbricht, muß Abraham dies alles mit eigener Hand zu Grabe tragen. Ich habe das Wort hebr. jachid nicht mit „einzig“, wie es uns aus den Bibelübersetzungen vertraut ist, sondern mit „einzigartig“ übersetzt. Dies er- 38 Der Begriff ist entlehnt bei C. Schneider-Harprecht, Psychoanalytische Bibelauslegung. Das Beispiel der Hagar-Ismael-Überlieferung, Wege zum Menschen 43 (1991), 323-335. 39 Diese Verbindungslinie ist in der jüdischen Auslegung sehr prominent und gibt dem ganzen Toraabschnitt den Namen hebr. lech l e cha. Mittmann (Anm. 26), 79f. hat jetzt noch aus Gen 12,6 (hebr. ’elon morae) das Motiv des Erscheinens Gottes, das auch im Morija- Namen steckt, herausgehört, was den Bezug von Gen 22 zur Eröffnungsepisode verstärkt. <?page no="43"?> Die Preisgabe Isaaks 35 gibt sich sowohl von der sonstigen Verwendung des Wortes in der hebräischen Bibel wie auch von der Übersetzung der Septuaginta. Man sollte die Wendung nicht so verstehen, als hätte Abraham, nachdem er Ismael fortschicken mußte, im familienrechtlichen Sinn nur noch einen einzigen Sohn, oder als würde nun nur noch Isaak Träger der Verheißung sein. Das Wort hebr. jachid beinhaltet kein Urteil über die Anzahl der Söhne Abrahams, sondern drückt die Besonderheit und Intensität der Beziehung Abrahams zu dem ihm einzig noch verbliebenen Sohn Isaak in dieser Situation aus. 40 Gleichwohl ist dieses Wort in der jüdischen wie christlichen Tradition meist numerisch verstanden worden: In der jüdischen als numerische Einzigkeit nur im Hinblick auf die Mütter. In der christlichen Tradition liegt wegen der Christus-Typologie die ganze Last der Einzigkeit des eingeborenen Gottessohnes auf diesem Wörtchen hebr. jachid. 41 Die Erzählung verwendet die Gottesbezeichnungen in auffälliger Weise. Im ersten Teil der Geschichte wird ausschließlich Elohim verwendet, ein eher allgemeiner Ausdruck für Gott. Der israelitische Gottesname Jhwh wird dagegen erstmals bei dem rettenden Auftreten des Gottesboten gebraucht, und zwar gleichermaßen auf der Ebene des Erzählers (V.11) wie der Handlung (V.14). Es liegt nahe, mit der jüdischen Tradition, in dieser Verteilung eine theologische Absicht zu sehen: Solange sich Jhwh rätselhaft hinter seinem drohenden Befehl in V.2 verbirgt, steht die Gottesbezeichnung Elohim. Seine befreiende Zuwendung zu Abraham wird dagegen durch die Verwendung des Eigennamens Jhwh angezeigt. In dieser Differenzierung hat jede Lektüre einen gewissen Anhaltspunkt im Text, welche die monotheistisch geforderte Einheit des rettenden mit dem Furchtbares fordernden Gott nicht festhalten kann. 42 40 Die narrative Funktion der jachid-Aussage hat schon Auerbach (Anm. 35), 13 hervorgehoben: „Dies ist keine Bezeichnung Isaaks, wie er überhaupt ist, auch außerhalb der Beziehung zu seinem Vater, und außerhalb der Erzählung ... Nur dasjenige, was jetzt ... von ihm bekannt sein muß, wird beleuchtet - damit hervortrete, wie schrecklich die Versuchung Abrahams ist, und daß Gott sich dessen wohl bewußt war.“ 41 Näheres bei Naumann (Anm. 28), 263ff. 42 Vgl. hierzu die besonders instruktive Studie von Ebach (Anm. 20). Dieses Muster begegnet bereits in der frühesten jüdischen Nacherzählung der Geschichte im Jubiläenbuch (3.- 2. Jh. v. Chr., in welcher der „Bindung Isaaks“ eine in Analogie zu Ijob 1,6-12 gestaltete Szene vorausgeht, in der eine Satansgestalt (Fürst Mastema) vor Gott die Versuchung Abrahams provoziert, worauf Gott eingeht. Vgl. jetzt L. A. Huizenga, The Battle for Isaac: Exploring the Composition and Function of the Aqedah in the Book of Jubilees, JSP 13 (2002), 33-59; F. García Martínez, The Sacrifice of Isaac in 4Q225, in: Noort / Tigchelaar (Anm. 2), 44-57 und J. T. A. G. M. van Ruiten, Abraham, Job and the Book of Jubilees: The Intertextual Relationship of Genesis 22: 1-19, Job 1-2: 13 and Jubilees 17: 15-18: 19, in: Noort / Tigchelaar (Anm. 2), 58-85. Interessanterweise folgt auch B. Jacob, der große jüdische Ausleger der Genesis (Das erste Buch der Tora. Genesis, Berlin 1934 = ND Stuttgart 2002, 492), diesem Ansatz, wenn er hinter dem Elohim von Gen 22 eine himmliche Figur nach Art des Satan in Hiob 1f. vermutet, jedenfalls „nicht Gott selbst in letzter Instanz, sondern einer seiner himmlischen <?page no="44"?> Thomas Naumann 36 Die Opferforderung wird mit den entsprechenden kulttechnischen Ausdrücken formuliert, jedoch mit dem Unterschied, daß nicht gesagt wird, wem dieses Opfer gelten soll. Der Text vermeidet es, die Brandopferforderung auf den in Morija anwesenden Gott zu beziehen. Der Begriff hebr. ‘olah (das Hinaufsteigende) bezeichnet ein Ganzopfer, bei dem das Opfertier abseits des Altars geschlachtet und danach auf dem Altar vollständig verbrannt wird. Martin Buber und Franz Rosenzweig haben in ihrer berühmten Bibelverdeutschung den Opferbefehl folgendermaßen wiedergegeben: „und höhe ihn dort zur Darhöhung auf einem der Berge ...“. Diese Übersetzung läßt offen, ob es sich überhaupt um den Auftrag zu einem Brandopfer handelt, was besonders in der Exegese der „Amsterdamer Schule zu Arbeiten“ geführt hat, die überhaupt bestreiten, daß es sich um einen Opferauftrag handelt. Mit einer solchen These wäre das Skandalträchtige der Geschichte freilich hinweg erklärt, Abraham habe sich dann offenbar verhört und versehentlich einen Opfer- oder Tötungsversuch seines Sohnes unternommen. Es dürfte m.E. jedenfalls schwer fallen, die Engelrede in V.12 angemessen zu verstehen, wenn Abraham an einer Handlung gehindert würde, die ihm von Gott gar nicht abverlangt worden wäre. 43 Der Ort Morija wird mit recht schwebenden Formulierungen angegeben. Wer mit einer alten kultätiologischen Tradition in der jetzigen Erzählung rechnet, vermutet einen nun verdunkelten Hinweis auf einen spezifischen Kultort Morija, von dem wir sonst allerdings nichts kennen, und der von Beerscheba aus in drei 44 Tagen erreichbar sein muß. Im Sinngeflecht der Erzählung ist Morija der hebr. makom, der Ort des Ersehens Gottes (V.14). Ihn hat sich Gott für diese Prüfung ausersehen, und hier ist er dem Abraham Diener, ein übereifriger, vollkommene menschliche Gottergebenheit bezweifelnder Untergebener, den sein Herr, der der Sache gewiß ist, gewähren läßt“ (S. 492). 43 Vgl. T. Noorman, Over de tiende beproeving van vader Abraham, in: D. Monshouwer e.a. (ed.), Verwekkingen. FS Frans Breukelman, Amsterdam 1976, 108-113. Zur niederländischen Kritik an dieser These Noort (Anm. 17), 2f. Aber auch diese Lektüre ist nicht neu, sondern findet sich schon im jüdischen Midrasch Bereschit Rabbah (GenR 56,12). Nach Rabbi Acha habe Gott gemeint: „Nimm deinen Sohn, aber ich sagte nicht: Schlachte ihn; ich habe zu dir gesagt: ‚Führe ihn hinauf, jetzt führe ihn wieder hinab! ’“ (Zit. nach A. Wünsche, Der Midrasch Bereschit Rabba. Bibliotheca Rabbinica Bd. 1, Hildesheim 1967, 269.) Der Text ist bei Krupp (Anm. 2), 46 unter GenR 56,8 übersetzt. 44 Ob die Rede vom „dritten Tag“ ein Erzählmotiv nutzt, um den Erzählfluß verlangsamend die vergehende Zeit der Reise und die Qual des gemeinsamen Weges ins Bild zu setzen oder ob hier tatsächlich ein geographisches Kalkül waltet, ist nicht entscheidbar. Letztere Meinung vertritt mit Nachdruck Mittmann (Anm. 26), 69f., der im Interesse seiner These (Morija=Jerusalem) an die Entfernung von Beerscheba nach Jerusalem (ca. 70 km) denkt. Danach soll die Entfernungsangabe ausschließen, daß der geheimnisvolle Berg Morija mit dem fernen Wüstenberg Sinai verbunden werden soll. Zum Sinai/ Horeb immerhin benötigt der Prophet Elija von Beerscheba aus 40 Tage und 40 Nächte (1 Kön 19,8), was aber sowenig nach Reisetagebuch klingt wie die drei Tage hier. <?page no="45"?> Die Preisgabe Isaaks 37 rettend erschienen, weshalb der Ort von Abraham entsprechend benannt wird. 45 3.2 Abrahams Aufbruch und der Weg nach Morija (V.3-8) Auf den Befehl zur Opferung des einzigartigen und geliebten Sohnes reagiert Abraham umgehend: 3) Da machte sich Abraham früh am Morgen auf, sattelte seinen Esel, nahm zwei seiner Knechte mit sich und Isaak, seinen Sohn, und er spaltete Brandopferholz, brach auf und ging zu dem Ort, den ihm Gott (Elohim) gesagt hatte. Abraham reagiert schweigend. Wir sehen Abraham unverzüglich aufbrechen und bleiben völlig im Unklaren über die Motive, die ihn bewegen. Kein Einspruch, keine Klage, kein Wort zu Sara, kein Wort zu Isaak. Besonders dieser wortlose Aufbruch Abrahams am frühen Morgen bringt moderne Leserinnen und Leser der Geschichte auf. Warum tut er dies? Ist es der Wille eines eisernen gegen sich und seinen Sohn „beinharten“ Gehorsamsathleten? Oder ist es ein „protestantisch-fatalistischer“ Gehorsam nach dem Motto „Der Herr hat ihn gegeben, der Herr mag ihn nehmen. Der Name des Herrn sei gelobt“? 46 Oder bricht Abraham auf, weil ihm der Lebens- und Gottesmut gänzlich zerbrochen ist, oder geht er nur deshalb los, weil er im Letzten gewiß ist, daß Gott nicht wahr machen wird, was er hier fordert? Der Erzähler verrät kein Wort. Die ganze Last dieser Entscheidung verpackt er in den unverzüglichen Aufbruch eines schweigenden Mannes am frühen Morgen, denn das Gotteswort erreichte ihn wohl in der Nacht. Auch dieser schweigende Aufbruch ist für Abraham nicht neu. Die Aufbruchsszene erinnert z.T. wörtlich an die Vertreibung Ismaels (Gen 21,14) und zeigt nun diese Szene als Wiederholung und Steigerung der früheren. Die Schilderung des Weges nach Morija überspringt zwei Tage, gliedert sich dann in zwei separate Szenen, deren erste erst einsetzt, als das Ziel fast erreicht scheint: das Zurücklassen der Knechte und der gemeinsame Weg von Vater und Sohn. Je näher sie dem Ort kommen, desto stärker dehnt sich die Erzählzeit. 4) Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah den Ort von ferne. 5) Und Abraham sprach zu seinen Knechten: „Bleibt hier für euch bei dem Esel! 45 Zum Morija-Problem vgl. zuletzt S. Mittmann (Anm. 26), der in der Identifikation von Morija und dem Jerusalemer Tempelberg (2 Chr 3,1) den hermeneutischen Schlüssel für die gesamte Erzählung sieht. 46 Formulierung in Anlehnung an Hi 1,21 in der berühmten Lutherübersetzung. <?page no="46"?> Thomas Naumann 38 Ich und der Junge, wir wollen da vorn hingehen, anbeten und zu euch zurückkehren.“ 6) Und Abraham nahm das Brandopferholz und legte es auf Isaak, seinen Sohn. Er aber nahm in seine Hand das Feuer und das Messer. Daß Abraham die Augen erhebt und das Ziel sieht, ist die einzige Geste, die dem Erzähler von dieser dreitägigen Reise mitteilenswert erscheint. Mit derselben Wendung ersieht er dann auch den Widder (V.13). Über dieses Sehen Abrahams beginnt eine Stichwortkette, an der exemplarisch gezeigt werden kann, wie die Wiederholungs- und Variationsstruktur mit sehr einfachen Mitteln zum Eindruck einer eng verknüpften und auf ein Ziel gerichteten Geschehensfolge beiträgt: Abraham erhebt seine Augen und sieht den Ort von ferne (V.4), Gott wird sich das Schaf zum Opfer ersehen (V.8), am Ende sieht Abraham den Widder (V.13), und dies alles ist zusammengefaßt im Namen des Ortes Morija, den Abraham in dieser Weise „Jhwh ersieht sich“(V.14) deutend benennt. 47 Die gemeinsame Rückkehr nach dem Opfer, die Abraham den Knechten in Aussicht stellt, ist oberflächlich gesehen eine Notlüge, weil der Gottesbefehl ja nicht vorsieht, daß Isaak wieder mit zurückkommen wird. Aber dennoch geschieht genau das, was Abraham hier (prophetisch) ankündigt, daß Isaak am Leben bleibt. Womöglich spricht Abraham hier eine Hoffnung aus, daß Gottes grausames erstes Wort nicht sein letztes ist? Den letzten Gang unternehmen nur noch Vater und Sohn gemeinsam: Und so gingen die zwei gemeinsam. 7) Da sprach Isaak zu Abraham, seinem Vater, er sagte: „Mein Vater! “ Der sagte: „Siehe, hier bin ich, mein Sohn.“ Er sagte: „Da ist Feuer und Holz. Wo aber ist das Schaf für das Brandopfer? “ 8) Abraham sprach: „Gott wird sich ein Schaf zum Brandopfer ersehen, mein Sohn.“ Und so gingen die zwei gemeinsam. Diese Szene ist die vielleicht zartfühlendste, freilich auch unheimlichste der ganzen Erzählung; sorgfältig gerahmt durch den jeweils gleichen Satz: „Und so gingen die zwei gemeinsam“. In diesem „gemeinsam“ (hebr. jachad) leuchtet nochmals das jachid vom Anfang auf, die Einzigartigkeit der Beziehung von Vater und Sohn genau an dem Punkt, da sie aufs Höchste gefährdet ist. 48 47 Auf das Leitwort „Sehen“ wies erstmals besonders M. Buber, Abraham der Seher (1939), in: ders., Schriften zur Bibel, Werke Bd. II, München/ Frankfurt 1964, 873-893, hin. 48 Schön herausgearbeitet bei Vetter (Anm. 36), 438. <?page no="47"?> Die Preisgabe Isaaks 39 Auch das Gespräch Isaaks mit Abraham weist durch die Beziehungsbegriffe geradezu schmerzhaft auf diese Bindung hin. Die Anrede an den Vater und dessen Erwiderung „Siehe, hier bin ich, mein Sohn“ wiederholt strukturell die Gottesforderung vom Anfang. Abraham reagiert auf die Anrede Gottes in gleicher Weise wie auf die Anrede seines Sohnes. Von hier ist auch das „Siehe, hier bin ich“ vom Anfang (V.2) als Erwiderung im vertrauten Umgang mit Gott erkannt. In der knisternden Stille des Miteinandergehens beginnt Isaak das Gespräch - Abraham hätte wohl lieber geschwiegen - und ruft den Vater an: Alles ist für das vorgesehene Opfer bereit, zu dem sie sich aufmachen (Holz, Feuer, Messer). Aber wo ist das Opfertier? Ahnt Isaak, was auf ihn zukommen wird? Ist er selbst zu diesem Opfer bereit, wie es die jüdische, christliche und islamische Rezeption betont? Davon ist hier nicht die Rede und auch nichts zu spüren. Jedoch wird Isaak nicht als Kleinkind vorgestellt, sondern als Bursche (hebr. na’ar), der das Brandopferholz auf seiner Schulter trägt und der sich seine eigenen Gedanken macht. Daß Abrahams Antwort auf Isaaks Frage: „Gott (Elohim) wird sich ein Schaf zum Brandopfer ersehen, mein Sohn“ ein Wort in höchster Bedrängnis ist, kann man ahnen. Ausgesprochen wird die Stimmungslage nicht. Auch hier wieder dient die Rede nicht dazu, das Gemeinte kundzutun, sondern es zu verbergen oder es ambivalent offen zu halten. Ist sie die Ausflucht eines resignierten Vaters, der vermeiden will, den Sohn nicht schon jetzt mit seinem harten Schicksal zu konfrontieren? Oder zeigt sie eine zaghafte Hoffnung an, denn genau dieses, daß Gott sich ein Opfertier ersieht, wird später eintreten. Eindeutig ist nur, daß Abraham für das, was kommen wird, auf Gott selbst verweist. Als ein Hoffnungssignal könnte jedoch der Hinweis auf den „sehenden Gott“ verstanden werden. Jenes „Gott ersieht“ bezeichnet sonst in der hebräischen Bibel und in der Abrahamerzählung eine göttliche Aktivität der Errettung, mit der sich Gott eines Menschen Not annimmt. Niemals hat es bedrohliche Folgen. 49 3.3 Die Morija-Szenen Die Szene vom Altarbau in V.9a schlägt den Bogen zurück zum Aufbruchsbefehl in V.2 und darüber hinaus zur ersten Episode der Abrahamgeschichte (Gen 12,1ff.). Abraham baut einen Altar, 50 schichtet Holz darauf. Dann fesselt 49 Vor allem in der Episode von der schwanger in die Wüste flüchtenden Hagar, die am Brunnen Beer Lachaj Roi dem rettenden Gott begegnet (Gen 16,13f.), ist das Ersehen Gottes wie sein Erhören ein prägnant variiertes Rettungsmotiv. Vgl. den Text in der Synopse (neben 22,14) auf S.50 und weiteres zum Rettungsmotiv bei H. Irsigler, Errettungsmotiv und Ismaelname in Gen 16,11 und 21,17, in: M. Görg (Hg.), Die Väter Israels, FS J. Scharbert, Stuttgart 1989, 107-138; T. Naumann, Ismael (Anm. 28), 64ff. (Gen 16,13f.); 238ff. (Gen 21,17f.); Ebach (Anm. 20), 223f. (Gen 22). 50 Die Geste des Altarbaus Abrahams begegnet noch in Gen 12,8 (nach der Ankunft im verheißenen Land); 13,4.18. Einzig in Gen 22 wird der Altar nicht „für Jhwh“ erbaut. <?page no="48"?> Thomas Naumann 40 er Isaak und legt ihn auf den Altar - dies ist der Vorgang der akedat jizchak (Bindung Isaaks). Spätestens diese Handlung muß Isaak die Gewißheit geben, daß er selbst das Opfertier ist. Aber er bleibt passiv - kein Wort, kein Widerstand, auch keine Zustimmung. Alles geschieht wortlos und zieht den Beobachter der Szene in ein gebanntes Schweigen hinein. 51 Wir sind als Voyeure in dieses Geschehen mit hineingezogen und müssen nun auch dieses Schweigen aushalten. 52 Das Geschehen in dieser dramatischen Szene wird durch die Reihe kurzer Handlungssätze deutlich detail-liert, in der selbst Abrahams Handbewegung in zwei Sätzen wiedergegeben wird. So verlangsamt sich das Geschehen furchtbar zum Höhepunkt hin immer weiter. 9) Da kamen sie zu dem Ort, den Gott (Elohim) ihm gesagt hatte. Abraham baute dort einen Altar, schichtete das Holz, fesselte Isaak, seinen Sohn, und legte ihn auf den Altar, oben auf das Holz. 10) Dann streckte Abraham seine Hand aus, und ergriff das Messer, um seinen Sohn zu schlachten. Abraham ist wirklich bereit. Nichts war geschehen, um Isaak und ihm diesen Augenblick zu ersparen. Ihm fällt das Messer nicht aus der Hand. Vollzieht er das Opfer, hat er seinen Sohn, sich und seine Zukunft verloren, vollzieht er es nicht, ist er an seinem Gott gescheitert. Daß die Opferszene nicht dem altisraelitischen Brandopferritual entspricht, ist zu Beginn schon angesprochen worden. 53 Herausgehoben wird in der Szene einzig der Tötungsaspekt, allerdings ohne daß eine Gottheit genannt würde, um deretwillen diese Tötung vollzogen wird. Diese Abweichungen von den üblichen Ritualbeschreibungen wurden nicht selten als Erinnerung an einen archaischen Ritus verstanden. Näher liegen erzähldramatische Gesichtspunkte. Denkbar ist eine absichtsvolle Handlung Abrahams, der das Opfer nicht als Opfer (und nicht für seinen Gott? ) vollziehen will. Zutreffend bemerkt Horst Seebass: „Die Abweichung von dem beim Opfer Vertrauten galt schon den frühen Hörern als Signal, daß noch vom Opfer Abweichendes geschehen konnte.“ 54 Gleichwohl ist die Prüfung des Vaters vor allem eine fürchterliche Bedrohung und Gefährdung des Sohnes: auf dem Altar gefesselt, das Messer des eigenen Vaters tödlich drohend über sich. Diese Szene ruft diejenige auf, da 51 Zum Schweigen in dieser Szene vgl. von Rad (Anm. 20), 30ff.: „Aber was in diesem Schweigen des Gehorsams noch alles Raum haben konnte, das haben Rembrandt und Kierkegaard, jeder auf seine Weise angedeutet.“ (S. 32). 52 Vgl. von Rad, a.a.O., 30: „Würde der Leser dieses Schweigen Abrahams nicht aushalten, so würde er an einer entscheidenden Aufgabe, die ihm der Erzähler zugeschoben hat, versagen.“ 53 Vgl. Anm. 19. 54 H. Seebass, Vätergeschichte I (11,27-22,24), Genesis II/ 1, Neukirchen-Vluyn 1997, 209. <?page no="49"?> Die Preisgabe Isaaks 41 der zu Tode erschöpfte Ismael von seiner Mutter unter einen Wüstenstrauch gelegt wurde, während Hagar, die das Sterben ihres Sohnes nicht mit ansehen konnte, in einiger Entfernung laut weinte (Gen 21,16f.). Aber da war der eigene Vater der die Todesgefahr herbeiführende, nicht der selbst Tötende. In allerletzter Sekunde fällt nun auch hier die Anrede des himmlischen Boten in den zum Töten ausgereckten Arm des Vaters. Man würde ein lautes „Halt! “ erwarten, stattdessen ergeht zunächst eine doppelte Ansprache „Abraham, Abraham“, auf die jener - das Messer noch hoch erhoben? - antwortet: „Siehe, hier bin ich“. Erst danach folgt das erlösende Wort. Die umständlich wirkenden Regeln der Kommunikation (Ansprache erst nach erwidertem Anruf) werden auch in diesem dramatischen Moment durchgehalten (vgl. V.1.7). 11) Da rief ihm der Bote Jhwhs vom Himmel her zu und sprach: „Abraham! Abraham! “ Und der sprach: „Siehe, hier bin ich! “ 12) Er (Gott) sprach: „Recke deine Hand nicht gegen den Knaben und tue ihm nichts an; denn nun bin ich gewiß, daß du einer bist, der Gott (Elohim) fürchtet, und mir deinen Sohn, deinen einzigartigen, nicht vorenthalten hast.“ Erst jetzt erfährt Abraham den Zweck des Ganzen, eine Bewährungsprobe in Sachen Gottesfurcht. Und der Leser erfährt nun, worin genau die Prüfung bestand, nämlich darin, ob sich Abraham ungeteilt an Gott hingibt, ihm wirklich nichts vorenthält, nicht einmal den geliebten Sohn, an dem alle von Gott selbst verheißene Zukunft hing. Für Gerhard von Rad wird Abraham dafür geadelt, daß er diese Gottesverfinsterung ausgehalten hat. Das muß aber nicht heißen, daß in der Erzählung die Bereitschaft, den eigenen Sohn zu töten, als Gottesfurcht geadelt wird. Das kann auch das Vertrauen meinen, einen anderen Gott zu kennen und zu erfahren als denjenigen, der zu Beginn diesen furchtbaren Befehl ausgesprochen hat. 55 Für die letztere Überlegung spricht wiederum der Kontext der Erzählung. Die Zumutung durch eine Aufforderung seines Gottes, den eigenen Sohn preiszugeben, war Abraham schon einmal widerfahren, ohne daß das Schlimmste eintrat. Es fällt ja auch in der Errettungsszene auf, daß sie mit einer verblüffenden Genauigkeit derjenigen in Gen 21,17 nachgebildet ist. Dort hört Gott auf die Stimme des verdurstenden Ismael, womit das Erhörungsmotiv im Ismaelnamen aufgerufen wird, und der mal’ak elohim rief vom Himmel her Hagar an, und Gott öffnet ihre Augen, und sie sieht einen Brunnen, dessen Wasser sie retteten. Nun ist es der mal’ak jhwh, der vom Himmel her ruft und Einhalt gebietet. Und Abraham erhebt seine Augen und sieht einen Widder, der als Opfertier dienen kann. Dies ist das Opfertier, das sich Gott ersehen wird. Damit kommt Abra- 55 Darauf hat Blum (Anm. 22), 328 hingewiesen. <?page no="50"?> Thomas Naumann 42 hams eigentümliche Rede von V.8 zu ihrem Recht, d.h. sie macht den rettenden Charakter des göttlichen Ersehens sichtbar. So wird die Rettungsszene mit der Namengebung des Ortes Morija abgeschlossen. 14) Und da nannte Abraham den Namen jenes Ortes „Jhwh ersieht sich“, von dem man heute sagt: auf dem Berg, Jhwh läßt sich sehen. 56 Diese Namengebung bekräftigt und beglaubigt die Rettungserfahrung Abrahams und wird damit zum Merkzeichen, mit dem Namen Morija zu verbinden, daß Abraham Gott rettend angesehen hat. V.14b schlägt die Brücke in die Gegenwart des Erzählers, der sich nun direkt an seine Rezipienten wendet und ihnen verdeutlicht, daß dieser rettende Ort Abrahams kein anderer Ort ist, als derjenige Berg, an dem sich Jhwh in Israel sehen läßt, also doch wohl der Tempelberg in Jerusalem. 57 Auch diese Verbindung von Bedrohung, Rettung durch den „ersehenden Gott“ und der Namengebung eines Ortes ruft eine frühere Episode der Abrahamgeschichte ins Gedächtnis, nicht mehr Gen 21, sondern die in Gen 16 erzählte Gottesbegegnung der schwanger in die Wüste flüchtenden Sklavin Hagar. Hier begegnet ihr der Gottesbote mal’ak jhwh am Wüstenbrunnen, hier erfährt sie Rettung in ihrer Not, bekommt die Geburt Ismaels angekündigt und seinen Namen genannt, der diese Rettung im Namen trägt (hebr. jischmael - Gott erhört). Hagar reagiert auf diese Gottesbegegnung, indem sie dem Brunnen einen Namen gibt, in dem diese Rettung eingeschrieben ist: Beer-Lachaj-Roi. Die Szene variiert permanent das Thema „Sehen“ als Begriff der Rettung. Wenn Abraham den Ort seiner Rettung benennt und dabei das Thema des „rettenden Sehens“ variiert, geht er in den Spuren Hagars. Die Bezüge zwischen Gen 16 und 22 gehen noch weiter. Die Kontrasterfahrung, von Gott in äußerster Härte mit einer Forderung konfrontiert zu werden, die seinem rettenden Handeln ins Gesicht zu schlagen scheint, wird bereits von Hagar erzählt, noch bevor später Abraham zweimal zur Preisgabe seines Sohnes aufgefordert wird. Hagar flieht in die Wüste, weil sie zuvor von ihrer Herrin Sara unter Duldung Abrahams mißhandelt wurde (16,6). Als der Gottesbote sie trifft, gibt sie als Grund ihrer Flucht genau diese Mißhandlung an, worauf der Gottesbote seine Verheißungsrede - die dann sehr heilvoll weitergeht - zunächst und überraschend äußerst gewalttätig einleitet: „Kehre zu deiner Herrin zurück, laß’ dich von ihren Händen schwer mißhandeln“ (V.8b). Das Hebräische nimmt hier die gleichen Wendungen auf, die vorher als Grund für Hagars Flucht in die Wüste genannt wurden. Wiederum wird sprachlich sorgfältig auf schärfste Kontraste geachtet. Der Gottesbote fordert die Rückkehr zum Grund der Flucht. Doch gleich im Anschluß darauf macht Hagar die Rettungserfahrung, um derentwillen der 56 Der hebräische Text von V. 14 bietet einige Probleme. Vgl. dazu die Kommentare (z.B. Seebass Anm. 54). 57 Vgl. Mittmann (Anm. 26), was aber die späteren und sich leicht intertextuell herstellenden Bezugnahmen auf den Sinai (Steins Anm. 25) nicht ausschließt. <?page no="51"?> Die Preisgabe Isaaks 43 Gottesbote sie in der Wüste aufgesucht hat. In der Abrahamgeschichte ist Hagar die erste, die derart paradoxe Gotteserfahrungen machte. In dieser Hinsicht wiederholt Abraham später gewissermaßen die Erfahrungen Hagars. 58 Wir kehren zurück zu Gen 22 und wenden uns der zweiten Botenrede zu, mit der die Episode theologisch in das Verheißungsgeflecht der Erzelterngeschichten eingebunden wird. Die Begebenheit wird dadurch als Teil des göttlichen Weges mit Abraham erkennbar. Unter ästhetischen und literaturgeschichtlichen Gesichtspunkten ist oft betont worden, daß diese zweite Gottesrede das literarische Niveau nicht hält und zudem nur schon aus früheren Episoden Bekanntes wiederholt, ja zitiert. Auf der Ebene der kanonischen Abrahamgeschichte sind diese Zitate der Verheißungen aber hochbedeutsam. Jetzt nach den Schrecken dieser Bewährung Abrahams, die alle vorhergehenden Verheißungen in Abrede stellt, bekräftigt Gott nochmals seine Zusagen durch die hervorgehobene Form des Schwures. Der künftige Segen wird als Folge des Gehorsams Abrahams verstanden. Die zitierende Anknüpfung an eine Reihe unterschiedlicher vorhergehender Verheißungen bindet verschiedene Episoden zusammen. Dieser dichte Verheißungstext bildet eine Brücke zu Gen 26, 59 wo dieses Set von Verheißungen wiederum zitiert und Abrahams Gehorsam gegenüber der Tora gewürdigt wird. Zum Schluß der Erzählung sei noch auf eine berühmte Leerstelle hingewiesen. Denn es wird nur erzählt, daß allein Abraham von Morija zu seinen Knechten zurückkehrt (entgegen seiner Ankündigung in V.5). Dann kehren sie nach Beerscheba heim, und wiederum wird Isaak nicht genannt, obwohl er zweifellos dabei ist, jedenfalls später wieder in Abrahams Haus begegnet (vgl. Gen 24f.). Diese Fokussierung auf Abraham läßt sich am leichtesten von der durchgängig auf Abraham fixierten Erzählstrategie verstehen. So wie Abraham allein aufbricht (V.3), kehrt er auch allein zurück. Freilich muß sich die Vorstellungskraft mit dieser Auskunft noch nicht beruhigen, denn das Fehlen Isaaks in V.19 bleibt auffällig. Was wäre, wenn Isaak nicht mit vom Berg Morija zurückkam? Gab es vielleicht womöglich eine Erzähltradition, daß Abrahams seinen Sohn tatsächlich geopfert hat? Und was könnte dies bedeuten? Der jüdische Midrasch hat sich mit dieser Frage genauso auseinandergesetzt wie die moderne historische Forschung, freilich jeweils auf andere Weise. Die jüdische Auslegung reflektiert die Sinndimensionen der Variante, wenn Isaak tatsächlich geopfert worden wäre, was nicht erzählt wird - aber womöglich ist Isaak ohnehin tausend Tode gestorben. In der 58 Zu dieser Deutung von Gen 16,5-9 vgl. Naumann (Anm. 28), 59ff.; Naumann (Anm. 29), 77. In der herkömmlichen Exegese werden die Rückkehraufforderung Gottes und Hagars Rettungserfahrung durch Gott gern auf unterschiedliche literarische Schichten aufgeteilt. Die eine sei an der Gotteserfahrung Hagars und den ihr geltenden Verheißungen, die andere an ihrer Einordnung als Sklavin im Haus Abrahams interessiert. Im jetzigen Text stehen aber beide Erfahrungen nebeneinander, wobei die Rettungserfahrung das letzte Wort behält. Dies ist ein Muster, das in Gen 21 und Gen 22 wiederkehrt. 59 Vgl. hierzu neben Steins (Anm. 25) jetzt Dieckmann (Anm. 34). <?page no="52"?> Thomas Naumann 44 überlieferungsgeschichtlichen Forschung wird Ausschau nach einer hypothetischen Urfassung der Erzählung gehalten, in welcher das Sohnopfer tatsächlich stattfand. Anknüpfungspunkt war immer V.19 und das Bedürfnis, die Leerstellen im Text zu füllen. Zu ihnen gehört auch die im Text nicht erzählte Begegnung mit Sara, der Mutter Isaaks, von der es in einer jüdischen Auslegung heißt, daß sie beim Anblick ihres der Opferung entronnenen Sohnes einen Schrei ausstieß und starb, weshalb dann in Gen 23 von ihrem Tod erzählt werden muß. Aber das gehört bereits zur Rezeptionsgeschichte. 60 Im abschließenden Teil meiner Überlegungen sollen noch zwei Fragen verhandelt werden: Warum erzählte man sich im alten Israel eine solche Geschichte? Und warum griffen die Erzähler auf das Thema Kinderopfer zurück, um die äußerste Gefährdung und Versuchung Abrahams zur Anschauung zu bringen? 4. Theologische Sinndimensionen Ich hatte versucht, Gen 22 in das familiäre Drama der Abrahamgeschichte einzuzeichnen, deren Höhepunkt darin besteht, daß Gott von Abraham nacheinander die Preisgabe beider Söhne fordert, eine Preisgabe, die alle vorhergehenden Hoffnungen und Verheißungen zunichte zu machen scheint. Dabei ist die Isaak-Geschichte gegenüber der Ismael-Geschichte noch einmal deutlich gesteigert, auch wenn sie in der Erzählstruktur auffällig parallel läuft. Dabei läßt sich ein - nimmt man Gen 16 noch mit hinzu - dreifach variiertes Kontrastmuster erkennen: Gott selbst konfrontiert die Protagonisten urplötzlich mit einer Zumutung, die in äußerstem Gegensatz zu seinem bewahrenden, rettenden und verheißenden Handeln steht. Dieser äußerste Gegensatz wird sprachlich subtil ausgearbeitet und als „optimale Frustration“ inszeniert. Indem die Protagonisten dieser dunklen Gottesforderung nachkommen, geschieht am Ende nicht, was zu erwarten wäre, und sie erfahren Rettung durch denselben Gott, der diese Zumutung gefordert hat. Dadurch entsteht ein Paradox im Gottesbild. Der Gott, der das Opfer Abrahams will, ist derjenige, der es verhindert. Der Feind des Abraham rettenden Gottes ist Gott selbst. Für das Verständnis der Erzählung ist entscheidend, daß sich der Erfahrungsgehalt erst von ihrer Lösung erschließt. Denn alle israelitischen Rezipientinnen und Rezipienten dieser Erzählung verstehen sich selbstverständlich als Nachkommen Isaaks (Gen 21,12), wissen um das Entronnensein ihres Vorfahren. Was sich hier meldet, ist das Theodizee-Problem in seiner monotheistischen Variation, in dem es um die Frage geht, wie in schwersten persönlichen oder kollektiven Bedrohungserfahrungen an Gott festgehalten werden kann. Wie lassen sich diese Erfahrungen so deuten, daß der eine Gott nicht aus der Verantwortung für das Böse entlassen wird, ohne doch zum Dämon zu werden? Jürgen Ebach hat diesem Problem in Gen 22 eine ein- 60 Vgl. hierzu besonders Ebach (Anm. 20), 229ff. und die in Anm. 2 genannte Literatur. <?page no="53"?> Die Preisgabe Isaaks 45 dringliche Skizze gewidmet und dabei auf die spezifische Variation des Theodizeeproblems hingewiesen: Ringt die traditionelle Theodizeefrage mit dem Problem, daß es Übel gibt, die Gott nicht will, aber zuläßt, so geht es in Gen 22 darum, daß es Übles gibt, das Gott will, aber nicht zuläßt. Dabei ist in Gen 22 wie auch in Gen 21 der heilvolle Ausgang wichtig: Die Errettung steht am Schluß. Zweifellos soll damit einem israelitischen Adressatinnen- und Adressatenkreis gezeigt werden, dem es schwer fällt, die Zuwendung Gottes in der eigenen Lebenssituation zu verifizieren, daß es Situationen furchtbarer Bedrohung gibt, in denen Gott dunkel und ganz unbegreiflich, eben als Feind seiner selbst erscheint, die am Ende aber doch letztlich heilvoll für alle Beteiligten ausgehen, mindestens neue Lebensmöglichkeiten jenseits der Gottesfinsternis ermöglichen. Indem gezeigt wird, daß selbst der israelitische Ahnvater Abraham solche Situationen zu bestehen hatte, bekommt diese Erfahrung eine ursprungsmythische Qualität. Darin, daß er in der Abgründigkeit seiner Gotteserfahrung an Gott festgehalten hat, soll Abrahams Verhalten den altisraelitischen Rezipientinnen und Rezipienten dieser Erzählung sicher als vorbildlich gelten. Gilt dieser Vorbildcharakter aber im Sinne einer Nachahmungsethik, die sich am vorbildlichen Verhalten Abrahams (und Isaaks) orientieren soll? Oder wird hier eine Erfahrung erzählt, die von Abraham ein für alle Mal stellvertretend durchlitten wurde, weil sie nach ihm von niemandem mehr verlangt werden wird? 61 Dies ist eine schwierige Frage, und die Rezeptionsgeschichte in den drei Religionen zeigt hier alle denkbaren Facetten hinsichtlich der ethischen Funktionalisierung Abrahams bzw. Isaaks. Im Horizont des biblischen Israel kann für das Thema des Opfers des geliebten Sohnes nur eine ursprungsmythische Funktion angenommen werden (s.u.), denn Menschenopfer werden in Israels Gesetzen immer wieder verboten. Hinsichtlich der Erfahrung der Gottverlassenheit Abrahams aber wirkt die Erzählung paradigmatisch, d.h. sie schließt vergleichbare Erfahrungen anderer Israelitinnen und Israeliten ein, die sich mit ihren Anfechtungen in den Erfahrungen des Ahnvaters aufgehoben und im Leid geborgen fühlen konnten. 62 5. Das Kinderopfer als Motiv äußerster Gefährdung Im familiendramatischen Spannungsbogen der Abraham-Sara-Erzählung ist die Erprobung Abrahams durch das Opfer seines geliebten Sohnes ein starkes und passendes Motiv äußerster Gefährdung. Die Wahl dieses Themas scheint jedoch noch darüber hinaus zu gehen, denn das Thema Kinderopfer 61 Den Stellvertretungsgedanken betont etwa Seebass (Anm. 53), 199ff.; vgl. auch Willi-Plein (Anm. 37), 107: „Gen 22 will kein Leitfaden für das Verhalten des Gottesfürchtigen in der Situation der Versuchung sein. Einmaliges wird erzählt und einmalig begründet.“ 62 Eine solche teilhabende Abrahamrezeption läßt sich nach dem Muster „Abraham war einer, wir aber sind viele“ schon in der Bibel selbst, etwa in Jes 51,2f., wahrscheinlich machen. <?page no="54"?> Thomas Naumann 46 ist ein in Israel im historischen Kontext des 8.-7. Jh. v. Chr. offenbar virulentes, konkretes kultisches Problem. Wir hatten schon gesehen, daß es mit Ausnahme der phönizisch-punischen Funde 63 keine außerbiblischen Belege für Menschen- oder Kinderopfer im Alten Orient gibt. 64 Daher ist das apologetische Argument unzutreffend, Gen 22 reflektiere einen archaischen, vorisraelitischen Ritus, der im alten Israel dann entschieden überwunden wurde. Die derzeitige Quellenlage spricht eher dafür, daß das Thema in biblischen Quellen intensiv reflektiert wird, aber in den altorientalischen Quellen keine Rolle spielt. Es scheint also neben den phönizischen Funden der israelitische Kultus im spätkönigszeitlichen Jerusalem zu sein, in dem „Kinderopfer“ 65 ein Problem waren. Biblische Texte kennen den Vorstellungszusammenhang in verschiedenen Hinsichten: 1. Kinder- oder Menschenopfer in seltenen Notsituationen sind belegt, etwa in der Erzählung von der israelitischen Belagerung des moabitischen Königs Mescha. In höchster Not opfert Mescha seinen erstgeborenen Sohn und Thronfolger (2 Kön 3,27), worauf sich das Kriegsglück ihm wieder zuwendet. Die israelitischen Erzähler betrachten dieses moabitische Menschenopfer, das Israel den Sieg kostet, ganz unpolemisch als gelungen. Solche akzidentiellen Opferungen wird man weder in Israel noch in seiner Umwelt ausschließen können. 2. In Texten über die kultischen Verhältnisse im Jerusalem der spätvorexilischen Zeit ist häufig davon die Rede, daß man im Zusammenhang des Mo- 63 Der phönizische (Toten-)Kult steht schon in zahlreichen antiken Quellen im Verdacht, Menschenopfer praktiziert zu haben, was die europäische Phantasie bis heute beflügelt. Hiermit wurden archäologisch in den phönizischen Kolonien (Karthago) und inzwischen auch im Mutterland (Tyros) nachgewiesene Kinderverbrennungen und -bestattungen im kultischen Kontext in Verbindung gebracht. Der archäologische Befund erlaubt jedoch keine Klärung der Frage, wie es zu diesen Kinderbestattungen und -verbrennungen kam, neben denen es auch tierische Opfer gab. Neben Kinderopfern (Tötung lebender Kinder) wird auch die Weihe bereits verstorbener Kinder bzw. die Verbrennung von toten Kindern zusammen mit Tieren und Föten u.ä. erwogen. Vgl. zusammenfassend H. Niehr, Religionen in Israels Umwelt. Einführung in die nordwestsemitischen Religionen Syrien- Palästinas, Würzburg 1998, 144ff. und Noort (Anm. 17), 12: „The most plausible explanation is that Punic cemeteries do indeed demonstrate child-sacrifice“. Allerdings lassen sich phönizische Einflüsse auf das Jerusalemer molek-Opfer nicht sinnvoll aufweisen. 64 Im Bereich der griechisch-römischen Antike ist das Thema zwar mit einiger Faszination im Iphigenie-Mythos variiert worden. Ein realer kultpraktischer Hintergrund ist aber nicht aufweisbar. Vgl. H. Cancik-Lindemaier, Art. Menschenopfer, Der Neue Pauly, Bd. VII (1999), Sp. 1253-57, sowie J. N. Bremmer, Sacrificing a Child in Ancient Greece, in: Noort / Tigchelaar (Anm. 2), 21-43. 65 Einen gegenwärtigen Einblick in den Diskussionsstand zum Thema Kinderopfer geben Noort (Anm. 17) sowie F. Crüsemann, Gott als Anwalt der Kinder, Jahrbuch für Biblische Theologie 17 (2002), 190ff. Ferner Kaiser (Anm. 16); G. C. Heider, Cult of Molek. A Reassessment, Sheffield 1985 (JSOT.S 43); H.-P. Müller, Genesis 22 und das mlk-Opfer. Erinnerungen an einen religionsgeschichtlichen Tatbestand, BZ. NF 41 (1997), 237-246; K. Koch, „Molek astral“, in: A. Lange u.a. (Hg.), Mythos im Alten Testament und seiner Umwelt, FS H.-P. Müller, Berlin / New York 1999, 29-50. <?page no="55"?> Die Preisgabe Isaaks 47 loch-Opfers im Tal Hinnom Kinder „durchs Feuer gehen“ ließ. Der Ausdruck Moloch (hebr. molek) ist dabei nicht der Eigenname eines gefräßigen kanaanäischen göttlichen Spezialisten für Kinderopfer, wie dies in der abendländischen Tradition gern gesehen wurde, sondern entweder ein Opferbegriff oder die nachträgliche hebräische Verballhornung von hebr. mäläk - König, womit ein Kult gemeint ist, der dem göttlichen Himmelskönig gilt. 66 3. In der deuteronomistischen Tradition und in den priesterlichen Gesetzestexten gilt das Kinderopfer deutlich als abzulehnender Fremdgötterkult, der vom israelitischen Gott scharf verboten wird. Diese Texte bestimmen die Wahrnehmung der hebräischen Bibel zu dieser Frage. 4. In den Überlieferungen der Propheten Jeremia und Ezechiel, Zeitgenossen der kultischen Verhältnisse in Jerusalem vor der Zerstörung der Stadt durch die Babylonier (Ende 7. Jh. v. Chr.) klingt jedoch noch durch, daß diese Kinderopfer im Tal Hinnom Bestandteil eines Kultes waren, der dem israelitischen Gott gewidmet war, der aber von den Propheten als verfehlter Kult bekämpft wurde, um dann in der deuteronomistischen Literatur aus dem Jhwh-Kult ausgegrenzt und als Fremdgötterkult verurteilt zu werden. In Jer 7,31 beklagt sich der Gott Israels über einen falschen Jhwh-Kult, bei dem im Tal Hinnom Töchter und Söhne im Feuer verbrannt werden, „was ich niemals geboten habe und mir nicht in den Sinn gekommen ist“ (Jer 7,31; 19,5). In anderen Texten ist deutlich vom Schlachten der Kinder die Rede (Ez 16,20; 23,37), oder von ihrer Darbringung als Opfer (Ez 16,20; Ps 106,38) und als Brandopfer (Jer 19,5). In Ez 20,25 ist im Zusammenhang der Kinderopfer davon die Rede, daß Gott selbst seinem Volk Gesetze gab, die nicht gut waren (Ez 20,11, vgl. 16,20f.). So resümiert jüngst Frank Crüsemann: „Alle diese Texte lassen gerade in ihrer Kritik an den Praktiken erkennen, daß zumindest bestimmte Kreise in Israel zeitweise solche Forderungen im Namen des Gottes Israels erhoben haben.“ 67 Es ist natürlich schwer, den Quellenwert dieser prophetischen Polemik zu bestimmen. Im deutschsprachigen Raum ist die These des Jerusalemer Gelehrten Moshe Weinfeld sehr populär geworden, der unter Hinweis auf assyrische Analogien dieses Moloch-Opfer nicht als Kinderopfer versteht, sondern als Weiheritus der Übereignung von verstorbenen Kinder an die Gottheit, ein Sachverhalt, der in der Polemik der Propheten dann verzerrt dargestellt werde. 68 Die angelsächsische Forschung ist diesem Ansatz jedoch zu Recht, wie ich meine, nicht gefolgt. Vielmehr wird damit gerechnet, daß es in den sozialen und religiösen Krisen der spätvorexilischen Zeit in Jerusalem zu Kinderopfern auch im Rahmen des Jahwekultes gekommen ist und daß dies heftige 66 Vgl. Koch (Anm. 65). 67 Crüsemann (Anm. 65), 195. 68 M. Weinfeld, The Worship of Molech and the Queen of Heaven, Ugarit Forschungen 4 (1972), 133-154. Zustimmend vor allem R. Albertz, Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit, Bd. I, Göttingen 1992, 297ff., sowie W. Zwickel, Art. Menschenopfer, in: B. Lang / M. Görg (Hg.), Neues Bibellexikon, Bd. II, Zürich u.a. 1996, 765f. Zur Kritik vgl. die Arbeiten von Crüsemann (Anm. 65) und Noort (Anm. 17). <?page no="56"?> Thomas Naumann 48 Debatten um den religiösen Wert von Kinderopfern im Jhwh-Kult ausgelöst hat. 69 Von hier aus werden die häufigen und klaren Verbote von Kinderopfern in der deuteronomistischen wie der priesterlichen Rechtstradition verständlich. Wenn das Kinderopfer mindestens zu Zeiten eine reale kultische Möglichkeit in Jerusalem war, dann ist nun auch das Opfer des geliebten Sohnes von Gen 22 nicht nur ein Erzählmotiv äußerster Gefährdung, sondern es wird in Gen 22 auch ein zu bestimmten Zeiten in Israel virulentes kultisches Problem ursprungsmythisch bearbeitet. In einer nachexilischen Fortschreibung der Prophetie im Michabuch (6,6- 8) 70 fragt ein verunsicherter Frommer: Womit soll ich Jhwh entgegentreten, mich beugen vor dem Gott der Höhe? Soll ich ihm entgegen treten mit Brandopfern, mit einjährigen Kälbern? Hat Jhwh Gefallen an Tausenden von Widdern, an unzähligen Strömen von Öl? Soll ich meinen erstgeborenen Sohn geben für meine Verfehlung ...? Der äußerste Fall sieht das Opfer des erstgeborenen Sohnes vor - mindestens auf der Ebene der Metaphorik und als Bild größter Hingabe. Die prophetische Antwort verneint solche Überlegungen entschieden, lehnt wohl auch die Haltung grundsätzlicher Bereitschaft zu solcher Gotteshingabe ab und verweist auf die Tora, in der alle göttliche Lebensorientierung liegt, die Gesetzesüberlieferung wie die ursprungsmythischen Erzählungen Israels: Es ist dir gesagt, was gut ist und was Jhwh von dir fordert, nichts als Recht tun und Güte lieben und besonnen mitgehen mit deinem Gott. Gottes Forderung an Abraham: „Geh, opfere deinen Sohn, deinen einzigartigen, den du liebst! “ ist nach der Überlieferung der hebräischen Bibel keine denkbare Möglichkeit ritueller Gottesbegegnung mehr. 69 Vgl. neben Heider (Anm. 65) noch J. Day, Molech. A god of human sacrifice in the Old Testament, Cambridge 1989 und Levenson (Anm. 2). Allerdings geht Levenson in seinen Annahmen über Art und Häufigkeit der in Israel vermutlich vollzogenen Menschenopfer weit über das historisch wahrscheinliche Maß hinaus. 70 Zu Übersetzung, Auslegung und Datierung vgl. R. Kessler, Micha, Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament, Freiburg u.a. 1999, 256ff. <?page no="57"?> Die Preisgabe Isaaks 49 Die Parallelität von Gen 21 und Gen 22 G EN 21,8-21 8) Das Kind wuchs heran und wurde entwöhnt. Und Abraham richtete am Tag der Entwöhnung Isaaks ein großes Fest aus. 9) Und Sara sah den Sohn der Hagar, der Ägypterin, den sie Abraham geboren hatte, scherzen, spielen. 10) Und sie sprach zu Abraham: Vertreibe diese Magd und ihren Sohn, denn der Sohn dieser Magd soll nicht Erbe sein mit meinem Sohn, mit Isaak. 11) Diese Sache verdroß Abraham sehr wegen seines Sohnes. 12) Gott sprach aber zu Abraham: Sei wegen des Knaben und deiner Magd nicht verdrossen! Höre auf alles, was dir Sara sagt! Denn nach Isaak soll dir der Same genannt werden. 13) Aber auch den Sohn der Magd will ich zu einem großen Volk machen, denn dein Same ist er. 14) Und Abraham stand am Morgen auf, rq,BoB; ~h'r'b.a; ~Kev.Y: w: nahm Fladenbrot und einen Schlauch Wasser, gab beides Hagar, legte es ihr auf die Schulter, dazu das Kind und schickte sie fort. Sie ging und irrte in der Wüste von Beer Scheba umher. G EN 22,1-19 1) Und es geschah nach diesen Ereignissen, da prüfte Gott den Abraham. Und er sprach zu ihm: Abraham! 2) Und er sprach: Hier bin ich. Und er sprach: Nimm doch deinen Sohn, deinen einzigartigen, den du lieb hast, den Isaak. Geh für dich ins Land Morija und bringe ihn dort als Brandopfer dar auf einem der Berge, den ich dir nennen werde. 3) Und Abraham stand am Morgen auf, rq,BoB; ~h'r'b.a; ~Kev.Y: w: sattelte seinen Esel, nahm zwei seiner Knechte mit sich und Isaak, seinen Sohn. Und er spaltete Brandopferholz, brach auf und ging zu dem Ort, den ihm Gott gesagt hatte. 4) Am dritten Tage, und Abraham erhob seine Augen und sah den Ort von ferne. 5) Und Abraham sprach zu seinen Knechten: Bleibt hier für euch bei dem Esel! Ich und der Knabe, wir wollen da vorn hingehen, anbeten und zu euch zurückkehren. 6) Und Abraham nahm das Brandopferholz und legte es auf Isaak, seinen Sohn. Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand. Und so gingen die zwei gemeinsam. 7) Da sprach Isaak zu Abraham, seinem Vater, er sagte: Mein Vater! Der sagte: Siehe, hier bin ich, mein Sohn. Er sagte: Da ist Feuer und Holz. Wo aber ist das Schaf für das Brandopfer? <?page no="58"?> Thomas Naumann 50 15) Und das Wasser im Schlauch ging zu Ende. Und sie warf das Kind unter einen der Wüstensträucher, 16) ging weg und setzte sich ihm gegenüber, etwa einen Bogenschuß weit entfernt; denn sie sagte: Ich kann nicht mit ansehen, wie das Kind stirbt. Und sie saß gegenüber, erhob ihre Stimme und weinte laut. 17) Da hörte Gott die Stimme des Knaben, und es rief ein Bote Gottes zu Hagar vom Himmel her und er sprach zu ihr: rg"h'-la, ~yhil{a/ %a; l.m; ar'q.YIw: rm,aYOw: ~yIm; V'h; -! mi Was hast du, Hagar? Fürchte dich nicht, Gott hat die Stimme des Knaben gehört, wie er dort liegt. 18) Steh auf, nimm den Knaben, und halt ihn fest an deiner Hand; denn zu einem großen Volk werde ich ihn machen. 19) Und Gott öffnete ihr die Augen, und sie erblickte einen Brunnen. Und sie ging und füllte den Wasserschlauch und gab dem Knaben zu trinken. [Vgl. Gen 16,13f.: Und sie (Hagar) nannte den Namen Jhwhs, der zu ihr gesprochen hatte: Du bist El Roi, ein Gott, der mich gesehen (errettet) hat. Denn sie hatte (sich) gesagt: Tatsächlich, hier habe ich auf den gesehen, der mich gesehen (errettet) hat. 14 Deshalb nennt man den Brunnen Beer Lachaj Roi, der liegt zwischen Kadesch und Schur.] 20) Und Gott war mit dem Knaben. Er wuchs heran, ließ sich in der Wüste nieder und wurde ein Bogenschütze. 21) Er ließ sich in der Wüste Paran nieder, und seine Mutter nahm ihm eine Frau aus Ägypten. 8) Abraham sprach: Gott wird sich ein Schaf zum Brandopfer ersehen, mein Sohn. Und so gingen die zwei gemeinsam. 9) Da kamen sie zu dem Ort, den Gott ihm gesagt hatte. Abraham baute dort einen Altar, schichtete das Holz auf, fesselte Isaak, seinen Sohn, und legte ihn auf den Altar, oben auf das Holz. 10) Dann streckte Abraham seine Hand aus und ergriff das Messer, um seinen Sohn zu schlachten. 11) Da rief ihm der Bote JHWHs vom Himmel her zu, und er sprach: hw"hy> %a; l.m; wyl'ae ar'q.YIw: rm,aYOw: ~yIm; V'h; -! mi Abraham, Abraham! Und der sprach: Siehe, hier bin ich. 12) Er sagte: Recke deine Hand nicht gegen den Knaben und tue ihm nichts an; denn nun bin ich gewiß, daß du einer bist, der Gott fürchtet, und mir deinen Sohn, deinen einzigartigen, nicht vorenthalten hast. 13) Da erhob Abraham seine Augen, sah - Siehe, ein einzelner Widder hatte sich im Dorngestrüpp verfangen, und Abraham ging hin, nahm den Widder, und er opferte ihn als Brandopfer an Stelle seines Sohnes. 14) Und da nannte Abraham den Namen jenes Ortes „Jhwh ersieht sich“, von dem man heute sagt: auf dem Berg, „Jhwh läßt sich sehen“. (Verse 15-18: Wiederholung und Bekräftigung der Verheißungen; vgl. 21,12f.18 u. 26,3-5) 19) Darauf kehrte Abraham zu seinen Knechten zurück. Und sie erhoben sich und gingen zusammen nach Beer Scheba, und Abraham ließ sich in Beer Scheba nieder. <?page no="59"?> Stéphane Mosès Die Opferung Isaaks in der jüdischen Tradition Im biblischen Text ist die Gestalt Isaaks eng mit dem Motiv des Lachens verbunden. Es ist hier von der Tatsache auszugehen, daß im Hebräischen der Name Isaak - Ji e aq - „er wird lachen“ bedeutet. Um die Bedeutung dieses Namens zu erklären, schlägt die Bibel eine ganze Reihe von etymologischen Variationen um die Wurzel q (lachen) vor und verbindet diese mit den unterschiedlichen Episoden der Geschichte von der Geburt Isaaks. In der an Abraham gerichteten Ankündigung finden wir die erste Erwähnung des Verbes „lachen“, und zwar, als Abraham seine Ungläubigkeit beim Gedanken, daß Sara und er noch ein Kind haben könnten, zum Ausdruck bringt („Da fiel Abraham auf sein Gesicht nieder und lachte“ [Gen 17,17]; vajji e aq). Dasselbe Verbum wird allerdings einige Verse später nochmals von Gott selbst aufgegriffen, und zwar offensichtlich mit einer ganz und gar positiven Konnotation: Gott entgegnete: Doch, deine Frau Sara wird dir einen Sohn gebären, und du sollst ihn Ji e aq („Er wird lachen“) nennen. Ich werde meinen Bund mit ihm schließen als einen ewigen Bund für seine Nachkommen. (Gen 17,19) Im Gegensatz dazu mißbilligt Gott aber Saras Lachen („Und Sara lachte [vatti e aq] daher still in sich hinein“ [Gen 18,12]) in der Szene, in der die drei Gesandten Abraham aufsuchen, und wirft ihr ihre Ungläubigkeit vor. Trotzdem scheint die positive Bedeutung des Namens Ji e aq und folglich des Lachens endgültig dann festzustehen, als das Kind geboren wird: „Abraham nannte den Sohn, den ihm Sara gebar, Isaak (‚Er wird lachen’).“ (Gen 21,3) Doch sofort nach der so sehr herbeigesehnten Geburt scheint Sara erneut ihre Verstimmung auszudrücken; jetzt, da ihre Weigerung, an die Möglichkeit einer so offensichtlichen Verletzung der Naturgesetze zu glauben, von der Realität widerlegt wurde, fürchtet sie, daß diese späte Geburt, die aller Wahrscheinlichkeit entgegensteht, von der Gesellschaft als lächerlich aufgenommen werden könnte; hier haben wir es mit einer anderen Variation des Motivs des Lachens zu tun: „Da sprach Sara: Ein Lachen hat mir Gott bereitet ( e oq asah li)! Wer davon hört, wird über mich lachen (ji e aq li).“ (Gen 21,6) Zwar hat die rabbinische Überlieferung eine ganz andere Auslegung dieses Verses vorgeschlagen, der Saras Freude über die Geburt ihres Sohnes zum Ausdruck bringen soll: „Sara aber sagte: Gott ließ mich lachen; jeder, der davon hört, wird mit mir lachen.“ Aber genau diese ermutigende Interpretation (die von Onkelos, dem ersten Übersetzer der Bibel ins Aramäische, und die von Rashi in seinem aus dem 13. Jahrhundert stammenden kanonischen Kommentar), die die erste Lesart nicht aufhebt, verdeutlicht die ganze Kom- <?page no="60"?> Stéphane Mosès 52 plexität von Saras Reaktion und auch die Ambivalenz, mit der das Thema Isaak von Anfang an behaftet ist. Die letzte Variation des Motivs des Lachens findet sich einige Verse später, als Abraham anläßlich der Entwöhnung Isaaks ein großes Festmahl veranstaltet: Da beobachtete Sara, wie der Sohn, den die Ägypterin Hagar Abraham geboren hatte, gerade lachte (m e a ek). Da sagte sie zu Abraham: Verstoß diese Magd und ihren Sohn! Denn der Sohn dieser Magd soll nicht zusammen mit meinem Sohn Isaak Erbe sein. (Gen 21,9-10) Derjenige, der „gerade lacht“, soll nicht auf Kosten von demjenigen, „der lachen wird“, Abrahams Hab und Gut erben - seinen materiellen Reichtum, aber vor allem seinen geistigen Reichtum, das heißt die göttliche Verheißung. Die rabbinische Auslegung interpretiert diesen grammatikalischen Unterschied zwischen Präsens und Futur als Ausdruck des Kontrastes zwischen zwei Arten von Lebenseinstellungen, die sich gegenseitig ausschließen: Dem Lachen aus momentaner Freude steht das Lachen am Ende der Zeiten, das immer erhofft und immer wieder aufgeschoben wird, entgegen. Diese Vielfältigkeit der Bedeutungen des Lachens in der Geschichte von Isaak, in der es genauso Freude wie Ungläubigkeit, unmittelbares Vergnügen wie Lächerlichkeit ausdrücken kann, verweist auf die außerordentliche Komplexität des Themas Isaak. Als Sohn der Verheißung, der geboren wurde, um die Berufung Abrahams fortzuführen und um der Idee des einzigen Gottes eine glorreiche Zukunft zu gewährleisten, trägt er dennoch den Stempel einer dramatischen Familiengeschichte: Hervorgegangen aus der Rivalität zweier Mütter, lebt er von Anfang an in Konkurrenz mit seinem Halbbruder Ismael und reiht sich so in eine lange biblische Reihe von verfeindeten Brüdern ein: vor ihm Kain und Abel, nach ihm seine zwei Söhne Esau und Jakob, dann - bis zu ihrer späten Versöhnung - sein Enkel Josef und dessen Brüder. So zeugt die biblische Erzählung, die vor allem eine Erzählung der Fortzeugungen ist, von Beginn an von der Gewalt der historischen Prozesse und ihrer unermeßlichen Komplexität. Daß diese Komplexität von denen, die sie leben, als Katastrophe erfahren wird, bezeugt nichts besser als der Schrei von Abraham, als Gott ihm die Geburt von Isaak ankündigt: „Wenn nur Ismael vor dir am Leben bleibt! “ (Gen 17,18) Für Abraham droht die Ankündigung der Geburt eines zweiten Sohnes und das Versprechen, daß dieser mit dem göttlichen Segen ausgestattet sein werde, zur Auflösung der zweifachen Verheißung zu werden, die Gott Hagar zunächst bei ihrer Flucht vor Sara gemacht hatte: Der Engel des Herrn sprach zu ihr: Deine Nachkommen will ich so zahlreich machen, daß man sie nicht zählen kann. Weiter sprach der Engel des Herrn zu ihr: Du bist schwanger, du wirst einen Sohn gebären und ihn Ismael (Gott hört) nennen; denn der Herr hat auf dich gehört in deinem Leid. (Gen 16,10-11) Diese Verheißung an Ismael wird nochmals wiederholt, nachdem Sara ihre Magd ein zweites Mal davongejagt hat: <?page no="61"?> Die Opferung Isaaks in der jüdischen Tradition 53 Gott hörte den Knaben schreien; da rief der Engel Gottes vom Himmel her Hagar zu und sprach: Was hast du, Hagar? Fürchte dich nicht, Gott hat den Knaben dort schreien gehört, wo er liegt. Steh auf, nimm den Knaben und halt ihn fest an deiner Hand; denn zu einem großen Volk will ich ihn machen. (Gen 21,17-18) Aber Gott erklärt Abraham, daß die Berufung Isaaks die von Ismael nicht aufhebt und daß die zweite Verheißung die erste nicht auslöscht: Auch was Ismael angeht, erhöre ich dich. Ja, ich segne ihn, lasse ihn fruchtbar und sehr zahlreich werden. Zwölf Fürsten wird er zeugen, und ich mache ihn zu einem großen Volk. (Gen 17,20) Die Rivalität zwischen der Nachkommenschaft Isaaks und der Ismaels, die sich in der Bibel vor mehr als zweitausend Jahren ankündigte, lodert heute noch im Land Israels. Als ob die Beziehung dieser zwei Brüder, die beide Urväter von zwei großen Nationen sind, nur im Modus der gegenseitigen Ausschließung gelebt werden könnte. Dennoch insistiert die von Gott an Abraham übermittelte Botschaft genau auf der Tatsache, daß der Bund mit Isaak die an Ismael gerichtete Verheißung nicht aufhebt und daß diese beiden Geschichten weiterhin parallel verlaufen werden. Die Verwandtschaft der Nachkommenschaften der beiden Brüder Isaak und Ismael wird in der biblischen Erzählung durch ihren Eintritt in die Ordnung der Beschneidung bestätigt. Diese, die von Abraham eingeführt wird, als Ismael dreizehn Jahre alt ist, während Isaak erst ein Jahr später geboren werden wird, gewährleistet Ismael einen Vorrang im Bund, den er den rabbinischen Kommentaren zufolge nicht versäumen wird, sich zunutze zu machen. Nach der Geburt Isaaks wird jedoch dieser, wie später seine Nachkommenschaft, bereits nach acht Tagen beschnitten werden, wie es das göttliche Gebot vorschreibt, während die Nachkommen von Ismael weiterhin, wie ihr Urvater, erst mit dreizehn Jahren beschnitten werden. So wird die Rangordnung zwischen Isaak und Ismael umgekehrt werden: die Nachkommen Isaaks, des Jüngeren, werden zuerst in den Bund der Beschneidung eintreten, dreizehn Jahre vor denen Ismaels, seinem älteren Bruder. Diese Ersetzung des Älteren durch den Jüngeren - die dazu bestimmt ist, das Erstgeburtsrecht von einem biologischen in ein geistiges Prinzip zu wandeln - wird ein wiederkehrendes Thema in der Geschichte der Patriarchen werden: Der jüngere Sohn von Isaak, Jakob, kauft seinem Zwillingsbruder Esau, der wenige Augenblicke vor ihm geboren war, das Erstgeburtsrecht ab und entzieht ihm dann den väterlichen Segen; Jakob seinerseits wird Josef, seinen vorletzten Sohn, seinen elf Brüdern vorziehen; und als er seine Enkel vor seinem Tod segnet, wird er absichtlich die Rangordnung zwischen dem Älteren und dem Jüngeren umkehren. Es ist höchst bedeutend, daß die Rivalität zwischen den zwei Geschlechtern Isaaks und Ismaels sich in der Frage äußert, wer zuerst beschnitten wird. Auf diese Konkurrenzsituation gründet sogar ein sehr alter jüdischer Kommentar die These, nach der Isaak selbst durch den übermächtigen Wunsch, Gott sein Leben zu geben, zu dem Opfer angespornt worden sein soll. In <?page no="62"?> Stéphane Mosès 54 Bezug auf den ersten Vers der Erzählung über das Opfer: „Nach diesen Ereignissen (d e varim) stellte Gott (Elohim) Abraham auf die Probe. Er sprach zu ihm: Abraham! “ schlägt der Talmud, der von der Doppelbedeutung des hebräischen Wortes davar ausgeht, das zugleich „Ereignis“ und „Wort“ meint, nicht die Lesart „nach diesen Ereignissen“, sondern „nach diesen Worten“ vor. Aber um welche Worte handelt es sich? Rabbi Levi erklärte: Nach den Worten, die Ismael an Isaak gerichtet hatte. Ismael sprach nämlich zu Isaak: Ich bin inbetreff der gottgefälligen Handlungen bedeutender als du; du bist mit acht Tagen beschnitten worden, ich aber mit dreizehn Jahren. Er [Isaak] erwiderte ihm [Ismael]: Du neckst mich wegen des einen Gliedes, ich aber würde, wenn der Heilige, gepriesen sei er, mich auffordern sollte, mich für ihn schlachten zu lassen, auch dies tun. Hierauf: da versuchte Gott Abraham. (Der babylonische Talmud, Sanhedrin 89b) So öffnet sich das weite interpretatorische Feld der religiösen Schwärmerei, das der rabbinischen Überlieferung erlaubt, die verborgenen Hintergründe der Geschichte von Isaaks Opfer zu erhellen. Dieser Lesart zufolge versteht Isaak die Beschneidung als eine erste Form des Opfers, dessen Gegenstand ein Körperteil ist. Eine rituelle Amputation, die Opferung eines gewiß winzigen, aber nichtsdestotrotz höchst symbolischen Körperteiles, da es auf die Sexualität in ihren beiden wichtigsten Aspekten verweist, auf den des Verlangens und den der Fortpflanzung. In Bezug auf diese zwei zentralen Funktionen befreit dieser Schnitt denjenigen, der ihn erleidet, von der Anarchie der Triebe und erhebt ihn auf die Ebene des Symbolischen. Dem talmudischen Kommentar zufolge ist Isaak jedoch wegen seiner Rivalität mit Ismael zu dem mystischen Wunsch verleitet worden, sich ganz und gar der göttlichen Transzendenz zu opfern. Jenseits der Bereitschaft, einen Teil seines Körpers zu opfern, strebt er danach, sich seinem Gott völlig hinzugeben; diese Überschreitung der Grenzen erinnert an die Grenzüberschreitung der zwei Söhne des Hohepriesters Aaron, die auf dem Altar aus Weihrauch „ein unerlaubtes Feuer“ angezündet hatten, „eines, das er [der Herr] ihnen nicht befohlen hatte“, und das sie verzehrte. (Lev 10,1-2) Halten wir hier deutlich fest, daß die biblische Gesetzgebung diesen Hang zur Selbstzerstörung nicht gutheißt (Lev 16,1-2), obwohl Moses im Nachhinein im Tod der Söhne Aarons eine Form der Heiligung des Herrn erkannt hat (Lev 10,3). Ebenso sieht der Talmudkommentar in Isaaks mystischer Schwärmerei einen Trieb zur Selbstaufgabe, die von jener Rivalität mit Ismael und der religiösen Überbietung, in die ihn diese treibt, herrührt. Darüber hinaus ist derselben Talmudstelle zufolge vielleicht auch Abraham das Opfer eines ähnlichen Kontextes, der das Unerklärliche erklären könnte. Denn die Stimme, die ihm anordnet, seinen Sohn zu opfern, ähnelt in keinerlei Hinsicht den göttlichen Stimmen, die er bis zu diesem Zeitpunkt gehört hatte. Die religiösen Erfahrungen, die er bisher gemacht hatte, hatten ihn immer einen gütigen und liebenden Gott erkennen lassen, der ihn mit Segnungen und Verheißungen überhäuft hatte. Dieser Gott hatte ihm verkündet, daß seine zwei Söhne, und besonders Isaak, ihm eine unzählbare <?page no="63"?> Die Opferung Isaaks in der jüdischen Tradition 55 Nachkommenschaft schenken würden. Wie kann es sein, daß sich der Gott Abrahams, dieser wohlwollende und beschützende Gott, plötzlich in einen Gott des Todes verwandelt? Wie sollte man begreifen, daß er alle seine Versprechungen derartig bricht? Es sei denn, man würde sich einen Gott mit mehreren Gesichtern vorstellen, einen Gott, dessen verborgene Einheit sich in einer jeweils neuen Form über alle Vielfältigkeit und alle Widersprüche des Lebens hinweg zeigen würde. Es ist sicher dieses Bild des einzigen Gottes als lebendigem Gott, das dem oben zitierten Talmudkommentar zugrunde liegt: Nach diesen Begebenheiten [d e varim], da versuchte Gott Abraham. Nach welchen? Rabbi Johanan erwiderte im Namen des Rabbi Jose ben Zimra: Nach den Worten [d e varim] des Satans. Es heißt nämlich: und der Knabe wuchs heran und wurde entwöhnt. Als Isaak entwöhnt wurde, veranstaltete Abraham ein großes Festmahl (Gen 21,8). Da sprach der Satan vor dem Heiligen, gepriesen sei er: Herr der Welt, du hast ihm mit hundert Jahren eine Leibesfrucht geschenkt; von seinem ganzen Festmahle aber hatte er nicht mal eine Turteltaube oder eine junge Taube, um sie dir zu opfern! Gott erwiderte ihm: Dies alles tat er ja nur wegen seines Sohnes, und wenn ich ihm befehlen würde, mir seinen Sohn zu opfern, so täte er es sofort. Hierauf: da versuchte Gott Abraham. Und er sprach: Nimm doch deinen Sohn ... (Der babylonische Talmud, Sanhedrin 89b) Dieser imaginäre Dialog zwischen Gott und Satan nimmt das Thema der berühmten Einleitungsszene des Buches Ijob wieder auf, in deren Verlauf Gott Satan erlaubt, Ijob auf die Probe zu stellen, um ihm zu beweisen, daß dieser Gerechte unter den Gerechten, selbst wenn er von dem schlimmsten Unglück getroffen wird, weiterhin an die göttliche Vorhersehung glauben wird. Über die theatralische Dimension dieser Szene hinaus - von der sich Goethe im Prolog seines Faust inspirieren ließ - geht es darin um nichts anderes als um das Problem des Bösen. Dieses wird hier in zweifacher Form gestellt. Es handelt sich einerseits um eine theologische Frage: Wie ist die Existenz des Bösen vereinbar mit der biblischen Vorstellung eines zugleich liebenden und allmächtigen Gottes? Die andere Frage ist existentieller Natur, sie betrifft die plötzliche Begegnung des gläubigen Menschen mit der Realität des Bösen: Ijob und Abraham wurden beide vom Schicksal bevorzugt, ihr Vertrauen in das göttliche Wohlwollen beruhte bisher auf ihrer Unkenntnis des Bösen. Anhand des Schicksals dieser Figuren, die sich beispielhaft verhielten, solange sie von Gott nur seine Segnungen kannten, die dann aber plötzlich vom Unglück getroffen wurden, inszeniert die Bibel die Konfrontation der Menschen mit der Erfahrung des Bösen. Während Ijob sich gegen die Ungerechtigkeit empört, die ihm angetan wird, unterwirft sich Abraham der Stimme, die ihm anordnet, seinen Sohn zu töten, und schickt sich damit an, das unerhörteste Böse zu vollbringen. Der Talmudkommentar beruht auf dem Gedanken, daß ein solcher Befehl nur vom Teufel kommen könne. Eine andere Passage aus dem Talmud hebt noch expliziter hervor, daß der Begriff des menschlichen Opfers selbst völlig unvereinbar mit der Vorstellung eines Gottes ist, wie sie die Bibel entwirft: <?page no="64"?> Stéphane Mosès 56 Ferner heißt es [in Bezug auf Menschenopfer]: was ich weder geboten noch angeordnet habe, und was mir nie in den Sinn gekommen ist. Was ich weder geboten (Jer 19,5), das ist [die Opferung] des Sohnes des Menschen, Königs von Moab, wie es heißt: da nahm er seinen erstgeborenen Sohn, der nach ihm herrschen sollte, und opferte ihn als Brandopfer (2 Kön 3,27). Noch angeordnet habe, das ist [die Opferung der Tochter des] Jiftach. Was mir nie in den Sinn gekommen ist, das ist [die Opferung] Isaaks, des Sohnes Abrahams. (Der babylonische Talmud, Ta’anith 4a) Der Talmud hebt hier hervor, daß die drei Fälle von menschlichen Opfern, die in der Bibel erwähnt werden - darunter das von Abraham und Isaak -, alle auf rein menschliche Initiativen zurückzuführen sind. Erst im Lichte dieses Grundsatzes kann man die Talmudstelle über den Dialog zwischen Gott und dem Teufel verstehen. Wie im ersten Kapitel des Buches Ijob wird hier das Problem des Bösen auf dem Umweg einer narrativen Inszenierung dargestellt, in der die zwei Hauptfiguren - Gott und der Teufel - die zwei entgegengesetzten Prinzipien des Guten und des Bösen verkörpern. Sobald die göttliche Gewalt von der Verantwortung des Bösen entlastet und dieses einer gegnerischen Instanz zugeschrieben wird, kann das Prinzip der grenzenlosen Güte Gottes bewahrt werden. Aber diese scheinbar gnostische Theodizee würde das Problem nur verlagern, da Gott hier nur um den Preis seiner Allmacht und noch wichtiger, seiner Einheit, entlastet werden würde. Die narrative Logik des Talmudtextes (wie die des Ijobtextes) ist jedoch viel komplexer: Gott bleibt hier nicht vollständig inaktiv, da er selber in die Debatte eingreift und dem Teufel erlaubt, den Gerechten in Versuchung zu führen. In diesem Sinn ist der Teufel selbst nur ein Instrument des göttlichen Willens, der entscheidet (oder der zustimmt), den Menschen auf die Probe zu stellen. Dieser subtilen Theodizee gelingt es zwar, gleichzeitig beide Prinzipien der Allmacht und der grenzenlosen Güte Gottes zu retten, aber indem sie Gott zum Urheber - sowohl als Autor und als Regisseur - eines Stückes macht, in dem die Menschen nur ahnungslose Schauspieler sind. Ihr Unglück wäre dann nur der Höhepunkt eines Dramas, das ein anderer geschrieben hat und dessen Bedeutung ihnen verschlossen bleibt. Daß diese Höhepunkte nur dazu bestimmt wären, sie auf die Probe zu stellen, ändert dennoch nichts an ihrer subjektiven Erfahrung des Bösen, das sie als eine ausweglose Katastrophe erleiden müssen. Die Worte, die Abraham am Anfang der Erzählung hört, und die ihn auffordern, seinen Sohn zu opfern, kämen also nicht von jenem gütigen und liebenden Gott, den er bis da gekannt hatte, sondern von einer teuflischen Instanz, deren unmenschliche Anweisungen sich wie ein Zitat in die göttliche Rede eingeschlichen hätten. Als Gott Abraham auffordert, Isaak zu opfern, würde er nur die Worte des Teufels wiedergeben. Ein gefährlicher double bind, dessen Geheimnis der biblische Text jedoch aufdeckt, wenn er uns von vornherein sagt, daß „Gott Abraham auf die Probe stellte“. Aber mehr noch: der Name, den die Bibel der Instanz gibt, die sich am Anfang der Erzählung an Abraham richtet und ihn auffordert, seinen Sohn zu opfern, lautet Ha- Elohim, „Der-Gott“, und dieser Name ist ein anderer als derjenige, der ihn auf <?page no="65"?> Die Opferung Isaaks in der jüdischen Tradition 57 dem Berg Morija anrufen wird, um ihn von der Tötung seines Sohnes abzuhalten: Da rief ihm der Engel des Herrn [es ist jener Name, der seit der Septuaginta, der Vulgata und der Lutherbibel das Tetragramm übersetzt, das nicht ausgesprochen werden darf] vom Himmel her zu: Abraham, Abraham! Er [Abraham] antwortete: Hier bin ich. Jener [der Engel des Herrn] sprach: Streck deine Hand nicht gegen den Knaben aus, und tu ihm nichts zuleide! Denn jetzt weiß ich, daß du Gott fürchtest, denn du hast mir deinen einzigen Sohn nicht vorenthalten. (Gen 22,11- 12) Von jeher hat die jüdische Überlieferung diese beiden Namen „Elohim“ und „der Herr“ als grundverschieden verstanden; wobei „Elohim“ auf das Attribut der Strenge (Midat haDin), „der Herr“ aber auf das Attribut der Liebe (Midat ha essed) verweist. Der Gott, der Abraham befiehlt, seinen Sohn zu opfern (haElohim), ist derjenige, der sich in das Attribut der unbarmherzigsten Strenge gehüllt hat, während derjenige, der eingreift, um Isaak zu retten („der Herr“), sich durch das Attribut der Güte und der Liebe auszeichnet. Die Erzählung von der gemeinsamen Wanderung von Abraham und Isaak zum Berg Morija stellt also den symbolischen Weg dar, der von der harten Konfrontation mit dem Attribut der Strenge bis zu seiner Überwindung in der Erfahrung der göttlichen Liebe führt. Die Ambivalenz der Stimme, die sich am Anfang der Erzählung an Abraham richtet, muß grundsätzlich vor dem Hintergrund dieser Dualität göttlicher Attribute verstanden werden. So erklärt sich auch die Szene des Dialogs zwischen Gott und dem Teufel in der oben zitierten Talmudstelle. Denn der Begriff der göttlichen Strenge verweist ebenso auf die Idee einer absolut objektiven Gerechtigkeit, die „kein Ansehen der Person“ kennt (nach den Worten aus Dtn 1,17: „Kennt vor Gericht kein Ansehen der Person! Klein wie Groß hört an! Fürchtet euch nicht vor angesehenen Leuten; denn das Gericht hat mit Gott zu tun.“), wie auch auf eine Form der Gewalt, ja des Unheils, das zuweilen als fast dämonisch erscheinen kann. In einer strikt monotheistischen Sicht der Welt, in der das Böse zur göttlichen Einheit genauso dazugehört wie das Gute, kommt es tatsächlich auf dasselbe heraus, ob die göttliche Strenge im Gewand des Bösen auftritt, oder ob das, was wir das Böse nennen, in Wirklichkeit den für uns unerklärlichen Bekundungen einer absoluten göttlichen Gerechtigkeit entspricht. Dies erklärt die zunächst rätselhafte Tatsache, daß Gott in der talmudischen Fabel auf die Provokation des Teufels eingegangen ist, und daß er akzeptiert hat, Abraham auf die Probe zu stellen. Denn wenn es sich um eine Auseinandersetzung gnostischer Art zwischen zwei gleichberechtigten Prinzipien handeln würde, müßte man ableiten, daß sich Gott hier dem Willen des Teufels beugt. Aber es zeigt sich, daß die Argumentation des Teufels, trotz dessen scheinbarer Autonomie, sofort wieder in die Logik des göttlichen Diskurses integriert, d.h. in ihr neu interpretiert wird. Für den Talmud zeugt die Tatsache, daß der Teufel Abrahams Undankbarkeit Gott gegenüber ironisch anprangert, von einer Auffassung des Menschen, in der dieser von Grund auf unfähig wäre, den Erfordernissen <?page no="66"?> Stéphane Mosès 58 seiner angeblichen geistigen Berufung treu zu bleiben. Um diese These zu widerlegen, habe Gott an Abraham appelliert, damit dieser den Beweis der moralischen Größe erbringe, zu der der Mensch sich erheben kann. Aber damit sind die Machenschaften des Bösen noch nicht zu Ende. Denn gewissen jüdischen Kommentaren zufolge gelingt es dem Teufel doch, Abraham zu überzeugen, daß Gott von ihm tatsächlich verlangt, seinen geliebten Sohn zu töten. Wie Isaak scheint also auch Abraham der Versuchung des Opferwahnsinns nachzugeben. Indem Abraham die Aufforderung, seinen Sohn auf den Berg Morija zu bringen, als Befehl, ihn zu opfern versteht, wäre er von einer neuen, dieses Mal von ihm verinnerlichten Erscheinungsform der teuflischen Mächte getäuscht worden, einem „Instinkt des Bösen“ oder Todestrieb. Die eigentliche Bedeutung dieser Prüfung ist es also, dieser Opferversuchung zu widerstehen und hinter den Zweideutigkeiten dessen, was er hörte oder zu hören glaubte, die Stimme des liebenden Gottes, der ihn bis dahin geleitet hatte, wiederzufinden. *** Bevor wir anfangen, die Geschichte von Isaaks Opfer genauer zu interpretieren, müssen wir die Formulierung der Frage selbst unter die Lupe nehmen: Können wir sicher sein, daß es sich hier wirklich um ein Opfer handelt, da dieses letzten Endes ja gar nicht stattgefunden hat? Andererseits, selbst wenn man voraussetzt, daß es ein Opfer gab - in welchem Sinn muß noch bestimmt werden -, muß dann von Isaaks oder von Abrahams Opfer geredet werden? Die Wahl der Formulierung ist nicht gleichgültig: sie impliziert bereits eine interpretatorische Entscheidung. Tatsächlich setzt jedes Opfer zugleich ein Subjekt und ein Objekt voraus, einen Opfernden und ein Opfer. Spricht man vom Opfer Abrahams (Genitivus subiectivus), wird das Opfer in den Vordergrund gerückt, das Abraham darbringt, als er sich dem Befehl, seinen Sohn zu töten, unterwirft; dagegen ist der Ausdruck „das Opfer Isaaks“ an sich zweideutig: er kann entweder auf die Funktion Isaaks als reines Opfer hindeuten (Genitivus obiectivus) oder auf seine eigene Entscheidung, sein Leben zu opfern (Genitivus subiectivus). Wohlgemerkt stellt sich dieses Problem im hebräischen Originaltext nicht, in dem der allgemeine Begriff, der das rituelle Opfer bezeichnet (Qorban), nie vorkommt, obwohl der hier verwendete Begriff Olah („Brandopfer“) auf eine seiner kanonischen Formen verweist. Deshalb nennt die rabbinische Überlieferung im Unterschied zur christlichen diese Erzählung nicht „das Opfer Isaaks“ und auch nicht „das Opfer Abrahams“, sondern sie hält sich an den Wortlaut des biblischen Textes und hat ihm den bis heute klassischen Namen „die Bindung Isaaks“ ( Aq e dat Ji e aq) gegeben. Diese Bezeichnung hebt den wesentlichen Zug dieser Episode hervor, nämlich die Tatsache, daß das Opfer Isaaks nicht stattgefunden hat. Zwar, und das ist nicht weniger wichtig, hätte es fast stattgefunden: Abraham hat den Scheiterhaufen hergerichtet, er hat Isaak darauf steigen lassen, er hat ihn darauf festgebunden, er hat das Messer erhoben; <?page no="67"?> Die Opferung Isaaks in der jüdischen Tradition 59 dieses Beinahe-Opfer ist also kein wirkliches Nicht-Opfer; Abraham war im Begriff, eine grausame Tat zu begehen. Wenn er sie nicht begangen hat, dann deshalb, weil er daran gehindert wurde. Dennoch geht aus der biblischen Erzählung klar hervor, daß die Initiative zu dem Opfer nicht von Abraham selbst gekommen war und daß der Grund dafür, daß er seine väterlichen Gefühle derart verraten hat, einzig und allein der war, daß er sich einem scheinbar göttlichen Befehl unterworfen hatte, dessen Prüfungscharakter er jedoch vielleicht schon von Anfang an durchschaut hatte. Das, was auf dem Berg Morija fast stattgefunden hätte, konnte insofern gar nicht stattfinden. In diesem Schwanken zwischen dem, was nicht stattgefunden hat, dem, was fast stattgefunden hätte, und dem, was nicht stattfinden konnte, ist die Wahrheit von Isaaks (Nicht-)Opfer angesiedelt. Dennoch findet am selben Ort und im selben Moment etwas anderes statt: die Opferung des Widders, den Abraham mit im Gestrüpp verfangenen Hörnern entdeckt und den er sofort an Stelle seines Sohnes opfert. So gesehen kann hier zu Recht von einem Opfer Abrahams gesprochen werden; aber er hat ein Tier geopfert und keinen Menschen. Dies ist ein wesentlicher Unterschied, und man wird dessen grundlegende Bedeutung nie genug schätzen können, die in einem entscheidenden Bruch mit der Vorstellung der Religion liegt, wie sie sich die Menschen bis zu diesem Zeitpunkt gemacht hatten. Mit der Opferung des Widders wird die wahrscheinlich uralte Institution des Opfers nicht abgeschafft; sie wird im Gegenteil bestätigt und neu begründet, aber jetzt mit einer radikal neuen Bedeutung versehen. Die Substitution des Menschen durch das Tier verleiht dem Opferritus eine ethische Dimension, die er vorher nicht besessen hat. Der Mensch ist kein Tier, diese zwei Arten von Lebewesen sind nicht austauschbar, vielmehr erhellt ihr Unterschied das, was die Menschlichkeit des Menschlichen ausmacht. Nichtsdestoweniger müssen wir zugleich die soziale Funktion des Opfers im Allgemeinen erläutern. In diesem Punkt liefern die Thesen von René Girard wichtige Erkenntnisse. Die Ansicht, daß Opfer in den archaischen Gesellschaften - das heißt in denen, die die Institution eines Gerichtswesens noch nicht kannten - als Ventil für kollektive Gewalt dienten, ist sehr aufschlußreich. Die Schlüssigkeit dieser Theorie kann man durch eine genaue Untersuchung der Opferregeln im Alten Testament bestätigen; man wird dabei feststellen, daß das Opfersystem der Bibel wahrscheinlich einem Übergangsstadium zwischen dem Ritual der Gesellschaften ohne gerichtliche Institutionen und demjenigen der Gesellschaften, die solche schon besitzen, entspricht. In der Bibel verweisen die unterschiedlichen Opferformen jeweils auf eine bestimmte Kategorie von Schuld (absichtlicher oder unabsichtlicher, privater oder öffentlicher, individueller oder kollektiver), die es zu sühnen gilt. Dieses System entspricht den Anfängen einer gerichtlichen Organisation, die spontane Racheakte verhindern soll, durch die die Gesellschaft Gefahr laufen würde, in einen Teufelskreis aus Gewalt und Gegengewalt zu geraten. Aber neben diesen Sühnopfern gibt es in der Bibel auch Danksagungsopfer und andere, in denen nur der Eifer des Gläubigen und sein Wunsch, seinem <?page no="68"?> Stéphane Mosès 60 Gott etwas zu opfern, zum Ausdruck kommen. Dies ist genau der Fall bei der Olah, diesem „Brandopfer“, von dem in der Geschichte von Isaaks Opfer die Rede ist. Vom Standpunkt des Rituals aus wird die Olah durch die Tatsache definiert, daß das geopferte Tier vollständig von den Flammen auf dem Altar verzehrt werden muß (Lev 6,2). Dieser Ritus erinnert an die Feueropferzeremonien, die laut Frazer 1 in zahlreichen archaischen Gesellschaften praktiziert wurden (zum Beispiel in der Religion der Druiden, und dies, den Zeugnissen von Julius Caesar zufolge, bis ins 1. Jahrhundert) und in deren Verlauf nicht nur Tiere, sondern auch Menschen geopfert wurden. Das biblische Gesetz seinerseits, das Menschenopfer uneingeschränkt verbietet (Lev 18,21), kennt nur Opferungen von Tieren. Aber scheinbar schwingt in der Stimme, die am Anfang der biblischen Erzählung Abraham auffordert, seinen Sohn als Brandopfer darzubringen, noch ein Echo dieses archaischen Ritus mit. Man hat hier den Eindruck, daß Abraham bis zu den Sitten einer Kultur zurückgeschritten sei, die er längst überwunden geglaubt hatte. *** Dennoch hat das Opfer nicht stattgefunden; mehr noch: es konnte nicht stattfinden. Und eben weil es nicht stattfinden konnte, hat es nicht stattgefunden. Das Eingreifen des Engels, der die Hand Abrahams zurückhält, ist weder Zufall noch Willkür; es markiert die Wiederaufnahme der Geschichte der Fortzeugungen - das heißt der heiligen Geschichte -, die einen Augenblick unterbrochen war. In der Logik des biblischen Textes kann diese Geschichte, die die Geschichte der Erfüllung der göttlichen Verheißung ist, nicht angehalten werden. Von allen Attributen des Gottes der Bibel ist das Einhalten seines Wortes das wesentlichste. Für die traditionellen jüdischen Kommentatoren drückt sich der Glaube an Gott vor allem in dem Vertrauen auf die Erfüllung seiner Versprechen aus. Er besteht darin, zu glauben, daß die Geschichte der Menschheit trotz der Herrschaft des Bösen in der Welt nicht in der Katastrophe enden wird. Hinsichtlich dieser Idee eines Gottes, der seinen Versprechen treu ist, erscheint die an Abraham gerichtete Aufforderung als etwas schlechthin Undenkbares. Für Abraham würde die Tötung seines Sohnes die Widerrufung seiner ganzen Geschichte bedeuten, wie sie sich Schritt für Schritt seit seiner Entdeckung der Einheit Gottes und seinem Aufbruch von Ur in Chaldäa gestaltet hat. Aber sie würde auch bedeuten, auf jegliche Zukunft zu verzichten. Deshalb mußte ihm die Aufforderung, seinen Sohn zu opfern, als unverständliche Erschütterung der göttlichen Ordnung erscheinen. Das Nichtfaßbare dieser Anweisung wird durch ihre Formulierung selbst, durch jene Rhetorik der Insistenz und der Emphase, durch jene Steigerung des Undenkbaren, unterstrichen: „deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebst“. Es ist offensichtlich, daß der biblische Text diesen Befehl als buchstäb- 1 J. G. Frazer, The Golden Bough, London 1922, Kapitel LXIV. <?page no="69"?> Die Opferung Isaaks in der jüdischen Tradition 61 lich maßlos hinstellt. In diesem Sinn wäre es nicht falsch zu sagen, daß die Geschichte von Isaaks Opfer die Begegnung Abrahams mit der Erfahrung des Unmäßigen inszeniert. Denn aus seiner Sicht übersteigt das, was von ihm verlangt wird, jegliche Norm und all das, was eine menschliche oder göttliche Autorität von ihm verlangen dürfte. Es ist wichtig zu verstehen, daß es sich für ihn nicht nur darum handelt, dem Tod seines Sohnes zuzustimmen, das Nichtakzeptierbare zu akzeptieren; was von ihm verlangt wird - und dies von einer göttlichen Stimme -, ist eine Tat, die sich seit dem Bericht von der Erschaffung der Welt noch nie zugetragen hatte: daß der Vater seinen Sohn eigenhändig tötet. Hier liegt sicherlich der neuralgische Punkt der Geschichte von Isaaks Opfer, der Punkt, der uns heute am unerklärlichsten und sicherlich zutiefst paradox erscheint: Wie konnte sich Abraham, der Mann der Gnade und der Liebe, der Gott die Stirn geboten hatte, als es darum ging, Sodom und Gomorra vor der Zerstörung zu retten, blind diesem unmenschlichen Befehl beugen? Wie konnte er akzeptieren, daß der Gott, der ihm eine Nachkommenschaft, so zahlreich „wie die Sterne am Himmel und de[r] Sand am Meeresstrand“ versprochen hatte, ihm plötzlich befiehlt, den Sohn, der zur Erfüllung dieser Verheißung bestimmt ist, zu opfern? Auf diese zentrale Frage versuchen einige traditionelle jüdische Kommentare des weiter oben zitierten Talmudtextes über den Dialog zwischen Gott und dem Teufel zu antworten: Diese Texte beschränken sich nicht darauf, die Verantwortung für diese Anweisung auf eine teuflische Macht abzuwälzen, die sich der Stimme Gottes bedient habe, um sich an Abraham zu richten, sie deuten auch an, daß der Patriarch diese Stimme auf eine gewisse Art verinnerlicht habe, daß sie in ihm die Form des schlechten Gewissens, des schmerzhaften Gefühls eines Ungenügens, eines Mangels an religiösem Eifer angenommen habe (weil er Gott „nicht mal eine Turteltaube oder eine junge Taube geopfert hatte“); so daß dieses Gefühl einer wesentlichen Unzulänglichkeit ihn - wie auch Isaak selbst - zu einer Art mystischer Überbietung veranlaßt habe, die Gott und den Menschen die Stärke seiner Liebe beweisen sollte: 2 Diese Analyse, die bis in die Tiefen des religiösen Unbewußten dringt, geht soweit, die von Abraham gehörte Stimme dem „Instinkt des Bösen“ zuzuschreiben, einer Art von Todestrieb, der in diesem Fall die Gestalt des mystischen Eifers angenommen habe. Die Worte, die Abraham „nach diesen Ereignissen“ hört, bringen also die Verflechtung von zwei Stimmen zum Ausdruck: Die eine, die ihm seit langem vertraut ist, ist die des liebenden Gottes, der mit ihm einen ewigen Bund geschlossen hat; diese ruft ihn beim Namen, und dieser Stimme antwortet er, wie er es immer getan hat: Hier bin ich. Die andere ist eine fremde Stimme, die ihm befiehlt, ein unglaubliches Verbrechen zu begehen. Wahrscheinlich weiß er in diesem Augenblick nicht, daß diese unbekannte Stimme in Wirklichkeit die des Todestriebes ist, der sich in seinem Innersten verbirgt. Aber 2 Vgl. den Kommentar von Shmuel Eliezer Halévi Idelsh („Maharsa“) über Sanhedrin 89b. <?page no="70"?> Stéphane Mosès 62 diese zwei Stimmen sind sehr eng ineinander verschlungen, so daß sie fast nicht zu unterscheiden sind; die Worte des Teufels hallen noch, wie durch eine Echowirkung, in der göttlichen Rede nach: „Nimm deinen Sohn [...] und bring ihn [...] als Brandopfer dar“: hinter dem Anschein des religiösen Eifers hören wir hier die Worte des Teufels oder des Todestriebes. Aber gleichzeitig scheint die göttliche Rede noch hinter dem Befehl, seinen Sohn zu töten, durch: Die Formulierung „Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebst, Isaak, geh in das Land Morija [...] auf eine[n] der Berge, den ich dir nenne“ übernimmt fast wörtlich die Worte des ersten Befehls, den Gott an Abraham gerichtet hatte: „Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde.“ Für Abraham klingen diese Worte wie eine Erinnerung an seine erste Berufung, wie eine Aufforderung zu einem neuen Aufbruch, aber dieses Mal in Begleitung seines Sohnes; wie eine Ermahnung, gegen Ende seines Lebens die Gelübde seiner Jugend zu erneuern. Ein neuer Aufbruch, aber in welche Richtung? Abraham hört zwei Stimmen: Die eine drängt ihn zur höchsten Opfergabe, zur Aufgabe all dessen, was Gott ihm geschenkt hat; die andere zu einer neuen Erfahrung von geistiger Erhöhung, zum Aufstieg auf noch nie erreichte Höhen zusammen mit seinem Sohn. Aber weil diese zwei Stimmen so ineinander verschlungen sind, daß sie ununterscheidbar scheinen, und weil der Todestrieb ihm wahrscheinlich nicht als solcher bewußt wird, da sich dieser unter dem Mantel der höchsten geistigen Forderung verbirgt, unterwirft sich Abraham. Was wird aber von ihm verlangt? Er weiß es noch nicht genau. Ist es, seinen Sohn zu opfern? Oder sagt ihm jene urvertraute göttliche Stimme, er solle sein Vertrauen bewahren? Der Weg, den er mit seinem Sohn gehen wird, wird ihn darüber aufklären. Hier ist also Abraham gezwungen, die Komplexität, die Widersprüchlichkeiten und Paradoxien des Befehls zu entziffern, den er gehört hat. Da er seit je der Stimme seines Gottes gehorcht hat, zögert er zwar nicht, sich dieser aufs Neue zu beugen. In diesem Sinn ist er ganz dieser „Glaubensritter“, von dem Kierkegaard spricht. Aber worauf reagiert Abraham wirklich? Auf den Befehl, seinen Sohn zu töten, oder auf die Aufforderung, sich dem zu unterwerfen, was er vielleicht schon als Prüfung entschlüsselt? In diesem Punkt gehen zwei Lesarten von Isaaks Opfer, die der jüdischen Überlieferung und die von Kierkegaard in Furcht und Zittern, am weitesten auseinander. Der Unterschied zwischen diesen beiden Lektüren des Bibeltextes betrifft nicht nur die Interpretation der Gestalt Abrahams, sondern vor allem die Bedeutung dieser Episode an und für sich. Furcht und Zittern, dessen zutiefst paradoxe Argumentation Jacques Derrida vor kurzem offengelegt hat, 3 ist eine Meditation über die Einsamkeit Abrahams, der in seiner Einzigartigkeit als Subjekt mit dem göttlichen Befehl konfrontiert wird, seinen Sohn zu opfern. Indem er sich diesem Befehl beugt, bricht Abraham mit dem, was Kierkegaard „die Ordnung des Ethischen“ nennt, das heißt mit den Regeln, die 3 J. Derrida, Donner la mort, Paris 1999. <?page no="71"?> Die Opferung Isaaks in der jüdischen Tradition 63 die menschliche Gesellschaft bestimmen, und erhebt sich zu einer absoluten Ordnung, nämlich der des Glaubens. Eine „theologische Aussetzung des Ethischen“, die den Menschen notwendigerweise als Transgression jeglicher Werte erscheinen muß, die aber im Paradox des Glaubens als Aufstieg zur höchsten Wirklichkeit des Göttlichen gelebt wird. Dieser Bruch mit der Ordnung des Ethischen entreißt Abraham der Welt der allgemeingültigen Regeln und wirft ihn auf seine uneingeschränkte Einzigartigkeit als Subjekt zurück, in der er mit dem göttlichen Absoluten konfrontiert wird: „Die bedingungslose Pflicht, die mich im Glauben an Gott selbst bindet, muß sich über und gegen jegliche Pflicht richten.“ 4 Für Derrida, der Kierkegaard kommentiert, „gehört das Opfer Abrahams dem an, was man kaum wagt, einen allen drei sogenannten Buchreligionen gemeinsamen Schatz zu nennen, das entsetzliche Geheimnis eines mysterium tremendum“ 5 . Diesen Gedanken eines den aus der Bibel hervorgegangenen Religionen gemeinsamen Opfergrundes führt die Kierkegaardsche Lesart dieser Erzählung tatsächlich bis zu ihren äußersten Konsequenzen. Sie setzt jedoch voraus, daß das Opfer Isaaks allerdings stattgefunden hat. Nun hat das Opfer aber nicht stattgefunden, obwohl es fast stattfinden hätte können. In der Logik des Bibeltextes wirft die Aufhebung des Opfers im Rückblick ein neues Licht auf die gesamte vorhergehende Erzählung und kehrt deren Bedeutung radikal um. Vers 11 des Kapitels 22: „Da rief ihm der Engel des Herrn vom Himmel her zu: Abraham, Abraham! Er [Abraham] antwortete: Hier bin ich.“ entspricht fast wörtlich Vers l: „Nach diesen Ereignissen stellte Gott Abraham auf die Probe. Er sprach zu ihm: Abraham! Er antwortete: Hier bin ich.