eBooks

Die Realität der Auferweckung in, nach und mit den Schriften des Neuen Testaments

0318
2009
978-3-7720-5227-9
978-3-7720-8227-6
A. Francke Verlag 
Stefan Alkier

Das Buch informiert über die neutestamentliche Rede von der Auferweckung Jesu Christi und der Auferweckung der Toten. Dabei bricht es mit der historistischen Verengung des Themas auf die Fragen "War Jesu Grab nach Ostern leer oder nicht?" und "Waren die in 1 Kor 15 erinnerten Schauungen des auferweckten Gekreuzigten psychologisch zu erklärende Einbildungen oder nicht?". Stefan Alkier erarbeitet eine theologisch und philosophisch begründete Möglichkeit, heute von der Auferweckung der Toten zu reden.

<?page no="0"?> A . F R A N C K E V E R L A G T Ü B I N G E N U N D B A S E L Stefan Alkier Die Realität der Auferweckung in, nach und mit den Schriften des Neuen Testaments Alkier Realität der Auferweckung Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie 12 Herausgegeben von Friedrich W. Horn, Oda Wischmeyer und Hanna Zapp Die Rede von der Auferweckung des gekreuzigten Jesus von Nazareth bestimmt maßgeblich die Textsammlung des Neuen Testaments. Mit ihr verknüpft ist die Rede von der Auferweckung der Toten. Der erste Teil der Untersuchung geht der Frage nach, wo und wie Auferweckung bzw. Auferstehung in den neutestamentlichen Texten thematisiert wird und unter welchen Realitätsannahmen und rhetorischen Strategien die neutestamentliche Rede von der Auferweckung bzw. der Auferstehung ihre Plausibilität entfaltet. Der zweite Teil der Untersuchung interpretiert die exegetischen Ergebnisse unter der Fragestellung, wie christliche Theologie die Auferweckung der Toten heute denken kann. Der dritte Teil versucht exemplarisch nach der existentiellen Tragfähigkeit der erzielten exegetischen und systematischen Ergebnisse zu fragen. ISBN 978-3-7720-8227-6 <?page no="1"?> Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie Band 12 · 2009 Herausgegeben von Friedrich W. Horn, Oda Wischmeyer und Hanna Zapp <?page no="3"?> Stefan Alkier Die Realität der Auferweckung in, nach und mit den Schriften des neuen Testaments A. Francke Verlag Tübingen und Basel <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.d-nb.de> abrufbar. © 2009 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.francke.de E-Mail: info@francke.de Printed in Germany ISSN 1862-2666 ISBN 978-3-7720-8227-6 <?page no="5"?> Für meinen Vater Friedrich Anton Alkier (1930-2005) <?page no="7"?> „Wir haben gesehen, daß die Realität der Dinge darin besteht, daß sie uns beharrlich dazu zwingen, erkannt zu werden.“ Charles Sanders Peirce RS, 192 „So stehe ich denn hier mit meinem Troste und meiner Hoffnung allein auf dem bescheidenen, aber doch so reichen Worte der Schrift: Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden; wenn es aber erscheinen wird, werden wir ihn sehen, wie er ist! und auf dem kräftigen Gebet des Herrn: Vater, ich will, dass, wo ich bin; auch die seien, die du mir gegeben hast.“ Friedrich D. E. Schleiermacher bei der Bestattung seines Sohnes Nathanael am 1. November 1829 „Was Gott verheißen hat, vermag er auch zu tun.“ Paulus Röm 4,21b <?page no="9"?> Inhaltsverzeichnis Vorwort ................................................................................................................. xv Einleitung: Die Fragestellung, das Anliegen und der Aufbau der Untersuchung ............................................................................................... 1 Erster Teil: Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments. Exegetische Untersuchungen ........................................ 7 I. Die paulinische Briefliteratur .......................................................................... 9 1. Die Briefe des Apostels Paulus ......................................................... 9 1.1. Der 1. Thessalonicherbrief ................................................................ 11 Die Auferweckung Jesu Christi als Grunderzählung des paulinischen Evangeliums................................................................. 11 Die Frage nach der Auferweckung der Toten ................................ 13 1.2. Der Galaterbrief .................................................................................. 15 1.3. Der 1. Korintherbrief ......................................................................... 18 Die Eröffnung des Briefes ................................................................. 19 Das Wort vom Kreuz ......................................................................... 20 Gott, der Schöpfer .............................................................................. 21 Die Auferweckung der Toten ........................................................... 23 Die leibhaftige Gemeinschaft mit dem auferweckten Gekreuzigten: Taufe - Abendmahl - Leib Christi ......................... 30 1.4. Der 2. Korintherbrief ......................................................................... 32 Der Aufbau des 2Kor ......................................................................... 32 Kraft in Schwachheit: Tod und Auferweckung Jesu Christi als hermeneutischer Schlüssel der apostolischen Existenz ........... 34 Neue Schöpfung ................................................................................. 41 Individuelle Auferweckung nach dem Tod oder kollektive Auferweckung am Tag des Herrn? ................................................. 44 Die Kohärenz des Auferweckungsdiskurses der Korintherbriefe ............................................................................. 46 1.5. Der Römerbrief ................................................................................... 47 Das Evangelium von der Auferweckung des Gekreuzigten als rettende Kraft Gottes ................................................................... 48 Glaube als Vertrauen auf die unbegrenzte Schöpfungskraft Gottes ................................................................................................... 52 Das Wirken des Geistes, die Wirkmächtigkeit der Taufe und die Zukunft der Auferstehung der Toten ............................... 54 <?page no="10"?> Inhaltsverzeichnis x Die Auferweckung des Gekreuzigten als kosmologische Zeitenwende ....................................................................................... 55 1.6. Der Philipperbrief ............................................................................... 57 Die kosmologische Dimension der Auferweckung des Gekreuzigten ............................................................................... 58 Die Auferweckung der Toten und die individuelle Hoffnung des Paulus ............................................................................................ 60 1.7. Der Philemonbrief .............................................................................. 61 2. Die Deuteropaulinen ......................................................................... 62 2.1. Der Kolosserbrief ............................................................................... 62 Die intratextuelle Kommunikationssituation ................................. 63 Die christologische Argumentation ................................................. 64 Die soteriologische und appellative Funktion der Rede von der Auferweckung der Toten ................................................... 66 2.2. Der Epheserberief .............................................................................. 68 2.3. Der 2. Thessalonicherbrief ................................................................ 70 2.4. Die Pastoralbriefe (1 Tim / 2 Tim / Tit) ......................................... 71 Die Auferweckung Jesu Christi als Erweis der Menschenliebe Gottes ........................................................................ 72 Die Auferweckung der Toten ist noch nicht geschehen ............... 74 II. Der Hebräerbrief ................................................................................. 77 Die Jesus-Christus-Geschichte und ihre Deutung in der Darstellung des Hebräerbriefes ............................................. 79 „Gott kann auch von den Toten erwecken“ ................................... 82 III. Die synoptischen Evangelien und die Apostelgeschichte des Lukas ............................................................ 85 1. Das Markusevangelium .................................................................... 86 Das Unverständnis der Frauen am Grab ........................................ 87 Der Anfang des Evangeliums ........................................................... 89 Die Einführung des Protagonisten .................................................. 91 Die Eröffnung der Erzählspannung ................................................ 92 Die Warnung vor dem verstockten Lesen ...................................... 94 Die narrative und diskursive Vorbereitung der Auferweckungsbotschaft .................................................................. 96 Wieder am Grab .............................................................................. 106 2. Das Matthäusevangelium .............................................................. 109 Tod oder Leben? .............................................................................. 111 Die Auferweckung der Toten als eschatologische Zeichen ....... 113 Intrigen, Lügen und Verrat oder: Der Justizmord des Gerechten ......................................................................................... 115 Die Auferweckung des Gekreuzigten: (Be)Trug oder Handeln Gottes? ............................................................................... 116 <?page no="11"?> Inhaltsverzeichnis xi Die Macht des auferweckten Gekreuzigten ................................ 119 Die Gegenwart des auferweckten Gekreuzigten ........................ 121 3. Das Lukasevangelium .................................................................... 122 Das Proömium ................................................................................. 122 Die Macht Gottes und das Wirken des Heiligen Geistes nach Lk 1 und 2 ............................................................................... 123 Die Zeichen des Messias Gottes .................................................... 125 Auf dem Weg nach Jerusalem ....................................................... 129 Der Tod Jesu in der Darstellung des Lukas ................................. 131 Die Darstellung des auferweckten Gekreuzigten in Lk 24 ........ 134 4. Die Apostelgeschichte .................................................................... 138 Die Auferweckung des Gekreuzigten als Basis des Evangeliums in Jerusalem ............................................................. 138 Das Evangelium der Auferweckung bei den Völkern ............... 143 Die Kohärenz des Auferweckungsdiskurses im Lukanischen Doppelwerk .............................................................. 145 IV. Die johanneischen Schriften .......................................................... 147 1. Das Johannesevangelium ............................................................... 147 Der Prolog ........................................................................................ 148 Die Proexistenz Jesu als Grund seiner Passion und Herrlichkeit .............................................................................. 152 Die Vollmacht des Sohnes ............................................................. 156 Die Wiederbelebung des Lazarus als Zeichen der eschatologischen Auferweckung .................................................. 159 Das Zeichen der Auferweckung und die Zeichen des Auferweckten ........................................................................... 163 Der Trost des Johannesevangeliums ............................................ 166 2. Die Johannesbriefe .......................................................................... 168 3. Die Johannesapokalypse ................................................................ 170 Der Lektürevertrag des Proömiums ............................................. 172 Die Auferweckung und Erhöhung des Gekreuzigten als theologische Basis ..................................................................... 173 Die Bedrängnis des Johannes, die Bedrängnis der Gemeinden und die Geduld in Jesus ................................................................. 177 Die kosmische Macht des auferweckten Gekreuzigten als Grund des Hoffens und Ausharrens in der Nachfolge der Zeugenschaft Jesu Christi .............................................................. 178 Die Vernichtung der widergöttlichen Mächte durch das geschlachtete Lamm, die zweifache Auferstehung und das ewige Leben in der goldenen Stadt .............................................. 181 Eine Frage der Macht ...................................................................... 186 <?page no="12"?> Inhaltsverzeichnis xii V. Die katholischen Briefe ................................................................... 189 1. Der Jakobusbrief .............................................................................. 189 2. Der 1. Petrusbrief ............................................................................ 192 3. Der Judasbrief und der 2. Petrusbrief .......................................... 194 Zweiter Teil: Die Rede von der Auferweckung nach den Schriften des Neuen Testaments. Systematische Interpretationen .......................... 199 1. Die Grundstruktur der Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments und die sich daraus ergebende Fragestellung für den zweiten Teil der Untersuchung ........................................................................... 201 2. Das Realitätskonzept kategorialer Semiotik ................................ 206 3. Semiotische Interpretation der Phänomene des Auferweckungsdiskurses in den Schriften des NT .................... 213 3.1. Schauungen: Zweifel, Furcht, Tränen, Freude und brennende Herzen (Phänomene der Erstheit) ............................. 213 3.2. Kreuz, Grab und Visionen (Phänomene der Zweitheit) ............ 218 3.3. Die große Erzählung der Schrift(en) als epistemologischer Rahmen der Rede von der Auferweckung (Phänomene der Drittheit) ........................... 223 3.3.1. Was das Alte Testament erzählt - Eine narrative Skizze ........... 224 3.3.2. Das Wort vom Kreuz als Fortsetzung und transformative Interpretation der großen Erzählung Israels ............................................................................. 226 3.4. Zusammenfassung: Das Realitätsverständnis des neutestamentlichen Auferweckungsdiskurses ........................... 228 4. Semiotische Interpretation evangelischer Rede von der Auferweckung heute ............................................................... 229 4.1. „Er ist auferstanden.“ „Er ist wahrhaftig auferstanden! “ (Phänomene der Erstheit) .............................................................. 230 4.2. Ergebnisse und Grenzen empirischer und historischer Forschung (Phänomene der Zweitheit) ....................................... 231 4.3. Schöpfung und Neuschöpfung als Hypothesen eines evangelischen Realitätskonzeptes (Phänomene der Drittheit) ............................................................. 236 Dritter Teil: Die Rede von der Auferweckung mit den Schriften des Neuen Testaments. Impulse für die kirchliche und schulische Praxis .............................................................................................. 241 1. Ausruhen in der Geborgenheit Gottes: Die evangelische Rede von Tod und Auferweckung im Trauergottesdienst ....... 243 <?page no="13"?> Inhaltsverzeichnis xiii 2. Auferweckung als Thema des schulischen Religionsunterrichts ........................................................................ 249 3. Das Abendmahl als Gabe des auferweckten Gekreuzigten ....... 253 3.1. Die große Erzählung der Bibel und das Missverständnis heilsgeschichtlicher Konzeptionen ............................................... 254 3.2. Das Abendmahl als Teil der großen Geschichte ......................... 258 4. Staurologie oder: das Neue denken............................................... 264 Anhang ............................................................................................................ 267 Literaturverzeichnis ......................................................................................... 269 <?page no="15"?> Vorwort Zwar handelt es sich bei der vorliegenden Studie um eine Monographie, aber schon zum Zustandekommen der Idee, ein Buch über den neutestamentlichen Auferweckungsdiskurs zu schreiben, haben Viele beigetragen, und allen namentlich zu danken, mit denen ich das Konzept und einzelne Teile daraus diskutiert habe, würde den Rahmen eines Vorworts sprengen. Deshalb sei allen Gesprächspartnern der letzten Jahre gedankt, vor allem den Frankfurter Studierenden am Fachbereich Evangelische Theologie und auch den Studierenden der Universität des dritten Lebensalters. Ihre Fragen haben mich dazu veranlasst, den dritten Teil des Buches zu verfassen. Dazu haben auch die zahlreichen Gemeinde- und Akademievorträge sowie Fortbildungen für Pfarrerinnen, Pfarrer, Lehrerinnen und Lehrer zum Thema Auferweckung beigetragen, aus denen ich gelernt habe, wie sehr die Frage nach dem eigenen Tod und ein mögliches Leben nach dem Tod die Menschen auch heute noch existentiell beschäftigt. Ich danke unseren Kindern Max, Florian und Julian. Ihre Gedanken und Fragen anlässlich des Todes ihrer Großeltern Dieter Karweick, Emmi Karweick und Friedrich Anton Alkier innerhalb nur eines Jahres haben maßgeblich dazu beigetragen, dass das vorliegende wissenschaftliche Projekt existentiell geerdet bearbeitet wurde. Dass das Buch einen systematischen Teil braucht, der ein Realitätskonzept vorstellt, das heute denkbar ist, und mit dem das biblische Zeugnis der Realität der Auferweckung Jesu Christi und der Hoffnung auf die Auferweckung der Toten mit Blick auf die Gegenwart interpretiert werden kann, wurde mir klar in einem Seminar zum Thema, das ich mit meinem Frankfurter Lehrer und Kollegen Hermann Deuser veranstaltet habe. Ihm schulde ich besonderen Dank, da er das Werden des Buches in allen seinen Phasen begleitet und mit seinem klaren und kreativen Denken erheblich gefördert hat. Schließlich danke ich allen Kolleginnen und Kollegen, die mir in der Frankfurter Sozietät für Neues Testament und durch Einladungen zu Gastvorträgen die Möglichkeit gegeben haben, meine exegetischen Untersuchungen zum neutestamentlichen Auferweckungsdiskurs vorzustellen und sie durch ihren Sachverstand zu prüfen. Mein besonderer Dank gilt dabei Andrea Bencsik, Kristina Dronsch, Richard Hays, Werner Kahl, Eckart Reinmuth, Guntram Schindel, Michael Schneider und Heiko Schulz, die wie Hermann Deuser das Werden des Buches über die ganze Zeit mit ihren Einsichten und Rückfragen gefördert haben. Ich danke dem Dekanat des Fachbereichs Evangelische Theologie und dem Präsidium der Goethe-Universität für die Bewilligung eines Forschungssemesters, das es mir erlaubte den Grundstein der vorliegenden Monographie zu legen. <?page no="16"?> Vorwort xvi Friedrich Horn, Oda Wischmeyer und Hanna Zapp danke ich für die Aufnahme des Buches in die von ihnen herausgegebene Reihe NET. François Vouga danke ich für seine Anregung, eine Monographie zum Thema Auferweckung für diese Reihe zu konzipieren. Michael Schneider und Katrin Krüger danke ich für die technische Herstellung des Manuskripts. Ihnen, Kristina Dronsch und Sylvia Usener sei auch gedankt für die mühevolle Arbeit des Korrekturlesens. Für die nun mehr als zehnjährige gute Zusammenarbeit danke ich dem Franckeverlag, namentlich der Lektorin Susanne Fischer, die auch die Zeitschrift für Neues Testament (ZNT) stets kompetent und freundlich betreut, und dem Verleger Günter Narr, der durch sein wissenschaftliches, kulturelles und menschliches Interesse nicht nur das Erscheinen der so erfolgreichen ZNT ermöglicht, sondern immer wieder dazu motiviert, theologische Buchprojekte in Angriff zu nehmen. Vor allem danke ich meiner Frau Stefanie E. Alkier-Karweick, die auf vielfache Weise das Zustandekommen der vorliegenden Monographie gefördert hat: als theologische Gesprächspartnerin, als Pfarrerin mit der Erfahrung theologischer Praxis in der Schule und am Sterbebett in Altenheimen, als interessierte und kritische Leserin des Manuskripts und als liebevolle Lebensgefährtin auch in den Situationen, in denen die Lust am wissenschaftlichen Arbeiten und Lehren durch die vielfältigen und zeitintensiven Ansprüche der universitären Selbstverwaltung immer auch mal zur Last gerät. Ich freue mich sehr, dass das Forschungsprojekt „Die Realität der Auferweckung“ mit dem Erscheinen dieser Monographie zu einem vorläufigen Abschluss gelangt ist. Ich danke Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, denn Ihre Lektüre dieser Monographie befreit sie aus den engen Grenzen des Monologs und gibt sie dem Dialog zurück, dem sie entsprungen ist. Frankfurt/ Bochum, im Advent 2008 Stefan Alkier <?page no="17"?> Einleitung Die Fragestellung, das Anliegen und der Aufbau der Untersuchung <?page no="19"?> Die Fragestellung, das Anliegen und der Aufbau der Untersuchung 3 Die Überzeugung von der Auferweckung des gekreuzigten Jesus von Nazareth bestimmt die Textsammlung des Neuen Testaments maßgeblich. Mit ihr verknüpft ist die Rede von der Auferweckung der Toten. Die vorliegende Untersuchung möchte die Frage nach der Realität der Auferweckung in drei Schritten angehen: 1. Wie wird die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments gestaltet und wodurch erhält sie dort ihre Plausibilität? 2. Wie kann nach der Wahrnehmung der neutestamentlichen Rede von der Auferweckung die Auferweckung Jesu Christi und die Auferweckung der Toten heute gedacht werden? 3. Wie kann in gegenwärtiger schulischer und kirchlicher Praxis sachgemäß mit den Schriften des Neuen Testaments in ihrem kanonischen Verbund mit den Schriften des Alten Testaments von Auferweckung geredet werden? Mit dieser Anlage der Untersuchung möchte ich der doppelten Verengung der Fragestellung innerhalb der neutestamentlichen Wissenschaft entgegenwirken. Die eine Verengung besteht in der weit reichenden Reduktion der Diskussion auf die beiden historischen Fragen: 1. War Jesu Grab nach Ostern leer oder voll? 2. Waren die in 1Kor 15 erinnerten Schauungen des auferweckten Gekreuzigten subjektive Visionen, also psychologisch zu erklärende Einbildungen, oder objektive Visionen, die etwas sehen ließen, das nicht in der individual- oder sozialpsychologischen Erklärung aufgeht? Beide Fragen liegen auf der Linie historisch-empirischer Rekonstruktionsversuche, und es scheinen die Fragen zu sein, die für viele Zeitgenossen über die Frage nach der Realität der Auferweckung entscheiden. Für die einen ist die Annahme eines vollen Grabes gleichbedeutend mit dem Ende der Wahrheit des Christentums. Für die anderen hingegen ist die Annahme eines leeren Grabes gleichbedeutend mit einem Biblizismus, der der naturwissenschaftlichen Deutung der Welt nur seine engstirnige Ignoranz entgegenzuhalten vermag. Doch beide Gruppen treffen sich darin, dass die Frage nach dem empirischen Zustand des Grabes nach Ostern beantwortet werden muss, wenn man etwas über die Realität der Auferweckung sagen will. Aber ist das auch die Auffassung der neutestamentlichen Schriften? Liegt ihr Realitätsverständnis auf derselben Argumentationsebene wie das der historischen Fragen nach dem leeren Grab und nach der Beschaffenheit der Visionen? Auch wenn die neutestamentlichen Schriften mit anderen als den uns vertrauten Wirklichkeitsannahmen argumentieren, müssen die historischempirischen Fragen ihren Ort in der vorliegenden Untersuchung finden, denn die historisch-empirische Wirklichkeit ist ein unhintergehbarer Bereich der Realität, die wir erfahren. Die Erforschung der historisch-empirischen Wirklichkeit als Teilbereich der umfassenden Realität, in der wir leben, und damit auch die Forschung, die die beiden genannten Fragen veranlassen, bleiben notwendig. Sie führen aber auf theologische und philosophische Irrwege, wenn allein mit ihnen implizit oder explizit die Frage nach der Auferweckung beantwortet wird bzw. werden soll. <?page no="20"?> Einleitung 4 Die zweite Verengung besteht in der durch die beiden soeben benannten historischen Fragestellungen erzeugten Reduktion der Berücksichtigung findenden Textauszüge. Die Frage nach den Visionen untersucht in der Regel nur 1Kor 15 und bestenfalls noch die zumeist als legendarisch eingestuften Erscheinungserzählungen der kanonischen Evangelien. Die Frage nach dem leeren Grab nimmt nur die wenigen davon handelnden Textabschnitte der Evangelien in den Blick. Durch diese Isolierung der Textauszüge aus ihren Zusammenhängen wird aber verdeckt, wonach die vorliegende Untersuchung vornehmlich fragt: die Realitätsannahmen und Plausibilisierungsstrategien der neutestamentlichen Texte, auf deren Basis die Rede von der Auferweckung, vom leeren Grab, von den Erscheinungen des Auferstandenen erst Sinn entfalten können. Die neutestamentlichen Texte müssen im Ganzen gelesen werden, um ihre Sicht der Dinge wahrnehmen zu können. Aber mit der Rekonstruktion des Auferweckungsdiskurses in den neutestamentlichen Schriften ist nicht auch schon die heutige Frage nach der Auferweckung des gekreuzigten Jesus von Nazareth und auch nicht die Frage nach der Auferweckung der Toten beantwortet. Vielleicht sind die Realitätsannahmen, auf denen die neutestamentlichen Metaphern der Auferweckung bzw. der Auferstehung basieren, mit überholten Weltbildern verknüpft, so dass sie - wenn auch mit dem Gestus des Bedauerns - wie diese selbst unwiederbringlich ihre plausible Denkbarkeit verloren hat, wie es jüngst der katholische Exeget und Religionsgeschichtler Dieter Zeller in aller Offenheit zum Ausdruck gebracht hat: „Es könnte also durchaus sein, dass die Symbolik der Auferstehung ‚tot‘ ist. So nennt R. C. Neville Symbole, die die Interpreten nicht (mehr) für das engagieren, worauf sie sich beziehen. Das liegt aber nicht am guten Willen und an der Kunstfertigkeit des Interpreten, sondern an der historischen Bedingtheit des Symbols ‚Auferstehung‘. Es ist […] hauptsächlich dadurch belastet, dass es der Notsituation des bedrängten Volkes Israel entspringt, das seine Erwartungen auf dieser Erde nicht verwirklichen kann. Deshalb ist es auch unlösbar mit kosmologischen Entwürfen der Apokalyptik verstrickt, die wir heute nicht mehr nachvollziehen können.“ 1 Freilich hält der Theologe, Philosoph und Religionswissenschaftler Robert Cummings Neville das Symbol der Auferweckung keineswegs für „tot“. Vielmehr zeigt die von Hermann Deuser eingeleitete Kontroverse zwischen Robert Neville und Hans Kessler in dem Themenheft zur Auferstehung der Zeitschrift für Neues Testament, ZNT 19 (2007), in dem auch der oben zitierte Aufsatz von Zeller zu finden ist, dass es gerade die drängenden kosmologischen, ontologischen und theologischen Fragestellungen der Gegenwart sind, die nicht länger aus der exegetischen Debatte um die Auferweckung der Toten herausgehalten werden dürfen, wenn man sachgerecht die frühchristliche Auferweckungsbotschaft interpretieren möchte. Zeller ist unumwunden zuzustimmen, dass die frühjüdische und frühchristliche Auf- 1 D. Zeller, Religionsgeschichtliche Erwägungen zur Auferstehung, 21f. <?page no="21"?> Die Fragestellung, das Anliegen und der Aufbau der Untersuchung 5 erweckungstheologie nur auf der Basis kosmologischer Grundannahmen plausibilisiert werden konnte. Aber die vorliegende Untersuchung zieht mit Deuser, Neville und Kessler einen anderen Schluss aus diesem Sachverhalt, nämlich den, dass auch heute die Auferweckungstheologie nur plausibel formuliert werden kann, wenn ein umfassenderer Realitätsbegriff gedacht wird, der die kosmologischen und ontologischen Implikationen der biblischen Auferweckungstheologie neu zum Ausdruck bringen kann. Damit wird zugleich die historistische Verengung neutestamentlicher Wissenschaft zugunsten eines ausdrücklich theologisch argumentierenden semiotischen Konzeptes Neutestamentlicher Wissenschaft zurückgewiesen. Die bloß historische Forschung ist nicht in der Lage, die exegetischen und theologischen Probleme der neutestamentlichen Auferweckungsbotschaft sachgerecht zu bearbeiten - übrigens nicht selten auch zum Schaden ihrer historischen Forschung. Wer nur Historiker sein will, hört auf, Theologe zu sein. Das heißt aber gerade nicht, dass die historischen Fragestellungen in einer semiotischen - d.h. am Paradigma einer kategorialen Theorie der Zeichenprozesse orientierten 2 - Untersuchung der Auferweckungstexte keine Rolle mehr spielen würden. Das führte wiederum nur zu einer nicht sachgerechten Reduktion der Fragestellung nun auf entweder die Ebene subjektiven Glaubens oder auf die Ebene eines konstruktivistisch verkürzten Bedeutungskonzeptes. Die Realität, von der Leben, Fühlen und Denken bestimmt sind, umgreift vielmehr alle drei Dimensionen der Erfahrung: die erste Ebene eines emotionalen, vorkritischen Wahrnehmens, die zweite Ebene empirisch-historischer Sachverhalte und die dritte Ebene der bedeutungskonstituierenden Interpretation, die Zusammenhänge erschließt. Glaube, der mehr als ein Fürwahrhalten empirisch-historischer bzw. quasi-empirischer Sachverhalte ist, sondern der die emotionale Grundlage aller relevanten Lebensentscheidungen bildet, steht in der Gefahr, in biblizistische Engstirnigkeit oder sogar in fundamentalistische Agression umzuschlagen, wenn er sich den beiden anderen Realitätsebenen der empirisch-historischen Sachverhalte und der bedeutungskonstituierenden kritischen Interpretationen verweigert. Deshalb soll im zweiten Teil der Untersuchung die Interpretation des neutestamentlichen Auferweckungsdiskurses mit Hilfe semiotisch-kategorialer Unterscheidungen durchgeführt werden, um eine sachgemäße Rede nach den Schriften des Neuen Testaments zu begründen. Der dritte Teil der Untersuchung soll exemplarisch zeigen, wie ein zeitgemäßer, d.h. pluralismusfähiger, informierter und kritischer - d.h. zu Unterscheidungen befähigter - Glaube mit den biblischen Schriften in der kirchlichen und schulischen Praxis der Gegenwart von der Auferweckung Jesu Christi und der Auferweckung der Toten reden kann. 2 Vgl. S. Alkier, Semiotik; H. Deuser, Semiotik. Vgl. dazu ausführlicher S. Alkier, Neutestamentliche Wissenschaft; ders., Wunder und Wirklichkeit in den Briefen des Apostels Paulus; H. Deuser, Gottesinstinkt. <?page no="22"?> Einleitung 6 Ich hoffe, mit der folgenden Untersuchung den wissenschaftlichen Diskurs über die Erschließung der Realität, in der wir leben, anzuregen, ihn anhand der Frage nach der Auferweckung der Toten vom Standpunkt evangelisch-theologischen Denkens aus zu fördern und die kosmologische und ontologische Relevanz der Problematik bewusst werden zu lassen, so dass im besten Fall ein interdisziplinärer Diskurs darüber entsteht. Mehr noch aber liegt mir daran, mit Blick auf die schulische und kirchliche theologische Praxis einen Beitrag zu leisten, der zu einer lebbaren, denkbaren, lehrbaren und erlernbaren evangelischen Rede von der Auferweckung Jesu Christi und der Hoffnung auf die Auferweckung der Toten führen kann. <?page no="23"?> Erster Teil Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des neuen Testaments. Exegetische Untersuchungen <?page no="25"?> I. Die paulinische Briefliteratur Die Briefe des Apostels Paulus sind ncht nur die ältesten Schriften des Neuen Testaments, sondern auch die ältesten überlieferten Schriften der Christenheit überhaupt. Aber nicht alle Briefe, die Paulus als Absender nennen, wurden von Paulus verfasst. Stilistische und inhaltliche Differenzen zu den Briefen, die mit großer Sicherheit von Paulus formuliert wurden, führten dazu, Protopaulinen und Deuteropaulinen zu unterscheiden. Zu den Protopaulinen werden einhellig gerechnet der 1Thess, Gal, 1 und 2Kor, Röm, Phil und Phmn. Vor allem im Kolosser- und Epheserbrief finden sich mit Blick auf die Frage nach der Auferweckung gravierende Unterschiede zu den Protopaulinen. Aber auch im 2Thess und in den so genannten Pastoralbriefen sind deutliche Akzentverlagerungen auszumachen, die auf eine spätere Abfassungszeit und auf andere Verfasser schließen lassen. Der Hebräerbrief, der Paulus nicht als Absender in Anspruch nimmt, wurde in der Alten Kirche ebenfalls dem Corpus Paulinum zugerechnet. Während die hier als Deuteropaulinen bezeichneten Briefe bei allen gravierenden Differenzen eine große Nähe zu den Protopaulinen aufweisen und diese auch intendierten und wohl deshalb den Namen des Paulus benutzten, um mit seiner Autorität „paulinische“ Theologie für die je eigene Situation zu gestalten, stellt der Hebräerbrief mit seinem priesterlichen Ansatz eine so eigenständige Theologie vor, dass er ein eigenes Kapitel erhält und hier nicht unter die Deuteropaulinen eingereiht werden soll. 1. Die Briefe des Apostels Paulus „Gibt es keine Auferstehung der Toten, so ist auch Christus nicht auferweckt worden. Wenn aber Christus nicht auferweckt worden ist, so ist unsere Verkündigung leer, leer auch euer Glaube.“ (1Kor 15,13f.) Die kaum zu überschätzende Bedeutung der Auferweckung Jesu Christi, die diese Verse aus 1Kor 15 zum Ausdruck bringen, gilt nicht nur für die Argumentationsstrategie dieses Kapitels, auch nicht nur für den 1Kor als ganzen Brief. Vielmehr erschließt sich von ihr her die theologia crucis 3 des Paulus, sein „Wort vom Kreuz“ als Rede vom eschatologischen macht- und heilvollen Handeln des barmherzigen und gerechten Schöpfergottes. 4 3 Vgl. dazu F. Vouga, Ist die Kreuzestheologie das hermeneutische Zentrum des Neuen Testaments? 4 Die folgenden Ausführungen knüpfen an an meine Habilitationsschrift „Wunder und Wirklichkeit in den Briefen des Apostels Paulus“, 306: „Wunder gehören vom Standpunkt des paulinischen Christentums aus nicht zum Bereich des Rätselhaften, Geheimnisumwitterten, Sensationsheischenden. […] Sie erlangen ihre Plausibilität aus dem Wissen um Gott, den Schöpfer, wie die hebräische Bibel von ihm erzählt. Die <?page no="26"?> Erster Teil 10 Richard B. Hays 5 , Ben Witherington III 6 , Eckart Reinmuth 7 und zuletzt Ian Scott 8 haben in überzeugender Weise dargelegt, dass der Rahmen des paulinischen Denkens eine narrative Grundstruktur aufweist und dem Wort vom Kreuz als der Geschichte von Tod und Auferweckung Jesu Christi in dieser Gott und die Welt deutenden großen Erzählung die entscheidende Rolle zukommt, die die große Geschichte, in der Paulus, der Verfolger der Kirche lebte, grundlegend transformiert. Im Anschluss an Hays u.a. vertritt Scott die These, das theologische Wissen des Paulus sei durch eine große, kohärente Erzählung strukturiert, die von der Schöpfung der Welt bis hin zur Neuschöpfung am Ende der Welt reicht. Diese große Geschichte bildet für Paulus den hermeneutischen Rahmen zur Deutung der Welt, zur Deutung der Geschichte und jedes einzelnen Ereignisses in Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Die paulinische Rationalität ist also nicht die der griechischen Logik, sondern eine hermeneutischnarrative Rationalität, deren Kriterium die Kohärenz der großen Erzählung darstellt. Auch das ethische Wissen fügt sich in diese narrative Theologie ein. Die Glaubenden befinden sich in dieser Geschichte und die konkreten ethischen Probleme bzw. Anweisungen werden mit Blick darauf formuliert, wie man seine Rolle in dieser Geschichte gut, d.h. der Rolle entsprechend, ausfüllen soll. Die reflektierende Entfaltung dieser Geschichte, wie sie in den Protopaulinen zu finden ist, lässt verstehbar werden, wofür und mit welcher Konsequenz man sich entscheidet, wenn man sich in diese Geschichte als wahre Geschichte hineinbegibt. Den Sprung selbst aber, die Entscheidung für die Wahrheit der Geschichte, bewirkt notwendigerweise der unverfügbare Geist Gottes. Hat sich dieser Sprung durch das Wirken des Geistes der Jesus- Christus-Geschichte vollzogen, so bildet sich für die Glaubenden eine erfahrungsgesättigte vertrauensvolle Beziehung zu Gott und zu Jesus Christus aus: zu Gott durch seine ihm allein gebührende Verehrung und zu Jesus Christus durch ein ihn nachahmendes Leben in der Gemeinschaft mit ihm als dem Kyrios. Dabei zentriert die Erzählung von Kreuz und Auferweckung das Wunderkraft Gottes haben die paulinischen Christen in ihrem eigenen Leben erfahren, und sie sind von der Gewissheit getragen, dass Gott seine unermessliche Schöpfermacht zum endgültigen Heil aller Glaubenden einsetzen wird, er sie durch Tod und Auferweckung seines Sohnes Jesu Christi vor seinem berechtigten eschatologischen Zorn gerettet hat und ihre gebrechlichen und verweslichen Körper in glanzvolle unverwesliche Leiber verwandeln wird, um ihnen damit ewige Gemeinschaft mit ihrem Herrn Jesus Christus, der bereits als Erstling der Auferweckten verwandelt wurde, zu ermöglichen.“ 5 R. Hays, The Faith of Jesus Christ. 6 B. Witherington III, Paul´s Narrative Thought World. 7 E. Reinmuth, Narratio und argumentatio; vgl. auch ders., Historik und Exegese; ders., Erzählen und Begreifen; ders., Hermeneutik des Neue Testaments; ders., Neutestamentliche Historik; ders., Paulus. 8 I.W. Scott, Implicit Epistemology in the Letters of Paul. Vgl. dazu auch meine Rezension in THLZ 132/ 9 (2007). <?page no="27"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 11 eigene Handeln und Selbstverständnis. Die Glaubenden leben in der großen Geschichte im Vertrauen darauf, durch die Teilhabe am Todesgeschick Jesu am Ende der Zeiten auferweckt zu werden und das ewige Leben zu erhalten, um mit ihm in ewiger Gemeinschaft zu leben. Im Folgenden möchte ich diese These mit Blick auf die paulinische Rede von der Auferweckung Jesu Christi und der Auferweckung der Toten an den einzelnen Paulusbriefen konkretisieren. 1.1. Der 1. Thessalonicherbrief Der 1Thess gilt als der älteste erhaltene Brief des Apostels Paulus und damit zugleich als älteste erhaltene schriftliche Urkunde christlichen Glaubens. Er richtet sich an eine Gemeinde, die Paulus erst kurz vor der Abfassung des Briefes gegründet hatte. 9 Das Anliegen des Briefes ist es, die bedrängte Gemeinde auf ihrem eingeschlagenen Glaubensweg zu stärken und so zu ihrer Heiligung beizutragen. Sie sollen ihrer Erwählung 10 Rechnung tragend die Ankunft ( parousi,a ) des Herrn erwarten, um fortan mit ihm zusammen zu sein (vgl. 4,17; 5,23). „Der Ausblick auf die unmittelbar bevorstehende Parusie prägt von der Gliederung bis hin zu den ethischen Weisungen die Theologie des 1Thess. […] So ergibt sich eine geschlossene theologische Konzeption: Im Glauben an den von den Toten auferstandenen Jesus Christus erwartet die Gemeinde in der Gegenwart des von Gott gesandten Geistes (vgl. 1Thess 4,8; 5,19) das Kommen des Sohnes vom Himmel, der sie vor dem zukünftigen Zorn retten wird.“ 11 Diese theologische Konzeption und mit ihr das Grundanliegen des Briefes sind von der Gewissheit getragen, dass der gekreuzigte Jesus nicht im Tod geblieben ist, sondern von Gott auferweckt wurde und nun der lebendige Kyrios der Gemeinde (vgl. 1,1b) ist. 12 Die Auferweckung Jesu Christi als Grunderzählung des paulinischen Evangeliums Paulus lobt zu Beginn des Briefes die noch junge Gemeinde dafür, dass sie das Evangelium weitergetragen hat und mit dem Evangelium auch die Erinnerung daran, auf welche Weise sie es von Paulus zu hören bekommen haben und wie diese Botschaft des Evangeliums bei ihnen wirkte: „[…] wie ihr euch umgewendet habt hin zu Gott, weg von den Götterbildern, um zu 9 Vgl. W. Marxsen, Der erste Brief an die Thessalonicher, 14f. 10 Vgl. zur Erwählungstheologie des 1Thess J. Becker, Die Erwählung der Völker durch das Evangelium. 11 U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 67. 12 Vgl. B. C. Johanson, To all the Brethren, 49f.: “Thus, the textual world is informed by the conceptual universe(s) of the Christian gospel of salvation, a salvation grounded in the death and resurrection of Jesus Christ and to be consummated at his parousia”. <?page no="28"?> Erster Teil 12 dienen dem lebendigen und wahrhaften Gott und zu erwarten seinen Sohn aus den Himmeln, den er auferweckt hat von den Toten, Jesus, der aus dem kommenden Zorn Rettende“ (1Thess 1,9bf.). Das von Paulus verkündete Evangelium bewirkte die Abwendung von den Götterbildern und die Hinwendung zu dem lebendigen und wahren Gott. Damit wird den Götterbildern die Lebendigkeit und Wahrhaftigkeit abgesprochen. Sie sind ohnmächtige Trugbilder, die nichts bewirken. Die Lebendigkeit und Wahrhaftigkeit Gottes wird in diesem Abschnitt aber nicht nur propositional behauptet, sondern mit der Auferweckungstat Gottes und mit seinem kommenden Zorn narrativ gefüllt. In Beidem zeigt sich Gottes unermessliche Kraft. Die Auferweckung Jesu wird als einmaliges und exzeptionelles 13 Ereignis eingeführt, das in der Vergangenheit stattgefunden hat. „V. 10 spricht vom erwarteten ‚Sohn‘ Gottes und nennt identifizierend seinen Namen ‚Jesus‘ es ist der von den Toten Erweckte, der die Glaubenden vor dem kommenden Zorn rettet. Es geht nicht um die Erwartung eines unbekannt-unbestimmten himmlischen Wesens, sondern um den von den Toten erweckten Jesus, dessen Geschichte in diesen knappen Wendungen repräsentiert ist.“ 14 Über die näheren Umstände der Auferweckung erfahren die Lesenden nichts. Sie werden aber darüber informiert, wo sich der Auferweckte befindet, denn von den Himmeln aus wird seine Rückkehr erwartet. Seine Wiederkehr hat zunächst die Funktion, die Glaubenden aus dem kommenden Zorn Gottes zu retten. Die Verse 1,9bf. geben Einblick in die narrative Grundstruktur des von Paulus in Thessaloniki verkündeten Evangeliums: Der Tag des Herrn, an dem sich Gottes Zorn über alle Sünder ausgießen wird, steht unmittelbar bevor (vgl. 5,1ff). Gott hat Jesus, seinen Sohn, von den Toten erweckt und ihn in sein himmlisches Leben hinein genommen. Am Tag des Herrn wird Jesus aus den Himmeln wiederkommen und die, die sich zu dem lebendigen und wahrhaften Gott hingewendet haben, wird er vor dem vernichtenden Zorn retten. Ohne die machtvolle Auferweckungstat Gottes gäbe es keine Rettung vor seinem gerechten Zorn. Die Plausibilität dieser Erzählung vom kommenden Zorn und von der bereits erfolgten Auferweckung Jesu Christi ergibt sich nicht aus einem empirischen Beweis der Möglichkeit oder Tatsächlichkeit der Auferweckung. Sie speist sich vielmehr aus der Theologie des Juden Paulus, die die kreative und auch die destruktive Macht Gottes kennt. Sie steht zudem im Rahmen 13 Vgl. J. Becker, Auferstehung der Toten im Urchristentum, 37: „Die Auferweckungsformel gibt also den Ermöglichungsgrund an, warum die Gemeinde Jesus als Menschensohn ansehen kann, und legitimiert dabei zugleich die Hoffnung als Heilsansage gegenüber den Adressaten. Dies bedeutet ganz genau wie bei der Ursprungssituation der Auferweckungsansage, dass Jesu Auferweckung als das Exzeptionelle und Einmalige verstanden ist.“ 14 E. Reinmuth, Der Brief an die Thessalonicher, 121. <?page no="29"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 13 apokalyptischer Zeitdeutung, die mit einem baldigen Ende dieser Welt rechnet. Diese zur Zeit des Paulus weit verbreitete jüdische apokalyptische Theologie und Kosmologie erhält aber einen neuen Eintrag durch die Erzählung von der bereits geschehenen Auferweckung eines Einzelnen, die nicht als Wiederbelebung eines Toten missverstanden werden darf, weil dieser Auferweckte nicht sein vorheriges Leben fortsetzte, sondern in das himmlische Leben eingegangen ist, und zwar schon vor dem Ende der Zeit. Diesem Ereignis wird rettende Kraft zugeschrieben, denn der Auferweckte selbst wird der Rettende sein. Die erfolgte Auferweckung Jesu wird damit als eschatologisches Ereignis mit kosmologischer Dimension erinnert. Diese gute Nachricht, dieses Evangelium ist mehr als nur Menschenwort. Es ist wirksames Wort Gottes, weil es die rettet, die diesem Wort Glauben schenken (vgl. 2,13). Für die Göttlichkeit dieses Evangeliums führt Paulus die Erfahrungen der angeschriebenen Thessalonicher an, die diese im Zuge der Gemeinde gründenden Predigt des Apostels gemacht haben. Die Evangeliumsverkündigung in Thessaloniki geschah dem 1Thess zufolge nicht nur mit den menschlichen Worten des Paulus, sondern sie ereignete sich „in Kraft und im Heiligen Geist und in aller Fülle“ (1Thess 1,5), so dass die Thessalonicher es als das angenommen haben, was es wahrhaft wirkend ist: das Wirklichkeit schaffende Wort Gottes (vgl. 1Thess 2,13b.) Paulus erinnert die Thessalonicher daran, dass sie die Wunder wirkende Kraft des Wortes Gottes selbst erlebt haben, die ihnen die Annahme der guten Nachricht von der Rettung durch den von Gott auferweckten und in das himmlische Leben hinein geholten Jesus ermöglichte. 15 Die Frage nach der Auferweckung der Toten Den Kernbestand der Gemeinde gründenden Verkündigung bildeten also die Erzählung von Kreuzigung und Auferweckung Jesu Christi und die von der rettenden Funktion des auferweckten Gekreuzigten am Tag des Gerichts Gottes. Offensichtlich gehörte die Frage nach der Auferweckung der Toten in Thessaloniki nicht dazu. Die Traurigkeit der Thessalonicher über ihre Toten bedroht ihre eschatologische Freude und damit ihre Heiligung, weil sie Paulus zufolge in Ungewissheit sind, ob ihre Toten bei der nahe bevorstehenden Wiederkunft Jesu Christi Anteil am gemeinschaftlichen Leben mit ihm haben werden. Aus diesem Grund gibt Paulus im Abschnitt 4,13-17 sein apokalyptisches Wissen weiter und arbeitet darin traditionelle Motive jüdischer Auferweckungshoffnung, jüdischer Apokalyptik, die Überzeugung der bereits erfolgten Auferweckung Jesu Christi und eine von ihm als „Wort des Herrn“ ausgewiesene eschatologische Grundannahme ineinander. 15 Zur ausführlicheren exegetischen Begründung vgl. S. Alkier, Wunder und Wirklichkeit in den Briefen des Apostel Paulus, 98-106. <?page no="30"?> Erster Teil 14 Das „Wort des Herrn“ in 4,15 löst das Grundproblem der Thessalonicher auf der Basis der Grundüberzeugung, dass Jesus Christus auferweckt worden ist (4,14a) und als Herr der Gemeinde mit dem Apostel kommuniziert. Die Lösung des Problems besteht darin, dass den besorgten Thessalonichern mit höchster Autorität, nämlich der ihres Kyrios, zugesichert wird, „dass wir, die wir leben und übrig bleiben bis zur Ankunft des Herrn, den Entschlafenen nichts voraushaben werden.“ Die Verse 16f. erläutern nun, was sich eschatologisch ereignen wird, damit sich die Aussage in Vers 15 als trefflich erweisen wird. Der Kyrios wird herabkommen, die „Toten in Christus“ werden auferstehen, die dann noch Lebenden werden entrückt werden. Auferstandene, Entrückte und ihr Herr treffen sich in der Luft und werden für immer zusammen sein. Mit diesem Szenario wird Vers 14b begründet. Dieses eschatologische Wissen soll als wirksamer Trost die Traurigkeit der Thessalonicher beenden (vgl. 4,18). Halten wir mit Blick auf die Frage nach der Auferweckung folgendes fest: Im Zentrum der Evangeliumsverkündigung des Paulus in Thessaloniki steht die „Jesus-Christus-Geschichte“ (Eckart Reinmuth) von Tod und Auferweckung. Der auferweckte Jesus Christus ist der Herr der Glaubenden. Er befindet sich zur Zeit der Abfassung des Briefes in den Himmeln und kommuniziert mit dem Apostel. Er wird am Ende der Zeit kommen, um diejenigen vor dem Zorn Gottes zu retten, die dem Evangelium vom auferweckten Gekreuzigten Glauben schenken und sich deshalb zu Gott hinwenden. Der Tag der Wiederkunft Christi kann nicht datiert werden, aber er steht so unmittelbar bevor, dass wohl die Frage nach der Auferweckung der Toten kein zentrales Thema der Gemeinde gründenden Verkündigung des Paulus in Thessaloniki war. Die Traurigkeit der angeschriebenen Thessalonicher über die Ungewissheit der Zukunft der Toten machte es für Paulus erforderlich, über das Geschick dieser Toten Auskunft zu geben. Einem Wort des Herrn zufolge, das Paulus nun als apokalyptisch-eschatologisches Wissen den Thessalonichern mitteilt, werden die Verstorbenen, die sich zu Lebzeiten dem Evangelium und damit zugleich dem wahrhaften und lebendigen Gott und dem Herrn Jesus Christus zugewandt haben, zusammen am Tag des Herrn auferstehen. Von einer individuellen Auferstehung unmittelbar nach dem eigenen Tod spricht der 1Thess nicht. Die Auferweckung ist mit Blick auf die eschatologische Errettung nicht als notwendig gedacht, sondern nur als Mittel zum Zweck zur Teilhabe der Verstorbenen an der eschatologischen Gemeinschaft mit ihrem Kyrios. Die Wiederkunft des Kyrios wird im 1Thess als so nahe bevorstehend gedacht, dass als Regelfall nicht die Auferstehung der Toten, sondern die Entrückung der noch Lebenden zum Kyrios hin gilt. <?page no="31"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 15 1.2. Der Galaterbrief Im Galaterbrief begegnet die Auferweckung Jesu Christi bereits im ersten Vers des Schreibens. Paulus verdankt sein Apostolat Jesus Christus und dem Gott, „der ihn auferweckt hat von den Toten.“ Vers 4 informiert dann über den Sinn von Tod und Auferweckung Jesu Christi. Jesus Christus hat sich „für unsere Sünden dahingegeben, um uns aus der gegenwärtigen üblen Weltzeit dem Willen Gottes gemäß zu befreien.“ Auf diese Weise wird den Galatern die Grundüberzeugung des paulinischen Evangeliums gleich zu Beginn des Schreibens kurz und prägnant ins Gedächtnis gerufen, denn Paulus sieht die angeschriebenen Galater in der Gefahr stehen, von diesem Evangelium abzuweichen und damit die mögliche Rettung zu gefährden (vgl. 1,6-9; 3,1ff.). Das Schreiben dient dazu, die Galater erneut auf die Grundüberzeugungen des von Paulus verkündeten Evangeliums zu verpflichten. 16 Dieses Evangelium ist mit der göttlichen Bestellung des Paulus zum Apostel Jesu Christi beispielgebend verknüpft. Deshalb kommt der Wundergeschichte, wie Gott aus dem Verfolger der Kirche Gottes ihren Apostel machte, argumentative Kraft zu für das Anliegen, das Denken der Galater zurechtzurücken (vgl. 1,6; 3,1). Diese Wundergeschichte dient zugleich als Erweis der Wirklichkeit des auferweckten Gekreuzigten, wie Paulus sie wahrnahm. Die Wundererzählung 1,13-24 wird in 1,11f. vorbereitet durch die Darlegung der Aussage, die sie begründen soll, nämlich, „dass das von mir verkündete Evangelium nicht menschlich ist. Weder habe ich es nämlich von einem Menschen empfangen auch nicht wurde ich belehrt, sondern durch eine Offenbarung Jesu Christi (habe ich es empfangen).“ Die Wundererzählung 17 beginnt in Vers 13f. mit der Einführung des Problems: Der jüdische Eiferer Paulus verfolgt die Kirche Gottes. Die Durchführung der Problemlösung erzählen die Verse 15 und 16a. Gott macht Paulus zum Apostel seiner Kirche, indem er ihm seinen Sohn offenbart. Die Bestätigung des Wunders erfolgt in zwei Schritten. Zunächst wird erzählt, dass Paulus seine neue Tätigkeit ohne Widerspruch sofort in die Tat umsetzt und in das Gebiet der Heiden und nicht nach Jerusalem zieht. Er ist spontan überzeugt und bedarf keiner äußerlichen Beweise der 16 Vgl. F. Vouga, Zur rhetorischen Gattung des Galaterbriefes, 291: „Das eigentliche Thema des Briefes ist keine Apologie des Apostelamtes und der Theologie des Apostels, sondern eine Mahnung, diesem Evangelium treu zu bleiben.“ Vgl. auch ders., An die Galater; J. Smit, The Letter of Paul to the Galatians; S. Alkier, Wunder und Wirklichkeit in den Briefen des Apostel Paulus, 124-153. 17 Zur ausführlicheren Begründung dieser Gattungsbestimmung vgl. S. Alkier, Wunder und Wirklichkeit in den Briefen des Apostel Paulus, 131-138. Vgl. auch H. D. Betz, Der Galaterbrief, 139f.; U. Luck, Die Bekehrung des Paulus und das paulinische Evangelium. <?page no="32"?> Erster Teil 16 Auferweckung Jesu Christi. Er zieht nicht nach Jerusalem, um etwa zu prüfen, ob das Grab des Gekreuzigten auch tatsächlich leer ist. Auch bei seinem Jerusalemaufenthalt drei Jahre später forscht er weder nach dem Grab des Gekreuzigten, noch befragt er vermeintliche Zeugen nach der Trefflichkeit der Auferweckungsaussagen. Sodann bieten die Verse 23f. einen wundertypischen Chorschluss: „Den Gemeinden Christi in Judäa aber blieb ich persönlich unbekannt. Sie hatten nur gehört, dass der, der uns einst verfolgte, nun den Glauben verkündet, den er früher zerstörte. Und sie lobten Gott um meinetwillen.“ Paulus erzählt hier von seiner existentiellen Kehrtwendung, von seinem Umdenken. Diese wird aber nicht vorbereitet, 18 sie geschieht plötzlich und zwar nicht durch menschliches Handeln, sondern durch ein unerwartetes, machtvolles Handeln Gottes. Dieses Handeln besteht darin, dass Gott dem eifernden Juden Paulus seinen Sohn offenbart, ihn sehen lässt (vgl. 1Kor 9,1), dass der gekreuzigte Jesus nicht im Tod geblieben ist. Auf einen Schlag wird Paulus gewahr, dass Gott den Gekreuzigten auferweckt hat und dieser Gottes Sohn und der erwartete Messias Israels ist. Fortan ist Gott für Paulus nicht nur der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, sondern der Vater Jesu Christi, der Gott, der den gekreuzigten Jesus Christus von den Toten erweckt hat, und alles, was Paulus bisher von Gott wusste, bedenkt er neu im Licht von Tod und Auferweckung des gekreuzigten Messias. Diese Einleuchtung Gottes verändert für Paulus alles. Er wird vom Verfolger der Kirche Gottes zum Verkünder des Evangeliums bei den Heiden. Die Offenbarung Jesu Christi als Gewahrwerden der Auferweckung des gekreuzigten Gottessohnes wird in dieser Wundergeschichte als eine das Denken neu strukturierende Grundüberzeugung des Paulus erkennbar, die sein ganzes weiteres Denken und Handeln prägt. In 2,20b schreibt er: „Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben hat.“ Dieser Satz erläutert, was Paulus meint, wenn er unmittelbar davor schreibt: „Denn ich bin durch das Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt. Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir.“ (2,19-20a) Paulus betreibt hier sprachbildende metaphorische Theologie. Empirisch gesehen wurde er nicht mit Christus gekreuzigt. Mit der Grundmetapher des Kreuzes, des Gekreuzigt-Seins, bringt er zum Ausdruck, dass das paradoxe Ereignis von Kreuzigung und Auferweckung Jesu Christi zum hermeneutischen Schlüssel seiner eigenen Existenz geworden ist. Auch seine Aussage in 6,17b, „ich trage die Malzeichen Jesu an meinem Leibe“, wird als metaphorische Deutung seiner eigenen körperlichen Schwachheit (vgl. Gal 4,13f.) und Versehrtheit bzw. Krankheit (vgl. 2Kor 12,7ff.) lesbar. Er kann und will sich, Gott und die Welt nur noch von dieser den ganzen Kosmos verändernden Gottestat her verstehen. Sein Leben vor der Offenbarung Christi ist beendet. Es gehört einer 18 Vgl. H. D. Betz, Der Galaterbrief, 139f. <?page no="33"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 17 Vergangenheit an, die keine Zukunft hat. Nie wieder wird er ohne den auferweckten Gekreuzigten sich, die Welt oder Gott wahrnehmen. Sein Erlebnis der Wahrnehmung des Gekreuzigten prägt auch seine Verkündigung maßgeblich und strukturell. In 3,1 ruft er seine Gemeinde gründende Predigt von Christus als dem Gekreuzigten in Erinnerung. Das Syntagma „Jesus Christus als Gekreuzigten“ kann als Metonymie für das von Paulus verkündete Evangelium gelten. Das Vor-Augen-Schreiben formuliert anschaulich die strukturelle Analogie zwischen dem wunderbaren Empfang des Evangeliums und seiner apostolischen Verkündigung. Der Apostel nahm in Erfüllung seines göttlichen Auftrags die Galater in das wunderbare Geschehen seiner eigenen Wandlung hinein, indem er ihnen den auferweckten Jesus Christus als Gekreuzigten so vor Augen schrieb, wie er ihn selbst gesehen hat (vgl. 1Kor 9,1). Aus diesem Grund kann auch das Gesetz nicht länger als Weg angesehen werden, Gerechtigkeit zugesprochen zu bekommen, denn es wäre ein Weg, der von dem alles verändernden Ereigniszusammenhang von Tod und Auferweckung Jesu Christi unberührt bliebe: „denn wenn die Gerechtigkeit durch das Gesetz kommt, so ist auch Christus vergeblich gestorben.“ (2,21). Alles, auch die Tora, die Verheißungen Gottes, sein Bund mit Israel, muss Paulus zufolge im Licht von Kreuz und Auferweckung so neu bedacht werden, dass die Treue des Schöpfergottes und die Zuverlässigkeit seiner überlieferten Verheißungen ebenso zur Geltung kommen, wie die kosmologische Zeitenwende durch die machtvolle Gottestat der Auferweckung des Gekreuzigten. Gott hat Paulus wie allen Glaubenden den Geist Christi in sein Herz gesandt und dieser Geist ruft Gott als „Vater“ an (vgl. 4,6). Paulus lebt nun in diesem Geist Christi und will auch danach handeln (vgl. 5,25). Durch das Kreuzesgeschehen sind ihm die selbst gesetzten Wertmaßstäbe der Welt durchgestrichen, gekreuzigt und er ist für diese nicht mehr erreichbar (vgl. 6,14). Gott hat ihn durch die Offenbarung Jesu Christi, durch die Gabe seines Geistes schon jetzt zu einem neuen Geschöpf gemacht, kainh. kti,sij (6,15), neue Schöpfung mit der Verheißung, das Reich Gottes zu erben. Diese Verheißung bietet Gott jedem an, der dem Evangelium Gottes glaubt. Im Galaterbrief wird erkennbar, dass die Auferweckung Jesu Christi für Paulus emotionale und kognitive Evidenz besitzt, weil er ein Erlebnis hatte, das ihn grundlegend und seine Existenz verändernd davon überzeugte, dass der gekreuzigte Jesus von Gott auferweckt worden und er der Christus, der Sohn Gottes ist. Kein empirischer Beweis, kein leeres Grab, kein Lehrsatz hat ihn dem Galaterbrief zufolge davon überzeugt, sondern die spontane Gewissheit eigenen Erlebens. Die kosmologische Reichweite der Gottestat der Auferweckung des Gekreuzigten macht es für Paulus erforderlich, in ihrem Licht alles Wissen über Gott, über seine Bundesschlüsse und Verheißungen, über die Tora neu zu bedenken, denn der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs ist fortan der Gott, der Jesus Christus von den Toten auferweckt hat. Paulus bleibt dabei ein jüdischer Theologe, denn der Gott, der Jesus Christus von <?page no="34"?> Erster Teil 18 den Toten auferweckt hat, ist der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Gott, der seinem Bund mit Israel treu bleibt. 19 Doch der Ereigniszusammenhang von Kreuzigung und Auferweckung des Messias wird ihm zum Kriterium allen Redens von Gott, Mensch und Kosmos. Paulus war und blieb Jude. Aber sein theologisches Denken ändert sich durch sein Bedenken des paradoxen Kreuzesgeschehens. Er kann und will Gott ohne das Wort vom Kreuz nicht mehr denken. Nicht nur die Christologie, sondern gerade auch die Theologie gestaltet sich fortan im Denken des Paulus als theologia crucis. 20 1.3. Der 1. Korintherbrief Mit den beiden Korintherbriefen liegt die umfangreichste erhaltene Korrespondenz des Paulus mit einer Gemeinde vor. Doch auch sie stellen nur einen Ausschnitt der brieflichen Kommunikation dar, denn die Korintherbriefe selbst verweisen auf briefliche Anfragen der Korinther ebenso wie auf weitere Briefe des Apostels an die Korinther, die aber gleichermaßen verloren gegangen sind. Wie in allen anderen Fällen der brieflichen Kommunikation des Paulus kennen wir die Schreiben der Gemeinde nicht. Die beiden erhaltenen Korintherbriefe zeigen auf unterschiedliche Weise, dass die Verkündigung der Auferweckung des gekreuzigten Jesus Christus im Zentrum des paulinischen Evangeliums steht. Nicht nur die paulinische Rede von Gott, sondern ebenso die Deutung seiner eigenen apostolischen Existenz und gleichermaßen die der von ihm gegründeten Gemeinden werden durch sie maßgeblich bestimmt. Im ersten Korintherbrief erinnert Paulus die Korinther an das in die Gemeinschaft mit dem Kyrios rufende Wort vom Kreuz, dem Evangelium von Tod und Auferweckung Jesu Christi, als Grundlage ihrer Existenz, die sich ganz der wunderbaren Schöpferkraft des barmherzigen und gerechten Gottes verdankt und daher jedwede Spaltung in der Gemeinde als gegen diese von Gott ermöglichte und gewollte Gemeinschaft gerichteten Irrweg erkennen lässt. Das für den Auferweckungsdiskurs zentrale 15. Kapitel des 1Kor reflektiert auf der Basis der zwischen Absender und Empfänger unstrittigen Realitätsannahme der Auferweckung des Gekreuzigten die kosmologische und soteriologische Notwendigkeit der Auferweckung der Toten und ihre schöpfungstheologische Plausibilität. Taufe, Herrenmahl und die Deutung der Gemeinde als Leib Christi verweisen auf die gegenwärtige Wirksamkeit des gekreuzigten Auferweckten. Dabei versteht der Apostel die Gegenwart der Gemeinde als Zeit des Wartens auf die nahe bevorstehende Wiederkunft des auferweckten Gekreuzigten, die die bereits bestehende Gemeinschaft mit dem abwesenden Herrn an 19 Vgl. K.-W. Niebuhr, Heidenapostel aus Israel. 20 Vgl. dazu F. Vouga, Ist die Kreuzestheologie das hermeneutische Zentrum des neuen Testaments? <?page no="35"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 19 ihr Ziel der ewigen Gemeinschaft mit dem anwesenden Herrn im Reich Gottes bringen wird. Die Eröffnung des Briefes In den ersten acht Versen des Schreibens nutzt Paulus das Präskript und das darauf folgende Proömium, um die Grundbedingungen der Kommunikation zwischen Absender und Adressaten aufzuzeigen. Dass Jesus Christus der Kyrios des Apostels wie auch der Gemeinde in Korinth ist, beruht demzufolge auf dem berufenden Handeln Gottes, und als so in die Gemeinschaft mit Jesus Christus Gerufene (vgl. 1,1f.9) sollen sie auch miteinander kommunizieren. Der Ruf in die Gemeinschaft mit Christus geschieht durch das wirksame „Zeugnis Christi“ (1,6). Dieses in den Korinthern kräftig gewordene Zeugnis bewirkt Erkenntnis und charismatische Fähigkeiten für die Zeit des Wartens auf den „Tag des Herrn“, damit sie diesen „untadelig“ erwarten können (vgl. 1,7f). 21 Die Verse 10ff. zeigen aber auf, dass sich auf Seiten der Adressaten ein Problem ergeben hat, das diese von Gott gewollte Gemeinschaft stört. Es haben sich in Korinth miteinander streitende Gruppen gebildet. Die Verse 13-17 halten mittels rhetorischer Fragen der Gruppenbildung entgegen, dass Christus nicht zerteilt ist, er allein für sie gekreuzigt wurde und sie auf seinen Namen getauft wurden. Dabei hebt der Apostel hervor, dass seine eigene Aufgabe nicht das Taufen, sondern die Verkündigung des Evangeliums sei, die sich dadurch auszeichne, dass sie das Kreuz Christi nicht „entleert“ (1,17). Schon diese ausführliche Brieferöffnung lässt die zentrale Stellung und die Stoßrichtung der Auferweckungstheologie im 1Kor erkennen. Gott ruft in die Gemeinschaft seines Sohnes Jesus Christus, der der Kyrios der Berufenen ist (1,9). Dieser wurde für sie gekreuzigt (vgl. 1,13). Die Existenz der Gemeinde in Korinth liegt in ihrer Gemeinschaft mit dem auferweckten Gekreuzigten begründet und verbietet daher jegliche Spaltungen. Christus selbst hat Paulus beauftragt, das Evangelium so zu verkünden, dass die Bedeutung des Kreuzes Christi in vollem Umfang zur Geltung kommt (vgl. 1,17). Das Evangelium ist das „Wort vom Kreuz“ (1,18). Die Auferweckung Jesu Christi wird in jeder Zeile der Brieferöffnung als gemeinsame Realitätsannahme vorausgesetzt. Die Hervorhebung der bleibenden Bedeutung des Kreuzestodes Jesu hingegen scheint für Paulus bei der Abfassung von 1Kor der Aspekt gewesen zu sein, den es hervorzuheben galt. 21 Vgl. dazu ausführlicher S. Alkier, Wunder und Wirklichkeit in den Briefen des Apostel Paulus, 155-159. <?page no="36"?> Erster Teil 20 Das Wort vom Kreuz Das Wort vom Kreuz wirkt. Es erzeugt Realität. Die von Paulus durch dieses Wort gegründeten Gemeinden gelten ihm als lebendiger und erfahrungsgesättigter Erweis der Wirksamkeit des Wortes vom Kreuz. Es bewirkt die Entstehung von Gemeinden aus dem Nichts (vgl. 1,28). So wie er selbst ohne eigenes Zutun von Gott zum Apostel gemacht worden ist, so erzeugte dieses Wort die Kirche Gottes in Korinth. Das von Paulus verkündete Wort vom Kreuz hat sich in Korinth erwiesen als „eine Kraft Gottes“ (1,18). Diejenigen, die dieses Wort in die Gemeinschaft mit Jesus Christus und damit in die Gemeinschaft der Kirche Gottes gerufen hat, werden durch die Verbundenheit mit dem auferweckten Gekreuzigten gerettet. Diejenigen aber, in denen dieser Ruf nicht wirkt, können das Wort vom Kreuz nur als „Torheit“, als Unsinn oder als „Ärgernis“, als skandalöse Missdeutung der Macht Gottes (vgl. 1,23b) wahrnehmen und erweisen sich damit als solche, die „verloren gehen“ werden (1,18). Das Wort vom Kreuz genügt den Ansprüchen jüdischer Überprüfung seiner Geltung ebenso wenig wie den Kriterien griechischer Philosophie zur Überprüfung von Wahrheitsansprüchen. Es erfüllt demnach nicht die jüdischen Bedingungen eines Zeichens der machtvollen Wirksamkeit Gottes und auch nicht die griechischer Epistemologie. Es wird nicht abgesichert durch etwas außerhalb von ihm Liegendes. Weder verweist Paulus auf ein in Jerusalem zu besichtigendes leeres Grab, noch argumentiert Paulus mittels griechischer Logik und Naturphilosophie für die Denkbarkeit der Auferweckung eines Gekreuzigten. Das Wort vom Kreuz würde nämlich genau dann entleert, wenn es durch etwas außerhalb von ihm Existierendes bewiesen werden sollte. Das Wort vom Kreuz ist Kraft Gottes, die sich in ihrer Wirksamkeit als solche erweist. Diejenigen aber seien sie nun Juden oder Griechen -, die dieses Wort in die Gemeinschaft mit dem auferweckten Gekreuzigten führt, erkennen im Wort vom Kreuz die Weisheit und Schöpferkraft des barmherzigen und gerechten Gottes (vgl. 1,24.28). Gott bedient mit dieser Weisheit nicht die Erwartungshaltungen der Juden und eben so wenig die der Griechen. Er erweist sich in dem Wort vom Kreuz als souveräner Gott, der so handelt, wie es seiner liebevollen Kreativität angemessen ist. Er bestätigt nicht die hierarchischen Ordnungen dieser Welt und findet sich nicht bei den Siegern, die auf ihrem Weg zu Ruhm und Macht das Recht des Stärkeren praktizieren und sich selbst an die Stelle Gottes setzen. Er kehrt aber auch nicht lediglich die Machtverhältnisse um. Wer vom Messias erwartet, dass er die Römer aus Palästina vertreibt, wird enttäuscht. Gott hat nicht seine Heerscharen sprechen lassen, sondern das Marterwerkzeug der Mächtigen umkodiert. Das Kreuz, der Ort qualvollen Sterbens, wird im Wort vom Kreuz zum wirksamen Zeichen der schöpferischen, neu schaffenden Liebe Gottes. Ohne Wort vom Kreuz bleibt das Kreuz, was es war: Folterwerkzeug <?page no="37"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 21 dieser Welt, Ort der Qual ohne Hoffnung. „Das Kreuz als solches ist und macht stumm.“ 22 Das Kreuz ist kein zu vernachlässigendes Durchgangsstadium der Erhöhung. Es gehorcht nicht der Logik von „Augen zu und durch“. Das Kreuz gehört bleibend zur Signatur des Auferweckten und macht ihn unverwechselbar kenntlich. Deshalb betont Paulus in 1Kor 1,23, dass er Christus als den Gekreuzigten verkündet. Jesus Christus, der Auferweckte und als dieser der Kyrios der Berufenen und Geheiligten, weil in die Gemeinschaft mit ihm Gerufenen, ist und bleibt der Gekreuzigte. Gott macht nicht rückgängig, was geschehen ist. Das sich als pars pro toto im Kreuz zeigende Leid und Unrecht dieser Welt, die Schuld Gott vergessener Eigenmächtigkeit, die im anderen nicht das von Gott geliebte Mitgeschöpf sieht, wird nicht verdrängt, vergessen, ignoriert. Indem der Sohn Gottes sich leibhaftig mit den Opfern irdischer Macht und Gewalt identifiziert hat, ist jeglichem Vergessen von Unrecht ein Riegel vorgeschoben. Das Gericht kommt. „Der Tag des Gerichts wird es klar machen: denn mit Feuer wird er sich offenbaren. Und von welcher Art eines jeden Werk ist, wird das Feuer erweisen“ (3,13b). Der Tag des Herrn, den Paulus, der jüdische Pharisäer ebenso erwartet, wie Paulus, der Apostel Christi, wird alles Unrecht dieser Welt zur Sprache bringen. Diejenigen, für die das Kreuz bleibt, was es vor seiner Neukodierung durch das Wort vom Kreuz war, werden verloren gehen (vgl. 1,18), weil sie sich nicht neu in der Gemeinschaft mit dem auferweckten Gekreuzigten orientieren ließen, sich nicht mit dem Gekreuzigten identifiziert haben (vgl. 5,13). Diejenigen aber, in denen das Wort vom Kreuz wirksam wurde, starben den Tod Jesu bereits mit, weil sie sich mit dem Opfer erlittenen Unrechts solidarisiert haben, indem sie ihn und nicht die gottvergessenen Machthaber dieser Welt als ihren Kyrios anerkennen. Auch ihre Schuld wird zur Sprache gebracht werden (vgl. 3,14f.; 4,4f.), aber ihre Solidarität mit dem Getöteten gewährt ihnen durch die Gemeinschaft mit dem Auferweckten Rettung (vgl. 6,11). Dass Gott allen und jederzeit diese Rettung anbietet, dass die Kirche der durch die Gemeinschaft mit dem gekreuzigten Auferweckten Geheiligten keine geschlossene Gesellschaft ist, macht aus dem Wort vom Kreuz das Evangelium, die gute Nachricht von der dauerhaften Neuschöpfung des Lebens, die dem Tod seinen Stachel der Endgültigkeit genommen hat. Gott bietet allen ewiges Leben an. Gott, der Schöpfer Die Auferweckung des gekreuzigten Jesus Christus und seine Einsetzung zum Herrn der Kirche Gottes verschränkt die Zeiten. Die Auferweckung des Gekreuzigten liegt als ein punktuelles, einmaliges Geschehen in der Vergangenheit, was Paulus präzise mit dem Aorist h; geiren zum Ausdruck bringt: 22 I. Dalferth, Der auferweckte Gekreuzigte, 44. <?page no="38"?> Erster Teil 22 „Gott weckte den Kyrios auf“ (6,14a). Paulus verkündet den auferweckten Christus als den Gekreuzigten (vgl. 1,23; 2,2b). Das hier verwendete passive Partizip evstaurwme,non steht im Perfekt und zeigt an, dass das Gekreuzigtsein Christi dauerhaft zur Signatur des Auferweckten gehört und deshalb die punktuelle, abgeschlossene Vergangenheit mit der Gegenwart und der Zukunft des Auferweckten verknüpft ist. Der Auferweckte agiert in der Gegenwart als wirkmächtiger Kyrios der Gemeinde Gottes. Die Leiber der in die Gemeinschaft mit dem Kyrios Gerufenen sind bereits in der Gegenwart Glieder Christi (vgl. 6,15a), und die Berufenen sind schon jetzt ein Geist mit dem Kyrios (vgl. 6,17). Die Gemeinschaft mit dem auferweckten Gekreuzigten nimmt in der Gemeinde reale Gestalt an. Diese Realität der Gemeinde setzt wiederum die Realität der Auferweckung Jesu Christi voraus. Und die Realität der Auferweckung Christi führt Paulus nicht erst in Kapitel 15, sondern bereits in Kapitel 6 zu der futurischen Aussage: „Der Gott aber weckte den Kyrios auf und auch uns wird er auferwecken durch seine Kraft“ (6,14). Auch der Tod wird demzufolge die Gemeinschaft mit dem Kyrios nicht beenden. Die im Auferweckungsereignis wirksam werdende Kraft Gottes ermöglicht die Verschränkung der Zeiten, denn sie ist die Schöpferkraft, die alles aus dem Nichts zu schaffen in der Lage war, ist und sein wird. Die Verschränkung der Zeiten der großen Geschichte, die die Kohärenz der paulinischen Theologie als narrativen Gesamtrahmen erzeugt, verdankt sich jüdischer Schöpfungstheologie, genauer gesagt, der Theologie des kreativen Gottes. Mit derselben Kraft, mit der er die Welt geschaffen hat und sie erhält, hat er den gekreuzigten Jesus Christus auferweckt, Paulus, den Verfolger der Kirche Gottes, zu ihrem Apostel gemacht, die Gemeinde in Korinth aus dem Nichts geschaffen (vgl. 1,28c) und mit derselben Kraft wird er die Toten auferwecken, wird er neu schaffen. Gott, der gerechte, barmherzige, wundermächtige Schöpfer ist es, der der Theologie des Paulus und speziell den paulinischen Auferweckungsaussagen ihre Plausibilität verleiht. Ohne die Rede vom Schöpfer ist die Rede von der Auferweckung sinnlos und ohne die Rede von der Auferweckung des Gekreuzigten Jesus Christus durch den gerechten und barmherzigen Schöpfergott ist die Rede von der Auferweckung der Toten sinnlos und ohne die Rede von der Auferweckung des Gekreuzigten und der zukünftigen Auferweckung der Toten wird die Machtfülle des Schöpfergottes unterschritten, weil ihr der Tod Einhalt geböte. Die Rede von der Überwindung des Todes durch den wundervoll liebenden und Recht schaffenden kreativen Gott gibt Gott die Ehre, die ihm gebührt, denn er ist „uns der eine Gott, der Vater, aus dem Alles geworden ist, und wir sind auf ihn hin“ erschaffen (8,6a). Wie zentral die Schöpfungstheologie für Paulus ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass sie auch die Christologie mit einbezieht. Der auferweckte Gekreuzigte ist der „eine Kyrios Jesus Christus, durch den alles wurde, auch wir durch ihn“ (8,6b). „Unmißverständlich ist damit die Schöpfungsmittlerschaft Christi ausgesprochen (das einzige Mal in den authentischen Paulus- <?page no="39"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 23 briefen; vgl. Kol 1,16; Joh 1,1-4; Hebr 1,2). Eine solche Beteiligung an der ersten Schöpfung konnte die urchristliche Reflexion über die Heilsbedeutung Christi aus seiner Beteiligung an der Neuschöpfung (vgl. 2Kor 5,17) im Rekurs auf alttestamentliche und jüdische Weisheitsspekulationen (vgl. Weish 7,12; 9,1-9 u. ö.) unschwer folgern.“ 23 Die Theologie des Paulus erblickt aus der Perspektive der Auferweckung des Gekreuzigten das Ganze, Schöpfung und Neuschöpfung, und die Theologie der Schöpfung wiederum lässt ihn Auferweckung plausibel begreifen. Aus dieser kosmologischen Perspektive ergibt sich aber zwangsläufig der notwendige Zusammenhang von der Auferweckung Jesu Christi mit der Auferweckung der Toten. Davon handelt 1Kor 15. Die Auferweckung der Toten Das Anliegen von 1Kor 15 ist nicht, die Auferweckung Jesu Christi zu beweisen, sondern den Streit um die Frage nach der Auferweckung der Toten zu beenden, damit dieser Streit die Gemeinschaft der Berufenen nicht länger gefährdet. Paulus zeigt in 1Kor 15 auf, dass selbst der Tod die Schöpfungskraft Gottes nicht begrenzt und deshalb die Gemeinschaft mit dem Kyrios nicht zerstören kann. 15,1-3a leiten die Formulierung der Ausgangsbasis der Argumentation zugunsten der Annahme der Auferweckung der Toten metasprachlich ein. Sie erinnern die Korinther daran, dass es im Folgenden um das Evangelium geht, das Paulus verkündet hat, das die Korinther angenommen haben und das ihnen Rettung zuteil werden lässt, wenn sie an diesem Evangelium festhalten. Dieses Evangelium verbindet aber nicht nur Paulus und die Korinther, vielmehr wird es durch seine Markierung als Zitat mittels der Aussage, dass auch Paulus es empfangen habe, als Grundüberzeugung aller Berufenen qualifiziert. Das Zitat beginnt in 3b. Sein Ende ist offen. Sicher gehört Vers 8 nicht mehr dazu. Das Evangelium beginnt demnach mit dem Tod Christi, erzählt von seiner Auferweckung und bestätigt die Lebendigkeit des Auferweckten damit, dass er von verschiedenen Einzelpersonen und Gruppen zu unterschiedlichen Zeiten an verschiedenen Orten gesehen worden ist. Paulus schreibt in Vers 8 mit dem Rekurs auf seine eigene Christusvision das Zitat fort und schließt den ersten Abschnitt von 1Kor 15 in Anknüpfung an die metasprachliche Einleitung in 15,1-3a, indem er nochmals die Gemeinsamkeit der Grundüberzeugung des Evangeliums hervorhebt. Der zweite Abschnitt 1Kor 15,12-19 qualifiziert die als Zitat einiger Korinther gekennzeichnete Aussage, es gibt keine Auferstehung der Toten, als Widerspruch zu dem im vorangegangen Abschnitt erinnerten Evangelium von Tod und Auferweckung des Gekreuzigten. 23 J. Kremer, Der Erste Brief an die Korinther, 175. <?page no="40"?> Erster Teil 24 Der dritte Abschnitt 1Kor 15,20-28 führt nun die eigentliche These des ganzen Kapitels ein. Sie lautet: Die Auferweckung des Gekreuzigten ist kein isolierter Einzelfall wie etwa die Entrückung Elias, sondern der Beginn der eschatologischen Auferweckung der Toten. Damit kommt dem Ereignis der Auferweckung des Gekreuzigten die den gesamten Kosmos betreffende eschatologische Funktion der Überwindung des Todes zu (vgl. 15,26). Der vierte Abschnitt 15,29-34 stützt die These von der Auferweckung der Toten durch den Hinweis auf das Handeln der Korinther und des Paulus, das nur auf der Basis der Annahme der Auferweckung der Toten Sinn macht. Der fünfte Abschnitt 15,35-49 liefert Hilfen für die Denkbarkeit der Auferweckung der Toten. Der sechste Abschnitt 15,50-56 argumentiert mittels eines den Korinthern mitgeteilten „Geheimnisses“. 15,57 schließt die Argumenation ab mit einer Doxologie und 15,58 mit einem Appell an die Korinther, der sich aus der Annahme der Auferstehung der Toten ergibt. Schauen wir uns die Argumentation hinsichtlich der Frage nach der Realität der Auferweckung genauer an: 1Kor 15,1-11: Das von Paulus empfangene und von ihm und den anderen weitergetragene Evangelium erreicht seine Identität nicht durch einen festgeschriebenen Wortlaut. In Vers 2 wird ti,ni lo,gw| unter Verweis auf o[ti in Vers 3 seit Beginn des 20. Jahrhunderts gern dahingehend übersetzt. Wenn es dann auch noch auf Vers 2a bezogen wird, so ergibt sich der Sinn, dass die Rettung abhängig sei von der Bewahrung des Wortlauts, den Paulus verkündigt habe. So übersetzt z.B. die Einheitsübersetzung: „Durch dieses Evangelium werdet ihr gerettet, wenn ihr an dem Wortlaut festhaltet, den ich Euch verkündet habe.“ Logos im Syntagma ti,ni lo,gw| in Vers 2b verweist aber nicht auf einen festgeschriebenen Wortlaut, sondern bringt die Wirklichkeit und Wirksamkeit des Logos als ein Wirklichkeit schaffendes Wort, als eine Kraft ( du,namij ), wie es Paulus in 1Kor 1,18 formuliert, zur Geltung. Dieses wirkkräftige Wort hat einen verständlichen und wieder erkennbaren Inhalt, dessen narrative Grundstruktur in 15,3bff. erinnert wird. Die Wirksamkeit des Evangeliums hängt nicht wie bei Zaubersprüchen am Klang und der Reihenfolge der Signifikanten, sondern an der wieder erkennbaren Identität des Logos. Paulus betont, dass er immer dasselbe Evangelium verkündet, aber jede Leserin, jeder Leser seiner Briefe erkennt sofort die Variantenbreite der sprachlichen Formierung seiner Verkündigung. Die wieder erkennbare Identität der paulinischen Verkündigung des Evangeliums, des Wortes vom Kreuz, verdankt sich der narrativen Grundstruktur der Jesus-Christus-Geschichte 24 , die als Predigtschema bereits in 24 Vgl. E. Reinmuth, Narratio und argumentatio, 24: „Dabei ist zu beachten, daß die gleichsinnige Wiedergabe von stauro.j tou/ Cristou/ (V.17) durch lo, ,goj tou/ staurou/ (V.18) ein ganz entscheidendes Scharnier bildet. Das Kreuz Christi ist nicht lediglich das vergangene geschichtliche Ereignis, sondern dieses als das Handeln Gottes, also in seiner Bedeutung begriffen.“ Die „narrativen Bezugnahmen auf die Jesus-Christus- Geschichte im Ersten Korintherbrief«, ebd., 22, beginnen also nicht erst in 1,20b, son- <?page no="41"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 25 1Thess 1,9f. zu finden ist und auch in 1Kor 15,3ff. als wirkliche, wirksame und konkrete Geschichte erinnert wird. 25 Um einem Missverständnis vorzubeugen: Weder 1Thess 1,9f. noch 1Kor 15,3ff. sind ausgestaltete Erzählungen. Sie erinnern aber in zusammenfassender Weise die Eckpunkte einer Erzählung. Die Verben sterben-begrabenwerden-auferweckt werden-erscheinen sind kleinste Erzähleinheiten, die in ihrer Abfolge den Erzählplot der Jesus-Christus-Geschichte in ihrer paulinischen Version erkennen lassen, und Paulus macht durch 15,3a und 15,11 deutlich, dass er sich in dieser Grundstruktur der Evangeliumserzählung mit den anderen Aposteln einig weiß. Christus starb: Der Aorist avpe,qanen ( avpoqnh,|skw ) zeigt an, dass es sich um ein einmaliges, abgeschlossenes Geschehen handelte, um den zweifelsfreien Tod eines Menschen. Diesen Gedanken unterstreicht das zweite Narrem, das im Aorist Passiv formuliert ist: ev ta, fh ( qa,ptw ). Christus starb den Tod eines Menschen und folgerichtig wurde sein Leichnam bestattet. Diese punktuelle Todesgeschichte wird zu einer den Tod dauerhaft wirksam überwindenden Lebensgeschichte mit Hilfe des dritten Narrems: ev gh, gertai ( evgei,rw ). Die Formulierung im Perfekt zeigt an, dass die Auferweckung zu einem konkreten Zeitpunkt in der Vergangenheit stattgefunden hat und diese Handlung in der Gegenwart wirksam ist. Die passive Formulierung ist als passivum divinum zu lesen: kein anderer als Gott vermochte diese Machttat zu vollbringen. Er erschien einer Reihe von Zeugen: Das vierte Narrem w; fqh (aor.pass. o` ra, w ) zeigt an, dass die Ostererfahrungen integrativer Bestandteil der Jesus-Christus-Geschichte sind. Sie markieren den Anfang des Christentums, setzen aber das bisherige Geschehen der Jesus- Christus-Geschichte voraus. dern durch das Zeichen stauro.j wird sie auch in 1,17f. bei den Rezipienten abgerufen. Wenn man darüber hinaus mit Reinmuth und A.J.M. Wedderburn, Paul and the Story of Jesus, 163ff., den Begriff „story“ bzw. das Syntagma „Jesus-Christus-Geschichte“ verwendet, „um sowohl den Teil der Jesus-Christus-Geschichte, der als Mythos bezeichnet werden könnte, als auch den, der die historischen Ereignisse erfaßt, zu umgreifen - und eben das damit nicht zu trennen, was für Paulus zusammengehört“, dann beginnt diese narrative Bezugnahme bereits mit dem Abschnitt 1,1-9, der Jesus Christus als eine in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft handelnde Figur innerhalb des Diskursuniversums einführte und damit implizit erzählt, dass die Jesus-Christus- Geschichte nicht am Kreuz endete, sondern die Wirklichkeit des Absenders und der Adressaten zu ihrer Fortsetzung gehören. 25 F. Mußner, Zur stilistischen und semantischen Struktur der Formel von 1Kor 15,3b-5, 407: „Auch die alte Credo-Formel von 1Kor 15,3-5 ist ganz deutlich nach der Stilfigur der ‚enumerativen Redeweise‘ aufgebaut, mit deren Hilfe die Etappen eines sukzessiven Geschehens nacheinander genannt werden: ‚Christus starb und er wurde begraben und er ist auferweckt worden und er erschien‘. Die nacheinander folgenden ‚Etappen‘ dieses erzählten Geschehens werden mit Hilfe des parataktischen kai. enumerativ aneinandergereiht.“ <?page no="42"?> Erster Teil 26 In den Erzählplot von 1Kor 15,3b-5 sind diskursive Entfaltungen eingearbeitet, die die Pragmatik des Textes konkretisieren und ihren enzyklopädischen Rahmen erkennen lassen, in dem sie ihre Plausibilität zu entfalten vermag: Christus starb „für unsere Sünden“ ( u`pe.r tw/ n a`martiw/ n h`mw/ n ). Sowohl die Verkündiger als auch die Rezipienten der Verkündigung werden in dem Pronomen zusammengefasst und in die Jesus-Christus-Geschichte eingeschrieben: narrator et lector in fabula! 26 Erzähler und Leser befinden sich in der Geschichte. Zudem scheint mit dem Interpretament „für unsere Sünden“ die paulinische Rechtfertigungstheologie auf, die eingebettet in die Jesus- Christus-Geschichte als deren diskursive Entfaltung lesbar wird. Er starb für unsere Sünden und wurde auferweckt am dritten Tag gemäß den Schriften ( kata. ta.j grafa.j ). Die Jesus-Christus-Geschichte ist nur rezipierbar auf dem Hintergrund der Enzyklopädie der Schriften des Alten Bundes. Mit dem zweifachen „gemäß den Schriften“ in Verbindung mit dem passivum divinum „er wurde auferweckt“ wird die Jesus-Christus-Geschichte zur Theologie, zur Rede von Gott. Die Jesus-Christus-Geschichte kann weder auf Christologie noch auf Soteriologie und auch nicht auf Anthropologie oder Ekklesiologie und schon gar nicht auf Psychologie reduziert werden: Sie ist ebenso und vor allem Theologie: sachgemäße Rede vom Wirklichkeit schaffenden Handeln Gottes. Dieses wunderbare Handeln Gottes verdeutlicht Paulus im Anschluss an das tradierte Textstück an seiner eigenen Geschichte. Er war eine Totgeburt, weil er die Kirche Gottes verfolgte. Gott hat die Wirklichkeit des Paulus verändert, indem er ihn vom Verfolger zum Verkündiger des Evangeliums verwandelte, indem er aus der Totgeburt einen Lebensverkündiger gemacht hat. 27 Paulus interpretiert seine eigene apostolische Existenz im Horizont der Auferweckung Jesu Christi. Diese paradoxe Struktur, aus dem Tod Leben zu schaffen, interpretiert die Jesus-Christus-Geschichte in angemessener und wirksamer Weise. Sie hat in ihrer paulinischen Variante ihre treffendste Bezeichnung als Wort vom Kreuz ( lo, ,goj tou/ staurou/ , 1Kor 1,18) erhalten, das Paulus im selben Brief in den ersten vier Kapiteln entfaltet. Das Wort vom Kreuz lässt sich nicht auf eine propositionale Aussage, auf einen dogmatischen Lehrsatz oder eine im Wortlaut zu tradierende Formel reduzieren. Es meint als pars pro toto den Erzählplot der narrativen Theologie der Jesus-Christus-Geschichte, die erzählt, wie der durch die Schriften des Alten Bundes bekannte barmherzige 26 Vgl. U. Eco, Lector in fabula. 27 G. Sellin erhellt in seiner Monographie „Der Streit um die Auferstehung der Toten“, 250, die exemplarische Funktion dieser autobiographischen Erzählpassage, mit der sich Paulus, der Erzähler, in die Jesus-Christus-Geschichte einschreibt: „In der Person des Paulus, in seiner Bekehrung und Berufung, hat Gott durch seine Gnade einen Toten lebendig gemacht. [...] Die Christus-Erscheinung vor Paulus ist daher Exempel der lebenschaffenden, Tote erweckenden, wirksamen Macht Gottes. [...] Die Wirkung der schöpferischen Gnade Gottes besteht in weiterwirkender Aktivität [...], im euagge,lion . Das Kerygma hat so selber Leben schaffende Wirkung.“ <?page no="43"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 27 und gerechte Schöpfergott durch den Kreuzestod seines Sohnes hindurch neues Leben erschuf. Auf diese Weise überwand er die letztgültige Wirklichkeit des Todes, erlöste damit die Menschen aus ihrer selbstverschuldeten und aus eigener Kraft nicht zu überwindenden Todesverfallenheit und bot ihnen ein neues, schöpfungsgemäßes Leben in der Gemeinschaft mit Jesus Christus an. Die Erzähler und die Rezipienten dieser Geschichte sind auf Leben oder Tod in diese Geschichte eingeschrieben. Und indem sie diese Geschichte annehmen und weitererzählen, werden sie zum Zeichen ihrer Kraft. Das Wort vom Kreuz wird Paulus zum Kriterium aller wahren Rede von Gott und seinen Geschöpfen. 28 1Kor 15,12-19: Vers 12a benennt nochmals die als gemeinsam gesetzte Realitätsüberzeugung, dass Jesus Christus von den Toten auferweckt worden ist. Vers 12b stellt bereits durch die Form der Frage klar, dass die Verneinung der eschatologischen Realitätsannahme der Auferweckung der Toten in einem unversöhnlichen Widerspruch zu der gemeinsamen Überzeugung von der Auferweckung Jesu Christi steht und daher keinen Sinn macht. Vers 13 gibt zu erkennen, dass Paulus die Auferweckung Jesu Christi nicht als einen Sonderfall denkt, sondern dass sie zu der für die Endzeit erwarteten Auferweckung der Toten gehört. Die Verse 14-19 stellen heraus, dass mit der Realitätsannahme der Auferweckung Jesu Christi das Evangelium steht und fällt, diese aber nur denkbar sei mit der Realitätsannahme der eschatologischen Auferweckung der Toten. 1Kor 15,20-28: Auch der Anfang dieses Abschnitts formuliert nochmals in V. 20a die als gemeinsam gesetzte Realitätsannahme der Auferweckung Jesu Christi. Sie fährt aber in 20b mit der Deutung dieses Ereignisses als Anfang der eschatologischen Auferweckung der Toten fort und führt damit die Grundthese der paulinischen Ausführungen über die Auferweckung in 1Kor 15 aus: Die Auferweckung Jesu Christi ist demzufolge kein isoliertes historisches Faktum der Vergangenheit, das den empirisch-historischen Gesetzmäßigkeiten dieser Weltzeit unterläge. Sie ist vielmehr ein apokalyptisch-eschatologisches Ereignis, das in die kommende Weltzeit hineinreicht, oder besser gesagt, die eschatologische Zeit und Realität anbrechen lässt und von ihr her verständlich wird. Der auferweckte Gekreuzigte ist demnach kein wiederbelebter Toter, der in sein ehemaliges Leben zurückkehrt. Er ist vielmehr der Anfang der eschatologischen Totenerweckung, die den Tod als solchen dauerhaft bezwingt und deshalb kosmologische Auswirkungen hat. Die Verse 21f. geben Einblick in die Logik, mit der Paulus die kosmologische Dimension der Auferweckung Jesu Christi denkt: Durch einen Menschen kam der Tod und deshalb muss auch durch einen Menschen die Überwindung des Todes, die Auferweckung der Toten erfolgen. Paulus identifiziert Adam als den Menschen, in dessen 28 Vgl. dazu P. Bühler, Kreuzestheologie und die Frage nach dem Kanon; F. Vouga, Crux probat omnia. <?page no="44"?> Erster Teil 28 Gemeinschaft alle vom Tod betroffen sind, und Christus als denjenigen, in dessen Gemeinschaft alle lebendig gemacht werden. Die Verse 24-28 informieren dann über das apokalyptische Szenario, das Paulus in der Verschränkung der Zeiten denkt. Es muss Paulus zufolge alles der Reihe nach geschehen: Christus ist der „Erstling“ der eschatologischen Auferweckung. Seine Auferweckung hat sich bereits ereignet und deshalb ist auch der Fortgang der Ereignisse garantiert. Er wird zurückkommen und dann werden die Toten erweckt, „die zu Christus gehören“ (23c). Nachdem Christus alle widergöttlichen Mächte und als letzte von ihnen den Tod vernichtet hat, übergibt er das „Reich“ Gott dem Vater. Die Verse 27f. machen aber unmissverständlich klar, dass Jesus Christus, der Sohn, nicht aus eigener Kraft die widergöttlichen kosmologischen Mächte besiegt, sondern Gott „alle Feinde unter seine Füße“ stellt. Gott ist das souveräne Subjekt des ganzen Geschehens, „damit Gott sei alles in allem“ (28c). 1Kor 15,29-34: Vers 29 lässt die Leugnung der Auferweckung der Toten als widersprüchlich erscheinen, weil die nach Paulus von den Korinthern praktizierte Taufe für Verstorbene dadurch sinnlos würde. Auch seine eigene apostolische Existenz, die ihn immer wieder in Todesgefahr bringe, ergäbe ohne die Gewissheit, von den Toten auferweckt zu werden, keinen Sinn. Die Leugnung der Auferweckung der Toten zeugt davon, dass Gott in seiner Schöpfermacht nicht gekannt wird. Dieses Nichtkennen Gottes führt zu der Logik der Redewendung „Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot.“ (V. 32c). Zu ergänzen ist dann aber: und bleiben tot. Wer Gottes Auferweckungskraft leugnet, weiß nichts von Gott (vgl. V. 34). 1Kor 15,35-49: Die Verse 35-49 zeigen die schöpfungstheologische Fundierung des paulinschen Auferweckungsdiskurses auf. Paulus erörtert durch die Bezugnahme auf Gen 1 und 2 die Frage: „Wie werden die Toten auferweckt, was für einen Leib werden sie haben? “ (V. 35b). Paulus bemüht sich ernsthaft darum, mit dem enzyklopädischen Wissen seiner Zeit die Realität der Auferweckung analogisch und metaphorisch darzulegen. Dafür stellt die jüdische Theologie der Schöpfung der paulinischen Theologie der Neuschöpfung die entscheidenden Vorgaben bereit: Der in der Tora bezeugte barmherzige und gerechte Schöpfergott schafft mit seiner Wunderkraft den Kosmos mit allem Leben, indem er allem und jedem einen eigenen Leib gibt. Das leibhaftige Leben ist gute Gabe Gottes. Gottes Schöpfung ist somatisch. „Paulus beschreibt die erste Schöpfung in sinngemäßer Anlehnung an Gen 1, indem er den Schöpfungsbericht auf sein korinthisches Problem hin liest und interpretiert.“ 29 Leiblichkeit ist das Kontinuum von der Schöpfung zur Neuschöpfung. 29 J. Becker, Auferstehung der Toten im Urchristentum, 90. Ebd.: „Sonne, Mond und Sterne treten in der Reihenfolge Gen 1,14-19 auf und werden ausdrücklich nach ihrer Leuchtkraft (Paulus deutet Glanz, Herrlichkeitsgrad) eingeteilt. Die Tiere auf dem Lande, in der Luft und im Wasser werden Gen 1,20ff. in umgekehrter Reihenfolge erschaffen und der Mensch als letzter und Krönung der Schöpfung (Gen 1,26ff.). Paulus liest - wohl wegen seiner gezielten Ausrichtung auf den Menschen - also den Schöp- <?page no="45"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 29 Der Vergleich mit dem Samenkorn (15,36ff.) stellt als Basis zunächst die Notwendigkeit und Radikalität des Todes fest. Der Tod ist das umfassende Ende. Es gibt keine inhärente Kontinuität zwischen dem verstorbenen Leib und dem neu geschaffenen Leib. Paulus teilt nicht die griechische Vorstellung eines Weiterlebens der Seele. Der Tod kennt keine Grenzen. Er verschlingt den ganzen Menschen. „Hier […] geht es prinzipiell um den Tod als Akt der Diskontinuität, der die beiden konträren Existenzweisen zeitlich trennt. […] Das Verhältnis von Saat und Pflanze wird gerade nicht im Sinne der Entwicklung, im Sinne des Keim-Begriffs verstanden, sondern als eine Neuschöpfung Gottes im Sinne eines Wunders.“ 30 In den Versen 38-41 führt Paulus die Plausibilität der Annahme vor, dass Gott allem und jedem einen spezifischen Leib gibt. Auf dieser Basis und unter Aufnahme der Saat-Analogie formuliert er in den Versen 43f. Kontinuität und Differenz zwischen erster und zweiter Schöpfung: Das kontinuierliche Subjekt beider Schöpfungen ist Gott, die kontinuierliche Art und Weise des göttlichen Schaffens besteht in der Gabe spezifischer Leiber und genau darin gründet dann auch die entscheidende Differenz. Die Leiber der ersten Schöpfung sind „natürlich“, d.h. schwach, sterblich, verweslich und deshalb für das ewig andauernde Reich Gottes nicht geeignet. Die neuen „geistlichen“ Leiber aber werden dem ewigen Leben im Reich Gottes gemäß gestaltet (vgl. V. 50). Die Differenz „natürlich“ ( yuciko,n ) vs „geistlich“ ( pneumatiko,n ) besteht nicht in einer vermeintlichen Leiblosigkeit des Pneumatischen. Der geistliche Leib ist geistlicher Leib, weil er durch den Geist des Auferweckten lebendig gemacht werden wird (vgl. V. 45). Es ist diese göttliche Kraft ( du, namij ), die dem geistlichen Leib zukommt und dem natürlichen Leib mangelt (vgl. V 43b). Wie stark die Theologie der Schöpfung in der gesamten Argumentation dominiert, zeigt nicht nur das Zitat aus Gen 2,7 in 1Kor 15,45, sondern mehr noch der Versuch des Paulus, die Neuschöpfung analog und mit Hilfe der Leitdifferenz yuciko,n vs pneumatiko,n zugleich im Unterschied zur ersten Schöpfung zu begreifen: „Wie geschrieben steht: Der erste Mensch, Adam, wurde zu einem lebendigen ( yuch.n ) Wesen, und der letzte Adam zum Geist, der lebendig macht ( pneu/ ma zw|opoiou/ n ).“ (V. 45). Zugleich verknüpft diese Formulierung die Christologie mit der Pneumatologie. Der auferweckte Christus wirkt als lebendig machender Geist. 1Kor 15,50-56: Die Auferweckung der Toten erwartet Paulus im Horizont apokalyptischen enzyklopädischen Wissens: „Denn es wird die Posaune erschallen, und die Toten werden auferstehen unverweslich“ (V. 52b). Die fungsbericht gleichsam von hinten. Absichtlich wird in ihm die Artdifferenz der Tiere hervorgehoben (Gen 1,21), auf die der Apostel Bezug nimmt. Endlich wird man auch fragen, ob nicht die Erwähnung von Samen und Unterscheidung der Samen nach Arten - auf Gen 1,11f. aufbaut. Wenn Paulus zudem festhält, dies tue Gott, ‚wie er beschlossen hat‘(v. 38), dann ist dies eine sachgemäße Interpretation des Schöpfungsbefehls in Gen 1,11.“ 30 G. Sellin, Der Streit um die Auferstehung der Toten, 214. <?page no="46"?> Erster Teil 30 Differenz zur traditionellen jüdischen Apokalyptik besteht vor allem darin, dass die Auferweckung der Toten bereits mit der Auferweckung des Gekreuzigten begonnen hat. Weil Paulus von dem baldigen endgültigen Ende der Zeit ausgeht und damit rechnet, dass einige Zeitgenossen dann noch leben werden, diese aber auch einen dem Reich Gottes gemäßen Leib brauchen, argumentiert er mit der Idee der Umgestaltung bzw. der Verwandlung (vgl. 1Kor 15, 51), denn im Ganzen gilt, „dass Fleisch und Blut das Reich Gottes nicht ererben können“ (V. 50 b). Der geistliche Leib besteht demzufolge nicht mehr aus Fleisch und Blut. Dennoch ist er optisch wahrnehmbar (vgl. 1Kor 15, 5-8). Da Paulus zufolge der „zweite Mensch“ „vom Himmel“ ist und Paulus die Himmelskörper Sonne, Mond und Sterne nach ihrem „Glanz“ ( do, xa ) unterscheidet, liegt die Annahme nahe, dass Paulus den geistlichen Leib analog dazu als Lichtgestalt dachte bzw. den Leib des gekreuzigten Auferweckten so wahrnahm (vgl. auch 1Kor 9,1b). 31 1Kor 15,57f.: Der doxologische Schluss des Argumentationsgangs hebt hervor, dass Gott als das souverän handelnde Subjekt des Geschehens der Dank gebührt für die kosmologische Überwindung der widergöttlichen Mächte, zu denen auch und nicht zuletzt der Tod gezählt wird. In dieser Gewissheit sollen die Korinther ihr alltägliches Handeln ausrichten. Die leibhaftige Gemeinschaft mit dem auferweckten Gekreuzigten: Taufe -Abendmahl - Leib Christi Die Auferweckung der Toten geschieht dem 1Kor zufolge als kollektive Auferweckung am Ende der Zeit, wenn Jesus Christus aus den Himmeln zurückkehrt. Sie ist keine anthropologische Konstante und kein Selbstzweck, sondern notwendig für das Eingehen in die ewige Gemeinschaft mit Jesus Christus für diejenigen Mitglieder des Leibes Christi, die vor seiner Wiederkunft sterben. Die Gemeinschaft mit dem Kyrios ist aber nicht erst eine zukünftige Verheißung, sondern realitätsstiftende Gegenwart. Die Gemeinschaft mit dem Kyrios fügt die Glaubenden in den Leib Christi ein (vgl. 6,15a; 12,12ff.). Sie sind „ein Geist mit ihm“ (6,17b). Die sichtbaren Gemeinden sind daher Paulus zufolge wahrnehmbarer Erweis der Realität des Auferweckten, der der Geist ist, der lebendig macht (vgl. 1Kor 15,45). Die Eingliederung in den Leib Christi verpflichtet die Glieder des Leibes Christi zur liebevollen Gemeinschaft untereinander und zu einem Gott die Ehre gebenden Leben. Die zahlreichen ethischen Anweisungen in den paulinischen Briefen ergeben sich aus dem Identitätswechsel, den die Glaubenden durch den Akt der Taufe vollziehen. Sie gehören sich nicht selbst, sondern sind nun Glieder des Leibes Christi, und haben sich auch als 31 Vgl. G. Guttenberger, Wfqh . <?page no="47"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 31 solche zum Wohle dieses gemeinschaftlichen Leibes zu verhalten: „Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des heiligen Geistes ist, der in euch ist und den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euch selbst gehört? Denn ihr seid teuer erkauft; darum preist Gott mit eurem Leib“ (6,19f.). Werden die Glaubenden durch den einmaligen Akt der Taufe in den Leib Christi eingegliedert, so begegnet in der Materialität von Brot und Wein der auferweckte Gekreuzigte den Gliedern seines Leibes auf wirksame Art und Weise: „Der gesegnete Kelch, den wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi? “ Mit dem Feiern des Herrenmahls wird die Erinnerung an den Kreuzestod bewahrt. Das Blut Christi und sein gebrochener Leib sind Metonymien des am Kreuz getöteten Körpers. Zugleich sind sie Zeichen des abwesenden Auferweckten. Das Blut nämlich als Träger des Lebens (vgl. Lev 17,11a) und der Leib als Kontinuum von Schöpfung und Neuschöpfung verweisen auf die lebendige Leibhaftigkeit des Auferweckten. Auch das Herrenmahl verkündet das Wort vom Kreuz (vgl. 1Kor 11,26). Die Darstellung des Blutes durch den Wein und des Leibes durch das gebrochene Brot ermöglicht die zeichenhafte identifikatorische Einverleibung des Blutes und Leibes Christi und damit die somatische und pneumatische Gemeinschaft mit ihm. Brot und Wein sind gleichermaßen wirksame Zeichen der Präsenz und der Abwesenheit des Auferweckten. Sie sind wirkkräftige Platzhalter, die nur deshalb notwendig sind, weil er abwesend ist bis zum Tage seiner endgültigen Wiederkehr (vgl. 1Kor 11,26c). Brot und Wein repräsentieren den Abwesenden auf wirksame Weise. Dass die Gemeinschaft mit ihm durch die Materialität von Brot und Wein nicht spiritualistisch entleert, sondern somatisch wirksam gedacht ist, zeigen die Ausführungen des Paulus über die Auswirkungen eines unwürdig eingenommenen Herrenmahls, das nämlich zu Strafwundern 32 führt (vgl. 1Kor 11,27-34). Das somatische Gemeinschaft mit dem Auferweckten erzeu-gende Herrenmahl ist Paulus zufolge wirksames Ereignis seiner Präsenz. Auch dieser Gedankengang erhält seine Plausibilität durch die Schöpfungstheologie, die Paulus den Auferweckungsleib somatisch denken lässt. Wenn aber die ganze Realität schöpfungsgemäß somatisch ist, dann muss auch die Präsenz des Auferweckten in der Gegenwart somatisch gedacht werden. Der lebendigmachende Geist des Auferweckten präsentiert sich auf verschiedene Weise: in der Gestalt, wie ihn Paulus und die anderen gesehen haben (vgl. 1Kor 9,1; 15,4-8), in der Gestalt der sichtbaren Gemeinde als Leib Christi und in der Materialität von Brot und Wein. 32 Vgl. S. Alkier, Wunder und Wirklichkeit in den Briefen des Apostel Paulus, 171-191, insbes. 190f. <?page no="48"?> Erster Teil 32 1.4. Der 2. Korintherbrief Dass die Theologie der Auferweckung den 1Kor maßgeblich bestimmt, ist nicht nur in 1Kor 15 offensichtlich. Im 2Kor hingegen wird die Theologie der Auferweckung weniger kosmologisch und eschatologisch reflektiert als vielmehr auf die Deutung der apostolischen Existenz in der Gegenwart appliziert und auch apologetisch bzw. polemisch eingebracht. Der 2Kor zeugt insgesamt von der Gewissheit des Apostels, dass die Kraft der Auferweckung des Gekreuzigten nicht erst für das ewige Leben im Reich Gottes von Bedeutung ist, sondern bereits jetzt, inmitten dieser Welt wirkt und die Realität der Glaubenden verändert. Der Aufbau des 2Kor Aus der Kenntnis des 1Kor, aber auch aus dem 2Kor geht hervor, dass der 2Kor in eine rege und konfliktreiche Kommunikation zwischen dem Apostel Paulus und seinen Mitarbeitern auf der einen und der Gemeinde in Korinth und Umgebung auf der anderen Seite eingebunden ist. Theologische Themen, Nachrichten, Reisepläne, Planungen, Reflexionen über die Beziehung zwischen Apostel und Gemeinde und damit verbundene Konfliktbearbeitungen sind im 2Kor weit mehr als im 1Kor ineinander verwoben. Die Gesamtargumentation des 2Kor ist daher nicht leicht zu durchschauen. Aus der Resignation, eine solche zu finden, entsteht schnell das Lesegefühl, der 2Kor sei kein Textganzes, sondern eine nachträglich zusammengestellte Briefsammlung. Gegen die Teilungshypothesen sei aber mit Udo Schnelle angeführt: „Nicht die Möglichkeit, sondern die unbedingte Notwendigkeit von Teilungshypothesen muß als methodisches Prinzip gelten. […] Bisher wurde aber für keinen Paulusbrief der unbedingte Nachweis erbracht, dass er nur unter Zugrundelegung von Teilungshypothesen sinnvoll verstanden werden kann.