Mysterium mirabile
Poesie, Theologie und Liturgie in den Hymnen des Ambrosius von Mailand zu den Christusfesten des Kirchenjahres
0618
2008
978-3-7720-5271-2
978-3-7720-8271-9
A. Francke Verlag
Alexander Zerfaß
Die Hymnen des Bischofs Ambrosius von Mailand (374-397) waren für Jahrhunderte das normative Vorbild der Hymnendichtung und beeinflussten nachhaltig die Geschichte des Kirchengesangs. Die vorliegende Studie befasst sich mit den Liedern, die Ambrosius für die drei zu seiner Zeit in Mailand gefeierten Christusfeste schuf: Ostern ("Hic est dies verus Dei"), Weihnachten ("Intende qui regis Israel") und Epiphanie ("Inluminans altissimus"). Die Hymnen erweisen sich gleichermaßen als poetische Meisterwerke, Kompendien der altkirchlichen Theologie und erstrangige liturgietheologische Quellen. Ausführlich werden dabei liturgiehistorische Fragen nach der Entwicklung der Feste und die umstrittene Echtheitsproblematik der Hymnen behandelt, ebenso ihre Rezeptionsgeschichte bis hin zu den Übertragungen im deutschen Kirchenlied. Auf der Grundlage der Hymnen zeichnen sich Umrisse einer spezifisch christlichen Theologie des Festes ab, die in den kulturwissenschaftlichen Diskurs zur Festtheorie eingebracht werden.
<?page no="0"?> Die Hymnen des Bischofs Ambrosius von Mailand (374-397) waren für Jahrhunderte das normative Vorbild der Hymnendichtung und beeinflussten nachhaltig die Geschichte des Kirchengesangs. Die vorliegende Studie befasst sich mit den Liedern, die Ambrosius für die drei zu seiner Zeit in Mailand gefeierten Christusfeste schuf: Ostern („Hic est dies verus Dei“), Weihnachten („Intende qui regis Israel“) und Epiphanie („Inluminans altissimus“). Diese Hymnen erweisen sich gleichermaßen als poetische Meisterwerke, Kompendien der altkirchlichen Theologie und erstrangige liturgietheologische Quellen. Ausführlich werden liturgiehistorische Fragen nach der Entwicklung der Feste und die umstrittene Echtheitsproblematik der Hymnen behandelt, ebenso ihre Rezeptionsgeschichte bis hin zu den Übertragungen im deutschen Kirchenlied. Auf der Grundlage der Hymnen zeichnen sich Umrisse einer spezifisch christlichen Theologie des Festes ab, die in den kulturwissenschaftlichen Diskurs zur Festtheorie eingebracht werden. Die Arbeit wurde ausgezeichnet mit dem Preis der Antonie- Wlosok-Stiftung der Universität Mainz und dem Balthasar- Fischer-Preis des Deutschen Liturgischen Instituts. ISBN 978-3-7720-8271-9 Zerfaß Mysterium mirabile 19 A. FRANCKE VERLAG TÜBINGEN UND BASEL PIETAS LITURGICA STUDIA ALEXANDER ZERFASS Mysterium mirabile Poesie, Theologie und Liturgie in den Hymnen des Ambrosius von Mailand zu den Christusfesten des Kirchenjahres <?page no="1"?> Mysterium mirabile <?page no="2"?> PIETAS LITURGICA STUDIA 19 Interdisziplinäre Beiträge zur Liturgiewissenschaft begründet von Hansjakob Becker herausgegeben von Ansgar Franz Die Reihe »Pietas Liturgica« erscheint in Zusammenarbeit mit »KULTUR - LITURGIE - SPIRITUALITÄT e.V.« Interdisziplinäre Vereinigung zur wissenschaftlichen Erforschung und Erschließung des christlichen Gottesdienstes <?page no="3"?> ALEXANDER ZERFASS Mysterium mirabile Poesie, Theologie und Liturgie in den Hymnen des Ambrosius von Mailand zu den Christusfesten des Kirchenjahres A. FRANCKE VERLAG TÜBINGEN UND BASEL <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.d-nb.de> abrufbar. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Bistums Mainz, der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein und des Vereins KULTUR - LITURGIE - SPIRITUALITÄT e.V. © 2008 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.francke.de E-Mail: info@francke.de Printed in Germany ISSN 1862-2704 ISBN 978-3-7720-8271-9 Titelabbildung: Reliquienschrein der Capella Sancta Sanctorum des Lateran, Palästina, 6. Jh., Vatikanische Museen · Foto: Vatikanische Museen <?page no="5"?> V Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2007 von der Katholisch- Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung wurde sie an wenigen Stellen geringfügig ergänzt. Meinem Bischof, Herrn Karl Kardinal Lehmann, danke ich für einen großzügigen Druckkostenzuschuss seitens des Bistums Mainz. Ebenso bin ich der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften sowie dem Verein „Kultur - Liturgie - Spiritualität e.V.“ für ihre namhafte Beteiligung an den Publikationskosten dankbar. Wenn ich auf die Entstehung dieses Buches zurückblicke, bin ich zunächst der Studienstiftung des deutschen Volkes zu Dank verpflichtet, deren Promotionsstipendium mir ein konzentriertes Arbeiten an der Untersuchung ermöglichte. Besonders herzlich bedanke ich mich bei meinem Vertrauensdozenten, Herrn Prof. Dr. Volker Bach, für seine vielfältige Unterstützung. Bis 2005 konnte ich ferner vom gedeihlichen Umfeld des Graduiertenkollegs „Geistliches Lied und Kirchenlied interdisziplinär“ (DFG) unter der Leitung von Herrn Prof. Dr. Hermann Kurzke profitieren. Den akademischen Lehrern, die mich in besonderer Weise geprägt haben, sei an dieser Stelle ebenfalls gedankt. Herzlich verbunden fühle ich mich meiner verehrten Lehrerin Frau Prof. Dr. Antonie Wlosok, die in mir die Liebe zur und das Gespür für die lateinische Poesie geweckt und meinen Weg auf mannigfache Weise gefördert hat. Herr Prof. Dr. Christian Pietsch lehrte mich das Vertrauen auf die bleibende Aktualität und Diskursfähigkeit der antiken Literatur. In der Theologie haben die Vorlesungen der Herren Prof. Dr. Arno Anzenbacher und Prof. Dr. Armin Kreiner bleibenden Eindruck hinterlassen und hinsichtlich der Klarheit und Präzision des Gedankens einen Maßstab gesetzt. Herrn Prof. Dr. Theofried Baumeister gilt mein Dank für die Erstellung des Zweitgutachtens zur vorliegenden Arbeit. Für die kritische Lektüre von großen Teilen der Studie und manchen Hinweis danke ich den Herren Doctores Johannes Breuer, Dominik Fugger und Norbert Jacoby. Darüber hinaus haben mich die Gespräche mit Frau Dr. Siri Fuhrmann, Herrn Prof. Dr. Angelus A. Häußling OSB und Herrn Prof. Dr. Rolf Zerfaß bereichert. Frau Gisela Freyberg gebührt mein Dank insbesondere für das mühevolle Korrekturlesen der lateinischen Zitate. Wertvolle Rückmeldungen erhielt ich auch von Herrn Dr. Sebastian Henn - zudem ist er der beste Freund, den ich mir wünschen kann. Herrn Prof. Dr. Martin Klöckener, bei dem ich während der Schlussphase des Promotionsverfahrens arbeiten durfte, danke ich für seine herzliche Anteilnahme und dafür, dass er mir durch eine flexible Gestaltung der Arbeitszeit die nötigen Freiräume zur Prüfungsvorbereitung schuf. Seinen kostbaren Rat und eine Vielzahl wichtiger Anregungen gab mir in jeder Phase der Arbeit Herr Prof. Dr. Ansgar Franz, dessen Untersuchung <?page no="6"?> VI der Tagzeitenhymnen des Ambrosius mir stets ein Leitstern war. Für seine in mancher Hinsicht entscheidende fachliche wie menschliche Begleitung danke ich ihm von Herzen. Ein besonderer Dank gilt abschließend meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Dr. Hansjakob Becker. Ohne seine Begeisterungsfähigkeit - als Begeisterter andere zu begeistern - wäre ich heute nicht der, der ich bin. Auf seine Anregung geht meine Beschäftigung mit der lateinischen Hymnendichtung und insbesondere den großartigen Hymnen des Ambrosius zurück. Dass er die Entstehung der Dissertation in für ihn nicht immer leichten Zeiten mit ungeminderter Entschlossenheit und Aufmerksamkeit begleitet und gefördert hat, werde ich ihm nicht vergessen. Ich möchte dieses Buch meiner Familie widmen: meinen Eltern, Hiltrud und Gerhard Zerfaß, als Dank für die vorbehaltlose Unterstützung, mit der sie meinen Weg ermöglicht haben und weiterhin begleiten, meinen Brüdern, Dan und Kay Zerfaß, und ihren Familien, als Dank für den liebevollen Rückhalt, den sie mir bieten, und vor allem meiner Frau Martina als Dank für alles Glück, das sie mir jenseits des Schreibtisches beschert. Worms, am Hochfest der Auferstehung des Herrn 2008 <?page no="7"?> VII Inhaltsverzeichnis Einleitung.................................................................................................................. 1 1. Die Festhymnen des Ambrosius als Gegenstand der Studie .......... 1 2. Zielsetzung und Methode der Studie................................................... 4 A Intende qui regis Israel.....................................................9 1. Liturgiegeschichtliche Grundlegung: Weihnachten und Epiphanie in Mailand zur Zeit des Ambrosius .................................. 9 1.1 Die ‘Predigt des Liberius’ in virg. 3 ...................................................... 9 1.1.1 Ein Zeugnis für die Liturgie Roms oder Mailands? ........................... 11 1.1.2 Ein Zeugnis für Weihnachten oder für Epiphanie? ............................ 14 1.2 Eine Predigt über den Fischfang des Petrus (in Luc. 4)................... 23 1.3 Der Hymnus Intende qui regis Israel................................................... 26 1.3.1 Die Bezeugung der Autorschaft des Ambrosius ................................ 26 1.3.2 Zur Ursprünglichkeit der ersten Strophe ............................................ 27 1.3.3 Exkurs: Zur Singweise der Hymnen .................................................... 29 1.3.4 Der liturgiehistorische Zeugniswert des Hymnus ............................. 37 1.4 Der Hymnus Inluminans altissimus ................................................... 40 1.4.1 Methodische Überlegungen zur Echtheitsfrage ................................. 40 1.4.2 Die Bedingungskriterien ........................................................................ 47 1.4.3 Die Plausibilitätsargumente................................................................... 48 1.4.4 Zeugnisse für die Autorschaft des Ambrosius ................................... 52 1.4.5 Zu den Argumenten gegen die Echtheit des Hymnus ...................... 54 1.4.6 Der liturgiehistorische Zeugniswert des Hymnus ............................. 60 1.5 Ergebnis .................................................................................................... 62 2. Text und Überlieferung des Hymnus................................................. 64 2.1 Die Überlieferung .................................................................................. 64 2.2 Der Text .................................................................................................... 68 3. Die Struktur des Hymnus..................................................................... 69 3.1 Die syntaktisch-gedankliche Struktur ............................................... 69 3.2 Die semantische Struktur ..................................................................... 74 <?page no="8"?> VIII 4. Kommentar .............................................................................................. 75 4.1 Erster Abschnitt (1,1-2,4): Die Bitte um das Kommen..................... 75 4.1.1 Zur Komposition des Abschnitts .......................................................... 75 4.1.2 Intende, qui regis Israel, super Cherubim qui sedes, appare Ephraem coram, excita potentiam tuam et veni (1,1-4) ................. 77 4.1.3 Veni, redemptor gentium (2,1)................................................................... 83 4.1.4 ostende partum virginis; miretur omne saeculum: talis decet partus Deum (2,2-4).................................................................. 86 4.2 Zweiter Abschnitt (3,1-4,4): Die Inkarnation in der Jungfrau ....... 95 4.2.1 Zur Komposition des Abschnitts .......................................................... 95 4.2.2 Non ex virili semine, sed mystico spiramine verbum Dei factum est caro (3,1-3)............................................................ 96 4.2.3 fructusque ventris floruit (3,4)................................................................... 98 4.2.4 Alvus tumescit virginis, claustrum pudoris permanet (4,1f.)................... 99 4.2.5 vexilla virtutum micant, versatur in templo Deus (4,3f.) ....................... 101 4.3 Dritter Abschnitt (5,1-6,4): Der Weg des Heils ............................... 104 4.3.1 Zur Komposition des Abschnitts ........................................................ 104 4.3.2 Procedit e thalamo suo, pudoris aula regia, geminae gigans substantiae, alacris ut currat viam (5,1-4) .................... 105 4.3.3 Egressus eius a Patre, regressus eius ad Patrem; excursus usque ad inferos, recursus ad sedem Dei (6,1-4) ...................... 111 4.4 Vierter Abschnitt (7,1-8,4): Das neue Licht...................................... 117 4.4.1 Zur Komposition des Abschnitts ........................................................ 117 4.4.2 Aequalis aeterno Patri (7,1) ..................................................................... 118 4.4.3 carnis tropaeo cingere (7,2) ...................................................................... 120 4.4.4 infirma nostri corporis virtute firmans perpeti (7,3f.)............................. 122 4.4.5 Praesepe iam fulget tuum lumenque nox spirat novum (8,1f.) ............... 125 4.4.6 quod nulla nox interpolet fideque iugi luceat (8,3f.)................................ 128 4.5 Gesamtwürdigung................................................................................ 129 5. Rezeptionsgeschichtlicher Ausblick ................................................ 131 5.1 Die liturgische Verwendung des Hymnus...................................... 131 5.2 Die Melodien des Hymnus................................................................. 138 5.3 Der Hymnus als deutsches Kirchenlied .......................................... 140 B Inluminans altissimus .................................................149 1. Text und Überlieferung des Hymnus............................................... 149 1.1 Die Überlieferung ................................................................................ 149 1.2 Der Text .................................................................................................. 150 <?page no="9"?> IX 2. Die Struktur des Hymnus................................................................... 151 2.1 Die syntaktisch-gedankliche Struktur ............................................. 151 2.2 Die semantische Struktur ................................................................... 157 3. Kommentar ............................................................................................ 158 3.1 Erster Abschnitt (1,1-5,4): Die tria miracula .................................... 158 3.1.1 Zur Komposition des Abschnitts ........................................................ 158 3.1.2 Inluminans altissimus micantium astrorum globos (1,1f.) ..................... 159 3.1.3 pax, vita, lumen, veritas (1,3) .................................................................. 162 3.1.4 Iesu, fave precantibus (1,4) ...................................................................... 166 3.1.5 seu mystico baptismate fluenta Iordanis retro conversa quondam tertio praesenti sacraris die (2,1-4) ........................... 167 3.1.6 seu stella partum virginis caelo micans signaveris (3,1f.)....................... 174 3.1.7 et hoc adoratum die praesepe magos duxeris (3,3f.)................................. 176 3.1.8 vel hydriis plenis aquae vini saporem infuderis; hausit minister conscius quod ipse non impleverat (4,1-4) ..................... 179 3.1.9 aquas colorari videns, inebriare flumina (5,1f.) ....................................... 182 3.1.10 mutata elementa stupent transire in usus alteros (5,3f.)......................... 189 3.2 Zweiter Abschnitt (6,1-8,4): Die Brotvermehrung.......................... 192 3.2.1 Zur Komposition des Abschnitts ........................................................ 192 3.2.2 Sic quinque milibus virum dum quinque panes dividit (6,1f.)................ 193 3.2.3 edentium sub dentibus in ore crescebat cibus, multiplicabatur magis dispendio panis suo (6,3-7,2)............................... 197 3.2.4 Quis haec videns mirabitur iuges meatus fontium (7,3f.) ....................... 200 3.2.5 Inter manus frangentium panis rigatur profluus, intacta quae non fregerant fragmenta subrepunt viris (8,1-4) ................ 201 3.3 Gesamtwürdigung................................................................................ 203 4. Rezeptionsgeschichtlicher Ausblick ................................................ 205 4.1 Die liturgische Verwendung des Hymnus...................................... 205 4.2 Die Melodie des Hymnus ................................................................... 209 C Hic est dies verus Dei ...................................................211 1. Text und Überlieferung des Hymnus............................................... 211 1.1 Die Überlieferung ................................................................................ 211 1.2 Der Text .................................................................................................. 213 2. Zur Echtheit des Hymnus ................................................................... 214 2.1 Die Bedingungskriterien .................................................................... 214 2.2 Die Plausibilitätsargumente............................................................... 216 <?page no="10"?> X 2.3 Das Zeugnis des Caesarius von Arles .............................................. 217 2.4 Zu den Argumenten gegen die Echtheit des Hymnus .................. 219 3. Die Struktur des Hymnus................................................................... 223 3.1 Die syntaktisch-gedankliche Struktur ............................................. 223 3.2 Die semantische Struktur ................................................................... 227 3.3 Textimmanente Fernbezüge ............................................................... 229 4. Kommentar ............................................................................................ 231 4.1 Erster Abschnitt (1,1-2,2): Der wahre Tag Gottes ........................... 231 4.1.1 Zur Komposition des Abschnitts ........................................................ 231 4.1.2 Hic est dies verus Dei (1,1) ...................................................................... 232 4.1.3 sancto serenus lumine (1,2)...................................................................... 237 4.1.4 quo diluit sanguis sacer probrosa mundi crimina (1,3f.)......................... 239 4.1.5 Exkurs: Quadragesima, Pascha und Pentekoste bei Ambrosius .... 246 4.1.6 fidem refundens perditis (2,1) .................................................................. 250 4.1.7 caecosque visu inluminans (2,2) .............................................................. 253 4.2 Zweiter Abschnitt (2,3-4,4): Der gute Schächer .............................. 256 4.2.1 Zur Komposition des Abschnitts ........................................................ 256 4.2.2 Quem non gravi solvat metu latronis absolutio (2,3f.)............................ 257 4.2.3 qui praemio mutans crucem Iesum brevi adquisit fide (3,1f.) ................. 260 4.2.4 iustosque praevio gradu praevenit in regno Dei (3,3f.) ........................... 262 4.2.5 Opus stupent et angeli poenam videntes corporis (4,1f.) ........................ 266 4.2.6 Christoque adhaerentem reum vitam beatam carpere (4,3f.) ................... 268 4.3 Dritter Abschnitt (5,1-8,4): Die universale Erlösung ..................... 273 4.3.1 Zur Komposition des Abschnitts ........................................................ 273 4.3.2 Mysterium mirabile (5,1) ......................................................................... 274 4.3.3 ut abluat mundi luem, peccata tollat omnium carnis vitia mundans caro (5,2-4) ............................................................ 279 4.3.4 Quid hoc potest sublimius (6,1) ............................................................... 281 4.3.5 ut culpa quaerat gratiam (6,2) ................................................................. 282 4.3.6 metumque solvat caritas (6,3) .................................................................. 285 4.3.7 reddatque mors vitam novam (6,4) .......................................................... 286 4.3.8 hamum sibi mors devoret suisque se nodis liget (7,1f.) ........................... 287 4.3.9 moriatur vita omnium, resurgat ut vita omnium (7,3f.)......................... 291 4.3.10 Cum mors per omnes transeat, omnes resurgunt mortui (8,1f.) ............. 294 4.3.11 consumpta mors ictu suo perisse se solam gemat (8,3f.) ......................... 296 4.4 Gesamtwürdigung................................................................................ 297 <?page no="11"?> XI 5. Rezeptionsgeschichtlicher Ausblick ................................................ 299 5.1 Die liturgische Verwendung des Hymnus...................................... 299 5.2 Die Melodie des Hymnus ................................................................... 304 5.3 Der Hymnus als deutsches Kirchenlied .......................................... 305 Schlussbetrachtung ............................................................................................. 309 Literaturverzeichnis ............................................................................................ 317 1. Textausgaben der Heiligen Schrift ................................................... 317 2. (Kommentierte) Ausgaben der Hymnen des Ambrosius ............. 317 3. Sonstige Werke des Ambrosius......................................................... 318 4. Weitere literarische Quellen .............................................................. 319 5. Liturgische Quellen ............................................................................. 325 6. Gesangbücher und Anthologien ....................................................... 325 7. Lehramtliche Quellen .......................................................................... 326 8. Hilfsmittel.............................................................................................. 327 9. Lexika ...................................................................................................... 328 10. Sekundärliteratur ................................................................................. 329 Register .................................................................................................................. 347 1. Bibelstellen ............................................................................................ 347 2. Personen ................................................................................................. 353 <?page no="13"?> 1 Einleitung 1. Die Festhymnen des Ambrosius als Gegenstand der Studie Die Hymnen des Ambrosius, der in den Jahren 374 bis 397 als Bischof der Gemeinde in der kaiserlichen Residenzstadt Mailand vorstand, sind von epochaler Bedeutung für die Geschichte des Kirchenliedes. Daher hat man ihn als den „Vater des lateinischen und mittelbar auch des deutschen Kirchengesanges“ 1 bezeichnet. Die Abwehr erfolgreicher Lieder häretischen Inhalts, verbunden mit einer auch antimarkionistisch motivierten Besinnung auf den Psalter als das genuine Gesangbuch der Kirche, hatte zuvor auf breiter Front eine Phase des biblizistischen Rückzugs bedingt, das heißt: Nichtbiblische Gesangsstücke waren vom gottesdienstlichen Gebrauch ausgeschlossen worden 2 . Nach dem dadurch eingetretenen Bruch der Kontinuität zur reichhaltigen Gesangskultur der frühen Kirche 3 war es in der Tat Ambrosius, der im lateinischen Westen dem Neubeginn die entscheidenden Impulse verlieh und eine Liedform schuf, die auf Jahrhunderte normativ bleiben sollte. Zwar hatte schon Hilarius, ca. 350 bis 367/ 368 Bischof von Poitiers, angeregt vielleicht durch Erfahrungen während seines Exils in Kleinasien (356-360), lateinische Hymnen verfasst, wobei er in formaler Hinsicht auf die pagane poetische Tradition zurückgriff 4 ; diese Lieder konnten 1 Dreves, Vater des Kirchengesanges 1. 2 Explizite Quellen für diesen Vorgang sind rar und hinsichtlich der lokalen Reichweite ihrer Geltung durchaus umstritten. Das gilt auch für den häufig zitierten can. 59 der nicht genau datierbaren Synode von Laodicaea (Mitte 4. Jh.): (Mansi 2, 573f.). Trotzdem bieten die vorhandenen Indizien insgesamt eine tragfähige Grundlage für die „Arbeitshypothese“ (Franz, Alte Kirche 9), dass vom zweiten Jahrhundert an und bis ins vierte Jahrhundert hinein Neudichtungen in der Tendenz zugunsten der biblischen Psalmen zurückgedrängt wurden: vgl. Hengel, Christuslied 366-370; Franz, Alte Kirche 8-10. 3 So sind (neben einigen im Neuen Testament zitierten Liedern der Urkirche, z. B. Phil 2,6-11; Col 1,15-20) aus den ersten 350 Jahren „im wesentlichen nur - einmal abgesehen von heterodoxen Liedern und einigen ‘literarischen’ Hymnen, wie dem Christushymnus des Klemens von Alexandrien - der Luzernarhymnus Phos hilaron, die ebenfalls ursprünglich griechischen Hymnen Gloria in excelsis und Te decet laus, und das lateinische Te Deum laudamus“ (Franz, Alte Kirche 5f.) erhalten. 4 Dieser Entscheidung, für die liturgischen Lieder aus der weltlichen Dichtung vertraute Metra zu verwenden, folgt auch Ambrosius. Allerdings weicht bei ihm der polymetrische Charakter der Hymnensammlung des Hilarius einer schlichten und einheitlichen Strophenform. Wenn sich Hilarius und Ambrosius auf den Boden der traditionellen Poesie stellen, ist dies keine Selbstverständlichkeit: Die in Anm. 3 erwähnten Reste der ältesten Hymnendichtung weisen weder die Charakteristika der hellenistischen Dich- <?page no="14"?> 2 sich jedoch aufgrund ihrer komplizierten Metrik und spröden Präsentation dogmatischer Inhalte nicht durchsetzen und sind heute bis auf drei größere Fragmente verloren. Wegen ihrer völlig abweichenden Machart können sie nur sehr bedingt als Vorläufer der Dichtungen des Ambrosius gelten, sodass dieser „der Schöpfer des echt volkstümlichen lyrischen Strophenliedes der europäischen Kirche“ 5 bleibt. Überhaupt lassen sich direkte literarische Vorbilder der ambrosianischen Hymnen nicht eruieren, auch nicht in der etwas früher einsetzenden Renaissance der orientalischen Hymnik, die sich mit dem Namen Ephraems des Syrers verbindet. So stellt Josef Szövérffy fest: „Wie oft in der Literatur- und Kulturgeschichte, stehen wir auch hier vor einer Art Mysterium. Ambrosius dichtete nämlich Hymnen, deren Einzelzüge aus äußeren Einflüssen oder durch Parallelen erklärbar sind; aber der Gesamtcharakter und die eigentliche Form dieser Hymnendichtung lassen sich aus keinem Vorbild direkt ableiten“ 6 . Die Einführung der Hymnen durch Ambrosius in den liturgischen Gebrauch seiner Mailänder Gemeinde vollzog sich im engeren oder weiteren Kontext heftiger Auseinandersetzungen mit dem arianisch gesinnten Kaiserhaus, die im Vorfeld des Osterfestes 386 unter dramatischen Umständen kulminierten 7 . Das bedingt weder notwendigerweise, dass zu diesem Zeitpunkt bereits alle Hymnen vorlagen, noch schließt es aus, dass einzelne Lieder bereits in den vorangehenden Jahren abgefasst wurden. Über die Anzahl der von Ambrosius selbst gedichteten Hymnen herrscht aufgrund der schwierigen Quellenlage in der Forschung kein Konsens; jedoch ist die Auffassung, Ambrosius habe insgesamt 14 Hymnen hinterlassen, trotz in jüngerer Zeit wieder vermehrt geäußerter kritischer Stimmen am weitesten verbreitet 8 . Dabei handelt es sich um die folgenden Lieder 9 : Sieben Tag- und Festzeithymnen a) Vier Tagzeithymnen Deus creator omnium (Abend) Aeterne rerum conditor (Hahnenschrei) Splendor paternae gloriae (Morgenrot) Iam surgit hora tertia (Mittag) tung (Metrik) noch der alttestamentlichen Poesie (Parallelismus membrorum) auf und sind vielmehr in einer Art freirhythmischer Verse abgefasst. 5 Moberg, Hymnen 8. 6 Szövérffy, Annalen 46. Die gegenwärtig beste Einführung zur Hymnendichtung des Ambrosius bietet Fontaine, Introduction; eine knappe und gelungene Zusammenstellung wesentlicher Charakteristika präsentiert auch Norberg, Hymne. 7 Zu den Ereignissen und ihrer Bezeugung bei Ambrosius, Augustinus und Paulinus von Mailand vgl. Franz, Tageslauf 1-11; Dassmann, Ambrosius 95-106, sowie den umfassenden Beitrag von Nauroy, Combat. 8 In Auseinandersetzung mit der bisherigen Forschung wird in Kap. A 1.4.1 eine Methodik zur Erörterung der Echtheitsfrage entwickelt. Überblicke über den Stand der Forschung vermitteln Franz, Tageslauf 17-29; Triacca, Hymnes 184-187; Zelzer/ Zelzer, Inni 46f. 9 Die Gliederung folgt Franz, Tageslauf 27. <?page no="15"?> 3 b) Drei Festzeithymnen Intende qui regis Israel (Weihnachten) Inluminans altissimus (Epiphanie) Hic est dies verus Dei (Pascha) Sieben Märtyrer-Hymnen a) biblische Märtyrer Amore Christi nobilis (Apostel/ Evangelist Johannes) Apostolorum passio (Apostel Petrus und Paulus) b) allgemeine (und typische? 10 ) Märtyrer Agnes beatae virginis (Agnes; Typus ‘Jungfrau’) Apostolorum supparem (Laurentius; Typus ‘Diakon’) Aeterna Christi munera (‘Aller-Märtyrer’) c) speziell Mailänder Märtyrer Grates tibi Iesu novas (Protasius und Gervasius) Victor Nabor Felix pii (Victor, Nabor und Felix) Indem die vorliegende Arbeit sich den drei Festhymnen widmet, möchte sie eine komplementäre Ergänzung zu der Studie „Tageslauf und Heilsgeschichte“ bieten, mit der Ansgar Franz 1994 erstmalig eine monographische Erschließung der vier Tagzeithymnen leistete. Auf diese Weise erfährt eine weitere Gruppe der Hymnen des Ambrosius ein Maß an wissenschaftlicher Aufmerksamkeit, das ihrer beispiellosen Wirkungsgeschichte zu entsprechen sucht - schließlich wurde Ambrosius zu Recht „maestro e caposcuola“ der (lateinischen) christlichen Hymnendichtung genannt 11 . Bislang nämlich war die sich eigens mit den Festhymnen beschäftigende Forschung wenig ausgeprägt und ließ viele Fragen offen. Neben einigen kommentierten Ausgaben der Ambrosius-Hymnen, unter denen sich die 1992 von französischen Gelehrten unter der Leitung Jacques Fontaines erstellte Edition heraushebt, stand lediglich eine geringe Zahl von Spezialbeiträgen zur Verfügung. Dabei richtete sich das Interesse meist - wohl wegen der breiten Rezeption nicht zuletzt im Kirchenlied - auf Intende qui regis Israel, während Inluminans altissimus und Hic est dies verus Dei fast unberücksichtigt blieben 12 . Die Beschäftigung mit den Festhymnen des Ambrosius entspricht also einem For- 10 Vgl. dazu ebd. 29. 11 So im Titel eines Aufsatzes von Giuliana Angeloni. 12 Spezialliteratur zu Intende qui regis Israel: Dell’Acqua, Inno del santo Natale; Oldani, Intende; Boeckh, Veni; Springer, Aesthetics; Cothenet, Arrière-plan biblique; Wagner, Veni; Kurz, Intende qui; ders., Intende (erweiterte Fassung des zuvor genannten Beitrags). Dazu treten Studien zu Aspekten der Wirkungsgeschichte, im Einzelnen zur Rezeption des Verses geminae gigans substantiae: Mehlmann, História; Mans, Giants; Daley, Giant’s Twin Substances; vor allem jedoch zur Übertragung des Hymnus ins deutsche Kirchenlied und hier insbesondere zu Luthers Übersetzung „Nun komm, der Heiden Heiland“: z. B. Rößler, Da Christus geboren war 123-146; Göser, Kirche und Lied. - Zu Inluminans altissimus: Breuer, Eucharistiedichtung 36-46; Frank, Vorrangstellung; Springer, Concinnity. - Zu Hic est dies verus Dei: Bernt, Paschahymnus; Franz, Angelhaken. <?page no="16"?> 4 schungsdesiderat; darüber hinaus erscheint sie angesichts des - mindestens außerhalb der christlichen Kerngemeinden - rapide schwindenden gesellschaftlichen Stellenwerts der christlichen Feste in ihrem religiösen Gehalt 13 lohnend als Beitrag zu einer Besinnung auf den spirituellen Reichtum der eigenen Tradition. 2. Zielsetzung und Methode der Studie Das vordringliche Anliegen der Untersuchung ist die umfassende Auslegung der drei Hymnen als liturgischer Gesänge. Aus diesem Fokus auf die Textinterpretation ergibt sich die basale Gliederung der Arbeit in drei jeweils einem Hymnus gewidmete Teile, deren Anordnung dem Lauf des Kirchenjahres folgt. Dabei stehen die Fragen nach der poetischen Gestalt und nach dem theologischen Gehalt der Lieder gleichberechtigt nebeneinander und durchdringen sich wechselseitig. Beiden gibt die Dimension des liturgischen Vollzugs die Perspektive vor: Die Interpretation hat zu berücksichtigen, dass es sich nicht um Leseliteratur handelt, sondern um für den gottesdienstlichen Verwendungszusammenhang geschaffene und von dieser Rezeptionssituation her zu verstehende Texte. Die Deutung der Hymnen muss also das Spannungsfeld von Poesie (formaler Aspekt: Welche sprachlichen Mittel verwendet der Text? ), Theologie (inhaltlicher Aspekt: Welche Aussage trifft der Text? ) und Liturgie (Aspekt des Vollzugs: Welche Spiritualität prägt den Gesang des Hymnus als rituellen Vollzug? ) ausloten. Bei der Erschließung jedes Liedes heben sich drei Kapitel voneinander ab: „Text und Überlieferung des Hymnus“, „Die Struktur des Hymnus“ und „Kommentar“. Das Kapitel „Text und Überlieferung des Hymnus“ führt auf die Präsentation des Textes, verbunden mit einem kritischen Apparat, hin. Zugrunde gelegt wird die erwähnte französische Edition unter der Ägide Jacques Fontaines, die gegenwärtig als die maßgebliche Ausgabe der Hymnen zu gelten hat. In ihr ist die handschriftliche Tradition bis einschließlich des zehnten Jahrhunderts konsequent aufgearbeitet. Auf der Basis des hier dargebotenen Materials wird die Textkritik von Grund auf neu durchdacht, was in einzelnen Fällen zu einer abweichenden Textkonstitution führt. Die Begründung dieser Entscheidungen wie überhaupt die Diskussion aller relevanten textkritischen Fragen ist Bestandteil des Kommentar-Teils. Als Voraussetzung zum Verständnis des kritischen Apparats ist dem Text eine knappe tabellarische Darstellung der in der Fontaine-Edition und daher auch in der vorliegenden Arbeit für die Textkonstitution herangezogenen 13 Pannenberg, Mythos und Dogma 56: „Zu den Auswirkungen der Säkularisierung der öffentlichen Kultur gehört die Privatisierung des Sinnbewußtseins. Damit hängt es wohl zusammen, daß öffentliche Feiertage und Feste ihre das Gemeinschaftsleben strukturierende und orientierende Funktion mehr oder weniger weitgehend verlieren. Sie werden, soweit sie arbeitsfrei sind, zu Anlässen vorwiegend privater Freizeitgestaltung. Das gilt auch für die christlichen Feste einschließlich des Sonntags.“ <?page no="17"?> 5 Manuskripte vorangestellt. In diesem Zusammenhang werden auch die Grundzüge der Überlieferungsgeschichte des jeweiligen Hymnus umrissen. Den zweiten Schritt bildet das Kapitel „Die Struktur des Hymnus“, das den Gesamttext im Blick auf seinen Aufbau zum Gegenstand hat. Das Ziel ist die Analyse des Hymnus als eines gegliederten Ganzen durch die Erfassung seiner Sprachgestalt in der Dialektik von Kohärenz und Gliederung. Maßgeblich für diese Betrachtung sind die Kategorien von Syntax und Semantik 14 . Die Untersuchung setzt zunächst auf der Ebene des einzelnen Satzes an, dessen Syntax graphisch verdeutlicht wird. Den solcherart aufbereiteten Einzelsätzen ist eine wortgetreue deutsche Arbeitsübersetzung beigegeben. Daran anschließend wird die Perspektive auf die Textebene ausgeweitet: Die Frage nach der Verbindung der Sätze untereinander führt zur Abgrenzung größerer Texteinheiten und lässt die gedankliche Struktur des Hymnus erkennen. Da in diesem Kontext nicht zuletzt Konstanz und Wechsel der handelnden bzw. angesprochenen Personen sowie im Gebrauch von Tempora und Modi der Verben bedeutsam sind, ergibt sich zugleich die Einsicht in die dem Text zugrunde liegende Kommunikationssituation. Zusätzliche Informationen über die Gesamtkomposition des Hymnus liefert die Semantik, die in der Gestalt von Begriffsfeldern untersucht wird. Als Begriffsfelder werden hier Familien durch Äquivalenz oder Opposition sinnverwandter Wörter definiert. Ihre relative Verteilung im Text stellt neben den syntaktischen Signalen den zweiten zentralen Faktor dar, der dem Text Struktur verleiht. Dabei kann der semantische Befund syntaktisch definierte Einheiten bestätigen, aber auch unterlaufen. Die Verhältnisbestimmung beider Größen als spannungsvolles Geflecht ist für das Profil des Hymnus von entscheidender Bedeutung. Der eigentliche Kommentar-Teil erhält seine Binnengliederung durch die aus der Strukturanalyse des Gesamttextes erhobenen Texteinheiten. Die Untersuchung jeder Passage beginnt mit einem Kapitel „Zur Komposition des Abschnitts“. Hier wird an die eingangs getroffenen Beobachtungen zur syntaktischen Struktur angeknüpft, die Analyse nun aber unter Einbeziehung stilistischer Kategorien verfeinert. Darauf folgt schließlich die fortlaufende Einzelauslegung der Sinneinheiten, je nach Fall im Umfang von einem bis vier Versen. Ein wichtiges hermeneutisches Hilfsmittel für den Zugang 14 Unter ‘Kohärenz’ wird hier also ein „textbildender Zusammenhang von Sätzen“ verstanden, „der alle Arten satzübergreifender grammatischer … und semantischer Beziehungen umfasst“ (Bußmann, Sprachwissenschaft [ 2 1990] 389). Dieser weite Begriff von Kohärenz wird in der neueren Textlinguistik teilweise untergliedert durch die Unterscheidung zwischen Kohäsion (grammatisch-syntaktischer Aspekt) und Kohärenz (semantisch-kognitiver Aspekt), so auch bei Bußmann, Sprachwissenschaft ( 3 2002) 351f. Zur Terminologie vgl. De Beaugrande/ Dressler, Textlinguistik 3-8; Vater, Textlinguistik 29-42; Brinker, Textanalyse 21f.27-87. Eine Übersicht über die transphrastischen (satzübergreifenden) Phänomene, die die Kohärenz von Texten (im hier vorausgesetzten weiteren Sinne) konstituieren, bietet Blänsdorf, Methoden der Textlinguistik 98-100. <?page no="18"?> 6 zu einem umfassenden Textverständnis im Horizont der zeitgenössischen Theologie stellt dabei die Einbeziehung der Prosaschriften des Ambrosius dar. Neben elektronischen Ressourcen („Library of Latin Texts“) ist nach wie vor ein im Besitz der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Wien) befindlicher Zettelkatalog zum Wortgebrauch des Ambrosius ein kostbares Instrument für die Konkordanzarbeit 15 . Bei den Parallelstellen geht es (abgesehen von wenigen Ausnahmen, wo weitgehende Ähnlichkeiten dies nahelegen) nicht um literarische Abhängigkeit; es wird also nicht vorausgesetzt, dass der Prosatext in bewusster Bezugnahme auf den Hymnus verfasst sei oder umgekehrt - weswegen auch die Frage der Priorität nicht von Interesse ist. Vielmehr vermitteln lexikalische und inhaltliche Parallelen beispielsweise in Fragen der Schriftauslegung und des Bildgebrauchs Einblicke in das Denken des Autors, vor deren Hintergrund die Formulierungen des Hymnus Profil gewinnen. Zentral für das Verständnis der Hymnen sind weiterhin Bezüge zu biblischen Texten. Nach Möglichkeit wird in dieser Arbeit mit der von Ambrosius gebrauchten altlateinischen Bibelübersetzung operiert (signalisiert durch ein ‘A’ hinter dem Kürzel der biblischen Schrift). Dies ist immer dann möglich, wenn die entsprechende Schriftstelle in den Werken des Ambrosius zitiert ist 16 . Für Teile der Bibel (Psalter, Neues Testament) kann dafür auf Zusammenstellungen der Schriftzitate bei Ambrosius zurückgegriffen werden 17 . Ansonsten bietet der unter anderen Ambrosius gewidmete sechste Band der Biblia Patristica eine wertvolle Hilfe. Wenn auf diesen Wegen kein Zitat bei Ambrosius auffindbar war, weicht die vorliegende Arbeit im Falle des Neuen Testaments meist auf den griechischen Originaltext aus. Ein Zitat der Vulgatafassung wird in der Regel bewusst vermieden, um nicht den Eindruck einer wortwörtlichen Anspielung auf eine Bibelübersetzung zu evozieren, die Ambrosius noch nicht vorlag. Wenn in bestimmten Fällen trotzdem die Vulgata herangezogen wird, erfährt dieses Vorgehen eine spezielle Begründung. 15 Frau Prof. Dr. Michaela Zelzer machte diesen Katalog im Rahmen der Vorbereitungen für die vorliegende Arbeit im Sommer 2003 mit großer Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit zugänglich. 16 Es liegt auf der Hand, dass im Laufe der handschriftlichen Tradition Kopisten die Zitate nach ihnen bekannten Versionen abgewandelt haben können. Auch beweist der Wortlaut eines Bibelzitats bei Ambrosius nicht mit letzter Gewissheit die exakte Übereinstimmung mit einer ihm vorliegenden Handschrift - zu denken ist an Zitate aus dem Gedächtnis oder kontextbedingte Anpassungen. Gleichwohl ist der Rückgriff auf die Zitate methodisch ohne Alternative. 17 Nohe, Mailänder Psalter; Muncey, New Testament Text; Caragliano, Restitutio. Beim Johannesevangelium wird stets die Arbeit von Caragliano verwendet, da sie sorgfältiger vorgeht als diejenige Munceys. Wenn aus den Psalmen und dem Neuen Testament zitiert wird, verweist das ‘A’ auf die Verwendung der genannten Sammlungen. In den übrigen Fällen wird die Zitatstelle/ werden die Zitatstellen in den Fußnoten einzeln aufgeführt. <?page no="19"?> 7 Neben den Schriften des Ambrosius und der Bibel sind natürlich auch vor oder zeitgleich mit Ambrosius schreibende griechische und lateinische christliche Autoren zu bedenken, zumal wenn es sich um von Ambrosius besonders geschätzte Theologen handelt (z. B. Origenes und Athanasius). Primär in sprachlicher Hinsicht verdient schließlich die pagane antike Literatur Berücksichtigung, insbesondere die Dichtung, da Ambrosius, der aus einer gebildeten römischen Adelsfamilie stammt, „auch die Werke klassischer Autoren … in einer produktiven Aufnahme für eine christliche Sinngebung fruchtbar“ 18 macht. Der Texterschließung wird genau das und nur das vorangestellt, was unter den Bedingungen der erläuterten Methode Voraussetzung eines angemessenen Verständnisses des Textes ist. Bei Inluminans altissimus und Hic est dies verus Dei ist dies zunächst die Behandlung der umstrittenen Echtheitsfrage. Darüber hinaus ergibt sich verbunden mit Weihnachten und Epiphanie ein komplexes liturgiegeschichtliches Problemfeld, das der vorgängigen Bereinigung bedarf. Die prekäre Quellenlage hinsichtlich der Existenz des Weihnachtsfestes und des Inhalts des Epiphaniefestes in Mailand zur Zeit des Ambrosius gab und gibt - in Verbindung mit der immer wieder angezweifelten Echtheit des Epiphaniehymnus Inluminans altissimus - Anlass zu einer großen Vielfalt an Deutungen, die neuerdings auch die traditionelle Interpretation von Intende qui regis Israel als Weihnachtshymnus nicht mehr unbestritten lassen. Daher muss noch vor Beginn der Auslegung dieses Hymnus (also in Teil A) die gesamte eng ineinander verschränkte Problematik beider Feste anhand der lediglich vier vorhandenen einschlägigen Quellen von Grund auf neu erörtert werden. Schon in diesem Zusammenhang kommt notwendigerweise auch der Hymnus Inluminans altissimus als liturgiegeschichtliche Quelle in den Blick, dessen Echtheit daher nicht erst in Teil B, sondern bereits in Teil A verhandelt wird. Das Paschafest betreffend existiert kein analoger liturgiehistorischer Klärungsbedarf, da die Existenz und der grundlegende Inhalt von Ostern im spätantiken Mailand nicht in Zweifel stehen. Vielmehr liefert hier umgekehrt der Hymnus Indizien für die nachgeordnete Fragestellung, ob und inwieweit bereits eine historisierende Ausfaltung des Osterfestkreises (Karwoche, Christi Himmelfahrt, Pfingsten) nach Jerusalemer Vorbild vorauszusetzen ist. Diese Thematik wird im Rahmen eines Exkurses erörtert (C 4.1.5). Nach dem Kommentarteil folgt jeweils ein Ausblick auf wesentliche Aspekte der Verwendungs- und Wirkungsgeschichte des Hymnus. Ein erster Durchgang widmet sich den Einzelheiten des liturgischen Gebrauchs des Hymnus im Laufe der Jahrhunderte - angefangen von dem Versuch einer aufgrund fehlender zeitgenössischer Quellen notwendigerweise hypothetisch bleibenden Rekonstruktion des ursprünglichen Sitzes im Leben innerhalb der Festliturgie zur Zeit des Ambrosius bis hin zur gegenwärtigen Liturgia Horarum. Zweitens werden die Melodien dokumentiert, mit denen 18 Franz, Tageslauf 471. <?page no="20"?> 8 die Hymnen seit Beginn der musikalischen Notation im Wesentlichen verbunden wurden. Der Frage, wie alt diese Melodien sind und ob sie gar Rückschlüsse auf die ursprünglichen Melodien erlauben, kann im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht nachgegangen werden 19 . Ein Blick auf Übersetzungen des Hymnus im deutschen Kirchenlied, besonders ergiebig für Intende qui regis Israel, rundet die Würdigung der Rezeptionsgeschichte ab. Einige technische Vorbemerkungen zur Handhabung der Zitate aus den Textausgaben sind vonnöten. Die Abkürzung der biblischen Schriften richtet sich nach der Nova Vulgata. Werke lateinischer Autoren werden nach dem Indexband des Thesaurus Linguae Latinae (1990), Schriften der griechischen Patristik nach Lampe (Patristic Greek Lexicon) und die Werke des Philo von Alexandrien nach dem ‘Philo Index’ von Borgen/ Fuglseth/ Skarsten zitiert. Bei den Kirchenväterzitaten wird nach der Stellenangabe in Klammern die benutzte Edition dokumentiert, und zwar in folgender Gestalt: Kürzel der Reihe, Bandzahl, Seitenzahl der Zitatstelle, Name des Herausgebers 20 . Gehört die Edition keiner Reihe an, werden nur der Name des Herausgebers und die Seitenzahl angegeben. Bei den häufig wiederkehrenden Editionen der Werke des Ambrosius wurde, um die Anmerkungen zu entlasten, eine Kurzform gewählt, die auf den Namen des Herausgebers und bei den Bänden aus dem CSEL auch auf das Kürzel der Reihe verzichtet 21 . Die Textgestalt der Quellenzitate richtet sich in Orthographie - mit Ausnahme der einheitlich durchgeführten Unterscheidung zwischen u und v in den lateinischen Zitaten - und Zeichensetzung nach den angegebenen Editionen. Bibelzitate innerhalb von Väterzitaten werden durch Kapitälchen ausgewiesen. Ein in einer Fußnote gegebener Binnenverweis auf ein anderes Kapitel dieser Studie bezieht sich, wenn nicht ein Großbuchstabe es anders anzeigt, auf das entsprechende Kapitel innerhalb desjenigen Teils (A, B, C), in dem die Fußnote steht. 19 Während die ältere Forschung in dieser Hinsicht zuversichtlich war (z. B. Dreves, Vater des Kirchengesanges 88-128; Sesini, Poesia e musica 55-97; Stäblein, Hymnenmelodien 503f.), beurteilen neuere musikwissenschaftliche Untersuchungen die Möglichkeit sicherer Aussagen über die frühen Hymnenmelodien deutlich zurückhaltender (z. B. Bailey, Ambrosianischer Gesang 524f.; Schlager, Hymnus 486-489; Möller, Fragen). 20 Z. B. CChr.SL 1,272 Diercks = Corpus Christianorum. Series Latina, Bd. 1, ed. Diercks, p. 272. Die Abkürzungen richten sich nach Schwertner, Abkürzungsverzeichnis. 21 Z. B. 78,65 = Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum (CSEL), Bd. 78, ed. Faller, p. 65. <?page no="21"?> 9 A Intende qui regis Israel 1. Liturgiegeschichtliche Grundlegung: Weihnachten und Epiphanie in Mailand zur Zeit des Ambrosius In seiner im Jahr 2000 publizierten Studie „Die Feier der Geburt Christi in der Alten Kirche“ vertritt der evangelische Kirchenhistoriker Hans Förster die These, der Hymnus Intende qui regis Israel, von der Forschung aufgrund seiner älteren Verwendungsgeschichte bislang einhellig als Weihnachtshymnus angesehen, sei ursprünglich für das Epiphaniefest bestimmt gewesen 1 . Seine Argumentation fußt auf der Auswertung der wenigen und in ihrem Quellenwert teilweise heftig umstrittenen Informationen, die das Œuvre des Ambrosius dem Liturgiehistoriker zu Weihnachten und Epiphanie an die Hand gibt. Die Probleme erwachsen in erster Linie aus der kontroversen Interpretation der so genannten ‘Predigt des Liberius’ und aus der häufig angezweifelten Echtheit des Epiphaniehymnus Inluminans altissimus. Sie betreffen einerseits die Frage, ob in Mailand zur Zeit des Ambrosius bereits Weihnachten und Epiphanie oder nur eines der beiden Feste gefeiert wurde, andererseits den inhaltlichen Zuschnitt des Festes oder der Feste, den Ambrosius voraussetzt, da insbesondere das Epiphaniefest in der ausgehenden Antike zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten durchaus unterschiedliche Profile aufweist. Bevor wir einer Auslegung des Hymnus Intende qui regis Israel nähertreten können, müssen wir daher die von Förster herangezogenen Quellen (die ‘Predigt des Liberius’, die Erwähnung von Epiphanie im Lukaskommentar des Ambrosius sowie die Hymnen Intende qui regis Israel und Inluminans altissimus als liturgiegeschichtliche Zeugnisse) einer erneuten Prüfung unterziehen. 