“ Der Parallelismus dieser zwei Formulierungen definiert den formalen Rahmen der Erzählung und legt die Grenzen fest, innerhalb derer sie sich einschreibt. Andererseits sind die zwei an Abraham gerichteten Befehle, der eine am Anfang des Abschnitts, der andere am Ende, einander symmetrisch entgegengesetzt: Dem Befehl, der die Erzählung einleitet: „Nimm deinen Sohn [...] und bring ihn [...] als Brandopfer dar“, entspricht derjenige, der sie abschließt: „Streck deine Hand nicht gegen den Knaben aus, und tu ihm nichts zuleide! “ Das Thema dieser Geschichte, die Pointe, auf die sie zuläuft, ist nicht der Tod Isaaks, sondern seine Rettung. Das Opfer erscheint hier nicht als Ende, sondern als Versuchung. Diese ist zwar hinter dem Anschein der heroischen Unterwerfung unter einen göttlichen Befehl verborgen, und dies ist der Grund, warum Abraham fast bis zum letzten Moment fortfährt, alle Abläufe der Opferung auszuführen. Aber in demselben Moment, in dem der Engel des Herrn in einer dramatischen Wendung das Ritual der Tötung anhält, ändert die gesamte bis dahin abgelaufene Geschichte ihre Bedeutung. Die zweite Aufforderung hebt die erste auf: Gott hat nie gewollt, daß Isaak getötet wird, er will keine Menschenopfer; er will im Gegenteil, daß Isaak lebt und daß Menschenopfer für immer abgeschafft werden. 4 Derrida (Anm. 3), 91 (deutsche Übertragung der Übersetzerin). 5 Ebd., 93 (deutsche Übertragung der Übersetzerin). <?page no="72"?> Stéphane Mosès 64 In dieser Lesart des Bibeltextes wird nicht die Ethik im Namen des Glaubens aufgehoben, sondern der Glaube steht ganz und gar unter der Herrschaft der Ethik. In seinem Kommentar von Furcht und Zittern erwähnt Derrida auch die Möglichkeit dieser anderen Lesart, die der von Kierkegaard grundsätzlich widerspricht, wobei er auf eine Passage von Emmanuel Lévinas verweist. 6 Kierkegaard, schreibt Lévinas, möchte das Stadium des Ethischen, das für ihn das Stadium des Allgemeinen ist, überwinden. Bei der Erwähnung von Abraham schildert er die Begegnung mit Gott da, wo die Subjektivität sich auf die Ebene des Religiösen erhebt, das heißt über das Ethische. Man kann jedoch auch das Gegenteil denken: Die Aufmerksamkeit, die Abraham der Stimme schenkte, die ihn zur Ordnung des Ethischen zurückführte, indem sie ihm das Menschenopfer untersagte, ist der Höhepunkt des Dramas. Daß er der ersten Stimme gehorchte, ist verwunderlich: Daß er angesichts dieses Gehorsams genug Distanz hatte, um die zweite Stimme zu hören: darin liegt das Wesentliche. 7 Im Gegensatz zu Kierkegaard denkt Lévinas nicht, daß das Ethische der Ordnung des Allgemeinen angehöre und daß es sich auf einige abstrakte Prinzipien reduzieren lasse, die den universellen Anforderungen der Vernunft entspringen. Für ihn unterliegt das Ethische, genauso wie der Glaube bei Kierkegaard, der alleinigen Verantwortung eines einzigartigen und unersetzbaren Subjektes. Genauso und vielleicht noch viel mehr: denn bei Kierkegaard kann der Glaube, der unsere uneingeschränkte Verpflichtung Gott gegenüber zum Ausdruck bringt, von uns fordern, wie im Falle Abrahams so weit zu gehen, unsere Verantwortung gegenüber denjenigen, die wir lieben, zu opfern; dahingegen kann die Liebe Gottes für Lévinas nur in der Nächstenliebe zum Ausdruck kommen. Was Lévinas bei Kierkegaard stört, ist nicht die Tatsache, daß bei ihm diese zwei Ordnungen allerdings koexistieren und sich deswegen permanent widersprechen. Was er nicht akzeptieren kann, ist, daß dieser Konflikt prinzipiell zu Ungunsten des Ethischen entschieden wird. Denn für Kierkegaard mißt sich die Glaubensstärke gerade im Verhältnis zu den menschlichen Bindungen und Verpflichtungen gegenüber dem anderen, die geopfert werden; je stärker die Liebe Abrahams für seinen Sohn ist, desto höher wird der Wert seines Opfers sein. Diese Lesart, die nicht die von Lévinas ist, ist auch nicht die der jüdischen Überlieferung. Für diese ist der dramatische Widerspruch zwischen dem göttlichen Befehl, Isaak zu opfern, und der Liebe, die Abraham für seinen Sohn empfindet, vorübergehend; schon im ersten Satz der Erzählung erfährt der Leser, daß es sich hier um eine Prüfung, um eine Krise, die zu überwinden ist, handelt. In der Logik des Bibeltextes ist es nicht denkbar, daß der Gott Abrahams (der auch der Gott Isaaks und Jakobs sein wird) ein Gott des Todes und nicht des Lebens sei. 6 Derrida (Anm. 3), 110. 7 E. Lévinas, Noms propres, Montpellier 1976, 113 (deutsche Übertragung der Übersetzerin). <?page no="73"?> Die Opferung Isaaks in der jüdischen Tradition 65 *** Der Text über die (Nicht-)Opferung Isaaks besitzt alle Merkmale einer kohärenten literarischen Erzählung: sein formaler Rahmen ist klar begrenzt, die Handlung entwickelt sich Schritt für Schritt bis zur letzten Pointe, die Erzählung ist in einer bestimmten Zeit und einem bestimmten Raum angeordnet, der narrative Diskurs ist abwechselnd auf verschiedene Stimmen verteilt, die jeweils einen unterschiedlichen Gesichtspunkt zum Ausdruck bringen. Dieser letzte Punkt ist besonders wichtig, denn er erlaubt uns, ein neues Licht auf eine der irritierendsten Fragen der Erzählung zu werfen: Glaubte Abraham wirklich, daß Gott ihn auffordere, seinen Sohn zu opfern, oder ahnte er von Anfang an, daß es sich nur um eine Prüfung handle? Der Text gibt uns dazu widersprüchliche Hinweise. Einerseits sehen wir Abraham, wie er sich gehorsam dem göttlichen Befehl beugt, wir erleben seine Vorbereitungen, wir folgen ihm den ganzen Weg bis zum Berg Morija, wir sind Zeugen der Vorbereitung des Opfers. Aber andererseits lesen wir, daß „Gott Abraham auf die Probe [stellte]“, wir hören Abraham, wie er zu seinen zwei Knechten sagt: „Bleibt mit dem Esel hier! Ich will mit dem Knaben hingehen und anbeten; dann kommen wir zu euch zurück“ (Gen 22,5), und wie er Isaak antwortet: „Gott wird sich das Opferlamm aussuchen, mein Sohn“ (Gen 22,8). Um diese widersprüchlichen Hinweise zu verstehen, muß man auf die Unterscheidung zwischen dem Standpunkt des Erzählers und dem der handelnden Person zurückgreifen. Der Erzähler des Bibeltextes kennt das Ende der Geschichte, er weiß, daß Isaak nicht geopfert werden wird, und daß diese Erzählung die Geschichte einer Prüfung ist. Er überschaut sie gleichsam von oben und kann sich also erlauben, in seine Erzählung Signale einzustreuen, die den Leser das Geheimnis der erzählten Geschichte erahnen lassen sollen. Abraham hingegen, und dies ist der Fall aller literarischen Personen (und aller Menschen), weiß nicht, wohin ihn seine Geschichte führen wird, er stößt auf ihre verschiedenen Episoden in demselben Moment, in dem er sie erlebt. Als er die Stimme hört, die ihm befiehlt, seinen Sohn „als Brandopfer dar[zubringen]“, und in der sich mystische Inbrunst und Todestrieb unentwirrbar vermengen, weiß Abraham nicht, was der Leser bereits erfahren hat, nämlich daß es sich hier um eine Probe handelt, auf die er von Gott gestellt wird. Man kann sich vorstellen, daß diese Stimme für ihn genauso schwierig zu entziffern ist wie die Stimme der Orakel für die Helden der griechischen Tragödie: Fordert sie ihn dazu auf, den Berg Morija zu besteigen, um dort Isaak zu opfern, oder um ihn dort zu „erhöhen“, anders gesagt, um ihn in seine zukünftige Rolle als Diener Gottes einzuweihen? Ist sie Offenbarung des tremendum, des heiligen Schreckens, oder Bestätigung der Verheißung? In dieser dramatischen Ungewißheit macht er sich auf den Weg, sie wird ihn während der dreitägigen Reise von Hebron, wo er lebt, bis nach Jerusalem, wo sowohl die jüdische als auch die islamische Überlieferung den Berg Morija ansiedeln, begleiten. Die Perspektive Abrahams und die des Erzählers werden sich jedoch nach und nach annähern: So zeigen die zwei Aussagen <?page no="74"?> Stéphane Mosès 66 Abrahams, die eine, die er an seine Knechte richtet („Ich will mit dem Knaben hingehen und anbeten; dann kommen wir zu euch zurück“), die andere, die auf die Frage von Isaak antwortet („Gott wird sich das Opferlamm aussuchen, mein Sohn“), sehr wohl, daß der Patriarch inzwischen wieder Vertrauen gefaßt hat, und daß er jetzt nicht mehr denkt, Gott könnte den Tod seines Kindes fordern. Abraham findet so den Faden seines Schicksals wieder, seine Gegenwart knüpft an seine Vergangenheit an und öffnet sich erneut der Zukunft der Verheißung. Seine Sicht der Geschichte wird wieder die der biblischen Erzählung (und ihres impliziten Erzählers). Aber was der Erzähler weiß, kann Abraham nur ahnen. Für ihn ist dieser glückliche Ausgang erst nur eine Hoffnung, vielleicht eine reine Vermutung. Solange er nicht von einer göttlichen Instanz, von jenem Gott der Gnade und der Liebe, den allein er bis dahin gekannt hat, bestätigt worden ist, muß er fortfahren, dem Befehl zur Tötung seines Sohnes zu gehorchen. Als er den Opferaltar errichtet, seinen Sohn darauf festbindet und sein Messer erhebt, scheint er in die Abhängigkeit dieser unbarmherzigen Stimme zurückzufallen. Das Eingreifen des Engels, der ihm im allerletzten Moment gebietet, das Opferritual zu unterbrechen, markiert die Rückkehr der Erzählung zu ihrem früheren Verlauf und läßt die gesamte Episode im Rückblick als eine Parenthese erscheinen oder als eine Krise, die es zu überwinden galt. Ihre Bedeutung ist also derjenigen des Buches Ijob sehr nahe: in beiden Erzählungen ist die Begegnung mit dem Bösen ein Prüfstein des Glaubens. Solange Abraham und Ijob nur die Freuden des Lebens kannten, blieb ihr Begriff des Göttlichen noch unvollkommen; sie müssen die Erfahrung des Unglücks durchleben, um damit zur echten Gottesliebe zu gelangen. So erst kann man die Worte des Engels verstehen: „Denn jetzt weiß ich, daß du Gott fürchtest“ (Gen 22,12). Für Maimonides, der diese Stelle in seinem Führer der Unschlüssigen kommentiert, handelt es sich hier nicht etwa um eine theologische Aussage, die implizieren würde, daß Gott jetzt etwas weiß, was er vorher nicht wußte, sondern um eine Erläuterung der Erfahrung, die Abraham gerade gemacht hat: Und wenn der Engel zu ihm sprach: Denn nun habe ich erkannt, daß du Gott fürchtest, so wollte er damit sagen: Durch diese Tat, um derentwillen du verdienst, ein vollkommen Gottesfürchtiger genannt zu werden, sollen alle Menschen erfahren, wie weit die Gottesfurcht reichen kann. 8 Für Maimonides besitzt der biblische Begriff der Prüfung also eine exemplarische Bedeutung: „Jede Prüfung, von der in der Heiligen Schrift die Rede ist, ist nur da, um die Menschen darüber zu belehren, was sie tun müssen und glauben sollen“. 9 Dementsprechend gilt es also, die Erzählung von Isaaks Opfer wie eine Parabel zu lesen. In der Tat hat die jüdische Überlieferung 8 Mose Ben Maimon, Führer der Unschlüssigen, Übersetzung u. Kommentar v. A. Weiss, Zweites u. drittes Buch, Hamburg 1972, 157. 9 Ebd., 153. <?page no="75"?> Die Opferung Isaaks in der jüdischen Tradition 67 von jeher in dieser Episode eine bildhafte Auseinandersetzung mit der Frage des Bösen gesehen, und dies sowohl unter ihrem metaphysischen als auch moralischen Aspekt. Aus spekulativer Sicht hat sie besonders die Spannung hervorgehoben, in der sich die zwei Attribute der Liebe und der Strenge im Innern der Göttlichkeit gegenüberstünden. Wenn die Strenge in ihrer ganzen Gewalt zutage tritt, nimmt sie für die Menschen, die ihre Auswirkungen erleben, den schrecklichen Anschein von Ungerechtigkeit und Leid an. Aber unsere durchaus legitime, ja unvermeidliche Auflehnung gegen das Böse, das uns ereilt, kommt in Wahrheit von unserer Unkenntnis (oder von unserer sehr partiellen Kenntnis) des unendlich komplexen Netzes von Ursachen und Wirkungen, durch die der göttliche Wille in der Welt handelt. Eine Gesamtsicht dieser Mechanismen - anders gesagt der Zugang zu einer vollständigen Kenntnis - würde im Prinzip erlauben, das Böse in die Gesamtheit der göttlichen Einheit und ihrer Offenbarungen zu integrieren. 10 Die Erzählung von Isaaks Opferung würde daher den Prozeß veranschaulichen, der einem Individuum, das mit der Erfahrung des Bösen konfrontiert wird, erlaubt, sich über sein privates Unglück zu erheben, dessen objektive Bedeutung zu entschlüsseln und es in seine eigene Geschichte einzufügen. Darauf deutet auch ein Kommentar des ohar über die zweifache Anrufung Abrahams durch einen Engel auf dem Berg Morija hin: „Abraham! Abraham! Das zweite ‚Abraham’ ist nicht identisch mit dem ersten: das erste ist noch unvollkommen, das zweite ist vollendet.“ 11 Die traditionellen jüdischen Kommentatoren haben darauf hingewiesen, daß Gott nirgendwo in dieser Erzählung explizit befiehlt, Isaak zu opfern. Im Gegenteil setzt der Erzähler uns von vornherein darüber in Kenntnis, daß es sich hier um eine Prüfung handelt. Andererseits kann der Ausdruck „(aufsteigendes) Brandopfer“, der normalerweise die Opferung bezeichnet, wörtlich genommen auch eine Art spiritueller Erhöhung bedeuten. Und obwohl der Text von den verschiedenen materiellen Vorbereitungen des Opfers - von Holz, Feuer und Messer - spricht, unterstreicht er ebenso, daß es sich bei diesen Vorbereitungen um persönliche Initiativen Abrahams handelt. Wahrscheinlich glaubt dieser am Anfang der Erzählung noch, daß die Stimme, die er gehört hat, von ihm die Opferung seines Sohnes verlangt. Aber dies ist nur eine erste Auslegung, die nach drei Tagen gemeinsamer Wanderung mit seinem Sohn einer komplexeren Sicht des Dramas, das sie gerade erleben, weichen wird. Wenn Abraham seinen Knechten ankündigen kann, daß Isaak und er auf den Berg Morija steigen werden, um dort Gott anzubeten, und daß sie gemeinsam zurückkommen werden, dann deshalb, weil er inzwischen verstanden hat, daß er seinen Sohn nicht opfern wird. Ebenso antwortet er Isaak: „Gott wird sich das Opferlamm aussuchen“, um ihm anzudeuten, daß er jedenfalls nicht das Objekt der Opferung sein wird. In beiden 10 Vgl. H. Atlan, Les étincelles de hasard, Paris 1999, 67-72. 11 Der ohar über Gen 22,11 (deutsche Übertragung der Übersetzerin). <?page no="76"?> Stéphane Mosès 68 Fällen läßt der Erzähler so den Leser verstehen, daß die Opferung Isaaks nicht stattfinden wird. Muß man also die letzte Szene, in der Abraham bis ins kleinste Detail die Tötung seines Sohnes vorbereitet, nur als Simulacrum verstehen? Dies scheint ein alter Kommentar des chassidischen Lehrmeisters Elimelekh von Lisansk zu suggerieren: In Wahrheit wußten Abraham und Isaak, daß es nicht die Absicht Gottes war, daß Isaak getötet wird. Abraham, der die Tugend der Liebe verkörpert, hatte sich mit der inneren Gewißheit auf den Weg gemacht, daß alle beide zurückkommen würden, wie es geschrieben steht: „Ich will mit dem Knaben hingehen und beten; dann kommen wir zu euch zurück.“ Dennoch waren beide in einem Geist der völligen Unterwerfung aufgebrochen, als ob es wirklich darum gegangen wäre, Isaak zu opfern. 12 Dieses „als ob“ macht den Weg frei für eine Interpretation der Erzählung von Isaaks Opfer als heiliges Spiel, als halbbewußte Darstellung, in der die zwei Personen genau diejenigen Rollen spielen, die das göttliche Drehbuch für sie vorgesehen hat, indem sie alle Gesten des Opferrituals, mit Ausnahme der Tötung, mimen. In seiner klassischen Studie über die soziale Funktion des Spiels beruft sich Johan Huizinga auf Plato, der in Die Gesetze diese Identität von Spiel und heiliger Handlung behauptet: tatsächlich wurde „der Mensch nur als ein Spielzeug Gottes erschaffen“ und „wir müssen unser Leben mit gewissen Spielen verbringen, mit Opfern und Singen und Tanz, [um] die Götter gnädig zu stimmen ...“. 13 Aber für Huizinga, der hier Romano Guardini zitiert, 14 erklären „die Verbindungen zwischen dem heiligen Mysterium und dem Spiel“ auch wichtige Aspekte der christlichen Liturgie, und wahrscheinlich jeder Liturgie. Die genauen Gesetze aller Rituale, bei denen jede Geste im voraus festgelegt wird, und bei denen alle Teilnehmer genau die Rolle spielen, die ihnen zugewiesen wird, verleiht ihnen eine theatralische Dimension: diese liegt in der Umsetzung eines archetypischen Drehbuchs, das jedes Mal aufs neue vor einem göttlichen Zuschauer aufgeführt wird. Die talmudische Legende über die Wette zwischen Gott und dem Teufel scheint aus der Prüfung, der Abraham unterzogen wird, tatsächlich eine Art Ordal, ein heiliges Spiel, zu machen, bei dem niemand wirklich getötet wird, sondern bei dem es für den Patriarchen nur darum geht, vor Gott und dem Teufel die Stärke seines Glaubens zu beweisen. Eine solche Interpretation von Isaaks Opfer als Simulacrum oder als Inszenierung setzt dennoch voraus, daß Abraham genau wußte, wie dies der Kommentar von Elimelekh von Lisansk behauptet, daß es nicht Gottes Absicht war, daß Isaak getötet werde. Aber dies ist nicht der Fall. Abraham 12 Elimelekh von Lisansk, Noam Elimelekh, Lvov 1787, über Gen 22 (deutsche Übertragung der Übersetzerin). 13 Plato, Die Gesetze, hg. v. O. Gigon, Zürich / München 1974, 283f. (Siebtes Buch). 14 R. Guardini, Vom Geist der Liturgie, Freiburg 1922, 56-70. Zitiert in J. Huizinga, Homo ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, Hamburg 1958, 26. <?page no="77"?> Die Opferung Isaaks in der jüdischen Tradition 69 weiß nicht, daß er der Einsatz einer Wette ist; im Unterschied zum Erzähler weiß er nicht einmal, daß Gott ihn auf die Probe stellt. Alles, was er weiß, ist, daß die Stimme, die er hört, zutiefst zweideutig ist, daß sie ihm befiehlt, auf den Berg Morija zu steigen, offenbar, um dort seinen Sohn zu opfern, aber vielleicht auch nur, um ihn dort in den Dienst Gottes zu initiieren. Im Verlauf der gesamten dreitägigen Reise mit seinem Sohn Isaak verbleibt Abraham in dieser Ungewißheit; auch wenn das Vertrauen in ihm allmählich über die Verzweiflung siegt (was die Anweisungen, die er seinen zwei Knechten gibt, und seine Antwort auf Isaaks Frage bezeugen), hört er deswegen nicht auf, sich auf das Opfer vorzubereiten. Diese widersprüchliche Haltung ist nicht Ergebnis eines doppelten Spiels; im Gegenteil entspricht sie der Zweideutigkeit der ursprünglichen Botschaft. Diese ist ihrerseits Ausdruck der Komplexität einer Situation, in der sich der göttliche Wille in die menschliche Erfahrung des Schmerzes und des Leids hüllt, und in der der Todestrieb die Maske des mystischen Eifers trägt. Wie Ijob ist Abraham das Opfer der undurchschaubaren Verwicklung von Gut und Böse in der Welt. Wenn hier jemand ein Spiel zu spielen scheint, so ist es weder Abraham noch der Gott der Liebe, den er immer gekannt hat, sondern die Realität selbst, wenn diese für die Menschen undurchschaubar wird. Diese Interpretation der Gestalt Abrahams ist das genaue Gegenteil von derjenigen, die Kierkegaard in Furcht und Zittern vorschlägt. Sich vorzustellen, daß Abraham zögern könnte, würde für ihn bedeuten, aus Abraham „geradezu eine Parodie auf den Glaubensritter“ 15 zu machen. Weil er in der Absolutheit des Glaubens lebt und nicht in der Ungewißheit des Ethischen, das durch den endlosen Konflikt von sich ständig widersprechenden Pflichten gekennzeichnet ist, läßt er sich ganz und gar auf „die unermeßliche Regung der Resignation“ ein. Dieser Standpunkt ist, wie wir gesehen haben, nicht der der jüdischen Überlieferung. Diese geht im Gegenteil von einer Deutung Abrahams als ethisches Subjekt aus, also als eines Mannes, der in der Episode des Gebetes für Sodom und Gomorra nicht gezögert hatte, Gott im Namen des Rechts die Stirn zu bieten („Sollte sich der Richter der ganzen Erde nicht an das Recht halten? “; Gen 18,25); diese inneren Widersprüche sollen aber die Aporien der menschlichen Freiheit aufzeigen, wenn diese mit einer ausweglosen Situation konfrontiert wird. Nicht daß Kierkegaard diesen Aporien gleichgültig gegenüberstünde; für ihn definieren sie das Paradox selbst, in dem Abraham bis zu dem entscheidenden Moment gefangen bleibt, in dem er der Ordnung des Ethischen entkommt, um sich auf die des Glaubens zu erheben. Man darf jedoch davon ausgehen, daß dieser Aufstieg zur Ordnung des Glaubens die ethischen Widersprüche in Wirklichkeit nicht auflöst: In demselben Moment, in dem Abraham den Befehl erhält, seinen Sohn zu opfern, hört er hinter diesem ungeheuren Befehl weiterhin die Echos der bekannten und wohlwollenden Stimme, die bis dahin seine Wege begleitet hatte. 15 S. Kierkegaard, Furcht und Zittern, hg. v. E. Hirsch / H. Gerdes, Gütersloh 1986, 137. <?page no="78"?> Stéphane Mosès 70 Für Kierkegaard aber kann Abraham genau deshalb, weil dieser Befehl ungeheuer ist, nicht darüber reden: Abraham schweigt, - aber er kann nicht sprechen, darin liegen die Not und die Angst. [...] Er kann alles sagen; aber Eines kann er nicht sagen, und doch, wo er das Eine nicht sagen kann, d.h. es so sagen kann, daß ein andrer es versteht, so spricht er nicht. 16 Der Abraham Kierkegaards, der mit dem Unsagbaren konfrontiert wird, und der hoffnungslos in seiner Einsamkeit gefangen ist, ist zum Schweigen verurteilt. Was Gott von ihm verlangt, übersteigt jeden Erklärungsversuch und kann der restlichen Menschheit nur unverständlich bleiben. Aber ist es wirklich so? Stimmt es, daß Abraham nicht redet? Konnte er das Geheimnis wirklich für sich behalten? Zwar sagt die Bibel nicht, daß er sich Sara anvertraut habe. Aber waren seine Reisevorbereitungen, das Herrichten von Holz und Feuer, dann seine Abreise zusammen mit Isaak ohne jegliches, für das Opfer bestimmte Tier nicht sprechender als jede Rede? Selbst wenn Sara dachte, daß Abraham mit Isaak aufbricht, um Gott anzubeten, ist es höchst unwahrscheinlich, daß Abrahams Angst während all dieser Vorbereitungen ihr entgangen wäre. Aber noch entscheidender ist die Tatsache, daß Abraham im Verlauf dieser Erzählung allerdings redet, und zwar viermal. Am dritten Tag richtet er sich an seine beiden Knechte, um ihnen anzukündigen, daß es nicht lange dauern würde, bis er und Isaak zurückkämen. Aber es sind vor allem die drei Dialoge, die der Erzählung ihren eigenen Rhythmus verleihen. Der erste und der letzte Dialog, die den Text einrahmen, sind die von Abraham und Gott (in seinen beiden Gestalten „Elohim“ und „der Herr“), während im Mittelpunkt der Dialog von Abraham und Isaak steht. Zwar ergreift Abraham in diesen drei Fällen nicht die Initiative des Austausches, sondern begnügt sich damit, auf eine Frage zu antworten. Aber gerade diese Aufgeschlossenheit, diese Fähigkeit, für den Anruf des anderen stets verfügbar zu sein, macht ihn zum Mann des Dialogs. Als Elohim, dann sein Sohn Isaak und schließlich der Engel des Herrn ihn beim Namen rufen, antwortet Abraham sofort: „Hier bin ich.“ In Franz Rosenzweigs Stern der Erlösung zeugt diese Antwort von einem entscheidenden Schritt im Humanisierungsprozeß des Menschen. 17 Nach der Ursünde hatte sich Gott an Adam gewandt und ihn gefragt: „Wo bist du? “ Auf diese Frage, die den Ort an sich betrifft, wo das Du erzeugt wird („wo bist du? “), konnte Adam nur antworten, indem er sich entzog: „Ich habe dich im Garten kommen hören; da geriet ich in Furcht, weil ich nackt bin, und versteckte mich“ (Gen 3,9-10). Die Antwort auf die Frage „wo bist du? “ wurde dann lange Zeit aufgeschoben und wird erst dann gegeben, als Abraham, der nun bei seinem Namen gerufen, das heißt als einzigartiges und unersetzbares Subjekt angesprochen wird, Gott antwortet: „hinneni“, „hier bin ich“ oder genauer: „Ich bin hier.“ Mit eben diesen Worten, die am Anfang und am 16 Kierkegaard (Anm. 15), 129. 17 F. Rosenzweig, Der Stern der Erlösung, Frankfurt a. M. 1988, 195f. (II,2). <?page no="79"?> Die Opferung Isaaks in der jüdischen Tradition 71 Ende der Opfererzählung stehen, leitet Abraham auch seine Antwort auf Isaaks Frage ein: „Nach einer Weile sagte Isaak zu seinem Vater Abraham: Vater! Er [Abraham] antwortete: Hier bin ich, mein Sohn.“ Dieses „hier bin ich“ hat dennoch nicht genau die gleiche Bedeutung wie die beiden anderen: Während Abraham Gott antwortet, verantwortet er sich für seinen Sohn. Im letzten Fall heißt „hier bin ich“: Ich verspreche dir, daß dir nichts geschehen wird, denn ich bin für dich verantwortlich. Sich für den anderen verantworten heißt, bereit zu sein, sich an seine Stelle zu setzen. Dies ist zum Beispiel bei Juda der Fall, dem Sohn von Jakob und Lea, der sich vor seinem Vater Jakob für das Leben seines jüngeren Bruders Benjamin verbürgt hatte, und der Josef, den er für den Vizekönig von Ägypten hält, und der verlangt hatte, Benjamin als Geisel zu behalten, vorschlägt, selbst die Stelle seines Bruders einzunehmen (Gen 44,32-34). Aber ebenso wie Juda schließlich nicht auf seine Freiheit verzichten muß (die er jedoch bereit war zu opfern), weil Josef der Verwechslung ein Ende bereitet und sich seinen Brüdern zu erkennen gibt, ahnt auch Abraham, daß nicht er die Stelle seines Sohnes auf dem Altar des Berges Morija einnehmen werden wird. Sich für Isaak zu verantworten, bedeutet für ihn, der göttlichen Verheißung zu vertrauen, nach der Isaak am Ursprung einer unzählbaren Nachkommenschaft stehen wird. In der biblischen Erzähllogik gründet die Verantwortung für den anderen im Vertrauen auf die Zukunft. Insofern liegt im Kern der Idee der Verantwortung ein prophetischer Gedanke: Sich für den anderen verantworten, heißt, auf die Zukunft zu vertrauen, sich ihm gegenüber zu verpflichten, alle Versprechungen einzuhalten, die man ihm gemacht hat. 18 Einigen sehr alten jüdischen Kommentaren zufolge 19 versteht Abraham tatsächlich in dem Moment, in dem er sich der messianischen Dimension bewußt wird, die der Vaterschaft zugrunde liegt, daß die Tötung seines Sohnes die Aufhebung der Zukunft selbst bedeuten würde. Der ohar - jene aus dem 13. Jahrhundert stammende mystische Auslegung des Alten Testamentes - meint, daß diese Erleuchtung Abraham am dritten Tag seiner Reise getroffen habe: „Als Abraham am dritten Tag aufblickte, sah er den Ort von weitem“, heißt es in der Bibel (Gen 22,4). „Am dritten Tag“, so kommentiert der ohar, verweist auf den dritten Patriarchen, also auf Jakob, den Sohn Isaaks. Was Abraham von weitem sieht, ist, daß Isaak selbst dazu bestimmt ist, einen Sohn zu haben. Man darf aber dieses „von weitem“ nicht einfach als eine Vorhersage oder Vorwegnahme der Zukunft deuten. Der ohar will nicht sagen, daß Abraham Isaaks kommende Lebensabschnitte plötzlich im voraus erahnt; die Entdeckung, von der hier die Rede ist, ist nicht an die Zeit gebunden, sie ist nicht eine Art Wahrsagung. Mehr als auf die große Zahl der Abraham versprochenen künftigen Generationen (denn wie die Bibel es sagt, sind diese genauso zahllos wie der Sand am Meeresstrand und wie die Sterne 18 Vgl. E. Lévinas, De Dieu qui vient à l’idée, Paris 1982, 124. 19 Vgl. S. Mosès, Histoire et paternité, in: Philosophie 72 (2001), 71-87. <?page no="80"?> Stéphane Mosès 72 am Himmel), deutet hier der ohar auf das Wesen der Hoffnung, die der Idee der Zukunft selbst eingeschrieben ist. Deutsche Übersetzung von Birgit Schlachter. <?page no="81"?> Bianca Kühnel Abrahams Opfer als Chiffre des Tempels. Ein kunstgeschichtlicher Beitrag zur jüdischchristlichen Polemik Die Erzählung von der Glaubensprobe Abrahams ist vielleicht die wichtigste der Abraham-Geschichten. Sie ist aber auch eine der labilsten Geschichten der Bibel überhaupt. Als solche wurde sie von Juden, Christen und Moslems theologisch intensiv benutzt und manipuliert. Die visuellen Darstellungen widerspiegeln die unterschiedlichen theologischen Akzente, die Sinn und Bedeutung dieser Erzählung einen differenzierten Charakter verleihen. In meinem Aufsatz werde ich einen Aspekt hervorheben, der im kunsthistorischen Diskurs nur vereinzelt und unscharf auftaucht: ich meine den nationalen, politisch-religiösen Aspekt der Erzählung. Die national-politische Färbung der Aqedah-Geschichte kommt besonders dann zum Ausdruck, wenn über die räumliche Lokalisierung der biblischen Geschichte und die Identität von biblischer Geschichte und locus sanctus des Geschehens argumentiert wird. Die geringe Aufmerksamkeit, die der Lokalisierung des Opfers in der ikonographischen Erörterung der Szene geschenkt wurde, ist um so merkwürdiger, wenn man bedenkt, daß in den drei monotheistischen Religionen, die Abraham als Stammvater verehren, die Opferung an äußerst zentralen Stellen der jeweiligen Religion lokalisiert wurde: auf dem Berg Moriah bei den Juden, auf Golgotha bei den Christen und in Mekka bei den Muslims (allerdings als Ort der Opferung Ismaels). In der frühbyzantinischen Zeit taucht eine besondere Ikonographie der Aqedah auf, deren Ursprünge meines Erachtens im Rahmen der jüdischchristlichen Polemik um die Lokalisierung der Opferung Isaaks (letzten Endes um die Identität Jerusalems) zu suchen sind. Wenden wir uns erst der christlichen Kunst zu, weil in diesem Bereich Aspekte einer Lokalisierung der Geschichte schon in der früheren Forschung in Erwägung gezogen wurden. Unter den zahlreichen frühchristlichen Darstellungen von Abrahams Opfer zeichnet sich eine kleine Gruppe durch ihre ikonographischen Merkmale aus. Es handelt sich um zwei Elfenbeinpyxiden und eine monumentale Enkaustik-Ikone. Eine der Elfenbeinpyxiden befindet sich in Berlin, Staatliche Museen (Abb. 1), 1 die andere im Museo Civico, Bologna (Abb. 2). 2 Die Berli- 1 W. F. Volbach, Elfenbeinarbeiten der Spätantike und des Mittelalters, Mainz 3 1976 (Römisch-Germanisches Zentral Museum zu Mainz, Forschungsinstitut für Vor- und Frühgeschichte, Kataloge Bd. 7), Nr. 161, Taf. 82. 2 Ebd., Nr. 163, Taf. 83. <?page no="82"?> Bianca Kühnel 74 ner Pyxis wurde von Volbach ins fünfte Jahrhundert datiert, die in Bologna im sechsten Jahrhundert. Diese Darstellungen sind durch Treppen, die zum Opferungsaltar führen, gekennzeichnet. Das Treppen-Motiv kommt in den zahlreichen frühchristlichen Darstellungen des Themas üblicherweise nicht vor. In den christlichen Standarddarstellungen, die zahlreich in der Grabkunst vertreten sind, werden Abraham, Isaak und der Widder nebst einem Feueraltar wiedergegeben, wie auf dem bekannten Lateransarkophag Nr. 184. 3 Der Altar hat die Form eines rechteckigen Kastens, die Treppen sind jedoch nicht angedeutet. Abrahams Opfer ist in diesen Darstellungen der Sarkophagplastik und auch der Katakombenmalerei Teil einer Szenenfolge, deren Ikonographie deutlich auf Christi Leidensweg und die salvatio hinweist. In allen diesen Darstellungen mit Kasten-Altären und Salvatio-Szenen wird dem topographischen Gedanken über den spezifischen Ort des Opfer- Geschehens nicht Rechnung getragen. In anderen Darstellungen (z.B. Junius Bassus Sarkophag) wiederum wird eine Art mensa oder überhaupt kein Altar gezeigt, so daß der locus des Geschehens gedanklich verankert, jedoch topographisch unbestimmt bleibt. Die Entstehungsorte der zwei Elfenbeine in Berlin und Bologna sind nicht mit Sicherheit festgestellt worden. Auf Grund stilistischer Merkmale wurden sie unterschiedlich lokalisiert; sie wurden dem Mittelmeerraum zugeschrieben, unter anderem auch als syro-palästinische Arbeiten identifiziert. 4 Obwohl sie immer zusammen betrachtet worden sind, sind die stilistischen Unterschiede so groß, daß sie nicht unbedingt aus ein und demselben Ort stammen. Eine westliche Herkunft beider Elfenbeine wurde aber auch nicht ganz ausgeschlossen. Mehr Sicherheit herrscht dagegen im Fall der Darstellungen, die die Verklärung in der Apsis der Kirche des Sinaiklosters flankieren. 5 Dieses Beispiel weist nicht unbedingt auf einen lokalen Künstler hin, doch sind in ihm deutlich lokale Traditionen berücksichtigt: die Moses-Szenen auf dem Triumphbogen und seine Gestalt in dem Apsismosaik mit der Darstellung der Metamorphosis sind klare Indizien lokalen Selbstbewußtseins. Beide Enkaustik- Ikonen, die Opferung Isaaks (Abb. 3) 6 und die Opferung der Tochter Jephtachs, die die Apsis flankieren, ergänzen die Apsisdarstellung als typologische Bilder der Eucharistie. Auf beiden Ikonen sind Treppen, die zum Altar führen, dargestellt. Ainalov hat als erster schon 1912 (und später auch Kurt Weitzmann) diesen besonderen Altar des Abraham-Opfers, der in den Sinai-Darstellungen 3 F. Gerke, Spätantike und frühes Christentum, Baden-Baden 1967, Abb. 20. 4 K. Weitzmann (ed.), Age of Spirituality; Late Antique and Early Christian Art, Third to Seventh Century, New York 1979, 578f., Nr. 518 und Fig. 86. 5 K. Weitzmann, The Mosaic in St. Catherine’s Monastery on Mount Sinai, Proceedings of the American Philosophical Society 110/ 6 (1966), 392-405; ders., The Jephthah Panel in the Bema of the Church of St. Catherine’s Monastery on Mount Sinai, Dumbarton Oaks Papers 18 (1964), 341-352. 6 Ders., The Jephthah Panel (Anm. 5), fig. 3. <?page no="83"?> Abrahams Opfer als Chiffre des Tempels 75 und in den Elfenbeinpyxiden vorkommt, mit dem Golgotha-Altar gleichgesetzt. Die theologische Grundlage dafür liefern Kirchenväter, wie z.B. Johannes Chrysostomos, die den locus sanctus des Abraham-Opfers mit Golgotha identifizieren. 7 Diese Übereinstimmung von Abrahams Opfer und Golgotha hat ihren Widerhall in den Lokaltraditionen des Heiligen Landes gefunden, die durch zahlreiche Pilgerberichte verbreitet wurden. Pilger wie Theodosius und Antonius von Piacenza wissen ausführlich über Treppen zu berichten, die zum Opferaltar Isaaks auf dem Kalvarienberg führten. 8 Eine zusätzliche visuelle Formulierung der Identität jener Stelle, wo sich die Opferung Isaaks und die Kreuzigung Christi ereignet haben, taucht in Darstellungen auf, die das Grab Christi als Altar, der durch Treppen erreichbar ist, nachbilden. Diese Art von Darstellungen kommt auf zwei Elfenbeinpyxiden vor. Die eine Pyxis ist im Metropolitan Museum in New York aufbewahrt (Abb. 4), die andere in Cleveland (Abb. 5). Beide gelten in der Forschung als palästinische Arbeiten. 9 Die Tatsache, daß „nur“ drei Treppen zum Grab Christi, doch mehrere zu Isaaks Altar führen, deutet darauf hin, daß das Treppen-Motiv differenziert und bewußt als Symbol gebraucht wurde: im Falle des Grabes Christi als Sinnbild der Trinität. Die Lokalisierung des Opfers Abrahams auf Golgotha stützt sich ferner auf eine schon frühere Parallelsetzung der Grabeskirche mit Salomos Tempel. Die Pilgerin Egeria bezeugt deutlich in ihrer Beschreibung der Encaenia- Liturgie, daß die Einweihung der Grabeskirche an dem Tag gefeiert wurde, an dem Salomo den Tempel geweiht hatte. 10 In ihrer Beschreibung der Osterwochen-Liturgie erwähnt Egeria den Ring Salomos, mit dessen Hilfe der Tempel gebaut wurde, und behauptet, das Salbungshorn der Könige Israels in der Grabeskirche gesehen zu haben. In Egerias Bericht (achtziger Jahre des 4. Jahrhunderts) taucht die Aqedah allerdings noch nicht als locus sanctus im Bereich von Golgotha auf. Etwa gleichzeitig erwähnt Hieronymus ausdrücklich den Berg Moriah als Ort des Geschehens 11 gemäß der jüdischen Tradition. Da die Verknüpfung von Aqedah und Golgotha erstmals in Theodosius’ Pilgerbericht, datiert in den Jahren zwischen 518 und 530, bezeugt 7 D. V. Ainalov, The Hellenistic Origins of Byzantine Art, New Brunswick 1961 (Orig. Russisch St. Petersburg 1900), 94ff., Abb. 48; K. Weitzmann, Loca Sancta and the Representational Arts of Palestine, Dumbarton Oaks Papers 28 (1974), 33-55, bes. 47. 8 Ainalov (Anm. 7), 98; Weitzmann, Loca Sancta (Anm. 7), 47. 9 Volbach, Elfenbeinarbeiten (Anm. 1), Nr. 177 und 184, Taf. 2; Weitzmann, Age of Spirituality (Anm. 4), Nr. 520 und 519. Für diese und andere Beispiele siehe auch: B. Kühnel, Earthly or Heavenly? An Early Christian Representation of Jerusalem, Boreas, Münstersche Beiträge zur Archäologie 8 (1985), 127-142, Abb. 1, 2, 3. 10 S. Heid, Kreuz, Jerusalem, Kosmos. Aspekte frühchristlicher Staurologie, Münster 2001 (Jahrbuch für Antike und Christentum, Ergänzungsband 31), 91ff. 11 Hieronymus, Hebraicae quaestiones in libro Geneseos, hg. von P. de Lagarde, Turnhout 1959 (CCSL 72), 26. Siehe auch Comm. in Marc. 15, PL 30,638. J. Schwartz, The Encaenia of the Church of the Holy Sepulchre, Theologische Zeitschrift 43 (1987), 268. <?page no="84"?> Bianca Kühnel 76 ist, 12 kann man annehmen, daß die christliche Tradition, die Abrahams Opfer auf Golgotha lokalisiert, erst im 5. Jahrhundert feste Konturen gewann. Diese Annahme steht im Einklang mit dem kunsthistorischen Befund. Die früheste visuelle Darstellung, die die Einheit von Aqedah und Golgotha veranschaulicht, ist die Berliner Elfenbeinpyxis aus dem 5. Jahrhundert. Alle anderen Beispiele stammen aus dem 6. Jahrhundert. Es ist wohl kein Zufall, daß die früheste dokumentierte jüdische Reaktion visueller Art gegen die christliche Aneignung und Traditionsverschiebung der Opferung Isaaks vom Berg Moriah nach Golgotha auch ins 5. Jahrhundert datiert ist. Die ausführlichen Darstellungen der Verkündigung der Geburt Isaaks und dessen Opferung in der Synagoge von Sepphoris sind meines Erachtens vor allem als jüdisches Bekenntnis und als Widerspruch gegen die Christianisierung Jerusalems und den Transfer der Tempelberg- Traditionen nach Golgotha zu verstehen (Abb. 6, 7). 13 Die Behauptung, daß die Unwissenheit der Juden bezüglich der Ereignisse christlichen Lebens in Jerusalem durch ihre Abwesenheit aus der Stadt zu erklären sei, hat sich als unhaltbar erwiesen. Die haggadischen Quellen dokumentieren mehrere jüdische Reaktionen auf christliche takeovers der jüdischen Traditionen. 14 Es erhebt sich nun die Frage, welche Indizien uns die Annahme erlauben, daß die Darstellung von Abrahams Opfer in Sepphoris als jüdische Reaktion gegen die Christen und ihre Politik der Umwälzung von Traditionen gedacht war? Unsere Annahme, daß die Sepphoris-Aqedah mehr auszusagen hat als die üblichen Illustrationen der biblischen Geschichte, stützt sich auf folgende Beobachtungen: - Erstens auf die Tatsache, daß die Aqedah Teil einer größeren Komposition ist. Diese Komposition bildet die Hauptdekoration des Fußbodens eines öffentlichen Gotteshauses. Das allein schließt die Möglichkeit aus, daß die Darstellung der Aqedah eine eigenlebige Aussage hätte, die nicht in den Kontext des öffentlichen Gemeindelebens gehört. - Zweitens ist die Komposition axial gestaltet. Dadurch werden zwei andere ikonographische Motive mit Abrahams Opfer-Szene programmatisch verbunden. Diese axiale Anordnung der drei ikonographischen Nuklei wirkt komplementär und assoziativ. Gegenüber den Abraham-Isaak- Szenen ist eine architektonische Fassade abgebildet, flankiert von liturgischen Tabernakel- und Tempelgeräten sowie von den vier species und Schofarot (Abb. 8). Diese Fassade kann gleichzeitig als Sinnbild der Bundeslade, des Tabernakels, des Tempels oder des Aaron ha-Kodesch betrach- 12 T. Tobler / A. Molinier (Hg.), Itinera Hierosolymitana et descriptiones Terrae Sanctae, Bd. 1, Genf 1879, XX-XXI; J. Gildmeister (Hg.), Theodosius de situ Terrae Sanctae im echten Text und der Breviarius de Hierosolyma, Bonn 1882, 22f. 13 B. Kühnel, The Synagogue Floor Mosaic in Sepphoris: Between Paganism and Christianity, in: L. I. Levine / Z. Weiss (ed.), From Dura to Sepphoris: Studies in Jewish Art and Society in Late Antiquity, Portsmouth (RI) 2000 (Journal of Roman Archaeology Supplementary Series 40), 31-43. 14 Schwartz (Anm. 11), bes. 265, und Anm. 4. <?page no="85"?> Abrahams Opfer als Chiffre des Tempels 77 tet werden. Der multivalente Inhalt des Sinnbildes bezieht sich historisch auf jüdische Vergangenheit und Gegenwart und impliziert damit auch den Gedanken an den zukünftigen Tempel. Die Wiedergabe der vier species unterstützt unsere Interpretation: Die vier species sind spezifisch mit der Sukkot-Feier assoziiert, ursprünglich jedoch ein Fest des Tempels, das die Erinnerung an das Tabernakel in der Wüste wachhalten sollte. An diesem Beispiel erkennt man die Tendenz, Brücken zwischen den Zeiten der jüdischen Geschichte zu schlagen und die Relevanz und Gültigkeit ihrer Werte für die Gegenwart besonders hervorzuheben. 15 - Drittens: Im Zentrum dieser Komposition dominiert der Tierkreis (Abb. 9); er wird durch Monats- und Jahreszeitenpersonifikationen ergänzt. Den Kern des Zodiaks bildet eine seltsame geometrische Darstellung der Sonne in Form von Sonnenstrahlen in einer Quadriga, die an heidnische Darstellungen des Helios erinnert. Auf einem früheren Synagogenmosaik in Hamat Tiberias (Abb. 10) ist Helios innerhalb einer ähnlichen Komposition tatsächlich dargestellt, allerdings ohne Aqedah. Die eigenartige Darstellung der Sonne in Sepphoris, in Form von Strahlen und nicht durch die heidnische Form des personifizierten Sonnengottes, läßt nicht nur deutlich erkennen, daß die heidnische Personifikation vermieden werden sollte, sondern auch, daß der Akzent auf ein Emblem gesetzt wurde, dessen Inhalt den zyklisch-gesetzmäßigen Lauf der Zeit ausdrückt. Nach den bisherigen Ausführungen erhebt sich die Frage: Was sagt die Aqedah in Verbindung mit dem Tabernakel, der Tempelfassade, den Tempelgeräten und dem Tierkreis aus? Wenden wir uns zuerst der rabbinischen Exegese und den liturgischen Quellen zu, um dann zur Synagogendarstellung in Sepphoris zurückzukommen. In der biblischen Erzählung von Genesis 22 bestätigt Gott erneut seinen Bund mit Abraham und seine zukünftige Fruchtbarkeitsverheißung an ihn, nachdem Abrahams Glauben auf die schwerste Probe gestellt worden war. Die frühesten jüdischen Quellen unterstreichen den Beweischarakter der Opfergeschichte im Hinblick auf die unbedingte Gottesgehorsamkeit Abrahams, woraufhin der Fruchtbarkeitsbund erneut bekräftigt wird. So spricht Gott zum Beispiel in Exodus Rabbah 38,6, wo Ex 29,1 kommentiert wird, einen verzweifelten Abraham an, der die Tierkreiszeichen fürchtet, und wiederholt dabei seine Verheißung: „Fürchtest du die Tierkreiszeichen? Schau die Sterne an; kannst du die zählen? So wird deine Nachkommenschaft sein.” 16 15 Der Tempel Salomons wurde während der Sukkotfeier geweiht, und zwar im Monat TiSchri; entsprechend wurde auch die Weihe der Grabeskirche im Monat September festgelegt. Die Encaenia wurde, laut Egeria, acht Tage lang gefeiert, was wiederum an die jüdische Sukkotfeier erinnert. Vgl. Schwartz (Anm. 11), bes. 269f. 16 M. A. Mirqin (Hg.), Midrasch Rabba, Bd. VI, Tel Aviv 1959, 119. Siehe auch: G. Stemberger, Die Bedeutung des Tierkreises auf Mosaikfußböden spätantiker Synagogen, Kairos 17 (1975), 38. <?page no="86"?> Bianca Kühnel 78 Die jüdische Liturgie verbindet zwischen der Opferung Isaaks und der Erfüllung der Erlösung; seine freiwillige Bereitschaft, geopfert zu werden, wird dabei betont und gepriesen. Die Rosch ha-Schana-Lesung erinnert daran, wie Isaaks Nachkommen, das Volk Israel, durch die Ergebung Isaaks in den Willen Gottes, gerettet worden ist. Quellen wie Exodus Rabbah 15,11 vertreten die Meinung, daß sich die Aqedah an Rosch ha-Schana ereignet hat, weil man eine Verbindung sieht zwischen dem Widder und dem Schofar, das an Rosch ha-Schana eine prominente Rolle spielt. 17 Es sei hier erwähnt, daß der Schofar auch in den Synagogenmosaiken - wie in der Liturgie - prominent dargestellt wird. Die Fesselung Isaaks (Gen 22,9) wird in der jüdischen Tradition als Urereignis der Glaubens- und Leidensgeschichte Israels verstanden, Isaak ist der Prototyp des Märtyrers und Vorläufer des leidenden Gottesknechts, wie er nach Jesaja 41f. die messianischen Hoffnungen des Volkes Israel verkörpert. Die frühesten Formulierungen der Slichot (= Fürbittgebete, gesprochen während der sogenannten furchtbaren Tage, zwischen Rosch ha-Schana und Yom Kippur), die in der Mischna Ta’anit 2, 2-4 erwähnt sind, verknüpfen sinngemäß Gottes Hilfe für Abraham mit der Barmherzigkeit, die die Betenden von Gott zu erlangen wünschen. 18 Kommen wir auf das Fußbodenmosaik des 5. Jahrhunderts in Sepphoris zurück. Während dieser Zeit wird Jerusalem mehr und mehr christianisiert. Der neue kultische Kern konzentriert sich um Golgotha. Der Tempelberg mit seinen jüdischen Traditionen wird versetzt und „umgetauft“. Isaak wird von Jesus absorbiert. Die eindrucksvolle Komposition der Mosaikdarstellung in der Synagoge von Sepphoris ist meines Erachtens als ein Plädoyer für die Ursprünglichkeit des jüdischen Besitzes des Tempelbergs und seiner Traditionen zu verstehen, mehr noch als eine Erklärung, die die Rückkehr der Juden nach Jerusalem und den Wiederaufbau des Tempels fordert. In der unteren, linken Ecke der Opfer-Szene, wo die zwei mit dem Widder wartenden Diener zu sehen sind, taucht ein bezeichnendes Detail auf: der Berg. Dieses Detail kommt in keiner der bekannten Darstellungen des Themas vor. Mit diesem Detail wird die jüdische Lokaltradition der Aqedah ausdrücklich präzisiert und hervorgehoben. Der Tierkreis in der Mitte der gesamten Bildkomposition verleiht der Wiederherstellung der Berg-Moriah-Tradition und des jüdischen Jerusalem- Gedankens einen immanenten Charakter, entsprechend der Gesetzlichkeit in der Natur, die im Tierkreis zum Ausdruck kommt und vom allmächtigen Gott bestimmt wird, von demselben Gott, der seine Verheißung an das Volk Israel wiederholt bestätigt und auch erfüllt hat. Das Plädoyer in Sepphoris 17 L. Ginzberg, The Legends of the Jews, Bd. 5, Philadelphia 1925, 252f. 18 A. Shinan, Synagogues in the Land of Israel; The Literature of the Ancient Synagogue and Synagogue Archaeology, in: S. Fine (ed.), Sacred Realm: The Emergence of the Synagogue in the Ancient World, New York / Oxford 1996, 145. <?page no="87"?> Abrahams Opfer als Chiffre des Tempels 79 bezieht sich somit sowohl auf die Naturgesetze wie auch auf exempla aus der Geschichte (Abraham und Isaak). 19 In den früheren Fußbodenmosaiken in Hammat Tiberias und in den späteren in Beth Alpha (Abb. 11) ist dieselbe Aussage, jedoch in kürzerer Fassung formuliert. In Hammat Tiberias fehlen Abraham und Isaak ganz, in Beth Alpha ist nur die Aqedah dargestellt. Das Mosaik in Sepphoris ist ausführlicher nicht nur in der Darstellung der Abraham-Szenen, sondern auch des Tabernakels bzw. des Tempels. Anders als in Hammat Tiberias und Beth Alpha ist in Sepphoris das Tabernakel bzw. der Tempel nicht nur durch das Register der emblematischen Fassade, die von Menoroth und anderen Kultgegenständen begleitet wird, repräsentiert, sondern auch durch zusätzliche kultische Szenen, Objekte und Figuren, die auf drei Register verteilt sind (Abb. 6, Register 2-4). Diese Motive weisen alternierend auf Kultbräuche des Tabernakels, des Tempels oder auf solche hin, die in beiden ausgeübt wurden. Dadurch wird die Tendenz verstärkt, die wir auch im emblematischen Register beobachtet haben, nämlich die Mischung der unterschiedlichen historischen Perioden der Geschichte Israels. Diese Mischung kann schwerlich als mangelndes Wissen oder Irrtum betrachtet werden; sie ist vielmehr ein Zeichen für die ununterbrochene Kontinuität der Geschichte Israels und Ausdruck für die Hoffnung auf eine Zukunft, die bewußt in diese geschichtliche Kontinuität integriert ist. 20 Ein Detail der Kultszenen im oberen Teil des Fußbodenmosaiks läßt sich, ähnlich den herausragend dargestellten Schofarot , vor allem mit der Aqedah in Verbindung bringen: Im dritten Register von oben ist Aarons Weihe zum Tabernakeldienst dargestellt. Gemäß Ex 29,38f. endet die Beschreibung des Tabernakeldienstes mit dem Befehl, tagtäglich zwei Lämmer darzubringen, das eine am Morgen, das andere am Abend. „Das eine Lamm“ im oberen Register unserer Darstellung ist von einer Bildlegende begleitet, die im unteren Register, wo das zweite Lamm dargestellt ist, fortgeführt wird. Nun liefert Levitikus Rabbah 2,11 (= Kommentar zu Lev 1,11) eine Erklärung für die getrennte Wiedergabe der beiden Lämmer und somit der beiden Legendenteile: das zweite Lamm sollte Abrahams Opfer in der Erinnerung wachhalten. Die ununterbrochene Kontinuität der Geschichte Israels, das Wachhalten der Erinnerung an Isaaks Opferung, wurde damit durch die tägliche Liturgie erreicht und im Synagogenkult fortgesetzt. Auf diese Art und Weise ist Isaaks Opferung immer wieder aktualisiert und als Argument und Garantie für die Zukunft Israels angewendet worden. 19 B. Kühnel, The End of Time in the Order of Things: Science and Eschatology in Early Medieval Art, Regensburg 2003, bes. 45f. und 55f. 20 B. Kühnel, Jewish and Christian Art in the Middle Ages: The Dynamics of a Relationship, in: A. Haverkamp (Hg.), Juden und Christen zur Zeit der Kreuzzüge, Sigmaringen 1998 (Vorträge und Forschungen 41), 1-15. <?page no="88"?> Bianca Kühnel 80 Die ikonographischen Unterschiede der Fußbodenmosaiken der drei galiläischen Synagogen sind zeitlich bedingt, ebenso wie ihr Stil verschieden ist. Interessant zu bemerken ist in unserem Kontext nicht zuletzt auch die Möglichkeit, daß die galiläischen Mosaiken eine ikonographische Entwicklung darstellen, die die sich mehr und mehr verschärfenden Beziehungen zwischen Juden und Christen zu dieser Zeit im Heiligen Land widerspiegeln: Die Aussage des Mosaiks in Hammat Tiberias erfolgt ausschließlich aus der Zusammenfügung von Tempelfassade, Tempelgeräten und Tierkreis. Folgerichtig ist sie vage in ihren Andeutungen. Sie kann nur retrospektiv aus dem Vergleich mit den späteren Beispielen in Sepphoris und Beth Alpha interpretiert werden. Die axiale Anordnung in Sepphoris und Beth Alpha mit der Platzierung der Opferung Isaaks gegenüber dem Tabernakel bzw. Tempel mit seinen dazugehörigen Kult-Szenen, im Zusammenhang mit dem Tierkreis und den Personifikationen der Jahreszeiten sowie den Monaten, die die unendliche Bewegung und Gesetzmäßigkeit der Natur ausdrücken, verleihen, wie wir gesehen haben, den besprochenen galiläischen Darstellungen einen erhöhten national-historischen Sinn. 21 Was in diesem Aufsatz zu zeigen versucht wurde, ist das Bild einer Aqedah, das Interessen und Aspirationen widerspiegelt, die für die Zeit und für den Raum ihrer Entstehung, nämlich für das Palästina des 5. und 6. Jahrhunderts, höchst aktuell waren. Offenbar wirkte dieses Bild in der damaligen jüdisch-christlichen Polemik um Jerusalem recht militant. Heutzutage erscheint es selbstverständlich zu sein, daß sich visuelle Darstellungen der Aqedah mit höchst aktuellen Fragen auseinandersetzen. Diese Darstellungen sind natürlich nicht mehr so einheitlich in ihren formellen und kompositionellen Strukturen wie einst die Mosaiken im frühbyzantinischen Galiläa, und sie bauen auf persönliche Erfahrungen und drücken vorwiegend individuelle Perspektiven aus. Der großen Varietät in der Erscheinungsform entsprechen oft stark individuelle und unmittelbar direkte Aussagen. George Segals Aqedah, ein Werk aus dem Jahr 1978 (Abb. 13, 14), veranlaßt eine Parallele zwischen modernen Aqedah-Darstellungen, die auf gegenwärtige Ereignisse und Siuationen reagieren oder anspielen und für uns vielleicht deshalb eher verständlich sind, und meiner Interpretation der frühbyzantinischen Monumente. Die Gipsgruppe (Abb. 12) ist die Vorlage für eine Bronzeskulptur, die auf dem Campus der Kent State University in Ohio aufgestellt werden sollte. Die Skulptur war als Monument zur Erinnerung an vier Studenten dieser Universität gedacht, die während einer Demonstration gegen den Vietnam-Krieg getötet wurden. Die Skulptur wurde jedoch von der Kent University abgelehnt mit der zweifelhaften Begründung: „An act of violence to be committed is inappropriate to commemorate an act of violence.” Heute steht die Skulptur in einer anderen (toleranteren) amerikanischen Universität, in Princeton 21 G. Kühnel, Gemeinsame Kunstsprache und rivalisierende Ikonographie: Jüdische und Christliche Kunst in Galiläa vom 4.-7. Jahrhundert, Oriens Christianus 79 (1995), 197-223. <?page no="89"?> Abrahams Opfer als Chiffre des Tempels 81 (Abb. 14). 22 Was ich an dieser Darstellung für unsere Diskussion als relevant ansehe, ist die Tatsache, daß sowohl Isaak wie auch Abraham auf dem Opferaltar erscheinen, ferner, daß der Altar als Fels des Berges Moriah gestaltet ist, und daß die Figur Isaaks größer ist als sonst üblich: würde er aufrecht stehen, wäre er größer als Abraham. Fünf Jahre zuvor, im Jahr 1973, hatte George Segal auf einen anderen Krieg, den Yom Kippur-Krieg, mittels des Aqedah-Themas reagiert (Abb. 13). Auch dort sind Abraham und Isaak, beide auf dem Felsen, dargestellt. Der Knabe Isaak liegt ohnmächtig am Boden, das Messer - ein objet trouvé aus einem arabischen Restaurant in Jaffa - ist nicht auf ihn gerichtet. Als Modell für diese Skulptur standen Menasche Kadishman, ein bekannter israelischer Künstler, und sein damals neunjähriger Sohn Ben (= Sohn, auf Hebräisch). Das Kunstwerk thematisiert das Dilemma zwischen dem Verlangen einer höheren Macht (und wie George Segal sagte, „…the implacable either/ or aspect of the situation”) einerseits und der Tragödie der persönlichen Opferung andererseits. 23 In seinem Bild zeigt Segal bezeichnenderweise weder den Widder noch den Engel - und auch nicht Gott. Will er sich dadurch besser auf psychologische Aspekte der Vater-Sohn-Beziehung konzentrieren? Das Kunstwerk, das in Tel Aviv im Kontext des Yom Kippur-Krieges entstand, deutet vor allem aber auch auf das furchtbare Dilemma des „notwendigen Krieges” hin, und unterstreicht damit die Aussichtslosigkeit kriegerischer Situationen. 22 M. Heyd, George Segal: The Multifaceted Sacrifice, in: B. Kühnel (ed.), The Real and Ideal Jerusalem in Jewish, Christian and Islamic Art, Jerusalem 1998 (Jewish Art 23/ 24 [1997- 1998]), 617-627. 23 Ebd., 619. <?page no="90"?> Bianca Kühnel 82 Abbildungen 1. Elfenbeinpyxis, Berlin, Staatliche Museen. <?page no="91"?> Abrahams Opfer als Chiffre des Tempels 83 2. Elfenbeinpyxis, Bologna, Museo Civico. 3. Sinai, Kirche des Katharinenklosters, Enkaustik-Ikone auf dem Triumphbogen. <?page no="92"?> Bianca Kühnel 84 4. Elfenbeinpyxis, New York, Metropolitan Museum of Art, Nr. 17.190.57. 5. Elfenbeinpyxis, Cleveland Museum of Art, Nr. 51.114. <?page no="93"?> Abrahams Opfer als Chiffre des Tempels 85 6. Sepphoris, Synagoge, Fußbodenmosaik, Nachzeichnung. <?page no="94"?> Bianca Kühnel 86 7. Sepphoris, Synagoge, Fußbodenmosaik, Detail, Abrahams Opfer. 8. Sepphoris, Synagoge, Fußbodenmosaik, Detail, Tempel-Tabernakel Darstellung. <?page no="95"?> Abrahams Opfer als Chiffre des Tempels 87 9. Sepphoris, Synagoge, Fußbodenmosaik, Detail, Der Tierkreis. <?page no="96"?> Bianca Kühnel 88 10. Hammat Tiberias, Synagoge, Fußbodenmosaik. <?page no="97"?> Abrahams Opfer als Chiffre des Tempels 89 11. Beth Alpha, Synagoge, Fußbodenmosaik, Nachzeichnung. <?page no="98"?> Bianca Kühnel 90 12. George Segal, Aqedah, Gipsgruppe als Vorlage für eine Bronzeskulptur, die auf dem Campus der Kent State University in Ohio aufgestellt werden sollte. 13. George Segal, Aqedah, Tel Aviv, Mann Auditorium. <?page no="99"?> Abrahams Opfer als Chiffre des Tempels 91 14. George Segal, Aqedah, Bronzeskulptur, Princeton University. <?page no="100"?> Bianca Kühnel Bianca Kühnel 92 92 <?page no="101"?> Ruth Kartun-Blum Political Mothers. Women’s Voice and the Binding of Isaac in Israeli Poetry 1 Bellaque matribus detestata (“Battle by the mother’s soul abhorred”, Horace, Odes 1.1.24) It’s hard for me to separate being a mother from being a human being. I only know that when there is a problem you can’t delay solving it, and to solve it through sacrifice is not the only way. Does this view stem from being one who gives life and wants to preserve and protect it, or from a general human outlook of view I can’t tell. (Rachel Ben-Dor, an Israeli political mother, 1998) The Israeli term “political mother” is a unique oxymoron that combines the mythical private realm with the ultimate public realm. In Israel, “Mother‘s Voice“ is not best known as the title of theoretical articles on gender issues, but as a moving — and by now almost mythical — radio program, in which mothers can send messages to their soldier-sons, somewhere far away on various “Mount Moriahs.” This essay focuses on women’s poetry and the binding of Isaac (aqedah). It is a part of a study that seeks to examine the history of Hebrew poetry, and of Hebrew literariness, in the twentieth century by following the trail of a single theme — the rereading of the narrative of the binding of Isaac. 2 The research sprung out of my growing awareness that understanding the dynamics of this metaphor is important not only for a historical study of Israeli culture but also for an assessment of the deep ideological and poetical structures and traumas that influence and shape Jewish and Israeli sociocultural behaviours to this day. One surprising fact leaps to the eye even of the casual historian, namely, that the use of this charged myth is rare in the poetry of women, whilst almost ubiquitous in the work of their male contemporaries. Up until the 1970s, it seems the aqedah remained an almost exclusively male topos. Even Sarah’s conspicuous absence from the original biblical story — an absence felt keenly by the sages and Rashi, who spun alternative midrashim around it, shifting the textual viewpoint to the roaringly silent mother — has not 1 This essay was previously published in: History & Literature. New Readings of Jewish Texts in Honor of Arnold J. Band, ed. by W. Cutter / D. C. Jacobson, Providence (RI) 2002. 2 See R. Kartun-Blum, Profane Scriptures. Reflections on the Dialogue with the Bible in Modern Hebrew Literature, Cincinnati 1999. <?page no="102"?> Ruth Kartun-Blum 94 triggered any interesting subversive readings in women’s poetry until recent decades. 3 From the 1970s onward, the poetic rewriting of the aqedah grows more dominant in various sections of women’s poetry, both secular and religious, and affords rich pickings, in kinds of approach as well as in poetic achievement. Some women poets use the story to engage in gender issues; for others, it is a historical mine of fear, anxiety, and repression: “The fetus Isaac commits suicide in his mother’s womb / Better to be unborn than born bound to the altar of fear“ (Esther Ettinger). As an existential paradigm, the story is sometimes taken as a symbol of the child’s inevitable break from and final farewell to the parent. In such cases, it is inverted, so that it is the parent who is bound, awaiting death. At other times, the new version is a mirror image of the fundamental Western paradigm of a fatherson relationship in the image of a mother-daughter relationship. Lastly, one finds bold psychoanalytic interpretations that are not necessarily bound to any feminist stance and are devoid of any sociohistorical context (as, for example, in the poetry of Rivka Miriam). In recent years, two plays have been staged in Jerusalem based on the various midrashim on Sarah’s life. 4 Women’s poetry on the binding of Isaac proves how the most apolitical activity of all, that of birth and motherhood, is destined, in Israeli circumstances, to become politicized, in the spirit of the l960s slogan “the personal is political” — a revolutionary stance, if one stops to consider the links between motherhood and martyrology in Jewish tradition. Familiar visions come to mind. First among them is the memorable story of Hannah and her seven sons or, in other versions, Miriam Bat-Tanhum, one of the better-known stories of martyrdom in rabbinic literature: “It was told of Miriam Bat-Tanhum, who was captured with her seven sons. What did the authorities do to her? Imprisoned each of them on his own.” Each son is pulled out to bow to an idol, boldly refuses, and is taken to die. At last they come to the youngest, a child of six, who conducts an amazingly precocious theological debate with the emperor in which the child quotes from the scriptures. 3 Surprisingly, it was Binyamin Gallai, a poet of the generation of the War of Independence, who wrote a subversive modern feminine version of the story (from B. Gallai, Massa tsafonah, Tel-Aviv 1968, 46, translated by R. Kartun-Blum): All these years her coffin was made of a remembrance of chopped wood on a different mountain, in the land of Moriah. In a sophisticated play among linguistic registers—biblical, midrashic, modern military slang—Gallai plucks Sarah out of her historical narrative and re-creates her as an everywoman who, at the mere knowledge of her son’s ordeal, has turned into the “living dead.” Every mother is thus a Sarah. 4 I intend to stick to poetry even though the deconstruction of the topos is central to several contemporary novels written by women (Dolly City, by Orly Kastel-Blum; I Danced‚ I Stood, by Tzruya Shalev). Prose, especially postmodern, presents different issues, which open up altogether different questions. <?page no="103"?> Political Mothers 95 Said his mother to the Emperor: “Upon your life, Emperor, give me my son, to kiss him and hold him.” And they gave him to her, and she took out her breasts and gave him milk ... And she said to the Emperor “Upon your head, Emperor, let the sword fall on both our necks together.” The Emperor refuses her wish, sarcastically saying that it is her Book of Laws that forbids killing the parent and the child together. Her reaction, in which she compares her situation with that of Abraham on Mount Moriah, has accorded her a pride of place in Jewish tradition through the centuries: And the mother said to her youngest son: “My son, do not be soft of heart and do not fear. You are going to your brothers, and to the bosom of Abraham. And say to him from me ‘you have built one altar and did not sacrifice your son, and I have built seven altars and sacrificed my sons on them.’” (Eikhah Rabbah, 1, Buber ed., pp. 84-95) Galit Hazan-Rokem, in her book on Eikhah Rabbah, 5 comments on the “direct physical orality” of breast-feeding, which replaces the “orality inherited from culture in the form of speech-making and verse quoting” and which is “a pre-condition for a living dialogue to take place, as opposed to the static quoting of verses.” I would stress, furthermore, that even within this midrashic scene of ultimate closeness between mother and son on the brink of death, male and female expression is distinct rather than unified — however unified in purpose. Even when Miriam (or Hannah) speaks of Abraham, she doesn’t quote the scriptures, as her son does, but speaks to them, or with them; she domesticates religion. 6 She is conscious, as it were, that in killing her sons she enters the story. In fact, her consciousness of the story and of her future place in it is what enables her — and presses her — to kill them. The voice of the mother is legitimate only when her son is placed upon the altar. The story of Hannah and her seven sons was quickly adopted by the Zionist ethos and education system and incorporated in the cultural repertoire in the shape of a popular school play. 7 In some later midrashic versions, Hannah jumps off the roof to became “the happy mother of sons.“ 8 The salient point is what remained uppermost in the Zionist consciousness as representing the normative voice. That is to say, these narratives represent the 5 G. Hazan-Rokem, The Web of Life. Folklore and Rabbinic Literature, the Palestinian Aggadic Midrash Eikhah Rabbah [Hebrew], Tel Aviv 1996, 128-135. In her book “The Newly Born Woman” (trans. B. Wing; Minneapolis 1986), H. Cixous develops a metaphor of writing in white ink, which symbolizes the breast milk. 6 S. Starr-Sered illuminates this point of domestic religion, in terms of the different voice that women have as part of their liminal social position, in her “Ritual, Morality and Gender: The Religious Lives of Oriental Jewish Women in Jerusalem” in Y. Azmon / D. N. Izraeli (Ed.), Women in Israel. Studies in Israeli Society, New Brunswick, N.J. and London 1993, 225-34. 7 I remember what fun it was to play Hannah in school and be brave and reckless with my “sons,” as was the order of the day. Then, I began to experience a few sneaking heretical doubts, which I was loath to voice aloud to my teacher — perhaps a moment that should be titled “How I Became a Literary Critic.” 8 Though not, significantly, in the Zionist version I played in school. <?page no="104"?> Ruth Kartun-Blum 96 infiltration of women into the myth and the canon by the radicalization of the hegemonic discourse. Even in Jewish medieval chronicles, female martyrology transcends male martyrology. Yisrael Yuval quotes a few blood-curdling examples of martyrological feminine stories within chronicles of the First Crusade of 1096. 9 Writing about Jewish life in Germany, Shlomo Ben-Shimshon tells how one mother urges her kindly neighbors, “I have four children. Don’t spare them either.“ Another has two fair virgin daughters who “took the knife and sharpened it lest it be blunt, and stretched out their necks, and their mother slaughtered them in the name of God the Lord of Hosts.” 10 Some historians, notably the convert Victor von Karben, explain the radical feminine martyrology as an answer to women’s inferiority in everyday religious life that made them all the more eager to prove their zealotry. 11 However, the reliability of such stories seems forever clouded in doubt. Jewish women on the whole did not express themselves in writing even on religious issues. How much truth is there, then, in the stories of these enthusiastic women? Were they, in fact, kinds of Antigones, Medeas, or Lady Macbeths — male fictions perpetuating icons of radicalism for their authors’ own political or artistic ends? The voice of Lady Macbeth is too tempting a comparison to avoid: I have given suck, and know How tender ‘tis to love the babe that milks me: I would, while it was smiling in my face, Have pluck’d my nipple from his boneless gums, And dash’d the brains out, had I so sworn As you have done to this. (act 1, scene 7, lines 54-59) The harassed husband gives in. The point here is not the purpose of the deed (which in this case has nothing to do with the Lord of Hosts), but that it takes an “unsexed” woman to help a man rid himself of pity and tender feelings and act. If such women are not available, they must be invented (and in that sense, Lady Macbeth is even fictional to Macbeth). While the question of fact or fiction regarding the Jewish chronicles remains tantalizing, and perhaps unanswerable, one thing is certain: it is no mere chance that Sarah is absent from the biblical story in which her son is brought to sacrifice. 9 Y. Yuval, “Vengeance and Defamation: From Jewish Martyrdom to Blood Libel Accusation” [Hebrew], Tsion 58 (1) (1993), 33-90. 10 Quoted in A. Habermann (Ed.), Gezerot ashkenaz vetsorfat: divrei zikhronot mibenei hadorot shebitequfot masei hatselav umivhar piyyutehem, Jerusalem 1945, 34. 11 In Yuden Buchlein, 1550; quoted by Y. Yuval (n. 9), 89. A. Rapoport-Albert, in her forthcoming book Women and Jewish Mysticism. Female Bodies — Male Souls, claims that the prominent place accorded to women in Jewish martyrology in contrast to the marginality of women in the religious and spiritual arena of Judaism stems from the inherent liminality of the martyrological movement — the transition from life to death. In life after death or indeed in the messianic future, women are credited with the power to achieve spiritual and even religious equality with men. <?page no="105"?> Political Mothers 97 *** While the 1920s and 1930s saw a great flowering of feminine poetry in Hebrew, women still made little use of a motif that seemed to hypnotize their male contemporaries. 12 Even during the War of Independence, while some women poets did relate to the experience of war, they seemed to join in the preponderant discourse that tended to regard the destiny of sacrificing sons as a kind of DNA of the Jewish people (“They are born with a knife in their hearts,” to quote Hayyim Gouri), without turning the paradigm to any subversive ends as mothers or daughters. A striking exception, however, is Yoheved Bat-Miriam, one of the founding mothers of Hebrew women‘s poetry. When Bat-Miriam lost her son, Zuzik Hazaz, in the battle for Jerusalem in 1948, she quit writing and scarcely ever wrote a line of verse again. But in one short piece of writing (as well as in things she told me in our many conversations), she admitted the great extent to which she identified her poetic life with her maternal life: Mothers, mothers of the world. Stand like a wall to protect your children, for without them there is nothing — without them death walks in your cold, dumb bodies ... From far, far away, from beyond, from behind my son’s body, your face floats — the bread, the water in the mouth, are like the taste of dust from his grave. A grave? A grave of Zuzik’s? And if I am the grave, my son is inside me — inside me, and therefore I walk slowly and sedately, as bringing my own body to burial. 13 In her overwhelming grief Bat-Miriam appeared to her generation as both eccentric and Orphic. 14 The sudden eruption of the binding of Isaac as a major topos in women‘s poetry during the 1970s after such prolonged absence is therefore startling enough to capture one’s attention. Only after the Six Day War and the War of Attrition did women’s poetry become saturated with expressions of this narrative. The common denominator of the various readings, and the most striking one, is a challenge to the masculine character of the narrative: after all, the biblical interpretation of the name “Abraham” is that he is the father of numerous nations (av hamon goyyim). I offer here a few short readings of 12 See especially Yitzhak Lamdan, David Shimoni, Uri Zvi Greenberg, and Abraham Shlonsky. 13 Quoted in an anthology of poems and stories written during the War of Independence: A. B. Yaffe (Ed.), Nikhtav betashah, Tel Aviv 1998, 28, 30-32. 14 “You are as fond of grief as of your child,” says a callous cardinal to a grieving mother in Shakespeare’s King John. “He talks to me that never had a son,” she answers. Grief fills the room up of my absent child, Lies in his bed, walks up and down with me, Puts on hid pretty looks, repeats his words, Remembers me of all his gracious parts, Stuffs out his vacant garments with his form. (act 3, scene 4, lines 93-97) Constance makes love to a grisly figure of death till she herself becomes that figure — a body bearing a body, as in a postmortum pregnancy. <?page no="106"?> Ruth Kartun-Blum 98 such writers’ poetry that form different paradigms and wish to draw special attention to publication dates, which are in themselves an important clue. Categories of Feminine Discourse with the Aqedah The first paradigm is that of rebellion — an outright negation of the myth and an attempt to replace it with a feminine alternative fit for life. Ra’aya Harnick wrote the cycle Poems of Attrition (“Shirei hatashah”) in 1970, at the height of the War of Attrition (three years after the Six Day War), but published them only in 1983, after her son Guni was killed in Lebanon. (It is indeed chilling to think of them as prophetic and also of the kind of price “paid” for legitimacy.) Poems of Attrition 1970 1970 hXth yryX A. a I will not bring byrIq.a; al{ ynIa] my first-born to sacrifice. . hl'A[l. yrIAkB. Not I. . ynIa] al{ At night God and I ynIa]w: ~yhil{a/ tAlyLeB; reckon tAnABv.x, ~ykir>A[ who deserves what. . ymil. [; yGIM; hm; I know and am hr"yKim; W t[; d: Ay ynIa] beholden. . hr"AT But not my son ynIB. ta, al{ lb'a] and not al{ w> for sacrifice. . hl'A[l. B. b No longer 1942 ~yIT; v.W ~y[iB'r>a; tn: v. dA[ al{ No longer Treblinka. . hq'n>yliB.r<j. dA[ al{ No longer sheep to slaughter. . hx'b.Jil; ! acoK. al{ Now proudly ! Aag"B. wv'k.[; Now like Masada hd'c'm.Ki wv'k.[; Now sheep for sacrifice. . hl'A[l' ! acoK' , wv'k.[; <?page no="107"?> Political Mothers 99 C. g God ~yhil{a/ in His mercy builds wym'x]r: B. hn<AB Jerusalem. . ~yIl; v'Wry> (Every day after the meal) ( hx'Wra]h' rx; a; ~Ay lKo ) And every stone He built hn"B'v, ! b,a, lK'w>> in His mercy wym'x]r: B. in Jerusalem ~yIl; v'WryBi is sodden . h['m.dIw> ~d"B. hg"Wps. with blood and tears. I’ll give God ~yhil{ale ! Tea, In his mercy wym'x]r: B. Jerusalem ~yIl; v'Wry> ta, And take ta, xQ; a,w> my son ynIB. in return. 15 . hr"Wmt.Bi Harnick’s attrition comes in a double sense: the contemporary, political meaning, but also the attrition of myths and the values they generate. Actually, they come in a triple sense: attrition of myth, of writer, and of reader. This new stance lets the woman into the hegemonic discourse with no apologetic note in her voice. The mother wages open war on the myth, and to do that she performs what Alicia Ostriker calls “stealing the language.” She uses the original texts to deconstruct the myth from its insides. She applies the very repetitive triple rhythm, which characterized the original obedience of the binder, for her own purposes of defiance. Abraham’s story marches to these repetitions: “Take your son, your only son Isaac, whom you love,” or “So Abraham rose early in the morning, saddled his ass, and took two of his young men with him.” The poet new keeps the music, but replaces the contents: “I will not bring my firstborn to sacrifice, not I, and not to sacrifice.” Harnick “corrects” the hypogram “your son, your only son” with “my firstborn” and so wedges herself in between the two parents, Abraham and Sarah, and shows them to have a clearly unequal emotional relation toward their son: for Sarah, Isaac is her firstborn, unlike Abraham, whose firstborn is actually Ishmael. Linguistic mechanisms are similarly taken up and dismantled. For example, the well-worn coin “as sheep to slaughter” (katson latevah) is concretized by placing it within the context of the aqedah, in which there was a sacrificial animal. In this way the new text deconstructs the master narrative of Zion- 15 R. Harnick, Shirim leGoni, Tel Aviv 1983, 9-11. Translated by R. Kartun-Blum / S. Grubber. <?page no="108"?> Ruth Kartun-Blum 100 ism: Zionism is supposed to give shelter, to be the opposite of “as sheep for slaughter,” but actually it amounts to the same kind of martyrology. The poet wishes the biblical pattern of exchange to go her way (“I shall give God in His mercy / Jerusalem / and take my son in return”). Abraham is a great barterer, the first great Jewish merchant, and his story is full of deals — with his brother, with God, with Ephron the Hittite. 16 But Abraham’s deals are gracious and righteous and, when dealing with God, even whimsical. Nothing of that survives in Harnick’s version. She exposes God as a dishonest dealer. In the wake of Yehudah Amichai’s poetry she deconstructs the traditional Jewish Grace after Meals: “God / in His mercy builds / Jerusalem. / (Every day after the meal) / And every stone He built / is sodden / with blood and tears.” In another poem Harnick says “And we know all too well / That we go to the mountain with no ram in the thicket / And no ram in the world / And we are very lonely.” Moshe Shamir makes a fine distinction between the stories of Oedipus and Abraham. 17 Unlike the Oedipus story, which happens unwittingly — at least from the son’s point at view — the binding of Isaac is, throughout, a conscious act. The problems that occur on a conscious level are far more complicated than problems presented as the product of the unconscious. The verb “to know,” which relates originally to Abraham, the “knight of faith,” relates in Harnick’s poem to an individual, private foreknowledge of the tragic outcome of the plot. Unlike the biblical Sarah, who is “not knowing,” the modern mother not only knows but also expresses her knowledge in writing. A poem describes what something is not in order to distance itself from another form of poetic discourse. 18 What Jonathan Culler terms “negative presupposition” is a technique much used in Israeli political poetry and should not be seen merely as a rhetorical, ornamental device but as a psychological perspective charged with anger and emotion. Moreover, it is a yardstick for defining cultural space. When the poet mother says “I will not sacrifice my firstborn,” she places herself in opposition not only to the war in Lebanon but to historical continuity as a fatalistic decree. Harnick is consistent in her antimartyrological stance. In 1996 she published a polemic article in the literary journal Dimui following the kidnapping of the soldier Nahshon Vacksman, which she titled “The Sanctification of the Victim or a Return to the Diaspora.” 19 In this article she challenges the popular media’s tendency to focus on the kidnapped, “the victim,” and so to 16 According to the talmudic sages (Pesikta Rabbati 40), even the name of the sacrificial mountain — Moriah — was thought to emanate from the Hebrew noun temurah (payment, exchange). See S. Spiegel, The Last Trial. On the Legends and Lore of the Command to Abraham to Offer Isaac as a Sacrifice, trans. J. Goldin, New York 1967, 69. 17 M. Shamir, “Oedipus and Abraham” [Hebrew], in: Bekulmos mahir, Merhavia 1960, 330. 18 J. Culler, “Presupposition and Intertextuality,” in: The Pursuit of Signs — Semiotic, Literature, Deconstruction, Ithaca, N.Y. 1981. 19 Dimui, September 10, 1996. <?page no="109"?> Political Mothers 101 overlook the heroic soldier who was killed in trying to save Vacksman. Four years ago she stood in solitary protest against the placing of a monument for victims of terrorism on Mount Herzl, the site of a military cemetery. The Dialogical Reciprocity In contrast to the aggressive antisacrificial mood taken up by Harnick, the other feminine stance in relation to the myth is less transparent and more dialogical. Nevertheless, it also challenges the male perspective of the narrative. Here a dialogue is formed between the female voice and the myth. The very existence of a dialogue reduces the normative prowess of myth; when it ceases to be normative, it becomes discursive. The works of several women poets, both secular and religious, belong to this category. Here there is no attempt to reconcile conflicting elements; instead, there is an attempt to continue living with a profound awareness of them. Compared with the aggressive antisacrificial poetry of the 1980s and 1990s by poets such as Meir Weiseltier and Yitzhak Laor, this seems a more complex perspective. Hava Pinhas-Cohen, a religious woman, editor of the journal Dimui, does not isolate the aqedah as a point of reference but treats it as part of an entire historical sequence. She breaks down the barrier of a woman’s inability to read herself in a male narrative; it is as if she says that because she is Jewish, she has an equal share in this myth. She does not stand where tradition has put her, that is, alongside Abraham, in the slot of Sarah and Hagar, but actually in his place, which also puts her in a special position from which to question issues of gender. 20 Pinhas-Cohen takes up an attitude long neglected by Hebrew poetry, which has concentrated on the sorry self. She creates a special intimacy with history by domesticating great moments or combining monumental time (to use Kristeva’s definition) with intimate personal time, as illustrated in the poem Entreaty (“Baqashah”). Entreaty hXqb With a babe in arms ydIy"B. qAnyTi rv,a]K; And human milk lacing his life, , wyY"x; ta, ~qiAr yviAna/ bl'x'w> At night come beats and measured noises ~ybiWcq. tAlAqw> tAmy[iP. tAlyLeB; ~yaiB' Trains — - tAbK'r: At some station on this earth, , taZOh; #r<a'h' l[; tm,Y<sum. hn"x]t; B. Barefoot and powerless dy"-rc,qoB. tApxey> ~yIl; g>r: B. I stretched out my arms tA[Arz> yTij.v; P' 20 As for the relations between women and nation in Israel, see N. Yuval-Davis, “Gender and Nation,” in: Ethnic and Racial Studies 16 (4) (1993), 621-632. <?page no="110"?> Ruth Kartun-Blum 102 A ram’s horns caught in the thicket %b; s. %Atmi lyIa; ynEr>q; AmK. The whisper of earth to heaven ~yIm; V'l; #r<a'h' tv; yxil. Hear, and weave your mercy overhead ^ym,x]r: tK; su hfe[]w: , [m; v. Like the shade of vine and fig hn"aeT.h; w> ! p,G<h; lce AmK. Pray, do not try me. . an" , ynISen: T. la; There is wood and a thicket, a smell of fire vae lv, x: yrE , %b; s. vyEw> ~yci[e vyE and the sight of smoke. With mothers, you don’t play hide ~yqix]f; m. al{ tAhM'ai ~[i . ! v'[' haer>m; W and seek - - ~yaiAbx]m; With my hand out I cover my eyes yn: y[e l[; hS'k; m. ydIy" rc,qoB. My voice lost in a voiceless hq'['c.Bi dbeAa yliAq scream tyliAq-la; Where art thou? 21 hK'Y<a; Entreaty draws on traditional prayers of supplication offered by women (tehinot) and on the prayer for forgiveness recited by men (tahanun). The woman speaking here, however, quarrels with God and calls Him to account, thereby revising the image of the suppliant woman that is prevalent in the tehinot. During the most intimate and physical experience of motherhood — that “physical orality,” or breast-feeding — associations of the most traumatic historical kind surface in the mother’s mind. The mother suckling her child recalls hellish images of the Holocaust. She claims for herself the kind of biblical rhetoric originally used by God to Adam or Abraham. “Don’t play hide and seek with mothers,” she says. For her, “Hide and seek” is a man’s game; a man has time on his hands, since he isn’t concerned with the daily occupation of nurturing life. Game rhetoric — defining the rules of the game — is male-oriented. One can look through a sociological prism and claim that this is a male practice. Out of the calm domestic scene a daring interpretation of monumental historic experience is suggested as a kind of game God played with Abraham: God as a male figure hides the victim only to reveal it in the last minute. Now God is hiding from mothers holding their children. The mother and child are the substitute for the ram; they are the real victims; no games now. “Where are you? ” (ayyekka), God’s cry to Adam who has sinned and has shamefully hidden himself, is therefore turned towards God and remains hanging in the air as an accusation. The cry becomes the prerogative of a mother who could not save her child. 22 21 From H. Pinhas-Cohen, The Passage of the Doe [Hebrew], Tel Aviv 1994, 30. Translated by R. Kartun-Blum / S. Grubber. 22 A latent paronomasia is evoked in Hebrew in the association between ayyekka (where are you? ) and Eikhah (Lamentations), thereby linking admonition and lamentation. <?page no="111"?> Political Mothers 103 Pinhas-Cohen’s Abraham, here and elsewhere in her poetry, is a one-time hero. He has done a single act of heroism, if it could be called that. The mother’s heroism, on the other hand, is a daily one, rising from her ethics of care. Julia Kristeva defines male time as “linear equals historical.” 23 A woman’s time, on the other hand, is cyclical and repetitive. Abraham rises one morning, while she gropes her children’s bodies every morning to check for unusual signs. The woman poet places herself in a complicated position from which to sort out a medley of feeling—in the very thicket of the aqedah. But by doing so she daringly claims a place for herself at the very heart of the myth, rather than as a traditional spectator. It is as if she says: “I am the one who wakes up to my children each morning, connecting with my body and my deeds past, present, and future, and therefore it is my right to read this myth with feminine eyes, while with no intention to profane it.” In this way she suggests a kind of feminine hubris that poses the woman’s role as possibly the more valuable of the two. *** The most impressive link between moral discourse and the voice of motherhood was created by Daliah Rabikovitch in two of her latest volumes, Genuine Love and Mother with Child, in which the voice of motherhood is also identified with the voice of the Palestinian mother. Mother with Child is not a tautological title, because there is also such a thing as a mother with no child. Furthermore, there is also a pregnancy with a dead child (a poem about a Palestinian mother written during the Intifada). The practice, or practicality, of motherhood has radically changed Rabikovitch’s poetic voice. From her passive stance as a mere spectator in the window, she now moves on to assume a new responsibility, expressing itself mainly in her political poetry: But she had a son ! b hl hyh lba For Rachel Melamed Eitan ! tya-dmlm lxrl An acquaintance begun in mid-winter @r<xoh; [c; m.a,B. hl'yxit.hiv, tWrKeh, Ripened by the end of spring. . bybia'h' @AsB. hl'yvib.hi A smiling, peaceful woman. . tynIs'Y>P; , tynIk'Y>x; hV'ai She had a son ! Be Hl' hy"h' Who was killed. . lp; N"v, She bakes and cooks, , tl,V,b; m.W hp'Aa ayhi Part time in the city hall. . hY"rIy[iB' hr"f.mi ycix] Lunch always ready on the table. . ! x'l.Vuh; l[; ~ynIk'Wm dymiT' ~yIr: h\c' 23 J. Kristeva, “Women’s time,” in: T. Moi (Ed.), The Kristeva Reader, New York 1979. <?page no="112"?> Ruth Kartun-Blum 104 And all in utter refusal ~l'v.mu bWrse %AT tazO lk'w> To adjust. . lGET; s.hil. In her own way, as if peacefully, hw"l.v; B. WLaiK. , HK'r>d: yPi l[; She will suddenly stop the world. . ~aot.Pi ~l'A[h' ta, rco[]t; ayhi It is hard to know of what she is capable. . hl'Aky> ayhi hm; t[; d: l' hv,q' Without really saying things, , ~yrIb'D> vM'm; rm; Al yliB.mi She is demanding. . hv'yrId>Bi ha'B' ayhi After all they took her son. . ! Be Hl' Wxq.l' yrEh] She will in no way justify ~ynIP' ~WvB. qyDIc.t; al{ ayhi This taking. . taZOh; hx'yqiL.h; ta, Who will dare tell her: `Hl' rm; Al z[ey" ymi The time has come to wash your face %yIn: P' ycix]r>Tiv, ! m; Z>h; wv'k.[; And get better. yqiZ>x; t.tiw> What’s passed has passed. . hy'h' hy'h'V, hm; She sets out on an arduous journey. . daom. %rEp'm. [S'm; l. taceAy ayhi A circuitous journey to and fro. . bAvw" %Alh' ybiWBsi [S'M; h; With her own hands, she piles coals beneath her ~ylix'g< h'yT,x.t; ht'Ax ayhi h'yd<y" AmB. Pouring cinders over her body. . hn"W"k; B. Hp'WG l[; #m,r< tk,p,Av She is Rachel. Which Rachel? ? lxer" Azyae . lxer" ayhi Who had a son, , ! Be Hl' hy"h'v, And she says to him night and day ~Ayw" hl'y>l; Al tr<m,Aa ayhiw> Summer and winter, holidays and feasts, , ~yGIx; w> ~ydI[]Am , @r<xow" #yIq; I am Rachel your mother, , ^L.v, aM'ai lxer" ynIa] Out of informed consent and free will yvip.x' ! Acr"w>> hm'lev. hr"K'h; %ATmi I have none to comfort me. 24 . ~xen: m. yli ! yae Intertextuality, rather than figurative language, produces the literariness of Rabikovitch’s political text. “But She Had a Son” is one of the most powerful lamentations in Hebrew poetry. Here the intertext of the aqedah creates a link between the guilt feelings of a bereaved mother and self-punishment. The link is conjured up in the image of inward-turning feminine aggression, intended to perpetuate the pain and suffering of a mother who does not want to separate from her grief. Here, too, the aqedah is not isolated but interwoven with other canonical literary texts of theodicy, which the poet uses subversively. The two biblical texts that are deconstructed pertain to two bereaved fathers: David and Job. Unlike Job, David accepts the bereavement more 24 D. Rabikovitch, Kol hashirim ad koh, Tel Aviv 1995, 281-282. Translated by R. Kartun- Blum. <?page no="113"?