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Der Kulturroman

Programm des bürgerlichen Selbstverständnisses

0315
2006
978-3-7720-5159-3
978-3-7720-8159-0
A. Francke Verlag 
Antonie Magen
<?page no="0"?> Antonie Magen Der Kulturroman Programm des bürgerlichen Selbstverständnisses <?page no="1"?> Der Kulturroman <?page no="3"?> Antonie Magen Der Kulturroman Programm des bürgerlichen Selbstverständnisses A. FRANCKE VERLAG TÜBINGEN UND BASEL <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT Die Entstehung dieser Arbeit wurde gefördert durch die Universität Augsburg. Titelbild: Zeitgenössischer Kupferstich zu Adalbert Stifter, Der Nachsommer. D 384 © 2006 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.francke.de E-Mail: info@francke.de Satz: CompArt, Mössingen Druck und Bindung: Laupp & Göbel, Nehren Printed in Germany ISBN 3-7720-8159-2 <?page no="5"?> Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII I. R  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Epos und Roman - Bildungsroman und historischer Roman - Die Synthese: Der Kulturroman II. M   K     . J  . . . . . . . 27 Kultur, Aufklärung und Bildung - Kultur und Staat - Kultur und Geschichte - Kultur, Kulturkritik und Barbarei - Kultur und Literatur III. K   M  , M  , G   S  . . . . . . . 46 1. „Die vorzüglichste Gedankenrichtung der Zeit“: Zerfall und Untergangskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Revolutionsdarstellungen als Mittel der Gegenwartsanalyse - Gegenwart als Untergangszeit - Möglichkeiten einer Übergangszeit 2. Theoretische Kulturreflexionen bei Stifter, Gutzkow, Meinhold und Mörike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Kultur, Staat und Bildung - Kirche und Staat - Kultur und Geschichte - Kultur und Natur IV. D  K  - S  T    S  . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 1. Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Gegenwart als Übergangszeit und Untergangsgeschichte - Bewegkräfte der Geschichte (Evolution, Revolution, Ideen) - Historismus - Ethnographisch-chorographische Geschichtsschreibung - Restauration vergangener Sitten - Geschichte als Heilsgeschichte 2. Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 Natur und Sittlichkeit - Veredelte Natur - Natur als Instrument der Kulturkritik 3. Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Religion und Zeit - Theologische Inhalte - Kritik am Christentum - Kultur als Gegenmodell zum Christentum - Institutionalisierung von Religion - Religion und Kunst <?page no="6"?> 4. Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Künstler, Publikum und die Darstellungsinhalte von Kunst - Auseinandersetzung mit der Romantik: Das Fragment - Das Gegenmodell: Ganzheitliche Kunstwerke - Wirkung von Kunst 5. Bildung und Erziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Bildung und Auflösung - Bildungskonzeptionen - Bildung des Einzelnen und der Gemeinschaft - Bildung und Handlung - Institutionalisierung von Bildung 6. Staats- und Verfassungsvorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Kritik am Staat - Gegenmodelle - Ästhetische Erziehung - Staat als geographisches Gebilde V. K -  S  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 Der Staatsroman des 18. Jahrhunderts - Zum Verhältnis von Staats- und Kulturroman VI. L  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 VII. R  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 VI Inhalt <?page no="7"?> V  Für mannigfache Hilfe und Förderung, ohne welche die vorliegende Arbeit nicht hätte entstehen können, möchte ich folgenden Personen und Institutionen danken: an erster Stelle Herrn Professor Dr. Helmut Koopmann, der die Frage nach Kulturmodellen im Roman der Märzjahre anregte und der Dissertation während der gesamten Entstehungszeit Anteil nehmend zur Seite stand. Er hat sich nicht nur für ein Stipendium in vielfältiger Weise eingesetzt, sondern auch das Manuskript in seinen unterschiedlichen Bearbeitungsstadien mit Geduld und Gesprächsbereitschaft begleitet. - Ihm ist diese Arbeit in tiefer Verbundenheit gewidmet. Verpflichtet bin ich außerdem Herrn Professor Dr. Johannes Burkhardt, der die Bewerbung um ein Stipendium unterstützte und den Fortgang der Studie aufmerksam verfolgte. Dank schulde ich ferner Herrn Professor Dr. Wolfgang Frühwald nicht nur für manchen entscheidenden Impuls, sondern auch für die freundliche Aufnahme in sein Oberseminar an der Ludwig-Maximilians-Universität München, in dem ich über den „Kulturroman“ referieren durfte. Herrn Professor Dr. Theo Stammen danke ich für die Übernahme des Korreferats, Herrn Professor Dr. Andreas Wirsching für die wohlwollenden Gutachten, die er im Rahmen der Stipendiumsbewerbung verfaßte, sowie für die Möglichkeit, die Arbeit in seinem Examenskolloquium vorstellen zu dürfen. Konstanze Allnach übernahm dankenswerterweise die mühevolle Arbeit der Endkorrektur; bei der Erstellung des Registers wirkte Barbara Eschlberger mit. Frau PD Dr. Andrea Bartl sei bedankt für vielerlei Rat und nie ermüdendes Interesse. Die Universität Augsburg förderte die Arbeit vom 01.07.2001 bis zum 30.06.2003 finanziell durch das „Stipendium nach dem Gesetz zur Förderung des wissenschaftlichen und künstlerischen Nachwuchses“ und vom 01.07. bis zum 31.12.2003 durch ein Stipendium aus dem „Hochschul- und Wissenschaftsprogramm - Programm Chancengleichheit für Frauen in Forschung und Lehre“. Schließlich stellte die VG WORT einen großzügigen Druckkostenzuschuß zur Verfügung. Augsburg, im August 2005 Antonie Magen <?page no="8"?> I. R  Mit der vielzitierten Formel vom Romanschreiber als einem Halbbruder des Dichters 1 nahm Schiller 1796 an einer theoretischen Diskussion um die neu ins Interesse der Öffentlichkeit geratene Gattung Roman teil, die seit der zweiten Hälfte des 18. bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts 2 mit zunehmender Intensität geführt wurde. Mancherorts wurde der Roman zwar abgewertet; gleichzeitig aber wurde er beim Lesepublikum immer beliebter: So schrieb Johann Carl Wezel in der Vorrede zu „Herrmann und Ulrike“ schon 1780, daß der Roman diejenige „Dichtungsart [sei], die am meisten verachtet und am meisten gelesen [werde]“ 3 . Und noch 1833 bezeichnete Heinrich Laube den Roman sogar als Deutschlands „Volkspoesie“ 4 , wobei allerdings auch bei ihm diese Gattung nicht uneingeschränkt positiv aufgefaßt wird. Als Grund für die Mißachtung des Romans nennt bereits Wezel ein Vorurteil seiner Zeitgenossen, das auch in 1 Friedrich Schiller, Ueber naive und sentimentalische Dichtung, in: Schillers Werke, Nationalausgabe, Bd. 20, Philosophische Schriften 1. Teil, unter Mitwirkung von Helmut Koopmann hrsg. von Benno von Wiese, Weimar 1962, S. 413-503, hier S. 462 (im folgenden zitiert als: Schiller, Ueber naive und sentimentalische Dichtung). 2 Bruno Hillebrand, Zur Romantheorie in Deutschland, in: Helmut Koopmann (Hrsg.), Handbuch des deutschen Romans, Düsseldorf 1983, S. 31-53, hier S. 31 (im folgenden zitiert als: Hillebrand, Zur Romantheorie in Deutschland). Die erste ausführliche theoretische Würdigung des Romans ist der 1774 erschienene „Versuch über den Roman“ von Friedrich von Blanckenburg: Friedrich von Blanckenburg, Versuch über den Roman, Faksimiledruck der Originalausgabe 1774, mit einem Nachwort von Eberhard Lämmert, Stuttgart 1965 (im folgenden zitiert als: Blanckenburg, Versuch über den Roman). Zur „Vorgeschichte“ der Romantheorie vgl. Matthias Bauer, Romantheorie, Stuttgart, Weimar 1997 (= Sammlung Metzler, Bd. 305), v. a. S. 8-21. Natürlich wird der Roman auch noch nach der Mitte des 19. Jahrhunderts theoretisch bedacht. Allerdings unterscheiden sich diese späteren Romantheorien insofern, als der Roman seit der Mitte des 19. Jahrhunderts weitgehend akzeptiert ist und nicht mehr unter Rechtfertigungszwang steht: Hillebrand, Zur Romantheorie in Deutschland, S. 32. 3 Johann Carl Wezel, Vorrede, in: Herrmann und Ulrike, Ein komischer Roman in 4 Bdn., Bd. 1, Frankfurt, Leipzig 1780, S. III-XIV, hier S. III (im folgenden zitiert als: Wezel, Vorrede). Zur Verbreitung und Beliebtheit des Romans einerseits und zu seiner Geringschätzung andererseits vgl. außerdem: Hermann Münzenberger, Beleuchtung des Romanes oder Was ist der Roman? Was ist er geworden? Und was kann er werden? , Straßburg 1825, S. 40-75 (im folgenden zitiert als: Münzenberger, Beleuchtung des Romanes). 4 [Heinrich Laube], Literatur, in: Zeitung für die elegante Welt vom 23. Mai 1833, S. 397- 400, hier S. 397. Romantheoretisches Epos und Roman <?page no="9"?> den folgenden Jahrzehnten immer wieder ins Feld geführt werden wird: Der Roman werde deshalb geringgeschätzt, weil eine Gattung, für die es in den Poetiken der klassischen Antike kein Vorbild gebe und für die Aristoteles keine Regeln aufgestellt habe, unmöglich zu den „edleren Gattungen der Dichtkunst“ 5 gehören könne. Damit ist das antike Epos zum Regulativ für den Roman geworden 6 , was es bis über die Mitte des 19. Jahrhunderts hinaus auch bleibt: Noch 1861 spricht Adalbert Stifter vom historischen Roman als vom „Epos in ungebundener Rede“ 7 . Aus dieser Bemerkung geht allerdings auch hervor, daß Epos und Roman keine Gegensätze sind, sondern vielmehr bedeutungsähnlich verstanden werden. Neben den Bemühungen, den Roman gegenüber dem Epos abzuwerten 8 , gibt es deshalb gleichzeitig den Versuch, beide Gattungen anzunähern, indem Gemeinsamkeiten herausgestellt werden: So ist es die Hauptaufgabe sowohl des Epos als auch des Romans, den Menschen in seiner Beziehung zur Umwelt darzustellen 9 . Da sich dieses Verhältnis in alter und neuer Zeit erheblich unterscheidet, ergeben sich hieraus die wesentlichen inhaltlichen Differenzen der beiden Dichtungsarten 10 . Trotz aller inhaltlichen Unterschiede, die aus der 2 Romantheoretisches 5 Wezel, Vorrede, S. III-IV. 6 Zum Verhältnis von Epos und Roman vgl.: Helmut Koopmann, Vom Epos und vom Roman, in: Ders. (Hrsg.), Handbuch des deutschen Romans, Düsseldorf 1983, S. 11-30 (im folgenden zitiert als: Koopmann, Vom Epos und vom Roman); Ernst S. Dick, Epos - Romance - Roman, Zu den Anfängen einer historischen Poetik der mittelalterlichen Epik nach 1750, in: Ulrich Horstmann/ Wolfgang Zach (Hrsg.), Kunstgriffe, Auskünfte zur Reichweite von Literaturtheorie und Literaturkritik, Festschrift für Herbert Mainusch, Frankfurt/ Main u. a. 1989, S. 34-50. 7 Stifter, Brief an Gustav Heckenast vom 08.06.1861, in: Adalbert Stifters Sämmtliche Werke, Bd. 19, Briefwechsel, Bd. 3, mit Benutzung der Vorarbeiten von Adalbert Horcicka hrsg. von Gustav Wilhelm, Prag 1923, S. 281-287, hier S. 282 (im folgenden zitiert als: Stifter, Briefwechsel 3). 8 Dieser Versuch wird im ausgehenden 18. Jahrhundert in erster Linie von Schiller unternommen. In dessen Gefolge steht im 19. Jahrhundert Friedrich Theodor Vischer. 9 Friedrich Schlegel, Fragmente zur Litteratur und Poesie, in: Friedrich Schlegel, Fragmente zur Poesie und Literatur, 1. Teil, mit Einleitung und Kommentar hrsg. von Ernst Behler, Paderborn, München, Wien 1981, S. 85-190 (= Kritische Friedrich-Schlegel- Ausgabe, unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner hrsg. von Ernst Behler, Bd. 16), hier S. 88 [Fragment Nr. 32] (im folgenden zitiert als: Schlegel, Fragmente zur Litteratur und Poesie). 10 Die Mehrzahl der Romantheoretiker (hier sind neben Friedrich von Blanckenburg vor allem der Landshuter Philologieprofessor Friedrich Ast, der Schriftsteller Willibald Alexis und der Tübinger Ästhetikprofessor Friedrich Theodor Vischer zu nennen) ist sich darin einig, daß sich beide Gattungen in erster Linie durch die Zeit unterscheiden, in welcher sie auftreten: Während der Roman der „neueren Zeit“ angehört, ist das Epos die Dichtungsart der „Vorwelt“: [Willibald Alexis], [Rezension] zu Lichtenstein, Romantische Sage aus der würtembergischen Geschichte von Wilhelm Hauff, in: Blätter für literarische Unterhaltung, vom 16. November 1826, Nr. 114, S. 453-454, hier S. 453. <?page no="10"?> „Verschiedenheit in den Sitten und der Einrichtung der Welt“ 11 resultieren, hat aber gerade der Roman Aussicht, in der Moderne denselben Stellenwert einzunehmen wie vormals das Epos in der Antike 12 , weil er in Analogie zum Epos öffentlichkeitsbezogen ist. Doch wie sieht das Verhältnis von Epos und Roman im einzelnen aus? Epos und Roman In den Romantheorien des ausgehenden 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (hier sind in erster Linie die Überlegungen von Friedrich Blanckenburg, Friedrich Ast, Friedrich Theodor Vischer und Karl Morgenstern zu nennen) wird das Epos meist nicht als eigenständige Gattung diskutiert. Es erscheint lediglich als Vergleichsfolie für den Roman; die Ästhetiken sind sich über seine Funktionen und Aufgaben weitgehend einig. Diese Bestimmungen sind nicht besonders differenziert, sondern wiederholen sich im wesentlichen und ergeben einen relativ kleinen Katalog von Merkmalen 13 . Das Epos ist - kurz gesagt - die Darstellung der äußeren Welt. Es schildert nicht ein einzelnes Individuum und dessen Innenleben, sondern ganze Nationen 14 . Aus diesem Grund muß es seinen Stoff immer aus einem Volk nehmen und „Totalität“ als Summe seiner Sitten, Zustände und Verhältnisse beschreiben. Es soll das Menschenleben überhaupt darstellen und das Bild einer ganzen Welt vermitteln 15 . Diese Forderungen beruhen auf der Auffassung, daß der Mensch der alten Welt nicht für sich selbst, sondern in einer äußeren Gesamtheit, im Staat, gelebt habe 16 . Aus diesem Grund sieht Blanckenburg die Aufgabe des Epos da- Epos und Roman 3 11 Blanckenburg, Versuch über den Roman, S. 17. 12 Ebd., S. XIII. 13 Derartige Beobachtungen sprechen dafür, daß nicht unbedingt alle Theoretiker das Epos so hoch schätzten und den Roman so pauschal ablehnten, wie es die Bewertungen von Schiller und Friedrich Theodor Vischer nahezulegen scheinen. Zu der Wertschätzung des Romans im Verhältnis zum Epos: Koopmann, Vom Epos und vom Roman. 14 Blanckenburg, Versuch über den Roman, S. 18; Karl Morgenstern, Ueber das Wesen des Bildungsromans, Vortrag gehalten am 12. December 1819, in: Carl Eduard Raupach (Hrsg.), Inländisches Museum, Bd. 1, Heft 2, Dorpat 1820, S. 46-61, Heft 3, S. 13-27, hier S. 58 (im folgenden zitiert als: Morgenstern, Ueber das Wesen des Bildungsromans). Vgl. außerdem: Jean Paul, Vorschule der Aesthetik, Weimar 1935 (= Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-Kritische Ausgabe, hrsg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften, 1. Abtl., Bd. 11), S. 234-235 (im folgenden zitiert als: Jean Paul, Vorschule der Aesthetik). 15 Friedrich Theodor Vischer, Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen, Zum Gebrauche für Vorlesungen, 3. Theil, 2. Abschnitt, Die Künste, 5. Heft, Die Dichtkunst (Schluß des ganzen Werkes), Stuttgart 1857, S. 1272 (im folgenden zitiert als: Vischer, Aesthetik). 16 Friedrich Ast, System der Kunstlehre oder Lehr- und Handbuch der Aesthetik, Leipzig 1805, S. 264-265 (im folgenden zitiert als: Ast, System der Kunstlehre). <?page no="11"?> rin, den Menschen als Bürger im Sinne des citoyen darzustellen und seine öffentlichen Taten zu besingen 17 . Damit einher geht der objektive Charakter der epischen Darstellung, der dadurch garantiert ist, daß das Epos eine vergangene Begebenheit und somit etwas unverrückbar Gewordenes beschreibt 18 . Objektivität aber wird im Verlauf der Diskussion um Eigenwertigkeiten und Gemeinsamkeiten von Epos und Roman allmählich zum Qualitätsmerkmal für Dichtung schlechthin. 1823 formuliert Willibald Alexis: „Das höchste Gesetz aller Poesie ist Objektivität“ 19 . Zwar wird gerade diese Eigenschaft dem Roman von seinen Gegnern abgesprochen und das Fehlen von Objektivität zum Anlaß, ihn gegenüber dem Epos zu deklassieren 20 . Doch seine Befürworter gestehen ihm zu, daß er über „Objektivität“ verfügt, und funktionalisieren dieses Charakteristikum, um ihn an das Epos heranzurücken: „Wirft man die Frage auf: was ist Hauptsache im Romane, das Individuum des Helden, oder die Begebenheiten, welche sich mit ihm ereignen, und die Personen und Gegenstände, mit welchen er in Berührung kommt? - so dürften Einige für den erstern, Andere für die Totalität der letzteren sprechen. Ursprünglich […] bezweckte der Roman, als zur Prosa herabgestimmte Epopöe, nichts weiter, als eben das Leben des Einen statt zu besingen - zu beschreiben. Jedes Individuum ist aber todt, wenn es nicht in Berührung mit andern Schöpfungen tritt, ja es läßt sich nicht einmal eine solche Existenz denken. Wie in der Natur muß daher auch der Romanheld in Verwickelungen mit der Außenwelt kommen, und mit je mehreren Erscheinungen er in Konflikt geräth, um so interessanter wird der Roman. Steigern wir 4 Romantheoretisches 17 Blanckenburg, Versuch über den Roman, S. 17. An dieser Stelle macht Blanckenburg darauf aufmerksam, daß der Begriff „Bürger“ schillernd und schwer zu fassen sei: Er weist zwar das Epos den „Handlungen des Bürgers“ zu, setzt aber einschränkend hinzu: „in einem gewissen Sinn dieses Wortes“. Zum changierenden Sprachgebrauch des Begriffs „Bürger“ in der Zeit vgl.: Manfred Riedel, Bürger, Staatsbürger, Bürgertum, in: Otto Brunner/ Werner Conze/ Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 1, Stuttgart 1972, S. 672-725, hier v. a. S. 683-696. Bei Blanckenburg umfaßt „Bürger“ - sehr allgemein und im Gegensatz zum „Menschen“ - die handelnde, nach außen wirkende Person. 18 Vischer, Aesthetik, S. 1265. Auch der Begriff der „Objektivität“ ist - ähnlich wie der des „Bürgers“ - wenig konkret aufgefaßt, erscheint aber immer wieder als Charakteristikum der epischen Darstellung. So heißt es noch 1889 im „Deutschen Wörterbuch“: „[…] die ruhige objectivität der epischen darstellung“: [Stichwort: ] Objectiv, Objectivisch, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Bd. 7, bearbeitet von Dr. Matthias von Lexer, Leipzig 1889, Sp. 1109. Unter „Objektivität“ ist in diesem Zusammenhang sehr umfassend eine Größe zu verstehen, die Auskunft über etwas Äußeres und Allgemeines gibt. 19 W[illibald] A[lexis], The Romances of Walter Scott. In 60 Vol. in 16 mo etc. - Romane von Walter Scott. In 63 Bändchen, Sedez u.s.w., Zwickau, Gbr. Schumann, in: Jahrbücher der Literatur 22 (1823), S. 1-75, hier S. 30 (im folgenden zitiert als: Alexis, The Romances of Walter Scott). 20 Vischer, Aesthetik, S. 1265-1266. <?page no="12"?> dieses Verhältniß immer mehr, so wird endlich die Person des sogenannten Helden ganz zurücktreten, wogegen die andern mannigfachen Gegenstände zur Hauptsache im Romane werden. Dieß scheint uns der Sieg der Objektivität über die Subjektivität und vielleicht die Bestimmung aller Romane“ 21 . Hier wird der Roman durch die Aufgabe definiert, weniger den Helden als vielmehr seine Stellung in Zeit und Gesellschaft zu beschreiben. Dennoch bleibt er in der Darstellung Einzelner „subjektiv“. Goethe ist diesem doppelten Aspekt dadurch gerecht geworden, daß er den Roman als „subjektive Epopöe“ bezeichnet 22 . Zwar werden die Gegner des Romans ihm lange noch vorwerfen, daß er nicht „Allgemeinheit“ darstellen könne, sondern nur Besonderheiten und Spezifika 23 , aber seine Befürworter können für ihn ins Feld führen, daß die Menschheit immer nur durch den einzelnen Menschen zu begreifen, das Äußere des Menschen nicht ohne die Kenntnis seines Inneren zu verstehen sei, beides also unzertrennlich zusammenhänge 24 . So wird der „Geist der Individualität“ 25 zur Essenz des Romans, ohne daß Öffentliches ausgeschlossen wird. Im weiteren Verlauf der Diskussion wird dann dem Roman folgerichtig zugestanden, das Individuelle zum Universum auszuweiten 26 . Ergänzt wird diese Vorstellung durch den Hinweis, daß der Roman immer auf dem Boden der Wirklichkeit basiere 27 . Hiermit wird einerseits die Realität als neue Kategorie in die Diskussion eingeführt, andererseits wird durch diese Überlegung implizit abermals bestätigt, daß der Roman auch das Äußere zeigen kann und nicht auf die Darstellung der inneren Zustände des Menschen beschränkt ist. Vielmehr ist das Thema des Romans durch den „Konflikt zwischen der Poesie des Herzens und der entgegenstehenden Prosa der Verhältnisse“ 28 gekennzeichnet. Damit ist endgültig auch die Außenwelt als Stoff des Romans etabliert; zum Epos ist es damit nur noch ein kleiner Schritt, der dann endgültig vollzogen wird, wenn Hegel fordert, daß auch der Roman in seiner eigentlichen Bedeutung die Gesamtheit einer Welt- und Lebensanschauung 29 bieten solle. Indem die Wirklichkeit in den Roman eingeführt wird, ist dessen objek- Epos und Roman 5 21 Alexis, The Romances of Walter Scott, S. 31. 22 Johann Wolfgang Goethe, Maximen und Reflexionen über Literatur und Ethik, Weimar 1907 (= Goethes Werke hrsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, Bd. 42, 2. Abteilung), S. 113-252, hier S. 122. 23 Vgl. hierzu: Vischer, Aesthetik, S. 1307. 24 Blanckenburg, Versuch über den Roman, S. 263. 25 Ast, System der Kunstlehre, S. 264. 26 Ebd., S. 260. 27 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik III, Frankfurt/ Main 1970 (= Hegel Werke, Bd. 15), S. 392 (im folgenden zitiert als: Hegel, Ästhetik III). 28 Ebd., S. 393. 29 Ebd. <?page no="13"?> tiver Gehalt gewährleistet 30 und die Garantie gegeben, „Totalität“ darstellen zu können. Für Friedrich Schlegel ist der Roman damit zum „enzyklopädischen Roman“ 31 geworden. Es nimmt daher kaum wunder, daß etliche Romantheoretiker als eigentlichen Gegenstand des Romans das Leben nennen 32 . Aus diesem Grund ist der Roman gerade in der Frühromantik, der es um „Universalpoesie“ 33 zu tun war, eine besonders geschätzte Gattung geworden. Dies geht sogar so weit, daß Friedrich Schlegel den Roman als das „romantische [...] Buch“ 34 schlechthin bezeichnet. In der „Geschichte der europäischen Literatur“ 35 legt er dar, daß der romantische Roman eine Art Sammelbecken aller Formen, Stile und Inhalte sein soll. Der Roman avanciert damit zu derjenigen Kunstform, die allein ein „Ganzes“ repräsentieren kann 36 . In einem ähnlichen Sinne äußert sich Novalis 37 , der kurz und prägnant formuliert: „Der Roman handelt vom Leben - stellt Leben dar“ 38 . 6 Romantheoretisches 30 Karl Rosenkranz, Einleitung über den Roman, in: Karl Rosenkranz, Aesthetische und poetische Mittheilungen, Magdeburg 1827, S. 3-40, hier S. 6 (im folgenden zitiert als: Rosenkranz, Einleitung über den Roman). 31 Friedrich Schlegel, Lyceums-Fragmente, in: Friedrich Schlegel, Charakteristiken und Kritiken I (1796-1801), hrsg. und eingeleitet von Hans Eichner, München, Paderborn, Wien 1967 (= Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner hrsg. von Ernst Behler, Bd. 2), S. 147-163, hier S. 156 [Lyceums- F ragment Nr. 78]. 32 Vgl. hierzu beispielsweise: Münzenberger, Beleuchtung des Romanes, S. 18-19. 33 Friedrich Schlegel, Athenäums-Fragmente, in: Charakteristiken und Kritiken I (1796- 1801), hrsg. und eingeleitet von Hans Eichner, München, Paderborn, Wien 1967 (= Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner hrsg. von Ernst Behler, Bd. 2), S. 165-255, hier S. 182 [Athenäums- Fragment 116] (im folgenden zitiert als: Schlegel, Athenäums-Fragmente). 34 Friedrich Schlegel, Brief über den Roman, in: Friedrich Schlegel, Charakteristiken und Kritiken I (1796-1801), hrsg. und eingeleitet von Hans Eichner, München, Paderborn, Wien 1967 (= Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, unter Mitwirkung von Jean- Jacques Anstett und Hans Eichner hrsg. von Ernst Behler, Bd. 2), S. 329-339, hier S. 335. 35 Friedrich Schlegel , Geschichte der europäischen Literatur, in: Friedrich Schlegel, Wissenschaft der europäischen Literatur, Vorlesungen, Aufsätze und Fragmente aus der Zeit von 1795-1804, mit Einleitung und Kommentar hrsg. von Ernst Behler, München, Paderborn, Wien 1958 (= Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, unter Mitwirkung von Hans Eichner und Jean-Jacques Anstett hrsg. von Ernst Behler, Bd. 11), S. 3-185, hier v. a. S. 159-162. 36 Schlegel, Athenäums-Fragmente, S. 181 [Athenäums-Fragment Nr. 111]. 37 Novalis , Fragmente und Studien 1799-1800, in: Novalis Schriften, Bd. 3, Das philosophische Werk II, in Zusammenarbeit mit Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz hrsg. von Richard Samuel, Stuttgart 1960, S. 556-693, hier S. 667-669 [Fragment Nr. 607] (im folgenden zitiert als: Novalis, Fragmente und Studien). 38 Novalis , Vorarbeiten zu verschiedenen Fragmentsammlungen, in: Novalis, Schriften, Bd. 2, Das philosophische Werk I, in Zusammenarbeit mit Hans-Joachim Mähl und <?page no="14"?> Diese Auffassung hält sich bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts und verknüpft sich mit der Forderung, den Inhalt des Romans direkt aus der Gegenwart zu nehmen: „Greift in die Zeit, haltet euch an das Leben. Ich weiß, was ihr entgegnet. Nicht wahr, es ist verdammt wenig Poesie in dieser Zeit, in diesem Leben, das wir in Deutschland führen? Woher der Stoff zu einem zeitgeschichtlichen Roman“ 39 ? Hier verbindet sich der Wunsch, daß der Stoff des Romans dem Leben entnommen werden solle, mit dem nach direktem Zeitbezug. Allerdings klingt zugleich schon ein Dilemma an, das in anderen Überlegungen zum Roman deutlicher zutage tritt: Viele Romane dieser Zeit lassen sich nicht mehr eindeutig auf ein bestimmtes Genre festlegen. Weil der Roman alle Zeitverhältnisse erfassen kann, kann er zwar alles behandeln, wird aber auch formlos. 1844 schreibt Hermann Marggraff: „[…] er [der Roman] besitzt eine unendliche Expansionskraft und weitet sich mit jeder neuen Fase im Gebiete der Politik und Tagesgeschichte, der Filosofie, Ästhetik, Wissenschaft u.s.f. mehr aus, und, wenn dieses bunte Durcheinander auch nur wie leichter Schaum am Rande des Bechers aufliegt, so erscheint doch gerade dieser Schaum dem Leser wie ein Extrakt aller Weisheit und wird um so schmackhafter gefunden, je weniger stofflich und inhaltreich, je geistiger und luftiger er ist. Gerade die Eigenschaften, welche den Roman als Kunstform zweifelhaft erscheinen lassen, haben sein Glück gemacht. […] er ist, wie der Mensch der Gegenwart selbst, ein, zwar geschmackvolles, aber formloses Mischprodukt, eine bunte Ablagerung aus allen primären, sekundären und terziären Gebilden der Zeit […]“ 40 . Doch das, was den Roman einerseits fragwürdig werden läßt, macht andererseits gerade in unruhigen Zeiten seinen Erfolg aus: Das Nicht-mehr-Festgelegtsein auf einen bestimmten Inhalt und seine formale Dehnbarkeit. Der Roman avanciert durch seinen Gegenwarts- und Zeitbezug zur Kunstform der Moderne 41 . Damit hat er endgültig die Stellung eingenommen, welche das Epos in der Antike hatte; die alte, im Laufe der Geschichte der Romantheorie im 18. und 19. Jahrhundert auch von anderen immer wieder erhobene 42 Forderung Blanckenburgs von 1774, daß in der Gegenwart an die Stelle der alten Epos und Roman 7 Gerhard Schulz hrsg. von Richard Samuel, Stuttgart 1960, S. 522-651, hier S. 570 (Hervorhebung in der Vorlage) [Fragment Nr. 212] (im folgenden zitiert als: Novalis, Vorarbeiten zu verschiedenen Fragmentsammlungen). 39 Ludolf Wienbarg, Wanderungen durch den Thierkreis, Hamburg 1835, S. 256 (im folgenden zitiert als: Wienbarg, Wanderungen durch den Thierkreis). 40 Hermann Marggraff, Die Entwicklung des deutschen Romans, besonders in der Gegenwart, 1. Artikel, Der deutsche Roman vor 1830, in: Biedermanns Deutsche Monatsschrift für Litteratur und öffentliches Leben 1844, S. 58-67, hier S. 59. 41 Schlegel, Fragmente zur Litteratur und Poesie, S. 88 [Fragment Nr. 32]. 42 Vgl. hierzu: ebd.; Münzenberger, Beleuchtung des Romanes, S. 83; Wienbarg, Wanderungen durch den Thierkreis, S. 243. <?page no="15"?> epischen Dichtung der Roman treten solle 43 , ist eingelöst. Roman und Epos sind ebenbürtig geworden. Dadurch, daß der Roman zur Darstellungsform von Leben und „Totalität“ wird und sich auf die Gegenwart bezieht, ist sein Held nicht mehr ein einzelnes Individuum. Vielmehr erscheint dieser in seinem Bezug auf die äußeren Verhältnisse, die ihn umgeben. Der Vergleich von Epos und Roman führt dazu, daß Teil und Ganzes, Subjektivität und Objektivität, Individualität und Gemeinschaft in ein neues Verhältnis zueinander gesetzt werden. Am Ende dieser Parallelisierung von Epos und Roman geht das Epos geradezu im zeitgemäßeren Roman auf. Andererseits differenziert sich der Roman selbst, indem sich in der Romantheorie zunehmend zwei verschiedene Romantypen herauskristallisieren, die das alte Konkurrenzverhältnis von Epos und Roman auf romanimmanenter Ebene aufgreifen. Die Rede ist vom Bildungsroman und vom historischen Roman. Bildungsroman und historischer Roman Der Begriff „Bildungsroman“ erscheint erstmals in der 1819 gehaltenen und ein Jahr später veröffentlichten Rede „Ueber das Wesen des Bildungsromans“ von Karl Morgenstern 44 . Morgenstern geht in seinen Überlegungen von dem herkömmlichen Unterschied zwischen Epos und Roman aus: Die Epopöe beschreibe immer ganze Völker, wohingegen der Roman nur das Individuum darstellen könne. Das Verhältnis beider Gattungen bestimmt Morgenstern so: Während die Epopöe die Gestaltung der Welt durch den Helden zeige, müsse der Roman die Bildung des Helden durch die Welt beschreiben. Mit Hilfe dieser Zuordnung versucht Morgenstern Epos und Roman eindeutig zu unterscheiden. Allerdings werden bei ihm die Trennlinien zwischen beiden Gattungen bereits dort unscharf, wo er anführt, daß sich der Typus des historischen Romans generell gerade dadurch auszeichnet, daß er die Gestaltung der Welt durch den Helden schildert und sich dadurch der epischen Gattung annähert. Diese Angleichung bewertet er negativ, weil sie den Roman von seinem eigentlichen Wesen entferne und so für einen inneren Widerspruch sorge, der verwerflich sei 45 . 8 Romantheoretisches 43 Blanckenburg, Versuch über den Roman, S. XIII. 44 Morgenstern, Ueber das Wesen des Bildungsromans. In der neueren Forschung zum Bildungsroman hat Fritz Martini auf diesen Aufsatz hingewiesen und damit Karl Morgenstern als den eigentlichen Erfinder dieses Begriffs wiederentdeckt: Fritz Martini, Der Bildungsroman, Zur Geschichte des Wortes und der Theorie, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 35 (1961), S. 44-63 (im folgenden zitiert als: Martini, Der Bildungsroman). 45 Morgenstern, Ueber das Wesen des Bildungsromans, S. 59. Bildungsroman und historischer Roman <?page no="16"?> Aus diesem Definitionsversuch leitet Morgenstern den Begriff „Bildungsroman“ 46 ab, der für ihn die einzig legitime Romanform ist: Er ist die Idealform des Romans, weil er ausschließlich die innere Bildung des Helden zeigt und damit denjenigen Stoff aufgreift, welcher dem Roman am eigentümlichsten ist 47 . Historischer Roman und Bildungsroman werden in Bezug zum Epos geradezu zu Gegensätzen: Wo sich der historische Roman dem Epos annähert, ist er kein reiner Vertreter seiner Gattung mehr. Der Bildungsroman hingegen ist für ihn das Grundmodell des Romans überhaupt. Morgenstern nennt „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ als Paradebeispiel dieser Gattung 48 und weist damit dem Bildungsroman das zu, was für ihn den Roman generell ausmacht: die Darstellung der inneren Entwicklung eines Individuums. Damit ist eine Definition vorgegeben, die bis zu Lukács‘ „Theorie des Romans“ 49 reicht und die bis in die Gegenwart auch von der Forschung immer wieder aufgegriffen wird. In der Literatur zum „Bildungsroman“ 50 ist es üblich, sich vorwiegend mit dem individuellen Bildungsweg eines Einzelnen zu beschäftigen. Dies ist auch ein Grund, warum man im „Bildungsroman“ immer ein typisch deutsches Phänomen gesehen hat, das in anderen europäischen Ländern nicht so stark verbreitet ist 51 : Bildungsroman und historischer Roman 9 46 Ebd., S. 61. 47 Ebd., S. 60-61. 48 Ebd., S. 15. 49 Georg Lukács, Die Theorie des Romans, Ein geschichtsphilosophischer Versuch über die Formen der großen Epik, Neuwied, Berlin 1971. 50 Rolf Selbmann, Der deutsche Bildungsroman, 2. Aufl., Stuttgart 1994, S. 7-9, 15, 17-18 (im folgenden zitiert als: Selbmann, Der deutsche Bildungsroman); Rolf Selbmann, Theater im Roman, Studien zum Strukturwandel des deutschen Bildungsromans, München 1981, S. 11-16 (im folgenden zitiert als: Selbmann, Theater im Roman). Auch hier ist es vor allem die unzureichende Verkürzung des Begriffs „Bildungsroman“ auf den individuellen Aspekt, der im Forschungsüberblick zum Ausdruck kommt. Selbmann selbst versucht aber, durch die Einbeziehung des sozialen Elements „Theater“, das in allen Bildungsromanen eine wichtige Rolle spielt, ein Gegengewicht zu setzen. Der Versuch, den Bildungsroman nicht nur auf die Entwicklung eines Individuums zu beschränken, ist auch schon früher in der Forschung unternommen worden. Vgl. hierzu: Jürgen Jacobs, Wilhelm Meister und seine Brüder, Untersuchungen zum deutschen Bildungsroman, München 1972, S. 167-173 (im folgenden zitiert als: Jacobs, Wilhelm Meister und seine Brüder). Allerdings steht auch hier die Auseinandersetzung des Individuums mit der Welt im Vordergrund, was zur Folge hat, daß ebenfalls keine Systematisierung der Romanthemen vorgenommen wird, die im Zusammenhang mit dem Verhältnis von Ich und Welt zu betrachten wären. Es ist daher nicht zufällig, daß auch Jürgen Jacobs im „Bildungsroman“ eine zunehmende Isolation der Figuren verzeichnet: Ebd., S. 169. 51 Selbmann, Der deutsche Bildungsroman, S. 18, 20, 22-23, wenngleich dies der Sache nach auch in anderen europäischen Ländern im Roman thematisiert wird: Ebd., S. 1, 18, 20, 22-23. Jürgen Jacobs/ Markus Krause, Der deutsche Bildungsroman, Gattungsgeschichte vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, München 1989, S. 35-37 (im folgenden zitiert <?page no="17"?> „[…] ‚Bildungsroman‘ ist eben nicht nur einer der ganz wenigen deutschen Begriffe, die weithin bekannt und vertraut sind, unübersetzbar und unverwechselbar deutsch wie ‚Kindergarten‘ und ‚Ratskeller‘, sondern er gilt auch als Inbegriff des deutschen Romans, ja deutscher Literatur und Kultur überhaupt […]“ 52 . Während es im angelsächsischen und französischen Bereich durchaus üblich ist, im Roman einen größeren Weltausschnitt dargestellt zu sehen 53 , beschränken sich die Interpretationen zum deutschen „Bildungsroman“ in erster Linie auf die Beschreibung einer individuellen Entwicklung. Das bedeutet freilich, daß wesentliche Aspekte verlorengehen, denn so wird zumindest der historische Roman, der bereits in der Theorie des 19. Jahrhunderts als Gegenstück zum „Bildungsroman“ und als „echte[s] Kind seiner Zeit“ 54 erscheint, ignoriert. Nicht nur Morgenstern, sondern die zeitgenössische Romantheorie überhaupt macht deutlich, daß der historische Roman in manchen Punkten der legitime Nachfolger der antiken Dichtungsart ist: Ihm wird jenes Maß an Objektivität zugestanden, das sonst das Epos ausmachte 55 . Gerade die Romane Walter Scotts 56 - der zumindest im deutschsprachigen Bereich als der „Urvater“ des historischen Romans gelten kann - werden zum Vorbild für einen Romantypus, welcher ein Volk und seine Sitten darzustellen vermag und deswegen im 19. Jahrhundert (gerade auch im deutschsprachigen Raum) hochgeschätzt wird 57 . Wenn Arthur Schopenhauer davon spricht, daß „[s]elbst die 10 Romantheoretisches als: Jacobs/ Krause, Der deutsche Bildungsroman). Jacobs, Wilhelm Meister und seine Brüder, S. 24-29. Gerade ausländische Arbeiten über den Bildungsroman neigen zu dieser These: Michael Minden, The German Bildungsroman, Incest and Inheritance, Cambridge 1997; Michael Beddow, The fiction of humanity, Studies in the Bildungsroman from Wieland to Thomas Mann, Cambridge 1982. 52 Hartmut Steinecke, ‚Wilhelm Meister‘ und die Folgen, Goethes Roman und die Entwicklung der Gattung im 19. Jahrhundert, in: Wolfgang Wittkowski (Hrsg.), Goethe im Kontext, Kunst und Humanität, Naturwissenschaft und Politik von der Aufklärung bis zur Restauration, Ein Symposium, Tübingen 1984, S. 89-118, hier S. 90 (im folgenden zitiert als: Steinecke, Wilhelm Meister und die Folgen). Zur Frage, ob der deutsche Roman im europäischen Vergleich eine Art „Sonderweg“ beschritten habe, vgl. den Diskussionsteil zu diesem Aufsatz: Ebd., S. 112-118. 53 Vgl. hierzu: Jacobs, Wilhelm Meister und seine Brüder, S. 167-173. Allerdings macht Jacobs auf eine Sonderentwicklung des englischen Romans aufmerksam, wenn er darauf hinweist, daß mit der Übersetzung des „Wilhelm Meister“ durch Thomas Carlyle 1824 der Versuch unternommen wurde, diese deutsche Romanausprägung in den englischsprachigen Raum zu importieren. Ebd., S. 160-166. 54 Wolfgang Menzel, Die deutsche Literatur, zweiter Theil, Stuttgart 1828, S. 184 (im folgenden zitiert als: Menzel, Die deutsche Literatur). 55 Rosenkranz, Einleitung über den Roman, S. 6. 56 Hugo Aust, Der historische Roman, Stuttgart, Weimar 1994 (= Sammlung Metzler, Bd. 278), S. 63-71 (im folgenden zitiert als: Aust, Der historische Roman). 57 Alexis, The Romances of Walter Scott; Karl Immermann, Ivanhoe, Eine Geschichte vom Verfasser des „Waverley“ (Walter Scott), Vorrede, in: Karl Immermann, Werke in 5 Bdn., <?page no="18"?> Romane Walter Scotts […] noch ein bedeutendes Übergewicht des inneren über das äußere Leben [haben]“ 58 , so ist das innerhalb der Scott-Rezeption eine Außenseiterposition, die aber deutlich macht, in welchem Maße Scotts Romane auch von denjenigen geachtet werden, welche die eigentliche Qualität des Romans in der Darstellung des inneren Lebens sehen. Durchsetzen kann sich diese Einschätzung allerdings nicht: So legt Adalbert Stifter, selbst Verfasser eines historischen Romans, dar, daß es gerade die Schilderung des Werdegangs der Menschheit sei und nicht die Beschreibung einer individuellen Lebensgeschichte, welche den Reiz von Scotts Romanen ausmache: „Man erzählt gewöhnlich bei geschichtlichem Hintergrunde Gefahren Abenteuer und Liebesweh eines Menschen oder einiger Menschen. Mir ist das nie recht zu Sinne gegangen. Mir haben unter Walter Scotts Romanen die am besten gefallen, in denen das Völkerleben in breiteren Massen auftritt, wie z. B. in den ‚Presbiterianern‘. Es erscheinen da bei dieser Art die Völker als großartige Naturprodukte aus der Hand des Schöpfers hervorgegangen, in ihren Schicksalen zeigt sich die Abwicklung eines riesigen Gesetzes auf, das wir in Bezug auf uns das Sittengesetz nennen, und die Umwälzung des Völkerlebens sind Verklärungen dieses Gesetzes. […] Es erscheint mir daher in historischen Romanen die Geschichte die Hauptsache und die einzelnen Menschen die Nebensache, sie werden von dem großen Strome getragen, und helfen den Strom bilden. Darum steht mir das Epos viel höher als das Drama, und der sogenannte historische Roman erscheint mir als das Epos in ungebundener Rede“ 59 . Bildungsroman und historischer Roman 11 unter Mitarbeit von Hans Asbeck/ Helga-Maleen Gerresheim/ Helmut J. Schneider und Hartmut Steinecke hrsg. von Benno von Wiese, Bd. 1, Gedichte, Erzählungen, Tulifäntchen, kritische Schriften, Frankfurt/ Main 1971, S. 545-553. In dieser Würdigung wird Scott durchaus kritisch betrachtet. Deutlich wird aber auch hier die enorme Wirkung, die Scott im deutschsprachigen Raum hatte. Zur Rezeption von Scotts Romanen im deutschsprachigen Raum vgl. für die neuere Forschung: Hartmut Steinecke, Wilhelm Meister oder Waverley? , Zur Bedeutung Scotts für das deutsche Romanverständnis der frühen Restaurationszeit, in: Beda Allemann/ Erwin Koppen (Hrsg.), Teilnahme und Spiegelung, Festschrift für Horst Rüdiger, Berlin, New York 1975, S. 340-359 (im folgenden zitiert als: Steinecke, Wilhelm Meister oder Waverley? ); Hans-Joachim Müllenbrock, Theodor Fontanes historischer Roman Vor dem Sturm und die Scottsche Gattungstradition, in: Ders., Der historische Roman, Aufsätze, Heidelberg 2003, S. 197-207. Daß andererseits Walter Scott selbst von deutschen historischen Romanen beeinflußt wurde, hat Frauke Reitemeier gezeigt: Frauke Reitemeier, Deutsch-englische Literaturbeziehungen, Der historische Roman Sir Walter Scotts und seine deutschen Vorläufer, Paderborn u. a. 2001 (= Beiträge zur englischen und amerikanischen Literatur, Bd. 18). 58 Arthur Schopenhauer, Parerga und Paralipomena, Kleine philosophische Schriften II (= Arthur Schopenhauer Sämtliche Werke, textkritisch bearbeitet und hrsg. von Wolfgang Frhr. von Löhneyses, Bd. V), reprographischer Nachdruck der 2., überprüften Aufl., Stuttgart, Frankfurt/ Main 1968, Darmstadt 1989, S. 520 (im folgenden zitiert als: Schopenhauer, Parerga und Paralipomena). 59 Stifter, Brief an Gustav Heckenast vom 08.06.1861, in: Stifter, Briefwechsel 3, S. 281-287, hier S. 282. <?page no="19"?> Auch in der Forschung zum „Historischen Roman“ ist darauf hingewiesen worden, daß dieser Typus bereits im 19. Jahrhundert als Gegenstück zu dem „bislang vorherrschenden Wilhelm Meister-Typus“, dem „Individualroman“, eingesetzt worden sei 60 und diesen um 1830 endgültig abgelöst habe 61 . Die Literatur zum „Bildungsroman“ hingegen versteht zwar auch den historischen Roman als theoretisches Gegenmodell zum Bildungsroman, macht aber gleichzeitig darauf aufmerksam, daß es sich nicht durchsetzen konnte, sondern vom Bildungsroman vereinnahmt wurde 62 . So sind die Einschätzungen der wichtigsten Romanarten des 19. Jahrhunderts und ihres Verhältnisses zueinander vielfältig, zum Teil sogar gegenläufig. Auch wenn in der Praxis „der Beitrag des historischen Romans zur deutschen Literatur der Restaurationszeit mehr quantitativ als qualitativ bemerkenswert“ 63 sein mag, so ist er doch zumindest theoretisch dasjenige Konzept, das dem Roman generell durch seine Orientierung am antiken Epos Dignität verleiht 64 . Während Hartmut Steinecke davon spricht, daß durch das Zurücktreten des Einzelnen in den Hintergrund der historische Roman „einen Bruch mit der Tradition des Individualromans vom Typus des Wilhelm Meister“, der bis dahin der „Normal-Roman“ 65 gewesen sei, darstelle, hat sich neuerdings Hermann J. Sottong dafür ausgesprochen, zwischen einem „historischen Initiationsroman“ 66 und einer Art historischem Zeitroman zu unterscheiden: Bildungs- oder Initiationsroman und historischer Roman stünden sich nicht zwingend diametral entgegen. Vielmehr erscheint innerhalb dieser Differenzierung der Bildungsroman als Bestandteil des historischen Romans. Damit stellt sich in der Tat die Frage, ob beide Romanarten in Theorie und Praxis wirklich so eindeutig voneinander getrennt werden können, wie Steinecke behauptet. Schon Sottongs Argumentation, die 12 Romantheoretisches 60 Aust, Der historische Roman, S. 64; Steinecke, Wilhelm Meister oder Waverley, S. 343. 61 Aust, Der historische Roman, S. 68. 62 Wilhelm Voßkamp, Der Bildungsroman als literarisch-soziale Institution, Begriffs- und funktionsgeschichtliche Überlegungen zum deutschen Bildungsroman am Ende des 18. und Beginn des 19. Jahrhunderts, in: Christian Wagenknecht (Hrsg.), Zur Terminologie der Literaturwissenschaft, Akten des IX. Germanistischen Symposions der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Würzburg 1986, Stuttgart 1989 (= Germanistische Symposien, Berichtsbände, Bd. IX), S. 337-352, hier S. 340. Neben dem historischen Roman erscheine der Zeitroman als weiteres Gegenstück zum Bildungsroman. 63 Steinecke, Wilhelm Meister oder Waverley? , S. 341. 64 Aust, Der historische Roman, S. 64. Zur Theorie des historischen Romans im Vormärz vgl. auch: Wolfgang Beutin, Zur Theorie des historischen Romans im Vormärz, in: Michael Vogt/ Detlev Kopp (Redaktion), Literaturkonzepte im Vormärz, Bielefeld 2001 (= Forum Vormärz Forschung, Jahrbuch 2000), S. 83-124. 65 Steinecke, Wilhelm Meister oder Waverley? , S. 351. 66 Hermann J. Sottong, Transformation und Reaktion, Historisches Erzählen von der Goethezeit zum Realismus, München 1992 (= Münchener Universitätsschriften, Münchener Germanistische Beiträge, Bd. 39), S. 262. <?page no="20"?> eine zeitliche Abfolge von „historischem Initiationsroman“ und historischem Zeitroman annimmt 67 , wirft Probleme auf. Der „historische Initiationsroman“ tritt nach Sottong im wesentlichen zwischen 1815 und 1830 auf und wird von seinem Erfinder im Kern als ein „Bildungsroman“ vor historischer Kulisse verstanden. Der historische Roman hingegen, in dem das Individuum nicht mehr im Mittelpunkt stehe, sei eine Erscheinung der Jahre zwischen 1830 und 1850. Erschwerend hinzu kommt, daß gerade der Begriff „Bildungsroman“ wegen seiner Definitionsdefizite 68 in der Forschung in seiner Brauchbarkeit umstritten ist. Während die einen 69 in ihm strukturell-formale Merkmale erkennen, sehen andere 70 ein historisches Phänomen, das letztendlich nur aus einigen wenigen Romanen besteht. Es ist daher nicht verwunderlich, daß es viele Versuche gibt, den Ausdruck „Bildungsroman“ durch andere Bezeichnungen zu ersetzen 71 . Bildungsroman und historischer Roman 13 67 Ebd., S. 262. 68 Sammons spricht in diesem Zusammenhang auch von einem „phantom genre“. Jeffrey L. Sammons, The Mystery of the Missing Bildungsroman or: What Happend to Wilhelm Meister’s Legacy? , in: Genre 14 (1981), S. 229-246, hier S. 239. Steinecke bemerkt treffend, daß mit dem Begriff „Bildungsroman“ nicht so sehr die Sache, sondern vielmehr die Interpretation bezeichnet würde. Steinecke, Wilhelm Meister und die Folgen, S. 112. So richtig diese Beobachtung ist, muß doch angefügt werden, daß es sich hier (und auch in der Frage der Alternativbenennungen; vgl. Anm. 71) nicht um eine bloße Etikettendiskussion handelt. Vielmehr geht mit der Bezeichnung „Bildungsroman“ auch eine thematische Einengung auf einen persönlichen Bildungsweg mit wenig strukturellen Merkmalen einher. 69 Gerhart Mayer, Der deutsche Bildungsroman, Von der Aufklärung bis zur Gegenwart, Stuttgart 1992. 70 Wilhelm Dilthey, Das Erlebnis und die Dichtung, Lessing, Goethe, Novalis, Hölderlin, 16. Aufl., Göttingen 1985, S. 272; Martini, Der Bildungsroman; Selbmann, Der deutsche Bildungsroman; Norbert Ratz, Der Identitätsroman, Eine Strukturanalyse, Tübingen 1988 (= Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte, Bd. 44) (im folgenden zitiert als: Ratz, Der Identitätsroman). 71 Aus der neueren Forschung seien nur folgende Beispiele genannt: „Biographiebzw. Autobiographie-Erzählung“: Hartmut Laufhütte, „Entwicklungs- und Bildungsroman“ in der deutschen Literaturwissenschaft, Die Geschichte einer fehlerhaften Modellbildung und ein Gegenentwurf, in: Michael Titzmann, Modelle des literarischen Strukturwandels, Tübingen 1991, S. 299-313, hier S. 310; „Individualroman“: Steinecke, ‚Wilhelm Meister‘ und die Folgen, S. 105 und v. a. S. 111; „Identitätsroman“: Ratz, Der Identitätsroman. Ganz zu schweigen von der unklaren Abgrenzung vom „Entwicklungsroman“; einen Überblick über die Forschungsdiskussion zu diesem Thema findet sich bei: Todd Kontje, The German Bildungsroman, History of a National Genre, Columbia S. C. 1993, S. 82-83. Ebenso wird auch der „Gesellschaftsroman“ durch andere Begriffe ersetzt, ohne daß auf diesem Wege ein verbindendes inhaltliches Element zwischen den einzelnen Romanarten der Zeit um 1848 gewonnen wäre. Vgl. hierzu beispielsweise: Erich Edler, Die Anfänge des sozialen Romans und der sozialen Novelle in Deutschland, Frankfurt/ Main 1977 (= Studien zur Philosophie des 19. Jahrhunderts, Bd. 34). <?page no="21"?> In diesem Zusammenhang muß deshalb geklärt werden, welche Verbindungen es zwischen Bildungs- und historischem Roman gibt und wie der deutschsprachige Roman, der in den Jahren 72 zwischen 1830 und 1860 mit starkem Gegenwartsbezug und vorwiegend als Reaktion auf die revolutionären Umwälzungen der Zeit entstanden ist 73 , vor dem Hintergrund dieser Gemeinsamkeiten bezeichnet werden kann. Mit anderen Worten: Welche inhaltlichen und strukturellen Merkmale muß ein Romantypus aufweisen, der im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts mit Recht als der legitime Nachfolger des antiken Epos in der Moderne bezeichnet werden kann? Auch die Antwort auf die Frage nach inhaltlichen Berührungspunkten der verschiedenen Romanarten findet sich bereits in der zeitgenössischen Romantheorie. Karl Morgenstern, der „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ als Musterfall des Bildungsromans anführt, begibt sich in Widerspruch zu seiner eigenen Definition, wenn er schreibt: „Als Werk von der allgemeinsten, umfassendsten Tendenz schönmenschlicher Bildung aber erscheinen im mildesten Glanze Wilhelm Meister’s Lehrjahre von Göthe, 14 Romantheoretisches 72 Der Terminus „Märzjahre“ ist vor dem Hintergrund der Diskussion um die Epocheneinteilung des zweiten Drittels des 19. Jahrhunderts zu sehen. Zu dieser vgl.: Otto Eke, Vormärz/ Nachmärz - Bruch oder Kontinuität? Nachfragen an die Begriffsgeschichte, in: Vormärz - Nachmärz, Bruch oder Kontinuität? Vorträge des Symposions des Forum Vormärz Forschung e. V. vom 19. bis 21. November 1998 an der Universität Paderborn, unter Mitarbeit von Tanja Coppola hrsg. von Otto Eke und Renate Werner, Bielefeld 2000, S. 11-30 (im folgenden zitiert als: Eke, Vormärz/ Nachmärz). Er soll die Kontinuität der Jahre zwischen 1830 und 1860 verdeutlichen, die in erster Linie durch die Auseinandersetzung mit revolutionären Umwälzungen geprägt sind, die mit der Julirevolution von 1830 beginnen, bis zur 1848er Revolution zumindest unterschwellig vorhanden sind, in diesem Jahr wieder deutlicher werden und erst langsam während der 1850er Jahre abklingen. 73 Dieser Zeitraum bietet sich nicht zuletzt deswegen an, weil schon Romantheoretiker des 19. Jahrhunderts selbst diese dreißig Jahre als zusammengehörig verstanden haben. Vor allen Dingen der Anfang dieses Zeitraums ist bei den Zeitgenossen unbestritten: In Hermann Marggraffs romantheoretischen Überlegungen erscheint eindeutig das Jahr 1830 als Zäsur. Weniger eindeutig stellt sich das Jahr 1860 (bzw. 1858 als Erscheinungsjahr des „Nachsommer“) für die Zeit als ein Meilenstein dar. Das liegt in erster Linie an der mangelnden zeitlichen Distanz. Berechnet man diesen Umstand mit ein, so spricht aber doch die Einteilung von Julian Schmidts „Geschichte der deutsche Literatur seit Lessing’s Tod“ dafür, die Überlegungen, welche der vorliegenden Arbeit zugrunde liegen, mit dem Erscheinen des „Nachsommer“ aufhören zu lassen. Zwar endet Schmidts letztes Kapitel mit dem Jahr 1867, das auch das Erscheinungsjahr dieser Literaturgeschichte ist, und damit unsystematisch in der Gegenwart ausläuft. Allerdings erscheint auch hier Adalbert Stifter als einer der letzten (wenn nicht gar als der letzte) der Autoren, die Kulturideale, wie sie aus dem 18. Jahrhundert bekannt sind, in Dichtung integriert haben. Julian Schmidt, Geschichte der deutschen Literatur seit Lessing’s Tod, 5., durchweg umgearbeitete und vermehrte Aufl., Leipzig 1867, S. 532-539 (im folgenden zitiert als: Schmidt, Geschichte der deutschen Literatur seit Lessing’s Tod). <?page no="22"?> doppelt uns Deutsche ansprechend, weil hier, wie lange vorher schon in Werther’s Leiden, der Dichter in dem Helden der Scene und Umgebung uns deutsches Leben, deutsche Denkart und Sitten unserer Zeit gab […]“ 74 . Hier wird deutlich, daß das Individuum auch im sogenannten „Bildungsroman“ nicht mehr als eine Einzelpersönlichkeit aufgefaßt wird, sondern repräsentativ ist 75 . Letzten Endes geht es im Bildungsroman sowohl um die Darstellung des Einzelnen als auch um diejenige eines Volkes und seiner Sitten. Der Roman soll zwar für die „Vervollkommnung des Menschen nach seiner Bestimmung“ sorgen, hierbei muß allerdings berücksichtigt werden, daß „[d]er Mensch auf dieser Erde […], seiner Natur nach, einen dreyfachen Standpunkt [hat], als intellectuelles, moralisches und politisches Wesen […]“ 76 . Damit hat einerseits der Bildungsroman den Bereich des ausschließlich Individuellen verlassen, der Mensch wird als Gattung betrachtet; nicht mehr der Einzelne ist der Held, sondern ein ganzes Volk 77 . Dies wird unmißverständlich deutlich, wenn Morgenstern behauptet, daß im „Wilhelm Meister“ die Bildung der „neueuropäischen Menschheit“ 78 gezeigt werde. Gerade die Darstellung eines Volkes und seiner Sitten ist aber der Inhalt, der dem historischen Roman zugeordnet wird 79 . Andererseits kommt auch beim „Historischen Roman“ der Einzelperson und ihrer Entwicklung vor dem Hintergrund einer äußeren Gesamtheit Bedeutung zu 80 . Darüber hinaus haben sowohl Bildungsals auch historischer Roman einen aktuellen Gegenwartsbezug 81 . Beide stellen die Vergangenheit nicht nur dar, um den früheren Zustand der Menschen zu zeigen, sondern wollen die aktuelle Situation beleuchten, indem sie deren Ursprünge zeigen und die Ursachen für den momentanen Zustand angeben. Der Roman Bildungsroman und historischer Roman 15 74 Morgenstern, Ueber das Wesen des Bildungsromans, S. 15-16 (Hervorhebungen in der Vorlage). 75 Zu dieser Auffassung vgl. auch die Einschätzung von „Wilhelm Meister“ durch Jean Paul: Jean Paul, Vorschule der Aesthetik, S. 234-235; zur Verkörperung einer Totalität durch eine Individualität im Roman vgl. außerdem: Rosenkranz, Einleitung über den Roman, S. 14-15; Menzel, Die deutsche Literatur, S. 171; Theodor Mundt, Wilhelm Meisters Wanderjahre oder die Entsagenden (Goethes Werke, vollständige Ausgabe letzter Hand, 21., 22. und 23. Bd., Stuttgart und Tübingen, Cotta 1829), in: Blätter für literarische Unterhaltung 21.- 23.09.1830, Nr. 264-266, S. 1053-1055, 1057-1059, 1061-1062, hier S. 1054 (im folgenden zitiert als: Mundt, Wilhelm Meisters Wanderjahre). 76 Münzenberger, Beleuchtung des Romanes, S. 87. 77 Menzel, Die deutsche Literatur, S. 171. 78 Morgenstern, Ueber das Wesen des Bildungsromans, S. 16. 79 Vgl. hierzu: Alexis, The Romances of Walter Scott, S. 13-14. 80 Ebd., S. 5-6; Menzel, Die deutsche Literatur, S. 185. 81 Für den historischen Roman vgl.: Hermann Kurtz, [Vorrede zu] Der Sonnenwirth, Süddeutsche Volksgeschichte aus den fünfziger Jahren, in: Morgenblatt für gebildete Leser vom 18. Februar 1846, S. 165-166. Für den Bildungsroman vgl.: Morgenstern, Ueber das Wesen des Bildungsromans, S. 21-22, 25. <?page no="23"?> soll überhaupt „Spiegel der Menschheit, ihrer Empfindungen und Handlungen in Ursachen und Folgen seyn“ 82 . Schließlich hat die Romantheorie des 19. Jahrhunderts auf das Verhältnis von Roman und seinen historischen Entstehungsbedingungen Bezug genommen, was Wolfgang Menzel 1828 im zweiten Teil seiner „Deutschen Literatur“ so formuliert: „Fragen wir nun zuletzt noch, in welcher Weise die neuen Romane mit dem Zeitgeist übereinstimmen, und woher es komme, daß sie gerade jetzt und so allgemein beliebt werden, so wird sich uns bald entdecken, daß hier nicht blos von einem flüchtigen Rausch der Mode die Rede sey. Vielmehr greift diese poetische Gattung tief in das Wesen der Zeit ein, und ist eine unzertrennliche und nothwendige Erscheinung ein echtes und nothwendiges Erzeugniß des neuen Kulturzustandes, ganz ungleich jenen Manieren oder Manieen, mit denen man bisher ein wechselndes und tändelndes Spiel getrieben hat“ 83 . Die Bestimmung der Gegenwart als einen „neuen Kulturzustand [...]“ gibt dem Roman schärfere Konturen: Da er als Produkt dieses „Kulturzustandes“ gekennzeichnet wird, reflektiert er auch den Zusammenhang von Roman und Kultur. Selbst Karl Morgenstern, der Erfinder des „Bildungsromans“, fordert, daß der Stoff des Romans aus „den Begebenheiten des Culturlebens genommen“ 84 werden solle. Und Julian Schmidt verwendet in seiner „Geschichte der deutschen Literatur“ noch 1867 rückblickend auf die jüngst vergangene Romanproduktion den Terminus „Culturroman“ 85 und schließt mit der Feststellung: „Die großen Fragen, die unsere Cultur bewegen, scheinen ihren poetischen Ausdruck hauptsächlich im Roman zu suchen und zu finden“ 86 . Das sind bemerkenswerte Überlegungen, die allesamt dazu angetan sind, die letztlich unbefriedigende Diskussion, ob der Bildungs- oder der historische Roman der „eigentliche“ Roman sei, entscheidend anders zu perspektivieren. Da aber Schmidt seiner Hypothese weder eine konkrete Begründung, noch dem Begriff „Culturroman“ eine nähere Definition folgen läßt, stellt sich die Frage, wie die Verbindung von Kultur und Roman im einzelnen beschaffen ist. 16 Romantheoretisches 82 Münzenberger, Beleuchtung des Romanes, S. 70. Vgl. auch S. 83-86. 83 Menzel, Die deutsche Literatur, S. 182. 84 Morgenstern, Ueber das Wesen des Bildungsromans, S. 55. 85 Schmidt, Geschichte der deutschen Literatur seit Lessing’s Tod, S. 347. 86 Ebd. S. 563. <?page no="24"?> Die Synthese: Der Kulturroman Ein Zusammenhang zwischen Kultur (beziehungsweise Zivilisation 87 ) und Roman wird bereits in der Frühromantik gesehen; das hält sich bis über die Jahrhundertmitte hinaus im Denken der Zeitgenossen: Noch 1867 schreibt Julian Schmidt Friedrich Schlegel „das große Verdienst [zu], zuerst auf den Zusammenhang der Kunst-, Literatur- und Culturgeschichte hingewiesen zu haben“ 88 . Diese Überlegung verbindet ihn mit Novalis, der 1799 in den „Fragmenten und Studien“ darlegt, daß der Stoff des Romans sich an der „Geschichte der Menschheit in Rücksicht ihrer Zivilisirung“ 89 orientiere. Damit ist zwar zunächst lediglich auf etwas präzisere Weise die Vorstellung wiederholt, der Roman solle das Leben darstellen. Gleichzeitig formuliert Novalis diese Aufgabe des Romans aber genauer, wenn er die Gegenstände der „Geschichte der Menschheit“ im einzelnen aufführt. Es handelt sich hierbei um die Geschichte der Wissenschaft, der Künste und der Verfassungen. Ähnlich schlüsselt Hegel die „Prosa der Wirklichkeit“ auf, wenn er darauf aufmerksam macht, daß es sich hierbei um die „feste, sichere Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft und des Staates“, „überhaupt Familie, bürgerliche Gesellschaft, Staat, Gesetze, Berufsgeschäfte“ 90 handelt. Der Roman kann diese Gegenstände aufnehmen und darstellen, allerdings nicht in einer einfachen Übernahme der Wirklichkeit, sondern in einer symbolischen Beschreibung der Realität 91 . Kultur ist damit einerseits zum Inhalt des Romans geworden, andererseits ist ihr Vorhandensein in der gegenwärtigen Wirklichkeit die Bedingung und Voraussetzung für den Roman. Es liegt somit die Vermutung nahe, daß das, was im Roman zeitgenössisches Leben ist und was von Hegel und Novalis als Familie, Gesellschaft, Staat, Ordnung und Gesetze näher ausdifferenziert wird, auf die Darstellung von Kultur hinausläuft. Das wird durch den Philosophen und Historiker Moriz Carrière bestätigt: „Wenn aber bei fortschreitender Cultur Geschichte, Philosophie und Religion die gemeinsame Wiege der Poesie verlassen, wenn die einzelnen Berufskreise des Lebens sich scheiden und begabte Individualitäten von der Substanz des Ganzen sich mehr und mehr lösen, […] wenn das Gemüth nicht mehr harmlos im Glauben der Väter, sondern erst nach heißem Zweifelkampf in der eigenen Erkenntniß seinen Frieden hat, wenn das äußere Leben zu einer Sammlung rechtlicher Institutionen Die Synthese: Der Kulturroman 17 87 Zum synonymen Gebrauch von Kultur und Zivilisation im ausgehenden 18. und 19. Jahrhundert vgl. unten. 88 Schmidt, Geschichte der deutschen Literatur seit Lessing’s Tod, S. 485. 89 Novalis , Fragmente und Studien, S. 668 (Hervorhebung in der Vorlage). 90 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik II, Frankfurt/ Main 1970 (= Georg Wilhelm Friedrich Hegel Werke, Bd. 14), S. 219. 91 Diese Auffassung findet sich beispielsweise bei Novalis und Hegel: Novalis, Fragmente und Studien, S. 668; Hegel, Ästhetik III, S. 393. Die Synthese: Der Kulturroman <?page no="25"?> und festbestehender Ordnungen wird […]: dann wird die Aufgabe des epischen Dichters eine andere [als in der heroischen Jugendzeit der Völker] […]“ 92 . Hier wird die Gegenwart als ein Zustand der fortgeschrittenen Kultur begriffen; ferner werden Definitionsmerkmale von Kultur angeführt. Darüber hinaus geht aus dieser Passage hervor, daß sich die Poesie dem jeweiligen Grad der Kultur anpassen muß. Bedeutet das aber nicht auch, daß sich Poesie mit den Bereichen auseinanderzusetzen hat, die für Kultur konstituierend sind? Zunächst scheint Carrière eine gegenteilige Antwort zu geben, wenn er fordert, das „Reich des Herzens“ 93 müsse Gegenstand der Dichtung sein, um so gleichsam ein Gegengewicht zu den Merkmalen der Kultur zu schaffen. Dann aber wird deutlich, daß eine Auseinandersetzung mit Kultur unabdingbar ist, weil dem Roman die Fähigkeit zugestanden wird, in der Kultur Natur wiederzugewinnen 94 . Damit ist bereits das komplexe Verhältnis von Kultur und Natur angesprochen, das ein zentraler Gegenstand in der Kulturdiskussion ist und zur Definition von Kultur beiträgt. Einen weiteren Aspekt von Kultur greift Wilhelm Heinrich Riehl in seinen romantheoretischen Überlegungen auf, wenn er darauf hinweist, daß sich Novellistik und Geschichtsschreibung einer Epoche gegenseitig erläutern und sich auf diese Weise „der mächtige Zug der Kulturgeschichte bereits in der Romandichtung“ 95 bemerkbar mache. Über diese Betrachtungen hinaus, die immerhin von Literaturtheoretikern und Schriftstellern stammen, die dem Roman freundlich gegenüberstehen, wird er selbst von denjenigen Ästhetikern, die ihn verachten, deswegen toleriert, weil sie in ihm ein geeignetes Gefäß für Kulturbetrachtungen sehen. Friedrich Theodor Vischer, einer der schärfsten Gegner und Kritiker des Romans, der diese Form gegenüber dem klassischen Epos immer als minderwertig ansah, weil sie als zu subjektiv und zu wenig geeignet erschien, die Gesamtheit menschlichen Lebens darzustellen 96 , gesteht dieser Gattung zu: „Die epische Forderung der Totalität bleibt [im Roman] stehen, doch nur in Beziehung auf die Culturzustände […]“ 97 . Kultur wird also nicht nur als verbindendes Thema der verschiedenen Romanarten angesehen; vielmehr wird der „Kulturroman“ zum legitimen Nachfolger des antiken Epos erklärt: Er allein 18 Romantheoretisches 92 Moriz Carrière, Das Wesen und die Formen der Poesie, Ein Beitrag zur Philosophie des Schönen und der Kunst, mit literarhistorischen Erläuterungen, Leipzig 1854, S. 180 (im folgenden zitiert als: Carrière, Das Wesen und die Formen der Poesie). 93 Ebd. 94 Ebd. 95 Wilhelm Heinrich Riehl , Kulturgeschichtliche Novellen, 4. Aufl., Stuttgart 1898 [1. Aufl. 1856], S. V (im folgenden zitiert als: Riehl, Kulturgeschichtliche Novellen). 96 Vischer, Aesthetik, S. 1307. Demgegenüber kann gerade das Epos „das Gewoge einer Menge“ als Ausdruck der Gesamtheit des menschlichen Lebens darstellen. Ebd., S. 1270. 97 Ebd., S. 1307. <?page no="26"?> füllt die Leerstelle, welche durch die Verlagerung des Epischen, der Form und dem Inhalt nach, aus der Gegenwart in die Vergangenheit entstanden ist 98 . Deshalb ist es - das wird zu zeigen sein - nicht mehr sinnvoll, vom Bildungs-, Entwicklungs-, Gesellschafts-, Zeit- oder Geschichtsroman zu sprechen, sondern vom „Kulturroman“. Diese aus der Theorie destillierte Vermutung wird durch die eigentliche Roman- und Novellenproduktion 99 im Vor- und Nachmärz bestätigt. Gilt „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ als Schulbeispiel des „Bildungsromans“, so kann „Wilhelm Meisters Wanderjahre“ 100 als Modell für den „Kulturroman“ bezeichnet werden. Es ist in diesem Zusammenhang nicht unwichtig, daß Goethes Roman deswegen bei den Zeitgenossen 101 auf Unverständnis stieß, weil er sich scheinbar keinem der bekannten Romantypen zuordnen ließ; so schreibt Theodor Mundt: „Wenn ich auch der Meinung bin, daß die ‚Wanderjahre‘ im Ganzen nur ein unausgearbeitetes Romanfragment sind, so halte ich mich doch überzeugt, daß die landwirthschaftlichen und ökonomischen Interessen dieser Dichtung […] doch selbst in einer ausgeführtesten Darstellung nicht weiter auszuführen gewesen wären, denn was, um Himmels willen, hätte daraus werden sollen? Ein landwirthschaftlich-ökonomisch, didaktisch-allegorischer Roman! Dies sollten auch vielleicht die ganzen ‚Wanderjahre‘ werden, und darum sind sie unvollendet geblieben, denn die Poesie kann so etwas gar nicht ausführen“ 102 . Der einzigen Bereich, den Mundt bei der Lektüre der „Wanderjahre“ ausmachen kann und den er versuchsweise als Bewertungskriterium für den Roman einführt, ist der der Landwirtschaft und Ökonomie 103 . Er hält beides sogar für die poetisch entscheidenden Elemente, auch wenn er deren konsequente Umsetzung für unmöglich hält und mit Unverständnis auf sie reagiert. Mundts Überlegungen sind deswegen bemerkenswert, weil er mit einem Vokabular ar- Die Synthese: Der Kulturroman 19 98 Bei Vischer wird dem Epos bezeichnenderweise die Qualität einer „vergangene[n] Begebenheit“ zugeschrieben. Ebd., S. 1265. 99 Zu den verwischten Grenzen von Roman und Novelle vgl.: Horst Thomé und Winfried Wehle, Novelle, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte, gemeinsam mit Georg Braungart/ Klaus Grubmüller/ Jan-Dirk Müller/ Friedrich Vollhardt/ Klaus Weimar, hrsg. von Harald Fricke, Bd. II, H-O, Berlin, New York 2000, S. 725-731, hier S. 729. 100 Johann Wolfgang Goethe , Wilhelm Meisters Wanderjahre oder die Entsagenden, Weimar 1894 und 1895 (= Goethes Werke, hrsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, Bd. 24 und Bd. 25 [1. Abteilung]) (im folgenden zitiert als: Goethe, Wilhelm Meisters Wanderjahre, Bd. 24 bzw. Bd. 25). 101 Mundt, Wilhelm Meisters Wanderjahre. 102 Ebd., S. 1058. 103 Schon an einer früheren Stelle der Rezension kommt Mundt auf die „ökonomischen, technischen, landwirthschaftlichen, haushälterischen und handwerkszünftigen Darstellungen“ zu sprechen, die für ihn das Hauptmerkmal des Romans sind. Ebd., S. 1058. <?page no="27"?> beitet, das den Bildbereich aufgreift, der dem Begriff „Kultur“ ursprünglich zugrunde liegt und das Gebiet des Ackerbaus bezeichnet 104 . Sieht man von der Kritik ab und reduziert Mundts Äußerungen auf ihren neutralen Kern, so wird damit nichts anderes als ein freilich noch unscharfer Umriß des „Kulturromans“ skizziert und ein erstes ästhetisches wie inhaltliches Merkmal genannt: Kennzeichnend für diesen Romantypus ist die leitmotivische Verwendung der Ackerbaumetapher, die strukturierend eingesetzt wird. So ist auch nicht verwunderlich, daß in den „Wanderjahren“ tatsächlich von dieser Wortbedeutung von Kultur ausgehend 105 Kultur in unterschiedlichen Zusammenhängen reflektiert wird 106 . Bemerkenswerterweise ist ihr inhaltliches Hauptmerkmal der Ausgleich von Innen und Außen 107 , was durchaus Parallelen in der Romantheorie hat. Kultur ist damit quasi zum prädestinierten Inhalt für den Roman des 19. Jahrhunderts geworden, der durchgehend den Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft 108 , Innen und Außen, Teil und Ganzem behandelt. Es kommt auch nicht von ungefähr, daß Ernst Willkomm 1837 eine Sammlung von Erzählungen unter dem Titel „Civilisationsnovellen“ 109 veröffentlicht. 1856 erscheinen die „Kulturgeschichtliche[n] Novellen“ 110 von Wilhelm 20 Romantheoretisches 104 Hierzu: Jörg Fisch, Zivilisation, Kultur, in: Otto Brunner (†)/ Werner Conze (†)/ Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 7, Stuttgart 1992, S. 679-774, hier S. 683-688, 732 (im folgenden zitiert als: Fisch, Zivilisation, Kultur). 105 Goethe, Wilhelm Meisters Wanderjahre, Bd. 25, S. 179-190. 106 So erscheint Kultur als ein europäisches Phänomen, das sich im Laufe der Jahrtausende entwickelt hat (Goethe, Wilhelm Meisters Wanderjahre, Bd. 24, S. 121), allerdings nicht uneingeschränkt positiv verstanden wird, sondern durchaus auch „Nachteile“ hat. Goethe, Wilhelm Meisters Wanderjahre, Bd. 25, S. 215. Sie wird mit Religion und Bildung in Verbindung gebracht. 107 Goethe, Wilhelm Meisters Wanderjahre, Bd. 24, S. 183. 108 Bruno Hillebrand, Theorie des Romans, Erzählstrategien der Neuzeit, 3., erweiterte Aufl., Stuttgart, Weimar 1993, S. 192; vgl. hierzu außerdem: Hans-Jürgen Blanke, Ich und Welt im Roman des 19. Jahrhunderts, Frankfurt/ Main u. a. 1988 (= Europäische Hochschulschriften, Reihe I, Deutsche Sprache und Literatur, Bd. 1073). 109 Ernst Willkomm, Civilisationsnovellen, Leipzig 1837 (im folgenden zitiert als: Willkomm, Civilisationsnovellen). Auch in dieser Sammlung werden die Begriffe „Cultur“ und „Civilisation“ weitgehend synonym gebraucht. Unter dem Begriff „Civilisation“ wird in erster Linie der technische und äußere Fortschritt verstanden, der alle Mitmenschlichkeit und Religion verdrängt hat, so daß gleichsam eine Materie ohne Geist entstanden ist (ebd., S. 159-161). Wird „Cultur“ zunächst als positives Gegenbild zu Civilisation verstanden und im Sinne einer wahrhaft menschlichen Entwicklung verwendet (ebd., S. 169-170), so wird an anderer Stelle „Cultur“ jedoch in dem gleichen negativen Sinne wie „Civilisation“ gebraucht, womit der ursprünglich gemachte Unterschied hinfällig wird (ebd., S. 84, 91, 302, 344-345). 110 Riehl, Kulturgeschichtliche Novellen. Die Sammlung umfaßt acht Novellen, die in den Jahren 1846, 1847, 1855 und 1856 entstanden sind. Allein diese Daten unterstützen die <?page no="28"?> Heinrich Riehl; und auch Gottfried Keller weist darauf hin, daß in den „Grünen Heinrich“ die Darstellung von Kultur Eingang gefunden habe 111 . Dieser Umstand und die Titel der beiden Novellensammlungen von Willkomm und Riehl zeigen, daß tatsächlich Kultur und Zivilisation nicht nur in der Romantheorie, sondern auch in der Dichtung selbst zu einem zentralen Thema geworden sind und daß es auch aus dieser Perspektive legitim ist, vom „Kulturroman“ zu sprechen. Diese Bezeichnung taucht zum ersten Mal in der zeitgenössischen Romantheorie ohne nähere Definition auf 112 . In der Forschung hat Max Wundt 1913 den Terminus „Kulturroman“ en passant mit Bezug auf die Romanproduktion des ausgehenden 18. Jahrhunderts verwendet 113 . Der Begriff, welcher der vorliegenden Arbeit zugrunde liegt, ist unabhängig von Wundts Wortgebrauch entstanden; sein Inhalt stimmt in wesentlichen Punkten nicht mit Wundts Charakteristik des Kulturromans überein. Der deutlichste Unterschied liegt im Verständnis des Verhältnisses von Bildungs- und Kulturroman: Wundt ist der Auffassung, daß der Bildungsroman als Begriff dem Kulturro- Die Synthese: Der Kulturroman 21 These, daß Kulturbetrachtungen im zeitlichen Umfeld von 1848 en vogue waren und auch in fiktionale Texte umgesetzt wurden. 111 Gottfried Keller, Brief an Hermann Hettner vom 05.01.1854, in: Gottfried Keller, Gesammelte Briefe in 4 Bdn., hrsg. von Carl Helbling, Bd. 1, Bern 1950, S. 382-384, hier S. 383. 112 Vgl. S. 16 Anm. 85. 113 Max Wundt, Goethes Wilhelm Meister und die Entwicklung des modernen Lebensideals, Berlin und Leipzig 1913, S. 54-68. Völlig außer acht gelassen werden kann auch eine Reihe von Heimatromanen, die vor allem in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts im Untertitel den Begriff „Kulturroman“ führen. Vgl. hierzu beispielsweise: Paul Scheerbart, Tarub, Bagdads berühmte Köchin, Arabischer Kulturroman, Berlin [1897]; Max Geissler, Das Moordorf, Kulturroman in zwei Büchern, Leipzig 1905; Peter Rosegger, Erdsegen, Vertrauliche Sonntagsbriefe eines Bauernknechtes, Ein Kulturroman, Leipzig 1915 (= Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Bd. 25) [1. Aufl. 1910]; Gustav Kohne, Der siebte Sohn, Ein Kulturroman, 4. Aufl., Leipzig 1917; Karl Malzacher, Talgänger und Höhenwandler, Ein Kulturroman aus unseren Tagen, Regensburg 1926; F[ranz] H. Ackermann, Der Totenrufer von Halodin, Prähistorischer Kulturroman aus den Wildnissen der ersten Eisenzeit, Olten 1928. Man muß zwar einige der genannten Romane durchaus dem (trivialen) historischen Roman zuordnen, der Begriff „Kulturroman“ wird hier aber weder wissenschaftlich noch theoretisch verwendet. Darüber hinaus stehen diese Romane weder inhaltlich noch zeitlich in einem Verhältnis zu dem hier konzipierten Romantyp. Vielmehr handelt es sich bei den Romanen von Scheerbart, Geissler, Rosegger, Kohne, Malzacher und Ackermann einerseits um Ausläufer des im 19. Jahrhundert beliebten ethnograpischen Erzählens nach dem Vorbild von Charles Sealsfield, anderer seits um dessen Transformation in den Heimatroman. Damit ist aber nur ein kleiner inhaltlicher Bereich des Kulturromans, wie ihn diese Arbeit versteht, berührt. Diese Romane teilen mit ihm weder die Grundintention, theoretische Kulturmodelle in Romanform zu reflektieren, noch dessen methodischen Anspruch, die beiden Hauptromantypen des 19. Jahrhunderts zu synthetisieren. <?page no="29"?> man überzuordnen sei; daß es gleichwohl gute Argumente gibt, die dafür sprechen, „Kulturroman“ als übergeordnete Kategorie zu verwenden, soll im folgenden verdeutlicht werden. Aus den genannten Gründen wird die vorliegende Arbeit literaturgeschichtlich vorgehen und in Romaninterpretationen detailliert zeigen, wie der Kulturbegriff, der sich seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert entwickelte, zwischen 1830 und 1860 in fiktionalen Texten umgesetzt wurde 114 . Dabei wird zunächst der Schwerpunkt auf der Begriffsgeschichte 115 liegen, mit deren Hilfe sich das gedankliche Konzept „Kultur“ für einen bestimmten Zeitraum inhaltlich definieren läßt 116 . Sofern sich Beziehungen zur „Realgeschichte“ auftun, sollen diese sichtbar gemacht werden. Die so gewonnene Beschreibung von „Kultur“ bildet den Hintergrund und das Bezugssystem für die Einzelanalyse der Romane. Erst durch einen Vergleich zwischen Kulturdiskussion und Roman, aber auch der einzelne Romane untereinander, kann im Detail gezeigt werden, daß zwischen den Romanen und der kulturtheoretischen Dis- 22 Romantheoretisches 114 Legitimiert wird diese Vorgehensweise auch durch die Methode der modernen Kulturwissenschaft selbst, die in erster Linie eine historische Wissenschaft ist und sich einer geschichtlichen Perspektive bedient. Vgl. hierzu beispielsweise: Friedrich A. Kittler, Eine Kulturgeschichte der Kulturwissenschaft, München 2000 (im folgenden zitiert als: Kittler, Eine Kulturgeschichte der Kulturwissenschaft); Ute Daniel, Kompendium Kulturgeschichte, Theorien, Praxis, Schlüsselwörter, Frankfurt/ Main 2001 (im folgenden zitiert als: Daniel, Kompendium Kulturgeschichte). Überhaupt zeigt die neue Disziplin „Kulturwissenschaft“ die Tendenz, historisch zu arbeiten. Dies geht sogar so weit, daß sich Kulturwissenschaftler durchaus in ihrem Selbstverständnis als Vertreter einer historischen Disziplin verstehen. Kulturwissenschaft und Kulturgeschichte befassen sich heute mit den „weichen Faktoren“ der Geschichte, d. h. sie betreiben nicht politische Geschichte oder Sozialgeschichte, sondern orientieren sich historisch, und wenden das auf alle anderen Bereiche des menschlichen Lebens an. Daniel, Kompendium Kulturgeschichte, S. 451. Jung macht folgerichtig auf die Wurzeln der Kulturwissenschaft in der Sozialwissenschaft bzw. Soziologie aufmerksam: Thomas Jung, Geschichte der modernen Kulturtheorie, Darmstadt 1999, S. 1-6 (im folgenden zitiert als: Jung, Geschichte der modernen Kulturtheorie). Es wird jedenfalls schnell deutlich, daß sich viele kulturwissenschaftliche Konzepte einer historischen Methode bedienen. Vgl. hierzu: Ansgar Nünning/ Vera Nünning (Hrsg.), Konzepte der Kulturwissenschaften, Theoretische Grundlagen - Ansätze - Perspektiven, Stuttgart, Weimar 2003. 115 Hier ist in erster Linie der Artikel über Zivilisation und Kultur in den „Geschichtlichen Grundbegriffen“ von entscheidender Bedeutung, dem vor allem das Verdienst zukommt, einen guten Überblick über die zeitgenössischen Quellen zu bieten, die sich mit „Kultur“ auseinandergesetzt haben: Fisch, Zivilisation, Kultur. 116 Hierfür muß zunächst vergegenwärtigt werden, was die Zeitgenossen unter „Kultur“ verstanden haben. Zu diesem Zweck wird in erster Linie auf die kulturtheoretischen Überlegungen von Kant, Herder, Mendelssohn, Schiller, Alexander und Wilhelm von Humboldt sowie Hegel zurückgegriffen. Um zu zeigen, daß ihre Kulturkonzepte - vor allem im 19. Jahrhundert - eine gewisse Breitenwirkung erlangt hatten, soll jener Kulturbegriff rekonstruiert werden, der von zeitgenössischen Lexika vermittelt wird. <?page no="30"?> kussion, die seit der Mitte des 18. Jahrhunderts geführt wird 117 , deutliche Verbindungslinien bestehen 118 . In diesem Zusammenhang gewinnen vor allem Schillers Überlegungen zu „Kultur“ besondere Bedeutung, da sich in seinem Denken viele Richtungen seiner Zeit synthetisieren und durch sein Werk, das bereits im 19. Jahrhundert zur Schullektüre geworden war 119 , populär wurden. Die Arbeit ist somit als geschichtlicher Abriß der Entwicklung theoretischer Kulturkonzepte im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts 120 zu verstehen, in Die Synthese: Der Kulturroman 23 117 Vgl. hierzu Kap. II. 118 Diese Abhängigkeit ist in der Forschung zum Roman des 19. Jahrhunderts bis jetzt noch nicht ausführlich dargestellt worden. Lediglich Helmut Koopmann hat in einem Aufsatz die Möglichkeit von Kulturmodellen in Romanform ins Auge gefaßt: Helmut Koopmann, Kulturmodelle in Romanform, in: Anita Bunyan/ Helmut Koopmann (Hrsg.), Kulturkritik, Erinnerungskunst und Utopie nach 1848, Deutsche Literatur und Kultur vom Nachmärz bis zur Gründerzeit in europäischer Perspektive II, Bielefeld 2003, S. 41-56. Darüber hinaus finden sich sporadische Hinweise auf den „kulturgeschichtlichen Roman“. So etwa bei Friedrich A. Kittler, der diesen Begriff aber inhaltlich weitgehend synonym für „historischen Roman“ gebraucht und bezeichnenderweise in erster Linie auf englische und französische Romane bezieht: Kittler, Eine Kulturgeschichte der Kulturwissenschaft, S. 123-127. Symptomatisch für die gegenwärtige Forschungssituation zur Literatur der 30er, 40er und 50er Jahre des 19. Jahrhunderts, sind die seit 1999 erschienenen Bände des „Forum Vormärz Forschung“ und der „Nachmärzforschung“; hier sind, neben den bereits zitierten Bänden, zu nennen: Lothar Ehrlich/ Hartmut Steinecke/ Michael Vogt (Hrsg.), Vormärz und Klassik, Bielefeld 1999 (= Vormärz-Studien, Bd. I); Gerhard Höhn/ Bernd Füllner (Hrsg.), Deutsch-französischer Ideentransfer im Vormärz, Bielefeld 2002 (= Forum Vormärz Forschung, Jahrbuch 2002); Wolfgang Bunzel,/ Peter Stein/ Florian Vaßen (Hrsg.), Romantik und Vormärz, Zur Archäologie literarischer Kommunikation in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Bielefeld 2003 (= Vormärz-Studien, Bd. X); Helmut Koopmann/ Michael Perraudin (Hrsg.), Formen der Wirklichkeitserfassung nach 1848, Deutsche Literatur und Kultur vom Nachmärz bis zur Gründerzeit in europäischer Perspektive I, Bielefeld 2003. In der Mehrzahl der Aufsätze, die in diesen Bänden versammelt sind, werden die heterogensten Einzelaspekte der Literaturbzw. Kulturgeschichte (zum Verhältnis dieser beiden Größen vgl. Anm. 120) um 1848 betrachtet, ohne daß inhaltlich die Frage aufgeworfen würde, was in dieser Zeit unter Kultur verstanden wird, und inwieweit Kulturkonzepte Eingang in Romane gefunden haben. 119 Hierzu: Ute Gerhard, Schiller im 19. Jahrhundert, in: Schiller-Handbuch, in Zusammenarbeit mit der Deutschen Schillergesellschaft Marbach hrsg. von Helmut Koopmann, Stuttgart 1998, S. 758-772. 120 Damit greift die vorliegende Arbeit methodisch die neue Entwicklung innerhalb der Geisteswissenschaften (insbesondere der Literaturwissenschaften) auf, die versucht, den kulturellen Kontext eines historischen Phänomens auszuleuchten, und somit in die sogenannte „New Cultural History“ integriert wird. Praktische Beispiele dieser Forschungsrichtung finden sich für die Zeit, in der sich diese Arbeit bewegt, in den Publikationen des „Forum Vormärz Forschung“. Vgl. hierzu Anm. 118. Allgemein zum Verhältnis von Literatur- und Kulturgeschichte, das in Forschung und Theoriebildung kontrovers diskutiert wird: Hartmut Böhme/ Klaus R. Scherpe (Hrsg.), Literatur und Kulturwissenschaften, Positionen, Theorien, Modelle, Reinbek bei Hamburg, 1996; <?page no="31"?> welchem die Romane als Zeitdokumente betrachtet werden. So erschienen sie bereits den Zeitgenossen des ausgehenden 18. Jahrhunderts, die in den „[…] Arbeiten der Dichter und Romanschreiber Archive […]“ sahen, „in welche einstweilen der Charakter der Nation niedergelegt wird, um den pragmatischen Geschichtsschreibern dereinst als Urkunde zu dienen“ 121 . Als repräsentative Beispiele für den „Kulturroman“ werden „Maler Nolten“ 122 , „Die Bernsteinhexe“ 123 , „Die Ritter vom Geiste“ 124 und „Der Nachsommer“ 125 gewählt. Mörikes und Stifters Romane markieren hierbei zum einen 24 Romantheoretisches Herbert Grabes (Hrsg.), Literary History/ Cultural History, Force-Fields and Tensions, REAL 17 (2001). 121 Karl Müller, Die besondere Entführung in einer Reihe von Briefen (Szene aus dem letzten Feldzuge der Preußen), Breslau, Leipzig 1792, S. VI. 122 Eduard Mörike, Maler Nolten, hrsg. von Herbert Meyer, Stuttgart 1967 (= Werke und Briefe, Historisch-Kritische Gesamtausgabe, hrsg. von Hans-Henrik Krummacher/ Herbert Meyer/ Bernhard Zeller, Bd. 3) (im folgenden zitiert als: Mörike, Maler Nolten). 123 [Wilhelm Meinhold], Maria Schweidler, Die Bernsteinhexe, Der interessanteste aller, bisher bekannten Hexenprocesse, nach einer defecten Handschrift ihres Vaters, des Pfarrers Abraham Schweidler in Coserow auf Usedom hrsg. von W. Meinhold, Berlin 1843 (im folgenden zitiert als: Meinhold, Die Bernsteinhexe). 124 Karl Ferdinand Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, Roman in 9 Büchern, hrsg. von Thomas Neumann, Frankfurt/ Main 1998 (im folgenden zitiert als: Gutzkow, Die Ritter vom Geiste). 125 Adalbert Stifter, Der Nachsommer, Eine Erzählung, Bd. 1-3, hrsg. von Wolfgang Frühwald/ Walter Hettche, Stuttgart, Berlin, Köln 1997-2000 (= Adalbert Stifter, Werke und Briefe, Historisch-Kritische Gesamtausgabe, hrsg. von Alfred Doppler/ Wolfgang Frühwald, Bd. 4,1-4,3) (im folgenden zitiert als: Stifter, Der Nachsommer). In der Forschung ist vor allem Stifters Werk, insbesondere auch der „Nachsommer“, unter der Fragestellung betrachtet worden, inwieweit es sich hierbei um den dichterischen Ausdruck einer Kulturtheorie handelt. Vgl. hierzu beispielsweise: Christian Begemann, Natur und Kultur, Überlegungen zu einem durchkreuzten Gegensatz im Werk Adalbert Stifters, in: Roland Duhamel/ Johann Lachinger/ Clemens Ruthner/ Petra Göllner (Hrsg.), Adalbert Stifters schrecklich schöne Welt, Linz 1994 (= Beiträge des Internationalen Kolloquiums zur Adalbert Stifter-Ausstellung, Universität Antwerpen 1993), S. 41-52. Zur weiteren Literatur über Kultur im Werk Adalbert Stifters vgl. S. 78 und 79 Anm. 11 und 13. Für „Maler Nolten“ ist in bezug auf die Kulturdarstellung in der neueren Forschung vor allem der Aufsatz von Julia Bohnengel relevant: Julia Bohnengel, „Der wilde Athem der Natur“, Zur Friedrich/ Loskine-Episode in Mörikes „Maler Nolten“, in: Reiner Wild (Hrsg.), „Der Sonnenblume gleich steht mein Gemüthe offen“, Neue Studien zum Werk Eduard Mörikes (mit einer Bibliographie der Forschungsliteratur 1985-1995), St. Ingbert 1997 (= Mannheimer Studien zur Literatur- und Kulturwissenschaft, Bd. 14), S. 45-69 (im folgenden zitiert als: Bohnengel, Der wilde Athem der Natur). In diesem Aufsatz wird „Maler Nolten“ als eine bildliche Darstellung eines Zivilisationsprozesses gesehen, wie ihn Norbert Elias im „Prozeß der Zivilisation“ theoretisch beschrieben hat. Vgl.: Norbert Elias, Über den Prozeß der Zivilisation, 2., um eine Einleitung vermehrte Aufl., Bern, München 1969. Aber weder der Aufsatz von Julia Bohnengel noch die Literatur zu Stifter kategorisieren ihre Ergebnisse oder abstradie <?page no="32"?