“ 33 Von einer solchen unbedingten Notwendigkeit kann mit Schnelle auch hinsichtlich 2Kor nicht die Rede sein. Es lässt sich sogar eine grobe Argumentationsstruktur aufzeigen: 33 U. Schnelle, Eineitung in das Neue Testament, 87. <?page no="49"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 33 1,1-2 Präskript: 1,3-7 Danksagung 1,8-11 narratio 1,12-14 propositio 1,15-7,16 Themablock 1: Die Herrlichkeit des Neuen Bundes 8-9 Themablock 2: Die Bewährungsprobe der Korinther: Kollekte für Jerusalem 10,1-13,10 Themablock 3: Warnung der Korinther vor der Kraft in Schwachheit 13,11ff. Postskript Das Präskript führt nicht nur Absender und Adressaten an, sondern benennt auch das in Gott gründende Verhältnis der beiden als Basis ihrer Kommunikation. Paulus ist Apostel Christi Jesu, weil Gott es will, und die Korinther sind Kirche Gottes. Weder die Existenz des Apostels noch die der Kirche verdanken sich selbst, sondern sie verdanken sich allein dem Handeln Gottes. Nur auf dieser Basis kann die Kommunikation zwischen Apostel und Kirche gelingen. Die Danksagung erläutert, wer der Gott ist, dem sich der Apostel und die Kirche verdanken. Es ist „Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes“ (1,3). Die sich anschließende Erzählung in 1,8-11 zeigt, dass der Gott allen Trostes nicht vertröstet, sondern rettend eingreift. Die Erzählung von der göttlichen Rettung aus der Todesgefahr bestätigt die Trefflichkeit des paulinischen Selbstverständnisses, Apostel durch den Willen Gottes zu sein. Die propositio formuliert das pragmatische Grundanliegen des Briefes: Der von Gott gewollte und bewahrte Aposteldienst des Paulus wird von Paulus durch die Gnade Gottes aufrichtig, ehrlich, klar und verständlich ausgeübt. Wenn sich die Adressaten darauf verlassen, dann können sich der Apostel Gottes und die Kirche Gottes „am Tag unseres Kyrios Jesus“ (1,14) gegenseitig rühmen, denn dieses Rühmen wäre kein Selbstlob, sondern Lob Gottes, dem beide ihre Existenz zu verdanken haben. Anders formuliert: Das Bemühen um die gelingende Kommunikation zwischen Apostel und Kirche ist eine soteriologische Notwendigkeit angesichts des nahenden Gerichts. Dieser pragmatischen Absicht sind die drei thematischen Blöcke des 2Kor verpflichtet. Im Abschnitt 2,15-7,16 erläutert Paulus seinen Dienst am Neuen Bund. Er erzählt zunächst, warum dieser Dienst es nicht zuließ, dass er die Korinther erneut besuchte. Sodann erläutert er die Herrlichkeit des Neuen Bundes, seine Verstehensvoraussetzungen und sein Verhältnis zum Alten Bund, der weiterhin Bestand hat. Der darauf folgende Abschnitt lässt den Neuen Bund als Gottes Versöhnungstat begreifen, die „Neue Schöpfung“ (5,17) bewirkt. Dass die Zugehörigkeit zu und der Dienst an diesem Bund Leiden und Gefahren mit sich bringt, sollen die Korinther am Beispiel <?page no="50"?> Erster Teil 34 des Apostels begreifen. Am Schluss des ersten thematischen Blockes kommt Paulus dann noch einmal auf die Besuchsverzögerung zu sprechen. Der zweite thematische Block (Kap 8 und 9) bereitet die Kollekte der Korinther für Jerusalem vor. Diese Kollekte gilt dem Apostel als Bewährung der Zuverlässigkeit der Korinther (vgl. 7,16). Der dritte thematische Block, der Abschnitt 10,1 - 13,10 warnt die Korinther davor, die in der propositio angesprochene Lauterkeit und Einfachheit des Apostels als machtlose Schwäche auszulegen und damit einen Bruch zu riskieren. Wie die Auferweckung Jesu Christi die martialische Gewalt des Kreuzes überwunden hat, wird auch die im Apostel wirksame Kraft in Schwachheit sich als mächtiger erweisen als die der „Überapostel“, die die Korinther auf Irrwege führen (vgl. 13,4). Zeigt der erste Themenblock auf, dass Paulus seinen Teil am Gelingen der Kommunikation zuverlässig erfüllt, so fordert der zweite Themenblock die Korinther dazu auf, dieses ihrerseits anlässlich der Kollekte zu tun. Der dritte Block warnt dann eindrücklich vor der Störung der Kommunikation durch die Missachtung des Kommunikanten Paulus. Insgesamt zielt der 2Kor darauf, die Existenz des Apostels und die der Kirche in Korinth als Schöpfungswerke Gottes analog zu der Auferweckung des Gekreuzigten zu verstehen, sich deshalb gegenseitig zu schätzen und auf dieser Basis miteinander zu kommunizieren. Kraft in Schwachheit: Tod und Auferweckung Jesu Christi als hermeneutischer Schlüssel der apostolischen Existenz Die Widerfahrnisse des Apostels werden als unmittelbar bezogen auf das Wohl der angeschriebenen Korinther vorgestellt: „Sei es aber, dass wir bedrängt werden, so ist es zu eurem Trost und Heil; sei es, dass wir getröstet werden, so ist es zu eurem Trost, der wirksam wird im geduldigen Ertragen derselben Leiden, die auch wir leiden. Und unsere Hoffnung für euch steht fest, da wir wissen, daß, wie ihr der Leiden teilhaftig seid, so auch des Trostes“ (2Kor 1,6f.). 34 Otfried Hofius hat in seinem instruktiven Aufsatz Der Gott allen Trostes 35 aufgezeigt, dass Trost hier nicht auf die psychische Verarbeitung erfahrenen Leides, sondern analog zu alttestamentlichen Texten auf die „rettende Zuwendung“ Gottes zielt. Gott, der als „Vater der Erbarmungen und Gott allen Trostes“ (2Kor 1,3) im 2Kor eingeführt wird, bezeichnet hier also keinen Seelsorger oder Psychotherapeuten, der das Innere des zu Tröstenden um- 34 Vgl. H. Windisch, Der zweite Korintherbrief, 36: „Unter den Danksagungen zu Eingang des Briefes nimmt die in II Kor einen besonderen Platz ein. Während sich sonst der dankerfüllte Blick gleich der Lesergemeinde zuwendet (auch in I), spricht hier der Beter aus der Fülle eigener Erlebnisse und zieht die Leser nur soweit herein, als sie an Leid und Trost der Ap. auch ihrerseits Anteil nehmen und Anteil haben werden. Es fehlt (wie in Gal) der Eingangsdank für das reiche geistliche Leben“. 35 O. Hofius, Der Gott allen Trostes, 244-254. <?page no="51"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 35 sorgt, sondern nach alttestamentlichem Vorbild den machtvollen Wundertäter, der in den Lauf der Dinge eingreift und die äußeren widrigen Umstände mit seiner göttlichen Kraft verändert: „Mit dem Ruf ‚Tröstet, tröstet mein Volk! ‘ (Jes 40,1) werden himmlische Boten beauftragt, dem bedrängten Gottesvolk die ‚Tröstung Jahwes‘, d.h. sein rettendes und die Not wendendes Eingreifen, anzukündigen.“ 36 Die Erzählung und ihre mitgelieferte Deutung in 2Kor 1,8-11 dienen als beispielhafter Beleg für das in der Eulogie 37 behauptete wirksame göttliche Eingreifen zugunsten des Apostels Paulus. 38 Mit diesem autobiographischen Beleg tröstenden, weil den Apostel rettenden Handelns Gottes, beansprucht Paulus, dass die in Vers 1 formulierte appositionelle Markierung seines Namens keine leere Behauptung ist, sondern auf kommunizierbarer Erfahrung beruht. Paulus, der Apostel Jesu Christi durch Gottes Willen, steht demnach unter dem Schutz des wundermächtigen Gottes. Die in 1,8-11 erzählte Rettung des Apostels aus Todesgefahr dient der Argumentationsstrategie des 2Kor als Erweis der Legitimität des Apostels gleich zu Beginn des Briefes. Dieser narrative Beweis wird als Wundergeschichte erzählt. Die Verse 8 und 9a schildern eine extreme Mangelsituation. In der römischen Provinz Asia entstand eine den Apostel lebensgefährlich bedrohende Situation. Die pleonastische Formulierung in V. 8 stellt mit aller Deutlichkeit heraus, dass diese Situation über die Kraft des Apostels hinausging und mit menschlichen Mitteln nicht zu lösen war. 39 Nach menschlicher Einschätzung der Lage wäre der Tod unausweichlich zu erwarten gewesen (vgl. V. 9a). Aus dieser Situation konnte Paulus zufolge nur Gott retten, denn er ist der „Gott, der die Toten auferweckt“ 40 . Ihm wird dann auch tatsächlich die wunderbare Rettung aus der Todesgefahr, von der Vers 10 a erzählt, zugeschrieben. Das autobiographisch erzählte Rettungswunder nimmt Paulus dafür in Anspruch, dass dieselbe Kraft Gottes, die die Auferweckung des gekreuzigten Jesus Christus bewirkte, auch zugunsten des Apostels wirkt. 36 Ebd., 253 [Hervorhebung von mir]. 37 O. Hofius, „Der Gott allen Trostes“, 246, macht auf die Nähe von 2Kor 1,3-7 zu „alttestamentlichen Lobsprüchen“ aufmerksam. 38 Vgl. ebd., 245f. 39 Vgl. G. Heinrici, Handbuch über den zweiten Brief an die Korinther, 20. 40 H. Windisch, Der zweite Korintherbrief, 47, bemerkt zum Syntagma tw/ | qew/ | tw/ | evgei,ronti tou.j nekrou,j : „Diese Formel [...] findet sich [...] auch im Achtzehnbittengebet, in der zweiten Bitte wie in der Schlußbenediktion [...] Daß sie in Israel schon früher bekannt war, ist vielleicht aus Dtn 32,39; 1Kön 2,6 und 2Kön 5,7 zu entnehmen [...] Die Ausdrucksweise ist also altsemitisch und wird schon lange vor P[aulus] im Judentum gebräuchlich gewesen sein. Man beachte, daß jede Beziehung auf Jesus Christus fehlt: Die jüdische Formel ist hier noch nicht christianisiert. Ihre Bedeutung und Anwendung ist eine doppelte. Nach der alttest. orientalischen Sprachweise, die schon die Todesgefahr als Todeszustand, die Krankheit als eine Fahrt in die Unterwelt, dementsprechend die Bewahrung vor dem Tode als eine Erweckung vom Tode ansieht, kann sie sich auf wirkliche Totenerweckung, wie auf Befreiung aus Lebensgefahr beziehen; bei P[aulus] ist beides denkbar“. <?page no="52"?> Erster Teil 36 Paulus deutet seine Rettung aus Todesgefahr im Horizont der Realitätsannahme der Auferweckung Jesu Christi. Die Kraft der Auferweckung wirkt nicht erst wieder bei der eschatologischen Auferweckung der Toten, sondern schon jetzt, mitten in den Gefahren dieser Welt, denn es ist ein und dieselbe Kraft: die wunderbare Schöpfungskraft des gerechten und barmherzigen Gottes. Die Wundergeschichte in 2Kor 1,8-11 ist durchsetzt mit einer theologischen Deutung. Sie wird als theologische Begründung verwendet, die die Argumentation des gesamten Schreibens durchzieht. Vers 9b vernetzt deshalb die Situationsschilderung mit einer theologischen Deutung, die die Erzählung der Ausführung des Wunders vorbereitet. Es wird klargestellt, dass die Selbsteinschätzung, dem Tode überantwortet gewesen zu sein, sich nicht aus gottvergessener Todesfurcht ergab, sondern es sich um ein absichtsvolles Geschehen handelte. 41 Das Eingeständnis, die Situation nicht aus eigenen Kräften heraus meistern zu können, also die Akzeptanz der eigenen ohnmächtigen Schwachheit, ermöglicht das vertrauensvolle Sich-Hinwenden zu Gott, dem machtvollen und barmherzigen Totenerwecker. Die dann erfolgte wunderbare Rettung löst auf der narrativen Ebene die Mangelsituation 42 und sanktioniert auf der diskursiven Ebene die Theologie des Apostels, die nicht zuletzt auf der Unterscheidung von menschlichen und göttlichen Möglichkeiten beruht. „Indem Gott den Apostel Jesu Christi aus der Bedrängnis und aus der in jeder Bedrängnis nach ihm greifenden Todesmacht errettet, erweist er seine in der Aufwerweckung Jesu Christi offenbar gewordene Auferweckungsmacht (vgl. 2Kor 4,7ff; 13,4) und sich selbst als den Gott, der als ‚der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus‘ der ‚Vater des Erbarmens und Gott allen Trostes‘ ist.“ 43 Damit korreliert das Eingeständnis der ohnmächtigen Schwachheit des Apostels, das sich schon hier als Bedingung des rettenden Eingreifens göttlicher Macht erweist und mittels des Wunderdiskurses die paradoxe These der sogenannten Narrenrede „wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“ (12,10b, vgl. 13,4) präludiert. Die erfahrene wunderbare Rettung wiederum bildet den Grund für die Hoffnung auf weitere göttliche Rettungen (vgl. 2Kor 1,10b). „Deshalb dankt er in 2Kor 1,8-11 nach seiner Errettung aus der Todesnot in Asien nicht für die Kraft zum Tragen, sondern für die tatsächliche Aufhebung der äußeren Bedrängnis.“ 44 Der Apostel achtet dabei Gottes Souveränität, indem er nicht mit einem Automatismus weiterer Rettungen rechnet, sondern Gott darum 41 U. Heckel, Kraft in Schwachheit, 283: „Der äußeren Belastung durch das Leiden stellt Paulus also nicht psychologisierend seine heitere, fröhliche, mutige und erhabene Seelenverfassung gegenüber, sondern sein Vertrauen auf Gott, der die Toten auferweckt (2Kor 1,8-10).“ 42 F. Lang, Die Briefe an die Korinther, 254: „Gott hat mit seiner wunderbaren Macht eingegriffen und ihn aus der Todesgefahr errettet.“ 43 O. Hofius, „Der Gott allen Trostes“, 246. 44 U. Heckel, Kraft in Schwachheit, 281. <?page no="53"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 37 eigens bittet. Im Gegensatz zum stoischen Weisen „ist und bleibt die du, namij des Herrn für Paulus eine vis aliena, die stets von außen kommt und nicht zum Besitz des Menschen wird.“ 45 Die angeschriebenen Korinther werden in diesen Wunderdiskurs durch einen direkten Appell in 2Kor 1,11 mit hineingenommen. Sie können dazu beitragen, dass die Hoffnung des Apostels auf weiteren göttlichen Schutz begründet ist, indem sie Gott um diesen Schutz für die Zukunft bitten und für den bereits erwiesenen Schutz danken. Dieser Appell übernimmt die Funktion, die in anderen Wundergeschichten dem Chorschluß zukommt. Der Dank der Gemeinde für die erwiesene Gabe ( ca,risma ) 46 der erzählten Rettungstat und die Bitte um weiteren göttlichen Schutz stellen die angemessene Reaktion der Gemeinde auf das wunderbare Rettungshandeln Gottes dar, und tragen zum weiteren göttlichen Schutz des Apostels bei. Käme die Gemeinde diesem apostolischen Appell nach, sanktionierte sie zugleich das Apostolat und die damit verbundene Autorität des Paulus wie auch seine Theologie, die maßgeblich mit der Unterscheidung von menschlicher Ohnmacht und göttlicher Schöpfungsmacht 47 (vgl. 6,18c) argumentiert. Diese hat sich Paulus zufolge in unüberbietbarer Weise in der Auferweckung Jesu Christi erwiesen. 48 Die Gemeinde bestätigte damit zugleich den im Präskript eingeschriebenen Lektürevertrag gegenseitiger Anerkennung. Die Frage nach der Konkretion der Wundergeschichte, also wann, wo genau und vor allem aus welcher Situation Paulus Rettung erfuhr, beschäftigte die Leserinnen und Leser dieses Abschnitts immer wieder. 49 Aber gerade die Unbestimmtheit dieser Wundererzählung verleiht ihr im Rahmen des 2Kor paradigmatische Kraft: Sie dient als Schablone der Interpretation der Gefahren des Apostels schlechthin. Alle Notsituationen des Apostels und insbesondere diejenigen, die nach menschlichen Maßstäben als Todesgefahren bewertet werden müssen, bestätigen mit Hilfe der Lektüreanweisung der paradigmatischen Wundererzählung und ihrer diskursiven Vernetzung in 2Kor 1,8-11 sowohl den göttlichen Schutz und damit die 45 Ebd., 282. 46 Zutreffend bemerkt U. Brockhaus, Charisma und Amt, 138: „Es besteht also kein Grund dazu, das ca,risma von 2Kor 1,11 mit der Zweckbestimmung des Dienstes an der Gemeinde zu befrachten; gemeint ist vielmehr schlicht ein Eingriff Gottes in das Leben des Paulus, der als Geschenk erfahren und bezeichnet wird.“ So auch schon R. Bultmann, Der zweite Brief an die Korinther, 34, gegen H. Windisch, Der zweite Korintherbrief, 51. 47 V. P. Furnish, II Corinthians, 125: “[...] petition no less than thanksgiving is rooted in a profound trust in the power and goodness of God.” 48 Vgl. U. Heckel, Kraft in Schwachheit, 226. 49 Vgl. z.B. H. Windisch, Der zweite Korintherbrief, 44f., C. Wolff, Der zweite Brief des Paulus an die Korinther, 25; V. P. Furnish, II Corinthians, 122f., und M. E. Thrall, The Second Epistle to the Corinthians, 115-117. <?page no="54"?> Erster Teil 38 Legitimität des Apostolats des Paulus als auch seine These, die göttliche Kraft erweise sich gerade an der menschlichen Ohnmacht. 50 Von hier aus gesehen werden die zahlreichen Leidenslisten des 2Kor als Metonymien der wunderbaren Rettungstaten Gottes, d.h. als verdichtete Wundergeschichten lesbar, die mittels ihrer theologischen Botschaft der Unterscheidung von göttlicher Wundermacht und menschlicher Ohnmacht die Funktion erfüllen, die göttliche Berufung des schwächlichen Paulus zum Apostel Jesu Christi zu bestätigen. Gott setzt die Kraft der Auferweckung immer wieder für den Apostel Jesu Christi ein. Auf dieser Argumentationsstrategie basiert schließlich der Abschnitt 2Kor 10-13. Paulus reagiert in den Kapiteln 10-13 auf einen Vorwurf, den er explizit in 10,10 wiedergibt: „Denn die Briefe, sagt man, sind gewichtig und stark, aber die leibliche Gegenwart ist schwach und die Rede zu verachten.“ Der Körper des Paulus wird in diesem Vorwurf als Zeichen gelesen, das dem Amt eines Apostels widerspricht. Die apologetische Argumentationsstrategie des 2Kor besteht darin, den Vorwurf der körperlichen Schwachheit ( avsqe,neia ) nicht abzustreiten, sondern das Zeichen avsqe,neia neu zu kodieren. Mit Hilfe der Charakterisierung Gottes als Gott des Trostes und Erbarmens mit seinen alttestamentlichen Konnotationen in 1,3-7, mit Hilfe der paradigmatischen Rettungswundergeschichte in 1,8-11 und mit der theologischen Argumentation der Peristasenkataloge wird das Zeichen der Schwachheit im Rahmen des apostolischen Dienstes semantisch umgewertet als Zeichen der Aufrichtigkeit des Apostels und als Zeichen seines göttlichen Schutzes, der wiederum die Legitimität des Anspruchs, Apostel Jesu Christi zu sein, beweist. „Nur wenn er die Schwachheit als legitime Seite seines Apostolats nachzuweisen vermag, kann er sich im Vergleich zu seinen Gegnern behaupten und seinem Eingangsappell Nachdruck verleihen. Die Absicht, in seiner Schwachheit seine Christuszugehörigkeit und Vollmacht als Apostel darzulegen, bildet deshalb den roten Faden des gesamten Argumen- 50 Treffend bemerkt V. P. Furnish, II Corinthians: “Paul's portrayal of the miserable state to which he had been reduced by the affliction in Asia, and of his reliance upon God who raises the dead, accords with one of the prominent themes in his letters to Corinth. While it may be too much to claim, [...] that ›power‹ (dynamis) was one of the catchwords of Paul's opponents in Corinth, it does appear that one of the fundamental charges being brought against Paul there concerned his ›weakness‹ (astheneia). There is evidence of this especially in chaps. 10-13 of 2Cor (e.g., 10: 10), but it is probable that the apostle's consciousness of such charges lies behind certain passages in 1Cor as well (e.g., when Paul parodies the Corinthians in 4: 8-13 and contrasts their ›strength‹ with the ›weakness‹ of the apostles; cf. 12: 22). Instead of denying his weakness, Paul affirms it as a fact, and more than once catalogs the hardships he has experienced as an apostle (4: 8-9; 6: 4c-5; 11: 23b-29; 12: 10; cf. Rom 8: 35; 1Cor 4: 9-13). In these various afflictions, he says, he will dare to ›boast‹ (11: 30; 12: 5), because precisely in his endurance of them the divine power is revealed (12: 9-10).” <?page no="55"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 39 tationsgangs von 2Kor 10-13 und die sachliche Voraussetzung für die Autorität der Mahnungen.“ 51 Mit dieser semantischen Umcodierung wird das Apostelbild der Kritiker in 10,10 nicht grundsätzlich bestritten, sondern überboten. Die Auseinandersetzung mit den Kontrahenten wird nicht geführt, indem ihre eingeforderten Zeichen des Apostels zurückgewiesen würden. Paulus vertritt keine Ideologie der Schwachheit und schon gar nicht eine Glorifizierung von Leid und Gefahr. Vielmehr macht Paulus autobiographisch klar, dass sein Dienst auch diesen Ansprüchen an die Zeichen des Apostolats genügt. In diesem Zusammenhang sind die Verse 12,11b-13 von vornehmlicher Bedeutung: „Denn ich hätte von euch empfohlen werden sollen, denn ich habe in nichts den Überaposteln nachgestanden, wenn ich auch nichts bin. Die Zeichen des Apostels sind ja unter euch vollbracht worden in allem Ausharren, in Zeichen und Wundern und Machttaten. Was ist es denn, worin ihr gegenüber den übrigen Gemeinden zu kurz gekommen seid, außer dass ich selbst euch nicht zur Last gefallen bin? Verzeiht mir dieses Unrecht.“ Dieser Textabschnitt zeigt die überbietende Integration der üblichen Zeichen des Apostels und des umcodierten Zeichens der Schwachheit auf. Die Adressaten werden als Zeugen dafür aufgerufen, dass bei ihnen im Zusammenhang der apostolischen Tätigkeit des Paulus Zeichen und Wunder und Machttaten geschehen sind. Indem diese Zeichen und Wunder und Machttaten mit dem Syntagma „die Zeichen des Apostels“ bezeichnet werden, werden sie als legitim einzufordernde Geschehnisse sanktioniert. 52 Das passivum divinum aber macht klar, dass das Subjekt dieser Apostelzeichen nicht der jeweilige menschliche Beauftragte, sondern Gott selbst ist. Gott ist der Wundertäter, der diese Zeichen des Apostels vollbringt. Die paradoxe Struktur von menschlicher Ohnmacht und göttlicher Kraft, die sich gerade auch in den ereigneten Wundern zeigt, charakterisiert das Auftreten des Apostels Paulus, wie er es im 2Kor darstellt, insgesamt. Der Körper des Apostels Paulus fungiert dabei selbst als authentisches Zeichen seiner theologischen Botschaft. Diese Zeichenfunktion des Körpers hebt der Textabschnitt 12,7-10 hervor. „Darum, damit ich mich nicht überhebe, wurde mir ein Dorn für das Fleisch gegeben, ein Engel Satans, daß er mich mit Fäusten schlage, damit ich mich nicht überhebe.“ (12,7) Es handelt sich also bei dem „Stachel im Fleisch“ 2Kor zufolge nicht um eine auf natürlichem Wege entstandene Krankheit, sondern um ein in den Körper des Paulus von Gott 53 eingravier- 51 U. Heckel, Kraft in Schwachheit, 16. Vgl. auch die gelungene Gliederung der Kapitel 10-13, ebd., 51. 52 E. Käsemann, Die Legitimität des Apostels, 510: „Paulus hat sich solcher ihm überkommenen Tradition nicht entzogen: Das Wunder gehört tatsächlich zum Wesen des Apostolates und wird darum von ihm ebenfalls für sich in Anspruch genommen.“ 53 U. Heckel, Kraft in Schwachheit, 75f., hebt hervor, dass „das Passivum divinum evdo,qh erkennen [läßt], daß dieses Leiden ebenso wie schon die Entrückung in v. 2-4 auf Gott als Urheber zurückgeführt wird.“ Vgl. ebd., 79. <?page no="56"?> Erster Teil 40 tes Erinnerungs- und Mahnzeichen in pädagogischer Absicht. Die Versehrtheit des Körpers des Paulus ist gewolltes Ergebnis einer göttlichen Handlung. Er ist der sichtbare Ort eines Wunders. Dieses Mahnzeichen bereitet dem Apostel offensichtlich erhebliche körperliche Schmerzen. Deshalb „flehte“ der Apostel „dreimal zum Herrn“, das Mahnzeichen aus seinem Körper zu entfernen (12,8). Der autobiographische Erzähler ergab sich also nicht seinem Leiden, sondern flehte ganz im Sinne der alttestamentlichen Klagepsalmen Gott um Hilfe an. Die Logik dieser Bitte ist es, dass Gott, der machtvolle Verursacher der körperlichen Versehrtheit, diesen Mangel mit seiner Wundermacht auch wieder beseitigen kann. Der Apostel flehte Gott also um ein erneutes Wunder an, im Wissen darum, dass Gott die Macht zu diesem Wunder hat aber Gott lehnte ab. Stattdessen spricht Gott ihm eine Verheißung zu: avrkei/ soi h` ca,rij mou( h` ga. r du, namij ev n av sqenei,a| telei/ tai (12,9a). Es ist das Verdienst von Ulrich Heckel, darauf aufmerksam gemacht zu haben, dass der Ausspruch Gottes kein Appell an Paulus ist, sich mit seinem Leid abzufinden. Man hat nämlich Heckel zufolge „in exegetischen Arbeiten bisher übersehen, daß das Verbum av rkei/ n nicht in der 2. Pers. Sg. Pass. Paulus zur Genügsamkeit, zum Sich-Genügen-Lassen und Sich-Begnügen mit der Gnade auffordert ( avrkei/ ), sondern in der 3. Pers. Sg. Akt. steht, die ca,rij zum Subjekt hat und dem Apostel ( soi ist Dativobjekt) ohne Einschränkung das Genügen und Ausreichen der göttlichen Gnade zusagt ( avrkei/ soi h` ca,rij mou ). [...] Indem das Herrenwort den ursprünglichen Gebetswunsch des Paulus nicht erfüllt, wirkt es zwar zunächst als Absage, doch überbietet es diesen zurückweisenden Eindruck schon im selben Atemzug durch die umfassende Zusage, daß die Gnade ausreicht und die Kraft in Schwachheit zur Vollendung kommt“. 54 Diese in der Schwachheit zur Vollendung kommende Kraft identifiziert der autobiographische Erzähler mit der „Kraft Christi“ und interpretiert damit die soeben zitierte Zusage Gottes. Bei dem Syntagma „Kraft Christi“ handelt es sich aber nicht um einen genitivus subiectivus, sondern um einen genitivus obiectivus, also nicht um die Kraft, deren Urheber der Christus ist, sondern um die Kraft, die auch im Christusgeschehen wirkte und wirkt, wie 13,4 klar zu erkennen gibt: „Denn wenn er auch gekreuzigt worden ist in Schwachheit, so lebt er doch in der Kraft Gottes. Und wenn wir auch schwach sind in ihm, so werden wir uns doch mit ihm lebendig erweisen an Euch in der Kraft Gottes.“ Der versehrte Körper des Apostels ist Zeichen des Kreuzesgeschehens und die Bewahrung und Rettung seines versehrten Körpers in der Staunen erregenden Vielzahl seiner in den Peristasenkatalogen aufgelisteten Gefährdungen ist das wunderbare Zeichen des Wirkens dieser Kraft auch schon in der Gegenwart des Apostels und darüber hinaus auch Zeichen des zukünftigen Lebens (vgl. 12,10, dio. ). Nicht nur der Kreuzestod Jesu Christi und die Schwachheit des Apostels werden parallelisiert, sondern auch das präsentische Leben des 54 U. Heckel, Kraft in Schwachheit, 88. <?page no="57"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 41 auferweckten Gekreuzigten mit der Kraft, die im Apostel wirken wird, wenn er wieder bei den Korinthern ist. 55 Durch diese Parallelisierungsstrategien wird die Ankündigung des Wirkens dieser göttlichen Kraft zur Drohung gegenüber denjenigen, die Paulus das Apostolat absprechen. Das „Leben Jesu“ ( h` zwh. tou/ VIhsou/ 4,11), von dem Paulus dabei spricht, verweist nicht auf das erinnerte Leben Jesu von Nazareth in Fleisch und Blut vor seiner Kreuzigung. Das Leben Jesu vor seiner Auferweckung ist Vergangenheit und Paulus formuliert in aller Schärfe: „und auch wenn wir Christus gekannt haben nach dem Fleisch, so kennen wir ihn doch so jetzt nicht mehr.“ (5,16b) Der Kyrios, dessen Apostel Paulus zu sein beansprucht, ist der auferweckte Gekreuzigte, der lebendige und in der Gegenwart des Paulus wirksame Herr. Neue Schöpfung Die kreative Kraft des barmherzigen Gottes wirkt in der Gegenwart Paulus zufolge nicht nur zu seinen Gunsten, vielmehr verwandelt die Zugehörigkeit zu dem auferweckten Gekreuzigten alle Glaubenden bereits jetzt: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur ( kainh. kti,sij ): das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ (5,17) Die Teilhabe an der Gemeinschaft mit dem auferweckten Gekreuzigten, der Fleisch und Blut abgelegt hat und in neu von Gott geschaffener Gestalt zur Rechten Gottes sitzt, bewirkt schon jetzt die Verwandlung der Glaubenden: „Wir alle aber schauen mit unverhülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn in spiegelnder Art und Weise und werden deshalb in sein eigenes Bild verwandelt von Herrlichkeit zu Herrlichkeit durch den Herrn, auf geistvolle Weise.“ (3,18). Die Hinwendung zu dem auferweckten Gekreuzigten bewirkt nicht nur Erkenntnis, die auch die Tora erst „unverhüllt“ verstehen lässt (vgl. 3,15f.). Sie verwandelt vielmehr schon jetzt den ganzen Menschen, was sich erneut am Apostel selbst eindrücklich zeigt: Aus dem Verfolger der Kirche Gottes wurde der Apostel der Kirche Gottes. Er selbst ist, seitdem er sich Christus zugewandt hat - genauer gesagt, seitdem Christus sich ihm zugewandt hat und er diese Zuwendung angenommen hat -, „neue Kreatur“ (vgl. auch Phil 3,7f.). Das neue Leben des Apostels spiegelt die Herrlichkeit des Kyrios, weil es ein lebendiges Zeichen seiner Auferweckung, der Auferweckung des Gekreuzigten durch Gott, darstellt. Im Existenzwechsel des Paulus wird für alle Glaubenden das lebendig machende Pneuma des auferweckten Gekreuzigten wahrnehmbar. Paulus ist „ein Wohlgeruch Christi unter denen, die gerettet werden, und unter denen, die verloren gehen: diesen ein Geruch des 55 Ebd., 107, stellt mit Blick auf 2Kor 13,4 heraus, „daß nicht nur der Sprecher Paulus, sondern auch sein Auftraggeber Christus aus der Vollmacht Gottes lebt und beide ihre Wirksamkeit letztlich ein und derselben göttlichen Kraft verdanken. Damit ist gezeigt, daß gerade die menschliche Ohnmacht Jesu für Gott zum Anlaß wurde, um seine Kraft in Schwachheit zur Vollendung zu bringen.“ Vgl. auch ebd., 141. <?page no="58"?> Erster Teil 42 Todes zum Tode, jenen aber ein Geruch des Lebens zum Leben“ (2,14b-15a). Wer im Existenzwechsel des Paulus nicht die Auferweckungskraft Gottes wahrnimmt, verpasst die Teilhabe an der rettenden Gemeinschaft mit dem auferweckten Gekreuzigten und gibt sich damit dem Tod preis. Wer hingegen in Paulus den Apostel Christi wahrnimmt, riecht schon jetzt das Leben als Vorgeschmack auf das kommende ewige Leben in der Gemeinschaft mit dem Kyrios. Die schöpfungstheologische Interpretation der Auferweckung durch das Syntagma „Neue Schöpfung“ erhellt auch 2Kor 4,6. Dieser Vers webt schöpfungstheologische, pneumatologische, christologische und autobiographische Aussagen poetisch ineinander. Mit dem intertextuellen Bezug zu Gen 1,3 bestimmt Paulus das Subjekt des Handelns in 4,6. Es ist der Gott, der aus Finsternis Licht leuchten ließ. Die Finsternis hat nichts zu tun mit dem Licht, sie hat keinen Anteil daran. Gott allein ist der souveräne Schöpfer des Lichts. Mit diesem intertextuellen Bezug zur Schöpfungstheologie aus Gen 1 entwirft Paulus den theologischen Horizont seines emotionalen Glaubens und theologischen Denkens. Zugleich stellt ihm dieser Bezug das sprachliche Material seiner metaphorischen Theologie für den Fortgang des Verses bereit. Damit bringt er die Identität des von den Heiligen Schriften Israels bezeugten Gottes mit dem Gott zur Sprache, den Paulus im Angesicht Jesu Christi erfahren hat und den er verkündet. Der Gott, den Paulus, der Apostel Christi, verkündet, ist derselbe, den Paulus, der Pharisäer, verehrt hat, aber im Angesicht Jesu Christi erkennt der Jude Paulus die Herrlichkeit Gottes, seine do, xa , die kabod JHWHs auf neue Weise. In Kapitel 3 beschreibt er diesen Unterschied mit der Metapher der Decke des Mose und dem Oppositionspaar verhüllt/ unverhüllt. Der Gott Israels ist und bleibt der Gott, den Paulus verkündet, aber er erkennt ihn nun auf neue Weise. Dasselbe Verb, mit dem Paulus Gen 1,3 ins Spiel brachte, leuchten ( la,mpw ), setzt den Vers fort. Der Gott, der aus Finsternis Licht leuchten ließ, genau dieser Gott hat so nochmals gehandelt, wieder aus dem Nichts geschaffen, indem er „in unseren Herzen leuchtete“. Das Wort „Herz“ spielt im 2Kor eine grundlegende Rolle. Es ist der Ort, in den Gott dem von der Geschichte von Kreuz und Auferweckung Angesprochenen den Heiligen Geist hineingibt als Vorschuss auf das ewige Leben in Gemeinschaft mit dem auferweckten Gekreuzigten, in Gemeinschaft mit Gott (vgl. 2Kor 1,22; 3,3; 5,5). Es ist das Organ, das auch für die gelingende Kommunikation zwischen Paulus und der Gemeinde in Korinth verantwortlich zeichnet (vgl. 2Kor 6,12 und 7,2ff). Das Herz ist die Instanz der Kommunikationsfähigkeit der Menschen untereinander, aber auch der Menschen mit Gott. Der schöpferische Gott, der aus Finsternis Licht leuchten ließ, hat schöpferisch geleuchtet in unseren Herzen zur Aufleuchtung der Erkenntnis. Paulus bezeichnet das Neue, das ihm aufgeleuchtet hat, als vom schöpferischen Gott geschaffenes und geschenktes Licht, das ein bestimmtes Ziel hat. Die Präposition pro, j zeigt die Richtung an, woraufhin Gottes Leuchten zielt. <?page no="59"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 43 Gott hat geleuchtet zur Aufleuchtung einer ganz bestimmten Erkenntnis, zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes, wie sie dem Juden Paulus, dem Eiferer für Gott, der die Kirche Christi verfolgte, im Schauen des Angesichts Jesu Christi, des auferweckten Gekreuzigten, zuteil wurde. In 1Kor 9,1 beschreibt er das so: „Bin ich nicht ein Apostel? Habe ich nicht unsern Herrn Jesus gesehen? “ Und in Gal 1,15f, schreibt er davon, dass Gott es gefiel, dem Paulus seinen Sohn zu offenbaren. Indem der jüdische Eiferer Paulus in der Schau des auferweckten Gekreuzigten die Herrlichkeit des Gottes Israels, die Herrlichkeit seines Gottes erkennt, wird er zu einem neuen Geschöpf. „Darum: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ (2Kor 5,17) Paulus erkennt im Licht seiner Schau des auferweckten Gekreuzigten die Herrlichkeit Gottes, und er beschreibt das enge Verhältnis zwischen Gott und dem auferweckten Gekreuzigten Jesus als liebendes Verhältnis von Vater und Sohn. Er erkennt in diesem Gott den treuen Gott Israels, der zu allen seinen Verheißungen steht, und er erkennt in dem Ereigniszusammenhang von Kreuz und Auferweckung das große Ja Gottes zu allen seinen Verheißungen: „Denn der Sohn Gottes, Jesus Christus, der unter euch durch uns gepredigt worden ist, … der war nicht Ja und Nein, sondern es war Ja in ihm“ (2Kor 1,19). Paulus kennt diesen Gott fortan als Vater Jesu Christi, als „Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes“ (2Kor 1,3) und Jesus Christus, den Sohn Gottes, als unseren Kyrios, unseren Herrn. Gottes Trost vertröstet nicht. Gott tröstet, indem er Heil schafft. Es ist der Gott, der mit seiner Schöpferkraft „die Toten auferweckt“ und auch den Apostel mehrfach aus Todesgefahr und vielen Nöten gerettet hat (vgl. 2Kor 1,8-11). Genau darin besteht Gottes Herrlichkeit, die Paulus im Angesicht des auferweckten Gekreuzigten einleuchtet: Er schafft aus dem Nichts, überwindet das Kreuz, erweckt den Gekreuzigten, erwählt die Niedrigen, wendet sich barmherzig, liebevoll und neues, ewiges Leben schaffend seiner heillosen Schöpfung, seinen beschädigten und Schaden anrichtenden Geschöpfen immer und immer wieder und endgültig heilvoll in Jesus Christus zu. Im Akt der Auferweckung des am Kreuz zu Unrecht hingerichteten Jesus erweist der kreative Gott zugleich seine Barmherzigkeit und seine Gerechtigkeit. Diese sein Leben neu schaffende Erkenntnis versteht er aber nicht als eine Schlussfolgerung aus eigener theologischer oder religionsphilosophischer Denkkraft, sondern als Einleuchtung, als kreativen Schöpfungsakt Gottes. Die Metapher des Leuchtens in unseren Herzen verweist auf das Wirken des Heiligen Geistes. Der „Vorschuss des Geistes“ (2Kor 5,17) bewirkt schon jetzt Verwandlung zum Leben hin. Wem Gott geistvoll einleuchtet, der ist schon neue Kreatur, nicht nur metaphorisch! Die Glaubenden strahlen Paulus zufolge die Freude über das Leben schaffende Geschenk des einleuchtenden Geistes aus, wenn sie sich vor Augen malen lassen, dass der am Kreuz grausam hingerichtete Jesus von Nazareth in keinem Moment von Gott verlassen war, auch nicht in denen, in denen er es vielleicht selbst so <?page no="60"?> Erster Teil 44 empfand. Gott hat ihn aus dem Tod heraus- und in das ewige Leben Gottes hineingeholt. Gott bietet jedem dieses ewige Leben an, der sich durch die Jesus-Christus-Geschichte zeigen lässt, wer Gott ist. Die schon jetzt sich ereignende Verwandlung der Glaubenden durch den Geist Christi ersetzt aber nicht die Auferweckung der Toten bzw. die Verwandlung der bei der Rückkehr des Kyrios noch Lebenden. Die Auferweckung der Toten bleibt ein in der Zukunft liegendes Ereignis. Paulus verwendet die Terminologie der Auferweckung nicht metaphorisch für die schon jetzt sich ereignende Verwandlung der Glaubenden hin zu neuen Geschöpfen. „Neue Schöpfung“ ist vielmehr das Syntagma, das sowohl die gegenwärtige Verwandlung als auch die zukünftige Auferweckung der Toten und ebenso die eschatologische Transformation der Leiber der noch Lebenden schöpfungstheologisch interpretiert. Individuelle Auferweckung nach dem Tod oder kollektive Auferweckung am Tag des Herrn? „Wir wissen, dass der, der den Herrn Jesus auferweckt hat, wird uns auch auferwecken mit Jesus und wird uns vor sich stellen samt euch.“ (4,14) Während sich die Auferweckung Jesu bereits ereignet hat, steht die Auferweckung der Toten noch aus. Paulus scheint anders als noch in 1Thess und 1Kor 15 damit zu rechnen, dass die Wiederkehr des Kyrios erst nach seinem Tod erfolgt. 56 Jedenfalls wird deutlich, dass Paulus nicht beansprucht zu wissen, wann der Tag des Herrn anbricht. Allerdings wähnt er das eschatologische Ereignis der Rückkehr des Kyrios in nächster Nähe. Wie in 1Thess 4 und in 1Kor 15 erzeugt auch 2Kor 4, 14 den Eindruck, dass der individuellen Vorwegereignung der Auferweckung des Gekreuzigten keine weiteren individuellen Auferweckungen folgen, sondern erst am Tag der Rückkehr des Kyrios alle Toten zugleich auferweckt werden. Einen anderen Eindruck hingegen erzeugt der Abschnitt 5,1-10. Die sterblichen Leiber stehen der räumlichen Gemeinschaft mit dem auferweckten Gekreuzigten im Weg: „Solange wir im Leibe weilen, sind wir fern von dem Herrn“. Der neu geschaffene Leib des auferweckten Gekreuzigten ermöglicht es ihm, in das ewige Leben Gottes einzugehen, zur Rechten Gottes zu sitzen, wie es Paulus mit den Worten des Psalms 110 zum Ausdruck bringt. Die Gemeinschaft zwischen dem somatisch abwesenden Herrn und der ihm zugehörenden Glieder wird hergestellt durch den Geist, der als „Unterpfand“ gegeben wurde (vgl. 2Kor 5,5). Erst wenn der irdische, sterbliche Leib abgetan wurde und der neue, wiederum von Gott geschaffene Leib angezogen wurde, ist die Leibesferne zu dem Auferweckten überwunden, denn wie dieser werden auch die anderen Auferweckten einen Leib empfangen, der „vom Himmel ist“ (2,2b). In 5,8 heißt es nun: „Wir sind aber 56 Vgl. dazu W. Wiefel, Die Hauptrichtung des Wandels im eschatologischen Denken des Paulus. <?page no="61"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 45 getrost und haben vielmehr Lust, den Leib zu verlassen und beim Herrn zu sein.“ Es spricht einiges dafür, dass Paulus hier damit rechnet, unmittelbar nach dem Tod auferweckt zu werden und in das himmlische Leben einzugehen. In 12,1 kommt Paulus nämlich auf seine „Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn“ zu sprechen und erzählt in dritter Person von seiner Himmelsreise. Im Rahmen des Diskursuniversums des 2Kor handelt es sich weder um eine psychologisch zu erklärende Phantasiereise noch um „die Parodie eines Himmelfahrtsberichts“ 57 , sondern um ein Ereignis, das Paulus als Entrückung erlebt hat. Die Erzählweise in der dritten Person passt sowohl stilistisch dazu, dass Paulus hier nicht autonomes Subjekt eigener Reiseabsichten, sondern passives Objekt eines göttlichen Entrückungswunders ist, so dass er nicht einmal mit Sicherheit sagen kann, „ob er im Leib oder außer dem Leib gewesen ist“ (12,3b), als auch - damit zusammenhängend - dazu, dass er sich diese Reise nicht als eigenes Verdienst anrechnen lassen will (vgl. 12,5). In jedem Fall aber handelt es sich um ein individuelles Entrückungserlebnis und der Himmel wird als gestufter Raum gedacht, der mit oder ohne Leib wahrgenommen werden kann, wenn Gott ein Individuum dahin bringt. Paulus gibt keine nähere Auskunft darüber, wie eine Entrückung außerhalb des Leibes denkbar ist. Er arbeitet zwar nicht mit der griechischen Unterscheidung von Seele und Körper, aber deutlich wird, dass Paulus mit diesem Entrückungserlebnis auch eine Vorstellungsweise zur Verfügung stand, die das Eingehen in das himmlische Leben als individuellen Akt zu denken erlaubte. Im Abschnitt 5,1-10 scheinen unvermittelt die kollektive und die individuelle Vorstellung der Totenerweckung nebeneinander zu stehen. Der abschließende Vers 10 nämlich gehört wiederum zu der eschatologischapokalyptischen Vorstellung des Gerichtstages am Ende der Weltzeit. Diese unauflösliche Spannung im Auferweckungsdiskurs des Paulus nötigt zu der Einsicht, die Ausführungen des Paulus über die Auferweckung der Toten nicht als Faktenwissen, als quasiempirisches Vorherwissen zu begreifen, sondern als metaphorische Bilder, die die Gewissheit zum Ausdruck bringen, dass der Tod die Gemeinschaft mit dem auferweckten Gekreuzigten nicht mehr aufheben kann. Vielmehr kommt diese Gemeinschaft durch die eschatologische Auferweckung der Toten bzw. durch die Metamorphose der noch Lebenden auch somatisch an ihr Ziel: „Zur Vollendung kommt die Kraft des Herrn letztendlich darin, daß sie von Gott kommend die menschliche Todesohnmacht überwindet und das ewige Leben mit Christus herbeiführt (13,4). Nicht das Problem steht im Mittelpunkt, wie 57 So die These von H. D. Betz, Der Apostel Paulus und die sokratische Tradition, 84, die mit guten Gründen widerlegt wurde von U. Heckel, Kraft in Schwachheit, 64f. Ebd., 65, kommt Heckel zu dem differenzierenden Schluss: „Daher parodiert er nicht die Schilderung solcher Himmelsreisen, sondern das Selbstlob der Gegner aufgrund derartiger Offenbarungserlebnisse.“ <?page no="62"?> Erster Teil 46 Gott in seiner Allmacht und Gnade das Leiden zulassen kann, sondern in der Auferweckung der Toten sieht Paulus den Machterweis des Schöpfers und den Schlüssel zum Verständnis der Kraft Gottes, der seine Macht in der Erhöhung Christi schon bewiesen hat und in der Auferstehung der Christen zur Vollendung bringen wird.“ 58 Die Kohärenz des Auferweckungsdiskurses der Korintherbriefe In beiden Korintherbriefen kommt der Theologie der Auferweckung grundlegende Funktion zu. Im 1Kor entfaltet Paulus das Evangelium als Wort vom Kreuz. Das Wort vom Kreuz ist das von Paulus verkündete Evangelium, denn dem Ereigniszusammenhang vom Kreuzestod Jesu Christi und seiner Auferweckung durch den barmherzigen und gerechten Schöpfergott, wie ihn die Heiligen Schriften Israels bezeugen, kommt eine alles verändernde soteriologische und kosmologische Bedeutung zu. Gott ermöglicht dadurch die Gemeinschaft mit dem auferweckten Gekreuzigten und die Teilhabe an dessen somatischer Solidarisierung mit allen, die Unrecht erlitten haben. Diese Gemeinschaft bewahrt am Tag des eschatologischen Gerichts vor dem gerechten Zorn Gottes und führt in die ewige Gemeinschaft des himmlischen Lebens. Schon jetzt besteht diese Gemeinschaft mit dem Kyrios mittels dessen Leben schaffenden Geistes, die zeichenhaft-somatisch erlebbar ist beim Herrenmahl. Der durch die Taufe vollzogene Akt des Identitätswechsels der Glaubenden verpflichtet sie zu einem gottgefälligen Leben, das der Barmherzigkeit Gottes entspricht. Die Auferweckung der Toten wird als notwendige Schlussfolgerung expliziert, die sich aus der als geschehen verstandenen Auferweckung des Gekreuzigten ergibt. Die Überwindung der Todesmacht durch die eschatologische Auferweckung zeigt die Grenzenlosigkeit der barmherzigen Schöpfermacht Gottes endgültig auf. Erst die lobpreisende Anerkenntnis der Auferweckungskraft Gottes, die sich in der Auferweckung des Gekreuzigten gezeigt hat, gibt dem barmherzigen und gerechten Schöpfergott die Ehre, die ihm zukommt, und erzeugt dadurch ein angemessenes Verhältnis des Geschöpfs zu seinem Schöpfer. Der 2Kor weiß davon zu erzählen, dass diese wunderbare Schöpferkraft Gottes, die die Auferweckung des zu Unrecht Gekreuzigten bewirkt hat, auch in der Gegenwart der Glaubenden wirkt. Gott rettet seinen Apostel immer wieder mit dieser Kraft aus Todesgefahren. Der versehrte, ohnmächtige Körper des Paulus und der Erfolg seiner Verkündigung sind selbst Zeichen der Wirklichkeit des gekreuzigten Auferweckten. Die Einleuchtung des Geistes lässt alle, die sich auf die Gemeinschaft mit dem auferweckten Gekreuzigten einlassen, schon jetzt zu neuen Geschöpfen werden, so wie aus dem Verfolger der Kirche Gottes ihr Apostel wurde und so wie die Gemeinde in Korinth durch die Realität schaffende Wirkkraft des Wortes vom Kreuz erzeugt wurde. Dieser Geist ist der Vorschuss auf das 58 U. Heckel, Kraft in Schwachheit, 316. <?page no="63"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 47 ewige Leben in der Gemeinschaft mit dem Kyrios Jesus, dem Sohn Gottes, dem auferweckten Gekreuzigten. 1.5. Der Römerbrief 59 Mit seinem Brief an die Gemeinde von Rom möchte Paulus die von ihm beabsichtigte Missionsreise nach Spanien vorbereiten (vgl. Röm 15,22-29). Er möchte die römischen Christen zur Unterstützung seines Vorhabens gewinnen. Da es vor der Abfassung des Römerbriefes keinen direkten Kontakt zwischen Paulus und der Gemeinde in Rom gegeben hat, stellt er in grundlegender Weise die Eckpunkte des von ihm verkündeten Evangeliums vor. Dabei kommt den Versen 1,16f. die Aufgabe einer propositio zu, also die thesenartige Darstellung der vertretenen Grundauffassung, die dann aus verschiedenen Blickwinkeln und in unterschiedlichen thematischen Zusammenhängen in den folgenden Kapiteln entfaltet wird. Die propositio lautet: Das Evangelium ist „eine Kraft Gottes zur Rettung jedem Glaubenden, dem Juden zuerst und dann dem Griechen. Gerechtigkeit Gottes nämlich wird in ihm offenbar aus Glauben zum Glauben wie geschrieben steht: Der Gerechte wird aus Glauben leben.“ Der Abschnitt 1,18-3,20 entfaltet die Sündhaftigkeit aller Menschen und gibt damit den Grund an, warum es überhaupt einer Rettung bedarf. Paulus benennt mit dem vernichtenden „Zorn Gottes“ (1,18) auch die Gefahr, vor der gerettet werden muss. Der Abschnitt 3,21-31 dient zunächst als Zeitansage. Die Zeit der Geduld Gottes, die das vernichtende Walten seines gerechten Zornes über die Sündhaftigkeit der Geschöpfe verhindert hat, ist vorbei. „Jetzt“ (3,21) ist die Zeit der Entscheidung angebrochen, denn die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, wurde offenbart, die „Gerechtigkeit Gottes um des Glaubens willen an Jesus Christus“ (3,22). Kapitel 4 legt dar, wie dieser Glaube beschaffen ist. 5,1-11 erläutert, was das Ereignis von Tod und Auferweckung Jesu Christi bewirkte, nämlich die Versöhnung mit Gott und die Hoffnung auf ewiges Leben. Die Adam-Christus-Typologie in 5,13-21 thematisiert die Entstehung der allgemeinen Sündhaftigkeit und ihre Überwindung. In Kapitel 6 wird durch die Reflexion auf das Taufgeschehen dargelegt, wie es zur Teilhabe an der Gemeinschaft mit dem auferweckten Gekreuzigten kommt und was sie bewirkt. Kapitel 7 ist der Thematik des Gesetzes gewidmet und erörtert die Stellung der an Jesus Christus Glaubenden zum Gesetz. Kapitel 8 befasst sich mit dem schon jetzt durch den Glauben ermöglichten neuen Leben und dessen kosmologischen Dimensionen. Die Kapitel 9-11 fragen nach der Auswirkung der propositio für das auserwählte Volk Israel. Die Kapitel 12- 15,13 konkretisieren die propositio hinsichtlich des Gemeindelebens auch mit 59 Vgl. zu den folgenden Ausführungen auch S. Alkier, Wunder und Wirklichkeit in den Briefen des Apostels Paulus, 259-281. <?page no="64"?> Erster Teil 48 Blick auf das Zusammenleben mit der übrigen römischen Gesellschaft. 15,14-33 reflektiert dann das Wirken des Apostels und teilt seine weiteren Pläne mit. Eine ausführliche Grußliste, Warnung vor Irrlehrern, Grüße an die Gemeinde in Rom und eine abschließende Doxologie bringen den Brief mit Kapitel 16 zu seinem Ende. Im Römerbrief finden sich nicht nur nahezu in jedem Kapitel Aussagen über die Auferweckung, 60 vielmehr bildet die Auferweckung des Gekreuzigten den kosmologischen Wendepunkt und den hermeneutischen Fixpunkt der Theologie des Apostels, von dem das ganze Schreiben durchdrungen ist. Das Evangelium, das Paulus den Römern als rettende Kraft Gottes vorstellt, ist die Jesus-Christus-Geschichte von Tod und Auferweckung des Gekreuzigten. Das Evangelium ist auch im Römerbrief das Wort vom Kreuz. Das Evangelium von der Auferweckung des Gekreuzigten als rettende Kraft Gottes „Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht. Es ist nämlich eine Kraft Gottes zur Rettung jedem Glaubenden, dem Juden zuerst und auch dem Griechen. Gerechtigkeit Gottes nämlich wird in ihm offenbar aus Glauben zum Glauben wie geschrieben steht: Der Gerechte wird aus Glauben leben.“ (1,16f.) Mit diesen Worten stellt Paulus den Römern knapp und prägnant das Evangelium vor, das er verkündet und bis nach Spanien tragen will. Diese Sätze geben nicht den Inhalt des Evangeliums wieder, sondern erläutern seine Beschaffenheit und seine Funktion. Sie weisen es nämlich als eine Wirkkraft Gottes aus. Es ist kein Menschenwort, keine kluge Rede, keine philosophische Weisheit. Es ist anderes und weit mehr als das: es ist eine gute Nachricht, die göttliche Wirkkraft entfaltet. Diese Kraft Gottes bewirkt die Rettung aller Glaubenden. Wieder wird nicht mitgeteilt, was oder woran geglaubt wird und auch nicht, wovor Rettung notwendig ist, aber Vers 17 gibt zumindest an, warum das Evangelium diese rettende Wirkkraft zu entfalten vermag. In diesem Evangelium, in dieser guten Nachricht wird nämlich die Gerechtigkeit Gottes offenbar, sichtbar, erkennbar, erfahrbar, aber nicht offensichtlich für jedermann, sondern „aus Glauben zum Glauben“. Die Gerechtigkeit Gottes wird in dieser guten Nachricht nicht anders erkennbar als aus der vertrauenden und zutrauenden Hinwendung zum Evangelium und sie führt auch nicht zu einer Erkenntnis oder einem Beweis für die Gültigkeit der guten Nachricht, der außerhalb des Glaubens zu haben wäre. Kein leeres Grab, keine neutralen Augenzeugen, keine Indizienkette, die der Erfahrungsweisheit dieser Welt den induktiven Schluss aufzwänge, man müsse glauben, weil das und das empirisch oder historisch nachweislich der Fall gewesen sei - keine Zwangsläufigkeit der Fakten wird 60 Vgl. 1,4; 4,17.24f.; 5,10; 6,4-9; 7,4; 8,11.34; 10,9; 11,15; 14,9. <?page no="65"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 49 bemüht. Das Evangelium erweist sich als rettende Gotteskraft nur aus Glauben, und es führt auch zu nichts anderem als zum Glauben. Die Charakterisierung seines Evangeliums in 1,16f. wirft Fragen auf, die der Brief als ganzer beantwortet: Wovon handelt das Evangelium? Woran bzw. an wen wird geglaubt? Wozu ist die rettende Kraft des Evangeliums notwendig, oder anders gefragt: Wovor muss gerettet werden? Inwiefern offenbart das Evangelium Gerechtigkeit Gottes? Wie kommt es zu dem Glauben, der das Evangelium als Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes sehen und hören lässt, oder: Wie kann man in diesen Glauben, der rettet, hineinkommen? Und schließlich: Warum teilt Paulus, der Briefschreiber, nicht einfach den Inhalt des Evangeliums mit? Die Antwort auf diese letzte Frage ist einfach zu geben, und aus der Antwort erschließen sich dem Lesenden des Römerbriefes auch die Antworten auf die anderen oben formulierten Fragen. Paulus hat den Inhalt des Evangeliums nämlich bereits in 1,2ff. umrissen und sich in 1,1 als den vorgestellt, der dieses Evangelium durch einen göttlichen Auftrag verkündet, wie ihn die Propheten Israels erhalten haben: „Paulus, der Knecht Christi Jesu, berufener Apostel, ausgesondert für das Evangelium Gottes, das er zuvor verheißen hat durch seine Propheten in den heiligen Schriften über seinen Sohn, der geworden ist aus dem Samen Davids nach dem Fleisch, der zum Sohn Gottes eingesetzt wurde in Kraft nach dem Geist der Heiligung aus der Auferstehung der Toten, Jesus Christus, unser Herr.“ Das Evangelium, das Paulus verkündet, ist das Evangelium Gottes. Dieses Evangelium wird angekündigt in den Heiligen Schriften Israels. Damit stellt Paulus die Kontinuität des Evangeliums Gottes klar. Sein Inhalt aber besteht in der Jesus-Christus-Geschichte, der Erzählung vom Sohn Gottes, der in menschlicher Perspektive ein Nachkomme Davids war, aber als Sohn Gottes einen zweiten Ursprung erhielt: seine Auferweckung von den Toten. Dieses Ereignis gehorchte nicht den Gesetzen menschlicher Möglichkeiten und menschlicher Erfahrungskategorien. 61 Die Auferweckung geschah nicht kata. sa,rka (gemäß dem Fleisch), sondern sie ist ein Ereignis kata. pneu/ ma a`giwsu,nhj (gemäß dem Geist der Heiligung). Jesus Christus wurde nicht zum Sohn Gottes eingesetzt gemäß seiner genealogischen Herkunft, die zu dem Wirklichkeitsbereich des menschlich Erwartbaren gehört. Vielmehr ist er wirksam ( evn duna,mei ) zum Sohn Gottes eingesetzt worden gemäß der Wirklichkeit, die dem Geist der Heiligung, dem Geist des kreativen Gottes entspringt. 62 Die Erwähnung seiner menschlichen Herkunft weist darauf 61 C. E. B. Cranfield, The Epistle to the Romans I, 60, versteht die Bedeutung von kata. sa,rka zutreffend als „[...] ‘as a man’, ‘so far as his human nature is concerned’. By using it Paul implies that the fact of Christ's human nature, in respect of which what has just been said is true, is not the whole truth about him.” 62 O. Michel, Der Brief an die Römer, 38: „ kata. sa, rka bezeichnet die menschliche, geschichtliche Herkunft (Röm 9,3.5; I Kor 10,18), während kata. pneu/ ma a`giwsu,nhj die <?page no="66"?> Erster Teil 50 hin, dass dieser menschlich gezeugte Jesus, dieser leibhaftige Mensch durch Gott von den Toten auferweckt worden ist und dieser auferweckte Jesus zum Sohn Gottes bestimmt wurde. Das Evangelium Gottes, das Paulus verkündet, handelt also von der Jesus-Christus-Geschichte und ihr Dreh- und Angelpunkt ist die Auferweckung des gekreuzigten Jesus Christus. 63 Dieses Evangelium hat rettende Kraft: „Denn wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Kyrios ist und mit deinem Herzen glaubst, dass Gott ihn auferweckt hat von den Toten, wirst du gerettet“ (10,9). Aber wovor muss denn gerettet werden? Diese Frage erläutert und beantwortet der Abschnitt 1,18-3,20. Gerettet werden muss vor dem kommenden Zorn Gottes (vgl. 1,18), der die gerechte Antwort auf die Sünden seiner menschlichen Geschöpfe darstellt. Der Zorn Gottes ist keine emotionale Laune eines unbarmherzigen Machthabers, sondern vielmehr eine Reaktion des gerechten Schöpfergottes. Gott kann das Unrecht dieser Welt nicht dulden, weil er der gerechte und barmherzige Schöpfergott ist. 64 Seine Barmherzigkeit macht ihn zu einem betroffenen Gott, wenn Unrecht geschieht. Er leidet mit den Schwachen, Geschändeten, Unterdrückten, Ausgebeuteten, Hungernden, Gefolterten, Gekreuzigten. Das Unrecht hat viele Namen, aber Paulus führt es in schöpfungstheologischer Argumentation auf eine Ursache zurück, die so auch in Gen 3 erzählt wird. Der Mensch weiß sein Dasein als Geschöpf nicht zu schätzen. Er gibt seinem Schöpfer nicht die Ehre, sondern will sein wie Gott (vgl. Gen 3,5f.). Damit verfehlt er aber den Weg des Lebens, des geschöpflichen Lebens in der Solidarität der und des Geschaffenen und verwehrt Gott die Ehre, die ihm als Schöpfer des Lebens gebührt. Diese Verfehlung ( a`marti,a ) des geschöpflichen Lebens, diesen Fehltritt ( para,ptwma ), in dem alles Unrecht seinen letzten Grund hat, bezeichnet die deutsche Sprache mit dem Wort Sünde. Paulus macht in seiner Argumentation in 1,18-3,20 klar, dass alle, seien sie Juden oder Griechen, sich dieser Grundverfehlung schuldig gemacht haben: „Denn was man von Gott erkennen kann, ist unter ihnen offenbar; denn Gott hat es ihnen offenbart. Denn sein Unsichtbares, seine ewige Macht und Gottheit, wird seit der Erschaffung der Welt sichtbar durch das mit Vernunft wahrgenommene (von ihm) Geschaffene. Daher sind sie (alle) unentschuldbar.“ (1,19f.) Diese Sündhaftigkeit des Menschen ruft Gottes Zorn hervor und genau vor diesem unermesslich machtvoll vernichtenden Zorn bedarf es der Rettung. eschatologische Neuschöpfung, das Geheimnis des wunderbaren Handelns Gottes umschreibt.“ 63 P. Stuhlmacher, Der Brief an die Römer, 22: „V. 3 und 4 enthalten die in den Evangelien erzählte Christusgeschichte in Kurzform und betonen, daß der gesamte Weg Jesu von seiner Geburt an bis zur Erhöhung unter dem Vorzeichen der Verheißungen Gottes steht“. 64 D. Zeller, Der Brief an die Römer, 54: „Der tödliche Unwille Gottes geht gegen jegliche ‚Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit‘“. Vgl. zum Syntagma „Zorn Gottes“ ebd., 53f.; vgl. auch H. J. Eckstein, Denn Gottes Zorn wird vom Himmel her offenbar werden. <?page no="67"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 51 Gott ist im paulinischen Denken, wie es uns seine Briefe überliefern, der machtvolle Schöpfergott, der seiner Schöpfung durch seine Gerechtigkeit und Barmherzigkeit zugewandt bleibt. Gerechtigkeit und Barmherzigkeit sind die grundlegenden Ausdrücke für die Beziehung Gottes zu seiner Schöpfung. Die Gerechtigkeit Gottes besteht darin, dass er allein mit seiner Macht die Position des Schöpfergottes wahrnimmt und damit den Menschen von dieser ihn unermesslich überfordernden Aufgabe befreit, um ihn in das liebevolle, solidarische Leben der Mitgeschöpflichkeit zu entlassen. Es wäre ungerecht, wenn der Mensch die Aufgaben Gottes übernehmen müsste. Der Mensch darf sich vielmehr gehalten wissen von der ihn umsorgenden kreativen Wirklichkeit Gottes. Er darf sich angenommen und geliebt wissen von der Leben schaffenden Barmherzigkeit Gottes, einer so allmächtigen Liebe, dass sie nichts und niemand zerstören kann (vgl. 8,31-39). Er darf sich gewollt wissen von dem, der mit seinem liebevollen Willen alles gemacht hat. Gottes Gerechtigkeit fordert diese Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf ein, weil nur so menschliches, kreatürliches, solidarisches Leben möglich ist. Gottes Gerechtigkeit besteht darin, dass er kein seinen Geschöpfen widerfahrenes Unrecht in Vergessenheit geraten lässt. Wer Gott die Ehre als Schöpfergott gibt, erkennt zugleich seine Position als gewolltes und geliebtes Geschöpf und seinen Mitmenschen und seine „Umwelt“ als ebenso von Gott gewollte und geliebte Schöpfung. Er wird sich dann auch um eine Lebenshaltung und -führung bemühen, die seinem geschöpflichen Dasein dankbar Rechnung trägt. Gott ist aber kein „Schwamm-drüber-Gott“, denn er kann und will Unrecht nicht dulden. 65 Würde er geschehenes Unrecht dulden oder vergessen, so ließe er die Opfer von Macht und Gewalt im Stich und stellte sich damit auf die Seite der Täter. Unrecht erlaubt keine Neutralität. Gott ist bei und mit den Opfern. Gott wird Gericht halten (vgl. 14,10c). Die Antwort auf alles Unrecht gibt sein vernichtender Zorn am Tag des Gerichts. Paulus ist davon überzeugt, dass dieser Tag unmittelbar bevorsteht (vgl. 13,11) und es nur eine Rettung vor diesem Zorn gibt: das Evangelium Gottes. Vor diesem Hintergrund wird auch verstehbar, inwiefern das Evangelium Gerechtigkeit Gottes offenbart (vgl. 1,17). Das Evangelium erzählt die Jesus-Christus-Geschichte mit dem hermeneutischen Fixpunkt der Auferweckung des Gekreuzigten. Das Kreuz stellt metonymisch das Unrecht dieser Welt dar. Zu Unrecht wird Jesus ans Kreuz geschlagen, gequält, getötet. Gott betrifft dieses Unrecht, denn es missachtet die Mitgeschöpflichkeit des Getöteten und damit zugleich seinen Schöpfer. Die Auferweckung des Gekreuzigten entlarvt die Ungerechtigkeit des Geschehens und gibt damit 65 C. E. B. Cranfield, The Epistle to the Romans I, 211f.: “God's patiently holding back his wrath is familiar in Judaism. But for god simply to pass over sins would be altogether incompatible with His rigtheousness. He would not be the good and merciful god, had he been content to pass over sins indefinitely; for this would have been to condone evil a denial of His own nature and a cruel betrayal of sinners.” <?page no="68"?> Erster Teil 52 Gottes Gerechtigkeit zu erkennen. Sie besteht in dem betroffenen Eingreifen Gottes, das das Recht des Getöteten auf sein Leben wieder herstellt, ja mehr noch, ihn sogar zum Sohn Gottes in das ewige göttliche Leben hineinholt. Die Macht Gottes, die in der Auferweckung des Gekreuzigten sichtbar wird, ist die unermessliche Schöpferkraft, der selbst der Tod nichts mehr entgegenzuhalten hat. Gott stellt Gerechtigkeit her mit seiner unermesslichen Macht. Wer Gott die Ehre als Schöpfergott gibt, wird leben und in das ewige Leben Gottes eingehen. Wer Gott angesichts der heilsamen Geschichte, die das Evangelium erzählt, immer noch nicht die Ehre gibt, muss mit der vernichtenden Macht seines Zornes rechnen. Der Erzählung von der Auferweckung des Gekreuzigten gemäß dem Geist der Heiligung zu glauben heißt, Gott die Ehre geben und sich selbst als Geschöpf verstehen. Damit aber ereignet sich die Gerechtigkeit Gottes als angemessene Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf. 66 Glaube als Vertrauen auf die unbegrenzte Schöpfungskraft Gottes Weil das Ereignis der Auferweckung des Gekreuzigten nicht den Gesetzmäßigkeiten des Geschaffenen folgt ( kata. sa,rka ), sondern sich der Wirklichkeit setzenden Kraft des Schöpfers verdankt ( kata. pneu/ ma a`giwsu,nhj ), kann es auch nicht mit der empirischen oder logischen Weisheit dieser Welt begriffen und bewiesen werden, sondern nur aus Glauben zum Glauben (vgl. 1,17). Kapitel 4 entfaltet diesen Aspekt der propositio am Beispiel Abrahams und begründet damit die These, „dass der Mensch gerecht wird durch Glauben, ohne Werke des Gesetzes“ (3,28b). Paulus zitiert in 4,3 Gen 15,6: „Denn was sagt die Schrift? Abraham hat Gott geglaubt, und das wurde ihm als Gerechtigkeit angerechnet.“ Abrahams Glaube macht ihn zum Vater aller Glaubenden (vgl. 4,11f). Sein Glaube dient Paulus als Modell für den Glauben, den das von ihm verkündete Evangelium entfachen möchte. 67 Es ist der Glaube, der kein Zeichen, keinen empirischen oder philosophischen Beweis einfordert, weder dem Zwang des Faktischen, noch der Unausweichlichkeit deduktiver oder auch induktiver Schlüsse folgt, sondern sich ohne Absicherung auf die Macht des barmherzigen und gerechten Schöpfergottes einlässt. Es ist der Gott, dem Abraham „geglaubt hat, der die Toten lebendig macht und ruft das, was nicht ist, dass es sei“ (4, 17b). Trefflich kommentiert Käsemann: „Paulus greift wie in 2Kor 1,9 die jüdische Gottesprädikation aus der zweiten Benediktion des 18-Gebetes auf: ‚Jahwe, der lebendig macht die To- 66 P. Stuhlmacher, Der Brief an die Römer, 60: „Rechtfertigung ist für biblisches Denken ein Rechtsakt des Schöpfergottes und deshalb zugleich ein Neuschöpfungsakt, kraft dessen die Gerechtfertigten am Sein in Herrlichkeit und Gerechtigkeit vor Gott neu Anteil gewinnen.“ 67 Dass die paulinische Interpretation von Gen 15,6 und damit die Interpretation Abrahams in Röm 4 der frühjüdischen Interpretation Abrahams „diametral entgegensteht“ betont zu Recht B. Ego, Abraham als Urbild der Treue Israels, 25f. <?page no="69"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 53 ten.‘ Das erklärt die Verwendung des bei ihm ungewöhnlichen Verbs ‚lebendig machen‘ statt ‚auferwecken‘. Verbunden wird damit eine andere jüdisch geläufige Formel [...]. Sie bekundet, daß Gottes souveränes Schaffen im Wort erfolgt, der Ruf des Schöpfers dauernd ergeht und Auferweckung der Toten in solchen Zusammenhang gerückt werden muß. In ihr geht es nicht um ein Überleben über das Grab hinaus, sondern um eschatologische creatio ex nihilo, wie sie seit Beginn der Welt das Werk des in seinem Worte handelnden Schöpfers ist.“ 68 Der Glaube Abrahams zeigt sich Paulus zufolge vorbildlich in der Geschichte von der wunderbaren Entstehung Isaaks: Abraham „hat geglaubt auf Hoffnung, wo nichts zu hoffen war, dass er der Vater vieler Völker werde, gemäß dem Gesagten: ‚So wird dein Same sein.‘ Und er wurde nicht schwach im Glauben als er auf seinen eigenen Leib sah, der schon erstorben war, weil er fast hundertjährig war, und auf den erstorbenen Leib der Sara. Denn er zweifelte nicht an der Verheißung Gottes durch Unglauben, sondern wurde stark im Glauben und gab Gott die Ehre und wusste aufs allergewisseste: was Gott verheißt, das kann er auch tun. Darum wurde es ihm als Gerechtigkeit angerechnet.“ (4,18-22). Der Glaube Abrahams, wie Paulus ihn darstellt, 69 rechnet mit der unermesslichen Schöpferkraft Gottes. Dieser Glaube wird deshalb als Gerechtigkeit angerechnet, weil Abraham sich in ihm als Geschöpf in die angemessene Beziehung zum Schöpfer setzt. Er gibt mit seinem Vertrauen in das Können des Schöpfers diesem die Ehre. Der Gott Abrahams ruft das, was nicht ist, ins Sein, so wie es Gen 1 erzählt. Diese Wunderkraft Gottes wird vom Tod nicht begrenzt. Gezielt wählt Paulus für die Zeugungsunfähigkeit des hundertjährigen Abrahams und für die Empfängnisunfähigkeit seiner Frau Sara die Metapher des Erstorbenseins. Aus ihren toten Leibern schafft der Schöpfergott neues Leben, Isaak, das Kind der Verheißung Gottes, des Gottes, der die Toten lebendig macht. In diese Wundergeschichte schreibt Paulus sich und seine Leser explizit ein: „Dass es ihm zugerechnet worden ist, ist aber nicht allein um seinetwillen geschrieben, sondern auch um unsertwillen, denen es zugerechnet werden soll, wenn wir glauben an den, der unsern Herrn Jesus auferweckt hat von den Toten, welcher wegen unserer Verfehlungen dahingegeben wurde und auferweckt wurde um unserer Rechtfertigung willen.“ (4,23ff.) 68 E. Käsemann, Paulinische Perspektiven, 159. Weitere intertextuelle Verweise zum Thema bietet ders., An die Römer, 115-117, vgl. auch W. Schmithals, Der Römerbrief, 144; D. Zeller, Der Brief an die Römer, 102f.; U. Wilckens, Der Brief an die Römer (Röm 1-5), 274-276. 69 Das christliche Abrahamsbild ist geprägt von Röm 4. Die paulinische Interpretation Abrahams vernachlässigt die zweifelhaften Seiten Abrahams und blendet aus, dass zunächst er lacht, als er die Verheißung eines eigenen Kindes erhält, vgl. Gen. 17,17. Bis in die Textauswahl der gegenwärtigen Kinderbibeln hinein wird das Lachen Abrahams verschwiegen und das Lachen Saras zur Schau gestellt. <?page no="70"?> Erster Teil 54 Die Heiligen Schriften Israels bergen eine Botschaft, die ihren Gültigkeitsbereich über das jeweils Erzählte hinaus in die Gegenwart des Paulus und seiner Adressaten ausdehnt. Die Erzählung von Abrahams Glauben angesichts der wunderbaren Verheißung eines Nachkommens erzählt nicht nur von der Glaubensfestigkeit Abrahams, sondern sie zeigt an, wie durch den Glauben Gottes Gerechtigkeit gewährt wird. Dem Glaubenden nämlich, der mit Gottes Schöpfermacht über das Menschen Mögliche und Erwartbare hinaus rechnet, wird genau dieser Glaube als Gerechtigkeit angerechnet. 70 Diese reziproke Logik gilt auch für das Evangelium des auferweckten Gekreuzigten. Wer mit Gottes Schöpfermacht rechnet und deshalb der Erzählung von Tod und Auferweckung des Gekreuzigten Wahrheit zuschreibt, dem wird Gottes Gerechtigkeit zugeschrieben, weil er damit Gott die Ehre gibt. Brachte die Sündhaftigkeit der Geschöpfe, ihr unsolidarisches Unrecht, Jesus ans Kreuz, so bringt dem an das Evangelium glaubenden Menschen die Auferweckung des Gekreuzigten die Rechtfertigung ein. Gott rechnet ihm als Gerechtigkeit an, dass er glaubt, Gott habe Jesus auferweckt, denn damit gibt das Geschöpf seinem Schöpfer die nur ihm zustehende Ehre (vgl. auch 10,4). Das Wirken des Geistes, die Wirkmächtigkeit der Taufe und die Zukunft der Auferstehung der Toten Den so der Erzählung des Evangeliums Glaubenden spricht Gott schon jetzt seine Gerechtigkeit zu (vgl. 5,1). Gott versöhnt sich bereits jetzt mit den Glaubenden (vgl. 5,10). Die Glaubenden können schon jetzt im „Frieden mit Gott“ (5,1) leben, denn der gerechte und barmherzige Gott gewährt den Glaubenden Gnade durch ihren Kyrios Jesus Christus. Diese Gnade Gottes erweist sich in den Glaubenden als wirksam, weil Gott seine Liebe ausgießt in die Herzen der Glaubenden „durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist“ (5,5). Diese durch den Geist Gottes in die Herzen der Glaubenden eingegossene Liebe Gottes bewirkt die Hoffnung, wie der auferweckte Gekreuzigte in die Herrlichkeit Gottes einzugehen (vgl. 5,2b). Dass damit die noch ausstehende Auferweckung der Toten gemeint ist, wird vollends aus den Ausführungen des Paulus über das Wirklichkeit verändernde Geschehen der Taufe deutlich. Die Taufe bewirkt die Identifikation des Täuflings mit dem gekreuzigten Jesus Christus. Diese Solidarität mit dem zu Unrecht Getöteten bewirkt die Beendigung der Verflechtungen und Bindungen der bisherigen Existenz des Täuflings. Er verharrt aber nicht in diesem beziehungslosen Zustand, sondern erhält schon jetzt die neue Exis- 70 O. Michel, Brief an die Römer, 127: „In der Auferweckung Jesu Christi von den Toten hat sich diese Schöpferkraft Gottes bestätigt: das Osterereignis ist also nichts anderes als eine Manifestation der Schöpfermacht Gottes. Der Glaube an die Auferweckung ›unseres Herrn Jesu‹ von den Toten wird hier also dem Glauben an die Verheißung eingeordnet, zumal er ja unmittelbar mit der Verheißung des ‚Samens Abrahams‘ (Gal 3,16) zusammenhängt.“ Vgl. auch C. E. B. Cranfield, The Epistle to the Romans I, 251. <?page no="71"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 55 tenz eines Lebens in Gemeinschaft mit dem auferweckten Gekreuzigten und in der Gemeinschaft der Glaubenden geschenkt. Dieser Existenzwechsel wird durch den Akt der Taufe vollzogen und analog zu Tod und Auferweckung des Gekreuzigten interpretiert (vgl. 6,2-11). Aber auch das neue Leben nach der Taufe steht noch unter dem eschatologischen Vorbehalt der ausstehenden Auferweckung der Toten. Der einzige bereits Auferweckte, dem der Tod nichts mehr anhaben kann, ist der auferweckte Gekreuzigte Jesus Christus (vgl. 6,9). Die Auferweckung der Toten geht nicht in einem neuen Existenzverständnis der Glaubenden auf, sondern wird als noch ausstehendes Verwandlungsgeschehen erhofft. Der in die Herzen der Glaubenden eingegossene Geist der Liebe Gottes lässt seine Verheißung des Eingehens in seine Herrlichkeit, in das göttliche ewige Leben schon jetzt mit Gewissheit spüren, aber nicht sehen. Es ist noch nicht soweit. Das ewige Leben steht noch aus. Aber sie leben mit der durch das Geschenk des Heiligen Geistes begründeten Hoffnung, wie der Gekreuzigte auferweckt bzw. leiblich verwandelt zu werden und in die Herrlichkeit Gottes einzugehen: „Wenn nun der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt.“ (8,11). Es ist dieser Geist Gottes, der die Kindschaft der Geschöpfe spürbar werden lässt und damit den Schöpfer als liebenden Vater vertraulich anzusprechen weiß: „Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater! Der Geist selbst gibt Zeugnis unserm Geist, dass wir Gottes Kinder sind. Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, wenn wir denn mit ihm leiden, damit wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden“ (8,15ff.). Die Auferweckung des Gekreuzigten als kosmologische Zeitenwende Die Glaubenden leben in einer Zwischenzeit. Die Zeit der Geduld Gottes ist vorbei. Der Gerichtstag steht unmittelbar bevor (vgl. 13,11). Die Zeitenwende markiert die Auferweckung des Gekreuzigten: „Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, um Herr zu sein über Lebende und Tote“ (14,9). Der auferweckte Gekreuzigte ist in das göttliche Leben auferweckt worden. Er sitzt „zur Rechten Gottes“ und vertritt die an sein Evangelium Glaubenden (vgl. 8,34). „Jetzt“, wie es Röm 3,21 formuliert, „ist unabhängig vom Gesetz die Gerechtigkeit Gottes offenbart worden, bezeugt vom Gesetz und den Propheten, die Gerechtigkeit Gottes aus dem Glauben an Jesus Christus, offenbart für alle, die glauben. Denn es gibt keinen Unterschied. Alle haben gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren. Ohne es verdient zu haben, werden sie gerecht, dank seiner Gnade, durch die Erlösung in Christus Jesus. Ihn hat Gott dazu bestimmt, Sühne zu leisten in seinem Blut, Sühne, wirksam durch <?page no="72"?> Erster Teil 56 Glauben. So weist Gott seine Gerechtigkeit durch die Vergebung der Sünden, die früher, in der Zeit seiner Geduld, begangen wurden. Er erweist seine Gerechtigkeit in der gegenwärtigen Zeit, um zu zeigen, dass er gerecht ist und den gerecht macht, der an Jesus glaubt.“ (3,21-26) Auf das geschehene Unrecht dieser Welt hätte Gott zu Recht mit seinem vernichtenden Zorn reagieren können, aber seine Barmherzigkeit ließ Geduld walten. Dank seiner liebevollen Gnade eröffnet er allen einen Ausweg aus dem Teufelskreis von Schuld und zunehmender Gottesferne. Er bestimmt den gekreuzigten Jesus dazu, Sühne zu leisten durch seinen gewaltsamen Tod. Sein am Kreuz vergossenes Blut, das Blut des einen zu Unrecht Getöteten, lässt 71 Gott als Sühnemittel für alles entstandene Unrecht gelten. Dieses Sühnemittel wirkt aber nicht magisch. Es ist kein Zaubermittel, das gegen die freie Entscheidung des Einzelnen seine Kraft entfaltet. Das Sühnemittel des vergossenen Blutes des unschuldig getöteten Jesus wird erst wirksam in der identifikatorischen Interpretation des Glaubens. Erst der Glaube, der sich für die Gemeinschaft mit diesem Getöteten, für die Solidarität mit dem zu Unrecht Hingerichteten entscheidet und damit die alten gottlosen Bindungen für nichtig erklärt, erhält Anteil an der sühnenden Kraft dieses Blutes. Mit dieser neuen Bindung, die auch der Tod nicht auflösen kann, erhalten die Glaubenden die Zusage, von Gott gerecht gesprochen zu sein und neues Leben geschenkt zu bekommen. Nicht Gott tötet seinen Sohn, sondern die Ungerechtigkeit und Gewaltbereitschaft menschlicher Macht hat Jesus von Nazareth ans Kreuz geschlagen. Gott erweist seine Gerechtigkeit in der Gegenwart, indem er nicht das begangene Unrecht verdrängt, herunterspielt, ausblendet, sondern indem er in seiner maßlosen Gnade das Blut des einen zu Unrecht Getöteten als Sühnemittel für alle gelten lässt, die sich mit diesem unschuldigen Opfer solidarisieren. Er erweist so seine Gerechtigkeit als wahrhaft göttliche, barmherzige Gerechtigkeit, der es nicht um Rache geht, sondern um die Ermöglichung neuen Lebens in der Gemeinschaft der Geschaffenen. Dass dieses neue Leben aber nicht nur die Menschen im Blick hat, sondern den ganzen Kosmos, zeigt der Abschnitt Röm 8,18-39. 72 „Auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet. Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes. Denn wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung hin.“ (8,21-24a) Der ganze Kosmos ist in die begründete Hoffnung des Evangeliums von Tod und Auferweckung Jesu Christi einbezogen. Es geht um weit mehr als 71 Vgl. dazu W. Kraus, Der Tod als Sühnetod bei Paulus; vgl. zum religionsgeschichtlichen Hintergrund B. Janowski, Sühne als Heilsgeschehen. 72 Vgl. dazu H. Paulsen, Überlieferung und Auslegung in Römer 8. <?page no="73"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 57 nur um das Existenzverständnis des Einzelnen. Es geht in dramatischer Weise um das Geschick des Ganzen der Schöpfung Gottes. Gottes allmächtige Liebe, deren kosmologische Kraft in unüberbietbarer Weise Röm 8,31-39 zur Sprache bringt, gilt seiner ganzen Schöpfung. Gott bleibt ihr treu, wie er auch Israel, seinem auserwählten Volk, treu bleibt. Die Kapitel 9-11 kreisen in immer neuen Argumentationsgängen um die eine Frage: Warum glaubt ausgerechnet das auserwählte Volk Gottes nicht als Ganzes dem Evangelium seines Gottes? Und auch diese Frage bedenkt Paulus im Lichte des Evangeliums von Tod und Auferweckung des Gekreuzigten. Paulus kann sich die Ablehnung seines Evangeliums von seinen jüdischen Glaubensbrüdern und -schwestern nur so erklären, dass Gott sie verstockt hat und so das Evangelium aller Welt gepredigt wird. Aber schließlich wird auch Israels Verstockung enden. Gott, der wunderbare Schöpfer, vermag sie wieder „einzupfropfen“ (11,23c). In jüdischer Denkweise des Schlusses vom Kleineren auf das Größere formuliert Paulus in 11,15f.: „Denn wenn ihre Verwerfung die Versöhnung der Welt ist, was wird ihre Annahme anderes sein als Leben aus den Toten? Ist die Erstlingsgabe vom Teig heilig, so ist auch der ganze Teig heilig; und wenn die Wurzel heilig ist, so sind auch die Zweige heilig.“ 1.6. Der Philipperbrief Das Anliegen des Philipperbriefes ist es, angesichts des eschatologischen Wissens um die Nähe des Herrn (vgl. 1,6; 4,5b) die Philipper in ihrer Entscheidung für das paulinische Evangelium zu unterstützen und sie bezüglich ihres Verhaltens dahingehend zu beraten, dass sie „lauter und unanstößig“ sind „für den Tag Christi“ (1,10). Die diesbezügliche Hauptthese des Briefes ist, dass die angestrebte Lauterkeit und Unanstößigkeit erreicht wird durch einen Wandel, der dem Evangelium Christi angemessen ist (vgl. 1,27a). Diese Verhaltensaufforderung ( politeu,esqe ) entspricht dem himmlischen „Bürgerrecht“ 73 ( to. poli,teuma evn ouvranoi/ j , 3,20a) von Absender und Adressaten. Als ihr Modell dient die „story of Christ“ 74 , wie sie in Phil 2,6-11 entfaltet wird. Darin kommt in vorzüglicher Weise die kosmologische Dimension der Jesus-Christus-Geschichte von Tod und Auferweckung zum Tragen. Die Auferweckung des Gekreuzigten erweist sich auch im Philipperbrief als die grundlegende Überzeugung des Evangeliums, in deren Horizont Paulus die Rolle der Philipper ebenso bedenkt wie seine eigene Situation. 73 So die Übersetzung von poli,teuma von P. Pilhofer, Philippi, 130; vgl. schon G. Friedrich, Der Brief an die Philipper, 165f. Zum Verständnis von Phil 3,20 vgl. Pilhofer, ebd., 127- 134. 74 W. A. Meeks, The Man from Heaven in Paul's Letter to the Philippians, 335. <?page no="74"?> Erster Teil 58 Die kosmologische Dimension der Auferweckung des Gekreuzigten Die kosmologische Dimension der Auferweckung des Gekreuzigten wird offensichtlich im so genannten Philipperhymnus 2,5-11. Ernst Lohmeyer wurde in seiner bahnbrechenden Arbeit Kyrios Jesus. Eine Untersuchung zu Phil 2,5-11, in der er die These aufstellte, Phil 2,6-11 sei ein vorpaulinischer 75 , poetisch 76 gestalteter „Psalm“ 77 , von dem Interesse geleitet, den „Sinn des urchristlichen Begriffes Kyrios“ 78 weiter aufzuhellen. So anregend Lohmeyers Arbeit auch für die Forschung war und ist, 79 so ist doch zu bedauern, dass er die Einsicht, dass der Lobpreis Christi in Phil 2,6-11 eine Geschichte erzählt, ungenutzt ließ. Demgegenüber und in grundsätzlicher Kritik an der älteren moralisierenden protestantischen Auslegung hebt Ernst Käsemann zu Recht hervor: „Nicht um die Identität einer Person in verschiedenen Phasen geht es hier, sondern um die Kontinuität eines wunderbaren Geschehens.“ 80 Der Lobpreis erzählt, „was Christus tat, nicht was er war.“ „Das himmlische Wesen wird abgelegt, das irdische angezogen. Das besagt, daß hier allein auf das Wunder geachtet wird und eine Erklärung des Wunders wie durchweg im NT unterbleibt.“ 81 Der relativische Anschluß in Vers 6 verknüpft das folgende Christuslob 82 mit seiner in Vers 5 ausgesprochenen paränetischen Funktion. Vers 6 führt zudem die Ausgangslage des Geschehens ein. Christus Jesus war „in göttlicher Gestalt“ 83 . Damit wird der göttliche Status von Jesus Christus in kontradiktorischer Opposition zu seinem späteren menschlichen Status angezeigt. Vers 7 erzählt das Wunder der Verwandlung der göttlichen in eine menschliche Gestalt ( morfh.n dou,lou labw,n ,V. 7b). Diese unvorteilhafte und uneigennützige Verwandlung geschah nicht nur auf eigene Initiative, sondern auch aus eigenen Kräften. Die Wundermacht der Verwandlung liegt darin begründet, dass der Christus Jesus „Gott gleich“ (2,6c) war. Als solcher war er auch mit der Wundermacht der Verwandlung ausgestattet. Er hat aber die göttliche Gestalt abgelegt und sich ganz und gar auf das Menschsein eingelassen. „Es ist zu beachten, daß Gott im ersten Teil (V. 6-8) nicht als Handelnder, Sendender, Beauftragender genannt wird; der Sohn handelt aus eigenem Willen he- 75 Vgl. E. Lohmeyer, Kyrios Jesus, 73. 76 Vgl. ebd., 5f. 77 Ebd., 10f. 78 Ebd., 3. 79 Vgl. dazu E. Käsemann, Kritische Analyse von Phil 2,5-11, 52f. 80 Ebd., 76.71. 81 E. Käsemann, Kritische Analyse von Phil 2,5-11, 72. 82 Die Frage der Verfasserschaft von Phil 2,6-11 hat die Forschung stark bestimmt; vgl. dazu N. Walter, Der Brief an die Philipper, 56ff. R. Brucker, ‚Christushymnen‘ oder ‚epideiktische Passagen‘, 310-315, spricht sich mit stichhaltigen Argumenten für die paulinische Verfasserschaft aus; vgl. dazu auch die Literatur, die Brucker, ebd., in den Anm. 51, 67, 69 anführt. 83 Zum Problem einer semantischen Bestimmung des Denotats dieses Syntagmas vgl. J. Gnilka, Der Philipperbrief, 112-114. <?page no="75"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 59 raus, der natürlich mit dem des Vaters übereinstimmt (wie V. 9 dann zeigt), aber ohne daß dies ausdrücklich gesagt würde. Schon damit ist deutlich, daß das christologische Hauptmotiv des Liedes nicht das des ‚Gehorsams‘ gegenüber dem Vater ist; u`ph,kooj in V. 8 meint die (freiwillige, bewußte und konsequente) Unterwerfung unter das Los des Menschseins.“ 84 Alle bis Vers 8 erzählten Handlungen Christi Jesu zeigen ihn als Subjekt seiner Handlungen. Gerade dieser aus eigenen Kräften und Antrieben erfolgte und auf vom eigenen Vorteil absehende Weg der Selbsterniedrigung führte in die absolute Handlungsunfähigkeit, den Tod am Kreuz (V. 8b). Dieser Tod ist kein ruhmreicher Tod eines Helden. Die Selbsterniedrigung des einstigen Gottgleichen führt ihn bis zur äußersten Entfernung seiner ursprünglichen göttlichen Qualität, dem Kreuzestod (2,8c). Der Kreuzestod zeigt den unüberbietbaren Grad der Erniedrigung dessen auf, der Knechtsgestalt angenommen hat. 85 Dieser von menschlichen Möglichkeiten aus gesehene Tiefpunkt des Kreuzestodes als absoluter Handlungsunfähigkeit des Protagonisten der Verse 6-8 bedeutet aber nicht das Ende dieser Geschichte. Ihr Fortgang weist sie deshalb als Wundergeschichte aus. Die Pointe der story kann nur im Zusammenspiel des bis hierhin Erzählten mit dem Folgenden verstanden werden. Wir finden nämlich im Übergang von Vers 8 zu Vers 9 eine Peripetie im Sinne der aristotelischen Poetik. „V. 6-8 schildern die Voraussetzung, auf Grund derer Gott am Sohn handelt (V. 9).“ 86 Aus der menschlich bedingten Handlungsunfähigkeit, dem Tod, führt das wunderbare Eingreifen Gottes heraus. Den Wendepunkt der Handlung ermöglicht und bewirkt Gott allein. Vers 9a erzählt das Wunder der Erhöhung des unüberbietbar Erniedrigten durch Gottes Macht. Gott belohnt sogar das selbstlose Verhalten des Erniedrigten, indem er ihm seinen eigenen machtvollen göttlichen Namen schenkt: Kyrios (vgl. V. 9b und V. 11b). Diesem Namen entsprechend stattet er ihn mit der Herrschaft über alle aus (vgl. V. 10f.). „Zu beachten ist, daß der Weg des Sohnes nicht in kosmisch-räumlichen Kategorien (nach dem Schema von Katabasis/ Anabasis) beschrieben wird. Es ist vielmehr ein Weg, der nach den Parametern von Macht und Ohnmacht bemessen wird. Aus einem Status der Privilegierung [...] geht der Sohn in die Ohnmacht der Versklavtheit der Menschen ein; daraufhin wird er von Gott wunderbar erhoben und in den höchsten Rang, die höchste Autorität neben Gott eingesetzt. Das Lied meint also nicht die Rückkehr des Sohnes in den Ausgangsstatus, sondern ausdrücklich und betont die 84 N. Walter, Geschichte und Mythos in der urchristlichen Präexistenzchristologie, 285. 85 O. Hofius, Der Christushymnus Philipper 2,6-11, 63: „Das Kreuz als das äußerste Zeichen äußerster Ohnmacht und ärgster Schande macht den Verzicht Jesu auf seine göttliche Macht und Herrlichkeit in seinem ganzen Ausmaß und eben damit die wahre Dimension der ‚Knechtsgestalt‘ offenbar“. Vgl. E. Lohmeyer, Kyrios Jesus, 46; ders., Die Briefe an die Philipper, 96. 86 N. Walter, Geschichte und Mythos in der urchristlichen Präexistenzchristologie, 285. <?page no="76"?> Erster Teil 60 Verleihung neuer Macht. Für die Menschen und die kosmischen Zwischenmächte ist er nun der ‚Kyrios‘, also JHWH (LXX: ku, rioj ) an Macht gleich.“ 87 Die paränetische Funktion dieser Erzählung wird deutlich, wenn man sie auf die Paränese von 2,3f. rückbezieht. Das eigene Subjektsein, das aktive Handeln der Himmelsbürger soll nicht auf den eigenen Vorteil achten, sondern auf den der anderen. Dieses Handeln führt als letzte Konsequenz bis in die eigene Handlungsunfähigkeit, die Aufgabe des Subjektseins, den Tod. Ein so ausgerichtetes und auf das Geschick Christi Jesu blickendes Handeln erhält durch die story des Christuslobes das Versprechen von Gottes wunderbarem Eingreifen, das Versprechen, nicht im Tod zu bleiben. Die Auferweckung der Toten und die individuelle Hoffnung des Paulus Mit diesem Modell deutet der Autor auch seine apostolische Existenz. Von hier aus gesehen wird die Selbstbezeichnung im Präskript - „Knecht“ ( dou/ loi 1,1) - zum Ehrentitel, der das Geschick der Boten (Paulus, Timotheus und auch Epaphroditus) analog zum Geschick ihres Auftraggebers begreifen lässt oder wie Paulus es in 3,10f. formuliert: „Christus möchte ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden und so seinem Tode gleich gestaltet werden, damit ich gelange zur Auferstehung der Toten. Nicht, dass ich es schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei; aber ich strebe danach, es zu ergreifen, weil auch ich von Jesus Christus ergriffen worden bin“ (3,10ff.). Paulus schreibt an die Gemeinde in Philippi aus dem Gefängnis. Der Ausgang seines Verfahrens ist ungewiss. Paulus erwägt sowohl die Möglichkeit seiner Freilassung als auch die seines Todes (vgl. 1,20bf.). Der Ton des Philipperbriefes ist aber keineswegs von verzweifelter Ungewissheit geprägt, vielmehr überträgt er die eschatologische Freude und Zuversicht, die er in 4,4ff. auch den Adressaten des Schreibens anempfiehlt. Die eschatologische Freude speist sich aus der Gewissheit der kosmologischen und soteriologischen Kraft der Auferweckung des Gekreuzigten und aus der Zuversicht der baldigen Ankunft des Kyrios Jesus Christus, den Paulus aus den Himmeln kommend erwartet (3,20). Mit dieser Ankunft verbunden ist die Erwartung der Auferweckung der Toten und der Verwandlung der fleischlichen Leiber in die neue herrliche Leiblichkeit, wie sie der auferweckte Kyrios bereits empfangen hat. „Unser Bürgerrecht aber ist im Himmel, woher wir auch erwarten den Retter, den Kyrios Jesus Christus, der unseren nichtigen Leib verwandeln wird, dass er seinem verherrlichten Leib gleich werde nach der Kraft, mit der er sich alles unterwerfen kann“ (3,20f.). Der so verwandelte Leib wird nicht mehr fleischlich sein (vgl. 1,23f.). Paulus interpretiert auch im Philipperbrief seine konkrete Situation im Horizont seines Evangeliums von der Auferweckung des Gekreuzigten. 87 Ebd., 286. Vgl. auch ders., Der Brief an die Philipper, 62f. <?page no="77"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 61 Auch hier erwartet er die kollektive Auferweckung der Toten und die Verwandlung der fleischlichen Leiber zu einer neuen Leiblichkeit, die ewiges Leben in der Gemeinschaft mit dem Kyrios eröffnet, am Ende der Zeit. Aber die Formulierung in 1,23 rechnet damit, dass er selbst bei seinem eventuellen baldigen Tod noch vor der Ankunft des Kyrios ohne zeitliche Verzögerung direkt zu Christus gelangt. Die beiden Vorstellungen bilden für Paulus offenbar keinen Widerspruch. Wie lässt sich dieser Sachverhalt erklären? Eine Möglichkeit besteht in der grundsätzlich zutreffenden Feststellung, dass Paulus kein Lehrbuch einer systematischen Theologie verfasst hat. Dieser Hinweis rechnet entweder damit, dass Paulus diesen Widerspruch nicht bemerkte, oder aber ihm einfach keine Bedeutung für sein Evangelium beimaß. Eine zweite Möglichkeit besteht darin, dass die Erwartung der eigenen unmittelbaren Auferweckung und Verwandlung auf der Märtyrertheologie fußt, wie sie etwa im Buch Daniel oder in den Makkabäerbüchern greifbar ist. Demzufolge rechnete Paulus für diejenigen, die im Dienst am Evangelium einen gewaltsamen Tod sterben, mit einer sofortigen Auferweckung und Verwandlung. Die Menge der verstorbenen Glaubenden aber würde erst bei der für die nahe Zukunft erwarteten Ankunft des Kyrios auferweckt und verwandelt werden. Eine sichere Entscheidung zwischen diesen beiden Erklärungen ist nicht möglich. Die zweite Möglichkeit hat aber den entscheidenden Vorteil, Paulus in jüdischer Tradition denken zu lassen und ihm nicht lediglich eine Nachlässigkeit des Denkens zu unterstellen. In keinem Fall aber kann die in 1,23 formulierte individuelle Hoffnung des Paulus so stark belastet werden, dass sie die Dominanz der Erwartung der kollektiven Auferweckung der Toten bei der eschatologischen Ankunft des Kyrios auflöste. 1.7. Der Philemonbrief Der Philemonbrief ist das kürzeste Schreiben im Corpus Paulinum. Er bietet für das Thema dieser Untersuchung zwar kaum neue Einsichten, aber auf dem Hintergrund der besprochenen Protopaulinen wird sein Schlußgruß zum Hinweis darauf, dass bereits das Syntagma „Kyrios Jesus Christus“ ohne die Überzeugung von der Auferweckung des Gekreuzigten keinen Sinn ergibt. Nur der auferweckte und erhöhte Jesus Christus kann in der Logik der Protopaulinen Kyrios sein. Der Schlußvers bittet darum, dass die „Gnade des Kyrios Jesus Christus mit eurem Geist“ sei. Der auferweckte Gekreuzigte erweist sich als Kyrios, weil er in der Gegenwart als wirksamer Herr der Glaubenden angerufen werden kann. Seine Gnade vermag die Geister der Glaubenden zu stärken. Wie Vers 3 zeigt, wird der Kyrios Jesus Christus als ebenso wirksam erfahren wie Gott, sein Vater. <?page no="78"?> Erster Teil 62 2. Die Deuteropaulinen Die Deuteropaulinen zeugen vom Streit um die rechte Interpretation und Aktualisierung paulinischer Theologie. Sie können nicht auf eine gemeinsame „Paulusschule“ festgelegt werden, vielmehr vertreten sie gerade auch mit Blick auf das hier zu verhandelnde Thema der Auferweckung recht unterschiedliche Positionen. Während die Pastoralbriefe konsequent auf der Linie der Protopaulinen jegliche Formulierung einer bereits geschehenen Auferweckung der Toten abweisen und damit die Rede von der Auferweckung vor spiritualisierenden Verflüchtigungen schützen, sehen der Kol und der Eph in Diskontinuität zu Röm 6 die Auferweckung der Toten bereits in der Taufe als vollzogen an. Der Kol bewahrt dabei stärker als der Eph ein futurisches Element. Der 2Thess hingegen ringt gerade um das futurische Anliegen apokalyptischer Eschatologie. 2.1. Der Kolosserbrief Obwohl der Kolosserbrief die formalen Merkmale eines wirklichen Briefes aufweist, geht die Mehrheit der Forscher zu Recht davon aus, dass nicht nur der Absender, sondern auch die Adressaten als Fiktionen anzusehen sind. 88 Schon der Stil des Kolosserbriefes und dann auch einige markante inhaltliche Aussagen weisen daraufhin, dass der Brief nicht von Paulus geschrieben bzw. diktiert worden ist. Von den Differenzen zwischen den Protopaulinen und dem Kolosserbrief ist gerade auch die Frage nach der Auferweckung der Toten betroffen. Aber nicht nur einzelne Aspekte wie dieser, sondern vielmehr die Gesamtperspektive des Briefes, der auf das Lebenswerk des Paulus zurück blickt, um die Bedeutung seines apostolischen Wirkens erinnernd zu vergegenwärtigen, 89 erschwert es, diesen Brief Paulus selbst zuzuschreiben. Vor allem mangelt es dem Schreiben ohne die intertextuelle Berücksichtung der Protopaulinen an der paradoxen Grundspannung paulinischer Kreuzestheologie, die nicht nur den Auferweckten stets als den Gekreuzigten vor Augen malt, sondern auch die eigene apostolische Existenz und die der Gemeinden aus der Perspektive der Kreuzestheologie erfahrungsgesättigt und spannungsreich interpretiert und deshalb bei aller Gewissheit um die Realität des rettenden eschatologischen Handelns Gottes die Erfahrungen der eigenen Verletzlichkeit und des eigenen Versagens im Blick behält. Andererseits weist der Brief mit seiner Betonung der Christologie, der soteriologischen Bedeutung des Kreuzes und nicht zuletzt durch zahlreiche intertextuelle Anspielungen und Aufnahmen insbesondere aus dem Phile- 88 Vgl. M. Theobald, Kolosserbrief, 436. 89 Vgl. ebd. <?page no="79"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 63 mon- und dem Römerbrief und wohl auch aus 1Kor eine so starke Kontinuität zur Theologie der paulinischen Briefe auf, dass sein Verfasser von einigen Exegeten sogar für den Begleiter oder Sekretär des Paulus gehalten wird. 90 Da davon auszugehen ist, dass der Brief nach dem Tod des Paulus zu Beginn der 60er Jahre geschrieben wurde, erweist sich die Adresse als fiktional, denn Kolossa wurde 61 n. Chr. von einem Erdbeben zerstört und erst wieder im 3. Jh. n. Chr. aufgebaut. Ob die intendierte Adresse des Briefes Laodicea war, wie es mit guten Argumenten Andreas Lindemann 91 annimmt, oder ob der Brief eher nach Ephesus gehört, wie es zuletzt mit ebenso nachvollziehbaren Argumenten Michael Theobald 92 vertrat, kann hier unentschieden bleiben. Klar ist, dass das Schreiben nach Kleinasien gehört und als separate Schrift eines unbekannten Verfassers behandelt werden muss. Allerdings motivieren die intertextuellen Bezugnahmen auf die Paulusbriefe, diese für die Interpretation des Kolosserbriefes als seinen Denkhorizont behutsam ins Spiel zu bringen. Die intratextuelle Kommunikationssituation Als explizite Absender des Briefes nennt 1,1 Paulus und Timotheus, während als Adressaten „die Heiligen in Kolossa“ eingeführt werden. Das vielfach gebrauchte „Ich“ des expliziten Autors und der „eigenhändige“ Schlussgruß in 4,18, lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass Paulus als Verfasser des Briefes gelten soll. Die Kommunikationssituation wird durch 1,4 dahingehend bestimmt, dass Paulus und die angeschriebenen Heiligen aus Kolossa sich nicht persönlich kennen. In Vers 7 wird Epaphras als Kommunikationsmittler eingeführt. Damit werden die Informationen des Paulus durch diesen Mitarbeiter als wahrhaftig sanktioniert. Das Bild, das der Brief von den Heiligen in Kolossa zeichnet, gerät äußerst positiv. Schon Vers 4 lobt ihren „Glauben an Christus Jesus“ und die „Liebe, die ihr zu allen Heiligen habt“. Ihnen wird auch „Hoffnung“ bestätigt, womit die paulinische Trias „Glaube-Liebe- Hoffnung“ komplett wäre. Allerdings werden ihre einzelnen Glieder anders ins Verhältnis gesetzt, als in den Protopaulinen. Kommt etwa in 1Kor 13 der Liebe herausgehobene Bedeutung zu, weil nur sie den eschatologischen Wechsel der Zeiten überdauert und auch im Reich Gottes Bestand haben wird, so fungiert im Kolosserbrief die Hoffnung als Fundament für Glaube und Liebe. Sie wird dabei räumlich, als im Himmel bereitliegend (vgl. 1,5) gedacht, so dass aus der futurischen Eschatologie der paulinischen Briefe im Kolosserbrief eine räumliche Eschatologie wird, ohne den futurischen Gedanken ganz aufzugeben. 90 So z.B. E. Schweizer, Kolosserbrief, 198. 91 A. Lindemann, Gemeinde von „Kolossa“, 111-134. 92 M. Theobald, Kolosserbrief, 435f. <?page no="80"?> Erster Teil 64 Worin besteht aber diese bereitliegende Hoffnung? Was bleibt überhaupt noch zu hoffen, wenn es in 2,14 heißt: „Er hat den Schuldbrief getilgt“ und kurz davor: „mit ihm seid ihr auch auferstanden“ (2,12b). Und vom kosmischen Christus schreibt dieser Paulus: „Er hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich zur Schau gestellt und hat einen Triumph aus ihnen gemacht in Christus“ (2,15). Worauf soll da noch gehofft werden? Die Beantwortung dieser Frage hängt von zwei Entscheidungen ab: 1. Wie versteht man die Aussagen von der bereits erfolgten Auferstehung? 2. Wie weit berücksichtigt die Lektüre die intertextuellen Bezüge des Kol zu den Protopaulinen? Das Bild, das Kol von den „Heiligen in Kolossa“ entwirft, kennt jedenfalls weder politische Bedrückungen noch innere Streitigkeiten, sondern allein die Gefahr, nicht in der Souveränität der Auferstandenen zu leben, sondern sich an unnötigen Speisevorschriften und Festkalendern (vgl. 2,16), an „Philosophie“ als „Lehre von Menschen“ (vgl. 2,8) zu orientieren, die aber der Grundüberzeugung des Kolosserbriefes entgegenstehen: Die „mit Christus den Mächten der Welt“ Gestorbenen (2,20 a) und „mit Christus“ Auferstandenen (3,1a) haben sich allein an Jesus Christus, dem „Erstgeborenen aus den Toten“ (1,18c) zu orientieren, der in der Gegenwart der Lektüre des Schreibens „zur Rechten Gottes“ (3,1) sitzt. Auch hier wird das räumliche Denken des Kolosserbriefes deutlich. Er wartet nicht so sehr auf das Wiederkommen Jesu Christi, sondern lenkt den Blick nach „oben“. Insbesondere vor der Gefahr, sich an andere oder anderes zu binden als allein an Jesus Christus, das Haupt der Kirche (vgl. 1,18), will der Kolosserbrief warnen. Seine Leserinnen und Leser sollen darin bekräftigt werden, als mit Christus Gestorbene und mit Christus Auferweckte in der Orientierung nach oben zu leben. Was aber heißt in diesem Zusammenhang „Auferweckung“? Die christologische Argumentation Die theologische Basis, auf der der Kolosserbrief seine Argumentation aufbaut, lautet: In Christus „wohnt die ganze Fülle der Gottheit ( to. plh,rwma th/ j qeo,thtoj ) leibhaftig ( swmatikw/ j )“ (2,9). Die besondere Stellung Jesu Christi wird durch den so genannten Kolosserhymnus in 1,15-20 aufgewiesen, der wie der Philipperhymnus mit dem Relativpronomen „der“ ( o[j ) beginnt (vgl. Phil 2,6). Wie der Philipperhymnus bringt auch der Kolosserhymnus die kosmologische Dimension der Christologie zum Tragen. Diese kommt Jesus Christus im Kol zu, weil der Christus das „Bild“ ( eiv kw, n ) des „unsichtbaren Gottes“ ist (vgl. 1,15). „Bild“ darf hier in keiner Weise abwertend gedacht werden. Es meint hier in intertextueller Einspielung von Gen 1,26 die vergegenwärtigende Verleiblichung, die präsentische Somatisierung Gottes, der selbst nicht in den Schranken von Raum und Zeit zur Darstellung gelangt. In Jesus Christus hat die Gottheit Gottes (vgl. 2,9) so vollkommen Gestalt angenommen, dass seine Gottebenbildlich- <?page no="81"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 65 keit durch nichts gestört wird. Deshalb kommt Jesus Christus als Gestalt gewordene Gottheit Gottes auch die Schöpfungsqualitäten Gottes zu, die ja maßgeblich seine Gottheit ausmachen. Davon handelt der erste Teil des Kolosserhymnus. Der Christus ist der „Erstgeborene der Schöpfung“ (1,15b). Ihn machte Gott zuerst und alles andere machte Gott von diesem ersten Schöpfungswerk aus. Nichts wurde ohne Bezug auf den Erstgeborenen der Schöpfung geschaffen und deshalb ist er das Zentrum der Schöpfung, ihr kosmologisches Zentrum, das Haupt alles leiblich Geschaffenen und auch des „Leibes der Kirche“ (1,18a). Der zweite Teil des Hymnus beginnt wieder mit dem Relativpronomen und einer Grundbestimmung: er ist der „Anfang“ ( avrch, ) (1,18b). Er ist im selben Sinn Anfang, wie er Bild des unsichtbaren Gottes ist. Gott hat keinen anderen Anfang als seinen Christus. Gott kann nicht als Gestalt mit einem Anfang gedacht werden. Das nämlich ist gerade das Kennzeichen des Geschaffenen, und das zeigt auch der Leibbegriff im Kolosserbrief an. Da nun Jesus Christus das Zentrum der ganzen Schöpfung ist, muss er es auch für die neue Schöpfung sein, die durch die Geburt aus dem Bereich der Toten entsteht. Er ist deshalb als Anfang schlechthin der „Erstgeborene aus den Toten“ (1,18d). Aber auch diese zweite Schöpfung bleibt somatisch, bleibt Schöpfung und wird nicht selbst zum Schöpfer. Trotz der kosmologischen Christologie des Kolosserbriefes bleiben der grenzenlose Gott und sein leibhaftiger Sohn voneinander ebenso unterschieden wie der kosmische Christus als Haupt der Kirche von der Kirche selbst. Aber in Jesus Christus „wohnt“ die ganze Fülle der Gottheit Gottes, sie nimmt in ihm sichtbare Gestalt an. Von diesem Gedanken der schlechthinnigen Gottebenbildlichkeit Jesu Christi aus lässt sich sehr gut eine intertextuelle Brücke von Genesis 1 bis zum Johannesprolog bauen, wie der Kolosserbrief auch insbesondere als Brücke zwischen dem Corpus Paulinum und dem Corpus Johanneum betrachtet werden kann. Wie der kosmische Christus der unhintergehbare Bezugspunkt nicht nur als Haupt der Kirche, sondern als Dreh- und Angelpunkt der ganzen Schöpfung ist, so kann auch nur durch den Bezug zu ihm als Erstgeborenen aus den Toten alles mit Gott versöhnt werden. Ohne Bezug zu diesem Auferweckten liegt Gott unversöhnlich im Streit mit seiner Schöpfung. Nur durch die Versöhnung im Beziehungsgeflecht mit Jesus Christus gewährt Gott Frieden (vgl. 1,20). Erst ganz am Schluss des Kolosserhymnus kommt die Rede auf Jesu „Blut am Kreuz“ (1,20c). Das Gesamtverständnis des Hymnus hängt nun erheblich davon ab, ob man das Kreuz als nachklappendes Anhängsel zur kosmologischen Hoheitschristologie des Hymnus auffasst, oder ob „sein Blut am Kreuz“ im Horizont paulinischer Theologie gelesen wird. Die intertextuelle Verwobenheit mit den Paulusbriefen, insbesondere mit Philemon, dem Römerbrief, aber wohl auch mit dem 1Kor erlaubt es, das paulinische Wort vom Kreuz in die Argumentation einzubinden. Damit wäre auch für die kosmologische Christologie des Kolosserbriefes zu veranschlagen, dass <?page no="82"?> Erster Teil 66 sie ihre Fundierung im Kreuzesgeschehen bewahrt. Auch für den Kolosserbrief bleibt der Erstgeborene aus den Toten als Anfang der eschatologischen Auferweckung der Toten (vgl. 1Kor 15,20), der auferweckte Gekreuzigte. Die soteriologische und appellative Funktion der Rede von der Auferweckung der Toten Die schöpfungstheologisch-christologische Basis des Kolosserbriefes lautet also: In Christus „wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig“ (2,9). Unmittelbar an diese Überzeugung schließt sich seine soteriologische Grundaussage an: An dieser leibhaftigen Fülle haben die an Jesus Christus Glaubenden schon jetzt Anteil (vgl. 2,10). Wie der Kolosserhymnus nämlich in 1,20 konstatiert, hat Gott sich im Kreuzesgeschehen mit seiner ganzen Schöpfung versöhnt, wenn sie sich aus ihrem kosmologischen Bezug zu Jesus Christus, dem Erstgeborenen der Schöpfung, und aus ihrem eschatologischen Bezug zu Jesus Christus, dem Erstgeborenen aus den Toten, begreift. Für die, die die Welt und sich selbst schon jetzt so sehen können, gilt: „Er hat uns errettet von der Macht der Finsternis und hat uns versetzt in das Reich seines lieben Sohnes, in dem wir die Erlösung haben, nämlich die Vergebung der Sünden“ (1,13f.). Von der Macht der Finsternis und damit von der Sünde bestimmt zu sein, also diese Mächte als Bezugspunkt des eigenen Lebens gelten zu lassen, bestimmt der Kolosserbrief als Totsein: „ihr wart tot in den Sünden“ (1,13b). Im Akt der Taufe stirbt jeder für sich mit Christus und damit werden alle Beziehungen zu den Sünde motivierenden Mächten beendet. Soweit kann sich der Verfasser des Kolosserbriefes auf die Theologie der Protopaulinen berufen, denn auch in Röm 6,6 spricht Paulus davon, dass „wir mit Christus gestorben“ sind. Auch Paulus zufolge verwandelt der Glaube schon jetzt zu einer „neuen Schöpfung“ (vgl. 2Kor 5,17), die neues Leben ermöglicht. Die eschatologische Differenz aber zwischen diesem neuen Leben im Körper aus Fleisch und Blut zu dem Leben im Reich Gottes in neuen Leibern (vgl. 1Kor 15,50f.) ist im Kol kaum mehr zu erkennen. Während bei Paulus die je eigene Auferweckung aus den Toten eine futurische Hoffnung bleibt, formuliert der Kolosserbrief: „Mit ihm seid ihr begraben worden durch die Taufe, mit ihm seid ihr auch auferstanden durch den Glauben aus der Kraft Gottes, der ihn auferweckt hat von den Toten. Und er hat euch mit ihm lebendig gemacht, die ihr tot wart in den Sünden“ (2,12-13*). Der Glaube an den auferweckten Gekreuzigten ist so sehr durch dieselbe Kraft Gottes qualifiziert, die den Gekreuzigten auferweckte, dass dieser Glaube nicht nur auf die je eigene Auferweckung hofft, sondern er im Kol bereits selbst als Vollzug der je eigenen Auferweckung gilt. Der Glaube ist wie bei Paulus keine eigene Leistung, aber er ist über Paulus hinaus Vollzug der eschatologischen Auferweckung. Der Kolosserbrief bringt wie Paulus in Röm 6,13 zum Ausdruck, dass der Getaufte nicht nur den alten, Sünde motivierenden Beziehungen stirbt, sondern zugleich im Glauben und als Glaubender in die lebendig <?page no="83"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 67 machende Beziehung zum Erstgeborenen aus den Toten eintritt, aber anders als Paulus wird das nun als bereits vollzogene Auferweckung verstanden und der eschatologische Vorbehalt ekklesiologisch unterlaufen: Die somatische Realisierung dieser neuen Geburt erfolgt als Einbindung in den Leib der Kirche, dessen Haupt der kosmische Christus von jeher ist. Dieser Zusammenhang aber ist in der gegenwärtigen Weltzeit noch verborgen. Nur der Glaube vermag die Wahrheit zu sehen. Das futurische Element der Eschatologie bringt der Kolosserbrief maßgeblich als Offenbarwerden dessen, was schon geschehen ist, ein (vgl. 3,3f.). Weil der Kolosserbrief seine Adressaten auf der Basis dieser Argumentation als solche ansprechen kann, „die den alten Menschen mit seinen Werken ausgezogen und den neuen angezogen“ (1,9-10*) haben, kann er sie nun ganz darauf behaften, als eschatologisch Bekleidete ihrer eschatologischen Neuschöpfung gemäß zu leben und alle sündigen Mächte zu „töten“ (vgl. 3,5). Die Rede von der eigenen, bereits vollzogenen Auferweckung steht also im Dienst der Paränese. Sie ist dennoch nicht nur metaphorisch aufzufassen. Das Problem des je eigenen noch ausstehenden körperlichen Todes oder der Todesfälle geliebter Menschen, wie es in 1Thess 4,13-18 behandelt wird, interessiert den Kolosserbrief nicht. Unbedacht bleibt im Kol auch die Problematik, die etwa in der Johannesapokalypse behandelt wird, dass die gottfeindlichen Mächte und Gewalten den „Heiligen“ immer noch Leid und Tod bringen. Der Kolosserbrief ist ganz beseelt von der Überzeugung, dass durch das Kreuzesgeschehen die eschatologische Heilswende ein für allemal vollzogen wurde und jeder, der sich von dem Glauben daran ergreifen lässt, bereits endgültig und schon jetzt aufgrund seiner Beziehung zu dem Erstgeborenen aus den Toten eschatologisch wirksam lebendig gemacht worden ist. Nun gilt es, dieser Würde bzw. diesem Geschenk entsprechend zu leben. Und die Hoffnung, die „für euch bereit ist im Himmel“(1,5)? Vielleicht liegt hier doch noch ein futurisches Element der Eschatologie vor. Wenn man mit Andreas Lindemann annimmt, dass die „Heiligen im Licht“ die Engel sind, 93 so könnte das darauf hindeuten, dass auch der Kolosserbrief davon ausgeht, dass die bereits jetzt durch den Glauben lebendig gemachten Heiligen nach ihrem körperlichen Tod einen Lichtleib erhalten wie die Engel. So ließe sich jedenfalls das „Erbteil der Heiligen im Licht“ (1,12) verstehen. Den Schwerpunkt der Rede von der Auferweckung der Toten im Kolosserbrief bildet diese Vorstellung aber nicht. Sollte der Verfasser des Kolosserbriefes 1Kor gekannt haben, so scheint ihn zumindest die Frage nach dem Auferweckungsleib aus 1Kor 15 nicht nachhaltig geprägt zu haben. 