> Political Mothers 105 lightly: he gets up, washes his face, and eats. By way of contrast, Rachel becomes the archetypal mother, who forever refuses to console herself. As always, Rabikovitch’s great achievement is in her fusion of biblical and colloquial language and in her syntax, which is extremely suggestive. Concluding Remarks Carol Gilligan, in her book In a Different Voice, 25 links feminine consciousness with a moral code. Feminine consciousness, she argues, has to do with the ability to think in terms of the needs of others rather than in abstract terms of “rights.” That is, what separates the male from the female code is the ethics of care and the consciousness of a need of greater and more active responsibility toward others that may mend the potential indifference of “noninterference” morality. Through the revisionary reading of the myth, Israeli women poets present new definitions of social, political, and moral values. They revise the myth to represent a world of feminine values. For the first time in Jewish history, the mother represents herself in a strong stance of opposition: she is the protester, while appropriating the public political voice. The ethics of care generates for her a different moral code. The women poets remove the numinous element from the story, debating with the Bible, with God, with the “knight of faith,” and with themselves as to their place in the story. The appropriation of this central myth was made possible by historical circumstances. After the Yom Kippur War, political rhetoric changed. While the Six Day War was followed by great bereavement and mourning for the dead, these were wrapped in the overall sense of achievement. But once social consciousness was turned to the issue of price, it was the mother who took up the banner of protest: the legitimization of feminine representation was brought about by the growing awareness of the fact that the victims were too high a price to pay in war. The extent to which the Yom Kippur War and the war in Lebanon have changed the national narrative may be seen in Netivah Ben-Yehuda’s influential book Miba’ad la’avotot (Through the Binding Ropes, 1985), which is a critical reading of the mythical War of Independence, in which Ben-Yehuda herself took part. Significantly, Ben-Yehuda only published her book after the Lebanon War, the only nonconsensus war in the history of Israel. (Similarly, it was only after this war that Harnick could publish her poetry.) Ben-Yehuda writes: If one uses the binding of Isaac as a parable of Zionism, one can’t overlook the fact that the whole story since this day is told by the Abrahams — and rightly so. After all, they were the mighty fathers, the founders, the thinkers, the prophets, who 25 C. Gilligan, In a Different Voice. Psychological Theory and Women’s Development, Cambridge and London 1982. <?page no="114"?> Ruth Kartun-Blum 106 had a direct line to God. After all, they were the ones who put themselves to the test for the readiness to pay the heaviest price in the world. But even though according to the Abrahams’ story Isaac was only an extra, only the “son of,” it’s clear that he, too, paid a heavy price. Though he climbed the altar willingly, agreed in everything with Daddy Abraham, it was he who was left alone face to face with death. Not Abraham. Furthermore, in the binding of Isaac of Zionism there wasn’t always a ram in the thicket. Not for every Isaac. So this is a story of one of the Isaacs, a detailed on-the-level report on what it was like, there on the altar, what it all looked like from there, through the binding ropes of the aqedah in 1948. 26 Were such feelings never present before in the history of Zionism, or were they present but silenced? And if so, how were they silenced? A political movement called “Four Mothers,” which aimed “not to let our sons be killed in Lebanon,” adopted the poem In the Beginnings by Yehudit Kafri, which challenges the silence of Sarah: And where was Sarah? … Why didn’t she block the road And whispered pursed lips: You will not pass this way As long as I live! 27 In many ways, “Four Mothers” resembles the movement “Parents Against Silence,” which emerged during the Lebanon War and also demanded a unilateral withdrawal of all the Israeli forces from Lebanon. The media called that movement “Mothers Against Silence” because most of its activists were women. The new movement, “Four Mothers,” draws its strength and authority from its identity as “the mother’s voice.” This voice, say the members, accords them the right not to give up what they hold most dear, which belongs to them rather than to the nation. It seems that their choice to be named “Four Mothers” evoked a deep Jewish resonance and endowed the movement with a symbolic meaning that contributed to its legitimacy. The mother’s voice was translated into political and media discourses and thereby made its impact. The legitimization of the effort of the members of “Four Mothers” to make their voices heard in protest stemmed from the fact that they were inhabitants of the northern part of the country and mothers of combat soldiers. In the same way, Harnick’s publication of her poems resulted from the fact that her son was killed in Lebanon. As I have noted in the context of Hannah, a mother’s voice is heard only when her son is placed on the altar. In contrast to the conquest of the West Bank, the Lebanon War produced an 26 On the revisionist reading of the War of Independence in Ben-Yehuda’s book, see Y. Feldman, 1948-Hebrew “Gender” and Zionist Ideology: Netivah Ben-Yehuda, in: No Room of Their Own: Gender and Nation in Israeli Women’s Fiction, New York 1999, 177- 191. 27 Y. Kafri, Mal an shel kayitz, Tel-Aviv 1988, 7. <?page no="115"?> Political Mothers 107 extremist critical discourse that transgressed the boundaries of myth. Residing near the northern border enabled one to challenge the assumptions of this political mode — to sit, so to speak, in a binary liminal position on the borderline of this discourse. Another woman’s peace organization was established after the opening of the tunnel under the Western Wall in September 1996 with the purpose of focusing on a different angle of the public agenda. A movement by religious women was formed, calling itself the “Movement for the Sanctity of Life.” The issues it addresses intertwine with the debate over the features of contemporary Judaism and the hierarchy of values in the religious sector. Their argument draws its strength not from a political stance but from a moral one: the sanctification of life is superior to the sanctification of blood or soil. This stand brings them to negate the Israeli occupation of the territories. Thus, fifteen years after Harnick’s and Kofri’s poems were first published, political organizations of women have sought to replace the all-pervading topos of male camaraderie, so central to the heroic myth of war. 28 It appears, therefore, that poetry is not just “the inversion of saying” as Weiseltier calls it, but in many cases, predates the saying and the events that follow. In many ways poetry is “the writing on the wall.” In a passage of a recent book, The Gift of Death, in which he compares Melville’s story Bartleby the Scrivener and the binding of Isaac, Jacques Derrida observes: It is difficult not to be struck by the absence of woman in these two monstrous yet banal stories. It is a story of father and son, of masculine figures, of hierarchies among men (God the Father, Abraham, Isaac; the woman Sarah is she to whom nothing is said...). Would the logic of sacrificial responsibility within the implacable universality of the law, of its law, be altered, inflected, attenuated or displaced, if a woman were to intervene in some consequential manner? Does the system of this sacrificial responsibility ... imply at its very basis an exclusion or sacrifice of woman? 29 According to contemporary Israeli poetry, motherhood as a concept aims to deconstruct the binary categories of gender, suggesting a more sublime entity — an alternative component of mythology. If only mothers were able, to quote Rabikovitch, “peacefully as it were, to stop the world at once.” Epilogue In May 2000 the I.D.F. withdrew from Lebanon. There is no doubt that the voice raised by the Four Mothers Movement and others like it was a catalyst for this decision. Perhaps it also made it possible for men to raise their voices 28 As illustrated in G. L. Mosse, Fallen Soldiers. Reshaping the Memory of the World Wars, Oxford 1990. 29 J. Derrida, The Gift of Death, trans. D. Wills, Chicago and London 1992, 76. <?page no="116"?> Ruth Kartun-Blum 108 against the occupation of the security zone where it was not possible to do so before. The aqedah — the binding of Isaac — was the mythological locus in which such a movement could develop, without stopping the world, only diverting its course a little. <?page no="117"?> Elazar Benyoetz Keine Macht beherrscht die Ohnmacht. Eine ungebundene Lesung um Abraham und seinen Gott * Jeder weiß bei sich, für sich, worauf es ankommt, und jeder kennt sein Jenachdem Jedes Leben hat sein Nebenan; jeder Lebenslauf sein Danebengehen Das Für- und Wider Zerfleischt den Geist buchstäblich Die Toten rühmen Gott nicht mehr, und auch die Propheten müssen in Erinnerung gerufen werden Mit ihren schönsten Worten bohrt unsere Gegenwart Löcher in der Zukunft Es ist vage gesagt, was zu hoffen ist und was zu sagen bleibt, wiegt, sagemutig, das Gesagte auf „Was wir vergessen machen, macht die Erinnerung aus“ (Lazarus Trost) * Zu lesen nach dem Prinzip, daß es in der Thora kein Früher gibt und kein Später. <?page no="118"?> Elazar Benyoetz 110 Abraham - der älteste Mensch, von dem wir vertraulich, verbindlich und nicht unwissend sprechen Sein Volk heißt aber nicht Das Volk Abrahams, sondern „ Am ’ Elohäj ’ Awraham“ (Psalm 47,10) „Die Königschaft trat Gott an über die Weltstämme. Gott setzte sich Auf den Stuhl seiner Heiligkeit, versammelte sind die Edeln der Völker das Volk von Abrahams Gott“ „Same Abrahams“ ist die eine Sache, „das Volk von Abrahams Gott“ eine weitere So ist’s und so steht’s in der Bibel „Die Philosophie ist gut, und die Leute haben Unrecht, die ihr so gar Hohn sprechen, aber Offenbarung verhält sich nicht zu Philosophie wie viel und wenig, sondern wie Himmel und Erde, Oben und Unten! Wenn dem Abraham befohlen ward aus seinem Vaterlande und von seiner Freundschaft und aus seines Vaters Hause auszugehen in ein Land, das ihm erst gezeigt werden sollte, meinst Du nicht, daß sich sein natürlich Gefühl dagegen gesträubt habe, und daß die Vernunft allerhand gegründete Bedenklichkeiten und stattliche Zweifel dagegen hätte vorzubringen gehabt. Abraham aber glaubte aufs Wort und zog aus, und es ist und ward kein anderer Weg, denn aus Haran konnte er das gelobte Land nicht sehen, und Niebuhrs Reisebeschreibung war damals noch nicht heraus. Hätte sich Abraham mit seiner Vernunft in Wortwechsel abgegeben, so wäre er sicherlich in seinem Vaterlande und bei seiner Freundschaft geblieben, und hätte sich wohl sein lassen. Das gelobte Land hätte nichts dabei verloren, aber er wäre nicht hineingekommen. Seht, Vetter, so ist's, und so steht's in der Bibel.“ (Matthias Claudius) Geschichte nimmt ihren Anfang in der Erinnerung. Wer gedenken will und sich erinnern kann, der braucht aus der Geschichte nicht zu lernen. Auch der Glaube müßte keine Berge versetzen, wüßte er mit den bereits versetzten etwas anzufangen. <?page no="119"?> Keine Macht beherrscht die Ohnmacht 111 Das Judentum beginnt bei Abraham, und schon mit ihm erreicht es sein hohes Alter. Gottes einziger Freund In einer Welt, bestehend aus lauter Himmelskörpern, brach Abraham auf und wandte sich vom Himmel ab. Und Gott ging auf ihn zu, verlieh ihm seinen Ausdruck und segnete ihn mit einer nicht auszutreibenden Diesseitigkeit. „Sieh zum Himmel und zähle die Sterne“, sagte Er zu ihm. Von einem so geistreichen Einfall war Abraham schon weit entfernt. Bereits mit seinem Aufbruch räumte er seinem Herrn den Himmel in seiner ganzen Sicht- und Rufweite ein. Und Gott sprach: „Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und gehe hin in das Land Morija und opfere ihn daselbst auf einem Berge, den ich dir weisen werde.“ Mit diesem Auftrag - die Berge zu entgipfeln -, mit seinen beiden Dienern und seinem einzigen Sohn ging Abraham in das Land Morija. „Zu den Bergen hebe ich meine Augen. Woher wird meine Hilfe kommen? “ So tönt Abrahams Selbstgespräch auf jenem Weg zu uns herüber. Doch während er mit seinem alten ungebrochenen Blick die Berge nacheinander prüft, faßt er mit eben diesem Blick eine erste, aus Stein gehauene Unverbrüchlichkeit: „Meine Hilfe ist von Ihm her, Der Himmel und Erde gemacht hat.“ Am dritten Tag riß er seinen Blick von den Bergen weg, hob seine Augen und sah den Ort von ferne. Aus den Augen des Himmelabgewandten schwanden nun auch die Berge. Das in den Himmel Ragende wich dem „Hierbinich“. Abraham löste sein einziges Wort ein und durfte seinen einzigen Sohn freibinden. Alles war nun eben, Erde wie Himmel; weit und breit gab es nichts als Gott und seine Welt. Und Abraham kehrte unverzagt und ohne Verzückung in diese Welt zurück, für die er einstand, in die Stadt, nach Beer-Schewa kehrte er mit seinen Dienern zurück. Da waren Gott und die Welt, die Brunnen, das lebendige Wasser und der lebendige Streit um die Quellen dieses Wassers. <?page no="120"?> Elazar Benyoetz 112 Ein Wort gibt das andere. Das ist die große Gabe Es ist nicht so, daß der eine reden muß, damit der andere schreiben kann. Einer muß schreiben, ob Sokrates oder Plato. So kommt die mündliche Überlieferung in das Buch. Was nicht geschrieben steht, steht nicht. Aber nicht alles, was man liest, steht auch geschrieben. So wie man zu wissen glaubt, meint man auch, gelesen zu haben. Der Leser hat sein Augenglück, den Blick fürs Mündliche. Im Anfang war das Wort, und alles, bis auf Tier und Mensch, ging aus dem Wort hervor Anfänge sind wörtlich zu nehmen, nicht wörtlich zu haben Adam war nicht worthin ins Dasein gerufen, er könnte überlegen sein und mußte gut überlegt werden. Wollen wir nicht vielleicht einen Menschen machen, fragte sich Gott: Wajomer Elohim: Na asseh Adam - lasset uns doch! Das Licht, das Grün, das Wachstum alles ging hauchhin vor sich, gedanklich unbeschwert, und so war es gut und sehr gut. Der Einzige, der nicht für sich allein, der Gärtner werden sollte, machte zu schaffen, noch ehe er erschaffen wurde, denn mit ihm hätte Gott seinen Odem teilen müssen. Ein Wort allein, ein Ruf ins Dasein täten es nicht. So wurde er beraten, beschlossen, geknetet, begeistet, aufgerichtet und abgesegnet. Vollkommen wie die Ahnung seines Schöpfers, bedurfte er doch einer Ergänzung, um seine Endlichkeit erlangen und kosten zu können. Ist man allein, denkt man wie Gott. Aus seinem Tiefschlaf erwachend, kam ihm sein Traum entgegen, leiblich, weiblich und lieblich: das andere Ende, das er nun nehmen könnte und gleich in die Arme. Mit seinem Odem teilte sich Gott Adam mit, teilte mit ihm seine Macht, den Gedanken. Er wollte verstanden sein und also den Menschen ihm ähnlich wissen, im Wissen ähnlich, zerstörend, erbauend und ewig seine Werke und sich überlebend. Gott gab das Vermögen dem Menschen, das Gelingen behielt er für sich, die Allmacht. Weit weg vom Ganzen der Sprache, in Worte nimmer zerfallend. <?page no="121"?> Keine Macht beherrscht die Ohnmacht 113 Weil der Mensch nun aber nicht aus dem Wort gekommen war und sich seiner selbst nicht sicher sein konnte, trachtete er bei sich, die Sprache zu beherrschen. Adams Beschäftigung war es tatsächlich, alles, was nackt und bloß in der Schöpfung herumlag oder umherirrte, mit Namen zu belegen, zu beseelen, wortfest zu machen. Und alles das im Angesicht Gottes, doch nicht in Gottes Namen. Alle Taten und Werke stehen seitdem im Dienst des Namens, alles was sich ausdehnt und einprägt. Das Herz eines Dinges ist sein Name, der Name eines Menschen - sein nicht zu widerrufender Ruf Herrscher der Sprache geworden, konnte sich der Mensch als Schöpfer aus dem Nichts betrachten und begreifen. Alles, was er sprach, hatte seine Wirkung und blieb nicht ohne Folgen. Die ersten waren schlimm genug. Adam wähnte sich in Gott gehüllt und sah sich entdeckt. Seiner Blöße gewahr, mußte er sich seiner Nacktheit erbarmen. So ward die Scham geboren. Entdeckt man seine Blöße, ist Scham das, womit man wenigstens sein Gesicht bedecken kann. Gerecht werden, sich verjenseitigen Die Vorstellung vom Zaddik ( qydc ) ist an Abraham befestigt, obwohl Noah zuerst mit dem Titel ausgezeichnet wurde. Er genügte als Maßstab, nicht als Vorbild. Gehorsamst führte er aus, was ihm geheißen wurde. Er baute die Arche, scharte die Tiere um sich und brachte sie, wie befohlen, mit allem Geflügel in der Arche unter, dann folgte er mit seinem Hausgesinde, nahm einen tiefen Atemzug und schloß die Läden. Mit den Fluten immer höher steigend, landete die Arche endlich, nach hundertfünfzig Tagen, am siebzehnten des siebenten Monats, auf den Bergen Ararats, aber noch lange nicht im Trockenen. Am 27. des 2. Monats im Alter von 600 Jahren hat Gott Noah befohlen, die Arche zu verlassen. Als er die Arche verließ und wieder Welt in Sicht bekam, war auch sein Auge trocken. Er sorgte vor und trauerte nichts nach. Er dankte Gott fürs große Überleben, dann dürstete es ihn nach Wein, denn überleben allein macht nicht vergessen. Er pflanzte die Nachsintflutrebe und half damit seinen Nachfolgern, sich selbst und zuweilen die Sintflut zu vergessen. Also kam er davon, aber nicht glimpflich. Von seinem jüngsten Sohn entmannt, lernte er das Fluchen wieder. Er war nicht Gottes Freund, doch immerhin der erste, der ihm gefallen <?page no="122"?> Elazar Benyoetz 114 hat. Wenn es Gott reut, die Menschen geschaffen zu haben, wenn eine Sintflut bevorsteht, dann muß es immer den einen geben, der Gott gefallen kann. Beleuchtet und erhellt Gott sprach „Es werde Licht! “ Und es ward Licht; Abraham glaubte - und es gab Feuer, und es begann das älteste Spiel mit dem Feuer. „... da rauchte ein Ofen, und eine Feuerflamme fuhr zwischen den Stücken hin. An dem Tage machte der Herr einen Bund mit Abraham.“ (Gen 15,17f.) Dreimal kommt Feuer - ’ Esch - im Buch Genesis vor, und alle Male bei Abraham. (Erst mit dem brennenden Busch wird das Feuer entfacht, kommen Feuersäule und Feuerzunge in die Bibel.) Im Anfang war, was immer war; begonnen hat’s mit Abraham Alle seine Voraussetzungen kennen wir als Nachträge, selbst seine Geburt mußte nachgedichtet werden. Seine Heimat soll nicht seine Bleibe gewesen sein. Gott hat mit ihm etwas vor, darauf läßt er sich ein. Er wird wissen, warum; wir erfahren es von ihm nicht. Sein erstes Vorkommen ist ein Unterwegs. Aus Ur bereits ausgezogen, heißt es nun erst aufbrechen, verlassen, fortziehen. Die Stimme spricht, er geht und wächst wortlos in das Wortpaar hinein, sein großes Thema. Verlassen und Verlaß. Mit dem ersten Schritt in Rufrichtung, in die letzte Stimmigkeit seines Daseins, erweist er sich, in seinem fünfundsiebzigsten Lebensjahr, als noch veränderbar. Mit der Veränderung seines Namens - von Abram zu Abraham - tritt er aus dem Gehorsam in die Bereitschaft. Abram ist gottähnlich, Abraham gotthaltig Sein Unterwegs ist überall; er geht - und alles um ihn ist im Kommen Zwischen Vorschein und Abglanz, auf der Höhe seines Lebens, taucht er vor unseren Augen auf. <?page no="123"?> Keine Macht beherrscht die Ohnmacht 115 Wir kennen ihn nicht, werden auf Anhieb mit ihm vertraut, der erste Tongabelschlag gibt uns die ganze Melodie dieses Mannes unfehlbar ein. Auf Gedeih und Verderb bleiben wir bei ihm, ihm durch dick und dünn vertrauend, denn mehr als wir ihn sprechen hören, sehen wir ihn handeln. Uns wohl vertraut, ist er doch schwer zu ergründen. Großen Gesten nicht abgeneigt, ist er der Redseligkeit abhold, ein Mann der Tat; Täter auch noch des Wortes. Er liebt die Einsilbigkeit so sehr, daß Gott ihn mit einer Silbe beschenkt und erhebt. Aber auch als Abraham behält er seine Gedanken für sich. Schwer zu denken, kaum zu glauben, daß er nicht lange an einem Gedankenbau gearbeitet und dem Turm zu Babel entgegengesetzt habe. Genug, Gott ließ seine Augen weit umherschweifen, nach einem Abram Ausschau halten, auf den er, ein laut seufzender Schöpfer, endlich bauen könnte. Abrahams Glaube war grundlegend und also ohne weiteres Wir sehen ihn soweit er geht und handelt, und weitgehend maßgeblich sind uns seine Handlungen. Es gibt von ihm keine Beichte, kein eigenes, geformtes Gebet, keine Erinnerung; Bedeutendes hat er nur zweimal gesagt: sein dreisilbiges Hinneni zeigt uns, wer er ist und wie er als Gläubiger und im Glauben dasteht, sein entscheidender, unmißverständlicher Satz. Der Richter der ganzen Erde sollte nicht üben Gerechtigkeit? (Gen 18,25) Auf die Probe gestellt, stellt sich alles Versagen und Versäumen ein Abraham ist weiter als Malki-Zedek, ihm geht’s nicht mehr um den Gott der Gerechtigkeit, sondern um Gott den Richter der Welt, der zwischen krumm und gerade, Wohl- und Missetäter laut und sichtbar und haarscharf unterscheidet. „Fern sei dir“, sagt Abraham, und gewinnt die größte Nähe zu Gott. Er stellt Gott und stellte ihn auf die Probe; als der große Gott ihm - in seinem Rechten um Sodom - klein nachgab, konnte er ohne Zögern dem Richter, seinem Gericht vertrauend, Isaak zuführen. Erinnerung Abraham und Sarah sind kinderlos und alt, Rebekkah und Rahel können nicht gebären; die Liebe, selbst die so überzeugend bezeugte Liebe Jakobs zu Rahel, reichte nicht aus. Die Einzigartigkeit Israels ist seine schwere Geburt. Es sollte eine Schöpfung werden - am niwra, heißt es in Ps 102,19: „das Volk, das geschaffen soll werden“, „das neugeschaffene Volk“. Am su jazarti li <?page no="124"?> Elazar Benyoetz 116 theilati jesaperu ( wrpsy ytlht yl ytrcy wz-~[ ) „das Volk, das ich für mich gebildet / soll meinen Ruhm erzählen“ (Jes 43,21). Dieses Volk nennt Gott (Jes 41,8-9): Sere ’ Awraham ’ ohawi ( ybhwa ~hrba [rz ) „Same Abrahams, meines Liebenden“. Oder: „Du aber, Israel, mein Knecht, Jakob, den ich erwählt habe, du Same Abrahams, meines Geliebten“, wie es bei Luther heißt: „meines Geliebten“, als würde hier ’ ahuwi ( ybwha ) stehen, nicht ’ ohawi ( ybhwa ). Dies ist nicht genau, aber zutreffend. Kein pures Gold, doch echte Melodie: Melchisedek Seinem Ruf folgend, ging Abram Gott voraus. Als er bis Sichem vorgedrungen war, zeigte sich Gott ihm wieder und sprach: „deinem Samen gebe ich dieses Land“. Noch mußte einiges geschehen, sogar ein Krieg vieler Könige ausbrechen, in den auch er verwickelt wurde, bis Gott bereit war, näher an ihn heranzutreten, sich ihm kenntlicher zu machen. Doch Abram, im Glauben ausharrend, säumte nicht; er wußte schon immer mehr als ihm gezeigt werden sollte, und nun erst recht, da ihm der erste Segen aus geweihtem Menschenmund erteilt wurde: „Gesegnet, Abram, dem hohen Gott, Stifter von Himmel und Erde! Und gesegnet der Hohe Gott, der deine Dränger schenkte in deine Hand! “ (Gen 14, 19f.) König - wie Bera von Sodom, wie Birscha von Gomorrah - König von Salem, und Priester, heidenfroh bei Brot und Wein, doch aber das Reich des Segens aufschließend und - im Lichte eines Hohen Gottes, Stifter von Himmel und Erde - mit einem Satz ermessend. Melchisedek - Malki-Zedek: Mein König ist gerecht oder Gerechtigkeit. So weit reichte sein Mund, den Namen Gottes kannte er aber nicht und nicht das Gehen und Kommen, Tun und Lassen in Gottes Namen. Dem König von Salem, dem Priester, gab Abram den Zehnten von allem, den Segen Melchisedeks aber mußte er korrigieren. Das tat er vornehm, dem König von Sodom sich zuwendend, mit einer allerdings nicht zu übersehenden Geste: „Ich hebe meine Hand zu IHM, dem Hohen Gott, Stifter von Himmel und Erde ...“ (Gen 14,22) <?page no="125"?> Keine Macht beherrscht die Ohnmacht 117 Von ihm hatte Melchisedek keine Kunde; die in seinem eigenen Namen beschlossene Gerechtigkeit war auf ihn selbst bezogen. Diese ein- und ausschließende Einsicht machte den Unterschied in dieser hohen Region. An den also Erkannten glaubte Abram, und Gott rechnete ihm dies zur Gerechtigkeit - ihm die Einsicht und den Weg zu ihr bestätigend, denn nun stellte er sich ihm vor und sprach (Gen 15,7): „ICH bin’s, der dich aus Ur in Chaldea führte, dir dieses Land zu geben, es zu ererben.“ Ahnen herbeifühlen - eine Vorwegnahme Ahnung trügt nicht, sie täuscht aber etwas von Ursprung des Denkbaren vor. Was Gott betrifft, das läßt sich nur von uns aus sagen, nur ohne uns denken. Dieses „Ohne uns“, bei Leib und Seele, war Abrahams Vermögen; doch sein Vermächtnis, aus Fleisch und Blut, war stärker. Unsere Gedanken bleiben auch in Ton und Papier gut aufbewahrt, die Gedanken Gottes aber nur in Fleisch und Blut. Die Sonne geht, bei Licht besehen, unter. Es wird Abend Jetzt liegt er in der Grube, wie hingeworfen; beständig sein Traum: sich neigende Garben, sich neigende Sterne, elf, die Grube füllend mit einem Glanz der Demut. Bald steigt auch der Nil ihm entgegen: Joseph, seines Volkes Erster, dem Gott sich nicht offenbart, ein hebräischer Jüngling, der sagt: Die Welt ist mein, doch ohne mich. Josephs „ohne mich“ - ist Abrahams „Hierbinich/ Hinneni“ im Stellenwert, setzt jedoch Abrahams „Bil aday“ ( yd[lb ) fort und deutet auf deren inneren Zusammenhang, Ähnlichkeit und gleichwertige Berufung in der Welt. Die Welt wird Gott ganz eingeräumt, nicht ohne Anspruch, der im „ohne mich“ ausgedrückt wird. <?page no="126"?> Elazar Benyoetz 118 `$l-xq vkrhw vpnh yl-! t ~rba-la ~ds-$lm rmayw Gen 14,21-24 `~rba-ta ytrv[h yna rmat alw [...] ~ds $lm-la ~rba rmayw [...] yta wklh rva ~yvnah qlxw ~yr[nh wlka rva qr yd[lb Buber-Rosenzweig: Der König von Sodom sprach zu Abram: Gib mir das Menschenwesen, die Habe nimm dir. Abram sprach zum König von Sodom: [...] Du sollst nicht sprechen: Ich habe Abram reich gemacht. Ohne mich! Nur was die Knappen verzehrten, Und den Anteil der Männer, die mit mir gegangen sind [...] rtpw ytmlx ~wlx @swy-la h[rp rmayw Gen 41,15f. `wta rtpl ~wlx [mvt rmal $yl[ yt[mv ynaw wta ! ya `h[rp ~wlv-ta hn[y ~yhla yd[lb rmal h[rp-ta @swy ! [yw Buber-Rosenzweig: Pharao sprach zu Jossef: Ich habe einen Traum geträumt, und keiner ist, der ihn deute. Ich aber, ich habe von dir sprechen gehört, du brauchest einen Traum nur zu hören, um ihn zu deuten. Jossef antwortete dem Pharao, sprechend: Ohne mich! Ein Gott möge antworten, was zu Pharaos Frieden ist. Es ist die gleiche Situation: Beide stehen sie vor einem König, der etwas verloren oder zu verlieren hat, und darum von ihnen eine Lösung, eine Beruhigung erhofft, es ist ein Augenblick, auf den alles ankommt: über ihn entscheiden sie, in ihm werden sie entschieden. - Sind sie's; ist Er's? Sie klammern sich ein und sprechen rund heraus: Ohne mich! Abraham ist der Beginn einer Weltreligion, Joseph deren Fortsetzung als Weltliteratur. Elemente der Prophetie [...] hyxw $d[b llptyw awh aybn-yk vyah-tva bvh ht[w Gen 20,7 „So gib nun dem Manne sein Weib wieder, denn er ist ein Prophet; und laß ihn für dich bitten, so wirst du lebendig bleiben.“ (nach Luther 1912) Die Bezeichnung Prophet überrascht, sie kommt anachronistisch vor, will nicht einleuchten. Was Recht und Unrecht war oder sein könnte, hat Gott mit Abimelech bereits im Traum besprochen. „Ich weiß auch“ sprach ER, „daß du mit einfältigem Herzen das getan hast. Darum habe ich dich auch beschützt, daß du nicht wider mich sündigtest [...]. So gib nun dem Manne sein Weib wieder, denn er ist ein Prophet; und laß ihn für dich bitten“ (Gen 20,6f.). Die Situation ist klar, bedarf keines weiteren Argumentes, sondern der Erklärung des Folgenden: er soll für dich bitten; seine Fürbitte wird ihren Eindruck nicht verfehlen, denn er ist ein Prophet. Dem Beten ging das Ha- <?page no="127"?> Keine Macht beherrscht die Ohnmacht 119 dern Abrahams mit Gott [um Sodom] voraus. Beide machen sie den Propheten aus. Das Beten kommt hinzu, das sollte Abraham wissen oder lernen. Beide Eigenschaften befähigen den Propheten, den Gerechten, auf Gottes Zorn besänftigend, auf sein Gericht mildernd einzuwirken. Nun kann Isaak geboren werden, in den das Prophetische als Erbe eingesenkt werden soll. Das erste Vorkommen des Betens bei Abraham ist auch der erste Hinweis darauf, daß Gott das Gebet des Gerechten begehrt. Und doch - ich wollte es an dieser Stelle nicht gesagt haben - machte Abraham keinen Gebrauch davon, als es um den Sohn ging. Man könnte sagen: Es war ein Mißverständnis des Allmächtigen und der eigenen Kraft. An diesem Punkt setzt die Kritik an Abraham ein, so die des großen liturgischen Dichters Elazar Kalir (um 750). Er stellt Gott die Frage, warum er auf Moses warten mußte, hätte er die Tora doch gleich Abraham, seinem ersten und größten Freund, geben können. Gott gibt zur Antwort, Abraham habe versäumt, für seinen Sohn zu bitten. Ein Ähnliches muß der Maler Jan Lievens (1607-1674) empfunden haben, der zugleich auch versucht hat, das Versäumte nachzuholen. Sein Bild Das Opfer Abrahams hängt im Herzog-Anton-Ulrich-Museum Braunschweig. Beten - Daseinserweiterung Auch das Gebet hat Tag und Nacht und Traum Ist die Kraft des Betens eine, die wächst oder abnimmt, ist sie eine jugendliche Kraft fürs Leben, zum Aufbau des Lebens, oder eine, die nur in der Not wächst? Das Beten in der Not hilft aber nicht, denn die Not kommt ja auch von Gott, die hat man verdient. Zwar lehrt Not beten, denn das ist der Sinn der Not, da sie aber auch verhängt wird, läßt sich aus ihr nicht leicht ein Gebet machen. Das gibt Gott Abimelech zu verstehen: Du hast dich versündigt, nun bist du in der Not, aus dieser findest du durch dein Gebet nicht heraus, denn du bist in ihr verstrickt: Gib dem Mann sein Weib zurück, dann ist der Weg aus der Not freigelegt. Im Zustand der Sünde, des Unrechts, ist kein Gebet möglich, sie sind die Wolken, die kein Gebet durchlassen. Um weiteres Unheil zu verhindern, brauchst du das Gebet des Gerechten. Gibst du dem Mann sein Weib zurück, wird er für dich beten, und ich werde sein Gebet erhören und dich verschonen. Das ist die Lehre vom Gebet, von Gott selbst dem Abimelech erteilt. <?page no="128"?> Elazar Benyoetz 120 Not lehrt beten: „Rufe mich am Tag der Bedrängnis, ich will dich losschnüren, und du wirst mich ehren.“ (Ps 50,15) Das Beten in der Not nützt nicht, deckt aber auf, woran es fehlt. Radikal angegangen und zugepackt, im Handeln verändert. Das Gebet half den Schiffern nicht, doch aber, daß sie den Mann Gottes ins Meer geworfen haben. Beten - unsere einzige, unfehlbare Orientierungsmöglichkeit Beten - mit allen Silben an Gottes Namen hängen Der Glaube eines Menschen läßt sich anzweifeln, sein Gebet nicht Jedes Gebet findet seinen Beter Das Gebet adressiert das Sein Diese Zeit ist dem Beten abhold; der betende Mensch ist mit seiner Seele im Exil. Es gibt die Zeit nicht zu jeder Zeit. „Der in Finsternis wandelt und scheint ihm kein Licht, der hoffe auf SEINEN Namen, er stütze sich auf seinen Gott.“ (Jes 50,10) Der Name Gottes ist der in Buchstaben zerfallende Sternenhimmel: was Gott Abraham gezeigt hat enthaltend und buchstäblich wiedergebend. An jenem Abend nämlich, da Gott sich Abraham vorstellte, ließ Er ihn die Sterne zählen (Gen 15,5), und als Abraham damit zu Ende war, gab ihm Gott ein Siegelwort, mit dem das Himmelszelt zusammengerollt werden kann und wieder aufgeschlagen, wenn die Zeit gekommen ist für den neuen Himmel. Zum neuen Adam, der Abraham war, gehörte die Aussicht auf einen neuen Himmel, von dem freilich erst Jesaja (65,17) sprechen konnte, der den klarsten Einblick in den alten Himmel hatte und den tiefsten in das Herz Gottes, in dem von Abraham zu lesen war, er sei Gottes einziger Freund gewesen und in der Liebe geblieben. <?page no="129"?> Keine Macht beherrscht die Ohnmacht 121 Akedah Wir glauben, wir wären der Geschichte von der Akedah die Nächsten und die Berufensten, sie zu verstehen und über sie zu urteilen. Wir hatten die Geschichte im großen erlebt, mit dem Überleben stellte sich die optimale Optik ein, die Zeit selbst legte uns die Schlüssel zum Verständnis in die Hand, und es kamen uns allmählich zur Hilfe: die kleinlaute Theologie, die tiefbohrende Psychologie, die ins Hauchdünne gehende Literaturbetrachtung. Wir glaubten, es stimmte; und nun können wir auch die Geschichte Abrahams großartig analysieren und raffiniert deuten; unser Verständnis wächst und reicht doch zum Begreifen nicht aus. Dazu fehlt uns das Heilige und der Sinn fürs heilig Gedachte. Doch damit nicht genug: es gibt da einen Schatten, den wir nicht überspringen können, weil wir selbst ihn werfen. Am Anfang aller Geschichte steht die eigene, die Geschichte, die man fürchtet, die Geschichte, die man sich erzählt Heilig betrachtet, bleibt die Geschichte von der Akedah unantastbar, und wie auch immer betrachtet unverrückbar: ein Herzstück Abrahams, ein Kernstück des Glaubens schlechthin, ein Kunststück zuletzt und durchaus. Glauben, das heißt seitdem - wie Abraham: so unerschütterlich treu; so unbarmherzig grausam. Es wäre freilich nicht so, wäre die Geschichte nicht derart meisterlich geballt überliefert. Drei Tage und keine Handvoll Worte, drei Tage nur - und der gar längste Weg, den Vater und Sohn je miteinander zurücklegten. Wir hören sie kaum sprechen, hören aber nicht auf, sie zu sehen und ihnen zuzusehen; ob bangend, ob empört, die Geschichte nimmt uns mit, wir gehen von Wort zu Wort, von Berg zu Berg, durch alles Verschwiegene. Was gäbe es nicht alles zu sagen! Ein weiter Weg führt dorthin, ein kurzer nur nach Beer-Schewa zurück. Kein Wort verlängerte den Weg; es gab nichts zu sagen. Es war eine schwere Geburt, nun ist sie vollbracht. Ohne Zweifel kommt der Glaube nicht zu seiner Gewißheit Ata jada ti ( yt[dy ht[ ) spricht Gott - ich weiß es: gottfürchtig bist du schon immer gewesen, nun bin ich deiner sicher, du liebst mich mehr als deinen Sohn, so bleibe es: erschütternd, unerschütterlich. <?page no="130"?> Elazar Benyoetz 122 Ata jada ti - hier sind wir ohne Zeugen, du selbst und ich allein. Ich habe dich nicht verschont, verschone du den Knaben. Deine Nachkommen werden die Bausteine meiner Zukunft sein. Und bröckelte der Bau auch ab, der Grundstein bliebe: Abraham und seine Liebe Aller Gründe Grund ist Bodenlosigkeit Abraham war ein alter Mann, der nichts begehrte, nichts verlangte, dem nichts vorzumachen war. Alles an ihm und um ihn war verdient, nichts Geschenk. Auch sein Alter war nur der Lohn aller Tage und eines jeden Augenblicks. Er bedachte es mit Würde und schweigsamem Schweigen. In dieses Schweigen gehüllt, schenkte er Gott sein Gehör und seinen Glauben. In einem Satz, Grund und Boden zusammenfassend, wurden Glaube und Gerechtigkeit aufeinander bezogen, füreinander und für immer bestimmt - „Wehe ’ emin ... wajachschweha lo zedaka.“ ` hqdc wl hbvxyw hwhyb ! mahw „Abram glaubte dem Herrn, und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit.“ (Gen 15,6 - Lutherbibel 1912) Gott brauchte den Glauben für seine Gerechtigkeit, Abraham die Gerechtigkeit für seinen Glauben. Die Gerechtigkeit ist der Grund, der Glaube der Boden. Das ist die Geschichte Abrahams, die noch mehr und Tieferes enthält, aber nichts Wichtigeres. Das rechte Denken geht um Gott, das gerechte um den Menschen. Das wird Abraham schon bei seinem Aufbrechen aus Ur gewußt haben, doch mußte es - von allen Verheißungen abgesehen - mit einem Blick auf Sodom endgültig geklärt werden. Das war ein Höhenblick von Niederträchtigkeit erzwungen. Die Gerechtigkeit verträgt keine Ausnahme und keine Sonderbehandlung. Abraham, im Glauben sich aufbäumend und Früchte tragend, drückte auch in seinem Anzweifeln nur seinen Glauben aus. Die schönste Welt ist öde, wenn kein Mensch sie bewohnt, und die Himmel stehen leer, wenn keine Stimme zu ihnen heraufdringt. Die Schöpfung braucht ihren Fürbitter und Vorbeter, wohl auch ihren Prediger. Zeitensprung Abraham und Kohelet - beide sind wortkarg und beide wissen, daß es weniger zu sagen gibt, als sich sagen läßt. In der Sinnfindung wie in der Formgebung gehören sie für mich zusammen: zwei Menschen, die wir uns aus ihrem Wortbestand erschließen müssen. <?page no="131"?> Keine Macht beherrscht die Ohnmacht 123 Von Abraham kennen wir nur sein Eintreten in die Bibel, begreifen seine Verwandlung kaum, ahnen nur, daß Abram schon sehr viel gewesen sein muß. Für die Bibel ist er nur als Zeugender interessant, seine geistige Fruchtbarkeit liegt aber in der Zeit, da er kinderlos war. Den kinderlos Fruchtbaren hat Gott gesucht und gefunden. Abraham gedenkt seiner Frühzeit nicht, er hat aus ihr seine Schlüsse gezogen und somit auch den Schlußstrich unter sie. Umgekehrt Kohelet. Mit dem Schluß, den er unter seine Rechnung zieht, holt er die ganze, große Vergangenheit nach. Er war König in Jerusalem und muß es bis zur letzten Beglaubigung seines Textes bleiben. Das Weder-noch macht seinen nicht zugreifenden, nicht anfechtbaren Standpunkt aus. Wir haben das wahre Ende seiner Geschichte, nicht die Wahrheit des Ganzen. Das Buch Kohelet kennt das Feuer nicht, ist aber das Buch eines Versengten. Kohelet spricht: Der Mensch ist kein Schöpfer, er kann aber tabula rasa machen. Das ist nicht der Anfang, so beginnt es aber. Doch ohne Verzagen läßt sich das nicht sagen. Sprüche haben das Entweder-oder vor Augen Widersprüche das Weder-noch im Sinn Mit jedem Wort wird die Rede vereitelt Unter der Sonne gibt es Einsicht, Aussichten sind dunkel Du sollst dir kein Bild und nichts vormachen Ich war König über Israel in Jerusalem und weiß, wie viel es bedeutet und wie wenig es ist. <?page no="132"?> Elazar Benyoetz 124 Mit meinem Buch habe ich mich selbst entthront - zum Ruhme eines Mißerfolgs, dem die Krone gebührt Alles, was Erfolg begehrt, verheißt oder hat, macht Sprüche Meine Predigt wäre nicht wahr, gälte sie nicht der Schönheit des Mißerfolgs Gut gedacht, heißt gegen sich gedacht, wer sich nicht widerspricht, hat nicht gesagt Dein Wille geschehe - der Wille geschieht, es gibt nichts zu wollen Der Propheten Auftrag liegt nie in der Zukunft Ihm ist’s verliehn aus den verworrnen Tagen, Die um die andern sich wie Kerker dichten, Zum blauen Himmel sich empor zu richten, In Freudigkeit: Hie bin ich, Herr! zu sagen. Joseph von Eichendorff, aus dem Sonett „Der Dichter“ Das Hierbinich lernten wir, Kinder Israels, von Abraham, doch war Abraham nicht weniger als der neue Adam, und in einem neuen Sinn Vater vieler Völker und allen zum Segen. Adam kannte keine Furcht, nur die eine Angst vor der Stimme seines Schöpfers, der ihm das Schönste auf Erden geschenkt, das Allerlieblichste aber verboten, umdroht und mit dem Tod belegt hatte. Eine Bedeutung konnte Adam der Drohung freilich nicht abgewinnen, was sollte auch der Tod, wo das Leben, ein Odem Gottes, ihn, den Menschen, <?page no="133"?> Keine Macht beherrscht die Ohnmacht 125 eben erweckte. Gott gerade erst eingeatmet, und schon auch wieder ausgehaucht? Doch waren Odem und Hauch nicht unbestimmt, und die Stimme sprach, und die Drohung war ihr letztes Wort. Nachdem Adam vom todbringenden Baum aß, vernahm er die Stimme wieder und bekam es mit der Angst zu tun, und immer noch nicht mit seiner Seele. Der Garten Eden war eine schlechte Glaubenslehre. Vergebens sprach die Stimme, nun wandte sich Gott dem Menschenantlitz zu. Da sprach Er zu Kajin: Warum verdrießt es dich, warum sinkt dein Antlitz? Ist dem nicht so? Du bringest schöne Gaben oder bringest sie nicht, vor der Türe lagert die Sünde, und nach dir ist ihr Verlangen, doch du kannst ihrer Herr werden. (Gen 4,6f.; nach Arnheim) Mit Abraham trat das Hierbinich als Form des Glaubens in die Welt. Mit dem Hierbinich lebten die meisten Juden überall, mit ihm hörten sie auch zu leben auf. Nicht ausweichend auch dort, wo Ausweichen nicht mehr galt. Auch gestellt, muß man sich noch stellen. Und kommt man auch davon, heißt es nicht, daß man entrinnen kann. Des Glaubens Grund sind seine Begründer So beginnt die Geschichte unseres Glaubens. Ein alter Mann steht auf im Frühlicht, sattelt seinen Esel, nimmt seine Zeugen mit und den Sohn, zieht aus und geht los, auf Gott hin, dem er an einem noch auszumachenden Ort begegnen soll. Bislang standen sie sich gegenüber, nun werden sie einander begegnen. Es sieht aus wie die Vorbereitung auf eine letzte Schlacht. Der Tag ist hell, die Luft ist klar, das Messer scharf. Was soll entschieden werden? Abraham ist entschlossen; was er denkt, liegt offen zutage, drei Tage lang. Er kennt das Land und die Wege, denn alles hier heißt wie der Ruf: Abraham! Wo immer er geht, ist alles im Kommen; wo immer er geht, geht er in Gottes Namen und in sich. Abraham, das bedeutet Vater, in allen Höhen und Niederungen des Begriffs: des Sohnes, des Glaubens und vieler Völker. Gott erwidert den Glauben wie die Liebe Seinen Freund Abraham versucht Gott selbst, für sich; er kann’s nicht lassen, ihm fehlt der Glaube Abrahams. <?page no="134"?> Elazar Benyoetz 126 Es ist entschieden, sagt Gott, es ist entschieden, denkt Abraham. Er hat gegeben, er nimmt das Gegebene, wenn seine Zeit genommen ist; er kennt die Zeit, denn sein ist der Augenblick. Das sind die Gegebenheiten des Glaubens. Doch auch wir müssen dürfen, um sollen zu können. Keine der Gegebenheiten ist in unserer Hand, selbst unsere Begabung nicht. Wir haben keine Wahl, wir müssen wählen, denn dazu sind wir begabt. Ans Herz gelegt und ans Messer ausgeliefert Wodurch soll sich die Versuchung Abrahams so gewaltig von anderen abgehoben und ausgezeichnet haben? Ist es nicht oft genug vorgekommen, daß Menschen das ihnen Teuerste und auch ihr eigenes Leben Gott geopfert haben? Dadurch, antwortet Rabbi Jizchak-Meir von Ger (gestorben 1886), daß Gott den zu Opfernden mit jedem Wort Abraham gewichtiger ans Herz legte, teurer und schließlich unentbehrlich machte. „Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, deinen liebsten ...“ Ein Mensch gibt hin, was er hat; vieles ist ihm lieb, einiges teuer, er muß darüber nicht nachdenken, er weiß, was er vermag. Nun aber sagt ihm Gott, was dies alles in Wahrheit ist - nicht eingebildet, nicht ausgedacht, nicht angewöhnt, sondern ausnehmend schneidig. Gott beschreibt das Opfer, ehe er es nennt; er fordert nicht bloß, er macht deutlich und malt aus, was er verlangt. Die Versuchung bekommt damit das Erdrückende ihrer Schwere: Gott will genau das, wofür es die Genauigkeit noch nicht gegeben hat. Söhne hatte Abraham zwei, und jeder von ihnen war der einzige seiner Mutter. Und er liebte beide, wie es heißt und wie es sich gehört. Auf die Probe gestellt, werden seine Gefühle angestachelt und auseinandergerissen. Wer von den beiden soll es nun sein? „Deinen Sohn, deinen einzigen, den du lieb hast, Isaak“ - Er ist der von Gott Ausersehene! In dieser Klarheit wird Isaak ihm als einziger auf sein Ende hin geschenkt. Nun da er ihm abhanden kommen soll, weiß er genau, was er an ihm hat. <?page no="135"?> Keine Macht beherrscht die Ohnmacht 127 Er faßt das eben Auseinandergerissene in einem Wort, in seiner Antwort zusammen: „Hinneni beni“ - „Mein Sohn bist du, selber habe ich heute dich gezeugt“ Die Wiederkehr des Anderen Die Bindung Isaaks spitzt das Drama auf Gott und wiederum im Lichte Gottes auf die Fragwürdigkeit von Ruf und Folgerichtigkeit zu. Das ist allerwegs spannend, aber nicht erhellend, denn es stellt das andere, nicht wuchtige, aber wichtige Drama in den Schatten. Das Drama von der Herstellung einer noch nicht dagewesenen Beziehung zwischen Gott und Mensch. Die Versuchung ist der Gipfel der Ablenkung, sie ist allerdings maßgeblich geworden. Darum ist es so schwer, von Abraham zu sprechen. Als geschenktes Kind kann Isaak genommen werden, als Sohn der Verheißung muß er zurückkehren, mit dem Vater, allein oder dereinst auf dem Esel, der, wie er selbst, bei der Rückkehr von Morija nicht mehr genannt wird. Hier war ich dir begegnet, dort erwarte ich dich Und Gott versuchte Abraham, das meint: die größte Intimität, durch weitgehende Distanz (drei Tage! ) hergestellt. Mit dem Begriff entleert sich die Sache nach und nach; Begriffe sind nicht dichthaltende Gefäße. Das Wagnis des Glaubens. Du sollst dir keine Vorstellung machen von Gott, denn du bist weder Gott noch göttlich. Abraham bildet sich Gott nicht ein. Das Wagnis des Glaubens kam mit Abraham zur Welt und zur Anschauung. Gott sagte ihm: Brich auf, brich ab, verlasse, ziehe aus, geh und frage nicht wohin; ich werde dir das Land zeigen, wenn du alles hinter dir hast, nicht eher. Verlangt wird das Äußerste und Fernste, versprochen das Vage und nicht Naheliegende. Das Land wird sich erst zeigen, Gott sich noch vorstellen müssen. <?page no="136"?> Elazar Benyoetz 128 So beginnt - majestätisch und dramatisch - die Geschichte Abrahams. Schon der Auftakt ist gewaltig. Das wiederholt sich mit dem Auftrag, Isaak zu opfern. Tu, was ich dir sage, frage aber nicht nach dem Berg, nach dem Ort, ich nenne sie dir nicht, sie werden sich zeigen. Der Name ist schon der Fluchtweg. Die Versuchung ist die Möglichkeit des Verwechselns. Das Wagnis des Glaubens sieht dann so aus: Auf einem Berg, den ich dir weisen werde. Abraham geht und antwortet nie ungefragt. Gott rechnet Abraham seinen Glauben zur Gerechtigkeit - wie Luther übersetzt. Abraham schenkt seinen Glauben aber nicht, er will Gerechtigkeit sehen und mit Händen greifen. Steht er vor Gott, weiß man nicht mehr, ob er den Glauben, ob der Glaube ihn trägt. Auf dem Gipfel der Entscheidung war auch er sich seiner Sache nicht sicher, so ließ er den Engel zweimal rufen: Abraham! Abraham! Ismael konnte verschont werden, das war Abrahams Samen. V om menschlichen Andrang Sarahs kommend, nicht von Gott. Sie wollte einen Sohn, Gott wollte ein heiliges Volk. Ismael, von Gott gesegnet, lag nicht im Sinne Gottes. Abraham flehte um ihn, er liebte ihn, er war ihm teuer, das hat er gesagt, das steht geschrieben. Und Gott wollte Isaak für sich, und daß er nur ihn haben wolle, ganz unmißverständlich, offenbarte er ihm bei der Versuchung. Du darfst dich nicht irren, denn heute geht es um die letzte Entscheidung. Nimm den Erwählten, den von uns allen in Gedanken ausgetragenen Sohn, deinen in dem Sinn einzigen und zu liebenden, denn er wird den Gott Abrahams nun einmal sehen. Abraham war nicht aufzuhalten, über allen Wundern stehend, dem Himmel selbst abgeneigt, traute er nur seinen Augen und seiner Erkenntnis. Aufhalten konnte ihn nur ein Rufen Gottes, auf das er mit seinem Hinneni zu antworten gewohnt war. Dieser Augenblick des Hinneni war die Rettung, die einzige Chance. Bangend, daß er sie versäume, denn sie folgte so prompt und so rasch, rief der Engel zweimal, ausgedehnt aus: Ab-ra-ham! Ab-ra-ham! Und Abraham sah auf und sagte: Hinneni. Um Isaak zu erlösen, wäre nur ein Wunder nötig, ein kleines, aber Abraham wäre mit keinem Wunder zu überlisten, geschweige denn zu überwinden. Sein Hinneni stand nun auf dem Gipfel und durfte nicht verspielt werden. Auf ihm gründet Gott sein Reich. Und Gott versuchte Abraham Wenn Gott Abraham sagt, verlasse deine Heimat und geh in ein Land, das ich dir zeigen werde, und Abraham tut es; wenn Gott ihn ruft, und er ant- <?page no="137"?> Keine Macht beherrscht die Ohnmacht 129 wortet unumwunden: „Hier-bin-ich“, dann ist der Glaube auf den Punkt gebracht. Was sollte noch gefehlt haben, daß Abraham versucht werden mußte? Er mußte - seines Samens wegen. Erst als Abraham bereit war, seinen Sohn zu opfern, zeigte sich auch Gott bereit, seinen Glauben anzuerkennen. War’s also doch nur eine Vorstufe, daß Abraham an Gott glaubte und Er ihm seinen Glauben „zur Gerechtigkeit rechnete“? Glaube wohl, doch nicht Gottesfurcht, die ihm nun mit den Worten bescheinigt wird: Ata jada ti kijere ’ ’ Elohim ata ( ht[ ~yhla ary-yk yt[dy ht[ ) - „nun weiß ich, daß du Gott fürchtest.“ Ist Abraham das Maß, gehört die Versuchung dazu. Ist die Versuchung aber eine Bedingung des Glaubens, was hatte es dann mit dem Glauben Abrahams auf sich, mit jenem, den Gott ihm „zur Gerechtigkeit gerechnet hatte“? Wehe ’ emin ( ! ymahw ) ist eine Stufe, wie lech-lecha ( $l-$l ) eine war, die höchste wäre demnach Gottes „Aha! “ - Ata jada ti! - nun bin ich’s gewahr geworden. Du bist gottesfürchtig. Also ist diese Jir ’ at ’ Elohim ( ~yhla tary ) das Höchste, das Felsenfeste, die vermesserte, nicht vermessene Hand Abrahams, seine nicht zitternde Furcht vor Gott. Die Vollkommenheit seines - oder auch sonst des Glaubens? Schwer zu denken, denn Gott ist nie der Versucher, nur einmal ging er aus sich heraus und versuchte Abraham. Das war ein gewaltiges Geschehen, der steilen Geschichte Bergsteigermut einflößend und das Motto eingebend. „Und Gott versuchte Abraham“, er selbst, für sich - einmal und nie wieder. Klämmerlich beklommen Alles ist in Gottes Hand, mit einer Ausnahme: die Gottesfurcht. Der sich entfaltende, aufsteigende Mensch, kann die entscheidende Tugend an sich selbst nicht erkennen und von anderen nicht unterscheiden. Er fürchtet nicht nur, er begehrt auch und glaubt zu lieben. Ihm ist alles eins. Tritt die Versuchung an ihn, stürzt er augenblicklich von allen Stufen, die er erlangte. Auf sich zurückgewiesen, bei sich verlassen, ist er nun im letzten zu sehen, im Bloßen und Baren. Der alles verliert, kann nur Gefallen finden: Ata jada ti - ich hätte nicht geglaubt ... Da rief ein Engel zweimal aus dem Himmel. Abraham! Abraham! Schone den Knaben, denn nun ist dein Same geheiligt. Auf dem Weg hierher seid ihr Vater und Sohn gewesen, ein Herz und eine Seele. Schritt haltend und im Wort stehend. Wenn ihr nun den Weg zurücklegt, seid ihr nicht mehr Vater und Sohn, sondern ein Volk Gottes unterwegs. <?page no="138"?> Elazar Benyoetz 130 Und Gott versuchte Abraham - er riskierte viel. Versagte Abraham, wie stände Er da? Das Land der Augen Gottes „... auf welch Land der Herr, dein Gott, achtet und die Augen des Herrn, deines Gottes, immerdar sehen, von Anfang des Jahrs bis ans Ende! “ (Dtn 11,12) Johannes der Täufer irrte sich, da er meinte, Gott könnte, wollte er nur, Abraham auch aus dem Stein Kinder hauen. Gott will nicht, was er kann, darum ist er Gott; seine Gedanken aber gehen durch Fleisch und Blut bis ins Mark, wo sie erhalten bleiben. Dem Stein ist nur das Feuer zu entnehmen, nicht die Glut, geschweige denn eine große Verheißung. Hätte Gott gewollt, was Johannes ihm zugedacht hatte, dann müßte Abraham nicht in ein unbekanntes Land aufbrechen, nur weil ihm dort ein Same verheißen wurde. Was diesen betrifft, war Abraham gerade bestens beraten: der gesegnete Schoß war der weibliche Ur-Schoß. Isaak und Jakob, Kinder des verheißenen Landes beide, mußten sich ihre Frauen von dort holen. Im Lande der Fruchtbarkeit blieb Abraham unfruchtbar. Wenn seine Unfruchtbarkeit dem Plan Gottes nicht hinderlich wäre, wenn Gott also wie Johannes dächte, dann hätte ihn Gott in Ur zu einem mächtigen Stamm gedeihen lassen. Gott aber sprach also zu Abraham: „Geh aus deinem Vaterlande und von deiner Freundschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.“ (Gen 12,1-3) Abraham wurde aufgerufen, ins Unbekannte aufzubrechen, das ihm Vertrauteste fahren zu lassen, und sich einer Verheißung hinzugeben, die nichts offenbart, aber wohl geeignet ist, Unerschütterliches hervorzurufen und wortfest zu machen. Dies war der Ruf, den Abram vernommen haben muß, denn „Abram“ heißt: der große Mann, der bei sich nur eines weiß und darum nicht zu ergründen ist. Es ist ja auch so, daß wir nach wie vor nicht wissen, warum Abraham an Gott glaubte. Aber wir wissen, daß er in seinem Glauben selbst durch Gott nicht zu erschüttern war. So dürfen wir annehmen, daß er nicht des verheißenen Samens wegen Vaterland und Freundschaft verlassen hatte. Er war alt genug, um sich mit seiner Unfruchtbarkeit längst abgefunden zu haben. Er wird sich später auch bereit zeigen, ohne Wimpernzucken seinen spät geborenen Isaak zu opfern. <?page no="139"?> Keine Macht beherrscht die Ohnmacht 131 Ferner dürfen wir annehmen, daß es ihm nicht um den „großen Namen“ zu tun war. Wen Gott sucht und findet, ist groß genug, muß sich keinen Namen mehr machen. Gott hat seinen Namen auch oft genug ausgesprochen, das war die Freude seines Mundes, schließlich legte er ihm ein ganzes, göttliches H zu, so war Er ihm mit einem Hauch mehr zugewandt. Auch die Engel stritten um die Gunst, den Namen Abrahams aussprechen zu dürfen. Der eine konnte sich nicht zurückhalten und rief den Namen, voll Bangen und Verzückung, gleich zweimal aus: „Abraham! Abraham! “ (Gen 22,11). Er wußte, was Jesaja uns nur andeuten konnte: daß Abraham Gottes einziger Freund war. Aus der langen Liste der Verheißungen traf nur das letzte Wort auf Abraham zu: Er wollte zum Segen werden, denn er kannte die verfluchte Welt und würde gern am Anfang einer neuen gestanden haben. Dahin also brach er auf, in das verheißene, nicht zu benennende Land, das ER ihm, dem neuen Adam, zeigen wollte. Es sollte kein zweites Paradies sein, Abraham kein Gärtner Gottes werden. Gott hat ihm den Weg dahin nicht gewiesen, sein eigener Aufbruch gab ihm die Richtung unfehlbar ein. Als er bereits hineingekommen und bis Sichem vorgedrungen war, erschien ihm Gott und sprach zu ihm: „Deinem Samen gebe ich dieses Land“. Das also war’s. An Gottes Ziel angekommen, stand er an seinem Anfang. Was darauf folgte, ist in der Bibel nachzulesen. Aber was geschrieben steht, bleibt doch nicht stehen. Abraham wurde zum Segen, viele Völker ruhen nun „in Abrahams Schoß.“ Aber fruchtbar konnte Abraham nur in diesem Land werden und auch nur in diesem war „der Segen Abrahams“ wirksam und ließ sich übertragen, so pflanzte er sich bis auf Jakob fort. Kraft dieses Segens konnte Jakob dann den eigenen Kampf mit dem Engel aufnehmen und eine Nacht lang mit ihm ringen, auf daß er nicht mehr Jakob heiße, sondern Israel. Nun sollten die Völker in diesem Namen gesegnet werden. Die Söhne Jakobs sind die Kinder Israels geworden, aber bis Benjamin wurde keiner von ihnen im Land Israel geboren. Das Land der Verheißung, ob zwar geschenkt, war nicht billig zu haben, mußte begehrt und eingenommen werden. Denn nun war es das „Land der Augen Gottes“, in das Er seinen Blick zurückzog, nachdem Er ihn vom Paradies abwandte und seine bittersten Tränen über Adam und seine sich gegen Ihn auftürmende Nachkommenschaft als Sintflut über die Welt vergossen hatte. Die erste uns bekannte Liebe Gottes gehörte dem Land, das Er seinem einzigen Freund, Abraham, „zeigen wollte“. Dem Auserwählten Volk blieb kaum ein Fluch erspart, vom Lande Israel durfte aber kein schlechtes Wort je gesagt werden. Die größten Fürsten Israels, die von Moses entsandt wurden, das Land auszukundschaften, mußten ihr Leben lassen, weil sie kleinmütig über das Land gesprochen hatten. Das war vor Gott ein noch größerer Frevel als der Tanz um das goldene Kalb. <?page no="140"?> Elazar Benyoetz 132 Der Gedanke, das „Land der Augen Gottes“ könnte von Ihm je verlassen werden, erschütterte noch den Exil-Propheten Ezechiel derart, daß wir meinen, in seiner Rede das Beben eines jeden Wortes Gottes zu vernehmen. „Es ist die Missetat des Hauses Israel und Juda allzusehr groß; es ist eitel Blutschuld im Lande und Unrecht in der Stadt. Denn sie sprechen: Der Herr hat das Land verlassen, und der Herr sieht uns nicht.“(Ez 9,9) Die Geschichte des Judentums und sein Denken drehen sich um dieses Wortpaar „Verlassen und Verlaß“, beide haben sie ihren Ursprung in Abraham. Judentum - das Licht, das die Zukunft auf unsere Gegenwart zurückwirft Gott bringt Ezechiel in das Land und stellt ihn vor den Mann hin, dessen „Ansehen wie Erz“ ist, und dieser bietet Ezechiel, in einem gebieterischen Ton, eine Führung durch das neue Jerusalem an. „Siehe und höre fleißig zu und merke auf alles, was ich dir zeigen will! “ (Ez 40,4) Für den Propheten ist das nicht einfach, einem Ezechiel gerade recht, war er doch Priester. An das Volk weitergegeben, war auch das von großer Tragweite. Morija - Ramses - Exodus - Jerusalem - Exil - das Feld voller Totengebeine. So tief gesunken und doch unweigerlich zur letzten Schlacht gegen Gog hinauftrachtend. Das Feld voller Totengebeine - Trachtgut und Traumdeutung. Im Buch heißt es belangvoll und unbedeutend: „Also sollen es um und um 18.000 Ruten sein. Und alsdann soll die Stadt genannt werden: ‚ Hier ist der Herr . “ So enden alle entscheidenden biblischen Dramen, von Abraham an. Das Drama am Berge Morija endet mit einer großen Verheißung von oben und einer zuverlässigen Verschwiegenheit von unten: „Also kehrte Abraham wieder zu seinen Knechten; und sie machten sich auf und zogen miteinander gen Beer-Schewa“ (Gen 22,19). Ein „Volk Gottes“ ist Drama genug, und wer wollte schon Gott auf den Punkt bringen. Die Beziehung zwischen Gott und Israel ist allerwegs dramatisch; und wirkt sie mitunter auch pathetisch, sie endet unsentimental und nicht pointiert. Das macht Charakter und Stärke dieses Volkes aus. Nun ist das Jüdische auch hier, bei Ezechiel, daß der Glaube nicht nur in den Himmel ragen soll, sondern auch Boden gewinnen muß, denn er muß doch standhalten. Standhaft ist mehr als beflügelt, auch wiegt der Beständige mehr als der Beschwingte. So will der EWIGE, wie Ezechiel sagt, Land und Haus hier haben. Je größer der Glaube, desto scheinloser der Gott. Der Unsichtbare verleiht keinen Schein. Das Heilige, wo immer es vorkommt, wird daran erkannt, daß es nicht scheint. Dem Unsichtbaren entspricht einzig das Verborgene, die <?page no="141"?> Keine Macht beherrscht die Ohnmacht 133 gute Tat, nicht die wunderliche Wirkung. Der große Gott verlangt keinen großen Glauben, er fordert ihn auch nicht. Im Gegenteil, der große Glaube verdrängt Gott aus der Welt, verbannt ihn in den Himmel, aus der Zeit in die Ewigkeit, aus dem Bund in die Unverbindlichkeit. Der große Glaube scheitert immer an seiner Unermeßlichkeit. Johann Peter Hebel erzählt der deutschen Jugend Sarah, die Ehefrau Abrahams, erlebte nicht mehr die Heirat ihres Sohnes Isaak. Als sie aber gestorben war, hatte Abraham trotz allem seinem Reichtum erst kein Plätzlein, wohin er sie begraben konnte. Denn in jener Gegend hatte man dazumal noch keine Kirchhöfe. Wer ein liegendes Eigentum besaß, begrub darin seine Toten. Allein Abraham hatte noch kein liegendes Eigentum in dem Lande, sondern er kaufte von einem Landeseinwohner namens Ephron einen Acker, in welchem eine zwiefache Höhle war. In die Höhle begrub er die Genossin seines Lebens und seines Glückes. Das war das erste Eigentum Abrahams und seiner Nachkommen in dem Lande, das ihnen verheißen war, ein Stücklein Ackerfeld und eine Leiche darin. Hütet meinen Augapfel, spricht Gott Ein deutsches Schlußwort, hebräisch gedacht Und der Herr ist Abraham, nach dessen Beschneidung im Hain Mamre erschienen; als er an der Tür seiner Hütte saß, da der Tag am heißesten war. Als Abraham seine Augen aufhob und Gott vor sich stehen sah, sprang er auf, Gott aber befahl ihm zu sitzen. Abraham wehrte sich, es gehört sich nicht, sagte er, daß ich sitzen bleibe, während du stehst. Mach dir keine Skrupel, sagte Gott, du bist ein alter Mann von hundert Jahren, ein großer Herr auch du; „mein Herr ist alt und würdig“, spricht Sarah, und es steht auch geschrieben (Ps 110,1): „Der Herr sprach zu meinem Herrn: setze dich zu meiner Rechten ...“; setze dich mein Herr, und ich will dir mein Wort geben: so wie du heute sitzen bleibst, und ich vor dir stehe, so werden deine Nachkommen, Kinder von drei und vier Jahren, in Bethäusern sitzen, und ich vor ihnen stehen, wie es im Psalm 82 heißt: „Gott steht in der Gemeinde Gottes.“ Gott steht nun wieder hier, in Deutschland, in der Gemeinde Gottes; nicht, weil die Synagogen so herrlich sind, sondern weil es wieder Kinder gibt, von drei und vier, die ihrer bedürfen, sie mit der Stimme Jakobs ausfüllen und Gott nicht stehen lassen. <?page no="142"?> Elazar Benyoetz 134 Literatur Claudius, M., Eine Korrespondenz zwischen mir und meinem Vetter, angehend die Orthodoxie und Religionsverbesserung, in: ders., ASMUS omnia sua SECUM portans, oder Sämtliche Werke des Wandsbecker Boten. Original-Ausgabe, Erster Band (hg. v. E. Redlich), Gotha 1907, 204/ 5 Hebel, J. P., Biblische Geschichten. Für die Jugend bearbeitet. Neue unveränderte Auflage in Stereotypen. Erstes Bändchen, Stuttgart / Tübingen 1847, 37 <?page no="143"?> Johann Anselm Steiger Ad Deum contra Deum. Zur Exegese von Genesis 22 bei Luther und im Luthertum der Barockzeit 1. Einleitung Die tentatio 1 ist ein Zentralthema der Theologie Martin Luthers. Da die theologische Wissenschaft nach Luther in der Schriftauslegung kulminiert, d.h. hier Ausgangswie Zielpunkt gleichermaßen hat, ist die tentatio auch ein wichtiges Zentrum seiner Exegese. Luther zufolge ist der Mensch nach der Rechtfertigung simul iustus et peccator. Daher ist die Versuchung (- bei Luther begegnet auch das Lexem „bekorung“ 2 -) eine Wesensbestimmung des Glaubenden 3 bis zum kurz bevorstehenden Jüngsten Tag und lebensweltliche Konkretion der apokalyptischen qli/ yij und zwar sowohl innerlichpsychisch als auch äußerlich-somatisch. Ein Christenmensch muß nicht nur täglich unter die Taufe kriechen, vielmehr ist er auch je und je neu dem Versucher ausgesetzt und muß stets erneut zwischen „Gott und Abegott“ 4 unterscheiden. Luther differenziert (im Anschluß an die altkirchliche und mittelalterliche Tradition) Versuchungen „des Fleischs, der Welt und des Teufels“ 5 . Die beiden ersteren bieten Ansporn zu Tatsünden, während die satanische Versuchung, die Luther (im Unterschied zur Tradition) zunehmend radikal in den Mittelpunkt rückt, zum Unglauben Gott gegenüber anreizt. Der Teufel will die Menschen zu „Mißglauben, falsche[r] Vermessenheit und Verstockung“ 6 verführen. Zwar ist die Macht des Teufels durch das Versöhnungswerk Christi gebrochen dergestalt, daß er den Menschen nicht mehr ins Verderben stürzen kann. Gerade darum aber versucht der Satan um so heftiger und unabläßlich, den ihm entronnenen Menschen wieder in seinen Machtbereich zu ziehen, indem er dem Gewissen Sünde, Tod und Hölle vorhält und den Menschen mit allerlei Übeln plagt. Daher lautet 1 Vgl. H. Beintker, „Anfechtung III. Reformations- und Neuzeit“ in: Theologische Realenzyklopädie 2 (1978), 695-704 sowie J. A. Steiger, „Versuchung. Kirchengeschichtlich“, in: Theologische Realenzyklopädie 35 (2003), 52-64. In beiden Artikeln weitere Literaturangaben. 2 Luther, WA 2,122,35 u.ö. Vgl. Grimm, DWb 1, 1428. 3 Luther, WA 27,394,30. 4 Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, hg. im Gedenkjahr der Augsburgischen Konfession 1930, Göttingen 2 1952, 560,17. 5 Bekenntnisschriften (Anm. 4), 686,6f. Vgl. Luther, WA 30/ I,16,10f. Vgl. A. Peters, Kommentar zu Luthers Katechismen, hg. von G. Seebaß, Bd. 3, Göttingen 1991, 175-178. 6 Bekenntnisschriften (Anm. 4), 686,33-35. <?page no="144"?> Johann Anselm Steiger 136 die sechste Vaterunser-Bitte korrekt „Sondern erlöse vns von dem vbel“ und nicht (revidiert) „Sondern erlöse uns von dem Bösen.“ Denn das bzw. der höllische Böse, der „altböse Feind“ (EKG 201,1), zuckt und wütet zwar noch, aber als Verkläger im Himmel kann er seit Karfreitag nichts mehr ausrichten (Apk 12,10: „VND ich höret eine grosse stimme / die sprach im Himel / Nu ist das Heil vnd die Krafft / vnd das Reich / vnd die Macht vnsers Gottes / seines Christus worden / weil der verworffen ist / der sie verklaget tag vnd nacht fur Gott“ 7 ). Die Versuchung ist nach Luther nicht lediglich ein Störfaktor. Vielmehr ist sie positiv gewandt sub contrario Gewährleistung dafür, daß der Glaube im Heilsprozeß lebendig bleibt, d.h. seine Vitalität im Zuge der militia Christiana (Eph 6,16f.) einübt und unter Beweis stellt. Nur aufgrund der Tatsache, daß ein Christ stets aufs neue angefochten wird, kann die Wirkmächtigkeit des tröstlichen Wortes Gottes im Rahmen der experientia fidei erfahrbar 8 und somit die falsche securitas vermieden werden. Darum ist auch wahre Theologie nur aus der Versuchung bzw. aus dem Versuchtsein heraus möglich, denn: „qui non temptatus est quid scit? “ (Sir 34,9). Die wahre, d.h. geistliche Versuchung - so Luther - trifft nur die Glaubenden. 9 Den Sünder aber, der noch nicht mit dem Gesetz Gottes konfrontiert worden ist, das ihn seiner Sündhaftigkeit überführt, kennzeichnet es, daß er wie die Heiden allenfalls durch äußere, leibliche Versuchungen affiziert wird. 10 Echte Versuchung aber überfällt erst die Glaubenden, worin erfahrbar wird, daß die fides niemals Besitz des Menschen sein kann. Der Glaube hat es vielmehr an sich, immer wieder auf den Grund des Trostes (mithin auf die Taufe) zurückgeworfen zu werden, womit jegliches einliniges Perfektibilitäts- und Fortschrittsideal ausgeschlossen ist. Denn - wie Luther im Anschluß an Augustin 11 formuliert: „proficientes semper sunt incipientes.“ 12 Ohne Versuchung kann ein Christenmensch daher nicht sein, und „ohne die Anfechtung bleibt jede Frömmigkeit Gotteslästerung“ 13 . Darum bezeichnet es Luther als die „ferlichst anfechtung“, „wen kein anfechtung da ist“ 14 . Das (trügerische, letztlich scheinbare) Fehlen von Versuchung ist gar deren - wenngleich nicht zu Bewußtsein gekommene - schärfste Form: „Nulla tentatio omnis tenta- 7 Bibelzitate nach: M. Luther, Die gantze Heilige Schrifft Deudsch, Wittenberg 1545. Letzte zu Luthers Lebzeiten erschienene Ausgabe, hg. von H. Volz unter Mitarbeit von H. Blanke, Textredaktion F. Kur. 2 Bde. und Anhang, München 1972. 8 M. Luther, Werke, Weimar 1883ff, fortan zit.: WA, hier: WA 50,660,1-4. 9 Vgl. M. Weinrich, Die Anfechtung des Glaubens. Die Spannung zwischen Gewißheit und Erfahrung bei Martin Luther, in: Chr. Landmesser u.a. (Hg.), Jesus Christus als die Mitte der Schrift. Studien zur Hermeneutik des Evangeliums, Berlin u.a. 1997, 127-158. 10 Vgl. hierzu C. H. Ratschow, Der angefochtene Glaube. Anfangsu. Grundprobleme der Dogmatik, Gütersloh 2 1957, 234. 11 Vgl. Augustin, Enarratio in Ps 60,3, in: Corpus Christianorum Series Latina 39, 766,4f: „prouectus noster per tentationem nostram fit”. 12 Luther, WA 4,344,12f. 13 Vgl. Ratschow (Anm. 10), 261. 14 Luther, WA 6,223,33. <?page no="145"?> Ad Deum contra Deum 137 tio.“ 15 Unbeschadet der Tatsache, daß die Heilige Schrift das letztlich einzige remedium gegen die Versuchung ist, ist eben die Schrift zugleich generatrix der tentatio. Denn die Anfechtung ist es, die wiederum auf das Wort Gottes „merken lehrt“ - nach Luthers Übersetzung von Jes 28,19: „Denn alleine die Anfechtung leret auffs wort mercken“. Darum gilt: „Solus ille populus, qui habet verbum et credit in Deum, est filius crucis et vexationis.“ 16 Nur so ist zu verstehen, weswegen das Leben eines Christenmenschen zwischen oratio, meditatio und tentatio oszilliert. 17 Diese Trias ist ein Zirkel, der so lange seine Kreise zieht, bis die letzte Posaune erschallt. Der Schrift eignet damit dieselbe Dialektik, die auch das Handeln von deren Autor prägt, der ebenfalls in Anfechtung führt einerseits und zugleich Tröster ist (vgl. z.B. Jes 66,13; Joh 14,26) andererseits. Als „Deus [...] absconditus et tectus“ 18 gesteht Gott, indem er „sich verkrich[t]“ 19 , innerhalb seines Werkes zur Linken und im Medium der Gesetzespredigt dem Satan (wie über Hiob) einen Machtbereich über den Menschen zu. Indem sich Gott des Verderbers bedient, führt er den Versuchten auf die Bahn des descensus ad inferos, um diesem seine Verlorenheit und Gottverlassenheit bewußt werden zu lassen. Dies wiederum ist die Voraussetzung dafür, zum Deus revelatus fliehen zu können, der sich im Evangelium kundtut. Hier einen mit Gottes Einheit nicht zu vereinbarenden Dualismus oder gar einen Widerspruch sehen zu wollen, trifft die Sache nicht. Denn Luther ist es gerade um das In- und Miteinander des zur Linken wie zur Rechten wirkenden Gottes zu tun, der in die Hölle führt und wieder heraus (1Sam 2,6). Darum vergleicht Luther Gott mit der Sonne, die sich zuweilen unter Wolken verbirgt, ohne dadurch aufzuhören, ein und dieselbe zu sein. 20 Nach Luther sind Versuchungen Gottes und des Teufels zu unterscheiden, wobei er die patristische Differenzierung aufgreift, der zufolge Gott anficht, damit der Angefochtene bestehe und siege, der Teufel aber, damit jener verderbe: 21 „Sic deus tentat te, ut fortiter perstes, econtra diabolus, das du umbfallest.“ 22 Gleichwohl kommt bei Luther - im Sinne der sechsten Vaterunser-Bitte - deutlicher zum Vorschein, daß Gott auch dort aktiv Urheber der Versuchung ist, wo vordergründig der Teufel wirkt. 15 Luther, WA 3,424,11. 16 Luther, WA 43,672,29f. 17 Luther, WA 50,659,4. Vgl. O. Bayer, Oratio, Meditatio, Tentatio. Eine Besinnung auf Luthers Theologieverständnis, in: Luther-Jahrbuch 55 (1988), 7-59. 18 Luther, WA 31/ I,553,28f. 19 Luther, WA 17/ I,63,23f. 20 Vgl. Ratschow (Anm. 10), 242. 21 Vgl., um nur ein Beispiel zu nennen, Ambrosius, De Abraham, lib. 1, cap. 8, in: Migne, Patrologia Latina 14, 467: „Aliter Deus tentat, aliter diabolus. Diabolus tentat ut subruat, Deus tentat ut coronet.” 22 Luther, WA 37,310,5f. <?page no="146"?> Johann Anselm Steiger 138 2. Luthers Lektüre von Gen 22 Von zentraler Bedeutung bezüglich des Lutherschen Verständnisses von tentatio ist die Art und Weise, wie der Reformator Gen 22 als Prediger und Kommentator 23 auslegt. Das starke Interesse Luthers an diesem Text liegt nicht nur darin begründet, daß Abraham in der paulinischen Theologie bekanntermaßen eine zentrale Rolle spielt (Röm 4,1ff; Gal 3,6ff) und die christliche Auslegungstradition sich durch die Jahrhunderte hindurch mit Gen 22 intensiv befaßt hat. 24 Es hat vielmehr vor allem damit zu tun, daß wohl an keiner Figur der alttestamentlichen Erzählwelt Wesen und Dynamik der tentatio so gut aufgewiesen werden können wie eben an Abraham. Denn Abrahams Biographie gleicht - so Luther - einer Kette von tentationes: „Sein leben ist doch lauter anfechtung“ 25 - zunächst der Befehl, Gut, Heimat und Familie zu verlassen, um in ein Land zu gehen, das Gott Abraham erst noch zeigen will (Gen 12,1), sodann die Verheißung, von Sara trotz ihres vorgerückten Alters noch Nachwuchs zu erhalten und nicht irgendeinen, sondern den Sohn der Verheißung (Gen 17,16; 18,10). Ytzt haben wir gehört, wie der gute Abraham bisher ynn mancherley anfechtung und versuchung Gottes gestanden ist und nie keine gewisse stet gehabt hat, Es ist schlecht beschrieben, aber so reichlich angezeigt, das freilich nicht viel Legenden also geschrieben sind [...] Sein leben ist doch lauter anfechtung, mus alles gehen ym glauben, noch mus er weib, kind, gros gesind, dazu gelt und gut haben, doch ymer dahyn stellen, das es Gott hynneme, hat sein weyb Sara offt müssen ynn die fahr geben, dazu hat yhm Gott die magd Hagar mit dem son hyn genomen, das land gehet auch dahyn, das er nicht ein fues breit hat. 26 23 Vgl. P. Meinhold, Die Genesisvorlesung Luthers und ihre Herausgeber, Stuttgart 1936 (Forschungen zur Kirchen- und Geistesgeschichte 8) sowie jetzt grundlegend U. Asendorf, Lectura in Biblia. Luthers Genesisvorlesung (1535-1545), Göttingen 1998 (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie 87). Vgl. weiter P. Meinhold, Die Verarbeitung von Luthers ‚Supputatio annorum mundi‘ in der von Veit Dietrich herausgegebenen Genesisvorlesung, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 51 (1932), 138-168. H. Volz, Wie Luther in der Genesisvorlesung sprach, in: Theologische Studien und Kritiken 100 (1927/ 28), 167-196. O. Albrecht, Alte Notizen zu Luthers Genesisvorlesung, in: Theologische Studien und Kritiken 103 (1931), 71-84. F. Cohrs, Zur Chronologie und Entstehungsgeschichte von Luthers Genesisvorlesung und seiner Schrift ‚Von den konziliis und kirchen‘. Ein Beitrag zur Bedeutung der Tischredenüberlieferung für die Lutherforschung, in: Lutherstudien zur 4. Jahrhundertfeier der Reformation, Weimar 1917, 159-169, hier: 159-166. 24 Vgl. zum Sachzusammenhang: D. Lerch, Isaaks Opferung in der Auslegungsgeschichte, in: Theologische Zeitschrift 5 (1949), 321-328. Ders., Isaaks Opferung christlich gedeutet. Eine auslegungsgeschichtliche Untersuchung, Tübingen 1950 (Beiträge zur Historischen Theologie 12). F. Neubacher, Isaaks Opferung in der griechischen Alten Kirche, in: Amt und Gemeinde 37 (1986), 72-76. M. Mees, Isaaks Opferung in frühchristlicher Sicht, von Clemens Romanus bis Clemens Alexandrinus, in: Augustinianum 28 (1987), 259-272. 25 Luther, WA 24,379,25. 26 Luther, WA 24,379,19-23.25-29. <?page no="147"?> Ad Deum contra Deum 139 Glaube und tentatio sind nach Luther nicht nur gleichursprünglich. Vielmehr gilt: Je stärker ersterer, desto intensiver auch letztere. Denn was die Anfechtung betrifft, praktiziert Gott, paulinisch gesehen, Orthotomie. Nach 1Kor 10,13 mutet Gott jedem - je nach Intensität seines Glaubens - auch die jeweils passende Infragestellung desselben in der individuell zumutbaren Stärke zu. „Gott ist getrew / der euch nicht lesset versuchen / vber ewer vermögen / Sondern machet / das die Versuchung so ein ende gewinne / das jrs künd ertragen“. Da Abraham jedoch Prototyp des Glaubenden ist, exemplum fidei schlechthin, ist er auch und zugleich Inbegriff des Angefochtenen. Darum nimmt es nicht wunder, daß Luther einerseits sagt, das Leben Abrahams sei einer Kette von Versuchungen gleichzuachten, zugleich aber hervorhebt: „Tota vita eius exemplum fuit fidei.“ 27 Mit dem göttlichen Befehl indes, seinen Sohn Isaak zu opfern, findet die Kette der Versuchungen Abrahams nicht nur eine Fortsetzung, sondern zugleich ihren Höhepunkt. Hie aber greifft er (scil. Gott) yhn (scil. Abraham) auffs höchste an, nimpt yhm das höchste gut, denn er nichts liebers auff erden hat, des er auch ursach hatte, Denn er war ein einigs kind und hatte von yhm Gottes wort und verheissung, das von yhm solt komen der samen, dadurch alle völcker solten gesegnet werden. 28 Was die tentatio anlangt, erkennt Luther in der Abrahamserzählung deutlich eine klimaktische Struktur. Innerhalb der bisherigen tentationes war dem Erzvater abverlangt worden, kontrafaktisch zu glauben, also gegen Empirie und Augenschein den promissiones Glauben zu schenken, mithin das ihm von Gott Verheißene nichtsehend zu antizipieren 29 , kurz: sich an die promissio 30 zu klammern. War es schon paradox, die Heimat zu verlassen, ohne zu wissen, wohin die Reise geht, paradox auch, der neunzigjährigen Sara ins Gesicht zu schauen und in ihr eine künftige Mutter zu erblicken, so spitzt sich nun die Paradoxie nochmals zu. Denn in Gen 22 konfrontiert Gott Abraham mit völlig Neuem, nämlich mit einem Befehl, der in absolutem Widerspruch zu der dem Erzvater gegebenen promissio steht, die zu glauben ohnehin schon schwer genug fällt. Es handelt sich um „tentatio longe maxima, prae qua priores fere nihil sunt“ 31 . Luther arbeitet an Gen 22 heraus, daß sich der den Glaubenden versuchende Gott in einen radikalen Selbstwiderspruch („contradictio“ 32 ) begibt, 27 Luther, WA 14,298,11. 28 Luther, WA 24,379,33-380,6. 29 Vgl. J. Boendermaker, Abraham bei Luther, in: J. W. Dyk (Hg.), Unless some one guide me...: Festschrift for Karel A. Deurloo, Maastricht 2001 (Amsterdamse cahiers voor exegese en bijbelse theologie, Supplement Series 2), 369-374. 30 Vgl. O. Bayer, Promissio. Geschichte der reformatorischen Wende in Luthers Theologie, Darmstadt 1989 (Göttingen 1 1971). 31 Luther, WA 43,200,32-201,1. 32 Luther, WA 43,202,16-18: „Haec tentatio non potest vinci, et longe maior est, quam a nobis possit compraehendi. Est enim contradictio, qua ipse Deus sibi ipsi contradicit, hoc carni impossibile est intelligere.” Vgl. Luther, WA 43,201,30-32: „Deus enim manifeste hic sibi <?page no="148"?> Johann Anselm Steiger 140 indem er „widder sich selbs redet“ 33 . Aber das gröste ist, das Gott hie widder sich selbs redet, das ist ein retzlin, das niemand raten kan denn der heilige geist, Denn Gott hat gepoten, man sol nicht tödten, nu heisset ers hie selbs, so doch Isaac nichts verschuldet hatte, Item, hat yhm zuvor verheissen von Isaac den samen zu geben, das wort muste Abraham gleuben, Also das sein hertz so stund: Der son mus ein vater vieler kinder werden und sol ausgebreytet werden ynn alle welt, wie stellet sich denn Gott also? nu wird er wetterwendisch und redet das widderspiel und mus der son ytzt sterben, was wil doch hieraus werden? Was kan die vernunfft da sagen? Sie ist gantz geschlagen, das sie nicht weys, wo hynaus, und mus sagen, es sey nu aus. 34 In der contradictio, die darin besteht, daß Gott Widerworte gegen sein eigenes Wort der Verheißung spricht, manifestiert sich Gott - so Luther - als ein Willkür-Herrscher, als Tyrann. „Deus, qui antea summus amicus videbatur: nunc videtur factus inimicus et Tyrannus.“ 35 Gott wendet sich also mit dem Befehl, Abraham solle sich auf die Reise begeben, um seinen Sohn Isaak zu töten, wie ein Lügner sowohl gegen das Tötungsverbot (Ex 20,13) und somit gegen den Dekalog 36 als auch gegen seine promissiones - d.h. gegen Gesetz und Evangelium zugleich. Die Versuchung ist demnach Resultat der Kollision von Wort Gottes und Wort Gottes. Hier wird zum einen die menschliche ratio zu Boden geschlagen, aber - und dies ist das Entscheidende - auch der fides das Fundament entzogen, indem Gott seiner eigenen promissio widerspricht, das Evangelium also vorenthält, das doch Grund des Glaubens ist. Auf der Probe stehen in dieser Versuch(ung)s-Anordnung demnach nicht nur Glaube und Vertrauen Abrahams, sondern ebenso die veracitas Dei und die Wahrheit seiner Verheißungen. Die Kontrafaktizität des Glaubens wird greifbar darin, daß Abraham ipsi contradicit: quomodo enim conveniunt haec: ‚in Isaac vocabitur tibi semen’, et: ‚tolle filium tuum, et macta eum’.” Vgl. Asendorf (Anm. 23), 109. 33 Luther, WA 24,382,13. 34 Luther, WA 24,382,12-21. 35 Luther, WA 43,202,41f. 36 S. Musäus, Richtige vnd Reine Auslegung des Ersten Buchs Mosy / von den dreyen Grossmechtigen Reichen / Nemlich / der Natur durch Schepffung: des Teuffels durch Adams Fall: vnd Christi durch offenbarung des Euangelij. Darin zum aller Ersten der Heuptgrund der gantzen Christlichen Weisheit / vnd Seligmachender Warheit / geoffenbaret vnd beschrieben wird, Magdeburg 1576 (Herzog August Bibliothek [fortan: HAB] Wolfenbüttel C 117b Helmst. 2°), fol. 248r führt die Kollision des göttlichen Befehls mit dem Dekalog detailliert aus, wenn er sagt: „Sihe / diese sache ist gleichwol gantz vnd gar vngereimpt wider das Erste / Vierdte vnd Fünffte gebot / darin Gott seine Göttliche Warheit vnd Gerechtigkeit rühmet / das wenn er das Leben verheisset / do wil er nicht haben / das er sich des Todes versehe. Vnd wenn er heisset / die Kinder lieben vnd Neeren / so wil er nicht haben / das man sie Tödten sol. Wie wenns ein betrieglich gespenst were / vnd nicht ein warhafftiger befehl Gottes? Oder / wie wenn ichs etwan mit Sünden gegen Gott hette verderbet / vnd jm für diesen Son zu wenig gedanckt / oder mein datum gar zu sehr auff jn gesetzt / darumb mir jhn Gott wider nemen (korr. aus nennen) wil / etc. Solche vnd dergleichen harte Stösse / hat ohn zweiffel Abraham nach dem fleisch gefühlet.“ <?page no="149"?> Ad Deum contra Deum 141 dort, wo nichts zu hoffen und der Grund des Glaubens ferne ist, kontradiktorisch, ja geradezu renitent, gegen Gott an Gott festhält und Widerstand leistet gegen den Deus absconditus. So soll nach Luther jeder Glaubende „ad deum contra deum“ 37 fliehen. Denn noch dort, wo Gott sein glaubenstiftendes Wort, aus dem heraus allein die tentatio überwunden werden kann, zurückzieht, soll der Angefochtene an der Verheißung Gottes festhalten. Anders als in der patristischen Tradition steht darum bei Luther nicht so sehr der Aspekt des nachzuahmenden Gehorsams Abrahams im Vordergrund. So thematisiert Augustin z.B. ausführlich die probatio von Abrahams oboedientia, während der Glaube des Patriarchen eine nachgeordnete Rolle spielt. 38 Vielmehr ist es die fides, die Luther zuvörderst interessiert - der Umstand, daß Abraham gegen Gott an der ihm von diesem gegebenen Verheißung festhält, obgleich Gott selbst an dieser nicht festhält. Darum hat Luther innerhalb der poimenisch ausgerichteten applicatio seiner Auslegung von Gen 22 die Regel aufgestellt, daß der Glaubende gegen Gottes zweites Wort, also gegen die tentatio, aufbegehrend, sich immer an dessen erstes verbum, mithin an das der Verheißung klammern soll. Darümb hat Gott die weise, das er wil uber dem ersten wort halten, das er gered hat, Was nu hernach dawidder laut, wil er, das wirs uns nicht annemen, sondern gewis seien, es sey Gottes versuchung. 39 Hieraus resultiert folgender Imperativ bezüglich des Umgangs mit einander widerstreitenden Aussprüchen Gottes: „Darümb halt fest bey dem ersten wort und las das ander alles gehen, allein das lasse nicht faren“ 40 . Entscheidend ist, daß es Luther gelingt, die Versuchung aus deren Situation selbst heraus, d.h. (im Falle von Gen 22) in der sich dehnenden Zeit dreier Tage zu thematisieren. Was thut aber der Herr? er heisset yhn auff einen berg gehen, den er yhm weisen wil, das waren drey gantze tagereysen. Es were ja noch leichter, wenn es ja sein solt, das er bald davon keme, aber er martert yhn noch weiter, nympt noch zeit dazu, das er wol gepraten wird und sich durchfressen mus, das freylich ein stück odder zehen sind gewesen, die yhm das hertz puchend gemacht haben. 41 37 Luther, WA 5,204,26f. 38 Vgl. Augustin, De civitate Dei XVI, 32, in: Corpus Christianorum Series Latina 48, 536,1-4: „Inter haec, quae omnia commemorare nimis longum est, temptatur Abraham de immolando dilectissimo filio ipso Isaac, ut pia eius oboedientia probaretur, saeculis in notitiam proferenda, non Deo.” 39 Luther, WA 24,383,24-26. Vgl. WA 43,203,19-22: „Sic in omnibus aliis tentationibus faciendum est, ubicunque enim contrarium a promissione experimur, certo statuamus, cum se aliter ostendit Deus, quam promissio sonat, esse eam tantum tentationem, nec ideo hunc baculum promissionis patiamur nobis extorqueri e manibus.” 40 Luther, WA 24,384,15f. 41 Luther, WA 24,381,14-19. <?page no="150"?> Johann Anselm Steiger 142 Nicht zuerst von deren Ausgang her interpretiert Luther die Versuchungsgeschichte Abrahams. Vielmehr ist es ihm darum zu tun, seine Leser und Hörer in die Situation Abrahams hineinzuversetzen, sie mit dem angefochtenen Patriarchen gleichzeitig werden zu lassen und sie so zu lehren, daß Gott - auch der anfechtende - in der Zeit erfahren wird. Dies ist der Skopos von Gen 22. Erst so wird es dem Leser bzw. Hörer möglich, die erzählte Zeit von Gen 22 mitzuerleben, sie zu durchschreiten, sie gleichsam auf der Bühne szenisch nachzuvollziehen und hierbei der Tatsache ansichtig zu werden, daß der Zeitraum von drei Tagen einer retardatio gleichkommt, aus der eine ungeheure Intensivierung der tentatio und der Gotteserfahrung resultiert 42 . Die von Luther bewerkstelligte Vergleichzeitigung des Lesers mit dem Text wird konkret greifbar auch in der Tatsache, daß Luther die affektive Situation Abrahams genau unter die Lupe nimmt. Abraham ist keineswegs insofern ein nachzuahmendes Vorbild, daß er in völliger Ataraxie, von seinen Affekten unbeeindruckt agiert. Ganz im Gegenteil ist er zutiefst bestimmt durch „die natürliche neygunge und bewegung“ 43 . Bekanntermaßen propagiert Luther die Heiligen - mithin auch die dramatis personae der biblischen Texte - nicht in erster Linie als moralische Vorbilder. Vielmehr bieten die Heiligen nach Luther exempla fidei und sind bestimmt von all den humanen Konditionen sowie den hieraus resultierenden Schwächen und Stärken 44 . Hierin besteht die Solidarität der Heiligen und der gegenwärtig Glaubenden, die aufgrund ihres Glaubens ebenfalls sancti sind. Darum läßt Luther anhand der Figur Abrahams das Humanum aufscheinen, sprich: die väterliche Liebe seinem Sohn gegenüber und den durch den Tötungsbefehl kausierten tiefen Schmerz. Gleichzeitig verwahrt sich Luther gegen die Geringschätzung der Affekte durch den zeitgenössischen mystischen Spiritualismus Karlstadtscher und Müntzerscher Provenienz, der der Ansicht ist, man habe im Rahmen der Übung von Gelassenheit nicht nur die Sphäre des Leiblich-Sündlich- Weltlichen hinter sich zu lassen, sondern mit ihr auch die durch diese bestimmten Affekte. „Es ist nicht, wie etliche meynen, das man so gar verachten sol alle ding, das wir keine schmertzen noch leyd sollen haben odder fülen“ 45 . Dies führt dazu, daß Luther zunächst narrativ breit und ausführlich davon spricht, daß Abraham auf der Dreitagesreise „wol gepraten wird und sich durchfressen mus“ 46 . (Darum spielt genau diese Verletzung der väterli- 42 Diesen Aspekt hebt auch die lutherisch-orthodoxe Exegese von Gen 22 hervor. Vgl. D. Rungius, PRAELECTIONES in GENESIN MOSAICAM [...], Wittenberg 1608 (HAB Wolfenbüttel 817.47 Theol.), 647. 43 Luther, WA 24,380,10f. 44 Vgl. hierzu auch Asendorf (Anm. 23), 111. 45 Luther, WA 24,380,11-13. 46 Luther, WA 24,381,17f. Vgl. Luther, Tischreden, 6 Bde., Weimar 1912-1921, fortan zit.: WA.TR, hier: WA.TR 1,422,19 (Nr. 859); 522,16-18 (Nr. 1033); 2,634,44 (Nr. 2754a). <?page no="151"?> Ad Deum contra Deum 143 chen Liebe auch im geistlichen Theaterspiel, das Gen 22 zum Gegenstand hat, eine zentrale Rolle 47 ). Den Höhepunkt erreicht der Schmerz Abrahams indes auf dem Berge Morija zu dem Zeitpunkt, an dem Isaak seinen Vater darauf aufmerksam macht, daß zwar Feuer und Holz vorhanden seien, das Schaf für das Brandopfer aber noch fehle (Gen 22,7). Nach Luther hat Mose das sich während der Opfervorbereitung zwischen Vater und Sohn entspinnende Gespräch vor lauter Tränen nicht aufzeichnen können („prae lachrymis non potuit scribere“ 48 ) und bedient sich daher der Ellipse. (Simon Gedicke wird später im Anschluß hieran sagen, daß die Kunst der Rhetorik keine Mittel bereithält, um die ineffabilitas dieser Gesprächssituation zwischen Vater und Sohn zu überwinden. 49 ) Bildet Gen 22 eine Klimax innerhalb der von Anfechtungsgeschichten gespickten Abrahams-Erzählung, so ist Gen 22,7 die Klimax innerhalb der Klimax: Das wort wird yhm ein glüender spies ym hertzen gewesen sein, Als solt er sagen: Ach, lieber son, schweyg stille, es möcht mir das hertz brechen. Das mus er auch noch fressen und das hertz wol kochen. 50 Bildet Gen 22 den tentativen Höhepunkt der Abrahamserzählung, so ist im Redewechsel zwischen Vater und Sohn in Gen 22,7 der affektive Höhepunkt erreicht. Ingens vero hic motus, et vehemens pa,qoj est, quod Moses noluit praeterire. Isaac victima alloquitur patrem, et irritat illam storgh. n fusikh. n , quasi dicat: Tu mihi es pater, et parens vicissim: tu mihi filius. Haec penetrarunt et perculerunt haud dubie animum paternum. 51 Anders indes die patristische Exegese von Gen 22, etwa bei Gregor von Nyssa. Zwar ist auch hier von der Schwere der tentatio die Rede, aber den eigent- 47 Andreas Lucas, Ein schöne vnd tröstliche Comoedia / in Reim weis gestellet / wie Abraham seinen Son Jsaac / aus Gottes befelh / zum Brandopffer opffern solte / Zu ehren der Durchleuchtigen Hochgebornen Fürstin / Fraw Catharinen / Hertzogin zu Sachssen etc., Leipzig 1551 (HAB Wolfenbüttel Lo 5164.1), hier die Rede Abrahams fol. F 6r: „Menschen natur angeborn ist / Jch selbst beken zu dieser frist / Das sie ja lieb haben mus die / Welche zur welt gebracht hat sie / Also ist mirs wol in meim hertz / Ein grosse pein / jammer vnd schmertz / Das meinen liebsten son Jsac / Jch nu auch opffern sol zu tag.“ Marginal: „ pa,qoj ”. 48 Vgl. Luther, WA 43,216,12. Vgl. S. Gedicke, GENESIS Oder AVszlegung des Ersten Buchs Mosis [...]. Dritter Theil, Leipzig 1611 (HAB Wolfenbüttel C 122 Helmst. 2° [2]), fol. 287r. 49 Vgl. Gedicke (Anm. 48), fol. 287r: „Sie schweigen aber beyde stille in diesem so wundersamen Handel / oder viel mehr kan es keine Menschliche Weißheit außsinnen / auch keines Menschen Beredsamkeit außsprechen / was domals Vater vnd Sohn miteinander geredet / welchs sonder zweiffel von dem befehlich Gottes / von der Aufferstehung der Todten vnd vom ewigen Leben gewesen ist / Oder aber wie es vorerwehnter Lutherus darfür helt / es hat Moses dasselbe Gespreche ohne Weinen nicht setzen noch beschreiben können / wie auch Gregorius Nyssenus meldet.“ 50 Luther, WA 24,381,32-34. Musäus (Anm. 36), fol. 249r noch etwas drastischer: „Gros wunder ists / das Abraham nicht drüber vmbgefallen ist“. 51 Luther, WA 43,215,20-23. <?page no="152"?> Johann Anselm Steiger 144 lichen Skopos der Erzählung sieht Gregor doch in der vorbildlichen patientia und tranquillitas Abrahams, näherhin darin, daß er sich, auf den Berg Morija hinansteigend „constanti atque tranquillo animo“ 52 mit seinem Sohn unterredet habe. Zwar kann Luther davon sprechen, daß Abraham, Gott gehorsamend, seine väterliche Liebe der Liebe zu Gott unterordnet. 53 Diese Unterordnung bedeutet jedoch keineswegs, daß sich Abraham des Affektes der väterlichen Liebe im Sinne von Gelassenheit oder Ataraxie begibt. 