1.1 Die ‘Predigt des Liberius’ in virg. 3 Von großer Bedeutung in unserem Zusammenhang, hinsichtlich einer korrekten Interpretation in der Forschung jedoch besonders umstritten ist eine Predigt, die in virg. 3,1,1-3,3,14 (Cazzaniga 57-64) zitiert wird, mitsamt der sie einleitenden Bemerkung des Ambrosius. Die Schrift De virginibus gilt als die erste Publikation des Bischofs 2 , die er während seines dritten Amtsjahres redigierte 3 , nach dem wahrscheinlichsten Zeitansatz der Weihe (7. Dezem- 1 Vgl. dazu näher Kap. 1.3.4. Jüngst erhält Förster die zugrunde liegende Argumentation ohne erneute Diskussion nicht mehr aufrecht (Anfänge 225f.). 2 Vgl. Zelzer, Chronologie 89. 3 Virg. 2,6,39 (Cazzaniga 53): Haec ego vobis, sanctae virgines, nondum triennalis sacerdos munuscula paravi; vgl. 1,1,3 (ebd. 2): Ferret post triennium fructus et nostra ficus. <?page no="22"?> 10 ber 374) 4 also im Jahre 377. Zu Beginn des dritten Buches wendet sich Ambrosius direkt an seine Schwester Marcellina 5 : Er erinnert an ihre Jungfrauenweihe, die sie in der Petersbasilika zu Rom durch Bischof Liberius (352- 366) erhalten habe, insbesondere an dessen Predigt. Ambrosius wird der Weihe seiner älteren 6 Schwester persönlich beigewohnt haben 7 , da die ganze Familie in den fraglichen Jahren - eine genaue Zuweisung des Ereignisses auf ein bestimmtes Jahr ist nicht möglich, doch ist an die Zeit zwischen 352 und 355 zu denken 8 - in Rom lebte 9 . Entscheidend ist nun, dass die Jungfrauenweihe am Geburtsfest des Erlösers (Salvatoris natalis 10 ) stattfand. virg. 3,1,1 (Cazzaniga 57): Quoniam quae habuimus digessimus superioribus libris duobus, tempus est, soror sancta, ea quae mecum conferre soles beatae memoriae Liberii praecepta revolvere, ut quo vir sanctior eo sermo accedat gratior. Namque is, cum Salvatoris natali ad apostolum Petrum virginitatis professionem vestis quoque mutatione signares, - quo enim melius die quam quo virgo posteritatem adquisivit? - adstantibus etiam puel- 4 Vgl. Dassmann, Ambrosius 34. 5 Vgl. schon 1,3,10 (Cazzaniga 6). 6 Laut Paulinus von Mailand war Ambrosius noch ein Säugling, als seine Schwester bereits mit dem Vater ‘umherging’ (vita Ambr. 3 [Pellegrino 54]). 7 Vgl. Dassmann, Ambrosius 13.41. Es ist nicht nachvollziehbar, warum Caspar (Beiträge 354) aus dem Wortlaut von virg. 3,1,1 darauf schließt, Ambrosius habe von der Predigt „nur mündliche Kunde durch seine Schwester“ erhalten. Auch Frank (Frühgeschichte 13) geht davon aus, die Kenntnis der ganzen Feier und ihres Datums verdanke Ambrosius „ohne jeden Zweifel der Erinnerung seiner in Rom lebenden Schwester“. Die Formulierung: ea quae mecum conferre soles … praecepta revolvere, lässt sich aber genauso gut dahingehend interpretieren, dass ein gemeinsames Erlebnis zum wiederholten Male gemeinsam erinnert wird. 8 Vgl. Dassmann, Ambrosius 13. Das Pontifikat des Liberius zerfällt durch ein zeitweiliges Exil (355/ 356 bis 357/ 358) in zwei Phasen; die überwältigende Mehrheit der Forscher geht davon aus, dass Marcellinas Jungfrauenweihe in der ersten Phase (vor der Verbannung) stattgefunden haben muss, anders Duchesne, Rez. Usener 43; Kellner, Heortologie 111: Kellner argumentiert mit dem erforderlichen Mindestalter für die Jungfrauenweihe von 25 Jahren. Diese Altersgrenze wurde jedoch von nordafrikanischen Konzilien in den 390er Jahren festgesetzt; für Rom fehlen Zeugnisse aus dem vierten Jahrhundert: vgl. Metz, Consécration 109.111. Im Übrigen: Läge das nicht sicher datierbare Geburtsjahr des Ambrosius (vgl. Dassmann, Ambrosius 11) 333/ 334, wie häufig angenommen, könnte Marcellina durchaus bereits um oder vor 330 geboren sein. 9 Vgl. Markschies, Ambrosius 19. 10 Zum altchristlichen Umgang mit Begriff und Gehalt des Geburtstags vgl. Dürig, Geburtstag 14-44; Stuiber, Geburtstag 224-243. Im Allgemeinen bestand eine ausgeprägte Reserve gegenüber der Feier des Geburtstags: Ambrosius erklärt, Christen gedächten der Verstorbenen nicht am Jahrestag der Geburt, sondern an dem des Todes (exc. Sat. 2,5 [73,253f.]: Nos quoque ipsi natales dies defunctorum obliviscimur et eum, quo obierunt, diem celebri sollemnitate renovamus). Entsprechend erscheint im Westen seit der zweiten Hälfte des 4. Jhs. regelmäßig das am Todestag gefeierte Märtyrergedächtnis als natalis (Stuiber, Geburtstag 229-233). Gleichwohl lässt sich am Beispiel der Märtyrerinnen Agnes und Soteris zeigen, dass die Feier des wirklichen Geburtstags „nicht ganz aufgegeben war“ (ebd. 236). „Eine selbstverständliche Sonderstellung“ (239) nimmt seit dem 4. Jh. die Feier der Geburtstage Jesu Christi und Johannes des Täufers, später auch Marias ein. <?page no="23"?> 11 lis dei compluribus, quae certarent invicem de tua societate, „Bonas“ - inquit - „filia, nuptias desiderasti. …“ Zwei Probleme bestimmen die liturgiegeschichtliche Auswertung des Textes. Zum einen ist umstritten, welches Fest mit dem Salvatoris natalis gemeint ist: Weihnachten oder Epiphanie. Um dies zu klären, wird auf den Inhalt der Predigt zurückgegriffen. Zum anderen werfen der große zeitliche Abstand zwischen dem erwähnten Ereignis und der Abfassung von De virginibus sowie sachliche Probleme die Frage auf, inwieweit eben dieser Inhalt tatsächlich auf Liberius zurückgeht oder vielmehr von Ambrosius selbst gestaltet ist. Hiervon hängt es ab, ob man die Predigt als Zeugnis für die Liturgiegeschichte Roms zur Zeit des Liberius oder für die Liturgiegeschichte Mailands zur Zeit des Ambrosius auswertet. Die Kombination beider Fragestellungen ermöglicht vier verschiedene Interpretationen: a) Der Text belegt die Feier von Weihnachten in Rom in den Jahren 352/ 355 11 . b) Der Text belegt die Feier von Epiphanie in Rom in den Jahren 352/ 355 12 . c) Der Text belegt die Feier von Weihnachten in Mailand im Jahr 376 13 . d) Der Text belegt die Feier von Epiphanie in Mailand im Jahr 377 14 . 1.1.1 Ein Zeugnis für die Liturgie Roms oder Mailands? Soweit bei der Recherche ersichtlich, zogen mit André Wilmart und Thomas Michels in den Jahren 1922 und 1923 erstmals Forscher den Quellenwert der Liberius-Predigt für Rom in Zweifel. Michels’ Argument ist ein liturgiehistorisches: Er schließt sich der Auffassung Useners an, der Inhalt der Ansprache verweise auf Epiphanie, jedoch nicht auf die Epiphaniefeier Roms, die die erwähnten Festgegenstände, insbesondere die Brotvermehrung, so nie gekannt habe 15 . Insofern könne Ambrosius zwar an die Grundgedanken der tatsächlichen Predigt des Liberius angeknüpft haben; die vorliegende Fassung jedoch gehe auf ihn selbst zurück und sei von ihm inhaltlich ergänzt worden 16 . 11 Vgl. Kellner, Heortologie 110-112; Borella, Appunti 60. 12 Vgl. Usener, Weihnachtsfest 275-281; Holl, Ursprung 140f.; Lietzmann, Petrus und Paulus 107f.; ders., Geschichte 326 (mit Vorbehalt); Hartke, Jahrespunkte und Feste 60. Dagegen wenden sich Duchesne, Rez. Usener 43f.; Jülicher, Rez. Lietzmann 735f.; Botte, Origines 34-37; Mann, Epiphaniasfest 765. 13 Vgl. Frank, Frühgeschichte 11-13; Auf der Maur, Feiern 167; Talley, Origins 143. Vom Jahr 376 ist die Rede, da die im Laufe des Jahres 377 publizierte Schrift auf mindestens eine Festfeier zurückblicken muss. 14 Vgl. Michels, Ansprache 106-108; Caspar, Beiträge 349-355; Paredi, Prefazi 121f.; ders., Influssi orientali 577; ders., Liturgia 127f.; Förster, Feier der Geburt Christi 174-178. Dagegen wendet sich Frank, Geschichte 152f. 15 Zu diesem Argument und seiner Bewertung vgl. Kap. 1.1.2 Ad a). 16 Vgl. Michels, Ansprache 106f. <?page no="24"?> 12 Wenige Jahre später stellte Martin Klein diesem Ansatz philologische Beobachtungen zur Seite 17 . Er registriert Anklänge an Terenz und Valerius Maximus, für die er zahlreiche weitere Beispiele aus den Schriften des Ambrosius zu nennen weiß. Ferner folge die Ansprache dem von Ambrosius vertretenen idealtypischen Aufbau einer Rede und weise einige für ihn charakteristische Wendungen auf 18 . Ein weiteres Indiz für die literarische Erudition des Verfassers erblickt Klein in der Heranziehung des Hippolytos- Mythos als Negativbeispiel für sexuelle Verfehlungen und ihre fatalen Folgen (2,5-7 [Cazzaniga 59f.]). Hinsichtlich der Formulierung macht Klein auf zwei Parallelen in der Fassung Vergils (Aen. 7,761-782) aufmerksam. Inhaltlich weicht die vorliegende Version von der traditionellen euripideischen Sage zugunsten einer hellenistischen Variante ab, die auch auf pompejanischen Wandgemälden begegnet: Diana verletzt ihre Jungfräulichkeit, um eine Beziehung mit dem sie verehrenden Jäger Hippolytos einzugehen; dessen Tötung durch Neptun wird mit Eifersucht motiviert 19 . Alle genannten Elemente weisen nach Klein auf Ambrosius als den Verfasser des Textes hin: „Quam orationem eclogam ex operibus Liberii oriundam esse aut paraphrasim ullius sermonis a papa illo quondam litteris mandati equidem totus nego“ 20 . Die Konsequenz dieser Argumentation formuliert schließlich in aller Deutlichkeit Hieronymus Frank: „Man muß [die Predigt] als Zeugnis für römischen Festbrauch fallen lassen, man darf sie nur noch als Zeugnis für die mailändische Liturgie heranziehen“ 21 . An dieser Stelle ist eine kritische Rückfrage erforderlich: Lässt sich die Predigt tatsächlich so glatt entweder dem Liberius oder dem Ambrosius zuschreiben, wie es hier zum Anlass genommen wird, sie auf Rom oder auf Mailand zu beziehen? In der Tat dürfte es - auch unabhängig von stilkritischen Untersuchungen - die plausibelste An- 17 Vgl. auch Caspar, Beiträge 353f. Schon Wilmart hatte die Predigt aus stilistischen Gründen dem Ambrosius zugewiesen: Sermon 280 Anm. 3; vgl. darüber hinaus bereits Ansätze bei Duchesne, Rez. Usener 43. 18 Vgl. Klein, Meletemata 9-15. 19 Vgl. ebd. 16-44. Klein führt diese Fassung auf ein verlorenes hellenistisches Werk zurück und geht davon aus, sie sei Ambrosius durch die allegorische Interpretation neuplatonischer Philosophen, christlicher Apologeten oder kappadokischer Theologen vermittelt worden. 20 Ebd. 9. Dossi (S. Ambrogio e S. Atanasio 253-257) sieht Ambrosius in virg. 3 von der ep. ad virgines des Athanasius abhängig, in die eine fiktive Ansprache seines Amtsvorgängers Alexander eingeschaltet ist. Gori (Ambr. virg. 207 Anm. 6) weist jedoch darauf hin, dass zumindest im erhaltenen Teil dieses Briefes keine eindeutigen inhaltlichen Berührungspunkte mit der Liberius-Predigt erkennbar sind, was angesichts einer „vasta lacuna (17 pagine del manoscritto copto)“ allerdings nur bedingt aussagekräftig sei. 21 Frank, Frühgeschichte 12 [Hervorhebungen durch Frank]; vgl. schon: ders., Geschichte 145, im Anschluss an Caspar, Beiträge 355. <?page no="25"?> 13 nahme sein, dass der Text seine vorliegende Form durch die Hand des Ambrosius erhalten hat 22 . Jedoch bleiben davon zwei Feststellungen unberührt: a) Ambrosius verweist auf einen Salvatoris natalis als Datum der Jungfrauenweihe. Sowohl er selbst, der die Feier miterlebt hat, als auch die angesprochene Marcellina verbinden damit die Erinnerung an ein römisches Fest in den 350er Jahren, das sie beide aus den mindestens rund 15 Jahren, die sie gemeinsam in Rom lebten 23 , gut kennen. Zugleich richtet Ambrosius im Jahr 377 die Schrift De virginibus mit konkreten pastoralen Anliegen an sein Mailänder Publikum 24 , dem bei der Lektüre des dritten Buches ohne Zweifel ein mailändisches Fest vor Augen steht. Der doppelte Adressatenbezug auf Marcellina und die mailändischen Leser lässt es als die natürlichste Erklärung erscheinen, dass beide Adressaten an das gleiche Fest denken sollen 25 , dessen Inhalt sodann in der Predigt klar benannt wird 26 . Bezöge sich dieser Inhalt nicht auf das damals in Rom gefeierte Fest, wäre unverständlich, warum Ambrosius ihn überhaupt damit in Verbindung bringt. Gerade wenn man den Anteil des Ambrosius an der Ausformulierung des Textes sehr hoch ansetzt, bleibt es erklärungsbedürftig, warum er seine Worte dem Liberius in den Mund legt: Wozu sollte er auf diese literarische Fiktion zurückgreifen, wenn sie nicht im realen Ereignis verankert wäre 27 ? b) Damit ist eine zweite Überlegung verbunden: Auch wenn die literarische Gestalt der Predigt auf Ambrosius zurückgeht, dürfte er an Grundge- 22 Dass es eine stenographische Mitschrift der Ansprache gegeben haben könnte, ist zwar nicht gänzlich ausgeschlossen, doch scheint bereits die Wendung: ea quae mecum conferre soles … praecepta revolvere, eher auf einen Erinnerungsvorgang hinzudeuten als auf die Lektüre einer Mitschrift. 23 Ambrosius’ Mutter siedelte mit den drei Kindern bald nach dem Tod des Vaters, der vielleicht schon um 340 zu datieren ist, von Trier nach Rom über. „Wann der Umzug stattfand, läßt sich nicht genau festlegen, weil das Todesjahr des Vaters nicht bekannt ist“, doch „spätestens am Anfang der fünfziger Jahre muß die Familie wieder in Rom ansässig gewesen sein“ (Dassmann, Ambrosius in Rom 74f.). Um 365 verließ Ambrosius die Stadt, um seine Anwaltskarriere in Sirmium voranzutreiben: vgl. Dassmann, Ambrosius 13.22. 24 Vgl. Dassmann, Ambrosius 41-45. 25 In dieselbe Richtung scheint Fendt (Stand der Forschung 6) in seiner Bewertung der Thesen Franks zu denken. 26 Vgl. dazu S. 19. 27 Aus diesem Grund vermag die These Holls (Ursprung 141) nicht zu überzeugen, das Mailänder Publikum verbinde zwar möglicherweise die Geburt Christi bereits mit dem 25.12., nicht mehr wie das damalige römische mit dem 6.1., denke also an ein anderes Fest, Ambrosius hebe jedoch „den seit jener Rede eingetretenen Wandel“ nicht hervor, da dies „in diesem hochrednerisch gestalteten Zusammenhang mehr als bloß geschmacklos gewesen“ wäre. Vgl. auch Merkt, Maximus 152 Anm. 39, der die Predigt ebenfalls auf Epiphanie deutet und meint, sie könne in der vorliegenden Form durchaus eine literarische Fiktion sein. „Dennoch darf man wohl kaum annehmen, daß Ambrosius, der selber lange Zeit in Rom gelebt hat, einfach ein römisches Epiphaniefest erfindet.“ <?page no="26"?> 14 danken der tatsächlichen Ansprache des Liberius angeknüpft haben 28 . Anders wäre nicht verständlich, warum Marcellina ausdrücklich auf die wiederholten Gespräche darüber hingewiesen wird. Dieses Vorgehen entspricht ganz dem Usus insbesondere der antiken Geschichtsschreiber, Reden im Anschluss an ihre tatsächliche „Gesamtrichtung“ 29 frei nachzugestalten. Die plausibelste Schlussfolgerung aus den genannten Erwägungen lautet: Der angesprochene Salvatoris natalis, dessen Gegenstand in der Predigt entfaltet wird, die in der vorliegenden Form ein Werk des Ambrosius ist, möglicherweise aber auf Grundgedanken des Liberius zurückgreift, ist sowohl der Festtag, anlässlich dessen einst in Rom die Jungfrauenweihe der Marcellina stattfand, als auch der Festtag der gegenwärtigen Mailänder Gemeinde. In beiden Fällen handelt es sich um dasselbe Fest mit demselben Inhalt 30 . Mithin ist die ‘Predigt des Liberius’ sowohl ein Zeugnis für die römische Liturgie der 350er Jahre als auch für die mailändische Liturgie unter Bischof Ambrosius. 1.1.2 Ein Zeugnis für Weihnachten oder für Epiphanie? Wirkungsgeschichtlich ist es Hermann Usener, dem die These ihre Verbreitung verdankt 31 , die Liberius-Predigt beziehe sich nicht auf Weihnachten, wie es zunächst schon der Begriff natalis nahelegt 32 , sondern auf Epiphanie. Zur Begründung trägt Usener zwei Argumente vor: a) In der Predigt werden neben der Geburt Christi auch das Weinwunder der Hochzeit von Kana und die Brotvermehrung erwähnt. virg. 3,1,1f. (Cazzaniga 57f.): „Bonas“ - inquit - „filia, nuptias desiderasti. Vides quantus ad natalem sponsi tui populus convenerit, et nemo inpastus recedit. Hic est qui rogatus ad nuptias aquam in vina convertit. In te quoque sincerum sacramentum confert 28 Caspar (Beiträge 354f.) weist den wesentlichen Inhalt des ersten Paragraphen dem Liberius zu, woran sich „dann die umfangreiche Paraphrase und Exegese (Hippolytfabel usw.) anschließt, die ambrosianisches literarisches Eigentum ist“. 29 Flach (Geschichtsschreibung 29) zu Thukydides, dessen Beispiel Schule machte: „Den genauen Wortlaut der Reden im Gedächtnis zu behalten war ohnehin nicht möglich. … Aus dieser Not heraus nahm Thukydides sich vor, sich so gut wie möglich in die Lage der Redenden zu versetzen und so eng wie möglich an die Gesamtrichtung ihrer Darlegungen anzuschließen. … Der Gesamttenor der wirklich gehaltenen Reden gibt den Rahmen ab, in dem er sie nach den Umständen … nachbildet.“ 30 Vgl. Jülicher, Rez. Lietzmann 735; Caspar, Beiträge 349f. 31 Usener selbst (Weihnachtsfest 276 Anm. 7a) verweist auf den dänischen Forscher W. Rothe, der bereits 1839 zu demselben Ergebnis gelangt sei. 32 Sowohl in der römischen als auch in der ambrosianischen Liturgie heißt das Weihnachtsfest nach den mittelalterlichen Quellen Natalis Domini nostri Jesu Christi: vgl. Auf der Maur, Feiern 166. Caspari (Weihnachtsfest 362) macht zu Recht darauf aufmerksam, dass die beiden von Usener (Weihnachtsfest 277 Anm. 8) herangezogenen spätantiken Belege für eine Bezeichnung des Epiphaniefestes als natalis nicht überzeugen können, da in beiden Fällen daneben der Begriff ‘Epiphanie’ gebraucht wird. Eine Parallelstelle, die ohne weiteren Kommentar mit natalis Epiphanie meint, bleibt Usener also schuldig. <?page no="27"?> 15 virginitatis, quae prius eras vilibus obnoxia naturae materialis elementis. Hic est qui quinque panibus et duobus piscibus quattuor milia populi in deserto pavit. Plures potuit, si plures iam tunc qui pascerentur fuissent. Denique ad tuas nuptias plures vocavit, sed iam non panis ex hordeo, sed corpus ministratur e caelo. Hodie quidem secundum hominem homo natus ex virgine …“ Diese beiden Wunder, „welche Liberius in enge beziehung zu dem festtag setzt und als sinnbilder für die jungfrauenweihe verwerthet, sind dem weihnachtsfest der römischen kirche fremd, und bilden vielmehr … einen wesentlichen bestandteil der epiphaniefeier“ 33 . b) Römische Quellen seit dem Ende des fünften Jahrhunderts 34 weisen Epiphanie neben der Osterwoche und Apostelfesten als einen der für Jungfrauenweihen vorgesehen Termine aus 35 . Usener skizziert als Hintergrund: „das nächststehende sacramentale vorbild dafür war die wiedergeburt durch die taufe“ 36 . Von daher erklärt sich die Wahl der Tauftermine Ostern und Epiphanie 37 . Für die Apostelfeste ließe sich analog argumentieren: Der Todestag des Apostels markiert ebenso wie die Taufe des Christen und die Weihe der Jungfrau den Eintritt in eine neue christlich qualifizierte Existenzform. Hingegen sprechen die einschlägigen Quellen nicht von der Möglichkeit, Jungfrauenweihen an Weihnachten zu vollziehen. Wie sind die von Usener und seinen Nachfolgern 38 herangezogenen Argumente zu bewerten? Ad a): Die auf die Erwähnung des Wein- und Brotwunders gestützte Überlegung ist mit zwei gravierenden Problemen belastet. Zum einen geht es um die Kombination der genannten vermeintlichen Festinhalte Kana, Brotvermehrung und Geburt. Was im Ursprung der Inhalt des Epiphaniefestes gewesen sei, ist in der Forschung hochgradig umstritten 39 . Manche Wissenschaftler gehen davon aus, Epiphanie habe ursprünglich mit der Geburt oder der Taufe Jesu einen einzigen Festgegenstand gehabt 40 , an den 33 Usener, Weihnachtsfest 277. 34 Zuerst Papst Gelasius (492-496), epist. 14,12 (Thiel 369): Devotis quoque Deo virginibus, nisi aut in Epiphaniorum die aut in albis paschalibus, aut in apostolorum natalitiis sacrum minime velamen imponant. 35 Usener, Weihnachtsfest 277-281. 36 Ebd. 277. 37 Rom selbst taufte an Epiphanie zwar nicht, vgl. jedoch S. 22 Anm. 70. 38 Vgl. Holl, Ursprung 141; Michels, Ansprache 106f.; Lietzmann, Petrus und Paulus 107f.; ders., Geschichte 326 (mit Vorbehalt); Paredi, Prefazi 121f.; Hartke, Jahrespunkte und Feste 60; Förster, Feier der Geburt Christi 174-178. 39 Über die ältere Literatur (bis 1952) gibt einen guten Überblick: Fendt, Stand der Forschung; vgl. ferner Mann, Epiphaniasfest 762-764. 40 In der Regel wird der Ursprung des Festes in Ägypten gesucht. Eine traditionelle Hypothese (vgl. dazu Auf der Maur, Feiern 156f.) geht davon aus, es handele sich um die großkirchliche Rezeption einer gnostischen Feier der Taufe Jesu, die die Basilidianer am 11. bzw. 6. Januar begingen (vgl. Clem. str. 1,21,146,1-4 [GCS 52,90 Stählin/ Früchtel/ Treu]). Damit legt sich die Jordantaufe als ursprünglicher Festgegenstand nahe. Als genuines Geburtsfest deuten Epiphanie unter anderen Lietzmann, Geschich- <?page no="28"?> 16 sich dann weitere angelagert hätten, bzw. Geburt und Taufe seien von Anfang an kombiniert gewesen 41 . Andere schreiben dem Fest bereits in seinem Ursprung eine Drei- oder Vierzahl an Inhalten zu 42 , entweder als Substitution mehrerer vorchristlicher Feste bzw. Riten 43 oder als die mehrgliedrige Entfaltung einer einzigen übergeordneten ‘Idee’ der Epiphanie 44 . Bemerte 321f.; Botte, Origines 67-83. Förster (Feier der Geburt Christi 164f.) teilt diese Interpretation, sieht den Ursprung des Festes aber in Jerusalem. 41 So Usener, Weihnachtsfest 194f. Dass das kirchliche Epiphaniefest ursprünglich die Geburt und die Taufe Jesu beinhaltete, rührt demnach von seiner gnostischen Vorgeschichte her: Für die Basilidianer fielen Taufe Jesu und Herabkunft des Gottessohnes zusammen. Nikolasch (Ursprung) sieht das gnostische Gedächtnis der Jordantaufe zusätzlich bereits ursprünglich mit dem Hochzeitsmotiv verbunden (423: „die Vereinigung des himmlischen Christus mit der Sophia-Ekklesia“), das dann später in der westlichen Rezeption des großkirchlichen Epiphaniefestes auf die Hochzeit von Kana zugespitzt worden sei (425). Zu der „Hochzeit von Kana als Allegorie der Vermählung Christi mit der Kirche“ vgl. auch Frank, Hodie caelesti sponso 200-202. 42 Die Tatsache, dass das Fest im Osten häufig mit den Pluralia ! oder ! bezeichnet wurde, beweist an sich noch nicht eine Mehrzahl von Festinhalten, obwohl dies immer wieder behauptet wird, jüngst noch bei Connell, Earliest Western Evidence 151. Vielmehr verbirgt sich dahinter ein im indoeuropäischen Sprachraum verbreiteter „emploi primitif du pluriel dans les dénominations des fêtes“ (Mohrmann, Epiphania 256, mit zahlreichen Beispielen). 43 So z. B. Holl, Ursprung 133: „Das Epiphanienfest umfaßte ursprünglich nicht nur zwei, sondern drei oder vielmehr vier Gedanken. Es war zugleich das Fest der Geburt und der Taufe Christi und der Hochzeit zu Kana. Daneben wurde auch die Erscheinung der Magier mit ihm in Verbindung gebracht“. Im Hintergrund stehen laut Holl das gnostische Tauffest der Basilidianer (143f.), das alexandrinische Geburtsfest des Gottes " # (144-151) und ein rituelles Wasserschöpfen aus dem Nil, verbunden mit dem Kult des Osiris, der in hellenistischer Zeit mit Dionysos gleichgesetzt wurde (151-154; dabei ist bedeutsam, dass auch eine Verwandlung des Wassers in Wein zum Motivbestand dieses Brauchs gehörte). 44 Die These von Epiphanie als ‘Ideenfest’ wird schlüssig entfaltet bei Mohrmann, Epiphania (vgl. auch Hudon, Épiphanie 63f.; Talley, Festkunde 117f.). Mohrmann geht von dem Begriff ! aus und versteht ihn im Anschluss an hellenistischen und paulinischen Wortgebrauch als ‘heilbringende Manifestation der Gottheit’: „l’Épiphanie a été une fête typiquement idéologique, qui n’était pas inspireé par des considérations historiques. Elle se rattache à l’antique ! religieuse, qui exprimait l’idée d’une manifestation bienfaisante et salvatrice de la puissance divine; elle subissait en même temps l’influence de l’ ! - $ % paulinienne, qui peut désigner la venue du Christ sur la terre“ (262). Geburt, Jordantaufe und Weinwunder von Kana seien in diesem Sinne als drei Aspekte der heilbringenden Manifestation der Gottheit Christi verstanden worden. Über Mohrmann hinaus ließe sich darauf hinweisen, dass damit programmatisch auf die Anfänge der Offenbarungsgeschichte der Evangelien zurückgegriffen wird: die Geburt mit der anschließenden Huldigung bei Matthäus (1,18-2,12) und Lukas (2,1-20), die Taufe bei Markus (1,9-11), das Weinwunder bei Johannes (2,1-12). Zum Letztgenannten bemerkt Mohrmann, die Formulierung: & ' ($)* + , . / 0 1 2 3 $ * 45 / (Io 2,11), „a sûrement contribué à faire accepter le miracle du vin dans la célébration de l’Épiphanie“ (261). Merras (Origins) vermutet, Epiphanie als „celebration of the idea of God descending to the earth“ (232) sei im judenchristlich geprägten Umfeld als christliche Weiterschreibung des Laubhüttenfestes (Sukkoth) entstanden. Diese Hypothese <?page no="29"?> 17 kenswert ist jedenfalls, dass in keiner Quelle, die für Norditalien im vierten oder frühen fünften Jahrhundert eine Mehrzahl von Festgegenständen belegt, die Taufe fehlt 45 . Umgekehrt ist es nicht bezeugt und höchst unwahrscheinlich, dass man bereits im vierten Jahrhundert die Brotvermehrung als eigenständigen Festinhalt begriffen hätte. Der in diesem Zusammenhang gelegentlich bemühte Hymnus Inluminans altissimus zumindest tut dies nicht 46 . Die These Hieronymus Franks, erst ein Missverständnis der Struktur dieses Hymnus habe die Brotvermehrung in einigen Traditionen Galliens und Spaniens vorübergehend zum Festgegenstand aufsteigen lassen 47 , ist äußerst plausibel. Daraus resultiert, dass die Kombination von Geburt, Wein- und Brotwunder durchaus nicht direkt und zwingend auf Epiphanie hinweist, selbst wenn man die Freiheit des Predigers in Rechnung stellt, im konkreten Fall nur eine Auswahl der Festgegenstände anzusprechen. Schwerer noch wiegt jedoch ein zweiter Einwand: Sowohl inhaltlich als auch sprachlich 48 stehen die drei fraglichen Themen im Text der Predigt nicht auf einer Stufe. Im ersten Paragraphen der Ansprache geht es ausschließlich um die Jungfrauenweihe am Geburtsfest des Heilands; erst der zweite Paragraph widmet sich dem Geburtsfest als dem Rahmen der Jungfrauenweihe und beschäftigt sich näher mit dessen Gehalt. Zunächst verknüpft der Text mittels einer Stichwortanbindung die als spirituelle Hochzeit mit Christus verstandene Jungfrauenweihe mit derjenigen Hochzeit, zu der Christus selbst - nun der Gemahl - einstmals als Gast geladen war. Ferner wird das mit einer Hochzeit verbundene Mahl mit der im Rahmen des Festes gefeierten Eucharistie in Verbindung gebracht. In einem steigernden lässt viele Frage offen, z. B. warum im Unterschied zur christlichen Rezeption des Pascha- und des Wochenfestes der jüdische Festtermin (im Monat Tischri = September/ Oktober) verlassen wurde. Merras’ Hinweis, im Zuge des Osterfeststreits habe die Kirche sich schließlich auch vom jüdischen Paschatermin gelöst (227), verfängt nicht, da der christliche Ostertermin trotzdem weiter an den 14. Nisan gebunden blieb. 45 Der Hymnus Inluminans altissimus beinhaltet die ‘tria miracula’ Taufe, Anbetung der Magier und Weinwunder von Kana (die Wendung ‘tria miracula’ begegnet in der Magnificat-Antiphon zur zweiten Vesper an Epiphanie des römischen Stundengebets [LH 1,465]: Tribus miraculis ornatum diem sanctum colimus etc.). Dieselbe Kombination begegnet bei Petrus Chrysologus von Ravenna ( vor 458): tria deitatis insignia (serm. 157,1 [CChr.SL 24B,976 Olivar]; vgl. 157,7 [ebd. 979]; 160,7 [ebd. 992]). Die Epiphaniepredigten des Maximus von Turin ( 408/ 423) sprechen von der Taufe sowie von der Hochzeit zu Kana (bes. serm. 64,1 M. [CChr.SL 23,269-271 Mutzenbecher]): vgl. dazu Mutzenbecher, Festinhalt 110f. Filastrius von Brescia ( 387/ 397) betont wie die ab dem 5. Jh. greifbare römische Tradition die Anbetung der Magier als alleinigen Festgegenstand, erwähnt jedoch auch Gruppen, die an Epiphanie die Taufe oder die Verklärung Jesu feiern (haer. 140(112),1.4 [CChr.SL 9,304 Heylen]). Der Epiphaniesermo des Chromatius von Aquileia ( 407/ 408) bezieht sich allein auf die Taufe Jesu (serm. 34 [CChr.SL 9A,156f. Étaix/ Lemarié]), ist allerdings nur fragmentarisch erhalten. 46 Vgl. dazu Kap. 1.4.5 Ad a). 47 Vgl. Frank, Geschichte 150f. und bes. 24-36; ders., Vorrangstellung 123-129. Vgl. ferner bereits Botte, Origines 53. 48 Vgl. Botte, Origines 36: „Il ne dit pas d’ailleurs: Hodie rogatus ad nuptias; mais: Hic est qui rogatus… hic est qui quinque panibus…“ [Hervorhebungen durch Botte]. <?page no="30"?> 18 Vergleich wird die biblische Speisung durch das vermehrte Brot 49 der nunmehr stattfindenden Speisung einer noch größeren Menschenmenge durch den himmlischen Leib gegenübergestellt 50 . virg. 3,1,1f. (Cazzaniga 57f.): „Bonas“ - inquit - „filia, nuptias desiderasti. Vides quantus ad natalem sponsi tui populus convenerit, et nemo inpastus recedit. H i c e s t q u i rogatus ad nuptias aquam in vina convertit. In te quoque sincerum sacramentum confert virginitatis, quae prius eras vilibus obnoxia naturae materialis elementis. H i c e s t q u i quinque panibus et duobus piscibus quattuor milia populi in deserto pavit. Plures potuit, si plures iam tunc qui pascerentur fuissent. Denique ad tuas nuptias plures vocavit, sed iam non panis ex hordeo, sed corpus ministratur e caelo. Hodie quidem secundum hominem homo natus ex virgine …“ Doch um die kunstvolle Heranziehung der beiden biblischen Episoden vollständig zu erfassen, genügt es nicht, auf die genannten Stichwortverknüpfungen hinzuweisen. Beide Wundergeschichten werden genau parallel mit der Wendung Hic est qui eingeleitet, wobei sich das Demonstrativpronomen hic auf sponsi tui bezieht. Es geht also um Christus als den spirituellen Gemahl der Jungfrau. Die strikte Parallelität setzt sich im jeweiligen Folgesatz fort: Die Wunder werden als Typoi der gegenwärtigen Feier gedeutet. Wie Christus auf der Hochzeit von Kana eine Verwandlung an einem Element der materiellen Natur vornahm, setzt er sich auch jetzt (in te quoque) über die Elemente der materiellen Natur hinweg, indem er die Jungfrau aus deren Knechtschaft befreit (quae prius eras vilibus obnoxia naturae materialis elementis). Im Falle des Brotwunders fallen Stichwort- (pascere) und typologische Verknüpfung (Speisung und Eucharistie) unmittelbar zusammen. Das Adverb hodie 51 zu Beginn des zweiten Paragraphen markiert einen deutlichen Neueinsatz. Ging es bisher um ein Geschehen an diesem Tag, so 49 Hinsichtlich der Zahlen vermischt der Autor die verschiedenen biblischen Traditionen: Von einer Speisung der Viertausend ist Mt 15,32-39 und Mc 8,1-10 die Rede (allerdings mit sieben Broten und ‘ein paar’ Fischen); die fünf Brote und zwei Fische stammen aus Mt 14,13-21; Mc 6,32-44; Lc 9,10-17 und Io 6,1-15, wo von 5000 Menschen gesprochen wird. 50 Vgl. Mann, Epiphaniasfest 765: „Die Erwähnung der Hochzeit zu Kana und das Wunder der Brotvermehrung stehen nicht in einem inneren Zusammenhang mit dem geschilderten Fest. Grund für ihre Erwähnung sind die äußeren Umstände dieses Weihnachtsfestes: die Profeß der Marcellina und die große Menge der Mitfeiernden.“ Ähnlich bereits Kellner, Heortologie 111: „diese Dinge werden nur infolge einer sehr naheliegenden Ideenverbindung [Motiv des Hochzeitsmahles] zufällig zusammen erwähnt“; Berger, Ostern und Weihnachten 13 Anm. 66: „Es wäre überlegenswert, ob die Erwähnung der Hochzeit von Kana und der wunderbaren Brotvermehrung in der Liberiuspredigt nicht einfach von der Tatsache der Meßfeier, des eucharistischen Mahles herzuleiten ist“; vgl. auch Caspari, Weihnachtsfest 362; Frank, Geschichte 152. Im Kern hatte bereits Duchesne in seiner Rezension zur ersten Auflage des Werkes von Usener richtig erkannt: „ces souvenirs évangéliques ne sont nullement mis en rapport, dans le discours, avec l’objet de la fête“ (44). 51 Zum liturgischen ‘Heute’ vgl. Kunzler, Liturgie 112-116. „Es geht im Grunde … gar nicht um das geschichtliche Heilsereignis, durch das Menschen Erfahrungen mit Gottes rettender Macht gemacht haben, sondern um diese rettende Macht selbst, wie sie <?page no="31"?> 19 richtet sich die Aufmerksamkeit nun auf diesen Tag selbst. Es ist nämlich der Tag, an dem Christus als Mensch geboren wurde. virg. 3,1,2-4 (Cazzaniga 58f.): „Hodie quidem secundum hominem homo natus ex virgine, sed ante omnia generatus ex patre, qui matrem corpore, virtute referat patrem: unigenitus in terris, unigenitus in caelo, deus ex deo, partus ex virgine, iustitia de patre, virtus de potente, lumen ex lumine, non impar generantis, non potestate discretus, non verbi extensione aut prolatione confusus, ut cum patre mixtus, sed ut a patre generationis iure distinctus sit. Ipse est fraternus tuus, sine quo nec caelestia nec marina nec terrena consistunt, verbum patris bonum. Quod ERAT inquit IN PRINCIPIO [Io 1,1]: habes eius aeternitatem; ET ERAT inquit APUD PATREM [Io 1,1]: habes indiscretam a patre inseparabilemque virtutem; ET DEUS ERAT VERBUM [Io 1,1]: habes eius divinitatem; de compendio enim tibi fides est haurienda. Hunc, filia, dilige, quia bonus. N EMO enim BONUS NISI UNUS DEUS [Mc 10,18]. Si enim non dubitatur quia deus filius, deus autem bonus est, utique non dubitatur quia deus bonus filius. Hunc, inquam, dilige. Ipse est quem pater ante luciferum genuit ut aeternum, ex utero generavit ut filium, ex corde eructavit ut verbum. Ipse est in quo complacuit pater, ipse est patris brachium, quia creator est omnium, patris sapientia, quia ex dei ore processit, patris virtus, quia divinitatis in eo corporaliter habitat plenitudo. Quem pater ita diligit, ut in sinu portet, ad dexteram locet, ut sapientiam dicat, ut virtutem noverit. Si igitur virtus dei Christus, numquid aliquando sine virtute deus? Numquid aliquando sine filio pater? Si semper utique pater, utique semper et filius. Perfecti ergo patris perfectus est filius. Nam qui virtuti derogat derogat ei cuius est virtus. Inaequalitatem non recipit perfecta divinitas. Dilige igitur quem pater diligit, honorifica quem honorificat pater; QUI enim NON HONORIFICAT FILIUM NON HONORIFICAT PATREM [Io 5,23] et QUI NEGAT FILIUM NEC PATREM HABET [Io 2,23]. Haec quantum ad fidem. …“ Dieser Abschnitt der Predigt bezieht sich auf den dogmatischen Gehalt (ad fidem) des gegenwärtigen (hodie) Festes. Es geht um die Geburt des ewigen Wortes, des vor aller Zeit gezeugten Gottessohnes und Schöpfungsmittlers, dem Fleisch nach aus der Jungfrau. Die Inkarnation und die Natur des Inkarnierten sind das Thema des Festes. Streckenweise liest sich der Text wie eine Paraphrase des christologischen Artikels des nizänischen Glaubensbekenntnisses 52 . Auch ansonsten decken sich seine Anliegen mit denen des Konzils: Besonderer Nachdruck liegt auf der vollen, dem Vater wesensgleichen Gottheit und Ewigkeit des Sohnes. Kann dies - ein reines Geburtsfest gleich der meist verborgenen ‘Gesteinsader’ in geschichtlichen Rettungssituationen zutage tritt. Weil der Zugang zu dieser Gesteinsader in der Anamnese allezeit offensteht, gelingt es dem Menschen nicht nur, den Zeitpunkt für Zeitpunkt stur ablaufenden Lauf der Zeit zu übersteigen (‘transzendieren’), sondern kraft der Anamnese in der Liturgie an den Schnittpunkt von Zeit und Ewigkeit zu gelangen. Dort wird er wahrhafter Zeitgenosse der biblischen Ereignisse … So wird Christus an Weihnachten vor den Augen der liturgiefeiernden Gemeinde geboren“ (115f.). 52 Zur Illustration werden die entsprechenden Formulierungen des Symbolons (zitiert nach COD, p. 5; vgl. Kelly, Glaubensbekenntnisse 215) jeweils in Klammern eingefügt: generatus ex patre ( / $6 ), qui matrem corpore, virtute referat patrem: unigenitus ( 1 ) in terris, unigenitus in caelo, deus ex deo ( 6 / ), partus ex virgine, iustitia de patre, virtus de potente, lumen ex lumine ( + 4 ); weiter unten: sine quo nec caelestia nec marina nec terrena consistunt bzw. creator est omnium ( ’ 7 ! , ! 9 $ 9 3 ). <?page no="32"?> 20 mit pointiert antiarianisch-nizänischem Gepräge - der Inhalt der Epiphaniefeier Roms und Mailands in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts gewesen sein? Eine Parallele dafür ist im gesamten lateinischen Westen nicht in Sicht. Auch in Jerusalem, wo zu dieser Zeit Weihnachten noch nicht gefeiert wurde und die Geburt alleiniger Gegenstand des Epiphaniefestes war, zeigt die Gestalt der Feier einen anderen, mehr am Gedächtnis des historischen Ereignisses orientierten Akzent an 53 . Wohl aber entspricht die Tendenz der Predigt dem Bild, das das altkirchliche Weihnachtsfest erkennen lässt 54 . Exemplarisch sei nur auf die antiarianischen Elemente in den Weihnachtspredigten der kappadokischen Väter 55 oder Leos des Großen 56 und nicht zuletzt auf den Weihnachtshymnus des Ambrosius selbst (Intende qui regis Israel) - seine traditionelle Zuordnung zu diesem Fest vorausgesetzt - verwiesen 57 . An dieser Stelle interessiert nicht, inwieweit hieraus auf eine Rolle der antiarianischen Reaktion für den Ursprung des Weihnachtsfestes geschlossen werden kann; zumindest aber wird eine mögliche Akzentuierung des Weihnachtsfestes im späten vierten und fünften Jahrhundert erkennbar. Im Zentrum des diskutierten Predigtabschnitts stehen das Zitat und die Auslegung von Io 1,1: In der Eröffnungsformel des Johannesprologs verdichtet sich das theologische Anliegen des Predigers 58 . Die herausgehobene Stellung dieser biblischen Referenz lässt sich zweifellos hinreichend durch ihre theologische Eignung erklären. Bedenkt man aber, dass der Johannesprolog das Evangelium der ältesten und ursprünglich einzigen 59 römischen 53 Vgl. Förster, Feier der Geburt Christi 146-165. 54 Vgl. Roll, Toward the Origins 182-189 (Forschungsüberblick) und 189-211 (zu den Quellen „indicating the role of intra-church controversy“ für Entstehung und Verbreitung des Weihnachtsfestes). 55 Vgl. bes. Gr. Naz. or. 38,13-15 (PG 36,325-329). Dass bei Gregor von Nazianz auch die Epiphaniepredigt (or. 39 [ebd. 336ff.]) ähnliche Anklänge aufweist, hängt mit der für Kappadokien und Konstantinopel traditionellen Rolle der Epiphaniefeier als Geburtsfest Jesu zusammen. Hier wird Epiphanie erst nach der Einführung von Weihnachten allmählich zum Tauffest umgestaltet und mit der Bezeichnung + belegt. Zu den doktrinellen Gehalten der Weihnachtspredigten der kappadokischen Väter vgl. Mossay, Fêtes 47f.; Roll, Toward the Origins 189-195. 56 Interessant sind hier insbesondere die sermones 23, 25 und 30 (CChr.SL 138,102-108.117- 124.152-159 Chavasse). Vgl. Roll, Toward the Origins 203-211. 57 Siehe bes. V. 2,4: talis decet partus deum; V. 3,3: verbum Dei factum est caro; V. 5,3: geminae … substantiae; V. 6,1: egressus eius a patre; V. 7,1: aequalis aeterno patri. Vgl. Bernareggi, Liturgia Ambrosiana (1927) 45 („intonazione nettamente antiariana“); Fontaine, Intende 266; Roll, Toward the Origins 201f. 58 Für Baumstark manifestiert sich hier der Charakter des Weihnachtsfestes: „ce n’était pas une fête historique mais l’expression d’une grande idée religieuse“ (Liturgie comparée 178). Überspitzt bezeichnet er Weihnachten als „la fête du dogme nicéen“ (ebd. 179). Vgl. auch Berger, Ostern und Weihnachten 9: „Der Johannesprolog, der doch mit Bedacht als Weihnachtsevangelium den synoptischen Geburtsberichten vorgezogen wurde, unterstreicht ja viel stärker die Qualität dessen, der da Mensch geworden ist“. 59 Vgl. Auf der Maur, Feiern 169f. <?page no="33"?> 21 Weihnachtsmesse (der Tagesmesse) ist 60 , drängt sich der Verdacht auf, dass darüber hinaus bewusst auf die zentrale Lesung dieses Gottesdienstes Bezug genommen wird. Darin wäre ein Hinweis zu erblicken, dass Ambrosius tatsächlich Erinnerungen an die damalige Ansprache des Liberius verarbeitet hat. Mailand, das nach der Einführung des Weihnachtsfestes zunächst ebenfalls nur eine morgendliche Messe kannte 61 , las in dieser nämlich nicht Io 1, sondern Lc 2 62 . Für Mailand könnte daher ausschließlich von einer inhaltlich, nicht liturgisch motivierten Bezugnahme auf den Johannesprolog gesprochen werden 63 . Zusammenfassend ist festzuhalten: Die Erwähnung der Hochzeit von Kana und der Brotvermehrung in der ‘Predigt des Liberius’ steht nicht im Kontext des Festinhalts des Salvatoris natalis, sondern ist hinlänglich durch die Jungfrauenweihe der Marcellina motiviert. Der Gegenstand des natalis selbst wird erst in den folgenden Paragraphen entfaltet und verweist eindeutig auf Weihnachten. Ad b): Da wir davon ausgehen, dass der Salvatoris natalis, an dem die Jungfrauenweihe der Marcellina stattfand, und der Festtag, den sich die Mailänder Leser unter dieser Bezeichnung vorstellten, identisch sind, erhebt die oben aufgewiesene Beziehung der ‘Predigt des Liberius’ auf das Weihnachtsfest in der Tat die Frage, ob in den Jahren 352/ 355 in Rom eine Jungfrauenweihe an diesem Datum denkbar war. Wenn Usener dies bestreitet, kann er sich nur auf Quellen berufen, die erst im späten fünften Jahrhundert einsetzen, rund 140 Jahre nach der Weihe der Marcellina. Schon im Jahr der Veröffentlichung der zweiten Auflage von Useners Werk bemerkt dazu treffend ein Rezensent: „‘Aengstlichen Gemütern’ stellt er S. 277 diesen Beweis zur Verfügung. Allein auch beherzte Gemüter könnten bei diesem Beweise ängstlich werden“ 64 . Dass man für die Jungfrauenweihe von Anfang an besondere Tage auswählte, ist ohne weiteres plausibel. Allerdings existieren vor dem bereits erwähnten Erlass des Papstes Gelasius (492-496) 65 keine expliziten Belege dafür, auf welche Termine man sich im Einzelnen beschränkte 66 . Es ist 60 Der älteste Beleg für die liturgische Nutzung des Johannesprologs für das römische Weihnachtsfest ist Leo M. serm. 27,1 (CChr.SL 138,132 Chavasse). Die römischen Capitularia evangeliorum reichen bis in die erste Hälfte des siebten Jahrhunderts zurück und weisen einheitlich Io 1,1-14 als Evangelium der missa in die aus: vgl. Klauser, Capitulare Evangeliorum 13 (zum ältesten Typus der römischen Kapitularien; zu den zugrunde liegenden Handschriften vgl. ebd. 3-9). 61 Vgl. Righetti, Manuale 2, 419 (Nr. 269). 62 Vgl. S. 132 Anm. 619. 63 Eine solche ist jedoch bei Ambrosius jederzeit zu erwarten: vgl. Intende qui regis Israel, V. 3,3: verbum Dei factum est caro. 64 Caspari, Weihnachtsfest 362. 65 Vgl. dazu S. 15 Anm. 34. 66 Es lohnte eine eigene traditionsgeschichtliche Studie, auf welchem Wege sich die Information Eingang in liturgiewissenschaftliche Handbücher verschaffte, Papst Siricius <?page no="34"?> 22 durchaus denkbar, dass es bis dahin überhaupt keine einheitliche Regelung gab 67 . René Metz schließt in seiner Monographie zur Geschichte der Jungfrauenweihe in Rom jedenfalls eine Interpretation der ‘Predigt des Liberius’ auf Weihnachten und damit die Möglichkeit der Jungfrauenweihe an diesem Termin keineswegs aus 68 . Eine mögliche gedankliche Verbindung benennt Ambrosius selbst in der Einleitung zur Predigt: virg. 3,1,1 (Cazzaniga 57): … cum Salvatoris natali ad apostolum Petrum virginitatis professionem vestis quoque mutatione signares, - quo enim melius die quam quo virgo posteritatem adquisivit? - … Es ist die besondere Bedeutung der Jungfrau Maria für das Weihnachtsfest, die die Weihe von Jungfrauen an diesem Tag nahelegt. Zu einem späteren Zeitpunkt kam man von dieser Praxis ab und stellte bei der Wahl der Termine den Gedanken des Eintritts der geweihten Jungfrau in eine neue christlich qualifizierte Existenzform heraus 69 . Damit lief natürlicherweise Epiphanie als Tauftermin 70 bzw. Tag der Ankündigung des zentralen österlichen Tauftermins 71 Weihnachten den Rang ab 72 . Auch von dieser Seite steht also einer weihnachtlichen Deutung der ‘Predigt des Liberius’ nichts entgegen, die mithin als Beleg für die Existenz des Weihnachtsfestes sowohl in Rom (für die Zeit des Liberius) als auch in Mailand (für das Jahr 376) gelten darf. (384-399) habe brieflich dekretiert, „daß die velatio zu Weihnachten, Epiphanie und Ostern stattfinden solle“ (Nocent, Jungfrauenweihe 147; vgl. Emsley, Consecration 333; vgl. auch Righetti, Manuale 4, 485 [ohne Hinweis auf Siricius]). Der Verweis auf „Ep. 10: PL 13,1182“ führt leider zu keinem Text dieses Inhalts. 67 Vgl. Caspari, Weihnachtsfest 362f. 68 Vgl. Metz, Consécration 126f. 69 Vgl. dazu S. 15. Die enge gedankliche Verbindung von Taufe und Jungfrauenweihe ist bereits älter (vgl. Metz, Consécration 128). Vgl. Ambr. exhort. virg. 7,42 (SAEMO 14/ 2,232): Venit Paschae dies, in toto orbe baptismi sacramenta celebrantur, velantur sacrae virgines. Uno ergo die sine aliquo dolore multos filios et filias solet ecclesia parturire. 70 Rom selbst lehnte noch zur Zeit des Gelasius die Taufe an Epiphanie ab. Allerdings zeigt die wiederholte Auseinandersetzung der Päpste seit Siricius mit dieser Frage, dass es in weiten Teilen Spaniens und Italiens zu einer Übernahme des ostkirchlichen (Kappadokien, Konstantinopel) Brauches der Taufe an Epiphanie gekommen war: vgl. dazu Righetti, Manuale 4, 92f. 71 Laut Johannes Cassian ( nach 432), conl. 10,2,1 (CSEL 13,286f. Petschenig), kam die alexandrinische Kirche der ihr durch das Konzil von Nicaea übertragenen Aufgabe, den Ostertermin zu berechnen und ihn den anderen Kirchen mitzuteilen, peracta Epiphaniorum die nach. Leo M. schreibt einige Jahrzehnte später, der römische Bischof bekomme den Termin aus Alexandria mitgeteilt und leite ihn an die entfernteren Kirchen weiter (epist. 121,1 [PL 54,1056A]). 72 Duchesne (Origines 444 Anm. 6) geht davon aus, zur Zeit der Weihe der Marcellina habe Rom Epiphanie noch nicht gefeiert. Nach der Einführung dieses Festes sei der Weihetermin vom 25.12. auf den 6.1. übertragen worden. <?page no="35"?> 23 1.2 Eine Predigt über den Fischfang des Petrus (in Luc. 4) Die Existenz des Epiphaniefestes in Mailand zur Zeit des Ambrosius ist durch eine Bemerkung in dessen Lukaskommentar (in Luc. 4,76) bewiesen. Diese Schrift beruht nach verbreiteter Auffassung im Wesentlichen auf Homilien, die jedoch von Ambrosius im Blick auf eine Gesamtkomposition überarbeitet und mit redaktionellen Überleitungen versehen wurden 73 . In dieser Form wurde das Werk wohl Ende 389 oder Anfang 390 ediert 74 . „Das IV. Buch ist als eine Einheit komponiert, in der Ambrosius die für ihn prägenden Motive und Hintergründe des Wirkens Christi in der Auslegung einzelner Szenen offenlegt, die jeweils modellhaft bestimmte Merkmale dieses Wirkens zeigen“ 75 . Auf diese Weise wird es „zum modellhaften Kopfstück für die im einzelnen weit ausgreifenden Erklärungen des Predigens und Wirkens Jesu“ 76 in den folgenden vier Büchern. Die Kapitel 68-79 bieten eine ekklesiologisch akzentuierte Auslegung der Perikope von der Berufung der ersten Jünger und vom reichen Fischfang des Petrus (Lc 5,1- 11) 77 , eingeleitet durch das Zitat von Lc 5,3a. Das Petruswort über das erfolglose Fischen in der vergangenen Nacht (Lc 5,5) gibt Ambrosius die Gelegenheit, eine Parallele zu seinem eigenen bisher erfolglosen Aufruf zu ziehen, sich in die Taufbewerberlisten einzutragen (nomen dare) 78 . Der Wurfspieß seines Wortes (iaculum vocis), ausgesandt am Tag des Epiphaniefestes (per epifania) 79 , zielte bislang ins Leere. in Luc. 4,76 (CChr.SL 14,134): P RAECEPTOR , inquit PER TOTAM NOCTEM LABORANTES NIHIL CEPIMUS ; SED IN VERBO TUO LAXABO RETIAM [Lc 5,5]. Et ego, domine, scio quia nox mihi est, quando non imperas. Nemo adhuc dedit nomen suum, adhuc noctem habeo. Misi iaculum vocis per epifania et adhuc nihil cepi, misi per diem. Dass der Aufruf zur Taufe gerade an Epiphanie erging, kann seine Ursache schlicht darin haben, dass die Bekanntgabe des Ostertermins - und damit auch des in Mailand wie noch an vielen Orten einzigen Tauftermins 80 - mit diesem Fest verknüpft war 81 . Hieronymus Frank hingegen vermutet einen inhaltlichen Zusammenhang dergestalt, dass die Taufe Jesu der primäre Festgegenstand der mailändischen Epiphaniefeier gewesen sei 82 . Er verweist 73 Vgl. Graumann, Christus interpres 16-27. 74 Vgl. Zelzer, Chronologie 90. 75 Graumann, Christus interpres 294f. 76 Ebd. 295. 77 Vgl. dazu ebd. 326-330. 78 Zu diesem terminus technicus für die Bewerbung der Katechumenen zur unmittelbaren Taufvorbereitung und seinem Gebrauch bei Ambrosius vgl. Schmitz, Gottesdienst 43f. 79 Es handelt sich dabei um den einzigen Beleg für das Substantiv epifania bei Ambrosius. 80 Vgl. Schmitz, Gottesdienst 3-6. 81 Vgl. dazu oben S. 22. 82 Frank, Geschichte 14: Die Aufforderung zur Taufe hat ihren „kultischen Grund in der Feier der Taufe Christi an Epiphanie“ [Hervorhebung durch Frank], die Ambrosius an- <?page no="36"?