93 Vgl. A. Lindemann, Kolosserbrief, 22. <?page no="84"?> Erster Teil 68 2.2. Der Epheserbrief Die enge literarische Verwandtschaft 94 zwischen dem Epheserbrief und dem Kolosserbrief kann plausibel mit der Hypothese erklärt werden, der Verfasser des Epheserbriefes habe den Kolosserbrief verarbeitet. In Übereinstimmung mit dem Kolosserbrief und im Unterschied zu den Protopaulinen legt er den Schwerpunkt auf die kosmologische Bedeutung des Christus und auf die mit dem kosmischen Christus verbundene Kirche. Er übernimmt aus dem Kolosserbrief die Rede von der bereits erfolgten Auferweckung der Glaubenden, hebt aber deutlicher als der Kolosserbrief nicht nur die Bedeutung des heiligen Geistes heraus, sondern stellt auch mit seinen expliziten Bezügen zu den Heiligen Schriften Israels eine größere formale Nähe zu den Protopaulinen her. Man kann daher den Epheserbrief als systematisch erweiterte und unter Verwendung einiger Protopaulinen überarbeitete Fassung des Kolosserbriefes ansehen. Er gehört wie der Kolosserbrief in das westliche Kleinasien und wird noch vor der Regierungszeit Domitians, aber in einigem Abstand zum Kolosserbrief entstanden sein, also zwischen 80 und 95 n. Chr. Mit Michael Theobald kann seine Absicht darin gesehen werden, „seinen ekklesiologischen Entwurf eines christlichen Lebensstils aus biblischem Geist als bleibendes ‚Vermächtnis‘ (M. Gese) des Apostels an die nachapostolische Kirche zu legitimieren und so Paulus indirekt selbst zu Wort kommen zu lassen.“ 95 Die Theologie des Epheserbriefes kann dennoch kaum als bloße Wiederholung oder Aktualisierung paulinischer Theologie bezeichnet werden, denn nicht nur die benannten Gemeinsamkeiten mit dem Kolosserbrief und sein Eheverständnis müssen als Diskontinuitäten zu Paulus eingeschätzt werden. Vielmehr basiert die gesamte heilsgeschichtliche Argumentation auf einer zeitlich und räumlich ausdifferenzierten universalistischen Kosmologie 96 und nicht mehr auf der paulinischen Theologie des Kreuzes. Der Kosmos gilt dem Verfasser des Epheserbriefes zwar als Schöpfung Gottes, aber zugleich wird er als Ort des Kampfes zwischen Gott und den Seinen auf der einen und Satan und seinen dämonischen Mächten der Finsternis auf der anderen Seite gedacht. Diese Zerrissenheit des Kosmos wurde durch die Selbsthingabe Jesu aus Liebe für die Ekklesia (Kirche) überwunden (vgl. 5,25). An die Stelle dieser von Gott entfremdeten Zerrissenheit tritt die durch den Geist der Liebe gestiftete Einheit: „Seid demütig, friedfertig und geduldig, ertragt einander in Liebe, und bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch den Frieden, der euch zusammenhält: ein Leib und ein Geist, wie euch durch eure Berufung auch eine gemeinsame Hoffnung gegeben ist, ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der über allem 94 Vgl. dazu die übersichtliche Synopse vom M. Theobald, Epheserbrief, 411f. 95 Ebd., 416. 96 Vgl. C. E. Arnold, Ephesians; R. Schwindt, Das Weltbild des Epheserbriefes; G. Sellin, Der Brief an die Epheser, 59-62. <?page no="85"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 69 und durch alles und in allem ist“(4,2-6). Zutreffend kommentiert Gerhard Sellin: „Das Hauptthema des Eph ist das Motiv der ‚Ein(s)heit‘, das auch terminologisch vor allem die Abschnitte 2,14-18; 4,1-6; 13-16 beherrscht. Dahinter steht eine platonisch-pythagoreische Metaphysik, die auch Philon voraussetzt, wonach die Zahl eins für das Seiende, Geistige, Ewige, Göttliche (und somit für Universalität, Frieden, Eintracht, Identität) steht, die Zahl zwei aber für das Teilbare, die Materie, das Werdende und Vergehende (und somit für Krieg, Streit, Dissonanz und Differenz).“ 97 Das Kreuzesgeschehen interpretiert der Epheserbrief deshalb als schon vorab im göttlichen Heilsplan beschlossene Überwindung der Zerrissenheit des Kosmos durch die Einheit stiftende Liebe. Der ausführlichen Paränese der Kapitel 4-6 kommt dann die Bedeutung zu, diesen bereits im Heilsplan Gottes beschlossenen und mit Tod und Auferweckung Jesu Christi eröffneten kosmischen Frieden (vgl. 2,16) universal Gestalt annehmen zu lassen. Die universale Ekklesia ist die leibhaftige Verwirklichung des kosmischen Friedens. Ihr Wachsen realisiert in stetigem und dem Heilsplan Gottes entsprechenden Fortschritt die ganze Fülle des auferweckten kosmischen Christus: „Lasst uns aber wahrhaftig sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus, von dem aus der ganze Leib zusammengefügt ist und ein Glied am andern hängt […], dass der Leib wächst und sich selbst aufbaut in Liebe“ (4,15f.). Die Taufe bewirkt die Einverleibung in diesen kosmischen Christusleib und damit nicht nur das Absterben für die Zerrissenheit des von Gott entfremdeten Kosmos, sondern ebenso die Auferweckung der durch ihre Sünden dem Tode Verfallenen in den Leib Christi (vgl. 2,1.5f.). Somit kann die Taufliturgie die Auferweckung sogar als Imperativ formulieren: „Wach auf, der du schläfst und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten“ (5,14b). Das futurische Element dieser kosmischen Eschatologie besteht weniger im Erwarten des eschatologischen Gerichts, bei dem die Toten von Gott auferweckt werden, damit endgültig Gott sein Recht spricht, sondern vielmehr in der Erwartung, dass sich die bereits im Heilsplan Gottes vor aller Zeit als Ort der Einheit und des Friedens etablierte Ekklesia als Leib des Auferweckten bzw. der Auferweckten im ganzen Kosmos erstreckt und damit den Mächten der Finsternis keinen Raum mehr lässt (vgl. 2,20ff.; 4,27; 6,12). Mit dieser räumlichen Eschatologie der kosmischen Ekklesia (vgl. 3,10; 4,12f.) entfernt sich der Verfasser des Epheserbriefes weiter von Paulus, als es auf den ersten Blick scheint. Sie steht mit ihrer auf universale Ausbreitung angelegten Ekklesiologie der präsentischen Eschatologie des Imperium Romanum näher als den Protopaulinen. 98 Die zum Imperativ umgebildete Auferstehungshoffnung mag zum Wachsen der Kirche und zum morali- 97 G. Sellin, Der Brief an die Epheser, 61. 98 Vgl. dazu S. Alkier, Leben in qualifizierter Zeit, 20-34. <?page no="86"?> Erster Teil 70 schen Engagement ihrer Mitglieder beitragen, aber zugleich raubt sie der Auferstehungstheologie die Demut, sich ganz auf Gottes Gerechtigkeit zu verlassen und den Opfern des von Gott entfremdeten Kosmos die Gewissheit, nicht vergessen zu werden. Nicht die eschatologische Auferweckungstheologie als Wort vom Kreuz fundiert diese Ekklesiologie der Einheit, sondern die Metaphysik der Einheit bestimmt die Funktion der Rede von der Auferweckung neu. 2.3. Der 2. Thessalonicherbrief Obwohl der zweite Thessalonicherbrief keine eigenen Aussagen über die Auferweckung der Toten und auch nicht über die Auferweckung Jesu enthält, sei hier zumindest darauf verwiesen, dass sein intertextueller Bezug auf den 1Thess keinerlei Korrektur oder Interpretationsbedürftigkeit hinsichtlich der Frage nach der Auferweckung der Toten enthält. Nicht die Auferweckung, sondern vielmehr die Deutung der Gegenwart gibt Anlass zum Streit. Der 2Thess setzt die Erwartung der Rückkehr des auferweckten Gekreuzigten aus den Himmeln (vgl. 1,7) voraus und betont auch das eschatologische Gericht, das am Tag des Herrn stattfinden wird. Er wendet sich aber gegen die Identifikation der eigenen Gegenwart mit dem Tag des Herrn (vgl. 2,1f.) und beruft sich dafür auf die Autorität der mündlichen und schriftlichen Überlieferung des Paulus (vgl. 2,15). Diese Autorität will er nutzen, um sein eigenes Anliegen durchzusetzen (vgl. 3,14). Deutet schon diese Benutzung paulinischer Autorität darauf hin, dass der 2Thess wohl erst nach dem Tod des Apostels geschrieben wurde, so wird dieser Eindruck erst recht durch den Ton des Schreibens erzeugt. Während in den Protopaulinen der eschatologische Gerichtstag vornehmlich als endgültige und kosmologische Realisierung des Reiches Gottes eingeführt wird, legt der 2Thess den Schwerpunkt auf die Rache Gottes an diejenigen, die vom 2Thess kritisiert werden (vgl. 1,6). Auch die kosmologischen Kämpfe, in denen Christus mit dem „Hauch seines Mundes“ (2,8) den „Bösen“ töten wird, erinnern eher die Atmosphäre der Johannesapokalypse als an den Ton und vor allem die damit verbundenen Anliegen der Protopaulinen, die bei aller scharfen Kritik, etwa im Gal, doch auf argumentative Weise mehr für das Umdenken werben und selbst auch dazu beitragen wollen, als mit drohenden Rachephantasien den Gegner einzuschüchtern. Eine genaue zeitliche Bestimmung des Schreibens etwa mittels der Identifikation „des Bösen“ mit einem römischen Kaiser überzeugt aufgrund der Dürftigkeit der aus dem Brief zu erhebenden Indizien nicht. Solche Versuche kommen mit so vielen Hypothesen daher, dass ihre historischen Vermutungsketten bestenfalls mit einem „könnte sein, vielleicht aber auch nicht“ <?page no="87"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 71 bewertet werden müssen. 99 Auch die Hypothese, 2Thess habe 1Thess ersetzen wollen, überzeugt nicht. 100 Allerdings führen die Schwierigkeiten, 2Thess genauer zu verorten, nicht zu einer Aufgabe der Verstehensbemühungen, sondern werfen diese ganz auf das Schreiben und seine intertextuellen Beziehungen zurück. Eckart Reinmuths Kommentar zum 2Thess führt mit dieser Interpretationshaltung zu einem vom Textbestand gedeckten Fazit: „Pseudo-Paulus bearbeitet mit seinem Brief eine beunruhigende Haltung in der Kirche seiner Gegenwart, die aktuelle Verfolgungserfahrungen, eschatologische Ungeduld und eine Aufkündigung des bisherigen Sozialverhaltens miteinander verband. Er setzt die Kommunikation des Paulus mit der Gemeinde in Thessalonich fort, weil er den Zusammenhang dieser Probleme im ersten Brief repräsentiert fand und dessen eschatologische Abschnitte als Belegtexte einer korrekturbedürftigen Naherwartung verstehen konnte.“ 101 Die Basis aber der apokalyptischen Eschatologie des 1Thess, die Überzeugung der eschatologischen Auferweckung des Gekreuzigten durch den kreativen und gerechten Gott Israels und die darauf basierende Hoffnung auf die Auferweckung der Toten, kann durch die affirmative Art und Weise des intertextuellen Bezugs des 2Thess auf den 1Thess auch für den 2Thess als gültig angesehen werden. 2.4. Die Pastoralbriefe (1 Tim / 2 Tim / Tit) Es spricht einiges dafür, dass die beiden Briefe an Timotheus und der Brief an Titus nicht nur von ein und demselben Verfasser stammen, sondern diese Briefe sogar als ein zusammenhängendes literarisches Produkt komponiert wurden, das literaturgeschichtlich in die Nähe antiker Briefromane gerückt werden kann. 102 Nicht nur der Verfasser, sondern auch die Adressaten müssen als Fiktionen gelten, denen exemplarischer Charakter zukommt. Der 1 Tim und der Titusbrief können mit Michael Wolter „als briefliche Instruktionen an weisungsbedürftige Amts- und Mandatsträger durch ihren Mandanten verstanden werden“ 103 , während der 2 Tim mit Alfons Weiser als „testamentarisches Mahnschreiben in Form eines Freundschaftsbriefes“ 104 aufgefasst werden kann. Der Verfasser der Pastoralbriefe nutzt also die Autorität des Paulus, um seine Auffassungen von der Organisation, der Dignität und den Aufgaben der Kirche im Streit um das wahre Verständnis der christlichen Überlieferung in der ersten Hälfte des 2. Jhs. einzubringen. Er begründet die organisatorischen und moralischen Anweisungen mit der 99 Das gilt auch für T. Roh, Der zweite Thessalonicherbrief als Erneuerung apokalyptischer Zeitdeutung. 100 So A. Lindemann, Zum Abfassungszweck des zweiten Thessalonicherbriefes, 35-47. 101 E. Reinmuth, Der zweite Brief an die Thessalonicher, 165. 102 Vgl. dazu G. Häfner, Die Pastoralbriefe, 454. 103 M. Wolter, Die Pastoralbriefe als Paulustradition, 196. 104 A. Weiser, Freundschaftsbrief und Testament, 169. <?page no="88"?> Erster Teil 72 Theologie und dem Wirken des Paulus, wie er ihn vor allem im 2 Tim malt. Dabei steht auch in der paulinischen Theologie der Pastoralbriefe das vom Kreuz her verstandene Jesus-Christus-Geschehen im Zentrum der Argumentation. Die Pastoralbriefe haben sich mit ihren patriarchalen Kirchenstrukturen weitgehend durchgesetzt, und auch die allgemeineren politischen Vorstellungen der Pastoralbriefe stützen mit ihren hierarchischen Vorstellungen die Macht der Herrschenden. Aber nicht allein diese - für demokratische Gesinnungen nicht hinzunehmenden - Positionen haben zur Kritik an den Pastoralbriefen geführt, sondern auch die Auffassung, sie seien theologisch nicht sehr ergiebig. Zutreffend ist, dass die Pastoralbriefe sich von der Radikalität der paulinischen Kreuzestheologie und der mit ihr einhergehenden apokalyptischen Eschatologie, die den eschatologischen Gerichtstag in nächster Nähe wusste, entfernt haben. Unzutreffend aber ist es, wenn deshalb die eigene Leistung der Theologie der Pastoralbriefe unterschätzt wird, die zu Beginn des zweiten Jahrhunderts vor der Aufgabe stand, die in ihrem Verständnis und in ihrer Geltung bei weitem nicht unumstrittene paulinische Theologie für eine alltagstaugliche Kirche zu bewahren. Ob die Pastoralbriefe eigens für eine Zusammenstellung paulinischer Briefe verfasst wurden, wie es etwa Annette Merz 105 annimmt, mag hier offen bleiben. Mit guten Gründen aber lässt sich sagen, dass der Verfasser das Erbe der paulinischen Briefe nicht nur durch ihre weitere Verlesung und Überlieferung sichern wollte, sondern die Notwendigkeit sah, einiges neu zu formulieren, damit die Stimme des Paulus, wie der Verfasser der Pastoralbriefe sie verstand, das Verständnis des Evangeliums von Jesus Christus auch im zweiten Jahrhundert nach Christi Geburt befördern konnte. Dabei bleibt in der Theologie der Pastoralbriefe die Theologie der Auferweckung des Gekreuzigten zentral, auch wenn der Akzent vom paulinischen „Wort vom Kreuz“ (1Kor 1,18) auf die „Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes“ (Tit 3,4) verlagert wird, die aber in alles entscheidender Weise in der Jesus-Christus-Geschichte aufscheint. Die Auferweckung Jesu Christi als Erweis der Menschenliebe Gottes Zu Beginn des 1Tim fordert Paulus Timotheus auf, gegen diejenigen vorzugehen, die etwas anderes als Paulus lehren. Die Differenz wird nicht inhaltlich bestimmt, sondern auf die Beachtung von „Mythen und Geschlechtsregistern“ (1,4) und einen verwirrenden Schriftgebrauch (vgl. 1,7) zurückgeführt. Demgegenüber betont der 1 Tim die Klarheit und Einfachheit der paulinischen Unterweisung, deren Sinn und Zweck nichts anderes sei als „Liebe aus reinem Herzen und aus gutem Gewissen und aus ungefärbtem Glauben“ (1,5b). 105 Vgl. A. Merz, Die fiktive Selbstauslegung des Paulus, 210ff. <?page no="89"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 73 Diese Liebe ist in Jesus Christus erschienen, der „in die Welt gekommen ist, die Sünder zu retten, unter denen ich der erste bin“ (1,15b). Paulus wird als Beispiel des sündigen Menschen eingeführt, an dem Gott und Jesus als Retter barmherzig gehandelt haben und ihn so auf den Weg der Liebe, die in Jesus Christus wahrnehmbar wurde, brachten (vgl. 1,16). Als mit wahrem Glauben Beschenkter ist es seine apostolische Aufgabe, diese Liebe in Jesus Christus allen und gerade auch den Völkern zu verkünden, damit sie selbst durch diesen Glauben gerettet werden. Der ungefärbte Glaube besteht in nichts anderem als im Glauben an Jesus Christus und nur dieser ungekünstelte Glaube an ihn führt zum „ewigen Leben“ (1,16). Die beispielhafte Funktion des Apostels soll die Gemeinde als ganze übernehmen und damit zur Werbung für das Evangelium Jesu Christi beitragen. Der Kirchenordnung kommt damit in Diskontinuität zu den Protopaulinen soteriologische Bedeutung zu, da sie mit dazu beitragen soll, dass sich Außenstehende für die Kirche und ihre Lehre zu interessieren beginnen und sich gerade von der Konflikte vermeidenden Ordnung und der Freundlichkeit des Umgangs für den wahren Glauben gewinnen lassen: „So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit. Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland, welcher will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ (2,1ff.). Die Soteriologie der Pastoralbriefe ist am universalen Heil der Menschheit interessiert. Die Gemeinden sollen Inseln des Friedens und der Frömmigkeit sein, deren stilles Leben aber nach außen strahlt und für Anerkennung in der Gesellschaft sorgt, damit alle Menschen die „Wahrheit“ des Evangeliums von Jesus Christus erkennen können, sich darauf glaubend einlassen und dadurch gerettet werden. Die Kirche hat aber auch eine soteriologische Funktion für die Kirchenglieder. Sie trägt nämlich dazu bei, dass sie ihren Glauben in ordentlicher Weise im Alltag leben. Es handelt sich also nicht um eine Ordnung der Ordnung zuliebe, sondern um die Organisation des angemessenen Zusammenlebens der Glaubenden, damit sie das ewige Leben am erwarteten eschatologischen Gerichtstag erhalten. Die universal ausgerichtete Soteriologie der Pastoralbriefe gründet in der „Pro-Existenz“ 106 Jesu Christi, die nicht vor dem Kreuz halt machte. Das Kreuzesgeschehen selbst bildet die Grundgeschichte, auf der die Kirche als das „Haus Gottes“ (3,15) auch in den Pastoralbriefen gebaut ist: „Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gegeben hat zur Auslösung für alle, das Zeugnis für die rechten Zeitpunkte, auf die hin ich eingesetzt wurde als Prediger und Apostel. Ich sage die Wahrheit, ich lüge nicht, ich bin Lehrer 106 Vgl. H. Schürmann, „Pro-Existenz“ als christologischer Grundbegriff. Vgl. auch C. Böttrich, Proexistenz im Leben und Sterben, 415, Anm. 15. <?page no="90"?> Erster Teil 74 der Völker im Glauben und in der Wahrheit“ (2,5ff.). Diese Soteriologie gründet in der Liebe Gottes, die in der Proexistenz Jesu Christi durch seinen Weg bis ans Kreuz bezeugt wird und vom Apostel, der selbst als Beispiel der erfolgreichen Mittlerschaft des Sohnes fungiert, nun treu und wahrheitsgemäß verkündet und gelehrt wird. Das von ihm weitergegebene „Geheimnis des Glaubens“ fasst der Apostel kurz und bündig zusammen, denn Timotheus soll wissen, „wie man sich verhalten soll im Hause Gottes, das ist die Gemeinde des lebendigen Gottes, die ein Pfeiler und eine Grundfeste der Wahrheit ist. Und groß ist, wie jedermann bekennen muss, das Geheimnis des Glaubens: Er ist offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, geschaut von den Engeln, verkündet den Völkern, geglaubt in der Welt, aufgenommen in Herrlichkeit“ (3,14ff.). Die Kirche als Grundfeste der Wahrheit wird nicht mehr wie in den Protopaulinen als Leib Christi bezeichnet, sondern als „Haus Gottes“, das nach seiner eigenen Ökonomie verlangt. Nur wenn sie das Geheimnis des Glaubens bewahrt und treu weitersagt, wird sie ihrer besonderen Aufgabe gerecht. Sie muss in all ihren Entscheidungen, ihrer Organisation und vor allem im Lebensvollzug deutlich erkennen lassen, dass sie sich der Liebe Gottes, dem kreativen Schöpfer und der Proexistenz Jesu Christi, der seinen Weg bis ans Kreuz ging, verdankt. Sie darf sich aber nicht als Selbstzweck begreifen. Sie ist nicht Ziel, sondern Mittel der Verkündigung. Sie steht nicht am Ende der Zeit, sondern wartet auf die Epiphanie des auferweckten und erhöhten Gekreuzigten: „Ich gebiete dir vor Gott, der alle Dinge lebendig macht, und vor Christus Jesus, der unter Pontius Pilatus bezeugt hat das gute Bekenntnis, dass du das Gebot unbefleckt und untadelig hältst bis zur Epiphanie unseres Herrn Jesus Christus, welche zu seiner Zeit zeigen wird der Selige und allein Mächtige, der König der Könige und Herr der Herren, der allein Unsterblichkeit hat, der in einem unzugänglichen Licht wohnt, den kein Mensch gesehen hat noch sehen kann. Dem sei Ehre und ewige Herrschaft, Amen“ (6,13-16). Der 1Tim lässt den Zusammenhang der Schöpfungsmacht und Liebe Gottes mit dem Kreuzesgeschehen erinnern. Er bringt zudem die soteriologische Dimension dieses Geschehens zur Geltung und begründet damit die Hoffnung auf das ewige Leben. Explizit spricht aber nur 2Tim 2,8 von der Auferweckung Jesu Christi: „Halt im Gedächtnis Jesus Christus, der von den Toten auferweckt wurde, aus dem Geschlecht Davids, gemäß meinem Evangelium“ (2,8). Die Auferweckung der Toten ist noch nicht geschehen Dass das Kreuzesgeschehen nicht nur die singuläre Auferweckung Jesu Christi bedeutet, sondern der Tod selbst entmachtet wurde, bringt der Abschnitt 2Tim 1,9ff. in sachlicher Nähe zu 1Kor 15, aber mit eigenem Akzent, zum Ausdruck: „Er hat uns gerettet und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht gemäß unserer Werke, sondern nach seinem Ratschluss und nach der <?page no="91"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 75 Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus, vor ewigen Zeiten, die nun aber erschienen ist durch die Erscheinung unseres Retters Jesus Christus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und die Unvergänglichkeit ans Licht brachte durch das Evangelium, für das ich eingesetzt bin als Prediger, Apostel und Lehrer.“ Klar richtet sich 2Tim gegen die Auffassung, „die Auferstehung sei schon geschehen“ (2Tim 2,18b). Was mit diesem Slogan gemeint ist, verrät 2Tim nicht. Es ist durchaus möglich, aber nicht beweisbar, dass die Pastoralbriefe hier auch Kol 2,12 und Eph 2,6; 5,14 im Blick haben, deren Rede vom Mitauferweckwerden in der Taufe tatsächlich erheblich interpretationsbedürftig ist und Verwirrung stiften kann. Richteten sich die Pastoralbriefe gegen ein gnostisches Auferstehungsverständnis, wie es etwa im Evangelium nach Philippus greifbar wird, würde das darauf hindeuten, dass sie eher in der Mitte des 2. Jahrhunderts entstanden sind als zu Beginn des neuen Jahrhunderts. Das würde auch gut zu den von den Pastoralbriefen mehrfach abgelehnten Mythen passen. So heißt es änigmatisch im Evangelium nach Philippus 90 a: „Diejenigen, die behaupten, dass sie zuerst sterben und (dann erst) auferstehen werden, irren sich: Wenn sie nicht zuerst die Auferstehung empfangen, solange sie noch leben, werden sie, wenn sie sterben, nichts empfangen.“ 107 Wie dem auch sei, die nicht näher spezifizierte Ablehnung des Slogans von der bereits geschehenen Auferstehung der Toten plädiert um der Klarheit willen für eine gänzliche Vermeidung solcher Redeweise, auch wenn sie metaphorisch gemeint ist und wie im Kol keineswegs die Erwartung der eschatologischen Auferweckung der Toten in Abrede stellen möchte. Gerade der intertextuelle Bezug zu Röm 6 fordert die Kirche dazu auf, diese Differenziertheit der paulinischen Auferweckungstheologie zu bewahren, ist doch die Auferweckung der Toten mit der Erwartung des eschatologischen Gerichts verbunden, wie es dann 2 Tim 4,1b zum Ausdruck bringt, wenn er von „Christus Jesus, der da kommen wird zu richten die Lebenden und die Toten“, spricht. Analog zu Röm 6 bewahren die Pastoralbriefe die Differenz zwischen dem bereits auferweckten und erhöhten Gekreuzigten und denen, die an ihn und sein Evangelium glauben. Sie können in der Identifikation mit dem Kreuzestod Jesu schon jetzt, unter den Gegebenheiten dieser Welt, mit Christus sterben, aber das eschatologische Mitleben bleibt ein für die Zukunft zu erhoffendes neues und ewiges Leben. (vgl. 2Tim 2,11b). In der Taufe, dem „Bad der Wiedergeburt“ haben sie aufgrund von Gottes Barmherzigkeit und nicht aufgrund eigener Leistungen, sondern durch „Jesus Christus, unseren Retter“ die „Erneuerung im heiligen Geist“ erfahren (vgl. Tit 3,5f.). Wie Jesus Christus zum Retter wurde, indem er „sich selbst für uns gegeben hat, damit er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit“ (2,14a), so erhalten die seiner Kreuzesgeschichte Glaubenden die Hoffnung, wie ihr Ret- 107 Zit. nach W. Schneemelcher, Neutestamentliche Apokryphen, 166. <?page no="92"?> Erster Teil 76 ter selbst das ewige Leben zu erhalten. Ihr jetziges Leben ist noch kein ewiges Leben. Sie sind vielmehr „Erben des ewigen Lebens nach unserer Hoffnung“ (Tit 3,7b). Diese Hoffnung hat ihren letzten Grund in der „Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes“ (Tit 3,4), der sich alles Leben und erst recht die Hoffnung auf ein von aller Ungerechtigkeit befreites, ewiges Leben verdankt. <?page no="93"?> II. Der Hebräerbrief Obwohl der Hebräerbrief als Bestandteil des Corpus Paulinum überliefert wurde, ist weder Paulus sein Autor, noch handelt es sich um einen Brief. Der Hebräerbrief bezeichnet sich in 13,22 selbst trefflich als „Trost- und Mahnrede“ 108 ( lo,goj th/ j paraklh,sewj ). Diese Rede bildet den Hauptteil der Schrift (1,1-13,19). Lediglich die „letzten Verse (13,22-25) sind briefhaft, der erste Satz (1,1-4) in keiner Weise.“ Dieses Urteil Vanhoyes, das er aufgrund seiner eindringlichen und plausiblen Strukturanalyse gefällt hat, versteht den Hebräerbrief als „Predigt […], an die ein kurzes Begleitschreiben angeschlossen ist.“ 109 Vanhoye zufolge kann die Mahnrede des Hebräerbriefes nur angemessen verstanden werden, wenn ihr Ineinander theologischer Argumentation und daraus folgender Ermahnungen als syntagmatische Grundstruktur des Schreibens wahrgenommen wird. 110 Das pragmatische Anliegen der Trost- und Mahnrede des Hebräerbriefes ist es, die Glaubenden zu bestärken, am „Bekenntnis“ festzuhalten (vgl. 4,14c) und den eingeschlagenen Glaubensweg weiterzugehen, selbst wenn er in der Gegenwart Kummer und Leid einbringt (vgl. 10,32ff.; 13,3). Solchen, die nach der Erkenntnis des Glaubens an Jesus Christus diesen Weg verlassen, wirft er vor, dass sie „den Sohn Gottes abermals kreuzigen und zum Spott machen“ (6,6b). Das Bekenntnis, an dem es festzuhalten gilt, ist das Bekenntnis zu dem durch den „Gott des Friedens“ „von den Toten“ heraufgeführten (vgl. 13,20) und erhöhten Gekreuzigten, dem „Anfänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er Freude hätte haben können, das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes.“ (12,2). Die mit keinem Geschöpf Gottes vergleichbare Würde und Bedeutung Jesu Christi bringt der Hebräerbrief semantisch durch seine Metapher vom himmlischen Hohenpriester (vgl. 8,1f.) als „Mittler eines besseren Bundes“ (8,6; vgl. 12,24) in schriftgelehrter Anknüpfung und metaphorischer Transformation der Opfersprache des Jerusalemer Tempelkults zum Ausdruck. Die Entfaltung dieser Christologie mittels der Semantik des Hohenpriesters, die den himmlischen Hohenpriester nach der Ordnung Melchisedeks dem Hohenpriester des Jerusalemer Tempelkultes nach der Ordnung Aarons gegenüberstellt (vgl. 7,11), bildet einen eigenständigen und unverwechselbaren Beitrag des Hebräerbriefes zur theologischen Darstellung und soteriolo- 108 Vgl. H.-F. Weiß, Der Brief an die Hebräer, 38ff. 109 A. Vanhoye, Hebräerbrief, 497. Vgl. ders., La structure littéraire de l´épître aux Hébreux; ders., Literarische Struktur und theologische Botschaft des Hebräerbriefs. 110 Die von Vanhoye vorgelegte Gliederung des Schreibens trägt diesem Sachverhalt Rechnung, vgl. dazu A. Vanhoye, Hebräerbrief, 498f. <?page no="94"?> Erster Teil 78 gischen Reflexion der Jesus-Christus-Geschichte, die seinen Autor trotz seiner offenkundigen Berührungspunkte mit paulinischen Briefen 111 weniger als einen Schüler des Paulus, sondern eher als einen eigenständigen schriftgelehrten 112 und kreativen Theologen des frühen Christentums zu erkennen geben. „Die Lokalisierung des durch den Hohenpriester Christus endgültig gewirkten Heils ‚in den Himmeln‘ (8,1) steht in dem Sinne in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Grundanliegen des Autors, als auf diese Weise den Adressaten das unerschütterliche, nicht durch irdischen Wandel und irdische Vergänglichkeit zu beeinträchtigende Fundament ihres Glaubens vor Augen geführt wird und damit zugleich die Adressaten erneut - was ja das Anliegen des Autors mit seiner Trost- und Mahnrede ist - zur Heils- und Glaubensgewißheit motiviert werden.“ 113 So sehr die Metapher des himmlischen Hohenpriesters nach der Ordnung Melchisedeks die Semantik des Hebräerbriefes auch bestimmen mag, so darf nicht übersehen werden, dass die Argumentationsbasis des Hebräerbriefes vom soteriologisch gedeuteten Zusammenhang von Kreuz und Auferweckung Jesu Christi gebildet wird. Nicht nur in der Kritik der „toten Werke“ (vgl. 6,1b) und der Bemühung des Habakukzitates - „Mein Gerechter wird aus Glauben leben.“ (10,38; vgl. Hab 2,4b; Röm 1,17b) - hat der Eindruck einer sachlichen Nähe des Hebräerbriefes zur paulinischen Theologie ihren berechtigten Anlass, sondern ebenso in der die theologische Struktur bildenden Funktion der Jesus-Christus-Geschichte, die den Kreuzestod Jesu aufgrund der Heraufführung von den Toten (vgl. 13,20) und der Erhöhung des Gekreuzigten durch die Schöpfungsmacht des barmherzigen und gerechten „Gottes des Friedens“ (13,20) als eschatologisches Heilsereignis begreift, das „ein für allemal“ (9,26b) bereits geschehen ist und alles verändert hat. Gestaltet die metaphorische Rede von der soteriologischen Funktion des Hohenpriesters Jesus Christus die Darstellung der Christologie des Hebräerbriefes, so ist ihr sachlicher Ermöglichungsgrund das Bekenntnis zu dem „von den Toten“ heraufgeführten und erhöhten Gekreuzigten (vgl. 13,20). Die faszinierende Rhetorik vom himmlischen Hohenpriester gründet im Wort vom Kreuz. 111 Vgl. dazu H.-F. Weiß, Der Brief an die Hebräer, 763: Mit 13,23 „folgt eine weitere persönliche Bemerkung, mit der der Autor sich selbst ganz offensichtlich bewusst in die Kontinuität der Mission des Apostels einordnet.“ Vgl. auch A. Vanhoye, Hebräerbrief, 495f. 112 I. Broer, Einleitung in das Neue Testament 2, 581: „In keiner Schrift des Neuen Testaments spielt das Alte Testament eine vergleichbare Rolle, denn in keiner finden sich im Vergleich zur Länge ähnlich viele Zitate oder Anspielungen, und kein Autor versteht sich in dem Maße als Schriftausleger wie der Autor des Hebräerbriefes.“ 113 H.-F. Weiß, Der Brief an die Hebräer, 769f. <?page no="95"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 79 Die Jesus-Christus-Geschichte und ihre Deutung in der Darstellung des Hebräerbriefes Mit 1,1 bestimmt der Hebräerbrief seine Theologie und Christologie als Rede vom Wort Gottes. Derselbe Gott, der durch die Propheten zu den Vätern geredet hat, hat „in diesen letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn“ (1,2a). Wie sich Gott durch das Wort der Propheten an die Väter gerichtet hat, so hat er sich im Wort seines Sohnes am Ende der Zeit noch einmal und nun ein für allemal „zu uns“ gewendet. Durch den Verzicht auf einen Adressaten des Schreibens gilt das ‚zu uns‘ für alle, die den Hebräerbrief zustimmend lesen und sich von ihm durch die zustimmende Lektüre in das „uns“ einschließen lassen. Die so Lesenden befinden sich mit dem Verfasser der Schrift in der durch den Brief bestimmten Situation des Endes der Zeit, in der es nun vorrangig darum gehen muss, Jesus als letztgültiges Wort Gottes zu begreifen und sich dieser eschatologischen Bestimmtheit der Mitteilung Gottes bewusst zu werden und sich daran ausrichten zu lassen. Deshalb umreißen die Verse 1,2bf. zunächst die Dignität und die Funktion des Sohnes. Er wurde von Gott „eingesetzt zum Erben über alles“. Diese kosmologische Dimension der Gottessohnschaft wird ausgebaut durch die Einbindung des Sohnes in die Schöpfungstheologie (vgl. 1,2b). Die Anteilhabe an der Herrlichkeit Gottes zeigt 1,3a an. 1,3b bringt die soteriologische Funktion des Sohnes zur Sprache: „er trägt das All durch sein machtvolles Wort und hat die Reinigung von den Sünden vollbracht und sich dann zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt.“ Aufgrund dieser soteriologischen Handlung wurde er mehr als die Engel und sein Name überragt deshalb auch die Namen der Engel (1,4). Im Zentrum der Christologie des Hebräerbriefes steht also die Tat des Sohnes Gottes, die durch den Ereigniszusammenhang von Kreuz und Auferweckung ihre soteriologische Kraft erhält und durch die Komponenten der Erniedrigung und Erhöhung des Sohnes seine Dignität noch steigert. Der Hebräerbrief gibt im Verlauf seiner Argumentation Auskunft darüber, worin diese Tat zu sehen ist und wie sie die Rettung bewirkt. In die schriftgelehrte Argumentation der Trost- und Mahnrede ist nämlich die Erzählung der Jesus-Christus-Geschichte in ihren Grundzügen eingewoben. Die durch den Sohn bewirkte „Rettung ( swthri,a ) nahm ihren Anfang mit der Predigt des Herrn und wurde bei uns bekräftigt durch die, die es gehört haben. Und Gott hat dazu Zeugnis gegeben durch Zeichen, Wunder und machtvolle Taten und durch die Austeilung des heiligen Geistes nach seinem Willen“ (2,3f.). Das machtvolle Wort des Sohnes, das das All trägt (vgl. 1,3b) beginnt auf Erden mit der Verkündigung Jesu schon vor seiner Kreuzigung, die durch die sie begleitenden Wunder und die Gabe des Heiligen Geistes von Gott als göttliches Wort bestätigt wurde. Diese Predigt wirkte und fand so Verbreitung bis zum Autor des Hebräerbriefes und seiner Leser durch die positive Aufnahme ihrer Hörer. <?page no="96"?> Erster Teil 80 Der Sohn Gottes nahm die menschliche Existenz „von Fleisch und Blut“ überhaupt nur an, um sich den „Kinder[n] Abrahams“ anzunehmen und sie aus der durch die Sünde verursachten Macht des Todes, dessen Machtträger der Teufel ist, herauszulösen (vgl. 2,14ff.). „Daher musste er in allem seinen Geschwistern gleich werden, damit er barmherzig würde und ein treuer Hoherpriester vor Gott, zu sühnen die Sünden des Volkes. Denn worin er selber gelitten hat und versucht worden ist, kann er helfen denen, die versucht werden“ (2,17ff.). Dadurch hat er die Fähigkeit erworben, mit zu leiden „mit unserer Schwachheit“, denn er ist „versucht worden in allem wie wir, doch ohne Sünde“ (4,15b). Jesus lebte das beschränkte und bedrängte Leben eines Menschen mit allen Versuchungen, Wünschen und Ängsten. Er blieb aber bei allem auf dem Weg dessen, der auf Gott hört. Von diesem Gehorsam brachte ihn nichts ab, auch nicht das Leiden, die Schmach und nicht einmal die Angst vor dem Tod am Kreuz. „Und er hat in den Tagen seines irdischen Lebens Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen dem dargebracht, der ihn vom Tod erretten konnte, und er ist auch erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt. So hat er, obwohl er Gottes Sohn war, doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt.“ Er wurde verspottet (vgl. 6,6b) und erlitt den blutigen Tod am Kreuz (vgl. 2,9; 6,6b; 12,2), aber sein Bitten und Flehen im Angesicht des Kreuzestodes wurde von Gott mit seiner Heraufführung von den Toten beantwortet: „Der Gott des Friedens“ hat „den großen Hirten der Schafe, unsern Herrn Jesus, von den Toten heraufgeführt“ (13,20). 114 Er wurde erhöht zum Hohenpriester in den Himmeln „nach der Kraft unzerstörbaren Lebens“ (7,16c). „Daher kann er auch retten, die durch ihn zu Gott kommen, denn er lebt für immer und bittet für sie“ (7,25). „Und darum ist er auch der Mittler des neuen Bundes, damit durch seinen Tod, der geschehen ist zur Erlösung von den Übertretungen unter dem ersten Bund, die Berufenen das verheißene ewige Erbe empfangen“ (9,15; vgl. 8,6). Er ist der „Anfänger und Vollender des Glaubens“ (12,2), weil ihn nichts von seinem Weg des Gehorsams abbrachte und damit denjenigen Rettung ermöglicht, die nun auf sein machtvolles Wort vertrauen und sich zu ihm halten und sich durch seine Geschichte auf Gott hin ausrichten lassen: „Und 114 Vgl. H.-F. Weiß, Der Brief an die Hebräer, 754: „Es ist also wiederum ein Hinweis auf die ‚biblische Theologie‘ des Autors des Hebr, wenn er zwar eindeutig diese Aussage in V.20 im Anschluß an die traditionell-paulinische ‚Erweckungsformel‘ formuliert, diese jedoch dadurch variiert, dass er sie auf Jes 63,11 ‚zurückführt‘ und damit wiederum seine eigenen Akzente setzt. Dies geschieht konkret in dreifacher Hinsicht: Einmal durch die Jes 63,11 nachgebildete partizipiale Gottesprädikation o` avnagagw.n evk nekrw/ n (anstelle des überlieferten o` evgei,raj evk nekrw/ n ); zum anderen durch die Prädikation des ‚Auferweckten‘ als des ‚Hirten der Schafe‘ (wiederum im Anschluß an Jes 63,11); und schließlich drittens durch die im Zusammenhang der traditionellen ‚Erweckungsformel‘ gänzlich ungewöhnliche, auf den Kreuzestod bzw. das Selbstopfer Jesu bezugnehmende Wendung evn ai[mati diaqh,khj aivwni,ou , die - im Unterschied zu den beiden erstgenannten eigenen Akzentsetzungen - eindeutig im eigenen theologischen Konzept des Autors des Hebr. ihren Ort hat.“ <?page no="97"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 81 als er gestorben war, ist er für alle, die ihm gehorsam sind, der Urheber des ewigen Heils geworden, genannt von Gott ein Hoherpriester nach der Ordnung Melchisedeks“ (5,9f.). Mit seinem unbedingten und stetigen Hören auf Gott, mit diesem Gehorsam, zeigte er den rechten Gottesdienst. „Hat so Jesus […] teil an der menschlichen Schwachheit (5,2), so scheitert er im Gegensatz zu den Menschen damit nicht, sondern er bewährt anders als diese die Gemeinschaft mit Gott, indem er sündlos bleibt und im Leiden den Gehorsam bewahrt (5,8).“ 115 Diesen Weg ging er auch, als er ein blutiges Opfer der Macht des Todes wurde. Er vertraute sich auch in seiner Todesangst dem Gott an, durch dessen Wort alles geschaffen ist (vgl. 11,3) und von dem schon Abraham dachte: „Gott kann auch von den Toten erwecken“ (11,19). Die Akzeptanz seines eigenen Leidens, die Kummer, Bedrückung und Todesangst nicht stoisch verdrängt, sondern sich weinend, flehend, schreiend an Gott den Schöpfer und Totenerwecker wendet, macht ihn zum machtvollen Wort Gottes, zum Zeichen für den rechten Gottesdienst, der Gott in allen Lebenslagen die Ehre als Schöpfer allen Lebens gibt. Nicht Gott fordert seinen Tod, um sich selbst zu besänftigen. Sein gewaltsamer Tod am Kreuz macht offensichtlich, dass die Gegenspieler Gottes nicht einmal vor dem Blut dessen, der ohne Sünde war, zurückschrecken. Jesus hat Angst, aber er läuft nicht weg. Er stellt sich in Vertretung aller Opfer der Todesmacht in den Weg. Das am Kreuz vergossene Blut dieses Selbstopfers (vgl. 8,27b) wird zum wirksamen Zeichen derer, die auf Jesus Christus hören und sich von seiner Geschichte neu ausrichten lassen. Fortan ist keine andere Sühnehandlung mehr nötig. Der zum ewigen himmlischen Hohenpriester erhöhte auferweckte Gekreuzigte „hat es nicht nötig, wie jene Hohenpriester, täglich zuerst für die eigenen Sünden Opfer darzubringen und dann für die des Volks, denn das hat er ein für allemal getan, als er sich selbst opferte“ (7,27; vgl. 9,11f.). „Das ist nun die Hauptsache bei dem wovon wir reden: Wir haben einen solchen Hohenpriester, der da sitzt zur Rechten des Thrones der Majestät im Himmel und ist ein Diener am Heiligtum und an der wahren Stiftshütte, die Gott aufgerichtet hat und nicht ein Mensch“ (8,1f). Die Jesus-Christus-Geschichte, die durch die Erzählung vom Selbstopfer des mitleidenden, sündlosen Gottesssohnes zur heilsamen Geschichte für alle Opfer geworden ist, ist damit noch nicht an ihr Ziel gelangt. Durch seinen konsequenten und mutigen Gottesdienst hat er die Macht der Sünde gebrochen. „Jetzt aber sehen wir noch nicht, dass ihm alles untertan ist“ (2,8c). Nur der Glaube, von dem ausführlich Kapitel 11 spricht, sieht schon jetzt im Gekreuzigten den Heiland und erwartet ihn und damit das Ende der Gewalt in geduldiger Zuversicht, die die eigene Lebensführung bestimmt: „Nun aber, am Ende der Welt, ist er ein für allemal erschienen, durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben. Und wie den Menschen bestimmt ist, 115 I. Broer, Einleitung in das neue Testament, 586. <?page no="98"?> Erster Teil 82 einmal zu sterben, danach aber das Gericht, so ist auch Christus einmal geopfert worden, die Sünden vieler wegzunehmen. Zum zweiten Mal wird er nicht der Sünde wegen erscheinen, sondern denen, die auf ihn warten, zum Heil“ (9,26bff.). „Gott kann auch von den Toten erwecken“ Gott spricht durch die Propheten und letztgültig durch die Geschichte von seinem Sohn Jesus Christus, dem auferweckten und erhöhten Gekreuzigten (vgl. 1,1f.). Diese Geschichte erhält ihre Plausibilität aufgrund der Rede von Gott, wie sie sich in den Heiligen Schriften Israels findet. Diese setzt der Autor des Hebräerbriefs als gültiges Gotteswort voraus, das den Vorfahren augrund ihres Glaubens zum Zeugnis gegeben worden ist. Die Heiligen Schriften Israels sind so zugleich Urkunde des Glaubens, den der Hebräerbrief definiert als „eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht“ (11,1). Somit geben die Heiligen Schriften Israels dem Glaubenden Zeugnis von Gott und seinem Handeln. Eine Rede von Gott und seinem Sohn außerhalb des Glaubens ergibt für den Hebräerbrief keinen Sinn. „Durch den Glauben erkennen wir, dass die Welt durch Gottes Wort geschaffen ist, so dass alles, was man sieht, aus nichts geworden ist“ (11,3). Auf dieser Grundlage ergibt sich die Plausibilität aller „Zeichen, Wunder“ und „mächtige[n] Taten“ (vgl. 2,4a), die Gott wirkt und von denen die „Wolke der Zeugen“ (12,1a) spricht und die in Kapitel 11 intertextuell aufgerufen werden. Zu diesen wunderbaren machtvollen Taten des Schöpfergottes gehören auch Totenerweckungen. Schon Abraham ist davon überzeugt: „Gott kann auch von den Toten erwecken“ (Hebr 11,19a). In Anspielung an die Erzählungen von Elia (1Kön 17,17-24) und Elisa (2Kön 4,18-37) heißt es: „Frauen haben ihre Toten durch Auferstehung wiederbekommen“ (11,35a). Es ist wohl an Märtyrergeschichten wie 2 Makk 7 und vielleicht auch an Dan 12 zu denken, wenn der Hebräerbrief im selben Vers fortfährt: „Andere aber sind gemartert worden und haben die Freilassung nicht angenommen, damit sie die Auferstehung, die besser ist, erlangten“ (11,35b). Damit unterscheidet der Hebräerbrief die Wiederbelebung von Toten, die in das irdische Leben zurückführt so wie etwa vermittelt durch Elia der Witwe von Sarepta der verstorbene Sohn zurückgegeben wird -, von der Auferweckung von den Toten „nach der Kraft unzerstörbaren Lebens“ (7,16b). Anders als Paulus legt der Hebräerbrief aber keinen Wert darauf, dass Jesus Christus, der auferweckte Gekreuzigte, der Erste und der Anfang dieser eschatologischen Auferweckung ist (vgl. 1Kor 15). Die Auferweckung des Gekreuzigten als Heraufführung von den Toten (vgl. 13,20) ist für den Hebräerbrief nicht mehr, aber auch nicht weniger als die unabdingbare Voraussetzung seiner Erhöhung zum himmlischen Hohenpriester, als der er sein rettendes Mittleramt nun ausführt. Der Hebräerbrief betont wie Paulus die Heilsbe- <?page no="99"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 83 deutung des Kreuzestodes, aber an die Stelle der eschatologischen Kraft der Auferweckung tritt bei ihm die eschatologische Bedeutung der Erhöhung des von den Toten heraufgeführten Gekreuzigten. Die Lehre von der Auferstehung der Toten gehört für den Hebräerbrief zu den unverzichtbaren Voraussetzungen der christlichen Lehre (vgl. 6,1f.), aber ihr kommt keine eigenständige eschatologische Bedeutung zu. Gerade in der Auferweckungstheologie zeigen sich markante Übereinstimmungen, aber auch erhebliche Unterschiede zwischen den Paulusbriefen und dem Hebräerbrief. Zur Übereinstimmung ist sicherlich auch zu rechnen, dass der Hebräerbrief und Paulus damit rechnen, dass eine Verwandlung notwendig ist, weil die erste Schöpfung nicht tauglich ist für das ewige Leben. Der Hebräerbrief geht davon aus, „dass das, was erschüttert werden kann, weil es geschaffen ist, verwandelt werden soll, damit allein das bleibe, was nicht erschüttert werden kann. Darum, weil wir ein unerschütterliches Reich empfangen, lasst uns dankbar sein und so Gott dienen mit Scheu und Furcht, wie es ihm gefällt, denn unser Gott ist ein verzehrendes Feuer“ (12,27bff.) Weil der auferweckte Gekreuzigte in seiner Erhöhung diese Verwandlung erfahren hat, kann der Hebräerbrief ausrufen: „Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit.“ (13,8) Die Verwandlung von einem begrenzten Leben in Fleisch und Blut zu einem entgrenzten Leben „nach der Kraft unzerstörbaren Lebens“ (7,16b) entgrenzt das unzerstörbare, ewige Leben von der Zeitlichkeit des Lebens in Fleisch und Blut. Deshalb kann Jesus, den Gott als Sohn „eingesetzt hat zum Erben über alles“ nun auch als derjenige gepriesen werden, „durch den er auch die Welt gemacht hat.“ (1,1,2b). Die sogenannten Präexistenzaussagen sind gerade keine Existenzaussagen im Sinne empirischer Welterklärung nach den Gesetzmäßigkeiten von Raum und Zeit, die die erste Schöpfung begrenzen. Vielmehr handelt es sich um Aussagen in der Logik der zweiten Schöpfung, für die die zeitliche Reihenfolge in der Gleichzeitigkeit der Ewigkeit aufgeht. Die „bessere Hoffnung“ (7,19b), von der der Hebräerbrief bewegt ist, ist die Zusage, dass alles Leid und alle beängstigenden Grenzen des Lebens in Fleisch und Blut durch den Ereigniszusammenhang von Kreuzestod, Heraufführung von den Toten und Erhöhung Jesu ein Ende gefunden haben, und damit der Weg in das himmlische Heiligtum durch Jesus, den himmlischen Hohenpriester nach der Ordnung Melchisedeks, geöffnet worden ist, für alle, die beim Bekenntnis zu dessen Geschichte bleiben und sich davon in ihrem Leben ausrichten lassen. „Denn Christus ist nicht eingegangen in das Heiligtum, das mit Händen gemacht und nur ein Abbild des wahren Heiligtums ist, sondern in den Himmel selbst, um jetzt für uns vor dem Angesicht Gottes zu erscheinen“ (9,24). Die große Hoffnung, von der der Hebräerbrief spricht, besteht in der vertrauensvollen Zuversicht, dass nicht der Tod als Abbruch des Lebens aus Fleisch und Blut das letzte Wort haben wird und dass auch nicht das Gericht Gottes, der selbst „ein verzehrendes Feuer“ (12,29) ist, die Zukunft der Glaubenden bestimmt, sondern die Glaubenden schon jetzt in der durch die Jesus-Christus-Geschichte „an- <?page no="100"?> Erster Teil 84 gebotenen Hoffnung“ „einen sicheren und festen Anker“ haben, „der auch hineinreicht bis in das Innere hinter dem Vorhang“ (6,19). Die aber, die auf ihn warten, indem sie dem „Frieden“ nachjagen „mit jedermann und der Heiligung“, werden eingehen „zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem“ (12,22) und in Gemeinschaft mit Gott, seinem Sohn und den Engeln in Frieden ewig leben. <?page no="101"?> III. Die synoptischen Evangelien und die Apostelgeschichte des Lukas Die wohl zwischen 70 und 90 entstandenen synoptischen Evangelien können mit Martin Kähler als „Passionsgeschichte mit ausführlicher Einleitung“ 116 bezeichnet werden. Sie stehen ebenso unter dem Eindruck der grundlegenden eschatologischen Bedeutung der Auferweckung des Gekreuzigten wie die paulinischen Briefe. Allerdings möchten sie nun erzählen, wer denn dieser Jesus von Nazareth war und wie es zu seiner Ermordung am Kreuz gekommen ist. Dabei gehen die Evangelien aber nicht in diesem durchaus auch historischen Interesse auf. Der skripturalen Gedächtnisstiftung der Evangelien ist es vielmehr zu verdanken, dass die Verkündigung Jesu vom hereinbrechenden Reich Gottes und vor allem die Verkündigung der Reich-Gottes- Gleichnisse in Kontinuität zu dem Gott verstanden werden kann, der ihn von den Toten auferweckt hat. Gottes barmherziges und gerechtes Auferweckungshandeln wird verständlich als Identifikation Gottes mit dem Gottesbild Jesu. Gott erweist sich in seiner eschatologischen Tat der Auferweckung Jesu als derjenige, von dem Jesus von Nazareth gesprochen hat, und gibt ihm nicht zuletzt dadurch Recht. Die Evangelien erfüllen aber noch eine weitere Aufgabe. Sie führen aus, was auch Paulus von seiner Verkündigung sagte: Jesus vor Augen malen und zwar als den auferweckten Gekreuzigten, dem zum Herrn erhöhten und in der Gegenwart der Glaubenden wirksamen Sohn Gottes. Die Evangelien repräsentieren auf signifikante Weise den abwesenden Leib des auferweckten Gekreuzigten und sind auf diese Weise selbst Zeichen seiner Auferweckung. Dass aber auch im theologischen Zentrum der Apostelgeschichte des Lukas die Predigt von der Auferweckung des Gekreuzigten steht, und nicht die Erinnerung an die Reden und Taten Jesu von Nazareth, verweist klar auf die theologische Absicht des ersten Kirchengeschichtlers der Christenheit. Allerdings dürfen die Differenzen zwischen den Synoptikern nicht übersehen werden, denn sie erzählen die Jesus-Christus-Geschichte mit recht verschiedenen Konzeptionen, was sich gerade an der jeweiligen Inszenierung der Auferweckungstheologie zeigt. 1. Das Markusevangelium Für die Interpretation des Markusevangeliums und insbesondere für die vorliegende Frage nach seinem Auferweckungsdiskurs spielt es eine wichti- 116 M. Kähler, Der sogenannte historische Jesus, 60. <?page no="102"?> Erster Teil 86 ge Rolle, wo das Markusevangelium endet. Schon der textkritische Befund verweist auf das Problem des Markusschlusses: Folgen wir den ältesten Textzeugen, dann gehören die Verse 16,9-20 nicht zum ursprünglichen Text des Markusevangeliums. Die Verse 9-20 ergänzen das Markusevangelium mit Hinweisen auf Erzählungen über Begegnungen mit dem auferweckten „Jesus“ (vgl. 16,9), die wir in anderen Evangelien finden, aber eben nicht im ursprünglichen Markusevangelium. Das Markusevangelium endete also mit dem irritierenden Vers 8: „Und sie“, die Frauen, „gingen hinaus“ aus dem Grab Jesu „und flohen von dem Grab, es hatte sie nämlich Schrecken und Entsetzen ergriffen. Und sie sagten niemandem etwas darüber. Sie fürchteten sich nämlich.“ Kann ein Evangelium mit der Nachricht enden, dass die Frauen am Grab des Gekreuzigten von anhaltendem Schrecken ergriffen wurden, der verhinderte, dass sie das leere Grab als Zeichen einer guten Nachricht verstanden und freudig davon erzählten? Kann ein Evangelium ohne Erzählungen von der Begegnung mit dem Auferstandenen schließen? Diese Fragen stellten sich wohl bereits Leser und Leserinnen im 2. Jahrhundert, 117 und sie beantworteten sie mit der Hinzufügung von Lesefrüchten aus anderen Evangelien. Fortan wurde das Markusevangelium meist mit diesem längeren Schluss (16,9-20) überliefert, und so steht er auch heute in den Bibelausgaben verzeichnet. Es gibt auch eine kürzere Ergänzung des ursprünglichen Markusschlusses. Sie lautet: „Und sie berichteten alles, was ihnen aufgetragen worden war, dem Kreis um Petrus. Danach sandte Jesus selbst durch sie vom Osten bis nach Westen die heilige und unvergängliche Botschaft vom ewigen Heil. Amen.“ Auch diese von einer altlateinischen Handschrift bezeugte Variante des Markusschlusses zeigt an, wie unerträglich der ursprüngliche Markusschluss vielen Leserinnen und Lesern erschien. Manche Handschriften kombinieren sogar beide Zusätze. Aber nicht nur die Leserinnen und Leser der ersten Jahrhunderte hatten Probleme mit dem ursprünglichen Markusschluss. Auch in der wissenschaftlichen Exegese des 20. Jahrhunderts wurde versucht, der Härte dieses Schlusses auszuweichen. Da der textkritische Befund es nicht erlaubt, die Verse 9-20 und schon gar nicht die kürzere, altlateinische Ergänzung als ursprünglich anzusehen, wurde die Konjektur ersonnen, das ursprüngliche Markusevangelium ende nicht mit 16,8, sondern mit einem verloren gegangenen Schluss, der mittels literarkritischer Hypothesen wiederhergestellt werden könne. 118 Die Hypothese eines verlorenen Markusschlusses steht 117 Es spricht einiges dafür, dass Matthäus und Lukas sich diese Fragen ebenfalls gestellt haben und ihre Kritik am Markusevangelium die Abfassung eigener Evangelien motivierte. 118 E. Linnemann, Der (wiedergefundene) Markusschluß, 255ff., stellte die Hypothese auf, der ursprüngliche Markusschluss bestünde aus Mt 28,16f. und Mk 16,15-20. Dabei soll Mt 28,16f. auf eine ältere Fassung des Markusevangeliums zurückgehen, die Matthäus vorlag. Kritisch dazu K. Aland, Der wiedergefundene Markusschluß? , 3ff.; ders., Der <?page no="103"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 87 allerdings auf tönernen Füßen, denn sie wird weder von einem Textzeugen noch von irgendeinem altkirchlichen Rezipienten des Markusevangeliums gestützt. Es handelt sich also allein um eine exegetische Konjektur, die wie schon die beiden erhaltenen altkirchlichen Markusschlüsse die Schroffheit des ursprünglichen Markusschlusses literarisch und theologisch glätten möchte. Aber spätestens seit Henning Paulsens Untersuchung des Markusschlusses wird man sich der Schwierigkeit eines mit 16,8 endenden Markusevangeliums stellen müssen. 119 Aber wie ist dann der Markusschluss zu verstehen? Warum endet das Markusevangelium nicht euphorisch, sondern mit der Dissonanz des im Schweigen verharrenden Sich-Fürchtens der ersten Empfängerinnen der Auferweckungsbotschaft? Diese Fragen kann nur eine Interpretation des Markusevangeliums im Ganzen beantworten. Um diese Interpretation mit Blick auf den Markusschluss zu fokussieren, analysieren wir zunächst den Schluss selbst, gehen dann an den Anfang des Evangeliums und untersuchen von da aus die narrativen und rhetorischen Strategien des Evangeliums mit Blick auf die pragmatische Fragestellung, wie Markus sein Evangelium gestaltet, um seine Leser für den Schluss so zu wappnen, dass sie eine andere Konsequenz aus der Auferweckungsbotschaft ziehen können, als die Frauen am Grab. Das Unverständnis der Frauen am Grab Kapitel 15 erzählt die Kreuzigung Jesu, die zu seinem Tod führt, der ausdrücklich in 15,37 festgehalten wird: Jesus hauchte das Leben restlos aus ( evxe,pneusen ). So wie das in Gen 2,7 120 beschriebene Einblasen des Lebensatems den Menschen zu einem lebendigen Wesen macht, lässt ihn das Aushauchen dieses Lebensatems zu einem leblosen Leichnam werden. Jesus ist ohne jede Einschränkung tot. Da ist nicht die Rede von einer Seele, die weiterlebt. Josef von Arimathäa, „ein angesehener Ratsherr, der auch auf das Reich Gottes wartete“, wie 15,43 zu lesen gibt, erbittet von Pontius Pilatus den Leichnam, wickelt ihn in ein Tuch, legt ihn in ein Felsengrab und verschließt den Eingang des Grabes, indem er einen Stein davor wälzt (vgl. 15,45f.). Das beobachten Maria aus Magdala und Maria, die Mutter des Joses (vgl. 15,47). Das alles geschieht am Vortag des Sabbats (vgl. 15,42). Der Schlussabschnitt des Markusevangeliums setzt nun in 16,1 mit der zeitlichen Angabe ein, „als der Sabbat vergangen war“. Die beiden Marias Schluß des Markusevangeliums, 246-283. Die Hypothese vom verlorenen Markusschluss findet sich auch heute noch, wenn auch nicht mehr mit dem Optimismus, ihn literarkritisch rekonstruieren zu können; vgl. etwa U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 223f. 119 H. Paulsen, Mk XVI 1-8, 138-175, wieder abgedr. in: ders., Zur Literatur und Geschichte des frühen Christentums, 75-112. 120 Vgl. Gen 2,7 (LXX): kai. e; plasen o` qeo.j to.n a; nqrwpon cou/ n avpo. th/ j gh/ j kai. evnefu,shsen eivj to. pro,swpon auvtou/ pnoh.n zwh/ j kai. evge,neto o` a; nqrwpoj eivj yuch.n zw/ san <?page no="104"?> Erster Teil 88 gehen mit dem Wissen, wo der Leichnam des Gekreuzigten zu finden ist, zusammen mit Salome zum Grab, in der Absicht, den Leichnam zu salben. Als sie sich fragen, wer ihnen wohl den Stein vom Grab wegwälzen könnte, sehen sie, „dass der Stein schon weggewälzt war.“(16,4) Sie betreten das Grab, sehen einen jungen Mann dort sitzen, der ein weißes Gewand trägt und sie werden von Furcht ergriffen. Diese Reaktion wird im griechischen Text passiv im Aorist ausgedrückt, eine dem Griechischen eigentümliche Zeitform, die punktuelle Handlungen bezeichnet: Sie wurden jäh von Furcht ergriffen. 121 Diese spontane Reaktion zeigt, dass die drei Frauen in keiner Weise auf die Auferweckungsbotschaft vorbereitet sind. Die Handlungsabsicht, den Leichnam des Gekreuzigten zu salben (vgl. 16,1), rechnet uneingeschränkt mit der Faktizität des Todes. Die Frauen beobachteten, wie der Leichnam vor dem Sabbat in das Grab gelegt wurde, und die Macht und die Wirklichkeit des Todes ist ihnen so unstrittig, dass sie getrost den Sabbat abwarten können, denn der Leichnam hat in der Logik des Todes nicht die Kraft, aufzustehen und wegzugehen. Was sie aber am und im Grab sehen, durchbricht ihre von der Plausibilitätsstruktur des Todes geprägte Erwartungshaltung und Intention. Der junge Mann, der durch die Sprache der Kleidung im Markusevangelium als himmlische Gestalt markiert wird (vgl. Mk 9,3), und dessen Rede ihn dann vollends als himmlischen Boten zu erkennen gibt, nimmt die Furchtergriffenheit der Frauen wahr und weist sie als unangemessene Reaktion auf das Gesehene imperativisch mit demselben Verb ab: mh. evkqambei/ sqe 122 . Mit dem Wechsel vom Aorist zum Präsens weist er die punktuelle Furchtergriffenheit der Frauen mit der Aufforderung zurück, sich generell nicht mehr von Furcht ergreifen zu lassen. Sodann gibt er den Grund dafür an: „Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er wurde auferweckt. Er ist nicht hier. Siehe da, wo sie ihn hinlegten“ (16,6b). Der himmlische Bote gibt den Frauen zu verstehen, dass er weiß, wen sie suchen: Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten ( to.n evstaurwme,non ). VEstaurwme,non ist ein medio-passives Partizip, das im Perfekt steht. Das Perfekt bezeichnet eine Handlung, die in der Vergangenheit liegt, deren Wirkung aber in die Gegenwart hineinreicht. Jesus von Nazareth ist gekreuzigt worden und die Kreuzigung gehört von da an bleibend zu seiner leibhaftigen Identität. Es ist dieser Gekreuzigte, der in einem einmaligen Geschehen auferweckt worden ist. Das Verb hvge,rqh , das seine Auferweckung ausdrückt, steht im Aorist Indikativ Passiv und bezeichnet damit ebenfalls einen punktuellen Vorgang, der in der Vergangenheit liegt. Das Passiv ist dabei als passivum divinum aufzufassen, das eine Tat Gottes ehrfurchtsvoll zum Ausdruck bringt. Der himmlische Bote bekundet den Frauen die Auferweckung des gekreuzigten Jesus von Nazareth durch Gott. 121 evxeqambh,qhsan ist 3.Person Plural Aorist Passiv Indikativ von evkqambe,w und sollte auch passivisch übersetzt werden. 122 2. Person Plural Imperativ Präsens Medio-Passiv. <?page no="105"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 89 An diese Botschaft schließt sich der Auftrag an, nun selbst zu Botinnen zu werden: „Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er Euch vorausgeht nach Galiläa. Dort werdet ihr ihn sehen, wie er es Euch gesagt hat.“ (16,7) Die der Auferweckungsbotschaft angemessene Reaktion ist nicht das Verharren in der Furcht, sondern vielmehr selbst zum Boten, zur Botin dieser guten Nachricht, des Evangeliums, zu werden. Die Frauen aber sind nicht in der Lage, die Auferweckungsbotschaft als Evangelium zu hören, wie es eindrücklich der bereits oben zitierte Schlusssatz des Markusevangeliums formuliert: „Und nachdem sie herausgegangen waren, flohen sie vom Grab, denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemandem etwas, sie fürchteten sich nämlich“ (16,8). Weder die visuelle Wahrnehmung des leeren Grabes noch die auditive Wahrnehmung der Auferweckungsbotschaft sind hinreichend, um das Ereignis als Evangelium zu verstehen. Die Frauen am und im Grab sehen mit sehenden Augen und erkennen nicht, sie hören mit hörenden Ohren, aber verstehen nicht (vgl. 4,12). Aber warum erkennen und verstehen sie nicht, und was gibt dieses irritierende Ende den Leserinnen und Lesern des Markusevangeliums zu bedenken? Es ist notwendig, das ganze Markusevangelium zu lesen, um auch seinen Schluss angemessen verstehen zu können. Das Markusevangelium bereitet nämlich seine Leserinnen und Leser schrittweise darauf vor, das Ereignis von Kreuz und Auferweckung Jesu als Evangelium verstehen zu können. Die Frauen am Grab hingegen bilden in pragmatischer Textfunktion negative Beispiele, die in der Rhetorik der Verstockung die Leserinnen und Leser vor dem eigenen Nichtverstehen warnen wollen. Sie reihen sich damit in das pragmatische Motiv des Jüngerunverständnisses ein, das immer wieder die Jünger von Furcht ergriffen sein lässt. 123 Mit dieser Erkenntnis wird eine Relektüre des Markusevangeliums interessant, die danach fragt, wie die Leserinnen und Leser durch die Lektüre des Markusevangeliums gebildet werden, so dass sie die Auferweckungsbotschaft, ohne von Furcht ergriffen zu werden, als Evangelium wahrnehmen können. Der Anfang des Evangeliums Die Wortkette von avrch. bis tw/ | profh,th| zu Beginn des Markusevangeliums bildet einen zusammenhängenden Satz, der folgendermaßen zu übersetzen ist: „Anfang des Evangeliums Jesu Christi wie er aufgeschrieben ist bei Jesaja, dem Propheten“ 124 . Damit instruiert das Markusevangelium seine Leserinnen und Leser, die Jesus-Christus-Geschichte, die das Markusevangelium erzählt, als Fortsetzung der Heiligen Schriften Israels zu lesen. Der mit kaqw.j 123 Vgl. Mk 4,10-13.41; 6,49f.; 8,16-21; 9,6.10.32; 10,32. Vgl. zur Interpretation des Jüngerunverständnisses im Markusevangelium W. Wrede, Das Messiasgeheimnis in den Evangelien; R. C. Tannehill, Die Jünger im Markusevangelium. 124 Die Interpunktion des Nestle-Aland führt hier in die Irre. Mit kaqw.j beginnt kein Hauptsatz. Vers 1 ist also nicht als Überschrift zu lesen. <?page no="106"?> Erster Teil 90 eingeleitete Nebensatz bezieht sich auf avrch, (Anfang) und erläutert damit, wo der Anfang des vom Markusevangelium erzählten Evangeliums zu finden ist. Das Wort avrch, bezeichnet also nicht den Anfang des Markustextes, sondern den Anfang des von ihm erzählten Evangeliums, den Markus nicht in seiner eigenen Schrift, sondern im Buch des Propheten Jesaja gegeben sieht. 125 Das Markusevangelium inszeniert sich als schriftliche Fortsetzung der aufgeschriebenen Prophetie Jesajas ( ge,graptai ). Der erste Satz des Markusevangeliums gibt die Enzyklopädie 126 , das konventionalisierte Wissen, an, in deren Plausibilitätsannahmen die vom Markusevangelium erzählte Geschichte Sinn ergibt. Das Wort „Evangelium“ weckt die Erwartungshaltung einer Geschichte mit gutem Ausgang. Als Protagonist dieser Geschichte wird Jesus Christus eingeführt. Sein Eigenname Jesus verortet ihn in die Plausibilitätsstrukturen menschlicher Zusammenhänge. Der Christustitel begründet seine herausgehobene Stellung als Protagonist der Erzählung, denn er erfüllt damit die Erwartung des Messias, die die Heiligen Schriften Israels und insbesondere die prophetischen Schriften hervorgebracht haben. Die Bezeichnung ui`ou/ qeou / (Sohn Gottes) hingegen ist eine spätere Ergänzung, die von der entscheidenden Bedeutung dieses Hoheitstitels für das Markusevangelium motiviert wurde. 127 125 Zu einem ähnlichen Ergebnis, aber mit anderer Begründung und Intention, kommt E.- M. Becker, Das Markus-Evangelium im Rahmen antiker Historiographie, 245f.: „Die historiographische Funktion dieser Buch-Eröffnung, die die Geschichte des Evangeliums weder mit dem Auftreten Jesu, noch mit dem Wirken des Täufers, sondern mit einer prophetischen Vorausankündigung beginnen lässt, liegt darin, den Anfang der von Markus im Folgenden erzählten Ereignisgeschichte spätestens in die Zeit Jesu zurückverlegt zu haben.“ Becker übersieht allerdings in ihrer Interpretation des Markusevangeliums als eine historiographische Schrift, die mit ge,graptai zum Ausdruck gebrachte schrifttheologische Funktion des Zitats. Obwohl sie ebd., 247, auch die Zuordnung des Schlusses in 16,8 zum Anfang des Evangeliums klar herausstellt, führt ihre Historiographie-These zu der verstellenden Gesamtcharakterisierung des Markusevangeliums als „Ereignisgeschichte des Wirkens und Sterbens Jesu“ (410). Wie schon die durch die neuere Forschung völlig überholte Position Rudolf Bultmanns zur theologischen Leistung der markinischen Erzählung behauptet Becker: „In der literarischen Gesamtkonzeption des Evangeliums wird also keine theologische Kohärenz erzielt“ (417). Dass Becker die theologische Leistung der literarischen Gesamtkonzeption des Markusevangeliums verkennt, zeigt sich nicht zuletzt an ihrer erstaunlichen Ignoranz der Auferweckungstheologie des Markusevangeliums. Deshalb wird bei ihr aus dem im Markusevangelium formulierten und narrativ gestalteten Zusammenhang von Wirken, Tod und Auferweckung Jesu von Nazareth die „Ereignisgeschichte des Wirkens und Sterbens Jesu“ (410). Die Kreuzestheologie des Markusevangeliums wird von Becker missverstanden als „Leidenstheologie“, die sich als „negativ-panegyrisches Element des Evangeliums“ erweise (412). 126 Der hier verwendete Enzyklopädiebegriff entstammt der Semiotik Umberto Ecos. Vgl. dazu U. Eco, Lector in fabula.Vgl. auch S. Alkier, Wunder und Wirklichkeit in den Briefen des Apostels Paulus, 72ff; ders., Neutestamentliche Wissenschaft, 350ff. 127 Erst unter dem Kreuz kommt ein Mensch im Markusevangelium auf die angemessene Bezeichnung des Protagonisten Jesus als Sohn Gottes (15,39). Dieser Mensch ist be- <?page no="107"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 91 Vers 2 führt den Boten des Messias ein, der in Vers 4 als Johannes der Täufer identifiziert wird und durch die Sprache seiner Kleidung in 1,6 wiederum an Elia erinnert (vgl. 2Kön 1,8). Der Bote soll dem angesprochenen Messias den Weg bereiten und er vollzieht diesen Auftrag, indem er die Adressaten des Messias dazu auffordert, dem Kyrios den Weg zu bereiten. Die Anrede in Vers 3 zielt in pragmatischer Hinsicht auf die Leserinnen und Leser des Markusevangeliums. Sie werden von der Prophetenstimme, die die Aufforderung Gottes weitergibt, angehalten, die Botschaft des Markusevangeliums so zu hören, dass damit der Kyrios von ihnen angemessen aufgenommen wird. Dabei lässt sich der Titel ku,rioj , der in der LXX, der griechischen Version der Heiligen Schriften Israels, als Gottesbezeichnung gewählt wird, syntaktisch sowohl auf das sprechende Ich, als auch auf das angeredete Du beziehen, also sowohl auf Gott, als auch auf seinen Messias. Aufgrund der intertextuellen Verschränkung liegt es näher, den Kyriostitel zunächst auf Gott zu beziehen, aber in dem Kommen seines Messias zugleich Gott selbst kommen zu sehen. Die Verse 1-3 eröffnen nicht nur das Diskursuniversum 128 des Markusevangeliums, sondern geben schon am Beginn des Evangeliums die entscheidende Rezeptionsanweisung, das Markusevangelium selbst als prophetische Botenstimme des Kyrios zu hören und sich von ihm bilden zu lassen. Die Verse 1-3 zu Beginn des Markusevangeliums geben also eine intertextuelle 129 Einführung in das Evangelium mit pragmatischer Funktion. Die Einführung des Protagonisten In 1,9 tritt der Protagonist der Erzählung auf. Er wird als Jesus von Nazareth aus Galiläa identifiziert (1,9a). Nachdem er von Johannes mit Wasser getauft wurde (1,9b), empfängt er das pneu/ ma , den Geist (1,10), und die Himmelsstimme spricht ihn als geliebten Sohn Gottes an (1,11). Der Geist spielt eine aktive Rolle und macht Jesus zum Objekt. Er wirft ihn in die Wüste (1,12). Dort besteht er die Probe der Versuchung durch Satan, den Ankläger Gottes (1,13). Der Protagonist Jesus von Nazareth aus Galiläa ist nun mit der Kraft ausgestattet, die seine über das Menschen Mögliche hinausgehenden Taten plausibel erscheinen lässt, und durch die bestandene Prüfung werden seine Worte und Taten vorweg durchgehend als kongruent mit dem Willen Gottes gekennzeichnet. Die Leserinnen und Leser wissen durch die ersten 13 Verse zeichnenderweise keiner von Jesu Nachfolgerinnen und Nachfolgern, sondern ein römischer Hauptmann. 128 Den Begriff des Diskursuniversums habe ich von Charles Sanders Peirce übernommen und für die Belange der Exegese bearbeitet. Vgl. dazu S. Alkier, Wunder und Wirklichkeit; ders., Neutestamentliche Wissenschaft, 350ff. 129 Die Zitate in Vers 2b und 3 stammen traditionsgeschichtlich gesehen freilich nur teilweise aus Jesaja 40,3. Hinzuzuziehen sind Ex 32,20 und Mi 3,1. Für die intratextuelle Interpretation ist es daher von besonderer Bedeutung, dass nur der Name Jesaja im Text fällt und damit das Jesajabuch besonders herausgestellt wird. Vgl. auch J. Marcus, Mark 1-8, 142f. <?page no="108"?> Erster Teil 92 des Markusevangeliums, wer Jesus von Nazareth ist: der mit dem Geist ausgestattete geliebte Sohn Gottes und als solcher der erwartete Messias. Sie wissen aber noch nicht, wozu der Geist ihn befähigt hat und auf welche Widerstände er treffen wird. Die Eröffnung der Erzählspannung Vers 14 führt das erste dysphorische Element ein und eröffnet damit den antagonistischen Erzählstrang: Jesus kommt nach Galiläa, nachdem Johannes gefangen gesetzt worden war. Die Lesenden erfahren an dieser Stelle noch nichts über die Umstände der Gefangennahme des Boten. Aber durch die beiden zuwiderlaufenden Erzählstränge ist damit der Spannungsbogen aufgebaut: die euphorische Erzählung der Ankunft und des Wirkens des Protagonisten auf der einen und die dysphorische Erzählung der Bedrohung dieses Wirkens auf der anderen Seite. 130 Wie bereits Willi Marxsen 131 gezeigt hat, steht am Anfang und im Zentrum der öffentlichen Wirksamkeit Jesu die Ansage der kosmologischeschatologischen Zeitenwende: „Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist greifbar nahe.“ (1,15) Aus dieser Zeitansage folgt der Appell zum Umdenken und zum Glauben an das Evangelium. Die Verkündigung des Reiches Gottes benennt der Protagonist als Zweck seines Kommens (vgl. 1,38c). Bis einschließlich Kapitel 3 wird der euphorische Erzählstrang des Erfolgs des Wirkens Jesu durch die Berufung der Jünger (vgl. 1,16-20), durch die Darstellung seiner Macht in Wort und Tat und durch die Feststellung des Anwachsens seiner Nachfolgerinnen und Nachfolger (vgl. 2,2.15; 3,7f.) vorangetrieben. Zugleich wird der dysphorische Erzählstrang durch die Konflikterzählungen bzgl. des Fastens (vgl. 2,18-22) und des Ährenraufens am Sabbat (2,23-28) inszeniert und vor allem durch den Blasphemie- Vorwurf einiger Schriftgelehrter in 2,7 und die Tötungsabsicht in 3,6 seitens der Pharisäer und der Herodesleute konkretisiert. Der Konflikt wird aber nicht nur durch die Figurenzeichnung der Gegner Jesu, sondern auch durch die des Protagonisten selbst geschürt. Der Jesus des Markusevangeliums ist ein zorniger (vgl. 1,43; 3,5), kampfbereiter Messias, der seine Machtansprüche provozierend benennt. Er nimmt offen göttliche Kompetenz in Anspruch, wenn er Sünden vergibt (vgl. 2,5), und verwendet die Gottesbezeichnung ku,rioj für sich selbst: „Kyrios ist der Sohn des Menschen auch über den Sabbat“ (2,28). Auch das Syntagma „Sohn des Menschen“ unterstreicht als heraushebende Selbstbezeichnung 132 den 130 Euphorische Erzählelemente tragen zum Gelingen der Handlungsabsicht des Protagonisten bei, dysphorische stören sie bzw. führen zum Scheitern. 131 W. Marxsen, Der Evangelist Markus. 132 Die enzyklopädische Einordnung dieses Syntagmas in das konventionalisierte Wissen des Judentums im 1. Jh. n. Chr. wird weiterhin kontrovers diskutiert. Bei aller Komplexität sollte aber nicht aus den Augen verloren werden, dass es prophetische (Ez) und apokalyptische Literatur intertextuell in Erinnerung ruft (Dan 7,13, 1 Hen 37-71), auch <?page no="109"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 93 Machtanspruch des Protagonisten. Zu den Konflikt schürenden Zügen des Protagonisten zählt auch seine Verbundenheit mit den Sündern und Zöllnern (vgl. 2,13-17). Die beiden Erzählstränge laufen aber nicht nebeneinander her, sondern erzeugen gerade aufgrund ihrer dezenten narrativen Verwobenheit einen hohen Spannungsgrad. Das zeigt sich bereits in der Erzählung des ersten Auftretens Jesu in Kapernaum (Mk 1,21-28). Jesus lehrt in der dortigen Synagoge und die Zuhörer werden von der Wirkung seiner Lehre überwältigt. Das Verb ev kplh,ssw , das diese Reaktion auf Jesu Lehre wiederholt im Markusevangelium zum Ausdruck bringt, 133 findet auch als Reaktion auf Jesu Wundertaten Verwendung (vgl. 7,37) und der Erzähler kommentiert diese Reaktion mit folgender Begründung: „ denn er lehrte sie wie einer, der göttliche Vollmacht hat und nicht wie die Schriftgelehrten.“ Vers 23 erzählt dann von einem Menschen in der Synagoge, der einen unreinen Geist hat. Dieser schreit: „Was haben wir mit Dir zu tun, Jesus von Nazareth? Bist Du gekommen, um uns zu vernichten? Ich weiß, wer Du bist, der Heilige Gottes.“ Jesus befiehlt ihm auszufahren, was der unreine Geist dann auch effektvoll ausführt. Die Reaktion der Anwesenden auf diesen Machterweis wird nun mit demselben Verb beschrieben, mit dem auch die spontane Furchtergriffenheit der Frauen am Grab bezeichnet wird ( qambe,w , 1,27 bzw. evkqambe,w , 16,5). Die Furchtergriffenheit in der Synagoge von Kapernaum zeigt wie die am Grab das Unverständnis an, das als Folge der Furcht nicht erkennt, was sich jeweils ereignet hat. Allerdings ist auch ein Unterschied zwischen dem ersten öffentlichen wunderwirkenden Auftritt Jesu in Kapernaum und seiner von Gott bewirkten wunderbaren Auferweckung am Schluss des Evangeliums zu verzeichnen. Wird in Kapernaum zwar nicht erkannt, dass Jesus der erwartete Messias ist, mit dem das Reich Gottes anbricht, so wird zumindest die Vollmacht seines Wirkens benannt und damit eine Kongruenz zwischen Erzählerkommentar (1,22b) und Jesu Publikum in der Synagoge (1,27c) hergestellt. Am Anfang des Wirkens Jesu lässt die durch sein Handeln ausgelöste Furcht die Anwesenden zumindest noch danach fragen, was sich ereignet hat (vgl. 1,27), während die Frauen am Grab im erschrockenen Schweigen verharren (vgl.16,8). Im Anschluss an die Synagogenszene wird die Heilung der Schwiegermutter des Petrus erzählt (1,29ff). Auch diese Wundergeschichte trägt zum Auferweckungsdiskurs des Markusevangeliums etwas bei. Werner Kahl hat eindrücklich darauf verwiesen, dass das Fieber in der Antike wie auch heute wenn die doppelte Determinierung - der Sohn des Menschen - erstmals im Markusevangelium belegt ist und gut zu seiner heraushebenden Verwendung im Markusevangelium passt. Jesus bezeichnet sich in den synoptischen Evangelien an 69 Stellen als Menschensohn. Im Johannesevangelium kommen weitere 13 dazu. Vgl. D. R. Burkett, The Son of Man Debate. 133 Vgl. Mk 6,2; 10,26; 11,18. <?page no="110"?> Erster Teil 94 in medizinisch unterausgestatteten Ländern häufig ein Vorbote des Todes ist. 134 Die Krankheit der Schwiegermutter des Petrus wird damit als lebensbedrohlich ausgewiesen. Auffälligerweise findet sich in der Beschreibung des Heilungsvorganges durch Jesus auch erstmals die Auferweckungsterminologie im Markusevangelium, die auch in 16,6 verwendet wird. Nachdem Jesus ihre Hand ergriffen hat, erweckt er sie ( hv gei,ren ). Seine Auferweckung wird dann passivisch mit demselben Verb vom himmlischen Boten im Grab verkündet: hv ge, rqh . Das Verb evgei, rw findet sich nicht nur hier im Zusammenhang einer Wundererzählung bzw. im Auferweckungsdiskurs wieder. Auch in 2,9; 3,3; 3,38; 5,41; 6,14.16; 9,27; 10,49; 14,28 wird es verwendet. Dieser Befund darf zwar nicht überinterpretiert werden, denn das fragliche Verb heißt zunächst einmal „aufwachen, sich erheben“ und wird dann im Auferweckungsdiskurs metaphorisch für das Ereignis der Auferweckung verwendet. Aber durch das häufige Vorkommen von ev gei,rw im Zusammenhang mit Wundergeschichten und Auferweckungsdiskursen im Markusevangelium werden die Leser auf das alles entscheidende hv ge, rqh in 16,6 semantisch vorbereitet. Die Warnung vor dem verstockten Lesen Das vierte Kapitel treibt den euphorischen und auch den dysphorischen Erzählstrang voran, indem sie weiter ineinander verwoben werden. Waren in den drei ersten Kapiteln die Jünger auf der Seite des Protagonisten zu verorten, so beginnt mit ihrem Unverständnis des Sämanngleichnisses ihre Entfremdung vom Helden. Sie sehen und hören, aber sie verstehen nicht. Wind und Wellen hören auf Jesus, die Jünger hingegen fürchten sich (vgl. 4,41). Nachdem Jesus in den Versen 4,3-9 das so genannte „Gleichnis vom Sämann“ erzählt hat, fährt der Text in den Versen 10-12 folgendermaßen fort: „Und als er allein war, fragten ihn, die um ihn waren samt den Zwölfen nach den Gleichnissen. Und er sprach zu ihnen: Euch ist das Geheimnis des Reiches Gottes gegeben: denen aber draußen widerfährt es alles in Gleichnissen, damit sie es mit sehenden Augen sehen und doch nicht erkennen, und mit hörenden Ohren hören und doch nicht verstehen, damit sie sich nicht etwa bekehren und ihnen vergeben werde.“ 135 Drinnen und Draußen sind im Markusevangelium nicht statisch verstanden. 136 Erscheinen die Jünger in Mk 4,10 als solche, die drinnen sind, so verdankt sich das ihrer in den vorangegangenen Kapiteln erzählten Nach- 134 Vgl. W. Kahl, Zur Interpretation des Neuen Testaments im sozio-kulturellen Kontext Westafrikas, 31. Vgl. auch ders., New Testament Miracle Stories in their Religious- Historical Setting. 135 Intertextuelle Aspekte von Mk 4 habe ich an anderer Stelle untersucht: S. Alkier, Die Bibel im Dialog der Schriften und das Problem der Verstockung in Mk 4. 136 Vgl. dazu ausführlicher S. Alkier, Die Bibel im Dialog der Schriften und das Problem der Verstockung in Mk 4. <?page no="111"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 95 folge Jesu. Dort, wo sie Wort und Tat Jesu nicht folgen, sind sie draußen, z.B. in 6,52: „Denn sie“ - die Jünger - „waren nicht zur Einsicht gekommen, als das mit den Broten geschah: ihr Herz war verstockt.“ Andererseits sind auch diejenigen, die draußen sind, keine statische Größe. Die Auferweckungsbotschaft gilt zunächst denen, die Jesus von Nazareth im Stich gelassen und ihn verraten haben, nämlich seinen verstockten Jüngern (vgl. 16,7). Es kommt auf die Frage an, wie gehört und gesehen wird. Nicht-Verstehen und Verstockung sind gleichursprünglich gedacht. Das verstehende Hören im Sinne des Markusevangeliums erweist die so verstehenden Leser als nicht Verstockte, die also drinnen sind. Das Markusevangelium fordert auf zu einer Lektüre, die die Lesenden als verständig und deshalb als nicht verstockt und deshalb als drinnen erweist. Ob die Lesenden zu denen zählen, die drinnen sind, oder zu denen, die draußen sind, erweist sich durch ihre Weise der Lektüre. Das Lesen des Markusevangeliums ist selbst ein visueller und auditiver Vorgang. Die scriptio continua, also das Schriftbild in der Antike in Form aneinander gereihter Buchstaben ohne Wortabstände, vieler Abkürzungen und meistens ohne, seltener mit sparsamen Interpunktionen machte die Kulturtechnik des Lesens zu einem visuellen und akustischen Vorgang. Lesen war lautes Lesen. 137 Kristina Dronsch hat in ihrer Frankfurter Dissertationsschrift, die die Bedeutung des Hörens in Mk 4 untersucht, überzeugend nachgewiesen, dass Hören in Mk 4 das verstehende Hören im Leseakt thematisiert. 138 Zudem findet sie die Hörertypologien in der Deutung des Sämanngleichnisses in Mk 4,13-20 im Markusevangelium selbst wieder. Die erste Hörergruppe bilden demzufolge die Gegner Jesu, die ihn hören, aber sofort gegen ihn sind. Exemplarisch sei auf die Schriftgelehrten in 2,6f. verwiesen, die Jesus hören und das Gehörte als Blasphemie klassifizieren, was dann auch der Anklagepunkt in 14,64 ist, der Jesus ans Kreuz bringt. Die zweite Hörergruppe verweist auf diejenigen, die sein Wort sofort aufnehmen, aber in der „Bedrängnis oder Verfolgung um des Wortes willen“ sofort abfallen. Das hier verwendete euv qu, j begegnet tatsächlich in der Berufungserzählung der ersten Jünger in Mk 1,16-20: Nach Jesu Aufforderung zur Nachfolge heißt es: „Sofort ( euvqu, j ) verließen sie ihre Netze und folgten ihm nach.“ In der Bedrängnissituation in Jerusalem nach der Gefangennahme Jesu fallen sie aber alle ab, was besonders eindrücklich durch die dreifache Verleugnung des Petrus dargestellt wird (14,66-72). Die dritte Hörergruppe, bei der vor allem Reichtum und Begierden das Fruchtbringen des Wortes verhindern, wird exemplarisch in der Erzählung vom reichen Jüngling dargestellt, den Jesus lieb gewinnt. Jesus sagt ihm deshalb in Mk 10,21f.: „Eines fehlt dir. Geh hin, verkaufe alles, was Du hast, und gib´s den Armen, so wirst Du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach! Er 137 Vgl. dazu J. Svenbro, Phrasikleia. 138 K. Dronsch, Bedeutung als Grundbegriff neutestamentlicher Wissenschaft. <?page no="112"?> Erster Teil 96 aber wurde unmutig über das Wort und ging traurig davon, denn er hatte viele Güter.“ Die vierte Gruppe nun, die das Wort hört und aufnimmt und Frucht bringt, dreißigfach, ja sechzigfach und hundertfach, kann Dronsch zufolge nicht in der Erzählung des Markusevangeliums wieder gefunden werden. Es ist die Leerstelle, die die Leserinnen und Leser des Markusevangeliums zu füllen haben. Sie erweisen sich als diejenigen, die drinnen sind, wenn sie das Markusevangelium verstehend lesen und ihm zustimmen und Frucht bringen. In Fortführung der Interpretation Dronschs lässt sich das Fruchtbringen durch die Erfüllung der vom himmlischen Boten im Grab Jesu geforderten Botenfunktion interpretieren. Die Leserinnen und Leser des Markusevangeliums erweisen sich als solche, die drinnen sind, wenn sie das Markusevangelium verstehend hören bzw. lesen, es als Evangelium Jesu Christi, des Sohnes Gottes, annehmen und seine Botschaft vom auferweckten Gekreuzigten als Evangelium weiter tragen. Die narrative und diskursive Vorbereitung der Auferweckungsbotschaft Das Markusevangelium selbst befähigt seine Leserinnen und Leser zu einem solchen fruchtbringenden Hören, denn bereits nach Kapitel 4 wissen sie nicht nur, wer Jesus ist, sondern sie kennen auch das Geheimnis seiner Wunder wirkenden Kraft. Aber sie wissen noch nicht, dass diese Macht auch den Tod zu besiegen in der Lage ist. Genau das wird aber nun schrittweise thematisiert. Jesus befreit den in Grabhöhlen lebenden besessenen Gerasener von einer ganzen Legion unreiner Geister und holt ihn damit aus den Grabhöhlen zurück in ein gemeinschaftliches Leben (vgl. 5,1-20). Direkt im Anschluss an diese Erzählung bewirkt die von Jesus ausgehende Kraft nicht nur die Heilung der blutflüssigen Frau, vielmehr wird auch seine Macht über den Tod in der Erzählung von der Auferweckung der Tochter des Jairus offensichtlich (vgl. 5,21-43). Und hier fällt auch die Terminologie der Auferweckung: Jesus ergreift die Hand des Mädchens und sagt zu ihr: e; geire (e rwache) (5,41c). Die Ähnlichkeit dieses Erweckungsvorganges und die Übereinstimmung in der Semantik lässt noch einmal an die Heilung der Schwiegermutter des Petrus erinnern. Hatte Jesus sie aus der durch das Fieber bedingten Todesgefahr errettet, so ruft er mit einer vergleichbaren Handlungsweise das tote Mädchen ins Leben zurück. Die von Jesus bewirkte Totenerweckung wird als eine die Grenze des Todes überschreitende Wunderhandlung deutlich, die aber wie seine anderen Wunder auch keine nachhaltigen kosmologischen Veränderungen mit sich bringen, sondern punktuell auf die Beseitigung des jeweiligen Mangels zielen. Das folgende 6. Kapitel fügt die beiden Erzählstränge zusammen. Es setzt die euphorische Thematik des Todes und seiner Überwindung aus Kapitel 5 dysphorisch fort. In der Ablehnung Jesu in Nazareth <?page no="113"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 97 ( evskandali,zonto evn auvtw/ | 6,3) wird auch das Schicksal der Propheten narrativ eingespielt (vgl. 6,4). Daran wird nicht nur die Gefährlichkeit der sich anschließenden Aussendung der Jünger (6,7-13) deutlich, sondern auch schon die Erzählung der Hinrichtung des Boten des Protagonisten in einen Deutehorizont eingebunden. Johannes stirbt den Tod der Propheten Gottes. Der gewaltsame Tod des Johannes (6,17-29) wiederum bereitet noch vor den diskursiven Leidensankündigungen die Leser und Leserinnen auf narrative Weise auf das gewaltsame Ende Jesu und dessen Grablegung (vgl. 6,29) vor. Die erfolgreiche Mission der Jünger begründet das Wissen des Herodes um Jesus und seine außergewöhnlichen Taten. Von den drei kursierenden Interpretationen Jesu als Johannes, der von den Toten auferweckt wurde, als Elia oder als einer der Propheten wählt Herodes die erste und erklärt damit zugleich die Befähigung Jesu zu seinen Wundern (vgl. 6,14ff.). Mit Blick auf die Frage nach dem markinischen Auferweckungsdiskurs ist festzuhalten, dass die punktuelle Auferweckung eines Toten im Horizont der Erwartung der breiten Öffentlichkeit und auch in der Erwartung des politischen Machthabers Herodes steht. Die Leser aber wissen, dass es sich um Fehlurteile handelt, die die wahre Identität des Messias als Sohn Gottes nicht erkennen. Aber nicht nur das Unverständnis der Menge und das des Herodes, sondern mehr noch das sich verfestigende Unverständnis der Jünger (vgl. 8,14- 21), die die symbolische Botschaft der Wunder Jesu und insbesondere die der beiden Speisungswunder nicht erkennen (vgl. 6,30-44; 8,1-10) und bei Jesu Gang auf dem Wasser von Furcht ergriffen werden (vgl. 6,50), treiben den dysphorischen Handlungsstrang ebenso voran wie die polemische Auseinandersetzung Jesu mit den Pharisäern anlässlich der Frage nach rein und unrein (vgl. 7,1-23). Insgesamt gesehen verstärken und beschleunigen die Kapitel 5-8 die Verflechtung des euphorischen mit dem dysphorischen Handlungsstrang, aber erst Jesu auf das Messiasbekenntnis des Petrus (vgl. 8,29) folgende Ankündigung seines Todes und seiner Auferstehung (8,31-32a) bilden die Peripetie, den Umschwung der Erzählung, denn die Ankündigungen von Tod und Auferstehung verflechten durch die mit dei/ zum Ausdruck gebrachte Notwendigkeit des Leidens des Menschensohns den euphorischen mit dem dysphorischen Handlungsstrang, indem sie das dysphorische Element zu einer notwendigen Funktion des euphorischen Elements erklären. Die peripetische Funktion der ersten Leidensankündigung wird durch den Erzählerkommentar eigens angezeigt: Jesus spricht dieses Wort in unverschlüsselter Rede, klar und offen ( parrhsi,a ). Petrus, der zwar Jesus trefflich in 8,29b als Messias identifiziert, tritt entschieden gegen diese Verflechtung ein, indem er das dysphorische Element, Leiden und Tod Jesu, aus dem euphorischen Handlungsstrang des Wirkens des Messias herausnehmen möchte. Jesu harsche Reaktion auf Petrus disqualifiziert diese Trennung als nicht konform mit dem, was Gott will (vgl. 8,33). Jesu Weg und damit auch <?page no="114"?> Erster Teil 98 der Weg der von ihm geforderten Nachfolge ist der Kreuzesweg, wie Mk 8,34ff. 139 offen legt. Dieser Kreuzesweg führt zum Leben. Weil die Jünger diesen Zusammenhang nicht verstehen, verstehen sie Jesu Rede von seiner Auferstehung nicht, was ihre Reaktion auf die Verklärungsszene in 9,6 ebenso zeigt wie die 2. und 3. Leidensankündigung. Dabei wird den anwesenden Jüngern durch das Sehenlassen ( w; fqh , 9,4) von Elia und Mose bei gleichzeitiger himmlischer Verklärung Jesu (vgl. 9,3) sichtbar, dass es dieses himmlische Leben gibt, und die Himmelsstimme, die sich nun direkt an sie wendet, offenbart ihnen, dass Jesus der Sohn Gottes ist (vgl. 9,7), und Jesus macht ihnen auf dem Rückweg nochmals hörbar, dass er von den Toten auferstehen wird (vgl. 9,9). Sie sehen, aber erkennen nicht, sie hören, aber sie verstehen nicht. Die Jünger verstehen nicht, was die Rede vom Aufstehen der Toten bedeuten soll (vgl. 9,10). Und ebenso wenig verstehen sie, dass Johannes der Bote des Messias Jesus war (vgl. 9, 11-18). Für die Leser hingegen wird die Identifikation des Johannes mit dem Propheten Elia und sein gewaltsamer Tod als Prophetenschicksal nun noch einmal aus dem Mund Jesu bestätigt (vgl. 9,13). Die sich anschließende Erzählung von der Heilung eines besessenen Jungen (9,14-29) kann als Meisterleistung narrativer Theologie bezeichnet werden. Die Jünger vermögen den Jungen nicht zu heilen. Der Vater des Jungen wendet sich an den hinzukommenden Jesus. Jesu Reaktion zeigt die fortschreitende Isolierung des Protagonisten deutlich an. Sein Zornesausbruch gegenüber seinen Jüngern stellt zugleich das theologische Thema des Glaubens in den diskursiven Mittelpunkt der Erzählung: „O du ungläubiges Geschlecht, wie lange muss ich noch bei euch sein? “ (9,19b) Der Vorwurf des Unglaubens bezieht sich nicht etwa auf die, die Jesus nicht folgen, sondern auf seine engsten Vertrauten. Der Vater wendet sich nicht an Jesus, weil er seiner Botschaft gefolgt wäre, sondern weil er auf die Wunderkräfte eines außergewöhnlichen Menschen hofft. Das wird durch die einschränkende Formulierung deutlich: „Wenn Du aber etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns.“ (9,22b) Jesu Antwort darauf stellt den Glauben in den Mittelpunkt des Geschehens: „Alles ist möglich, dem der glaubt.“ (9,23b). Die emotionale Reaktion des Vaters darauf schreit die Unfähigkeit der Selbstkonstituierung des Glaubens heraus und er gibt sich vertrauensvoll und ängstlich zugleich in die Hand Jesu: „Ich glaube. Hilf meinem Unglauben.“ (9,24b) Mit dem Eingeständnis des Unglaubens wird der Vater kongruent mit den ungläubigen Jüngern, und zugleich weist er mit dieser Einsicht den Weg aus der Verstockung. Zielt das Markusevangelium auf eine Lektüre, die zum Glauben führen soll, der dazu befähigt in der Nachfolge Jesu den je eigenen Kreuzesweg zu gehen, getragen von der Hoffnung, auf diese Weise zum Leben zu gelangen, dann ist der verzweifelte Vater, der die Unmöglichkeit der Selbstabsicherung des Glaubens emotional spürt und zum Ausdruck bringt, das Modell 139 Auch hier ist auf den Wechsel von Aorist zu Präsens zu achten. <?page no="115"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 99 des Glaubens im Markusevangelium. Den weiteren Leseweg zum leeren Grab werden die verständigen Leser mit diesem Ausruf des Vaters gehen, der um sein Kind bangt: „Ich glaube. Hilf meinem Unglauben.“ Diese Haltung wird es verhindern, sich als Lesende über die von Furcht ergriffenen Jünger und Jüngerinnen zu stellen. Diese Haltung wird der Botschaft des Engels im Grab nicht mit der Erwartung begegnen, damit einen zweifelsfreien Glauben als dauerhaften Besitz zu erlangen. Er wird sich aber auch nicht von Furcht ergreifen lassen und ins Schweigen verfallen. Er wird der Botschaft des Engels antworten: „Ich glaube. Hilf meinem Unglauben.“ Nachdem der sprachlos und taub machende Geist aus dem Jungen effektvoll ausgefahren ist, liegt das Kind wie tot am Boden, „so dass die Menge sagt: Er ist gestorben.“ (9,26f.). Der sich anschließende Vers 27 bestätigt hingegen das Gelingen des Exorzismus mit einer Formulierung, die bereits bei der Heilung der Schwiegermutter des Petrus und bei der Erweckung der Tochter des Jairus Verwendung fand. Jesus ergreift seine Hand und erweckte ( ev gei, rw ) ihn und er stand auf ( avni,stamai ). Erstmals im Markusevangelium fallen beide Terminologien der Auferweckung in einer Erzählung und die Reihenfolge ist von Bedeutung. Die Aktivität des Wundertäters wird durch das Verb „erwecken“ zum Ausdruck gebracht und die dadurch ermöglichte Handlung des Objekts der Erweckung als „aufstehen“ bezeichnet. Sicher wird man auch hier vor Überinterpretation warnen müssen. Die in den Leidensankündigungen verwendete Terminologie des Aufstehens ( avni,stamai ) erweist sich als ebenso metaphorisch wie die des Aufweckens ( ev gei, rein ). Beides sind viel verwendete Worte der Alltagssprache. Bezeichnet ev gei, rein das Aufwecken und sich Erheben, so bedeutet avni,sthmi aufstehen bzw. aufstellen, und sie werden nicht selten synonym verwendet. 140 Die Reihenfolge in 9,27 bringt aber theologisch sachgemäß zum Ausdruck, dass die Auferweckung eine Gottestat ist, die das Aufstehen zu neuem Leben ermöglicht. Es ist wohl kaum ein absichtsloser Zufall, dass sich an die narrative Inszenierung des Glaubensmodells die zweite Ankündigung von Tod und Auferstehung anschließt. Die Reaktion der Jünger darauf zeigt die Verfestigung ihres Unverständnisses an, das nun in ein furchtsames Schweigen übergeht: „Sie aber verstanden das Wort nicht und fürchteten sich, ihn zu fragen.“ (9,32) Stattdessen streiten die Jünger darum, wer der größte von ihnen sei (9,33ff.). Das gibt Jesus Anlass, über die vom Dienst für den anderen bestimmte Rangordnung im Reich Gottes zu sprechen. Der Dienst am anderen wird als Dienst an Jesus und der Dienst an Jesus als Gottesdienst erklärt (vgl. 9,37). Von da aus wird die Thematik von zukünftigem Lohn und zukünftiger Strafe entfaltet (vgl. 9,41-50). 140 Vgl. J. Kremer, avna,stasij ktl . ; ders., evgei,rw . <?page no="116"?> Erster Teil 100 Der Abschnitt 9,41-50 fügt in das Diskursuniversum des Markusevangeliums unmissverständlich die jüdische Vorstellung der eschatologischen Strafe ein. Mit der Höllenstrafe werden zweierlei Vergehen belegt: die Verführung anderer zum Abfall und der eigene Abfall. Positiv wird denjenigen, die auf dem Weg der Nachfolge bleiben, das Leben im Reich Gottes zugesagt. Der Abschnitt zeigt die Ernsthaftigkeit der markinischen Botschaft an: Es geht dem Markusevangelium nicht lediglich um das Verstehen einer schönen Geschichte, sondern darum, die Lesenden vor dem Weg in die Gehenna zu bewahren 141 und ihnen den Weg ins Leben als Kreuzesnachfolge zu weisen. Man kann das Leben gewinnen, man kann es aber auch verlieren. Das 10. Kapitel schildert Jesu Ankunft in Judäa und seinen Weg nach Jerusalem. Dabei wird das Thema der Nachfolge vertieft. Das Reich Gottes soll man vertrauensvoll annehmen wie ein Kind (10,13-16). Reichtum behindert die Nachfolge erheblich (10,17-27). Die Nachfolge wird schon jetzt belohnt (10,28-31). Das ewige Leben ist der Lohn der Nachfolge in der kommenden Welt (10,30c). 141 Vgl. D. C. Allison, Resurrecting Jesus. Der dritte Essay dieses Bandes „The Problem of Gehenna” (56-110) tritt in einem ersten Argumentationsgang (56-90) der Auffassung entgegen, der historische Jesus habe keine eschatologischen Strafen gekannt und nichts über die Hölle gesagt: „Maybe a Jesus who says nothing about hell is the artefact of interested historians who themselves have nothing to say about hell, or at least nothing good to say.“ (58). Schon die Berücksichtigung der jüdischen Tradition und ihrer Heiligen Schriften, in der der historische Jesus verankert war, spräche dafür, dass die Gehenna und eschatologische Strafen dem Juden Jesus eine Selbstverständlichkeit gewesen seien. Zudem taucht das Thema des Endgerichts in zahlreichen verschiedenen Gattungen in den neutestamentlichen Evangelien auf. Dabei hält Allison es zwar in den meisten Fällen nicht für möglich, einzelne Jesusworte als authentisch zu erweisen. Daraus zieht er aber nicht etwa einen pessimistischen Schluss. Im Gegenteil deklariert er die überwiegende Mehrheit der Jesusworte der synoptischen Evangelien als „possibly authentic“ (76), womit er zugleich die notwendige kritische Vorsicht des Historikers als auch sein Vertrauen zur synoptischen Evangelienüberlieferung zum Ausdruck bringt. Insbesondere Mk 9,43-48 führt er als authentischen Beleg für seine These an, Jesus habe als apokalyptischer Endzeitprophet mit dem Endgericht und dessen Strafen in absehbarer Zukunft gerechnet (vgl. 77). Allerdings werde die Gehenna bzw. werden die eschatologischen Strafen niemals selbständiges Thema des historischen Jesus, vielmehr gehörten sie zum Gesamtsetting seiner apokylyptischen Prophetie (vgl. 78ff.). Die Rede von der Hölle nutze Jesus aber kaum als Drohung gegen Außenstehende, vielmehr als Warnung für die, die ihm folgten. Die Jesustradition und die Evangelisten haben bzgl. Jesu Rede vom Endgericht keine neuen Akzente gesetzt (vgl. 82). Auf den verbleibenden zwanzig Seiten des Essays geht Allison der Frage nach, ob und inwiefern Jesu Rede von der Hölle bzw. vom Endgericht auch für heutige Menschen relevant sein könnte, nachdem durch die Aufklärung klar geworden ist, dass es sich bei der Hölle um einen mythischen Ort handelt. Allison zufolge verweist die mythologische Rede von der Hölle auf die Verantwortung für unsere Taten. Aber auch der Begriff des Himmels als Gegenbegriff zur Hölle sei mythologische Redeweise. Allisons Interpretation dieser mythologischen Vorstellungen führt ihn aber nicht zu einer philosophischen, säkularisierten Deutung. Vielmehr begreift er Himmel und Hölle als bildliche Sprache für die ansonsten unsagbare Realität eines Lebens nach dem Tod, das die Taten vor dem Tod durchaus nicht ignoriert. <?page no="117"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 101 Das Thema der Nachfolge wird mit dem von Kreuz und Auferstehung durch die dritte Leidensankündigung narrativ verknüpft: „Während sie auf dem Weg hinauf nach Jerusalem waren, ging Jesus voraus.“ (10,32). In Jerusalem wird Jesus ihnen sagen, dass sein Vorausgehen nicht mit dem Tod enden wird, sondern er ihnen nach seiner Auferweckung nach Galiläa vorausgehen wird (vgl. 14,28). Und genau an diese Zusage erinnert der Bote im Grab die Frauen (vgl. 16,7). Jesu Gang voraus nach Jerusalem wird von seinen Nachfolgerinnen und Nachfolgern als bedrohlich empfunden: „sie packte Entsetzen, die ihm nachfolgten wurden von Furcht ergriffen.“ Daraufhin wendet sich Jesus an die Zwölf und kündet ihnen erneut seinen Leidensweg und seine Auferstehung an (vgl. 10,32ff.). Wieder schließt sich als Reaktion darauf das Thema von Herrschen und Dienen an und in diesem Zusammenhang fällt die einzige explizite Deutung des Todes Jesu im Markusevangelium: „Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele“ (10,45). Das Leben und Sterben Jesu wird auch im Markusevangelium als Pro-Existenz aufgefasst. Auch die sich anschließende Erzählung von der Heilung des blinden Bartimäus in Jericho führt das Thema der Nachfolge fort. Ihr Schlusssatz bestätigt auf der Erzählebene das Gelingen des Wunders. Die pragmatische Botschaft nutzt die Symbolik von Blindsein und Sehen: Glaube macht sehend und führt auf den Weg der Nachfolge (vgl. 10,52). Der in Kapitel 11,1-10 erzählte Einzug Jesu in Jerusalem scheint die Furcht der Jünger Lügen zu strafen. Euphorisch wird Jesus als Sohn Davids empfangen. Doch schon die seltsame Notiz, Jesus kundschaftete den Tempel aus und verließ danach Jerusalem, um mit den Zwölfen in Betanien zu übernachten (vgl. 11,11b), dämpft die euphorische Erwartungshaltung der vorangegangenen Erzählung. Die in 11,12 mit dem nächsten Tag fortgeführte Erzählung spitzt dann den Konflikt immer weiter zu. In der Erzählung vom Feigenbaum wird Jesu göttlicher Zorn und seine zu absoluter Vernichtung fähige Macht eingespielt (vgl. 11,12ff.20-25). Diese Erzählung gibt zu verstehen, dass Jesus durch seine Verbundenheit mit Gott über die Mittel verfügt hätte, seine Peiniger zu töten. Jesu Weg ans Kreuz ist dem Markusevangelium zufolge nicht der Weg eines machtlosen Opfers. Von der ersten öffentlichen Handlung in Jerusalem am Beginn des zweiten Tages an lässt die Erzählung an den Machtverhältnissen keine Zweifel. Jesu Gegner spielen mit ihrer Vernichtung. Genau diese symbolisiert die sogenannte Tempelreinigung (11,15-19) 142 , die zum endgültigen Todesbeschluss der Hohenpriester und der Schriftgelehrten führt. Sie reagieren damit auf die provozierende Handlung des agressiven Jesus. Dass sie ihn nicht gleich verhaften, liegt an ihrer Furchtergrif- 142 Vgl. dazu S. Alkier, S. Karweick, „So hab´ ich Jesus ja noch nie erlebt! “. <?page no="118"?> Erster Teil 102 fenheit, die mit demselben Verb ausgedrückt wird wie die der Jünger und die der Frauen am Grab: evfobou/ nto ga.r auvto,n . Die dann folgenden Streitgespräche werden von Jesu Gegnern initiiert, der sich auch in dieser Defensive als ihnen überlegen erweist. Eines dieser Streitgespräche behandelt explizit das Thema der Auferstehung der Toten. Das Streitgespräch mit den Sadduzäern über die Auferstehung der Toten (12,18-27) lässt die Leserinnen und Leser des Markusevangeliums lernen, Auferstehung zu denken. Die „Sadduzäer, die behaupten, es gebe keine Auferstehung“ (Mk 12,18) wollen Jesus mit einer Frage ad absurdum führen: Eine Frau war nacheinander mit sieben Brüdern verheiratet: „Wessen Frau wird sie nun bei der Auferstehung sein? “ (Mk 12, 23a). Jesus hingegen tritt entschieden für die Realität der Auferstehung ein: „Ihr irrt, weil ihr weder die Schrift kennt noch die Kraft Gottes. Wenn sie von den Toten auferstehen werden, so werden sie weder heiraten noch sich heiraten lassen, sondern sie sind, wie die Engel im Himmel. Aber von den Toten, dass sie auferstehen, habt ihr nicht gelesen im Buch des Mose, bei dem Dornbusch, wie Gott zu ihm sagte und sprach: ‚Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs? ‘ Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden. Ihr irrt sehr.