54 Vielmehr besteht die elterliche Liebe, die storgh, , fort u nd steht in einem eklatanten Widerspruch zur Liebe Gott gegenüber. Aus der Analyse der affektiven Befindlichkeit Abrahams ergibt sich eine weitere Einsicht in die paradoxale Struktur der Versuchung: Gottes Befehl an Abraham, Isaak als Opfer darzubringen, widerstreitet nicht nur dem Gesetz wie dem Evangelium, sondern zudem der affektiven Disposition eines Vaters und mithin dem Gesetz der Natur. 55 Luther vermeidet es, die tentatio nur von deren Ausgang her, d.h. post factum, zu betrachten und somit zu entschärfen. Nur so kann in voller Radikalität wahrgenommen werden, daß die dem Glauben aufgebürdete Zumutung darin besteht, in der Gegenwart der Versuchung und der Gottesferne an der Zukunft Gottes und seiner Rettung festzuhalten. Und nur so kann dieser Text als ein solcher gepredigt werden, der den Hörern einen Weg weist, wie sie sich in der Situation der tentatio zu verhalten haben. Daher konfrontiert Luther seinen Hörer mit einer Szenerie, die ihm noch bevorsteht: mit der Todesstunde, in der es durchaus zu einer der Abrahamschen ähnlichen Erfahrung der Ferne des gestern noch nahen Gottes kommen kann. Weil uns Gott das Euangelion gibt und tröstet, so ist es alles lieblich, Wie aber, wenn er spricht am tod: ich wil dein nicht? hastu nu fast gemeynet, du stehest feste und gleubest an Christum, das er dein ist, so kömpt dir nu ein spies yns hertz, das Gott sagt: Ich wil dir Christum nicht geben, darümb gib mir yhn her und bleib du alleine, Was kan da das hertz anders sprechen denn: es ist verloren? und wens schön sagt: hastu mir yhn doch geredt, so sagt er wol widder: Ich bin Gott, mag ichs nicht machen wie ich wil? 56 Aus seelsorglichen Gründen ist Luther daran gelegen, Einblick in die Befindlichkeit Abrahams während der drei Tage seiner Reise zu gewähren - Trost- 52 Migne, Patrologia Graeca 46, 571A. 53 Vgl. Luther, WA.TR 1,422,13-15: „Dies Exempel Abrahams ubertrifft weit allen Verstand menschlicher Natur, daß er uberwand die väterliche Liebe, so er zu seinem eingebornen Sohn Isaac trug.“ 54 Vgl. Luther, WA 43,206,1f: „Quomodo existimas cor Abrahae hic affectum fuisse? habuit enim carnem, nec, ut saepe dixi, fuit a; storgoj .“ 55 Vgl. Luther, WA TR 1,422,17. Diesen Aspekt aufnehmend, formuliert Gedicke (Anm. 48), fol. 280r: „Sintemal solcher Befehl nicht allein vnerhört vnd vnbreuchlich allen vorgehenden Patriarchen / sondern er leufft auch stracks 1. Wieder die Natur. 2. Wieder Gottes Gesetz. 3. Wieder Gottes verheissung / also daß Abraham mit Gott wieder Gott zu streiten gehabt hat.“ Vgl. ebd., fol. 282v. 56 Luther, WA 24,383,8-15. <?page no="153"?> Ad Deum contra Deum 145 losigkeit, Gottesferne - damit der potentiell angefochtene Glaubende lernen möge, was in einer solchen Situation zu tun ist. Nicht getan ist es dagegen mit einer Anweisung, wie man nach dem glücklichen Ausgang auf die zurückliegende Krisensituation blicken kann in dem Bewußtsein, es habe sich ja „nur“ um eine Versuchung gehandelt. Gott also ficht die Glaubenden an und versucht sie, indem er sich auf das Feld der Widersprüchlichkeit begibt und seinem zuvor geäußerten Wort widerspricht, ja seine promissio widerruft. Die Aufgabe des Glaubenden - und dies ist die schwerste, die er haben kann - besteht darin, in den Streit mit Gott einzutreten und nicht nur ihn selbst, sondern Gott in seinem Widerspruch zu überwinden. Dies aber kann nur durch Widerspruch gegen die göttliche Widerrufung seiner Verheißung geschehen, also dadurch, daß der Glaubende Gott derart widerspricht, daß er sich nicht auf das Feld von dessen Widersprüchlichkeit begibt. Auf diesem nämlich würde er sich notwendigerweise verlieren. Wo nu der tod her fiele und Gott lies sich hören odder fülen, er wölte ungnedig sein und mich nicht haben, dennoch sol ich nicht wancken noch zurück treten, ob auch Moses odder ein Engel odder gleich Christus keme, doch sol ich daran halten, denn das wort Gottes kan nicht liegen, Spricht aber dein hertz: ja, ist doch das auch Gottes wort? Antwort du: Er wirds wol machen und deuten, wie ers meynet. Also müssen wir yhn uberwinden mit seinem eygenem wort, das ist fast der höhiste kampff und streit, wilchen die heiligen veter wol geübt haben. 57 Es zeigt sich: Luther interpretiert Gen 22 im Kontext von anderen Texten des ersten Buches Mose - an dieser Stelle: vor den Kulissen der Erzählung vom Sieg Jakobs über Gott im Kampf am Jabbok (Gen 32,23-33). Die lutherische Tradition hat ganz im Sinne Luthers eben diesen Gedanken des Selbstwiderspruches des in Anfechtung führenden Gottes stark gemacht. Valerius Herberger etwa legt Abraham folgende Worte in den Mund: „Aber Gott hat zu verlieren seine Wahrheit! da mag er zusehen, wie er sein Wort halte“ 58 . Die reformierte Auslegungstradition dagegen neigt - übrigens stärker als Calvin selbst 59 - dazu, Gen 22 dahingehend zu glätten und damit auch z.T. zu entschärfen, daß gesagt wird, Gott begebe sich keinesfalls in einen Widerspruch oder nur scheinbar in einen solchen. So formuliert David Pareus (1548-1622) 60 : „Deus cum sit optimus & sapientissimus, sibi contrarius esse non potest.“ 61 Im Vordergrund steht hierbei das Theorem von der immutabilitas Dei, das es nach reformierter Sicht der Dinge nicht zuläßt, in der für Luther charakteristischen Weise davon zu sprechen, daß Gott seine Ver- 57 Luther, WA 24,386,17-24. 58 V. Herberger, Magnalia Dei. Die großen Thaten Gottes, 1.-4. Teil, Halle/ S. 1854 ( 1 1608-16), 350. 59 Vgl. Calvin, Commentarius in Genesin, in: Corpus Reformatorum 23, 312. 60 Vgl. K. F. Ulrichs, „Pareus, David“, in: Bio-Bibliographisches Kirchenlexikon 6 (1993), 1532-1536. 61 D. Pareus, IN GENESIN Mosis COMMENTARIVS [...], Frankfurt a.M. 1615 (HAB Wolfenbüttel 12.13 Th.), 1279. <?page no="154"?> Johann Anselm Steiger 146 heißung zurückzieht. Nicht verwunderlich ist es daher, daß Caspar Olevian (1536-1587) 62 nur im Rahmen eines Irrealis vom Selbstwiderspruch Gottes reden kann: Jn dieser versuchung vnnd probierung war diß das aller schwerest / daß es sich ansehen ließ als wann Gott jm selbst zu wider were / dieweil er jhm gebeut daß er den son schlachten vnd tödten sol / von welchem er jhme doch zuuor sein wort der verheissung gegeben hatte / daß von demselben der heiland der welt herkommen solte. 63 Darum neigen die reformierten Exegeten dazu, die Versuchungsgeschichte Abrahams von deren Ende her zu lesen, wobei hervorgehoben wird, daß es sich eben nur um eine Erprobung und darum auch nur um eine scheinbare Widersprüchlichkeit in Gott gehandelt habe. Auch nach Luther ist das Theologumenon von der immutabilitas Dei im Kontext der Interpretation von Gen 22 von Bedeutung, aber doch in anderer Weise: Derhalben wer ynn der anfechtung wil gelert sein, der ergreiffe die sprüche, das Gott nicht leugt noch wancket, was er ein mal sagt, Was aber darnach dawidder lautet, ist darauff zu weisen und deuten, das er den glauben versucht, das las yhn aus deuten, Es ist aber ein schweer stück. 64 Die reformierte Lesart neigt dazu, mit Hilfe der Lehre von der Unveränderlichkeit Gottes, gleichsam von außen an den Text von Gen 22 herantretend, rational zu argumentieren: Gottes Einheit und Wahrheit verbieten es, ihn für wandelbar zu halten. Ziel ist es hierbei, zu verhindern, daß eine Gott nicht angemessene Vorstellung von Wandelbarkeit im Sinne eines Mißverständnisses Platz greift. Bei Luther ist dies, wie das soeben angeführte Zitat zeigt, anders. Hier ist der Hinweis darauf, daß Gott nicht wankt, Teil des aufmüpfigen Widerspruches, der aus der Situation der Versuchung heraus vom Angefochtenen selbst Gott gegenüber in Anschlag gebracht wird. Keineswegs aber liegt Luther daran, den Widerspruch zu lösen, indem er auf den Ausgang der Geschichte verwiese. Vielmehr stellt er die Diskrepanz zwischen der promissio einerseits und der Versuchung andererseits Gott anheim: „das las yhn aus deuten.“ 65 Abraham also begibt sich mit Gott in einen Streit, indem er an dessen promissio festhält, obgleich die empirisch vorfindliche Situation hierzu in keiner Weise Anlaß gibt. Aber mehr noch - und hier wird die Auslegung von Hebr 11,17-19 im Kontext von Gen 22 virulent: Abraham vermag den Wider- 62 Vgl. V. Wittmütz, „Olevian, Caspar“, in: Bio-Bibliographisches Kirchenlexikon 6 (1993), 1197-1200. 63 C. Olevian, Predig Von Abrahams glauben vnd gehorsam da er seinen Sohn Jsaac Gott auffopfferte / Gene. am 22. Hebre. am 11 Zur begrebnüß der Durchleuchtigsten Hochgebornen Fürstin vnd Frawen / Frawen Marien Pfaltzgreffin bey Rhein / Hertzogin in Bayern Gebornen Marggreffin von Brandenburg / den 2. Nouem. Ann 1567. zu Heydelberg in der Stadt kirchen gethon, Heidelberg 1567 (HAB Wolfenbüttel 312.40 Th. [9]), fol. A 3r. 64 Luther, WA 24,386,27-31. 65 Luther, WA 24,386,30. <?page no="155"?> Ad Deum contra Deum 147 spruch zwischen dem ihm von Gott gegebenen Tötungsbefehl und der promissio aufzulösen, indem er zur Auferstehungshoffnung Zuflucht nimmt 66 dergestalt, daß er (im Sinne von Lk 18,29f, aber auch der Hiobs-Erzählung) hofft, Isaak in der Zeit wiederzubekommen. 67 Genau dieses Motiv findet sich im übrigen auch bei Augustin, wenn er sagt: „Verum tamen Abraham confestim filium, cum fuisset immolatus, resurrecturum credidisse laudandus est.“ 68 Insofern handelt es sich hierbei nicht um eine Vertröstung im pejorativen Sinne oder gar um eine Ausrede, sondern um den Glauben daran, daß Gott um willen der Erfüllung seiner Verheißung die für den Jüngsten Tag in Aussicht gestellte resurrectio carnis in die Zeit, in das Hier und Jetzt, hineinscheinen und im Sinne einer Prolepse vor der Zeit Wirklichkeit werden läßt. Ein Wunder ist vorgezogenes Eschaton. Aber weil der Glaube zum Kleinglauben degeneriert, wenn er Gott den modus der Erfüllung seiner Verheißung vorschreibt, ist Abraham von der Gewißheit getrieben, daß Gott Isaak, wenn nicht unmittelbar oder kurz nach dessen Opferung, so doch am Jüngsten Tage auferwecken wird. Der von Gott versuchte Abraham ist nach Luther mit einem Disputanten in einer akademischen Disputation zu vergleichen, der es mit zwei einander ausschließenden Obersätzen („propositiones“ 69 ) und zwei aus ihnen folgenden conclusiones, die ebenfalls einander widerstreiten, zu tun hat: „Isaac erit semen et pater regum et populorum: Isaac morietur, non erit pater populo- 66 Vgl. Luther, WA 43,204,23f: „Intellexit igitur Abraham articulum de resurrectione mortuorum, et per eum solum solvit hanc contradictionem.” 67 Vgl. Luther, WA 43,204,26-28: „Hi nescio quam diu iacebunt dispersi, sed iterum vivificabuntur, sive hoc fiat me vivo adhuc, sive mille annos post meam mortem.” So auch Musäus (Anm. 36), fol. 248v, wo Musäus Abraham sagen läßt: „Die vmbstende aber der zeit / Weise / vnd Ort / Wenn / Wie vnnd Wo es Gott thun wolle / lasse ich seiner vnmesslichen Weisheit befohlen sein. Denn ob ich jn gleich jtzt nach Gottes befehl tödte vnd zu Aschen verbrenne / so muss er doch durch krafft Göttlichs Worts wider lebendig werden / vnd Kinder zeugen / wenn er auch gleich tausent Jar in der Erden were gelegen. Denn Gottes Wort vermag alles. Gleich wie er durch Gottes wort von mir vnd meiner alten Sara / vber die krafft der Natur geboren ist / also sol er auch durch Gottes Wort von Toden wider auffstehen.“ 68 Augustin, De civitate Dei XVI, 32, in: Corpus Christianorum Series Latina 48, 536,13f. Ähnlich Gedicke (Anm. 48), fol. 283v, der in Abrahams Worten an die am Fuße des Berges zurückgelassenen Knechte Abrahams Glaube an die sofortige resurrectio Isaaks nach der Opferung gespiegelt sieht: „[...] wollen wir wieder zu euch kommen / denn er gleubte / das Gott den Jsaac wol könte von den Todten erwecken“. Genau diesen Aspekt kleidet das biblische Theaterstück Lucas‘ ([Anm. 47], fol. 6r) in folgende Rede Abrahams ein: „Jst solchs müglich gewest dem hern / Das er so leicht herfür kan bringn / Den Jsaac / dem mus gelingn / Er kan warlich auch leichtlich ebn / Jhm widergeben bald sein lebn / Ob er auch gleichwol zehnmal stürb / Vnd an mancherley tod verdürb. / Erstlich hat Gott aus erden klos / Den menschen schon geschaffen blos / Himel vnd erd / all creatur / Aus nichts gemacht vnd bracht herfur / Ey wie ein armer Gott das sein / Müste / welcher vor zeit allein / Solch wunder hette können thun / Vnd solchs nicht mehr könde nun.“ 69 Luther, WA 43,216,33. <?page no="156"?> Johann Anselm Steiger 148 rum.“ 70 Diese Widersprüche mit dem Handwerkszeug der Logik und der Vernunft auflösen zu wollen, ist schlechthin ausgeschlossen. Dies gelingt vielmehr nur, wenn man den propositiones eine solche These entgegensetzt, die im Sinne der Logik des Glaubens den Satz vom Widerspruch bereits durchbrochen hat. „Sed verbum conciliat haec duo: Quod mortuus vivit, et vivens moritur.” 71 Dies wiederum ist nur möglich, wenn man die logica sacra vom zweiten Glaubensartikel her formuliert, der den Satz vom Widerspruch theo-logisch durchkreuzt: Gott ist Mensch. Daraus allein kann auch folgen: Tod ist Leben („Mors non est mors, sed vita“ 72 ). Wer aber mit Abraham die logica fidei erlernt hat, beginnt zu singen, indem er ein mittelalterliches Lied trällert, es jedoch - und allein dies ist jetzt noch sachgemäß - zuvor einer inversio unterzieht, es so dem Bereich der lex entreißt und zur Verkündigung des euangelium avancieren läßt. 73 Die fides erzwingt eine Umformulierung des Gesanges „media vita in morte sumus“: „Euangelium autem et fides invertunt hanc cantionem, et sic canunt: Media morte in vita sumus, te redemptorem laudamus, suscitasti nos de morte et salvasti nos.“ 74 In diesem Gesang eignet sich der Glaubende die Allmacht Christi an, der des Todes Tod ist (EKG 65,1; vgl. Hos 13,14), so daß Luther sagen kann: Der Glaube ermordet den Tod, verdammt die Hölle und wird dem Teufel zum Teufel. Die „virtus“ des Glaubens „est mortem occidere, infernum damnare, esse peccato peccatum, diabolo diabolum“ 75 . In dieser Hinsicht ist die Auferstehungshoffnung, obgleich Abraham sie Gott im Kampf abringen muß, der einzig mögliche Trost, den Gott Abraham gewährt. Nu must dennoch dis beydes war sein: Abraham gleubte und wuste nichts anders denn der son müste sterben, widderümb auch das er solt ein vater werden vieler völcker, Wie reymen sich die zwey zu samen? Also, wie es Sanct Paulus ausleget, er hat müssen also dencken: Gott ist allmechtig und warhafftig, der son ist schön hyn, den mus ich lassen faren, Aber Gott hat noch soviel, wenn ich und alle welt tod weren, kan er yhn widder auffwecken auch uber hundert jar und zum vater machen. Also lesset yhm Gott nicht mehr denn den einigen trost, daran er sich ynn der höhisten versüchung helt, das yhn Gott widder lebendig machen würde, wenn yhm es gefiele, darümb das Gott nicht liegen kan. 76 So betrachtet ist Gen 22 nicht nur ein Beispieltext für die Versuchung Gottes im Sinne eines genitivus subjectivus, sondern - negative - auch im Sinne eines genitivus objectivus. Abrahams Glaube reicht so weit, daß er nicht daran zweifelt, Gott werde seine Verheißung wahrmachen, auch wenn Isaak geop- 70 Luther, WA 43,216,33f. 71 Luther, WA 43,216,35f. 72 Luther, WA 43,218,40. 73 Vgl. Luther, WA 43,219,37f: „[...] et canamus: media morte in vita sumus, quem laudabimus, nisi te Deum nostrum? Haec Euangelica cantio, altera legalis est.” 74 Luther, WA 43,219,2-4. 75 Luther, WA 43,219,29f. 76 Luther, WA 24,382,22-31. <?page no="157"?> Ad Deum contra Deum 149 fert wird. Luther zufolge versucht der Mensch Gott, wenn er Gottes promissiones außerhalb der von ihm gesetzten äußeren Bedingungen auf den Prüfstand stellt, Gott also Zeit und modus der Erfüllung des Verheißenen vorschreiben will. Genau dies jedoch tut Abraham nicht, sondern hält an dem Glauben fest, daß Gott das Zugesagte erfüllen wird, stellt es ihm jedoch anheim, wie er seine promissio zu Stand und Wesen bringen will. 77 3. Die typologische Interpretation von Gen 22 durch lutherischorthodoxe Theologen und deren rabbinischer Hintergrund Blickt man in die (weitenteils noch unerforschte) Auslegungsgeschichte des Alten Testaments im Luthertum des ausgehenden 16. und 17. Jahrhunderts 78 , fällt ins Auge, daß auf die Interpretation von Gen 22 große Mühe gewandt worden ist und zwar sowohl im Bereich der Kommentarliteratur als auch in der Predigt. Es ist hier nicht der Ort, diese Auslegungstradition in extenso zu behandeln, doch sei auf folgende Aspekte hingewiesen. Die Perikope Gen 22 ist für Luther und seine Erben nicht zuletzt darum von so zentraler Bedeutung, weil in ihr - und hierbei kann man sich auf eine bis in die Alte Kirche zurückreichende Auslegungstradition berufen - Opfer, Tod und Auferstehung Christi präfiguriert werden. Im wesentlichen verweist Gen 22 in zweifacher Hinsicht auf die Passionsgeschichte. Einerseits läßt die Verschonung Isaaks auf die resurrectio Christi insofern vorausblicken, als Isaak im Herzen Abrahams bereits drei Tage lang tot gewesen ist und aufgrund des Eingreifens des Engels gleichsam aufersteht. 79 Andererseits wird in der Opferung des Widders, der anstelle Isaaks auf den Opferaltar gelegt wird, die stellvertretende Selbstaufopferung des Hohenpriesters Christus, des Lammes Gottes (Joh 1,29.36), angeschaut. Neutestamentlicher Ausgangspunkt für eine derart intensive typologische Beleuchtung von Gen 77 Diesen Sachverhalt kleidet später S. Musäus in eine direkte Rede, die er Abraham in den Mund legt: „Die vmbstende aber der zeit / Weise / vnd Ort / Wenn / Wie vnnd Wo es Gott thun wolle / lasse ich seiner vnmesslichen Weisheit befohlen sein. Denn ob ich jn gleich jtzt nach Gottes befehl tödte vnd zu Aschen verbrenne / so muss er doch durch krafft Göttlichs Worts wider lebendig werden / vnd Kinder zeugen / wenn er auch gleich tausent Jar in der Erden were gelegen. Denn Gottes Wort vermag alles. Gleich wie er durch Gottes wort von mir vnd meiner alten Sara / vber die krafft der Natur geboren ist / also sol er auch durch GOttes Wort von Toden wider auffstehen“ (Musäus [Anm. 36], fol. 248v). 78 Vgl. J. A. Steiger, Doctrinal Development of the Reformation Legacy: Hermeneutics and Interpretation of the Sacred Scripture in the Age of Orthodoxy, demnächst in: M. Saebø (Hg.), Hebrew Bible, Old Testament. The History of its Interpretation, Bd. 3. 79 Vgl. Luther, WA 14,307,8. Vgl. A. Calov, BIBLIA TESTAM. VETERIS ILLUSTRATA [...], Dresden/ Leipzig 2 1719 (Privatbesitz), Bd. 1, 291b: „De resurrectionis figura videndum. Eam in redivivo filio suo conspicabatur Abraham, qui per triduum in corde Patris mortuus erat, sed postea vivus Patri redditus est.” <?page no="158"?> Johann Anselm Steiger 150 22 ist in erster Linie Joh 8,56 80 („Abraham ewer Vater ward fro / das er meinen tag sehen solt / vnd er sahe jn / vnd frewet sich“). Die Szenerie von Gen 22 wird recht häufig in allen Details fruchtbar gemacht für den typologischen Konnex mit dem Neuen Testament, so z.B., wenn der das Brennholz tragende Isaak (im Anschluß an die patristische Tradition [z.B. Augustin und Isidor von Sevilla 81 ]) wie in der Biblia pauperum 82 als Versinnbildlichung des sein Kreuz selbst schleppenden Christus (Joh 19,17) interpretiert wird. 83 Nicht nur im Hinblick auf die Analyse der Erzählung von der Versuchung Abrahams und deren theologische und poimenische Auswertung ist es nötig, mit diesem gleichzeitig zu werden. Vielmehr ist diese Gleichzeitigkeit ebenso Bedingung der Möglichkeit, die prophetischen mysteria von Gen 22 zu entschlüsseln. Darum sagt Johann Gerhard: Ut haec mysteria in Isaaci immolatione nobis proposita devotè contemplemur, cum Abrahamo ascendamus in montem Moriah, dicentes cum Sponsa coelesti. Cant. 4. v. 6. Vadam ad montem myrrhae & collem thuris. 84 Die Einzelheiten dieser keineswegs erst innerhalb der lutherischen Orthodoxie, sondern bereits bei Luther selbst sich findenden Typologese von Gen 22 80 Vgl. z.B. J. Gerhard, COMMENTARIUS super GENESIN, IN QVO Textus declaratur, quaestiones dubiae solvuntur, observationes eruuntur, & loca in speciem pugnantia conciliantur. Editio novißima & emendatior, Jena 1653, 440f: „Abraham exultativ, ut videret diem meum. Hunc diem Christi, h.e. Filii Dei adventum in carnem, ipsius in his terris conversationem, miracula, passionem, mortem, resurrectionem, (quae interpretatio colligitur ex Hebr. 5. v. 7.) hunc, inquam, diem Christi vidit Abraham, non tantùm in promissione Genes. 12. v. 3. cap. 18. v. 8. nec tantùm in apparitione Genes. 18. v. 2. sed etiam ac cumprimis in hac sacrificii oblatione, ubi praeludium aliquod eorum, quae die parasceves Christo obventura erant, in Spiritu praevidit.” Daß die Verknüpfung von Joh 8,56 und Gen 22 patristischen Ursprungs ist, wird u.a. deutlich anhand von Irenäus, Adversus haereses 4,5,5, in: Fontes Christiani 8/ 4, 42,12-15. Origenes, Commentarii in epistulam ad Romanos 4,7, in: Fontes Christiani 2/ 2, 240,15f. 81 Vgl. Augustin, De civitate Dei XVI, 32, in: Corpus Christianorum Series Latina 48, 537,35- 37: „Propterea et Isaac, sicut Dominus crucem suam, ita sibi ligna ad uictimae locum, quibus fuerat et inponendus, ipse portauit.” Vgl. weiter Isidor von Sevilla, Quaestiones in Vetus Testamentum, cap. 18, in: Migne, Patrologia Latina 83, 250B: „Et sicut Isaac ipse sibi ligna portavit, quibus erat imponendus, ita et Christus gestavit in humeris lignum crucis, in quo erat crucifigendus.” 82 Vgl. Biblia Pauperum. Armenbibel. Die Bilderhandschrift des Codex Palatinus latinus 871 im Besitz der Biblioteca Apostolica Vaticana, bearb., übers. und komment. von Chr. Wetzel / H. Drechsler, Stuttgart u.a. 1995, fol. 13r. Wie nachhaltig diese typologische Interpretation gewirkt hat, wird u.a. darin sinnenfällig, daß in Frankreich Darstellungen des zum Opfer schreitenden Isaak belegt sind, die diesen nicht mit Holzscheiten, sondern mit dem Kreuz auf dem Rücken zeigen. Vgl. K. Möller, „Abraham“, in: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte 1 (1937), 82-102. 83 Vgl. Gedicke (Anm. 48), fol. 284v. Vgl. weiter P. Leyser, Isaacus [...] Hoc est Theologica expositio quartae partis Geneseos, quae continet historiam ISAACI, Filii Abrahae secundùm promißionem, Leipzig 1608 (HAB Wolfenbüttel 450.9 Th. [1]), 91, der den das Brennholz tragenden Isaak „typus Christi, qui crucem suam portavit usque ad locum supplicii“ nennt. 84 Gerhard, Commentarius (Anm. 80), 444. <?page no="159"?> Ad Deum contra Deum 151 sind nun hier nicht das Thema. Gleichwohl soll an einem Beispiel gezeigt werden, daß sich die christologische Interpretation von Gen 22 nicht nur aufgrund von neutestamentlichen Perspektivierungen nahelegt, sondern zudem anschlußfähig bezüglich der rabbinischen Auslegungskunst ist. In Johann Gerhards „Postilla Salomonaea“, einer umfänglichen Predigtsammlung über sämtliche Teiltexte des Hohenliedes, findet sich zum Karfreitag eine Predigt über Hld 4,6 („Jch wil zum Myrrhenberge gehen vnd zum Weyrauchhügel“). Von dieser Stelle aus kommt Gerhard u.a. auf Gen 22 zu sprechen 85 und sieht im Anschluß an eine lange diesbezügliche Tradition und Luther 86 in Morija eine typologische Vorabbildung Golgathas. 87 Grund hierfür ist im Sinne eines Bindegliedes 2Chr 3,1, wo zu lesen steht, daß der salomonische Tempel just an dem Orte errichtet wurde, wo Isaaks Nicht- Opferung stattgefunden hat. Dieser Berg Morija / sage ich / vnd was auff demselben geschehen / ist ein Vorbild gewesen des bittern Leidens vnd Sterbens Christi Jesu / welches er auff dem Berge Golgatha oder Scheddelstet vmb vnsert willen ausgestanden [...] weil die Auffopfferung Jsaacs / das Opffer Davids / vnd alle Opffer altes Testaments / so im Tempel geopffert worden / auff das einige Versöhnopffer / so Christus am Stamm des Creutzes seinem himmlischen Vater dargebracht / gedeutet haben. 88 Eine Identifikation der Lokalitäten Morija und Golgatha kommt unter dem (klassischen) Hinweis darauf zustande, daß Golgatha Teil des mehrere Berge 85 Vgl. hierzu wie zum folgenden N. Back, ‚Die alten Hebreer haben recht und wol gesagt [...]‘. Johann Gerhard und die jüdische Schriftauslegung, in: R. Steiger (Hg.), Von Luther zu Bach. Bericht über die Tagung 22.-25. September 1996 in Eisenach, Sinzig 1999, 179- 186. 86 Vgl. Luther, WA.TR 5,393,15-17 (Nr. 5893): „Immolatio Isaac. Isaac, filius unigenitus Abrahae, offertur Deo in monte Moria, ubi templum postea Deo condidit, ita Deus se ipsum offert avnti,lutron pro nobis etc.“ 87 Vgl. Gerhard, Commentarius (Anm. 80), 441. 88 J. Gerhard, POSTILLA SALOMONAEA, Das ist Erklärung etlicher Sprüche aus dem Hohenlied Salomonis auff die Sontägliche vnd vornembste Fest Evangelia durchs gantz Jahr gerichtet, vnd Jn der Kirchen S. Michaelis beÿ der Vniversitet Jehna in den ordenlichen Freÿtagspredigten der Gemeine Gottes fürgetragen, 2 Bde., Jena 1631 (UB Leipzig St. Thomas 644), I, 637. Vgl. M. Chemnitz, HISTORIA Der Passion vnsers lieben HERRN vnd Heilands Jesu Christi / Wie dieselbe von den Vier Euangelisten einhellig beschrieben ist. Aus den Predigten des weilandt Ehrwirdigen / Achtbarn vnd Hochgelarten Herrn Doctoris MARTINI CHEMNITII [...] zusammen gezogen / Durch Melchiorem Newkirchen / Pastorn zu S. Peter binnen Braunschweig, Wolfenbüttel 1590 (Universitäts- und Landesbibliothek Halle/ S. AB 155680), fol. 147v: „Darneben gibt dis auch feine gedancken: Dieser ort / da Christus ist gecreutzigt worden / ist eben die stete / da Abraham seinen Son Jsaac hat wollen aus Gottes befehl / schlachten vnd opffern / im Lande Moria / welchen ort Abraham darnach heist / der HErr sihet / an welchem ort auch hernach der König Dauid zur zeit der Pestilentz einen Altar gebawet / vnd geopffert hat / dadurch Gott zubewegen / das er die grewliche geschwinde Pestilentz von seinen Vnterthanen abwendete. An diesem ort ist Christus darnach gecreutziget worden / damit zubeweisen / dz hie jetzt in Christo alle solche figuren des alten Testaments erfüllet sein worden / vnd er das rechte Opffer sey / dadurch Gottes zorn gestillet / vnd der ewige tod von vns genomen.“ <?page no="160"?> Johann Anselm Steiger 152 umfassenden Gebirges Morija sei. 89 Sehr häufig nimmt Gerhard, v.a. bei der Exegese alttestamentlicher Texte, Rücksicht auf die rabbinische Auslegungstradition. Bekannt ist, daß die jüdische Exegese zur Zeit der Entstehung der neutestamentlichen Schriften innerhalb der Interpretation von Gen 22 den Aspekt der Bereitschaft Isaaks zur freiwilligen Selbstaufopferung sehr stark in den Vordergrund rückt. 90 Darum ging man bisweilen sogar davon aus, daß die Opferung Isaaks wirklich stattgefunden hat. Diese deutlich soteriologisch motivierte Lesart von Gen 22 spiegelt sich z.B. im Targum Schir HaSchirim. Hier (1,13) ist davon die Rede, daß der Bindung Isaaks eine sühnende Bedeutung zukommt. Denn nachdem das Volk Israel von Jhwh abgefallen war und das goldene Kalb angebetet hatte, begab sich Mose auf den Berg Sinai, um Fürbitte für das Volk zu halten. Währenddessen erinnert sich Jhwh an die Bindung Isaaks und läßt daraufhin von seinem Zorn und der Israel zugedachten Strafe ab. 91 Daß diese targumische Auslegungstradition keineswegs eine nur randständige Bedeutung hat, zeigt sich daran, daß sie in das täglich zu betende jüdische Morgengebet 92 eingegangen ist. Indem Gerhard Hld 1,13 typologisch auf Christus hin auslegt, nimmt er Bezug auf den soeben skizzierten Zusammenhang: Der Berg Moriah hat seinen Namen von der Myrrhen / wie in der Chaldaischen Bibel vom Onkelos vertiret, an demselben Ort zu befinden / dieweil auff demselben viel Myrrhen / Aloe vnd Zimmet gewachsen. Jn solcher Historia ist Jsaac ein 89 Vgl. Gerhard, Commentarius (Anm. 80), 441: „Si quis obvertat, Christum crucifixum esse in monte calvariae extra Hierosolymam, non in monte Moriah intra urbem, in quo fuit arx Sionis extructa, notandum est ex Diodoro Siculo, montem Moriah in plures colles & monticulos fuisse divisum.” Vgl. auch V. Schmuck, Historia ABRAHAE. Außlegung des achtzehenden / neunzehenden / zwantzigsten / ein / zwey / vnd drey vnd zwantzigsten Capitels im ersten Buch Mose / Darinnen zuföderst das ernste gericht Gottes wider die Sodomiter / vnd dere schrecklicher vntergang / hernach aber Abrahams wandern / Jsaacs geburt / vnd wie er sollen geopffert werden / vnd letzlich der Sara tod vnd Begräbnis beschrieben wird. Geprediget [...], Leipzig 1607 (HAB Wolfenbüttel 326.9 Theol.), 813: „Dasselbe Opffer wil Gott verrichtet haben / in dem Lande Morija / das ist / zu Jerusalem / auff eim Berge: Eben an dem ort hat auch der HErr Christus den Todt leiden vnd sich opffern lassen müssen / auff dem Berge Calvaria, an der Scheddelstat / welcher Berg des gebirgs Morija ein stück gewesen ist.“ 90 Vgl. H. M. von Erffa, Ikonologie der Genesis. Die christlichen Bildthemen aus dem Alten Testament und ihre Quellen, Bd. 2, München u.a. 1995, 148 sowie P. M. van Buren, Das Evangelium und die Bindung Isaaks, in: Kirche und Israel 11 (1996), 74-81, hier: 78f. 91 „Zu dieser Zeit sprach der Herr zu Mose: Geh, steig herab von hier, dein Volk hat gesündigt. Laß mich allein, so daß ich sie austilgen kann. Daraufhin stand Mose vor dem Herrn im Gebet und erbat Gnade von ihm. Und der Herr erinnerte die Bindung Isaaks, wie er von seinem Vater auf dem Berg Morija an den Altar gebunden war, und der Herr ließ sich erweichen und sein Zorn beruhigte sich und er ließ seine Schechina [seine Gegenwart] unter Israel wie zuvor wohnen“ (zit. nach Back [Anm. 85], 185). 92 „Gedenke der Bindung [Isaaks], gedenke, wie unser Vater [Abraham] seinen Sohn Isaak auf den Altar gefesselt hat und wie er sein Mitleid überwand, um deinen Willen mit ganzem Herzen zu erfüllen, so werde dein Mitleid deinen Zorn auf uns bezwingen und dein Erbarmen vor das Maß deines Gerichtes kommen“ (zit. nach ebd.). <?page no="161"?> Ad Deum contra Deum 153 Vorbild gewesen des himlischen Jsaacs Christi JEsu / welcher auff dem Berge Golgatha / so nahe beym Berge Moriah gelegen / vnd in vnserm Hohenlied der Myrrhenberg genennet wird / seinem himlischen Vater zum süssen Geruch sich aufgeopffert Eph. 5. Dannenhero auch die Chaldaische Dolmetschung dieses vnsers Sprüchleins vns auff dieselbe Historiam zurück weiset. [Marginal: ] Recordatus est Dominus inclinationis Isaaci, qui ligatus fuerat à Patre suo in monte Moriah super altare. 93 Gerhard weiß also, daß er mit seiner Auslegung, der zufolge sich in Gen 22 der Versöhnungstod Christi typologisch vorabbildet, in der Nähe der rabbinischen Exegese steht. Hieran liegt Gerhard auch sonst: Nämlich zu zeigen, daß es trotz aller Differenzen zwischen der jüdischen und christlichen Sicht der Dinge einen frappierenden consensus der lutherischen Exegese und derjenigen der „alten Hebräer“ gibt. 94 4. Epilog Zum Schluß sei noch eine Bemerkung gestattet, die mit der Philosophiegeschichte des 19. Jahrhunderts zu tun hat. Wir haben gesehen, daß Luther und seinen Erben daran gelegen ist, Gen 22 so zu interpretieren, daß hierbei der Perspektive des in tiefster Anfechtung steckenden Abraham Rechnung getragen wird. Diesen Zusammenhang greift später Sören Kierkegaard 95 in „Furcht und Zittern“ auf. Er plädiert dafür, Gen 22 nicht vom „Ausgang“ 96 her zu lesen, sondern den „Schmerz der Prüfung“ 97 sowie „die Angst, die Not, das Paradox“ 98 stark zu machen. Wo ich über ihn (scil. Abraham) reden sollte, würde ich zuerst den Schmerz der Prüfung schildern. Zu dem Ende würde ich einem Egel gleich alle Angst und Not und Qual heraussaugen aus dem Leiden eines Vaters, damit ich es beschreiben könnte, was Abraham litt, indessen er bei alledem dennoch glaubte. Ich würde daran erinnern, daß die Reise drei Tage währte und ein gut Stück des vierten, ja, 93 Gerhard, Postilla Salomonaea (Anm. 88), 429f. Vgl. ähnlich J. Gerhard, Erklährung der Historien des Leidens vnnd Sterbens vnsers Herrn Christi Jesu nach den vier Evangelisten, hg. von J. A. Steiger, Stuttgart-Bad Cannstatt 2002 (Doctrina et Pietas I,6), 311. 94 Vgl. J. A. Steiger, Die Rezeption der rabbinischen Tradition im Luthertum (Johann Gerhard, Salomo Glassius u.a.) und im Theologiestudium des 17. Jahrhunderts. Mit einer Edition des universitären Studienplanes von Glassius und einer Bibliographie der von ihm konzipierten Studentenbibliothek, in: Chr. Caemmerer u.a. (Hgg.), Das Berliner Modell der Mittleren Deutschen Literatur. Beiträge zur Tagung Kloster Zinna 29.9.- 01.10.1997, Amsterdam 2000 (Chloe 33), 191-252. 95 Vgl. hierzu H. Rosenau, Die Erzählung von Abrahams Opfer (Gen 22) und ihre Deutung bei Kant, Kierkegaard und Schelling, in: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 27 (1985), 251-261. 96 S. Kierkegaard, Gesammelte Werke, hg. von E. Hirsch / H. Gerdes, Abt. 4, Köln 2 1986, 68. 97 Ebd., 56. 98 Ebd., 69. <?page no="162"?> Johann Anselm Steiger 154 diese dreieinhalb Tage sollten unendlich viel länger werden als die paar tausend Jahre, die mich und Abraham scheiden. 99 Nur so kann man nach Kierkegaard dem „Dennoch“ des Glaubens Abrahams ansichtig werden. Demgemäß arbeitet Kierkegaard heraus, daß die „Doppelbewegung“ und der Glaube Abrahams „kraft des Absurden“ 100 darin bestehen, daß dieser nicht in „Resignation“ 101 verfällt, er darum Isaak nicht aus falsch verstandener Gottesliebe sofort und „hier zu Hause“ 102 opfert, aber auch nicht den ihn prüfenden Gott verwirft, sondern das „Paradox“ 103 aushält und sich auf den Weg einer Dreitagesreise macht 104 . Diese Reise muß der Leser gleichsam mitvollziehen, um die Befindlichkeit des Versuchtseins von innen heraus kennenzulernen. Ähnlich wie bei Luther besteht die Glaubens-Paradoxie des Kierkegaardschen Abraham darin, daß er glaubt, Isaak in der Zeit wiederzubekommen, gleichwohl aber, falls dies nicht geschehen sollte, festhält an der Gewißheit, daß sich die promissio Gottes spätestens am Jüngsten Tag erfüllen wird. Kierkegaard wendet - hierin einen hermeneutischen Grundsatz Johann Georg Hamanns 105 übernehmend - den biblischen Text biographisch, liest ihn als Dechiffrierung seiner eigenen Lebensgeschichte und sieht an der Stelle Abrahams sich selbst, an derjenigen Isaaks aber Regine stehen. Es bedarf kaum des Hinweises darauf, daß „Furcht und Zittern“ nur angemessen entzifferbar ist, wenn man die lutherische Auslegungsgeschichte zu Gen 22 mit im Blick hat. 99 Kierkegaard (Anm. 96), 56. 100 Ebd., 34. 101 Ebd., 33. 102 Ebd., 35. 103 Ebd., 36. 104 Ebd., 35. 105 Vgl. hierzu O. Bayer, Wer bin ich? Gott als Autor meiner Lebensgeschichte. Zum 250. Geburtstag von Johann Georg Hamann am 27. August 1980, in: Theologische Beiträge 11 (1980), 245-261. <?page no="163"?> Bernhard Greiner Die Stellvertretung im Opfer. Figurationen ihres Entwurfs und ihrer Rücknahme: Iphigenie (Euripides/ Goethe) und Elektra (Hofmannsthal) Allgemein betrachtet, gibt es für das Opfer zwei Vollzugsformen: Es ist entweder ‚erhaben’ in sich geschlossen - der Opfernde opfert sich um einer Idee willen, die ihm höherwertig ist als sein physisches Weiterleben - oder das Opfer ist eine Stellvertretung, was besagt, daß der Gegenstand des Opfers auf ein Drittes verschoben und so die erhabene Engführung von Subjekt und Objekt des Opfers aufgebrochen ist: Der Opfernde gibt etwas ihm Gehörendes, statt ‚sich’ zu geben. Als erhabenes Selbstopfer steht das Menschenopfer bis heute in hohem Ansehen, gehört es zum Wesensgrund menschlichen Daseins, seiner Freiheit. In der Kulturgeschichte der Menschheit bezeichnet demgegenüber die Ersetzung des Menschenopfers durch das Tieropfer einen wesentlichen Entwicklungsschritt. Er liegt den großen Begründungsbüchern der europäischen Kultur schon voraus. Die Opfergesetze der Bibel (Lev 1 - 10) kennen nur das Opfer des Tiers und der Früchte des Bodens, ebenso kommt das Menschenopfer im eigentlichen Sinne bei Homer nicht vor. 1 Wo im griechischen Horizont das Menschenopfer angetroffen wird, z.B. bei den Taurern, die jeden Fremdling, der ihren Boden betritt, opfern, stempelt es diejenigen, die es praktizieren, zu Barbaren. Aber die Bibel wie die griechische Mythologie halten beide auch den Moment noch fest, da das Menschenopfer durch ein Tieropfer ersetzt wird, nicht als Ergebnis berechnender List des Opfernden, sondern als Akt dessen, dem geopfert wird. Denn nur dieser kann die Stellvertretung im Opfer gültig einsetzen. Was aber führt zu dieser Stellvertretung und was ist die Bedingung ihres Gelingens? Auf diese Fragen werden nachfolgend Antworten gesucht. Am Beispiel des Isaak-Opfers ist dies nur in einer sehr spekulativen Weise möglich, da die Bibelerzählung weder eine Herleitung des Geschehens gibt (es wird nicht begründet, weshalb Gott Abraham dieser furchtbaren ‚Versuchung’ [vgl. Gen 22,1] aussetzt), noch eine Innensicht der beteiligten Figuren. Das Geschehen kommt aus einem dunkel bleibenden Hintergrund und bleibt auf einen solchen bezogen. So erlaubt diese Geschichte kein Begründen der dargestellten Wirklichkeit, fordert sie statt dessen Auslegen ihrer Wahrheit, die, wie dies Erich Auer- 1 Vgl. M. Horkheimer / Th. W. Adorno, Dialektik der Aufklärung, Frankfurt a.M. 1969, 47. <?page no="164"?> Bernhard Greiner 156 bach 2 herausgestellt hat, mit einem ungeheuren Herrschaftsanspruch auftritt: daß der Leser sein eigenes Leben in den Horizont dieser Geschichte zu stellen habe. Die Ersetzung des Menschenopfers durch das Tieropfer steht in der griechischen Mythologie selbstverständlich in ganz eigenen, mit dem Isaak- Opfer nicht vergleichbaren Zusammenhängen. Ein zweiter, primär nicht theologischer Deutungshorizont wird hier um diesen Akt entfaltet, in dessen Licht dann auch das Isaak-Opfer betrachtet werden kann. Das Menschenopfer begegnet im griechischen Umkreis, wie könnte dies auch anders sein, in der Welt der Tragödie. Als kultische Veranstaltung wahrt diese dem Thema in gewisser Weise den theologischen Horizont, als Einrichtung der Polis Athen gibt die Tragödie dem Thema zugleich jedoch eine profan ‚politische’ Perspektive. Die griechisch-tragische Fassung des Menschenopfers zeigt dieses in zwei Tragödien auseinandergelegt: in die Tragödie des Täters auf der einen Seite, d.i. Agamemnons, der der Göttin Artemis seine Tochter Iphigenie opfert, um für die griechische Kriegsflotte Wind zur Ausfahrt nach Troja zu erwirken, in die Tragödie des Opfers auf der anderen Seite, also Iphigeniens. Aischylos’ Oresteia setzt das Menschenopfer als vollzogen voraus, um den Kreislauf der Rache aufzuzeigen, der aus ihm erwächst, bis es gelingt, diesen im Begründen einer neuen Ordnung zu überwinden, die damit zugleich eine Ordnung jenseits des Menschenopfers vorstellt. Euripides’ Iphigenien-Dramen entwerfen den Gedanken der Stellvertretung im Opfer aus einer wahrhaft abgründigen Herleitung des Menschenopfers (Iphigenie in Aulis) und fragen weiter nach dem Geschick der Nutznießerin der Stellvertretung im Opfer (Iphigenie auf Tauris). Auch den Fall des Menschenopfers als erhabenes Selbstopfer hat Euripides gestaltet: in seiner ersten Tragödie, der Alkestis. Das Menschenopfer wird hier gleichfalls überwunden, allerdings nicht durch Stellvertretung, vielmehr durch einfache Rücknahme, Herakles holt bekanntlich die Heldin aus dem Totenreich zurück. Iphigenie in Aulis gibt einen Tiefblick in die Seele des Täters und des Opfers. Da hierauf die großen, erschütternden Momente des Dramas bezogen sind, bleibt die dabei gegebene Herleitung des Menschenopfers, in deren Konsequenz dann das Konzept der Stellvertretung im Opfer liegt, zumeist wenig beachtet. Die Stellvertretung bleibt allerdings dem Täter wie der betroffenen Gemeinschaft verborgen: Die Nachricht über Artemis’ Rettung Iphigeniens und ihre Ersetzung des Menschenopfers durch ein Tieropfer wird bekanntlich erst im nicht-authentischen Schlußteil des Dramas gegeben. Das Seelenportrait, das dieses Drama von Agamemnon entwirft, dem das Ungeheuerliche zugemutet wird, seine Tochter zu opfern, der sich dagegen aufbäumt und dann doch die Tat vollzieht, und die Geschichte der erhabenen Wandlung Iphigeniens, die, mit dem Versprechen der Hochzeit mit dem Göttersohn Achill ins Lager nach Aulis gelockt, erkennen muß, was ihr Vater 2 Vgl. die Interpretation der Geschichte des Isaak-Opfers bei E. Auerbach, Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur, Bern / München 7 1982, 9-27. <?page no="165"?> Die Stellvertretung im Opfer 157 ihr anzutun bereit ist, die vergeblich um ihr junges Leben bittet, um zuletzt erhaben ihren Tod als Opfer für Griechenland zu begehren: Diese mitreißende Seelendramatik, die das Stück entfaltet, hat von der tiefen Zweideutigkeit abgelenkt, mit der die Forderung des Menschenopfers hier eingeführt ist. 3 Agamemnon berichtet im Prolog seinem Diener, daß der Spruch des Kalchas gelautet habe: avnei/ len vIfige,neian h]n e; speir v evgw. vArte,midi qu/ sai th/ | to,d v oivkou,sh| pe,don( kai. plou/ n t v e; sesqai kai. kataskafa.j Frugw/ n qu,sasi( mh. qu,sasi d v ouvk ei=nai ta,de) 4 [Kalchas der Seher sagte voraus ...] die Iphigenie, die ich gezeugt habe, der Artemis zu opfern, die hierzulande thront, und daß dann Wind sein werde und der Sieg über die Phryger; denjenigen, die opfern, wird es so sein, denjenigen, die nicht opfern, wird es nicht sein. 5 Die Forderung, die an Agamemnon ergeht, ist nicht unbedingt (d.h. kategorisch), sondern bedingt (d.h. hypothetisch). Die Götter haben die Ausfahrt der Flotte durch Windstille zum Erliegen gebracht, die furchtbare Bedingung, die sie jetzt für die Ausfahrt und den Sieg über Troja stellen, sollte ein Gespür dafür wecken, daß aus der Götterforderung zwei Folgerungen gezogen werden können: zum einen, daß die Götter für Erfüllen des Opfers Erfolg des Kriegszugs versprechen, zum andern, daß die Götter Besinnung über den Kriegszug anmahnen, da sie dessen Ausführung mit einer ungeheuerlichen Forderung verknüpfen. Agamemnon muß seine Tochter nicht opfern, wenn er den Kriegszug abbläst. Sophokles stellt - im Rekurs offenbar auf den sog. ‚Epischen Zyklus’ der trojanischen Sagen, der sog. „Kypria“ 6 - in seiner Elektra Agamemnons Lage so dar, als ob er keine Alternative gehabt hätte, 7 bei Euripides hat er die Alternative, das Opfer zu vermeiden. Abwechselnd votieren Agamemnon und Menelaos hierfür. Die Forderung des Menschenopfers ist um so mehr als Mahnung aufzufassen, vom Krieg, der solches Opfer verlangt, abzulassen, als die Legitimation dieses Krieges an sich zweifelhaft ist. Genau dies läßt Euripides seinen Agamemnon unmittelbar vor der Stelle darlegen, da er den Seherspruch des Kalchas zitiert. Menelaos, so be- 3 Ausnahme H. Neitzel, Prolog und Spiel in der euripideischen Iphigenie in Aulis, in: Philologus 131 (1987), 185-223. 4 Iphigenie in Aulis, in: Euripides Tragödien, sechster Teil (Iphigenie in Aulis, Die Bakchen, Der Kyklop), griechisch und deutsch von D. Ebener, Darmstadt 2 1990, 20, Vs 90-93. 5 Eigene wörtliche Übersetzung. 6 T. W. Allen, ed., Homeri opera V, Oxford 1965, 116-125; Neitzel 204. 7 Vgl. „Elektra“ 570-574: „Aus diesem Grunde zürnte Letos Tochter ihm, / hielt die Achaier auf so lang, bis der Vater als / Ersatz des Tiers die eigne Tochter opfere. / So kam’s zu ihrer Opferung, da sonst kein Weg (dem Heere blieb nach Hause oder Ilion).“ Sophokles, Dramen, griechisch u. deutsch. Hg. u. übers. von W. Willige, Zürich 1995, 415. <?page no="166"?> Bernhard Greiner 158 richtet Agamemnon, hat nach der Entführung der Helena die Griechenfürsten zum Kampf gegen Troja zusammengetrommelt, indem er sich auf einen Schwur der seinerzeitigen Freier um Helena berief. Der Vater der Helena hatte die berechtigte Sorge gehegt, daß nach der Entscheidung Helenas für einen der vielen griechischen Prinzen, die sich um sie als die schönste Frau der Welt bewarben, die erfolglosen Freier im Zorn das Haus und das Land des erwählten Gatten mit Krieg überziehen und verwüsten würden. So ließ er die Freier vor der Wahl Helenas schwören, einander beizustehen, wenn einer nach der Gattenwahl Helena entführen sollte und diesen zu bekämpfen bis zum Fall der Stadt, in die er mit ihr gezogen wäre, sei diese in Griechenland oder in der Fremde. Der Schwur bezieht sich auf eine Entführung Helenas durch einen der ehemaligen Freier, von einem ‚Fremden’ ( ba,rbaron 8 ) ist nur im Hinblick auf die evtl. Fluchtstätte die Rede. So betrifft Helenas Entführung durch den Trojaner Paris den Schwur der Freier nicht, wozu noch erschwerend hinzukommt, daß Helena an der Entführung mitschuldig war („er liebte, ward geliebt“, evrw/ n evrw/ san , läßt Euripides Agamemnon über Paris sagen 9 ). Wenn also Menelaos mit Berufung auf den Schwur der Freier die Griechen zum Kampf gegen Troja zusammengetrommelt hat, so ist dies ohne Legitimation. Er hat den Krieg durch eine suggestive Auslegung des Schwurs erschlichen. Weiter gehörten die Figuren im Stück, die um das geforderte Menschenopfer wissen, bis im Schlußteil dann das ganze Heer informiert ist, also Agamemnon, Kalchas, Odysseus und später noch Achill, nicht zu den Freiern. Für sie ist der Freierschwur mithin irrelevant. So ist die Grundlage, die für den Krieg geltend gemacht wird, nicht gegeben, der Krieg hat offenbar andere Grundlagen: die verständliche Wut des gehörnten Ehemanns Menelaos natürlich, bei Agamemnon und Odysseus dann eine Kriegslüsternheit, sei es aus Ruhmsucht oder aus anderen Gründen. Auf diese Kriegsleidenschaft, die eine Legitimation nur vorspiegelt, haben die Götter mit Windstille geantwortet als eine deutliche Aufforderung, die Gemüter zu beruhigen, wie die See beruhigt ist. Fahrtwind zur Ausfahrt der Flotte in den Krieg haben sie an eine Bedingung geknüpft, die jeden zur Besinnung bringen müßte. Bildlich gesprochen: Nur wenn Agamemnon sein Gemüt (und das des Heeres) in der gräßlichsten Weise erregt, im Bejahen und Vollziehen eines Menschenopfers, und dabei noch seiner eigenen Tochter, werden die Götter auch die Naturelemente draußen (außerhalb der Seele) in Erregung versetzen. Das Drama entlarvt Agamemnons Argument, daß die Götter ihn in eine schreckliche Zwangslage gebracht hätten, als vorgeschoben. Das Heer, so sagt er in seiner Schlußrede vor Iphigenie und Klytemnestra 10 , sei wild entschlossen zur Kriegsfahrt, würde ihn und seine Tochter erschlagen, wenn er das Opfer verweigere; er müsse Iphigenie Hellas opfern, damit nie wieder 8 Vgl. Iphigenie in Aulis, a.a.O. (s. Anm. 4), 18, Vs 65. 9 Ebd., 20, Vs 75. 10 Vgl. ebd., 80, Vs 1255-1275. <?page no="167"?> Die Stellvertretung im Opfer 159 ein Barbar einem Griechen die Gattin entreißen werde. Unbeschadet dessen, daß die fragliche Gattin, wie Agamemnon selbst angedeutet hat, freiwillig mit dem Barbaren fortgezogen ist, trifft auch das Argument der Wut des Heeres nicht zu. Zum Zeitpunkt, da Agamemnon seine ‚vaterländische’ Rede hält, weiß das Heer gar nichts vom geforderten Menschenopfer, hat auch Odysseus keinen Grund, das Heer aufzuputschen, da er zu diesem Zeitpunkt nicht weiß, daß die Intrige gescheitert ist, mit der Iphigenie möglichst geräuschlos geopfert werden sollte. Agamemnon tritt nach seiner vaterländischen Rede von der Bühne ab. Es folgt eine Klagerede zwischen Iphigenie, ihrer Mutter und der Chorführerin, danach meldet Achill, daß das Heer in wilder Raserei das Menschenopfer fordere und bereit sei, jeden zu töten, der sich dem entgegenstelle. Nur einer kann in der Zwischenzeit das Heer in diesen Aufruhr versetzt haben: Agamemnon selbst. Er beklagt sein Geschick, seine Tochter opfern zu müssen, solange Menelaos auf dem Kriegszug und mithin dem Opfer besteht. Sobald letzterer bereit ist, auf den Krieg - eben des ‚unmöglichen’ Opfers wegen - zu verzichten 11 , schiebt Agamemnon zuerst den Seher Kalchas, sodann Odysseus vor, die das Heer für den Vollzug des Menschenopfers aufwiegeln würden. Das Menschenopfer ist der Preis der Götter für einen Krieg, dessen ins Feld geführte Legitimation nicht besteht. Agamemnon will diesen Krieg, auch um diesen Preis. Das Drama entlarvt seine Argumentation als ideologisch, so ist er keine tragische Figur. Auf seiten Iphigeniens besteht die hamartia, der tragische Fehlgriff i.S. des Aristoteles 12 , darin, daß sie sich vom falschen ‚vaterländischen’ Argument ihres Vaters blenden läßt, allerdings erst in der Konfrontation mit dem aufgeputschten Heer, und zuletzt ihre Opferung selbst bejaht, als ein erhabenes Selbstopfer für die Freiheit von Hellas (so der Gehalt ihrer ‚panhellenischen Rede’ 13 ). Das Drama deckt die ‚vaterländische’ Begründung des Opfers als Staatsideologie eines kriegslüsternen Feldherrn auf. Die zeitgenössischen Zuschauer hatten die analogen athenischen Kriegstreiber im Peloponnesischen Krieg (z.B. Alkibiades und die Katastrophe der sizilianischen Expedition) durchaus noch vor Augen. Eigenartig berührt es, daß die Interpreten des Stücks bis heute in der Regel gleichfalls der vom Stück als so fragwürdig erwiesenen Argumentation des Agamemnon folgen. 14 Nicht erst der klassisch humanistische Goethe in seinem Iphigenien- Drama 15 , schon Euripides betont, daß nicht die Götter das Menschenopfer 11 Vgl. ebd., 40-42, Vs 471-542. 12 Vgl. Aristoteles, Poetik, Kap. 13 (Aristoteles, Poetik, griechisch u. deutsch, übers. von M. Fuhrmann, Stuttgart 1982, 39-41). 13 Vgl. Iphigenie in Aulis, a.a.O. (s. Anm. 4), 86-88, Vs 1369-1420. 14 Als Beispiel aus neuerer Zeit s. J. Latacz, Einführung in die griechische Tragödie, Göttingen 1993, 365-371. 15 Vgl.: „Der mißversteht die Himmlischen, der sie / Blutgierig wähnt; er dichtet ihnen nur / Die eignen grausamen Begierden an.“ (J. W. Goethe, Iphigenie auf Tauris, in: ders., Sämt- <?page no="168"?> Bernhard Greiner 160 verlangen, daß es vielmehr die Menschen sind, die den Göttern solches Begehren andichten. Die Götter haben in Euripides’ Drama das Menschenopfer als ultima ratio gefordert, um den Heerführer von seiner Kriegslüsternheit abzubringen. Aber der Heerführer ist auch noch zu diesem Ungeheuerlichsten entschlossen. So antworten die Götter auf das Menschenopfer, das sie nicht wollen, mit der Stellvertretung, die dem im aggressiven Rausch befindlichen Kriegsherrn wie dem von ihm aufgeputschten Heer allerdings unbekannt bleibt. Für sie hat das Menschenopfer stattgefunden, das setzt das zweite Iphigenien-Drama voraus, und so haben sie die Folgen hierfür zu tragen: einen Kreislauf von Rachehandlungen, der ewig fortsetzbar ist, bis - man denke an die „Orestie“ - die Polis Athen und das heißt nicht mehr einer der großen Heroen, vielmehr eine Versammlung gleichberechtigter Männer es vermag, durch Mehrheitsbeschluß, an dem auch Apollon und Athene mitwirken, einen Frieden zu stiften und so aus der Welt des Menschenopfers herauszutreten. Bei Euripides ist das Menschenopfer Grenzmarke gegen die aggressive Leidenschaft des Menschen. Vermag selbst diese Forderung die Leidenschaft nicht einzudämmen, kann die Instanz, die das Menschenopfer so als Grenze gesetzt hat, es nun, da die Menschen auch hierzu bereit sind, nicht doch zulassen. So ist die Verschiebung zum Tieropfer konsequent. Bedingung für das Gelingen der Stellvertretung (‚Gelingen’ in dem Sinn, daß der Wille zu diesem Opfer bestätigt und folglich auch das Ertragen seiner furchtbaren Konsequenzen bejaht werden) ist ein Schein: daß in den Augen der Gemeinschaft, die das Opfer vollzieht, der Mensch im Tier, das an seiner Stelle am Altar gefunden wird, tatsächlich gestorben ist. Dieser Schein kann dann nur dadurch aufgehoben werden, daß die aggressive Erregung des Gemüts aufgelöst wird, deren Ausdruck der Wille zum Menschenopfer und dessen vermeintlicher Vollzug war. Eben dies steht in der Atridensage mit dem Problem der Heilung des Orest zur Debatte, d.i. mit der Befreiung von den Rachegeistern, die seit der Opferung Iphigeniens die Mitglieder dieser Familie verfolgen. Bildlich gesprochen: Erst wenn die Gemüter zur Windstille von Aulis zurückgefunden haben, kann die Stellvertretung im Opfer, die in Aulis stattgehabt hatte, für alle erkennbar werden. In seinem ersten Iphigenien-Drama (Iphigenie auf Tauris) hat Euripides dieses Durcharbeiten der Folgen des vermeintlichen Menschenopfers gestaltet. Iphigenie, die Nutznießerin der Stellvertretung im Opfer, muß als Priesterin das Menschenopfer an jedem Griechen, der taurischen Boden betritt, neu vollziehen. Ein furchtbarer Preis der erfahrenen Stellvertretung: Immer neu muß sie denen den Tod geben, die als Griechen ihre Stelle einnehmen. Erlösung aus diesem Wiederholungszwang knüpft das Drama vollkommen stimmig an die Rettung des Bruders vor den Rachefurien, die das in Aulis gewollte und vermeintlich auch vollzogene Menschenopfer freigesetzt hat. liche Werke, I. Abt., Bd. 5: Dramen 1776-1790, hg. von D. Borchmeyer, Frankfurt 1988, 569, Vs 523-525). <?page no="169"?> Die Stellvertretung im Opfer 161 Der Akt, der diese Rettung leistet, ist rein zeichenhaft vorgestellt. Euripides konzentriert in diesem Stück seine Kunst der Seelendramatik ganz auf die Anagnorisis zwischen den Geschwistern. Die aus dem Menschenopfer erwachsene Problematik wird nicht wirklich durchgearbeitet. Die Lösung bleibt formal: das Standbild der Göttin, die das Menschenopfer zu fordern scheint - obwohl Iphigenie den lebendigen Gegenbeweis vorstellt -, muß aus dem Barbarenland, wo das Menschenopfer als „alter Brauch“ 16 weiter praktiziert wird, nach Athen gebracht werden, wo man das Menschenopfer nur noch zeichenhaft vollzieht. In diesem Sinne setzt Athene am Ende des Stücks ein jährlich zu begehendes Orest-Opfer ein, das ganz auf einen Zeichenakt verschoben ist. Dieser Ausblick erscheint überaus stimmig; denn in ihm spiegelt sich das Stück selbst: ist doch die Aufführung der Tragödie als kultische Veranstaltung der Polis Athen selbst nichts anderes als ein in die Welt des Theaters verschobenes stellvertretendes Menschenopfer. Euripides stellt einen klaren Zusammenhang zwischen der Aufhebung der Folgen des Menschenopfers und dem Innewerden der vollzogenen Stellvertretung im Opfer her. Das Letztere setzt das erstere voraus. Das Drama hat allerdings die Schwäche, daß die Ablösung vom Bann des Menschenopfers statisch bleibt, einzig dem Dekret der als dea ex machina auftretenden Athene geschuldet. Die Ablösung gründet nicht in einem Durcharbeiten der mit dem vermeintlichen Menschenopfer freigesetzten Affekte. 17 Das leistet erst Goethes Iphigenien-Drama. 18 Iphigenie hat hier das Menschenopfer auch im Barbarenland aufgehoben, zumindest ausgesetzt. Sie führt sich als Beweis dafür an, daß die Götter es nicht wollen, die Menschen dichteten ihre eigenen grausamen Begierden den Göttern nur an (vgl. I,3, Vs 523-527 19 ). Eben dies war ja auch das Argument in Euripides’ Iphigenie in Aulis. Wir befinden uns in einer säkularen Welt, die Götter sind Projektionen der Menschen. Dann muß auch die Heilung des Orest, also seine Herauslösung aus dem Bann des Menschenopfers, ohne Mitwirkung der Götter vonstatten gehen. Eben dies stellt Goethe, mit tiefgreifenden dramaturgischen Konsequenzen, vor, es ist sein Eigenstes gegen- 16 Vgl. Iphigenie auf Tauris, a.a.O. (s. Anm. 15), 558, Vs 105. 17 Das mag erklären, daß die Aulidische Iphigenie, die die Problematik des Menschenopfers exponiert, die komplexere Wirkungsgeschichte hat: In der antiken lateinischen Literatur wurde das Stück von Neavius und von Ennius bearbeitet; in der Neuzeit finden sich 17 Bearbeitungen, darunter durch Racine (1674), Schiller (1790), Hauptmann (1943). 18 Bezugstext der nachfolgenden Ausführungen ist die Versfassung von 1787; die Struktur des hier zentralen Geschehens der Heilung des Orest ist auch schon in der Prosafassung von 1779 gegeben. Ausführlicher hierzu: Verf., „Wohnet dem willkommnen Schauspiel bei.“ Theater als Verwirklichungsraum ‚reiner Menschlichkeit’: „Iphigenie auf Tauris“, in: Verf., Eine Art Wahnsinn: Dichtung im Horizont Kants. Studien zu Goethe und Kleist, Berlin 1994, 18-28. 19 Zitate aus Goethes Iphigenie auf Tauris werden im Text nachgewiesen (Angabe von Akt, Szene und Vers), wobei folgende Ausgabe zugrundegelegt wird: J. W. Goethe, Iphigenie auf Tauris, in: ders., Sämtliche Werke, I. Abt., Bd. 5: Dramen 1776-1790, hg. von D. Borchmeyer, Frankfurt 1988. <?page no="170"?> Bernhard Greiner 162 über Euripides. Das Gebot des Gottes befördert noch die äußere Handlung, insofern es Orest ins Land der Taurer führt. Dessen Heilung ist dann aber ein Geschehen nur zwischen Menschen, zwischen ihm und Iphigenie, und sie ist vollendet, noch ehe irgendein Schritt in Richtung der Erfüllung des göttlichen Gebots getan ist. Orest stellt dies am Ende des dritten Aktes ausdrücklich fest: Es löset sich der Fluch, mir sagt’s das Herz. Die Eumeniden ziehn, ich höre sie, Zum Tartarus und schlagen hinter sich Die ehrnen Tore fernabdonnernd zu. (III,3, Vs 1358-61) Pylades bestätigt, daß die Heilung ohne Erfüllen des göttlichen Gebotes zustande gekommen ist: Die besten Zeichen sendet uns Apoll, Und, eh wir die Bedingung fromm erfüllen, Erfüllt er göttlich sein Versprechen schon. (IV,4, Vs 1604-06) Ebenso betont Iphigenie gegenüber Thoas, daß Orest geheilt ist: Der ältste [der Gefangenen], den das Übel hier ergriffen Und nun verlassen hat - es ist Orest. (V,3, Vs 1924-25) Das Übel hat Orest verlassen, die Aussage steht im Perfekt, der Vorgang ist beendet. Der Fluch ist ohne göttliche Hilfe von Orest genommen. Erreicht wird dies durch ein kathartisches Theater im Theater. Orest betont im Rückblick den großen Anteil, den Iphigenie an der Heilung hatte: Du Heilige [...] Von dir berührt War ich geheilt; in deinen Armen faßte Das Übel mich mit allen seinen Klauen Zum letztenmal und schüttelte das Mark Entsetzlich mir zusammen; dann entfloh’s Wie eine Schlange zu der Höhle. (V,6, Vs 2119-24) Orest spielt hier auf die Anagnorisis-Szene an, in der Iphigenie in einer eigenartigen Dopplung agiert. Einerseits ist sie als helfende, „reine Schwester“ (Vs 1165 f.) real gegenwärtig, hält Orest in Armen, andererseits nimmt sie für den von den Furien verfolgten Orest wechselnde Bedeutungen an. Daß die ihm gegenüberstehende Diana-Priesterin seine Schwester ist, erkennt er erst in dem Augenblick an, da sich Iphigenie doppelt bestimmt, als Priesterin, die ihn zu opfern hat, und als liebende Schwester (vgl. III,1, Vs 1221 f.). Daß jetzt die Schwester an ihm ein Menschenopfer zu vollziehen hat, bestätigt ihm die immer weiter sich fortzeugenden Greuel im Atridengeschlecht. Damit sind die Furien wieder da, die für seinen Muttermord Rache verlangen. Die Priesterin und Schwester, der aufgetragen ist, ihn zu opfern, verschiebt sich ihm zur Racheinstanz der wiedergekehrten Mutter, die im Ausgleich für seinen Mord an ihr nun den Sühnetod an ihm vollziehen wird. Mit verschobenen Positionen (nun er als Opfer) wiederholt sich ihm die traumatische Szene des Muttermordes. Hierauf hebt das Drama durch mehrfache wörtliche Entspre- <?page no="171"?> Die Stellvertretung im Opfer 163 chungen ab. Fordert Orest Iphigenie auf „Entferne deinen Arm von meiner Brust! “ (Vs 1205), so steht das reziprok zur erinnerten Szene des Muttermordes: „Doch sein geschwung’ner Arm traf ihre Brust. / Die Mutter fiel.“ (Vs 1242) Der „geschwung’ne Arm“, mit dem er getötet hat, wird zur Aufforderung an die Priesterin: „Ja schwinge deinen Stahl: verschone nicht“ (Vs 1252), wie er nicht verschont hat. Denn wenn er Iphigenie auffordert: „Du siehst mich mit Erbarmen an? Laß ab! “ (Vs 1239), so wiederholt dies die Szene des Muttermordes: „Mit solchen Blicken suchte Klytemnestra / Sich einen Weg nach ihres Sohnes Herzen“ (Vs 1240 f.). Es ist aber nur der Wahn des Orest, daß die Schwester, die ihn als Priesterin zu opfern hat, die wiedergekehrte rächende Klytemnestra sei. Iphigenie stellt ihm dies vor; in der Wirklichkeit des Vorstellens ist sie jedoch die liebende Schwester, die den Todesstreich nicht ausführen wird. Was Goethe hier erfindet, ist die psychoanalytische Konstellation der Ablösung von einem Trauma: erneutes Hineingehen in die traumatische Situation im Spiel von ‚Übertragung’ und ‚Gegenübertragung’ mit dem Analytiker, der den Analysanden heilen, nicht zerstören will. Orest muß im Gegenüber, das ihm das wiedergekehrte Opfer, nun als Rächerin, vorstellt, nur die Wirklichkeit der helfenden Schwester anerkennen. Das geschieht in der folgenden Szene. Orest glaubt sich im Hades und in der Hand der Erinnyen, die Wirklichkeit der liebenden Schwester wirkt sich aber schon darin aus, daß er die toten Mitglieder seiner Familie, die auf Erden einander in schrecklichster Weise umgebracht haben, ohne Feindschaft miteinander umgehen sieht (vgl. Hadesvision III,2). Wenn Orest aus dieser Vision zurückkehrt, sieht er in Iphigenie nicht mehr, was sie ihm vorgestellt hat, die rächend wiedergekehrte Klytemnestra, vielmehr, was sie in der Wirklichkeit des Vorstellens war und ist, die Schwester, die ihm Halt gibt (vgl. III,3, Vs 1341), worauf er mit den schon zitierten Versen die erfolgte Heilung bestätigt: „Es löset sich der Fluch, mir sagt’s das Herz“ (Vs 1358). Iphigenie, die durch einen Akt der Stellvertretung vom Menschenopfer bewahrt worden ist, wurde für Orest zur Stellvertreterin (der Racheinstanz), die ihn einen Theatertod - in einem hoch illusionistischen Theater, dem seines Wahns - sterben ließ, um ihn so gerade davor zu bewahren, geopfert zu werden. Denn mit seiner Heilung ist das gesamte weitere Handlungsproblem, das u.a. auch seinen Opfertod vorsieht, im Prinzip schon gelöst. Damit kann die Stellvertretung im Opfer, die Iphigenie erfahren hat, die der opfernden Gemeinschaft der Griechen jedoch unerkannt bleiben mußte, für alle erkennbar werden. Das wird dadurch verwirklicht, daß Orest wie Iphigenie jetzt die freie Rückkehr nach Griechenland offen steht. Mit dieser Herauslösung aus dem Bann des Menschenopfers als reinem Menschenwerk (eines kathartischen Theaters) hat sich Goethe aber ein tiefgreifendes dramaturgisches Problem geschaffen. Denn mit dieser Lösung, die am Ende des dritten Aktes erreicht ist, ist das Drama im Prinzip zu Ende. Da Orest geheilt ist, muß kein göttliches Gebot mehr erfüllt werden, so erübrigt sich die Intrige um den Raub der Götterstatue. Iphigenie kann nach Grie- <?page no="172"?> Bernhard Greiner 164 chenland zurückkehren, da sie nun Nachricht von ihrer Familie hat und ein männliches Mitglied dieser Familie existiert, in dessen Obhut sie treten kann. Thoas hat ihr unter solcher Bedingung die Rückkehr versprochen. Das Argument, die Handlung müsse weitergehen, da Orest auch nach seiner Heilung und ebenso das Haus der Atriden, in dem die Morde geschahen, noch „entsühnt“ werden müßten 20 , wird nachträglich vorgebracht und hat im Drama einen schlechten Klang. Der Orakelspruch hatte nur die Heilung des Orest zum Gegenstand, von Entsühnung war da nicht die Rede; Entsühnung ist zugleich das Argument, mit dem Iphigenie Thoas - auf Anraten des Pylades - zu betrügen versucht. Es hat den Beigeschmack der Lüge. Eine Handlung wird als nötig vorgespiegelt (Entsühnen der verunreinigten Götterstatue im Meer), obwohl sie nicht nötig ist. Nichts anderes geschieht aber dramaturgisch mit dem IV. und V. Akt des Dramas, in dem das Stichwort der ‚Entsühnung’ fällt. Eine Handlung (das Weitergehen der dramatischen Handlung) wird als nötig vorgespiegelt, obwohl sie entsprechend den zuvor verhandelten Bedingungen nicht mehr nötig ist. Das Drama ist mit der vollständigen Herauslösung von Iphigenie und Orest aus dem Bann des Menschenopfers im Prinzip zu Ende. Sein konstitutives Problem ist gelöst, die Figuren handeln allerdings weiter, als ob sie dieses noch zu lösen hätten. Und der Akt, für den dieses Drama gefeiert wird, die „unerhörte Tat“ Iphigeniens (vgl. V,3, Vs 1892), d.i. in der bedingten Welt widerstreitender Interessen nach der Idee der Freiheit und d.h. der Moralität (eines humanen Umgangs der Menschen miteinander) zu handeln, also freies, humanes Handeln zu riskieren auf die Hoffnung hin, daß die Welt solchem Handeln den Erfolg nicht versagen werde - diese so hohe, ideelle Tat, erfolgt erst im zweiten, dramaturgisch ‚unnötigen’ Teil des Dramas. Muß man dies als dramaturgische Schwäche des Stücks zugeben 21 oder ergibt dies einen Sinn? Der zweite, ‚unnötige’ Teil des Dramas ist um die Frage zentriert, ob ein Handeln rein von der Idee her eine Chance in der Wirklichkeit hat, in der die Handelnden immer vielfältig gebunden sind. Das Stück scheint dies zu bejahen, schränkt seine Antwort faktisch aber in massiver Weise ein. Das Handeln nach der Idee, Iphigeniens ehrliches Handeln gegenüber Thoas in der Erwartung, daß dieser dies honorieren werde, kommt in der Wirklichkeit an, d.h. ist erfolgreich, weil die zentralen Probleme dieser Wirklichkeit (Heilung des Orest, Erfüllen der Bedingungen für eine Rückkehr Iphigeniens nach Griechenland) schon gelöst sind. Der gute Schluß wird nicht erreicht, weil - wie man dem Stück vorgehalten hat 22 - der Barbar Thoas auch schon ein edler Weimaraner sei, sondern weil das entscheidende Problem schon gelöst 20 Vgl. Iphigenie V,4 Vs 1969 f. und V,6, Vs 2136-39. 21 So Borchmeyer, der den eigenartigen Bruch in diesem Drama immerhin erkannt hat, wenn auch nicht seine zentrale dramaturgische Bedeutung, da er ihn als „Motivierungsschwäche“ abtut (vgl. Kommentar zur hier zugrundegelegten Ausgabe, s. Anm. 19, 1319). 22 Z.B. M. Walser, Imitation oder Realismus, in: ders., Erfahrungen und Leseerfahrungen, Frankfurt 1966, 77. <?page no="173"?> Die Stellvertretung im Opfer 165 ist, wenn Iphigenie sich zur ideellen Tat anschickt, ihr Handeln mithin überflüssig ist. Das Stück gibt, philosophisch gesprochen, der Idee nicht eine echte Anschauung (d.h. Konkretion), vielmehr ein suggestives Bild. Die Figuren handeln, als ob die Aufgabe noch bestünde, die Iphigenie durch ihre rein ideelle Tat zu lösen versucht, während das Handlungsproblem auf anderem Wege schon gelöst worden ist. So wird der Versuch, die Idee in die Wirklichkeit zu bringen, bloß theatralisch ausgeführt, im Rekurs auf ein anderes, kathartisches Theater, das das konstitutive Problem, die Herauslösung aus dem Bann des Menschenopfers, tatsächlich gelöst hat. Auch dies ist eine Stellvertretung: das eine Theater (Wirklich-machen der Idee) vertritt das andere, kathartische Theater. Und diese Stellvertretung ist offenbar so perfekt, daß sie in über 200 Jahren Rezeptionsgeschichte des Stücks nicht erkannt wurde (insofern nicht erkannt wurde, daß die gefeierte Handlung dieses Dramas in dem Teil erfolgt, der dramaturgisch überflüssig ist). Die in diesem Stück gestaltete Stellvertretung hat Kant im berühmten Paragraphen 59 der Kritik der Urteilskraft als Symbolisierung beschrieben: Das Theater, das Wirklich-machen der Idee bloß spielt (da echte Wirklichkeitsbedingungen gar nicht gegeben sind), erhebt sich über einem kathartischen Theater, nimmt derart dessen Stelle ein, von dem das erstere (als scheinbarer Durchbruch des Helden zur Idee ‚reiner Menschlichkeit’) nur ein Symbol ist. Der Idee, so resümiert Kant über solche Art Stellvertretung, werde dabei keine Anschauung gegeben, sondern nur ein Symbol für die Reflexion. 23 Das Menschenopfer als erhabenes Selbstopfer konnte an den Iphigenien- Dramen des Euripides und Goethes auf seinem Weg der Verschiebung von der Stellvertretung im Opfer bis hin zu einem Spiel der Symbolisierung verfolgt werden, wobei letzteres auf einem kathartischen Theater errichtet wird, das aus dem Bann des Menschenopfers völlig herauslöst und den Akt der Stellvertretung im Opfer durch sein Symbolisierungsgeschehen diskursiv beglaubigt. Je mehr an solch symbolischem Theater aber manifest wird, daß seine Symbolisierung ‚bloßes Theater’ ist, werden Forderungen nach Erneuerung des Theaters laut. Ein Weg der Erneuerung, für den in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Richard Wagner, im frühen 20. Jahrhundert Max Reinhardt stehen, ist der Versuch, das Theater als kultisches Ereignis neu zu begründen. Das aber führt notwendig zum Opfer und zum Gedanken der Stellvertretung im Opfer zurück, insofern die Tragödie als Verschiebung des Menschenopfers ins Zeichen entstanden ist und ihre ‚politische’ Funktion erhalten hat. Hugo von Hofmannsthal führt in diesem Sinne das poetische Symbol auf das symbolische Opfer zurück, wobei er als Bedingung für das Gelingen der Stellvertretung die augenblickshafte Präsenz des ursprünglich zum Opfer Bestimmten im Akt, der ihn vertritt, herausstellt: 23 I. Kant, Kritik der Urteilskraft, hg. von K. Vorländer, Hamburg (Meiner) 1974 (Seitenangabe nach der Paginierung der 2. Aufl. von 1793, in der Meiner-Ausgabe als Marginalie), 256 (§ 59). <?page no="174"?> Bernhard Greiner 166 Daß das Tier für ihn [den ursprünglich zu Opfernden] stehen konnte, wurde ein großes Mysterium, eine große geheimnisvolle Wahrheit. Das Tier starb hinfort den symbolischen Opfertod. Aber alles ruhte darauf, daß auch er in dem Tier gestorben war, einen Augenblick lang. Daß sich sein Dasein, für die Dauer eines Atemzugs, in dem fremden Dasein aufgelöst hatte. - Das ist die Wurzel aller Poesie [...]. 24 Der Passus steht im Gespräch über Gedichte, das Hofmannsthal 1903, d.h. in der Zeit der Arbeit an seinem Drama Elektra (September 1901 - September 1903) verfaßt hat. Elektra, mit der die Zusammenarbeit von Hofmannsthal und Max Reinhardt beginnt, ist nichts anderes als die Dramatisierung dieser Erkenntnis. Das Drama ist der vielleicht radikalste Versuch einer Neubegründung des Theaters aus dem Menschenopfer. Denn ein solches stand Hofmannsthal laut eigenem Zeugnis von Beginn an als Notwendigkeit vor Augen: „Ich las damals [...] die ‚Elektra’ von Sophokles. Sogleich verwandelte sich die Gestalt dieser Elektra in eine andere. Auch das Ende stand sogleich da: daß sie nicht mehr weiterleben kann [...].“ 25 Das Theater muß in Elektra sterben, es opfert sich in ihr selbst, um sich als Theater zu bewahren. Mit dem Tod Elektras als Antwort auf Orests Racheakt an seiner Mutter weicht Hofmannsthal am markantesten von Sophokles ab. Mithin ist hier das Rätsel seines Stücks gegeben. Elektra ist in diesem Drama die Instanz, die unentwegt auf die vergangene Tat, die Ermordung Agamemnons, und auf die ausstehende neue, den Racheakt an Klytemnestra, verweist. Sie ist die Figur, die alles zum Zeichen der ausstehenden Tat macht: denn alles war mir um seinetwillen nichts, es war mir alles nur Merkzeichen, und jeder Tag war nur ein Merkstein auf dem Weg! (227 26 ) Daß Elektra nur Zeichen des auszuführenden Racheaktes ist, leitet sie selbst vom Augenblick des Mordes her, der sie, mit der Forderung der Rache, an den toten Vater gekettet hat. Sie deutet dies als einen Akt der Vergewaltigung (vgl. 225), aus dem sie sich nur zurückgewinnen kann, indem sie den Weg der Zeichenbildung zurückgeht zu deren Ursprung, um sie dort aufzuheben. Der Tod Klytemnestras durch das Beil, mit dem sie Agamemnon getötet hat, würde die erste Zeichenbildung zurücknehmen, das Beil als Zeichen der ausstehenden Tat und mit diesem die Reduktion Elektras auf Zeichen- Sein. Solch eine Rücknahme zeichnet sich in der großen Unterredung zwischen Elektra und Klytemnestra ab, die bei Sophokles keine Entsprechung hat. Klytemnestra hat ihren Anteil an der zu sühnenden Gewalttat verdrängt, 24 H. von Hofmannsthal, Gespräch über Gedichte, in: ders., Erzählungen, Erfundene Gespräche und Briefe, Frankfurt 1979, 502f. 25 H. von Hofmannsthal, Aufzeichnungen aus dem Nachlaß, in: ders., Reden und Aufsätze III, Frankfurt 1980, 452. 26 Zitate aus Hofmannsthals Elektra werden im Text nachgewiesen, wobei folgende Ausgabe zugrundegelegt wird: H. von Hofmannsthal, Elektra. Tragödie in einem Aufzug frei nach Sophokles, in: ders., Dramen II, Frankfurt 1979. <?page no="175"?> Die Stellvertretung im Opfer 167 Elektra aber zwingt ihre Mutter, das Verdrängte anzuerkennen und entsprechend auch den Todesstreich in ihre Vorstellung aufzunehmen, den Orest dereinst an ihr vollziehen wird. Übergenau, in Zeitlupe, malt Elektra dies aus, bis hin zum krönenden Abschluß: erhängt ist dir die Seele in der selbstgedrehten Schlinge, sausend fällt das Beil, und ich steh da und seh dich endlich sterben! (210) Elektra vergegenwärtigt den Racheakt als genaue Umkehrung des Traumas der schuldhaften Tat. Die Regieanmerkung betont, daß der Schrecken gegenwärtig gemacht worden ist: „Sie stehen einander, Elektra in wildester Trunkenheit, Klytämnestra gräßlich atmend vor Angst, Aug in Aug“ (210). So zwingt Elektra nur durch Rede, d.h. in der Welt nur der Zeichen, die Mutter in die traumatische Szene des Gattenmordes zurück und zugleich dazu, ihre eigene Ermordung als unabweisbare Folge anzuerkennen. Indem Klytemnestra so die Verantwortung für ihre Tat übernehmen würde, könnte sich Elektra von ihrer Fixierung auf diese Tat und ihrer Reduktion darauf, nichts weiter als Zeichen der ausstehenden Rache zu sein, befreien. An dieser Stelle läßt Hofmannsthal einen Boten auftreten und den vermeintlichen Tod des von Elektra so suggestiv vorgestellten Rächers Orest melden. So fällt der antizipierte Racheakt in sich zusammen, was die Regiebemerkung detailliert festhält: „Nun verändern sich die Züge der Klytämnestra allmählich, und die Spannung des Grauens weicht einem bösen Triumph“ (211). Orests Handeln ist in keiner Weise durch Elektras Zeichenverweisung motiviert. Es ist ihm als Geschick auferlegt, als ein Gebot, das er unbefragt hinnimmt: Ich weiß nicht, wie die Götter sind. Ich weiß nur, Sie haben diese Tat mir auferlegt, Und sie verwerfen mich, wofern ich schaudre. (226) Elektras Entwurf des Sühnemordes sah eine genau spiegelbildliche Tat zur früheren vor, damit Rücknahme aller im ersten Mord gründenden Zeichen. Daß Orests Handeln von den Grundlagen und Zielen dieses Entwurfs losgelöst ist, bekundet Elektra selbst darin, daß sie Orest den wahren Umstand des Mordes an Agamemnon verschweigt. So kann Orest die hierin gegründete Zeichenbildung mit seiner Rachetat nicht zurücknehmen. Entsprechend ‚vergißt’ dann Elektra auch, Orest das leitende Zeichen, das Mord-Beil, in das Haus der Mutter mitzugeben. Die Orest-Handlung als eine eigene, von Elektras Zeichen-Sein völlig unabhängige, kann den Zirkel der Elektra-Handlung nicht schließen. Die Tat bleibt unberührt von Elektras Zeichenwelt, damit kann sie Elektra aber auch nicht aus dem Bann der Zeichen befreien. Elektra kann sich durch sie aus der Reduktion auf Zeichen-Sein nicht zurückgewinnen, sie kann keine andere werden. Gleichzeitig gibt es aber nach Orests Ermordung der Mutter keine Notwendigkeit mehr für das Zeichen-Sein. So ist der Tod Elektras, Hofmannsthals Setzung gegen die Tradition, nur konsequent. Elektra hatte in <?page no="176"?> Bernhard Greiner 168 ihrem Dialog mit der Mutter als Abschluß der Sühnehandlung einen Reigentanz imaginiert, der die Tat in die Gemeinschaft der Polis als Sühnetat reintegrierte. 27 Wozu sie ansetzt, ist statt dessen ein mänadischer Tanz mit einem allerdings eigenartigen Umschlag: Elektra hat sich erhoben. Sie schreitet von der Schwelle herunter. Sie hat den Kopf zurückgeworfen wie eine Mänade. Sie wirft die Kniee, sie reckt die Arme aus, es ist ein namenloser Tanz, in welchem sie vorwärts schreitet. (233) Der mänadische Tanz wäre ein Tanz der Entgrenzung, in dem Dionysos, der Gott, der den Tod erleidet, vergegenwärtigt wird. Elektra setzt zu diesem Tanz der Frauen, die Dionysos begleiten, an; dann aber wird ihr Tanz namenlos, d.h. er stellt nichts mehr vor, zeigt nichts an, insbesondere nicht, daß die Festlegung der Tänzerin auf Zeichen-Sein nun zurückgenommen wäre. Paradox zeigt der namenlose Tanz nur an, daß er nichts anzeigt. 28 Daß Elektra die Bedingung der Möglichkeit ihres Seins, Zeichen zu sein und nichts weiter, entzogen ist, ohne daß etwas anderes an dessen Stelle getreten wäre, re-präsentiert der Tanz nicht, er vollzieht dieses Faktum vielmehr hier und jetzt im Tod, der Elektra während ihres „namenlosen Tanzes“ ereilt. So holt dieser Tanz, wieder paradox, im Untergang der Figur diese doch aus dem Raum der Re-präsentation in den der Präsenz zurück. Die Orest-Handlung verhindert, daß der von Elektra eröffnete Raum der Zeichenverweisung durch sich selbst, d.h. allein durch die Rede Elektras, die der Mutter das Verdrängte und den unabweisbaren Sühnetod vorstellt, aufgehoben würde. Würde es hierzu kommen, hätte dies eine prekäre performative Konsequenz für das Theater. Das Theater ist der Ort, der alles zum Zeichen macht. Ohne Orest-Handlung hätte aber das Theater in der Welt, die es vorstellt, das Feld der Zeichenverweisung, das hier in Elektra inkarniert ist, durch sich selbst aufzuheben, da sich Elektra allein durch Reden aus ihrer Fixierung auf Zeichen-Sein befreien würde. So würde das Theater seine eigene Grundlage aufzehren. Das verhindert die von Elektra völlig getrennte Orest-Handlung: sie bewahrt das Drama als Theaterstück. In der Konsequenz der Orest-Handlung liegt aber der Tod Elektras und das heißt der Figur, die alles zu Zeichen macht und derart die Instanz Theater in diesem Stück verkörpert. So rettet das Stück auf der Ebene des dramatischen Diskurses das Theater, indem es dramaturgisch die Figur dem Tod überantwortet, die die Verkörperung von Theater ist. Das Stück opfert seine leitende Figur und in dieser als der Verkörperung von Theater sich selbst, um sich von sei- 27 Hierzu R. Schlötterer, Elektras Tanz in der Tragödie Hugo von Hofmannsthals, in: Hofmannsthalblätter Heft 33 (1986), 47-58. 28 Gabriele Brandstetter bindet demgegenüber das ‚Namenlose’ des Tanzes an das „ekstatische Bewegungsmodell des Mänadentanzes“ zurück, in der sie das Bewegungsmuster der ‚Hysterikerin’ erkennt, s. G. Brandstetter, Tanz-Lektüren. Körperbilder und Raumfiguren der Avantgarde, Frankfurt a.M. 1995, 200; s. hierzu auch S. Marshall, TextTanz- Theater. Das dramatische Motiv und theatrale Ereignis ‚Tanz’ in Hugo von Hofmannsthals Elektra, in: A. Kotte (Hg.), Theater der Region - Theater Europas. Kongreß der Gesellschaft für Theaterwissenschaft, Basel 1995, 189-199. <?page no="177"?> Die Stellvertretung im Opfer 169 ner Selbstaufhebung als Theaterstück zu bewahren. Performativ, in der Wirklichkeit seines dramatisch-theatralischen Diskurses, vollzieht das Drama derart nichts anderes als eine Kulthandlung: einen Opfertod seiner Figur, stellvertretend dafür, daß es sich selbst als Theaterstück rettet und seine Zeichenverweisung sichert. Zugleich gibt das Stück in solchem Opfer die abgründige Bedingung der Möglichkeit von Symbolisierung zu bedenken. Das Theater gewinnt sich neu, indem es, verschoben in den theatralischen Diskurs, ein kultisches Opfer vollzieht. Nachdem Hofmannsthal derart dem Symbolismus im Raum des Dramas die Bedingung der Möglichkeit erschrieben und zugleich gestaltet hat, ist es verständlich, daß ihm nach dem Elektra- Drama eine vielfältige Dramenproduktion möglich war - trotz der tiefen Sprachkrise, die der ein Jahr vor Fertigstellen der Elektra verfaßte ‚Chandos- Brief’ manifestiert. 29 Kehrt man nach diesem Blick auf die Auseinandersetzung mit dem Menschenopfer und dessen Stellvertretung in der Tradition der griechischen Tragödie zur biblischen Geschichte des Isaak-Opfers bzw. Nicht-Opfers zurück, so kann nun sehr genau bezeichnet werden, wo sich die Wege scheiden. Abraham hört nicht nur die Stimme, die unbedingten Gehorsam verlangt, indem sie das Menschenopfer gebietet, er vermag auch die zweite Stimme zu vernehmen, die besagt, daß Gott das Menschenopfer nicht will. 30 Die griechische Tragödie und deren Um- und Fortbildung zeigt sich in diesem Licht als Reflexionsform der Folgen des Nicht-Hörens dieser zweiten Stimme (sie ergeht ja auch; denn, wie dargelegt, hätte aus dem Orakelspruch in der Iphigenie in Aulis herausgehört werden können, daß die Götter das Menschenopfer nicht wollen). Zugleich ist es das Anliegen der Tragödie, diese Stimme in das Bewußtsein des Menschen zurückzuholen. 29 Vielleicht ist das Schreiben dieses Textes ein analoges Opfer für die poetische Zeichenbildung wie das Opfer der Elektra für die theatralische. 30 Vgl. hierzu S. Mosès, Die Opferung Isaaks in der jüdischen Tradition, im vorliegenden Band, 51-72. <?page no="178"?> Bernhard Greiner 170 Bernhard Greiner 170 <?page no="179"?> Norbert Oellers Abraham in der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts. Else Lasker-Schüler, Franz Kafka, Nelly Sachs Abraham (oder auch: Abraham und Isaak) in der deutschen Literatur - darüber ließe sich wohl ein eigenes Symposion veranstalten. Allein die dem Thema gewidmeten dramatischen Werke, die um 1800, zur sogenannten Goethezeit, geschrieben (selten allerdings aufgeführt) wurden, unter die Lupe zu nehmen, könnte ein Tagesprogramm füllen. Das hängt weniger mit einer besonderen Bibelnähe der Schriftsteller dieser Zeit zusammen als damit, daß der bevorzugten Gattung dieser Jahrzehnte, dem Drama, das Geschehen um das Abraham-Opfer (oder: die Isaak-Opferung) als besonders bühnenwirksamer Stoff sehr willkommen war. 1 Die Klassiker, Goethe, Schiller, Kleist, hat der Stoff nicht gereizt. Im Werk Schillers (seine Briefe eingeschlossen) findet sich nur einmal die Erwähnung Abrahams: In „Wallensteins Lager“ stellt der Abraham a Santa Clara nachgebildete Kapuziner den Soldaten die Frage: „Wie machen wirs, daß wir kommen in Abrahams Schoß? “ (V. 550) (Ob Schiller unmittelbar nach Lk 16,23 zitierte oder auf Shakespeares Richard III. zurückgriff, ist unentschieden, aber auch belanglos.) Goethe, in Erwartung des Abraham und Isaak- Dramas von Johann Caspar Lavater, schrieb diesem im September 1775: „Weis zwar nicht ein Wort wie ich ihn [Abraham] hätte dramatisieren dürfen doch will ich deiner Poesey förderlich und dienstlich seyn.“ Nichts weiter darüber in den weiteren Briefen an Lavater. Nachdem Goethe am 3. Oktober 1786 in Venedig das Deckengemälde in Santa Maria della Salute betrachtet hatte, notierte er in sein Tagebuch: „Isaac, den der Vater beym Schopfe hat, sieht mit niederhängenden Haaren, gar artig gewendet herunter.“ Und noch dieser Tagebucheintrag am 28. August (seinem Geburtstag) des Jahres 1825 sei zitiert: „Ich las das Schauspiel Abraham von Theodor Beza.“ (Es handelt sich um die 1599 erschienene Tragödie Abraham sacrificans von Theodorus Beza.) Weitere beiläufige Erwähnungen Abrahams in Briefen belegen auch nicht mehr, als daß Goethe die Geschichte des Erzvaters kannte. Ein besonderes Interesse an ihr hatte er, anders als an anderen Opfergeschichten, nicht. 1 Einige Titel seien genannt: J. C. Lavater, Abraham und Isaak. Drama, Winterthur 1776 [recte 1775]; J. J. Bodmer, Der Vater der Gläubigen [Abraham], Zürich 1778; J. I. Zimmermann, Das Opfer Abrahams, München o. J. [um 1780]; J. L. Witthaus, Isaaks Opferung, Halle 1818. - Beliebt war auch Metastasios Oratorium-Text Isacco (1740), der verschiedentlich ins Deutsche übertragen wurde. <?page no="180"?> Norbert Oellers 172 Hinweise seien hier noch auf zwei Dichter der ersten Güte aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gegeben. Wieland schrieb 1753, also im Alter von 20 Jahren, ein Kleinepos in drei Gesängen (zusammen etwa 1450 Hexameter), Die Prüfung Abrahams, in dem er seinen Helden als den gehorsamen Diener seines gütigen Gottes pries: Was jener von diesem geschenkt bekam, bleibt dessen Eigentum. „Wenn der Unendliche spricht, gebühret Engeln und Menschen / Nur Verhüllen des schweigenden Mundes, und schneller Gehorsam.“ (I, V. 101f.) „Wem geziemt es zu klagen, wenn Gott von ihm wieder zurück nimmt, / Was er auf kurze Frist ihm anvertraute? Von allem, / Was ich besitze, ist nichts mein eigen; am wenigsten ist es / Dieser mein Sohn, den mir ein Wunder Gottes gegeben; / Der aus verborgener Absicht mir ihn geliehen hat, fordert / Nun das Seine von mir zurück - Sein Wille geschehe! “ (I, V. 385-388). Und dann, als der Widder geopfert ist, spricht Gott: „Weil ich deinen Glauben so stark, und meinem Befehle / Willig gefunden, befahl ich dir gleich dein Liebstes zu tödten, / Siehe, so sey dein Geschlecht vor allen Geschlechtern der Erden / Groß und herrlich vor mir“ (III, V. 502-505). (Nebenbei gesagt: Es scheint, als habe Wieland die Begeisterung des Publikums für Klopstocks Großepos Messias, von dem bis 1751 die ersten fünf Gesänge erschienen waren [sie wurden noch auf 20 erweitert], nutzen wollen: Biblische Geschichten, poetisch entfaltet, waren en vogue. Auch dies wäre ein Tagungs-Thema.) An August Wilhelm Schlegel sei noch erinnert zum Abschluß dieser Vorbemerkungen, die keinen anderen Zweck haben, als einen Hintergrund anzudeuten, vor dem sich die Abraham-Deutungen deutschsprachiger Dichter im 20. Jahrhundert besser erkennen lassen. Als, nach einem Jahrhundert der strikten Sonetten-Abstinenz, um 1800 die Romantiker, angeregt durch Gottfried August Bürger, dieser Dichtart neues Ansehen zu verschaffen suchten und mit einer wahren „Sonettenwut“ (der auch Goethe nicht widerstand) um sich griffen, wurden nicht nur Liebes- und Leid-Erfahrungen auf diese Weise in 14 Versen poetisiert, sondern auch geschichtliche Ereignisse, zu denen dann, wie selbstverständlich, das in der Heiligen Schrift Überlieferte zählte. In August Wilhelm Schlegels, des großen Formkünstlers, Gedichtsammlung von 1800 findet sich das Sonett Die Opferung Isaaks: Der schöne Jüngling kniet auf dem Altare, Nackt, blaß, gebeugt, die Arme auf dem Rücken, Ein banges Weh in den erhobnen Blicken, Als ob schon Tod mit Todesfurcht sich paare. Der Vater steht, kraftvoll in greisem Haare, Geschürzt mit Glauben, sich in Gott zu schicken; Den fest ergriffnen Stahl, er will ihn zücken, Und morden allen Trost verwaister Jahre. Doch, wie er seine Stirn nach oben wendet, Als spräch er: du befahlst es, Hort und Rather! Rauscht ihm der Flügel eines Himmelsboten. <?page no="181"?> Abraham in der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts 173 Mit deinem Wollen ist die That vollendet. Allein behielt sich's vor der ew'ge Vater, Den Sohn zu opfern für die ewig Todten. 2 Das Gedicht, angeregt vermutlich durch eine bildliche Darstellung des Ereignisses, ist kein Meisterwerk der Poesie und wenig originell. Der abschließende Hinweis auf den Opfertod Christi, als Pointe gedacht, entspricht seinerzeit gängiger christlicher Exegese. Von christlichen (oder besser: nicht-jüdischen) Abraham-Dichtern war bisher die Rede, und bevor nun der Übergang zur jüdischen Dichterin Else Lasker-Schüler erfolgt, sei wenigstens erwähnt, daß Heinrich Heines Roman- Fragment Der Rabbi von Bacherach auch eine Abraham-Geschichte (eine Abraham/ Sara-Geschichte) ist, die allerdings aus manchen Gründen aus dem Rahmen des hier zu Behandelnden fällt. Und es sei, der Kuriosität wegen, auch noch eine Anekdote aus dem Leben eines nicht-jüdischen Autors des 20. Jahrhunderts wiedergegeben. Georg Kaiser, der erfolgreichste von allen expressionistischen deutschen Dramatikern, verteidigte sich 1921 vor dem Landgericht München gegen die Anklage der Unterschlagung (sie führte zum Urteil: ein Jahr Gefängnis) unter anderem mit diesen Sätzen: „Ich habe mich selbst aufgeopfert für die Idee, die nur durch mich unter die Menschen gekommen ist. [...] Ich muß meine Kinder schlachten können, wenn ich an mich glaube. Wenn ich den wahnsinnigen Größenwahn habe, die Menschen irgend etwas lehren zu wollen, dann ist es die erste Bedingung, daß ich mich selbst opfere.“ 3 In diesen Sätzen, die offenbar von Genesis 22 angeregt wurden, geht nun einiges durcheinander: Der Vater opfert seine Kinder um der Idee willen, für die er sich dann auch opfert. (Angeklagt war Kaiser übrigens, weil er ihm nicht gehörende Einrichtungsgegenstände aus einer von ihm gemieteten Villa veräußert hatte.) „Ich muß meine Kinder schlachten können“ - ohne Gott. Der Dichter ist sich selbst genug. Else Lasker-Schülers Gedicht Abraham und Isaak gehört zu den beiden Gedichten, die in ihrem Band Hebräische Balladen, der Ende 1912 mit der Jahreszahl 1913 erschien, zum ersten Mal veröffentlicht wurden. (Das andere ist das Gedicht Jakob.) Die beiden Gedichte sind vermutlich im selben Jahr (1912) entstanden. Alle anderen Gedichte (dreizehn an der Zahl) waren schon in den Jahren nach 1900 an verschiedenen Orten einzeln publiziert worden (zuerst Sulamith, 1901, zuletzt, jeweils gesondert, Esther, Boas und Jakob und Esau, 1912). Die Zusammenstellung des Zyklus sollte keine Rätsel aufgeben; daß sie sich weder nach den Entstehungsdaten noch nach der biblischen Chronologie richtete, ist vielleicht nicht willkürlich, aber auf keinen Fall zwingend, denn sonst müßte die Ausgabe von 1917, in der fast alle Gedichte 2 A. W. von Schlegel’s Sämmtliche Werke, hg. von E. Böcking, Bd. I, Leipzig 1846, 314. 