> zeitlichen Eckpunkte, zum anderen stellen sie diejenigen entgegengesetzten Lebensentwürfe dar, in deren Spannungsverhältnis sich auch die Kulturdefinition bewegt. Die „Ritter vom Geiste“ werden einbezogen, weil dieses großangelegte Gesellschaftsporträt tatsächlich eine Vorstellung von den zeitgenössischen Verhältnissen geben kann. Die „Bernsteinhexe“ soll zeigen, daß das Thema „Kultur“ nicht nur in der „Höhenkammliteratur“ angesiedelt ist, sondern auch in den Romanen, die zwar von der Literaturkritik nicht in den Kanon der ästhetisch erstklassigen Werke aufgenommen wurden, die aber dafür in ihrer Zeit eine enorme Verbreitung und Wirkung hatten 126 . Darüber hinaus bietet sich gerade dieser historische Roman an, weil er durch die Fiktion einer authentischen Überlieferung eine besondere Struktur bekommt. Freilich ließe sich diese Auswahl noch um weitere Texte vermehren; zu nennen wären hier, neben dem schon erwähnten „Grünen Heinrich“, vor allem Gustav Freytags Romane, die bereits von der zeitgenössischen Romantheorie als kulturhistorische Illustration wahrgenommen wurden 127 . Die vier genannten Romane sind aber ein guter exemplarischer Kern, weil in ihnen ein weites Spektrum zeitgenössischer Geisteshaltungen sichtbar wird; überdies repräsentiert jeder einzelne eine der üblichen Unterkategorien des Romans: Bildungsbeziehungsweise Antibildungsroman, Künstlerroman, Gesellschafts- und Zeitroman sowie historischer Roman. Mit dem Begriff „Kulturroman“ soll kein weiteres Synonym zum „Bildungsroman“ geschaffen werden. Im Gegenteil: Im Gegensatz zu den vielen Versuchen der Forschung, den Ausdruck „Bildungsroman“ durch andere Bezeichnungen zu ersetzen 128 , möchte der „Kulturroman“ über dieses Etikettenspiel hinausgehen, weil sich mit ihm eine klare historisch-inhaltliche Definition an- Die Synthese: Der Kulturroman 25 hieren sie zu einer zeittypischen Romanklasse. Zur „Bernsteinhexe“ und zu den „Rittern vom Geiste“ fehlen überhaupt Überlegungen, die sich mit der Frage beschäftigen, ob sich diese Romane mit Kultur auseinandersetzen. Zu Meinholds Roman erschien in den vergangenen Jahren lediglich ein Aufsatz: Winfried Freund, Der Hexenautor von Usedom, Wilhelm Meinhold und die Bernsteinhexe, in: Die Horen 43 (1998), S. 97-109. 126 Zum Bekanntheitsgrad von Meinhold vgl.: Johann Wolfgang Goethe, [Individualpoesie], in: Literatur, aus dem Nachlaß, Weimar 1907 (= Goethes Werke, hrsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, Bd. 42, 2. Abtheilung), S. 61-63. Hier wird Meinhold zwar als zweitrangiger Künstler entlarvt, es wird ihm aber zugestanden, „genugsames Geschick [zu haben], um eine […] wünschenswerthe Cultur in seinem Kreise zu verbreiten“. Zur Wirkung der „Bernsteinhexe“ bei den Zeitgenossen vgl. Mörike, Brief an Wilhelm Hartlaub vom 08.09.1841, in: Eduard Mörike, Briefe 1839-1841, hrsg. von Hans-Ulrich Simon, Stuttgart 1988 (= Werke und Briefe, Historisch-Kritische Gesamtausgabe, hrsg. von Hans Henrik Krummacher/ Herbert Meyer/ Bernhard Zeller, Bd. 13), S. 202-205, hier S. 204 (im folgenden zitiert als: Mörike, Briefe 1839-1841); Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 76. 127 Vgl. hierzu: Schmidt, Geschichte der deutschen Literatur seit Lessing’s Tod, S. 452, 478. 128 Vgl. hierzu S. 13 Anm. 71. <?page no="33"?> bietet, die nicht nur einen individuellen Bildungsweg zum Inhalt hat 129 . Vielmehr sollen mit seiner Hilfe die beiden wichtigsten Romangattungen des 19. Jahrhunderts - Bildungs- und historischer Roman - auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden. Der Roman, der sich lange Zeit der Einordnung in ein Regelsystem widersetzt hat, weil seine Ansichten und Inhalte von Anfang an genauso vielfältig waren wie der „faktische Prozeß des Lebens“ 130 selbst, kann auf diese Weise systematisch betrachtet werden. Der Begriff „Kulturroman“ führt zu nichts weniger als zu einer differenzierten inhaltlichen, strukturellen und ästhetischen Programmatik des deutschsprachigen Romans zwischen 1830 und 1860. Doch zunächst wird im folgenden zu fragen sein: Was verstanden die Zeitgenossen unter „Kultur“? Wie verhält sich Kultur zu der historischen Situation zwischen 1830 und 1860? Inwiefern spielt sie eine Rolle im Verhältnis von Subjektivität und Objektivität, von Teil und Ganzem, welches für die Romantheorie so wesentlich ist? Wie hängt sie mit Staat, Familie, Ordnung und Gesetz, Natur und Geschichte zusammen, die andeutungsweise schon in der zeitgenössischen Romantheorie als Inhalt von fiktionalen Texten etabliert werden? 26 Romantheoretisches 129 Selbmann, Der deutsche Bildungsroman, S. 7-9, 15, 17-18; Selbmann, Theater im Roman, S. 11-16. Auch hier ist es vor allem die unzureichende Verkürzung des Begriffs „Bildungsroman“ auf den individuellen Aspekt, der im Forschungsüberblick zum Ausdruck kommt. Selbmann selbst versucht aber, durch die Einbeziehung des sozialen Elements „Theater“, das in allen Bildungsromanen eine wichtige Rolle spielt, ein Gegengewicht zu setzen. 130 Hillebrand, Zur Romantheorie in Deutschland, S. 31. <?page no="34"?> II. M   K     . J  Als Herder 1784 darauf hinwies, wie schillernd der Begriff „Kultur“ sei und „nichts trüglicher als die Anwendung desselben auf ganze Völker und Zeiten“ 1 , nahm er mit dieser Äußerung zu einer seit der Jahrhundertmitte aktuellen und populären Diskussion Stellung, bei der es um den Versuch ging, den seit der Antike gebräuchlichen Ausdruck „Kultur“ neu zu definieren 2 . Eine Neuinterpretation nicht nur des Terminus, sondern auch der Sache war im Zusammenhang mit dem modernen Interesse am Individuum notwendig geworden, denn an diesem orientieren sich alle neueren Kulturüberlegungen 3 . Bereits an dieser Stelle ergibt sich ein Bezug zur Romantheorie. Nicht nur, daß der Diskurs zum Roman zeitgleich mit dem über Kultur beginnt; darüber hinaus ist für beide Erörterungsgegenstände der Einzelne und sein Verhältnis zur Allgemeinheit von zentraler Bedeutung. Aus Herders Äußerung geht jedoch auch hervor, welche Schwierigkeiten der Begriff „Kultur“ seiner Umgebung bereitete: Durch seine noch nicht end- 1 Johann Gottfried Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, mit einem Vorwort von Gerhart Schmidt, Bodenheim 1995, S. 39 (im folgenden zitiert als: Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte). Aus dieser Bemerkung ergibt sich abermals ein Hinweis auf die Methode und weitere Vorgehensweise der vorliegenden Arbeit: Die Beschäftigung mit Kulturmodellen ist in erster Linie in einem ideengeschichtlichen Kontext zu sehen, in dem auch die Begriffsgeschichte eine nicht unerhebliche Rolle spielt. Aus diesem Grund wird die vorliegende Studie hauptsächlich begriffs- und ideengeschichtlich arbeiten. 2 Vgl. hierzu: Fisch, Zivilisation, Kultur, S. 705. Vgl. außerdem: Jung, Geschichte der modernen Kulturtheorie, S. 11. 3 Bedenkt man, daß das Individuum einerseits eines der wichtigsten konstituierenden Elemente des Kulturbegriffs, andererseits die Betrachtung des Individuums eine relativ neue Perspektive ist, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts literarisch im Sturm und Drang, in der Empfindsamkeit und in der Frühromantik, philosophisch in der Aufklärung und theologisch im Pietismus erschlossen wurde, ist es durchaus einleuchtend, daß der Begriff „Kultur“ in dieser Zeit neu definiert wurde und für das ganze 19. Jahrhundert seine Gültigkeit bewahrte. Andererseits wurden in dieser Zeit auch Kollektive, wie zum Beispiel Nationen oder Völker, als individuell existierend betrachtet. Auf diese Weise wird sozusagen auch der zweite, für die Kulturdefinition wichtige Bezugspunkt anders wahrgenommen als zuvor. Vgl. hierzu: Fisch, Zivilisation, Kultur, S. 707. Zur Bedeutung und Konstituierung des Individuums seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert: Niklas Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Semantik, Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 3, Frankfurt/ Main 1989, S. 172-173. Kultur seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert <?page no="35"?> gültige Definition ist die Gefahr einer fehlerhaften Verwendung groß; vor allem aber macht seine Komplexität einen differenzierten Gebrauch erforderlich. Aus diesem Grund handeln Überlegungen zum Thema Kultur immer auch von den Problemen, die mit ihnen einhergehen: So reflektiert Wilhelm von Humboldt noch 1823 in einem Aufsatz mit dem Titel „Inwiefern läßt sich der ehemalige Kulturzustand der eingeborenen Völker Amerikas aus den Überresten ihrer Sprache beurteilen“ 4 indirekt den Kulturbegriff der Zeit, wobei er nicht zuletzt auf die Schwierigkeit aufmerksam machte, die sich bei einem Definitionsversuch ergeben 5 . In der Tat läßt sich für den gesamten Zeitraum der inhaltlichen Neukonstituierung 6 keine in sich geschlossene Kulturtheorie finden. Noch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts bleibt das Desiderat bestehen, das Karl Franz von Irwing bereits zehn Jahre vor der Französischen Revolution so formuliert hat: „Die allgemeine Theorie der Kultur des Menschen überhaupt […] ist, […] bisher noch nicht genugsam, weder historisch noch philosophisch, bearbeitet worden […]“ 7 . Dafür aber gibt es während dieser ganzen Zeit zahlreiche und unterschiedliche Einzelversuche, den Begriff und die Sache Kultur zu bestimmen 8 , allerdings von durchweg bruchstückhaftem Charakter. Statt eines repräsentativen und genuinen Kulturmodells lassen sich lediglich Teilüberlegungen ausmachen, die sich dennoch zu einem schlüssigen Bild formieren, wenn man auf einer breiten historischen 9 Basis fragt: Welche Merkmale werden seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert als verbindlich für die Definition von Kultur angesehen? Welche dieser Aspekte werden so populär, daß sie ins allgemeine Bewußtsein und in den gängigen Sprachgebrauch eingegangen 28 Kultur seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert 4 Wilhelm von Humboldt, Inwiefern läßt sich der ehemalige Kulturzustand der eingeborenen Völker Amerikas aus den Überresten ihrer Sprache beurteilen [1823], in: Wilhelm von Humboldts Werke, hrsg. von Albert Leitzmann, Bd. 5, 1823-1825, photomechanischer Nachdruck der Ausgabe Berlin 1906, Berlin 1968, S. 1-30 (im folgenden zitiert als: Humboldt, Inwiefern läßt sich der ehemalige Kulturzustand der eingeborenen Völker Amerikas aus den Überresten ihrer Sprache beurteilen). 5 Ebd., S. 27. 6 Die Zeit der Neukonstituierung des Kulturbegriffs umfaßt - in groben Zügen umrissen - die Jahre 1760 bis 1815. Fisch, Zivilisation, Kultur, S. 705. 7 Karl Franz von Irwing, Erfahrungen und Untersuchungen über den Menschen, Bd. 3, Berlin 1779, S. 91 (im folgenden zitiert als: Irwing, Erfahrungen und Untersuchungen über den Menschen). 8 Die unterschiedlichen Aspekte der Begriffsgeschichte sind sehr gut erläutert in dem entsprechenden Artikel der Geschichtlichen Grundbegriffe: Fisch, Zivilisation, Kultur. Darüber hinaus findet sich eine Einführung in die moderne Kulturtheorie bei: Jung, Geschichte der modernen Kulturtheorie. 9 An dieser Stelle legitimiert sich das historische Vorgehen der vorliegenden Arbeit aus dem Kulturbegriff selbst, den schon Herder als einen im hohen Maße historisch bedingten Begriff erkannt hat. Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte, S. 39. <?page no="36"?> sind? Was waren die äußeren Ursachen für die intensive Beschäftigung mit theoretischen Kulturkonzeptionen? Was bedeutet das für die Kulturdefinition? Was wird letztlich unter Kultur verstanden? Kultur, Aufklärung und Bildung Kant leitet 1798 die Vorrede zur „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht“ mit folgenden Sätzen ein: „Alle Fortschritte in der Kultur, wodurch der Mensch seine Schule macht, haben das Ziel, diese erworbenen Kenntnisse und Geschicklichkeiten zum Gebrauch für die Welt anzuwenden; aber der wichtigste Gegenstand in derselben, auf den er jene verwenden kann, ist der Mensch; weil er sein letzter Zweck ist. - Ihn also seiner Spezies nach als mit Vernunft begabtes Erdwesen zu erkennen, verdient besonders Weltkenntnis genannt zu werden, ob er gleich nur einen Teil der Erdgeschöpfe ausmacht“ 10 . Wenig später definiert er „Anthropologie“ als die Lehre von der Kenntnis des Menschen 11 . Da er bereits im ersten Satz „Fortschritte in der Kultur als Schule der Menschheit“ deklariert, wird Kultur zu einem Teil der Anthropologie, der wesentlich zu der Frage beiträgt, was der Mensch sei und welche Bestimmung er habe. Daß die Frage nach Wesen und Bestimmung des Menschen seit dem 18. Jahrhundert nicht nur zentral für die Romantheorie ist, sondern auch eng mit dem Kulturgedanken zusammenhängt, wird nicht nur in den Schriften Kants deutlich, sondern auch bei anderen aufgeklärten Autoren. Moses Mendelssohn beispielsweise, der 1784 eine Preisschrift zur Frage, was Aufklärung sei, für die „Berlinische Monatsschrift“ verfaßte, bringt Bildung, Kultur und Aufklärung in einen engen Zusammenhang 12 und stellt fest, daß Maß und Ziel aller Überlegungen und aller Versuche, diese drei Begriffe zu definieren, die „Bestimmung des Menschen“ sei 13 . Diese Vorstellung ist bereits im 19. Jahr- Kultur, Aufklärung und Bildung 29 10 Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, hrsg. von Dr. Otto Schöndörffer, Nachdruck der Ausgabe Berlin 1922, Hildesheim 1973 (= Immanuel Kants Werke, in Gemeinschaft mit Hermann Cohen/ Artur Buchenau/ Otto Buek/ Albert Görland/ B. Kellermann/ Otto Schöndörffer hrsg. von Ernst Cassirer, Bd. VIII), S. 3-228, hier S. 3 (Hervorhebung in der Vorlage) (im folgenden zitiert als: Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht). 11 Ebd. 12 Moses Mendelssohn, Über die Frage: was heißt aufklären, in: Moses Mendelssohn, Kleinere Schriften, bearbeitet von Alexander Altmann, mit einem Beitrag von Fritz Bamberger, Stuttgart, Bad Cannstatt 1981 (= Moses Mendelssohn, Gesammelte Schriften, Jubiläumsausgabe, Bd. 6,1), S. 113-119, hier S. 113 (im folgenden zitiert als: Mendelssohn, Über die Frage: was heißt aufklären). 13 Ebd., S. 115-116. Die Titel von Herders Schrift „Briefe zu Beförderung der Humanität“ und Fichtes „Die Bestimmung des Menschen“, die sich beide intensiv mit kulturphilosophischen Fragestellungen auseinandersetzen, sprechen für sich. J. G. Herder, Briefe Kultur, Aufklärung und Bildung <?page no="37"?> hundert allgemein verbreitet. Im „Rheinischen Conversations-Lexicon“ findet sich im Anschluß an den Eintrag „Cultur“ ein Verweis zum Stichwort „Bestimmung des Menschen“ 14 . Wie eng die Verbindung zwischen Aufklärung einerseits und Kultur andererseits überhaupt ist, wird erstmals bei Kant und Mendelssohn deutlich, ist aber auch bei anderen Autoren am Ende des 18. 15 und zu Beginn des 19. Jahrhunderts 16 anzutreffen. Bei Kant ist zwar nur von einer unendlich fortschreitenden Kulturfähigkeit des Menschen die Rede 17 , Mendelssohn hingegen, dem 30 Kultur seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert zu Beförderung der Humanität, 1.-10. Sammlung, Riga 1793-1797 (im folgenden zitiert als: Herder, Briefe zu Beförderung der Humanität). Johann Gottlieb Fichte, Die Bestimmung des Menschen, in: Johann Gottlieb Fichte, Werke 1799-1800, unter Mitwirkung von Erich Fuchs/ Kurt Hiller/ Walter Schieche und Peter K. Schneider hrsg. von Reinhard Lauth/ Hans Gliwitzky, Stuttgart, Bad Canstatt 1981 (= J. G. Fichte Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hrsg. von Reinhard Lauth/ Hans Gliwitzky, Bd. 6), S. 189-311. 14 Rheinisches Conversations-Lexicon oder encyclopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände, hrsg. von einer Gesellschaft rheinlaendischer Gelehrten in 12 Bdn., Bd. 3, Cap-Dey, 4. Originalaufl., Köln am Rhein 1838, S. 720 [Stichwort Cultur] (im folgenden zitiert als: Rheinisches Conversations-Lexicon, Bd. 3). 15 Vgl. hierzu: Novalis, Über die Ordalien und Gottesurtheile, in: Novalis, Schriften, Bd. 2, Das philosophische Werk I, in Zusammenarbeit mit Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz hrsg. von Richard Samuel, Stuttgart 1960, S. 7-12, hier S. 8 (im folgenden zitiert als: Novalis, Über die Ordalien und Gottesurtheile). Hier werden Kultur und Aufklärung nahezu synonym verwendet. Vgl. außerdem Schlegel, Fragmente zur Litteratur und Poesie, S. 146. Friedrich Schlegel, Über das Studium der griechischen Poesie, in: Friedrich Schlegel, Studien des klassischen Altertums, eingeleitet und hrsg. von Ernst Behler, Paderborn, München, Wien 1979 (= Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner hrsg. von Ernst Behler, 1. Bd.), S. 229, 239 (im folgenden zitiert als: Schlegel, Über das Studium der griechischen Poesie). Adolph von Knigge, Joseph von Wurmbrand kaiserlich abyssinischen Ex-Ministers, jezzigen Notarii caesarii publici in der Reichsstadt Bopfingen politisches Glaubensbekenntniß in der Hinsicht auf die französische Revolution und deren Folgen, Frankfurt, Leipzig 1792, S. 60, 72 (im folgenden zitiert als: Knigge, Joseph von Wurmbrand); Joachim Heinrich Campe , Briefe aus Paris, während der Französischen Revolution geschrieben, hrsg. von Helmut König, Berlin 1961, S. 207-208; Wilhelm von Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen, [1792], in: Wilhelm von Humboldts Werke, hrsg. von Albert Leitzmann, Bd. 1, 1785- 1795, photomechanischer Nachdruck der Ausgabe Berlin 1903, Berlin 1968, S. 97-254, hier S. 101 (im folgenden zitiert als: Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen). 16 Vgl. Artur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung II (= Artur Schopenhauer, Sämtliche Werke, textkritisch bearbeitet und hrsg. von Wolfgang Frhr. von Löhneysen, Bd. 1), reprographischer Nachdruck der 2. überprüften Aufl., Stuttgart, Frankfurt/ Main, Darmstadt 1989, S. 263. 17 Kant definierte 1784 in seinem Aufsatz „Was ist Aufklärung„ Aufklärung als den „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“. Immanuel Kant, <?page no="38"?> es um eine konkrete Bestimmung des Terminus geht 18 , wird bereits wesentlich deutlicher, wenn er Kultur und Aufklärung als zwei verschiedene Ausprägungen von Bildung ansieht: „Bildung, Kultur und Aufklärung sind Modifikationen des geselligen Lebens; Wirkungen des Fleißes und der Bemühungen der Menschen ihren geselligen Zustand zu verbessern. Je mehr der gesellige Zustand eines Volks durch Kunst und Fleiß mit der Bestimmung des Menschen in Harmonie gebracht worden; desto mehr Bildung hat dieses Volk. Bildung zerfällt in Kultur und Aufklärung“ 19 . Hier wird der Begriff „Bildung“ übergeordnet, „Kultur“ und „Aufklärung“ erscheinen im Vergleich dazu als untergeordnete Größen; außerdem zeigt diese Äußerung, daß die Begriffe „Kultur“, „Bildung“ und „Aufklärung“ im 18. Jahrhundert noch nicht scharf voneinander getrennt sind. Das liegt nicht zuletzt daran, daß es sich hierbei zu dieser Zeit um verhältnismäßig neue Ausdrücke handelt, aus denen sich im allgemeinen Sprachgebrauch noch keine unterschiedlichen Bedeutungen ausdifferenziert haben: Zum Teil werden sie synonym verwendet, zum Teil wird einmal der Begriff „Aufklärung“, ein anderes Mal werden die Begriffe „Bildung“ und „Kultur“ als Oberbegriff benutzt 20 . Wie im folgenden zu zeigen sein wird, spricht aber rückschauend vieles dafür, Kultur, Aufklärung und Bildung 31 Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? , in: Immanuel Kant, Schriften von 1783-1788, hrsg. von Artur Buchenau/ Ernst Cassirer, Berlin 1913 (= Immanuel Kants Werke in Gemeinschaft mit Hermann Cohen/ Artur Buchenau/ Otto Buek/ Albert Görland/ B. Kellermann, hrsg. von Ernst Cassirer, Bd. IV), S. 167-176, hier S. 169 (im folgenden zitiert als: Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? ). Diesen Gedanken formuliert er auch in dem Aufsatz „Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte“. Hier wird er jedoch in eine kulturgeschichtliche Entwicklungstheorie integriert. Immanuel Kant, Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte, in: Immanuel Kant, Schriften von 1783-1788, hrsg. von Artur Buchenau/ Ernst Cassirer, reprographischer Nachdruck der Ausgabe Berlin 1912-22, Hildesheim 1973 (= Immanuel Kants Werke, Bd. IV), S. 327-348, hier S. 333-334 (im folgenden zitiert als: Kant, Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte). 18 Mendelssohn, Über die Frage: was heißt aufklären, S. 118. 19 Ebd., S.113 (Hervorhebung in der Vorlage). 20 Vgl. hierzu auch: Johann Christoph Adelung, Grammatisch-Kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen, 1. Theil, von A bis E, reprographischer Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1793, Hildesheim, New York 1970, Sp. 1354-1355 [Stichwort Cultur] (im folgenden zitiert als: Adelung, Cultur); Johann Wolfgang Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre, Weimar 1899 (= Goethes Werke, hrsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, Bd. 22, [1. Abteilung]), S. 242 (im folgenden zitiert als: Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre, Bd. 22); Herder, Briefe zu Beförderung der Humanität, Dritte Sammlung, S. 107; Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen, S. 101. Auch in der Forschung sind beide Begriffe nicht immer eindeutig getrennt worden: Vgl. hierzu: Rudolf Vierhaus, Bildung, in: Otto Brunner/ Werner Conze/ Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Historitatsächlich <?page no="39"?> den Begriff „Kultur“ als Oberbegriff zu gebrauchen, da er im Gegensatz zum Bildungs- und Aufklärungsbegriff nicht nur die persönliche Erziehung und innere Entwicklung des Einzelnen umfaßt, sondern auch die Bildung einer Allgemeinheit und vor allen Dingen die Wechselwirkung zwischen Individuum und Gemeinschaft reflektiert, auf diese Art und Weise strukturelle Bedeutung bekommt und zu einem komplexen Bezugssystem wird. Im weiteren Verlauf seiner Argumentation führt Mendelssohn folgerichtig aus, daß Kultur die äußere und praktische, Aufklärung hingegen die innere und theoretische Seite von Bildung sei. Darum sei Kultur, in Abgrenzung zu Aufklärung, ein Begriff, der im Zusammenhang mit der „Bestimmung des Menschen als Bürger“ 21 fallen müsse. Aufklärung sorgt für persönliche Bildung 22 , Kultur jedoch für die Bildung einer Gesellschaft, da sie das Verhältnis des Einzelnen zur Allgemeinheit regelt. Kultur ist um so höher entwickelt, je mehr die Bildung, die der Mensch durch Aufklärung erworben hat, mit seinem bürgerlichen Stand und Beruf übereinstimmt. Diese Unterscheidung führt letzten Endes dazu, daß im Prinzip nie ein Einzelner, wohl aber eine Gruppe von Menschen Kultur entwickeln kann 23 . Deshalb ist Kultur eng mit den Be- 32 Kultur seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert sches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 1, A-D, Stuttgart 1972, S. 508-551, hier v. a. S. 508-509, 515-516 (im folgenden zitiert als: Vierhaus, Bildung); Aleida Assmann, Arbeit am nationalen Gedächtnis, Eine kurze Geschichte der deutschen Bildungsidee, Frankfurt, New York 1993 (= Edition Pandora, Bd. 14), v. a. S. 8, 12-14, 24-25. Auch der Begriff „Humanismus“ ist zum Teil mit dem Begriff „Kultur“ synonym verwendet worden. Vgl. hierzu: Herder, Briefe zu Beförderung der Humanität, Siebente Sammlung, S. 4. 21 Mendelssohn, Über die Frage: was heißt aufklären, S. 116. Zum Begriff des Bürgers, der auch in der Romantheorie eine zentrale Rolle spielt, vgl. S. 4 Anm. 17. 22 Mendelssohn, Über die Frage: was heißt aufklären, S. 117. Dort heißt es, daß die Aufklärung den „Menschen als Menschen“ „ohne Unterschied der Stände“ interessieren würde, wohingegen über Kultur gesagt wird, daß sie um so mehr vorhanden ist, desto mehr die Geschicklichkeit, Fertigkeit, Neigung, Trieb, Geselligkeitssitten und Gewohnheit des Einzelnen mit seinem bürgerlichen Stand und Beruf übereinstimmen (ebd., S. 116). 23 Irwing stellte bereits 1779 fest, daß das, was beim Individuum Bildung und Erziehung sei, beim Kollektiv als Kultur bezeichnet würde: Irwing, Erfahrungen und Untersuchungen über den Menschen, S. 126-127. Vgl. auch Fisch, Zivilisation, Kultur, S. 708. Bezeichnenderweise fehlt auch im „Conversations-Lexikon der Gegenwart“ von 1838 ein Stichwort „Bildung“ ganz. Auch der Eintrag „Cultur“ kommt ohne diesen Begriff aus, weil er in erster Linie den nationalen Aspekt von Kultur im Blick hat. „Bildung“ wird hier durch die Wendung „intellectuelle Cultur“ ersetzt: Conversations-Lexikon der Gegenwart in 4 Bdn., 1. Band, A bis E, Leipzig 1838, S. 851-852 [Stichwort Cultur] (im folgenden zitiert als: Conversations-Lexikon der Gegenwart, Bd. 1). Im „Rheinischen Conversations-Lexikon“ von 1838 findet sich folgende Definition von „Cultur“: „Indessen wird, wenn von menschlicher C[ultur] die Rede ist, doch nur diejenige höhere Ausbildung darunter verstanden, die a) entweder der Mensch in Verbindung mit andern zu einem Volk erlangt, wodurch dann dieses zu einer cultivierten Nation wird, wenn sie unter einer weisen Regierung zu einem Zustand innerer Sicherheit und allmälig <?page no="40"?> griffen des Volkes, der Nation beziehungsweise dem des Staates verbunden 24 , oder, anders ausgedrückt: Kultur entsteht aus dem Wechselspiel zwischen Individuum und Allgemeinheit. Im Gegensatz zu den Begriffen „Aufklärung“ oder „Bildung“ vermittelt Kultur zwischen den innerlich-humanistischen und den äußerlich-politischen Aspekten der Frage nach dem menschlichen Wesen und dessen Bestimmung 25 . Damit wird indirekt auch seitens der kulturtheore- Kultur, Aufklärung und Bildung 33 auch durch Industrie, Gewerbe und Handel zu einem Wohlstand sich erhebt, der Jedem eine verhältnismäßige Sphäre freier Wirksamkeit eröffnet; oder die b) auch der Einzelne erringt, wenn seine Anlagen dafür sorgfältig gepflegt und die zu ihrer Entwicklung ihm dargebotenen Mittel gehörig benutzt werden“. [Stichwort Cultur], in: Rheinisches Conversations-Lexikon, Bd. 3, S. 719. 24 Für den Begriff „Volk“ vgl.: Friedrich Schlegel , Zur Philologie. I, in: Friedrich Schlegel, Fragmente zur Poesie und Literatur, 1. Teil, mit Einleitung und Kommentar hrsg. von Ernst Behler, Paderborn, München, Wien 1981, S. 35-56 (= Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner hrsg. von Ernst Behler, Bd. 16), hier S. 49; Friedrich Schlegel, Philosophische Lehrjahre 1796- 1806, nebst politischen Manuskripten aus den Jahren 1796-1828, 1. Teil, mit Einleitung und Kommentar hrsg. von Ernst Behler, München, Paderborn, Wien 1963 (= Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner hrsg. von Ernst Behler, Bd. 18), S. 174. Für den Begriff „Nation“ vgl. Humboldt, Inwiefern läßt sich der ehemalige Kulturzustand der eingeborenen Völker Amerikas aus den Überresten ihrer Sprache beurteilen, besonders S. 7, 10-11, 26-27; Herder, Briefe zu Beförderung der Humanität, Erste Sammlung, S. 147; Herder, Briefe zu Beförderung der Humanität, Fünfte Sammlung, S. 75, 86-87; Johann Wolfgang Goethe, Literarischer Sansculottismus, Weimar 1901 (= Goethes Werke, hrsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, Bd. 40, [1. Abteilung]), S. 196-203, hier S. 198; Friedrich Schiller, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? , Eine akademische Antrittsrede, in: Schillers Werke, Nationalausgabe, Bd. 17, Historische Schriften, Erster Teil, hrsg. von Karl-Heinz Hahn, Weimar 1970, S. 359-376, hier S. 368; für den Begriff „Staat“ vgl.: Novalis, Das Allgemeine Brouillon, Materialien zur Enzyklopädistik, in: Novalis Schriften, Bd. 3, Das philosophische Werk II, in Zusammenarbeit mit Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz hrsg. von Richard Samuel, Stuttgart 1960, S. 207-478, hier S. 284, 313 (im folgenden zitiert als: Novalis, Das Allgemeine Brouillon). Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Die Verfassung Deutschlands (1800-1802), in: G. W. F. Hegel, Frühe Schriften, Frankfurt/ Main 1986, S. 451-610 (= G. W. F. Hegel Werke, Bd. 1), hier S. 596-597 (im folgenden zitiert als: Hegel, Die Verfassung Deutschlands). Kant spricht bereits früher davon, daß das äußerste Ziel von Kultur eine vollkommene bürgerliche Verfassung sei. Kant, Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte, S. 335. 25 Diese Behauptung wird durch die politische Verwendung des Begriffes „Kultur“ gestützt. Am deutlichsten wird das wahrscheinlich in der Benennung des Kultusministeriums, auf die im folgenden näher eingegangen wird. Vgl. hierzu den Eintrag „Cult, Theokratie, Cult-Ministerium“, in: Das Staats-Lexikon, Encyklopädie für sämmtliche Staatswissenschaften für alle Stände, in Verbindung mit vielen der angesehensten Publicisten Deutschlands hrsg. von Carl von Rotteck und Carl Welcker, neue durchaus verbesserte und vermehrte Aufl., Altona 1846, S. 628-632 (im folgenden zitiert als: Rotteck/ Welcker, Cult, Theokratie, Cult-Ministerium). Auf S. 628 findet sich zwar zum Stichwort „Cultur“ lediglich der Verweis zum Eintrag „Bildung“, aber die Definition für das Stichtischen <?page no="41"?> Überlegungen die Vermutung aus der Romantheorie bestätigt, daß der Roman das geeignete Gefäß für Kulturbetrachtungen ist: Ähnlich wie jene beschäftigt sich auch die Frage nach den charakteristischen Eigenschaften von „Kultur“ zu einem erheblichen Maß mit der Beziehung von Teil und Ganzem, Subjektivität und Objektivität, Individualität und Gemeinschaft. Kultur und Staat Es ist daher nicht verwunderlich, daß, nach Mendelssohn und Kant, auch bei Hegel 26 und den Gebrüdern Humboldt 27 der Begriff „Kultur“ im Zusammenhang mit verfassungstheoretischen Überlegungen fällt, so daß in letzter Konsequenz Kultur zu einem staatsbildenden Element wird und zu einem Merkmal nationaler Identität avanciert 28 . Lange Zeit bleibt sie (und hier insbesondere der Aspekt der Sprache und der Dichtung sowohl als Ursache wie auch als Wirkung von Kultur 29 ) sogar im Rahmen der Nationalismusdebatte im ausgehenden 18. und 19. Jahrhundert das am stärksten verbindende Element 30 . 34 Kultur seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert wort „Cult, Theokratie, Cult-Ministerium“ hebt ganz deutlich den äußeren Aspekt dieser Begriffe hervor und damit ihre Gültigkeit für die Allgemeinheit. Auch die gebräuchliche Wendung „Culturgesetzgebung“ weist in diese Richtung. Vgl. hierzu beispielsweise: Rheinisches Conversations-Lexikon, Bd. 3, S. 719 [Stichwort Cultur]. 26 Hegel, Die Verfassung Deutschlands. 27 Humboldt, Inwiefern läßt sich der ehemalige Kulturzustand der eingeborenen Völker Amerikas aus den Überresten ihrer Sprache beurteilen; Alexander von Humboldt, Ansichten der Natur mit wissenschaftlichen Erläuterungen, Bd. 1, Stuttgart, Augsburg 1859 [1. Ausgabe ebd., 1807], besonders S. 26 und S. 172 (im folgenden zitiert als: Humboldt, Ansichten der Natur). 28 Vgl. hierzu: Humboldt, Inwiefern läßt sich der ehemalige Kulturzustand der eingeborenen Völker Amerikas aus den Überresten ihrer Sprache beurteilen. Vgl. außerdem: Rheinisches Conversations-Lexicon, Bd. 3, S. 719 [Stichwort Cultur]. 29 Hierzu: Humboldt, Inwiefern läßt sich der ehemalige Kulturzustand der eingeborenen Völker Amerikas aus den Überresten ihrer Sprache beurteilen. 30 Freilich wird aber auch in diesem Punkt die Zersplitterung Deutschlands nie gänzlich außer acht gelassen. Herder, Briefe zu Beförderung der Humanität, Fünfte Sammlung, S. 86-87. Zur Entstehung, Entwicklung und Bedeutung der Nation als gedanklichem und kulturellem Konstrukt vgl.: Benedict Anderson, Die Erfindung der Nation, Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, aus dem Englischen von Benedikt Burkard, Frankfurt, New York 1988; Christian Geulen, Die Metamorphose der Identität, Zur „Langlebigkeit“ des Nationalismus, in: Aleida Assmann/ Heidrun Friese (Hrsg.), Identitäten, Erinnerung, Geschichte, Identität 3, Frankfurt/ Main 1998, S. 346-373, hier v. a. S. 353-354; Stefan Neuhaus, Literatur und nationale Einheit in Deutschland, Tübingen und Basel 2002. Nipperdey spricht in diesem Zusammenhang sogar vom „Denkmal der Bildungs- und Kulturnation“ und vom „historisch kulturellen Nationaldenkmal“, das dazu dienen soll, der Nation ihr Wesen und ihre Identität bewußt zu machen. Als Beispiel für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts führt er die Walhalla an, macht aber auch auf Vorläufer aus dem 18. Jahrhundert aufmerksam. Thomas Nipperdey, Nationalidee Kultur und Staat <?page no="42"?> Allerdings ist die Bildung einer Nation nicht ohne die Erziehung zum mündigen Bürger möglich, so daß ein Kulturzustand der Allgemeinheit erst durch die sorgfältige Ausbildung des Einzelnen ermöglicht wird. Nicht zuletzt aus diesem Grund weist Kant darauf hin, daß Welt- und Menschenkenntnis des Einzelnen unabdingbar für das Fortschreiten von Kultur sind 31 . Hierbei ist es von besonderem Interesse, daß er Reisen als Möglichkeiten anthropologischer Entwicklung ansieht 32 . Auf diese Weise werden die Kenntnisse nationaler Eigentümlichkeiten für die persönliche Ausbildung genutzt und beide Bedeutungsmöglichkeiten von Bildung, nämlich (persönliche) Erziehung und (nationale) Entwicklung, zueinander in Beziehung gesetzt. Gleichzeitig zeichnet sich hier die Entwicklung von „Alterität“ zu „Identität“ ab, die nicht nur im Zusammenhang mit den Nationalismusdebatten eine entscheidende Rolle spielt, sondern auch eine europäische Dimension hat 33 . Ähnliche Gedanken finden sich bei Wilhelm von Humboldt, der sie ausdrücklich in eine Staatstheorie einbaut 34 und später, während seiner Tätigkeit Kultur und Staat 35 und Nationaldenkmal in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: Ders., Gesellschaft, Kultur, Theorie, Gesammelte Aufsätze zur neueren Geschichte, Göttingen 1976 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 18), S. 133-173, hier v. a. S. 148, 150, 153, 170. Dieser Gedanke wird näher ausgeführt in: Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866, Bürgerwelt und starker Staat, München 1983, S. 301 (im folgenden zitiert als: Nipperdey, Deutsche Geschichte). 31 Vgl. hierzu Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. 3-4. In diesen Zusammenhang gehört dann auch die Annahme bestimmter moralischer Werte (ebd., S. 222), die für Kants Kulturvorstellungen besonders wichtig sind. Thomas Jung hat darauf aufmerksam gemacht, daß sich Kants Überlegungen zur Kultur in erster Linie aus moralischen und sittlichen Werten speisen. Jung, Geschichte der modernen Kulturtheorie, S. 33-34. 32 Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. 3-4. Hiermit spricht Kant einen Grundsatz aus, der auch in der modernen Kulturanthropologie wiederzufinden ist, für die Reiseberichte zu einer wichtigen Grundlage geworden sind. Vgl. hierzu beispielsweise: Mounier Fendri, Kulturmensch in „barbarischer“ Fremde, Deutsche Reisende im Tunesien des 19. Jahrhunderts, München 1996; Anselm Maler/ Sabine Schott (Hrsg.), Galerie der Welt, Ethnographisches Erzählen im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1988. 33 Als Beleg für diese These können die Arbeiten von Wilhelm und Alexander von Humboldt gelten, die in ihren Studien über Amerika diesem Kontinent immer Europa als Vergleichsgröße entgegenstellen. Symptomatisch ist in diesem Punkt der Aufsatz „Inwiefern läßt sich der ehemalige Kulturzustand der eingeborenen Völker Amerikas aus den Überresten ihrer Sprache beurteilen? “ von Wilhelm von Humboldt. Humboldt versucht hier zwar Gesetzmäßigkeiten und Entwicklungen darzustellen, die zu einer Nationalbildung notwendig sind; dabei denkt er aber in Kontinenten, so daß Amerika, Asien und eben auch Europa als ein zusammengehöriges Gebilde verstanden werden. Humboldt, Inwiefern läßt sich der ehemalige Kulturzustand der eingeborenen Völker Amerikas aus den Überresten ihrer Sprache beurteilen, S. 1, 9-10, 18-19. 34 Humboldt, Ideen zu einem Versuch die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen. <?page no="43"?> in der Sektion für Kultus und Unterricht im Ministerium des Inneren, politisch fruchtbar gemacht hat 35 . Diese Überlegungen entstehen nicht zuletzt aus der Einsicht, daß es neben der Organisation von Kultur im Staat auch die Organisation von Kultur in der Kirche gibt, die ebenfalls versucht, erziehend und bildend auf den Einzelnen einzuwirken 36 . Bemerkenswert ist jedenfalls, daß für eine politische Einrichtung der Begriff „Kultus“ beziehungsweise „Kultur“ und nicht die Begriffe „Bildung“, „Aufklärung“ oder „Humanismus“ verwendet werden. So wird abermals betont, daß „Kultur“ zwischen einer inhaltlich-humanistischen und einer praktisch-politischen Ebene vermittelt. Kultur und Geschichte Wie eng der Aspekt der Erziehung mit dem Kulturgedanken verbunden ist, wird deutlich, wenn es 1837 im „Rheinischen Conversations-Lexicon“ heißt, Bildung sei die Erkenntnis der menschlichen Bestimmung 37 . Daß aber auch der Entwicklungsgedanke von nicht unerheblicher Bedeutung ist, wird spätestens dann klar, wenn man bedenkt, daß eines der frühesten Komposita, die mit dem Begriff „Kultur“ gebildet wurden, „Kulturgeschichte“ beziehungsweise „Geschichte der Kultur“ ist 38 . Für die Geschichtsphilosophie, die im ausgehenden 18. und 19. Jahrhundert zu einer Art Modethema geworden ist 39 , 36 Kultur seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert Kultur und Geschichte 35 Wilhelm von Humboldt, An der Spitze der preußischen Unterrichtsverwaltung, 1809 u. 1810, in: Wilhelm von Humboldts politische Denkschriften, hrsg. von Bruno Gebhardt, Bd. 1, 1802-1810, photomechanischer Nachdruck der Ausgabe Berlin 1903, Berlin 1968, S. 16-302, hier v. a. S. 199-224. 36 Ebd., S. 201-205. Humboldt versucht hier in seiner Tätigkeit in der Section des Cultus und öffentlichen Unterrichts (also staatlicherseits) auf die Kirche, vor allen Dingen auf deren Erziehungsauftrag einzuwirken. Das Verhältnis von Kirche und Staat wurde zum Beginn des 19. Jahrhunderts - im Rahmen der Nationalismusdebatte - neuerlich stark reflektiert. Im großen und ganzen war das Verhältnis von Kirche und Staat zu Anfang des Jahrhunderts noch wesentlich unkomplizierter als seit den 1830er Jahren. Vgl. hierzu Kapitel III. Bei Humboldt ist ein sittliches Gefühl die Voraussetzung zum religiösen Gefühl bzw. zur Religion. Ebd., S. 202. Zur Religion als eine im sittlichen und moralischen Sinne wirkende und damit kultivierende Kraft vgl. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. 222. 37 Rheinisches Conversations-Lexicon oder encyclopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände, hrsg. von einer Gesellschaft rheinlaendischer Gelehrten in 12 Bdn., Bd. 2, Bam-Can, 4. Originalaufl., Köln 1837, S. 481 [Stichwort Bildung]. 38 Fisch, Zivilisation, Kultur, S. 712. 39 Hierzu muß man sich nur die historisch-philosophischen Arbeiten von Schiller, Schlegel, Hegel, Herder, Kant, Winckelmann , Rousseau, Möser, Humboldt, Schelling und Schlözer vor Augen führen. Vgl. hierzu: Jens Kulenkampf, Geschichtsphilosophie vor und nach der Französischen Revolution: Kant und Hegel, in: Lothar Bornscheuer (Hrsg.), Revolutionsbilder - 1789 in der Literatur, Frankfurt/ Main u. a. 1992 (= Europäische Aufklärung in Literatur und Sprache, Bd. 5), S. 1-22. <?page no="44"?> wird Kultur zu einem leitenden Prinzip 40 . Auch in diesem Punkt geht es nicht mehr um den großen Einzelnen. Kulturgeschichte schildert vielmehr „[…] jenen stillern, aber ununterbrochenen Gang des Völkerlebens […], der mit seinen Gesetzmäßigkeiten doch auch jeden Einzelnen und alle besondern Begebenheiten seiner Herrschaft unterwirft“ 41 . Hier werden mehrere Elemente aufgenommen, die einerseits Eingang in die Diskussion um Bildungs- und historischen Roman gefunden haben und andererseits bereits in der Aufklärung konstituierend für Kulturvorstellungen waren: Ein Indikator für Kultur ist ein Volk, das sich in bestimmter Weise ausbildet. Nicht selten wird dieser historische Entwicklungsgedanke mit einem geographisch-naturwissenschaftlichen Aspekt kombiniert, der sich unmittelbar an die wörtliche Bedeutung des Begriffs Kultur anschließt. So ist beispielsweise das Werk mit dem vielsagenden Titel „Kosmos“, das Alexander von Humboldt zwischen 1845 und 1858 veröffentlichte, ein Musterbeispiel für eine Naturgeschichte, die gleichzeitig nichts weniger als eine Kulturgeschichte der Menschheit ist 42 : Die Beobachtungen, die hier mitgeteilt werden, sind eine entwicklungsgeschichtliche, chorographisch-physikalische und ethnologische Antwort auf die für die Kulturproblematik grundlegende Frage, was der Mensch sei und welche Bestimmung er habe. In diesem Zusammenhang wird auch Religion zu einem wesentlichen Merkmal von Kultur: 1843 setzt Ludwig Feuerbach im Rahmen seiner Projektionstheorie den Entwicklungsgang der Religion mit der Entwicklung der menschlichen Kultur gleich 43 und spricht somit den zweiten etymologischen Kultur und Geschichte 37 40 Fisch, Zivilisation, Kultur, S. 712. 41 Conversations-Lexikon der Gegenwart, Bd. 1, S. 848 [Stichwort Cultur]. Diese Art der (kultur)geschichtlichen Betrachtung findet sich bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert: Schiller, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? , S. 364, 366, 369-371. 42 Der erste Band des vierbändigen Werkes erschien 1845, der zweite 1847, der dritte 1850 und der letzte 1858. In diesem Zusammenhang ist in erster Linie der zweite Band von Bedeutung: Alexander von Humboldt, Kosmos, Ein Entwurf einer physischen Weltbeschreibung, Bd. 2, Stuttgart, Tübingen 1847 (im folgenden zitiert als: Humboldt, Kosmos, Bd. 2). Der Ausgangspunkt für Humboldt sind Beschreibungen über Natur und Kultur von Pflanzen. Diese weiten sich dann zu Reflexionen über die (Kultur-)Geschichte einzelner Völker aus. Diese Art der Menschen-, Natur- und Kulturgeschichte ist bereits im 18. Jahrhundert mit Herders „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ vorgeprägt. 43 1843 erschien die zweite Auflage des philosophischen Hauptwerks Feuerbachs „Das Wesen des Christentums, die - im Gegensatz zur Erstausgabe von 1841 - diese Überlegung expressis verbis ausdrückt. Ludwig Feuerbach, Das Wesen des Christentums, 2., durchgesehene Aufl., Berlin 1984 (= Ludwig Feuerbach, Gesammelte Werke, hrsg. von Werner Schuffenhauer, Bd. 5), S. 57-58 (im folgenden zitiert als: Feuerbach, Das Wesen des Christentums). Der Gedanke einer kulturgeschichtlichen Entwicklung von Religion <?page no="45"?> Ursprung des Begriffes Kultur an, nämlich den Bereich des Cultus 44 . Feuerbach sieht Religion als bloße Ritualentwicklung 45 , womit er bereits moderne kulturwissenschaftliche Interessen und Methoden anspricht 46 . An dieser Stelle wird auch der Zusammenhang zwischen dem engen, hauptsächlich volkskundlich orientierten und einem abstrakteren, theoretischen Kulturbegriff sichtbar: Während dieser sich in erster Linie um eine grundlegende Definition von Kultur in der Frage nach den conditiones humanae bemüht, stellt jener gleichsam das methodische Vorgehen dar, das in der historischen Einzelfallanalyse eine konkrete ethnographische Antwort darauf liefert; beide Ebenen sind so eng miteinander verbunden, daß die eine ohne die andere nicht denkbar ist. Nicht zuletzt aus diesem Grund geben gerade Bildung einerseits und Geschichte andererseits im 18. und 19. Jahrhundert die zentralen Definitions- 38 Kultur seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert kommt schon ein paar Jahre früher bei David Friedrich Strauß auf. Hier wird das erste Mal der Versuch unternommen, Jesus als historische Persönlichkeit zu verstehen. David Friedrich Strauß, Das Leben Jesu, Tübingen 1835-1836 (im folgenden zitiert als: Strauß, Das Leben Jesu). Dieser Ansatz verliert sich auch später nicht mehr ganz aus Strauß’ Denken. Daß es ihm hierbei tatsächlich explizit um Reflexionen zu Kultur ging, beweist der Titel „Kultur und Christentum“, der einem Kapitel aus „Der alte und der neue Glauben“ vorangestellt ist. David Friedrich Strauß, Der alte und der neue Glaube, Ein Bekenntniß, Bonn 1877 (= Gesammelte Schriften von David Friedrich Strauß, nach des Verfassers letztwilligen Bestimmungen zusammengestellt, eingeleitet und mit erklärenden Nachweisungen versehen von Eduard Zeller, Bd. 6), S. 42-43. Neutraler wird der entwicklungsgeschichtliche Zusammenhang zwischen Religion (hier speziell dem Christentum) und Kultur im Conversations-Lexikon der Gegenwart im Artikel „Cultur“ erklärt: „Je mehr sich aber das Christenthum in mannichfachere Formen ausprägt, um so fähiger wird es, den verschiedenen Nationalitäten und Culturstufen sich anzupassen“. Conversations-Lexikon der Gegenwart, Bd. 1, S. 853 [Stichwort Cultur]. 44 Fisch, Zivilisation, Kultur, S. 679, 700. Bezeichnenderweise verwendet Kant den Begriff „Cultus“ immer dann, wenn er die äußerliche, bereits zur Hohlformel erstarrte Seite von Religion kritisch beschreiben will. Immanuel Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, in: Kants Werke, Bd. VI, Berlin 1914 (= Kants Gesammelte Schriften, hrsg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. VI), S. 3-202, hier S. 12-13, 51, 84, 106, 127. Somit wird auch in diesem Bereich auf den für den Kulturbegriff so wichtigen Aspekt der Äußerlichkeit hingewiesen. 45 Feuerbach, Das Wesen des Christentums, S. 57-58. Hier heißt es bezeichnenderweise: „Die Identität des Subjekts und Prädikats erhellt am deutlichsten aus dem Entwicklungsgange der Religion, welcher identisch mit dem Entwicklungsgange der menschlichen Kultur ist. Solange dem Menschen das Prädikat eines Naturmenschen zukommt, solange ist auch sein Gott ein bloßer Naturgott. Wo sich der Mensch in Häuser, da schließt er auch seine Götter in Tempel ein. Der Tempel ist nur eine Erscheinung von dem Werte, welchen der Mensch auf schöne Gebäude legt“. 46 Vgl. hierzu beispielsweise: Clifford Geertz, Dichte Beschreibung, Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt/ Main 1987 (im folgenden zitiert als: Geertz, Dichte Beschreibung), der sich auf eben solche ethnologische Beobachtungen stützt. <?page no="46"?> merkmale für Kultur ab, was abermals mit der romantheoretischen Diskussion korrespondiert. Kultur, Kulturkritik und Barbarei Bezeichnenderweise wird in dieser Zeit oftmals im Zusammenhang mit Kultur auf Jean-Jacques Rousseau zurückgegriffen. Kant setzt sich intensiv mit ihm auseinander 47 , und auch in den entsprechenden Lexikoneinträgen fehlt der Hinweis auf seine Vorstellungen nicht 48 . Rousseaus Gedanken werden in erster Linie als historische Konstruktion verstanden: Da Kultur auf den Naturstand folgt und im weiteren Verlauf der Kultur die ursprünglichen natürlich-sittlichen Anlagen immer weiter zurückgehen, ist ganz offensichtlich ein geschichtlicher Prozeßgedanke ausgedrückt, auch wenn dieser nichts mehr gemeinsam hat mit einem aufklärerisch-optimistischen Geschichtsbild, das eine fortschrittliche Entwicklung vorsieht. An Rousseau kommt man jedenfalls nicht so schnell vorbei, wenn man sich mit Kulturüberlegungen im 18. und 19. Jahrhundert beschäftigt. Nicht jeder Autor steht allerdings in seiner Nachfolge 49 . Zwar stellt sich Kultur überall als Gegenbild zur Natur dar 50 , jedoch erscheint sie teilweise in Form von Barbarei und wird negativ beurteilt, zum Teil tritt sie als positives Gegenbild zur Kultur auf 51 . Kultur, Kulturkritik und Barbarei 39 47 Vgl. hierzu: Kant, Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte, v. a. S. 334-336; Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. 221-222; Immanuel Kant, Idee zu einer Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (1784), in: Immanuel Kant, Schriften von 1783-1788, hrsg. von Artur Buchenau/ Ernst Cassirer, reprographischer Nachdruck der Ausgabe Berlin 1912-22, Hildesheim 1973 (= Immanuel Kants Werke, Bd. IV), S. 152- 166, hier v. a. S. 161 (im folgenden zitiert als: Kant, Idee zu einer Geschichte in weltbürgerlicher Absicht). 48 Vgl. hierzu: Rheinisches Conversations-Lexikon, Bd. 3, [Stichwort Cultur], Allgemeine deutsche Real-Encyclopädie für die gebildeten Staende, (Conversations-Lexicon) in 10 Bdn., Bd. 2, Br-Cz, 6. Original-Aufl., Leipzig 1824, S. 864 [Stichwort Cultur] (im folgenden zitiert als: Allgemeine deutsche Real-Encyclopädie, Bd. 2). 49 Kant beispielsweise referiert Rousseau, gibt ihm aber - wie er selbst sagt - nur bis zu einem gewissen Grad recht. Vgl. hierzu: Kant, Idee zu einer Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, S. 161. 50 In jedem Lexikonartikel wird darauf hingewiesen, daß der Begriff „Kultur“ sich von „colere“ ableitet und sich ursprünglich auf das Bebauen und Bearbeiten eines Ackers bezieht, also die nicht mehr „natürliche Natur„ bezeichnet. Vgl. z. B. Rheinisches Conversations-Lexicon, Bd. 3, S. 719 [Stichwort Cultur]. 51 Zu dieser zwiespältigen Einschätzung vgl. das Stichwort „Naturstand“, in: Allgemeines deutsches Conversations-Lexicon für die Gebildeten eines jeden Standes mit den gleichbedeutenden Benennungen der Artikel in der lateinischen, französischen englischen und italienischen Sprache, nebst der deutschen Aussprache der Fremdwörter in 10 Bdn., hrsg. von einem Vereine Gelehrter, 2. Abdruck der 1. Original-Aufl., Bd. 7, Mar-Oyb, Leipzig 1840, S. 582-583, hier S. 582 [Stichwort: Naturstand]. Kultur, Kulturkritik und Barbarei <?page no="47"?> In diesem Fall kann man von Kulturkritik sprechen, die einer „Afterform“ der Kultur 52 gilt, welche sich durch Dekadenzerscheinungen auszeichnet. Als solche wird hauptsächlich die Zugehörigkeit zu einer verfeinerten und deshalb geschwächten und dem Untergang zugeneigten Zeit verstanden, in der Kunst, Künstlichkeit und Ästhetizismus von besonderer Bedeutung sind. Bereits 1784 merkt Herder in den „Ideen zur der Geschichte der Menschheit“ an, daß das, was gemeinhin als „Cultur“ verstanden wird, besser als „verfeinte Schwachheit“ bezeichnet werden sollte 53 . Bei Novalis wird ein Zusammenhang von Kultur und Sittenverfall hergestellt. Allerdings wird hier nur indirekt ein moralisches Urteil ausgesprochen, da sich Novalis mit der Verwendung des Begriffs „Sitte“ zunächst auf die Bedeutung „Gebräuche“ bezieht 54 . Daneben beinhaltet der Begriff „Dekadenz“ aber auch einen gewissen Werteverfall, der in diesem Zusammenhang besonders wichtig ist, da die Kulturmodelle des 18. Jahrhunderts (insbesondere dasjenige Kants) immer eng mit sittlichen und moralischen Werten verbunden waren. Bezeichnenderweise heißt es noch 1824 mit Bezug auf Rousseau: „Rousseau in seiner Schrift: Sur l’inégalité parmi les hommes, betrachtet den Culturstand des Menschen als Hauptquelle des physischen und moralischen Elendes, wodurch die Menschen gedrueckt werden, weil durch Cultur ihre Verhaeltnisse so gesteigert werden, daß ihre Neigungen und Wuensche keine Grenzen mehr anerkennen“ 55 . Diese Kritik findet sich ansatzweise schon im ausgehenden 18. Jahrhundert 56 , wobei auffällig ist, daß sie sowohl in ein Geschichtsmodell integriert ist 57 als auch eine Seite der eigenen Gegenwart beleuchtet. Es ist daher nicht verwunderlich, daß die Französische Revolution und ihre Folgen nicht ohne Einfluß auf die Kulturüberlegungen des 18. und 19. Jahrhunderts bleiben. Sowohl die Revolutionskritiker als auch die Revolutionsbefürworter berufen sich in der Interpretation der französischen Ereignisse auf Kulturkonzeptionen. Ver- 40 Kultur seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert 52 Mendelssohn, Über die Frage: was heißt aufklären, S. 118. 53 Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, S. 39. 54 Novalis , Über die Ordalien und Gottesurteile. 55 Allgemeine deutsche Real-Encyclopädie, Bd. 2, S. 864 [Stichwort: Cultur]. 56 Mendelssohn, Über die Frage: was heißt aufklären, S. 118. Allerdings macht Mendelssohn darauf aufmerksam, daß „Misbrauch der Kultur […] Ueppigkeit, Gleißnerei, Weichlichkeit, Aberglauben und Sklaverei [erzeugt]“ (Hervorhebung der Autorin). 57 So beschreibt Daniel Jenisch beispielsweise 1801 die „Entwicklung des Menschengeschlechts“ in fünf Epochen: „Tiermenschheit“ - „Vermenschlichung“ - „Verfeinerung“ - „Ueberfeinerung“ (d. i. übersteigerte und in ihr Gegenteil verkehrte Verfeinerung) - „Versittlichung“. Daniel Jenisch, Universalhistorischer Überblick der Entwicklung des Menschengeschlechts als eines sich fortbildenden Ganzen, Eine Philosophie der Culturgeschichte in 2 Bdn., Bd. 1, Berlin 1801, S. 365-368. <?page no="48"?> schiedentlich wird darauf aufmerksam gemacht, daß die Revolution ein Meilenstein in der kulturellen Entwicklung überhaupt war: „Die französische Revolution wurde unvermeidlich herbeigeführt durch die Kettenreihe von Begebenheiten und durch die Fortschritte von Kultur und Aufklärung“ 58 . Während die einen die Greueltaten der Revolutionäre als einen barbarischen Akt brandmarken 59 , weisen die anderen auf die Rechtmäßigkeit der revolutionären Geschehnisse hin, weil das ancien régime mit seinen Untertanen auf ebenso barbarische Weise verfahren sei, die „nicht zu dem gegenwärtigen Gerade der Kultur paßte“ 60 . In einem aufschlußreichen Brief an Herzog Friedrich Christian von Augustenburg vom 13. Juli 1793 interpretiert Schiller die Ereignisse von 1789 und den folgenden Jahren als Ergebnis der kulturellen Entwicklung in Frankreich: Kultur, Kulturkritik und Barbarei 41 58 Knigge, Joseph von Wurmbrand, S. 46. 59 In einem anonymen Schreiben vom 5. August 1789 findet sich folgende Einschätzung, die symptomatisch für viele zeitgenössische Revolutionskritiker ist: „Die Barbareien, deren man sich hier schuldig gemacht, übertreffen alle Beschreibung. Ich will nur der schmälichen Marter des Herrn von Sauvigny erwähnen. Das Volk zerriß seinen Wagen, in welchem er, schon als Gefangener, ankam, erst die Seiten und die Decke, dann den Sitz, dann zwang man ihn, den Kopf seines eben vorher gehenkten Schwiegervaters, des Etats-Rats Foulon, zu umarmen und zu küssen. Er wurde aufs Rathaus geführt, und wie er von da wieder weggebracht wurde, der Wache entrissen, aufs Pflaster geschmissen, mit Füßen gestoßen, angespien und dann an einen Laternenpfahl gehenkt“. Anonym, Ein Schreiben aus Paris, 5. August 1789, zitiert nach: Die Französische Revolution im Spiegel der deutschen Literatur, unter Mitarbeit von Frauke Schaefer hrsg. von Claus Träger, Leipzig 1975, S. 637-641, hier S. 637-638. 60 Knigge, Joseph von Wurmbrand, S. 18. Vgl. hierzu auch: Johann Gottlieb Fichte, Zurückforderung der Denkfreiheit von den Fürsten Europens, die sie bisher unterdrückten, Eine Rede, in: Johann Gottlieb Fichte, Werke 1791-1794, unter Mitwirkung von Manfred Zahn und Richard Schottky hrsg. von Reinhard Lauth/ Hans Jacob, Stuttgart, Bad Cannstatt 1964 (= J.G. Fichte-Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hrsg. von Reinhard Lauth/ Hans Jacob, Bd. 1), S. 163-192, hier S. 172. Zur neueren Forschung über die Französische Revolution und ihre geistesgeschichtlichen Folgen vgl. auch: Hans-Georg Werner, Die Französische Revolution und das Bild der bürgerlichen Gesellschaft in der deutschen Literatur, in: Siegfried Jüttner (Hrsg.), Die Revolution in Europa, erfahren und dargestellt, Frankfurt/ Main u. a. 1991 (= Europäische Aufklärung in Literatur und Sprache, Bd. 3), S. 231-243; Wolfgang Kaschuba, Revolution als Spiegel, Reflexe der Französischen Revolution in deutscher Öffentlichkeit und Alltagskultur um 1800, in: Holger Böning (Hrsg.), Französische Revolution und deutsche Öffentlichkeit, Wandlungen in Presse und Alltagskultur am Ende des 18. Jahrhunderts, München u. a. 1992 (= Deutsche Presseforschung, Bd. 28), S. 381-398; Harro Zimmermann, Die Französische Revolution in der deutschen Literatur 1789- 1989, Ein Umriß des Themas, in: Ders. (Hrsg.), Schreckensmythen - Hoffnungsbilder, Die Französische Revolution in der deutschen Literatur, Essays, Frankfurt/ Main 1989, S. 7-23. <?page no="49"?> „Eine geistreiche, muthvolle, lange Zeit als Muster betrachtete Nation hat angefangen, ihren positiven Gesellschaftszustand gewaltsam zu verlassen, und sich in den Naturzustand zurückzuversetzen, für den die Vernunft die alleinige und absolute Gesetzgeberin ist. […] […] In seinen Thaten malt sich der Mensch - und was für ein Bild ist das, das sich im Spiegel der jetzigen Zeit uns darstellt? Hier die empörendste Verwilderung, dort das entgegengesetzte Extrem der Erschlaffung: die zwey traurigsten Verirrungen, in die der Menschenkarakter versincken kann, in einer Epoche vereint! […] […] Auf der andern Seite geben uns die civilisierten Klassen den noch widrigeren Anblick der Erschlaffung, der Geistesschwäche und einer Versunkenheit des Karakters, die um so empörender ist, jemehr die Kultur selbst daran Theil hat. […] Wenn die Kultur ausartet, so geht sie in eine weit bösartigere Verderbniß über, als die Barbarey je erfahren kann. Der sinnliche Mensch kann nicht tiefer als zum Thier herabstürzen; fällt aber der aufgeklärte, so fällt er bis zum Teuflischen herab, und treibt ein ruchloses Spiel mit dem Heiligsten der Menschheit. Die Aufklärung, deren sich die höheren Stände unsers Zeitalters nicht mit unrecht rühmen, ist bloß theoretische Kultur, und zeigt, im ganzen genommen, so wenig einen veredelnden Einfluß auf die Gesinnung, daß sie vielmehr bloß dazu hilft, die Verderbniß in ein System zu bringen und unheilbarer zu machen. […] Und so sehen wir den Geist der Zeit zwischen Barbarey und Schlaffheit, Freigeisterey und Aberglauben, Roheit und Verzärtelung schwanken, und es ist blos das Gleichgewicht der Laster, was das Ganze noch zusammen hält“ 61 . Hier ist der aufgeklärte Glaube an die Erziehbarkeit und Veredlungsfähigkeit des Menschen - der konstituierend für alle Kulturvorstellungen ist - an ein Ende gekommen 62 . Vielmehr wird die Möglichkeit einer „ausartenden Kultur“ ins Auge gefaßt, und es wird darauf hingewiesen, daß diese noch schlimmere Folgen als jegliche Art von Barbarei hat. Kultur nimmt bestenfalls noch 42 Kultur seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert 61 Friedrich Schiller, Brief an den Herzog von Augustenburg vom 13. Juli 1793, in: Schillers Werke, Nationalausgabe, Bd. 26, Briefwechsel, hrsg. von Edith und Horst Nadler, Weimar 1992, S. 257-268, hier S. 260 und S. 263-264 (Hervorhebung in der Vorlage). Diese Einschätzung der Französischen Revolution wird in der „Ästhetischen Erziehung“ aufgegriffen und erweitert. Vgl. hierzu: Bernd Fischer, Realistischer Idealismus als Kulturpolitik: Schillers Briefe Über die ästhetische Erziehung des Menschen, in: Geist und Gesellschaft, Zur deutschen Rezeption der Französischen Revolution, München 1990, S. 37-48. 62 Der Verlust dieses Glaubens deutet sich schon kurz nach der Mitte des 18. Jahrhunderts an, wird aber durch die Französische Revolution radikalisiert. Vgl. hierzu: Johann Heinrich Gottlob Justi, Untersuchungen ob etwan die heutigen Europäischen Völker Lust haben möchten, dereinst Menschenfresser zu werden, Philadelphia [Schwerin] 1759. Außerdem zeigt sich in diesem Punkt ein weiterer, nicht unerheblicher Unterschied zwischen den Begriffen „Kultur“ und „Bildung “, der abermals verdeutlicht, warum „Kultur“ und nicht „Bildung“ der umfassendere ist: Während Bildung im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert eine unumstritten positive Größe ist, ist das bei Kultur nicht mehr der Fall, weil in Überlegungen zu „Kultur“ immer auch deren Gegenteil als Definitionsmerkmal mitbedacht wird. <?page no="50"?> eine Mittelstelle zwischen Barbarei und Dekadenz ein 63 und sorgt für ein „Gleichgewicht der Laster“. So wird bereits am Ende des 18. Jahrhunderts, nach den Erfahrungen der Französischen Revolution, in aufgeklärte Kulturvorstellungen ein Gegenkonzept integriert, das in der Folgezeit nie mehr ganz daraus verschwindet und, genau wie Anthropologie, Verfassungs- und Staatsphilosophie, Erziehung , Religion, Sprache und der historische Entwicklungsgedanke, sowohl Teil des romantheoretischen Diskurses als auch Teil der Diskussion um den Kulturbegriff ist, die immer dann verstärkt geführt wird, wenn der unmittelbare Verlust von Kultur droht. Das Nachdenken über Kultur ist letztlich ein Krisensymptom und ein Seismograph, der verläßlich den Zusammenbruch der bisherigen Ordnung ankündigt. Vergleichbares zeichnet sich in der Diskussion über das Sterben der Kultur um 1900 ab 64 . Es ist daher nicht erstaunlich, daß auch in dem an Umwälzungen reichen 19. Jahrhundert Kulturbetrachtungen hoch im Kurs stehen. Die Märzjahre zwischen 1830 und 1860 sind von den Zeitgenossen selbst als zusammengehörig empfunden worden. Einheitsstiftend war hier vor allem das Bewußtsein, daß die Jahrzehnte vor und nach der Revolution von 1848 als Umbruchzeit erlebt wurden, die alle Lebensbereiche, nicht zuletzt auch die allgemeine Kultur, umfaßte. Man glaubte, am Ende eines Zeitalters und vor zukünftigen Veränderungen zu stehen. Erneuerungen in der Sozialordnung, den politischen Verhältnissen, in der Wirtschaft, im Bildungswesen sowie selbst im geschichtlichen Bewußtsein waren für die meisten europäischen Staaten so einschneidend, daß Jacob Burckhardt in den „Weltgeschichtlichen Betrachtungen“ über die Julirevolution von 1830 nachträglich generalisierend sagen konnte, daß ihre „allgemeine Bedeutung als europäische Erschütterung viel größer [war] als die speziell politische“ 65 . 1871 spricht er davon, daß das ganze 19. Jahrhundert, insbesondere aber sein zweites Drittel ein „Krisenjahrhundert“ 66 gewesen sei, das tatsächlich überall tiefgreifende und beispiellose Veränderungen mit sich gebracht hat: Kultur, Kulturkritik und Barbarei 43 63 Vgl. hierzu auch: Fisch, Zivilisation, Kultur, S. 719. 64 Vgl. hierzu: Walter Wiora, „Die Kultur kann sterben“ - Reflexionen zwischen 1880 und 1914, in: Roger Bauer/ Eckhard Heftrich/ Helmut Koopmann/ Wolfdietrich Rasch/ Willibald Sauerländer/ J. Adolf Schmoll gen. Eisenwerth, Fin de siècle, Zu Literatur und Kunst der Jahrhundertwende, Frankfurt/ Main 1977 (= Studien zur Philosophie und Literatur des 19. Jahrhunderts, Bd. 35), S. 50-72. 65 Jacob Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen, hrsg. von Albert Oeri, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1929 (= Jacob Burckhardt Gesamtausgabe, Bd. 7, Weltgeschichtliche Betrachtungen, Historische Fragmente), S. 1-208, hier S. 149. 66 Ebd., S. 122-159. Es ist nicht zuletzt diese Qualität des 19. Jahrhunderts, die auch der neueren literaturgeschichtlichen Forschung Schwierigkeiten in der Klassifizierung und Periodisierung bereitet. Vgl. hierzu: Hugh Ridley, Vormärz - Systemtheorie und Litera- <?page no="51"?> „Während die Vorväter nicht viel mehr als Kriege erduldeten, haben die drei letzten Generationen unendlich viel mehr Verschiedenes erlebt, nämlich Aufstellungen neuer Prinzipien des Daseins, massenhafte neue Staatenbildung rasche Änderung der ganzen Sitte, Kultur und Literatur. Als Erschütterung des Lebens ist zum Beispiel das Zeitalter der Reformation und der Kolonien eine Kleinigkeit neben dem unsrigen. Wir wissen sogar die Vorzeit sehr viel anders, als die Vorväter sie wußten, indem uns durch das Revolutionszeitalter die Anschauung bewegender geschichtlicher Mächte aufgegangen ist, […]“ 67 . Abgesehen davon, daß auch Burckhardt Staatsbildung, Kultur, Literatur und geschichtliches Bewußtsein in einen Zusammenhang stellt, bestätigt er hier rückblickend indirekt, daß Kultur tatsächlich ein Krisenphänomen ist, das dann reflektiert wird, wenn ihr Verlust unmittelbar bevorsteht oder sich bereits vollzogen hat. Kultur und Literatur Daß Kultur gerade in Umbruchzeiten ein bevorzugter Diskussionsgegenstand ist, geht im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts unmittelbar aus den dichterischen Zeugnissen hervor. Das hängt einerseits damit zusammen, daß im Rahmen der Kulturdiskussion Sprache und Dichtung als Ursache und Wirkung von Kultur verstanden werden 68 ; andererseits wird in der Romantheorie gerade der Roman als diejenige Dichtungsart aufgefaßt, die wie keine zweite Leben und Gegenwart darstellen kann. Aus diesem Grund drücken sich sowohl das Bewußtsein, in einer Übergangszeit zu leben, als auch Reflexionen zum Thema „Kultur“ in den Romanen aus, die in den Märzjahren zwischen 1830 und 1860 geschrieben wurden. Damit wird Kultur als Krisenphänomen einerseits und als Inhalt von Romanen andererseits nicht zuletzt auch zu einer Erklärung dafür, daß gerade in den 30er und 40er Jahren überkommene Romanformen in Auflösung begriffen sind und fragwürdig werden 69 . Die gegenwärtigen Veränderungen veranlassen zeitgenössische Autoren wie Mörike, Meinhold, Gutzkow und Stifter, ererbte Denkmuster anzuzweifeln und, jenseits aller ideologischen Differen- 44 Kultur seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert turgeschichtsschreibung, in: Das schwierige 19. Jahrhundert, Germanistische Tagung zum 65. Geburtstag von Eda Sagarra im August 1998, mit einem Vorwort von Wolfgang Frühwald hrsg. von Jürgen Barkhoff/ Gilbert Carr/ Roger Paulin, Tübingen 2000 (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, Bd. 77), S. 53-63. 67 Jacob Burckhardt, Historische Fragmente aus dem Nachlaß, hrsg. von Albert Oeri/ Emil Dürr, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1929, (= Jacob Burckhardt, Gesamtausgabe, Bd. 7, Weltgeschichtliche Betrachtungen, Historische Fragmente aus dem Nachlaß) S. 420-466, hier S. 433-434. 68 Hierzu: Humboldt, Inwiefern läßt sich der ehemalige Kulturzustand der eingeborenen Völker Amerikas aus den Überresten ihrer Sprache beurteilen. 69 Vgl. hierzu Kap. I. Kultur und Literatur <?page no="52"?> zen und Unterschiede in der Weltanschauung, wieder auf die Haupt- und Kardinalfrage zurückzugreifen, was der Mensch sei und welche Bestimmung er habe. Diese Fragestellung ist nicht so undifferenziert und allgemein zu verstehen, wie es zunächst den Anschein hat; dahinter verbergen sich vielmehr Reflexionen zum Begriff und zur Sache „Kultur“. Was aber verstehen Mörike, Meinhold, Gutzkow und Stifter darunter? Wie schätzen sie die Gegenwart ein, und inwieweit hängen auch in ihrem Denken Kulturreflexionen mit der Bewertung der eigenen Zeit zusammen? Kultur und Literatur 45 <?page no="53"?> III. K   M  , M  , G   S  Als Karl Gutzkow 1846 mehrere Aufsätze in einer Sammlung mit dem Titel „Säkularbilder“ 1 zusammenfaßte, schrieb er in der Einleitung ausdrücklich, daß es sich hierbei um den Versuch handele, „ein Gesamtbild unseres Jahrhunderts nach seinen vorzüglichsten Lebensäußerungen und Gedankenrichtungen zu geben“ 2 . Jeder Beitrag beschäftigt sich aber in der einen oder anderen Form vor allem mit den Themen „Kultur“, „Zivilisation“ und „Barbarei“ 3 . 1 Karl Gutzkow, Säkularbilder, 1. Theil, Frankfurt/ Main 1846 (= Gesammelte Werke von Karl Gutzkow, vollständig umgearbeitete Ausgabe, Bd. 9), S. VI (im folgenden zitiert als: Gutzkow, Säkularbilder, 1. Theil). Die Aufsatzsammlung erschien das erste Mal 1837 unter dem Titel „Die Zeitgenossen“ und unter dem Pseudonym E. L. Bulwer: Die Zeitgenossen, Ihre Schicksale, ihre Tendenzen und ihre großen Charaktere, aus dem Englischen des E. L. Bulwer, Stuttgart 1837 (zitiert im folgenden als: Gutzkow, Die Zeitgenossen). Diese „schützende Devise eines ausländischen Schriftstellers“ (Gutzkow, Säkularbilder, 1. Theil, S. VII) wählte Gutzkow 1837 wegen der Zensurverhältnisse, die einer Veröffentlichung unter seinem eigenen Namen entgegenstanden, aber wohl auch deswegen, weil er sich durch den Namen des englischen Erfolgsautors E. L. Bulwers höhere Verkaufszahlen erhoffte. 1846 änderte er die einzelnen Beiträge dahin gehend, daß er versuchte, die „englische Manier“ (ebd., S. VII), um die er sich für die „Zeitgenossen“ bemüht hatte, wieder abzulegen. Dies hat kleinere sprachliche, aber keine wesentlichen inhaltlichen Veränderungen zur Folge. Alle Zeitkritik, die Gutzkow 1846 in den „Säkularbildern“ übte, formulierte er im großen und ganzen bereits 1837. Zur schwierigen Editionslage von Gutzkows Texten: Gert Vonhoff, Möglichkeiten einer modernen kritischen Gutzkow-Ausgabe, Notizen für das Keeler Gutzkow-Symposion und Bemerkungen zum augenblicklichen Stand, in: Roger Jones/ Martina Lauster (Hrsg.), Karl Gutzkow, Liberalismus - Europäertum - Modernität, Bielefeld 2000, S. 255-262. Vgl. außerdem die Editionsbemerkungen zur digitalen Gutzkow-Ausgabe im Internet unter: www.gutzkow.de. Zu den „Zeitgenossen“ vgl. insbesondere auch den Apparatteil von Martina Lauster unter derselben Adresse. Im folgenden wird in der Regel auf die Erstausgabe und die Gesamtausgabe von 1846 zurückgegriffen. Nicht beachtet wird die „Costenoble“-Ausgabe von 1873-76, da die Änderungen, die Gutzkow für diese Ausgabe erarbeitete, für den hier ausgewählten Betrachtungszeitraum nicht mehr interessant sind. 2 Gutzkow, Säkularbilder, 1. Theil, S. VI. 3 Vgl. hierzu aus den „Säkularbildern“ z. B.: Der Mensch des neunzehnten Jahrhunderts, Die neue Welt, Das Jahrhundert; aus: Karl Gutzkow, Oeffentliche Charaktere, Erster Theil, Hamburg 1835 (im folgenden zitiert als: Gutzkow, Oeffentliche Charaktere, 1. Theil): Mehmed Ali von Ägypten, Rothschild; von den Geschichtsbetrachtungen: Karl Gutzkow, Zur Philosophie der Geschichte, Hamburg 1836 (später: Philosophie Kulturmodelle bei Mörike, Meinhold, Gutzkow und Stifter Kulturmodelle bei Mörike, Meinhold, Gutzkow und Stifter <?page no="54"?> Dieses deutliche und etwas einseitige Interesse hat Fontane 4 1879 rückblikkend zu der Bemerkung veranlaßt, Gutzkow hätte Leitartikelschreiber oder Rat im Kultusministerium werden sollen; von einem Dichter allerdings habe er zeit seines Lebens nichts an sich gehabt. Gutzkows Rang als Dichter ist auch andernorts kontrovers diskutiert worden 5 ; fest steht jedenfalls, daß er sich (wie auch Mörike, Meinhold und Stifter) 6 mit Kulturmodellen, anders gesagt: mit Kultur als mentalem Entwurf, gedanklich auseinandergesetzt hat. Überdies beschäftigen sich alle vier Autoren mit Wilhelm und Alexander von Humboldt, Schiller, Kant, Hegel und Herder 7 , also mit den wichtigsten Kulturmodelle bei Mörike, Meinhold, Gutzkow und Stifter 47 der That und des Ereignisses) (im folgenden zitiert als: Gutzkow, Zur Philosophie der Geschichte); oder die Einzeltexte: Karl Gutzkow, Die rothe Mütze und die Kapuze, Zum Verständnis des Görres’schen Athanasius, Hamburg 1838 (im folgenden zitiert als: Gutzkow, Die rothe Mütze und die Kapuze), Karl Gutzkow, Über Innere Mission, in: Die kleine Narrenwelt, 3. Theil, Frankfurt/ Main 1857, S. 118-137, Karl Gutzkow, Die geistige Bewegung, in: ebd., S. 111-117. Houben spricht in einem Aufsatz über Gutzkow sogar davon, daß es „eine scharf hervortretende Eigenart aller Schriftsteller des weiland ‚jungen Deutschlands ‘ [war], die Literatur stets unter dem Gesichtspunkt der Politik und Kulturgeschichte zu betrachten“. Die Folge hiervon sei gewesen, daß „sie die Literatur um manche Probleme des öffentlichen Lebens bereichert“ hätten. H. H. Houben, Karl Gutzkow als württembergischer Politiker, in: Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte XX (1911), S. 249-263, hier S. 249. 4 Theodor Fontane , Brief an Wilhelm Hertz vom 04.02.1879, in: Theodor Fontane, Briefe, Bd. 3, 1879-1889, Darmstadt 1980 (= Theodor Fontane, Werke, Schriften und Briefe, hrsg. von Walter Keitel/ Helmuth Nürnberger, Abteilung IV), S. 10-11, hier S. 11. 5 So hat erst die neuere Forschung Gutzkow als individuellen Schriftsteller entdeckt, früher wurde er in erster Linie als einer der Repräsentanten des Jungen Deutschlands wahrgenommen. Vgl. hierzu: Einleitung, in: Roger Jones/ Martina Lauster (Hrsg.), Karl Gutzkow, Liberalismus - Europäertum - Modernität, Bielefeld 2000 (= Vormärz-Studien, Bd. VI), S. 7-20, v. a. S. 8. 6 Für Stifter vgl. hierzu: Adalbert Stifters Sämmtliche Werke, Bd. 16, Vermischte Schriften, 3. Abteilung, mit Benutzung der Vorarbeiten von Adalbert Horcicka hrsg. von Gustav Wilhelm, Prag 1927 (im folgenden zitiert als: Stifters Sämmtliche Werke, Bd. 16); für Meinhold vgl.: Wilhelm Meinhold, Schlußbetrachtungen des Herausgebers über die deutsche Erziehung, in: Sidonia von Bork, Die Klosterhexe, angebliche Vertilgerin des gesammten herzoglich-pommerschen Regentenhauses, hrsg. von Wilhelm Meinhold, Bd. 1, Leipzig 1848 (= Gesammelte Schriften von Wilhelm Meinhold, Bd. 5), S. 291-314 (im folgenden zitiert als: Meinhold, Schlußbetrachtungen, 1. Teil); Wilhelm Meinhold, Schlußbetrachtungen des Herausgebers über die Maßregeln, welche zu ergreifen sind, um auch unsere unbemittelten Töchter zahlreicher als jetzt zu verheirathen oder sie anderweit auf ehrenvolle Weise zu versorgen, in: Sidonia von Bork, Die Klosterhexe, angebliche Vertilgerin des gesammten herzoglich-pommerschen Regentenhauses, hrsg. von Wilhelm Meinhold, Bd. 2, Leipzig 1847 (= Gesammelte Schriften von Wilhelm Meinhold, Bd. 6), S. 307-344 (im folgenden zitiert als: Meinhold, Schlußbetrachtungen, 2. Teil); für Mörike vgl. Äußerungen im Briefwechsel, v. a. aus dem Jahr 1848. 7 Für Mörike ist für das Jahr 1830 die Lektüre des Briefwechsels zwischen Schiller und Wilhelm von Humboldt nachzuweisen: Mörike, Brief an Johannes Mährlen vom 26.09.1830, <?page no="55"?> Kulturtheoretikern des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts. So stellt sich auch aus dieser Perspektive abermals die Frage, auf welche Weise kulturtheoretische Überlegungen Eingang ins Denken der Romanciers gefunden haben und wie sie in deren fiktionalen Texten verarbeitet wurden. 48 Kulturmodelle bei Mörike, Meinhold, Gutzkow und Stifter in: Eduard Mörike, Briefe 1829-1832, hrsg. von Hans-Ulrich Simon, Stuttgart 1985 (= Werke und Briefe Historisch-Kritische Gesamtausgabe hrsg. von Hans-Henrik Krummacher/ Herbert Meyer/ Bernhard Zeller, Bd. 11), S. 149-152, hier S. 152 (im folgenden zitiert als: Mörike, Briefe 1829-1832); für das Jahr 1832 die Lektüre von Rousseau: Mörike, Brief an Ernst Friedrich Kauffmann vom 16.11.1832, in: Mörike Briefe 1829-1832, S. 333-335, hier S. 334; für das Jahr 1843 die Beschäftigung mit Hegel: Mörike, Brief an Wilhelm Hartlaub vom 20.03.1843, in: Eduard Mörike, Briefe 1842-1845, hrsg. von Simon Albrecht Bergold/ Bernhard Zeller, Stuttgart 1994 (= Werke und Briefe Historisch-Kritische Gesamtausgabe hrsg. von Hubert Arbogast/ Hans-Henrik Krummacher/ Herbert Meyer (†), Bernhard Zeller, Bd. 14), S. 89-100, hier S. 95 (im folgenden zitiert als: Mörike, Briefe 1842-1845); dazu kommen noch persönliche Kontakte zu Alexander von Humboldt, David Friedrich Strauß und Friedrich Theodor Vischer. Die Lektüre von Mörike kann nur bruchstückhaft rekonstruiert werden, weil er, lange Zeit in prekären finanziellen Verhältnissen befindlich, sich nur selten Bücher kaufen konnte und deswegen in zumindest einer Leihbibliothek abonniert war: Mörike, Brief an Johannes Mährlen vom 21.05.1832, in: Mörike, Briefe 1829-1832, S. 284-290, hier S. 287; Mörike, Brief an Ernst Friedrich Kauffmann vom 16.11.1832, in: Mörike, Briefe 1829- 1832, S. 333-335, hier S. 334. Zu Mörikes Lektüre vgl. ansonsten: Hal H. Renner, Eduard Mörike’s Reading and the reconstruction of his Extant Library, New York u. a. 1985 (= American University Studies, Series III, Comparative Literature, Bd. 8). Auch von Stifters Bibliothek ist - wegen der Modalitäten seiner Nachlaßteilung - nur ein unvollständiges Inventar vorhanden: Erwin Streitfeld, Aus Adalbert Stifters Bibliothek, Nach den Bücher- und Handschriftenverzeichnissen in den Verlassenschaftsakten, in: Jahrbuch der Raabe-Gesellschaft (1977), S. 103-148 (im folgenden zitiert als: Streitfeld, Aus Adalbert Stifters Bibliothek). Fest steht jedoch, daß er sich mit Hegel (ebd., S. 134) beschäftigt hat, mit Wilhelm und Alexander von Humboldt (ebd., S. 114 und S. 138) und mit David Friedrich Strauß (ebd., S. 135). Gutzkow setzte sich kritisch mit Hegel und seiner Geschichtsphilosophie auseinander, vgl. hierzu: Gutzkow, Philosophie der That und des Ereignisses. In seinem Nachlaß fanden sich Werke von Herder, Wilhelm von Humboldt, Rousseau (auf den er auch in seinen Aufsätzen an verschiedenen Stellen verweist) und Carus (Ideen zur Geschichte der Philosophie, Leipzig 1809). Außerdem war das grammatisch-kritische Wörterbuch von Adelung in seiner Bibliothek vorhanden. Hierzu: Bücher-Auctionsanstalt von Isaac St. Goar in Frankfurt a. M., Rossmarkt 6, nächst dem Schillerplatz, Auctions-Katalog der von Karl Gutzkow nachgelassenen Bibliothek (Belletristik, Geschichte, Theatralia) nebst einer werthvollen Sammlung architectonischer u. Kupferwerke aus dem Nachlasse eines bedeutenden Frankfurter Architecten und der von Hrn. Notar Dr. Hessenberg hier nachgelassenen grösstentheils juristischen Bibliothek. Oeffentliche Versteigerung gegen Baarzahlung am Dienstag den 2. Dezember 1879 und folgende Tage Nachmittags 4 Uhr beginnend im Auctionslocale von Isaac St. Goar, S. 17-62 (im folgenden zitiert als: Auktionskatalog). Die Bibliothek Gutzkows ist nicht eigens von den beiden anderen Nachlässen getrennt. Das bedeutet, daß die genannten Werke zwar nicht mit Sicherheit, aber mit Wahrscheinlichkeit sein Eigentum waren. Von Meinhold ist ein Brief an David Friedrich Strauß überliefert, <?page no="56"?> Da es Gutzkow in erster Linie darum ging, seine Zeit zu charakterisieren, liegt die Vermutung nahe, daß auch in seinem Denken Überlegungen zum Wesen und zur Beschaffenheit von Kultur eng mit einer Gegenwartsanalyse verbunden sind; und in der Tat fallen die Ausdrücke „Kultur“, „Zivilisation“ und „Barbarei“ in Zusammenhang mit Themen, die vor allem mit der Einschätzung der Märzereignisse von 1848 stärker in den Vordergrund rücken, die aber schon seit der Julirevolution von 1830 im Denken der Autoren vorhanden sind 8 und auch in den Jahren nach den revolutionären Ereignissen, in denen diese immer wieder reflektiert und neu bewertet werden, nicht mehr ganz daraus verschwinden. So werden Merkmale, die ursprünglich nur für Revolutionen charakteristisch sind, kennzeichnend für eine ganze Epoche, die sich im wesentlichen über die Jahre von 1830 bis 1860 erstreckt. Wie sieht also das Urteil über diese Zeit bei Mörike, Meinhold, Gutzkow und Stifter aus? Kulturmodelle bei Mörike, Meinhold, Gutzkow und Stifter 49 mit dessen Theologie er sich auseinandergesetzt hat. Vgl. hierzu: Wilhelm Meinholds Briefe, hrsg. und erläutert als Vorstudie zu einer Meinhold-Monographie von Walther Bethke, phil. Diss. Universität Greifswald, Greifswald 1938, S. 45-46 (im folgenden zitiert als: Meinholds Briefe). Außerdem kann aus theoretischen Schriften eine intensive Auseinandersetzung mit Schiller, Hegel und der junghegelschen Schule erschlossen werden: Wilhelm Meinhold, Vorrede, in: Sidonia von Bork, die Klosterhexe, angebliche Vertilgerin des gesammten herzoglich-pommerschen Regentenhauses, hrsg. von Wilhelm Meinhold, Bd. 3, Leipzig 1848 (= Gesammelte Schriften von Wilhelm Meinhold, Bd. 7), S. IX-XIX (im folgenden zitiert als: Meinhold, Vorrede, in: Sidonia von Bork); Wilhelm Meinhold, Einleitung, in: Das Vaticinium Lehninense, gegen alle Einwürfe gerettet, zum ersten Male metrisch übersetzt und commentirt, vorausgehend eine religionsgeschichtliche Einleitung für gebildete Leser aller Confessionen über den Begriff, das Wesen und die Unterschiede aller Weissagungen in alter, wie in neuer Zeit von Dr. theol. Wilhelm Meinhold, 2. Ausgabe, Leipzig 1853 (= Gesammelte Schriften von Wilhelm Meinhold, Supplementbd.), S. 2-140 (im folgenden zitiert als: Meinhold, Einleitung, in: Das Vaticinium Lehninense). 8 Bei Gutzkow findet sich der explizite Hinweis darauf, daß die Julirevolution ein Epocheneinschnitt war. Karl Gutzkow, Das Jahrhundert, in: Die Zeitgenossen, S. 64-120, hier S. 92. An anderer Stelle beschreibt er den Prototypen des 18. Jahrhunderts, der 1830 ein Greis ist, so daß auch damit deutlich wird, daß 1830 das 18. Jahrhundert für ihn endgültig beendet ist: Gutzkow, Der Mensch des 19. Jahrhunderts, in: Säkularbilder, 1. Theil, S. 22. Vgl. hierzu auch: Martina Lauster, Moden und Modi des Modernen, Der frühe Gutzkow als Essayist, in: Journalliteratur im Vormärz, Redaktion: Rainer Rosenberg und Detlev Kopp, Bielefeld 1996, S. 59-95, hier S. 82-83 (im folgenden zitiert als: Lauster, Moden und Modi des Modernen). Bei Stifter, Meinhold und Mörike fehlen jedoch derartig direkte Hinweise darauf, daß die Julirevolution ein Epocheneinschnitt gewesen sei. <?page no="57"?> 1. „Die vorzüglichste Gedankenrichtung der Zeit“: Zerfall und Untergangskritik Den Ereignissen des Jahres 1830 steht Mörike von Anfang an zwiespältig gegenüber. Einerseits haben ihm „die Begebenheiten in Frankreich […] mehr als Einmal den freudigen Schauer den Rücken hinaufgejagt […]“ 9 , andererseits spricht er sich negativ über das Verhalten der Braunschweiger Bevölkerung aus, die am 6. und 7. September 1830 mit militärischer Unterstützung den regierenden Herzog und die Beamtenschaft außer Landes gejagt und das Schloß in Brand gesteckt hatte 10 . Im weiteren Verlauf steht er revolutionären Ereignissen eindeutiger und negativer gegenüber; die ursprünglich ambivalente Einstellung zu dem Versuch, eine bestehende Ordnung zu stören, findet sich aber noch im „Maler Nolten“, der im Jahr 1830 verfaßt wurde und zur Zeit der Braunschweiger Vorfälle gerade abgeschlossen war 11 . 50 Kulturmodelle bei Mörike, Meinhold, Gutzkow und Stifter 9 Mörike, Brief an Johannes Mährlen vom 26.09.1830, in: Mörike, Briefe 1829-1832, S. 159-152, hier S. 151. 10 Ebd. Vgl. außerdem Kommentar ebd., S. 537. 11 Mörike, Brief an Wilhelm Hartlaub vom 08.07.1830, in: Mörike, Briefe 1829-1832, S. 130-133, hier S. 132. 1848 überwiegen die negativen Äußerungen zur Revolution. Gleichwohl erwähnt Mörike auch etwaige positive politische Folgen, so daß sich seine ambivalente Einstellung bis ins Jahr 1848 hält. Vgl. hierzu: Mörike, Brief an die Familie Hartlaub vom 13. oder 14. 10. 1848, in: Eduard Mörike, Briefe 1846-1850, hrsg. von Albrecht Bergold/ Bernhard Zeller, Stuttgart 2000 (= Werke und Briefe Historisch- Kritische Gesamtausgabe hrsg. von Hubert Arbogast/ Hans-Henrik Krummacher/ Herbert Meyer (†)/ Bernhard Zeller, Bd. 15), S. 283-284 (im folgenden zitiert als: Mörike, Briefe 1846-1850). Zu Mörikes Verhältnis zur Revolution: Michael Perraudin, Mörikes Mozart auf der Reise nach Prag, die Französische Revolution und die Revolution von 1848, in: Peter Stein/ Florian Vaßen/ Detlev Kopp (Redaktion), 1848 und der deutsche Vormärz, Bielefeld 1998, S. 237-257; zu (historischen) Zeiterfahrungen: Gisela Best, Bedrohliche Zeiten, Literarische Gestaltung von Zeitwahrnehmung und Zeiterfahrung zwischen 1810 und 1830 in Eichendorffs Ahnung und Gegenwart und Mörikes Maler Nolten, Würzburg 1993 (= Epistemata, Würzburger Wissenschaftliche Schriften, Reihe Literaturwissenschaft, Bd. 104), v. a. S. 118-121; zum „Politiker“ Mörike vgl. den alten und oberflächlichen Aufsatz von Rudolf Kraus, Eduard Mörike und die Politik, in: Euphorion 1 (1894), S. 129-136 (im folgenden zitiert als: Kraus, Eduard Mörike und die Politik) sowie: Jürgen Kuczynski, Der „Zauber der Beschränkung“ und das „Holde Bescheiden“ Eduard Mörikes, in: Jürgen Kuczynski, Gestalten und Werke, Soziologische Studien zur deutschen Literatur, Berlin und Weimar 1974, S. 163-183, v. a. S. 177-183. Auch hier wird das Verhältnis Mörikes zur Politik in erster Linie flach und in Selbstzitaten beleuchtet. Zerfall und Untergangskritik <?page no="58"?> Revolutionsdarstellungen als Mittel der Gegenwartsanalyse Es ist in diesem Zusammenhang nicht unwichtig, daß Mörike im Oktober 1833 einem Freund darlegt, daß der charakteristische Titel des Zeitalters „Die Zerrissenen“ lauten müsse 12 . Im selben Brief schreibt er auch, daß sein nächster poetischer Stoff - im Gegensatz zum „Maler Nolten“, der ein Jahr zuvor im Druck erschienen war - keine Krankengeschichte mehr sein solle, sondern ein ‚gesunder‘ Stoff nach antikem Vorbild, um dann fortzufahren: „Nur diß bewahrt entschieden vor jenem modernen Unwesen, von dem man doch wider Willen mehr oder weniger auch mit sich schleppt“ 13 . Hier wird deutlich, daß Mörike „Maler Nolten“ durchaus als einen Roman seiner Zeit ansieht, der (negative) Merkmale der Gegenwart in sich aufgenommen hat. Nimmt man diese Äußerung als Selbstinterpretation ernst, so fällt auf, daß hier alles das eine Rolle spielt (freilich noch nicht so ausschließlich negativ bewertet), was Mörike den Revolutionären von 1848 expressis verbis vorwirft, wenn er am 10. März dieses Jahres seinem Freund Wilhelm Hartlaub eindrücklich die barbarischen Akte der Aufrührer beschreibt, die durch Mißhandlung von Menschen, Zerstörung von Institutionen, kurz durch Gesetzlosigkeit jeder Art und durch die totale Zerschlagung der bestehenden Ordnung gekennzeichnet sind 14 . Daß Mörike in diesem Zusammenhang eigens auf die Zerfall und Untergangskritik 51 12 Mörike, Brief an Friedrich Theodor Vischer vom 05.10.1833, in: Eduard Mörike, Briefe 1833-1838, hrsg. von Hans-Ulrich Simon, Stuttgart 1986 (= Werke und Briefe, Historisch-Kritische Gesamtausgabe, hrsg. von Hans Henrik Krummacher/ Herbert Meyer/ Bernhard Zeller, Bd. 12), S. 44-47, hier S. 46 (im folgenden zitiert als: Mörike, Briefe 1833-1838). 