> 24 auf eine weitere Predigt (in Luc. 2,83-95 [CChr.SL 14,67-75]) 83 , die die Verbindung direkt herstellt, indem sie im Kontext der Auslegung der Taufe Jesu im Jordan die Taufe der Hörer anmahnt (2,91) 84 . Als Indizien für die herausragende Bedeutung der Taufe Jesu für die Epiphaniefeier des Ambrosius führt Frank weiterhin ihre (nicht der Chronologie des Lebens Jesu entsprechende) Position als erstes genanntes Festmysterium im Hymnus Inluminans altissimus an 85 , von dessen Echtheit er überzeugt ist, ferner, dass „Ambrosius manchmal nach der Erwähnung der Geburt Christi sofort dessen Taufe besonders hervorhebt“ 86 , schließlich die ganz auf die Taufthematik abgestellte Präfation der mailändischen Epiphaniemesse 87 , deren Text er zwar als erst um 600 entstanden ansetzt, die aber eine ältere Mailänder Tradition repräsentiere 88 . Präfation mane ad missam 89 : Aeterne Deus. Qui te nobis super Jordanis alveum de caelis in voce tonitrui praebuisti, ut Salvatorem caeli demonstrares et te Patrem Luminis aeterni ostenderes. Caelos aperuisti, aerem benedixisti, fontem purificasti, et tuum unicum Filium per speciem columbae sancto Spiritu declarasti. Susceperunt hodie fontes benedictionem tuam et abstulerunt maledictionem nostram; ita ut credentibus purificationem omnium delictorum exhibeant et Deo filios generando adoptive faciant ad vitam aeternam. Nam quos ad temporalem vitam carnalis nativitas fuderat: quos mors per praevaricationem ceperat: hos vita aeterna respiciens, ad regni caelorum gloriam revocavit. Wie auch immer man diese Indizien im Einzelnen bewertet, muss festgehalten werden, dass die hier diskutierte Passage des Lukaskommentars aus sich heraus keine expliziten Aussagen zum Festinhalt der Epiphanie trifft. Es ist ohne Zweifel plausibel, in der Tatsache, dass an Epiphanie zur Taufe aufgerufen wird, einen Hinweis auf eine irgendwie geartete Verbindung zwischen Fest und Sakrament zu sehen 90 . Die Feier der Taufe an Epiphanie ist für dernorts als forma lavacri salutaris (Iob 4,4,14 [32/ 2,276]; vgl. sacr. 1,5,15-18: forma baptismatis [73,22f.]) bezeichnet (ebd. 17). 83 Vgl. Frank, Geschichte 15-17. 84 In Luc. 2,91 (CChr.SL 14,73): Nemo se dicat exsortem esse peccati, quando Christus venit ad remedium peccatorum. Si pro nobis Christus lavit, immo nos in corpore suo lavit, quanto magis nos nostra delicta lavare debemus? … P URIFICATE igitur VOS [Iac 4,8], ut apostolus dicit, quia purificavit se ille pro nobis, qui purificatione non eguit. 85 Vgl. Frank, Geschichte 15. 86 Ebd. 17f. Als besonders eindrucksvolles Beispiel erscheint ihm Isaac 4,31 (32/ 1,661), wo Ambrosius eine dem Hoheliedkommentar Hippolyts entnommene Passage, die „Marksteine des Heilsweges Christi“ aufzählt, „um eben jenes Krippen- und Jordanmotiv erweitert“ [Hervorhebung durch Frank]. 87 Vgl. ebd. 19. 88 Vgl. Frank, Vorrangstellung 116-118. In diesem späteren Aufsatz verweist er zusätzlich auf die Epiphaniepredigten des Maximus von Turin als räumlich und zeitlich nahe gelegene Parallelen, in denen die Jordantaufe ebenfalls eine prominente Rolle spiele (vgl. ebd. 115 m. Anm. 3). 89 Text zitiert nach Paredi, Prefazi 130. 90 Daneben spielen vielleicht auch praktische Gründe eine Rolle: Epiphanie bietet sich als letztes Herrenfest vor dem Beginn der Quadragesima für einen Taufaufruf vor der zahlreich versammelten Gemeinde an. <?page no="37"?> 25 Mailand ausgeschlossen. Demnach kann die Verbindung nur entweder in der Ankündigung des Ostertermins und/ oder im Inhalt des Festes liegen. Letztere Option würde jedoch nur bedeuten, dass die Taufe Jesu überhaupt zu den Festgegenständen gehörte, nicht aber unbedingt auf die von Frank postulierte „Vorrangstellung der Taufe Jesu in der altmailändischen Epiphanieliturgie“ 91 hinweisen 92 . Wenn auch demnach die Argumentation Franks nicht in vollem Umfang überzeugt und die Stelle für die Erschließung des Festinhalts nicht überstrapaziert werden darf, bleibt sie trotzdem als Zeugnis für die Existenz der Epiphaniefeier als solcher wertvoll. Für welchen Zeitpunkt das Fest damit belegt ist, ist über den terminus ante quem hinaus, den die Publikation der Schrift 389/ 390 darstellt, schwer zu beurteilen 93 . Jean-Rémy Palanque hatte 1933 versucht, den jeweiligen Umfang der verarbeiteten Predigten zu bestimmen und diese aufgrund literarischer und politischer Anspielungen zu datieren 94 . Nach seiner Auffassung gehört der hier interessierende Abschnitt zu einer Homilie über „Jésus en Galilée, à Capharnaum“, die die gesamte zweite Hälfte des vierten Buches umfasse (4,43-79 [CChr.SL 14,121- 135]) 95 und auf die Zeit bald nach Epiphanie des Jahres 382 oder 383 verweise 96 . Jedoch erweisen sich sowohl die äußerst großzügige Abgrenzung der Predigt 97 als auch die auf sehr vage Indizien gestützte Datierung 98 bei näherer Betrachtung als nicht zwingend. 91 Vgl. den gleichnamigen Titel seines Aufsatzes von 1971. 92 Vgl. die zurückhaltendere Formulierung bei Lemarié, Manifestation 48: Der an Epiphanie ergehende Aufruf zur Taufe legt die Annahme nahe, „qu’une place était réservée dans la liturgie milanaise au mystère du Baptême dans le Jourdain le 6 janvier“. 93 Frank (Geschichte 14 Anm. 16) relativiert jedoch die Relevanz einer exakten Einzeldatierung durch seinen Hinweis, die Aufforderung zur Taufanmeldung sei in jener Predigt „schwerlich zum ersten Mal erfolgt“ [Hervorhebung durch Frank]. 94 Zur Abgrenzung der Homilien vgl. Palanque, Ambroise 449-452 (bes. 451 mit tabellarischer Übersicht über die von ihm ermittelten 25 Predigten und fünf redaktionellen Abschnitte); zu den Datierungsfragen vgl. ebd. 529-536. 95 Ebd. 451. 96 Vgl. ebd. 532. Einen terminus post quem stelle die Schrift De viduis dar, auf die 4,49 (CChr.SL 14,123) und 4,50 (ebd. 123f.) angespielt wird. Näherhin verweisen nach Palanque die Passagen 4,69 (ebd. 132: quod fluctus mitescunt saeculi), 4,47 (ebd. 122: nec tamen exsors beneficiorum patria divinorum est) bzw. 4,73 (ebd. 133: ne qui constitutionem regis terreni putet esse solvendam) auf „une époque d’apaisement et de bonne entente avec le pouvoir civil …: par conséquent à la fin du règne de Gratien … probablement“. Ohne Angabe einer Begründung datiert Kretschmar (Geschichte 153) die Predigt abweichend auf das Jahr 378. Hieronymus Frank war im gleichen Jahr wie Palanque von einer Abfassung „um 388 oder vielleicht schon einige Jahre früher“ ausgegangen (Geschichte 13; in Anm. 16 tendiert er dazu, die Predigt für das Jahr 385 anzusetzen). 97 Zu den generellen Schwierigkeiten einer Feststellung der ursprünglichen Predigtabgrenzungen vgl. Graumann, Christus interpres 19-21; zum vorliegenden Fall vgl. ebd. 326: „Mit dem Zitat von Lk 5,3 setzt die Erklärung [in 4,68] neu an. Nach dem hochgespannten Pathos der rhetorischen Fragen“ im vorangehenden Schlussabschnitt der Exegese der ersten Krankenheilungen „gibt Ambrosius eine narrative Situations- <?page no="38"?> 26 1.3 Der Hymnus Intende qui regis Israel 1.3.1 Die Bezeugung der Autorschaft des Ambrosius Intende qui regis Israel gehört zu den vier Hymnen, die durch das Zeugnis zeitgenössischer Autoren sicher als Werke des Ambrosius ausgewiesen sind 99 . Augustinus zitiert um das Jahr 420 zweimal offenkundig wörtlich Vers 5,3 (geminae gigans substantiae) 100 , allerdings ohne die Formulierung ausdrücklich dem Mailänder Bischof zuzuschreiben. Diese Lücke schließt jedoch das Fragment einer Konzilsrede, die Papst Caelestin I. (422-432) im Jahre 430 in Rom gehalten hat 101 : Recordor beatae memoriae Ambrosium in die Natalis Domini nostri Iesu Christi omnem populum fecisse una voce canere: ‘Veni, Redemptor gentium, ostende partum Virginis; miretur omne saeculum, talis decet partus Deum’ [= V. 2,1-4]. Vers 2,4 des Hymnus (talis decet partus Deum) wird hier in der Argumentation gegen Nestorius eingesetzt, der die Bezeichnung Marias als 4 ablehnte. Drückt sich in der Heranziehung des Hymnus als Autoritätsbeweis in dogmatischen Debatten eine hohe Wertschätzung aus, erweist er sich auch sonst bereits im fünften Jahrhundert als weit verbreitet und beliebt. Nach Auskunft des Faustus von Riez ( um 495) zählt er in ganz Italien und schilderung für die Auslegung des Fischfangs des Petrus. Ein ursprünglicher Zusammenhang zwischen beiden Partien ist daher unwahrscheinlich.“ 98 Vgl. dazu die kritischen Bemerkungen bei Frank, Geschichte 13 Anm. 16. 99 Neben Intende qui regis Israel handelt es sich dabei um Aeterne rerum conditor (Aug. retr. 1,21,1 [CChr.SL 57,62 Mutzenbecher]), Iam surgit hora tertia (Aug. nat. et grat. 63,74 [CSEL 60,289 Urba/ Zycha]) sowie Deus creator omnium (Aug. conf. 9,12,32 [Skutella/ Schaub/ Jürgens 205f.] und beat. vit. 4,35 [CChr.SL 29,85 Green]). 100 Aug. in evang. Ioh. 59,3 (CChr.SL 36,477 Willems): Si enim voluerimus intellegere ideo dictum: Q UI ME ACCIPIT , ACCIPIT EUM QUI ME MISIT [Io 13,20], quod unius naturae sint Pater et Filius, consequens videbitur ex eorumdem [sic] verborum regula, qua dictum est: Q UI ACCI- PIT SI QUEM MISERO , ME ACCIPIT [Io 13,20], ut unius naturae sit Filius et apostolus. Posset quidem non inconvenienter et hoc intelligi, quoniam geminae est ille gigas substantiae, qui exsultavit ad currendam viam: Verbum enim caro factum est, hoc est, Deus homo factus est. Die Traktate 17-124 wurden etwa zwischen 418 und 422 abgefasst: Frede, Kirchenschriftsteller 212. Vgl. ferner c. Arian. 8,6 (PL 42,689; 419 entstanden): Apparet tamen idem ipse Christus, geminae gigas substantiae, secundum quid obediens, secundum quid aequalis Deo. Zwei weitere Schriften aus dem Corpus der Werke Augustins, die Zitate aus Intende qui regis Israel enthalten, sind wohl nicht echt: serm. 372,3,3 (PL 39,1663; mit Zitat der sechsten Strophe; zur Autorenfrage vgl. Frede, Kirchenschriftsteller 244) und symb. 4,4,4 (PL 40,663 = Quodv. symb. 3,4,6 [CChr.SL 60,354 Braun]; mit Zitat von V. 4,1f.; zur Autorenfrage [Zuschreibung an den Bischof Quodvultdeus von Karthago] vgl. Morin, Quodvultdeus, bes. 157; Franses, Quodvultdeus 26-28; Weyman, Beiträge 32; Braun, Ed. Quodv. V-VII; kritisch: Kappelmacher, Predigten). 101 Der Text ist überliefert bei Arnob. Iun. confl. 2,13 (CChr.SL 25A,112 Daur) und wird in den Schriften Caelestins als epist. 10 (PL 50,458) geführt. <?page no="39"?> 27 Gallien zum Standardrepertoire 102 . In Nordafrika ist er bereits um 418 durch Leporius 103 , ferner vielleicht durch Quodvultdeus von Karthago ( um 453) 104 , sicher durch Facundus von Hermiane ( 568) 105 bezeugt. 1.3.2 Zur Ursprünglichkeit der ersten Strophe Wenn auch im vorliegenden Fall die Authentizität des Hymnus als ganzen unbestreitbar ist, ergibt sich eine Unklarheit hinsichtlich der ersten Strophe (Intende, qui regis Israel, / super Cherubim qui sedes, / appare Ephraem coram, excita / potentiam tuam et veni), die in weiten Teilen der handschriftlichen Überlieferung fehlt 106 . Sie ist allerdings in der älteren Mailänder Tradition durchgehend vorhanden - ebenso im von Mailand abhängigen zisterziensischen Hymnar 107 - sowie in der ältesten überhaupt verfügbaren Handschrift der Ambrosiushymnen, einem Exemplar des ‘Fränkischen Hymnars’ aus der Mitte des achten Jahrhunderts 108 . Hingegen entfällt sie im Traditionsstrang des ‘Neuen Hymnars’, abgesehen von einer italienischen Handschrift des 102 Faust. Rei. epist. 7 (CSEL 21,203 Engelbrecht): accipe etiam in hymno sancti antestitis et confessoris Ambrosii, quem in natali dominico catholica per omnes Italiae et Galliae regiones persultat ecclesia: ‘procede de thalamo tuo, geminae gigans substantiae’. Vgl. Cassiod. in psalm. 8,10 (CChr.SL 97,95 Adriaen); 71,6 (CChr.SL 98,652 Adriaen). 103 Lepor. 6 (CChr.SL 64,117 Demeulenaere): Ideoque una persona accipienda est carnis et Verbi ut fideliter sine aliqua dubitatione credamus unum eundemque Dei Filium inseparabilem semper geminae substantiae etiam gigantem nominatum, in diebus carnis suae et vere semper gessisse omnia quae sunt hominis, et vere semper possedisse quae Dei sunt. Leporius stammte zwar aus Gallien, verfasste seine Schrift jedoch in Nordafrika (vgl. Kany, Leporius 453) und scheint den Hymnus, aus dem er ganz offensichtlich zitiert, bei seinen dortigen Lesern als bekannt vorauszusetzen. Dasselbe gilt für die erwähnte Anspielung in einer Predigt des Augustinus (vgl. Anm. 100), die ungefähr zur gleichen Zeit entstand. 104 Vgl. dazu Anm. 100. 105 Facund. defens. 1,3,38 (CChr.SL 90A,19 Clément/ Vander Plaetse). 106 So wenden sich gegen die Echtheit der Strophe: Daniel, Thesaurus I 13; Kayser, Beiträge 172 Anm. 1; Shoults, Veni 1211; Sesini, Poesia e musica 76f.; Simonetti, Studi 385-387 (vgl. ders., Inni 89), und Corsaro, Innografia 381f. Bonato (Inni 153-155) zieht die Echtheit zumindest in Zweifel. Für die Echtheit sprechen sich aus: Mone, Hymnen 44; Biraghi, Inni sinceri 49; Huemer, Dimeter 9 Anm. 1; Dreves, Vater des Kirchengesanges 63; Steier, Echtheit 575; Schanz, Litteratur 231; Walpole, Hymns 52; Oldani, Intende 177; Szövérffy, Annalen 52; Springer, Aesthetics 86; Fontaine, Intende 266-268; Banterle, Introduzione 12f.; Biffi, Origine 202; Pasini, Inni 222; Kurz, Intende 112-114, sowie Navoni, Quali parole 324. 107 Vgl. CLS 2,68-71. Das Hymnar der Zisterzienser war durch das zentrale Anliegen der zisterziensischen Liturgiereform geprägt, die wörtlich verstandene Benediktsregel zur Geltung zu bringen, die den Begriff ambrosianum im prägnanten Sinn von ‘Hymnus des Ambrosius’ verwendet. Allerdings übersah man, dass Benedikt neben solchen auch einfach als hymni bezeichnete Lieder vorsah, von denen er wohl wusste, dass sie nicht vom Mailänder Bischof stammten (vgl. dazu unten S. 45f.). Jedenfalls glaubte man, durch den Rückgriff auf das Mailänder Hymnar im Sinne Benedikts die Verwendung echt ‘ambrosianischer’ Hymnen sicherzustellen: vgl. Waddell, Cistercian Hymnal 7-22. 108 Zu den Handschriften Ma, Mb, Mc, Me und Fa vgl. Kap. 2.1. <?page no="40"?> 28 zehnten Jahrhunderts, die auch anderweitig auffällige Berührungspunkte mit dem Mailänder Hymnar aufweist 109 . Mit der ältesten und mit der Mailänder Überlieferung verbucht die fragliche Strophe entscheidende Zeugen für sich 110 . Daneben erscheint sie, wie die Interpretation des Hymnus zeigen wird, für die poetische und theologische Struktur des Liedes unentbehrlich 111 . Ausschlaggebend für die Streichung der Strophe scheint zunächst die durch das Psalmzitat 112 bedingte Häufung metrischer Irregularitäten gewesen zu sein 113 . Vor allem ist auf die Häufung dreier Elisionen innerhalb eines Doppelverses 114 sowie auf den Anapäst im dritten Fuß des ersten Verses (regis Israel) hinzuweisen: Damit ist der Rahmen des akatalektischen jambischen Dimeters zwar nicht verlassen, jedoch ein sperriger Text geschaffen, der angesichts des Übergangs zur akzentrhythmischen Dichtung bei gleichzeitiger Veränderung der Aussprache (z. B. r g s > r gis) 115 beim Vortrag Schwierigkeiten aufwerfen musste, insbesondere da man auch die Elision nicht mehr übte 116 . Die Ausscheidung der durch diese unbequemen Auffälligkeiten gekennzeichneten Strophe wurde dadurch begünstigt, dass ihr „Thema durch den die Adventszeit beherrschenden Psalm 79 (80) genügend abgedeckt schien und [sie], zumal wenn man ‘Israel’ auf das Gottesvolk des Neuen Bundes bezog, als Dublette zur folgenden Strophe empfunden wur- 109 Vgl. Jullien, Sources 98 (Ie). 110 Gegen die Auffassung Daniels (Thesaurus I 13) und Kaysers (Beiträge 172 Anm. 1), der Umstand, dass Cassiodor in psalm. 71,6 Strophe 2 zitiert (CChr.SL 98,652 Adriaen: Hinc Ambrosius ille quaedam Ecclesiae candela mirabili fulgore lampavit, dicens: ‘Veni, Redemptor gentium, / Ostende partum virginis, / Miretur omne saeculum, / Talis decet partus Deum’), spreche dafür, dass der Hymnus so begonnen habe, stellt Kurz (Intende 112) zu Recht fest: „aus dieser Stelle ist keineswegs die Absicht zu erkennen, ‘den Anfang des Hymnus zitieren zu wollen’ [Kayser]“. 111 Vor diesem Hintergrund erscheint das Urteil Simonettis unbegreiflich, die Strophe sei „isolata, priva di collegamento col resto dell’inno, superflua“ (Studi 386). 112 Ps 79(80),2f. Vulg.: Qui regis Israhel intende / qui deducis tamquam oves Ioseph / qui sedes super Cherubim appare / 3 coram Effraim et Beniamin et Manasse / excita potentiam tuam et veni ut salvos facias nos. (Vers 2c ist nach Ambr. fid. 5,6,85 [78,247] zitiert.) 113 Zum metrischen Schema der Hymnen des Ambrosius (akatalektischer jambischer Dimeter nach griechischem Muster) vgl. S. 42. Für die unregelmäßige Kurzmessung des a in Israel (1,1) macht Kurz auf eine Parallele bei Sidon. carm. 16,8 (MGH.AA 8,239 Lütjohann: Israel appensi per concava gurgitis iret) aufmerksam. Weiterhin: „Der nichtlateinische Personenname Ephraem (V.3) führt zu einer unregelmäßigen Länge in der 2. Senkung“ (Kurz, Intende 109). 114 V. 1,3: appare Ephraem coram excita; V. 1,4: tuam et. 115 Im Zuge des Verfalls der Vokalquantitäten maß man pauschal die vom Wortakzent her betonten Vokale länger als unbetonte: vgl. dazu Leumann, Laut- und Formenlehre 55- 57. 116 Vgl. Dreves, Vater des Kirchengesanges 63; Walpole, Hymns 52, und bes. Kurz, Intende 113. <?page no="41"?> 29 de“ 117 . Daneben dürften mentalitätsgeschichtliche Entwicklungen in der Auffassung des Weihnachtsfestes dazu geführt haben, dass man mit dem eschatologischen Charakter der Eingangsstrophe 118 nicht mehr zurechtkam 119 . Die für die Hymnen des Ambrosius typische Achtstrophigkeit 120 blieb durch die Hinzufügung einer Standarddoxologie 121 gewahrt. 1.3.3 Exkurs: Zur Singweise der Hymnen Die oben zitierte Passage aus einer Konzilsrede Caelestins I. ist nicht nur als Zeugnis für die Echtheitsfrage relevant; vielmehr liefert sie auch einen wesentlichen Hinweis für einen weiteren Problemkomplex, der sich auf die Vortragsweise der Hymnen bezieht. Die Frage nach den Trägern und der Organisation des Gesangsvortrags der Hymnen zur Zeit des Ambrosius wird bis heute kontrovers diskutiert. Eine traditionelle Ansicht, nach der Ambrosius im Kontext des Kirchenstreits, als die katholische Gemeinde mit ihrem Bischof im Frühjahr 386 in der Mailänder basilica Portiana von Truppen des arianischen Kaiserhauses belagert war, den wechselchörigen Gesang von Psalmen und Hymnen eingeführt habe, stützt sich auf die interpretationsbedürftigen Berichte des Augustinus, der zur besagten Zeit in Mailand lebte, und des Paulinus in seiner Biographie des Ambrosius. Aug. conf. 9,6,14-7,15 (Skutella/ Schaub/ Jürgens 191f.): quantum flevi in hymnis et canticis tuis suave sonantis ecclesiae tuae vocibus conmotus acriter! … Non longe coeperat Mediolanensis ecclesia genus hoc consolationis et exhortationis celebrare magno studio fratrum concinentium vocibus et cordibus. nimirum annus erat aut non multo amplius, cum Iustina, Valentiniani regis pueri mater, hominem tuum Ambrosium persequeretur haeresis suae causa, qua fuerat seducta ab Arrianis. excubabat pia plebs in ecclesia mori parata cum episcopo suo, servo tuo. … tunc hymni et psalmi ut canerentur secundum morem orientalium partium, ne populus maeroris taedio contabesceret, institutum est: ex illo in hodiernum retentum multis iam ac paene omnibus gregibus tuis et per cetera orbis imitantibus. Paul. Med. vita Ambr. 13 (Pellegrino 68): Hoc in tempore primum antiphonae, hymni et vigiliae in ecclesia Mediolanensi celebrari coeperunt; cuius celebritatis devotio usque in hodiernum diem non solum in eadem ecclesia, verum per omnes pene provincias occidentis manet. 117 Kurz, Intende 113. Für eine Wertschätzung der Strophe auf das ‘alte’ Israel bezogen und damit komplementär zu Strophe 2 (2,1: Veni, redemptor gentium) gab es im mittelalterlichen Verständnis keinen Platz. 118 Vgl. Kap. 4.1.2. 119 Vgl. S. 136f. 120 Vgl. dazu S. 42f. 121 Im zisterziensischen Hymnar des 12. Jhs. lautet sie beispielsweise: Gloria tibi, domine, / gloria unigenito / una cum sancto spiritu / in sempiterna secula. Amen (CLS 2,70f.). Dass diese Doxologie erheblich jünger sein muss als der Hymnus, zeigt ihre nicht mehr metrische, sondern rhythmische Bauart. Vgl. ferner S. 69 Anm. 327. Allgemein zu den mit geringen Variationen immer wiederkehrenden Doxologieformeln der Hymnenüberlieferung vgl. Moberg, Hymnen 34-37. <?page no="42"?> 30 Während Paulinus unmittelbar nichts zur Gesangsweise der Hymnen verlauten lässt, spricht Augustinus scheinbar von einem Vortrag der Psalmen und Hymnen nach Weise der Ostkirchen (secundum morem orientalium partium). Diese Formulierung wird vielfach mit dem Begriff antiphonae bei Paulinus verknüpft und auf wechselchörigen (im modernen Sinn antiphonischen) Gesang bezogen 122 . Das doppelte Problem dieser Deutung besteht zum einen darin, dass der spätantike Begriff der Antiphonie keineswegs notwendig auf Wechselchörigkeit zielt, sondern vielmehr ganz allgemein einen Wechsel im Gesangsvortrag, etwa auch zwischen Vorsänger und Gemeinde, bezeichnen kann 123 . Zum anderen gebrauchte im vierten Jahrhundert die orientalische Christenheit durchaus verschiedene Formen der Psalmodie 124 , sodass auch die Wortwahl des Augustinus keine eindeutigen Schlüsse zulässt. Außerdem scheint, wenn auch nicht im Blick auf die Hymnodie, so doch zumindest auf die Psalmodie ein wechselchöriger Gemeindegesang (ebenso wie der Vortrag des gesamten Psalms durch die ganze Gemeinde in directum) aus praktischen Gründen ausgeschlossen: Dass in einer Zeit, die kein Gesangbuch kennt, die ganze Gemeinde den Text der Psalmen auswendig beherrscht, ist wohl überhaupt nur „für die wenigen ‘klassischen’ Morgen- und Abendpsalmen der kathedralen Tagzeitenliturgie …, die Tag für Tag wiederholt wurden“ 125 , vorstellbar 126 . Wenn aber Augustinus die Wirkung 122 Vgl. z. B. Dreves, Vater des Kirchengesanges 95f.; Lejay, Ambrosien (rit) 1373f.; Pellegrino, Poesia cristiana 198 (die genannten Autoren gehen ausdrücklich von der Teilung der Gemeinde in zwei Halbchöre aus); Leclercq, Antienne (liturgie) 2289f.; Ph.A. Becker, Hymnus 6; Paredi, Influssi orientali 576; Handschin, Apologetik 102f. (Handschin glaubt den wechselchörigen Vortrag in der Hand einer „Elite“; die Gemeinde antworte mit der Doxologie); Angeloni, Maestro 421f.; Walsh, Hymnen 756 („Wechselgesang zwischen Chor und Gemeinde“). Historisch lässt sich die Interpretation auf Wechselchörigkeit bis zu Isidor von Sevilla zurückverfolgen: vgl. dazu Leeb, Psalmodie 103-110. 123 Vgl. Handschin, Apologetik 99; Leeb, Psalmodie 18-20; Meßner, Psalmen in der Messe 56-63; Franz, Alte Kirche 17. 124 Vgl. Leeb, Psalmodie 17-23. Dass es im Osten unter anderen Formen bereits im vierten Jahrhundert die wechselchörige Psalmodie gab, scheinen Aussagen des Basilius von Caesarea ( 378; ep. 207,3 [PG 32,764]: 0 3 / , )1 , ( ! % ( : ) und des Theodoret von Cyrus ( um 466; h. e. 2,24,8f. [GCS N.F. 5,154 Parmentier/ Hansen]: Flavian und Diodor Mitte des 4. Jhs. in Antiochia $+ )1 4 + 4 ) $ )1 ; * < %= * 5 > ) zu belegen. Bezeichnenderweise fällt jedoch in beiden Texten nicht der Begriff ‘Antiphon’. In einer anderen Tradition werden Flavian und Diodor tatsächlich mit der Einführung der Antiphonie in Verbindung gebracht, deren Inhalt jedoch ganz anders gefasst wird (vgl. dazu unten Anm. 134). Unterläuft auch Theodoret demnach in seiner Quellenarbeit eine Verwechslung, belegt er doch offenkundig zumindest die Existenz des wechselchörigen Gesangs. 125 Franz, Alte Kirche 19. 126 Hucke (Entwicklung 170f.) rechnet daher damit, dass die eigentliche wechselchörige Psalmodie im monastischen Umfeld aufgekommen ist. Als Ausgangslage sieht er ein Gegenüber von Vorsängerchor und Gemeinde. „In einer Klostergemeinschaft war die Zahl der Singenden mehr oder weniger beschränkt. Wenn man zwischen einem Vor- <?page no="43"?> 31 der neu eingeführten Gesangsweise auch der Psalmen als consolatio und exhortatio beschreibt, die der Trauer und Niedergeschlagenheit des Volkes entgegenwirkten, lässt sich dies nur durch die Annahme einer Beteiligung der Gemeinde am Gesang erklären 127 . Helmut Leeb, dessen detaillierte Studie für die Schriften des Ambrosius das Fehlen jeglichen Hinweises auf eine alternierende, antiphonale oder direkte Gemeindepsalmodie konstatiert 128 , schließt daraus, Augustinus und Paulinus bezögen sich auf die Einführung der responsorialen Psalmodie in Mailand, die bis dahin im Westen noch nicht geübt worden sei 129 . In seiner Rezension der Untersuchung Leebs indes bemerkt dazu Balthasar Fischer, es müsse „als wenig wahrscheinlich bezeichnet werden, daß erst Ambrosius den so oft vom Psalmentext selbst nahegelegten responsorischen Vortrag der Psalmen im Abendland eingeführt haben soll“ 130 . Die nach orientalischem Vorbild installierte Neuerung betrifft laut Augustinus Psalmen und Hymnen in gleicher Hinsicht (hymni et psalmi ut canerentur secundum morem orientalium partium). Nachdem sich nun jeder Versuch, die Berichte auf die Einführung einer bestimmten Gesangsweise zu beziehen, als problematisch erwiesen hat, weil sich einerseits aus den Schriften des Ambrosius allein die responsoriale Psalmodie nachweisen lässt, andererseits diese kaum erst durch ihn in den Westen gelangt sein wird, kann eine Überlegung weiterführen, die Ansgar Franz geäußert hat: Es sei „nicht von vorneherein selbstverständlich, daß die betreffenden Texte über eine bestimmte Gesangsform sprechen“. Zumindest bezogen auf die Hymnen könne „die Neuerung nicht (nur) eine neue Gesangsweise (bereits in Übung stehender Texte) meinen“, da es ja um „eine ganz neue Gattung von Texten“ gehe, „eben Hymnen, nichtbiblische Poesie, die es vorher in der Mailänder Liturgie nicht gab“ 131 . In der Tat scheint zwar, wie bereits erwähnt wurde, die von Augustinus geschilderte psychologische Reaktion der Gemeinde darauf hinzudeuten, dass Volksgesang in irgendeiner Form stattsängerchor und einem respondierenden Chor unterschied, mag der eine Chor oft kaum größer gewesen sein als der andere. Zudem entfiel ja im Kloster der Unterschied zwischen Textkundigen und Textunkundigen. Alle konnten gleicherweise am Psalmengesang teilnehmen, und es bestand naturgemäß auch das Bedürfnis danach. So war es vom Wechselgesang zwischen Vorsängerchor und Respondierenden kein großer Schritt zum Wechselchor, zum ‘antiphonischen’ Gesang.“ Vgl. Handschin, Apologetik 106. 127 Vgl. Leeb, Psalmodie 97. 128 Vgl. ebd. 85-89. Unter antiphonaler Psalmodie versteht Leeb eine erweiterte Form der responsorialen Psalmodie, bei der die Gemeinde nur den Kehrvers übernimmt, diesen aber in zwei Halbchören singt. Mit der alternierenden Psalmodie ist im Unterschied dazu der wechselchörige Vortrag des ganzen Psalms durch das Volk gemeint. 129 Vgl. ebd. 102f.111f. Leeb stützt seine These durch die Beobachtung, dass alle Texte, in denen Ambrosius die responsorische Psalmodie erwähnt, nach 386 abgefasst sind (112); vgl. dazu aber Schmitz, Gottesdienst 308f. 130 Fischer, Rez. Leeb 379. Fischer selbst denkt an einen wechselchörigen Vortrag der Kehrverse, also an antiphonale Psalmodie nach Leebs Terminologie. 131 Franz, Alte Kirche 18. <?page no="44"?> 32 gefunden hat; jedoch muss dies nicht heißen, dass die das Volk einbeziehende Gesangsweise die Neuerung darstellt, um die es Augustinus im Kern geht. Meßner hatte vorgeschlagen, angesichts der Tatsache, dass sich die Neuerung im Kontext der arianischen Glaubenskämpfe vollzog, unter den von Paulinus erwähnten antiphonae „nicht-biblische Kehrverse apologetischen Inhalts“ zu verstehen 132 . In der Psalmodie könnte es demnach beim herkömmlichen responsorischen Gesang geblieben sein; das Neue läge wie bei den Hymnen nicht auf der vortragstechnischen, sondern auf der poetisch-generischen Ebene 133 . Zur Stützung dieser These verweisen Meßner und Franz auf eine Nachricht, die zwar erst in einer byzantinischen Quelle des 13. Jahrhunderts überliefert ist, dort jedoch auf eine Schrift des Theodor von Mopsuestia ( 428) zurückgeführt wird: Zur Zeit des Kaisers Constantius II. (337-361), ebenfalls im Umfeld von Auseinandersetzungen mit dem Arianismus, hätten in Antiochia die beiden späteren Bischöfe Flavian und Diodor ‘jene Art von Psalmodie, die wir Antiphonen nennen’, aus der syrischen Sprache ins Griechische übersetzt 134 . „Das bedeutet zunächst, daß die 132 Meßner, Psalmen in der Messe 65. Vgl. dazu Schmitz, Gottesdienst 307f. Bereits Gindele hatte die antiphonae als „frei erfundene“, allerdings weniger dogmatisch geprägte, als vielmehr „eng an das Kirchenjahr sich anschließende“ Einschübe in den Psalmtext gedeutet (Doppelchor 299). 133 Im Reisebericht der Egeria (Ende 4. Jh.) bezeichnet der Begriff antiphonae offenbar sogar von der Psalmodie unabhängige eigenständige Gesänge (vgl. v. a. 27,8 [FC 20,248 Röwekamp]): vgl. Meßner, Psalmen in der Messe 65. 134 Nicetas Choniates (1155/ 7-1217), Thesaurus orthodoxae fidei 5,30 (PG 139,1390C): Caeterum per id tempus Antiochiae florebant, et virtute scientiaque celebres habebantur Flavianus et Diodorus, quorum ille Antiocheno episcopatui, hic Tarseni postea praefectus est. Atque ut Theodorus Mopsuestenus scribit, illam psalmodiae speciem, quas antiphonas dicimus, illi ex Syrorum lingua in Graecam transtulerunt, et omnium prope soli admirandi huius operis omnibus orbis christiani hominibus auctores apparuerunt. Dass die Antiphonen zuerst in Antiochia gebraucht wurden und mit dogmatischen Auseinandersetzungen in Zusammenhang standen, bestätigt auch der in seinen konkreten Zügen freilich legendarische Bericht des Sokrates (h. e. 6,8,10-12 [GCS N.F. 1,326 Hansen]), der die Antiphonie auf eine Vision des Ignatius von Antiochia zurückführt, deren Inhalt der Lobgesang der Engel auf die Trinität gewesen sei (vgl. dazu Meßner, Psalmen in der Messe 57f.). Offenkundig wird der große Märtyrer bemüht, um die Antiphonie vom Anschein einer arianischen Propagandamethode zu reinigen. Die vorangehende Passage (6,8,1-9 [GCS N.F. 1,325 Hansen]) berichtet nämlich von einer Kontroverse zwischen Arianern und Orthodoxen, die sich in Konstantinopel während des Episkopats des Johannes Chrysostomos (398-404) zutrug und bei der zunächst die Arianer ? ( # % $6 * @$ * 45 % A (2 [ebd.]). Eine präzisere Definition dieser Antiphonen gibt Sozomenos ( nach 450), dessen Referat der besagten Ereignisse sich eng an das des Sokrates ( nach 439) anschließt: Es handelt sich um eine Form der Psalmodie (h. e. 8,8,3 [FC 73/ 4,982 Hansen]: 6 B $4 1 > ), bei der selbst gedichtete, dogmatisch tendenziöse Kehrverse zum Einsatz kommen (8,8,1 [ebd. 980]: % : $ C4 6 + ( # $4 D , ( $ ' % $6 * + 45 ; es geht nicht an, die Formulierung % : $ C4 als einen Hinweis auf Wechselchörigkeit zu interpretieren - vom Kontext her liegt es nahe, an eine Aufteilung in Gruppen zu denken, die den Gesang mit dem Charakter einer öffentlichen Demonstration an verschiedenen Orten übten). Dass das Neuartige der Antiphonie in <?page no="45"?> 33 Antiphonie syrisch-mesopotamischen Ursprungs ist. Weiters ist zu bedenken: Wenn Texte übersetzt werden mußten, dann kann es sich nur um nichtbiblische Texte gehandelt haben“, die „zwischen die Psalmverse eingeschoben“ wurden. „Die syrische Hymnendichtung bietet eine Reihe von Formen, welche als Einschub in biblische Texte dienten“ 135 (Troparien). Diese Gattung nichtbiblischer Kehrverse, die in der Mitte des vierten Jahrhunderts in Antiochia in griechischer Sprache eingeführt worden war, hätte Ambrosius also eine Generation später in lateinischer Sprache dem Westen erschlossen. Nach dieser plausiblen Interpretation geht es bei der von Augustinus erwähnten Einführung der Hymnodie und Psalmodie secundum morem orientalium partium nicht um die Gesangsweise, sondern in beiden Fällen um neue, poetisch frei geschaffene Gattungen 136 . Wenn damit auch die Berichte des Augustinus und Paulinus als direkte Zeugnisse für die Vortragsart der Hymnen endgültig ausscheiden, bleibt doch insbesondere der Text des Augustinus als indirektes Zeugnis bedeutsam, insofern die beschriebene emotionale Wirkung den Gemeindegesang vorauszusetzen scheint 137 . Das Gleiche gilt für eine Passage aus dem berühmten sermo contra Auxentium, den Ambrosius inmitten der dramatischen Auseinandersetzungen mit dem Kaiserhof gehalten hat 138 : c. Aux. (= epist. 75a) 34 (82/ 3,105): Hymnorum quoque meorum carminibus deceptum populum ferunt, plane nec hoc abnuo. Grande carmen istud est quo nihil potentius; quid enim potentius quam confessio trinitatis, quae cottidie totius ore celebratur? Certatim omnes student fidem fateri, patrem et filium et spiritum sanctum norunt versibus praedicare. Facti sunt igitur omnes magistri, qui vix poterant esse discipuli. Ambrosius bestätigt die enorme Wirkung, die seine Hymnen in den Phasen der Bedrängnis auf seine Gemeinde ausübten und die seine Gegner sogar den Vorwurf der Hexerei erheben ließ 139 . Im Einzelnen wirft der Text zwei den nichtbiblischen Kehrversen liegt, erkannte aus diesen Quellen bereits Petit, Antiphone 2471f. 135 Meßner, Psalmen in der Messe 60. Vgl. Hucke, Entwicklung 155-157. 136 Vgl. Franz, Alte Kirche 18. 137 Vgl. auch die Wendung: magno studio fratrum concinentium vocibus et cordibus, die sich kaum nur auf einen Vorsängerchor beziehen dürfte. 138 Die exakte Datierung der Predigt im Rahmen des 386 ausgetragenen Konfliktes ist umstritten. Manche Forscher nehmen - wohl irrtümlich (vgl. Zerfaß, Rez. Nauroy) - die Erwähnung des Evangeliums vom Einzug Jesu in Jerusalem in c. Aux. (= epist. 75a) 8.19 (82/ 3,86.94) zum Anlass, die Predigt auf den Palmsonntag zu datieren. Verschiedene Ansichten werden vorgestellt und diskutiert bei Nauroy, Combat 52-89.129-149 (ebd. 183-189 eine Bibliographie); vgl. auch Dassmann, Ambrosius 299 Anm. 284. 139 Dass Ambrosius auf Vorwürfe eingeht, die sich auf die Wirkung seiner Hymnen beziehen, beweist, dass zumindest einige von ihnen „schon vor der Rede gegen Auxentius in Uebung“ waren: Dreves, Vater des Kirchengesanges 95; vgl. Lazzati, Inni 311. Simonetti harmonisiert diese Erkenntnis mit den Berichten des Augustinus und Paulinus, indem er die Einführung der Hymnen bereits mit der sich im vorangehenden Jahr 385 ereignenden ersten Auseinandersetzung um die basilica Portiana in Verbindung bringt (Studi 409-411). Zu den Quellen und zur Chronologie der beiden Phasen des Kirchenstreits 385/ 386 vgl. Dassmann, Ambrosius 95-106. Biffi (Origine 198) geht sogar <?page no="46"?> 34 Interpretationsschwierigkeiten auf. Es ist die Rede von einer confessio trinitatis, die täglich vom ganzen Volk (cottidie totius ore) gesungen wurde und die, wie der Gedankengang zeigt, unmittelbar mit den von Ambrosius geschaffenen Hymnen verbunden ist. Zunächst ist zu fragen, was damit material gemeint ist: ein Bestandteil des eigentlichen Hymnentexts oder eine diesen ergänzende Doxologiestrophe, die entweder als Refrain dient oder den Hymnus abschließt? Weiterhin bedarf die verschiedentlich geäußerte These der Überprüfung, hinter dem Wort certatim verberge sich ein Hinweis auf wechselchörigen Gesangsvortrag eben dieser Doxologie 140 . Zum letztgenannten Problem genügt ein Hinweis auf den treffenden Einwand Helmut Leebs: „Es ist vielleicht möglich, die Antiphonie [im Sinne der Wechselchörigkeit] aus einem vom Text unabhängigen Wissen in diesen hineinzuinterpretieren, nicht aber aus ihm herauszulesen. Wenn man nämlich den Text allein sprechen läßt, dann scheint es dem Gedankengang des Ambrosius eher zu entsprechen, bei der Aussage ‘certatim omnes student fidem fateri’ an ein moralisch-psychologisches Wetteifern zu denken. Ambrosius will doch sagen, daß alle untereinander wetteifern, in der Doxologie (‘Patrem et Filium et Spiritum sanctum’) ihren Glauben zu bekennen. Jeder bemüht sich mit großem Eifer, gleichsam wetteifernd mit dem anderen, die Trinität in Versen zu preisen“ 141 . Schwieriger zu beantworten ist die Frage nach der textlichen Gestalt des von der Gemeinde gesungenen trinitarischen Bekenntnisses. Zugleich liegt hierin vor dem Hintergrund des bisher Gesagten der Schlüssel zum Verständnis der gesamten Gesangspraxis der Hymnen. Bezöge sich nämlich die confessio trinitatis nicht auf den Textbestand der Hymnen selbst, müsste von der Verwendung eines doxologischen Kehrverses oder einer entsprechenden Refrainstrophe ausgegangen werden, was den Vortrag des eigentlichen Hymnus durch einen Kantor oder einen Vorsängerchor wahrscheinlich machen würde 142 . Nun betont Ambrosius ausdrücklich, dass das mit seinen Hymnen in Verbindung stehende Bekenntnis täglich (cottidie) erklinge; daraus kann gefolgert werden, dass es im Kontext der Tagzeitenhymnen steht. Überblickt man den Text dieser Lieder, so stellt man fest, dass der Abendhymnus Deus creator omnium mit einer trinitarischen Schlussstrophe endet 143 , und dass dem allgemein für echt gehaltenen Morgenhymnus Splendor paternae gloriae „ein klares trinitarisches Modell“ zugrunde liegt 144 . Von daher spricht nichts dagegen, die von Ambrosius angesprochene confessio mit dem davon aus, Ambrosius habe bereits zu Anfang seines Episkopats mit der Hymnendichtung begonnen. 140 Vgl. Lejay, Ambrosien (rit) 1374; Gelineau, Musik 128 Anm. 232. 141 Leeb, Psalmodie 86 [Hervorhebung durch Leeb]. 142 So vertreten z. B. von Moberg, Hymnen 8; Stäblein, Ambrosius 413; Hucke, Entwicklung 160f.; Meßner, Psalmen in der Messe 65. 143 V. 8,1-4 (Perrin 239): Christum rogamus et Patrem, / Christi Patrisque Spiritum, / unum potens per omnia; / fove precantes, Trinitas. 144 Franz, Tageslauf 381; zur Sache vgl. ebd. 288-290. <?page no="47"?> 35 Text der Hymnen selbst zu identifizieren 145 . Zudem wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass eine Unterbrechung des Gesangs durch einen Refrain „der Struktur der Ambrosius-Hymnen wenig angemessen“ erschiene, da er „den poetischen und theologischen Aufbau der Lieder empfindlich stören“ würde 146 . Auch die Option einer angehängten Schlussdoxologie erscheint angesichts der erwähnten in den Hymnentext bereits integrierten Elemente als wenig wahrscheinlich; bedeutsam ist ferner, dass die ältesten Handschriften keine Doxologiestrophen überliefern. Während demnach die diskutierte Passage kein tragfähiges Indiz für die Existenz eines Kehrverses oder einer Refrainstrophe darstellt, in dem oder der der Anteil des Volkes am Gesang der Hymnen zu erblicken wäre, findet die alternative Vorstellung, dass der vollständige Text dem Gemeindegesang überlassen blieb, eine entscheidende Stütze in der oben im Zusammenhang mit der Bezeugung von Intende qui regis Israel vorgestellten Aussage Papst Caelestins I., er erinnere sich daran, wie Ambrosius diesen Hymnus das ganze Volk mit einer Stimme habe singen lassen (omnem populum fecisse una voce canere). Von zentraler Bedeutung ist dabei, dass Caelestin diese Bemerkung mit dem Zitat einer vollständigen Strophe verbindet, nicht etwa eines Kehrverses oder einer Doxologie. Eine unvoreingenommene Interpretation dürfte aus dieser Stelle auf Volksgesang schließen 147 . Es bleibt damit zuletzt noch offen, ob die Gemeinde den ganzen Hymnus in directum vortrug oder im Wechsel zweier Halbchöre. Nachdem sich, wie 145 Es tun dies Dreves, Vater des Kirchengesanges 29f.; Ph.A. Becker, Hymnus 6f., und Moneta Caglio, Jubilus 160-162 (bezogen auf Splendor paternae gloriae); Biffi, Origine 195 (bezogen auf beide genannten Hymnen). Franz (Tageslauf 113) diskutiert diese Deutung für Deus creator omnium, kommt aber zu einem ablehnenden Ergebnis: Er betont zu Recht, die doxologische Schlussformel sei hier weniger durch die (auch vorhandene) antiarianische Propaganda motiviert; vielmehr handele es sich um ein „horenspezifisches Charakteristikum“ der altkirchlichen Abendbzw. Licht-Danksagung. Trotzdem ist zu fragen, ob nicht auch eine zunächst ganz unpolemisch gemeinte, horenspezifische trinitarische Doxologie unter den von Ambrosius vorausgesetzten Umständen zur emotionalen Erbauung der rechtgläubigen Gemeinde beitragen kann. 146 Franz, Alte Kirche 19. 147 Franz (Rez. Springer 196f.) macht in diesem Zusammenhang auf die Predigt De psalmodiae bono des dakischen Bischofs Nicetas von Remesiana ( nach 414) aufmerksam, der zufolge „tatsächlich die versammelte Gemeinde (u. nicht ein spezieller Chor) Trägerin des Kirchengesanges war“ (197). Der Traktat richtet sich gegen solche, die psalmorum et hymnorum decantationem ablehnen (2 [PLS 3,191]), und rechtfertigt den liturgischen Gesang unter Verweis auf zahlreiche Texte des Alten und Neuen Testaments. Zum konkreten Vollzug des Gesangs finden sich in Kap. 13 (ebd. 196) folgende Ermahnungen: et vox nostra non dissona debet esse, sed consona: non unus protrahat alter contrahat, unus humiliet alter extollat: sed et nitatur unusquisque vocem suam intra sonum chori concinentis includere. Nach dem Vorbild der drei Jünglinge im Feuerofen et nos utique omnes quasi ex uno ore eundem sensum eandemque vocis modulationem aequaliter proferamus. qui autem aequare se non potest ceteris vel aptare, melius est ei lenta voce psallere quam clamosa perstrepere; sic enim et ministerii implebit officium et psallenti fraternitati non obstrepet. non enim omnium est habere vocem flexibilem vel canoram. … Quando ergo psallitur, psallatur ab omnibus … <?page no="48"?> 36 gezeigt werden konnte, die traditionelle Deutung etwa des Begriffes antiphonae bei Paulinus auf wechselchörigen Gesang als unhaltbar erwiesen hat, fehlt zur Entscheidung dieser Frage vollends jeder Anhalt in den zeitgenössischen Quellen. Daher wird häufig versucht, aus der poetischen Struktur der zuverlässig bezeugten Lieder selbst Indizien zu gewinnen. Dabei wird meist argumentiert, die Bildung von Doppelstrophen, das heißt die Verknüpfung zweier aufeinander folgender Strophen zu einer poetischen bzw. Sinneinheit, spreche für die Wechselchörigkeit des intendierten Vortrags mit Alternation der beiden Halbchöre nach jeder Strophe 148 . Allerdings zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass eine konsequent durchgeführte Organisation in Doppelstrophen nur bei Aeterne rerum conditor und Intende qui regis Israel vorliegt 149 . Lässt sich Iam surgit hora tertia noch bedingt in dieses Modell einordnen 150 , widersprechen ihm jedoch eindeutig Deus creator omnium 151 und Splendor paternae gloriae 152 . Angesichts dieses Befundes ist in der Bildung von Strophenpaaren wohl eher ein - aufgrund der mathematischen Proportionen der von Ambrosius gewählten Form durchaus naheliegendes und die Tendenz zur Bildung von Verspaaren 153 auf höherer Ebene fortsetzendes - Aufbaumodell neben anderen zu sehen, das nicht verabsolutiert werden darf. Aus den Texten tritt es nicht in der nötigen Ausschließlichkeit hervor, die die Gefahr eines Zirkelschlusses bannen könnte: dass nämlich die wechselchörige Singweise bei der Interpretation als hermeneutischer Schlüssel vorausgesetzt wird, während sie in Wirklichkeit erst zu erweisen wäre. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die vorhandenen Indizien den Gesang des vollständigen Hymnus durch die Gemeinde in directum plausibel erscheinen lassen. Für die Wechselchörigkeit fehlt ebenso jeder 148 Vgl. z. B. Springer, Aesthetics 79 (seine Erklärung ist exemplarisch: „It makes sense from an antiphonal point of view for both halves of the congregation to express the same idea (or different aspects of the same idea) before moving on to the next unit of thought“); Fontaine, Introduction 64; Franz, Rez. Springer 197; ders., Alte Kirche 19f. 149 Zu Aeterne rerum conditor vgl. Franz, Tageslauf 155-160; zu Intende qui regis Israel vgl. unten S. 72f.74. 150 Vgl. aber die auf syntaktischen und semantischen Kriterien beruhende Gliederung bei Franz, Tageslauf 399f., die von einer Zweiteilung des Hymnus mit Strophe 4 als Gelenkstück ausgeht. 151 Die ersten drei Strophen dieses Hymnus bilden einen einzigen Satz, der sich von der Anrede in Strophe 1 bis zum Hauptsatzverb im letzten Vers der dritten Strophe erstreckt. Ein zweiter Abschnitt umfasst die Strophen 4 und 5. Der Versuch, die Doppelstrophenstruktur auch in diesem Lied zu finden, indem man Strophe 1 (Anrede) und Strophe 8 (trinitarische Schlussformel) als Rahmen auffasst, der drei Strophenpaare umschließt, vermag nicht zu überzeugen, weil er die syntaktische Einbindung der ersten Strophe in den ersten Sinnabschnitt nicht ernst nimmt. Darüber hinaus sind die Strophen 6 und 7 jeweils stärker als eigenständig zu betrachten und bilden nicht in gleicher Weise eine Einheit wie die beiden vorangehenden Strophen. Zum Aufbau des Hymnus vgl. Franz, Tageslauf 40-44. 152 Zur Gliederung dieses Hymnus, der hier berücksichtigt werden kann, weil seine Echtheit nicht bezweifelt wird, vgl. Franz, Tageslauf 280-286. 153 Vgl. dazu ebd. 470 m. Anm. 1799. <?page no="49"?> 37 Hinweis wie für die Existenz eines Kehrverses, einer Refrainstrophe oder einer textexternen Schlussdoxologie. Dass in späterer Zeit der wechselchörige Gesang der Hymnen 154 und die Verwendung einer Schlussdoxologie zur Selbstverständlichkeit wurden, lässt sich möglicherweise durch die Übertragung der sich im monastischen Bereich durchsetzenden Form der Psalmodie 155 auf die Hymnodie erklären, zumal diese nach dem faktischen Ende des spätantiken Kathedraloffiziums mit zunehmender Ausschließlichkeit in der Hand der Mönche lag. 1.3.4 Der liturgiehistorische Zeugniswert des Hymnus Die Existenz des Hymnus Intende qui regis Israel bestätigt die bereits anhand der ‘Predigt des Liberius’ entwickelte These, dass Mailand zur Zeit des Ambrosius das Weihnachtsfest beging. Inhaltlich befindet sich der Hymnus in der Akzentuierung der Festgehalte ‘Inkarnation’ und ‘Natur des Inkarnierten’ in bruchloser Übereinstimmung mit den Aussagen dieser Predigt 156 . Eine exakte Datierung der Abfassung des Liedes ist nicht möglich; die durch die antiarianischen Spitzen des Textes begünstigte Ansicht, der Hymnus sei während des Kirchenstreits 386 gesungen worden 157 (oder gar erst entstanden 158 ), ist jedenfalls eine „törichte Auffassung“ 159 : Jungfrauengeburt und 154 Vgl. z. B. Beda Venerabilis ( 735), metr. 11 (CChr.SL 123A,113 Kendall): Hymnos vero, quos choris alternantibus canere oportet, necesse est singulis versibus ad purum esse distinctos, ut sunt omnes Ambrosiani. 155 Neben der oben (S. 30f. Anm. 126) referierten Überlegung Huckes ist als weitere Ursache für die zunehmende Verbreitung der wechselchörigen Psalmodie im monastischen Kontext auf das „wachsende Psallierpensum der Mönche“ zu verweisen, das zur Zeitersparnis den Verzicht auf die mehrfache Iteration des Kehrverses nahelegte: so Gindele, Doppelchor 300. Gindele geht davon aus, dass zunächst in der Regel ein Vorsängerchor die Psalmverse vortrug, dem die gesamte Mönchsgemeinde mit dem Kehrvers antwortete. Entfiel nun dieser Kehrvers, „verlor der große Chor seine eigentliche Aufgabe; er begann sich an der Psalmodie selbst zu beteiligen, was um so leichter geschehen konnte, weil mit der wachsenden Zahl der Kleriker-Mönche immer mehr sich auf den Vortrag der Psalmodie verstanden“. Dyer (Psalmody) weist darauf hin, dass die geistesgeschichtliche Entwicklung des frühen Mittelalters eine stärkere Betonung der „efficacy of individual effort toward growth in grace“ (70) mit sich brachte: „From this perspective active participation in chanting the sacred words of the psalms would have seemed more meritorious than merely listening to them“ (71). 156 Zu dem im Hymnus entfalteten theologischen Konzept des Weihnachtsfestes, das darüber hinaus starke eschatologische und soteriologische Züge trägt, vgl. zusammenfassend Kap. 4.5. 157 So noch in jüngerer Vergangenheit vertreten von Springer, Aesthetics 80. 158 Vgl. z. B. Bernareggi, Liturgia Ambrosiana (1927) 45: Das Lied sei „un inno di battaglia“; seine „intonazione nettamente antiariana“ lasse darauf schließen, „che S. Ambrogio avesse destinato questo inno all’uso popolare non strettamente liturgico, anche se cantato in chiesa“. Ähnlich Corsaro (Innografia 381f.), der Ambrosius für einen „poeta per caso“ hält (383), ausgehend von „contenuti dogmatici e criptopolemici“ (381) unter anderem in Intende qui regis Israel. Corsaro bestreitet die Ursprünglichkeit der überlieferten ersten Strophe und vermutet, eine situativ-polemische Strophe sei nachträglich ersetzt worden, weil man sie als „troppo ‘impegnata’ e calata nell’ hic et <?page no="50"?