3 G. Kaiser, Werke in drei Bänden, hg. von K. Kändler, Bd. III, Berlin 1979, 545f. <?page no="182"?> Norbert Oellers 174 umgestellt wurden, als ein eigenes Werk angesehen werden. 4 Davon kann freilich nicht die Rede sein. In der zweiten Auflage der Hebräischen Balladen, die schon nach einem Jahr nötig wurde, ist die Reihenfolge der Gedichte gegenüber der ersten Auflage unverändert; am Ende sind zwei Gedichte hinzugefügt worden: Moses und Josua und Im Anfang. Abraham und Isaak ist in den beiden ersten Auflagen der Hebräischen Balladen (wie auch in einer vermutlich 1915 oder 1916 entstandenen handschriftlichen Fassung) das zweite Gedicht des Zyklus, folgt also dem oft interpretierten, 1905 in Der siebente Tag zuerst veröffentlichten Eingangsgedicht Mein Volk („Der Fels wird morsch, / Dem ich entspringe / Und meine Gotteslieder singe“), von dem Gottfried Benn 1952 sagte, es sei „in seiner Vollkommenheit eine so völlige Verschmelzung des Jüdischen und des Deutschen, der Ausdruck einer wirklichen Seinsgemeinschaft auf höchster Stufe, daß es auf beiden Seiten, sofern die Kunst bei uns überhaupt etwas zu sagen hätte, auch politische Folgen würde gehabt haben können.“ 5 Dieses lyrisch aufgeputzte Urteil ist natürlich hochproblematisch, denn wie die mit ihrem Volk Verlassene in diesem Gedicht ‚das Deutsche’ als rettenden Fluchtpunkt, in dem sie sich hätte bewahren können, bestimmt haben könnte, ist ihren Versen nicht zu entnehmen. Aber so sah es Benn eben vor einem halben Jahrhundert - auch für sich, den einstigen Freund der Dichterin. Die „Vollkommenheit“ des Gedichts soll nicht bestritten werden; sie besteht in der Kongruenz von Klage und Erlittenem, von Gesagtem und Gemeintem, von Allgemeinem und Besonderem, der Aufhebung des Schmerzes durch die schöne Klage über den Verlust (vergleichbar Schillers Elegie Nänie). In der handschriftlichen Fassung der Hebräischen Balladen, die Benn nicht kennen konnte, hat Else Lasker- Schüler übrigens das Eingangsgedicht durch eine Zeichnung erläutert: Prinz Jussuf, weinend, mit einem aus einem sechszackigen Stern (einem Davidstern) blutenden Herzen. Doch nun zum zweiten Text des Bandes, der uns hier interessiert, Abraham und Isaak: Abraham baute in der Landschaft Eden Sich eine Stadt aus Erde und aus Blatt Und übte sich mit Gott zu reden. Die Engel ruhten gern vor seiner frommen Hütte Und Abraham erkannte jeden; Himmlische Zeichen ließen ihre Flügelschritte. Bis sie dann einmal bang in ihren Träumen Meckern hörten die gequälten Böcke Mit denen Isaak opfern spielte hinter Süßholzbäumen. 4 Vgl. dazu Hebräische Balladen in der Handschrift von Else Lasker-Schüler, hg. und mit einem Nachwort von N. Oellers, Frankfurt a.M. 2000, 51-61. 5 G. Benn, Gesammelte Werke in acht Bänden, hg. von D. Wellershoff, München 1975, Bd. IV, 1103. <?page no="183"?> Abraham in der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts 175 Und Gott ermahnte: „Abraham! ! ....“ - Er brach vom Kamm des Meeres Muscheln ab und Schwamm Hoch auf den Blöcken den Altar zu schmücken. Und trug den einzigen Sohn gebunden auf den Rücken Zu werden seinem großen Herrn gerecht - Der aber liebte seinen Knecht. 6 Das Gedicht soll nicht im einzelnen formal analysiert werden. Doch sei darauf aufmerksam gemacht, daß es nur eine metrische Ordnung (von der die Verslehren berichten) aufweist: Alle fünf Strophen haben dieselbe Verszahl, nämlich drei. Ansonsten erscheint es freirhythmisch (mit wechselnden - vier, fünf, sechs oder sieben - Hebungen der einzelnen Verse, mit wechselnden Versfüßen: Daktylen, Trochäen, Jamben), aber es ist gar nicht freirhythmisch, da es gereimt ist, freilich auch nicht regelmäßig und nicht immer rein („Hütte“/ „-schritte“; V. 4/ 6). Das Gedicht (besser: die Dichterin) spielt mit poetologischen Regeln, weil die Kunst ja nichts anderes ist als Spiel, in dem der Mensch zu sich selber kommt. 7 Sie lehrt nichts, gibt keine Antworten auf religiöse oder philosophische Fragen, äußert sich nicht zu historischen oder anthropologischen Problemen, sondern ist dies alles (oder doch das eine und anderes) an und für sich: Religion, Philosophie, Geschichtsdeutung, Anthropologie. Indem das eine vom andern getrennt in den Blick genommen wird, zerbricht die Einheit des Kunstwerks und kann durch Zusammensetzung des Einzelnen, also synthetisch, natürlich nicht wieder restituiert werden. Dies zu tun - zu beschreiben, zu analysieren, zu synthetisieren - ist aber nun einmal das Geschäft dessen, der sich lehrend mit Dichtung, mit Literatur befaßt. (Zwar kommt er nie ans Ziel, und seine Anstrengung ist mit der des Sisyphos zu vergleichen, aber zu bemitleiden ist er deshalb nicht; denn er hat viel Gewinn vom Umgang mit den Rätseln.) Else Lasker-Schülers Abraham und Isaak-Einfälle also: Die biblische Geschichte ist die Folie, auf der etwas ganz anderes, im freien Spiel der Imagination, erscheint, bereits im ersten Vers mit der Nennung der „Landschaft Eden“: Nicht in Kanaan, wo Abraham seßhaft geworden war und im Alter von 100 Jahren durch einen Gnadenerweis Gottes den Sohn Isaak geschenkt bekommen hatte, erfährt er den Anruf (hier: die Ermahnung) Gottes, und nicht auf dem Berg im Lande Moria ereignet sich die Geschichte des nicht vollzogenen Opfers, sondern im Paradiesgarten selbst, in dem nichts Unrechtes mehr geschehen kann. Das heißt: Gottes unmittelbare Gegenwart garantiert (und erklärt) auch für den nicht bibelkundigen Leser den glücklichen Ausgang der Prüfung, einen Ausgang, an dem auch Abraham, so nahe bei 6 Textwiedergabe nach der Handschrift (s. Anm. 4). 7 An Schillers Bestimmung aus dem 15. Brief seiner Abhandlung Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen sei erinnert: „[...] der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ (Schiller-Nationalausgabe, Bd. XX, unter Mitwirkung von H. Koopmann hg. von B. von Wiese, Weimar 1962, 359.) <?page no="184"?> Norbert Oellers 176 Gott, offenbar nicht ernsthaft zweifelt, obwohl er in eine ihm ganz neue Situation, in ein ihm noch unbekanntes Verhältnis zu Gott geführt wird. Daß er die Prüfung wie selbstverständlich annimmt, entspricht der Überlieferung; in diesem Punkt ist der poetisierte Abraham der aus der Schrift ‚bekannte’. Aber die Ausgangssituation ist eben eine ganz andere: Auch wenn „Eden“ mit Jesaja 51,3 als fruchtbares Land, das dem auserwählten Volk versprochen wird, gedacht wird; es bleibt der „Garten des Herrn“. Kanaan ist dann also (bereits) Eden, und hier baut sich Abraham „eine Stadt aus Erde und aus Blatt“ - an Mamre bei Hebron, ins Großartige gesteigert, soll wahrscheinlich erinnert werden, weil sich „Blatt“ am einfachsten mit den „Eichen von Mamre“ in Verbindung bringen läßt, unter denen Abraham saß, als die Boten Gottes ihm die späte Schwangerschaft seiner Frau Sara ankündigten. Aus seiner „Stadt“ wird seine „Hütte“, wohlgefällig Gott und seinen Engeln, mit denen er auf gutem Fuße steht und die, nachdem er sie bewirtet hat (wie es in der Bibel nachzulesen ist), flügelschlagend leicht davoneilen. (Das im Deutschen selten und von Else Lasker-Schüler nur dieses eine Mal gebrauchte Wort „Flügelschritt“ ist die poetische Übersetzung von „citus gressus“.) Die Schritte der Engel lassen Spuren zurück, die Abrahams Auserwähltheit verdeutlichen: „Himmlische Zeichen“. Was ist nicht himmlisch in Eden? Wie sollte es dort zu Unbotmäßigkeiten kommen? So einfache Fragen möchte die Dichterin nicht provozieren, weshalb sie nun zurückkehrt ins ganz und gar Menschliche. In der dritten, der Mittel-Strophe des Gedichts geschieht das Besondere, das im Wortsinn Unerhörte, von dem der biblische Bericht nichts sagt: Isaak, der Knabe, spielt ein Spiel, von dem er, wie es scheint, schon weiß, daß es verboten ist; denn er quält die Böcke, auch sie Geschöpfe des Allerhöchsten, im Verborgenen, hinter Süßholzbäumen, aber natürlich vor den Augen Gottes und mit seinem Tun hineinreichend in die Träume der Engel. Isaak spielt, was nur als blutiger Ernst, nämlich als Gottesdienst erlaubt zu sein scheint, auf jeden Fall der Einwilligung oder Forderung Gottes bedarf, der allein über Tod und Leben seiner Geschöpfe entscheidet (auch „in der Landschaft Eden“! ): Isaak spielt „opfern“. Die biblische Geschichte verkehrt sich nun, da das Opfer, zu dem Abraham gedrängt wird, anscheinend in einen Begründungszusammenhang gestellt wird. Was Isaak den Böcken tat, könnte sich nun an ihm vollziehen - die Strafandrohung muß mitgelesen werden, um das Handeln des Vaters nicht nur mit dessen Gottesfurcht, seinem Gehorsam oder der Annahme vom glücklichen Ausgang des dramatischen Vorgangs zu begründen. Daß Gott Abraham „ermahnte“, kann auch bedeuten, daß der Vater für das unrechte Tun seines Sohnes verantwortlich gemacht wird: Auch er wäre dann zu bestrafen. Die Begründung ist natürlich nicht ernsthaft, aber sie ist notwendiger Bestandteil des poetischen Spiels, das keinen Schatten duldet auf der Entscheidung Gottes, seinen Diener zu prüfen. Dessen Gehorsam soll nicht blind sein, weil nichts Übermenschliches vorbildlich ist. Der Sohn tritt an die Stelle der Tiere, mit denen er sein Spiel getrieben hat, und daher <?page no="185"?> Abraham in der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts 177 braucht am Ende auch kein Tier statt seiner geopfert zu werden; dessen bedarf der „große Herr“ nicht. Vielleicht ist er ja entschlossen, künftig gar nichts Lebendiges (auch keinen Widder) als Opfergabe mehr zuzulassen - wenn die Knechte ihm aus Einsicht gehorsam und im Glauben verbunden sind. Schon jetzt schließt seine Liebe ja aus, daß die Harmonie, die in der „Landschaft Eden“ herrscht, durch die Anwendung des abstrakten Gerechtigkeitsprinzips gestört wird. Nach dem biblischen Bericht hat der Vater auf den Rücken seines Sohnes Brennholz gebunden; im Gedicht ist er selbst gebunden - auf den Rücken des Vaters. Das könnte bedeuten, die Dichterin habe auf die so oft in die Heilsgeschichte hineininterpretierte Isaak/ Jesus- Typologie gar nicht erst anspielen wollen. So weit, so gut? Auch im poetischen Spiel Else Lasker-Schülers wird die Frage nicht völlig zugedeckt, was Abraham dazu brachte, ohne Wenn und Aber dem Geheiß seines Gottes zu folgen. Geschah es im Bewußtsein getanen Unrechts (wie es andeutend, aber doch nur beiläufig, insinuiert wird)? Geschah es in der Erwartung, durch bedingungslosen (nicht blinden) Gehorsam Gnade zu finden, die sich durch die prächtige Schmückung des Opferaltars um einiges leichter erreichen ließ? Geschah es etwa, weil er auf die ihm zugekommenen Verheißungen (Gott werde einen Bund mit seinem Sohn Isaak schließen, dessen Nachkommenschaft segnen etc.) setzte? Oder war er gar als „Knecht“ des „großen Herrn“ dessen Teil und keiner eigenen rationalen Erwägung fähig? Das Gedicht, Mimesis eines Mythos, macht keine politischen und keine theologischen Vorschläge. Die Indifferenz des Allgemeinen (der Gott/ Mensch-Beziehung) und des Besonderen (des Abraham/ Isaak- Falles) gestattet dem, der darüber spricht, nicht viel mehr, als den Befund zu konstatieren. Zu Abraham und Isaak paßt, als Supplement wie als Komplement, das Gedicht Zebaoth aus den Hebräischen Balladen ganz gut (es erschien, wie Mein Volk, zuerst 1905 in Der siebente Tag); es sei daher noch, gleichsam als Interpretationshilfe, zitiert: Gott ich liebe dich in deinem Rosenkleide, Wenn du aus deinen Gärten trittst, Zebaoth, O, du Gottjüngling, Du Dichter, Ich trinke einsam von deinen Düften. Meine erste Blüte Blut sehnte sich nach dir, So komme doch, Du süßer Gott, Du Gespiele Gott, Deines Tores Gold schmilzt an meiner Sehnsucht. 8 Franz Kafka war, wie ein Blick in seine Briefe und Tagebücher zeigt, spätestens seit 1913 ein eifriger Leser Sören Kierkegaards. Nicht wenige Resultate seiner Lektüre lassen sich in seinem Werk nachweisen. So ist die Parabel 8 Textwiedergabe nach der Handschrift (s. Anm. 4). <?page no="186"?> Norbert Oellers 178 Eine kaiserliche Botschaft aus dem Jahr 1917 eine Art Fortsetzung und Umschreibung der Tagelöhner-Geschichte, die Kierkegaard, ausgehend von Paulus’ erstem Brief an die Korinther, in Die Krankheit zum Tode eingefügt hat. 9 Im Kurort Matliary (in der Tatra), in dem der Tuberkulosekranke von Dezember 1920 bis August 1921 Heilung von seiner Krankheit suchte und wo er den jungen, literarisch gebildeten und philosophisch interessierten Medizinstudenten Robert Klopstock kennenlernte, beschäftigte er sich erneut mit Kierkegaard, insbesondere mit dessen Furcht und Zittern. Das Buch empfahl er auch Klopstock zur Lektüre, so daß er im ‚Abraham-Brief’ vom Juni 1921 10 nicht mehr darzustellen brauchte, worauf sich seine Überlegungen bezogen: nicht zuletzt auf Kierkegaards Lobrede auf Abraham eben. Zu Kierkegaards Schrift, die ja - wie auch Die Krankheit zum Tode - oft genug behandelt worden ist 11 , soll hier nicht mehr viel gesagt werden; es seien nur ein paar Sätze in Erinnerung gebracht, um die Tendenz seiner Apologie anzudeuten: Es ist mancher Vater gewesen, der sein Kind verlor, aber dann war es doch Gottes, des Allmächtigen, unveränderlicher unerforschlicher Wille, seine Hand nahm es. Nicht so mit Abraham. Ihm war eine schwerere Probe aufbehalten, und Isaaks Schicksal war mit dem Messer gelegt in Abrahams Hand. Und er stand da, der alte Mann mit seiner einzigen Hoffnung! Aber er zweifelte nicht, er schaute nicht geängstigt zur Rechten oder Linken, er forderte den Himmel nicht heraus mit seinen Bitten. Er wußte, es war Gott der Allmächtige, der ihn prüfte, er wußte, es war das schwerste Opfer, das von ihm gefordert werden konnte; aber er wußte auch, wenn Gott es forderte, so war kein Opfer zu schwer, - und er zog das Messer. 12 Auch die Frage, wer das denn sei, „welcher über die grauen Haare eines Menschen Untröstlichkeit bringt, [...] verlangt, daß er selber es tun soll“, wird gestellt. Die einfache Antwort: „[...] es war Gott, der Abraham prüfte.“ Und: 9 Siehe dazu Verf., Franz Kafkas Eine kaiserliche Botschaft, in: Der Abbruch des Turmbaus. Studien zum Geist in China und im Abendland. Festschrift für Rolf Trauzettel, hg. von I. Krüßmann / W. Kubin / H.-G. Müller, St. Augustin 1995, 251-266. 10 Im folgenden zitiert nach: F. Kafka, Briefe, hg. von M. Brod, Frankfurt a.M. 1958, 332-334. 11 Nur auf einen Aufsatz sei hingewiesen, weil in ihm eine seltene, aber wenig überzeugende Deutung von Genesis 22 erwogen wird, mit der das eigentliche Abraham-Problem in die Unfähigkeit des Erzvaters abgeschoben wird, zwischen der Stimme Gottes und der Satans zu unterscheiden: „Wer ist es, dessen Stimme man vernimmt? Für Kierkegaard ist es von der christlichen Tradition aus, in der er aufgewachsen ist, selbstverständlich, daß der das Opfer Fordernde kein anderer als Gott ist. Für die Bibel, jedenfalls für das Alte Testament, ist das nicht ohne weiteres selbstverständlich; wird hier doch sogar eine bestimmte ‚Anstiftung’ zu einer verbotenen Handlung an einer Stelle (2 Samuel 24) Gott zugeschrieben und an einer anderen (1 Chronik 21) dem Satan. [...] der Moloch ahmt die Stimme Gottes nach [...].“ (M. Buber, Die Opferung Isaaks, in: Frankfurter Hefte 6/ 9 (1951), 623-625; Zitat S. 624f.) 12 S. Kierkegaard, Gesammelte Werke, 4. Abt.: Furcht und Zittern, übersetzt von E. Hirsch, Düsseldorf, Köln 1950, 20. - Die folgenden Zitate ebd., 17f. <?page no="187"?> Abraham in der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts 179 „[...] Abraham glaubte und zweifelte nicht, er glaubte das Unsinnige.“ Gott also forderte „das Unsinnige“? Kafka nun: Er scheint nicht von der Unsinnigkeit der Forderung auszugehen; er enthält sich eines Urteils über den, der fordert. Gott spielt in seinem Text keine Rolle, auch wenn es heißt, „der wirkliche Abraham“ habe „schon vorher alles gehabt“, und wenn er „doch noch höher geführt werden sollte“, habe ihm „nun, wenigstens scheinbar, etwas fortgenommen werden“ müssen. Dazu habe es, weil Abraham die Notwendigkeit des Verlusts eingesehen habe, keines „Sprung[s]“ im Glauben (von dem Kierkegaard gesprochen hatte) bedurft. Wer nimmt fort? Gott? Das wird nicht gesagt. Der Sohn, das ihm Liebste, ist nicht mehr als „etwas“, eine quantité négligeable? Die Größe des Opfers spielt offenbar keine Rolle, da Abraham (der „wirkliche“) seinen Sohn hinzugeben bereit ist, wie er anderes (vielleicht einen Acker, vielleicht seine Frau Sara) hingegeben hätte. Mit diesem Abraham will Kafka nicht viel zu tun haben; denn er kann nicht glauben. Deshalb denkt er sich Variationen der Geschichte (mit anderen ‚Abrahamen’) aus, die den Vorzug haben, lebensnah, also einigermaßen verständlich zu sein. Abraham „wie ein Kellner“, eilfertig (devot) bereit, die Forderung zu erfüllen, wäre da nicht das noch unfertige Haus, das es zu bestellen gilt, ein Geschäft, von dem einmal an einer ganz anderen Stelle in der Heiligen Schrift die Rede ist (im 2. Buch Samuel 17,23): „Aber als Ahitofel [dessen Rat, auch bei David, soviel galt wie „Gottes Offenbarung“] sah, daß sein Rat [nämlich David mit großer Heeresmacht zu verfolgen und zu besiegen] nicht ausgeführt wurde, sattelte er seinen Esel, machte sich auf und zog heim in seine Stadt und bestellte sein Haus und erhängte sich und starb und wurde begraben in seines Vaters Haus.“ Hat Abraham, „wie ein Kellner“, sich geraten, zu tun, was ihm angetragen wurde, seinen Rat aber nicht befolgt, weil sein Haus noch nicht fertig war? Erhängt er sich, aus der Geschichte (die ihm ja keine Heilsgeschichte ist) verschwindend, da er es „nicht einmal bis zum Altkleiderhändler“ gebracht hat? Daß in der Bibel gesagt wird, Abraham habe sein Haus bestellt, ist ein Einfall Kafkas, um sagen zu können: Dann gibt es nur noch den Tod, den Suizid oder die Tötung des Sohnes, für den das „Opfermesser“ ja schon in den „Balken“ gesteckt ist (wie für Josef K. im Proceß, der nicht über seine Tagein/ Tagaus-Existenz hinausdenkt, der das sonderbare Gericht sucht, ohne das Gesetz zu kennen 13 ). Über das Erreichte hinaus gibt es nur noch den Verlust. Daß Gott seinem Diener den Sohn ein zweites Mal schenkt, ist für Kafka nicht zu glauben - weil die verständliche, wenn auch unmenschliche Forderung am Ende nicht erfüllt wird. Die Unmenschlichkeit der Forderung ist freilich ein Grund für den Menschen (ob er nun an Gott glaubt oder nicht), ihr mit Skepsis, ja mit entschiedener Kritik zu begegnen. Wer alles hat, 13 Siehe dazu Verf., Das ferne Gesetz. Ansichten zu Kafkas Der Proceß, in: Schriftgedächtnis - Schriftkulturen, hg. von V. Borsò / G. Cepl-Kaufmann / T. Reinlein / S. Schönborn / V. Viehöver, Stuttgart, Weimar 2002, 139-153. <?page no="188"?> Norbert Oellers 180 wird „etwas“ opfern müssen, vielleicht sogar den eigenen Sohn; so verlangt es die Ökonomie, nicht aber Gott. 14 Andere Abrahame: die weder ihr Haus fertig noch einen Sohn haben und doch opfern sollen. „Das sind Unmöglichkeiten“; sie tun wohl gut daran, die Fertigstellung des Hauses zu verzögern (sie zu verschleppen, wie Josef K. seinen Prozeß verschleppen könnte), auch wenn sie dadurch ihr tragisches Ende (eben: nicht ans Ziel zu kommen) selbst vorbereiten: Sie sehen nicht den Berg, „der in der Ferne steht“. Dies klingt wie ein Ratschlag an den selbsternannten „Landvermesser“ K., der das Schloß sieht, ohne daß ihm dies etwas hilft. Auch er hatte die Chance, „das Gesicht in magischen Trilogien zu verstecken“, aber er zieht es vor, die eigenen Kräfte überschätzend, sehenden Auges ins unvermeidliche Unglück zu rennen, anstatt als Opfer zu enden. 15 Kafka nähert sich immer mehr, die biblische Geschichte hin- und herwendend, seiner eigenen Existenz. 16 Er spielt ja, wenn er von einem Abraham ohne Haus und ohne Sohn spricht, auf seinen - oft genug schmerzlich empfundenen - Nicht-Besitz an, auf sein Junggesellentum, seine Bindungslosigkeit, auch auf seine Furcht, es erginge der Ruf eines Höheren an ihn, dem er nicht (niemals) folgen könne; denn ihm fehlt ja der Glauben. Und er imaginiert die Möglichkeit (auch dafür gibt es Parallelen), Vater und Sohn seien ganz anders gewesen, als die Überlieferung sie kennt - „der widerliche alte Mann, der schmutzige Junge“. Der Mann würde, auch wenn er glaubte, ein Don Quixote, eine lächerliche Figur, weil er mutmaßt, daß der Ruf, den er gehört hat, gar nicht an ihn ergangen ist. Der Gedanke daran läßt ihn selbst lachen: Wie kann einer Abraham sein, der nicht gerufen wird? Er, Kafka, wird nicht gerufen, weil er allen Rufen mißtraut. Aber auch wenn er glaubte und gerufen würde, ginge ein solcher Ruf über seinen Glauben. Denn er ist sich gewiß: Er bleibt „der schlechteste Schüler“ in der „schmutzigen letzten Bank“, der nur versehentlich gerufen wird. Die biblische Abraham-Geschichte ist für Kafka einer der vielen Anlässe, seinen Überzeugungen über sein eigenes nutzloses Leben und - was damit zusammenhängt - über sein zutiefst gestörtes Verhältnis zum Judentum Rechenschaft abzulegen. Die Thora ist ihm abhanden gekommen wie Josef K., der deshalb auf theatralische Weise umgebracht wird. Das heißt nicht, daß Kafka ihn bemitleidet. Der Dichter, der seine Zweifel, seinen Unglauben, seine Nöte in seine Figuren legt, um wenigstens so weiterleben zu können, verbittet sich jedes Mitleid, weil es von seiner ‚wirklichen’ Existenz ablenken 14 Vgl. dazu den höchst instruktiven (und scharfsinnigen) Aufsatz von G. Palmer, Geheimnisse eines bereitwilligen Kellners. Abraham bei Derrida, Benjamin und Kafka, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 51 (1999), 48-63. 15 Vgl. Verf., Notwendig, aber sinnlos. K.s Kampf ums Schloß, im Schnee, in: Der europäische Roman zwischen Aufklärung und Postmoderne. Festschrift zum 65. Geburtstag von Jürgen C. Jacobs, hg. von F. Marx / A. Meier, Weimar 2001, 175-190. 16 Vgl. dazu G. Baioni, Kafka. Literatur und Judentum, Stuttgart, Weimar 1994, 209-212; außerdem R. Robertson, Kafka - Judentum, Gesellschaft, Literatur, aus dem Englischen von J. Billen, Stuttgart 1985, 252-254. <?page no="189"?> Abraham in der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts 181 müßte. Und schließlich bescheinigt er ja auch seinem Abraham, daß er die besten Gründe hatte, sich nicht auf den Weg zum Opferaltar zu machen. Aber diese Entscheidung verlangt Opfer, sie ist an Voraussetzungen geknüpft, die für die biblische Geschichte nicht in Frage kommen. Nelly Sachs’ Dichtungen der Jahre nach 1943 sind zum großen Teil Antworten auf die Shoah; sind Versuche, das Schreckliche im Mythos einer „Kosmogonie aus Vernichtung“ 17 wenn nicht zu erklären (denn unerklärlich bleibt ihr der Genozid), so doch auf einer quasi-religiösen Ebene darstellbar zu machen und gewissermaßen in sich wiederholenden selbstreflexiven (sehr metaphernreichen) Wendungen Zeichen der Hoffnung zu setzen (wie in dem oft zitierten und behandelten Gedicht O die Schornsteine 18 ) - gegen alle Einsicht. Zahlreich sind die Gedichte, in denen Nelly Sachs biblische Themen behandelt, und zwar meistens in Anlehnung an die Texte der Bibel und deren Auslegungen. So in dem Zyklus Die Muschel saust, 1947 entstanden und 1949 in dem Band Sternverdunkelung erschienen: Alle elf Gedichte behandeln Gestalten und Ereignisse aus den Heiligen Schriften. Das erste dieser Gedichte ist Abraham; es handelt nicht von dem Schicksal Isaaks, ebensowenig wie die um 1950 entstandene szenische Dichtung Abram im Salz und deren in die blutige Gegenwart fortgesetzte Nachtwache (Ein Albtraum in neun Bildern); doch soll das Gedicht hier kurz vorgestellt werden, weil es gelesen werden kann als erste Etappe auf dem Umweg zu einem späteren Gedicht, Landschaft aus Schreien (entstanden 1954, erschienen 1957 in dem Gedichtband Und niemand weiß weiter), dessen zweite Strophe auf Genesis 22 bezogen ist. Aus acht Strophen in freien Rhythmen besteht das Gedicht Abraham 19 , die ersten sechs beginnend mit der hymnischen Anrede „O du“ - erweitert dann zu „O Abraham“ und schließlich zu „O dein wunderbrennender Äon“ - , ausgehend von der Ur-Heimat des Erzvaters, „im Ur der Chaldäer“ (Genesis 11,28), im babylonischen Mesopotamien, wo sich zutrug, was für die Geschichte des Volkes Israel bestimmend wurde, Jahrtausend um Jahrtausend bis zur Gegenwart, wovon im Gedicht andeutend gesprochen wird; dazu bedarf es nicht der Erinnerung an Abrahams Leben im Lande Kanaan, das wird als bekannt vorausgesetzt. Von der Botschaft Gottes an Abraham ist die Rede, von dem „Gottesgeheimnis“, das in der „Muschel“ sich barg. Gott 17 R. Kranz-Löber, „In der Tiefe des Hohlwegs“. Die Shoah in der Lyrik von Nelly Sachs, Würzburg 2001, 152. - Die Arbeit ist vermutlich der bisher wichtigste Beitrag zum Judentum der Dichterin und zu den Quellen (Kabbala [Sohar]; Chassidim), aus denen sie, spätestens seit 1950, Anregungen bezog und auch die Kraft, durch Umschreibungen und Umdeutungen Trauer und Angst auszuhalten. - Vgl. außerdem A. Lerousseau, Le personnage d'Abraham dans l'œuvre poétique de Nelly Sachs, in: Germanica 24 (1999), 55-68. 18 Die 2. Strophe (V. 8-11) lautet: „O die Schornsteine! / Freiheitswege für Jeremias und Hiobs Staub - / Wer erdachte euch und baute Stein auf Stein / Den Weg für Flüchtlinge aus Rauch? “ (Das Buch der Nelly Sachs, hg. von B. Holmqvist, Frankfurt a.M. 1968, 73.) 19 N. Sachs, Fahrt ins Staublose. Gedichte, Frankfurt a.M. 1988, 88f. <?page no="190"?> Norbert Oellers 182 verkündete nicht - wie in Genesis 12,1-3 berichtet - Abraham seine Bestimmung, sondern dieser „fand“, was ihm zugedacht war; er ist nicht Objekt, sondern Subjekt im göttlichen Geschehen. Die Bedeutung des Vorgangs wird durch die Szenerie unterstrichen: die durch das Licht des Mondes ganz eingeschlossene („versiegelte“) Landschaft, darin Hügel, von denen das Wasser der Sintflut „abtropft“, darunter die Muschel, als sei sie entlassen aus dieser Flut: „Äon des lebenden Lebens“, Ursprung des Wachsens und Gedeihens bis hin zum „Heute darin die Ähre brennt“. - Dies also der Hinweis aufs jüngst Vergangene und Gegenwärtige: Israel, die Ähre des „himmlischen Landmannes“, in Brand. Das Bild wird in der letzten Strophe wieder aufgenommen, befremdlich, weil die Verse kaum anders als Verklärung des Leids zu verstehen sind, als nicht nur erduldete Hinnahme des Schicksals: O dein wunderbrennender Äon, den wir mit unseren Leibern ans Ende bringen müssen - dort, wo alle Reife hinfällt! Das mit Abraham Begonnene, mit dem das „Heimweh“ in die Welt kam und „die Sehnsucht an den Horizont der unsichtbaren Himmel“ geheftet wurde, erfüllt sich im - offenbar nur momentweise schmerzenden - Übergang vom „Ungesicherten“ zur verheißenen „Ewigkeit“. In ihrem Abraham-Gedicht hat Nelly Sachs die Richtung angegeben, denen die weiteren zehn Gedichte folgen: aus dem Mythos durch die Geschichte, die selbst wieder durch die Parallelisierung mit dem Mythos mythisiert wird, in die Zeitlosigkeit. In Hiob, so kann es gesehen werden, ist die Heilserwartung, die in eine unmittelbare Beziehung zum Völkermord gerückt wird, am unverblümtesten ausgedrückt. Hiobs unverschuldetes Leiden ist das Leiden des jüdischen Volkes, das aber Grund hat zur Hoffnung: Hiob, du hast alle Nachtwachen durchweint aber einmal wird das Sternbild deines Blutes alle aufgehenden Sonnen erbleichen lassen. 20 Unter den vielen Shoah-Darstellungen und -Anspielungen im lyrischen Werk von Nelly Sachs gibt es nur eine einzige ‚Opferszene’: im Gedicht Landschaft aus Schreien. Die zweite Strophe lautet: Über Moria, dem Klippenabsturz zu Gott, schwebt des Opfermessers Fahne Abrahams Herz-Sohn-Schrei, am großen Ohr der Bibel liegt es bewahrt. 21 Eine Strophe des Gedichts von vielen, die von Leiden sprechen, von der Tötung der Erstgeborenen in Ägypten, von den Qualen in den „Zellen der Gefangenen, der Heiligen“, von „Hiobs Vier-Winde-Schrei“, von Jesu „Schrei verborgen im Ölberg“ - bis hin zu „Maidanek und Hiroshima“; als sei dies 20 Holmqvist (Hg.), Das Buch der Nelly Sachs (Anm. 18), 86. 21 Ebd., 190. <?page no="191"?> Abraham in der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts 183 alles ähnlich oder doch vergleichbar: die Shoah eine Station unter vielen, wie das Hiroshima-Grauen, wie die Station Moria. Hier erklingt der „Herz-Sohn- Schrei“ Abrahams, inmitten von Berg, Messer und Bibel. Der „Klippenabsturz“ wird eine Erhebung „zu Gott“ (womit die Festigung des Bündnisses gemeint sein mag), das „Opfermesser“ (nirgends sonst braucht Nelly Sachs dieses Wort) wird zum Siegeszeichen, zur „Fahne“: Leid und Triumph in einem. Abrahams Schrei gilt dem Opfer, als sei dieses Opfer nicht verhindert worden (zu schweigen von der Möglichkeit, daß durch das Eingreifen Gottes das Menschenopfer generell in Frage gestellt wurde - vielleicht; Jesu Tod wäre dann von anderer Qualität). Die Forderung Gottes, Abraham möge seinen Sohn töten, erscheint in dieser Szene als so grausam wie die Befehle von Herrschenden, daß nach ihrem Belieben getötet werde, etwa in Maidanek. Daß es Nelly Sachs um eine Kritik an Genesis 22 ging, ist dennoch unwahrscheinlich; dazu hätte es eines längeren Textes als der vier Verse bedurft. Es ging der Dichterin (und so immer wieder) um anderes, wie Ruth Kranz, auf diese Verse sich beziehend, konstatiert hat: „Auf sehr subtile Weise wird der Genozid im Gedicht gedanklich getilgt, indem er mit einem Menschenopfer überblendet wird, das nicht stattfindet. Die Funktion des Mythos, der einen Umgang mit der Angst und zugleich deren gedankliche Vermeidung ermöglicht, läßt sich hier paradigmatisch nachweisen, und mit ihr auch die Strategien der Verharmlosung, Sakralisierung und Ästhetisierung, deren sich der Mythos bedient.“ 22 Die Distanz könnte nicht größer sein als die zwischen Else Lasker-Schüler und Nelly Sachs; und Kafka ist ohnehin von beiden weit entfernt - wie von allen deutschen Dichtern, die zu Genesis 22 etwas gesagt haben. 22 Kranz-Löber, „In der Tiefe des Hohlwegs“ (Anm. 17), 61. <?page no="192"?> Norbert Oellers 184 Norbert Oellers 184 <?page no="193"?> Gunther Klosinski Abrahams Infantizidversuch. Psychodynamische und interpretative Annäherungen aus der Sicht eines Kinder- und Jugendpsychiaters Einleitung Bei der Anfrage zur aktiven Teilnahme am internationalen Symposion zum Thema „Glaubensgehorsam um jeden Preis? Abrahams Opfer im Christentum, Judentum und Islam“ zögerte der Autor zunächst mit der Zusage aus Sorge, sich als Nicht-Theologe auf Glatteis zu begeben bzw. womöglich „häretisches Gedankengut“ vorzutragen. Die Versicherung, es handele sich um ein interdisziplinäres Symposion, und die Ansichten eines für religiöse Fragen offenen, kritischen Kinder- und Jugendpsychiaters seien besonders erwünscht, überzeugte schließlich doch und führte zur aktiven Teilnahme. Je mehr ich mich mit dem mir vorgegebenen Arbeitsthema: „Abrahams Opfer im psychologischen Kontext“ befaßte, desto faszinierender und spannender wurde für mich die Einlassung in die Bilderwelt, wie sie uns in Gen 22 entgegentritt, um nicht zu sagen: „uns förmlich überfällt oder heimsucht“. Als Kinder- und Jugendpsychiater/ Psychotherapeut, gewohnt, eine gründliche Familienanamnese zu erheben, um den Kontext zu begreifen, in dem Beziehung und Interaktion erlebt werden und sich ereignen, versuchte ich, auf dem Hintergrund von Gen 16-21 das Geschehen in Gen 22 zu „verorten“. Ich werde mir erlauben, in aller Kürze, mir wichtig erscheinende Aspekte aufzugreifen, die den von Gott Abraham auferlegten Infantizidwunsch unter familiendynamischen Aspekten in einem besonderen Licht erscheinen lassen. Ich werde aber noch einen Schritt weitergehen und Abrahams Versuchung in Gen 22 unter tiefenpsychologischen Gesichtspunkten als ein allgemein menschliches innerseelisches Ringen um Selbsterkennung im Sinne einer Individuation C. G. Jungs darlegen. Schließlich werde ich eine sehr menschliche und kinder- und jugendpsychiatrisch hoch aktuelle Frage aufwerfen, nämlich: „Wie ist es möglich, daß aus einem Menschen mit Opfererfahrung nicht automatisch ein Täter wird? “ Ich möchte in diesem Zusammenhang die Doppelgesichtigkeit und Gleichzeitigkeit Abrahams als Täter und Opfer aufzeigen und damit, gleichsam als „Brückenschlag“, im kinder- und jugendpsychiatrischen Alltag nicht selten vorkommende analoge Verstrickungen skizzieren. Ich werde deshalb meinen Vortrag wie folgt gliedern: <?page no="194"?> Gunther Klosinski 186 1. Die Bilder- und Symbolwelt der Genesis - eine mögliche Annäherung an ihre Erschließung durch die Technik tiefenpsychologischer Traumdeutung auf der sogenannten Objekt- und Subjekt-Stufe. 2. Abraham, seine familiäre Verstrickung und seine Verheißung im Vorfeld der Versuchung (Gen 16-21). 3. Ein tiefenpsychologischer Deutungsversuch von Gen 22 auf der „Subjekt-Stufe“. 4. Gedanken zur Täter-Opfer-Beziehung bei Abraham, Isaak und Jahwe sowie skizzenhafter analoger Exkurs zur besonderen Täter-Opfer-Beziehung in Familiendramen des kinder- und jugendpsychiatrischen Alltags. 5. Zusammenfassung und Schlußfolgerung. 1. Die Bilder- und Symbolwelt der Genesis - eine mögliche Annäherung an ihre Erschließung durch die Technik tiefenpsychologischer Traumdeutung auf der sogenannten Objekt- und Subjekt-Stufe Die Bildergeschichten, Ereignisse und Geschehnisse, wie sie die Genesis berichtet, sind Berichte und Erzählungen, die nicht wörtlich zu nehmen sind, Buchstabe für Buchstabe, sondern Verdichtungen im Sinne von Sagen, Mythen, die auf ältere Begebenheiten und Erzählungen verweisen bzw. neue Botschaften, Wahrheiten und Verheißungen transportieren sollen. Archäologisch und kulturhistorisch gesichert ist, daß die Phönizier Menschenopfer darbrachten: Sie opferten Baal, dem sprichwörtlichen Moloch, die Erstgeborenen aus Familien der Oberschicht und begruben sie an eigenen Bestattungsplätzen (Hensel, 1999). In zahlreichen frühen Kulturen sind Menschenopfer als rituelle Handlungen üblich gewesen, um z.B. die Fruchtbarkeit der Erde zu regenerieren. Menschenopfer wurden als Dank- oder Sühneopfer bzw. als Selbstopfer vorgenommen. Insofern ist Abrahams Versuch, sein von Jahwe ihm angewiesener Auftragsmord im Sinne eines Infantizidversuchs, auch auf dem Hintergrund dieser historischen und örtlichen Gegebenheiten zu sehen. Mythen, Sagen, Märchen und Träume handeln von Menschen, ihren Beziehungen, ihren Verstrickungen, ihren Leiden und ihrer Erlösung. In den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts haben nicht wenige Autoren, die der komplexen Psychologie C. G. Jungs nahestehen, den Versuch unternommen, Märchen, Sagen und Mythen auf der „Subjekt-Stufe“ zu deuten, d.h. die Geschehnisse und Geschichten als einen Entwicklungsprozeß zu verstehen im Sinne einer Individuation, so wie sie C. G. Jung beschrieben hat (vgl. u.a. Kast, 1983; Riedel, 1984; Hark, 1986; Jellouschek, 1985; Rasche, 1988; v. Franz, 1986; Dieckmann, 1978; Drewermann und Neuhaus, 1985). Dabei bediente man sich des „Instrumentes“ der psychoanalytischen Tiefenher- <?page no="195"?> Abrahams Infantizidversuch 187 meneutik, d.h. einer Trauminterpretation, die grundsätzlich auf einer sogenannten Objekt- oder Subjekt-Stufe vorgenommen werden kann.* Dies soll näher erläutert werden: Wenn ein Patient von seinem Vater oder seiner Mutter, von einem guten Freund oder von einem Feind träumt, dann kann dies durchaus mit realen Begegnungen des Träumers mit diesen Personen in der nahen Vergangenheit (zum Traumgeschehen) zusammenhängen und in diesem Sinne auch verstanden und gedeutet werden, auch wenn der Traum die realen Begebenheiten verändert, umarbeitet, ent- oder verschärft. Das Verstehen und die Deutung eines Traumes in diesem Kontext (d.h. auf der Objektstufe) würde also bedeuten, daß die einzelnen Personen im Traum etwas zu tun haben mit den realen Personen (Objekten). Ob eine entsprechende Interpretation oder ein Hinweis des Therapeuten in diesem Sinne „greift“, entscheidet stets derjenige, der den Traum geträumt hat. Es ist aber auch eine ganz andere Zugangsweise möglich, indem alle Personen, die im Traum vorkommen, Teile, d.h. Fragmentierungen, des eigenen Selbst des Träumers sind. Dies würde bedeuten, daß der in meinem Traum auftauchende Vater mein „Vater-Imago“, d.h. mein aktualisiertes Bild vom Vater, darstellt, das, je nachdem, ein verfolgender oder gütiger, helfender Vater sein kann. Das Auftauchen eines Sohnes im Traum wäre auf der Subjekt- Stufe interpretiert, z.B. mein eigener kindlicher Anteil, mein „Kind-Ich“ oder „Kind-Selbst-Anteil“. Auch hier gilt, wie bei der Deutung auf der Objekt- Stufen-Ebene, daß lediglich der Träumer selbst entscheiden kann, ob ihm eine Interpretation auf der Subjekt-Ebene Sinn macht, für ihn Sinn gewinnt oder womöglich zur Evidenzerfahrung wird. Die oben genannten Autoren haben zahlreiche Märchen und Mythen in diesem Sinne auf der „Subjekt- Stufe“ zu entfalten und zu interpretieren versucht, d.h., sie gingen davon aus, daß es inhaltlich in den „Geschichten“ jeweils um wesentliche Entwicklungsschritte im Sinne einer Individuation C. G. Jungs geht. Zusammengefaßt kann unter psychodynamischen Aspekten festgehalten werden: Mythologische Handlungen können, ähnlich wie Traumgeschehen, sowohl als Ausdruck realer Beziehungserlebnisse interpretiert werden, d.h. auf einer „Objekt-Stufen-Ebene“, als auch als ein Szenario, bei dem alle Protagonisten als aufgespaltete, bildlich dargestellte Anteile einer Person (des Helden/ Heldin) bzw. des Träumers/ Träumerin aufzufassen sind („Subjekt- Stufen-Ebene“). Dieser Vorgehens- und Interpretationsweise liegt zugrunde, daß menschliche Beziehungen in der Außenwelt korrespondieren mit den verinnerlichten „Imagines“, d.h. Innenwelt und Außenwelt sowie Außenwelt und Innen- * In den 50er Jahren des 20. Jh. hatte sich in der psychoanalytischen Traumdeutung eingebürgert, von vier Deutungsperspektiven auszugehen: Die in den Träumen aufscheinenden Narrative und Szenen lassen sich jeweils auf einer sogenannten Objektstufe, Subjektstufe, Übertragungsebene und einer kategorialen Ebene verstehen. Alle vier Ebenen wurden ursprünglich von Freud begründet; die Subjektstufe wurde allerdings von C.G. Jung bevorzugt und theoretisch ausgewertet, die kategoriale Deutung von Schultz-Hencke weiter vertieft (vgl. Mertens, 1999). <?page no="196"?> Gunther Klosinski 188 welt sind aufeinander bezogen und voneinander abhängig. Auch neueste neurobiologische Vorstellungen kommen zu einem ähnlichen Schluß: Wir erleben nicht die Welt, so wie sie ist, sondern unsere Wahrnehmungsverarbeitung durch das Gehirn läßt in uns ein Bild von der Welt entstehen, das wir wieder nach außen projizieren. Auch jüngste Forschungen auf dem Gebiet der frühen Bindungen lassen den Schluß zu, daß die Beziehung des Säuglings und des Kleinkindes mit seinen „Significant Others“ (mit den Hauptbezugspersonen) zu inneren Modellen, inneren Repräsentanten von guten oder bösen Objekten verarbeitet werden, die dann das weitere Beziehungsverhalten der Kinder entscheidend bestimmen. 2. Abraham, seine familiäre Verstrickung und seine Verheißung im Vorfeld der Versuchung (Genesis 16-21) Wenn ich die familiäre Situation Abrahams beleuchten möchte, bewege ich mich nunmehr im oben genannten Sinne auf der sogenannten Objekt-Stufe, d.h. ich gehe davon aus, daß es womöglich solche realen Beziehungen waren, die Abraham beeinflußten. In Gen 16 wird uns mitgeteilt - noch vor der Verheißung Isaaks, vor der Beschneidung und dem Schließen des ewigen Bundes -, daß Sarah (vor der Verheißung Sarai genannt) und Abraham (genannt Abram) kinderlos waren: Sarai gebar Abram kein Kind. Seine Frau forderte Abram auf, sich mit ihrer Magd einzulassen, damit diese ihm einen Sohn gebäre. Abram gehorchte, und Sarai gab ihm ihre Magd, wie es heißt, zur Frau, und diese wurde schwanger. Da die Schwangere Sarai gegenüber „hochmütig“ wurde, wollte Sarai, daß Abram Richter sei zwischen ihr und der Magd. Abram entgegnete: „Tu mit ihr, wie dir´s gefällt.“ Als nun Sarai Hagar demütigen wollte, floh diese. Aber der Engel des Herrn bewegte sie zur Rückkehr, nachdem er Hagar verheißen hatte, daß sie ein Kind gebären werde, das sie Ismael nennen solle und das „ein wilder Mensch“ sein werde. Sie nannte den Ort, wo ihr dies widerfuhr: „Brunnen des Lebendigen, der mich sieht“. Hagar gebar dann ihren Sohn, den Abram Ismael nannte. 13 Jahre später, nach der Geburt Isaaks, nachdem Isaak beschnitten und dann entwöhnt (abgestillt) worden war, verlangte Sarah nunmehr von Abraham, daß er Hagar und seinen Sohn Ismael des Hauses verweise, damit Sarahs Sohn Isaak später nicht das Erbe mit Ismael teilen müsse. Abraham wollte dies zunächst nicht („Das Wort mißfiel Abraham sehr um seines Sohnes willen“). Er erhielt jedoch von Gott den Auftrag, das zu tun, was Sarah ihm gesagt hatte, d.h. er solle Sarah gehorchen, denn „nur nach Isaak soll dein Geschlecht benannt werden“. Abraham nahm, so hören wir, Brot und einen Schlauch mit Wasser und legte es Hagar auf ihre Schulter, dazu Ismael, und schickte sie fort. Hagar irrte mit dem Knaben in der Wüste umher, und nachdem ihr das Wasser ausgegangen war, warf sie den Knaben unter einen Strauch und setzte sich einen Bogenschuß weit entfernt, um nicht das Sterben ihres Sohnes mit ansehen zu müssen. Wir erfahren, daß Gott die Stimme des <?page no="197"?> Abrahams Infantizidversuch 189 Knaben erhörte und Hagar befahl, sie solle wieder zum Knaben zurückgehen und ihn an der Hand führen, damit Gott ihn zum großen Volk machen kann. Es heißt dann: „Gott tat ihr die Augen auf, daß sie einen Wasserbrunnen sah. Da ging sie hin und füllte den Schlauch mit Wasser und tränkte den Knaben.“ Des weiteren erfahren wir in Gen 12 und 20, daß Abraham zweimal seine Frau Sarah für seine Schwester ausgab. Er tat dies, um nicht umgebracht zu werden. In Gen 12,11 heißt es z.B.: „Und als er nahe an Ägypten war, sprach er zu Sarai, seiner Frau: Siehe, ich weiß, daß du ein schönes Weib bist, wenn dich nun die Ägypter sehen, so werden sie sagen: Das ist seine Frau und werden mich umbringen und dich leben lassen. So sage doch, du seiest meine Schwester, auf daß mir´s wohl gehe um deinetwillen und ich am Leben bleibe um deinetwillen“. In Gen 20,12 erfahren wir dann, daß Sarah Abrahams Halbschwester ist. Es heißt an dieser Stelle: „...Denn sie ist meines Vaters Tochter, aber nicht meiner Mutter Tochter, so ist sie meine Frau geworden“. Ich fasse zusammen: Abraham hat mit Wissen und auf Wunsch seiner Frau ein Verhältnis mit Hagar, da Sarah keine Kinder bekommen kann, und zeugt mit Hagar einen Sohn. Noch während der Phase der Schwangerschaft ist er bereit, diese Zeugung gleichsam rückgängig zu machen, indem er zuläßt, daß Sarah Hagar verstößt. Hagar kommt durch glückliche Umstände zurück, gebiert Abraham einen Sohn, den er dann, nach der Geburt Isaaks, wiederum verstößt, wobei dieses Mal er selbst derjenige ist, der gleichsam Hagar und Ismael dem Tode aussetzt (wir haben hier also den ersten Versuch eines „Gattenmordes“ und „Infantizids“ durch Abraham! ). Bereits bei dieser „Tat“ gehorcht er der Stimme des Herrn, obwohl ihm eigentlich dies nicht recht ist. Wiederholt sich nun Ähnliches mit Isaak? 3. Ein tiefenpsychologischer Deutungsversuch von Gen 22 auf der „Subjekt-Stufe“ Bereits in Gen 17,19 erfährt Abraham von Gott, daß Sarah ihm einen Sohn gebären werde, den er Isaak nennen solle, mit dem Gott seinen ewigen Bund aufrichten will. Abrahams Versuchung in Genesis 22 bedeutet, daß Abraham im Auftrag Gottes dessen Verheißung zunichte machen soll durch den Auftragsmord, was dann schließlich unterbunden wird; die Verheißung wird dann nochmals bestätigt. Die Protagonisten des Geschehens in der Geschichte Gen 22,1-19 sind Gott, Abraham, Isaak, zwei Knechte, ein Esel und ein Engel sowie ein Widder. Besonders interessant ist der zweite Vers, wenn es heißt: „Und er (Gott) sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde“. Heißt dies, daß Abraham an dieser Stelle erinnert wird, daß er noch einen anderen Sohn hat, Ismael, den er <?page no="198"?> Gunther Klosinski 190 aber verstieß? Oder heißt dies, daß er eben nur Isaak lieb hatte, nicht hingegen Ismael? Folgende Gegenstände erscheinen von besonderer Bedeutung: das Feuer und das Messer, das Abraham an sich nimmt, sowie das Holz, das er selbst gespalten hatte und dann nicht etwa dem Esel, sondern seinem Sohn aufbindet. (Kommt Isaak in die Position Jesu, der sein Kreuz nach Golgatha tragen muß? ) Wie läßt sich nun das Geschehen als innerseelisches Szenarium eines sehr menschlichen, um nicht zu sagen, universellen Konfliktes verstehen? Es geht um den Menschen Abraham, der mit seiner eigenen, destruktiven und mörderischen Seite, die in ihm auch west, konfrontiert wird, wobei ich als Kinder- und Jugendpsychiater davon ausgehe, daß jeder Mensch potentiell zum Mörder werden kann, daß mörderische Impulse in jedem von uns stecken. Hatte Abraham noch diese seine dunkle Seite verleugnen und auf Sarah projizieren können, als er ihr anheimstellte, mit der schwangeren Hagar so verfahren zu können, wie sie es wolle, so mußte er bei der zweiten Verstoßung selbst aktiv diese vornehmen, im Sinne einer „Aussetzung“, ohne jedoch hierdurch selbst der eigenen mörderischen Destruktion gewahr zu werden. Er wird nunmehr aber in einem „dritten Anlauf“ durch das Geschehen in Gen 22 gezwungen, selbst wahrzunehmen, daß er an seinem eigenen Sohn, d.h. „an sich selbst Hand anlegt“, daß er etwas, was ihm zugewachsen ist, vernichtet. Nicht wie bei Ismael ist es die andere, dunkle, verschlingende Mutter, die Ismael umbringt, sondern nunmehr ist er es selbst (sein aktivierter „negativer Mutterarchetypus“), er kann (sich selbst) nicht mehr ausweichen. Und in eben diesem Augenblick, wenn er sich selbst gewahr wird, welche mörderischen Impulse in ihm stecken, kann er gleichsam erlöst werden: Der Engel des Herrn gebietet ihm, einzuhalten, nachdem er Gott in dessen auch negativen, destruktiven Aspekten wahrgenommen hat: Gott und Abraham sind in diesem Sinne (auf der Subjekt-Stufe interpretiert) ein und dasselbe. Es ist somit die Bewußtwerdung, die die Wandlung bewirkt. Das Wissen um die Polarität von Gut und Böse, von Schöpferischem und Destruktivem im eigenen innerseelischen Raum gleicht einer Erleuchtung, einer Verheißung, die symbolisch belohnt wird durch den ewigen Bund: Der Mensch akzeptiert und versöhnt sich mit den beiden ihm innewohnenden Kräften: er akzeptiert, daß Leben und Sterben, Jugend und Alter, Lust und Schmerz zum Leben dazugehören. (Der Bund, den Jahwe mit Abraham schließt und besiegelt durch die Beschneidung, hat nicht nur den hygienischen Aspekt, sondern auch einen psychologischen: Schmerz und Lust gehören zusammen; mit der Zeugung, der Schöpfung eines neuen Wesens, ist gleichzeitig aber auch verbunden, daß dieses Neue wieder schmerzhaft verlorengehen kann durch Trennung, Verlust bzw. Tod. In der Beschneidung wird sehr realistisch auch auf diesen Aspekt hingewiesen.) Abraham sieht nun den mit seinen Hörnern in der Hecke hängenden Widder. Was bedeutet dies innerseelisch auf der Subjekt-Stufe? Könnte dies ein Symbol des Männlichen, Kämpferischen, aber auch ein Symbol der Zeu- <?page no="199"?> Abrahams Infantizidversuch 191 gungskraft sein, die nun nicht mehr ungestüm und wild ihr animalisches Wesen treibt, sondern in der Hecke gefangen ist, d.h. ein Stück weit gezähmt? Erkennt Abraham seine eigene „Widderhaftigkeit“, seine eigene Triebnatur, in die er sich „verheddert“ hatte, die er nun getrost opfern kann, die dadurch geopfert und erlöst wird, daß er sie als sein Eigen wahrnimmt? Hatte er nicht früher, als er Hagar Sarah überantwortete, diesen schöpferischen wilden, „eigentlich verbotenen“ Teil seines Selbst von sich abgespalten und der dunklen Seite in sich überantwortet (dem menschenfressenden Aspekt der verschlingenden großen Mutter im Sinne C. G. Jungs)? Abraham mußte die zwei Knechte und den Esel zurücklassen. Wer könnten, „innerseelisch gesprochen“ (psychodynamisch gedacht), die zwei Knechte und der Esel in seinem psychischen Haushalt sein? Sind es jene „Hilfs- Ichs“, die es ihm ermöglichen, in die Einsamkeit zu gelangen, die er erst nach drei Tagen erreicht, jene Versorgungsinstanzen der Persönlichkeit, die einen Rückzug in die Abgeschiedenheit möglich machen, in der es dann gelingt, Gott zu begegnen? Könnte dies bedeuten, dem eigenen transzendenten Wesenskern zu begegnen, dem überindividuellen Selbst im Sinne C. G. Jungs, oder, um es aus hinduistischer Sicht zu sehen: dem „Atman“, dem göttlichen Splitter in jedem Menschen, der ein Teil ist von „Brahma“, der „Weltenseele“? Seine eigenen destruktiven Anteile erkennend wird Abraham ein „Sehender“, was sich sehr schön in V.14 niederschlägt, wenn es heißt: „Und Abraham nannte die Stätte „Der Herr sieht“. Schließt sich hier auch ein Kreis, wenn Hagar jenen Ort, an dem sie als Verstoßene errettet wurde, den „Brunnen des Lebendigen, der mich sieht“ nennt? Muß Abraham im Vorfeld der Gewahrwerdung seiner eigenen destruktiven Impulse seine weibliche Seite in ihren zahlreichen Aspekten unterschiedlich wahrnehmen: Sarah, seine Frau, in die sich jeder Herrscher verliebt bzw. verlieben könnte, verleugnet er. Sie wird zur Schwester oder Halbschwester und gleichzeitig auch zur Magd abgewertet. Dabei sind es die triebhaften Aspekte seiner eigenen Sexualität, die er auf Hagar projiziert hatte, als Ausdruck seiner aktivierten, aber noch nicht integrierten „Anima“ (seine eigene weibliche Seite), die offenbar von Abraham geleugnet wird, da er bislang mit Sarah ja keine schöpferisch zeugende Verbindung eingehen konnte. Will uns Gen 22 u.a. auch folgende Botschaften mitteilen: Es ist das Schwerste für jeden Menschen, seinen Schatten, seine negativen destruktiven Anteile zu erkennen, die mörderische bzw. selbstmörderische Impulse beinhalten. Derjenige aber, der sich ihnen stellt, der sie erkennt und „in sein Menschsein“ integriert, wird zum reifen Menschen, und ihm wird eine große Verheißung zuteil. <?page no="200"?> Gunther Klosinski 192 4. Gedanken zur Täter-Opfer-Beziehung bei Abraham, Isaak und Jahwe sowie skizzenhafter analoger Exkurs zur besonderen Täter-Opfer-Beziehung in Familiendramen des kinder- und jugendpsychiatrischen Alltags Wer ist Täter und wer ist Opfer in der Geschichte von Gen 22? Daß Isaak das Opfer ist, steht außer Frage. Ist Abraham aber lediglich der Täter oder ebenfalls Opfer, indem er dazu angehalten ist, auf Geheiß Gottes die Tat auszuführen? Abraham könnte für sich in Anspruch nehmen, daß er, sich der höheren Macht Gottes unterwerfend, sowohl dessen Opfer ist, als auch damit zum Täter wird. In Psychotherapien mit Gewalttätern ist es aber genau dieser Punkt, der aus dem Teufelskreis und der Spirale der Gewalt herausführt: Es geht um die Erkenntnis, daß sich der Täter, der früher eine Opfererfahrung durchlitten hatte, (identifikatorisch) mit dem früheren Täter gleichsam identifizierte und nunmehr in die Rolle dieses Täters schlüpfte und damit vom Opfer zum Täter wurde. Wenn dem betreffenden Täter (in der Psychotherapie) bewußt wird und er auch wahrnehmen kann, welche innerseelischen Kräfte ihn bewegen/ bewegten und führen/ führten (verführen), kann es einen Ausweg geben, nicht immer wieder Destruktives ausleben zu müssen wie in einem Wiederholungszwang. Wir können folgende Sichtweise einnehmen: Abraham, der eine Verheißung Gottes erfuhr (aus ihm und aus seinem Geschlecht wird das Volk Gottes hervorgehen), der von narzißtischen Größenphantasien visionär umgeben war, die ihn geleitet hatten, muß auch ein Stück weit Abschied von seinen Größenideen nehmen: er muß erfahren, daß er selbst vielleicht gar nicht so grandios ist, daß alles nichtig sein könnte, alles eine Illusion. Indem er dabei ist, Isaak zu töten, ist er auch bereit zu akzeptieren, daß Gott seine Verheißung wieder zurücknehmen kann. Unter tiefenpsychologischen Aspekten bedeutet dies, wenn Vorstellungen der Einzigartigkeit, der Grandiosität und narzißtischer Überhöhung aufgegeben werden, wird der Mensch menschlicher, seine eigene Hybris erkennend, und er wird auch wieder demütig, akzeptiert, daß er alles wieder hergeben muß, was er gewonnen hatte, und was ihm in Aussicht gestellt wurde. Abraham separiert sich von seiner Umwelt, zieht sich zurück und, dies ist ein anderer Aspekt, ist „drauf und dran, sich selbst, d.h. seine eigene Lebendigkeit und Jugendhaftigkeit, symbolisiert im Bild des Sohnes“ zu zerstören. Kommt es in Familien zu Trennungen oder Scheidungen - ich begebe mich wieder auf die Objekt-Stufe unserer Alltagswelt -, dann stürzt für viele Menschen eine Welt zusammen: Das gegenseitige Versprechen, bis in den Tod beieinander zu bleiben, gilt offenbar nicht mehr, alles ist in Frage gestellt und sinnlos geworden: Im wahrsten Sinne des Wortes besteht die Gefahr, daß die gegenseitige Verheißung, ein Leben gemeinsam zu führen und über die Kinder weiterzugeben, nunmehr in einem zerstörerischen Akt ausgelöscht werden könnte: Das Gemeinsame (das Kind) wird vom anderen ferngehalten, die psychologische Nabelschnur wird gleichsam unterbrochen und das Bild <?page no="201"?> Abrahams Infantizidversuch 193 des Vaters oder der Mutter ausgelöscht, ein Umgang mit dem anderen wird dem Kind oft verwehrt. Dies kann aber auch dazu führen, daß der nicht-sorgeberechtigte Elternteil ein Kind entführt und aus Rache und Verzweiflung das Kind umbringt, meist dann sich selbst auch im Sinne eines erweiterten Suizids. Der Täter, der den Suizid oder den erweiterten Suizid vornimmt, fühlt sich als Opfer, und in der Tat des Suizids oder erweiterten Suizids wird er zum Täter, d.h. es ist der Versuch, aus einer Ohnmachtssituation eine Allmachtssituation herzustellen und über den Tod dem ehemals geliebten und nunmehr verhaßten Partner ganz fern und doch ganz nahe zu sein. Der reale Infantizid, der nicht selten mit einem kurz vorher versuchten Suizid des Täters einhergeht (der manchmal auch erfolgreich ist), ist meist Ausdruck einer tiefen narzißtischen Verletztheit: eine enge Verbindung, ein Versprechen, wenn wir so wollen „auch eine Verheißung“, gilt nicht mehr, fällt in sich zusammen, wird aufgekündigt. Genau diese Situation kann man unter psychologischen Gesichtspunkten aber auch bei Abraham ableiten, dem Gott auferlegt, die eigene (Gott gewollte) Verheißung wieder rückgängig zu machen. Insofern wäre das Geschehen von Gen 22 eine in Bilder und Symbole gekleidete dramatische Geschichte eines sich zurückziehenden, die eigene Zukunftsvision und Verheißung zunichtemachen wollenden, hochsuizidalen Menschen, der seine eigene fremd- und autodestruktive Seite jedoch als zu sich gehörend wahrnimmt, sich mit ihr versöhnt und dadurch überlebt. Er kann seinen Frieden finden, kann sozusagen „erlöst werden“ und findet wieder Anschluß an das Überpersönliche-Transzendente. 5. Zusammenfassung und Schlußfolgerung Es war nicht meine Absicht, die zentrale theologische Stelle von Gen 22 durch einen psychologischen Interpretationsversuch zu „entschleiern“ oder zu „entmystifizieren“. Jeder gute, behutsame Psychotherapeut, der Träume mit Patienten bespricht, weiß, daß Bilder nicht ausdeutbar sind, daß es stets viele Facetten zu ein und derselben Sache gibt, und daß gerade bei der Traumdeutung der Patient selbst entscheiden muß, inwieweit ihm eine Interpretation auf der Subjekt- oder Objekt-Stufe „einleuchtet“, d.h. im wahrsten Sinne des Wortes, „Sinn macht“. Mein Beitrag sollte einen möglichen Sinn-Zusammenhang aufleuchten lassen, wobei die Annäherung sich auf zwei Grundpfeiler stützt: es ist die Annahme, daß in den Geschichten und Erzählungen der Genesis fundamentale, entscheidende Situationen des Menschseins und menschlicher Beziehungen in Bildern dargestellt werden. Die zweite Annahme geht davon aus, daß Innenwelt und Außenwelt sich gegenseitig beeinflussen und bedingen: daß gelebte Beziehungen insbesondere in der frühen Kindheit zu entsprechenden „Beziehungs-Arbeitsmodellen“ von geliebten oder weniger geliebten inneren Vater- und Mutterbildern bzw. Bildern von wichtigen Bezugspersonen führen, die dann wieder das weitere Beziehungsverhalten entscheidend mitfor- <?page no="202"?> Gunther Klosinski 194 men. Unter diesen Prämissen, so denke ich, ist es legitim, die Geschichte von dem „Beinahe-Infantizid“ Abrahams auch als eine zentrale, allgemein menschliche Metapher anzusehen, als ein Bild eines sich zurückziehenden Menschen, der eine große Verheißung, die ihm zuteil wurde, die er in sich trägt, wieder aufgeben muß bzw. selbst zerstören will oder muß. Das beabsichtigte „Abschlachten des eigenen geliebten Kindes“ könnte ein Symbol sein für eine maximal hohe Auto- und Fremdaggressivität. Das Besondere an der Geschichte ist, daß sich der Mensch (Abraham) dessen aber im letzten Augenblick gewahr wird, er seine eigene animalische Natur im Bild des Widders, der sich in der Hecke verheddert hat, erkennt und dadurch geläutert, gerettet und gereift ist. Jeder Mensch, der allzu sehr in Größenphantasien und Allmachtsphantasien schwelgt, wird scheitern: er muß selbst Hand anlegen an diese Allmachtsphantasien, muß neben seiner Großartigkeit und Einmaligkeit auch seine Winzigkeit und Unbedeutendheit erleben, um dann ein „humaner, um nicht zu sagen, ‚wahrer Mensch’“ zu werden im Sinne einer gelungenen Individuation C. G. Jungs. Ich bin mir bewußt, daß meine hier vorgestellten Annäherungen an eine tiefenpsychologische Interpretation von Gen 22 rudimentär sind. So bin ich nicht eingegangen auf die Frage, daß zwischen der Verheißung Isaaks (Gen 17 und Gen 22) der Untergang von Sodom und Gomorrha und Lots Rettung (Gen 19) liegt. Aus Gen 11 geht hervor, daß Lot der Neffe von Abraham ist. Wir wissen, daß nach dem Untergang von Sodom und Gomorrha Lot einen Inzest mit seinen beiden Töchtern vollzogen hat bzw. diese mit ihm. Es wäre also verlockend, analog zu obiger Darstellung der verschiedenen Facetten der weiblichen Seiten Abrahams (Sarah als seine Frau, Schwester, Halbschwester und Hagar) nunmehr auch die Facetten der männlichen Aspekte (Abraham, Ismael, Isaak, Lot) tiefenpsychologisch auf einer Subjekt-Stufen- Deutungs-Ebene „anzudenken“. Ausgespart habe ich die Frage, was in Gen 22 Jahwe und der Engel in einer Subjekt-Stufen-Deutung bedeuten könnte: Jahwe als göttliche Instanz könnte als „Ideal-Über-Ich“ im Sinne Freuds oder aber als „Ideal-Selbst“ oder auch als ein Archetypus des Numinosen und des „Faszinosum“ gewertet werden. Das gleiche gilt für den Engel als Bote und Vermittler zur transzendenten, überpersönlichen Welt. Gen 22 - eine symbolträchtige Erzählung einer gelungenen Menschwerdung durch die Erfahrung und Integration eigener, bislang abgespaltener destruktiver (auto- und fremdaggressiver) Selbstanteile? <?page no="203"?> Abrahams Infantizidversuch 195 Literatur Dieckmann, H., Gelebte Märchen, Hildesheim 1978 Drewermann, E. / Neuhaus, I., Das Mädchen ohne Hände, Olten 1985 von Franz, M.-L., Erlösungsmotive im Märchen, München 1986 Hark, H., Der Gevatter Tod - Ein Pate fürs Leben, Zürich 1986 Hensel, S., Art. Menschenopfer, in: Chr. Auffarth / J. Bernhard / H. Mohr (Hg.), Metzler-Lexikon Religion: Gegenwart - Alltag - Medien, Bd. 2, Stuttgart / Weimar 1999, 427-429 Jellouschek, H., Der Froschkönig: Ich liebe Dich, weil ich Dich brauche, Zürich 1985 Kast, V., Mann und Frau im Märchen. Eine psychologische Deutung, Olten 1983 Mertens, W., Träume und Traumdeutung, München 1999 Rasche, J., Prometheus - Der Kampf zwischen Sohn und Vater, Zürich 1988 Riedel, I., Hans mein Igel - Wie ein abgelehntes Kind sein Glück findet, Zürich 1984 <?page no="204"?> Gunther Klosinski 196 Gunther Klosinski 196 <?page no="205"?> John Lowden The Sacrifice of Isaac in the Bibles Moralisées 1. Introduction 1 The Sacrifice of Isaac is one of the most widespread themes in Christian iconography, from the earliest (that is the pre-Constantinian) period, right through the Middle Ages and beyond. The combination of a vivid narrative, strong emotions, suspense, and an optimistic ending, not only satisfies what might be termed basic human needs, but, and this is vital for the art history of the account, provides elements that can be readily conveyed pictorially. The mountain, Isaac carrying the wood for the sacrifice, Abraham with the raised sword, Isaac prepared for sacrifice, the angelic intervention, the ram caught in the thicket: all these elements of the biblical narrative easily lend themselves to translation into the “language of images”. What is more, the typological interpretation of the Sacrifice, according to which either Abraham’s son Isaac, or the ram/ lamb, or indeed both of them, were seen to prefigure God’s son Jesus’ sacrifice on the cross (Heb 11: 17 [see also Jn 19: 17]), ensured a special interest in and significance for images of the Sacrifice of Isaac, often in direct association with that quintessential medieval Christian image, the Crucifixion. A full study of the Sacrifice of Isaac in the Bibles moralisées would thus require a context encompassing a truly vast enquiry into the medieval thoughtworld, including not only a full corpus of images, but also a survey of all those writings on the topic that have survived, not just biblical paraphrases and vernacular versions, but exegesis and homiletic, liturgy and drama, and so forth. Fortunately, the chapter “Abrahams Opfer” in H. M. von Erffa’s Ikonologie der Genesis provides an indispensable starting point for such a study (the early Bibles moralisées are mentioned there briefly). 2 This paper is necessarily much less ambitious than von Erffa’s survey in its scope. It looks in detail only at the Bibles moralisées themselves. It leaves some questions open. And it provides some working hypotheses for further enquiries. De- 1 I am grateful to Prof. Dr. Bernhard Greiner and Prof. Dr. Bernd Janowski for the invitation to speak at the Tübingen Symposion. In preparing the paper I benefitted in particular from the resources of the Warburg Institute Library. 2 H. M. von Erffa, Ikonologie der Genesis, 2 Vols., Munich 1995, Vol. II, sect. 2.1.8., ”Abrahams Opfer”, 145-191; 168, 173, 183 on the Bibles moralisées. See also the general survey in E. Lucchesi Palli, ”Abraham”, in E. Kirschbaum (ed.), Lexikon der christlichen Ikonographie, 8 Vols., Freiburg 1968, Vol. I, cols. 20-35, esp. 23-30. <?page no="206"?> John Lowden 198 spite its limitations, however, or even perhaps because of them, the present enquiry casts a strong light on one very unusual way of visualising and thinking about the significance of the Sacrifice of Isaac in the medieval world. 2. The Bibles moralisées The Bibles moralisées are vast picture books of the Bible, made for the queens and kings of France and their closest relatives between the thirteenth and fifteenth centuries. There are seven such books surviving, but they are now divided into thirteen volumes scattered in six libraries. 3 The layout of the manuscripts is characteristic: each page of a Bible moralisée has eight quite small images, and each image is accompanied by a usually quite short text (a 3 I base much of the general analysis in this paper on the findings of J. Lowden, The Making of the Bibles moralisées, 2 Vols., University Park 2000. Subsequent studies include M. Bucher / A. Héritier, Isaïe dans les Bibles moralisées et les vitraux de la Sainte-Chapelle, in: Cahiers archéologiques 48 (2000), 89-103; Y. Christe, Le Livre d’Esther dans les Bibles moralisées et les vitraux de la Sainte-Chapelle, I, in: Arte cristiana 88 (2000), 411-428; F. Bœspflug / Y. Zaluska, La part de l’artiste dans la conception iconographique de la Bible moralisée. Quelques notations à partir du cycle des Évangiles des exemplaires de Tolède et d’Oxford-Paris-Londres, in: W. Bulsza (ed.), Ars graeca - ars latina. Studia dedykowane Profesor Annie Ró yckiej Bryzek, Cracow 2001, 287-308; Y. Christe, Le Livre d’Esther dans les Bibles moralisées et les vitraux de la Sainte-Chapelle, II, in: Arte cristiana 89 (2001), 19- 22; Y. Christe / L. Brugger, La Bible du roi: Jérémie dans la Bible moralisée de Tolède et les vitraux de la Sainte Chapelle, in: Cahiers archéologiques 49 (2001), 101-116; C. Hediger, Le vitrail des Juges de la Sainte-Chapelle de Paris, in: Cahiers archéologiques 49 (2001), 85- 100; C. F. Waugh, Style-Consciousness in Fourteenth-Century Society and Visual Communication in the Moralized Bible of John the Good, unpublished PhD thesis, University of Michigan (2001); P. Büttner, Bilder zum Betreten der Zeit: Bible Moralisée und Kapetingisches Königtum, Allschwil 2002; G. B. Guest, Picturing Women in the First Bible moralisée, in: C. Hourihane (ed.), Insights and Interpretations: Studies in Celebration of the Eighty-Fifth Anniversary of the Index of Christian Art, Princeton 2002, 106-130; S. Tammen, Schluß und Genese eines Buches im Zeichen der Apokalypse: Medien der Offenbarung und Lehre auf dem letzten Blatt der Bible moralisée (Codex 1179 der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien), in: J. A. Aertsen / M. Pickavé (ed.), Ende und Vollendung. Eschatologische Perspektiven im Mittelalter, Berlin 2002, 321-347; Y. Christe / L. Brugger, Une Bible moralisée méconnue: la Bible napolitaine de Paris (BnF, ms fr. 9561, fol 1r-112v), in: Arte cristiana 91 (2003), 237-251. Note also the following studies by the present author: J. Lowden, 'Reading' Images and Texts in the Bibles moralisées: Images as Exegesis and the Exegesis of Images, in: M. Hageman / M. Mostert (ed.), Reading Images and Texts: Medieval Images and Texts as Forms of Communication (Utrecht Studies in Medieval Literacy 8) (in press); J. Lowden, Beauty or Truth? Making a Bible moralisée in Paris around 1400, in: P. Ainsworth / G. Croenen, Patrons, Authors and Workshops: Books and Book Production in Paris circa 1400 (in press); J. Lowden, The Apocalypse in the earlythirteenth-century Bibles moralisées: a re-assessment, in: N. Morgan (ed.), The Millenium, Social Disorder and the Day of Doom (Harlaxton Medieval Studies 12), Donington 2004, 195-219; J. Lowden, The Bible of Saint Louis as a Bible moralisée, in: R. Gonzálvez Ruiz (ed.), The Bible of Saint Louis, Vol. 5 (Commentary Vol. 2), Barcelona 2004, 119-155; J. Lowden, The Artists of the Bible of Saint Louis, in: R. Gonzálvez Ruiz (ed.), The Bible of Saint Louis, Vol. 5 (Commentary Vol. 2), Barcelona 2004, 323-346. <?page no="207"?> The Sacrifice of Isaac in the Bibles Moralisées 199 related manuscript with a completely different layout is considered in Appendix 1). The images and texts work in pairs: first a biblical image and a text which may be a direct biblical quotation or more typically a quite loose paraphrase, then a commentary on that image and text in the form of another image and text (generically termed by modern scholarship the “moralisation”). Unusually, but characteristically, in the first four Bibles moralisées, the texts were supplied after the images and the complex gilded framing of every page had been executed. Although only one of the seven Bibles moralisées survives complete, between them they still preserve a truly overwhelming body of material: more than 24,000 images and their accompanying texts. They are without question the most ambitious and complex attempt ever undertaken to illustrate the Bible and at the same time to provide an illustrated commentary. As a result of their scale, and a lack of reproduction of most of the pages of four of the seven examples, they are still relatively little known today. To understand both how a Bible moralisée works, and how, individually and as a group, they tackle the Sacrifice of Isaac, I am going to take the somewhat unusual approach of working backwards chronologically, starting with the most recent Bible moralisée. My reasons for this procedure are as follows: first, the makers of these books also looked backwards, at precedents, as they considered how to fill the blank sheets of parchment that lay before them; and second, the situation becomes considerably more complex the further back we work. It will be helpful to move, as Richard of St.-Victor proposed in his Apocalypse commentary, from the known to the unknown, 4 or at least from the better known to the less well known. Because my method is also in good part comparative I have set out transcriptions of all the relevant texts in parallel columns in Appendix 2, and reproduced the images in question in the accompanying plates. 3. Paris, Bibliothèque nationale de France, MS fr. 166 The last surviving Bible moralisée was made for Philippe le Hardi, duke of Burgundy, brother of King Charles V of France, at the very beginning of the fifteenth century, but it was left unfinished on Philippe’s death in 1404. 5 The artists of its first quires, including the Sacrifice of Isaac, were, by general agreement, Paul and Jean Malouel (de Limbourg), two of the brothers now best known for their work on the Très Riches Heures (at Chantilly) of Philippe’s younger brother, Jean duc de Berry. The Sacrifice of Isaac in the Bibliothèque nationale de France (BnF) MS fr. 166 comprises four images, that is to 4 “Non ignota per ignoriora, sed ignota per cognita noscere”: PL 196, col. 687. Cited by B. Nolan, The Gothic Visionary Perspective, Princeton 1977, 23. 5 See in general Lowden, Making of the Bibles moralisées, Vol. I, 251-284; Lowden, Beauty or Truth? (n. 3). <?page no="208"?> John Lowden 200 say, two pairs of biblical and moralisation images, across an opening on folios 7v-8r. Each is accompanied by texts in both Latin and French. In the first image (Fig. 1) we see God as Christ, at the right, gesturing to the right at a tall mountain. Christ looks down towards the youthful Isaac who carries the firewood for the sacrifice over his shoulder. Behind him stands Abraham, also carrying some wood over his shoulder (note that he is not carrying the biblical knife or fire [Gen 22: 6]). The text alongside is excerpted from Genesis 22: 1-2 and 6 (for the Latin texts in fr. 166 compare also Appendix 2, column 5). Verbatim citation of the Vulgate is indicated below by underlining (breaks in the underlining indicate breaks in the continuity of the citation). Temptauit Deus Abraham et dixit ad eum, Tolle filium tuum quem diligis Ysaac et offer eum michi in holocaustum super unum montium quem monstrauero tibi. Tulitque ligna holocausti et imposuit sup(er) Ysaac filium suum. [Cf. Gen 22: 1-2, 6] (God tempted Abraham and said to him, “Take your son Isaac whom you love and offer him to me as a burnt offering on one of the mountains which I will show you.” And he took the wood of the burnt offering and placed [it] on Isaac his son.) The accompanying French text is a close translation of the Latin (for the French texts in fr. 166 compare also Appendix 2, column 6). Diex essaia Abraham et li dist Pren ton filz Ysaac que tu aimes et le me offre en sacrefice sus une montaigne que ie te monstreray, et lors prist Abraham du bois pour faire du feu du sacrefice et le bailla a Ysaac son filz a porter. 6 (God tempted Abraham and said to him, “Take your son Isaac whom you love and offer him to me as a sacrifice on a mountain that I will show you,” and then Abraham took some wood to make the sacrificial fire and gave it to Isaac his son to carry.) We can note, for later comparative purposes, that the narrative starts with the temptation, and that in the image God emphatically shows Abraham the mountain. In the moralisation image below we see Christ carrying the cross. At the left are the turreted walls and gate of Jerusalem, with the grieving Virgin. As he carries the Cross with the same gesture as Isaac carries the wood in the scene above, Christ turns to gaze at his mother. (There also seems to be a strong visual parallel between the gazes of Christ [below] and God [above].) In front of Christ are a crowd of soldiers, brandishing weapons as they head up the hill to Calvary. Alongside, the Latin text is much longer than the French, because the Latin begins by repeating and/ or summarising part of the biblical text, before turning to an explanation of its signification (this is the standard schema for a moralisation text in these manuscripts). 6 “Bailla” from “bailler”, cf. latin “bajulare”, literally “to carry on the back”: see “bailler I”, in: A. J. Greimas / T. M. Keane, Dictionnaire du moyen français: la Renaissance, Paris 1992, 53; also “baillier I”, in: A. J. Greimas, Dictionnaire de l’ancien français: le Moyen Âge, Paris 1979 / 1994, 55. <?page no="209"?> The Sacrifice of Isaac in the Bibles Moralisées 201 Deus qui precepit Abrahe quod fac(er)et sacrificium de filio suo Ysaac qui portauit ligna ad sacrificium suum faciendum significat Ih(esu)m Chr(istu)m qui portauit suam crucem ad semetipsum crucifigendum. (God who instructed Abraham that he should make a sacrifice of his son Isaac who carried the wood to supply his sacrifice signifies Jesus Christ who carried his cross for his own crucifying.) In the French text, however, we are given the signification alone: Ceci segnefie Ih(es)ucrist qui porta sa propre crois ou il fu crucefie. (This signifies Jesus Christ who carried his own cross on which he was crucified.) The interpretation of Isaac’s carrying the wood as a type of Christ’s carrying the cross was a commonplace, which originated with the earliest Christian writers. Augustine, for example, put the matter succinctly: “Isaac sibi ligna portabat; Christus crucem propriam baiulabat” (Isaac carried the wood himself; Christ carried his own cross). 7 On the facing page, folio 8r, we see Abraham raising his curved sword above his head as he holds the hair of Isaac, who sits in a prayerful attitude, head bowed, on top of the wood on a large altar of boldly architectonic form (Fig. 2). He is bound at the ankles and wrists. Above, a flying angel grasps Abraham’s sword, and in the left foreground we see the ram (but note that it is neither caught in or tied to the thorn bush, in contrast to Gen 22: 13). The adjacent text is again constructed from a series of more or less verbatim passages excerpted from Genesis 22: 9-13. Cumque ligasset Ysaac filium suum Abraham posuit eum sup(er) strue(m) lignorum et arripiens extendit gladiu(m) ut imolaret filium suum. Et ait ang(e)l(u)s, N(on) extendas manu(m) tua(m) sup(er) puer(um). Et leuauit Abraham oculos et uidit ariete(m) que(m) assumens filium obtulit holocaustu(m) pro filio. [Cf. Gen 22: 9-13]. (And when he had bound Isaac his son Abraham placed him on the pile of wood and taking hold extended [his] sword to sacrifice his son. And the angel said, “Do not stretch your hand over the boy.” And Abraham raised [his] eyes and saw a ram taking which [adds “filium” in error] he offered [it as] a burnt offering in place of [his] son.) Again the French is close to the Latin: Et quant Abraham ot lie so(n) filz il le mist sous la fouee et prist i. glaiue pour le sacrefier et lors langre li dist Ne fai mal a ton enfant, et ado(n)c regarda Abraham .i. mouton deles .i. buisson et le sacrefia en lieu de so(n) filz. (And when Abraham had bound his son he placed him on the bundle of wood and took a sword to sacrifice him and then the angel said to him, “Do not harm your child,” and then Abraham saw a sheep by a bush and he sacrificed it in place of his son.) 7 Augustine, Sermo 19, CCL 41, 253,64; cit. von Erffa (n. 2), Vol. II, 151. <?page no="210"?> John Lowden 202 Note how the sheep is described as merely “by” a bush, as the image shows, not caught in it by the horns, as the Vulgate states (“inter uepres herentem cornibus”, Gen 22: 13). Below we see the Crucifixion. Christ is flanked by ornately costumed Jews and we see the incidents with the lance and sponge, and the nailing of his feet to the cross. We can note that whereas in the previous pair of images (Fig. 1) Isaac’s manner of carrying the wood paralleled visually Christ’s carrying of the cross, there is no strong visual parallel here between the image of the Sacrifice (above) and the Crucifixion (below). In general, the artists of the Bibles moralisées tried to make visual parallels, much as the moralisation texts parallel verbally the biblical passages, so this omission is notable. It implies that the artists were in this case treating the images as individual exercises in beauty and craftsmanship, not as visually meaningful pairs. The adjacent Latin moralisation pivots, as usual, around the verb “significat”: Ang(e)l(u)s qui dixit Abrahe accipe agnum qui est inter spinas significat patrem de celis qui dixit Ch(ristu)s qui accipitur est uerus agnus q(ui) est inter spinas huius mundi et de ip(s)o fiet oblatio pro peccatis. (The angel who said “Abraham take the lamb which is [caught] in the thorns” signifies the Heavenly Father who said “Christ who is taken is the true lamb, who is [caught] in the thorns of this world, and of him shall be made an offering for sins.”) It is notable that the crucial link between the moralisation and the Vulgate, that is to say the phrase “inter spinas”, which enables the play on the parallel between the thorns of the bush and the thorns of this world, is not in fact included in the biblical excerpt above. This appears to be a notable defect in the text. Although the parallel between the sacrifice of the lamb/ ram, and that of Christ the lamb, was a commonplace, 8 the specific interpretation of the thorns as “the thorns of this world” is unusual, even if we find elsewhere the thorns linked to the crown of thorns and to the crowd of sinners. 9 The French text, which, as with the previous example, does not begin (like the latin) by reiterating part of the biblical excerpt, goes on to make a different point. Ceci segnefie le filz de Dieu selonc la diuinite ne fu mie occis ne sacrefie, mais Ih(es)u qui est le urai aigniau fu sacrefie pour nouz selonc lumanite qui estoit es espines es tribulations de cest monde. (This signifies that the Son of God according to his divine nature was neither killed nor sacrificed, but Jesus who is the true lamb was sacrificed for us according to his human nature which was [caught] in the spines and tribulations of this world.) 8 From Melito of Sardis onward: von Erffa (n. 2) Vol. II, 182-183. 9 E.g. Maximus of Turin: von Erffa (n. 2), Vol. II, 183. <?page no="211"?> The Sacrifice of Isaac in the Bibles Moralisées 203 The point about the spines of this world is similar to that in the latin text, and both, it should be noted, by omission of an equivalent to the Vulgate “herentem” seem to require the addition of an equivalent word to make sense (i.e. “caught”). But, more striking is the contrast made in the French moralisation between Christ’s divine and human natures, which is not even hinted at in the Latin. Origen is the eventual source of the idea, 10 then taken up by Augustine and others, but how it found its way into the Bibles moralisées is a topic requiring further research. We shall return to the point briefly in discussion of fr. 167 below. With the exception of the observation about Christ’s two natures, we can sum up the approach of fr. 166 to the Sacrifice of Isaac as straightforward and relatively unambitious in exegetical terms. As for the images, they are, it is true, elegant and superbly executed, but generic parallels for them could be found in many medieval contexts. In chronological terms this is the end of the Bible moralisée story, but in terms of our analysis it is only the start. 4. Paris, Bibliothèque nationale de France, MS fr. 167 In order to make the Bible moralisée that is now fr. 166, the scribes and artists working for Philippe le Hardi took as their model a Bible moralisée made for Philippe’s father, King Jean II le Bon, around 1350, now also in the Bibliothèque nationale de France, MS fr. 167. 11 The scribes of fr. 166 carefully copied all the texts of fr. 167, as well as its layout, so that not only the wording but also the location of the Sacrifice of Isaac scenes in both manuscripts is identical, i.e. across the opening of folios 7v-8r. The images, however, are not the same as those in fr. 166, nor was the production process similar. Fr. 167 was the work of fifteen hands, according to F. Avril’s analysis, and whereas the last images on folio 7v were the work of Artist C, the facing page, folio 8r, was the work of artist B. 12 In the first image (Fig. 3) we see God, now at the left, and Abraham, now at the centre, with the mountain again at the right. But here there is no Isaac at all. This image, therefore, must be understood as linked only to the opening words of the adjacent passage (“Temptauit Deus Abraham et dixit ad eum”), not to its continuation, in which we have the description of Isaac’s carrying the wood for the sacrifice (“Tulitque ligna holocausti et imposuit sup(er) Ysaac filium suum”) (The full texts of fr. 167 are not repeated here; 10 Origen, In Genesim Homilia VIII, PG 12, 203-210, cit. von Erffa (n. 2), Vol. II, 150. Cf. Remigius of Auxerre, Commentarium in Gen., cap. XXII, “Quod autem aries immolatus est Isaac autem evasit, significat quia per humanitatem pati potuit, per divinitatem vero impassibilis mansit. Nam duae sunt in Christo substantiae vel naturae.” (PL 131, 96C.) 11 Lowden, Making of the Bibles moralisées (n. 3), Vol. I, 221-250; Waugh (n. 3). 12 F. Avril, Un chef-d’œuvre de l’enluminure sous le règne de Jean le Bon: la Bible Moralisée manuscrit français 167 de la Bibliothèque nationale, in: Monuments et Mémoires 58 (1972), 91-125, esp. 100, 124. <?page no="212"?> John Lowden 204 the reader can refer either to the transcription and translation of fr. 166 above, or to Appendix 2, columns 5-6). It thus appears that the identical text in fr. 166 and fr. 167 has been treated selectively, but in different ways, by the two artists. As a result of omitting Isaac in the biblical image in fr. 167, however, there is now no meaningful link to the moralisation image below in that manuscript (Fig. 3), in which Christ again carries his cross (but there is no Isaac carrying his wood). When we look up and down at the images, we see that God in the scene above is closely paralleled here by an angel who indicates and appears to follow Christ below (he is not followed by the Virgin). It is as if there were a visual suggestion that God’s tempting of and command to Abraham were a parallel to an angel’s tempting of and command to Christ, but this seems a bizarre notion. 13 In addition, the cross is preceded here not by a group of soldiers, but by a single figure in a stylised Jewish cap. He appears to help Christ to carry the cross, and hence must be Simon of Cyrene (Mt 27: 32, Mk 15: 21, Lk 23: 26). A further puzzle here, therefore, is what the angel and Simon of Cyrene have to do with the adjacent moralisation passage (or the Gospel accounts). The French text (“This signifies Jesus Christ who carried his own [my emphasis] cross on which he was crucified”) would seem to make Simon of Cyrene as carrier of Christ’s cross especially inappropriate in the image. And the Latin text makes exactly the same emphatic point (“portauit suam crucem ad semetipsum crucifigendum”). In both these images, therefore, the artist of fr. 166 appears, with the benefit of hindsight, to have “corrected” what must have seemed puzzling and inappropriate details in his model, fr. 167 (namely the omission of Isaac in the first image, and the presence of an angel and Simon of Cyrene with Christ in the second). These were details which Artist C of fr. 167 either excluded (Isaac) or included (angel, Simon of Cyrene) for reasons that must remain for the present mysterious. Artist C’s actions appear here to have no internal logic. The second pair of images in fr. 167, by Artist B, are less puzzling (Fig. 4). The Sacrifice is very much like that in fr. 166, although we might note that the ram in fr. 167 is in front of Abraham, not behind him, as the Vulgate states (“post tergum” [Gen 22: 13]); but it is still not caught in or tied to the bush. In the Crucifixion image below we see an additional figure at the right nailing Christ’s left hand to the cross, but otherwise the image is quite similar to fr. 166. The one exception is that the Jew at the far left is faintly haloed: another seemingly inexplicable detail to which we shall return below. In general we can say that Artist B’s work in fr. 167 causes fewer problems of comprehension than Artist C’s, at least so far as concerns the two scenes of the Sacrifice of Isaac. 13 Von Erffa (n. 2), Vol. II, 168, suggests that (in the related composition in Bodley 270b [see below]) the angel is instructing Simon of Cyrene to carry Christ’s cross. <?page no="213"?> The Sacrifice of Isaac in the Bibles Moralisées 205 Finally, since the texts in fr. 167 and fr. 166 are the same, the contrast in the French moralisation between Christ’s divine and human natures, considered above, can now be seen to be an interpretation introduced into the Bibles moralisées around 1350, not around 1400. It is in a context in Paris c. 1350, therefore, that its origin should be sought. 5. London, British Library, MS Add. 18719 In order to make fr. 167, the scribes and artists working for King Jean le Bon took as their model another surviving manuscript, now BL add. 18719, a book made probably in London around 1280, possibly as a workshop model to permit the production of further Bibles moralisées. 14 Add. 18719 is closely based on an earlier Bible moralisée, the so-called Oxford-Paris-London manuscript, to which we shall turn shortly. The makers of Add. 18719 transcribed all the latin biblical and moralisation texts from their model (i.e. the texts in Appendix 2 column 5), and these texts were copied in turn in fr. 167 (and then in fr. 166). All the french texts, however, were newly composed for fr. 167 (i.e. Appendix 2, column 6). When it came to the images, the makers of Add. 18719 also copied these from Oxford-Paris-London, but in the form of more or less hasty sketches. The Sacrifice of Isaac images in Add. 18719 are all on folio 8r (Figs. 5-6), and are the work of that manuscript’s Artist A. 15 Their evidence can be summed up briefly. They are very similar to their source (Oxford-Paris- London), but less close in minor details to the version that was made from them (i.e. fr. 167). The one crucial difference from fr. 167 is in the first image, in which Add. 18719 includes the figure of Isaac ascending the mountain at the right. Isaac’s omission in fr. 167 is thus all the more striking. Was it the result of an ignorant oversight by the mid-fourteenth-century Artist C? Or was it an attempt by him to avoid an overly crowded composition, given that the square panels of Add. 18719 had to be narrowed to vertical rectangles in fr. 167? Or was it a thoughtful intervention, motivated by a decision to illustrate the temptation of Abraham, the opening words of the text passage? Or was it some combination of the above? We should consider all possibilities, even if a decisive answer cannot at present be provided. The point is important, even if unresolved, for Artist C was the most prolific contributor among the fifteen artists of fr. 167, so the approach he took on folio 7v could have ramifications throughout the book. The second point to note is that the figure at the far left of the Crucifixion in Add. 18719 is haloed, as in fr. 167, but does not have a Jewish cap. The identity of this figure will be resolved shortly. 