“ (24b-27) Diese Perikope ist in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich. Sie zeigt, dass der Glaube an den Gott Israels nicht notwendig mit der Erwartung der Auferstehung der Toten verknüpft war. 143 Jesus wirft den Sadduzäern nicht Unglauben, sondern einen Mangel an Schrift- und Gotteskenntnis vor. Zudem wird deutlich, dass das, was mit der Auferstehung der Toten gemeint ist, strittig war. Die Sadduzäer denken sie als Wiederherstellung der Verhältnisse vor dem Tod. Da diese Annahme aber zu absurden Konsequenzen führt, lehnen sie sie ab. Jesus hingegen versteht die Auferstehung der Toten nicht als Wiederherstellung vorheriger Zustände, sondern als Verwandlung in eine engelsgleiche Seinsweise, deren Realität für ihn und seine jüdischen Gegner unzweifelhaft ist. Besonders hervorzuheben ist, dass die Frage nach der Realität der Auferstehung sich für Jesus am Schrift- und am Gottesverständnis entscheidet. Weil die Sadduzäer weder „die Schrift“ noch „die Kraft Gottes“ kennen, irren sie. Und schließlich ist in dieser Perikope die Realität der Auferstehung keine Frage eines emotionalen Meinens, sondern eine Frage des theologischen Denkens. Jesus argumentiert gegen die Sadduzäer nicht mit Verben des Glaubens oder Meinens, sondern mit Verben des Wissens. Wer die Schrift kennt und um die Kraft Gottes weiß, der weiß auch um die Realität der Auferstehung. Wer darum nicht weiß, irrt. Theologiegeschichtlich betrachtet vertreten die Sadduzäer die ältere Position. „Die Vorstellung der A[uferstehung] vom Tod als des Beginns eines neuen, unvergänglichen Lebens ist dem weitaus größten Teil der atl. Über- 143 Vgl. dazu die Ausführungen von J. Becker, Die Auferstehung Jesu Christi nach dem Neuen Testament, 182-208. <?page no="119"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 103 lieferungen fremd.“ 144 Ausschließlich Dan 12 gilt als unumstrittener Beleg einer Auferstehungshoffnung. An diesem Befund ändert sich nicht viel, wenn man die (späten) Texte Jes 25,8; 26,19; Ps 22,28-32 und vielleicht noch wenige andere wie Ps 49 hinzunimmt. Alle anderen angeführten Texte aus dem Alten Testament sind zumindest mehrdeutig. Das liegt nicht zuletzt daran, dass der Begriff des Todes in den Heiligen Schriften Israels sehr viel mehr meint als ein medizinisches Urteil. Die hereinbrechende Todesgefahr durch Krankheit oder übermächtige Feinde oder auch ein als gänzlich leidvoll empfundenes Leben können als Tod bezeichnet und die Änderung dieses heillosen Zustandes als Errettung aus diesem Tod verstanden werden (vgl. Ps 88). 145 Ferner handeln wichtige Passagen wie Jes 24-27 und Ez 37 von einer kollektiven Auferweckung in eben diesem Sinn, dass das bedrängte, besiegte, deportierte Volk Israel wieder neues Leben in der Fortsetzung der Geschichte erfährt. Die Sadduzäer - wären sie heutige Biblizisten gewesen - hätten auf Jesu Argumentation gut mit einem isolierten Schriftzitat kontern können, z. B. mit: „Die Toten werden nicht leben, die Schatten stehen nicht mehr auf.“ (Jes 26,14). Jesus hätte darauf ebenfalls Jesaja zitieren können: „Deine Toten werden leben, die Leichen stehen wieder auf; wer in der Erde liegt, wird erwachen und jubeln. Denn der Tau, den Du sendest, ist ein Tau des Lichts; die Erde gibt die Toten heraus.“ (Jes 26,19). Aber der in Mk 12 vorgeführten Argumentationsstrategie liegt jegliche isolierte Zitatenschlacht fern. 146 Vielmehr argumentiert die Perikope mit Schlussfolgerungen auf beiden Seiten und lässt die Schlussfolgerung Jesu als die zutreffende erscheinen, die zugleich die Denkfehler der Sadduzäer offen legt. Jesus zitiert die Schrift als Ausgangsbasis der zu treffenden Schlussfolgerung: „Ich bin der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs“ (vgl. 12,26c; Ex 3,6.15b). Jesus wählt für seine Position die Selbstoffenbarung Gottes vor Mose aus, eine Basis, die im Rahmen jüdischen enzyklopädischen Wissens stärker nicht sein konnte. Zu diesem unumstrittenen Satz fügt er einen zweiten hinzu: „Gott ist ein Gott der Lebenden und nicht der Toten.“ Das an die Sadduzäer gerichtete „Ihr irrt sehr“ fordert zugleich die Lesenden auf, die Schlussfolgerung zu ziehen: Gott vermag Tote zu erwecken. Diese Schlussfolgerung wurde vorbereitet mit der Angabe, womit Gott die Toten erwecken kann: mit seiner ihm eigenen Kraft, der Kraft Gottes (vgl. 144 E.-J. Waschke, Auferstehung, 915. 145 B. Janowski, Die Toten loben JHWH nicht, insbes. 37, schlägt vor, die Konzeption der „Errettung vor dem Tod“ und dann das Konzept „Ewiges Leben/ Unsterblichkeit“ als Vorstufen der späten Auferstehungshoffnung zu verstehen. Vgl. zur alttestamentlichen Diskussion auch A. Chester, Resurrection and Transformation; G. Stemberger, Das Problem der Auferstehung im Alten Testament; H. D. Preuß, „Auferstehung“ in Texten alttestamentlicher Apokalyptik. 146 Jes 26,14 und Jes 26,19 bilden aber keinen kontradiktorischen Widerspruch, denn 26,14 zielt auf die Toten der Feinde, während 26,19 nur die Toten Israels im Blick hat. Vgl. dazu D. Zeller, Religionsgeschichtliche Erwägungen zur Auferstehung, 16f. <?page no="120"?> Erster Teil 104 Mk 12, 24). Durch den Hinweis auf die engelsgleiche Seinsweise wird die Auferstehungshoffnung vorstellbar. Allein Gott wird die Fähigkeit zugeschrieben, Tote zu erwecken und zwar nicht irgendeinem Gott, sondern dem Gott Israels. Die Auferstehung der Toten geschieht als Auferweckung durch die Kraft Gottes. Den Toten haftet keine Eigenschaft an, etwas zu ihrer Auferweckung beizutragen. Sie sind gänzlich tot und damit handlungsunfähig. Auferstehung ist dem Markusevangelium zufolge kein Bestandteil der Anthropologie, sondern ausschließlich der Theologie. Sie gehört zur Rede von Gott und zwar der Rede von dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, wie ihn Jesus im Evangelium verkündet. Es ist bezeichnend, dass Jesus gerade nicht die Totenerweckungen des Elia (1Kön 17,17-24) und des Elisa (2Kön 4,31-37; 13,21) als Argument heranzieht, die ja auch zeigten, dass Gottes Kraft nicht vom Tod begrenzt wird. Selbst die Zitation von 1Sam 2,6 wäre aber für die Argumentation Jesu nicht weitreichend genug gewesen: „Jahwe lässt sterben und leben, stößt in die Scheol hinunter und führt wieder herauf“. Jesus stellt mit seiner Antwort klar, dass es bei der Auferstehung der Toten nicht um eine wunderbare Fortführung des bekannten Lebens geht, sondern um eine neue und endgültige Seinsweise, die den Tod hinter sich gelassen hat, nachdem er durchlitten wurde. Der eschatologische Aspekt der Auferweckung wird verstärkt durch die apokalyptische Rede Jesu in Mk 13. Jesus redet zu seinen Jüngern Petrus, Jakobus, Johannes und Andreas über die kommende Zeit seiner Abwesenheit, die als Schreckenszeit vor dem endgültigen Ende des gegenwärtigen Zeitalters zu verorten ist. Bevor das Ende eintreten kann, muss „allen Völkern zuerst das Evangelium verkündet werden“. Da das Markusevangelium selbst Medium dieser Verkündigung ist, wird die Lektüre des Markusevangeliums zu einem apokalyptischen Akt, der wie das Leiden und Auferstehen des Gekreuzigten und die Leiden der Endzeit (vgl. 13,7c) notwendige Voraussetzung des Kommenden ist. Umberto Eco´s Buchtitel Lector in fabula bringt die Pragmatik des Markusevangeliums prägnant auf den Punkt. Durch die Verschränkung der Zeiten im Leseakt befinden sich die Lesenden inmitten der erzählten Geschichte. Eine distanzierte Lektüre ist keine Möglichkeit für die angestrebte Rezeption des Markusevangeliums. Es geht vielmehr darum, selbst zu Verkündigerinnen und Verkündigern des Evangeliums zu werden. Die Lektüre findet mitten in den apokalyptischen Wirren der Endzeit statt. Die Verse 13,24-27 formulieren das Ende der Endzeit und deuten an, wo sich der abwesende Menschensohn während der Endzeit aufhält: „Und dann werden sie sehen den Menschensohn kommen in den Wolken mit großer Kraft und Herrlichkeit“ (13,26). Dem Verlangen der Jünger, den Zeitpunkt des Anfangs der Endzeit zu erfahren, begegnet Jesus mit dem Aufruf zur Wachsamkeit und der Gewissheit, dass die Endzeit unmittelbar vor der Tür steht: „Wahrlich, ich sage <?page no="121"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 105 Euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis dies alles geschieht. Himmel und Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen.“ (13,30f.) Niemand nicht einmal die Engel und auch der Sohn Gottes nicht - kennt den Zeitpunkt des Endgeschehens (vgl. 13,32), aber alle Lesenden des Markusevangeliums kennen die Worte Jesu und sie bestätigen mit diesem Wissen die Unvergänglichkeit seiner Worte. Sie werden sogar in der Endzeitrede als Lesende imperativisch angesprochen: „der/ die Lesende begreife! “ (13,14b). Wie der Gleichnisrede in Mk 4, so kommt auch der Endzeitrede in Mk 13 eine das gesamte Evangelium deutende Funktion zu. Das verstehende Lesen des Markusevangeliums ist Teil des kosmologischen Aktes, zu dem auch Tod und Auferweckung des Gekreuzigten gehören und an dessen Ende das Kommen des Menschensohns und das ewige Leben im Reich Gottes für diejenigen stehen wird, die ihm nachfolgen, indem sie die Botschaft des Markusevangeliums mit ihrem eigenen Leben weiter tragen, also ihr Kreuz auf sich nehmen (vgl. 8,34). Die tragische Zuspitzung des dysphorischen Erzählstranges in den Kapiteln 14 und 15 durch den Verrat des Judas, die Verleugnung des Petrus, die Folterung, Verspottung und Ermordung des Protagonisten und seines Todesrufes am Kreuz wird von zwei Textpassagen unterbrochen, die auf die Zeit der Lektüre des Evangeliums verweisen. Direkt im Anschluss an die Endzeitrede wird die Absicht seiner Gegner wiederholt, ihn zu töten. Die Erzählung von der Salbung in Bethanien mit einem kostbaren Öl nimmt vorweg, was die Frauen im Grab zu tun gedenken. Jesus verteidigt die Handlung der ihn salbenden Frau und schließt die Erzählung mit den Worten: „Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in aller Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie jetzt getan hat“ (14,9). Die Lektüre des Markusevangeliums bestätigt diese Voraussage. Unmittelbar darauf beschließt Judas, Jesus zu verraten (vgl. 14,10f.). Darauf folgt dann die Erzählung vom letzten Mahl (14,12-25). In dieser Erzählung stiftet die Identifikation des Brotes mit dem Leib Jesu und die Identifikation des Weines mit seinem Blut eine Zeichenbeziehung, die die leibhaftige Gemeinschaft mit Jesus über die Präsenz seines irdischen Leibes hinaus ermöglicht. Die Materialität von Brot und Wein repräsentiert seinen Leib auch dann, wenn er abwesend ist. 147 Die ergreifende Szene im Garten von Gethsemane (vgl. 14,32-42) wehrt jede todessehnsüchtige Märtyrerideologie ab. Jesus will nicht sterben. Er bittet Gott darum, einen anderen Weg zu wählen, und willigt zugleich ein, den Weg ans Kreuz zu gehen, wenn es Gottes Wille sei (vgl. 14,35f.). Damit wird auch der Verurteilungsszene ihre Macht genommen. Das Todesurteil aufgrund von Blasphemie greift nur auf, was seine Gegner schon in 3,6 dachten. Sie erzielen im Verlauf der Erzählung keinen Erkennt- 147 Vgl. K. Dronsch, Text-Ma(h)le. <?page no="122"?> Erster Teil 106 nisfortschritt. Jesus spricht offen aus, dass er der Messias ist und identifiziert sich mit dem kommenden Menschensohn: „Ich bin es und ihr werdet den Menschensohn sitzen sehen zur Rechten der Macht und kommen mit den Wolken des Himmels.“ (14,62). Jesus greift hier eine Passage der Endzeitrede in Mk 13 (vgl. 13,26) auf und die Lesenden können sich ein konkreteres Bild davon machen, wo sich Jesus nach seinem Tod aufhält. Auch die Begleitung seiner Kreuzigung durch Finsternis (vgl. 15,33) erzeugt intratextuelle Bezüge zur Endzeitrede und unterstreicht den apokalyptischen Horizont des Geschehens. Wieder am Grab Mit dem Wissen der zweiten Lektüre begleiten die Lesenden die Frauen erneut zum Grab und sind gut ausgestattet, vor dem leeren Grab nicht zu verstummen, sondern auf die Deuteworte und Anweisungen des himmlischen Boten zu antworten: „Ich glaube. Hilf meinem Unglauben.“ Eine solcher Hilfen wird die stetige Wiederholung des Lesevorgangs sein und jede Lektüre wird Neues entdecken im Wissen darum, dass wir nicht in der Logik des Todes nach einem verwesenden Leichnam zu suchen haben. Wo ist der Leib des auferweckten Gekreuzigten? Die Aussage des himmlischen Boten gibt für die erzählte Welt eine klare Angabe: Er ist nicht mehr im Grab. Der auferweckte Gekreuzigte geht voran nach Galiläa, da wo sein Wirken begann. So hatte der Protagonist es selbst vor der Kreuzigung seinen Jüngern angekündigt: „Wenn ich aber auferweckt worden bin, werde ich Euch vorausgehen nach Galiläa“ (14,28). Wie können aber die Leserinnen und Leser dem auferweckten Jesus folgen? Die Syntagmatik der Textzeichen eröffnet ihnen die Möglichkeit, an den Anfang des Markusevangeliums zurückzukehren und dem Protagonisten auf seinem Weg von Galiläa nach Jerusalem erneut zu folgen und zwar mit dem Wissen der vorangegangenen Lektüre(n). Der auferweckte Gekreuzigte ist in der Materialität des Sprachkörpers zu finden, der ihn repräsentiert und ihn durch die Anwesenheit der schriftlichen Zeichen sehen und hören lässt. Das Markusevangelium repräsentiert den abwesenden Leib des gekreuzigten Auferweckten. Die wiederholte Lektüre wird entdecken, dass der Leib des auferweckten Gekreuzigten auch schon für die ersten Leserinnen und Leser des Markusevangeliums als abwesend gedacht werden musste: „Es werden aber Tage kommen, da wird ihnen der Bräutigam genommen sein.“ (2,20) Die Zeit der Abfassung und der Lektüre des Markusevangeliums ist diese Zeit der Abwesenheit. Wer den auferweckten Gekreuzigten außerhalb der Schriftzeichen des Markusevangeliums sucht, erhält von denselben eine zweifache Lokalisierung. 14,62 zufolge sitzt er „zur Rechten der Macht“ und erst am Ende der Welt werden wir ihn dort sitzen sehen und „kommen mit den Wolken des Himmels.“ (Vgl. 13,26) <?page no="123"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 107 Der abwesende Leib des auferweckten Gekreuzigten wird aber nicht nur durch die Materialität der Sprachzeichen des Markusevangeliums repräsentiert. Vielmehr erzeugt die Erzählung des Markusevangeliums einen weiteren Zeichenzusammenhang, der die Gemeinschaft zwischen dem auferweckten Gekreuzigten und seinen Nachfolgerinnen und Nachfolgern auch außerhalb der Lektüre des Markusevangeliums eröffnet. Der abwesende Leib wird repräsentiert im Abendmahlsgeschehen und zwar in, mit und unter der Materialität von Brot und Wein. Markus 14,22ff. aus der Perspektive der Auferweckungsbotschaft gelesen, lässt in den Einsetzungsworten den auferweckten Gekreuzigten hören und ihn sehen und schmecken in Brot und Wein. Die im Sinne des Markusevangeliums verstehenden Leserinnen und Leser verfügen nun über ausreichend theologische Bildung, um die Auferweckungsbotschaft zu verstehen: 1. Jesus von Nazareth, der Gekreuzigte, wurde auferweckt. Er wurde nicht aus dem Grab geholt wie der besessene Gerasener, der dann wieder ordentliche Kleidung trägt und bei Sinnen nun in sein irdisches Leben zurückkehrt. Er wurde auch nicht wiederbelebt, wie die Tochter des Jairus, die mit ihrem Essen zeigt, dass auch sie wieder im irdischen Leben steht und unter den Bedingungen dieses Lebens existiert. Jesus hingegen wurde in das himmlische Leben auferweckt. 2. Jesus von Nazereth, der Gekreuzigte, wurde auferweckt von Gott, und zwar von dem Gott, den er verkündet hat, von dem Gott Abrahams, Isaaks und Jacobs. 3. Jesus von Nazareth, der Gekreuzigte, wurde auferweckt von Gott durch die Kraft Gottes, die die Heiligen Schriften Israels bezeugen. Es ist dieselbe Kraft, die ihm der Geist ( pneu/ ma ) verlieh und durch die seine Wunder geschahen, mit der er den Gerasener aus den Gräbern holte und die die Tochter des Jairus wiederbelebte. Nur die in der Schrift bezeugte Kraft Gottes ist dazu in der Lage. 4. Jesus von Nazareth, der Gekreuzigte, wurde auferweckt. Die Identität Jesu von Nazareth mit der des Auferweckten wird markiert durch das Kreuz. Das Kreuz ist kein zu vernachlässigendes Durchgangsstadium, sondern Identitätsmarker auch des Auferweckten. 5. Die Gottestat der Auferweckung Jesu Christi ist kein isoliertes Ereignis, sondern eingebunden in den von Gott beschlossenen kosmologischen Wechsel der Zeiten. 6. Der auferweckte gekreuzigte Jesus von Nazareth befindet sich bis zum Ende der Jetztzeit zur Rechten Gottes. Am Ende der Zeit wird er von dort kommen, um die ihm Nachfolgenden zu versammeln. <?page no="124"?> Erster Teil 108 7. Der auferweckte Gekreuzigte begegnet in der Jetztzeit im verstehenden Lesen bzw. Hören des Markusevangeliums und in der Feier des Abendmahls in, mit und unter Brot und Wein. 8. Die angemessene Reaktion auf die Auferweckungsbotschaft ist der Ausruf: „Ich glaube. Hilf meinem Unglauben.“ 9. Dieser ehrliche und ungesicherte Glaube, der darum weiß, dass er sich nicht selbst konstituieren kann, wird dazu beitragen, das Evangelium zu multiplizieren, sei es dreißigfach, sechzigfach oder hundertfach. Wer die Auferweckungsbotschaft im Sinne des Markusevangeliums versteht, wird selbst zum Boten und folgt damit Jesus nach. 10. Diese Nachfolge bedeutet, sein eigenes Kreuz auf sich zu nehmen in der Gewissheit, durch die Kraft Gottes das himmlische Leben zu erhalten. Die im Sinne des Markusevangeliums auf diese Weise sehen und erkennen, hören und verstehen, werden vom Geist der Auferweckungsbotschaft des Markusevangeliums in die Gegenwart des auferweckten Gekreuzigten hineingezogen. Das Markusevangelium repräsentiert den abwesenden Jesus von Nazareth als den auferweckten Gekreuzigten, den Christus, den Sohn Gottes. Es verweist auf die Zukunft seines Kommens und zeigt den Ort, wo ihm die Lesenden in ihrer Gegenwart leibhaftig begegnen können. Im Grab jedenfalls ist er dem Markusevangelium zufolge nicht zu finden. <?page no="125"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 109 2. Das Matthäusevangelium Das Matthäusevangelium spannt mit der Genealogie zu Beginn des Buches das Diskursuniversum auf, in dessen Rahmen die Realitätsannahmen, Plausibilitätsstrukturen und die eingebrachten Werte und Urteile ihren Sinn entfalten. Die in der Genealogie aufgelisteten Namen erinnern metonymisch Erzählungen und Erzählzusammenhänge aus der Geschichte Israels, von denen die maßgeblichen in den Heiligen Schriften Israels zu finden sind. Nimmt man die Texte, die auf diese Weise eine intertextuelle Beziehung zum Matthäusevangelium erhalten, zusammen, so stellt sich leicht der Eindruck ein, es handele sich bei der matthäischen Genealogie um ein „Inhaltsverzeichnis des Alten Testaments“ 148 . Aber diese Bezeichnung ist insofern irreführend, als sie das Moment der Auswahl und der damit vollzogenen Lenkung der Erinnerung der Lesenden vernachlässigt und sie nur die kanonisierten Texte in den Blick geraten lässt. Das Matthäusevangelium stellt aber mit der Genealogie an den Anfang des Evangeliums die gelenkte Erinnerung an eine Auswahl der Heiligen Schriften Israels, die die Treue Gottes, die Sündhaftigkeit des erwählten Volkes und die Hereinnahme der Heiden in den Bund mit Gott ins Gedächtnis ruft. 149 Damit trägt sie aber bereits das Problem dieser Geschichte vor. Sie ist nicht nur vom Vertrauen Abrahams geprägt, sondern eben auch von individuellen Rechtsbrüchen wie Ehebruch und Mord, wie sie exemplarisch durch die ergänzenden Angaben bzgl. König Davids erinnert werden (vgl. 1,6), und durch die kollektive Untreue Israels, die ins Exil führte. Dennoch handelt es sich um eine geordnete Geschichte, die in dreimal vierzehn Namen gegliedert ist und damit das absichtsvolle Handeln Gottes erkennbar werden lässt. 150 Die Durchbrechung der stereotypen Formulierung und die umständliche Einführung Jesu am Ende der Genealogie schreibt den Namen „Jesus“ in diese Geschichte ein und zeigt zugleich an, dass mit diesem Jesus etwas anderes einsetzt, das nicht den natürlichen, gewohnten Lauf der Dinge fortsetzt. Die sich anschließende Geschichte seiner Erzeugung gibt dann auch den Sinn seines Auftretens kund. Der Engel spricht zu Joseph: „Sie wird aber einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk erretten von den Sünden.“ (1,21) 148 T. Hieke, Neue Horizonte, 66. Obwohl ich mit dieser Bezeichnung Hiekes nicht ganz einverstanden bin, weiß ich mich mit ihm in der grundlegenden literaturwissenschaftlichen Blickrichtung weitgehend einig und verweise auch auf seine die Forschung weiterbringende Habilitationsschrift: Die Genealogien der Genesis. 149 Vgl. dazu S. Alkier, From Text to Intertext; ders.: Zeichen der Erinnerung. Vgl. auch ders., R. Hays (Hg.), Die Bibel im Dialog der Schriften. Vgl. auch H. Stegeman, ‚Die des Uria‘. 150 Vgl. S. Alkier, Zeichen der Erinnerung, 112-117. <?page no="126"?> Erster Teil 110 Der sich anschließende Vers stellt durch die intertextuelle Verknüpfung mit der Prophetie Jesajas klar, dass dieser Jesus deshalb dazu in der Lage ist, sein Volk zu retten, weil er der von Gott durch Jesaja angekündigte Immanuel ist. Die Bedeutung dieses Namens ist Programm für den Verlauf der Erzählung des Matthäusevangeliums, was schon durch die eingebrachte Übersetzung angezeigt wird: „was übersetzt heißt: mit uns ist Gott.“ (1,24c). Jetzt erfüllt sich die Schrift. Das Matthäusevangelium erzählt die Geschichte von Jesus Christus, dem Sohn Davids, dem Sohn Abrahams (vgl. 1,1) als Erfüllung der Verheißung der Königsherrschaft Gottes, die mit der wunderbaren Geburt des Immanuel beginnt. Jesus verkündet in seinen Reden die Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, die in diesem Reich gilt. Jesus wird Israel von den Sünden befreien, die die Genealogie ins Gedächtnis ruft. Er kann das, weil er der „mit uns ist Gott“ ist. Es ist ihm durch die Erzählung zu folgen, um zu erfahren, wie er seinen Auftrag erfüllt. Aber schon am Beginn des Evangeliums ist klar, dass es um eine Nachfolge geht, die sich am Problem des verfehlten Lebens abarbeitet. Es geht um die Alternative, einen Lebensweg zu gehen, der den Werten der Herrschaft Gottes entspricht, wie sie sich in den Heiligen Schriften Israels darstellt, und wie sie als Wille Gottes durch die Reden Jesu im Matthäusevangelium interpretiert wird, oder eben diesen Weg weiterhin zu verfehlen und ins endgültige Verderben zu laufen. Von Anfang an ist der Weg Jesu gefährdet. Die politische Macht in der Gestalt des römischen Vasallenkönigs Herodes trachtet schon dem Kind Jesus nach dem Leben, und die ganze rücksichtslose Grausamkeit dieser politischen Macht wird exemplarisch und für die gesamte Lektüre des Evangeliums nachhaltig wirksam dargestellt in der Erzählung vom Kindermord in Bethlehem (vgl. 2,16ff.). Die Königsherrschaft des Herodes steht in kontradiktorischem Gegensatz zur Königsherrschaft Gottes, dessen Repräsentant Jesus, der Immanuel, ist. Das Matthäusevangelium erzielt seinen narrativen Spannungsbogen durch diese nicht zu vermittelnde konfliktreiche Gegensätzlichkeit menschlicher und göttlicher Herrschaft und ruft in die Entscheidung: „Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Großen ihnen Gewalt antun. So soll es nicht sein unter euch; sondern wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener.“ (20,25). Um die Königsherrschaft Gottes zu konkretisieren, steht gleich zu Beginn des Wirkens Jesu die Bergpredigt (Mt 5-7). Sie zeigt programmatisch die Werte des Reiches Gottes auf. Sie setzt mit dem gnadenvollen Zuspruch der Makarismen (5,1-12) ein und entwirft damit bereits ein Bild des Reiches Gottes. Darin zählen nicht Macht, Stärke, Besitz und Durchsetzung des eigenen Rechtsanspruchs, sondern Sanftmut, Friedfertigkeit, kindliches Vertrauen zu Gott und Vergebung. Auf der Grundlage des Gnadenzuspruchs der Makarismen geben die Antithesen (5,21-48) die Leitlinien exemplarisch zu erkennen, die sich aus der dankbaren Annahme der Gnade Gottes ergeben: Es handelt sich um eine Ethik, die am Recht des Anderen orientiert ist, weil der Andere ein Geschöpf Gottes ist. Mit der Orientierung am Recht des An- <?page no="127"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 111 deren wird der Sinn des Gesetzes erfüllt (vgl. 5,17-20), nämlich die Barmherzigkeit Gottes zum Maßstab der eigenen Lebensführung zu machen. Jesu unbeirrter, der Königsherrschaft Gottes gemäßer Weg führt ihn aber offensichtlich nicht in ein sorgloses und behütetes Leben, sondern ans Kreuz. Die Königsherrschaft der Mächtigen setzt sich vorerst durch. Der Repräsentant der Königsherrschaft Gottes wird als Verbrecher gewaltsam durch das Mordinstrument für solche, die kein römisches Bürgerrecht haben, getötet. Er stirbt auf Betreiben des Hohen Rats von Jerusalem am Kreuz des Imperium Romanum. Erst die Erzählung von der Auferweckung Jesu lässt das Buch des Matthäus zum Evangelium werden. Die Auferweckung des Gekreuzigten bestätigt die von Jesu Verkündigung eingebrachten Werte als Werte der Königsherrschaft Gottes, und sie zeigt zugleich die unermessliche, alle anderen Herrschaftsansprüche übersteigende Macht der Königsherrschaft Gottes auf. Der auferweckte Gekreuzigte wird durch diesen Machtakt Gottes vom „mit uns ist Gott“ zum „Ich bin bei Euch“: „Und siehe, ich bin bei Euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“ (28,20b). Mit diesen Worten des auferweckten Gekreuzigten schließt das Buch des Matthäus auf der syntagmatischen Ebene seine Erzählung und spricht auf der pragmatischen Ebene allen Leserinnen und Lesern, die dem Matthäusevangelium zustimmen und ihr weiteres Leben danach ausrichten, die dauerhafte Präsenz des auferweckten Gekreuzigten zu. Dabei schärfen die letzten Worte dieses Satzes die eschatologische Überzeugung ein, dass die gegenwärtige Welt ein Ende finden wird. Beide Überzeugungen prägen die Erzählung und die pragmatische Botschaft des Evangeliums als Ganzes. Tod oder Leben? Das Matthäusevangelium ruft zur Entscheidung auf: „Geht durch das enge Tor ein! Denn das Tor ist weit und der Weg ist breit, der ins Verderben führt, und viele sind es, die durch es hineinkommen! Wie eng ist das Tor und wie mühselig der Weg, der ins Leben führt, und wenige sind es, die es finden.“ (Mt 7,13f). Verderben oder Leben, das ist die Wahl, vor die das Matthäusevangelium stellt. Seine Behauptung ist es, dass nur der Weg, der konform mit den von Jesus vertretenen Werten der Königsherrschaft Gottes ist, in das ewige Leben führt, der Weg der Königsherrschaft aber des Herodes oder des Imperium Romanum, 151 oder der Weg des Hohen Rates, oder der Weg, der sich am Mammon, am eigenen Recht, an eigener Macht und Stärke orientiert, ins Verderben führt. Diese Überzeugung bezieht ihre Plausibilität aus der eschatologischen Erwartung des Gerichts Gottes. Die Königsherrschaft Gottes umfasst in der Darstellung des Matthäusevangeliums Himmel und Hölle. 152 Die Hölle ist 151 Vgl. dazu W. Carter, Matthew and Empire. 152 Vgl. dazu S. Alkier, Himmel und Hölle. <?page no="128"?> Erster Teil 112 nicht das Reich des Teufels, sondern die vernichtende Seite der Macht Gottes. Mit ihrem unauslöschlichen Feuer wird der Teufel mit seinen Engeln ebenso vernichtet wie die, die im eschatologischen Gericht aufgrund ihrer unsolidarischen Lebensweise verurteilt werden (vgl. 25,41-46). Niemand wird diesem Gericht entgehen, auch nicht die Toten. Erst die Auferstehung der Toten lässt das eschatologische Gericht zu einem universalen Weltgericht werden, bei dem auferstandene Tote auch als Ankläger und Richter auftreten. Auf die Zeichenforderung der Schriftgelehrten und Pharisäer in 12,38 entgegnet Jesus: „Ein böses und abtrünniges Geschlecht fordert ein Zeichen, und es wird ihm kein anderes Zeichen gegeben werden, als das Zeichen Jonas, des Propheten. Denn wie Jona im Bauche des Fisches drei Tage und drei Nächte war, so wird der Menschensohn im Inneren der Erde drei Tage und drei Nächte sein. Die Männer von Ninive werden auferstehen ( avnasth,sontai ) beim Gericht mit diesem Geschlecht und es verurteilen, denn sie kehrten um nach der Verkündigung Jonas. Und siehe: mehr als Jona ist hier. Die Königin des Südens wird auferweckt werden ( evgerqh,setai ) beim Gericht mit diesem Geschlecht und wird es verurteilen, denn sie kam vom Ende der Erde um zu hören die Weisheit Salomos. Und siehe: mehr als Salomo ist hier.“ (12,39b-42). Der Zusammenhang mit dem Jonazeichen als Allegorie von Begräbnis und Auferweckung Jesu Christi und die Auferweckungsterminologie „auferstehen“ bzw. „auferweckt werden“ mit der Gerichtsankündigung stellt die dienende Funktion dieser Auferweckungstheologie des Matthäusevangeliums heraus. Die eschatologische Auferweckung der Toten ist kein Selbstzweck, sondern notwendig für das eschatologische Gericht, das die Gerechtigkeit endgültig zum Zuge kommen lassen wird. Das eschatologische Gericht kennt keine Grenzen, auch nicht die zwischen Toten und Lebenden. Die Königsherrschaft Gottes wirkt allumfassend und sie bewirkt nicht nur das ewige Leben, sondern auch die ewige Verdammnis. Dass in den beiden parallel gebauten Versen 41 und 42 die Verben „auferstehen“ und „auferweckt werden“ keinen Bedeutungsunterschied erkennen lassen, zeigt exemplarisch an, dass sie im Matthäusevangelium als Synonyme verwendet werden. Klar ist, dass nur Gott die Macht hat, Tote zu erwecken. Aber diese unermessliche Macht setzt Gott Matthäus zufolge im Gericht auch strafend ein. Die von Jesus verkündete „Königsherrschaft der Himmel“ umgreift Gottes Macht in all ihrer Fülle. Erst bei diesem Gericht wird endgültig über Tod und Leben entschieden. Weder die irdischen noch die dämonischen Mächte sind in der Lage, ewigen Tod oder ewiges Leben zu bewirken. Die Aussendungsrede stellt das in 10,28 klar heraus: „Und fürchtet Euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können, sondern fürchtet euch vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle.“ Damit aber ist nicht etwa der Teufel gemeint, sondern Gott. Nur er hat Macht über den ganzen Menschen. Und diese Macht wird endgültig wirksam werden beim eschatologischen Gericht. <?page no="129"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 113 Davor warnt schon der Ruf Johannes des Täufers zum Umdenken (3,2- 10) ebenso wie dann auch die Gerichtspredigten Jesu von Nazareth. Johannes warnt Pharisäer und Schriftgelehrte davor, sich auf ihre Abrahamskindschaft zu berufen, ohne wirksam und wahrhaftig umzudenken. Er warnt sie nicht nur vor „dem künftigen Zorn“ (3,7) und dem „Verbrennen mit unauslöschlichem Feuer“ (3,12d). Vielmehr wird neben diese destruktive Seite der Macht Gottes auch seine unermessliche Schöpferkraft herausgestellt, die aus Totem Leben zu schaffen vermag: „Gott vermag dem Abraham aus diesen Steinen Kinder zu erwecken ( ev gei/ rai ).“ (3,9c). Die Verkündigung Jesu in der Darstellung des Matthäusevangeliums erhält aus der Perspektive der Königsherrschaft Gottes mit ihrem eschatologischen Gericht ihre handlungsorientierte Zuspitzung. Nicht das Wortbekenntnis, sondern das Tun des Willens Gottes, wie Jesus es in seinen Reden und Taten vorstellt, entscheidet im eschatologischen Gericht über Himmel oder Hölle (vgl. 25,31-46). Dem Matthäusevangelium zufolge glaubt man nicht an einen dogmatischen Topos „Auferstehung der Toten“, sondern an den gerechten und barmherzigen Gott, wie ihn Jesus verkündet hat. Dieser Gott wird am Ende der Welt ein universales Gericht halten und dafür die Toten auferwecken. Die Auferweckung der Toten als eschatologisches Zeichen Auf die Frage des Täufers, die von seinen Jüngern übermittelt wird, ob er der erwartete Messias sei, antwortet Jesus: „Geht hin und berichtet Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote wachen auf und Armen wird das Evangelium verkündet und selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt.“ (11,4bff.). Jesu Antwort spielt intertextuell die Prophetie Jesajas ein und behauptet damit ihre Erfüllung durch sein Wirken. Diese eschatologische Heilsbedeutung Jesu unterstreicht der letzte Satz der Antwort Jesu. Dem Matthäusevangelium geht es in seiner Darstellung von Jesu Handeln und Reden im Ganzen und auch hier darum, die eschatologische Dimension der Jesus-Christus- Geschichte hervorzuheben. Jetzt wird die Schrift erfüllt, jetzt ist mit dem Wirken des von der Jungfrau geborenen Immanuel die Königsherrschaft der Himmel angebrochen, die in das Endgericht münden wird, und jetzt ist die letzte Stunde angebrochen, in der man sich für die Königsherrschaft Gottes entscheiden kann, und wie die Arbeiter im Weinberg, die zur letzten Gelegenheit ihre Arbeit beginnen, aber dafür den vollen Lohn erhalten (vgl. Mt 20,1-16), wird Gott alle, die in dieser letzten Stunde umdenken und dem Immanuel folgen, mit dem ewigen Leben belohnen. Die Plausibilisierung der Antwort Jesu wird durch den Kontext des Matthäusevangeliums und durch den intertextuellen Bezug zu Jesaja erreicht: „An jenem Tag hören alle, die taub sind, sogar Worte, die nur geschrieben sind, und die Augen der Blinden sehen selbst im Dunkeln und Finstern. Die Erniedrigten freuen sich wieder über den Herrn und die Armen jubeln über <?page no="130"?> Erster Teil 114 den Heiligen Israels.“ (Jes 29,18f.) „Dann werden die Augen der Blinden geöffnet, auch die Ohren der Tauben sind wieder offen. Dann springt der Lahme wie ein Hirsch, die Zunge der Stummen jauchzt auf.“ (Jes 35,5f.) Und in Jes 26,19 ist zu lesen: „Deine Toten werden leben, die Leichen stehen wieder auf; wer in der Erde liegt, wird erwachen und jubeln. Denn der Tau, den Du sendest, ist ein Tau des Lichts; die Erde gibt die Toten heraus.“ Die Wunderheilungen Jesu werden vor diesem Hintergrund insgesamt lesbar als eschatologische Zeichenhandlungen, zu denen Jesus auch seine Jünger befähigt. Dazu gehören auch Totenerweckungen, wie die Wiederbelebung der Tochter des Jairus, die exemplarisch in 9,18f.23-26 und syntagmatisch notwendig vor der Täuferfrage erzählt wird. Jesus beauftragt dann in 10,7f. die Jünger: „Geht aber und verkündet: Die Königsherrschaft der Himmel ist nahe herbeigekommen. Macht Kranke gesund, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt böse Geister aus.“ Die Auferweckung der Tochter des Jairus in 18f.23-26 erzählt die Wiederbelebung eines soeben verstorbenen Mädchens. Sie wird durch die Antwort auf die Täuferfrage und durch die Aussendungsrede zum Exempel einer unbestimmten Vielzahl solcher Wiederbelebungen. Diese Toten erhalten keinen neuen Leib, sondern kehren mit ihrem wiederbelebten, aber weiterhin sterblichen Leib aus Fleisch und Blut zurück in ihr altes Leben. Davon kategorisch zu unterscheiden aber ist die eschatologische Auferweckung der Toten, von der das Streitgespräch mit den Sadduzäern in 22,23-33 handelt. Hier wird gerade die Andersartigkeit des Lebens nach der eschatologischen Auferweckung zum Argument gegen die Leugnung der Auferweckung, wie sie die Sadduzäer vertreten. Die Sadduzäer irren, weil sie die eschatologische Auferweckung als bloße Wiederbelebung von Toten denken, die in ihr altes Leben zurückkehren. Der von ihnen ersonnene Konflikt basiert genau auf dieser Annahme. Jesus aber weist auf die kategorische Verschiedenheit des Lebens nach der eschatologischen Auferweckung mit der Analogie zur Seinsweise der Engel hin: „Denn nach der Auferstehung werden sie nicht mehr heiraten oder sich heiraten lassen, sondern wie die Engel im Himmel sind sie.“ (22,30) Die am Ende der Welt auferweckten Toten werden zu himmlischen Wesen von Gott mit seiner Schöpferkraft neu geschaffen (vgl. 22,29). 153 Als intertextuell motivierte eschatologische Zeichenhandlung wiederum muss die Öffnung der Gräber nach Jesu Kreuzestod begriffen werden: „Und die Erde erbebte, und die Felsen zerrissen, und die Gräber taten sich auf, und viele Leiber der entschlafenen Heiligen wurden auferweckt und nachdem sie nach seiner Auferweckung aus den Gräbern herausgekommen waren, gingen sie in die heilige Stadt und erschienen vielen.“ (27,52f.) Diese Episode erzählt, was Jesaja angekündigt hat: „Deine Toten werden leben […] die Erde gibt die Toten heraus.“ (Jes 26,19). 153 Vgl. dazu die ausführliche Interpretation von Mk 12,18-27 im vorstehenden Kapitel, die auch weitgehend für die Parallele im Matthäusevangelium zutrifft. <?page no="131"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 115 Intrigen, Lügen und Verrat oder: Der Justizmord des Gerechten Jesus kennt nicht nur den Willen Gottes, sondern er richtet sein ganzes Handeln an ihm aus. Er weiß, dass ihn sein Weg ans Kreuz führen wird. Mehrfach kündigt er sein Leiden, aber auch seine Auferweckung an (vgl. 16,21; 17,9; 17,22; 20,17f.; 20,28; 26,32). Die Szene in Gethsemane stellt aber eindrücklich klar, dass Jesus nicht sterben will. Er ist auch in der Darstellung des Matthäusevangeliums kein lebensmüder Held und keine leidensunempfindliche mythische Figur. Er ist aber auch kein ohnmächtiges Opfer, was die Vernichtung des Feigensbaums (21,19) ebenso zum Ausdruck bringt wie seine eigenen Worte bei der Gefangennahme: „Oder meinst du, ich könnte nicht meinen Vater bitten, und er schickte mir sofort mehr als zwölf Legionen Engel? “ (26,53) Der zum Staunen bringende Eindruck, den Jesu Handeln erzeugt, besteht vielmehr darin, dass er das Vater-unser nicht nur spricht, sondern lebt: „Dein Wille geschehe“ (6,10b) gilt für ihn auch angesichts des drohenden Kreuzestodes (vgl. 26,36-42). Aber nicht der Wille Gottes tötet Jesus, sondern die betrügerische Ausübung menschlicher Macht. Nicht die Königsherrschaft Gottes schlägt den Unschuldigen ans Kreuz, sondern die wissentliche Duldung des Unrechts. Kein göttlicher Plan verlangt das blutige Opfer, sondern die menschliche Intrige, die Lügen ersinnt, um töten zu können. Judas, einer seiner Jünger, verrät ihn mit einem trügerischen Kuss (vgl. 26,48ff.). Der Hohe Rat sucht nicht nach der Wahrheit, sondern nach falschen Zeugenaussagen, die Jesus ein Verbrechen anhängen sollen, das seine beabsichtigte Hinrichtung begründet (vgl. 26,59). Als dieser Plan aber misslingt, greift der Hohepriester ein und missbraucht die Macht seines ehrwürdigen Amtes, die Aussage Jesu als Gotteslästerung zu interpretieren und fordert das Todesurteil heraus (26,65f.). Jesus wird bespuckt, geschlagen und verspottet (26,67f.). Selbst Petrus macht sich der Lüge schuldig. Er verleumdet Jesus dreimal (26,69-75). Am nächsten Morgen beschließt der Hohe Rat einhellig die Todesstrafe, und weil die Todesstrafe nur die römische Verwaltung aussprechen kann, überstellt er Jesus zu Pontius Pilatus (27,1f.). Judas hört davon und tötet sich selbst (27,3-10). Pilatus, gewarnt durch einen Traum seiner Frau, versucht zunächst die Zustimmung der Juden zu finden, Jesus frei zu lassen, denn durch den Traum seiner Frau weiß er von der Unschuld Jesu, mehr noch, er weiß, dass Jesus ein Gerechter ist (27,11-23). Aber er lässt wissentlich das Unrecht geschehen (27,24ff.). Nun wird Jesus auch von den römischen Soldaten gefoltert und verspottet und dann ans Kreuz geschlagen (27,27-36). Als Grund seiner Hinrichtung gibt eine über seinem Kopf angebrachte Aufschrift an: „Das ist Jesus, der König der Juden.“ (27,37b). Der ans Kreuz genagelte Jesus wird von den Großen seines Volkes verspottet und selbst die mit ihm gekreuzigten Räuber stimmen in den Hohn <?page no="132"?> Erster Teil 116 ein. 154 Jesus stirbt einen qualvollen Tod. Mit seinen letzten Worten, einem Psalmvers, richtet er sich an Gott: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen? “ (27,46b/ / Ps 22,2) Endete die Geschichte hier, so hätten wir es mit der tragischen Geschichte eines guten Menschen zu tun, oder in zynischer Lesart: mit der Bestätigung der Macht menschlicher Herrschaft und der Ohnmacht der Gerechtigkeit. Die Machtverhältnisse des Faktischen hätten einmal mehr das letzte Wort. Die Auferweckung des Gekreuzigten: (Be)Trug oder Handeln Gottes? Schon die während der Kreuzigung Jesu geschehenen Ereignisse der Finsternis, des zerrissenen Tempelvorhangs, des Erdbebens, der Öffnung der Gräber und der Auferweckung vieler Heiliger zeigen an, dass auch die Darstellung der Kreuzigung Jesu nicht den empirischen Gesetzen des Faktischen folgt, sondern gerade die Durchbrechung der Macht des Faktischen durch das eschatologische, den ganzen Kosmos betreffende Handeln Gottes thematisiert. Die kosmologisch-eschatologischen Zeichen werden von den römischen Soldaten, die die Kreuzigung durchführen, als Zeichen dafür verstanden, dass der Gekreuzigte der Sohn Gottes gewesen ist, aber die Reaktion der anderen Anwesenden wird nicht erzählt. Handelte es sich aber um eine an empirischen Tatsachen orientierte Berichterstattung, drängte sich die Frage auf, warum denn die anderen Anwesenden nicht durch Finsternis, Erdbeben und offene Gräber zu der Einsicht der römischen Soldaten kamen und ganz Jerusalem wie einst Ninive in Sack und Asche Buße ob des begangenen Unrechts tat. Selbst die Reaktion der anwesenden Jüngerinnen wird nicht berichtet (vgl. 27,55), denn die Erzählabsicht geht in eine andere Richtung, die gerade die Beweisbarkeit der Auferweckung des Gekreuzigten und damit die Beweisbarkeit der Lehre Jesu von der Königsherrschaft Gottes grundsätzlich thematisiert. Nach dem Tod Jesu wird er von einem seiner reichen Anhänger, Joseph von Arimathäa, mit Zustimmung des Pilatus bestattet. Joseph legt ihn in sein eigenes Felsengrab „und wälzte einen großen Stein vor die Tür des Grabes und ging davon“ (27,60b). Die beiden Marias, deren Anwesenheit schon bei der Kreuzigungsszene notiert wurde, werden auch hier wieder erwähnt. Der folgende Abschnitt (27,62-65) - eine Meisterleistung ironischer Inszenierung - lässt die Hohenpriester - von denen im Plural zu sprechen historisch gesehen unzutreffend ist - und die Pharisäer Pilatus um die Bewachung des Grabes Jesu bitten, denn diese Betrüger des Rechts fürchten den 154 E. Reinmuth, Ostern, 5f., verweist auf den intratextuellen Zusammenhang der Versuchungserzählung in Mt 4 und der Kreuzigungsszene in 27,40 und interpretiert weiterführend: „Jesus erbringt im Matthäusevangelium nie den ‚Beweis‘ für seine Möglichkeiten. Er springt nicht, er zitiert keine Legionen herbei, als er gefangen wird (26,53) - obwohl er es, davon ist Matthäus überzeugt, könnte -, er steigt nicht vom Kreuz“ (6). <?page no="133"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 117 Betrug der Jünger: „Herr ( k ú rie ), es fiel uns ein, dass dieser Betrüger, als er noch lebte, sagte: Ich werde nach drei Tagen auferstehen. Darum befiehl, dass man das Grab bewache bis zum dritten Tag, damit nicht seine Jünger kommen und ihn stehlen und zum Volk sagen: ‚Er ist auferweckt worden von den Toten‘, und dieser letzte Betrug dann schlimmer wird, als der Erste.“ (27,63f.). Nicht den Immanuel nennen sie k ú rioj , sondern Pontius Pilatus, dem römischen Statthalter, geben sie mit dieser Anrede die Ehre. Und sie selbst, die nach falschen Zeugenaussagen suchten, um Jesus hinrichten zu lassen, fürchten nun einen Betrug von der Gegenseite. Ihrem Begehren wird stattgegeben und eine Wache versiegelt das Grab Jesu (27,65f.). Am dritten Tag aber kommen die beiden Marias zum Grab und wieder ereignet sich ein Erdbeben: „Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf. Seine Gestalt war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee. Die Wachen aber erschraken aus Furcht vor ihm und wurden wie Tote. Der Engel aber sprach zu den Frauen: Fürchtet euch nicht. Ich weiß nämlich, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten sucht. Er ist nicht hier, er wurde nämlich auferweckt, wie er sagte. Kommt her und seht die Stelle, wo er lag. Und geht schnell und sagt seinen Jüngern, dass er auferweckt worden ist von den Toten, und siehe, er geht euch voran nach Galiläa, wo ihr ihn sehen werdet. Siehe, ich habe es euch gesagt. Und sie gingen schnell weg von dem Grab mit Furcht und großer Freude und eilten, um es seinen Jüngern zu verkünden.“ (28,2-8). Als die Frauen zum Grab kommen, ist der Stein noch nicht weggeschafft. Das Grab ist versiegelt und die Römer bewachen es. Die beiden Jüngerinnen Jesu und die römischen Wachen werden Zeugen einer Engelserscheinung. Erst dieser Engel wälzt den Stein vor den Augen der Anwesenden weg, setzt sich darauf und verkündet ihnen dann, dass der gekreuzigte Jesus von den Toten auferweckt worden ist. Der Leib des gekreuzigten Auferweckten hat das Grab also verlassen, bevor der Stein weggerollt wurde. Sein Auferweckungsleib folgt nicht mehr den empirischen Gesetzmäßigkeiten. Das Grab wird vom Engel nur geöffnet, um den Frauen anschaulich zu machen, dass der Auferweckte nicht mehr im Grab ist. Eindrücklich wird die Gestalt des Engels geschildert. Sie ist wie ein Blitz, eine Lichterscheinung also, und das leuchtende Weiß seines Gewandes ist dazu stimmig. Im Streitgespräch über die Auferstehung der Toten (Mt 22,23- 33) hatte Jesus gegenüber den Sadduzäern erklärt, dass die von den Toten Auferstandenen wie die Engel sind (vgl. 22,30). Dem Diskursuniversum des Matthäusevangeliums zufolge gilt das auch für den auferweckten Gekreuzigten. Er ist kein wiederbelebter Toter, der in sein altes Leben zurückkehrt und dann von neuem stirbt, sondern seine Auferweckung transformiert ihn und gibt seinem auferweckten Leib die Fähigkeit ewigen Lebens und andauernder Präsenz. Dieser Leib hat es nicht nötig, dass der Grabstein weggerollt wird, um ihn aus dem Grab zu befreien. Dieser Leib lebt nicht in den Grenzen empirischer Faktizität. <?page no="134"?> Erster Teil 118 Hat der Engel die römischen Wachleute zu Tode erschreckt, so fürchten sich auch die angesprochenen Frauen, aber die Freude und damit das Vertrauen in die Wahrheit der Engelsbotschaft überwiegt. Auf ihrem Weg zu den Jüngern Jesu begegnen sie dem Auferstandenen selbst und können sich überzeugen, dass es sich nicht um ein Gespenst oder eine Illusion handelt. Der auferweckte Gekreuzigte ist sichtbar, er spricht und er ist haptisch wahrnehmbar. (28,9f.). Er wiederholt, was der Engel bereits sagte. Er spricht zu ihnen: „Seid gegrüßt! Und sie traten zu ihm und umfassten seine Füße und fielen vor ihm nieder.“ (28,9b) Szenenwechsel: Auch einige Wachsoldaten haben das Grab verlassen und sind zu den Hohenpriestern gegangen, um ihnen das Geschehene zu berichten. Diese rufen den Rat zusammen und geben den Soldaten Geld für ihr Schweigen, erfinden eine Lüge und wollen auch die römischen Vorgesetzten beschwichtigen. (28,11ff.). Der Hohe Rat erweist sich erneut als betrügerisch. Sie kennen die Wahrheit, erfinden aber eine Lüge: „Sagt, seine Jünger sind in der Nacht gekommen und haben ihn gestohlen, während wir schliefen.“ (28,13) Die Soldaten lassen sich darauf ein, nehmen das Geld und der Erzähler kommentiert: „Und so ist dies zum Gerede geworden bei den Juden bis auf den heutigen Tag.“ (28,15b). Diese Erzählung schützt nicht nur die Jünger apologetisch vor dem Betrugsvorwurf. Sie zeigt vielmehr eindrücklich auf, dass auch die Angelophanie und das leere Grab nicht mit der Macht des Faktischen zum Glauben an den auferweckten Gekreuzigten führen, denn die römischen Wachen entscheiden sich für den Mammon und gegen die Wahrheit und der Hohe Rat entscheidet sich wider besseres Wissen für eine absichtliche Lüge. Vollends aber wird die Auferweckungsbotschaft als interpretationsbedürftige Wirklichkeitserfahrung ausgewiesen durch den Zweifel einiger Jünger. Wie Jesus es vorausverkündigt hatte (vgl. 26,32) und dann zunächst vom Engel am Grab und dann vom Auferweckten selbst ins Gedächtnis gerufen wird, geht er seinen Jüngern voraus „nach Galiläa auf den Berg“ (28,16b). Die Ortsangabe verweist intratextuell auf die Bergpredigt und verleiht dieser nochmals nachdrücklich Offenbarungscharakter. „Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder, einige 155 aber zweifelten.“ (28,17). Sogar das Sehen des auferweckten Gekreuzigten auf dem Berg der Offenbarung führt nicht zum Automatismus faktischer Evidenz, die keine Entscheidung benötigt, sondern durch die zweistellige Logik des Faktischen überwältigt. Der Glaube an den Auferweckten, so lehrt die Schlussepisode des Matthäusevangeliums, folgt nicht dieser Macht des Faktischen, die dem Rezipienten die Entscheidung abnähme. „Kein Ereignis also im Sinne einer Tatsache, die 155 Vgl. dazu W.D. Davies, D.C. Allison JR, Matthew III (XIX-XXVIII), 681f. Vgl. auch U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus (Mt 26-28), 438f. <?page no="135"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 119 keinen Zweifel kennt. Sondern ein Ereignis des Handelns Gottes, der jeden Zweifel zulässt.“ 156 Die Plausibilität der Auferweckung erschließt sich nicht durch die Macht des Faktischen, sondern allein durch das Vertrauen auf die unermessliche Macht der Königsherrschaft Gottes und der damit verbundenen Überzeugung, dass sich diese gültig in den Worten und Taten Jesu zum Ausdruck gebracht hat. Die Auferweckung des gekreuzigten Jesus und damit seine Präsenz bis an das Ende der Welt werden nur dem glaubhaft, der sich mit dem Vater Unser so vertrauensvoll an den barmherzigen und gerechten Gott wendet, wie es Jesus anempfohlen hat. Die Macht des auferweckten Gekreuzigten So wie Jesus Judas nicht aus der Tischgemeinschaft ausschloss und Petrus trotz seines Verrats ein Jünger Jesu bleibt, verbannt er auch die zweifelnden Jünger nicht. Er richtet das Wort an alle und beauftragt sie: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum geht hin und macht zu Jüngern alle Völker. Tauft sie auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes und lehrt sie alles zu befolgen, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin mit Euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“ (28,18bf.). Vor der Beauftragung der Jünger benennt der auferweckte Gekreuzigte die unermessliche Kompetenz des Auftraggebers und damit den Grund, ihm Folge zu leisten. Das Matthäusevangelium stellt die Machtfrage, und es beantwortet sie unmissverständlich. Nicht den betrügerischen Werten des Hohen Rates, nicht den anmaßenden Herrschaftsansprüchen des Herodes oder des Imperium Romanum, nicht dem Mammon und nicht dem Satan ist Folge zu leisten, sondern Jesus, dem Immanuel, der durch die Auferweckung von den Toten mit der Machtfülle Gottes ausgestattet wurde. Diese Machtfülle macht den „Mit uns ist Gott“ zum „Ich bin bei Euch“. Die Erfahrung der Präsenz des Auferweckten wird zur Machterfahrung und die kosmopolitische Botschaft der Auferweckung spricht allen anderen universalen Machtansprüchen die Geltung ab. Der Auferweckungsbotschaft des Matthäusevangeliums geht es um die kosmologische Bestimmung der Wirklichkeit als ganzer, „im Himmel und auf Erden“. Jeder Glaubende wird zum Zeichen dieser Macht, wenn er sein Leben an der Botschaft Jesu ausrichtet. Der Botschaft des auferweckten Gekreuzigten ist Folge zu leisten, und sie ist in ihren Handlungsanweisungen identisch mit dem, was Jesus von Nazareth vor seiner Kreuzigung lehrte. Nicht das Für-Wahr-Halten irgendwelcher Sätze, nicht das Zitieren von Jesusworten, nicht das Auswendiglernen von Glaubensformeln wird verlangt, sondern das barmherzige Handeln am Nächsten. Nicht wer das Grab für leer hält bezeugt die Wahrheit des Auferweckten, sondern wer den Bedürftigen hilft 156 E. Reinmuth, Ostern, 9. Ebd., 8: „Ostern kann bestritten werden; Ostern kann geglaubt werden. Das ist die theologisch durchdachte, matthäische Alternative.“ <?page no="136"?> Erster Teil 120 und sich für das Recht und die Gerechtigkeit einsetzt, die die Bergpredigt orientierend und maßgebend formuliert. Dieser Weg der Nachfolge führt ebenso wenig in ein leidensfreies und unbeschwertes Dasein wie der Weg Jesu. Die Ausrichtung am Willen Gottes führte Jesus ans Kreuz. Er hätte fliehen können. Er hätte seine Gegner mit Engelsgewalt vernichten können. Er hat es nicht getan. Er starb am Kreuz. Er verlor sein Leben - und: hat es neu geschenkt bekommen. Mehr noch: er hat ewiges Leben erhalten und einen Leib, dem ein Grabstein keine Grenzen mehr setzen kann. Der auferweckte Gekreuzigte ist der Erweis der Machtfülle Gottes, der nicht nur alles geschaffen hat, sondern noch einmal neu schafft. Diejenigen aber, die ihm folgen, werden an der Macht des auferweckten Gekreuzigten beteiligt: „Wahrlich, ich sage euch, ihr, die ihr mir gefolgt seid, werdet bei der Neuschaffung ( paliggenesi,a ), wenn der Menschensohn sitzen wird auf dem Thron seiner Herrlichkeit, auch sitzen und richten die zwölf Stämme Israels. Und wer Häuser oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Kinder oder Äcker verlässt um meines Namens willen, der wird es hundertfach empfangen und das ewige Leben erben.“ (19,28bf.). Jesu uneingeschränkte Orientierung am Willen Gottes, die ihn sogar im Gefühl der Gottverlassenheit Gott anrufen lässt und mit einem Psalmvers seine Verzweiflung herausschreit (vgl. 27,46), wird zum „Lösegeld für viele“, nämlich für die, die sich am Weg Jesu orientieren und ebenso wie er den Willen Gottes tun wollen. Durch seine Auferweckung bestätigt Gott den Zuspruch Jesu: „Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird gerettet werden.“ (24,13f.). Diese hoffnungsvolle Beharrlichkeit drückt sich aber nicht in einem starrsinnigen Festhalten an ideologischen Formeln aus, auch nicht dadurch, den Namen Jesu oder Gottes im Munde zu führen, sondern sie erweist sich in der unbeirrten Praxis solidarischer Barmherzigkeit: „Dann wird der König denen zu seiner Rechten sagen: Kommt her ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch von Grundlegung der Welt an bereitet ist. Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben, ich war durstig und ihr habt mich getränkt, ich war fremd und ihr habt mich beherbergt, ich war nackt und ihr habt mich bekleidet, ich war krank und ihr habt mich besucht, ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen. Dann werden ihm die Gerechten antworten: Herr, wann sahen wir Dich hungrig und haben Dich gespeist? Oder durstig und haben Dich getränkt? Wann sahen wir Dich als Fremden und haben Dich beherbergt? Oder nackt und haben Dich bekleidet? Wann sahen wir Dich krank oder im Gefängnis und sind zu Dir gekommen? Und der König wird ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Wiefern ihr es einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, habt ihr es mir getan.“ (25,34-40) 157 157 Die Übersetzung folgt hier der Zürcher Bibel. <?page no="137"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 121 Die Gegenwart des auferweckten Gekreuzigten Die Zusage des Mit-Seins des auferweckten Gekreuzigten gilt allen, die seinen Weg der Barmherzigkeit gehen. Sie sehen in den Bedürftigen, in den Opfern von ungerechter und unbarmherziger Herrschaft, den Gekreuzigten und handeln in der Überzeugung, dass seine Auferweckung seinen Weg des Dienstes am Nächsten als Willen Gottes bestätigt hat. Indem sie so zu Zeugen des Evangeliums werden, werden sie selbst zu Zeichen der Präsenz des auferweckten Gekreuzigten. Ein solches Zeichen ist auch das Matthäusevangelium selbst. Es erinnert die Worte und Taten Jesu als Buch von der Geschichte, die die Königsherrschaft Gottes erzählt, wie sie durch den Bund mit Abraham manifest wurde und durch Gottes Zusage an David auch über das Exil hinaus Bestand hat. Es erinnert Jesus als den von Jesaja verheißenen Immanuel, der auf Grund seiner stetigen Orientierung am Willen Gottes durch die anmaßende und selbstherrliche Herrschaft irdischer Mächte am Kreuz getötet wird und durch seine Auferweckung zu demjenigen wird, der die Macht hat, allezeit bei ihnen zu sein. Sie erfahren seine Präsenz auf vielfältige Weise. Der vorzügliche Ort dieser Erfahrung ist die Gemeinschaft derjenigen, die den Weg der Barmherzigkeit gehen. Die evkklesi,a (Kirche) Jesu ist die Gemeinschaft der barmherzig Handelnden und sich für Gerechtigkeit Einsetzenden. Wer wirklich dazu gehört, darüber entscheidet keine Institution der Gegenwart, sondern das kommende Gericht Gottes. Im Abendmahl (vgl. 26,26-29) wird die Gemeinschaft mit dem auferweckten Gekreuzigten in Brot und Wein eine leibliche Erfahrung, die sich mit den erinnerten Worten Jesu vertrauensvoll an den Gott wenden können, den Jesus als den barmherzigen und gerechten Gott Israels verkündet hat. Sie kennen seine Güte, sie kennen seine Macht, die den Leidtragenden, den Sanftmütigen, den nach Gerechtigkeit Dürstenden, den Barmherzigen, den Friedensstiftern, den um der Gerechtigkeit willen Verfolgten Einlass in das ewige Leben mit Gott gewährt. Er wird mit derselben Macht alle destruktiven Mächte vernichten. Die Auferweckung des Gekreuzigten und die eschatologische Auferweckung der Toten stehen dem Matthäusevangelium zufolge im Zeichen der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit des allmächtigen Gottes. Die Jesus Nachfolgenden spüren seine Präsenz und wissen ihn zugleich woanders. Plausibilität erhält diese Mehrpräsentigkeit nicht durch einen empirischen Beweis, sondern durch den Glauben, der Gott zutraut, was Jesus von ihm sagt. Von diesem anderen Ort her erwarten sie seine Wiederkunft und mit ihr die Gerechtigkeit des barmherzigen Gottes: „Und dann wird erscheinen das Zeichen des Menschensohns am Himmel. Und dann werden wehklagen alle Geschlechter auf Erden und werden sehen den Menschensohn kommen auf den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit.“ (24,30). <?page no="138"?> Erster Teil 122 3. Das Lukasevangelium Das Proömium Das Lukasevangelium springt nicht wie die anderen Evangelien gleich in die Erzählung hinein, sondern benennt in den ersten Versen (1,1-4) seine Absichten und grundlegenden Arbeitsweisen. Mit diesem Proömium stellt es sich in die Tradition hellenistisch-römischer Geschichtsschreibung. Es führte aber zu einer Kettenreaktion von Irrtümern, würde man das Geschichtsverständnis der europäischen Aufklärung oder gar der positivistischen Geschichtsschreibung in der Tradition Leopold Rankes in das Lukasevangelium eintragen. 158 Die Geschichtsschreibung der Antike ist nicht in erster Linie an der Trifftigkeit von Sachverhalten interessiert, sondern vielmehr an der deutenden Darstellung von Ereignissen und Schicksalen, die die Lesenden gleichermaßen unterhalten und belehren können. Für diesen Zweck kann es durchaus geboten sein, Reden zu erfinden, wenn die Fiktion Aufschluss über die erzählten Zusammenhänge gibt. Fiktionalität und Faktizität sind im Dienste der wahrheitsgemäßen und ästhetisch angemessenen Darstellung von Geschichte keine Gegensätze, sondern legitime Mittel, die Lesenden über das gewählte Thema angenehm und lehrreich zu unterrichten. In diesem Sinne bietet das Lukasevangelium und dann auch die Apostelgeschichte des Lukas Geschichtsschreibung. 159 Gleich im ersten Vers zeigt er seine Vertrautheit mit Schriften, die vor ihm die Ereignisse um Jesus Christus erzählt haben. Darunter fällt mit größtmöglicher historischer Wahrscheinlichkeit das Markusevangelium. Vielleicht kannte Lukas auch das Matthäusevangelium und andere Schriften, die aber nicht weiter überliefert wurden und die wir deshalb nicht kennen. Sicher aber ist, dass Lukas sein Evangelium schreibt, weil er die anderen nicht für hinreichend hält. Erst seine Schrift bietet ihm zufolge eine wohl recherchierte, angemessen gegliederte und stilsichere Darstellung, die „den sicheren Grund der Lehre“ (1,4) zuverlässig überliefert. Dass Lukas mit seiner gesamten Darstellung ein leserorientiertes Konzept verfolgt, gibt seine Anrede des Theophilos klar zu erkennen. Ob er damit einen realen Leser vor Augen hatte, oder ob der Name „Freund Gottes“ als metaphorische Bezeichnung seiner intendierten Leser dient, spielt für die rezeptionsorientierte Ausrichtung des lukanischen Werkes eine zu vernachlässigende Rolle. Wer sich auf die Darstellung des Lukas einlässt 158 Was E. Haehnchen, Die Apostelgeschichte, 465, mit Blick auf die Areopagrede (Apg. 17,16-34) formuliert, kann durchaus auf das ganze lukanische Doppelwerk bezogen werden: „Behandelt man Lukas wie einen modernen Realisten, so verfängt man sich in Widersprüchen.“ 159 Vgl. E. Plümacher, Stichwort: Lukas, Historiker; ders., Lukas als hellenistischer Schriftsteller; A. Mittelstaedt, Lukas als Historiker. <?page no="139"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 123 und ihr vertraut, erweist sich in der Logik des Proömiums als Freund bzw. Freundin Gottes. Das Proömium stiftet also einen Lektürevertrag, der die gegenseitige Wertschätzung von Autor und Leser installiert. Der Leser kann sich als Freund Gottes wahrnehmen, wenn er dem Werk die diesem vom Autor im Proömium zugeschriebenen Qualitäten zugesteht und sich damit zugleich als von diesem Werk umfassend und sicher unterrichtet weiß. Die Macht Gottes und das Wirken des Heiligen Geistes nach Lk 1 und 2 Lukas gestaltet das Markusevangelium nicht nur an zahlreichen Stellen semantisch um, sondern verändert durch die Voranstellung von Ereignissen, die vor dem öffentlichen Auftreten des Täufers zu Beginn des 3. Kapitels liegen, sowie durch den erheblichen Ausbau der Darstellung des Weges Jesu und seiner Gefährten nach Jerusalem und nicht zuletzt durch die Erscheinungserzählungen am Ende des Evangeliums die Syntagmatik der Jesus- Christus-Geschichte erheblich. Gerade mit Blick auf die Auferweckungstheologie geschieht dadurch Entscheidendes. Lukas liefert mit den Vorgeschichten gleich zu Beginn den Verstehensrahmen der erzählten Wunder und auch der Auferweckung des Gekreuzigten und nimmt damit dem Leser viel von der theologischen Arbeit ab, die ihm Markus zumutete. Lukas beginnt seine Erzählung mit der wunderbaren Schwangerschaft der Elisabeth (vgl. 1,7.13) und knüpft damit intertextuell an die Erzählungen der Empfängnis unfruchtbarer oder altersbedingt nicht mehr fruchtbarer Frauen in den Heiligen Schriften Israels an, deren wirkmächtigste die wunderbare Empfängnis Isaaks ist, die Sara zuteil wurde (vgl. Gen 11,30; 21,2). Diese Empfängnis wird dem Mann der Elisabeth, dem Priester Zacharias, von einem Engel angekündigt. Die Rede des Engels verwebt in diese Geschichte die Erzählungen über den Propheten Elia, mit dessen Kraft und Geist der angekündigte Sohn der Elisabeth und des Zacharias ausgestattet werden soll. Damit wird auf intertextuelle Weise bereits hier die Kraft der Totenerweckung eingeschrieben, denn die Erzählung von der Wiederbelebung des Sohnes der Witwe von Sarepta durch das Bitten und Tun des Elia gehört fest zum Erzählschatz, der mit Elia verbunden ist. Der durch den Engel dem Zacharias angekündigte Sohn soll nun „vom Mutterleib an mit dem Heiligen Geist angefüllt werden“ (Lk 1,15b) und „im Geist und in der Kraft Elias“ wirken (1,17a). Zacharias, der erfahrene Tempelpriester, zweifelt die Ankündigung des Engels an und erfährt am eigenen Leib ein Strafwunder, das zugleich als Zeichen gilt. Der Zweifel des lebenserfahrenen Priesters Zacharias steht im direkten Gegensatz zum glaubenden Vertrauen, das die junge Maria der Ankündigung ihrer jungfräulichen Schwangerschaft durch den Engel entgegenbringt. Damit inszeniert Lukas gleich zu Beginn seines Evangeliums zwei Rezeptionsweisen, mit der dem Evangelium begegnet werden kann. Das Strafwunder am zweifelnden Priester warnt davor, die Macht Gottes zu unterschät- <?page no="140"?> Erster Teil 124 zen, während der kontrafaktische Glaube der Maria an die unbegrenzte Schöpfermacht Gottes den Lesenden als Vorbild vor Augen geführt wird. Auch den Lesern des Lukasevangeliums gilt daher die Seligpreisung der Maria, wenn sie das Evangelium mit dem Zutrauen in Gottes wunderbare Schöpfermacht lesen bzw. hören, mit dem Maria der Rede des Engels begegnet: „Und selig bist du, die du geglaubt hast! Denn es wird vollendet werden, was dir gesagt ist von dem Herrn! “ (1,45) Lukas erzählt die wunderbare Empfängnis der Maria, die sogar ohne Geschlechtsverkehr durch das direkte Wirken des Heiligen Geistes schwanger wird (vgl. 1,31.34f.), um von Beginn an klarzustellen, dass die Jesus- Christus-Geschichte von der unermesslichen Schöpfermacht und der rettenden Barmherzigkeit Gottes handelt. Die Rede des Engels Gabriel, der der Maria die Empfängnis ankündigt, lässt keinen Zweifel darüber aufkommen, dass dieses Kind mit noch größerer Kraft begabt sein wird als das Kind der Elisabeth: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden.“ (1,35) Sodann führt der Engel beide für menschliche Möglichkeiten unmöglichen Schwangerschaften auf die unbegrenzte Schöpfermacht Gottes zurück. Damit wird der Grundsatz formuliert, der alle Wunder Jesu und seiner Gefährten und auch die Auferweckung des Gekreuzigten und dessen Himmelfahrt plausibilisiert: „Denn für Gott ist nichts unmöglich.“ (1,37) Die Empfängnis und die Auferweckung Jesu werden gleichermaßen durch die Kraft Gottes plausibilisiert, an der der Heilige Geist auserwählten Menschen Anteil geben kann. Es ist kein Zufall, dass der Heilige Geist nicht nur im Lukasevangelium, sondern dann auch in der Apostelgeschichte eine entscheidende Rolle spielt. Lukas bietet mit seinen Schriften eine Theologie des Heiligen Geistes an, die daran interessiert ist, zu zeigen, dass in der von ihm erzählten Jesus-Christus-Geschichte Gottes Heiliger Geist von Beginn an wirkte, seine Kraft auch die Auferweckung des Gekreuzigten denkbar werden lässt und derselbe Heilige Geist auch in der Gegenwart der Glaubensgemeinschaft wirkt. 160 Auf dieser Basis etablieren die beiden ersten Kapitel das Diskursuniversum des Lukasevangeliums, also die Welt, in der die dargestellte Erzählung ihren Sinn plausibel zu entfalten vermag. Lukas führt hier nämlich nicht nur Gott, Jesus als Sohn Gottes und den Geist Gottes ein, vielmehr gibt er auch die Werte zu erkennen, die mit Gott, seinem Sohn und seinem Geist verbunden sind. Die barmherzige Macht Gottes steht den eigensüchtigen Werten der Mächte dieser Welt gegenüber, wie es der Lobgesang der Maria programmatisch entfaltet (vgl. 1,49-54) und dann nochmals der Lobgesang des Zacharias bestätigt (1,67-79). Hier fällt sogar schon die Terminologie der Auferweckung, denn Zacharias weissagt: Gott hat „uns eine Macht der Rettung erweckt ( h; geiren ).“ Mit demselben Verb verkünden die Engel den Frau- 160 Vgl. U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 270. <?page no="141"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 125 en am Grab, dass der gekreuzigte Jesus von Gott auferweckt worden ist. Die Verheißung hat sich erfüllt. Aber auch auf die Passion Jesu wird durch die Rede des vom Heiligen Geist erfüllten Simeon in 2,25-34 angespielt, wenn er Maria prophezeit, dass „ein Schwert durch“ ihre „Seele dringen wird“ (2,35a). Simeon erkennt in Jesus die verheißene Rettung (vgl. 2,30). Er prophezeit aber auch, dass nicht alle daran partizipieren werden und trägt mit dieser Differenz in die euphorische Erwartung der „Rettung“ das dysphorische Element des „Falls“ ein. Die Rettung wird dabei wieder mit der Auferstehungsterminologie zum Ausdruck gebracht: Jesus „ist gesetzt zum Fall ( ptw/ sij ) und zum Auferstehen ( avna,stasij ) für viele in Israel und zum Wunderzeichen ( shmei/ on ), dem widersprochen wird“ (2,34b). Das Zeichen, dem widersprochen werden wird, wird Jesu Auferweckung durch Gott sein und sowohl das Lukasevangelium als auch die Apostelgeschichte werden einigen narrativen Aufwand betreiben, um das wunderbare Zeichen der Auferweckung Jesu zu plausibilisieren und den Einwänden damit zu begegnen. Die ersten beiden Kapitel etablieren in verdichteter Weise das Diskursuniversum und die Struktur der Jesus-Christus-Geschichte, führen die maßgeblichen Protagonisten des Evangeliums ein und geben mit der Theologie des Heiligen Geistes zu verstehen, welche Kraft in ihnen und durch sie wirkt. Nach den ersten beiden Kapiteln sind die Lesenden darüber unterrichtet, wessen Freund sie zu sein haben, dass sie den Werten der göttlichen Barmherzigkeit folgen sollen und ihnen eine zustimmende Lektüre des Evangeliums Rettung bringen wird. Die Lesenden erwartet aber auch eine Erzählung mit dysphorischen Anteilen, in der die eingeführten Protagonisten des Evangeliums Leid erfahren werden. Nichtsdestoweniger ist von Beginn an klar, dass die unermessliche Macht Gottes jede Gegenmacht vernichten wird. Dabei steht diese unwiderstehliche Macht Gottes im Zeichen seiner Barmherzigkeit, der Wert, auf den alle Leserinnen und Leser des Lukasevangeliums verpflichtet werden: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“ (6,36) Die Zeichen des Messias Gottes Die Haupterzählung wird in Kapitel 3 damit eröffnet, dass das Wort Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias und der Elisabeth, ergeht und er daraufhin seine Bußpredigt und Taufarbeit beginnt. Seine entscheidende Botschaft lautet: „Alle Menschen werden die Rettung Gottes sehen“ (3,6), und um sich angemessen auf diese rettende Begegnung vorzubereiten, ist es notwendig, die eigenen Verfehlungen zu erkennen und umzudenken. Die aufmerksam Lesenden wissen bereits aus den vorangegangenen Kapiteln, dass niemand anders als Jesus, der Sohn der Maria, diese Rettung Gottes verkörpert. Sie werden durch die Rede des Johannes aufgefordert, sich auf die Begegnung mit Jesus, der „Rettung Gottes“ vorzubereiten, indem sie ihre Sünden anerkennen und umdenken. <?page no="142"?> Erster Teil 126 Im Anschluss an die summarische Darstellung der Tätigkeit des Johannes wird dessen Verhaftung durch Herodes erzählt (3,19f.). Danach erfolgt rückblickend die Notiz, dass sich auch Jesus zusammen mit dem Volk hat taufen lassen (3,21f.). Wie bei Markus und auch bei Matthäus öffnet sich der Himmel, der Geist kommt herab auf Jesus und die Himmelsstimme wendet sich an Jesus und erklärt ihm die Sohnschaft. Nur Lukas formuliert, dass der Geist „in leiblicher Gestalt wie eine Taube“ (3,22b) auf Jesus herabkommt. Durch die Einfügung der Worte „in leiblicher Gestalt ( swmatikw/ | ei; dei )“ wird der Vergleich, wie Lukas ihn bei Markus vorgefunden hat, materiell konkretisiert. Diese konkretisierende Tendenz prägt das gesamte Lukasevangelium. Sie erweckt den Eindruck, Lukas wolle jedwede spiritualisierende Verdünnung des Evangeliums vermeiden. Sie motiviert Lukas` zeitgeschichtliche Verortung der Ereignisse in 3,1ff. und auch, dass die selig gepriesenen Armen in der Feldrede des Lukas anders als in der Bergpredigt des Matthäus nicht nur geistig Arme, sondern materiell Arme sind (6,20b). Und diese Tendenz findet sich ebenfalls in der Darstellung des auferweckten Gekreuzigten, worauf noch weiter einzugehen sein wird. Zunächst aber sei festgehalten, dass Lukas die Wirkmächtigkeit des Heiligen Geistes, die er so eindrücklich durch die ersten beiden Kapitel ins Spiel brachte, auch in der Haupterzählung zu einem tragenden Pfeiler seiner Darstellung werden lässt. Jesus, vom Heiligen Geist gezeugt und dann nochmals bei der Taufe mit ihm erfüllt, wird vom Heiligen Geist in die Wüste geführt und widersteht den Versuchungen des Teufels (4,1-13). Nachdem auf diese Weise seine Kraftausstattung erzählt und geprüft wurde, nimmt Jesus seine Tätigkeit in Galiläa auf. Seine Botschaft, die mit dem intertextuellen Bezug zur Prophetie Jesajas entfaltet wird, ist ganz der Konkretisierung der Barmherzigkeit verpflichtet und lautet: „Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, zu verkünden das Evangelium den Armen, zu predigen den Gefangenen, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen sollen, und den Zerschlagenen, dass sie frei und ledig sein sollen, zu verkünden das Gnadenjahr des Herrn.“ (4,18f.). In der Synagoge von Nazareth, seiner Heimatstadt, kommentiert er diese Passage: „Heute ist dieses Wort der Schrift erfüllt vor euren Ohren.“ (4,21b). Auf den Protest und den Tumult der Nazarener reagiert Jesus mit der intertextuellen Einspielung von Elia und Elisa, den beiden Propheten, von denen je eine Wiederbelebung eines Toten erzählt wird (vgl. 1Kön 17,17-24; 2Kön 4,32-37). Die aufgebrachte Menge will Jesus töten, aber er geht auf wunderbare Weise „mitten durch sie hinweg“ (4,30). In Kapernaum beginnt er dann seine Wundertätigkeit, die in Kapitel 7 auch die Kraft der Wiederbelebung eines Toten umgreift. Unmittelbar davor erzählt Lukas die Heilung des todkranken Knechtes des Hauptmannns von Kapernaum (7,1-10). Die darauf folgende Wiederbelebung eines jungen Mannes in Nain durchbricht dann vor den Augen der Öffentlichkeit die Todesgrenze (7,11-17). Auf diese Totenerweckung reagiert die Menge ange- <?page no="143"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 127 messen mit ihrem enzyklopädischen Wissen: „Und Furcht ergriff sie alle, und sie priesen Gott und sprachen: Es ist ein großer Prophet unter uns erweckt worden und Gott hat sein Volk besucht.“ (7,16) Dass nämlich ausdrücklich erwähnt wird, der verstorbene Jüngling sei der Sohn einer Witwe gewesen, lässt durch die bis dahin mehrfach erfolgte Einspielung des Propheten Elia genau diesen Schluss zu: Jesus ist ein ebenso großer Prophet wie Elia. Die darauf folgende Episode der Anfrage des Täufers (7,18-23) korrigiert allerdings sofort das Missverständnis, Jesus sei der wiedergekehrte Elia. Die Wunder Jesu und darin eingeschlossen auch die Wiederbelebung von Toten (vgl. 7,22) haben vielmehr ebenso wie seine Verkündigung des Evangeliums an die Armen Zeichenfunktion. Sie verweisen darauf, dass Jesus der erwartete Messias ist und mit seiner Antwort in 7,22f. ist Jesus sicher, die Anfrage des Täufers beantwortet zu haben. Lukas will allerdings ganz sicher gehen, dass alle seine Leser verstehen, dass Jesus nicht der wiedergekehrte Elia ist, sondern der erwartete Messias, und so lässt er Jesus unmissverständlich den Schluss ziehen, den die Leser des Markusevangeliums sich selbst erarbeiten mussten: Johannes ist der von den Propheten angekündigte Bote und als solcher sogar schon mehr als ein Prophet (vgl. 7,26ff.). Wie die Heilung des todkranken Knechtes des Hauptmanns von Kapernaum die Wiederbelebung des jungen Mannes aus Nain vorbereitete, so die Erzählung vom besessenen Gerasener, der in den Grabhöhlen lebt, die Wiederbelebung der Tochter des Jairus (vgl. 8,26-56). Diese Erzählungen beantworten die von den Jüngern nach der Sturmstillung aufgeworfene Frage: „Wer ist dieser? Auch dem Wind und dem Wasser gebietet er, und sie sind ihm gehorsam“ (8,25). Lukas lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Macht Jesu, des mit dem Heiligen Geist Erzeugten und Begabten, grenzenlos ist, weil es die Macht Gottes selbst ist, die in und durch ihn wirkt. An den Wiederbelebten hat Lukas aber ebenso wenig Interesse wie das Markusevangelium, das er ja korrigiert. Ihre Wiederbelebung hat keine kosmologischen und eschatologischen Auswirkungen. Sie sind wie die anderen Wunder Zeichen der Messianität und Gottessohnschaft Jesu. Mit der unzureichenden Interpretation, Jesus sei ein Prophet, setzt sich auch die Einspielung der Deutungen Jesu auseinander, die vor Herodes gebracht werden. Manche halten Jesus für den von den Toten auferstandenen Täufer Johannes, andere sagen, er sei Elia, wieder andere, er sei einer von den alten Propheten (9,7ff.). Dieselben Deutungsmuster werden dann von den Jüngern als Antwort auf Jesu Frage eingebracht, für wen sie ihn halten (9,18f.). Diese Deutungen sind im jüdischen Kontext plausibel. Der Tod setzt Gottes Macht keine Grenzen. Die eschatologische Dimension der Auferweckung der Toten kommt bei diesen Einzelfällen von Wiederbelebungen, die dann erneut unter den irdischen Bedingungen und Grenzen von Raum und Zeit stehen, nicht in den Blick. <?page no="144"?> Erster Teil 128 Petrus erkennt, dass diese Deutungen Jesu unzureichend sind und antwortet: „Du bist der Christus Gottes! “ (9,20b) Darauf folgen die erste Leidensankündigung und die Ankündigung seiner Auferweckung. Den Einspruch des Petrus gegen die Passion Christi und die darauf folgende harsche Verurteilung desselben durch den agressiven Jesus, die wir aus dem Markusevangelium kennen, lässt Lukas aus. Er korrigiert in erheblichem Ausmaß die im Markusevangelium zu tragenden Erzählkomponenten ausgestalteten Konflikte zwischen Jesus und seinen Jüngern. Die von Lukas gestalteten Jünger hören hingegen aufmerksam Jesu Rede vom Kreuz und der Nachfolge (vgl. 8,23-27), und sie sind auch keine unverständigen Rezipienten der Verklärung Jesu. Als sie mit in die Wolke, die den verklärten Jesus und die mit ihm sprechenden Gestalten Mose und Elia überschattet, hineingenommen werden, hören sie „eine Stimme aus der Wolke, die sprach: Dieser ist mein auserwählter Sohn, auf ihn sollt ihr hören.“ (9,35f.) Ihr Schweigen ist im Lukasevangelium nicht etwa Ausdruck ihres Unverständnisses, sondern im Gegenteil ein verstehendes Schweigen bzw. ein schweigendes Einverständnis, während der Unsinn, den die Jünger in der gleichen Szene bei Markus reden, deren Unverständnis offenlegt (vgl. Mk 9,2-10). Darüber hinaus hat Lukas die Verklärungsszene noch durch eine andere Komponente entscheidend verändert: Während Markus lediglich festhält, dass Jesus, Elia und Mose miteinander sprachen, weiß Lukas zu berichten, worüber sie sprachen, nämlich über Jesu Geschick in Jerusalem. Damit bereitet er die zweite Leidensankündigung (9,43b-45) ebenso vor wie die Zäsur in 9,51, die die Reise nach Jerusalem einleitet. In 9,31 reden Mose und Elia „von seinem Ausgang, der sich in Jerusalem erfüllen werde.“ In 9,51 knüpft Lukas mit demselben Verb erfüllen ( plhro,w ) wieder daran an: „Und als die Tage seines Aufstiegs sich erfüllten, 161 da wandte er sein Angesicht, um nach Jerusalem zu gehen.“ Lukas signalisiert damit dem Leser, dass er sich mit Jesus auf den Weg zu dessen Erhöhung bzw. zu dessen Himmelfahrt begibt und sich damit der Weg des vom göttlichen Geist gezeugten und von der Jungfrau wunderbar geborenen Gottessohnes erfüllt. Dieser nimmt aber das Leiden, das ihm von den Widersachern angetan wird, in Kauf, weil ihn nichts von dem Weg der göttlichen Barmherzigkeit abzubringen vermag. Die Rede Elias und Moses ist ihm Stärkung auf diesem Weg, weiß er doch, wohin ihn dieser Weg führen wird. Spätestens hier wird deutlich, dass das Lukasevangelium wie die anderen Evangelien auch seine Erzählung aus der Perspektive von Tod und Auferweckung Jesu gestaltet und auf seine Weise erläutern möchte, warum Tod und Auferweckung Jesu Ereignisse sind, die den ganzen Kosmos heilvoll verändert haben. 161 Die erste Hälfte der Übersetzung stammt aus der „Bibel in gerechter Sprache“. <?page no="145"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 129 Auf dem Weg nach Jerusalem In 9,51 tritt Jesus entschlossen und zielgerichtet seinen Weg nach Jerusalem an. Das samaritanische Dorf, das ihn gerade wegen seiner Ausrichtung nach Jerusalem nicht aufnimmt, möchten einige Jünger durch ein Feuer vom Himmel vernichten lassen. Sie sind der Macht Jesu gewiss, aber sie haben die Werte der Reich Gottes-Verkündigung Jesu noch nicht vollends realisiert. Jesus weist sie zurecht - eine der wenigen Stellen, an denen Jesus im Lukasevangelium seine Jünger kritisiert (9,51-56). Dabei lässt das Lukasevangelium keinen Zweifel daran, dass die Macht Gottes, die in und durch Jesus wirkt, ihm die Vernichtung der Stadt möglich macht. Aber Jesus verzichtet darauf. Stattdessen wählt er Gottes Weg der Barmherzigkeit. Die Barmherzigkeit, die Vergebung und die Freude über jeden, der umdenkt, sind dann auch die zentralen Themen der zahlreichen Gleichnisse, die Lukas Jesus auf seinem Weg nach Jerusalem erzählen lässt. So erzählt etwa das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, wie die Barmherzigkeit einen halb tot Geprügelten wieder zurück ins Leben holt (10,25-37). Eine weitere gleichnishafte Wiederbelebungserzählung ist die Geschichte vom verlorenen Sohn (15,11-32), deren Pointe in 15,32b zusammengefasst wird: „Dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wieder gefunden.“ Jesu Reden auf dem Weg nach Jerusalem bearbeiten aber auch das Gerichtsthema weiter und damit die Warnung vor einer unbarmherzigen Lebensweise, die ins Verderben führt und so des ewigen Lebens im Reiche Gottes verlustig geht. Hierher gehören der Weheruf über die galiläischen Städte, die Jesus abgelehnt haben (vgl. 10,13-16), wie auch die Ausführungen über das Jonazeichen in 11,29-32. Jesu Ausführungen zum Jonazeichen werden auch im Lukasevangelium als Allegorie seines Todes und seiner Auferweckung eingesetzt und mit der Warnung vor dem Gericht Gottes und der ewigen Verdammnis verbunden, die denjenigen gilt, die sich nicht auf den Weg der Barmherzigkeit Gottes begeben. Beide Aspekte, Gottes Barmherzigkeit und seine vernichtende Macht, werden in Kapitel 12,4-8 zusammengeführt. Jesus ermutigt die ihm Nachfolgenden, sich nicht vor denen zu fürchten, die ihnen körperliches Leid zufügen können, denn sie vermögen nur dem Körper zu schaden. Über das ewige Leben oder die ewige Verdammnis haben sie keine Macht. Diese kommt nur Gott zu, dessen vernichtende Macht darin besteht, „in die Hölle zu werfen“ (12,5b). Die Hölle ist also nicht das separate Reich des Teufels, vielmehr ist sie der Ort der destruktiven Macht Gottes, die stets als Drohung im Raum steht für den Fall, dass der Weg der Barmherzigkeit nicht beschritten wird. 162 Barmherzigkeit bleibt im Lukasevangelium aber kein unbestimmter Allgemeinbegriff. Seine bereits erwähnte Tendenz zur leiblichen Konkretion 162 Vgl. F. Bovon, Das Evangelium nach Lukas (9,51-14,35), 254: „Der Gott des Lukas, der stärker ist als der Tod, ist auch gefährlicher als er.“ <?page no="146"?> Erster Teil 130 steht geradezu im Dienste der Bestimmung einer Praxis der Barmherzigkeit: „Er sprach aber auch zu dem, der ihn eingeladen hatte: Wenn du ein Mittag- oder Abendessen gibst, so lade weder deine Freunde noch deine Brüder noch deine Verwandten noch reiche Nachbarn ein, damit sie dich nicht etwa wieder einladen und dir vergolten wird. Sondern wenn du ein Essen ausrichtest, so lade Arme, Verkrüppelte, Lahme und Blinde ein, dann wirst du selig gepriesen werden, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten. Es wird dir vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten“ (14,12ff.). Lukas erläutert nicht, was er mit der Auferstehung der Gerechten ( a; na,stasij tw/ n dikai,wn ) meint. Der Zusammenhang und die semantische Analyse zeigen aber, dass es sich um eine zukünftige Auferweckung einer qualifizierten Menge handelt, wie es die Auferweckungskonzeption der Märtyrertheologie etwa des Danielbuches (Dan 12) vertritt. Diese Konzeption, die die Auferweckung von den Toten als Belohnung für die Zeugenschaft Gottes begreift, macht Lukas ebenso für seine theologischen und pragmatischen Anliegen fruchtbar wie die andere Konzeption, die von der allgemeinen Auferweckung der Toten zum Gericht ausgeht und dann diejenigen, die verurteilt werden, mit dem ewigen Tod oder mit besonderen Qualen bestraft. Einen Ausgleich zwischen beiden Konzeptionen bietet das Lukasevangelium nicht an. Lukas ist kein systematisierender Theologe. Seine Auferweckungsszenarien differieren in ihren Konzeptionen 163 , seine pragmatische Botschaft aber bleibt gleich. Nur wer Barmherzigkeit praktiziert befindet sich auf dem Weg der Nachfolge des auferweckten Gekreuzigten und wird wie er in das heilvolle ewige Leben Gottes eingehen. So thematisiert auch das Gleichnis vom reichen Mann und vom armen Lazarus (16,19-31) die Konsequenzen einer barmherzigen bzw. unbarmherzigen Lebensweise für das ewige Leben. Der reiche Mann hat keinen Blick für den armen Lazarus, dem sogar die Hunde das wegfressen, was der Reiche von seinem Mahl in den Müll wirft. Lazarus stirbt „und er wurde von den Engeln getragen in Abrahams Schoß“ (16,22b). Der Reiche stirbt auch und kommt nach seinem Begräbnis in die Hölle (vgl. 16,22cf.). Im Zuge der Leserlenkung der lukanischen Erzählung, die den Armen mit einem Namen ausstattet und ihn damit wieder erkennbar individualisiert, den Reichen aber nicht, wird die Sympathie der Lesenden ganz auf den armen Lazarus gerichtet und ihre Antipathie auf den namenlosen Reichen, der Kraft seiner Namenlosigkeit zum Exempel eines jeden Besitzenden wird, der keinen Blick für die Bedürftigkeit der Armen und Kranken hat. Der Reiche, der sich ein Begräbnis leisten kann, kommt direkt nach diesem standesgemäßen, rituellen Abschluss des irdischen Lebens in die Hölle, der arme Lazarus aber wird ohne Begräbnis direkt von einem Engel in den Schoß Abrahams getragen. Die Metapher des Schoßes Abrahams ( ko,lpoj ) signalisiert ein sicheres und geborgenes Ausruhen des verstorbenen Lazarus in der Gemeinschaft 163 So auch F. Bovon, Das Evangelium nach Lukas (9,51-14,35), 495. <?page no="147"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 131 mit Abraham. Die Unterwelt hingegen, die mit dem griechischen Begriff „Hades“ ( a[ | idhj ) bezeichnet wird, zeichnet die Parabel als einen Ort der Qualen, der von Flammen und Wassermangel beherrscht wird. Der Schoß Abrahams wird oberhalb des Hades in weiter Entfernung, aber in Sicht- und Hörweite angesiedelt. Einen Übergang zwischen diesen beiden Orten gibt es nicht. Dieses Setting ist nicht als eine Topographie der Welt der Toten quasinaturwissenschaftlich misszuverstehen, sondern der Notwendigkeit der Gleichniserzählung geschuldet, die den Dialog zwischen Abraham und dem reichen Höllenbewohner für ihre Zwecke nutzen möchte. Der Reiche erkennt jetzt seine Verfehlung, die in seiner unbarmherzigen Ignoranz der Leiden des armen Lazarus bestand, und bittet Abraham darum, dass „einer von den Toten“ zu seinen Verwandten gehe, um sie zu warnen, denn dies würde sie umdenken lassen. Die Pointe der Parabel liegt nun in der Antwort, die Abraham darauf gibt, und die zugleich den Schluss der Parabel bietet: „Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn jemand von den Toten auferstünde“ (16,31). Das Gleichnis vom Reichen und vom armen Lazarus gestaltet Lukas nicht als spekulative Darstellung des Lebens nach dem Tod oder gar einer Topographie der Totenwelt. Vielmehr erzählt er diese Parabel, um zum Ausdruck zu bringen, dass der irdische Lebensweg Konsequenzen für das Leben nach dem Tod hat. Darüber hinaus aber macht Lukas mit diesem Gleichnis unmissverständlich klar, dass Mose und die Propheten alles Wissen darüber bereitstellen, wie das Leben gestaltet werden soll. Auch kann der letzte Satz auf die Auferweckung Jesu bezogen werden und dann als ironischer Kommentar über die Synagoge zur Zeit der Abfassung des Lukasevangeliums gelesen werden. Die Juden zur Zeit des Lukas, die der von Lukas und seinen Vorgängern erzählten Jesus-Christus- Geschichte keinen Glauben schenken, verhalten sich so, wie Abraham es in Bezug auf die Verwandten des reichen Höllenbewohners vorausgesagt hat. Festzuhalten ist, dass diese Parabel die Vorstellung einbringt, dass nicht erst am Ende der Zeit Gericht gehalten wird, sondern die Konsequenzen für das gelebte Leben unmittelbar nach dem Tod eintreffen. Ebenso aber ist daran zu erinnern, dass es sich um eine Parabel handelt, ein Gleichnis, das selbst seine Fiktionalität anzeigt und deshalb nicht als Faktenbericht über die Ereignisse nach dem Tod, den Schoß Abrahams, die Hölle und deren Entfernungen zueinander missverstanden werden darf. Der Tod Jesu in der Darstellung des Lukas Schon mit dem Einzug in Jerusalem spitzt Lukas den todbringenden Konflikt zwischen Jesus und seinen Gegnern dramatisch zu (vgl. 19,37-40). Nach Jesu Prophezeiung der Zerstörung Jerusalems und der darauf folgenden Zeichenhandlung der Vertreibung der Händler aus dem Tempel, womit der Kultbetrieb zum Erliegen kommt, trachten „die Hohenpriester und Schrift- <?page no="148"?> Erster Teil 132 gelehrten und die Angesehensten des Volkes […] danach, daß sie ihn umbrächten“ (19,47). Das Gleichnis von den bösen Weinbergpächtern (20,9-19) beziehen die Gegner Jesu dann zu Recht auf sich und lediglich die Angst vor dem Volk verhindert es, dass sie Jesus sofort töten (20,19). Dieses Gleichnis gibt nicht nur zu verstehen, dass die Gegner Jesu keine mildernden Umstände ihrer Schuld an seinem Tod anbringen können, weil sie verstehend, wissend und absichtlich Jesus töten. Vielmehr reiht es Jesus überbietend in die Reihe der zu Unrecht getöteten Propheten Gottes ein. Wie der Weinbergbesitzer des Gleichnisses nicht will, dass seine Boten und dann schon gar nicht sein Sohn sterben, so will auch Gott nicht, dass seine Propheten getötet werden und schon gar nicht der aus seinem Geist Gezeugte. Auch Lukas erzählt dann das Streitgespräch Jesu mit den Sadduzäern über die Auferstehung der Toten (20,27-40). Dabei übernimmt er von Markus die Ausgangssituation und die Argumentation der Sadduzäer. In Jesu Antwort aber fügt er einige interessante Zusätze ein. Jesus schränkt den Kreis der Auferweckten ein. Er sagt: „welche aber gewürdigt werden, jene Welt zu erlangen und die Auferstehung der Toten, die werden weder heiraten, noch sich heiraten lassen. Denn sie können hinfort auch nicht sterben; denn sie sind den Engeln gleich und Gottes Kinder, weil sie Kinder der Auferstehung sind“ (20,35f.). Die Auferweckung der Toten ist also nach Lukas nicht der Regelfall, sondern eine Auszeichnung. Auch hier, wie schon in 14,14, greift Lukas wieder auf die Auferweckungskonzeption der Märtyrertheologie zurück. Er stellt klar, dass diese eschatologisch Auferweckten keine wiederbelebten Toten sind, die dann eines Tages doch wieder sterben. Vielmehr sterben sie deshalb nicht mehr, weil sie die Auferweckung zu engelsgleichen Gestalten werden lässt. Die so Erweckten heißen Kinder Gottes, wie Jesus der Sohn Gottes ist, weil sie dieselbe Kraft des Heiligen Geistes Gottes neu und zwar engelsgleich schaffen wird, die auch Jesus erzeugt hat. Und schließlich fügt Lukas noch in V. 38 ein: „denn ihm leben sie alle.“ Gemeint sind hier zunächst Abraham, Isaak und Jakob, dann aber auch alle anderen von Gottes Kraft Auferweckten. Sie alle leben ihr göttliches Leben für den Schöpfer. Die Tötungsabsicht der Gegner Jesu wird dann erneut in 22,1 aufgegriffen. Sie erhalten einen mächtigen Verbündeten, der seit Kapitel 4, in dem die Versuchung Jesu durch den Diabolos, den Gegenspieler Gottes, erzählt wurde, die Szenerie verlassen hatte. Nun fährt der Satan ein in Judas, entlastet diesen Jünger Jesu und damit die Ingroup als Ganze von der Schwere der selbstbestimmten Verfehlung und belastet die Gegner Jesu umso mehr mit dem Vorwurf, mit dem Teufel im Bunde zu stehen. Satan ist dann auch für die Verleumdungssituation des Petrus verantwortlich, was Jesus ihm kundtut: „Simon, Simon, siehe, der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen. Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du dereinst dich bekehrst, so stärke deine Geschwister“ (22,31ff.). Immer wieder schärft Jesus ein, dass die <?page no="149"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 133 Ereignisse seines Leidens und Auferstehens eintreffen müssen, damit sich vollendet, was die Schrift über ihn sagt: „Es muss das an mir vollendet werden, was geschrieben steht: ‚Er ist zu den Übeltätern gerechnet worden.‘ Denn was von mir geschrieben steht, das geht in Erfüllung“ (22,37). Dabei will Jesus auch im Lukasevangelium nicht sterben. Er betet in Getsemani: „ ‚Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir; doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe.‘ Es erschien ihm aber ein Engel vom Himmel und stärkte ihn. Und er rang mit dem Tode und betete heftiger. Und sein Schweiß wurde wie Blutstropfen, die auf die Erde fielen“ (22,42ff.). Die Jünger schlafen während dieses Ringens Jesu, aber auch hierin werden sie von Lukas entlastet. Sie schlafen nicht aus Unverständnis oder mangelnder Solidarität, sondern die Traurigkeit ist es, die sie überwältigt. Sodann wird Jesus gefangen genommen. Es kommt zu einem Handgemenge, in dessen Verlauf dem Knecht des Hohenpriesters ein Ohr abgeschlagen wird. Hierauf gebietet Jesus seinen streitbaren Jüngern Einhalt, heilt das Ohr des Knechtes und qualifiziert mit seiner Deutung der Ereignisse die Zeit und damit auch seine Gegenspieler: „Aber dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis“ (22,53b). Lukas entlastet nicht nur die römische Staatsverwaltung, sondern auch ihren Klientelkönig Herodes vor irgendeiner Mitschuld am Tode Jesu. Weder Herodes noch Pontius Pilatus wollen Jesus hinrichten und die beiden Staatsmänner werden darüber sogar Freunde (23,12-15). Aber die „Hohenpriester und die Oberen und das Volk“ verlangen kollektiv, Jesus hinzurichten und den Mörder Barabbas freizulassen. Pilatus gibt ihrem Begehren daraufhin nach und lässt Jesus kreuzigen (23,18-25). Mit Jesus werden zwei Verbrecher gekreuzigt. Einer von beiden verspottet ihn. Der andere aber gebietet ihm Einhalt und sagt: „Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsere Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. Und er sprach: Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst. Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein“ (23,40b-43). Wie der arme Lazarus direkt nach seinem Tod von den Engeln in den Schoß Abrahams getragen wird und der unbarmherzige Reiche sofort nach seinem Begräbnis in den Hades gelangt, so erhält der einsichtige Mitgekreuzigte die Zusage, sofort nach seinem Tod in das Paradies ( para,deisoj ) zu gelangen. Auch hier handelt es sich wieder um eine Ausnahme und nicht um den eschatologischen Regelfall der Auferweckung am Ende der Zeit, wie er in dem Streitgespräch Jesu mit den Sadduzäern über die Frage der Auferstehung der Toten zur Sprache kam. Der einsichtige Verbrecher bittet Jesus nur darum, dass er an ihn in seinem Reich denken soll, vielleicht in Hoffnung darauf, beim Endgericht in Jesus einen Fürsprecher zu haben, den er wohl ob seiner Taten auch bitter nötig hat. Jesus aber verspricht ihm mehr als das. Er hat die Macht, Einzelne schon jetzt mit in sein Reich zu nehmen, also schon jetzt Schuld endgültig zu vergeben. <?page no="150"?> Erster Teil 134 Lukas erkauft diese Episode aber mit einem hohen Preis, nämlich dem der Inkonsistenz seiner eigenen Erzählung: Nicht nur der Mitgekreuzigte wird noch am selben Tag im Paradies sein, sondern er wird mit Jesus im Paradies sein. Dessen Auferweckung erfolgt allerdings gemäß der Leidensankündigungen erst drei Tage später - ein erzähllogischer Bruch, der aber deutlich macht, dass Lukas keine Systematik der Nachtodereignisse verfolgt, sondern seine Erzählungen vielmehr Ansporn für die Lesenden sein sollen, den Weg der Barmherzigkeit sowie den Weg der Nachfolge und Solidarität mit Jesus in der Gewissheit zu gehen, dass diese Entscheidung für die Werte Gottes sich nach dem Tod auszahlen. Ganz seiner Theologie des Heiligen Geistes Gottes folgend ändert Lukas auch Jesu letzte Worte. Jesus sagt in der Darstellung des Lukas nicht: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen? “ (Mk 15,34c / / Mt 27,46b) Vielmehr knüpft Lukas an die Zeugung Jesu durch den Heiligen Geist an, wenn er ihn sagen lässt: „ ‚Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! ‘ Und als er das gesagt hatte, verschied er“ (23,46). Der Geist Jesu geht dahin, wo er hergekommen ist: zu Gott. Die Darstellung des auferweckten Gekreuzigten in Lk 24 Auch in der Darstellung des Lukasevangeliums gehen die Frauen am dritten Tag zum Grab mit der Absicht, den Leichnam Jesu zu salben. Der Stein ist bereits weggerollt, das Grab ist leer. Gleich zwei Engel verkünden ihnen die Botschaft von der Auferweckung des Gekreuzigten (vgl. 24,1-8). Der Auferweckte begegnet ihnen aber nicht. Sie glauben, ohne zu sehen. Aus eigener Motivation verkünden sie den Jüngern die Nachricht, aber diese halten es für „Geschwätz“ (24,11). Nur Petrus, um dessen Bekehrung nach seiner Verleumdung Jesus ja eigens gebeten hatte, läuft zum Grab und ist verwundert „über das, was geschehen war“ (24,12b). Szenenwechsel: Zwei der ungläubigen Jünger sind unterwegs nach Emmaus, einem Dorf, das ungefähr zwei Wegstunden von Jerusalem entfernt liegt. Sie reden über die Ereignisse und währenddessen gesellt sich der auferweckte Jesus zu ihnen. Ihre Augen aber, so erzählt Lukas, „wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten“ (24,16). Die von Gott bewirkte Blockierung der Augen setzt voraus, dass Jesus ansonsten sofort erkannt worden wäre, während dieselbe Erzählung in der kurzen Version des sekundären Markusschlusses feststellt: „Darauf erschien er in einer anderen Gestalt zweien von ihnen, als sie unterwegs waren und aufs Land gehen wollten“ (Mk 16,12). Seine sichtbare Gestalt wurde Lukas zufolge durch Tod und Auferweckung nicht verändert. Jesus fragt die beiden, worüber sie gesprochen haben, und sie fassen die Ereignisse folgendermaßen zusammen: „Das mit Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Taten und Worten vor Gott und allem Volk, wie ihn unsere Hohenpriester und Oberen zur Todesstrafe überantwortet und gekreuzigt haben. Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde. Über <?page no="151"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 135 das alles ist heute der dritte Tag, dass dies geschehen ist. Auch haben uns erschreckt einige Frauen aus unserer Mitte, die sind früh bei dem Grab gewesen, haben seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen, sie haben eine Erscheinung von Engeln gesehen, die sagen, er lebe. Und einige von uns gingen hin zum Grab und fanden´s so, wie die Frauen sagten; aber ihn sahen sie nicht“ (24,19-24). Die Zusammenfassung der Ereignisse durch die beiden Jünger zeigt, dass sie noch nicht erkannt haben, dass Jesus der vom Heiligen Geist erzeugte Sohn Gottes ist. Sie halten ihn weiterhin für einen besonders mächtigen Propheten, von dem sie vergeblich die Erlösung Israels erhofften. Mit dessen Tod aber sind ihre Hoffnungen, die sie mit seinem Wirken verbanden, erloschen. Die zahlreichen Leidensankündigungen, die immer wieder die Notwendigkeit des Leidens und dann aber auch die Auferweckung Jesu prophezeiten, kommen in ihrem Denkhorizont nicht vor. Sie sind aber durch die Botschaft der Frauen erschreckt, zumal die Prüfung des Grabes durch einige Jünger ergab, dass das Grab leer ist, so wie es die Frauen behaupteten. Niemand aber hat bis dahin den Auferweckten gesehen. Die Jünger auf dem Weg nach Emmaus sind mit dieser Geschichte noch nicht fertig, aber es fehlt ihnen der entscheidende hermeneutische Schlüssel für das Verständnis der Ereignisse. Diesen liefert ihnen nun Jesus mit seiner Antwort: „O ihr Unverständigen und mit zu schwerem Herzen, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben? Musste nicht Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen? Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in der ganzen Schrift von ihm gesagt war“ (24,25ff.). Der hermeneutische Schlüssel, den Jesus seinen unverständigen Jüngern anbietet, ist die verstehende Lektüre der Heiligen Schriften Israels und zwar eine Lektüre, die die Schriften ganz auf die Jesus-Christus-Geschichte hin interpretiert. Das Leidenmüssen des Christus ist den Schriften geschuldet, die dieses Leiden vorhergesagt haben, weil sie den Unglauben Israels, die Untreue des Volkes Gottes kennen. Nicht weil Gott etwa das Leiden seines Sohnes als Sühne verlangte, sondern weil sich Israel so verhalten hat, wie es sich auch sonst seinen Propheten gegenüber verhalten hat, musste es so kommen, dass sogar der Sohn Gottes, der Messias, leiden musste. Die Untreue Israels, das Fehlverhalten des auserwählten Volkes macht nicht einmal bei dem vom Geist gezeugten Sohn Gottes halt, was das Gleichnis von den bösen Weinbergpächtern ja bereits zum Ausdruck brachte und Lukas dann mit der eindeutigen Schuldzuweisung an die Hohenpriester, die Oberen und das ganze Volk Israel bestätigt. Das Studium der Heiligen Schriften Israels mit Bezug auf die Jesus Christus Geschichte schreibt Lukas damit als notwendigen Verstehenshorizont des christlichen Glaubens in sein Evangelium ein und bringt zugleich ein notwendiges christliches Bildungsprogramm auf den Weg. Glaube muss verstehen und Verstehen ist nur durch Bildung an den Heiligen Schriften Israels möglich. <?page no="152"?> Erster Teil 136 Weil ihre Augen aber weiterhin von Gott gehalten sind, erkennen die Jünger Jesus noch nicht. Erst, als er ihnen das Brot bricht, darüber dankt und es ihnen austeilt, werden ihre Augen geöffnet. Im selben Moment, da sie ihn erkennen, verschwindet er. Er verabschiedet sich nicht. Er geht durch keine Tür. Er ist von einem Augenblick auf den nächsten nicht mehr da. Sein auferweckter Leib ist äußerlich mit dem seines irdischen Lebens identisch, aber er gehorcht nicht mehr den Grenzen von Raum und Zeit. Er gehört nun der göttlichen Welt an, ist den Engeln gleich, wie es das Streitgespräch zwischen Jesus und den Sadduzäern über die Auferweckung der Toten zum Ausdruck brachte. Die Reaktion der Jünger darauf gibt nun ein pragmatisches Wahrheitskriterium an: „Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete? “ Die Anwesenheit des auferweckten Gekreuzigten wie auch die entdeckende, Wahrheit eröffnende Auslegung der Schrift wird vom Herzen gefühlt. Die Trägheit des Herzens und die Unverständigkeit sind nun überwunden und das Gefühl des brennenden Herzens motiviert sie, sofort den Weg zurückzugehen nach Jerusalem, und den anderen Jüngerinnen und Jüngern von ihrer Begegnung mit dem auferweckten Gekreuzigten zu berichten. Sie finden die elf Jünger versammelt und diese sagen ihnen, bevor sie selbst zu Wort kommen: „Der Herr wurde wirklich ( o; ntwj ) auferweckt, er wurde von Simon gesehen ( w; fqh )“ (24,34). Erst jetzt können die beiden Emmausjünger ihre Geschichte erzählen. Dass der auferweckte Gekreuzigte von Simon Petrus gesehen wurde, wird auf dieselbe Weise formuliert, wie es Paulus in 1 Kor 15 überliefert. Es ist erstaunlich, dass Lukas diese Geschichte nicht entfaltet. Während die Emmausjünger erzählen, tritt der auferweckte Jesus ebenso plötzlich und auf die Grenzen von Raum und Zeit sprengende Weise unter sie, wie er vorher vor den Augen der Emmausjünger plötzlich verschwand (vgl. 24,36). Die Jünger erschrecken nicht nur, sondern trotz der ja bereits formulierten Überzeugung, dass Jesus wirklich auferweckt worden ist, und trotz der Bestätigung dieser Überzeugung durch die Erzählung der Emmausjünger, interpretieren sie die Anwesenheit des Auferweckten falsch: „Sie erschraken aber und fürchteten sich und meinten, sie sähen einen Geist“ (24,37). Es ist offensichtlich, dass Lukas mit dieser Erzählung das Missverständnis abwehren will, es handle sich bei den Erscheinungen des Auferweckten um die Wahrnehmung eines Geistes. Die konkretisierende und materialisierende Tendenz des Lukas kommt auch in dieser Episode zum Zug: „Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so erschrocken, und warum kommen solche Gedanken in euer Herz? Seht meine Hände und meine Füße, ich bin es selbst. Fasst mich an und seht, denn ein Geist hat nicht Fleisch und Knochen, wie ihr seht, dass ich sie habe. Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und Füße“ (24,40). Die Existenz von Geistern ist für die Welt des Lukas ebenso unstrittig wie für die meisten heute lebenden, westlich ge- <?page no="153"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 137 prägten Zeitgenossen das Unbewusste. Geister aber, so wissen sie, haben weder Fleisch noch Knochen, wie wir Heutigen das Unbewusste ja auch nicht fleischlich denken oder den Knochenbau des Unbewussten erforschen wollen. Lukas wehrt hier also massiv das Missverständnis ab, Jesus sei gar nicht auferweckt worden, vielmehr schwebe nur sein Geist durch die Lüfte und erzeuge irrige Visionen. 