13 Ebd. 14 Mörike, Brief an die Familie Hartlaub vom 10.03.1848, in: Mörike, Briefe 1846-1850, S. 232-233. Ein Hauptproblem, das im „Maler Nolten“ thematisiert wird, ist der Versuch, aus bestehenden Ordnungen auszubrechen, und dessen Folgen, bildlich ausgedrückt in der Maskerade, die eingehend im Roman beschrieben wird. Variiert wird dieses Thema in der Figur Larkens, der als Schauspieler immer wieder in andere Ordnungszusammenhänge gerät, sich schließlich - gemeinsam mit Nolten - auch in der Orplidwelt eine eigene Ordnung schafft, die nichts mehr mit einer gegebenen bürgerlichen Ordnung zu tun hat; es wird abgewandelt in den verschiedenen Träumen, die im Roman eine wichtige Rolle spielen und ebenfalls für den Versuch stehen, geistig aus einer Ordnung auszubrechen; schließlich wird es am deutlichsten in der Figur Elisabeths, die geradezu die personifizierte Einbildungskraft ist, die mit der Kraft einer Naturgewalt sämtliche bestehenden Ordnungen zerstört. Auch das Phänomen Revolution wird von Mörike mit einer Naturgewalt verglichen, welche die Ordnung nachhaltig stört; hier wäre das Gedicht vom „Feuerreiter“, das Eingang in den Roman gefunden hat, heranzuziehen. Vgl. hierzu: Helmut Koopmann, Freiheitssonne und Revolutionsgewitter, Reflexe der Französischen Revolution im literarischen Deutschland zwischen 1789 und 1840, Tübingen 1989 (= Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte, Bd. 50), S. 123-141 (im folgen- <?page no="59"?> Vernichtung von Archiven zu sprechen kommt, ist für seine Kulturvorstellungen nicht unwichtig, da ein Archiv gleichsam eine Art institutionalisiertes Gedächtnis ist. Wie wichtig beide Komponenten für den Kulturbegriff sind, wird im folgenden zu zeigen sein. Auch wenn es in den theoretischen Schriften von Wilhelm Meinhold relativ wenige Äußerungen zu Revolutionen gibt, so sind sie doch mit den Schilderungen Mörikes vergleichbar, stehen dessen Einschätzung in nichts nach, ja übertreffen sie womöglich noch in ihrer Drastik, wenn er die Französische Revolution als eine übersteigerte und in ihr Gegenteil verkehrte Aufklärung beschreibt: „Als die Franzosen in der ersten Revolution ihr ‚Gegebenes‘, d. i. das Christenthum, verließen, verwandelten sie sich, wie wir alle wissen, in eine Heerde gewissenloser Tiger und übten unter dem Banner der Vernunft die entsetzlichsten sittlichen Gräuel, ja fingen sogar an, ihre Gefangenen mit Menschenfleisch zu füttern, weil ja, die Sache vernünftig und vorurtheilslos angesehen, Fleisch Fleisch sei“ 15 . Später äußerst sich Meinhold en passant auch über die 48er Revolution, indem er darauf aufmerksam macht, daß 1848 ähnlich wie 1789 als Jahr des Schrekkens prophezeit worden sei 16 . Die „Barbarei des Gefühls“ 17 , wie Meinhold das Verhalten der Revolutionäre bezeichnenderweise nennt, ist zwar in ihren extremen Formen eng mit den Ereignissen der Revolution verbunden; sie ist darüber hinaus aber eine allgemeine Tendenz der eigenen Gegenwart, die sich durch Unmenschlichkeit und Grausamkeit auszeichnet. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Interpretation der Erziehungsmißstände der Gegenwart aufschlußreich, die Meinhold in einer Schrift vorlegt, die dem ersten und zweiten Band seines Romans „Sidonia von Bork“ 18 angehängt sind. Die Kritik, die hier an den zeitgenössischen Bildungsgrundsätzen geübt wird, ist nichts weniger als eine prinzipielle Abrechnung mit den Kalamitäten der Gegenwart, so daß in der ganzen Schrift der Tadel an zeitgenössischer Bildung mit dem an der modernen Zeit parallelisiert wird. Ähnlich wie bei Mörike und Meinhold ist die Revolutionskritik bei Stifter formuliert. Auch er sieht in den revolutionären Handlungen Akte der Barbarei, auch bei ihm befindet sich diese Analyse in einer Linie mit genereller Kritik an der eigenen Gegenwart, die er spätestens seit Anfang der 40er Jahre geübt hat. Stifter analysiert die Mißstände der eigenen Zeit, indem er sie verräum- 52 Kulturmodelle bei Mörike, Meinhold, Gutzkow und Stifter den zitiert als: Koopmann, Freiheitssonne und Revolutionsgewitter); und außerdem: Herbert Bruch, Faszination und Abwehr, Historisch-psychologische Studien zu Eduard Mörikes Roman „Maler Nolten“, Stuttgart 1992, S. 29-69 (im folgenden zitiert als: Bruch, Faszination und Abwehr). 15 Meinhold, Einleitung, in: Das Vaticinium Lehninense, S. 13-14. 16 Ebd., S. 110. 17 Ebd., S. 14. 18 Meinhold, Schlußbetrachtungen, 1. Teil; Meinhold, Schlußbetrachtungen, 2. Teil. <?page no="60"?> licht und Wien, das er bemerkenswerterweise als „Civilisationsknopf“ 19 bezeichnet, als Metapher für alle negativ bewerteten Merkmale der aktuellen Situation einsetzt, als da sind: Zerrissenheit, Krankheit, Müdigkeit und Niedergang. Die Ähnlichkeiten mit Mörikes Zeitanalyse sind nicht zu übersehen. An anderer Stelle bezeichnet Stifter gerade das als „civilisierte Laster“, was die Gegenwart auszeichnet, nämlich Ermattung, Auflösung, Ehrlosigkeit und Verfall des Volkes 20 . Diese Laster sind es letztlich dann auch, die Stifter 1848 veranlassen, Wien den Rücken zu kehren und sich nach Linz zurückzuziehen. 1848 wird das Urteil über die eigene Zeit im Gegensatz zu den Vorjahren, in denen sich Stifter ausschließlich in Briefen mehr oder weniger privat geäußert hat, deutlicher und öffentlich 21 . In diesem Jahr verfaßt er eine Reihe von Artikeln für den „Wiener Boten“, die sich mit grundlegenden Überlegungen Zerfall und Untergangskritik 53 19 Vgl. hierzu: Stifter, Brief an Ludwig von Collin vom 11.03.1842, in: Stifter, Briefwechsel 1, S. 109-111, hier S. 109, wo Stifter schreibt: „Wie geht es Ihnen denn in der Schweiz, wie entbehren Sie Wien - Sie Glücklicher, daß Sie nicht mehr in diesem Civilisationsknopf leben müssen“. Diese Äußerung ist - bei allem praktischen Realitätsbezug - nicht ausschließlich auf Wien und die Schweiz als geographische Plätze bezogen. Vielmehr haben hier beide Orte auch eine zeitliche und eine moralische Dimension: Die Schweiz als Arkadien bzw. als Elysium, hat spätestens seit Schillers „Wilhelm Tell“ Tradition. Ebenso hat Tell selbst formelhafte Züge eines Menschen, der sich in einem vorzivilisierten Zustand befindet, wie ihn auch Herder dem „edlen Wilden“ zuschreibt. Hierzu: Hellmut A. Hartwig, Schillers Wilhelm Tell und der „Edle Wilde“, in: Carl Hammer (Hrsg.), Studies in German Literature, Baton Rouge 1963, S. 72-84, v. a. S. 79-83. 20 Stifter, Ein Einwurf, in: Stifters Sämmtliche Werke, Bd. 16, S. 138-140, hier S. 138. Auch in Stifters Studienerzählungen wird wiederholt der Gegensatz von Stadt und Land aufgebaut, der auf Herder zurückgeht und in dem Wien immer als lasterhaft erscheint. Ulrich Dittmann, Studien, Kommentar, Stuttgart, Berlin, Köln 1997 (= Adalbert Stifter, Werke und Briefe, Historisch-Kritische Gesamtausgabe, hrsg. von Alfred Doppler/ Wolfgang Frühwald, Bd. 1,9), S. 110. Daß gerade Wien als Symbol für eine übersteigert zivilisierte und dekadente Lebensweise erscheint, ist noch an anderen Stellen in der deutschen und österreichischen Literatur nachzuweisen. Einer der frühesten und zeitlich nächsten Hinweise findet sich in Wilhelm Raabes „Der Schüdderump“, wo die kleine Tonie Häußler in Wien zwar elegant und luxuriös lebt, aber an dem „wüsten Getriebe“, den „heillosen Posse[n]“, an der „hochverehrte[n], miserable[n] Gesellschaft“, die gerade dieser Stadt zu eigen sind, zugrunde geht. Auch hier ist Wien ein „Ort der Gegenwart“, wo es keine „einfachen Menschen“ und keine „gesunden sozialen Verhältnisse“ gibt. Wilhelm Raabe, Der Schüdderump, Göttingen 1972 (= Wilhelm Raabe, Sämtliche Werke, im Auftrag der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft hrsg. von Karl Hoppe, Bd. 8), S. 343, S. 345, S. 352, S. 366. In der moderneren österreichischen Literatur ist diese Darstellung von Wien bereits zum Topos geworden. Vgl. hierzu beispielsweise das Wien-Bild im Werk von Arthur Schnitzler und Ingeborg Bachmann. 21 Auch bei Mörike sorgt dieses Jahr für eine andere Qualität der Kritik: Hatte er doch bis dahin politische Äußerungen weitgehend auch aus seiner privaten Korrespondenz ausgespart, ist ihm das jetzt nicht mehr möglich. Vgl. hierzu: Mörike, Brief an die Familie Hartlaub vom 10.03.1848, in: Mörike, Briefe 1846-1850, S. 232-233. <?page no="61"?> zu Staat, Recht und Gesetz beschäftigen 22 . Diese Aufsätze dienen vor allem dazu, die gegenwärtige Auflösung der Ordnung anzuprangern und auf ihre Folgen hinzuweisen, die Stifter in nichts Geringerem sieht als im Untergang der Menschheit: „Die Störung der Ordnung bringt also große Uebel in einem großen Umfange herbei und würde, wenn sie lange dauerte, die Menschheit gänzlich zu Grunde richten“ 23 . Gegenwart als Untergangszeit Um die drohenden Zerfalls- und Untergangstendenzen aufzuzeigen, bietet Stifter einen historischen Abriß, der die „allgemeinen Wege [darlegen soll], die die Menschen in mehreren Jahrtausenden eingeschlagen haben, um in ihren 54 Kulturmodelle bei Mörike, Meinhold, Gutzkow und Stifter Einzig bei Gutzkow, dem schon immer stärker an unmittelbar öffentlichem Wirken gelegen war, läßt sich dieser qualitative Unterschied zwischen vor und nach 1848 nicht feststellen. Martina Lauster beschreibt Gutzkows Selbstverständnis als Schriftsteller, das er bereits vor dem Revolutionsjahr hatte, folgendermaßen: „Die Rolle, die Gutzkow dem freiheitlichen, mit dem Geist der Zeit korrespondierenden Schriftsteller erfindet, ist die des ‚Parlamentärs‘ und des ‚Advokaten‘: Beide vertreten das ‚Unten‘, die Gesellschaft, vor dem ‚Oben‘ der Institutionen, vor Regierungen und Gerichten“. Martina Lauster, Gutzkows Modernebegriff als Grundlage seines institutionskritischen Liberalismus, in: Roger Jones/ Martina Lauster (Hrsg.), Karl Gutzkow, Liberalismus - Europäertum - Modernität, Bielefeld 2000 (= Vormärz-Studien, Bd. VI), S. 51-67, hier S. 58-59. Dieses Selbstverständnis muß allerdings dahin gehend eingeschränkt werden, daß es auch bei Gutzkow das Bewußtsein eines Unterschiedes zwischen einem politischen Schriftsteller und einem politisch Handelnden gibt: Peter Stein, Probleme der literarischen Proklamation des Politischen, Karl Gutzkow im Jahre 1835, in: Joseph A. Kruse/ Bernd Kortländer (Hrsg.), Das Junge Deutschland, Kolloquium zum 150. Jahrestag des Verbots vom 10. Dezember 1835, Hamburg 1987, S. 134-154, hier S. 144. Im Gegensatz zu Stifter und Mörike bewertete Gutzkow jedenfalls die Revolution von 1848 von Anfang an wesentlich positiver, weil er sich konkrete politische und soziale Verbesserungen von ihr versprach. Vgl. hierzu: Karl Gutzkow, Ansprache an die Berliner im März 1848, in: Karl Gutzkow, Vor- und Nachmärzliches, Leipzig 1850 (= Vermischte Schriften von Karl Gutzkow, Bd. 4), S. 105-119, v. a. S. 112-113 (im folgenden zitiert als: Gutzkow, Ansprache an die Berliner). Vgl. auch: Lucien Calvié, Karl Gutzkow und die Revolution von 1848, aus dem Französischen von Roman Eisele, in: Hartmut Melenk/ Klaus Bushoff (Hrsg.), 1848 - Literatur, Kunst und Freiheit im europäischen Rahmen, Freiburg/ Breisgau 1998, S. 85-99, in französischer Sprache: Lucien Calvié, Karl Gutzkow et la révolution de 1848, in: Peter Stein/ Florian Vaßen/ Detlev Kopp (Redaktion), 1848 und der deutsche Vormärz, Bielefeld 1998, S. 55-65; Walter Boehlich, Nachwort, in: Karl Gutzkow, Deutschland am Vorabend seines Falls oder seiner Größe, hrsg. von Walter Boehlich, Frankfurt/ Main 1969, S. 135-147; Ludwig Maenner, Karl Gutzkow und der demokratische Gedanke, München, Berlin 1921 (= Historische Bibliothek, Bd. 46) (im folgenden zitiert als: Maenner, Karl Gutzkow). 22 Vgl. hierzu: Stifters Sämmtliche Werke, Bd. 16. 23 Stifter, Der Staat, in: Stifters Sämmtliche Werke, Bd. 16, S. 19-32, hier S. 21. <?page no="62"?> Angelegenheiten die nöthige Ordnung herzustellen“ 24 . Er beginnt mit dem „Urstande der Menschen“ 25 , in dem sie anfangen, Kenntnisse zu sammeln und sittliche Begriffe zu entwickeln, die sich dann in Institutionen (Familie, Staat) festigen, und endet mit der eigenen Zeit, die durch den Niedergang dieser Einrichtungen 26 und durch Sittenverfall gekennzeichnet ist. Die Gegenwart ist damit - ähnlich wie bei Mörike und Meinhold 27 - in Stifters historischem Weltbild zu einer Wendezeit geworden, in der sich das bis dahin herrschende Streben nach Ordnung und moralischer Größe langsam in sein Gegenteil verkehrt, nämlich in Auflösung, Unordnung und Gesetzlosigkeit 28 . Stifter versucht auf diese Weise, die revolutionären Tendenzen der Gegenwart in sein eigenes evolutionäres Gedankengebäude einzubauen, und da sich bei ihm lineares Geschichtsdenken mit der Einsicht in die Wiederholbarkeit einzelner Geschichtsepochen verbindet, ist es konsequent, daß er einen Aufsatz mit dem Titel „Vergleichung unserer Lage mit der des alten Römerreiches“ 29 verfaßt. Hier werden Genuß- und Unterhaltungssucht, das Abhandenkommen von Kunst und Wissenschaft sowie eine allgemeine Erschlaffung für den Niedergang des römischen Volkes verantwortlich gemacht, und Stifter sieht voraus, daß sich das Schicksal der gegenwärtigen europäischen Nationen auf eben diese Weise vollziehen könnte. An anderer Stelle ergänzt Stifter diese Eigenschaften einer zum Untergang geweihten Zeit durch Eigennutz und Genußsucht des Einzelnen 30 , Verfall der Religion, Verweichlichung, Habsucht, Körperlichkeit 31 , Ermattung und Ehrlosigkeit 32 . Diese Merkmale der Dekadenz, die Zerfall und Untergangskritik 55 24 Ebd., S. 23. 25 Ebd., S. 24. 26 Auch Gutzkow sieht das entscheidende Merkmal der Moderne darin, daß Institutionen hinfällig werden. Karl Gutzkow, Das Moderne, in: Die Zeitgenossen, S. 153-173, hier S. 162-163. An anderer Stelle stellt er den Liberalismus als Gegensatz zu Institutionen dar und macht darauf aufmerksam, daß gerade der Liberalismus charakteristisch für die „moderne Existenz“ sei. Gutzkow, Die rothe Mütze und die Kapuze, S. 67. Mörikes Kritik an der Zerstörung der Institutionen findet sich nur indirekt im Zusammenhang mit seiner Revolutionskritik. Vgl. S. 51-52 Anm. 14. 27 Bei Mörike wird dieser Aspekt nicht ganz so offensichtlich. Er deutet sich aber in der Tatsache an, daß er als charakteristischen Titel der Gegenwart „die Zerrissenen“ wählt. Vgl. S. 51 Anm. 12. Bei Meinhold wird immer wieder darauf hingewiesen, daß die Gegenwart eine Zeit ist, in welcher der Staat sinkt, Sitte, Religion und Sprache verfallen. Meinhold, Schlußbetrachtungen, 2. Teil, S. 315-316. 28 Stifter, Der Staat, in: Stifters Sämmtliche Werke, Bd. 16, S. 19-32; Stifter, Die Zukunft des menschlichen Geschlechts, in: ebd., S. 113-116; Stifter, Vergleichung unserer Lage mit der des alten Römerreiches, in: ebd., S. 117-119; Stifter, Ein Einwurf, in: ebd., S. 138-140. 29 Stifter, Vergleichung unserer Lage mit der des alten Römerreiches, in: ebd. 30 Stifter, Die Zukunft des menschlichen Geschlechts, in: ebd., S. 113. 31 Stifter, Noch ein paar Merkmale über unsere gegenwärtige Lage, in: ebd., S. 120-122, hier S. 120. 32 Stifter, Ein Einwurf, in: ebd., S. 138. <?page no="63"?> von Stifter als das genaue Gegenteil von „gesunde[n], einfache[n] Sitten“ 33 angesehen werden, erinnern erstaunlich an diejenigen Merkmale, die Herder im Rahmen seiner Kulturkritik anführt 34 . Auch Meinhold vergleicht wiederholt die gegenwärtige Lage mit dem Untergang der klassischen Antike. Er merkt an, daß Rom in dem Moment eine „leichte und verdiente Beute der Barbaren“ 35 geworden sei, in dem ein allgemeiner Sittenverfall um sich greift, der durch den Niedergang und den Verfall der Institution Ehe eingeläutet wird. So behauptet er folgerichtig, daß im alten Griechenland die allseitige Sittenlosigkeit dann einbricht, wenn berühmte Feldherren, Staatsmänner, Dichter und Philosophen ehelos zu leben beginnen 36 . Ähnlich argumentiert Gutzkow: 1848 wählt er für einen Aufsatz die Überschrift: „Deutschland am Vorabend seines Falles oder seiner Größe“ 37 , für den das 1773 erschienene Geschichtswerk von Edward Gibbon „History of the decline and fall of the Roman empire“ Pate gestanden hat 38 . Auch für Gutzkow wird deutlich, daß sich die Gegenwart dem Untergang zuneigt, wobei er ähnliche Gründe anführt wie Stifter und Meinhold 39 . Darüber hinaus beurteilt er die eigene Zeit an mehreren Stellen seiner Analyse ganz direkt als Über- 56 Kulturmodelle bei Mörike, Meinhold, Gutzkow und Stifter 33 Stifter, Ueber unsere gegenwärtige Lage (Fortsetzung), in: ebd., S. 123-125, hier S. 123. 34 Wolfgang Frühwald hat darauf aufmerksam gemacht, daß bereits die Zeitgenossen in Stifter einen Schüler Herders erkannt haben. Wolfgang Frühwald, Adalbert Stifter, in: Walther Killy (Hrsg.), Literaturlexikon, Autoren und Werke deutscher Sprache, Bd. 11, München 1991, S. 201-205, hier S. 203. Die zeitgenössische Rezeption sieht Stifter tatsächlich, v. a. in seiner Pädagogik, die ein Nacheinander von Natur- und Geschichtsstudium vorsieht, Herder verpflichtet. Vgl. hierzu: Julian Schmidt, Der Nachsommer, in: Grenzboten I/ 1 [1858], S. 161-172, wieder abgedruckt in: Moriz Enzinger, Adalbert Stifter im Urteil seiner Zeit, Wien 1968, S. 209-219, hier S. 216. 35 Meinhold, Schlußbetrachtungen, 2. Teil, S. 320. 36 Ebd., S. 321. Hier gibt es auffallende Ähnlichkeiten zu der Argumentation von Stifter. Siehe oben. 37 Karl Gutzkow, Deutschland am Vorabend seines Falles oder seiner Größe, Frankfurt/ Main 1848 (im folgenden zitiert als: Gutzkow, Deutschland am Vorabend seines Falles oder seiner Größe). 38 In Gutzkows Bibliothek befand sich folgende Ausgabe: Gibbon, History of the decline and fall of the Roman empire, 12 Vols., Lips., 1829. Hierzu: Auktionskatalog, S. 61. Diese Einschätzung des Untergangs des römischen Reichs referiert Gutzkow bereits 1836 in „Zur Philosophie der Geschichte“: Gutzkow, Zur Philosophie der Geschichte, S. 569-570. 39 Auch Gutzkow macht auf die Schwäche und mangelnde Kraft Deutschlands aufmerksam. Gutzkow, Deutschland am Vorabend seines Falles und oder seiner Größe, S. 28. Allerdings bezieht sich Gutzkow hier ganz konkret auf das dezentrale, föderalistische Regierungssystem Deutschlands. An anderer Stelle ist von der „Unsicherheit Deutschlands“ die Rede (ebd., S. 29) oder von den „fieberhaften Anfällen“ der Kraftmeierei, die Deutschland habe, um seine Schwäche zu kompensieren (ebd., S. 43). Auch in der „Philosophie der Geschichte“ schreibt Gutzkow bereits 1836 summarisch von dieser Zeit, daß sie schwach gewesen sei. Gutzkow, Zur Philosophie der Geschichte, S. 246. <?page no="64"?> gangszeit und diagnostiziert an ihr eine „transitorische Krisis“ 40 . Auch bei ihm verbindet sich Kritik an der eigenen Gegenwart mit einer Einschätzung der Revolution. Diese ist allerdings derjenigen von Mörike und Stifter diametral entgegengesetzt, denn er beurteilt die konkreten Ereignisse von 1848 positiver 41 , ist aber ebenfalls an der Revolution als einem Phänomen interessiert, welches das erste Mal 1789 aufgetreten war und dann das ganze 19. Jahrhundert erschütterte: „Ist selbst die Julirevolution etwas Anderes gewesen, als der letzte Schlag eines Gewitters, eine in der Natur oft vorkommende Erscheinung, wo sich ein zurückgebliebener Rest von elektrischer Materie erst in dem Augenblick entzündet, wo der Himmel schon wieder zu blauen beginnt“ 42 ? Wenn er dann an anderer Stelle Übergangszeiten als Revolutionsvorläufer bezeichnet 43 , schließt sich der Kreis zum Denken Stifters, der seinerseits Revolution immer als einen eindeutigen Vorboten für Auflösung ansieht 44 , wobei Übergangszeit, Revolution und Auflösung so eng miteinander verwoben sind, daß sie die Gegenwart hinreichend charakterisieren. Mörike, Meinhold, Stifter und Gutzkow sind sich dahin gehend einig, daß die gegenwärtige Zeit mehr ein „System der Unordnung als der Ordnung“ 45 ist. Möglichkeiten einer Übergangszeit Bei aller Kritik, die sowohl Stifter und Gutzkow als auch Meinhold und Mörike (in unterschiedlichen Graden) daran üben, daß die eigene Gegenwart eine Übergangszeit ist, bietet doch das auch Chancen. So schreibt Gutzkow 1836 in der „Philosophie der Geschichte“: Zerfall und Untergangskritik 57 40 Gutzkow, Der Mensch des 19. Jahrhunderts, in: Säkularbilder, 1. Theil, S. 55. 41 Vgl. hierzu S. 53 Anm. 21. Allerdings ist zu bemerken, daß Gutzkow im Revolutionsjahr selbst nur zwei Schriften verfaßte (vgl. hierzu die biographische Übersicht von Wolfgang Rasch unter: www.gutzkow.de), wovon die eine - „Ansprache an die Berliner“ - deutlich demagogisch-ideologische Züge trägt, während die andere, der schon erwähnte Aufsatz „Deutschland am Vorabend seines Falles oder seiner Größe“, die Revolution differenziert und im Zusammenhang mit der allgemeinen Zeiteinschätzung sieht. 42 Gutzkow, Das Jahrhundert, in: Die Zeitgenossen, S. 67. Diese Einsicht hält sich noch eine ganze Weile in Gutzkows Denken. Zumindest verändert er die entsprechende Stelle in der überarbeiteten Form der „Zeitgenossen“, den „Säkularbildern“ inhaltlich nicht, sondern nimmt nur eine minimale sprachliche Korrektur vor. Karl Gutzkow, Das Jahrhundert, in: Säkularbilder, 1. Theil, S. 70. Hier fällt eine weitere Ähnlichkeit mit Mörike ins Auge. Sowohl Gutzkow als auch Mörike vergleichen die Ereignisse der Revolution mit einer Naturgewalt - wie das auch Eichendorff, Görres , Kleist und andere mit der Französischen Revolution tun. Vgl. hierzu S. 51 Anm. 14. 43 Gutzkow, Zur Philosophie der Geschichte, S. 239-240. 44 Stifter, Ein Einwurf, in: Stifters Sämmtliche Werke, Bd. 16, S. 139. 45 Gutzkow, Das Jahrhundert, in: Die Zeitgenossen, S. 66. <?page no="65"?> „Die Übergangszeiten suchen den straff angezogenen Zügel der Begebenheiten zu sprengen. Sie entschlüpfen allmälig jener stätigen Kategorie der Zeit und fliehen in abgelegene, beinahe nur räumliche Existenzen, wo man fast in den Stand gesetzt wird, den Menschen außerhalb der Geschichte zu beobachten. […] Die Übergangszeiten sind die schärfsten Prüfsteine des historischen Menschen und werden immer beweisen, wie entgegengesetzt der Lärm von Begebenheiten, die nichts entscheiden, denjenigen Thatsachen ist, welche zur Bestimmung des Menschengeschlechts die allernächste Stellung zu haben scheinen“ 46 . Hier wird gerade Wendezeiten die Fähigkeit zugestanden, Menschen außerhalb der Geschichte, gewissermaßen unter Laboratoriumsbedingungen, zu beobachten. Diese Möglichkeit ist auch in Stifters Denken vorhanden. Stifter verwendet hierfür den Begriff „Zustand“, der für ihn das adäquate Experimentierfeld für „Seelen- und Menschenforschung“ - der eigentliche Motor seines Schreibens 47 - bezeichnet. Die Definition von „Zustand“ist dadurch erschwert, daß er in verschiedenen Zusammenhängen mit unterschiedlicher Bedeutung gebraucht wird 48 . In erster Linie könnte man eine physikalische Interpretation heranziehen; „Zustand“ wäre dann am besten als „Beschaffenheit“ zu bezeichnen und käme sicherlich Stifters erkenntnistheoretischem Hauptinteresse entgegen 49 . Das, was Stifter unter „Zustand“ versteht, ist also etwas ganz Ähnliches wie das, was Gutzkow mit Übergangszeit meint, nämlich eine Zeit jenseits der historischen Zeit. Ein solches künstliches Experimentierfeld bietet sich natürlich hervorragend für den Versuch an, die für Kulturvorstellungen des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts grundlegende Frage 50 nach dem Wesen und der Bestimmung des Menschen zu beantworten. Anders gesagt: Gerade die Beschäftigung mit 58 Kulturmodelle bei Mörike, Meinhold, Gutzkow und Stifter 46 Gutzkow, Zur Philosophie der Geschichte, S. 240 (Hervorhebung der Autorin). 47 Der Begriff „Zustand“ ist zentral für Stifters Erkenntnisinteresse und findet sich häufig in seinem Werk. Besonders aufschlußreich sind in diesem Zusammenhang die einleitenden Sätze zu der Novelle „Zwei Schwestern“, weil Stifter hier „Zustand“ tatsächlich als das Experimentierfeld des „Seelen- und Menschenforschers“ benennt: Adalbert Stifter, Zwei Schwestern, in: Studien, Buchfassungen, Bd. 3, hrsg. von Helmut Bergner/ Ulrich Dittmann, Stuttgart u. a. 1982 (= Adalbert Stifter, Werke und Briefe, Historisch- Kritische Gesamtausgabe, hrsg. von Alfred Doppler/ Wolfgang Frühwald, Bd. 1,6), S. 217- 378, hier S. 217 (im folgenden zitiert als: Stifter, Zwei Schwestern). 48 Vgl. Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Bd. 16, bearbeitet von Gustav Rosenhagen und der Arbeitsstelle des Deutschen Wörterbuches, Leipzig 1954, Sp. 840-845. 49 Darüber hinaus ist für das Stiftersche Verständnis auch eine Zeitdimension konstituierend, die am besten mit einem Diktum Goethes zu erklären ist, der in einem Brief vom 23.11.1812 an Niebuhr schreibt: „[…] Zustand ist ein albernes Wort; weil nichts steht und alles beweglich ist […]“, in: Johann Wolfgang Goethe, Briefe, Mai 1812 - August 1813, Weimar 1900 (= Goethes Briefe, hrsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, IV. Abteilung, 23. Bd.), S. 161-165, hier S. 164. 50 Vgl. Kapitel II. <?page no="66"?> der Revolution und die Erkenntnis, daß die Gegenwart eine Übergangszeit ist, sind für Stifter, Gutzkow, Meinhold und Mörike ein Anlaß, sich in dieser Zeit mit dem Thema Kultur eingehend auseinanderzusetzen. Hinter diesen Überlegungen steht die Einsicht, daß man sich in Zeiten, in denen Kultur bereits abhanden gekommen zu sein scheint oder zumindest in absehbarer Zukunft verlorenzugehen droht, mit ihr befassen muß, um sie wieder etablieren zu können. In dieser Frage egalisieren sich persönliche Animositäten und bis zu einem gewissen Grade sogar Unterschiede im geistigen Herkommen: Die Differenzen zwischen der Dichtungsauffassung der Jungdeutschen, die mit neuen, ihnen zeitgemäß erscheinenden Formen experimentieren, und der konservativerer Autoren, die sich formal an der antiken Dichtung orientieren, um so zur modernen Zerrissenheit ein Gegengewicht zu setzen, liegen zwar auf der Hand: Mörike bescheinigte Heine an seiner Person und Dichtung negative Merkmale der eigenen Zeit, nämlich „kranke [...] Desperationskoketterie“ und „lyrische Verzweiflungsexpektorationen“ 51 ; und Stifter hat sich immer wieder kritisch über die „Gesinnung“ 52 der Jungdeutschen geäußert, „Tagesfragen und Tagesempfindungen in die schöne Literatur zu mischen“ 53 . Besonders Gutzkows Produktion beurteilt er negativ 54 . Aber dennoch hat Stifter seine Meinung in dieser Hinsicht tatsächlich nach den Ereignissen der Märzrevolution modifiziert 55 . In den folgenden Jahren gesteht er Heine, den er bis dahin nur als Galionsfigur der politischen Dichtung des Jungen Deutschland wahrgenommen hatte, sogar zu, daß er Schönes geschaffen habe 56 . Zerfall und Untergangskritik 59 51 Mörike, Brief an Friedrich Theodor Vischer vom 17.01.1831, in: Mörike, Briefe 1829- 1832, S. 168-173, hier S. 170-171. Über Gutzkow selbst urteilt er positiver, was auch mit seiner eigenen ambivalenten Revolutionseinschätzung zusammenhängt. Mörike, Brief an Wilhelm Hartlaub vom 08.03.1856, in: Eduard Mörike, Briefe 1851-1856, hrsg. von Bernhard Thurn, Stuttgart 2000 (= Werke und Briefe Historisch-Kritische Gesamtausgabe hrsg. von Hubert Arbogast/ Hans-Henrik Krummacher/ Herbert Meyer (†)/ Bernhard Zeller, Bd. 16), S. 257-259, hier S. 258 (im folgenden zitiert als: Mörike, Briefe 1851-1856). Hier weist er auch auf einen offenen Briefwechsel zwischen seinem Freund David Friedrich Strauß und Gutzkow hin. Bei Mörike findet sich auch ein lobender Hinweis auf Meinhold und die „Bernsteinhexe“. Mörike, Brief an Wilhelm Hartlaub vom 08.09.1841, in: Mörike, Briefe 1839-1841, S. 202-205, hier S. 204. 52 Stifter, Brief vom 16.11.1846 an Gustav Heckenast, in: Stifter, Briefwechsel 1, S. 180- 184, hier S. 183. 53 Stifter, Brief an Gustav Heckenast vom 09.01.1845, in: ebd., S. 137-141, hier S. 138. 54 Stifter, Brief an Eligius Freiherrn von Münch-Bellinghausen vom 02.02.1857, in: Stifter, Briefwechsel 3, S. 5-6, hier S. 5. 55 Vgl. hierzu Stifter, Brief an Gustav Heckenast vom 08.09.1848, in: Stifter, Briefwechsel 1, S. 300-305, hier S. 302. 56 Stifter, Brief an Gustav Heckenast vom 29.10.1853, in: Adalbert Stifters Sämmtliche Werke, Bd. 18, Briefwechsel, Bd. 2, mit Benutzung der Vorarbeiten von Adalbert Horcicka hrsg. von Gustav Wilhelm, Prag 1918, S. 170-172, hier S. 171 (im folgenden zitiert als: <?page no="67"?> Gutzkow seinerseits läßt in seinem Essay „Der Mensch des 19. Jahrhunderts“ eine Figur, die das 18. Jahrhundert verkörpert, Kritik an den modernen Dichtern üben, die durchaus im Sinne Stifters sein dürfte: „Heine und alle Neuern mißfallen ihm: er vermißt in ihnen zwar nicht die Natur, aber die Seelenruhe, welche die Natur gewährt. ‚Sie zerpflücken‘, sagte er über die modernen Dichter zu mir, ‚sie zerpflücken Alles, was ihnen unter die Hände kommt. Auch die Natur, die einfache, stille Natur raffiniren sie, sie kommen auf sie nur aus Genußsucht zurück, verbrauchen einen Sturm, eine Landschaft, eine Aussicht und stürzen sich dann wieder anderen Dingen in die Arme […]‘“ 57 . Gutzkow sieht sich zwar selber als Repräsentant des Modernen 58 ; Stifters und Mörikes Dichtungsauffassung wird von ihm indirekt als überholt und unzeitgemäß beurteilt. Andererseits läßt Gutzkow 1844 im „Telegraphen für Deutschland“ eine positive Kritik über Stifters „Studien“ drucken 59 , die doch auf ein gewisses Verständnis auch für Stifters Modernität schließen läßt, auf welche diese Rezension der „Studien“ abzielt. Wie ähnlich Gutzkow und Stifter Einzelheiten der Zeitanalyse beurteilen, zeigt folgende Äußerung Gutzkows, die zu einigen Tendenzen der zeitgenössischen Dichtung kritisch Stellung nimmt: „Die stille, sanfte Wärme des Gemüthes ist unserer Zeit fremd. Dichter, welche auf sie zu wirken suchen, würden einsam dastehen und verhungern. Aber wer die lodernde Flamme der Leidenschaft zu schüren weiß, wer sein Licht in jenen Zugwind stellt, wo man Fackeln haben muß, um sie nicht vom Winde auslöschen zu lassen, dem folgt die jubelnde und schnell erregte Menge“ 60 . Abgesehen davon, daß sich in Gutzkows Prototyp des erfolg- und brotlosen Dichters tatsächlich Stifters persönliches Schicksal nach 1848 widerspiegelt, ist es die Verachtung der Demagogie, die ihn mit Stifter verbindet 61 . 60 Kulturmodelle bei Mörike, Meinhold, Gutzkow und Stifter Stifter, Briefwechsel 2). Dieses Urteil wird in der Folgezeit zwar wieder zurückgenommen, Stifter kann aber nicht umhin, Heine Talent zuzugestehen. Vgl. hierzu: Stifter, Brief an Gustav Heckenast vom 13.12.1855, in: ebd., S. 276-283, hier S. 279. Im selben Brief spricht sich Stifter auch eindeutig für die Verbesserung des Staates durch die Kunst aus. 57 Gutzkow, Der Mensch des 19. Jahrhunderts, in: Säkularbilder, 1. Theil, S. 22. 58 Gutzkow, Das Moderne, in: Die Zeitgenossen, S. 153-173, hier S. 170. 59 Georg Schirges, Studien, 1., 2. Bd., Pest 1844, in: Gutzkow’s Telegraph für Deutschland Dezember 1844, Nr. 208, S. 830, wieder veröffentlicht in: Moriz Enzinger, Stifter im Urteil seiner Zeit, Wien 1968 (= Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Bd. 256), S. 42-44. 60 Gutzkow, Der Mensch des 19. Jahrhunderts, in: Säkularbilder, 1. Theil, S. 64 (Hervorhebung in der Vorlage). 61 Für Stifter vgl. hierzu: Adalbert Stifter, Über Stand und Würde des Schriftstellers, in: Adalbert Stifter, Schriften zu Literatur und Theater, hrsg. von Werner M. Bauer, Stuttgart, Berlin, Köln 1997 (= Adalbert Stifter, Werke und Briefe, Historisch-Kritische Gesamtausgabe, hrsg. von Alfred Doppler/ Wolfgang Frühwald, Bd. 8,1), S. 34-47 (im folgenden zitiert als: Stifter, Über Stand und Würde). <?page no="68"?> Die Annäherung von Dichtungsauffassungen, die zunächst unvereinbar zu sein scheinen, begründet sich nicht zuletzt aus der gemeinsamen Beschäftigung der Autoren mit Kultur. Kultur ist eine Größe, die in Krisenzeiten reflektiert wird, die es notwendig machen, ideologische Differenzen über Bord zu werfen. Dies war schon 1789 der Fall. Aber auch in den revolutionären Märzjahren des 19. Jahrhunderts zwischen 1830 und 1860, einer Zeit des neuerlichen Umbruchs und der Unsicherheit, stehen Kulturbetrachtungen hoch im Kurs, um eine Antwort auf die für die Kulturproblematik grundlegende Frage nach der Bestimmung des Menschen und seinem Verhältnis zu überindividuellen Mächten 62 (Staat, Kirche, Rechtsordnung etc.) zu finden. Da sich die Merkmale von Kultur im Denken von Stifter, Gutzkow, Meinhold und Mörike erstaunlich ähneln, läßt sich ein homogenes Kulturmodell erkennen, in dem im wesentlichen alle Aspekte von jedem Autor, wenngleich natürlich unterschiedlich gewichtet 63 , behandelt werden. Gerade aus den jeweiligen Abweichungen wird jedoch abermals deutlich, daß die genannten Romanciers ausnahmslos an der kontrovers geführten Kulturdebatte ihrer Zeit teilnahmen. Diese hat auch scheinbar konträre Elemente einbezogen. Ja gerade diese - man denke nur an die Bewertung von Natur als Barbarei einerseits und positivem Gegenmodell zu Kultur andererseits - sind im mittleren 19. Jahrhundert für die Kulturdebatte symptomatisch. Zerfall und Untergangskritik 61 62 Gutzkow definiert an einer zentralen Stelle der Essays die Eigentümlichkeit der modernen Kultur als ein spezifisches Verhältnis von Allgemeinheit und Individualität. Gutzkow, Das Jahrhundert, in: Säkularbilder, 1. Theil, S. 74-76. An anderer Stelle macht er darauf aufmerksam, daß in seiner Gegenwart das Individuum in Widerspruch zum Staat geraten sei. Gutzkow, Die rothe Mütze und die Kapuze, S. 78-79. 63 Da Zeitkritik und Kulturreflexionen eng zusammenhängen, können bei allen drei Autoren Äußerungen zur Zeit auch als Kulturüberlegungen interpretiert werden. Gutzkow und Stifter nehmen hier in zusammenhängenden, essayistischen Texten Stellung, die eigens diesem Thema gewidmet sind und vor allem das Verhältnis des Einzelnen zur Allgemeinheit reflektieren, während es sich bei Mörike eher um unzusammenhängende, briefliche Mitteilungen handelt. Kraus, Eduard Mörike und die Politik, S. 130. Bei Mörike ist in diesen Texten besonders der Erinnerungsaspekt von Kultur ausgeprägt. Die wichtigsten Äußerungen über Kultur sind bei Mörike aber in fiktionalen Texten zu finden. <?page no="69"?> 2. Theoretische Kulturreflexionen bei Stifter, Gutzkow, Meinhold und Mörike Was macht den Mensch zum Menschen, wie definiert er sich und auf welche Weise unterscheidet er sich vom Tier? Das sind die zentralen Fragen, die auch im 19. Jahrhundert im Zusammenhang mit Kulturreflexionen gestellt werden 64 . Es führt daher direkt in den Kern des Problems, wenn Stifter 1848 schreibt: „Ich glaube, es ist die erste und heiligste Pflicht des Staates, daß er die Menschen zu eigentlichen Menschen mache. Dieß thut aber nur Unterricht und Erziehung“ 65 . Hier werden gleich zwei Merkmale genannt, die grundlegend für die Definition der Menschwerdung des Menschen und damit von Kultur sind: Die Organisation einer Gemeinschaft in einer Institution (Staat) und die Verpflichtung dieser Gemeinschaft zur Ausbildung der Individuen zum Menschen; beides erscheint als einziges Gegenmittel zu den genannten Auflösungserscheinungen, die mit Barbarei gleichgesetzt werden, so daß es letztlich, ähnlich wie bereits bei Schiller, allein Bildung und Erziehung sind, die vor Roheit und Unmenschlichkeit schützen können 66 . 62 Kulturmodelle bei Mörike, Meinhold, Gutzkow und Stifter 64 Vgl. hierzu allgemein: Kapitel II; speziell: Stifter, Was ist Freiheit? , in: Stifters Sämmtliche Werke, Bd. 16, S. 91-93; Stifter, Was ist das Recht? , in: ebd., S. 221-224; Stifter, Wirkungen der Schule, in: ebd., S. 141-147; Gutzkow, Das Jahrhundert, in: Säkularbilder, 1. Theil, S. 72; für Mörikes Auseinandersetzung mit diesen Fragen sei auf sein psychologisches Interesse hingewiesen, das er immer wieder als einen Hauptmotor für den „Maler Nolten“ angibt. Das geht sogar so weit, daß er sich 1831 über den Roman ein psychiatrisches Urteil einholt. Mörike, Brief an Karl Mörike vom November 1831, in: Mörike, Briefe 1829-1832, S. 232-234, hier S. 234. 1843 wird ihm von David Friedrich Strauß bestätigt, daß sein Haupttalent darin besteht, „Menschliches“ im Roman auszudrücken. Mörike, Brief an Wilhelm Hartlaub vom 20.03.1843, in: Mörike, Briefe 1842- 1845, S. 89-100, hier S. 91. Meinhold wirft diese Frage im Vorwort zur „Bernsteinhexe“ auf und weist seinen Roman damit als einen Antwortversuch aus. Wilhelm Meinhold, Vorrede zur 2. Aufl. [der Bernsteinhexe], in: Wilhelm Meinhold, Maria Schweidler die Bernsteinhexe, Novelle in der Sprache des 17. Jahrhunderts, mit einer ausführlichen, die Geschichte und Tendenz dieses Buches enthaltenden und jeden Freund der Religion wichtigen Vorrede, 2., verbesserte Aufl., Leipzig 1846, S. XII-XXXVI, hier S. V-VII (im folgenden zitiert als: Meinhold, Vorrede zur 2. Aufl. [der Bernsteinhexe]). 65 Stifter, Kirche und Schule, in: Stifters Sämmtliche Werke, Bd. 16, S. 268-274, hier S. 270 (Hervorhebung in der Vorlage). Diesen Gedanken spricht Stifter auch an anderer Stelle aus: Stifter, Brief an Joseph Türck vom 26.04.1849, in: Stifter, Briefwechsel 2, S. 1-2. Auch später noch hält er sich in Stifters Denken: Stifter, Brief an Gustav Heckenast vom 24.05.1857, in: Stifter, Briefwechsel 3, S. 19-23. 66 Stifter, Kirche und Schule, in: Stifters Sämmtliche Werke, Bd. 16; Stifter, Wirkungen der Schule, in: ebd. Hier steht Stifter in der Nachfolge Schillers und dessen „Ästhetischer Erziehung“. Gutzkow, Der Mensch des 19. Jahrhunderts, in: Säkularbilder, 1. Theil; Karl Gutzkow, Sitte und Sitten, in: Die Zeitgenossen, Ihre Schicksale, ihre Tendenzen, Theoretische Kulturreflexionen <?page no="70"?> Kultur, Staat und Bildung Der Staat ist für Stifter ein Ordnungssystem, das den Einzelnen ins Einvernehmen mit anderen setzt und so das Wohl der Allgemeinheit garantiert 67 . Allein der Staat kann die durch Bildung geschaffene Freiheit garantieren 68 ; unter Freiheit wird aber nicht die absolute Abwesenheit von Beschränkungen und das Ausleben von Emotionen und Leidenschaften verstanden, sondern gerade „das Beherrschen der Affecte, daß sie den Mitmenschen nicht schädlich werden und jeder die gleiche Voraussetzung gewinnt“ 69 . In einer etwas anderen Variation begegnet dieser Gedanke bei Gutzkow, wenn er feststellt, daß nicht der Einzelne der Sklave des Staates sei, sondern im Gegenteil der Staat bei der individuellen Existenz beginne 70 . In diesem Sinne ist auch die Aufforderung aus dem Jahre 1848 an die Berliner Bevölkerung zu verstehen: „Laßt Euch nicht zu viel von der Ordnung predigen! Die wahre Ordnung ist nur da, wo die Freiheit ist“ 71 . Bei allen Unterschieden, die sich durch die höhere Bewertung des Allgemeinen bei Stifter, des Einzelnen bei Gutzkow ergeben 72 , sehen doch beide in einem (idealen) Staat einen Garant für Freiheit und Gerechtigkeit, eine „Schutzanstalt gegen Übergriffe“ 73 . Stifter steht hier in der direkten Tradition Schillers, dessen (positive) Vorstellung von Kultur „eine [...] Art kontrollierende [...] Überwachungsstelle für den legitimen Anwendungsbereich der den Menschen bestimmenden Grundkräfte“ 74 ist. Theoretische Kulturreflexionen 63 ihre großen Charaktere, aus dem Englischen des E. L. Bulwer, Bd. 2, Stuttgart 1837, S. 5-124, hier S. 115 (im folgenden zitiert als: Gutzkow, Die Zeitgenossen, Bd. 2). 67 Stifter, Der Staat, in: Stifters Sämmtliche Werke, Bd. 16. 68 Stifter, Was ist Freiheit, in: ebd., S. 92; Stifter, Der Staat, in: ebd. 69 Stifter, Die octroierte Verfassung, in: ebd., S. 56-62, hier S. 56. 70 Gutzkow, Ansprache an die Berliner, S. 112-113. 71 Ebd., S. 116. 72 Während Stifter die Unterordnung des Einzelnen unter die Allgemeinheit fordert und, wenn diese nicht mehr gewährleistet ist, dies sogar als Ursache für den Untergang eines Volkes ansieht (Stifter, Ein Einwurf, in: Stifters Sämmtliche Werke, Bd. 16, S. 139), fordert Gutzkow, daß sich das Allgemeine aus den Einzelnen zusammensetze. Hierfür gebraucht er das Bild der Pyramide. Gutzkow, Ansprache an die Berliner, S. 112. Dieser Punkt ist es wahrscheinlich auch, der den Hauptunterschied in der Haltung Gutzkows und Stifters zur Revolution und ihrer politischen Zugehörigkeit (Gutzkow als radikaler Liberaler, Stifter zunächst als gemäßigter Liberaler mit Entwicklung zum Konservativen) ausmacht. Zur politischen Entwicklung Stifters: Urban Roedl, Adalbert Stifter, mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek bei Hamburg, 15. Aufl. 1999, S. 94-100. Zur politischen Haltung Gutzkows: Maenner, Karl Gutzkow, S. 43-48. 73 Stifter, Die octroierte Verfassung, in: Stifters Sämmtliche Werke, Bd. 16, S. 57. 74 Benno von Wiese, Friedrich Schiller, Stuttgart 1959, S. 489. Friedrich Schiller, Ueber die Ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen, Nationalausgabe, Bd. 20, Philosophische Schriften, 1. Theil, unter Mitwirkung von Helmut Koopmann hrsg. von Benno von Wiese, Weimar 1962, S. 309-412, hier S. 348 (im folgenden zitiert <?page no="71"?> Es ist daher folgerichtig, wenn Stifter behauptet, daß gerade in einem vorstaatlichen Zustand der Menschen noch nicht vom Tier unterschieden sei und ein falscher Freiheitsbegriff herrsche: „Diese Freiheit [die falsche Freiheit, die mit Ausgelassenheit und der Möglichkeit, auf jede Weise handeln zu dürfen, verwechselt wird] wäre die der Thiere im Walde, die auch thun dürfen, was sie wollen, aber gegen die man auch thun darf, was man will. So frei waren damals die Menschen, als sie noch ganz wild waren und nicht zum Schutze in einen Staat getreten waren. Es durfte Jeder Alles thun; aber wenn Zwei zusammen gingen und Einen erschlugen, so hatte dieser keine Hilfe, und er war das unfreieste Ding, das man sich in der Welt denken kann. Darum traten sie aber zusammen in den Staat, machten Gesetze, die sie schützten, und setzten eine Gewalt ein, die die Gesetze aufrecht hielt. Jetzt waren sie frei, und jetzt konnte sie keiner mehr zwingen“ 75 . Hier wird deutlich, daß ein vorstaatlicher Status „wild“ ist und daß erst durch die Formierung des Staates ein Kulturzustand eintritt. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, daß Stifter und Gutzkow, aber auch Meinhold 76 darauf aufmerksam machen, daß der Staat den Einzelnen zum Menschen erziehe und daß sie damit die Zweckfreiheit des Menschen, ganz im Sinne Schillers, zu einem Hauptmerkmal von Kultur machen 77 . Denn auch Gutzkow weist darauf hin, 64 Kulturmodelle bei Mörike, Meinhold, Gutzkow und Stifter als: Schiller, Ueber die Ästhetische Erziehung), wo Schiller in bezug auf den sinnlichen und den Formtrieb schreibt: „Ueber diese zu wachen und einem jeden dieser beyden Triebe seine Grenzen zu sichern, ist die Aufgabe der Kultur, die also beyden eine gleiche Gerechtigkeit schuldig ist, und nicht bloß den vernünftigen Trieb gegen den sinnlichen, sondern auch diesen gegen jenen zu behaupten hat. Ihr Geschäft ist also doppelt: erstlich: die Sinnlichkeit gegen die Eingriffe der Freyheit zu verwahren: zweytens: die Persönlichkeit gegen die Macht der Empfindungen sicher zu stellen“ (Hervorhebung in der Vorlage). 75 Stifter, Was ist Freiheit, in: Stifters Sämmtliche Werke, Bd. 16, S. 92. 76 Für Meinhold vgl. Schlußbetrachtungen 1. und 2. Teil. 77 Alle drei sprechen sich also gegen die Funktionalisierung des Menschen aus, wie sie von den Hauptrichtungen der Zeit gefordert wird. So schreibt Gutzkow mit kritischem Unterton: „Jetzt spielen sie [die Kinder] Eisenbahnen und Dampfmaschinen, sie fühlen es, daß einst die Welt enorme Anforderungen an sie machen wird, und fangen bei Zeiten an, in ihre Scherze Ernst zu mischen“. Gutzkow, Der Mensch des 19. Jahrhunderts, in: Säkularbilder, 1. Theil, S. 30. So ist es dann auch der eigentliche und einzige Zweck jedes einzelnen Menschen innerhalb der Gemeinschaft, Freiheit zu gewinnen, das heißt, sich immer mehr zu vervollkommnen, worin er durch keinen anderen gestört werden darf. Stifter, Wie wird die Freiheit eingeführt? , in: Stifters Sämmtliche Werke, Bd. 16, S. 94-96. Während Gutzkow der Meinung ist, daß ein solcher Mensch nur das Individuum des 18. Jahrhunderts gewesen und der Bürger des 19. nur Statist und Funktionsträger im Staat sei, macht Stifter darauf aufmerksam, daß erst der zum Menschen gemachte Mensch ein Staatsbürger sei, denn nur aus solchen setze sich ein Staat zusammen, der diesen Namen auch verdiene und nicht die Bezeichnung Strafanstalt. Stifter, Brief an Joseph Türck vom 26.04.1849, in: Briefwechsel 2, S. 1-2, hier S. 1. Gutzkow steht mit der Unterscheidung zwischen Mensch und Bürger im Gefolge des 18. Jahrhunderts. Sowohl <?page no="72"?> daß „Bildung […] mit dem allgemein Menschlichen beginnen [muß]“ 78 . Daß dies gegenwärtig nicht geschehe, sei eine „Lücke in unserer modernen Bildung“ 79 , die es auszufüllen gelte. Das könne nur durch eine radikale Verbesserung des Erziehungs-, Religions-, Unterrichts- und Staatssystems geschehen 80 . Auch hier zeigt sich, daß Kultur zweierlei ist: einmal die Vermittlung bestimmter menschlicher, das heißt moralischer 81 Werte durch Bildung und weiterhin deren Institutionalisierung in der Gemeinschaft, welche die Summe aller zu Menschen gewordenen Individuen bildet. Beide Komponenten werden in ein Geschichtsmodell eingebettet 82 : Theoretische Kulturreflexionen 65 Rousseau als auch Mendelssohn unterschieden zwischen diesen beiden Kategorien. Mendelssohn hatte zwischen Kultur und Aufklärung dahin gehend differenziert, daß Kultur ein Begriff ist, der im Zusammenhang mit der „Bestimmung des Menschen als Bürger“ fallen muß, während Aufklärung für persönliche Bildung sorgt: Mendelssohn, Über die Frage: was heißt aufklären, S. 115-116. Gutzkow spricht sich (hierin ein Erbe Pestalozzis) für die Überwindung dieses Gegensatzes aus, während im (idealistischen) Denken Stifters diese Trennung bereits aufgehoben ist. Zu Gutzkows Verhältnis zu Pestalozzi: Ute Raum, „Die Söhne Pestalozzi’s“ (1870), Karl Gutzkows Kritik an der Pädagogik des 19. Jahrhunderts, in: Heine-Jahrbuch 34 (1995), S. 48-76, hier v. a. S. 69 (im folgenden zitiert als: Raum, Die Söhne Pestalozzi’s). 78 Gutzkow, Das Jahrhundert, in: Säkularbilder, 1. Theil, S. 72. 79 Ebd., S. 70-71. 80 Ebd. Zu Gutzkows Vorstellung von Bildung: Raum, Die Söhne Pestalozzi’s; Ute Promies, Ihrer Zeit voraus, Gutzkows Bildungskritik, in: Gustav Frank/ Detlev Kopp (Hrsg.), Gutzkow lesen! , Beiträge zur Internationalen Konferenz des Forum Vormärz Forschung vom 18. bis 20. September 2000 in Berlin, Bielefeld 2001 (= Gutzkow-Studien, Bd. 3), S. 99-121. 81 Es ist hier darauf hinzuweisen, daß die Begriffe „moralisch“ und „menschlich“ eng miteinander verwandt, wenn nicht sogar identisch sind. Dies gilt zumindest für das 18. Jahrhundert, dessen Wortgebrauch auch dem 19. Jahrhundert noch geläufig war. Vgl. hierzu: Johann Christoph Adelung, Grammatisch-Kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen, Dritter Theil, von M bis Scr, reprographischer Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1798, Hildesheim, New York 1970, Sp. 279. Moral wird hier von Adelung als „die Lehre von der Einrichtung des Verhaltens des Menschen“ definiert. D. h. moralische Werte sind menschliche Verhaltenswerte. Der Begriff „moralisch“ bedeutet also „menschlich“. Daß sich diese Wortbedeutung bis ins 19. Jahrhundert hält, ist belegt durch: Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 6, L.M., bearbeitet von Dr. Moritz Heyne, Leipzig 1885, Sp. 2526-2527. 82 Für Stifter vgl.: Stifter, Die Zukunft des menschlichen Geschlechts, in: Stifters Sämmtliche Werke, Bd. 16, S. 113-116, hier S. 113, für Gutzkow vgl. folgendes Zitat, für Mörike kann ein allgemeines geschichtliches Interesse in den Jahren seit 1846 festgestellt werden. 1846 wollen Mörike und seine Freunde einen „Historischen Verein für das fränkische Wirtemberg und seine Grenzen“ ins Leben rufen (Mörike, Brief an den Fürsten zu Hohenlohe vom 30.08.1846, in: Mörike, Briefe 1846-1850, S. 65-66, hier S. 65); ins selbe Jahr fällt die Lektüre einer Württembergischen Geschichte aus dem Jahr 1699 (Mörike, Brief an Wilhelm Hartlaub vom 24.10.1846, in: ebd., S. 72-74, hier S. 73), 1848 widmet er <?page no="73"?> „Mit einem Worte, die Hierarchie drückte im Mittelalter die historisch-zivilisierende Kraft des Christenthums aus; aber jetzt möchte man doch des Dankes längst überhoben seyn, daß man durch ihre Hilfe schreiben und lesen lernte, daß sie den Goten Buchstaben gab, sie die Wissenschaft durch Abschriften berühmter Werke erhielt, daß sie die Sitten der alten Deutschen milderte und jene Eichen niederhieb, unter welchen den falschen Göttern Menschenopfer dargebracht wurden. Auf den Grund dieser Dienste, die das Christentum der Welt geleistet hat, sollten noch umfassende Institutionen, wie Hirarchie und Staatskirchen, sich ausdehnen dürfen“ 83 ? Kirche und Staat Neben der Verfeinerung der Sitten, die hier sozusagen im historischen Vollzug zum Ausdruck kommt, stellt sich die Frage, inwiefern der Kirche die institutionelle Organisation von Kultur gestattet ist. Daß sich Gutzkow für dieses Problem interessiert, hat einen aktuellen Anlaß, auf den das Zitat Bezug nimmt; es entstammt seiner Rezension der Streitschrift „Athanasius“ 84 von Joseph Görres, die im Jahr 1838 aus Anlaß der Verhaftung des Kölner Erzbischofs Clemens August Freiherr von Droste zu Vischering entstand. Droste zu Vischering war 1835 zum Erzbischof von Köln ernannt worden und hatte seitdem - so ein zeitgenössisches Votum - „die Gesetze mit Füßen getreten, […] aufs eigenmächtigste die bestehenden Einrichtungen umgestoßen und den Befehlen der Obrigkeit Trotz geboten, hat es dahin gebracht, daß endlich die Ruhe des Staates gefährdet wäre, hätten seine letzten aufregenden Schritte Erfolg gehabt“ 85 . Was hat man unter diesen Vorwürfen zu verstehen, die so schwerwiegend sind, daß sie schließlich zu einer Verhaftung führten? Da diese Vorfälle ein Schlaglicht auf aktuelle Kulturvorstellungen werfen und damit auch Merkmale beleuchten, die in Gutzkows, Stifters, Meinholds und Mörikes Denken eine zentrale Rolle spielen und zeigen, wie repräsentativ sie für ihre Zeit sind, sollen sie hier kurz skizziert werden. Droste zu Vischering machte in seiner Amtszeit immer wieder darauf aufmerksam, daß das Grundübel der Zeit eine zu materialistische und zu wenig 66 Kulturmodelle bei Mörike, Meinhold, Gutzkow und Stifter sich der Lektüre von Leos Universalgeschichte (Mörike, Brief an Wilhelm Hartlaub vom 30.05.1848, in: ebd., S. 253-254, hier S. 253) und einer „Geschichte der ost- und westfränkischen Carolinger“ (Mörike, Brief an Wilhelm Hartlaub vom 18.06. und 14.07.1848, in: ebd., S. 259-261, hier S. 259). Bei Meinhold spricht die Vorliebe für historische Romane für sich selbst. 83 Gutzkow, Die rothe Mütze und die Kapuze, S. 54-55 (Hervorhebungen in der Vorlage). 84 Joseph Görres, Athanasius, 4. Ausgabe, Regensburg 1838; auch die 1. Auflage erschien schon 1838. Ebd., S. 179. 85 Vorläufiges Votum über den im Bericht des Herrn Geheimen Rats Bunsen vom 1. Januar c. entwickelten Plan zur Beendigung der Kölner Angelegenheit, in: Heinrich Schrörs, Die Kölner Wirren (1837), Studien zu ihrer Geschichte, Berlin und Bonn 1927, S. 623-626, hier S. 625 (im folgenden zitiert als: Schrörs, Die Kölner Wirren). <?page no="74"?> religiöse Jugend sei, die zudem durch die „Beweglichkeit im Politischen“ 86 verkommen sei. Dieser Entwicklung, so Droste-Vischering, müsse von der Schule entgegengewirkt werden, was aber nicht geschehe, seitdem die Bildungseinrichtungen säkularisiert und dem Einfluß der Kirche entzogen seien 87 . Er fordert deshalb immer wieder eine starke Kontrolle der Schule durch die Kirche: „Ich möchte so gern recht klar, recht bestimmt, recht zuverlässig wissen, welchen Einfluß die weltlichen Gesetze der geistlichen Obrigkeit gestatten auf die Anstellung und Entsetzung und die Conduite des Lehrpersonals - auf die Conduite der Schüler und Schülerinnen - auf die Wahl der Lehrbücher, und zwar insbesondere auf die Geschichts- und Religionsbücher - auf den Gottesdienst, die Andachtsbücher usw., und zwar in den Schulmeisterseminarien - Kirchenspielschulen - Bürgerschulen - Konvikten, Pensionaten - Gymnasien - Universität“ 88 . Im Rahmen dieser Forderung erklärt sich auch seine Haltung in der Mischehenfrage, in der es darum ging, in welcher Konfession die Kinder aus einer solchen Verbindung erzogen werden sollten, und in der Hermesianismusdebatte. In dieser versuchte Droste zu Vischering Studenten der Theologie daran zu hindern, die liberalen und aufgeklärten Vorstellung des 1831 verstorbenen Bonner Theologen Georg Hermes zu rezipieren. Aus diesem Grund belegte er Professoren der katholisch-theologischen Fakultät der Bonner Universität, die eine staatliche Einrichtung war, mit Vorlesungsverbot, weil sie theologische Inhalte verkündeten, die ihm zu sehr in der Nähe des Hermesianismus standen und nicht genehm waren 89 . Im Grunde lassen sich alle Fäden dieser sogenannten „Kölner Wirren“ auf die Frage der Bildungshoheit zurückführen. Das Problem der gemischten Ehen und die Frage, in welcher Konfession die Kinder aus solchen Ehen erzogen werden sollten, erlebte Mörike einige Jahre später (1851) am eigenen Leib, als er sich mit einer Katholikin verheiraten wollte: Mörike wurde vom Oberkonsistorialrat Karl Heinrich von Stirm darauf aufmerksam gemacht, daß sich zwar keine gesetzlichen Nachteile ergeben würden, wohl aber mit anderen Schwierigkeiten zu rechnen sei 90 . In Mörikes Fall war dieses Thema von besonderer Brisanz, weil er Theologie studiert hatte und als protestantischer Pfarrer in Württemberg tätig gewesen war. Theoretische Kulturreflexionen 67 86 Droste an Altenstein am 22.12.1836, in: Schrörs, Kölner Wirren, S. 610-613, hier S. 612. Diese Zeiteinschätzung Drostes stimmt mit derjenigen Stifters, Mörikes und Gutzkows überein, wenn sie die eigene Zeit als eine revolutionäre Umbruchzeit charakterisieren. 87 Ebd., S. 612. 88 Ebd., S. 612-613 (Hervorhebung der Autorin). 89 Ebd., S. 377-381. 90 Mörike, Brief an Klara Mörike und Margarethe Speeth vom 10.08.1851, in: Mörike, Briefe 1851-1856, S. 58-63, hier S. 58. <?page no="75"?> Mit dem „Kölner Ereignis“ tritt bereits 1838 das zutage, was später, in den Jahren zwischen 1871 und 1878, ein wesentliches Element des sogenannten „Kulturkampfes“ 91 werden sollte: das Verhältnis von Kirche und Staat 92 . Während sich katholische Vertreter wie Görres für eine Verschmelzung von Kirche und Staat aussprechen, fordern Liberale wie Gutzkow eine Trennung. In diesem Zusammenhang ist es nicht unwichtig, darauf hinzuweisen, daß Meinhold, der zeit seines Lebens eine starke Affinität zum Katholizismus hatte und auch meinte, durch eine Rückbesinnung auf ihn könnten die Probleme der Gegenwart gelöst werden 93 , Görres hochschätzte 94 und sich in der Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Staat auf dessen Seite schlug. Meinholds Sohn charakterisiert nach dem Tod seines Vaters dessen Haltung zu diesem Problem: „Mein seliger Vater hatte durch jahrelanges, unermüdliches Studium der Theologie und Geschichte bereits in den letzten Jahren seines Lebens die Einsicht gewonnen, daß nur allein ein Anschluß der protestantischen an die katholische Mutterkirche vermögend sei, die sittlichen und socialen Gebrechen unserer Zeit zu heilen. Als hierzu nun die Ereignisse unserer letzten Tage kamen und er seine Besorgnisse auch in der beabsichtigten Trennung der Kirche vom Staate sich verwirklichen zu sehen glaubte, so reifte in ihm der schon lange mit sich getragene Entschluß: die Notwendigkeit der Vereinigung der protestantischen mit der katholischen Kirche öffentlich auszusprechen“ 95 . 68 Kulturmodelle bei Mörike, Meinhold, Gutzkow und Stifter 91 Günther Hirschmann hat dargestellt, daß der Kulturkampf der Gründerzeit in die historischen Romane zwischen 1859 und 1878 eingegangen ist: Günther Hirschmann, Kulturkampf im historischen Roman der Gründerzeit 1859-1878, München 1978. Seine These spricht für die Vermutung, daß auch in den Romanen zwischen 1830 und 1860 Vorläufer dieses Kulturkampfes thematisiert werden. 92 Bereits den Zeitgenossen war bewußt, daß es vor allen Dingen um diese Problematik ging. Der Oberpräsident der preußischen Rheinprovinz Ernst Freiherr von Bodelschwingh macht Droste zu Vischering bereits 1836 den Vorwurf, er würde keine „Milde und Schonung in der Handhabung der Rechte des Staates “ walten lassen. Schrörs, Die Kölner Wirren, S. 609-610. Besonders ärgerlich war das Verhalten des Erzbischofs für die preußische Regierung deswegen, weil man ihn eingesetzt hatte, da man seine wenig liberale Auffassung kannte und damit das „Vertrauen der katholischen Untertanen zu ihrem evangelischen Könige“ gewinnen wollte; ebd. Vgl. außerdem: Altenstein „vertraulich“ an Bodelschwingh, 12.7.1837, ebd., S. 618-620. Man hatte aber die Möglichkeiten der Regierung scheinbar überschätzt und nicht mit dem Verhalten des Erzbischofs gerechnet. Ein Vergleich zwischen dem Verhalten Gutzkows im Kulturkampf und seinem Benehmen im Zusammenhang mit den „Kölner Wirren“ findet sich bei: Lauster, Moden und Modi des Modernen, S. 91. 93 Meinhold, Einleitung, in: Das Vaticinium Lehninense, S. 4, 105. 94 Ebd., S. 36. 95 Aurel Immanuel Meinhold, Vorrede, in: Der getreue Ritter oder Sigismund Hager von und zu Altensteig und die Reformation, in Briefen an die Gräfin Julia von Oldofredi- Hager in Lemberg, von Wilhelm Meinhold, Regensburg 1852 (= Gesammelte Schriften von Wilhelm Meinhold, Bd. 8), S. III-VI, hier S. III-IV. <?page no="76"?> Warum die Beziehung von Kirche und Staat lange Zeit problematisch bleibt, wird offenbar, wenn man einen Blick zurück auf theoretische Kulturkonzepte der Zeit wirft. Hierbei wird deutlich, daß am Beispiel der „Kölner Wirren“ zwei zentrale Komponenten von Kultur zum Ausdruck kommen, die nicht nur die zeitgenössische Diskussion prägen, sondern auch für das Kulturmodell von Gutzkow, Stifter, Meinhold und Mörike ausschlaggebend sind: Religion ist, neben Gerechtigkeit, Vernunft, Demut, Selbstbeherrschung und Freiheit, ein moralischer Wert, der dem Individuum vermittelt werden muß, um dieses zum Menschen zu machen. Ja, gerade Religion wird in diesem Zusammenhang konstitutiv für den Kulturbegriff 96 , weil sie das Verhältnis des Einzelnen zu einer außer ihm liegenden Größe beinhaltet. Kirche und Staat sind demgegenüber Organisationen, welche die Gemeinschaft gebildet hat, um Kultur institutionell zu verfestigen. Beide treten aber im Zugriff auf das Individuum in Konkurrenz zueinander. In diesem Zusammenhang lassen sich auch Stifters, Gutzkows und Meinholds Reflexionen über die Ehe 97 , Familie 98 und Schule 99 verstehen, die, unterhalb der Ebene von Kirche und Staat, als kulturbildende Institutionen auf das Individuum wirken. Kultur und Geschichte Bezieht man diesen Gedanken auf die Grundtendenzen des Zeitalters, die vor allem auf Zerstörung von Ordnung und damit auch auf Auflösung von Institutionen zielen, wird deutlich, warum Kultur gefährdet ist und warum man verstärkt beginnt, sie zu reflektieren. Dies geschieht vor allen Dingen mit Blick in die Geschichte, welche „die einzige, die größte, die weiseste, aber sehr oft unbeachtete Lehrmeisterin in menschlichen Dingen“ 100 ist. Geschichte vermag einerseits ganz real eine Erklärung für die Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit zu bieten 101 , andererseits kann man auch „der Tradition das Theoretische Kulturreflexionen 69 96 Vgl. hierzu: Martin Greschat, Zur Verhältnisbestimmung von Christentum und Kultur im deutschen Protestantismus am Ausgang des 19. Jahrhunderts, in: Anton Rauscher (Hrsg.), Religiös-kulturelle Bewegungen im deutschen Katholizismus seit 1800, Paderborn u. a. 1986, S. 27-45. 97 Vgl. hierzu: Gutzkow, der in „Sitte und Sitten“, die Ehe als „Institut“ und „vielbedachtes Thema der Zeit“ einschätzt und dann schreibt: „Die Ehe bleibt und ist ein Hebel der Kultur und kann weder von dem freien Weibe St. Simon’s noch von Leila’s spitzfindig sinnlichen Grübeleien untergraben werden“ (Hervorhebung in der Vorlage). Gutzkow, Sitte und Sitten, in: Die Zeitgenossen, Bd. 2, S. 5-124, hier S. 45. 98 Vgl. hierfür: Meinhold, Schlußbetrachtungen, 2. Teil 99 Vgl. hierfür: Stifter, Kirche und Schule, in: Stifters Sämmtliche Werke, Bd. 16; Stifter, Der Staat, in: ebd. 100 Stifter, Zukunft des menschlichen Geschlechts, in: ebd., S. 113-114. 101 Mörike hatte sich im Mai 1848, genau wie in den Jahren zuvor, in die Geschichte zurückgezogen, jedoch mit dem entscheidenden Unterschied, daß ihn jetzt nicht mehr die Anentnehmen, <?page no="77"?> worauf die Gegenwart keine bestimmte Antwort zu geben wußte“ 102 . Daß diese Fähigkeit der Geschichte oftmals ideologisch-demagogisch eingesetzt wurde, ist am Beispiel der „Kölner Wirren“ am deutlichsten geworden: Nicht umsonst wünschte Droste zu Vischering ausdrücklich „auf die Wahl der Lehrbücher, und zwar insbesondere auf die Geschichts- und Religionsbücher“ 103 , Einfluß zu nehmen. Gerade dieser Mißbrauch macht klar, daß die historische Dimension neben der religiösen und der sozialen kulturkonstitutiv ist. Mit anderen Worten: Auch die Geschichte kann bildend auf den Menschen und die Menschheit wirken, weshalb es weder Mörike und Meinhold noch Gutzkow und Stifter 1848 versäumen, auf (utopische ) frühere Kulturstadien zurückzugreifen. In ihnen sollen intakte Institutionen und moralische Größe gezeigt werden, von der alle Autoren glaubten, daß sie zwischen 1830 und 1860 erheblich erschöpft waren. Diese Demonstration sollte dazu dienen, den Menschen „besser und verständiger“ 104 zu machen: „Bei dieser Gelegenheit ist mir ein trauriger Gedanke gekommen, der mich schon öfter heimgesucht hat, und dem ich aber nie recht Raum geben wollte, der Gedanke, ob wir nicht etwa in unseren Sitten und in unserer Verschlimmerung schon so weit gerathen seien, daß wir uns aus eigener Kraft nicht mehr aufschwingen können, sondern daß uns der Eigennutz und die Genußsucht jedes Einzelnen noch mehr in Zertrümmerung und in Auseinanderweichen unserer Zustände bringen wird, bis ein wildes, zahlreiches und barbarisches Volk, das aber seine Kraft neben seiner Rohheit bewahrt hat, und das vielleicht jetzt noch im fernen Asien wohnt, über uns hereinfluthen und uns und unsere Bildung auf viele Jahrhunderte hin verschlingen und die Welt wieder in die Nacht der Unwissenheit und der Rohheit vergraben wird“ 105 . Bemerkenswerterweise sagt Stifter an anderer Stelle, daß die Ursache für die Asiaten, nach Europa zu kommen, die „Rauhigkeit und Unfruchtbarkeit“ ihres Bodens sei 106 . An nochmals anderem Ort heißt es: „Im Ackerbaue sind noch am meisten die gesunden, einfachen Sitten geblieben, wodurch die Men- 70 Kulturmodelle bei Mörike, Meinhold, Gutzkow und Stifter tike interessierte, sondern die jüngste Vergangenheit, aus der er sich Erklärungen für den gegenwärtigen Zustand versprach. Dabei ist es bezeichnend, daß er den fünften Band von Leos „Universalgeschichte“ liest, der mit der Französischen Revolution beginnt. Mörike, Brief an Wilhelm Hartlaub vom 30.05.1848, in: Mörike, Briefe 1846-1850, S. 253-254, hier S. 253. 102 Gutzkow, Sitte und Sitten, in: Die Zeitgenossen, Bd. 2, S. 61. 103 Droste an Altenstein am 22.12.1836, in: Schrörs, Die Kölner Wirren, S. 610-613, hier S. 613. 104 Stifter, Brief an Joseph Ranzoni vom 20. 03.1850, in: Adalbert Stifters Sämmtliche Werke, Bd. 22, Briefwechsel, Bd. 6, hrsg. von Gustav Wilhelm, Reichenberg 1931, S. 212-213, hier S. 212 (im folgenden zitiert als: Stifter, Briefwechsel 6). 105 Stifter, Die Zukunft des menschlichen Geschlechts, in: Stifters Sämmtliche Werke, Bd. 16, S. 113. 106 Stifter, Vergleichung unserer Lage mit der des alten Römerreiches, in: ebd., S. 118. <?page no="78"?> schen glücklich werden und den Staat fest und dauernd machen“ 107 . Liest man diese beiden Bemerkungen in dem Bewußtsein, daß eine der ursprünglich zentralen Bedeutungen von „Kultur“ der Bereich der „auf die Natur gerichtete Aktivität des Menschen“ 108 , also der Bereich der Landwirtschaft und des Ackerbaus war, so wird spätestens an dieser Stelle deutlich, daß sich Stifters Kulturkonzept aus dieser Tradition speist und daß seine hier angeführten Überlegungen tatsächlich Kulturbetrachtungen im ursprünglichen Sinne des Wortes sind. Ähnlich wie Stifter sieht auch Gutzkow die Gefahr für die gegenwärtige degenerierte Kultur aus Asien beziehungsweise aus dem Orient heraufkommen 109 . Auch bei Gutzkow wird Geschichte mit Bezug auf die Herdersche Geschichtsphilosophie zu einer Abfolge kultureller Blüte- und Verfallszeiten 110 . Darüber hinaus aber sind „Kultur“ und „Barbarei“ zwei Größen, die nicht nur in einem geordneten, linearen Geschichtsbild auftreten, sondern die durch die Zeiten hindurchgehen, so daß Kultur auch in barbarischen Zeiten auftreten kann und umgekehrt 111 : Meinhold spricht in diesem Zusammenhang vom „modernen Kultur-Wilde[n]“ 112 , der ein Typus der Gegenwart ist und der sich - trotz seiner kulturellen Verfeinerung - durch barbarisches Benehmen auszeichnet. Die Vorstellung, daß sich sowohl Barbarei und Kultur als auch alte und neue Zeiten durchdringen können, zeigt sich deutlich bei Mörike. Gerade in seiner Kulturvorstellung spielt der Aspekt des Gedenkens und Erinnerns eine zentrale Rolle. Das zeigt die Tatsache, daß er den Begriff „Cultus“, den er sonst wenig verwendet, einmal in diesem Zusammenhang anbringt 113 . Bei ihm bildet sich selbst durch die intensive Beschäftigung mit der Antike 114 kein dif- Theoretische Kulturreflexionen 71 107 Stifter, Ueber unsere gegenwärtige Lage (Fortsetzung), in: ebd., S. 123. 108 Fisch, Zivilisation, Kultur, S. 684. 109 Vgl. hierzu: Gutzkow, Mehmed Ali von Ägypten, in: Oeffentliche Charaktere, 1. Theil, S. 90. 110 Gutzkow, Zur Philosophie der Geschichte, S. 34. 111 Ebd., S. 37. 112 Meinhold, Schlußbetrachtungen, 2. Teil, S. 312. 113 Mörike, Brief an Wilhelm Hartlaub vom 29.05.1840, in: Eduard Mörike, Briefe 1839- 1841, hrsg. von Hans-Ulrich Simon, Stuttgart 1988 (= Werke und Briefe, Historisch- Kritische Gesamtausgabe hrsg. von Hans Henrik Krummacher/ Herbert Meyer/ Bernhard Zeller, Bd. 13), S. 98-101, hier S. 99 (im folgenden zitiert als: Mörike, Briefe 1839-1841). Hierbei handelt es sich um rituelles Erinnern, das sich bei Mörike mit Sicherheit aus seinem theologischen Studium herleitet und seine Art ist, gegen eine sich auflösende Ordnung vorzugehen. Deshalb ist es auch so erwähnenswert, daß er 1848 die Zerstörung von Archiven anprangert. Vgl. S. 51 Anm. 14. Zum rituellen Erinnern vgl.: Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, München 1992, S. 15, 17, 21. 114 Schon früher hatte sich Mörikes Interesse an der Antike manifestiert, als er Übersetzungen anfertigte; seine Beschäftigung mit Griechenland schlägt sich auch im „Maler Nolten“ <?page no="79"?> ferenziertes geschichtliches Denken aus; vielmehr operiert er mit dem schlagwortartigen Gegensatz von „alten Herrlichkeiten“ und „moderner Afterwelt“ 115 , der in der Tradition der „Querelles“ 116 steht und der keine historische Distanz kennt, vielmehr das Vergangene dem Menschen einverleibt und ihm 72 Kulturmodelle bei Mörike, Meinhold, Gutzkow und Stifter nieder, denn Mörike stellt eine Verbindung zwischen Orplid und Griechenland her. Zur Bedeutung der Antike im Denken Mörikes vgl.: Helmut Koopmann, Eduard Mörike, Erinnerungskunst und Utopie, in: Anita Bunyan/ Helmut Koopmann (Hrsg.), Kulturkritik, Erinnerungskunst und Utopie nach 1848, Deutsche Literatur und Kultur vom Nachmärz bis zur Gründerzeit in europäischer Perspektive II, Bielefeld 2003, S. 229-248. 115 Mörike, Brief an Wilhelm Hartlaub vom 13.03.1840, in: Mörike, Briefe 1839-1841, S. 87-88, hier S. 87. 116 Im ausgehenden 17. Jahrhundert wurde von Perrault, Bayle, Madame Dacier, Du Bos und anderen ein Disput über die Frage geführt, ob der antiken oder der zeitgenössischen Dichtung unter Ludwig XIV. der Vorzug zu geben sei. Einen Höhepunkt erreichte dieser Streit in einem Brief Fénelons an die Académie Française, der den Titel „Réflexions sur la Grammaire, la Rhétorique, la Poetique et l’Histoire ou Memoire sur les Traveaux de l’Academie françoise“ (Fénelon, Lettre á l’academie, publieé par Albert Cahen, Lettre sur les Occupations de l’Academie Française, publieé par E. Despois, Genève 1970; vgl. außerdem: Fénelon, Œvres Complètes, Précédées de son Histoire Littéraire, publieé par M. Gosselin, Tome VI, Genève 1971. La Motte, De l’Academie Française, S. 649-657, insbes. S. 651-656). Fénelon vertrat in diesem Brief die Ansicht, daß die Griechen und Römer den zeitgenössischen Dichtern uneingeschränkt als Vorbild dienen könnten. Man einigte sich dann darauf, daß es kein überzeitlich Schönes, sondern nur etwas historisch-relativ Schönes gäbe. In der Mitte und vor allem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde dieser Streit in Deutschland aufgenommen, wobei Herder, Schiller und Friedrich Schlegel bezeichnenderweise in unsicheren Zeiten auf dieses Thema zurückgreifen, so daß diese Frage zu einem Charakteristikum von Übergangszeiten wurde. Zur Vorgeschichte der Querelles und zur Rezeption im Deutschland des 18. Jahrhunderts vgl.: Thomas Pago, Gottsched und die Rezeption der Querelle des Anciens et des Modernes in Deutschland, Frankfurt/ Main u. a. 1989 (im folgenden zitiert als: Pago, Gottsched und die Rezeption der Querelle des Anciens et des Modernes); Hans Robert Jauß, Schlegels und Schillers Replik auf die ‚Querelle des Anciens et des Modernes‘, in: Hans Robert Jauß, Literaturgeschichte als Provokation, Frankfurt/ Main 1970, S. 67-106, v. a. S. 70-75; Ralph Häfner, Stifters Geschichtsentwurf im Nachsommer - eine Replik auf die Querelle des Anciens et des Modernes? , in: VASILO 40 (1991), S. 6-29 (im folgenden zitiert als: Häfner, Stifters Geschichtsentwurf im Nachsommer). Interessanterweise geht es auch darum, daß die gegenwärtige Dichtung im Vergleich zur antiken verfallen sei. Pago spricht in diesem Zusammenhang von der „Dekadenz-These“. Pago, Gottsched und die Rezeption der Querelle des Anciens et des Modernes, S. 34-47. Weiterhin weist Pago darauf hin, daß das Geschichtsmodell der Anciens eine Kombination aus zyklischem und linearem Geschichtsbild sei (ebd., S. 39-42). Auch in der deutschen Querelle findet sich der Gedanke der nachlassenden Naturkräfte (ebd., S. 43). „Unter Verwendung der ebenfalls sehr beliebten Ackerbau-Metapher bestreitet Kortholt in einer Dissertation über antike Dichtung zwar die Theorie von der völligen Erschöpfung der Natur, gesteht aber einen Wechsel von Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit, auch bei der Verteilung poetischer Begabung zu […]“. (Ebd., S. 44). <?page no="80"?> so gegenwärtig macht. Mörike befindet sich hier im Gefolge Kants und Schillers, die den Austritt des Menschen aus dem Paradies als den Weg vom Tier zum Menschen definieren, nicht zuletzt wegen der ersten Zeiterfahrungen, die der Mensch auf diesem Weg macht 117 . Vergangenheit ist also nicht nur eine Lehrmeisterin, die moralische Handlungsanweisungen geben kann, sondern Geschichte selbst wird zu einem genuinen Merkmal dessen, was den Mensch zum Menschen macht, also von Kultur 118 . Gutzkow bescheinigt der Geschichte denn auch expressis verbis einen anthropologischen Aspekt 119 . Kultur und Natur Da Kultur und Barbarei nicht mehr ausschließlich historisch zu verorten sind, wird wieder auf den alten Gegensatz von Kultur und Natur verwiesen. Es ist daher durchaus beabsichtigt, wenn Gutzkow in seinem kultur- und zivilisationskritischen Aufsatz „Der Mensch des 19. Jahrhunderts“ einen Gegensatz zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert aufbaut, der gleichzeitig einer zwischen Kultur und Natur ist: Das, was im 18. Jahrhundert mit Natur bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit ein positiv besetzter Kulturzustand, während das, was im 19. Jahrhundert unter Kultur verstanden wird, eigentlich negativ bewertete Natur ist, nämlich Roheit, Wildheit und Barbarei. Ist die Natur im 18. Jahrhundert noch „einfach“ und „still“, so wird sie im 19. „zerpflückt“ und „raffiniert“; man kommt nur noch aus Genußsucht in sie zurück, um sie zu verbrauchen 120 . Die Beschreibung dieses Mißbrauchs findet sich auch bei Stifter, für den der Umgang mit der Natur eigentlich dazu dient, daß das religiöse Gefühl zu einer bedeutenden Höhe gebracht werden kann 121 und damit natürlich auch der kulturelle Stand: „Meine theure Freundin, die mich so oft erfreut, getröstet, geliebt hat, die Natur, auch diese hat ihr Antliz geändert, seit man weiß, daß Menschen in ihr herum gehen, die so sind, wie sie sind“ 122 . Negative Komponenten hatte Stifter spätestens 1848 in sein Menschenbild integriert, weshalb der Mißbrauch der Natur für ihn auch eines der Grundübel seiner Zeit ist. Ähnlich wie Schiller, Mendelssohn, Herder und Daniel Jenisch im ausgehenden 18. Jahrhundert Kultur nicht mehr ausschließlich positiv beurteilten, geschieht das jetzt auch durch Stifter, Gutzkow, Meinhold und Mö- Theoretische Kulturreflexionen 73 117 Kant, Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte, S. 333. 118 Stifter, Wirkungen der Schule, in: Stifters Sämmtliche Werke, Bd. 16, S. 143-144. 119 Gutzkow, Zur Philosophie der Geschichte, S. 19. 120 Gutzkow, Der Mensch des 19. Jahrhundert, in: Säkularbilder, 1. Theil, S. 22. 121 Stifter, Brief an Gustav Heckenast vom 12.05.1858, in: Briefwechsel 3, S. 110-116, hier S. 111. 122 Stifter, Brief an Joseph Türck vom 26.04.1849, in: Stifter, Briefwechsel 2, S. 1-2, hier S. 1. <?page no="81"?> rike. Natur wird abermals zum Gegenbild von Kultur; wiederum wird sie entweder als Barbarei negativ beurteilt oder tritt als positives Gegenbild zu einer überfeinerten Kultur auf. Es zeigt sich also, daß die Überlegungen zu Kultur von Stifter, Gutzkow, Meinhold und Mörike erheblich durch die Kulturdiskussion der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts geprägt sind. Wie im 18. Jahrhundert sind ihre Gedanken durch die anthropologische Grundfrage nach den conditiones humanae initiiert. Zu deren Beantwortung werden Verfassungs- und Staatsreflexionen, Erziehung, Religion sowie ein historischer Entwicklungsgedanke herangezogen, der schließlich zu der kritischen Frage nach der Bewertung von Natur und Kultur führt, die sich aus der Einschätzung der eigenen Gegenwart ergibt. Da sich alle Autoren mit der zeitgenössischen Kulturdiskussion beschäftigen, steht zu vermuten, daß diese Auseinandersetzung auch Eingang in ihre fiktionalen Texte gefunden hat. Diese Feststellung ist nicht zuletzt deswegen naheliegend, weil es von oder über die genannten Erzähler einige romantheoretische Äußerungen gibt, die in diese Richtung weisen. Gemeinsam ist Stifter, Gutzkow, Meinhold und Mörike, daß in ihren Romanen durchaus Kultur beziehungsweise die kulturkonstituierenden Elemente eine wesentliche Rolle spielen. Auch hier ist es in erster Linie das Vorbild des 18. Jahrhunderts, das Stifter und Mörike genauso wie Gutzkow und Meinhold zu romantheoretischen Überlegungen anregt: So spricht Meinhold davon, daß der Roman das moderne Epos sei 123 . Daß Stifter im (historischen) Roman einen legitimen Nachfolger des Epos sah und ihn außerdem als geeignetes Gefäß für Kulturbetrachtungen auffaßte, ist bereits erläutert worden 124 . Damit ist bei den ausgewählten Autoren auch auf formaler Ebene die Frage nach dem Verhältnis des Einzelnen zur Allgemeinheit gestellt, die inhaltlich zentral für ihre Kulturbetrachtungen war. Den epischen Charakter der Zeit und damit den Roman als die geeignete Form ihrer Darstellung hat auch Gutzkow erkannt: „Das Schauspiel unserer Tage hat sich vor überreicher Handlung in ein Epos verwandelt, so daß der Historiker weniger Epochen als Zustände zu schildern hat, breite Dimensionen, breite Antworten nicht mehr auf die Frage: Was geschah? Sondern: Wie wurde gelebt“ 125 ? Abgesehen davon, daß mit der Frage nach dem „Wie“ des Lebens tatsächlich ein moderner kulturgeschichtlicher Ansatz anklingt, ist dies abermals der Hinweis auf die besondere Eignung der Gegenwart, diese Frage überzeugend 74 Kulturmodelle bei Mörike, Meinhold, Gutzkow und Stifter 123 Meinhold, Vorrede, in: Sidonia von Bork, S. XV. 124 Stifter, Brief an Gustav Heckenast vom 08.06.1861, in: Briefwechsel 3, S. 281-287, hier S. 282. 125 Gutzkow, Oeffentliche Charaktere, 1. Theil, S. 115 (Hervorhebung in der Vorlage); zum Begriff „Zustand“ vgl. auch S. 58 Anm. 47-49. <?page no="82"?> zu beantworten, weil die eigene Zeit nicht als Epoche, sondern vielmehr als Zustand erlebt wird. Es ist auch nur auf den ersten Blick ein Widerspruch, wenn Mörike von „Maler Nolten“ behauptet, er sei kein ästhetischer und lebensphilosophischer Roman nach Art des „Wilhelm Meister“, da das Hauptgewicht nicht auf Betrachtungen liege, sondern auf der Geschichte 126 . Vielmehr hat die Einschätzung von David Friedrich Strauß, daß es Mörikes spezielle Stärke sei, das ihm bekannte Menschliche in der Form des modernen Romans darzustellen 127 , besonderes Gewicht. Auch Strauß reflektiert den Roman im Vergleich mit dem Epos, wobei er - in bewußter Opposition zu Vischer - im modernen Roman den legitimen Nachfolger des antiken Epos respektiert 128 . Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß er in seiner Äußerung über Mörikes Begabung den modernen Roman durchaus als geeignetes Mittel für die Darstellung menschlicher und damit kultureller Inhalte ansieht. Damit bekommen die Romane „Maler Nolten“, „Die Bernsteinhexe“, „Die Ritter vom Geiste“ und „Der Nachsommer“ bei aller Uneinigkeit, die über den Rang und die Stellung der Gattung Roman herrscht, zumindest eine verbindliche Aufgabe, nämlich die Beschäftigung mit Kultur. So wird an dieser Stelle abermals deutlich, daß sich der Begriff des „Kulturromans“ vor allem dann anbietet, wenn es darum geht, die Eigentümlichkeit des deutschen Romans zwischen 1830 und 1860 zu beschreiben. Wie sieht aber die Auseinandersetzung mit Kultur in den Romanen aus? Welche Merkmale von Kultur werden in ihnen aufgegriffen und welche Funktionen werden ihnen zugeordnet? Was kann anhand dieser Kategorisierung über den Typus „Kulturroman“, seinen Inhalt und seinen Aufbau gesagt werden? Theoretische Kulturreflexionen 75 126 Mörike, Brief an Friedrich Theodor Vischer vom 03.11.1830, in: Mörike, Briefe 1829- 1832, S. 154-157, hier S. 155-156. 127 Mörike, Brief an Wilhelm Hartlaub vom 27.02.1843, in: Mörike, Briefe 1842-1845, S. 89-100, hier S. 91. 128 Vgl. hierzu die entsprechenden Stellen im Briefwechsel zwischen Vischer und Strauß. Auch Strauß sah im Roman die Möglichkeit des „unerlaubten Übersprung[s] ins Subjektive“. Brief an Vischer vom 04.01.1842, in: Briefwechsel zwischen Strauß und Vischer, in 2 Bdn. hrsg. von Adolf Rapp, Bd. 1, 1836-1851, Stuttgart 1952, S. 107-108, hier S. 107. Der Roman ist die geeignete Form des Modernen. Strauß an Vischer am 07.02.1842, S. 111-112, hier S. 111: „Ist denn der Roman nicht ganz legitim für die moderne Zeit an die Stelle des Epos getreten, und steht er nicht dem Drama ebenbürtig zur Seite“? <?page no="83"?> IV. D  K  - S  T    S  Die Kulturmodelle, die in den Romanen entwickelt werden, basieren weder auf unspezifischen Konzepten, die im Zweifelsfalle auch als Entwicklungs-, Bildungs-, Aufklärungs- oder Humanitätsentwürfe 1 gelten könnten, noch beschränken sie sich auf die bloße Darstellung von alltäglichen Lebensverhältnissen 2 , die das ethnographische Erzählen ausschließlich ausmacht 3 . Daß es sich hierbei um Kulturmodelle im eigentlichen (Wort-)Sinne handelt, wird spätestens dann klar, wenn man berücksichtigt, daß in den Romanen die buchstäbliche Bedeutungen des Begriffs eine zentrale Rolle spielt: In allen ausgewählten Texten tritt Kultur als „Pflege und Vervollkommnung eines derselben fähigen Objekts, z. B. K[ultur] des Bodens […]“ 4 auf. Die Ursprünge „aus dem Latein[ischen] Cultura und Französ[ischen] Culture, welche zunächst den Feldbau bedeuten“ 5 , werden durchgehend anschaulich in direkte Bilder umgesetzt, die sich leitmotivisch durch die Dichtungen ziehen, mit jedem der abstrakten kulturkonstituierenden Elemente in Verbindung stehen und so zu einem ästhetischen Strukturmerkmal des Kulturromans werden. Damit lehnen sich alle vier Romane tatsächlich an das Vorbild „Wilhelm Meistes Wanderjahre“ an, der zwar fälschlicherwie herkömmlicherweise als Bildungsro- 1 Zu den generellen Schwierigkeiten, „Entwicklung“, „Bildung“, „Aufklärung“, „Humanität“ und „Kultur“ im 18. und 19. Jahrhundert voneinander abzugrenzen, vgl. Kapitel II. 2 Zu diesem ausschließlichen Gebrauch von Kultur vgl. vor allen Dingen die moderne, wissenschaftliche und volkskundliche Verwendung, die auch den Zeitgenossen nicht unbekannt war. Vgl. hierzu S. 38. Auch die Sekundärliteratur, die sich ausdrücklich um kulturgeschichtliche Themen in den Romanen bemüht, versteht den Terminus im Sinne von „Literatur- und Zeitgeschichte“. Vgl. hierzu beispielsweise: Irene Schüpfer, „Es war, als könnte man gar nicht reden“, Die Kommunikation als Spiegel von Zeit und Kulturgeschichte in Eduard Mörikes Maler Nolten, Frankfurt/ Main u. a. 1996 (= Studien zur Deutschen und Europäischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, Bd. 32), S. 16-18. Daß beide Bereiche vielmehr zusammengehören, ist bereits an entsprechender Stelle ausgeführt worden. Vgl. S. 38. 3 Vgl. hierzu: Anselm Maler/ Sabine Schott (Hrsg.), Galerie der Welt, Ethnographisches Erzählen im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1988. 4 Meyers Konversations-Lexikon, Eine Encyklopädie des allgemeinen Wissens, 3., gänzlich umgearbeitete Aufl., Bd. 10, Leipzig 1877, S. 436. 5 Adelung, Cultur. Stellt man allein diese beiden Lexikoneinträge nebeneinander, so wird deutlich, daß die unmittelbare Definition von Kultur tatsächlich vom ausgehenden 18. bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert nahezu unverändert geblieben ist. Der Kulturroman Themen und Struktur des Kulturromans <?page no="84"?> man klassifiziert wird, für den aber vielmehr der metaphorische Bereich der Ökonomie der zentrale Zugang zu allen weiteren Kulturreflexionen und damit das eigentlich gattungsbestimmende Merkmal ist 6 . Die Verwendung des landwirtschaftlichen Bildbereichs im Kulturroman der Märzjahre hängt nicht zuletzt auch mit der zeitgenössischen Debatte 7 über Möglichkeiten und Grenzen des menschlichen Eingriffs in die Natur zusammen: Mit der beginnenden Industrialisierung war es notwendig geworden, die Feld- und Waldbestellung neu zu organisieren, was von den Zeitgenossen kontrovers diskutiert wurde, denn nicht alle Maßnahmen, wie beispielsweise die Waldrodung, die in einer bis dahin nicht bekannten Perfektion betrieben wurde, wurden positiv bewertet. Vor diesem Hintergrund schreibt Stifter 1861 rückblickend über den „Nachsommer“: „Ich dichtete einen alten Mann, der die höchsten Staatswürden bekleidete und in der Geschichte seiner Zeit mitgewirkt hatte, und endlich all die Ehren und Vortheile, die solchen Dingen ankleben, als Plunder wegwarf und auf dem freien Lande der Kunst, der Wissenschaft […] und dem ältesten und heiligsten stofflichen Treiben, dem Landbau lebte“ 8 . Im Gebrauch dieses Bildbereiches läßt sich, ähnlich wie in den theoretischen Kulturüberlegungen der Autoren, eine Entwicklung feststellen, die das Jahr 1848 als Einschnitt erkennbar macht 9 . „Der Nachsommer“ und „Die Ritter vom Geiste“, jene beiden Romane, die mit direktem Bezug auf die Märzereignisse konzipiert wurden, behandeln das Thema wesentlich deutlicher, unmißverständlicher und mit positiverem Akzent als „Die Bernsteinhexe“ und „Maler Nolten“. Daß hingegen die Romane von Meinhold und Mörike sich ebenfalls dieser Metaphorik bedienen, rührt nicht zuletzt daher, daß bereits Themen und Struktur des Kulturromans 77 6 Vgl. hierzu Kap. I. 7 Vgl. hierzu: Jost Hermand, „Erst die Bäume, dann wir! “, Proteste gegen das Abholzen der deutschen Wälder 1780-1950, in: Ders. (Hrsg.), Mit den Bäumen sterben die Menschen, Zur Kulturgeschichte der Ökologie, Köln, Weimar, Wien 1993, S. 1-23. 