14 See first Lowden, Making of the Bibles moralisées (n. 3), Vol. I, 189-219. 15 Lowden, Making of the Bibles moralisées (n. 3), Vol. I, 298. <?page no="214"?> John Lowden 206 6. Toledo, Tesoro del Catedral, “Biblia de San Luis”. Oxford, Bodleian Library, MS Bodley 270b + Paris, Bibliothèque nationale de France, MS lat. 11560 + London, British Library, MSS Harley 1526-1527 Most remarkably, the direct model of Add. 18719 also survives in the form of one of a pair of three-volume Bibles moralisées, that now divided between the Bodleian Library, the Bibliothèque nationale de France and the British Library (hence the Oxford-Paris-London manuscript). 16 Its twin is in the treasury of the Toledo Cathedral, 17 and the two are best treated together. They were made as a pair, probably for Louis IX and his wife Queen Marguerite, and finished probably around 1234-5. The two were largely produced from the same set of underdrawings, which were traced with a stylus into each in turn. Thus the two manuscripts have, for the most part, an identical layout, with the two pairs of Sacrifice of Isaac images at the bottom of folio 15v, and the top of folio 16r, in both. The location of the narrative after twice as many pages as in Add. 18719 and its descendants is explained by the craftsmen’s decision to work in Toledo and Oxford-Paris-London on only one side of the parchment (the later manuscripts were worked on both sides of the folios). If we look first at Toledo (Figs. 7-8) and Oxford-Paris-London (Figs. 9-10) together, we can see that the images are virtually identical in design, although coloured differently. This is the result of artists working independently to complete (by gilding and colouring) the identical traced underdrawings. This procedure led to a few minor (even trivial in most cases) differences: Isaac’s tunic is in front of Abraham’s cloak in Bodley, behind it in Toledo; Simon of Cyrene’s left hand is on top of Christ’s in Toledo, under it in Bodley. The ram is in front of the thorn bush in Bodley, but within it in Toledo (such a difference could in this case be meaningful). More strikingly, in the Crucifixion, Christ is observed from the left by a figure with a raised hand who is haloed in Bodley (we have already noted his descendant in Add. 18719, and fr. 167), and has the cruciform halo identifying him as God in Toledo (note also the unfinished head at the right in Bodley). We can now see that the unusual carrying of the cross, with Christ preceded by Simon of Cyrene and followed by an angel, repeated in Add. 18719 and fr. 167 (but not in fr. 166), comes from Toledo/ Bodley, and that the representation of Isaac carrying the sticks for the sacrifice up the mountain to the altar in the first scene is also present here (it was omitted in fr. 167). The texts of Bodley were transcribed in its descendants, so we already know what they say (see above and Appendix 2, column 5). It is notable that 16 Lowden, Making of the Bibles moralisées (n. 3), Vol. I, 139-187; Büttner (n. 3) ; B œ spflug / Zaluska, La part de l’artiste (n. 3). 17 Lowden, Making of the Bibles moralisées (n. 3), Vol. I, 95-137; R. Gonzálvez Ruiz (ed.), The Bible of Saint Louis, 3 vol. facsimile edition with 2 accompanying commentary volumes, Barcelona 2000-2004. See also note 16 above. <?page no="215"?> The Sacrifice of Isaac in the Bibles Moralisées 207 just as Toledo and Bodley have more or less identical images, they have here, for the most part, only minor differences between their texts (compare Appendix 2, columns 4-5). But there is one important exception: the first moralisation is notably shorter in Bodley. In Toledo it reads: Deus q(ui) p(re)cepit Abrahe q(uod) faceret sacrificiu(m) de filio suo sig(nifica)t nuncium patris de celis qui dixit q(uod) fieret sacrificium de filio suo. Ysaac qui portauit ligna ad faciendum suu(m) sacrificiu(m) sig(nifica)t Ih(esu)m Chr(istu)m qui portauit suam crucem ad seip(su)m crucifigendum. (God who instructed Abraham that he should make a sacrifice of his son signifies the messenger [or message: nuntium] of the Heavenly Father who said that he would make a sacrifice of his son. Isaac who carried the wood to perform his sacrifice signifies Jesus Christ who carried his cross for his own crucifying.) In Bodley, the text is truncated (see above and Appendix 2, column 5), and omits the passage from “significat” to the second “filio suo” (that is it omits “signifies the messenger [or message] of the Heavenly Father who said that he would make a sacrifice of his son.”) I do not think this is an unintentional omission in Oxford-Paris-London, caused merely by a scribal error. I think it is a deliberate simplification. In Toledo, the mention of ‘nuntium’ here is certainly puzzling. Such a messenger (or message - the accusative singular ending leaves the meaning ambiguous) does not refer to any specific biblical text, although we might expect such a message to be found among the prophetical writings. But it does correspond well to what we see in the adjacent image. Indeed this looks very much as though the artist is depicting literally how the messenger of God, the angel, is announcing that God (who peers down from a segment of heaven) will make a sacrifice of his son. Of course the problem is that such a reading is completely non-biblical, but we do find similar nonbiblical elaborations elsewhere in the Bibles moralisées. 18 We will return to this puzzling messenger shortly. 7. Vienna, Österreichische Nationalbibliothek, MS 1179 and MS 2554 Thus far the broad trail of the Sacrifice of Isaac in the Bibles moralisées has been easy to follow, although it has sometimes presented specific local difficulties. When we move to consider the two earliest Bibles moralisées, however, the position becomes very much more complex. The two manuscripts in question are now both in the Österreichische Nationalbibliothek. One, cod. 1179, has all its texts in Latin; 19 the other, cod. 2554, has all its texts in 18 As for example in texts to the book of Ruth: Lowden, Making of the Bibles moralisées (n. 3), Vol. II, passim. 19 Lowden, Making of the Bibles moralisées (n. 3), Vol. I, 55-94; S. Lipton, Images of Intolerance: The Representation of Jews and Judaism in the Bible Moralisée, Berkeley and Los Angeles 1999; Büttner (n. 3); Tammen (n. 3). <?page no="216"?> John Lowden 208 French. 20 Vienna 1179 was made for the father of Louis IX, Louis VIII, and Vienna 2554 probably for Louis IX’s mother, Louis VIII’s wife, Queen Blanche of Castile. Although R. Haussherr argued in many publications for the priority of the Latin Vienna 1179 over the vernacular Vienna 2554, there are a number of strong arguments for the reversal of this relative chronology and for introducing the working hypothesis that it is the vernacular Vienna 2554 which represents the first Bible moralisée. 21 For present purposes, therefore, we shall continue to trace backwards, rather than forwards, and hence will deal with Vienna 1179 before Vienna 2554. 8. Vienna 1179 Vienna 1179 is immediately seen to be different from Toledo, Oxford-Paris- London, and all later Bibles moralisées, in treating the Sacrifice of Isaac in three pairs of images instead of two. All six medallions are on the same page, folio 10r. The cycle begins with an image of God at the left, instructing Abraham at the right, while the child Isaac stands beneath his father’s protective hand (Fig. 11). This, clearly, is God’s instruction to Abraham to sacrifice his son. The quite lengthy text alongside begins by stating this in a loose paraphrase of the biblical account: “Here God said to Abraham that he should sacrifice his son”. But then, and this is highly unusual, it immediately supplies a theological explanation, complex in both language and thought (the texts of Vienna 1179 are also set out in Appendix 2, column 3): Hic Deus Abraham dixit ut filium suum i(m)molaret non tanq(ua)m ignorando temptans eum, quia qui omnia pre[s]ciuit eum non latuit quid esset facturus sed ut in obedientia patris Abrahe fidei perfectio posteri(us) patesceret. (Here God said to Abraham that he should sacrifice his son, not tempting him as though not knowing [the outcome], because to him who had foreknowledge of everything, that which was to happen did not lie hidden, but so that the perfection of Abraham’s faith in obedience to the Father should later be made manifest.) The text seems to be composed as an answer to an implicit question: “Why did God tempt Abraham? ” (Cur temptauit Deus Abraham? ) Yet it is notable that the opening words of the biblical passage do not explicitly mention the temptation, as they do in the texts in the later Bibles moralisées. The precise wording in Vienna 1179 is not derived from the Glossa Ordinaria, or its princi- 20 Lowden, Making of the Bibles moralisées (n. 3), Vol. I, 11-54; Guest (n. 3). 21 E.g. R. Haussherr, Bible moralisée. Faksimile-Ausgabe im Originalformat des Codex Vindobonensis 2554 der Österreichischen Nationalbibliothek, Graz 1973 (Codices Selecti XL-XL*), 20-32; K. Tachau, God’s Compass and Vana Curiositas: Scientific Study in the Old French Bible Moralisée, in: Art Bulletin 80 (1998), 7-33; Lowden, Making of the Bibles moralisées (n. 3), Vol. I, 4-5, 8-9; Vol. II, 200-202, etc. (see index s.v. “Bibles moralisées, critical approaches to, dating”). <?page no="217"?> The Sacrifice of Isaac in the Bibles Moralisées 209 pal sources for Genesis 22 (Augustine, Jerome, Alcuin, and Hrabanus). 22 The point is notable. Its source, if it has one, has yet to be identified. 23 In the image below we see an anxious looking Christ standing centrally between two Jews at the right, and a figure holding a scroll and addressing him at the left. The text on the scroll reads SICUT OUIS DUCETUR AD OC[cisionem] (“He is led as a lamb to the slaughter.” [Is. 53: 7]). The figure at the left, therefore, must be the prophet Isaiah. Looking upward we can see that the central Christ, like Isaac, is to be a sacrificial victim, and that Isaiah (below) predicts this, much as God (above) commands it. The same passage from Isaiah is cited in the Glossa Ordinaria, but as a gloss on ‘arietem’ in Gen 22: 13, i.e. much later in the account. 24 The text alongside the moralisation image abandons any attempt at the usual Bible moralisée formulation: that is it does not repeat the “biblical” text, nor explain what is signified by the various elements of that text. (This departure is notable.) Instead it offers a commentary: Hic Omnipote(n)s q(uo)d figuratiue Abrahe imposuit uerascit(er) misericordia mediante in proprio filio exposuit offerens laudis sacrificium in salute credentium. (Here the Omnipotent truly exhibited in his own son what he imposed figuratively on Abraham by mediation of mercy, offering a sacrifice of praise for the salvation of believers.) Once again I have yet to find a close parallel for this wording: it appears to have been composed for Vienna 1179 without reference to readily available sources. With the second pair of images in Vienna 1179 (Fig. 12), we return to more familiar ground. In a formulaic composition Abraham, here carrying the biblical knife (but not the fire), follows Isaac as the boy carries the sticks on his shoulder in the shape of a cross up a hill to a simple altar. Again, however, the “biblical” text that accompanies this well-known biblical image is newly formulated and does not include Vulgate phraseology: Ecce Abrahe Ysaac conse(n)tiens in fidei obseruatione ductus ad mactandum ligno holocausti humeris portans in montem properauit. (Behold, Isaac, consenting to Abraham in observation of faith, led to carry the wood of the burnt offering on his shoulders, hastened to the mountain.) 22 K. Froehlich / M. T. Gibson (ed.), Biblia Latina cum Glossa Ordinaria, Facsimile Reprint of the Editio Princeps by Adolph Rusch of Strassburg, 4 Vol., Turnhout 1992, Vol. I, unfoliated/ unpaginated, at Gen 22. The sources (Augustine, etc.) are those identified in the gloss itself. 23 Remigius of Auxerre, Comm. in Gen XXII, makes a related point: “Tentavit ergo eum non quod ipse aliquid disceret cui omnia nuda sunt et aperta, sed ut ipsum Abraham sibi ostenderet ut cognosceret quantae fidei in Deum esset.” (PL 131, col. 95C). 24 “Tanquam ovis ad occisionem ductus est”: Biblia Latina cum Glossa Ordinaria (n. 22), Vol. I, Gen 22: 13. <?page no="218"?> John Lowden 210 The phrase “fidei observatione” is an obvious interpretative aside. The statement that he carries the wood “on his shoulders” (“humeris portans”) seems to be descriptive of the image, but the general idea and the specific reference to his shoulder probably come from the Glossa Ordinaria (and from Isidore before that). 25 Below, in the moralisation image, we see Christ in a familiar schema carrying the cross up a hill. He is not preceded here by Simon of Cyrene, however, nor followed by an angel, but is accompanied by two Jews, one of whom carries the lance and the other the nails of the Crucifixion. The text alongside reads: Ecce filius D(e)i patri obediens in mundi salute crucem baiulans cum persecutoribus ad passionem properat. (Behold the Son of God obedient to the Father for the salvation of the world bearing the cross with [his] persecutors hastens to [his] passion.) Again this passage does not follow the usual structure of a moralisation. Indeed it reads in major part like a description of the adjacent image. Note how the wording means that no attempt has been made to form a verbal or interpretative link with the “biblical” text above, except by the near repetition of “properauit/ properat”. But if we look again at the two images their visual parallels are striking. Even the way Abraham carries the knife is closely imitated by the way the Jews carry the lance and nails below. A final point to note is the use of the word “baiulans” for “carrying”, rather than “portans” (as the “biblical” text above might seem to require), perhaps due to its connection with OFr “baillier” (discussed in note 6 above, but see also the quotation from Augustine, also cited above in note 7). The third pair of images in Vienna 1179 shows first the sacrifice in a slightly different composition from the later versions (Fig. 13). Here the angel grasps Abraham’s knife (rather than sword) from behind and points behind Abraham’s back to the ram, which is here definitely caught in the thicket. The image is thus much closer to the Vulgate. The text alongside, however, is a very loose rewording of the biblical account, including only one Vulgate phrase: Hic parens pote(n)ti pater Abraham, ad filiu(m) sacrificandum p(ar)atus, gladium exemit, sed gr(ati)a diuina gladio rete(n)to int(er) uepres, t(ri)b(u)los et spinas ostendente ang(e)lo aries aparuit. (Here the parent by power, father Abraham, prepared for the sacrifice of his son, took out [his] sword, but the sword being held back by divine grace, among thorn bushes, thistles and spikes a ram pointed out by an angel appeared.) 25 Isidore, Quaestiones in Vetere Testamento, Genesis ch. XVIII, PL 83, col. 250B: “Sicut Isaac ipse sibi ligna portavit, quibus erat imponendus, ita et Christus gestavit in humeris lignum crucis in quo erat crucifigendus.” The wording of Bede, Comm. in Gen 22, is very similar: PL 91, col. 244A. See also Peter Damian, Sermo 18, De inventione S. Crucis: PL 144, col. 603A-B; and Testimonia libri Genesis 25 In sermone De inventione S. Crucis, PL 145, col. 1003D. <?page no="219"?> The Sacrifice of Isaac in the Bibles Moralisées 211 The wording “parens potenti pater Abraham” is surprising in the context. I have been unable to trace its source. It is also notable that the text expands the Vulgate “inter uepres” with the explanatory “tribulos et spinas”. One possible explanation for this, I suggest, is that whereas “uepres” has no Old French cognate, and is a relatively unusual word, “tribulos” and “spinas” are close cognates of Old French “tribols” and “espines” (and note that neither “tribulos” nor “spinas” are among the words used to gloss “vepres” in the Glossa Ordinaria). Perhaps the compiler of this moralisation thought in a “frenchified” latin. 26 The moralisation image below shows not the Crucifixion, as might be expected, but Christ, now stripped of most of his clothing, being guided by a group of Jews towards the already erected cross. This has no visual parallel to the image of sacrifice above. But it forms a consistent narrative when considered together with the two previous moralisation images: first Isaiah prophesies that Christ will be led as a sheep to slaughter, then Christ carries his cross, and finally he is ushered to the cross. Alongside, the text reads: Hic Abraham altissimus habetur cuius filius uepres bla(s)phemie trib(u)los uarie trib(u)latio(n)i(s) et spinas penarum, patienter perferens, non in essentiali sub(stanti)a, sed in carne passibili addicitur morti pro uita mundi. (Here Abraham is having the part of the most high, whose son the thorns of blasphemy the thistles of various tribulations and the spikes of torments, patiently enduring, not in essential substance, but in the flesh is being delivered to suffer death for the life of the world.) Again the text does not follow the usual form of a moralisation, and the textimage relationship is not close (we do not see, or at least not especially vividly, blasphemy or Christ’s torments and tribulations as the text recounts). But we can observe that the introduction of “tribulos et spinas” in the biblical text has been crucial to the composition of the moralisation, for it is these words, rather than the Vulgate “uepres”, that have been taken up. We should also note at this point that the later Bibles moralisées all use “inter spinas” in their moralisations rather than the Vulgate “inter uepres”. Finally, the contrast between “essential substance” and “flesh” seems to prefigure the “diuinite/ umanite” distinction which will be made more than a century later in the french text of fr. 167, although first made in the early period. 27 In sum, the treatment of the Sacrifice of Isaac in Vienna 1179 is complex and unexpected, both in comparison with the texts and images characteristic of the later Bibles moralisées, and when compared with the norms for biblical and moralisation texts within Vienna 1179 itself. The “biblical” texts, in particular, are remarkable for exhibiting an almost total lack of connection with the Vulgate. This is not the result of ignorance on the compiler’s part, we can suppose, but more positively reflects a desire to comment on and explain the 26 Compare, for example, Lowden, Making of the Bibles moralisées (n. 3), Vol. II, 165. 27 Von Erffa (n. 2), Vol. II, 150-151. <?page no="220"?> John Lowden 212 significance of the narrative, a project for which the moralisations alone were judged in this case insufficient. 9. Vienna 2554 Finally we turn to Vienna 2554. As in Vienna 1179, the Sacrifice of Isaac in Vienna 2554 is treated in three pairs of images and texts, not two. But here the narrative on f. 5r f. 5*v is broken by the need to turn two pages (there is an intervening blank opening [f. 5v f. 5*r]) before the third pair of images can be seen. Having already considered Vienna 1179, the first image in Vienna 2554 is at once familiar (Fig. 14). We see Christ and Abraham flanking the child Isaac, i.e. an image of the temptation. In this case the text is not a commentary on the biblical account (as was the case in Vienna 1179), however, but a straightforward rewording of elements of Genesis 22: 1-2 and 6 in the vernacular (see also the texts in Appendix 2, column 1): Ici dist Dex a Abraham q(ue) il face sac(r)efice de son fil, et Abraham dist a son fil, Pren cele busche si aloines en la montaigne, et cil si fist. (Here God said to Abraham to make sacrifice of his son, and Abraham said to his son “Take this wood we are going to the mountain,” and he did so.) The surprise here is that the passage continues beyond God’s order to Abraham, by jumping ahead to Abraham’s order to Isaac to take the firewood and go to the mountain. Yet no suggestion of the carrying of the wood or the journey to the mountain appears in the adjacent image. This appears inconsistent. Below, in the moralisation, we see a completely different image from the one found in Vienna 1179: here a bust of God reaches down from heaven to accept the child-like souls offered by a crowd at the right who are addressed by two figures, probably a prophet and a tonsured apostle (Peter? ), or possibly Peter and Paul. The text alongside reads: Deus qi dist a Abraha(m) qil feist sacrefiement de son fil senefie les messages Iesucrist qi dient et amonestent as boens crestiens q(ue) il facent offrande de lors cors et de lor ames a Deu. (God who said to Abraham that he should make sacrifice of his son signifies the messengers of Jesus Christ who say to and encourage good Christians to make an offering of their bodies and of their souls to God.) Most notably, the reference here to the “messengers” of Christ resolves two of the difficulties that we have encountered in later Bibles moralisées. First, it helps to explain why Isaiah is present in the image of Vienna 1179 (even though the moralisation text in Vienna 1179 has no mention of prophets or messengers). Second, it helps to explain why, in the Toledo moralisation text, there was a mention of the “nuncium (message/ messenger) patris de celis”, which bore little relation to the adjacent image. Both of these anomalies are <?page no="221"?> The Sacrifice of Isaac in the Bibles Moralisées 213 explicable by a link of some sort with Vienna 2554. On the other hand, the presence in Vienna 2554 (text and image) of the good Christians offering their bodies and souls to God has no sequel in the later Bibles moralisées. This, however, is a conspicuously moralising composition. According to Vienna 2554, the meaning of God’s command to Abraham to sacrifice his son is not merely typological; it goes well beyond foreshadowing Christ’s sacrifice on the cross. Good Christians today, according to Vienna 2554, are still called upon to make sacrifices, as was Abraham, and this they can do by offering body and soul to God. The second pair of images (Fig. 14) shows the by-now familiar pairing: Abraham, carrying a knife (but no fire), is following Isaac up the hill as the boy carries the wood for the sacrifice. Below, in the moralisation, three Jews follow Christ as he ascends to Calvary, carrying his cross. The leading Jew carries a staff, but it is not clear if this is supposed to be the lance, and we certainly do not see (as we did in Vienna 1179) the nails. The adjacent short texts are as follows: Ici senuet Abraham en la montaigne, et ses filz deua(n)t lui qi porte la busche a sacrefice fere. (Here Abraham goes to the mountain, and his son before him who carries the wood to make sacrifice.) Ce qe Ysaac porta la busche a sacrefiement senefie Iesucrist qi porta sa croiz a son crucefiement. (That Isaac carried the wood for sacrifice signifies Jesus Christ who carried his cross for his crucifixion.) The texts read like brief descriptions of the images. We can note that whereas Toledo/ Oxford-Paris-London supplied a quite lengthy Vulgate-based biblical text to accompany this image, the latter part of their moralisation remains remarkably close to the wording of Vienna 2554. Compare: senefie Iesucrist qi porta sa croiz a son crucefiement. significat Ihesum Christum qui portauit suam crucem ad seipsum/ semetipsum crucifigendum. A connection of some sort between the two is implied. Finally, turning the page, the viewer encounters the culmination of the Sacrifice of Isaac narrative in Vienna 2554 (Fig. 15). 28 The sacrifice image is very similar to Vienna 1179, but here we see (for the only time in the Bibles moralisées) the fire that Abraham has carried up the mountain (Gen 22: 6). As before, the accompanying text is a reworking of the familiar biblical account: Ici uient Abraham et uult sacrefier son fil Ysaac et li angles li dist, Lasse ton fil et pren cel agnel qi e(st) en cel feu despines et le sacrefie, et cil li fist. 28 A brief discussion is found in von Erffa (n. 2), Vol. II, 183. <?page no="222"?> John Lowden 214 (Here Abraham comes and wishes to sacrifice his son Isaac and the angel said to him “Leave your son and take this lamb which is in this thorn tree and sacrifice it,” and he did so.) 29 Below, the moralisation image resembles Vienna 1179 more closely than the later Bibles moralisées. Instead of the Crucifixion itself, we see Christ preceded by Jews who lead him to the cross, while behind him are two figures (one holding a blank scroll) who turn and look back and out of the medallion to a small bust of God who addresses them from a quatrefoil while also indicating the cross. The text reads: Ce qe li angle dist a Abraha(m) Tu prendras cel agnel qi est en ce feu despines senefie le Pere del ciel qi dist L(or)e[? ] prendra Ie(su)c(ri)st ce e(st) li uerais aigneax qi est entre les espines del munde et cil sera sacrefie. (That the angel said to Abraham “You will take this lamb which is in this thorn tree” signifies the Heavenly Father who said “Then will he [I? ] take Jesus Christ who is the true lamb who is amongst the thorns of this world and he will be sacrificed.”) The image thus represents in a direct fashion God speaking the words “I will take Jesus Christ etc.” As for the visual parallel between the moralisation and the biblical image above, it seems to be between the angel who stays Abraham’s sword and points out the ram/ lamb, and God the Father who participates actively in the scene below. In textual terms, the parallels between the moralisation of Vienna 2554 and that of Toledo and Oxford-Paris-London are again clear. Compare, for example: li uerais aigneax qi est entre les espines del munde uerus agnus qui est inter spinas huius mundi. 10. Summary and Conclusion In conclusion, let us begin by briefly reviewing the evidence of the seven Bibles moralisées, this time following the normal chronological order. Vienna 2554, the first Bible moralisée, has three pairs of images, and takes up three themes in the accompanying moralisations: 1. God’s order to Abraham to sacrifice Isaac is moralised as good Christians offering body and soul to God. 2. Isaac carrying the wood to his sacrifice signifies Christ carrying his cross to his sacrifice. 29 “Feu d’epines” meaning “thorn tree”, not “Feuer im Dornbusch” as translated by H.-W. Stork, Bible moralisée Codex Vindobonensis 2554 der Österreichischen Nationalbibliothek. Transkription und Übersetzung, St. Ingbert 1988 (Saarbrücker Hochschulschriften 9), 54-55; or “fire of thorns” as translated by G. Guest, Codex Vindobonensis 2554. Vienna, Österreichische Nationalbibliothek, London 1995, 59. For “feu” meaning “tree”, see “fau I”, in: A. J. Greimas, Dictionnaire de l’ancien français: le Moyen Âge, Paris 1979 / 1994, 261 (see also “feu III”, in: ibd., 265). <?page no="223"?> The Sacrifice of Isaac in the Bibles Moralisées 215 3. The sacrificial lamb caught in the thorns signifies Christ going to his sacrifice tormented by the thorns of this world. It is very striking that whereas Vienna 2554 uses vernacular texts that are straightforward in vocabulary and construction, it uses unusual images. It avoids entirely, for example, an image of the Crucifixion, which is without question the most frequently used visual exegesis of one or other of the scenes that make up the Sacrifice of Isaac narrative throughout medieval art. In addition, the makers of Vienna 2554 specifically include a moralising image (good Christians offering body and soul) along with prophetical and/ or New Testament typological images. In Vienna 1179, the same three-scene structure is followed, as was the case in Vienna 2554, and the images are similar in part. In the first moralisation, however, Isaiah is shown prophesying Christ’s sacrifice, thus removing the only strongly moralising element that previously existed in the three-scene cycle. Most striking in Vienna 1179 is the extent to which the points made in both the biblical and moralisation texts avoid the obvious: the Vulgate is scarcely cited, and the usual exegetical procedure, namely the search for signification, is not followed. The texts are complex in thought and structure. They appear to have been specially composed for this particular book. As a result the text-image relationship works in a quite different way from Vienna 2554. Nonetheless, the Sacrifice of Isaac cycle in Vienna 1179 is like Vienna 2554 in that it is strikingly unpredictable when considered in the context of medieval norms. In Toledo and Oxford-Paris-London, and all the latter’s descendants, the cycle was simplified from three to just two scenes. This is striking, because elsewhere in the two three-volume Bibles moralisées, the cycle was often greatly expanded vis-à-vis the two Vienna manuscripts. 30 This contraction was achieved by combining the first two scenes in one: God’s instruction to Abraham, and Isaac carrying the wood, were conflated. 31 The origins of this combined image in the two separate scenes of Vienna 2554 and Vienna 1179 are still discernible, however, in the presence of God in the first image, and the mention of the “messenger” in the moralisation of the second in Toledo with its enigmatic image of the angel following Christ. At the same time as simplifying the cycle, the later Bibles moralisées also opted for a standard Crucifixion image to moralise the Sacrifice itself. They also provided excerpted Vulgate texts for both scenes. But the moralisations they supplied were unambitious, and close to those of Vienna 2554. In Add. 18719, the texts and images of Bodley 270b were transmitted without major change. In fr. 167, Isaac was omitted from the first scene, which seems most likely to be a careless oversight associated with the necessary narrowing of the 30 As in the early Ruth scenes: Lowden, Making of the Bibles moralisées (n. 3), Vol. II, 11-70. 31 For a different sort of conflation of two scenes, see Lowden, Making of the Bibles moralisées (n. 3), Vol. II, 171-197. <?page no="224"?> John Lowden 216 composition in its altered format. A new French moralisation was provided for the sacrifice scene, which, with its reference to the two natures of Christ, is learned. In fr. 166, Isaac was reinserted into the first scene: presumably it was a composition sufficiently familiar to the artist to look ‘wrong’ without him. Elsewhere, as in the Carrying of the Cross and the Crucifixion, the artist also substituted commonplace iconographic formulae for the more unusual images of fr. 167 (such as the angel following Christ on the way to Calvary). In sum, to trace the Sacrifice of Isaac across time through the Bibles moralisées is to follow an unusual trajectory. Rather than increasing in complexity or variety with repetition over the centuries, the “mini-cycle” was shortened and simplified. In place of what were undoubtedly specially composed images in the earliest Bibles moralisées, we have a gradual triumph of iconographic commonplaces. At the same time, unusual texts, characteristic of the early Bibles moralisées, were gradually normalised, most notably by citation from the Vulgate. What began in the first two Bibles moralisées as an attempt to make a Sacrifice of Isaac cycle unlike any to be found elsewhere, was gradually modified and simplified until what we see in fr. 166, which is a sort of iconographic lowest common denominator, albeit still the product of thought, intelligence, and superlative craftsmanship. Whatever we may think of their descendants, the earliest Bibles moralisées do, in the end, conform to our expectations of a project to illustrate and moralise the Bible without precedent or rival. <?page no="225"?> The Sacrifice of Isaac in the Bibles Moralisées 217 APPENDIX ONE. The Evidence of Paris, Bibliothèque nationale de France, MS fr. 9561 In addition to the seven Bibles moralisées studied above, brief consideration should be given to the evidence of BnF fr. 9561, as has recently been emphasized by Y. Christe and L. Brugger. 32 Fr. 9561 is agreed to have been produced in Naples in the second quarter of the fourteenth century. It lacks the characteristic Bible moralisée layout based on the constant repetition of eight images and accompanying texts per page. Its layout varies. In the early folios, each page is designed with just two compositions within geometrical frames, the biblical image above, and its moralisation below. From folio 27r, these paired images are replaced by a design comprising two registers, each subdivided by an arcade into three compositions. In both cases, the accompanying caption-like texts are written in long lines in the upper margin (biblical texts) and the lower margin (moralisations). On folio 18r, the Sacrifice of Isaac (Fig. 17) is treated as three incidents, each with its accompanying moralisation, but the elements are run together into a seemingly continuous narrative, and the biblical and moralisation compositions are each presented within an eight-pointed star-shaped frame. Because of the resulting shortage of space, the figures, especially in the lower image, break out of their borders. The page in question looks completely unlike a page of a “true” Bible moralisée, but that there is a close connection to Vienna 2554 is immediately apparent when the texts are compared (see also Appendix 2, columns 1-2): Ici dist Dex a Abram quil face sacrifice de son fill, et il uient si dist a so(n) fil, Pren cele busche si aloines en la montaigne, et cil si fist. Lors ui(n)t Abraam si prist son fill si li lia poinz et piez si le uost sacrefier et langles li dist, Leisse ton fill et pren cel agnel qui est en cel feu despines, et il si fist. Genesis XXIIº capitulo. (Here God said to Abraham that he should sacrifice his son, and he came and said to his son “Take this firewood, let us go into the mountain,” and he did so. Then Abraham came and took his son, and bound him hands and feet as if he wished to sacrifice him, and the angel said to him “Leave your son and take this lamb which is in this thorn tree” and he did so. Genesis, in the 22nd chapter.) Dex qui dist a Abraam quil face sacrifiement de son fil senefie le message au pere del ciel qui dist que lon face sacrifiement del fill. Ice que Ysaac porta la busche a son sacrifiement senefie Iesucrist q(ui) porta sa croiz a son crucifiement. Ice que li angles li dist Tu p(re)ndras cel agnel qui est en cel feu despines senefie le Pere de ciel qui dist Lon prendra Iesucrist cest li urais aigniauz qui est entre les espines del monde et cil sera sacrifiez. 32 Y. Christe / L. Brugger, Quelques images de la Genèse, de l’Exode et du Lévitique dans la Bible moralisée napolitaine de Paris et les Bibles moralisées du début du XIIIe siècle, in: R. Favreau / M.-H. Debiès (ed.), Iconographica. Mélanges offerts à Piotr Skubiszewski, Poitiers 1999, 49-61; Y. Christe / L. Brugger, Une Bible moralisée méconnue: la Bible napolitaine de Paris (BnF, ms fr. 9561, fol 1r-112v), in: Arte cristiana 91 (2003), 237-251. See also Lowden, Making of the Bibles moralisées (n. 3), Vol. I, 3. <?page no="226"?> John Lowden 218 (God who says to Abraham that he should make sacrifice of his son signifies the message [messenger] from the Heavenly Father who says that a sacrifice of the son be made. That Isaac carried the firewood to his sacrifice signifies Jesus Christ who carried his cross to his crucifixion. That the angel said to him “You will take this lamb which is in this thorn tree” signifies the Heavenly Father who said Jesus Christ who is the true lamb who is amongst the thorns of this world will be taken and he will be sacrificed.) We can first note some significant differences between the texts of fr. 9561 and Vienna 2554, and between the text of fr. 9561 and its images. In what corresponds to the first scene in Vienna 2554, the text of fr. 9561 includes Abraham’s instruction to Isaac, but the image shows only Abraham and God. It is as though the artist of fr. 9561 had compressed the image of Vienna 2554 (compare the relationship between fr. 167 and add. 18719, discussed above). The accompanying moralisation image in fr. 9561 shows a group of laymen who kneel before a priest who points upwards. The image bears some resemblance to Vienna 2554, but the details are different: we see one figure (a priest), not two (Peter and Paul/ a prophet); the bust of God is omitted; the crowd of laymen now kneel, rather than standing. But what is surprising is that the moralisation text in fr. 9561 refers not, as in Vienna 2554, to good Christians offering body and soul to God, but to God sacrificing his son. As a result, when we look across the image in fr. 9561, a different reading is suggested: the indicative gesture of the priest is not towards the “missing” bust of God, but to the adjacent figure of Christ carrying the cross. The text of fr. 9561 has been reformulated to take account of the new image: the priest is the messenger who tells of Christ’s passion, or he is passing on God’s message. In the second element of the biblical image in fr. 9561, we see Isaac carrying the wood, but in comparison with Vienna 2554, the cross-shape of the wood, and the mountain-top altar, are both omitted. Isaac in fr. 9561, however, does carry the wood in very much the same way as Christ below carries the cross (but the Jews who follow him in Vienna 2554 are omitted). Notably, the biblical text to this image is omitted in fr. 9561, although the moralisation is retained (compare Appendix 2, columns 1-2). Finally, we see the sacrifice (above). It shows differences from Vienna 2554: the angel appears from the right not the left, the lamb is not caught in the thorns, and it is not behind Abraham. The text of fr. 9561 adds the detail that Isaac’s hands and feet were bound, but this is not seen in the image. The moralisation text below is close to Vienna 2554, but the image is strikingly different. In fr. 9561, we see God at the right grasping Christ by the forearm and indicating the cross behind him (behind Christ, that is). The implication is that Christ will be taken and sacrificed not by Jews, but by his father. The most puzzling element is that the fr. 9561 moralisation image is a better visual commentary on the biblical image in Vienna 2554, than it is of the (reformulated) sacrifice image in fr. 9561 itself. We seem to see the result of several independent or piecemeal decisions in fr. 9561. <?page no="227"?> The Sacrifice of Isaac in the Bibles Moralisées 219 The images and texts of fr. 9561 thus show a complex mixture of similarity to and difference from Vienna 2554. Most plausibly, in my view, an explanation of this situation must consider text and image together. We can be certain that fr. 9561 was designed from the start to look unlike Vienna 2554 (the layout of every page demonstrates this point). But the images and texts of Vienna 2554 still provided an indispensable model to the makers of fr. 9561. When the images were redesigned for their new context in fr. 9561, within a totally different mise en page, the accompanying texts were adapted at the same time. There could, it is true, have been intermediary stages, later lost, between Vienna 2554 and fr. 9561, but it is no more reasonable to suppose that the differences between the two are to be explained by a series of small, incremental changes, than that they result together from a “oneoff”production of a new type of picture book (fr. 9561) derived from an existing picture book (Vienna 2554). I do not at present think that fr. 9561 provides evidence of a lost relative of Vienna 2554. The proposition will need to be tested systematically, but the evidence of the treatment of the Sacrifice of Isaac is a valuable starting point. <?page no="228"?> John Lowden 220 Fig. 1. Paris, Bibliothèque nationale de France, MS fr. 166, fol. 7v, nos. 7-8. (For French texts see Fig. 3 [Fr. 167]) Temptauit Deus Abraham et dixit ad eum, Tolle filium tuum quem diligis Ysaac et offer eum michi in holocaustum super unum montium quem monstrauero tibi. Tulitque ligna holocausti et imposuit sup(er) Ysaac filium suum. Deus qui precepit Abrahe quod fac(er)et sacrificium de filio suo Ysaac qui portauit ligna ad sacrificium suum faciendum significat Ih(esu)m Chr(istu)m qui portauit suam crucem ad semetipsum crucifigendum. God tempted Abraham and said to him, “Take your son Isaac whom you love and offer him to me as a burnt offering on one of the mountains which I will show you.” And he took the wood of the burnt offering and placed [it] on Isaac his son. God who instructed Abraham that he should make a sacrifice of his son Isaac who carried the wood to supply his sacrifice signifies Jesus Christ who carried his cross for his own crucifying. <?page no="229"?> The Sacrifice of Isaac in the Bibles Moralisées 221 Fig. 2. Paris, Bibliothèque nationale de France, MS fr. 166, fol. 8r, nos. 1-2. (For French texts see Fig. 4 [Fr. 167]) Cumque ligasset Ysaac filium suum Abraham posuit eum sup(er) strue(m) lignorum et arripiens extendit gladiu(m) ut imolaret filium suum. Et ait ang(e)l(u)s, N(on) extendas manu(m) tua(m) sup(er) puer(um). Et leuauit Abraham oculos et uidit ariete(m) que(m) assumens filium obtulit holocaustu(m) pro filio. Ang(e)l(u)s qui dixit Abrahe accipe agnum qui est inter spinas significat patrem de celis qui dixit, Ch(ristu)s qui accipitur est uerus agnus q(ui) est inter spinas huius mundi, et de ip(s)o fiet oblatio pro peccatis. And when he had bound Isaac his son Abraham placed him on the pile of wood and taking hold extended [his] sword to sacrifice his son. And the angel said, “Do not stretch your hand over the boy.” And Abraham raised [his] eyes and saw a ram taking which [adds “filium” in error] he offered [it as] a burnt offering in place of [his] son. The angel who said, “Abraham take the lamb which is [caught] in the thorns,” signifies the Heavenly Father who said, “Christ who is taken is the true lamb, who is [caught] in the thorns of this world, and of him shall be made an offering for sins.” <?page no="230"?> John Lowden 222 Fig. 3. Paris, Bibliothèque nationale de France, MS fr. 167, fol. 7v, nos. 7-8. (For Latin texts see Figs. 1, 5, 9) Diex essaia Abraham et li dist Pre(n) ton filz Ysaac que tu aimes et le me offre en sacrefice sus une montaigne que ie te monstreray, et lors prist Ab(ra)ham du bois pour faire du feu du sacrefice et le bailla a Ysaac son filz a porter. Ceci segnefie Ih(es)ucrist qui porta sa propre croiz ou il fu crucefie. God tempted Abraham and said to him, “Take your son Isaac whom you love and offer him to me as a sacrifice on a mountain that I will show you,” and then Abraham took some wood to make the sacrificial fire and gave it to Isaac his son to carry. This signifies Jesus Christ who carried his own cross on which he was crucified. <?page no="231"?> The Sacrifice of Isaac in the Bibles Moralisées 223 Fig. 4. Paris, Bibliothèque nationale de France, MS fr. 167, fol. 8r, nos. 1-2. (For Latin texts see Figs. 2, 6, 10) Et qua(n)t Abraha(m) ot lie son filz il le mist s(us) la fouee et prist un glaiue pour le sacrefier et lors langre li dist Ne fai mal a ton enfant, et adonc regarda Abraham .i. mouton deles un bisson et le sacrefia en lieu de son filz. Ceci segnefie le filz de Dieu selonc la diuinite ne fu mie occis [+ne fu mie occis: 167] ne sacrefie, mais Ih(es)u qui est le vrai aignau fu sacrefie po(r) nouz selonc lumanite q(ui) estoit es espines es tribulacions de cest monde. And when Abraham had bound his son he placed him on the bundle of wood and took a sword to sacrifice him and then the angel said to him, “Do not harm your child,” and then Abraham saw a sheep by a bush and he sacrificed it in place of his son. This signifies that the Son of God according to his divine nature was neither killed nor sacrificed, but Jesus who is the true lamb was sacrificed for us according to his human nature which was [caught] in the spines and tribulations of this world. <?page no="232"?> John Lowden 224 Fig. 5. London, British Library, MS Add. 18719, fol. 8r, nos. 3-4. Temptauit D(eu)s Abraham et dixit ad eum, Tolle filium tuum que(m) diligis Ysaac et offer eum michi in holocaustum sup(er) unu(m) montium q(ue)m monstrauero tibi. Tulitque ligna holocausti et imposuit super Ysaac filium suum. Deus qui p(re)cepit Abrahe quod faceret sacrificium de filio suo Ysaac qui portauit ligna ad sacrificiu(m) suum faciendum significat Ih(esu)m Chr(istu)m qui portauit suam crucem ad semetip(su)m crucifigendum. God tempted Abraham and said to him, “Take your son Isaac whom you love and offer him to me as a burnt offering on one of the mountains which I will show you.” And he took the wood of the burnt offering and placed [it] on Isaac his son. God who instructed Abraham that he should make a sacrifice of his son Isaac who carried the wood to supply his sacrifice signifies Jesus Christ who carried his cross for his own crucifying. <?page no="233"?> The Sacrifice of Isaac in the Bibles Moralisées 225 Fig. 6. London, British Library, MS Add. 18719, fol. 8r, nos. 5-6. Cumq(ue) ligasset Ysaac filium suum Abraham posuit eum super struem lignoru(m) et arripiens extendit gladium ut imolaret filiu(m) suum. Et ait angelus, No(n) extendas manum tuam super puer(um). Et leuauit Abraha(m) oculos et uidit arietem quem assume(n)s obtulit holocaustu(m) pro filio. Angelus qui dixit Abrahe accipe agnum qui est inter spinas significat patrem de celis qui dixit, Ch(ristu)s qui accipitur est uerus agnus qui est inter spinas huius mundi, et de ipso fiet oblatio pro peccatis. And when he had bound Isaac his son Abraham placed him on the pile of wood and taking hold extended [his] sword to sacrifice his son. And the angel said, “Do not stretch your hand over the boy.” And Abraham raised [his] eyes and saw a ram taking which [adds “filium” in error] he offered [it as] a burnt offering in place of [his] son. The angel who said, “Abraham take the lamb which is [caught] in the thorns,” signifies the Heavenly Father who said, “Christ who is taken is the true lamb, who is [caught] in the thorns of this world, and of him shall be made an offering for sins.” <?page no="234"?> John Lowden 226 Fig. 7. Toledo, Tesoro del Catedral, Biblia de San Luis, vol. I, fol. 15v, nos. 7-8. Temptauit D(eu)s Abraham et dix(it) ad eu(m), Tolle filium tuu(m) quem diligis Ysaac et offer eum mi(hi) i(n) holocaustu(m) sup(er) unu(m) montiu(m) quem monstrauero tibi. Tulitq(ue) Abraha(m) ligna holocausti et i(m)posuit sup(er) Ysaac filiu(m) suu(m). [Gen 22: 1-2, 6] Deus q(ui) p(re)cepit Abrahe q(uod) faceret sacrificiu(m) de filio suo sig(nifica)t nuncium patris de celis qui dixit q(uod) fieret sacrificium de filio suo. Ysaac qui portauit ligna ad faciendum suu(m) sacrificiu(m) sig(nifica)t Ih(esu)m Chr(istu)m qui portauit suam crucem ad seip(su)m crucifigendum. God tempted Abraham and said to him, “Take your son Isaac whom you love and offer him to me as a burnt offering on one of the mountains which I shall show you.” And Abraham took the wood of the burnt offering and placed it upon Isaac his son. God who instructed Abraham that he should make a sacrifice of his son signifies the message [or messenger] of the Heavenly Father who said that he would make a sacrifice of his son. Isaac who carried the wood to perform his sacrifice signifies Jesus Christ who carried his cross for his own crucifying. <?page no="235"?> The Sacrifice of Isaac in the Bibles Moralisées 227 Fig. 8. Toledo, Tesoro del Catedral, Biblia de San Luis, vol. I, fol. 16r, nos. 1-2. Cumq(ue) ligasset Ysaac filiu(m) suu(m) posuit eu(m) i(n) altari sup(er) struem lignor(um) et arripuit gladiu(m) ut immolaret filiu(m) suu(m). Et ait angelus, No(n) extenda(s) manu(m) sup(er) puerum. Et leuauit Abraham oc(u)los suos et uidit arietem que(m) assumens obtulit holocaustu(m) pro filio. [Gen 22: 9-13] Angelus q(ui) dixit Abrahe accipe agnu(m) q(ui) est int(er) spinas, significat p(at)rem de celis qu(i) dix(it), Chr(istu)s qui accipietur e(st) uerus agnus q(ui) est int(er) spinas h(uius) mundi, et de ip(s)o fiet oblatio pro peccatis. And when he had bound Isaac his son he placed him on the altar on the pile of wood and took hold of a sword to sacrifice his son. And the angel said, “Do not stretch [your] hand over the boy.” And Abraham raised his eyes and saw a ram and taking it he offered [it as] a burnt offering in place of [his] son. The angel who said, “Abraham take the lamb which is [caught] in the thorns,” signifies the Heavenly Father who said, “Christ who shall be taken is the true lamb, who is [caught] in the thorns of this world, and of him shall be made an offering for sins.” <?page no="236"?> John Lowden 228 Fig. 9. Oxford, Bodleian Library, MS Bodley 270b, f. 15v, nos. 7-8. Temptauit D(eu)s Abraham et dix(it) ad eu(m), Tolle filium tuu(m) quem diligis Ysaac et offer eum michi in holocaustu(m) sup(er) unu(m) montiu(m) quem monstrauero tibi. Tulitq(ue) ligna holocausti et i(m)posuit sup(er) Ysaac filium suu(m). [Gen 22: 1-2, 6] Deus q(ui) p(re)cepit Abrahe q(uod) fac(er)et sac(ri)ficiu(m) de filio suo Isaac qui portauit ligna ad sacrificiu(m) suu(m) facie(n)d(um) s(ignificat) Ih(esu)m Chr(istu)m q(ui) portauit suam cruce(m) ad semetip(su)m crucifigendum. God tempted Abraham and said to him, “Take your son Isaac whom you love and offer him to me as a burnt offering on one of the mountains which I shall show you.” And Abraham took the wood of the burnt offering and placed [it] upon Isaac his son. God who instructed Abraham that he should make a sacrifice of his son Isaac who carried the wood to supply his sacrifice signifies Jesus Christ who carried his cross for his own crucifying. <?page no="237"?> The Sacrifice of Isaac in the Bibles Moralisées 229 Fig. 10. Oxford, Bodleian Library, MS Bodley 270b, f. 16r, nos. 1-2. Cumq(ue) ligass(et) Ysaac filium suum posuit [+Abraham: 167, 166] eum super strue(m) lignor(um) et arripiens extendit gladium ut ymolaret filium suu(m). Et ait ang(e)l(u)s, No(n) extendas manu(m) tua(m) sup(er) puer(um). Et leuauit Ab(ra)ha(m) oc(u)los et uid(it) ariete(m) que(m) assum(en)s [+filium: 166] obtulit holocaustu(m) p(ro) filio. [Gen 22: 9-13] Ang(e)l(u)s qui dix(it) Abrahe accipe agnu(m) qui est i(n)t(er) spinas s(ignificat) patre(m) de cel(is) q(ui) dix(it), Ch(ristu)s qui accipit(ur) e(st) u(er)us agn(us) q(ui) est i(n)t(er) spinas hui(us) mundi, et de ipso fiet oblat(i)o p(ro) pecc(at)is. And when he had bound Isaac his son he placed him on the pile of wood and taking hold extended [his] sword to sacrifice his son. And the angel said, “Do not stretch your hand over the boy.” And Abraham raised [his] eyes and saw a ram taking which he offered [it as] a burnt offering in place of [his] son. The angel who said, “Abraham take the lamb which is [caught] in the thorns,” signifies the Heavenly Father who said, “Christ who shall be taken is the true lamb, who is [caught] in the thorns of this world, and of him shall be made an offering for sins.” <?page no="238"?> John Lowden 230 Fig. 11. Vienna, Österreichische Nationalbibliothek, MS 1179, fol. 10r, nos. 1-2. Hic Deus Abrahem dixit ut filium suum i(m)molaret non tanq(ua)m ignorando temptans eum, quia qui omnia pre[s]ciuit eum non latuit quid esset facturus sed ut in obedientia patris Abrahe fidei perfectio posteri(us) patesceret. Hic Omnipote(n)s q(uo)d figuratiue Abrahe imposuit uerascit(er) misericordia mediante in proprio filio exposuit offerens laudis sacrificium in salute credentium. (SICUT OUIS DUCETUR AD OC[cisionem] Is. 53: 7) Here God said to Abraham that he should sacrifice his son, not as though tempting him by not knowing, because to he who (had foreknowledge of? ) everything that thing did not lie hidden which was to happen, but that the perfection of Abraham’s faith in obedience to the Father should later be made manifest. Here the Omnipotent that figuratively imposed on Abraham truly mercy being in the middle in his own son exposed offering a sacrifice of praise for the salvation of believers. (“He is led as a lamb to the slaughter.”) <?page no="239"?> The Sacrifice of Isaac in the Bibles Moralisées 231 Fig. 12. Vienna, Österreichische Nationalbibliothek, MS 1179, fol. 10r, nos. 3-4. Ecce Abrahe Ysaac conse(n)tiens in fidei obseruatione ductus ad mactandum ligno holocausti humeris portans in montem properauit. Ecce filius D(e)i patri obediens in mundi salute crucem baiulans cum persecutoribus ad passionem properat. Behold, Isaac consenting to Abraham in observation of faith led by carrying the wood of the burnt offering on his shoulders for the sacrifice hastened to the mountain. Behold the Son of God obedient to the Father for the salvation of the world bearing the cross with [his] persecutors hastens to [his] passion. <?page no="240"?> John Lowden 232 Fig. 13. Vienna, Österreichische Nationalbibliothek, MS 1179, fol. 10r, nos. 5-6. Hic parens pote(n)ti pater Abraham, ad filiu(m) sacrificandum p(ar)atus, gladium exemit, sed gr(ati)a diuina gladio rete(n)to int(er) uepres, t(ri)b(u)los et spinas ostendente ang(e)lo aries aparuit. Hic Abraham altissimus habetur cuius filius uepres bla(s)phemie trib(u)los uarie trib(u)latio(n)i(s) et spinas penarum, patienter perferens, non in essentiali sub(stanti)a, sed in carne passibili addicitur morti pro uita mundi. Here the parent by power, father Abraham, prepared for the sacrfice of his son, took out [his] sword, but the sword being held back by divine grace among thorn bushes, thistles and spikes a ram shown by an angel appeared. Here Abraham is having the part of the most high, whose son the thorns of blasphemy the thistles of various tribulations and the spikes of torments, patiently enduring, not in essential substance, but is being delivered in the flesh to suffering death for the life of the world. <?page no="241"?> The Sacrifice of Isaac in the Bibles Moralisées 233 Fig. 14. Vienna, Österreichische Nationalbibliothek, MS 2554, fol. 5r, nos. 5-6. Ici dist Dex a Abraham q(ue) il face sac(r)efice de son fil, et Abraham dist a son fil, Pren cele busche si aloines en la montaigne, et cil si fist. Deus qi dist a Abraha(m) qil feist sacrefiement de son fil senefie les messages Iesucrist qi dient et amonestent as boens crestiens q(ue) il facent offrande de lors cors et de lor ames a Deu. Here God says to Abraham that he should sacrifice his son, and Abraham says to his son, “Take this firewood, let us go into the mountain,” and he did so. God who says to Abraham that he should make sacrifice of his son signifies the messengers of Jesus Christ who say to and encourage good Christians to make offering of their bodies and of their souls to God. <?page no="242"?> John Lowden 234 Fig. 15. Vienna, Österreichische Nationalbibliothek, MS 2554, fol. 5r, nos. 7-8. Ici senuet Abraham en la montaigne, et ses filz deua(n)t lui qi porte la busche a sacrefice fere. Ce qe Ysaac porta la busche a sacrefiement senefie Iesucrist qi porta sa croiz a son crucefiement. Here Abraham comes to the mountain and his son before him who carries the firewood to make the sacrifice. That Isaac carried the firewood of sacrifice signifies Jesus Christ who carried his cross to his crucifixion. <?page no="243"?> The Sacrifice of Isaac in the Bibles Moralisées 235 Fig. 16. Vienna, Österreichische Nationalbibliothek, MS 2554, fol. 5*v, nos. 1-2. Ici uient Abraham et uult sacrifier son fil Ysaac et li angles li dist, Lasse ton fil et pren cel agnel qi e(st) en cel feu despines et le sacrefie, et cil li fist. Ce qe li angle dist a Abraha(m) Tu prendras cel agnel qi est en ce feu despines senefie le Pere del ciel qi dist Le(n) prendra Ie(su)c(ri)st ce e(st) li uerais aigneax qi est entre les espines del munde et cil sera sacrefie. Here Abraham comes and wishes to sacrifice his son Isaac and the angel says to him, “Leave your son and take this lamb which is in this thorn tree and sacrifice it” and he did so. That the angel said to Abraham, “You will take this lamb which is in this thorn tree,” signifies the Heavenly Father who says, “Jesus Christ will be taken who is the true lamb who is amongst the thorns of this world and he will be sacrificed.” <?page no="244"?> John Lowden 236 <?page no="245"?> The Sacrifice of Isaac in the Bibles Moralisées 237 Fig. 17. Paris, Bibliothèque nationale de France, MS fr. 9561, fol. 18r. Ici dist Dex a Abram quil face sacrifice de son fill, et il uient si dist a so(n) fil, Pren cele busche si aloines en la montaigne, et cil si fist. Lors ui(n)t Abraam si prist son fill si li lia poinz et piez si le uost sacrefier et langles li dist, Leisse ton fill et pren cel agnel qui est en cel feu despines, et il si fist. Genesis XXIIº capitulo. Dex qui dist a Abraam quil face sacrifiement de son fil senefie le message au pere del ciel qui dist que lon face sacrifiement del fill. Ice que Ysaac porta la busche a son sacrifiement senefie Iesucrist q(ui) porta sa croiz a son crucifiement. Ice que li angles li dist Tu p(re)ndras cel agnel qui est en cel feu despines senefie le Pere de ciel qui dist Lon prendra Iesucrist cest li urais aigniauz qui est entre les espines del monde et cil sera sacrifiez. Here God says to Abraham that he should sacrifice his son, and Abraham says to his son “Take this firewood, let us go into the mountain,” and he did so. Then Abraham came and took his son and bound him hands and feet as if he would sacrifice him and the angel said to him, “Leave your son and take this lamb which is in this thorn tree,” and he did so. Genesis 22nd chapter. God who says to Abraham that he should make sacrifice of his son signifies the messenger (or message) from the Heavenly Father who says that one shall make sacrifice of the son. That Isaac carried the firewood for his sacrifice signifies Jesus Christ who carried his cross to his crucifixion. That the angel said to him, “You will take this lamb which is in this thorn tree,” signifies the Heavenly Father who says Jesus Christ will be taken, who is the true lamb, who is amongst the thorns of this world, and he will be sacrificed. <?page no="246"?> John Lowden 238 LIST OF ILLUSTRATIONS Fig. 1: Paris, Bibliothèque nationale de France, MS fr. 166, fol. 7v, nos. 7-8. Fig. 2: Paris, Bibliothèque nationale de France, MS fr. 166, fol. 8r, nos. 1-2. Fig. 3: Paris, Bibliothèque nationale de France, MS fr. 167, fol. 7v, nos. 7-8. Fig. 4: Paris, Bibliothèque nationale de France, MS fr. 167, fol. 8r, nos. 1-2. Fig. 5: London, British Library, MS Add. 18719, fol. 8r, nos. 3-4. Fig. 6: London, British Library, MS Add. 18719, fol. 8r, nos. 5-6. Fig. 7: Toledo, Tesoro del Catedral, Biblia de San Luis, f. 15v, nos. 7-8. Fig. 8: Toledo, Tesoro del Catedral, Biblia de San Luis, f. 16r, nos. 1-2. Fig. 9: Oxford, Bodleian Library, MS Bodley 270b, f. 15v, nos. 7-8. Fig. 10: Oxford, Bodleian Library, MS Bodley 270b, f. 16r, nos. 1-2. Fig. 11: Vienna, Österreichische Nationalbibliothek, MS 1179, f. 10r, nos. 1-2. Fig. 12: Vienna, Österreichische Nationalbibliothek, MS 1179, f. 10r, nos. 3-4. Fig. 13: Vienna, Österreichische Nationalbibliothek, MS 1179, f. 10r, nos. 5-6. Fig. 14: Vienna, Österreichische Nationalbibliothek, MS 2554, f. 5r, nos. 5-6. Fig. 15: Vienna, Österreichische Nationalbibliothek, MS 2554, f. 5r, nos. 7-8. Fig. 16: Vienna, Österreichische Nationalbibliothek, MS 2554, f. 5*v, nos. 1-2. Fig. 17: Paris, Bibliothèque nationale de France, MS fr. 9561, f. 18r. <?page no="247"?> The Sacrifice of Isaac in the Bibles Moralisées 239 APPENDIX TWO. The Sacrifice of Isaac Texts in the Bibles moralisées [Column 1] Vienna 2554 [Column 2] BnF fr. 9561 [Column 3] Vienna 1179 Ici dist Dex a Abraham q(ue) il face sac(r)efice de son fil, et Abraham dist a son fil, Pren cele busche sialoines en la montaigne, et cil si fist. Ici dist Dex a Abram quil face sacrifice de son fill, et il uient si dist a so(n) fil, Pren cele busche si aloines en la montaigne, et cil si fist... Hic Deus Abraham dixit ut filium suum i(m)molaret non tanq(ua)m ignorando temptans eum, quia qui omnia pre[s]ciuit eum non latuit quid esset facturus sed ut in obedientia patris Abrahe fidei perfectio posteri(us) patesceret. Deus qi dist a Abraha(m) qil feist sacrefiement de son fil senefie les messages Iesucrist qi dient et amonestent as boens crestiens q(ue) il facent offrande de lors cors et de lor ames a Deu. Dex qui dist a Abraam quil face sacrifiement de son fil senefie le message au pere del ciel qui dist que lon face sacrifiement del fill... Hic Omnipote(n)s q(uo)d figuratiue Abrahe imposuit uerascit(er) misericordia mediante in proprio filio exposuit offerens laudis sacrificium in salute credentium. Ici senuet Abraham en la montaigne, et ses filz deua(n)t lui qi porte la busche a sacrefice fere. Ecce Abrahe Ysaac conse(n)tiens in fidei obseruatione ductus ad mactandum ligno holocausti humeris portans in montem properauit. Ce qe Ysaac porta la busche a sacrefiement senefie Iesucrist qi porta sa croiz a son crucefiement. ...Ice que Ysaac porta la busche a son sacrifiement senefie Iesucrist q(ui) porta sa croiz a son crucifiement... Ecce filius D(e)i patri obediens in mundi salute crucem baiulans cum persecutoribus ad passionem properat. Ici uient Abraham et uult sacrefier son fil Ysaac et li angles li dist, Lasse ton fil et pren cel agnel qi e(st) en cel feu despines et le sacrefie, et cil li fist. ...Lors ui(n)t Abraam si prist son fill si li lia poinz et piez si le uost sacrefier et langles li dist, Leisse ton fill et pren cel agnel qui est en cel feu despines, et il si fist... Hic parens pote(n)ti pater Abraham, ad filiu(m) sacrificandum p(ar)atus, gladium exemit, sed gr(ati)a diuina gladio rete(n)to int(er) uepres, t(ri)b(u)los et spinas ostendente ang(e)lo aries aparuit. <?page no="248"?> John Lowden 240 [Column 1, continued] Vienna 2554 [Column 2, continued] BnF fr. 9561 [Column 3, continued] Vienna 1179 Ce qe li angle dist a Abraha(m) Tu prendras cel agnel qi est en ce feu despines senefie le Pere del ciel qi dist Le(n) prendra Ie(su)c(ri)st ce e(st) li uerais aigneax qi est entre les espines del munde et cil sera sacrefie. ...Ice que li angles li dist Tu p(re)ndras cel agnel qui est en cel feu despines senefie le Pere de ciel qui dist Lon prendra Iesucrist cest li urais aigniauz qui est entre les espines del monde et cil sera sacrifiez. Hic Abraham altissimus habetur cuius filius uepres bla(s)phemie trib(u)los uarie trib(u)latio(n)i(s) et spinas penarum, patienter perferens, non in essentiali sub(stanti)a, sed in carne passibili addicitur morti pro uita mundi. [Column 4] Toledo I [Column 5] Bodley 270b [Column 6] BnF fr. 167 Temptauit D(eu)s Abraham et dix(it) ad eu(m), Tolle filium tuu(m) quem diligis Ysaac et offer eum mi(hi) i(n) holocaustu(m) sup(er) unu(m) montiu(m) quem monstrauero tibi. Tulitq(ue) Abraha(m) ligna holocausti et i(m)posuit sup(er) Ysaac filiu(m) suu(m). Temptauit D(eu)s Abraham et dix(it) ad eu(m), Tolle filium tuu(m) quem diligis Ysaac et offer eum michi in holocaustu(m) sup(er) unu(m) montiu(m) quem monstrauero tibi. Tulitq(ue) ligna holocausti et i(m)posuit sup(er) Ysaac filium suu(m). Diex essaia Abraham et li dist Pren ton filz Ysaac que tu aimes et le me offre en sacrefice sus une montaigne que ie te monstreray, et lors prist Abraham du bois pour faire du feu du sacrefice et le bailla a Ysaac son filz a porter. Deus q(ui) p(re)cepit Abrahe q(uod) faceret sacrificiu(m) de filio suo sig(nifica)t nuncium patris de celis qui dixit q(uod) fieret sacrificium de filio suo. Ysaac qui portauit ligna ad faciendum suu(m) sacrificiu(m) sig(nifica)t Ih(e-su)m Chr(istu)m qui portauit suam crucem ad seip(su)m crucifigendum. Deus q(ui) p(re)cepit Abrahe q(uod) fac(er)et sac(ri)ficiu(m) de filio suo Isaac qui portauit ligna ad sacrificiu(m) suu(m) facie(n)d(um) s(ignificat) Ih(esu)m Chr(istu)m q(ui) portauit suam cruce(m) ad semetip(su)m crucifigendum. Ceci segnefie Ih(es)ucrist qui porta sa propre crois ou il fu crucefie. <?page no="249"?> The Sacrifice of Isaac in the Bibles Moralisées 241 [Column 4, continued] Toledo I [Column 5, continued] Bodley 270b [Column 6, continued] BnF fr. 167 Cumq(ue) ligasset Ysaac filiu(m) suu(m) posuit eu(m) i(n) altari sup(er) struem lignor(um) et arripuit gladiu(m) ut immolaret filiu(m) suu(m). Et ait angelus, No(n) extenda(s) manu(m) sup(er) puerum. Et leuauit Abraham oc(u)los suos et uidit arietem que(m) assumens obtulit holocaustu(m) pro filio. Cumq(ue) ligass(et) Ysaac filium suum posuit eum super strue(m) lignor(um) et arripiens extendit gladium ut ymolaret filium suu(m). Et ait ang(e)l(u)s, No(n) extendas manu(m) tua(m) sup(er) puer(um). Et leuauit Ab(ra)ha(m) oc(u)los et uid(it) ariete(m) que(m) assum(en)s obtulit holocaustu(m) p(ro) filio. Et quant Abraham ot lie so(n) filz il le mist sous la fouee et prist i. glaiue pour le sacrefier et lors langre li dist Ne fai mal a ton enfant, et ado(n)c regarda Abraham .i. mouton deles i. buson et le sacrefia en lieu de so(n) filz. Angelus q(ui) dixit Abrahe accipe agnu(m) q(ui) est int(er) spinas, significat p(at)rem de celis qu(i) dix(it), Chr(istu)s qui accipietur e(st) uerus agnus q(ui) est int(er) spinas h(uius) mundi, et de ip(s)o fiet oblatio pro peccatis. Ang(e)l(u)s qui dix(it) Abrahe accipe agnu(m) qui est i(n)t(er) spinas s(ignificat) patre(m) de cel(is) q(ui) dix(it), Ch(ristu)s qui accipit(ur) e(st) u(er)us agn(us) q(ui) est i(n)t(er) spinas hui(us) mundi, et de ipso fiet oblat(i)o p(ro) pecc(at)is. Ceci segnefie le filz de Dieu selonc la diuinite ne fu mie occis ne sacrefie, mais Ih(es)u qui est le urai aigniau fu sacrefie pour nouz selonc lumanite qui estoit es espines es tribulations de cest monde. <?page no="250"?> John Lowden John Lowden 242 242 <?page no="251"?> Lutz Richter-Bernburg Göttliche gegen menschliche Gerechtigkeit. Abrahams Opferwilligkeit in der islamischen Tradition Kritik am Monotheismus als einer Wurzel potentiell gewaltförmiger oder sogar totalitärer Mentalitäten fand bei Jan Assmann erst kürzlich wieder beredten Ausdruck. 1 Hier geht es im Folgenden nicht um Monotheismus schlechthin, sondern um eine Urszene bedingungsloser Ergebenheit gegenüber einem einzigen und eifersüchtig exklusiven Gott, nämlich das (Nicht-) Sohnesopfer des biblischen Patriarchen Abraham oder eher seines koranischen Avatars, Ibr h m. Doch da sie sofort einen muslimischen Widerhall auslöste, kann eine schon länger zurückliegende flammende Attacke gegen den Monotheismus, aus der Feder eines überzeugten europäischen Neuheiden, Pierre Vial, den Einstieg in das Thema erleichtern. Vials These lautet, hier nach Le Monde zitiert: 2 „Totalitarismus wurde an dem Tage geboren, als die Idee des Monotheismus erschien - Monotheismus impliziert die Unterwerfung der Menschheit unter einen einzigen, allwissenden, ewigen, allmächtigen Gott. […] Geschichtlich gesehen begann alles mit Abraham. Nicht umsonst nennen die Anhänger der drei monotheistischen Religionen sich Söhne Abrahams.“ Vial schließt mit dem Appell, daß „wir aufmerksam auf das große befreiende Gelächter der Olympischen Götter hören“ und „auf der Akropolis beten“. 3 Den Fehdehandschuh, der den Gläubigen so von Vial und wenig später - in einer bemerkenswerten quasi coincidentia oppositorum - von Manuel de Diéguez in seinem Buch L’idole monothéiste 4 hingeworfen wurde, nahm der Tunesier Mohamed Talbi, seltenes Beispiel eines überzeugten und gleichzeitig suchenden, doch vor allem zutiefst humanen Gläubigen, umgehend auf. In einer enthusiastischen Verteidigung von Abrahams Glauben mit dem Untertitel Le sens d’un non-sacrifice 5 nimmt Talbi als Ausgangspunkt die von de Diéguez aufgeworfene Frage, ob „der durchtriebene Abraham“ nichts 1 J. Assmann, Die Mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus, München und Wien 2003, mit Diskussionsbeiträgen von Rolf Rendtorff, Erich Zenger, Klaus Koch, Gerhard Kaiser, Karl-Josef Kuschel. 2 A. Rollat, «La faute à Abraham ? », Le Monde, 11. Dezember 1979. 3 Da Vial hier nur quasi als Stichwortgeber für Talbi auftritt, werden seine - mit aller Vorsicht mindestens als kontrovers zu bezeichnenden - politischen oder philosophischen Positionen im Meinungsspektrum der letzten Jahrzehnte hier nicht weiter untersucht. 4 M. de Diéguez, L’idole monothéiste, Paris 1981. 5 M. Talbi, La foi d’Abraham, Islamochristiana VIII (1982), 1-11. <?page no="252"?> Lutz Richter-Bernburg 244 anderes tat als Agamemnon, indem er „einem blutrünstigen Himmel den absoluten Gehorsam seines Dieners“ demonstrierte. 6 Daß Talbis Antwort negativ ausfällt, kann nicht überraschen; was ihr jedoch Interesse sichert, ist die kühne Integration zeitgenössischer Erfahrungen in seine lecture des koranischen Berichtes von Abrahams Opfer. Ohne Übertreibung darf festgestellt werden, daß diese Perikope, ob in biblischer oder koranischer Fassung, sich bequemer Rezeption immer verweigert hat, vielmehr religiöse und theologische Reflexion stets neu herausfordert. 7 Die Spannweite zeitgenössischer muslimischer Interpretationen soll hier im Sinne eines kontrastierenden Vergleichs mit Talbi durch Sayyid Qu bs Koranexegese Unter dem Schirm des Korans 8 wenigstens angedeutet werden. Auf die verschiedenartigen Auseinandersetzungen mit dem Thema im islamischen Schrifttum der Vormoderne wird nur anhand einiger hervorstechender Beispiele eingegangen. Zunächst folge hier der betreffende Koranabschnitt aus Sure XXXVII, „Die Reihen“ 9 in deutscher Übersetzung; der Koran bietet die Opfererzählung nur an dieser Stelle, im Zusammenhang eines Rückblicks auf aufrechte Gläubige der Vergangenheit und ihre göttliche Rettung vom Bösen mit anschließender Belohnung. Die Geschichte Abrahams wird recht ausführlich mitgeteilt; die unmittelbar vorausgehende Perikope, über seine Zerstörung heidnischer Götzenbilder und Rettung aus dem Feuerofen durch Gottes Eingreifen, endet mit seinem Entschluß zum Auszug hin zu seinem Herrn und seinem Vertrauen auf dessen Rechtleitung: „Und er sagte: ‚Ich gehe jetzt zu meinem Herrn: Er wird mich rechtleiten.’“ (v. 99). Nach übereinstimmender Auffassung der Exegeten versetzt der nächste Vers Abraham in das Heilige Land: (100) „Mein Herr, schenke mir einen (Sohn) von den Rechtschaffenen! “ (101) Da verkündeten wir ihm als frohe Botschaft einen handsamen Jüngling. (102) Als er nun soweit herangewachsen war, daß er mit ihm arbeiten konnte, sagte er: „Mein lieber Sohn, ich sehe wahrhaftig im Traum, daß ich dich als Opfer schlachte. So überleg, was du meinst.“ Er sagte: „Mein lieber Vater, tu, was dir befohlen wird. Du wirst, so Gott will, finden, daß ich zu den Ausdauernden gehöre.“ 6 de Diéguez (Anm. 4), 72. 7 Vgl. F. Manns, ed., The sacrifice of Isaac in the three monotheistic religions, Jerusalem 1995 (Studium Biblicum Franciscanum; Analecta 41), bes. 147-176: A. Yunis, The sacrifice of Abraham in Islam, H. Noujaim (Diskussion mit Yunis) und J. Doukhan, The Akedah at the ‘Crossroad’: its significance in the Jewish-Christian-Muslim dialogue. 8 S. Qu b, F il l al-Qur ’ n, Kairo 8 1399/ 1979; zum Verfasser (1906-66), einem der mindestens durch Rezeption bedeutendsten Ideologen eines militanten Islamismus, vgl. S. Akhavi, Qu b, Sayyid, in: J. L. Esposito, ed. in chief, The Oxford Encyclopedia of the Modern Islamic World [OEMIW], 4 vols., Oxford 1995, III 400b-404b. 9 a - ff t; allgemein zu Abraham im Koran s. R. Firestone, Abraham, Isaac, in: J. D. McAuliffe, gen. ed., Encyclopedia of the Qur ’ n, 5 vols., Leiden 2001ff., I 5b-11a, II (2002) 561a-562b; C. Wenzel, ‚Und als Ibr h m ... ’ (Sure 2, 127). Abrahamsrezeption und Legitimität im Koran, Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 54, 3 (2002), 193-209. <?page no="253"?> Göttliche gegen menschliche Gerechtigkeit 245 (103) Als sie sich nun beide (in Gottes Willen) ergeben hatten und er ihn auf die Stirn niedergeworfen hatte - (geboten Wir ihm Einhalt) (104) Und Wir riefen ihn an: „Ibr h m! “ (105) „Du hast das Traumgesicht wahrgemacht! “ Wahrlich, so vergelten Wir denen, die rechthandeln. (106) Wahrlich, dies ist gewiß der offenkundige Beweis (/ die deutliche Prüfung). (107) Und wir lösten ihn mit einem gewaltigen Schlachtopfer aus. (108) Und wir hinterließen ihm (als Vermächtnis) unter den Nachkommenden (den Segenswunsch): (109) „Friede sei mit Ibr h m.“ (110) So vergelten Wir denen, die rechthandeln. (111) Wahrlich, er ist (einer) von Unseren gläubigen Knechten. (112) Und Wir verkündeten ihm die frohe Botschaft von Is q als (künftigem) Propheten, (einem) von den Rechtschaffenen. (113) Und Wir segneten ihn und Is q. Unter ihrer beider Nachkommenschaft gibt es nun solche, die rechthandeln, und solche, die offenkundig gegen sich selber freveln. 10 Elliptische Allusivität und andere Eigentümlichkeiten koranischen Stils und Diktion, wie sie in dieser Passage besonders hervortreten, führen ganz natürlich zu einer Pluralität von Auslegungen; jede Lesart, ob in arabischer Paraphrase oder nichtarabischer Übersetzung, engt die Vieldeutigkeit des Textes zwangsläufig auf vorgebliche Unzweideutigkeit hin ein. Die traditionell behauptete Kohärenz des gesamten Korantextes führt überdies sofort zu einer Vervielfachung möglicher Interpretationen, sobald die anderen koranischen Auftritte der dramatis personae mit in Betracht gezogen werden. Bevor wir uns dem Problem der Theodizee zuwenden, das die Erzählung von Abrahams Opfer seit je für ihre Rezipienten aufwarf, soll die Rolle jüdischer Traditionen für die Herausbildung des Islams wenigstens kurz gestreift werden. Wie schon längst bemerkt, ist bereits die koranische Fassung der Opfererzählung selbst ein Palimpsest biblischer Stoffe, freilich unter Einschluß rabbinischer Midrashim, welche die Unfaßlichkeit des göttlichen Auftrags an Abraham zu mildern versuchen. So ist das vorgesehene Opfer nicht der unfreiwillige, unschuldige Begleiter seines Vaters, sondern bewußt einverstandener, sogar tätig-unterstützender Gehilfe bei der Erfüllung des göttlichen Befehls. Wie Leemhuis treffend feststellt, 11 muß die Komposition des Textes keinesfalls auf das Prokrustesbett Wansbrough’scher Chronologie gespannt werden, wie dies Norman Calder tut, 12 um den offenkundigen 10 Die hier gegebene Fassung, in der Einklammerungen Zusätze gegenüber dem Arabischen bezeichnen, ist außer Rudi Parets Übersetzung auch Fred Leemhuis verpflichtet: F. Leemhuis, Ibr h m’s Sacrifice of His Son in the Early Post-Koranic Tradition, in: E. Noort / E. Tigchelaar, eds., The sacrifice of Isaac: the Aqedah (Genesis 22) and its interpretations, Leiden 2002 (Themes in Biblical narrative v. 4), 125-139, bes. 125f. 11 Leemhuis (Anm. 10), bes. 131f. 12 N. Calder, From Midrash to Scripture: The Sacrifice of Abraham in Early Islamic Tradition, Le Muséon 101 (1988), 375-402. John Wansbrough hat in zwei Monographien die traditionell-muslimische sowie von der westlichen Islamwissenschaft akzeptierte Chro- <?page no="254"?> Lutz Richter-Bernburg 246 Zufluß rabbinischer Traditionen plausibel zu machen. Die Überlieferung legt vielmehr die gegenteilige Annahme nahe: erst geraume Zeit, nachdem der koranische Kanon geschlossen war, gelangte die Fülle von Erzählstoffen unzweifelhaft jüdischer - oder auch christlicher - Herkunft, welche die islamische Tradition bewahrt, zur Kenntnis der Muslime - andererseits noch frühzeitig genug, um problemlos Eingang in nichtkoranische Literatur, Exegese wie andere Gebiete, zu finden. Wie in vergleichbaren Fällen koranischer Unterdeterminiertheit, bezog sich auch die Deutung der Perikope von Abrahams Opfer weitgehend auf derartige Isr ’ l y t, wie Überlieferungen wirklicher oder vorgeblicher jüdischer Provenienz zu einschlägigen Koranstellen später genannt wurden. 13 Vom intentional neutralen historischen Standpunkt aus wäre die Frage nach dem möglichen Einfluß von Isr ’ l y t-Traditionen auf die Identifikation des präsumptiven Opfers mit Isaak sicherlich berechtigt, sollte dies nicht mit Goldziher schon als Mohammeds eigene Überzeugung angenommen werden. 14 Jedenfalls erweist eine Überprüfung der Gewährsmännerketten (as n d) der Ism l-Traditionen, wie sie Suliman Bashear unternommen hat, deren Abhängigkeit von der Rivalität im Kult zwischen Mekka und Jerusalem um die Zeit der abbasidischen Revolution (ca. 132/ 750). 15 Möglicherweise führten die Skrupel penibler Traditionarier über die schwache Bezeugung derartiger pro-Ism l-Überlieferungen zur langdauernden Präferenz für die Isaak-Option unter seriösen Gelehrten; 16 vielleicht der berühmteste, aber keineswegs der späteste unter ihnen war Ab Ja far b. Jar r a - abar (m. 310/ 923). 17 Ihm schloß sich noch Ibn Khald n (m. 808/ 1406) an, nach eigenen Worten aus unwiderleglichen Gründen, nämlich der - selbstverständlich koranischen - Ereignisfolge in Abrahams Leben. 18 Eine Untersuchung der nologie der Entstehung des Korans (ca. 610 bis zum Tode Mohammeds 632) zu destruieren versucht und den Zeitrahmen stattdessen auf anderthalb Jahrhunderte oder mehr auszudehnen vorgeschlagen - bis heute eine Minderheitenposition im Fach (s. J. Wansbrough, Quranic Studies, Oxford 1977, und ders., The Sectarian Milieu, Oxford 1978 [London Oriental Series vols. 31 u. 34]; zur Rezeption vgl. H. Berg, ed., Method and theory in the study of Islamic origins, Leiden 2003 [Islamic History and Civilization - Studies and Texts 49], und dort bes. H. Motzki, The question of the authenticity of Muslim traditions reconsidered: a review article, 211-257). 13 S. als Beispiel eines relativ frühen Korankommentars Muq til ibn Sulaim n (m. 150/ 766), ed. A. M. Shi a, Kairo 1984, III 614, mit Anm. 2; vgl. G. Vajda, Isr ’ liyy t, in: Encyclopaedia of Islam, 12 Bde., Leiden 2 1952-2004, IV (1973/ 1978) 211b-212b. 14 I. Goldziher, Die Richtungen der islamischen Koranauslegung, Leiden 1920, 79ff. 15 S. Bashear, Abraham’s Sacrifice of his Son and Related Issues, Der Islam LXVII (1990), 243- 277 (vgl. Leemhuis [Anm. 10], 136f [mit weiteren Nachweisen]). 16 Vgl. A. Th. Khoury, Übers. u. wiss. Komm., Der Koran: arabisch-deutsch, 12 Bde., Gütersloh 1990-2001, XI (2000) 56-61, mit Auszügen aus der exegetischen Tradition. 17 Zu ihm s. C. E. Bosworth, al- abar , in: Encyclopaedia of Islam (Anm. 13) X (1998/ 2000) 11a-14b. 18 Ibn Khald n, al- Ibar, ed. Beirut 1956, II 68f; vgl. Talbi (Anm. 5), 5f; zu Ibn Khald n allgemein s. F. Rosenthal, Ibn Khaldun’s biography revisited, in: I. R. Netton, ed., Studies in honour of Clifford Edmund Bosworth, I: Hunter of the East, Leiden 2000, 40-63. <?page no="255"?> Göttliche gegen menschliche Gerechtigkeit 247 exegetischen und historiographischen Literatur bis in das späte Mittelalter führt weiterhin zu dem Schluß, daß Isr ’ l y t als solche erst unter den Maml ken als problematisch angesehen wurden, was gut zu der damals überhaupt zunehmenden Verhärtung gegenüber nichtmuslimischen Religionsgemeinschaften paßt. Einem Religionsgelehrten wie Ibn Kath r (m. 774/ 1373) 19 reichte es nun nicht mehr, wie frühere Autoren mit koranischen Argumenten für Ism l als vorgesehenes Opfer zu plädieren - Ibn Taim ya (m. 728/ 1328) 20 bietet sich als relativ naher Vorgänger zum Vergleich; in einer Attacke gegen Isr ’ l y t schrieb Ibn Kath r vielmehr deren untergründigem Einfluß zu, daß der zum Opfer erkorene Sohn überhaupt als Isaak identifiziert worden sei. 21 Wie gerade erwähnt, war jedoch selbst zu Ibn Kath rs Zeit die Frage bei weitem nicht entschieden. Hier ist offenkundig nicht der Platz für eine umfassende Übersicht. 22 Dennoch muß mit Mu y d- D n ibn al- Arab (m. 638/ 1240), dem als ‚Größter Meister’ jahrhundertelang in der islamischen Mystik (ta awwuf) intensiv rezipierten Autor, wenigstens kurz ein Vertreter einschlägiger Traditionen erwähnt werden; in seinem vielgelesenen und vielkommentierten Werk ‚Ringsteine der Weisheit’ (Fu al- ikam) ist selbstverständlich Isaak das ausgelöste Opfer. 23 Schon viel früher hatten leidenschaftslose Gelehrte wie az-Zajj j (m. 311/ 923) 24 die Unbeantwortbarkeit der Frage allein aus dem Koran heraus anerkannt. Obwohl ein offenes Eingeständnis dieser Art selten war, kann es gut zur Zurückhaltung späterer Korankommentatoren wie az-Zamakhshar (m. 538/ 1144) 25 und Fakhr ad-D n ar-R z (m. 606/ 1209) beigetragen haben; 19 S. H. Laoust, Ibn Kath r, Im d al-D n, Encyclopaedia of Islam (Anm. 13) III (1968/ 1971) 817b-818b. 20 S. R. L. Nettler, Ibn Taym yah, OEMIW (Anm. 8) II 165a-166b. 21 S. Leemhuis (Anm. 10), 128f. 22 Vgl. Leemhuis (Anm. 10), 129. 23 (vi) fa ikma aqq ya f kalima Is q ya: „ein Ringstein von Wahrheitsweisheit, beschlossen in einem Isaak-Wort“. Auch wenn der Verfasser hier mit einer (Pseudo-)Paronomasie operiert (entsprechend konventionellen Normen arabischer Stilistik der Zeit), so verdankt sich diese nicht einfach rhetorischem Ehrgeiz, sondern spielt auf die folgende Deutung von Abrahams Traum an, der als solcher notwendig deutungsbedürftig sei: der im Traum geschaute Sohn sei in Wahrheit das Bild des schließlich für ihn eingesetzten Widders. Deswegen heiße es im Koranvers: „Du hast das Traumgesicht für wahr gehalten“. Hier wird also, anders als in der oben vorgelegten Übersetzung, das mehrdeutige Verbum ( dq II) wieder in deklarativem Sinne verstanden. Zu Ibn al- Arab s Text s. A. l- Al Af f , ed., Fu al- ikam, Kairo 1365/ 1946, bes. 84-90, und deutsch von H. Kofler unter dem Titel: Mu j ’ d-D n ibn Arab : Fu al- ikam - Das Buch der Siegelringsteine der Weisheitssprüche, Graz 1970 (Veröffentlichungen der Hammer-Purgstall-Gesellschaft A II), 36-40; zum Verfasser allgemein vgl. A. D. Knysh, Islamic mysticism: a short history, Leiden 2000 (Themes in Islamic Studies 1). 24 Grammatiker und Korankommentator; s. C. H. M. Versteegh, al-Zadjdj dj, Encyclopaedia of Islam (Anm. 13) XI (2001/ 2002) 377b-378a. 25 Vgl. az-Zamakhshar , al-Kashsh f, Kairo 1307/ 1890, II 267-270; allgemein zu az-Zamakhshar , einem gleichfalls als Philologen bedeutenden Gelehrten, s. C. H. M. Versteegh / W. Madelung, al-Zamakhshar , Encyclopaedia of Islam (Anm. 13) XI (2001/ 2002) 432b-434a und XII (2004) 840a-841b. <?page no="256"?> Lutz Richter-Bernburg 248 beide beschränken sich dem Wortlaut nach auf ein Referat der gegensätzlichen Auffassungen. Das damit in der frühen Exegese zusammenhängende Problem kultischen Wettbewerbs zwischen Jerusalem und Mekka war zur Zeit von Fakhr ad-D n ar-R z längst obsolet geworden. 26 In der Gegenwart herrscht, nicht notwendig aufgrund politischer Gegebenheiten, doch derenangesichts auch nicht überraschend, bei verschiedenartiger Begründung allgemeiner Konsens über Ism l als das vorgesehene Opfer. 27 Wahrscheinlich spricht aus Sayyid Qu b nur das Echo der communis opinio, wenn er nebenbei anmerkt, daß der Ablauf sowohl von Abrahams Leben wie der entsprechenden Sure die Identifikation des vorgesehenen Opfers mit Ism l nahelege. 28 Mohamed Talbis Standpunkt ist deutlich nuancierter, obwohl er zunächst mit der Identifikation des Opfers mit Ism l übereinstimmt. 29 Er folgt Vers für Vers der Opfererzählung in Sure XXXVII, die Abrahams frühere Kinderlosigkeit zur Voraussetzung hat. Den Schluß, daß sein erstgeborener Sohn niemand anderes als Ism l sein kann, zieht Talbi ganz traditionsgemäß aus anderen koranischen Aussagen, während er zutreffend feststellt, daß im Koran beide Söhne Abrahams gleichrangig behandelt werden. Im Unterschied zu zahlreichen anderen zeitgenössischen Autoren, die die klassische exegetische Tradition zugunsten eigener Präferenzen zurechtbiegen, 30 referiert Talbi diese unparteiisch und ausführlich. Ohne Polemik schreibt er die große Unsicherheit, die er in der muslimischen Tradition zu bemerken meint, der Wirkung des biblischen Berichtes auf Exegeten und Historiker zu. Seine kurze Übersicht über Vertreter der beiden gegensätzlichen Standpunkte beruht weitgehend auf a - abar ; ihre Gleichgewichtigkeit bezeichnet Talbi in der Sprache des Mannschaftssports als ein Unentschieden Null zu Null. Ferner betont er die offene Unabgeschlossenheit der Tradition. Schließlich beugt sich Talbi, offenkundig entgegen seinem anfänglich geäußerten Standpunkt, unvoreingenommen dem Ergebnis seiner Recherchen und räumt das Fehlen eines entscheidenden Schriftbeweises ein. Damit unterwirft Talbi die Beantwortung der Frage der Kompetenz des ijtih d, mit seinen Worten, des freien, individuellen Vernunftschlusses. 31 In einem ersten Schritt distanziert er sich von jeder Polemik, da sie, gleichviel von welcher Seite, unpassend und fruchtlos sei; stattdessen bedient er sich 26 F. ad-D n ar-R z , al-Tafs r al-kab r, Cairo [c. 1950? ], XXVI 155: 2ff.; zum Verfasser s. R. Arnaldez, Fakhr al-Dîn al-Râzî, Paris 2002 (Études musulmanes 37), und G. C. Anawati, Fakhr al-D n al-R z , Encyclopaedia of Islam (Anm. 13) II (1963/ 1965) 751b-755b. 27 Für eine Auswahl von Quellen s. Talbi (Anm. 5), 7, und Leemhuis (Anm. 10), 127f. 28 ka-m yurajji siy q al-s ra wa-l-s ra, F il l al-Qur ’ n (Anm. 8), V 2994: 19. 29 Talbi (Anm. 5), 4-8. 30 Vgl. Leemhuis (Anm. 10) 128f. 31 In der islamischen Jurisprudenz die Entscheidungsfindung des Experten aufgrund eigenen Räsonnements nach bestem Wissen und Gewissen, nicht durch bloße Übernahme von Lösungsfindungen früherer Autoritäten; vgl. J. Schacht / D. B. MacDonald, Idjtih d, Encyclopaedia of Islam (Anm. 13) III (1970/ 1971) 1026a-1027a; W. B. Hallaq, Ijtih d, OEMIW (Anm. 8) II 178b-181b. <?page no="257"?> Göttliche gegen menschliche Gerechtigkeit 249 vorliegender Forschungsergebnisse, z. B. von Ernest Renan, 32 Paul Veyne, 33 h usain (1889-1971) 34 and Mu ammad A mad Khalafall h (1916- 1997), 35 um die grundsätzliche Problematik der Opfererzählung neu in den Blick zu nehmen. Sie erscheint nun nicht mehr bloß als nachrangige Entscheidung über den ‚geschichtlichen’ Ablauf, sondern als theologisch höchst bedeutsame Frage nach dem Sinn von Abrahams Handeln. Im folgenden soll genau diese Frage, mit Talbis Worten „nach dem Sinn von Abrahams Handeln“ 36 , genauer beleuchtet werden. Im engen Rahmen dieses Beitrags und im Bewußtsein der Grenzen des Verfahrens mag es gerade noch angehen, Fakhr ad-D n ar-R z als einzigen Zeugen des vormodernen Islams aufzurufen; im besonderen fehlt ar-R z s Korankommentar (Tafs r), so enzyklopädisch breit er angelegt ist, die Dimension der Mystik (ta awwuf) gänzlich. Andererseits tragen auch die Isr ’ l y t-Überlieferungen, obwohl der Verfasser sie aufnimmt, im Unterschied etwa zu az-Zamakhshar kaum zu seiner Beweisführung bei. Als Sh fi it und bis zu gewissem Grade Ash arit gehört Fakhr ad-D n ar- R z zu einer Kontroverstradition, 37 in der die Mu tazila 38 und die Philosophen (fal sifa) - meist Avicenna verpflichtet 39 - seine Hauptkontrahenten sind. Im Zusammenhang mit Abrahams Opfer und dem damit aufgeworfenen Theodizeeproblem geht es Fakhr ad-D n vor allem um Auffassungen der Mu taziliten. Sie wandten ein, Gott habe Abraham nicht kurz hintereinander zwei einander widersprechende Befehle geben können, zuerst den Befehl, seinen Sohn zu schlachten, und darauf den gegenteiligen, der die Rücknahme des ersten impliziere; überdies könnten weder beide zugleich als ‚gut’ prädiziert werden, noch könne Gott als des Gehaltes seiner Gebote unbewußt angesehen werden. Daher schränkten die Mu taziliten die Reichweite von Gottes erstem Befehl an Abraham auf die Ausführung aller Vorbereitungen für das Opfer ein; als Schriftbeleg führten sie den Wortlaut des göttlichen Eingreifens an: „du hast das Traumgesicht wahrgemacht“. Fakhr ad-D n weist diese Interpretation zurück, denn die Auslösung des Sohnes durch ein Opfertier wäre unnötig gewesen, hätte der erste Befehl im Augenblick von Gottes einhaltgebietendem Anruf als vollständig ausgeführt gegolten. In 32 S. I. Goldziher, Renan als Orientalist: Gedenkrede am 27. November 1893, hg. von F. Niewöhner, Zürich 2000 (Gedenkreden auf die verstorbenen Mitglieder der Ungarischen Akademie der Wissenschaften Bd. 8, Nr. 2). 