> 38 Krippensymbolik (8,1: praesepe iam fulget tuum) sind offenkundig ganz und gar ungeeignete Themen für die vorösterliche Zeit, in welcher der Konflikt ja seinen Höhepunkt erreichte. Dass das dem Hymnus zugrunde liegende Geburtsfest Christi wirklich Weihnachten ist, nicht etwa Epiphanie, bestätigt das eingangs vorgestellte Zitat Caelestins: Wenn sich der römische Bischof an den Gesang des Hymnus in die Natalis Domini nostri Iesu Christi erinnert, kann damit angesichts der römischen Praxis und Terminologie, die die Ausdrucksweise des Papstes prägen, nur Weihnachten gemeint sein. Die Situierung des Hymnus in der Weihnachtsliturgie wird auch in der Folgezeit vielfältig bestätigt 160 . Dessen ungeachtet vertritt neuerdings, wie oben schon angedeutet, Hans Förster die These, Intende qui regis Israel sei ursprünglich ein Epiphaniehymnus gewesen. Ausgangspunkt der Argumentation Försters ist seine Interpretation der ‘Predigt des Liberius’ im dritten Buch von De virginibus, die er aufgrund des Missverständnisses der Erwähnung von Wein- und Brotwunder im ersten Abschnitt 161 auf Epiphanie bezieht 162 . Bedingt durch den weiteren Verlauf der Predigt, sieht Förster die Mailänder Epiphaniefeier zur Zeit des Ambrosius primär als Geburtsfest Jesu. Da Förster weiterhin die Echtheit des Epiphaniehymnus Inluminans altissimus für „mehr als zweifelhaft“ hält 163 , steht für ihn einer Deutung von Intende qui regis Israel auf Epiphanie nichts im Wege 164 . Zur Stützung seiner These zieht Förster die Epiphanie- Orationen der mittelalterlichen Mailänder Sakramentare heran 165 . Durch nunc di una contesa“ (382) empfunden habe. Diese hochgradig spekulative These setzt ein völliges Missverständnis der ersten Strophe und der Struktur des ganzen Hymnus voraus. Vgl. ferner auch Payer, Liturgie 29. Im Übrigen erscheint es ohnehin ausgeschlossen, dass so elaborierte Gedichte wie die Hymnen des Ambrosius einem Akt der Improvisation entsprungen sein könnten (zu Recht betont bei Lazzati, Inni 317). 159 Franz, Rez. Springer 196. 160 Vgl. Faust. Rei. epist. 7 (s. S. 27 Anm. 102): in natali dominico; Cassiod. in psalm. 8,10 (CChr.SL 97,95 Adriaen): Unde beatus Ambrosius hymnum Natalis Domini eloquentiae suae pulcherrimo flore compinxit, ut pius sacerdos festivitati tantae dignum munus offerret. Ait enim: ‘Procedat de thalamo suo / pudoris aula regia, / geminae gigas substantiae, / alacris ut currat viam’ [= V. 5,1-4] et cetera quae supra humanum ingenium vir sanctus excoluit. Auch die Rubriken der früh- und hochmittelalterlichen liturgischen Handschriften verweisen auf Weihnachten: vgl. Kap. 5.1. 161 Vgl. dazu Kap. 1.1.2 Ad a). 162 Vgl. Förster, Feier der Geburt Christi 177f. 163 Ebd. 180. 164 Ebd. 181: „Falls also das Mailänder Epiphaniefest zur Zeit des Ambrosius als wichtigsten Festinhalt die Geburt Jesu feierte, wie das ja auch zu dieser Zeit noch in einem großen Teil der Kirchen des Ostens der Fall war, so hätte Ambrosius diesen Hymnus für das Epiphaniefest gedichtet, auch wenn sein Inhalt ‘weihnachtlich’ klingen mag.“ 165 Vgl. ebd. 181-191. Er bezieht sich auf die im Corpus Ambrosiano Liturgicum edierten Handschriften: das stadtmailändische Traditionen des 10. Jhs. enthaltende Sacramentarium Triplex aus St. Gallen (Zürich, Zentralbibliothek C 43), ein für die Landkirche von Biasca bestimmtes Sakramentar aus dem 10. Jh. (Mailand, Ambrosiana A 24 bis inf.) und das um 900 für die Mailänder Abtei S. Simpliciano erstellte Sakramentar (Mailand, Metropolitankapitel D 3-3). <?page no="51"?> 39 einen Vergleich mit einschlägigen römischen Sakramentaren versucht er, „die älteren Orationen aus diesem Material herauszusuchen“ 166 , indem er diejenigen Gebete ausscheidet, die auch in der römischen Tradition begegnen und folglich im Zuge der karolingischen Reform von dort übernommen worden sein könnten 167 . Im Wesentlichen handelt es sich bei dem dergestalt ermittelten „Kernbestand der Mailänder Liturgie“ 168 um jeweils ein aus Collecta, Secreta, Praefatio und Postcommunio bestehendes Alternativformular für die Vigil- und Tagesmesse von Epiphanie. Ohne an dieser Stelle im Detail auf die liturgiehistorischen Implikationen des Befundes eingehen zu können 169 , sei der Gegenstand der Orationen referiert: Die Präfation der Vigil bezieht sich auf die Geburt Jesu, die Anbetung der Magier, das Weinwunder von Kana und die Taufe im Jordan. Dabei ist allerdings hervorzuheben, dass die Geburt nicht auf einer Ebene mit den anderen Inhalten steht, sondern vielmehr als Voraussetzung der drei koordinierten eigentlichen Festgegenstände präsentiert wird 170 . Die Präfation der Tagesmesse, auf die bereits eingegangen wurde 171 , ist ganz der Jordantaufe gewidmet. Die übrigen Orationen kreisen, sofern sie sich in ihrer Anamnese auf bestimmte Erzählstoffe beziehen, sämtlich um die Anbetung der Magier und scheinen stark vom römischen Festverständnis beeinflusst. Von der Geburt Jesu ist lediglich noch in der Collecta der Vigil die Rede; sie ist hier jedoch in engem Zusammenhang mit der Anbetung der Magier gesehen 172 . Wie Förster die in diesen Orationen sich ausdrückende Auffassung vom Epiphaniefest mit Intende qui regis Israel in Verbindung bringt, erscheint schwer nachvollziehbar. Die größere inhaltliche Affinität besteht offenkundig zu Inluminans altissimus. So verweist Förster denn auch vordringlich auf die „sehr stark in den Vordergrund gerückte Lichtsymbolik, die sich in den Orationen des Epiphaniefestes in Mailand findet“ 173 . Die Tatsache allein, dass sowohl in 166 Förster, Feier der Geburt Christi 188. 167 Zu den Auswirkungen der karolingischen Liturgiereform auf das Mailänder Sakramentar vgl. Frei, Metropolitankapitel 3f. 168 Förster, Feier der Geburt Christi 189. 169 Förster (ebd. 190f.) weist selbst darauf hin, dass die Diskrepanz zwischen dem Inhalt der Orationen und der im Sakramentar von Biasca enthaltenen Evangelienlesungen (Vigil: Mt 3,13-17; Tagesmesse: Mt 2,1-12) auf eine „Entwicklung in der Epiphaniefeier in Mailand“ schließen lasse. Daraus hätte er die Konsequenz ziehen müssen, dass ohne eine Erforschung eben dieser Entwicklung nicht alle Orationen unterschiedslos als ‘Kernbestand der Mailänder Liturgie’ in Frage kommen. Es wird sich jedoch zeigen, dass abgesehen von diesem prinzipiellen methodischen Mangel auch die der Argumentation Försters immanenten Schlussfolgerungen nicht überzeugen - nur dies kann und soll hier geleistet werden. 170 Praefatio. VD per Christum dominum nostrum: Quia puerperio caelesti intulit mundo suae miracula maiestatis: ut adorandam magis ostenderet stellam et transacto temporis intervallo aquam mutaret in vinum et suo quoque baptismate sanctificaret fluenta Iordanis: Quem una tecum omnipotens pater. [Zitiert nach Förster, ebd. 183.] 171 Vgl. oben S. 24. 172 Die zugehörige Postcommunio hat die doppelte Natur Christi zum Gegenstand. 173 Förster, Feier der Geburt Christi 191. <?page no="52"?> 40 den Epiphanie-Orationen als auch in Intende qui regis Israel die Lichtsymbolik eine prominente Rolle spielt, legt indes keineswegs nahe, dass es in beiden Fällen um dasselbe Fest geht. Natürlich ist Weihnachten ebenso eng mit der Lichtthematik verknüpft, und umgekehrt ist auch Inluminans altissimus wesentlich durch sie bestimmt, wie bereits das Initium zu erkennen gibt. Schließlich muss es befremden, dass Försters Interpretation des mailändischen Epiphaniefestes, die doch ausdrücklich die tria miracula einschließt, ihn einerseits dazu veranlasst, die ‘Predigt des Liberius’ als Zeugnis für Epiphanie in Anspruch zu nehmen, das vollständige Fehlen dieser tria miracula ihn andererseits aber nicht daran hindert, Intende qui regis Israel auf Epiphanie zu beziehen. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die mittelalterlichen mailändischen Quellen durchaus nicht Epiphanie als das Geburtsfest Jesu ausweisen. Der offensichtlich für dieses Geburtsfest bestimmte Hymnus Intende qui regis Israel kann daher weiterhin - in Übereinstimmung mit der ältesten (teilweise sogar zeitgenössischen) Bezeugung - als Weihnachtshymnus gelten. 1.4 Der Hymnus Inluminans altissimus Bei der Auswertung des Epiphaniehymnus Inluminans altissimus ist der Tatsache Rechnung zu tragen, dass seine Echtheit als Werk des Ambrosius nicht unbestritten ist 174 . Daher soll im Folgenden zunächst die Methodik einer Echtheitsprüfung grundgelegt werden, um dann auf Inluminans altissimus Anwendung zu finden. 1.4.1 Methodische Überlegungen zur Echtheitsfrage Die handschriftliche Überlieferung genuin liturgischer, das heißt für den gottesdienstlichen Gebrauch geschaffener Texte wirft hinsichtlich der Autorenfrage besondere Probleme auf, da sich in liturgischen Quellen in der Regel keine Verfasserangaben finden 175 . Diese Schwierigkeit betrifft auch die 174 Die Echtheit des Hymnus wird bestritten oder zumindest stark angezweifelt von Ermoni, Ambroise 1350; Botte, Origines 41-44; Simonetti, Studi 390-394 (vgl. ders., Inni 90); Mohrmann, Epiphania 271f.; Mutzenbecher, Festinhalt 115; Pax, Epiphanie 899; Fontaine, Introduction 100f.; Charlet, Illuminans 337-343; Förster, Feier der Geburt Christi 180 (jüngst relativiert in: ders., Anfänge 225). Sie wird verteidigt von Mone, Hymnen 75; Biraghi, Inni sinceri 16.24.59f.; Dreves, Vater des Kirchengesanges 36- 41.67f.; Steier, Echtheit 590-595; Walpole, Hymns 62-65; Frank, Geschichte 147; Paredi, Prefazi 122; Del Ton, Poesia 167f.; Sesini, Poesia e musica 55; Faller, Ambrogio 998; Raby, History 33f.; Bulst, Hymni 9; Righetti, Manuale 2, 84 Anm. 226; Szövérffy, Annalen 51.54f.; St. Laurent, Contribution 116-119; Frank, Vorrangstellung 118-132; Bonato, Inni 183-195; Banterle, Introduzione 13f.; Springer, Concinnity 236f.; Biffi, Origine 201. Pasini (Inni 223) hält die Autorschaft des Ambrosius zumindest für möglich. 175 Eine Ausnahme liegt dann vor, wenn die Texte vom Autor parallel oder gar primär als literarisches Corpus veröffentlicht und später auch als solches tradiert wurden, wie dies bei den Hymnen des Prudentius (Cathemerinon; Peristephanon) der Fall ist. „Schon die Anzahl der Strophen, dort von zwanzig bis über fünfzig, hier von achtzehn bis <?page no="53"?> 41 Hymnen des Ambrosius und zwar in besonderem Maße, wenn man ihre normsetzende Wirkung und die damit verbundene Entwicklung des Begriffes (hymnus) ambrosianus von einer Autorenbezeichnung zum Gattungsnamen bedenkt 176 . Da mithin aus den liturgischen Büchern selbst nicht mit Sicherheit hervorgeht, welche Hymnen tatsächlich Werke des Ambrosius sind, war die Forschung in diesem Punkt seit jeher auf andere Kriterien angewiesen, wenn nicht das mehr oder minder subjektive Dafürhalten des jeweiligen Herausgebers ausschlaggebend bleiben sollte 177 . Im späten 17. Jahrhundert stützten sich die Pariser Mauriner in der Frage, welche Hymnen sie in ihre Ambrosiusedition aufnehmen sollten, auf sekundäre Zeugnisse, namentlich Zitate und Hinweise in den Schriften eines Kanons ihrer Ansicht nach glaubwürdiger Autoren des vierten (Augustinus) bis neunten Jahrhunderts (Hinkmar von Reims) 178 . Die Unzulänglichkeit ihres Verfahrens lag einerseits in der Tatsache begründet, dass die herangezogenen Belege teilweise von hymni ambrosiani im oben erwähnten generischen Sinn sprechen 179 , andererseits in dem Umstand, dass die Erwähnung über zweihundert, läßt sie als Leseliteratur erscheinen; dem entspricht ihre buchgemäße Betitelung, auch daß der Verfasser sie unter seine gesammelten Werke aufgenommen hat, die sehr verschiedene literarische Gattungen vertreten. Übrigens hatte er, ungleich den Bischöfen Hilarius und Ambrosius, als Laie keine Befugnis zu ihrer Einführung in die Kirche“: Bulst, Hymni 11. Seine Hymnen boten „dem klassisch gebildeten Christen die erste Sammlung christlicher Lyrik für die eigene Lektüre und seine sozusagen private Devotion“: Ludwig, Dichtung des Prudentius 317. Zur durchdachten Struktur der beiden Sammlungen und ihrer planvollen Einbindung in das Gesamtwerk, in dessen praefatio sie in den Versen 37f. (Cathemerinon: Hymnis continuet [sc. anima] dies / nec nox ulla vacet quin dominum canat [CChr.SL 126,2 Cunningham]) bzw. 42 (Peristephanon: carmen martyribus devoveat, laudet apostolos [ebd.]) angekündigt werden, vgl. ebd. 318-339 mit 361f. (Tabelle 1 u. 2). 176 Vgl. bereits Isid. eccl. off. 1,6 (CChr.SL 113,7 Lawson): Post quem [Hilarium] Ambrosius episcopus, vir magnae gloriae in Christo et in ecclesia clarissimus doctor, copiosius in huiusmodi carmine claruisse cognoscitur; atque inde hymni ex eius nomine Ambrosiani vocantur, quia eius tempore primum in ecclesia Mediolanensi celebrari coeperunt; cuius celebritatis devotio dehinc per totius occidentis ecclesias observatur. Das Problem reflektiert im 9. Jh. auch Walafrid Strabo (De rebus ecclesiasticis 25 [PL 114,954D-955A]): In officiis quoque quae beatus Benedictus abbas, omni sanctitate praecipuus, ordinavit, hymni dicuntur per horas canonicas: quos Ambrosianos ipse nominans, vel illos vult intelligi quos confecit Ambrosius, vel alios ad imitationem Ambrosianorum compositos. Sciendum tamen multos putari ab Ambrosio factos, qui nequaquam ab illo sunt editi. Incredibile enim videtur illum tales aliquos fecisse, quales multi inveniuntur, id est qui, nullam sensus consequentiam habentes, insolitam Ambrosio in ipsis dictionibus rusticitatem demonstrant. Der Autor bezieht sich jedoch auf den Hymnengebrauch und die begriffliche Verwirrung seiner eigenen Zeit; zu Benedikt selbst vgl. S. 45f. 177 Sehr subjektive Begründungen begegnen noch weit bis ins 19. Jh. hinein; so bezieht sich etwa Mone (Hymnen 223) auf die „kernige Behandlung“ als typisches Merkmal der ambrosianischen Poesie. 178 Zu dieser Edition wie überhaupt zur frühesten Geschichte der Echtheitsfrage vgl. Biraghi, Inni sinceri 5-7; Dreves, Vater des Kirchengesanges 7f.; Steier, Echtheit 553-556, und Walpole, Hymns 19-21. 179 Vgl. dazu Steier, Echtheit 554. <?page no="54"?> 42 oder Nichterwähnung eines Hymnus bei den befragten Autoren letztlich auf Zufall beruht, da sich keiner von ihnen systematisch zur Hymnendichtung des Ambrosius äußert 180 . So war es Luigi Biraghi, der die Notwendigkeit erkannte, die Echtheitsdebatte auf eine neue Grundlage zu stellen. Nach seinen Ausführungen aus dem Jahre 1862 haben sich insbesondere Guido Maria Dreves (1893), August Steier (1903) und Manlio Simonetti (1952) um die Weiterentwicklung des Instrumentariums bemüht 181 . Ihre Ergebnisse werden hier nicht zur Gänze dargestellt 182 , sondern vielmehr im Blick auf die vorliegende Untersuchung systematisiert. Die von den genannten Autoren in Anspruch genommenen Argumente lassen sich nämlich in zwei sich durch je verschiedene methodische Implikationen auszeichnende Klassen einteilen: in Bedingungskriterien, deren Nichterfüllung einen Hymnus als potentielles Werk des Ambrosius ausschließt, und Plausibilitätsargumente, die positiv die Autorschaft des Ambrosius wahrscheinlich machen. Im Bereich der Bedingungskriterien weist Biraghi auf die Tradition der Mailänder Kirche hin. Angesichts des bekanntermaßen konservativen Charakters der mailändischen Liturgie 183 erscheint es undenkbar, dass echte Dichtungen des Ambrosius außer Gebrauch geraten sein sollten. Folglich kommen nur solche Hymnen überhaupt für die Echtheitsprüfung in Frage, die in den ältesten erhaltenen Handschriften der Mailänder Kirche begegnen 184 . Zwei weitere Bedingungskriterien sind aus der Beobachtung der Eigentümlichkeiten der vier Hymnen gewonnen, die durch das Zeugnis von Zeitgenossen jeden Zweifels an der Verfasserschaft des Ambrosius enthoben sind 185 : Ambrosius dichtet nicht rhythmisierend, sondern nach den Regeln der antiken Metrik 186 , legt also eine geregelte Abfolge langer und kurzer, nicht etwa betonter und unbetonter Silben zugrunde. Sein Versmaß ist der akatalektische jambische Dimeter nach griechischem Muster, d. h. lange Silben in der Senkung treten prinzipiell nur im ersten und dritten Versfuß auf 187 . Fer- 180 Vgl. dazu Walpole, Hymns 20. Dieser Einwand betrifft auch das besonders wichtige Zeugnis des Augustinus als Zeitgenossen des Ambrosius. Auch er liefert nirgends etwa einen Katalog der Hymnen des Mailänder Bischofs, sondern zitiert je kontextgebunden einzelne Hymnen. 181 Es handelt sich um folgende Arbeiten: Biraghi, Inni sinceri; Dreves, Vater des Kirchengesanges; Steier, Echtheit, sowie Simonetti, Studi. 182 Ein übersichtlicher und instruktiver Abriss der Entwicklung der Echtheitsfrage seit Biraghi liegt vor bei Franz, Tageslauf 18-27. 183 Vgl. dazu Dreves, Vater des Kirchengesanges 15-17. 184 Biraghi, Inni sinceri 12: „… ammettere un Inno come opera di Ambrogio, bisogna che sia stato nell’ uso antico della Chiesa milanese.“ Vgl. Dreves, Vater des Kirchengesanges 15. 185 Vgl. dazu S. 26 mit Anm. 99. 186 Vgl. Biraghi, Inni sinceri 10.29-32; Dreves, Vater des Kirchengesanges 43; Steier, Echtheit 644. 187 Vgl. Crusius, Metrik Nr. 99; Halporn/ Ostwald, Metrik 51. <?page no="55"?> 43 ner gehorcht der Aufbau der Hymnen dem Prinzip der Acht-Strophigkeit 188 , wobei jede Strophe aus vier Versen besteht 189 . Gemeinsames Kennzeichen dieser Kriterien ist, dass sie nicht nur auf die Hymnen des Ambrosius zutreffen, da man in der Folge seine Form imitierte und auch der Hymnenbestand der Kirche Mailands um solche Imitate erweitert wurde. Wohl aber kann festgehalten werden: Ein Hymnus, der alle drei Bedingungskriterien erfüllt, kann von Ambrosius verfasst sein. Während demnach anhand der Bedingungskriterien nur eine negative Prüfung möglich ist, diese jedoch mit sicherem Ergebnis, dienen die Plausibilitätsargumente der positiven Prüfung, deren Resultate aber über einen gewissen Grad der Wahrscheinlichkeit nicht hinausgelangen. Traditionell wird mit literarischen Plausibilitätsargumenten gearbeitet 190 . So unternimmt es August Steier, die Hymnen auf Übereinstimmungen mit dem Wortgebrauch der Prosaschriften des Ambrosius zu untersuchen 191 . Zweifellos handelt es sich dabei um ein Instrument, das wichtige Indizien liefern kann, insbesondere dann, wenn neben lexikalischen auch inhaltliche Kongruenzen beobachtet werden können, etwa hinsichtlich theologischer Konzeptionen oder exegetischer Belange. Einen zweiten Ansatz literarischer Plausibilitätsargumentation repräsentiert Manlio Simonetti. Er richtet sein Augenmerk auf einen bestimmten den vier unzweifelhaften Hymnen abgelesenen usus scribendi, als dessen hervorstechendstes Merkmal er ein charakteristisches Geflecht von concinnitas und variatio bezeichnet 192 . Nicht selten wird darüber hinaus auf einen typischen Aufbau verwiesen, der sich etwa durch die Bildung von vier Doppelstrophen 193 oder eine charakteristische Gedankenbe- 188 Vgl. Dreves, Vater des Kirchengesanges 43; Steier, Echtheit 640. Trompeo (Composizione 40) deutet die Acht-Strophigkeit als „una struttura mistica fondata sul numero della Resurrezione“. 189 Moberg (Hymnen 10) spekuliert über einen tieferen Sinn dieser Form: „Man scheint bisher nicht beobachtet zu haben, dass die von Augustin [in De musica] beschriebene ideale Metrik, auf der Vierzahl aufgebaut, dem grosswie kleinformalen Aufbau des ambrosianischen Hymnus genau entspricht. Wie Metrum und Vers ‘nach dem Gesetz der progressio quaternaria aus höchstens 32 Zeiteinheiten’ [Edelstein, Musikanschauung 88] bestehen, so enthält auch der echte, aus jambischen Dipodien zusammengefügte ambrosianische Hymnus 32 (4x8) Zeilen. Es liegt also nahe, ein bestimmtes metrisches Prinzip für die Hymnen des hl. Ambrosius anzunehmen, welches von seinem Schüler Augustin in einem grösseren Zusammenhang verarbeitet und ausgedrückt worden sein mag“ [mit den Hervorhebungen Mobergs]. 190 Für eine umfangreiche Auflistung primär literarischer Echtheitskriterien (methodisch allerdings wenig präzise systematisiert) vgl. auch Migliavacca, Appendice 167- 180.201f. 191 Programmatisch formuliert: Steier, Echtheit 559; vgl. bereits Biraghi, Inni sinceri 7-12. 192 Simonetti, Studi 387: „Tirando le fila della nostra analisi concludiamo che elemento fondamentale dello stile di Ambrogio innologo è la propensione, a volte sottile e ricercata, verso una struttura simmetrica delle singole strofe per mezzo di un intreccio di concinnitas e di variatio.“ Vgl. ferner ebd., 383. 193 Vgl. z. B. Fontaine, Introduction 64 („la tendance à une organisation en quatre doubles strophes“). Als Hintergrund wird häufig die wechselchörige Singweise der Hymnen vorausgesetzt: vgl. dazu Cunningham, Place of the hymns 509f.; Springer, Aesthetics. <?page no="56"?> 44 wegung 194 auszeichne. Ohne die zuletzt genannten Argumente, die literarische Eigenarten der zeitgenössisch bezeugten Hymnen zum Maßstab nehmen, an dieser Stelle im Detail zu bewerten 195 , sei auf eine generelle Schwierigkeit hingewiesen: Die materiale Basis von lediglich vier Liedern ist zu schmal, um davon abzuleiten, wie schlechthin jeder Hymnus des Ambrosius beschaffen sein müsse. Daher gilt für die Auswertung dieser Kriterien ein prinzipieller methodischer Vorbehalt: Begegnet ein Phänomen der poetischen Gestaltung, das aus den vier sicher echten Hymnen bekannt ist, in einem zu prüfenden Hymnus, so mag dies die Plausibilität der Autorschaft des Ambrosius erhöhen. Begegnet es nicht, entsteht daraus jedoch nicht automatisch ein Argument gegen die Autorschaft des Ambrosius. Zu diesen philologischen Ansätzen tritt ein gewichtiges auf den Untersuchungen von Ansgar Franz beruhendes liturgisches Plausibilitätsargument. „Es läßt sich mit einiger Sicherheit aufweisen, daß Ambrosius zu jeder in seiner Gemeinde gefeierten Tageshore einen Hymnus verfaßt hat; umgekehrt heißt das, daß keine tägliche Gebetszeit ohne Hymnus blieb“ 196 . Von dieser Erkenntnis aus lassen sich mit der gebotenen Vorsicht zumindest ansatzweise gewisse Erwartungen an das liturgische Schaffen des Ambrosius in anderen Bereichen formulieren, die die Vollständigkeit seines ‘Hymnars’ betreffen. Kommt auch insbesondere den literarischen Indizien im Blick auf mögliche Nachahmer keine Beweiskraft zu, so muss doch betont werden: Die Plausibilitätsargumente machen, wenn sie sich in Kombination miteinander auf einen durch die Bedingungskriterien als mögliches Werk des Ambrosius erwiesenen Hymnus anwenden lassen, seine Autorschaft wahrscheinlich. Abschließend müssen unsere Überlegungen nochmals zur Bedeutung sekundärer Zeugnisse zurückkehren. Es wurde bereits deutlich, dass die Zuschreibung von Hymnen an Ambrosius bei späteren Autoren prinzipiell mit Vorsicht zu behandeln ist. Gleichwohl erscheint eine Beschränkung der 194 So Savon, Hic est dies 411: „Chacune des pièces dont Ambroise est l’auteur incontestable … part de Dieu ou du Christ, descend ensuite au niveau de l’homme - qu’il s’agisse des événements et des épreuves d’une journée, ou d’un épisode de la vie terrestre de Jésus -, puis s’élève à nouveau jusqu’à la sphère divine, pour s’y reposer enfin, soit dans une confession de foi trinitaire, soit dans une prière adressée aux trois Personnes divines ou au Christ seul.“ 195 Im Blick auf Simonettis Ansatz weist Franz (Tageslauf 24 Anm. 100) zu Recht darauf hin, „diese an sich originelle und intelligente Methode, die Echtheitsfrage aufgrund innerer … Kriterien zu entscheiden“, müsse „von der rein formalen ‘Stil’-Untersuchung auch auf die Frage nach einer ‘Theologie’ der Hymnen ausgeweitet werden. Simonettis Untersuchung bleibt letztlich an der Oberfläche der Texte verhaftet, ohne in deren Tiefenstruktur vorzudringen; ihm unterlaufen daher manchmal erhebliche Fehlurteile.“ Zur antiphonalen Singweise als Voraussetzung der Doppelstrophen-Struktur vgl. Kap. 1.3.3. Die genannte Argumentation Savons ist unter Kap. C 2.4 zu prüfen. 196 Franz, Ambrosius 147. Es handelt sich um ein Ergebnis seiner Dissertation zu den Tagzeitenhymnen des Ambrosius, deren liturgiegeschichtliche Erträge auch gesondert publiziert sind: Franz, Tagzeitenliturgie. <?page no="57"?> 45 zugelassenen Zeugen auf die Zeitgenossen als willkürlich 197 und liefert sich literarischen Zufälligkeiten aus 198 . Man muss sich auch vor Augen führen, dass nirgendwo in der Altertumswissenschaft auf vergleichbarer Basis argumentiert werden kann: Die Alte Geschichte etwa verfügt für sehr viele historische Ereignisse über gar keine zeitgenössischen Quellen. Dennoch wäre es unangemessen, sich über die betroffenen Gegenstände jede bestimmte Aussage zu verbieten. Vielmehr resultieren aus der Situation exakte Anforderungen an eine wissenschaftlich kontrollierte Quellenkritik. Diese beinhaltet jedoch weder dort noch hier notwendigerweise, dass jedes spätere Zeugnis von vornherein weniger glaubwürdig ist. Obwohl man um die wachsende Unsicherheit in der Unterscheidung zwischen den Hymnen des Ambrosius und hymni ambrosiani im generischen Sinn weiß, besteht doch kein Grund zur Annahme, dass sofort nach dem Tod des Ambrosius eine vollständige Konfusion in dieser Frage entstanden sei. Jedes einzelne Zeugnis ist kritisch zu prüfen: Ein Autor verliert seine Glaubwürdigkeit, wenn er Ambrosius mindestens einen Hymnus zuschreibt, der sicher nicht von ihm verfasst ist - zu denken ist in erster Linie an eine Kollision mit den oben definierten Bedingungskriterien. Eine zeitliche Grenzziehung ist schwer möglich; jedenfalls darf nicht, ausgehend von Fehlzuschreibungen einzelner Autoren, vorschnell verallgemeinert werden. Für die Mitte des sechsten Jahrhunderts zum Beispiel kann neben dem irrenden Zeugen Cassiodor 199 auf seinen Zeitgenossen Benedikt von Nursia hingewiesen werden. Zwar sind in der Benediktsregel die für die acht Horen jeweils vorgesehenen Hymnen nicht dem Titel nach benannt, doch fällt eine terminologische Differenzierung auf. Nur bei Matutin, Laudes und Vesper 197 Dreves (Vater des Kirchengesanges 11) bezeichnet diesen Ansatz als durch die „Geschichte der christlich-lateinischen Literatur von ihren Anfängen bis zum Zeitalter Karls des Großen“ A. Eberts (Bd. 1, Leipzig 1874, S. 171) inaugurierte „Erblehre“. Zu ihrer Verbreitung in den auf Eberts Werk folgenden Jahrzehnten vgl. Franz, Tageslauf 18, Anm. 71. Ein entfernter ‘Nachfahre’ ist im Grunde auch Jacques Fontaine, der in der Echtheitsfrage für eine vierfach gestaffelte Plausibilität plädiert und die Kategorie der sicher echten Hymnen auf die vier zeitgenössisch bezeugten beschränkt: Fontaine, Introduction 97-102. Vgl. dazu kritisch Franz, Ambrosius 146f.: „Als unzweifelhaft echt nur die vier von Augustinus und Coelestinus bezeugten Hymnen gelten zu lassen, scheint mir ein überkritischer Rückfall hinter die - aufs Ganze gesehen doch sehr besonnenen - Bemühungen Biraghis. Es entbehrt nicht eines gewissen Formalismus, den Aurora-Hymnus Splendor paternae gloriae - der alle, aber auch wirklich alle Echtheitskriterien erfüllt und von dem niemand ernsthaft die Autorenschaft des Ambrosius bezweifeln will - in die zweite Kategorie [„très probablement écrit par Ambroise“: Fontaine, Introduction 98] einzuordnen, nur weil ihn Augustinus (doch letztlich: zufälligerweise) nicht erwähnt.“ 198 Vgl. dazu S. 41f. 199 Cassiodor schreibt Ambrosius den Sexthymnus Bis ternas horas explicans zu (in psalm. 101,2 [CChr.SL 98,899 Adriaen]; vgl. 118,164 [ebd. 1132]) - mit hoher Sicherheit fälschlicherweise, vgl. dazu Dreves, Vater des Kirchengesanges 42, und Franz, Tageslauf 450f. <?page no="58"?> 46 ist von der Rezitation eines ambrosianum die Rede 200 , während Benedikt bei den anderen Horen von hymni spricht 201 . Helmut Gneuss konnte aus dem Vergleich der ältesten Hymnare einen „Grundzyklus“ von acht Hymnen für die acht Horen des Stundengebets erheben, „das Kernstück aller Quellen“ des von ihm rekonstruierten ‘Alten Hymnars’ 202 . Von diesen acht Hymnen stammen vier von Ambrosius: Aeterne rerum conditor, Splendor paternae gloriae, Iam surgit hora tertia und Deus creator omnium 203 . Dieser Befund deckt sich mit den Bestimmungen der Benediktsregel, denn Matutin (Aeterne rerum conditor), Laudes (Splendor paternae gloriae) und Vesper (Deus creator omnium) erhalten je einen im ursprünglichen Sinne ambrosianischen, also von Ambrosius verfassten Hymnus. Iam surgit hora tertia könnte von Benedikt ebenfalls noch vorgesehen, jedoch nicht als ambrosianum spezifiziert sein, „da er die Hymnen für die kleinen Horen summarisch behandelt“ 204 . Gneuss zieht daraus den überzeugenden Schluss, dass die Regula Benedicti sehr wohl noch um die echten Hymnen des Ambrosius weiß 205 . Diese Feststellung mahnt zur Vorsicht, wenn es darum geht, den Zeugniswert in den ersten Jahrhunderten nach dem Tod des Ambrosius schreibender Autoren für die Verfasserfrage grundsätzlich anzuzweifeln. Im Einzelfall gilt: Solange bezogen auf das vorliegende Problem die Unglaubwürdigkeit eines Zeugnisses nicht erwiesen ist, besitzt es Gewicht, insbesondere dann, wenn die Glaubwürdigkeit mindestens eines weiteren zeitgleichen Zeugen plausibel gemacht werden kann. Zusammenfassend kann gesagt werden: Ein Hymnus hat als Werk des Ambrosius zu gelten, wenn er einerseits die Bedingungskriterien erfüllt, andererseits positiv literarische und liturgische Plausibilitätsargumente sowie gegebenenfalls ein Zeugnis, dessen Unglaubwürdigkeit nicht erwie- 200 Matutin: 9,4 (CSEL 75,60 Hanslik); Laudes: 12,4 (ebd. 65); 13,11 (ebd. 68); Vesper: 17,8 (ebd. 73; dagegen 18,18 [ebd. 79]: hymnum). 201 Prim: 17,3 (ebd. 72: hymnum eiusdem horae); Terz, Sext und Non: 17,5 (ebd.: hymnos earundem horarum); Komplet: 17,10 (ebd. 74: hymnum eiusdem horae); vgl. zusammenfassend 18,1 (ebd. 75: hymnum uniuscuiusque horae). 202 Gneuss, Hymnar 30. Gneuss unterschied ursprünglich zwischen einer älteren (AHy I) und einer jüngeren Form (AHy II) des ‘Alten Hymnars’; hier ist vom AHy I die Rede. In späteren Publikationen spricht er statt vom AHy II vom ‘Fränkischen Hymnar’, um zu verdeutlichen, dass diese Hymnarform „erst etwa drei Jahrhunderte nach den Anfängen des (wirklichen) Alten Hymnars entstand“ und einen ausdrücklichen Reformversuch darstellte: Gneuss, Geschichte des Hymnars 70. 203 Für drei der Hymnen bezeugt Augustinus die Verfasserschaft des Ambrosius (Aeterne rerum conditor; Iam surgit hora tertia; Deus creator omnium): vgl. oben S. 26 Anm. 99. Es bleibt Splendor paternae gloriae, „der alle, aber auch wirklich alle Echtheitskriterien erfüllt und von dem niemand ernsthaft die Autorenschaft des Ambrosius bezweifeln will“: Franz, Ambrosius 147. Es ist „wahrscheinlich, daß dieser Tageszyklus im wesentlichen das älteste mailändische Hymnar darstellte; dies fand demnach später in die Klöster Eingang und wurde auch von Benedikt seiner Regel zugrundegelegt“: Gneuss, Hymnar 29. 204 Gneuss, ebd. 30; vgl. Anm. 201. 205 Gneuss, ebd. 30f.; vgl. auch Franz, Tageslauf 29f. Anm. 133. <?page no="59"?> 47 sen ist, für sich in Anspruch nehmen kann. Von der Verfasserschaft des Ambrosius auszugehen, stellt in diesem Fall verglichen mit der Gegenannahme die plausiblere Hypothese dar. Die Beweislast liegt auf der Seite dessen, der die Echtheit eines solchen Hymnus bestreitet. Daher sind bei einem betroffenen Hymnus nach einer dreifachen kritischen Prüfung - negativ hinsichtlich der Bedingungskriterien, positiv im Blick auf Plausibilitätsargumente und Bezeugung - diejenigen Argumente zu würdigen, die gegen die Echtheit des Hymnus vorgetragen werden. Erweisen diese sich als widerlegbar, kann von der Autorschaft des Ambrosius ausgegangen werden. 1.4.2 Die Bedingungskriterien Die Tradition der Mailänder Kirche Inluminans altissimus gehört, soweit sich handschriftliche Zeugnisse erhalten haben, durchgängig zum Hymnenbestand der Mailänder Kirche. Die Überlieferung der Hymnare setzt mit drei Exemplaren aus dem letzten Drittel des neunten Jahrhunderts ein (Ma, Mb, Mc) 206 , die den Hymnus ebenso enthalten wie die ältesten Manualien aus dem zehnten und elften Jahrhundert (Me, Mf) 207 sowie sämtliche weiteren Handschriften aus dem 12. bis 15. Jahrhundert, die Dreves für seine sich an Biraghis Ansatz orientierende Sichtung der Mailänder Tradition heranzieht 208 . Dreves ermittelt dabei einen Kanon von 41 Hymnen, der „das mailändische Hymnar, soweit wir dasselbe hinauf verfolgen mögen und bis herab ins 14. und 15. Jahrhundert, in einzig dastehendem Sich-gleich-bleiben“ 209 bildet und zu dem Inluminans altissimus als fester Bestandteil gehört. Metrik und Strophenzahl Formal entspricht der Hymnus dem Muster der zeitgenössisch bezeugten Lieder 210 . Er verfügt über acht Strophen, die jeweils aus vier metrisch korrekt gebildeten akatalektischen jambischen Dimetern bestehen. Dass insgesamt vier Elisionen begegnen 211 , kann weder im Vergleich mit der klassischen 206 Zu den Handschriften vgl. Kap. 2.1. Die „enge Verwandtschaft mit den Handschriften des AHy“ zeigt, dass dieses mailändische Hymnar „viel älter sein [muss] als die ältesten ambrosianischen Quellen“: Gneuss, Hymnar 15; vgl. die Tabelle „Der Hymnenbestand des Alten Hymnars“ ebd. 23-25. 207 Zu den Handschriften vgl. Kap. 2.1 (Me) bzw. Jullien, Sources 142f. (Mf). Md reicht nur von Karsamstag bis Mitte November. 208 Vgl. Dreves, Vater des Kirchengesanges 18-25. Der Hymnus fehlt nur im Codex Ambrosianus Y 10 sup., einem Psalterium des 14./ 15. Jhs., das lediglich die hymni diurni bietet, sowie im stark verstümmelten Codex Capituli Modoetiaci C 14./ 121, einem aufgrund seiner Beschädigung kurz nach dem Beginn der hymni festivi abbrechenden Breviarium aus dem 11. Jh. (ebd. 25). 209 Ebd. 25. 210 Zum Text des Hymnus vgl. Kap. B 1.2. 211 V. 1,2: micantium astrorum globos; V. 4,2: vini saporem infuderis; V. 5,3: mutata elementa stupent; V. 5,4: transire in usus alteros. <?page no="60"?> 48 Dichtung noch mit den ‘Musterhymnen’ des Ambrosius 212 Anstoß erregen. Zweimal ist zu konstatieren, dass im Innern eines Wortes ein kurzer Vokal „durch die Kraft der Arsis gelängt“ 213 wird (V. 3,4: praesepe magos duxeris; V. 5,3: mutata elementa stupent) 214 . Dass in Vers 5,3 zusätzlich der Schlussvokal von elementa lang gemessen wird, erklärt sich zum einen aus der „Längung einer kurzen Silbe im Auslaut durch die Kraft der Arsis“ 215 , zum anderen kann Positionslänge auch zustande kommen, wenn die folgenden Konsonanten bereits dem nächsten Wort angehören 216 . Im zweiten Fuß des Verses 2,4 ist eine Endsilbenkürzung zu beobachten (praesenti). Doch auch dabei handelt es sich um ein zulässiges Phänomen 217 . 1.4.3 Die Plausibilitätsargumente Literarische Plausibilitätsargumente Seit Beginn der modernen wissenschaftlichen Echtheitsdebatte 218 wird auf eine bemerkenswerte Übereinstimmung zwischen den Strophen 4 bis 8 des Hymnus und einer Passage aus dem Lukaskommentar des Ambrosius (6,85- 88) hingewiesen, die ursprünglich wohl zu einer Predigt gehörte. Die Erläuterungen sind der Exegese der Brotvermehrungserzählung Lc 9,12-17 gewidmet 219 und ziehen das Weinwunder von Kana zum Vergleich heran 220 . 212 Intende qui regis Israel enthält allein in den Versen 1,3f. drei Elisionen. Zur Echtheit der ersten Strophe dieses Hymnus vgl. Kap. 1.3.2. Zwar ließe sich einwenden, Ambrosius mache an dieser Stelle um des Bibelzitats willen besondere Konzessionen, doch bleibt damit bewiesen, dass er, wenn ihm an einer bestimmten Formulierung liegt, Elisionen nicht scheut. Auch Iam surgit hora tertia weist drei Beispiele auf (V. 3,4; 4,4; 5,4). Im Übrigen ist Ambrosius, wie die Übersicht bei Huemer (Dimeter 19) zeigt, nicht der einzige Hymnendichter, der sich der Elision in größerem Umfang bedient, als es der Tendenz der späten Kaiserzeit entspräche. 213 Steier, Echtheit 648. Unter ‘Arsis’ (‘Hebung’) versteht man in der metrischen Theorie „einen Versteil, in dem ausschließlich … oder überwiegend eine Länge steht“, während ein „Versteil, der in der Regel durch eine oder zwei Kürzen … gebildet wird“, als ‘Thesis’ (‘Senkung’) bezeichnet wird (Crusius, Metrik Nr. 32). 214 Hierfür findet sich kein Beispiel in den vier zeitgenössisch bezeugten Hymnen, wohl aber eines im durchgängig für echt gehaltenen Lied Splendor paternae gloriae, V. 6,4 (Perrin 187): ebrietatem Spiritus. 215 Dreves, Vater des Kirchengesanges 47. Vgl. dazu Deus creator omnium, V. 4,3 (Perrin 237): te diligat castus amor, sowie Iam surgit hora tertia, V. 7,4 (Charlet 213): qui credidit salvus erit. Zur „metrischen Dehnung“ der Endsilbe in der klassischen lateinischen Dichtung vgl. Crusius, Metrik Nr. 31. 216 Dies ist zwar ein seltenes Phänomen, aber durchaus regelkonform: vgl. Crusius, Metrik Nr. 8. 217 Zur Endsilbenkürzung vgl. ebd. Nr. 29. 218 Vgl. Biraghi, Inni sinceri 59f.; Dreves, Vater des Kirchengesanges 67f.; Steier, Echtheit 593f.; Walpole, Hymns 62f. 219 Die Auslegung der Perikope umfasst insgesamt die Kapitel 6,69-92. Palanque kann keine Indizien für die Datierung der hierin von ihm erblickten Predigt benennen (Ambroise 451.532.535). Biraghi (Inni sinceri 60) datiert die Abfassung auf das Jahr 387. 220 In Luc. 6,87 (CChr.SL 14,205): Sic in nuptiis … <?page no="61"?> 49 Die Parallelen betreffen nicht nur die gedankliche Ebene, sondern umfassen auf engem Raum eine Fülle wortwörtlicher Entsprechungen. Im Folgenden werden die entscheidenden Abschnitte im Zusammenhang dargeboten und die auffälligsten Übereinstimmungen kenntlich gemacht 221 . in Luc. 6,85 (CChr.SL 14,204f.): Videres inconprehensibili quodam rigatu inter dividentium manus quas non fregerint fructificare particulas et intacta frangentium digitis sponte sua fragmenta subrepere 222 . Qui haec legit quemadmodum iuges aquarum miretur meatus et liquidis fontibus stupeat continuos fluere successus, quando etiam panis exundat et naturae solidioris rigatus exuberat? 8,1f.: Inter manus frangentium / panis rigatur profluus 8,3f.: intacta quae non fregerant / fragmenta subrepunt viris 7,3f.: Quis haec videns mirabitur / iuges meatus fontium? in Luc. 6,86f. (ebd. 205f.): Visibiliter quoque panis iste incredibili ratione, dum frangitur, dum dividitur, dum editur, sine ulla dispendii conprehensione cumulatur. Nec dubites vel quod in manibus ministrantium vel in ore edentium cibus crescat, quando ubique nostri operis testimonium ad firmamentum credulitatis adsciscitur. Sic in nuptiis ex fontibus vina ministris operantibus colorantur et ipsi qui inpleverant hydrias aqua vinum quod non detulerant hauriebant. Conprehende, si potes, tanta rerum miracula. Hic edentibus populis crescunt suis fragmenta dispendiis et de quinque panibus maiores reliquiae quam summa est colliguntur, illic in alienam speciem vertuntur elementa nec suos patitur natura defectus nec suos agnoscit ortus, usus tamen proprios recognoscit. … Dum aquam minister infundit, odor transfusus inebriat, color mutatus informat, fidem quoque sapor haustus adcumulat. 6,3f.: edentium …/ in ore crescebat cibus 4,3f.: hausit …/ quod ipse non impleverat 7,1f.: multiplicabatur magis / dispendio panis suo 5,3f.: mutata elementa stupent / transire in usus alteros 5,1f.: aquas colorari videns / inebriare flumina 4,1f.: vel hydriis plenis aquae / vini saporem infuderis in Luc. 6,88 (ebd. 206): Talia sunt idolorum beneficia, ut cum videntur prodesse, plus noceant. At vero Christi munera parva videntur et maxima sunt, denique non uni conlata, sed populis; nam et cibus edentium in ore crescebat et videbatur esse corporalis alimoniae, sed sumebatur salutis aeternae. 6,3f.: edentium …/ in ore crescebat cibus 221 Zusammengehörige Formulierungen sind durch gleichartige Unterstreichung gekennzeichnet, bei wörtlicher Entsprechung zusätzlich durch Fettdruck. 222 Die Mehrzahl der Handschriften bietet subrepere. Trotzdem entscheidet sich Adriaen in seiner Ausgabe für die abweichende Lesart subripere. <?page no="62"?> 50 Der hohe Grad der Übereinstimmung lässt ohne Zweifel auf eine literarische Abhängigkeit beider Texte schließen, d. h. bei der Abfassung eines der beiden Texte diente der andere Text als Vorlage. Grundsätzlich sind unter dieser Voraussetzung drei Konstellationen denkbar: a) Der Hymnus ist die Vorlage für die Predigt. Folglich käme nur Ambrosius selbst als Autor des Hymnus in Frage. b) Die Predigt ist die Vorlage für den Hymnus. In diesem Falle hätte entweder Ambrosius selbst bei der Abfassung des Hymnus auf seine ältere Predigt zurückgegriffen oder c) der Hymnus wäre das Werk eines späteren Autors, der sich vom Lukaskommentar des Ambrosius inspirieren ließ. Erwägt man die Plausibilität der genannten Optionen, ist man geneigt, dem Urteil von Ansgar Franz zuzustimmen: „In solchen Fällen wörtlicher Übereinstimmung von Prosa und Poesie ist … grundsätzlich davon auszugehen, daß der Redner den Dichter ‘zitiert’ (und nicht umgekehrt), daß also der Hymnus beim Vortrag der Predigt bereits verfaßt (und den Zuhörern wohl auch bekannt) war“ 223 . Die Vorstellung, dass ein Prediger Formulierungen aus einem der Gemeinde vertrauten Lied aufgreift und diese gleichsam kommentierend auslegt, liegt durchaus näher 224 als die umgekehrte Variante, dass der Dichter eines Epiphaniehymnus einen Kommentar zum Lukasevangelium heranzieht - nicht gerade die nächstliegende Adresse für dieses Sujet. Charlet hält freilich den Lukaskommentar für die Vorlage, weil der Hymnus den in der Prosafassung klar und kohärent dargebotenen Inhalt bis an die Grenze der Unverständlichkeit verkürze 225 . In der Tat ist der Hymnus insofern schwerer verständlich, als er im Unterschied zur Predigt keine explizite Interpretation des Wein- und Brotwunders liefert. Doch darin ist eher ein Argument für die Priorität des Hymnus zu sehen: Es ist nicht untypisch für den Hymnendichter Ambrosius, die tiefere Aussage seiner Lieder unter einer anschaulich-bildhaften Oberfläche zu verbergen. Umge- 223 Franz, Tageslauf 11. Franz erörtert die Problematik anlässlich einer ähnlichen Parallele zwischen Aeterne rerum conditor und hex. 5,24,88f. (32/ 1,201f.; vgl. dazu Franz, ebd. 174- 176). Er bezieht sich dabei auf Fontaines Hypothese einer „antériorité de la version en vers par rapport à la version en prose“ im Falle der Übereinstimmung ganzer Wortgruppen zwischen Hymnus und Prosawerk: Fontaine, Prose et poésie 127 Anm. 6. Fontaine selbst urteilt später weniger entschieden und lässt die Frage der Priorität zwischen Aeterne rerum conditor und hex. offen: Introduction 78f. Umgekehrt plädiert Nauroy prinzipiell für „l’antériorité du texte en prose“ (Martyre de Laurent 566f.). 224 Für Inluminans altissimus vertreten diese Ansicht: Dreves, Vater des Kirchengesanges 68; Steier, Echtheit 595; Walpole, Hymns 63; Biffi, Origine 201. Zudem existiert nach dem Urteil mehrerer Autoren eine Parallele im eben erwähnten Fall von hex. 5,24,88f. als Paraphrase von Aeterne rerum conditor: vgl. Dreves, Vater des Kirchengesanges 68; ders., Hahnenschrei 96; Steier, Echtheit 595; Walpole, Hymns 28; Franz, Tageslauf 11; Biffi, Origine 201; anders: Frank, Geschichte 151 Anm. 33; Bonato, Inni 183-185; Banterle, Introduzione 13. 225 Vgl. Charlet, Illuminans 341f.: „on voit mal comment, sans le support du texte en prose, l’hymne aurait pu être composé ou même chanté le premier“ (342). <?page no="63"?> 51 kehrt hätte ein Poet von derart geringer Originalität, dass er über die Hälfte seines Hymnus quasi aus einem ihm vorliegenden Traktat abschreibt, wohl kaum der Versuchung widerstanden, gleich auch die Deutung zu übernehmen. Von einer Verdunkelung der Aussage kann im Übrigen nur gesprochen werden, wenn man den Maßstab der Predigt als vorgegeben annimmt. Charlet setzt einen Dichter voraus, der sich einerseits diesem seiner Poesie externen Maßstab unterwirft, indem er sich material an die Predigt anlehnt, es andererseits aber versäumt, die Sinnspitze der Predigt auf die Auslegung der eröffneten Bilder hin entsprechend zu adaptieren. Eine plausiblere Erklärung, wenn auch nicht schlüssig beweisbar, findet der textliche Befund im umgekehrten Modell. Dem Dichter Ambrosius ist bewusst, dass Poesie anderen Normen verpflichtet ist als Homilie: Seinen Epiphaniehymnus lässt er in einem breit entfalteten Bild enden, dessen Deutung und Bedeutung für die Gesamtaussage auf der Textoberfläche offen bleibt. Als Prediger verwendet er einige Jahre später dasselbe Bild und greift in diesem Kontext Formulierungen seines Hymnus auf - nun aber leistet er dem Genus der Ausführungen entsprechend eine explizite Auslegung. Über die genannten Stellen im Lukaskommentar hinaus führt August Steier in seiner am Wortgebrauch der Prosaschriften des Ambrosius orientierten Untersuchung für weitere Wendungen, Motive und rhetorische sowie grammatikalische Phänomene des Hymnus Parallelen aus den Werken des Bischofs an 226 . In der Zusammenschau gewinnt das von Steier zusammengetragene Material durchaus argumentativen Wert. Das liturgische Plausibilitätsargument Ausgehend von der oben referierten Feststellung, dass Ambrosius zu jeder Tageshore des zeitgenössischen Mailänder Offiziums einen Hymnus verfasst hat, und der Existenz des verlässlich bezeugten Weihnachtshymnus Intende qui regis Israel postuliert Ansgar Franz einen vollständigen Festtagszyklus analog dem vollständigen Tagzeitenzyklus 227 . „Im Blick auf die Hochfeste“ bemerkt er: „Neben dem … Weihnachtsfest feierte die oberitalienische Gemeinde im 4. Jahrhundert natürlich Ostern und auch Epiphanie. Sollte Ambrosius nur das Weihnachtsoffizium mit einem Hymnus bedacht haben? Dies ist nach allem, was wir über das liturgische Wirken des Bischofs 226 Vgl. Steier, Echtheit 591-595. Es handelt sich auf lexikalischer Ebene um die Ausdrücke: inluminans, altissimus (für Christus), micantium astrorum globos, lumen (für Christus), pax (für Christus), partum virginis, elementa mutata … transire in usus alteros, meatus fontium und profluus. Ferner weist Steier auf die häufige (und in gleicher Weise wie im Hymnus variierende) Verwendung von Io 14,6 und Ps 113(114),3 bei Ambrosius sowie auf die für ihn typische Betonung der Jungfräulichkeit Marias hin. Einige weitere stilistische und grammatische Phänomene, auf die Steier eingeht, sind für Ambrosius wenig spezifisch. 227 Vgl. Franz, Tageslauf 27. <?page no="64"?> 52 wissen, unwahrscheinlich.“ 228 Außerdem verweist er auf den Umstand, dass Ennodius, der spätere Bischof von Pavia, in seiner literarisch produktiven Zeit als Mailänder Kleriker (ca. 497-513) 229 sich um eine Ergänzung des dortigen Hymnenbestandes bemüht 230 , aber keinen Epiphaniehymnus verfasst habe. Daraus lässt sich jedoch lediglich folgern, dass es um das Jahr 500 in Mailand bereits den Epiphaniehymnus gab, was noch keine Rückschlüsse auf seinen Verfasser zulässt. Gleichwohl bleibt das liturgische Plausibilitätsargument auf der Basis der ersten, am liturgischen Schaffen des Ambrosius und dem aus dem Rang des Epiphaniefestes resultierenden Bedarf orientierten Überlegung außerordentlich stark. 1.4.4 Zeugnisse für die Autorschaft des Ambrosius Ein verlässliches direktes Sekundärzeugnis für die Verfasserschaft des Ambrosius aus ältester Zeit existiert leider nicht. Seit dem 17. Jahrhundert wird gelegentlich eine Passage aus dem Psalmenkommentar Cassiodors ( ca. 580) in Anspruch genommen. Cassiod. in psalm. 74,9 (CChr.SL 98,689 Adriaen): Vinum in scripturis divinis significat caeleste mysterium, sicut in illis hydriis factum est quas Dominus aqua fecit impleri; ut latices fontium ruborem vini mutata qualitate susciperent, quem natura non habuit. Unde beatus Ambrosius in hymno sanctae Epiphaniae mirabiliter declamavit splendidissima luce verborum. 231 Cassiodor benennt das Lied nicht konkret, jedoch schwebt ihm dem Zusammenhang nach ein Epiphaniehymnus vor, der (unter anderem) das Wunder von Kana zum Gegenstand hat. Wie die unzutreffende Zuschreibung des Sexthymnus Bis ternas horas explicans an Ambrosius zeigt, kann Cassiodor durch die Entwicklung des Ausdrucks hymnus ambrosianus zum Gattungsbegriff in seinem Urteil über die Frage, welche Hymnen vom Mailänder Bischof selbst stammen, fehlgeleitet sein 232 . Insofern könnte er sich 228 Vgl. ferner bereits Ph.A. Becker, Hymnus 9: „Die Vermutung, daß Ambrosius nicht selber für diesen bescheidensten Bedarf sorgte, sondern die Ergänzung dem Zufall freiwilliger Leistung überließ, hat nicht gerade die Wahrscheinlichkeit für sich.“ 229 Vgl. dazu Döpp, Ennodius 218. 230 Zur Hymnendichtung des Ennodius vgl. Szövérffy, Annalen 119-122. Ebd. 119: „Daß Ennodius vor allem für die Mailänder Kirche dichtete, ersieht man aus der Themenwahl seiner Hymnen.