164 Wie massiv er gegen dieses Missverständnis vorgehen zu müssen glaubt, zeigt die Reaktion der anwesenden Jünger: „Als sie aber vor Freude und Erstaunen immer noch nicht glaubten, sagte er ihnen: Habt ihr hier etwas zu essen? Und sie legten ihm ein Stück gebratenen Fisch vor. Und er nahm´s und aß vor ihnen“ (24,42f.). Anders als Markus und Matthäus räumt Lukas dem Glauben keinen Platz für Zweifel ein. Er will ihn sicher machen, wie er es zu Beginn seines Evangeliums erklärt. Vor so vielen Beweishandlungen können die Jünger nur verstummen. Der auferweckte Jesus schärft ihnen und den Leserinnen und Lesern des Lukasevangeliums nochmals die angemessene, sichere und zweifelsfreie Deutung der Ereignisse ein: „ ‚Das sind meine Worte, die ich zu euch gesagt habe, als ich noch bei euch war: Es muss alles erfüllt werden, was von mir geschrieben steht im Gesetz des Mose, in den Propheten und in den Psalmen.‘ Da öffnete er ihnen das Verständnis, so dass sie die Schrift verstanden und sprach zu ihnen: ‚So steht es geschrieben, dass Christus leiden und auferstehen wird von den Toten am dritten Tag, und dass verkündet wird in seinem Namen Buße zur Vergebung der Sünden unter allen Völkern. Fangt an in Jerusalem und seid dafür Zeugen. Und siehe, ich will auf euch herabsenden, was mein Vater verheißen hat. Ihr aber sollt in der Stadt bleiben, bis ihr ausgerüstet werdet mit Kraft aus der Höhe‘“ (24,44-49). Anders als bei Markus und Matthäus geht Jesus den Jüngern nicht erst nach Galiläa voraus, an den Ort, wo alles begann. Er zeigt sich seinen Jüngern in Jerusalem und dort sollen sie nun auf den Heiligen Geist warten, die Wunderkraft vom Himmel, die sie zu ihrer Weltmission befähigen wird, wie es dann die Apostelgeschichte des Lukas erzählt. Die Botschaft ist einfach: Denkt um und geht den Weg der göttlichen Barmherzigkeit, dann werden eure bisherigen Verfehlungen vergeben. Die soziale Botschaft der Barmherzigkeit findet sich gleicherweise niedergeschrieben in den Heiligen Schriften Israels und eben da steht auch alles, was man über das Leiden des Christus wissen muss. Das Kreuz streicht die Wahrheit der Verkündigung Jesu von Nazareth nicht durch, es bestätigt sie. Barmherzigkeit zu leben und Gerechtigkeit für die Armen und Schwachen einzufordern, macht nicht reich und kann sogar in tödliche Konflikte führen. Derjenige, der diesen Weg konsequent gegangen ist, musste am Kreuz sterben, wie es die Schrift vorausgesagt hat. Aber dieser Tod hat nicht das letzte Wort. Gottes Macht ist größer als der Tod. 164 Vgl. dazu E. Schweizer, Das Evangelim nach Lukas, 250; J. Kremer, Lukasevangelium, 243f. <?page no="154"?> Erster Teil 138 Der Weg der Barmherzigkeit mag ans Kreuz führen, aber er ist der einzige Weg in das Reich Gottes, in das ewige Leben mit und bei Gott und seinem Sohn. Nachdem Jesus die Jünger ein letztes Mal belehrt hat, fährt er vor ihren Augen am selben Tag der Auferweckung und Erscheinungen gen Himmel. Auch der recht materialistisch dargestellte Auferweckungsleib des lukanischen Jesus gehorcht nicht mehr den Grenzen von Raum und Zeit. 4. Die Apostelgeschichte Die ersten Verse der Apostelgeschichte blicken auf das abgeschlossene Lukasevangelium zurück und markieren die nun folgende Erzählung als dessen Fortsetzung, die zeigt, wie das Wirken des Heiligen Geistes die Ausbreitung des Evangeliums bewirkt und zwar von Jerusalem nach Rom, also bis zum Machtzentrum der damaligen, dem Evangelienschreiber bekannten Welt. Im Mittelpunkt der Verkündigung der Apostel steht dabei die Botschaft von der Auferweckung des gekreuzigten Jesus von Nazareth. Zahlreiche Passagen der Apostelgeschichte beziehen sich explizit auf die Auferweckungstheologie des Lukasevangeliums mit der erkennbaren Tendenz, diese nicht nur zu plausibilisieren, sondern sie apologetisch abzusichern, auszubauen und sogar zu beweisen (vgl. Apg 1,3a). Die Auferweckung des Gekreuzigten als Basis des Evangeliums in Jerusalem Hatte schon das Lukasevangelium Auferweckung und Erhöhung des Gekreuzigten durch die Erzählung von Jesu Himmelfahrt voneinander unterschieden, so verstärkt die Apostelgeschichte diese Trennung massiv und nimmt dafür sogar einen unvermittelbaren Widerspruch zum Evangelium in Kauf. Ereignen sich Auferweckung, Erscheinungen und Himmelfahrt Jesu dem Lukasevangelium zufolge am selben Tag, so weitet die Apostelgeschichte den Zeitraum der Erscheinungen auf 40 Tage aus (1,3). Erst dann fährt Jesus auf einer Wolke zum Himmel auf, mit dem ausdrücklichen Hinweis darauf, dass die Himmelfahrt vor den Augen der Apostel stattfand (1,9b) und sie deshalb als Augenzeugen der leiblichen Auferweckung und Himmelfahrt Jesu zu belasten sind. Vielleicht ist auch von hier aus rückblickend die fleischliche Massivität der Erscheinung Jesu vor den Elfen zu begreifen. Folgte demnach der auferweckte Leib nicht mehr den Grenzen von Raum und Zeit, so wäre erst der erhöhte Leib vollends dem göttlichen Leben zuzuordnen, der dann auch nur noch durch den geöffneten Himmel sichtbar wird, wie es Apg 7,56 und 9,3 erzählen. 165 165 Vgl. dazu J. Becker, Die Auferstehung Jesu Christi nach dem Neuen Testament, 47. <?page no="155"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 139 Nach der Himmelfahrt Jesu kehren die Apostel nach Jerusalem zurück, wie es ihnen Jesus geboten hat, um auf den Geistempfang, der sie zu ihrer Weltmission befähigen soll, zu warten. Auf Initiative des Petrus hin wird ein neuer Apostel gewählt, der den auf grauenvolle Weise durch ein Strafwunder getöteten Judas (vgl. 1,18) ersetzt. Das Kriterium der Wahl besagt, dass nur jemand diese Funktion im Zwölferkreis ausüben kann, der von Anfang an, also „von der Taufe des Johannes bis zu dem Tag, an dem er von uns genommen wurde“ (1,22a), dabei war. Als dessen maßgebliche Aufgabe wird in diesem Zusammenhang festgehalten, er solle „mit uns Zeuge seiner Auferstehung werden“ (1,22b). Die Apostel sind für Lukas also vor allem und zuerst Zeugen der Auferstehung des gekreuzigten Jesus von Nazareth und erfüllen damit den Auftrag, den er ihnen unmittelbar vor seiner Himmelfahrt gab (vgl. 1,8). Unmittelbar nach der Wahl des Matthias zum Nachfolger des Judas wird das Pfingstereignis erzählt (2,1-13), die Erfüllung der Verheißung (vgl. 1,8) der wunderbaren Gabe des Geistes 166 , die sofort zu wirken beginnt: „und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an, zu predigen in andern Sprachen, wie es ihnen der Geist auszusprechen gab“ (2,4). Obwohl alle Apostel predigen, wird allein die Predigt des Petrus ausführlich dargelegt (2,14-36), der auf den Vorwurf reagiert, die Apostel seien betrunken. Petrus beginnt seine Pfingstpredigt mit dem Verweis auf die Prophetie Joels. In der soeben erlebten Geistausgießung habe sich Joels Verheißung erfüllt. Damit werden zugleich die eschatologische und die kosmologische Dimension dieses Ereignisses eingespielt. Gerettet wird in dieser, durch die Geistausgießung als Endzeit qualifizierten Situation nur, „wer den Namen des Herrn anrufen wird“ (2,21b). Dieser Name des Herrn wird nun durch den Bezug auf Tod und Auferweckung Jesu von Nazareth mit dem Namen Jesus Christus identifiziert. Gerettet wird demnach nur, wer Jesus Christus als den Herrn anruft. Diesen identifikatorischen Akt können aber nur diejenigen leisten, die die wahre Identität Jesu von Nazareth kennen, indem sie erkennen, wie Gott an ihm gehandelt hat. Die Anrufung des Namens Jesu Christi wird also zum soteriologischen Kriterium, das über ewiges Leben oder Tod entscheidet. Gott hatte Jesus von Nazareth durch „Taten und Wunder und Zeichen, die Gott durch ihn in eurer Mitte getan hat, wie ihr selbst wisst, ausgewiesen und diesen mit dem bestimmten Ratschluss und dem Vorauswissen ( pro,gnwsij ) Gottes Übergebenen, habt ihr durch die Hand der Gesetzlosen ans Kreuz geschlagen und umgebracht, den hat Gott auferstehen lassen, indem er ihn von den Wehen des Todes gelöst hat“ (1,22bf.). Lukas macht 166 J. Jervell, Die Apostelgeschichte, 115: „Der Geist drückt sich als du,namij aus, als mirakulöse Kraft in Wunder und Wort, weswegen bei Lukas die Verkündigung stets von Wundern begleitet ist […]. Der Geist rüstet zum Zeugendienst aus, d.h. zu Verkündigung und Wunder. So ist der Augenzeugenbericht des Christus-Geschehens zu verstehen, Apg 1,22; 2,32f.; 3,15; 5,32; 10,39.41; 13,31; 22,15; 26,16. Es geht hier vor allem um die Auferstehung Jesu“. <?page no="156"?> Erster Teil 140 mit dieser Formulierung klar, dass das souveräne Subjekt der Jesus- Christus-Geschichte Gott ist. Er hat Jesus von Nazareth durch sein eigenes göttliches Wunderhandeln wahrnehmbar für alle kenntlich gemacht. Jeder Jude hätte erkennen müssen, dass im Handeln Jesu Gott am Werk ist. Damit aber hat er ihn deutlich markiert als denjenigen, der mit Gott im Bund steht und den Willen Gottes lebt und lehrt. Die Juden haben ihn nicht als den von Gott gesandten Messias aufgenommen. Sie sind ihm und seiner Lehre nicht gefolgt, sondern im Gegenteil: Sie haben ihn von Gesetzlosen, also solchen, die nicht zum erwählten Volk Gottes gehören, grausam umbringen lassen. Obwohl sie damit zum Subjekt der Ermordung des von Gott beglaubigten Messias wurden und ihnen damit alle Schuld an dessen Tod zufällt, sind sie dennoch nicht die souveränen Handlungsmächtigen dieses Geschehens. Nur weil Gott bereits entschieden hatte, nicht in das Geschehen einzugreifen, konnten sie ihre böse Tat ausüben. Gott bleibt souveränes Subjekt des Geschehens auch angesichts dieser bösen Tat seines Volkes. Gott hat sie wohlüberlegt gewähren lassen. So wurde manifest, was Gott dem Schriftzeugnis zufolge schon vorher wusste: sogar sein auserwähltes Volk handelt nicht gemäß dem barmherzigen Willen Gottes, obwohl sein Wille in der Lehre Jesu, beglaubigt durch Zeichen und Wunder, nochmals und eindringlich kundgetan wurde. Nicht Barmherzigkeit, sondern erbarmungslose Gewalt ist die Signatur des den Willen Gottes verfehlenden Menschen. Aber Gottes Barmherzigkeit lässt sich davon nicht beeindrucken. Handeln die Menschen todbringend am Gesandten Gottes, so kehrt Gott das Ergebnis dieser Handlung nicht einfach nur um, indem er ihn wiederbelebt. Vielmehr entreißt er ihn den Wehen des Todes für immer und macht seinen Namen zum wirkmächtigen Namen der Rettung. Während Gottes Macht keine Grenzen kennt und ihm deshalb alles möglich ist, ist die Macht des Todes durch das Handeln Gottes begrenzt. Deshalb war es „unmöglich“, dass der Gekreuzigte „vom Tode festgehalten werden konnte“ (2,24b). Dieser Gedanke wird durch den intertextuellen Bezug auf Ps 15,8-11 begründet und abgesichert. Die Verse 8-11 dieses Psalms interpretiert Lukas dahingehend, dass sich die von David in diesem Psalm formulierte Hoffnung, Gott werde nicht zulassen, „dass dein Heiliger die Verwesung sehe“, auf den gekreuzigten und begrabenen Jesus bezieht. „Da er“, David, „ein Prophet war und wusste, dass ihm Gott verheißen hatte mit einem Eid, dass ein Nachkomme von ihm auf seinem Thron sitzen sollte, hat er voraussehend über die Auferstehung des Christus gesagt: Er überlässt ihn nicht dem Hades und sein Fleisch sah die Verwesung nicht. Diesen Jesus hat Gott auferweckt, dessen sind wir alle Zeugen“ (2,30ff.). Durch diese Applikation der Psalmworte auf die Auferweckung des gekreuzigten Jesus wird die fleischliche Darstellung des Auferweckten im Lukasevangelium als singuläre Markierung und Auszeichnung plausibilisiert. In der fleischlichen Auferstehung erfüllt sich die Prophetie Davids, wie sie sich in Ps 15 ausspricht. Die Unverweslichkeit des Fleisches des Gekreuzigten wird also als Spezialfall und nicht als Regel der Auferweckung der Toten ausgewiesen. <?page no="157"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 141 Jesus wurde ausgezeichnet dadurch, dass sein Fleisch, obwohl er drei Tage im Hades war, nicht verweste. Die Darstellung des auferweckten Gekreuzigten im Lukasevangelium ist dieser Interpretation von Ps 15 geschuldet. Die Einzigartigkeit des von Gott durch seinen Heiligen Geist Gezeugten setzt sich auch in seinem Tod und seiner Auferweckung fort. Verwesen für gewöhnlich die Toten, so kann die Macht des Todes, die sich in diesem Verwesungsprozess ausspricht, dem auferweckten Gekreuzigten nichts anhaben. Auch Lukas, der hellenistische Geschichtsschreiber, bietet keine empirischhistorische Untersuchung der Auferweckungsereignisse an, sondern interpretiert den Glauben an die Auferweckung des Gekreuzigten durch einen applizierenden Gebrauch ausgewählter Passagen aus den Heiligen Schriften Israels, um die Unerhörtheit und Unbegreiflichkeit der Auferweckung des Gekreuzigten denkbar und plausibel zu machen. Durch den Akt der Auferweckung hat „Gott diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt, zum Kyrios und zum Christus gemacht“ (2,36). Auf diese Überzeugung läuft die ganze Pfingstpredigt des Petrus zu. Der auferweckte Jesus ist in das göttliche Leben eingegangen. Er ist aufgefahren in den Himmel und sitzt nun zur Rechten Gottes. Als so Erhöhter hat er den Heiligen Geist empfangen, den er nun im Pfingstereignis seinen Aposteln weitergegeben hat (vgl. 2,33f.). Das wirkungsvolle Band des Heiligen Geistes 167 verknüpft Zeugung, Auferweckung und Erhöhung Jesu von Nazareth, der durch diese Geschehnisse zum Kyrios und zum Christus geworden ist. Der Heilige Geist verbindet nun aber auch den Erhöhten Kyrios und Christus mit seinen Aposteln und jeder ist dazu eingeladen, den Namen des Erhöhten anzurufen, um auf diese Weise in diese Verbindung einzutreten. Wer den Namen des Erhöhten anruft, erhält dessen Heiligen Geist und wird durch die Eingliederung in diese durch den Heiligen Geist gestiftete und wirksame Gemeinschaft gerettet. Auf die Frage, wie dies zu praktizieren sei, antwortet Petrus: „Denkt um und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, so werdet ihr empfangen die Gabe des Heiligen Geistes“ (2,38). Die sich direkt daran anschließende Wundererzählung der Heilung eines Gelähmten im Tempel von Jerusalem demonstriert die Wirkmächtigkeit des Namens Jesu Christi (vgl. 3,6-8). Petrus wehrt das Missverständnis ab, aus eigener Kraft das Heilungswunder vollzogen zu haben. In seiner das Heilungswunder deutenden Rede sagt er: „Ihr aber habt den Heiligen und Gerechten verleugnet und darum gebeten, dass man euch den Mörder schenke, aber den Fürsten des Lebens habt ihr getötet. Den hat Gott auferweckt von den Toten, dessen sind wir Zeugen. Und durch den Glauben an seinen Namen hat sein Name diesen, den ihr seht und kennt, stark gemacht, und der 167 Vgl. W. Eckey, Die Apostelgeschichte II, 622: „Die lukanische Kennzeichnung des Hl. Geistes als Handlungsmacht Gottes folgt weitgehend der Charakterisierung des Geistes als Bewegungs- und Wirkungsmacht des Gottes Israels im AT, speziell in seiner griechischen Fassung (Septuaginta, LXX)“. <?page no="158"?> Erster Teil 142 Glaube, der durch ihn gewirkt ist, hat diesem die Gesundheit gegeben vor euer aller Augen“ (3,14ff.). Das Heilungswunder, das vor aller Augen geschieht, dient als Beweis der Auferweckung des Gekreuzigten und zugleich als Motivation, ebenfalls den Namen Jesu Christi anzurufen. Petrus bietet den angeredeten Juden, die er selbst für den Tod des „Fürsten des Lebens“ verantwortlich macht, an, umzudenken und der neuen Glaubensgemeinschaft beizutreten. Anders als etwa noch im Gleichnis von den bösen Winzern (vgl. Lk 20,9-19), werden nun sogar mildernde Umstände für das Verbrechen gegen den Heiligen Gottes veranschlagt: „Nun liebe Geschwister, ich weiß, dass ihr es aus Unwissenheit getan habt wie auch eure Oberen“ (3,17). Doch damit nicht genug: Um sein pragmatisches Anliegen zu erreichen, auch die einstigen Gegner Jesu zur Umkehr und zur Taufe auf den Namen Jesu Christi zu bewegen, spielt er nun wieder die Souveränität Gottes ein. Dabei aber gerät seine Formulierung in die Nähe des Missverständnisses, Gott habe den Tod Jesu von Nazareth gewollt: „Gott aber hat erfüllt, was er euch durch den Mund aller seiner Propheten zuvor verkündet hat, dass sein Christus leiden werde“ (3,18). Zugleich weist er auf den Ernst der Lage hin: Wer nicht umdenkt, dem werden die Sünden auch nicht vergeben und er wird „vertilgt“ werden. An der Stellungnahme zum Evangelium von der Auferweckung des Gekreuzigten entscheiden sich Heil und Unheil, ewiges Leben und ewige Auslöschung. Alle, selbst die Gegner Jesu, die seinen Tod zu verantworten haben, können jetzt noch umkehren: „Für euch zuerst hat Gott seinen Knecht Jesus erweckt und hat ihn zu euch gesandt, euch zu segnen, in der Abkehr eines jeden von euren Bosheiten“ (3,26). Der Hohe Rat aber zeigt sich trotz dieses Angebots uneinsichtig. Priestern und Sadduzäern missfällt die Rede von der Auferstehung Jesu. Sie lassen die Apostel einsperren und bekräftigen damit ihre Schuld (vgl. 4,1-3). Doch gegen die Macht des Wortes von der Auferweckung Jesu Christi vermögen sie nichts auszurichten (vgl. 4,4). Refrainartig wird das immer wieder eingespielt (vgl. 4,33; 5,30ff.). Viele Juden in Jerusalem werden vom Evangelium der Auferweckung ergriffen. Die Jerusalemer Gemeinde wächst, und selbst einige Tempelpriester treten ihr bei. Der Hohe Rat aber bleibt bei seiner Ablehnung. Die Rede des Stephanus rechnet schließlich mit den „halsstarrigen“ Gegnern ab. Er zeichnet die Jesus-Christus-Geschichte in die Geschichte Israels ein und zeigt die Kontinuität der Verfehlungen Israels auf. Er bezichtigt sie des Mordes an den Propheten und auch des Mordes an den von den Propheten angekündigten Gerechten und summiert dann: „Ihr habt das Gesetz empfangen durch Weisung von Engeln und habt es nicht gehalten“ (7,53). Die so Bezichtigten geraten in Rage (vgl. 7,54). Stephanus „aber, voll heiligen Geistes, sah auf zum Himmel und sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus stehen zur Rechten Gottes und sprach: ‚Siehe, ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen‘“ (7,56). Daraufhin wird <?page no="159"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 143 er gesteinigt. Er bittet Jesus um die Aufnahme seines Geistes und wie Jesus am Kreuz bittet er in seiner Todesstunde für seine Peiniger (7,60). Die Vision des Stephanus zeigt, dass der zum Himmel aufgefahrene Auferweckte nur noch gesehen werden kann, wenn sich die Himmel öffnen. Der gewöhnlichen Weltwahrnehmung ist er Lukas zufolge also nicht schon nach der Auferweckung, sondern erst nach seiner Erhöhung entzogen. Anwesend ist er durch das Wirken des Heiligen Geistes, wenn sein Name angerufen wird. 168 Das Evangelium der Auferweckung bei den Völkern Nach der Steinigung des Stephanus flieht die neue Gemeinschaft außer den Aposteln aus Jerusalem. Damit tritt das Evangelium seinen Siegeszug bis nach Rom an. Philippus predigt in Samarien, Saulus bzw. Paulus, der spätere Apostel der Völker, dessen Wirken mehr als die Hälfte der Apostelgeschichte gewidmet ist, wird durch eine himmlische Offenbarung des Kyrios Jesus Christus, die ihm dessen Auferweckung und Erhöhung zur erfahrenen Gewissheit werden lassen, zum Verkündiger des Evangeliums (vgl. 9,1-31). Die Kontinuität zwischen der Auferweckungsbotschaft in Jerusalem und der bei den Völkern wird durch die Rede des Petrus in Cäsarea im Hause des römischen Hauptmanns Kornelius aufgezeigt (Apg 10), die er anlässlich seiner Erkenntnis hält, dass „Gott die Person nicht ansieht, sondern dass ihm in jedem Volk angenehm ist, wer ihn fürchtet und recht tut“ (10,34bf.). Um Kornelius auf den Informationsstand der Jesus-Christus-Geschichte zu bringen, fasst Petrus die grundlegenden Ereignisse und ihre maßgeblichen Deutungen zusammen (vgl. 10,37-43). Er beginnt mit der Taufpredigt des Johannes, der Salbung zum Messias bzw. Christus durch die göttliche Gabe des Heiligen Geistes an Jesus. Sodann werden Jesu heilvolle Taten erinnert, die von den Aposteln bezeugt werden. Das nächste Element der Grundstruktur der Jesus-Christus-Geschichte ist dann schon der Kreuzestod Jesu. Es folgt seine Auferweckung am dritten Tag durch Gott, der dann auch zum Subjekt der Erscheinung wird: Gott „hat ihn erscheinen lassen“. Diese Erscheinungen fanden aber nicht in der Öffentlichkeit statt, sondern ausschließlich vor den Aposteln. Dass Lukas auch in der Apostelgeschichte bei seiner knöchernen und fleischlichen Auferweckung Jesu bleibt, wird an dem Hinweis deutlich, dass die Apostel mit Jesus nach dessen Auferstehung gegessen und getrunken haben. Der auferweckte Jesus hat die Apostel beauftragt zu „verkünden und zu bezeugen, dass er von Gott bestimmt ist zum Richter der Lebenden und der Toten. Von diesem bezeugen alle Propheten, dass durch seinen Namen alle, die an ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen sollen“ (10,42bf.). 168 Vgl. W. Eckey, Die Apostelgeschichte II, 617-622. <?page no="160"?> Erster Teil 144 Sein Tod hat Lukas zufolge also keine soteriologische Funktion. Gott hat erst den auferweckten Christus zum Richter eingesetzt. Die Vergebung der Sünden wurde nicht durch seinen Tod bewirkt, sondern wer seinen Namen jetzt anruft, der erhält das Geschenk der Sündenvergebung im Gericht. Nachdem durch diese Zeichnung der Grundstruktur der Jesus-Christus- Geschichte die gemeinsame Überzeugung der Apostel durch ihre Evangeliumsverkündigung zur Sprache gekommen ist, erhalten alle, auch diejenigen, die keine Juden sind, den Heiligen Geist. Damit wird von Gott die Erkenntnis des Petrus bestätigt, dass das Evangelium von der Auferweckung Jesu Christi und der Vergebung der Sünden durch seinen erhöhten, machtgetränkten Namen allen Menschen aus allen Völkern gilt (vgl. 10,44-48). Mit dieser göttlichen Bestätigung der Integration der Heiden 169 in die Adressatenschaft des Evangeliums wird zugleich die narrative Grundlage für die Völkermission des Paulus geschaffen. Dass auch Paulus zum machtvollen Boten Gottes geworden ist, wird durch das Strafwunder eindrucksvoll angezeigt, welches die erste Aktion seiner beginnenden Weltmission darstellt (vgl. 13,4-12). Seine erste Rede, die er im pisidischen Antiochien hält, bestätigt die Übereinstimmung seiner Predigt mit der der Apostel, wie sie insbesondere durch Petrus, aber auch durch die Rede des Stephanus in Kap 7 formuliert wurde. Auch der lukanische Paulus verortet die Jesus- Christus-Geschichte in der Geschichte Israels, und interpretiert die Ereignisse von Tod und Auferweckung als Erfüllung der messianischen Verheißung, die Gott durch seine Propheten hat Schrift werden lassen (vgl. 13,32f.). Die Heiligen Schriften Israels erhalten geradezu die Funktion eines Drehbuchs der Ereignisse von Tod und Auferweckung Jesu Christi. Das gilt insbesondere auch für die Überzeugung, Jesus sei fleischlich unversehrt auferweckt worden. Er hat demzufolge im Unterschied zu David und allen anderen Toten deshalb die Verwesung nicht gesehen, weil die Schrift dies so vorgesehen hat (vgl. 13,32-37). Der intertextuelle Bezug zu Psalm 16,10 und kein empirisch-historischer Argumentationsgang motiviert diese Überzeugung des Verfassers der Apostelgeschichte wie auch des Lukasevangeliums. Die Überzeugung von der fleischlichen Auferweckung Jesu dient der Auszeichnung dieser besonderen Auferweckung bzw. dieses in seiner kosmologischen und soteriologischen Bedeutsamkeit einzigartigen Auferweckten. Durch diesen Auferweckten und nicht durch seinen opfertheologisch gedeuteten Tod wird den Adressaten des Evangeliums von der Auferweckung des Gekreuzigten „Vergebung der Sünden verkündigt, und in all dem, worin ihr durch das Gesetz des Mose nicht gerecht werden konntet, ist der gerecht gemacht, der an ihn glaubt“ (13,38). Diese lukanische Simplifizierung der Rechtfertigungsbotschaft des Paulus steht in voller Kongruenz zu den Reden des Petrus und dient dem grundlegenden Aufweis der Übereinstimmung der beiden bedeutendsten Prediger, wie sie die Apostelgeschichte zeichnet: Petrus und Paulus. 169 Vgl. dazu U. E. Eisen, Die Poetik der Apostelgeschichte, 169-187. <?page no="161"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 145 Auch die Zusammenfassung der Predigt des Paulus in Thessaloniki gibt als zentrales Thema den Tod und die Auferweckung Jesu Christi an (vgl. 17,2f.). Und der Erzählerkommentar, der die Reden des Paulus in Athen thematisch zusammenfasst, teilt mit, dass Paulus ihnen „das Evangelium von Jesus und von der Auferstehung verkündigt“ (17,18b). Die sich anschließende berühmte Rede auf dem Areopag 170 versucht, schöpfungstheologisch zu begründen, warum die Auferstehung der Toten denkbar ist (vgl. 17,24; 17,31). Paulus erntet eine zwiespältige Reaktion. Die einen lachen über die Auferstehung der Toten, die anderen aber wollen ihn darüber weiter hören (vgl. 17,32). Auch bei der ausführlichen Darstellung der Gefangennahme des Paulus in Jerusalem und seiner Verbringung bis nach Rom thematisiert Lukas immer wieder das Thema der Auferstehung der Toten. Paulus nutzt die Kontroverse zwischen Sadduzäern und Pharisäern über diese Frage und erreicht damit die Spaltung des Hohen Rates (vgl. 23,6-9). Vor dem Statthalter Felix gibt er als Grundüberzeugung an, er glaube den Propheten und ihren Verheißungen: „Ich habe die Hoffnung zu Gott, die auch sie selbst haben, nämlich dass es eine Auferstehung der Gerechten wie der Ungerechten geben wird“ (24,15; vgl. 24,21b). Vor Agrippa behauptet Paulus, er werde von den Juden angeklagt, weil er auf die Erfüllung der Verheißungen der Propheten hoffe und fragt: „Warum wird das bei euch für unglaublich gehalten, dass Gott Tote auferweckt“ (26,8). In der dritten Schilderung seiner Christuserscheinung schließlich verknüpft er explizit die Auferweckung der Toten mit der Auferweckung Jesu Christi auf gleiche Weise, wie es in 1 Kor 15 zu lesen 171 ist. Darüber hinaus führt er auch diese Verknüpfung auf die Voraussage des Mose und der Propheten zurück, „dass Christus leiden müsse und als erster aus der Auferstehung der Toten seinem Volk und den Völkern Licht verkünden werde“ (26,23). 172 Die Kohärenz des Auferweckungsdiskurses im Lukanischen Doppelwerk Das Thema der Auferweckung des Gekreuzigten zieht sich nicht nur als roter Faden durch das lukanische Doppelwerk. Es ist vielmehr der Grundgedanke, den das Lukasevangelium und dann auch die Apostelgeschichte narrativ gestalten. Die Plausibilisierungsstrategie des Lukas lautet, in der Jesus-Christus-Geschichte habe sich vollzogen, was die Heiligen Schriften 170 Treffend dazu E. Hähnchen, Die Apostelgeschichte, 466: „Paulus spricht dem Sinne nach zu ganz Athen, und Athen wiederum repräsentiert die gesamte griechische Kultur und Frömmigkeit. Was wir hier sehen ist eine ‚ideale Szene‘, die jeder Verwandlung ins Realistische spottet.“ 171 Vgl. R. Pesch, Die Apostelgeschichte (13-28), 281. 172 Vgl. S. E. Porter, The Paul of Acts, 161. Vgl. auch R. Pesch, Die Apostelgeschichte (13- 28), 274f. <?page no="162"?> Erster Teil 146 Israels vorausgesagt haben. Gott hat aufgrund seiner Barmherzigkeit auf wunderbare Weise den verheißenen Retter durch seinen Heiligen Geist selbst gezeugt. Dieser hat den barmherzigen Willen Gottes gelebt und verkündet. Aber die Aufnahme bei seinem erwählten Volk war genauso, wie es die Schrift erwarten ließ. Ihre harten Herzen haben den Messias Gottes leiden und töten lassen. Gott aber hat ihn als ersten aus der Auferstehung von den Toten erweckt und ihn besonders dadurch ausgezeichnet, dass er die Verwesung nicht gesehen hat, während die Körper aller anderen Toten verwesen. Seine Jünger konnten sich von seiner besonderen Auferweckung überzeugen, indem sie ihn sahen, mit ihm sprachen und mit ihm aßen. Doch schon dieser fleischlich auferweckte Leib war nicht mehr den Grenzen von Raum und Zeit unterworfen. Es handelte sich nicht um eine bloße Wiederbelebung eines Toten, sondern um den Beginn der eschatologischen Auferweckung der Toten zum Endgericht Gottes. Nach dem Lukasevangelium noch am Tag seiner Auferweckung, der Apostelgeschichte zufolge aber 40 Tage später, wurde der Auferweckte in den Himmel aufgenommen. Gott hat ihn damit zum machtvollen eschatologischen Richter gemacht. Nur die Anrufung seines Namens, die bereits im irdischen Leben das Wunderwirken des Heiligen Geistes zu motivieren vermag, ermöglicht die Vergebung der Sünden, die dadurch entstehen, dass der Weg der Barmherzigkeit, wie er als Wille Gottes bei Mose und den Propheten zu lesen ist, nicht gelebt wird. Obwohl Lukas auch die Auferweckungskonzeption der Märtyrertheologie bemüht, um zum Weg der Barmherzigkeit in der Nachfolge Jesu, des Gekreuzigten und dann von Gott Auferweckten, zu motivieren, dominiert auch in seinem Doppelwerk die Vorstellung der kollektiven Auferweckung der Toten zum eschatologischen Gericht. Sie werden am Ende der Welt, am großen Gerichtstag, auferweckt werden und Jesus Christus, der auferweckte Gekreuzigte, wird sie richten. Das lukanische Doppelwerk verkündet „das Evangelium von Jesus und der Auferstehung“ (vgl. Apg 17,18b). <?page no="163"?> IV. Die johanneischen Schriften 1. Das Johannesevangelium Das Johannesevangelium führt seinen Leserinnen und Lesern den soteriologischen Sinn der eschatologisch-kosmologischen Dimension der Auferweckung des gekreuzigten Menschen Jesus von Nazareth vor Augen. Es setzt mit seinem Prolog eine intertextuell und schöpfungstheologisch orientierende Lektüreanweisung an seinen Anfang und organisiert auf dieser hermeneutischen und theologischen Basis seine Erzählung konsequent aus dem Blickwinkel des Ereigniszusammenhangs von Kreuz und Auferweckung. Es sieht in dem Menschen Jesus, der aus Liebe zu seinen Mitgeschöpfen seinen Weg ging, der ihn ans Kreuz führte, dieselbe Liebe am Werk, mit der der Gott Israels alles geschaffen hat, Israel erwählte und es aus Ägypten wunderbar herausführte. Diese kreative Liebe Gottes bewirkt nicht nur die Auferweckung des Gekreuzigten als dessen Auferstehung, wie sie das Johannesevangelium zeigt. Vielmehr lässt sie auch alle diejenigen die eigene Auferweckung getrost erwarten, die sich schon jetzt erinnert und getröstet durch den Geist des Evangeliums im Band der Liebe mit dem auferweckten Gekreuzigten und seinem Vater vereint wissen. Das Johannesevangelium sprengt in seiner Darstellung der Jesus- Christus-Geschichte die lineare Zeitvorstellung 173 , weil es von der Überzeugung getragen ist, dass dieser Mensch Jesus die fleischgewordene Mitteilung Gottes selbst ist, und dass sich nach seiner Auferstehung der Kosmos als ganzer und auch das Leben Jesu Christi im Besonderen nicht länger durch die lineare Zeitvorstellung begreifen lassen. Erst die Geschichte des Menschen Jesus von Nazareth, die zugleich die Geschichte des auferweckten Gekreuzigten erzählt, erschließt den Kosmos von Grund auf als die von Gott geliebte Schöpfung. Damit ist aber dem Johannesevangelium ein Nacheinander der Darstellung zuerst des Menschen Jesus von Nazareth vor dem Kreuzesgeschehen und dann des auferweckten Gekreuzigten nicht mehr möglich, weil es dieses Nacheinander für unsachgemäß erklärt. Anders als die synoptischen Evangelien erzeugt das Johannesevangelium deshalb seine Spannung weniger durch einen dramatischen Plot, als vielmehr durch den Aufbau kognitiver Dissonanzen, die die Lesenden mit Hilfe der episodenhaften Erzählung 174 des Evangeliums und seiner intertextuellen Verweise geistreich lösen sollen. 173 Vgl. zu den komplexen Zeitkonzepten des Johannesevangeliums J. Frey, Die johanneische Eschatologie. 174 Vgl. dazu J. Zumstein, Das Johannesevangelium, 33f. <?page no="164"?> Erster Teil 148 Das Johannesevangelium erarbeitet als intertextuelle Relektüre der synoptischen Evangelien 175 und der heiligen Schriften Israels eine paradoxe Theologie des Ereigniszusammenhangs von Kreuz und Auferweckung, die erst unter den Bedingungen der Akzeptanz des durch das Evangelium aufgebauten Diskursuniversums und seiner intertextuell hergestellten enzyklopädischen Bezüge Plausibilität zu entfalten vermag. „[…] von den Prologsätzen an, dass das Licht in der Finsternis scheint, die es aber trotz aller Anstrengungen nicht auszulöschen vermochte (1,5), und seit der den Tod Jesu einschließenden Aussage: ‚Das Wort ward Fleisch‘ (1,14), ist unser Evangelium nicht mehr wie das des Markus eine ‚Passionsgeschichte mit ausführlicher Einleitung‘ (M. Kähler), sondern von Anfang an ein Passionsevangelium und allein als solches Zeugnis der Herrlichkeit Jesu. Johannes hat Jesu Passion, die paradoxerweise gerade seine göttliche Aktion ist, ganz programmatisch zum Darstellungsprinzip seines Werkes gemacht“ 176 . Das Johannesevangelium gibt sich als parakletisches Zeugnis der Liebe Gottes zu lesen, die im Leben des Menschen Jesus Fleisch geworden ist und gleichursprünglich im Ereigniszusammenhang von Kreuz und Auferweckung alles Bedrohliche des Kosmos überwunden hat. Damit wird aber das Johannesevangelium selbst zum Zeichen des Wortes Gottes, dessen geistreiche Sichtweise wirksam tröstend durch alle Zeiten hindurch im Kosmos die kreative Liebe Gottes am Werk sieht und aufgrund der von ihm erzählten Jesus-Christus-Geschichte auf die Auferweckung der Toten und das ewige Leben in der durch Gottes Liebe gestifteten Gemeinschaft hoffen lässt (vgl. 20,31). Der Prolog Schon die ersten Worte des Johannesevangeliums spielen intertextuell die Schöpfungserzählung ein, wie sie sich in Gen 1,1-2,4a findet. Gott schafft durch sein Wirklichkeit erzeugendes Wort den Kosmos mit allem, was sich 175 Die intertextuellen Bezüge des Johannesevangeliums zu den synoptischen Evangelien hat in meisterhafter Kombination von präziser Textarbeit, interdisziplinär informierter Texttheorie und kongenialem theologischen Denken Hartwig Thyen in seinem epochalen Johanneskommentar im HNT 6 erwiesen. 176 H. Thyen, Das Johannesevangelium, 706. Ebd. fährt Thyen zur Begründung fort: „Das demonstrieren u.a. das Täuferwort über Jesus als das Lamm Gottes, das der Welt Sünde wegnimmt (1,29); die Erzählung von der Tempelreinigung mit Jesu Wort von der Zerstörung des Tempels seines Leibes durch die Juden bereits im zweiten Kapitel; das Spiel mit den synoptischen Worten der Einsetzung des Abendmahls in Joh 6,51ff; die seit 5,18 wiederholten Versuche der Juden, Jesus zu töten oder ihn wenigstens zu verhaften; Jesu Rede vom guten Hirten, der sein Leben hingibt für seine Schafe (10,11ff); die intertextuell mit dem synoptischen Prozeß Jesu vor dem Synhedrium spielenden Szenen 10,31ff und 11,47ff; der Plan, nicht nur Jesus, sondern auch den durch seine Erweckung zu seinem Zeugen gewordenen Lazarus zu töten (12,10); das Wort von dem Weizenkorn, das sterben muß, damit es viel Frucht bringe (12,24); und endlich die gesamten um das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern zentrierten Abschiedsreden.“ <?page no="165"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 149 darin findet. Nichts ist ohne dieses machtvoll schaffende Wort entstanden. Alles verdankt sich Gottes Wort. Gott ist so sehr in seinem Wort, dass sein Wort und er nicht voneinander zu trennen sind. Es bedarf auch keiner weiteren Zweckbestimmung des durch das Wort Gottes Geschaffenen, denn sein Grund liegt nicht in einem externen Zweck, sondern allein im Wort Gottes und damit in Gott selbst. Weil das Wort Gottes nicht von Gott zu trennen ist, ist in diesem Wort das Leben selbst begründet und dieses göttliche Leben ist das „Licht der Menschen“, ein Licht, das nicht von der Finsternis ergriffen oder gar ausgelöscht werden kann (vgl. 1,4f.). Nachdem die ersten vier Verse den Zusammenhang von Gott, seinem Wort, seiner Schöpfung und dem in Gott und seinem Wort selbst begründeten Leben als Licht der Menschen intertextuell erinnert und zugleich neu interpretiert haben, verknüpft Vers 6 mit der Einspielung des von Gott gesandten Menschen Johannes die Jesus-Christus-Geschichte, die das Johannesevangelium dann erzählt, durch den Eigennamen des Johannes als pars pro toto dieser Geschichte mit dem Schöpfungshandeln Gottes. Diese Verknüpfung wird semantisch verstärkt durch die Funktion des Johannes als Zeuge des Lichtes, das das Licht der Menschen ist - und dieses Licht ist zugleich das Leben, das in Gott selbst gründende Leben. Von diesem Licht, von diesem Leben legt Johannes Zeugnis ab, und der Leser des Evangeliums wird damit instruiert, dem Zeugnis des Johannes Glauben zu schenken. Was bzw. wen Johannes bezeugt, das bzw. der ist das Licht, „das war das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen“ (1,9) - alle Menschen, also auch und nicht zuletzt alle Leserinnen und Leser des Johannesevangeliums. Dieses Licht war in der Welt, aber obwohl die Welt durch dieses Licht geschaffen wurde, hat die Welt dieses Licht, als es in der Welt war, nicht erkannt (vgl. 1,10). Damit aber ist spätestens hier das schon in 1,4f. anklingende dysphorische Element benannt, das auch für die Dramaturgie der episodenhaften Erzählung des Johannesevangeliums notwendig bleibt. Das Nichterkennen schreibt eine störende Distanz des Geschaffenen zu seinem Schöpfer in die Erzählung ein, eine Gottesferne, die der eigentliche Grund für die Ermordung des von Gott gesandten und mit Gott eins seienden Jesus sein wird, also desjenigen Fleisches, das keine störende Distanz zu Gott aufweist. Weder der Kosmos als Ganzer, noch „die Seinen“ (1,11b), das auserwählte Volk Gottes, nahmen ihn auf. Ohne jegliche Markierung spricht dann Vers 12 von denjenigen, die ihn aufnahmen. Bedingungslos und ohne Rücksicht auf die gesellschaftliche und kulturelle Situierung gibt er allen, die ihn aufnahmen, „Vollmacht ( evxousi,a ), Gottes Kinder zu werden, den an seinen Namen Glaubenden, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind“ (1,12bf.). An der Aufnahme oder der Abweisung des in die Welt gekommenen Schöpfungslichtes ereignet sich die über ewiges Leben oder Tod entscheidende Herkunft. Diese Logik ist nicht linear und jede kausal verstan- <?page no="166"?> Erster Teil 150 dene Prädestinationslehre begeht den Fehler, die Logik der messbaren linearen Zeit, die zweistellige Logik der Kausalität empirischer Wirklichkeit in die paradoxe Kreuzestheologie des Evangeliums einzutragen. Wer Jesus Christus als das Licht, als Wort Gottes aufnimmt und an seinen Namen glaubt, der ist vielmehr gleichursprünglich ein Kind Gottes, geboren aus dem göttlichen Wort des Evangeliums. Wer hingegen Jesus ablehnt, der bleibt in den natürlichen Beschränkungen von Ursache und Wirkung haften und verpasst das ewige Leben, das unbeschränkt in Gott gründet. Die in den ersten 13 Versen getroffenen Aussagen steuern auf Vers 14 zu, dem Dreh- und Angelpunkt des Prologs und vielleicht sogar des ganzen Evangeliums: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“ Damit ist kein anderes Wort, kein anderer Logos als derjenige aus Vers 1 gemeint: das Wort des Anfangs, das Wirklichkeit schaffende Wort, ohne das nichts wurde, das Wort, in dem Gott so sehr präsent ist, dass es keine Differenz zwischen Gott und diesem Wort gibt. Dieses Wort ist in die das menschliche Leben begrenzende, empirisch wahrnehmbare, verletzliche, sterbliche, interpretationsbedürftige Materialität eingegangen, so dass die Herrlichkeit des göttlichen Schöpfungswortes, das eins mit Gott ist, wahrnehmbar wurde als die Herrlichkeit des eingeborenen Sohnes Gottes. Seine Herrlichkeit besteht genau darin, dass er eins mit Gott ist und zwar als ein Mensch, der solidarisch mit den Menschen den von Gott geschaffenen Kosmos bewohnt, ihn als Wohnstätte des geschöpflichen Lebens aufzeigt und dessen Leben und Sterben unter den Bedingungen der fleischlichen Existenz ein Leben und Sterben für die anderen, für den Kosmos als Gottes geliebte Schöpfung ist. Nicht erst in seinen Wundertaten, sondern gerade in seiner die Passion in Kauf nehmenden Proexistenz 177 zeigt sich die Herrlichkeit des Sohnes in Übereinstimmung mit der Herrlichkeit der Liebe Gottes als des zweckfreien Grundes der Schöpfung. Jesus Christus ist in dieser Liebe eins ( e[ n ) mit Gott (vgl. 10,30). „Dabei ist durch das Neutrum e[ n die Einheit der Verschiedenen ausgesagt und nicht etwa behauptet, daß der himmlische Gott und der irdische Mann Jesus als sein fleischgewordener lo,goj einer und derselbe wären.“ 178 Die Herrlichkeit Gottes, die an der Herrlichkeit seines fleischgewordenen Schöpfungswortes wahrnehmbar geworden ist, ist bestimmt durch „Gnade und Wahrheit“ (1,17b). Das ist der euphorische Grundgedanke des Evangeliums, der es zu einer wirklich guten Nachricht macht. Die Herrlichkeit Gottes als der Grund allen Lebens wird durch die Jesus-Christus-Geschichte erschlossen als durch und durch von Gnade und Wahrheit bestimmt, die die Sünde und Lüge des Kosmos überwunden und ihn gerettet hat. 177 Vgl. H. Schürmann, „Pro-Existenz“ als christologischer Grundbegriff. 178 H. Thyen, Das Johannesevangelium, 499. <?page no="167"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 151 Vers 15 vollzieht nun, was Vers 6 ankündigte: Johannes legt Zeugnis von dem Fleisch gewordenen Zeugnis ab: „Dieser war es, von dem ich gesagt habe: Der nach mir kommt, ist vor mir geworden, denn er war vor mir.“ Dies hat Johannes allerdings nicht im Verlauf des Johannesevangeliums gesagt. In Mt 3,11 spricht Johannes von dem, der nach ihm kommen wird. Das von Thyen in seinem Johanneskommentar detailliert aufgewiesene intertextuelle Spiel mit den synoptischen Evangelien beginnt spätestens hier. Dass es sich dabei, wie Thyen zutreffend feststellt, nicht einfach um die Verarbeitung einer Quelle, sondern um ein interpretierendes Verfahren handelt, das damit den Sinn des Textes dezentralisiert und sowohl das Johannesevangelium durch die synoptischen Evangelien, als auch und mehr noch die synoptischen Evangelien durch das Johannesevangelium interpretiert und damit neue Sinnräume etabliert, wird exemplarisch an der Hinzufügung deutlich, die das „stärker sein“ des von Johannes in Mt 3,11 Angekündigten nach ihm Kommenden durch dessen zuvor Geworden-sein erläutert. Damit wird eine neue Leseanweisung für das Matthäusevangelium generiert und zugleich das „Stärker Sein“ des Matthäusevangelium in das Johannesevangelium integriert. Dem Leser des Johannesevangeliums wird also nicht nur zugemutet, die synoptischen Evangelien zu kennen und sie mit der Lektüre des Johannesevangeliums immer wieder zu vernetzen, sondern den Lesenden wird durch die Textur der Schrift aufgegeben, Paradoxien mit Hilfe der im Johannesevangelium erzeugten Welten und mit Hilfe der intertextuell eingespielten Diskursuniversen nachzudenken. Im Nachdenken der Paradoxien und Metaphern sowie im Auflösen erzählter Missverständnisse sollen sie neu denken und sehen lernen, also genau das tun, was Johannes, der Täufer und auch Jesus von Nazareth in den synoptischen Evangelien einfordert: „Denkt um und glaubt an das Evangelium! “ (Mk 1,15b; vgl. Mk 1,4). Die Paradoxie in Joh 1,15b kann dann gedacht werden, wenn sie sich vom Prolog dazu anleiten lässt: Der Mensch Jesus ist das fleischgewordene Schöpfungswort und als solches das wahre Licht und Leben der Menschen. Nicht sein Fleisch war vor Johannes, wohl aber das Schöpfungswort, das zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt in ihm Fleisch geworden ist. Das Fleisch, also der Mensch Jesus, steht unter den empirischen Bedingungen der materiellen Existenz eines jeden Menschen, und als solcher ist er zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt geboren und dann auch getötet worden. Jesus ist keine mythische, leidensunempfindliche Figur. Deshalb ist seine Geschichte prinzipiell auch historischer Forschung zugänglich. Dass genau dieser Mensch aber eins mit Gott war und durch seine Geschichte die Herrlichkeit Gottes selbst wahrnehmbar wird und dadurch sowohl Gott als auch seine Schöpfung neu zu sehen und zu denken sind, hat seinen Sachgrund in dem auf der Basis der alttestamentlichen Schöpfungstheologie interpretierten Ereigniszusammenhang von Kreuz und Auferweckung, der die empirisch-historischen Grenzen der fleischlichen Existenz gerade durchbricht. Erst von der Einleuchtung der Auferweckung des Gekreuzigten aus <?page no="168"?> Erster Teil 152 wird der Mensch Jesus als präexistenter Sohn Gottes interpretierbar und seine Auferweckung bzw. Auferstehung darstellbar, denn in ihr ereignet sich die kreative Macht des göttlichen Lebens selbst. Vers 17 endlich identifiziert den fleischgewordenen Logos mit Jesus Christus und Vers 18 benennt dessen maßgebliche Funktion: Jesus Christus, das Fleisch gewordene Schöpfungswort und als solches der einzig geborene Gott, hat Gott gültig und wahrhaft ausgelegt. Durch seine Worte und durch seine Geschichte wird Gott selbst als der liebende und gnädige Schöpfer erschlossen. Zugleich erfährt dadurch der in die Botschaft des Johannesevangeliums einstimmende Leser den Kosmos, die Menschen und sich selbst als Gottes gewollte, geliebte und gerettete Geschöpfe. Die Proexistenz Jesu als Grund seiner Passion und Herrlichkeit Mit 1,19 beginnt die Handlung des Evangeliums. Die Juden schicken Priester und Leviten zu Johannes, um dessen Identität und damit seine Funktion in Erfahrung zu bringen. Mit dem Verweis auf Jesaja gibt er sich als den Wegbereiter des Messias zu erkennen (vgl. 1,23). Am Tag darauf kommt Jesus zu ihm und Johannes spricht: „Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt“ (1,29b). Die Geistbegabung Jesu wird dann retrospektiv aus der Sicht des Täufers geschildert und als gültige und beständige Markierung genutzt, die die Identifikation Jesu als des erwarteten Messias und als „Sohn Gottes“ (1,34b) durch Johannes den Täufer begründet. Die metaphorische Bezeichnung Jesu als Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt, hat in der Abendmahlsliturgie ein opfertheologisches Missverständnis erfahren, wonach Gott der verstimmte Tyrann sei, der seinen Sohn schlachten lässt, um sich selbst wieder gnädig zu stimmen. 179 Diese hässliche Götzenfratze will Blut sehen, um seinen Rachedurst zu stillen. Das mag zwar immer wieder manchen Menschen angemessen erscheinen, aber kompatibel mit dem kreativ liebenden barmherzigen Gott, wie er durch die Jesus-Christus-Geschichte gerade auch des Johannesevangeliums wahrnehmbar wird, ist der Rachegötze nicht. Anders als diese opfertheologische Verengung 180 der fraglichen Metapher, verhindert die Komposition des Johannesevangeliums „eine eindeutige Festlegung in der Deutung des Lammes […]“ und nutzt vielmehr „die 179 Vgl. dazu M. Welker, Was geht vor beim Abendmahl. Dieses Buch sei allen empfohlen, die sich mit der Theologie des Abendmahls befassen möchten. 180 Die opfertheologische Vorstellung geht hier auch deshalb nicht auf, weil in deren Logik das Geopferte als Drittes zwischen dem Opfergeber und dem Opfernehmer vermittelt. Die Grundaussage des Johannesevangeliums, dass der Vater und der Sohn Eins sind (vgl. 10,30), führt diese Logik aber ad absurdum, denn Gott wäre in diesem Fall Opfergeber, Opfernehmer und auch das Geopferte. <?page no="169"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 153 Offenheit metaphorischer Sprache, um gerade so neue Sprachmöglichkeiten und Sinnerweiterungen für seine Botschaft zu gewinnen.“ 181 Diese Sinnerweiterungen werden nicht zuletzt durch intertextuelle Prädispositionen des Evangeliums erzeugt, die bereits der Prolog als Leseanweisung vorschrieb. Das Syntagma „Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt“ entfaltet sein Sinnpotential erst als komplexer intertextueller Verweis, der zumindest Ex 12, Gen 22 und Jes 53 und ihre Auslegungen in den Targumen und in anderen jüdischen Schriften mit der Jesus-Christus- Geschichte verknüpft. Mit der Einspielung von Ex 12 wird die semantische Markierung des Passahlammes aus Ex 12,5 eingespielt. Das Passahlamm muss makellos, fehlerfrei sein. Sein Blut dient als vor dem Tod durch den Racheengel schützende Markierung des Volkes Israels als des Volkes Gottes. 182 Im Rahmen des Diskursuniversums des Johannesevangeliums heißt das: wer sich durch die Anrufung des Namens Jesu Christi von dem am Kreuz blutig Hingerichteten als zu ihm gehörig markieren lässt, wird gerettet. Die Erinnerung an die in der christlichen Tradition „Opferung Isaaks“ genannte Erzählung, die in der jüdischen Tradition sachgemäßer als „Bindung Isaaks“ bezeichnet wird und intensiv im Frühjudentum vor und während der Abfassung des Johannesevangeliums rezipiert wurde, zeigt, dass Gott keinerlei Menschenopfer gefällig sind. Die frühjüdische Rezeption bringt dann den Gedanken der Freiwilligkeit Isaaks zum Ausdruck, der bereit ist, für das Wohlergehen Abrahams zu sterben. Im Targum Ps- Jonathan zu Gen 22,14 kommt auch noch die Bitte zur Vergebung der Sünden ins Spiel. Dort heißt es: „Wenn über die Kinder Isaaks eine Zeit der Bedrückung kommt, dann erinnere dich zu ihren Gunsten an die Bindung ihres Vaters, vergib ihnen ihre Sünden und befreie sie aus aller Bedrängnis“. 183 Nicht also das vergossene Blut Isaaks, sondern die freiwillige Bereitschaft, sein Leben für das Wohlergehen seiner Gemeinschaft zu lassen, wird hier als Grund der Sündenvergebung erinnert. Jesus wird mit dieser intertextuellen Assoziation also als derjenige gekennzeichnet, der freiwillig für das Wohlergehen der Gemeinschaft sein Leben zu lassen bereit ist. Genau das wird dann auch Joh 15,13 explizit formulieren. Die Assoziation mit Jes 53 liegt nahe, weil damit nicht nur der brutale Kreuzestod Jesu interpretiert werden konnte, sondern es in Jes 53,5 heißt: „Doch er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt.“ Der schreckliche Tod des Gottesknechts, von dem Jes 53 spricht, war ebenso wenig Gottes Wille wie der Tod Jesu, des Lammes Gottes, von dem das Johannesevangelium erzählt. Die Ursache des Kreuzesto- 181 R. Zimmermann, Christologie der Bilder im Johannesevangelium, 112. 182 C. Schlund, Deutungen des Todes Jesu im Rahmen der Pesach-Tradition, macht darauf aufmerksam, dass im Vordergrund der Pesach-Tradition der Schutz der Gemeinschaft steht und dieser Schutz nicht verbunden wird mit Sühnevorstellungen. 183 Zitiert nach H. Thyen, Das Johannesevangelium, 122. Vgl. auch die Auslegung Thyens von 1,29, ebd., 118-123. <?page no="170"?> Erster Teil 154 des Jesu ist die Sünde, die das schöpfungsgemäße Leben in der Solidarität der Geschaffenen und in der Gemeinschaft mit dem Schöpfer verfehlt. Die Sünde, von der das Johannesevangelium spricht, ist aber nicht mehr allein bezogen auf die Verfehlungen Israels, sondern das Johannesevangelium bringt die kosmologische Dimension der Sünde ins Spiel. Der Kosmos als ganzer steht im Zeichen der Sünde, weil er als Zusammenhang, als Ganzes nicht mehr als Gottes geliebte Schöpfung erkennbar ist, sondern sich durch die Abkehr von der zweckfreien Liebe Gottes als bedrohliches und zerstörerisches Schlachtfeld verunstaltet. Jesus ist deshalb das Lamm Gottes, weil Gott in der Sendung dieses Lammes die Bedrohlichkeit des Kosmos überwindet und ihn dadurch wieder als seine geliebte Schöpfung erschließt. Der Mensch Jesus, dessen Liebe mit der Liebe Gottes eins ist, geht seinen von der Liebe Gottes motivierten Weg unbeirrt und zwanglos, ohne sich durch Schrecken und Verführungen des Kosmos vom Weg der Liebe abbringen zu lassen. Selbst sein grauenhafter Tod am Kreuz vermag es nicht, diesen Weg der Liebe zu beenden. Die Liebe, mit der Gott ihn in den Kosmos geschickt hat, und die Liebe, mit der er freiwillig sich hat schicken lassen, überwindet auch den Schrecken, die Gewalt und die Endgültigkeit des Todes, ohne ihn zu verharmlosen. Die Auferweckung Jesu Christi vollzieht sich durch die Macht der kreativen Liebe Gottes. Jesus ist das freiwillige, unbeirrte, liebevolle, wirkmächtige Lamm Gottes, das die beängstigende Verirrung, Lieblosigkeit und Verzweckung des Kosmos durch die kreative Liebe Gottes überwindet und damit alle rettet, die sich selbst und den Kosmos als Ganzen durch den tröstenden Geist der Jesus-Christus-Geschichte als geliebte, gewollte und zweckfreie Geschöpfe neu sehen, denken und handeln lassen: „Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab; damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde. Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet, wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes“ (3,16-18). Diese Verse kommentieren trefflich die symbolische Bezeichnung Jesu als „Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegträgt“ 184 und lassen Jesu Bereitschaft, sein Leben für die anderen einzusetzen, als in Übereinstimmung mit der Liebe Gottes sehen. Jesu Leben und dann auch sein Tod geschehen zugunsten der von Gott geliebten Welt. Diese Proexistenz Jesu bestimmt das Johannesevangelium maßgeblich. In eindrücklicher Weise zeigt Joh 10 mit der intertextuellen Einspielung von Ez 34,11-16 und weiteren Texten wie Ps 23, dass Jesus der gute Hirte ist, der das Wohl seiner Herde im Blick hat. 185 Die Metapher des guten Hirten wird aber 184 Joh 1,29b in der Übersetzung von H. Thyen, Das Johannesevangelium, 118. 185 Vgl. B. Janowski, Das Leben für andere hingeben, 99-104. <?page no="171"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 155 in Joh 10 noch weiter ausgezogen. 186 Jesus ist der gute Hirte, der sein Leben einsetzt für die Schafe (10,11). Es ist nicht der Wunsch des Hirten zu sterben, aber die Fürsorge des guten Hirten ist grenzenlos. Auch die Gefahr des eigenen Todes gebietet ihr keinen Einhalt. Der Tod ist nicht der Sinn seines Lebens. 187 Er lebt sein Leben als Ausleger Gottes (vgl. 1,18) für die Erschließung der Welt als geliebte Schöpfung Gottes. Er lebt sein Leben für das Leben aller, die sich von ihm in die Einheit des Lebens mit ihm und dem Vater gerufen finden (vgl. 10,16). Das Kennzeichen dieser Gemeinschaft ist wiederum nichts anderes als die Liebe (vgl. 13,34f.). Sie ist das in Gott gründende Band zwischen Gott, dem Sohn, der Schöpfung und allen auf die Sendung des Sohnes geistreich Hörenden. Dieses Band vermag der Tod nicht zu zerreißen. Diese Einsicht setzt die Lazaruserzählung mit ihren Dialogen in Szene. Aber genau diese Einsicht ist den Antagonisten der johanneischen Erzählung versperrt. Während die Vollmacht des Sohnes den Tod überwindet, verbünden sich Jesu Gegner mit dem Tod: Im Anschluss an die Lazaruserzählung in Kapitel 11 erzählen einige der Augenzeugen den Pharisäern, „was Jesus getan hatte“ (11,46). „Da versammelten die Hohenpriester und die Pharisäer den Hohen Rat und sprachen: Was tun wir? Dieser Mensch tut viele Zeichen. Lassen wir ihn so, dann werden sie alle an ihn glauben, und dann kommen die Römer und nehmen uns Land und Leute. Einer von ihnen aber […] sprach: Es ist besser für euch, ein Mensch sterbe für das Volk, als dass das ganze Volk verderbe“ (11,47bff.). Auch Jesu Gegner können die von Jesus gewirkten Wunderzeichen nicht mehr bestreiten, wie sie es noch nach der Heilung des Blindgeborenen versuchten (vgl. 9,18ff.). Ihre Sorge gilt aber nicht ihrem Volk. Sie fürchten vielmehr, dass ihnen von den Römern Land und Leute genommen werden, wenn sich der Siegeszug Jesu fortsetzt. Der Rat des Hohenpriesters Kaiphas meint also zunächst, es sei besser, Jesus zu töten, als dass es zu einem bewaffneten Konflikt mit den Besatzern käme, der die Machtstellung des Hohen Rates weiter schwächen würde. Der Erzählerkommentar hingegen bezieht den Satz des Hohenpriesters ganz auf die Proexistenz Jesu, der mit seinem ganzen Leben und dann auch mit seinem Tod für die Menschen, mehr noch, für den Kosmos lebt und in diesem Sinne sein Leben für das Wohlergehen, für die Rettung der geliebten Geschöpfe Gottes gibt (vgl. 11,51f.). „Der Begriff der ‚Lebenshingabe‘ meint die Gesamtexistenz Jesu, d.h. das Leben, das Jesus in liebender Hingabe an die anderen gelebt hat, und den Tod, der die Konsequenz dieses Lebens war.“ 188 Diese Lebenshingabe ist nicht die lebensmüde Tat eines todessehnsüchtigen Helden. Sie ist ganz und gar bestimmt von der Liebe: „Niemand hat 186 Vgl. zu Joh 10 R. Zimmermann, Christologie der Bilder im Johannesevangelium, 241- 404. 187 Vgl. B. Janowski, Das Leben für andere hingeben, 103. 188 Ebd., 98. <?page no="172"?> Erster Teil 156 größere Liebe als die, dass er sein Leben einsetzt für seine Freunde“ (15,13). Weil Jesus seinen ganzen Lebensweg konsequent, zwanglos (vgl. 12,27) und um alle daraus resultierenden Gefahren wissend geht, ist er selbst das „Licht“ der Welt (vgl. 12,46). Seine Proexistenz, die nicht das Leiden sucht, aber sich auch nicht vom Leiden auf seinem Weg des Lebens für die anderen abbringen lässt, ist seine Herrlichkeit. „In Joh 12,23 wird die ‚Stunde‘ angekündigt, in der der Menschensohn verherrlicht werden soll (Joh 12,23 […]). Das Motiv der ‚Stunde Jesu‘ durchzieht das ganze Evangelium wie ein roter Faden (Joh 2,4; 4,21.23; 5,25.28; 7,30; 8,20; 13,1; 16,2.4.25.32; 17,1 […]) Gemeint ist hierbei die Stunde des Todes Jesu […], die allerdings nicht als Katastrophe, sondern als Stunde der ‚Verherrlichung‘ bewertet wird.“ 189 Im Licht der Proexistenz Jesu verliert der Tod seine endgültige Macht und wird sogar in den Dienst des Lebens hineingenommen: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht“ (12,24). Dieses Gleichnis kann als Kommentar der letzten Worte Jesu am Kreuz in der Darstellung des Johannesevangeliums gelesen werden: „Es ist vollbracht“ (19,30b). Der gewalttätige Kosmos hat den Mord als letzte Waffe gegen das Leben eingesetzt und es nicht besiegen können. Jesu Kreuzestod bringt viel Frucht, denn der Geist seiner Geschichte zeigt das unverstellte Gesicht des Kosmos als Gottes geliebte Schöpfung. Im Licht seines Weges, seiner Wahrheit, seines Lebens wird der Angst einflößende Kosmos überwunden, indem er geistreich als geliebte Schöpfung erschlossen und dadurch selbst gerettet wird (vgl. 12,47b). Jesus besiegt mit seinem von Liebe geprägten Lebensweg die Welt, insofern sie sich nicht als von Liebe geprägte Schöpfung zeigt, sondern als Ort der Bedrückung (vgl. 16,33). Deshalb kann der johanneische Jesus von sich sagen: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater denn durch mich“ (14,6). „Wer mich sieht, der sieht den Vater“ (14,9b). Das gilt nicht nur für die in der Erzählung angesprochenen Jünger, sondern zielt gerade auf die Leser und Leserinnen des Johannesevangeliums. Wer die Jesus-Christus- Geschichte des Johannesevangelims als die Geschichte des von Gott gesandten Lichts, als die Geschichte des fleischgewordenen Schöpfungswortes Gottes geistreich liest, dessen Weg der Proexistenz zugleich seine Herrlichkeit ist, der sieht den Vater als barmherzigen Grund allen Seins, auch des eigenen. Der wird trotz aller Gefahren und Ungerechtigkeiten in dieser Welt sich und die Welt aus der Liebe Gottes begreifen können. Die Vollmacht des Sohnes Jesus ist auch im Johannesevangelium kein ohnmächtiges Opfer menschlicher oder kosmischer Gewalt. Er hat Macht, unbegrenzte Macht, aber er verzichtet aus Liebe darauf, diese Macht zur Vernichtung seiner Gegner 189 Vgl. dazu R. Zimmermann, Das Leben aus dem Tod, 805. <?page no="173"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 157 einzusetzen (vgl. 18,11). Wie Jesu Weg von Beginn des Johannesevangeliums an durch seine Passion geprägt ist, so gleichermaßen durch seine Vollmacht. Nachdem Jesus durch sein menschliche Möglichkeiten übersteigendes Wissen (vgl. 1,43-51; 4,17ff.) und vor allem durch seine wunderbaren Zeichen (vgl. 2,1-12.23; 3,2; 4,43-54; 5,1-9) seine göttliche Macht hat wirksam werden lassen und sie öffentlich mit dem Wunder wirkenden Handeln Gottes gleich gestellt hat (5,17), „trachteten die Juden noch viel mehr danach, ihn zu töten, weil er nicht allein den Sabbat brach, sondern auch sagte, Gott sei sein Vater, und machte sich selbst Gott gleich“ (5,18). Der Vorwurf der Gegenspieler Jesu trifft also die Identität des Protagonisten der Erzählung, aber sie meinen, er schreibe sich diese Markierung zu Unrecht zu. Sie erkennen nicht, dass Jesus wahrhaft der Sohn des Vaters und als solcher eins mit Gott ist (vgl. 10,30). In 5,19-47 reagiert Jesus auf diesen Vorwurf, indem er seine göttliche Vollmacht erläutert. Die Macht des Sohnes hat demzufolge ihren Grund nicht in ihm selbst, sondern in der Macht des Vaters. Er zeigt ihm alles, und die Einheit zwischen Vater und Sohn, von der dann ausdrücklich 10,30 spricht, liegt darin begründet, dass der Sohn tut, was der Vater ihm zeigt (vgl. 5,19f.). Die Macht des Sohnes reicht soweit wie die des Vaters. Das schließt die Macht der Totenerweckung ausdrücklich ein: „Denn wie der Vater die Toten auferweckt ( evgei,rei ), so macht auch der Sohn lebendig ( zw|opoiei/ ), welche er will“ (5,21). Der parallele Satzbau zeigt an, dass hier keine terminologische Differenz eingeführt werden soll. Die Metaphorik der Auferweckung kann auch im Johannesevangelium kaum durch eine Wortsemantik aufgeschlüsselt werden. Aufschlussreicher hingegen ist die syntagmatische Verschränkung der Auferweckungsthematik mit dem Gerichtsgedanken. Das eschatologische Gericht ereignet sich bereits durch die Sendung des Sohnes, es geht aber darin nicht auf. Das Johannesevangelium verschränkt die Zeiten ineinander, ohne die Zukunft in der Gegenwart aufgehen zu lassen. Wer sich jetzt zu dem vom Vater gesandten Sohn bekennt, „der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurch gedrungen“ (5,24b). In diesem Sinn macht der Sohn schon jetzt eschatologisch wirksam lebendig, was sich erst im Ereignen des Endgerichts zeigen wird: Der Vater hat dem Sohn „Vollmacht ( evxousi,a ) gegeben, das Gericht zu halten, weil er der Menschensohn ist. Wundert euch darüber nicht. Denn es kommt die Stunde, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören werden und werden hervorgehen, die Gutes getan haben, zur Auferstehung ( avna,stasij ) des Lebens, die aber Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichts“ (5,27ff.). Erst am Ende der Welt ereignet sich das eschatologische Gericht, in das auch die Verstorbenen einbezogen werden. Dafür werden sie auferweckt. Schon jetzt aber ereignet es sich für diejenigen, die dem Sohn begegnen und sich deshalb zu ihm verhalten, sei es ablehnend oder seine Herrlichkeit prei- <?page no="174"?> Erster Teil 158 send: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, dass die Toten hören werden die Stimme des Sohnes Gottes, und die sie hören, die werden leben“ (5,25). Die Toten, die schon jetzt die Stimme des Sohnes Gottes hören, sind zum einen diejenigen, die Jesus im Verlauf des Johannesevangeliums heilt und wiederbelebt: der todkranke Sohn des königlichen Beamten (vgl. 4,43-54) und mehr noch Lazarus (vgl. 11,1-44) und mit ihnen die todkranken und Wiederbelebten der synoptischen Evangelien, die durch diese Erzählungen des Johannesevangeliums intertextuell eingespielt werden. 190 Darüber hinaus aber sind es alle Rezipienten der Jesus- Christus-Geschichte, die im Wort des Evangeliums die Herrlichkeit des Vaters und des Sohnes sehen. Die Lektüre des Johannesevangeliums wird somit selbst zum apokalyptisch-eschatologischen Ereignis, das über die Zukunft der Lesenden bzw. Hörenden entscheidet, weil sich an ihrer Ablehnung bzw. ihrer Zustimmung schon jetzt das Gericht ereignet, ohne aber die Zukunft des futurisch-eschatologischen Endgerichts zu ersetzen. Wer sich schon jetzt durch den Logos des Evangeliums vom Vater zum Sohn gezogen erfährt (vgl. 6,44), kann die eigene Auferweckung zum ewigen Leben getrost erwarten: „Das ist aber der Wille dessen, der mich gesandt hat, dass ich nichts verliere von allem, was er mir gegeben hat, sondern dass ich es auferwecke am Jüngsten Tage. Denn das ist der Wille meines Vaters, dass wer den Sohn sieht und glaubt an ihn, das ewige Leben habe; und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tage“ (6,39f.). Dabei gilt dem Johannesevangelium dieser Glaube nicht als eine vom Menschen zu erbringende Leistung, sondern als „Werk Gottes“ ( e; rgon tou/ qeou/ vgl. 6,29b). Die in Kapitel 5 thematisierte Vollmacht des Sohnes ist aber erst hinreichend im Blick, wenn die Tragweite von 5,26 erfasst wird: „Denn wie der Vater das Leben hat in sich selber; so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben zu haben in sich selber.“ Nur Gott, der kreative Schöpfer von allem, hat das Leben in sich selbst. Deshalb kann er Leben schaffen und auch Tote lebendig machen. Nur dem Sohn hat Gott die Gabe des inhärenten Lebens gegeben. Nur weil er dieses göttliche Leben in sich trägt, kann er als derjenige gelten, der vor allem Geschaffenen war (vgl. 8,58b). Weil er dieses Leben in sich selbst als Gabe Gottes trägt, kann er über seinen Tod und seine Auferstehung sagen: „Darum liebt mich mein Vater, weil ich mein Leben lasse, dass ich´s wieder nehme. Niemand nimmt es von mir, sondern ich selber lasse es. Ich habe Macht, es wieder zu nehmen. Dieses Gebot habe ich empfangen von meinem Vater“ (10,17f.). Was die Erzählung syntagmatisch als ein Nacheinander darstellt, wird durch die interpretierenden Reden als gleichursprüngliches Ereignis verstehbar. Der durch Gott von den Toten auferweckte Mensch Jesus erhält im Akt der Totenerweckung das göttliche ewige Leben als Gabe und erhält durch diese Gabe Anteil am alle Zeiten übergreifenden und durchdringenden Leben Gottes. Der im Johannesevangelium sich selbst auslegende Jesus 190 Vgl. dazu H. Thyen, Das Johannesevangelium. <?page no="175"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 159 legt damit Gott aus und vollzieht so die Aufgabe, die ihm durch den Prolog zugeschrieben wurde (vgl. 1,18). Die Wiederbelebung des Lazarus als Zeichen der eschatologischen Auferweckung Die Wiederbelebung des Lazarus ist das letzte Zeichen, das Jesus vor seiner Hinrichtung bewerkstelligt. 191 Alle Wunder, die Jesus im Johannesevangelium wirkt, werden als menschliche Möglichkeiten übersteigende, göttliche Werke erzählt, die aber nicht ihren Sinn in sich selbst haben, sondern den Menschen Jesus als den von Gott aus Liebe zur Rettung des Kosmos und insbesondere der Menschen gesandten Sohn ausweisen. Der Glaube, der aus den Wunderwerken Jesu erwächst, wird im Johannesevangelium nicht diffamiert. Nach der ersten Wundertat, der Verwandlung des Wassers zu Wein in 2,1-10, heißt es in 2,11 ohne jede Ironie: „Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat, geschehen in Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit und seine Jünger glaubten an ihn.“ Das zweite Zeichen erzählt die Heilung des Sohnes eines königlichen Beamten (4,43-54). Auch sie führt zum Glauben des Beamten und seines ganzen Hauses ohne jede Kritik des Erzählers an diesem, durch ein Wunder hervorgerufenen Glauben (vgl. 4,52f.). Nach der dritten Wundererzählung, der Heilung eines Gelähmten am Teich Betesda (5,1-18), wird Jesus verfolgt, weil die Heilung an einem Sabbat stattfand (vgl. 5,16ff.). Nach der bereits oben thematisierten Darlegung seiner Vollmacht bringt Jesus seine Wunderzeichen auch hier ohne jede Distanzierung als Zeugnis seiner göttlichen Gesandtschaft vor: „Ich habe aber ein größeres Zeugnis als das des Johannes, denn die Werke, die mir der Vater gegeben hat, damit ich sie vollende, eben diese Werke, die ich tue, bezeugen von mir, dass mich der Vater gesandt hat“ (5,36). Die Reaktion auf die Speisung der 5000 (6,1-15) lautet: „Als nun die Menschen das Zeichen sahen, das Jesus tat, sprachen sie: Dies ist wahrlich der Prophet, der in die Welt kommen soll“ (6,14). Auch hier kritisiert Jesus nicht die aus dem Wunder erwachsene Schlussfolgerung, sondern vielmehr entzieht er sich dem Ansinnen der Menge, ihn nun als irdischen König einzusetzen. Jesus zieht sich zunächst auf den Berg zurück und dann folgt sein Gang auf dem Wasser zum vorausgefahrenen Boot seiner Jünger (6,16-21). In seiner daran anschließenden Brotrede (6,22-58) kritisiert er nicht etwa den aus Zeichen erwachsenen Glauben, sondern die materielle Gesinnung der Menge (6,26). Es sind gerade die Wunderzeichen Jesu, die einige aus dem Volk, aber auch den Pharisäer Nikodemus, „einer von den Oberen der Juden“ (3,1b), veranlassen, Jesus als den Christus, den von Gott gesandten Sohn zu erkennen (vgl. 3,2; 7,31). Auch die Heilung des Blindgeborenen führt bei einigen im Volk zu dieser von Jesus erwünschten Reaktion (9,16b.33). Der Geheilte 191 Vgl. dazu R. Zimmermann, The Narrative Hermeneutics of John 11. <?page no="176"?> Erster Teil 160 selbst sagt: „Herr ich glaube, und betete ihn an.“ Und schließlich hält Jesus im Streitgespräch beim Tempelweihfest seinen Gegnern vor: „Die Werke, die ich tue in meines Vaters Namen, die zeugen von mir. Aber ihr glaubt nicht, denn ihr seid nicht von meinen Schafen“ (10,25b). Auf ihren Vorwurf, er mache sich der Blasphemie schuldig, weil er sich selbst zum Gott mache (vgl. 10,33), erwidert er: „Tue ich nicht die Werke meines Vaters, so glaubt mir nicht; tue ich sie aber, so glaubt doch den Werken“ (10,37f.). Die von Jesus als Werke Gottes gewirkten Wunder werden als Zeichen seiner göttlichen Sendung nicht nur ohne jede Ironie als auf den Glauben zielende Mittel im Verlauf der Erzählung eingesetzt. Vielmehr resümiert der Erzählerkommentar in 20,30f., der sich direkt an den Leser des Evangeliums wendet: „Noch viele andere Zeichen tat Jesus vor seinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buch. Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen.“ Zwar bezieht sich dieser Kommentar unmittelbar auf die Erscheinungserzählungen in Kapitel 20, aber der Sache nach kann das gleiche von den Wunderzeichen vor der Kreuzigung gesagt werden. Das Johannesevangelium erzählt die Wunder Jesu als Zeichen seiner göttlichen Sendung und will mit ihrer Verschriftlichung Glauben wecken. Dies gilt ebenso von der Auferweckung bzw. Auferstehung Jesu, wovon noch zu handeln sein wird. Der Wiederbelebung des Lazarus kommt als letztes Wunderzeichen vor der Passion Jesu besondere Bedeutung zu, denn diese Erzählung bestätigt nicht nur die Behauptung Jesu, die er in der Darlegung seiner Vollmacht in 5,21 aufstellte: „Denn wie der Vater die Toten auferweckt und macht sie lebendig, so macht auch der Sohn lebendig, welche er will.“ Vielmehr thematisiert Kapitel 11 die Verschränkung der eschatologischen Auferweckung der Toten, wie sie auch von den Pharisäern und wohl auch von der Mehrheit der Juden zur Zeit Jesu erwartet wurde, mit dem Wunderhandeln Jesu, das in dem Wort gipfelt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt, und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben“ (11,25f.). Und schließlich weist die Lazaruserzählung voraus auf Tod und Auferweckung Jesu. Schon die Eröffnung der Lazaruserzählung zeigt an, dass Jesus die Wiederbelebung des Lazarus als Zeichen seiner Gottessohnschaft nutzen möchte, um Glauben zu wecken. Lazarus erkrankt und seine Schwestern Maria und Marta informieren Jesus darüber. Die zahlreichen intratextuellen Vernetzungen mit anderen Erzählungen im Johannesevangelium, wie auch die intertextuellen Bezüge zu den synoptischen Evangelien verweisen auf die hohe Bedeutungsdichte der Lazaruserzählung. 192 Jesu Reaktion auf die Botschaft deutet nun das ganze Geschehen im Voraus: „Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern zur Verherrlichung Gottes, damit der Sohn Gottes dadurch verherrlicht werde“ (11,4). Der direkt 192 Vgl. zur Lazaruserzählung H. Thyen, Das Johannesevangelium. <?page no="177"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 161 anschließende Erzählerkommentar aber wehrt das Missverständnis ab, Jesus benutze Lazarus und die Angst und Trauer von Maria und Marta um ihren Bruder sei ihm egal. Vielmehr heißt es in 11,5: „Jesus aber hatte Marta lieb und ihre Schwester und Lazarus.“ Das folgende Geschehen wird genau dann anstößig, wenn dieser Satz ignoriert wird. Jesus ist mit den Leidtragenden dieser Erzählung konjunkt. Nur weil er das Vorauswissen hat, dass diese Krankheit des Lazarus nicht den Tod bedient, sondern ein Beitrag zur Glauben weckenden Markierung seiner Herrlichkeit ist, lässt er zunächst den Dingen seinen Lauf. Erst nach zwei Tagen bricht er nach Judäa auf, obwohl ihn seine Jünger auf die Gefahr aufmerksam machen, in die er sich begibt, wenn er dorthin zieht (vgl. 11,6-10). Jesus entgegnet seinen Jüngern: „Lazarus, unser Freund, schläft, aber ich gehe hin, ihn aufzuwecken ( evxupni,sw ).“ Den Jüngern entgeht die doppelte Metapher dieser Aussage und sie missverstehen den Schlaf des Lazarus als Gesundheitsschlaf (11,12f.). Doch dann verlässt Jesus die metaphorische Rede und erklärt ihnen den Tod des Lazarus als Grund zur Freude: „Lazarus ist gestorben und ich bin froh um euretwillen, dass ich nicht da gewesen bin, damit ihr glaubt“ (11,14bf.). Die Reaktion der Jünger, verbalisiert durch Thomas, lässt noch nichts von der Freude Jesu spüren und zeigt an, dass auch die Jünger noch nicht zur Gänze von dem Glauben erfüllt sind, der sie die ganze Herrlichkeit Jesu auch ohne Zeichen erkennen ließe. Vielmehr sehen sie lediglich die Todesgefahr für Jesus, aber auch für sich selbst, wenn sie nach Judäa ziehen und sich damit der Gefahr des Konflikts mit Jesu Gegnern erneut aussetzen (vgl. 11,16). Vers 17 erzählt von der Ankunft Jesu und konfrontiert mit der Angabe, Lazarus liege schon vier Tage im Grab, Jesu Aussage, diese Krankheit sei nicht zum Tode. Jesu Aussage aus 11,4b und die Faktizität der Leiche im Grab stellen einen für menschliche Möglichkeiten nicht zu überwindenden Widerspruch dar, den die Fortsetzung der Erzählung auf höchst dramatische Weise löst. Die Ortsangabe, Betanien liege nur eine halbe Stunde von Jerusalem entfernt, plausibilisiert die Angabe aus V.19, der zufolge viele Juden, eben auch viele aus Jerusalem, bei Marta und Maria sind, um mit ihnen zu trauern. Das Wunder findet gleichsam vor der Jerusalemer Öffentlichkeit statt, sichtbar für alle Anwesenden. Marta zieht Jesus allein entgegen. Maria bleibt mit der Trauergesellschaft zurück. Marta bringt dann nicht nur ihre Überzeugung zum Ausdruck, Jesus hätte Lazarus heilen können, wäre er da gewesen. Vielmehr macht die Fortsetzung ihrer Ansprache aus dem vermeintlichen Vorwurf eine Bitte, die ihr grenzenloses Vertrauen in die Vollmacht Jesu zum Ausdruck bringt: „Was du bittest von Gott, das wird dir Gott geben“ (11,22). Jesu Antwort kündigt die Erfüllung der impliziten Bitte Martas an: „Dein Bruder wird auferstehen ( avnasth,setai )“ (11,23). Marta bringt nun das von ihr, Jesus, den Pharisäern und wohl den meisten Juden geteilte eschatologische Wissen als unstrittig und deshalb ihre implizite Bitte nicht berührende Aussage ein: <?page no="178"?> Erster Teil 162 „Ich weiß wohl, dass er aufstehen wird bei der Auferstehung am Jüngsten Tag“ (11,24). Die darauf folgende Antwort Jesu bedient immer noch nicht die implizite Bitte der Maria, Jesus möge mit der Macht Gottes Lazarus jetzt wiederbeleben. Vielmehr konfrontiert Jesus mit seiner Antwort die futurisch-eschatologische Erwartung der Totenerweckung am Jüngsten Tag mit seiner eigenen apokalyptisch-eschatologischen Identität: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. Glaubst du das? “ (11,25f.) Jesu Selbstprädikation als Auferstehung und Leben verdünnt die jüdische futurisch-eschatologische Auferstehungshoffnung nicht hin zu einer spiritualistisch verengten präsentischen Eschatologie, die mit der sperrigen Materialität der Leichen nichts mehr zu tun hätte. Auch die johanneische Auferstehungstheologie geht nicht in einem neuen Selbstverständnis auf, wenngleich sie natürlich auch darauf zielt. Der johanneische Jesus kann sich selbst als Auferstehung und Leben prädizieren, weil er zur Gänze aus der Perspektive des auferweckten Gekreuzigten gezeichnet ist, dessen blutiger Leib jeder entmaterialisierenden vergeistigten Entleerung Einhalt gebietet. Er ist die Auferstehung und das Leben, weil seine Präsenz, die das Johannesevangelium zeichnet, ganz von der liebenden Schöpfungskraft, vom Leben Gottes bestimmt ist. Jesus ist die Auferstehung, weil von ihm wahrhaftig nur noch als auferweckter Gekreuzigter geredet werden kann, dessen Auferstehung und dessen göttliches Leben allen angeboten werden, die sich vom Geist der Jesus-Christus-Geschichte Gott und die Welt neu zeigen lassen. Wer den getöteten Jesus als auferweckten Gekreuzigten wahrnimmt, für den macht die futurische Hoffnung auf die Auferweckung der Toten und damit auch die Hoffnung auf die je eigene Auferweckung Sinn und zugleich reicht diese Zukunft in die Gegenwart des Lebens hinein und lässt die Welt, die Mitmenschen und sich selbst als geliebte und bewahrte Geschöpfe des barmherzigen Schöpfers sehen. Diesen Zusammenhang gibt auch die Begründung des „Ja“ der Marta zu verstehen: „Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist“ (11,27). Jesu Selbstprädikation als Auferstehung und Leben sowie seine Markierung als Christus und als in die Welt gekommener Gottessohn interpretieren sich wechselseitig. Sodann bringt Marta Maria ins Spiel und mit ihr die ganze Trauergesellschaft. Maria fällt Jesus weinend vor die Füße, und obwohl sie dieselben Worte wie eingangs Marta spricht, formuliert sie damit genau den Vorwurf, den Marta in eine vertrauensvolle Bitte verwandelte: „Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben“ (11,32b). Jesus reagiert grimmig auf diesen Vorwurf (vgl. 11,33.37f.) und geht zum Grab. Er lässt den Stein vom Grab wegrollen. Die nun auch in Marta aufsteigenden Zweifel formulieren noch einmal verstärkt die Schwere des Vorhabens Jesu: „Herr, er stinkt schon, denn er liegt seit vier Tagen“(11,39). Aber Jesus erinnert sie an seine Zusage: „Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die <?page no="179"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 163 Herrlichkeit Gottes sehen“ (11,40). Sodann richtet Jesus seine Augen zum Himmel auf, nimmt damit sichtbar Kontakt zum Vater auf und spricht ein sich erklärendes Dankgebet: „Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. Ich weiß, dass du mich allezeit hörst, aber um des Volkes Willen, das herumsteht, sage ich es, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast“ (11,41bf.) Jesus hätte demzufolge weder Worte noch Blickkontakt zum Himmel nötig, aber er will damit den Anwesenden - und das Johannesevangelium seinen Lesern - demonstrieren, dass seine Kraft, die sogleich das Unglaubliche bewirken wird, die durch ihn wirkende Kraft Gottes ist. Mit dieser Demonstration soll gezeigt werden, dass Jesus der von Gott gesandte Christus, der Sohn Gottes ist. Genau das aber ist das erklärte Ziel der gesamten Demonstration des Johannesevangeliums. Das Johannesevangelium will als Ganzes und eben auch mit den Wundererzählungen vor Augen malen, dass der ermordete Jesus kraft seiner Auferweckung das Fleisch gewordene Wort Gottes war. Die Zeichen des Johannesevangeliums geben davon Zeugnis, indem sie ihn repräsentieren. Die Intention des Johannesevangeliums ist kongruent mit der Intention des Wunderhandelns seines Protagonisten und diese Intention findet in 11,45 ihre beispielgebenden Rezipienten: „Viele nun, die zu Maria gekommen waren, und sahen, was Jesus tat, glaubten an ihn.“ Das Zeichen der Auferweckung und die Zeichen des Auferweckten Wie die synoptischen Evangelien lässt auch das Johannesevangelium keinen Zweifel daran, dass Jesus am Kreuz starb (19,30b). Aber wie schon Lukas, so ändert auch Johannes gegenüber Markus die letzten Worte Jesu am Kreuz. Der sterbende Jesus in der Darstellung des Johannes sagt unmittelbar vor seinem Tod: „Es ist vollendet ( tete,lestai ).“ Mit dem Tod am Kreuz hat sich auch erfüllt, was die Schrift vorhersagte, worauf mehrfach hingewiesen wird (vgl. 19,24.28.36f.). An das Ende gekommen ist mit seinem Tod sein Leidensweg, nicht aber die Jesus-Christus-Geschichte, wie sie das Johannesevangelium erzählt. Die eschatologische Kraft der Jesus-Christus- Geschichte, die die Gottesferne des bedrohten und daraufhin bedrohlichen Kosmos überwindet, gründet darin, dass der Kreuzestod nicht das letzte Wort behält. Und so tritt der implizite Autor nach der Schilderung des Todes Jesu aus seiner Verborgenheit heraus und wendet sich an die Lesenden, um ihnen in unverborgener direkter Anrede vor Augen zu führen, dass das Johannesevangelium die Reihe der Zeugen fortsetzt, die mit Johannes, dem Täufer, im Prolog begonnen hat. Er bezeugt, dass, nachdem der Tod Jesu von den Soldaten festgestellt worden war, ihm nicht wie den anderen die Beine gebrochen wurden, sondern sie ihm eine Lanze in die Seite stießen und „Blut und Wasser“ herauskam (19,34b). Wie man auch immer diese Symbolik interpretieren mag, 193 deutlich ist in jedem Fall, dass die Fortset- 193 Vgl. dazu H. Thyen, Das Johannesevangelium. <?page no="180"?> Erster Teil 164 zung der Erzählung nach dem Tod Jesu Ungewöhnliches zur Sprache bringt, das nicht der Erfahrung dieser Welt entspricht. Jesus wird gemeinsam von Joseph von Arimathäa und von Nikodemus in einem noch ungenutzten Grab nahe der Kreuzigungsstätte bestattet. Er wird schon jetzt gesalbt und in Leinentücher gewickelt. Alles findet statt, „wie die Juden zu begraben pflegen“ (19,40c). Maria von Magdala geht am ersten Tag der Woche in aller Frühe zum Grab, allein und anders als die Frauen in den synoptischen Evangelien ohne Salbungsabsicht, denn die wurde ja bereits bei der Grablegung besorgt. Sie „sieht, dass der Stein vom Grab weg war“ (20,20c). Sie geht nicht in das Grab, denn sie ist spontan davon überzeugt, dass der Leichnam Jesu geraubt wurde. Trotz aller Ankündigungen Jesu, trotz des Zeichens der Wiederbelebung des Lazarus, denkt und handelt Maria von Magdala ganz in der Logik des Todes. 194 Das Grab ist geöffnet, Tote können das Grab nicht selbst öffnen, also müssen es andere geöffnet haben, um den Leichnam Jesu wegzunehmen. Sie läuft in ihrer ratlosen Empörung „zu Simon Petrus und zu dem anderen Jünger, den Jesus lieb hatte, und spricht zu ihnen: Sie haben den Herrn weggenommen aus dem Grab, und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben“ (20,2). Die beiden Jünger laufen zum Grab und der, den Jesus lieb hatte, ist eher da, schaut ins Grab, ohne hineinzugehen, und sieht die Totentücher. Simon Petrus hingegen betritt das Grab, sieht ebenfalls die Tücher, sowie Jesu Schweißtuch, das er um sein Haupt gewickelt hatte, an einer anderen Stelle im Grab liegen. Nun betritt auch der zuerst angekommene das Grab, sieht und glaubt (20,10). Der anschließende Erzählerkommentar erläutert, warum sie nicht sogleich verstehen, was geschehen ist: „Denn sie verstanden die Schrift noch nicht, dass er von den Toten auferstehen musste“ (20,9). Die Schrift gilt dem Johannesevangelium als Verstehensbedingung der Auferweckung des Gekreuzigten, und so ist es nur konsequent, dass sein Prolog mit dem intertextuellen Verweis auf den Anfang der Schrift beginnt. Während die beiden Jünger im Grab sind, weint Maria von Magdala vor dem Grab. Weinend „schaute sie in das Grab“ und sieht nicht etwa die Jünger, sondern „zwei Engel in weißen Gewändern sitzen“ (vgl. 20,11f.). Die Engel sagen ihr: „Frau was weinst du? “ Obwohl sie das leere Grab sieht, obwohl sie ja nun auch die Leinentücher sehen kann, obwohl sie im Grab von zwei Engeln angesprochen wird, denkt sie immer noch in der Logik des Todes und verharrt in ihrer ersten Interpretation des geöffneten Grabes: „Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben“ (20,13). 194 Vgl. J. Zumstein, Die johanneische Ostergeschichte als Erzählung gelesen, 13: „Obwohl sie Jesus liebt, ist sie nicht in der Lage, den Weg zum Glauben aus eigener Kraft zu finden. Sie reagiert nach den Massstäben dieser Welt auf das leere Grab und erklärt es mit einem Plausibilitätsargument: dem Diebstahl oder der Verlegung des Leichnams.“ <?page no="181"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 165 Während sie das sagt, dreht sie sich um, sieht Jesus, aber erkennt ihn nicht, sondern hält ihn für den Gärtner und vielleicht sogar für denjenigen, der die Leiche Jesu weggetragen hat, deshalb spricht sie ihn an: „Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast, dann will ich ihn holen“ (20,15b). Der Leib des auferweckten Gekreuzigten ist kein toter Leichnam mehr, aber auch nicht mehr so, wie er vor der Auferweckung war. Erst als Maria sich vom Grab abwendet, sieht sie den Auferweckten und erst an der Stimme, die ihren Namen ruft, erkennt sie den auferweckten Gekreuzigten. Sie antwortet ihm auf Hebräisch und nennt ihn „Rabbuni, das heißt Meister“ (20,16). Der auferweckte Gekreuzigte spricht dann auch zu ihr als Meister und beauftragt sie: „Rühre mich nicht an, denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott“ (20,17). Maria kommt dem Auftrag nach, geht endgültig weg vom Grab und informiert die Jünger, deren Reaktion aber nicht erzählt wird. Das leere Grab ist dem Johannesevangelium kein untrüglicher Beweis der Auferweckung des Gekreuzigten, sonden unheimlicher Ort des Missverstehens. Am Abend desselben Tages kommt Jesus durch die verschlossenen Türen, zeigt sich seinen Jüngern und spricht zu ihnen: „Friede sei mit euch“ (20,19). Sein auferweckter Leib gehorcht nicht mehr den Gesetzen von Raum und Zeit. Erst nachdem er ihnen seine bleibenden Wundmale gezeigt hat, werden die Jünger froh, denn nun erst erkennen sie ihren Herrn (20,20). Jesus spricht sie erneut mit dem Friedensgruß an und beauftragt sie: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (20,21b). Die Jünger brauchen für diese Sendung Kraft, denn ihr Weg wird ebenfalls von Konflikten und Leiden begleitet sein. Auch sie treten einen Lebensweg an, der im Zeichen der Liebe den Einsatz ihres Lebens fordert. Der auferweckte Gekreuzigte bläst ihnen dazu die verheißene Kraft des Heiligen Geistes ein (vgl. 20,22) und bevollmächtigt sie zur Vergebung der Sünden (20,23). In dieser Szene fehlt allerdings Thomas, „der Zwilling genannt wird“ (20,24). Den Berichten der Jünger kann er nicht glauben, vielmehr fordert er: „Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege, kann ich es nicht glauben“ (20,25b). Allerdings muss Thomas acht Tage mit seiner Ungewissheit leben, denn erst nach acht Tagen kommt Jesus erneut durch die verschlossenen Türen zu seinen Jüngern (vgl. 20,26). Er fordert Thomas auf zu tun, wonach er verlangte, und gläubig, nicht ungläubig, zu sein (20,27). Thomas aber entgegnet, ohne ihn prüfend zu berühren: „Mein Herr und mein Gott“ (20,28). „Spricht Jesus zu ihm: Weil Du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ (20,29). Dieser Thomas ist zu Unrecht der ungläubige Thomas genannt worden, denn er ist mit einer Ausnahme wie alle anderen Jünger erst durch das Sehen des auferweckten Gekreuzigten und durch das Hören seiner Stimme zum Glauben gekommen. Nur der Jünger, den Jesus liebte, glaubte ohne den <?page no="182"?> Erster Teil 166 auferweckten Gekreuzigten zu sehen und ohne von der Schrift her zu verstehen, dass Jesus auferweckt werden musste (20,8c). Der notwendig zum ganzen Evangelium gehörende Schluss des Evangeliums (vgl. 21,24f.) identifiziert diesen einzigen ohne visuellen Beweis Glaubenden als den Verfasser des Evangeliums und diesen als Vorbild aller Glaubenden. Das Johannesevangelium gibt sich also als Zeugnis desjenigen zu lesen auf, der glaubte, ohne gesehen zu haben. Sein Zeugnis aber wird zum Zeichen der Auferweckung des Gekreuzigten, das seinen Lesern die Zeichen des auferweckten Gekreuzigten vor Augen malt, um sie zum gemeinsamen Glauben zu befähigen (vgl. 20,31). Der Jünger, der glaubte ohne zu sehen, wird zum Garanten des durch das Johannesevangelium vermittelten Sehens, das zu einem Glauben einlädt, der die Abwesenheit des Leichnams Jesu nicht mehr als Angst erzeugende Katastrophe (vgl. 20,11-14), sondern als Unverfügbarkeit des getöteten und auferweckten Jesus Christus und diese als wesentliches Merkmal seiner Erhöhung erfährt: „Der joh. Christus manifestiert sich, wo und wann er will (V.20.26). Er ist der Kontingenz der geschichtlichen Existenz nicht mehr unterworfen. Dieser narrative Zug der Unverfügbarkeit bringt die neue Identität des zum Vater zurückgekehrten Christus zum Ausdruck. Gewiss, der Auferstandene ist niemand anderer als der Gekreuzigte - wie die Szene mit Thomas zeigt, sind die Kreuzesmale die einzigen Zeichen, die den Herrn identifizieren -, der Auferstandene lebt als der Gekreuzigte, aber nicht mehr als historischer Mensch. Die Jünger sind eingeladen, zu diesem Christus, der trotz seiner Vertrautheit ein anderer geworden ist, der bei Gott lebt und in der Welt unverfügbar ist (V. 17), eine neue Beziehung zu knüpfen.“ 195 Mit den Jüngern sind aber auch die realen Leserinnen und Leser des Johannesevangeliums zu dieser Sicht des Glaubens eingeladen. Indem das Johannesevangelium durch seine Erzählung die Unverfügbarkeit des auferweckten Gekreuzigten als dessen Sieg über die Gewalt und die Todesdrohungen des von Gott entfremdeten Kosmos aufzeigt, lädt es zu einem getrosten Glauben ein, der den so Glaubenden die Vollmacht verleiht, als Gottes Kinder neu sehen zu lernen (vgl. 1,12) und sich so getröstet schon jetzt in der Gemeinschaft mit dem auferweckten Gekreuzigten zu erfahren, von dem das Evangelium erzählt. Der Trost des Johannesevangeliums Der auferweckte Gekreuzigte zeigt sich seinen Jüngern ein drittes Mal (vgl. 21,1). Wieder erkennen sie ihn nicht (vgl 21,4). Erst nachdem sie auf sein Geheiß eine erstaunliche Menge Fische fangen, folgert Petrus: „Es ist der Herr“ (21,7b). Selbst die Einblasung des Heiligen Geistes (vgl. 20,22) gibt ihnen nicht die Fähigkeit, den auferweckten Gekreuzigten an seiner Gestalt zu erkennen. 195 J. Zumstein, Die johanneische Ostergeschichte als Erzählung gelesen, 13. <?page no="183"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 167 Jesus bereitet ihnen das Mahl, gibt ihnen Brot und Fische, ohne selbst davon zu essen (vgl. 21,12f.). Nach dem Mahl fragt er Petrus dreimal, ob er ihn lieb habe und vertraut ihm seine Herde an. Der auferweckte Gekreuzigte prophezeit ihm seinen Tod und ruft ihn schließlich in die Nachfolge (21,18f.). Petrus fragt ihn sodann nach dem Geschick des Jüngers, „den Jesus lieb hatte“ (21,20). Jesus antwortet: „Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme, was geht es dich an? “ Diese Antwort erzeugt dann das Missverständnis unter den Jüngern: „Dieser Jünger stirbt nicht“ (21,23a). Der Erzählerkommentar aber stellt fest: „Aber Jesus hatte nicht zu ihm gesagt: Er stirbt nicht, sondern: Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme, was geht es dich an? “ (21,23b). Die Interpretation des Ausspruchs, der Jünger würde nicht sterben, wird abgewiesen. Die Einblasung des Heiligen Geistes schützt die Jünger nicht vor dem Missverstehen der Rede des Auferweckten. Nur der Erzähler des Evangeliums weiß, dass es sich um ein Missverständnis handelt, bietet aber keine eigene Interpretation an, sondern wiederholt lediglich den Ausspruch Jesu. Der Schluss des Evangeliums identifiziert den Erzähler der Jesus- Christus-Geschichte als den Jünger, den Jesus liebte, der am Grab glaubte, ohne den Auferweckten zu sehen, und dem das besondere Geschick des Bleibens, bis der auferstandene Gekreuzigte wieder kommt, zuteil wird. Einen glaubwürdigeren Autor für das Erzählte kann es nicht geben (vgl. 21,24). Weitere Evangelien zu schreiben ist daher völlig nutzlos (vgl. 21,25). 196 Jede Lektüre des Johannesevangeliums bestätigt Jesu Prophezeiung: Der Erzähler des Evangeliums bleibt. Er ist in jeder Lektüre anwesend, auch wenn sein Verfasser längst gestorben ist. Und was mit diesem Schluss des Evangeliums ebenfalls bleibt, ist die Erwartung der Wiederkunft des auferweckten Gekreuzigten. Die Erscheinungserzählungen des Johannesevangeliums in den beiden Schlusskapiteln verdeutlichen, dass der auferweckte Gekreuzigte seine Jünger zwar mit dem Geist begabt, dieser Geist sie aber weder vor Leiden, noch vor Missverständnissen schützt. Der wahrhafte Zeuge, der einzig bleibt, ist der Erzähler des Evangeliums. Er bleibt aber nicht, weil er nicht stirbt, sondern er bleibt als Erzähler des Evangeliums, als Akteur in diesem Evangelium und als Garant der Wahrheit des Evangeliums. Das Johannesevangelium gibt sich als das zuverlässige, beglaubigte Zeichen zu lesen auf, das die Jesus-Christus-Geschichte erzählt und so den abwesenden Sohn repräsentierend vertritt. Wer aber den Sohn mit Hilfe dieses Evangeliums sieht, der sieht den Vater und wer sich vertrauensvoll glaubend vom Geist dieser Erzählung den Kosmos als geliebte Schöpfung Gottes zeigen lässt, der wird in die Gemeinschaft des Vaters und des Sohnes mit hinein genommen und hat daher schon jetzt Anteil an dem Band der göttlichen Liebe und lebt, auch 196 Vgl. H. Thyen, Das Johannesevangelium, 795f. <?page no="184"?> Erster Teil 168 wenn er stirbt, und wird nicht im Tod bleiben, sondern am Jüngsten Tag vom Sohn auferweckt werden. Das Johannesevangelium selbst übernimmt die Funktion des Parakleten, den der im Johannesevangelium dargestellte Jesus verheißen hat: „Das habe ich zu euch geredet, solange ich bei euch gewesen bin. Aber der Tröster, der heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“ (14,25f.). Der Geist der Jesus-Christus-Geschichte, die das Evangelium erzählt, tröstet wirksam. Er ist es, der die Lesenden neu gebiert und sie nun auf geistvolle Weise das Reich Gottes sehen lehrt (vgl. 3,3-8) und sie dadurch bemächtigt, Gottes Kinder genannt zu werden vgl 1,12f.). Er vertröstet nicht, er lockt nicht mit dem Angebot eines passionsfreien, unbeschwerten Lebensweges. Er verschleiert die Gefahren, die Gewalt, die Brutalität der Welt, die sich nicht als Gottes geliebte Schöpfung versteht, nicht. Er macht seinen Empfängern auch nicht vor, unfehlbar zu sein, alles zu verstehen, alles zu wissen. Sein Trost besteht vielmehr darin, dass er den Lebensweg Jesu, den auch der Tod nicht mehr begrenzt, als Sieg der kreativen Liebe über die zwanghaft brutale Gottesferne sehen lässt und alle in diese Sicht der Dinge hineinruft. Wer diesen Ruf hört, wird dankbar und getrost in das Antlitz der Mitgeschöpfe schauen und auch im eigenen Spiegel voller Dankbarkeit einen von Gott geliebten und bewahrten Menschen sehen. Der Paraklet vertröstet nicht. Er spendet wirksamen Trost, der neu sehen und auch die eigene Auferweckung erwarten lässt, begründet in der kreativen Liebe Gottes, die sich im Geschick Jesu stärker als der Tod erwiesen hat. 2. Die Johannesbriefe Die Johannesbriefe setzen die intertextuell orientierte theologische Interpretationsarbeit des Johannesevangeliums fort. Ihr Anliegen ist es, den Geist der Jesus-Christus-Geschichte, wie sie das Johannesevangelium erzählt, als Geist der Wahrheit gegen andere Geister abzugrenzen, die nicht auf dem Boden des Johannesevangeliums erwachsen sind, um so zum Bleiben in der durch die Jesus-Christus-Geschichte erschlossenen Liebe Gottes aufzufordern. Während der 1Joh wohl eher ein brieflicher Traktat ist, handelt es sich bei dem 2Joh und 3Joh um echte Briefe. Ihr gemeinsames Anliegen, das Bleiben in der kreativen Liebe Gottes, die das Johannesevangelium bezeugt, zeigt zugleich an, dass auch die johanneisch geprägten Gemeinden keine konfliktfreien Liebeszonen waren, sondern die Auslegung der Jesus-Christus- Geschichte umstritten war. Während der 1Joh das Johannesevangelium als bekannten Bezugspunkt seiner Argumentation voraussetzt, bezieht sich der 2Joh auf den 1Joh und der 3Joh auf den 2Joh. 197 197 Vgl. F. Vouga, Die Johannesbriefe, 11-20. <?page no="185"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 169 Der 1Joh gibt ein klares Kriterium der Unterscheidung der Geister an, mit dem wie schon in 1Joh 1,1-4 der Prolog des Evangeliums intertextuell eingespielt und als autoritative Richtschnur jeder Deutung der Jesus- Christus-Geschichte in Anspruch genommen wird. Das Kriterium lautet: „Daran sollt ihr den Geist Gottes erkennen: Ein jeder Geist, der bekennt, dass Jesus Christus in das Fleisch gekommen ist, der ist von Gott“ (1Joh 4,2). Dieses Kriterium wird dann auch in 2Joh 7 wieder eingespielt. Auf dieser Basis wird der Sinn der Fleischwerdung gedeutet. Am an der Liebe Gottes orientierten Lebensweg des Sohnes, der seinen Weg konsequent bis zum Tod ging, wird die Liebe Gottes erkennbar: „Daran haben wir die Liebe Gottes erkannt, dass er sein Leben für uns gelassen hat“ (1Joh 3,16). Diese Liebe ist so sehr Gottes Liebe, dass sie als Prädikat Gottes verstanden werden muss: „Gott ist Liebe“ (1Joh 4,8b). Gott hat seinen Sohn aus Liebe in die Welt gesandt, um sie zu retten. Aus dieser in Gott gründenden und von ihm ausgehenden Liebe erhalten alle, die sich als Geliebte Gottes erfahren und verhalten, das Leben geschenkt und zugleich werden die Sünden, verstanden als Verfehlung der Liebe, vergeben: „Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen. Darin besteht die Liebe: nicht, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden“ (1Joh 4,9f.). Auch die Johannesbriefe lassen sich nicht auf eine präsentische Eschatologie reduzieren. Im geistgewirkten einigenden Band der Liebe, die sich stets als Liebe Gottes ereignet, erfährt sich die vom Johannesevangelium bestimmte Gemeinschaft als reale Wirkung derselben schöpferischen Liebe, die auch im Lebensweg Jesu wirksam war und seinen Tod überwunden hat. Sie sind die „Frucht“ seines Todes und seiner Auferstehung (vgl. Joh 12,24). Die durch diese Liebe geschaffene Gemeinde ist das eschatologische Werk des Vaters, des Sohnes und ihres heiligen Geistes. Deshalb sind nur die, die in dieser Liebe bleiben, Kinder Gottes, erkennbar am Glauben an den auferweckten Gekreuzigten und der wirksam gelebten Liebe: „Und das ist sein Gebot, dass wir glauben an den Namen seines Sohnes Jesus Christus und lieben uns untereinander, wie er uns das Gebot gegeben hat“ (1Joh 3,23). Diese von Gott geliebten Liebenden sind bereits „aus dem Tod in das Leben gekommen“, denn die Liebe Gottes ist kreative, wirksame, Realität schaffende Liebe. „Wer nicht liebt, der bleibt im Tod“ (1Joh 3,14). Es gilt aber, in dieser Liebe, in diesem Leben zu bleiben, denn die jetzt erfahrbare eschatologische Liebesgemeinschaft weist über die gegenwärtige Existenz hinaus. Wie der Leib des auferweckten Gekreuzigten ein anderer wurde, der nicht mehr an die Grenzen von Raum und Zeit gebunden ist, so werden auch die jetzt Liebenden dem auferweckten Gekreuzigten gleich gestaltet werden: „Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder. Es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber: wenn es offenbar <?page no="186"?> Erster Teil 170 wird, werden wir ihm gleich sein, denn wir werden ihn sehen wie er ist.“ (1Joh 3,2). Das geistreiche Sehen sieht alles, um gewiss zu sein, dass Gottes kreative Liebe und sein schöpferischer Geist Gottes Kinder nicht im Tod lassen wird, sondern er sie wie den auferweckten Gekreuzigten auf wunderbare Weise neu schaffen wird. Wie die Gestalt der Neuschöpfung aber aussehen wird, bleibt selbst dem geistreichen Sehen solange verborgen, bis der „Erstgeborene von den Toten“ (Apk 1,5b) wiederkehren wird. 3. Die Johannesapokalypse Während das Johannesevangelium das Leben und Sterben des Menschen Jesus aus der Perspektive der Auferweckung des Gekreuzigten gestaltet und damit den bedrohlichen Kosmos als gute Schöpfung Gottes neu erschließt, wendet sich die Johannesapokalypse auf der gemeinsamen Basis der Überzeugung von der kosmologischen Kraft der Auferweckung des Gekreuzigten den aktuellen 198 Bedrohungen der Gemeinden in Kleinasien und ihrer endgültigen Überwindung durch die Macht des auferweckten und erhöhten Gekreuzigten zu. Seine Zeugenschaft für Gott ist das Modell ihres Leidens und als eschatologischer Überwinder jeglicher Bedrängnis ist der auferweckte Gekreuzigte und Erhöhte zugleich der Grund ihrer eigenen Hoffnung auf die Auferweckung zu einem neuen, ungestörten Leben in der Gemeinschaft mit Gott und Jesus Christus. Mit dieser soteriologisch und kosmologisch ausgerichteten Christologie übernimmt die Johannesapokalypse als prophetisches Buch wie schon das Evangelium die parakletische Funktion wirksamen Tröstens. Ihr prophetischer Zuspruch lautet: Nicht die Bedrängnis, das Leiden und der gewaltsame Tod werden das letzte Wort haben, sondern Gott und seine neue Schöpfung, „denn das Lamm mitten auf dem Thron wird sie weiden und leiten zu den Quellen des lebendigen Wassers, und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen“ (7,17). Es darf wohl als gesicherte Erkenntnis der Forschung gelten, dass die Johannesapokalypse nicht aus der Feder des Autors des Johannesevangeliums stammt, denn dafür sind schon die sprachlichen und stilistischen Eigenheiten beider Schriften zu unterschiedlich. Jörg Frey 199 hat aber signifikante 198 Je nachdem, wodurch man diese Bedrohungen durch Gefängnis und Schwert hervorgerufen sieht, wird die Johannesapokalypse entweder in die Zeit Neros, Domitians oder Hadrians datiert. Obwohl Thomas Witulski einige interessante Indizien zusammengetragen hat, die auf die Regierungszeit Hadrians hindeuten, vermag seine arg hypothtische Argumentation nicht zu überzeugen. Die stärkeren Argumente bringt O. Böcher, Die Johannesapokalypse, der mit der Mehrheit der Forschung von der Datierung gegen Ende der Regierungszeit Domitians ausgeht, also um 95 n. Chr. Eine Alternative dazu stellt eher die Datierung in die Regierungszeit Trajans dar. 199 J. Frey, Erwägungen zum Verhältnis der Johannesapokalypse zu den übrigen Schriften des Corpus Johanneum, 382: „Festzuhalten ist zunächst, dass die sprachlich- <?page no="187"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 171 Gemeinsamkeiten zwischen dem Johannesevangelium, den Johannesbriefen und der Apokalypse aufgezeigt, die auf einen gemeinsamen enzyklopädischen Horizont verweisen, der wohl anhand der Sendschreiben der Johannesapokalypse in Kleinasien lokalisiert werden kann. Gerade mit Blick auf die Frage nach dem Auferweckungsdiskurs sticht das soteriologische Interesse an der eschatologisch-kosmologischen Dimension der Auferweckung des Gekreuzigten als gemeinsames Anliegen der johanneischen Schriften hervor. Die Johannesapokalypse war schon seit der Zeit der Alten Kirche eine höchst umstrittene Schrift. Bis in das 10. Jahrhundert hinein war ihre Zugehörigkeit zum Kanon insbesondere in der Ostkirche fraglich. Allerdings prägte gerade diese Schrift im Christentum die Vorstellungen von der Auferstehung der Toten und ihrem Geschick in Himmel und Hölle nachhaltig. „Bis zur Aufklärung des 18. Jh. war sie das beliebteste, meistgelesene, meistillustrierte Buch der Bibel; ihr Einfluß auf die christl. Vorstellungen vom Jenseits (Himmel; Hölle), aber auch auf die kirchliche Kunst u. Architektur […] kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.“ 200 stilistischen Argumente, insbesondere die für Evangelium und Briefe eindrücklichen Stileigentümlichkeiten, mit noch größerer Eindeutigkeit als die am Vokabular erhobenen Daten gegen eine gemeinsame Autorschaft der beiden Werke (bzw. aller fünf johanneischen Schriften) sprechen […] Daß es dennoch nicht angeht, die Frage nach dem Verhältnis der Apokalypse zu den übrigen Schriften des Corpus Johanneum damit ad acta zu legen, wird an den beobachteten phraseologischen Übereinstimmungen deutlich, die gerade angesichts eindeutiger syntaktisch-stilistischer Gegensätze zu beachten sind. Ihnen tritt eine nicht unbeträchtliche Zahl motivischer und theologischer Berührungen zur Seite.