33 P. Veyne, Comment on écrit l’histoire, Paris 1971, und weitere Schriften desselben Verf. zur Alten Geschichte. 34 S. F. Malti-Douglas, usayn, h , OEMIW (Anm. 8) II 148a-149a. 35 S. W. E. Shepard, Khalafall h, Mu ammad A mad , OEMIW (Anm. 8) II 411b-412b. 36 Talbi (Anm. 5), bes. 8. 37 Vgl. hierzu Arnaldez (Anm. 26), 53-71 et passim. 38 S. J. van Ess, Mu tazila, in: M. Eliade, ed. in chief, The Encyclopedia of Religion, New York 1987, X 220-29. 39 Nicht nur dem Namen nach stehen die Philosophen im Islam immer in der (spät-)griechischen Tradition; vgl. U. Rudolph, Islamische Philosophie, München 2004 (Beck’sche Reihe 2352). <?page no="258"?> Lutz Richter-Bernburg 250 Fakhr ad-D ns Verständnis von qad addaqta r-ru ’ y , das etwa eine Übersetzung wie „du hast das Traumgesicht als wahrhaftig angesehen“ nahelegt, bestätigt Gottes Eingreifen einerseits, daß Abraham den durch das Traumgesicht übermittelten Befehl als bindend ansah, und schließt zugleich aus, daß die Ausführung des Befehls bereits vollständig erfolgt sei. Darüber hinaus unternimmt Fakhr ad-D n den Versuch einer fundamentalen Widerlegung mu tazilitischer Beweisführung; in gut ash aritischer Manier bestreitet er grundsätzlich den Mu taziliten die Berechtigung, an Gottes Gebote einen Vernunftmaßstab von Gut und Böse anzulegen. Aber er beschränkt sich auch nicht auf derlei konventionelle Kontroversargumente, sondern liefert einen Gegengrund innerhalb des mu tazilitischen Bezugsrahmens. Der Befehl, den ein Herr seinem Sklaven gebe, impliziere nicht notwendig seine Ausführung als die einer intrinsisch guten Handlung, sondern könne durchaus die Verbindlichkeit eines höheren Zweckes intendieren, selbst wenn die befohlene Handlung nicht in sich selbst billigenswert sei. So könne der Herr seinem Sklaven befehlen, an einem Freitag eine schwere Arbeit zu verrichten, nicht damit er sie wirklich ausführe, sondern um ihn zu Gehorsam und Fügsamkeit zu erziehen; sobald der Herr sich von der Gewöhnung seines Sklaven an Gehorsam überzeugt habe, könne er ihm die Mühe ersparen. Daß das, was Fakhr ad-D n hier als dialektische Übung vorzuführen scheint, tatsächlich seiner eigenen Auslegung der Opferungserzählung entspricht, ergibt sich aus seiner weiteren Darstellung. Dort schreibt er den ernsthaften Wahrheitserforschern (al-mu aqqiq n), die den bloßen - schulmäßigen, ist wohl zu verstehen - Korankommentatoren (mufassir n) überlegen sind, die folgende Deutung zu: der Grund, Abraham diesem harschen, quälenden Befehl zu unterwerfen, sei dessen vorgängig erprobter fragloser Gehorsam; sobald sich Abrahams Gehorsam - gleichwie Gehorsam und Fügsamkeit seines Sohnes - erneut als vollkommen erweise, sei die Intention des Traumgesichts natürlich als erfüllt anzusehen. Die hier aus praktischen Gründen vorgenommene Straffung soll Fakhr ad-D ns Beweisführung nach Kräften unangetastet lassen. Wie angedeutet, beruht seine Interpretation nicht auf Material aus den ‚Prophetenerzählungen’ (qi a al-anbiy ’ ) 40 oder den Isr ’ l y t; vielmehr geht sie von einem juristischen (fiqh) Standpunkt aus. Seiner Darstellung der Wechselbeziehung von göttlichem Gebot und menschlichem Gehorsam liegt ausschließlich ein Verhältnis von Herr und Knecht oder Besitzer und Sklave zugrunde; nicht ein Schatten gegenseitiger Zuneigung, wie in der Mystik (ta awwuf) häufig, mildert die Härte der Konfrontation. 41 Fakhr ad-D n ar-R z wurde hier - wie oben eingeräumt, einigermaßen verkürzend - als Vertreter des sunnitischen Islams der Vormoderne aufgeru- 40 S. T. Nagel, i a al-anbiy ’ , Encyclopaedia of Islam (Anm. 13) V (1980/ 1986) 180a-b; vgl. U. Rubin, Prophets and Prophethood, in: Encyclopedia of the Qur ’ n (Anm. 9) III (2003) 289b-307a. 41 Vgl. H. Ritter, Das Meer der Seele, Leiden 1955, 673 (Index), s.v. Abraham. <?page no="259"?> Göttliche gegen menschliche Gerechtigkeit 251 fen. Als Stimme des 20. Jahrhunderts, gerade eines gegenüber Mohamed Talbi gewissermaßen ungleichzeitigen, soll nun Sayyid Qu b mit seinem Korankommentar F il l al-Qur ’ n Gehör finden. Seiner Gewohnheit entsprechend betont er den dramatischen Gehalt der knappen und elliptischen Opfererzählung, indem er Abrahams unausgesprochene intensive Gefühlszustände breit ausmalt, zunächst seine Freude über das Geschenk des langerhofften Sohnes, wie danach den Schock, den der im Traum erhaltene Auftrag in ihm ausgelöst haben muß. Doch an diesem Punkt löst sich wie durch einen Quantensprung jeder potentielle Konflikt in reine Harmonie auf. Qu b äußert nichts als Bewunderung für gelassenes Einverständnis, vollkommenen Gleichmut und Zufriedenheit, welche Vater und Sohn in gemeinsamer Überlegung und Ausführung des Befehls an den Tag legen. In wiederholten Ausrufen verwundert er sich über ihren fast übermenschlichen Gehorsam, Glauben und innere Heiterkeit. In Vers 103 - „Als sie sich nun beide (in Gottes Willen) ergeben hatten und er ihn auf die Stirn niedergeworfen hatte“ 42 - sieht er einen Ausdruck der Essenz des Islams: Zuversicht, Gehorsam, Ruhe, Zufriedenheit, Ergebung und schließlich Vollzug. Qu b findet hier nichts von Mut oder Tapferkeit, vielmehr einfach bewußte, rationale, intentionale Ergebung und optimistisch-ruhige Zufriedenheit, welche den süßen Geschmack des Gehorsams auskoste. Es mag nur als logisch erscheinen, wenn Qu b die Erfüllung des göttlichen Gebots genau an diesem Moment erfolgt sein läßt, die leibhafte Exekution darüber jedoch abwertet, die tatsächliche Schlachtung des Opfers, das Vergießen seines Blutes und das Aushauchen seines Lebens. Nach Qu b würde all das bei Gott nichts gelten. Doch plötzlich vollzieht Qu b hier eine Volte in seinem Argumentationsgang; jetzt beabsichtigt Gott keinesfalls, seine Knechte durch Heimsuchung zu quälen, noch liegt ihm das Geringste an ihrem Leib und Blut. Vielmehr wird ihre rückhaltlose Bereitschaft zur Pflichterfüllung gleichbedeutend mit dem Vollzug. Was noch in Fleisch und Blut zu tun bleibt, wird stellvertretend, als Auslösung für das Selbstopfer des Menschen, an einem lebendigen Opfertier vollzogen. Hinsichtlich des islamischen Opferritus betont Qu b seine Funktion als Erinnerung an Abrahams unangefochtene Ergebenheit und Selbstaufgabe. Zum Schluß wiederholt Qu b seine frühere Behauptung, Gott beabsichtige, indem er der Seele des Gläubigen eine Prüfung auferlege, keinesfalls Qual oder Schmerz, sondern entbinde ihn vom (Selbst-)Opfer, sobald er von seiner aufrichtigen Ergebenheit überzeugt sei. Unbeschadet des Unterschieds in Sprach- und Argumentationsstil sowie in emotionaler ‚Temperatur’ beider Autoren besteht zwischen Fakhr ad-D n ar-R z s und Qu bs Schlußfolgerungen bemerkenswert weitgehende Übereinstimmung. Damit kontrastiert andererseits der eindeutig moderne Ton von Qu bs sorgfältiger Analyse psychologischer Befindlichkeiten, aber seine Beweisführung ist in mehr als einer Hinsicht widersprüchlich. Einmal ist 42 fa-lamm aslam wa-tallah li-l-jab n; Islam ist nur das Verbalnomen zum finiten aslam (3. dual. masc. perf.: sich ergeben, sc. in Gottes Willen). <?page no="260"?> Lutz Richter-Bernburg 252 seine Dichotomie von Seele und Leib offensichtlich vormodernen Vorstellungen verhaftet; Personalität mit allen Eigenschaften, Glaube oder Unglaube, Tugenden oder Lastern, wird allein in der entkörperlichten Seele lokalisiert, und der Leib entsprechend abgewertet. Wenn es andererseits um Gottes Gnade bei der Auslösung des vorgesehenen Opfers geht, legt Qu b großen Nachdruck auf körperliches Empfinden und Leiden, aber da er Personalität gerade körperlos definiert hat, bleibt solches Leiden entpersönlicht und jenseits der Wahrnehmung der gläubigen Seele gleichsam in einem Limbus. Damit wird Gottes Gnadenakt ebenfalls einer Abwertung unterworfen - sicherlich eine unbeabsichtigte Folge von Qu bs Argumentation. Abschließend sei die Vermutung gewagt, Qu b habe sich zwangsläufig, freilich unbewußt, in Widersprüche verstricken müssen, da er an der konventionellen Annahme der Kohärenz des Korantextes festhalte, ohne diese in metatextlicher Reflexion auf den Begriff zu bringen. Mit unserem letzten Zeugen, Mohamed Talbi, kehren wir zum Ausgangspunkt zurück; die Gegenüberstellung seiner und Sayyid Qu bs Positionen mag wenigstens schlaglichtartig die Spannweite religiösen Denkens im heutigen Islam beleuchten. Zu Talbis eloquentem tiefem, humanem Glauben wäre noch anzumerken, daß interreligiöser Dialog - im guten Sinne des ehrlichen Austauschs - seit langem in ihm einen seiner besten Exponenten hat, der Kontroverspunkte weder unternoch überbewertet. 43 In Talbis Reflexionen zu Abrahams Opfer ist die Ausgangsfrage, ob Abrahams Glaube, „der in der Darbringung seines einzigen Sohnes kulminiert und der im etymologischen Wortsinne das Wesen des Islams ausmacht, ein Handel um Begünstigung und sklavische Unterwerfung unter die Launen einer grausamen Gottheit ist“ 44 . In der Polemik von Manuel de Diéguez, die Talbi widerlegen will, wird Abrahams Opfer verglichen mit Agamemnons Opfer seiner Tochter Iphigenie. Talbi ist es ein leichtes, die Vorstellung eines ‚Handels’ im Zusammenhang mit Abrahams Verhältnis zu seinem Gott zurückzuweisen, indem er einen früheren Vers (84) aus Sure XXXVII zitiert: „denn er wandte sich lauteren Herzens seinem Herrn zu“. Für Talbi ist Abrahams Opfer im Grunde die aus reinem Glauben erwachsende Hingabe des eigenen Herzens. Während Glauben auch in Qu bs Auslegung der Perikope zentral ist, nimmt er hier eine andere Dimension an. Für Talbi bildet Glauben die Grundlage der privilegierten gegenseitigen Beziehung zwischen Mensch und Gott und verleiht dem Menschen eine eigene Würde, zu der er den Koranvers „Wir haben die Söhne Adams gewiß ausgezeichnet“ anführt. 45 Talbi weist ausdrücklich die häufig geäußerte Auffassung zurück, Abrahams Glaube komme aus Unterwerfung; vielmehr leitet 43 S. R. L. Nettler, Mohamed Talbi: „For Dialogue between all Religions”, in: ders. / S. Taji- Farouki, eds., Muslim-Jewish encounters: intellectual traditions and modern politics, Amsterdam 1998, 171-199 (Studies in Muslim-Jewish relations v. 4). 44 Talbi (Anm. 5), 2. 45 Sure XVII (al-Isr ’ : „Die Nachtreise“), v. 70. <?page no="261"?> Göttliche gegen menschliche Gerechtigkeit 253 er ihn aus wechselseitigem Vertrauen ab. So ist er für Talbi nicht Versklavung, sondern Anhänglichkeit; er ist tiefe Intuition und Kenntnis eines Gottes, an dessen vorgängigem Vertrauen zum Menschen der Koran festhält, als die Engel Befremden über die Erschaffung eines Unordnung und Blutvergießen anrichtenden Täters äußern. 46 Abraham erwidert dies Vertrauen mit seiner eigenen totalen zuversichtlichen Loyalität. Im Bewußtsein der Ungeheuerlichkeit des Kommenden nennt Talbi Abrahams Darbringung seines einzigen, glühend ersehnten und unerwartet geschenkten Sohnes „anscheinend skandalös“ 47 . Dennoch sieht er in seinem Handeln ein Lehrstück über Vertrauen und Hoffnung auf Gottes unendliche Weisheit gegen allen Augenschein und betont die Bewußtheit und Freiwilligkeit von Abrahams Selbstaufgabe. Talbis Deutung ist offenkundig Ausdruck des Glaubens, wie vielleicht nochmals angemerkt werden darf. Aber in seiner Vorstellung von Glauben werden die Kategorien von Befehl und Gehorsam transzendiert, die für Fakhr ad-D n ar-R z s und Qu bs Auslegung zentral sind. Ob Talbi nun von Mu y d-D n ibn al- Arab oder anderen Mystikern (muta awwifa) inspiriert ist oder das Ergebnis eigener, von der Tradition unabhängiger Bemühung um den Sinn des Korans vorträgt, er erklärt Abrahams Handeln letztendlich mit Liebe, der Liebe von „Gottes vertrautem Freunde“, wie Abraham im Koran heißt. 48 Wenn Abrahams Aufgabe seines Sohnes und, in Anbetracht seines Alters, aller möglichen Nachkommenschaft sein äußerstes Liebesgeschenk ist, kann doch Liebe für Talbi nichts anderes bedeuten als Wechselseitigkeit und Gleichwertigkeit von Schenken und Beschenktwerden. So wird Abrahams bedingungslose Liebe von Gottes Liebe für „die, die Ihm vertrauen“ (III 159) erwidert. Gott verweigert Menschenopfer; auch von den zur Auslösung dargebrachten Tieropfern gelangen zu Gott nicht Fleisch und Blut, sondern die Hingabe der Menschen (XXII 37). Talbi überträgt seinen Gedankengang kühn auch auf die Ebene zeitgenössischer Debatten. Zuerst nimmt er die Herausforderung des Existentialismus auf; an der Identität des ungenannten Kontrahenten läßt die Terminologie, der er sich bedient, kaum einen Zweifel. Zunächst behauptet er, daß eine möglicherweise noch tiefgründigere Lehre aus Abrahams Tat die Unerforschlichkeit Gottes (ghayb) berühre. 49 Wie Genesis und Koran Abraham zeigten, hätte er gegen die an ihn ergangene skandalöse Forderung revoltieren und seinem Glauben abschwören können. So hätten viele auf den „Skandal des Bösen“ 50 reagiert. Die größte Prüfung sei das Mysterium der Schöpfung als 46 Sure II (al-Baqara: „Die Kuh”), v. 30. 47 Talbi (Anm. 5), 10. 48 Khal l All h, Sure IV (an-Nis ’ : „Die Frauen“), v. 125. 49 Der arabische Begriff koranischer Herkunft und nachfolgend breiter Rezeption bezeichnet das dem Menschen Verborgene in Gottes Herrschaft; s. D. B. MacDonald / L. Gardet, al-Ghayb, Encyclopaedia of Islam (Anm. 13) II (1965) 1025a-1026a. 50 Talbi (Anm. 5), 10. <?page no="262"?> Lutz Richter-Bernburg 254 solcher, welche „ein ungeheurer und unermeßlicher Skandal“ 51 sei, solange man sie nicht mit dem Blick des Glaubens ansehe. Talbi benennt all die Verbrechen, die Menschen ständig, individuell oder kollektiv, gegen ihre Mitmenschen begehen, im besonderen Holokauste [sic] und Genozide, Kriege und Hungersnöte. Wolle er nicht zu „Wolf unter Wölfen“ 52 werden, revoltiere der Mensch aus Empörung gegen die Blutbäder und fege die Himmel leer, um das Universum neu zu erschaffen. Für Talbi ist der Mensch in der Revolte gegen das Böse darüber frustriert, daß er nicht der Schöpfer sei, und nimmt sich vor, das Universum nach eigenem Entwurf neu zu erschaffen. Wie vergeblich eine derartige Revolte auch immer sei, nach Talbi ist sie der entscheidende Auslöser für die allgemeine Krise des Vertrauens auf Gott und entsprechenden Glaubensverlust. Hier sieht Talbi im Text eine Aufforderung an zeitgenössische Menschen: den Skandal des Bösen aus Achtung vor der göttlichen Unerforschlichkeit zu transzendieren. Er formuliert als Alternative einerseits ein Leben in Verzweiflung und Absurdität, wobei der Himmel nicht leer sei, doch für leer erklärt werde, um den Menschen leichter im Nichts gefangenzuhalten, und andererseits in Zutrauen (tawakkul) 53 als hoffnungsvoller, kreativer Anstrengung, welche die Achtung vor der göttlichen Unerforschlichkeit gegen Verzweiflung immunisiere; weiterhin sei solch Vertrauen erfüllt von der Sicherheit, daß uns Gott in seiner unendlichen, unauslotbaren Weisheit endlich in einen sicheren Hafen führe. Obwohl Talbi das Problem des Bösen, und besonders des menschengemachten Bösen, in der Welt ernstnimmt, dunkelt Übereifer in der Verteidigung des Glaubens seine Zeichnung des Existentialismus allzu tief ein, wenn unsere Interpretation richtig ist, oder mindestens seines Kontrahenten; Glaubenslosigkeit, wie er sie definiert, muß keinesfalls in unkreativer Verzweiflung enden. Abschließend geht Talbis Meditation über den Sinn von Abrahams Tat noch in eine weitere Richtung; danach liegt er in unverbrüchlicher Treue zur Wahrheit. Gott fordert von uns nicht das Opfer des Schwachen für die Bequemlichkeit des Starken - was gleichbedeutend mit Heidentum wäre. Vielmehr verlangt Er vom Menschen, fähig und bereit zu sein, sein Leben zugunsten eines höheren Prinzips einzusetzen. Die Gründe, deretwegen man zu sterben bereit ist, sind dieselben, die das Leben lebenswert machen. In Talbis Worten ist (Selbst-)Aufopferung, die er sorgfältig von Schwäche, Eskapismus, Resignation und Selbstmord unterscheidet, gleichsam asymptotisch der höchste Ausdruck für den Wert, den wir dem Leben beimessen. Talbi bindet die ausschließlich menschliche Fähigkeit zur Aufopferung an den Sinn für Wahrheit und lebenswertes Leben und schließt mit der Erklärung, daß „der 51 Talbi (Anm. 5), 10. 52 Ebd., 11. 53 Das koranische „(Gott) Anheimstellen“ der eigenen Angelegenheiten wurde verständlicherweise ein Zentralmotiv der islamischen Mystik; s. L. Lewisohn, Tawakkul, Encyclopaedia of Islam (Anm. 13) X (1999/ 2000) 376b-378a; Ritter (Anm. 41), index, q.v. <?page no="263"?> Göttliche gegen menschliche Gerechtigkeit 255 Bericht von Abrahams Bereitschaft, seinen einzigen Sohn zu opfern, ein Lehrstück für Glauben an Gott, Wahrheit und Leben ist“ 54 . In der hier vorgelegten Skizze sollten anhand einiger weniger Beispiele die verschiedenartigen Reaktionen beleuchtet werden, welche die beunruhigende Erzählung von Abrahams Opfer bis heute im Denken der Muslime ausgelöst hat. Es bedeutet wohl keine Überschätzung von Mohamed Talbi, seiner vor 23 Jahren erschienenen im besten Sinne radikalen, modernen Auseinandersetzung mit der seit lange vor dem Koran akuten, im Islam aber oft eher indirekt behandelten Theodizeefrage weiteres Gehör zu wünschen - als einem Fall unerschrockenen, anspruchsvollen aggiornamento. 54 Talbi (Anm. 5), 11. <?page no="264"?> Lutz Richter-Bernburg 256 <?page no="265"?> Essays der Kollegiatinnen und Kollegiaten des Graduiertenkollegs „Die Bibel - ihre Entstehung und ihre Wirkung“ Kunst im Kontext. „Isaaks Opferung“ in der jüdischen, christlichen und islamischen Kunst Inhalt Einleitung von Monika E. Müller 1 Sepulkral-sakraler Kontext 1.1 Hauke Wolf Die Opferung Isaaks auf dem Sarkophag des Junius Bassus. Ein Paradigma für Rettung? 1.2 Stefanie Lepre Die Bindung Isaaks in den Wandmalereien von Dura Europos 1.3 Anne Skou Eine dreidimensionale Theologie. Das Presbyterium von San Vitale in Ravenna 1.4 Monika E. Müller Kirchenportal und Propaganda. Isaaks „Opferung“ am Südportal von San Isidoro in León 1.5 Julia Lehnen Marc Chagalls Darstellung der Opferung Isaaks im Mittelfenster der Mainzer Stephanskirche 2 Privater Kontext 2.1 Volker Rabens Isaaks „Opferung“ und Christi Tod am Kreuz. Typologie in der Biblia pauperum 2.2 Alexa Friederike Wilke Die Ästhetik der Grausamkeit 2.3 Matthias Radscheit Isaak oder Ismail. Das Abrahamsopfer im „Aleppozimmer“ 2.4 Christian Eberhart Abrahams Opfer und menschlicher Konflikt <?page no="266"?> Das Graduiertenkolleg „Die Bibel - ihre Entstehung und ihre Wirkung“ 258 2.5 Markus Grafenburg Franz Kafkas Federzeichnung der Bindung Isaaks im Tagebuch 2.6 Matthias Radscheit Weibliche Engel. Ein Videocover 3 Öffentlich-profaner Kontext 3.1 Simone Lutz Leerstellen der Erinnerung. George Segals Abraham and Isaac II (in Memory of May 4, 1970: Kent State University) 3.2 Christian Eberhart Wenn der Widder Isaak opfert <?page no="267"?> Monika E. Müller Einleitung Die Illustration von Isaaks ‚Opferung‘ oder Bindung gehört zu den ältesten Darstellungen biblischer Motive. Unzählige Monumente in unterschiedlichem Kontext und im Einflußgebiet von Judentum, Christentum und Islam belegen die reiche Rezeption seit dem 3. Jahrhundert bis in die heutige Zeit: 1 in der Wandmalerei jüdischer Synagogen und christlicher Katakomben, auf frühchristlichen Sarkophagen, im Chorbereich oder in der mittelalterlichen Skulpturausstattung der Kirchen, in der Buch- oder Tafelmalerei, auf liturgischem Gerät oder als politisch motiviertes Denkmal des 20. Jahrhunderts. Die verwendete Bildformel ist dabei vergleichsweise einfach: Abraham führt das Schwert oder seltener das Messer gegen seinen vor ihm knieenden oder auf dem Opferaltar liegenden Sohn - ein Widder als Ersatzopfer und ein Engel verdeutlichen die göttliche Intervention. Lange Zeit - so in der Spätantike und im Mittelalter - bestimmte vorwiegend der theologische Gehalt des Themas die Realisation und den Charakter einer Darstellung. Jedoch zeichnet sich bei der Gestaltung dieses Stoffes schon früh ein großes Spektrum an zusätzlichen, profanen Identifikationsmöglichkeiten und Inhalten ab. Die Konzepteure und Künstler erreichten dies weniger durch eine differenzierte Ausstattung und Illustration der biblischen Akteure mit Attributen, als meist durch eine reflektierte Kombination und Verortung der Darstellung in einem spezifischen thematischen oder funktionalen Umfeld: als Bestandteil eines narrativen Zyklus, in einer Reihe typologischer Darstellungen oder als weitgehend autonome und deshalb betonte Illustration. ‚Isaaks Opferung‘ war damit rasch eine Bildformel für Inhalte wie Erlösung, Verheißung und Auserwählung, Präfiguration von Christi Opfertod oder Anspielung auf die Eucharistie, Paradigma der Rettung und Exemplum für Gehorsam, zusätzlich konnte sie ein politisiertes Sinnbild mit Identität stiftendem Charakter sein. Vor allem in der Moderne wird der Stoff auch interpretiert als Symbol für Generationenkonflikt und Gewalt. Festzustellen ist, daß Bedeutungen - und dies wird u.a. an den hier ausgewählten Beispielen deutlich - über Jahrhunderte hindurch konstant verfügbar bleiben können. Ebenso kann der semantische Gehalt eingeengt, über das etablierte Repertoire hinaus erweitert oder irrelevant werden. Vor allem in der Kunst der Neuzeit und der Moderne thematisieren die ausführenden Künstler in ihren Werken explizit die Leerstellen bzw. unbestimmten 1 Eine umfassende Einführung und Bibliographie zum Thema bietet H. M. von Erffa, Ikonologie der Genesis. Die christlichen Bildthemen aus dem Alten Testament und ihre Quellen, Berlin / München 1995, Bd. II, 145-188. <?page no="268"?> Monika E. Müller 260 Stellen im zugrunde liegenden Text 2 wie Abrahams und Isaaks inneren Konflikt und ihre Gefühle, die Zeit unmittelbar vor oder nach dem ‚Opfer‘, gleichzeitig gewähren sie mit einer teilweise minimalistischen Ikonographie dem Betrachter Spielräume für die eigene Interpretation. Zentral für die Dekodierung der intendierten Aussage und Basis für die adäquate Interpretation einer Darstellung von Isaaks ‚Opferung‘ ist jedoch immer die Kenntnis seines theologischen Gehalts. Auch Faktoren wie die Funktion des Kunstwerkes per se, die ebenfalls von Konstanz und Wandel bestimmt ist, spielen für die Deutung eine wesentliche Rolle. Die Entwicklung reicht vom rein sakralen Kunstwerk bzw. dem Charakter der Darstellung als untergeordneter Bestandteil eines theologischen Dekorationsprogramms im Frühchristentum und Mittelalter bis zum autonomen und weitgehend säkularen Kunstwerk in der Privatsammlung oder im öffentlichen Kontext in der Neuzeit und Moderne. Nicht nur Verkündung einer Heilsaussage und didaktischer Anspruch, sondern politisches Statement, private Erbauung und ästhetisches Vergnügen gehören zum Feld möglicher Funktionen, die den Interpretationsrahmen mitbestimmen. Dabei handelt es sich weder um ein historisch-lineares Geschehen, das zwingend zum Ausschluß bestimmter Funktionen führt, noch ist zu irgendeiner Zeit vom monofunktionalen Charakter einer Darstellung auszugehen. Wesentliche Voraussetzung für die umfassende Interpretation einer Darstellung ist also, den jeweiligen Kontext zu erschließen. Und so trägt „K UNST IM K ONTEXT “ - d.h. die diesen Essays zugrundeliegende Konzeption 3 - dem Umstand Rechnung, daß ein Werk in seiner Komplexität nur verständlich ist, wenn es in seinem räumlichen, funktionalen, thematischen und historischen Kontext untersucht wird. Die hier getroffene Auswahl an Monumenten ist dem sepulkral-sakralen, dem öffentlich-profanen oder dem privaten Kontext zugeordnet. Nicht immer sind die Monumente eindeutig nur einem der Bereiche zuzuweisen, zuweilen sind sie eher in der Schnittmenge zweier Kontexte zu verorten. Ausschlaggebend für die hier präsentierte Einteilung war der jeweils herauskristallisierbare Hauptkontext. Die folgenden Essays sind das Ergebnis einer leicht überarbeiteten Version, die im Januar 2003 für die Ausstellung Kunst im Kontext - gestern und heute. Isaaks Opferung in der jüdischen, christlichen und islamischen Kunst anläßlich des diesem Band zugrunde liegenden Symposiums erarbeitet wurde. Die Autorinnen und Autoren der einzelnen Beiträge sind Stipendiatinnen und Stipendiaten des Graduiertenkollegs „Die Bibel - ihre Entstehung und ihre 2 W. Iser, Die Appellstruktur der Texte, in: R. Warning (Hg.), Rezeptionsästhetik. Theorie und Praxis, München 4 1994, 234-235; für den kunsthistorischen Bereich: W. Kemp, Verständlichkeit und Spannung. Über Leerstellen in der Malerei des 19. Jahrhunderts, in: ders. (Hg.), Der Betrachter ist im Bild: Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik, Köln 1985, 253-278, spez. 259-262. 3 Grundlegend für diese Beiträge war hierbei die Einführung in die Thematik „kontextabhängige Interpretation“ von: H. Belting, Das Werk im Kontext, in: H. Belting / H. Dilly et al. (Hg.), Kunstgeschichte. Eine Einführung, Berlin 3 1988, 222-239. <?page no="269"?> Kunst im Kontext - Einleitung 261 Wirkung“, eine interdisziplinäre Gruppe von Doktorandinnen und Doktoranden und Habilitandinnen und Habilitanden aus den Bereichen der Theologie, Germanistik, Theater- und Islamwissenschaft sowie der Kunstgeschichte. <?page no="270"?> 1 SEPULKRAL-SAKRALER KONTEXT 1.1 Die Opferung Isaaks auf dem Sarkophag des Junius Bassus. Ein Paradigma für Rettung? Hauke Wolf Der Sarkophag Der Sarkophag des Junius Bassus (Abb. 1), eines römischen Stadtpräfekten, der 359 n.Chr. verstarb und über dessen Leben nur wenig bekannt ist, gehört zu den bedeutendsten Werken der frühen christlichen Kunst; er stellt auch in seiner theologischen Bedeutung einen Meilenstein seiner Zeit dar. Der aus hochwertigem weißen Marmor gefertigte Sarkophag, der sich in den Vatikanischen Grotten der St. Peters-Basilika in Rom befindet, zählt - anders als die meisten der stadtrömischen Sarkophage 1 - nicht zur Klasse der Friessarkophage, sondern zu den Säulensarkophagen. Diese zeichnen sich dadurch aus, daß ihre Frontseite durch Säulen oder Bäume in fünf (mitunter sieben) Bildfelder eingeteilt ist, während die Neben- und Rückseiten mit flachen Reliefs oder auch gar nicht verziert sind. 2 Dabei weist der Sarkophag des Junius Bassus die Besonderheit auf, daß sich auf seiner 118 x 244 cm messenden Frontseite sogar zwei solcher Bildkolumnen befinden, die übereinander angeordnet sind. Von diesem Typus des zweizonigen Säulensarkophags ist neben dem des Bassus nur noch ein weiteres vollständiges Exemplar bekannt, das jedoch in der Qualität seiner Ausführung gegenüber dem Bassus- Sarkophag stark abfällt. 3 Das Bildprogramm des Sarkophags In seinen Bildreihen zeigt der Bassus-Sarkophag die Opferung Isaaks in Verbindung mit anderen religiösen Szenen, die z.T. einen direkten Bezug auf Stellen des Alten und Neuen Testaments aufweisen. Im einzelnen finden sich hier folgende Darstellungen: 1 Vgl. G. Koch / H. Sichtermann, Römische Sarkophage, München 1982, 63. 2 Vgl. F. Gerke, Der Sarkophag des Junius Bassus, Berlin 1936, 6. 3 Vgl. G. Koch, Frühchristliche Sarkophage, 284-286. <?page no="271"?> Die Opferung Isaaks auf dem Sarkophag des Junius Bassus 263 obere Bildreihe, von links nach rechts: Opferung Isaaks (Gen 22); Gefangennahme Petri; Christus zwischen Petrus und Paulus thronend; Christus vor Pontius Pilatus (Mt 27; Mk 15; Lk 23; Joh 18); untere Bildreihe, von links nach rechts: Hiob im Unglück (Hi 1f.); Sündenfall (Gen 3); Christi Einzug in Jerusalem (Mt 21; Mk 11; Lk 19; Joh 12); Daniel in der Löwengrube (Dan 6); Paulus auf dem Weg zum Martyrium. Der innere Zusammenhang des Bildprogramms ist umstritten. 4 Die Opferung Isaaks könnte hier, als linke Eckszene in der oberen Bildreihe der Urteilssprechung des Pilatus als rechter Eckszene gegenüberstehend, als Typus für die Kreuzigung Christi fungieren. 5 Eine solche typologische Einordnung wirft jedoch die Frage auf, wie etwa - und ob überhaupt - das Paulus vor seinem Martyrium zeigende Bild in dieser Weise eingeholt werden kann. In einer der neuesten Studien zum Bassus-Sarkophag heißt es dazu, der Opfertypologie Isaak-Christus werde das Paulusbild wohl als „post-figuring of Christ’s arrest“ an die Seite gestellt. 6 Damit wird freilich der Typologiebegriff stark strapaziert. 7 Es ist deshalb zu fragen, ob nicht ein anderes Motiv für die Komposition angegeben werden kann, das deren Szenenwahl in einer weniger gezwungenen Weise zu erklären vermag. Und tatsächlich legt der sepulkrale Kontext hier eine bestimmte Vermutung nahe. So könnte das Bildprogramm unter die Leitmotivik von Todesnot und deren Überwindung in Christus gefaßt werden. Dazu paßte auch als Bezugstext das liturgische Formular der „Commendatio animae“, also ein zur Sterbeliturgie gehörendes Gebet, in dem unter Verweis auf verschiedene Beispiele von göttlicher Rettung aus Todesnot um Hilfe für den Sterbenden bzw. den Gestorbenen gefleht wird: „Herr, erlöse die Seele deines Knechts, wie du errettet hast Isaak von der Opferung und von der Hand seines Vaters Abraham, Hiob von seinen Kümmernissen, Daniel aus der Löwengrube […].“ 8 Jedenfalls erklärte die Leitmotivik von Todesnot und deren Überwindung in 4 Für die aktuelle Diskussion sind neben der genannten Monographie F. Gerkes (Anm. 2) nach wie vor v.a. drei Studien einschlägig: A. de Waal, Der Sarkophag des Junius Bassus in den Grotten von St. Peter: Eine archäologische Studie, Rom 1900; K. Schefold, Altchristliche Bilderzyklen: Bassussarkophag und Santa Maria Maggiore, in: Rivista di Archeologia Cristiana 16 (1939), 289-316; sowie J. A. Gaertner, Zur Deutung des Junius-Bassus- Sarkophages, in: Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 83 (1968), 240-264. 5 Vgl. zu dieser szenischen Anordnung und zu ihrer Übereinstimmung mit denjenigen des Sarkophags 174 des Lateranmuseums A. Stuiber, Refrigerium interim. Die Vorstellungen vom Zwischenzustand und die frühchristliche Grabeskunst, Bonn 1957, 181. 6 E. S. Malbon, The Iconography of the Sarcophagus of Junius Bassus, Princeton 1990, 47. 7 Vgl. dazu die von M. C. Murray in ihrer Rezension des Buches geäußerte Kritik in: Journal of Theological Studies 43 (1992), 689. 8 „Libera domine animam servi tui sicut liberasti ysaac de hostia et de manu patris sui abrahe. Libera domine animam servi tui sicut liberasti iob de passionibus suis. Libera domine animam servi tui sicut liberasti danielem de lacu leonum.” Aus K. Stüber, Commendatio animae. Sterben im Mittelalter, Bern / Frankfurt a.M. 1976, 125. Zur Rolle der Commendatio animae im Kontext früher christlicher Denkmäler vgl. auch I. S. van Woerden, The Iconography of the Sacrifice of Abraham, in: Vigiliae Christianae 15 (1961), 236. <?page no="272"?> Hauke Wolf 264 Christus einleuchtend, weshalb Christus gerade zwischen Petrus und Paulus thronend dargestellt wird: Demnach illustriert dieses Bild den durch den Tod (angezeigt durch die Gerichtsszene mit Pilatus) hindurchgegangenen salvator triumphans, durch den das paulinische und petrinische Martyrium seinen Sinngehalt und seine Verheißung der Teilhabe am himmlischen Reich erhält. Und daß der Opferung Isaaks in diesem Zusammenhang ein prominenter Platz gebührt, das erscheint so einleuchtend wie folgerichtig - denn sie ist geradezu ein Paradigma für die Rettung aus tiefster Not. <?page no="273"?> Die Opferung Isaaks auf dem Sarkophag des Junius Bassus 265 Abb. 1: Città del Vaticano, Vatikanische Grotten, Sarkophag des Junius Bassus. <?page no="274"?> 1.2 Die Bindung Isaaks in den Wandmalereien von Dura Europos Stefanie Lepre Dura Europos, eine hellenistische Grenzstadt im damaligen Babylonien, dem heutigen Ost-Syrien, wurde Anfang des 3. Jahrhunderts v.Chr. in der Herrschaftszeit von Seleukos I. (358 v.Chr. bis 281 v.Chr.) am mittleren Euphrat gegründet. 1 Nach der Zerstörung der Synagoge der Stadt im Jahr 256 n.Chr. wurden deren Wandmalereien erst bei französischen und amerikanischen Ausgrabungen in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt. Die auf 245 n.Chr. datierten Wandmalereien der Synagoge, bei denen es sich um die ältesten bekannten jüdischen Wandmalereien handelt, fallen durch ihre große Kunstfertigkeit einerseits auf, weil es sich bei Dura Europos lediglich um einen einfachen Grenzposten gehandelt hat. 2 Andererseits wird die Besonderheit der reichen künstlerischen Ausgestaltung der Synagoge in erster Linie vor dem Hintergrund des jüdischen Bilderverbotes deutlich, das nach enger Auslegung eine solche Ausgestaltung einer Synagoge untersagt: Während das palästin. Judentum das Bilderverbot (2Mose 20,4; 5Mose 4,15-19), das jede bildliche Darstellung untersagte, strikt einhielt, scheint es in der Diaspora bereits in vorchristl. Zeit zu unterschiedlichen Einstellungen gekommen zu sein. Nicht zuletzt wegen der missionarischen Wirkung auf die stark visuell orientierte hellenistische Umwelt entwickelte sich mancherorts eine jüd. M.[alerei], die Motive aus dem AT darstellte. 3 Die Wände der Synagoge sind durchgehend mit Wandmalereien ausgestattet. Über dem Bogen des Thoraschreins, der die einzige architektonische Ausschmückung der Synagoge darstellt, finden sich folgende Abbildungen (Abb. 2): in der Mitte ein Gebäude (wahrscheinlich der Tempel in Jerusalem), links davon Objekte (siebenarmiger Leuchter - menorah, eine Zitronenart - ethrog und ein Zweigbündel - lulab), die mit dem jüdischen Kult in Verbindung stehen, 4 rechts davon die Darstellung der Bindung Isaaks. Warum gerade an dieser Stelle die Darstellung der Bindung Isaaks gewählt wurde und nicht, wie zu erwarten wäre, weitere Symbole für den Kult wie z.B. den Schofar (Widderhorn), ist in der Forschung umstritten. Vermut- 1 Vgl. H. Schmoldt, Art. Dura-Europos, in: Reclams Bibellexikon, Stuttgart 6 2000, 112. 2 Vgl. zu diesen Ausführungen, v.a. zu den Datierungen: J. Gutmann (Hg.), The Dura- Europos Synagogue. A re-evaluation (1932-1992), Atlanta 1992, IX-XI. 3 J. Roloff, Art. Malerei, in: Reclams Bibellexikon, Stuttgart 6 2000, 321. 4 Vgl. hierzu A. St. Clair, The Torah shrine at Dura-Europos: a re-evaluation, in: Jahrbuch für Antike und Christentum 29 (1986), 110; C. Hopkins, The discovery of Dura-Europos, New Haven / London 1979, 144. <?page no="275"?> Die Bindung Isaaks in den Wandmaleriein von Dura Europos 267 lich soll durch die Abbildung der alttestamentlichen Szene die besondere Bedeutung der Geschichtsmächtigkeit und des Heilshandelns YHWHs verdeutlicht werden. „To recall the promise that, because of Abraham’s obedience, God would bless his descendants was well suited to a synagogue of an exiled community.” 5 An der Darstellung fällt des weiteren auf, daß - entgegen der sonst auf den Malereien der Synagoge gewählten Perspektive - die Protagonisten lediglich in der Rückenansicht zu sehen sind. Da die Malereien über dem Thoraschrein zu den ältesten figurativen Darstellungen der Synagoge gerechnet werden, läßt sich dies wohl damit erklären, daß der frühere Künstler sich noch mehr dem Bilderverbot verpflichtet fühlte und sich deshalb scheute, die Personen in Frontansicht darzustellen. 6 Möglicherweise ist die Rückenansicht jedoch auch lediglich Konsequenz aus dem Aufbau der Darstellung (von unten nach oben: Widder, Abraham, Isaak, Hand aus dem Himmel). Somit blicken die Figuren einerseits auf die rettende Hand YHWHs, andererseits wird auf diese Weise das Überraschungsmoment der Rettung durch den bereitstehenden Widder nicht vorweggenommen. Weitere Aspekte der Darstellung wie z.B. die dritte Figur vor dem Zelt, sind bis heute in ihrer Bedeutung nicht geklärt. 7 In drei Punkten unterscheidet sich die Darstellung von der biblischen Erzählung in Gen 22: 1.) Isaak liegt ungebunden auf dem Altar; 8 2.) Nicht der Bote YHWHs, der vom Himmel herabruft, wird dargestellt, sondern lediglich eine Hand, die aus dem Himmel kommt und rettend eingreift; 9 3.) Der Widder, der anstelle Isaaks geopfert wird, verfängt sich nicht mit seinen Hörnern in einem Gestrüpp, sondern ist neben einem Baum stehend abgebildet. 10 5 K. Weitzmann / H. L. Kessler, The frescoes of the Dura Synagogue and Christian art, Washington D.C. 1990, 156. 6 Hopkins (Anm. 4), 144, hält es für wahrscheinlicher, „that Abraham is so represented to avoid frontality and the evil eye, reflecting the significance of the Jewish tradition.” 7 Diskutiert wird z.B., ob es sich um das Haus Gottes oder eher um Abraham vor seinem Haus in Beerscheba, um einen wartenden Diener oder um den geretteten Isaak handelt. Vgl. (auch zur Frage der Rückenansicht) St. Clair (Anm. 4), 112f.; Hopkins (Anm. 4), 144f. 8 Vgl. St. Clair (Anm. 4), 110. 9 Vgl. J. Gutmann, The sacrifice of Isaac: Variations on a Theme in early Jewish and Christian art, in: D. Ahrens (Hg.), Thiasos ton mouson. Studien zu Antike und Christentum. Festschrift für Josef Fink zum 70. Geburtstag, Wien 1984 (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 20), 115-122, 116. Die Darstellung der göttlichen Hand findet sich wiederholt auf den Gemälden der Synagoge. Es handelt sich dabei um den frühesten Beleg der später üblichen Darstellung des Eingreifens Gottes. Vgl. St. Clair (Anm. 4), 111. 10 Gutmann (Anm. 9), 116 weist die Behauptung Stuibers, der Widder sei neben dem Baum angebunden, als falsch zurück. Vgl. A. Stuiber, Refrigerium interim. Die Vorstellungen vom Zwischenzustand und die frühchristliche Grabeskunst, Bonn 1957 (Theophaneia 11), 178-183, 179. <?page no="276"?> Stefanie Lepre 268 Vor allem letztere Abweichung läßt sich mit rabbinischer Tradition erklären, laut der der Widder von YHWH bereits am sechsten Schöpfungstag erschaffen wurde, um dann im Paradies bis zu dem Tag bewahrt zu werden, an dem die Bindung Isaaks seinen Einsatz notwendig machte. Zu diesem Anlaß habe dann ein Engel den Widder herbeigebracht. 11 Die Darstellung des Widders, der sich nicht zufällig in einem Gestrüpp verfängt, sondern (geplant) „bereit steht”, verweist auf diesen Horizont und drückt damit aus, daß die Rettung Isaaks bereits von Anbeginn im Heilsplan vorgesehen war. Das Vertrauen auf YHWHs rettendes Eingreifen wird des weiteren in der aus dem Himmel kommenden Hand deutlich: „In deviating from the biblical text, the rabbis wanted to stress that God (symbolized by the hand), rather than sending a divine messenger, intervenes directly in the affairs of man.” 12 Die in Dura Europos gewählte Darstellung der Bindung Isaaks verlagert das Gewicht dementsprechend von der Glaubensprüfung des biblischen Textes auf die Betonung des rettenden Eingreifens YHWHs und verweist so auf die Güte und Gnade YHWHs, die er seinem Volk Israel, hier in der Gestalt Abrahams und Isaaks, zuteil werden läßt. Dies entspricht der Auslegung von Gen 22 in der rabbinischen Theologie, wie sie sich seit dem 1. Jahrhundert n.Chr. findet, die dementsprechend die Darstellung stärker geprägt hat als der biblische Text selbst. 13 Dieser Umstand ist jedoch wenig überraschend, wenn man sich den grundsätzlichen Umgang mit den biblischen Texten verdeutlicht: „[T]he Durene Jews [...] did not read the Bible literally, but saw it filtered through the exegetical eyes of the Midrashim and Targumim.” 14 11 Das findet sich in jüdischen Quellen wie z.B. dem Targum Jonathan, aber auch in christlichen z.B. bei Augustinus oder Alkuin. Vgl. Gutmann (Anm. 9), 118. Vgl. auch Stuiber (Anm. 10), 179. Bei Gutmann findet sich darüber hinaus der Hinweis, daß sich der Engel, der den Widder herbeibringt, in bildlichen Darstellungen erst im Mittelalter nachweisen läßt: ab dem 10. Jahrhundert in christlicher, ab dem 15. Jahrhundert in islamischer Kunst. 12 Gutmann (Anm. 9), 117. 13 Gutmann (Anm. 9), 116f.; Stuiber (Anm. 10), 179f. 14 Gutmann (Anm. 2), XVII. <?page no="277"?> Die Bindung Isaaks in den Wandmaleriein von Dura Europos 269 Abb. 2: Dura Europos, Synagoge, Westwand mit Thoraschrein. <?page no="278"?> 1.3 Eine dreidimensionale Theologie. Das Presbyterium von San Vitale in Ravenna Anne Skou Die Stadt Ravenna, ungefähr 120 Kilometer südlich von Venedig an der adriatischen Küste gelegen, beheimatet die berühmte Kirche San Vitale, von der der ravennatische Historiker Andreas Agnellus im 9. Jahrhundert schrieb, daß „bisher kein einziges italienisches Gotteshaus dem Vergleich mit San Vitale standhalten konnte“. 1 Die Kirche verdankt ihren Namen dem Heiligen Vitalis, einem Märtyrer aus dem 2. Jahrhundert, der nach der Überlieferung am Ort des späteren Kirchenbaus für den christlichen Glauben gestorben sein soll. Zur Zeit der Fertigstellung und Weihe der Ravennater Kirche diente die Stadt als administratives Zentrum und Hauptsitz der byzantinischen Oberhoheit in Italien. Die Kirche mit ihren bedeutenden Mosaiken wurde im Jahr 526 im Auftrag des orthodoxen Erzbischofs Ecclesius (522-532) begonnen, als Ravenna noch unter gotischer Herrschaft stand. Als die Stadt 540 unter byzantinische Herrschaft geriet, erreichten sie nun in besonderem Maße Einflüsse aus der byzantinischen Kunst, die auch prägend für San Vitale wurden. Die Kirche wurde 547 geweiht und gilt bis heute als eines der vornehmsten Beispiele byzantinischer Architektur und Mosaikkunst in Westeuropa. San Vitale wurde als Zentralbau über einem achteckigen Grundriß angelegt. Die Kirche wird von einer 30 Meter hohen Kuppel überragt und ist innen reich mit Marmor und Mosaiken ausgestattet. Stilistisch gehören die Mosaikarbeiten zwei Traditionen an: Die Ausschmückung des Chors (Presbyterium) wurzelt noch in der örtlichen Mosaiktradition, die entsprechend der hellenistisch-römischen Schule durch Naturalismus gekennzeichnet ist. In den Apsiden dominiert dagegen die neue byzantinische Mosaikkunst, in der die Plastizität zu Gunsten einer reinen Planimetrie fehlt. 2 Der liturgisch bedeutendste Teil von San Vitale ist das Presbyterium, das bis zum Schlußstein des Gewölbes mit Mosaiken bedeckt ist. Hier befindet sich der Altarraum, der Ort der Eucharistiefeier, die den Höhepunkt der Messe ausmacht. Durch die reiche Dekoration entsteht hier eine erzählerische Bilderwelt, die erst verständlich wird, wenn man die einzelnen Bilder in ihrem Bezug zueinander betrachtet. 1 Andreas Agnellus: „Nulla in Italia ecclesia similis est in aedificiis et in mechanicis operibus”, zit. nach A. Testi Rasponi (Hg.), Liber Pontificalis Ecclesiae Ravennatis, Bologna 1924, 22. 2 G. Bovini, Die Mosaiken von Ravenna, Florenz 1956, 45. <?page no="279"?> Eine dreidimensionale Theologie 271 Direkt über dem Altar befindet sich im Gewölbescheitel des Presbyteriums eine Abbildung des Agnus Dei, des Opferlammes Christi, das als allegorische Darstellung den Opfertod Christi versinnbildlicht. An den Lünetten der Nord- und der Südwand des Presbyteriums befinden sich zwei gegenüberliegende Mosaiken mit Szenen aus dem Alten Testament, die auf einem komplexen inhaltlichen Programm beruhen (Abb. 3, 4). In den Zwickeln seitlich der Lünetten werden sie von Darstellungen alttestamentlicher Propheten und des Mose flankiert. Darüber sind die Evangelisten als Repräsentanten des Neuen Testaments dargestellt, gekrönt von dem Opferlamm in der Mitte des Gewölbes. Die Motive aus dem Alten Testament sind hier bewußt im Altarraum situiert, sowohl als typologische Hinweise auf Christi Opfertod als auch als Reflex des Rituals der Eucharistiefeier an diesem Ort. Es ist dem Meister hier in beeindruckender Weise gelungen, eine sich selbst auslegende Theologie und Liturgie aus Mosaiksteinen zu schaffen. 3 Die Lünette an der Nordwand (Abb. 3) zeigt einen narrativen Abraham- Isaak-Zyklus. Links angebracht befindet sich die Szene von Sarah, Abraham und der Bewirtung der drei Engel in Mamre (Gen 18), wo Sarah zum ersten Mal die Geburt von Isaak verheißen wurde. 4 Dieses Motiv ist effektvoll auf der rechten Seite kombiniert mit der Darstellung von Isaaks Opferung (Gen 22). Während das Zusammenspiel von Architektur und Mosaiken in der Dekoration von San Vitale absolut einzigartig und neu für seine Zeit ist, ist der Aufbau der Abraham-Isaak-Komposition sehr traditionell: auf der linken Seite steht Abraham in weißer Tunika und mit erhobenem Schwert. Er wendet sein Gesicht zur eingreifenden Hand Gottes hin, während ein freistehender Widder seinen Kopf gegen ihn dreht, bereit, den Platz Isaaks einzunehmen. Auf der rechten Seite kniet der junge Isaak am Altar, seine Hände sind auf den Rücken gebunden. Die Hand des Vaters ruht auf seinem Kopf. Auf der gegenüberliegenden Lünette der Südwand (Abb. 4) liegen auf einem mit liturgischen Tüchern bedeckten Altar ein Kelch und zwei Brote als Sinnbilder der Eucharistie. Links bringt Abel (Gen 4) ein Lamm als Opfergabe dar, während Melchisedek (Gen 14) in bischöflichen Gewändern als auctor sacramentorum dargestellt wird mit einem Brot als Opfergabe in der Hand. 5 Durch dieses enge Zusammenspiel von sich gegenseitig ergänzenden Opfermotiven im Presbyterium wurde dem Zuschauer bzw. Zelebranten am Altar ein beeindruckendes visuelles Erlebnis vom tiefen Zusammenhang zwischen Altem und Neuem Testament und der gegenwärtigen Liturgie vorgeführt. 3 Zur Diskussion einer dogmatischen versus einer liturgischen Interpretation der Mosaiken vgl. C. O. Nordström, Ravennastudien, Stockholm 1953 (Figura 4), 88ff. 4 Zu Sarah als Prototyp Marias und zum Besuch der Engel als Prototyp der Verkündigung Gabriels an Maria vgl. Nordström (Anm. 3), 95. 5 Bezüglich Melchisedek gibt es bei den altchristlichen Schriftstellern zwei Deutungen: a) Melchisedeks Opfer sei Prototyp des Abendmahls (Gen 14,18-19); b) Melchisedek selbst sei ein Prototyp Christi (Hebr 7,17). <?page no="280"?> Anne Skou 272 Abb. 3: Ravenna, San Vitale, Presbyterium: Nordwand. Abb. 4: Ravenna, San Vitale, Presbyterium: Südwand. <?page no="281"?> 1.4 Kirchenportal und Propaganda. Isaaks „Opferung“ am Südportal von San Isidoro in León Monika E. Müller Die spanische Halbinsel war seit der Eroberung durch die Sarazenen im Jahre 711 n.Chr. und der im 11. Jahrhundert sukzessiv erfolgreichen Zurückdrängung der islamischen Herrscher geprägt von militärischen Auseinandersetzungen, aber auch von der Koexistenz und den kulturellen Kontakten zwischen Christen und Moslems. Erst 1492 sollte die auch Reconquista genannte christliche Wiedereroberung mit der Einnahme der letzten „islamischen Bastion“ in Granada enden. León war die Hauptstadt des Königreiches von León-Kastilien im nie besetzten, christlichen Nordwesten Spaniens, 1 die dort heute erhaltene Kollegiatskirche San Isidoro de León wurde als Palastkirche der Könige 1063 erstmalig geweiht und im 12. Jahrhundert erweitert. 2 Am Südportal dieser Kirche, das aufgrund der örtlichen architektonischen Situation als Hauptportal für die Besucher dient, ist an zentraler Stelle im Tympanon die ‚Opferung‘ Isaaks dargestellt (Abb. 5): Abraham wird gleichsam im letzten Moment durch die Hand Gottes 3 und den Widder tragenden Engel 4 - auffällige Zeichen der göttlichen Intervention - von der Tö-tung seines Sohnes abgehalten. Darüber halten zwei Engel ein Medaillon mit dem Agnus Dei und Kreuzstab und unterstreichen so die seit frühchristlicher Zeit vertretene typologische Deutung von Isaaks Opferung als Präfiguration von Christi Opfertod am Kreuz. 5 Weitere Engel flankieren das Opferlamm im Medaillon - die diesem Bildmotiv gleichfalls inhärente Bedeutung 1 D. W. Lomax, The Reconquest of Spain, London / New York 1978, 68-91, 167-171; L. Vones, Geschichte der Iberischen Halbinsel im Mittelalter (711-1480), Sigmaringen 1993, 78- 87, 107-116. 2 J. Williams, San Isidoro in León: Evidence for a New History, in: Art Bulletin LV (1973), 171-184. 3 Die Hand Gottes in dieser Szene findet sich v.a. in frühjüdischen oder frühchristlichen Monumenten wie Dura Europos bzw. Sarkophagen, selten jedoch im Mittelalter: vgl. den ikonographisch differenzierten Katalog bei I. S. van Woerden, The Iconography of the Sacrifice of Abraham, in: Vigiliae Christianae XV (1961), 214-255, spez. 243-251. 4 Für die Herkunft dieses Motivs aus jüdischer oder islamischer Tradition: M. Schapiro, The Angel and the Ram in Abraham s Sacrifice: A Parallel in Western and Islamic Art, in: Ders. (Hg.), Late Antique, Early Christian and Mediaeval Art, New York 1979, 288-306. 5 Für die Deutungen von Gen 21-22: H. M. von Erffa, Ikonologie der Genesis. Die christlichen Bildthemen aus dem Alten Testament und ihre Quellen, München / Berlin 1995, Bd. II, 145-188. <?page no="282"?> Monika E. Müller 274 des Triumphes und des auf Erden körperlich abwesenden bzw. unsichtbaren himmlischen Gottes verstärken sie mit ihren Kreuzstäben und dem geradezu in himmlische Sphären gerichteten Zeigegestus. 6 Überlagert wird dadurch auch die eucharistische Grundbedeutung der Darstellung von Isaaks ‚Opferung‘, die sie sonst für eine Disposition im Altarraum prädisponiert. 7 Nun wurden diese Themen generell sehr selten an einem Tympanon verwirklicht - einziges weiteres Beispiel ist die Darstellung von Abrahams Opfer am Portal-Tympanon der Kirche in Källs Nöbbelöv 8 in Schweden aus dem 12. Jahrhundert. Einzigartig in der mittelalterlichen Portalskulptur ist die Rahmung von ‚Isaaks Opferung‘ durch den reitenden Bogenschützen Ismael und die gewandschürzende Hagar auf der linken Seite. Ebenso ohne Vergleich in diesem Kontext ist auf der rechten Seite des Tympanons die Darstellung Saras und Isaaks, der nach Moriah reitet und an der Opferstätte die Sandalen löst. 9 Nicht nur die wiederholte Verwendung ähnlicher, in der jeweiligen Tympanonhälfte jedoch variierter formaler Motive, sondern auch die unterschiedlich wertende Attribuierung und Semantisierung der Figuren implizieren ihre antithetische Deutung: Während Isaak zur Opferstätte im Zentrum reitet, strebt Ismaels Pferd geradezu aus dem Bild. Isaak trägt einen Heiligenschein, der die Christussymbolik unterstreicht, Ismael ist durch einen Turban und das besondere Reitgeschirr offensichtlich als Moslem gekennzeichnet. 10 Hagar schürzt gemäß der Darstellung mittelalterlicher Laster-Personifikationen wie der Luxuria bzw. Zügellosigkeit das Gewand, 11 Sara steht hingegen vor ihrem Haus und führt mit der rechten Hand einen 6 Die auffällige Anbringung dieser Engel wird in der Forschung diskutiert, jedoch ist nach Williams von einer einheitlichen Konzeption auszugehen; die Engel und das Medaillon berücksichtigt Williams inhaltlich zwar nicht weiter, jedoch gebührt ihm das Verdienst, erstmalig die Ikonographie dieses Tympanons in Bezug zur Reconquista gesetzt zu haben: J. Williams, Generationes Abrahae: Reconquest Iconography in Leon, in: Gesta XVI/ 2 (1977), 3-14, spez. 3-5. Das Medaillon bzw. der Clipeus gilt seit der Antike, aber auch in frühchristlicher und mittelalterlicher Zeit als Zeichen für die körperliche Abwesenheit des Dargestellten: R. Warland, Das Brustbild Christi. Studien zur spätantiken und frühbyzantinischen Bildgeschichte, Rom / Freiburg / Wien 1986, 48-56. Die Trage-Engel sind eine christliche Weiterbildung aus antiken, Triumphzeichen tragenden Victorien, wie sie z.B. im Barberini-Diptychon verwirklicht wurde: G. Schiller, Ikonographie der christlichen Kunst, Gütersloh 1971, Bd. III, 189, Abb. 523. 7 So z.B. in San Vitale in Ravenna oder in St. Stephan in Mainz: vgl. die Beiträge von A. Skou und J. Lehnen in diesem Band. 8 R. Stichel, Zur Ikonographie der Opferung Isaaks in der romanischen Kunst Spaniens und in der byzantinischen Welt, in: Actas del XXIII Congreso internacional de Historia del Arte. Espana entre el Mediterraneo y el Atlantico, Granada 1973, Bd. I, 527-536, spez. 532. Van Woerden (Anm. 3, 243-251) führt sonst für das 12. Jh. nur Beispiele auf, die an untergeordneter Stelle im Portalbereich wie der portalrahmenden Gewänderskulptur (z.B. in San Nicola in Trani, Apulien) oder dem Trumeaupfeiler (Abteikirche S. Marie in Souillac) angebracht sind. 9 Für die Identifikation der Figuren und die ältere Forschungsliteratur: Williams (Anm. 6), 5-9. 10 Ebd. (Anm. 6), 8. 11 Ebd. <?page no="283"?> Kirchenportal und Propaganda 275 Gehorsams-Gestus aus, 12 der vermutlich - ähnlich wie bei der Verkündigung an Maria - der Illustration der Verheißung ihres Sohnes Isaak (Gen 18,9-10) zuzuordnen ist und sie positiv auszeichnet. Nun galten Hagar und Sara nach Paulus und den im Mittelalter relevanten Exegeten auch als Personifikationen für den Alten und den Neuen Bund bzw. das Alte und das Neue Testament oder für Synagoge und Ecclesia. 13 Mit dieser Fortsetzung des typologischen Bezuges der vertikalen auf der horizontalen Bildachse ist der Sinngehalt des Tympanons jedoch nicht erschöpft: Isaaks Ritt zur Opferstätte gilt nach dem Kirchenvater Ambrosius von Mailand (ca. 339-397) als Parallelisierung zu Christi Passion und seinem Ritt beim Einzug in Jerusalem, die Szene verstärkt also die Christustypologie der Darstellung. Abraham kann als Typus für Gottvater stehen, in jedem Fall galt er Christen und Moslems als Patriarch. Hagar und Ismael waren hingegen nach den Ausführungen von Flavius Josephus und Isidors von Sevilla oder der Ansicht mittelalterlicher Chronisten als Ahnen der auch als Sarazenen bezeichneten „Ismaelitae“ oder „Agareni“ zu verstehen. Zudem galt Hagar nach weit verbreitetem mittelalterlichem Verständnis als lasterhafte und sexuell freizügige Person. Ismaels militant-islamische sowie Hagars negative Charakterisierung als Gegenpol zu den positiv und christlich ausgezeichneten Figuren der Sara und Isaaks sind Motive, die der damalige Betrachter sicher mit der eigenen Erfahrung und Gedankenwelt in Verbindung brachte: d.h. als gleichfalls von Gott bestätigtes Volk mit großer Zukunft, aber auch mit den teilweise negativen Klischees und den militärischen Auseinandersetzungen zwischen Christen und Moslems im Zuge der Rückeroberung islamisch besetzter Gebiete. Dies um so mehr, als die Herrscher des Königreiches von León und Kastilien gegenüber dem islamischen Süden der Halbinsel in der Zeit von der Mitte des 11. bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts eine militärisch sehr aggressive Politik vertraten, León geradezu als Hauptstadt der Reconquista zu gelten hat. 14 Die mit dem Siegeszeichen des Kreuzes angereicherte Darstellung von Abrahams Opfer und die Erweiterung mit anderen Szenen diente so wahrscheinlich dem königlichen Mäzen als Folie, um den Triumph des christlichen Glaubens zu propagieren und die islamischen Feinde zu erniedrigen. Angesichts der unsicheren Datierung des Tympanons nach 1100 oder um 1120 15 sind allerdings zwei Lesarten dieser einzigartigen Darstellung mög- 12 F. Garnier, Le langage de l’image au moyen âge, Paris 1982, Bd. I, 176f., Fig. E, H. 13 Die in diesem Abschnitt genannten Deutungen patristischer und mittelalterlicher Exegeten und Chronisten sind detailliert zu finden bei: Von Erffa (Anm. 5), 129-188; Williams (Anm. 6), 7f., jeweils mit Lit. 14 Vgl. Williams (Anm. 6), 9-11. Nicht haltbar ist allerdings seine Detail-Interpretation und die davon abhängige Spätdatierung in die 1140er Jahre. Vones (Anm. 1), 67-90. 15 Am überzeugendsten wird stilkritisch um 1110 datiert (M. Durliat, La sculpture romane de la route de Saint-Jacques, Mont-de-Marsan 1990, 379f.) oder bauhistorisch und in Anlehnung an die Portalskulptur von Saint Sernin in Toulouse (ca. 1115) um 1120 (M. F. <?page no="284"?> Monika E. Müller 276 lich: als Ausdruck von Siegesaspirationen und Wunschdenken, der die militärische Katastrophe und die Destabilisierung des Reiches in der Regierungszeit von Alfons VI. (1072-1109) bzw. Urraca (1109-1126) maskieren sollte - oder - eher als triumphales Zeichen einer tatsächlichen militärischen Überlegenheit und Konsolidierung der Herrschaft, die sich bereits am Anfang der Regierungszeit von Alfons VII. (1126-1157) abzeichnete. 16 In jedem Fall ist dieses Kirchenportal - d.h. ein sakraler Kontext mit öffentlichem Charakter - ein Forum für eine anti-islamische Propaganda mittels profan aufgeladener, sakraler Bildsprache. Hearn, Romanesques Sculpture. The Revival of Monumental Stone Sculpture in the Eleventh and Twelfth Centuries, Ithaca, New York 1981, 152f. und Anm. 68). 16 Vones (Anm. 1). <?page no="285"?> Kirchenportal und Propaganda 277 Kirchenportal und Propaganda 277 Abb. 5: Léon, San Isidoro, Südportal. <?page no="286"?> 1.5 Marc Chagalls Darstellung der Opferung Isaaks im Mittelfenster der Mainzer Stephanskirche Julia Lehnen Der Kontext dieses Chagall-Fensters (Abb. 6, 7) ist die katholische Kirche St. Stephan in Mainz. Im zweiten Weltkrieg war die Kirche schwer getroffen worden, bei Kriegsende waren alle Fenster zerstört. Es war das Anliegen des Pfarrers Klaus Mayer, bei der Planung der neuen Fenster ein Zeichen der Völkerverständigung zu setzen. So wagte er es 1973, den damals bereits 86jährigen jüdischen Künstler Marc Chagall um die Gestaltung der Fenster zu bitten. Er wandte sich an Chagall, weil dieser für ihn Symbol der jüdischchristlichen Verbundenheit und der deutsch-französischen Freundschaft war und zugleich die Fähigkeit besaß, in seiner Kunst die „biblische Botschaft den Menschen unserer Tage nahezubringen“. 1 Chagall interessierte sich für das Projekt. 1976 begann er am Entwurf zu arbeiten und bereits 1978 konnte das Mittelfenster in St. Stephan eingesetzt werden. 2 Beim Blick auf das Fenster faszinieren als erstes die Farben, „die unser Lebensgefühl unmittelbar ansprechen, denn sie erzählen von Optimismus, Hoffnung, Freude am Leben“. 3 Zu diesen „singenden“ Farben kommt die Bewegtheit der Figuren hinzu, die vom Ballett inspiriert und von „jeglicher Schwerkraft“ befreit zu sein scheinen. 4 Diese Art der Darstellung läßt den Betrachter Chagalls Aussage verstehen: „Ich sah die Bibel nicht, ich träumte sie.“ 5 Chagalls Konzept für das Mittelfenster geht vom Altar aus, der unmittelbar darunter in der Vierung steht. Der Altar bildet den Mittelpunkt des Gotteshauses und versinnbildlicht Christus. 6 Indem er das Mittelfenster dem „Gott der Väter“, d.h. dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs widmet, macht Chagall deutlich, daß der „Gott unseres Herrn Jesus Christus“ kein anderer ist als der „Gott der Väter“. 7 Damit stellt der Künstler den tiefsten Grund jüdisch-christlicher Verbundenheit heraus: Der Glaube an den einen Gott, den Gott Jesu Christi wie der Väter verbindet Juden und Christen unlösbar miteinander. 8 1 M. Chagall / K. Mayer, Der Gott der Väter. Das Chagall-Fenster zu St. Stephan in Mainz. Die Mittelfenster, Würzburg 4 1980, Bd. I, 7. 2 K. Mayer, St. Stephan in Mainz, Regensburg 11 1996 (Kunstführer Nr. 523), 6. 3 Ebd. 4 S. Forestier, Marc Chagall. Seine Farbfenster aus aller Welt, Zürich / Stuttgart 1995, 41. 5 Chagall / Mayer (Anm. 1), 15. 6 Ebd., 19. 7 Mayer (Anm. 2), 6. 8 Ebd., 8. <?page no="287"?> 279 Marc Chagalls Darstellung der Opferung Isaaks Im einzelnen zeigt das Fenster einen Patriarchenzyklus mit folgenden Szenen (von unten nach oben, Abb. 6): Abrahams Gastfreundschaft, Abrahams Fürbitte für Sodom und Gomorra, Isaaks Opferung, Jakobs Traum, Mose bringt dem Volk das Gesetz, die Botschaft von den zwei Wegen: Freude haben an Gott oder tanzen um das goldene Kalb. Ganz oben im Dreipaß schwebt der Engel Gottes mit dem siebenarmigen Leuchter, Symbol für Frieden und Heil (Ps 85,9-14). 9 Das Mittelfenster illustriert zugleich, was unterhalb auf dem Altar in der eucharistischen Feier geschieht: Unser Gottesdienst gilt dem dreieinigen Gott, in den drei Engeln angedeutet. Die Eucharistie als Mahl ist im Gastmahl Jahwes mit Abraham vorgebildet, die Fürbitten in Abrahams Fürsprache. Christi Opfer ist angesprochen im Opfer des Isaak. 10 Charakteristisch für Chagall ist, daß es bei der Darstellung der Bindung Isaaks keine Differenz zwischen Himmel und Erde gibt. Die Figuren in der vorderen Bildhälfte scheinen keinen festen Stand zu haben, die irdische Landschaft ist nur durch Bäume und Sträucher angedeutet. 11 Bei näherer Betrachtung werden wesentliche Unterschiede zur christlichen Bildtradition deutlich: Isaak liegt ungefesselt auf dem nur skizzierten Altar ausgestreckt und wendet den Kopf ab, als schliefe er. Abraham betrachtet das Messer, das er nicht entschlossen, sondern sinnend in der Hand hält. Vom linken Bildrand schaut ihn eine Frau an, die wiederum vom Engel in der linken oberen Hälfte angeschaut wird. Die Figuren sind also weniger durch ein Handlungskontinuum als durch Blicke miteinander verbunden. 12 Das Figurenrepertoire ist gegenüber Gen 22 und der christlichen Bildtradition erweitert um zwei Figuren: um die Frau in der unteren Bildhälfte (Sarah? ) sowie um den Engel oben rechts. Dieser Schofar-blasende Engel könnte auf das jüdische Neujahrsfest, das Rosch ha-Schana, anspielen, bei dem das Widderhorn an die Opferung Isaaks erinnert, „wo Gott den Widder als Opfer annahm und das Unheil von Israel abwendete“. 13 Im Kontext von Rosch ha- Schana könnte die klagende Frau auch an Rachel, die Stammmutter Israels erinnern. 14 Auffällig ist, daß in diesem Bild kein Widder dargestellt ist, der sich im Gestrüpp verfängt, sondern ein Lamm, das geradewegs von einem Engel herabgetragen wird. Hintergrund dieses Details könnte die Motivübernahme aus jüdischen Legenden sein. Chagalls Darstellung der Opferung Isaaks befindet sich in der Mitte des Altarfensters und nimmt damit im Gesamtprogramm der Chorfenster „Bund 9 Mayer (Anm. 2), 9. 10 Ebd., 9. 11 Vgl. A. Stock, Abraham und Isaak. Zur Bildgeschichte von Gen 22, in: C. Bussmann / F. A. Uehlein (Hg.), Mythische Provokationen in Philosophie, Theologie, Kunst und Politik, Würzburg 1999, 205-230, 221. 12 Vgl. Stock (Anm. 11), 222. 13 M. Swarensky, Rosch Haschana, in: F. Thieberger (Hg.), Jüdisches Fest. Jüdischer Brauch, Berlin 2 1976, 145-152, 149; Zitat nach Stock (Anm. 11), 223. 14 Vgl. ebd. <?page no="288"?> Julia Lehnen 280 und messianische Bedeutung Israels“ eine zentrale Stellung ein. Durch ihre Nähe zum Altar läßt sie sich zugleich auf den Opfertod Jesu und die Eucharistie beziehen. <?page no="289"?> 281 Marc Chagalls Darstellung der Opferung Isaaks Abb. 7: Mainz, St. Stephan, Chor, Mittelfenster von Marc Chagall und Charles Marq (© VG Bild-Kunst, Bonn 2006). Abb. 6: Marc Chagall und Charles Marq: Entwurf zum Mittelfenster im Chor von St. Stephan in Mainz (© VG Bild-Kunst, Bonn 2006). <?page no="290"?> 2 PRIVATER KONTEXT 2.1 Isaaks „Opferung“ und Christi Tod am Kreuz. Typologie in der Biblia pauperum Volker Rabens Diese typologische Bildergruppe, in der Abraham und Isaak links abgebildet sind (Abb. 8), stammt aus der sogenannten Biblia pauperum oder Armenbibel. Illustrationsprinzip dieser Bibelausgabe ist die Gruppierung zweier alttestamentlicher Darstellungen um das zentrale Motiv einer neutestamentlichen Heilstatsache und die Kombination mit vier Prophetenbrustbildern. Im Sinne eines Speculum salvatoris (Heilandsspiegel) 1 wird in mindestens 34 Bilderzyklen ein christologisches Programm aus Menschwerdung, Kindheit, Wirken und Passion Christi sowie Gründung (und zukünftige Vollendung) der Kirche dargestellt. Die Biblia pauperum wurde wahrscheinlich in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts von einem unbekannten Verfasser im südostdeutschen Raum geschaffen und ist seit dem 14. Jahrhundert in zahlreichen, zunächst namenlosen Handschriften überliefert. Ab dem 15. Jahrhundert sind niederländische Handschriften und vor allem Blockbücher nachweisbar, aus denen auch die hier gezeigte Bildergruppe stammt. Es ist in der Forschung umstritten, mit welcher Motivation der nachträglich in einigen Handschriften eingetragene Name „Biblia pauperum“ der Bibelausgabe gegeben wurde, die heute durchgängig mit eben diesem Titel bezeichnet wird. Eine so aufwendig illustrierte Pergamenthandschrift war zu teuer, um von materiell Armen gekauft zu werden; und sie war in ihrer Zusammenstellung von alt- und neutestamentlichen Szenen zu komplex, um von „geistig Armen“ (Illiteraten) oder theologisch ungebildeten Lesern verstanden zu werden. Auch die von Weckwerth vertretene These, die Armenbibel verdanke ihren Namen und Ursprung dem Umstand, daß das Buch im 12. und 13. Jahrhundert im Kampf gegen die häretische, das Alte Testament ablehnende „Armenbewegung“ („pauperes Christi“, Katharer) geschrieben wurde, 2 bleibt spekulativ. 3 So kann lediglich festgehalten werden, daß die 1 Im Gegensatz zur Mehrheit der Forscher geht A. Weckwerth sogar davon aus, daß Speculum salvatoris der früheste Titel der Armenbibel war (Der Name „Biblia pauperum“, in: ZKG 83 [1972], 14). 2 Ebd., 24ff.; A. Weckwerth / G. Schmidt, Biblia pauperum, in: LCI, Rom 1968ff., Bd. I (1968), Sp. 297. 3 Vgl. das Urteil von T. Iking, Vom Sakrament der Schrift. Typologisches Denken am Beispiel der Biblia Pauperum, in: Chr. Dohmen / Th. Sternberg (Hg.), ... kein Bildnis machen. <?page no="291"?> 283 Isaaks „Opferung“ und Christi Tod am Kreuz Biblia pauperum aller Wahrscheinlichkeit nach für die Katechese und die theologische Meditation intendiert war, die dem Betrachter die Einheit der Heilsgeschichte vor Augen führen, ihn von der Übereinstimmung der beiden Testamente überzeugen und tiefer in das Mysterium Christi eindringen lassen sollte. 4 Die vorliegende Bildergruppe steht über der Unterschrift „Das Leiden Christi reißt uns aus dem schrecklichen Abgrund“. Damit wird verbalisiert, was auch durch die Anordnung der drei Bilder betont ist: Die zwei alttestamentlichen Motive, links die ‚Opferung’ Isaaks und rechts die Erhöhung der ehernen Schlange (Num 21,8f.), werden auf dem Hintergrund der zentralen, in der triptychonartigen Bildrahmung erhöhten, neutestamentlichen Darstellung des Kreuzestodes Christi interpretiert. Die hinter diesem Vergleich zwischen alt- und neutestamentlichen Ereignissen und Personen stehende typologische Denkweise hat ihre Wurzeln in beiden Testamenten der christlichen Bibel und der patristischen Exegese. So wird zum Beispiel David in den Evangelien als Typus (Vorbild, Antizipation) des im neuen Bund gekommenen Gottessohns (Antitypus, Erfüllung, Korrespondenz) gesehen (z.B. Mk 11,9f., 12,35ff. par.). Diese Sichtweise spiegelt sich in dem dem Brustbild Davids zugeordneten Prophetenspruch aus Ps 22,17 wider. Mit dem zweiten Brustbild wird dann der stellvertretende Tod Christi als vom Propheten Jesaja angekündigt verstanden (Jes 53,7.11). Ebenso wird auch die typologische Deutung des Isaak-‚Opfers’ in dem der Darstellung zugeordneten lateinischen Text vertieft: „… Abraham bedeutet den himmlischen Vater, der seinen Sohn Jesus Christus für uns alle am Kreuz geopfert hat, um uns damit ein Zeichen der väterlichen Liebe zu geben.” Die Illustration der ‚Opferung’ Isaaks gehört zu dem im Mittelalter weit verbreiteten dramatisch-realistischen Typus dieser Thematik. Das Bild gibt den Höhepunkt des Geschehens wieder: Abraham holt mit erhobener Rechter zum Stoß mit dem Schwert aus, 5 seine Linke hält den auf dem Altar knieenden, ungefesselten Isaak an der Schulter. Abraham steht erstarrt in höchster Körperspannung, den Kopf zurückgewandt, auf die Stimme des Engels von oben horchend, der Abrahams erhobenen Arm festhält und mit der anderen Hand auf den Widder 6 im Vordergrund deutet. Aus den dem Bild zugeordneten Texten geht hervor, daß Isaaks ‚Opfer’ - und dies entspricht patristischer Auffassung - als Präfiguration von Christi Kunst und Theologie im Gespräch, Würzburg 1987, 83; V. Leppin, Art. Armenbibel, in: RGG 4 I (1998), 753. 4 So u.a. M. Berve, Die Armenbibel. Herkunft, Gestalt, Typologie, Beuron 1969, 9. 5 A. Henry interpretiert Abrahams Position zwischen der parallel zum erhobenen Schwert am Boden liegenden Scheide als sein Stehen „between the justice (blade) and mercy (scabbard), present in the paradox of the Cross“ (Biblia Pauperum. A Facsimile of the Forty-Page Block Book, Aldershot 1987, 99). 6 Der Widder wird hier ohne Gestrüpp oder Baum gezeichnet. Das Brennholz ist aber so über Kreuz gelegt, daß es möglicherweise auf das Kreuz Christi anspielen soll. <?page no="292"?> Volker Rabens 284 Tod verstanden werden soll. 7 Mit dem zweiten alttestamentlichen Motiv wird dann eine weitere typologische Parallele angedacht. Bei der ehernen Schlange wird nicht nur das ‚Opfer’, sondern vor allem die Frage nach der Reaktion auf dieses betont. Wie die Israeliten, wenn sie die eherne Schlange betrachteten, vor den Schlangen gerettet wurden, so kann man seit der neutestamentlichen „Erfüllung“ dieses Vorbilds (vgl. Joh 3,14f.), wenn man sich an Christus wendet, vor dem Unheil gerettet werden. 8 Und so treten in der Darstellung der Kreuzigung neben der Opferthematik auch eben diese Aspekte der Rettung 9 und des (Un-)Glaubens 10 in Erscheinung. Allen drei Bildern gemeinsam ist jedoch die dem Titel der Bildergruppe entsprechende Gestik des Zeigens eines Protagonisten auf das jeweilige rettende Opfer (Widder und eherne Schlange; Jesus Christus). 7 In der mittelalterlichen Typologie wird allerdings auch häufig der Widder auf Christus gedeutet, denn er wird an der Stelle eines anderen geopfert. Dieser Deutungshintergrund könnte eine mögliche Erklärung für die Wahl des vierten Prophetenspruches aus Hab 3,4 sein. Die dort erwähnten „Hörner“ in den Händen (cornua in manibus eius), die mit dem Beisatz „dort ist seine Macht verborgen“ beschrieben werden, könnten auf die mit Nägeln durchbohrten Hände Jesu bezogen sein, in denen das Heil liegt. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß cornua hier im Sinne von „Strahlen“ gelesen und im Kontext der mittelalterlichen Exegese auf das Kreuz bzw. seine Balken bezogen wurde (so Henry [Anm. 5], 99, 142). 8 Vgl. H. Cornell, Biblia Pauperum, Stockholm 1925, 277f. 9 Der befreiende Charakter dieses Opfers wird möglicherweise durch den dritten Prophetenspruch aus Hi 40,25 typologisch untermauert. Das dort thematisierte Bezwingen des Leviathans könnte die Befreiung vom Bösen und von Feinden (vgl. Ps 74,14; Jes 27,1; Ez 29,3f.), die am Kreuz errungen wurde, symbolisieren. Diese Interpretation wird indirekt von Henry unter Berufung auf mittelalterliche Quellen bestätigt: Der Leviathan „is caught by the Cross or the Divinity (a kind of cosmic fish-hook) baited with the Crucified: the fishing-line is the long ancestry of kings in Jesus’s family (Matthew i).“: Henry (Anm. 5), 99, 142. 10 Links vom Kreuz sind die ohnmächtig werdende Mutter Jesu, gestützt von Johannes, und Maria Magdalena gezeigt. Dazu schreibt Henry: „These three represent grief, obedient shouldering of responsibility, and repentance - all reactions as devotionally relevant as the centurion’s acknowledgement of God“ (ebd., 98). <?page no="293"?> 285 Isaaks „Opferung“ und Christi Tod am Kreuz Abb. 8: Biblia pauperum, Schreiber Edition I, Holzschnitt, nördl. Niederlande, um 1460. <?page no="294"?> 2.2 Die Ästhetik der Grausamkeit Alexa Friederike Wilke Mit der Opferung Isaaks (Abb. 9) nahm Michelangelo Merisi da Caravaggio ein im 17. Jahrhundert häufig realisiertes Motiv auf. Der theologische Schwerpunkt der Interpretation und Betrachtung der Erzählung lag in dieser Zeit nicht nur auf der Christus-Präfiguration oder dem in der frühchristlichen Kunst hervorgehobenen Motiv der göttlichen Hilfe, sondern auch auf dem unbedingten Gehorsam Abrahams. 1 Die vom Erzvater geübte Unterordnung galt der religiösen Erneuerungsbewegung und der Gegenreformation als Vorbild für den Umgang mit staatlicher, kirchlicher und familiärer Autorität. Jegliche Vernunft sollte sich, dem Beispiel Abrahams folgend, unter den göttlichen Willen stellen, der sich in kirchlicher und staatlicher Macht manifestierte. Neben dem Verhältnis zur im Engel repräsentierten himmlischen Autorität wurde in den Darstellungen anhand der Vater-Sohn- Beziehung zugleich die Binnenstruktur der Familien thematisiert. Umsetzung und Bewertung dieser Beziehungen variieren jedoch. Zugleich war die Opferung Isaaks auch wegen des emotionalen Gehalts der Erzählung und der sich aus ihm ergebenden Möglichkeit dramatischer Darstellungen ein sehr beliebtes Thema. Abrahams innere Konflikte und die Angst seines Sohnes regten die Phantasie der Künstler an. Vor allem aber das auch von Caravaggio dargestellte Eingreifen des Engels, durch das sich die auf den Höhepunkt gebrachte Spannung gefühlvoll in einen Augenblick der Erlösung ergießen konnte, hat verschiedene Künstler fasziniert. 2 Caravaggio nimmt sich dieser beliebten Szene an, dabei bleibt seine Darstellung jedoch ambivalent. Je zwei Protagonisten stehen sich in diesem Bild gegenüber, rahmend die idealisiert dargestellten himmlischen Boten, Engel und Widder. Im Zentrum Abraham und sein Sohn, eben noch im Opfer begriffen, in gewalttätiger Verstrickung. Die Empfindung des Betrachters wird nicht wie bei Tizians Abraham durch den verborgenen Blick des Opfernden geschützt. In Caravaggios Opferdarstellung wird er vielmehr in schonungsloser Offenheit in die grausamen Abgründe der Protagonisten hineingeführt. Abrahams Blick ist angestrengt und bleibt dennoch gleichsam ausdruckslos. Die Unbeweglichkeit seiner Miene erscheint erst dem grausam und maskenhaft, der sich in die Situation einfühlt und zumindest Erleichterung über die Verschonung des geliebten Sohnes erwartet hätte. Der Lösung verheißende Himmelsbote kommt nicht wie in anderen Darstellungen von oben. Er 1 Vgl. J. Held, Politik und Martyrium der Körper, Berlin 1996, 75. 2 Vgl. K. Möller, „Abraham“, in: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, Stuttgart 1937ff., Bd. I (1937), Sp. 82-102, 87. <?page no="295"?> 287 Die Ästhetik der Grausamkeit und Abraham begegnen sich - die Gesichter einander zugewandt - auf einer Ebene. Dieses Gegenüber gibt dem Geschehen eine eigenwillige Dynamik. Der Engel greift mit beiden Händen in die von Abrahams Silhouette abgegrenzte Opferszene ein. Während er die Gewalt der Opferung mit der einen Hand motivisch aufnimmt, indem er den rechten Arm Abrahams ebenso entschlossen umfaßt wie dieser sein Messer greift, weist die andere Hand aus der verstrickenden Grausamkeit hinaus. Sein Hinweis auf den zum Ersatzopfer ausersehenen Widder wird zur lösenden Geste, der die grausame Verstrickung von Vater und Sohn jedoch ohne Aufhebung gegenübergestellt bleibt. Beide Momente, die Lösung und die Opferung, bleiben bei aller inneren Bezogenheit aufeinander unvermittelt, und so wird auch die drohende Gebärde des Vaters nicht abgemildert. Abraham drückt seinen Sohn mit dem Gewicht seines ganzen Körpers auf den Opferstein, seine Hand dabei auf eine Weise in die Wange des Knaben bohrend, daß er dessen schreienden Mund noch künstlich auseinander zu drängen scheint. Den Griff um sein Messer lockert er nicht. Isaak gibt die ihm widerfahrene Gewalt mit dem ganzen Körper wieder. Unter dem Kopf des schon zum Ersatzopfer bereitstehenden Widders bestürzt der Ausdruck viehischer Angst und Panik im Gesicht des schreienden und sich windenden Isaak, der in diesem Entsetzen seine menschlichen Züge verloren hat und damit in einen effektvollen Kontrast zum sanft blickenden Widder gerät. Caravaggio setzte die Figuren der Bibel und der Heiligenlegenden dadurch in ein neues Licht, daß er sie rücksichtslos diesseitig darstellte. Er brach mit überkommenen Vorstellungen der dem Irdischen enthobenen, gleichsam vergöttlichten Figuren. Von offiziellen Auftraggebern mußten seine Werke deshalb oft abgelehnt werden. Um so beliebter waren seine naturalistischen, die Ästhetik des Grausamen bisweilen auf die Spitze treibenden Bilder bei privaten Sammlern. 3 Caravaggios Opferung Isaaks wurde zu einem Zeitpunkt realisiert, an dem in der Kunst um 1600 die Grenzen zwischen sakraler und säkularer Kunst nur noch in Ansätzen existierten. 4 Seine künstlerische Umsetzung eines wichtigen theologischen Motivs der Gegenreformation wurde von einem Privatmann bestellt. Im Rahmen der Sammlung Maffeo Barberinis, des späteren Papstes Urban VIII., hatte es dabei kaum eine vornehmlich religiöse Aufgabe zu erfüllen, sondern in der Konkurrenzsituation des Ausstellungskontextes vor allem Aufmerksamkeit und Emotionen hervorzurufen. Dies Unterfangen gelingt, weil himmlische Lösung und grausame Lust in dieser Darstellung der Opferung Isaaks nicht gegeneinander aufgehoben werden, sondern kontrastierend bestehen bleiben. Der durch den göttlichen Auftrag zum Kindesmord manifestierten Legitimation von Gewalt entspricht in diesem Werk kein zögernd gegebener Gehorsam, sondern vor allem die zu- 3 Vgl. Held (Anm. 1), 229. 4 Vgl. A. Wilkens, Licht und Gewalt bei Caravaggio, Berlin 2001, bei: http: / / www. diss.fuberlin.de/ 2001/ 32/ (31. Januar 2004), 52ff. <?page no="296"?> Alexa Friederike Wilke 288 tiefst menschliche, wilde Lust an Grausamkeit. Die erotische Ausstrahlung des tierisch sich windenden Opfers Isaak, dessen jugendlich schimmernde Haut vom alten, groben Fleisch des Vaters niedergedrückt wird, verstrickt auch den Betrachter in eine dunkle Faszination der Gewalt und macht ihn zum Komplizen dieser Leidenschaft. In dem unaufgehobenen Nebeneinander von Gewalt und Lösung wird so eine Eigendynamik der Grausamkeit entbunden, deren ästhetische Wirkung auch den zunächst schweifenden Blick rücksichtslos fesselt. <?page no="297"?> 289 Die Ästhetik der Grausamkeit Abb. 9: Michelangelo Merisi da Caravaggio: Opferung Isaaks, 104 x 135 cm, 1603 (Florenz, Galleria degli Uffizi). <?page no="298"?> 2.3 Isaak oder Ismail. Das Abrahamsopfer im „Aleppozimmer” Matthias Radscheit Die koranische Version von Abrahams Opfer findet sich in Sure 37/ 99-113, in einer Folge von Erinnerungen an Gottesmänner, die sich in der Heilsgeschichte bewähren und dafür ihren Lohn empfangen konnten. 1 Diese Passage unterscheidet sich vor allem in zwei Punkten von der Erzählung in Genesis 22: (1) Abraham teilt seinem Sohn nicht nur das Traumgesicht mit, sondern fragt ihn auch nach seiner Ansicht; der Sohn ermuntert den Vater, Gottes Weisung zu folgen. Die Handlung wird so konzentriert auf das Motiv der vorbildlichen, gemeinsamen Unterwerfung unter Gottes Willen. 2 (2) Auffal-lenderweise wird innerhalb der Opferepisode der Name des Sohnes nicht genannt, er wird statt dessen als „milder Sohn” (ghulâm alîm; 37/ 101) bezeichnet. Erst im Anschluß an die Opferepisode wird der göttlichen Verheißung gedacht, dem Abraham den Isaak zu schenken (37/ 112). Dies wirft die Frage auf, ob mit dem als Opfer ausersehenen Sohn im Koran Isaak oder Ismail gemeint ist. Dem heutigen islamischen Konsens zufolge war es Ismail. In den ersten Jahrhunderten des Islam dominierte jedoch die Gegenposition, die Isaak für den zu opfernden Sohn hielt. 3 Es scheint, daß dieser Übergang von Isaak zu Ismail vor allem dadurch motiviert wurde, um durch die Verbindung der Motive Ismail als ausersehenes Opfer, als Erbauer des Ka‘ba- Heiligtumes und als Stammvater der Araber den arabischen Islam heilsgeschichtlich gegenüber der jüdisch-christlichen Tradition zu emanzipieren. 4 Die Opferungsszene befindet sich an zentraler Stelle der Wandtäfelung, die ursprünglich den prunkvollen Empfangsraum (qâ‘a) eines Aleppiner 1 Noah (37/ 75-81), Mose und Aaron (37/ 114-121), Elias (37/ 123-132), Lot (37/ 133-138) und Jonas (37/ 139-148). 2 Charakteristischerweise heißt es am Höhepunkt der Episode: „103 Als nun die beiden sich (in Gottes Willen) ergeben hatten (aslamâ) und er ihn (d.h. Abraham seinen Sohn) auf die Stirn niedergeworfen hatte (um ihn zu schlachten), 104 riefen Wir ihn an: ‚Abraham! ’” (nach: Der Koran, übers. von R. Paret, überarb. Taschenbuchausgabe, Stuttgart 1979, 315). Vgl. die im Talmud geschilderte Bereitschaft Isaaks, sich opfern zu lassen: Der Babylonische Talmud, übers. von L. Goldschmidt, Nachdruck der Ausgabe Berlin 1930-1936, Frankfurt a.M. 1996, Bd. IX, 24f. 3 Vgl. R. Paret, Art. Ismâ‘îl, in: The Encyclopedia of Islam, Leiden 1960ff., Bd. IV (1978), 184f.; R. Firestone, Abraham’s Son as the Intended Sacrifice (al-dhabî , Qur’ân 37: 99-113), in: Journal of Semitic Studies 34 (1989), 95-131; S. Bashear, Abraham’s Sacrifice of his Son and Related Issues, in: Islam 63 (1990), 243-277. 4 Die zweite Zielrichtung dieser Exegese war gegen die Perser gerichtet, die für sich ebenfalls die Abstammung von Isaak reklamierten; vgl. W. M. Watt, Art. Is â , in: The Encyclopedia of Islam (Anm. 3), 109-111. <?page no="299"?> 291 Isaak oder Ismail Privathauses vom Beginn des 17. Jahrhunderts n.Chr. schmückte (Abb. 10). 5 Der Auftraggeber ‘Îsâ b. Bu rus, ein Christ vermutlich griechisch-orthodoxer Konfession, verfügte als Warenmakler im Fernhandel über internationale, von Iran bis nach Europa reichende Kontakte. Dem Zweck, muslimische wie christliche Gäste zu empfangen, entspricht die Dekoration der Wandtäfelung. Deren Inschriften und Bilder heben zum einen die Motive Gastfreundschaft und Unterhaltung hervor, etwa in der Bezeichnung des Zimmers als Ort von „Wissenschaft und Kunstgespräch” und im Lob der Großzügigkeit, in Darstellungen von Gauklern und einer feiernden Jagdgesellschaft. 6 An der vorhandenen religiösen Motivik fällt auf, daß sie offensichtlich Streitpunkte vermeidet und auf den ersten Blick Verbindendes betont. 7 Nirgends wird Jesus als Sohn Gottes bezeichnet; es gibt keine Darstellung der Kreuzigung - beides wird vom Islam bestritten. Statt dessen finden sich allgemein gehaltene Schutzgebete und ein Psalmenzitat, ein Bild von Jesus beim Mahl mit den Jüngern und die Darstellung von Abrahams Opfer. Details wie der Engel, der den Widder trägt, die verbundenen Augen des Sohnes und die Flammennimben lassen erkennen, daß diese Darstellung in der Tradition persischer Miniaturmalerei steht, in der Abrahams Opfer ein beliebtes Motiv ist. 8 Es ist daher auch wahrscheinlich, daß der Künstler, alab Shâh b. ‘Îsâ, ein Muslim aus dem Iran war. 9 Allerdings ist die Auswahl an Texten und Bildern auf der Wandtäfelung doppelbödig. Wer mit den im Psalm genannten „Heuchlern”, „Sündern” und „Ungläubigen” gemeint ist, bleibt der Deutung des jeweiligen muslimischen oder christlichen Lesers überlassen. Auch die Bildinterpretation führt zu entgegengesetzten Ergebnissen. Christen erkennen im Mahl Jesu mit den Jüngern das Abendmahl und somit auch einen Hinweis auf die Gottessohnschaft, 10 für Muslime dagegen stellt es das Tischwunder aus Sure 5/ 112 ff. des Korans dar. 11 In bezug auf die Identität des Sohnes von Abraham in der Opferszene fallen die muslimischen und christlichen Deutungen 5 J. Gonnella, Ein christlich-orientalisches Wohnhaus des 17. Jahrhunderts aus Aleppo (Syrien), Mainz 1996, 17-30. 6 Gonnella (Anm. 5), 46-60. 7 Gonnella (Anm. 5), 35-45. 8 Vgl. die Abbildungen bei Gonnella (Anm. 5), 43 und M. Schapiro, The Angel with the Ram in Abraham’s Sacrifice, in: Ders., Late Antique, Early Christian and Mediaeval Art. Selected Papers, New York 1979, 292, 295. Zu anderen Bildmotiven aus der islamischen Abrahamlegende vgl. T. Arnold, The Old and the New Testaments in Muslim Religious Art, London 1932, 24f. Zur damaligen christlichen Malerei Nordsyriens vgl. S. Agémian, Ne’meh al-Mu awwir, peintre Melkite, in: Berytus 39 (1991), 189-242; der Austellungskatalog des Ikonen-Museums Frankfurt, Der Glanz des christlichen Orients, Frankfurt a.M. 2002, bietet auf Tafel 43 eine christliche Darstellung des Abrahamopfers aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. 9 Gonnella (Anm. 5), 65. 10 Vgl. G. Kretschmar, Art. Abendmahl. III/ 1. Alte Kirche, in: Theologische Realenzyklopaedie, Berlin / New York 1977ff., Bd. 1 (1977), 59-89. 11 Zum koranischen Tischwunder s. vom Verf., The Iconography of the Qur’an, in: Chr. Szyska / F. Pannewick (Hg.), Genres Between Cultures, Wiesbaden (im Druck). <?page no="300"?> Matthias Radscheit 292 ebenfalls in bezeichnender Weise auseinander: 12 Während für Muslime die Opferung Ismails diesen als Vorläufer des Propheten Mu ammad auszeichnet, 13 können Christen in der Opferung Isaaks einen alttestamentlichen Hinweis auf die Kreuzigung Jesu sehen. 14 In andeutender Weise sind in der Wanddekoration daher genau die christlichen Glaubensinhalte ausgedrückt, deren offene Darstellung für muslimische Gäste einen Affront bedeutet hätte. 12 Dies ist möglich, da weder Ismail noch Isaak in der islamischen Malerei feststehende Attribute haben, durch die sie identifiziert werden können. 13 Vgl. Firestone (Anm. 3), 119. 14 Vgl. Aurelius Augustinus, Vom Gottesstaat, übers. von W. Thimme, eingel. und komment. von C. Andresen, München 3 1991, Bd. II, 334-336. <?page no="301"?> 293 Isaak oder Ismail Abb. 10: Berlin, Museum für islamische Kunst, Detail aus der Wandtäfelung des „Aleppo-Zimmers”, gemalt von alab Shâh b. ‘Îsâ, 1012/ 1603. <?page no="302"?> 2.4 Abrahams Opfer und menschlicher Konflikt Christian Eberhart Im Genre der holländischen Historienmalerei mit alttestamentlichen Themen im sog. Goldenen Zeitalter des 17. Jahrhunderts war die Darstellung von Szenen aus Abrahams Leben, und hier speziell von Abrahams Opfer, sehr beliebt. So hat u.a. Rembrandt van Rijn (1606-1669) mehrere Etappen der biblischen Erzählung in Gen 22,1-19 realisiert. Darunter finden sich auch verschiedene Darstellungen des entscheidenden Moments, in dem Abraham vom himmlischen Boten davon abgehalten wird, seinen Sohn Isaak zu töten. Rembrandts ältestes erhaltenes Werk zum Abrahamsopfer ist ein großformatiges Gemälde, das aus dem Jahr 1635 datiert (Abb. 11). Es wurde vermutlich für den Wohnraum eines privaten Auftraggebers geschaffen. Das berühmt gewordene Oeuvre geht auf Vorbilder von Michelangelo Merisi da Caravaggio aus dem Jahre 1603 1 sowie von Pieter Lastman aus dem Jahre 1612 (Amsterdam, Museum het Rembrandthuis) zurück. 2 In deren Werken ist bereits der das ausgehende 16. Jahrhundert dominierende Manierismus überwunden zugunsten einer Darstellungsweise, in der vor allem Gesicht und Hände der Akteure Ausdrucksträger sind. So spiegelt auch bei Rembrandt die Mimik Abrahams, aber in gewisser Weise ebenso die des Engels die emotionale Dynamik des Augenblicks wider, in dem der drei Tage andauernde Weg zum Ort des Opfers schließlich doch abgebrochen bzw. genauer: unterbrochen wird. Diese Dynamik setzt sich in der Anordnung der drei Akteure fort, auch wenn Rembrandt diese weitgehend von Lastman übernimmt. Dabei ist die Verbindung von Engel, Abraham und Isaak sowie die Inszenierung ihrer Tätigkeit - Abraham will Isaak schächten, der Engel gebietet Einhalt, woraufhin dem Abraham das Messer entgleitet - ebenfalls in den Händen manifest. 3 Schließlich ist auch die Art, wie dem Isaak in wehrloser Haltung die Hände auf den Rücken gebunden sind, Ausdrucksmittel dieser emotionalen Dynamik. Damit steht in der auf Caravaggio zurückgehenden und durch Rembrandt aufgenommenen Darstellungstradition von Genesis 22 der menschliche Konflikt, der im Bibeltext wohl impliziert, aber nicht explizit benannt ist, im Vordergrund. 1 Vgl. hierzu auch den Beitrag von Alexa Friederike Wilke in diesem Band. 2 Vgl. Chr. Tümpel, Variation und seltenes Thema, in: Ders. (Hg.), Im Lichte Rembrandts. Das Alte Testament im Goldenen Zeitalter der niederländischen Kunst, München / Berlin 1994 (o. J.), 156-167, dort 158. 3 Vgl. A. Stock, Abraham und Isaak. Zur Bildgeschichte von Gen 22, in: C. Bussmann / F. A. Uehlein (Hg.), Mythische Provokationen in Philosophie, Theologie, Kunst und Politik, Würzburg 1999, 204-230, spez. 217. <?page no="303"?> 295 Abrahams Opfer und menschlicher Konflikt Diese Schwerpunktsetzung hat verschiedene Konsequenzen, die u.a. zum Bruch mit der älteren ikonographischen Tradition führen. Dazu gehört etwa das Detail, daß Rembrandt - gegen Caravaggios Vorbild - auf die Darstellung des Widders verzichtet. 4 Von größerer Bedeutung ist demgegenüber jedoch die Beobachtung, daß seit der frühchristlichen Sakralkunst Isaaks Opferung schlechthin als die Präfiguration der Kreuzigung Jesu gilt. 5 Deshalb ist eher eine beherrschte Würde auch auf Seiten Isaaks, der sich folglich in das bevorstehende Ereignis willig fügt, Charakteristikum entsprechender Realisierungen. 