“ Unter ihnen (insgesamt sind es zwölf) finden sich unter anderen solche für zur Zeit des Ambrosius noch nicht gefeierte Feste (Christi Himmelfahrt: Iam Christus ascendit polum; Pfingsten: Et hoc supernum munus est), für Nazarius, einen typisch mailändischen Heiligen (Angustae vitae tempora), und sogar ein Hymnus auf Ambrosius selbst (Coelo ferunt haec Ambrosium). 231 Dreves (Vater des Kirchengesanges 36) äußert die überzeugende Vermutung, dass hier ursprünglich ein Zitat aus dem Hymnus folgte, das im Laufe der Textüberlieferung ausfiel. 232 Vgl. dazu S. 45 Anm. 199. Wenn Frank „aus der vollen Vertrautheit Cassiodors mit dem Weihnachtshymnus des Ambrosius“ (vgl. dazu oben S. 27 Anm. 102 und S. 28 Anm. 110) auf seine Glaubwürdigkeit in der Zuschreibung des Epiphaniehymnus <?page no="65"?> 53 etwa auch auf den nicht von Ambrosius verfassten, aber ebenfalls sehr alten Hymnus Illuxit orbi iam dies beziehen, dessen dritte und vierte Strophe vom Kanawunder handeln 233 . Doch selbst wenn sich erweisen ließe, dass Inluminans altissimus gemeint sein muss 234 , könnte Cassiodor aus genanntem Grund nicht als Beweiszeuge dienen. Mangels eines expliziten Sekundärzeugnisses wurde in der Forschung verschiedentlich auf indirekte Zeugnisse Bezug genommen, das heißt auf Texte, in denen man Passagen des Hymnus zitiert zu sehen glaubte, ohne dass dies ausdrücklich vom Autor kenntlich gemacht sei. Im Wesentlichen ging es dabei um eine Predigt des Maximus von Turin zum Epiphaniefest, einen Brief des Paulinus von Nola und eine altspanische Epiphaniepredigt. Die in Anspruch genommene Parallele bei Maximus ist jedoch nicht so eng, dass sie eine literarische Abhängigkeit glaubwürdig machen würde 235 , und der Text des Paulinus könnte ebenso gut den Lukaskommentar des Ambrosius zum Vorbild haben 236 . Somit bleibt allein eine anonyme altspanische Epiphaniepredigt, die in einem aus Toledo stammenden Sakramentarfragment aus dem zehnten Jahrhundert 237 auf das Evangelium Mt 2,1-15 folgt. In diesem Sermo Dies iste, karissimi Fratres heißt es (Férotin 527): Hoc die namque Christus, fluenta Iordanis ingrediens, fluminis undas corporis sui tinctione sacravit … Hoc die … fatuos fontis latices in vini sapore convertit: ut agnoscatur [potestas] imperii cui elementa 2,2-4: fluenta Iordanis … praesenti sacraris die 4,1f.: vel hydriis plenis aquae / vini saporem infuderis schließen will (Vorrangstellung 129-132; das Zitat: 132), vermag dies nicht zu überzeugen. 233 So Daniel, Thesaurus IV 11f. Daniel glaubt, diesen Hymnus dem Ambrosius zuweisen zu sollen, was jedoch bereits an seinem Fehlen in der Mailänder Tradition scheitert: vgl. Dreves, Vater des Kirchengesanges 41. 234 Auf Inluminans altissimus bezieht das Zitat z. B. Weissengruber, Benützung 395. 235 Biraghi (Inni sinceri 57), Frank (Vorrangstellung 119f.) und Bonato (Inni 187) sehen in Max. Taur. serm. 101,3 M. (CChr.SL 23,403 Mutzenbecher: Dicitur hoc primum fecisse miraculum, ut aquam mutaret in vinum. Magnum plane signum et ad dei credendum sufficiens maiestatem. Quis enim non miretur in aliud quam erant elementa esse translata? ) eine Parallele zu V. 5,3f.: mutata elementa stupent / transire in usus alteros. Eine Verbindung besteht hier nur auf motivischer Ebene. Im Hymnus begegnet zwar auch eine Fragewendung mit mirari, jedoch in einem anderen Zusammenhang (7,3f.). 236 Auf Paul. Nol. epist. 13,11 (CSEL 29,93 von Hartel: video congregatos ita distincte per accubitus ordinari et profluis omnes saturari cibis … [vgl. dazu V. 8,2: panis rigatur profluus]; … ut inter manus vel in ore sumentium crescentibus cibis sentirent potius escarum suarum copiam quam viderent morsibus redeunte consumpto et dentibus subeunte sumendo [vgl. dazu V. 6,3f.: edentium sub dentibus / in ore crescebat cibus; V. 8,1: Inter manus frangentium]) verweisen Michels, Ansprache 107 Anm. 8; Frank, Vorrangstellung 121; Bonato, Inni 188-191. Charlet (Illuminans 342) macht darauf aufmerksam, dass abgesehen von dem Wort profluus (dem wäre jedoch dentibus hinzuzufügen) die fraglichen Formulierungen auch aus in Luc. 6,85.87 herleitbar seien (vgl. dazu Kap. 1.4.3). Dies gilt in der Tat insbesondere für die einzige größere und daher für die Argumentation wertvollste Wendung: in ore … crescentibus cibis. 237 London, Brit. Mus. Add. 30844, fol. 131v ff. <?page no="66"?> 54 deserviunt, ut iussis eius pareant sue nature oblita vel nominis, in alteros usus transeant. 5,3f.: mutata elementa stupent / transire in usus alteros Hieronymus Frank macht auf die offenkundigen wörtlichen Übereinstimmungen aufmerksam, die es wahrscheinlich machen, dass der unbekannte Autor der Predigt den Hymnus in seiner Liturgie vorfand 238 . Nach Frank weisen Herkunft, Umfeld und Alter der beiden die Predigt enthaltenden Handschriften 239 darauf hin, dass dieser Text „um 600, eher vor als nach 600, in der Liturgie von Toledo, also in der westgotischen Liturgie, vorhanden war“ 240 , was wiederum voraussetzt, dass der Hymnus spätestens im sechsten Jahrhundert in diese einging 241 . Wir sind damit jedoch zeitlich zu weit von Ambrosius entfernt, um diesem Zeugnis in der Autorenfrage einen Wert beimessen zu können. 1.4.5 Zu den Argumenten gegen die Echtheit des Hymnus Von den Wissenschaftlern, die die Autorschaft des Ambrosius für Inluminans altissimus bestreiten, werden im Wesentlichen zwei Argumentationsansätze in Anspruch genommen. Zum einen argumentiert man liturgiegeschichtlich und behauptet, der dem Hymnus zugrunde liegende Inhalt des Epiphaniefestes komme für den Westen zur Zeit des Ambrosius nicht in Frage. Zum anderen werden stilistische Beobachtungen herangezogen, um Ambrosius den Hymnus abzusprechen. Zu den liturgiegeschichtlichen Argumenten Im Einzelnen lassen sich nochmals vier Argumente unterscheiden: a) Der Hymnus präsentiere neben Taufe Jesu, Anbetung der Magier und Hochzeit von Kana die Brotvermehrung als vierten Festgegenstand, was sonst erst viel später belegt sei (Krieg, Charlet, Fontaine). b) Das Weinwunder von Kana begegne als Festinhalt der Epiphanie erstmals bei Maximus von Turin (Kayser). c) Die Anbetung der Magier sei erst später Gegenstand des Epiphaniefestes geworden (Daniel). d) Filastrius, ein Zeitgenosse des Ambrosius und Bischof des nahe gelegenen Brescia, nenne in seinem Überblick über verschiedene Traditionen des Festinhalts nicht die im Hymnus vorliegende Tradition der tria miracula, kenne sie also nicht (Botte, Mohrmann). 238 Vgl. Frank, Geschichte 25f.; ders., Vorrangstellung 121-128. 239 Neben dem oben genannten Sakramentarfragment: London, Brit. Mus. Add. 30853, fol. 277v-280v (Homiliar von Toledo). 240 Frank, Vorrangstellung 126. 241 Auf die These Franks, ein Missverständnis des Hymnus Inluminans altissimus habe die (in der Predigt bereits belegte) Auffassung von der Brotvermehrung als viertem Fest- <?page no="67"?> 55 Ad a): Dass das Brotwunder im Hymnus als vierter Festgegenstand erscheine 242 , lässt sich von der sprachlichen Struktur des Textes her leicht widerlegen. Wie schon Biraghi richtig bemerkt, wird die Einleitung der Festinhalte durch seu mystico baptismate (2,1) … seu stella partum virginis (3,1) … vel hydriis plenis aquae (4,1) bei der Brotvermehrung nicht fortgeführt. Vielmehr eröffnet das Demonstrativadverb sic (6,1) eine neue Aussageebene, auf der das Brotwunder als Vergleich zum Weinwunder herangezogen wird 243 . Dieser Umstand ist so offensichtlich, dass es verwundern muss, wenn neuerdings wieder Forscher an die These der vier Festinhalte anknüpfen 244 . Zwar ist zuzugeben, dass die Proportionen des Hymnus überraschen, indem nämlich dem nicht zu den Festgegenständen gehörenden Brotwunder ganze drei Strophen gewidmet werden 245 . Jedoch lässt sich dieses Problem nur auf der Ebene der Textinterpretation lösen und nicht durch eine an den Gliederungssignalen des Hymnus vorbeigehende liturgiehistorische Einordnung. Ad b): Im Osten lassen sich bereits für die Zeit der Bischofsweihe des Ambrosius (374) Traditionen nachweisen, die das Weinwunder von Kana zu den Inhalten des Epiphaniefestes zählen. Den ältesten ausdrücklichen Beleg bietet das in den Jahren 374 bis 377 entstandene 246 Panarion omnium haeresium des Bischofs Epiphanius von Salamis auf Zypern ( 403) 247 . Für Gallien liefert Paulinus von Nola ( 431) das älteste Zeugnis (carm. 27,50-52 [CSEL 30,264 von Hartel/ Kamptner]). Maximus von Turin ( 408/ 423) schließlich liegt mit seinem Testimonium aus Oberitalien 248 zeitlich sehr viel näher an Ambrosius, als man es im 19. Jahrhundert aufgrund einer fälschlichen Identifizierung mit Maximus II. von Turin ( nach 465) 249 gedacht hatte 250 . Die von Dreves 251 herangezogene Predigt, nach der die Feier des Weinwunders gegenstand in bestimmte Texte der mozarabischen Epiphanieliturgie einfließen lassen, wurde in anderem Zusammenhang bereits hingewiesen: vgl. Kap. 1.1.2 Ad a). 242 Vgl. Krieg, E ! 494, ebenso vertreten von Pax, Epiphanie 902. 243 Vgl. Biraghi, Inni sinceri 57f.; Dreves, Vater des Kirchengesanges 38; Walpole, Hymns 64f.; Botte, Origines 43f.; Frank, Geschichte 150; Springer, Concinnity 235. Vgl. auch Kap. B 2.1. 244 Vgl. Auf der Maur, Feiern 158; Fontaine, Introduction 100f.; Charlet, Illuminans 339f. 245 Charlet, ebd. 339: „Si la multiplication des pains n’était pas considérée ici comme une véritable épiphanie, … quelle maladresse ce serait de la part du poète - et quelle maladresse plus grande encore s’il s’agit d’un évêque -, de donner à cette ‘digression’ [Biraghi, Inni sinceri 57], le développement le plus long“. Vgl. auch Simonetti, Studi 392. 246 Vgl. Löhr, Epiphanius 226. 247 Epiphanius, haer. 51,16,7f. (GCS 31,271-273 Holl); 51,22,17 (ebd. 288); 51,29,7 (ebd. 301). Vgl. ferner die von Holl (Ursprung 129-133) herangezogenen indirekten Belege für das hohe Alter - nach Holls Auffassung sogar für die Ursprünglichkeit - der Zugehörigkeit des Wunders von Kana zu den Festmysterien der Epiphanie. 248 Serm. 64,1 M. (CChr.SL 23,269 Mutzenbecher); 65,1 M. (ebd. 273); 103,2 M. (ebd. 409f.). Kayser (Beiträge 369) schreibt Maximus die „erste Erwähnung dieses … Gesichtspunktes der Feier“ zu. 249 Vgl. Merkt, Maximus 2-7. 250 Vgl. Dreves, Vater des Kirchengesanges 39. 251 Vgl. ebd. 38f. <?page no="68"?> 56 sich bereits paterna traditione vollziehe 252 , gehört zwar nicht zu den echten Homilien des Maximus 253 , doch bezeichnet es der Bischof andernorts immerhin als eine verbreitete Ansicht, Jesus habe an diesem Tage Wasser zu Wein verwandelt 254 . So ist von hierher nicht einzusehen, warum Ambrosius wenige Jahre zuvor nicht ebenfalls die Hochzeit von Kana als Festinhalt begangen haben sollte. Interessant ist, dass entgegen verbreiteter Ansicht auch Augustinus das Kanawunder als Festmysterium kennt 255 - vielleicht aus seiner Zeit in Mailand? 256 Ad c): Der von Daniel aufgestellten Behauptung, die Anbetung der Magier sei erst durch die römische Kirche in der Mitte des fünften Jahrhunderts zum Gegenstand des Epiphaniefestes gemacht worden 257 , stehen diverse Zeugnisse entgegen. Wohl liegt in den Predigten Leos des Großen der erste Beleg für Rom vor; doch die entsprechende Tradition ist außerhalb Roms schon viel früher greifbar. So knüpfen die Epiphaniepredigten des Augustinus ( 430) „meistens an der ‘manifestatio’ vor den Magiern“ als Repräsentanten der Heiden an, die der Offenbarung vor den Hirten als Vertretern der Juden an Weihnachten gegenübergestellt wird 258 . Für Oberitalien ist auf Filastrius von Brescia zu verweisen, der in seinem zwischen 380 und 390 verfassten 259 Diversarum hereseon liber, also zeitgleich mit Ambrosius, die Anbetung der Magier als Inhalt der Epiphaniefeier ausweist 260 . 252 Hom. 17,1 (PL 57,260). 253 Vgl. Mutzenbecher, Festinhalt 109 Anm. 4. 254 Serm. 64,1 M. (CChr.SL 23,269 Mutzenbecher): Plerique in hac sancta epyfaniae die hactenus a domino mirabilia facta esse conmemorant, ut rogatus ad nuptias aquae substantiam in vini speciem conmutaret … 255 Serm. Dolbeau 23,11 (Dolbeau 546); vgl. dazu Klöckener, Bedeutung 165f. Dass das verfälschte Bild von der Sicht des Augustinus zustande kommen konnte, führt Klöckener darauf zurück, dass man für die mittelalterlichen Homiliare die Predigten des Augustinus „an die zeitgenössische Liturgie- und Festtheologie im Umfeld der Redaktion“ angepasst und die Hochzeit von Kana herausgekürzt habe (165). So war serm. Dolbeau 23 bis zu seiner Entdeckung in Mainz nur in einer gekürzten Fassung als serm. 374 bekannt, und darin war vom Weinwunder nicht die Rede. 256 Zumindest entfällt damit das Argument Simonettis (Studi 391f.), Augustinus könne in Mailand Inluminans altissimus nicht kennen gelernt haben, da er sonst in seinen Predigten nicht nur über die Anbetung der Magier gesprochen hätte. 257 Vgl. Daniel, Thesaurus IV 12. 258 Vgl. Klöckener, Epiphania 862-864; das Zitat: 864. 259 Vgl. Dümler, Filastrius 267. 260 Haer. 140(112),1 (CChr.SL 9,304 Heylen): Sunt quidam dubitantes heretici de die Epifaniorum domini salvatoris, qui celebratur octavo Idus Ianuarias, dicentes solum natalem debere eos celebrare domini VIII Kalendas Ianuarias, non tamen diem Epifaniorum, ignorantes quod sub lege et secundum ** salvator carnaliter omnia in se et de se consummabat, ut et nasceretur VIII Kal. Ian. et appareret, ut apparuit magis post duodecim dies *** in templo, non ergo umbra quod verum est appareret, et sic a magis adoraretur. Wiederum noch etwas älter ist das Zeugnis aus Zypern bei Epiphanius (haer. 51,22,17 [GCS 31,288 Holl]). Vgl. ferner den Epiphaniehymnus des Prudentius ( nach 404), cath. 12 (CChr.SL 126,65-72 Cunningham), der die Anbetung der Magier und den Kindermord behandelt. Schließlich gehörte auch in <?page no="69"?> 57 Ad d): Eben dieser Text des Filastrius wirft jedoch ein neues Problem auf. Der Autor benennt nämlich von seiner eigenen Auffassung abweichende Traditionen, ohne dabei die durch Inluminans altissimus repräsentierte Tradition der tria miracula zu erwähnen 261 . Daraus wird gefolgert: Hätte es im nahe gelegenen Mailand bereits zur Zeit des Filastrius den im Hymnus gespiegelten Festbrauch gegeben, müsste dieser ihn gekannt haben. Dann aber hätte er ihn erwähnt. Da er ihn nun nicht erwähnt, habe es ihn auch nicht gegeben 262 . Dieser Einwand erscheint zunächst plausibel, ist aber als argumentum e silentio prinzipiell problematisch. Davon abgesehen lässt er sich auch inhaltlich entkräften, wenn man Charakter und Absicht des Textes in Rechnung stellt. Das Buch des Filastrius behandelt kapitelweise bestimmte Häresien, vom wahren Glauben abweichende Auffassungen. Im hier interessierenden Kapitel 140(112) geht es um solche, die eines der vier Hauptfeste 263 nicht feiern, somit die Ganzheit des Christusmysteriums verfehlen 264 und tendenziell in Gefahr stehen, auch die anderen Feste in Frage zu stellen 265 . Das Problem hängt also nicht vom Prinzip her speziell mit Epiphanie zusammen, wohl aber de facto, insofern Filastrius in seinem Umfeld offenbar nicht mit Leugnern der anderen Feste zu kämpfen hat 266 . Das Motiv derer, die das Epiphaniefest ablehnen, scheint zu sein, dass sie es als eine Doppelung zum Weihnachtsfest empfinden, da die Anbetung der Magier sachlich noch zum Geburtsgeschehen gehöre. Dies lässt sich aus der Sorgfalt erschließen, mit der Filastrius in 140(112),1 bemüht ist, die Mysterien der Inkarnation und der Anbetung der Magier voneinander zu trennen. Die argumentative Stoßrichtung ist also, die Berechtigung einer Feier der Anbetung der Magier losgelöst vom Weihnachtsfest zu erweisen. Diese Argumentation ergibt Sinn, wenn man hierin den einzigen Gegenstand des Epipha- Syrien, wo zunächst die Geburt Jesu Gegenstand von Epiphanie war, die Anbetung der Magier zum Motivrepertoire, wie die Hymnen Ephraems ( 373) zeigen: vgl. HdNat 4,180f. (CSCO 187,36 Beck); 6,7-11 (ebd. 44); 15,4.9 (ebd. 73.74); 17,2 (ebd. 79); 19 (ebd. 89-92). (Die Unterscheidung zwischen HdNat und HdEpiph wurde erst sekundär nach Einführung des 25.12. vorgenommen; ob die die Taufe Jesu behandelnden HdEpiph echt sind bzw. ob sie ursprünglich für Epiphanie bestimmt waren, ist zweifelhaft: Beck, Ed. Ephraem V-VI.) 261 Haer. 140(112),4 (CChr.SL 9,304 Heylen): Quidam autem diem Epifaniorum baptismi, alii transformationis in monte quae facta est esse opinantur. 262 Vgl. Botte, Origines 42f.; Mohrmann, Epiphania 271. 263 Nach haer. 140(112),2 (CChr.SL 9,304 Heylen) handelt es sich bei den dies festivitatis maioris um Weihnachten (in quo natus est), Epiphanie (in quo apparuit), Ostern (in quo passus est in pascha) und Himmelfahrt (in quo ascendit in caelum). 264 Dagegen wendet sich Filastrius in 140(112),4 (CChr.SL 9,304 Heylen): haec integra inviolataque custodientes detineamus. 265 140(112),3 (CChr.SL 9,304 Heylen): Qui ergo unum ignorat praetermittit, potest et de aliis diebus dubitare, non habens plenitudinem veritatis. 266 Dies gilt zumindest für Weihnachten und Ostern. Himmelfahrt hingegen, das beispielsweise Ambrosius in Mailand noch nicht beging (vgl. Kap. C 4.1.5), war offenbar ein im Westen noch zu junges Fest, um bereits den gleichen Grad an Verbindlichkeit erlangt zu haben. <?page no="70"?> 58 niefestes sieht, sie ergibt aber auch Sinn, wenn die Magier nur Bestandteil der tria miracula sind. Ob Filastrius die letztgenannte Tradition kennt oder nicht, geht aus seiner Erörterung nicht hervor und spielt für sie auch keine Rolle. Es lässt sich allenfalls folgern, dass er selbst sie sich nicht zueigen macht. Dass er sie weiterhin in der abschließenden Bemerkung über solche, die an Epiphanie (ausschließlich) die Taufe 267 oder aber die Verklärung Jesu feiern, nicht erwähnt, heißt wohl nur, dass er sie im Unterschied zu diesen Auffassungen nicht für häretisch hält. Die Zielsetzung des Werkes legt jedenfalls nicht die Vermutung nahe, Filastrius wolle hier neutral alle ihm bekannten Deutungen des Festes aufzählen. Das Fazit der Auseinandersetzung mit den bisher behandelten Einwänden lautet, dass sich von der Liturgiegeschichte her die Möglichkeit, Ambrosius könne der Autor von Inluminans altissimus sein, nicht überzeugend bestreiten lässt. Paulinus von Nola erweist sich jedenfalls bereits sechs Jahre nach dem Tod des Ambrosius 268 als mit der in diesem Hymnus verarbeiteten Tradition vertraut: Paul. Nol. carm. 27,43-52 (CSEL 30,264 von Hartel/ Kamptner): 269 sic aeque divina feruntur munera Christi: ut veneranda dies cunctis, qua virgine natus pro cunctis hominem sumpsit deus, utque deinde, qua puerum stella duce mystica dona ferentes subpliciter videre magi, seu qua magis illum Iordanis trepidans lavit tinguente Iohanne sacrantem cunctas recreandis gentibus undas, sive dies eadem magis illo sit sacra signo, quo primum deus egit opus, cum flumine verso permutavit aquas praedulcis nectare vini. Dass eine literarische Abhängigkeit zwischen diesen Versen des Paulinus und dem Hymnus Inluminans altissimus bestehen könnte, wird durch einen Vergleich beider Texte nicht nahegelegt 270 . Sie setzen aber beide die gleiche inhaltliche Konzeption des Epiphaniefestes voraus. 267 Hieronymus Frank folgert ausgehend von seiner These, die Taufe Jesu sei der primäre Gegenstand der Mailänder Epiphaniefeier: „Mailand zur Zeit des Ambrosius gehört … zu jenen alii, die nach Filastrius Epiphanie zunächst als Tag der Taufe Christi betrachten“ (Geschichte 20). 268 Carm. 27 stammt aus dem Jahr 403: Es handelt sich um Nr. 9 der carmina natalicia, die Paulinus „jährlich seit 395 (in Anpassung des klassischen 4 an die Bedürfnisse der Heiligenverehrung) zum Fest des hl. Felix gedichtet hat“ (Skeb, Paulinus 551). Das Gedicht nimmt Bezug auf einen Besuch des Nicetas von Remesiana in Nola, der auf Januar 403 zu datieren ist: vgl. Mratschek, Briefwechsel, 421f.564-566. 269 Die Verse 44f. beziehen sich auf Weihnachten, die Verse 46-52 auf Epiphanie. 270 Eine andere Ansicht vertritt Simonetti, Studi 392-394: Er sieht „un rapporto diretto fra le due composizioni“ (392). Dafür spreche, dass auch Paulinus eine Konstruktion mit seu/ sive verwende, ferner stünden die Ausdrücke mystico baptismate (V. 2,1 des Hymnus) und mystica dona (V. 46 bei Paulinus) sowie inebriare flumina (V. 5,2) und flumine verso (V. 51) in Abhängigkeit voneinander. Es ist jedoch offenkundig, dass bereits diese Basis der Argumentation unbrauchbar ist. Im Unterschied zum Autor des Hymnus lei- <?page no="71"?> 59 Zu den stilistischen Argumenten Nach eher vagen Bekundungen des Unbehagens gegenüber dem Stil des Hymnus 271 war es Manlio Simonetti, der eine Reihe konkreter Punkte benannte, die gegen die Autorschaft des Ambrosius sprächen 272 . Zunächst finde sich das für Ambrosius typische Geflecht von concinnitas und variatio in diesem Text nur sporadisch. Darüber hinaus seien die eine Versgrenze überschreitende Wendung retro / conversa (2,3f.) sowie die drei Elisionen (1,2; 4,2; 5,4) 273 anstößig, schließlich einige Ausdrücke „troppo duri per attribuirli ad Ambrogio“: edentium sub dentibus / in ore crescebat cibus (6,3f.), multiplicabatur magis / dispendio panis suo (7,1f.) und intacta quae non fregerant / fragmenta subrepunt viris (8,3f.). Jean-Louis Charlet schließt sich in seinem Kommentar zu Inluminans altissimus diesen Argumenten an, benennt aber darüber hinaus 274 ein Anakoluth in Vers 4,3, den harten Einschnitt in der Mitte der fünften Strophe, metrische Irregularitäten sowie einen für Ambrosius untypischen Manierismus 275 . Schließlich beklagt Jacques Fontaine das Fehlen der charakteristischen Gliederung in vier Doppelstrophen 276 . Es wurde schon darauf hingewiesen 277 , dass die für Simonetti zentrale Beobachtung eines poetischen Bauprinzips, das auf der Kombination paralleler und variierter Elemente beruht, auf einer zu schmalen Textbasis gründet, um als verbindliches Kriterium der Echtheitsfrage dienen zu können. tet Paulinus nicht alle drei Festinhalte parallel mit seu/ seu/ vel ein, sondern nur den zweiten und dritten mit seu/ sive; eine Ähnlichkeit der Konstruktionen besteht daher nur bedingt. Was die lexikalischen Anklänge angeht, so beschränken sie sich jeweils auf lediglich ein Wort - mysticus bzw. flumen -, das zudem im Falle von mysticus in unterschiedlichen Kontexten steht: Im Hymnus bezieht es sich auf die Taufthematik, bei Paulinus auf die Magierperikope. Da mithin kein Anlass für die Annahme einer literarischen Abhängigkeit besteht (vgl. Charlet, Illuminans 342: „il n’existe entre les deux passages aucun parallèle textuel probant“), erübrigt es sich, auf die schwachen Argumente einzugehen, mit denen Simonetti die Priorität der Version des Paulinus zu erweisen sucht. Laut Simonetti schöpfe der Hymnus sein Material aus dem Gedicht des Paulinus, sei aber mithilfe des Lukaskommentars des Ambrosius auf den kanonischen Umfang von acht Strophen gebracht worden. In einigen Predigten des Maximus von Turin sei er dann bereits benutzt worden. Dabei scheint Simonetti nicht zu berücksichtigen, dass dieser Maximus mindestens acht und bis zu 23 Jahre vor (! ) Paulinus starb (vgl. S. 55). 271 Ermoni, Ambroise 1350: „elle ne parait avoir ni l’élégance de style ni la beauté métrique des productions de saint Ambroise“; Botte, Origines 42: „le style ne ressemble pas à celui d’Ambroise“. 272 Simonetti, Studi 394. Christine Mohrmann hält zwar nicht alle Argumente Simonettis für unwiderlegbar, schließt sich ihm jedoch im Ganzen an (Epiphania 272). 273 In Vers 5,3 sieht Simonetti keine Elision, da er den Text wie folgt konstituiert: elementa mutata stupent. 274 Charlet, Illuminans 342. 275 Vgl. auch Fontaine, Introduction 101: „Une poésie antique de métamorphose transforme la multiplication des pains en subtil exercice de style, occultant la méditation spirituelle de type ambrosien.“ 276 Fontaine, Introduction 101. 277 Vgl. Kap. 1.4.1. <?page no="72"?> 60 Auch die metrischen Eigenarten des Hymnus und die Elisionen konnten bereits als hinnehmbar erwiesen werden 278 . Für das Enjambement retro / conversa sind zwei Parallelen in Deus creator omnium zu beachten, bei denen der Verswechsel zwar nicht ein Adverb isoliert, aber doch ein ähnlich enges Wortgefüge trennt, nämlich ein direktes Objekt vom regierenden Verb 279 . Darüber hinaus kann das Enjambement hier auch bewusst als Stilmittel eingesetzt sein, um das Fließen des Wassers anzudeuten. Die vermeintlich Ambrosius nicht zuzutrauenden Formulierungen finden sich sämtlich in ähnlicher Form in der erwähnten Passage des Lukaskommentars 280 , womit sich auch die Rede von einem für diesen Autor ‘untypischen’ Manierismus erübrigen dürfte. Wenn man hier von Manierismus sprechen möchte, trifft der Vorwurf auch die Prosafassung. Ob man schließlich an den Einschnitten innerhalb der Strophen 4 und 5 Anstoß nimmt, hängt damit zusammen, ob man wie Fontaine notwendig die Gliederung eines Hymnus des Ambrosius in vier Doppelstrophen annimmt. Dagegen spricht etwa, dass bei Deus creator omnium gleich der erste Satz die ersten drei Strophen umfasst, wobei die Hauptsatzprädikate erst in Strophe 3 erscheinen 281 . Zusammenfassend ist festzuhalten, dass keine der genannten stilistischen Eigenheiten die Autorschaft des Ambrosius auszuschließen vermag. Gleichzeitig ist zuzugeben, dass die gesamte Struktur des Hymnus, seine Proportionen und sein Umgang mit den zugrunde liegenden biblischen Texten manchen Erwartungen zuwiderläuft. Doch das allein dürfte zumal angesichts der ausgeprägten Originalität des Poeten Ambrosius kaum als probates Argument aufzufassen sein. 1.4.6 Der liturgiehistorische Zeugniswert des Hymnus Abschließend ist eine Abwägung der diskutierten Argumente und Indizien für oder gegen die Echtheit des Hymnus erforderlich. Inluminans altissimus erfüllt zweifellos die drei Bedingungskriterien, die ihn als mögliches Werk des Ambrosius qualifizieren: Er gehört fest zur ältesten greifbaren Mailänder Tradition, entspricht dem formalen Muster der zeitgenössisch bezeugten Hymnen und folgt den Regeln der antiken Metrik. Im Bereich der literarischen Plausibilitätsargumente kann primär auf die weitgehenden Übereinstimmungen der Strophen 4 bis 8 mit Passagen einer Predigt aus dem Lu- 278 Vgl. Kap. 1.4.2. 279 V. 1,2f. (Perrin 237): vestiens / diem decoro lumine; V. 5,1f. (ebd. 239): profunda clauserit / diem caligo noctium. 280 Vgl. in Luc. 6,87 (CChr.SL 14,205): in ore edentium cibus crescat; 6,88 (ebd. 206): cibus edentium in ore crescebat; 6,87 (ebd. 205): crescunt suis fragmenta dispendiis; 6,85 (ebd. 204f.): Videres inconprehensibili quodam rigatu inter dividentium manus quas non fregerint fructificare particulas et intacta frangentium digitis sponte sua fragmenta subripere [var. subrepere]. 281 Zur bei Fontaine im Hintergrund stehenden Annahme der wechselchörigen Singweise vgl. Kap. 1.3.3. Zum Problem eines Sinneinschnitts in der Strophenmitte vgl. außerdem Kap. C 2.4 Ad a) (zur zweiten Strophe von Hic est dies verus Dei). <?page no="73"?> 61 kaskommentar (in Luc. 6,85-88) verwiesen werden, die zwar nicht ausschließlich, aber doch am plausibelsten mit der Annahme zu erklären sind, Ambrosius der Prediger zitiere Ambrosius den Dichter, darüber hinaus aber auch auf weitere Parallelen in den Prosaschriften. Von hohem Gewicht dürfte das liturgische Plausibilitätsargument sein: Mailand feierte nach Ausweis des Ambrosius das Epiphaniefest, das zu den wenigen Angelpunkten des Kirchenjahres zählte 282 . Es ist durchaus wahrscheinlich, dass Ambrosius, der sicher einen vollständigen Tagzeitenzyklus und einen Weihnachtshymnus verfasst hat, auch die anderen Hauptfeste nicht ohne Hymnus ließ 283 . Ein verwertbares Sekundärzeugnis für die Autorschaft des Ambrosius existiert nicht, die relevante indirekte Bezeugung setzt nicht vor 500 ein 284 . Während demnach literarische wie liturgische Gesichtspunkte für die Echtheit des Hymnus sprechen, existiert kein tragfähiges Argument, das diese auszuschließen vermöchte. Sämtliche Einwände sowohl von literarischer als auch von liturgiehistorischer Seite haben sich als haltlos erwiesen. Liturgiegeschichtlich erhöht vielmehr die zeitliche Nähe des Zeugnisses des Paulinus von Nola (403) die Plausibilität einer Abfassung durch Ambrosius, von der mithin ausgegangen werden kann. Der Hymnus belegt für Mailand das Epiphaniefest mit dem Inhalt der tria miracula: Taufe Jesu im Jordan, Anbetung der Magier und Hochzeit von Kana. Eine Eingrenzung der Abfassungszeit ist, wenn man der hier vertretenen These folgt, Ambrosius zitiere im Lukaskommentar seinen eigenen Hymnus, insofern möglich, als der Veröffentlichung dieser Schrift Ende 389 oder Anfang 390 die Verwendung des Hymnus bei wenigstens einem Epiphaniefest (389) vorausgegangen sein müsste. Weitere Aussagen zur Datierung lassen sich begründet nicht treffen 285 . Auf jeden Fall stellt Inluminans altissimus den frühesten ausdrücklichen Beleg für die Feier der tria miracula dar, dem allerdings nur wenige Jahre später Paulinus von Nola mit seinem carm. 27 zur Seite tritt. 282 Das Kirchenjahr des Ambrosius kannte, da es noch keine historisierende Ausdifferenzierung des Osterfestkreises vorsah (vgl. dazu Kap. C 4.1.5), lediglich drei zentrale Christusfeste: Weihnachten, Epiphanie und Ostern. Vgl. oben (S. 57 Anm. 263) die Aufzählung der Hauptfeste bei Filastrius von Brescia, bei dem allerdings bereits ein Himmelfahrtsfest hinzutritt. 283 Zur Echtheit des Paschahymnus Hic est dies verus Dei, die sich mit großer Sicherheit - auch unabhängig vom liturgischen Plausibilitätsargument - erweisen lässt, vgl. Kap. C 2. 284 Dass der Hymnus bereits um das Jahr 500 in Mailand vorhanden war, geht aus dem Fehlen eines Epiphaniehymnus des Ennodius hervor: vgl. dazu Kap. 1.4.3. 285 Bottes Ansicht (Origines 42f.; vgl. Mohrmann, Epiphania 271), der Hymnus könne, wenn er überhaupt echt sei, zumindest erst nach 383 entstanden sein, weil er ein Stadium der Festentwicklung spiegele, das Filastrius von Brescia im Jahre 383 noch nicht bekannt gewesen sei, beruht, wie gezeigt werden konnte, auf falschen Voraussetzungen: vgl. Kap. 1.4.5 Ad d). <?page no="74"?> 62 1.5 Ergebnis Die folgende Tabelle erlaubt einen Überblick über den Ertrag der geleisteten Quellenarbeit, indem sie für jede behandelte Quelle angibt, welches Fest in Mailand sie belegt, für welches Jahr (spätestens) und welchen Inhalts. Quelle Fest Jahr Festinhalt virg. 3,1,1-4 Weihnachten 376 Inkarnation und Natur des Inkarnierten in Luc. 4,76 Epiphanie 389 Taufe Jesu (? ) Intende Weihnachten ? Inkarnation und Natur des Inkarnierten Inluminans Epiphanie 389 Taufe Jesu, Anbetung der Magier, Kana Die Gemeinde des Ambrosius feierte sowohl das Weihnachtsals auch das Epiphaniefest. Während Weihnachten als Feier der Geburt Jesu begangen wurde, mit der sich die Reflexion auf das Mysterium der Inkarnation und die gottmenschliche Natur Christi verband, war Epiphanie dem Gedächtnis der tria miracula Jordantaufe, Anbetung der Magier und Weinwunder von Kana - als Facetten des Aufscheinens der Gottheit Christi vor der Welt - gewidmet. Hinsichtlich der Feier und des Verständnisses des Weihnachtsfestes folgt Mailand der Kirche von Rom, für die Weihnachten bereits vor 336 belegt ist 286 . Die mailändische Auffassung von Epiphanie deckt sich mit 286 Auf die verwickelte Diskussion um Zeitpunkt, Umstände und Motive der Einführung von Weihnachten in Rom kann hier nicht eingegangen werden (eine knappe Skizze der Forschungslage gibt Roll, Debate). Der Zeugniswert des römischen Chronographen von 354, der gemeinhin als Beleg für die Einführung vor 336 anerkannt wird, ist jedenfalls bislang nicht überzeugend bestritten worden. Förster versucht, die Glaubwürdigkeit des Chronographen zu entkräften, indem er die in die fasti consulares (MGH.AA 9,56 Mommsen) eingetragene Datierung der Geburt Jesu auf das Konsulat von Caesar und Paulus (754 a.u.c.) als von der erst rund 200 Jahre später entwickelten dionysischen Ära abhängig und daher nachträglich interpoliert erweist (Feier der Geburt Christi 101-103). Auch die Bemerkung in der depositio martyrum (p. 71): VIII kal. Ian. natus Christus in Betleem Iudeae, hält Förster ebenso wie die Eintragung des Festes Petri Stuhlfeier (22. Februar) für sekundär, weil im Unterschied zur sonstigen Praxis dieser Liste der Ort der gottesdienstlichen Feier nicht angegeben sei (ebd. 97-101). Dieses Argument ist jedoch ebenso wenig zwingend (vgl. die kritischen Bemerkungen bei Baumeister, Rez. Förster 98) wie der gelegentlich vorgetragene Einwand, die Notiz stelle lediglich einen historischen Vermerk, keinen Hinweis auf eine liturgische Feier dar (zuerst: Usener, Weihnachtsfest 273f.; anders z. B. Frank, Frühgeschichte 4). Das entscheidende Problem der Argumentation Försters ist aber, dass sie den Zeugniswert der depositio episcoporum (p. 70) verkennt (das Gleiche gilt für Förster, Zeugen 29-32). Diese Liste verzeichnet die Todestage der römischen Bischöfe dem Jahreskreis folgend: Sie beginnt mit: VI kal. Ianuarias Dionisi, in Callisti, und endet mit: VI idus Decemb. Eutychiani, in Callisti. Die Auflistung muss in der vorliegenden Form vor Oktober 336 entstanden sein, wie sich aus der Tatsache ergibt, dass die Todestage des Marcus, der im Oktober 336 verstarb, und des Iulius ( 352) ungeachtet ihrer Position im Jahreslauf am Ende der Liste angefügt sind (vgl. Mommsen ebd.). Der Beginn des liturgischen Kalenders lag also 336 zwischen dem 8. Dezember (VI idus Decemb.) und dem 27. Dezem- <?page no="75"?> 63 der wenig später von Paulinus von Nola (carm. 27,46-52) vertretenen. Sofern die Aussagen des Paulinus Rückschlüsse auf das Festverständnis seiner gallischen Heimat zulassen, aus der der älteste westliche Beleg für das Epiphaniefest überhaupt stammt (für Vienne im Jahr 361) 287 , könnte darin ein Hinweis erblickt werden, dass es sich um orientalische Vorstellungen handelt, die über Gallien nach Norditalien gelangt sind 288 , noch bevor sich Rom der Epiphaniefeier öffnete 289 . Ob Ambrosius zum Zeitpunkt seines Amtsantritts (374) bereits beide Feste vorfand oder zumindest eines von ihnen selbst einführte - man denke an die während des Episkopats des Ambrosius erfolgte Einrichtung des Weihnachtsfestes in Konstantinopel und Antiochia 290 -, ergibt sich aus den Quellen nicht. Die ‘Predigt des Liberius’ belegt Weihnachten schon für das Jahr 376; ginge die Beachtung dieses Festes in Mailand auf Ambrosius zurück, müsste er sie praktisch unmittelbar nach der Amtsübernahme veranlasst haben. Ob eine solche Maßnahme im Kontext antiarianischer Auseinandersetzungen innerhalb der Mailänder Gemeinde nach dem fast zwanzig Jahre dauernden Episkopat seines homöisch-arianischen Amtsvorgängers Auxentius (355-374) 291 zu sehen wäre, bleibt im Bereich der Spekulation 292 . Die ber (VI kal. Ianuarias), was allein durch die Existenz des Weihnachtsfestes plausibel erklärt werden kann (vgl. Duchesne, Rez. Usener 44f.; Botte, Origines 33; Talley, Festkunde 116). Zur ‘Predigt des Liberius’ als Zeugnis für das römische Weihnachtsfest in den Jahren 352/ 355 vgl. Kap. 1.1. 287 Amm. 21,2,4f.: utque omnes nullo inpediente, ad sui favorem inliceret, adhaerere cultui Christiano fingebat (sc. Kaiser Julianus Apostata), a quo iam pridem occulte desciverat, arcanorum participibus paucis, haruspicinae auguriisque intentus, et ceteris quae deorum fecere cultores. et ut haec interim celarentur, feriarum die quem celebrantes mense Ianuario Christiani Epiphania dictitant, progressus in eorum ecclesiam, sollemniter numine orato discessit. Die Szene spielt während der Überwinterung der kaiserlichen Truppen 360/ 361 in Vienna (Vienne) (vgl. 20,10,3; 21,1,1; 21,2,2; vgl. auch Boeft/ Hengst/ Teitler, Commentary 3). Dass der Kaiser die Teilnahme an der liturgischen Feier als demonstrativen Akt seiner (vorgetäuschten) Treue zum Christentum nutzen kann, spricht dafür, dass das Fest zu diesem Zeitpunkt bereits fest etabliert war und einen erheblichen Stellenwert besaß. 288 Vgl. Holl, Ursprung 133.135-139; Mohrmann, Epiphania 252f.; Lemarié, Manifestation 46; Mann, Epiphaniasfest 767. 289 Für Rom gibt es kein früheres sicheres Zeugnis als die Epiphaniepredigten Leos I. (440- 461). 290 Vgl. Auf der Maur, Feiern 167. 291 Kaiser Constantius II. hatte 355 den nizänischen Bischof Dionysius in die Verbannung geschickt. Obwohl die Mailänder Gemeinde überwiegend nizänisch gesinnt blieb, konnte sich daraufhin der aus Kappadokien stammende Homöer Auxentius, vom kaiserlichen Hof gestützt, als Bischof behaupten. Theologisch setzten sich vor allem Eusebius von Vercelli und Hilarius von Poitiers mit ihm auseinander; in den Jahren 359 und 372 wurde er von Synoden verurteilt. 364 nahm er auf Druck Kaiser Valentinians I. formal das , ' an: Geerlings, Auxentius; Dassmann, Ambrosius 20f.26f. 292 Borella (Appunti 59f.) geht von einer antipagan (Sonnenkult) und vor allem antiarianisch motivierten Einführung des Weihnachtsfestes durch Ambrosius zwischen 380 und 386 (Zeitpunkt der Einführung der Hymnen incl. Intende qui regis Israel) aus (ähnlich Paredi, Prefazi 121f.; ders., Influssi orientali 577; ders., Liturgia 128; Bonato, Inni 157). Hintergrund seiner These ist die Überlegung, Auxentius dürfte zumal nach seiner <?page no="76"?> 64 konservative Haltung des Ambrosius gegenüber Neuerungen in der Entfaltung des Osterfestkreises 293 spricht eher gegen die Einführung eines neuen Hauptfestes durch ihn. 2. Text und Überlieferung des Hymnus 2.1 Die Überlieferung Erst seit der 1992 unter der Ägide von Jacques Fontaine erschienenen kommentierten Ausgabe „ruht der Text der Hymnen endlich auf einer denkbar breiten Basis handschriftlicher Zeugnisse“ 294 . Dabei hat sich um die Aufarbeitung der Manuskripttradition insbesondere Marie-Hélène Jullien verdient gemacht 295 . Zur Textkonstitution herangezogen werden in der Fontaine-Edition sämtliche Handschriften von der frühesten erhaltenen aus dem achten Jahrhundert bis ins zehnte Jahrhundert. Für Intende qui regis Israel existieren aus diesem Zeitraum zwanzig Handschriften, die im Folgenden nach der von Jullien vorgenommenen neuen Systematisierung vorgestellt werden. Jedes Manuskript wird bei Jullien durch ein aus zwei Buchstaben bestehendes Kürzel bezeichnet: An erster Stelle gibt ein Großbuchstabe die lokale Herkunft der Handschrift an 296 , der folgende Kleinbuchstabe wird den Handschriften von der ältesten bis zur jüngsten dem Alphabet nach zugeteilt, wobei eine Einteilung nach Klassen übergeordnet bleibt 297 . Verurteilung durch eine römische Synode unter Papst Damasus kaum Interesse gehabt haben, das römische Weihnachtsfest zu importieren (ebd. 56). Im Allgemeinen scheint Ambrosius jedoch „anfangs gegen die arianische Gruppe in seiner Gemeinde behutsam vorgegangen zu sein und alle Provokationen vermieden zu haben“: Diese Beobachtung Dassmanns (Ambrosius 37) ließe eine demonstrative Einführung des Weihnachtsfestes quasi als erste Amtshandlung wenig wahrscheinlich sein. 293 Vgl. dazu Kapp. C 4.1.4 und C 4.1.5. 294 Dieses Verdienst wird zu Recht hervorgehoben in der Rezension von Franz (Ambrosius 149); vgl. ebd. 147. 295 Vgl. das von ihr verfasste Kapitel V der Einleitung zum besagten Band, das sich mit der handschriftlichen Tradition der Hymnen befasst (S. 102-123), sowie die bereits vorab publizierte ausführliche Übersicht der Zeugnisse und Handschriften bis zum 11. Jahrhundert: Jullien, Sources, darüber hinaus ausführlicher ihre Dissertation: dies., Tradition. 296 Hier interessieren folgende Regionen: M (Mailand), F (Frankreich), I (Italien, außer Mailand), A (Deutschland), E (Spanien). 297 Dies soll an den Mailänder Handschriften exemplifiziert werden: Mailand wird mit dem Buchstaben M bezeichnet; an erster Stelle stehen die Hymnare Ma bis Mc (dem Alter nach angeordnet), es folgen die Manualien Md bis Mf (dem Alter nach angeordnet). <?page no="77"?> 65 Kürzel Name; Kurzbeschreibung mit Datierung nach Jullien Mearns/ Walpole 298 Mailänder Hymnare 299 Ma München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm. 343; Mailänder I.C / - Psalterium und Hymnar aus dem 3. Drittel des 9. Jh.s Mb Biblioteca Vaticana, Vat. lat. 82; Mailänder Psalterium und I.i / Vp Hymnar aus dem 3. Drittel des 9. Jh.s Mc Biblioteca Vaticana, Vat. lat. 83; Mailänder Psalterium und I.E / Va Hymnar aus dem 3. Drittel des 9. Jh.s; textidentisch mit Ma Spanisches Hymnar Ea Madrid, Biblioteca Nacional, 10001 (olim Hh. 69; Toledo, S.A / - Biblioteca capitular, 35-1); entstanden Mitte des 10. Jh.s für eine Pfarrei in Toledo oder León; Psalterium, Cantica und Hymnar 300 ‘Fränkisches Hymnar’ 301 Fa Biblioteca Vaticana, Reg. lat. 11; Psalterium duplex, F.I / Vr Cantica und Hymnar aus dem 2. Drittel des 8. Jh.s; entstanden im Dreieck zwischen Paris, Corbie und Soissons 302 Hymnare vom Typ ‘Neues Hymnar’ 303 Ie Brüssel, Bibliothèque royale Albert I er , 15111-28 (VDG 479); - / - Mischhandschrift mit diversen liturgischen und patristischen Texten aus dem Italien des 10. Jh.s; enthält ein benediktinisches Hymnar 304 Aa Manchester, John Rylands Library, 116 (Crawford 133); be- G.B / - nediktinisches Psalterium und Hymnar aus dem 1. Drittel des 9. Jh.s (nach 814); entstanden in Trier (St. Maximin) Ab Trier, Stadtbibliothek, 592/ 1578 8 0 ; liturgische Sammlung mit G.F / Gb benediktinischem Hymnar aus dem 9. Jh.; Westdeutschland Ac Trier, Stadtbibliothek, 1245/ 597 8 0 ; benediktinisches Chorbuch G.G / Ga 298 An dieser Stelle werden zum Vergleich die Siglen der Handschriften aus Mearns, Hymnaries, und Walpole, Hymns, beigegeben; Auflösung dieser Siglen bei Mearns, ebd. XI-XX, bzw. Walpole, ebd. XXVI-XXVIII (in beiden Fällen mit teilweise abweichender Datierung). Auch Mearns stellt ein Kürzel für die regionale Herkunft voran, hier: E (England und Irland), I (Italien, inklusive Mailand), F (Frankreich), G (Deutschland und Schweiz), S (Spanien). Walpole sortiert die Handschriften nach den Bibliotheken: V (Vatikan), G (Deutschland), H (Schweiz), F (Frankreich), A (Mailand). 299 Zu den einzelnen Handschriften vgl. Jullien, Sources 74-76 (mit weiterführender Literatur). 300 Zu dieser Handschrift vgl. ebd. 80f. (mit weiterführender Literatur). 301 Zu den rekonstruierten Größen ‘Altes Hymnar’ (als dem ältesten Grundtyp mittelalterlicher Hymnare) und ‘Fränkisches Hymnar’ (als seiner Weiterentwicklung) vgl. Gneuss, Hymnar 10-40 (in dieser Publikation ist statt vom Fränkischen Hymnar von einem ‘Alten Hymnar II’ die Rede); ders., Geschichte des Hymnars 64-72. Vgl. auch unten S. 67. 302 Zu dieser Handschrift vgl. Jullien, Sources 86f. (mit weiterführender Literatur). 303 Zur rekonstruierten Größe ‘Neues Hymnar’ als dem jüngeren Grundtyp mittelalterlicher Hymnare vgl. Gneuss, Hymnar 41-54; ders., Geschichte des Hymnars 72-86, und unten S. 67. 304 Zu dieser Handschrift vgl. Jullien, Sources 98 (mit weiterführender Literatur). <?page no="78"?> 66 mit Hymnar aus der 1. Hälfte oder der Mitte des 9. Jh.s; Prüm Ad Zürich, Zentralbibliothek, Rheinau 111; Benediktsregel und G.K / Ha benediktinisches Hymnar aus dem 2. Drittel des 9. Jh.s; entstanden im Südwesten Deutschlands Ae Zürich, Zentralbibliothek, Rheinau 83; um das Jahr 1000 in G.I / Hc Kempten entstandene liturgische Mischhandschrift mit benediktinischem Hymnar 305 Fz Düsseldorf, Universitätsbibliothek, B.3; erstellt im Umfeld - / - des karolingischen Hofes; Corbie, Anfang des 9. Jh.s (mit Hinzufügungen aus dem 10./ 11. Jh.); Bibelkommentare, Viten und benediktinisches Hymnar Fc Paris, Bibliothèque nationale, lat. 13388; privates Andachts- F.D / Fb und Gebetbuch aus Tours; 2. Viertel des 9. Jh.s 306 Fi Biblioteca Vaticana, Reg. lat. 338; Gesetzes- und liturgische E.f / Vb Texte aus dem 9. und 10. Jh. (Zusätze 11. Jh.), darunter ein monastisches Hymnar aus dem späten 10. Jh.; Nordfrankreich Fk Boulogne, Bibliothèque municipale, 20; benediktinisches F.G / F Psalterium und Hymnar; entstanden 999 in Saint-Bertin (Diözese Saint-Omer, Pas-de-Calais) Fl Paris, Bibliothèque nationale, lat. 1327; Psalterium und F.a / - Hymnar aus Reims (? ); 9.-10. Jh. 307 Mailänder Manuale 308 Me Mailand, Biblioteca Ambrosiana, T 103 sup.; Manuale aus I.B / Aa dem 10. und 11. Jh. für Mönche der Diözese Mailand 309 ‘Liber misticus’ der spanischen Liturgie 310 Ee Toledo, Biblioteca capitular, 35-7; Toledo, 9.-10. Jh. 311 - / - Weitere Handschriften Fd Bern, Stadtbibliothek, 455; nicht-liturgische Sammlung F.F / H christlicher Gedichte teilweise liturgischen Ursprungs; geschrieben in der Umgebung von Paris Mitte des 9. Jh.s 312 305 Zu den Handschriften Aa bis Ae vgl. ebd. 100-105 (mit weiterführender Literatur). 306 Zu den Handschriften Fz und Fc vgl. ebd. 105-107 (mit weiterführender Literatur). 307 Zu den Handschriften Fi bis Fl vgl. ebd. 109-112 (mit weiterführender Literatur). 308 Eine Definition des Buchtypus Manuale für die Kirche von Mailand bietet Magistretti, Manuale 10: „Manuale omnes officii et Missarum partes quae ad chorum pertinent cum indicatione psalmorum continet, distributas ratione temporum, ita tamen ut praecedat Sanctorale et Temporale proprium, sequatur Commune, cum Officio pro mortuis. Hac ratione Manuale convenit cum Antiphonario, exceptis notis musicis; sed Manuale locupletius apparet additis ad praxim choralem nonnullis aliis, quae tamen in diversis codicibus plura vel minora sunt pro diligentia et peritia amanuensis. In aliquibus enim … adduntur, suis locis apte distributae, orationes quae a presbytero vel archiepiscopo legendae erant, et etiam initia lectionum in Missis et officiis propriis de tempore“ (Hervorhebungen im Original). 309 Zu dieser Handschrift vgl. Jullien, Sources 141f. (mit weiterführender Literatur). 310 Ebd. 143: „Le Liber misticus, recueil liturgique ‘mixte’ de la liturgie hispanique apparenté à la fois au bréviaire et au missel plénier, renferme le texte (ou l’incipit) des pièces nécessaires à la célébration de l’office et de la messe“ (Hervorhebungen im Original). 311 Zu dieser Handschrift vgl. ebd. 146f. (mit weiterführender Literatur). 312 Zu dieser Handschrift vgl. ebd. 157f. (mit weiterführender Literatur). <?page no="79"?> 67 Ff Paris, Bibliothèque de la Chambre des Députés 1 (A 20); - / - lateinische Bibel mit Texten zur Tagzeitenliturgie; entstanden Mitte des 9. Jh.s für die Kathedrale von Lyon 313 In seiner Rekonstruktion der Hymnargeschichte unterscheidet Helmut Gneuss drei Grundtypen: das Alte Hymnar, das Fränkische Hymnar und das Neue Hymnar. Das Alte Hymnar geht im Wesentlichen auf das spätantike Mailänder Hymnar zurück, „wird in den Klosterregeln des 6. Jahrhunderts vorausgesetzt und bleibt bis ins 8. oder sogar 9. Jahrhundert im Gebrauch in Italien, Frankreich, Westdeutschland und England“ 314 . Die Bestrebung, den Hymnenbestand des Alten Hymnars zu erweitern, einerseits im Blick auf neu eingeführte Feste, vor allem Heiligenfeste, andererseits im Sinne einer Ausdifferenzierung der Ferialhymnen für die einzelnen Wochentage, brachte zwei überregional verbreitete Reformmodelle hervor: Beim Fränkischen Hymnar handelt es sich um eine Sammlung, „die nur im nordöstlichen Frankreich und im südwestdeutschen Sprachgebiet etwa zwischen der Mitte des 8. Jahrhunderts und dem frühen 9. Jahrhundert nachzuweisen ist“ 315 . Nachhaltiger wurde das Neue Hymnar rezipiert, dessen Zusammenstellung wahrscheinlich im Kontext der karolingischen Liturgiereform angestoßen wurde und das im Laufe des neunten Jahrhunderts sowohl das Alte als auch das Fränkische Hymnar vollständig verdrängte 316 . Sein ursprünglicher Grundbestand von 41 Hymnen wurde im gleichen Zeitraum auf etwa 60 Hymnen erweitert, die „nun auf Jahrhunderte den fast überall gleichen Kern der Hymnare des Kloster- und Weltklerus“ bildeten 317 . Intende qui regis Israel ist durchgehend der Weihnachtshymnus sowohl des Alten als auch des Fränkischen Hymnars 318 . Einige Zeugnisse für die frühe Verbreitung des Hymnus in Italien, Gallien und Nordafrika wurden bereits referiert 319 . Für das altspanische Hymnar vor der Übernahme des Neuen Hymnars nach Spanien ist die Quellenlage schwierig, da etwa in der Handschrift Ea Elemente des Alten und des Neuen Hymnars vermischt sind 320 , doch gibt es Hinweise auf die frühe Verwendung des Hymnus auch in der mozarabischen Liturgie 321 . Im Neuen Hymnar begegnen verschiedene Weihnachtshymnen, von denen jedoch Veni redemptor gentium - die erste Strophe war 313 Zu dieser Handschrift vgl. ebd. 155f. (mit weiterführender Literatur). 314 Gneuss, Geschichte des Hymnars 65. 