8 Stifter, Brief an Edmund Hoefer vom 15.10.1861, in: Adalbert Stifters Sämmtliche Werke, Bd. 20, Briefwechsel Bd. 4, mit Benutzung der Vorarbeiten von Adalbert Horcicka hrsg. von Gustav Wilhelm, Prag 1925, S. 12-14, hier S. 13 (Hervorhebung der Autorin; im folgenden zitiert als: Stifter, Briefwechsel 4). Hier werden die zwei wörtlichen Bedeutungen von Kultur, die Kultivierung des Bodens und die religiöse Komponente des Begriffes „Kultus“, zueinander in Verbindung gesetzt. 9 Zwar wurde die gesamte Zeit von 1830 bis 1860 als eine Epoche der extremen Unsicherheit erfahren, in der Revolutionen nicht so sehr als tatsächliche Ereignisse verstanden wurden, sondern vielmehr zur Chiffre für eben diese Unsicherheiten geworden waren. Vgl. hierzu Kapitel II und III. Trotzdem verändern ganz praktisch die wirklichen Ereignisse von 1848 die Einstellung zu Kultur, weil durch sie zu viele Werte, welche die Zeitgenossen als konstituierend für Kultur ansahen, bedroht wurden. Diese Auswirkungen lassen sich bereits im Anschluß an das Jahr 1789 feststellen. Vgl. hierzu S. 40-43 . <?page no="85"?> seit 1830 revolutionäre Geschehnisse nicht nur als realhistorische Ereignisse wahrgenommen, sondern schnell zur Chiffre für Unordnung und Chaos schlechthin wurden. Da aber gerade das Bild der Bodenbestellung und -pflege - wie kaum ein zweites - Sicherheit und Ordnung repräsentiert 10 , liegt eine Veränderung in der Verwendung dieser Metapher bei Mörike und Meinhold einerseits und Gutzkow und Stifter andererseits nahe. Diese Modifikation entspricht im wesentlichen der kontroversen Naturauffassung, die bereits hinter den theoretischen Äußerungen zu Kultur sichtbar wurde und die Natur einmal als Barbarei, das andere Mal als positiv besetzte Größe versteht. So steht ganz am Anfang von Heinrich Drendorfs autodidaktischen Bemühungen physiokratisches Interesse 11 ; und auch die Entwicklung von Kunst und Wissenschaft, die Kultur in einem engeren Sinne darstellt, wird in direkten Zusammenhang mit dem Ackerbau gestellt: „Wer weiß, ob die heißen Länder nicht so dünn bevölkert sind, und das Wissen und die Kunst nicht so tragen, wie die kälteren, weil sie kein Getreide haben“ 12 . 78 Der Kulturroman 10 Daß der Ackerbau tatsächlich im Denken der Zeitgenossen in enger Verbindung mit Sicherheit und Ordnung stand, ja schon fast zur Metapher hierfür wurde, geht aus der folgenden Äußerung von Carl von Rotteck hervor, die in der Einleitung zu seiner „Allgemeinen Weltgeschichte“ von 1831 zu finden ist: „Die Beschäftigung der Völker wirkt auch bedeutend auf ihre bürgerliche Verfassung ein. Das wilde Jagd- und unstäte Nomadenleben neigen [sic! ] zur Gesetzlosigkeit und Ungebundenheit hin; Ackerbau und Handel zu festem Rechtsverhältnis und bürgerlicher Ordnung“ (Hervorhebung in der Vorlage): Carl von Rotteck, Einleitung, in: Allgemeine Weltgeschichte für alle Stände, von den frühesten Zeiten bis zum Jahre 1831, mit Zugrundelegung seines größeren Werkes, bearbeitet und hrsg. von Dr. Carl von Rotteck, Hofrath und Professor in Freiburg, Bd. 1, Alte Welt, Stuttgart 1831, S. 5-42, hier S. 24 (im folgenden zitiert als: Rotteck, Einleitung). Daß die Einleitung schon 1831 verfaßt wurde, spricht wiederum für die Annahme, daß tatsächlich die gesamte Zeit von 1830 bis 1860 als eine Epoche anzusehen ist, in der Kulturbetrachtungen aufgrund der allgemeinen Unsicherheit der Verhältnisse hoch im Kurs waren. 11 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 30. Daß die Bedeutung der Bodenkultivierung für Stifters Werk überhaupt zentral ist, wird anhand der vielen Novellen ersichtlich, die sich ebenfalls mit diesem Thema beschäftigen. Vgl. beispielsweise: „Brigitta“, „Die Mappe meines Urgroßvaters“, „Die Narrenburg“ oder „Zwei Schwestern“. Zur Bedeutung der Bereiche Roden, Bauen und Kultivieren in Stifters Werk: Peter A. Schoenborn, Adalbert Stifter, Sein Leben und Werk, Bern 1992, S. 235-353, besonders S. 237-255. Darüber hinaus ist in der Forschung darauf aufmerksam gemacht worden, daß physiokratische Grundsätze auch der Erziehung Heinrichs zugrunde liegen. Dieter Borchmeyer, Ideologie der Familie und ästhetische Gesellschaftskritik in Stifters Nachsommer, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 99 (1980), S. 226-254, hier S. 232-233 (im folgenden zitiert als: Borchmeyer, Ideologie der Familie). 12 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 70. Die Verknüpfung von Kultur, Nation und Klima geht auf Herders „Briefe zu Beförderung der Humanität“ zurück und ist eine gängige Vorstellung aus der Aufklärung und dem frühen 19. Jahrhundert über den Beginn von Zivilisation. Bei Herder heißt es mit Blick auf die Nationalbildung: „Nun so <?page no="86"?> Die Betrachtung von fruchtbaren Feldern, deren Ertrag bis zu einem Maximum gesteigert ist, zieht sich dann auch durch den ganzen Roman 13 . Die Gewißheit, daß auf diese Weise die Lebensgrundlage gesichert ist, vermittelt den Eindruck eines Daseins, das sich durch Sicherheit und Ordnung auszeichnet. Beide Größen sind für alle anderen Lebensbereiche, die im „Nachsommer“ angesprochen werden, ebenfalls von besonderer Wichtigkeit, so daß die Vermutung naheliegt, daß Kultur Sicherheit und Ordnung garantiert (ja geradezu damit gleichzusetzen ist), ihr Verlust hingegen Gefahr und Chaos mit sich bringt. Ähnliches gilt für „Die Ritter vom Geiste“. Hier ist, vor allen anderen, die Figur mit dem sprechenden Namen Rodewald zu nennen, die auch unter dem Pseudonym Ackermann 14 auftritt. Rodewald führt nicht nur aus Amerika neue landwirtschaftliche Praktiken und Mittel ein wie zum Beispiel die „Agri- Themen und Struktur des Kulturromans 79 ist es denn auch wahr, daß das Mittel, welches die Menschen vereiniget, um sie durch diese Vereinigung ihres Glücks zu versichern, die Menschen zugleich trennet. Tritt einen Schritt weiter. Viele von den kleinen Staaten würden ein ganz verschiedenes Klima, folglich ganz verschiedene Bedürfniße und Befriedigungen, folglich ganz verschiedene Gewohnheiten und Sitten, folglich ganz verschiedene Sittenlehren, folglich ganz verschiedene Religionen haben“. Herder, Briefe zu Beförderung der Humanität, Zweite Sammlung, S. 134-135; vgl. außerdem: Herder, Briefe zu Beförderung der Humanität, Dritte Sammlung, S. 123-124; Herder, Briefe zu Beförderung der Humanität, Vierte Sammlung, S. 34; Herder, Briefe zu Beförderung der Humanität, Fünfte Sammlung, S. 128-129. 13 Aus diesem Grund hat man den „Nachsommer“ als ersten „ökologischen Roman“ bezeichnet: Christian Begemann, Adalbert Stifter, Der Nachsommer, in: Dorothea Klein/ Sabine M. Schneider (Hrsg.), Lektüren für das 21. Jahrhundert, Würzburg 2000, S. 203-225, hier S. 204 (im folgenden zitiert als: Begemann, Adalbert Stifter, Der Nachsommer). Zu den landwirtschaftlichen Methoden, die im „Nachsommer“ angewendet werden, vgl. auch: Gabriele Stumpp, Müßige Helden, Studien zum Müßiggang in Tiecks „William Lovell“, Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“, Kellers „Grünem Heinrich“ und Stifters „Nachsommer“, Stuttgart 1992, S. 197-199. Der Zusammenhang von Kultur und Landwirtschaft als zentralem Bereich des „Nachsommer“ ist auch diskutiert bei: Christian Hoffmann, Die Liebesanschauung in Stifters „Nachsommer“, Linz 1993 (= Schriftenreihe des Adalbert-Stifter-Institutes des Landes Oberösterreich, Folge 38), S. 78-79. Auf die unmittelbare Kulturthematik im „Nachsommer“ macht Dieter Borchmeyer aufmerksam: Dieter Borchmeyer, Stifters Nachsommer - eine restaurative Utopie? , in: Poetica 12 (1980), S. 59-82, hier S. 65-66. 14 Die Bedeutung der Namen wird im Roman selber eingehend kommentiert. In bezug auf Rodewald heißt es: „Noch fiel ihm [Siegbert] ein, daß er ganz klein war, als sein Vater einmal gesagt hatte, als von des Onkels Wanderungen die Rede war: Nach Amerika soll Rodewald ziehen! Da mag er Wälder roden! Dies Wortspiel hatte sich ihm tief eingeprägt […]“. Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 1018. Der Name Ackermann wird mit Schlichtheit in Verbindung gebracht. Ebd., S. 613. Darüber hinaus wird gerade das Lebensschicksal Rodewalds intensiv und auch auf metaphorischer Ebene mit Kultivierung von Natur verbunden. Ebd., S. 3243. <?page no="87"?> kulturchemie“ 15 , sondern er untermauert dieses auch ideologisch 16 ; darüber hinaus ist er eine der wenigen Personen, die positiv gezeichnet werden und eine moralische Vorbildfunktion 17 sowie die Stellung des ruhenden Pols inmitten der mehrfach verwirrten und oftmals verwirrenden Romanhandlung einnehmen. Im übertragenen Sinne wird das Bild des Ackerbaus an einer strukturell wie inhaltlich entscheidenden Stelle gebraucht. Als es um die Konstituierung des Geheimbundes geht, wird eine „Weiherede“ gehalten, die Organisation und Symbole sowie Absichten und Ziele der „Ritter vom Geiste“ vorstellt. Bezeichnenderweise heißt es dort: „Aus solcher Grundlage, aus so geackertem, gesätem Boden muß eine gute Frucht hervorgehen“ 18 . Da diese geheime Vereinigung auch als stabiler Gegenentwurf zu einem auf tönernen Füßen stehenden Staat verstanden wird, werden in diesem Roman ebenfalls gleich in mehrfacher Hinsicht dem Gegenstand „Feldbestellung“ Sicherheit und Ordnung zugewiesen. „Die Bernsteinhexe“ hingegen und ganz besonders „Maler Nolten“, beide vor 1848 entstanden, verwenden zwar auch das Bild des Ackerbaus, aber in zurückhaltender Weise und nicht mehr eindeutig positiv konnotiert. So ist in der „Bernsteinhexe“ so wenig von Schutzräumen und einem verbindlichen Regelsystem die Rede wie von üppigen Getreidefeldern. Vielmehr wird die barbarische Verwüstung der Äcker durch marodierende Soldaten, werden die daraus resultierenden unmenschlichen Folgen beschrieben 19 . Das Feld des Pfarrers Schweidler wird in unmittelbare Beziehung zu einer Hungersnot während des Dreißigjährigen Krieges gesetzt 20 und seine Vernichtung mit dem Einfluß teuflischer Gewalten in Zusammenhang gebracht: 80 Der Kulturroman 15 Ebd., S. 2400. 16 So lautet beispielsweise eine Rede Ackermanns folgendermaßen: „Geschwärmt! Geschwärmt! Über Kartoffelbau nach unserer [der amerikanischen] Art, Rüben, Ölpflanzen, Dresch-, Säe-, Egge-Maschinen hab’ ich geschwärmt! Überall sah ich meinen neuen Pflug durch die Erde gehen, sah, wie die Bauern ringsherum staunen werden, wenn ich Taback baue von virginischem Samen, sah Felder mit Runkelrüben besäet […]“. Ebd., S. 789. Diese „Vision“ ist typisch für Ackermann und findet sich im Roman an verschiedenen Orten in immer anderen Variationen. Um eine Ideologie handelt es sich hierbei insofern, als daß die Bestellung von Grund und Boden im Laufe des Romans theoretisch überhöht wird und nicht unerheblich dazu beiträgt, gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Entwicklungen und Ereignisse zu erklären. 17 In der Retrospektive erfährt der Leser, daß Rodewald nicht immer moralisch einwandfrei gehandelt hat. Der Rückblick, der seine Jugendjahre darstellt, zeigt einen begabten, aber unterforderten und leichtlebigen Müßiggänger, der zur Schwermut neigt. Im Roman wird er als eine Mischung aus Don Juan und Faust bezeichnet. Ebd., S. 3241-3296. Als er schließlich (jedoch auch noch unter zweifelhaften Umständen) nach Amerika geht, wird er dort ausgerechnet durch landwirtschaftliche Beschäftigung, durch Urbarmachung und Kultivierung des Bodens geheilt und geläutert. 18 Ebd., S. 2218. 19 So wird beispielsweise beschrieben, wie eine Frau aus Not ihr eigenes Kind schlachtet und verspeist. Meinhold, Die Bernsteinhexe, S. 24. 20 Ebd., S. 21-22. <?page no="88"?> „Item lief mein Brodkorn, so ich zur Hälfte auf meinem Acker, und zur andern Hälfte auf den alten Paasschen seinen ausgestreuet noch ganz lieblich und holdselig auf, da uns der Herr bis dato einen offenen Winter geschenket; aber wie es bei eines Fingers Länge aufgeschossen, lag es an eim Morgen wieder umbgestürzet und geruinieret und abermals durch Teufels-Spöck, massen auch jetzo wie zuvorab nit die Spur eines Ochsen oder Pferdes im Acker zu sehen war“ 21 . An dieser Stelle werden die Grenzen der Bodenkultivierung durch den Menschen sichtbar; es wird auf einen Bereich verwiesen, der sich humaner Voraussicht und humanem Verständnis entzieht und der letztlich zum Verderben des Menschen führt. Auf diese Weise werden indirekt auch Sicherheit und Ordnung als unzuverlässig und zerstörbar erkannt. Im Hintergrund stehen nicht zuletzt reale Erfahrungen mit Mißernten und daraus resultierenden Hungersnöten, die noch weit in die 1840er Jahre hinein als permanente Gefahr vorhanden waren 22 und unter anderem auf unterentwickelte Beschäftigung mit der Bodenkultur zurückgeführt wurden. So schreibt ein Zeitgenosse rückblikkend über den Zustand des Ackerbaus in der ersten Jahrhunderthälfte: „Die Landwirthschaft hat vor Allem die Aufgabe, denjenigen, der sie betreibt, zu ernähren; so ist sie begreiflich ebenso alt, als die Cultur des Menschengeschlechtes. Aber keineswegs im Einklang mit ihrem hohen Alter steht der Grad ihrer Entwicklung, ja man darf sagen, gerade der Ackerbau ist unter den Erwerbskategorien fast am längsten auf einer vergleichsweise niederen Stufe der Ausbildung zurückgeblieben […]“ 23 . Aus diesen Gründen traten noch 1846/ 47 Hungerkrisen und -unruhen auf 24 . In den folgenden Jahren verbesserte sich die Situation, was nicht zuletzt auf die „Agrikulturchemie“ zurückzuführen ist, mit der man seit den 40er Jahren experimentierte 25 und die langsam über einen engen Expertenkreis hinaus so Themen und Struktur des Kulturromans 81 21 Ebd., S. 75-76. 22 In den Jahren 1830/ 31 ereignete sich, acht Jahre, bevor die vorliegende Fassung der „Bernsteinhexe“ von Meinhold begonnen wurde, die letzte Hungersnot. Drei Jahre nach der ersten Veröffentlichung von Meinholds Roman kam es im Jahr 1846 zu Mißernten, die ebenfalls wieder eine europaweite Hungerkrise nach sich zogen. Vgl. hierzu: Hans-Heinrich Bass, Hungerkrisen in Preußen während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, St. Katharinen 1991 (= Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 8), S. 178, 213, 243 (im folgenden zitiert als: Bass, Hungerkrisen in Preußen). Zu den entstehungsgeschichtlichen Daten der „Bernsteinhexe“: Rupprecht Leppla, Wilhelm Meinhold und die chronikalische Erzählung, Nachdruck der Ausgabe Berlin 1928, Nendeln/ Liechtenstein 1967, S. 74 (im folgenden zitiert als: Leppla, Wilhelm Meinhold und die chronikalische Erzählung). 23 August Vogel, Justus Freiherr von Liebig als Begründer der Agrikultur-Chemie, Eine Denkschrift, München 1874, S. 3-4. 24 Bass, Hungerkrisen in Preußen, S. 213, 243. 25 Hier sind in erster Linie die Forschungen von Justus Freiherr von Liebig zu nennen, der für die Popularisierung und den entscheidenden Durchbruch der Agrikulturchemie in Deutschland gesorgt hat. 1840 erschien die erste Auflage seines epochemachenden Werbekannt <?page no="89"?> wurde, daß sie auch Gutzkow in den „Rittern vom Geiste“ anspricht 26 . Ihre Popularität verdankt sie nicht zuletzt dem Einfluß, den sie auf die gesellschaftliche, soziale und ökonomische Lage hatte, und dem Wandel, den sie in diesen Bereichen mit sich brachte 27 . Die Empfindung der Zeitgenossen, daß die Jahre zwischen 1830 und 1860 eine allumfassende Umbruchzeit seien, hat ihre Ursache somit auch in den Erneuerungen auf dem Gebiet der Bodenkultur, die ihrerseits direkte Auswirkungen auf die Kulturreflexion hatten 28 . In den Romanen läßt sich das in der Entwicklung der Ackerbaumetapher von der „Bernsteinhexe“ hin zu den „Rittern vom Geiste“ erkennen. Für die Definition von Kultur bedeutet das, daß diese immer einen gewissen ökonomischen Überschwang, Wohlstand und die Sicherheit, ihn aufrechterhalten zu können, zur Voraussetzung hat. Aus diesem Grund ist es auch nicht verwunderlich, daß in allgemeinen Krisenzeiten gerade Kultur eine Größe ist, die besonders gefährdet ist. Es ist daher auch nicht zufällig, daß ausgerechnet die Revolution von 1848 mit ihren barbarischen Akten in einem direkten Zusammenhang mit den aus Mißernten und Hungersnöten entstandenen Hungerunruhen von 1847 steht, die nahtlos in die Aufstände von 1848 übergingen 29 . Aus dieser Beobachtung läßt sich folgende These formulieren, die sowohl für die Metaphorik als auch für die übrigen Definitionsbereiche von „Kultur“ gilt: Da die prägenden Erfahrungen des Jahres 1848 Einsichten in ein bis dahin nicht selbsterlebtes Zerstörungspotential waren, scheuten sich die Romanciers, dieses darzustellen, und versuchten, in den Romanen des sogenannten 82 Der Kulturroman kes „Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie“, in dem er sich bemühte, die Chemie als Beitrag zur Lösung eines gesellschaftlichen Kernproblems der Zeit, nämlich Hungerkrisen, Industrialisierung und Verstädterung, darzustellen: Ursula Schling-Brodersen, Entwicklung und Institutionalisierung der Agrikulturchemie im 19. Jahrhundert, Liebig und die landwirtschaftlichen Versuchsstationen, Braunschweig 1989 (= Braunschweiger Veröffentlichungen zur Geschichte der Pharmazie und der Naturwissenschaften, Bd. 21), S. 20-23. 26 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 2400. 27 Vgl. hierzu: Ernst F. Schwenk, Die Sache mit Liebigs Fleischextrakt, Justus Freiherr von Liebig, deutscher Chemiker * 12. Mai 1803 in Darmstadt, † 8. Februar 1873 in München, in: Ders., Sternstunden der frühen Chemie, von Johann Rudolph Glauber bis Justus von Liebig, München 1998, S. 233-256, hier S. 244-245, 247-249. 28 Diese These ist um so einleuchtender, als sich tatsächlich viele der Bereiche, die für eine umfassendere Kulturdefinition von Bedeutung sind, durch die technische Errungenschaft der Agrikulturchemie veränderten. Noch im „Nachsommer“ äußert der Freiherr von Risach bei der Betrachtung seiner Felder: „Land und Halm ist eine Wohlthat Gottes. Es ist unglaublich, und der Mensch bedenkt es kaum, welch ein unermeßlicher Werth in diesen Gräsern ist. Laßt sie einmal von unserem Erdtheile verschwinden, und wir verschmachten bei allem unserem sonstigem Reichthume vor Hunger“. Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 70. 29 Bass, Hungerkrisen in Preußen, S. 243. <?page no="90"?> Nachmärz 30 Gegenmodelle der Sicherheit und Ordnung zu entwerfen. Weil jedoch ohne diese Alternativen, die ihrerseits auch im theoretischen Denken Mörikes und Meinholds 31 und in einer nicht ausgeprägten Form deshalb sogar auch in „Maler Nolten“ und der „Bernsteinhexe“ angelegt sind 32 , jede Kulturvorstellung bruchstückhaft bleiben würde, bieten sich tatsächlich gerade Romane des Vor- und des Nachmärz an, um den Typus des Kulturromans näher zu konturieren. Mit anderen Worten: Bei aller Einheitlichkeit, welche die Jahre zwischen 1830 und 1860 als zusammengehörig erscheinen läßt, bekommt das Jahr 1848 nicht nur in der Kulturdiskussion, sondern auch für den Kulturroman eine modifizierende Bedeutung. Zwar wurde bereits die Julirevolution als ein Ereignis aufgefaßt, durch das ähnlich wie die Französische Revolution aufgeklärte Kulturvorstellungen an ein Ende gebracht wurden und durch das sowohl Kritik an einer überfeinerten Kultur geübt als auch der Rückfall in die Barbarei dargestellt werden konnte 33 . Die Märzrevolution hingegen verschärfte diesen Befund derart, daß die Auflösungstendenzen, die als Merkmal einer neuen Barbarei interpretiert werden, zugunsten einer neuen Ordnung ausgeklammert wurden. Der Kulturroman des Nachmärz zielt damit wesentlich deutlicher auf eine neue Kultivierung ab als derjenige der 30er und 40er Jahre, der eher die Gründe und Ursachen für den erneuten Rückfall in die Barbarei analysiert. Es ist daher kein Zufall, daß bei Mörike, dessen Roman zeitlich am weitesten von 1848 entfernt ist, die negative Verwendung der Ackerbaumetapher endgültig auf die Spitze getrieben wird. Der Versuch von Agnes’ Vater 34 , der als Förster direkt an der Überwachung und Kultivierung von Wald und Feld be- Themen und Struktur des Kulturromans 83 30 Zu den Schwierigkeiten, eine eindeutige Defintion des Begriffes zu gewinnen vgl.: Eke, Vormärz/ Nachmärz. 31 Auf theoretischer Ebene, die das Denken aller Autoren von 1830 bis 1860 umfaßt, ist eindeutig das Jahr 1848 als Modifikation auszumachen. Die theoretischen Kulturdiskussionen sind nach 1848 deutlicher ausgeprägt (vgl. hierzu Kap. III/ 2): sowohl bei Mörike und Meinhold als auch bei Gutzkow und Stifter. 32 Diese Feststellung wird in den einzelnen Kapiteln an entsprechender Stelle im einzelnen belegt. 33 Vgl. hierzu beispielsweise Mörikes Einschätzung der Julirevolution 1830, die am Anfang von Kapitel III/ 1 ausführlich dargestellt wurde. 34 Über den Vater heißt es bemerkenswerterweise im Text: „Es war ein Mann von gutem geraden Verstande, sein ganzes Wesen vom besten Korn […]“. Mörike, Maler Nolten, S. 270. Hier wird der agrarische Bildbereich auf eine der wenigen Figuren angewendet, die psychisch nicht gefährdet sind und noch in einem sicheren Ordnungssystem leben, das allerdings nicht uneingeschränkt positiv bewertet wird, weil es den Beigeschmack des Philisterhaften hat. Julia Bohnengel hat auf die Bedeutung des Vaters und des Vetters Otto aufmerksam gemacht, die als Förster und Landvermesser in direkter Weise kultivierend auf die Natur einwirken. Bohnengel, Der wilde Athem der Natur, S. 53-54. <?page no="91"?> teiligt ist, Geborgenheit und göttliche Planmäßigkeit in einer idyllischen Natur nachzuweisen 35 , wird auf ganzer Linie zunichte gemacht, wenn alle wichtigen Figuren des Romans in geistige und soziale Unordnungen geraten, die schließlich zu ihrem frühzeitigen Tod führen. Dies drückt sich auch in der Verwendung der Ackerbaumetapher aus. In „Maler Nolten“ wird der unmittelbare Bildbereich weitgehend ausgeklammert und nur noch übertragen verwendet, wenn gesagt wird, daß Nolten lediglich „eine trübe Welt voll Gespenstern, Zauberern, Elfen und dergleichen Fratzen […] kultivirt“ 36 . Die Schwundstufe und Nachtseite der Bodenbestellung wird endgültig dann deutlich, wenn es in bezug auf den „letzten König von Orplid“ heißt: „Wir erfanden für unsere Dichtung einen außerhalb der bekannten Welt gelegenen Boden […]“ 37 , der durch Verfall und Untergang gekennzeichnet ist. Die Fiktion eines eigenen Gebietes, in dem sich Poesie abspielen kann, ist immer wieder als literarische Utopie gedeutet worden 38 . Dies heißt jedoch in erster Linie, daß hier ein gleichsam exterrestrischer Bereich geschaffen ist, der es gestattet, Einzelphänomene zu isolieren, um sie in ihrer Beschaffenheit genau zu betrachten. Hiermit werden nicht nur diejenigen Laboratoriumsbedingungen geschaffen, unter denen die für die Kulturdiskussion grundlegende Frage nach dem Wesen des Menschen und seinen Bedingungen 39 besonders gut beantwortet werden kann, sondern es werden bereits ganz konkret Konstituenten von Kultur, nämlich Kunst, Natur und Geschichte angesprochen. Vor allen Dingen die letzten beiden Bereiche sind unmittelbar mit Überlegungen zur Kultur verbunden: Natur beschreibt das physische, psychische und sittliche Wesen des Menschen in seiner Beziehung zur Wirklichkeitsauffassung und -interpretation und wird so zur Chiffre für das Humane schlechthin 40 sowie zur grund- 84 Der Kulturroman 35 Mörike, Maler Nolten, S. 270-271. 36 Ebd., S. 28. 37 Ebd., S. 95. 38 Isabel Horstmann, Eduard Mörikes Maler Nolten, Biedermeier: Idylle und Abgrund, Frankfurt/ Main u. a. 1996 (= Marburger Germanistische Studien, Bd. 17), S. 12, 54 (im folgenden zitiert als: Horstmann, Eduard Mörikes Maler Nolten); Bruch, Faszination und Abwehr, S. 207-210. 39 Analog zur direkten und ausgeprägten Verwendung der Ackerbaumetapher in den „Rittern vom Geiste“ und im „Nachsommer“ wird diese Frage in beiden Romanen explizit an einem oder mehreren Orten gestellt und beantwortet: „Wer das Geheimnis des Lebens studiren will, gehe hierher und beantworte die Frage: Warum sind wir? Was sind wir? Was werden wir“? Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 1198; Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 18. 40 Zu diesem Phänomen, das sich bis in die Antike zurückverfolgen läßt vgl.: Gerhard Kaiser, Die Phänomenologie des Idyllischen in der deutschen Literatur, in: Ders., Wandrer und Idylle, Goethe und die Phänomenologie der Natur in der deutschen Dichtung von Geßner bis Gottfried Keller, Göttingen 1977, S. 11-106, hier S. 15 (im folgenden zitiert als: Kaiser, Phänomenologie des Idyllischen). <?page no="92"?> legenden Kategorie für die Frage nach Form und Gestaltung des menschlichen Lebens. Geschichte hingegen ist in allen Romanen das eigentliche Analysemittel im Zugriff auf Kultur. Sie ist nichts weniger als die Methode, der sich sowohl Stifter und Gutzkow als auch Meinhold und Mörike bedienen, um die Frage nach Wesen und Beschaffenheit des Menschen zu beantworten. 1. Geschichte Im Definitionsbereich Geschichte liegen die Vorstellungen der vier Autoren darüber, was Kultur sei, am nächsten beieinander und ergänzen sich am ehesten zu einem geschlossenen Bild, so daß die Jahre zwischen 1830 und 1860 in diesem Punkt am deutlichsten als Einheit erscheinen. Nicht zuletzt dieses spricht dafür, die Beschäftigung mit der Vergangenheit als das wichtigste und grundlegendste Element der Kulturreflexion anzusehen, das sowohl die Methode mit der sich die ausgewählten Romane dem Thema Kultur nähern, bezeichnet, als auch alle inhaltlichen Kennzeichen von Kultur in nuce beinhaltet. Das wird nicht zuletzt daran deutlich, daß gerade der historische Roman im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts so beliebt und so weit verbreitet war, daß er auch theoretisch zu einem der wichtigsten Romankonzepte avancierte 41 . In den „Rittern vom Geiste“ wird Geschichte, die sich in dieser Zeit als Wissenschaft etablierte 42 , als allgemeine Autorität des 19. Jahrhunderts erkannt 43 ; im „Nachsommer“ ist sie eines der zentralen Themen, sogar so sehr, daß Risach in der Beschäftigung mit Geschichte eine besondere Fähigkeit Heinrichs sieht und ihn Mathilde mit den Worten vorstellt, dieser habe etwas „zur Kenntniß des Bestehenden und zur Herstellung der Geschichte des Gewordenen“ 44 beizutragen. Für die Bedeutung der Geschichte in Stifters Roman spricht auch eine Selbstinterpretation in einem Brief an Gustav Heckenast: „Der Roman hat eine wissenschaftliche Seite, die von vorn herein in keines Menschen Seele liegt, sondern die er sich erwerben muß, das Geschichtliche “ 45 . Geschichte 85 41 Zur theoretischen Bedeutung des Historischen Romans für den Kulturroman vgl. Kap. I. 42 Zur Konstituierung der Geschichte als Wissenschaft: Horst Dreitzl, Die Entwicklung der Historie zur Wissenschaft, in: Zeitschrift für historische Forschung 8 (1981), S. 257- 284: Dreitzl argumentiert, daß Geschichte in dem Moment zu einer Wissenschaft wird, in dem sie über eine eigene Methode und einen eigenen Gegenstand verfüge. Im 18. Jahrhundert sei der Gegenstand der Geschichte noch etwas vage und allgemein die „Wirklichkeit“ (ebd., S. 277) gewesen. Erst im 19. Jahrhundert habe die Geschichte eine kritische Methode entwickelt, die sie zur Wissenschaft gemacht habe. 43 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 3377. 44 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 243. 45 Stifter, Brief an Gustav Heckenast vom 09.06.1853, in: Stifter, Briefwechsel 2, S. 151-156, hier S. 152 (Hervorhebung in der Vorlage). Diese Äußerung ist nicht zuletzt deswegen Geschichte <?page no="93"?> Geschichte arriviert - nicht nur bei Stifter - zu einem Merkmal von Kultur, weil der Mensch als geschichtliches Wesen und die Menschheit als ein historisches Produkt verstanden wird 46 . Dieses Geschichts-Bewußtsein, welches alle vier Romane in hohem Maße auszeichnet, drückt zweierlei aus: Zum einen wird die eigene Gegenwart als Teil einer zeitlichen Bewegung betrachtet und gewertet, zum anderen findet in allen Romanen eine Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Geschichtstheorie statt; Geschichte wird auch als Methode reflektiert. Diese doppelte Betrachtung der Geschichte als Fundament der Kultur erklärt sich nicht zuletzt daraus, daß Kulturreflexionen immer eng mit Überlegungen zur eigenen Zeit verbunden sind. So es darum geht, die Gegenwart für kommende Zeiten zu dokumentieren, stellt sich die Frage, welche Rolle sie im historischen Gesamtzusammenhang spielt und wie sie vor diesem Hintergrund bewertet wird. Mit anderen Worten: Wie schätzen die Romane die eigene Zeit innerhalb der Geschichte ein, und was bedeutet das für die Definition von Kultur im Kulturroman? Gegenwart als Übergangszeit und Untergangsgeschichte Die Gegenwart wird in allen ausgewählten Romanen, ähnlich wie in den theoretischen Schriften, als Wendepunkt einer aufsteigenden in eine absteigende Geschichtslinie angesehen, so daß die eigene Zeit im historischen Gesamtzusammenhang durchgehend als eine Zeit der Auflösung und des unmittelbar bevorstehenden Niedergangs eingeschätzt wird; die Geschichte der eigenen Zeit ist Verfalls- und Untergangsgeschichte. In der „Bernsteinhexe“ wird die Epoche des Dreißigjährigen Krieges nicht zuletzt deswegen gewählt, weil sie wie keine andere Untergang und Verfall de- 86 Der Kulturroman interessant, weil Geschichte als etwas verstanden wird, das sich der Mensch, ähnlich wie Kultur, erwerben muß. 46 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 122. Die Abhängigkeit des Menschen von Zeit und Geschichte wird auch in den anderen Romanen thematisiert. In „Maler Nolten“ ist auf den großen Monolog hinzuweisen, den der letzte König von Orplid am Ende seines Lebens in dem Moment hält, in dem der Fluch des ewigen Lebens von ihm genommen ist und er endlich sterben kann. Mörike, Maler Nolten, S. 147-148. In der „Bernsteinhexe“ wird dieser Gedanke im abschließenden Kommentar des fiktiven Herausgebers ausgedrückt, der darauf aufmerksam macht, daß von den Protagonisten des Romans, außer einer Gedenktafel in der Kirche zu Mellenthin, keine Spuren geblieben sind. Mit dem Hinweis auf das Auslöschen des menschlichen Lebens durch die Geschichte wird vielleicht am deutlichsten und radikalsten die historische Bedingtheit des Menschen benannt. Natürlich wird diese Einschätzung durch den Roman selbst relativiert. Meinhold, Die Bernsteinhexe, S. 295-296. Für die „Ritter vom Geiste“: Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 918. Hier kommt das gegenteilige Verhältnis von Mensch und Geschichte zur Sprache: Der Einzelne wird nicht durch die Geschichte ausgelöscht, sondern lebt in ihr weiter, ist allerdings aber auf diese Weise von ihr abhängig. Außerdem: Ebd., S. 3232. <?page no="94"?> monstrieren kann 47 . Am deutlichsten wird dies in der ausführlichen Beschreibung einer Ruine 48 , der aber gleichzeitig die Möglichkeit der Restauration innewohnt, die im Roman in der Erinnerung des Pfarrers vollzogen wird 49 . Ebenso greift Mörike in „Maler Nolten“ mit dem Zwischenspiel „Der letzte König von Orplid“ barocke Vanitas-Motivik auf, wenn er darstellt, wie die einst blühende Hochkultur Orplid von den Göttern vernichtet wurde und nur noch einige verfallene Häuser als Denkmal der Stadt übriggeblieben sind. Auch wenn in Mörikes Roman der Zustand, in dem die Natur vollständig über menschliche Werke gesiegt hat, noch nicht vollständig erreicht ist, so ist doch ein Zusammenhang zur Barockdichtung durch den Bildbereich einer verfallenden Stadt 50 hergestellt. Darüber hinaus ist diese Metapher gerade im Kontext mit Kulturbetrachtungen von Bedeutung, weil in theoretisch-kulturgeschichtlichen Überlegungen der Zeitgenossen dieses Bild mit Vorliebe verwendet wird, um die „wechselnde[n] Perioden von Kultur und Verwilderung“ 51 im Leben der Völker darzustellen. Auch im „Nachsommer“ ist viel von wahrhaft schönen, aber ruinierten Gegenständen aus der Vergangenheit die Rede, die in mühevoller Kleinarbeit restauriert werden müssen. Einen Höhepunkt erreichen diese Bemühungen in der Wiederherstellung eines Altars aus dem 15. Jahrhundert 52 . Diese Hinweise Geschichte 87 47 Denn natürlich geben historische Romane in der Regel mindesten genausoviel von der Gegenwart ihrer Entstehungszeit preis wie von der Zeit, in der ihre Handlung angesiedelt ist. Vgl. hierzu: S. 15-16. 48 Meinhold, Die Bernsteinhexe, S. 54-55. 49 Marias Vater erinnert sich beim Anblick der Ruine an die Zeit vor der Zerstörung des Schlosses und baut es auf diese Weise in seiner Erinnerung wieder auf. Meinhold, Die Bernsteinhexe, S. 57. 50 So hat Mörike teilweise die Beschreibung vom Untergang Orplids von Andreas Gryphius und dessen Gedicht „Vanitas, vanitatum, et omnia vanitas“ entlehnt. Mörike, Maler Nolten, S. 96, 99-100. Andreas Gryphius, Sonette, hrsg. von Marian Szyrocki, Tübingen 1963 (= Andreas Gryphius, Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke, hrsg. von Marian Szyrocki/ Hugh Powell, Bd. 1), S. 7. 51 Rotteck, Einleitung, S. 18. 52 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 110-111. Diese Tätigkeit hat Ursachen in Stifters Biographie, der seit 1853 als Konservator für Oberösterreich tätig war. Hierzu: Otto Jungmair, Adalbert Stifter als Denkmalpfleger, Linz 1973 (im folgenden zitiert als: Jungmair, Stifter als Denkmalpfleger); Wilfried Lipp, Adalbert Stifter als „Conservator“ (1853-1865), Realität und Literatur, in: Hartmut Laufhütte/ Karl Möseneder (Hrsg.), Adalbert Stifter, Dichter und Maler, Denkmalpfleger und Schulmann, Neue Zugänge zu seinem Werk, Tübingen 1996, S. 185-203; Adalbert Stifter, Berichte an den Statthalter über die Wiederherstellung des Altars in Kefermarkt (1853), in: Adalbert Stifter, Sämmtliche Werke, Bd. 14, Vermischte Schriften, 1. Abteilung, hrsg. von Gustav Wilhelm, Reichenberg 1933, S. 313-327. Primärtexte, die verdeutlichen, daß das Thema seit dem beginnenden 19. Jahrhundert verstärkt diskutiert wurde und in der Mitte einen Höhepunkt erreichte, bietet die Textsammlung von Norbert Huse: Norbert Huse, <?page no="95"?> sind neben denjenigen, welche sich auf die unerreichte Qualität der antiken Kunst beziehen, dazu angetan, einen undifferenzierten Vergleich zwischen alten und neuen Zeiten anzustellen, der in der Tradition der „Querelles des Anciens et des Modernes“ steht 53 . In ihnen ging es um die Frage, ob der Kunst der antiken oder derjenigen der Neuzeit der Vorzug einzuräumen sei 54 . Bei Stifter fällt die Entscheidung zugunsten der Antike, so daß die Moderne ihr gegenüber abfällt und als minderwertig erscheint. In den „Rittern vom Geiste“ wird mehrmals darauf hingewiesen, daß die Gegenwart eine Zeit ist, die sterben will, eine Zeit der Pest und der Cholera 55 . Nicht zufällig spielt auch in diesem Roman eine Ruine, mit deren Darstellung und Beschreibung er eingeleitet wird 56 , eine zentrale Rolle. Sie symbolisiert den Verfall einer vergangenen besseren Zeit, die gleichwohl im Heute enthalten ist (bezeichnenderweise wird die Gegenwart als eine Synthese aus alter und neuer Zeit definiert 57 ) und jederzeit ohne größere Schwierigkeiten restauriert werden kann. Diese Möglichkeit wird dann im weiteren Verlauf des Romans mit dem Versuch, mittelalterliche Sozialformen wiederzubeleben, tatsächlich erprobt, wenn ein mittelalterlicher Tempelorden neugegründet wird. 88 Der Kulturroman Denkmalpflege, Deutsche Texte aus drei Jahrhunderten, 2., durchgesehene Aufl., München 1996. 53 Häfner, Stifters Geschichtsentwurf im Nachsommer. 54 Vgl. S. 72 Anm. 116. 55 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 2154. Hier wird die Zeit der Tempelritter als eine Zeit der Cholera eingeschätzt, dies wird aber ausdrücklich auch als Merkmal der Gegenwart gesehen: „Nach fünfhundert Jahren ist es nun wieder so“. 56 Ebd., S. 16. Im Hintergrund steht hier das in der romantischen und neoromantischen Malerei beliebte Motiv der Ruine, wie es beispielsweise Caspar David Friedrich und Arnold Böcklin vielfach verwenden. Vgl. hierzu: Werner Hofmann, Caspar David Friedrich, Naturwirklichkeit und Kunstwahrheit, München 2000, v. a. S. 61-63; Christoph Heilmann, Tradition und Aufbruch, Arnold Böcklins „Villa am Meer“, in: Öffentliche Kunstsammlung Basel (Hrsg.), [Katalog zur Ausstellung] Arnold Böcklin, Eine Retrospektive, Heidelberg 2001, S. 33-45, hier v. a. S. 39. 57 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 850. Generell wird in den „Rittern vom Geiste“ ein Nebeneinander von verschiedenen Jahrhunderten angehörenden Lebensanschauungen beschrieben. Auch das ist ein Programm, das unter der Überschrift „Roman des Nebeneinanders“ zu verstehen ist: Achim Ricken, Panorama und Panoramaroman, Parallelen zwischen der Panorama-Malerei und der Literatur im 19. Jahrhundert, dargestellt an Eugène Sues Geheimnissen von Paris und Karl Gutzkows Rittern vom Geiste, Frankfurt/ Main u. a. 1991 (= Europäische Hochschulschriften, Reihe I, Deutsche Sprache und Literatur, Bd. 1253), S. 258 (im folgenden zitiert als: Ricken, Panorama und Panoramaroman). Hier ist von der „magischen Zusammenschau“ der Jahrhunderte die Rede. Die Bemerkung, daß aus diesem Grund bei Gutzkow geschichtliche und gesellschaftliche Wandlungsprozesse ignoriert werden, ist allerdings abwegig; vielmehr wird auf diese Weise die transitorische Qualität der eigenen Zeit ausgedrückt, in der ein Nebeneinander von alten und zukünftigen Strukturen herrscht. <?page no="96"?> Geschichte wird somit (in Anlehnung an aufgeklärte Geschichtsvorstellungen 58 ) als unterirdisches System von Ursache und Wirkung verstanden 59 , das langfristige Auswirkungen hat 60 . Sie erscheint als eine Art von Regeneration, „bei der eine Epoche durch die andere restauriert wird“ 61 . Gegenwart wird zu einem Teil eines historischen Kontinuums, in dem Vergangenheit und Zukunft organisch verbunden sind 62 . Anders ist das intensive Studium von Gegenständen, die aus der Vergangenheit auf die Gegenwart gekommen sind, im „Nachsommer“, in der „Bernsteinhexe“ und in den „Rittern vom Geiste“ nicht zu verstehen. In allen drei Romanen wird das Hineinreichen der Geschichte in die Gegenwart beschrieben: sei es, daß im „Nachsommer“ alte Gegenstände in die Gegenwart gekommen sind und in ihr studiert und restauriert werden; sei es, daß in den „Rittern vom Geiste“ Dokumente wiedergefunden werden, mit deren Hilfe ein Gerichtsprozeß, der im Mittelalter begonnen wurde, aufgegriffen werden kann; sei es, daß in der „Bernsteinhexe“ mit der Fiktion gespielt wird, daß eine Chronik aus dem Dreißigjährigen Krieg in der Gegenwart auftaucht. Auch in „Maler Nolten“ findet sich diese Geschichtsauffassung, wenn die Neubesiedlung von Orplid und das archäologische Interesse beschrieben wird, mit dem man versucht, die Lebensweise derjenigen zu rekonstruieren, die in alten Zeiten auf der Insel gewohnt haben 63 . Der Rückgriff auf vergangene Tage wiederum hat eine wegweisende Funktion für die Zukunft 64 . Dies alles bestätigt in den Romanen die Gegenwart als Übergangszeit, deren transitorische Qualität 65 eine der wichtigsten Ursachen für das Nachdenken über Geschichte wird, das eng mit der Frage nach den Triebfedern historischer Veränderung verbunden ist. Geschichte 89 58 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, hrsg. von Albert Görland, Nachdruck der Aufl. Berlin 1913, Hildesheim 1973 (= Immanuel Kants Werke, in Gemeinschaft mit Hermann Cohen/ Artur Buchenau/ Otto Buek/ Albert Görland/ B. Kellermann, hrsg. von Ernst Cassierer, Bd. III), S. 349-353. Diese Vorstellung wird auch von Schiller in seiner Antrittsvorlesung aufgegriffen: Schiller, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? 59 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 176. 60 Ebd., S. 1042. 61 Ricken, Panorama und Panoramaroman, S. 258. 62 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 414. 63 Mörike, Maler Nolten, S. 95-96. 64 Damit bekommt die zeitliche Entwicklung einen utopischen Zug, was nicht zuletzt in der Interpretation von Gegenwart als transitorischer Qualität liegt, die so weder an einen Ort noch an eine Zeit gebunden ist. Welche Inhalte damit verbunden sind, soll in Kapitel IV/ 6 gezeigt werden. 65 Hinweise auf das Transitorische der Zeit finden sich auch bei anderen Zeitgenossen, v. a. bei Heine und Börne, vgl. hierzu: Helmut Koopmann, Das Junge Deutschland, Analyse seines Selbstverständnisses, Stuttgart 1970, S. 92-96. <?page no="97"?> Bewegkräfte der Geschichte (Evolution, Revolution, Ideen) Bei Stifter entwickelt sich Geschichte - in Anlehnung an die Entwicklung der Natur - evolutionär 66 . Aus diesem Grunde darf auch das Wesen des Überkommenen nicht gewaltsam gestört werden; es sollte nicht nur bewahrt, sondern - wenn möglich - auch wiederhergestellt werden 67 . Dieser restaurative Grundzug wird allerdings durch die Einsicht, daß Geschichte sich zwar wiederholen kann, gleichzeitig jede Zeit aber ihren eigenen Bedingungen unterliegt, relativiert 68 . Die Hinwendung zur Evolution ist nicht zuletzt als Reaktion auf die Ereignisse von 1848 zu verstehen, die Stifter zeigten, welche negativen Auswirkungen die gewaltsame Unterbrechung einer evolutionären historischen Entwicklung haben kann. Damit wird indirekt auch auf die treibende Kraft von Revolutionen für die geschichtliche Entwicklung hingewiesen. Auf einer anderen Ebene als im „Nachsommer“ wird in den „Rittern vom Geiste“ herausgestellt, daß Revolution ein Movens von Geschichte sein kann 69 . In diesem Punkt sind sowohl Stifter als auch Gutzkow Schüler Herders, der die geschichtliche Entwicklung als eine Abfolge von Revolutionen deutet. Herders Überlegungen sind um so aufschlußreicher, als er „Revolution“ auch als eine evolutionäre Entwicklung im Zusammenhang mit der Erdgeschichte versteht 70 . Ähnlich wie bei Stifter wird aber auch in den „Rittern vom Geiste“ auf die Gefahren aufmerksam gemacht, die dieser Art der Veränderung innewohnen, wenn unmißverständlich demonstriert wird, daß gerade eine ursprünglich positiv bewertete Revolution in ihr Gegenteil umschlagen kann 71 . Diese Ein- 90 Der Kulturroman 66 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 2, S. 174. Mit dieser Vorstellung wird eine alte, aufklärerische Idee wieder aufgegriffen, wie sie beispielsweise bei Schiller zu finden ist. Vgl. hierzu: Ulrich Muhlack, Schillers Konzept der Universalgeschichte zwischen Aufklärung und Historismus, in: Otto Dann/ Norbert Oellers/ Ernst Osterkamp (Hrsg.), Schiller als Historiker, Stuttgart, Weimar 1995, S. 5-28. 67 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 112-113. Es gehört zu den Grundsätzen der Restauration, die Risach immer wieder betont, daß Erhaltungsarbeiten lediglich eine Ausbesserung, nicht aber eine Veränderung des Wesens sein sollen. Auf ähnliche Art erzieht Risach sein Gesinde, wenn er nicht allzu schnell Neuerungen (die - genaugenommen - eine Rückkehr zu älteren Lebensformen sind) in seinem Hausstand einführen will, sondern darauf setzt, daß die Zeit eine Ausbildung in seinem Sinne vollzieht. Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 135-136. 68 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 2, S. 225-229. Diese Auffassung von Geschichte geht mit derjenigen konform, die auch aus den theoretischen Texten herausgelesen werden kann. Sie machen deutlich, daß sich bei Stifter lineares Geschichtsdenken mit der Einsicht der Wiederholbarkeit einzelner Geschichtsepochen verbindet. Vgl. S. 55. 69 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 193, 2065-2066. 70 Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, S. 50-51. Zur Bedeutung der Erdgeschichte für die historische Auffassung des 19. Jahrhunderts: siehe unten. 71 Es nimmt daher kaum wunder, daß Dankmar im Laufe des Romans seine Interessen immer mehr weg von der Politik hin zu Geschichte und Philosophie verlagert. Geschätzung <?page no="98"?> resultiert - übereinstimmend mit Stifter - aus der persönlichen Enttäuschung Gutzkows über die 1848er Revolution. Letztendlich wird der Geschichtsverlauf, der in den „Rittern vom Geiste“ entworfen wird, als Ineinander von Evolution und Revolution gedeutet, genauer: als eine spiralförmige Entwicklung der Zeit 72 . Auch wenn das Jahr 1848 bedeutsam für die Auseinandersetzung mit Geschichte ist, weil es eine verstärkte und bewußtere Reflexion dieses Gegenstandes mit sich bringt 73 , so steht doch hinter den Revolutionen noch eine andere Kraft, welche die Geschichte entscheidend bewegt, nämlich die „Idee“, die sich sowohl bei Gutzkow und Stifter als auch bei Meinhold und Mörike als eigentliche Triebkraft der Geschichte erweist 74 . Aus diesem Grund be- Geschichte 91 schichte kann zuweilen auch die Extremisierung einer Idee bedeuten, die dann in ihr Gegenteil umschlägt. Dieser Dialektik verleiht wiederum Dankmar Ausdruck, der einmal dem Fräulein von Flottwitz folgendes erklärt: „Die Geschichte und das Leben haben mich gelehrt, daß die großen Ideen, nur an der Wiege, als sie geboren wurden, unschuldig und heilig waren. Das Christenthum war unschuldig und heilig, als es in Galiläa gepredigt wurde. Als es heranwuchs, gedieh, erstarkte, mußte sich der Denker schon wieder von ihm abwenden. […] Ich bin nicht blind für die Fehler der Revolution. Auch sie war in ihrer Wiege in Rousseau’s Schriften ein reiner keuscher Gedanke. Man kann nicht reiner und unschuldiger über den Staat denken, als damals gedacht wurde. […] Aber auch die Revolution ist entartet, degeneriert“. Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 2065-2066. 72 Ebd., S. 2927. 73 Bei Gutzkow und bei Stifter nimmt die Reflexion über Geschicht e - wie bereits in Kapitel III deutlich geworden ist - im Anschluß an das Jahr 1848 auf theoretischer Ebene zu. Auch im „Nachsommer“ und in den „Rittern vom Geiste“ werden Überlegungen zu diesem Thema deutlicher ausgedrückt als in „Maler Nolten“ und in der „Bernsteinhexe“. In diesen beiden Romanen bewegen sich Geschichtsvorstellungen auf einer bildlichen und weniger abstrakten Eben, was sie besser in die Romanhandlung integriert und damit unauffälliger macht. 74 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 2065-2066. Ähnlich äußerst sich auch Siegbert, wenn er von der Unendlichkeit der Geschichte spricht und davon, daß große Ideen Jahrhunderte brauchen, um sich durchzusetzen. Ebd., S. 2149. Auch im „Nachsommer“ ist Geschichte - neben Naturgeschichte - in erster Linie Ideengeschichte. Hierfür spricht die Unterhaltung zwischen Risach und Heinrich, in der es generell um die Entwicklung und den Zweck in der Welt- und Menschengeschichte geht. Risach äußert einmal, daß es ihm nicht möglich sei, zu entscheiden, ob er den Taten oder den Schriften Cäsars den Vorzug einräumen solle, und Heinrich spricht von den „alten Verhältnissen des Handelns und Denkens“. Stifter, Der Nachsommer, Bd. 2, S. 226. Diese Passage deutet an, daß die Idee als geschichtliches Movens mindestens ebenso bemerkenswert ist wie die Handlung. In der „Bernsteinhexe“ spricht das Vorwort, das Meinhold der ersten Auflage voranstellt, dafür, daß es neben den Handlungsweisen auch die „menschlichen Empfindungsweisen“ sind, welche die Geschichte vorantreiben: Meinhold, Vorrede zur 1. Aufl. [der Bernsteinhexe], S. V. Damit wird zwar nicht die „Idee“ als ausschlaggebend für Geschichte angesehen, es wird aber eine bewegende Kraft genannt, die jenseits der Handlung liegt. In „Maler Nolten“ finden sich solche direkten Hinweise nicht. Trotzdem <?page no="99"?> schäftigen sich alle Romane mit idealistisch-theoretischen Positionen innerhalb der aktuellen Geschichtsschreibung; sämtliche Überlegungen führen geradezu darauf hin. Charakteristisch ist insbesondere die Auffassung von einem unaufhörlichen und unbegrenzten Fließen der Geschichte. Die Autoren erweisen sich damit nicht nur als Kinder der Restauration 75 , sondern ihre Romane auch als Produkte der Historismus 76 , mit dem sie sich überwiegend kritisch auseinandersetzen, hin und wieder aber auch seine Methoden übernehmen. Historismus Im „Nachsommer“ wird historistisches Gedankengut als zeittypisch entlarvt 77 und darauf hingewiesen, daß es sich dabei um eine vorwissenschaftliche Herangehensweise handelt, die noch nichts mit Geschichte als Wissenschaft zu tun hat, weil sie noch nicht das Stadium der Interpretation erreicht hat. Risach äußert sich einmal in bezug auf die Erdgeschichte dahin gehend: „‚Ich glaube‘, entgegnete mein Begleiter [Risach], ‚daß in der gegenwärtigen Zeit der Standpunkt der Wissenschaft, von welcher wir sprechen [gemeint ist die Erdge schichte], der des Sammelns ist. Entfernte Zeiten werden aus dem Stoffe etwas bauen, das wir noch nicht kennen. Das Sammeln geht der Wissenschaft immer voraus; das ist nicht merkwürdig; denn das Sammeln muß ja vor der Wissenschaft sein; aber das ist merkwürdig, daß der Drang des Sammelns in die Geister kömmt, wenn 92 Der Kulturroman kann das Zwischenspiel „Der letzte König von Orplid“ als eine poetische Darstellung der Einsicht verstanden werden, daß Ideen die Geschichte vorantreiben. 75 Dieser Aspekt ist bereits auf motivischer Ebene mit dem Hinweis auf das Motiv der Ruine bzw. ruinierter Gegenstände aus der Vergangenheit in allen Romanen deutlich gemacht worden. Bei Stifter finden sich diese restaurativen Bilder auch in verschiedenen Novellen, beispielsweise in „Hochwald“ und in der „Narrenburg“. 76 Zum Historismus vgl.: Otto Gerhard Oexle, Historismus, Überlegungen zur Geschichte des Phänomens und des Begriffs, in: Ders., Geschichtswissenschaft im Zeichen des Historismus, Studien zu Problemgeschichte der Moderne, Göttingen 1996 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 116), S. 41-72; Reinhart Koselleck, Die Herausbildung des modernen Geschichtsbegriffs, in: Otto Brunner/ Werner Conze/ Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 2, E-G, Stuttgart 1975, S. 647-717, hier 705-706: Koselleck führt an dieser Stelle aus, daß der Begriff „Historismus“ im 19. Jahrhundert allgemein noch ambivalent besetzt war und die ausschließlich negative Bedeutung erst zu Anfang des 20. Jahrhunderts um sich griff. 77 Christian Begemann hat auf den engen Zusammenhang von Kulturverfall, der sowohl von Risach als auch von Stifter selbst beklagt wird, und Historismus aufmerksam gemacht. Gleichzeitig weist er darauf hin, daß im „Nachsommer“ sehr wohl auch der Wunsch vorhanden sei, über das additive faktographische Sammeln hinwegzukommen und „die ‚Seele eines Ganzen‘ zu erfassen“, worin die ambivalente Haltung Stifters zum Historismus sichtbar werde: Begemann, Adalbert Stifter, Der Nachsommer, S. 216. <?page no="100"?> eine Wissenschaft erscheinen soll, wenn sie auch noch nicht wissen, was diese Wissenschaft enthalten wird“ 78 . Das, was hier hinsichtlich der Erdgeschichte gesagt wird, darf durchaus auch ganz allgemein auf Geschichte und Geschichtswissenschaft angewandt werden, da Erdgeschichte und Geschichte des Menschen im „Nachsommer“ eng miteinander zusammenhängen 79 . Möglicherweise nimmt Stifter hier indirekt auf das berühmte Diktum Leopold von Rankes Bezug, nach dem die Historie nicht „das Amt [hat], die Vergangenheit zu richten, die Mitwelt zum Nutzen zukünftiger Jahre zu belehren“, sondern „bloß zeigen [soll], wie es eigentlich gewesen“ 80 ; Stifter würde damit dessen vordergründigen Zugriff auf Geschichte beanstanden und nähme die Historismuskritik vorweg, die später Nietzsche in den „Unzeitgemäßen Betrachtungen“ geäußert hat 81 , was vielleicht nicht zuletzt ein Grund für die positive Beurteilung des „Nachsommer“ durch Nietzsche ist: sie sorgte dafür, daß Stifters Roman, im 19. Jahrhundert Geschichte 93 78 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 126-127. 79 Ebd., S. 122. Diese Deutung von Geschichte wird im Roman zwar durch den Hinweis Risachs eingeschränkt, daß die Erde und die Erdbeschreibung Teil der Naturwissenschaft seien und nichts mit dem Bereich der Geschichte zu tun hätten; dieser wird aber letztlich nicht weiter verfolgt. Ebd., S. 220. 80 Leopold von Ranke, Vorrede der ersten Ausgabe [der Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1514], October 1824, in: Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1514, Leipzig 1874 (= Leopold von Ranke’s Sämmtliche Werke, Bd. 33 und 43), S. V-VIII, hier S. VII (im folgenden zitiert als: Ranke, Vorrede der ersten Ausgabe [der Geschichte der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1514]). Damit wendet sich Ranke tatsächlich von einer aufgeklärten Geschichtssicht ab. Bei Stifter kann keine direkte Ranke-Lektüre nachgewiesen werden. Es ist jedoch mit einer solchen zu rechnen, weil Stifter zeit seines Lebens sehr aufmerksam die Entwicklungen in der Geschichtstheorie und -wissenschaft verfolgte. So ist sicher, daß Stifter sich mit der „Allgemeinen Weltgeschichte“ von Rotteck auseinandersetzte. Hierzu: Alfred Doppler, Die Amoralität der Geschichte, Adalbert Stifters Verhältnis zur Geschichte, in: Ders., Geschichte im Spiegel der Literatur, Aufsätze zur österreichischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, Innsbruck 1990 (= Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft, Germanistische Reihe, Bd. 39), S. 47-57, hier S. 47-48. In der „Vorrede“ zu der „Allgemeinen Weltgeschichte“ fordert Rotteck, in Anlehnung an Ranke, von der Geschichte folgendes: „Es darf also die Geschichte in ihrer Forschung und Darstellung von keinem philosophischen Systeme abhängig seyn, oder Partei für irgend eines nehmen. Ihr alleiniger Gegenstand ist: Darstellung des Geschehenen“, (Hervorhebung in der Vorlage), Rotteck, Einleitung, S. 9. Gleichwohl führt Rotteck aus, daß die Geschichte philosophisch perspektiviert sein müsse. Hier wird ein ambivalentes Verhältnis zum Historismus sichtbar, das auch für Stifters Auffassung charakteristisch ist. 81 Friedrich Nietzsche, Unzeitgemäße Betrachtungen, 2. Stück: Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben, in: Friedrich Nietzsche, Die Geburt der Tragödie, Unzeit gemäße Betrachtungen I-IV, nachgelassene Schriften 1870-1873, München 1999 (= Kritische Studienausgabe, hrsg. von Giorgio Colli/ Mazzino Montinare, Bd. 1), S. 245-334. <?page no="101"?> wenig rezipiert, zu einem kanonischen Werk wurde 82 . Andererseits steht Stifter mit seiner Forderung nach Objektivität im Gefolge Rankes 83 , so daß die Einstellung Stifters zum Historismus im „Nachsommer“ ambivalent erscheint. Einen deutlichen Bezug zum Historismus hat auch die „Bernsteinhexe“, der einzige historische Roman unter den vier ausgewählten, der noch dazu eine besondere Struktur hat 84 : Er arbeitet mit der Fiktion einer historisch authentischen Überlieferung, so daß durch den Anspruch auf Geschichtlichkeit eine gewisse Autorität erlangt werden soll. Mit den vom fiktiven Herausgeber beigefügten Fußnoten wird die Wechselbeziehung zwischen Geschichtswissenschaft und epischer Kunst hervorgehoben 85 , die Anmerkungspraxis erweist sich als „Schnittstelle zwischen poetologischem Kalkül, wissenschaftlicher Enzyklopädie und didaktischer Pflege des Leseverständnisses“ 86 . Im Hintergrund steht hier ebenfalls die Auseinandersetzung mit historistischen Strömungen der eigenen Zeit: Die „Bernsteinhexe“ und die Imitation der altertümlichen Sprache in diesem Roman ist nicht zuletzt aus der Beschäftigung mit David Friedrich Strauß entstanden, der in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts versuchte, das Leben Jesu zu historisieren und behauptete, daß allein aufgrund von quellenkritischen Arbeiten die Echt- oder Unechheit eines historischen Dokumentes erkannt werden könne 87 . Meinhold reagierte auf diese These 88 , indem er die „Bernsteinhexe“ als Originalmanuskript aus dem 17. Jahrhundert veröffentlichte, was so überzeugend wirkte, daß er später Schwierigkeiten mit der Widerlegung hatte 89 . Damit ist Meinholds Roman zu einem spielerischen und dennoch kritischen Kommentar zum Historismus geworden, der auch von den Zeitgenossen als solcher verstanden und bald populär wurde. Dies zeigt nicht zuletzt eine kleine Bemerkung in den „Rittern vom Geiste“, mit der Gutzkow seinen eigenen Rückgriff auf historisierende Elemente 90 iro- 94 Der Kulturroman 82 Zu Nietzsches Nachsommer-Rezeption: Helga Bleckwenn, Nietzsches Nachsommer- Lob, Deutungsversuche und Wirkungsperspektive, in: Johann Lachinger (Hrsg.), Adalbert Stifter, Studien zu seiner Rezeption und Wirkung I, 1868-1930, Linz 1995, S. 67-78. 83 Begemann, Adalbert Stifter, Der Nachsommer, S. 216. 84 Hugo Aust macht darauf aufmerksam, daß die „Bernsteinhexe“ kein klassischer historischer Roman sei, sondern ein Grenzfall, weil er eine Fiktion sei, die sich als Chronik ausgebe: Aust, Der historische Roman, S. 22. Zur Form der „Bernsteinhexe“ außerdem: Leppla, Wilhelm Meinhold und die chronikalische Erzählung. 85 Aust, Der historische Roman, S. 29. 86 Ebd., S. 31. 87 Strauß, Das Leben Jesu. 88 Vgl. hierzu: Meinholds Briefe, S. 49, 59. Meinhold, Vorrede zur 2. Aufl. [der Bernsteinhexe]. 89 Ebd. 90 Die zentrale Handlung um die Dokumente aus dem Archiv von Angerrode, den verschwundenen Schrein und Dankmars Bemühungen, die Tempelritter zu restituieren, sprechen für eine historistische Lesart des Romans. Sie findet sich aber auch in Einzelheiten der Figurengestaltung wieder. So ist Siegbert beispielsweise Historienmaler. <?page no="102"?> nisiert, womit auch bei diesem Autor das zwiespältige Verhältnis zum Historismus deutlich wird: Einerseits kann er - schon aus Gründen der Rücksicht gegenüber literarischen Moden, welche die Verkäuflichkeit eines Buches bestimmen - nicht auf entsprechende Zutaten verzichten, andererseits sieht er durchaus, wie unzureichend eine historistische Auffassung ist. Als Dankmar seinem Bruder über den Fund der Dokumente in Angerrode berichtet und ihm deutlich macht, welche Folgen diese Entdeckung für sie haben könnte, begreift Siegbert dieses zunächst als einen Scherz, über den er sich folgendermaßen äußert: „Fingierte Memoiren des Johannesritters Hugo von Wildungen, sagte Siegbert lachend, deine ersten schriftstellerischen Versuche im Geschmack der Bernsteinhexe […], die man so lang für echt bewunderte, bis sich entdeckte, daß irgendein ruhmsüchtiger pommerscher Landpastor […] diese Märchen erfunden hat“ 91 ! Neutraler wird ein ähnliches Verhältnis zum Historismus in „Maler Nolten“ hergestellt. Auch hier findet sich in der „Jung-Volker-Episode“ der Versuch, durch die Imitation einer altertümlichen Sprache ein historisches Dokument zu fingieren 92 , wobei von Anfang an, durch die Integration in den Roman, die Fiktionalität außer Frage steht. Sowohl Stifter 93 und Gutzkow als auch Meinhold und Mörike bleiben aber nicht bei dieser Kritik stehen, sondern entwickeln Gegenvorstellungen; deshalb wird in allen Romanen - freilich auf unterschiedliche Weise - vorgeführt, daß Geschichte interpretiert und in ihr irgendeine Form von einem verwirklichten „Weltplan“ 94 gesehen werden muß. In der Auseinandersetzung mit dem Historismus einerseits und der Forderung nach einer teleologischen Geschichtsschreibung andererseits geben die Romanschriftsteller zu erkennen, daß sie in einer Zeit leben, die sich auch in Hinblick auf die Geschichtstheorie als Übergangszeit darstellt, in der Elemente der Aufklärungshistorie neben „moderneren“ historistischen Ansätzen stehen 95 . Beide Komponenten wer- Geschichte 95 91 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 76. 92 Mörike, Maler Nolten, S. 297-299. Im Briefwechsel begegnet man öfter „philologischen Irreführungen“ Mörikes, wenn er beispielsweise eigene Gedichte als Shakespeare- Übersetzungen oder Volkslieder ausgibt. Mörike, Brief an Johannes Mährlen vom 03.10.1827, in: Eduard Mörike, Briefe 1811-1828, hrsg. von Bernhard Zeller/ Anneliese Hofmann, Stuttgart 1982 (= Werke und Briefe, Historisch-Kritische Gesamtausgabe, hrsg. von Hans-Henrik Krummacher/ Herbert Meyer/ Bernhard Zeller, Bd. 10), S. 182-186, hier S. 185 (im folgenden zitiert als: Mörike, Briefe 1811-1828). 93 Auch die Tatsache, daß der allgemeinen Verfallsgeschichte ein zyklisches Zeitverständnis entgegengestellt wird, das sich am Werden und Vergehen der Natur orientiert, ist als Gegenkonzept zum Historismus zu verstehen. Begemann, Adalbert Stifter, Der Nachsommer, S. 223-224. 94 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 3289. 95 Auch in der Geschichtswissenschaft des Vormärz und der Jahre nach 1848 ist dieser Dualismus zu finden. Andreas Wirsching konnte das anhand der Geschichtsauffassung von <?page no="103"?> den in allen vier Romanen unterschiedlich nuanciert und überschneiden sich doch in einem Bereich, der als Kulturgeschichte bezeichnet werden kann und damit diejenige Auffassung von Geschichte benennt, die dem „Kulturroman“ zugrunde liegt. Ethnographisch-chorographische Geschichtsschreibung Es ist in diesem Zusammenhang von zentraler Bedeutung daß im „Nachsommer“ in Risachs Wartezimmer die „Reise in die Äquinoktialländer“ von Alexander von Humboldt 96 immer griffbereit liegt. Hierbei handelt es sich um einen Reisebericht, in dem geographische, physikalische, astrologische und zoologische Beschreibungen zu finden sind, durch diverse Landkarten, planetarische, botanische und zoologische Bildtafeln illustriert. Die naturwissenschaftlichen Befunde werden durch historische und ethnologische Informationen nicht unwesentlich ergänzt, die sich ihrerseits teilweise auch zu Angaben über die Entwicklung der Menschheitsgeschichte ausweiten. Daß dies alles eng mit Überlegungen zur Kultur(geschichte) verbunden ist, zeigt beispielsweise eine Passage wie diese: „Peu de temps après la découverte de l’Amérique, lorsque l’Espagne étoit parvenue au plus haut degré de sa splendeur, on se plaisoit à célébrer la douceur de caractère des Guanches, comme on a célébré de nos jours l’innocence des habitans d’Otahiti. Dans l’un et l’autre de ces tableaux, le coloris paroît moins vrai que brillant. Quand 96 Der Kulturroman Georg Gottfried Gervinus und Heinrich von Sybel nachweisen: Andreas Wirsching, Liberale Historiker im Nachmärz: Georg Gottfried Gervinus und Heinrich von Sybel, in: Formen der Wirklichkeitsauffassung nach 1848, Deutsche Literatur und Kultur vom Nachmärz bis zur Gründerzeit in europäischer Perspektive, Bd. 1, hrsg. von Helmut Koopmann/ Michael Perraudin unter Mitarbeit von Andrea Bartl, Bielefeld 2003, S. 147- 165, hier v. a. S. 151-156. 96 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 57. Stifter bezieht sich hier auf folgendes Werk Alexander von Humboldts, das 1814 zuerst in französischer Sprache erschien und in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts ins Deutsche übersetzt wurde: Voyage aux Régions équinoxiales du nouveau Continent fait en 1799, 1800, 1801, 1802, 1803 et 1804, par Al. de Humboldt et A. Bonpland, rédigé par Alexandre de Humboldt, Tome Premier, Nachdruck der Ausgabe Paris 1814, Amsterdam, New York 1973 (im folgenden zitiert als: Humboldt, Voyage aux Régions équinoxiales, Tome Premier). Bei Mörike kann erst für die 40er Jahre eine intensive Beschäftigung mit Geologie und Petrefaktenkunde nachgewiesen werden, die auch bei ihm im Zusammenhang mit historischem Interesse steht. In diese Zeit fällt eine persönlichere Beziehung zu Alexander von Humboldt, der sich beim württembergischen Kronprinzen für Mörike verwendete. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, daß sich Mörike schon früher mit den Werken Humboldts beschäftigt hat. Vgl. hierzu: Mörike, Briefe vom 03. und 07.04.1845 an Familie Schmidlin und Ludwig Bauer, in: Mörike, Briefe 1842-1845, S. 233-235, S. 236-239. Auch für die „Ritter vom Geiste“ ist eine Beschäftigung mit Humboldt nachzuweisen. Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 743. <?page no="104"?> les peuples, fatigués des jouissances de l’esprit, ne voient plus dans le raffinement des mœurs que le germe de la dépravation, ils sont flattés de l’idée que, dans une régions lointaine, à la première aurore de la civilisation, des sociétés naissantes jouissent d’une bonheur pur et constant. C’est à ce sentiment que Tacite dut une partie de son succès lorsque’il retraça aux Romains, sujets de Césars, le tableau des mœurs germaniques; ce même sentiment donne un charme inexprimable au récit des voyageurs qui, depuis la fin du dernier siècle, ont visité les îles du Grand Océan“ 97 . Humboldts Reisebericht wird im „Nachsommer“ in einem Atemzug mit Johann Müllers „Geschichte der Menschheit“ genannt. Gemeint sind wahrscheinlich die von Johann von Müller herausgegebenen „Propyläen der Geschichte der Menschheit“, „Präludien zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ und „Postscenien zur Geschichte der Menschheit“ von Johann Gottfried Herder 98 . In diesem Zusammenhang ist besonders die darin enthaltene Schrift „Das Geheimnis der Geschichte“ informativ, weil dort ein Gegensatz zwischen Barbaren und dem Kulturvolk der Griechen aufgebaut und unter dieser Voraussetzung eine „Menschen-Geschichte“ geschrieben wird, die synonym zum „Gange der Cultur“ verwendet wird 99 . An späterer Stelle sagt Herder ausdrücklich, daß die Geschichtsschreiber „[…] fortgehend und wachsend im Fortschritte […] die Menschen am Ende doch nur Menschlichkeit lehren [konnten]“ 100 . Damit wird abermals auf den engen Zusammenhang von theoretischen Überlegungen zum Thema Kultur und der Frage nach dem Wesen des Menschen verwiesen. Schließlich findet sich in Risachs Bibliothek noch Carl Ritters „Erdkunde im Verhältniß zur Natur und zur Geschichte des Menschen“ 101 . Schon aus dem Titel geht die enge Verbindung von Geographie und Geschichte hervor, die der Autor unter dem verbindenden Aspekt der „Menschlichkeit“ beziehungsweise der „menschlichen Natur“ in einer Einleitung dann erklärt. Ritter Geschichte 97 97 Humboldt, Voyage aux Régions équinoxiales, Tome Premier, S. 190-191. Zum Gebrauch von Zivilisation und Kultur im Französischen vgl. Fisch, Zivilisation, Kultur, S. 705-706. 98 Johann Gottfried von Herder, Propyläen der Geschichte der Menschheit, hrsg. durch Johann von Müller, Tübingen 1805; Johann Gottfried von Herder, Präludien zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, hrsg. von Johann von Müller, Tübingen 1806 (= Johann Gottfried von Herder’s sämmtliche Werke zur Philosophie und Geschichte, 2. Theil); Johann Gottfried von Herder, Postscenien zur Geschichte der Menschheit, nebst einem Anhang, hrsg. von Johann von Müller, Tübingen 1807 (= Johann Gottfried von Herder’s sämmtliche Werke zur Philosophie und Geschichte, 7. Theil). 99 Ebd., S. 30. 100 Ebd., S. 38 (Hervorhebung in der Vorlage). 101 Carl Ritter, Die Erdkunde im Verhältniß zur Natur und zur Geschichte des Menschen, oder allgemeine, vergleichende Geographie als sichere Grundlage des Studiums und Unterrichts in physikalischen und historischen Wissenschaften, 2., stark vermehrte und verbesserte Aufl., Berlin 1822-1859 [1. Aufl. ab 1816]. <?page no="105"?> nennt in diesem Zusammenhang alle Merkmale, die für die Kulturdefinition konstituierend sind: Neben Natur und Geschichte ist das vor allen Dingen das Verhältnis des Einzelnen zu einem Volk, einer Nation oder einem Staat und die Sittlichkeit des Menschen 102 . Mit diesen drei Referenztexten ist Geschichte im „Nachsommer“ im wahrsten Sinne des Wortes zur „Menschheitsgeschichte“ geworden und greift damit die zentrale Frage der Kulturdiskussion nach Wesen und Beschaffenheit des Menschen auf. Es werden Geschichtsvorstellungen aus dem 18. Jahrhundert genutzt und weiterentwickelt, indem sie um einen naturwissenschaftlichen Aspekt ergänzt werden 103 . Damit avancieren sie zu einem Vorläufer der Kulturgeschichte im modernen Sinn, die auch in der zeitgenössischen Geschichtswissenschaft als historische Möglichkeit reflektiert wurde: Bereits in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts, also in der Zeit, in der Mörike an „Maler Nolten“ arbeitete, wurde in der Geschichtswissenschaft die Frage gestellt, ob Geschichte ethnograpisch-chorographisch oder ereignisgeschichtlich orientiert sein sollte 104 . Barthold Georg Niebuhr beispielsweise schickt diese grundsätzliche Frage seiner Vorlesung über alte Länder- und Völkerkunde, die er im Wintersemester 1827/ 28 an der Universität Bonn gehalten hat, als Einleitung voraus. Er kommt zu dem Schluß, daß sich Chorographie und Ethnographie ergänzen müssen und besteht darauf, daß die Darstellung der Zustände, worunter er die Beschreibung der Völker versteht, von besonderer Wichtigkeit für die Geschichtswissenschaft ist 105 . So lautet eine Passage aus den Vorbemerkungen zu seiner Vorlesung: 98 Der Kulturroman 102 Ritter, Die Erdkunde im Verhältniß zur Natur und zur Geschichte des Menschen, 1. Theil, 1. Buch, Berlin 1822, S. 1-7. 103 Risach erläutert im „Nachsommer“, daß es ein verbreitetes Vorgehen der Zeitgenossen sei, Erdbeschreibung und Geschichte zu kombinieren. Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 220. 104 Ranke, Vorrede der ersten Ausgabe [der Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1514]; B. G. Niebuhr, Vorträge über alte Länder- und Völkerkunde, an der Universität Bonn gehalten, Bonn 1851 [im Wintersemester 1827/ 28 als Vorlesungen gehalten], S. 1-3 (im folgenden zitiert als: Niebuhr, Vorträge über alte Länder- und Völkerkunde); Rotteck, Einleitung. 105 Niebuhr, Vorträge über alte Länder- und Völkerkunde, S. 1. Die Betonung der ethnographischen Elemente ist natürlich vor dem Hintergrund des Vorlesungsthemas verständlich, die sich mit Völkerkunde beschäftigt. In diesem Zusammenhang ist es aber besonders auffallend, wie Niebuhr den Begriff „Zustand“ verwendet, der sowohl in der theoretischen Kulturdiskussion als auch bei den betrachteten Romanautoren von besonderer Bedeutung ist. Zustand bedeutet Beschaffenheit, so daß ziemlich direkt die Frage nach dem Wesen des Menschen gestellt wird, das hier allerdings auf eine Gruppe von Menschen (der Völker) in historischer Perspektive bezogen ist. Daß in der zeitgenössischen Geschichtstheorie der Begriff des Zustandes prinzipiell wichtig war, zeigt auch eine Bemerkung von Wilhelm von Humboldt, in der er den Zustand als Gegenteil von Geschichte ausgibt: Humboldt, Inwiefern läßt sich der ehemalige Kulturzustand <?page no="106"?> „In den ältesten Zeiten ist Ethnographie und Chorographie immer das Hauptsächlichste gewesen, hernach ist dieß immer weniger der Fall. Beide dürfen aber nicht getrennt werden; ohne alle Bekanntschaft mit dem Zustande dessen woran die Ereignisse vorgehen ist die Beschäftigung mit der Geschichte durchaus verloren, aber die bloße Kenntniß des Landes ist nicht ausreichend, die Eigenthümlichkeit der Völker, seine Producte u.s.w. müssen auch hinlänglich klar werden, ohne sie ist die Geschichte nur ein todtes Wesen“ 106 . Eine ähnliche Geschichtssicht liegt dem „Nachsommer“ zugrunde, was deswegen auffallend ist, weil auch Stifter den historischen Entwicklungsgedanken mit dem ursprünglichen Bildbereich von Kultur, nämlich mit dem Bereich der Landwirtschaft verbindet. So bestätigt sich hier erstmals, daß die Metapher der Bodenbestellung tatsächlich der Ausgangspunkt zu abstrakter Kulturreflexion ist und die Ästhetik des Kulturromans beleuchtet; die abstrakten Komponenten der zeitgenössischen Kulturdiskussion werden in konkrete Bilder verwandelt 107 : „Überall, wo Völker mit bestimmten geschichtlichen Zeichnungen auftreten, und vernünftige Staatseinrichtungen haben, finden wir sie schon zugleich mit dem Getreide, und wo der Hirte in lockreren Gesellschaftsbanden aber vereint mit seiner Heerde lebt, da sind es zwar nicht die Getreide, die ihn nähren, aber doch ihre geringeren Verwandten, die Gräser, die sein ebenfalls geringeres Dasein erhalten“ 108 . Diese Vorstellung ist charakteristisch für kulturgeschichtliche Gedanken im 19. Jahrhundert, die bis zur Jahrhundertmitte bereits einige Popularität erreicht hatten 109 . Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, daß in den Bereich der Kulturgeschichte das Gebiet der Erdgeschichte mit hinein Geschichte 99 der eingeborenen Völker Amerikas aus den Überresten ihrer Sprache beurtheilen, S. 9. Allein an der Verwendung des Begriffes „Zustand“, wie er von Niebuhr und von Humboldt eingesetzt wird, zeigen sich die beiden historischen Hauptströmungen des 19. Jahrhunderts: die ethnographische (die den Zustand als wichtigen Teil der Geschichte betrachtet) und die chronographische (die den Zustand als Gegenteil von Geschichte versteht), die beide wichtig für die Kulturdiskussion sind und auch für die Romane, die sich mit Geschichts- und Kulturvorstellungen beschäftigen. 106 Niebuhr, Vorträge über alte Länder- und Völkerkunde, S. 1-2. 107 In den folgenden Kapiteln wird aus diesem Grund auch immer auf die Verbindung von diesem Bild und dem kulturkonstituierenden Merkmal hingewiesen. Damit soll gezeigt werden, daß diese Metapher ein grundlegendes Merkmal des Kulturromans ist. Darüber hinaus gibt dieses Verfahren Aufschluß über die ästhetische Verfahrensweise des Kulturromans, die in der Transformation eines Abstraktums ins konkret sinnlich Wahrnehmbare besteht. 108 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 71. 109 Vgl. hierzu beispielsweise: [Stichwort: ] Kultur und Kulturgeschichte, in: Das große Conversations-Lexicon für die gebildeten Stände, in Verbindung mit Staatsmännern, Gelehrten, Künstlern und Technikern hrsg. von J. Meyer, Bd. 19, 1. Abtheilung, Hildburghausen 1851, S. 408-415. <?page no="107"?> spielt 110 . Kultur ist, auch in ihrer geschichtlichen Entwicklung, immer an einen bestimmten Ort gebunden, der die Menschen bestimmt, die an ihm leben. Sie ist damit sowohl historisch als auch geographisch determiniert. Es kommt auch nicht von ungefähr, daß Niebuhr immer wieder betont, daß die Bekanntschaft mit dem Boden eines Landes von besonderer Wichtigkeit für das Verständnis der Geschichte eines Volkes sei, daß „die Geschichte der alten Völker nicht ohne Kenntniß der durch die Eigenthümlichkeit ihres Landes bedingten Zustände“ 111 möglich sei. Restauration vergangener Sitten So läßt sich in einer Geschichtssicht, die chorographisch orientiert ist, eine Definition von Kultur im engeren Sinne finden: Mit dem wörtlichen Bildbereich wird die Wiederherstellung und Rekonstruktion „der Eigenthümlichkeiten der Völker, seine Produkte“ 112 verbunden, kurz: das Alltagsleben von vergangenen Tagen steht im Mittelpunkt des Interesses. Dieses Bestreben wird im „Nachsommer“ anschaulich in Eustachs Werkstatt demonstriert, in der Gebrauchsgegenstände aus alten Zeiten historisch getreu wiederhergestellt und Grundsätze der Restauration erläutert werden: Zunächst muß die Geschichte der Möbel rekonstruiert werden, um diese dann restaurieren zu können. Dieses Vorgehen gilt vice versa auch für „bedeutendere Gegenstände“ 113 , bei denen es ebenfalls darum geht, ihre Beschaffenheit aus ihren historischen Bedingungen zu ermitteln. Da es - zumindest im „Nachsommer“ - in erster Linie um ästhetisch ansprechende Dinge geht, wird hier auch Kunstgeschichte in einer Weise geschrieben, wie sie auf wissenschaftlicher Ebene drei Jahre nach dem Erscheinen von Stifters Roman von Jacob Burckhardt mit der „Kultur der Renaissance in Italien“ 114 bekannt wurde. Aber Stifter läßt nicht nur seine Romanfiguren auf diese Weise tätig sein. Er selbst versuchte auch Kulturgeschichte zu schreiben, die auf volkskundlicher Recherche beruht. Das kann aus einer Bemerkung geschlossen werden, 100 Der Kulturroman 110 Vgl. hierzu Alexander von Humboldts „Reisen in die Äquinoctialländer von Amerika“ und Ritters „Erdkunde“. Interessanterweise macht Stifter selbst im „Nachsommer“ darauf aufmerksam, daß die Wissenschaft der Erdbildung ein weites Feld sei, wenn sie in der Bedeutung der Erdgeschichte genommen wird, und weiterhin, daß diese Wissenschaft relativ neu und typisch für das 19. Jahrhundert sei. Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 126. 111 Niebuhr, Vorträge über alte Länder- und Völkerkunde, S. 2. 112 Ebd. 113 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 98. 114 Jacob Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien, Ein Versuch, hrsg. von Werner Kaegi, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1930 (= Jacob Burckhardt, Gesamtausgabe, Bd. 5, Die Kultur der Renaissance in Italien) (im folgenden zitiert als: Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien). <?page no="108"?> die in einem Brief vom 23. Juli 1865 an Siegmund Freiherrn von Handel zu finden ist, in der Stifter auf eine Kritik zu seinem eigenen historischen Roman, dem „Witiko“, reagiert: Man hatte ihm einige Anachronismen vorgeworfen, was er folgendermaßen kommentiert: „Was Messer und Gabel und Tischtuch betrifft, so wird das wohl ein Fehler sein, wenn ich auch glaube, daß nicht alles richtig ist, was uns ein Sittengeschichtler erzählt; aber wo bezüglich sachlicher Richtigkeit auch nur ein kleiner Zweifel besteht, sollte man dem aus dem Wege gehen […]“ 115 . In diesem Zitat ist der Terminus der „Sittengeschichte“ von besonderem Interesse, weil es sich hierbei genau um das handelt, was bis weit ins 20. Jahrhundert als Kulturgeschichte verstanden wurde, nämlich die (volkskundliche) Rekonstruktion vergangener Sitten und Lebensweisen 116 . Auch die „Bernsteinhexe“ läßt eine ähnliche Geschichtssicht erkennen, wenn von vornherein ein Stück Alltagsleben aus dem Dreißigjährigen Krieg als Thema der Handlung gewählt wird und es nicht um die großen Schlachten und Figuren des 17. Jahrhunderts geht, sondern um das Leben in einem kleinen Dorf auf der Insel Usedom und um die Nöte, welche die Bevölkerung in dieser Zeit erleiden mußte. Für diese Lesart spricht auch die eine und andere volkskundlich-kulturgeschichtliche Anmerkung, die vom erfundenen Herausgeber eingefügt wird, um die Sitten der damaligen Zeit darzulegen: Einmal erklärt er zum Beispiel, welche Möglichkeiten und Mittel vorhanden waren, um festzustellen, ob ein Mensch vom Teufel besessen war 117 . Darüber hinaus Geschichte 101 115 Stifter, Brief an Sigmund Freiherrn von Handel vom 23.07.1856, S. 4-8, in: Adalbert Stifters Sämmtliche Werke, Bd. 21, Briefwechsel Bd. 5, mit Benutzung der Vorarbeiten von Adalbert Horcicka hrsg. von Gustav Wilhelm, Reichenberg 1928, S. 4-8, hier S. 5. Noch zwei Monate später kommt Stifter auf den gegen ihn gerichteten Vorwurf zurück: „Im Buche der Richter steht: Heli’s Söhne haben das Opferfleisch mit Gabeln aus den Töpfen genommen. Haben diese auch einen Verstoß gegen die Kulturgeschichte gemacht“? Stifter, Brief an Sigmund Freiherrn von Handel vom 24.09.1865, in: ebd., S. 25 (Hervorhebung in der Vorlage). Hugo Aust kommentiert diesen Vorfall folgendermaßen: „Stifter hat es verdrossen, im kulturhistorischen Detail fehlgegriffen zu haben, obwohl er wußte, daß es nicht darauf ankam“. Aust, Der historische Roman, S. 25. 116 Wie sehr dieses Denken schon in der Zeit selbst präsent war, zeigt der Verweis auf Niebuhr. Die Vorstellung, daß das 19. Jahrhundert in toto einer ereignisgeschichtlichen Auffassung verpflichtet sei, ist damit hinfällig. Sowohl in der Geschichtstheorie der Zeit als auch in den Romanen, die eng an diese angelehnt waren, sind bereits moderne kulturwissenschaftliche und -geschichtliche Konzepte angelegt. Vgl. hierzu: Geertz, Dichte Beschreibung. 117 Meinhold, Die Bernsteinhexe, S. 83. Darüber hinaus beschäftigt sich der Pfarrer mit dem Auszug aus Ägypten und mit der Zerstörung Trojas, um seine eigene geschichtliche Situation verstehen zu können. Ebd., S. 14, 85. Neben den religiösen Anspielungen, die vor allen Dingen im ersten Fall von Bedeutung sind, ist auch die geschichtliche Parallele in diesem Zusammenhang von Bedeutung. Es wird nicht eine Heldengeschichte gelesen, sondern es wird die Geschichte eines Volkes verfolgt. <?page no="109"?> weist der fiktive Redakteur in einer Fußnote auf „Hellers Chronik der Stadt Wolgast“ hin 118 . In dieser lokalhistorischen Abhandlung wird in ähnlicher Weise ein Abriß über die kulturgeschichtliche Situation auf Usedom während des Dreißigjährigen Krieges geboten: Schon in der Vorrede macht Heller deutlich, daß er seine Chronik nicht zuletzt für die Nachwelt geschrieben hat, um dieser zu zeigen, wie die Sitten und Gebräuche der Voreltern waren; im Anschluß an diese Erklärung fährt er fort: „Zu diesem Zwecke habe ich auch vorzüglich das Sitten- und Cultur-Gemälde aufgestellt“ 119 . So ist zwar in Meinholds Roman einmal am Rande von der Landung Gustav Adolfs auf Usedom die Rede. Dieses Ereignis dient jedoch nur dazu, Marias fortschreitende Isolation in der Gesellschaft zu beschreiben; das charakterisiert die Situation der Heldin und ist für die weitere Romanhandlung unwichtig. Die „Bernsteinhexe“ erweist sich als ein historischer Roman vom „ethnographischen oder auch kulturgeschichtlichen Typus“ 120 , so daß an einem konkreten Beispiel deutlich wird, daß gerade die Form des historischen Romans besonders gut dazu geeignet ist, das Werden und Vergehen von Kultur zu zeigen. Es geht also in den Romanen um die Entwicklung der menschlichen Sitten und Gebräuche, wobei naturgemäß - da es sich um einen im wahrsten Sinne des Wortes volkskundlichen Ansatz handelt - nicht die Rede von Individualgeschichte sein kann, sondern von der Geschichte einer Gemeinschaft 121 . Dieser Gedanke findet sich in den „Rittern vom Geiste“, wo es heißt: „Die Zeit läßt sich durch einen Einzelnen nur in den seltensten Fällen bestimmen“ 122 . Hier ist die Vorstellung, die noch in der deutschen Klassik verbreitet war, aufgegeben, daß Geschichte von Individuen bestimmt wird. An anderer Stelle wird deutlich, daß Gutzkow gerade diesen Wandel als typisch für das 19. Jahrhundert ansieht, ja sogar darin die große Differenz zwischen 19. und 18. Jahrhundert erkennt: in diesem sei die Individualität und ihre Auswirkung auf die Geschichte weitaus größer gewesen als in jenem 123 . Auf diese Weise ist tatsäch- 102 Der Kulturroman 118 Ebd., S. 54. 119 Carl Heller, Chronik der Stadt Wolgast, Greifswald 1829, S. VII. Heller bezieht sich hier zwar in erster Linie auf die Teile, welche seine eigene Gegenwart berühren, eine ähnliche Darstellungsintention liegt aber auch den im eigentlichen Sinne „historischen“ Teilen zugrunde. 120 Aust, Der historische Roman, S. 33. 121 Im „Nachsommer“ ist es die Rosenhauswelt mit ihren Bewohnern, in der die Entwicklung einer Gemeinschaft erörtert wird; in den „Rittern vom Geiste“ ist es die Organisation des Geheimbundes und seine historischen Vorbilder, wie zum Beispiel die Tempelritter. 122 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 2269. 123 Illustriert wird diese Einschätzung im Roman nicht zuletzt auch durch die Figur des Dagobert von Harder, von dem ausdrücklich gesagt wird, daß er ein Relikt aus dem 18. Jahrhundert sei, der als Einzelner den großen und geschichtlich bedeutenden Prozeß der Brüder Wildungen zu deren Gunsten entscheidet. Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 645-646. <?page no="110"?