6 Hinweise auf diese ikonographische Tradition finden sich in den nicht primär als religiöse Erbauungsbilder, sondern eher durch das ästhetische Vergnügen am menschlichen Zwiespalt bestimmten Werken Caravaggios oder Rembrandts jedoch kaum. Begünstigt wurden diese neuen, emotional geladenen Inszenierungen sicherlich durch ihre Natur als Auftragsarbeiten für private Räumlichkeiten. 7 Auch weitere Merkmale von Rembrandts Gemälde von 1635 gehen gegen die übliche Tradition der Sakralkunst. Dazu gehört etwa die Haltung Isaaks - Opfertiere wurden im jüdischen Tempelkult tatsächlich auf dem Rücken liegend geschächtet. 8 Das Messer in der Hand Abrahams bricht ebenso mit der Tradition des Mittelal- 4 Dieser findet sich allerdings in einer von einem Rembrandtschüler 1636, also nur ein Jahr nach Rembrandts Werk, angefertigten und ansonsten mit diesem fast identischen Kopie (Abrahams Opfer, Öl auf Leinwand, 193,5 x 132,8 cm, München, Alte Pinakothek). Vgl. dazu N. van de Kamp, Die Genesis: Die Urgeschichte und die Geschichte der Erzväter, in: Tümpel (Anm. 2), 24-53, spez. 32 (sowie die Abbildung in: ebd., 75); M. Dekiert, Rembrandt: Die Opferung Isaaks. Monographien der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, München 2004. 5 Vgl. E. L. Palli, Art. Abraham, in: LCI, Bd. I, 20-35, spez. 23-30; L. A. Berman, The Akedah. The Binding of Isaac, Northvale (New Jersey) / Jerusalem 1997, 216. 6 So hat Jan Victors fast zeitgleich mit Rembrandt ein Gemälde geschaffen, das Abraham und Isaak bei einem Gespräch vor der Opferung zeigt (Abraham und Isaak vor der Opferung, Holz, 71 x 67,3 cm, Ende der 1640er Jahre, Tel Aviv Museum of Art). Rembrandt hat dieses Thema später selbst aufgegriffen (Abraham und Isaak vor der Opferung, Radierung, 157 x 130 cm, 1645, Staatliches Museum zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz). Beide Darstellungen sind durch eine ruhige Atmosphäre gekennzeichnet, in der Abraham seinen Sohn über das bevorstehende Geschick belehrt. Textliche Grundlage dieser Szene ist weniger der kurze Dialog zwischen Vater und Sohn im biblischen Text von Gen 22,7-8 als eine entsprechend erweiterte Fassung in der frühjüdischen Literatur (nach Flavius Josephus, „Die Jüdischen Altertümer“ 1, 13, 1-4 [§ 222-236]), die den niederländischen Künstlern vertraut war (vgl. Stock [Anm. 3], 218; ferner Chr. Tümpel, Die Rezeption der Jüdischen Altertümer von Flavius Josephus in den holländischen Historiendarstellungen des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Ders. [Hg.] [Anm. 2], 194-206). 7 Für Caravaggios Gemälde vgl. J. L. De Jong, Three Italian Sacrifices: Lorenzo Ghiberti, Andrea del Sarto, Michelangelo Merisi da Caravaggio, in: E. Noort / E. Tigchelaar (Hg.), The Sacrifice of Isaac. The Aqedah (Genesis 22) and its Interpretations, Leiden / Boston / Köln 2002 (Themes in Biblical Narrative. Jewish and Christian Traditions 4), 152-165, spez. 162f. 8 Vgl. Chr. Eberhart, Studien zur Bedeutung der Opfer im Alten Testament. Die Signifikanz von Blut- und Verbrennungsriten im kultischen Rahmen, Neukirchen-Vluyn 2002 (Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament 94), 54. <?page no="304"?> Christian Eberhart 296 ters, die im Anschluß an den Ausdruck „gladium“ der lateinischen Vulgata- Übersetzung Abraham ein Schwert zur Enthauptung führen läßt. Rembrandt präsentiert sich folglich als durchaus vertraut mit der Praxis jüdischer Tierschlachtung, die er gegebenenfalls aus eigener Anschauung kannte. 9 9 Berman weist darauf hin, daß Rembrandt in Amsterdam in einem jüdischen Stadtviertel wohnte; vgl. Akedah (Anm. 5), 222f. Allerdings hat auch Caravaggio Abraham schon 1603 mit einem kurzen Messer ausgestattet. <?page no="305"?> 297 Abrahams Opfer und menschlicher Konflikt Abb. 11: Rembrandt van Rijn: Abrahams Opfer, 193 x 132,5 cm, 1635 (St. Petersburg, Eremitage). <?page no="306"?> 2.5 Franz Kafkas Federzeichnung der Bindung Isaaks im Tagebuch Markus Grafenburg Franz Kafka hat die Akedah, die Bindung (oder, wie es in der christlichen Tradition heißt, die Opferung) Isaaks (Gen 22), am 14. Juli 1916 in sein Tagebuch gezeichnet (Abb. 12). 1 Max Brod schreibt in seiner Ausgabe: „Hier und an vereinzelten anderen Stellen des Tagebuches finden sich Zeichnungen. Hier ist die Opferung Isaaks durch Abraham angedeutet.“ 2 Kafkas Zeichnung steht biographisch an einem besonderen Punkt - die Geschichte mit Felice und seine Genesis-Lektüre berühren sich hier im Sommer 1916 in Marienbad. Zwei Linien laufen also zusammen und an ihrem Berührungspunkt zeichnet Kafka die Bindung Isaaks. Die Zeichnung fällt in die Zeit, die er vom 3. bis zum 13. Juli 1916 gemeinsam mit Felice Bauer, dann bis zum 24. desselben Monats allein in Mariánské Lázne (Marienbad) verbrachte. Bereits im April hatten Felice und er diesen Urlaub geplant, die Wiederannäherung zwischen ihnen in diesen für sie insgesamt glücklichen Tagen führte zu dem Plan, sobald der Krieg vorbei sei, zu heiraten, wie er in einem Brief aus Marienbad seinem Freund Max Brod mitteilt: „Unser Vertrag ist in Kürze: Kurz nach Kriegsende heiraten“. 3 Kafka, der sich einmal in einem Brief vom 11. Juni 1914 an Felices Vertraute Grete Bloch als ein „gänzlich unsocialer Mensch“ bezeichnet hatte, 4 notierte einige Tage vor jener Zeichnung der Bindung Isaaks: „Unmöglichkeit, mit F. zu leben. Unerträglichkeit des Zusammenlebens mit irgend jemandem.“ 5 Dann wiederum schien ihm sein Dasein als Schriftsteller mit der Ehe (der „socialsten Tat“, so an Grete Bloch) vereinbar, wie aus dem schon erwähnten Brief an Brod aus jenen Urlaubstagen hervorgeht: Die Stricke, mit denen ich zusammengebunden war, wurden wenigstens gelokkert, ich fand mich ein wenig zurecht, sie, die in die vollkommenste Leere hinein 1 Franz Kafka: Tagebücher, hg. von H.-G. Koch / M. Müller / M. Pasley, in: Franz Kafka, Schriften. Tagebücher. Kritische Ausgabe, hg. von J. Born / G. Neumann / M. Pasley / J. Schillemeit, Frankfurt a.M. 2002, 796. 2 Max Brods Anmerkung findet sich in: Franz Kafka: Tagebücher 1910-1923, in: Franz Kafka: Gesammelte Werke, hg. von M. Brod. Taschenbuchausgabe in acht Bänden. Frankfurt a.M. 1995, 527. Auf S. 326, Zeile 23 verweist ein Asteriskus auf die Zeichnung. 3 Franz Kafka: Briefe 1902-1924, in: Franz Kafka: Gesammelte Werke, hg. von M. Brod. Taschenbuchausgabe in acht Bänden. Frankfurt a.M. 1995, 140. 4 Franz Kafka: Briefe an Felice und andere Korrespondenz aus der Verlobungszeit, hg. von E. Heller / J. Born. Mit einer Einleitung von Erich Heller. In: Franz Kafka: Gesammelte Werke, hg. von M. Brod. Frankfurt a.M. 1967, 598. 5 Vgl. den Eintrag vom 6. Juli bei Koch et al. (Anm. 1), 791f., Brod (Anm. 2), 367. <?page no="307"?> 299 Franz Kafkas Federzeichnung der Bindung Isaaks im Tagebuch immerfort die Hände zu Hilfe gestreckt hatte, half wieder und ich kam zu ihr in ein mir bisher unbekanntes Verhältnis von Mensch zu Mensch, das an Wert bis an jenes Verhältnis heranreicht, das in unsern besten Zeiten der Briefschreiber zur Briefschreiberin gehabt hatte. 6 Diese Zeilen, wie auch die folgenden, eher verzweifelten, aus einem Tagebucheintrag vom 19. Juli, an die Hinrichtungsszenen im „Proceß“ und der Erzählung „In der Strafkolonie“ (1914/ 15 entstanden) erinnernd, können im Licht einer Identifikation Kafkas mit Isaak gesehen werden: Sonderbarer Gerichtsgebrauch. Der zum Tode Verurteilte wird dort in seinem Zimmer vom Scharfrichter ohne Beisein anderer Personen erstochen. Er sitzt an seinem Tisch und beendet den Brief, in dem es heißt: Ihr Geliebten, Ihr Engel, wo schwebt ihr, unwissend, unfaßbar meiner irdischen Hand. 7 Auch die drei Tage später, am 22. Juli ins Tagebuch verzeichnete, ausführlichere Variante, besser gesagt, ein zweiter Versuch jener Skizze, die ebenso mit den Worten „Sonderbarer Gerichtsgebrauch“ anhebt, ist in diesem Kontext zu sehen. 8 Dem Scharfrichter, der ihn mit einem Dolch erstechen will, entgegnet der Verurteilte: Du wirst mich nicht töten, wirst mich nicht auf die Pritsche legen und erstechen, bist ja doch ein Mensch, kannst hinrichten auf dem Podium mit Gehilfen und vor Gerichtsbeamten, aber nicht hier in der Zelle, ein Mensch unter andern Menschen. Das „Lockern der Stricke“ durch Felice kann als Möglichkeit, Ehe und Schreiben miteinander zu verbinden, gesehen werden. Die Bindung Isaaks diente Kafka offenbar als Folie, um das eigene Erleben auszudrücken, und als literarische Inspiration. Die von ihm angefertigte Zeichnung erscheint im Zusammenhang seiner wohl schon im Juni begonnenen Lektüre der Tora: „Ich lese nur ein wenig in der Bibel, sonst nichts“, so am 9. Juli aus Marienbad an Brod. 9 Kurz zuvor hatte er in sein Tagebuch notiert: „Nur das Alte Testament sieht - nichts darüber noch sagen.“ 10 Nach der Zeichnung der Bindung Isaaks finden sich keine weiteren Sätze aus dem Buch Genesis herausgeschrieben. Hieraus läßt sich schließen, daß die Geschichte aus Gen 22 für Kafka ein so hohes Identifikationspotential enthielt und eigenes Empfinden in einer derartigen Prägnanz ausgedrückt werden konnte, daß Kafka zumindest vorerst keine weiteren Notizen in seinem Tagebuch zur Genesis- 6 Brod (Anm. 3, 139) datiert: „Marienbad, Mitte Juli 1916“. 7 Zitiert nach der Ausgabe von Brod (Anm. 2), 370. In der Kritischen Ausgabe wird kenntlich gemacht, daß der letzte Satz „Ihr Geliebten, Ihr Engel, wo schwebt ihr, unwissend, unfaßbar meiner irdischen Hand“ von Kafka im Manuskript durchgestrichen worden ist. Vgl. den Apparatband zur Stelle. 8 Koch et al. (Anm. 1), 800f. 9 Brod (Anm. 3), 138. 10 Koch et al. (Anm. 1), 792. <?page no="308"?> Markus Grafenburg 300 Lektüre vornahm, 11 ja diese vielleicht sogar nach jener Zeichnung vom 14. Juli abbrach. Bekanntlich trug sich Kafka um 1905 ganz ernsthaft mit dem Gedanken, Zeichner zu werden, sehr von Max Brod unterstützt, nahm Unterricht bei einer Zeichnerin, suchte Anschluß an einen Künstlerkreis, an die „Gruppe Acht“, und lehnte sich offensichtlich an den Stil des Japonismus an. Aber ein Zeichner wurde Kafka nicht, und so schrieb er 1912 gegenüber Felice nicht zufällig recht klar im Präteritum, er sei „einmal ein großer Zeichner gewesen“, 12 und weiter: „Jene Zeichnungen haben mich zu seiner Zeit, es ist schon Jahre her, mehr befriedigt als irgend etwas“. 13 Das Tagebuch bot Franz Kafka die Möglichkeit, die eigene Identität als Jude und Schriftsteller zu erschreiben, und die Zeichnung der Akedah veranschaulicht das Erlebnis jener Marienbader Tage mit Papier und Tinte, aber im verdichteten Medium der Zeichnung. Jahre später, während der Zeit der Beziehung mit Milena Jesenská, schreibt Kafka: „Bleibt nur das Rätsel zu lösen, warum ich in Marienbad 14 Tage glücklich war.“ 14 11 Ein Bibelstellenverzeichnis für Franz Kafka findet sich bei J. Born, Kafkas Bibliothek. Ein beschreibendes Verzeichnis, Frankfurt a.M. 1990, 195f. 12 Brod (Anm. 4), 294. 13 Vgl. als Zusammenstellung von Kafkas Zeichnungen: „Einmal ein grosser Zeichner“. Franz Kafka als beeldend kustenaar, hg. von N. Bokhove / M. van Dorst, Amsterdam 2002. 14 Tagebucheintrag vom 29. Januar 1922: Koch et al. (Anm. 1), 896f. <?page no="309"?> 301 Franz Kafkas Federzeichnung der Bindung Isaaks im Tagebuch Abb. 12: Franz Kafka: Bindung Isaaks, Zeichnung (vergrößert). <?page no="310"?> 2.6 Weibliche Engel. Ein Videocover Matthias Radscheit In der arabisch-islamischen Welt erfährt das Motiv der Opferung Ismails verschiedene Ausdeutungen: konkret als Symbol für die Situation der Palästinenser unter der israelischen Besatzung oder als Vorbild für Selbstaufopferung im Kampf für den Islam in militanten islamistischen Kreisen; ganz allgemein aber dient es in vielen Texten, auch in Kinderbüchern, als Muster an Glaubensgehorsam. Eine solche erbauliche Absicht verfolgt auch die 1972 auf Türkisch gedrehte und nachträglich arabisch synchronisierte Billigproduktion „Sayedna Ibrahim”, die als Video-Kassette in Buchläden vieler Moscheen erhältlich ist und die die islamische Abrahamslegende bis hin zur Opferungsszene schildert. Auffallend an der Opferungsdarstellung auf dem Cover (Abb. 13), die nicht der im Film gezeigten Szene entspricht, ist vor allem die Figur des betont weiblichen Engels (mit zwei rechten Händen). Anders als Genesis 22 kann der Koran auf Grund seiner Sprecherperspektive 1 in Zusammenhang mit der Opferungsepisode (37/ 99-113) auf die explizite Erwähnung eines Engels verzichten. Statt einen „Engel des Herrn vom Himmel” (Gen 22,11) in das Geschehen einzuführen, heißt es in Q 37/ 104 knapp: „Da riefen Wir ihm zu: Abraham! ” Auch die meisten Versionen der Opfergeschichte in der von J. Wansbrough sogenannten haggadischen Exegese 2 kommen ohne die Figur eines Engels aus. Es sind dagegen insbesondere shi’itische Quellen, die dem Erzengel Gabriel eine wichtige Rolle beim Opfergeschehen zuschreiben. 3 Es ist wohl auf den Einfluß von Genesis 22 zurückzuführen, daß in der ikonographischen Tradition des Islam zum Abrahamsopfer der Engel - wie auch der Widder, der ebenfalls im Korantext selbst nicht explizit genannt wird - fester Bestandteil geworden ist. 4 Der Koran wendet sich wiederholt entschieden gegen die Vorstellung von weiblichen Engeln. 5 Hätte Gott einen Engel als Warner herabgesandt, heißt es in Q 6/ 9, wäre dieser als ein Mann erschaffen worden. Dementsprechend wird in der Prophetenbiographie berichtet, daß Gabriel, wenn er dem Propheten eine 1 Vgl. dazu vom Verf., Word of God or prophetic speech? , in: L. Edzard / Chr. Szyska (Hg.), Encounters of Words and Texts, Hildesheim 1997, 33-42. 2 J. Wansbrough, Quranic Studies, Oxford 1977, 122-148. 3 Vgl. R. Firestone, Abraham’s son as the intended sacrifice (al-dhabî , Qur’an 37: 99-113), in: JSS 34 (1989), 95-131. 4 Vgl. M. Schapiro, The Angel with the Ram in Abraham’s Sacrifice. A Parallel in Western and Islamic Art, in: Ders., Late Antique, Early Christian and Mediaeval Art. Selected Papers, New York 1979, 289-318. 5 37/ 149-157; 43/ 16-19; 53/ 19-28. <?page no="311"?> 303 Weibliche Engel Offenbarung brachte, in Gestalt eines kräftigen Mannes auftrat. 6 Die islamische Theologie ist dagegen in der Frage nach dem Wesen der Engel auffallend zurückhaltend; das Wissen darum liege bei Gott allein. 7 Der klassischen islamischen Malerei gelten die Engel zwar als tendenziell maskulin, indem diese aber meist als bartlose Jünglinge dargestellt werden, ist ihre Männlichkeit weitgehend neutralisiert. Daneben gibt es aber auch eine Tradition von Abbildungen weiblicher Engel, die sich durch die Verschmelzung der Vorstellungsbereiche Engel, Paradiesjungfrauen ( ûrî’s) und Feen (Parî’s) in der Folklore erklären läßt. In persischen und türkischen Erzählungen und Märchen sind Parî’s manchmal launische und übelwollende, meist aber den Menschen wohlgesonnene Feenwesen. 8 Sie können fliegen - das Wort Parî ist abgeleitet vom persischen par, „Flügel” - und sind von außergewöhnlicher Schönheit, oft werden ihre „goldenen” Haare betont. In der persischen Dichtung, etwa bei Ni âmî, werden die Parî’s in ihrer Schönheit mit den Paradiesjungfrauen verglichen. 9 Und da die islamische Angelologie die Paradiesjungfrauen als Engel des Fünften Himmels klassifiziert, 10 zeigen Timuridische Miniaturen ab dem 9./ 15. Jahrhundert Parî’s in Engelgestalt, mit Flügeln. 11 Es ist unklar, ab wann Parî-Engel auch in heilsgeschichtlichen Darstellungen auftauchen. 12 Populär ist dieses Motiv jedoch in der Ikonographie des Bektaschi-Ordens 13 und in der volkstümlichen Hadschmalerei. 14 Diese Vorstellung findet sich auch hier beim vorliegenden Video-Cover, umgesetzt im reißerischen Stil arabischer Kinoplakate. 6 Vgl. J. Pedersen, Art. Djabrâ’îl, in: The Encyclopedia of Islam, Leiden 1960ff., Bd. II (1965), 362-364. 7 Vgl. D. B. MacDonald / W. Madelung, Art. Malâ’ika, in: The Encyclopedia of Islam, Leiden 1960ff., Bd. VI (1991), 216-219; S. von Hees, Enzyklopädie als Spiegel des Weltbildes, Wiesbaden 2002, 342-343. 8 Vgl. P. N. Boratav / J. T. P. de Bruijn, Art. Parî, in: The Encyclopedia of Islam, Leiden 1960ff., Bd. VIII (1995), 271-272. 9 Nizami, Die sieben Geschichten der sieben Prinzessinnen, aus dem Persischen verdeutscht und herausgegeben von R. Gelpke, Zürich 1959, 7-64; vgl. auch W. Eberhard / P. N. Boratav, Typen türkischer Volksmärchen, Wiesbaden 1953, Index; P. N. Boratav, Türkische Volksmärchen, Berlin 1968, passim. Zu den Paradiesjungfrauen vgl. C. Wendell, The Denizens of Paradise, in: Humaniora Islamica 2 (1974), 29-59 und jetzt auch Chr. Luxenberg, Die syroaramäische Lesart des Koran, o. O. (Berlin) 2000, 221-269. 10 Von Hees (Anm. 7), 262. 11 Vgl. z.B. I. Stchoukine, Les peintures des manuscripts timurides, Paris 1954, Tafeln XIX, XLI. 12 Vgl. W. Walther, Die Frau im Islam, Leipzig 2 1983, Abb. 120; H.-C. Graf von Bothmer, Buchmalerei, in: Türkische Kunst und Kultur aus osmanischer Zeit, Ausstellungskatalog, Recklinghausen 2 1985, Bd. II, 55. 13 Eine Darstellung der Opferszene mit weiblichem Engel schmückt die Außenwand einer Tekke bei Bulqize, Albanien; eine Aufnahme davon ist im Archiv des Verf. Allgemein zum Bektaschi-Orden und seiner Ikonographie vgl. J. K. Birge, The Bektashi Order of Dervishes, London 1937; F. de Jong, The Iconography of Bektashism, in: Manuscripts of the Middle East 4 (1989), 7-29. 14 A. Parker / A. Neal, Die Kunst des Hadsch, München 1995, 64-65, 101, 104-106. <?page no="312"?> Matthias Radscheit 304 Abb. 13: Madjdalânî: Opferung Ismails, 27,3 cm x 20 cm, Video-Cover. <?page no="313"?> 3 ÖFFENTLICH-PROFANER KONTEXT 3.1 Leerstellen der Erinnerung. George Segals Abraham and Isaac II (in Memory of May 4, 1970: Kent State University) Simone Lutz In our dim beginnings this story penetrates: a father his son and the slaughtering knife. […] (Yehudit Kafri: In the Beginnings) 1 Dieser kurze, stenogrammartige Umriß der alttestamentlichen Geschichte der Opferung Isaaks, den die israelische Schriftstellerin Yehudit Kafri am Anfang ihres Gedichtes In the Beginnings gibt, könnte als Unterschrift der Skulptur Abraham and Isaac II von George Segal (1924 - 2000), amerikanischer Bildhauer jüdischer Abstammung, dienen. Auch hier sind die „Protagonisten“ im Vergleich zur biblischen Vorlage reduziert: ein Vater, sein Sohn und ein Messer. Was dadurch sowohl im Gedicht als auch in der Skulptur besonders ins Auge fällt, ist die Leerstelle. Eine Leerstelle, die durch den Verlust der transzendenten Macht, des Gottes, entsteht und mittels derer die traditionelle Bildformel des Themas aufgelöst wird: Engel und Widder, Zeichen der göttlichen Intervention, fallen weg. 2 Während jedoch Kafri die Leerstelle mit der in der Bibel unerwähnten Sarah schließt, 3 der Gottes erlösende Worte „Recke 1 Zitiert bei: D. C. Jacobson, Does David still play before you. Israeli poetry and the Bible, Detroit 1997, 217 (Titel des Gedichtes im Original: Bare’ shiyyot). 2 Allein schon visuell eröffnet die Skulptur mit dem übergroßen Sockelstein eine Leerstelle, die auf das Fehlen von Widder und Engel verweist. Viel bedeutender in diesem Zusammenhang ist allerdings der Hinweis auf die Ähnlichkeit dieses Sockels zu Segals Skulptur Abraham and Isaac I, die 1973 in Israel entstand. Hier symbolisiert der „rough, crude Jerusalem stone (captured in plaster) [...] the Foundation Stone out of which, according to Jewish tradition, the world was created. It is Mount Moriah, the place of sacrifice, the topos of the Temple.“ (zit. nach M. Heyd, George Segal: The multifaceted Sacrifice, in: Jewish Art 23/ 24 [1997-98], 617-627, 618). 3 Das Gedicht lautet im folgenden: „... How did it happen? / And where was Sarai? / How could she depend / on a God so tyrannical/ to protect at the last moment? / Why didn´t she shout/ even early on,/ when he just hitched the donkey/ and loaded the wood: / Do not raise your hand / against the boy! ? / ...“ (zit. nach Jacobson, Anm. 1). <?page no="314"?> Simone Lutz 306 deine Hand nicht gegen den Knaben“ 4 in den Mund gelegt werden, konzentriert sich Segals Darstellung auf den Konflikt zwischen Vater und Sohn - niemand wird diesem Isaak zu Hilfe eilen. Der Verlust der Möglichkeit einer Intervention von außen, sei sie nun menschlich oder göttlich, lenkt den Fokus des Betrachters auf die Psychologie der Figuren. Eine Dimension, die in der Bibel ausgespart bleibt, und Segal, der mehrere Skulpturen biblischer Szenen schuf, zeitlebens faszinierte: „Yes, I find those Biblical stories fascinating, especially Genesis. [...] I am hard pressed to find an adjective. The description of the action is austere, swift, there is no clue about what any of the characters are thinking.“ 5 Insbesondere die Geschichte der Opferung Isaaks, die Segal zweimal in verschiedenen Kontexten, immer aber reduziert auf Vater und Sohn, gestaltet hat, 6 inspiriert den Künstler, der in ihr „a wrestling match between a father’s love for his son and his need to demonstrate his love for an invisible, demanding God“ 7 sieht. Diesen inneren Konflikt Abrahams gestaltet Segal in Abraham and Isaac II (Abb. 14). Auf der einen Seite der Skulptur wird dem Betrachter die Illustration der Opferungsbzw. Tötungsabsicht durch die messerführende Rechte Abrahams dramatisch vor Augen geführt, auf der anderen Seite die Darstellung des inneren Konflikts: Abraham krallt seine linke Hand voll Verzweiflung ins eigene Fleisch. Die Geschichte der Akedah ist für Segal auch die Geschichte eines Generationenkonfliktes, eines „clash of values“ 8 , die von ihm dezidiert in aktuelle politische Zusammenhänge gestellt wird. So schuf er 1973 die Skulptur Abraham and Isaac I in Israel, mit der er der in der israelischen Kunst virulenten Frage nach der Opferung der jungen Generation in den israelischen Kriegen nachspürte. 9 Auch die Skulptur Abraham and Isaac II entsteht 1978 aus aktuellem Anlaß: Im Mai 1970 werden an der Kent State University, Ohio, vier Studenten bei Protesten gegen den Vietnam-Krieg getötet, auch hier schickt die Generation der Väter ihre Kinder in den Krieg. Segals Werk, in Auftrag gegeben als Mahnmahl für die Toten, war keine willkommene Erinnerung, die Schenkung der Skulptur an die Kent State University wurde zurückgewiesen, dem 4 Gen 22,12. 5 In his own words, transcripts from interviews with George Segal, in: George Segal: American Still Life, bei: http: / / www.pbs.org/ georgesegal/ ihow/ inhisownwords.html, (15. Januar 2004, inzwischen eingestellt). 6 Eine dritte Version der Figuren Abraham und Isaak hat Segal als Teil seines Holocaust- Mahnmahls San Francisco Holocaust Memorial gestaltet; ein toter Abraham bedeckt die Augen seines toten Sohnes - beide werden Teil einer kollabierten jüdischen Geschichte. 7 G. Segal, Reflections on my work while in Jerusalem, in: Jewish Art 23/ 24 (1997-98), 600- 616, 603. 8 In his own words, transcripts from interviews with George Segal, in: George Segal: American Still Life, bei http: / / www.pbs.org/ georgesegal/ ihow/ inhisownwords.html, (s. Anm. 5). 9 Zur Bedeutung der Akedah im israelischen Kontext vgl. den Beitrag von Ruth Kartun- Blum in diesem Band. <?page no="315"?> 307 Leerstellen der Erinnerung Künstler der Vorschlag unterbreitet, doch besser eine nackte Frau darzustellen, die einem Soldaten eine Blume in den Lauf seines Gewehres steckt … Heute steht Abraham and Isaac II in zwei Versionen (Gips und Bronze) auf dem Campus bzw. in den Räumen der Princeton University - ein Mahnmal, das auch seine eigene Geschichte zitiert und auf eine leere Stelle in Kent State University, Ohio verweist. <?page no="316"?> Simone Lutz 308 Abb. 14: George Segal: Abraham and Isaac II (in Memory of May 4, 1970, Kent State University). <?page no="317"?> 3.2 Wenn der Widder Isaak opfert Christian Eberhart Menashe Kadishman (geboren 1932 in Tel Aviv, Israel) hat sich seit den späten 70er Jahren in zahlreichen Arbeiten mit dem Thema „Opfer“ auseinandergesetzt. In der monumentalen Eisenskulptur The Sacrifice of Isaac (Abb. 15) greift er auf den bekannten Mythos aus Genesis 22 zurück, provoziert allerdings einerseits in der Ausführung durch eine minimalistische Reduzierung, die archaische Einfachheit ausstrahlt und bewußt keine ästhetischen Impulse im traditionellen Sinne vermittelt, 1 andererseits durch das Prinzip des Auslassens von im Mythos vorgegebenen Elementen. 2 So läßt er den Widder - lediglich symbolisiert durch einen gehörnten Tierkopf - aufrecht stehen, während Isaak - auch er nur anhand eines menschlichen Kopfes angedeutet - am Boden liegt. Kadishman beschränkt sich mit dieser Auswahl auf die beiden Wesen, die der biblischen Erzählung zufolge unmittelbar vom Tode bedroht sind, also Opfer werden bzw. werden könnten. 3 Damit verzichtet er auf eine Repräsentation Abrahams, der eigentlich die zentrale Figur des biblischen Textes von Genesis 22 ist, jedoch nach Kadishmans Ansicht durch seine Bereitschaft, den eigenen Sohn zu töten, die menschliche Schwäche als Ursache von endlosen Opferzyklen repräsentiert. 4 Aber auch der himmlische Bote, der in Gen 22,11-12 interveniert und den Mord an Isaak und damit das Menschenopfer verhindert, fehlt. Angesichts der resignierenden Erfahrung, daß in der Wirklichkeit dieser Welt für die Opfer menschlicher Gewalt eine (irdische oder himmlische) Rettung meist ausbleibt, kontrapunktiert Kadishman in der bewußten Beschränkung seiner Realisation den Ausgang der biblischen Erzählung: Für Isaak, das menschliche Opfer, gibt es keine Rettung; das Tier, das Ersatz an seiner Statt versprechen könnte, erscheint angesichts der Darstellung der Hörner vielmehr selbst wie ein Todesengel - und triumphiert letztlich. 5 1 Vgl. A. Barzel, Kadishman: Le sacrifice d’Isaac, in: Cimaise. Present Day Art 36/ 202 (1989), 73-79, spez. 76: „Kadishman refuse de charmer l'œil“. 2 Kadishman ist in seinem Schaffen aufgrund dieser Merkmale der klassischen englischen Moderne verbunden; vgl. U. Schneider, Opfer 1982-1999, in: Shalechet. Häupter und Opfer. Heads and Sacrifices (Ausstellungskatalog des Suermondt-Ludwig-Museums Aachen), Milano 1999, 88. 3 Zur Zentralität, aber auch Ambivalenz des Opferbegriffs in Gen 22,1-19 vgl. Chr. Eberhart, Die Prüfung Abrahams - oder: Wo aber ist das Opfer im Neuen Testament? Exegese von 1. Mose 22 aus christlicher Sicht, in: U. Dehn (Hg.), Wo aber ist das Opferlamm? Opfer und Opferkritik in den drei abrahamitischen Religionen, Berlin 2003 (EZW-Text 168), 28- 49, spez. 28-33. 4 Vgl. P. Restany, Die Schwäche Abrahams, in: Shalechet (Anm. 2), 47. 5 Vgl. dazu auch: R. Kartun-Blum, Die Fesselung Isaaks, in: Shalechet (Anm. 2), 100. <?page no="318"?> Christian Eberhart 310 Die Visualisierung des Themenkomplexes „Opfer“, der in der Kunst des 20. Jahrhunderts eher vernachlässigt worden ist, 6 bildet einen zentralen Bestandteil in Kadishmans Oeuvre. Er widmet ihm neben zahlreichen Skulpturen auch Zeichnungen und Gemälde, Gedichte, konzeptuelle Arbeiten usw. von zum Teil fast prophetischer Aktualität. 7 Dabei ist es auch zur Begegnung mit dem biblischen Mythos aus Genesis 22 gekommen. 1973 stand Kadishman selbst mit seinem Sohn Ben für George Segals Figurengruppe Sacrifice of Isaac I Modell. 8 Bei der eigenen Umsetzung dieses Themas bewegen Kadishman die Geschichte und Kriege Israels, 9 die allgemeine Ausbeutung und Zerstörung der Natur durch die moderne Zivilisation, 10 aber auch Konfliktsituationen zwischen Individuum und staatlicher Obrigkeit: „Neither do I consider the story of the sacrifice of Isaac as signifying a divine command or a decree of God. For me, it symbolizes the fear of the individual to defy the dictates of society and its conventions“. 11 In seinem Umgang mit dem biblischen Mythos präsentiert sich Kadishman so als Teil einer „Protestbewegung“ zeitgenössischer israelischer Künstler, die ihre eigene Kultur als Wiederholung der traditionellen biblischen Dramen erleben, wobei die religiöse Dimension durch sozial-anthropologische und sonstige existentiale Applikationen ersetzt wird. 12 Allerdings ist Kadishmans Skulptur ihres religiösen Gehalts nicht völlig entkernt: Ohne das Wissen um die Bildtradition und die etablierten Bedeutungsebenen sowie um das unter dem Begriff der Bindung Isaaks (Akedah) historisch gewachsene Verständnis von Isaak als „Prototyp“ des Volkes Israel ist sie nicht erfaßbar. Abstraktion und minimalistische Ausführung des biblischen Themas werden erst vor diesem Hintergrund deutlich. Andererseits entstehen spezi- 6 Vgl. A. Kampf, Opfer, in: Shalechet (Anm. 2), 95. Eine Ausnahme bilden allerdings verschiedene jüdische bzw. israelische Künstler (s. dazu oben). 7 Angesichts der tragischen Ereignisse vom 11. September 2001 sei auf Kadishmans konzeptuelle Arbeit „Telephone Book“ hingewiesen, im Rahmen derer er bereits 1972 eintausend zufällig ausgewählte Namen aus dem Telefonbuch von Manhattan mit einem Filzstift ausgestrichen hat, um die Beseitigung geopferter menschlicher Wesen zu thematisieren; vgl. Schneider (Anm. 2), 88. 8 Kadishman verkörperte dabei gerade Abraham, den er bei seinen eigenen Arbeiten meist ausläßt. Befragt über sein eigenes Verständnis zum Thema gelangte Kadishman zu der ambivalenten Einsicht, Abraham selbst sei als Opfer anzusehen: „One who sacrifices his son sacrifices himself“ (zit. nach M. Heyd, George Segal. The Multifaceted Sacrifice, in: Jewish Art 23/ 24 [1997/ 1998], 617-627, spez. 620). 9 Vgl. dazu folgende Äußerung Kadishmans: „The Binding of Isaac occurs in our time, in every place we send our children to wars ...“ (zit. nach: M. Omer, Upon One of the Mountains. Jerusalem in Israeli Art, The Genia Schreiber Gallery 1988, 127). Vgl. auch L. A. Berman, The Akedah. The Binding of Isaac, Northvale (New Jersey) / Jerusalem 1997, 226. 10 Kadishmans Verbundenheit mit unberührter Natur mag auf seine Jugend in den Jahren 1950-1953 zurückgehen, während derer er als Schäfer in einem Kibbuz arbeitete; vgl. dazu die biographischen Angaben in: Cimaise. Present Day Art 36/ 202 (1989), 88. 11 Zit. nach Chr. Tacke, Die Opferung Isaaks, in: Shalechet (Anm. 2), 105. 12 Vgl. R. Kartun-Blum (with drawings by Menashe Kadishman), Profane Scriptures. Reflections on the Dialogue with the Bible in Modern Hebrew Poetry, Cincinnati 1999, 17-19. <?page no="319"?> 311 Wenn der Widder Isaak opfert ell durch die Exponierung der Skulptur an einem öffentlichen Standort für die Betrachter Freiräume für eigene Assoziationen zum Thema. Abb. 15: Menashe Kadishman: The Sacrifice of Isaac, Installation aus Eisenblech (S-o Paolo, Biennale 1985). <?page no="320"?> 312 Kunst im Kontext Abbildungsnachweise Abb. 1: G. Koch, Frühchristliche Sarkophage, München 2000, Abb. 64. - Abb. 2: K. Weitzmann / H. L. Kessler, The Frescoes of the Dura Synagogue and Christian Art, Washington 1990, Abb. 3. - Abb. 3-4: F. W. Deichmann, Frühchristliche Bauten und Mosaiken von Ravenna, Baden-Baden 1958, Abb. 314-315. - Abb. 5: J. Williams, Generationes Abrahae: Reconquest Iconography in Leon, in: Gesta XVI/ 2, 1977, Fig. 1. - Abb. 6-7: K. Mayer, Der Gott der Väter. Marc Chagall, Würzburg 1981, 1, 34 (© VG Bild-Kunst, Bonn 2006). - Abb. 8: P. van der Coelen, Das Alte Testament in Bilderbibeln des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Chr. Tümpel (Hg.), Im Lichte Rembrandts. Das Alte Testament im Goldenen Zeitalter der niederländischen Kunst, Zwolle s. d., 180, Abb. 124. - Abb. 9: P. de Montebello (Hg.), The Age of Caravaggio, Ausstellungskatalog New York 1985, 285. - Abb. 10: M. Shapiro, Late Antique Early Christian and Medieval Art. Selected Papers, New York 1979, 293, Fig.5. - Abb. 11: J. van Gent / G. M. C. Pastoor, Die Zeit der Richter, in: Chr. Tümpel (Hg.), Im Lichte Rembrandts. Das Alte Testament im Goldenen Zeitalter der niederländischen Kunst, Zwolle s. d., 75, Abb. 3.- Abb. 12: Tagebücher, hg. von H.-G. Koch / M. Müller / M. Pasley, in: Franz Kafka, Schriften. Tagebücher. Kritische Ausgabe, hg. von J. Born / G. Neumann / M. Pasley / J. Schillemeit, Frankfurt a.M. 2002, 796 (mit freundl. Genehmigung S. Fischer Verlag GmbH). - Abb. 13: Super Bazar, Sayedna Ibrahim (La vie des prophètes), Paris 1992, Videocover. - Abb. 14: G. Segal, Reflections on my work, in: Jewish Art 23/ 24 (1997/ 98), 616, Fig. 12 (© The George and Helen Segal Foundation / VG Bild-Kunst, Bonn 2006). - Abb. 15: Chr. Tacke, The Sacrifice of Isaac, in: Menashe Kadishman. Shalechet, Häupter und Opfer. Heads and Sacrifices, Ausstellungs- Katalog, Mailand 1999, 116 (mit freundl. Genehmigung des Künstlers). <?page no="321"?> Hermann Lichtenberger Predigt über Genesis 22,1-19 * Liebe Gemeinde! Die Wahl des Predigttextes für diesen Gottesdienst steht im Zusammenhang eines internationalen Symposions, das in den vergangenen Tagen im Rahmen des Graduiertenkollegs „Die Bibel - ihre Entstehung und ihre Wirkung“ an unserer Universität über die „Opferung Isaaks“ in der jüdischen, der christlichen und der islamischen Überlieferung stattfand. Fachleute aus den Bereichen der Bibelwissenschaft, der systematischen Theologie und Religionsphilosophie, der Judaistik und Islamwissenschaft, der Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte und Psychiatrie haben sich der großen und unergründlichen Erzählung in 1. Mose 22 anzunähern und sie zu entschlüsseln versucht. Die Predigt über diesen Text verdankt sich in Vielem diesen gemeinsamen Bemühungen, ohne daß dies im einzelnen benannt werden könnte. Aber wenn die einmütige Erfahrung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieses Kongresses nur die eines tastenden Annäherns an diesen Text ist, wie läßt sich dann überhaupt darüber predigen? Darum sei an den Anfang unseres gemeinsamen Hörens auf den Text die Schlußbemerkung aus Luthers Interpretation gestellt: „Wenn in der Auslegung nicht alles nach seiner (scil. des Textes) Würde von mir gehandelt wäre, soll solches ein christlicher Leser (bzw. Hörer) meinem geringen Verstand zurechnen.“ 1 Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich. 2 Und er sprach: Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebhast, den Isaak, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde. 3 Da stand Abraham früh am Morgen auf und gürtete seinen Esel und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte. 4 Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne 5 und sprach zu seinen Knechten: Bleibt ihr hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen. 6 Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak. Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand; und gingen die beiden miteinander. * Diese Predigt wurde am 19.1.2003 beim Universitätsgottesdienst in der Stiftskirche in Tübingen gehalten. <?page no="322"?> Hermann Lichtenberger 314 7 Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Mein Vater! Abraham antwortete: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer? 8 Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. Und gingen die beiden miteinander. 9 Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz 10 und reckte seine Hand aus und faßte das Messer, daß er seinen Sohn schlachtete. 11 Da rief ihn der Engel des HERRN vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. 12 Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, daß du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen. 13 Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich in der Hecke mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes Statt. 14 Und Abraham nannte die Stätte „Der HERR sieht“. Daher man noch heute sagt: Auf dem Berge, da der HERR sieht. 15 Und der Engel des HERRN rief Abraham abermals vom Himmel her 16 und sprach: Ich habe bei mir selbst geschworen, spricht der HERR: Weil du solches getan hast und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont, 17 will ich dein Geschlecht segnen und mehren wie die Sterne am Himmel und wie den Sand am Ufer des Meeres, und deine Nachkommen sollen die Tore ihrer Feinde besitzen; 18 und durch dein Geschlecht sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden, weil du meiner Stimme gehorcht hast. 19 So kehrte Abraham zurück zu seinen Knechten. Und sie machten sich auf und zogen miteinander nach Beerscheba, und Abraham blieb daselbst. Der Text sprengt alles Denk- und Aussagmögliche. „Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebst, den Jishaq, und geh in das Land Morija und bring ihn dort als Brandopfer dar ...“ (V.2). Diese Sequenz ist unentrinnbar, sie läßt keinen Ausweg. Spätere jüdische Auslegungen haben die Unausweichlichkeit retardieren wollen und haben sie dadurch noch verschärft, indem sie Abraham einwerfen lassen: „nimm“ - „deinen Sohn“ - „ich habe zwei Söhne“ (Ismael und Isaak), - „deinen einzigen“ - „jeder ist seiner Mutter ein einziger“ (Hagar und Sara), - „den du liebst“ - „ich liebe beide“, und dann gibt es keinen Ausweg mehr: - „den Jishaq“, den spätgeborenen Sohn der Verheißung. Tief hat sich diese Erzählung in das Gedächtnis Israels und der Menschheit eingebrannt, für Israel wurde sie zu allen Zeiten zum Modell der Deutung des eigenen Geschicks und zugleich Unterpfand der Hoffnung auf Erlösung: In den Pogromen des Mittelalters zur Zeit der Kreuzzüge ist diese unbegreifliche Geschichte Symbol jüdischer Existenz geworden. Die Undeutbarkeit der Schoa hat in der Antwortlosigkeit der Erzählung ihre Sprache gesucht, und <?page no="323"?> Predigt über Gen 22,1-19 315 bis zur Gegenwart steht sie für das Unsagbare, das Unsägliche. Am Shabbat, nach dessen Ausgang Jishaq Rabin ermordet worden war, hatte zur Toralesung auch 1. Mose 22 gehört, und bei der Trauerfeier wurden diese Worte wiederholt: „Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebst, den Jishaq ...“ und gaben dem Unsagbaren Sprache. Neben der Offenheit der Erzählung für katastrophale oder tragische kollektive oder individuelle Erfahrungen, steht ihre Unzugänglichkeit und Rätselhaftigkeit. Gerade weil wir an dieser Geschichte scheitern, haben alle Zeiten versucht, ihr wenigstens einen Teil ihrer Schrecken zu nehmen, - sei es, daß man religionsgeschichtlich in ihr eine in Erzählung umgesetzte Ablösung eines Menschenopfers, genauer eines Kindesopfers, durch ein Tieropfer sieht, - sei es, daß man sich durch die Erzählungseinleitung beruhigen läßt: „Gott versuchte Abraham“, es war ja nur eine Versuchung, eine Prüfung, deren glücklicher Ausgang von Anfang an feststand, man überhaupt die Geschichte von ihrem guten Ausgang her liest, und Abraham und Isaak am Ende mit dem Schrecken davonkommen. Aber lesen wir die Geschichte von ihrem offenen Ausgang aus, dann erhebt sich doch die Frage, ob Abraham diese Probe bestanden hat. Betrachtet man die biblische Abrahamsgeschichte, so wird deutlich, daß diese eine Folge von Erprobungen ist, und als Bewährter in den Erprobungen wird Abraham in der jüdischen, christlichen und islamischen Überlieferung zum Beispiel der Glaubenstreue. In zehn Versuchungen bestand Abraham, und die letzte, den eigenen Sohn zu opfern, war die schwerste und größte. Aber kann man die Geschichte nicht auch anders lesen? Hätte Abraham nicht dann die Probe bestanden, wenn er sich geweigert, den Befehl als Täuschung erkannt hätte? In unerbittlicher Klarheit hat dies Immanuel Kant formuliert: Abraham hätte auf diese vermeintliche göttliche Stimme antworten müssen: „Daß ich meinen guten Sohn nicht töten solle, ist ganz gewiß; daß aber du, der du mir erscheinst, Gott sei, davon bin ich nicht gewiß und kann es auch nicht werden, wenn sie auch vom (sichtbaren) Himmel herabschallte.“ Und wenn es wirklich Gott war, der dies befahl, hätte dann Gott nicht selbst Abrahams Weigerung erwartet? Wer darf über das Leben seines Kindes verfügen? Schon unsere Rücksichtslosigkeit und die Fehler unserer Erziehung greifen tief in das Leben unserer Kinder ein und können ihnen die Zukunft verstellen - aber dieses Letzte, über Leben und Tod verfügen! ? Hätte Abraham nicht dann die Probe bestanden, wenn er „nein“, nein zu Gott gesagt hätte? <?page no="324"?> Hermann Lichtenberger 316 Aber da hätte er schon früher mit seinem „Nein“ beginnen müssen, nämlich mit dem Nein zu dem „Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will“ (Gen 12,1). Mit diesem ersten „Ja“ („da zog Abram aus, wie der Herr zu ihm gesagt hatte“, Gen 12,4) hat er sich alles eingebrockt, nun auch diese Geschichte. Aber hätte er hier nicht doch „nein“ sagen müssen? Ging es beim Auszugsbefehl und all den andern Zumutungen an Abraham darum, daß er der Verheißung glaubt, so steht dieser Befehl im Widerspruch zur Verheißung: mit der Erfüllung des Tötungsbefehls an Isaak wird der Träger der Verheißung vernichtet, die Verheißung selbst Makulatur, würden die unzählbaren Sterne der Verheißung in dem einen verlöschen. Widerspricht Gott nicht sich selbst? Luther hat in seiner Auslegung diesen Selbstwiderspruch Gottes scharf gesehen: Abraham klammert sich an das „erste“ Wort, das von der Verheißung, und hält es dem „zweiten“ Wort, dem Tötungsbefehl, entgegen. Er glaubt dem Wort der Verheißung, auch wenn er dem Befehl des zweiten Worts Folge leistet, weil er glaubt, daß Gott Isaak wieder lebendig machen wird; so konnte es Luther ja auch im Hebräerbrief (11,19) lesen. Diese Deutung geht von einem faktischen Nein zum Tötungsbefehl aus, auch wenn Abraham nicht letztlich dazu bereit ist, weil er der Verheißung glaubt: Gott wird durch die Auferweckung des Isaak die Nachkommens- und Volksverheißung erfüllen. Abraham hält dem wetterwendisch erscheinenden Gott dessen eigenes Wort entgegen, er hält an Gottes Verheißung fest, obwohl ihm erscheinen muß, daß Gott selbst nicht daran festhält. Darin - und allein darin - ist Abraham Vorbild für jeden, der in Anfechtung steht: Gott bei seinem Verheißungswort „beim Wort zu nehmen“. Was die Schwere von Abrahams Anfechtung angeht, so ist sie aber unvergleichlich: (Ich habe aber gesagt), daß wir diese Anfechtung nicht erreichen noch verstehen können, sondern daß wir sie nur von ferne sehen und ihr etwas nachdenken. Bei diesem „von ferne Sehen und Nachdenken“ stehen wir - um noch einmal mit Luther zu reden - wie der zurückgelassene Esel unten, der nicht auf den Berg kommen kann. Wir wollen die Geschichte nicht von ihrem glücklichen Ausgang, einem „noch einmal davongekommen“ her lesen, sondern so, wie sie sich zwischen den beiden erzählerischen Hauptgestalten Isaak und Abraham abspielt. Die Erzählsequenzen sind von bedrückender Zielstrebigkeit. Nach dem Befehl „Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebst, den Jishaq ...“ (Gen 22,2) werden mit geradezu gefühlloser Sachlichkeit die Vorbereitungen Abrahams geschildert: Abraham steht am Morgen auf, sattelt den Esel, nimmt zwei Knechte und seinen Sohn Isaak, spaltet Brandopferholz und bricht auf zu dem angewiesenen Ort (V.3). Kein Zaudern, kein Beratschlagen. Nach drei Tagen Weg sieht Abraham den vorgesehenen Ort von fern (V.4), heißt die Knechte mit dem Esel bleiben, und täuscht sie - und seinen Sohn: <?page no="325"?> Predigt über Gen 22,1-19 317 „Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen.“ (V.5) Abraham weiß, daß er die Unwahrheit sagt - und sagt doch die Wahrheit; denn am Ende werden sie zu zweit wiederkommen, und die beiden Knechte werden nie erfahren, was sich tatsächlich abgespielt hat. Aber wir, die Leserinnen und Leser, Hörerinnen und Hörer, wissen es, und es schaudert uns und verschlägt uns den Atem. Zuvor wüßten wir noch gerne, was sich in den drei Tagen in den Herzen Abrahams und Isaaks und zwischen den beiden abgespielt hat. Der Erzähler bedeckt es mit Schweigen, und das macht diesen Weg und diese Zeit noch länger und noch bedrückender. Abraham weiß nicht, daß er sich auf dem Weg zum Ort der Gottesgegenwart, seines rettenden Eingreifens, befindet, er ist auf dem Weg zur Opferstätte seines Sohnes. Nach der Trennung von den Knechten ist Abraham weiterhin der Handelnde: Er nimmt das Brandopferholz und lädt es seinem Sohn Isaak auf, wie als sollte sich der Sohn nicht verletzen, ergreift er das Feuerbecken und das Messer - „und gingen die beiden miteinander.“ (V.6) Und nun hören wir ein einziges Mal Isaaks Stimme, und der knappe Dialog ist der eigentliche Mittelpunkt der Erzählung, dessen Eindringlichkeit den Schmerz des Vaters offenbart. „Mein Vater! “ - „Hier bin ich, mein Sohn! “ So, als hätten wir vergessen können, daß hier nicht zwei Fremde, Henker und Delinquent, zur Hinrichtung gehen, sondern liebender Vater und geliebter Sohn zu einer Tat des Vaters, von der nur er weiß, so dringt uns dieses ins Herz: „Mein Vater“ - „mein Sohn! “. „Hier ist das Feuer und das Holz, wo aber ist das Schaf zum Brandopfer? “(V.7). Abrahams Antwort ist von einer unergründlichen Unwahrheit und Wahrheit zugleich: „‘Gott wird sich ein Schaf zum Brandopfer ersehen, mein Sohn.‘ Und gingen die beiden miteinander.“ (V.8) Ahnt Isaak, was geschehen wird? Was konnte er der doppeldeutigen Antwort Abrahams entnehmen? Wäre die Frage Isaaks, dieses einzige Mal, da er sich an seinen Vater wendet, nicht die Stunde der Wahrheit gewesen? Sören Kierkegaard spielt einige Möglichkeiten, wie dies anders hätte verlaufen können, durch. Die erste: Nachdem sie die Knechte zurückgelassen hatten: Abraham sprach zu sich selbst: „Ich möchte doch vor Isaak nicht verheimlichen, wohin ihn dieser Gang führt.“ Er blieb stehen, legte seine Hand zu einem Segen auf Isaaks Haupt, und Isaak beugte sich, um den Segen entgegenzunehmen. Und Abrahams Angesicht war voll väterlicher Liebe, sein Blick war mild, seine Worte klangen ermahnend. Aber Isaak konnte ihn nicht verstehen ... er bat um sein junges Leben ... er erinnerte an die Freude im Hause Abrahams ... Da richtete Abraham den Jungen wieder auf, nahm ihn an die Hand und ging weiter, und seine Worte waren voll Trost und Ermahnung. Aber Isaak konnte ihn nicht verstehen. Er bestieg den Berg Morija, aber Isaak verstand ihn nicht. <?page no="326"?> Hermann Lichtenberger 318 Nachdem sich Abraham kurz abgewendet hatte, sieht Isaak, daß sich Abrahams Gesicht zur Wildheit verändert hatte. Er wirft Isaak zu Boden und fragt ihn: „Dummer Junge, glaubst du, ich sei dein Vater? Ich bin ein Götzenverehrer. Glaubst du, es ist Gottes Befehl? Nein! Es ist meine Lust.“ In seiner Todesnot ruft Isaak den Gott Abrahams an: „Habe ich keinen Vater auf Erden, so sei du mein Vater! “ Aber Abraham sagte leise bei sich selbst: „Herr im Himmel, ich danke dir; es ist doch besser, daß er glaubt, ich sei ein Unmensch, als daß er den Glauben an dich verlöre.“ Hier „opfert“ Abraham sich selbst, seine Vaterschaft, damit Isaak nicht den Glauben an den Vater im Himmel verliere. Aber es gibt auch eine andere Möglichkeit, sie erzählt Kierkegaard als vierte: Sie ritten einträchtig zusammen, Abraham und Isaak, bis sie zum Berge Morija kamen. Und Abraham bereitete alles zur Opferung vor, mit Beherrschung und Milde. Aber indem er sich wegwandte und das Messer zog, da sah Isaak, daß sich Abrahams Linke vor Verzweiflung zur Faust ballte, daß da ein Zittern durch seinen ganzen Körper ging - aber Abraham zog das Messer. Sie zogen wieder heimwärts, und Sara eilte ihnen entgegen, aber Isaak hatte den Glauben verloren. Anders als diese Variante aus der Isaakperspektive berichtet der biblische Erzähler weiter mit Blick auf Abraham: Als sie ankommen, baut Abraham einen Altar, legt Holz darauf, bindet Isaak Arme und Beine wie einem Tier zur Schächtung, legt ihn auf den Altar auf das Holz (V.9) und holt zum Schächtschnitt aus (V.10) - Rembrandt hat diese Schlachtszene in seinem St. Petersburger Gemälde dargestellt -, da wird er unterbrochen. Zweimal ruft ihn der „Engel des Herrn“ mit Namen und gebietet ihm, sein grausiges Tun abzubrechen (V.11f.). War dazu eine Himmelsstimme nötig? Hätte ihm nicht längst die Stimme der Liebe oder wenigstens die der Vernunft Einhalt gebieten müssen? Die Stummheit der Szene, in der Abraham das Opfer vorbereitet und zum Vollzug schreitet, hat seit der Antike beunruhigt. So fügt die frühjüdische Deutung Dialoge und Monologe Abrahams und Isaaks ein, in denen Isaak in seinen Tod einwilligt und dessen Heilsbedeutung erklärt. Andere füllen sie emotional: „Die Augen Abrahams waren auf Isaak gerichtet, die Augen Isaaks aber zu den Engeln in der Höhe“ oder: „Aus Abrahams Augen flossen Tränen aus Erbarmen auf die Augen Isaaks, und dennoch war sein Herz froh, den Willen seines Schöpfers zu erfüllen“. Luther weiß sich die Stummheit der Erzählung nur dadurch zu erklären, daß „Mose“ sich nicht getraut, derart unbeschreibliche Dinge zu berichten, oder aber, daß er vor Weinen nicht weiterschreiben konnte. Auch Kierkegaard versucht, die emotionalen Leerstellen zu füllen, aber die biblische Erzählung sagt von alledem nichts. Auch nichts von der Mutter Sara. Aus der Tatsache, daß wenige Verse nach dieser Erzählung Saras Tod berichtet wird, schloß die jüdische Auslegung, daß sie <?page no="327"?> Predigt über Gen 22,1-19 319 starb, als sie von dem Vorgefallenen durch Isaak erfuhr. Sie wußte, was hätte geschehen können. Darum dürfen wir uns nicht am glücklichen Ausgang der Geschichte beruhigen, sondern müssen uns noch ein wenig an dem offenen Ausgang abarbeiten. Die Hörerinnen und Hörer der biblischen Erzählung wissen mehr als Abraham und Isaak, sie wissen, es ist eine Erprobung, und wer in Israel diese Geschichte gehört hat, der wußte, daß sie glücklich ausgehen würde, denn sie alle waren ja Nachkommen Isaaks, des Sohnes der Verheißung. Aber Abraham kennt die Leseanleitung nicht: „Dies ist (nur) eine Erprobung“, er muß sich ohne diese Beruhigung verhalten. Aber auch in unserem Leben gibt es keine Regieanweisung, wenn wir vor unausweichliche Entscheidungen gestellt oder in tiefes Leid gestürzt werden: „Dies ist jetzt eine Erprobung, eine Probe“. Kein Ersatzsündenbock holt unsere Kohlen, geschweige denn uns selbst aus dem Feuer. Abraham kannte die Regieanweisung nicht. Er hatte nur das Verheißungswort, das Wort der Zusage Gottes, mit ihm zu gehen, bei ihm zu sein. Und gibt nicht die Erzählung selbst Hinweise darauf, daß Abraham diesem Wort glaubt? In der Nachricht an die zurückbleibenden Knechte: „wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen“ (V.5); in der Antwort an Isaak: „Gott wird sich ein Schaf zum Brandopfer ersehen, mein Sohn“ (V.8); und schließlich in der ungewöhnlichen Art der Opfervorbereitung (V.9f.), die jedem in Israel aufgefallen sein muß: Bei keinem Opfer wird das Opfertier auf dem Holz des Altars liegend geschlachtet, sondern vorher, und wird dann auf den Altar gebracht und verbrannt. Abraham aber legt Isaak lebend auf das Holz, er zieht den Tötungsakt hinaus, so lange es irgend geht, so als klammere er sich bis zuletzt daran, daß Gott dieses Letzte nicht von ihm verlange, weil er Gott ist, nicht verlangen werde. In seine Gottesfinsternis hinein leuchtet ihm das Wort der Verheißung. Keine unserer Lebenssituationen ist mit der Abrahams vergleichbar. Und doch kann Abraham Vorbild sein: Gottes Heilswillen gegen allen Augenschein zu vertrauen, gegen Gottes unbegreifliches Handeln zu Gott hin zu fliehen, ihn selbst beim Wort zu nehmen, so wie Abraham Gott angesichts dessen Vernichtungsbeschlusses über Sodom und Gomorra, bei dem Gerechte und Ungerechte ungerechterweise zusammen untergehen würden, vorhält: „Sollte der Richter der Welt nicht gerecht richten! ? “ (Gen 18,25). Wir gingen von der „offenen“ Abrahamsgeschichte aus. Wie offen sie tatsächlich ist, haben wir aus der Schriftlesung aus Römer 8 gehört. Nicht Abraham hat seinen Sohn in den Tod geben müssen, aber Gott hat „seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben“ (V.32). Und darum gilt all das andere, das Paulus ausführt, und aus dem wir noch einmal hören wollen: <?page no="328"?> Hermann Lichtenberger 320 31 Was wollen wir nun hierzu sagen? Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? 32 Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben - wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? 33 Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. 34 Wer will verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt. 35 Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? 36 Wie geschrieben steht (Ps 44,23): „Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wir sind geachtet wie Schlachtschafe.“ 37 Aber in dem allem überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat. 38 Denn ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, 39 weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn. Amen. <?page no="329"?> Predigt über Gen 22,1-19 321 Dokumentation - Materialien Bereshit Rabba Parasha 55,7 (Text: Theodor / Albeck, Bereschit Rabba, Nachdruck Jerusalem 1965, 590) (Übersetzung: A. Wünsche, Der Midrasch Bereschit Rabba, Leipzig 1881, 263) V. 2. Und er sprach: nimm deinen Sohn d(as) i(st) er sprach: ich bitte dich darum. Abraham entgegnete: Ich habe zwei Söhne, welchen von ihnen? Gott sprach: Deinen einzigen. Abraham sprach: Der eine ist einzig für seine Mutter und der andere ist einzig für seine Mutter. Gott sprach: Den du lieb hast. Abraham sprach: Giebt es denn Grenzen in meinem Innern (Ich habe einen so lieb wie den andern)? Gott sprach: Den Jizchak. Warum offenbarte es ihm Gott nicht gleich? Um ihn in seinen Augen lieb zu machen und ihm für jedes Wort Lohn zu geben. Targum Neofiti 1 zu Gen 22,10 (Zitiert nach: P. Naumann, Targum - Brücke zwischen den Testamenten I, Konstanz 1991, 133) Und Abraham streckte seine Hand aus, und er nahm das Messer, um seinen Sohn Isaak zu opfern. Isaak hob an und sagte zu seinem Vater Abraham: „Mein Vater, binde mich gut fest, damit ich nicht trete und (so) dein Opfer verworfen wird und ich in die Grube des Verderbens gestoßen werde in der kommenden Welt.“ Die Augen Abrahams waren (gerichtet) auf die Augen Isaaks, und die Augen Isaaks wandten sich zu den Engeln der (Himmels)höhe. Abraham sah sie nicht. In diesem Augenblick ging eine Stimme vom Himmel aus und sprach: „Kommt, seht zwei (Menschen), die einzigartig (sind) in meiner Welt! Der eine opfert, und der andere wird geopfert. Der Opfernde zögert nicht, und der, welcher geopfert wird, hält seinen Hals hin.“ M. Luther, Predigten über Gen 22 M. Luther, Sämtliche Schriften, hg. v. J. G. Walch, Bd. 3, St. Louis (Mo.) 1894, 344f., 1485, 1491, 1503, 1506, 1509, 1528, 1529 10. Aber das Größte ist, daß Gott hier wider sich selbst redet. Das ist ein Räthslein, das niemand errathen kann denn der Heilige Geist. Denn Gott hat geboten, man soll nicht tödten [2 Mos. 20, 13.]. Nun heißt er es hier selbst, so doch Isaak nichts verschuldet hatte. Item, [er] hat ihm zuvor verheißen, von Isaak den Samen zu geben. Das Wort mußte Abraham glauben; also, daß sein Herz so stand: Der Sohn muß ein Vater vieler Kinder werden, und soll ausgebreitet werden in alle Welt: Wie stellt sich denn Gott also? Nun wird er wetterwendisch, und redet das Widerspiel, und muß der Sohn jetzt sterben; was will doch hieraus werden? Was kann die Vernunft da sagen? Sie ist ganz geschlagen, daß sie nicht weiß, wo hinaus, und muß sagen, es sei nun aus. 11. Nun mußte dennoch dies beides wahr sein: Abraham glaubte und wußte nichts anders, denn der Sohn müßte sterben; wiederum auch, daß er sollte ein Vater werden vieler Völker [Röm. 4, 17.]. Wie reimen sich die zwei zusammen? Also, wie es St. Paulus [Hebr. 11, 17.] auslegt, er hat müssen also denken: Gott ist allmächtig und wahrhaftig, der Sohn ist schon hin, den muß ich lassen fahren; aber Gott hat noch so viel, wenn ich und alle Welt todt wären, kann er ihn wieder aufwecken, <?page no="330"?> Hermann Lichtenberger 322 auch über hundert Jahr, und zum Vater machen. Also läßt ihm Gott nicht mehr denn den einigen Trost, daran er sich in der höchsten Versuchung hält, daß ihn Gott wieder lebendig machen würde, wenn ihm es gefiele, darum, daß Gott nicht lügen kann. Das ist nun der allerhöchste Streit, wenn sich Gott also stellt, als lüge er, daß sein Wort wider einander lautet. 13. So hat Abraham nicht glauben können, daß er nur verflucht würde; denn sonst wäre er der Verheißung gewiß geblieben und hätte gedacht, Gott thäte, wie bisweilen die Eltern pflegen zu thun, wenn sie ihre Kinder auch versuchen, und nehmen ihnen etwa den Apfel oder dergleichen etwas, das ihnen lieb ist, aus den Händen, geben es ihnen alsbald wieder: sondern da Gott dem Abraham gebietet, er solle seinen Sohn nehmen und tödten, läßt er ihm keine Hoffnung, daß ihm der Sohn möchte wieder werden, führt Abraham vielmehr einfach auf solche Gedanken und Zweifel, daß er denken muß, Gott sei wider sich selbst, und der sich zuvor erzeigt habe, als sei er Abrahams höchster Freund, erzeigt sich nun, als sei er sein Feind und ein Tyrann. 31. Was meinst du aber, daß Abraham hier in seinem Herzen wird gefühlt haben? Denn er hat ja Fleisch und Blut gehabt, und ist, wie ich oft gesagt habe, kein unfreundlicher Mann gewesen, der keine natürliche Neigung, Mitleiden und weiches Herz gehabt hat. Es wird ihm aber das den Schmerz auch gemehret haben, daß er diese That niemand hat dürfen offenbaren, sonst würde es ihm jedermann widerrathen haben, und würde ihn der große Haufe, so es ihm widerrathen hätte, vielleicht auch etwas bewogen haben. Derhalben macht er sich mit etlichen Dienern und dem Sohne allein auf den Weg. Es ist wahrlich ein hohes, schweres Gebot, und viel härter, denn wir gedenken können; und ist doch das gleichwohl voll Trostes, daß der Text klärlich sagt, daß Gott solches nur versuchungsweise thue. Wo auch Abraham dasselbe gewußt, hätte er desto weniger Sorge gehabt: nun ist er aber in diesen Gedanken gar verschlungen, daß sein Sohn wahrhaftig müsse geopfert und gewürgt werden, es werde die Verheißung erfüllt, wann und welcher Gestalt sie wolle. 66. Dies alles wird darum so fleißig beschrieben, daß damit angezeigt werde, daß auch des Verzuges halben sein Glaube ist etwas geübt worden. Er, der Vater selbst, hat müssen das Holz suchen und hauen, und hat es dazu dem Esel aufgeladen, seinen Sohn damit zu verbrennen. Unterdeß wird er ohne Zweifel große Angst und Anfechtung seines Fleisches gefühlt haben; denn er hat kein eisern Herz gehabt, sondern ist von zarter Natur gewesen. Es ist ihm durch sein Herz immer gegangen der Gedanke von dem Brandopfer, und daß sein eingeborner Sohn, der ihm verheißen war als zu einer Hoffnung des zukünftigen Samens und vieler Nachkommen, sollte geschlachtet, und eben mit dem Holz, so er, der Vater selbst, gesammelt, verbrannt werden. 73. Ich halte, daß die Stätte, da das Opfer geschehen sollte, nicht weiter denn eine Viertelmeile Weges gelegen sei von dem Ort, da er die Knaben hat heißen bleiben. Denn obwohl Jerusalem oder der Berg Morija etwas hoch gelegen gewesen ist, hat man es doch nicht sehr weit sehen können, dieweil es allenthalben umher eitel Berge gehabt hat. Ich zwar verwundere mich darüber sehr, daß der arme Vater von solchem großen und langen Herzeleid nicht gar gestorben ist; denn er hat drei ganze Tage müssen reisen. So aber dieser Kampf eine Stunde oder zwei gewährt, hätte er ihn desto leichtlicher überwinden können. Darum macht dieser Verzug seinen Gehorsam immer größer. Unterdeß hat er gedacht: Siehe, ich komme da mit <?page no="331"?> Predigt über Gen 22,1-19 323 meinem Sohne, welcher ein Knabe ist, dazu ich große Hoffnung habe; derselbe muß nun sterben. Solche Tödtung des Fleisches hat er diese drei Tage über neben andern Pfeilen des Satans dulden und leiden müssen, und hat es doch gleichwohl müssen in sich fressen und dazu stille schweigen um des Gebots willen, darauf er sich verlassen, und also dadurch ist gestärkt und erhalten worden. 81. Mose hat bisher nach der Länge beschrieben das Exempel des Gehorsams dieser Beiden, nämlich, des Sohnes und des Vaters, und hat den Leser immer aufgehalten bis zum Ueberdruß und warten lassen, wo doch solch Spiel hinaus wolle. Da Abraham nun den Altar zugerichtet hat und es jetzt zum Treffen gekommen ist, schweigt er still, als der sich entweder nicht getraut, solche Dinge auszureden (denn sie sind an sich selbst viel zu groß, denn daß sie sich mit Worten sollten beschreiben lassen), oder aber hat es vor Weinen nicht schreiben können. Er läßt also die hohe Verwunderung in den Herzen der Zuhörer bleiben, und will, daß sie solcher Sache nachdenken und ermessen, da er sie mit Worten nicht erreichen kann. 138. Nun fällt hier eine andere Frage ein: Wie doch Abraham der Stimme des Engels habe gehorchen können, und sich deß enthalten, daß er seinen Sohn nicht geschlachtet hat? Wie, wenn er gezweifelt und gedacht hätte, es wäre kein Engel, sondern ein Teufel, weil er ja ein ausdrücklich Gebot Gottes gehabt hat, nämlich, da Gott zu ihm gesagt hatte: Schlachte deinen Sohn und opfere ihn zum Brandopfer? Wider das Gebot wird ihm nun vom Engel geboten, er soll seines Sohnes verschonen und ihm nichts thun. 140. Auf diese Frage aber antworte ich also: Die heilige Schrift sagt klärlich, daß dies nicht ein betrüglicher oder lügenhaftiger, sondern ein rechter wahrhaftiger Engel gewesen sei, der da wahrhaftig Gottes Wort gebracht hat. Demselben hat Abraham geglaubt, daß es nicht vergeblich müßte geredet sein; und da er bei sich gewißlich beschlossen, daß er seinen Sohn schlachten wollte, hat ihn der Heilige Geist innerlich durch das Wort des Engels gleich als durch ein äußerlich Mittel und Werkzeug ermahnt, und den Glauben und Geist in ihm gezwungen. Wo er aber kein äußerlich Wort gehabt, hätte er das Widerspiel nicht geglaubt und wäre von seinem Vornehmen nicht abgestanden. I. Kant, Der Streit der Facultäten in drei Abschnitten (Kant’s gesammelte Schriften VII), Berlin 1917, 63 Denn wenn Gott zum Menschen wirklich spräche, so kann dieser doch niemals wissen, daß es Gott sei, der zu ihm spricht. Es ist schlechterdings unmöglich, daß der Mensch durch seine Sinne den Unendlichen fassen, ihn von Sinnenwesen unterscheiden und ihn woran kennen solle. - Daß es aber nicht Gott sein könne, dessen Stimme er zu hören glaubt, davon kann er sich wohl in einigen Fällen überzeugen; denn wenn das, was ihm durch sie geboten wird, dem moralischen Gesetz zuwider ist, so mag die Erscheinung ihm noch so majestätisch und die ganze Natur überschreitend dünken: er muß sie doch für Täuschung halten.* Dazu die Anmerkung: * ) Zum Beispiel kann die Mythe von dem Opfer dienen, das Abraham auf göttlichen Befehl durch Abschlachtung und Verbrennung seines einzigen Sohnes - (das arme Kind trug unwissend noch das Holz hinzu) - bringen wollte. Abraham hätte auf diese vermeinte göttliche Stimme antworten müssen: „Daß ich meinen guten <?page no="332"?> Hermann Lichtenberger 324 Sohn nicht töten solle, ist ganz gewiß; daß aber du, der du mir erscheinst, Gott sei, davon bin ich nicht gewiß und kann es auch nicht werden, wenn sie auch vom (sichtbaren) Himmel herabschallte.“ S. Kierkegaard, Furcht und Zittern, Frankfurt a. M. 2 1988, 11-14 „Und Gott versuchte Abraham und sagte zu ihm: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du liebst, und gehe hin in das Land Morija und opfere ihn dort zu einem Brandopfer auf dem Berge, den ich dir zeigen will“ (1. Mose 22,1-2). Es war ein früher Morgen. Abraham stand zeitig auf, ließ die Esel satteln und verließ mit Isaak seine Wohnstätte, Sara aber sah ihnen vom Fenster aus nach, hinab ins Tal, bis sie sie nicht mehr sah. Sie ritten schweigend drei Tage lang, am Morgen des vierten Tages sagte Abraham noch immer kein Wort, sondern erhob seine Augen und sah den Berg Morija in der Ferne. Er ließ die Knechte zurück und ging allein mit Isaak an der Hand auf den Berg. Aber Abraham sprach zu sich selbst: „Ich möchte doch vor Isaak nicht verheimlichen, wohin ihn dieser Gang führt.“ Er blieb stehen, legte seine Hand zu einem Segen auf Isaaks Haupt, und Isaak beugte sich, um den Segen entgegenzunehmen. Und Abrahams Angesicht war voll väterlicher Liebe, sein Blick war mild, seine Worte klangen ermahnend. Aber Isaak konnte ihn nicht verstehen, seine Seele konnte sich nicht erheben; er umfaßte Abrahams Knie, er warf sich flehentlich vor seine Füße, er bat um sein junges Leben, um seine hoffnungsvolle Zukunft, er erinnerte an die Freude im Hause Abrahams, und er erinnerte an den Kummer und an die Einsamkeit. Da richtete Abraham den Jungen wieder auf, nahm ihn an die Hand und ging weiter, und seine Worte waren voll Trost und Ermahnung. Aber Isaak konnte ihn nicht verstehen. Er bestieg den Berg Morija, aber Isaak verstand ihn nicht. Da wandte er sich einen Augenblick von ihm ab, aber als Isaak das Angesicht Abrahams wieder zu sehen bekam, da war es verändert, sein Blick war wild, seine Erscheinung war entsetzlich. Er packte Isaak an der Brust, warf ihn an die Erde und sagte: „Dummer Junge, glaubst du, ich sei dein Vater? Ich bin ein Götzenverehrer. Glaubst du, es ist Gottes Befehl? Nein! Es ist meine Lust.“ Da erbebte Isaak und rief in seiner Angst: „Gott im Himmel, erbarm dich meiner, Gott Abrahams, erbarm dich über mich; habe ich keinen Vater auf Erden, so sei du mein Vater! “ Aber Abraham sagte leise bei sich selbst: „Herr im Himmel, ich danke dir; es ist doch besser, daß er glaubt, ich sei ein Unmensch, als daß er den Glauben an dich verlöre.“ Wenn das Kind entwöhnt werden soll, dann schwärzt die Mutter ihre Brust; es wäre ja auch herzlos, daß die Brust lieblich aussähe, wenn das Kind sie nicht bekommen darf. So jedoch glaubt das Kind, die Brust habe sich verändert; aber die Mutter, sie ist dieselbe geblieben, ihr Blick ist zärtlich und behutsam wie immer. Wohl dem, der nicht schrecklichere Mittel benötigt, um das Kind zu entwöhnen! II Es war ein früher Morgen. Abraham stand zeitig auf, er umarmte Sara, seine Braut im Alter, und Sara küßte Isaak, der die Schmach von ihr genommen hatte, ihren Stolz, ihre Hoffnung für alle Geschlechter. Dann ritten sie schweigend des Weges dahin, und Abrahams Blick war an die Erde geheftet, bis zum vierten Tage, da erhob er seine Augen und sah von weitem den Berg Morija, aber sein Blick wandte <?page no="333"?> Predigt über Gen 22,1-19 325 sich wieder zur Erde. Schweigend legte er das Holz auf die Erde, band Isaak, schweigend zog er das Messer; da sah er den Widder, den Gott ausersehen hatte. Den opferte er und zog heim. - - - Von dem Tage an wurde Abraham alt, er konnte nicht vergessen, daß Gott solches von ihm gefordert hatte. Isaak gedieh wie vordem; aber Abrahams Auge war verdunkelt, er sah keine Freude mehr. Wenn ein Kind groß geworden ist und entwöhnt werden soll, dann versteckt die Mutter wie eine Jungfrau ihren Busen, das Kind hat dann keine Mutter mehr. Wohl dem Kinde, das die Mutter nicht anders verlor! III Es war ein früher Morgen. Abraham stand zeitig auf; er küßte Sara, die junge Mutter, und Sara küßte Isaak, ihre Lust, ihre Freude zu allen Zeiten. Und Abraham ritt gedankenvoll des Weges dahin, er dachte an Hagar und den Sohn, die er in die Wüste hinausgejagt hatte. Er bestieg den Berg Morija, er zog das Messer. Es war ein stiller Abend, da ritt Abraham allein hinaus, und er ritt zum Berg Morija; er warf sich auf sein Angesicht, er bat Gott, ihm seine Sünde zu vergeben, daß er Isaak hatte opfern wollen, daß der Vater seine Pflicht gegen den Sohn vergessen hatte. Er ritt öfter seinen einsamen Weg, aber er fand keine Ruhe. Er konnte nicht begreifen, daß es eine Sünde gewesen war, Gott sein Bestes, was er besaß, opfern zu wollen, das, wofür er selbst gerne sein Leben viele Male hingegeben hätte; und wenn es eine Sünde war, wenn er Isaak nicht so geliebt hatte, dann konnte er nicht verstehen, daß dies vergeben werden konnte; denn welche Sünde war furchtbarer? Wenn ein Kind entwöhnt werden soll, dann ist die Mutter auch nicht ohne Trauer, daß sie und das Kind mehr und mehr voneinander getrennt werden; daß das Kind, welches erst unter ihrem Herzen lag, später noch an ihrer Brust ruhte, nicht mehr so nahe sein kann. So trauern sie zusammen über dieses kurze Leid. Wohl dem, der das Kind so nahe behielt und nicht um mehr zu trauern hatte! IV Es war ein früher Morgen, in Abrahams Haus war alles bereit zur Reise. Er nahm Abschied von Sara, und Elieser, der treue Diener, folgte ihm hinaus auf den Weg, bis er wieder umkehrte. Sie ritten einträchtig zusammen, Abraham und Isaak, bis sie zum Berge Morija kamen. Und Abraham bereitete alles zur Opferung vor, mit Beherrschung und Milde. Aber indem er sich wegwandte und das Messer zog, da sah Isaak, daß sich Abrahams Linke vor Verzweiflung zur Faust ballte, daß da ein Zittern durch seinen ganzen Körper ging - aber Abraham zog das Messer. Sie zogen wieder heimwärts, und Sara eilte ihnen entgegen, aber Isaak hatte den Glauben verloren. Darüber wurde in der ganzen Welt kein Wort verloren, und Isaak erzählte niemals einem Menschen etwas davon, was er gesehen hatte, und Abraham ahnte nicht, daß jemand es gesehen hatte. Wenn ein Kind entwöhnt werden soll, dann hat die Mutter eine kräftigere Speise zur Hand, damit das Kind nicht umkommt. Wohl dem, der eine kräftigere Speise zur Hand hat! <?page no="334"?> Hermann Lichtenberger 326 So und auf viele ähnliche Weisen dachte jener Mann, von dem wir erzählen, über diese Begebenheit nach. Jedesmal, wenn er von einer Wanderung zum Berg Morija heimgekehrt war, sank er vor Müdigkeit zusammen, faltete seine Hände und sagte: „Niemand war doch so groß wie Abraham, wer ist dazu imstande, ihn zu verstehen? “ <?page no="335"?> Register I. Sachregister Abraham, Isaak und Gott sind nicht eigens als Stichwörter im Register aufgenommen. Aaron 53 Aaron ha-Kodesch 76 Abel 52, 271 Abendmahl 291 Abimelech 29, 118, 119 Abraham a Santa Clara 171 Abrahambund 30, 114 Absolute, das 7 Absurde, das 5 Achill 156, 158, 159 Adam 70, 102, 112, 113, 120, 124, 125 Ätiologie 24 Affekte 161 Agamemnon 156, 157, 158, 159, 160, 166, 167, 244, 252 Agnus Dei 271, 273 Ahitofel 179 Aischylos 156 Alkestis 156 Alkibiades 159 Allmacht 56, 148 Ambrosius v. Mailand 275 Amoralität 21 Anagnorisis 161, 162 Anfechtung 136, 137, 139, 316 Anima 191 Antigone 96 Apollo 160, 162 Aqedah VII, 19, 21, 23, 40, 58, 73, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 93, 94, 97, 98, 99, 100, 103, 104, 105 106, 108, 121, 127, 152, 259, 266, 267, 298, 299, 300, 306, 310 Ararat 113 Aristoteles 159 Artemis 156, 157 Ash arit 249 Athen 156, 160, 161 Athene 160, 161 Atman 191 Atriden 160, 162, 164 Auctor sacramentorum 271 Auferstehung, -shoffnung 20, 148, 149 Augustin 136, 140, 147, 150, 201, 203 Aulis 156, 160, 161, 169 Auslösung 252 Autoagressivität 194 Baal 186 Babel 115 Bassus, Junius 262 Beerscheba 43, 111, 121, 132 Benjamin 71, 131 Bera von Sodom 116 Berufung 62 Beschneidung 53, 54, 133, 188, 190 Beth-Alpha 79, 80 Bewährung 34 Bilderverbot 266, 267 Bindung, s. Aqeda Birscha von Gomorrah 116 Brahma 191 Brandopfer(ritual) 26, 36, 40, 60, 65, 67, 143, 189, 200, 201, 209, 314, 317, 319 Bund 22, 77, 177, 188, 190, 275, 279 Bundeslade 76 <?page no="336"?> Register 328 Böse, das 44, 55, 56, 61, 67, 69, 136, 190, 250, 253, 254 Caesar, Julius 60 Calvin 145 Christentum 13, 14, 15, 19, 185, 259 Christologie 13 Christus 11, 28, 35, 135, 144, 148, 149, 150, 152, 153, 173, 200, 201, 202, 204, 206, 207, 209, 210, 211, 212, 213, 214, 215, 218, 259, 263, 264, 271, 273, 275, 278, 279, 282, 283, 284 Daniel 263 Danksagungsopfer 59 David 104, 283 Dea ex machina 161 Dekalog 140 Dekonstruktion 94, 99, 100, 104, 107 Deus absconditus / revelatus 137, 141 Dialog, interreligiöser 252 Diana 162 Dichtung, politische 103 Dionysos 168 Druiden 60 Dämon 45 Dämonische, das 10, 11, 27 Davidstern 174 Ecclesius 270 Eden 125, 175, 176 Egeria 75 Elektra 155, 166, 167, 168, 169 Elfenbeinpyxiden 73, 75, 76 Elieser 10 Elohim 56, 57, 70 Encaenia-Liturgie 75 Enkaustik-Ikone 73, 74 Ennius 161 Entsühnung 164 Ephron der Hethiter 100, 133 Erfüllung 147, 149 Ergebung 251 Erinnyen 163 Erlösung 78, 186, 259, 314 Erstgeburt 25, 98, 100 Erzelterngeschichten 43 Erzvater 171, 178, 180, 286 Esau 52, 53 Eschaton 147 Ethrog 266 Eucharistie 74, 259, 271, 279, 280 Euripides 156, 157, 158, 159, 160, 161, 165 Evangelium 137, 140, 144, 148, 204 Exil 132 Existentialismus 253, 254 Exodus 132 Experientia fidei 136 Ezechiel 47, 132 Feueraltar 74 Fremdaggressivität 194 Fragmentierung 187 Freiheit 69 Fremdgötterkult 47 Frustration, optimale 34, 44 Garizim 26 Gattenmord 189 Gebot 20, 162, 163, 167, 250 Gegenreformation 286, 287 Geheimnis 11 Gehorsam 21, 22 25, 43, 99, 169, 172, 176, 177, 208, 250, 251, 253, 259, 267, 275, 286, 287 Gender 93, 94, 95, 101, 107 Generationenkonflikt 159 Genozid 181, 183, 254 Gerechtigkeit 57, 243 Gericht 119, 179 Gesetz 140, 144, 179 Glaube 6, 8, 10, 11, 12, 14, 16, 17, 21, 22, 64, 69, 110, 115, 121, 122, 125, 126, 127, 128, 129, 132, 133, 136, 139, 140, 142, 144, 147, 148, 149, 154, 172, 180, 208, 209, 251, 252, 253, 254, 255, 284, 318 Glaubensgehorsam 302 Glaubensparadoxie 154 <?page no="337"?> Register 329 Glaubensprobe 73 Glaubensprüfung 28, 268 Glaubenstreue 315 Glaubensverlust 254 Gnade 66, 99, 177, 210, 252, 268 Gog 132 Golgotha 73, 75, 76, 78, 151, 190 Gomorra 61, 69, 194, 279, 319 Gottesbild 21, 26, 44 Gottesferne 144, 145 Gottesfurcht 129, 176 Gottesknecht 78 Gotteslästerung 211 Gottesname 35 Gottessohnschaft 291 Gottesverhältnis 8, 10 Gottvertrauen 22 Grabkunst 74 Grausamkeit 288 Güte 57, 268 Gute, das 56, 69, 190, 250 Hades 163 Hagar 28, 29, 30, 39, 41, 42, 43, 101, 138, 188, 189, 190, 191, 194, 274, 275, 314 Hamartia 159 Hamat Tiberias 77, 79, 80 Hannah 94, 95, 106 Haran 110 Hebron 65, 176 Heil 209, 210 Heiligung 107 Heilserwartung 182 Heilsgeschichte 177, 283, 290 Heilsplan 267 Heilswillen 319 Helena 158 Helios 77 Hellas 158 Herzl-Berg 101 Hieronymus 75 Hilfs-Ich 191 Hinnomtal 47 Hiob 55, 56, 66, 69, 104, 137, 147, 182, 263 Hiroshima 173 Historienmalerei 294 Hoffnung 72, 79, 253, 278 Holocaust 102, 254 Horaz 93 Hûrî´s 303 Hybris 103, 192 Ideal-Selbst 194 Ideal-Über-Ich 194 Ijtih d 248 Ijob, s. Hiob Immanenz 14 Immutabilitas Dei 145, 146 Individuation 185 Infantizid(versuch) 185, 186, 189, 193, 194 Intertextualität 104 Intervention, göttliche 305 Inzest 194 Iphigenie 155, 156, 157, 158, 159, 160, 161, 162, 163, 164, 165, 169, 252 Ironie 10 Isidor von Sevilla 150, 210, 275 Islam 15, 19, 20, 185, 245, 249, 250, 251, 252, 255, 259, 291, 302 Ismael 28, 29, 30, 31, 33, 35, 37, 41, 42, 52, 53, 54, 73, 99, 128, 188, 189, 190, 194, 246, 247, 248, 274, 275, 290, 292, 302, 314 Jabbok 145 Jakob 17, 52, 71, 115, 130, 131, 133, 145, 279 Jean, Herzog v. Berry 199 Jean, II. Le Bon 203, 205 Jephtach 74 Jeremia 48 Jerusalem 42, 65, 73, 76, 78, 94, 99, 100, 123, 132, 200, 246, 248, 263, 266, 275 Jesaja 131, 209, 211, 212, 215 Jesus 78, 177, 183, 190, 197, 201, 202, 207, 212, 213, 218, 280, 284, 291, 292, 295 Jizhak-Meir von Ger 126 <?page no="338"?> Register 330 Johannes Chrysostomos 75 Johannes der Täufer 120 Johannes (Jünger) 284 Jom Kippur 20 Joseph 17, 52, 117, 118 Josephus Flavius 275 Jubiläenbuch 21 Juda 71 Judentum 13, 15, 180, 185, 259 Jüngster Tag 147, 154 Jungfrau 200, 204 Kain 8, 52, 125 Kalchas 157, 158, 159 Kalvarienberg 75 Kanaan 25, 29, 175, 176, 181 Karl V. v. Frankreich 199 Karlstadt, A. v. 142 Katakombenmalerei 74 Kinderopfer 24, 25, 27, 44, 45, 46, 47, 48, 315 Kind-Ich 187 Kind-Selbst-Anteil 187 Klytemnestra 158, 163, 166, 167 Kohelet 122, 123 Kontroverstradition 249 Koran 253, 255, 290, 302 Kreuz 190, 197, 200, 201, 202, 204, 207, 209, 210, 211, 213, 214, 216, 217, 273, 275, 282, 283 Kreuzestod 283 Kreuzigung 22, 75, 202, 204, 205, 206, 207, 210, 211, 213, 214, 215, 216, 217, 263, 284, 291, 292, 295 Kreuzzüge 314 Kult(-handlung, -praxis) 25, 46, 47, 48, 169, 246, 266 Kypria 157 Lachen 51, 52 Lamm Gottes 149 Land, gelobtes 110 Laster 252 Lateransarkophag 74 Lea 71 Leerstelle 259, 305, 318 Leib 252 Leid, Leiden 69, 186, 252 Leidenschaft 160, 288 Leidensweg 4 Leuchter, siebenarmiger 266, 279 Libanonkrieg 106 Liebe 66, 69, 125, 142, 143, 144, 177, 253, 283, 306, 317 Limbus 252 Locus sanctus 73, 75 Lot 194 Ludwig VIII. 208 Ludwig IX. 206, 208 Lulab 266 Luther, M. VII, 116, 118, 122, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 149, 151, 153, 154, 313, 316, 318, 321 Luxuria 274 Macbeth, Lady 96 Macht 109 Märtyrer 270 Maidanek 183 Mamre 133, 176, 271 Maria (Mutter Jesu) 275 Maria Magdalena 284 Martyriologie 94, 96, 100 Martyrium 20, 263, 264 Medea 96 Meditatio 137 Mekka 73, 246, 248 Melchisedek 115, 116, 117, 271 Menelaos 157, 158, 159 Menorah, Menoroth 79, 266 Menschenopfer VII, 24, 26, 27, 45, 46, 63, 155, 156, 157, 158, 159, 160, 161, 163, 164, 165, 166, 169, 183, 186, 253, 315 Mescha 46 Metastasios 171 Midat haDin 57 Midat ha essed 57 Miriam 95 Moloch(-Opfer) 46, 47, 186 <?page no="339"?> Register 331 Moria, s. Morija Moriah, s. Morija Morija 1, 9, 15, 25, 29, 34, 36, 37, 38, 39, 42, 43, 57, 58, 59, 62, 65, 67, 69, 71, 73, 75, 76, 78, 80, 93, 94, 95, 100, 111, 127, 132, 143, 144, 151, 175, 183, 189, 274, 314, 317, 318 Moses 119, 143, 152, 318 Mothers, political; four mothers 93, 106 Movement for the Sanctity of Life 107 Mu ammad (Prophet) 292 Mu tazila 249 Mutter 94, 95, 99, 100, 102, 103, 104, 105, 107 Mutterarchetypus, negativer 190 Muttermord 162, 163 Mutterschaft 94, 103, 107 Müntzer, Th. 142 Mysterium tremendum 63 Mystik, islam. (ta awwuf) 247, 249, 250 Mythologie 107 Mythos 17, 27, 93, 96, 98, 99, 101, 103, 105, 107, 177, 181, 182, 183, 309, 310, 186 Mänade 168 Märtyrer 78 Naturen Christi, zwei 203, 205, 216 Neavius 161 Neujahrsfest 279 Nicht-Opfer(ung) 59, 65, 151, 169, 243 Noah 113 Normativität, religiöse 19 Nyssa, Gregor von 143f Nächstenliebe 64 Objekt-Stufe 186, 187, 188, 192, 193 Odysseus 158, 159 Ödipus 100 Offenbarung 110, 179 Ohnmacht 109 Olah 58, 60 Opfer, Opferung VII, VIII, 6, 7, 9, 12, 17, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 29, 34, 37, 38, 39, 40, 44, 45, 46, 47, 48, 54, 55, 58, 59, 61, 63, 66, 67, 68, 69, 70, 73, 74, 75, 76, 78, 79, 80, 81, 93, 96, 98, 99, 100, 102, 105, 126, 147, 149, 152, 155, 156, 157, 158, 159, 160, 161, 162, 165, 169, 171, 172, 176, 177, 178, 179, 180, 183, 185, 186, 192, 193, 197, 198, 199, 200, 201, 202, 203, 204, 205, 206, 207, 208, 208, 210, 211, 212, 213, 214, 215, 216, 217, 218, 219, 244, 245, 246, 247, 249, 251, 252, 254, 257, 259, 260, 262, 264, 271, 273, 274, 275, 279, 282, 283, 284, 286, 287, 288, 290, 291, 292, 295, 298, 302, 305, 306, 309, 310, 313, 318, 319 Opferaltar 74, 81, 149 Opferberg 5, 12 Opferfest 20 Opfergesetze 155 Opferlamm 10 Opfermetaphorik 26 Opferterminologie 26 Opfertier 36, 39, 40, 42, 99, 249, 251, 295, 319 Opfertod 15, 163, 166, 169, 173, 259, 271, 273, 280 Orakelspruch 164 Oratio 137 Ordal 68 Orest 160, 161, 162, 164, 166, 167, 168 Oresteia 156 Origenes 203 Orthodoxie, lutherische 150 Osterwochen-Liturgie 75 Paradies 268 Paradox 5, 7 <?page no="340"?> Register 332 Parents Against Silence 106 Paris 158 Parî´s 303 Passion 210, 217, 275, 282 Patriarch 142, 243, 275 Paulus 148, 178, 212, 217, 263, 264, 275, 319 Petrus 212, 217, 263, 264 Pflicht 8, 9, 11 Philosophie 110 Philippe le Hardi 199, 203 Plato 68, 112 Polis 156, 160, 161, 168 Political mothers 93 Pontius Pilatus 263 Preisgabe 19, 28, 29, 30, 42, 44 Probe VII, 77, 126, 178, 315, 319 Promissio 139, 140, 146, 149, 154 Prophet 109, 118, 124 Propheten 212 Prophetie 118 Prüfung 31, 34, 36, 40, 59, 63, 64, 65, 66, 67, 153, 172, 175, 176, 245, 253, 315 Pylades 162, 164 Qual 211 Qorban 58 Quadriga 77 Rachel 104, 105, 115, 279 Rashi 51, 93 Rebekkah 115 Rebellion 98 Rechtfertigung 135 Reconquista 273, 274, 275 Rede, panhellenische 159 Religion, mythische 6 Resignation 5, 6, 7, 10, 13 Reue 7, 8, 9, 11 Revolution, abbasidische 246 Rezeptionsgeschichte 23 Richard von Sankt-Victor 199 Ritualität, magische 6 Ritus 40, 46 Rosch ha-Schana 279 Rosch ha-Schana-Lesung 78 Sage, ätiologische 24 Salem 116 Salomo 75 Salvatio 74 Sara 2, 10, 14, 16, 28, 29, 31, 34, 42, 44, 46, 51, 52, 70, 93, 94, 96, 99, 100, 101, 106, 107, 115, 128, 133, 138, 139, 173, 176, 179, 188, 189, 190, 191, 194, 271, 274, 275, 279, 305, 314, 318 Sarkophagplastik 74 Satan 135, 137, 178 Scham 113 Schlachtung 19, 26, 99, 100, 209, 211, 251 Schlachtopfer 245 Schlange, eherne 283, 284 Schmerz 69 Schöpfung 253 Schofar, Schofarot 26, 78, 79, 266, 279 Sechstagekrieg 97, 98, 105 Seele 252 Segen 30, 33, 43, 317 Selbstaufopferung 302 Selbsthingabe 19 Selbstopfer 2, 4, 20, 155, 156, 159, 165, 186, 251 Seleukos I. 266 Sepphoris 76, 77, 78, 80 Septuaginta 35 Sexualität 191 Shabbat 315 Sh fi it 249 Shakespeare 97 Shoa 181, 183, 314 q 51 Sichem 116, 131 Significant Others 188 Simul iustus et peccator 135 Simulacrum 68 Simon v. Cyrene 204, 205, 210 Sinai 26, 152 Sisyphos 175 <?page no="341"?> Register 333 Sittlichkeit 26 Sodom 61, 69, 115, 118, 122, 194, 279, 319 ohar 71, 72 Sohn VII, 19, 20, 22, 24, 26, 27, 29, 30, 31, 34, 35, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 48, 69, 71, 81, 94, 95, 97, 98, 99, 103, 104, 105, 111, 119, 121, 125, 126, 127, 140, 144, 172, 173, 175, 176, 177, 179, 180, 183, 187, 188, 189, 190, 191, 197, 200, 201, 202, 207, 208, 209, 210, 211, 212, 213, 214, 217, 218, 244, 248, 249, 251, 252, 253, 255, 259, 286, 287, 290, 291, 305, 306, 310, 314, 315, 316, 317, 319 Sokrates 112 Sonnengott 77 Sophokles 157, 166 Sozialisation, religiöse 22 Species, vier 76, 77 Stellvertretung 155, 156, 160, 161, 163, 165, 169 Subjekt, ethisches 69 Subjekt-Stufe 186, 187, 189, 190, 193 Sukkot-Feier 77 Sühnehandlung 167 Sühnemord 167 Sühnetat 167 Sühnetod 162, 168 Sühnopfer 59, 186 Suizid 193 Sünde 11, 135 Sündenfall 263 Symbol 19, 190, 193, 194 Tabernakel 76, 77, 79, 80 Tahnum 102 Tanz, mänadischer 168 Targum 51, 268 Tauris 156, 160 Tehinot 102 Tempel 76, 79, 80 Tempelberg 42, 76, 78 Tentatio 135, 137, 138, 139, 141, 142, 143, 144 Teufel 55, 56, 57, 58, 61, 135, 137, 148 Theater, kathartisches 162, 163, 165 Theodizee, -frage, -problem 26, 44, 45, 56, 104, 245, 249, 255 Theodosius 75 Thoas 162, 164 Thomas von Aquin 3 Tierkreis 77, 78, 80 Tieropfer 155, 156, 160, 253, 315 Tierschlachtung 296 Tochter 156, 157, 158, 159 Tod 20, 135 Todestrieb 61, 62, 65, 67 Tötung 179, 182 Tora 24, 43, 48, 109, 119, 180, 299 Totenreich 156 Transzendenz 14 Traum 186, 187, 193 Traumdeutung 186 Tremendum 65 Triebnatur 191 Trinität 75 Troja 157, 158 Tötung 71 Tötungsverbot 140 Tugend 252 Unabhängigkeitskrieg 97, 105 Unerforschlichkeit (Gottes) 253, 254 Unglaube 135, 180, 252, 284 Unmittelbarkeit 8, 9 Ur 60, 114, 117, 122, 130 Urban VIII. 287 Ursünde 70 Vater-Imago 187 Veracitas Dei 140 Verantwortung 8, 71, 105, 107 Verheißung 31, 33, 43, 44, 53, 61, 66, 71, 77, 127, 130, 131, 132, 140, 141, 145, 147, 148, 186, <?page no="342"?> Register 334 187, 189, 190, 191, 192, 193, 177, 259, 264, 290, 314, 316, 319 Verkündigung 76 Vernunft 6 Versöhnungstag 20 Versöhnungstod 153 Versuchung 12, 28, 34, 44, 58, 63, 126, 127, 129, 135, 136, 137, 139, 140, 141, 144, 145, 146, 148, 150, 155, 185, 186, 187, 189, 200, 204, 205, 208, 212 Vertrauen 62, 66, 69, 71, 140, 253, 254, 315 Verzweiflung 69, 254 Vietnam-Krieg 306 Vitalis (Heiliger) 270 Völkermord 182 Vulgata 200, 202, 203, 204, 209, 210, 211, 213, 215, 216, 296 Wahn, religiöser 21 Widder 38, 41, 59, 74, 81, 102, 106, 149, 172, 177, 189, 190, 194, 197, 201, 202, 204, 206, 210, 214, 259, 267, 268, 271, 273, 279, 283, 284, 286, 287, 291, 295, 302, 305, 309 Widderhorn s. Schofar 102, 266 Widerspruch 145, 146, 148, 316 Widersprüchlichkeit 145, 146 Würde 252 Yom Kippur 78, 81 Zaddik 113 Zelotismus 96 Zion 26, 29 Zionismus 99, 105, 106 Zodiak 77 Zorn 119, 152 Zuversicht 251 Zweifel 110, 121, 180 Zyklus, epischer 157 II. Personenregister ad-D n ar-R z , Fakhr 247, 249, 250, 251, 253 Ainalov, D. V. 74, 75 a - abari, Ab Ja far b. Jar r 246, 248 Amichai, Y. 100 Auerbach, E. 32, 35, 155 az- Zajj j 247 az- Zamakhshar 247, 249 Barberini, M. 287 Bashear, S. 246 Bat-Miriam, Y. 97 Bat-Tanhum, M. 94 Bauer, F. 298, 299, 300 Ben-Shimshon, S. 96 Ben-Yehuda, N. 105 Benjamin, W. 180 Benn, G. 174 Beza, T. 171 Bloch, G. 298 Bodmer, J. J. 171 Brod, M. 298, 299, 300 Buber, M. 36, 118 Bürger, G. A. 172 Calder, N. 245 Caravaggio, M. M. da 286, 287, 294, 295 Chagall, M. 278 Claudius, M. 110 d-D n ibn al- Arab , Mu y 247, 253 Derrida, J. 6, 7, 8, 9, 11, 15, 16, 62, 63, 64, 107, 180 Eichendorff, J. von 124 Erffa, H. M. von 197 Frazer, J. G. 60 Freud, S. 187, 194 Gallai, B. 94 Gedicke, S. 143 Gerhard, J. 150, 151, 152, 153 <?page no="343"?> Register 335 Goethe, J. W. von 155, 159, 161, 165, 171 Goldziher, I. 246 Gouri, H. 97 Guardini, R. 68 alab Shâh b. Îsâ 291 Hamann, J. G. 154 Harnick, R. 98, 99, 100, 105, 106, 107 Hauptmann, G. 161 Hausherr, R. 208 Hazaz, Z. 97 Hebel, J. P. 133 Heine, H. 173 Herberger, V. 145 Hofmannsthal, H. von 155, 165, 166, 167, 169 Huizinga, J. 68 usain, . 249 Ibn Kath r 247 Ibn Khald n 246 Ibn Taim ya 247 Îsâ b. Bu rus 291 Jesenská, M. 300 Jung, C. G. 185, 186, 187, 191, 194 Kafka, F. 177, 179, 180, 183, 298, 299, 300 Kalir, E. 119 Kant, I. VII, 3, 4, 7, 20, 165, 315, 323 Karben, V. von 96 Khalafall h, Mu ammad A mad 249 Kierkegaard, S. VII, 1, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 62, 63, 64, 69, 70, 153, 154, 178, 178, 317, 318, 324 Kleist, H. v. 171 Klopstock, F. G. 172 Klopstock, R. 178 Kolakowski, L. 3, 13 Lasker-Schüler, E. 171, 173, 175, 177, 183 Lastman, P. 294 Lavater, J. C. 171 Lievens, J. 119 Lisansk, E. von 68 Malouel, P. 199 Malouel, J. 199 Mann, T. 17 Olevian, C. 146 Pareus, D. 145 Piacenza, A. Von 75 Qu b, S. 244, 248, 251, 252, 253 Rabin, J. 315 Rad, G. von 41 Reinhard, M. 165, 166 Rembrandt van Rijn VII, 294, 295, 296, 318 Renan, E. 249 Sachs, N. 181, 182, 183 Schiller, F. 161, 171 Schlegel, A. W. 172 Segal, G. 80, 81, 305, 306, 310 Wagner, R. 165 Wieland, C. M. 172 Witthaus, J. L. 171 Zimmermann, J. I. 171 III. Stellenregister Gen 3 263 Gen 3, 9f. 70 Gen 4 271 Gen 4, 6f. 125 Gen 11 194 Gen 11, 28 181 Gen 12 189 Gen 12, 1 130, 138, 182, 316 Gen 12, 2 130, 182 Gen 12, 3 130, 182 Gen 12, 4 316 Gen 12, 11 189 <?page no="344"?> Register 336 Gen 14 271 Gen 14, 19f. 116 Gen 14, 22 116 Gen 15,5 120 Gen 15, 6 122 Gen 15, 7 117 Gen 15, 17f. 114 Gen 16-21 185, 186, 187 Gen 16, 10f. 52 Gen 17 194 Gen 17, 16 138 Gen 17, 18 52 Gen 17, 19 51, 189 Gen 17, 20 53 Gen 18, 9 275 Gen 18,10 138, 275 Gen 18, 12 51 Gen 18, 25 69, 115, 319 Gen 19 194 Gen 20 189 Gen 20, 12 189 Gen 21, 3 51 Gen 21, 6 51 Gen 21, 8-21 49f Gen 21, 9f. 52 Gen 21, 17f. 53 Gen 22 VII, 194 Gen 22, 1-19 49, 50, 189, 294, 313 Gen 22, 1 155, 200, 212 Gen 22, 2 200, 212, 316 Gen 22, 3 316 Gen 22, 4 71, 316 Gen 22, 5 319 Gen 22, 6 200, 212, 317 Gen 22, 7 143, 317 Gen 22, 8 317, 319 Gen 22, 9 201, 318, 319 Gen 22, 10 201, 318, 319 Gen 22, 11 131, 201, 302, 309, 318 Gen 22, 12 201, 309, 318 Gen 22, 13 201, 202, 209 Gen 22, 14 191 Gen 22, 19 132 Gen 32, 23-33 145 Gen 44, 32-34 71 Ex 20, 4 266 Ex 20, 13 140 Ex 29,1 77 Lev 1-10 155 Lev 1, 11 79 Lev 6, 2 60 Lev 10, 1f. 54 Lev 10, 3 54 Lev 16, 1f. 54 Lev 18, 21 60 Num 21, 8f. 283 Dtn 1, 17 57 Dtn 4, 15-19 266 Dtn 11, 12 130 1Sam 2, 6 137 2Sam 17, 23 179 2Sam 24 178 2Chr 3, 1 151 Hi 1f. 263 Hi 40, 25 284 Ps 22, 17 283 Ps 47, 10 110 Ps 50, 15 120 Ps 74, 14 284 Ps 82 133 Ps 85, 9-14 279 Ps 102, 19 115 Ps 110, 1 133 Hld 1, 13 152 Hld 4, 6 151 Jes 27, 1 284 Jes 28, 19 137 Jes 41f. 78 Jes 41, 8f. 116 Jes 43, 21 116 Jes 50, 10 120 Jes 51, 3 176 Jes 53, 7 209, 283 Jes 53, 11 283 Jes 65, 17 120 Jes 66, 13 137 Ez 9, 9 132 Ez 29, 3f. 284 <?page no="345"?> Register 337 Ez 40, 4 132 Dan 6 263 Mich 6, 6-8 48 Hab 3, 4 284 Sir 34, 9 136 Mt 21 263 Mt 27 263 Mk 11 263 Mk 11, 9f. 283 Mk 12, 35ff. 283 Mk 15 263 Lk 16, 23 171 Lk 18, 29f. 147 Lk 19 263 Lk 23 263 Joh 1, 29 149 Joh 1, 36 149 Joh 3, 14f. 284 Joh 8, 56 150 Joh 12 263 Joh 14, 26 137 Joh 18 263 Joh 19, 17 150, 197 Röm 4, 1ff. 138 Röm 8, 31-39 320 Röm 8, 32 319 1Kor 10, 13 139 Gal 3, 6ff. 138 Heb 11, 17 197 Hebr 11, 17-19 146 Hebr 11, 19 316 Apk 12, 10 136 Mischna Ta´anit 2, 2-4 78 bSanh 89b 54, 55 bTaan 4a 56 Bereshit Rabba Parasha 55,7 321 Exodus Rabbah 15, 11 78 38, 6 77 Levitikus Rabbah 2, 11 79 Targum Neofiti 1 zu Gen 22, 10 321 Targum Schir Ha-Schirim 1, 13 152 Midrash 93, 94, Midrashim 245, 267 EKG 201, 1 136