315 Ebd. 70. 316 Vgl. ebd. 72-74. 317 Ebd. 75. 318 Vgl. die Tabelle ebd. 83 (übernommen aus: ders., Hymnar 24f.). 319 Vgl. Kap. 1.3.1. 320 Vgl. Gneuss, Hymnar 22f.; Jullien, Sources 79f. 321 So ist im altspanischen Antiphonar León, Biblioteca Catedral, Cod. 8 (Mitte 10. Jh.), der Hymnus für die Weihnachtsvesper vorgesehen (fol. 68 v ). Zu der Handschrift vgl. Gamber, Codices 221. Vgl. ferner die bei Randel (Index 396) aufgeführten Manuskripte des mozarabischen Ritus. <?page no="80"?> 68 unterdessen ausgefallen 322 - zunächst mit Abstand am weitesten verbreitet war 323 und auch auf Dauer einer der meist verwendeten blieb (neben A solis ortus cardine und Christe redemptor omnium) 324 . Der älteste erhaltene Kommentar stammt von Dionysius dem Kartäuser (1402/ 3-1471), der ab 1424/ 5 in der Kartause von s’-Hertogenbosch lebte und wirkte 325 . 2.2 Der Text 326 1,1 Intende, qui regis Israel, Intende … veni Fa Ie Mabce: om. cett. reges Fa 1,2 super Cherubim qui sedes, 1,3 appare Ephraem coram, excita 1,4 potentiam tuam et veni. 2,1 Veni, redemptor gentium, venit Ff 2,2 ostende partum virginis; ostendens Ff 2,3 miretur omne saeculum: 2,4 talis decet partus Deum. deo Aabc Eae Faci Me 3,1 Non ex virili semine, 3,2 sed mystico spiramine spiramini Fl inspiramine Eae Fz 3,3 verbum Dei factum est caro est s.s. Ie, om. Ffil 3,4 fructusque ventris floruit. 4,1 Alvus tumescit virginis, alius Fz tumescet Fa 4,2 claustrum pudoris permanet, claustra…permanent Aabc Ee Fdfik 2 lz claustra…per- 4,3 vexilla virtutum micant, manet Ea virtutis Aabc Eae Fiz Ie virtute Fa Mabc 4,4 versatur in templo Deus. micat Ea Fa 1 versantur Me 5,1 Procedit e thalamo suo, procedat Ae 1 Fac procedens Aabcde 2 Eae Fdfikz Ie Me 5,2 pudoris aula regia, proced<ans> Fl de Ab Fiz, Cass. Fau.R. Flor.Alc. et 5,3 geminae gigans substantiae, Me, om. Fkl suo om. Fz gemine Ad Eae Facdfilz Ie 5,4 alacris ut currat viam. Me gemina Abc Mab 1 c gigas Ac Ffk occurrat Ad Eae Fa Mbe 2 , Walpole occurat Fc 6,1 Egressus eius a Patre, 6,2 regressus eius ad Patrem; regressus…patrem om. Fc a Ab 6,3 excursus usque ad inferos, 6,4 recursus ad sedem Dei. 322 Vgl. dazu Kap. 1.3.2. 323 Dies geht deutlich hervor aus der Tabelle bei Gneuss, Geschichte des Hymnars 85. 324 Vgl. die Tabelle bei Jullien, Sources 170f. 325 Vgl. Schmidt, Dionysius 166f. 326 Text und kritischer Apparat sind Fontaine, Intende 273.275, entnommen (Fontaine präsentiert allerdings einen positiven Apparat - d. h. er führt die rezipierte Lesart mit ihren Quellen im Apparat eigens auf, bevor die Varianten angegeben werden -, was aus Platzgründen nicht beibehalten werden konnte). Die Zeichensetzung wurde an einigen Stellen der hier vorgelegten Interpretation angepasst. In vier Fällen weicht der Text von der Edition Fontaines ab: V. 2,4 Deum (Fontaine: Deo); V. 5,1 procedit (Fontaine: procedat); V. 5,3: gigans (Fontaine: gigas); V. 7,2 tropaeo (Fontaine: tropheo). Zu allen relevanten textkritischen Belangen vgl. den fortlaufenden Kommentar. <?page no="81"?> 69 7,1 Aequalis aeterno Patri, 7,2 carnis tropaeo cingere, tropeo Acd Ea Fa trophea Ae trotheo Me tropheo cett. 7,3 infirma nostri corporis accingere Aabc Eae Fcdfiklz, Walpole pectoris Fl 7,4 virtute firmans perpeti. perpetim Aabc Eae Fdz 8,1 Praesepe iam fulget tuum fulgit tuum Fz fulgentium Fa 1 fulgentuum Fa 2 8,2 lumenque nox spirat novum, lumenquae Ab lumen quod Ee sperat Aab Eae Fa Ie 8,3 quod nulla nox interpolet interpollet Fl -polat Aab Eae Fikz Ie -pulit Fa -pellat Fc 8,4 fideque iugi luceat. 327 fideique Ie Mabc fide Fa fidesque Ab Ea Ffi iuge Ie Mb 1 iugis Ffi 3. Die Struktur des Hymnus 3.1 Die syntaktisch-gedankliche Struktur Der Hymnus ist durch eine Vielzahl kurzer und kürzester Hauptsätze geprägt. Insgesamt enthält er 18 finite Hauptsatzverben; dazu treten die vier selbständigen Einheiten in Strophe 6, in denen jeweils est zu ergänzen ist: Damit sind in der Summe 22 abgeschlossene Hauptsätze zu konstatieren. Dass der Text trotzdem nicht in isolierte Mikrostrukturen zerfasert, sondern sich in geschlossenen Bögen entwickelt, verdankt sich der Tatsache, dass regelmäßig mehrere Einheiten zu größeren Satzgefügen zusammengefasst sind. Dabei lassen sich prinzipiell zwei verschiedene ‘Montagetechniken’ für die Bildung der Satzgefüge sowie eine Mischform unterscheiden. Typ A besteht in der asyndetischen Reihung von Hauptsätzen, die in der Regel durch gleichen Modus und gegebenenfalls durch gleiches Tempus verbunden sind. Demgegenüber markiert Typ B die Zusammengehörigkeit der Einheiten durch die Hauptsatzkonnektoren et und -que (also durch syndetische Beiordnung) bzw. durch Unterordnung (Relativsatz, Finalsatz). Typ C verbindet beide Methoden. Satzgefüge 1: Strophe 1 Intende, Merke auf, qui regis Israel, der du Israel regierst, super Cherubim qui sedes, der du auf Kerubim thronst, appare Ephraem coram, erscheine vor Ephraim, excita potentiam tuam erwecke deine Macht ET veni. und komm! Strophe 1 bildet ein Satzgefüge nach Typ C. Die Geschlossenheit der Strophe ergibt sich aus den vier Imperativen, die weitgehend asyndetisch gereiht sind. Indem der letzte Imperativ veni durch et abgesetzt ist, wird der Ab- 327 Eine Übersicht über die dem Hymnus in der späteren handschriftlichen Tradition zugewachsenen Doxologiestrophen bietet Kurz, Intende 110f. Anm. 26. <?page no="82"?> 70 schluss des Satzgefüges markiert. Der erste Imperativ intende ist durch zwei asyndetisch gereihte Relativsätze erweitert. Satzgefüge 2: Verse 2,1-2 Veni, redemptor gentium, Komm, Erlöser der Heiden, ostende partum virginis. offenbare die Jungfrauengeburt! Satzgefüge 3: Verse 2,3-4 Miretur omne saeculum: Es staune alle Welt: talis decet partus Deum. Eine solche Geburt ziemt sich für Gott. Strophe 2 zerfällt in zwei Satzgefüge nach Typ A, die durch den Wechsel des Modus vom Imperativ zum Konjunktiv getrennt sind. Die Zusammengehörigkeit der Verse 2,3f. ergibt sich ungeachtet des nochmaligen Moduswechsels aus inhaltlichen Gründen: Vers 2,4 benennt den Gegenstand des in Vers 2,3 angesprochenen Staunens. Satzgefüge 4: Strophe 3 Non ex virili semine, sed mystico spiramine Nicht aus dem Samen eines Mannes, sondern durch geheimnisvollen Hauch verbum Dei factum est caro ist das Wort Gottes Fleisch geworden, fructus QUE ventris floruit. und die Frucht des Leibes ist erblüht. Mit Strophe 3 präsentiert sich erstmals eine gesamte Strophe nach Modell B. Satzgefüge 5: Strophe 4 Alvus tumescit virginis, Der Leib der Jungfrau schwillt an, claustrum pudoris permanet, der Riegel der Scham verbleibt (verschlossen), vexilla virtutum micant, die Tugendstandarten blitzen auf, versatur in templo Deus. es weilt im Tempel Gott. Demgegenüber liefert Strophe 4 ein Musterbeispiel für Typ A. Von der vorangehenden Strophe ist sie zusätzlich durch den Wechsel des Tempus vom Perfekt zum Präsens abgesetzt. Satzgefüge 6: Strophe 5 Procedit e thalamo suo, pudoris aula regia, geminae gigans substantiae, Es geht hervor aus seinem Brautgemach, dem königlichen Thronsaal der Keuschheit, der Gigant von zweifacher Natur, alacris ut currat viam. um voll Eifer seinen Weg zu laufen. Satzgefüge 7: Strophe 6 Egressus eius a Patre, Sein Ausgang (rührt) vom Vater her, regressus eius ad Patrem; seine Rückkehr (führt) zum Vater hin; excursus usque ad inferos, der Auszug (reicht) bis zu den Toten, recursus ad sedem Dei. der Rücklauf (führt) zum Throne Gottes. <?page no="83"?> 71 Während Strophe 5 nach Modell B gebaut ist (ein für die Maßstäbe des vorliegenden Hymnus erstaunlich langer Hauptsatz über drei Verse, dem ein kurzer Finalsatz untergeordnet ist), treibt Strophe 6 den Typ A auf die Spitze: Durch die Ellipse des Verbs erhöht sich die Prägnanz der asyndetisch gereihten Glieder (Nominalsätze). Satzgefüge 8: Strophe 7 Aequalis aeterno Patri, carnis tropaeo cingere (Du) dem ewigen Vater Gleicher, gürte dich 328 mit der Waffenbeute des Fleisches, infirma nostri corporis virtute firmans perpeti. indem du das Schwache unseres Leibes mit unvergänglicher Kraft stärkst. Strophe 7 bildet einen deutlichen Kontrast zu dem stakkatohaften Bauprinzip des vorangehenden Satzgefüges: Als einzige Strophe des gesamten Hymnus besteht sie aus lediglich einem Satz, wobei freilich der Imperativ cingere durch eine satzwertige Partizipialkonstruktion erweitert ist. Satzgefüge 9: Strophe 8 Praesepe iam fulget tuum Nun strahlt deine Krippe, lumen QUE nox spirat novum, und die Nacht atmet das neue Licht, quod nulla nox interpolet das keine Nacht trüben möge fide QUE iugi luceat. und (das) durch steten Glauben (weiter)leuchte. Der Hymnus klingt mit einer Strophe des Typs B aus: zwei durch -que verbundene Hauptsätze, deren zweiter einen wiederum zweigeteilten Relativsatz nach sich zieht. Zu beachten ist dabei, dass das Relativpronomen quod im ersten Relativsatz (8,3) als Akkusativ-Objekt fungiert, im zweiten (8,4) hingegen als Subjekt. Überblickt man den Befund, so zeigt sich eine relative Autonomie der Strophen, die mit Ausnahme der zweiten stets mit den ermittelten Satzgefügen zusammenfallen: In der Regel ist eine Strophe von der vorangehenden und der folgenden durch Wechsel zumindest des Satzgefüge-Modells, oft auch des Modus und/ oder des Tempus der Hauptsatzverben abgesetzt. 328 Die von Mone (Hymnen 45) vorgeschlagene Deutung von cingere als historischer Infinitiv ist abwegig. <?page no="84"?> 72 Strophe 1 Typ C intende Imperativ Sg. regis 329 Ind. Präs. 2. Sg. sedes appare Imperativ Sg. excita veni Strophe 2 Typ A veni Imperativ Sg. ostende Typ A miretur Konj. Präs. 3. Sg. decet Ind. Präs. 3. Sg. Strophe 3 Typ B factum est Ind. Perf. 3. Sg. floruit Strophe 4 Typ A tumescit Ind. Präs. 3. Sg. permanet micant Ind. Präs. 3. Pl. versatur Ind. Präs. 3. Sg. Strophe 5 Typ B procedit Ind. Präs. 3. Sg. currat (Konj.) 330 Präs. 3. Sg. Strophe 6 Typ A (est) Ind. Präs. 3. Sg. Strophe 7 (Typ B) 331 cingere Imperativ Sg. Strophe 8 Typ B fulget Ind. Präs. 3. Sg. spirat interpolet Konj. Präs. 3. Sg. luceat Zugleich wird in dieser Übersicht auch die Verklammerung von Strophen miteinander deutlich. Eine basale Gliederung des Hymnus ergibt sich aus der zugrunde liegenden Kommunikationsstruktur. Die ersten beiden und die letzten beiden Strophen sind Anrede an Christus 332 und mithin Gebet: Dies zeigt sich in den Strophen 1 und 7 sowie in den Versen 2,1f. an der durchgängigen Verwendung des Imperativs; die Verse 2,3f. sind trotz des Moduswechsels durch die Wiederholung des Stichwortes partus eng an Vers 2,2 angebunden; Strophe 8 ist durch das Possessivpronomen tuum (8,1) in die Anredesituation eingegliedert, die auch die Optative in den Versen 8,3f. zumindest teilweise als Bitten an Christus ausweist. Es ergeben sich mithin 329 Die Nebensatzverben werden durch Kursivdruck von den Hauptsatzprädikaten unterschieden. 330 Der Konjunktiv ergibt sich aus der Abhängigkeit von ut. 331 Da Strophe 7 nur ein finites Verb enthält, kann im strengen Sinn nicht von einem Satzgefüge die Rede sein. Vom Charakter her entspricht die Strophe damit aber eher dem Typ B. 332 Zur Adressatenfrage vgl. Kap. 4.1.2. <?page no="85"?> 73 zwei Strophenpaare (1/ 2; 7/ 8) sowie im Blick auf den gesamten Hymnus eine Rahmenkomposition. Die Mittelstrophen 3 bis 6 sind durchgängig im Indikativ der dritten Person gehalten. Hinsichtlich der Kommunikationssituation umschließen also die Gebetsstrophen einen Abschnitt mit Verkündigungsbzw. Bekenntnischarakter. Dieser enthält, wie schon eine oberflächliche inhaltliche Betrachtung zeigt, eine sukzessive aufeinander aufbauende Abfolge von Stationen der mit Jesus Christus verbundenen Heilsgeschichte: Dabei führt der Weg von seiner Empfängnis (Strophe 3) über die Schwangerschaft Marias (Strophe 4) zu seiner Geburt (Strophe 5). In Strophe 6 weitet sich der Blick zu einer christologischen Gesamtschau, die vom Ursprung bis zum Zielpunkt des Daseins Christi ausgespannt ist. Hinsichtlich des Tempusgebrauchs fällt auf, dass Strophe 3 das Perfekt verwendet, die Strophen 4f. hingegen das Präsens. Das Geburtsgeschehen Jesu ist damit als ein vergangenes Ereignis begriffen (Strophe 3), das jedoch im Sinne der liturgischen Anamnese durch den gottesdienstlichen Vollzug den Feiernden zur heilschaffenden Gegenwart wird (Strophen 4f.). Die Nominalsätze der sechsten Strophe schließlich nehmen schon durch die Auslassung der Verbalformen einen gleichsam überzeitlichen Standpunkt ein, der für die beschriebene Oszillation zwischen Vergangenheit und Gegenwart offen ist. Über weite Strecken des Hymnus ist zu beobachten, dass aufeinander folgende Strophen durch (zum Teil synonymische) Stichwortanknüpfungen bzw. eine Thema-Rhema-Struktur verbunden sind: Strophe 1 Strophe 2 veni (1,4) veni (2,1) Strophe 2 Strophe 3 talis partus (2,4): Thema - Non ex virili semine etc.: Rhema Strophe 3 Strophe 4 fructusque ventris floruit (3,4) - Alvus tumescit virginis (4,1) Strophe 5 Strophe 6 currat viam (5,4): Thema e-/ regressus/ ex-/ recursus: Rhema Strophe 6 Strophe 7 ad sedem Dei (6,4) aequalis aeterno Patri (7,1) Eine Besonderheit stellt der Übergang von Strophe 4 zu Strophe 5 dar: Einerseits wird die Naht zwischen beiden Strophen durch die (freilich variierte) Bezeichnung des Aufenthaltsortes zusammengehalten (4,4: templo; 5,1: thalamo). Andererseits markieren die Verben einen Kontrast: Dem eher statischen versatur in (4,4) steht das ganz und gar dynamische procedit e gegenüber. Auf diese Weise erhält der Hymnus eine Mittelzäsur. Diese wird zusätzlich dadurch betont, dass Strophe 5 sich wie Strophe 1 eng an ein Psalmzitat anlehnt, mithin beide Hälften des Hymnus mit einem ähnlichen poetischen Kunstgriff beginnen (Strophe 1: Ps 79[80],2f.; Strophe 5: Ps 18[19],6). Außerdem sind beide Texthälften jeweils durch eine motivische Klammer umschlossen: Strophe 1 spielt auf den Kerubenthron im Jerusalemer Tempel an; in Vers 4,4 verweist das Stichwort in templo darauf zurück. Analog bezieht sich Strophe 5 auf einen alttestamentlichen Sonnenhymnus - freilich ohne die Sonne explizit zu nennen -, und Strophe 8 greift das Licht- Motiv auf. Im Mittelteil des Hymnus überlagern sich also verschiedene Gliederungsprinzipien: einerseits der fortlaufende Gedankengang der Strophen 3 bis 6, andererseits das Diptychon der Hymnenhälften. <?page no="86"?> 74 3.2 Die semantische Struktur Untersucht man den Hymnus im Blick auf prägende Begriffsfelder, so ergibt sich folgendes Bild: a) Begriffsfeld „Jungfräulichkeit/ Fortpflanzung“ partum (2,2), virginis (2,2), partus (2,4), semine (3,1), fructus (3,4), ventris (3,4), floruit (3,4), alvus (4,1), virginis (4,1), pudoris (4,2), pudoris (5,2) b) Begriffsfeld „Bewegung“ veni (1,4), veni (2,1), procedit (5,1), currat (5,4), viam (5,4), egressus (6,1), regressus (6,2), excursus (6,3), recursus (6,4) c) Begriffsfeld „Licht/ Dunkelheit“ micant (4,3), fulget (8,1), lumen (8,2), nox (8,2), nox (8,3), luceat (8,4) d) Begriffsfeld „Herrschaft“ regis (1,1), sedes (1,2), potentiam (1,4), aula (5,2), regia (5,2), sedem (6,4) e) Begriffsfeld „Militär“ vexilla (4,3), tropaeo (7,2), cingere (7,2) Auffällig ist, dass sämtliche Begriffsfelder sich vollständig oder zumindest weitgehend auf bestimmte Teile des Hymnus konzentrieren. Die semantische Struktur des Textes besitzt daher primär eine gliedernde, weniger eine integrierende Funktion. Dabei schließen die Begriffsfelder „Jungfräulichkeit/ Fortpflanzung“ und „Bewegung“ je zwei weitere Strophen zu Paaren zusammen: Das Begriffsfeld „Jungfräulichkeit/ Fortpflanzung“ wird bereits in Strophe 2 eröffnet, prägt dann aber massiv die Strophen 3 und 4; das Begriffsfeld „Bewegung“ kulminiert deutlich in den Strophen 5 und 6. Waren die Strophenpaare 1/ 2 und 7/ 8 vornehmlich durch Syntax und Kommunikationssituation definiert, erweisen sich damit nun die Strophen 3/ 4 und 5/ 6 als semantisch markierte Einheiten. Die Doppelstrophenstruktur 333 wird dadurch unterstrichen, dass die ersten drei Strophenpaare jeweils mit einer Flexionsform von Deus 334 enden, die gleichsam als Siegel fungiert. 333 Vgl. dazu auch Springer, Aesthetics 84. Der Autor zeichnet folgende „outline of the hymn’s structure“: „Stanzas 1/ 2: Invocation: Old Testament/ New Testament Stanzas 3/ 4: Incarnation: The Word/ The Virgin Stanzas 5/ 6: The Life of Christ: Messiah/ Son of God Stanzas 7/ 8: Application: Power of Christ/ Faith-life Each pair of stanzas presents the reader/ singer with a major new idea and each pair (with the exception, of course, of the first) builds on the preceding pair of stanzas as the hymn moves from the invocation, to the fact of incarnation, to the salvific life of Christ, and finally to the application to the believer’s faith-life. At the same time … the individual stanzas which make up each paired unit present contrasting subpoints of view. The structure of the hymn provides, therefore, a sense not only of direction and movement from beginning to end, but also of antithesis and balance within that larger development“. Vgl. ferner Fontaine, Intende 268f.; Kurz, Intende 111. 334 V. 2,4: talis decet partus Deum; V. 4,4: versatur in templo Deus; V. 6,4: recursus ad sedem Dei. <?page no="87"?> 75 Das Begriffsfeld „Licht“ wird in Vers 4,3 präludiert, bleibt ansonsten aber auf die Schlussstrophe beschränkt, die dann ganz und gar durch es bestimmt ist. Die beiden imperialen Begriffsfelder „Herrschaft“ und „Militär“ schließlich sind zwar nur durch wenige Belege vertreten, erfüllen jedoch einen wichtigen Zweck für die Verklammerung des Gesamttextes. Insbesondere betont die Rekurrenz der herrschaftlichen Begriffe in den Strophen 1 und 5 die bereits erörterte Parallelität der Auftakte zu den Hymnenhälften. Weitere Klammern zwischen den Hymnenhälften entstehen durch die Wiederholung von Stichworten: 2,1: super Cherubim qui sedes / 6,4: ad sedem Dei 3,2: mystico spiramine / 8,2: lumenque nox spirat novum 3,3: factum est caro / 7,2: carnis tropaeo 4,2: claustrum pudoris / 5,2: pudoris aula 4,3: vexilla virtutum / 7,4: virtute firmans Was den Text als ganzen angeht, fasst Kurz zutreffend zusammen: „Der Hymnus ist spiegelbildlich gebaut (a b b a): Bittruf (Imperative, Konjunktiv; 2 Strophen), rühmende Darstellung des Festgeheimnisses (Indikative bzw. Nominalsätze; zweimal 2 Strophen), Bitte und Wunsch (Imperativ, Konjunktive; 2 Strophen); das letzte Strophenpaar spiegelt diesen Aufbau nochmals im Kleinen: Imperativ, 2 Indikative, 2 Wunsch-Konjunktive. Alle Untergliederungen des Hymnus aber fügen sich, in konsequentem Fortschreiten aufeinander aufbauend, zu einem harmonischen Ganzen zusammen“ 335 . 4. Kommentar 4.1 Erster Abschnitt (1,1-2,4): Die Bitte um das Kommen 1,1 Intende, qui regis Israel, 1,2 super Cherubim qui sedes, 1,3 appare Ephraem coram, excita 1,4 potentiam tuam et veni. 2,1 Veni, redemptor gentium, 2,2 ostende partum virginis; 2,3 miretur omne saeculum: 2,4 talis decet partus Deum. 4.1.1 Zur Komposition des Abschnitts Die ersten beiden Strophen des Hymnus erhalten durch die weitgehend asyndetische Aneinanderreihung von sechs Imperativen in sechs Versen den 335 Kurz, Intende 115. <?page no="88"?> 76 Charakter der drängenden Bitte. Dass allein am Ende von Vers 1,4 der Imperativ veni mit et angeschlossen wird, entspricht einerseits einer gliedernden Betonung des Strophenschlusses und verleiht andererseits dem Prädikat veni - als einzigem bloßen Imperativ, der weder durch ein Subjekt noch durch ein Objekt erweitert ist - ein besonderes Gewicht, das durch die Wiederholung zu Beginn des nächsten Verses und mithin der nächsten Strophe (Anadiplose) eindrucksvoll unterstrichen wird. Vers 2,1 ist parallel zu Vers 1,1 gebaut und dadurch unbeschadet der Weiterführung der Imperativreihe in der zweiten Strophe als Neueinsatz akzentuiert. Betrachtet man die Anordnung der Imperative näher, ergibt sich folgendes Bild: Intende, qui regis Israel, super Cherubim qui sedes, appare Ephraem coram, excita potentiam tuam et veni. Veni, redemptor gentium, ostende partum virginis; … Die Imperative stehen sämtlich an exponierter Stelle im Vers, und zwar paarweise abwechselnd am Versanfang bzw. am Versende (Versanfang: intende, appare; Versende: excita, veni; Versanfang: veni, ostende). Dadurch wird ihre drängende Wirkung zusätzlich verstärkt, ebenso wie durch das Enjambement in den Versen 1,3f.: excita / potentiam tuam. Die durch die paarweise Anordnung erzeugte Rahmenstruktur (AABBAA) wird durch die Assonanz von intende (1,1) und ostende (2,2) 336 unterstrichen. Die von den sechs Imperativen ausgedrückte Gedankenbewegung lässt sich als „eine steigernde Reihung (Klimax) zunehmender Konkretisierung des göttlichen Offenbarwerdens“ beschreiben, „deren Gipfel der Erweis der Göttlichkeit des herbeigerufenen Erlösers durch das vom Propheten angekündigte Zeichen der Jungfrauengeburt ist“, die in der gottesdienstlichen Feier vergegenwärtigt wird 337 . Auch über die Imperative hinaus zeigt der Text einen bis ins Detail durchdachten Aufbau. So zeichnen sich die ersten beiden Bitten (1,1-3) durch zwei ineinander verschränkte Chiasmen aus. Auf einer übergeordneten Ebene sind die Imperative (A) und die einen Vokativ vertretenden Relativsätze (B) chiastisch angeordnet. Dasselbe gilt dann wiederum für die Relativsätze in sich mit den Gruppen: Relativpronomen und Prädikat (a) sowie Objekt bzw. adverbiale Bestimmung (b). A a B b I NTENDE , qui regis Israel, super Cherubim qui sedes, APPARE Ephraem coram b B a A 336 Vgl. Fontaine, Intende 268. 337 Kurz, Intende 114. <?page no="89"?> 77 Während demnach das Bauprinzip der ersten Strophe die Strophenmitte überdeckt, gliedert sich die zweite Strophe erkennbar in zwei Verspaare, deren erstes von zwei Imperativen geprägt ist, wohingegen das zweite Verspaar konjunktivisch eine Reaktion Dritter auf das erbetene Handeln einfordert. Hinsichtlich der Anordnung der Subjekt bzw. Objekt darstellenden Substantive und der zugehörigen Attribute sind die Verspaare in sich parallel, aber untereinander chiastisch gebaut. Dabei handelt es sich im ersten Verspaar um Genitiv-, im zweiten um adjektivische Attribute. Die Einheit der Strophe wird durch den Gleichklang dreier Versschlüsse auf -um unterstrichen. Veni, redemptor genti UM , a - b ostende partum virginis; a - b miretur omne saecul UM : b - a talis decet partus De UM . b - a 4.1.2 Intende, qui regis Israel, super Cherubim qui sedes, appare Ephraem coram, excita potentiam tuam et veni (1,1-4) Den Auftakt des Hymnus bildet eine gekürzte und ins jambische Versmaß übertragene Fassung der ersten Strophe von Psalm 79(80) 338 . Dieser Psalm, von der Gattung her ein Klagelied des Volkes, reagiert nach Auffassung der modernen Exegese 339 auf das Ende des Nordreiches Israel in der Eroberung durch die Assyrer 722 v. Chr. Er wird durch Kehrverse, die möglicherweise zum Teil auf eine Bearbeitung des Psalms im Sinne der Jerusalemer Tempeltheologie zurückgehen, in vier Strophen gegliedert: I Bitte um Theophanie (Verse 2f.), II Anklage Gottes wegen der gegenwärtigen Situation des Volkes (V. 5-7), III „geschichtstheologischer Rückblick“ 340 : das einstige Wohlergehen des Weinstocks (Israel) (V. 9-12) und seine aktuelle Not (V. 13f.), IV Bitte um Hilfe und um Strafe für die Feinde (V. 15b-19). Ambrosius macht durch das Zitat der ersten Strophe den gesamten Psalm präsent und verleiht, indem er die in ihm vorausgesetzte Situation der existentiellen Bedrängnis in Erinnerung ruft und auf die singende Gemeinde überträgt, der dringenden Bitte um das Kommen des Erlösers besonderen Ernst. 338 Häußling (Rez. Kurz 159f.) interpretiert das einleitende Psalmzitat als Reminiszenz an die vertraute Praxis der Psalmenmeditation: „Nach Überzeugung des Rezensenten haben wir hier ein typisches Beispiel des in der spätantiken Kirche, vor allem in monastischen Kreisen üblichen Gebrauchs der Psalmen: Sie werden currendo ‘gelesen’ als Grundlegung für das auf den Psalm folgende (Still-)Gebet, das hier die Gestalt eines Hymnus annimmt“, der den Psalm „vom Evangelium Jesu Christi her in einen bekennend-preisenden Gesang umsetzt“. 339 Zu exegetischen Fragestellungen vgl. Rose, Psaumes 215f.; Hieke, Psalm 80 (speziell zur Entstehungssituation: S. 400-423); Zenger, Psalm 80. 340 Zenger, ebd. 452. <?page no="90"?> 78 Ps 79(80),2f.: 341 Ambr. Intende, Str. 1: 2 a Qui regis Israel, intende, Intende, qui regis Israel, b qui deducis tamquam oves Ioseph, c qui sedes super Cherubim, appare super Cherubim qui sedes, appare 3 a coram Ephraim et Beniamin et Manasse 342 , Ephraem coram 343 , b excita potentiam tuam et veni, excita potentiam tuam et veni. c ut salvos facias nos. Hinsichtlich der poetischen Technik, die der Hymnenstrophe zugrunde liegt, ist zunächst bemerkenswert, dass Ambrosius seinen Text vollständig aus dem Psalm schöpft: Er verwendet keine Formulierung, die nicht durch die biblische Quelle gedeckt ist. Die Eingriffe in den Wortlaut der Vorlage - Kürzungen und Umstellungen - sind vordergründig durch Versmaß und Strophenform des Hymnus bedingt, lassen darüber hinaus jedoch bei näherer Betrachtung weiter gehende gestalterische Absichten erkennen. So steht die Umstellung von qui regis Israel und intende im Zusammenhang mit der oben erörterten 344 planvollen Anordnung der Imperative in den ersten sechs Versen. Die Auslassung des Psalmverses 2b (qui deducis tamquam oves Ioseph) eliminiert die für den Psalm bedeutsame Hirtenmetaphorik 345 und lässt so in der Wendung qui regis Israel die für das Lateinische ohnehin dominante imperiale Sinnrichtung des Verbs regere hervortreten 346 . Vers 1,2 des Hymnus (entspricht Vers 2c des Psalms) fügt sich mit seinem Bild des thronenden Gottes nahtlos in dieses Verständnis. Im Hintergrund steht die Rede von JHWH als dem Kerubenthroner 347 , die an die Ausstattung des Allerheiligs- 341 Ambrosius zitiert in seinen Schriften lediglich Vers 2c (fid. 5,85 [78,247]). Der übrige Text ist der Vulgata entnommen. Die (abgesehen von der Wortstellung) exakte Entsprechung von Psalm- und Hymnentext legt den Schluss nahe, dass die Ambrosius vorliegende Textfassung in den relevanten Versteilen mit der Vulgata übereinstimmte. (Allerdings differieren die Fassungen gerade in Vers 2c, wo die Vulgata manifestare statt appare liest.) 342 Im hebräischen Text ist die Präpositionalgruppe coram Ephraim et Beniamin et Manasse durch die masoretischen Akzente dem Imperativ des dritten Verses (excita) zugewiesen. Die Kirchenväter ordnen sie jedoch teilweise, ebenso wie es der vorliegende Hymnus durch die Wortstellung zu erkennen gibt, dem vorausgehenden Imperativ appare zu: vgl. Eus. Ps. (PG 23,956D-957A); Ath. fr. Ps. 79 (PG 27,359B); Aug. en. Ps. 79,3 (CChr.SL 39,1110 Dekkers/ Fraipont); zur Sache vgl. Kurz, Intende 116 Anm. 46. 343 Für die Postposition von coram (1,3) gibt es bereits Beispiele in der augusteischen Poesie (Hor. sat. 1,4,95: te coram); in der spätantiken Dichtung begegnet sie häufig: vgl. Fontaine, Intende 278. 344 Siehe Kap. 4.1.1. 345 Vgl. Fontaine, Intende 276. 346 Die Partizipialkonstruktion, die im hebräischen Original dem Ausdruck qui regis Israel entspricht, lautet laer'f.yI h[ero (r ‘ h ji r ’ l) und begründet von der basalen Bedeutung der Wurzel h[r (r ‘ h) her (‘weiden’/ ‘als Hirte hüten’) die in Vers 2b ausgebaute Hirtenmetapher, wenngleich der Begriff im AT auch im übertragenen politischen Sinn gebraucht wird (vgl. dazu Koehler/ Baumgartner, Hebräisches und aramäisches Lexikon II 1175f.). 347 Vgl. 1 Sam 4,4; 2 Sam 6,2; 2 Reg 19,15; 1 Par 13,6; Ps 98(99),1; Is 37,16; Ez 9,3; Dan 3,54. <?page no="91"?> 79 ten des Salomonischen Tempels anknüpft. In diesem bildeten zwei gewaltige vergoldete Kerubenstatuen mit ihren über der Bundeslade ausgebreiteten Schwingen (1 Reg 6,23-28; 8,6f.) eine Fläche, die die Jerusalemer Tempeltheologie als Thronsitz des auf dem Zion wohnenden JHWH ansah 348 . Die zunächst aus metrischen Gründen erforderliche Umstellung von qui sedes und super Cherubim bringt die Präposition super in exponierte Anfangsstellung und akzentuiert damit „l’idée de la transcendance divine“ 349 im Kontrast zu dem Bild des seinen Untertanen zugewandten Königs in Vers 1,1. Die zugleich damit etablierte herrscherliche Metaphorik 350 wird im weiteren Verlauf des Textes wieder aufgegriffen 351 . Eine interessante Frage wirft die Streichung der Namen Benjamin und Manasse auf. Im Psalm stehen Ephraim, Benjamin und Manasse, die Nachfahren der Rahel 352 , ausgehend vom Siedlungsgebiet der entsprechenden Stämme für das zuletzt vor 722 noch verbliebene Territorium des Nordreiches. Dass Ambrosius aus dieser Trias nur und gerade Ephraim übernimmt, erklärt sich kaum allein durch die Tatsache, dass er im Psalm an erster Stelle genannt ist und seine zweisilbige Namensform Ephraem sich gut ins Versmaß fügt. Auch dass Ephraim nach Nm 2,18-24 der führende der drei Stämme in der Lager- und Marschordnung der Israeliten ist, liefert noch keine befriedigende Begründung. Einen wichtigen Schlüssel zur Interpretation stellt vielmehr der Segen Jakobs über Ephraim und Manasse (Gn 48,8- 21) mitsamt der Auslegung dar, die Ambrosius dieser Perikope angedeihen lässt. Nachdem der im Sterben liegende Jakob seine Enkel Manasse und Ephraim adoptiert hat (48,5), führt Josef die beiden zu ihm. Obwohl Manasse der Erstgeborene ist, besteht Jakob darauf, beim Segen Ephraim die rechte Hand aufzulegen, und ‘setzt ihn vor Manasse’ (48,21). Zur Deutung dieses Vorgangs zieht Ambrosius in seinem Werk De patriarchis neben den erklärenden Worten Jakobs (Gn 48,19) die Bedeutung der Namen Manasses und Ephraims (Gn 41,51f.) heran. patr. 1,4f. (32/ 2,126f.): denique Manasses ex oblivione Latina interpretatione signatur [cf. Gn 41,51], eo quod populus Iudaeorum oblitus est deum suum, qui fecit eum, et quicumque ex ea plebe crediderit tamquam ex oblivione revocatur. Ephraem autem fecunditatem fidei interpretatione nominis pollicetur, qui auxit patrem, sicut ait ipse Ioseph dicens: QUIA AUXIT ME DEUS IN TERRA HUMILITATIS MEAE [Gn 41,52]. quod est proprium populi iunioris, qui corpus est Christi augens patrem et deum proprium non relinquens. denique spiritaliter de populis hoc esse mysterium senior declaravit, nam cum filius eum putaret errasse vitio hebetioris aspectus, convertere voluit manus eius dicens: NON SIC PATER ; HIC ENIM PRIMITIVUS EST . INPONE DEXTERAM TUAM SUPRA CAPUT EIUS . ET NOLUIT , SED DIXIT : SCIO , FILI , SCIO . ET HIC ERIT IN POPULUM , ET HIC EXALTABITUR , SED 348 Vgl. Albertz, Religionsgeschichte Israels I 198-201; Podella, Lichtkleid 209-212. 349 Fontaine, Intende 277. 350 Ebd.: „épiphanie royale, au sens des souverains hellénistiques“. 351 Vgl. dazu Kap. 4.3.2. 352 Benjamin ist der zweite Sohn Rahels (Gn 35,16-18), Manasse und Ephraim sind die Söhne seines älteren Bruders Josef (Gn 30,22-24; 41,50-52). <?page no="92"?> 80 FRATER EIUS IUNIOR MAIOR ILLO ERIT , ET SEMEN ILLIUS ERIT MULTITUDO GENTIUM [Gn 48,18b-19]. Der jüngere Sohn Ephraim, der „den Vater wachsen lässt“ (augens patrem) und dessen Nachkommenschaft „eine Fülle von Völkern“ (multitudo gentium) sein wird, wird der aus den heidnischen gentes zusammen gerufenen christlichen Kirche als dem „jüngeren Volk“ zugeordnet (populi iunioris, qui corpus est Christi). Manasse hingegen steht für das ältere „jüdische Volk, das seinen Gott vergessen hat“ (populus Iudaeorum oblitus est deum suum) 353 und daher aus der Gottesvergessenheit zum Glauben zurückgerufen werden muss (quicumque ex ea plebe crediderit tamquam ex oblivione revocatur) 354 . An anderer Stelle greift Ambrosius in derselben Schrift diese Interpretation Ephraims als des Stammvaters der Kirche ohne die im zuletzt zitierten Text zu konstatierende Polemik wieder auf und legt den Akzent vielmehr darauf, dass die Kirche aus Heiden und Juden zusammengesetzt ist: patr. 11,56 (32/ 2,157): D ECEM MILIA inquit E PHRAEM ET MILIA M ANASSE [Dt 33,17], id est: et Iudaeorum et gentium dominetur [sc. Dei filius] et ex utroque populo adquirat sibi ecclesiae plenitudinem. Bedenkt man schließlich, dass Ambrosius in anderen Kontexten Ephraim auch als Symbolfigur der Juden auffassen kann 355 , liegt für die Deutung des Hymnenverses folgende Synthese nahe: Mit der Nennung Ephraims spielt Ambrosius bewusst auf die bereits lange vor ihm verbreitete Sicht Ephraims als Typus der Kirche 356 an, ohne dass dahinter der Jude Ephraim nicht mehr erkennbar wäre. Durch die Konzentration auf die mehrdeutige Figur Ephraims gelingt es Ambrosius, die erste Strophe deutlich auf das Gottesvolk 353 Vgl. in psalm. 118 serm. 14,32,2 (62,319): vel quia semen eius [sc. Ephraem] multitudo gentium sit quae in hoc saeculo laborem elegit, credens in dominum Iesum, ut consolationem habeat futurorum. Manasse autem semen est populus oblivionis, qui proprium oblitus auctorem exaltatus ad tempus in hoc saeculo est, daturus in reliquum poenas graves, quia deum suum et dominum denegavit. 354 Vgl. in psalm. 43,18,2 (64,276): … ut fierent in decem milia Ephraem usque ad terminos terrae et usque in milia Manasse [cf. Dt 33,17], eo quod crediturus esset in eum populus nationum, qui totum repleret orbem terrarum, crediturus esset postea etiam populus Iudaeorum ex oblivione conversus ad gratiam; oblitus est enim salutem suam, qui tam sero converteretur ad Christum. 355 Vgl. paenit. 2,5,36 (73,179): Et ipsa verba Ephraem lamentantis expressit dicens: C ASTIGASTI ME ET CASTIGATUS SUM , SICUT VITULUS NON SUM EDOCTUS [Ier 38,18 LXX]. Vitulus enim ludit et praesepe deserit, et ideo Ephraem ‘sicut vitulus non est edoctus’, longe positus a praesepio, quia ‘praesepe domini’ deseruit [cf. Is 1,3] et Ierobeam secutus vitulos adoravit [cf. 1 Reg 12,28-32], quod prophetia futurum per Aaron indicaverat: sic lapsurum populum Iudaeorum [cf. Ex 32,1-6]. 356 Vgl. bereits zu Beginn des dritten Jahrhunderts Hippolyt von Rom, ben. Jac. 11 (PO 27,46-48 Brière/ Mariès/ Mercier): $ 9 ! 5 ) $ 3 6 # $ %F6 / . : , * 6 E $ , 5 ! , 6 G H 1 6 $ 4 ($ $ , D 5 ’ + ' : 3 ' % I 3 6 G # $ 5 / J$ / K$ 4 , 6 G $ L' $ 4 , 6 9 4 > %)# , ($ $ . <?page no="93"?> 81 sowohl des Alten als auch des Neuen Bundes - bis hin zu den Sängern des Hymnus - zu beziehen 357 , ohne den Wortlaut des Psalms zu verlassen. Die alttestamentliche Sprache der ersten Strophe erweckt zunächst den Eindruck, ihr Adressat sei Gott Vater. Da andererseits die Strophen 2, 7 und 8 offensichtlich an Christus gerichtet sind 358 , müsste ein Adressatenwechsel nach Vers 1,4 angenommen werden 359 . Dagegen spricht allerdings schon die Anadiplose des Anrufs veni am Ende von Vers 1,4 und zu Beginn von Vers 2,1, die die Strophen 1 und 2 aufs Engste zusammenbindet 360 . Wenn Ambrosius also die Worte aus Ps 79(80) tatsächlich auf Christus bezieht, so folgt er damit der weithin christologischen Exegese dieses Psalms in der Alten Kirche, die ihn auf die erste Ankunft Christi in der Inkarnation bzw. (dominant, zumal wenn sie ihn als Gebet vollzog) auf die erwartete zweite Ankunft in der Parusie hin las 361 . So gesehen ist der auf den Cherubim Thronende der zur Rechten des Vaters sitzende (Ps 109[110],1) erhöhte Christus 362 . Dieses Verständnis lässt sich auch in den Prosaschriften des Ambrosius nachweisen. Im vierten Buch von De fide stellt der Bischof Überlegungen zu Mt 20,23 an, einem Wort Jesu an die Jünger: C ALICEM QUIDEM MEUM BIBETIS , SEDERE AUTEM AD DEXTERAM MEAM VEL AD SINISTRAM NON EST MEUM DARE VOBIS , SED QUIBUS PARATUM EST A PATRE MEO (fid. 5,5,55 [78,238]). In diesem Zusammen- 357 So richtig erkannt bei Fontaine, Intende 278. Dezidiert anders Kurz, Intende 117: „‘Ephraim’ repräsentiert hier also [nur] das Gottesvolk des Alten Bundes“ (ähnlich Mone, Hymnen 44). Eine gewollte Bezugnahme auf die Deutung Ephraims auf die christliche Kirche hin schließt Kurz mit dem Argument aus, auf diese Weise entstehe eine Dublette zur zweiten Strophe, die Ambrosius nicht intendiert haben könne. Das Problem dieser Ansicht ist die Entkoppelung der ersten Strophe von der Situation der Hymnensänger. Kurz erkennt diese Schwierigkeit und versucht, sie zu beheben: „Die … poetische Situation des Hymnenanfangs lässt allerdings zu und setzt sogar voraus, dass der christliche Sänger des Hymnus … sich mit dem vorchristlichen Israel wie mit den erlösungsbedürftigen ‘Heiden’ identifiziert.“ Indes spricht nichts gegen die Annahme, der Dichter habe eben diese Identifikation bereits auf der Textebene angelegt. Eine eigentliche Dublette kommt dadurch aufgrund der gedanklichen Weiterentwicklung in Strophe 2 nicht zustande. 358 Vgl. v. a. V. 2,1: Veni, redemptor gentium; V. 7,1f.: Aequalis aeterno Patri / … cingere; V. 8,1: Praesepe iam fulget tuum. 359 Es tut dies Oldani, Intende 178. 360 Zu Recht betonen dies Franz (Tageslauf 54), Kurz (Intende 118) und Navoni (Quali parole 325). 361 Vgl. dazu Rose, Psaumes 225-228; zusammenfassend 228: „la tradition des Pères a surtout vu une prophétie de l’avènement du Fils de Dieu, soit futur par la parousie, soit passé par l’incarnation. La plupart considèrent le chant comme la voix de l’Eglise au Christ, Verbe de Dieu, sans exclure que l’un ou l’autre verset puisse s’adresser au Père“. Vgl. z. B. Eus. Ps. (PG 23,954A-B): @ 1 , N$ : F $ $6 6 ! $+ 3 / 6 . $ * / / O4 , 3 / ( ' 4 I P 6 . $ : , $4 ) [Ps 79(80),2 LXX] … & , 6 . $ : , 6 $ , # I E # , * , 6 [Io 10,14]. Zur Terminologie der beiden adventus Christi (Inkarnation und Parusie) bei Ambrosius vgl. Kap. B 3.2.2. 362 Vgl. Rose, Psaumes 223 Anm. 22; Fontaine, Intende 276f.; Frisque, Chant au Christ 105f. Eine interessante Parallele liefert die spätantike Apsismalerei, zu deren bevorzugten Motiven der thronende Christus zählt: vgl. Ihm, Apsismalerei 11-28.40f. <?page no="94"?> 82 hang stellt sich ihm die Frage, ob es möglich ist, dass die Apostel mit Christus ‘über den Cherubim thronen’ können. fid. 5,6,85 (78,247): cum legerim seraphin stare [cf. Is 6,2; 1 Reg 22,19; Apc 7,11], quomodo possum quod homines AD DEXTERAM VEL AD SINISTRAM filio dei sedeant arbitrari? ‘Supra Cherubin’ dominus sedet, sicut habes: Q UI SEDES SUPER CHERUBIN , APPARE [Ps 79(80),2]. Quomodo apostoli SUPER CHERUBIN sedebunt? Die christologische Interpretation des Psalms verleiht der ersten Strophe des Hymnus mithin einen ausgesprochen eschatologischen Charakter. Nimmt man den in ihr von den Sängern je neu zu vollziehenden Sprechakt in seiner Aussage ernst, könnte es kaum anders sein: Adressat der nachösterlichen Bitte um das Kommen Christi - liturgisch schon seit frühester Zeit greifbar im Gebetsruf Maranatha (‘Unser Herr, komm! ’) 363 - ist notwendigerweise der erhöhte Herr, ihr Gegenstand folglich die Parusie. Die Imperative der ersten Strophe zielen also zunächst und unmittelbar auf die endzeitliche Wiederkehr Christi. Es ist interessant, dass nach dem von ihnen gebildeten „crescendo de précision“ 364 ein Ziel oder Zweck des erbetenen Kommens nicht genannt wird - im Unterschied zum Psalm, in dessen Vers 3c es heißt: ut salvos facias nos. Durch den Verzicht auf diese Wendung endet das Psalmzitat offen und entspricht damit dem durchaus ambivalenten Charakter der Parusie: Der erwartete thronende Christus ist rettender König 365 , von dessen Machterweis (excita / potentiam tuam 366 ) Hilfe erhofft wird, und drohender Richter 367 zugleich 368 . Diese aus der christologischen Lektüre des Psalms 79(80) resultierende eschatologische Sinndimension der ersten Strophe ist allerdings von einer zweiten Ebene unterfangen, die dem liturgischen Kontext des Hymnus entspringt. An Weihnachten als dem Geburtsfest Christi assoziiert man den Bittruf um sein Erscheinen ganz selbstverständlich nicht nur mit seiner Wiederkehr in Herrlichkeit am Ende der Tage, sondern auch mit jener ersten Ankunft in der Krippe von Betlehem, der Ankunft im Fleisch 369 . Qui regis Israel bezieht sich so gesehen auf den „neugeborenen König der Juden“ (Mt 2,2), zu dem sich die Magier aus dem Morgenland auf den Weg machen. Von dieser ersten Ankunft und der durch sie verbürgten Erlösung her, wo- 363 Zum Maranatha vgl. Häußling, Akklamationen 224. 364 Fontaine, Intende 279: „l’attention précède l’apparition, et le réveil de la puissance peut et doit se traduire dans la venue du Messie“. 365 Vgl. z. B. Tit 2,13; Apc 19,11-16. 366 Die Wendung excita potentiam tuam hat zahlreichen alten Adventsorationen das Stichwort gegeben (vgl. Pascher, Orationen 33), von denen zwei (schon im Gregorianum Hadrianum bezeugte) im heutigen Messbuch vorgesehen sind (für Donnerstag und Freitag der 1. Woche). 367 Vgl. z. B. Mt 25,31-46; 2 Cor 5,10; 2 Tim 4,1; 1 Pe 4,5. 368 Vgl. Fontaine, Intende 278: „La posture en majesté est celle du Roi Sauveur, mais aussi de Juge, siégeant sur son tribunal“. 369 In diesem Zusammenhang ist bedeutsam, dass das Neue Testament apparere als Terminus für die Inkarnation kennt; 1 IoA 1,2: et vita apparuit, et vidimus et testamur et adnuntiamus vobis de vita, quae erat apud patrem et apparuit nobis. <?page no="95"?> 83 von erstmals in den folgenden Versen 2,1f. die Rede ist, bezieht auch die Wiederkunft ihre (in der Formulierung der ersten Strophe offen gebliebene) inhaltliche Füllung. Zwischen beiden adventus besteht eine wechselseitige Beziehung: Das Weihnachtsfest erwartet die zweite Ankunft aus der Erfahrung der ersten, und zugleich erfährt es die erste Ankunft in der Erwartung der zweiten 370 . 4.1.3 Veni, redemptor gentium (2,1) Formal bildet der Auftaktvers der zweiten Strophe eine Parallele zu dem der ersten. Inhaltlich stellt er zunächst eine komplementäre Ergänzung dar: War in Vers 1,1 von Israel, dem Gottesvolk des Alten und bleibend gültigen Bundes (Rom 11) die Rede, so werden ihm nun die (außerisraelitischen) Völker zur Seite gestellt 371 . Zugleich knüpft das Stichwort gentes an den Segen über Ephraim an 372 , dessen ekklesiologische Interpretation bereits Vers 1,3 ins Spiel gebracht hatte (Gn 48,19: semen illius erit multitudo gentium). Die Aussage ist in jedem Fall die gleiche: Die Kirche als das Gottesvolk des Neuen Bundes besteht aus Juden und Heiden (Rom 9,24; Eph 2,11-22), denn Christus ist nach dem Canticum Simeonis zugleich das ‘Licht, das die Heiden erleuchtet’ und die ‘Herrlichkeit für das Volk Israel’ 373 . Die pointierte Wiederaufnahme des Rufes veni 374 aus Vers 1,4 trägt die (eschatologisch akzentuierte) Erwartungshaltung der ersten Strophe in die zweite Strophe hinein und macht damit deutlich, dass auch für die Angehörigen des Neuen Bundes, die sich versammelt haben, um mit den Worten des Hymnus die bereits erfolgte Ankunft des Erlösers (2,2ff.) zu begehen, die Spannung von Erwartung und Erfüllung bestehen bleibt 375 . 370 Vgl. Rose, Psaumes 229: „Les fêtes de Noël-Epiphanie célèbrent le rappel du premier avènement dans la perspective et la lumière de la parousie future.“ Botte, Maranatha 41f.: „Les fêtes de Noël et de l’Épiphanie célèbrent la première venue qui est le début de l’économie du salut. Mais cette économie ne se clôt pas avec l’Ascension du Christ, ni même avec la Pentecôte. Elle attend son achèvement, et la liturgie est toute tendue vers la nouvelle venue du Seigneur, quand le Christ sera tout en tous et qu’il remettra son royaume entre les mains de son Père.“ 371 Im Hintergrund steht der bibelterminologische Gegensatz zwischen dem Volk ( ~[ ; [ ‘ am], 4 ) Israel und den Völkern = Heiden ( ~yIAG [gôj m], D ); vgl. dazu Hulst, ‘ am/ g j 319- 323 (zum hebräischen AT); Bertram, Volk und Völker 363-366 (zur LXX); Schmidt, D 367f. (zum NT). 372 Richtig erkannt bei Cothenet, Arrière-plan biblique 156. 373 Lc 2,30-32: Q F R % 6 : $ 4 %, / T U $4 ! + + [cf. Is 52,10] , / + ( ! % + [cf. Is 49,6; 42,6] 3 45 / % . $ : [cf. Is 46,13] . 374 Generell besitzt der Anruf veni in den Christusgebeten des Ambrosius eine „bevorzugte Stellung“: Baus, Gebet zu Christus 37. Baus stellt auf den S. 39-58 insgesamt 95 Gebete an Christus aus den Prosaschriften des Ambrosius zusammen, von denen acht mit veni beginnen. 375 Diesen wichtigen Aspekt übersieht Fontaine, wenn er schreibt (Intende 279): „La reprise … de l’impératif ueni, marque à la fois continuité et rupture, entre l’ancien et le nou- <?page no="96"?> 84 Um den Begriff redemptor und die dahinter stehende ‘Er-lösungs’- Vorstellung zu erfassen, muss man auf den hebräischen Ausdruck laeGO (g ’ l) zurückgehen. Seine ursprüngliche Bedeutung wird in Lv 25 greifbar 376 : Er bezeichnet einen nahen Verwandten mit dem „Recht oder [der] Pflicht, verlorenen Familienbesitz und versklavte Personen zurückzukaufen“ 377 . Es handelt sich also um einen familienrechtlichen Terminus, bei dem „ein Eigentumsverhältnis vorausgesetzt ist, das durch ‘Einlösung’ wiederhergestellt wird“ 378 . Deuterojesaja überträgt als erster den Titel auf Gott 379 , um ihn im Sinne des Erwählungsgedankens als „haftpflichtigen Verwandten Israels, wenn auch per adoptionem“, zu charakterisieren und so „die unverbrüchliche Gewißheit der Erlösung Israels aus der babylonischen Gefangenschaft“ 380 herauszustellen. In der nachexilischen Zeit nähert sich der Gebrauch der Wurzeln lag (g ’ l) und hdp (pdh, ‘loskaufen, befreien’) einander an und zielt auf „die Erlösung Israels von der Herrschaft der heidnischen Fremdvölker, häufig in Bezug auf den Auszug aus Ägypten“ 381 . Im Neuen Testament wird die Erlösungskonzeption auf Jesus Christus übertragen, wobei die Hingabe seiner selbst als Lösegeld erscheint. Terminologisch werden dafür das Verb % $ / (‘aufgrund eines Lösegelds freikaufen’) und seine Ableitungen (wie ' $ , [ ( ] ' $ ) gebraucht: Mc 10,45 (par Mt 20,28): 3 $ , %F6 / ( $# % V 1 ( 1 3 / * %)* / ' $ ( 3 + . Eph 1,7: E W D) * ( ( ' $ / X / , * Y + $ ! , 6 / 1 )! $ / ... 1 PeA 1,18f. 382 : … quia non corruptilibus argento vel auro redempti estis ( % $# ) de vana conversatione paternae traditionis, sed pretioso sanguine quasi agni incontaminati et inmaculati Christi Iesu 383 Gerade das markinische Jesuswort erscheint durch die Kombination von ‘Kommen’ und ‘Erlösung’ wie eine Folie für die Formulierung des Hymnenverses. Allerdings verwenden die Autoren des Neuen Testaments vel Israël. Avec le psalmiste, l’ancien reste dans une attente indéterminée. Le nouveau contemple l’accomplissement de cette venue dans la Nativité“. 376 Vgl. v. a. Lv 25,25.48f. 377 Stamm, g ’ l 385. 378 Procksch, ' 334. 379 Vgl. Is 41,14; 43,14; 44,24; 47,4; 48,17; 49,7.26; 54,5.8. 380 Procksch, ' 333. Vgl. Stamm, g ’ l 391: „als g ’ l erkauft sich Jahwe kein fremdes Gut, sondern erwirbt er zurück, was ihm schon immer - seit der Zeit Abrahams - gehörte. Jahwe nimmt sein altes Recht an Israel wahr; er verwirklicht einen Anspruch, der ihm zusteht, weil er dieses Volk geschaffen und erwählt hat und er sein König ist“. 381 Büchsel, ' 352; vgl. Stamm, g ’ l 389f. 382 Zitiert nach in Luc. 7,117 (CChr.SL 14,253). 383 Vgl. auch Lc 24,21; Rom 3,24; 1 Cor 1,30; Col 1,14; Tit 2,14. <?page no="97"?> 85 für Christus nicht den Titel % $ : 384 . Dieser wird (als christologischer Terminus) erst im lateinischen Sprachbereich als redemptor eingeführt und findet sich zuerst bei Tertullian 385 . Ambrosius macht in seinen Schriften ausgiebig von ihm Gebrauch. Dabei hebt er, wie im Hymnus, den Aspekt des Heilsuniversalismus hervor 386 , der sich im Neuen Testament besonders deutlich im Ersten Timotheusbrief mit der Erlösungsvorstellung verbindet. 