> lich Kultur zu einem leitenden Prinzip der Geschichte bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts geworden, in dessen Zeichen auch die Romane stehen, die in seinem zweiten Drittel geschrieben wurden. Sie unterscheiden sich dadurch von einer Geschichtssicht, die sich zunehmend an einer individualistischen Entwicklung nach dem Motto „Männer machen die Geschichte“ 124 orientiert. Auch in „Maler Nolten“ findet sich dieses volkskundliche Verständnis von Geschichte, wenn ausführlich der Untergang von Orplid beschrieben wird sowie die Neubesiedlung dieser Stätte, in der man sich für die Lebensweise derjenigen interessiert, die in alten Zeiten auf der Insel gewohnt haben 125 . Hier wird eine Koloniebildung beschrieben 126 ; die Konstituierung einer Gruppe verbindet sich mit dem Rückgriff auf Geschichte, um eine eigene Identität zu finden. Damit einher geht die Auffassung, daß nicht unbedingt die Kenntnis der Ereignisse, sondern tatsächlich die der Zustände von entscheidender Wichtigkeit für das Verständnis vergangener Zeiten ist 127 . Kulturgeschichte wird damit in gewisser Weise zu einer Synthese von aufgeklärter Geschichtssicht und historistischen Auffassungen, die das Stadium des faktographischen Sammelns überwunden hat und zeigen kann, daß Geschichte einem Sinn unterliegt, der bei den verschiedenen Autoren allerdings unterschiedlich nuanciert ist. Aus der Zusammenschau der verschiedenen Interpretationen ergeben sich aber alle weiteren inhaltlichen Merkmale, die für die Kulturdefinition konstituierend sind. Damit wird auch Auskunft darüber gegeben, was unter Kulturgeschichte in einem weiteren Sinne zu verstehen ist. Bezeichnenderweise wird in den „Rittern vom Geiste“ Humanität als Dreh- und Angelpunkt der Welt und als sinngebendes Element in der Geschichte verstanden. Dagobert von Harder äußert dies einmal wortwörtlich 128 ; dafür spricht aber auch die zentrale Handlung, in der es um die Konstituierung des Geheimbundes geht, der ja ein humanitärer Bund sein soll. Geschichte 103 124 Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert, Leipzig 1928, S. 27 [1. Aufl. 1879]. Besonders aufschlußreich ist es, daß sich Treitschke an dieser Stelle ausdrücklich von den Naturforschern abgrenzen will. Bedenkt man, daß sich im 18. Jahrhundert eine Geschichtssicht etabliert, die sich bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts gehalten hat, und die gerade den naturwissenschaftlichen Aspekt von Geschichte in den Vordergrund rückt, der dann auch konstituierend für eine kulturgeschichtliche Sichtweise wird, so wird vor diesem Hintergrund die Tragweite des Unterschieds gegenüber dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts deutlich. 125 Mörike, Maler Nolten, S. 95-96. 126 Ebd., S. 96. 127 Dieses Problem wird schon in den „Geschichten der romanischen und germanischen Völker“ von Ranke deutlich, in denen Ereignisgeschichte zu einer „Geschichte der Nationen“ wird. Ranke, Vorrede der ersten Ausgabe [der Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1514]. 128 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 3289. <?page no="111"?> Es ist daher durchaus verständlich, daß eng mit der volkskundlichen Bedeutung des Begriffs „Sittengeschichte“ die Darstellung der „Leiter des sittlichen Wesens der Menschheit“ 129 verbunden ist. In diesem begrifflichen Zusammenhang zeigt sich die Verbindung zur Kulturgeschichte im allgemeineren Sinne, bei der es nicht nur um volkskundliches Interesse geht, sondern um die Beantwortung der Frage nach Wesen und Beschaffenheit des Menschen auf historischer Basis. Geschichte als Heilsgeschichte Der humanistische Sinn, den Gutzkow der Geschichte zuschreibt, ist schon erwähnt worden. Bei Stifter erhält Geschichte eine ähnliche Bedeutung, allerdings mit dem Unterschied, daß es sich hierbei um Heilsgeschichte handelt, die einen göttlichen Ursprung und Lenker hat. Dies wird besonders dann deutlich, wenn im Roman die Geschichte als „Leiter des sittlichen Wesens [der Menschheit]“ 130 aufgefaßt und als Ausgangs- und Zielpunkt eines solchen Modells Gott angenommen wird. An diesem Punkt schließt sich der Kreis zum Anfang des Kapitels, denn vor diesem Hintergrund bekommt auch die Tatsache, daß die eigene Zeit als Untergangszeit eingeschätzt wird, eine andere Dimension: Sie erscheint eindeutig zielgerichtet, und eine religiöse Thematik kommt ins Spiel. Es ist daher nicht zufällig, daß sowohl im „Nachsommer“ als auch in den „Rittern vom Geiste“ wie ebenfalls im „Maler Nolten“ Vorstellungen von einem Goldenen Zeitalters geäußert werden 131 . Damit wird aber nicht mehr ein historischer Entwicklungsgedanke allein ausgedrückt, sondern schon ein Verweis auf eine heilsgeschichtliche Vorstellung und eine religiöse Entwicklung der Zeit gege- 104 Der Kulturroman 129 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 20. Wolfgang Albrecht hat darauf aufmerksam gemacht, daß sich Risach einerseits dem zeitgenössischen Kunstverfall entgegenstellen und andererseits für einen neuen Aufschwung der Kunst sorgen will. Er wolle aber noch mehr, nämlich „eine aus krisenhafter Stagnation herausführende Erhebung des Kulturzustandes insgesamt, die Sittlichkeit und die Staatsverhältnisse inbegriffen“: Wolfgang Albrecht, Geschäft, Genuß und Gemeinnutz, Korrelationen und Traditionen der ästhetischen Lebens-Ordnung in Stifters Nachsommer, in: Michigan Germanic Studies 18 (1992), S. 1-18, hier S. 11. Auch an anderer Stelle in der Forschung ist der Zusammenhang von Kunstverfall und sittlich-moralischem Verfall formuliert worden: Marianne Schuller, Das Gewitter findet nicht statt oder die Abdankung der Kunst, Zu Adalbert Stifters Roman Der Nachsommer, in: Poetica 10 (1978), S. 25-52, hier S. 42. 130 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 20. 131 Isabel Horstmann hat darauf hingewiesen, daß der „Letzte König von Orplid“ in der Tradition des romantischen Kunstmärchens steht und damit auch Anklänge an utopische Paradiesvorstellungen vorhanden sind, die allerdings immer sofort wieder ironisiert werden. Orplid sei die humoristische Version des „Goldenen Zeitalters“. Horstmann, Eduard Mörikes Maler Nolten, S. 44, 54-55. <?page no="112"?> ben. Nicht zuletzt aus diesem Grund wird die eigene Gegenwart als eine untergehende, erlösungsbedürftige Endzeit verstanden 132 . Deshalb wird auch die Entwicklung der Religion als besondere Ausprägung eines geschichtlichen Verlaufs angesehen. Wesentlich weniger transzendent scheint zunächst der Sinn von Geschichte und Zeit bei Meinhold und Mörike zu sein. Im „Letzten König von Orplid“ werden in zeitmythischer Bemäntelung archetypische menschliche Verhaltensweisen gezeigt. In der „Bernsteinhexe“ geht es, in historischer Kostümierung, um die Darstellung von menschlichen beziehungsweise unmenschlichen Zügen. Mit Hilfe des Romanpersonals wird deutlich, was das Gute und was das Böse ist: Auch dieser Roman ist letzten Endes religiös fundamentiert. Mit diesen Elementen sind aber bereits zentrale inhaltliche Definitionsmerkmale von Kultur angesprochen, nämlich Natur und Religion, die so eng miteinander zusammenhängen, daß schwer auszumachen ist, ob Natur als Ausgangspunkt für alle weiteren Entwicklungen angesehen werden muß, die Religion - sozusagen als eine Stufe der Veredelung - nach sich zieht, oder ob Religion das Ursprünglichere ist, weil sie sich mit Schöpfungsmodellen und damit mit der Frage nach dem Urheber und den Ursachen der menschlichen Natur beschäftigt. Die Romane selbst geben hier keine eindeutige Antwort. Da aber Kulturgeschichte seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert allgemein dazu neigt, Religion als erste Kulturstufe des Menschen zu verstehen 133 , die auf den Naturzustand folgt, und diese Vorstellung zumindest bei Gutzkow und Stifter auch in theoretischen Texten der Autoren zu finden ist 134 , wird dieser Gedankengang auch den weiteren Überlegungen zugrunde gelegt: die Kategorie „Religion“ soll im Anschluß an „Natur“ betrachtet werden. Neben Natur und Religion sind auch die anderen kulturkonstituierenden Elemente bereits in diesem Kapitel unter historischer Perspektive erwähnt worden: Kunst ebenso wie Bildung. Da Geschichte in erster Linie Menschheitsgeschichte ist, die als Geschichte eines Volkes oder einer Nation erscheinen kann und damit auf eine größere Gruppe von Menschen bezogen ist, laufen alle anderen Kriterien ebenfalls auf Überlegungen zur Organisation einer Gemeinschaft hinaus, denn sie haben zwar den Einzelnen im Blick, betrachten ihn aber immer im Zusammenhang mit einer Gruppe. So ist einerseits dem für die Kulturüberlegungen grundlegenden Gedanken über das Verhältnis von Einzelnem zur Allgemeinheit Rechnung getragen, andererseits wird hier be- Geschichte 105 132 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 3264. Zur Einschätzung der Zeit durch die anderen Autoren vgl. Kap. III. 133 Vgl. hierzu beispielsweise: Friedrich Schiller, Etwas über die erste Menschengesellschaft nach dem Leitfaden der Mosaischen Urkunde, in: Schillers Werke, Nationalausgabe, Bd. 17, Historische Schriften, 1. Teil, hrsg. von Karl-Heinz Hahn, Weimar 1970, S. 398-413. 134 Gutzkow, Die rothe Mütze und die Kapuze; Stifter, Die Zukunft des menschlichen Geschlechts, in: Stifters Sämmtliche Werke, Bd. 16; Stifter, Was ist Freiheit, in: ebd. <?page no="113"?> reits deutlich, was in den folgenden Kapiteln im konkreten Fall auszuführen sein wird: Alle weiteren Merkmale von Kultur haben in der Geschichte ihren Ausgangs-, in Staats- und Verfassungsvorstellungen 135 ihren Zielpunkt. Dies gilt - in etwas anderem Sinne - auch für das Definitionsmerkmal Natur, bei dem es nicht darum geht, den Charakter einer einzelnen Figur darzustellen, sondern um allgemeine Grundlagen des menschlichen Daseins, die das Zusammenleben wesentlich bestimmen. Diese Ermittlungen bedienen sich ebenfalls der historischen Methode, die sich nicht zuletzt deswegen anbietet, da Natur als geschichtliches Stadium aufgefaßt wird. 2. Natur Natürlichkeit wird in den „Rittern vom Geiste“ zur zentralen Eigenschaft des Menschen erhoben, die ihn nach der Vertreibung aus dem Paradies erst recht als Menschen kennzeichnet 136 . Überdies avanciert Natürlichkeit zum entscheidenden Merkmal der neuen Zeit 137 . Natur wird zu einem unmittelbaren Bestandteil des Lebens, sie wird zum Synonym für Leben überhaupt 138 . Das Verhältnis des Menschen zum Tier 139 - durchaus als verwandtschaftlich gese- 106 Der Kulturroman 135 Staats- und Verfassungsvorstellungen werden hier im weitesten Sinn, nämlich als Organisationsform vom Gemeinschaft verstanden. Damit sind sie zum Teil konkret gemeint, zum Teil als Chiffre. 136 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 1004. Auch diesem Gedanken liegt ein allgemeines entwicklungsgeschichtliches Bewußtsein zugrunde. 137 Ebd., S. 1046. Zum Zusammenhang von Kulturdiskussion und Einschätzung der Gegenwart vgl. Kapitel II und III. 138 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 315, 3001. 139 Dagobert von Harder hält in seinem Garten verschiedene Tiere, die ihm zur Beobachtung der Verhaltensweisen dienen, aber auch dazu, den Beweis zu erbringen, daß Tiere erziehbar sind und daß es möglich ist, verschiedene, von Natur aus verfeindete Arten friedlich zusammenleben zu lassen. Ebd., S. 632-636, 644-645, 3149, 3156. Andererseits wird die Ähnlichkeit des Menschen zum Tier betont, wenn gesagt wird, daß Murray gegenüber Auguste die Rolle eines Tierbändigers einnimmt (ebd., S. 1857) und die Diener Dystras mehr als Tiere denn als Menschen dargestellt sind (ebd., S. 2925), daß andererseits Tiere als Kinderersatz angesehen und auf dem Theater als Schauspieler eingesetzt werden (ebd., S. 2929-2931). Ähnliche Überlegungen zum Verhältnis von Tier und Mensch gibt es bei Stifter, der bereits 1845 einen Aufsatz mit dem Titel: „Zur Psichologie der Thiere“ verfaßt. Vgl. hierzu: Johann Lachinger, Verschlüsselte Adelskritik, Adalbert Stifters Erzählung Der beschriebene Tännling, in: Johann Lachinger/ Alexander Stillmark/ Martin Swales (Hrsg.), Adalbert Stifter heute, Londoner Symposium 1983, Linz 1985, S. 101-120, hier S. 112. Im „Nachsommer“ sind es die Tiere, die eine Zwischenstellung zwischen dem Menschen und der „tiefer stehenden Natur“ einnehmen. Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 120. In der „Bernsteinhexe“ erleiden Tiere das gleiche Schicksal wie Menschen. Meinhold, Die Bernsteinhexe, S. 78. Natur <?page no="114"?> hen - und zum Rest der „Schöpfung“ 140 wird auf vielfältige Weise hinterfragt: Ist der Mensch Teil des „großen Ganzen“ 141 der Natur, oder steht er in Opposition zu ihr? Kann er sie beherrschen, oder wird er von ihr gelenkt? Unterscheidet er sich mit seinen „animalischen“ 142 Anlagen wesentlich vom Tier, oder ist das „moralisierende Vieh“ 143 am Ende der bessere Mensch? Diese Probleme werden in den Romanen 144 aufgeworfen und mit der Einsicht verbunden, daß sie nur dann gelöst werden können, wenn man Natur als Ausgangspunkt von Geschichte und somit als einen Zustand 145 versteht, der über das physische, psychische und sittliche Wesen des Menschen und über seine darauf beruhende Wirklichkeitsinterpretation Auskunft geben kann. In „Maler Nolten“ wird immer wieder auf die Beziehung von Natur und seelischem Befinden hingewiesen. Die innere Natur des Menschen steht mit den Entwürfen der äußeren in direkter Verbindung. So wird im Roman einmal auf den engen Zusammenhang zwischen der Stimmung eines Menschen und seiner Empfänglichkeit für die Natur hingewiesen. Darüber hinaus wird gleich nach dieser Feststellung Constanzes Zustand nach dem vermeintlichen Verrat Noltens mit dem Zustand von Pflanzen parallelisiert, die durch Frost bedroht sind; hier macht Mörike darauf aufmerksam, daß eine gereizte Stimmung für Sekunden die höchste Aufnahmebereitschaft für Natur bewirken würde 146 . Eine Parallele findet sich in den „Rittern vom Geiste“. Auch hier wird eine besondere Empfänglichkeit für Natur bei dem genesenden Fürsten Hohenberg sichtbar: der Mensch hat in dem Moment, in dem er (durch Natur 107 140 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 3289. Allein durch die biblische Diktion wird abermals der enge Zusammenhang von Geschichte, Natur und Religion deutlich. 141 Ebd., S. 1489. 142 Ebd., S. 3182. 143 Ebd., S. 3190. Zur Verwandtschaft der Begriffe „moralisch“ und „menschlich“ vgl. S. 65 Anm. 81. 144 Auch in „Maler Nolten“, in der „Bernsteinhexe“ und im „Nachsommer“ werden direkt oder indirekt ähnliche Fragen gestellt. Im „Nachsommer“ beispielsweise ist der Zusammenhang zwischen Pflanzen und menschlichen Lebewesen grundlegend für den ganzen Roman: Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 149-150. In der „Bernsteinhexe“ erscheint die Natur in den anfänglichen Äußerungen des Pfarrers noch als gesamtheitliche Schöpfung, in der Mensch und Tier gleichermaßen integriert sind und von Gott am Leben erhalten werden. Meinhold, Die Bernsteinhexe, S. 15. Auch in „Maler Nolten“ besteht ein enger Zusammenhang zwischen Natur und Mensch, beides wird streckenweise regelrecht parallelisiert. Dazu ausführlicher: siehe unten. 145 Zumindest ist Zustand in einem ereignisgeschichtlichen Konzept das Gegenteil von historischer Entwicklung. Zum Verhältnis von Geschichte und Zustand vgl. S. 74-75. 146 Mörike, Maler Nolten, S. 159. „Gereizte Stimmung“ darf hier nicht als Synonym für „schlechte Stimmung“ verstanden werden. Vielmehr wird mit diesem Ausdruck der unmittelbarste Wortsinn, nämlich Verfeinerung und erhöhte Empfänglichkeit der Sinne ausgedrückt. An anderer Stelle wird darauf aufmerksam gemacht, daß Noltens Rekonvaleszenz in den Frühling fällt. Ebd., S. 238. <?page no="115"?> Krankheit) auf seinen Körper reduziert wird, eine besonders hohe Affinität zur Natur 147 . Die Darstellung der äußeren Natur dient unter anderem dazu, Auskunft über psychischen Zustände zu geben, wobei Mörike nicht an eine individuelle Charakterisierung von Einzelpersonen gedacht hat, sondern sie stellvertretend für die Verfassung des Menschen der Gegenwart auffaßt 148 . Damit ist Natur als kulturkonstituierendes Merkmal abermals auf das Engste mit einer Zeitanalyse verbunden. So kommt es auch nicht von ungefähr, daß in der Darstellung der Seelenlage, die „Maler Nolten“ zugrunde liegt, deutliche Parallelen zu Mörikes Einschätzung der eigenen Gegenwart zu finden sind 149 . Mit der Beschreibung von abnormen Gemütszuständen in „Maler Nolten“ deutet sich schon an, was im weiteren Verlauf detailliert ausgeführt wird und sich wie ein roter Faden durch den Roman zieht: Wirkliche Natürlichkeit ist mit einem mittleren Zustand, mit Seelenruhe und Gleichmut verbunden, extreme Verhaltensweisen und Empfindlichkeiten werden hingegen als unnatürlich gekennzeichnet 150 . Daß es eine ähnliche Einsicht - ebenfalls mit Bezug auf die Gegenwart - auch bei Gutzkow gibt, legt eine Äußerung Otto von Dystras in den „Rittern vom Geiste“ nahe, die sich wie ein Kommentar zu dem Dilemma liest, das in „Maler Nolten“ beschrieben wird: „Wenn man die Menschheit immer nur dem Geiste nachjagen sieht, so kommt sie aus der Bahn ihrer Natur und verwirrt sich aus lauter intellectuellem Drange oft in’s Grausame und Unnatürliche. Mir ist dieser ganze Wirrwarr in Europa ein unnatürlicher, dem innersten Menschenthum entrückter“ 151 . 108 Der Kulturroman 147 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 1489. Auch hier werden Mensch und Natur parallelisiert, allerdings auf eine unmittelbarere Art, wenn die Natur selbst menschliche Züge bekommt. 148 Daß diese Einschätzung nicht nur das Psychogramm einiger individueller Figuren ist, sondern charakteristisch für die Moderne überhaupt, ist aus der Modernediskussion des ausgehenden 18. Jahrhunderts bekannt (vgl. hierzu: Schiller und Schlegel) und wird aus einer Selbstaussage Mörikes über den Roman deutlich. Mörike, Brief an Friedrich Theodor Vischer vom 05.10.1833, in: Mörike, Briefe 1833-1838, S. 44-47, hier S. 46. Dieser Aspekt ist auch in der Forschung aufgegriffen worden: Heide Eilert, Eduard Mörike, Maler Nolten, in: Romane des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1992, S. 250-279, hier S. 274-275 (im folgenden zitiert als: Eilert, Eduard Mörike). 149 Vgl. hierzu Kapitel III/ 1. 150 Mörike, Maler Nolten, S. 157. Dementsprechend ist unmittelbare Natur in „Maler Nolten“ ein abwesender Zustand; im äußeren Bereich wird ausschließlich Natur gezeigt, die durch einen artifiziellen Filter wahrgenommen wird. Dazu ausführlicher: siehe unten. 151 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 2934. Hier wird ganz explizit „Natur“ und „innerstes Menschentum“ gleichgesetzt, so daß sich hier auch auf der wörtlichen Ebene die These bestätigt, daß Natur als Synonym für das Humane verstanden und tatsächlich zum Fundament für die Frage nach dem Wesen des Menschen wird. Gutzkow macht besonders darauf aufmerksam, daß der Mensch „die Bahn seiner Natur“ verläßt, wenn er sein Leben lediglich auf den Verstand begründet. Diese Erkenntnis <?page no="116"?> Natur, die hier bezeichnenderweise in einen direkten Bezug zu den politischen und vor allem revolutionären Ereignissen der Zeit gestellt ist, wird indirekt positiv aufgefaßt und als Gegenbereich zu einem übertriebenen „intellektuellem Drang“ angesehen, was durchaus Parallelen in der theoretischen Kulturdiskussion hat; hier ist vor allem das Verhältnis von Natur und Kultur, wie es sich etwa bei Schiller in der Beurteilung der Französischen Revolution findet, informativ 152 : Natur als Merkmal von Kultur wird nicht nur als einfaches Pendant von Kultur aufgefaßt, sondern in wesentlich komplexerer Weise zu einem Teil der Kulturdefinition 153 . Das bedeutet aber für die Bewertung von Kultur, daß sie nicht mehr ausschließlich positiv verstanden wird. Das, was künstlich an ihr ist, verkommt zu „verderbliche[r] Verfeinerung der Denkweise und der Sitten“ 154 , so daß Natur als positives Gegenbild mit in die Kulturbestimmung einfließt. Ganz im Sinne dieser theoretischen Debatte ist es auch, Natur entweder als überfeinerte Kultur oder als negativ bewertete Barbarei anzusehen 155 . In jener Bedeutung erscheint sie in „Maler Nolten“. In der „Bernsteinhexe“ hingegen wird die Gefahr deutlich, die sich aus einer alleinigen und ausschließlichen Anwesenheit von roher Natur ergibt, die nicht veredelt worden ist. Natur tritt hier als animalische Kraft auf, die der Kultur zerstörerisch gegenübersteht. Der wirkliche Kulturzustand des Menschen ist demnach nicht in Opposition zum Naturzustand zu sehen, sondern beruht vielmehr auf einer schwierigen Gratwanderung zwischen „naturalisierendem Kulturideal“ und „kultiviertem Naturideal“ 156 . Natur und Sittlichkeit In der „Bernsteinhexe“ werden Beschreibungen der äußeren Natur nicht nur dazu verwendet, die psychische, sondern in erster Linie die physische Beschaffenheit des Menschen darzustellen, die sich als wahrhaft animalisch erweist 157 und so destruktiv ist, daß Natur 109 wird interessanterweise ausdrücklich auf politische Ereignisse bezogen: Revolution wird nicht mehr als Folge von Taten, sondern als ein Produkt von Reflexion, Ästhetisierung und - in letzter Konsequenz - als Wirklichkeitsverlust verstanden. 152 Vgl. Kapitel II. 153 Vgl. hierzu Kapitel II. Daß sich diese Einschätzung auf theoretischer Ebene in den Jahren nach 1848 wiederholt, wurde in Kapitel III dargestellt. 154 Mörike, Maler Nolten, S. 96. 155 Vgl. hierzu die theoretischen Äußerungen der Autoren, wie sie in Kapitel III dargelegt wurden. 156 Kaiser, Phänomenologie des Idyllischen, S. 24. 157 Im „Nachsommer“ werden ebenfalls äußere und innere Natur parallelisiert, indem ein „Zusammenhang zwischen der Bearbeitung äußerer Natur und der Besänftigung menschlicher Triebnatur“ dargestellt wird: Renate Obermaier, Stadt und Natur, Studien zu Texten von Adalbert Stifter und Gottfried Keller, Frankfurt/ Main u. a. 1985 (= Gießener Arbeiten zur Neueren Deutschen Literatur und Literaturwissenschaft, Bd. 5), S. 10. <?page no="117"?> „[…] die ewigen und unveränderlichen Gesetze der menschlichen Empfindungs- und Handlungsweise […] auch oft auf eine so gewaltsame Weise unterbrochen [werden], daß der Verstand im eigentlichen Sinne des Wortes stille steht […]“ 158 . Letztlich wird mit diesen Worten nichts anderes als das Verlassen der Menschlichkeit und die Hinwendung zur Barbarei beschrieben; das wiederum ist das Thema der „Bernsteinhexe“. Bereits am Anfang wird die Tatsache, daß der Amtshauptmann einem jungen Mädchen nachstellt, mit einem Wolfsangriff und einer daraus resultierenden Wolfsjagd in Verbindung gebracht 159 . Folgerichtig begegnet er Maria bei dieser Jagd das erste Mal und faßt hier den Entschluß, sie zu seiner Geliebten zu machen 160 . Auf dieser Entscheidung basiert die dramatische Zuspitzung der Romanhandlung, die schließlich zum Todesurteil über die widerspenstige Maria führt. So wird ein Zusammenhang zwischen physischer Natur und menschlichem Handeln hergestellt. Diese Relation kann als Sittlichkeit bezeichnet werden. Sittliches Handeln bedeutet ein Handeln nach moralischen Grundsätzen; dessen Beurteilung bezeichnet also, wenn es diesen entspricht, gutes, und wenn es das nicht tut, böses Handeln 161 . Hier kommt zum Ausdruck, daß die Gebundenheit des Menschen an seine psychische und physische Beschaffenheit nicht ohne Folgen für sein Wirklichkeitsverständnis bleibt. In den Romanen werden deshalb mit Hilfe von Naturbeschreibungen Aussagen über Bewußtsein und Realitätszugang des Menschen gemacht: dargestellt wird letztlich die Wechselwirkung von innerer Disposition und äußerer Wirklichkeitsauffassung. Da das Verständnis der Realität seinerseits Auswirkungen auf deren Gestaltung hat, stehen inneres Wesen, äußere Handlungen und damit das Zusammenleben des Menschen mit anderen in einem unmittelbaren Verhältnis. Dies ist für das De- 110 Der Kulturroman 158 Wilhelm Meinhold, Vorrede, in: Maria Schweidler, Die Bernsteinhexe, Der interessanteste aller, bisher bekannten Hexenprozesse, nach einer defecten Handschrift ihres Vaters, des Pfarrers Abraham Schweidler in Coserow auf Usedom, herausgegeben von W. Meinhold, Berlin 1843, S. V (im folgenden zitiert als: Meinhold, Vorrede zur 1. Aufl. der Bernsteinhexe). 159 Meinhold, Die Bernsteinhexe, S. 76-78. 160 Ebd., S. 77-78. 161 Vgl. hierzu die Definition von „Sittlichkeit“ im Deutschen Wörterbuch: „[…] den guten sitten gemäsz. […] zunächst wol in bezug auf das, was allgemein als gute sitte gilt, dann auch auf die bei einem solchen verhalten vorausgesetzte innere art des einzelnen bezogen“. Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Bd. 10, 1. Abteilung, bearbeitet von Dr. Moriz Heyne, im Vereine mit Dr. R. Meiszner, Dr. H. Seedorf, Dr. H. Meyer und Dr. B. Crome, Leipzig 1905, Sp. 1268. Natürlich wurde dieser Komplex auch in der zeitgenössischen Philosophie reflektiert. Vgl. hierzu beispielsweise: Arthur Schopenhauer, Preisschrift über die Grundlage der Moral, in: Arthur Schopenhauer, Kleinere Schriften, reprographischer Nachdruck der Ausgabe Stuttgart, Frankfurt/ Main 1968, Darmstadt 1989 (= Arthur Schopenhauer, Sämtliche Werke, textkritisch bearbeitet und hrsg. von Wolfgang Frhr. von Löhneysen, Bd. III), S. 631-813. <?page no="118"?> finitionsmerkmal „Natur“ der zentrale Punkt, mit dem es sich an die für die Kulturdiskussion grundlegende Frage nach dem Verhältnis des Einzelnen zu einer Allgemeinheit anschließt: In den zeitgenössischen theoretischen Überlegungen zum Thema „Kultur“ ist es denn auch ein verbreiteter Gedanke, daß physische Umstände - insbesondere die Lage eines Landes und die Beschaffenheit seines Bodens - nicht nur Einfluß auf den Körper des Menschen haben, sondern auch auf seine Moral wirken können 162 , wobei als erster moralischer Wert das Verhältnis des Menschen zu einer Gemeinschaft verstanden wird; Gesellschaft ihrerseits wird als „Mutter aller Menschencultur“ bezeichnet 163 . Damit ist die Kategorie „Natur“ auch aus dieser Perspektive zu einem zentralen Element in der Kulturdiskussion geworden. In den „Rittern vom Geiste“ spitzt sich dieses Problem zu der Frage zu, ob der Mensch von Natur aus gut oder schlecht sei. In bezug auf das für die Kulturdiskussion grundlegende Welt- und Menschenbild bedeutet das, daß mit Hilfe der Kategorie „Natur“ das Böse beziehungsweise das Gute schlechthin ermittelt werden kann. Dieser Bezug wird von Meinhold in der Vorrede zur „Bernsteinhexe“ ausdrücklich formuliert: „Die gewöhnliche Auffassung der neuesten Zeit, diese Erscheinungen [gemeint sind die übernatürlichen Erscheinungen in der Hexerei] aus dem Wesen des thierischen Magnetismus zu begreifen reichen durchaus nicht hin. Wie will man z. B. die tiefe, dämonische Natur der alten Lise Kolken in dem vorliegenden Werke daraus ableiten, die unbegreiflich ist, und es ganz erklärlich macht, daß der alte Pfarrer, trotz des, ihm mit seiner Tochter gespielten, entsetzlichen Betrugs so fest in seinem Glauben an das Hexenwesen, wie in dem an das Evangelium bleibt“ 164 . Auch bei Mörike gibt es die Auffassung, daß man durch „Natur“ das Gute beziehungsweise das Böse ausmachen kann 165 . Natur wird zu einer Chiffre für dunkle, dämonische Größen, die sich letztendlich der Analyse und der Verbalisierung entziehen. So wird ein Bereich angesprochen, der zwar grundlegend mit dem Wesen des Menschen zusammenhängt, dessen inhaltliche Differenzierung aber nicht möglich ist, weil sie nicht mehr mit dem Verstand zu leisten ist. Einer Rationalisierung entzieht sich dieser Bereich nicht zuletzt deswegen, weil hier die „tierischen“ Elemente des Menschen bezeichnet werden, die sich Natur 111 162 Rotteck, Einleitung; Humboldt, Ansichten der Natur, S. VI. Im Hintergrund stehen auch hier wiederum Vorstellungen aus dem 18. Jahrhundert, wie sie beispielsweise Herder äußert. Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte. 163 Rotteck, Einleitung, S. 21-22. 164 Meinhold, Vorrede zur 2. Aufl. [der Bernsteinhexe], S. VI-VII. 165 Eduard Mörike, Theologische Aufsätze: Quid ex Nov. Testamenti effatis statuendum sit de nexu peccatum inter et malum physicum intercedente? [Übersetzt von Hans Peter Köpf mit dem Titel: Was ist aus den Aussagen des Neuen Testaments über den zwischen Sünde und physischem Übel bestehenden Zusammenhang zu erheben? ], in: Eduard Mörike, Sämtliche Werke, Bd. II, München 1970, S. 524-532. <?page no="119"?> nicht mehr durch das genuin menschliche Erklärungsinstrument, die Vernunft, beherrschen lassen. Daß in diesem Punkt keine weitergehende inhaltliche Differenzierung mehr möglich ist, spricht wieder dafür, daß mit der Kategorie „Natur“ tatsächlich ganz unmittelbar etwas über die Beschaffenheit des Menschen und damit über Kultur ausgesagt wird und daß Natur als ein frühes Stadium der Menschengeschichte gelten muß. In diesem Zusammenhang ist die Figur Fritz Hackert aus den „Rittern vom Geiste“ aufschlußreich, dem die „Natur rothes Haar und eine unheimliche Gestalt“ 166 gegeben hat und an dem bezeichnenderweise die Frage durchgespielt wird, ob er von Natur aus schlecht oder nur durch die äußeren Umstände so geworden ist 167 . Im Hintergrund steht hier die alte, bereits in der Antike geführte Diskussion, ob sich äußeres und moralisches Erscheinungsbild entsprechen oder nicht. Dieser Komplex wurde erneut im 18. Jahrhundert durch Lavaters physiognomische Fragmente erörtert, die noch bis ins 19. Jahrhundert nachwirkten. Als Beispiel hierfür ist der Wiener Mediziner Ernst Freiherr von Feuchtersleben zu nennen, der sich noch 1838 in seiner Schrift „Zur Diätetik der Seele“ mit Lavaters Thesen auseinandersetzt 168 . Letztendlich entscheidet sich Gutzkow dafür, zwischen physischer und sittlich-moralischer Beschaffenheit keinen Zusammenhang zu sehen. So wird die Schlechtigkeit Hackerts an mehreren Stellen relativiert, wenn er versucht, die Gründung des Ritterbundes nicht zur Kenntnis der Geheimpolizei kommen zu lassen, wenn er Dankmar dabei hilft, aus dem Gefängnis zu fliehen und es schließlich übernimmt, den Schrein mit den wertvollen Dokumenten zu bewachen, was für ihn einen tödlichen Ausgang hat 169 . Stifter hingegen beantwortet diese Frage - zumindest im „Nachsommer“ 170 - ganz anders. Hier stehen moralische und physische Beschaffenheit in einem exakten Verhältnis zueinander, wenn an mehreren Stellen die Schönheit von Mathilde und Natalie direkt mit ihrem moralischem Urteil in Verbindung gebracht wird 171 . Bezogen auf die Natur des Menschen bedeutet das, daß das sitt- 112 Der Kulturroman 166 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 55. 167 Ebd., S. 332. 168 Ernst Freiherr von Feuchtersleben , Zur Diätetik der Seele, in: Ernst Frhrn. von Feuchterslebens Sämmtliche Werke, mit Ausschluß der rein medizinischen hrsg. von Friedrich Hebbel, Bd. 3, Wien 1851, S. 239-402; Johann Caspar Lavater, Physiognomische Fragmente, Zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe, Bd. I, Faksimiledruck der Ausgabe Leipzig und Winterthur 1775, Zürich 1968. 169 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 3560-3564. 170 Diese Thematik spielt nicht nur im „Nachsommer“ eine Rolle, sondern ist von zentraler Bedeutung für das Gesamtwerk Stifters, das die Frage in mehreren Novellen mit durchaus unterschiedlichen Ergebnissen betrachtet. Vgl. hierzu die Erzählungen „Brigitta“, „Das alte Siegel“, „Zwei Schwestern“ oder „Abdias“. 171 Stifter, Nachsommer, S. 225, 245. Darüber hinaus avanciert das Schöne im Kunstwerk zum Ausdruck des Göttlichen (ebd., S. 418), und einmal wird der Begriff „schön“ sogar <?page no="120"?> liche Wesen, wenn es ursprünglich beim Menschen vorhanden ist, letztlich durch äußere Einflüsse zwar verdeckt, aber niemals zerstört werden kann 172 . Dieser Optimismus ist Gutzkow fremd. In den „Rittern vom Geiste“ werden mehr als einmal äußere Umstände genannt, die Einfluß auf die sittliche Natur des Menschen haben. Das beste Beispiel hierfür ist Prinz Egon von Hohenberg, der, als er von seiner unehelichen Geburt erfährt und damit erpreßt wird, einen politischen Machtverlust befürchtet und deshalb in seiner Funktion als Ministerpräsident nicht den ursprünglich geplanten Wohlfahrtsstaat begründen hilft, sondern einen Polizeistaat errichtet. Hier werden sowohl äußere Einflüsse als auch psychische und sogar physische Umstände sichtbar gemacht, die zu einer Beeinträchtigung des sittlichen Handelns führen - hier deswegen aufschlußreich, weil wie übrigens auch in der „Bernsteinhexe“ eine eindeutige Verbindung zwischen theoretischen Staatskonzepten und praktischem sittlichen Handeln hergestellt wird. Letztlich geht es darum, einen direkten Zusammenhang von menschlicher Natur und allgemeinen Organisationsformen menschlichen Zusammenlebens sichtbar zu machen 173 . Damit ist auch im Definitionsmerkmal „Natur“ die Vermutung bestätigt, daß alle Überlegungen zu Kultur in Staats- und Verfassungsvorstellungen münden. Mit diesem Befund rückt Gutzkow wieder in die Nähe von Mörike und Meinhold, wenngleich er das Thema wesentlich differenzierter und nicht so einseitig behandelt: Bei Mörike geht es allein um die psychische Disposition, bei Meinhold hingegen ausschließlich um eine physische. Daß die weitere Handlung der „Bernsteinhexe“ darauf gründet, läßt abermals den Schluß zu, daß die Darstellung der menschlichen Natur zwar mit Wirklichkeitswahrnehmungen verbunden ist, darüber hinaus aber auch direkt zu einer Deutung der Wirklichkeit und durch diese zu ihrer Gestaltung führen kann. Das wird auch bei Gutzkow unmißverständlich ausgedrückt, wenn er den Epikureer Schlurck sagen läßt: „Verdauen Sie gut, meine Herren, haben Sie das einzige Glück, das die Erde gewähren kann, so schreiben Sie lustig an den gestirnten Himmel: Das Prinzip des Alls ist die Liebe. Verdauen Sie aber schlecht, meine Herren, und möchten Sie nach jeder Gänseleberpastete des Teufels werden, so schreiben Sie voll Zorn auf dieselbe Stelle: Das Prinzip des Alls ist der Haß. Was ist die Wahrheit“ 174 ? Natur 113 als Synonym für „menschlich richtig“ verwendet. Diese Parallelisierung bezieht sich zwar oberflächlich auf ein Kunstwerk, das deswegen schön ist, weil es die menschlichen Formen treffend imitiert hat, darf aber auch als moralische Verbindung betrachtet werden. Ebd., S. 430. 172 Es kann lediglich durch Erziehung und Bildung noch weiter befördert werden. Vgl. hierzu Kapitel IV/ 5. 173 Zum Verhältnis von Einzelnem und Gemeinschaft vgl. Kap. I und II; zum Verhältnis von Staat und Individuum vgl. Kap. IV/ 6. 174 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 143. <?page no="121"?> Die Problematik der Wahrnehmung von Wirklichkeit, die in allen Romanen perspektivisch gebrochen erscheint 175 , führt schließlich zu der Frage, wie die äußere Natur nicht etwa als Metapher für die innere Organisation des Menschen, sondern vielmehr in ihrem Eigenwert dargestellt werden kann. Damit ist zugleich die nach dem Verhältnis von Natur und Künstlichkeit angesprochen. Sie ist schon seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert eng mit der Kulturdiskussion verbunden, weil damals bereits „Natur“ zu einem Instrument der Kulturkritik avanciert war, das nicht zuletzt unter einer geschichtsphilosophischen Perspektive gesehen worden war: so etwa in Schillers „Naiver und sentimentalischer Dichtung“ 176 , mit seinem Versuch, den Standort der gegenwärtigen Kultur zu bestimmen. Zu diesem Zweck führt er die Begriffe „naiv“ und „sentimentalisch“ ein, mit deren Hilfe er das Verhältnis von natürlichem und künstlich-reflexivem Zustand des Menschen so beschreibt, daß das Spannungsfeld von Natur und Künstlichkeit zu einem hinreichenden Diskussionsgebiet für „Kultur“ wird. Gleichzeitig bezeichnen aber Natur und Künstlichkeit zwei auch qualitativ unterschiedliche Zeitstufen: Während Natur das Kennzeichen einer (idealen) Vergangenheit ist, bestimmt das Sentimentalische die Moderne 177 . Damit wird auch „Natur“, wenn nicht ausdrücklich zu einer historischen, so doch zumindest zu einer geschichtsphilosophischen Kategorie. So bestätigt sich abermals, daß Kulturbetrachtungen im 19. Jahrhundert immer auf der Basis von Geschichtsreflexionen stattfinden; mit Hilfe von „Natur“ kann nicht nur eine Aussage über die Wirklichkeit der eigenen Zeit getroffen werden, sondern „Natur“ bietet auch die Möglichkeit, den Beginn und die zeitliche Entwicklung von „Kultur“ zu interpretieren. 114 Der Kulturroman 175 Die Frage nach der Wahrheit der Wirklichkeit ist gerade in der „Bernsteinhexe“ von Bedeutung, wenn im Roman immer wieder der Bereich des Übernatürlichen und der des Aberglaubens angeschnitten wird. Auch hier geht es um den Versuch, aus Naturwahrnehmungen ein Weltbild abzuleiten, wobei an mehreren Stellen deutlich wird, daß dieses Unternehmen nicht immer eindeutig zu bewerkstelligen ist. Die Unwetter, die auf Marias Weg zum Scheiterhaufen stattfinden, werden von der schaulustigen Menge als Untat einer Hexe interpretiert, während sich der Vater der vermeintlichen Hexe darum bemüht zu erklären, daß es sich hierbei um ein Strafgericht Gottes über die Mörder seiner Tochter handelt. Maria selbst erklärt es jedoch auf dem einfachsten Wege, indem sie darauf aufmerksam macht, daß es sich hierbei um ein Phänomen handelt, das auf die Jahreszeit zurückzuführen ist. Meinhold, Die Bernsteinhexe, S. 252-256. Bei Mörike wird die Subjektivität der Erfahrungen am Beispiel der wahnsinnigen Weltwahrnehmung von Agnes und Elisabeth gezeigt, die nicht mehr mit der anderer kompatibel ist. Bei Stifter werden die unterschiedlichen Perspektiven daran deutlich, daß von Heinrich der gleiche Gegenstand einmal unter naturwissenschaftlichen und einmal unter künstlerischen Voraussetzungen betrachtet wird. 176 Schiller, Ueber naive und sentimentalische Dichtung. 177 Vgl. hierzu: Helmut Koopmann, Über naive und sentimentalische Dichtung, in: Schiller- Handbuch, in Zusammenarbeit mit der Deutschen Schillergesellschaft Marbach hrsg. von Helmut Koopmann, Stuttgart 1998, S. 627-638. <?page no="122"?> Veredelte Natur In „Maler Nolten“ ist fast ausschließlich von einer Natur die Rede, die nicht mehr natürlich, sondern für deren Wahrnehmung bereits ein artifizieller Blick notwendig ist. Anders gesagt: Bei Mörike ist für die Konstituierung von „Natur“ Kunst zu einer notwendigen Voraussetzung geworden. Es ist bezeichnend, daß die Natürlichkeit von Loskine von einem Künstler wahrgenommen und entsprechend stilisiert wird 178 . Auch Agnes, die zwar mehrmals in unmittelbar natürlicher Umgebung erscheint und schließlich selbst als personifizierte Natur auftritt 179 , ist in Wirklichkeit eine künstliche Konstruktion von Nolten und Larkens 180 . Wenn Nolten über die Nachrichten, die er von ihr erhält, äußert: „Mir entdeckten jedoch ihre sehr liebreichen, wiewohl etwas sparsamen, Briefe nichts von diesen Visionen [gemeint sind Erzählungen und Vorstellungen von gesellschaftlichem Leben], die Wieschen waren lieb und simpel und treuherzig, wie sonst auch, rochen weder nach Eau de Portugal noch nach de mille fleurs, sondern es war genau der alte echte Maiblumen- und Erdbeerduft […]“ 181 , dann sagt das nicht so sehr viel über die wirkliche Naturverbundenheit von Agnes aus, sondern mehr über Noltens Erfindung von natürlicher Natur. Gesteigert wird dieses Phänomen, wenn von Constanze direkt und unmißverständlich geäußert wird, daß sie es schaffe, Natur sehr natürlich nachzuahmen 182 , und, um diese Einschätzung zu bestätigen, meist in eine künstlich angelegten Garten- oder Treibhausumgebung gestellt wird 183 . Auch in der direkten Landschaftsbeschreibung wird das, was auf den ersten Blick Natur zu sein scheint, erst durch künstliche Eingriffe sichtbar. Einmal wird die Landschaft, durch die Nolten reitet, wegen ihrer Lieblichkeit vor seinem geistigen Auge direkt zu einem Gemälde 184 , ein anderes Mal wird zwar ausdrücklich in einer Fußnote darauf hingewiesen, daß der Versuch unternommen werden soll, eine Landschaftsbeschreibung nach der Natur zu verfassen, aber tatsächlich werden lediglich durch ein Fernrohr Ausschnitte eines Panoramas erfaßt und gleichsam „gerahmt“ 185 . Eine andere Art der Naturkonstruktion wird in diesem Roman wie auch in den „Rittern vom Geiste“ 186 Natur 115 178 Mörike, Maler Nolten, S. 206. 179 Ebd., S. 42, 265-266, 241. 180 Ebd., S. 42-43, 256. Larkens gibt sogar einmal unumwunden zu, Agnes konstruiert zu haben. Ebd., S. 49. 181 Ebd., S. 45. 182 Ebd., S. 46. 183 Ebd., S. 74, 86-90, 161. 184 Ebd., S. 79. 185 Ebd., S. 316. 186 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 1602. Hier wird die Aussicht, wie sie sich aus Fränzchens Zimmerfenster darstellt, zu einer atmosphärischen Schilderung des Friedurch <?page no="123"?> die Kategorie der „Idylle“ eingeführt. Hier wird schon von der Wortbedeutung her auf den künstlichen Ursprung verwiesen 187 , der auch den Romanen zugrunde liegt; dazu kommt, daß seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert die Idylle immer mehr zur künstlichen Darstellung eines nicht mehr existenten harmonischen Naturzustandes wird 188 . So heißt es bei Schiller in „Ueber naive und sentimentalische Dichtung“ über die Idylle: „Es bleiben mir noch einige Worte über diese dritte Species sentimentalischer Dichtung zu sagen übrig […]. Die poetische Darstellung unschuldiger und glücklicher Menschheit ist der allgemeine Begriff dieser Dichtungsart. Weil diese Unschuld und dieses Glück mit den künstlichen Verhältnissen der größern Societät und mit einem gewissen Grad von Ausbildung und Verfeinerung unverträglich schienen, so haben die Dichter den Schauplatz der Idylle aus dem Gedränge des bürgerlichen Lebens heraus in den einfachen Hirtenstand verlegt, und derselben ihre Stelle vor dem Anfange der Kultur in dem kindlichen Alter der Menschheit angewiesen“ 189 . Kultur wird hier negativ eingeschätzt. Sie erscheint als ein Zustand, in dem es dem Menschen unmöglich ist, unschuldig und glücklich zu sein. „Natur“ geht als positives Gegenbild in die Kulturdefinition ein, ohne daß dieses dem Menschen erreichbar wäre. In „Maler Nolten“ werden deshalb die Versuche von Agnes’ 116 Der Kulturroman dens armer Leute, die folgendermaßen kommentiert, dadurch ironisch gebrochen und als künstliche Konstruktion entlarvt wird: „Das Leben eines solchen Hofes ist, wenn auch keine Geßner’sche, doch eine Idylle“. Zur Rolle Geßners als dem „Urvater“ der Idylle, vgl. Kaiser, Phänomenologie des Idyllischen, S. 13; Renate Böschenstein-Schäfer, Idylle, 2., durchgesehene und ergänzte Aufl., Stuttgart 1977 (= Sammlung Metzler, Realien zur Literatur, Abt. E, Poetik), S. 73-75. 187 Zur Begriffsgeschichte vgl.: Ebd., S. 2-4: Noch bis ins 19. Jahrhundert wird „Idylle “ als „kleines Bildchen“ ohne Fabel übersetzt und verstanden. So hat auch der Text, der 1846 veröffentlicht wurde und den Mörike selber als Idylle bezeichnet, allein durch die antikisierende Form einen extrem künstlichen Charakter: Eduard Mörike, Idylle vom Bodensee oder Fischer Martin, In sieben Gesängen, in: Eduard Mörike, Sämtliche Werke, Bd. I, München 1968, S. 871-920. Zum Kunstcharakter der Idylle vgl. außerdem: Kaiser, Phänomenologie des Idyllischen, S. 31-32. 188 Gerhard Kaiser hat darauf aufmerksam gemacht, daß die Idylle als Gattung zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Mode kam und die barocke Schäferdichtung ablöste. Die Idylle wurde zum idealen Transportmittel für aufgeklärte, optimistische Naturauffassung: Kaiser, Phänomenologie des Idyllischen, S. 12. Damit werde Natur zur Chiffre des aufgeklärten Welt- und Menschenbildes überhaupt. Gegen Ende des Jahrhunderts habe die Idylle aber immer mehr den Charakter der Wirklichkeitsflucht angenommen und sei zunehmend brüchig geworden. Ebd., S. 13. Dies geht auch aus dem obigen Schillerzitat hervor. 189 Schiller, Ueber naive und sentimentalische Dichtung, S. 466-467 (Hervorhebung in der Vorlage). <?page no="124"?> Vater 190 , aber auch von Larkens 191 geschildert, die Natur als eine Größe vorzustellen, in der Mensch und Tier glücklich, friedlich, mit sich übereinstimmend und unbewußt leben. An diesem Punkt wird das ganze Ausmaß des Dilemmas sichtbar: Obwohl durchgängig beschrieben wird, daß Natur nur durch nachahmende Schöpfung existieren kann, wird andererseits durchaus gesehen, daß die Abwesenheit von Reflexion das Merkmal wirklicher Natur ist. Dieser Zugriff auf Natur fehlt aber in „Maler Nolten“ ganz 192 . Auch hier steht Mörike wieder Natur 117 190 Mörike, Maler Nolten, S. 270-271. Hier wird eine begrenzte, gesicherte, friedliche und freundliche Natur beschrieben. Bezeichnend ist, daß der Förster um die Künstlichkeit von derlei Vorstellungen weiß und sie mit dem Begriff „sentimentalisch“, also mit einer Wortschöpfung Schillers, bezeichnet. Dem Begriff liegt der englische Ausdruck „sentimental“ zugrunde, der im ausgehenden 18. Jahrhundert mit „empfindsam“ übersetzt wurde und eine große Rolle in der literarischen Strömung der Empfindsamkeit spielte. Die Abwandlung „sentimentalisch“ hingegen dürfte auf Schiller selbst zurückgehen. Zur Entstehungsgeschichte des Begriffes „sentimentalisch“ vgl.: Cora Lee Nollendorfs, Edward Gibbons „Essai sur l’étude de la litterature“ als Quelle von Schillers Begriff „sentimentalisch“, in: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 34 (1990), S. 281-288. 191 Als Larkens Nolten gesteht, daß er in seinem Namen die Liebeskorrespondenz mit Agnes aufrechterhalten hat und Constanze die vermeintlich von Nolten stammenden Liebesbriefe zugespielt hat, begründet er diesen Schritt damit, daß er Agnes für die geeignetere Braut für Nolten hält. Darum entwirft er zwei Bilder, wovon das erste die enttäuschte Constanze, das andere Agnes in einer idyllischen Umgebung zeigt: „Auch will ich ein Rhinozeros von Propheten seyn, wenn sich Dir nicht in diesem Augenblick die rührende Gestalt [Constanze] von der Ferne zeigt, den schwarzen Lockenkopf in Trauer hingesenkt, weinend um Deine Liebe. Ein verführerisch Bild, fürwahr, dem schon Dein Herz entgegenzuckt! Doch halt, ich weise Dir ein anderes. - In dem sonnigen Gärtchen hinter des Vaters Haus betrachte mir das schlichte Kind [Agnes], wie es ein fröhlich Liedchen summt, seine Veilchen, seine Myrthen begiest. […] Theobald! noch einmal: denk’ an den Garten! Neulich hat sie [Agnes] die Laube zurecht geputzt, die Bank, wo der Liebste bei ihr sitzen soll“. Mörike, Maler Nolten, S. 241 (Hervorhebung der Autorin). Abgesehen davon, daß dieses Zitat eindrücklich den Kunstcharakter von Natur (man beachte die Blumenikonographie), wie sie typisch für den ganzen „Maler Nolten“ ist, belegt, wird hier eine Szenerie entworfen, die sich durch häusliche Begrenzung, Bescheidenheit, Unschuld, Fröhlichkeit, Sauberkeit und Helligkeit auszeichnet, in der Agnes glücklich ist. Nicht unerheblich ist es hierbei, daß eine Gartenlaube erwähnt wird, die später, nicht zuletzt durch die gleichnamige Zeitschrift, zum Symbol für die biedermeierliche, familiäre Idylle schlechthin wurde. Vgl. hierzu: Die Gartenlaube als Dokument ihrer Zeit, zusammengestellt und mit einer Einführung versehen von Magdalene Zimmermann, München 1967, S. 5-7, 11. 192 Selbst Elisabeth, diejenige Figur, die am unmittelbarsten mit Natur verknüpft ist und von der man annehmen sollte, daß sie, da sie von Anfang an als verrückt dargestellt wird, unbewußt handelt, geht äußerst bedacht und planvoll zu Werke, um die Beziehung zwischen Agnes und Nolten zu zerstören. So entspringt die scheinbare „Prophezeiung“, die Elisabeth zu Agnes’ Schicksal macht, keineswegs ihren hellseherischen Fähigkeiten, sondern vielmehr der genauen Kenntnis von Agnes’ und Noltens Verhältnis und dient dazu, Agnes zu verunsichern und sie gegenüber Nolten mißtrauisch zu machen. Daß es sich hierbei um reine Berechnung handelt, wird spätestens dann deutlich, wenn Elisaim <?page no="125"?> Gefolge Schillers und der „Naiven und sentimentalischen Dichtung“ 193 , wo sich das Natürliche gerade dadurch auszeichnet, daß es nicht reflektiert. Dieser Gedanke findet sich bei Kleist in der Schrift „Über das Marionettentheater“ 194 wieder. Auf diesen Text dürfte sich Mörike direkt beziehen, wenn er Constanze als Figur einführt, die inmitten einer Gesellschaft, die aus lauter Drahtpuppen besteht, noch natürliche Züge wie beispielsweise Grazie besitzt 195 . Damit wird indirekt bei Mörike Kultur als ein Zustand charakterisiert, der dem Menschen nicht gemäß ist, aus dem es aber auch kein Entkommen gibt. Natur als Instrument der Kulturkritik zu verwenden, verbindet Mörike wiederum mit Meinhold. Auch in der „Bernsteinhexe“ gibt es lediglich eine künstliche und keine natürliche Naturrealität. Meinhold greift nicht nur auf der Handlungsebene auf das 17. Jahrhundert zurück, sondern bedient sich ebenfalls in der Beschreibung von Landschaft und äußerer Umgebung der barocken Emblembeziehungsweise Allegoriedarstellung 196 und damit einer extrem artifiziellen Na- 118 Der Kulturroman beth am Ende des Gespräches Agnes rät: „Nun noch das Letzte: bevor ein Jahr um ist, wirst du Niemanden verrathen, was ich dir gesagt; es möchte schlimm ausfallen, hörst du wohl? “, Mörike, Maler Nolten, S. 53. Dieser Hinweis wäre nicht nötig gewesen, wenn Elisabeth nicht genau wüßte, daß sie ihre Pläne nur dann verwirklichen kann, wenn sie Agnes sich selbst überläßt. Wüßten andere Personen von ihrem Gespräch mit Agnes, müßte sie mit sofortiger Aufdeckung rechnen. Auch der Wahnsinn, in den Agnes am Schluß endgültig und unheilbar verfällt, macht ihr mehr bewußt, als ihr in Zeiten klaren Verstandes deutlich war und bestätigt die Ahnungen, die sie in Zeiten geistiger Gesundheit nur unwillkürlich hatte. Dies beginnt schon in der Anfangsphase ihrer Krankheit, wo sie, „tief am Gemüte angegriffen“, ihr Verhältnis zu Nolten merkwürdig realistisch einschätzt. Mörike, Maler Nolten, S. 50. Schließlich, kurz vor ihrem Tod, kann sie die Identität von Larkens und Nolten nicht mehr auseinanderhalten. Mörike instrumentalisiert den Wahnsinn Agnes’ hier und macht ihn direkt zu einem Mittel für seine eigene Interpretation, in der Larkens als alter ego Noltens erscheint: Claudia Liebrand, Identität und Authentizität in Mörikes Maler Nolten, in: Aurora 51 (1992), S. 105-119, hier S. 109 (im folgenden zitiert als: Liebrand, Identität und Authentizität). 193 Schiller, Ueber naive und sentimentalische Dichtung, S. 413, 440-441. 194 Heinrich von Kleist, Über das Marionettentheater, in: Heinrich von Kleist, Sämtliche Werke, nach dem Text der Ausgabe letzter Hand, mit Nachwort, Anmerkungen und Zeittafel von Helmut Koopmann, München, 7. Aufl. 1994, S. 945-951. 195 Mörike, Maler Nolten, S. 31-32. 196 Zur Emblemdefinition vgl.: Marian Szyrocki, Die deutsche Literatur des Barock, Eine Einführung, Stuttgart 1979, S. 29. Hier führt er aus, daß das Embelm aus Überschrift (lemma), Bild und Subscriptio besteht: „Das Bild, imago oder pictura, stellt einen bestimmten Ort, Pflanze oder Tier, Ereignisse aus dem Leben des Menschen, biblische oder mythologische Szenen dar. Die Funktion des Bildes beruht darin, daß es mehr bedeutet, als es vorstellt. Das Epigramm, genannt subscriptio, erklärt das Bild, gibt ihm die eigentliche Bedeutung“. Hinzuzufügen ist dieser Definition nur noch, daß die Bedeutung des Bildes immer genau festgelegt ist, weswegen die Bilder ohne das ergänzende Epigramm „heute zum größten Teil […] unverständlich sind“. Ebd. Eben diese Notwendigkeit des Erklärens unterscheidet das Emblem vom Symbol, das sein eigenes Abstraktum, für das es stellvertretend steht, in sich trägt und deshalb aus sich selbst heraus <?page no="126"?> turschilderung. Er wählt absichtlich topische Versatzstücke, die neben ihrer unmittelbaren Bedeutung leicht erkennbar auf ein anderes Niveau verweisen, das sich ebenso mühelos dechiffrieren läßt: Wenn Maria in ihrem Gefängnis, das nahe Ende vor Augen, erst dann zur Ruhe kommt, als sie eine Nachtigall hört, ist das mit der ikonographischen Bedeutung dieses Vogels verbunden, der auf spätmittelalterlichen Bildern gerne der Madonna beigegeben ist und als Himmelssehnsucht einen sanften, schmerzfreien Tod verheißt 197 . Auch der Traum, den Maria anschließend hat und in dem eine der detailliertesten Landschaftsszenen des ganzen Romans entworfen wird, besteht aus Topoi, die in der emblematischen Ausdrucksweise gleichsam die Imago zur realen Handlung bilden: „Alsbald kam es mir für, als wäre ich ein Lämmlein, und weidete in Coserow ruhig auf meiner Bleichen. Da sprang der Amtshaubtmann über den Zaun, wandelte sich aber in einen Wulf umb, der mich in sein Maul nahm, und mit mir auf den Streckelberg zulief, allwo er sein Nest hatte. Ich armes Lämmlein zitterte und blökete vergeblich und sahe meinen Tod für Augen, als er mich vor sein Nest niedersetzete, allwo die Wülfin mit ihren Jungen lag. Aber siehe, alsobald reckete sich eine Hand, wie eines Mannes Hand durch das Gebüsche, und ergriff die Wülfe, einen jeglichen unter ihnen mit eim Finger und zerscheiterte sie also, daß Nichtes von ihnen übrig blieb, denn ein grau Pulver. Darauf nahm die Hand mich selbsten auf und trug mich wieder zu meiner Bleichen“ 198 . Die entsprechende Subscriptio ist in der Justiz- und Obrigkeitskritik zu sehen, die in der „Bernsteinhexe“ geübt wird; sie thematisiert schonungslose Natur 119 verständlich ist. Ebd., S. 30. Ähnlichkeiten hat das Emblem hingegen mit der Allegorie, wobei es, im Gegensatz zur Allegorie, die Personifikation vermeidet. Zur direkten Beziehung zwischen Allegorie und Emblem und ihren fließenden Übergängen: Gerhart Hoffmeister, Deutsche und europäische Barockliteratur, Stuttgart 1987 (= Sammlung Metzler, Bd. 234), S. 136-137. 197 Vgl. hierzu: [Stichwort] Nachtigall, in: Wörterbuch der Symbolik, Unter Mitarbeit zahlreicher Fachwissenschaftler hrsg. von Manfred Lurker, Stuttgart 1991, S. 513. 198 Meinhold, Die Bernsteinhexe, S. 168. Natürlich stehen hier allgemeine Anklänge an das biblische Bild des guten Hirten im Hintergrund. Auch ist bereits auf die Bedeutung des Wolfes als Ausdruck sexueller Bedürfnisse aufmerksam gemacht worden. Ein konkreterer Bezug ergibt sich aber aus der barocken Emblematik, aus der die Darstellung eines Wolfes bekannt ist, der eine Herde oder ein einzelnes Schaf reißt. Dieses Emblem steht für schonungslose Tyrannei. Vgl. hierzu: Arthur Henkel/ Albrecht Schöne (Hrsg.), Emblemata, Handbuch zur Sinnbildkunst des 16. und 17. Jahrhunderts, ergänzte Neuausgabe, Stuttgart 1976, Sp. 542 (im folgenden zitiert als: Henkel/ Schöne, Emblemata). Darüber hinaus stellt das vom Wolf gerissene Lamm das Martyrium dar, wozu die Subscriptio lautet: „Wird ein Gerechter erwürgt, so wird das Opfer dem Himmel lieber; so wird auch das Lamm durch den Biß des Wolfes süßer“. Ebd., Sp. 543. Auch dieser Bezug ist in der Bernsteinhexe vorhanden und beleuchtet sowohl die Justizkritik, die geübt wird, als auch den religiösen Standpunkt, der den Mängeln im Obrigkeitssystem entgegengestellt wird. <?page no="127"?> Tyrannei 199 . Meinhold zeigt also, genau wie Mörike, eine Natur, die keine Natur mehr ist, sondern eine künstliche Schöpfung des Menschen. Anders gesagt: In beiden Romanen wird keine „wirklichste Wirklichkeit“ 200 , sondern jede Realität als ein mehr oder weniger artifizieller Entwurf dargestellt. Bezeichnenderweise fordert Nolten seine Freunde, die ihn besuchen, auf, an einem Maskenball teilzunehmen, bevor sie die Realität des Städtchens kennenlernen 201 . Natur als Instrument der Kulturkritik Sicherlich könnte man einwenden, daß ein Roman oder ein anderes Kunstwerk selbst ein Konstrukt ist und deshalb Realität überhaupt nur auf diese Weise darstellen kann. Dagegen aber spricht, daß gerade die Wahrnehmung von Wirklichkeit auch in den „Rittern vom Geiste“ und im „Nachsommer“ ausdrücklich thematisiert und mit dem Versuch verbunden wird, neben der künstlich konstruierten Natur 202 eine objektiv-natürliche zu etablieren. Stifter macht im „Nachsommer“ unmißverständlich deutlich, daß Kunst und Natur ursprünglich zwei getrennte Bereiche sind, da die Kunst einen menschlichen, die Natur aber einen göttlichen Schöpfer hat 203 . Der Mensch kann die Natur zwar zu erklären versuchen, aber nur bedingt auf sie einwirken. Aus diesem Grund wird Heinrich Drendorf, der ein „großer Freund der Wirklichkeit der 120 Der Kulturroman 199 Henkel/ Schöne, Emblemata, Sp. 542. Dies wird schließlich auch von Marias Vater entsprechend kommentiert: Als bei einer realen Jagd der Wolf gefangen und langsam und grausam zu Tode gequält wird, merkt der Pfarrer direkt an, daß dies „ein prognosticon ist, wie ers nachhero mit meinem armen Kinde gemacht, denn Wulf oder Lamm ist diesem Schalksknecht gleich […]“. Meinhold, Die Bernsteinhexe, S. 78. 200 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 197. Im „Nachsommer“ wird eine Aufführung des „König Lear“ zur „wirklichsten Wirklichkeit“, so daß auch in diesem Roman das Vorhandensein einer „natürlichen“ Wirklichkeit als problematisch dargestellt wird. Trotzdem wird im „Nachsommer“ der ernsthafte Versuch unternommen, eine natürliche Natur darzustellen. Dies geht sogar so weit, daß in der Forschungsliteratur leicht ironisch festgestellt werden konnte: „Mit merkwürdiger Unbekümmertheit, als hätte Kant nie gelebt, verläßt Risach sich auf die Erkennbarkeit des Dings an sich […]“. Borchmeyer, Ideologie der Familie, S. 245. 201 Mörike, Maler Nolten, S. 31. 202 Eine solche gibt es sowohl in den „Rittern vom Geiste“ als auch im „Nachsommer“. Auch bei Stifter verstecken sich hinter der scheinbaren Realität der Natur ebenfalls stereotype Elemente, aus denen ein „locus amoenus“ oder ein „hortus conclusus“ konstruiert wird: Claudia Albes, Der Spaziergang als Erzählmodell, Studien zu Jean- Jacques Rousseau, Adalbert Stifter, Robert Walser und Thomas Bernhard, Tübingen und Basel 1999, S. 175-180. Darüber hinaus hat Martina Wedekind den Einfluß alchemistischer Emblematik des Barocks im „Nachsommer“ nachgewiesen: Martina Wedekind, Adalbert Stifter, Der Nachsommer, Eine intertextuelle Untersuchung, in: Euphorion 89 (1995), S. 401-427. 203 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 295. <?page no="128"?> Dinge“ 204 ist, zu einem Naturforscher, der sich bemüht, der Natur ganz im Sinne eines modernen naturwissenschaftlichen Ansatzes Eigenständigkeit zurückzugeben 205 , was bezeichnenderweise auf Kosten der künstlerischen Qualität seiner Zeichnungen geht 206 . Die Bemühung, ein Gegenmodell zu artifiziellen Naturdarstellungen zu etablieren, verbindet Stifter wiederum mit Gutzkow. Eine der Hauptfiguren in den „Rittern vom Geiste“ ist - ähnlich wie in „Maler Nolten“ - ein Maler, der sich zwar gleich zu Anfang des Romans in die freie Natur begibt, um dort zu zeichnen, jedoch im weiteren Verlauf immer wieder wegen seines akademischen und naturfernen Standpunkts kritisiert wird 207 . Im Gegensatz zu Mörike beläßt es Gutzkow aber nicht bei dieser Kritik. Zwar wird auch in den „Rittern vom Geiste“ die Natur zu einer „Unterlage der Kunst“ 208 , darüber hinaus wird aber auch der Versuch unternommen, eine vom Menschen unabhängige Natur zu entwerfen. Wie im „Nachsommer“ Natur und Kunst durch die verschiedenen Schöpfer voneinander abgegrenzt werden, treten sie in diesem Roman als zwei räumlich getrennte Bereiche auf, wenngleich es freilich auch hier Übergangszonen gibt: Bezeichnenderweise werden vom Plessener Schloß detailliert die Gartensäle beschrieben, die „steif gegipst [...] und bemalt [...]“ 209 sind und direkt ins Freie führen. Darauf folgt die Schilderung eines kunstvoll angelegten Gartens, in dem aber menschliche Eingriffe durch mangelnde Pflege von der Natur wieder unkenntlich gemacht werden, was seinen artifiziellen Charakter erheblich relativiert. So macht Natur 121 204 Ebd., S. 29. 205 Vgl. hierzu: Martin Selge, Adalbert Stifter, Poesie aus dem Geist der Naturwissenschaft, Stuttgart, u. a. 1976 (= Studien zur Poetik und Geschichte der Literatur, Bd. 45), S. 15-17. 206 Im „Nachsommer“ wird gleichsam mit einem naturwissenschaftlichen und einem künstlerischen Maß die Qualität von Heinrichs Zeichnungen gemessen. Während sich am Anfang des Romans der Wert einer Zeichnung noch nach ihrer Naturtreue mißt, ist dies später nicht mehr der Fall. Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 104 und Stifter, Der Nachsommer, Bd. 2, S. 34-35. Hier findet die Naturbetrachtung als eine Erziehung statt, in der es unterschiedliche Etappen gibt: Hat man sich der Natur in ihrer Eigenwertigkeit versichert, ist es ungefährlich, sie künstlerisch darzustellen. Aus diesem Grund verbietet Heinrichs Vater seinen Kindern auch bis zu einem gewissen Alter den Theaterbesuch und erlaubt ihn erst, als keine Überreizung ihrer Einbildungskraft mehr zu befürchten ist. Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 191. Hierzu auch: Borchmeyer, Ideologie der Familie, S. 239. 207 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 383. Dort sagt Dankmar Wildungen über seinen Bruder: „Ich muß mir den Siegbert einmal hier heraus plaudern. In dem Atelier, bei dem Theelöffelgeklapper seiner vornehmen Protectricen, in den Salons und Coterien, wo er ästhetisirt und sich verdüftelt, wird er mir […] ohnehin ganz blaß […]“. Im weiteren Verlauf des Romans finden sich öfter solche Angaben. So zum Beispiel, wenn Dankmar Siegbert als „Salonromantiker“ bezeichnet. Ebd., S. 523. 208 Ebd., S. 238. 209 Ebd., S. 237. <?page no="129"?> Gutzkow deutlich, daß es tatsächlich eine vom Menschen unabhängige Natur gibt, die ihm sogar in einer eigenen Gestalt als quasi-menschliches Wesen gegenübertreten kann. Diese Art von Natur wird positiv bewertet, weil sie ein heilsames Gegengewicht zur menschlichen Wirklichkeitskonstruktion (Traum, Erinnerung, Phantasie und Gedanke) sein kann: „Egon sah auf die Blumenbeete hinüber. […] Er sog sich förmlich hinein in dies sichere, feste Leben der gesunden Natur. Jeder Luftzug berührte ihn wie die magische Gewalt eines Kusses, der alle Lebenskräfte des Menschen elastisch weckt. Die Sinne gewannen Kraft, das Gegenwärtige festzuhalten und von ihm auf die Vergangenheit zurück-, auf die Zukunft hinauszuschließen… Welch ein Chaos! […] Was ist da Alles gewesen! Was hat man erlebt oder nur geträumt? Was ist Erinnerung, was nur Phantasie? […] Ermattet sinken die Schwingen wieder nieder und es ist dem Gedanken, als müßt’ er sich auf die Flügeldecken eines Käfers setzen und nur, um sich erhalten zu können, mit Käfern, nur mit Bienen so fortsummen, als gehörte man, ein Nichts, in’s große Ganze und könnte nur leben im zitternden Sonnenstrahl“ 210 . Natur wird hier zum Gegenstück der menschlichen Psyche und erhält somit eine gegenteilige Funktion wie in „Maler Nolten“, wo sie noch ausschließlich ein Spiegel der inneren Zustände der Romanfiguren war. Auf diese Weise zeigt sich in den Naturdarstellungen der Romane auch ein Spektrum der unterschiedlichsten Wirklichkeitszugänge: vom Realitätsverlust in „Maler Nolten“ durch psychische Beschaffenheit und in der „Bernsteinhexe“ durch physische Disposition 211 , über eine Kombination aus subjektivem Wirklichkeitsschwund und außermenschlicher Natur in den „Rittern vom Geiste“ bis hin zum Versuch des „Nachsommer“, eine eigenständige Objektwelt darzustellen. Im Gegensatz zum „Maler Nolten“ und der „Bernsteinhexe“ erweitert sich also die Natur- und mit ihr die Wirklichkeitsvorstellung in den „Rittern vom Geiste“ und im „Nachsommer“ erheblich, indem ein Gegenmodell zu der artifiziellen und intellektuell konstruierten Realität eingebaut wird, die in „Maler Nolten“ und in der „Bernsteinhexe“ ausschließlich dargestellt wird. Eine Ursache für diese Neuorientierung ist sicherlich in den revolutionären Erfahrungen von 1848 zu sehen, die bezeichnenderweise auch mit „Natur“ in Zusammenhang gebracht werden. Gutzkow macht explizit darauf aufmerksam, daß der Mensch „die Bahn seiner Natur“ 212 verläßt, wenn er sein Leben lediglich auf den Verstand gründet. Diese Erkenntnis wird be- 122 Der Kulturroman 210 Ebd., S. 1489. 211 Der ursächliche Zusammenhang von psychischer Beschaffenheit und Realitätsverlust in „Maler Nolten“ liegt auf der Hand. Die Verbindung von physischer Disposition und Wirklichkeitsschwund in der „Bernsteinhexe“ ist nicht so offensichtlich, aber trotzdem vorhanden: Marias Weigerung, die Geliebte des Amtshauptmanns zu werden, steht in keinem realistischen Verhältnis zu der Strafe, die deswegen über sie verhängt wird. In diesem Fall liegt der Wirklichkeitsverlust beim Amtshauptmann. 212 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 2934. <?page no="130"?> zeichnenderweise ausdrücklich auf politische Ereignisse bezogen: „Revolution“ wird nicht mehr als Folge von Taten, sondern als ein Produkt von Reflexion, Ästhetisierung und - in letzter Konsequenz - eines Wirklichkeitsverlustes verstanden 213 . Diese Einschätzung, die nicht zuletzt auch aufklärungskritisch begriffen werden muß, hat Parallelen in der veränderten Revolutionsdarstellung in den Romanen vor und nach 1848, die nicht zuletzt mit Hilfe von Naturbildern ausgeführt wird: Während es Mörike noch möglich war, die Revolution in einer kunstreich arrangierten Ballade und in Gestalt des sagenhaften Feuerreiters als personifzierte Naturgewalt auftreten zu lassen 214 , ist eine solche ästhetisierende Darstellung später nicht mehr denkbar, weil man erkannt hatte, daß auf diese Weise die Gefahren der Revolution nicht mehr realistisch eingeschätzt werden konnten. Bezogen auf das (zwischen)menschliche Leben bedeutet dies, daß bei Mörike und Meinhold der Einzelne in den Vordergrund rückt, wohingegen Gutzkow und Stifter für ihn äußerliche und objektive Bezugspunkte schaffen; einer dieser Bezugspunkte ist in der Religion zu sehen, die wie kaum etwas anderes dazu angetan ist, das Verhältnis von Subjekt und Objekt (in der Variante von Geschöpf und Schöpfer) darzustellen und zu bewerten. Hier schließt sich der Kreis zum Anfang des Kapitels, wo der enge Zusammenhang von Geschichte, Natur und Religion bereits erwähnt wurde: geschichtliches Denken muß die Kulturbetrachtung bestimmen, das Definitionsmerkmal „Natur“ hingegen kann der erste Teil einer inhaltlichen Antwort auf die Frage nach dem menschlichen Leben und seinen Bedingungen sein, weil sie Auskunft über die Herkunft des Menschen gibt. Diese liegt nicht zuletzt in seiner physischen und psychischen Beschaffenheit und wird in seinem Handeln sichtbar, wobei sich folgende Abhängigkeit ergibt: Wenn die äußere Natur Sicherheit und Ordnung als Lebensgrundlage garantiert, ist auch die sittliche Natur des Menschen befestigt und geschützt, das menschliche Zusammenleben ungefährdet. Hierbei es nicht unwichtig, daß im „Nachsommer“ die Selbstverständlichkeit eines sittlich richtigen Verhaltens eng mit einem selbstverständlichen Vorhandensein von Getreide verbunden ist 215 . Damit ist wieder der wörtliche Bildbereich von Kultur aufgegriffen und als strukturierendes Mittel im „Kulturroman“ eingesetzt. Auf der inhaltlichen Ebene heißt das, daß ein menschliches Zusammenleben nicht möglich ist, wenn man Natur sich selbst überläßt und nicht veredelnd in sie eingreift. Natur 123 213 Dafür spricht auch die Tatsache, daß der Revolutionssympathisant Louis Armand als ein gedichteschreibender Hamlet vorgeführt wird. Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 1683. 214 Vgl. hierzu: Koopmann, Freiheitssonne und Revolutionsgewitter S. 131-135; Bruch, Faszination und Abwehr, S. 34-69. 215 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 70-71. <?page no="131"?> Damit sind aber schon die folgenden Definitionsmerkmale von Kultur angesprochen, welche die unmittelbarste positive Wirkung auf den Menschen ausüben. Darüber hinaus bezeichnen sie sowohl eine Entwicklungsstufe, in welcher der Mensch bereits über den Naturstand hinausgehoben ist, als auch eine Sinngebung im geschichtlichen Ablauf. Die Rede ist von Religion und Kunst. Beide Größen werden damit einerseits Indikatoren von Kultur, andererseits wird ihnen die Fähigkeit zugesprochen, Wirklichkeit erklären zu können. Besonders Religion ist im Zusammenhang mit Geschichte und Natur als Definitionsmerkmal von Kultur bedeutsam, weil sie zum einen die menschliche Natur beeinflußt und damit einer zeitlich späteren Entwicklungsstufe zuzuordnen ist, andererseits mit der Frage nach dem Urheber beziehungsweise der Ursache der menschlichen Natur einen Schritt hinter den Naturstand des Menschen zurückgeht. 3. Religion Neben die Natur tritt, gleichsam als erst Stufe der Veredelung, das Übernatürliche. Vor allem in „Maler Nolten“ und in der „Bernsteinhexe“, also in den Romanen, deren Autoren ein Theologiestudium absolviert hatten und zeitweise als Pfarrer tätig waren, wird es ausführlich reflektiert: Meinhold wählt als Handlungsgerüst einen Hexenprozeß, der wie kaum ein anderes Thema die Möglichkeit bietet, Zauberei und andere überirdische Kräfte, welche das Leben bestimmen und Inhalt menschlichen (Aber-)Glaubens sind, darzustellen. In „Maler Nolten“ ist es in erster Linie die Figur der wahnsinnigen Zigeunerin Elisabeth, die unmittelbar mit übersinnlichen Mächten und abergläubischen Vorstellungen verbunden ist 216 . Im „Nachsommer“ schließlich wird Aberglaube explizit in ein Abhängigkeitsverhältnis zu historischen Entwicklungsstufen gesetzt: Risach führt aus, daß besonders rohe Völker leicht dem Aberglauben verfallen 217 , so daß hier indirekt ein Indikator für Kultur genannt wird: Wahrer Glaube, der insbesondere bei Stifter gleichbedeutend mit Christentum ist, ist Ausdruck von Kultur und kann den Stand einer Kultur anzeigen. Religion und Zeit Diese Auffassung wiederum steht in enger Verwandtschaft mit einem Gedanken Gutzkows, der in den „Rittern vom Geiste“ das Christentum eine Idee 124 Der Kulturroman 216 Mörike, Maler Nolten, S. 184. Aber auch an anderer Stelle wird der Zusammenhang von natürlichen und übernatürlichen Erscheinungen als Glaubensinhalt und Welterklärung diskutiert. Ebd., S. 370. 217 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 162. Religion <?page no="132"?> nennt, welche die Geschichte vorantreibt 218 . Bezeichnenderweise werden in diesem Roman die Anfänge des Christentums sogar mit dem Beginn der Kultur gleichgesetzt 219 , was nicht nur eine Parallele in den theoretischen Schriften hat, sondern abermals bestätigt, daß das Phänomen Kultur - zumindest im 19. Jahrhundert - allein unter historischer Perspektive erfaßt werden kann. Die Entwicklung der Religion prägt die Geschichte in besonderer Weise; Religion ist ein sinnstiftendes Element innerhalb der Geschichte und entspricht damit der Forderung nach einer teleologischen Historiographie 220 : Indem sie Glaubensinhalte ausdrückt, beansprucht sie, Welterklärung zu sein und gibt damit einerseits Auskunft über das Woher und Wohin des Menschen, andererseits wirft sie ein Schlaglicht auf die eigene Zeit, wenn sich bei Gutzkow in den „Rittern vom Geiste“ die Idee eines ursprünglich positiv bewerteten Christentums in ihr Gegenteil verkehrt hat 221 . In den „Rittern vom Geiste“ erscheint Religion deshalb in einem engen Verhältnis zum Leben; sie kann es erklären. Kultur und Religion stellen beide die Frage nach Wesen und Beschaffenheit des Menschen: „Das religiöse […] Gebiet ist mit der Weltlichkeit in eine bisher ungeahnte Beziehung getreten. […], und wie nahe tritt die Religion überhaupt jetzt wieder dem Leben, dem täglichen Zusammenhange unseres Ichs mit dem Nächsten, dem Natürlichsten, was unsere Existenz bedingt“ 222 ! Das Zitat zeigt, daß Religion für Gutzkow tatsächlich in unmittelbarer Beziehung zur Gegenwart steht und der Zeitanalyse dient. Nicht zufällig wird in den „Rittern vom Geiste“ behauptet, die Gegenwart sei reif für einen Messias 223 . Damit wird aber nicht nur historisches Bewußtsein ausgedrückt, sondern auch ein eschatologisches. Ähnliche Gedanken finden sich bei Mörike. In „Maler Nolten“ wird in der Sage vom „Letzten König von Orplid“ in der Beschreibung des ursprüngli- Religion 125 218 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 2065-2066. 219 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 3290. Allerdings wird dieses Verhältnis indirekt ausgedrückt: Es wird nur ein direkter Vergleich zwischen den Anfängen des Christentums und denen des Templerwesens gezogen. In Anbetracht der Tatsache, daß das Templerwesen und die daraus entstehenden „Ritter vom Geiste“ in engem Zusammenhang mit Kultur stehen, ist eine Verbindung zwischen den Anfängen von Religion und Kultur indirekt ausgedrückt. In den theoretischen Schriften äußert Gutzkow diesen Gedanken einmal expressis verbis. Vgl. hierzu: Gutzkow, Die rothe Mütze und die Ka puze, S. 54-55. 220 Vgl. hierzu: S. 95-96 und 104-106 . 221 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 2065-2066. 222 Ebd., S. 1548. Außerdem werden hier alle weiteren wichtigen Merkmale von Religion erwähnt, die vor allen Dingen im Zusammenhang mit der Kulturdiskussion von Bedeutung sind und im folgenden weiter erläutert werden sollen. 223 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 3264. <?page no="133"?> chen Orplids ein Goldenes Zeitalter und damit eine Paradiesesvorstellung etabliert 224 . Die Idee des Goldenen Zeitalters lebt auch in der Person Noltens, von dem es einmal heißt, daß er sich lange Zeit eine kindliche Phantasie und Naivität erhält - beides Qualitäten, die einem paradiesischen Zustand zukommen 225 . Allerdings wird in diesem Roman auch die Vertreibung aus dem Paradies beschrieben, wenn es über Agnes nach ihrem ersten Gespräch mit Elisabeth folgendermaßen heißt: „Agnes war allein und vermochte kaum sich selber wieder zu erkennen; sie glaubte einer fremden, entsetzlichen Macht anzugehören, sie hatte etwas erfahren, was sie nicht wissen sollte, sie hatte eine Frucht gekostet, die unreif von dem Baume des Schicksals abgerissen, nur Unheil und Verzweiflung bringen müsse. Ihr Busen stritt mit hundertfältigen Entschlüssen und ihre Phantasie stand im Begriffe, den Rand zu übersteigen. Sie hätte sterben mögen, oder sollte Gott ihrer Neugierde verzeihen und schnell das fürchterliche Bewußtseyn jener Worte von ihr nehmen, die sich wie Feuer immer tiefer in ihre Seele gruben, und deren Wahrheit sie nicht umstoßen konnte“ 226 . Hier wird der Austritt aus dem Paradies beschrieben. Dahinter steht die Vorstellung, daß der Mensch selbst im Naturstand nicht der Ursprung aller Dinge ist, sondern einer Macht unterliegt, die sein Leben lenkt 227 . Diese Kraft wird allerdings in diesem Fall als psychischer Vorgang interpretiert - eine Parallele zur hermetisch anmutenden Naturauffassung, da auch sie deutlich macht, daß im Menschenbild des „Maler Nolten“ keine Größe zu finden ist, die dem Subjekt objektiv gegenübersteht. Bereits hier wird deutlich, daß Religion nicht mehr uneingeschränkt mit Christentum gleichgesetzt werden kann, so daß sich die Frage stellt: Was wird in den Romanen unter Religion verstanden? 126 Der Kulturroman 224 Mörike, Maler Nolten, S. 99-100. 225 Ebd., S. 279. Vgl. hierzu die Definition von Arkadien in Schillers Schrift „Über naive und sentimentalische Dichtung“. 226 Mörike, Maler Nolten, S. 53. Es ist bemerkenswert, daß vom „Baume des Schicksals“ und nicht vom „Baume der Erkenntnis“ die Rede ist. Hier wird bereits in der Wortwahl das angedeutet, was später im Roman inhaltlich deutlicher ausgeführt wird: Die (christliche) Religion ist nur noch ein Welterklärungsmodell unter vielen. Schicksal soll hier als eine Sammelbezeichnung für diejenigen Faktoren verwendet werden, die das menschliche Leben beeinflussen und schließlich die Grundlage für einen Endzustand abgeben: „[…] man braucht das Schicksal zur Erklärung, d. h. als den Grund eines Zustandes […]“. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion II, Frankfurt/ Main 1969 (= Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Werke, Bd. 17), S. 7-344, hier S. 112. Bedenkt man die Wichtigkeit, die der „Zustand“ für die (theoretische) Kulturdiskussion hat, so wird deutlich, warum auch und gerade Religion ein so bedeutsames Definitionsmerkmal von Kultur ist. 227 Für die Frage nach Wesen und Beschaffenheit des Menschen bedeutet das, daß der Mensch immer auf eine Größe angewiesen ist, die ihn bestimmt und die außerhalb von ihm liegt. Nicht zuletzt deswegen ist auch die Frage nach dem Verhältnis des Einzelnen zu einer wie auch immer gearteten Allgemeinheit grundlegend für die Kulturdiskussion. <?page no="134"?> Theologische Inhalte Religion hat einen engen Bezug zum menschlichen Leben und zur Gegenwart. Sie muß deshalb zunächst im allgemeinsten Sinn als Kraft verstanden werden, die das menschliche Leben einerseits beeinflußt und es andererseits erklären kann. Dafür spricht, daß die Vorstellungen zur Religion in den Romanen merkwürdig indifferent bleiben; weder in „Maler Nolten“ noch in der „Bernsteinhexe“ oder in den „Rittern vom Geiste“ wird unter Religion die Darstellung oder Vermittlung ausschließlich christlicher Inhalte verstanden. Auch die theologischen Vorstellungen der Pfarrer, die in den Romanen den am häufigsten gewählten Berufsstand vertreten, bleiben im dunkeln. In „Maler Nolten“ übt Theobalds Vater diese Profession aus. Von ihm wird aber lediglich mitgeteilt, daß er ein hypochondrischer und tyrannischer Philister ist 228 . In der „Bernsteinhexe“ ist Marias Vater Pfarrer, seine theologischen Aussagen beschränken sich jedoch auf das Zitieren von Bibelversen 229 . In den „Rittern vom Geiste“ werden gleich mehrere Pfarrerfiguren auf die Bühne gebracht: Stromer und Rudhardt treten aber nur als Karikaturen christlicher Richtungen auf oder haben überhaupt keine christlichen Vorstellungen mehr. Indifferent bleibt auch die Theologie von Probst Gelbsattel. Über ihn heißt es lapidar: „Um Gelbsattel recht schlagend zu bezeichnen, könnte man sagen, der Probst war auf dem Gebiete der Kirche, was der Heidekrüger Justus auf dem der Politik war … Der große Mann“ 230 . Orleander wird zwar in seiner Tätigkeit als Dichter detailliert charakterisiert, nicht aber in seinen theologischen Vorstellungen. Im „Nachsommer“ schließlich tritt der „Pfarrer von Rohrberg“ auf, von dem man, außer daß er an der Gicht leidet, nichts weiter erfährt 231 . Auch die „theologischen“ Schriften von Mörike und Meinhold helfen hier nicht weiter. Zum einen sind nur wenige überliefert, zum anderen beschäftigen sie sich meist mit theologischen Detailfragen, die keine grundsätzliche Definition ihres Religionsverständnisses zulassen 232 . Sogar der Begriff „Religion“ wird weitgehend vermieden; an seine Stelle tritt zumindest in „Maler Nolten“ die wesentlich unklarere Bezeichnung „Schicksal“. So formuliert der Präsident die Erkenntnis, die er aus Noltens Geschichte gezogen hat, am Ende des Romans mit den vielzitierten Worten: „Ein Mensch, den das Schicksal so ängstlich mit eisernen Händen umklammert, der muß am Ende doch sein Liebling seyn und diese grausame Gunst wird sich ihm ei- Religion 127 228 Mörike, Maler Nolten, S. 189-203, 213-217. 229 Meinhold, Die Bernsteinhexe, S. 15. 230 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 905. 231 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 94. 232 Vgl. hierzu: Eduard Mörike, Theologische Aufsätze, in: Eduard Mörike, Sämtliche Werke, Bd. II, München 1970, S. 521-532; Meinhold, [Einleitung], in: Das Vaticinium Lehninense. <?page no="135"?> nes Tags als die ewige Güte und Wahrheit enthüllen. Ich habe oft gefunden, daß die Geächteten des Himmels seine ersten Heiligen waren“ 233 . Der gewählte Bildbereich evoziert am Rande Anklänge an traditionell christliche Vorstellungen, und bestätigt, daß Religion und Schicksal eng zusammenhängen und Religion im weitesten Sinne zunächst einmal als Kraft verstanden werden muß, welche das menschliche Leben lenkt, beeinflußt und erklärt. Hierbei handelt es sich um eine relativ abstrakte Auffassung von Religion, die erst dann konkreter wird, wenn die Frage nach der inhaltlichen Füllung dieser Kraft gestellt wird. Mit anderen Worten: Wie werden die Elemente, die als lebensbestimmend angesehen werden, in den Romanen definiert? Bei Mörike wird bezeichnenderweise darauf aufmerksam gemacht, daß Agnes gerade in Zeiten geistiger Verwirrung religiös wird 234 , und auch von Elisabeth wird einmal gesagt, daß fromme Züge Teil ihres Wahnsinns sind 235 . Das bedeutet, daß Religion in „Maler Nolten“ nicht mehr ohne weiteres christlich definiert ist, sondern durch eine besondere Form des inneren Erlebens, die auch die Steuerungsfunktion im menschlichen Leben einnimmt. Natürlich könnte man einwenden, daß dieses eine Form der Religion sei, die sich aus pietistischen Quellen speise, was schon deshalb nicht abwegig wäre, weil Mörike sich in „Maler Nolten“ ziemlich eindeutig mit dem Pietismus auseinandersetzt 236 . Trotzdem werden gerade dadurch, daß Mörike mit der Darstellung abnormer seelischer Zustände in den psychologischen Bereich eindringt, herkömmliche christliche Muster relativiert. Daß Mörike tatsächlich psychologische Interessen verfolgte, geht aus einem Brief hervor, in dem er sich sehr erfreut über die Anerkennung zeigt, die „Maler Nolten“ durch einen Mediziner, der sich mit Psychiatrie beschäftigt, zuteil wurde 237 . Auch in der „Bernsteinhexe“ wird die Frage gestellt, welche Mächte das menschliche Leben lenken. Der ganze Bereich des Übernatürlichen und des Aberglaubens, der die zentrale Handlung bestimmt, darf in diesem Sinne verstanden werden. Zunächst hat es im Gegensatz zum „Maler Nolten“ Anschein, als würde hier noch ungebrochen auf christliche Inhalte zurückgegriffen. Die Parallelisierung der Leidensgeschichte des Volkes Israel (besonders dessen Auszug aus Ägypten) mit der gegenwärtigen Lage darf in diesem Roman so verstanden werden 238 . Am deutlichsten wird die lenkende Hand Gottes für das menschliche Leben, als mitten in der größten Hungersnot ein Brot 128 Der Kulturroman 233 Mörike, Maler Nolten, S. 406. 234 Ebd., S. 383-386. Hier ist die enge Verbindung von Religion und denjenigen Mächten, die das menschliche Schicksal bestimmen, evident. 235 Ebd., S. 196. 236 Zur Auseinandersetzung mit dem Pietismus in „Maler Nolten“: siehe unten. 237 Mörike, Brief vom November 1831 an Karl Mörike , in: Mörike, Briefe 1829-1832, S. 232-234, hier S. 234. 238 Meinhold, Die Bernsteinhexe, S. 15-16. <?page no="136"?> gefunden wird - ein Wunder, von dem zweifelsfrei angenommen wird, daß es sich hierbei um eine Gottesgabe handelt 239 . Dafür spricht weiterhin, daß als Ursache für das nachfolgende Elend, also in erster Linie für die Anklage Marias als Hexe, die Mißachtung des vierten Gebotes angesehen wird 240 . Hier wird ein direkter Zusammenhang zwischen den göttlichen Geboten und dem Handeln des Menschen sichtbar. Allein, auch in der „Bernsteinhexe“ wird die Tragfähigkeit der christlichen Religion als ausschließliches Welterklärungsmodell in Zweifel gezogen. So wird gleich am Anfang des Romans das Gottvertrauen, zu dem Pfarrer Schweidler seine Gemeinde in der größten Hungersnot anhält, als unzureichend entlarvt 241 . Für die Bedenken, die dem Christentum entgegengebracht werden, sprechen ebenfalls die Verzweiflungsanfälle des Pfarrers, in denen er immer wieder in Unglauben verfällt 242 . In die gleiche Richtung weist, daß in der aufgeklärten Weltsicht des Junkers, die Maria schließlich vor dem Scheiterhaufen bewahrt, ein anderes Modell zur Deutung der Wirklichkeit eingeführt wird, das nur noch bedingt mit christlichen Vorstellungen zusammenhängt. Pfarrer Schweidler erkennt die Gefahr, die hiervon für das Christentum ausgeht, und ermahnt schließlich den Junker, als dieser der schaulustigen Menge die natürliche Ursache für einen vermeintlichen Zauber demonstriert: „[…] und bliese ihm ein, daß er umb Gottes willen von dieser Materia aufhören sölle, dieweil das Volk, wenn es den Teufel nicht mehr fürchte, auch unsern Herrgott nicht mehr fürchten würde“ 243 , was vom fiktiven Herausgeber kommentiert wird mit dem Satz: „Vielleicht eine tiefere Wahrheit“ 244 . Differenzierter gestaltet sich die Frage nach dem Wesen der Religion in den „Rittern vom Geiste“. Gutzkows Roman hat mit den Romanen Mörikes und Meinholds gemein, daß er nicht eigentlich mehr auf christliche Inhalte zurückgreift; gleichzeitig aber verweist er eindeutig darauf, daß Religion etwas mit dem Erklären von Wirklichkeit zu tun hat. Bezeichnenderweise heißt es einmal mit Bezug auf Ackermann, daß dessen Religion früher einmal die Ungebundenheit gewesen sei, gegenwärtig die Weisheit 245 . Damit werden Formen der Wirklichkeitsbewältigung und -erklärung genannt, die nichts mehr mit Christentum zu tun haben, sondern - ähnlich wie bei Mörike - im Menschen selbst zu finden sind. Religion 129 239 Ebd. 240 Ebd., S. 89-90. 