“ 200 O. Böcher, Die Johannesapokalypse, 596. Das Interesse der Aufklärung an propositionsfähigen Vernunftwahrheiten trug entscheidend dazu bei, dass die Johannesapokalypse zunehmend ins Abseits wissenschaftlicher Theologie geriet. Eine entscheidende Rolle spielte auch, dass gerade mit den Bildern der Johannesapokalypse einerseits die Kirche immer wieder Angst und Schrecken verbreitete und damit ihre gesellschaftliche Macht behauptete, andererseits viele Oppositionsbewegungen ebenfalls mit der Apokalypse ihre eigenen gewaltvollen Aufstände legitimierten. Bis in die Gegenwart hinein wird die Apokalypse des Johannes immer wieder zu einem Spielball der verschiedenen politischen Optionen im Kampf um gesellschaftliche Macht, was seit gut zwei Jahrzehnten mit zunehmender Tendenz in den USA beobachtet werden kann. Trotz der herausragenden Arbeiten von W. Bousset, Die Offenbarung Johannis, und A. von Harnack, Geschichte der altchristlichen Literatur bis Eusebius, wurde die Tendenz der Zurückdrängung der Apokalypse seitens der Aufklärung durch die Entmythologiesierungsbestrebungen der Bultmannschule nach dem 2. Weltkrieg verstärkt. Die kosmologischen Visionen der Johannesapokalypse passen eben nicht zur individualisierenden Existenztheologie der Bultmannschule, die wohl auch als Reaktion auf die Schrecken der mit zahlreichen Mythologemen durchzogenen Naziideologie zu bewerten ist. Das mag auch mit dazu beigetragen haben, dass die Johannesapokalypse von der Mehrheit der Exegeten von den anderen johanneischen Schriften separiert wurde, galten doch Rudolf Bultmann und vielen seiner Schüler das Johannesevangelium mit dem 1. Johannesbrief als einziger theologischer Ansatz unter den Schriften des Neuen Testaments, der neben den Briefen des Apostels Paulus sachgemäß Theologie betreibt. Vgl. dazu R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments. <?page no="188"?> Erster Teil 172 Der Lektürevertrag des Proömiums Bevor sich die Johannesapokalypse in 1,4 als Brief an die sieben Gemeinden in der römischen Provinz Asien zu erkennen gibt, installieren die drei ersten Verse einen über diese briefliche Kommunikationssituation hinausweisenden Lektürevertrag. Der bzw. die die Apokalypse Vorlesende und ihre Hörer und Hörerinnen werden für den Fall selig gepriesen, dass sie das Gehörte auch bewahren und sich in ihrer Lebenspraxis danach ausrichten. Die vorgelesenen Worte werden als „Worte der Prophetie“ markiert (vgl. 1,3). Was sie beinhalten, wird in Vers 1 als „Offenbarung Jesu Christi“ bezeichnet. Diese hat Jesus Christus selbst von Gott empfangen, damit er denen, die ihm dienen, zeigen kann, was bald geschehen wird und auch geschehen muss. Diese Offenbarung wurde dem Johannes durch einen Engel mitgeteilt. Vers 2 markiert Johannes als den, der das Wort Gottes und das Zeugnis Jesu Christi genau so bezeugt hat, wie er es gesehen hat. Bezeugt wird damit aber nichts anderes als die Lebendigkeit und Wirkmächtigkeit des gekreuzigten, auferweckten und erhöhten Jesus Christus, dessen Geschichte die Johannesapokalypse als bekannt voraussetzt. Die Lesenden und Hörenden, die das von Johannes Aufgeschriebene als das lesen, was es in den beiden ersten Versen zu sein beansprucht, bestätigen damit zugleich die Zeugenschaft des Johannes und reihen sich selbst in die Reihe der Zeugen ein. Der Lektürevertrag gestaltet sich als wechselseitige Anerkennung der Lesenden und des Verfassers der Schrift, in den jede/ r Lesende bzw. Hörende zu allen Zeiten und allen Orten einstimmen kann und damit wiederum die Johannesapokalypse als letztlich von Gott ausgehende prophetische Schrift ausweist. Dieser für alle Lesenden offene Lektürevertrag entgrenzt die ab 1,4 einsetzende briefliche Kommunikation zwischen Johannes und den angeschriebenen Gemeinden und öffnet sie so für eine unbestimmte, offene Leserschaft. Erst mit 1,4 setzt die briefliche Kommunikation ein, die von 1,4-20 ein einleitendes Anschreiben an die sieben Gemeinden in Kleinasien und dann von 2,1-3,22 sieben lokalisierte offene Briefe bietet, die zwar an je eine Gemeinde adressiert werden, aber durch ihre Integration in den Gesamtbrief jeweils allen Gemeinden zugänglich gemacht werden. 4,1 fungiert als Übergangsvers, der in das eigentliche Visionsbuch einleitet, in das Johannes auftragsgemäß seine Schauungen eingetragen hat. Auch dieses Buch ist Bestandteil des in 1,4 einsetzenden Briefes, der erst mit dem letzten Vers des Schreibens endet (22,21). So kann die Johannesapokalypse insgesamt als Brief 201 an die Gemeinden in Kleinasien bezeichnet werden, der in sich ein Visionsbuch (4,1- 22,5) enthält, dessen Leserschaft aber durch das vorangestellte Proömium entgrenzt wird. 202 201 Vgl. dazu M. Karrer, Die Johannesoffenbarung als Brief. 202 Zu Recht weist M. Frenschkowski, Die Johannesoffenbarung, darauf hin, dass die erkennbare literarische Komposition kein Argument gegen die Erlebnisqualität der in ihr Gestalt gewordenen Visionen darstellt. <?page no="189"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 173 Das Proömium gibt damit der Lektüre der Johannesapokalypse einige Vorgaben auf: - Die Johannesapokalypse soll als prophetische Schrift gelesen werden, die zwar von einem Menschen namens Johannes zu einem bestimmten Zeitpunkt der irdischen Geschichte aufgeschrieben wurde, die aber dem Inhalt nach auf Gott zurückgeht und damit die höchste Autorität beansprucht. - Die Johannesapokalypse richtet sich als Brief zwar zunächst zu einem bestimmten Zeitpunkt der irdischen Geschichte an die Gemeinden in Kleinasien, ist aber als Buch prophetischer Worte, die letztlich auf Gott zurückgehen, mittels des Proömiums an eine entgrenzte Leserschaft gerichtet. - Die Johannesapokalypse gibt nicht nur Anteil am Wissen des Johannes über die nahe Zukunft (1,3c), sondern prophetische Worte, die auf das Verhalten der Rezipienten abzielen. - Mit der Semantik des Bezeugens, die verbal ( evmartu,rhsen ) auf Johannes und substantivisch ( marturi,a ) auf Jesus Christus bezogen wird, und der Aufforderung zum Bewahren der prophetischen Worte ist das angestrebte Verhalten bereits umrissen. Es geht darum, auch unter Inkaufnahme leidvoller Konflikte Zeuge des auferweckten und machtvoll erhöhten gekreuzigten Jesus Christus zu bleiben und damit Gott die Ehre zu geben. 203 Die Auferweckung und Erhöhung des Gekreuzigten als theologische Basis Das Proömium (1,4-8) des an die sieben Gemeinden in Kleinasien gerichteten Eingangsbriefes (1,4-1,20) umreißt in komprimierter Weise den Zusammenhang von Theologie, Pneumatologie, Christologie und Soteriologie der Johannesapokalypse und markiert damit die Eckpfeiler, die den Argumentationen, Visionen und Erzählungen des Buches Plausibilität verleihen. Nachdem Johannes sich mit seinem Eigennamen, ohne jeden Titel und ohne jede weitere Näherbestimmung, als Absender des Briefes auf sehr bescheidene Art und Weise kenntlich gemacht hat und auch die Adressaten sehr nüchtern lediglich als „die sieben Gemeinden in der Provinz Asien“ (1,4) ohne jede captatio benevolentiae benannt hat, markiert der sich anschließende, dreigliedrige Gnadens- und Friedenswunsch in prägnanter und inhaltsreicher Weise Gott, „die sieben Geister“ und Jesus Christus als Spender von Gnade und Friede. Gott wird in einem grammatische Regeln durchbrechenden Syntagma zunächst als derjenige bezeichnet, „der da ist, der da war, und der da kommt“, ohne das Wort „Gott“ explizit zu verwenden (1,4c). In einem instruktiven Beitrag zur Sprache der Johannesapokalypse vertritt Traugott Holtz die These, dass die grammatischen Regelverletzungen nicht auf man- 203 Es ist wohl kaum ein Zufall, dass mit derselben Semantik auch Johannes der Täufer im Prolog des Johannesevangeliums eingeführt wurde (Joh 1,7), der seine Zeugenschaft ebenfalls mit dem Tod bezahlte. <?page no="190"?> Erster Teil 174 gelnde Sprachkompetenzen des Verfassers der Apokalypse verweisen, sondern vielmehr die Sprache selbst in höchst reflektierter Weise als Metapher genutzt wird, die zum Ausdruck bringt, dass die menschliche Sprache Gott gar nicht angemessen bezeichnen kann. 204 Auf jeden Fall aber verweist das Syntagma, das in 1,8 wiederholt und mit dem Satz, „Ich bin das A und das O, spricht Gott, der Herr“, eingeleitet wird, auf die alle Zeiten umgreifende Schöpfermacht Gottes, der dann am Schluß von Vers 8 auch zusammenfassend als Allherscher ( pantokra,twr ) tituliert wird. Der Gott der Johannesapokalypse ist der machtvolle Schöpfergott, der alle Zeiten umgreift und alles beherrscht (vgl. 1,8; 4,11). Seine Macht ist grenzenlos und gerade in ihr ist die Hoffnung auf den endgültigen Sieg über die begrenzte, aber dennoch furchtbares Unheil anrichtende Macht des Bösen begründet. Der Gott der Johannesapokalypse ist ein kosmologischer Pantokrator, dessen Macht keine Grenzen kennt. Die Plausibilität der Rede von der Auferweckung in der Johannesapokalypse liegt in dieser unbegrenzten Macht des Schöpfers begründet, dem auch die letzte Schrift des Neuen Testaments trotz der zahlreichen Mächte des Bösen, die in den drastischen Visionen der Johannesapokalypse dargestellt werden, keinen Gott gleichwertigen und nicht einmal einen von ihm unabhängigen Gegenspieler zur Seite treten lässt. Der Pantokrator erlaubt keine dualistische Theologie, wie sie etwa gnostische Systeme anbieten. Selbst die Vernichter erhalten ihre Macht letztlich von Gott (vgl. z.B. 13,15). Der Pantokrator aber ist niemand anders als der wunderbar schaffende Schöpfergott Israels (vgl. 4,11), dessen Schöpfungswerke in 15,3 mit dem „Lied des Mose“, das zugleich das „Lied des Lammes“ ist, besungen werden. Obwohl die Johannesapokalypse keine direkten Zitate der Heiligen Schriften Israels verwendet, ist sie intertextuell mit ihnen untrennbar verbunden. 205 Die „sieben Geister, die vor seinem Thron sind“ (1,4d), sind durch ihre Verortung mit Gott und seinem Zeugen Jesus Christus eng verknüpft. In der Thronvision in Kapitel 4 werden sie als die sieben „Fackeln“ dargestellt, die vor dem Thron Gottes brennen (vgl. 4,5) und in 3,1 werden die sieben Geister dem erhöhten Christus zugeordnet. Das Syntagma „Geist Gottes“ findet sich in der Johannesapokalypse ebenso wenig wie das Syntagma „Geist Christi“. Wenn die sieben Geister aber im Proömium ausdrücklich eingebettet von Gott und Jesus Christus als mitbeteiligt an Gnade und Frieden eingezeichnet werden, so motiviert diese herausragende Rolle im Verbund mit ihrer semantischen Unterbestimmung dazu, sie zusammen als „Geist Gottes“ zu begreifen, der auf je spezifische Art und Weise und darin einbegriffen auch als „Geist Christi“ wirkt. Diese Interpretation wird nahe gelegt durch den Gebrauch des absoluten Singulars „der Geist“, der stets als Abschluss der einzelnen Briefe an die 204 Vgl. T. Holtz, Sprache als Metapher, 17. 205 Vgl. O. Böcher, Die Johannesapokalypse, 611f. <?page no="191"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 175 sieben Gemeinden in der Formel begegnet: „Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt“ (2,7.11.17.29; 3,6.13.22). In 3,1b werden die sieben Geister ausdrücklich dem Sprecher der Briefe, dem erhöhten Jesus Christus, zugeordnet. Die sieben Geister bzw. der Geist sind also die Weise, mit der Gott bzw. Christus mit seinen Gemeinden kommuniziert und ihnen wirksam Gnade und Frieden zukommen lässt. Schließlich finden sich noch einige Genitivverbindungen sowohl im Singular als auch im Plural, wie „Geist des Lebens“ und „Geist der Prophetie“ bzw. „Geister der Propheten“, aber auch „Geister der Dämonen“. Die Bedeutung des auf vielfache und verschiedene Weise wirkenden Geistes, der seinen visionären Ort als siebenfach brennende Fackel vor dem Thron Gottes einnimmt, fasst Ferdinand Hahn trefflich zusammen: „Die von Gott selbst ausgehende Geistwirklichkeit, an der der himmlische Christus partizipiert, ist als schöpferische und neuschöpferische Kraft die Voraussetzung für das durch Propheten vermittelte soteriologische Wirken des Erhöhten. In der Vollmacht des prophetischen Zeugnisses wird die lebendige Kraft des in Christi Tod, Auferweckung und Erhöhung begründeten Heils erfahren.“ 206 In diesen soteriologischen Zusammenhang von Schöpfung und Neuschöpfung sind auch die christologischen Aussagen in 1,5f. eingetragen. Jesus Christus wird zunächst als „der treue Zeuge“ ( o`` ma,rtuj , o` pisto,j ) bezeichnet. Damit wird die „Zeugenschaft ( marturi,a ) Jesu Christi“ aus Vers 2 wieder aufgegriffen und verstärkt. Jesus Christus ist der Zeuge Gottes schlechthin. Seine Zeugenschaft war und ist grenzenlos und keine Macht konnte und kann ihn daran hindern, das schlechthin gültige und deshalb überzeugende Zeugnis Gottes, des Schöpfers und Allherrschers, abzulegen. Seine wahrhaftige und wirksame Zeugenschaft, die das Leiden bis hin zum Tod am Kreuz auf sich nahm (vgl. 1,7b; 11,8b), ist das Vorbild für alle, die wie Johannes sich als Diener des auferweckten Gekreuzigten in seinen Herrschaftsbereich hineinstellen lassen und damit selbst zu Zeugen werden (vgl. 1,2). Diese Zeugenschaft bewahrt nicht vor Leiden und Tod. Jesus Christus, der „treue und wahrhaftige Zeuge“ (3,14b), wurde grausam getötet (vgl. 1,7b). Aber die Macht der gegen ihn gerichteten Gewalt behielt nicht das letzte Wort. Der „durchbohrte“ Zeuge (vgl 1,7b), das geschlachtete Lamm (vgl. 5,6), bekam von Gott, dem Pantokrator, durch dessen kreativen Geist neues Leben geschenkt (vgl. 11,11) und Macht, die alle irdischen Herrscher übertrifft. Der von den irdischen Königreichen Getötete wird als Auferweckter zum „Herrn über die Könige auf Erden“ (1,5) eingesetzt. Weil der getötete Zeuge Jesus Christus der „Erstgeborene von den Toten“ (1,5) ist, ist er zugleich selbst das Zeugnis von Gottes unbegrenzter Schöpfungskraft, das allen nachfolgenden Zeugen die Zuversicht gibt, dass ihr Zeugnis, selbst wenn es in den Tod mündet, wahr ist und die Zeugen selbst nicht von der Macht des Todes endgültig verschlungen werden, son- 206 F. Hahn, Das Geistverständnis in der Johannesoffenbarung, 9. <?page no="192"?> Erster Teil 176 dern neues Leben durch den Geist Gottes erhalten (vgl. 11,11). Das Proömium stellt Jesus Christus als den getöteten, auferweckten und erhöhten Zeugen Gottes, als Vorbild aller ihm folgenden Zeugen dar und bietet durch diesen Zusammenhang von Tod, Auferweckung und Macht den wirksamen Trost sowie den hermeneutischen Schlüssel für die Interpretation der Leiden derer an, die sich in die Nachfolge begeben haben, aber in dieser Nachfolge auch Gewalt und Unheil erfahren. „Als Erstgeborener ‚von den Toten‘ verbürgt und garantiert Christus die zukünftige Auferstehung der Glaubenden.“ 207 Der Zusammenhang von Zeugenschaft, Leid, Auferweckung und Anteilhabe an der Macht Gottes wird zum Modell des je eigenen Welt- und Selbstverständnisses in der Nachfolge Jesu Christi. Weil sich am Geschick Jesu Christi dieser heilvolle Zusammenhang ereignet hat, der durch das Zeugnis dieses Zusammenhangs kommunizierbar wird, hat sein Tod erlösende Kraft. Das Zeugnis Gottes, das Jesus Christus mit seinem Leben und Sterben selbst abgelegt hat, wird im Zeugnis Jesu Christi, das seine Nachfolger bezeugen, zum Zeugnis der Auferweckung und Erhöhung des treuen und wahrhaften Zeugen. Was Paulus mit dem Syntagma „Wort vom Kreuz“ (1 Kor 1,18) zur Sprache bringt, bezeichnet die Johannesapokalypse als „Zeugnis Jesu Christi“ (vgl. 1,2.9). Bei aller Verschiedenheit der theologischen Ansätze und Denkstile treffen sie sich doch darin, dass der neuen Grund legende eschatologische Ereigniszusammenhang von Tod, Auferweckung und Erhöhung Jesu Christi seine soteriologische Kraft durch das dieses Ereignis geistvoll bezeugende Wort entfaltet. Die dadurch zustande gekommene Beziehung zwischen dem ersten Zeugen und seinen Nachfolgern wird als Herrschaftsverhältnis verstanden, das aber nicht durch gewaltvolle Machtausübung geprägt wird, sondern von der Liebe, die der neue Herrscher zu den Seinen empfindet und sie sogar selbst „zu Königen und Priestern“ (1,6) einsetzt. Der neue Herrscher liebt die Seinen und gibt ihnen Anteil an seiner Macht. Zur Zeit des Schreibens aber ist der auferweckte, gekreuzigte und erhöhte Zeuge Gottes noch nicht allen sichtbar geworden. Noch üben die „Könige der Erde“ ihre Gewalt aus, aber bald wird er kommen: „Siehe, er kommt mit den Wolken und es werden ihn sehen alle Augen und alle, die ihn durchbohrt haben, und es werden wehklagen um seinetwillen alle Völker der Erde. Ja. Amen.“ (1,7). Die Zeit des Schreibens ist paradoxe Zwischenzeit. Der auferweckte Gekreuzigte ist schon Herrscher über die Könige der Erde, aber noch üben sie ihre Gewaltherrschaft aus. Die Jesus Christus Bezeugenden sind schon „Könige und Priester vor Gott“ (1,6), aber noch erdulden sie die Gewalt der „Könige auf Erden“ (1,5). Dass die Hoffnung auf das baldige Kommen Jesu Christi und die damit verknüpfte Hoffnung auf ein Ende des Unrechts und den Anfang unzerstörbaren neuen Lebens keine billige Ver- 207 W. Weiß, Aufbruch und Bewährung, 257. Ebd.: „Nach Apk 1,5 gilt Christus als ‚der Erstgeborene von den Toten‘. Diese Prädikation steht sicher der frühchristlichpaulinischen Tradition näher (vgl. Röm 8,29; Kol 1,18).“ <?page no="193"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 177 tröstung, sondern wirksamer Gottestrost ist, garantiert Gott, der Allherscher selbst: „Ich bin das A und das O, spricht Gott der Herr, der da ist und der da war und der da kommt.“ (1,8). Die Bedrängnis des Johannes, die Bedrängnis der Gemeinden und die Geduld in Jesus Die Zeugenschaft des Johannes, die bereits als wesentlicher Identitätsmarker in 1,2 eingeführt wurde, wird in 1,9 konkretisiert. Johannes befindet sich in leidvoller Bedrängnis ( qli/ yij ) auf der Insel Patmos, „um des Wortes Gottes und des Zeugnisses Jesu willen.“ Aber die Bedrängnis ist nicht das einzige Merkmal seiner Situation. Vielmehr ist er zugleich Mitgenosse am Reich Gottes und der „Geduld in Jesus“. Genau diese Selbstcharakterisierung schreibt er auch den angeschriebenen „Geschwistern“ in Kleinasien zu. „Die Reihenfolge der Begriffe ist bemerkenswert. Die verfolgten, leidenden Christen haben schon Anteil an der Gottesherrschaft.“ 208 Ihre gemeinschaftliche Anteilhabe am Reich Gottes bewahrt sie nicht vor leidvoller Bedrückung. Diese paradoxe Situation halten sie nur „in der Geduld Jesu“ aus. Diese Geduld Jesu aber ist kaum etwas anderes als die Beharrlichkeit, mit der Jesus seinen Weg der Zeugenschaft bis ans Kreuz gegangen ist, so, wie es das Johannesevangelium erzählt. Wie Gott auf die Treue und Beharrlichkeit seines Zeugen Jesus mit dessen Auferweckung von den Toten geantwortet hat, so können auch Jesu Nachfolger in ihrer Zeugenschaft darauf getrost hoffen, von Gott neues Leben geschenkt zu bekommen. Die Auferweckung des Gekreuzigten ist ihnen Vorbild und hermeneutischer Schlüssel zur Deutung ihrer eigenen Bedrückungserfahrungen und zur Verarbeitung der dadurch verursachten Ängste. Welche Bedrückungen Johannes auf Patmos zu erleiden hat, wird nicht erzählt. Diese semantische Unbestimmtheit ermöglicht die Identifikation mit jeglicher Art der Bedrückung, die dann ja auch auf je unterschiedliche Weise in den Sendschreiben ausdifferenziert wird. Aber auch alle anderen Leserinnen und Leser, die durch das Proömium in 1,1-3 mit in die Leserschaft der prophetischen Worte hineingenommen werden, können sich nun mit ihrer jeweiligen Bedrängniserfahrung in die Gemeinschaft der bedrängten Zeugen und damit ebenso in die Gemeinschaft derjenigen, die Anteil haben am Reich Gottes, integriert fühlen. Die einzelnen Schreiben lassen vollends das parakletische Anliegen der Johannesoffenbarung erkennen. Alle Gemeinden in Kleinasien stehen in bedrückender Anfechtung, die sie vom Weg der Zeugenschaft Christi abbringen könnte. In dieser Situation spricht durch die prophetischen Worte des Briefes der auferweckte und mit kosmischer Macht ausgestattete, erhöhte Gekreuzigte mahnend und tröstend zugleich, um sie zu stärken. Die jeweils gleich aufgebauten Briefe werden an den Engel der jeweiligen Ge- 208 D. Pezzoli-Ogliati, Täuschung und Klarheit, 22. <?page no="194"?> Erster Teil 178 meinde adressiert und inhaltlich eröffnet mit einer Selbstvorstellung des auferweckten und erhöhten Gekreuzigten (2,1.8.12.18; 3,1.7.14). Sodann folgen Lob und Kritik der Gemeinde, denen jeweils die Belohnung für das Verbleiben in der Zeugenschaft angeschlossen wird. Der Geistspruch, der den Inhalt des Briefes als Botschaft des Geistes markiert und zum aufmerksamen Hören auffordert, beschließt jeden Einzelbrief (2,7.11.17.29; 3,6.13.22). Die kosmische Macht des auferweckten Gekreuzigten als Grund des Hoffens und Ausharrens in der Nachfolge der Zeugenschaft Jesu Christi Der jeweiligen Selbstvorstellung des auferweckten und erhöhten Gekreuzigten in den einzelnen Briefen ist dessen Selbstvorstellung in der Vision des Johannes vorangestellt, die Johannes im einleitenden Brief allen angeschriebenen Gemeinden mitteilt (1,17bf.): „Fürchte dich nicht. Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.“ Kraft seiner Auferweckung von den Toten erhält der auferweckte Gekreuzigte Anteil am ewigen Leben Gottes und kann nun in abgewandelter Weise die Selbstprädikation Gottes als das A und das O in 1,8 auf sich selbst beziehen. Sein wesentlicher Identitätsmarker ist deshalb die Aussage „Ich war tot und siehe ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit“. Dabei wird das Totsein mit Hilfe des Aorists als in der Vergangenheit liegende abgeschlossene Handlung markiert. Jesus war tot, ganz tot, aber er blieb nicht in diesem Tod. Er wurde auf eine Weise lebendig, die ihn in der Durchbrechung der zeitlichen irdischen Ordnung als lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit ausweist. Er wurde also nicht lediglich innerhalb des Zeitstrahls irdischer Zeit wiederbelebt, um dann dementsprechend auch den Gesetzen der irdischen Zeit folgend wieder zu sterben, sondern er wurde mit einem Leben begabt, das von Ewigkeit zu Ewigkeit reicht. Dieses Leben aber ist allein das Leben Gottes, des Schöpfers, des Pantokrators, der sich in 1,8 vorgestellt hat. Jesus wurde auferweckt in das ewige Leben Gottes hinein und zugleich wurde er ausgestattet mit kosmischer Macht (vgl. 1,6). Dem entspricht auch seine Furcht erregende Gestalt, die einem Menschen nur noch ähnlich ist, und mit den „Augen wie eine Feuerflamme“ und „Füße[n] wie Golderz, das im Ofen glüht“ seine unüberwindbare Stärke (vgl.1,5) visualisiert: „sein Angesicht leuchtete wie die Sonne scheint in ihrer Macht und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen wie tot“, sagt Johannes von der Wirkung, die diese ehrfurchterregende Gestalt auf ihn hat (1,16bf.). Ein wesentlicher Bestandteil dieser Macht besteht in der Übergabe der „Schlüssel des Todes und der Hölle“. Der auferweckte und mit Macht ausgestattete Gekreuzigte befindet als Richter über Tod und Leben, über Himmel und Hölle. Er übernimmt das eschatologische Richteramt Gottes. Auch die Gemeinden, symbolisiert durch die sieben Leuchter, sind seinem richter- <?page no="195"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 179 lichen Amt, symbolisiert durch das zweischneidige Schwert in seinem Mund (vgl. 1,16.20), unterstellt. Die Selbstaussagen zu Beginn der Sendschreiben an die sieben Gemeinden greifen einzelne Aspekte als pars pro toto des in 1,12-20 entworfenen Bildes vom kosmischen Christus auf und markieren damit die Autorität des Absenders. „Das sagt, der da hält die sieben Sterne in seiner Rechten, der da wandelt mitten unter den sieben goldenen Leuchtern“ (2,1b; vgl. 1,16a.20). Mit diesen Worten stellt sich der auferweckte Gekreuzigte als an der kosmischen Macht Gottes partizipierender, kosmischer Christus vor, dem die Gemeinden und auch deren Engel gehören. Er lobt die Gemeinde in Ephesus ob ihrer Leidensbereitschaft, ihrer Entlarvung falscher Apostel und ihrer Ablehnung der Nikolaiten. Er tadelt sie aber wegen des Nachlassens der „ersten Liebe“. Mit der Strafe der Verstoßung droht er der Gemeinde von Ephesus, wenn sie nicht umkehrt zu ihrem anfänglichen Liebesweg (vgl. 2,2- 6). Er verheißt ihnen in intertextueller Einspielung des paradiesischen Baumes des Lebens (vgl. Gen 3,22ff.) das ewige Leben zu erhalten, wenn sie die Anfechtungen überwinden (vgl. 2,7). „Das sagt der Erste und der Letzte, der tot war und wieder lebendig wurde“ (2,8b, vgl. 1,18). Der erhöhte Christus stellt sich der Gemeinde in Smyrna mit der Erinnerung an seinen Kreuzestod und an seine Auferweckung vor. Er benennt die Bedrängnis durch Juden, die aber nicht wirklich Juden seien, und sagt voraus, dass für eine gewisse Zeit sogar einige Gemeindeglieder ins Gefängnis kommen werden. Er gibt ihnen auf, treu zu bleiben, auch angesichts der Gefahr des Todes. Er verspricht ihnen für diese Treue ewiges Leben (vgl. 2,9f.), denn der „zweite Tod“ (2,11), also der vom kosmischen Christus als Strafe verhängte Tod beim eschatologischen Gericht (vgl. Kap. 20), wird sie nicht ereilen. „Das sagt der, der da hat das scharfe, zweischneidige Schwert“ (2,12b, vgl. 1,16b). Mit diesem Spruch stellt sich der auferweckte Gekreuzigte der Gemeinde in Pergamon als eschatologischer Richter vor. Er lobt sie wegen ihrer Treue, obwohl sogar bereits ein Todesfall in der Gemeinde zu beklagen ist. Aber er tadelt, dass einige Gemeindeglieder mit den Nikolaiten sympathisieren. Er droht mit dem Gericht, falls kein Umdenken geschieht (vgl. 2,13-16) und verspricht ihnen himmlische Speise, die wiederum zum ewigen Leben führen wird, wenn sie die Anfechtung überwinden (vgl. 2,17). Zugleich erhalten sie einen weißen Stein, der in zeichenhafter Weise einen neuen Namen trägt, „den niemand kennt, als der, der ihn empfängt“ (2,17d). „Das sagt der Sohn Gottes, der Augen hat wie Feuerflammen, und seine Füße sind wie Golderz“ (2,18b, vgl. 1,14bf.). Der Gemeinde in Thyatira stellt sich der erhöhte Christus als kosmischer Christus in machtvoller Gestalt dar. Nach dem Lob der Gemeinde erfolgt die Kritik, sie dulde Isebel, eine Prophetin, die die Gemeinde zum Götzendienst motiviere. Er kündigt die Bestrafung der Isebel, ihrer Kinder und aller an, die sich mit ihr einlassen (vgl. 2,19-25). Denen aber, die diese Anfechtung überwinden, verspricht er An- <?page no="196"?> Erster Teil 180 teilhabe an seiner richterlichen Macht, so wie Gott ihm Anteil an seiner Macht gegeben hat (vgl. 2,26-29). „Das sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne“ (3,1b, vgl. 1,16a.20; 2,1b). Der Gemeinde in Sardes stellt sich der auferweckte und erhöhte Gekreuzigte ähnlich vor, wie er es im Brief an die Gemeinde in Ephesus formulierte. Er wirft den Gemeindegliedern vor, obwohl sie den Namen Jesu Christi kennen und daher zu denen gehören, denen göttliches Leben zukommt, sich zu verhalten wie solche, die diesen Namen nicht kennen und tot sind. Er kündigt seine Wiederkunft an als eine, die überraschend kommt (vgl. 3,2f.). Die schläfrige Gemeinde wird dann gerichtet werden, aber einige unter ihnen sind treu, und diese werden „mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind es wert“ (3,4). Die so die Gemeinschaft mit Jesus Christus durchhalten, werden ewiges Leben geschenkt bekommen, denn deren Name wird nicht ausgetilgt werden „aus dem Buch des Lebens“ (3,5). Vielmehr wird der auferweckte und erhöhte Christus vor Gott und den Engeln ihre Namen als zu ihm gehörig bekennen. „Das sagt der Heilige, der Wahrhaftige, der da hat den Schlüssel Davids, der auftut und niemand schließt zu, der zuschließt und niemand tut auf“ (3,7b). Wieder mit der Anspielung auf das eschatologische Richteramt stellt sich der auferweckte und erhöhte Gekreuzigte der Gemeinde in Philadelphia vor. Diese Gemeinde wird besonders gelobt und ausgezeichnet als eine, die er liebt (vgl. 3,9d). Für ihre Überwindung der Anfechtungen wird ihnen die besondere Auszeichnung zuteil werden, ein ewiger „Pfeiler in dem Tempel meines Gottes“ (3,12) zu werden, den er selbst mit dem Namen Gottes und seinem neuen Namen beschriften wird und sie damit in ausgezeichneter Weise zu Gott und Christus gehörig markiert. „Das sagt, der Amen heißt, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes“ (3,14b). Diese letzte Selbstprädikation Jesu Christi, die der Gemeinde in Laodizea zukommt, bildet zugleich den Abschluss der christologischen Selbstaussagen des auferweckten und erhöhten Gekreuzigten. Er ist das Amen, das gültige Wort Gottes, weil er der treue und wahrhaftige Zeuge Gottes war, ist und bleibt. Als von Gott Auferweckter und in das ewige göttliche Leben Hineingenommener ist er der Anfang der neuen Schöpfung und als solcher zugleich auch von der Zeitlichkeit der ersten Schöpfung befreit. Somit ist er zugleich Anfang der neuen Schöpfung wie auch Anfang der Schöpfung Gottes überhaupt. Der wahrhafte Zeuge kritisiert die Gemeinde in Laodizea, weil sie sich nicht klar für oder gegen die Zeugenschaft Christi entscheidet (vgl. 3,15-19). Denen, die die Anfechtungen überwinden und sich klar zu dem Zeugen Gottes bekennen, wird schon jetzt die Mahlgemeinschaft mit dem auferweckten und erhöhten Gekreuzigten angeboten (vgl. 3,20). Schließlich aber werden sie gemeinsam mit Christus herrschen, so wie auch Jesus Christus Anteil an der Macht Gottes erhielt, nachdem er die Anfechtung durch die Bedrohung des Todes überwunden hatte. <?page no="197"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 181 Insgesamt zeigen die Briefe in 1,9-3,22, dass der auferweckte und erhöhte Gekreuzigte mit seinen Gemeinden durch den Geist kommuniziert und ihnen sein eigenes Geschick als hermeneutischen Schlüssel ihrer eigenen Situation zu erkennen gibt. So wie er seine Zeugenschaft Gottes lebte, die Konsequenz des gewaltsam erlittenen Todes annahm und darin seine uneingeschränkte Treue zu Gott lebte, so sollen auch die bedrängten Gemeinden ihre Zeugenschaft für Jesus Christus durchhalten, selbst wenn sie Gewalt erdulden müssen. So wie der getötete Jesus mit neuem, ewigem Leben und mit der Teilhabe an der kosmischen Macht Gottes für seine Treue belohnt wurde, so können sich auch die in der Nachfolge Jesu Christi Stehenden sicher sein, dass die Gewalt und der physische Tod nicht das letzte Wort haben werden. Das geduldige Bleiben in der Zeugenschaft für Jesus Christus führt vielmehr in das ewige Leben in der Gemeinschaft mit Jesus Christus, dem „Erstgeborene[n] von den Toten“ (1,5), und mit Gott, dem kosmischen Schöpfergott, der den Toten neues Leben zu schenken vermag. Die Vernichtung der widergöttlichen Mächte durch das geschlachtete Lamm, die zweifache Auferstehung und das ewige Leben in der goldenen Stadt Richten sich die Briefe des auferweckten und erhöhten Gekreuzigten an die sieben Gemeinden zur Zeit der Abfassung der Johannesapokalypse, so betreten wir mit 4,1 vollends die Zukunft. Gegenwart und Zukunft sind aber keineswegs strikt voneinander getrennte Wirklichkeitsbereiche. Vielmehr soll das Buch der Visionen die Gemeinden in der Gegenwart des Schreibers Johannes und darüber hinaus alle Leserinnen und Leser in ihrer jeweiligen Gegenwart trösten und sie in ihren durch die Zeugenschaft Christi erlittenen Bedrängnissen bestärken, die Anfechtungen zu überwinden, die zum Verlassen der Nachfolge des vorbildlichen Zeugen führen könnten. Weil die Zukunft den endgültigen Sieg über die Feinde Gottes und das ewige Leben für die Freunde Jesu Christi bringen wird, deshalb lohnt es sich, in der Gegenwart auszuharren. Im Wesentlichen werden in den Visionen auf vielfache Weise die endgültige Vernichtung der widergöttlichen Mächte durch das geschlachtete Lamm und das ewige Leben der Auferweckten in der goldenen Stadt gezeigt. Die Visionen sind also Nahrung im prophetischen Wort begründeter Hoffnung in der bedrückenden Gegenwart. Worauf die angeschriebenen Gemeinden hoffen dürfen, ist nicht etwa eine sofortige Beendigung ihrer bedrohlichen Situation: „Wenn jemand ins Gefängnis soll, dann wird er ins Gefängnis kommen; wenn jemand mit dem Schwert getötet werden soll, dann wird er mit dem Schwert getötet werden“ (13,9). Die Johannesapokalypse malt das Unheil nicht schön. Sie vernebelt auch nicht die Gefahr, die von den Feinden Gottes ausgeht. Sie weiß um die Tränen, die von Unrecht und Gewalt verursacht werden. Sie ruft aber nicht zu Gegengewalt auf und begegnet dem Unrecht nicht mit neuem Unrecht. Sie vertraut vielmehr darauf, dass der Zorn Gottes und der Zorn des mit <?page no="198"?> Erster Teil 182 dem Gericht beauftragten auferweckten und erhöhten Gekreuzigten alles Unrecht und jede Gewalt vernichten wird (vgl. 6,17), und die, die sich mit dem „Blut des Lammes“, mit dem Kreuzestod des unschuldigen Opfers der Gewalt identifizieren und so zu seinen Zeugen werden, von ihm „zu den Quellen des lebendigen Wassers“ geführt werden, „und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen“ (7,17). Die Johannesapokalypse verdrängt die Gewalt dieser Welt nicht, aber sie überlässt die Gewalt dem gerechten göttlichen Zorn, weil sie sich am Zeugen Jesus Christus orientiert. Aus der durch die Nachfolge in der Zeugenschaft Christi resultierenden Gewissheit der Teilhabe am Reich Gottes wird die Hoffnung geschöpft, ewiges Leben nach dem erlittenen Tod neu geschenkt zu bekommen. Dreh- und Angelpunkt dieser Wirklichkeitsdeutung ist die soteriologisch gedeutete Christologie, in deren Zentrum die Auferweckung und Erhöhung des Gekreuzigten steht. In der ersten Vision in Kapitel 4 sieht Johannes Gott auf seinem Thron mit seinem Hofstaat. Die mit Bildern, insbesondere aus Ezechiel 1 und Jesaja 6, gezeichnete Szene gipfelt in dem Lobpreis der 24 Ältesten: „Herr, unser Gott, du bist würdig, zu nehmen Preis und Ehre und Kraft, denn du hast alle Dinge geschaffen und durch deinen Willen waren sie und wurden geschaffen“ (4,11). Der Gott der Johannesapokalypse ist vor allem der wunderbare Schöpfergott, wie er in den Heiligen Schriften Israels erscheint. Kapitel 5 bringt nun das Buch ins Spiel, das den eschatologischen Kampf gegen alles Böse, das die Schöpfung Gottes mit Leid und Gewalt überzieht, eröffnet, aber niemand im Hofstaat Gottes ist würdig, das Buch zu öffnen. Erst das geschlachtete Lamm, „der Löwe aus dem Stamm Juda, die Wurzel Davids“, wird für würdig befunden, das Buch mit seinen sieben Siegeln zu öffnen, weil er gesiegt hat ( evni,khsen ) (vgl. 5,5), indem er die Anfechtung überwand, sich vom Weg der Zeugenschaft Gottes abbringen zu lassen, obwohl er mit Tod und Folter bedroht wurde und beides erlitten hat. Das Lamm erscheint in der Vision zugleich „wie geschlachtet“ und durch „sieben Hörner und sieben Augen, das sind die sieben Geister Gottes“ (5,6) mit unermesslicher Macht ausgestattet, die ihm die anstehenden Kämpfe zu gewinnen ermöglichen. Dieses mächtige Lamm, das dennoch bleibend die Spuren der Gewalt an seinem Leib trägt, ist niemand anders als der auferweckte und erhöhte Gekreuzigte. Ihm wird in 5,9b zugesprochen, als Geschlachteter mit seinem „Blut Menschen für Gott erkauft aus allen Stämmen und Sprachen und Nationen“ zu haben und sie für Gott „zu Königen und Priestern gemacht“ zu haben, und „die werden herrschen auf Erden“ (5,10). Deshalb wird der auferweckte Gekreuzigte in 5,11-13 inthronisiert: „Und jedes Geschöpf, das im Himmel ist und auf Erden und unter der Erde und auf dem Meer und alles, was darin ist, hörte ich sagen: Dem, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm sei Lob und Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit“ (5,13). Nachdem die Thronszene in Kapitel 4 und 5 klargestellt hat, dass Gott der Schöpfer mit dem auferweckten Gekreuzigten den gefunden hat, der <?page no="199"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 183 aufgrund seiner Treue würdig ist, wie Gott selbst von allen Geschöpfen gepriesen zu werden, und er deshalb auch würdig ist, mit der Macht Gottes begabt zu werden, die ihm den kosmischen Sieg gegen alle widergöttlichen Kräfte ermöglichen wird, kann der Kampf in Kapitel 6 beginnen. Dieser Kampf, der dann durch die Szenen der sieben Siegel, der sieben Posaunen und Schalen des Zornes als gegliedertes Ereignis abläuft, das gerade durch seine Gliederung Gott als Souverän aller Abläufe erscheinen lässt, wird in immer neuen Schreckensszenen eindrucksvoll gestaltet. Opfer dieses Kampfes sind auch Zeugen Christi. Nach der Öffnung des fünften Siegels sieht Johannes „unten am Altar die Seelen derer, die umgebracht worden waren um des Wortes Gottes und um ihres Zeugnisses willen. Und sie schrien mit lauter Stimme: Herr, du Heiliger und Wahrhaftiger, wie lange richtest du nicht und rächst nicht unser Blut an denen, die auf der Erde wohnen? Und ihnen wurde gegeben einem jeden ein weißes Gewand, und ihnen wurde gesagt, dass sie ruhen müssten noch eine kleine Zeit, bis vollzählig dazukämen ihre Mitknechte und Brüder, die auch noch getötet werden sollten wie sie“ (6,9-11). Die Vision des fünften Siegels rechnet damit, dass es nicht bei den Einzelfällen der durch das Schwert getöteten Zeugen bleiben wird, von denen die Sendschreiben erzählen, sondern noch viele Opfer der Gewalt hinzukommen werden. Keineswegs wird diese bedrohliche Situation gefeiert und das Geschick der Märtyrer wird auch nicht verherrlicht. Die Getöteten schreien nach Rache, aber sie nehmen sie nicht selbst in die Hand, sondern überlassen diese Rache Gott. Sie erhalten zwar schon jetzt die weißen Gewänder als Kleidung der himmlischen Welt, aber sie müssen ausruhen, bis der Kampf beendet ist und alle Opfer versammelt sind, um gemeinsam in das ewige göttliche Leben einzugehen. Erst am Ende des Kampfes werden alle Toten und Lebenden gerichtet (vgl. 11,18). Die Toten ruhen bis zum Ende des kosmischen Kampfes. Dass die Zeiten und Welten miteinander verschränkt sind und deshalb die futurische Eschatologie bereits in der Gegenwart wirkt und die Gegenwart auch Einfluss auf die Zukunft hat, wird daran deutlich, dass den Kampf gegen den Widersacher als pars pro toto für alle widergöttlichen Mächte Jesus durch seinen Kreuzestod bewirkt hat und auch Jesu Zeugen durch das „Wort ihres Zeugnisses“ dazu beitragen: „Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unseres Gottes geworden und die Macht seines Christus; denn der Verkläger unserer Geschwister ist verworfen, der sie verklagte Tag und Nacht vor unserm Gott. Und sie haben ihn überwunden durch des Lammes Blut und durch das Wort ihres Zeugnisses und haben ihr Leben nicht geliebt bis zum Tod“ (12,10f.). Die Zeugen, sowohl die angeschriebenen Gemeinden in Kleinasien als auch alle Leserinnen und Leser der Johannesapokalypse, die ihren Worten, dem Lektürevertrag in 1,1-3 gemäß, Glauben schenken und sich in ihrem Leben danach ausrichten, sind nicht einfach nur Spielball des kosmischen Kampfes, sondern ihre Treue zum Wort des Zeugnisses ist die Weise, wie sich die Zeugen auf dem Schlachtfeld der Erde am Kampf beteiligen. <?page no="200"?> Erster Teil 184 Und dieser Kampf ist hart. Weil der Teufel weiß, dass seine Zeit begrenzt ist, schlägt er erbarmungslos zu (12,12). Die Treue zum Wort des Zeugnisses schützt nicht vor der Gewalt des Widersachers und derer, die mit ihm wissentlich oder unwissentlich im Bunde stehen. Auch die Zeugen erleiden den Tod. Aber sie können gewiss sein, neues Leben zu erhalten, so wie der gekreuzigte Christus neues Leben erhielt von Gott, dem wunderbaren Allherrscher, der damit sein Recht durchsetzt: „Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben von nun an. Ja, spricht der Geist, sie sollen ruhen von ihrer Mühsal; denn ihre Werke folgen ihnen nach“ (14,13). Die Lebenden aber werden aufgefordert: „Fürchtet Gott und gebt ihm die Ehre; denn die Stunde seines Gerichts ist gekommen. Und betet an den, der gemacht hat Himmel und Erde und Meer und die Wasserquellen“ (14,7). Inmitten des kosmischen Kampfes, dessen Ausläufe sich auf der Erde abspielen, sind diejenigen heilig und damit diejenigen, die „im Herrn sterben“, die nicht vor lauter Ungeduld selbst zu den Waffen greifen oder sogar zur Seite der irdischen Gewalttäter überlaufen: „Hier ist Geduld der Heiligen. Hier sind, die halten die Gebote Gottes und den Glauben an Jesus“ (14,12). Darin besteht der Kampf der Zeugen zu allen Orten und allen Zeiten, der mit der „ersten Auferstehung“ (vgl. 20,5) belohnt werden wird: 1) im Vertrauen auf die Wahrheit der Jesus-Christus-Geschichte zu leben, die Jesus als Gottes herausragenden Zeugen zu erkennen gibt, an dessen Geschick auch das eigene Geschick abgelesen werden kann; 2) gegen die Faktizität von Unrecht und Gewalt selbst in der Solidarität des geschöpflichen Lebens zu bleiben und 3) Gott damit die Ehre zu geben, dass er als Schöpfer allen Lebens gepriesen und das irdische Leben in der Anerkenntnis des Weges gestaltet wird, den Gottes Gebote vorschreiben Das 20. Kapitel der Johannesapokalypse unterscheidet zwei Auferstehungen und greift die bereits in 2,11b verwendete Rede vom zweiten Tod auf. Nach den vielfältigen Kampfvisionen bindet ein Engel den Teufel, „fesselte ihn für tausend Jahre und warf ihn in den Abgrund und setzte ein Siegel oben darauf, damit er die Völker nicht mehr verführen sollte, bis vollendet würden die tausend Jahre. Danach muss er losgelassen werden eine kleine Zeit.“ (20,2bf.). Die Gewalt und Schrecken über Gottes Schöpfung bringende Teufelsmacht wird so massiv in den Visionen des Johannes erfahren, dass er nach all den Kämpfen, die die Kapiel 6-19 in Szene setzten, zunächst nur für eine begrenzte Zeit unschädlich gemacht wird. Für diese friedvolle Zwischenzeit von 1000 Jahren 209 werden diejenigen auferweckt, „die enthauptet waren um des Zeugnisses von Jesus und um des Wortes Gottes willen, und die nicht angebetet hatten das Tier und sein Bild und regierten mit Christus tausend Jahre. Die andern Toten aber wurden nicht wieder lebendig, bis die tausend Jahre vollendet wurden. Dies ist die erste Auferstehung“ (20,4bf.). Die erste Auferstehung ist zwar schon eine eschatologische Auferweckung, aber sie gilt nur den treuen Zeugen. Ihnen wird 209 Vgl. O. Böcher, Chiliasmus. <?page no="201"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 185 nun mit Christus die Herrschaft auf Erden zugesprochen. Diese Auferstehung in das ewige Leben hat dauerhafte Gültigkeit. Die Auferweckten bedürfen keiner zweiten Auferstehung, denn: „Selig ist der und heilig, der teilhat an der ersten Auferstehung. Über diese hat der zweite Tod keine Macht, sondern sie werden Priester Gottes und Christi sein und mit ihm regieren tausend Jahre“ (20,6). Danach wird aber der Teufel noch einmal losgelassen werden und für kurze Zeit schrecklich wüten. Erst danach wird er endgültig in den Feuerpfuhl geworfen, „wo auch das Tier und der falsche Prophet waren und sie werden gequält werden Tag und Nacht von Ewigkeit zu Ewigkeit“ (20,10). Erst nachdem der Teufel für alle Ewigkeit in den Feuerpfuhl geworfen wurde, werden alle Toten auferweckt, die nicht an der ersten Auferstehung teilhatten. Auch von ihnen erhalten viele das ewige Leben in der Gemeinschaft mit den bereits zu Königen und Priestern Auferweckten. Aber alle anderen werden in den Feuerpfuhl zum Teufel gehen und „das ist der zweite Tod“ (20,14b), von dem es keine Rettung mehr gibt. Nachdem so Gericht gehalten wurde und die Geschöpfe Gottes in solche unterteilt wurden, die mit ewiger Verdammnis ob ihrer Taten bestraft werden und solche, denen ewiges Leben geschenkt wird, kommt aus dem Himmel herab die heilige, goldene Stadt, das neue Jerusalem, das keinen Tempel mehr benötigt, denn Gott wohnt mit Jesus Christus zusammen mit den ins ewige Leben Auferweckten: „und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein, denn das Erste ist vergangen“ (21,4). „Und es wird nichts Verfluchtes mehr sein. Und der Thron Gottes und des Lammes wird in der Stadt sein und seine Knechte werden ihm dienen und sein Angesicht sehen und sein Name wird an ihren Stirnen sein. Und es wird keine Nacht mehr sein, und sie bedürfen keiner Leuchte und nicht des Lichts der Sonne, denn Gott der Herr wird sie erleuchten und sie werden regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit.“ Mit diesen Versen (22,3ff.) endet das Buch der Visionen. 22,6-21 bildet den Abschluss der Johannesapokalypse und greift den Lektürevertrag aus 1,1-3 wieder auf: „Und er sprach zu mir: Diese Worte sind gewiss und wahrhaftig und der Herr, der Gott des Geistes der Propheten, hat seinen Engel gesandt, zu zeigen seinen Knechten, was bald geschehen muss. Siehe, ich komme bald. Selig ist, der die prophetischen Worte in diesem Buch bewahrt“ (22,6f.). 210 Der Abschnitt 22,8-21 unterstreicht den Lektürevertrag nochmals und endet schließlich mit dem den Brief abschließenden Gnadenwunsch: „Die Gnade des Herrn Jesus sei mit allen“ (22,21). 210 Diesen Rückbezug sehen auch T. Hieke, T. Nicklas, „Die Worte der Prophetie dieses Buches“, 25: „Damit ergibt sich als erster konkreter Inhalt ‚dieser Worte‘ das von 1,1 und 22,6 umschlossene Buch der Offenbarung des Johannes.“ Wie bibeltheologisch relevant ihr Ansatz einer kanonischen Lektüre im Anschluss an Georg Steins ist, zeigen dann ihre weiteren Ausführungen, die intertextuelle Bezüge zu zahlreichen Schriften der christlichen Bibel herstellen, vgl. u.a. ebd., 31ff.. <?page no="202"?> Erster Teil 186 Dieser offene Gnadenwunsch korrespondiert mit der Öffnung der Leser- und Hörerschaft der Johannesapokalypse in 1,1-3 und ist daher von einigem soteriologischen Gewicht. Keineswegs rechnet die Johanesapokalypse mit einer begrenzten Zahl derjenigen, die in das ewige Leben auferweckt werden. Sie wünscht diese heilvolle Zukunft jedem und jeder. Gerade die Untergliederung der Auferweckung in eine erste Auferweckung, die den treuen Zeugen vorbehalten bleibt, und eine zweite, in der Gericht über alle anderen Toten gehalten wird, zeigt, dass die Johannesapokalypse sogar damit rechnet, dass eben nicht nur die offensichtlich treuen Zeugen zur Auferweckung in das ewige Leben gelangen. Die Gnade Jesu Christi, der ja selbst als Richter fungieren wird, ist für alle offen, aber diese Gnade ist kein Freibrief für alle erdenklichen Untaten. Die Gerichtsvorstellung der Johannesapokalypse unterscheidet sich diesbezüglich nicht von der des Paulus, der Synoptiker oder der anderen johanneischen Schriften. Sie alle rechnen mit der Möglichkeit, aufgrund der je eigenen Sünden, verstanden als Unrechtstaten gegen Gott und seine Geschöpfe, nicht das ewige Leben, sondern ewigen Tod zu ernten. Gerade die Möglichkeit des doppelten Ausgangs des Gerichts macht den Ernst der eigenen Lebensausrichtung bewusst. Dass es aber überhaupt angesichts der sündhaften Wirklichkeit des Kosmos, der sich immer wieder nicht als gewolltes und geliebtes Geschöpf Gottes, sondern als Schlachtfeld seiner Geschöpfe zeigt, Rettung gibt, ist allein der göttlichen Gnade zu verdanken, die durch das Zeugnis Jesu Christi allen Geschöpfen angeboten wird, die sich auf die Seite des auferweckten Gekreuzigten stellen und seinem Zeugnis in der eigenen Zeugenschaft nachfolgen. Eine Frage der Macht Die Johannesapokalypse war und ist ein umstrittenes Buch. Immer wieder wurden und werden Stimmen laut, sie aus dem neutestamentlichen Kanon wegen ihrer Rachephantasien zu streichen. Insbesondere ein humanistisch aufgeklärtes Christentum wünscht sich immer wieder, dieses Buch mit seinen erschreckend gewaltvollen Visionen wäre nie in den Kanon aufgenommen worden. Dass gerade auch gewaltbereite Fundamentalisten bzw. ihnen nahe stehende Kirchen wie in unserer Gegenwart die Mehrzahl der nordamerikanischen Megachurches - unter ideologischer Benutzung der Johannesapokalypse die Welt in ein Reich des Bösen und in eines der Guten einteilen und damit sogar Kriege und Folter rechtfertigen, versperrt vielen friedliebenden Zeitgenossen den Zugang zur kosmologischen Christologie und Soteriologie der Johannesapokalypse. Mit Blick auf das Thema der vorliegenden Untersuchung sei zunächst festgehalten, dass die Johannesapokalypse darüber Aufschluss gibt, dass die visionäre Erfahrung des auferweckten Gekreuzigten keineswegs mit den Zeugen aus 1 Kor 15 endete, sondern in der Tradition der Prophetie fortlebte. Johannes sieht den auferweckten Gekreuzigten während seines Aufenthalts in Patmos und er sieht ihn nicht in einer Gestalt, die mit der des <?page no="203"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 187 Menschen Jesus vor seiner Auferweckung identisch ist. Der auferweckte und erhöhte Gekreuzigte erscheint in den Visionen des Johannes zunächst als Furcht einflößende Machtgestalt (vgl. 1,10-20), die sehr an die Visionen aus Jesaja 6 und Ezechiel 1 erinnern, und dann als Lamm, das zugleich wie geschlachtet und mit unvorstellbarer Macht ausgestattet begegnet und kämpft. Die verschiedenen Bilder der Johannesapokalypse bewahren davor, ihre bildhaften Zeichen mit dem von ihnen Bezeichneten zu verwechseln. Die Visionen bilden nicht ab, sondern sie symbolisieren, was geschehen wird. Sie sind von der Zuversicht getragen, dass Tod und Auferweckung Jesu Christi nicht einen eschatologischen Spezialfall bilden, sondern das Modell und der Grund des Geschicks derjenigen darstellen, die trotz erfahrenen Unheils von der Wahrheit der Jesus-Christus-Geschichte überzeugt sind und ihr Leben danach ausrichten, selbst wenn das für sie den gewaltvollen Tod mit sich bringt. In dieser Situation, sei es unter Nero, Domitian, Trajan oder Hadrian, verlagern die Gewaltvisionen den Rachewunsch auf den richtenden Gott und seinen Christus. Die Johannesapokalypse legitimiert daher durchaus, Aggressionen und Rachewünsche zu fühlen, aber sie plädiert dafür, sich nicht von diesen destruktiven Gefühlen leiten zu lassen, sondern an den Geboten Gottes und am Glauben an seinen auferweckten Zeugen Jesus Christus auch dann festzuhalten, wenn es Nachteile für die eigene Person einbringt. Die Rache aber soll Gott und seinem mächtigen Lamm überlassen werden. Nicht sie selbst werden eigenmächtig, sondern Gott wird unter Mitwirkung Jesu Christi sein Recht einfordern und alle, die sich gegen Gott und seine Geschöpfe entscheiden, ja ihnen sogar unermessliches Leid zufügen, werden zur Rechenschaft gezogen werden. Die eigene Treue aber wird mit der ersten Auferstehung belohnt, die bereits endgültig in das ewige Leben mit Gott und Christus hineinführt. Die widergöttliche und widergeschöpfliche Macht und Gewalt wird als so groß erfahren, dass sie nicht auf einen Schlag vernichtet wird, sondern sie zunächst für tausend Jahre gefangen gesetzt und erst dann endgültig entmachtet wird. Die Johannesapokalypse zeigt, dass die Auferweckung der Toten, ganz an die Überzeugung der Auferweckung und Erhöhung Jesu Christi gebunden, unabtrennbar mit der Hoffnung auf das Ende des Unrechts verwoben ist. Auf unbequeme und gerade deshalb unverdrängbare Weise bringt die Johannesapokalypse zum Ausdruck, dass mit der Rede von der Auferweckung des Gekreuzigten und der Auferweckung der Toten immer die Machtfrage und zugleich die Frage nach Gottes Gerechtigkeit gestellt ist. Welche Macht wirkt und bestimmt letztendlich das Geschick dieser Welt und der auf ihr und von ihr Lebenden? Die Antwort der Johannesapokalypse ist schockierend eindeutig. Es ist die Macht des allmächtigen Schöpfergottes, von dem auch die Heiligen Schriften Israels gültig erzählen. Die Johannesapokalypse schreckt nicht davor zurück, in der Konsequenz der theologischen Rede vom Schöpfergott als Allherrscher letztendlich auch die destruktive Gewalt im Kosmos und damit eben auch auf Erden zumindest als von Gott für eine gewisse Zeit als geduldet zu verstehen. Wohl ge- <?page no="204"?> Erster Teil 188 merkt: geduldet, nicht gewollt. Gott lässt seinen Geschöpfen die Wahl und in dieser gewährten Freiheit liegt der Grund der Möglichkeit und Wirklichkeit allen Unrechts und jeder Verfehlung des von Gott gewollten Lebens in der Solidarität der göttlichen Geschöpfe. Gott selbst ist daher in die Sünde verstrickt. Sein eschatologisches Gericht ist notwendig, um seinem Recht letztgültige und ewige Geltung zu verschaffen. Deshalb ist die eschatologische Auferweckung der Toten kein selbstloser Gnadenakt eines unbeteiligten Herrschers, sondern der Erweis der Theodizee, der Gerechtigkeit Gottes. Diesen Zusammenhang macht die Johannesapokalypse so deutlich wie keine andere Schrift des Neuen Testaments und deshalb muss sie als unbequemes Buch im Kanon bleiben, um das christliche Denken wach zu halten. <?page no="205"?> V. Die katholischen Briefe Schon in der alten Kirche wurden einige Briefe, die sich nicht an eine bestimmte Gemeinde richten, sondern an die Allgemeinheit der Glaubenden, als katholische Briefe bezeichnet. Darunter wurden seit der Synode von Laodicea (um 360 n. Chr.) der Jakobusbrief, beide Petrusbriefe, die drei Johannesbriefe und der Judasbrief gefasst. 211 Eine gemeinsame theologische Linie dieser so genannten katholischen Briefe lässt sich nicht ausmachen, wenn es auch deutliche Berührungspunkte zwischen Jak und 1Petr und zwischen Jud und 2Petr gibt. Deshalb wurden in der Einleitungswissenschaft der Gegenwart die drei Johannesbriefe, die dem Johannesevangelium sehr viel näher stehen als den katholischen Briefen, zum Corpus Johanneum gezählt und nur die beiden Petrusbriefe, der Jakobusbrief und der Judasbrief als katholische Briefe zusammengefasst. 212 Dieser Entscheidung folgt auch der Aufriss der vorliegenden Monographie. Dass im Folgenden der Judasbrief und der 2. Petrusbrief in einem gemeinsamen Abschnitt verhandelt werden, liegt darin begründet, dass der 2. Petrusbrief in einem sehr viel gewichtigeren Ausmaß literarisch mit dem Judasbrief zusammenhängt als mit dem 1. Petrusbrief. Obwohl die Auferweckung des Gekreuzigten und die Auferweckung der Toten mit Ausnahme des 1Petr in den katholischen Briefen nicht thematisch behandelt werden, ja sogar die Auferweckungsterminologie weitgehend fehlt, sollen die katholischen Briefe hier unter dieser Perspektive befragt werden. Es wird sich herausstellen, dass selbst die katholischen Briefe, die von anderen Fragen als der nach der Auferweckung der Toten bewegt werden, die Auferweckung Jesu Christi als Grundlage ihrer eschatologischen Deutung der Wirklichkeit voraussetzen. 1. Der Jakobusbrief Dass Jak, Jud und 2Petr weder die Auferweckung der Toten im Allgemeinen noch die Auferweckung des Gekreuzigten thematisieren, lässt sicher nicht darauf schließen, dass die Auferweckungstheologie für sie ohne Belang gewesen wäre. Die Rede vom Kyrios Jesus Christus in Jak 1,1 ergibt in ihrer syntagmatischen Verknüpfung mit Gott nur Sinn, wenn die Auferweckung des Gekreuzigten und seine Erhöhung vorausgesetzt werden. Der explizite Autor Jakobus wird ohne Unterschied als Knecht von Gott und dem Kyrios vorgestellt und erhält dadurch seine besondere Qualifikation. 213 Der Kyrios- 211 Vgl. I. Broer, Einleitung in das Neue Testament, 593. 212 So etwa U. Schnelle, Einleitung. 213 Zudem spielt die Auferweckung des Gekreuzigten für die älteren neutestamentlichen Schriften und wie wir exemplarisch an 1 Kor 15,3b-7, der wohl ältesten erhaltenen Tra- <?page no="206"?> Erster Teil 190 titel wird zunächst für Jesus Christus gebraucht (1,1), während Gott als Theos bezeichnet wird. Im weiteren Verlauf des Schreibens werden sowohl Gott als Kyrios bezeichnet (1,7.12; 3,9; 4,10; 5,4.10.11), als auch Jesus Christus (2,1; 5,7.8.14f.). Zuweilen wird nicht klar, ob von Gott oder Jesus Christus die Rede ist, wenn vom Kyrios gesprochen wird (vgl. 4,15). Beide aber erscheinen als eschatologische Richter, was mit Blick auf Jesus Christus, dessen gewaltsamer Tod in 5,6 erinnert wird, nur Sinn ergibt, wenn seine Auferweckung durch den wundertätigen Schöpfergott vorausgesetzt wird (vgl. 5,13- 18). Dass der Jakobusbrief von dem leiblichen Bruder Jesu verfasst wurde und dann in die Zeit vor 62 n. Chr., dem Jahr der Hinrichtung des Herrenbruders, die der Hohepriester von Jerusalem vorantrieb, zu datieren wäre, wird nur von wenigen Exegeten angenommen. Die überwiegende Mehrheit geht von einem pseudonymen Verfasser aus, dessen Anliegen es war, mit seinem „Mahnbrief“ 214 die Glaubenden auf Gottes Wort nicht nur in ihrem Denken, sondern auch in ihrem Handeln zu verpflichten. Der Jakobusbrief steht in großer Nähe zur jüdischen Weisheitsliteratur. 215 „Der entscheidende Grund, warum der Brief gerade unter die Autorität des Jakobus gestellt wurde, dürfte dabei Jakobus´ Nachwirkung als ethisches Vorbild gewesen sein, die sich recht bald in seinem Beinamen ‚der Gerechte‘ (EvThom 12) verdichtete und ihn für ein ethisches Korrekturschreiben wie den Jak als passende Autorität erscheinen ließ.“ 216 Vielleicht wird mit 5,6 sowohl der Kreuzestod Jesu als auch die Steinigung des Jakobus erinnert. Der ethische Impuls des Jak verdankt sich nicht allein seiner jüdischen Tradition, vielmehr steht er in direktem Zusammenhang mit seiner eschatologischen Erwartung, die gleich im ersten Abschnitt des Briefes aufscheint (1,2-12). Die Anfechtungen, von denen 1,2 spricht, sollen als Bewährungsmöglichkeiten für den Glaubenden verstanden werden, der auf diese Weise die „Geduld“ erwirbt (1,3), bis ans Ende angemessen zu leben (1,4) und dann vom Kyrios zu empfangen (1,7b), was der Makarismus, auf den der ganze Abschnitt zuläuft, als „Krone des Lebens, die Gott verheißen hat denen, die ihn lieben“ (1,12b) bezeichnet. Diese „Krone des Lebens“ wird kaum eine andere eschatologische Gabe sein, als die, die die anderen frühchristlichen Schriften nennen: das ewige Leben in der friedevollen Gemeinschaft mit Gott und Jesus Christus. Auch die Verbindung von Auferweckungstheologie und Schöpfungstheologie ist in Jak 1,17f. auszumachen, wobei eine dezidierte Theologie des Wortes Gottes beides miteinander verbindet. Der Glaube wird wie bei Paudition des frühen Christentums, ablesen können, bereits für die ersten Anfänge christlicher Theologie eine so zentrale Rolle, dass eine Ablehnung wohl kaum durch Ignoranz als vielmehr durch eine Thematisierung der Auferweckungstheologie zum Ausdruck gebracht worden wäre. 214 So die plausible Gattungsbestimmung von C. Burchard, Der Jakobusbrief, 9. 215 Vgl. H. von Lips, Weisheitliche Traditionen im Neuen Testament, 434. 216 M. Konradt, Jakobusbrief, 503. <?page no="207"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 191 lus nicht als eigenes Werk, sondern als Gottes Gabe verstanden, der durch das schöpferische Wort Gottes entsteht. Wie nach dem ersten Schöpfungsbericht in Gen 1,1-2,4a Gott durch sein Wort schafft, so sind auch die Glaubenden durch das Wort Gottes, das „Wort der Wahrheit“, neu „geboren“ worden, als „Erstlinge seiner Schöpfungen.“ (1,18). Gott, der als „Vater des Lichts“ (1,17) bezeichnet wird, schafft kontinuierlich durch sein Wort. Die angemessene Antwort auf dieses neu schaffende Wort sind die der Barmherzigkeit Gottes (vgl. 5,11) und der Würde der Gottebenbildlichkeit (vgl. 3,9b) des Menschen entsprechenden Handlungen im Alltag des Lebens. Diese Theologie des Schöpfungswortes Gottes geht nicht in einer präsentischen Eschatologie auf. Vielmehr geht es darum, dass die jetzt schon durch das Wort neu Geborenen ihrer neu geschenkten Existenz gemäß leben, um am Ende die „Krone des Lebens“, das ewige Leben, zu empfangen. Das Wort ist nämlich nicht bereits die Erfüllung der Verheißung, sondern in großer Nähe zur paulinischen Theologie die Kraft Gottes, die zu retten vermag (vgl. Jak 1,21b; Röm 1,16b). Der Inhalt des durch das Wort geschaffenen Glaubens ist „Jesus Christus, unser Herr der Herrlichkeit“ (2,1). Damit kann wohl kaum etwas anderes gemeint sein als der von den Toten auferweckte und erhöhte Gekreuzigte, der vor seinem Tod am Kreuz das Reich Gottes verkündete und der den Evangelien zufolge wie der Jakobusbrief großen Wert darauf legte, dass sich wahrer Glaube in tätiger Liebe ausdrückt (vgl. Mt 25,31-46). In Übereinstimmung mit der Tora und der Jesustradition kommt dem Doppelgebot der Liebe die grundlegende Orientierung des Handelns und Wandelns zu (vgl. Jak 1,12; 2,8; Mt 22,37ff.; Lev 19,18). Wenn die Polemik des Jakobus gegen einen so genannten Glauben, der den Bedürftigen mit frommen Worten abspeist, ohne in tätiger Liebe dem leiblichen Bedürfnis des anderen entsprechend zu handeln (vgl. 2,15ff.), sich tatsächlich gegen die paulinische Überzeugung richten sollte, „dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben“ (Röm 3,28b), so hätte der Verfasser des Jakobusbriefes Paulus zutiefst missverstanden. Auch Paulus schärft ein, dass der Glaube durch die Liebe tätig ist (Gal 5,6) und auch die Glaubenden beim eschatologischen Gericht an ihren Taten gemessen werden (vgl. Gal 5,13-26; 1 Kor 3,13ff.). Wer aber, wie etwa Martin Luther und mit ihm die überwiegende Mehrheit der protestantischen Exegeten, dem Jakobusbrief eine Werkgerechtigkeit zuschreibt, 217 gegen die Paulus polemisiert, dem unterläuft ein ebenso großes Missverständnis der Wort-Gottes-Theologie des Jakobusbriefes. Die Werke ersetzen Jak zufolge nicht den Glauben, sondern vollenden ihn (vgl. Jak 2,22-26): Das Wort schafft den Glauben an Jesus Christus und bewirkt gleichursprünglich die Neuschöpfung der Glaubenden. Dieser Glaube drückt sich in tätiger Liebe aus. Wer den Glauben an Jesus Christus in sich wirken lässt, der wird sich im Alltag darum bemühen, dementsprechend zu 217 Vgl. WA, DB 6,10; WA, DB 7,384. <?page no="208"?> Erster Teil 192 leben, auch wenn es immer wieder misslingt. Die Geduld, trotz aller Anfechtungen immer wieder zu versuchen, in tätiger Liebe zu leben, sich für die Bedürftigen und Schwachen der Gesellschaft einzusetzen und sich solidarisch mit den Opfern der ausbeutenden Logik der Verzweckung zu erklären, baut auf die eschatologische Gewissheit, von dem gekreuzigten, auferweckten und erhöhten Kyrios am Ende „die Krone des Lebens“, das ewige Leben, zu erhalten (1,12). Diese Geduld erwartet die „Ankunft des Herrn“ (5,7) und mit seinem Kommen den großen Gerichtstag, die endgültige Wiederherstellung des Rechts. Die soziale Verantwortung, die der Jakobusbrief einfordert, beruht auf der eschatologischen Überzeugung, dass „der Richter vor der Tür steht“ (5,9b). „Das Kommen des Herrn ist nahe“ (5,8c). Auch der Jakobusbrief erwartet in seiner Geduld niemand anderen als den gekreuzigten, auferweckten und erhöhten Kyrios Jesus Christus, dessen Passion in 5,6 erinnert wird, und mit seiner Ankunft die Vollendung des eschatologischen Handelns Gottes. 2. Der 1. Petrusbrief Schon die zahlreichen intertextuellen Verknüpfungen mit den paulinischen Briefen, 218 aber auch mit dem Jakobusbrief 219 und mehr noch der gehobene griechische Stil des 1Petr lassen es als unmöglich erscheinen, den Jünger Simon Petrus als Verfasser des 1Petr anzunehmen. 220 Mit der überwiegenden Mehrheit der Forscher ist der 1Petr als ein pseudepigraphisches Schreiben eines anonymen Verfassers zu betrachten, das sich gegen Ende des 1. Jahrhunderts an die Christenheit in Kleinasien wendet, um sie in ihrer schwierigen gesellschaftlichen Außenseitersituation zu stärken, die ihr Bekenntnis zu dem gekreuzigten, auferweckten und erhöhten Jesus Christus und zu dem Gott, der ihn auferweckte, mit sich brachte. Reinhard Feldmeier hat zunächst in seiner Monographie Die Christen als Fremde und dann in seinem Kommentar zum 1Petr nachgewiesen, dass im 1Petr die positiv umkodierte Metapher des Fremdlings als Leitmetapher der Deutung christlicher Existenz in der überwiegend nichtchristlichen Gesellschaft dient. Sie versteht sich nicht mehr aus den geltenden Plausibilitätsstrukturen der vorfindlichen Gesellschaft, sondern aus ihrem durch die Verkündigung von Tod und Auferweckung Jesu Christi ermöglichten Bezug zu der eschatologischen Wirklichkeit, die Gott mit der Auferweckung Jesu Christi den so Glaubenden eröffnet hat. „Gläubige Existenz ist nach dem 1Petr eschatologische Existenz.“ 221 218 Zum Paulinismus des 1Petr. vgl. N. Brox, Erste Petrusbrief, 47-51. 219 Vgl. etwa 1Petr 1,6f. mit Jak 1,2f.; 1Petr 1,22-2,2 mit Jak 1,18.21; 1Petr 5,5-9 mit Jak 4,6- 10. 220 Zur näheren Begründung vgl. N. Brox, Erste Petrusbrief, 43-47. 221 R. Feldmeier, Christen als Fremde, 169. <?page no="209"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 193 Diese eschatologische Existenz verdankt sich aber nicht einer empirischen Erfahrung oder einer visionären Schau des auferweckten Gekreuzigten und schon gar nicht einer empirischen Überprüfung des Grabes Jesu: „Ihn habt ihr nicht gesehen und habt ihn doch lieb; und nun glaubt ihr an ihn, obwohl ihr ihn nicht seht“ (1,8). Die eschatologische Existenz der Glaubenden verdankt sich allein der Schöpfungskraft des Wortes Gottes. Sie versteht sich als „wiedergeboren nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen, nämlich aus dem lebendigen Wort Gottes, das bleibt“ (1,23). Der Inhalt dieses Wortes ist das Evangelium, in dessen Zentrum die Erzählung von Tod, Auferweckung und Erhöhung Jesu Christi steht. Gott hat „ihn auferweckt von den Toten und ihm die Herrlichkeit gegeben, damit ihr Glauben und Hoffnung zu Gott habt“ (1,21b). Dieser mittels des Evangeliums von dem auferweckten und erhöhten Gekreuzigten bewirkte Glaube dient der letztgültigen Rettung, die schon jetzt durch die eschatologische Machttat der Auferweckung Jesu Christi durch Gottes wunderbare Schöpferkraft für die Glaubenden vorbereitet wurde, aber erst am Ende der Zeit offenbar werden wird (vgl. 1,3ff.). „Das Christusgeschehen als Tat Gottes strukturiert und qualifiziert die gesamte Weltzeit und macht aus der Jetztzeit Letztzeit.“ 222 Die sich aus dem Glauben an die eschatologische Auferweckung des Gekreuzigten Verstehenden erfahren sich deshalb als „wiedergeboren zu einer lebendigen Hoffnung“, weil sich mit diesem neuen Bezug zur letztgültigen Zukunft nicht nur die Sicht auf das eigene Leben von Grund auf ändert, sondern der Kosmos als ganzer völlig neu wahrgenommen wird. Aus dieser neuen, mit eschatologischer Hoffnung erfüllten Sicht können auch die Konflikte und Leiden, die das Bekenntnis zu Gott und Jesus Christus mit sich bringen, ertragen werden, ohne die eschatologisch begründete Freude über die Verheißung ewigen Lebens mit Gott und Jesus Christus zu verlieren. Dieses Evangelium von Jesus Christus wurde von denjenigen, die es übermittelt haben, „verkündigt durch den heiligen Geist, der vom Himmel gesandt ist“ (1,12d). Es offenbart Jesus Christus, den Gekreuzigten, als den von Gott auferweckten und erhöhten Christus. Mit dieser Offenbarung wird gleichursprünglich die Gnade Gottes angeboten, die allein angesichts des kommenden eschatologischen Gerichts Hoffnung auf Rettung zu begründen in der Lage ist (vgl. 1,13). Die Wiedergeburt durch das schöpfungsmächtige Wort Gottes ist aber nicht mit der eschatologischen Auferweckung der Toten zu identifizieren, denn es ist eine Wiedergeburt „zu einer lebendigen Hoffnung“ (1,3b), die das ewige Leben erst am Ende der Zeit als „unvergängliche Krone der Herrlichkeit“ (5,4b), als Gnadengeschenk Gottes zu empfangen hofft. Die Rede von der Wiedergeburt steht gerade nicht im Zeichen einer in der Gegenwart aufgehenden Eschatologie. Vielmehr handelt es sich um eine apokalyptische 222 N. Brox, Erste Petrusbrief, 84. <?page no="210"?> Erster Teil 194 Eschatologie, die schon ihre Wahrnehmung des Gekreuzigten als auferweckten und erhöhten Kyrios Jesus Christus nicht sich selbst, sondern dem Wirken des Heiligen Geistes zuschreibt und die Befähigung zu dieser Wahrnehmung als Wiedergeborenwerden zu einer neuen Hoffnung begreift. Die Wiedergeburt ist nicht die Auferstehung. Erst ihre durch den Geist ermöglichte Sicht der Dinge eröffnet die Wahrnehmung des Gekreuzigten als auferweckten und erhöhten Kyrios und gleichursprünglich die Hoffnung auf die Auferweckung der Toten und die Rettung vor dem eschatologischen Gericht Gottes. Diese Hoffnung auf Rettung steht in apokalyptischer Naherwartung (vgl. 4,7) des universalen Gerichts, das auch die Toten einbezieht, „denn dazu ist auch den Toten das Evangelium verkündet, dass sie zwar nach Menschenweise gerichtet werden im Fleisch, aber nach Gottes Weise das Leben haben werden im Geist“ (4,6). 223 Auf der schöpfungstheologischen Basis dieser apokalyptischen Eschatologie, die die Auferweckung des Gekreuzigten als von Gott gewirktes und eschatologisch wirksames Heilsereignis voraussetzt, die Befähigung zu diesem rettenden Glauben als Wiedergeburt beschreibt und mit dieser Sicht der Dinge nun auch auf die eigene Rettung, die Auferweckung der Toten und das Erbe des ewigen Lebens zu hoffen in der Lage ist, basiert das paränetische Anliegen des Briefes, begründete Ermutigung zum „Überleben der Gemeinden in Bedrängnis und Verfolgung“ 224 zu geben. Die empirische Erfahrung, von der der Brief Kunde gibt, ist das Leiden der Glaubenden, das ihnen die Freude des Evangeliums zu versperren droht. Erst die Parallelisierung der eigenen Leiden mit den Leiden Jesu Christi erlaubt es, den eigenen Leiden die tödliche Macht letztgültiger Wirklichkeit abzusprechen. „Die Aussage des Evangeliums, dass das Leiden in Herrlichkeit einmündet, ist zuverlässig. Daraufhin kann die mühsame Existenz, die später noch beschrieben wird, ausgehalten werden, ohne Angst vor Vernichtung oder Illusion.“ 225 3. Der Judasbrief und der 2. Petrusbrief Weder der Judasbrief, noch dessen „gezielte[.] Neuinterpretation“ 226 , der 2. Petrusbrief, thematisieren die Auferweckung Jesu Christi. Obwohl beide Schreiben ein dezidiertes Interesse an dem noch ausstehenden endzeitlichen Gericht Gottes zeigen, erwähnen sie die Auferweckung der Toten nicht. Sie könnten im Zusammenhang der Fragestellung der vorliegenden Untersuchung daher durchaus vernachlässigt werden. Wenn sie dennoch hier einer 223 Vgl. zu den Problemen dieses schwer zu verstehenden Verses N. Brox, Erste Petrusbrief. 224 Ebd., 51. 225 Ebd., 89. 226 H. Paulsen, Der zweite Petrusbrief und der Judasbrief, 99. <?page no="211"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 195 kurzen Betrachtung unterzogen werden, dann nur um den irrtümlichen Eindruck abzuwehren, für diese beiden Briefe sei die Auferweckung der Toten und die Auferweckung Jesu Christi ohne Belang. Der Judasbrief arbeitet bereits im Präskript mit der Verknüpfung von Theologie, Christologie und futurischer Eschatologie, die die Überzeugung von der Auferweckung und Erhöhung Jesu Christi voraussetzt. Er nennt als Absender Judas, der der Bruder des Jakobus sein soll. Damit aber nimmt er in Anspruch, von Judas, dem Bruder Jesu von Nazareth, verfasst zu sein. Wenn er sich zugleich als „Knecht Jesu Christi“ bezeichnet, setzt er die Lebendigkeit Jesu Christi voraus, denn niemand dient einem toten Bruder. Als Adressaten nennt er die „Berufenen“. Diese werden durch ihren Gottesbezug und ihren Bezug zu Jesus Christus näher qualifiziert. Sie sind von Gott, dem Vater, geliebt und sie sind für Jesus Christus bewahrt (V. 1b). Ihre Berufung gründet in der Liebe Gottes, und sie wird ihr Ziel finden im gemeinsamen „ewigen Leben“ mit dem auferweckten und erhöhten Jesus Christus. Diese Grundüberzeugung wird nochmals in den Versen 20f. ermahnend und ermutigend zugleich verstärkend aufgegriffen: „Ihr aber, Geliebte, erbaut euch auf euren allerheiligsten Glauben, und betet im heiligen Geist, und erhaltet euch in der Liebe Gottes, und wartet auf die Barmherzigkeit unseres Herrn Jesus Christus zum ewigen Leben.“ Diese barmherzige Liebe soll von den angeschriebenen Berufenen sogar den Gegnern zuteil werden, die im Hauptteil des Briefes heftig gescholten und mit eschatologischen Strafen bedroht werden (V. 22f.). Als Unterscheidungsmerkmal zwischen den Berufenen und den Gegnern wird die Geistbegabung in Anspruch genommen. Der maßgebliche Vorwurf an die Gegner besteht darin, dass sie Spaltungen hervorrufen (vgl. V. 19). Mit Henning Paulsen kann der inhaltliche Konflikt in der Engellehre des Judasbriefes gesehen werden: „Die Gegner akzeptieren nicht die Hochschätzung der Engel, die gerade wesentlicher Teil der Theologie des Jud ist.“ 227 Die Angelologie des Jud, die etwa durch seinen Bezug auf den Erzengel Michael (V. 9), aber auch durch seine Berufung auf das (äthiopische) Henochbuch in Vers 14 gewichtig zum Tragen kommt, verweist die ganze kosmologische Weltdeutung des Jud in den Denkhorizont der jüdischen Apokalyptik, in der die Angelologie eine ausgezeichnete Rolle spielt. Dass damit, wie in allen apokalyptischen Schriften, die für die Universalität des eschatologischen Gerichts Gottes notwendig vorauszusetzende Auferweckung der Toten eine selbstverständliche und nicht weiter zu betonende Grundannahme des Jud ist, kann vorausgesetzt werden. Dasselbe gilt auch für den 2Petr, der wohl jüngsten Schrift der Sammlung des Neuen Testaments. Obwohl der 2Petr mit seinem fiktionalen Absender und seinem Verweis auf den ersten Petrusbrief (3,1) die Autorität des Apostels Petrus in Anspruch nimmt, sind seine Bezugnahmen auf die Pau- 227 H. Paulsen, Der zweite Petrusbrief und der Judasbrief, 48. <?page no="212"?> Erster Teil 196 lusbriefe, auf das Matthäusevangelium und - literarisch noch offensichtlicher - auf den Judasbrief gewichtiger als die auf den 1Petrusbrief. Als maßgebliche Autoritäten beruft er sich für seine Theologie auf „ein bestimmtes Verständnis der Schrift […], der Christusoffenbarung und der paulinischen Briefe.“ 228 Der Rekurs auf Petrus dient einerseits der Verankerung des Evangeliums im Wirken Jesu von Nazareth schon vor dessen Kreuzigung und Auferweckung. Als dessen Garant wird der Augenzeuge Petrus eingesetzt (vgl. 1,16ff.), der nun selbst kurz vor seinem Tod (vgl. 1,12ff.) sein Testament des Evangeliums in Form des 2Petr ablegt und nun andererseits mit der Betonung der sicheren Parusie Ursprung und eschatologisches Ziel des Evangeliums verknüpft. Dabei spielt die Bearbeitung des eschatologischen Problems der Parusieverzögerung im 2Petr eine gewichtige Rolle auch für den Zusammenhang der Frage nach dem neutestamentlichen Auferweckungsdiskurs. Die Argumentation des 2Petr läuft darauf hinaus, die göttliche Wirklichkeit von der menschlichen Wahrnehmung abzugrenzen (vgl. 3,8) und die vermeintliche Verzögerung als nur von Menschen in ihren empirisch begrenzten Wahrnehmungsfähigkeiten so aufgefasste Verzögerung zu bezeichnen. Zugleich wird sie auf die „Geduld“ Gottes zurückgeführt, dessen Barmherzigkeit allen Menschen ausreichend Gelegenheit zur „Umkehr“ gibt (vgl. 3,8ff.). Im ganzen Zusammenhang stehen dabei die Auferweckung Jesu Christi und auch die eschatologische Auferweckung der Toten zum universalen Gericht Gottes außer Frage. Wie der Jud verschiebt auch der 2Petr das Gerichtsverständnis dahin, dass das Gericht die Gegner treffen wird, und daher malt er es in noch schrecklicheren Bildern aus als seine Vorlage, der Jud. Bei aller notwendigen Kritik an diesem einseitigen Gebrauch der Gerichtsvorstellungen mit Blick auf die Gegner, bewahren der Jud und auch der 2Petr mit ihrem massiven Eintreten für das Wachhalten der Glaubenden hinsichtlich der noch ausstehenden eschatologischen Ereignisse der Wiederkunft des auferweckten und erhöhten Jesus Christus und des universalen Gerichts die apokalyptische Eschatologie und damit die Öffnung der Zukunft für das barmherzige und gerechte Handeln Gottes. Die Briefe bewahren damit auch die Frömmigkeit vor einem gemütlichen sich Einrichten in die ungerechten Strukturen der vorfindlichen Wirklichkeit. Dass aber das Gericht für alle gilt, ist mit der überwiegenden Mehrheit der neutestamentlichen Schriften dem 2Petr und dem Jud entgegenzuhalten. 229 Die eschatologische Öffnung christlicher Existenz ist ohne die Grundannahme der Auferweckung des Gekreuzigten und 228 H. Paulsen, Der zweite Petrusbrief und der Judasbrief, 100. 229 Zur moderaten aber angebrachten Kritik an Jud und 2Petr vgl. H. Paulsen, Der zweite Petrusbrief und der Judasbrief, 101ff., der sich auch mit den massiven Vorwürfen Käsemanns klärend auseinandersetzt. <?page no="213"?> Die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments 197 ohne die Hoffnung auf die Auferweckung der Toten zum universalen Gericht nicht zu haben. <?page no="215"?> Zweiter Teil Die Rede von der Auferweckung nach den Schriften des Neuen Testaments. Systematische Interpretationen <?page no="217"?> Die Rede von der Auferweckung nach den Schriften des Neuen Testaments 201 1. Die Grundstruktur der Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments und die sich daraus ergebende Fragestellung für den zweiten Teil der Untersuchung Der erste Teil der Monographie versuchte nachzuzeichnen, wie in den Schriften des Neuen Testaments die Auferweckung der Toten und die Auferweckung Jesu Christi kommuniziert werden. Es ging den exegetischen Untersuchungen darum, die Rede von der Auferweckung innerhalb des Diskursuniversums der jeweiligen Schriften bzw. Schriftkomplexe nachzuzeichnen, um zumindest zweierlei zu erreichen. Zum einen sollte die Intensität, die Komplexität, die Uneinheitlichkeit und zum Teil auch die Widersprüchlichkeit des Auferweckungsdiskurses im Neuen Testament aufgezeigt werden, um die Reduktion der exegetischen Forschung zur Frage nach der Auferweckung Jesu Christi und ihres Zusammenhangs mit der Auferweckung der Toten auf 1 Kor 15 und die Evangelienschlüsse zu durchbrechen und damit die Fixierung auf die historischen Fragestellungen nach der Beschaffenheit der Schauungen des Auferweckten und nach dem Zustand des Grabes Jesu (leer/ voll) zu Gunsten der Wahrnehmung des ganzen neutestamentlichen Auferweckungsdiskurses zu vermeiden. Zum anderen aber sollte gerade nach den syntagmatischen, semantischen und pragmatischen Zusammenhängen gefragt werden, die die Rede von der Auferweckung der Toten in den Schriften des Neuen Testaments als plausibel, denkbar, nachvollziehbar und relevant für das eigene Leben erscheinen lassen, ohne die Darstellung bereits mit den Rückfragen anderer Wirklichkeitskonzepte zu überlasten. Wie sehen die grundlegenden Realitätsannahmen aus, die es dem neutestamentlichen Diskurs erlauben, bei aller Unterschiedlichkeit ernsthaft, überzeugt und existentiell betroffen von der Auferweckung Jesu Christi und von der Auferweckung der Toten zu reden? Die Eckpunkte des neutestamentlichen Auferweckungsdiskurses seien kurz benannt: Die Basisüberzeugung besteht darin, dass der Gott Israels, wie er in den Heiligen Schriften Israels bezeugt ist, der barmherzige und gerechte Schöpfergott ist, der mit seiner kreativen Macht alles liebevoll und zweckfrei um seiner selbst willen geschaffen hat. Diese Schöpfungstheologie, die den Kosmos samt allen Geschöpfen von der zweckfreien Liebe Gottes her versteht, wird von den Autoren der neutestamentlichen Schriften fortgeführt. Nur dieser Schöpfergott ist als der in den Heiligen Schriften Israels bezeugte kreative Gott in der Lage, Tote zu erwecken. 1 1 Die Überzeugung, dass Gott, der Schöpfer von Allem, Tote erwecken kann, findet sich zumindest ansatzweise schon in einigen Schriften Israels und wurde sicher von den Pharisäern und den meisten Juden zur Zeit Jesu und zur Zeit der Entstehung der neu- <?page no="218"?> Zweiter Teil 202 Die Auferweckung der Toten ist kein Selbstzweck, sondern dient der Herstellung des durch die Gewalt von gottlosen Mächten und Menschen verletzten Rechts Gottes, das die liebevolle Beziehung Gottes zum Kosmos und seinen Bewohnern empfindlich stört. Die Auferweckung der Toten ist eng verknüpft mit der Sünde auf der geschöpflichen Beziehungsseite und der Theodizeefrage auf der göttlichen Beziehungsseite, und sie wird mit der Überzeugung beantwortet, dass Gott zuletzt Gericht halten wird über Lebende und Tote und damit selbst das verletzte Recht heilen wird. Die Wiederherstellung des Rechts dient also nicht nur den Geschöpfen, die erst so wieder uneingeschränkt beziehungsfähig werden und nur unter dieser Voraussetzung in das ewige Leben als dauerhafte Beziehung mit Gott und dem auferweckten Gekreuzigten in das Reich Gottes eingehen können. Es dient ebenso dem Erweis der Beziehungsfähigkeit Gottes, der sich nur als der gerechte und barmherzige Gott erwiesen haben wird, wenn er die Gewalttaten und vor allem ihre Opfer nicht vergisst, also seine göttliche Gerechtigkeit zum Heil des ganzen Kosmos und seiner Geschöpfe endgültig und ohne jede Beschränkung durchgesetzt haben wird. Der neutestamentliche Auferweckungsdiskurs webt in dieses Netz aus Schöpfungstheologie, Sündenreflexion, Theodizeefrage und apokalyptischer Eschatologie einen neuen Faden ein, der das Gewebe von Grund auf verändert: Die Auferweckung des gekreuzigten Jesus Christus. Sie wird nicht als machtvolles Wunder der Wiederbelebung eines Toten eingebracht, wie es etwa 1Kön 17 oder Joh 11 erzählen. Vielmehr wird behauptet, die eschatologische Auferweckung der Toten, die am Ende der Zeit stattfinden wird, habe bereits mit der Auferweckung des Gekreuzigten ihren alles definierenden Anfang genommen. Der von den Toten auferweckte Gekreuzigte wurde nicht in sein altes fleischliches Leben zurückbeordert, sondern in das göttliche Leben hinein genommen, das gerade nicht durch Raum und Zeit begrenzt werden kann. Diese Erhöhung in das Leben Gottes hinein machte es aber erforderlich, dass der Auferweckte einen neuen Leib erhielt, der nicht den Gesetzen von Raum und Zeit und damit auch nicht mehr dem Verfall und Tod ausgesetzt ist. Aber er benötigt auch für sein neues ewiges Leben einen Leib, der in Analogie zu den Leibern der Engel als Lichterscheinung auch mit den Augen der ersten Schöpfung wahrgenommen werden kann. Diese Ausstattung mit einem neuen Leib lässt den auferweckten Gekreuzigten trotz seiner Erhöhung als Gekreuzigten erkennbar bleiben, womit die Kontinuität des ersten zum zweiten Leib eingeschrieben wird, und sie markiert auch den zum Kyrios der Glaubenden Erhöhten als Geschöpf Gottes, denn die Signatur alles Geschaffenen ist die Leiblichkeit. Die Differenz zwischen Schöpfer und Geschöpf bleibt auch als Differenz zwischen Gott, dem testamentlichen Schriften, nicht aber von den Sadduzäern geteilt; vgl. P. Hoffmann, Die Toten in Christus; G. Stemberger, Der Leib der Auferstehung; H.C. Cavallin, Leben nach dem Tode im Spätjudentum und frühen Christentum, 240-345. <?page no="219"?> Die Rede von der Auferweckung nach den Schriften des Neuen Testaments 203 Vater und seinem Kyrios Jesus Christus gewahrt. Nur Gott, der Schöpfer, benötigt für sein ewiges Leben keinen Leib. Der auferweckte und zum Kyrios erhöhte Gekreuzigte kommuniziert mit den Glaubenden nicht nur mittels einiger entbergender Schauungen, von denen etwa Gal 1 und 1Kor 15, aber auch die Visionen der Johannesapokalypse Kunde geben. Vielmehr besteht der basale Auferweckungserweis in den Schriften des Neuen Testaments darin, dass der am Kreuz getötete Jesus in der Gegenwart der Glaubenden als lebendig und wirksam erfahren wird. Das Grundbekenntnis - Kyrios Jesus Christus - bringt formelhaft die Überzeugung zum Ausdruck, dass Jesus nicht im Tod geblieben ist, sondern von Gott auferweckt und zum Herrn der Glaubenden eingesetzt wurde und nun tatsächlich als Kyrios lebt, herrscht, handelt und handeln wird. Er teilt sich mit, wird sogar an der Auferweckung der Toten teilhaben und vor allem als Richter beim eschatologischen Gericht maßgeblich mitwirken. Im Herrenmahl ist er präsent und erfahrbar. Andere Erweise der Auferweckung des Gekreuzigten finden sich so gut wie nicht. Das leere Grab wird außerhalb der Evangelien niemals bemüht, um als Zeichen der Auferweckung Jesu zu dienen. Nicht einmal die Apostelgeschichte des Lukas setzt die lukanische Erzählung von der Abwesenheit des Leichnams Jesu im Grab als Beweismittel ein. Nicht das leere Grab oder irgendwelche andere empirische, materiell vorzeigbare Daten werden als Beweise der Auferweckung vorgelegt, denn das eigene Erleben der Gemeinschaft mit dem gekreuzigten, auferweckten und erhöhten Kyrios Jesus Christus bildet den plausiblen hinreichenden Erweis der Wahrhaftigkeit seiner alles verändernden Auferweckung, von dem die davon Überzeugten Zeugnis ablegen. Die Auferweckung des Gekreuzigten wird dabei nicht als eschatologischer Einzelfall dargestellt, sondern mit der Erwartung der eschatologischen Auferweckung der Toten in nächster Zeit verwoben. Schon jetzt sind diejenigen, die dem Evangelium von der Auferweckung der Toten glauben mit hinein genommen in die eschatologische Qualität der neuen Schöpfung. Sie befinden sich in dem paradoxen Zwischenzustand, schon jetzt neue Schöpfung zu sein, aber noch in ihren zerbrechlichen, fleischlichen Leibern zu leben. Auch wenn manche Briefe wie der Kol und wohl mehr noch der Eph, diese paradoxe Spannung mit der Rede von der bereits vollzogenen Auferweckung zu unterlaufen drohen, so kann von den neutestamentlichen Schriften insgesamt gesagt werden, dass sie die apokalyptische Eschatologie mit der futurischen Erwartung der Auferweckung der Toten zum Gericht fortschreiben. Die dem Evangelium vom auferweckten Gekreuzigten Glaubenden erwarten das eschatologische Gericht in der Zuversicht, aufgrund ihrer Gemeinschaft mit dem Kyrios dem gerechten Zorn Gottes zu entgehen. Dabei halten aber einige Schriften, insbesondere der Jud und der 2Petr das radikale Sündenverständnis kaum durch, das sich auch auf die Glaubenden selbst bezieht. Sie setzen das eschatologische Gericht vielmehr als rhetori- <?page no="220"?> Zweiter Teil 204 sches Mittel zur Einschüchterung der Gegner ein, ohne das Bewusstsein erkennen zu lassen, dass alle, auch sie selbst, das Gericht verdient haben. Die Auferweckung Jesu wird also als eschatologischer Einbruch der göttlichen Ewigkeit in die empirische Weltzeit und damit als Beginn der letzten Weltzeit interpretiert, die auf das eschatologische Gericht Gottes zuläuft. Die Auferweckung der Toten ist daher kein Selbstzweck. Sie dient der Abrechnung mit den Gräueltaten und Verfehlungen des geschöpflichen Lebens in der Weltzeit und zielt damit auf die Wiederherstellung der Gerechtigkeit Gottes und zugleich der Heilwerdung der Opfer der Weltzeit. Indem Gott letzten Endes Recht über Tote und Lebende spricht, erweist er sich als der, der er ist, der barmherzige und gerechte Schöpfergott. Indem er aber die auf das Wort vom Kreuz, auf das Evangelium Vertrauenden mit in sein göttliches Leben hinein nehmen wird, so wie er es mit dem auferweckten Gekreuzigten bereits getan hat, überbietet er mit der zweiten Schöpfung die erste Schöpfung. Im Reich Gottes, das mit der Auferweckung des Gekreuzigten angebrochen ist und nach dem Vollzug des eschatologischen Gerichts ohne weitere Störungen ewig sein wird, leben die Auferweckten in herrlichen neuen Leibern in ewiger Gemeinschaft mit dem Kyrios Jesus Christus und mit Gott selbst. Ohne Schöpfungstheologie, ohne Sündenverständnis, ohne Theodizeefrage und ohne apokalyptische Eschatologie bricht der Plausibilisierungszusammenhang der neutestamentlichen Rede von der Auferweckung der Toten zusammen. Das Diskursuniversum der neutestamentlichen Schriften entspricht aber nicht mehr ungebrochen den Realitätskonzepten der Gesellschaften nach der Aufklärung. Engelhafte Lichtleiber sind nun in Fantasyfilmen zu Hause, apokalyptische Szenarien werden als auf dem Prinzip von Ursache und Wirkung beruhende Naturkatastrophen gezeichnet, die Auferweckung der Toten wird kaum noch als seriöse Frage eines geisteswissenschaftlichen Diskurses angesehen und die Frage nach der Sünde als moralinsaure lebensferne Kirchenideologie abgetan. Zugleich aber überzeugt die Reduktion der Wirklichkeit auf empirisch messbare und prinzipiell wiederholbare Daten nicht mehr, sondern wird angesichts der Komplexität und der Vielfalt menschlicher Wahrnehmung von Realität als unangemessene Begrenzung empfunden. Der vermeintliche Sprung zurück in die Zeit vor der Aufklärung eröffnet dazu keine tragfähige Alternative, gerät er doch zu einem religiösen Fundamentalismus, der wiederum nur unter den Bedingungen der Aufklärung und unter undurchschauter Akzeptanz und unsachgemäßer Verwendung ihres reduktionistischen binären Wirklichkeitsbegriffes entstehen konnte. 2 Auch die Flucht vor der schwierigen theologischen Denkarbeit in Parapsychologie, Tiefenpsychologie oder Sterbepsychologie bleibt dem empiristischen Realitätskonzept verhaftet und löst das theologische Problem der Denkbarkeit der Auferwe- 2 Vgl. dazu S. Alkier, H. Deuser, G. Linde (Hg.), Religiöser Fundamentalismus; M.E. Marty, R.S. Appleby (Hg.), The Fundamentalism Project. <?page no="221"?> Die Rede von der Auferweckung nach den Schriften des Neuen Testaments 205 ckung nicht. Die Durchschlagung des gordischen Knotens durch den radikalen Konstruktivismus, der die Wahrheitsfrage instrumentalistisch und im Verbund mit aktueller Hirnforschung empiristisch als überlebensnotwendige Anpassung an die Erfordernisse der Umwelt auflöst, und damit alle Realitätsannahmen in den Bereich der Kopfgeburten verbannt, löst das theologische Problem einer heute denkbaren und biblisch begründeten Rede von der Auferweckung der Toten ebenfalls nicht. 3 Die Frage nach der Realität der Auferweckung ist zudem nicht nur ein theoretisches, sondern gerade auch ein existentielles Problem: Worauf kann ich im Sterben vertrauen? Was kann ich Sterbenden und Hinterbliebenen theologisch verantwortlich sagen? Was spendet begründeten Trost, was vertröstet nur? Diese Frage nach der Auferstehung ist nicht zuerst eine historische, sondern eine eschatologische Frage inmitten unserer Gegenwart: es geht um die letzte Wahrheit unserer Realität, von der aus alles seine endgültige Bestimmung erfahren wird. Die vertrauensvolle Antwort der neutestamentlichen Schriften auf diese entscheidende Zukunftsfrage lautet, dass Gott es gut machen wird. Aber, so fragt der nahe liegende Zweifel, ist das nicht nur ein frommer Wunsch, eine Konstruktion derjenigen, die die brutale Realität der blutigen Geschichte und des eigenen bevorstehenden endgültigen Todes nicht wahr haben wollen? Die Frage nach der Realität der Auferweckung ist nicht bloß eine Frage unter anderen. Vielmehr steht hier das Ganze des biblischen Welt-, Gottes,- und Selbstverständnisses auf dem Spiel. Wie lässt sich im Denken unserer Zeit plausibel von der Auferweckung Jesu Christi und der Auferweckung der Toten reden und gleichzeitig der empiristischen Engführung, der fundamentalistischen Ignoranz und den zweckbestimmten Kopfgeburten des radikalen Konstruktivismus eine philosophisch und theologisch begründete Absage erteilen? Die These, die im folgenden entfaltet werden soll, lautet, dass die Realität der Auferweckung, wie sie sich in den neutestamentlichen Schriften findet, auch unter den Bedingungen gegenwärtiger Wissensproduktion formulierbar wird, wenn sie sich als theologische Hypothese über die Erschließung der Wirklichkeit in den pluralen gesellschaftlichen Diskurs einbringt. Damit aber kann das vorkritische, emotionale Vertrauen des Glaubens in die Wahrheit der Jesus- Christus-Geschichte formulieren, wie sein Glaubensgehalt gedacht werden kann. Dazu ist es zunächst notwendig, den Realitätsbegriff kategorialer Semiotik zu skizzieren und mit dessen Hilfe den neutestamentlichen Auferweckungsdiskurs im enzyklopädischen Rahmen heutigen Wissens zu interpretieren. 3 Vgl. dazu W. Härle, Die Wirklichkeit, 163-173. Allerdings kommen den exegetischen Arbeiten von Peter Lampe, der sich ausdrücklich zum Wirklichkeitskonzept des radikalen Konstruktivismus bekennt, mit das Verdienst zu, die Frage nach der Wirklichkeit und den verwendeten Wirklichkeitskonzeptionen in der deutschsprachigen Exegese Gehör verschafft zu haben, vgl. P. Lampe, Die urchristliche Rede von der „Neuschöpfung des Menschen“ im Lichte konstruktivistischer Wissenssoziologie, 21-32. <?page no="222"?> Zweiter Teil 206 2. Das Realitätskonzept kategorialer Semiotik Die kategoriale Semiotik ist kein radikaler Konstruktivismus. So kann Charles Sanders Peirce, der Begründer der kategorialen Semiotik, die Realität gerade zum Korrektiv des subjektiven Meinens erklären, wenn er Realität als das auffasst, „was von etwas wahr ist, unabhängig, ob dies jemand für wahr hält oder nicht“ 4 . Dies gilt sogar für die Selbstwahrnehmung. Wenn ich träume, so habe ich geträumt, auch wenn ich mich nicht mehr daran erinnern kann. Das Träumen war real, auch wenn ich kein Bewusstsein mehr davon habe und vielleicht nie jemand davon wissen wird, und auch wenn dieser Traum sich nicht wiederholt, sondern ein einmaliges kontingentes Ereignis bleibt. Wenn jemand unglücklich ist, so ist er es auch dann, wenn er es nicht wahrhaben will. Sein Unglück ist real, auch wenn er die ganze Zeit sich und alle anderen davon zu überzeugen sucht, er sei glücklich. Vielleicht vermag er seine wahren Gefühle so gut zu überspielen, dass ihn alle für einen glücklichen Menschen halten, seine wahren Gefühle aber bleiben real, auch wenn sie niemand und nicht einmal er selbst erkennt. Verlassen wir die Ebene der Selbstwahrnehmung und wählen ein Beispiel aus der harten, gegenständlichen Welt, das Wilfried Härle schildert: „Ich gehe durch einen Raum und bemerke nicht, dass er durch eine Glaswand geteilt ist, die sich meinem Versuch, den Raum zu durchschreiten, äußerst widerstandsfähig und schmerzhaft entgegenstellt. All das, was ich eben über diese Erfahrung gesagt habe, ist bereits vermittelt durch unsere konventionellen Sprachzeichen und durch meine Deutungen. Aber all diesen Deutungen liegt die unartikulierte Wahrnehmung von ‚etwas‘ zugrunde, das mich - schmerzhaft - mit einer Realität konfrontiert, die wir jedenfalls nicht konstruiert, ja bis dato nicht einmal interpretiert haben. Ich wiederhole: Jede Interpretation dieser Wahrnehmung - z.B. als ‚Schlag‘ oder ‚Stoß‘ oder ‚Schmerz‘ oder ‚Glaswand‘ ereignet sich auf der Ebene der Drittheit, also im Medium konventioneller Zeichen und unserer Interpretationen, aber das, wodurch diese Kommunikation und Interpretation ausgelöst ist, liegt unterhalb bzw. vor dieser Ebene der Drittheit.“ 5 Aber auch Zeichen sind nicht beliebig konstruierbar bzw. interpretierbar. Wenn etwas für etwas anderes in bestimmter Hinsicht steht, also eine Zeichenfunktion übernimmt, dann lässt sich das, wofür das Zeichen steht, nicht beliebig konstruieren. Nur so können unzutreffende Aussagen falsifiziert werden. Wer behauptet, Jesu letzte Worte in den Evangelien lauteten: „Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot“, der geht an der vorgegebenen Realität des überlieferten Zeichenbestandes vorbei und redet Unsinn, 4 C.S. Peirce, Semiotische Schriften 2, 193, vgl. auch ders., Semiotische Schriften 3, 317f. Diese Korrektivfunktion der Realität hat ausführlich Robert C. Neville weiterentwickelt in seiner Arbeit, Recovery of the Measure. 5 W. Härle, Die Wirklichkeit, 169f. <?page no="223"?> Die Rede von der Auferweckung nach den Schriften des Neuen Testaments 207 auch wenn er hier aus einem der wichtigsten Kapitel der biblischen Auferweckungstheologie zitiert, nämlich aus 1Kor 15,32b. Realität kommt also eine Qualität zu, die sie widerständig zu allen Vereinnahmungen macht. Aber nicht nur messbaren und prinzipiell wiederholbaren Konstellationen kommt diese Qualität zu. Das Beispiel des Traumes zeigt, dass auch dem vergessenen Traum Realität zukommt und vielleicht sogar eine Realität, die das ganze Leben des Träumenden stärker bestimmt, als seine empirisch vorzeigbare Lebenswelt. Realität wird im Konzept kategorialer Semiotik verstanden als ein Geflecht aus Phänomenen von Erstheit, Zweitheit und Drittheit. Realität wird nicht unabhängig von diesen Phänomenen selbstmächtig und mit souveräner Kreativität konstruiert, sie wird vielmehr auf kreative Weise als Verschränkung verschiedener Phänomene mittels Zeichen erschlossen. Realität liegt nicht nur dem Denken und Fühlen, sondern schon jeglicher Wahrnehmung von Phänomenen voraus, denn immer wird etwas wahrgenommen, das nicht in diesem jeweiligen Wahrnehmungsakt aufgeht, sei es ein Phänomen von Erstheit, wie ein unbestimmtes, vorkritisches Gefühl, ein Phänomen von Zweitheit wie der Zusammenprall zweier Gegenstände oder ein komplexes Phänomen von Drittheit wie etwa die verknüpfende Sammlung der Schriften des Alten und des Neuen Testaments. Realität wird interpretierend erschlossen. Realität erschließt sich nur mittels Zeichen. Zeichen sind im Realitätskonzept kategorialer Semiotik keine defizitären Zugänge zu einem nicht erreichbaren „Ding an sich“. Vielmehr sind sie die Art und Weise, wie sich die Phänomene der Wahrnehmung zeigen. Der Kategorienlehre Peirces 6 zufolge sind alle Phänomene unter drei mögliche Relationen subsumierbar - Erstheit, Zweitheit, Drittheit: „Erstheit ist das, was so ist, wie es eindeutig und ohne Beziehung auf irgend etwas anderes ist.“ Der geträumte Traum als solcher, vergessen, unerzählt uninterpretiert ist ein Phänomen der Erstheit. Er ist, was er ist, vorkritisch, unzensiert, unanalysiert. „Zweitheit ist das, was so ist, wie es ist, weil eine zweite Entität so ist wie sie ist, ohne Beziehung auf etwas Drittes.“ Der Widerstand, den die Glaswand meinem Körper bietet, ist ein Phänomen der Zweitheit. Etwas reagiert auf etwas. Phänomene der Zweitheit existieren. Sie treten aus sich heraus und können daher aufeinander reagieren. „Was wir unter Existenz verstehen, besteht darin, dass jedes Existierende mit allem anderen Existierenden desselben Universums in einem weiten Sinn (der die relative Position im Raum einschließt) reagiert.“ 7 Existenz ist eine Seinsform 6 Vgl. dazu C.S. Peirce, On a new list of Categories, 147-159. Vgl. dazu M.H. Fisch, Peirce's General Theory of Signs, 322-326. Zur Geschichte der Kategorienlehre von Aristoteles über Kant bis Peirce siehe die hervorragende Abhandlung von Klaus Oehler, Zur Geschichte der Kategorienlehre, in: Aristoteles, Kategorien, 37-56. Zur Einführung in die Semiotik Peirce´s siehe J.J. Liszka, A General Introduction to the Semeiotic of Charles Sanders Peirce. 7 C.S. Peirce, Semiotische Schriften 2, 269. <?page no="224"?> Zweiter Teil 208 auf der Ebene von Zweitheit. Existenz ist empirisch wahrnehmbar, messbar, körperlich: „[…] ‚existieren’ bedeutet, aufgrund des ex in existere, auf etwas wirken, gegen die anderen Dinge zurückwirken, die im psychophysikalischen Universum existieren.“ 8 „Drittheit ist Vermittlung.“ 9 Sie erschließt die Beziehung aufeinander reagierender Phänomene und bringt sie zur Darstellung. Drittheit verknüpft und erschließt Zusammenhänge, Regeln und Gesetzmäßigkeiten. Die je höherstellige Relation enthält die unter ihr stehenden Relationen, so dass in einer Drittheit Erstheit und Zweitheit enthalten sind, in einer Zweitheit Erstheit, aber in einer Erstheit keine Zweitheit und in einer Zweitheit keine Drittheit. „Erfahrene und erfahrbare Wirklichkeit überhaupt - universalienrealistisch verstanden - tritt auf als 1. pure Möglichkeit, 2. die ‚rohe Wirklichkeit von Dingen und Tatsachen‘ und 3. die Bindungsfähigkeit im Herstellen von Zusammenhängen, was genau die Leistung eines Zeichens ausmacht: als solches einen Gegenstand mit einer diesen bezeichnenden Interpretation zu verbinden. Die Semiotik gibt eben nicht nur eine Strukturbeschreibung von Wahrnehmungs-, Erkenntnis- oder Sprachvorgängen, sondern sie bildet als dreigliedrige Struktur die Realität ab - so wie wir sie erfahren und weiterbilden. Die Realität ist ein Zeichenprozess.“ 10 Die Semiotik erhält ihren Namen aufgrund ihrer Bemühung, den Zeichenprozess, die Semiose, theoretisch zu erfassen. „Die Semiose, der Zeichenprozess, meint niemals ‚nur‘ Zeichen (gegenüber oder abgehoben von einer noch einmal ganz anderen oder ‚tiefer‘ gelagerten Wirklichkeit), sondern die zeichenvermittelte Realität, wie sie im Denken in der Zeit auftritt.“ 11 Die kategoriale Semiotik erarbeitet ihr Zeichenmodell auf der Grundlage der oben skizzierten triadischen Phänomenologie: „Ein Zeichen oder Repräsentamen ist alles, was in einer solchen Beziehung zu einem Zweiten steht, das sein Objekt genannt wird, daß es fähig ist ein Drittes, das sein Interpretant genannt wird, dahingehend zu bestimmen, in derselben triadischen Relation zu jener Relation auf das Objekt zu stehen, in der es selbst steht. Dies bedeutet, daß der Interpretant selbst ein Zeichen ist, der ein Zeichen desselben Objekts bestimmt und so fort ohne Ende.“ 12 Die kategoriale Semio- 8 Ders., Semiotische Schriften 3, 372. Vgl. ders., Semiotische Schriften 2, 269: „Was wir unter Existenz verstehen, besteht darin, dass jedes Existierende mit allem anderen Existierenden desselben Universums in einem weiten Sinn (der die relative Position im Raum einschließt) reagiert.“ 9 Ders., Semiotische Schriften 1, 346. 10 H. Deuser, Einleitung: American Philosophy, 16. Vgl. auch ders., Kategoriale Semiotik und Pragmatismus, 32.: „Das Ineinanderliegen von logischen Schlussformen und kategorialer Zeichenstruktur in der Entwicklung der Gemeinschaft der Menschen ist alles, worauf menschliche Erfahrung setzen kann. Was unter diesen Bedingungen sich darstellt, in Zeichenereignissen repräsentiert wird, ist die Realität“. 11 Ders., Die phänomenologischen Grundlagen der Trinität, 41. 12 C.S. Peirce, Phänomen und Logik der Zeichen, 64. <?page no="225"?> Die Rede von der Auferweckung nach den Schriften des Neuen Testaments 209 tik 13 spricht im Unterschied zur strukturalistischen Semiologie 14 vom Zeichen als einer dreistelligen Relation mit den Relata Zeichen, Objekt und Interpretant. Die einzelnen Relata erhalten ihre Zeichenfunktion nur innerhalb dieser Zeichenrelation. Das Zeichen kann nur ein Zeichen sein, wenn es ein Objekt repräsentiert und von einem Interpretanten als Zeichen dieses Objekts interpretiert wird. Ein Objekt kann nur ein Objekt sein, wenn es von einem Zeichen repräsentiert und dieses von einem Interpretanten interpretiert wird. Ein Interpretant kann nur ein Interpretant sein, wenn es ein Objekt und ein Zeichen als Zeichen und Objekt verknüpft. Die erkenntnistheoretische Pointe der kategorialen Semiotik lautet daher: Ohne Zeichen und Interpretanten ist die Rede von einem Objekt sinnlos. Dasselbe gilt aber auch in die andere Richtung: Ohne Objekt und Zeichen ist die Rede von einem Interpretanten sinnlos, da der Interpretant nichts hätte, was er interpretieren könnte. Und auch das letzte ist folgerichtig: Ohne Objekt und ohne Interpretant ist die Rede von einem Zeichen sinnlos. Das Zeichen repräsentiert das Objekt in einer Hinsicht. Kein Zeichen ist dazu in der Lage, sein Objekt in jeder Hinsicht zu repräsentieren. Es wählt einen bestimmten Gesichtspunkt aus. Dieses in der Zeichenrelation durch die Auswahl einer Hinsicht repräsentierte Objekt nennt Peirce das unmittelbare Objekt. Das unmittelbare Objekt hat seinen Ort innerhalb der Zeichenrelation und zwar nur innerhalb dieser Triade. Das dynamische Objekt hingegen ist das Objekt, das die Erzeugung eines Zeichens motiviert und von dem 13 Vgl. H. Deuser, Kategoriale Semiotik und Pragmatismus, 20-37. Ebd., 32: „Zeichen sind demnach nicht einfach nur die materialen Vehikel, die für etwas anderes stehen, sondern die kategoriale Semiotik beschreibt auf der Basis von Zeichenvermittlungen den umfassenden, schlusslogisch und gemäß der Zeichenstruktur gegliederten Prozess von Repräsentationsleistungen. In diesen allein ist die so genannte Außenwelt menschlich zugänglich. Dass unsere Konklusionen bezüglich der Evolution aller Wirklichkeit selbst hypothetisch bleiben, zeigt nur, dass menschliches Denken die Gegenstandswelt nicht hervorbringt […], wohl aber an ihrer Entwicklung Anteil hat.