1 Tim 2,3-5a; 1 TimA 2,5b-6a; 1 Tim 2,6b 387 : / 6 3 ( 4 # / 1$ U + / , T ! ( $# % 1 3 ( . Z[ $ 4 , et unus mediator dei et hominum, homo Christus Iesus, qui dedit semet ipsum redemptionem pro omnibus, 6 $ '$ $ . Wie Ambrosius auf der Basis der biblischen Vorgaben Christus als redemptor konzipiert, zeigt exemplarisch der folgende Text: Iac. 1,3,12 (32/ 2,12): Disce humilitatem, homo, apostolici vim cognosce magisterii. si servum te dicas, libertus es: si liberum te iactes, servus es. nam et ille qui quasi servus redemptus est libertatem habet et iste qui quasi liber vocatus est bonum est illi ut servum Christi se esse cognoscat, sub quo servitus tuta est et libertas secura. quis quasi idiotam Paulum vel in ipso iure adserit? scivit discernere inter libertum et liberum et ideo non perfunctorie, sed proprie dixit: QUI ENIM VOCATUS EST IN DOMINO SERVUS , LIBERTUS EST DOMINI ; SIMILITER QUI LIBER VOCATUS EST SERVUS EST C HRISTI [1 Cor 7,22]. revera enim omnes Christi liberti sumus, nemo liber; omnes enim in servitute generati. quid servili condicioni adrogantiam libertatis adsumis? quid titulos nobilitatis usurpas, servilis hereditas? nescis quod te Adae atque Evae culpa mancipaverit servituti? nescis quod redemerit te Christus, non emerit? NON AURO ET ARGENTO REDEMPTI ESTIS DE VANA VESTRA CONVERSATIONE PATERNAE TRADITIONIS , SED PRETIOSO SANGUINE AGNI [1 Pe 1,18f.] clamat apostolus Petrus. ergo redemptus a domino es et servus es qui creatus es, servus es qui redemptus es et quasi domino servitutem debes et quasi redemptori. nec inferiorem putes libertinitatem sub Christo quam libertatem esse. Ambrosius baut seinen Gedankengang auf einem Zitat aus dem Ersten Korintherbrief des Paulus auf. Paulus spricht an der zitierten Stelle von der Irrelevanz der gesellschaftlichen Standesordnung für das Leben der christlichen Gemeinde. „Jeder soll in dem Stand bleiben, in dem ihn der Ruf Gottes getroffen hat“ (1 Cor 7,20), denn in der Gemeinde gilt jeder 384 Er begegnet nur Act 7,35 als Bezeichnung Moses als Befreier der Israeliten aus Ägypten. LXX übersetzt laeG O mit % $ : Ps 18(19),15; 77(78),35, in Lv mit ( ) ' , in Is mit , \% ! oder , % $ ' . 385 Tert. resurr. 2,6 (CChr.SL 2,922 Borleffs); adv. Marc. 4,43,3.5 (SC 456,522f. Moreschini). Dem römischen Kulturkreis war der Begriff redemptor im Sinne von ‘Loskäufer aus der Gefangenschaft’ (Georges, Handwörterbuch II 2248) auch aus dem paganen Rechtswesen vertraut. Die % $ / -Terminologie findet bei den griechischen Autoren des zweiten Jahrhunderts generell wenig Verwendung, erfreut sich hingegen bei den westlichen Theologen großer Beliebtheit: vgl. Braun, Deus Christianorum 507f. mit 507 Anm. 5. 386 Vgl. in psalm. 48,13,1 (64,367); in Luc. 2,62 (CChr.SL 14,57); 10,123 (ebd. 380): redemptor omnium; epist. 1,13 (82/ 1,8): redemptor universorum; Ioseph 3,9 (32/ 2,77); spir. 1,7,86 (79,51): totius mundi redemptor; spir. 3,17,123 (79,203): salutis omnium redemptor. 387 V. 5f.* zitiert nach in psalm. 48,13,3 (64,368); fid. 3,2,8 (78,110f.). <?page no="98"?> 86 unabhängig von seiner sozialen Stellung als „geliebter Bruder“ (Philm 16). Die Frage von Sklaverei und Freiheit ist im christlichen Sinn nicht primär eine Angelegenheit der äußeren Lebensform. Vielmehr geht es um die innere Schuldknechtschaft der Sünde und des Todes, in die der Mensch durch den Fall Adams geraten ist. Aus ihr wurde er ‘durch das kostbare Blut des Lammes’ Christus freigekauft (1 Pe 1,19). Insofern ist der Christ im Blick auf seine Hineingeburt in den allgemein menschlichen Schuldzusammenhang (in servitute generati) ein Freigelassener, der durch die Taufe in den Herrschaftsbereich Christi übergegangen ist: Als libertinus Christi ist er servus Christi. Dabei legt Ambrosius Wert auf den Vollsinn des Ausdrucks redimere: Wir sind von Christus nicht einfachhin erkauft, sondern zurückgekauft (nescis quod redemerit te Christus, non emerit? ). In der Erlösertat Christi wird die schöpfungsgemäße Zuordnung des Menschen zu Gott wiederhergestellt, die er schuldhaft verlassen hatte. 4.1.4 ostende partum virginis; miretur omne saeculum: talis decet partus Deum (2,2-4) Vers 2,2 knüpft nochmals an das Psalmzitat der ersten Strophe an, indem er seinen Imperativ aus dem auf die dort zitierte Stelle folgenden Psalmvers übernimmt. PsA 79(80),4b lautet nämlich: ostende faciem tuam et salvi erimus. Statt faciem tuam setzt Ambrosius allerdings partum virginis; das im Psalm herbeigerufene Antlitz Gottes ist durch die Jungfrauengeburt ganz konkret und anschaulich in die Welt gekommen 388 . Im Kontext des Hymnus verweist ostende auf die anamnetische Funktion der liturgischen Feier, in der das Lied gesungen wird: Das heilsgeschichtliche Ereignis wird den Feiernden so vor Augen gestellt, dass es ihnen real zur Gegenwart wird 389 . Insofern lässt sich ein weiterer Aspekt des bereits erwähnten „crescendo de précision“ 390 in den einleitenden Imperativen konstatieren: Die eschatologisch akzentuierte Kommensbitte der Eingangsstrophe wird in den Fokus der gegenwärtigen Liturgie eingebunden. Das Oxymoron partum virginis ist hier, wie Vers 2,4 zeigt, wörtlich zu übersetzen als ‘die Geburt der Jungfrau’, nicht (wie an vielen anderen Stellen, auch in den Hymnen 391 ) metonymisch als ‘der aus der Jungfrau Geborene’ 392 . Die einzig legitime, ja einzig mögliche Reaktion - omne saeculum be- 388 Vgl. 2 Cor 4,4: ... 6 6 / % 1 45 / J$ / , ] / / . 389 Mohrmann (Poésie chrétienne 167) sieht in V. 2,1f. eine christliche Variation des traditionellen Musenanrufs: „nous retrouvons l’invocation solennelle de la poésie antique dans sa forme pure. C’est le poète chrétien qui prie son Sauveur de chanter pour lui: veni redemptor gentium, ostende (décris-nous) partum virginis. Les forces humaines sont trop faibles pour chanter le mystère de la naissance du Rédempteur. Le Sauveur luimême doit révéler ce mystère au monde“. 390 Vgl. S. 82. 391 Vgl. Iam surgit hora tertia, V. 8,2 (Charlet 213; dazu Franz, Tageslauf 441 m. Anm. 1670). 392 Dies ist zu Recht betont bei Kayser, Beiträge 173. Als Metonymie fassen die Wendung auf: Steier, Echtheit 575; Fontaine, Intende 280. <?page no="99"?> 87 zeichnet „die Menschheit aller Orte und Zeiten“ 393 und entspricht damit dem Universalismus des Verses 2,1 - auf die gegenwärtig gesetzte Offenbarung dieses den menschlichen Verstand übersteigenden Geheimnisses ist verwundertes Staunen (Vers 2,3), das sich in dem Ausruf niederschlägt 394 : talis decet partus Deum 395 (Vers 2,4). Die theologische Idee der Jungfrauengeburt geht ebenso wie die konkrete Formulierung partus virginis auf die Prophezeiung Is 7,14 396 und ihre Rezeption bei Mt 1,23 zurück. Is 7,14 397 : ecce virgo in utero accipiet et pariet filium, et vocabunt [vocabitur] nomen eius Emmanuel. MtA 1,23: ecce virgo in utero accipiet et pariet filium et vocabitur nomen eius Emmanuel, quod interpretatur: nobiscum deus. Das Thema nimmt im Weihnachtshymnus eine breite Rolle ein: Es bestimmt die Strophen 2 bis 4. Um die Intentionen zu verstehen, die Ambrosius damit verbindet, bedarf es einer theologiegeschichtlichen Einordnung 398 . Die Beschäftigung der Alten Kirche mit der Gestalt und Rolle Marias im Blick auf die Jungfrauengeburt war zunächst durchweg von einem christologischen Erkenntnisinteresse geleitet. Wie die altkirchliche Dogmengeschichte überhaupt lässt sich auch die Debatte um Maria als Auseinandersetzung der sich herausbildenden Orthodoxie mit abweichenden Lehrmeinungen beschreiben. In diesem Zusammenhang ging es einerseits darum, anhand der Mutterschaft Marias gegen den Doketismus gnostisch orientierter Ansätze die 393 Kurz, Intende 119. 394 Vgl. Kayser, Beiträge 173. Die Interpretation Springers (Aesthetics 81) wird diesem engen Bezug zwischen den Versen 2,3f. nicht gerecht, wenn sie als Gegenstand des miretur die Selbstentäußerung und Niedrigkeit des menschgewordenen transzendenten Gottes ausmacht. 395 Die handschriftliche Überlieferung ist gespalten zwischen dem Akkusativ deum und dem Dativ deo; beide Konstruktionen von decere sind möglich. Die Entscheidung für deum kann sich unter anderem auf die alten Mailänder Hymnare und die Sekundärüberlieferung bei Caelestin (vgl. Kap. 1.3.1) und Cassiodor (vgl. S. 28 Anm. 110) berufen. Die älteste Handschrift Fa liest zwar deo, verwechselt aber generell häufig die Endungen -um und -o (vgl. Jullien, Sources 86). Fontaine (Intende 281f.) favorisiert deo mit Hinweis auf die geringere Häufigkeit des Dativs bei decere - was jedoch keine hinreichende Basis für das Argument einer lectio difficilior bietet - und (wie schon Walpole, Hymns 53) auf die von Ambrosius zitierte Fassung von Hebr 7,26 (talis nobis decebat sacerdos): vgl. dazu den treffenden Einwand bei Kurz, Intende 119 Anm. 61. 396 LXX übersetzt das hebräische ( ‘ alm h; ‘junge Frau’/ ‘heiratsfähiges Mädchen’) mit $ und ebnet so einer Interpretation im Sinne der Jungfräulichkeit den Weg: vgl. dazu Delling, $ 830f. 397 Die Prophezeiung wird von Ambrosius häufig zitiert, wobei im zweiten Halbsatz der Wortlaut zwischen vocabunt und vocabitur schwankt; vgl. die bei Neumann, Virgin Mary 71 Anm. 3, aufgelisteten Stellen. 398 Gehaltvolle Überblicke über die altkirchliche Reflexion auf die Jungfrauengeburt bieten Campenhausen, Jungfrauengeburt, und K.S. Frank, Geboren. <?page no="100"?> 88 wahre Menschheit Jesu zu betonen 399 . Umgekehrt gewann man gegen Arianer und Ebioniten aus der vaterlosen Zeugung durch den Heiligen Geist ein Argument für die Gottheit Jesu 400 . Diese die Natur(en) des Gottmenschen betreffenden komplementären Überlegungen traten schließlich in den Dienst eines soteriologischen Gedankengangs: Der neue Adam Christus war in die Welt gekommen, um die Menschen dem Schuldzusammenhang zu entreißen, in den sie seit der Sünde des ersten Adam verstrickt waren. Das setzte voraus, dass Christus wahrhaft die menschliche Natur besaß, die es zu erlösen galt (daher die Betonung des Natürlichen an seiner Geburt), diese seine menschliche Natur jedoch zugleich frei war von der Sünde. Letztere Bedingung sah man auf der Basis der sich entwickelnden, an der sexuellen Fortpflanzung orientierten Erbsündenlehre durch die Betonung des Wunderbaren an seiner Geburt gewährleistet 401 . Neben diese strikt christologischen Gesichtspunkte trat sekundär ein durch asketische Anliegen motiviertes eigentlich mariologisches Interesse, dem die (bleibende) Jungfräulichkeit Marias als leuchtendes Vorbild christlichen Lebenswandels diente 402 . War für die 399 Vgl. bereits Ign. Smyrn. 1,1 (SC 10,154 Camelot): ... 6 '$ U + , ( + ^ % < %3 ! $ [cf. Rom 1,3] , ... ( + $ % . Insbesondere stellt dann Tertullian die Realität der menschlichen Geburt Jesu „mit allen medizinischen Einzelheiten abstoßend deutlich“ dar, „um gerade so die Ernsthaftigkeit, die paradoxe Wahrheit eines wirklich Mensch gewordenen Gottes unüberhörbar klar zu verkündigen“ (Campenhausen, Jungfrauengeburt 37); vgl. v. a. carn. 4.20.23 (SC 216,220-226.290-294.302-304 Mahé). 400 Die antiarianische Stoßrichtung der Argumentation ist beispielsweise bei Athanasius sehr deutlich, vgl. inc. 18 (PG 25,128C): < / 3 ($) $)4 $6 U _ , $ % ! ` % 9 6 + , X * $6 1 4 / #$ _ $! )aI , / ! , 4 3 + Y : ; Ar. 3,31,1 (Metzler/ Savvidis 341f.): G H $ : b 5 „ 3 % + # ( c $ “ [1 Pe 4,1] ..., 4 B$ , ! $ $ L] Y $ 3 ' a K G$ U + ..., X ) 3 ! ' , , ( 3 d 6 3 c ! C $6 e + 6 L ' / $6 ! f $ 3 ’ U _ Y $ 3 „ + “, g , ( 4 , „ h U 4 “ [Col 2,9] $ . 401 Nach Vorgaben aus der paulinischen Adam-Christus-Typologie und der Rekapitulationslehre des Irenaeus von Lyon entfaltet diesen Ansatz Origenes, comm. in Rom. 6,12 (FC 2/ 3,296 Heither): Quod dixit: IN SIMILITUDINEM CARNIS PECCATI [Rom 8,3], ostendit nos quidem habere carnem peccati, filium vero Dei SIMILITUDINEM habuisse CARNIS PECCATI , non carnem peccati. Omnes enim nos homines, qui ex semine viri cum muliere convenientis concepti sumus, illa necessario utimur voce, qua dicit David, quoniam IN INIQUITATIBUS CON- CEPIT ME MATER MEA [Ps 50(51),7]. Verum qui ex nulla viri contagione, sed solo Spiritu Sancto super virginem veniente et virtute altissimi obumbrante [cf. Lc 1,35] venit ad corpus immaculatum, naturam quidem corporis nostri habuit, pollutionem tamen peccati, quae ex concupiscentiae motu conceptis traditur, omnino non habuit. 402 Der „erste christliche Theologe, der bei der Beurteilung der Jungfrauengeburt von einem radikal asketischen Empfinden bestimmt wird“ (Campenhausen, Jungfrauengeburt 43), ist am Ende des 2. Jahrhunderts der unbekannte Verfasser von Ps.-Iust. fr. res.: 3 , '$ G U + . / , J$ 6 ’ Y $ % : ( ’ X $ : a % ( 4 % 3 5a 9 Y$) 3 ) % % ( $ % * Q 9 9 * ( $# % ! (Holl 39). - Die darin zum Ausdruck kommende sexual- und ehefeindliche Tendenz wurde von der Kirche „im antignostischen und antimontanistischen Kampfe“ (Campenhausen a.a.O.) zunächst nicht breit rezipiert, erhielt später <?page no="101"?> 89 dogmatisch-christologischen Überlegungen letztlich stets die jungfräuliche Empfängnis ausschlaggebend gewesen und auf dieser Basis eine jungfräuliche Geburt und die nach der Geburt auch weiterhin aufrecht erhaltene Jungfräulichkeit Marias zwar bereits teilweise, doch bei weitem nicht flächendeckend vertreten worden, so verhalf die sich stetig verstärkende asketischmariologische Tendenz der Auffassung von der immerwährenden Jungfrauschaft ( ( $ ) zum allgemeinen Durchbruch 403 . Ambrosius greift in seinen Schriften alle genannten Aspekte der ‘marianischen Frage’ auf 404 . Dabei verficht er mit Entschiedenheit den Gedanken der virginitas ante partum, in partu und post partum. Charakteristisch für seine Theologie ist die Verbindung eines betont christologischen Blickwinkels 405 mit einem ausgeprägten eigenständigen Interesse an Maria als Vorbild des von ihm begeistert propagierten Jungfräulichkeitsideals 406 : So treffen sich in der Betrachtung Marias Ambrosius, der Dogmatiker, und Ambrosius, der Seelsorger. Aus der kaum überschaubaren Fülle einschlägiger Äußerungen des Bischofs sollen einige Beispiele die entscheidenden Gesichtspunkte hervorheben: a) Die wahre Mutterschaft Marias als Wirkursache der Menschheit Jesu 407 In der Tradition der ältesten theologischen Reflexion auf die Bedeutung Marias stellt Ambrosius gegen den Doketismus ihre wahre Mutterschaft als Unterpfand der realen menschlichen Existenz Jesu heraus. Jesus besaß nicht nur einen Scheinleib, sondern einen wahren menschlichen Körper, den er von seiner Mutter empfangen hatte. aber unter anderem durch die monastische Bewegung neuen Aufschwung, wovon z. B. Hieronymus Zeugnis ablegt (vgl. dazu Frank, Geboren 112f.). 403 Zur Geschichte dieses Lehrstücks vgl. Neumann, Virgin Mary 105-113. Das älteste Zeugnis für die Ansicht, die Jungfräulichkeit Marias sei auch durch die Geburt unberührt geblieben, ist das apokryphe Protevangelium Jacobi (2. Hälfte 2. Jh.), vgl. besonders Kapp. 18-20 (SHG 33,146-167 Strycker). Diese Überzeugung verbreitet sich zuerst im Osten, später im Westen, wo Zeno von Verona ( vor 380) sie auf die griffige Formel bringt: Maria virgo incorrupta concepit, post conceptum virgo peperit, post partum virgo permansit (1,54,2,5 [CChr.SL 22,129 Löfstedt]). 404 Zur Marientheologie des Ambrosius liegen zwei gründlich gearbeitete Monographien vor: Huhn, Geheimnis, und Neumann, Virgin Mary. 405 Huhn betont zu Recht (Geheimnis 17): „Ambrosius hat … die Bedeutung Mariens für die Auseinandersetzung in den christologischen Kämpfen richtig erkannt. Seine Anschauung von Maria entfaltet sich also zunächst in der Auseinandersetzung mit den christologischen Häresien; es ist demnach nicht so, als ob Ambrosius die Marienverehrung hätte begründen wollen, es ging zunächst um Christus“. 406 Dazu Campenhausen, Jungfrauengeburt 59: „Zwar entwickelt auch er noch keine für sich bestehende und in sich zusammenhängende ‘Mariologie’; aber gleichwohl ist er weit mehr als seine Vorgänger an Mariens Person interessiert und schenkt ihr in seinen exegetischen und praktischen Schriften wiederholt liebevolle Beachtung. Dieses Interesse geht in erster Linie nicht auf besondere dogmatische Anschauungen zurück …; entscheidend ist vielmehr die neue Begeisterung für das asketische Lebensideal, für das Ambrosius in führender Stellung zeitlebens gekämpft und gewirkt hat.“ 407 Vgl. Huhn, Geheimnis 20-37. <?page no="102"?> 90 in psalm. 39,18,3 (64,224): etsi de virgine natus et sancto spiritu, tamen hominis est filius, quia homo virgo. et ideo QUOD NATUM EST EX CARNE CARO EST [Io 3,6] et qui natus est de homine homo dicitur, MEDIATOR DEI ET HOMINUM HOMO C HRISTUS I ESUS [1 Tim 2,5]. incarn. 9,104 (79,275): Partus enim virginis non naturam mutavit, sed generandi usum novavit; denique caro de carne nata est. Habuit ergo de suo virgo, quod traderet; non enim alienum dedit mater, sed proprium e visceribus suis contulit, inusitato modo, sed usitato munere. Habuit igitur carnem virgo, quam naturae sollemnis iure transcripsit in fetum. Eadem igitur secundum carnem generantis Mariae genitique natura nec dissimilis fratribus, quia dicit scriptura, ‘ut PER OMNIA FRATRIBUS SIMILIS [Hebr 2,17] fieret’. Similis utique dei filius nostri, non secundum ‘divinitatis plenitudinem’ [cf. Col 2,9], sed secundum animae rationabilis et, ut expressius dicamus, humanae nostrique corporis veritatem. b) Die jungfräuliche Empfängnis und Geburt als Zeichen der Gottheit Jesu 408 in Luc. 2,78 (CChr.SL 14,65): Quae deo secundum carnem dignior generatio quam ut immaculatus dei filius immaculatae generationis servaret etiam in suscipiendo corpore puritatem? Et utique divini adventus signum in virginis partu non in mulieris constitutum est. Die Reinheit der unbefleckten, das heißt vaterlosen Zeugung (immaculatae generationis puritatem) ist Gottes würdig (deo digna generatio). Insofern ist die Jungfrauengeburt ein Zeichen der Ankunft Gottes (divini adventus signum) in der Welt. Diese Zeichenfunktion zielt auf den Glauben an die wahre Gottessohnschaft Christi: fid. 5,4,54 (78,237): … creatur [Christus] ex virgine, ut ex deo natus esse credatur, … In einem maßgeblich von Ambrosius geprägten Schreiben der oberitalischen Bischöfe an Papst Siricius, das sich mit der Verurteilung des ehemaligen Mönches Jovinian und seiner Relativierung des Jungfräulichkeitsideals befasst 409 , wird dieser Aspekt weiter ausgeführt. Dem Glauben an die Gottheit Christi (crederetur nobiscum deus) dient seine den natürlichen Lauf der Dinge durchbrechende Ankunft (inusitato munere venit in terris), denn in ihr zeigt sich derjenige am Werk, dem die Macht der Neuschöpfung zu Gebote steht: epist. extra coll. 15,4 (82/ 3,304f.): Ille [sc. Christus] … inu<s>itato … quasi deus munere venit in terris, ut quemadmodum dixerat: E CCE FACIO OMNIA NOVA [Is 43,19], partu immaculatae virginis nasceretur et sicut scriptum est crederetur nobiscum deus. In der Betrachtung der Zeugung und Geburt Jesu sieht Ambrosius beide Naturen des Erlösers bezeichnet. Dass er überhaupt als Kind in die Welt kam, entspricht den Bedingungen der leiblich-menschlichen Existenz. Zugleich verweisen seine jungfräuliche Empfängnis und Geburt, die diese Bedingungen sprengen, auf seine Gottheit. 408 Vgl. Huhn, Geheimnis 74-81.90f.117.120f.; Neumann, Virgin Mary 73-75. 409 Zum historischen Hintergrund vgl. Dassmann, Ambrosius 239f. <?page no="103"?> 91 incarn. 6,54 (79,252): Secundum condicionem etenim corporis in utero fuit, natus est, lactatus est, in praesepio est conlocatus, sed supra condicionem virgo concepit, virgo generavit, ut crederes quia deus erat, qui novabat naturam, et homo erat, qui secundum naturam nascebatur ex homine. Auch hier wird wieder der Konnex zwischen der Jungfräulichkeit und dem Glauben an die Gottheit betont (virgo concepit, virgo generavit, ut crederes quia deus erat). Es ist ein und derselbe, der sich als Gott über die natürlichen Gegebenheiten hinwegsetzte (qui novabat naturam) und der als Mensch den natürlichen Gegebenheiten entsprechend aus einem Menschen geboren wurde (secundum naturam nascebatur ex homine). c) Die jungfräuliche Empfängnis als Kernfrage der Soteriologie 410 Ambrosius interpretiert die Menschwerdung des Logos in strikter Hinordnung auf die Erlösungsvorstellung 411 . Wie bereits im Zusammenhang des redemptor-Titels erörtert, geht es dabei um die Befreiung des Menschen aus dem durch die Ursünde bedingten Zustand der Schuld- und Todesverfallenheit. incarn. 6,56 (79,252): quae erat causa incarnationis, nisi ut caro, quae peccaverat, per se redimeretur? fid. 3,7,46 (78,124f.): Unde intellegamus illud, quod de incarnatione domini scriptum est: D OMINUS CREAVIT ME PRINCIPIUM VIARUM SUARUM IN OPERA SUA [Prv 8,22] id significare quod ad redimenda opera patris dominus Iesus ex virgine sit creatus. Neque enim dubitari potest de incarnationis dictum esse mysterio, cum ‘propter opera sua’ a corruptelae servitio liberanda dominus suscepit carnem, UT ILLUM , QUI IMPERIUM HABEBAT MORTIS , per sui corporis DESTRUERET [Hebr 2,14] passionem. Um die Erlösung wirken zu können, musste Christus eine wirkliche und vollständige 412 menschliche Natur besitzen, die jedoch selbst der allgemein menschlichen Erlösungsbedürftigkeit enthoben sein musste 413 . Das setzte voraus, dass sie nicht auf dem Wege der sexuellen Fortpflanzung erzeugt 410 Vgl. Huhn, Geheimnis 81-85; Campenhausen, Jungfrauengeburt 61f.; Neumann, Virgin Mary 77f.; Frank, Geboren 106f. Zu diesem Thema vgl. auch die Kapitel 4.4.4 und C 4.3.3. 411 Epist. extra coll. 15,4 (82/ 3,304f.): homo factus est ut hominem redimeret atque a morte revocaret. 412 Epist. 32,5 (82/ 1,228) stellt Ambrosius gegen die Apollinaristen klar: Adversus Apollinarem autem legitima circumspectio, ut confiteamur, sicut in dei forma nihil ei defuit divinae naturae et plenitudinis, sic in illa forma hominis nihil ei defuisse, quo inperfectus homo iudicaretur, qui ideo venit, ut TOTUM HOMINEM salvum faceret [Io 7,23; cf. Lc 19,10]. … Si enim aliquid ei defuit, non totum redemit, si non totum redemit, fefellit igitur qui dixit ideo se venisse, ut totum hominem salvum faceret. Sed quia INPOSSIBILE EST MENTIRI [Hebr 6,18] deo, non fefellit. Ergo quia ita venit, ut totum redimeret et salvum faceret, totum utique suscepit quod erat humanae perfectionis. 413 In psalm. 48,13,4 (64,368): solus redemptor eligitur qui peccato veteri obnoxius esse non possit. <?page no="104"?> 92 war, mit der Ambrosius in aller Deutlichkeit die Weitergabe der Erbsünde verknüpft sieht 414 . paenit. 1,3,12f. (73,125f.): hic carnem habebat nostram, sed carnis huius vitia non habebat. Non enim sicut omnes homines ex viri erat et feminae permixtione generatus, sed natus de spiritu sancto et virgine inmaculatum corpus susceperat, quod non solum nulla vitia maculaverant, sed nec generationis aut conceptionis concretio iniuriosa fuscaverat. Nam omnes homines sub peccato nascimur, quorum ipse ortus in vitio est, sicut habes lectum dicente David: E CCE ENIM IN INIQUITATIBUS CONCEPTUS SUM , ET IN DELICTIS PE- PERIT ME MATER MEA [Ps 50(51),7]. apol. Dav. I 11,56f. (32/ 2,337-339): nec conceptus exors iniquitatis est, quoniam et parentes non carent lapsu. … concipimur ergo in peccato parentum et in delictis eorum nascimur. sed et ipse partus habet contagia sua, nec unum tantummodo habet ipsa natura contagium. … in quo (sc. Iesu domino) solo et conceptus virginalis et partus sine ullo fuit mortalis originis inquinamento. dignum etiam fuit ut qui non erat habiturus corporeae peccatum prolapsionis nullum sentiret generationis naturale contagium. Obwohl diese Konzeption Vorläufer in der griechischen Theologie hat 415 , geht Ambrosius in ihrer systematischen Entfaltung über diese hinaus. Durch die Kombination von Erbsündenlehre und soteriologisch akzentuierter Christologie erhält das „Verständnis der jungfräulichen Geburt Christi ein unmittelbar dogmatisches Gewicht, wie es ihr bis dahin gefehlt hatte“ 416 . Theologiegeschichtlich verdient Erwähnung, dass sich Augustinus in seiner Erbsündenlehre, die im Gesamtkontext seiner Theologie im Zusammenspiel mit der Gnaden- und Prädestinationslehre einen um vieles bedeutenderen Platz einnimmt, als dies bei Ambrosius der Fall ist, wiederholt auf die Autorität des Mailänder Bischofs beruft. So zieht er in der Auseinandersetzung mit den Pelagianern unter anderem Passagen aus dem verloren Jesajakommentar des Ambrosius heran: Aug. c. Pelag. 4,11,29 (CSEL 60,559f. Urba/ Zycha): quoniam ergo Pelagiani dicunt non esse originale peccatum, cum quo nascantur infantes, … respondeat eis de hac re homo dei catholicus et ab ipso Pelagio in veritate fidei laudatus Ambrosius. qui cum Esaiam prophetam exponeret ait: ‘idcirco Christus inmaculatus, quia nec ipsa quidem nascendi solita condicione maculatus est’. … item in eodem opere: ‘servatum est igitur’, inquit, ‘ut ex viro et muliere, id est per illam corporum commixtionem, nemo videatur expers esse delicti; qui autem expers delicti, expers etiam huiusmodi conceptionis’. d) Die Jungfräulichkeit Marias als christliches Tugendideal 417 Ambrosius ist persönlich von der Erhabenheit des Virginitätsideals als Modell der christlichen Lebensgestaltung zutiefst überzeugt. Schon seine erste Publikation, De virginibus aus dem Jahre 377, ist eine eindringliche Werbe- 414 Vgl. dazu v. a. auch in Luc. 2,56 (CChr.SL 14,55): solus enim per omnia ex natis de femina sanctus dominus Iesus, qui terrenae contagia corruptelae inmaculati partus novitate non senserit. 415 Siehe oben S. 88 Anm. 401. 416 Campenhausen, Jungfrauengeburt 62. 417 Vgl. Huhn, Geheimnis 191-221; Campenhausen, Jungfrauengeburt 59f.; Neumann, Virgin Mary 35-66; Frank, Geboren 110f. <?page no="105"?> 93 schrift für den Stand der geweihten Jungfrauen 418 . Auch in späteren Phasen seiner Schriftstellerei bleibt die Jungfräulichkeit ein „Herzensanliegen“ 419 des Bischofs und gibt den Traktaten De institutione virginis et s. Mariae virginitate perpetua ad Eusebium, Exhortatio virginitatis und De virginitate das Thema vor. Dieselbe asketische Ausrichtung liegt auch der Frühschrift De viduis zugrunde, die sich an den Witwenstand richtet. In diesem Zusammenhang interessiert folgerichtig die Jungfräulichkeit Marias nicht mehr ‘nur’ als christologische Aussage, sondern um ihrer selbst willen: Maria dient als Beispiel und Lehrmeisterin des jungfräulichen Lebens 420 in der Gegenwart. Es versteht sich, dass unter dieser Perspektive die nach der Geburt Jesu fortdauernde Jungfräulichkeit Marias mit dem gleichen Eifer verteidigt wird wie seine jungfräuliche Empfängnis. Dieser Konnex zwischen dem pastoralen Aussageziel und dem Konzept der virginitas perpetua wird an vielen Stellen augenfällig, zum Beispiel wenn Ambrosius gegen den Bischof Bonosus von Serdica wettert, der darauf bestand, dass die in den Evangelien erwähnten Brüder Jesu 421 leibliche Söhne der Maria gewesen seien. inst. virg. 5,35 (SAEMO 14/ 2,136): Et tamen cum omnes ad cultum virginitatis sanctae Mariae advocentur exemplo, fuerunt qui eam negarent virginem perseverasse. Hoc tantum sacrilegium silere iamdudum maluimus, sed quia causa vocavit in medium, ita ut eius prolapsionis etiam episcopus argueretur, indemnatum non putamus relinquendum. Wie Ambrosius die Vorbildfunktion Marias ausgestaltet, zeigt die folgende Passage aus dem zweiten Buch De virginibus: virg. 2,2,6f. (Cazzaniga 36f.): Sit igitur vobis tamquam in imagine descripta virginitas vita Mariae, e qua velut speculo refulget species castitatis et forma virtutis. Hinc sumatis licet exempla vivendi, ubi tamquam in exemplari magisteria expressa probitatis, quid corrigere, quid effugere, quid tenere debeatis ostendunt. … Virgo erat non solum corpore, sed etiam mente, quae nullo doli ambitu sincerum adulteraret adfectum: corde humilis [cf. Mt 11,29], verbis gravis, animi prudens, loquendi parcior, legendi studiosior, non in incerto divitiarum [cf. 1 Tim 6,17], sed in prece pauperis spem reponens [cf. Eccli 21,5], intenta operi, verecunda sermoni, arbitrum mentis solita non hominem, sed deum quaerere, nulli laedere os, bene velle omnibus, adsurgere maioribus natu, aequalibus non invidere, fugere iactantiam, rationem sequi, amare virtutem. Maria strahlt nicht nur den Glanz der Keuschheit (species castitatis), sondern auch die Schönheit der Tugend aus (forma virtutis): Der leiblichen Jungfräulichkeit entspricht eine geistige (virgo non solum corpore, sed etiam mente), die Ambrosius in der Form eines Tugendspiegels entfaltet 422 , von dem hier nur der Anfang zitiert ist. Einige Seiten später resümiert er: 418 Zur Organisation des Jungfrauenstandes in der Gemeinde des Ambrosius vgl. Dassmann, Ambrosius 48-50. 419 Ebd. 41. 420 Inst. virg. 6,45 (SAEMO 14/ 2,144): virginitatis magistra. 421 Vgl. Mc 3,31f. parr; Mc 6,3 par Mt 13,55; Io 7,3.5.10. 422 Als strukturelles Vorbild scheint die ep. ad virgines des Athanasius gedient zu haben (vgl. p. 59-62 Lefort). <?page no="106"?> 94 virg. 2,2,15 (ebd. 40): Haec est imago virginitatis. Talis enim fuit Maria, ut eius unius vita omnium disciplina sit. Nicht unerwähnt soll schließlich bleiben, dass Ambrosius die Vorbildfunktion Marias auch ekklesiologisch fasst. Sie wird ihm zum typus ecclesiae, da er „typische Merkmale der Kirche - als neue Eva, Braut, Jungfrau und Mutter oder Wirkstätte des Heiligen Geistes - vorzüglich in Maria repräsentiert“ sieht 423 . Die Ausführungen der Punkte a) bis d) dienten dazu, das Denken des Ambrosius über die Jungfrauengeburt in ein Raster zu gliedern, anhand dessen die Einzelaussagen des Hymnus eingeordnet und bewertet werden können. In den Versen 2,2-4 geht es zum einen offenkundig um die unter b) erläuterte Hinweisfunktion der Jungfrauengeburt auf die Gottheit des Inkarnierten: talis decet partus Deum (2,4) 424 . Weil für Ambrosius sowohl die jungfräuliche Empfängnis als auch die jungfräuliche Geburt zum unbezweifelten Glaubensinhalt gehören 425 , ist hier wie häufig nicht leicht zu entscheiden, ob sich die Wendung ‘Jungfrauengeburt’ (partus virginis) nur auf die Jungfräulichkeit der Empfangenden oder auch der Gebärenden bezieht 426 : Besteht die Angemessenheit für Gott, die der Geburt zugeschrieben wird, in der Jungfräulichkeit der Gebärenden (nur) zum Zeitpunkt der Empfängnis oder (darüber hinaus auch) zum Zeitpunkt der Geburt 427 ? Auf der Ebene des Textes selbst ist die Frage nicht eindeutig zu beantworten; die oben erörterten Ansichten des Autors decken beide Deutungen. Die Interpretation kann jedoch getrost offen bleiben (und ist wohl auch in bewusster Dezenz darauf angelegt), da die angezielte christologische Aussage nicht von ihr abhängt, sondern bei beiden Deutungen die gleiche bleibt. Zum anderen wird die Jungfrauengeburt, indem ihre erste Erwähnung unmittelbar auf den Anruf Christi als des redemptor (2,1) folgt, auch in den Zusammenhang der unter c) erläuterten soteriologischen Konzeption gestellt: Sie ist Voraussetzung und Ausweis des Erlöseramtes Christi zugleich. 423 Dassmann, Ambrosius 117. Vgl. z. B. in Luc. 2,7 (CChr.SL 14,33): Discamus mysterium. Bene desponsata [sc. Maria], sed virgo, quia est ecclesiae typus, quae est inmaculata [cf. Eph 5,27], sed nupta. Concepit nos virgo de spiritu, parit nos virgo sine gemitu. Et ideo fortasse sancta Maria alii nupta, ab alio repleta, quia et singulae ecclesiae spiritu quidem replentur et gratia, iunguntur tamen ad temporalis speciem sacerdotis. Zu Maria als Typus der Kirche s. auch Huhn, Geheimnis 144-169. 424 In diesem Sinn (Maria als Gottesmutter) wird die zweite Strophe des Hymnus auf dem Konzil von Rom 430 als Autoritätsbeweis gegen Nestorius herangezogen: vgl. dazu Kap. 1.3.1. 425 Vgl. z. B. in psalm. 45,18 (64,342): virgo in utero accepit et peperit; virginit. 11,65 (Cazzaniga 30): virgo concepit, virgo peperit. Zu den von Ambrosius vorgebrachten Argumenten für diese Auffassung vgl. Friedrich, Jungfraugeburt; Huhn, Geheimnis 115-126; Neumann, Virgin Mary 113-172. 426 Grundsätzlich ist beides möglich, wie Huhn (Geheimnis 111) zutreffend feststellt. 427 Im letztgenannten Sinn deuten die Strophe Neumann (Virgin Mary 140) und Frank (Geboren 110f.). <?page no="107"?> 95 4.2 Zweiter Abschnitt (3,1-4,4): Die Inkarnation in der Jungfrau 3,1 Non ex virili semine, 3,2 sed mystico spiramine 3,3 verbum Dei factum est caro 3,4 fructusque ventris floruit. 4,1 Alvus tumescit virginis, 4,2 claustrum pudoris permanet, 4,3 vexilla virtutum micant, 4,4 versatur in templo Deus. 4.2.1 Zur Komposition des Abschnitts Die Strophen 3 und 4 sind nach luziden Bauprinzipien gefügt, die der von Simonetti beobachteten Kombination von concinnitas und variatio entsprechen 428 . Strophe 3 zerfällt in zwei hinsichtlich der Reihenfolge von Substantiv und Attribut in sich parallel, untereinander aber chiastisch gebaute Verspaare. Das erste Verspaar, das inhaltlich eine Antithese bildet, ist durch Homoioteleuton markiert. Non ex virili semine, A - B sed mystico spiramine A - B verbum Dei factum est caro B - A fructusque ventris floruit. B - A Die Verspaare werden zusätzlich jeweils dadurch zusammengebunden, dass das erste adjektivische, das zweite hingegen Genitivattribute verwendet. Anders als in Strophe 3 überdeckt in Strophe 4, die aus vier geschlossenen Hauptsätzen besteht, die stilistische Gestaltung gerade die Strophenmitte, indem sie die Verse 4,2f. exakt parallel gebaut sein lässt. Das solcherart betonte Strophenzentrum wird durch je eine Alliteration in beiden Versen zusätzlich akzentuiert. Alvus tumescit virginis, claustrum pudoris permanet, Subjekt (Substantiv - Attribut) - Prädikat vexilla virtutum micant, Subjekt (Substantiv - Attribut) - Prädikat versatur in templo Deus. In den Rahmenversen 4,1 und 4,4 ist das Subjekt durch Anfangsbzw. Schlussstellung hervorgehoben. Die Strophe ist damit umschlossen von den Begriffen alvus und Deus, deren erster ein natürliches Phänomen benennt, das durch den zweiten seine übernatürliche Erklärung erhält. In klanglicher Hinsicht weisen die Rahmenverse einen Chiasmus auf: Alvus tumescit virginis - versatur in templo Deus. 428 Zu Simonettis Ansatz vgl. Kap. 1.4.1 (S. 43). <?page no="108"?> 96 4.2.2 Non ex virili semine, sed mystico spiramine verbum Dei factum est caro (3,1-3) Die Strophen 3 und 4 entfalten das Thema der Jungfrauengeburt, mit dem nach der mehr eschatologisch orientierten ersten Strophe (Parusie) in den Versen 2,2-4 ein zweiter Modus des Kommens Christi in die Welt benannt wird, der Modus nämlich, welcher Gegenstand der heilsgeschichtlichen Anamnese des Weihnachtsfestes ist: die Inkarnation. Strophe 3 nimmt zunächst die jungfräuliche Empfängnis in den Blick. Den Auskünften der Evangelien (Mt 1,18-20; Lc 1,34f.) 429 folgend, hebt Ambrosius hervor, dass die Schwangerschaft nicht durch geschlechtlichen Verkehr, sondern durch die Einwirkung des Heiligen Geistes zustande kam 430 . Dabei entlehnt Ambrosius die Formulierung aller drei Verse dem Johannesevangelium, indem er dem fast wörtlichen Zitat von Io 1,14 eine Uminterpretation von Io 1,13 voranstellt. Der Johannesprolog kontrastiert die ablehnende Reaktion der ‘Welt’ auf ihren Mensch gewordenen Schöpfer (Io 1,10f.) mit der Rolle der Christen: IoA 1,12-14: Quotquot autem receperunt eum, dedit illis [eis] potestatem filios Dei fieri, his, qui credunt in nomine eius, / qui non ex sanguinibus [sanguine] 431 neque ex voluntate carnis neque ex voluntate viri, sed ex Deo nati sunt. / Et verbum caro factum est, et habitavit in nobis: et vidimus gloriam eius, gloriam quasi unigeniti a patre, plenum gratia et veritate. Christus gibt denen „die Macht, Kinder Gottes zu werden“, deren Existenz nicht auf innerweltliche Gesetzlichkeiten und Bestrebungen, sondern auf Gott gegründet ist. Dabei zielen die Wendungen voluntas carnis und voluntas viri nicht einseitig auf das Sexuelle, sondern stehen für alle fehlorientierten Begierden und Willensrichtungen, deren Zielpunkt „nicht vom Vater“ (1 Io 2,16) ist 432 . Indem Ambrosius den Vers auf Christus deutet 433 und mit den oben erwähnten Aussagen aus Mt und Lc über die Geburt ‘aus dem Heiligen Geist’ in Verbindung bringt, bezieht er ihn konkret auf den Vorgang der Zeugung. Dass nicht von der voluntas viri, sondern speziell 429 MtA 1,18b: cum desponsata esset Maria Ioseph antequam convenirent, inventa est in utero habens ex spiritu sancto; 1,20b (Worte des Engels an Joseph, der einen Ehebruch Marias vermutet hatte): Ioseph, fili David, noli timere accipere Mariam uxorem tuam, quod enim ex ea nascetur de spiritu sancto est; LcA 1,34b.35b (aus dem Gespräch Marias mit dem Engel): quomodo fiet istud, quoniam virum non cognovi? … spiritus sanctus superveniet in te, et virtus altissimi obumbrabit te. 430 Vgl. spir. 2,5,38 (79,101): Opus ergo spiritus virginis partus est; ebd. 41 (ebd. 102): Dubitare ergo non possumus spiritum creatorem, quem dominicae cognoscimus incarnationis auctorem. 431 Zu den Varianten in den Zitaten bei Ambrosius (illis/ eis, sanguinibus/ sanguine) vgl. Caragliano, Restitutio 33f. 432 Vgl. 1 Io 2,15-17: H* ( _ 6 4 G 9 4 >. ! ( i 6 4 , D U ( ! / $6 9I _ 6 9 4 >, U % 1 $ 6 3 U % + R + 3 U ( C / L %, D / $6 ( ’ / 4 % . 3 , 4 $! 3 U % / , , G + 6 / / 6 + . 433 Vgl. auch in psalm. 37,5,2 (64,140): (Christus) … qui non ex sanguinibus neque ex voluntate carnis neque ex voluntate viri, sed de spiritu sancto natus ac virgine est. <?page no="109"?> 97 vom virile semen die Rede ist 434 , unterstreicht die antisexuelle Zuspitzung, die die Anspielung dadurch erhält. Dieselbe deutlich aus asketischen Motiven gespeiste Tendenz wird immer wieder greifbar, wenn Ambrosius von der ‘unbefleckten’ Empfängnis Jesu spricht 435 . Die Wendung mystico spiramine in Vers 3,2 zur Bezeichnung des Heiligen Geistes ist ungewöhnlich, jedoch insofern nicht ohne Parallele, als Ambrosius auch in der Prosa an einer Stelle mysticus spiritus im Sinne von spiritus sanctus gebraucht 436 . Mysticus steht hier nicht in seiner bei Ambrosius häufig belegten exegetischen bzw. liturgietheologischen Sonderbedeutung 437 , sondern im abgeblassten Sinn von ‘geheimnisvoll’. Die Ersetzung des zum religiösen Spezialterminus gewordenen spiritus durch spiramen 438 lässt die konkrete Grundbedeutung ‘Hauch’ mitsamt ihren möglichen Ausprägungen wieder deutlicher hervortreten. Ambrosius gebraucht in seinen Schriften spiramen zur Bezeichnung eines Lufthauchs 439 , dann meist mit der Bedeutung ‘Atem’, eines Windhauchs 440 oder eines Duftes 441 . Die damit evozierte natural-florale Konnotation (Befruchtung einer Pflanze durch den von einem Windhauch zu ihr getragenen Samen) weist auf Vers 3,4 voraus bzw. wird dort aufgegriffen 442 . Vers 3,3 bietet ein typisches Beispiel für das Vorgehen des Ambrosius, wenn er in seinen Hymnen ein Schriftzitat möglichst wörtlich verwenden möchte. Die vordergründig metrisch bedingte Umstellung des Prädikats factum est wird zugleich einem Zugewinn an Prägnanz dienstbar gemacht: 434 Vgl. dazu sacr. 4,3,12 (73,51): Non enim ex virili semine generatus est, sed natus de spiritu sancto et virgine Maria, utero editus virginali; inst. virg. 16,98 (SAEMO 14/ 2,178): … inusitato quodam novoque incarnationis mysterio sine ulla virilis seminis admixtione divinae gratia dispositionis, …; ferner, bezogen auf die virginitas post partum, als Argument gegen die Denkmöglichkeit leiblicher Brüder Jesu, inst. virg. 6,44 (ebd. 144): An vero dominus Iesus eam sibi matrem eligeret quae virili semine aulam posset incestare caelestem, quasi eam cui impossibile esset virginalis pudoris servare custodiam? 435 Exemplarisch mag dafür folgendes Zitat aus in Luc. 2,56 (CChr.SL 14,55) stehen: Non enim virilis coitus vulvae virginalis secreta reseravit, sed inmaculatum semen inviolabili utero spiritus sanctus infudit; solus enim per omnia ex natis de femina sanctus dominus Iesus, qui terrenae contagia corruptelae inmaculati partus novitate non senserit et caelesti maiestate depulerit. 436 Im Kontext geht es um die Auslegung von Gn 34. Ambrosius deutet die Kritik Jakobs an der von seinen Söhnen - obwohl bereits durch Verhandlungen ein Ausgleich erzielt war - geübten Blutrache an den Sichemiten als geistgewirkte Einsicht: mystico spiritu sacramentum congregandae ex gentibus praevidebat ecclesiae (Iac. 2,7,32 [32/ 2,50]). 437 Vgl. dazu Kap. B 3.1.5 (S. 173f.). 438 Die Bezeichnung sanctum spiramen für den Heiligen Geist verwendet auch Iuvencus in seinem Bibelepos (V. 1,215.340 [CSEL 24,14.20 Huemer]); vgl. ferner Prud. apoth. 170 (CChr.SL 126,82 Cunningham). 439 Hex. 5,4,10 (32/ 1,148); 5,22,76 (ebd. 195); in Luc. 7,168 (CChr.SL 14,272); in psalm. 1,28,2 (64,22). 440 Hex. 5,11,34 (32/ 1,168); Cain et Ab. 2,1,5 (32/ 1,381); in Luc. 9,32 (CChr.SL 14,342); virginit. 15,94 (Cazzaniga 44). 441 Bon. mort. 5,19 (32/ 1,721); in Luc. 6,21 (CChr.SL 14,181). 442 Vgl. Kayser, Beiträge 174; Kurz, Intende 120. <?page no="110"?> 98 Logos und Fleisch, die Pole des Inkarnationsparadoxes, stehen einander an Beginn und Schluss des Verses pointiert gegenüber 443 , während die Mittelposition des Verbs den Ereignischarakter der Inkarnation betont 444 . 4.2.3 fructusque ventris floruit (3,4) Vers 3,4 reformuliert die bekenntnishafte Aussage von Vers 3,3 im Sprachmodus der Metapher. Das biblische Material dazu liefern nicht mehr der Johannesprolog, sondern die Bezeichnungen Jesu in den Worten Elisabets an Maria Lc 1,42 (fructus ventris) und der messianischen Weissagung Is 11,1 (flos). Die Erläuterung des Hymnenverses kann daher ihren Ausgang beim Kommentar des Ambrosius zu Lc 1,42 nehmen. in Luc. 2,24 (CChr.SL 14,41): B ENEDICTA TU INTER MULIERES ET BENEDICTUS FRUC- TUS VENTRIS TUI [Lc 1,42] … Novit sermonem suum spiritus sanctus nec umquam obliviscitur, et prophetia non solum rerum conpletur miraculis, sed etiam proprietate verborum. Quis est ventris iste fructus nisi ille de quo dictum est: ECCE HEREDITAS DOMINI FILII , MERCIS FRUCTUS VENTRIS [Ps 126(127),3]? Hoc est: hereditas domini filii sunt, qui mercis sunt fructus illius, qui de Mariae ventre processit. Ipse fructus ventris est, flos radicis, de quo bene prophetavit Esaias dicens: EXIET VIRGA EX RADICE I ESSE ET FLOS EX RADICE ASCENDET [Is 11,1]; radix enim est familia Iudaeorum, virga Maria, flos Mariae Christus, qui veluti bonae arboris fructus pro nostrae virtutis processu nunc floret, nunc fructificat in nobis, nunc rediviva corporis resurrectione reparatur. Ambrosius macht deutlich, dass die Bezeichnung Jesu als fructus ventris bereits im (christologisch interpretierten) Alten Testament gebraucht wird. Neben der hier angeführten Stelle Ps 126(127),3 445 verweist er andernorts auch auf PsA 131(132),11: ex fructu ventris tui ponam super sedem meam 446 . Wie im Hymnus zieht Ambrosius sodann über die Stichwortverbindung fructus/ flos eine Linie zu Is 11,1. Während im hebräischen Text dieses Verses die Ausdrücke rj,xo ( μ ‰ ær: ‘Schössling’) und rc<nE (n ƒ ær: ‘Spross’) bzw. [z: GE (g za‘: ‘Baumstumpf’) und vr<vo (š ræš: ‘Wurzel’) als Glieder eines Parallelismus membrorum einander jeweils entsprechen und somit in beiden Halbversen derselbe erwartete Nachkomme aus dem Hause der Davididen gemeint ist, bezieht die christliche Auslegung die Halbverse, namentlich die Begriffe virga und flos, auf verschiedene Personen 447 . Ein rein christologisches Ver- 443 Vgl. Kurz, ebd. 444 Vgl. Fontaine, Intende 283. 445 Vgl. dazu auch Noe 10,35 (32/ 1,435); patr. 6,30 (32/ 2,141); in psalm. 118 serm. 5,12,1f. (62,88). 446 Apol. Dav. II 5,28 (32/ 2,376); in psalm. 1,8,1 (64,7); in Luc. 3,8 (CChr.SL 14,79); 3,39 (ebd. 97); 3,42 (ebd. 98). 447 Diese Entwicklung wurde dadurch begünstigt, dass bereits LXX die begriffliche Differenz zwischen Baumstumpf und Wurzel aufhob, wodurch der verbleibende Unterschied zwischen Schössling und Spross (bzw. nun: ‘Blume’) betont wird: 3 5 ' \! L 1 \ C j , 3 Y 1 \ C ( L: . Die christliche Deutungstradition treibt eine ihrer schönsten ‘Blüten’ im Kirchenlied „Es ist ein Ros entsprungen“ (dazu: Becker, Es ist ein Ros). <?page no="111"?> 99 ständnis der Prophezeiung lässt sich bereits im Neuen Testament nachweisen (Rom 15,12; Apc 5,5; 22,16), doch schon Tertullian wird durch den Gleichklang von virga und virgo dazu bestimmt, den ersten Halbvers auf Maria zu deuten 448 . So kommt die Lesart zustande, der auch Ambrosius folgt: radix enim est familia Iudaeorum 449 , virga Maria, flos Mariae Christus 450 . Die Verknüpfung der Motive ‘Frucht’ und ‘erblühen’ 451 stellt auf der Bildebene eine Paradoxie dar, insofern bei Pflanzen die Frucht aus der Blüte hervorgeht und nicht umgekehrt 452 . Jedoch entspricht diese im Bild angelegte Paradoxie genau dem paradoxen Charakter des thematisierten Geschehens: der jungfräulichen Empfängnis. 4.2.4 Alvus tumescit virginis, claustrum pudoris permanet (4,1f.) Während Strophe 3 der jungfräulichen Empfängnis gewidmet war, ist die Schwangerschaft Marias das Thema der vierten Strophe. Im ersten Verspaar wird erneut die Jungfräulichkeit der Gottesmutter betont, wobei die Tatsache, dass sich die gesamte Strophe auf die schwangere Maria bezieht, damit ausdrücklich wiederum nur die jungfräuliche Empfängnis bezeichnet sein lässt. Die virginitas in partu, obschon von Ambrosius andernorts mit Entschiedenheit vertreten, wird im Hymnus auch an dieser Stelle nicht eindeutig behauptet, da sie, wie bereits erörtert, für die christologische Aussage- 448 Tert. carn. 21,5 [SC 216,298 Mahé]: radix autem Iesse genus David, virga ex radice Maria ex David, flos ex virga filius Mariae, qui dicitur Iesus Christus. Aus der Zeit vor Ambrosius vgl. weiterhin die Auslegung des Bischofs Fortunatianus von Aquileia ( vor 368), der sich neben Is 11,1 auf den erblühenden Stab Aarons Nm 17,23 bezieht, in evang. frg. 1 [CChr.SL 9,367 Wilmart/ Bischoff]: In virga quippe Mariam genetricem Domini nostri Iesu Christi, in flore vero ipsum Dominum praefigurasse accipiendum est. 449 Interessanterweise vermeidet es Ambrosius an dieser Stelle, die Wurzel Jesse dem Vollsinn des Ausdrucks entsprechend konkret auf die Familie Davids (des Sohnes Isais) zu beziehen. Er entgeht damit der Schwierigkeit, dass die Stammbäume Jesu in Mt 1 und Lc 3 dessen Abstammung von David augenscheinlich nicht über Maria, sondern über Joseph konstruieren. Gleichwohl ist Ambrosius um der Stimmigkeit des Weissagungsbeweises willen - bei gleichzeitigem Ausschluss einer Beteiligung Josephs an der Zeugung Jesu - von der Zugehörigkeit Marias zur Familie Davids überzeugt (vgl. patr. 4,19 [32/ 2,135]: EXIET VIRGA EX RADICE I ESSAE ET FLOS EX RADICE ASCENDET . radix familia Iudaeorum, virga Maria, flos Mariae Christus. recte virga, quae regalis est generis de domo et patria David, cuius flos Christus est) und versucht verschiedentlich, diese Ansicht argumentativ zu untermauern; vgl. dazu Huhn, Geheimnis 94-110, und die dort besprochenen Stellen, besonders die ersten Kapitel des dritten Buches in Luc. 450 Vgl. auch spir. 2,5,38 (79,101): Opus ergo spiritus virginis partus est, opus spiritus FRUCTUS est VENTRIS , secundum quod scriptum est: B ENEDICTA TU INTER MULIERES ET BENEDICTUS FRUCTUS VENTRIS TUI [Lc 1,42]. Opus spiritus flos radicis est, ille, inquam, flos, de quo bene est prophetatum: E XIET VIRGA DE RADICE I ESSE ET FLOS DE RADICE EIUS ASCENDET [Is 11,1]. Radix Iesse patriarchae Iudaeorum, virga Maria, flos Mariae Christus, qui ‘bonum odorem’ fidei toto sparsurus orbe [cf. 2 Cor 2,14-16] virginali ex utero germinavit, sicut ipse dixit: E GO FLOS CAMPI ET LILIUM CONVALLIUM [Cant 2,1]. 451 Vgl. bereits Tert. adv. Marc. 3,7 (SC 399,176 Braun), in der Auslegung von Ps 131(132),11: fructus caro Christi, quae ex utero Mariae floruit. 452 Vgl. Fontaine, Prose et poésie 117; Cothenet, Arrière-plan biblique 157. <?page no="112"?> 100 intention von sekundärer Bedeutung ist 453 . Es wird sich zeigen, dass diese christologische Ausrichtung auch in Strophe 4 maßgeblich bleibt, so sehr diese vordergründig auf die Tugendhaftigkeit Marias abgestellt ist 454 . Dass Vers 4,1 mit dem Anschwellen des Bauches 455 eine körperliche Äußerlichkeit der Schwangerschaft zur Sprache bringt 456 , mag im poetischen Kontext des Hymnus zunächst befremden. Im Hintergrund dürfte der oben angesprochene antidoketische Reflex stehen 457 , der die Kirchenväter bewog, die natürlichen Aspekte des Geburtsvorgangs besonders zu betonen 458 . In diesem Sinne bildet die Formulierung eine Kontrastfolie, von der sich der folgende Vers 4,2 abhebt, indem er gerade das Außerbzw. Übernatürliche des Vorgangs herausstellt. Die bleibende Verschlossenheit des ‘Riegels der Scham’ 459 (claustrum 460 pudoris) liefert dabei nicht bloß eine anatomische Auskunft 461 , sondern stellt den Bezug zu einem weiteren alttestamentlichen 453 Vgl. Kap. 4.1.4. Dazu Kurz, Intende 121: „Ambrosius hält diese Frage aus dem Hymnus heraus, deutet sie allenfalls nur an, z. B. in dem Kompositum per-manet oder in dem Bild vom Hervortreten des Messias aus der pudoris aula regia (V. 18)“ [Hervorhebungen im Original]. 454 Zu Recht hebt dies Navoni hervor (Quali parole 325): „Gli accenni altrettanto espliciti alla verginità ‘ante partum’ con l’affirmazione dell’integrità fisica come segno della virtù della castità, sono anche in questo caso ricondotti al loro significato cristologico“. 