241 Ebd., S. 7. 242 Ebd., S. 35-37, 131, 259. 243 Ebd., S. 275. 244 Ebd. 245 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 2463. <?page no="137"?> Auch im „Nachsommer“ findet sich der Gedanke, daß es einen Weltplan gibt, der sich in Religion äußert. In diesem Roman wird Religion am unmittelbarsten mit traditionellem christlichen Inhalt gefüllt, wenn behauptet wird, daß Gott die Menschen lenke, indem er ihre Begabungen sichtbar mache 246 . Hier wird der wesentliche Unterschied im Religionsverständnis sichtbar, der den „Nachsommer“ vom „Maler Nolten“ und den „Rittern vom Geiste“ trennt. Stifter ist neben Meinhold derjenige Autor, der Religion ausschließlich mit einem Lenker des menschlichen Lebens besetzt, welcher sich außerhalb des Menschen befindet 247 und nicht durch menschliches Bewußtsein relativiert und perspektiviert wird. Von Meinhold unterscheidet sich Stifter allerdings dadurch, daß im „Nachsommer“ das Christentum wesentlich unproblematischer erscheint und anders als in der „Bernsteinhexe“ zu der alleinigen Form der Wirklichkeitserklärung wird. Damit bekommt auch die für die Kulturdiskussion grundlegende Frage nach dem Wesen des Menschen und seiner Bestimmung in ihrer Antwort insofern eine völlig andere Prägung, als das Religionsverständnis wesentlich an die Konfession gebunden erscheint. Damit sorgt die Komponente „Religion“ innerhalb der Kulturmodelle für eine entscheidend andere Schattierung. An dieser Stelle könnte man zwar einwenden, daß die hier ausgewählten Autoren, was den konfessionellen Aspekt angeht, nicht repräsentativ sind. Dagegen aber spricht, daß auch Gutzkow und Mörike dieses Problem in ihren Romanen thematisieren. In den „Rittern vom Geiste“ beruft sich der Franzose Louis Armand ausdrücklich darauf, katholisch zu sein 248 . Gerade diese Figur ist es aber, die in bezug auf Religion vergleichsweise naiv dargestellt wird und ein ähnliches Verhältnis zur Religion hat, wie es auch der „Nachsommer“ vermittelt. In „Maler Nolten“ hingegen ist der Hinweis darauf, daß Nolten und Agnes zwar von einem protestantischen Pfarrer, aber auf einem katholischen Friedhof begraben werden, von entscheidender Bedeutung 249 . Dieses Ereignis bildet gleichsam den Höhepunkt verschiedener Sympathiebezeugungen für den Katholizismus im Roman, die alle dazu dienen, ein Gegenmodell zu der als gefährlich empfundenen Subjektivierung des Menschen zu entwickeln. 130 Der Kulturroman 246 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 20. 247 Daß bei Stifter in Gott eine außerhalb des Menschen liegende Größe gesehen wird, zu der sich der Mensch durch Religion in ein Verhältnis begibt, das ihn relativiert, ist ähnlich wie der Versuch, eine eigenständige Objektwelt zu etablieren, auch als Reaktion auf die Revolution zu verstehen, deren Ursache Stifter unter anderem in Verabsolutierungstendenzen des Menschen gesehen hat. Vgl. hierzu Kapitel III/ 2. Es ist deshalb nicht zufällig, daß auch Gutzkow als der zweite Nachrevolutionär unter den ausgesuchten Schriftstellern diese Komponente erwähnt. Vgl. hierzu das Zitat auf S. 125 . Daß in den „Rittern vom Geiste“ dies nur eine Ansicht unter vielen ist, spricht dafür, daß es sich hierbei um einen konfessionellen Unterschied handelt. 248 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 2341. 249 Mörike, Maler Nolten, S. 411. <?page no="138"?> Hier ergeben sich Parallelen zur Kunstauffassung in „Maler Nolten“ bei der es auch in hohem Maße um die Darstellung einer subjektiven und gefährlichen Kunst geht, die durch Gegenmodelle entschärft werden soll 250 . Aus diesem Grund wird in den Romanen der drei protestantischen Autoren das Thema Religion wesentlich vielschichtiger und differenzierter reflektiert als im „Nachsommer“. Dies hat aber auch zur Folge, daß das Christentum bei den protestantischen Autoren kritischer betrachtet wird. Kritik am Christentum Sowohl bei Mörike als auch bei Meinhold und Gutzkow wird ein Christentum kritisiert, das durch Übersteigerung zu einer äußeren und ausgehöhlten Form erstarrt ist, die nichts mehr mit den ursprünglich christlichen Werten zu tun hat. Am eindeutigsten wird dies in der „Bernsteinhexe“ ausgedrückt. Bezeichnend hierfür ist der Ausspruch des Büttels, nachdem er Maria die Folterkammer und ihre Werkzeuge gezeigt und ihr beschrieben hat, welche Schmerzen sie erleiden wird: „Nunmehro hast du Allens gesehen und gehöret, was ich mit dir im Namen Gottes und der Obrigkeit führnehme“ 251 . Hier wird mit dem Namen Gottes etwas legitimiert, das nichts mehr mit den ursprünglich christlichen Werten zu tun hat, weshalb Maria ihre Ankläger dann auch als Heiden bezeichnet, die das zentrale Gebot des Christentums, die Nächstenliebe, außer acht lassen 252 . In den „Rittern vom Geiste“ wird Kritik an einem Christentum geübt, das zum „bequemen Kirchenstuhl“ heruntergekommen ist, in dem man sich „albern religiös […] geberde[t]“ 253 . In der für den Roman zentralen „Weiherede“ führt Dankmar aus, daß die christliche Religion ihre Verbindlichkeit verloren hat: „Man sieht sich in den Kirchen, man befolgt den Ritus seiner Confession, man erklärt sich auch leidenschaftlich für den Namen des Heilands, doch legt sich Jeder die Bedeutung desselben anders aus und eigentliche Christen gibt es gar nicht mehr“ 254 . Christentum ist zu einem bloßen Lippenbekenntnis geworden und zu einer leeren Formel erstarrt, die keinen Inhalt mehr hat. Damit ist aber eine der wichtigsten Aufgaben des Christentums, nämlich die Vermittlung eines allgemeingültigen Wertesystems, welches das menschliche Zusammenleben regelt, Religion 131 250 Vgl. Kap. IV/ 4. Hinzu kommt, daß der protestantische Theologe Mörike in seinen Briefen auch oftmals eine Affinität zum Katholizismus erkennen läßt. Vgl. hierzu: Hans Janssen, Mörikes Verhältnis zum Katholizismus, in: Ludwigsburger Geschichtsblätter 39 (1986), S. 181-184. 251 Meinhold, Die Bernsteinhexe, S. 200. 252 Ebd., S. 140. 253 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 2811. 254 Ebd., S. 2216. <?page no="139"?> abhanden gekommen. Aus diesem Grund ist es nicht verwunderlich, daß sowohl in „Maler Nolten“ als auch in den „Rittern vom Geiste“ gerade der Pietismus als eine theologische Strömung dargestellt wird, die wie keine zweite zu jener Vereinzelung führen kann 255 , die von Gutzkow als allgemeines Übel des gegenwärtigen Christentums diagnostiziert wird. Am Ende des „Maler Nolten“ erzählt der Präsident die Geschichte einer Frau, die so sehr in religiöse Schwärmerei verfallen ist, daß sie sich nicht mit einem lebendigen Menschen verheiratet, sondern mit dem Geist eines Verstorbenen 256 . Besser kann der widernatürliche und wirklichkeitsferne Zug der Welt- und Menschenabkehr kaum dargestellt werden. Die „Ritter vom Geiste“ setzen sich kritisch mit dem Pietismus auseinander. Hier ist in erster Linie die Figur des Pfarrers Stromer zu nennen, der die Karikatur eines Pietisten ist 257 und der im Verlaufe des Romans immer mehr negative Züge gewinnt: Er verläßt seine Frau und seine Kinder, um in der Stadt Karriere als Schriftsteller zu machen, was von verschiedenen Figuren im Roman kritisiert und negativ bewertet wird 258 . Überdies wird er bereits ganz am Anfang als eitler und hohlköpfiger Mensch vorgestellt 259 , der nicht wirklich religiös ist, sondern einer bigotten und heuchlerischen Religion anhängt. Auch hier wird ähnlich wie in „Maler Nolten“ der Pietismus als lebensfeindlich und weltverachtend dargestellt : „Dem Pfarrer Guido Stromer hätte es eigentlich sehr befremdlich vorkommen müssen, in denselben Räumen, wo er so oft mit der frommen Fürstin Amanda und allen ihren Schutzbefohlenen gebetet und gesungen hatte, jetzt einer sehr weltlichen Gesellschaft beizuwohnen 260 . An anderer Stelle äußert sich Melanie Schlurck Stromer gegenüber entschuldigend: „Zürnen Sie nicht, Herr Pfarrer, daß wir so oberflächlich und weltlich sind! Unsere Religion ist die Natur, die Kunst, die Freude“ 261 . 132 Der Kulturroman 255 Daß die Tendenz der sozialen und kulturellen Abkapselung gegenüber anderen Strömungen auch im großen seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein Kennzeichen der pietistischen Bewegung war, hat Hartmut Lehmann dargestellt: Hartmut Lehmann, Die neue Lage, in: Der Pietismus im 19. und 20. Jahrhundert, in Zusammenarbeit mit Gustav Adolf Benrath/ Eberhard Busch/ Pavel Filipp/ Arnd Götzelmann/ Penetti Laasonen/ Hartmut Lehmann/ Mark A. Noll/ Jörg Ohlenmacher/ Karl Rennstrich und Horst Weigert, unter Mitwirkung von Martin Sallmann, hrsg. von Ulrich Gäbler, Göttingen 2000 (= Geschichte des Pietismus, Bd. 3), S. 1-26, hier S. 18-20. 256 Mörike, Maler Nolten, S. 370-372. 257 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 283. 258 Ebd., S. 281-285, 295, 315, 2613. 259 Ebd., S. 285. 260 Ebd., S. 281. 261 Ebd., S. 315. <?page no="140"?> Dieser Ausspruch ist besonders deswegen bemerkenswert, weil hier Religion als Leben definiert wird; davon ist aber im Christentum, insbesondere im Pietismus, keine Rede mehr. Daß es sich beim Pietismus letztlich um eine unerlaubte Abwendung vom Leben und von den Menschen handelt, wird in den „Rittern vom Geiste“ nicht zuletzt durch die Wilhelm-Meister-Anspielungen, insbesondere durch die auf die „Bekenntnisse einer schönen Seele“ ausgedrückt 262 , die im Manuskript der Fürstin Amanda persifliert werden. Daß eine verinnerlichte Religion wie der Pietismus dem Menschen eher schaden als nutzen kann, wird in Gutzkows Roman mit Hilfe der Figur Auguste Ludmer gezeigt, der zunächst der Pietismus mit Gewalt angetragen wird; deren religiöses Erweckungserlebnis führt sie aber unmittelbar in den Wahnsinn und später in den Tod 263 . Ähnlich ist auch Agnes’ Schicksal in „Maler Nolten“ zu verstehen, an dem der enge Zusammenhang von Wahnsinn und verinnerlichter Religion nur zu deutlich wird 264 . Die Kritik am Christentum, insbesondere an der zeitgenössischen Richtung des Pietismus, zeigt, daß Religion in der damaligen Gegenwart in eine Krise geraten ist. Ihre problematische Situation ist nicht zuletzt deswegen von Bedeutung, weil sie erkennen läßt, daß das Verhältnis von Einzelnem und dem Ganzen auch auf dieser Ebene fundamental gestört ist. Kultur als Gegenmodell zum Christentum Angesichts dieser tiefgreifenden Kritik am Christentum ist es verständlich, daß Gegenmodelle entwickelt werden. Die Aufgaben und Funktionen, die ursprünglich dem Christentum zugeschrieben wurden und die sich in den Romanen als Welterklärungsmodelle und Handlungsanweisungen an eine Gemeinschaft darstellen, müssen aus einer anderen Quelle mit Inhalt gespeist werden. Im Zusammenhang mit der „Bernsteinhexe“ wurde bereits deutlich, daß aufklärerisches Gedankengut aus dem 18. Jahrhundert ein wichtiges Gegenmodell liefert. Anders gesagt: Auf dem Umweg über humanistische Vorstellungen der Aufklärung wird Kultur selbst als ein Gegenmodell zur Religion etabliert. Aufklärung ist eine derjenigen Größen, welche in der Gegenwart die ursprünglichen Aufgaben der Religion noch wahrnehmen kann und dies auch Religion 133 262 Ebd., S. 321, 2044: Hier ist es die weitgehend positiv gezeichnete Anna von Harder, welche die „Schöne Seele“ kritisiert, eben weil sie die Welt verachtet und sich vom Leben und den Menschen abwendet. Vgl. zur Pietismuskritik im „Wilhelm Meister“ auch: Helmut Koopmann, Wilhelm Meisters Lehrjahre, in: Paul Michael Lützeler/ James E. McLeod (Hrsg.), Goethes Erzählwerk, Stuttgart 1985, S. 168-191 (im folgenden zitiert als: Koopmann, Wilhelm Meisters Lehrjahre). 263 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 1855-1861, 1932-1935. 264 Mörike, Maler Nolten, S. 383-386. <?page no="141"?> tut, indem sie menschliche Werte vermittelt. Das wird in der „Bernsteinhexe“ in der Figur des Junkers deutlich, der sich gegen den Aberglauben (der hier als Schattenseite der Religion zu verstehen ist) ausspricht; das verbindet ihn mit dem Schauspieler Larkens in „Maler Nolten“, der ebenfalls Einwände gegen eine abergläubische Weltsicht vorbringt 265 . Ähnlich führt Gutzkow in den „Rittern vom Geiste“ Dagobert von Harder und Pfarrer Rudhardt ein. Harder ist der Prototyp eines Menschen aus dem 18. Jahrhundert, der wie kein anderer im Roman eine aufgeklärte Weltsicht verkörpert. Bezeichnenderweise wird gerade ihm unterstellt, daß er keine Religion mehr habe 266 . Andererseits ist er derjenige, der sich ganz im Sinne des 18. Jahrhunderts für Humanität und für sittliche Werte ausspricht, die bei rechtem Licht betrachtet ihre Wurzeln im Christentum haben 267 ; für ihn sind also die Aufklärung und ihre Werte an dessen Stelle getreten. Auch Pfarrer Rudhardt hat Theologie studiert, ist aber weniger einem christlichen Inhalt als vielmehr klassisch-humanistischen Werten verpflichtet 268 . In diesem Zusammenhang ist eine Äußerung von Justizrat Schlurck informativ, in der er als obersten Wert des Christentums die Toleranz darstellt 269 . Damit greift er auf ein Religionsverständnis zurück, das vor allen Dingen durch Lessings „Nathan der Weise“ populär geworden ist 270 . In den „Rittern vom Geiste“ gibt es noch mehrere direkte und indirekte Anspielungen auf den „Nathan“ und das Religionsverständnis, das sich in diesem Drama manifestiert 271 . Es ist in diesem Zusammenhang für das Selbstverständnis des „Kulturromans“ nicht uninteressant, daß Gutzkow das Christentum in erster Linie mit Hilfe der Wilhelm-Meister-Anspielungen, also durch Literatur kritisiert und mit Hilfe der Literatur (Nathan-Anspielungen) ein Gegenmodell etabliert. Aus alledem wird deutlich, daß auch die Religion, insbesondere das Christentum, in den „Rittern vom Geiste“, in der „Bernsteinhexe“ und in „Maler Nolten“ unter einem Entwicklungsgedanken betrachtet wird, ja, daß gerade der historische Blick die Mängel des gegenwärtigen Christentums entlarvt. 134 Der Kulturroman 265 Ebd., S. 242. 266 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 636: Hier heißt es, daß er keine Religion habe und noch nie in der Kirche gesehen worden sei. An anderer Stelle wird jedoch darauf hingewiesen, daß er zu einer sinnlichen Religion stehe, die nichts mit dem Christentum und der christlichen Kirche zu tun habe, sondern fast heidnische Züge zeige. Ebd., S. 3223. 267 Ebd., S. 3290. 268 Ebd., S. 1034. 269 Ebd., S. 2852. 270 Gotthold Ephraim Lessing, Nathan der Weise, in: Gotthold Ephraim Lessing, Werke, Bd. 2, in Zusammenarbeit mit Karl Eibl/ Helmut Göbel/ Karl S. Guthke, Gerd Hillen/ Albert von Schirnding und Jörg Schönert hrsg. von Herbert G. Göpfert, München 1971, S. 205-347. 271 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 309, 744, 2209. <?page no="142"?> Vor allem bei Gutzkow ist das Christentum am Anfang seiner Entstehung durchaus noch positiv besetzt 272 . Das macht verständlich, warum die Gegenwart als eine erlösungsbedürftige Zeit angesehen wird. Doch was kann - außer dem Rückgriff auf humanistische Werte des 18. Jahrhunderts - diese Erlösung herbeiführen? In diesem Kontext ist es bedeutsam, daß sich mit dem Konzept „Aufklärung“ als Gegenmodell zum Christentum noch ein anderer Entwurf eng verbindet. An die Stelle des Christentums tritt „Kultur“ in ihrer weitesten und zunächst undifferenziertesten Bedeutung. Damit wird sie sakralisiert und in ihrer Bedeutung außerordentlich aufgewertet. Vor diesem Hintergrund könnte man Kultur als säkularisierte Religion definieren. Das wird besonders in den „Rittern vom Geiste“ deutlich, wenn sich Förster Heunisch von dem in die Stadt gezogenen Pfarrer Stromer, der wie keine andere Figur im Roman ein fehlgeleitetes Christentum repräsentiert, folgendermaßen verabschiedet: „Adjes, Herr Pfarrer! Kommen Sie bald nach, sonst schließen Ihnen die Bauern die Kanzel zu und machen den Ackermann zum Pfarrer. Wer den sieht, denkt gleich, der muß auch gut predigen können …“ 273 . An Stelle des Pfarrers wird Ackermann eingesetzt, der im Roman nicht nur durch seinen Namen 274 das Prinzip der Kultur verkörpert. Kultur wird zu einer Art Ersatzreligion, welche die sittlichen und moralischen Werte, die ursprünglich aus der Religion kommen, säkularisiert und sie im menschlichen Zusammenleben wieder etabliert, so daß sie für die Gemeinschaft erneut verbindlich werden. Dieser Gedanke findet sich auch bei Stifter, wenn er im „Nachsommer“ darauf aufmerksam macht, daß bestimmte moralische Werte - an oberster Stelle ist hier nicht von ungefähr der Zentralwert des Christentums, die Liebe, genannt - ausschließlich auf Gott bezogen werden können. Da Gott aber „für irdisches Fühlen zu unerreichbar ist“ 275 , bestehen für den Menschen mehrere Möglichkeiten der humanen, gleichsam stellvertretenden Liebe. Gerade die Einsicht, daß Kultur den Platz der Religion einnimmt, bestätigt einerseits die enge Beziehung dieser beiden Größen, andererseits kann eben auf diesem Weg sehr viel über die inhaltliche Bestimmung von Kultur ermittelt werden. Das Definitionsmerkmal „Religion“ verhält sich genau umgekehrt wie die Ackerbaumetapher. Im Gegensatz zu ihr wird das Thema „Religion“ in der „Bernsteinhexe“ und in „Maler Nolten“ ausführlicher reflektiert. Dies ist um so bemerkenswerter, weil beides mit dem Ursprungsbereich von „Kultur“ zu Religion 135 272 Ebd., S. 2065-2066. 273 Ebd., S. 1537. 274 Vgl. hierzu: S. 79-80. 275 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 3, S. 63. Hier ist ein Unterschied zu der Auffassung der anderen Schriftsteller darin zu sehen, daß es sich bei der „säkularisierten“ Liebe tatsächlich um eine Art symbolische Liebe handelt, die auf etwas Transzendentes verweist. <?page no="143"?> tun hat. Aus dieser Beobachtung läßt sich abermals ermessen, wie markant der Einschnitt des Jahres 1848 war. Andererseits bedeutet das für die Kulturdefinition, daß Kultur nach 1848 zunehmend den Platz einnimmt, den vorher Religion innehatte. Wenn Kultur als Ersatzreligion fungieren kann, hat das eine gewisse Veräußerlichung religiöser Vorstellungen zur Folge, was auf den ersten Blick als unmittelbare Reaktion auf die kritisierte Verinnerlichungsbewegung der Religion verstanden werden kann. Am deutlichsten wird das in Dankmars „Weiherede“ ausgedrückt, der den Geheimbund als eine Art Religion zu konstituieren wünscht und hierfür die Formen einer Religion, die er als Kultus 276 bezeichnet, also Rituale, Symbole, Gedanken und Hilfsmittel, als ausschlaggebend ansieht 277 . Diese Größen, die hier gleichsam als Definitionsmerkmale für eine Kulturreligion genannt werden, sind deshalb von Bedeutung, weil sie auch in der „Bernsteinhexe“ und in „Maler Nolten“ eine gewisse Rolle spielen. In beiden Romanen wird gezeigt, daß gerade die ritualisierte Form der Religionsausübung (die in beiden Fällen in Form des Gebets erscheint) in Notzeiten lebenswichtig ist, weil sie den in Unordnung geratenen Seelen Halt bieten kann und sie zu leiten vermag 278 . Hier tritt der Ordnungsgedanke auf, der mit dem Gedanken der Kultivierung so unmittelbar verbunden ist. 136 Der Kulturroman 276 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 2217. Der Begriff „Kultur“ hat seine Wurzeln, neben dem landwirtschaftlichen, vor allen Dingen im kultischen Bereich. Fisch, Zivilisation, Kultur, S. 700. „Kultus“ bezeichnet ein Gebiet, das sich hauptsächlich mit Übernatürlichem beschäftigt. Ebd., S. 687. Aus diesem Grund wird in den „Rittern vom Geiste“ auch ein Zusammenhang von „Kultus“ und „Religion“ hergestellt: Einerseits taucht der Begriff als Modewort der Schwärmerei auf (Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 3119), andererseits klingt der religiöse Ursprung an, wenn vom „Cultus der Anbetung“ die Rede ist, wobei bereits hier der „Cultus“ säkularisiert wird, wenn die Anbetung auf den Monarchen bezogen wird. Ebd., S. 694. Allen Verwendungen gemeinsam jedoch ist, daß sie sich mit etwas beschäftigen, das außerhalb des einzelnen Menschen liegt. [Stichwort] Kultur, in: Das große Conversations-Lexikon für die gebildeten Stände, in Verbindung mit Staatsmännern, Gelehrten, Künstlern und Technikers hrsg. von J. Meyer, Bd. 19, 1. Abteilung, Hildburghausen u. a. 1851, S. 408-415, hier S. 411. 277 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 2217. 278 Mörike, Maler Nolten, S. 386; Meinhold, Die Bernsteinhexe, S. 6-7. Ritus ist ein Ausdruck der anfänglich idealen Gemeinschaft, ein Ritus tritt als ordnendes Element auf und ist ein Garant für Ordnung. Zu diesen Aufgaben und Funktionen des Ritus vgl.: Catherine Bell, Ritual Theory, Ritual Practice, New York, Oxford 1992, v. a. S. 197-223; Albert Bergesen, Die rituelle Ordnung, in: Andréa Belliger/ David J. Kriefer (Hrsg.), Ritualtheorien, Ein einführendes Handbuch, Opladen, Wiesbaden 1998, S. 49-76. Daß gerade für Mörike Riten in bezug auf Kultur eine wichtige Rolle spielen, geht aus seinem Briefwechsel hervor. In einem Brief an seinen Freund Wilhelm Hartlaub kommt es zu der seltenen Verwendung des Begriffes „cultus“, der hier ganz im Sinne von Ritus gebraucht wird. Mörike, Brief an Wilhelm Hartlaub vom 29.05.1840, in: Mörike, Briefe 1839-1841, S. 98-101, hier S. 99. <?page no="144"?> Für die Definition von Kultur läßt diese Beobachtung folgende Rückschlüsse zu: Kultur hat ihre direktesten Wurzeln in der Religion 279 , wobei sie zunächst den äußerlichen Aspekt der Religion betont, welcher maßgeblich an der Vermittlung von Inhalten beteiligt ist und den Bereich der zwischenmenschlichen Organisation beschreibt. Bezeichnenderweise äußert sich Dankmar in diesem Zusammenhang einmal folgendermaßen: „Mein Bruder, sagte er [Dankmar], beneidet sehr oft die Jesuiten um ihre Organisation. Er behauptet, der Jesuitenorden in seiner Form, aber mit einem edleren Inhalte, könnte die Welt erlösen“ 280 . Damit sind jene Formen von Kultur angesprochen, die schon in den theoretischen Kulturkonzepten eine zentrale Rolle gespielt haben, bereits in Richtung der Staats- und Verfassungsvorstellungen weisen und auch im Zusammenhang mit Religion eine nicht zu unterschätzende Bedeutung haben. Institutionalisierung von Religion Wenn Kultur zu einer Art Ersatzreligion wird, bestimmt das auch das Verhältnis von Kirche und Staat; das zeigt sich nicht zuletzt in der Institutionalisierung von Kultur im Kultusministerium, von dem es in den „Rittern vom Geiste“ bezeichnenderweise heißt, daß dies Probst Gelbsattel unterstellt werde 281 . Die Kirche tritt als institutionalisierte Religion auf und gerät als solche in ein Konkurrenzverhältnis zum Staat. Besonders deutlich wird dies in der „Bernsteinhexe“ und in den „Rittern vom Geiste“. In der „Bernsteinhexe“ versucht der Pfarrer für seine Gemeinde in der großen Hungersnot von einer weltlichen Behörde Unterstützung zu erlangen 282 . Diese Bitte wird ihm zunächst abgeschlagen und erst später ihre Gewährung an die Bedingung geknüpft, daß Maria die Geliebte des Amtshauptmanns werden muß 283 . Die Gemeinde fürchtet Repressalien der weltlichen Obrigkeit aufgrund des Verhaltens des Pfarrers 284 . Hier treten Kirche und Staat als getrennte Bereiche auf, wobei eindeutig der Kirche sittliches und moralisches Handeln zugeordnet ist, während die weltliche Obrigkeit sehr kritisch be- Religion 137 279 Man denke nur daran, daß auch in der theoretischen Diskussion der Begriff und die Sache Kultur nicht nur aus dem Bereich des Ackerbaus hergeleitet wird, sondern auch aus dem kultischen Zusammenhang. Vgl. hierzu S. 38-39. Aus diesem Grund ist auch für den Kulturroman nicht nur der landwirtschaftliche Bereich von Bedeutung, sondern auch der religiöse. 280 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 1721. Bezeichnend ist hier, daß sowohl Form als auch Inhalt der Religion für die Erlösung der Welt notwendig sind. 281 Ebd., S. 2278. 282 Meinhold, Die Bernsteinhexe, S. 30-31. 283 Ebd., S. 79-81. 284 Ebd., S. 39-41. <?page no="145"?> trachtet wird, weil ihre Verhaltensweisen und Forderungen unmenschlich sind 285 . In der „Bernsteinhexe“ sind beide Institutionen, Kirche und Staat, unabhängig voneinander, stehen zueinander auch in keinem Konkurrenzverhältnis. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden besteht allerdings darin, daß sich die Vertreter der Kirche moralischer verhalten als diejenigen der weltlichen Obrigkeit. In den „Rittern vom Geiste“ hingegen wird immer wieder der Versuch der Kirche beschrieben, Einfluß auf den Staat zu gewinnen 286 , und so das enge Konkurrenzverhältnis von beiden Institutionen angedeutet. Religion und Kunst An dieser Stelle muß nochmals betont werden, daß sich diese Überlegungen ausschließlich auf die protestantischen Autoren beziehen. Bei Stifter gibt es weder Kritik am Christentum noch finden sich Gegenmodelle, welche Aufgaben und Funktion des Christentums übernehmen würden. Allerdings existiert auch bei Stifter ein Bereich, der eng mit Religion zusammenhängt. Gemeint ist die Kunst, die bei Stifter als Ausdruck von Religion erscheint 287 : „Es gibt nur zwei göttliche Dinge auf dieser Welt: das Eine göttliche an und für sich, die Religion, das andere göttliche in dem Kleide des Reizes, die Kunst. Diese zwei sind das Höchste auf Erden. Wer etwas anderes über sie stellt, etwa Gewerbe, Wissenschaft Staatseinrichtungen, der verkehrt die Ordnung der Dinge, und sezt das Mittel über den Zwek“ 288 . Hier wird die Ausschließlichkeit betont, mit der nur Kunst in die Nähe der Religion rücken kann; Kunst und Religion erweisen sich als zwei Gebiete, die eng zusammengehören 289 . Nicht von ungefähr kommt es, daß Stifter Kunst auch im „Nachsommer“ als Zweig der Religion versteht und besonders würdigt, wenn sie ihre Dienste der Religion anbietet 290 . 138 Der Kulturroman 285 Eine detailliertere Analyse der Obrigkeitskritik, die in der „Bernsteinhexe“ geübt wird, findet sich in Kapitel IV/ 6. 286 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 904, 925, 1548, 1956, 2696, 3500-3501. Hier stehen die Erfahrungen im Hintergrund, die Gutzkow im „Kölner Kirchenstreit“ sammeln konnte. 287 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 2, S. 39, 143-146. 288 Stifter, Albumblatt für das Album des Fräulein Marie Ringseis vom 23.04.1849, in: Stifter, Briefwechsel 6, S. 202 (Hervorhebungen in der Vorlage). 289 Mit dieser Interpretation rückt Stifter in die Nähe von Eichendorff, der ebenfalls eine uneingeschränkte Zusammengehörigkeit beider Größen annimmt. Zum Verhältnis von Religion und Kunst bei Eichendorff vgl.: Helmut Koopmann, Von der Wahrheit der Dichter bei Eichendorff, in: Helmut Koopmann/ Winfried Woesler (Hrsg.), Literatur und Religion, Freiburg/ Breisgau 1984, S. 159-169. Zum Verhältnis von Eichendorff und Stifter: Johannes Kersten, Eichendorff und Stifter, Vom offenen zum geschlossenen Raum, Paderborn u. a. 1996; Gustav Wilhelm, Adalbert Stifter und die Geschwister Joseph und Louise von Eichendorff, in: Der Oberschlesier 13 (1931), S. 477-485. 290 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 2, S. 39, 143-146. <?page no="146"?> Eine ähnliche Einschätzung findet sich in „Maler Nolten“, wenn der Bildhauer Raymund zwar als Atheist dargestellt wird 291 , andererseits aber darauf hingewiesen wird, daß er ein frommer Mensch sei 292 . Seine Frömmigkeit wird ihm aber ausschließlich aufgrund seiner Tätigkeit als Künstler zugeschrieben. Auch Nolten selbst besitzt ein „religiöse[s] […] Künstlergemüth [...]“ 293 . Darüber hinaus gerät ganz im Sinne der Frühromantik das Lesen von Dichtung zu einer Andacht 294 ; schließlich wird das kirchliche Personal aus dem Amt entlassen und statt seiner der tote Schauspieler Larkens als Beichtvater eingesetzt: „Jagt Papst und Pfaff und Bischöff’, die ganze Klerisei zum Teufel! ich will dem Komödianten beichten, trotz dem daß er ein Ketzer ist […]“ 295 . An dieser Stelle schließt sich der Kreis zum Anfang des Kapitels: Religion ist weder als Welterklärung noch als sinnstiftendes Element des menschlichen Lebens tragfähig. Als brauchbares Gegenmodell wird im „Maler Nolten“ die Kunst etabliert, aber auch in den „Rittern vom Geiste“ wird die Vorstellung einer „gläubigen Kunst“ 296 ins Spiel gebracht; Orleander, der verseschmiedende Pfarrer, verkündet nicht Gott als Schöpfer der Welt, sondern wird selbst zum Schöpfer eines eigenen Kosmos. Damit ist aber bereits ein weiteres Definitionsmerkmal von „Kultur“ angesprochen: die Kunst. 4. Kunst Ganz ähnlich wie Religion nimmt Kunst in den Romanen die Funktion eines Indikators für den Stand einer Kultur ein und wird zum Ausdruck von Kultur. Auch in diesem Definitionsmerkmal drückt sich der historische Entwicklungsgedanke aus, der grundlegend für Kultur ist. Es kommt daher nicht von ungefähr, daß das Verschwinden von Kunst und Wissenschaft als Grund für den Untergang einer Kultur angenommen wird 297 : In den „Rittern vom Geiste“ Kunst 139 291 Mörike, Maler Nolten, S. 303. 292 Ebd. 293 Ebd., S. 230. 294 Ebd., S. 354-355. 295 Ebd., S. 336. Mörike spielt hier auf Faust an, was die These, daß Religion durch Kunst ersetzt werden kann, auf einer anderen Ebene nochmals bestätigt. 296 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 954. 297 Zumindest wird in den Romanen eine Abhängigkeit beider Größen formuliert: In „Maler Nolten“ wird das hauptsächlich mit Hilfe der theatralischen Einlage „Der letzte König von Orplid“ ausgedrückt. Die einstige Hochkultur Orplid ist untergegangen, und mit ihr ist das Buch verschwunden, dessen erneute Auffindung die Erlösung von Ulom, dem letzten Relikt der alten Orplider Kultur, herbeiführen soll. Ironisch gebrochen wird dieser Gedanke, wenn ausgerechnet Wispel in Orplid die Buchdruckerkunst als Teil der europäischen Zivilisation einführen will. Mörike, Maler Nolten, S. 131. In der „Bern- Kunst <?page no="147"?> wertet Gutzkow schon einen Angriff auf Kunst als Anzeichen von Barbarei 298 . Die enge Zusammengehörigkeit von Kunst und Kultur sieht auch Stifter, wenn er im „Nachsommer“ das intensive Verhältnis von Kunst und Wissenschaft mit der Landwirtschaft betont und damit erneut die Ackerbaumetaper als strukturierendes Element im „Kulturroman“ einsetzt 299 , denn durch sie wird die Zusammengehörigkeit der einzelnen Defintionsmerkmale von Kultur untereinander sowie ihr Verhältnis zu Kultur als übergeordneter Größe deutlich gemacht. Die fundamentale Zusammengehörigkeit von Kunst und Kultur ergibt sich nicht zuletzt deswegen, weil Kunst als genuin menschliches Ausdrucks- 300 und Erziehungsmittel verstanden wird, welches das Verhältnis des Einzelnen 140 Der Kulturroman steinhexe“ wird die Vernichtung des fürstlichen Schlosses zu Wolgast mit seinen Kunstwerken, Gartenanlagen und höfischen Sitten als Akt der Barbarei dargestellt. Meinhold, Die Bernsteinhexe, S. 54-55. Bei Stifter wird der Gedanke indirekt ausgedrückt, indem eine wechselseitige Abhängigkeit von Bodenkultivierung einerseits, Kunst und Wissenschaft andererseits angenommen wird. Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 70. Auf theoretischer Ebene ist diese Vorstellung in Stifters Aufsatz „Vergleichung unserer Lage mit der des alten Römerreichs“ (in: Stifters Sämmtliche Werke, Bd. 16, S. 117-119) zu finden. 298 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 966. 299 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 70. In bezug auf Kultur nehmen Kunst und Wissenschaft bei Stifter eine ähnliche Stellung ein, da sie in diesem Punkt oftmals parallelisiert werden; methodisch sind sie hingegen einander entgegengesetzt. 300 Im Rahmen der theoretischen Kulturdiskussion hat Herder darauf hingewiesen, daß gerade die Sprache ein wesentliches Merkmal von Kultur ist und Poesie zu ihrem Indikator werden kann. Vgl. hierzu Kapitel II, S. 34. Dichtung nimmt in der Rangordnung der Künste natürlich auch in den Romanen die erste Stelle ein. Stifter, Der Nachsommer, Bd. 2, S. 39; Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 2468. Die Tatsache, daß in Mörikes Roman vordergründig von einem Maler die Rede ist, kann diese Einschätzung nicht widerlegen. Im Gegenteil: Es wird gezeigt, daß malerische Inhalte durch Sprache transportiert werden können. Mörike, Maler Nolten, S. 13-16. Ähnliches gilt für den „Nachsommer“. Stifter, Der Nachsommer, Bd. 2, S. 167-168. Darüber hinaus hat Sprache die Fähigkeit, vergangene Zeitstufen gegenwärtig zu machen, was die Imitation einer altertümlichen Sprache in der „Jung-Volker-Episode“ des „Maler Nolten“ und in de r „Bernsteinhexe“ zeigt. Darüber hinaus hat Stifter in der Vorrede zu seinem „Lesebuch zur Förderung humaner Bildung“ die Lehrer dazu angehalten, in erster Linie die Sprache mit ihren Schülern zu besprechen, da in ihr „allgemeine Menschlichkeit“ zum Ausdruck komme. Adalbert Stifter und J. Aprent, Lesebuch zur Förderung humaner Bildung, hrsg. von Richard Pils, photomechanischer und vermehrter Nachdruck der 1854 bei Gustav Heckenast in Pest erschienenen Ausgabe, Graz 1982, S. VI (im folgenden zitiert als: Stifter, Lesebuch). Wenn im folgenden von „Kunst“ die Rede ist, dann ist damit in besonderem Maße immer die Sprachkunst und Poesie gemeint. Erik Grimm hat darauf aufmerksam gemacht, daß sich Heinrich beim Freiherrn von Risach „Kulturwissen“ erwirbt und hat dieses in engen Zusammenhang mit der Frage nach Sprachreflexion im „Nachsommer“ gestellt: Erik Grimm, Vorspiel zum Glück, Heinrich Drendorfs Nachsommer, in: VASILO 39 (1990), Folge 3/ 4, S. 25-39, hier S. 27. <?page no="148"?> zur Allgemeinheit nicht nur auf formaler Ebene (die das genuin künstliche Merkmal ist) darstellen kann. Künstler, Publikum und die Darstellungsinhalte von Kunst Bereits am Anfang von Mörikes Roman sieht Nolten als treibende Kraft seiner Kunst die „ruhmvolle Anerkennung der Verständigen, die rege Theilnahme zunächst seiner Freunde […]“ 301 . Hier wird Kunst kommunikativ aufgefaßt; betroffen ist in erster Linie die Darstellung der Innenwelt des Künstlers. In diesem Sinne ist auch Noltens Äußerung zu verstehen, die Kunst sei sein eigentliches Selbst 302 . Diese Ansicht ist in Analogie zur Natur- und Realitätsauffassung zu sehen, die in „Maler Nolten“ präsentiert wird. In ihr dient die äußere Welt lediglich als Spiegel der inneren: Natur und Kunst sind eins, und ihr Thema ist ausschließlich der seelische Zustand eines Einzelnen. Darüber hinaus gleicht das der Religionsauffassung: Auch sie wird in „Maler Nolten“ vorwiegend in die Innenwelt des Menschen verlegt. In dem Maße aber, in dem Kunst und Natur immer mehr zu getrennten Bereichen werden, wird auch das Kunstwerk immer weniger Ausdruck eines Individuums; der Kreis der Empfänger erweitert sich und spielt eine zunehmend wichtigere Rolle: Bei Stifter ist der Künstler schließlich zum „Wohlthäter [...] der Menschheit“ 303 avanciert. Zwischen dem Standpunkt Mörikes und demjenigen Stifters liegt die Vorstellung Gutzkows, in dessen Kunstauffassung Künstler und Rezipient gleichrangig sind. In der Vorrede zu den „Rittern vom Geiste“ spricht er den Leser gewissermaßen zur Entschuldigung für die ungewöhnliche Länge seines Romans an: „Und erzählt’ ich Dir das sinnigste und Arabiens würdigste Mährchen, ich selbst würde in unsern sternenlosen Nächten dessen nicht froh, und wo dem Schöpfer nicht wohl wurde bei einem Werke, da kanns dem Beschauer ewig nur weh sein. Schönheit ist ja Ruhe; Ruhe des Gemüths quillt in den Betrachter vom befriedigten Schöpfer, und der Schöpfer, der hier dies vielleicht übervoll aufgeschossene Werk Dir vorlegt, diesen endlos scheinenden Park mit Seen und Brücken und Wasserfällen, gesteht aufrichtig, daß er jenen einzigen Wassertropfen, der jetzt die ganze Welt abspiegelte, nicht hat finden können“ 304 . Gegenüber Mörike hat sich hier auch der Gegenstand der künstlerischen Darstellung verändert. Kunst soll nicht mehr den Einzelnen darstellen, sondern soll die Welt reflektieren. Obwohl Gutzkow zugesteht, daß es nicht das eine Kunst 141 301 Mörike, Maler Nolten, S. 78. Auch Larkens‘ Kunst ist auf direkte Mitteilung und Verständnis ausgerichtet, weshalb er auch nur einen kleinen Freundeskreis als Zuhörer verträgt. Ebd., S. 177-178. 302 Ebd., S. 21. 303 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 2, S. 39. 304 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 7. <?page no="149"?> Kunstwerk gibt, das eine objektive Wirklichkeit gestalten kann, führt er im weiteren Verlauf aus, daß die gegebenen Verhältnisse erst mittels einer Interpretation durch Kunst sinnvoll werden. Auch Kunst dient als Erklärungsmodell für Wirklichkeit. Sie interpretiert die Realität und wird im wahrsten Sinne des Wortes Ausdruck einer „Weltanschauung“ 305 . So sieht Freiherr von Risach im „Nachsommer“ die Aufgabe des Dichters darin, das „ewig Dauernde“ und das „allzeit Beglückende“ 306 einer Welt zu vermitteln, in der sich die Ansichten über die Bestimmung des Menschen ständig verändern. Auf diese Weise ist auch hier Kunst zu einem wesentlichen Experimentierfeld der „Seelen- und Menschenforschung“ 307 geworden. Im Gegensatz zu Natur ist sie - ähnlich wie Religion - ein Bereich, der vom Menschen selbst geschaffen und zu seiner ureigensten Domäne wird 308 . Durch sie können die gewonnenen Einsichten in das Wesen des Menschen verarbeitet und vermittelt werden. Bezeichnenderweise stellt Heinrich Drendorf im „Nachsommer“ einmal folgende Überlegung an: „[…] es war, als breitete sich in meinem Geiste die Frage aus, […] ob die Kunst die Dichtung die Wissenschaft das Leben umschreibe und vollende, oder ob es noch ein Ferneres gäbe, das es umschließe, und es mit weit größerem Glück erfülle“ 309 . Auch wenn Heinrich am Ende des Romans tatsächlich etwas findet, was das Leben in einer umfassenderen Weise bestimmt, nämlich die Familie 310 , ist 142 Der Kulturroman 305 Gutzkow verwendet in der Vorrede zu den „Rittern vom Geiste“ den Begriff „Weltanschauung“ tatsächlich im Sinne eines panoramatischen Überblicks über die Welt, den die Kunst bieten kann. Ebd., S. 10. 306 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 2, S. 39. 307 Stifter, Zwei Schwestern, S. 217. An anderer Stelle bezeichnet sich Stifter als „Menschenbeobachter“. Stifter, Brief an Gustav Heckenast vom 25.05.1848, in: Stifter, Briefwechsel 1, S. 283-287, hier S. 285. An wieder anderer Stelle schreibt Stifter: „Der Stoff des Schriftstellers ist die Menschheit und alles auf sie einfließende - also fast die ganze Welt“. Stifter, Über Stand und Würde, S. 36. Im Grunde ist der Mensch, vorzüglich das, was an ihm groß ist, überhaupt die Ursache, aus der Kunst geschaffen wird. Vgl. Adalbert Stifter, Über die Beziehung des Theaters zum Volke, in: Adalbert Stifter, Schriften zu Literatur und Theater, hrsg. von Werner M. Bauer, Stuttgart, Berlin, Köln 1997 (= Adalbert Stifter, Werke und Briefe, Historisch-Kritische Gesamtausgabe, hrsg. von Alfred Doppler/ Wolfgang Frühwald, Bd. 8,1), S. 118-124, hier S. 119. Selbst das vielzitierte „sanfte Gesetz“, das Stifter in der Vorrede zu den „Bunten Steinen“ entwickelt und das als Generalschlüssel zu seinem Werk angesehen wird, ist nicht, wie oft zu lesen ist, ein Naturgesetz, sondern es ist das Gesetz, durch das „das menschliche Geschlecht geleitet wird“. Adalbert Stifter, Vorrede [zu den Bunten Steinen], in: Bunte Steine, Journalfassungen, hrsg. von Helmut Bergner, Stuttgart u. a. 1982 (= Adalbert Stifter, Werke und Briefe, Historisch-Kritische Gesamtausgabe, hrsg. von Alfred Doppler/ Wolfgang Frühwald, Bd. 2,2), S. 9-19, hier S. 12. 308 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 295. 309 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 2, S. 148. 310 Damit liegt auf der Hand, daß auch „Familie“ ein zentrales Merkmal von Kultur ist. Hinzu kommt, daß die Familie während des ganzen 19. Jahrhunderts intensiv reflektiert <?page no="150"?> Kunst durchaus eng mit dem menschlichen Dasein verbunden und dazu geeignet, es darzustellen. Diese Fähigkeit wird ihr auch in den anderen Romanen 311 zugestanden; Gutzkow erhebt gerade das in der Vorrede zu den „Rittern vom Geiste“ zum Programm und macht es zur Grundlage des von ihm neu konzipierten „Roman des Nebeneinanders“. Ein Kunstwerk soll die Welt im Kleinen nachbauen und inszenieren, um sie so verstehbar zu machen: „Baut ihr und flickt ihr an den alten Welten, wir wollen neue bauen, wenigstens in der Idee. Jeder [sic! ] große Münster hat anfangs sein kleines Modell. Die alten Erbauer trugen dieses kleine Modell in der Hand; diese mochten nicht schwerer wiegen als so ein Roman von mehr Bänden als üblich, ein Roman in dem neuen Stil […]. […] Denn ich glaube wirklich, daß der Roman eine neue Phase erlebt. […] Der neue Roman ist der Roman des Nebeneinanders. Da liegt die ganze Welt! […] Nun fällt die Willkür der Erfindung fort. Kein Abschnitt des Lebens mehr, der ganze runde, volle Kreis liegt vor uns; der Dichter baut eine Welt und stellt seine Beleuchtung der der Wirklichkeit gegenüber“ 312 . Die Neuartigkeit des Romans ergibt sich in erster Linie aus seinem Universalitätsanspruch, aber auch aus seinem Realitätsbezug; ja, in gewisser Weise wird eine wechselseitige Abhängigkeit beider Größen postuliert 313 . Darüber hinaus ist bei Gutzkow die Beziehung zur Wirklichkeit immer eng mit einem Verhältnis zur Gegenwart verknüpft 314 . Stifter hingegen verneint die Verbindung der Poesie zu der aktuellen Lage, wenn er den Dichter als eine Art überzeitliche Instanz ansieht, die das Ewige aus dem Vergänglichen destillieren soll. Diese zwei gegensätzlichen Ansichten von Kunst treffen sich jedoch in der Einsicht, daß Kunst Lebensumstände des Menschen darstellen und interpretieren kann, so daß sich die Frage stellt: Was wird in den Romanen dafür ausgegeben, und Kunst 143 wird. Vgl. hierzu: Claudia Streit, (Re-)Konstruktion von Familie im sozialen Roman des 19. Jahrhunderts, Frankfurt/ Main u. a. 1997 (= Münchener Studien zur literarischen Kultur, Bd. 27). Der Zusammenhang von Kultur, Familie und ihrer zeitgenössischen Aktualität als Diskussionsgegenstand soll ausführlicher in Kapitel IV/ 6 ausgeführt werden, denn Familie wird im „Nachsommer“ (wie auch in anderen Familienkonzeptionen des 19. Jahrhunderts) in erster Linie als Baustein des Staates verstanden und erhält somit ihre Bedeutung im Zusammenhang mit Staatsvorstellungen. Vgl. hierzu Kapitel IV/ 6. 311 In „Maler Nolten“ wird Kunst einmal als Ergänzung zur Wirklichkeit interpretiert. Mörike, Maler Nolten, S. 232. In der „Bernsteinhexe“ spricht das Vorwort für sich, in dem ausführlich über den Fund eines vermeintlich echten Manuskripts aus dem 17. Jahrhundert berichtet wird. Hier wird Fiktion für Realität ausgegeben, so daß beide Größen in einem nur noch schwer trennbaren Zusammenhang zueinander stehen. Meinhold, Vorrede zur 2. Aufl. [der Bernsteinhexe]. 312 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 8-10 (Hervorhebung in der Vorlage). 313 Je mehr man sich der Universalität annähert, desto größer sind die Chancen einer realistischen Darstellung. Der Umkehrschluß ist bei Mörike zu finden: Je absoluter man das Individuum setzt, desto geringer wird die realistische Darstellung. 314 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 6-7, 10-11. <?page no="151"?> wie wird es gezeigt? Ein erster Hinweis ist die Totalitätsforderung Gutzkows. Hier wird ein Merkmal sichtbar, das bereits seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert wesentlich für die theoretische Auseinandersetzung mit Kunst ist. Sowohl die Auffassung Gutzkows als auch diejenige Stifters stehen stellvertretend für zwei verschiedene Kunstkonzeptionen, die in den Romanen diskutiert werden und innerhalb der Kulturdiskussion aussagekräftig sind. Es handelt sich hierbei um den Komplex der „Querelles des Anciens et des Modernes“ 315 , der schon für die Geschichtsvorstellungen von Bedeutung war und die Frage aufwirft, ob die antike Kunst als uneingeschränktes Vorbild fungieren darf oder ob jedes Kunstwerk unter den Bedingungen seiner Zeit betrachtet werden muß. Vordergründig wird auf diese Weise abermals Auskunft über das historische Verständnis der Autoren gegeben; darüber hinaus aber werden zwei qualitativ unterschiedliche Arten von Kunst beschrieben und zueinander in Beziehung gesetzt: Während die Kunst der Antike ganzheitlich ist, ist das hervorstechende Mekmal der Moderne Zerrissenheit 316 . Dadurch wird einerseits die Darstellung der Gegenwart durch die Modernediskussion erweitert, die bereits seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert geführt und mit der Kulturdiskussion verbunden wird 317 ; andererseits spiegelt sich hier auf formaler Ebene das Verhältnis von Teil und Ganzem wider, das inhaltlich als Frage nach der Beziehung von Individuum und Gemeinschaft, von Geschöpf und Schöpfer eine wichtige Rolle für die Kulturdiskussion spielt und auch die Definitionsmerkmale Natur und Religion bestimmt. Nicht zufällig findet in diesem Punkt bei allen Autoren eine mehr oder weniger direkte Auseinandersetzung mit der (Früh-)Romantik statt, die im ausgehenden 18. Jahrhundert wesentlich zur Kulturdiskussion beigetragen hat 318 . 144 Der Kulturroman 315 Vgl. hierzu S. 72 Anm. 116. Speziell zu Stifters Rückgriff auf diesen Komplex im Nachsommer: Häfner, Stifters Geschichtsentwurf im Nachsommer. 316 Auch hier steht wieder die Kulturdiskussion des ausgehenden 18. Jahrhunderts im Hintergrund, in der die Frage nach antiker und moderner Kunst, die auch hier mit ganzheitlicher und fragmentarischer Kunst gleichgesetzt wird, mit der Frage nach antiker und moderner Kultur in Verbindung gebracht wird. Vgl. hierzu: Schiller, Ueber naive und sentimentalische Dichtung. 317 Vgl. ebd.; Schlegel, Über das Studium der griechischen Poesie. Zwar sagt Schlegel andernorts, daß es für die Geschichte der Kultur, im Gegensatz zu Philosophie und Poesie, keinen Dualismus von alter und moderner Welt gebe (Friedrich Schlegel, Philosophische Lehrjahre 1796-1806, nebst politischen Manuskripten aus den Jahren 1796-1828, 1. Teil, mit Einleitung und Kommentar hrsg. von Ernst Behler, München, Paderborn, Wien 1963 (= Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, unter Mitwirkung von Jean- Jacques Anstett und Hans Eichner hrsg. von Ernst Behler, Bd. 18), S. 240), allein im Studiumsaufsatz, der für die Poesie gerade diesen Dualismus beschreibt, spielt auch der Kulturbzw. Bildungsgedanke eine entscheidende Rolle. 318 Hier ist insbesondere Friedrich Schlegel zu nennen. Vgl. hierzu Anm. 317. Auch bei Novalis finden sich etliche Äußerungen über Kultur. Vgl. hierzu Kapitel I. Insbesondere <?page no="152"?> Auseinandersetzung mit der Romantik: Das Fragment Gerade in „Maler Nolten“ ist der Gegensatz von Antike und Moderne zentral und ein Fundament der Kunst- und Künstlerproblematik, eines der Hauptthemen in diesem Roman. Bezeichnenderweise äußert Nolten in einem Gespräch über Kunst einmal: „Auch der Geist, in welchem die Griechen Alles personificirten, scheint mir völlig verschieden von demjenigen zu seyn, was wir so eben besprechen [gemeint ist die Dichtungsauffassung von Novalis]. Ihre Phantasie ist mir hierfür viel zu frei, zu schön und […] viel zu wenig hypochondrisch. Ein Todtes, Abgestorbenes, Fragmentarisches konnte in seiner Naturwesenheit nichts Inniges mehr für sie haben. Ich müßte mich sehr irren, oder man stößt hier wiederum auf den Unterschied von Antikem und Romantischem“ 319 . Weil aber letztlich doch aller negativen Einschätzung ungeachtet 320 das Romantische das Zeitgemäße ist, findet sich in „Maler Nolten“ hiervon mehr, als diese ablehnende Äußerung vermuten läßt. Da ist zunächst der Salon der Gräfin Constanze, in dem Teile eines frühromantischen Kunstprogramms umgesetzt werden: In einem Gesellschaftsspiel wird versucht, drei verschiedene Künste (Tanz, Malerei und Musik) in Verbindung zueinander zu bringen 321 . Auch die Tatsache, daß im Roman malerische Inhalte in Sprache übersetzt werden, darf im Sinne der frühromantischen Vermischung und Ergänzung der einzelnen Künste verstanden werden 322 . Hinter dieser Bemühung scheint das Konzept der „progressive[n] Universalpoesie“ 323 durch, das - quasi als Gegenbewegung zu den als schmerzvoll empfundenen Kunst 145 formuliert auch er den engen Zusammenhang von Kultur einerseits, Kunst und Wissenschaft andererseits: Novalis, Die Christenheit oder Europa, Ein Fragment, in: Novalis Schriften, Bd. 3, Das philosophische Werk II, in Zusammenarbeit mit Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz hrsg. von Richard Samuel, Stuttgart 1960, S. 507-524, hier S. 519. 319 Mörike, Maler Nolten, S. 282. 320 Daß Mörike dieser Strömung tatsächlich negativ gegenübersteht, geht aus einem Brief vom 05.10.1833 hervor: Mörike, Brief an Friedrich Theodor Vischer vom 05.10.1833, in: Mörike, Briefe 1833-1838, S. 44-47, v. a. S. 46. 321 Mörike, Maler Nolten, S. 71. 322 Ebd., S. 24. In der Forschung hat bislang nur Annette Scholl en passant auf die Abhängigkeit des „Maler Nolten“ von frühromantischem Gedankengut aufmerksam gemacht, ohne den Zusammenhang detaillierter aufzuschlüsseln: Annette Scholl, „Kunst! o in deine Arme wie gern entflöh’ ich dem Eros! “, Kunst und Künstler in Mörikes „Maler Nolten“, in: Reiner Wild (Hrsg.), „Der Sonnenblume gleich steht mein Gemüthe offen“, Neue Studien zum Werk Eduard Mörikes (mit einer Bibliographie der Forschungsliteratur 1985-1995), St. Ingbert 1997 (= Mannheimer Studien zur Literatur- und Kulturwissenschaft, Bd. 14), S. 71-89 (im folgenden zitiert als: Scholl, Kunst! o in deine Arme wie gern entflöh’ ich dem Eros! ). 323 Schlegel, Athenäums-Fragmente, S. 182 [Athenäums-Fragment 116]. Wolfgang Frühwald bezeichnet das Konzept der „progressiven Universalpoesie“ als die „noch immer <?page no="153"?> Zersplitterungstendenzen der Zeit 324 - verlangt, „alle getrennte[n] Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen, und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in Berührung zu setzen“ 325 . Daß in „Maler Nolten“ dieser Versuch auf einem Gesellschaftsspiel basiert, ist ebenfalls im Sinne der romantischen Salonkultur und der dort praktizierten „Symphilosophie“ und „Sympoesie“ 326 zu verstehen, die dazu dienen soll, eine ursprünglich vorhandene Einheit der Geister wiederherzustellen. In „Maler Nolten“ wird aber auch gezeigt, daß die Bemühung, Kunst und Gesellschaft in Einklang zu bringen und sich ergänzen zu lassen, zum Scheitern verurteilt ist. Larkens sieht Noltens künstlerische Natur von Anfang an im Widerspruch zur Gesellschaft. Aus diesem Grund entfernt er ihn aus Constanzes Haus, weil man dort versucht, eine Vermittlungsinstanz zwischen Gesellschaft und Innenleben des Künstlers zu etablieren 327 . Folgerichtig erwähnt Mörike in seinem Roman als einzig historisch-realen Künstler Novalis. Dieser erscheint als ein Dichter, dem „die Welt zur schönen Fabel“ 328 wird, und ist damit Repräsentant einer Kunstauffassung, die sich um eine Romantisierung 329 der Welt bemüht und versucht, die als zersplittert erkannte Wirklichkeit wieder zusammenzufügen. Darum geht es auch in dem großen Kunstgespräch im zweiten Teil des Romans; es liefert das Fundament jener Problematik, die aus dem Spannungsfeld von verlorener Totalität und der Anstrengung, diese zu restituieren, entsteht 330 : Nolten wird zwar von Lar- 146 Der Kulturroman […] dem r[omantischen] Selbstverständnis am nächsten stehende Beschreibung“: Wolfgang Frühwald, Romantik, in: Erwin Fahlbusch/ Jan Miliè Lochmann/ John Mbiti/ Jaroslav Pelikan/ Lukas Vischer (Hrsg.), Evangelisches Kirchenlexikon, Internationale theologische Enzyklopädie, Bd. 3, 3. Aufl. (Neufassung) Göttingen 1992, Sp. 1667-1675, hier Sp. 1668. 324 Zu dieser Einschätzung der (Früh)Romantik vgl. ebd., Sp. 1669-1670: „Trennung ist die zentrale Erfahrung der Moderne, an solchen Trennungen hat die R[omantik] in allen Lebensbereichen mitgewirkt. […] Trennungen, die ästhetisch aufgehoben werden sollten, hat die R[omantik] als lebensweltliche Erfahrungen reflektiert […]“ (Hervorhebungen in der Vorlage). 325 Schlegel, Athenäums-Fragmente, S. 182 [Athenäums-Fragment 116]. 326 Ebd., S. 177, 181, 185-186 [Athenäums-Fragment 82, 112 und 125]. 327 Mörike, Maler Nolten, S. 79, 229. 328 Ebd., S. 282. 329 Bei Novalis taucht der Begriff der Romantisierung an verschiedenen Stellen auf. Er bezeichnet, unter anderem, das Bestreben, etwas Absolutes bzw. Universales herzustellen: Novalis, Das Allgemeine Brouillon, S. 256. Die Romantisierung der Welt hat die Wiedergewinnung eines ursprünglichen Sinnes zum Ziel. Das Endliche soll - durch Romantisierung - den Schein des Unendlichen erhalten. Novalis, Poëticismen, in: Novalis, Schriften, Bd. 2, Das philosophische Werk I, in Zusammenarbeit mit Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz hrsg. von Richard Samuel, Stuttgart u. a. 1981, S. 537-563, hier S. 545. 330 Mörike, Maler Nolten, S. 230-231. In der Mitte dieser Passage nimmt Larkens auf eine Unterhaltung Bezug, die er mit Nolten früher einmal über das Thema geführt hat und in <?page no="154"?> kens als universalistischer Künstler beschrieben 331 , andererseits wird aber immer wieder darauf aufmerksam gemacht, daß seine Vollkommenheit zerstörbar ist 332 , wobei Larkens selbst nicht unwesentlich dazu beiträgt 333 : er stilisiert Nolten zu einem universalistischen Künstler, destruiert ihn aber gleichzeitig hierin immer wieder. Beide Figuren müssen als zusammengehörig verstanden werden. Daß Larkens über weite Strecken als alter ego Noltens auftritt 334 , bekommt gerade vor diesem Hintergrund Gewicht: Dadurch, daß ihnen verschiedene Kunstarten zugeordnet werden, wird auch auf der Personal- und Figurationsebene versucht, die Einheit der Künste wiederherzustellen. Besonders deutlich wird das in der Darstellung des Theaterstücks „Der letzte König von Orplid“, das als eine Art „Gesamtkunstwerk“ verstanden werden kann. Auf formaler Ebene wird gleich zu Anfang die Kategorie des Fragmentarischen eingeführt, wenn von Noltens Werk zunächst lediglich Skizzen und Entwürfe bekannt sind 335 . Auch der Peregrina-Zyklus ist bruchstückhaft, aber in ihm ist dadurch, daß es sich um einen Zyklus handelt, eine mögliche Totalität angelegt 336 . Ähnliches gilt für das Bauprinzip des Romans „Maler Nolten“ Kunst 147 der er Noltens künstlerischen Standpunkt charakterisiert. Hier wird Noltens Künstlertum Universalität zugeschrieben, und gleichzeitig wird diese durch das Attribut des „religiösen Künstlergemüts“ und durch den Rückgriff auf die Antike näher charakterisiert. Das bedeutet zum einen, daß mit einer universalistischen Kunst gleichzeitig auch ein gewisser religiöser Sinnanspruch einher geht. Zum anderen wird hier sichtbar, daß tatsächlich universalistische Kunst mit der Antike verbunden ist. 331 Ebd. 332 Ebd. 333 Bezeichnenderweise wird die Einschätzung Noltens als universalistischen Künstler nur durch Larkens übermittelt, der seinerseits als eine extrem problematische und zerrissene Gestalt gezeichnet wird. Wenn von ihm gesagt wird, daß er sich als Schauspieler nicht zwischen dem komischen und dem tragischen Fach entscheiden kann, dann ist dies ein noch harmloser Ausdruck eines in sich selbst zerrissenen Menschen, der in diesem Zusammenhang bemerkenswerterweise als „ächte[r] Künstler“ bezeichnet wird; nicht zuletzt läßt das darauf schließen, daß gerade diese Zwiespältigkeit zum wirklichen Künstlerdasein dazu gehört. Ebd., S. 35. 334 Liebrand, Identität und Authentizität, S. 109. 335 Mörike, Maler Nolten, S. 14. Auch die Tatsache, daß Tillsen diese Vorarbeiten vergrößert und in Ölfarbe ausführt, so daß es zu einer „wechselseitigen Durchdringung [seiner] Manier und jenes fremden Genius [Nolten]“ kommt, ist im Sinne eines frühromantischen Kunstprogramms zu sehen. Ebd., S. 20. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß der Begriff „Manier“ bei Goethe eine besondere Rolle spielt: Johann Wolfgang Goethe, Einfache Nachahmung der Natur, Manier, Stil, in: Schriften zur Kunst 1788-1800, Weimar 1896 (= Goethes Werke, hrsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, Bd. 47, [1. Abteilung]), S. 77-83. Manier bezeichnet hier die Kunststufe zwischen Naturnachahmung und Stil, in der sich noch der individuelle Geist des Künstlers manifestiert. 336 So heißt es über Larkens, dem der Zyklus im Roman in den Mund gelegt wird: „Ohne Zweifel hatte Larkens einmal die Absicht gehabt, die Geschichte mit der Zigeunerin für <?page no="155"?> selbst. Auch hier sind romantische Spuren zu entdecken: Die Mischung aus Gedichten, eingeschobenen Erzählungen, die nicht unmittelbar mit der Haupthandlung zusammenhängen (beispielsweise die Jung-Volker-Episode), und die theatralische Einlage „Der letzte König von Orplid“. Ähnlich ist der Roman „Ahnung und Gegenwart“ von Joseph von Eichendorff strukturiert. Auch hier werden in die Haupthandlung Gedichte und separate Erzählungen lose eingeflochten 337 . Vergleichbar konzipiert ist Goethes „Wilhelm Meister“, der aus diesem Grund von den Romantikern hochgeschätzt wurde 338 . Um die komplizierte Verschränkung von Fragmentarischem und ganzheitlichen Gegenmodellen in ihrer vollen Tragweite zu erfassen, sollte in diesem Zusammenhang noch erwähnt werden, daß gerade die in „Maler Nolten“ eingefügten Textpassagen, die dem Roman den Charakter des Bruchstückhaften verleihen, ganzheitliche Gegenvorstellungen sind. So vergleicht Mörike in einem Brief vom 11. Juni 1830 an Johannes Mährlen Orplid mit dem antiken Griechenland, was nicht nur als Fallbeispiel für die Darstellung des Untergangs einer Hochkultur gewertet werden darf, sondern auch als Hinweis darauf, daß mit diesem Zwischenspiel die antike, ganzheitliche Kunst repräsentiert wird 339 . Die Formelemente sind es in erster Linie dann auch, durch die sich die „Bernsteinhexe“ in Verbindung mit der Romantik bringen läßt. Nicht nur, daß Meinhold auf die romantische Mode, mittelalterliche Volkstexte zu sammeln und kritisch zu edieren, zurückgreift; schwerer wiegt hier, daß die Fikti- 148 Der Kulturroman sich zu erweitern […]; dasjenige, was der Maler in Händen hielt, waren theils Fingerzeige zu Gedichten, theils ausgeführte Stücke, welche in loser und schwebender Verknüpfung […] zuletzt einen gewissen Lebenskreis erschöpfen sollten“. Mörike, Maler Nolten, S. 361. Ein Zyklus zeichnet sich dadurch aus, daß er mehrere Einzelstücke zu einem gerundeten Ganzen verbindet. Somit ist er die formale Entsprechung zu einem Weltbild, das in Einzelteile zersprungen ist, von dem aber die Wiederherstellung erhofft wird. Zum Zyklus als Kunstform in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vgl.: Dirk Jürgens, „Im unbefriedeten Ganzen“, Zyklen und Sequenzen in der Restaurationszeit, in: Gert Vonhoff (Hrsg.), Naturlyrik, Über Zyklen und Sequenzen im Werk von Annette von Droste-Hülshoff, Uhland, Lenau und Heine, Frankfurt/ Main u. a. 1998 (= Historisch-kritische Arbeiten zur deutschen Literatur, Bd. 23), S. 9-17. Hier wird der Zyklus als von Krisenzeiten favorisierte Form aufgefaßt. 337 Joseph von Eichendorff, Ahnung und Gegenwart, hrsg. von Christiane Briegleb/ Clemens Rauschenberg, Stuttgart, u. a. 1984 (= Sämtliche Werke des Freiherrn Joseph von Eichendorff, Historisch-Kritische Ausgabe, begründet von Wilhelm Kosch/ August Sauer, fortgeführt und hrsg. von Hermann Kunisch/ Helmut Koopmann, Bd. III). 338 Friedrich Schlegel, Über Goethes Meister, in: Friedrich Schlegel, Charakteristiken und Kritiken (1796-1801), hrsg. und eingeleitet von Hans Eichner, München, Paderborn, Wien 1967 (= Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, unter Mitwirkung von Jean- Jacques Anstett und Hans Eichner hrsg. von Ernst Behler, Bd. 2), S. 126-146; Schlegel, Athenäums-Fragmente, S. 198 [Athenäums-Fragment 216]. 339 Mörike, Brief an Johannes Mährlen vom 11.06.1830, in: Mörike, Briefe 1829-1832, S. 120-122, hier S. 122. <?page no="156"?> on eines Fragments im Stile der zwanzig Jahre zuvor erschienenen „Lebensansichten des Katers Murr“ aufgebaut wird. Ähnlich wie Hoffmann berichtet Meinhold im Vorwort zur „Bernsteinhexe“ über den unvollständigen Zustand des Manuskripts zum Zeitpunkt seiner Entdeckung, um dann darauf aufmerksam zu machen, daß es zwar unmöglich sei, Anfang und Ende wiederherzustellen, daß aber immerhin die Lücken in der Mitte gefüllt werden konnten 340 . Damit wird zwar der fragmentarische Charakter erheblich gemildert; allein auch hier spiegelt die Form des Romans das Bruchstückhafte einer Welt wider 341 , der eine ganzheitliche Perspektive immer mehr verlorengegangen ist und die deshalb auch als künstlerisches Konstrukt nicht mehr ungebrochen erscheinen kann. Die „Bernsteinhexe“ ordnet sich nahtlos in die Fragmentliteratur der Romantik 342 ein und ist auf diese Weise als ein modernes Kunstwerk ausgewiesen. Bemerkenswerterweise gibt es aber auch bei Meinhold das ideale Gegengewicht der antiken Dichtung, wie das die Vorrede zur zweiten Auflage beschreibt 343 : „Ich war bis dahin ein gewöhnlicher Rationalist gewesen, aber sobald ich die gewonnenen Anschauungen auf die heilige Schrift übertrug, erstaunte ich und überzeugte mich bald, daß sie nur allein von dem antiken Standpunkte aus recht verstanden und gewürdigt werden könne. Auf Vocabeln war es mir nie angekommen, nie auf die Form, sondern stets auf den Inhalt. So kam es denn, daß Ausdrücke, als: Kunst 149 340 Meinhold, Vorrede zur 1. Aufl. [der Bernsteinhexe], S. IV und S. VIII. Auf S. IV heißt es: „Das in Schweinsleder gebundene Manuskript war nicht blos vorne und hinten defect, sondern auch aus der Mitte hin und wieder mehrere Blätter gerissen. Ich fuhr den Alten [gemeint ist der Kirchendiener, der das Manuskript gebracht hat] an, wie nie in meinem Leben; er entschuldigte sich aber dahin: daß einer meiner Vorgänger ihm das Manuscript zum Zerreißen gegeben, da es hier seit Menschen Gedenken umhergelegen, und er öfter in Papier-Verlegenheit gewesen sei, beim Umwickeln der Altarlichte u.s.w.“. Auch im Vorwort des „Kater Murr“ gibt ein fiktiver Herausgeber mit ähnlichen Worten Auskunft über den Zustand des Manuskripts, das aus ähnlichen Gründen zum Fragment geworden ist: „Nach sorgfältiger Nachforschung und Erkundigung erfuhr der Herausgeber endlich folgendes. Als der Kater Murr seine Lebensansichten schrieb, zerriß er ohne Umstände ein gedrucktes Buch, das er bei seinem Herrn vorfand, und verbrauchte die Blätter harmlos teils zur Unterlage, teils zum löschen“. E. T. A. Hoffmann, Lebens- Ansichten des Katers Murr, unter Mitarbeit von Gerhard Allroggen hrsg. von Hartmut Steinecke, Frankfurt/ Main 1992 (= E. T. A. Hoffmann, Sämtliche Werke in 6 Bdn., hrsg. von Wulf Segebrecht/ Hartmut Steinecke, Bd. 5), S. 12. 341 Damit in Einklang steht auch die Erzählweise des Pfarrers, deren chronologischer Ablauf durch Vorausblicke, die aber meist gleich wieder zurückgenommen werden, gestört wird. 342 Zu dieser: Eberhard Ostermann, Fragment/ Aphorismus, in: Helmut Schanze (Hrsg.), Romantik-Handbuch, Stuttgart 1994, S. 276-288. 343 In dieser Vorrede gibt Meinhold erstmals zu, daß er der Verfasser der „Bernsteinhexe“ ist und daß es sich bei dem Text nicht um ein historisches Manuskript handelt. Da er aber hier lediglich rückblickend seine Motivation für sein Schreiben der „Bernsteinhexe“ erläutert, darf die folgende Passage durchaus im Zusammenhang mit den Absichten gesehen werden, die er ursprünglich mit der „Bernsteinhexe“ verbunden hat. <?page no="157"?> ‚und daselbst kreuzigten sie ihn‘ cap. 23,33 ff. mir die Thränen in die Augen jagten durch unaussprechlich erhabene Einfalt, welcher ich darin zu begegnen glaubte. Himmel, dachte ich, wenn diese Beschreibungen ein moderner Schriftsteller, vielleicht sogar ein Zeuge der geschilderten Thatsache gegeben hätte, oder hätte geben können, welche Bogen langen Exclamationen würden wir lesen. Dies ist keine menschliche, dies ist eine göttliche Ruhe […]“ 344 . Was hier mehr oder weniger als ein Ideal dargestellt wird, das letztlich in der Moderne nicht mehr erreicht werden kann, erscheint in den „Rittern vom Geiste“ und im „Nachsommer“ als durchaus umsetzbar. Bemerkenswerterweise bedient sich Stifter eines ähnlichen Vokabulars wie Meinhold in der zitierten Passage aus der Vorrede 345 . Als gemeinsame Quelle ist hier das Kunstvokabular des 18. Jahrhunderts auszumachen, wie es beispielsweise von Winckelmann verwendet wurde 346 . Das Gegenmodell: Ganzheitliche Kunstwerke Im Gegensatz zum „Maler Nolten“ und zur „Bernsteinhexe“ überwiegt in den „Rittern vom Geiste“ und im „Nachsommer“ das Antike gegenüber dem Modernen. Das Vorwort, das Gutzkow seinem Roman voranstellt, spricht für sich: Hier macht er ausdrücklich darauf aufmerksam, daß es nicht mehr darum geht, ein Bruchstück der Welt zu zeigen, sondern deren Totalität 347 . Damit ist eine Position, die von der darstellerischen Unmöglichkeit einer ganzheitlichen Welt ausgeht, endgültig überwunden. Dementsprechend wird auch die Romantik an verschiedenen Stellen kritisch bedacht: Sie wird als krank und lebensfern eingeschätzt 348 und als „zweifelnde Kunst“ zum Gegenteil der „gläubigen Kunst“ 349 , die von den Alten stammt. Die antike Kunst ist es dann auch, die - im Gegensatz zur modernen - allein praktische Wirkungen haben und Wirklichkeitsanalyse sein kann 350 . Dieser Standpunkt wird im Roman vom Maler Leiden- 150 Der Kulturroman 344 Meinhold, Vorrede zur 2. Aufl. [der Bernsteinhexe], S. XIII-XIV. 345 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 2, S. 85. 346 Vgl. hierzu: J[ohnn] J[oachim] Winckelmann, Gedanken über die Nachahmung griechischer Werke in der Malerei und Bildhauerkunst, 1. Ausgabe 1755, Nachdruck der Aufl. Berlin 1885 (= Deutsche Litteraturdenkmale des 18. und 19. Jahrhunderts, Bd. 20), Nendeln/ Liechtenstein 1968. Auf Winckelmanns Einfluß auf das Kunstprogramm des „Nachsommer“ hat Margret Walter-Schneider aufmerksam gemacht und diesen gleichzeitig kritisch reflektiert: Margret Walter-Schneider, Das Unzulängliche ist das Angemessene, Über die Erzählerfigur in Stifters Nachsommer, in: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 34 (1990), S. 317-342, hier S. 338-339. 347 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 10-11. 348 Ebd., S. 522, 1360. 349 Ebd., S. 954. 350 Obwohl Gutzkow ohne Zweifel diese Art der Kunst favorisiert, ist doch sein Verhältnis zur gegenwartsfernen Kunst differenzierter, als es auf den ersten Blick zu sein scheint. <?page no="158"?> frost eingenommen, der sich dafür ausspricht, daß ein Kunstwerk immer Interpretation sein müsse, eine positivistische Kunst hingegen „erbärmlich“ sei 351 . Da diese Ansicht der des Vorwortes entspricht, kommt ihr unter den vielen Kunstauffassungen, die im Roman präsentiert werden, eine hervorragende Bedeutung zu. Darüber hinaus wird sie auch von Ackermann bestätigt 352 - und somit eng an den ursprünglichen Bildbereich der Kultivierung gekoppelt. Das wird direkt mit Romantikkritik verbunden, wenn Ackermann sagt: „Ich habe Deutschland zu einer Zeit verlassen, wo die Romantik alle unsere Anschauungen mit einer Art Heiligenschein umgab. England und Amerika boten mir dagegen so viel Realismus, so viel Ernüchterung, daß ich manchmal den Versuch machte, in meinen alten romantischen Verklärungsdämmer wieder zurückzukommen. Es ist aber wahr, man kann bei gesundem Sinne nicht zu lange in ihm verweilen“ 353 . Auch im „Nachsommer“ wird an mehreren Stellen der uneingeschränkte Vorbildcharakter der alten Kunst hervorgehoben 354 . Darüber hinaus versucht Stifter auch in der Form des „Nachsommer“ selbst eine antike Darstellungsform zu imitieren 355 . So ist es durchaus beabsichtigt, daß das vielzitierte Marmor- Kunst 151 Hier ist die Figur des dichtenden Vikars Orleander nicht zu unterschätzen, hinter dem sich vielleicht eine Mörike-Karikatur verbirgt. So ist er nicht nur im Pfarrberuf tätig, sondern ist auch (wie Mörike) auf der Schwäbischen Alp beheimatet. Darüber hinaus wird über ihn gesagt, daß er keines politischen Urteils fähig ist, und wenn er sich in dieser Richtung äußert, eine „ultraconservative Gesinnung“ zu erkennen gibt. Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 2644. Von Gutzkow selbst gibt es keine direkten Äußerungen zu Mörike. Allerdings erlaubte er 1853 eine anonyme Rezension des „Stuttgarter Hutzelmännleins“ in den „Unterhaltungen am häuslichen Herd“. Hier wird Mörike als „liebenswürdige[r] Romantiker[]“ eingeschätzt, der aber politisch nicht auf der Höhe der Zeit ist. Dies entspricht in etwa der Darstellung Orleanders im Roman: Anonym, Das Stuttgarter Hutzelmännlein, in: Unterhaltungen am häuslichen Herd, Leipzig, Bd. 1, Nr. 46, [13.08.] 1853, S. 735-736, hier S. 736. Heide Eilert hat auf die Kritik aufmerksam gemacht, welche die Jungdeutschen an Mörike geübt haben: Eilert, Eduard Mörike, S. 271. Das Pendant zu Orleander ist der Kommunist Louis Armand, der Dichtung nur zu „Tendenzzwecken“ verwendet (Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 2466). Beide Figuren begegnen sich aber freundschaftlich und sind durch gemeinsame Urahnen verbunden (ebd., S. 2468), was abermals die These bestätigt, daß der Unterschied zwischen jungdeutschen und konservativen Schriftstellern im 19. Jahrhundert nicht so groß ist, wie in der Forschung mehrfach behauptet. Daß auch das Selbstverständnis der Autoren auf theoretischer Ebene dahin geht, ist in Kapitel III/ 1 gezeigt worden. 351 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 954. Hier gibt es Ähnlichkeiten zu Mörike. 352 Ebd., S.1358-1360. 353 Ebd., S. 1360. 354 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 115. Stifter, Der Nachsommer, Bd. 2, S. 83. Hier heißt es sogar: „Merkwürdig ist es, daß völlig Werthloses aus der alten Zeit gar nicht auf uns gekommen ist“. 355 So heißt es beispielsweise in einem Brief vom 22.03.1857 an Gustav Heckenast mit Bezug auf den „Nachsommer“: „Wenn ich nicht alles Urtheiles bar bin, so müßte dieses <?page no="159"?> bild, der Inbegriff künstlerischer Schönheit und Vollkommenheit, ein Kunstwerk aus dem klassischen Griechenland ist 356 . Hier wird Ganzheitlichkeit regelrecht zur eigentlich ästhetischen Qualität eines Kunstwerks 357 . Trotzdem kann aber auch Stifter nicht ganz ohne den Hinweis auf die defizitäre Kunst der eigenen Zeit auskommen. Im Gegenteil: Im „Nachsommer“ wird expressis verbis formuliert, daß „in der Kunst […], die der Freiheit des Menschen anheim gegeben ist, oft Zerrissenheit […] erscheint“ 358 . Somit ist die moderne Kunst bei aller Skepsis, mit der Stifter ihr gegenübersteht, zur wahrhaft menschlichen Kunst erhoben, weil nur sie die gegebenen Verhältnisse des Hier und Jetzt adäquat darzustellen vermag. Bezeichnenderweise ist im Roman die einzige richtige Künstlerfigur der Gegenwart, die sich nicht nur kunsthandwerklich oder dilettantisch betätigt, ein Maler, der zerrissene und zerklüftete Naturszenerien entwirft. Hierbei ist von Bedeutung, daß sein Bild nur in einem sehr frühen Stadium der Entstehung ausführlich beschrieben wird, als es noch nicht viel mehr als eine Skizze ist, wohingegen es im Endzustand nur noch einmal beiläufig erwähnt wird. Auf diese Weise wird auch hier die Kategorie des Unfertig-Fragmentarischen in ihrer eigenen Bedeutsamkeit 152 Der Kulturroman Werk meine früheren weit übertreffen. Ich hoffe, daß die Reife des Mannes und der weitere Blik in ihm ist nebst der Ruhe und Heiterkeit und der Innigkeit der Kunst, welche breite Theile des höheren menschlichen Lebens umfaßt. […] In der Form habe ich die Einfachheit der Antike vor mir gehabt“. In: Stifter, Briefwechsel 3, S. 13-16, hier S. 15. Am 11. Dezember 1853 findet sich - ebenfalls an Gustav Heckenast gerichtet - folgende Bemerkung, die im Zusammenhang mit der Arbeit am Nachsommer-Manuskript steht: „ Vielleicht schicke ich Ihnen den Nachsommer, wenn er durchgesehen ist, aber es darf davon beileibe nichts gedrukt werden, bis der Zewitsch in den Händen des Publikums ist. Ich stärke mich zu lezteren [sic! ] Werke durch die große unglaubliche Kraft und Gewalt Homers. Lesen Sie doch Vossens Übersetzung des Odysseus, obwohl holperig und dem Originale weit nachstehend, ist das Werk auch in dieser Gestalt so groß, daß alle neueren Dichter nicht davor bestehen können“. In: Stifter, Briefwechsel 2, S. 174-176, hier S. 175-176 (Hervorhebung im Original). Brief an Gustav Heckenast vom 13.12.1855, ebd., S. 276-283, hier S. 278-279. Mit Bezug auf eine Art Exposé des „Nachsommers“ schreibt Stifter: „Sagen Sie mir dann, ob es Ihnen den Eindruck macht, daß auf dieses Gestelle ein ruhiges edles und höheres Werk zu erwarten ist, als der Markt gewöhnlich bringt. Ein fremdes Auge urteilt sicherer als das des Verfertigers, und auf das Ihre habe ich Zutrauen. Ich habe es nicht zu allen; denn das darf ich wohl ohne die Bescheidenheit zu verletzten sagen, daß, wenn ich die jezige Litteratur im allgemeinen […] und leider auch die Menschen im Allgemeinen betrachte, meine Bücher über beiden stehen, in so weit es sich um Sitte Einfachheit und Ruhe handelt […]. Unsere Litteratur liegt im Argen, und ein Mann, der mit mir die Einfachheit und das sittliche Bewußtsein gemein hätte, mir aber an Dichterbegabung weit überlegen wäre, sollte aufstehen, er würde der Erneuerer unserer gesunkenen Kunst sein, und die Ehre des Jahrhunderts retten“. 356 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 2, S. 82. 357 So heißt es einmal im „Nachsommer“, daß es die höchste Kunst sei, wenn die Ganzheit eines Kunstwerkes schön sei, die Einzelteile aber natürlich. Ebd., S. 87. 358 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 295. <?page no="160"?> herausgestellt. Darüber hinaus wird ausdrücklich gesagt, daß auf diesem Bild Felsen dargestellt werden, die sich in keiner erkennbaren Ordnung befinden. Der gemalte Boden ist nicht mit „den im Altertume berühmten Kornfeldern bekleidet“, sondern mit Furchen, Geröll und Trümmerwerk versehen, er erscheint „zerrissen und vielgestaltig“ 359 . Dieser Hinweis ist deswegen auffallend, weil hier der für die Kulturdiskussion ursprüngliche Bildbereich als Thema der künstlerischen Darstellung gewählt, aber in seiner Verkehrung gestaltet wird, was ein Schlaglicht auf das Verhältnis von Kultur und Kunst wirft. Im „Nachsommer“ wird allein die antike 360 Kunst mit Kultur verbunden. Sie ist es auch, die eine gewisse Plan- und Regelmäßigkeit in der Kunst garantiert, wie sie nur durch Ganzheit und nicht durch Bruchstücke vermittelt werden kann. Die fragmentarische Kunst der Moderne gilt dementsprechend als ordnungslos, unsystematisch und zufällig 361 . Andererseits kann gerade die Tatsache, daß die Abwesenheit von Kultur in der Kunst zwar bildlich gezeigt, aber nicht tiefer gehend umgesetzt wird 362 , die Frage beantworten, wie sich das Verhältnis von fragmentarischer und ganzheitlicher Kunst in den vier Romanen 363 gestaltet. In „Maler Nolten“ und in der „Bernsteinhexe“ ist zwar Totalität als Möglichkeit gegeben, das Bruchstückhafte aber ist zum Gestaltungsprinzip geworden. In den „Rittern vom Geiste“ 364 und im „Nachsommer“ wird Fragmenta- Kunst 153 359 Ebd., S. 637. 360 In diesem Zusammenhang darf „antike Kunst“ nicht im Sinne einer zeitlichen Dimension verstanden werden, sondern muß, wie dargestellt, als ganzheitliche Kunst gesehen werden. 361 Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Felsen, die Roland malt, „nicht als geordnete Gebilde empor standen, sondern wie zufällig als Blöcke und selbst hie und da schief in der Erde staken, gleichsam als Fremdlinge […]“. Stifter, Der Nachsommer, Bd. 3, S. 118. 362 Die Figur Rolands und sein Bild steht nicht im Zentrum des Romans, sondern ist eher am Rande angesiedelt. Die Kunstkonzeption, die mit Hilfe dieser Figur dargestellt wird, wird von Stifter selbst weder als Bauprinzip übernommen noch wesentlich in die Gespräche von Heinrich und Risach integriert. 363 Denn auch bei Gutzkow wird dieses Thema reflektiert. Siehe unten. 364 So ist durch die Art des „Panoramaromans“ von vornherein die Möglichkeit des Bruchstückhaften ausgeschlossen. Trotzdem macht auch Gutzkow in seiner Vorrede darauf aufmerksam, daß er ebenfalls immer nur einen Ausschnitt zeigen kann, was aber nichts mit einem Fragment zu tun hat, da der Ausschnitt dazu dienen soll, Totalität zu repräsentieren. Hinzu kommt, daß der Ausschnitt möglichst groß sein soll, um sich realistisch an eine Ganzheit anzunähern. Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 10-11. Zum Panoramaroman vgl.: Kurt Jaustin, „Aber auch zum Lesen gehört Virtuosität“, Lesarten des Panoramatischen in Die Ritter vom Geiste, in: Roger Jones/ Martina Lauster (Hrsg.), Karl Gutzkow, Liberalismus - Europäertum - Modernität, Bielefeld 2000 (= Vormärzstudien, Bd. VI) S. 121-148; Achim Ricken, Panorama und Panoramaroman, Parallelen zwischen der Panorama-Malerei und der Literatur im 19. Jahrhundert, dargestellt an Eugène Sues Geheimnissen von Paris und Karl Gutzkows Rittern vom Geiste, Frankfurt/ Main u. a. 1991 (= Europäische Hochschulschriften, Reihe I, Deutsche Sprache und Literatur, Bd. 1253). <?page no="161"?> risches zwar wenigstens noch erwähnt, tritt allerdings immer mehr in den Hintergrund. Mit diesem unterschiedlichen Verhältnis hat sich auch die Aufgabe der Kunst grundlegend geändert: Mörike und Meinhold geht es in erster Linie noch darum, Zerrissenheit als wesentlichen Lebensumstand des Menschen darzustellen, bei Gutzkow und Stifter hingegen soll die Kunst gerade dieses Defizit kompensieren. Diese Entwicklung liegt nicht zuletzt in den Erfahrungen von 1848 begründet, die einerseits sichtbar machen, daß Auflösungstendenzen und Ordnungslosigkeiten tatsächlich (und nicht nur im ästhetischen Bereich) das eigentliche Merkmal des zeitgenössischen Menschen sind, die andererseits aber auch das ganze Ausmaß der Gefahr aufzeigen, das hiervon ausgeht. Aus diesem Grund versuchen die Autoren in der Folgezeit mit allen Mitteln, ein Gegengewicht zu etablieren. Dafür bietet sich gerade das Feld der Kunst 365 besonders gut an, weil es nicht nur ein Spiegel der Verhältnisse ist, sondern durch die enge Verbindung mit Kultur und Ordnung zu dem Gegengewicht schlechthin werden kann. Durch diese enge Zusammengehörigkeit wird Kunst in einer Krisensituation, in der Kultur abhanden zu kommen droht, zum Seismographen. Hier liegt die tiefere Bedeutung von Kunst als Indikator für den Stand einer Kultur und der Grund für das Auftreten des Kulturromans zwischen 1830 und 1860 mit seinen unterschiedlichen Ausprägungen im Vor- und Nachmärz. Wirkung von Kunst Damit deutet sich schon an, daß das Verhältnis von Teil und Ganzem nicht nur auf formaler Ebene gesehen werden kann, sondern auch inhaltliche Konsequenzen hat. Das hängt mit den unterschiedlichen Gegenständen und Wirkungsweisen der Kunst zusammen. Daß eine Kunst, deren Hauptmerkmal das Bruchstückhafte ist, dazu geeignet ist, den Einzelnen darzustellen, liegt ebenso auf der Hand wie die Tatsache, daß eine Kunst, die Ganzheit anstrebt, besser geeignet ist, die Welt abzubilden. Beiden Konzeptionen werden unterschiedliche Wirkungsweisen zugeordnet: Fragmentarische Kunst bedeutet eine Gefahr für den Menschen; Kunst mit der Fähigkeit, eine Totalität wiederzugeben, birgt gewisse Heilungsmöglichkeiten. Anders gesagt: Je mehr Kunst auf Bruchstücken und Fragmenten beruht und keine feste Ordnung aufweist, desto mehr wird sie zu einem Instrument der Vereinzelung, des körperlichen und seelischen Niedergangs, an dessen Ende schließlich der Tod steht. Je mehr sie jedoch eine Totalität präsentieren will, desto eher kann sie eine heilende Wirkung entwickeln. Wenn sie die Wirklichkeit nicht mehr abbildet, sondern 154 Der Kulturroman 365 Vgl. hierzu: Uwe-K. Ketelsen, Adalbert Stifters Roman Der Nachsommer, Die Selbstformierung eines Erzählers, in: Orbis Linguarum 1 (1994), S. 5-14, hier S. 6. <?page no="162"?> ihren Mangel kompensiert, schafft Kunst Distanz zur Realität, und so kann die Heilung beginnen. In „Maler Nolten“ werden beide Möglichkeiten vorgeführt, wobei der Unterschied zwischen heilsamer und gefährdender Kunst im wesentlichen der Unterschied zwischen gestalteter und formloser Kunst ist. In diesem Zusammenhang ist in erster Linie die Figur Elisabeth bemerkenswert, mit deren Hilfe die Folgen einer verwilderten Einbildungskraft, die nicht die Möglichkeit hat, durch künstlerische Gestaltung in eine Ordnung gebracht zu werden, eindrücklich demonstriert wird 366 : Bezeichnenderweise ist das einzige, wenngleich nur temporäre Gegenmittel für ihre Wahnsinnsanfälle ein Lied, das sie von ihrer Großmutter gelernt hat 367 . Elisabeth symbolisiert somit eine bestimmte Art der Kunst, die sich in erster Linie durch Form- und Ordnungslosigkeit auszeichnet und mit Wahnsinn und Tod endet. Es kommt daher nicht von ungefähr, daß Mörike ein Gegenmodell etabliert und in „Maler Nolten“ wenngleich nur am Rande neben der gefährlichen auch die diätetische Wirkung von Kunst zeigt 368 : So wird Nolten in der Gefängnishaft als besonders harte Strafe auferlegt, sich nicht künstlerisch betätigen zu dürfen 369 . Die Genesung beginnt bezeichnenderweise erst dann, als er in ein Zimmer verlegt wird, dessen künstlerische Gestaltung ihm wohltut 370 . Hier steht das Ideal einer nach außen projizierten und formalisierten Kunst im Hintergrund, die heil- Kunst 155 366 Bezeichnenderweise ist das Verwandtschaftverhältnis zu Nolten nicht nur im familiären Sinne zu verstehen, sondern auch im Sinne einer Wesensverwandtschaft. So kann Adelheid, die Lieblingsschwester Theobalds, nicht auf Anhieb den Gesang Elisabeths von einem Hilferuf ihres Bruders unterscheiden. Mörike , Maler Nolten, S. 193. Der Unterschied zwischen der phantasiereichen Begabung Noltens und Elisabeths, die beiden eigen ist, liegt in der handwerklichen Produktivkraft, die Nolten hat, Elisabeth aber nicht. Bezeichnenderweise faßt Nolten den Entschluß, Maler zu werden, direkt nach seiner ersten Begegnung mit Elisabeth. Ebd., S. 217. Andererseits werden im Verhältnis Nolten/ Tillsen die Grenzen einer Kunst gezeigt, die nur über Handwerk, nicht aber über Geist verfügt. So bessert sich Noltens Lage im Gefängnis in dem Moment, in dem er wieder in Berührung mit gestalteter Kunst (in diesem Fall das Lied der Wärterstochter) kommt. Ebd., S. 225. Die Entscheidung, seine Einbildungskraft durch Formgebung in geregelte Bahnen zu leiten, gewährt Nolten aber nur einen Aufschub, keine gänzliche Befreiung von Wahnsinn und Tod. Am Ende teilt er das Schicksal seiner Cousine. Mörike nutzt hier den Unterschied von apollinischer und dionysischer Kunst. 367 Mörike, Maler Nolten, S. 198. Gerade ein Gedicht oder Lied ist Ausdruck einer besonders formalisierten Kunst. 368 Ähnlich wie im „Nachsommer“ moderne Kunst zwar erwähnt, aber nicht tiefer gehend umgesetzt wird, wird in „Maler Nolten“ zwar das Gegenmodell einer diätetischen Kunst entworfen, aber sie ist letztlich im Romanzusammenhang nicht tatsächlich wirkungsvoll. 369 Mörike, Maler Nolten, S. 175. Er wird allein sich selbst und seiner zügellosen Phantasie überlassen, so daß sich seine Fieberphantasien auch in den bewußten Zustand hinein fortsetzen. 370 Ebd., S. 222-223. <?page no="163"?> sam auf den Menschen wirken und im wahrsten Sinne des Wortes zur Medizin für den Körper werden kann. Kunst bekommt eine lebenswichtige Bedeutung 371 und ist damit meilenweit von der philisterhaften Einschätzung von Noltens Vater entfernt, der in ihr lediglich eine Unterhaltung und Freizeitbeschäftigung sieht 372 . Dieser positive Effekt von Kunst gewinnt in „Maler Nolten“ letztlich nicht die Oberhand; dazu steht Mörike ihm zu skeptisch gegenüber. Ihre Berechtigung erhält diese heilsame, ganzheitliche Kunst allein aus der Tatsache, daß sie ein Gegengewicht zu der zerrissenen Kunst darstellt, die allerdings zeitgemäß ist. Kurz nach Abschluß des „Maler Nolten“ formuliert Mörike in einem Brief an seinen Freund Friedrich Theodor Vischer: „Übrigens sage ich bei dieser Gelegenheit, daß ich der Kränklichkeit und Schmerzens-Pralerei unserer jezigen Poësie gegenüber mich […] herzlich nach einem gesunden idealen Stoffe sehne, der sich eine [sic! ] antike Form assimilirte. Nur diß bewahrt uns entschieden vor jenem modernen Unwesen, von dem man doch wider Willen mehr oder weniger auch mit sich schleppt“ 373 . Der „Nachsommer“, der tatsächlich eine „antike Form assimiliert“, drückt dementsprechend die diätetische Wirkung von Kunst aus: Hier bekommt sie die Aufgabe, den Menschen bis in den Tod zu begleiten und diesem seinen Stachel zu nehmen. Das geht deutlich aus dem Verhältnis des alten Freiherrn von Risach zu antiken Autoren hervor: „Ich lese jezt selten mehr die größten Geister im Zusammenhange […], aber ich lese immer in ihnen, und werde wohl bis zu meinem Lebensende in ihnen lesen. Sie be- 156 Der Kulturroman 371 Auch bei Gutzkow in den „Rittern vom Geiste“ findet sich dieser Aspekt von Kunst. Im Vergleich zu „Maler Nolten“ und dem „Nachsommer“ fällt er hier jedoch schwächer aus. Zwar gesteht auch Gutzkow zu, daß Kunst Stärkung und Trost im Leben sein kann, allerdings bezieht er diese Eigenschaften nicht direkt auf den Körper des Menschen, sondern lediglich auf sein Gemüt. Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 11. Daß diese Vorstellung nicht nur in den Romanen propagiert wird, sondern auch Eingang ins Leben gefunden hat, wird aus verschiedenen Äußerungen Stifters klar. In einem Brief vom 09.06.1853, in dem er - wie so oft - seinen Verleger um Geld bittet, zählt er, um seinen Wunsch zu rechtfertigen, eine Reihe von Gründen auf, die einen Vorschuß notwendig machen. Diese Liste schließt er dann mit den Worten ab: „Endlich ist bei einem Künstler […] Kunstgenuß ein Brodbedürfnis, ohne dessen Befriedigung er abstirbt, und dann selber statt Brod kaum mehr Kleien hervor zu bringen im Stande ist“. Stifter, Brief an Gustav Heckenast vom 09.06.1853, in: Stifter, Briefwechsel 2, S. 151-156, hier S. 154 (Hervorhebung in der Vorlage). Aufschlußreich ist der Zusammenhang zum Bildbereich „Ackerbau “. 372 Mörike, Maler Nolten, S. 216. 373 Mörike, Brief an Friedrich Theodor Vischer vom 05.10.1833, in: Mörike, Briefe 1833- 1838, S. 44-47, hier S. 46 (Hervorhebung der Autorin). Es ist in diesem Zusammenhang wichtig, daß sich Mörike ausdrücklich auf den formalen Aspekt der antiken Kunst bezieht, was die These stützt, daß es auch in „Maler Nolten“ um den Gegensatz von geformter Kunst und wilder Einbildungskraft geht. <?page no="164"?> gleiten mich mit ihren Gedanken wie mit großen Erquickungen durch den Rest meines Lebens, und werden mir wohl, wie ich ahne, an der dunklen Pforte Kränze aufhängen, als wären sie von meinen eigenen Rosen geflochten“ 374 . Dieses Beispiel zeigt, daß Tröstung durch Kunst nicht zuletzt deswegen gelingen kann, weil Lektüre (oder eine andere Art der Kunstrezeption) als Verständigung zwischen dem Kunstwerk und der Person, die es zu erfassen sucht, aufgefaßt wird. Diese Verbindung beruht nicht zuletzt auf einer Übereinstimmung, die sich aufgrund allgemeinmenschlicher Merkmale ergibt. Nicht anders ist der Hinweis von Meinhold zu verstehen, daß eine sprachliche Beschreibung der Kreuzigung Jesu dem Leser „Thränen in die Augen jagen“ 375 , ihn also berühren müsse. Im Hintergrund steht hier die alte aufgeklärte Mitleidsästhetik von Lessings „Hamburgischer Dramaturgie“, daß das Theater Schrecken und Mitleid erzeugen müsse. Die Forderung nach Mitleid ist hier im wörtlichen Sinn zu verstehen, daß die Figuren auf der Bühne so mit typischen allgemeinmenschlichen Merkmalen ausgestattet sein sollen, daß sie psychologisch glaubwürdig sind und es dem Zuschauer erlauben, sich selbst an ihre Stelle zu setzen und ihre Situation nachzuvollziehen 376 . An diesem Punkt schließt sich der Kreis zum Anfang des Kapitels: Kunst ist eine Form des Ausdrucks, der den Menschen in den Grundlagen seiner Natur berührt und damit in die Nähe der Religion rückt. Nicht zuletzt deswegen ist das „Berührtwerden“ die adäquate Verständigungsart. In dem Moment, in dem Kunst aber auf diese Weise wirkt, zielt sie direkt auf den Einzelnen ab: Kunst hat also auch eine erzieherische Aufgabe. Bezeichnenderweise ist von dieser verstärkt dann die Rede, wenn Kunst nicht mehr bloß auf die Darstellung der Innenwelt eines Individuums abzielt. In „Maler Nolten“ fehlt diese Komponente ebenso wie in der „Bernsteinhexe“. Bei Gutzkow hingegen wird bereits im Vorwort die Forderung erhoben, der Schriftsteller müsse die Zeit, die er durch sein Kunstwerk vom Leser fordert, „lehrend auszufüllen versteh[en]“ 377 . Im Roman selbst wird diese Wirkungsmöglichkeit der Kunst Kunst 157 374 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 2, S. 41. Besonders bemerkenswert an dieser Äußerung ist, daß hier nochmals das Verhältnis von Teil und Ganzem angesprochen wird. Die überragende Bedeutung der klassischen Kunst liegt darin, daß sie so sehr ganzheitlich orientiert ist, daß sie auch in Bruchstücken konsumiert werden kann, ohne Schaden zu verursachen. 375 Vgl. S. 150 Anm. 344. 376 Gotthold Ephraim Lessing, Hamburgische Dramaturgie, in: Gotthold Ephraim Lessing, Werke, Bd. 4, Dramaturgische Schriften, in Zusammenarbeit mit Karl Eibl/ Helmut Göbel/ Karl S. Guthke/ Gerd Hillen/ Albert von Schirnding/ Jörg Schönert hrsg. von Herbert G. Göpfert, München 1973, S. 229-720., hier S. 376-380. Schiller greift diesen Aspekt auf: Friedrich Schiller, Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken? , in: Schillers Werke, Nationalausgabe, Bd. 20, Philosophische Schriften 1. Teil, unter Mitwirkung von Helmut Koopmann hrsg. von Benno von Wiese, Weimar 1962, S. 87-100. 377 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 7 (Hervorhebung in der Vorlage). <?page no="165"?> eindrücklich mit Hilfe der Figur Louise Eishold demonstriert, die sich die letzten „Pfennige ab[darbt], um alle Jahre einige male auf der obersten Galerie das Theater besuchen zu dürfen“, so daß sie dann von dem „empfangenen Eindruck“ zehren kann 378 ; nicht zuletzt diese Ausflüge sind für die moralische Höhe verantwortlich, auf der sie sich trotz der ärmlichen Verhältnisse, in denen sie lebt, befindet. Im „Nachsommer“ äußert sich der Freiherr von Risach ähnlich über Poesie: „Wenn ich je einige Weisheit gelernt habe, so habe ich sie nicht aus den eigentlichsten Weisheitsbüchern […] gelernt; sondern ich habe sie aus Dichtern genommen […]“ 379 . Damit wird Kunst endgültig ein veredelndes Element zugeschrieben, das den Menschen über seine Natur hinaushebt und ein Gegengewicht zu ihr bildet. Allerdings kann bei Stifter dann auch schlechte Kunst, die diese besondere Empfänglichkeit des Menschen für Kunst ausnutzt, dem (jungen) Menschen gefährlich werden 380 . Aus diesem Grund sind sowohl Gutzkow als auch Stifter daran interessiert 381 , Kunst, wo sie nicht institutionalisiert werden kann, so doch zumindest staatlich zu schützen 382 . Damit macht natürlich nicht zuletzt der „Kulturroman“ eine selbstreferentielle Aussage: Er ist eine Kunstform, welche die Interessen eines idealen Staates wahrnimmt, den zu bilden er unternehmen möchte. Der Künstler ist damit ganz im Sinne Schillers 383 zum Erzieher geworden und nimmt eine wichtige Aufgabe in der menschlichen Gesellschaft wahr, indem er seine Hauptaufgabe, die stoffliche Bildung, auf die Menschen und die Formierung einer humanen Gemeinschaft bezieht. 158 Der Kulturroman 378 Ebd., S. 1630. 379 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 2, S. 43. 380 Ebd., S. 41. 381 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 113: Stifter argumentiert hier, daß die Kunst für die Allgemeinheit da sei; sie sei notwendig für den Menschen und diene zu seiner Besserung. Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 966: Hier wird ausgeführt, daß es erforderlich sei, die Kunst in die Sphäre des Staates aufzunehmen, ein Kunstwerk für die Nation zu schaffen und das Talent des Künstlers für eine Gemeinschaft zur Verfügung zu stellen. 382 Dieser Gedanke ist in der Zeit allgemein verbreitet. Vgl. hierzu: Wilhelm Schulz, Kunst im Zusammenhange mit Staat und Politik, in: Das Staats-Lexikon, Encyklopädie der sämmtlichen Staatswissenschaften für alle Stände, in Verbindung mit vielen angesehensten Publicisten Deutschlands hrsg. von Carl von Rotteck und Carl Welcker, neue durchaus verbesserte und vermehrte Aufl., Bd. 8, Altona 1847, S. 401-439 (im folgenden zitiert als: Schulz, Kunst im Zusammenhange mit Staat und Politik). 383 Vgl. hierzu: Schiller, Ueber die Ästhetische Erziehung. <?page no="166"?> 5. Bildung und Erziehung Ähnlich wie Kunst ist auch Bildung - gemäß der strukturellen Bedeutung der Ackerbaumetapher für den Kulturroman - eng mit der wörtlichen Bedeutung von Kultur verbunden. Im „Nachsommer“ ist es das Getreide und die Kultivierung des Bodens, welche Kunst und Wissen fördern und so zur Grundlage für alles Leben und in besonderem Maße zum Fundament für Bildung werden 384 . Gutzkow verwendet in den „Rittern vom Geiste“ gar die „Geschichte der Kultur“ synonym zu „Geschichte der freien Geistesentwicklung“ 385 , und an anderer Stelle im Roman äußert Murray gegenüber Louis Armand: „Bildung zu erwerben, mein lieber Freund, soll eine Religion, ein Cultus sein. Ich trieb diesen Cultus“ 386 . Indem in diesem Zitat die zweite etymologische Wurzel von Kultur ins Spiel gebracht wird und mit ihr dasjenige Definitionsmerkmal, das am unmittelbarsten mit Kultur zusammenhängt, wird auf die Wichtigkeit und den zentralen Stellenwert von Bildung für die Kulturdefinition hingewiesen: Der Erwerb von Bildung wird geradezu sakralisiert und zur vornehmsten Angelegenheit des Menschen. Wie aber sieht diese Aufgabe aus? Was verstehen die Autoren unter Erziehung und Bildung? Was kann mit Hilfe der Bildungskonzepte, die in den Romanen vorgeführt werden, zur Kulturdefinition beigetragen werden? Bildung und Erziehung 159 384 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 70. Vor allem wird das Getreide im „Nachsommer“ deswegen zum Fundament für Bildung (wenn man Bildung in seiner einfachsten Bedeutung, nämlich als Aneignung von Wissen versteht), weil einerseits in diesem Roman der Erwerb von Wissen und Leben prinzipiell eng zusammenhängt, andererseits Bildung in ihrer wörtlichen Bedeutung, nämlich im Sinne von Ausbildung der äußeren Gestalt eine wichtige Rolle spielt. Hier sind es vor allen Dingen die Getreidefelder, welche betrachtet und in ihrer Gestalt erkannt, ausgemessen und berechnet werden. Darüber hinaus ist der Ausbildungsprozeß Heinrichs eng damit verbunden, Erkenntnisse über die Wichtigkeit der Bodenbestellung zu erlangen. Ebd., S. 71. Hier wird deutlich, daß Bodenkultivierung ein Hauptgegenstand der Ausbildung ist. 385 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 2983. Hier ist abermals die historische Perspektive bemerkenswert, die eingenommen wird. Der enge Zusammenhang von Kultur, Bildung und Entwicklung wird bereits in den zeitgenössischen Lexika festgehalten. Vgl. hierzu: [Stichwort] Kultur, in: Großes Conversations-Lexikon für die gebildeten Stände, in Verbindung mit Staatsmännern, Gelehrten, Künstlern und Technikers hrsg. von J. Meyer, Bd. 19, 1. Abteilung, Hildburghausen u. a. 1851, S. 408-415, hier S. 408. Auf die enge wortgeschichtliche Verbindung von Bildung und Entwicklung macht auch Rudolf Vierhaus aufmerksam: Vierhaus, Bildung, S. 515. 386 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 2349-2350. Murray ist, neben Ackermann, Rudhard und Rafflard, eine der zentralen Erzieherfiguren in den „Rittern vom Geiste“. Er tritt als Erzieher Augustes und seines Sohnes Fritz Hackert auf und vertritt eine pietistisch gefärbte Erziehungsrichtung. Bildung und Erziehung <?page no="167"?> Bildung und Auflösung In allen vier Romanen erscheint auch Bildung zunächst in wörtlicher Bedeutung und betrifft die äußere Gestalt und die Beschaffenheit des betrachteten Gegenstandes. So heißt es in einem zeitgenössischen Lexikon beim Eintrag „Bildung“: „Bildung, ist zunächst die Gestaltung oder Formation irgend einer gegebenen Materie“ 387 . Dieser „materialistische“ Ansatz geht auf Herder und Alexander von Humboldt zurück. Bereits Herder beschreibt im ersten Buch der „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ die Gestalt und die Bildung der Erde, um daraus Rückschlüsse über die Geschichte der Menschheit zu ziehen, die in großen Teilen auch deren Bildungsgeschichte ist. Kapitelüberschriften wie beispielsweise „Organisation des Erdstrichs schöngebildeter Völker“ 388 sprechen für sich und machen deutlich, wie sehr der Begriff Bildung im Sinne der Ausbildung von äußerer Gestalt mit dem Versuch verbunden ist, Erkenntnisse über die Beschaffenheit des Menschen zu gewinnen. Eine ähnliche Auffassung findet sich bei Humboldt, wenn er in der Vorrede zum „Kosmos“ schreibt: „Was mir den Hauptantrieb [zur Fertigstellung der Arbeit] gewährte, war das Bestreben, die Erscheinungen der körperlichen Dinge in ihrem allgemeinen Zusammenhange, die Natur als ein durch innere Kräfte bewegtes und belebtes Ganzes aufzufassen“ 389 . Damit ist schon angedeutet, was sich im folgenden immer mehr bestätigt: Der „Entwurf einer physischen Weltbeschreibung“ ist nicht nur ein naturgeschichtliches Werk, sondern auch ein kulturgeschichtliches, welches das „geistige [...] Fortschreiten der Menschheit wie [die] Veredlung des gesellschaftlichen Zustandes“ beschreibt 390 . Sowohl Herder als auch Alexander von Humboldt spielen im „Nachsommer“ eine wichtige Rolle 391 , und so ist es nicht verwunderlich, daß Heinrich Drendorf einmal das Ziel seines naturwissenschaftlichen Interesses folgendermaßen beschreibt: 160 Der Kulturroman 387 [Stichwort] Bildung, in: Das große Conversations-Lexicon für die gebildeten Stände, in Verbindung mit Staatsmännern, Gelehrten, Künstlern und Technikern hrsg. von J. Meyer, Bd. 4, 4. Abteilung, Hildburghausen 1845, S. 983-984, hier S. 983 (im folgenden zitiert als: [Stichwort] Bildung, in: Das große Conversations-Lexicon). 388 Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. 389 Alexander von Humboldt, Kosmos, Entwurf einer physischen Weltbeschreibung, Bd. 1, Stuttgart, Tübingen 1845, S. VI. 390 Humboldt, Kosmos, Entwurf einer physischen Weltbeschreibung, Bd. 2, Stuttgart, Tübingen 1847, S. 235. In diesem Zusammenhang geht es auch um die „geistige Bildsamkeit“ verschiedener Nationen und Völker. Ebd., S. 237. 391 Vgl. hierzu S. 96-97 Anm. 96-98. <?page no="168"?> „Ich begann […] gleichsam als Schlußstein oder Zusammenfassung aller meiner bisherigen Arbeiten die Wissenschaft der Bildung der Erdoberfläche und dadurch vielleicht der Bildung der Erde selber zu betreiben“ 392 . Bildung wird zu einem Erkenntnisgegenstand, der etwas über die Natur (und damit auch über den Menschen) in geschichtlicher Perspektive aussagen kann. Hier kommen nicht nur die beiden inhaltlichen Hauptmerkmale der Gattung Roman zusammen, die im 19. Jahrhundert zu der Konjunktur des Bildungs- und des historischen Romans geführt haben; darüber hinaus ist Bildung eng mit der Beschaffenheit eines Ganzen verbunden und wird somit zu einem Gegengewicht der Auflösung. Aus diesem Grund ist sie gerade in den Romanen, die nach 1848 entstanden, zu einem bevorzugten Thema 393 geworden, weil man glaubte, durch sie der um sich greifenden Ordnungslosigkeit Herr werden zu können 394 . So wird ausdrücklich im „Nachsommer“ darauf hingewiesen, daß in der Erziehung Heinrichs und seiner Schwester Regelmäßigkeit und Ordnung herrschen 395 . Später wird beides auch zu Grundsätzen in Gustavs Erziehung durch Risach. Daraus ist auch die Stufenfolge in Heinrichs Ausbildung zu erklären, die mit dem Studium der Mathematik als systematischer Ordnung beginnt, daraufhin zum Studium der Natur und dann zur Kunst übergeht 396 . In den „Rittern vom Geiste“ ist in diesem Zusammenhang die Ansprache Leidenfrosts von Bedeutung, der bei Karls Beerdigung das aufgeregte Volk ermahnt, nicht Auflösung, sondern eine neue Bildung anzustreben: „Eine Ordnung in diesem Leben muß sein! Sie beruht nicht auf der Vertheilung der Güter, die nur Mord und Brand erzeugen würde, sie beruht auf dem geänderten Bildung und Erziehung 161 392 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 44. 393 Gerade die Gattung Roman reflektiert das Thema Bildung nach 1848 besonders stark. Selbmann spricht sogar davon, daß in der zweiten Jahrhunderthälfte der Bildungsroman nochmals einen Höhepunkt erreicht, nachdem man gedacht hatte, daß diese Gattung mit dem „Kater Murr“ endgültig zu Ende parodiert und mit den „Epigonen“ von Karl Immermann in die Kategorie Zeitroman überführt worden sei. Diese Wiederbelebung sei auch auf die „konservative“ Beschaffenheit des Bildungsromans zurückzuführen. Selbmann, Der deutsche Bildungsroman, S. 121. Ähnlich äußert sich Mayer: Mayer, Der deutsche Bildungsroman, S. 122-123. 394 Vierhaus, Bildung, S. 543. 395 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 11. Es wird eigens auch darauf aufmerksam gemacht, daß man sich der Gefahr, ins Ordnungslose zu gleiten, die dem Vorhaben, „ein Wissenschaftler im Allgemeinen“ zu werden, innewohnt, bewußt ist und gegensteuert: „Auf diese Weise [gemeint ist der Plan, den sich Heinrich von seiner Ausbildung macht, nachdem er so weit fortgeschritten ist, daß er zum Autodidakten werden konnte] geschah es, daß in dem Ganzen doch noch eine ziemliche Ordnung herrschte, da bei der Unbestimmtheit des ganzen Unternehmens die Gefahr sehr nahe war, in die verschiedensten Dinge zersplittert, und in die kleinsten Kleinigkeiten verschlagen zu werden“. Ebd., S. 24. 396 Ebd., S. 27-29. <?page no="169"?> Begriffe vom Staat. Dahin arbeitet! Nicht zur Auflösung, sondern zur neuen Bildung hin“ 397 ! Der Appell ist nicht als Aufruf zu Ruhe und Ordnung mißzuverstehen. Vielmehr wird geradezu revolutionäres Potential entwickelt, da ein „Sieg des Geistes“ die Erkenntnis der „rechte[n] Begrenzung“ und der „rechte[n] Freiheit“ ist 398 . Schon vorher macht Siegbert auf die geglückte Bildung des Proletariats aufmerksam, welche die „untersten Schichten“ tapfer gemacht habe. Hier wird die revolutionäre Sprengkraft beschrieben, die darin steckt, wenn mittellose Massen zu der Einsicht kommen, „Hebelkraft der Geschichte“ zu sein 399 . Allerdings wird an anderer Stelle des Romans auch auf Gefahren aufmerksam gemacht, die von einer Halbbildung des Volkes ausgehen 400 . Ein Beispiel hierfür ist der Heidekrüger Justus, der über eine „improvisierte Bildung“ 401 verfügt und sich in der Politik opportunistisch verhält und der deshalb keine Revolution herbeiführt, weil er die bestehenden Machtverhältnisse kennt, sie nicht ändern will, sondern sich mit ihnen arrangiert. Bildung als Gegenteil von Auflösung erhält gerade in den Jahren nach 1848 eine politische Bedeutung, die jedoch unterschiedlich ausgeprägt ist: Während Stifter eine konservative Richtung einschlägt, indem er Bildung als eine Größe ansieht, die dem Fanatismus entgegenwirkt, da sie für Einsicht sorgt und so Freiheit und Ordnung sichert, führt Gutzkow darüber hinaus (auch) das revolutionäre Potential vor, welches Bildung innewohnen kann. Gemeinsam ist beiden Romanen jedoch, daß in der einen oder anderen Form der Versuch einer Formierung durch Bildung gegen die bestehenden Zerfallstendenzen gemacht wird 402 . Die Überlegungen zum Thema Bildung sind damit als unmittelbare gedankliche Vorbereitung zu Staats- und Verfassungsvorstellungen zu verstehen, denn damit ist der Ansatz der „Ästhetischen Erziehung“ aufgenommen, aus der 162 Der Kulturroman 397 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 3054-3055. 398 Ebd., S. 3055. Hier steht die Vorstellung von Schillers ästhetischem Staat im Hintergrund. Vgl. hierzu: Schiller, Ueber die Ästhetische Erziehung des Menschen, insbesondere S. 315-318. Dieser Gedanke wirkt auch bei Stifter noch weiter. Aus diesem Grund wurde die Mischung von Bildung und Mittellosigkeit in und nach dem Vormärz von konservativer Seite als äußerst gefährlich angesehen. Vgl. hierzu: Vierhaus, Bildung, S. 543. 399 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 2155. 400 Ebd., S. 1290. 401 Ebd., S. 156. 402 Daß ein solcher Zusammenhang tatsächlich besteht, geht am deutlichsten aus der „Bernsteinhexe“ hervor, in der Marias humanistische Bildung am ausführlichsten in einem Rückblick des Pfarrers beschrieben wird, der sich daran erinnert, wie seine Tochter sieben Jahre zuvor ihre Bildung dem Landesherrn im Garten seines Schlosses gezeigt hat, das jetzt in Trümmern und als Ruine vor ihm liegt. Mit der Zerstörung ist hier buchstäblich das Verschwinden von Bildung einhergegangen. Es besteht ein eklatanter Kontrast zwischen der vergangenen Bildungsdemonstration und den gegenwärtigen Ruinen. Meinhold, Die Bernsteinhexe, S. 62. <?page no="170"?> deutlich wird, warum Erziehung, Kunst und Staat so eng zusammengehören 403 . Der „Kulturroman“ ist also eine Kunstform, welche die ästhetischen und moralischen Forderungen, die bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts in kunstphilosophischen Schriften an ein Kunstwerk gestellt werden, ungebrochen umsetzt. Dies wird auch darin deutlich, daß in den beiden Romanen, die vor 1848 erschienen sind, durchweg das Scheitern des Versuchs beschrieben wird, der Auflösung „Bildung“ entgegenzusetzen 404 . Hier findet eine Gewichts- und Bewertungsverschiebung statt, ähnlich der, die auch auf dem Gebiet der Kunst festzustellen ist: Fragmente und Bruchstücke, als Produkte eines immer weiter voranschreitenden Zerfalls, werden in den Romanen von Mörike und Meinhold als so zeittypisch empfunden, daß dazu eine Alternative nicht möglich scheint. 1848 hatten Zerstörung, Verfall und Auflösung einen Höhepunkt erreicht, so daß man sich in der Folgezeit bemühte, Gegenmodelle im Bereich Erziehung und Bildung zu etablieren. Vor diesem Hintergrund sind in Mörikes Roman an erster Stelle die Bemühungen des Maler Tillsen um Nolten zu nennen, der als Mentor auftritt und in dieser Funktion versucht, Noltens Inneres zu ordnen und ihn zu sich selbst zu führen 405 ; in der „Bernsteinhexe“ ist die Auflösung der Rechtsord- Bildung und Erziehung 163 403 Vgl. hierzu: Schiller, Ueber die Ästhetische Erziehung des Menschen, insbesondere S. 315-318. 404 Aus diesem Grund wird in der Forschung „Maler Nolten“ überwiegend nicht als Bildungsroman verstanden. Einzig Rolf Selbmann nimmt ihn in seine Überblicksdarstellung über die Gattung auf (Selbmann, Der deutsche Bildungsroman, S. 97-102), allerdings nicht ohne darauf aufmerksam zu machen, daß er nur „mit einem Bein innerhalb der Gattungsgeschichte des Bildungsromans“ steht, weil Schicksalsmächte die traditionellen Bildungseinflüsse verdrängt haben. Ebd., S. 97. Pierre Labaye macht darauf aufmerksam, daß sowohl „Maler Nolten“ als auch „Der Nachsommer“ aus der gleichen Romantradition hervorgegangen sind, jedoch zu einem gegensätzlichen Ergebnis kommen: Während „Der Nachsommer“ nochmals eine Blüte des alten Kulturideals ist, wird bei Mörike eine Bildungskrise beschrieben, bei der auf Mythisches und Irrationales zurückgegriffen wird: Pierre Labaye, Mythe et image de l’homme dans Maler Nolten de Mörike, in: Jean-Marie Paul (Hrsg.), Images de l’homme dans le Roman de Formation ou Bildungsroman, Nancy 1995 (= Bibliothèque le texte et l’idée, Bd. VI), S. 173-188, hier S. 173. Selbst wenn man den „Maler Nolten“ und die „Bernsteinhexe“ nicht als Bildungsromane bezeichnen möchte, werden doch auch hier Bildungskonzepte und ihre Grenzen gezeigt. 405 Mörike, Maler Nolten, S. 22. Aus diesem Grund ist Tillsen, obwohl er Nolten künstlerisch unterlegen ist (er verfügt zwar anfangs über die besseren handwerklichen Techniken, es wird jedoch kein Zweifel daran gelassen, daß seine Werke niemals von dem Geist beseelt sein werden, durch die Noltens Bilder so überdurchschnittlich und einzigartig sind), durchaus in die Kategorie der Erzieher und Lehrer einzuordnen, in die auch Larkens und zum Teil auch der Hofrat gehören, der sich am Ende des Romans als Noltens Oheim entpuppt. Zu Larkens als Erzieherfigur vgl. auch Selbmann, Der deutsche Bildungsroman, S. 98-99. <?page no="171"?> nung 406 in enger Verbindung mit der Unbildung derjenigen zu sehen, die sie vertreten: Der Amtshauptmann versteht kein Latein und legt Marias humanistische Bildung als Teil ihres hexenhaften Wesens aus 407 . Das Verfahren, das gegen sie eingeleitet wird, darf auch als Konflikt von Unbildung und Bildung, von Barbarei und Kultur verstanden werden. Damit stellt sich die Frage, wie die Begriffe „Bildung“ und „Erziehung“ in den Romanen inhaltlich gefüllt werden: Wie sehen die Erziehungs- und Bildungskonzepte im einzelnen aus? Welches sind ihre Ziele? Können diese umgesetzt werden, oder werden hier bloß Ideale genannt, die vor der Realität kapitulieren müssen? Bildungskonzeptionen Stifter unterscheidet im „Nachsommer“ zwischen Bildung und Erziehung einerseits und Unterricht andererseits. Risach definiert Unterricht als etwas, bei dem nur Wissen vermittelt wird, aber keine eigentliche Wesensbildung stattfindet. Erziehung hingegen findet im Umgang mit sittlich und moralisch 408 einwandfreien Menschen statt: „Zu ihm [dem Unterricht] darf man nur etwas wissen, und es mittheilen können, zur Erziehung muß man etwas sein“ 409 . Und von Natalie heißt es einmal, daß sie durch Erziehung zu dem geworden ist, was sie ist 410 . Damit wird deutlich, daß durch Erziehung eine ganzheitliche Existenz gewonnen werden soll, die zur Humanisierung des Einzelnen führt 411 . 164 Der Kulturroman 406 In diesem Zusammenhang ist es durchaus gerechtfertigt, von einer Auflösung der Rechtsordnung zu sprechen, auch wenn auf den ersten Blick betrachtet die besondere Brisanz des Textes darin zu liegen scheint, daß gerade Gesetzlichkeit und Legalität, seien sie noch so unmenschlich, im Verlauf des gesamten Prozesses bewahrt bleiben. Die Worte des Büttels, der Maria die Folterinstrumente zeigt, sprechen dafür. Andererseits wird immer wieder darauf hingewiesen, daß es zu Unregelmäßigkeiten im Verfahren gegen Maria kommt, die auf das persönliche Interesse des Amtshauptmanns zurückzuführen sind, so daß teilweise sogar von Rechtsbeugung zu sprechen ist. 407 Meinhold, Die Bernsteinhexe, S. 207. 408 Zur Bedeutung der Begriffe „sittlich“ und „moralisch“ vgl. S. 65 Anm. 81; S. 110 Anm. 161. 409 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 3, S. 167. 410 Ebd., S. 244. 411 Daß Stifter tatsächlich so abstrakt denkt, kann dadurch belegt werden, daß keine der Figuren, die im „Nachsommer“ auftreten, Individuen sind: Uwe K. Ketelsen, Adalbert Stifter, Der Nachsommer, Die Vernichtung der historischen Realität in der Ästhetisierung des bürgerlichen Alltags, in: Romane des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1992, S. 321- 349, hier v. a. S. 339. Die Personen verbleiben alle im Holzschnitthaft-Typischen, deren Dialog, im Gegensatz zu realistischen Romanen, nicht dazu dient, die einzelnen Figuren zu charakterisieren und ihnen zu Leben zu verhelfen: Birgid Haines, Dialog und Erzählstruktur in Stifters Der Nachsommer, in: Roland Duhamel/ Johann Lachinger/ Clemens Ruthner/ Petra Göllner, Adalbert Stifters schrecklich schöne Welt, Linz 1994 (= Beiträge des Internationalen Kolloquiums zur Adalbert Stifter-Ausstellung, Universität Antwerpen 1993), S. 169-177, hier S. 169. <?page no="172"?> So geht es in der Erziehung und Ausbildung nicht so sehr darum, die Entwicklung und Veränderung von Charaktereigenschaften zu steuern, sondern darum, abstrakte Größen wie beispielsweise die Kenntnis von Natur, Kunst, Geschichte und moralischen Werten, beim Einzelnen zur vollen Entfaltung zu bringen 412 . Damit aber werden Inhalte von Kultur vermittelt, und es wird deutlich, warum Kultur und Bildung so eng zusammenhängen: Erziehung wird gleichsam zum Werkzeug von Kultur, das der Veredelung dient. An dieser Stelle wird auch der Unterschied zwischen Bildung und Erziehung sichtbar: Während Bildung den Endzustand beschreibt, bezeichnet Erziehung die Methode und den Weg dorthin 413 . Bei Stifter und Gutzkow einerseits und bei Meinhold und Mörike andererseits steht Erziehung deswegen nicht unter dem Aspekt der Nützlichkeit, auch eine Berufsausbildung wird hintangestellt 414 . Hier wird ein klassisch-aufgeklärtes Bildungsideal restituiert, das den Menschen als Mittelpunkt und die Entfaltung all seiner Fähigkeiten und Anlagen als Hauptsache der Erziehung ansieht 415 . Dieses klassisch-humanistische Bildungsideal wird auch in den „Rittern vom Geiste“ und in der „Bernsteinhexe“ als uneingeschränktes Vorbild vorgeführt. Das Primat der klassischen Bildung wiederum ist eng mit dem ursprünglichen Bildbereich von Kultur verbunden. Bei Hegel heißt es bereits 1809 in einer Rede, die er zum Schuljahrsabschluß am 29. September gehalten hat und in der er die Ziele des Gymnasiums beschreibt: „Der Geist und Zweck unserer Anstalt ist die Vorbereitung zum gelehrten Studium, und zwar eine Vorbereitung, welche auf den Grund der Griechen und Römer Bildung und Erziehung 165 412 Aus diesem Grund sind in der Literatur zum „Nachsommer“ Zweifel angemeldet worden, ob es sich hierbei tatsächlich um einen Bildungsroman handelt: Begemann, Adalbert Stifter, Der Nachsommer, S. 215. Selbst wenn der „Nachsommer“ zum Bildungsroman gerechnet wird, wird doch auf die Sonderstellung aufmerksam gemacht, die er innerhalb dieser Gattung einnimmt: Carola Salm, Reale und symbolische Ordnung in Stifters „Nachsommer“, Frankfurt/ Main u. a. 1991 (= Europäische Hochschulschriften, Reihe I, Deutsche Sprache und Literatur, Bd. 1254), S. 12. 413 Bildung als Zustand des Menschen (Endprodukt), Erziehung als der Weg dorthin, die Methode: [Stichwort] Bildung, in: Das große Conversations-Lexicon, S. 983-984. 414 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 18-19. An späterer Stelle heißt es, daß der Mensch nicht um der Gesellschaft, sondern um seiner selbst willen da sei und erst dann, wenn er sich selbst gerecht wird, auch nützlich für die Gesellschaft sein kann. Ebd., S. 19-20. 415 Hier ist als Vorbild das Urbild des Bildungsromans schlechthin zu nennen: „Wilhelm Meisters Lehrjahre“. In diesem Roman geht es wie in keinem anderen, um die Entfaltung und Ausbildung des Einzelnen, die repräsentativ für die Bildungsgeschichte der bürgerlichen Welt im 18. Jahrhundert geworden ist. Das bringt Wilhelm im 3. Kapitel des 5. Buches in einem Brief an seinen Freund Werner auf die Formel: „Daß ich dir’s mit Einem Worte sage, mich selbst, ganz wie ich da bin, auszubilden, das war dunkel von Jugend auf mein Wunsch und meine Absicht“. Goethe , Wilhelm Meisters Lehrjahre, Bd. 22, S. 149. Zu der Repräsentativität der Bildungsgeschichte Wilhelms für die des 18. Jahrhunderts vgl.: Koopmann, Wilhelm Meisters Lehrjahre, S. 175. <?page no="173"?> erbaut ist. Seit einigen Jahrtausenden ist dies der Boden, auf dem alle Kultur gestanden hat, aus dem sie hervorgesproßt und mit dem sie in beständigem Zusammenhange gewesen ist. Wie die natürlichen Organisationen, Pflanzen und Tiere, sich der Schwere entwinden, aber dieses Element ihres Wesens nicht verlassen können, so ist alle Kunst und Wissenschaft jenem Boden entwachsen; und obgleich auch in sich selbständig geworden, hat sie sich von der Erinnerung jener älteren Bildung nicht befreit. Wie Anteus seine Kräfte durch die Berührung der mütterlichen Erde erneuerte, so hat jeder neue Aufschwung und Bekräftigung der Wissenschaft und Bildung sich aus der Rückkehr zum Altertum ans Licht gehoben“ 416 . Hier erscheint Bildung als unmittelbares Produkt von Kultur, mit der sie geradezu organisch verbunden ist. Bildung des Einzelnen und der Gemeinschaft Mit der Restitution des klassischen Bildungsideals ist bereits die Frage des Verhältnisses des Einzelnen zur Allgemeinheit gestellt, welches wesentlich sowohl zur Bildungsals auch zur Kulturdefinition beiträgt und in allen vier Romanen eine zentrale Stellung einnimmt: Wie sehr darf sich der Einzelne gesellschaftsabgewandt entwickeln, ohne der Gemeinschaft schädlich zu werden? Inwieweit muß umgekehrt die Allgemeinheit Rücksicht auf Individuen nehmen? Auch hier existieren Unterschiede zwischen den Romanen „Maler Nolten“ und der „Bernsteinhexe“ einerseits und den „Rittern vom Geiste“ und dem „Nachsommer“ andererseits; allerdings gibt es eine allmähliche Steigerung von der vollständigen Isolierung des Einzelnen in „Maler Nolten“ über dessen geglückte Rehabilitierung in der „Bernsteinhexe“ bis hin zur Gemeinschaftsorientierung im „Nachsommer“. Bei Mörike werden zwar immer wieder die Versuche Noltens beschrieben, sich in eine Gemeinschaft einzugliedern 417 , letztlich sind diese Bemühungen aber zum Scheitern verurteilt. Im Laufe des Romans gerät Nolten immer mehr ins Abseits, und seine Isolation ist zum Schluß so groß, daß er in Wahnsinn verfällt, der schließlich zum Tod führt 418 . In der „Bernsteinhexe“ wird ebenfalls beschrieben, wie der Einzelne in Opposition zu einer Gemeinschaft gerät. Auch hier werden die extremen Folgen gezeigt: Der Einzelne wird aus der Ge- 166 Der Kulturroman 416 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Gymnasialreden, in: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Werke 4, Nürnberger und Heidelberger Schriften (1808-1817), Frankfurt/ Main 1970, S. 305-376, hier S. 314 (Hervorhebungen in der Vorlage). 417 Bereits am Anfang finden sich Bestrebungen dieser Art, wenn Nolten versucht, im Zarlinschen Haus Fuß zu fassen. Diese Bemühungen ziehen sich durch bis zum Schluß des Romans. So ist die Reise zu verstehen, die Nolten antritt, um sich in eine Stellung zu begeben; auch der längere Aufenthalt beim Präsidenten und seiner Familie weist in diese Richtung. 418 Mörike, Maler Nolten, S. 407-409. <?page no="174"?> meinschaft ausgestoßen, nach dem Verlassen der Gemeinschaft droht ebenfalls als Folge der Tod. Allerdings wird das im Roman nicht bis zum Äußersten getrieben: In letzter Sekunde wird Maria vor dem Scheiterhaufen gerettet, rehabilitiert und wieder in die Gemeinschaft aufgenommen, was im Vergleich mit Mörike eine wesentliche Abmilderung der sozialen Problematik bedeutet. Dieses wiederum hat mit den unterschiedlichen Bildungsprogrammen der beiden Romane zu tun. Sowohl in „Maler Nolten“ als auch in der „Bernsteinhexe“ tritt Bildung nämlich auch als Aufklärung auf 419 . Aufklärung meint hier die Fähigkeit, alle Erscheinungen mit Hilfe der Vernunft auf eine natürliche Ursache zurückzuführen. In „Maler Nolten“ ist vor allen Dingen die Beziehung zwischen Agnes und Elisabeth aufschlußreich. Ihr Verhältnis ist durch Aberglauben geprägt, der allerdings nicht als solcher erkannt werden kann. Hier wird Aufklärungskritik geübt, die Möglichkeiten der Aufklärung werden bis an ihre Grenzen geführt. Insbesondere das Verhältnis des Einzelnen zur Allgemeinheit ist hierfür charakteristisch. In der „Bernsteinhexe“ hingegen ist vor allem die Figur des Junkers eng mit einer aufgeklärten Weltsicht verbunden. Er hat in der Ferne studiert 420 und verkörpert im ganzen Roman die Stimme der Vernunft. Auch in seiner Bildung ist die humanistische Erziehung eine prägende Erfahrung; darüber hinaus ist er auch naturwissenschaftlich beschlagen 421 . Er findet für alles eine natürliche Erklärung, löst das Geheimnis des „Brückenzaubers“ und kann beweisen, daß es mit Marias nächtlichen Ausflügen auf den Streckelberg eine natürliche Bewandtnis hat, die nichts mit Hexerei zu tun hat 422 . Bezeichnenderweise ist auch er es, der die Anwesenheit und das Wirken eines Teufels während des ganzen Romane vehement abstreitet und das Böse in der Natur des Menschen selbst erkennt. Bildung dient hier einerseits dazu, Erkenntnis über den (Mit)Menschen zu gewinnen; andererseits vermittelt sie die Kraft, das, was als allgemeiner Konsens verstanden wird, nicht ungeprüft zu übernehmen. Damit wird nochmals das Verhältnis des Einzelnen zur Allgemeinheit beleuchtet. In Meinholds Roman dient Bildung in einem nicht geringen Maße dazu, sich gegenüber dem Gemeinen, das in hohem Maße die Gemein- Bildung und Erziehung 167 419 In den „Rittern vom Geiste“ ist die direkte Auseinandersetzung mit der Aufklärung auch noch vorhanden. Dies wird am deutlichsten an Dagobert von Harder und den Werten, die er vertritt, gezeigt. Allerdings nicht mehr in dem Ausmaß wie in „Maler Nolten“ und in der „Bernsteinhexe“. Im „Nachsommer“ spielt dann Aufklärung, jedenfalls in ihrer Opposition zum Aberglauben, überhaupt keine Rolle mehr. Diese Entwicklung kann auch nicht zuletzt aus dem immer weiter fortschreitenden zeitlichen Abstand zur Epoche der Aufklärung interpretiert werden. 420 Meinhold, Die Bernsteinhexe, S. 268. 421 Ebd., S. 90. 422 Ebd., S. 273-274. <?page no="175"?> schaft bestimmt, zu behaupten. Die humanistische Bildung, die Maria genossen hat, ist für sie ein Mittel, sich über ihre primitiven Ankläger zu erheben. Es ist ein Akt der geistigen Freiheit, wenn Maria, nach dem Namen ihres Teufels befragt, auf griechisch antwortet: „der Aberglaube“, was sie zwar dem Protokollanten buchstabieren muß, was aber vom fiktiven Herausgeber mit den Worten „welch bewunderungswürdiges Weib“ kommentiert wird 423 . Bildung wird, ähnlich wie in den „Rittern vom Geiste“, zum „Rüstzeug für gute und schlechte Zeiten“ 424 . In Mörikes Roman hingegen ist diese Komponente nicht vorhanden. Nolten bewegt sich in einer Gesellschaft, die bereits einen hohen Grad von Bildung erlangt hat. Hier wird Erziehung und Bildung hauptsächlich mit höflichem und höfischem Benehmen gleichgesetzt 425 ; daß Bildung auch dazu dienen könne, innerlich unabhängig und im positiven Sinne gegen die Allgemeinheit resistent zu werden, spielt bei Mörike keine Rolle. Um so mehr bestimmt dieser Gedanke aber die Erziehungskonzepte der „Ritter vom Geiste“ und des „Nachsommer“. In diesen beiden Romanen wird zwar das Ideal einer gemeinschaftsfähigen Erziehung des Individuums klar formuliert 426 , genauso klar ist aber auch, daß die Gesellschaft sich nicht in die Erziehung des Einzelnen einmischen darf, wenn sie dadurch seine freie Entfaltung behindert. In den „Rittern vom Geiste“ hat sich das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft bereits wesentlich differenziert. Einerseits wird hier nochmals in „Maler Nolten“ und in der „Bernsteinhexe“ das Scheitern des Einzelnen an seiner Unfähigkeit, sich in eine Gemeinschaft einzugliedern, vorgeführt. Hierfür stehen vor allen Dingen Figuren wie Fritz Hackert und Auguste Ludmer, bei denen die Erziehungsversuche, die an ihnen vorgenommen werden, nicht fruchten und die einsam und verlassen sterben 427 . Besonders der Tod Augustes, die sich aus dem Fenster einer Irrenanstalt stürzt, erinnert an das Ende Noltens, der seinen Verstand verliert und kurz darauf stirbt. Andererseits liegt das Schwergewicht in diesem Roman auf dem gelungenen Arrangement des Ein- 168 Der Kulturroman 423 Ebd., S. 207. 424 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 1353. 425 Zunächst ist dort die Bedeutung von Bildung als höfisches bzw. höfliches Verhalten zu finden. Dieses Verständnis findet sich in allen anderen Romanen. In „Maler Nolten“ wird mehrmals darauf hingewiesen, daß Nolten sich die Manieren der besseren Gesellschaft aneignet (Mörike, Maler Nolten, S. 29) und gleichzeitig den Versuch unternimmt, sich in einem geregeltem Leben einzurichten. Ebd., S. 301-303. Auch in der „Bernsteinhexe“ ist Bildung zunächst mit dem Verhalten bei Hofe gleichgesetzt, wenn Maria ihre humanistische Bildung im entsprechenden Rahmen, am fürstlichen Hof zu Wolgast, demonstriert. Meinhold, Die Bernsteinhexe, S. 57-62. 426 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 18-20. 427 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 1932-1935, 3586-3589. <?page no="176"?> zelnen mit der Gemeinschaft, selbst wenn die Gesellschaft in ihrer Fehlerhaftigkeit und in ihrer negativen Auswirkung auf das Individuum beschrieben wird. Nicht von ungefähr stellt ausgerechnet Rudhard, der Vertreter eines klassischen Bildungsideals, fest, daß die Gesellschaft ein Tyrann ist, der sein Bildungskonzept massiv beeinträchtigt und stört 428 . Vor diesem Hintergrund ist der Hauptstrang des Romans, in dem es um die Konstituierung und Organisation eines Geheimbundes geht, zu verstehen. Der Geheimbund ist nichts anderes als der Versuch, eine ideale Gesellschaft zu errichten, in welcher der Einzelne mit dem Allgemeinen übereinstimmt. Ähnlich ist das Verhältnis des Individuums zur Allgemeinheit bei Stifter zu verstehen. Heinrichs Erziehung im „Nachsommer“ ist immer auf eine Gemeinschaft ausgerichtet, er selbst wird schließlich zum Ehemann und Familienvater und legt den Grundstein zu einer gesellschaftlichen Ordnung 429 . Andererseits ist immer wieder kritisch angemerkt worden, daß das Rosenhaus, Hauptschauplatz und in gewisser Weise auch das Symbol für Heinrichs Bildungsweg, fern von der Stadt und damit von einer Gesellschaft im eigentlichen Sinne liegt, und deshalb auch Heinrichs Erziehung isoliert und gesellschaftsabgewandt sei 430 . In der Gemeinschaft, die sich aus den Bewohnern des Rosenhauses und des Sternenhofs zusammensetzt, ist aber auch eine Gesellschaft geschaffen, die - ähnlich wie die Gemeinschaft des Geheimbundes bei Gutzkow - eine ideale Sozietät darstellt, in welcher der Einzelne und die Allgemeinheit miteinander harmonieren 431 . Dementsprechend wird auch die Gemeinschaft, so sehr sie abstrakt als ein positiver Wert gesehen wird, in ihrer wirklichen Ausprägung kritisch betrachtet. Die Fehlentwicklung der Gesellschaft ist nicht zuletzt auf eine fehlerhafte Erziehung des Einzelnen zurückzuführen, in der das Ideal, den Menschen zu sich selbst zu bringen, nicht ausreichend beachtet worden ist. So merkt Heinrich im „Nachsommer“ am Anfang seiner Lebensgeschichte an, daß die „Leute“ es seinem Vater übelnahmen, daß er ihm keinen „Stand, der der bürgerlichen Gesellschaft nützlich ist“, befohlen habe 432 . Bildung und Erziehung 169 428 Ebd., S. 1061. 429 Die soziale Dimension des Begriffes „Häuslichkeit“, der in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle spielt, hat Dieter Borchmeyer herausgestellt: Borchmeyer, Ideologie der Familie. 430 Dies ist auch der Grund, warum man immer wieder darauf hingewiesen hat, daß der „Nachsommer“ ein umstrittenes Exemplar der Gattung Bildungsroman ist: Jacobs/ Krause, Der deutsche Bildungsroman, S. 159-160, 164-166; Mayer, Der deutsche Bildungsroman, S. 130. 431 Borchmeyer macht darauf aufmerksam, daß im „Nachsommer“ die Familie zum Urbild einer idealen Gesellschaft wird und somit tatsächlich bis zu einem gewissen Grade auch die Gesellschaft repräsentieren kann. Borchmeyer, Ideologie der Familie, S. 229. Natürlich erweist sich die Nachsommer-Welt in diesem Zusammenhang als genauso utopisch wie der ästhetische Staat des 18. Jahrhunderts, in dessen Tradition Stifter steht. Ebd., S. 241-242. 432 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 18. <?page no="177"?> In diesem kritischen Sinne ist auch die folgende Passage aus den „Rittern vom Geiste“ zu verstehen: „Die Menschen sind nie so und willenlos wie da, wo sie sich in starker Anzahl, ohne einen Zweck, vereinigen. Man glaubt dann in der Tat unter Wesen zu sein, die ursprünglich niederer, halbtierischer Abstammung, nur durch eine eingelernte und angewöhnte Ausbildung sich höher aufschwingen“ 433 . Hier wird eine mechanische Ausbildung getadelt, die nur noch einem gesellschaftlichen Zweck dient. Andererseits macht Gutzkow deutlich, daß es ohne eine Erziehung zur Gesellschaftsfähigkeit nicht geht: So soll Selma den Pfarrer Orleander für die Gesellschaft bilden, was in das Bild eines zu schleifenden Edelsteines gefaßt wird 434 . Bildung und Handlung Eng mit den Erziehungskonzepten, die aus dem Verhältnis des Einzelnen zur Allgemeinheit erwachsen, sind auch die Auswirkungen von „Bildung“ verbunden. Im „Nachsommer“ macht Stifter drauf aufmerksam, daß innere Ordnung, die durch Bildung erreicht werden soll, zu äußerer Handlungsfähigkeit führen werde 435 . Hier deutet sich schon an, daß Bildung in Handlung umgesetzt werden soll. Im „Nachsommer“ verpflichtet die empfangene Bildung nicht nur dazu, diese vorzuleben und weiterzugeben, sondern führt auch zu einem sittlichen und moralischen Handeln des Menschen am Menschen. Diese Vorstellung geht ebenfalls bis ins 18. Jahrhundert zurück. Sie entspricht im wesentlichen Kants kategorischem Imperativ 436 und den Maximen, die Schiller in der „Ästhetischen Erziehung“ geäußert hat. Bildung überwindet damit die 170 Der Kulturroman 433 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 289. Kritik an einer derart veräußerlichten Bildungsvorstellung wird auch dann geübt, wenn Bildung als ein wesentliches Merkmal von Hochstapelei vorgeführt wird. So kann sich Murray in den „Rittern vom Geiste“ als Baron Grimm ausgeben, weil er sich die Bildung aneignet, welche die gesellschaftlichen Schichten kennzeichnet, in denen er sich bewegen möchte. Ähnlich ist die Hochstapelei Wispels in „Maler Nolten“ zu bewerten, der Tillsen mit dem „Schein eigener Bildung“ in die Irre führt und sich als Künstler ausgibt. Mörike, Maler Nolten, S. 23. In Wispel werden einerseits historische Krisensymptome der Kunst gespiegelt (Scholl, Kunst! o in deine Arme wie gern entflöh’ ich dem Eros! , S. 80), andererseits werden in dieser Figur genausogut Krisensymptome der Bildung gezeigt. 434 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 2630-2631. 435 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 19-20. 436 Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft, hrsg. von Benzion Kellermann, Erste Einleitung in die Kritik der Urteilskraft, Kritik der Urteilskraft, hrsg. von Otto Buek, Berlin 1914 (= Immanuel Kants Werke, in Gemeinschaft mit Hermann Cohen/ Artur Buchenau/ Otto Buek/ Albert Görland/ B. Kellermann hrsg. von Ernst Cassirer, Bd. V), S. 35; Schiller, Ueber die Ästhetische Erziehung. <?page no="178"?> Natur des Menschen und wird zu ihrem unmittelbaren Gegenstück, so daß sich die Frage stellt, welche Handlungen aus Bildung erwachsen können und wie diese Handlungen in den Romanen dargestellt werden. In allen Romanen wird Bildung zunächst als höfliches Benehmen verstanden 437 , das aber kein Selbstzweck ist. Es geht nicht darum, starre Formen einzuhalten. Ein solches Verhalten könnte im weitesten Sinne unter die von Gutzkow kritisierten mechanischen Verhaltensweisen subsumiert werden; und auch Stifter macht im „Nachsommer“ eindeutig klar, daß höfliches Benehmen zwar von einer guten Erziehung zeugt, aber nicht mit wahrer Bildung verwechselt werden darf 438 . Das höfliche Benehmen, das seinen Ursprung in einer gewissen Bildung hat, ist vielmehr Ausdruck des sittlichen Wesens, das durch Bildung geschaffen wird 439 , das dann aber zu sittlichem Handeln führen muß. Bildung hat nicht zuletzt Einfluß auf politisches Handeln. Besonders deutlich wird das in der „Bernsteinhexe“ und in den „Rittern vom Geiste“. Meinhold stellt Bildung nicht als einen Prozeß, sondern als einen bereits erreichten Zustand dar, der allerdings keinen Eingang in die Politik gefunden hat. Vielmehr sind die Handlungen der Obrigkeit durch die völlige Abwesenheit von Bildung gekennzeichnet, sie sind barbarisch und bedrohen einen gebildeten Zustand, wie er in Maria verkörpert ist. Gutzkow hingegen differenziert das Verhältnis von Handlung und Bildung, indem er verschiedene Weltanschauungen darstellt, die erzieherisch wirken, und deutlich macht, welche politischen Handlungen daraus erwachsen. So steht Rudhard für ein aufgeklärt-humanistisches Bildungsideal 440 , Raffland zunächst für ein calvinistisches, dann für ein jesuitisches 441 . Den direkten Einfluß der Erziehung und damit der Weltanschauung auf Politik drückt Egon einmal so aus: „Ich könnte Ihnen Fürstinnen nennen, die auf europäischen Thronen sitzen und von den Fäden einer ehemaligen, glänzend pensionierten, bei Genf in ihren Verbindungen schwelgenden alten Erzieherin gelenkt werden. Sie erfahren in einem frommen Thee in Lausanne mehr Cabinets- und Hofgeheimnisse wie in Berlin in dem engeren Zirkel eines Ministers“ 442 . Bildung und Erziehung 171 437 Vgl. S. 168 Anm. 425. 438 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 2, S. 179-180. 439 So weist Meinhold eigens darauf hin, daß Anna Maria Schurmann, die er als historisches Vorbild für Maria Schweidler ausgibt, nicht nur sehr gelehrt war, über handwerkliche, künstlerische und geistige Fähigkeiten verfügte, sondern daß sie bei alledem auch demütig geblieben war und deshalb als moralisch einwandfrei eingestuft werden kann. Meinhold, Die Bernsteinhexe, S. 61. 440 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 309, 1034. 441 Ebd., S. 466-467. 442 Ebd., S. 465. <?page no="179"?> Hier wird bereits die verkehrte Form eines Einflusses von Bildung auf Politik deutlich, weil es nicht mehr in erster Linie um ein politisches Programm geht oder um die Umsetzung einer Weltanschauung, sondern unter dem Deckmantel der Erziehung reale Machtansprüche verwirklicht werden. Gutzkow sieht hier die Beeinflussung eines Menschen durch Bildung durchaus negativ und übt Bildungskritik, da es nicht mehr um die primäre Entfaltung des Zöglings geht, sondern um die Behauptung eigener Interessen des Erziehers. Aus diesem Mißbrauch von Bildung folgt dann die Einsicht, daß Politik durchaus störend auf Erziehung einwirken kann 443 . Andererseits aber wird eine harmonische Beziehung zwischen Bildung und Politik als möglich angesehen; ein solch gelungenes Verhältnis ist allein der Garant einer humanen Staatsordnung. So stellt Gutzkow einmal fest, daß Bildung dazu befähigt, den „Beruf als Mensch und als Staatsbürger“ 444 sinnvoll zu erfüllen, ein Gedanke, der indirekt und in etwas abgewandelter Form auch bei Stifter vorkommt, wenn gleich zu Beginn des „Nachsommer“ gesagt wird, daß der Einzelne nur dann für die Gesellschaft nützlich sein kann, wenn er zu sich selbst gefunden hat. Dies aber ist die Aufgabe der Erziehung 445 . Vor diesem Hintergrund wird auch das Verhältnis von innerer und äußerer Bildung verständlich. Es ist ähnlich wie die Beziehung von innerer und äußerer Religion. Stifter selbst hat das in der Vorrede zu dem „Lesebuch zur Förderung humaner Bildung“, das er 1854 in enger zeitlicher Nachbarschaft mit dem „Nachsommer“ gemeinsam mit Johannes Aprent veröffentlichte, folgendermaßen ausgedrückt: „Was die Eintheilung betrifft, scheiden die beiden Theile ‚Von Außen - nach Innen‘ den Stoff in zwei große Gebiete, die sich auf die Richtung beziehen, nach welcher überhaupt alle geistige Entwicklung vor sich geht. Zuerst Beschauen des Gegenstandes und Herrschaft desselben, dann Erregtheit des Inneren und seine Geltendmachung also dort Beschreibung und Erzählung, hier Gefühlsäußerung (Lyrik) und Denken über die Dinge. (Reflexion.) Zu beiden kömmt im Menschen dann das Wollen, in welchem das thätige Innere sich wieder der Außenwelt zuwendet und die That erzeugt, die den Kreis an seinem Anfangspunkte abschließt“ 446 . Die ideale Bildung wird in einer Entwicklung des Inneren gesehen, die zu äußeren Handlungen führen soll. In einem so verstandenen Bildungsbegriff ist 172 Der Kulturroman 443 Ebd., S. 1129-1130: Hier beschreibt Rudhard, daß aufgrund von politischen Überlegungen sein Zögling Helene Osteggen mit einem Mann verheiratet wird, der zwar eine gute Partie ist, ihr aber nicht die für sie notwendige „sittliche Anlehnung“ bieten kann, und somit werden die Grundlagen ihrer Erziehung in kürzester Zeit zunichte gemacht. 444 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 2215. 445 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 20. Letztlich geht auch das Erziehungskonzept, das in der „Bernsteinhexe“ vorgestellt wird, auf einen ähnlichen Grundgedanken zurück, wenngleich dieser hier ex negativo formuliert wird. 446 Stifter, Lesebuch, S. VI-VII. <?page no="180"?> die Spannung zwischen Einzelnem und Allgemeinem, zwischen Innen und Außen, die noch für die Religion so entscheidend war, endgültig gelöst. Institutionalisierung von Bildung Eng mit diesem Komplex hängt - wie auch in der theoretischen Kulturdiskussion - die Institutionalisierung von Bildung in der Kirche und vor allem im Staat zusammen. Dieser Frage wird hauptsächlich in den „Rittern vom Geiste“ und im „Nachsommer“ nachgegangen; auch hier ist ein Einschnitt mit dem Jahr 1848 zu verzeichnen 447 . Während die Institutionalisierung von Bildung in „Maler Nolten“ und in der „Bernsteinhexe“ kaum eine Rolle spielt 448 , so wird dieses Problem nach 1848 wichtig, was eng mit den Auflösungserfahrungen zusammenhängt, die mit diesem Jahr verbunden sind. In den „Rittern vom Geiste“ schätzt Dankmar die Kirche als alleinige Bewahrerin von Bildung ein 449 . Allerdings hält er dieses nicht für gerechtfertigt, sondern ist der Meinung, daß auch der Staat Bildung institutionalisieren müsse 450 . Diese Auffassung wird von anderen Figuren im Roman geteilt. So äußert sich Schlurck einmal folgendermaßen: „Unser Staat muß die Initiative des Verstandes, nicht die der Dummheit haben. Der König muß in seiner Bildung viel, viel weiter sein, als seine dummen Bürger“ 451 . Probst Gelbsattel hingegen sieht die Kirche als Bildung und Erziehung 173 447 Zu den „realen“ Veränderungen im Schulwesen nach 1848 vgl.: Karl-Ernst Jeismann, Schulpolitik, Schulverwaltung, Schulgesetzgebung, in: Karl-Ernst Jeismann/ Peter Lundgreen (Hrsg.) Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. III, 1800-1870, Von der Neuordnung Deutschlands bis zur Gründung des deutschen Reiches, München 1987, S. 105-122, hier S. 109, 117; Karl-Ernst Jeismann, Das höhere Knabenschulwesen, in: Karl-Ernst Jeismann/ Peter Lundgreen (Hrsg.), Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. III, 1800-1870, Von der Neuordnung Deutschlands bis zur Gründung des deutschen Reiches, München 1987, S. 152-171, hier S. 159. 448 In der „Bernsteinhexe“ wird genau das Gegenteil von Institutionalisierung, nämlich die Auflösung und Vernichtung von Bildung durch Institutionen beschrieben. 449 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 177. 450 Hier steht die alte Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche im Hintergrund, die bereits Eingang in die „Kölner Wirren“ hatte. Darüber hinaus war seit der 48er-Revolution die preußische Schulpolitik um eine staatliche Institutionalisierung von Schulen bemüht, die schließlich 1854 in die „Stiehlschen Regulative“ mündete. Da diese Versuche direkt in der Entstehungszeit der „Ritter vom Geiste“ angesiedelt sind, gehören sie unmittelbar in den Kontext des Romans. Zur preußischen Schulpolitik und den „Stiehlschen Regulativen“ vgl.: Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866, S. 454-470; Heinz-Elmar Tenroth, Lehrerberuf und Lehrerbildung, in: Karl-Ernst Jeismann/ Peter Lundgreen (Hrsg.), Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. III, 1800-1870, Von der Neuordnung Deutschlands bis zur Gründung des deutschen Reiches, München 1987, S. 250-270, v. a. S. 265. 451 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 922. <?page no="181"?> legitime Bewahrerin und Vermittlerin von Bildung an 452 . Da Dankmar dem nicht zustimmt, ist es nicht zufällig, daß er im Rahmen des Geheimbundes Schulen für freie Religionsbekenntnisse gründen und Stipendien für Universitäten und für unabhängige Wissenschaftlichkeit vergeben will 453 . Die Institutionalisierung von „Bildung“ wird als notwendig anerkannt; gleichfalls sieht Gutzkow, daß mit den verschiedenen Institutionen von Bildung immer auch verschiedene Interessen beziehungsweise Machtansprüche einhergehen. Dankmars Vorschlag ist deshalb menschenfreundlich, weil er von dem Ideal ausgeht, daß sein Geheimbund eine Bildung institutionalisieren kann, die den Menschen als Mittelpunkt sieht. Hier schließt sich der Kreis zum Anfang des Kapitels. Bildung als Gegenteil von Auflösung war spätestens nach 1848 in eine Krise geraten, die man durch staatliche Institutionalisierung der Bildung zu beenden versuchte. Aus diesem Grund spielt auch der Staat als Bewahrer der Bildung im „Nachsommer“ eine gewisse Rolle. Zumindest wird gesprächsweise von Risach die Notwendigkeit angedeutet, daß der Staat gegenüber seinen Bürgern eine Bildungsverpflichtung hat. Anders ist zumindest nicht zu begreifen, warum Risach auf der gesetzlichen Verankerung von Kunst und Wissenschaft besteht 454 . Damit ist aber bereits die Frage nach dem Wesen, den Aufgaben und dem Zweck des Staates gestellt; denn er ist gleichsam der Zielpunkt der Definitionsmerkmale von Kultur, die das Verhältnis von Einzelnem und Allgemeinheit reflektieren. 6. Staats- und Verfassungsvorstellungen In allen vier Romanen erscheint Bildung als unmittelbarer gedanklicher Vorhof zu Staats- und Verfassungsvorstellungen 455 . Gemeint ist damit nicht nur, daß „Bildung“ als Gegenteil von Auflösung verstanden wird, sondern auch, daß es ihre vornehmste Aufgabe ist, die Kenntnis von Natur, Kunst, Geschichte und moralischen Werten beim Einzelnen zur Entfaltung zu bringen. Den gleichen Auftrag hat, bezogen auf eine Gemeinschaft, der Staat 456 : Er soll für die innere Bildung seiner Bürger zu Menschen sorgen; diese wiederum sind im Gegenzug dazu verpflichtet, ihrem „Beruf als Mensch und als Staats- 174 Der Kulturroman 452 Ebd., S. 925-926. 453 Ebd., S. 2950. 454 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 113. 455 Vgl. hierzu S. 162. 456 Daß er sich dabei in einem Konkurrenzverhältnis zur Kirche befindet, wird weiter unten näher ausgeführt. Staats- und Verfassungsvorstellungen <?page no="182"?> bürger“ 457 nachzukommen und äußere Handlungsfähigkeit zu erlangen, die ihrerseits der Gestaltung des Staates zugute kommen soll. Ziel dieser Forderung ist es, das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft auszugleichen, die Spannung von Innen und Außen, von Teil und Ganzem, von Subjekt und Objekt, welche die eigene Zeit bestimmt, zu überwinden. Indirekt wird damit nochmals deutlich, daß die Gegenwart eine rettungsbedürftige Übergangszeit ist. So führt Dankmar in den „Rittern vom Geiste“ aus, daß die notwendige Welterlösung nicht nur durch Inhalte, sondern auch durch Organisationsformen vollbracht werden müsse 458 ; allerdings wird zugleich kritisiert, daß die jetzige Zeit an einem Überfluß an Staatstheorien leide 459 , was einerseits abermals ihren krisenhaften Charakter unterstreicht, andererseits tatsächlich dafür spricht, alle bisher betrachteten Bereiche auf Staats- und Verfassungsvorstellungen der Zeit zu beziehen, deren Ziel sie gleichsam bilden. Stifter spricht vom Staat als „Fassung“ 460 und zielt damit auch verbaliter auf die Idee einer Verfassung, welche die äußere Form und Ordnung einer menschlichen Gemeinschaft garantiert. Damit ist dem Gedanken Rechnung getragen, daß Natur (hier im Sinne von Realitätswahrnehmung verstanden), Religion, Kunst und Bildung nicht nur nach innen gekehrt werden sollen, sondern nach außen vermittelt werden müssen. Der Staat wird nicht zuletzt deswegen als Schutzschild gegen den Rückfall in die Barbarei aufgefaßt, weil er diesen Ausgleichsdienst leisten und so der Gefahr, die für den Menschen aus der Verabsolutierung von Individualität und Subjektivität entsteht 461 , entgegentreten kann. Aus diesem Grund sind sich alle Romanautoren darin einig, daß der ideale Staat eine Gemeinschaft sein soll, in dem der Einzelne und die Allgemeinheit miteinander harmonieren. Dieser Zweck des Staates wird von Dankmar bestimmt: „Das Leben ist eine große Gefahr! Wie schützt man sich anders vor ihr, als daß man zusammentritt, sich verabredet und durch gemeinschaftliche Kraft die Kraft des Einzelnen stärkt? Ein Bund dieser Art sollte die Aufgabe haben, einst der Bund der ganzen Menschheit zu werden“ 462 . In diesem Zitat klingt die für die Kulturdiskussion zentrale Frage nach dem menschlichen Leben an; außerdem gibt es zum Teil erstaunlich starke, fast Staats- und Verfassungsvorstellungen 175 457 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 2215. 458 Ebd., S. 1721, wobei zu bemerken ist, daß diese Organisationsformen nicht notwendigerweise im Bereich des Staates angesiedelt sein muß, sondern auch von der Kirche wahrgenommen werden kann. Daher erklärt sich das Konkurrenzverhältnis von Staat und Kirche. 459 Ebd., S. 2408. 460 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 3, S. 138, 140. 461 In den entsprechenden Kapiteln wurde immer darauf aufmerksam gemacht, daß in allen Bereichen eine Tendenz zur Verinnerlichung vorhanden ist, die dem Menschen aber gefährlich werden kann. 462 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 1723. <?page no="183"?> wörtliche Parallelen zur theoretischen Kulturdiskussion 463 . Darüber hinaus ist es bemerkenswert, daß zur Charakterisierung dieser für den Einzelnen notwendigen, vorbildlichen Gemeinschaft der Gedanke eines „Menschheitsbundes“ auftaucht, der bereits in der kulturtheoretischen Diskussion des ausgehenden 18. Jahrhunderts eine entscheidende Rolle gespielt hat 464 . Im „Nachsommer“ führt Stifter aus, daß der Staat die Aufgabe habe, subjektive Schwächen und Stärken des Einzelnen auf ein allgemeines Maß zu egalisieren 465 . Auch in „Maler Nolten“ findet sich ein Hinweis, der in diesem Sinne interpretiert werden kann: Es ist keineswegs zufällig, daß Nolten gleich zu Beginn des Romans ausgerechnet von einem „pensionierten Staatsdiener von Range“ als „halsbrecherischer Seiltänzer“ 466 charakterisiert wird. Damit wird angedeutet, was im weiteren Verlauf des Romans im Detail ausgeführt wird: Noltens Leben, das ausschließlich nach innen gerichtet ist, ist das Gegenbild zu einem geordneten Staatswesen. Beide Bereiche stehen sich unversöhnlich gegenüber: Noltens Subjektivität erlaubt es ihm weder, in irgendeine Beziehung zu einer Allgemeinheit zu treten, noch kann es sich die Gemeinschaft erlauben, Noltens extreme Individualität in sich aufzunehmen, da sie dadurch zerstört würde. Damit wird ein Gedanke aufgegriffen, der bereits in der Kulturdiskussion des ausgehenden 18. Jahrhunderts zu finden ist und der von Novalis, demjenigen Dichter, der für „Maler Nolten“ so wichtig ist, folgendermaßen formuliert wird: „Ein Mensch, ohne Staat ist ein Wilder. Alle Kultur entspringt aus den Verhältnissen eines Menschen mit dem Staate“ 467 . Auf diese Weise ist Kultur ganz offensichtlich mit der Organisationsform Staat verbunden; auch in den ausgewählten Romanen gehört der ursprüngliche Bildbereich von Grund und Boden eng mit Staats- und Verfassungsvorstellungen zusammen, was abermals für dessen strukturierende Funktion spricht: So werden die einzelnen Merkmale von „Kultur“ als solche gekennzeichnet und damit die Themen des Kulturromans benannt. Besonders Stifter und Gutzkow setzen Staatsvorstellungen und den Bereich der Bodenbestellung in eine unmittelbare Relation 468 . Dabei wird in den „Rittern vom Geiste“ - durch Dankmars Rat, Geldvermögen nicht in Staatspapiere, sondern in 176 Der Kulturroman 463 Vgl. hierzu: Gutzkow, Der Mensch des 19. Jahrhunderts, in: Säkularbilder, 1. Theil; Gutzkow, Sitte und Sitten, in: Die Zeitgenossen, 2. Theil; Stifter, Was ist Freiheit? , in: Stifters Sämmtliche Werke, Bd. 16. 464 Vgl. hierzu: Schiller, Ueber die Ästhetische Erziehung, S. 321-328; Herder, Briefe zu Beförderung der Humanität, 1. Sammlung, S. 9. Hier ist vom „Bund der Humanität“ die Rede. 465 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 3, S. 138. 466 Mörike, Maler Nolten, S. 27. 467 Novalis , Allgemeines Brouillon, S. 313. 468 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 2, S. 175-176; Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 612- 614, 3514. <?page no="184"?> Grundbesitz anzulegen 469 - deutlich, daß Staat und Kultur nicht deckungsgleich sein müssen, sondern in der Realität jener oft ohne diese besteht, Kultur geradezu zum Gegenwert des bestehenden Staates wird 470 . Diese Analyse ist deswegen auffällig, weil sie in bezug auf den Staat eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit formuliert: Das Verhältnis vom Einzelnen zum Allgemeinen, das durch den Staat dargestellt wird 471 , tritt in den vier Romanen vor dem Hintergrund des Ideals einer gelungenen Gemeinschaft auf. Ebenso wird in allen Romanen gezeigt, daß dieser Zustand in der Gegenwart noch nicht erreicht ist. Hier stellt sich die Frage, wie in den Romanen Staat mit Blick auf „Kultur“ definiert und wie der reale Staat der Gegenwart wahrgenommen und dargestellt wird. Mit anderen Worten: Welche Staatsauffassung liegt dem Kulturroman zugrunde? Kritik am Staat In allen vier Romanen wird der gegenwärtige Staat kritisch betrachtet. Allerdings unterscheidet sich seine Beurteilung durch Mörike, Meinhold und Gutzkow erheblich von derjenigen Stifters, der sich im „Nachsommer“ nicht so sehr auf konkrete politische Mißstände bezieht, sondern vielmehr auf die Organisationsform des Staates 472 . In einem Gespräch setzt Risach Heinrich Staats- und Verfassungsvorstellungen 177 469 Ebd., S. 612-614. 470 Hier ergibt sich eine Parallele zur Religionsauffassung. Auch zum Christentum ist Kultur ein Gegenwert geworden. 471 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 3, S. 145. Hier definiert Stifter Staat folgendermaßen: „[…] der Staat [ist] selber die Ordnung der gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen […]“. Für die „Ritter vom Geiste“ vgl.: Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 203-206. 472 Das darf allerdings nicht im Sinne einer anarchistischen Gesinnung mißverstanden werden. Daß das menschliche Zusammenleben durch die Organisationsform Staat geregelt werden müsse, ist eine der Grundeinsichten Stifters, die er vor allen Dingen nach 1848 auch in den Feuilletons geäußert hat und die zugleich im „Nachsommer“ zum Ausdruck kommt. Außerdem sprechen verschiedene Äußerungen im Briefwechsel dafür, daß Stifter sogar mit dem Gedanken gespielt hat, selbst als Politiker tätig zu werden, bzw. es bedauert, nicht die Laufbahn eines Staatsmanns eingeschlagen zu haben. Darüber hinaus ist ein starkes Interesse für und eine Auseinandersetzung mit „wissenschaftliche[r] Staatsbildung“ festzustellen: Stifter, Brief an Gustav Heckenast vom 09.01.1845, in: Stifter, Briefwechsel 1, S. 137-141, hier S. 138. Vgl. außerdem: Stifter, Brief an Gustav Heckenast vom 25.05.1848, in: ebd., S. 283-287; Stifter, Brief an Gustav Heckenast vom 20.03.1850, in: Stifter, Briefwechsel 2, S. 30-32; Stifter, Brief an Marie von Hrussoczy vom 10.02.1861, in: Stifter, Briefwechsel 3, S. 256-259; Stifter, Brief an Gustav Heckenast vom 02.11.1861, in: Stifter, Briefwechsel 4, S. 16-24; Stifter, Brief an Joseph Kehrein vom 18.09.1867, in: Stifter, Briefwechsel 6, S. 153-155; Stifter, Brief an Leo Tepe vom 26.12.1867, in: ebd., S. 175-182. Allerdings wird bei Stifter am deutlichsten sichtbar, daß der Staat nur eine Hilfskonstruktion ist. Der Sinn und Zweck einer ästhetischen Erzieseine <?page no="185"?> Tätigkeit als Staatsmann auseinander und erklärt ihm bei dieser Gelegenheit auch seine Auffassung vom Staat: Grundsätzlich herrsche im Staat das Primat des Allgemeinen vor dem des Einzelnen. Risach wählt in diesem Zusammenhang das Bild einer Uhr, die im Idealfall selbst dann funktionieren müsse, wenn ihre verschiedenen Teile verändert würden 473 . Allerdings wird diese Auffassung durch das persönliche Schicksal Risachs im Staatsdienst relativiert: Er betont ausdrücklich, daß die Aufgaben auf diesem Gebiet gegen seine Natur gingen, und zieht seine Tauglichkeit für den Staatsdienst in Zweifel 474 . Er sieht sich für diese Tätigkeit als nicht geeignet an, weil er nicht gehorchen und für einen Zweck arbeiten kann, der außerhalb seines Gesichtskreises liegt 475 . Um dieses zu begründen, führt er aus, daß der Staatsdiener handele, um einer Vorschrift Genüge zu tun, der Einzelne aber nicht mehr den Zweck seiner Handlungen erkennen und akzeptieren könne. Damit beschreibt Risach den Gegensatz einer immer abstrakter werdenden öffentlichen Gewalt im modernen Verwaltungsstaat und dem individuell-sinnlichen Leben der Bürger 476 . Im Prinzip wird der Staat von ihm als ein moderner, arbeitsteiliger Betrieb angesehen, in dem die einzelnen Mitarbeiter nur noch zu einem Rädchen in der Maschinerie degradiert sind und das Produkt, den Zweck und das Ziel ihrer Arbeit, nicht mehr erkennen können 477 . Eine ähnliche Vorstellung findet sich in den „Rittern vom Geiste“: hier wird eine Fabrik zum Staat en miniature 478 . Der so beschaffene Staat wird als nicht mehr human eingeschätzt. Darüber hinaus wird als ein weitverbreiteter Fehler bezeichnet, den „Staat aus seinem eigenen Ich her[zu]leite[n]“ 479 , eine Auffassung, der nicht nur der Absolutismus verfallen sei, sondern auch die gegenwärtige demokratische Bewegung 480 . Unübersehbare Kritik wird deshalb an den „eingefleischtesten Ich-Staaten“ 481 geübt; hierbei handelt es sich um 178 Der Kulturroman hung liegt gerade darin, die Maximen, die sonst durch den Staat vermittelt werden, so dem Einzelnen einzuverleiben, daß der Staat überflüssig wird. Hier ist deutlich die „Ästhetische Erziehung“ das Vorbild. Auf sie nimmt Stifter auch im Briefwechsel mehrmals Bezug: Stifter, Brief an Friedrich Uhl vom 04.04.1865, in: Stifter, Briefwechsel 4, S. 282-285, hier S. 282-283; Stifter, Brief an Gustav Heckenast vom 13.12.1855, in: Stifter, Briefwechsel 2, S. 276-283, hier S. 280. 473 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 3, S. 138. 474 Ebd., S. 139-140. 475 Ebd. 476 Borchmeyer, Ideologie der Familie, S. 242. 477 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 3, S. 139-140. 478 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 1382. 479 Ebd., S. 659. 480 In diesem Sinne ist die Einsicht von Justizrat Schlurck zu verstehen, der Dankmars Idealismus, den er in bezug auf die Republik hat, mit den Worten bremst: „Die heutigen Republikaner wollen mit dem Staate auch wieder nur Staat machen“. Ebd., S. 142. 481 Ebd., S. 1351. <?page no="186"?> solche Staatsformen, welche den eigentlichen Zweck eines Staates nicht erkannt und verwirklicht haben. Auch in Gutzkows Roman wird zwischen Mensch und Staatsbürger unterschieden, wobei nicht ohne Ironie behauptet wird, der Mensch als Mensch falle in den Zuständigkeitsbereich der Kirche 482 : „In diesem Staate entwürdigt sich der Mensch als Gattungsbegriff, um sich als bürgerliche Person hochzustellen. Das Individuum will bedeutend sein auf Kosten des Geschlechts“ 483 . Die Diagnose, daß der (gegenwärtige) Staat unmenschlich sei, verbindet sich wiederum mit der Einsicht Mörikes und Meinholds, die ihrerseits den Staat als moralisch ausgehöhlt entlarven 484 . Im „Maler Nolten“ ist dafür an erster Stelle der Prozeß aufschlußreich, der Nolten und Larkens als Folge ihres Schauspiels gemacht wird. Es handelt sich hierbei um eine karikierende Justiz- und Zensurkritik, wie sie auch andere Zeitgenossen formuliert haben 485 . Hier wird expressis verbis das Vorgehen des Staats- und Verfassungsvorstellungen 179 482 Ebd., S. 926. Dieselbe Unterscheidung findet sich schon in der theoretischen Roman- und Kulturdiskussion um 1800. Vgl. hierzu S. 4 Anm. 17, S. 32 Anm. 22. Darüber hinaus wird auch hier wieder auf das Konkurrenzverhältnis von Kirche und Staat hingewiesen. Beide sind Institutionen, in welchen humane Werte formalisiert und gemeinschaftsfähig gemacht werden sollen. Bei Gutzkow wird dadurch, daß er den Menschen als Mensch in das Zuständigkeitsgebiet der Kirche verweist, Kritik am Staat formuliert, der Mensch und Staatsbürger nicht zusammenbringen kann. Allerdings wird bei ihm nicht, wie etwa in der „Bernsteinhexe“ die Kirche dadurch zu einem ernstzunehmenden Gegenentwurf zum Staat. Vielmehr wird auch hier die Korrumpierbarkeit und Politikabhängigkeit dieser Institution angeprangert. 483 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 203. 484 Zum Zusammenhang der Begriffe „moralisch“ und „menschlich“ vgl. S. 65 Anm. 81. 485 Vgl. hierzu die zehn Jahre vor dem „Maler Nolten“ veröffentlichte Novelle „Meister Floh“ von E. T. A. Hoffmann. Hier wird - ähnlich wie bei Mörike - ein Prozeß karikierend beschrieben, der seine Vorbilder in der zeitgenössischen Wirklichkeit hatte und ein Schlaglicht auf die restaurativen und polizeistaatlichen Grundlagen des vormärzlichen Staates wirft. Ähnlich wie in „Maler Nolten“ geht es auch in „Meister Floh“ um den Vorwurf der Demagogie, der gefährlichen Umtriebe und der Majestätsbeleidigung. E. T. A. Hoffmann, Meister Floh, Ein Märchen in sieben Abenteuern zweier Freunde, in: Der kosmische Mythos, Weimar 1924 (= E. T. A. Hoffmann, Dichtungen und Schriften sowie Briefe und Tagebücher, Gesamtausgabe in 15 Bdn., hrsg. von Walther Harich, Bd. III), S. 439-643. Passagen aus dem Roman sowie Auszüge aus den Akten und dem Briefwechsel der Personen, die in die (realhistorische) „Knarrpanti- Affaire“ verwickelt waren, hat Rainer Lewandowski zusammengestellt: Rainer Lewandowski, „… daß bloße Gesinnungen, sind sie nicht als Tat ins Leben getreten, nicht Gegenstand einer Kriminaluntersuchung sein können“, Hoffmanns Verteidigungsschrift zur Affäre des ‚Meister Floh‘, [Bamberg, 1997]. Generell zu Hoffmanns politischem Engagement vgl.: Odila Triebel, Staatsgespenster, Fiktionen des Politischen bei E. T. A Hoffmann, Köln, Weimar, Wien 2003. In dieser Arbeit wird auch ein Bezug zwischen Staat und Kultur hergestellt. <?page no="187"?> Staates gegen „gewisse [...] politische Freiheitsideen“ 486 geschildert. Der Staat entpuppt sich als eine Polizei- und Überwachungsorganisation, welche die persönliche Freiheit des Einzelnen beschneidet 487 . Es wird der Vorwurf der „gefährlichen Umtriebe“, der Demagogie und der Majestätsbeleidigung gegen sie erhoben 488 , wobei das sogenannte „Verbrechen“ in keinem Verhältnis zur Bestrafung steht. Darüber hinaus wird Larkens mit längst abgeschlossenen Kriminalfällen und geheimen Umtrieben in Verbindung gebracht 489 , welche auf die Geheimorganisation zurückgehen, die sich die (idealistische) Erneuerung des Staates zum Ziel gesetzt haben; aber Larkens stand dem von Anfang an kritisch gegenüber 490 . Besonders drastisch ist das Vorgehen des Staates gegen diese Aktivitäten deshalb, weil sie Ausdruck einer Unzufriedenheit sind, die sich durch die unterschiedlichsten Bevölkerungsschichten zieht 491 : „Der unruhige Geist, welcher, von gewissen politischen Freiheitsideen ausgehend, eine Zeit lang die Jugend Deutschlands, der Universitäten besonders, ergriffen hatte, ist bekannt. Die Regierung, von welcher hier die Rede ist, behandelte dergleichen Gegenstände mit um so größerer Aufmerksamkeit, als sich entdeckte, daß immer auch einige durch reiferes Alter, Geist und übrigens unbescholtenen Charakter ausgezeichnete Männer nicht verschmäht hatten, an solchen Geheimverbindungen, im weiteren oder engeren Sinne, Theil zunehmen“ 492 . In der „Bernsteinhexe“ wird Obrigkeitskritik und Unzufriedenheit mit dem Staat geäußert, auch wenn sich das hier nicht unmittelbar auf den gegenwärtigen Staat zu beziehen scheint. Hier wird ähnlich wie in „Maler Nolten“ sowohl die Unmenschlichkeit des Staates beschrieben als auch die Antihumanität derjenigen angeprangert, die für den staatlichen Vollzug verantwortlich sind 493 . Bezeichnend hierfür ist der bereits zitierte Ausspruch des Büttels, der 180 Der Kulturroman 486 Mörike, Maler Nolten, S. 172. 487 Noch ausdrücklicher wird der Polizeistaat in den „Rittern vom Geiste“ geschildert. In diesem Roman ist es gerade die Darstellung des Spitzel- und Spionagewesens, die eindrücklich deutlich macht, daß der alte Grundsatz, daß der Staat für seine Bürger da sei, und nicht die Bürger für den Staat längst zunichte gemacht worden ist. Wenn Gutzkow dem Polizeichef den Familiennamen Pax gibt, ist das ein ironischer Kommentar zum Sicherheitsbedürfnis und dem Wunsch nach Ruhe und Ordnung seitens des Staates. 488 Mörike, Maler Nolten, S. 149-150. 489 Ebd., S. 172. 490 Ebd. 491 Im Hintergrund steht hier auch das persönliche Schicksal von Mörikes Bruder, der 1831, kurz vor dem Erscheinen des „Maler Nolten“, zu einem Jahr Festungshaft verurteilt wurde, weil er mit staatsfeindlichen Umtrieben in Verbindung gebracht wurde. 492 Mörike, Maler Nolten, S. 172-173. 493 Meinhold, Die Bernsteinhexe, S. 200. Besonders auffällig ist folgende Parallele: Sowohl im „Maler Nolten“ als auch in der „Bernsteinhexe“ wird der staatliche Apparat (insbesondere die Justiz) mißbraucht, um persönliche Interessen durchzusetzen. Für die „Bernsteinhexe“ wurde bereits erläutert, daß hinter dem Prozeß, der Maria gemacht <?page no="188"?> sich bei der genüßlichen Vorführung seiner Folterinstrumente auf die Obrigkeit beruft 494 . Der Staat ist zwar als Institution vorhanden und funktioniert, er ist aber innerlich ausgehöhlt und vertritt keine moralischen Grundsätze mehr. Daraus ergibt sich bei Meinhold die Forderung nach einer gründlichen Erneuerung des Staates. Die offensichtliche Kritik an der „Gerechtigkeitspflege der Zeit“ 495 , die bezeichnenderweise vom fiktiven Herausgeber des 19. Jahrhunderts in einer Fußnote kommentiert wird, läßt sich nicht nur auf die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, sondern auch auf die eigene Gegenwart beziehen. In der „Bernsteinhexe“ und in „Maler Nolten“ werden die Mißstände der Gegenwart hervorgehoben. Dieser Befund scheint zunächst für die Interpretation des Jahres 1848 als Wendepunkt für theoretische Kulturkonzeptionen zu sprechen 496 . Aber auch nach der 48er-Revolution findet sich ähnliche Kritik an Staat und Justiz wie vor den Märztagen, was sich am deutlichsten an Gutzkows Roman belegen läßt. Bereits am Anfang der „Ritter vom Geiste“ wird darauf aufmerksam gemacht, daß die Justiz Mitglieder der besseren Gesellschaft im Gegensatz zu niedrigeren Schichten begünstigt 497 . Auch hier liegt das besonders Unmoralische in der Tatsache, daß die juristischen Handlungen von der Institution Staat gerechtfertigt sind, daß sie aber, unter dem Gesichtspunkt der Humanität betrachtet, fragwürdig sind. Das drastischste Beispiel ist in diesem Roman Heinrich Sandrarts Hinrichtung. Sie verdeutlicht wie keine andere Handlung im Roman, daß Sitten, Institutionen und Einrichtungen den Menschen von seiner menschlichen Bestimmung entfremden, ja sogar zu barbarischen Handlungen führen 498 . Zwar ist einmal vom „gesittete[n] Rechtsstaat“ 499 die Rede, was allerdings für die Gegenwart des Romans eine contradictio in adjecto ist. Aus diesem Spannungsverhältnis erklärt sich auch die Haupthandlung des Romans, der Prozeß, den Dankmar gegen den Staat führen will und in dem er versucht, juristisch gegen den Staat vorzugehen und ihn auf diese Art und Weise mit seinen eigenen Mitteln und mit Hilfe der Institutionen zu schlagen, aus denen er sich konstituiert 500 . Staats- und Verfassungsvorstellungen 181 wird, der Wunsch des Amtshauptmanns steht, Maria zu seiner Geliebten zu machen. Im „Maler Nolten“ hingegen ist die Kränkung Constanzes und der Wunsch, sich an Nolten zu rächen, die Ursache dafür, daß der nichtige Anlaß des Prozesses nicht vertuscht wird, sondern daß das Gesetz seinen Gang nimmt. Mörike, Maler Nolten, S. 174. 494 Meinhold, Die Bernsteinhexe, S. 200. 495 Ebd., S. 168. 496 Diese These wird auch dadurch bestätigt, daß in den Romanen, die nach 1848 geschrieben wurden, die Verknüpfung zwischen dem unmittelbaren Bildbereich von Kultur und Staats- und Verfassungsvorstellungen deutlicher ist. Vgl. dazu: S. 176-177 und S. 190. 497 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 28. 498 Ebd., S. 3134-3139. 499 Ebd., S. 414. 500 Ebd., S. 116. <?page no="189"?> Damit wird in allen vier Romanen gleichermaßen Kritik am bestehenden Staat der Gegenwart geübt, was für eine Kontinuität zwischen 1830 und 1860 spricht: Die Unzufriedenheit mit dem Staat ist auch nach 1848 die gleiche geblieben. Allerdings macht man nun die Erfahrung, daß selbst eine Revolution an den Mißständen nichts ändern kann, und ist deshalb auf andere (ideale) Gegenmodelle angewiesen. Hier erhält der Kulturroman als dasjenige Instrument, das Utopien entwerfen und verbreiten kann, seine tiefere Bedeutung als zeitspezifische Gattung: Die Analyse des zeitgenössischen Staates ist konkret aus den tatsächlichen historischen Umständen zu erklären; die Gegenentwürfe eines humanen Staates sind eine Kritik an den bestehenden Verhältnissen 501 , die sich bei Mörike und Meinhold einerseits und bei Gutzkow und Stifter andererseits erstaunlich ähnelt. Übereinstimmend wird die Notwendigkeit eines Staates anerkannt 502 , da er allein die eingangs erläuterten humanisierenden und kultivierenden Aufgaben wahrnehmen kann: „Er [Siegbert] läugnete nicht, daß ihm der ganze status quo unserer Verfassungen, politisch und gesellschaftlich, missfalle und das Meiste davon überlebt scheine […]“ 503 . Da der gegenwärtige Zustand des Staates als mangelhaft entlarvt wird, stellt sich an dieser Stelle die Frage: Welche Gegenmodelle zum bestehenden Staat werden in den Romanen vorgeschlagen? Mit anderen Worten: Wie sieht ein zukünftiger, humaner Staat aus? Gegenmodelle Da auf dem Gebiet der Politik kein Ergebnis erzielt werden kann, das in irgendeiner Form als Verbesserung oder auch nur als Veränderung des Staates bezeichnet werden könnte, werden in allen Romanen „Gegenstaaten“ errichtet. In diesem Sinne sind in den „Rittern vom Geiste“ und in „Maler Nolten“ die Geheimbünde zu verstehen, welche alle Institutionsformen und Merkmale eines Staates übernehmen, zu einem „Menschheitsbund“ werden und so zur Alternative des etablierten Staates: Dankmar weist dem Geheimbund der Tempelritter alles das zu, was nach herkömmlichem Verständnis in die Kompetenz des Staates fällt 504 . 182 Der Kulturroman 501 Denn in der verkehrten Einrichtung des Staates spiegelt sich die verkehrte Einrichtung der Welt. 502 In den „Rittern vom Geiste“ heißt es ausdrücklich, daß die Mängel des Staates noch lange nicht dazu berechtigen, den Staat selbst zu zerstören. Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 3344-3345. Für Stifter vgl. S. 64-65 Anm. 77. Bei Meinhold und Mörike findet sich dieser Gedanke zwar nicht so direkt ausgesprochen, allerdings spielt auch in der „Bernsteinhexe“ und im „Maler Nolten“ der Staat eine zentrale Rolle; ein staatloser Zustand ist in keinem der Romane denkbar. 503 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 2148 (Hervorhebung in der Vorlage). 504 Ebd., S. 2208-2224. In diesem Zusammenhang ist es nicht uninteressant, daß Eichendorff zeitgleich darauf hinweist, daß die Häufung von Geheimgesellschaften ein Sym- <?page no="190"?> Im „Nachsommer“ findet humanes Zusammenleben in der Familie statt. Nicht umsonst wird mehrmals im Roman darauf hingewiesen, daß der Ursprung für einen humanen Staat in der Familie zu sehen sei 505 . Stifter greift auf das Konzept des „Ganzen Hauses“ zurück, das zeitgleich mit dem „Nachsommer“ von dem konservativen Autor Wilhelm Heinrich Riehl entwickelt wurde. Riehl definiert das „Ganze Haus“: „[…] [es umfaßt] nicht bloß die natürlichen Familienglieder, sondern auch alle jene freiwilligen Genossen und Mitarbeiter der Familie […], die man vor Alters mit dem Worte ‚Ingesinde‘ umfaßte. In dem ‚ganzen Hause‘ wird der Segen der Familie auch auf ganze Gruppen sonst familienloser Leute erstreckt, sie werden hineingezogen, wie durch Adoption, in das sittliche Verhältnis der Autorität und Pietät. Das ist für die sociale Festigung eines ganzen Volkes von der tiefsten Bedeutung“ 506 . Staats- und Verfassungsvorstellungen 183 ptom einer sozialen Krankheit ist. Joseph von Eichendorff, Der deutsche Roman des 18. Jahrhunderts in seinem Verhältniß zum Christentum, in: Literarhistorische Schriften des Freiherrn Joseph von Eichendorff II (= Sämtliche Werke des Freiherrn Joseph von Eichendorff, Historisch-kritsche Ausgabe, begründet von Wilhelm Kosch/ August Sauer, fortgeführt und hrsg. von Hermann Kunisch, Bd. VIII/ 2), S. 5-245, hier S. 122. 