“ 14 Zu unterscheiden sind: 1. Strukturalistische Semiotik: In der Tradition der Linguistik Ferdinand de Saussures mit seinem binären Zeichenmodell und der Rezeption der strukturalen Semantik Algirdas Julien Greimas fragt strukturalistische Semiotik primär intratextuell nach beobachtbaren syntagmatischen und semantischen Textstrukturen. 2. Poststrukturalistische Semiotik: In der Rezeption der von Julia Kristeva, Jacques Derrida u. a. vorgetragenen Kritik am strukturalistischen Zeichenkonzept wird das strukturalistische Textverständnis, das Texte als geschlossene Strukturen versteht, vor allem durch Kristevas Theorie der Intertextualität in ideologiekritischer Absicht geöffnet. 3. Kategoriale Semiotik: Während strukturalistische und poststrukturalistische Semiotik dem binären Zeichenmodell Saussures verpflichtet bleiben, arbeitet kategoriale Semiotik durch die Vermittlung von Umberto Eco und Charles Morris mit dem triadischen Zeichenmodell Charles Sanders Peirces, das er auf der Basis seiner Kategorienlehre erarbeitete. Vgl. dazu folgende Literatur: Zu 1: E. Güttgemanns, Einleitende Bemerkungen zur strukturalen Erzählforschung, 2-47; L. Marin, Semiotik der Passionsgeschichte; J. Delorme (Hg.), Zeichen und Gleichnisse. Zu 2. E. Güttgemanns, fragmenta semiotico-hermeneutica; G. Aichele, Sign, Text, Scripture. Zu 3.: M. Pöttner, Realität als Kommunikation; S. Alkier, Wunder und Wirklichkeit in den Briefen des Apostels Paulus, 343-360. <?page no="226"?> Zweiter Teil 210 das unmittelbare Objekt nur eine Hinsicht darstellt. Die Verbindung zwischen dem dynamischen und dem unmittelbaren Objekt wird durch den ground des dynamischen Objekts gewährt. Die Rede von der Hinsicht des unmittelbaren Objekts meint also, dass das dynamische Objekt nicht zur Gänze vom Zeichen repräsentiert werden kann, sondern nur mit Blick auf eine Eigenschaft, die aber wiederum nicht nur diesem einen spezifischen dynamischen Objekt zukommt. Ein dynamisches Objekt kann fiktiv, real, geträumt sein oder auch einem anderen Seinsmodus zugehören. Die Zuordnung zu einem dieser Seinsmodi klärt nicht die semiotische Grammatik, sondern die semiotische Rhetorik, die den Geltungsbereich von Zeichen in konkreten Zeichenzusammenhängen aufgrund ihrer Zuordnung zu Diskursuniversen bzw. Enzyklopädien untersucht. Zeichenereignisse sind nicht nur formal relationale Gebilde. Ein Zeichen funktioniert erst durch seinen Gebrauch in Zeichenzusammenhängen wie Schriften, Gottesdiensten, Texten, Bildern, Gebäuden, Konzerten, wissenschaftlichen Kongressen usw. Diese aktuellen Zeichenzusammenhänge wiederum machen die Gesamtheit einer gegebenen Kultur aus. Kulturen basieren auf dem gesellschaftlich konventionalisierten, kreativen und konfliktvollen Gebrauch der Zeichen - Kulturen sind Zeichenzusammenhänge. Ein Zeichen bedarf also zumindest zweier Zuordnungen, um zu funktionieren: Es muss einem aktuell wahrnehmbaren Zeichenzusammenhang und zugleich einer Kultur als der Gesamtheit seiner virtuellen Zeichenzusammenhänge zugehören. Den konkret wahrnehmbaren Zeichenzusammenhang nenne ich in Anlehnung an und Modifikation Peircescher Begrifflichkeit das Diskursuniversum. Den übergreifenden kulturellen Zeichenzusammenhang nenne ich mit Umberto Eco die Enzyklopädie. 15 Das Diskursuniversum eines gegebenen Zeichenzusammenhangs, z.B. eines Textes, ist dann die Welt, die dieser Text setzt und voraussetzt, damit das vom Text Erzählte oder Behauptete plausibel funktionieren kann. Der Begriff des Diskursuniversums bezieht sich immer auf einen konkreten Zeichenzusammenhang, sei es ein Text, eine archäologische Fundstelle, ein Bild oder eine Münze. Die demgegenüber notwendig virtuelle, weil in ihrer Komplexität nicht greifbare Enzyklopädie, umgreift das konventionalisierte Wissen einer gegebenen Gesellschaft und übersteigt damit die durch den Begriff des Diskursuniversums gesetzten Grenzen einzelner Zeichenzusammenhänge. Jede Zeichenproduktion und jede Zeichenrezeption muss auf eine Enzyklopädie kulturell konventionalisierten Wissens zurückgreifen. Kehren wir zurück zur semiotischen Grammatik, die eine formale Theorie der Zeichen entwirft. Sie ist zuständig für ein differenziertes Verständnis des Interpretanten. Peirce unterscheidet den unmittelbaren, den dynamischen 15 Vgl. zu den beiden Konzepten und ihren Herleitungen S. Alkier, Wunder und Wirklichkeit, 72-79. <?page no="227"?> Die Rede von der Auferweckung nach den Schriften des Neuen Testaments 211 und den finalen Interpretanten 16 . Der unmittelbare Interpretant ist die unbestimmte, vage Verbindung zwischen zwei Relata, die diese als ein Zeichen und ein Objekt bestimmt, so dass überhaupt ein Prozess der Semiose in Gang gesetzt wird. 17 „Der dynamische Interpretant ist einfach das, was von einem gegebenen individuellen Interpreten dem Zeichen entnommen wird.“ 18 „Der finale Interpretant ist die letzte Wirkung des Zeichens, insofern diese von der Beschaffenheit des Zeichens her intendiert oder vorbestimmt (destined) ist, welche dabei eine mehr oder minder gewohnheitsmäßige und formale Natur hat.“ 19 Während der unmittelbare und der dynamische Interpretant in jeder Semiose gegeben sind, ist der finale Interpretant die regulative Idee einer im umfassendsten Sinn des Wortes wahren Interpretation. Seine Wahrheit besteht darin, dass er das dynamische Objekt in jeder Hinsicht darstellt. Peirce zeigt sich hier als Vertreter einer Variante der Korrespondenztheorie der Wahrheit. Peirces semiotische Pointe dieser Theorie liegt darin, dass sie die Vielfalt der Interpretationen als notwendige Stationen auf dem Weg zur Wahrheit hin begreifen lernt, ohne Beliebigkeit zu propagieren. In the short run aber kann keine Interpretation beanspruchen, die absolute Interpretation zu sein. Sie kann nicht selbst zeigen, dass sie dem dynamischen Objekt adäquat ist. Die Annäherung an den finalen Interpretanten kann nur eine Interpretationsgemeinschaft in the long run erreichen. Die regulative Idee des finalen Interpretanten schützt vor jeglichen Absolutheitsansprüchen. Das ist ihre ideologiekritische Komponente. Sie fordert aber auch dazu auf, den Gegenstand der Auslegung als ein vom Ausleger zu unterscheidendes Anderes zu respektieren. Das ist ihre ethische Komponente. 20 Schließlich lädt sie zu einer gemeinschaftlichen Wahrheitssuche ein. Semiotik erweist sich als „Theorie der kommunikativ erschlossenen Welt“ 21 . Die Interpretation der Phänomene wird also formal als ein Zeichenprozess verstanden, der von einem dynamischen Objekt angeschoben wird und gleichursprünglich einen ersten Interpretanten bildet, der etwas als Zeichen dieses dynamischen Objekts wahrnimmt und mittels dieses Zeichens einen 16 Es gibt noch eine ganze Reihe anderer Terminologien bzgl. des Interpretantenbegriffs, die J.J. Liszka, A General Introduction to the Semeiotic of Charles Sanders Peirce, 122f., übersichtlich zusammengestellt hat. Die Peirce-Forschung ist damit beschäftigt, die wichtige Frage zu klären, welche dieser Terminologien einfach Varianten der Bezeichnung sind und welche tatsächlich andere Konzepte des Interpretanten einbringen. Für das Anliegen der vorliegenden Untersuchung genügt die im Text dargestellte Differenzierung voll und ganz. Vgl. dazu aber auch die weiterführenden Differenzierungen von G. Linde, Zeichen und Gewissheit. Semiotische Entfaltung eines protestantischen Begriffs (im Druck). 17 C.S. Peirce, Semiotische Schriften 3, 224: „Der Unmittelbare Interpretant ist das, was notwendigerweise hervorgebracht wird, wenn das Zeichen ein solches sein soll. Er ist eine vage mögliche Bewußtseinsbestimmung, eine vage Abstraktion.“ 18 Ebd., 215 [Kursivsetzung von mir]. Vgl. ebd., 224f. 19 Ebd., 225. 20 Vgl. S. Alkier, Ethik der Interpretation, 21-41. 21 H. Pape, Einleitung, in: C.S. Peirce, Phänomen und Logik der Zeichen, 25. <?page no="228"?> Zweiter Teil 212 bestimmten Aspekt des dynamischen Objekts als unmittelbares Zeichenobjekt in die vom dynamischen Objekt ontologisch zu unterscheidende Zeichenrelation einbringt auf der Basis eines zwischen dem dynamischen Objekt und dem unmittelbaren Objekt als gemeinsam postulierten Grundes. Schon der Akt der Zeichenbildung selbst lässt sich als Schlussfolgerungsakt begreifen, weshalb neben die semiotische Grammatik und die semiotische Rhetorik die semiotische Logik tritt. Peirce stellt neben die Deduktion und Induktion die Abduktion: „Der abduktive Schluss vertritt (instinktiv) das Auftreten von Neuem, den Möglichkeitsraum für die folgende Erschließung von Regelmäßigkeiten und Verhaltensgewohnheiten, […] der deduktive Schluss expliziert und ordnet das Gefundene, […] der induktive Schluss überprüft methodisch an der gegebenen Erfahrungswelt.“ 22 Wenn etwas als Zeichen von etwas wahrgenommen wird, so haben wir einen Einzelfall vorliegen, dem hypothetisch eine Regel zu Grunde gelegt wird. Diesen Schlussfolgerungsakt nennt Peirce Abduktion. Interpretieren wird als abduktives Schlussfolgern beschreibbar, denn die Bildung eines Interpretanten bewirkt gleichursprünglich, dass etwas zu einem Zeichen von etwas wird. Interpretieren ist ein abduktiver Schlussfolgerungsakt, „bei dem wir einige sehr merkwürdige Umstände antreffen, die man durch die Annahme erklären könnte, dass es sich um den Einzelfall einer bestimmten Regel handelt, weshalb wir diese Annahme akzeptieren“. 23 „Die Abduktion gestattet uns nicht nur, Botschaften zu interpretieren, die sich auf uncodierte Kontexte oder Situationen beziehen. Sie hilft uns auch, den richtigen Code oder Subcode für eine ungenaue Botschaft auszusuchen. […] Angesichts dessen, dass wir im Prinzip jedes Mal, wenn wir ein Wort hören, entscheiden müssen, auf welchen Code es bezogen werden muß, scheint eine Abduktion bei jedem Decodierungsakt beteiligt zu sein“ 24 Auch das induktive und das deduktive Schließen finden sich im Akt der Interpretation wieder, aber die Abduktion stellt das durchgängige Schlussfolgerungsverfahren jeder Interpretantenbildung dar und erlaubt es, gerade auch die notwendige Kreativität der Interpretation zu begreifen, ohne sie konstruktivistisch zu verengen. 22 H. Deuser, Die phänomenologischen Grundlagen der Trinität, 50. 23 Peirce, zitiert nach U. Eco, Semiotik, 186. Vgl. zur semiotischen Logik der Abduktion, Induktion und Deduktion J. J. Liszka, A General Introduction to the Semeiotic of Charles Sanders Peirce, 53-77. 24 U. Eco, Semiotik, 186f. Anm. 24. <?page no="229"?> Die Rede von der Auferweckung nach den Schriften des Neuen Testaments 213 3. Semiotische Interpretation der Phänomene des Auferweckungsdiskurses in den Schriften des Neuen Testaments Nachdem der erste Teil der Untersuchung im Rahmen der Diskursuniversen und der narrativen und rhetorischen Strategien der untersuchten Texte bleiben sollte, werden nun im Rahmen des enzyklopädischen Wissens der Gegenwart die interpretierten Textdaten mittels der semiotischen Kategorien Erstheit, Zweitheit und Drittheit interpretiert und klassifiziert. Es sei noch einmal ins Gedächtnis gerufen, dass der Begriff des Phänomens hier schlicht das meint, was sich der Wahrnehmung zeigt. Über die Kategorie und den ontologischen Status des jeweiligen Phänomens kann nur interpretierend unter Berücksichtigung der beteiligten Diskursuniversen und Enzyklopädien entschieden werden. Das berühmte Diktum von Charles Sanders Peirce - „All thought is in signs.“ - meint genau dies: Nur Zeichen, die selbst genuine Phänomene der Drittheit sind, ermöglichen die Darstellung von Phänomenen der Erstheit und Zweitheit als Phänomene der Erstheit und Zweitheit. Dasselbe gilt für Phänomene der Kategorie Drittheit. Auch sie können nur mittels Zeichen dargestellt werden, weshalb es keine Phänomene der Viertheit geben kann. Das meint aber gerade nicht, dass uns der Zugang zu Phänomenen der Erstheit und Zweitheit geschweige denn zu solchen der Drittheit versperrt ist. Vielmehr werden sie erschlossen durch ihre interpretierende Darstellung mittels Zeichen. Die Untersuchungsergebnisse des ersten Teils werden nun weiter interpretiert, indem sie nach den Kategorien Erstheit, Zweitheit und Drittheit unterschieden werden. Gezeigt werden soll dabei, dass die hohe Plausibilitätsdichte des neutestamentlichen Auferweckungsdiskurses durch das Ineinanderspielen aller drei Kategorien zustande kommt und damit das Realitätsverständnis des neutestamentlichen Auferweckungsdiskurses in den Blick gerät. Die Ergebnisse des ersten Teils werden hier aber nicht vollständig klassifiziert und interpretiert. Das würde nicht nur den Umfang, sondern auch die Intention der vorliegenden Studie sprengen. Hier soll lediglich erschlossen werden, wie das neutestamentliche Realitätsverständnis hinsichtlich des Auferweckungsdiskurses aufgebaut ist. 3.1. Schauungen: Zweifel, Furcht, Tränen, Freude und brennende Herzen (Phänomene der Erstheit) Rufen wir uns die neutestamentlichen Darstellungen der Transformation des Paulus vom Verfolger der Gemeinden zum Apostel Jesu Christi ins Gedächtnis, so stimmen die Darstellungen in Gal 1 mit denen in Apg 9; 22 und 26 darin überein, dass Paulus in keiner Weise auf dieses Geschehen vorbe- <?page no="230"?> Zweiter Teil 214 reitet wurde. Das Erlebnis ereignet sich spontan, ohne Ankündigung und ebenso spontan reagiert Paulus, was besonders deutlich durch seine eigene Darstellung im Galaterbrief hervortritt. Er prüft weder in der Darstellung der Apostelgeschichte noch in seiner autobiographischen Erzählung in Gal 1 empirisch, ob das Grab Jesu in Jerusalem leer ist. Er bemüht auch keine schriftgelehrte Argumentation, die ihn die Wahrnehmung zu bewerten hilft. Vielmehr fallen Wahrnehmung der Erscheinung und die Reaktion darauf als Wahrnehmung seiner Beauftragung gleichursprünglich und vorkritisch ineinander. Dieser spontane Wahrnehmungsakt mit der spontanen Reaktion des Paulus ist als Phänomen der Erstheit zu werten. Dieses Ereignis wie immer wir heutigen es auch interpretieren und kategorisieren mögen, sei es als objektive Schauung des auferweckten und erhöhten Kyrios, sei es als psychologisch erklärbare Einbildung des verstörten Paulus, bildet die Basis der paulinischen Überzeugung von der Auferweckung des gekreuzigten Jesus Christus. Keine Überlieferung, keine Argumentation, keine empirisch wiederholbaren Beweise, sondern die kontingente Evidenz eigenen Erlebens bildet die emotionale Grundlage paulinischer Theologie. Paulus verweist in 1Kor 15 mit der Eingliederung seines eigenen Erlebens in die Erinnerung an solche Erlebnisse anderer darauf, dass er seine Schau nicht als singuläres Einzelerlebnis verstanden haben möchte, sondern geradezu die Grundlage auch der vor ihm von der Auferweckung Jesu Überzeugten bildet. Ob die in 1Kor 15 genannten Zeugen ihre Erfahrungen ebenso verstanden wie Paulus, darüber lässt sich nichts sagen, 25 denn wir kennen nur die autobiographische Darstellung des Paulus. Die Evangelien und die Apostelgeschichte als Fremddarstellung solcher Erlebnisse können nicht als authentische Zeugnisse der Schauungen untersucht werden. Es ist sogar möglich, dass Lukas in der Apostelgeschichte narrativ ausschreibt, was er in Gal 1, 1Kor 9,1 und 1Kor 15 vorgefunden hat. Im Akt des in 1Kor 15 mit w; fqh angezeigten Erlebens liegt die vorkritische Grundlage der Überzeugung von der Lebendigkeit des am Kreuz getöteten Jesus Christus. Der Ursprung des Osterglaubens liegt demzufolge im vorkritischen Gefühl, Jesus nach seiner Hinrichtung als Lebenden gesehen zu haben. Das, was dieses Gefühl auslöste, ist zeichentheoretisch als dynamisches Objekt anzusehen, was schon die erste vorkritische Reaktion darauf als unmittelbaren Interpretanten zu verstehen gibt, der dann als unmittelbares Objekt des ersten österlichen Zeichenbildungsprozesses den auferweckten Gekreuzigten anzeigt. Diese semiotische Rekonstruktion der Entstehung des Osterglaubens vertritt also die Hypothese, dass die Grundlage aller Rede von der Auferweckung Jesu Christi in einem spontanen Erleben liegt, dass durch etwas ausgelöst wurde, was nicht in diesem Erleben aufgeht. 26 25 Darauf weist auch klärend Gudrun Guttenberger in ihrem instruktiven Aufsatz, w; fqh , 40-63 hin. 26 Dieser Gedanke wird weiter unten schöpfungstheologisch relevant. <?page no="231"?> Die Rede von der Auferweckung nach den Schriften des Neuen Testaments 215 Um Missverständnisse zu vermeiden: Diese semiotische Hypothese behauptet nicht offenbarungspositivistisch auf der Ebene von Zweitheit, dass das dynamische Objekt, das die Semiose auslöste, der auferweckte und erhöhte Gekreuzigte war, sondern vielmehr, dass der auferweckte Gekreuzigte als finaler Interpretant zumindest von Paulus als demjenigen begriffen wurde, der solch ein Erlebnis hatte und verallgemeinernd zur Sprache brachte. Damit wird in der Konsequenz dieser Paulusinterpretation zweierlei behauptet: 1. Die Überzeugung von der Auferweckung des Gekreuzigten beruht vorkritisch auf einem Erlebnis, das einen Zeichenprozess auslöste, und ist emotional in diesem Erleben verankert. 2. Die Überzeugung von der Auferweckung des Gekreuzigten ist ein abduktiver Schlussfolgerungsakt, der der Wahrnehmung des Erlebnisses eines Etwas gleichursprünglich einen unmittelbaren Interpretanten zuordnete und diesen dann mit dem dynamischen Interpretanten ‚Jesus lebt‘ bestimmte. Diese Rekonstruktion der Entstehung des Osterglaubens wird verstärkt durch die Beobachtung, dass auch die narrativen Sekundärdarstellungen der Evangelien und der Apostelgeschichte die Spontaneität des Erlebens des Auferweckten bzw. der Botschaft von seiner Auferweckung bei allen zum Teil gewichtigen Unterschieden in Szene setzen. Das Markusevangelium, das durch seine Darstellung die Lesenden auf den Gang zum leeren Grab schrittweise vorbereitet und mittels der mehrfachen Ansagen von Passion, Tod und Auferweckung Jesu dieses Wissen auch den Jüngern zukommen lässt, schildert eindrücklich, dass die Jünger allesamt nicht mit der Auferweckung des Gekreuzigten rechnen und ebenso wenig die Frauen, die die Logik des Todes und der Bestattungsriten, nicht aber die Erwartung des Auferstandenen zum Grab treibt. Die Zeichen seiner Auferweckung, also das leere Grab und die Botschaft des Engels, erzeugt als spontane Reaktion Furchtergriffenheit, Flucht und Schweigen. Die Reaktion der Frauen wird als Kontrastfolie zu der vom Evangelium von seinen Lesern gewünschten spontanen Reaktion lesbar, die positiv mit dem spontanen Verhalten des Paulus in den neutestamentlichen Auferweckungsdiskurs eingeschrieben ist. Während die Frauen das Weitersagen aus spontaner Furcht verweigern, ist Paulus derjenige, der angemessen reagiert, indem er nicht neutral oder gar skeptisch auf der Ebene von Zweitheit und Drittheit prüft, sondern sofort, ohne Zögern das Weitersagen, die Verkündigung der frohen Botschaft von der Auferweckung des Gekreuzigten beginnt. Auch im Matthäusevangelium zeigt sich niemand angemessen vorbereitet auf die Begegnung mit dem Auferweckten bzw. mit der Botschaft von seiner Auferweckung. Auch hier gehen die Frauen in der Logik von Tod und Bestattungsriten zum Grab. Ironischerweise denken nur die Gegner Jesu an die Ankündigung seiner Auferweckung und bestellen deshalb Grabwachen, damit die Jünger den Leichnam nicht stehlen können und behaupteten, seine Prophezeiung seiner eigenen Auferweckung habe sich erfüllt (vgl. Mt 27,62-66). Auch die Grabwachen rechnen daher nicht mit einem Auferweckungsereignis, und sie geraten in todesähnliche Furcht, als <?page no="232"?> Zweiter Teil 216 sich mit großem Getöse das Grab öffnet und in furchterregender Gestalt der Engel erscheint. Die Frauen, denen nun die Auferweckungsbotschaft mitgeteilt wird, reagieren spontan zugleich mit Schrecken und großer Freude. Der Schreck sitzt ihnen wie den Soldaten in den Gliedern, aber ihre Freude, die so groß ist, dass sie die Furcht überwindet, lässt sie die Nachricht weitersagen wollen. Auf diesem Weg, schon emotional überzeugt von der Botschaft der Auferweckung des Gekreuzigten, begegnen sie ihm und fallen ihm ihn ehrend zu Füßen. Die Jünger reagieren mit ihrem Gang auf den Berg zunächst ebenfalls im Sinne der Auferweckungsbotschaft. Aber paradoxerweise zweifeln einige von ihnen, gerade als sie ihn sehen (Mt 28,16f.). Lukas, der wie seine Vorgänger auch den Gang der Frauen zum Grab aus der Logik des Todes und der Bestattungsriten motiviert, lässt die Frauen im leeren Grab in Ratlosigkeit verfallen. Sie können sich keinen Reim auf die die Logik des Todes störende Wahrnehmung des abwesenden Leichnams machen. Die Auferstehungsbotschaft, die zugleich mit der Erinnerung an die Leidensankündigungen und den damit verbundenen Auferweckungsansagen verbundenen plausibilisiert wird, löst keine emotionale, sondern zunächst eine kognitive Reaktion aus: „Da erinnerten sie sich an seine Worte.“ (24,8) Immerhin wird das Weggehen vom Grab und das Weitersagen der Botschaft an die Jünger durchaus als Zustimmung zu der Auferweckungsbotschaft gedacht werden können. Die Jünger jedenfalls halten diese Botschaft für „Geschwätz, und sie glaubten ihnen nicht.“ (24,11). Petrus aber überprüft die Aussage der Frauen, indem er zum Grab geht. Das leere Grab aber ist ihm kein Beweis der Auferweckung, zumindest aber ein sein Denken in Verwunderung bringendes Zeichen. Selbst Lukas, der ja wie im ersten Teil dieser Untersuchung gezeigt, derjenige ist, der am stärksten an einem auch empirisch überprüfbaren Auferweckungsbeweis interessiert ist und immer wieder die materiell-körperliche Dimension des Evangeliums und auch der Auferweckung Jesu inszeniert, gilt die rationale Aufnahme der Auferweckungsbotschaft bestenfalls als Anlass, sie empirisch zu überprüfen, aber die empirischen Indizes erreichen die Ebene der Erstheit gerade nicht. Sie überzeugen nicht emotional von der Wahrheit des Gesagten und sie können auch keinen Interpretationsrahmen auf der Ebene von Drittheit liefern, die aus dem bloßen sich Wundern herausführen könnte in ein interpretierendes Verstehen, dass die empirischen Indizien und das emotionale Überzeugtsein plausibel und darstellbar verbinden würde. Dazu benötigt auch Lukas eine emotionale Reaktion und einen hermeneutischen Schlüssel. Diese begegnen aber gerade in den „brennenden Herzen“ der Emmausjünger, die sich genau da einstellen, wo der Auferweckte mit ihnen redete und ihnen „die Schrift öffnete“ (24,32). Sie erkennen ihn beim Brotbrechen, weil ihnen dort von Gott die Augen geöffnet werden (24,31b): sie fühlen die Wahrheit durch sein Reden und sie verstehen was geschehen ist durch die Interpretation der Schrift. In dem Augenblick, in dem sie den Begleiter auf dem Weg als den auferweckten Gekreuzigten erkennen, entzieht sich der Leib des Auferweckten ihren Blicken. So sehr Lukas an der empirisch- <?page no="233"?> Die Rede von der Auferweckung nach den Schriften des Neuen Testaments 217 materiellen Dimension, also an Phänomenen von Zweitheit interessiert ist, so sehr beugt er dem Missverständnis eines hermeneutischen Automatismus der empirischen Phänomene vor. Das leere Grab kann bestenfalls als zu denken gebendes Zeichen eines Ereignisses verstanden werden, das die Grenzen der Phänomene von Zweitheit gerade durchbricht. Der Leib des Auferweckten gehorcht auch bei Lukas nicht mehr den Gesetzen von Körpern aus Fleisch, Blut und Knochen. Die Wahrheit der Auferweckungsbotschaft aber ist auch Lukas zufolge nur zu fühlen und im Denkrahmen der Schrift zu interpretieren. Das Grab wird Lukas jedenfalls in seiner Apostelgeschichte nicht mehr als Beweis, ja nicht einmal mehr als Denkanstoß einbringen. Im Johannesevangelium führt das geöffnete Grab zu einem spontanen Missverständnis: „Am ersten Tag der Woche kommt Maria von Magdala früh, als es noch finster war, zum Grab und sieht, dass der Stein vom Gab weg war. Da läuft sie und kommt zu Simon Petrus und zu dem andern Jünger, den Jesus lieb hatte, und spricht zu ihnen: Sie haben den Herrn weggenommen aus dem Grab, und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben.“ Das geöffnete Grab wird ganz in die Erfahrung des Konflikts eingetragen, die zu Jesu Hinrichtung führte. Folgerichtig stellt Maria die Hypothese auf, dass die Gegner Jesu ihre Feindschaft nun sogar am leblosen Leichnam fortführen und diesen nicht seine rituelle Ruhe zuteil werden lassen wollen. Petrus und der Lieblingsjünger laufen zum Grab, um die Sache zu überprüfen. Nur der Lieblingsjünger kommt angesichts der Indizes des geöffneten Grabes und der sorgfältig zusammengelegten Tücher spontan zum Glauben. Er, der wohl als der Verfasser des Johannesevangeliums besonders zuverlässig dargestellt werden soll, schließt aus dem geöffneten Grab im syntagmatischen Verbund mit der Ordnung der Tücher, dass hier kein gewaltvoller Grabraub stattgefunden haben kann. Ohne jegliche weitere Verstehenshilfe „sah und glaubte“ er (20,8). Sein Glaube stellt sich spontan ein und bedarf nicht einmal eines Verstehensrahmens, um die Wahrheit zu fühlen. Es bedurfte lediglich eines Anstoßes, der Wahrnehmung eines Zeichens, das seine spontane Reaktion des Glaubens ermöglicht. In der Spontaneität seines Glaubens als dynamischer Interpretant der Wahrnehmung untercodierter Indizes liegt seine exzeptionelle Vorbildfunktion. Petrus hingegen kommt hier noch nicht zum Glauben, denn ihm fehlt noch der hermeneutische Schlüssel, den Johannes von Lukas übernimmt: „Denn sie verstanden die Schrift noch nicht, dass er von den Toten auferstehen müsste“ (20,9). Maria bleibt sogar hartnäckig in ihrem Missverständnis stecken und erkennt mit ihren Tränen über die Fortsetzung des Unrechts nicht den Auferweckten. Sie identifiziert ihn als „Gärtner“ und hält ihn sogar für den Leichenräuber. Erst, als er sie bei ihrem Namen ruft, erkennt sie die Wahrheit und sagt sie den Jüngern weiter (20,18). Die Jünger schließlich, die „aus Furcht vor den Juden“ in einem geschlossenen Raum sitzen und sehen, dass der auferweckte Gekreuzigte in <?page no="234"?> Zweiter Teil 218 diesen Raum eindringen kann, ohne die Türen zu öffnen, „freuten sich, dass sie den Herrn sahen“. Die angemessene emotionale Reaktion auf die Wahrnehmung des auferweckten Gekreuzigten ist die Freude. Die Grundlage des Osterglaubens besteht den neutestamentlichen Schriften zufolge in einem spontanen Wahrheitsgefühl, das angestoßen wird von Phänomenen, die nicht in der Wahrnehmung der Rezipienten aufgehen. Der Osterglaube ist grundlegend und vor jeder kritischen Prüfung und vor jeder enzyklopädisch reflektierenden Verknüpfungsleistung ein Phänomen der Erstheit, ein vorkritisches Wahrheitsgefühl, das sich als dynamischer Interpretant einer Wahrnehmung von etwas einstellt. Der Osterglaube ist den Schriften des Neuen Testaments zufolge nicht als innerpsychologische Konstruktion zu erklären, die die kognitive Dissonanz zwischen der Erfahrung heilvoller Gemeinschaft mit Jesus in der Jesusbewegung vor dessen Tod und dann die Erfahrung seines schrecklichen Endes durch die Hinrichtung Jesu kompensiert. 27 Der Osterglaube ist zunächst die spontane Antwort auf ein überwältigendes Phänomen. 3.2. Kreuz, Grab und Visionen (Phänomene der Zweitheit) Die dem Osterglauben als Phänomene der Erstheit zugrunde liegenden Erfahrungen kommen der empirisch-historischen Untersuchung als Visionen 28 in den Blick. Die historische Forschung verfügt dabei nicht über die Mittel zu prüfen, ob es sich dabei um subjektive innerpsychische Vorgänge handelte, wie es die subjektive Visionshypothese nach David Friedrich Strauß behauptet, oder ob in den Visionen etwas gesehen wurde, dass den Schauenden objektiv entgegentrat, wie es die so genannte objektive Visionshypothese verlangt. 29 Auf der Ebene von Zweitheit kann lediglich festgestellt werden, dass die neutestamentlichen Schriften es so darstellen, dass diejenigen, die den auferweckten Gekreuzigten oder etwas sehen, dass sie auf dessen Lebendigkeit schließen lässt, davon überzeugt sind, dass es sich nicht um Produkte frommer Phantasie handelt. Die fraglichen neutestamentlichen Schriften stehen ohne Zweifel auf der Seite der objektiven Visionshypothese. Das spricht aber nicht für ihre Gültigkeit auf der Ebene von historischer Trefflichkeit unter den Bedingungen gegenwärtigen Weltwissens. Höchst umstritten zwischen den Vertretern der subjektiven und der objektiven Visionshypothese ist das Verständnis von w; fqh in 1Kor 15,3-8. Gudrun Guttenberger fordert in ihrer historischen Analyse zu Recht ein, die Bedeutung von w; fqh nicht zu überlasten, wie es immer wieder in der Exege- 27 Gegen G. Theißen, Die Religion der ersten Christen, 72. 28 Vgl. dazu die historische Erkenntnis voranbringende, weil sich methodisch auf sie beschränkende Studie von G. Guttenberger, w; fth . 29 Vgl. zur geistesgeschichtlichen und erkenntnistheoretischen Rekonstruktion und Kritik beider Hypothesen die klärenden Ausführungen von G. Essen, Historische Vernunft und Auferweckung Jesu, 295-314. <?page no="235"?> Die Rede von der Auferweckung nach den Schriften des Neuen Testaments 219 se von 1Kor 15 geschehen ist. Sie stellt hingegen nüchtern fest: 1. „Die Verwendung des Terminus w; fqh ist also nicht weit verbreitet: Der Ausdruck begegnet in den Formeln 1Kor 15,3-5 und Lk 24,34 sowie in Apg 9,17; 13,31; 26,16; Paulus verwendet ihn in freier Formulierung (1Kor 15,8) in Anlehnung an den Sprachgebrauch der Formel 1Kor 15,5. Er kommt nicht in ausgeführten Evangelienerzählungen vor.“ 30 2. „Wahrscheinlicher“ als ein offenbarungsterminologischer „ist also ein profaner Gebrauch (‚er ist gesehen worden‘) oder eine auf ein nicht näher spezifiziertes religiös relevantes Geschehen bezogene Verwendung wie in Tob 12,22 oder bei Jos., Bell VI 293- 298. Damit ist die Annahme, dass sich bereits durch den Wortgebrauch erschließen ließe, dass die Texte, die die Erscheinungen des Auferstandenen mit w; fqh benennen, ihn damit als Erhöhten in einer gottgleichen Position bestimmen, eher unsicher. Aufgrund des Wortgebrauchs lässt sich hingegen - selbst wenn man eine terminologische Verwendung annimmt - nicht begründet bezweifeln, dass w; fqh visuell wahrnehmbare Ereignisse benennt.“ 31 Es ist also historisch nicht sinnvoll zu bestreiten, dass in den Visionen, von denen prominent 1Kor 15 spricht, tatsächliche Erlebnisse historischer Individuen zur Sprache kommen, die sie schlussfolgern ließen, dass der Gekreuzigte lebt. Diese „kognitive Dissonanz“ 32 zwischen dem empirischhistorischen Wissen um den Kreuzestod Jesu und dessen Bestattung einerseits und dem Wahrheitsgefühl, ihn als Lebenden wahrgenommen zu haben, ist der historisch greifbare und den neutestamentlichen Darstellungen entsprechende Auslöser der Rede von der Auferweckung des Gekreuzigten durch Gott. Aber das darf kategorisch nicht verwechselt werden mit der Behauptung, damit wäre historisch bewiesen oder zumindest nahe gelegt, dass die Visionäre tatsächlich den auferweckten Gekreuzigten gesehen haben. 30 G. Guttenberger, w; fth , 47. Es liegt daher m.E. die literaturgeschichtliche Hypothese nah, dass Lukas den ersten Korintherbrief und auch den Galaterbrief kannte und die Visionsschilderungen narrativ ausgestaltete. 31 Ebd., 51. 32 Vgl. dazu I. Dalferth, Der auferweckte Gekreuzigte, 66f.: „Nicht die Auferweckung Jesu, sondern die Ostererfahrung der Jünger ist der entscheidende historische Sachverhalt, auf dem die Auferweckungsbotschaft basiert. Diese Erfahrung bringt ihr Zeugnis zur Sprache, der Gekreuzigte sei ihnen erschienen. Mit der Auferweckung Jesu dagegen nennen sie das, was für sie Grund dieser Erscheinungserfahrung ist und womit sie ihr Zeugnis vor sich und anderen begründen. Denn dieses Zeugnis ist durch die fundamentale Spannung zweier Sachverhalte geprägt, die für die Erscheinungszeugen je für sich unbestreitbar waren, da sie gewiß waren, beides erfahren zu haben: dass Jesus am Kreuz gestorben war und dass er ihnen als lebender Herr wirkkräftig erschienen war. Diese Erfahrungen konstituieren zusammen eine fundamentale kognitive Dissonanz und nötigen im Blick auf Jesus zu den beiden für sich genommen unvereinbaren Aussagen: ‚Er ist tot.’ - ‚Er lebt.’ […] Gerade weil dieser Tod für die überhaupt nicht in Frage stand, zerbrach die Erscheinungserfahrung des lebendigen Gekreuzigten die Einheit ihres Erfahrungszusammenhangs und damit ihre Identität als Erfahrungssubjekte in dieser Welt und stellte sie so vor ein fundamentales Konsistenzproblem.“ <?page no="236"?> Zweiter Teil 220 Während die überwiegende Mehrheit der Exegetinnen und Exegeten die Ostererfahrungen als historischen Ursprung der Überzeugung von der Auferweckung des Gekreuzigten begreifen, vertrat Hans von Campenhausen in seiner Studie „Der Ablauf der Osterereignisse und das leere Grab“, die These: „Der entscheidende Anstoß, der alles ins Rollen brachte, war die Entdeckung des leeren Grabes.“ 33 Diese These hat sich in der historischen Forschung nicht als plausibel erwiesen, auch wenn sie immer wieder mal formuliert wird. In abgeschwächter Weise nutzte Wolfhart Pannenberg die historische Hypothese vom leeren Grab, die er als stützendes Argument seiner objektiven Visionshypothese belastet. Neuerdings aber hat Dale C. Allison, für den die Schriften Pannenbergs zu seinen maßgeblichen Einflüssen gehören, mit seiner Studie „An opend tomb and a missing body? “ die Hypothese vom leeren Grab erneut, aber durchaus eigenständig als historisch plausibler denn die vom „vollen“ Grab begründen wollen. 34 Allisons scharfsinnige Ausführungen arbeiten zwei starke Argumente gegen das leere Grab und zwei von ihm als stärker bewertete Argumente für die Annahme heraus, das Grab Jesu sei leer vorgefunden worden. Obwohl Allison zu dem Ergebnis kommt, es sei historisch wahrscheinlicher, dass das Grab leer gewesen sei, weist seine Analyse jegliche einseitige Selbstsicherheit der einen oder anderen Position in ihre Schranken und bringt auch hier die bereits erwähnte zutreffende Einsicht zur Geltung, dass letztlich die Gesamtsicht über die Interpretation der Daten entscheiden wird. Gegen das leere Grab führt er an, dass die frühen Christen nachweislich in der Lage waren, fiktionale Erzählungen zu generieren, und dass eine ganze Reihe von Legenden über verschwundene Körper religionsgeschichtlich nachweisbar ist. Für das leere Grab spräche hingegen 1., dass Erscheinungen Jesu ohne die Kenntnis des leeren Grabes nicht zu der Annahme seiner Auferweckung, sondern eher seiner Entrückung bzw. Erhöhung geführt hätten und dass 2. die Entdeckung des leeren Grabes durch Maria Magdalena und die anderen Frauen eher einen nicht fiktionalen Eindruck hinterlasse. 35 Allison vermeidet nun aber den kategorialen Kurzschluss, von der größeren Wahrscheinlichkeit der Annahme des leeren Grabes auf die Tatsächlichkeit der Auferweckung Jesu zu schließen. Vielmehr spricht er hier von einem „dead end“ 36 historischer Argumentation, denn das leere Grab sage nichts über den Grund seines Leerseins aus. Zwar listet Allison die maßgeblichen Argumente pro et contra das leere Grab trefflich auf, allerdings scheint mir die Quellenlage doch für eine narrative Fiktion zu sprechen. Das Markusevangelium ist die einzige Quelle, die 33 Der Ablauf der Osterereignisse, 50. Vgl. J. Adam, Das leere Grab als Unterpfand der Auferstehung Jesu Christi, 59-75. 34 In: D.C. Allison, Resurrecting Jesus, 299-337. 35 Vgl. ebd., 332. 36 Ebd., 334. <?page no="237"?> Die Rede von der Auferweckung nach den Schriften des Neuen Testaments 221 eine Erzählung inszeniert, in der der Leichnam des getöteten Jesus nach seiner Grablegung nicht mehr im Grab vorgefunden wird. Matthäus, Lukas und Johannes sind von Markus abhängig. Keine andere neutestamentliche Schrift beruft sich auf das leere Grab. Damit gibt es nur einen belastbaren Zeugen und dieser hat ein starkes Motiv, eine Erzählung vom leeren Grab zu erfinden. Mk 16,1-8 bildet nämlich den genialen Abschluss der Gesamtkomposition, wie ich sie in Teil 1 dieser Untersuchung analysiert habe. Das leere Grab symbolisiert die Abwesenheit des Leichnams und inszeniert damit eine doppelte Verneinung: 1. Der Leichnam ist nicht da, wo die Logik des Todes ihn vermutet. 2. Das Grab Jesu ist daher nicht länger das empirisch überprüfbare Zeichen seines Todes, sondern Indiz seines nicht den Gesetzen des Todes folgenden Leibes, dessen Interpretation über Glaube und Unglaube entscheidet. Dir Erzählung vom leeren Grab kann daher als Komposition der narrativen Theologie des Markusevangeliums betrachtet werden. Doch auch für diese Hypothese gilt, was Allison für seine eigene historische Hypothese einschränkend in Rechnung stellte: sie ist eine der beiden plausiblen Möglichkeiten historischer Hypothesenbildung bzgl. der Erzählungen der Evangelisten von der Abwesenheit des Leichnams Jesu im Grab. Eine dritte historische Hypothese, die bisher im deutschsprachigen Bereich kaum zur Geltung gekommen ist, hat John Dominic Crossan 37 vertreten, der darauf hinweist, dass Gekreuzigte für gewöhnlich kein Grab erhielten. Es sei daher fraglich, ob Jesus als hingerichteter Verbrecher überhaupt ein ordentliches Begräbnis zuteil wurde. Da die Tradition von der Grablegung aber nicht nur in den Evangelien, sondern auch in 1Kor 15 begegnet und es zudem nicht sicher ist, ob es jüdische Praxis gewesen ist, Verbrecher nicht zu bestatten, kommt dieser Hypothese nur wenig historische Wahrscheinlichkeit zu. In keinem Fall aber kann das Grab, ob voll oder leer, als empirischer Beweis der Auferweckung Jesu gelten, 38 denn es gibt viele historisch denkbare Möglichkeiten, wie es zum leeren Grab hätte kommen können: Leichendiebstahl, Verwechslung der Gräber etc. Von besonderer Wichtigkeit aber ist es, die Historizität des Kreuzestodes Jesu von Nazareth noch einmal ins Gedächtnis zu rufen. Die von verschiedenen Quellen auch außerhalb des Neuen Testaments bezeugte Existenz Jesu von Nazareth und dessen Hinrichtung am Kreuz kann nicht mit plausiblen Argumenten historischer Vernunft bestritten werden. Das ist zwar kein Beweis seiner Auferweckung, aber es verortet die Jesus-Christus- Geschichte der neutestamentlichen Schriften auch im kategorialen Bereich der Existenz, der Zweitheit, der empirisch-historisch zugänglichen Wirklichkeit. Die Jesus-Christus-Geschichte erfährt mit der Existenz Jesu und der Tatsache seines Kreuzestodes ihre Erdung inmitten der harten Welt der 37 Vgl. J.D. Crossan, Der historische Jesus, 516ff. 38 Vgl. dazu auch A. Lindemann, Auferstehung, 18ff. <?page no="238"?> Zweiter Teil 222 Fakten. Sie ist nicht im mythischen Bereich religiöser Phantasmen anzusiedeln. Sie erzählt die leidvolle Geschichte einer grausamen Hinrichtung eines existierenden, leidensfähigen Menschen, der unser Mitleiden verdient. Das Kreuz aber, an dem er qualvoll stirbt, ist als historisches Marterwerkzeug nicht dazu geeignet, in religiösem Kitsch aufzugehen. Der ans Kreuz genagelte, blutende Leib Jesu ist ein Opfer menschlicher Brutalität. Das Kreuz auf der kategorialen Ebene der Zweitheit betrachtet spottet jeder religiösen Romantik. Das Kreuz ohne Wort vom Kreuz „ist und macht stumm“. 39 Das Kreuz aber im Rahmen der Jesus-Christus-Geschichte bindet das Wort vom Kreuz an die empirisch und historisch zugängliche Wirklichkeit und verortet das Evangelium inmitten der Wirklichkeit historischer Existenz. Deshalb ist Andreas Lindemann zuzustimmen, wenn er schreibt: „Was wäre, wenn man eines Tages Reste von Jesu Leichnam fände und zweifelsfrei identifizieren könnte? Der Glaube an Jesu Auferweckung - präziser gesagt: mein Glaube -, wäre dadurch nicht berührt. Ich könnte an Jesu Auferweckung dann nicht mehr glauben, wenn nachgewiesen würde, dass Jesus nicht am Kreuz gestorben ist.“ 40 Diese wichtige Erkenntnis, die Lindemann hier bescheiden als eigenes Glaubensbekenntnis formuliert, kann getrost überindividuell formuliert werden. Die historische Analyse der neutestamentlichen Schriften zeigt, dass die Rede von der Auferweckung überwiegend ohne den Bezug auf das leere Grab auskommt, nicht aber ohne die Einschärfung der Tatsächlichkeit des Kreuzestodes Jesu. Und selbst diejenigen Schriften, die das leere Grab narrativ inszenieren, brechen durch ihre Darstellung die Logik des Faktischen: „Daß das leere Grab für die Evangelisten selber keinen Beweischarakter hat, zeigen ihre Erzählungen mit aller Deutlichkeit“. 41 Kreuz, Grab und Visionen sind historischer Forschung als Phänomene von Zweitheit zugänglich. Die Realität, von der das Wort vom Kreuz Zeugnis ablegt, kommt so aber nicht in den Blick, weil sie die Logik des Faktischen gerade durchbricht und etwas Neues sehen lässt, etwas Kontingentes, Einmaliges, nicht Analogisierbares, das Alles, auch die Phänomene der Zweitheit schon jetzt anders werden lässt: die Auferweckung des Gekreuzigten als eschatologische Tat Gottes. Das Kreuz hält die Erinnerung daran wach, dass dieses eschatologische Ereignis nicht in Utopia, sondern inmitten der leiblich erfahrbaren Wirklichkeit geschah, inmitten der Welt, die die Geschöpfe Gottes bewohnen. 39 I. Dalferth, Der auferweckte Gekreuzigte, 44. 40 A. Lindemann, Auferstehung, 23. 41 Ebd., 19. <?page no="239"?> Die Rede von der Auferweckung nach den Schriften des Neuen Testaments 223 3.3. Die große Erzählung der Schrift(en) als epistemologischer Rahmen der Rede von der Auferweckung (Phänomene der Drittheit) Die neutestamentlichen Schriften behaupten nicht nur die eschatologische Auferweckung, sondern sie machen sie auch denkbar, indem sie die emotionale Überzeugung vom Leben und Wirken des auferweckten Gekreuzigten inmitten der Welt der harten Fakten verorten und beides stimmig mittels der Rede von der Auferweckung des Gekreuzigten durch den barmherzigen und gerechten Schöpfergott Israels verknüpfen. Nicht nur die überwiegend diskursiven Texte der Briefe, sondern auch die narrativen Texte der Evangelien und der Apostelgeschichte und auch die visionäre Komposition der Johannesapokalypse wenden sich an die Denkfähigkeit ihrer Leser, um die Realität der Auferweckung verstehbar zur Sprache zu bringen. Die neutestamentlichen Schriften zielen auf einen kritischen und verstehenden Glauben, der sich von religiöser Romantik, blutleeren Welterklärungsformeln und konstruktivistischen Hirngespinsten gleichermaßen abzugrenzen weiß. Die „brennenden Herzen“ fühlen die wirkende Wahrheit, dass das stumme Kreuz nicht das Ende der Jesus-Christus-Geschichte bedeutet. Vielmehr lassen sie im Vertrauen auf Gottes Kreativität und mit der Verstehenshilfe der Heiligen Schriften Israels die gute Nachricht von der eschatologischen Auferweckung des Gekreuzigten als Einbruch der letztgültigen, heilvollen, ewigen Gottesherrschaft inmitten der Jetztzeit sehen, die nicht weniger bedeutet, als der Anfang der Rettung der ganzen Schöpfung durch ihre Neuschöpfung. Die Plausibilität der Rede von der Auferweckung wird durch den narrativen Rahmen von der Schöpfung bis zur Neuschöpfung erzeugt, den die Bibel als Ganze setzt. Die Texte der Bibel werden durch eine große Erzählung zusammengehalten, die vom Anfang bis zum Ende dieser Welt ausgespannt wird. Die Bücher des Alten Testaments sind bestimmt von der Geschichte Gottes mit seinem erwählten Volk Israel. Die neutestamentlichen Bücher nehmen auf diese Geschichte Bezug und interpretieren sie von der Jesus-Christus-Geschichte her neu, deren Grundgeschichte und treibende Kraft der Kreuzestod Jesu und das eschatologische Ereignis seiner Auferweckung bilden. Stellen die alttestamentlichen Bücher die narrative, epistemologische und theologische Voraussetzung der neutestamentlichen Bücher dar, so eröffnet erst das Wort vom Kreuz der neutestamentlichen Bücher das sachgemäße christliche Verstehen der alttestamentlichen Schriften. Erst das Wort vom Kreuz als Erzählung des alles verändernden eschatologischen Ereignisses der Auferweckung des Gekreuzigten liest die Heiligen Schriften Israels als Schriften des Alten Testaments. 42 42 Diese These besagt aber nicht weniger, als dass Juden und Christen zwar viele Texte gemeinsam haben, aber sie unterschiedlichen großen Erzählungen zugehören und <?page no="240"?> Zweiter Teil 224 3.3.1. Was das Alte Testament erzählt - Eine narrative Skizze Das Alte Testament erzählt die Geschichte, die sich aus den vielen lokalen Erzählungen der Heiligen Schriften Israels ergibt . Es erzählt vom kreativ liebenden, gerechten und barmherzigen Gott Israels von Anfang an: Schöpfung. Es beginnt damit, wie Gott alles geschaffen hat. Gott verfolgt keinen Zweck und Nutzen, als er die Welt durch sein kreatives Wort schafft. Gott hat die Welt auch nicht nötig. Es gefällt ihm einfach, sie zu schaffen und alles, was er geschaffen hat, gefällt ihm. Er liebt seine Schöpfung. Ein guter Anfang. Diese Welt, diese Pflanzen, diese Tiere und nicht zuletzt auch die Menschen sind gewollt und geliebt um ihrer selbst willen: zweckfrei. Die Menschen sind dem Schöpfer sogar besonders nah. Gerade in dem, was ihn besonders auszeichnet, hat der Schöpfer sie nach seinem Vorbild geschaffen. Auch sie verfügen über die Kreativität des sprachlichen Handelns und können mit ihrer Sprache Dinge beim Namen nennen: eine besondere Gabe, die ihnen eine besondere Verantwortung für Gottes Schöpfung zutraut. Aber schon bald wird Gottes Zutrauen und Vertrauen in die Menschen enttäuscht. Der Mensch lässt sich verführen durch die Aussicht, nicht länger nur nach dem Vorbild des Schöpfers geschaffen zu sein, sondern vielmehr um jeden Preis und auch mit List und Tücke so zu werden wie er. Damit wird aber die innige, segensreiche Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf folgenreich gestört, was sogleich zu unbarmherzigen Entscheidungen führt: Brudermord, Ausbeutung, Entrechtung der Schwachen sind Signaturen dieser die eigene Geschöpflichkeit und damit den Schöpfer verfehlenden Lebensweise. Gott reagiert schließlich mit großer Härte und tötet die Geschöpfe aus Fleisch und Blut durch die große Flut. Aber er wagt einen Neuanfang mit Noah, dessen Familie und den Tieren aus der Arche. Gott reut sogar seine Härte, und er bindet sich durch einen ersten Bund daran, so nicht noch einmal zu handeln. Aber die Menschen setzen ihre verfehlte Lebensweise fort. Anstatt auf der Erde segensreich zu leben, wollen sie den Himmel stürmen und bauen den Turm von Babel. Gott setzt sich zur Wehr und erschwert ihr kommunikatives Handeln durch eine Vielzahl unterschiedlicher Sprachen. Trotz dieses Angriffs auf den Himmel lässt Gott nicht mehr von den Menschen ab. Bund mit Abraham : Gott erwählt Abraham, schließt einen Bund mit ihm und lässt ihn auf wunderbare Weise zum Vater vieler Völker werden und vor allem zum Vater Israels, des von Gott erwählten Volkes. Gott ist ein treuer Gott. Er steht zu seinem Wort und als sein Volk Israel in Ägypten versklavt wird, befreit Gott sie. Er sagt dem Mose, was er vorhat, und Mose sagt es den Israeliten weiter. Der Pharao aber will auf die Sklaven nicht verzichten. Erst nach zehn furchtbaren Plagen, die Gott den Ägyptern deshalb auch jeweils anderes bedeuten, selbst wenn sich ihr Wortlaut nicht unterscheidet. Das Buch Jesaja etwa bedeutet im Rahmen der großen Geschichte, die die Heiligen Schriften Israels erzählen etwas anderes als im Rahmen der großen Geschichte, die die christlichen Bibeln erzählen. <?page no="241"?> Die Rede von der Auferweckung nach den Schriften des Neuen Testaments 225 schickt, gibt er klein bei und lässt sie gehen. Exodus: Gott rettet sein Volk aus der ägyptischen Gefangenschaft und zeigt schon dadurch, wer er ist: er ist der, der er ist, der, der sein Volk aus der Knechtschaft herausführt und sie in das verheißene Land hineinführt. Er gibt ihnen schriftlich, was sie eigentlich auch so wissen müssten: er teilt ihnen seine Tora, seine Anweisung zu einem guten, ihrem geschöpflichen Dasein und seiner unbegrenzten Kreativität gerecht werdenden Leben mit. Aber während er Mose die Tafeln mit den zehn Geboten für ein gemeinschaftliches Leben der von Gott Geschaffenen gibt, machen sie sich eigenmächtig andere Götter und tanzen um das goldene Kalb. Doch Gott ist ein treuer Gott und weicht von seinem Versprechen nicht ab. Er ist auch ein gerechter Gott, der seinen Zorn strafend zum Zuge kommen lässt. Nur seine Barmherzigkeit hält seinen Zorn im Zaum. Und so wird das treulose Volk nicht mit dem Tod bestraft, aber sie müssen vierzig Jahre durch die Wüste ziehen und erst die nächste Generation zieht in das verheißene Land ein. Israel wird sesshaft in Kanaan und richtet sich ein, wie sie es bei den anderen Völkern sehen. Sie machen Staat, wählen Könige, liebäugeln mit den Göttern der anderen Völker, vergessen immer wieder ihren Gott und seine heilvollen Anweisungen zum friedlichen Leben. Immer wieder wird das Recht der Schwachen mit Füßen getreten. Das Handeln wird nicht von der zweckfreien Liebe und der Anerkenntnis der eigenen Geschöpflichkeit geleitet, sondern die Logik der Macht von Menschen über Menschen bestimmt das Denken, Fühlen und Tun. Der Zweck heiligt die Mittel. Selbst die ersten durch Gottes Wahl gesalbten Könige bleiben nicht auf dem Weg des gemeinschaftlichen Lebens. Sie brechen das Recht und nutzen ihre Macht zum eigenen Vorteil brutal aus. David, dem Gott den Bestand seines Hauses zusichert, lässt Uria, den Mann der schönen Bathseba, zu Tode kommen, um Bathseba für sich zu haben. Das Haus Davids ist kein Garant für Recht und Gerechtigkeit. Der weise Salomo bildet eher die Ausnahme als die Regel. Nach dessen Tod teilt sich Israel im Streit und entfernt sich immer wieder von seinem Gott. Aber Gott gibt nicht auf, sie daran zu erinnern, was sein Recht und seine Gerechtigkeit ihnen zu handeln aufgibt. Er beauftragt seine Propheten im Nordreich und im Südreich: Elia, Amos, Jesaja, Jeremia, Ezechiel und viele andere. Aber sogar die Boten Gottes werden vom eigenen Volk verfolgt. Manchmal dringen die Propheten mit ihrer Botschaft auch durch, aber ein dauerhaftes Umdenken gibt es nicht. Was Gottes Propheten angekündigt hatten, geschieht. Erst fällt das Nordreich und dann auch das Südreich. Selbst der Tempel von Jerusalem wird zerstört. Die Reichen und Mächtigen aus Jerusalem werden nach Babylon verschleppt: Exil. Aber Gott ist ein treuer Gott und sein Bund mit Israel bleibt bestehen bis ans Ende der Welt. Er tröstet sein Volk und heilt seine Wunden. Als der Perserkönig Kyros die Babylonier besiegt, erlaubt er den Juden, nach Israel zurückzukehren. Manche bleiben, viele kehren zurück. Sie bauen einen neuen Tempel in Jerusalem und schreiben viele ihrer Geschichten mit Gott auf. <?page no="242"?> Zweiter Teil 226 Viele hundert Jahre vergehen. Die Perser werden von den Griechen besiegt und dann die Griechen von den Römern. Auch das Land der Juden wird immer wieder zum Kriegsgebiet. Für einige Zeit wird Israel noch einmal selbstständig, wovon Daniel verschlüsselt und die Makkabäerbücher offen erzählen. Aber die neuen Könige Israels sind nicht weniger machtbesessen und gottvergessen, als die anderen selbstherrlichen Herrscher. Die Hoffnung auf ein Israel, das durch seine Könige ein Friedensreich baut, wie es Jesaja so wunderschön ausgemalt hat, zerbricht. Die prophetischen Verheißungen aber bleiben: Gottes Friedensbringer, der Messias, wird Gottes Friedensreich in Israel errichten: „Seht, eine junge Frau wird ein Kind empfangen, … und sie wird ihm den Namen Immanuel, Gott mit uns, geben.“ (Jes 7,14) Die große Geschichte der Heiligen Schriften Israels endet hier. Die Hoffnung und Erwartung, die diese Geschichte setzt, weist über sie hinaus. Der Messias wird kommen. Ein neuer Bund (Jer 31,31-34) wird in die Herzen geschrieben und der Geist Gottes wird ausgegossen (Joel 3,1-5). Juden warten bis heute auf die Erfüllung dieser Verheißung. Christen glauben, sie hat sich längst erfüllt. Christen und Juden leben in zwei verschiedenen Erzählwelten und deuten damit die Wirklichkeit auf je unterschiedliche Weise. Juden befinden sich in der Zeit vor der Erfüllung der messianischen Verheißung. Christen leben in einer anderen Zeit: Sie leben nach der Erfüllung dieser Verheißungen. Davon erzählt die Jesus-Christus-Geschichte. Ihr Herzstück ist die Auferweckung des Gekreuzigten. 3.3.2. Das Wort vom Kreuz als Fortsetzung und transformative Interpretation der großen Erzählung Israels Die Bücher des Neuen Testaments erzählen die Jesus-Christus-Geschichte als Erfüllung der messianischen Verheißungen der alttestamentlichen Schriften. Dabei setzen sie die Selbigkeit Gottes und die Gültigkeit der Heiligen Schriften Israels als sein Wort voraus. Auch an der besonderen Stellung Israels halten sie damit fest. Sie sind aber überzeugt, dass mit der Auferweckung des Gekreuzigten eine Zeitenwende stattgefunden hat und deshalb nun wie es ja auch die Propheten verheißen haben alle Völker in das Heilsangebot Gottes hineingerufen sind. Die eschatologische Zeit ist in die Jetztzeit eingebrochen und verändert dadurch alles, auch wenn das noch nicht für alle sichtbar geworden ist. Weil die narrative und theologische Dynamik der Jesus-Christus- Geschichte der Erzählzusammenhang von Tod und Auferweckung des gekreuzigten Jesus von Nazareth bildet, wird von diesem Zusammenhang her in den Evangelien auf je unterschiedliche Weise erzählt, wer der Gekreuzigte war, wie er wirkte, was er lehrte, wie es zu seiner Hinrichtung kam und worauf die Gewissheit seiner eschatologischen, also die Zeitenwende einleitenden Auferweckung gründet. <?page no="243"?> Die Rede von der Auferweckung nach den Schriften des Neuen Testaments 227 In die Erzählungen der Evangelien sind Interpretamente eingelassen, die als Metakommentare zu erkennen geben, dass sich ihre Darstellung von dem Glauben herleitet, dass der Gekreuzigte von Gott auferweckt wurde und er der von Israel erwartete Messias ist, den Gott durch die Auferweckung als solchen beglaubigt und zum machtvollen Kyrios der ihm Nachfolgenden eingesetzt hat. Die Evangelien sind keine antiquarischen Berichte, die von einer abgeschlossenen Vergangenheit eines zu Ende gegangenen Lebens berichten. Vielmehr erzählen sie von dem lebendigen Kyrios, der als auferweckter Gekreuzigter dauerhaft die Signatur der menschlichen Sünde an seinem Leib trägt. Sie erzählen seine Geschichte so, dass sie seinen Weg der Barmherzigkeit, der die zweckfreie Liebe Gottes lebt, kontrastieren mit der erbarmungslosen Macht der Verzweckung, die keine Grenzen kennt und sich sogar am Sohn Gottes brutal vergreift. Sie machen den Ernst der Lage deutlich, indem sie nicht erzählen, dass schon alles irgendwie gut geht, weil Gott ja der liebe Gott ist. Vielmehr setzen sie das alttestamentliche Gottesbild gerade in seiner Komplexität fort. Gott, wie auch Jesus ihn in den Evangelien verkündet, ist ein barmherziger und gerechter Gott, und sein Zorn trifft diejenigen, die den Werten der irdischen und kosmischen Mächte der Verzweckung der Schöpfung weiterhin folgen und sich nicht auf den Weg der zweckfrei liebenden Barmherzigkeit einlassen. Das Evangelium erzählt eine gute Nachricht, nämlich die, dass allen Menschen Vergebung angeboten wird, wenn sie sich auf Gottes und seines Sohnes Weg der Barmherzigkeit einlassen. Dieses Angebot kann aber auch verfehlt werden. Es geht um alles, Tod oder Leben. Das Evangelium ruft in die Entscheidung. Die Apostelgeschichte erzählt dann, wie das Wirken des Heiligen Geistes die Kirche Jesu Christi gründet und sie sich bis zum Mittelpunkt der Welt ausbreitet. Der Heilige Geist ist die Weise, wie der erhöhte auferweckte Gekreuzigte jetzt, also auch in der Gegenwart der heutigen Leser und Leserinnen, kommuniziert und wirkt. Die Kirche verdankt sich keiner menschlichen Hierarchien und Reformen, sondern dem Wirken des Heiligen Geistes. Die Briefe interpretieren auf sehr verschiedene Weise Tod und Auferweckung des Gekreuzigten und reflektieren von da aus die Konsequenzen daraus für die jeweilige konkrete Gemeindesituation. Dabei kommt es sowohl zu Aussagen, die nur für die jeweilige Situation sinnvoll sind, als auch zu Überlegungen, die auch heute noch plausibel und gültig sind. Die Apokalypse am Ende der Bibel setzt einen sinnvollen Abschluss, weil dieses Buch den kosmologischen Kampf verdeutlicht, den die ganze Bibel voraussetzt. In vielfältigen Bildern zeichnet sie die Brutalität der Macht des Bösen nach in der Gewissheit, dass der mit der Macht Gottes ausgestattete auferweckte Gekreuzigte das Böse vernichten wird. Die Apokalypse nimmt die Brutalität und Gefährlichkeit des Bösen ernst, das sie überindividuell denkt. Es geht in der Bearbeitung der Erfahrungen von Leid, Gewalt, Ungerechtigkeit und Tod der Bibel zwar auch um individuelle Schuld, aber eben nicht nur. Die Anthropologie der Bibel und insbesondere die der Apokalyp- <?page no="244"?> Zweiter Teil 228 se denkt den Menschen nicht als souveränes Subjekt seiner selbst, sondern vielmehr als eingebunden in die Wirkkraft von überindividuellen Mächten, zu denen man sich nicht nicht verhalten kann. Die Apokalypse ist kein düsteres Weltverneinungsbuch. Sie ist ein Buch der Hoffnung, ja, der Zuversicht und deshalb sollte ihre Verheißung des neuen Himmels und der neuen Erde, als den Ort und die Zeit, wo alle Tränen abgewischt werden allen Christinnen und Christen die Hoffnung auf ein gutes Ende geben, wie die Schöpfungserzählungen ihnen vom guten Anfang erzählen. 3.4. Zusammenfassung: Das Realitätsverständnis des neutestamentlichen Auferweckungsdiskurses Es gibt keinen anderen Weg, die Entstehung des Osterglaubens zu rekonstruieren, als die Schriften des Neuen Testaments zu interpretieren, die selbst ein Interpretant der Ereignisse sind, die zum Osterglauben führten. Jede Psychologisierung steht in der kaum zu vermeidenden Gefahr, in die Schriften des Neuen Testaments die eigene Weltsicht vorschnell einzutragen und im Sinne eines analogiehaften Ursache-Wirkungszusammenhangs aufzulösen. Der Zweck des Osterglaubens bestünde dann etwa darin, „an der besonderen Bedeutung Jesu auch nach seiner Kreuzigung festzuhalten.“ 43 Diese Interpretation ergibt sich aber nicht aus dem Befund der Schriften, sondern aus dem empiristischen Zweckdenken, dass den Osterglauben auf der Ebene von Zweitheit erklären möchte und deshalb psychologische Ursache-Wirkungszusammenhänge als Deutungsmuster benutzt, um nicht mit der binären Rationalität des naturwissenschaftlichen Denkens nach Newton in Konflikt zu geraten. Damit werden aber die kategorialen Ebenen nicht mehr sachgemäß unterschieden, sondern in einem kaum mehr durchschauten Wirrwarr ineinander gedreht, was die scharfsichtige erkenntnistheoretische Analyse von Georg Essen bereits 1993 hellsichtig „auf das virulente und ungeklärte Problem einer begrifflich inadäquaten und kategorial nicht präzisen Bestimmung des Realitätscharakters des Ostergeschehens“ 44 zurückführte. Aber auch diejenigen, die wie etwa Wolfhart Pannenberg die Auferweckung des Gekreuzigten als ein historisches Ereignis interpretieren wollen, überdeterminieren die neutestamentlichen Texte und insbesondere die Semantik von w; fqh in 1Kor 15, 3-8. Der neutestamentliche Auferweckungsdiskurs verknüpft vielmehr die emotionale Gewissheit des wirksamen Lebens des Gekreuzigten in der eigenen Gegenwart mit der eigenen zeitgeschichtlichen Erfahrung und mit überlieferter Erinnerung an die Jesus-Christus- Geschichte und schließt in der Verknüpfung dieser Phänomenbereiche mit den Heiligen Schriften Israels auf die alles umgreifende eschatologische Tat 43 G. Guttenberger, w; fqh , 42. 44 G. Essen, Historische Vernunft und Auferweckung Jesu, 23. <?page no="245"?> Die Rede von der Auferweckung nach den Schriften des Neuen Testaments 229 Gottes der Auferweckung und Erhöhung des Gekreuzigten als Beginn der Neuschöpfung. Diese Phänomendichte erzeugt die Realität der Rede von der Auferweckung des Gekreuzigten und der erwarteten Auferweckung der Toten am Tag des letzten Gerichts. Nur, diejenigen, die von dieser Rede, vom Wort vom Kreuz, vom Evangelium der Jesus-Christus-Geschichte emotional, alltagstauglich und rational beeindruckt werden, können mit dem Geist dieser Geschichte die Welt so sehen, wie es der neutestamentliche Auferweckungsdiskurs zu sehen gibt. Damit wird das Erleben der Jesus- Christus-Geschichte aber selbst zu einem Phänomen von Erstheit. Der Geist dieser Geschichte überzeugt emotional - oder eben auch nicht. Kann aber diese vom Geist der biblischen Geschichte erzeugte emotionale, vorkritische Einstimmung einer kritischen Überprüfung harter Fakten standhalten? Und vermag eine Reflexion der epistemologischen Grundentscheidungen der biblischen Texte diese heute noch als denkbares Realitätsverständnis in den Wissensdiskurs der Gegenwart einzubringen? Oder ist christlicher Glaube mit seiner Zentralgeschichte von der Auferweckung des Gekreuzigten ein Relikt vergangener Zeiten, das bestenfalls noch im Sinne Goethes als großes poetisches Werk angesehen werden kann, aber nicht mehr in den Bereich der Erschließung der ganzen Realität gehört? 4. Semiotische Interpretation evangelischer Rede von der Auferweckung heute Die Grundentscheidung evangelischer Theologie besteht im reformatorischen Schriftprinzip „sola scriptura“. Allein die interpretierte Schrift kann Norm und Maßstab christlichen Glaubens sein, gerade weil damit schwärmerische Phantastereien, Reduktion des Wirklichen auf Erfahrung und ungeerdete Dogmen und Philosophemen gleichermaßen einen kritischen Bewertungsmaßstab erhalten, der jeder Deutung die Kraft der Signifikanten entgegenwirft. Dieses protestantische Schriftprinzip weiß um die Notwendigkeit der Interpretation und Kritik der Schrift, fordert sie sogar ein. Erst wenn die Schriftzeichen so interpretierend angeeignet werden, dass die Welt mit dem Geist der Schrift gesehen wird, haben sie ihre geistvoll erschließende Kraft erreicht. Nicht das geistlose Zitieren der Schrift oder irgendwelcher Bekenntnisse, sondern das Wirksamwerden des Geistes der Schrift in der je eigenen Existenz ist das Ziel der Schrift, dass sie nur auf diese Weise zur Heiligen Schrift, zum Wort Gottes werden lässt. Evangelische Christinnen und Christen glauben nicht an das Dogma von der Auferweckung, sondern sie erleben wie gebrochen und zweifelnd auch immer die Lebendigkeit des auferweckten Gekreuzigten, weil ihnen die Schrift im Vertrauen auf Gottes liebevolle, unerschöpfliche Kreativität einleuchtet. Mit Blick auf die Frage nach einer tragfähigen christlichen Rede von der Auferweckung der Toten heißt das: Nur in der im eigenen Leben veranker- <?page no="246"?> Zweiter Teil 230 ten, geistreichen Interpretation der biblischen Schriften im Denken der jeweiligen Zeit wird die Rede von der Auferweckung der Toten zur evangelischen Rede von der Auferweckung. Deshalb soll im folgenden danach gefragt werden, wie die drei Phänomenebenen in einer dem protestantischen sola scriptura verpflichteten Realitätsverständnis der Auferweckung zum Tragen kommen und wie auf dieser Grundlage von der Auferweckung Jesu Christi und der Auferweckung der Toten heute plausibel geredet werden kann. 4.1. „Er ist auferstanden.“ „Er ist wahrhaftig auferstanden! “ (Phänomene der Erstheit) Nicht nur für den neutestamentlichen Auferweckungsdiskurs, sondern auch für die gegenwärtige Rede von der Auferweckung kommt der Kategorie der Erstheit fundierende Kraft zu. Wenn im Ostergottesdient auf den Ruf: „Er ist auferstanden“, die Antwort mit Lk 24,34 folgt: „Er ist wahrhaftig auferstanden“, dann liegt genau dann ein Phänomen von Erstheit vor, wenn der bzw. die Antwortende bei seinem bzw. ihrem Nachsprechen des Lukaszitats das Gefühl empfindet, etwas zu sagen, das ihn bzw. sie Grund legend heilvoll betrifft. Dieses Gefühl kann sich in einem frohen Gesichtsausdruck, einer ehrfürchtigen Körperhaltung, einem unbeschreibbaren Bauchgefühl oder eben in einem „brennenden Herz“ äußern. Seine erschließende Kraft erhält es gerade als Phänomen der Erstheit, das heißt als vorkritische Empfindung, die nicht zwischen diesem Gefühl und dem Fühlenden unterscheidet, auch nicht analytisch nach dem Zustandekommen dieses Gefühls fragt, nicht zwischen dem eigenen Sprechen und dem Zitat differenziert, es auch keiner kritischen Untersuchung nach seiner Denkbarkeit und Kohärenz mit anderen Erfahrungen und Einsichten unterzieht. Das spontane, vorkritische Gefühl, das sich auf irgendeine Art und Weise im Körper des Sprechenden ausdrückt, ist die Basis jeglichen Realitätsempfindens. Wer die Wahrheit des Osterrufes nicht auf eine noch so diffuse Art und Weise spürt, dem wird sich die Osterbotschaft nicht emotional erschließen. Man kann dann vielleicht Religionswissenschaftler werden und aus einer Außenperspektive beschreiben, wie sich die verhalten, die den Osterruf als Realität hören, die sie und den ganzen Kosmos unmittelbar betrifft. Die Realität der Auferweckung wird sich religionswissenschaftlich aber nicht als Realität erschließen, die die Welt und sich selbst in diesem Licht wahrnehmen lässt. Aber nicht nur die Zustimmung, sondern auch die Ablehnung oder Gleichgültigkeit bezüglich der Osterbotschaft ist auf der Ebene von Erstheit fundiert. Jede Realitätsauffassung, die sich wirksam im Denken, Fühlen, Leben entfaltet, kann vorkritisch in körperlichen Empfindungen verortet werden. Auch das Nein zur Osterbotschaft wird gefühlt, selbst die Gleichgültigkeit wird z.B. als Langeweile und Körperschwere im Gottesdienst leiblich empfunden. <?page no="247"?> Die Rede von der Auferweckung nach den Schriften des Neuen Testaments 231 4.2. Ergebnisse und Grenzen empirischer und historischer Forschung (Phänomene der Zweitheit) Fühlen ist nicht alles! Wer meint, dass das eigene Wahrheitsgefühl von allen anderen geteilt werden muss und sich nicht nur gegen andere Wahrheitsgefühle, sondern sogar gegen Einsichten, die nur auf den Kategorienebenen der Zweitheit und Drittheit gewonnen werden können, immunisiert, wird im günstigsten Fall ein seltsam verbohrter Zeitgenosse. Wenn sie oder er gar beschließt, die Welt politisch so zu verändern, dass sie nach dem eigenen Wahrheitsgefühl für alle verbindlich organisiert werden soll, wird er oder sie schlimmstenfalls ein gewaltbereiter Fundamentalist. Zu einer biblisch fundierten Glaubenshaltung gelangt man so nicht. Zu einem kritischen Glauben, wie er in den biblischen Texten angelegt ist, gehört die Überprüfung des eigenen Wahrheitsgefühls durch eine kritische Wahrnehmung von Phänomenen der Zweitheit und der Reflexion solcher der Drittheit. Auf der Ebene der Zweitheit ist es von fundamentaler Bedeutung wahrzunehmen, dass historische Forschung die in Schriften des Neuen Testaments erinnerte Jesus-Christus-Geschichte in der empirisch-historischen Lebenswelt der Levante vor allem in Galiläa, Samarien und Judäa zur Zeit der römischen Vorherrschaft zu verorten weiß. Der in den Evangelien dargestellte Mensch Jesus wird von der historisch-kritischen Forschung als Mensch aus Fleisch und Blut erwiesen, dessen Biographie zwar nicht mehr detailliert nachgezeichnet werden kann, dessen Selbstverständnis und Bedeutung höchst umstritten ist, 45 dessen Existenz aber nicht seriös und plausibel zu bestreiten ist. Die Jesus-Christus-Geschichte ist also kein Mythos, der die Seinsweise mit Alice im Wunderland teilt. Es handelt sich zunächst einmal um die Geschichte eines Menschen, der zu einer bestimmbaren Zeit in einem bestimmbaren Land und in einer bestimmbaren Kultur gelebt hat, die trotz aller Schwierigkeiten, die die historische Jesus-Forschung mit jeder anderen Geschichtsschreibung teilt, historischer Forschung prinzipiell zugänglich ist. Auf der Ebene von Zweitheit kann festgehalten werden, dass Jesus ein jüdischer Mann aus Galiläa war, der einen handwerklichen Beruf erlernt hat und als Erwachsener für kurze Zeit als Wanderprediger umhergezogen ist, sein Predigtthema das kommende Reich Gottes war, er einigen Erfolg mit seiner Predigt hatte, von ihm psychosomatisch zu erklärende heilsame Wirkungen ausgegangen sind und er im Zusammenwirken von Individuen aus seinem Umkreis, von jüdischen und von römischen Behörden am Kreuz hingerichtet wurde. Dieser Mensch wird furchtbare Qualen bei seinem Tod erlitten haben. Jesus starb einen schrecklichen Tod und alle Phantasten und Sensationsheischenden, die in unsäglicher Manier den gekreuzigten Jesus als Scheintoten darstellen, der nach seiner Kreuzigung nach 45 Vgl. zur aktuellen historischen Jesusforschung ZNT 1, Themenheft Jesus Christus, und ZNT 20, Themenheft Der erinnerte Jesus. <?page no="248"?> Zweiter Teil 232 Indien oder sonst wohin entschwand, vergehen sich nicht nur an der Plausibilität historischer Vernunft, sondern schlimmer noch an den Qualen und Leiden des gewaltvoll hingerichteten Menschen Jesus von Nazareth. 46 Auf der Ebene von Zweitheit kann ferner gesagt werden, dass nach dem Tod Jesu Menschen davon überzeugt waren, den Gekreuzigten als Lebenden und machtvoll Wirksamen in anderer Gestalt gesehen zu haben und dieses Wahrheitsgefühl von Erstheit für sie so stark war, dass sie unter den Bedingungen der Kenntnis der für sie Heiligen Schriften Israels im enzyklopädischen Rahmen ihres apokalyptischen Weltbildes diese Wahrnehmung als Erscheinung des auferweckten Gekreuzigten deuteten, mit dem die eschatologische Totenerweckung begonnen habe. Auf der Ebene von Zweitheit lässt sich historisch darüber streiten, ob das Grab Jesu nach seiner Grablegung mit seinem Leichnam belegt blieb, oder ob es von Jesu Anhängerinnen und Anhängern leer vorgefunden wurde. Zu einem sicheren historischen Ergebnis sind die historisch-kritischen Untersuchungen dieser Frage bisher nicht gelangt. Auf der Ebene empirischhistorischer Forschung kann aber - egal wie die Frage nach dem leeren Grab beantwortet wird nur davon ausgegangen werden, dass Jesu Leichnam wie jeder andere Leichnam auch verweste, egal ob das nun im Grab war oder sonst wo. Auf der Ebene von Zweitheit lässt sich kein Leib aus Fleisch und Blut denken, der unter den biologischen, physikalischen und klimatischen Verhältnissen Judäas nicht verwest. Seit den Büchern von R.A. Moody 47 und Elisabeth Kübler-Ross 48 werden immer wieder Nahtoderfahrungen und Erscheinungen Verstorbener als quasianalogische Beweise eines Lebens nach dem Tod bewertet. Dieser Einschätzung muss kategorisch widersprochen werden. Nahtoderfahrungen sind Erfahrungen im Prozess des Sterbens. Das Sterben gehört aber zu den Erfahrungen des Lebens vor dem Tod. Als solche sind sie empirischer Forschung zugänglich. Über ein Leben nach dem Tod können mittels einer Untersuchung von Erfahrungen vor dem Tod keinerlei empirische Erkenntnisse auf der Ebene von Zweitheit gewonnen werden. Allerdings bleiben weder Moody noch Kübler-Ross auf der Ebene empirischer Forschung, wenn sie ihre empirischen Ergebnisse als Beweise eines Lebens nach dem Tod ausgeben und damit einhergehend die Realität des Todes esoterisch besänftigen. Demgegenüber stellt Thiede klar, dass „gerade dann, wenn man mit göttlicher Transzendenz auf der Schwelle des Todes rechnen möchte, von einem Beweis für die Göttlichkeit solcher Transzendenz sowohl aus wissenschaftstheoretischen wie aus theologischen Gründen keine Rede sein kann. Evident ist lediglich, dass es ein interkulturell nachweisbares ‚Humanum’ gibt, das in der Struktur der kindlichen Psyche besonders deutlich 46 Vgl. dazu R. Heiligenthal, Der verfälschte Jesus. 47 Moody´s, Leben nach dem Tod, erschien 1977. 48 Vgl. etwa Kübler-Ross, Kinder und Tod, aus dem Jahr 1984. <?page no="249"?> Die Rede von der Auferweckung nach den Schriften des Neuen Testaments 233 zutage tritt: die Fähigkeit, in körperlich-psychischen Grenzzuständen diese geistig-seelisch zu transzendieren.“ 49 Auch der Neutestamentler Dale C. Allison 50 kommt in seiner Untersuchung und Interpretation der in den Evangelien erzählten Erscheinungen des Auferweckten zu dem negativen Ergebnis, dass die Werkzeuge historischer Kritik es nicht erlauben zu bestimmen, wie weit die einzelnen Erzählungen authentische Erinnerung bewahren. Über das auch in 1 Kor 15,3-8 berichtete hinaus lässt sich historisch nichts sagen. Schon gar nicht sei es möglich, die „Gefühle“ und „Emotionen“ der ersten Christen zu untersuchen, wie es Gerd Lüdemann forderte. 51 Allison hält dann aber doch als positives Ergebnis seiner Untersuchung zwei „facts“ fest: 1. Verschiedene Personen berichteten Christophanien. 2. Jesus erschien mehrmals mehr als einer Person gleichzeitig. 52 Im folgenden Abschnitt, der mit „Seeing Things“ 53 überschrieben ist, versucht Allison, diese beiden „Fakten“ mittels einer Analogie zu erklären: Berichte von Erscheinungen Verstorbener. Hatte Gerd Lüdemann mit Hilfe dieser Analogiebildung die Überzeugung des von Schuldgefühlen geplagten Petrus, den auferweckten Jesus gesehen zu haben, psychologisierend als Selbsttäuschung zu entlarven versucht, so benutzt Allison sie ganz anders. Allison geht nämlich von einem tatsächlichen Kontakt Toter zu Lebenden aus und unterstreicht seine Auffassung nicht nur mit der Anführung seriöser empirischer Untersuchungen zu solchen Erscheinungsberichten, sondern - in Analogie zur Rhetorik des Paulus (! ) - mit einem autobiographischen Argument. Nicht nur ihm selbst, sondern auch anderen Mitgliedern seiner Familie seien Tote erschienen. 54 Es handele sich um „a regular part of crosscultural-experience“. Unsere gegenwärtigen kulturellen Vorurteile, die den Kontakt zwischen Toten und Lebenden verleugnen, bzw. in den Bereich des Aberglaubens oder der Geisteskrankheit verbannen, dürften die Realitäten menschlicher Erfahrung nicht verleugnen. 55 Auf dieser Basis geraten ihm dann die in der neutestamentlichen Literatur erzählten Erscheinungen doch noch zu authentischen Erinnerungen realer Erlebnisse. Der verstorbene Jesus sei ihnen erschienen. 56 Was aber geschieht hier durch diese Analogiebildung mit dem auferweckten Gekreuzigten? Wie in allen Analogiemodellen wird er seines schlechthin einmaligen Spezifikums beraubt. Aus dem auferweckten Gekreuzigten wird ein Toter, der Kontakt zu Lebenden aufnimmt, wie Millionen und Abermillionen anderer Toter vor und nach ihm auch. Gerade die 49 W. Thiede, Sterben, Tod und Auferstehung, 225. 50 D.C. Allison, Resurrecting Jesus, 239-269. 51 D.C. Allison, Resurrecting Jesus, 268. 52 Ebd., 269. 53 Ebd., 269-299. 54 Vgl. ebd., 275ff. 55 Ebd., 271. 56 Vgl. ebd., 288 unten. <?page no="250"?> Zweiter Teil 234 Offenheit des in Analogien denkenden neutestamentlichen Historikers Allison für andere Realitäten, die vor den kulturellen Vorurteilen zu Recht warnt, übersieht die eschatologische Einzigartigkeit und Analogielosigkeit der Auferweckung des gekreuzigten Jesus von Nazareth und ihre damit verbundene kosmologische Dynamik. Durch Allisons gut gemeinte Analogiebildung wird der Gekreuzigte zu einem Toten unter anderen Toten und das Ereignis der Auferweckung verliert damit seinen kosmologischen Sinn und seine soteriologische Kraft. Allisons sympathische Vorurteilslosigkeit führt wieder einmal vor Augen, wohin eine theologievergessene historische Kritik führt: in die theologische Entleerung des kosmologischen Ereigniszusammenhangs von Tod und Auferweckung Jesu von Nazareth. So grundverschieden Lüdemann und Allison auch argumentieren, so führt beide die Vernachlässigung theologischen Denkens in die subjektivistische Falle einer idiosynkratischen Metaphysik. Dies wird im weiteren Verlauf des Buches von Allison noch deutlicher. Er reflektiert die vollkommen zutreffende Einsicht, dass die Einzeldaten von dem Gesamtsetting der jeweiligen Weltsicht ausgewertet werden. 57 Allison zieht aber nicht wie Hermann Deuser, Ingolf Dalferth, Heiko Schulz, Hans Kessler, Georg Essen, Michael Welker und Robert C. Neville den Schluss daraus, dass dann eine metaphysische Debatte über die Grundlagen der Realität bzw. des Realitätsbegriffs das Gebot der Stunde sei, um Denkweisen und Kriterien zu erarbeiten, die der Realität der religiösen Erfahrung ebenso angemessen sind wie der Realität empirischer Sachverhalte und der Realität von Bedeutungsereignissen. Vielmehr verweist er die Wahl des jeweiligen Deuterahmens in die Beliebigkeit des Subjekts etwa nach dem Slogan: Über Weltbilder lässt sich nicht streiten. 58 Aber genau vor diese Aufgabe stellen die miteinander verwobenen Phänomene des religiösen Empfindens, der Existenz der Dinge und der Pluralität der Weltdeutungen. Allisons Empirisierung der neutestamentlichen Erscheinungserzählungen mittels der Analogiebildung zu den Berichten der Erscheinungen Verstorbener missinterpretiert den auferweckten gekreuzigten Christus Jesus von Nazareth als einen zurückkehrenden Toten und übersieht die kosmologische Theo-Logik des Ereigniszusammenhangs von Tod und Auferweckung der biblischen Jesus-Christus-Geschichte. Schließlich sind die biblischen Schriften in ihrer widerständigen materiellen Beschaffenheit vor jeder Interpretation Phänomene der Zweitheit. Wir besitzen keine Originale, aber Abschriften über Abschriften und ihre Übersetzungen bis hin zu heutigen Bibelausgaben. Das visuell und taktil wahrnehmbare Material der äußeren Textkritik sind empirische Fakten, die in heutigen Museen in ihrem jeweiligen materiellen Zustand anzusehen sind. Die Materie der Schriftzeichen sind das jeder Interpretation sperrig Vorgegebene. Sie liefern die Daten, die dann auf der Phänomenebene der Drittheit 57 Vgl. D.C. Allison, Resurrecting Jesus, 342f. 58 Vgl. ebd., 342.347f. <?page no="251"?> Die Rede von der Auferweckung nach den Schriften des Neuen Testaments 235 zur Bildung von Interpretanten führen, die auch heute noch von einer Theologie der Auferweckung plausibel reden lassen. Nicht die Materialität des verwesten Leichnams, oder die hypothetisch behauptete Materialität eines leeren Grabes, sondern die Materialität der Schriftzeichen bildet die empirisch wahrnehmbare Grundlage christlichen Glaubens. Die Materialität der Schriftzeichen ersetzt die Materialität des abwesenden Leibes des historischen Jesus wie auch die Abwesenheit seines Leichnams. Empirische naturwissenschaftliche und historische Erkenntnisse untersuchen Phänomene der Zweitheit. Auf dieser Ebene kann erwiesen werden, dass derjenige, von dem die neutestamentlichen Schriften sagen, er sei gekreuzigt worden und nach seinem Tod von einigen Menschen als lebendig wahrgenommen worden, ein historischer Forschung prinzipiell zugängiger Mensch gewesen ist, dessen Leichnam nach seinem Tod erfahrungsgemäß verweste. „Unser Bild des ‚historischen Jesus‘ endet notwendig mit seinem Tod und dem Osterzeugnis der ersten Gemeinde, wie es uns überliefert ist. Ein bloßes ‚Faktum‘ der Auferstehung auf derselben historischen Ebene und in irgendeinem empirisch-materialen Sinn kann es nicht geben, weil darin Gott in seiner welttranszendierenden Kreativität zum raumzeitlich gebundenen Objekt gemacht würde.“ 59 Die Auferweckung der Toten als eschatologische Tat Gottes ist empirischer Forschung kategorial nicht zugänglich, denn sie kann gar nicht von lebenden Menschen erfahren werden. „Was keine Frage möglicher Erfahrung ist, das ist auch keine Tatsachenfrage.“ 60 Käme nur Phänomenen Realität zu, die existieren, dann wäre unsere Untersuchung hier beendet. Die Realität der Auferweckung, von denen die neutestamentlichen Schriften im Verbund mit den alttestamentlichen sprechen, kann nicht in den Grenzen empirischer Erfahrung gedacht werden, obgleich die Jesus-Christus-Geschichte, an der sich die christliche Rede von der Auferweckung der Toten maßgeblich festmacht, auch Phänomene der Zweitheit aufweist und daher nicht als ein Phantasieprodukt aus Utopia klassifiziert werden kann. Das Wahrheitsgefühl bezüglich der Osterbotschaft und die kritische Sichtung der Einsichten historischer Forschung können nur miteinander kohärent verbunden werden, wenn die materiell wahrnehmbaren Schriftzeichen der Bibel, die die Realität der Auferweckung lesbar machen, theologisch interpretiert werden. Die Realität der Auferweckung wird erst auf der phänomenalen Ebene der Drittheit denkbar, die sowohl Phänomene von Zweitheit, als auch Phänomene von Erstheit umgreift. 59 H. Deuser, Gottesinstinkt, 168. 60 C.S. Peirce, Private Gedanken zur Lebensführung, 25. <?page no="252"?> Zweiter Teil 236 4.3. Schöpfung und Neuschöpfung als Hypothesen eines evangelischen Realitätskonzeptes (Phänomene der Drittheit) Die Frage nach der Auferweckung der Toten wie auch die Frage nach der Auferweckung des gekreuzigten Jesus Christus kann nicht als isoliertes Thema behandelt werden, wenn sie in ihrer ganzen realitätserschließenden Kraft nach den Schriften des Neuen Testaments beantwortet werden soll, und nichts anderes kann evangelische Theologie sich zur Aufgabe machen. Es geht nicht darum, ob man irgendwie ein Leben nach dem Tod für möglich hält oder nicht. Es geht nicht darum, ob man meint, mit Toten auf übernatürliche oder sogar magische Kraft im Kontakt zu stehen. Es geht nicht darum, was man so alles für möglich hält. Die Auferweckung der Toten nach den Schriften des Neuen Testaments eignet sich nicht für eine Fernsehsendung wie Terra X oder solchen Sendungen, die in der quasiempirischen Manier eines Uri Geller nach übernatürlichen Phänomenen fragt. Die Auferweckung Jesu Christi ist aber ebenso wenig wie die Hoffnung auf die Auferweckung der Toten eine dogmatische Formel, die man für wahr halten muss, um berechtigterweise eine Eintrittskarte für die Messe zu erhalten. Die Realität der Auferweckung erschließt sich nach den Schriften des Neuen Testaments in ihrem kanonischen Verbund mit denen des Alten Testaments ausschließlich über ein personales Gottesverhältnis zu dem Gott, der in den Schriften des Alten Testaments als barmherziger, gerechter und allmächtiger Schöpfergott handelt und dem deshalb Loblieder gesungen werden, ob der Güte seiner Schöpfungswerke. Nur wer Schöpfungspsalmen singen kann, wird die Wahrheit der Realität der Auferweckung nach den Schriften des Neuen Testaments empfinden können. Es ist aber nicht nur die Aufgabe evangelischer Theologie, die Glaubensweisen der Gegenwart einer kritischen Prüfung zu unterziehen, indem sie immer wieder an die Auslegung der Schrift als normierender hermeneutischer und kritischer Instanz zurückgebunden werden. Vielmehr muss evangelische Theologie sich daran abarbeiten, auch solchen Menschen, denen die Wahrheit des schriftgemäßen Glaubens nicht einleuchtet, zu erklären, wie mit den Augen evangelischen Glaubens die Welt als Ganze verstanden wird. Für diese Aufgabe spielt gerade auch mit Blick auf die Plausibilisierung der Auferweckungsfrage die Schöpfungstheologie eine entscheidende Rolle. Die Auferweckung Jesu Christi und die Hoffnung auf die Auferweckung der Toten sind ohne eine starke Schöpfungstheologie nicht zu haben. Die Theologie der Schöpfung ist das Fundament, auf dem die Rede von der Auferweckung - verstanden als Neuschöpfung - fußt. Die Rede von der Welt als guter Schöpfung Gottes hat durch die Friedensbewegung und damit verknüpft durch die neue Sensibilität für den natürlichen Lebensraum, der nur unzureichend als Umwelt beschrieben <?page no="253"?> Die Rede von der Auferweckung nach den Schriften des Neuen Testaments 237 werden kann, in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts neue Plausibilität erfahren. Man kann hier durchaus wieder ein Phänomen der Erstheit entdecken, nämlich das Gefühl, dass die reine instrumentelle und mechanische Auffassung der Natur als Umwelt der Wahrnehmung des Lebens in dieser Welt nicht ausreichend entspricht. Die Rede von der Schöpfung, die es zu bewahren gilt, kritisiert das mechanistische Ausbeutungsdenken, dass die Natur lediglich als zu verwertende Ressourcen begreift. Dieser aus dem Erleben der Welt hervorgegangene Impuls wurde dann auch in der Evangelischen Theologie aufgegriffen. Christian Link 61 gab mit seiner zweibändigen schöpfungstheologischen Studie der systematischtheologischen Klärung des oben beschriebenen Phänomens der Erstheit wichtige Impulse dafür, die individualistische Verengung des protestantischen Glaubens zu durchbrechen und kosmologische Fragen mittels einer Theologie der Schöpfung um eines nicht reduktionistischen Glaubens- und Weltverständnisses willen unter den Bedingungen gegenwärtigen Weltwissens erneut und vertiefend zu bedenken. Mit seiner Monographie „Gott: Geist und Natur. Theologische Konsequenzen aus Charles Sanders Peirce´ Religionsphilosophie“ brachte Hermann Deuser als Alternative zu den reduktionistischen empiristischen bzw. historistischen Wirklichkeitsauffassungen das Realitätskonzept kategorialer Semiotik ins Spiel und konnte in zahlreichen Veröffentlichungen zeigen, dass evangelischer Glaube, der sich nicht länger als Privatreligion für das je eigene Seelenheil missverstehen möchte, nicht nur die Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften suchen muss, sondern eben ein metaphysisches Modell braucht, um die Phänomene, von denen der Glaube spricht von solchen Phänomenen angemessen unterscheiden und aufeinander beziehen zu können, von denen die Naturwissenschaften sprechen. Das Ziel dabei ist aber nicht ein schiedlich-friedliches Nebeneinander von Natur- und Geisteswissenschaften, sondern in der notwendigen und unumkehrbaren Ausdifferenzierung des Wissens zur gemeinsamen Erschließung der Welt diskursiv beitragen zu können: „Empirische Theoriebildung und lebensorientierende Sinnzusammenhänge sind weder deckungsgleich noch unabhängig voneinander“. 62 Deuser weist unter Hinweis auf die „begrenzte Reichweite kausaler Erklärungen“ Theologie und Naturwissenschaften unterschiedliche Zuständigkeitsbereiche zu, denn: „die naturwissenschaftlichen, d.h. empirisch und theoretisch verantwortenden Entwicklungserklärungen des Universums sind eine Sache, ein personales Gottesverhältnis im Blick auf die Schöpfung, das ‚Wozu’ des Lebens, die ‚Bewahrung’ der Schöpfung eine andere.“ 63 Der Kreationismus hingegen verwechselt als Folge seines undurchschauten em- 61 C. Link, Schöpfung. Schöpfungstheologie in reformatorischer Tradition; ders., Schöpfung. Schöpfungstheologie angesichts der Herausforderungen des 20. Jahrhunderts. 62 H. Deuser, Religion und Evolution, 282. 63 Ebd., 272. <?page no="254"?> Zweiter Teil 238 piristischen Wirklichkeitsmodells als unmündiges Kind der Aufklärung die Wahrheit der Theologie der Schöpfung mit der Triftigkeit eines empirischen Welterklärungsmodells. Deuser bleibt auch bei dieser klärenden Unterscheidung nicht stehen, sondern sieht gerade im Vergleich der Evolutionstheorie nach Darwin mit der biblischen Schöpfungstheologie im Darwinschen Konzept des Zufalls die Möglichkeit, die „kreative Voraussetzung“ der Schöpfungstheologie wie der Evolutionstheorie ins Auge zu fassen: „Aus dem anti-teleologisch und anti-metaphysisch eingesetzten Zufall wird damit der Modalbegriff der Möglichkeit von Entwicklungen, und ein kosmologisch-ontologischer Begriff der schöpferischen Ermöglichung überhaupt.“ 64 Daraus schließt er: „Dieses - sonst unergründliche - Zusammenwirken von chaotisch-unbestimmtem Nichts der Ermöglichung und tatsächlichem Werden von Leben lässt sich nicht anders erklären, als dass es als Schöpfung verstanden wird.“ 65 Die religiöse Rede von der Schöpfung wird dadurch als unersetzbare Erschließung der „hermeneutische[n] Situation“ des Menschen in der Welt aufgefasst, die ihm Anlass gibt, „den Vorrang der Erfahrungsuniversen nicht nur empirisch zu analysieren, sondern deren Unbedingtheit zu vertrauen und dieses Vertrauensverhältnis auch als solches, wie die Religionen seit Menschengedenken es gelehrt und gelebt haben, zu bearbeiten und auszulegen.“ Genau darin aber sieht Deuser den „Auftrag menschlicher Kultur“. 66 Mit diesen religionsphilosophischen Überlegungen wird die biblische Schöpfungstheologie verstehbar als Erschließung des Kosmos als von Gott gewollte, von ihm intendierte, kreativ ermöglichte und nur in Relation zu ihm zu einem angemessenen Selbstverständnis kommende Schöpfung. Die Welt, alles Leben und auch das je meinige Leben entspringen der Hypothese evangelischer Theologie zufolge nicht einem blinden Zufall, sondern der intentionalen Kreativität des sich liebevoll in Beziehung setzenden Gottes, wie er in der Bibel dargestellt ist. Wer diese Hypothese nicht teilt, kann auch nicht mit den Schriften des Neuen Testaments in ihrem kanonischen Verbund mit den alttestamentlichen Schriften von der Auferweckung Jesu Christi und der Hoffnung auf die Auferweckung der Toten sprechen. In dieser Hypothese begründet liegt aber auch bereits das Verständnis der Sünde als durch die Gottebenbildlichkeit des Menschen ermöglichte Verfehlung seines geschöpflichen Selbstverständnisses mit dramatischen Folgen für sein Gottesverhältnis, gewaltvollen Folgen für sein Verhältnis zu seinen Mitmenschen, sein ausbeuterisches Verhältnis zu seiner nicht menschlichen Mitschöpfung und sein sich selbst verkennendes Selbstunverständnis. Gottes kreatives Schöpfungshandeln ist selbst der Ermöglichungsgrund eigener kreativer Selbstbildung und Gestaltung des geschenkten Lebens. Die den Menschen vor allen anderen Geschöpfen auszeichnende 64 Ebd., 288. 65 H. Deuser, Religion und Evolution, 289. 66 Ebd., 295. <?page no="255"?> Die Rede von der Auferweckung nach den Schriften des Neuen Testaments 239 und ihn in die Mitverantwortung für seine Mitgeschöpfe rufende Gottebenbildlichkeit (vgl. Gen 1,27) besteht in seiner Kreativität, seiner eigenen Befähigung schöpferisch zu wirken und Neues hervorzubringen, eine Befähigung, die ihm maßgeblich durch seine Symbolisierungsfähigkeit qua Zeichenkompetenz gegeben ist. Der Mensch hat die Fähigkeit, sich, die anderen und seine Umwelt als Geschöpf, Mitgeschöpfe und Mitwelt zu erschließen. Darin liegt aber auch die Befähigung zur Ausübung von Macht, von Herrschaft begründet, wovon das dominium terrae in Gen 1,26 und 1,28 handelt. Die Kreativität des Menschen, die ihm seine Gottebenbildlichkeit verleiht, kann der Mensch dazu nutzen, nach der Vorgabe der guten Schöpfung Gottes zu handeln und die eigene Macht dafür einzusetzen. Sie kann - und wird - aber auch dafür genutzt werden, eigene Interessen durchzusetzen, die zu Lasten der anderen Geschöpfe gehen. Die biblische Erklärung von Unrecht und Gewalt besagt, dass alles Übel seine Wurzel darin hat, dass der Mensch nicht in der Solidarität der Geschöpfe lebt und Gott mit dem Singen von Dankpsalmen für die Gabe des Lebens dankt, sondern sich selbst an die Stelle Gottes setzt, so aus der Solidarität aussteigt und seine Mitgeschöpfe seinen selbstherrlichen Zwecken unterwirft. Die Schöpfung ist und bleibt gute Schöpfung Gottes, aber sie wird als solche verstellt durch die zweckorientierte Entfremdung der Geschöpfe mittels ihrer kreativen Macht. Die Schöpfung wird dadurch als gefährliches Außen, als Kampfplatz selbstsüchtiger und widerstreitender Interessen gestaltet, der tagtäglich seine Opfer fordert. Der von Millionen Kindern erlittene Hungertod interessiert die Gewinnmaximierungsstrategien der Börse nicht. Sie kommen in diesem zweckorientierten Denken nicht vor. Die Gestaltung des Politischen sähe anders aus, wenn sich die Menschen als solidarische Geschöpfe verstehen würden, die mit der Gabe wirksamer Kreativität, mit der Kraft gestaltenden Lebens von Gott beschenkt sind. In der kreativen Schöpfung kreativer Wesen liegt aber auch Gottes Mitverantwortung für das Böse in der Welt begründet. Gott schafft schöpferische Wesen, die die Kraft der Kreativität auch zu selbstsüchtigen, destruktiven und unbarmherzigen Zielen einsetzen können. Gott ist mitverantwortlich, und er nimmt seine Verantwortung als gerechter Gott wahr. Er teilt seinen Willen in Form der Tora, der guten Weisung zu einem Leben in der Solidarität der Geschöpfe mit. Er wendet sich durch seine Propheten immer wieder an sein Volk Israel. Die eschatologisch entscheidende Gottestat, mit der er zugleich die Macht der Sünde, also die Verfehlung des geschöpflichen Lebens, durchbricht, ist die Auferweckung des Gekreuzigten. Indem er damit die Macht der Sünde bricht, setzt er sein Recht als Schöpfer durch. Indem diese Auferweckung nicht als singulärer Einzelfall, sondern als Beginn einer Regel dargestellt wird, die die Schöpfung als ganze transformiert und sie als neue Schöpfung ganz von der Gerechtigkeit Gottes bestimmt sein lässt, stellt er <?page no="256"?> Zweiter Teil 240 sein Recht letztgültig und ewig her und beantwortet damit die Frage der Theodizee. Die Auferweckung der Toten ist im Rahmen biblischen Denkens kein mirakulöses Stühlerücken, sie gehört nicht in den Bereich des Paranormalen oder der Esoterik. Das Ereignis der Auferweckung des Gekreuzigten verstanden als Beginn der eschatologischen Auferweckung der Toten beantwortet die Frage der Theodizee damit, dass Gott die Macht der Sünde schon gebrochen hat und sein Recht für alle Ewigkeit letzten Endes universal wieder herstellen wird. Evangelischer Glaube glaubt nicht an die Auferstehung der Toten als eine mirakulöse Tatsache, sondern an die selbst Sünde und Tod überwindende Kraft der Kreativität des Gottes, den die Heiligen Schriften Israels und die Reich Gottes Verkündigung Jesu von Nazareth bekannt gemacht haben. Evangelischer Glaube glaubt nicht an die Faktizität der Wiederbelebung von toten Körpern, sondern an den barmherzigen und gerechten Gott, der die Opfer nicht vergisst und deswegen die Täter zur Rechenschaft ziehen wird. Evangelischer Glaube glaubt an den Gott, der sich durch die Jesus-Christus-Geschichte offenkundig und verständlich auf die Seite der Opfer gestellt hat und um ihretwillen die Frage nach seiner Gerechtigkeit mit der Neuen Schöpfung beantwortet, die nicht von Fleisch und Blut bewohnt werden kann, sondern in neuen herrlichen Leibern betreten werden wird. Das Wort vom Kreuz ist das Evangelium, die Kraft Gottes, die jeden rettet, der sich den auferweckten Gekreuzigten durch den Geist der Jesus-Christus-Geschichte als Zeichen des lebendigen, barmherzigen und gerechten Schöpfergottes vor Augen malen lässt und fortan in der Solidarität mit diesem Opfer menschlicher Gewalt die eigene Täterschaft erkennt, damit Gottes Recht anerkennt und sich zugleich durch die Rechtsprechung Gottes schon jetzt als neue Schöpfung wahrnehmen kann in der Hoffnung, am Jüngsten Tag in die wunderbare Herrlichkeit einzugehen, von denen der Geist der Jesus-Christus-Geschichte schon jetzt Kunde gibt. <?page no="257"?> Dritter Teil Die Rede von der Auferweckung mit den Schriften des Neuen Testaments. Impulse für die schulische und kirchliche Praxis <?page no="259"?> Die Rede von der Auferweckung mit den Schriften des Neuen Testaments 243 Die Ausführungen in diesem dritten und letzten Teil der vorliegenden Untersuchung bieten keine ausgearbeiteten religionspädagogischen bzw. praktisch-theologischen Entwürfe. Vielmehr soll anhand dreier Praxisfelder die Relevanz der in den ersten beiden Teilen ausgearbeiteten evangelischen Rede von der Realität der Auferweckung in und nach den Schriften des Neuen Testaments in ihrem Verbund mit den alttestamentlichen Schriften exemplarisch und fragmentarisch angezeigt werden. Wenn dieser dritte Teil der vorliegenden Untersuchung den Impuls geben könnte, sich in der Praktischen Theologie und Religionspädagogik wie auch in jeder konkreten theologischen Praxis in Kirche, Schule, Universität und Gesellschaft intensiver mit der Theologie der Auferweckung auseinanderzusetzen und in die evangelische Praxis einzubringen, hätte er seinen Zweck erfüllt. Was kann eine evangelische Trauerrede sagen, um begründet zu trösten, und wodurch wird sie als evangelische Trauerrede erkennbar? Wie kann mit den biblischen Schriften im schulischen Religionsunterricht so von Auferweckung geredet werden, dass Schülerinnen und Schülern nicht ein für ihr Alltagsleben irrelevanter dogmatischer Sachverhalt begegnet, sondern eine für die gesamte Ausbildung ihrer Identität notwendig zu bedenkende Grundfrage menschlichen Lebens? Und schließlich: Was ist für den Vollzug des Abendmahls zu bedenken, damit es nicht lediglich als abständiges Ritual einer aussterbenden Gottesdienstform mitgeschleppt, sondern würdig und froh gefeiert wird, weil es zur Vergewisserung der Gemeinschaft der Glaubenden mit ihrem Herrn beiträgt und deshalb auch das je eigene Leben stärkt? 1. Ausruhen in der Geborgenheit Gottes: Die evangelische Rede von Tod und Auferweckung im Trauergottesdienst Der Tod macht stumm und starr. Er ist ein Bruch, der das empirisch wahrnehmbare Leben gänzlich beendet. Der Tod raubt dem Leib jede Handlungsmöglichkeit. Aus dem lebendigen empfindsamen Leib macht er einen starren gefühllosen Leichnam, der nichts mehr von sich aus zu tun vermag. Er zieht eine Grenze, die weder von den Lebenden noch von den Toten überwunden werden kann. Aber auch der Leichnam, der nichts mehr kann, der ausgedient hat, der nutzlos geworden ist und verwest oder eingeäschert wird, bleibt Gottes Schöpfung und ruht deshalb in Gottes Hand. Die Bestattung erhält schon von daher ihre Würde und ihren Sinn. „Asche zu Asche, Staub zu Staub“. Damit danken Christinnen und Christen für das Geschenk des belebten Leibes und rufen in Erinnerung, dass der Leib kein Besitz ist, über den autokratisch verfügt werden könnte. Der Leib ist ein Geschenk Gottes auf Zeit, <?page no="260"?> Dritter Teil 244 belebte Materie, die nach dem Aushauchen des Lebensatems wieder dem Kontinuum der Materie zurückgegeben wird. Der Leichnam ruht in der Hand Gottes. Auch die Toten gehören zu seinem unbegrenzten Herrschaftsbereich. Er ruht in Gottes Hand auch wenn ihm Organe entnommen werden, die anderen ein irdisches Weiterleben ermöglichen. Er ruht in der Hand Gottes auch als eingeäscherter oder gar von Bomben zerfetzter und auch als verschollener Leichnam. Es gibt keinen Zustand der Materie und es gibt keinen Ort, der nicht zum Herrschaftsbereich Gottes zählt. Nichts kann sich dem allmächtigen Schöpfer und dem Kontinuum seiner Schöpfung entziehen. Es gibt kein außerhalb der Schöpfung Gottes. Der Tod ist eine unüberwindbare Grenze für die geschöpfliche Existenz, aber nicht für Gott. Deswegen gibt es aus evangelischer Perspektive keine Anthropologie der Auferstehung, ja nicht einmal die Vorstellung einer Seele, die weiterlebt. Nichts, aber auch gar nichts am Geschöpf vermag dem Tod stand zu halten. Der Mensch hat nichts, was er zu seiner Auferweckung beitragen könnte. Er ist radikal auf die Kraft des Schöpfers angewiesen. Die Seele, die weiterlebt, ist eine Vorstellung griechischer Mythologie und Philosophie. Sie findet sich nicht in der Bibel. 1 Die Idee der unsterblichen Seele verharmlost die Realität des Todes und verstellt die radikale Angewiesenheit der Geschöpfe auf den Schöpfer. Von den Geschöpfen her gedacht ist in evangelischer Perspektive eine Kontinuität zwischen der lebendigen Existenz und einem Leben nach dem Tod eine selbstherrliche Konstruktion. Der Tod schafft vielmehr eine von der geschöpflichen Existenz nicht zu überwindende Differenz. Es gibt in evangelischer Perspektive deshalb keine Anthropologie, sondern ausschließlich eine Theologie der Auferweckung. Evangelische Christinnen und Christen vertrauen ausschließlich auf die Verheißung Gottes und mit Paulus darauf, dass Gott das, was er verheißen hat, auch tun kann (vgl. Röm 4,21). Damit steht und fällt die evangelische Hoffnung auf das ewige Leben in der Gemeinschaft der Auferweckten mit Gott und seinem Sohn. Der Mensch vermag demzufolge nichts zu seiner Auferweckung beizutragen. Er kann nur auferstehen, wenn Gott ihn auferweckt und ihm einen neuen Leib schafft, der nicht mehr den Existenzbedingungen der ersten Schöpfung unterworfen ist. Die Kontinuität zwischen der ersten und der zweiten Schöpfung liegt allein im Gedenken und in der Kreativität Gottes begründet. Gott behält alle in seinem ewigen Gedächtnis. Kein Toter wird in seiner Individualität von Gott vergessen. Gottes Gedächtnis ist kein Massengrab. Nicht nur die Leichname ruhen im Herrschaftsbereich des allmächtigen Schöpfers, sondern die ganze irdische Existenz jedes Einzelnen wird bewahrt in Gottes Gedächtnis. Nichts geht verloren bis zum Jüngsten Tag, 1 Dies hat mit wünschenswerter Klarheit dargestellt O. Cullmann, Unsterblichkeit der Seele oder Auferstehung der Toten? <?page no="261"?> Die Rede von der Auferweckung mit den Schriften des Neuen Testaments 245 dem Gerichtstag, an dem Gott und sein Sohn die Toten auferwecken werden, indem sie aus dem Gedächtnis Gottes heraus neu geschaffen werden. Der neue Leib wird nicht nur ein beseelter Leib, sondern ganz und gar der Kraft des Heiligen Geistes zu verdanken sein, des Geistes Gottes, der die Auferweckung des Gekreuzigten bereits bewirkt hat und ihm einen neuen Geistleib gegeben hat. Dieser neue Geistleib ist aber nicht spiritualistisch vorzustellen, so dass der Begriff des Geistes die Leibhaftigkeit aushöhlte. Der neue Leib wird auch als Geistleib eben Leib sein. Auch die zweite Schöpfung wird leibliche Schöpfung sein, denn die Leiblichkeit ist und bleibt die Signatur der Schöpfung Gottes. Diese Signatur unterscheidet sie vom Schöpfer. Die Differenz zwischen Schöpfer und Geschöpf bleibt auch in der zweiten Schöpfung gewahrt, aber diese ewige Differenz verhindert nicht die qualitativ größere Nähe zwischen dem Schöpfer und seinen neuen Geschöpfen. Sind schon die Menschen der ersten Schöpfung Gott ebenbildlich, so ermöglicht der neue Leib das ewige Wohnen mit und bei Gott und seinem Sohn. In Aufnahme biblischer Bildersprache kann man sich diesen neuen Leib als Lichtleib vorstellen, wenn man sich darüber im Klaren bleibt, dass das keine empirische Aussage ist, sondern der Versuch über etwas zu sprechen, das sich aller Erfahrung entzieht. Die Auferweckung der Toten ist kein Selbstzweck. Sie dient der Theodizee, dem endgültigen Erweis der Gerechtigkeit Gottes, und der Kontinuität seines Schöpferseins. Sie ist Auferweckung zum letzten Gericht, das die Sünde der ersten Schöpfung verarbeitet, damit sie keinen Einzug halten kann in die neue Schöpfung. Sünde ist dabei verstanden als Verfehlung des guten geschöpflichen Lebens in der dankbaren Beziehung zu Gott und in der solidarischen Gemeinschaft mit den Mitgeschöpfen. Das letzte Gericht ist der Ort, an dem alles Unrecht, jedes Verbrechen, jeder Schmerz um der Opfer willen zur Sprache kommt. Gott vergisst nichts und niemanden. Gott wird Recht sprechen über alle Geschöpfe, Mächte und Gewalten. Die Opfer menschlicher Gewalt werden ebenso zu ihrem Recht kommen wie die Opfer von Naturkatastrophen, Unfällen oder Krankheiten, weil Gott ihnen Recht geben wird. Und die Täter werden benannt und gerichtet - und zwar von Gott und seinem Sohn. Evangelische Christen vertrauen angesichts der Einsicht in ihre eigenen Verfehlungen des Lebens der solidarischen Gemeinschaft der Geschöpfe Gottes darauf, dass Gott ihnen ihre durch den Geist der Jesus- Christus-Geschichte ermöglichte Solidarität mit dem Gekreuzigten, dem Opfer individueller und struktureller Gewalt, als Gerechtigkeit anrechnet und sie deshalb begnadigt werden. Das ewige Leben in der Gemeinschaft mit Gott und seinem Sohn hat niemand verdient, es kann nur aufgrund der barmherzigen Gnade und Güte Gottes dankbar empfangen werden. Evangelische Christinnen und Christen hoffen angesichts der stumm machenden Erfahrung des Todes, dass nicht die Totenstarre das letzte Wort haben wird, denn dann blieben die Opfer aller Zeiten vergessen und die Taten der Täter ungesühnt. Damit wäre Gott aber ein ungerechter Gott. <?page no="262"?> Dritter Teil 246 Evangelische Christinnen und Christen glauben an den barmherzigen und gerechten Gott, den Allmächtigen, von dem die Bibel erzählt und der sich dem Geist der Jesus-Christus-Geschichte zufolge mit dem Gottesbild dieser Geschichte identifiziert hat. Die Trauerfeier gehört zu den komplexesten seelsorglichen und theologischen Aufgaben der Pfarrerinnen und Pfarrer. Gerade das biblische Verständnis des Todes, das um die Radikalität des Todes weiß und daran nichts beschönigt, vermag den oft unsäglichen Kummer zu verstehen, den der Tod bei den Hinterbliebenen erzeugt. Der Leichnam ist seiner Fähigkeit beraubt in lebendiger Beziehung zu den Lebenden zu stehen. Auch der Tod von alten und lebenssatten Menschen macht traurig, denn sie können nun nicht mehr am Leben aktiv teilnehmen. Die Toten brechen aus dem Beziehungsgefüge der Lebenden aus. Der Tod ist ein Bruch, den die Hinterbliebenen schmerzhaft zu spüren bekommen. Eine Bestattung wird dann zur evangelischen Trauerfeier, wenn mit der Bibel nicht nur die Radikalität des Todes und der Schmerz der Hinterbliebenen zur Sprache kommen, sondern - wie gebrochen auch immer und den Bedürfnissen der Trauernden angemessen formuliert und vorgetragen - die Verheißung der Auferweckung der Toten von der Pfarrerin bzw. vom Pfarrer froh und gewiss verkündet wird, weil sie durch die Realität der Auferweckung des Gekreuzigten begründet ist. Auch eine Trauerfeier wird zum evangelischen Gottesdienst erst durch die Verkündigung des Evangeliums von der Auferweckung des Gekreuzigten. Noch schwieriger ist es, angesichts der Trauernden vom letzten Gericht zu sprechen, das allen, eben auch diesem Toten bevorsteht. Die Rede vom letzten Gericht in einer Trauerfeier wird ihre tröstende Kraft entfalten können, wenn der positive Sinn des Gerichts zur Sprache kommt. Alles das, was das gute geschöpfliche Leben beeinträchtigt, vielleicht sogar verhindert oder zerstört hat, wird zur Sprache kommen. Auch das, was die Hinterbliebenen dem Verstorbenen schuldig geblieben sind, wird dort seinen Ort haben. Nichts bleibt für immer unverarbeitet, weil Gott es mit seinem Gericht richten wird. Das das Recht endgültig herstellende letzte Gericht bildet das letzte Kapitel der ersten Schöpfung und öffnet zugleich die Tür zum ewigen Leben in der durch die unmittelbare Gemeinschaft mit Gott und Jesus Christus geprägten neuen Schöpfung. Die Agende für die Union Evangelischer Kirchen in der EKD aus dem Jahr 2004 wird dieser Komplexität grundsätzlich gerecht, wenn sie erklärt: „Die kirchliche Bestattung ist eine gottesdienstliche Handlung, bei der die Gemeinde ihre verstorbenen Glieder zur letzten Ruhe geleitet, sie der Gnade Gottes befiehlt und bezeugt, dass Gottes Macht größer ist als der Tod. In der Auseinandersetzung mit Tod und Trauer bedenkt die Gemeinde Leben und Sterben im Lichte des Evangeliums und verkündigt die Auferstehung der Toten. Die Gemeinde begleitet die Sterbenden und trauert mit den Hinter- <?page no="263"?> Die Rede von der Auferweckung mit den Schriften des Neuen Testaments 247 bliebenen. Sie tröstet sie mit Gottes Wort und begleitet sie mit Seelsorge und Fürbitte.“ 2 Insbesondere der seelsorglichen Aufgabe leistet die Agende in ihrem mit Blick auf typische Trauersituationen ausdifferenzierten liturgischen Angebot an Abläufen und Texten wertvolle Dienste. Ihre Stärke liegt in der sensiblen Artikulation der Trauer. Die Phasen des Trauerns, die Yorick Spiegel 3 herausgearbeitet hat, werden ebenso bedacht, wie die Notwendigkeit, je nach Alter des Verstorbenen und je nach den Umständen des Todes behutsame Töne anzuschlagen, was einigen Texten auf poetische Weise beeindruckend gelingt. Bei aller Güte dieser Agende fällt aber auf, dass das Schwergewicht der Texte auf der Artikulation des Leides, der Trauer, des Schmerzes, der Irritation, der offenen Fragen, der Klage liegt. Die frohe Hoffnung auf die zukünftige Auferstehung der Toten und die befreiende Klärung allen Unrechts durch das letzte Gericht kommen so gut wie gar nicht in den neuen Texten dieser Agende vor. Sie bleibt überwiegend Bestandteil der geprägten liturgischen Traditionen. Diese Beobachtung soll die Wertschätzung der Agende nicht schmälern, aber gerade angesichts ihrer theologischen und seelsorglichen Qualitäten kann sie als ein Anzeichen dafür gelesen werden, dass die Auferstehungshoffnung kaum einen tief empfundenen und deshalb gelebten Kern christlichen Glaubens in der Gegenwart darstellt. Noch seltener findet sich die Rede vom eschatologischen Gericht. Hat sich protestantische Theologie von der eschatologischen Hoffnung verabschiedet? Wenn die Trauerfeier nur noch eine Leichenrede ist und sich der Gottesbezug allein in der Klage erschöpft, dann handelt es sich nicht um eine evangelische Trauerfeier. Sicher, es gibt Situationen, in der jede frohe eschatologische Hoffnung angesichts des unsäglichen Ereignisses des Todes etwa eines Kindes, eines in der Blüte seiner Lebenskraft stehenden Mordopfers oder der zahllosen Opfer von Naturkatastrophen zu ersticken droht und deshalb als unartikulierbar erscheint. Aber heutigen Christinnen und Christen scheint die Rede vom deus absconditus, vom verborgenen Gott, schneller von den Lippen zu gehen, als die vom allmächtigen, kreativen und gerechten Gott. Ist „Gott“ im Zuge der Anthropologisierung der Theologie zu einer kraftlosen Metapher geworden, ein ohnmächtiger Gott, dem Neue Schöpfung nicht mehr zugetraut wird? Wer mit der Bibel theologisch reden möchte - und genau das ist das Erkennungszeichen evangelischer Theologie - wird auch in schwierigsten Situationen die frohe Nachricht artikulieren, nämlich das Evangelium von der allmächtigen Barmherzigkeit des Schöpfers, der auch den Tod endgültig überwunden hat und neues, ewiges Leben in nie zuvor gekannter Nähe mit Gott und seinem Sohn in Aussicht gestellt hat. Genau das ist die Aufgabe 2 Bestattung. Agende für die Union Evangelischer Kirchen in der EKD 5, 19. 3 Y. Spiegel, Der Prozeß des Trauerns. <?page no="264"?> Dritter Teil 248 evangelisch theologischer Rede in allen Situationen. Die Pfarrerin bzw. der Pfarrer hat nicht nur mitfühlend mit den Trauernden und einfühlsam in die je individuelle, unverwechselbare Situation zu sein. Sie bzw. er kann unter Wahrung seiner Distanz zum Trauerfall etwas sagen, was die Trauernden sich nicht selbst sagen können. Sie bzw. er soll den unsagbaren Schmerz artikulieren und damit zu verarbeiten helfen. Die unverwechselbare evangelische Aufgabe aber besteht in der auf die jeweilige Situation eingestellten Artikulation des wirkmächtigen Trostes des Evangeliums von der Überwindung des Unrechts und des Todes, wie sie der Geist der Jesus-Christus- Geschichte zu verstehen gibt. Wer von der Verheißung der Auferweckung der Toten sprechen möchte, braucht poetische Sprache. Die Bibel gibt mit ihren zahlreichen Metaphern wie die von der Auferweckung selbst, oder die von der Neuschöpfung, vom neuen Himmel und der neuen Erde usw. zahlreiche Denkbilder, die gerade in ihrer Vielzahl davor bewahren, sie als quasiempirische Daten zu behandeln. Wer meint, dass diese geprägten Sprachbilder die Menschen, mit denen er oder sie es zu tun hat, nicht mehr erreichen, kann durchaus neue Bilder (er)finden, aber sie müssen in ihrer Aussage und Assoziationsweite abgeglichen sein mit der Sprache der Bibel. Die biblischen Metaphern sind kein Selbstzweck, aber nicht jedes neue Bild, nicht jede zeitgemäße Metapher vermag das Evangelium angemessen weiterzusagen. Wer vom Weiterleben der Seele spricht, steht im kontradiktorischen Widerspruch zur biblischen Theologie. Wer von Reinkarnation spricht, hat den Bereich des christlichen Hoffens und Denkens verlassen. Wer auf keine Weise vom ewigen Leben sprechen kann, das Gott neu schaffen wird, sollte nicht in evangelischen Gottesdiensten predigen. Wer mit der Aufgabe betraut ist, eine evangelische Trauerrede zu halten, sollte sich über seine eigene Hoffnung klar werden, Mut und Muße finden, sich selbst im Geiste der Jesus-Christus-Geschichte Bilder vom ewigen Leben im Reich Gottes zu malen, die für die eigene Existenz tragfähig sind. Wer solche Bilder für sich selbst findet, wird sie einfühlsam und behutsam auch vor die weinenden Augen der Trauernden malen können und die Farben den Umständen gemäß auswählen. Eine Rede mit der Bibel im Trauergottesdienst könnte folgendes mit begründeter Hoffnung sagen: Die Toten ruhen in der Hand Gottes. Er behält jeden Einzelnen, allen und alles in seinem Gedächtnis. Gott vergisst niemanden bis hin zu dem Tag, an dem er sie auferwecken wird und mit seinem Sohn alles zur Sprache bringen wird, was geschehen ist. Der barmherzige und gerechte Gott spricht Recht und es wird Recht sein. Er wischt die Tränen ab und macht einen neuen Himmel und eine neue Erde. Gnädig schafft er neue, geistgewirkte Leiber, die bereitet sind für das ewige Leben in der liebevollen Gemeinschaft der Geschöpfe mit ihrem Gott und seinem Sohn. Und der Tod wird nicht mehr sein. Und Unrecht wird nicht mehr sein. Und Schmerz wird nicht mehr sein. Wohlsein, Freude, Recht, Friede, Liebe sind die Signaturen der neuen Schöpfung. Klagelieder wird man nicht mehr <?page no="265"?> Die Rede von der Auferweckung mit den Schriften des Neuen Testaments 249 singen. Himmlische Musik preist Gottes Güte und seine Kreativität. Leben. Unverstelltes Leben. Ewiges Leben! 2. Auferweckung als Thema des schulischen Religionsunterrichts In seinem inhaltsreichen Aufsatz „Sterben, Tod und Auferstehung als Themen für Kinder und Jugendliche“ fordert Werner Thiede zu Recht mehr Aufmerksamkeit der Religionspädagogik und der schulischen Praxis für den Themenzusammenhang ein, den der Titel seines Aufsatzes herstellt. Thiede zeigt, dass mit dem Spracherwerb Kindern nicht nur die empirische Erfahrung des Todes begegnet, sondern sie mit der Ausbildung ihrer kognitiven Fähigkeiten, wie sie etwa Piaget beschreibt, darum bemüht sind, auf die Frage des Todes sinnvolle Antworten zu finden. Bereits Grundschüler „verlangen nach möglichst sinnvoller Antwort auf die Frage nach den ‚letzten Dingen‘, nachdem sie der Endlichkeit des Lebens und der Welt als ganzer gewahr geworden sind.“ 4 Dieses Bedürfnis zieht sich durch die ganze Kindheit und setzt sich bis ins Jugendalter - und darüber hinaus - fort, weil so die Frage nach der eigenen Identität als Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen des eigenen Lebens zur Sprache kommt. Damit ist die aus dem Leben selbst erwachsene „Sinnfrage angesprochen, die sich aus dem Sterblichkeitswissen ergibt und sich auf alle Ebenen menschlichen Handelns und Denkens auswirkt“. 5 Thiede stellt auch die Bedeutung dieses Fragenkomplexes für den Umgang mit sterbenden Kindern und mit Suizid gefährdeten Kindern und Jugendlichen heraus. Ihm zufolge gibt es sogar einen Zusammenhang zwischen der Abnahme der Auferweckungshoffnung und der Zunahme des Suizids bei Kindern und Jugendlichen. Auch wenn sich der zuletzt angesprochene Zusammenhang durch empirische Untersuchungen nur schwer nachweisen lassen wird, so stellt allein die entwicklungs- und sozialpsychologische Tatsache der zunehmenden Suizidphantasien bei Kindern und Jugendlichen unserer Zeit vor die Aufgabe, religionspädagogisch zu klären, wie das Bedenken biblischer Rede von der Auferweckung der Toten Kinder und Jugendliche auf ihrem Weg der Ausbildung ihres eigenen Selbst- und Weltverständnisses fördern kann. Demgegenüber mutet es seltsam an, wie wenig zum Thema der Auferweckung der Toten in Schulbüchern zu finden ist. Man kann angesichts der fundamentalen Bedeutung der Auferweckungstheologie für die Evangelische und katholische Religionslehre die Verärgerung von Hubertus Halbfas darüber nachvollziehen, wenn er schreibt: „Man überprüfe beispielsweise alle erreichbaren Religionsbücher in ihren Kapiteln über Auferstehung und 4 W. Thiede, Sterben, Tod und Auferstehung, 215. 5 H. Löbsack, Das Todesbewusstsein des Kindes. Eine heilpädagogische Studie, Gießen 1982, zit. nach W. Thiede, Sterben, Tod und Auferstehung 221. <?page no="266"?> Dritter Teil 250 Himmelfahrt Christi: Da gibt es ein schönes Osterbild (aber was heißt ‚schön‘? , welche didaktische Relevanz hat ein einzelnes Bild aus dem Hochmittelalter? ), Texte aus den Evangelien und dem Korintherbrief, einen liturgischen Hymnus und ein paar Nutzanwendungen, weshalb die so dargestellte Auferstehung die Christenheit erfreue und mit Hoffnung erfülle, aber das Wort Auferstehung findet seinerseits keine Erörterung, auch nicht das Motiv der ‚drei Tage‘, die Unterscheidung von Leib und Körper, der Begriff ‚Verklärung‘, die Differenz zwischen Auferstehungs- und Erscheinungsgeschichten, die Relevanz des ‚leeren Grabes‘. Einen solchen Ausfall kann man nur Informationsverweigerung nennen, und an diesem Defizit krankt die Gesellschaft insgesamt.“ Sicherlich reicht die Forderung von Halbfas nach mehr „Sachhaltigkeit“ 6 im Religionsunterricht, wie auch in der Gesellschaft kaum aus, um das Problem der angemessenen Darstellung und lebensfördernden Reflexion der biblischen Rede von der Auferweckung Jesu Christi und der Auferweckung der Toten umfassend zu lösen, denn das religionspädagogische Konzept von Halbfas gerät zu sehr in die Gefahr, den universitären Unterricht zu kopieren, zu einseitig auf Wissensvermittlung zu setzen und nicht hinreichend die Schülerinnen und Schüler als Ganze in ihren jeweiligen emotionalen und sozialen Realitäten im Blick zu haben. Dennoch muss mit Halbfas eben auch die Informationspflicht des Religionsunterrichts eingeklagt werden, wenn z.B. in einem Lehrbuch für den schulischen Religionsunterricht auf das Thema Auferstehung lediglich zwei Seiten abfallen, die dann nur Bilder bringen, ohne sachhaltig in das schwierige Thema einzuführen. Die zu den Bildern an sich sinnvoll formulierten Arbeitsaufträge 7 bürden den Schülern allein das Bedenken der Auferweckungstheologie auf, weil ihnen keine inhaltlichen Denkangebote vorgelegt werden. Sie sollen selbst wissen, was es mit „Karfreitag“ und mit „Ostern“ auf sich hat. So sehr der Ansatz des Schulbuchs „Mitten im Leben“ zu begrüßen ist, die emotionalen und kreativen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler als Zugang zu Religion zu nutzen, also Phänomene der Kategorie der Erstheit aufzugreifen und auszubilden, so sehr verblüfft die theologische Sprachlosigkeit dieser zwei Seiten zum Thema „Tod und Auferstehung“. Die Schüler werden durch die fehlenden sachhaltigen Denkanstöße mit den Problemen der Auferweckungstheologie allein gelassen und dadurch über- 6 H. Halbfas, Nach vorne gedacht, 25. 7 L. Getta u.a., Mitten ins Leben, 78f. Ich zitiere den Text des Kapitels „Jesu Tod und Auferstehung“ vollständig: „1. Nehmt euch für jedes Bild Zeit und betrachtet es in Ruhe. Vervollständigt die Sätze: Ich sehe … Ich fühle … Ich frage mich … 2. Traurig, entsetzt und voller Angst sind die Jünger und Freunde Jesu am Karfreitag! Platzen vor Freude und Glück könnten sie an Ostern! Alfred Manessier hat versucht, das zu malen. Sammle Wörter, die die Stimmungen der beiden Bilder gut beschreiben. Finde Titel für die Bilder. Du kannst auch mit Instrumenten Musik dazu machen. 3. Gestalte zu jedem Bild eine Seite für dein Portfolio. Verwende ähnliche Farben wie Manessier. Schreibe oder klebe hinein, was dazu gehört - aus der Sicht der Freunde Jesu, aus der Sicht von Menschen, die heute leben.“ <?page no="267"?> Die Rede von der Auferweckung mit den Schriften des Neuen Testaments 251 fordert. Das kann aber kaum an der mangelnden didaktischen Kompetenz der Herausgeber und der Autoren dieses Religionsbuchs festgemacht und deshalb als individuelles Versagen abgetan werden. Vielmehr ist die hier offen zutage tretende Sprachlosigkeit mit Blick auf den Ereigniszusammenhang von Kreuz und Auferweckung ein immer weiter um sich greifendes theologisches Problem - und zwar keines der Schülerinnen und Schüler, wie der oben zitierte Aufsatz von Thiede zeigt, sondern eines der gegenwärtigen evangelischen Theologie in Kirche, Schule, Gesellschaft und Universität. „Das Kreuz als solches ist und macht stumm“ 8 schreibt Ingolf Dalferth und es hat den Anschein, als hätte sich in der universitären, schulischen, kirchlichen Praxis und erst Recht in der Gesellschaft das stumm machende Kreuz und nicht das Neues Leben ermöglichende Wort vom Kreuz durchgesetzt. Soll das Thema der Auferweckung Jesu Christi oder das der Auferweckung der Toten im schulischen evangelischen Religionsunterricht angemessen dargestellt werden, so müssen diese beiden Themen immer in ihrem biblischen Bezug und unter Berücksichtigung der drei Kategorien bearbeitet werden, die die Realität als Zeichenprozess erschließen. Mit Thiede kann die Faktizität des Todes als sperriges, die eigene Ganzheit in Frage stellendes und die eigene Identität begrenzendes Phänomen der Kategorie der Zweitheit als Grundlagenproblem menschlicher Existenz verstanden werden, auf das die biblische Rede von der Auferweckung eine Antwort gibt. Wohl gemerkt: eine Antwort neben anderen. Der schulische Religionsunterricht hat auch über andere Lösungen zu informieren, wie etwa Reinkarnation, esoterische Vorstellungen oder die altägyptischen Totenbücher. Evangelischer Religionsunterricht wird sein theologisches Profil schärfen, wenn der biblischen Rede von der Auferweckung und ihrer Wirkkraft im zeitgenössischen evangelischen Glauben und Denken mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Dabei sollte zunächst auf der Ebene der Zweitheit, also als empirisch beschreibbares Phänomen der evangelische Glaube gegenwärtig lebender Menschen zur Sprache kommen, der sie im Ostergottesdienst mit einem unmittelbaren Wahrheitsgefühl auf die Verkündigung der Auferweckung Jesu antworten lässt: „Er ist wahrhaftig auferstanden.“ Was bringt Menschen heute dazu, diesen Satz mit existentieller Betroffenheit zu sprechen und ihn als relevant für ihr eigenes Leben zu erfahren? Was lässt Menschen die Gegenwart des auferweckten Gekreuzigten heute spüren, wenn sie das Abendmahl feiern. Der Komplexität der biblischen Rede von der Auferweckung nähert man sich an, wenn gegenwärtige Ostererfahrungen gerade in ihrer Fragmentarität, Emotionalität und vorkritischen existentiellen Relevanz in den Blick geraten. Weder die historischen Fragen nach dem Grab noch die nach der Beschaffenheit der Visionen noch die komplexen Fragen der Darstellung der Auferweckungstheologie in den biblischen Schriften und wohl die wenigsten von allen dogmatische Lehrformeln eignen sich für 8 I.U. Dalferth, Der auferweckte Gekreuzigte, 44. <?page no="268"?> Dritter Teil 252 den Einstieg in das Thema. Menschen sind auch heute noch vom Wirken und von der Ansprechbarkeit des auferweckten Gekreuzigten überzeugt. Diese Tatsache zeigt die Überzeugungskraft biblischer Rede von der Auferweckung auch unter den Bedingungen pluraler Wissensgesellschaften. Warum können Menschen heute noch so glauben? Das wäre eine interessante, offene und ideologisch unvoreingenommene Einstiegsfrage in das Thema der Auferweckung Jesu Christi bzw. der Toten. Zudem könnten Schülerinnen und Schüler, die christlichem Glauben eher ablehnend gegenüberstehen, zumindest den Respekt vor dem Wahrheitsgefühl anderer lernen, und genau das ist ein unverzichtbares Lernziel der gesamten schulischen und außerschulischen Bildung in pluralen Gesellschaften, die nicht mehr nur einer religiösen Tradition und nicht mehr nur einem Welterklärungsmodell verpflichtet sind. Die gegenwärtigen Erfahrungen evangelischer Christen der Lebendigkeit des auferweckten Gekreuzigten führen unweigerlich auf das biblische Zeugnis als maßgebliche Quelle ihrer Glaubenstradition. Hier kann man nun die Komplexität der biblischen Rede von der Auferweckung Jesu Christi und der Auferweckung der Toten anhand gut gewählter Beispiele ins Gespräch bringen, um sie mit den bereits behandelten Glaubensaussagen gegenwärtiger Christen zu vergleichen. Man kann z.B. Passagen des Römerbriefes mit entsprechenden des Kolosserbriefes kontrastieren, oder - sicherlich noch einfacher - die Darstellung des leeren Grabes im Markusevangelium mit der des Lukasevangeliums vergleichen. Gerade weil sich hier nicht harmonisieren lässt wird ein realistischer Zugang zur Bibel eröffnet, der ihre Schriften nicht als quasiempirische Berichte missversteht, sondern als metaphorische Rede von letzten Fragen der eigenen Existenz und ihrer Bedeutung im Zusammenhang des Ganzen der erfahrbaren und wünschbaren Welten. Wenn Schülerinnen und Schüler dabei den Hauch einer Ahnung davon gewinnen, dass sich über diese alles entscheidenden Grundfragen gar nicht anders als metaphorisch reden lässt, dann hat der Religionsunterricht sein Ziel erreicht, Schülerinnen und Schüler religiös zu bilden. Die religiöse Ausbildung ist eine lebenslange Aufgabe, die dann in das Leben integriert wird, wenn ihre Relevanz für das Ganze emotional erschlossen und mit der je eigenen Sprach- und Denkfähigkeit formulierbar wird. Die biblische Rede von der Auferweckung ist aber nicht isoliert darzustellen, so als wäre die Auferstehung ein Satz, den man für wahr halten müsse. Vielmehr kommt es darauf an, bei allen biblischen Themen ihre Verknüpfung mit der biblischen Gesamtsicht auf Gott, Mensch und Welt zumindest ansatzweise immer wieder ins Gespräch zu bringen, damit die Plausibilitätsstrukturen der biblischen großen Geschichte sich dauerhaft einprägen. Auferweckung kann als evangelische Religionslehre nicht ohne das Einspielen von Schöpfungstheologie, Hamartologie, Soteriologie und Theodizeefrage sachgemäß dargestellt und reflektiert werden. Dies gilt völlig unabhängig von der existentiellen Zustimmungsfähigkeit der Lehrer und Schüler dazu. <?page no="269"?> Die Rede von der Auferweckung mit den Schriften des Neuen Testaments 253 Evangelische Religionslehre ist kein esoterischer Religionsmix, sondern eine durch die Auslegung der Schrift orientierte und normierte Deutung von Gott, Mensch und Welt, die in ihrer ideologischen Struktur erforschbar, lehrbar, lernbar und kritisierbar ist. Das Wissen darüber ist in Tests, Klassenarbeiten, Hausaufgaben, Referaten etc. abfragbar. Dieses kritische und reproduzierbare Wissen darf allerdings nicht mit Glauben verwechselt werden. Evangelischer Glaube ist dieses Religionswissen erst dann, wenn die emotionale, vorkritische Zustimmung auf noch so fragmentarische und vielleicht auch undurchschaute Weise erfolgt, so dass das evangelische Wissen zur Gewissheit um die eigene Geborgenheit in der Hand des Gottes wird, den Jesus Christus verkündet hat und der ihn von den Toten auferweckt hat. Der schulische Religionsunterricht wäre aber in seiner Aufgabe überfordert und missverstanden, wenn er Glauben wecken sollte. Es wäre aber viel gewonnen, wenn der schulische Religionsunterricht solche - nicht selten informationsbedingte - Hindernisse aus dem Weg räumte, die heranwachsenden Menschen den Weg zu ihrer eigenen religiösen Sensibilität versperren. Der schulische Religionsunterricht soll zu einem kritischen Wissen über die je eigene Religion führen und kreativ in das Phänomen von Religiosität überhaupt einführen und die Schülerinnen und Schüler dazu befähigen, ihre eigene Religiosität emotional und kritisch auszubilden und zwar ihr Leben lang. 3. Das Abendmahl als Gabe des auferweckten Gekreuzigten Das Leben mit und in der großen Geschichte, die die Bibel erzählt, ist heute auch in vielen evangelischen Gemeinden keine Selbstverständlichkeit mehr. Das betrifft nicht nur die Kenntnis biblischer Erzählungen und das Wissen um die Anlässe kirchlicher Feiertage. Gerade auch das rituelle Wissen lässt schon deshalb erheblich nach, weil die sonntägliche Feier des Gottesdienstes eher die Ausnahme als die Regel für die Mehrzahl der Kirchenmitglieder darstellt. Aber auch bei vielen treuen Gottesdienstbesucherinnen und -besuchern und bei nicht wenigen Pfarrerinnen und Pfarrern wächst eine emotionale und kognitive Distanz zur christlichen Tradition und eben auch zur Feier des Abendmahls. Die Zusammenlegung von Gemeinden, der Verkauf von Kirchengebäuden, die Schließung kirchlicher Kindergärten, der Abbau von Stellen werden im Gemeindealltag kaum als Chance eines neuen Aufbruchs erlebt, sondern als überdeutliche Anzeichen des Niedergangs christlicher Kirchen. Nicht wenige Gemeinden und ganze Kirchenkreise sind mit den bürokratischen, organisatorischen und auch menschlichen Konflikten dieser Umstrukturie- <?page no="270"?> Dritter Teil 254 rungsprozesse so sehr beschäftigt, dass sie kaum noch zur theologischen Reflexion der eigenen Erfahrungen kommen. Die erlebte Gemeindewirklichkeit macht vielen kaum noch Mut, sich mit einer so schockierenden und komplexen Angelegenheit wie der theologia crucis auseinanderzusetzen. Im Gegenteil: die Frustration vieler engagierter Gemeindeglieder und auch vieler Pfarrerinnen und Pfarrer führt nicht selten zu der Einschätzung, dass zentrale Inhalte des christlichen Glaubens selbst unzeitgemäß seien. Die düstere Kreuzesbotschaft, das überholte Sündenverständnis, die depressive Abendmahlsliturgie, all das sei Schuld an der mangelnden Attraktivität christlicher Botschaft inmitten der angesagten Events der attraktiveren Gegenwartskultur. Man vermeidet daher die Rede vom Kreuz, von der Sünde, vom Zorn Gottes, von der Macht Gottes, vom Gericht Gottes und spricht lieber in zeitgemäßen Allgemeinplätzen vom Leben, von der Geborgenheit, von Gemeinschaft und vom „lieben Gott“ 9 . Was dabei aber verloren geht, ist der Verstehensrahmen, in dem die soeben aufgezählten Themen und Erzählzusammenhänge ihre Plausibilität entfalten können. Dieser Verstehensrahmen ist aber die große Geschichte von der Schöpfung bis zur Neuschöpfung, die aus der kanonischen Sammlung von Büchern nicht nur eine willkürliche Aneinanderreihung hervorgehen lässt, sondern einen großen Erzählrahmen eröffnet, in dem nicht nur die einzelnen Perikopen der sonntäglichen Predigt, sondern auch die maßgebenden christlichen Feiertage und auch das Abendmahl seine heilvolle Erzählkraft entfalten kann. 10 3.1 Die große Erzählung der Bibel und das Missverständnis heilsgeschichtlicher Konzeptionen Als der französische Philosoph und Wissenssoziologe Jean Francois Lyotard gegen Ende der Siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts mit seiner Epoche machenden Schrift „Das Postmoderne Wissen“ das Ende der „großen Erzählungen“ verkündete, hatte er kaum mehr die mythischen Geschichten der Antike und erst recht nicht die großen Erzählungen des Judentums und des Christentums im Blick. Diese galten schon der Epistemologie der Moderne als der Rationalität wirklichen Wissens geradezu entgegen gesetzte fiktionale Konstrukte: „Der Wissenschaftler befragt sich über die Gültigkeit narrativer Aussagen und stellt fest, dass sie der Argumentation und dem Beweis niemals unterworfen sind. Er ordnet sie einer anderen Mentalität zu: wild, primitiv, unterentwickelt, rückständig, verwirrt, bestehend aus Meinungen, Gewohnheiten, Autorität, Vorurteilen, Unwissenheit und Ideologien. Die Erzählungen sind Fabeln, Mythen, Legenden, gut für Frauen und Kinder. Im 9 Vgl. D. Frickenschmidt, Empfänger unbekannt verzogen? , 52-64; I. Schoberth, Nicht bloß ein „lieber Gott“, 60-66. 10 Vgl. meine narrative Skizze dieser großen Erzählung in Teil 2 dieser Untersuchung. <?page no="271"?> Die Rede von der Auferweckung mit den Schriften des Neuen Testaments 255 besten Fall wird man versuchen, Licht in diesen Obskurantismus zu bringen, zu zivilisieren, auszubilden und zu entwickeln.“ 11 Nicht wenige Wissenschaftler der Gegenwart teilen wohl noch immer diese Einschätzung, ohne die Rhetorik Lyotards zu bemerken, die diese „wissenschaftliche“ Ablehnung des narrativen Wissens schon wieder karikierend durchbricht und den Erzählungen damit durchaus ihr begrenztes, lokales Recht zubilligt. Lyotards Pointe besteht vielmehr im Hinweis darauf, dass auch die großen Entwürfe des Wissens der Moderne ihre Legitimität mit Hilfe großer Erzählungen herzustellen versuchen, da auch das aufgeklärte Wissen diese Legitimität nicht durch sich selbst erzeugen kann. Lyotard führt als Beleg „zwei große Varianten der Legitimitätserzählung“ an, „eine eher politische und eine eher philosophische“. 12 Die politische ist „jene, die die Menschheit als Helden der Freiheit zum Thema hat. Alle Völker haben ein Recht auf die Wissenschaft. Wenn das gesellschaftliche Subjekt noch nicht das Subjekt des wissenschaftlichen Wissens ist, so darum, weil es von den Priestern und den Tyrannen daran gehindert wurde.“ 13 „Bei der anderen Legitimierungserzählung gibt die Beziehung zwischen Wissenschaft, Nation und Staat Anlaß zu einer ganz anderen Erarbeitung.“ 14 Es handelt sich um die Grunderzählung des deutschen Idealismus, der die Freiheit der Wissenschaft durch eine Geschichte des Geistes zu legitimieren sucht, wie sie z.B. Hegel konstruiert. 15 Lyotard zufolge aber haben in der Wissensproduktion der westlichen Welt sowohl die staatlich-politische als auch die philosophisch-spekulative Metaerzählung ihre Plausibilität eingebüßt und so konstatiert er: „In der gegenwärtigen Gesellschaft und Kultur, der postindustriellen Gesellschaft und der postmodernen Kultur, stellt sich die Frage der Legitimierung des Wissens in anderer Weise. Die große Erzählung hat ihre Glaubwürdigkeit verloren, welches auch immer die Weise der Vereinheitlichung sei, die ihr bezeichnet wird: spekulative Erzählung oder Erzählung der Emanzipation.“ 16 Diese Einschätzung begreift die großen Erzählungen als stets totalisierende und deshalb terrorisierende Konstrukte, die den politischen Imperialismus der westlichen Welt auch auf ihre Wissensproduktion ausgreifen lassen. Lyotards wissensethische Ermahnung der zeitgenössischen Wissensdiskurse gründet auf der These, dass das Denken des Einen das Andere stets ausgrenze. Wer alles auf der Basis einer großen Erzählung zu einer universalen Einheit zusammen denken möchte, habe den Weg des Terrors schon längst beschritten, auch wenn diese Einheit als großer, diskursiv erreichter „Konsens“ vorgestellt wird, wie etwa in der Theorie des kommunikativen Handelns von Jürgen Habermas. Der universal angelegte Konsens ist Lyo- 11 J.-F. Lyotard, Das postmoderne Wissen, 52f., i.O.: La condition postmoderne. 12 J.-F. Lyotard, Das postmoderne Wissen, 60. 13 Ebd. 14 Ebd., 61. 15 Vgl. ebd., 63f. 16 Ebd., 71. <?page no="272"?> Dritter Teil 256 tard zufolge gerade nicht in der Lage, das andere in seiner je eigenen Gültigkeit zu denken und sein zu lassen, 17 und damit eine verantwortbare plurale Gesellschaft zu ermöglichen. Im theologischen Diskurs wird die große Erzählung der Bibel dann zu einer totalisierenden Dogmatik, wenn sie sich nicht mehr als Erzählung versteht, die Gott und die Welt deutet, sondern ihre Zeichenhaftigkeit überspringt. Wolfhart Pannenberg ist durchaus zuzustimmen, wenn er betont, dass die Bibel nicht dazu auffordert, das Denken auszuschalten und sich einem autoritären oder schwärmerischen Irrationalismus zu verschreiben. Der Glaube, für den sie wirbt, ist dem vorurteilslosen Denken nicht nur zugänglich, sondern er fordert das Denken geradezu heraus, sich nicht auf seine Vorurteile zu verlassen, sondern diese preisgebend neu und anders zu denken, das Neue schlechthin zu denken, das die Bibel mit dem Ereignis der Auferweckung des Gekreuzigten dem Denken zu denken aufgegeben sieht. 18 Diese wichtigen und weiterführenden Einsichten der universalgeschichtlichen Konzeption Pannenbergs werden aber in dem Moment zu einer christlichen Ideologie verengt, in dem die Zeichenhaftigkeit der Texte und damit ihre Mehrdeutigkeit referentialistisch übergangen wird. Die Stärke einer narrativen Konzeption besteht demgegenüber darin, diese verengte Ontologie aus dem Wissen um die semiotischen Bedingungen jeder Bedeutungsproduktion vermeiden zu können, ohne den Wahrheitsanspruch und die Realität erschließende Kraft der biblischen Schriften preiszugeben, in dem in die Welt der Geschichten eingeführt wird und mit diesen Geschichten im politischen und individuellen Alltag der Welt gelebt wird. Semiotische Theologie übt in die Texte und in den Umgang mit Texten und ihren Bedingungen ein und begegnet damit der Gefahr aus der großen Erzählung der Bibel eine starre Ideologie zu bauen, die gerade der paradoxen Bewegung der Kreuzestheologie nicht gerecht würde. Das Denken dieses Ereignisses aber lässt alles, Gott, die Welt und auch sich selbst anders sehen. Das Denken dieses alles verändernden Ereignisses lässt das Denken selbst an diesem Ereignis und an seiner kreativen Ereignishaftigkeit partizipieren. Oder anders gesagt. Das vorurteilsfreie Denken des Ereignisses der Auferweckung des Gekreuzigten wird zu einer bedeutenden Weise der Wirksamkeit des Geistes. Dieses Denken denkt geistreich: schöpferisch, unterscheidend, gegenwärtig, frei, realistisch, selbstbewusst, selbstkritisch, solidarisch, politisch, liebevoll, zuversichtlich, scharfsichtig, dankbar. Das geistreiche Umdenken nimmt die Dinge, die Denker und sich selbst ungeschönt wahr und wirkt schon deshalb heilsam und verheißungsvoll. Es 17 Vgl. ebd., 121 f. 18 Dies weckt auch wieder das Interesse einiger Philosophen an Paulus und seiner Rede von der Auferweckung. Allerdings verfehlen sie gerade die Argumentation des Paulus, da sie nicht bereits sind, sich der ontologischen Frage der Realität des Auferweckungsereignisses zu stellen. Sie bleiben ganz der „Weisheit dieser Welt“ verhaftet. Vgl. dazu A. Gignac, Neue Wege der Auslegung, 15-25. <?page no="273"?> Die Rede von der Auferweckung mit den Schriften des Neuen Testaments 257 sieht ein, dass es sich nicht selbst begründen kann, aber auch gar nicht muss, weil es sich immer schon der Gabe des Ereignisses verdankt. Das geistreiche Denken hat auf leibhaftig lokalisierbare Weise das Ganze im Blick, ohne es beherrschen zu müssen. Paulus knüpft deshalb das Wort vom Kreuz an die Erzählung eigener Erlebnisse und an Erzählkomplexe aus den Heiligen Schriften Israels und bindet darin jüdisches und hellenistisches Weltwissen, griechische Philosophie und Rhetorik ein, um das „Wort vom Kreuz“ zu gestalten. Er überzeugt durch ein Geflecht von Argumenten und lokalen Erzählungen, deren Zusammenhang durch eine große Erzählung fundiert wird, die durch eine kleine, lokale Erzählung geistreich umstrukturiert wird. Die paradoxe Dynamik der Jesus-Christus-Geschichte bildet die geistreiche Umstrukturierung einer großen Erzählung durch eine kleine, lokale Erzählung, die narrativ und diskursiv, erzählend und argumentierend entfaltet wird. Die epistemologische Leistung des „Wortes vom Kreuz“ besteht darin, einen narrativen Zusammenhang des Weltwissens so zu organisieren, dass diese große Geschichte keine totalisierende und damit terrorisierende Abgeschlossenheit initiiert, sondern ihren Rezipienten das Andere, das Überraschende, das Brüchige und das Neue geistvoll zu denken gibt. Dabei schließen sich Erzählen und Wissen gerade nicht aus. Das narrative Fundament eröffnet einen Denkraum, der im Modus der Deutung der Erzählung „Vielfalten endlicher Metaargumentationen, d.h. also raum-zeitlich begrenzter Argumentationen, die Metapräskriptionen zum Gegenstand haben“ 19 , erzeugt. In diesem Sinne kann die teilweise sogar widersprüchliche Vielfalt der Darstellungen der Evangelien aber eben auch die der biblischen Bücher insgesamt mit Lyotard als Paralogie begriffen werden. Der Terror des Ideals des vereinheitlichenden Konsenses wird in der Bibel durch die produktive Kraft des Dissenses abgelöst. Diese „Paralogie“ 20 zielt nicht mehr auf die Einstimmigkeit des Weltwissens. Sie fördert vielmehr Diskurse, die konfliktfähig, aber auf friedliche Weise dem Plural der Wirklichkeitsdeutungen begegnen und ihn darüber hinaus programmatisch als die angemessene Weise der Produktion menschlichen Wissens begreifen. Die Paralogie, wie sie Lyotard im Habitus des klar sehenden Propheten hervorsagte, zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie allen Legitimationsstrategien grundsätzlich misstraut, die die großen Erzählungen referentialistisch benutzen, damit ihre zeichenbedingte Vieldeutigkeit verschleiern und so eine Totalität des Wissens konstruieren. 19 A. Gignac, Neue Wege der Auslegung, 123. 20 Vgl. ebd., 113. <?page no="274"?> Dritter Teil 258 3.2. Das Abendmahl als Teil der großen Geschichte Wenn Christinnen und Christen das Abendmahl feiern, dann geht es ums Ganze: sie feiern den Sieg des Lebens über den Tod. So zutreffend diese allgemeine Aussage auch sein mag, und so ansprechend zeitgemäß und politisch unverbindlich sie in ihrer wohligen Allgemeinheit auch klingen mag, erhält sie ihr christliches Gesicht erst über ihre Einbindung in eine Geschichte und zwar nicht in irgendeine allgemeine Menschheits- oder Religionsgeschichte, sondern in eine ganz spezifisch christliche Geschichte, nämlich die „Jesus-Christus-Geschichte“ 21 , die ihre trefflichste Bezeichnung von Paulus erhalten hat. Er bezeichnete sie als „Wort vom Kreuz“ (1Kor 18a). Das Abendmahl selbst ist Teil dieser Geschichte, und wenn es gefeiert wird, erzählt und verkündet es in seinem Vollzug das Wort vom Kreuz. Die Jesus- Christus-Geschichte wiederum erhält ihre Plausibilität durch ihre Einbindung in die große Erzählung von Schöpfung und Neuschöpfung, deren Logik nicht die von Mittel und Zweck ist, sondern von der kontingenten, kreativen Liebe Gottes bestimmt ist. Gott schafft und erhält seine Schöpfung und Geschöpfe nicht als Mittel zu irgendeinem Zweck, sondern weil es ihm gefällt, weil sie ihm gefallen, weil er sie, die Erde, die Gestirne, die Pflanzen, die Tiere, die Menschen, liebt - zweckfrei liebt. Doch Menschen aus Fleisch und Blut vergießen Blut zu ihren eigenen Zwecken. Sie teilen die Güter der Schöpfung nicht in geschwisterlicher zweckfreier Liebe, sondern benutzen die Schöpfung nach eigenem Belieben und nehmen es in Kauf, dass aus Geschöpfen Gottes Opfer ihrer Wünsche und Zwecke werden. Aber nichts, weder Mächte noch Gewalten und nicht einmal wir selbst können der Liebe Gottes, der zweckfreien, allen Mächten trotzenden Liebe Gottes Abbruch tun (vgl. Röm 8,). Davon erzählt das Abendmahl: von einem Opfer menschlicher Gewalt und von der kreativen Liebe Gottes, die aus einer menschlichen Tragödie eine Geschichte mit gutem Ausgang macht, deren Witz und Geist allen, die sich auf diese Geschichte einlassen, ein liebevolles, befreites und befreiendes Lachen schenkt - zweckfrei und bedingungslos. Das Wort vom Kreuz erzählt zunächst einmal die Geschichte eines Verrats und eines Justizmordes, an dem die höchsten einheimischen und römischen Amtsträger in Judäa und damit zwei verschiedene Rechtssysteme beteiligt sind. Daran erinnert die Angabe: „in der Nacht, da er verraten ward“ (vgl. 1Kor, 11,23b). Verraten wird Jesus nicht von außerhalb, sondern von innen. Judas, einer seiner engen Gefährten, einer aus dem Zwölferkreis, verrät ihn und macht ihn bei der Gefangennahme kenntlich mit einem Kuss (vgl. Mt 26,47ff.). Jesus weiß den Evangelien zufolge beim letzten Mahl mit seinen Jüngern vom Verrat des Judas, aber er verweist ihn nicht seines Tisches (vgl. Mt 26, 20-30). Das letzte Mahl, mit dem das Abendmahl gestiftet wird, ist kein 21 Vgl. E. Reinmuth, Narratio und argumentatio, 3-27; ders., Paulus. <?page no="275"?> Die Rede von der Auferweckung mit den Schriften des Neuen Testaments 259 Mahl einer konfliktfreien harmonischen Gemeinschaft, kein Happening einer gewaltfreien In-group, keine geschlossene Gesellschaft moralischer Helden. Judas, der Verräter und Petrus, der Verleumder sind Gäste am Tisch des Herrn und ihre Dazugehörigkeit wird von niemandem in Frage gestellt. Diese Mahlgemeinschaft verteilt gut und böse nicht nach den Prinzipien von Innen und Außen. Die Macht der Sünde und des Gewalt bereiten Missverstehens wirkt auch Innen. Das letzte Mahl teilt nicht ein in ein Reich der Gutwilligen und ein Reich der Bösen. Das letzte Mahl weiß um die Grenzenlosigkeit der Macht der Sünde und öffnet damit den kritischen Blick nach Innen und Außen. Der in den Evangelien dargestellte Jesus weiß, dass ihn sein Weg ans Kreuz führen wird. Mehrfach kündigt er sein Leiden, aber auch seine Auferweckung an (vgl. Mt 16,21; 17,9; 17,22; 20,17f.; 20,28; 26,32). Die Szene im Garten von Gethsemane stellt aber eindrücklich klar, dass Jesus nicht sterben will (vgl. Mt 26,38ff.). Die Evangelien stellen ihn nicht als lebensmüden Helden dar und erst recht nicht als leidensunempfindliche mythische Figur. Er wird aber auch nicht als ohnmächtiges Opfer gezeichnet, was die Vernichtung des Feigenbaums (Mt 21,19) ebenso zum Ausdruck bringt wie seine Worte bei der Gefangennahme: „Oder meinst du, ich könnte nicht meinen Vater bitten, und er schickte mir sofort mehr als zwölf Legionen Engel? “ (Mt 26,53) Er verzichtet willentlich auf den Einsatz seiner kosmischen Streitkräfte. Er geht seinen Weg der unbedingten Liebe weiter und folgt damit dem zweckfrei liebenden Willen Gottes. Dadurch ergibt sich der zum Staunen bringende Eindruck, den Jesu Handeln erzeugt: Er spricht nicht nur das Vater-unser, er lebt es: „Dein Wille geschehe“ (Mt 6,10b) gilt für ihn auch angesichts des drohenden Kreuzestodes (vgl. Mt 26,36-42). Aber nicht der zwecklos liebende Wille Gottes tötet Jesus, sondern die betrügerische Ausübung menschlicher Macht. Nicht die Königsherrschaft Gottes schlägt den Unschuldigen ans Kreuz, sondern die wissentliche Duldung des Unrechts. Kein göttlicher Plan verlangt ein blutiges Menschenopfer, sondern die menschliche Intrige, die Lügen ersinnt, um töten zu können. Judas, einer seiner Jünger, verrät ihn mit einem trügerischen Kuss (vgl. Mt 26,48ff.). Der Hohe Rat sucht nicht nach der Wahrheit, sondern nach falschen Zeugenaussagen, die Jesus ein Verbrechen anhängen sollen, das seine beabsichtigte Hinrichtung begründet (vgl. Mt 26,59). Als dieser Plan misslingt, greift der Hohepriester ein und missbraucht die Macht seines ehrwürdigen Amtes, die Aussage Jesu als Gotteslästerung zu interpretieren und fordert das Todesurteil heraus (Mt 26,65f.). Jesus wird bespuckt, geschlagen und verspottet (Mt 26,67f.). Selbst Petrus macht sich der Lüge schuldig. Er verleumdet Jesus dreimal (Mt 26,69-75). Am nächsten Morgen beschließt der Hohe Rat die Todesstrafe, und weil die Todesstrafe nur die römische Verwaltung aussprechen kann, überstellt er Jesus zu Pontius Pilatus (Mt 27,1f.). Judas hört davon und tötet sich selbst (Mt 27,3-10). <?page no="276"?> Dritter Teil 260 Pilatus, gewarnt durch einen Traum seiner Frau, versucht zunächst die Zustimmung der Juden zu finden, Jesus frei zu lassen, denn durch den Traum seiner Frau, weiß er von der Unschuld Jesu, mehr noch, er weiß, dass Jesus ein Gerechter ist (Mt 27,11-23). Aber er lässt wissentlich das Unrecht geschehen (Mt 27,24ff.). Nun wird Jesus auch von den römischen Soldaten gefoltert und verspottet und dann ans Kreuz geschlagen (Mt 27,27-36). Als Grund seiner Hinrichtung gibt eine über seinem Kopf angebrachte Aufschrift an: „Das ist Jesus, der König der Juden.“ (Mt 27,37b). Der ans Kreuz genagelte, blutende Jesus wird von der Elite seines Volkes verspottet und selbst die mit ihm gekreuzigten Räuber stimmen Matthäus zufolge in den Hohn ein. Jesus stirbt einen qualvollen Tod. Mit seinen letzten Worten, einem Psalmvers, richtet er sich an Gott: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen? “ (27,46b/ / Ps 22,2) Endete die Geschichte hier, so hätten wir es mit der tragischen Geschichte eines guten Menschen zu tun, der als Opfer menschlicher Gewalt stirbt, oder in zynischer Lesart: mit der Bestätigung der Macht menschlicher Herrschaft und der Ohnmacht der Gerechtigkeit. Die zweckorientierten Machtverhältnisse des Faktischen hätten einmal mehr das letzte Wort. Das Kreuz ohne Wort vom Kreuz „ist und macht stumm“. 22 Das Wort vom Kreuz aber erzählt die Geschichte weiter und behauptet eine wunderbare Wende. 23 Gott holt Jesus, das Opfer menschlicher Gewalt, aus dem Tod hinein in sein eigenes göttliches Leben. Gott identifiziert sich mit dem Gekreuzigten und lässt sich dadurch am Kreuz finden. Die Bedeutung des Kreuzes wird damit umcodiert von einem Tod bringenden Marterpfahl zu einem Ort der ewiges Leben eröffnenden Gottesbegegnung. Gott schreibt sich in die Geschichte des Gekreuzigten ein und erklärt damit vom Ort des Kreuzes aus den Lebensweg und die Verkündigung des Gekreuzigten zu seiner Sache. Mit der Identifikation Gottes mit dem Gekreuzigten und der Auferweckung des Gekreuzigten in das von zweckfreier Liebe bestimmte göttliche Leben wird das Kreuzesgeschehen zum eschatologischen Heilsereignis, das die Macht der Sünde endgültig bricht. Nicht die Macht der Sünde über ihr am Kreuz hingerichtetes Opfer behält das letzte Wort, sondern das Wort vom Kreuz als das Wort des sich liebevoll mit dem Opfer identifizierenden, neues, ewiges Leben schenkenden und damit sein Recht setzenden Gottes. 22 I.U. Dalferth, Der auferweckte Gekreuzigte, 44. 23 Im Rahmen kategorialer Semiotik verrstehe ich unter Wunder nicht die Durchbrechnung von Naturgesetzen, sondern Gottes Taten, die menschliche Möglichkeiten übersteigen. Wunder - und in diesem Sinn auch das Wunder der Auferweckung Jesu - sind Schöpfungen bzw. Neuschöpfungen Gottes, die gerade nicht im Rahmen des naturwissenschaftlich erforschbaren Zusammenhangs von Ursache und Wirkung zu verorten sind, sondern auf Gottes allumgreifende Realität verweisen. Vgl. dazu: S. Alkier, Wunder und Wirklichkeit in den Briefen des Apostels Paulus; ders: Die Realität der Auferstehung, 339-360; H. Deuser, Gottesinstinkt; ZNT 19 (2007), Themenheft „Auferstehung“. <?page no="277"?> Die Rede von der Auferweckung mit den Schriften des Neuen Testaments 261 Zum eschatologischen und kosmologischen Heilsgeschehen wird das Wort vom Kreuz über Gottes barmherziges Angebot der Teilhabe an der Jesus-Christus-Geschichte an alle, die sich durch den Geist dieser Geschichte mit diesem Opfer menschlicher Gewalt identifizieren und damit die Verkündigung Jesu, seinen Tod und sein Leben zu ihrer eigenen Sache werden lassen. Damit vertrauen sie darauf, dass Gottes gerechte und barmherzige Schöpfermacht und nicht die gnadenlose und erbarmungslose Macht der Sünde Recht behält. Taufe und Abendmahl sind zwei Weisen, in denen die angebotene Teilhabe erfahren und ergriffen werden kann. Keine organisatorische Form oder Reform der Kirche - so notwendig sie auch sein mögen -, sondern das biblisch bezeugte Wort Gottes und diese beiden Sakramente bilden nach protestantischem Verständnis die Grundlage, aus der die Kirche lebt. 24 Das Abendmahl bietet die leibhaftig erinnernde Teilhabe an der Jesus- Christus-Geschichte an. 25 Die Feier des Abendmahls verkündet erinnernd erzählend den Tod des auferweckten Gekreuzigten. In 1Kor 11,26 lesen wir: „Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.“ Diese Erinnerung einverleibt durch den Genuss von Brot und Wein die Jesus-Christus-Geschichte derart, dass sie zur eigenen Geschichte wird. In 1Kor 10,16 schreibt Paulus: „Der gesegnete Kelch, den wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi? “ Wie Gott sich mit dem Opfer von Macht und Gewalt identifizierte und damit seine Sache zur eigenen Sache erklärte, so ergreift der liebevolle und kreative Geist der Jesus-Christus-Geschichte die am Abendmahl Teilnehmenden und lässt das Geschick des Opfers Jesu zur eigenen Erfahrung werden. Jesus stirbt nicht in zweckmäßiger opfertheologischer Logik stellvertretend den Tod für die schuldig gewordenen Menschen, sondern jeder einzelne selbst, der das Abendmahl feiert, erfährt Anteil am Tod des Opfers Jesus von Nazareth. Die durch den Geist der Jesus-Christus-Geschichte konstituierte solidarische Gemeinschaft mit dem Opfer Jesu von Nazareth führt in die Solidarität mit allen Opfern von Unrecht und Gewalt, in die liebevolle Solidarität mit allen Opfern der Verzweckung. Die politische Botschaft des Abendmahls besteht in dem Appell, sich in diese Solidarität mit den Opfern hineingeben zu lassen. Der Gekreuzigte ist Opfer einer Unrechtstat, die von Individuen und Institutionen, von Innen und Außen gemeinsam begangen wird. Die politische Botschaft des Abendmahls erinnert den Tod des Gekreuzigten als Metonymie von Unrecht 24 Vgl. CA 7. 25 Eine gleichermaßen theologisch komplexe wie verständliche Darstellung des Abendmahls bietet M. Welker, Was geht vor beim Abendmahl. Diese Studie gehört zur Grundlagenliteratur evangelischer Theologie. Obwohl diese grundlegende Studie bereits 1999 erschien, hat K.-P. Jörns sie offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen. Sie fehlt im Literaturverzeichnis seines in erster Auflage 2004 erschienenen Buches „Notwendige Abschiede“. <?page no="278"?> Dritter Teil 262 und Gewalt, in die alle, auch die Abendmahlsgäste mit Leib und Seele verstrickt sind, und sie verpflichtet die am Tisch des Kyrios Teilnehmenden, sich jetzt und im Alltag des Lebens auf die Seite der Opfer zu stellen und deshalb in allen Lebensentscheidungen und politischen Optionen den Anderen als gleichermaßen geliebtes Geschöpf Gottes so in den Blick zu nehmen, dass er bzw. sie nicht zu einem Opfer menschlicher Gewalt und politischer Machtstrukturen wird. Diese ethische Handlungsmaxime des Abendmahls gründet in der Hoffnung auf den Gott, der alles aus dem Nichts schafft und neu schaffen wird. Sie gründet auf dem liebevollen Schöpfer allen Lebens, der die Toten erwecken wird und den Gekreuzigten bereits auferweckt hat (vgl. Röm 4,17). Sie hofft darauf, dass der barmherzige und gerechte Gott den gekreuzigten Jesus nicht als singulären Ausnahmefall in sein göttliches Leben hinein auferweckt hat, ihm einen neuen Leib geschaffen hat, der nicht mehr aus Fleisch und Blut besteht (vgl. 1Kor 15). Sie hofft vielmehr darauf, dass mit dieser bereits geschehenen Auferweckung erst der Anfang der Neuen Schöpfung Gottes gemacht ist, mit der Gott sein Recht und seine Gerechtigkeit universal, die ganze Schöpfung durchdringend durchsetzt. Sie hofft nicht auf eine bloße Wiederbelebung der Toten und der damit gegebenen Fortsetzung des status quo. Sie hofft auf eine neue Welt, in der Gottes unbedingte Liebe unbeschränkt wirkt und dadurch Frieden und Gerechtigkeit für alle gelten. Wenn die politische Botschaft des Abendmahls nicht in diese universale eschatologische Hoffnung eingebunden bleibt, verkommt sie entweder zum sonntäglichen Lippenbekenntnis oder zum moralischen Aktivismus der Selbstgerechten oder zur unheilvollen Leidensbereitschaft, die sich am eigenen Leiden ergötzt. Ohne die Theologie der Auferweckung bleibt das Kreuz stumm und macht stumm. Ohne die Theologie der Auferweckung feiert die Abendmahlsgemeinschaft nicht das Hereinbrechen des Reiches Gottes, sondern sie richtet sich auf Dauer in der Hölle der eigenen Selbstgerechtigkeit oder des eigenen Selbstmitleides ein. Feiert sie aber das Abendmahl im biblischen Wissen um die leibhaftige Gemeinschaft mit dem auferweckten Gekreuzigten, so steht die Abendmahlsgemeinde in der Kontinuität des letzten Mahles Jesu und seiner Jünger und wird dadurch zum Ereignis des Reiches Gottes. Das so gefeierte Abendmahl praktiziert die Gerechtigkeit, die im Reich Gottes gilt. Jeder bekommt soviel, wie er zum Leben braucht. Es gibt keine Hierarchie mehr zwischen Armen und Reichen, zwischen Frauen und Männern, zwischen Managern und Empfängern von Arbeitslosengeld II, zwischen Amtsträgern und Laien. Dieses Erleben der Gemeinschaft der von Gott zu seinem Tisch Eingeladenen wird auch im Alltag Wirkung zeigen und dieser Satz lässt sich auch umkehren. Nur wenn dieses Erleben im Alltag Wirkung zeitigt, wurde das Abendmahl würdig gefeiert. Wer durch den liebevollen und kreativen Geist der Jesus-Christus-Geschichte im Abendmahl den Tod des Opfers Jesus am eigenen Leib erfährt und durch das Kauen und Schlucken Brot und Wein als Teilhabe am Leib Christi schmeckt und einverleibt, spürt die Kraft neuen, <?page no="279"?> Die Rede von der Auferweckung mit den Schriften des Neuen Testaments 263 vom gerechten und barmherzigen Gott geschenkten Lebens in sich. Wer in diesem verdichteten Kultgeschehen die Macht der Sünde und die größere Macht der liebevollen Kreativität Gottes erlebt, geht aufmerksam und kritisch nach Innen und Außen in den politischen und privaten Alltag, gestärkt durch die am eigenen Leib erfahrene Gemeinschaft mit dem auferweckten Gekreuzigten. Wer sich so, nämlich glaubend, in die Jesus-Christus-Geschichte hineingeben lässt, und das Abendmahl auf die beschriebene Art und Weise feiert, nämlich würdig dieser Jesus-Christus-Geschichte, dem rechnet Gott diesen Glauben als Vergebung der eigenen Verfehlungen, der eigenen Sünden an (vgl. Röm 1,16f.). Der gekreuzigte Jesus starb „also nicht für Gott und um Gottes willen, sondern einzig und allein für uns Menschen und um unsertwillen.“ 26 Seine Geschichte wird so zum Ort, an dem sich Sühne ereignet (vgl. Röm 3,25f.), indem wir in unserer geistgewirkten Identifikation mit dem Gekreuzigten unsere eigenen Verfehlungen erkennen und gleichursprünglich Gott unsere Sünden vergibt. Wen die Jesus-Christus-Geschichte ergreift, den lässt ihr Geist aufatmen. Befreit von der erbarmungslosen Logik der Verzweckung und Selbstverzweckung, befreit vom Druck der eigenen Schuld, befreit von der Angst vor der Erbarmungslosigkeit individueller und struktureller Gewalt, befreit von der eigenen lähmenden Gleichgültigkeit, befreit vom Erfolgsdruck der eigenen Leistung werden unser Blick, unsere Haltung, unsere Handlung sichtbar und spürbar schon jetzt verwandelt: „wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit. Wir alle aber schauen mit unverhülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn in spiegelnder Art und Weise und werden deshalb in sein eigenes Bild verwandelt von Herrlichkeit zu Herrlichkeit durch den Herrn, auf geistvolle Weise.“ (2Kor 3,17bf.) Schon jetzt, schon heute und in alle Ewigkeit. Das Abendmahl lädt dazu ein, den liebevollen und kreativen Geist der Jesus-Christus-Geschichte in sich wirken zu lassen, die Welt und sich selbst mit den Augen dieser Geschichte zu sehen, sich betreffen zu lassen, sich in das Leben werfen zu lassen und Stellung zu beziehen. Das ist die politische Botschaft des Abendmahls. Sie hat ihren tragfähigen Grund in der theologischen Botschaft des Abendmahls: Gott hat in seiner barmherzigen Weisheit den ungerechten Tod Jesu Christi am Kreuz zum Heil für seine ganze Schöpfung gewendet. 26 O. Hofius, Der Gott allen Trostes, 327. Allerdings trägt Hofius zu ungebrochen die spätere Trinitätslehre und die noch spätere Zwei-Naturen-Lehre in die neutestamentlichen Texte ein, wenn er schreibt: „Auf Golgatha stirbt - wie nicht nachdrücklich genug betont werden kann - keineswegs ein Mensch ‚wie Du und ich‘. Hier stirbt vielmehr der Sohn Gottes, der seinem Ursprung und Wesen nach ganz auf die Seite seines Vaters gehört, der aber in der Freiheit seiner Liebe zu uns ein Mensch wurde, um unser verlorenes, von Sünde und Tod gezeichnetes Menschenleben zu seiner Sache zu machen.“ <?page no="280"?> Dritter Teil 264 Staurologie oder: das Neue denken Die große Geschichte, die die Heiligen Schriften Israels erzählen, entwirft einen emotional fundierten Denkrahmen der Deutung des ganzen Kosmos. Der Kosmos und alles Leben sind zweckfrei und verdanken sich allein einer schöpferischen Kraft, die Gefallen an ihren Werken hat. Kein Name und kein Sprachspiel können diese kreative Kraft und ihre zweckfreie Liebe begrenzen. Metaphorisches und narratives Reden sind die angemessene Weise, die kreative, liebende und gerechte Macht darzustellen, die wir Gott nennen, um ihn von seinen Geschöpfen zu unterscheiden. Das ist die entscheidende Alternative in der Deutung der Welt: Handelt es sich um ein liebloses Zufallsprodukt zweckorientierter Kräfte, die lediglich der Regelhaftigkeit von Ursache und Wirkung Rechnung tragen, oder aber um ein gewolltes Ereignis kreativer Liebe? Sind wir allein oder „von guten Mächten wunderbar geborgen“ (Dietrich Bonhoeffer)? Die große Geschichte Israels sieht die Welt als Gottes Schöpfung und die Menschen als Gottes geliebte und gewollte Kinder, als Schöpfung eines barmherzigen und gerechten Gottes, der durch die Erzählungen der Schöpfung, des Bundes, des Exodus, des Exils und seiner Überwindung und der messianischen Hoffnung auf das Friedensreich und auf die letztendliche Durchsetzung der barmherzigen Gerechtigkeit Gottes zur Sprache kommt. Das Kreuz durchbricht die zeitliche Logik des Nacheinanders und auch die politische Logik der messianischen Hoffnungen der Heiligen Schriften Israels. Mitten in die Jetztzeit bricht das eschatologische Ereignis ein und zwar gänzlich anders als erwartet. Es verändert alles und doch scheint alles beim Alten zu bleiben: Die Römer bleiben. Aber das Wort vom Kreuz wirkt. Es schafft Wirklichkeit. Es verändert das Wissen und die Weisen des Wissens. Das Wissen um die Jesus-Christus- Geschichte lässt geistreich neu denken. Es macht aus der Todesgeschichte des Kreuzes die Geschichte vom Anfang ewigen Lebens. Es spricht von Gottes unbegrenzter Macht, ohne die Macht des Todes zu verharmlosen. Es spricht von Gottes solidarischer Liebe, der kein Ort entzogen bleibt. Gott begegnet am Kreuz und nicht nur an diesem einen lokalisierbaren Ort des Grauens und der Ungerechtigkeit. Gott ist da, er war da und er wird da sein. Er schreckt vor nichts und vor niemanden zurück, denn er liebt. Die durch den Geist der Jesus-Christus-Geschichte konstituierte solidarische Gemeinschaft mit dem Opfer Jesu von Nazareth feiert das gemeinsame Mahl und führt mit allen Sinnen leibhaftig in die Solidarität mit allen Opfern von Unrecht und Gewalt, in die liebevolle Solidarität mit allen Opfern der Verzweckung. Sie macht hellhörig für die großen und ebenso für all die kleinen, lokalisierbaren Geschichten von Angst und Verzweiflung, Ausbeutung und gnadenloser Verzweckung. Sie lässt hinsehen und erklärt das Wissen um die Opfer für lebensnotwendig. Ihr Wissen bringt die Verdrängung <?page no="281"?> Die Rede von der Auferweckung mit den Schriften des Neuen Testaments 265 von Schuld und Unrecht ans Licht und macht sie zum Gegenstand öffentlichen Wissens. Der Geist der Jesus-Christus-Geschichte lässt aufatmen und neu denken. Die große Erzählung Israels, die durch die Staurologie, das Denken des Ereignisses vom Ort des Kreuzes aus, neu erzählt wird, durchbricht die kausale Logik des Terrors, die erbarmungslose Abfolge von Gewalt und Gegengewalt, die gnadenlose Logik der Gewinnmaximierung, die Verteilung von Gut und Böse auf die Kategorien von Innen und Außen. Das staurologische Wissen wird im Abendmahl als Gabe des auferweckten Gekreuzigten zum Wissen um die anderen. Es motiviert dazu, Liebe konkret mit den Geschöpfen Gottes zu leben und zwar genau da, wo und wie sie mir begegnen. <?page no="283"?> Anhang <?page no="285"?> Literaturverzeichnis 269 Literaturverzeichnis Kommentare Becker, Jürgen, Die Briefe an die Galater, Epheser, Philipper, Kolosser, Thessalonicher und Philemon. Übers. und erkl. von Jürgen Becker, Hans Conzelmann und Gerhard Friedrich, NTD 8, 15., durchges. u. erg. Aufl., Göttingen 1981. Betz, Hans Dieter, Der Galaterbrief. Ein Kommentar zum Brief des Apostels Paulus an die Gemeinden in Galatien, München 1988. Bousset, Wilhelm, Die Offenbarung Johannis, KEK 16, Neudr. d. neubearb. Aufl. 1906, Göttingen 1966. Bovon, Francois, Das Evangelium nach Lukas (Lk 1,1-9,50), EKK III/ 1, Zürich u.a. 1989. Ders., Das Evangelium nach Lukas (Lk 9,51-14,35), EKK III/ 2, Zürich u.a. 1996. Ders., Das Evangelium nach Lukas (Lk 15,1-19,27), EKK III/ 3, Zürich u.a. 2001. Brox, Norbert, Der erste Petrusbrief, EKK XXI, 4., durchges. und um Literatur erg. Aufl., Zürich u.a. 1993. Bultmann, Rudolf, Der zweite Brief an die Korinther, erkl. von Rudolf Bultmann, hrsg. von Erich Dinkler, Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament Sonderband, Göttingen 1976. Burchard, Chistoph, Der Jakobusbrief, HNT 15/ 1, Tübingen 2000. Cranfield, Charles E. B., A critical and exegetical commentary on the epistle to the Romans. Introduction and commentary on Romans I-VIII, ICC, Edinburgh 1977. Ders., A critical and exegetical commentary on the epistle to the Romans. Commentary on Romans IX-XVI, ICC, Edinburgh 1981. Davies, William D./ Allison, Dale C., A critical and exegetical commentary on the Gospel according to Saint Matthew. Introduction and commentary on Matthew I- VII, ICC, Edinburgh 1988. Dies., A critical and exegetical commentary on the Gospel according to Saint Matthew. Commentary on Matthew VIII-XVIII, ICC, Edinburgh 1991. Dies., A critical and exegetical commentary on the Gospel according to Saint Matthew. Commentary on Matthew XIX-XXVIII, ICC, Edinburgh 1997. Eckey, Wilfried, Die Apostelgeschichte. Der Weg des Evangeliums von Jerusalem nach Rom I (1,1-15,35), Neukirchen-Vluyn 2000. Ders., Die Apostelgeschichte. Der Weg des Evangeliums von Jerusalem nach Rom II (15,36-28,31), Neukirchen-Vluyn 2000. Furnish, Victor Paul, II Corinthians. Translated with introduction, notes and commentary, Anchor Bible 32 A, Garden City, NY u.a. 1984. Gnilka, Joachim, Der Philipperbrief, Herders theologischer Kommentar zum NT 10, Fasz. 3, 3. Aufl., Freiburg im Breisgau u.a. 1980. Ders., Das Evangelium nach Markus (Mk 1-8,26), EKK II/ 1, 5. Aufl., Zürich u.a. 1998. Ders., Das Evangelium nach Markus (Mk 8,27-16,20), EKK II/ 2, 4. Aufl., Zürich u.a. 1994. Gould, Ezra P., A critical and exegetical commentary on the Gospel according to St. Mark, ICC, Reimpr. of the 1. impr., Edinburgh 1969. Gräßer, Erich, An die Hebräer (Hebr 1-6), EKK XVII/ 1, Zürich u.a. 1990. Ders., An die Hebräer (Hebr 7,1-10,18), EKK XVII/ 2, Zürich u.a. 1993. <?page no="286"?> Literaturverzeichnis 270 Ders., An die Hebräer (Hebr 10,19-13,25), EKK XVII/ 3, Zürich u.a. 1997. Haenchen, Ernst, Die Apostelgeschichte, KEK, 12. neub. Aufl., Göttingen 1959. Hays, Richard B., First Corinthians, Interpretation, Westminster 1997. Holtz, Traugott, Der erste Brief an die Thessalonicher, EKK XIII, Zürich u.a. 1986. Jervell, Jacob, Die Apostelgeschichte, KEK 3, 17. Aufl., 1. Aufl. d. Auslegung, Göttingen 1998. Käsemann, Ernst, An die Römer, HNT 8a, 3. überarb. Aufl., Tübingen 1974. Klauck, Hans-Josef, Der Erste Johannesbrief, EKK XXIII/ 1, Zürich u.a. 1991. Ders., Der Zweite und Dritte Johannesbrief, EKK XXIII/ 2, Zürich u.a. 1992. Ders., dass, EKK XXXIII/ 3, Zürich u.a. 1992. Kremer, Jakob, Lukasevangelium, Neue Echter Bibel 3, Würzburg 1988. Ders., Der Erste Brief an die Korinther, RNT, Regensburg 1997. Lang, Friedrich, Die Briefe an die Korinther, NTD 7, 16. Aufl., 1. Aufl. d. n. Bearb., Göttingen u.a. 1986. Lohse, Eduard, Die Offenbarung des Johannes, NTD 11, Göttingen 1979 Lohmeyer, Ernst, Die Briefe an die Philipper, an die Kolosser und an Philemon, Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament 9, 13. Aufl., Göttingen 1964. Luz, Ulrich, Das Evangelium nach Matthäus (Mt 1-7), EKK I/ 1, 5., neubearb. Aufl., Zürich u.a. 2002. Ders., Das Evangelium nach Matthäus (Mt 8-17), EKK I/ 2, Zürich u.a. 1990. Ders., Das Evangelium nach Matthäus (Mt 18-25), EKK I/ 3, Zürich u.a. 1997. Ders., Das Evangelium nach Matthäus (Mt 26-28), EKK I/ 4, Zürich u.a. 2002. Malina, Bruce, Pilch, John, Social-Science Commentary on the Book of Revelation, Minneapolis 2000 Marcus, Joel, Mark 1-8. A new translation with introduction and commentary, AncB 27, New York u.a. 2000. Marxsen, Willi, Der Evangelist Markus. Studien zur Redaktionsgeschichte des Evangeliums, FRLANT 67, 2. Aufl., Göttingen 1959. Ders., Der erste Brief an die Thessalonicher, Zürcher Bibelkommentare NT 11,1, Zürich 1979. Michel, Otto, Der Brief an die Römer, Kritisch-exegetischer Kommentar über das NT 4, 14. Aufl., 5. bearb. Aufl. d. Auslegung, Göttingen 1978. Paulsen, Henning, Der zweite Petrusbrief und der Judasbrief, KEK XII/ 2, Göttingen 1992. Pesch, Rudolf, Die Apostelgeschichte (1-12), EKK V/ 1, Zürich u.a. 1986. Ders., Die Apostelgeschichte (13-28), EKK V/ 2, Zürich u.a. 1986. Reinmuth, Eckart, Der zweite Brief an die Thessalonicher, in: Nikolaus Walter/ Eckart Reinmuth/ Peter Lampe, Die Briefe an die Philipper, Thessalonicher und an Philemon, NTD 8/ 2, 18. Aufl., 1. Aufl. dieser neuen Bearb., Göttingen 1998, 158-202. Roloff, Jürgen, Der erste Brief an Timotheus, EKK XV, Zürich u.a. 1988. Schrage, Wolfgang, Der erste Brief an die Korinther (1Kor 1,1-6,11), EKK VII/ 1, Zürich u.a. 1991. Ders., Der erste Brief an die Korinther (1Kor 6,12-11,16), EKK VII/ 2, Zürich u.a. 1995. Ders., Der erste Brief an die Korinther (1Kor 11,17-14,40), EKK VII/ 3, Zürich u.a. 1999. Ders., Der erste Brief an die Korinther (1Kor 15,1-16,24), EKK VII/ 4, Zürich u.a. 2001. Schweizer, Eduard, Der Brief an die Kolosser, EKK XII, 3. durchges. Aufl., Zürich u.a. 1989. <?page no="287"?> Literaturverzeichnis 271 Ders., Das Evangelium nach Lukas, NTD 3, 18. Aufl., 1. Aufl. d. n. Fassung, Göttingen 1982. Schmithals, Walter, Der Römerbrief. Ein Kommentar, Gütersloh 1988. Schnackenburg, Rudolf, Der Brief an die Epheser, EKK X, Zürich u.a. 1982. Sellin, Gerhard, Der Brief an die Epheser. Übers. und erkl., KEK, 9. Aufl., 1. Aufl. dieser Auslegung, Göttingen 2008. Stuhlmacher, Peter, Der Brief an Philemon, EKK XVIII, 2., durchges. und verb. Aufl., Zürich u.a. 1981. Stuhlmacher, Peter, Der Brief an die Römer, NTD 6, 15. Aufl., 2. durchges. und aktualis. Aufl. d. n. Fassung, Göttingen 1998. Thrall, Margaret E., A critical and exegetical commentary on the second epistle to the Corinthians. Introduction and commentary on II Corinthians I-VII, ICC, Edinburgh 1994. Dies., A critical and exegetical commentary on the second epistle to the Corinthians. Commentary on II Corinthians VIII-XIII, ICC, Edinburgh 2004. Thyen, Hartwig, Das Johannesevangelium, HNT 6, Tübingen 2005. Trilling, Wolfgang, Der zweite Brief an die Thessalonicher, EKK XIV, Zürich u.a. 1980. Vögtle, Anton, Der Judasbrief. Der zweite Petrusbrief, EKK XXII, Zürich u.a. 1994. Vouga, Francois, Die Johannesbriefe, HNT 15,3, Tübingen 1990. Ders., An die Galater, HNT 10, Tübingen 1998. Walter, Nikolaus, Die Briefe an die Philipper, Thessalonicher und an Philemon. Übers. und erkl. von Nikolaus Walter, Eckart Reinmuth und Peter Lampe, NTD 8,2, 18. Aufl., 1. Aufl. d. n. Bearb., Göttingen 1998. Weiser, Alfons, Der zweite Brief an Timotheus, EKK XVI/ 1, Düsseldorf u.a. 2003. Weiß, Hans-Friedrich, Der Brief an die Hebräer, übers. und erkl. von Hans-Friedrich Weiß, KEK 13, 15. Aufl., 1. Aufl. dieser Auslegung, Göttingen 1991. Windisch, Hans, Der zweite Korintherbrief, Neudr. d. Aufl. 1924, Göttingen 1970. Wilckens, Ulrich, Der Brief an die Römer (Röm 1-5), EKK VI/ 1, 2., verb. Aufl., Zürich u.a. 1987. Ders., Der Brief an die Römer (Röm 6-11), EKK VI/ 2, Zürich u.a. 1980. Ders., Der Brief an die Römer (Röm 12-16), EKK VI/ 3, Zürich u.a. 1982. Wolff, Christian, Der zweite Brief des Paulus an die Korinther, ThHK 8, Berlin 1989. Zeller, Dieter, Der Brief an die Römer, Regensburger NT, Regensburg 1985. Monographien, Sammelbände, Aufsätze und Lexikonartikel Adam, Jens, Das leere Grab als Unterpfand der Auferstehung Jesu Christi, in: Hans- Joachim Eckstein/ Michael Welcker (Hg.), Die Wirklichkeit der Auferstehung, 2. Auflage, Neukirchen-Vluyn 2004, 59-75. Aichele, George, Sign, Text, Scripture. Semiotics and the Bible, Interventions 1, Sheffield 1997 Aland, Kurt, Der wiedergefundene Markusschluss? Eine methodologische Bemerkung zur textkritischen Arbeit, in: ZThK 67 (1970), 3-13. Ders., Der Schluss des Markusevangeliums, in: ders., Neutestamentliche Entwürfe, TB 63, München 1979, 246-283. Albert-Zerlik, Liturgie als Sterbebegleitung und Trauerhilfe. Spätmittelalterliches Erbe und pastorale Gegenwart unter besonderer Berücksichtigung der Ordines <?page no="288"?> Literaturverzeichnis 272 von Castellani (1523) und Sanctorius (1602), Pietas Liturgica 13, Tübingen und Basel 2003. Alkier, Stefan, Wunder und Wirklichkeit in den Briefen des Apostel Paulus. Ein Beitrag zu einem Wunderverständnis jenseits von Entmythologisierung und Rehistorisierung, WUNT 134, Tübingen 2001. Ders., Ethik der Interpretation, in: Markus Witte (Hg.), Der eine Gott und die Welt der Religionen. Beiträge zu einer Theologie der Religionen und zum interreligiösen Dialog, Würzburg 2003, 21-41. Ders., Zeichen der Erinnerung - Die Genealogie in Mt 1 als intertextuelle Disposition, in: Klaus-Michael Bull/ Eckart Reinmuth (Hg.),Bekenntnis und Erinnerung. FS zum 75. Geburtstag von Hans-Friedrich Weiß, RTS 16, Münster 2004, 108-128. Ders, Art. Semiotik - III. Bibelwissenschaftlich, in: RGG 7 (2004), 4. Aufl, 1194f. Ders., Neutestamentliche Wissenschaft - Ein semiotisches Konzept, in: Christian Strecker, Kontexte der Schrift II. Kultur, Politik, Religion, Sprache, Stuttgart 2005, 343-360. Ders., Die Bibel im Dialog der Schriften und das Problem der Verstockung in Mk 4. Intertextualität im Rahmen einer kategorialen Semiotik biblischer Texte, in: ders./ Richard B. Hays u.a. (Hg.), Die Bibel im Dialog der Schriften. Konzepte intertextueller Bibellektüre, NET 10, Tübingen/ Basel 2005, 1-22. Ders., From Text to Intertext: Intertextuality as a paradigm for reading Matthew, in: HTS 61,1-2 (2005), 1-18. Ders./ Deuser, Hermann/ Linde, Gesche (Hg.), Religiöser Fundamentalismus. Analysen und Kritiken, Tübingen 2005. Ders./ Karweick, Stefanie, „So hab` ich Jesus ja noch nie erlebt! “ Die sogenannte „Tempelreinigung“ in der sechsten Klasse einer Realschule, in: Gerhard Büttner (Hg.), „Man hat immer ein Stück Gott in sich.“ Mit Kindern biblische Geschichten deuten (2. Neues Testament), Jahrbuch für Kindertheologie Sonderband, Stuttgart 2006, 150-167. Ders., Scott, Ian W., Implicit Epistemology in the Letters of Paul. Story, Experience and the Spirit, WUNT II 205, Tübingen 2006, in: ThLZ 5 (2007). Ders., Leben in qualifizierter Zeit: Die präsentische Eschatologie des Evangeliums vom römischen Novum Saeculum und die apokalyptische Eschatologie des Evangeliums vom auferweckten Gekreuzigten, ZNT 22 (2008), Themenheft Apokalypse, 20-34. Ders., Himmel und Hölle. Zur Kontextualität und Referenz gleichnishafter Rede unter besonderer Berücksichtigung des Gleichnisses vom Fischnetz (Mk 13,47-50), in: Ruben Zimmermann (Hg.) unter der Mitarb. v. Gabi Kern, Hermeneutik der Gleichnisse Jesu. Methodische Neuansätze zum Verstehen urchristlicher Parabeltexte, WUNT 231, Tübingen 2008, 588-603. Allison, Dale C., Resurrecting Jesus. The earliest Christian tradition and its interpreters, New York u.a. 2005. Aristoteles, Kategorien, übers. und erkl. von Klaus Oehler, Aristoteles Werke in dt. Übers. 1. I., Berlin 1984. Arnold, Clinton E., Ephesians. Power and Magic: The concept of power in Ephesians in light of its historical setting, MSSNTS 63, Cambridge u.a. 1989. Avemarie, Friedrich/ Lichtenberger, Hermann (Hg.), Auferstehung - Resurrection, WUNT 135, Tübingen 2001 Becker, Eve-Marie, Das Markus-Evangelium im Rahmen antiker Historiographie, WUNT 194, Tübingen 2006. Becker, Jürgen, Auferstehung der Toten im Urchristentum, SBS 82, Stuttgart 1976. <?page no="289"?> Literaturverzeichnis 273 Ders., Paulus. Der Apostel der Völker, Tübingen 1989. Ders., Die Erwählung der Völker durch das Evangelium. Theologiegeschichtliche Erwägungen zum 1Thess, in: Ulrich Mell (Hg.), Annäherungen. Zur urchristlichen Theologiegeschichte und zum Umgang mit ihren Quellen. Ausgewählte Aufsätze zum 60. Geburtstag mit einer Bibliographie des Verfassers, BZNW 76, Berlin u.a. 1995. Ders., Johanneisches Christentum. Seine Geschichte und Theologie im Überblick, Tübingen 2004. Ders., Die Auferstehung Jesu Christi nach dem Neuen Testament. Ostererfahrung und Osterverständnis im Urchristentum, Tübingen 2007. Bestattung. Agende für die Union Evanelischer Kirchen in der EKD 5, im Auftr. D. Präsidiums hg. v. Kirchenkanzlei der UEK, Bielefeld 2004 Betz, Hans Dieter, Der Apostel Paulus und die sokratische Tradition. Eine exegetische Untersuchung zu seiner „Apologie“ 2. Korinther 10-13, Beiträge zur historischen Theologie 45, Tübingen 1972. Böcher, Otto, Art.: Chiliasmus I, in: TRE 7 (1981), 723-729. Ders., Art.: Johannesapokalypse, in: RAC 19, Stuttgart 2001, 595-646. Ders., Die Johannesapokalypse, EdF 41, 2. durchges. Aufl., Darmstadt 1975 Böttrich, Christfried, Proexistenz im Leben und Sterben. Jesu Tod bei Lukas, in: Jörg Frey/ Jens Schröter (Hg.), Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament, WUNT 181, Tübingen 2005, 413-436. Broer, Ingo, Einleitung in das Neue Testament 2. Die Briefliteratur, die Offenbarung des Johannes und die Bildung des Kanons, NEB, Würzburg 2001. Brockhaus, Ulrich, Charisma und Amt. Die paulinische Charismenlehre auf dem Hintergrund der frühchristlichen Gemeindefunktionen, Wissenschaftliche Taschenbücher 8, Wuppertal 1987. Brucker, Ralph, „Christushymnen“ oder „epideiktische Passagen“? Studien zum Stilwechsel im Neuen Testament und seiner Umwelt, FRLANT 176, Göttingen 1997. Bühler, Pierre, Kreuzestheologie und die Frage nach dem Kanon. Einige hermeneutische Thesen - im Gespräch mit Francois Vouga, in: Andreas Dettwiler/ Jean Zumstein, Kreuzestheolgie im Neuen Testament, WUNT 151, Tübingen 2002, 327- 332. Bultmann, Rudolf, Theologie des Neuen Testaments, 9. Aufl., durchges. und erg. von Otto Merk, Tübingen 1984. Burkett, Delbert, The son of man debate. A history and evaluation, Monograph Series/ Society for New Testament Studies 105, Cambridge u.a. 1999. Campenhausen, Hans von, Der Ablauf der Osterereignisse und das leere Grab“, SHAW.PH 4/ 1952, 4. Aufl., Heidelberg 1977. Carter, Warren, Matthew and Empire. Initial Explorations, Harrisburg 2001. Cavallin, Hans C., Leben nach dem Tode im Spätjudentum und frühen Christentum, ANRW II 19/ 1 (1979), 240-345. Chester, Andrew, Resurrection and Transformation, in: Friedrich Avemarie/ Hermann Lichtenberger (Hg.), Auferstehung - Resurrection, WUNT 135, Tübingen 2001, 44-77. Crossan, John Dominic, Der historische Jesus, aus dem Engl. v. P. Hahlbrock, 2. Aufl. München 1995. Cullmann, Oscar, Unsterblichkeit der Seele oder Auferstehung der Toten? Antwort des Neuen Testaments, 5. Aufl. Stuttgart/ Berlin 1969. <?page no="290"?> Literaturverzeichnis 274 Dalferth, Ingolf U., Der Auferweckte Gekreuzigte. Zur Grammatik der Christologie, Tübingen 1994. Delorme, Jean (Hg.), Zeichen und Gleichnisse. Evangelientext und semiotische Forschung, Düsseldorf 1979. Dettwiler, Andreas/ Zumstein, Jean (Hg.), Kreuzestheologie im Neuen Testament, WUNT 151, Tübingen 2002. Deuser, Hermann, Einleitung: American Philosophy, in: ders., Gottesinstinkt, Religion in philosophy and theology 12, Tübingen 2004, 1-18. Ders., Gottesinstinkt. Semiotische Religionstheorie und Pragmatismus, Religion in philosophy and theology 12, Tübingen 2004. Ders., Kategoriale Semiotik und Pragmatismus, in: ders., Gottesinstinkt. Semiotische Religionstheorie und Pragmatismus, Religion in philosophy and theology 12, Tübingen 2004, 20-37. Ders., Die phänomenologischen Grundlagen der Trinität, in: ders., Gottesinstinkt. Semiotische Religionstheorie und Pragmatismus, Religion in philosophy and theology 12, Tübingen 2004, 38-54. Ders., Art. Semiotik - VII. Ethisch, in: RGG 7 (2004), 4. Aufl., 1196f. Ders., Religion und Evolution, in: Günter Thomas/ Andreas Schüle (Hg.), Gegenwart des lebendigen Christus, Leipzig 2007, 271-294. Dronsch, Kristina, Bedeutung als Grundbegriff Neutestamentlicher Wissenschaft. Texttheoretische und semiotische Entwürfe zur Kritik der Semantik dargelegt anhand einer Analyse zu av kou, w in Mk 4, Dissertationsschrift, Frankfurt a. M. 2006. Dies., Text-Ma(h)le. Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14, in: Angelika Standhartinger (Hg.), Eine ungewöhnliche und harmlose Speise? Von den Entwicklungen frühchristlicher Abendmahlstraditionen, Gütersloh 2008, 157-179. Eckstein, Hans-Joachim, Denn Gottes Zorn wird vom Himmel her offenbar werden. Exegetische Erwägungen zu Röm 1,18, in: ZNW 78 (1987), 74-89. Ders., Welker, Michael (Hg.), Die Wirklichkeit der Auferstehung, 2. Aufl., Neukirchen-Vluyn 2004. Eco, Umberto, Lector in fabula. Die Mitarbeit der Interpretation in erzählenden Texten, aus dem Ital. v. H.-G. Held, München 1987. Ders., Semiotik. Entwurf einer Theorie der Zeichen, Supplemente 5, München 1987. Ego, Beate, Abraham als Urbild der Treue Israels. Traditionsgeschichtliche Überlegungen zu einem Aspekt des biblischen Abrahambildes, in: Friedrich Avemarie/ Hermann Lichtenberger, Bund und Tora. Zur theologischen Begriffsgeschichte in alttestamentlicher, frühjüdischer und urchristlicher Tradition, WUNT 98, Tübingen 1996, 25-40. Eisen, Ute E., Die Poetik der Apostelgeschichte. Eine narratologische Studie, NTOA/ StUNT 58, Fribourg/ Göttingen 2006. Engberg-Pedersen, Troels, A Stoic Understanding of Pneuma in Paul, in: ders./ Henrik Tronier (Hg.), Philosophy at the Roots of Christianity, Biblical Studies Section - Faculty of Theology (University of Copenhagen), Copenhagen 2006, 101-123. Essen, Georg, Historische Vernunft und Auferweckung Jesu. Theologie und Historik im Streit um den Begriff geschichtlicher Wirklichkeit, Tübinger Studien zur Theologie und Philosophie 9, Mainz 1995. Feldmeier, Reinhard, Die Christen als Fremde. Die Metapher der Fremde in der antiken Welt, im Urchristentum und im 1. Petrusbrief, WUNT 64, Tübingen 1992. Fisch, Max H., Peirce's General Theory of Signs, in: ders./ Kenneth Laine Ketner/ Christian J.W. Kloesel, Peirce, Semeiotic and Pragmatism, IUP-Bloomington 1986, 322-326. <?page no="291"?> Literaturverzeichnis 275 Frenschkowski, Marco, Die Johannesoffenbarung zwischen Vision, astralmythologischer Imagination und Literatur, in: Friedrich Wilhelm Horn (Hg.), Studien zur Johannesoffenbarung und ihrer Auslegung. FS für Otto Böcher zum 70. Geburtstag, Neukirchen-Vluyn 2005, 20-45. Frey, Jörg, Erwägungen zum Verhältnis der Johannesapokalypse zu den übrigen Schriften des Corpus Johanneum, in: Martin Hengel, Die johanneische Frage. Ein Lösungsversuch, mit einem Beitrag zur Apokalypse von Jörg Frey, WUNT 67, Tübingen 1993, 326-429. Ders., Die johanneische Eschatologie II. Das johanneische Zeitverständnis, WUNT 110, Tübingen 1998. Ders., Die eschatologische Verkündigung in den johanneischen Texten,WUNT 117, Tübingen 2000. Ders./ Schröter, Jens (Hg.), Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament, WUNT 181, Tübingen 2005. Frickenschmidt, Dirk, Empfänger unbekannt verzogen? Ergebnisse empirischer Glaubensforschung als Herausforderung für die neutestamentliche Hermeneutik, ZNT 4 (1999), 52-64. Getta, Leonie u.a., Mitten ins Leben. Religion Bd. 1 (5./ 6. Schuljahr), Berlin 2007. Gignac, Alain, Neue Wege der Auslegung. Die Paulus-Interpretation von Alain Badiou und Giorgio Agamben, ZNT 18 (2006), Themenheft „Apostelgeschichten“, 15-25. Güttgemanns, Erhardt, Der leidende Apostel und sein Herr. Studien zur paulinischen Christologie, FRLANT 90, Göttingen 1966. Ders., Offene Fragen zur Formgeschichte des Evangeliums. Eine methodologische Skizze der Grundlagenproblematik der Form- und Redaktionsgeschichte, 2. Aufl., BEvTh 54, München 1971. Ders., Studia linguistica neotestamentica. Gesammelte Aufsätze zur linguistischen Grundlage einer Neutestamentlichen Theologie, 2. Aufl., München 1971. Ders., ‚Text‘ und ‚Geschichte‘ als Grundkategorien der Generativen Poetik. Thesen zur aktuellen Diskussion um die ‚Wirklichkeit‘ der Auferstehungstexte, LingBib 11 (1972), 1-12. Ders., Einleitende Bemerkungen zur strukturalen Erzählforschung, LingBib 23/ 24 (1973), 2-47. Ders., Fragmenta semiotico-hermeneutica. Eine Texthermeneutik für den Umgang mit der Heiligen Schrift, FThL 9, Bonn 1983. Ders., Der Mythos als Ort des Paradigmenwechsels. Zur neueren Diskussion um den Mythos, LingBib 62 (1989), 49-96. Ders., Die Darstellung einer Theologie des Neuen Testaments als semiotisches Problem, LingBib 68 (1993), 5-94. Guttenberger, Gudrun, Wfqh Der visuelle Gehalt der frühchristlichen Erscheinungstradition und mögliche Folgerungen für die Entstehung und Entwicklung des frühchristlichen Glaubens an die Auferstehung Jesu (Teil 1), BZ NF 52/ 1 (2008), 40-63. Härle, Wilfried, Die Wirklichkeit - Unser Konstrukt oder widerständige Realität, in: Gesche Linde u.a. (Hg.), Theologie zwischen Pragmatismus und Existenzdenken, FS für H. Deuser, MTHS 90, Marburg 2006, 163-173. Häfner, Gerd, Die Pastoralbriefe (1Tim/ 2Tim/ Tit), in: Martin Ebner/ Stefan Schreiber (Hrsg.), Einleitung in das Neue Testament, KStBTH 6, Stuttgart 2008, 450-473. <?page no="292"?> Literaturverzeichnis 276 Hahn, Ferdinand, Das Geistverständnis in der Johannesoffenbarung, in: Friedrich Wilhelm Horn (Hg.), Studien zur Johannesoffenbarung und ihrer Auslegung. FS für Otto Böcher zum 70. Geburtstag, Neukirchen-Vluyn 2005, 3-9. Halbfas, Hubertus, Nach vorne gedacht. Wie soll der Religionsunterricht in einer nichtchristlichen Gesellschaft aussehen? , in: rhs 35 (1992), Heft 6, 372-77, zit. nach: arbeitsbuch Religionsunterricht: Überblicke - Impulse- Beispiele, hg. V. Hartmut Lenhard, in Verb. M. Theodor Ahrens u.a., 3. neu bearb. U. erw. Aufl., Gütersloh 1996, 23-26 Harnack, Adolf von, Geschichte der altchristlichen Literatur bis Eusebius II/ 1, Leipzig 1897. Hays, Richard B., The Faith of Jesus Christ. An Investigation of the Narrative Substructure of Galatians 3: 1-4: 11, SBL Dissertation series 56, Chico, CA 1983. Ders., Echoes of Scripture in the Letters of Paul, New Haven/ London 1989. Ders., Reading Scripture in Light of the Resurrection, in: Ellen F. Davis, Richard B. Hays (Ed.), The Art of Reading Scripture, Grand Rapids, Mi/ Cambridge, U.K. 2003, 216-238. Heckel, Ulrich, Kraft in Schwachheit. Untersuchungen zu 2. Kor 10-13, WUNT 56, 2. Reihe, Tübingen 1993. Heiligenthal, Roman, Der verfälschte Jesus. Eine Kritik moderner Jesusbilder, Darmstadt 1997. Hieke, Thomas, Neue Horizonte. Biblische Auslegung als Weg zu ungewöhnlichen Perspektiven, in: ZNT 12 (2003, Themenheft Kanon), 65-76. Ders., Die Genealogien der Genesis, Herders biblische Studien 39, Freiburg u.a. 2003. Ders./ Nicklas, Tobias, „Die Worte der Prophetie dieses Buches“. Offenbarung 22,6-21 als Schlussstein der christlichen Bibel Alten und Neuen Testaments gelesen, BThS 62, Neukirchen-Vluyn 2003. Hoffmann, Paul, Die Toten in Christus. Eine religionsgeschichtliche und exegetische Untersuchung zur paulinischen Eschatologie, NTA N.F. 2, 3. Auflage, Münster 1978. Hofius, Otfried, Der Gott allen Trostes. Paraklesis und parakalein in 2 Kor 1, 3-7, in: ders., Paulusstudien, WUNT 51, Tübingen 1989, 244-254. Holtz, Traugott, Sprache als Metapher. Erwägungen zur Sprache der Johannesapoka lypse, in: Friedrich Wilhelm Horn (Hg.), Studien zur Johannesoffenbarung und ihrer Auslegung. FS für Otto Böcher zum 70. Geburtstag, Neukirchen-Vluyn 2005,10-19. Janowski, Bernd, Sühne als Heilsgeschehen. Studien zur Sühnetheologie der Priesterschrift und zur Wurzel KPR im Alten Orient und im Alten Testament, WMANT 55, Neukirchen-Vluyn 1982. Ders., Die Toten loben JHWH nicht. Psalm 88 und das alttestamentliche Todesverständnis, in: Friedrich Avemarie/ Hermann Lichtenberger, Auferstehung/ Resurrection. The Fourth Durham-Tübingen Research Symposium: Resurrection, Transfiguration and Exaltation in Old Testament, Ancient Judaism and Early Christianity (Tübingen, September 1999), WUNT 135, Tübingen 2001, 3-45. Ders., Das Leben für andere hingeben. Alttestamentliche Voraussetzungen für die Deutung des Todes Jesu, in: Jörg Frey/ Jens Schröter (Hg.), Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament, WUNT 181, Tübingen 2005. Jörns, Klaus-Peter, Notwendige Abschied. Auf dem Weg zu einem glaubwürdigen Christentum, 1. Aufl., Gütersloh 2004. Johanson, Bruce C., To all the Brethren. A text-linguistic and rhetorical approach to I Thessalonians, CB.NT 16, Stockholm 1987. <?page no="293"?> Literaturverzeichnis 277 Kähler, Martin, Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus, ThB 2, 3. Aufl., München 1961. Käsemann, Ernst, Kritische Analyse von Phil 2,5-11, in: ders., Exegetische Versuche und Besinnungen, 6. Aufl. (Bd. 1), 3. Aufl. (Bd. 2), Göttingen 1970, 51-95. Ders., Die Legitimität des Apostels. Eine Untersuchung zu 2. Korinther 10-13, Libelli 33, Darmstadt 1956. Ders., Paulinische Perspektiven, Tübingen 1969. Ders., Jesu letzter Wille nach Johannes 17, 4. Auflage, Tübingen 1980. Kahl, Werner, New Testament miracle stories in their religious-historical setting. A religionsgeschichtliche comparison from a structural perspective, FRLANT 163, Göttingen 1994. Ders., Zur Interpretation des Neuen Testaments im sozio-kulturellen Kontext Westafrikas, in: ZNT 5 (2000, Themenheft Interreligiöser Dialog), 27-35. Karrer, Martin, Die Johannesoffenbarung als Brief. Studien zu ihrem literarischen, historischen und theologischen Ort, FRLANT 140, Göttingen 1986. Konradt, Matthias, Der Jakobusbrief, in: Martin Ebner, Stefan Schreiber (Hg.), Einleitung in das Neue Testament, Kohlhammer-Studienbücher Theologie 6, Stuttgart 2008, 496-510. Kraus, Wolfgang, Der Tod als Sühnetod bei Paulus. Überlegungen zur neueren Diskussion, in: ZNT 3 (1999), 20-30. Kremer, Jakob, Art. avna,stasij ktl , in: Horst Balz/ Gerhard Schneider (Hg.), EWNT I, 2., verb. Auflage, Stuttgart u.a. 1992, 210-221. Ders., Art. ev gei, rw , in: Horst Balz/ Gerhard Schneider (Hg.), EWNT I, 2., verb. Auflage, Stuttgart u.a. 1992, 899-910. Kübler-Ross, Elisabeth, Kinder und Tod, Stuttgart/ Zürich 1984. Lampe, Peter, Die urchristliche Rede von der „Neuschöpfung des Menschen“ im Lichte konstruktivistischer Wissenssoziologie, in: Stefan Alkier/ Ralph Brucker (Hg.), Exegese und Methodendiskussion, TANZ 23,Tübingen 1998, 21-32. Ders., Die Wirklichkeit als Bild. Das Neue Testament als ein Grunddokument abendländischer Kultur im Lichte kinstruktivistischer Epistemologie und Wissenssoziologie, Neukirchen-Vluyn 2006. Lindemann, Andreas, Zum Abfassungszweck des zweiten Thessalonicherbriefes, in: ZNW 68 (1977), 35-47. Ders., Die Gemeinde von „Kolossa“. Erwägungen zum „Sitz im Leben“ eines pseudopaulinischen Briefes, in: WuD NF (1981), 111-134. Ders,. Auferstehung-Unsere Hoffnung, Kleine Schriften aus dem Reformierten Bund 8, Wuppertal 1997. Link, Christian, Schöpfung. Schöpfungstheologie in reformatorischer Tradition, Handbuch Systematischer Theologie 7/ 1, Gütersloh 1991. Ders., Schöpfung. Schöpfungstheologie angesichts der Herausforderungen des 20. Jahrhunderts, Handbuch systematischer Theologie 7/ 2, Gütersloh 1991. Linnemann, Eta, Der (wiedergefundene) Markusschluss, in: ZThK 66 (1969), 255-287. Lips, Hermann von, Weisheitliche Traditionen im Neuen Testament, WMANT 64, Neukirchen-Vluyn 1990. Liszka, James Jakób, A general introduction to the Semeiotic of Charles Sanders Peirce, Bloomington u.a. 1996. Lohmeyer, Ernst, Kyrios Jesus. Eine Untersuchung zu Phil 2,5-11, 2. Aufl., Darmstadt 1961. Luck, Ulrich, Die Bekehrung des Paulus und das paulinische Evangelium. Zur Frage der Evidenz in Botschaft und Theologie des Apostels, in: ZNW 76 (1985), 187-208. <?page no="294"?> Literaturverzeichnis 278 Lyotard, Jean-Francois, La condition postmoderne. Rapport sur le savoir, Paris 1979. Ders., Das postmoderne Wissen. Ein Bericht, Theatro Machinarum ¾, Bremen 1982. Marin, Louis, Semiotik der Passionsgeschichte. Die Zeichensprache der Ortsangaben und Personennamen, BeTh 70, München 1976. Marty, Martin E./ Appleby, R. Scott (Hg.), The Fudamentalism Project, 5 vols., Chicago 1991-1995. Merz, Annette, Die fiktive Selbstauslegung des Paulus. Intertextuelle Studien zur Intention und Rezeption der Pastoralbriefe, NTOA 52, Göttingen u.a. 2003. Mittelstaedt, Alexander, Lukas als Historiker. Zur Datierung des lukanischen Doppelwerkes, TANZ 43, Tübingen/ Basel 2006. Moody, R. A., Leben nach dem Tod. Die Erforschung einer ungeklärten Erfahrung, Reinbek 1977. Ders., Das Licht on drüben. Neue Fragen und Antworten, Reinbek 1989. Mußner, F., Zur stilistischen und semantischen Struktur der Formel von 1Kor 15,3b-5, in: Rudolf Schnackenburg u.a. (Hg.), Die Kirche des Anfangs. FS für Heinz Schürmann, Freiburg u.a. 1978. Neville, Robert C., Recovery of the measure. Interpretation and nature, Axiology of thinking 2, Albany 1989. Niebuhr, Karl-Wilhelm, Heidenapostel aus Israel. Die jüdische Identität des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen, WUNT 62, Tübingen 1992. Paulsen, Henning, Überlieferung und Auslegung in Römer 8, WMANT 43, Neukirchen-Vluyn 1974. Ders., Zur Literatur und Geschichte des frühen Christentums, WUNT 99, Tübingen 1997. Peirce, Charles S., Phänomen und Logik der Zeichen, hg. und übers. von Helmut Pape, Frankfurt a.M. 1983. Ders., Private Gedanken zur Lebensführung, in: ders., Religionsphilosophische Schriften, übers., eingel., kommen. und hrsg. Hermann Deuser, PhB 478, Hamburg 1995. Ders., On a new list of categories (1867), dt.: Eine neue Liste der Kategorien, in: ders., Semiotische Schriften 1 (1865-1903), Frankfurt a.M. 1986,147-159. Ders., Semiotische Schriften 2 (1903-1906), Frankfurt a.M. 1990. Ders., Semiotische Schriften 3 (1906-1913), Frankfurt a.M. 1993. Pezzoli-Olgiati, Daria, Täuschung und Klarheit. Zur Wechselwirkung zwischen Vision und Geschichte in der Johannesoffenbarung, FRLANT 175, Göttingen 1997. Plümacher, Eckhard, Lukas als hellenistischer Schriftsteller. Studien zur Apostelgeschichte, StNT 9, Göttingen 1972. Ders., Stichwort: Lukas, Historiker, in: ZNT 18 (2006), Themenheft Apostelgeschichte, 2-8. Pöttner, Martin, Realität als Kommunikation. Ansätze zur Beschreibung der Grammatik des paulinischen Sprechens in 1Kor 1,4-4,21 im Blick auf literarische Problematik und Situationsbezug des 1. Korintherbriefes, Theologie 2, Münster 1995. Porter, Stanley, The Paul of Acts. Essays in literary criticism, rhetoric and theology, WUNT 115, Tübingen 1999. Preuß, Horst Dietrich, „Auferstehung” in Texten alttestamentliche Apokalyptik (Jes 26,7-19, Dan 12,1-4), in: Uwe Gerber/ Erhardt Güttgemanns (Hg.), „Linguistische“ Theologie. Biblische Texte, christliche Verkündigung und theologische Sprachtheorie, FThL 3, Bonn 1972, 101-133. <?page no="295"?> Literaturverzeichnis 279 Reinmuth, Eckart, Narratio und argumentatio - zur Auslegung der Jesus-Christus- Geschichte im Ersten Korintherbrief. Ein Beitrag zur mimetischen Kompetenz des Paulus, in: ZThK 92 (1995), 3-27. Ders., Historik und Exegese - zum Streit um die Auferstehung Jesu nach der Moderne, in: Stefan Alkier/ Ralph Brucker (Hg.), Exegese und Methodendiskussion, TANZ 23, Tübingen/ Basel 1998, 1-20. Ders., Erzählen und Begreifen. Ein Beitrag zum neutestamentlichen Verständnis eines theologischen Missverständnisses, in: Ulrich Mell (Hg.), Die Gleichnisreden Jesu 1899-1999. Beiträge zum Dialog mit Adolf Jülicher, BZNW 103, Berlin/ New York 1999, 237-256. Ders., Hermeneutik des Neuen Testaments. Eine Einführung in die Lektüre des Neuen Testaments, UTB 2310, Göttingen 2002. Ders., Neutestamentliche Historik. Probleme und Perspektiven, in: ThLZ.F 8, Leipzig 2003. Ders., Paulus. Gott neu denken, Biblische Gestalten 9, Leipzig 2004. Ders., Ostern - Ereignis und Erzählung. Die jüngste Diskussion und das Matthäusevangelium, in: ZNT 19 (2007), Themenheft Auferstehung, 3-14. Roh, Teaseong, Der zweite Thessalonicherbrief als Erneuerung apokalyptischer Zeitdeutung, NTOA 62, Göttingen u.a. 2007. Schlund, Christine, Deutungen des Todes Jesu im Rahmen der Pesach-Tradition, in: Jörg Frey/ Jens Schröter (Hg.), Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament, WUNT 181, Tübingen 2005, 397-411. Schneemelcher, Wilhelm, Neutestamentliche Apokryphen, I. Evangelien, 6. Aufl., Tübingen 1990. Schnelle, Udo, Wandlungen im paulinischen Denken, SBS 137, Stuttgart 1989. Ders., Einleitung in das Neue Testament, UTB 1830, 3. neub. Aufl., Göttingen 1999. Schoberth, Ingrid, Nicht bloß ein „lieber Gott“. Die Verharmlosung der Gottesrede als Problem der Praktischen Theologie, ZNT 9 (2002), Themenheft „Gericht und Zorn Gottes“, 60-66. Schürmann, Heinz, „Pro-Existenz“ als christologischer Grundbegriff, in: ders., Jesus - Gestalt und Geheimnis. Gesammelte Beiträge, hg. v. K. Scholtissek, Paderborn 1994, 286-315. Schulz, Heiko, Theorie des Glaubens, RPTh 2, Tübingen 2001. Schwindt, Rainer, Das Weltbild des Epheserbriefes. Eine religionsgeschichtlichexegetische Studie, WUNT 148, Tübingen 2002. Scott, Ian W., Implicit epistemology in the letters of Paul. Story, experience and the spirit, WUNT 2. Reihe 105, Tübingen 2006. Sellin, Gerhard, Der Streit um die Auferstehung der Toten. Eine religionsgeschichtliche und exegetische Untersuchung von 1. Korinther 15, FRLANT 138, Göttingen 1986. Smit, J., The letter of Paul to the Galatians. A deliberative speech, in: NTS 35 (1989), 1- 26. Spiegel, Yorick, Der Prozeß des Trauerns. Analyse und Beratung, 7. Aufl., München 1989. Stegemann, Hartmut, „Die des Uria“, in: Gert Jeremias (Hg.), Tradition und Glaube. Das frühe Christentum in seiner Umwelt, Festgabe für Karl Georg Kuhn zum 65. Geburtstag, Göttingen 1971, 246-276. Stemberger, Günter, Das Problem der Auferstehung im Alten Testament, in: Kairos 14 (1972), 273-290. <?page no="296"?> Literaturverzeichnis 280 Ders., Der Leib der Auferstehung. Studien zur Anthropologie und Eschatologie des palästinensischen Judentums im neutestamentlichen Zeitalter (ca. 170 v.Chr.-100 n.Chr.), Rom 1972. Svenbro, Jesper, Phrasikleia. Anthropologie de la lecture en Grèce ancienne, Textes à l'appui, Paris 1988. Talbert, Charles H., Literary Patterns, Theological Themes and the Genre of Luke- Acts, SBL MS 20, Missoula, Montana 1974. Tannehill, Robert C., Die Jünger im Markusevangelium - die Funktion einer Erzählfigur, in: Ferdinand Hahn (Hg.), Der Erzähler des Evangeliums - Methodische Neuansätze in der Markusforschung, SBS 118/ 119, Stuttgart 1985, 37-66. Theißen, Gerd, Die Religion der ersten Christen. Eine Theorie des Urchristentums, 2. Auflage, Gütersloh 2001. Theobald, Michael, Der Epheserbrief, in: Martin Ebner/ Stefan Schreiber (Hg.), Einleitung in das Neue Testament, KStBTH 6, Stuttgart 2008, 408-424. Ders., Der Kolosserbrief, in: Martin Ebner/ Stefan Schreiber (Hg.), Einleitung in das Neue Testament, KStBTH 6, Stuttgart 2008, 425-439. Thiede, Werner, Sterben, Tod und Auferstehung als Themen für Kinder und Jugendliche, PTh 83 (1994), 210-228. Ulland, Harald, Die Vision als Radikalisierung der Wirklichkeit in der Apokalypse des Johannes, TANZ 21, Tübingen/ Basel 1997. Vanhoye, Albert, La structure littéraire de l` épitre aux hébreux, Paris u.a., 1963. Ders., Literarische Struktur und theologische Botschaft des Hebräerbriefs, in: SNTU 4 (1979), 119-147. Ders., Art.: Hebräerbrief, in: TRE 14, Berlin u.a. 1985, 494-510. Vouga, Francois, Zur rhetorischen Gattung des Galaterbriefes, in: ZNW 79 (1988), 291f. Ders., Ist die Kreuzestheologie das hermeneutische Zentrum des Neuen Testaments? , in: Andreas Dettwiler/ Jean Zumstein (Hg.), Kreuzestheologie im Neuen Testament, WUNT 151, Tübingen 2002, 283-326. Ders., Crux probat omnia: Der oder ein Prüfstein der neutestamentlichen Hermeneutik? Dialog und Konsens mit Pierre Bühler, in: Andreas Dettwiler/ Jean Zumstein (Hg.), Kreuzestheologie im Neuen Testament, WUNT 151, Tübingen 2002, 333- 339. Walter, Nikolaus, Geschichte und Mythos in der urchristlichen Präexistenzchristologie, in: ders., Praeparatio evangelica. Studien zur Umwelt, Exegese und Hermeneutik des Neuen Testaments, WUNT 98, Tübingen 1997, 281-292. Waschke, Ernst-Joachim, Art.: Auferstehung I. Auferstehung der Toten 2. Altes Testament, in: RGG 1, 4. Aufl., Tübingen 1998, 915. Wedderburn, Alexander J.M. (Hg.), Paul and Jesus. Collected essays, Journal for the study of the New Testament, Suppl. Ser. 37, Sheffield 1989. Weiser, Alfons, Freundschaftsbrief und Testament. Zur literarischen Gattung des Zweiten Briefes an Timotheus, in: Günther Riße (Hg.), Zeit-Geschichte und Begegnungen. FS für Bernhard Neumann zur Vollendung des 70. Lebensjahres, Paderborn 1998, 158-170. Weiß, Wolfgang, Aufbruch und Bewährung. Hebräerbrief und Apokalypse im Vergleich, in: Friedrich Wilhelm Horn (Hg.), Studien zur Johannesoffenbarung und ihrer Auslegung. FS für Otto Böcher zum 70. Geburtstag, Neukirchen-Vluyn 2005, 248-262. Welker, Michael, Was geht vor beim Abendmahl? , 3. Auflage, Gütersloh 2005. <?page no="297"?> Literaturverzeichnis 281 Wiefel, Wolfgang, Die Hauptrichtung des Wandels im eschatologischen Denken des Paulus, ThZ 30 (1974), 65-84. Wilckens, Ulrich, Theologie des Neuen Testaments, Bd. ½: Jesu Tod und Auferstehung und die Entstehung der Kirche aus Juden und Heiden, Neukirchen-Vluyn, 2003. Wischmeyer, Oda (Hg.), Paulus. Leben, Umwelt, Werk, Briefe, Tübingen u.a. 2006. Witherington III, Ben, Paul’s narrative thought world: The tapestry of tragedy and triumph, Louisville, KY 1994. Wolter, Michael, Die Pastoralbriefe als Paulustradition, FRLANT 146, Göttingen 1988. Wrede, William, Das Messiasgeheimnis in den Evangelien. Zugleich ein Beitrag zum Verständnis des Markusevangeliums, 4., unveränd. Aufl., Göttingen 1969. Wright, N. T., The Resurrection of the Son of God, Christian Origins and the Question of God III, London 2003. Zeller, Dieter, Religionsgeschichtliche Erwägungen zur Auferstehung, in: ZNT 19 (2007), Themenheft Auferstehung, 15-23. Zimmermann, Ruben, Christologie der Bilder im Johannesevangelium. Die Christopoetik des vierten Evangeliums unter besonderer Berücksichtigung von Joh 10, WUNT 171, Tübingen 2004. Ders., Das Leben aus dem Tod. Vom sterbenden Weizenkorn - Joh 12,24, in: ders. (Hg.), Kompendium der Gleichnisse Jesu, Gütersloh 2007, 804-816. Ders., The Narrative Hermeneutics of John 11. Learning with Lazarus how to understand Death, Life, and Resurrection, in: Craig R. Koester/ Reimund Bieringer (Hg.) The Resurrection of Jesus in the Gospel of John, WUNT 222, Tübingen 2008, 75-101. Zumstein, Jean, Die johanneische Ostergeschichte als Erzählung gelesen, in: ZNT 3 (1999), 11-19. Ders., Das Johannesevangelium: Eine Strategie des Glaubens, in: ders., Kreative Erinnerung. Relecture und Auslegung im Johannesevangelium, Zürich 1999, 31-45. <?page no="299"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Postfach 25 60 · D-72015 Tübingen · Fax (0 7071) 97 97-11 Internet: www.francke.de · E-Mail: info@francke.de »Bibel als Text«, das ist ein text- und kultur wissenschaftlich orientiertes Verstehensmodell, das die theologische Bibelhermeneutik mit aktuellen Diskursen anderer textinterpretierender Disziplinen vernetzt. Der Textbegriffübernimmt dabei die Funkfftion einer integrierenden Leitfigur. fi Das hermeneutische Programm »Bibel als Text« versteht sich als neues hermeneutisches Paradigma neben der konfessionell gebundenen Bibelhermeneutik, die die Bibel als Wort Gottes, kanonische Heilige Schrift oder existentiell betreffendes Lebensff und Glaubensbuch beschreibt. Das Verstehensmodell »Bibel als Text« beruht auf dem Ansatz, dass die Erklärungspotentiale des sprach- und literaturbezogenen Textbegriffs keineswegs ausgeschöpft oder mit dem cultural turn überholt sind. Vielmehr haben die Kategorien von Sprachlichkeit und Textualität in der Anwendung auf die Bibel hohen Erklärungswert. Beiträge aus der alt- und neutestamentlichen Wissenschaft, aus der Kirchengeschichte, der Sprach- und Literaturwissenschaft und der Philosophie spielen das hermeneutische Programm »Bibel als Text« an biblischen Texten und ihren Posttexten durch. Oda Wischmeyer / Stefan Scholz (Hrsg.) Die Bibel als Text Beiträge zu einer textbezogenen Bibelhermeneutik Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie, Band 14 2008, 270 Seiten, €[D] 39,00/ SFr 66,00 ISBN 978-3-7720-8295-5 086408 Auslieferung August 2008.11 11 13.08.2008 14: 47: 54 Uhr <?page no="300"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Postfach 25 60 · D-72015 Tübingen · Fax (0 7071) 97 97-11 Internet: www.francke.de · E-Mail: info@francke.de Klaus Berger, Elisabeth Schüssler Fiorenza, Peter Stuhlmacher und Hans Weder beherrschten gemeinsam und gegeneinander die neutestamentliche Diskussion zur Bibelinterpretation der vergangenen 40 Jahre. Die Studie untersucht diese vier Ansätze, befragt sie nach den diskursiven Triebfedern (Ideologien) ihrer Themenauswahl und Argumentationsweisen und stellt die Ergebnisse vergleichend nebeneinander. Dadurch entsteht ein kultur wissenschaf tlich orientiertes Gesamtbild des jüngeren Diskurses zur Bibelhermeneutik. Es zeigt sich dabei, dass auch neutestamentlichwissenschaftliche Interpretationen, welche primär als textgetreue Auslegungen biblischer Texte gelten, als ideologiebesetzte Strategien zur Durchsetzung bestimmter Machtinteressen aufgefasst werden können. Die mit dieser Studie begründete Einsicht in die Perspektivität, Pluralität und Determination biblischer Interpretationen verstärkt die Integration der neutestamentlichen Wissenschaft in das Paradigma der Postmoderne. Stefan Scholz Ideologien des Verstehens Eine Diskurskritik der neutestamentlichen Hermeneutiken von Klaus Berger, Elisabeth Schüssler Fiorenza, Peter Stuhlmacher und Hans Weder Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie, Band 13 2007, 396 Seiten, €[D] 58,00/ Sfr 91,50 ISBN 978-3-7720-8246-7 089007 Auslieferung November 20013 13 15.11.2007 8: 11: 57 Uhr <?page no="301"?> A . F R A N C K E V E R L A G T Ü B I N G E N U N D B A S E L Stefan Alkier Die Realität der Auferweckung in, nach und mit den Schriften des Neuen Testaments Alkier Realität der Auferweckung Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie 12 Herausgegeben von Friedrich W. Horn, Oda Wischmeyer und Hanna Zapp Die Rede von der Auferweckung des gekreuzigten Jesus von Nazareth bestimmt maßgeblich die Textsammlung des Neuen Testaments. Mit ihr verknüpft ist die Rede von der Auferweckung der Toten. Der erste Teil der Untersuchung geht der Frage nach, wo und wie Auferweckung bzw. Auferstehung in den neutestamentlichen Texten thematisiert wird und unter welchen Realitätsannahmen und rhetorischen Strategien die neutestamentliche Rede von der Auferweckung bzw. der Auferstehung ihre Plausibilität entfaltet. Der zweite Teil der Untersuchung interpretiert die exegetischen Ergebnisse unter der Fragestellung, wie christliche Theologie die Auferweckung der Toten heute denken kann. Der dritte Teil versucht exemplarisch nach der existentiellen Tragfähigkeit der erzielten exegetischen und systematischen Ergebnisse zu fragen. ISBN 978-3-7720-8227-6