505 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 3, S. 215. Abschließend formuliert er dann: „Die Familie ist es, die unsern Zeiten noth thut, sie thut mehr noth als Kunst und Wissenschaft, als Verkehr Handel Aufschwung Fortschritt, oder wie alles heißt, was begehrenswerth erscheint. Auf der Familie ruht die Kunst die Wissenschaft der menschliche Fortschritt der Staat“. Ebd., S. 263. Auch andere Autoren der Zeit benutzten die Institution Familie als Mittel der Staatskritik. Zu Familienvorstellungen anderer Autoren der Zeit vgl.: Martina Schwarz, Die bürgerliche Familie im Spätwerk Ludwig Tiecks, „Familie“ als Medium der Zeitkritik, Würzburg 2002 (= Epistemata, Würzburger Wissenschaftliche Schriften, Reihe Literaturwissenschaft, Bd. 403); Claudia Streit, (Re-)Konstruktion von Familie im sozialen Roman des 19. Jahrhunderts, Frankfurt/ Main u. a. 1997 (= Münchener Studien zur literarischen Kultur, Bd. 27). In diesem Zusammenhang ist es nicht unwesentlich, daß Gutzkow in den „Rittern vom Geiste“ eine völlig andere Familienauffassung formuliert als Stifter im „Nachsommer“. Bei Gutzkow gibt es nur die Kleinfamilie, die sich ganz im Sinne des Biedermeier ins Private zurückgezogen hat und keine gesellschaftlichen Aufgaben mehr wahrnimmt, weshalb man hier von einer Familie als „Individualgestalt“ sprechen kann. Da die Organisationsform „Familie“ bei Gutzkow letztlich als Individuum auftritt und keine Gemeinschaft mehr darstellt, ist es nicht verwunderlich, daß er seinen „Ersatzstaat“ in einem Geheimbund zu organisieren versucht. Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 2159. 506 W[ilhelm] H[einrich] Riehl, Die Familie, 9., mit vielen Zusätzen vermehrte Aufl., Stuttgart 1882 (= Die Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Social- Politik von W. H. Riehl, Bd. 3), S. 150-172, hier S. 156 [1. Aufl. 1854] (im folgenden zitiert als: Riehl, Die Familie). Zur Abhängigkeit von Riehls Konzept und Stifters Roman vgl.: Otto Brunner, Das „ganze Haus“ und die alteuropäische „Ökonomik“, in: Ders., Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, 2. Aufl., Göttingen 1968, S. 103- 127, hier S. 110; Kirsten L. Belgum, High Historicism and Narrative Restoration, The Seamless Interior of Adalbert Stifter’s Nachsommer, in: The Germanic Review 67 (1992), S. 15-25, hier S. 15. <?page no="191"?> Wenig später stellt er fest, daß das „Ganze Haus“ der „Vereinzelung der Familie“ habe weichen müssen. Das „Ganze Haus“ habe ein Mittelglied zwischen Familie und Gesellschaftsgruppe dargestellt 507 . In diesem Sinne ist im „Nachsommer“ das Kapitel „Die Häuslichkeit“ zu verstehen 508 und der Versuch Risachs, seine Dienstboten und sein Personal an gemeinsame Mahlzeiten zu gewöhnen 509 . Da dieses Konzept auch auf wirtschaftlicher Autarkie beruht, die Grundlagen der Versorgung selber produziert und verarbeitet werden, wird so der Versuch unternommen, die Arbeitsteilung, welche als das Hauptmerkmal eines unmenschlichen Staates erscheint, zu überwinden. Hinzu kommt, daß mit diesem Konzept auch das Zusammenleben von wesentlich mehr Menschen organisiert wird, als das nur in der Kleinfamilie der Fall ist, so daß das grundlegende Merkmal eines Staates (das Leben des Einzelnen in einer Gemeinschaft) in dieser Form tatsächlich erprobt werden kann. Allerdings wird auch diese Gegenvorstellung bei Stifter kritisch betrachtet und die Schwierigkeit ihrer Realisation in der Gegenwart gezeigt: Weder gelingt der Versuch, das Gesinde als Teil der Familie aufzunehmen, noch ist irgendeine der in diesem Roman dargestellten Familien außer derjenigen von Heinrichs Eltern, die nur am Rande eine Rolle spielt, intakt 510 . Auf diesem Weg wird abermals sichtbar, daß das gelungene Zusammenleben von Einzelnem und Gemeinschaft in der Gegenwart reine Utopie ist, denn letztlich werden damit Paradiesesvorstellungen ausgedrückt, die in der Welt der Gegenwart nicht zu verwirklichen sind. Hier ergibt sich ein Anknüpfungspunkt zur Religion und zur Geschichtsauffassung, in denen die eigene Zeit als eine erlösungsbedürftige Endzeit verstanden wird. Damit schließt sich der Kreis zum Anfang des Kapitels, denn vor diesem Hintergrund wird auch klar, warum die Institutionalisierung von Religion - die Kirche - als Konkurrenz zum Staat verstanden wird. Auch die Kirche vermittelt Werte, die den Einzelnen ins Einvernehmen mit der Allgemeinheit setzen und so zu einer humanen Gemeinschaft führen können. Deshalb besteht die Kirche auch unbedingt darauf, ausschließliches Anrecht auf Bildungsaufgaben zu haben 511 . Daher sind auch die Anfänge des organisierten Christentums eng mit dem Bildungsgedanken verbunden; bis in die Gegen- 184 Der Kulturroman 507 Riehl, Die Familie, S. 156. 508 Borchmeyer, Ideologie der Familie, S. 227. 509 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 135-136. 510 Ähnlich problematisch ist die Institution Familie übrigens im „Maler Nolten“ und in der „Bernsteinhexe“ gesehen. Hier stehen alle Romane in der Tradition des 18. Jahrhunderts, in dem bereits im damals so beliebten „Bürgerlichen Trauerspiel“ der Zerfall der Familie gezeigt wird. Vgl. hierzu: Gerhard Kaiser, Krise der Familie, Eine Perspektive auf Lessings „Emilia Galotti“ und Schillers „Kabale und Liebe“, in: Recherches Germaniques 14 (1984), S. 7-22, hier v. a. S. 15-16, 19-20, 22. 511 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 412-413. <?page no="192"?> wart hinein versteht sich die Kirche als alleinige Bewahrerin von Bildung 512 . Da aber die christliche Religion fragwürdig geworden ist, wird auch die Kirche und ihr Anspruch auf Bildungshoheit kritisch betrachtet, so daß in den „Rittern vom Geiste“ versucht wird, einen (idealen) Staat zu konstruieren und ihm die Bildungshoheit zuzuweisen. Weil diese utopischen Vorstellungen aber in erster Linie Kunstprodukte sind, erhält auch die Kunst einen Bezug zu Staats- und Verfassungsvorstellungen. Im Gegensatz zur Religion ist sie in der Lage, dem Einzelnen moralische Werte zu vermitteln, die auch der Allgemeinheit zugute kommen. Das steht wiederum unmittelbar mit der theoretischen Kulturdiskussion in Verbindung, wie sie seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert geführt wird, und manifestiert sich auf theoretischer Ebene abermals in Jacob Burckhardts „Kultur der Renaissance in Italien“, die, zwei Jahre nach dem „Nachsommer“ erschienen, in dem Abschnitt „Der Staat als Kunstwerk“ 513 den Zusammenhang von Kunst und Staat reflektiert. Ästhetische Erziehung Es kommt nicht von ungefähr, daß Gutzkow die Aufgabe des Schriftstellers darin sieht, die Mißstände des gegenwärtigen Staates nicht nur darzustellen, sondern auch Gegenmodelle zu entwerfen. In der „Vorrede“ zu den „Rittern vom Geiste“ vergleicht er die Aufgabe des Schriftstellers mit derjenigen der „Paulskirche und den Protokollen unserer Ständekammern, Interims- und Verwaltungsräthe[n]“ 514 : Alle seien gleichermaßen für die Konstituierung eines humanen Staates verantwortlich. Bemerkenswerterweise finden sich in den „Stenographischen Berichten“ über die Verhandlungen in der Paulskirche immer wieder Passagen, welche die Anschauungen der verschiedenen Abgeordneten zum Verhältnis von Staat und Individuum spiegeln. Deutlich zutage tritt diese Frage beispielsweise in den Erörterungen über die Zulässigkeit der Todesstrafe. Teilweise argumentieren die Abgeordneten in diesem Zusammenhang mit einem Vokabular, welches erkennen läßt, daß auch diese Diskussion auf dem Nährboden von allgemeinen Kulturüberlegungen erwachsen ist, wenn beispielsweise von der Todesstrafe als „Ueberrest einer barbarischen Zeit“ 515 gesprochen wird. Spätestens an diesem Punkt wird deutlich, daß die Diskussion über das Verhältnis Staats- und Verfassungsvorstellungen 185 512 Ebd., S. 177. 513 Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien, S. 1-94. 514 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 6. 515 Franz Wigard in der 55. Sitzung in der Paulskirche am 5. August 1848, in: [Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der deutschen constituierenden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main], hrsg. mit Beschluß der Nationalversammlung durch die Redactions-Commission und in deren Auftrag von Professor Franz Wigard, Bd. 2, Nr. 34-61, Leipzig 1848, S. 1381. <?page no="193"?> von Einzelnem und Allgemeinheit, die sich in den Romanen teilweise abstrakt ausnahm, einen (real)politischen Hintergrund hat 516 . An diesem Beispiel zeigt sich besonders gut, wie die gedanklichen Konzepte der Zeit, die nicht zuletzt auch in den Romanen reflektiert werden, Eingang in die „praktische“ Politik gefunden haben, ohne daß in diesem Zusammenhang von Tendenzdichtung die Rede sein kann. Vielmehr muß der „Kulturroman“ aus dieser Perspektive als ein ästhetisches Produkt definiert werden, das - jenseits von ideologischen oder demagogischen Absichten 517 - bildend 518 auf den Einzelnen wirkt, indem er ihm ein Wertesystem an die Hand gibt, ihn im Sinne dieses moralischen Kanons zum Handeln anleitet, welches die Gemeinschaft bestimmt. Damit ist der „Kulturroman“ das geeignete Instrument für eine „ästhetische Erziehung“ im Sinne Schillers, die ihrerseits sowohl als kulturkritische als auch als politische Schrift verstanden werden kann 519 . Schiller definiert in dieser Schrift Kultivierung als eine Verbesserung im Politischen, die von der Veredelung des Charakters ausgehen soll 520 - das ist die Aufgabe, die sich auch der Kulturroman stellt. So wird denn von Stifter, Gutzkow, Meinhold und Mörike das Verhältnis von Kunst und Staat auch unter historischer Perspektive reflektiert. Im „Nachsommer“ stehen an erster Stelle Risachs Bemühungen, Möbel und andere Gegenstände von ästhetischem Wert, die aus alter Zeit auf die Gegenwart überkommen sind, zu restaurieren 521 . Er spricht sich immer wieder dafür aus, daß diese Aufgabe vom Staat sanktioniert und finanziert werden müsse 522 . Damit greift er eine zeitgenössische Diskussion auf, in der die Frage nach der staatlichen Institutionalisierung von Kunst und deren Geschichte im Mittelpunkt steht. Daß diese Diskussion eine gewisse Breitenwirkung hatte, 186 Der Kulturroman 516 Vgl. hierzu: Ebd., S. 1379-1386. 517 Diese Auffassung ist bei Stifter in dem Aufsatz „Über Stand und Würde des Schriftstellers“ zum dichterischen Prinzip schlechthin erhoben worden: Stifter, Über Stand und Würde. 518 Begreift man „Bildung“ in diesem Sinne, so muß man in vorliegendem Zusammenhang die Termini Kultur- und Bildungsroman natürlich synonym verstehen. Der Bildungsbegriff, welcher der Forschung zum Bildungsroman zugrunde liegt, ist aber nicht in diesem weiten historischen Sinn aufgefaßt, sondern bezieht sich ausschließlich auf die hermetische Romanwelt. 519 Vgl. hierzu: Rolf-Peter Janz, Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen, in: Schiller-Handbuch in Zusammenarbeit mit der Deutschen Schillergesellschaft Marbach hrsg. von Helmut Koopmann, Stuttgart 1998, S. 610-626. 520 Schiller, Ueber die Ästhetische Erziehung, S. 332. 521 Vgl. hierzu: Martin Beckmann, Die ästhetische Funktion des Weg-Motivs in Stifters Nachsommer, in: VASILO 39 (1990), H. 3/ 4, S. 3-23, hier S. 12. 522 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 113. Zur Frage der Institutionalisierung von Restauration und Denkmalpflege ist Stifters Tätigkeit als Denkmalpfleger in Oberösterreich, die eng mit der beginnenden Geschichte der organisierten Denkmalpflege verbunden ist, von entscheidender Bedeutung. Vgl. hierzu: Jungmair, Stifter als Denkmalpfleger. <?page no="194"?> kann daraus ersehen werden, daß sie selbst im „Staats-Lexikon“ von Carl Welcker und Carl von Rotteck aufgenommen wird 523 . Diese Gedanken sind nicht unerheblich für die Einrichtung eines Kultusministeriums, das - nach zeitgenössischem Verständnis - zur „Förderung aller geistigen Culturgegenstände […] verpflichtet [ist]“ 524 . In den „Rittern vom Geiste“ wird ebenfalls ein enges Verhältnis des Staates zur Kunst und Geschichte thematisiert 525 . So wird in Gutzkows Roman darauf hingewiesen, daß Museen einen historischen Wert haben, aber auch das Nationalbewußtsein stärken 526 . Im „Nachsommer“ ist ebenfalls die Frage nach der Restaurierung und Renovierung von Kunstwerken eine Frage nach der Verantwortung der Nation gegenüber ihrer Geschichte 527 . Neben der Kunst ist damit Geschichte beziehungsweise die Geschichtswissenschaft aufgefordert, für einen humanen Staat zu sorgen. Geschichte wird zur „einzige[n], […] größte[n], […] weiseste[n], aber sehr oft unbeachtete[n] Lehrmeisterin in menschlichen Dingen“ 528 , der Künstler ist derjenige, der die Lehren aus der Geschichte vermitteln kann 529 . Geschichte spielt nicht zuletzt deswegen im Rahmen der Kulturdiskussion eine entscheidende Rolle, weil sie für eine Gemeinschaft identitätsstiftend sein kann. In den „Rittern vom Geiste“ wird immer wieder gerade die staatliche Institutionalisierung von „Geschichte“ als wichtig dargestellt. Ein Archiv spielt Staats- und Verfassungsvorstellungen 187 523 Vgl. hierzu: Wilhelm Schulz, Kunst im Zusammenhang mit Staat und Politik, in: Das Staats-Lexikon, Encyklopädie der sämmtlichen Staatswissenschaften für alle Stände, in Verbindung mit vielen der angesehensten Publicisten Deutschlands hrsg. von Carl von Rotteck/ Carl Welcker, neue durchaus verbesserte und vermehrte Aufl., Bd. 8, Altona 1847, S. 401-439. 524 Dr. Paulus, Cult, Theokratie, Cult-Ministerium, in: Das Staats-Lexikon, Enzyklopädie der sämmtlichen Staatswissenschaften für alle Stände, in Verbindung mit vielen angesehenen Publicisten Deutschlands hrsg. von Carl von Rotteck/ Carl Welcker, neue durchaus verbesserte und vermehrte Aufl., Bd. 3, Altona 1846, S. 628-632, hier S. 631 (Hervorhebung in der Vorlage). In diesem Zusammenhang ist es nicht uninteressant, darauf hinzuweisen, daß Stifter aufmerksamen Anteil an der Entwicklung des 1848 gegründeten österreichischen Kultusministeriums nahm: Stifter, Brief an Adolf Freiherrn von Kriegs-Au vom 20. 09. 1865, in: Adalbert Stifters Sämmtliche Werke, Bd. 21, Briefwechsel, Bd. 5, mit Benutzung der Vorarbeiten von Adalbert Horcicka hrsg. von Gustav Wilhelm, Prag 1928, S. 20-23, hier S. 20-21; Stifter, Brief an Gustav Heckenast vom 24.09.1865, in: Stifter, Briefwechsel 5, S. 23-25, hier S. 24. 525 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 194, 412, 850, 961, 1952, 2825. 526 Ebd., S. 968. Ähnliche Gedanken finden sich auch bei Stifter. Vgl. hierzu: Stifter, Der Nachsommer, Bd. 3, S. 133-134. Hier ist die Gründung des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg im Jahr 1852 mitzubedenken. 527 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 1, S. 109-113. 528 Stifter, Die Zukunft des menschlichen Geschlechts, in: Stifters Sämmtliche Werke, Bd. 16, S. 113-114. 529 Vgl. hierzu: Stifter, Über Stand und Würde. <?page no="195"?> nicht nur im Zusammenhang mit Fritz Hackert eine Rolle, der im Laufe des Romans wiederholt versucht, seine wahre Identität aufzudecken und dazu auf die Hilfe von Archiven zurückgreifen muß 530 , sondern auch für die Erbschaft der Brüder Wildungen: Die Dokumente, die Dankmar in einem vergessenen Archiv in Angerrode in einem Schrein findet, sind gleichsam ein Symbol, das sich durchgehend durch den ganzen Roman zieht. Es werden Unterlagen beigebracht, die Auskunft über die Familiengeschichte der Brüder geben, darüber hinaus aber auch einen Blick auf die Geschichte der Tempelritter als einer mittelalterlichen Sozialform werfen, die eine Vorbildfunktion für den Staat einnimmt und im Laufe des Romans wieder eingeführt werden soll. Am Rande ist dieser Gedanke der Institutionalisierung des Überlieferten auch schon in „Maler Nolten“ zu finden, wenn auf dem Schloß der Gräfin Constanze ein „Gesellschaftsarchiv“ 531 mit dem Ziel errichtet werden soll, für spätere Zeiten die Lebensweise der Schloßgesellschaft zu dokumentieren. Hier deutet sich an, daß diese besondere Geschichtsauffassung, die auch als Kulturgeschichte bezeichnet wurde 532 , eine bestimmte Funktion hat. Diese wird als Forderung an den Roman gestellt: „Was verlangen wir daher von einem guten und einflußreichen Roman? Zu seinem Stoff ein Gemälde solcher Menschen, die am meisten uns gleich sind, gleiche Sitten, Sprache und Denkungsart haben; Gemälde unserer Zeit und Nation “ 533 . Hierfür gibt es in den vier ausgewählten Romanen zahlreiche Beispiele. Am deutlichsten nachweisbar ist dieser Gedanke im „Nachsommer“ und in den „Rittern vom Geiste“; er findet sich aber auch in der „Bernsteinhexe“ und in „Maler Nolten“; wenn dort Staat nicht zuletzt auch als geographisches Gebilde verstanden wird, so fließt wiederum die ursprüngliche Bedeutung von Kultur ein. Staat als geographisches Gebilde „Staat“ bezeichnet in den Romanen ein bestimmtes Territorium. Bei aller nationalen Identitätsstiftung, die durch die Rekonstruktion einer gemeinsamen Geschichte betrieben wird 534 , ist jedoch auffällig, daß sich das staatliche Be- 188 Der Kulturroman 530 Diese Bemühungen enden schließlich in einem Einbruch, bei dem er seine Geburtsurkunde entwendet, die Aufschluß über seine Herkunft und Identität gibt. Damit erhält das Archiv und die in ihm gelagerte Geschichte die unmittelbare Funktion der Identitätsstiftung. Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 2850. Auch vorher schon wird an verschiedenen Stellen auf die Bedeutung von Archiven aufmerksam gemacht: Ebd., S. 918, 1473. 531 Mörike, Maler Nolten, S. 73. 532 Vgl. S. 96-106. 533 Münzenberger, Beleuchtung des Romans, S. 84. 534 Die Schriftsteller haben damit die Aufgabe, Symbole und Bilder zu liefern, die eine nationale Identität stiften. Wulf Wülfing, „Das europäische Panorama“ findet nicht statt, Bemerkungen zu einem diskursiven Streit um Öffentlichkeit im Vormärz, in: Helmut <?page no="196"?> wußtsein nicht auf Deutschland beschränkt, sondern sich auf ganz Europa erstreckt 535 . Die Kultur Europas wird als ein geographischer Bereich verstanden, der im großen und ganzen das Abendland umfaßt 536 . Es ist vor diesem Hintergrund nicht zufällig, daß bei Stifter, Gutzkow, Meinhold und Mörike immer wieder explizit der Vergleich von Europa und Amerika, Europa und Asien beziehungsweise Europa und Orplid angestellt wird 537 . Hier stehen die Romane wiederum im Gefolge der theoretischen Kulturdiskussion, die ebenfalls trotz aller Beschäftigung mit Kultur als nationalbildendem Element eine europäische Dimension hat 538 . In den „Rittern vom Geiste“ kann als Beleg hierfür die Verklärung des mittelalterlichen Templerwesen verstanden werden: Die Tempelritter werden als Vermittler zwischen Geistlichkeit und Weltlichkeit verstanden 539 . Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, daß sich der absolute Monarchismus in Europa nicht hätte durchsetzen können, wenn die Gemeinschaft der Tempelherren nicht aufgelöst worden wäre und Europa die Möglichkeit gehabt hätte, theokratisch regiert zu werden 540 . Damit sind die Staatsüberlegungen, die in den Romanen präsentiert werden, nicht nur systemkritisch, sondern haben auch eine europäische Dimension, die sich nicht zuletzt in der Romanproduktion widerspiegelt. Obwohl die literarische Öffentlichkeit zwischen 1830 und 1860 als eine Öffentlichkeit in nationalem Rahmen verstanden werden kann 541 , sind doch gerade die 30er und 40er Jahre des 19. Jahrhunderts auch durch den Versuch der Romanautoren gekennzeichnet, Anschluß an die europäische Produktion zu finden. Dies beginnt damit, daß französische und englische Autoren zu Staats- und Verfassungsvorstellungen 189 Koopmann/ Martina Lauster (Hrsg.), Vormärzliteratur in europäischer Perspektive I, Öffentlichkeit und nationale Identität, Bielefeld 1996, S. 41-53, hier S. 45. 535 In der Forschung ist vielfach der Versuch unternommen worden, die Frage zu klären, ob die Vormärzliteratur national oder europäisch ausgerichtet gewesen sei, wobei deutlich wird, daß es für beide Vermutungen gute Argumente gibt, so daß letztlich - gerade unter dem Gesichtspunkt von Kultur - ein Ineinander von nationaler und europäischer Perspektive angenommen werden muß. Zur Forschungskontroverse vgl.: Helmut Koopmann/ Martina Lauster (Hrsg.), Vormärzliteratur in europäischer Perspektive I, Öffentlichkeit und nationale Identität, Bielefeld 1996; Martina Lauster/ Günter Oesterle (Hrsg.), Vormärzliteratur in europäischer Perspektive II, Politische Revolution - Industrielle Revolution - Ästhetische Revolution, Bielefeld 1998. 536 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 3, S. 133-134. 537 Ebd., S. 665; Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 407, 1723, 2650, 3514; Meinhold, Die Bernsteinhexe, S. 101-102; Mörike, Maler Nolten, S. 131. 538 Vgl. hierzu: S. 35 Anm. 33. 539 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 79. 540 Ebd., S. 177. 541 Martina Lauster, Reflections on the public sphere in critical writings of Bulwer-Lytton, Sainte-Beuve and Gutzkow, in: Helmut Koopmann/ Martina Lauster (Hrsg.), Vormärzliteratur in europäischer Perspektive I, Öffentlichkeit und nationale Identität, Bielefeld 1996, S. 197-222, hier S. 197. <?page no="197"?> Vorbildern werden. Hier sind an erster Stelle Eugène Sue und Walter Scott zu nennen, mit denen sich zumindest Stifter und Gutzkow auseinandergesetzt haben 542 . Bei Gutzkow spielt die Lektüre von und die Auseinandersetzung mit Bulwer und Balzac eine nicht zu unterschätzende Rolle 543 . Auch die Gründung der Zeitschrift „Europa“ 1835 544 , die es sich ausdrücklich zur Aufgabe machte, „alle wichtigen Zeit- und Kulturfragen“ zu behandeln 545 , spricht dafür, daß die literarische Produktion der Zeit europäisch orientiert ist. Man geht nicht zu weit, wenn man behauptet, daß der Kulturroman, unter Wahrung der nationalen Besonderheiten, auf die Schaffung einer europäischen Identität abzielt, deren Ursache in der gemeinsamen Kultur der klassischen Antike gesucht werden muß. So werden im „Nachsommer“ die Wurzeln des europäischen Denkens in dem gemeinsamen Ursprung Europas aus der Kultur des Abendlandes aufgedeckt; auch hier werden Staatsvorstellungen direkt mit dem ursprünglichen Bildbereich von Kultur verbunden: „Es wurde da [im Salon der Gräfin] auch sehr viel über das uralte gesellschaftliche Leben der Griechen über ihre häuslichen Einrichtungen über ihren Staat ihre Kunst und über die Gestalt und Beschaffenheit ihres Landes und ihrer Meere gesprochen“ 546 . An dieser Stelle schließt sich der Kreis zum Anfang der Überlegungen zum Kulturroman, in dem bereits der Zusammenhang von Bürger, Staat und Roman erläutert wurde; denn nun wird deutlich, warum gesagt werden kann, daß Kulturüberlegungen in Geschichtsvorstellungen ihren Ausgangs-, in Staats- und Verfassungsvorstellungen jedoch ihren Zielpunkt haben: Geschichtsbewußtsein ist der allgemeine Rahmen, in dem das Verhältnis des Einzelnen zur Allgemeinheit, das die Grundlage aller Staatsvorstellungen ist, diskutiert wird. Weiterhin wird abermals eine Parallele zur Romantheorie sichtbar, denn von 190 Der Kulturroman 542 Brief Gutzkows an Levin Schücking, in: Levin Schücking, Lebenserinnerungen, Bd. 2, Breslau 1886, S. 54-57, hier S. 56; auch in Stifters Bibliothek sind die Romane von Sue vorhanden. Vgl. hierzu: Streitfeld, Aus Adalbert Stifters Bibliothek, S. 121. Stifter, Brief an Gustav Heckenast vom 08.06.1861, in: Stifter, Briefwechsel 3, S. 281-287, hier S. 282; Karl Gutzkow, Vergangenheit und Gegenwart, in: Karl Ferdinand Gutzkow, Schriften, Bd. II, Literaturkritisch-Publizistisches, Autobiographisch-Itinerarisches, Frankfurt/ Main 1998, hrsg. von Adrian Hummel, S. 1157-1244, hier S. 1238. 543 Ebd. 544 Hierzu: Eoin Bourke, „Wir wollen die große europäische Gesellschaft schildern, nach allen ihren Beziehungen, treu und wahr“, Die Zeitschrift Europa von 1835 bis 1848, in: Martina Lauster (Hrsg.), Deutschland und der europäische Zeitgeist, Kosmopolitsche Dimensionen in der Literatur des Vormärz, Bielefeld 1994, S. 27-43. 545 Ian Hilton, Nationalismus und die europäische Dimension in F. G. Kühnes Europa, in: Martina Lauster, Deutschland und der europäische Zeitgeist, Kosmopolitische Dimensionen in der Literatur des Vormärz, Bielefeld 1994, S. 45-62, hier S. 58. 546 Stifter, Der Nachsommer, Bd. 2, S. 175-176. <?page no="198"?> den Zeitgenossen wird der Roman historisch erst dort verortet, wo die ganzheitliche Existenz des Menschen als Bürger und sein Leben im Staat verlorenging, der Mensch sich vom Bürger entfremdet und kein ganzheitliches Leben unter dem Dach des Staates mehr möglich war. Damit wird der Roman zum Ausdruck der Vereinzelung, was der Münchener Philosophieprofessor Moriz Carrière 1854 so formuliert: „[…] das Alterthum, in welchem der Mensch ganz Bürger war und im Staat aufging, hat deswegen die Spuren und Anfänge des Romans erst da wo es sich auflöst […]“. 547 An dieser Stelle schließt sich der Kreis zum ersten Kapitel: Erst der Kulturroman übernimmt in der krisenhaft erfahrenen Gegenwart wieder die Stellung des Epos. Unter allen Romanarten des 19. Jahrhunderts ist er der einzig legitime Nachfolger dieser antiken Dichtungsart, denn er stellt ein Volk und die Gesamtheit seiner Sitten, Zustände und Verhältnisse dar. Er schildert ähnlich wie das antike Epos das Leben des Menschen in bezug auf die äußere Gesamtheit, in der er lebt: er zeigt ihn in bezug auf den Staat. Indem er das beschreibt, was den Menschen zum Menschen macht, behandelt der Kulturroman den Menschen als Bürger. Hier kommt auch im Roman zum Ausdruck, was bereits wesentlich für die theoretische Definition von Kultur war: Kultur nimmt eine Mittlerstellung zwischen den innerlich-humanistischen und der äußerlich-politischen Überlegungen zum menschlichen Wesen und dessen Bestimmung ein. Die Verbindung zwischen Kultur und Roman ist also in letzter Konsequenz ein Mittel der Humanisierung, die in einer Zeit, die sich durch zahllose Versuche auszeichnet, eine neue Staatsform zu etablieren, eine nicht zu übersehende politische Komponente hat. Es nimmt daher kaum wunder, daß im Vormärz auch von staatswissenschaftlicher Seite der Versuch unternommen wird, den Roman zumindest theoretisch als gleichberechtigtes Instrument der Staatslehre zu etablieren 548 . So schreibt beispielsweise der liberale Staatswissenschaftler Robert von Mohl 1845: „Namentlich aber scheint die jetzige Zeit zu einer genaueren Beachtung dieser staatlich-dichterischen Werke besonders aufgefordert zu seyn“ 549 . Was aber versteht Mohl genau unter „diese[n] staatlich-dichterischen Werke[n]“? In welcher romantheoretischen Tradition stehen sie und wie verhalten sie sich zum Kulturroman? Staats- und Verfassungsvorstellungen 191 547 Carrière , Das Wesen und die Formen der Poesie, S. 182. 548 Robert [von] Mohl, Die Staats-Romane, ein Beitrag zur Literatur-Geschichte der Staatswissenschaften, in: Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft 2 (1845), S. 24-74 (im folgenden zitiert als: Mohl, Die Staats-Romane). 549 Ebd., S. 25. <?page no="199"?> V. K -  S  1867 bezeichnete Jacob Burckhardt rückblickend das 19. Jahrhundert, insbesondere die Zeit zwischen 1830 und 1860, als „Revolutionszeitalter“, das sich vor allem durch einen neuen „Begriff vom Staat“ auszeichne 1 . Diese Diagnose ist nicht erstaunlich, wenn man an die Vielzahl der politisch-philosophischen Verfassungsschriften 2 des Vormärz denkt. In diesen Zusammenhang gehört auch das Nachdenken über die Verbindung von poetischem Ausdruck und Staatsform, das allerdings nicht auf diese Zeit beschränkt ist. Schon seit Mitte des 18. Jahrhunderts 3 wird der Roman auch in Deutschland als mögliches Instrument für derartige Überlegungen in Betracht gezogen. Einen Höhepunkt erreichen solche Reflexionen mit dem Aufsatz „Die Staatsromane. Ein Beitrag zur Literaturgeschichte der Staatswissenschaften“ 4 von Robert von Mohl, der in seiner ersten Fassung drei Jahre vor der Märzrevolution veröffentlicht wurde 5 , den Begriff „Staatsroman“ als Gattungsbegriff einführte und populär machte 6 . 1 Jacob Burckhardt, Historische Fragmente aus dem Nachlaß, hrsg. von Emil Dürr, Berlin und Leipzig 1929 (= Jacob Burckhardt Gesamtausgabe, Bd. 7, Weltgeschichtliche Betrachtungen, Historische Fragmente), S. 211-466, hier S. 420-423. 2 Zu nennen wären hier, neben den Schriften Robert von Mohls, vor allem diejenigen von Carl von Rotteck, Carl Welcker, Leopold August Warnkönig, Romeo Maurenbrecher, Carl Ludwig von Haller und Heinrich Leo. Überdies setzten sich auch Romanciers mit derartigen Fragen auseinander, wie vielleicht das Beispiel von Eichendorffs historischpolitischen Schriften am deutlichsten zeigt. 3 Hier ist vor allem an Johann Heinrich Gottlieb Justi zu denken, an den man sich heute hauptsächlich als Staatswissenschaftler erinnert, der aber auch einen Staatsroman verfaßte und in seinen theoretischen Abhandlungen durchaus über den Zusammenhang von Staat und Roman reflektierte. Vgl. hierzu: Johann Heinrich Gottlob von Justi, Die Wirkungen und Folgen sowohl der wahren, als der falschen Staatskunst in der Geschichte des Psammitichus Königes von Egypten und der damaligen Zeiten, [1. Bd.] Frankfurt und Leipzig 1759 (im folgenden zitiert als Justi, Die Wirkungen und Folgen); vor allem die darin enthaltene Vorrede. 4 Mohl, Die Staats-Romane. Vgl. S. 191 Anm. 548. 5 Der Aufsatz von 1845 wurde in leicht erweiterter und veränderter Form zehn Jahre später in Mohls „Geschichte der Staatswissenschaften“ aufgenommen: Die Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften, in Monographien dargestellt von Robert von Mohl, 1. Bd., Erlangen 1855, S. 167-214. Den folgenden Überlegungen liegt die ursprüngliche Fassung zugrunde. 6 Der Begriff „Staatsroman “ erschien erstmals 1715 im Titel der deutschen Übersetzung von Fénélons Roman „Les aventures de Télémaque“: Staats-Roman, welcher unter der Kultur- und Staatsroman Kultur- und Staatsroman <?page no="200"?> Ausgangspunkt für Mohls Überlegungen ist die Beobachtung, daß seit dem 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart hinein Staatsromane zwar eine verbreitete Gattung sind, von der Staatswissenschaft aber häufig nicht ernstgenommen werden, weil sie ihre Gedanken nicht schulgerecht als Dogma entwerfen, sondern mit Hilfe poetischer Bilder veranschaulichen. Mohl wendet sich gegen diese Mißachtung, indem er die Fähigkeit des Romans betont, dem Einzelnen abstrakte Inhalte sinnlich vermitteln zu können: „Wo liegt das Uebel, wenn eine gefällige Dichtung die Paragraphen eines Lehrgebäudes mit Fleisch und Blut bekleidet, damit man deutlicher sehe und gleichsam miterlebe, was sie beabsichtigen und zu Stande bringen“ 7 . Als Charakteristikum des Staatsromans stellt Mohl vor allem dessen opponierende und reformierende Qualitäten heraus, die eine Diskrepanz zwischen idealem Anspruch und der Wirklichkeit des Staates hervorheben. Darüber hinaus beabsichtige diese Art des Romans nicht nur eine Neugestaltung des Staates, sondern eine grundlegende Umformung der bürgerlichen Gesellschaft; diese solle vor allem durch alternative Formen im Bereich von Besitz, Ehe und Familie sowie Erziehung beschrieben werden 8 . Damit sind inhaltliche Komponenten zentral für die Definition des Staatsromans geworden, seine ästhetischen Werte hingegen spielen nur eine untergeordnete Rolle 9 . Mohl versteht denn auch konsequenterweise unter dieser Gattung die Gesamtheit „alle[r] Dichtungen […], welche die Schilderungen eines idealen Gesellschafts- oder Staatsleben zum Gegenstande haben“ 10 . Kultur- und Staatsroman 193 denckwürdigen Lebens-Beschreibung Telemachi, Königl. Printzens aus Ithaca und Sohn des Ulysses vorgestellet, wie Die Königl. und Fürstl. Printzen zur Staats-Kunst u. Sitten-Lehre anzuführen, durch Franciscum de Salignac de la Mothe-Fenelon, Erz. Bischoffen zu Combray, in Französischer Sprache beschrieben/ und aus derselben ins Teutsche übersetzt durch Talandern, Breßlau 1715 (im folgenden zitiert als: Fénélon, Telemach). Im 18. Jahrhundert taucht der Begriff ebenfalls dann und wann in Romanen und romantheoretischen Überlegungen auf. Es folgt Mitte des 19. Jahrhunderts der zitierte Aufsatz von Robert von Mohl, in dessen Gefolge der Begriff „Staatsroman“ so wohl Eingang in die literaturwissenschaftliche als auch in die staatswissenschaftliche Literatur gefunden hat. Der Staatsroman steht in der Tradition des höfischen Barockromans und des Fürstenspiegels . Eine einwandfreie Unterscheidung zwischen Staatsroman und Utopie ist nicht möglich. Darüber hinaus weist der Staatsroman Verwandtschaft zur Satire auf. Zur Begriffsgeschichte vgl.: Werner M. Bauer, Staatsroman, in: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, 4. Bd., begründet von Paul Merker und Wolfgang Stammler, hrsg. von Klaus Kanzog und Achim Masser, 2. Aufl., Berlin, New York 1984, S. 169-183 (im folgenden zitiert als: Bauer, Staatsroman), hier S. 172-173. 7 Mohl, Die Staats-Romane, S. 25. 8 Ebd. 9 Das wird von Mohl auch expressis verbis so ausgedrückt: Ebd., S. 26. 10 Ebd., S. 27. <?page no="201"?> Durch eine solche Beurteilung ist der Staatsroman in unmittelbare Nähe zum Kulturroman gerückt: Ähnlich wie dieser zeichnet er sich vor allem durch Stoffe und nicht durch formale Qualitäten aus, wobei sich außerdem noch die Themen zumindest teilweise (so zum Beispiel im Falle von Ehe, Familie und Erziehung) ähneln oder gar überschneiden. Auch er zielt auf die Darstellung eines optimalen Verhältnisses von Einzelnem und Gemeinschaft ab und prangert zu diesem Zweck Mißstände der Gegenwart an. Als Mittel hierfür benützt er ebenfalls eindrücklich-dichterische Bilder, die zum kritischen Überdenken der realen Verhältnisse 11 anleiten sollen. Ist es vor dem Hintergrund dieser fundamentalen Gemeinsamkeiten überhaupt noch legitim, vom „Kulturroman“ zu sprechen, oder wird dieser Typus durch den Staatsroman, der schon länger bekannt und auch in der Forschung gebräuchlich ist 12 , obsolet? Eine Antwort auf diese Frage findet sich wiederum in den Bemühungen des 19. Jahrhunderts, die Gattung Staatsroman zu definieren. Mohls Aufsatz, der eine auflistende Inhaltsangabe der einzelnen Werke nach ihrer Entstehungszeit enthält, beginnt mit dem Hinweis, daß eine derartige Aufzählung gewöhnlich mit Platons „Zehn Büchern vom Staate“ und den „Gesetzen“ eröffne, um sich dagegen abzugrenzen: Platon gebe zwar Regeln für ideale Staatszustände, habe aber keinen Roman geschrieben 13 . Interessant seien seine Schriften hauptsächlich deswegen, weil sie einen durch und durch bürgerlichen Staat darstellten 14 , in dem es noch keine Diskrepanz zwischen vorbildlichem Anspruch und Wirklichkeit gebe, sondern vielmehr beides zusammen- 194 Kultur- und Staatsroman 11 Ebd., S. 63. 12 Die wichtigsten Werke zum Staatsroman seit Mohls Aufsatz sind: Friedrich Kleinwächter, Die Staatsromane, Ein Beitrag zur Lehre vom Communismus und Socialismus, Wien 1891; Max Widmann, Albrecht von Hallers Staatsromane und Hallers Bedeutung als politischer Schriftsteller, Eine literargeschichtliche Studie, Biel 1894; Joseph Prÿs, Der Staatsroman des 16. und 17. Jahrhunderts und sein Erziehungsideal, Reprint der Ausgabe Würzburg 1912, Leipzig 1973; Anneliese Frey, Albrecht von Hallers Staatsromane, Leipzig 1928; Hans-Jürgen Schings, Der Staatsroman im Zeitalter der Aufklärung, in: Helmut Koopmann (Hrsg.), Handbuch des deutschen Romans, Düsseldorf 1983, S. 151-169; Bauer, Staatsroman; Thomas Höhle, Wieland und die verpönte Gattung des Staatsromans, in: Ders. (Hrsg.), Wieland-Kolloquium Halberstadt 1983, Halle/ Saale 1985, S. 41-60; Josef Niedermeier, Naturwissenschaften und Technik in den utopischen Staatsromanen des 16. und 17. Jahrhunderts, Von Thomas Morus bis Francis Bacon, Wetzlar 1996 (= Schriftenreihe und Materialien der Phantastischen Bibliothek Wetzlar, Bd. 12); Sandra Pott, Staatslehre und Staatsroman zwischen 1845 und 1900, Zur Rezeption britischer Literatur in den Auseinandersetzungen über die narrativen Darstellungsformen für soziale Entwicklungen, in: Norbert Bachleitner (Hrsg.), Beiträge zur Rezeption der britischen und irischen Literatur des 19. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum, Amsterdam-Atlanta, 2000, S. 501-521. 13 Mohl, Die Staats-Romane, S. 27-28. 14 Ebd., S. 32. <?page no="202"?> falle. Da ein kritisches Bewußtsein der staatlichen Realität gegenüber aber grundlegend für den Staatsroman sei, habe weder die klassische Antike noch das Mittelalter einen solchen hervorgebracht. Erst das beginnende 16. Jahrhundert leide unter dem Mißverhältnis von Ideal und tatsächlichen Gegebenheiten, weshalb in dieser Zeit der erste Staatsroman entstanden sei, der diesen Namen verdiene: Mohl nennt ausdrücklich Thomas Morus‘ „Utopia“ 15 , die er als Prototyp der Gattung bis in die Gegenwart begreift 16 . Was folgt, ist eine chronologische Übersicht der Staatsromane zwischen 1516 und 1842 17 , die mehr oder weniger additiv ist. Allerdings sieht dieser Abriß eine Zäsur um 1700 vor, die deswegen nicht uninteressant ist, weil sie eine deutliche Qualitätsdifferenz zwischen dem aufgeklärten Staatsroman und seinen früheren Vorläufern bezeichnet: „Mit Voirasse aber erlosch wieder auf ein ganzes Jahrhundert das Geschlecht der Schriftsteller, welche den Staats-Roman auf eine ansprechende und namentlich seinen oppositionellen Grundgedanken festhaltende Weise zu gebrauchen wussten. Nicht, dass es dem 18ten Jahrhunderte an dichterischen Gebilden vom Staate gefehlt hätte; im Gegentheile sie sind häufiger als je: allein sie sind flau und unbedeutend“ 18 . Damit ist das 18. Jahrhundert als Blütezeit des Staatsromans ausgewiesen; auch der Vorwurf, daß die Staatsromane dieser Zeit nur eine Schwundstufe derjenigen des 16. und 17. Jahrhunderts seien, spricht nicht dagegen. Im Gegenteil: Gerade durch den formulierten Tadel wird der aufgeklärte Staatsroman in seiner Neuartigkeit akzentuiert; das Urteil, er sei flau und unbedeutend, weist darauf hin, daß er nicht nur quantitativ zugenommen, sondern auch seine Qualität verändert hat. - Warum aber faßt Mohl den Staatsroman der Aufklärung so negativ auf? Inwieweit wird er in seiner Interpretation durch die tatsächliche Romanproduktion von Wieland, Haller und Loen bestätigt oder widerlegt 19 ? Was ergibt sich aus dieser Analyse letztlich für das Verständnis des Romans der Märzjahre? Mit anderen Worten: Wie erscheint vor diesem Hintergrund das Verhältnis von Staats- und Kulturroman? Kultur- und Staatsroman 195 15 Ebd., S. 34. 16 Ebd., S. 33-34. 17 Als letztes und aktuellstes Beispiel des Staatsromans wählt Robert von Mohl „Die Reise nach Ikarien“, die von Etienne Cabet erstmals 1842 in französischer Sprache veröffentlicht wurde: Ebd., S. 57. 18 Ebd., Die Staats-Romane, S. 50. 19 Diese drei Autoren sind wohl die bekanntesten Vertreter der Gattung. Haller wird von Robert von Mohl selbst als exponierter Vertreter des aufgeklärten Staatsromans genannt. Ebd., S. 54-55. <?page no="203"?> Der Staatsroman des 18. Jahrhunderts Der Staatsroman des 18. Jahrhunderts lege - so Mohl - im Gegensatz zu seinen Vorläufern zu starkes Gewicht auf die Schilderung der realen Mißstände und zu wenig Wert auf die Gestaltung von Gegenvorstellungen 20 . Dieser Vorwurf erhält vor dem Hintergrund der allgemeinen Romandiskussion der Zeit jedoch ein anderes Gewicht. Gerade der Staatsroman wird bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts deswegen hochgeschätzt, weil er nicht in den Fehler der anderen Romangattungen verfällt, nur von „erdichteten Begebenheiten“ 21 zu berichten. So merkt Johann Heinrich Gottlieb Justi, der neben seinen staatswissenschaftlichen Schriften 22 auch einen Staatsroman 23 verfaßt hat, in einer Abhandlung über den Roman an, daß die Romanlektüre zwar vergnüglich und wirkungsvoll sei, aber den Nachteil habe, erfundene Ereignisse zu präsentieren, die keinen Bezug zur Realität haben. Deshalb plädiert er für die Behandlung von wahren Begebenheiten im Roman, wobei er darunter tatsächlich die Gegenstände des Staates versteht 24 . So ist das, was Robert von Mohl 196 Kultur- und Staatsroman 20 Ebd., S. 53. 21 Johann Heinrich Gottlob Justi, Vorrede, in: Die Wirkungen und Folgen, [nicht paginiert], [S. 8]. Diese Überlegungen müssen in die allgemeine kunsttheoretische Debatte der Aufklärung, ob ein Kunstwerk ausschließlich die Realität zu beschreiben habe oder auch das Phantastische einbeziehen dürfe, eingeordnet werden. Einen Höhepunkt erreichte diese Auseinandersetzung in den Streitschriften, die zwischen Gottsched einerseits und Bodmer und Breitinger andererseits getauscht wurden. Johann Christoph Gottsched, Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen, Leipzig 1730; Johann Jakob Bodmer, Critische Abhandlung von dem Wunderbaren in der Poesie und dessen Verbindung mit dem Wahrscheinlichen, Zürich 1740; Johann Jacob Breitinger, Critische Dichtkunst, Zürich/ Leipzig 1740. 22 Hier sind in erster Linie folgende zu nennen: Johann Heinrich Gottlob Justi, Vermischte Anmerkungen welche verschiedene merkwürdige die Staatsklugheit, das Kriegswesen, die Sittenlehre, die oeconomischen und dahingehörigen Cameral-Commercien und Policeywissenschaften, wie auch das Justizwesen betreffende Sachen abhandeln, Wienn [sic! ] 1750; ders., Die Natur und das Wesen der Staaten, Berlin 1760; ders., Die Grundfeste zu der Macht und Glückseeligkeit der Staaten oder ausführliche Vorstellung der gesamten Policey-Wissenschaft, 2 Bde., Königsberg 1760-1761; ders., Vergleichung der Europäischen mit den asiatischen und andern vermeintlich barbarischen Regierungen, Berlin 1762; ders., Ausführliche Abhandlung von denen Steuern und Abgaben, Königsberg 1762; ders., System des Finanzwesens, Halle 1766; ders., Betrachtungen über den Ackerbau, o. O. 1767. 23 Justi, Die Wirkungen und Folgen. Der zweite Band des Romans erschien 1760 ebenfalls in Frankfurt und Leipzig. 24 Justi, Vorrede, in: Die Wirkungen und Folgen, [S. 14-16]. Hier wird auch bei Loen steht die bereits bekannte Absicht im Vordergrund, der Roman möge das wirkliche Leben schildern. Johann Michael von Loen, Die vertheidigte Sitten-Lehre durch Exempeln, in: Des Herrn von Loen gesammelte Kleine Schriften besorgt und hrsg. von J. C. Schneidern, Bd. 3, Faksimiledruck der Ausgabe Frankfurt, Leipzig 1751, Frankfurt/ Main Der Staatsroman des 18. Jahrhunderts <?page no="204"?> rund hundert Jahre später als Mangel kritisiert, in der Entstehungszeit des aufgeklärten Staatsromans sein eigentliches Kapital. Er kann Realität darstellen oder, um mit Novalis zu sprechen: der Staatsroman handelt vom Leben 25 . Damit sind seine Themen einerseits sehr weit gefaßt, andererseits werden sie durch die verschiedenen staatlichen Elemente enggeführt. Dem absolutistischen System 26 entsprechend, das dem aufgeklärten Staatsroman zugrunde liegt, ist es in erster Linie der Fürst, der im Mittelpunkt seines Interesses steht. Es liegt daher in der Natur der Sache, wenn Mohl als Urbild des neuen Staatsromans Fénélons „Telemach“ ansieht 27 , der in der Tat als gattungsbegründend verstanden werden kann; zumindest beziehen sich fast alle Autoren des aufgeklärten Staatsromans auf ihn 28 . So geht beispielsweise aus einer Schrift von Johann Michael von Loen, in der dieser sich gegen eine negative Rezension seines eigenen Romans verteidigt, hervor, daß Fénélons „Telemach“ ihm Pate gestanden hat: „Einer der größten Prälaten unserer Zeiten ich meyne den berühmten Herrn von Fenelon […] fand die Iliade des Homerus geschickt eine Erfindung daraus zu entlehnen, die zur Unterweisung eines zur Französischen Krone gebohrnen Prinzen Der Staatsroman des 18. Jahrhunderts 197 1973, S. 387-400, hier S. 397 (im folgenden zitiert als: Loen, Die vertheidigte Sitten-Lehre durch Exempeln). 25 Novalis , Vorarbeiten zu verschiedenen Fragmentsammlungen, S. 570. Auch Robert von Mohl macht ausdrücklich auf die Eignung des Staatsromans für das Leben aufmerksam. Mohl, Die Staats-Romane, S. 73. 26 Besonders deutlich wird der Zusammenhang von Absolutismus und Staatsroman in Albrecht von Hallers Romantrilogie, die unterschiedliche Staatsformen erprobt. In diesem Sinne formuliert Haller seine Absicht in der Vorrede zu „Fabius und Cato“: „Im Usong habe ich einen orientalischen Despoten das schädliche und übermäßige seiner zügellosen Macht einschränken lassen; im Alfred die gemäßigte Monarchie, entworfen; und hier handle ich nunmehr von der Republik, und von den Vorzügen der Aristokratie in einem mittelmäßigen Staate“. [Albrecht von Haller], Fabius und Cato, Ein Stück der Römischen Geschichte, Bern und Göttingen 1774, S. XI-XII (im folgenden zitiert als: Haller, Fabius und Cato). Wenige Seiten später spricht sich Haller dann ausdrücklich gegen eine demokratische und für eine, durch die Aristokratie gemilderte, absolutistische Staatsform aus. Ebd., S. XIV-XVI. 27 Mohl, Die Staats-Romane, S. 50. 28 [Johann Michael von Loen], [Vorbericht zu] Der redliche Mann am Hofe, Oder die Begebenheiten Des Grafen von Rivera, In einer auf den Zustand der heutigen Welt gerichteten Lehr- und Staats-Geschichte, Vorgestellt von Dem Herrn von ***, Faksimiledruck der Ausgabe Frankfurth/ Mayn 1742, Stuttgart 1966 (im folgenden zitiert als: Loen, Der redliche Mann am Hofe), [nicht paginiert] [S. 1]. Justi, Vorrede, in: Die Wirkungen und die Folgen, [S. 10], Haller, Fabius und Cato, S. VIII. [Anonym], [Besprechung von Chr. M. Wielands Roman] Der goldene Spiegel, oder die Könige von Scheschian, eine wahre Geschichte, 4 Theile, 8 o bei Weidmans Erben und Reich, in: Auserlesene Bibliothek der neuesten deutschen Literatur 3 (1773), S. 134-160 (im folgenden zitiert als: Anonym, Besprechung des goldenen Spiegels), hier S. 140. <?page no="205"?> dienen solte. Er verfertigte in dieser Absicht die Begebenheiten des Telemachs, ein von aller Welt bewundertes episches Gedicht, welches sonder Zweifel dessen unsterbliche Feder bey der Nachwelt in gleichem Ruhm erhalten wird. Man nenne dieses Buch einen Roman; man sage, daß es sich für niemanden weniger schicke, als für einen so grossen Geistlichen, sich mit heidnischen Fabeln und Gedichten aufzuhalten, um dadurch einen jungen Prinzen die Tugend, die Weißheit und die erhabenste Staats-Kunst zu lehren; man schreibe darüber hundert Criticken, und mache das Unternehmen so lächerlich als man will: Das Schöne und das Gute hat allein das Recht der Menschen Herzen zu rühren; es gefällt; man mag es so verdächtig machen als nur möglich ist“ 29 . Hier fällt zunächst der Rückgriff auf Homer auf, der freilich im Telemach- Stoff begründet ist, außerdem aber zeigt, daß auch der Staatsroman wie alle anderen Romanunterkategorien erst durch das antike Epos Diginität und Autorität erhält. Überdies ist diese Verteidigungsrede deswegen interessant, weil sie aufgeklärte Mitleidsästhetik ins Feld führt 30 , die auch der Kulturroman als Wirkungsweise beansprucht; hier wird sie vor allem als Mittel der Fürstenerziehung verstanden, die tatsächlich zentral im aufgeklärten Selbstverständnis ist: Mit dieser Zielsetzung wird der Staatsroman sogar von denjenigen Autoren legitimiert, die dem „politische[n] Romane“ skeptisch gegenüberstehen und in ihm nur einen Nutzen sehen, wenn er Fürstenlektüre ist 31 . Gerade die Orientierung am Fürsten ist aber ein Grund für Mohl, den aufgeklärten Staatsroman so überaus negativ zu beurteilen: In seinen Ausführungen macht er hinreichend deutlich, daß dieser die quasi-demokratische Tradition seiner Vorläufer des 16. und 17. Jahrhunderts nicht weiterführt, sondern vielmehr zu einer aristrokratischen Form mutiert 32 . Mohl übersieht hierbei allerdings, daß der aufgeklärte Staatsroman der adeligen Lebensweise keines- 198 Kultur- und Staatsroman 29 Loen, Die vertheidigte Sitten-Lehre durch Exempeln, S. 389-390. 30 Daß diese Absicht tatsächlich von Fénélon vertreten wird, geht aus dem „Telemach“ selbst hervor: „Denn welcher Mensch kann wohl weislich regieren, der niemals gelidten hat, und der niemals aus dem, was er ausgestanden, und wo hinein ihn sein Verstehen geführet, einen Nutzen gezogen“. Fénélon, Telemach, S. 349-350. 31 Anonym, Besprechung des goldenen Spiegels, S. 141. Jedoch wird hier auch bezweifelt, ob ein Fürst in dieser Welt einen politischen Roman lesen würde: „Wie viel Regenten, meint aber Herr W. wohl, werden seinen Roman lesen? Wie viele, wenn sie ihn auch alle lesen, werden sich in einem Gemählde erkennen, wo der Verfasser sich so viel Mühe gegeben hat, jeden Zug zu entstellen? Das würde fast keiner thun, und wenn es tausendmal treffender gezeichnet wäre, als es ist“. Äußerungen dieser Art zeigen zumindest, daß der „politische Roman“ im 18. Jahrhundert tatsächlich kontrovers diskutiert wurde. 32 In diesem Sinne bewertet Mohl Fénélons Roman folgendermaßen: „Gleich das erste Buch, auf welches wir itzt [im 18. Jahrhundert] stossen, nämlich Fénelon ‘s Telemach, verdient diesen Tadel [gemeint ist, daß der Staatsroman flau und unbedeutend wurde] nur allzureichlich. […] Sein wesentlicher Zweck und Inhalt ist nicht, das Ideal eines Staates in dichterischem Bilde zu geben; sondern es soll ein junger Fürst Unterricht über seine Pflichten in allen Lebensverhältnissen erhalten“. Mohl, Die Staats-Romane, S. 50. <?page no="206"?> wegs so sehr verpflichtet ist, wie er denkt. Aus diesem Grund verkennt er auch die utopischen Gegenvorstellungen, die der aufgeklärte Staatsroman entgegen seiner Annahme entwirft: Loen, Wieland und Haller haben durchaus ideale Alternativvorschläge in ihre Romane integriert; so wird beispielsweise im elften Buch von Loens Roman ein musterhaftes Staatswesen mit dem Namen „Christianopolis“ entworfen, das alle Merkmale des utopischen Romans des 16. und 17. Jahrhunderts aufweist 33 . Auch der damit zusammenhängende Tadel, der aufgeklärte Staatsroman lasse die Idee der Sittlichkeit vermissen, auf der ein idealer Staat gegründet sein müsse 34 , kann widerlegt werden. Gegen diese Behauptung spricht abermals die praktische Staatsromanproduktion der Aufklärung, die sich in erster Linie auf ethische Grundsätze stützt. Ein Titel wie „Der redliche Mann am Hofe“ spricht für sich. Aber auch Haller und Wieland berufen sich auf „Tugenden“ 35 , die sie durch ihre Romane vermitteln wollen, und die als Basis eines verbesserten Staates dienen sollen. Nachdem der fiktive Übersetzer des „Goldenen Spiegels“ in einer Zueignungsrede dem Kaiser Tai-Tsu dargelegt hat, daß er von lasterhaften Höflingen umgeben ist, welche die Umsetzung seiner tugendhaften Ideen verhindern, wobei sie sich selber den Anschein der Moral gegeben haben, erklärt er, daß die Augen des Fürsten geschärft werden müssen, um diese Verhältnisse zu durchschauen: „Aus diesem Grund empfehlen uns die ehrwürdigen Lehrer unsrer Nation die Geschichte der älteren Zeiten als die beste Schule der Sittenlehre und der Staatsklugheit, als die lauterste Quelle dieser erhabenen Philosophie, welche ihre Schüler weise und unabhängig macht […]“ 36 . Der Staatsroman des 18. Jahrhunderts 199 33 Zumal die Erfindung „Christianopolis“ auf Johann Valentin Andreae zurückgeht, der sie in seiner „Republicae Christianopolitanae Descriptio“ 1619 entwirft. Die Verbesserung des Staates ist eines der Hauptthemen von Johann Michael von Loen, dem er sich auch in anderen Schriften intensiv widmet. So beispielsweise in einer mit dem Titel „Des Herrn von Loen Entwurf einer Staats-Kunst, Worinn die natürlichste [sic! ] Mittel entdeckt werden, ein Land mächtig, reich, und glücklich zu machen“ (3. Aufl., Frankfurt, Leipzig 1751). Dem Roman folgt ein Anhang, der auch in der fiktiven Romanhandlung eine Rolle spielt (Loen, Der redliche Mann am Hofe, S. 388), und die Überschrift „Freye Gedancken Von der Verbesserung des Staates“ hat: Ebd. S. 537-576. Hier übt Loen vor allem Kritik am Absolutismus, um gleichzeitig Verbesserungsvorschläge für den als schlecht erkannten Zustand der Gegenwart anzubringen. Zu diesem Zweck strukturiert er seine Überlegungen nach den einzelnen gesellschaftlichen Schichten, weist ihre spezifischen Mißstände nach, gibt Empfehlungen, wie diese aus der Welt zu räumen seien, und legt die Verzahnungen und Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den einzelnen Abteilungen dar. 34 Mohl, Die Staats-Romane, S. 52. 35 Albrecht von Haller, Vorrede, in: Alfred König der Angel-Sachsen, von Albrecht von Haller, Göttingen und Bern 1773, [Vorrede nicht paginiert], [S. 6]. 36 [Christoph Martin Wieland], Zueignungsschrift des chinesischen Uebersetzers an den Kayser Tai-Tsu, in: Der Goldene Spiegel oder die Könige von Scheschian, Eine wahre Geschichte, Aus dem Scheschianischen übersetzt, Leipzig 1772, S. III-XXIV, hier <?page no="207"?> Gerade die Tatsache, daß sich die utopischen Elemente des aufgeklärten Staatsromans aus dem bürgerlichen Werte- und Tugendkanon speisen, macht es für Mohl schwierig, anzuerkennen, daß dieser Romantypus überhaupt Gegenvorstellungen aufweist. Damit ist der aufgeklärte Staatsroman in seinem Verständnis zum Inbegriff einer aristrokratischen und antibürgerlichen Form geworden, die von Mohls liberalem Standpunkt überwiegend kritisch betrachtet wird 37 . Aufgrund dieser Perspektive ergibt sich auch die letzte Fehleinschätzung, die dieses Mal allerdings nicht zu einer Abwertung führt, sondern den Grund für eine punktuell positive Bewertung liefert: Die Gattung Staatsroman, die von Mohl durchaus europäisch aufgefaßt wird, erhält im 18. Jahrhundert ihre deutsche Ausprägung 38 . Diese Behauptung ist nur mit einer Einschränkungen richtig. Bereits zwischen 1614 und 1620 (wahrscheinlich 1615) verfaßte Johann Valentin Andreae das in deutscher Sprache gehaltene Versepos „Die Christenburg“ 39 , das allerdings nicht veröffentlicht wurde und als ein „Entwurf“ zu dem kurze Zeit später publizierten Roman „Reipublicae Christianopolitanae Descriptio“ 40 verstanden werden kann. Damit wird deutlich, daß ein deutscher Staatsroman tatsächlich erst im 18. Jahrhundert geschrieben wurde, daß sich gleichwohl schon früher deutsche Gelehrte dieser Gattung aus der gemeinsamen europäischen und abendländischen Tradition der klassischen Antike angenommen haben. Auf diese Weise entspricht der (Staats-)Roman im Denken des 19. Jahrhunderts einer Forderung, die der liberale Literaturwissenschaftler Robert Prutz im Rahmen eines literarhistorischen Überblicks über den Roman der Gegenwart gestellt hat: „[…] zum Humanismus soll sich das Nationalgefühl, zum Kosmopolitismus der Patriotismus gesellen; wir wollen Menschen bleiben, aber zugleich Bürger werden“ 41 . 200 Kultur- und Staatsroman S. XVIII (Hervorhebung der Autorin). Hier fällt die grundlegende historische Perspektive auf, die auch charakteristisch für den Kulturroman ist. 37 Zu Robert von Mohls politischer Einstellung vgl. Erich Angermann, Robert von Mohl 1799-1875, Leben und Werk eines altliberalen Staatsgelehrten, Neuwied 1962 (= Politica, Abhandlungen und Texte zur politischen Wissenschaft, Bd. 8). 38 Mohl, Die Staats-Romane, S. 51. 39 Die Christenburg, allegorisch-epische Dichtung von Johann Valentin Andreä, Nach einer gleichzeitigen Handschrift hrsg. von D. Carl Grüneisen, in: Zeitschrift für die historische Theologie 6 (1836), S. 231-311. Zu den Entstehungsdaten vgl. ebd., S. 233. 40 [Joh. Valentinus Andreae], Republicae Christianopolitanae Descriptio, o. O. 1619. Vgl. hierzu auch: Richard van Dülmen, Einleitung, in: Joh. Valentin Andreae, Christianopolis 1619, Originaltext und Übertragung durch D. S. Georgi 1741, eingeleitet und hrsg. von Richard van Dülmen, Stuttgart 1972, S. 11-19 (= Quellen und Forschungen zur Württembergischen Kirchengeschichte, Bd. 4). 41 Robert Prutz, Die deutsche Literatur der Gegenwart, 1848 bis 1858, Bd. 1, Leipzig 1859, S. 20. Überdies führt der Verfasser im Vorwort zu dieser Literaturgschichte den Zusammenhang von Nationalbildung und Literatur genauer aus. Ebd., S. V-VIII. <?page no="208"?> Hier wird bezeichnenderweise Bezug auf das Verhältnis von Mensch und Bürger genommen, das einerseits abermals unterstreicht, wie sehr gerade im 19. Jahrhundert Staatstheorie und -philosophie den Roman bestimmt haben, andererseits auf die Kulturdiskussion zurückweist, in der die Beziehung von Mensch und Bürger ebenfalls in besonderem Maße reflektiert wurde 42 . So stellt sich an diesem Punkt endgültig die Frage, wie sich Staats- und Kulturroman zueinander verhalten. Zum Verhältnis von Staats- und Kulturroman Die vielen Berührungspunkte zwischen Staats- und Kulturroman haben ihre Ursache in erster Linie in dem gemeinsamen romantheoretischen Hintergrund, der sich in der Mitte des 18. Jahrhunderts konstituiert und rund hundert Jahre mit denselben Versatzstücken arbeitet: Der Roman muß den Vergleich mit dem antiken Epos aushalten und kann sich diesem gegenüber nur durch das Versprechen legitimieren, äußere Wirklichkeit in ihrem Ungenügen darzustellen und ein ideales Gegenbild zu entwerfen, in dem der Einzelne sich in einem gelungenen Verhältnis zur Allgemeinheit befindet. Mit dieser Forderung geht die rezeptionsästhetische Ausrichtung des Romans einher, welche die Entwicklung des Lesers von einem kontemplativen zu einem aktiven, sozialen und im weitesten Sinne politischen Leben beinhaltet. Der Roman soll durch den Leser die (staatliche) Wirklichkeit, in der sich dieser befindet, verändern: Durch den aufgeklärten Staatsroman soll der Fürst zum Menschen erzogen und damit zum idealen Herrscher gemacht werden; durch den Kulturroman des Vormärz soll der Mensch so gebildet werden, daß er seinen „Beruf als Mensch und als Staatsbürger“ 43 in Einklang bringen kann. Damit gewinnt die Gattung Roman im Staats- und Kulturroman einerseits endgültig die Dignität, um die sie seit der Mitte des 18. Jahrhunderts immer wieder gerungen hat. Andererseits wird - und das unterscheidet Kultur- und Staatsroman - die traditionelle Absicht des aristokratischen Staatsromans unter bürgerlichen Vorzeichen wieder aufgenommen und durch den Begriff „Kultur“ spezifiziert. Zum Verhältnis von Staats- und Kulturroman 201 42 Vgl. hierzu: S. 32-34. 43 Gutzkow, Die Ritter vom Geiste, S. 2215. Mit dieser Bezeichnung greift der Kulturroman auf die Übersetzung des französischen Begriffs „citoyen“ zurück und steht damit im Gefolge der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789, wie sie im 19. Jahrhundert vor allem unter den demokratisch gesinnten Liberalen anzutreffen waren. Vgl. hierzu: Manfred Riedel, Bürger, Staatsbürger, Bürgertum, in: Otto Brunner/ Werner Conze/ Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache, Bd. 1, Stuttgart 1972, S. 672-725, hier S. 683-706. Zum Verhältnis von Staats- und Kulturroman <?page no="209"?> Besonderes Gewicht erhält diese These dadurch, daß sowohl der Staatsals auch der Kulturroman einen deutlichen Gegenwartsbezug haben 44 , und gerade der Vormärz die Beziehung von Staat und Roman klar betont hat: „Namentlich aber scheint die jetzige Zeit zu einer genauern Beachtung dieser staatlich-dichterischen Werke besonders aufgefordert zu seyn“ 45 . Da aber in den 30er und 40er Jahren des 19. Jahrhunderts Zeitdiagnose in erster Linie Kulturdiagnose ist 46 , nimmt es kaum wunder, daß sich ausgerechnet in dieser Epoche der Gedanke eines „Kulturstaates“ formiert. Dieser von Fichte geprägte Begriff 47 geht von der zeitgenössischen Kulturdiskussion aus und bezeichnet eine Staatsform, welche Kunst, Wissenschaft und Bildungswesen institutionalisiert, auf diese Weise in das Staatswesen integriert und für eine nationale Identität sorgt. Dementsprechend kann der zu dieser Staatsform gehörende Roman als „Kulturroman“ bezeichnet werden. Bestätigt wird diese Annahme nicht zuletzt dadurch, daß der Staatsroman, obwohl er gerade als besonders geeignet für die Gegenwart angesehen wird, bis in die 1840er Jahre hinein so etwas wie eine „unerfüllte Gattung“ 48 bleibt. So weist Mohl ausdrücklich darauf hin, daß trotz des großen Gegenwartsbezugs des Staatsromans die meisten der in Frage kommenden Schriften schon älter seien 49 ; das einzige wirklich aktuelle Beispiel sei der 1842 in französischer Sprache veröffentlichte Roman „Die Reise nach Ikarien“ von Etienne Cabet 50 . Bemerkenswerterweise steht Mohl diesem Roman aber genauso kritisch gegenüber wie dem Staatsroman des 18. Jahrhunderts: Wirft er diesem vor, zu sehr die realen Mißstände zu beschreiben und die Utopien darüber zu vergessen, so würdigt er jenen vor allem wegen seines kritischen Potentials und der daraus 202 Kultur- und Staatsroman 44 Bezeichnenderweise sieht Mohl gerade in Zeiten wie der Gegenwart, die sich durch erhebliche Mißstände auszeichnet, ein breites Wirkungsfeld für die Staatsromane . Mohl, Die Staats-Romane, S. 62. 45 Ebd., S. 25. 46 Vgl. hierzu S. 15-18 und 46-49. 47 Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, 1. Bd., Die Grundlagen, 5. unveränderte Aufl., Freiburg 1959 [1. Aufl. 1929], S. 296-297. Zur Prägung dieses Kunstwortes durch das 19. Jahrhundert vgl. außerdem: Ernst Rudolf Huber, Zur Problematik des Kulturstaats, in: Ders., Bewahrung und Wandlung, Studien zur deutschen Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Berlin 1975, S. 295-318, hier S. 295; Wolfgang Neugebauer, Preußens Weg zum Kulturstaat, in: Politische Studien 52 (2001), S. 25-32. An anderer Stelle der Forschung ist angemerkt worden, daß der Begriff wörtlich zwar selten auftritt, daß er aber seinem Inhalt nach tatsächlich maßgeblich im 19. Jahrhundert angesiedelt ist: Hans Boldt, Staat und Souveränität, in: Otto Brunner (†)/ Werner Conze (†)/ Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Historisches Lexikon zur politischsozialen Sprache in Deutschland, Bd. 6, Stuttgart 1990, S. 1-154, hier S. 61. 48 Zur Prägung dieser Formel allerdings mit Bezug auf den Bildungsroman vgl.: Jacobs, Wilhelm Meister und seine Brüder, S. 271-278. 49 Mohl, Die Staats-Romane, S. 26. 50 Ebd., S. 57. <?page no="210"?> resultierenden Überprüfung der bestehenden Verhältnisse. Weniger hoch schätzt er jedoch seine Gegenvorschläge ein, die kommunistische Züge aufweisen und deshalb meist im Unrealistischen verbleiben 51 . Damit argumentiert Mohl im großen und ganzen einerseits gegen den Staatsroman des aufgeklärten Absolutismus, andererseits gegen den utopisch-kommunistischen der Gegenwart. Der Staatsroman des Vormärz ist damit, jedenfalls im liberalen und bürgerlichen Lager, das diese Zeit politisch und gesellschaftlich nicht unerheblich bestimmt 52 , eine Leerstelle geblieben. So stellt auch Mohl fest, daß es dem Staatsroman an rechten und durchführbaren Gegenvorschlägen zur politischen und gesellschaftlichen Realität fehle, was die Gattung unvollkommen mache 53 . Realisierbare Alternativen aber bietet der Kulturroman und vollendet damit den Staatsroman. Auf der Grundlage der aktuellen Kulturdiskussion führt er dem Leser die einzelnen kulturkonstituierenden Komponenten in ihrem Zusammenhang vor Augen, damit er die bestehenden Verhältnisse in der „Wirklichkeit“ durchschaue und gegebenenfalls verändere. Dabei kommt dem historischen Entwicklungsgedanken als erkenntnisfördernde Perspektive entscheidende Bedeutung zu. Sie enthüllt die animalischen Grundzüge des Menschen genauso wie die religiös-ethischen Werte, die diesen entgegenstehen; allein mit ihrer Hilfe kann die für alle Kulturüberlegungen fundamentale Frage nach dem Wesen des Menschen und seiner Beschaffenheit beantwortet werden. Indem der Kulturroman diese Zusammenhänge darstellt, erzieht er, ausgehend von einer Mensch-Bürger-Dichotomie, den einzelnen Menschen zum mündigen Bürger und formuliert Staats- und Verfassungsvorstellungen , in denen er sich für den Ausgleich von Individuum und Gemeinschaft einsetzt. Allerdings macht er auch deutlich, daß im zeitgenössischen Staat ein harmonisches Verhältnis beider Größen nicht möglich ist. Dementsprechend wird einerseits Kritik an einem als unmenschlich aufgefaßten Staat geübt, andererseits werden Gegenmodelle zu ihm entworfen, die aber, trotz ihres realisierbaren Anscheins, im Utopischen verbleiben. Annäherungsweise erreicht werden kann ein humaner Staat jedoch durch die ästhetische Erziehung des Einzelnen. In diesem Sinne erhält der Kulturroman seine Bedeutung, wenn er, ohne Tendenzdichtung zu sein, zum Instrument dieser ästhetischen Erziehung wird, aus der eine Verbesserung der Verhältnisse hervorgehen soll. So gerät der Kulturroman in unmittelbare Berührung mit dem Staatsroman des 18. Jahrhunderts, als dessen Nachfolger er in mancherlei Hinsicht bezeichnet werden kann. Damit aber schließt sich zwangsläufig eine Frage an, die zur zusammenfassenden Definition des „Kulturromans“ führt: Handelt es Zum Verhältnis von Staats- und Kulturroman 203 51 Ebd., S. 60-61. 52 Hierzu: Jürgen Kocka, Das lange 19. Jahrhundert, Arbeit, Nation und bürgerliche Gesellschaft, Stuttgart 2001 (= Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, 10. völlig neu bearbeitet Aufl., Bd. 13). 53 Mohl, Die Staats-Romane, S. 73. <?page no="211"?> sich hierbei tatsächlich um eine epochenspezifische Erscheinung, die abhängig von bestimmten historischen Umständen ist, oder ist er eine normative Gattung, die unter den unterschiedlichsten Voraussetzungen auftreten kann? Noch 1939 behauptet Thomas Mann, daß der deutsche Roman im 19. Jahrhundert eine Art Sonderweg eingeschlagen habe und mit der europäischen Romanproduktion nicht kompatibel gewesen sei 54 . Dieser „deutsche Sonderweg“ sei nicht zuletzt in der Tatsache zu sehen, daß in Deutschland vornehmlich „Bildungsromane“ entstanden seien: „Man sagt nicht zuviel, wenn man den Roman europäischer Prägung für eigentlich landfremd in Deutschland erklärt - womit Bedeutsames ausgesagt ist über das Verhältnis des deutschen Geistes nicht nur zu dem eingeborenen Demokratismus des Romans als Kunstform, sondern zur Demokratie überhaupt im weitesten und geistigsten Sinne des Wortes“ 55 . Damit greift auch Thomas Mann die These auf, daß ein demokratisch-politischer Roman im Deutschland des 19. Jahrhunderts eine Leerstelle ist, und verschärft sie, indem er behauptet, auch der „soziale Roman“ von Gutzkow und Immermann habe nicht ins Europäische vordringen können 56 . Erst zur Jahrhundertwende und im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts ereigne sich - so Thomas Mann - der europäische Durchbruch des deutschen Romans 57 . Mit dieser Auffassung beeinflußte Mann die Forschung zum Roman des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Daß damit wesentliche Inhalte des deutschen Romans im 19. Jahrhundert nicht berücksichtigt werden, die durchaus gesamteuropäisch zu verstehen sind, wird durch das Konzept des „Kulturromans“ gezeigt, der durch die primäre Thematisierung von Kultur die Kompatibilität des deutschsprachigen Romans mit Romanen anderer Länder herstellt, ohne allerdings deren Gebundenheit an ihre geographischen und historischen Entstehungsbedingungen zu vernachlässigen. Bestärkt wird diese Vermutung durch Walter Benjamin, der behauptet, daß der Roman zu seiner Blüte das Bürgertum (und damit ein bürgerliches Zeitalter) nötig habe. In dem Moment, in dem das Bürgertum im Absterben begriffen sei, gerate auch der Roman in eine Krise 58 . Damit erweist sich der „Kulturroman“ nicht als normative Gattung, sondern als historische Erscheinung des „bürgerlichen“ 19. Jahrhunderts, in dem er als spezifizierter und verbesserter Staatsroman erscheint. 204 Kultur- und Staatsroman 54 Thomas Mann, Die Kunst des Romans, in: Thomas Mann, Reden und Aufsätze 2, Frankfurt/ Main 1960 (= Thomas Mann, Gesammelte Werke in 13 Bdn., Bd. 10), S. 348- 362, hier S. 360. 55 Ebd., S. 361. 56 Ebd., S. 360. 57 Ebd., S. 362. 58 Walter Benjamin, Der Erzähler, Betrachtungen zum Werk Nikolai Lesskows, in: Walter Benjamin, Gesammelte Schriften, Bd. II/ 2, hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt/ Main 1977, S. 438-465, hier S. 444. <?page no="212"?> L  Stand der Bibliographie: 2003 Primärliteratur [A  ], [Besprechung von Chr. M. Wielands Roman] Der goldene Spiegel, oder die Könige von Scheschian, eine wahre Geschichte, 4 Theile, 8 o bei Weidmans Erben und Reich, in: Auserlesene Bibliothek der neuesten deutschen Literatur 3 (1773), S. 134-160. 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A   C  -L  für die Gebildeten eines jeden Standes, mit den gleichbedeutenden Benennungen der Artikel in der lateinischen, französischen, englischen und italienischen Sprache, nebst der deutschen Aussprache der Fremdwörter in 10 Bdn., hrsg. von einem Vereine Gelehrter, 2. Abdruck der 1. Original-Aufl., Bd. 2, Begl-Civ, Leipzig 1840. A   C  -L  für die Gebildeten eines jeden Standes mit den gleichbedeutenden Benennungen der Artikel in der lateinischen, französischen, englischen und italienischen Sprache, nebst der deutschen Aussprache der Fremdwörter in 10 Bdn., hrsg. von einem Vereine Gelehrter, 2. Abdruck der 1. Original-Aufl., Bd. 7, Mar-Oyb, Leipzig 1840. Literaturverzeichnis Primärliteratur <?page no="213"?> [A  , Johann Valentin], Die Christenburg, allegorisch-epische Dichtung von Johann Valentin Andreä, Nach einer gleichzeitigen Handschrift hrsg. von D. 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Aristoteles 2 Ast, Friedrich 2f., 5 Bachmann, Ingeborg 53 Bauer, Ludwig 96 Bayle, Pierre 72 Benjamin, Walter 204 Blanckenburg, Christian Friedrich von 1-5, 8 Böcklin, Arnold 88 Bodelschwingh, Ernst von 68 Bodmer, Johann Jacob 196 Börne, Ludwig 89 Breitinger, Johann Jakob 196 Bulwer, E. L. siehe Bulwer-Lytton, Edward Bulwer-Lytton, Edward 46, 63, 190 Bunsen, Christian Karl Josias von 66 Burckhardt, Jacob 43f., 100, 185, 192 Cabet, Étienne 195, 202 Campe, Joachim Heinrich 30 Carlyle, Thomas 10 Carrière, Moriz 17f., 191 Carus, Carl Gustav 48 Collin, Ludwig von 53 Dacier, Anne 72 Droste zu Vischering, Clemens August von 66-68, 70 Dubos, Jean Baptiste 72 Eichendorff, Joseph von 57, 138, 148, 182, 192 Fénelon, François de Salignac de la Mothe 72, 193, 197f. Feuchtersleben, Ernst von 112 Feuerbach, Ludwig 37f. Fichte, Johann Gottlieb 29, 41, 202 Fontane, Theodor 47 Foulon, Joseph 41 Freytag, Gustav 25 Friedrich Christian, Herzog von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg 41f. Friedrich, Caspar David 88 Geissler, Max 21 Gervinus, Georg Gottfried 96 Geßner, Salomon 116 Gibbon, Edward 56 Goethe, Johann Wolfgang von 5, 14, 19f., 25, 31, 33, 58, 147f., 165 Görres, Joseph von 57, 66, 68 Gottsched, Johann Christoph 196 Gryphius, Andreas 87 Gutzkow, Karl 24f., 44-49, 54-71, 73f., 78f., 82-86, 88-91, 94-96, 102-108, 112f., 115, 121-125, 127, 129-144 150f., 153f., 156-159, 162, 165, 168-190, 201, 204, siehe auch Bulwer, E. L. Haller, Albrecht von 195, 197, 199 - Carl Ludwig von 192 Handel, Siegmund Eduard von 101 Register Personenregister <?page no="246"?> Personenregister 239 Hardenberg, Friedrich siehe Novalis Häring, Georg Wilhelm Heinrich siehe Alexis, Willibald Hartlaub, Familie 50f., 53 - Wilhelm 25, 48, 50f., 59, 62, 65, 70-72, 75, 136 Heckenast, Gustav 2, 11, 59, 62, 73f., 85, 142, 151f., 156, 177, 187, 190 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 5, 17, 22, 33f., 36, 47-49, 126, 165f. Heine, Heinrich 59f., 89 Heller, Carl 102 Herder, Johann Gottfried 22, 27-29, 31- 34, 36f., 40, 47f., 53, 56, 71-73, 78, 90, 97, 111, 140, 160, 176 Hermes, Georg 67 Hertz, Wilhelm Ludwig 47 Hettner, Hermann 21 Hoefer, Edmund 77 Hoffmann, E. T. A. 149, 179 Hohenlohe-Kirchberg, Karl Fürst zu 65 Homer 152, 197f. Humboldt, Alexander von 22, 34f., 37, 47f., 96f., 100, 160 - Wilhelm von 22, 28, 30f., 33-36, 44, 47f., 98f. Immermann, Karl Leberecht 161, 204 Irwing, Karl Franz von 28, 32 Jean Paul 3, 15 Jenisch, Daniel 40, 73 Justi, Johann Heinrich Gottlob von 42, 192, 196f. Kant, Immanuel 22, 29f., 33-36, 38-40, 47, 73, 89, 120, 170 Karl II., Herzog von Braunschweig 50 Kauffmann, Ernst Friedrich 48 Kehrein, Joseph 177 Keller, Gottfried 21 Kleist, Heinrich von 57, 118 Knigge, Adolph von 30, 41 Kohne, Gustav 21 Kriegs-Au, Adolf von 187 Kurz, Hermann 15 Laube, Heinrich 1 Lavater, Johann Caspar 112 Leo, Heinrich 66, 70, 192 Lessing, Gotthold Ephraim 134, 157 Liebig, Justus von 81 Loen, Johann Michael von 195-199 Ludwig XIV., König von Frankreich 72 Lukács, Georg 9 Mährlen, Johannes 47f., 50, 95, 148 Malzacher, Karl 21 Mann, Thomas 204 Marggraff, Hermann 7, 14 Maurenbrecher, Romeo 192 Meinhold, Aurel Immanuel 68 - Wilhelm 24f., 44-49, 52, 55-57, 59, 61f., 64, 66, 68-71, 73f., 77f., 80f., 83, 85-87, 91, 94f., 101f., 105-107, 110f., 113f., 118ff., 123f., 127-131, 136f., 140, 143, 148-150, 154, 157, 162-165, 167f., 171, 177, 179-182, 186, 189 Mendelssohn, Moses 22, 29-32, 34, 40, 65, 73 Menzel, Wolfgang 10, 15, 16 Mohl, Robert von 191-200, 202f. More, Thomas 195 Morgenstern, Karl Simon 3, 8-10, 14-16 Mörike, Eduard 24f., 44-55, 57, 59-62, 65- 67, 69-72, 74f., 77f., 83-87, 89, 91, 95f., 98, 103, 105, 107-109, 111, 113-118, 120-133, 136, 139-141, 143, 145-148, 151, 154-156, 163, 165-168, 170, 176f., 179-182, 186, 188f. - Karl 62, 128, 180 - Klara 67 - Margarethe 67 Morus, Thomas siehe More, Thomas Möser, Justus 36 Müller, Karl 24 Müller, Johann von 97 Münch-Bellinghausen, Eligius Franz Joseph von 59 Mundt, Theodor 15, 19 Münzenberger, Hermann 1, 6f., 15f., 188 Niebuhr, Barthold Georg 58, 98-101 <?page no="247"?> Nietzsche, Friedrich 93f. Novalis 6, 17, 30, 33, 40, 144-146, 176, 197 Perrault, Nicolas 72 Pestalozzi, Johann Heinrich 65 Platon 194 Postl, Karl siehe Sealsfield, Charles Prutz, Robert Eduard 200 Raabe, Wilhelm 53 Ranke, Leopold von 93f., 98, 103 Ranzoni, Joseph 70 Richter, Johann Paul Friedrich siehe Jean Paul Riehl, Wilhelm Heinrich 18, 20f., 183f. Ringseis, Marie von 138 Ritter, Carl 97f., 100 Rosegger, Peter 21 Rosenkranz, Karl 6, 10, 15 Rotteck, Carl von 33, 78, 87, 93, 98, 111, 187, 192 Rousseau, Jean Jacques 36, 39f., 48, 65, 91 Sauvigny, Bertier de 41 Scheerbart, Paul 21 Schelling, Friedrich Wilhelm Josef 36 Schiller, Friedrich von 1-3, 22f., 33, 36f., 41f., 47, 49, 53, 62-64, 72f., 89f., 105, 108f., 114, 116-118, 126, 144, 157f., 162f., 170, 176, 186 Schirges, Georg 60 Schlegel, Friedrich von 2, 6f., 17, 30, 33, 36, 72, 108, 144-146, 148 Schlözer, August Ludwig von 36 Schmidlin, Familie 96 Schmidt, Julian 14, 16f., 25, 56 Schnitzler, Arthur 53 Schopenhauer, Arthur 10f., 30, 110 Schücking, Levin 190 Scott, Walter 11, 190 Sealsfield, Charles 21 Speeth, Margarethe siehe Mörike, Margarethe Stifter, Adalbert 2, 11, 14, 24, 44-49, 52- 67, 69-71, 73f., 77f., 82-88, 90-93, 95f., 98-101, 104-107, 112, 114, 120ff., 127, 130, 135, 138, 140-144, 150-154, 156- 159, 161f., 164f., 168-172, 174-178, 182- 184, 186f., 189f. Stirm, Karl Heinrich 67 Strauß, David Friedrich 38, 48, 59, 62, 75, 94 Sue, Eugène 190 Sybel, Heinrich von 96 Tepe, Leo 177 Treitschke, Heinrich von 103 Türck, Joseph 62, 64, 73 Uhl, Friedrich 178 Vischer, Friedrich Theodor von 2-5, 18f., 48, 51, 59, 75, 108, 145, 156 Voß, Johann Heinrich 152 Warnkönig, Leopold August 192 Welcker, Karl Theodor 33, 187, 192 Wezel, Johann Carl 1f. Wieland, Christoph Martin 195, 199 Wienbarg, Ludolf 7 Wigard, Franz 185 Willkomm, Ernst 20f. Winckelmann, Johann Joachim 36, 150 Wundt, Max 21 240 Register <?page no="248"?> Sachregister * Absolutismus 178, 197, 199, 203 Ackerbau/ Ackerbaumetapher 20, 39, 70-72, 77f., 80-84, 99, 123, 135, 137, 140, 151, 153, 156, 159, 176, 181, 190, siehe auch Feldbau und Landbau Agrikulturchemie 79-82 Allegorie 118f. Amerika 35, 79f., 151, 189 Antike 2f., 7, 10, 12, 14, 18, 27, 56, 59, 71f., 75, 84, 88, 112, 144f., 147-153, 156, 190f., 195, 198, 200 Arkadien 53, 126 Asien 35, 70f., 189 Ästhetik 3, 7, 99 Ästhetische Erziehung siehe Erziehung Aufklärung 27, 29-33, 36f., 39, 41f., 52, 65, 67, 76, 78, 83, 89f., 93, 95, 103, 116, 123, 129, 133-135, 157, 165, 167, 171, 195-201, 203 Barbarei 39, 41f., 46, 49, 51f., 56, 61f., 70f., 73f., 78, 82f., 97, 109f., 140, 164, 171, 175, 181, 185 Barock 87, 116, 118-120, 193 Bildung 8f., 14f., 20, 29, 31-33, 35f., 38, 42, 52, 62f., 65, 67, 70, 76, 105, 113, 158-168, 170-175, 184-186, 202 Bürger/ Staatsbürger/ citoyen 4, 17, 32f., 35, 51, 64f., 78, 116, 165, 169, 172-175, 178-180, 190f., 193, 200f., 203f. Bürgerliches Trauerspiel 184 Chorographie 37, 98-100 Christentum 38, 66, 91, 124-131, 133-135, 138, 177, 184f. citoyen siehe Bürger Dekadenz 40, 43, 55, 72 Demokratie 178, 197f., 201, 204 Diätetik 155f. Dreißigjähriger Krieg 80, 86, 89, 101, 181 Ehe 56, 69, 193f., siehe auch Mischehe Elysium 53 Emblem/ Emblematik 118-120 Empfindsamkeit 27, 117 Epos/ Epopöe 2-5, 7-12, 14, 18f., 74f., 94, 191, 198, 201 Erdkunde/ Geographie 37, 96f., 100, 188, 204 Erzählung - Autobiographie-Erzählung 13 - Biographie-Erzählung 13 Erziehung 32, 35f., 42f., 62, 65, 74, 78, 113, 121, 140, 157, 159, 161-165, 167- 172, 178, 185f., 193f., 203 Eschatologie 125 Ethnographie siehe Volkskunde Europa 15, 35, 70, 81, 108, 171, 189f., 200, 204 Familie 17, 26, 55, 69, 142, 169, 183f., 193f. Feldbau 76, siehe auch Ackerbau und Landbau Fragment/ Bruchstück 144f., 147-150, 152- 154, 163 Frühromantik 6, 17, 27, 139, 144-147, siehe auch Romantik Fürstenspiegel 193 Ganzes Haus 183f. Geheimbund/ Geheimorganisation 80, 102f., 136, 169, 174, 180, 182f., siehe auch Tempelritter/ Templerwesen Geographie siehe Erdkunde Germanisches Nationalmuseum 187 Geschichte 11, 17, 22, 26, 36-38, 58, 67- 71, 73, 75, 77, 84-86, 89-93, 95, 98- 105, 107, 123-125, 144, 161f., 165, 174, 184, 186-188, 199, siehe auch Ideengeschichte und Menschheitsgeschichte Geschichtsphilosophie 36, 48, 71, 114 Sachregister 241 Register Sachregister * Die angeführten Lemmata berücksichtigen auch adjektivische Ableitungen und Zusammensetzungen. <?page no="249"?> Geschichtsschreibung/ Historiographie 18, 92, 95f., 125 Geschichtstheorie 86, 93, 95, 98, 101 Geschichtswissenschaft 22, 85, 92-95, 98, 187 Goldenes Zeitalter 104, 126 Heilsgeschichte 104 Hermesianismus/ Hermesianismusdebatte 67 Historiographie siehe Geschichtsschreibung Historismus 92-95, 103 Historismuskritik 92-95 Hochkultur 87, 139, 148 Humanismus 33, 36, 76, 104, 133-135, 162, 164, 167f., 171f., 178, 191, 200 Idealismus 92, 178 Idee 91, 124 Ideengeschichte 27, 91 Idylle 116f. Junges Deutschland 47, 59, 151 Katholizismus 67f., 130f. Kirche 36, 61, 66-69, 86, 127, 134, 137f., 173-175, 179, 184 Klassik 102, 134, 152, 157, 165, 169 Kölner Wirren/ Kölner Ereignis/ Kölner Kirchenstreit 67-70, 138, 173 Kommunismus 203 Konservativismus/ Konservatismus 63, 151, 161f., 183 Kulturanthropologie 35 Kulturgeschichte 17f., 22f., 31, 36f., 47, 76, 96, 98-105, 144, 159f., 188 Kulturgeschichtliche Novelle siehe Novelle Kulturkampf 68 Kulturkritik 39f., 56, 73, 114, 118, 120, 186 Kulturreligion 136 Kulturstaat 202 Kulturwissenschaft 22, 38 Kultus/ Cultus 36, 38, 71, 77, 136, 159 Kultusministerium 33, 36, 47, 137, 187 Kunst 17, 31, 40, 55, 60, 77f., 84, 88, 104f., 114f., 120f., 124, 131f., 138-145, 147f., 150-159, 161, 163, 165f., 170, 174f., 183, 185-187, 190, 202 Kunstgeschichte 17, 100 Künstlichkeit/ Kunstcharakter 40, 114ff., 120 Kunstmärchen 104 Landbau/ Landwirtschaft 19, 71, 77, 79- 81, 99, 140, siehe auch Ackerbau und Feldbau Liberalismus 55, 63, 67f., 191, 200, 203 Malerei 88 Menschheitsgeschichte 96, 98, 105 Mischehe 67 Mittelalter 66, 88f., 148, 188f., 195 Moderne 3, 7, 14, 27, 38, 51f., 55, 59-61, 71, 74f., 88, 95, 108, 114, 121, 144-146, 150, 153, 156, 178 Monachismus 189 Nachmärz 19, 83, 154 Nation 3, 24, 27, 32-36, 42, 55, 78, 98, 103, 105, 158, 160, 187f., 199 Natur 4, 15, 18, 26, 37, 39, 56f., 60f., 71- 74, 77-79, 83f., 87, 90, 95, 105-117, 120- 124, 132, 141f., 144, 157f., 160f., 165, 167, 171, 174f., 178 - Naturstand 39, 124, 126 - Naturzustand 42, 105, 109 Naturgeschichte 37, 91, 160 Natürlichkeit 106, 108, 115, 118 Naturwissenschaft 37, 93, 96, 98, 103, 114, 121, 160, 167 Novelle 19 - Kulturgeschichtliche Novelle 20 - Zivilisationsnovelle 20 Orient 71 Panoramamalerei siehe Malerei Paulskirche 185 - Stenographische Berichte 185 242 Register <?page no="250"?> Philosophie 7, 17, 90, 110, 144, 146, 199 Pietismus 27, 128, 132f., 159 Pietismuskritik 133 Politik 7, 33, 36, 43, 47, 50, 53f., 59, 63, 67, 80, 90, 109, 113, 123, 127, 151, 162, 171f., 177, 179f., 182, 186, 191, 198, 201, 203, 204 Protestantismus 67f., 130, 131, 138 Querelles des Anciens et des Modernes 72, 88, 144 Religion 17, 20, 36, 37f., 43, 55, 65, 67, 69f., 73f., 77, 79, 101, 104f., 107, 119, 123-139, 141f., 144, 147, 157, 159, 172f., 175, 184f. Restauration 87, 89f., 92, 100, 179, 186f. Restaurationszeit 12 Revolution 14, 49-52, 55, 57, 59, 63, 77, 90f., 109, 123, 130, 162, 182 - 1789 (Französische Revolution) 28, 40- 43, 52, 57, 61, 70, 77, 83, 109 - 1830 (Julirevolution) 43, 49f., 57, 78, 83 - 1848 (Märzrevolution) 14, 43, 49-57, 59, 63, 70f., 73, 77, 80, 82f., 90f., 109, 122, 136, 154, 161-163, 173f., 177, 181f., 192 Revolutionszeitalter 44, 192 Roman - Antibildungsroman 25 - Ästhetischer Roman 75 - Bildungsroman 8-10, 12-16, 19, 21, 25, 37, 161, 163, 165, 169, 186, 202, 204 - Entwicklungsroman 19 - Enzyklopädischer Roman 6 - Geschichtsroman 19 - Gesellschaftsroman 13, 19, 25 - Heimatroman 21 - Historischer Roman 2, 8-12, 14-16, 21, 23, 25f., 37, 66, 68, 74, 85, 87, 94, 101f., 161 - Identitätsroman 13 - Individualroman 12f. - Initiationsroman 12 - Künstlerroman 25 - Lebensphilosophischer Roman 75 - Ökologischer Roman 79 - Panoramaroman 153 - Politischer Roman 198 - Roman des Nebeneinanders 88, 143 - Sozialer Roman 204 - Staatsroman 192-204 - Utopischer Roman 199 - Zeitroman 12, 19, 25, 161, 190 Romantheorie 3, 7f., 10, 14, 16, 18, 20f., 25-27, 29, 32, 34, 39, 43f., 74, 85, 190f., 193, 201 Romantik 6, 104, 144-146, 148, 150f., siehe auch Frühromantik Romantisierung 146 Schäferdichtung 116 Sitte/ Sittlichkeit 3, 10f., 15, 35f., 39f., 44, 52, 55f., 66, 68, 70, 79, 84, 98, 100-102, 104, 107, 109f., 112f., 123, 134f., 137, 140, 152, 164, 170-172, 181, 188, 191, 199 Sittengeschichte 101, 104 Sittenlehre 79, 199 Sprache 34, 43f., 55, 94f., 140, 145, 188 Staat 3, 17, 26, 33f., 36, 54f., 60-64, 66, 68f., 71, 74, 79f., 91, 98f., 104, 106, 113, 137f., 143, 158, 162f., 169, 172-188, 190- 193, 195-199, 203 - Ästhetischer Staat 162 - Bürgerlicher Staat 194 - Polizeistaat 179f. - Rechtsstaat 181 - Verwaltungsstaat 178 Staatsbildung/ Staatenbildung 34, 44 Staatsbürger siehe Bürger Staatsphilosophie 43, 201 Staatssystem 65 Staatstheorie 35, 113, 201 Staatswissenschaft 193, 196 Stiehlsche Regulative 173 Sturm und Drang 27 Symphilosophie 146 Sympoesie 146 Teleologie 95, 125 Tempelritter/ Templerwesen 88, 94, 102, 125, 182, 188f., siehe auch Geheimbund/ Geheimorganisation Theologie 49, 67f., 127, 134 Sachregister 243 <?page no="251"?> 244 Register Übergangszeit/ Umbruchszeit/ transitorische Zeit 43f., 57ff., 72, 86, 88f., 95, 175 Universalpoesie 6, 145 Untergangszeit/ Verfallszeit 40, 54f., 71, 104 Utopie 70, 84, 89, 104, 169, 182, 184f., 193, 199f., 202f. Veredelung 42, 105, 115, 123f., 165, 186 Verfallszeit siehe Untergangszeit Verfassung 17, 34, 43, 74, 78, 106, 113, 137, 162, 174-176, 181f., 185, 190, 192, 203 Volkskunde/ Ethnographie 38, 76, 98-104 Vormärz 19, 83, 95, 154, 162, 191f., 201- 203 Wissenschaft 7, 17, 55, 66, 77f., 85, 92, 100, 138-140, 142, 145, 161, 166, 174, 183, 202 Zivilisation 17, 20-22, 24, 46, 49, 66, 78, 97, 139 Zivilisationsnovelle siehe Novelle Zustand 31, 58, 74f., 98f., 107, 126, 191 <?page no="252"?> Bereits den Zeitgenossen erschien das 19. Jahrhundert als ein „Revolutionszeitalter“, das sich in allen Bereichen durch Umbruchs- und Übergangsphänomene auszeichnete. Am deutlichsten werden Erneuerungsbestrebungen im bürgerlichen Selbstverständnis: Der Vor- und Nachmärz zeichnet sich wie kaum eine andere Epoche durch den Versuch des Bürgertums aus, ein Konzept von Gedanken und Idealen aufzustellen, mit dessen Hilfe nichts Geringeres als eine politische Einflußnahme erreicht werden sollte. Ein solches Programm wurde in den Jahren zwischen 1830 und 1860 im Rahmen einer allgemein geführten Kulturdiskussion entwickelt und im Roman propagiert. Die vorliegende Studie zeigt, daß der deutsche Roman im 19. Jahrhundert nicht den vielzitierten „Sonderweg“ des Bildungsromans eingeschlagen hat, sondern als Kulturroman durchaus kompatibel mit den Romanen anderer europäische Länder ist. ISBN 3-7720-8159-2