455 Insbesondere in der Dichtung wird vom Beginn der lateinischen Literatur an nicht selten alvus (‘Unterleib’/ ‘Bauch’) im Sinne von uterus gebraucht: vgl. TLL 1 (1900), 1803,6ff. s. v. alvus. Benini (Intende 55) stellt eine schöne Beobachtung zum Verhältnis der Verse 3,4 und 4,1 an: „Wie eine Blume durch das Ausprägen bzw. Öffnen der Blüte größer wird, so ist auch in diesem Hymnusvers [3,4] ein dynamisches Element - Frucht bringen ist ein sich entfaltender Prozess -, d.h. die Konnotation des Wachsens der Leibesfrucht enthalten, so dass v. 3,4 auch das Anschwellen (tumescere) des Mutterleibes aus der folgenden Strophe vorbereitet“. 456 Die Formulierung alvus tumescit/ tumescere alvum verwendet Ambrosius mehrfach zur Beschreibung der Symptome der Schwangerschaft: vgl. in Luc. 1,43 (CChr.SL 14,28); epist. 56,11 (82/ 2,90). Vom alvus virginis Marias ist die Rede patr. 4,19 (32/ 2,135); fid. 4,4,44 (78,172); vgl. in psalm. 118 serm. 12,13,2 (62,258). 457 Vgl. Kap. 4.1.4. 458 Schon Strophe 3 unterstreicht mit den biblischen Wendungen factum est caro und fructus ventris die irdische Körperlichkeit des vom Heiligen Geist Gezeugten. 459 Diese Wendung gebraucht Ambrosius außerdem in: exhort. virg. 5,29 (SAEMO 14/ 2,220) (zitiert in Anm. 466); epist. 56,9 (82/ 2,89); vgl. auch exhort virg. 6,35 (a.a.O. 226) und die bei Steier (Echtheit 576f.) aufgeführten Stellen. Im Hymnus Agnes beatae virginis (Nauroy 377) wird claustrum pudoris in anderer Bedeutung verwendet (V. 3,2: äußere Maßnahmen der Eltern der Märtyrerin zum Schutz ihrer Tochter). 460 Dass hier der Gebrauch des Singulars ursprünglich ist, beweist neben der ältesten und der Mailänder Tradition (Fa; Ma, Mb, Mc, Me) der metrische Verstoß der ebenfalls breit bezeugten alternativen Lesart claustra pudoris permanent. - Wie man mit der Zeit der Neigung nachgab, die von der klassischen Literatur bevorzugte Pluralform in den Text einzutragen, zeigen exemplarisch die Handschriften Ea, in der claustrum zu claustra ‘verbessert’, das singularische Prädikat aber stehengeblieben ist, und Fk, in der der Vers von zweiter Hand in den Plural gesetzt wurde. 461 Vgl. inst. virg. 8,55 (SAEMO 14/ 2,154): Est ergo et porta ventris, sed non clausa semper; verum una sola potuit manere clausa, per quam sine dispendio claustrorum genitalium virginis partus exivit. <?page no="113"?> 101 Bild her: zur verschlossenen Tür in der Vision Ezechiels vom Tempel des endzeitlichen Jerusalem 462 . inst. virg. 8,52 (SAEMO 14/ 2,152): Et infra dicit propheta vidisse se in monte alto nimis aedificationem civitatis cuius portae plurimae significantur [cf. Ez 40]; una tamen clausa describitur, de qua sic ait: E T CONVERTI ME SECUNDUM VIAM PORTAE SANCTORUM EX- TERIORIS , QUAE RESPICIT AD ORIENTEM , ET HAEC ERAT CLAUSA . E T AIT AD ME DOMI- NUS : P ORTA HAEC CLAUSA ERIT ET NON APERIETUR , ET NEMO TRANSIBIT PER EAM , QUONIAM DOMINUS DEUS I SRAEL TRANSIBIT PER EAM [Ez 44,1f.]. … Quae est haec porta, nisi Maria? Ideo clausa quia virgo. Porta igitur Maria, per quam Christus intravit in hunc mundum, quando virginali fusus est partu, et genitalia virginitatis claustra non solvit. Mansit intemeratum septum pudoris, et inviolata integritatis duravere signacula, cum exiret ex virgine, cuius altitudinem mundus sustinere non posset. Die Allegorese der porta clausa als Chiffre für Maria, durch die Gott die Welt betrat 463 , im vorliegenden Text als ausgeführtes Bild auf die Geburt Jesu bezogen 464 , erlangt ausgehend von Ambrosius eine weite Verbreitung in der lateinischen Literatur der Spätantike 465 . Gemeinsam mit der parallelen Auslegung von Ct 4,12, die sich ebenfalls bei Ambrosius findet 466 , geht sie in den Bilderschatz der mittelalterlichen Marienmystik ein 467 . Insofern die Wendung claustrum pudoris im Hymnus auf die porta clausa von Ez 44 anspielt, dient sie nicht in erster Linie dem Preis der Keuschheit Marias - was nicht heißt, dass deren Funktion als Tugendideal damit nicht auch in den Blick käme -, sondern setzt einen christologischen Akzent: Sie verweist auf die bevorstehende Ankunft Gottes. 4.2.5 vexilla virtutum micant, versatur in templo Deus (4,3f.) Noch stärker als Vers 4,2 scheint Vers 4,3 unmittelbar an Maria als Tugendexempel interessiert zu sein. Das Bild der vexilla virtutum bezieht sich nicht mehr nur auf die Keuschheit als diejenige Eigenschaft Marias, die im Blick auf die jungfräuliche Empfängnis (und Geburt) Jesu unmittelbar für die christologische Aussage relevant ist, sondern sieht Maria mit einer Fülle von Tugenden ausgestattet 468 . Eine nähere Betrachtung des Bildes zeigt jedoch, 462 Zu beachten ist dabei auch, dass das Tempelmotiv in Vers 4,4 explizit aufgegriffen wird. 463 Vgl. epist. extra coll. 15,6 (82/ 3,306): Nonne haec porta Maria est per quam in hunc mundum redemptor intravit? 464 Vgl. noch inst. virg. 8,56 (SAEMO 14/ 2,154), wo Ambrosius auch das Detail der Lage des Tores christologisch deutet: Haec porta ad orientem aspiciebat, quoniam verum lumen effudit, quae generavit orientem [cf. Zach 3,8] peperitque solem iustitiae [cf. Mal 4,2]. 465 Eine Auswahl an Zitaten verschiedener Autoren bietet Gori in seiner Edition der Virginitätsschriften (SAEMO 14/ 2) 153f. Anm. 109. 466 Exhort. virg. 5,29 (SAEMO 14/ 2,220): Addit adhuc ad laudem virginitatis: H ORTUS CON - CLUSUS SOROR MEA SPONSA , HORTUS CLUSUS , FONS SIGNATUS [Ct 4,12], quo meliores afferat fructus claustro pudoris septa virginitatis, in qua intemerata permaneant castitatis signacula. 467 Vgl. Kurz, Intende 121 Anm. 69. 468 Vgl. dazu den oben S. 93 zitierten Tugendspiegel aus virg. 2,2,6f. Walpole (Hymns 53) erwägt, jedoch verwirft zu Recht eine Deutung von virtutum als „heavenly powers“ im <?page no="114"?> 102 dass damit kein Marienlob um seiner selbst willen betrieben wird; vielmehr spiegelt sich in der Tugendhaftigkeit Marias die Makellosigkeit des göttlichen Kindes, das in ihr wohnt (vgl. Vers 4,4). Auf der Bildebene ist vom leuchtenden Strahlen 469 der vexilla die Rede. Der Begriff vexillum stammt aus der militärischen Terminologie und bezeichnet zunächst „die Zeugfahne des römischen Heeres“ 470 . Diese bestand aus einer Stange mit einem Querholz am oberen Teil, an dem ein viereckiges Tuch befestigt war 471 . Von seiner Funktion als Symbol militärischer Stärke her gebraucht Ambrosius auch sonst das vexillum gerne im übertragenen Sinn als Zeichen innerer Tugenden 472 . Vielfach wird deutlich, dass er es mit der Konnotation des Sieges verknüpft 473 . Auf der Bedeutungsebene signalisieren also die vexilla virtutum die überlegene Kraft der Tugenden Marias. Auf der Bildebene muss jedoch ein wichtiges Detail beachtet werden: Eine Fahne kann nicht aus sich heraus erstrahlen; allenfalls kann ein helles Tuch - der Tugendfahne gebührt wohl Weiß als Zeichen der Reinheit - aufleuchten, wenn es das Licht der Sonne reflektiert 474 . Auf die Ebene des Bezeichneten übertragen heißt dies: Die Sinne von zebaoth. Der unmittelbare Kontext (Vers 4,2) konstituiert zu deutlich das Thema ‘Tugend’, um virtutum nicht in diese Richtung zu interpretieren. 469 Der Text vexilla virtutum micant ist breit belegt, unter anderem in vier der älteren Handschriften aus dem 9. Jahrhundert und im Mailänder Manuale Me. Die im ältesten Manuskript Fa und in den Mailänder Hymnaren bezeugte Variante vexilla virtute micant, die aus metrischen Gründen problematisch ist, spricht nach Kurz (Intende 121f. Anm. 73) für den ursprünglichen Wortlaut vexilla virtutum emicant. Die Lesart virtute wäre dann „durch Verschiebung der Wortgrenze infolge der Elision virtut(um) emicant entstanden“. Die ebenfalls breit belegte Lesart virtutis deutet Kurz als „Versuch, den metrischen Fehler zu korrigieren“. Die Variante virtutum micant reflektierte „entweder den ursprünglichen Text unter Vermeidung der Elision“ oder wäre „der gelungenere Korrekturversuch“. Die von Kurz angebotene Erklärung entbehrt nicht einer hohen Plausibilität; gleichwohl ist sie nicht alternativlos. Denkbar wäre zum Beispiel auch eine Verschreibung des ursprünglichen virtutum zu virtum durch Haplographie. Die Bemühung, die falsche Flexionsform zu beseitigen und gleichzeitig die korrekte Silbenzahl wiederherzustellen, könnte dann zu den Varianten virtutis und virtute geführt haben. Im Ergebnis scheint der Genitiv Plural virtutum gesichert; hinsichtlich des Verbs erscheinen vom textkritischen Befund her sowohl micant als auch emicant möglich. 470 Neumann, Vexillum 2446. 471 Vgl. ebd. 2451. 472 In Luc. 7,64 (CChr.SL 14,236): vexilla fidei; 9,13 (ebd. 336): vexilla iustitiae; fid. 2,16,141 (78,106); virg. 2,2,15 (Cazzaniga 40): vexillum fidei; inst. virg. 5,35 (SAEMO 14/ 2,136): intemeratae integritatis pium … vexillum; epist. extra coll. 14,70 (82/ 3,273): vexillum confessionis. 473 Apol. Dav. I 4,16 (32/ 2,309): vexilla … triumphalia; epist. 74,9 (82/ 3,60): vexilla … victricia; obit. Theod. 43 (73,393): [Helena im Kontext der Auffindung des Heiligen Kreuzes] ‘Ecce locus pugnae, ubi est victoria? Quaero vexillum salutis …’. 474 Ambrosius bezeichnet mit micare sowohl aktives als auch passives Licht; im ersten Fall ist das zugehörige Subjekt selbst die Lichtquelle, im zweiten Fall wird das Subjekt durch fremdes Licht erhellt. So treten neben die Rede von stellae micantes (vgl. die in Kap. B 3.1.2 zitierten Stellen; = die Sterne selbst leuchten) Formulierungen wie: caelum … ignitis luminaribus micet (hex. 4,2,5 [32/ 1,114]; = der Himmel leuchtet durch das Licht der Sterne). <?page no="115"?> 103 Tugenden Marias haben die Quelle ihres Glanzes 475 nicht in sich; sie rühren von dem Kind her, auf das ihre ganze Existenz verweist 476 . So tritt auch Vers 4,3 in den Dienst der christologischen Argumentation, die der folgende Vers explizit macht: Das Kind, das Maria trägt, ist Gott. Weil in ihr Gott anwesend ist 477 , kann Maria in Vers 4,4 als Tempel bezeichnet werden 478 . Ambrosius spitzt damit die paulinische Redeweise von den Christen als Tempel Gottes und Wohnstätte des Heiligen Geistes 479 auf Maria zu, wofür sich mehrere Parallelen aus seinen Prosaschriften anführen lassen 480 . Eine interessante Auslegung, die nochmals das gesamte Verspaar 4,3f. ins Licht setzt, findet sich im Kommentar zum 118.(119.) Psalm. Es geht um LcA 12,35: sint lumbi vestri praecincti et lucernae ardentes. Die brennenden Leuchten entschlüsselt Ambrosius als die Tugenden, die ungebrochen fortdauern, solange der Christ seinen Leib als Tempel Gottes bewahrt. in psalm. 118 serm. 14,11,4 (62,306): si templum dei in corpore tuo servas [cf. 1 Cor 3,16], si membra tua membra sunt Christi [cf. 1 Cor 6,15], lucent virtutes tuae, quas nullus extinguit, nisi eas tuum crimen extinxerit. Maria erscheint als Inbegriff des hier konstatierten Zusammenhangs zwischen der Einwohnung Gottes im Menschen und dessen Tugendhaftigkeit. Rekapitulieren wir die Aussage des Verspaares, so ergibt sich: Maria ist Tempel Gottes, insofern Gott - in ihrem Fall ganz realistisch - in ihr weilt. Diese Anwesenheit Gottes verleiht den Tugenden Marias ihren Glanz. Das militärische Bild der vexilla mit ihrer Konnotation von Stärke und Sieg trifft einerseits eine inhaltliche Aussage über die Kraft dieser Tugenden 481 und 475 Vgl. virg. 2,2,15 (Cazzaniga 40): Quantae in una virgine species virtutum emicant. 476 Vgl. Fontaine, Intende 287: „il [sc. le verbe micare] est donc propre à connoter ici le rayonnement du Christ à travers le ‘scintillement’ des vertus de sa Mère“. Diese Interpretation als passives Licht, die durch die im Kontext vorgegebene christologische Aussageintention nahegelegt wird, könnte für die Ursprünglichkeit der Lesart micant sprechen (vgl. Anm. 469); das von Kurz rekonstruierte emicant wäre eindeutiger als aktives Licht konnotiert. 477 Das Prädikat versatur drückt eine dynamische Präsenz aus; vgl. Kayser, Beiträge 175: „Dieses Weilen ist aber ein lebendiges, darum ‘versatur’“. 478 Kayser, Beiträge 175: „nicht die Mauern, sondern die Nähe Gottes macht den Charakter des Tempels aus“; vgl. z. B. Hab 2,20: „Der Herr aber wohnt in seinem heiligen Tempel.“ 479 Vgl. 1 CorA 3,16: … templum dei vos estis, et spiritus sanctus habitat in vobis; 1 Cor 6,19: k B 6 + K + 6 / K c % ' 4 ; 2 Cor 6,16: U $ 6 / C+ . 480 In Luc. 2,6 (CChr.SL 14,33): sancti spiritus templum, matrem domini; spir. 3,11,80 (79,183): Maria erat templum dei, non deus templi, et ideo ille solus adorandus, qui operabatur in templo; epist. extra coll. 14,33 (82/ 3,252): quae meruit a Christo eligi ut esset etiam corporale dei templum; inst. virg. 17,105 (SAEMO 14/ 2,186): in qua esset et immaculatae castitatis sacrarium et dei templum; vgl. inst. virg. 5,33 (ebd. 134): Non de terra utique, sed de caelo vas sibi hoc per quod descenderet Christus elegit, et sacravit templum pudoris. 481 Die meisten Interpreten relativieren zu Unrecht den militärischen Bildspendebereich, indem sie die vexilla im Blick auf Vers 4,4 als Fahnen deuten, die die Anwesenheit des Herrschers in seinem Palast anzeigen: Biraghi, Inni sinceri 50; Kayser, Beiträge 175; <?page no="116"?> 104 dient andererseits als Vehikel für die Verdeutlichung der Passivität der Tugenden Marias und ihre Verwiesenheit auf ihre göttliche Quelle. Der Preis der Tugenden Marias entspringt mithin sicher auch dem asketischen Interesse des Ambrosius, bleibt aber doch der christologischen Argumentation untergeordnet, indem er das Geburtsgeschehen im weiten Sinne zum beredten Zeichen der Gottheit des Kindes macht. 4.3 Dritter Abschnitt (5,1-6,4): Der Weg des Heils 5,1 Procedit e thalamo suo, 5,2 pudoris aula regia, 5,3 geminae gigans substantiae, 5,4 alacris ut currat viam. 6,1 Egressus eius a Patre, 6,2 regressus eius ad Patrem; 6,3 excursus usque ad inferos, 6,4 recursus ad sedem Dei. 4.3.1 Zur Komposition des Abschnitts Abschnitt 3 bezieht ein hohes Maß an Geschlossenheit aus dem Motiv der Bewegung 482 . Das Schlüsselwort ‘Weg’ (viam) ist am Ende von Vers 5,4, mithin genau im Zentrum des Abschnitts, angesiedelt. An der Anordnung der weiteren Bewegungs-Begriffe lassen sich die unterschiedlichen Bauprinzipien der beiden Strophen ablesen. Strophe 5 ist, sieht man vom letzten Wort, dem exponierten Schlüsselbegriff viam, ab, durch die beiden finiten Verbformen procedit und currat gerahmt. In diese Rahmenstruktur der die Verbalinformation tragenden Verse sind in den Versen 5,2f. zwei jeweils durch Genitivattribut erweiterte Substantive eingeschoben, deren syntaktische Funktion sich grundlegend unterscheidet: Vers 5,2 ist eine Apposition zu thalamo suo, Vers 5,3 bietet das Dell’Acqua, Inno del santo Natale 40f.; Oldani, Intende 178f.; Fontaine, Intende 287; Biffi, Inni 49; Kurz, Intende 122. Abgesehen davon, dass die Autoren einen Beleg dafür schuldig bleiben, dieser Brauch sei dem Mailänder Publikum aus dem Hofzeremoniell bekannt gewesen (allein Biraghi verweist a.a.O. auf epist. 76,4; die hier erwähnten vela, die im Zuge des Kirchenstreits von kaiserlichen Beamten an der Basilica Portiana angebracht wurden, signalisieren aber nicht die Anwesenheit des Kaisers, sondern allenfalls allgemein seinen Besitzanspruch; jedoch ist auch diese Deutung umstritten: vgl. Dassmann, Ambrosius 99f.) - es scheint sich um einen anachronistischen Rückschluss aus mittelalterlichen Gebräuchen zu handeln -, kommt es damit zu einer unnötigen Vermischung der Bilder (das Motiv des Palastes wird erst in Vers 5,2 entfaltet) und wird der Aussage die Sinnspitze (auf [innere] Kraft, Stärke) genommen. Die von Fontaine (Intende 286) erwogene Deutung als Angriffssignal - „l’Incarnation … comme début de la lutte décisive du Christ contre Satan“ - wird von Kurz (Intende 122 Anm. 74) zu Recht verworfen. 482 Vgl. die semantische Analyse Kap. 3.2. <?page no="117"?> 105 Subjekt der Strophe. In beiden Versen tritt ein adjektivisches Attribut hinzu, das im ersten Fall dem Substantiv, im zweiten Fall dem Genitivattribut zugeordnet ist. Hinsichtlich der Anordnung der Wortarten sind die beiden Verse chiastisch gebaut. Procedit e thalamo suo, pudoris aula regia, Genitivattribut - Substantiv adjektiv. Attribut geminae gigans substantiae, adjektiv. Attribut - Substantiv - Genitivattribut alacris ut currat VIAM . Das bestimmende Charakteristikum der sechsten Strophe ist die Addition von vier strikt parallel gebauten Kurzsätzen (Nominalsätzen), die insbesondere durch die Ellipse des Verbs (est) eine drängende Dynamik entwickeln. Die das Motiv ‘Bewegung’ zum Ausdruck bringenden Begriffe sind hier prägnant an den Versanfang gestellt. Durch den Wechsel der Bewegungsrichtung (e-/ re-) entstehen zwei durch die Kombination von Ausgang und Rückkehr gekennzeichnete Verspaare, die jeweils in sich den Parallelismus über die Wortstellung hinaus auch auf die Wortwahl ausdehnen. Egressus eius a Patre, egressus eius Präposition pater regressus eius ad Patrem; regressus eius Präposition pater excursus usque ad inferos, ecursus (usque) ad Ziel recursus ad sedem Dei. recursus (usque) ad Ziel 4.3.2 Procedit e thalamo suo, pudoris aula regia, geminae gigans substantiae, alacris ut currat viam (5,1-4) Die zweite Hälfte des Hymnus beginnt wie die erste mit einem Psalmzitat, hier aus Ps 18(19),6. Allerdings unterscheidet sich die poetische Technik zur Einbindung des Psalms von der in Strophe 1 verwendeten. Hatte Ambrosius dort eine ganze Strophe aus dem Wortlaut des Psalms komponiert, so verfährt er nun freier: Einzelne dem Psalm entnommene Wendungen werden mit eigenen Zudichtungen zu einem neuen Text verknüpft; dafür ist der Umfang des Zitats auf zwei Strophen ausgedehnt, da sich auch Strophe 6 an Ps 18(19),7 anlehnt. PsA 18(19),6f.: In sole tabernaculum posuit suum: / et ipse tamquam sponsus procedens de thalamo suo / exultavit tamquam gigans ad currendam viam. 7 A summo caelo egressio eius / et occursus eius usque ad summum eius, / nec est qui se abscondat a calore eius. Die von Ambrosius aufgegriffenen Verse bilden die mittlere Strophe des Psalms, „un hymne au créateur du soleil“ 483 , der gerahmt ist von dem Motiv „Die Himmel rühmen die Herrlichkeit Gottes“ (Vers 2a; entfaltet in den Versen 2-5) und einem Loblied auf das göttliche Gesetz (Verse 8-15). Schon seit frühester Zeit bezog die christliche Tradition die Sonnenstrophe auf Christus, die „Sonne der Gerechtigkeit“ (Mal 4,2). Vor dem Hintergrund 483 Rose, Psaumes 237. <?page no="118"?> 106 dieses Verständnisses gelangte der Psalm in die Advents- und Weihnachtsliturgie verschiedener Riten 484 . Der älteste Zeuge dieser christologischen Interpretation ist Iustin der Märtyrer in der Mitte des zweiten Jahrhunderts 485 . Die ersten lateinischen Väter gehen vom Motiv des Bräutigams aus und lesen es auf die spirituelle Hochzeit Christi mit der Kirche 486 . Ab dem dritten Jahrhundert sind Deutungen belegt, die am Bild des Giganten ansetzen. Dabei geht es zunächst um die Symbolisierung von Größe, Stärke und Tugend 487 . Auch Ambrosius baut seine Hymnenstrophe auf der Metapher des Giganten auf, verleiht ihr jedoch eine neue inhaltliche Füllung. PsA 18(19),6: In sole tabernaculum posuit suum: / Procedit e thalamo suo, … et ipse tamquam sponsus procedens de thalamo suo / geminae gigans substantiae, exultavit tamquam gigans ad currendam viam. alacris ut currat viam. Gegenüber dem Psalm wertet Ambrosius die syntaktische Rolle von gigans auf, indem er es zum Subjekt macht 488 . Das Kolon procedit 489 e thalamo suo entlehnt er dem im Psalm parallelen Bild des Bräutigams. Der Begriff sponsus selbst entfällt im Hymnus, doch bleibt die brautliche Metaphorik im Stichwort thalamus enthalten, das Ambrosius durchweg im ehelichen Kon- 484 Vgl. Rose, Psaumes 242-244; ders., Voix du Christ 138.152f. 485 Vgl. dial. 64,7f. (PTS 47,181f. Marcovich); 69,3 (ebd. 189f.). Zu Iustins Deutung der Psalmverse vgl. Fischer, Psalmen 210f. 486 Vgl. Tert. adv. Marc. 4,7f. (SC 456,146-148 Moreschini); Cypr. testim. 2,19 (CChr.SL 3,55 Weber). 487 Vgl. Or. hom. in Lev. 12,2 (GCS 29,457f. Baehrens): Ubi vero advenit ipse, qui non ex comparatione ceterorum, sed sui magnitudine vere magnus erat, de quo etiam scriptum est quia: EX- SULTAVIT UT GIGAS AD CURRENDAM VIAM , ultra iam magnus nullus appellatus est; Hil. in psalm. 58,5 (CSEL 22,184 Zingerle): … qui sine iniquitate cucurrisse se dixerit secundum illud: EXULTAVIT UT GIGANS AD CURRENDAM VIAM ; Filastr. 108,9 (CChr.SL 9,273 Heylen): Gigans autem et in bono accipitur virtutis causa: E XULTABIT ENIM UT GIGANS AD CURREN- DAM VIAM . Quod in Christi divina praesentia probatum ostenditur atque consummatum. 488 Alternativ könnte man davon ausgehen, als Subjekt werde Deus aus Vers 4,4 weitergeführt. Vers 5,3 wäre dann prädikativ aufzufassen und auf den Folgevers zu beziehen (‘um als Gigant …’; so Kurz, Intende 105). Diese Deutung läuft jedoch dem unmittelbaren Textverständnis zuwider. Ambrosius stellt in seinen Hymnen zwar gerne die Konjunktion nach, ließe sie aber kaum erst nach eineinhalb Versen folgen (dies widerspräche der syntaktischen Luzidität, die für die Hymnen typisch ist). 489 Die indikativische Lesart procedit, die der Kontext erfordert, ist in den Mailänder Hymnaren belegt. Strophe 5 bildet mit den Strophen 3f. die Abfolge Empfängnis (Str. 3) - Schwangerschaft (Str. 4) - Geburt (Str. 5). Eine Rückkehr zum auffordernden Stil des ersten Strophenpaares würde die Struktur des Hymnus zerstören, wie Kurz (Intende 123) zu Recht bemerkt. Die Variante procedat (in Ae, Fa, Fc) ist, wie die Sekundärüberlieferung bei Cassiod. in psalm. 8,10 (CChr.SL 97,95 Adriaen) zeigt, bereits früh entstanden, offenbar in „Angleichung an den (Wunsch-)Konjunktiv occurrat“ (Kurz, ebd.), zu dem in nicht wenigen Handschriften in Vers 5,4 ut currat verschrieben ist (vielleicht unter dem Eindruck von occursus in Ps 18[19],7). Die breit bezeugte Lesart procedens, die sich an den Psalmtext anlehnt, kommt aus metrischen Gründen (Länge in der Senkung des zweiten Versfußes) nicht in Frage. <?page no="119"?> 107 text gebraucht 490 . Das prädikativ eingesetzte Adjektiv alacris 491 transportiert die Semantik von exultavit, zumal es bei Ambrosius mit der Konnotation jugendlicher Freude verbunden ist 492 . Die Gerundivkonstruktion ad currendam viam wird in einen Finalsatz aufgelöst. Das solcherart (von einem Vergleich im Psalm) zum syntaktischen Angelpunkt der gesamten Strophe gewordene gigans baut Ambrosius zu der Formel geminae gigans substantiae aus, deren Prägnanz stilistisch durch die g-Alliteration und das Hyperbaton unterstrichen wird. Wenn Ambrosius Christus eine ‘zweifache Natur’ (gemina substantia 493 ) zuschreibt, so bezieht er sich auf die göttliche und die menschliche Natur, wobei er gerne das Begriffspaar divinitas und caro gebraucht 494 . Wie sehr der Mailänder als Vordenker der Zweinaturenlehre des Konzils von Chalkedon (451) gelten kann 495 , zeigt der folgende Text aus seinem Traktat über die Inkarnation, der zudem ausdrücklich die Verwendung von Ps 18(19),6 in diesem Zusammenhang erklärt. incarn. 5,35 (79,240f.): Dies me citius defecerit quam nomina hereticorum diversarumque sectarum. Adversus omnes tamen generalis ista est fides quia ‘Christus est dei filius’ et sempiternus ex patre et natus ex virgine. Quem quasi gigantem sanctus David propheta 490 Ambrosius verwendet das Wort thalamus an 19 Stellen in seinen Prosaschriften, stets in der Bedeutung ‘Brautgemach’ (vereinzelt auch als ‘Ehebett’). Die unspezifische Übersetzung ‘Palastgemach’, die Kurz (Intende 123 Anm. 84) vorschlägt, wird daher der von Ambrosius mit dem Begriff verbundenen Vorstellung wohl nicht gerecht. Insofern ist im Hymnus die Bräutigams-Symbolik keineswegs „ausgeblendet“ (ebd. 123). Vielmehr wird sie im Hintergrund präsent gehalten, und zwar im Sinne der erwähnten älteren lateinischen Tradition (Verbindung Christi mit der Kirche). Auf die Vereinigung von menschlicher und göttlicher Natur (so bei Novatian, vgl. Anm. 505) kann sie hier nicht zielen, da der geminae gigans substantiae als Bräutigam erscheint (procedit e thalamo suo), mithin den brautlichen Bund schließt und nicht etwa seine Frucht ist. - Ebenfalls nicht explizit aufgegriffen wird im Hymnus die Sonne, immerhin das Subjekt der Psalmverse. Möglicherweise verbirgt sich dahinter auch das Streben nach einer betonten Absetzung des Weihnachtsfestes vom paganen Natalis Solis invicti. 491 Dieses Adjektiv wird sonst meist dreiendig gebildet (masc.: alacer), doch vgl. z. B. Verg. Aen. 5,380; 6,685. 492 Vgl. hex. 5,21,69 (32/ 1,191): ludus alacris iuventutis; Iac. 2,8,36 (32/ 2,53): alacres iuvenes; in Luc. 5,27 (CChr.SL 14,145): alacer et exsultans; off. 1,44,218 (CChr.SL 15,80): alacri adulescentiae (als Gegenbegriff zu lubrica aetate; vgl. 1,17,65 [ebd. 24]: Ut enim in senibus gravitas, in iuvenibus alacritas). Für den Hymnus heißt das: „Alacris traduit l’ardeur du ‘partant’ au début d’une course … et la résolution avec laquelle le Christ commence sa mission“ (Fontaine, Intende 291; Hervorhebung im Original). Eine Interpretation im Sinne der Entschlossenheit begegnet bereits im spätmittelalterlichen Kommentar Dionysius des Kartäusers, der alacris als „paratissimus“ fasst (p. 30). 493 Seit Tertullian wird in der theologischen Terminologie der lateinischen Väter substantia entsprechend dem griechischem verwendet (vgl. Braun, Deus Christianorum 179). 494 Patr. 11,51 (32/ 2,154) schreibt Ambrosius zu Ier 1,5: geminam igitur propheta in Christo substantiam declaravit, divinitatis et carnis, alteram ex patre, alteram ex virgine, ita tamen ut non exsors suae divinitatis esset, cum ex virgine nasceretur et esset in corpore; vgl. fid. 3,9,59 (78,130): geminam in Christo significare substantiam, divinitatis et carnis; 3,10,65 (ebd. 132): geminam … in Christo substantiam … et divinitatis et carnis. 495 Vgl. Bonato, Figura di Cristo 245-248; Dassmann, Ambrosius 282f. <?page no="120"?> 108 describit, eo quod biformis geminaeque naturae unus sit, consors divinitatis et corporis, qui TAMQUAM SPONSUS PROCEDENS DE THALAMO SUO EXULTAVIT TAMQUAM GIGANS AD CURRENDAM VIAM , sponsus animae secundum verbum, gigans terrae, quia usus nostri officia percurrens, cum deus semper esset aeternus, incarnationis sacramenta suscepit, non divisus, sed unus, quia utrumque unus et unus in utroque, hoc est vel divinitate vel corpore. Non enim alter ex patre et alter ex virgine, sed idem aliter ex patre, aliter ex virgine. Christus ist in seiner zweifachen Natur nicht geteilt, sondern einer (non divisus, sed unus; unus in utroque, hoc est vel divinitate vel corpore) 496 . Genau an diesem Punkt bringt Ambrosius den Vergleich mit dem Giganten an: „Ihn beschreibt der heilige Prophet David gleichsam als Giganten deshalb, weil er zweigestaltig (biformis) und ein einziger von zweifacher Natur (geminaeque naturae unus) ist“ 497 . Bei der Frage, welche Vorstellungen Ambrosius hier leiten, ist zunächst die antike Mythologie in Anschlag zu bringen. Schon die Übersetzung des hebräischen (gibb r: ‘Held’) mit in der Septuaginta dürfte „in Anlehnung an die griechische Mythologie gewählt“ 498 sein, denn der Sonnengott Helios wurde zu den Giganten gezählt 499 . Diese Giganten waren von menschlicher Gestalt, besaßen jedoch einen schlangenartigen Unterleib 500 : Insofern stellt ihre äußerliche Erscheinung ein Beispiel für die Zweigestaltigkeit (biformis) 501 im Sinne der Einheit aus Zweiheit dar, die als Analogie der Zweinaturigkeit dienen kann. 496 Zur Benennung dieses Sachverhalts eignet sich das Adjektiv geminus in hervorragender Weise: „de significatione in commune notandum, quod singularis tam unum ex duobus designat quam ambo“ (TLL 6,2 [1925-1934], 1740 l. 41f. s. v. geminus). Zwar ist bei Ambrosius gemina substantia unbedingt auf die zwei Naturen zu beziehen (ohne jede Tendenz zum Monophysitismus), doch birgt der Begriff zugleich einen Hinweis auf die durch sie konstituierte Zwei-Einheit. Die Wortwahl erklärt sich mithin nicht nur aus der von Steier (Echtheit 578) konstatierten Bevorzugung von geminus gegenüber duplex bei Ambrosius. 497 Ebenfalls mit der zweifachen Natur bringt Ambrosius das Bild des Giganten in Verbindung epist. 12,10 (82/ 1,97f.): (Es geht um Serubbabel und Jeschua in Agg 1; vgl. die messianische „Dyarchie von Hohempriester und König“ Zach 4 [Albertz, Religionsgeschichte Israels II 482]) Duo significari videntur et unus exprimitur, quia idem quasi potens natus ex potente, quasi redemptor ortus ex virgine, in utriusque idem naturae diversitate dividuae unius fili dei veritate gigans salutaris implevit. Weiterhin wird Ps 18(19),6 von Ambrosius an folgenden Stellen auf Christus gedeutet (ohne Erläuterung des gigans- Motivs): Isaac 3,10 (32/ 1,649); Iob 4,1,3 (32/ 2,268f.); in psalm. 118 serm. 6,6,3 (62,111f.). 498 Kurz, Intende 124. 499 Eigentlich gehört Helios zu den Titanen, doch beide Gruppen wurden „vielfach … verwechselt oder identifiziert“ (Von Geisau, Gigantes 798). 500 Vgl. z. B. Ov. trist. 4,7,17: serpentipedesque Gigantas. 501 Kurz (Intende 124) weist zu Recht darauf hin, dass biformis im christologischen Zusammenhang auch an den Philipperhymnus denken lässt; vgl. PhilA 2,6f.: qui cum in forma dei esset, non rapinam arbitratus est esse se aequalem deo, sed semetipsum exinanivit formam servi accipiens in similitudinem hominum factus. <?page no="121"?> 109 Gelegentlich wird von Interpreten des Hymnus weiterhin Gn 6,4 zur Erhellung des Hintergrunds herangezogen 502 . Die hier erwähnten (LXX) sind nach Auskunft des Textes aus der Verbindung der ‘Gottessöhne’ mit den ‘Menschentöchtern’ hervorgegangen. Es erscheint schwer vorstellbar, dass Ambrosius diese für die Exegese aller Zeiten suspekte Stelle auch nur entfernt mit der Zeugung Jesu in Verbindung gebracht haben sollte 503 - das gleiche gilt für die Kinder von Göttern mit menschlichen Frauen in der paganen Mythologie (Dionysos, Herakles) 504 : Die Empfängnis Jesu durch den Heiligen Geist war von jedem Anklang an den geschlechtlichen Verkehr zwischen göttlichen und menschlichen Wesen freizuhalten. Ambrosius ist nicht der erste Theologe, der anhand von Ps 18(19),6 über die zweifache Natur Christi nachdenkt. Allerdings knüpft er dazu als erster an das Bild des Giganten an 505 . Seine Wendung geminae gigans substantiae macht in der Folgezeit als dogmatische Formel ‘Karriere’ und wird bis ins hohe Mittelalter hinein bei christologischen Debatten ins Feld geführt 506 . Im Kontext des Hymnus fließen in ihr gleichsam die christologischen Argumen- 502 Vgl. Walpole, Hymns 54; Springer, Aesthetics 83 Anm. 30; Fontaine, Intende 291 (bezogen auf Gn 6,1f.); Mans, Giants 59f. Mans sieht die Auslegung dieses Verses durch Philo von Alexandrien als Vorstufe der von Ambrosius vertretenen: Durch seine „almost revolutionary application of the giant-motif to mankind, emphasizing man’s heavenly and earthly nature, Philo, in a sense, has prepared the way for St. Ambrose’s different approach to and new application of this motif“ (ebd. 57; Hervorhebung im Original). Die beiden von Mans angeführten Stellen bei Philo sprechen jedoch nicht von einer zweifachen Natur des Menschen: In De Gigantibus 4,13,58-62 (Wendland 53f.) werden vielmehr, wie Mans (ebd. 56) selbst korrekt zusammenfasst, drei verschiedene Typen von Menschen unterschieden (4,13,60: F G 1 , F G $ / , F G / ); in Quaestiones et solutiones in Genesin 1,92 (Marcus 60f.) hingegen werden die Giganten zwar als „mixture of two things, of angels and mortal women“ bestimmt; damit wird aber weder eine Aussage über deren Natur getroffen noch gar diese Aussage auf die Natur des Menschen übertragen. Ambrosius spricht allerdings (unabhängig von Philo) an einer Stelle tatsächlich von einer zweifachen Natur des Menschen; in psalm. 118 serm. 10,18,1 (62,214): Sic est ergo homo geminae substantiae; alia est enim facti substantia, alia figurati; ista de dei spiritu, illa de limo. 503 So zutreffend klargestellt bei Kurz, Intende 125. In den Schriften des Ambrosius wird Gn 6,4 niemals christologisch gedeutet. 504 Mans, Giants 58f.: „In my view St. Ambrose employs the positive aspect of the profane concept of a dualism in the Greek gods’ descendants … and applies it in a theological context to Christ“. 505 Vgl. De Ghellinck, Note 416. Schon Mitte des 3. Jahrhunderts hatte Novatian Ps 18(19),6f. auf die Vereinigung der beiden Naturen gedeutet, war dazu jedoch vom Motiv des Bräutigams ausgegangen; vgl. trin. 13,5 (CChr.SL 4,33 Diercks): Ac si de caelo descendit verbum hoc tamquam sponsus ad carnem, ut per carnis assumptionem Filius hominis illuc posset ascendere, unde Dei Filius verbum descenderat, merito dum per connexionem mutuam et caro verbum Dei gerit et Filius Dei fragilitatem carnis assumit, cum sponsa carne conscendens illuc, unde sine carne descenderat, recipit iam claritatem illam, quam dum ante mundi institutionem habuisse ostenditur, Deus manifestissime comprobatur. 506 Zur Rezeptionsgeschichte vgl. De Ghellinck, Note 419-421; Mehlmann, História 155- 178; Daley, Giant’s Twin Substances (speziell zu Augustinus). <?page no="122"?> 110 tationslinien der Marien-Strophen (wahre Menschheit und wahre Gottheit Christi) 507 zusammen. An die marianische Thematik knüpft jedoch vor allem das Verspaar 5,1f. an. Konkret ist in ihm die Geburt Jesu bezeichnet: Der Mutterschoß Marias ist das Brautgemach (thalamus) 508 , aus dem Christus hervortritt. Seine Näherbestimmung durch die Apposition in Vers 5,2 (pudoris aula regia) nimmt einerseits die Motive der vierten Strophe (4,2: claustrum pudoris; 4,3: vexilla virtutum) wieder auf und stellt zum anderen einen Rückbezug auf die imperiale Metaphorik der Eingangsstrophe her. Im Zuge der Inkarnation ist der königliche Thronsaal (aula regia) jedoch nicht mehr der transzendente Kerubenthron (Vers 1,2), sondern der Mutterleib als Ausgangspunkt der menschlichen Existenz. Das Bild von Maria als Thronsaal verwendet Ambrosius auch in seinen Prosaschriften häufig. paenit. 1,1,4 (73,120f.): … David, de cuius nasci familia Christus incarnationis elegit mysterio, cuius posteritas aula caelestis est, uterus virginalis suscipiens mundi redemptorem inst. virg. 12,79 (SAEMO 14/ 2,166): … quasi rex sedens in aula regali uteri virginalis … Aula regalis est virgo, quae non est viro subdita, sed deo soli 509 Wie im zuletzt zitierten Auszug verweist die Formulierung ‘königlicher Thronsaal’ im Hymnus primär auf das Königtum dessen, der darin thront (= Christus); allenfalls am Rande wird damit auf die von Ambrosius vertretene Ansicht angespielt, Maria stamme aus dem Hause Davids, sei also selbst königlichen Blutes 510 . Das dem Psalm entlehnte Prädikat procedit, zunächst auf die Geburt aus Maria gemünzt 511 , erhält durch den christologisch geprägten Kontext zugleich den Charakter einer Anspielung auf die trinitätstheologische Verwendung dieses Begriffs. Er „ne renvoie pas seulement au moment de la naissance temporelle du Fils mais aussi à sa génération éternelle par sa ‘procession’ au sein de la Trinité. Le verbe joue aux deux niveaux théologiques“ 512 . Ein Beispiel für diese Redeweise vom ‘Hervorgang’ des Sohnes aus 507 Vgl. die Kapp. 4.1.4 und 4.2. 508 Diese Deutung liegt bereits bei Iustin vor; vgl. Fischer, Psalmen 211. 509 Vgl. außerdem inst. virg. 6,44 (SAEMO 14/ 2,144); 7,50 (ebd. 150); 17,105 (ebd. 186); epist. 12,3 (82/ 1,94); 71,3 (82/ 3,8). An anderen Stellen ist der Leib Jesu gemeint: in psalm. 45,13,1 (64,338): admirabile templum dei [cf. Io 2,19-21] et aula caelestis; spir. 1,3,54 (79,37): aula virtutis. In exhort. virg. 4,27 (SAEMO 14/ 2,218) begegnet aula pudoris als Selbstbezeichnung der Märtyrerin Juliana. 510 Zu dieser Auffassung, die den Christustitel ‘Sohn Davids’ rechtfertigen soll, vgl. oben S. 99 Anm. 449. 511 Vgl. dazu in psalm. 118 serm. 12,13,2 (62,258): ortus ex virgine processit ex alvo; in Luc. 2,24 (CChr.SL 14,41): de Mariae ventre processit; fid. 4,4,44 (78,172): ex alvo virginis processisti. 512 Frisque, Chant au Christ 111; vgl. Fontaine, Intende 289. <?page no="123"?> 111 dem Vater 513 bietet der folgende Text, der zugleich ihre biblischen Quellen verrät: fid. 1,16,107 (78,46): Ergo quia ‘in filio conplacet pater’ [cf. Mt 3,17; 17,5], crede quia dignus patre filius, crede quia ‘a deo exivit’ filius, ut ipse testatur dicens: E X DEO PRO- CESSI ET VENI [Io 8,42], et alibi: A DEO EXIVI [Io 16,27]. Qui ex deo processit et a deo exivit, nihil aliud potest habere, nisi quod dei est. Mithilfe unterschiedlicher Kunstgriffe bringt Strophe 5 also den sich rationaler Erschließung letztlich entziehenden, paradoxen Charakter des Inkarnationsgeschehens auf den Punkt: durch die Doppelbödigkeit des Ausdrucks procedit, der neben der zeitlichen Geburt aus der Mutter auch die ewige Zeugung aus dem Vater ins Spiel bringt, im Modus der theologischen Interpretation durch den Begriff der gemina substantia und nicht zuletzt durch die kühne Verknüpfung des bezeichneten konkreten Vorgangs (die Geburt eines kleinen Kindes) mit dem Bild des Giganten. Doch bleibt der Hymnus nicht bei einer Meditation des Geburtsgeschehens stehen; vielmehr wird die Inkarnation noch in Vers 5,4 mit den Worten des Psalms als der Beginn eines Weges gekennzeichnet. Eine Reflexion auf das Kommen des Erlösers (Vers 2,1) kann sich nie nur auf Betlehem beziehen, sondern muss den Weg nach Golgota und darüber hinaus umgreifen. Der Sinn der Inkarnation ergibt sich erst aus dem mit ihr begonnenen Weg Christi, der in Tod und Auferstehung gipfelt und damit der gesamten Menschheit einen neuen Weg eröffnet. in psalm. 43,40,2 (64,291): est autem ille (sc. Christus) sponsus, qui quasi gigans percucurrit hanc viam totam inviam aliis, sibi perviam; et ex illo coepit pervia iam esse mortalibus, … In der Diktion des Johannesevangeliums reformuliert heißt das: Die Inkarnation als die Sendung des Sohnes ist mit einem Werk verbunden, das der Vater dem Sohn aufgetragen hat (Io 4,34; 17,4). Dieses Werk ist erst in der Erhöhung am Kreuz (Io 3,14; 8,28; 12,32-34) erfüllt (Jesu letzte Worte Io 19,30: „Es ist vollbracht! “), an der allen Menschen Anteil gegeben wird: „Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen“ (Io 12,32). So wird Christus in dem Weg, den er zu gehen hat, selbst zum Weg für die Menschen (Io 14,6). 4.3.3 Egressus eius a Patre, regressus eius ad Patrem; excursus usque ad inferos, recursus ad sedem Dei (6,1-4) Strophe 6 entfaltet das in Vers 5,4 grundgelegte Weg-Motiv in zwei exakt parallel gebauten Verspaaren. Bei der Interpretation können wir von der prägnanten Verhältnisbestimmung beider Verspaare ausgehen, die Walpole 513 Häufiger noch ist vom ‘Hervorgang’ des Heiligen Geistes aus dem Vater (z. B. spir. 1,1,25 [79,26]; vgl. Io 15,26) oder aus dem Vater und dem Sohn (z. B. spir. 1,11,120 [ebd. 67]) die Rede; vgl. dazu auch die einschlägigen Glaubensbekenntnisse, z. B. das Symbolum ‘Quicumque’ (DH 75,23). <?page no="124"?> 112 formuliert hat: „Lines 21, 22 [= V. 6,1f.] give the starting-point and the end of the course; 23, 24 contrast its nadir and zenith“ 514 . Die entscheidende Anregung für den Text der Strophe bezieht Ambrosius wiederum aus Psalm 18(19). Dessen Vers 7 lautet in der Mailänder Fassung: PsA 18(19),7: A summo caelo egressio eius / et occursus eius usque ad summum eius, / nec est qui se abscondat a calore eius. Im Psalm geht es zunächst um den Weg der Sonne über den Himmel im Laufe eines Tages. Der hebräische Text benennt als Ausgangs- und Endpunkt dieses Weges die Enden des Himmels 515 und bezeichnet damit die Punkte, an denen „sich Erde bzw. Meer und Horizont berühren“ 516 . Die Übersetzung der Septuaginta schafft durch die Verwendung des Begriffes Y $ 517 eine Doppeldeutigkeit, da dieser sowohl den äußersten (extremum) als auch den höchsten (summum) Punkt bezeichnen kann. Der Vers wird dadurch für eine christologische Deutung umso besser anschlussfähig. Tatsächlich interpretiert bereits Iustin die Wendung Y $ / $ / „als ‘Himmelshöhe’, und hat nun das Stichwort, um in einem einzigen Vers Menschwerdung (7a), Himmelfahrt (7b) und Wiederkunft Christi (7c) geweissagt zu finden“ 518 . Die lateinischen Übersetzungen mit summum ebnen einer solchen Auslegung vollends die Bahn 519 . Ein derartiges Verständnis des Psalmverses als „Kompendium der Christologie“ 520 qualifiziert ihn auch als Vorlage der Hymnenstrophe. Ambrosius dupliziert den im Psalmvers angelegten Parallelismus membrorum, wobei er die ebenfalls schon im Original vorhandene Steigerung vom Kompositum mit -gressus/ -gressio zu einem solchen mit -cursus auf die Verspaare verteilt. Das folgende Schema verdeutlicht die poetische Technik. Dabei steht ‘a’ für Komposita, die den Ausgang, ‘b’ für solche, die die Rückkehr bezeichnen, ‘x’ für Komposita mit -gressus/ -gressio, ‘y’ für solche mit -cursus. Psalm: Hymnus: egressio a x a x egressus b x regressus a y excursus occursus b y b y recursus 514 Walpole, Hymns 55. 515 … (miq ƒ h hašš majim … ‘ al-q e ƒ ¾ m) von (q e ƒ ¾ : ‘Ende, Rand, Ecke, Äußerstes’). 516 Fischer, Psalmen 211. 517 ( ’ Y $ % / $ / ... l Y $ % / $ / . 518 Fischer, Psalmen 211 [Hervorhebung im Original]. Vgl. dial. 64,7f. (PTS 47,181f. Marcovich); Iren. haer. 4,33,13 (SC 100/ 2,838 Rousseau). 519 Von hierher erklärt sich auch die Verwendung des Psalms im Himmelfahrtsoffizium; vgl. Rose, Voix du Christ 130f. 520 Fischer, Psalmen 211. <?page no="125"?> 113 Die erwähnte semantische Steigerung vom ersten zum zweiten Verspaar (vom Gang zum Lauf) entspricht einer wachsenden Zuspitzung der Aussage. Sowohl Vers 6,1 als auch Vers 6,3 bezeichnen die Inkarnation 521 : Während jedoch Vers 6,1 den Ausgang beim Vater in den Blick nimmt, das Inkarnationsgeschehen also gleichsam von oben konstruiert, begreift Vers 6,3 die Inkarnation in ihren äußersten Konsequenzen als Weg usque ad inferos, als Weg in den Tod am Kreuz, und bringt damit die Inkarnation als Akt der Selbstentäußerung und Erniedrigung zur Geltung 522 , als den sie der Philipperhymnus benennt. PhilA 2,5-8 523 : hoc enim sentite in vobis, quod et in Christo Iesu, qui cum in forma dei esset, non rapinam arbitratus est esse se aequalem deo, sed semet ipsum exinanivit formam servi accipiens, in similitudinem hominum factus, et specie inventus est ut homo, humiliavit semetipsum factus oboediens usque ad 524 mortem, mortem autem crucis. Eine analoge Beziehung besteht zwischen den Versen 6,2 und 6,4, deren Gegenstand die Erhöhung bzw. Himmelfahrt als Endpunkt des Inkarnationsgeschehens ist. Den Versen 6,1f. liegt ein Herrenwort aus den Abschiedsreden des Johannesevangeliums (Io 16,28) zugrunde 525 : Io 16,28: 51 $ / $6 3 : % 6 4 I ! ( 6 4 3 $ ' $6 6 $ . Nicht nur der Ausgang vom, sondern auch die Rückkehr zum Vater erscheint gemäß der erwähnten Sichtweise ‘von oben’ als souveränes Handeln des Sohnes. Inkarnationstheologisch könnte man sagen, der Akzent liegt auf der Gottheit Jesu Christi, das heißt der Gleichwesentlichkeit mit dem Vater 521 Fontaine (Intende 292) beschreibt zutreffend den Zusammenhang zwischen dem „crescendo d’un distique à l’autre“ und einer „progression conceptuelle“, deren Bestimmung - „de la relation trinitaire à l’espace symbolique, de la procession des personnes à l’Incarnation du Fils“ - jedoch die inhaltliche Struktur der Strophe nicht trifft. Fontaines Interpretation des egressus eius a Patre als trinitätstheologische Aussage (Hervorgang des Sohnes aus dem Vater) zieht die kaum überwindliche Schwierigkeit nach sich, Vers 6,2 entsprechend auszulegen. Fontaine registriert das Problem: „L’expression d’un ‘retour’ proprement dit n’appartient pas au vocabulaire de la christologie scripturaire“ (ebd. 293), doch können seine Versuche, damit umzugehen (Auslegung als „concession (consciente ? ) d’Ambroise au thème néo-platonicien, commun en son temps, du reditus ad patriam“ oder als Bild der „conversion de l’humanité pécheresse comme ‘retour vers’ Dieu“), nicht überzeugen: vgl. dazu auch Kurz, Intende 127 Anm. 106. Daher ist Kurz (ebd. 126) zuzustimmen: „Da die Rückkehr zum Vater nur die ‘in der Zeit’ erfolgte sein kann (eine Rückkehr als Gegenbewegung zum ‘Ausgang von Ewigkeit her’ wäre theologisch absurd), muss … egressus hier den Ausgang vom Vater bei der Menschwerdung bezeichnen, da sonst der Parallelismus der Verse 21/ 22 [= 6,1f.] sein Gleichgewicht verlieren würde“; ebenso Kayser, Beiträge 177; Franz, Tageslauf 305. 522 Vgl. Cothenet, Arrière-plan biblique 159: „Le usque ad inferos marque l’abaissement complet du Christ qui va rejoindre les hommes au plus profond de leur détresse.“ 523 Vers 8b ist korrigiert nach in psalm. 118 serm. 18,32,1 (62,414); in psalm. 35,5,1 (64,53). 524 Fontaine (Intende 293) weist zu Recht darauf hin, dass Ambrosius bewusst auf diese charakteristische usque ad-Wendung des Philipperhymnus anspielt. 525 Vgl. außerdem IoA 3,13; Eph 4,9f. <?page no="126"?> 114 (vgl. Vers 7,1) 526 . Demgegenüber betont das zweite Verspaar der sechsten Strophe seine Menschheit und fasst infolgedessen die Inkarnation als dramatisches Geschehen. In dieser Perspektive entspricht der äußersten Erniedrigung, weiterhin der Dynamik des Philipperhymnus folgend (PhilA 2,9: propter quod deus illum exaltavit), der Gedanke der Erhöhung: Tatsächlich spielt die Formulierung ad sedem Dei auf Ps 109(110),1 und seine christologische Rezeption im Neuen Testament 527 und im Glaubensbekenntnis 528 bzw. innerhalb des Hymnus selbst auf Vers 1,2 (super Cherubim qui sedes) an. PsA 109(110),1: Dixit dominus domino meo: / sede a dextris meis,/ donec ponam inimicos tuos scabellum pedum tuorum. Damit ist eine eschatologische Note verbunden: Der zur Rechten des Vaters sitzt, wird dereinst als Richter wiederkommen (vgl. auch Mt 26,64 parr) 529 . Wenn Ambrosius in Vers 6,1 den Wortlaut des Psalms egressio zu egressus variiert, so ergibt sich dadurch semantisch keine Verschiebung 530 . Zugleich entsteht ein Anklang an eine weitere Schriftstelle, die im weihnachtlichen Kontext von Interesse ist, nämlich die Betlehem-Verheißung des Propheten Micha, die auch über den Ursprung des Messias spricht: MichA 5,2 531 : et tu, Bethleem, domus Ephratha, non es minima, ut sis inter principes Iuda. ex te exiet princeps in Istrahel, et egressus eius ab initio a diebus saeculi. Schließlich ist im Zusammenhang mit Vers 6,3 auf eine doktrinelle Frage einzugehen. Die Formulierung excursus usque ad inferos ist zur Zeit des Ambrosius längst nicht mehr (nur) als Umschreibung des Todes aufzufassen 532 . Vielmehr spiegeln sich in ihr die auf der Basis bestimmter neutestamentlicher Texte 533 seit frühester Zeit entstehenden und in der zweiten Hälfte des 526 Vgl. Gounelle, Descente 238. Frisque, Chant au Christ 108: „La symétrie exacte du distique souligne la permanence de la filiation divine à travers le mouvement d’éloignement et de rapprochement.“ 527 Vgl. Mt 22,44 parr; 26,64 parr; Mc 16,19; Act 2,34; 7,55f.; Rom 8,34; Eph 1,20; Col 3,1; Hebr 1,3.13; 8,1; 10,12; 12,2; 1 Pe 3,22. 528 Das in Mailand zur Zeit des Ambrosius gebräuchliche Taufbekenntnis enthielt nach symb. 5 (73,7) das qui … sedet ad dexteram patris. Bei der explanatio symboli handelt es sich um die anonyme Mitschrift einer von Ambrosius geleiteten traditio symboli (vgl. Dassmann, Ambrosius 140). 529 In fid. 3,17,137 (78,156) erklärt Ambrosius in Anspielung auf Usancen des römischen Rechtswesens, warum es an einer Stelle im Neuen Testament heiße, Jesus stehe neben dem Vater, während ansonsten von seinem Sitzen die Rede sei: Uno tantum loco ‘ STAN- TEM AD DEXTERAM DEI Iesum’ [Act 7,56] Stephanus vidisse se dixit. Et hoc disce, ne quam hinc moveas quaestionem. Cur enim ubique ad dexteram sedere ostenditur, uno legitur in loco stare? Sedet quasi iudex vivorum et mortuorum, stat quasi advocatus suorum. 530 In Isaac 3,10 (32/ 1,649) taucht die Endung auf -us sogar im Zitat von Ps 18(19),7 auf: egressus eius a summo caelo et occursus eius ad summum eius. 531 Zitiert nach Iacob 2,7,32 (32/ 2,51). 532 Ambrosius gebraucht die Wendung jedoch bisweilen auch in diesem Sinne; vgl. z. B. in psalm. 118 serm. 20,3,3: … Christi humilitatem qua descendit usque ad crucem [cf. Phil 2,8], descendit usque ad inferos. 533 Vgl. v. a. 1 Pe 3,19; 4,6; Act 2,27-31; Mt 12,40; 27,52f.; Rom 10,7; Col 1,18; Eph 4,9. <?page no="127"?> 115 vierten Jahrhunderts erstmals in westliche Glaubensbekenntnisse eindringenden 534 Überzeugungen vom Abstieg Christi in das Reich des Todes 535 und der dort von ihm vollbrachten Erlösungstat 536 . Die Auffassung, dass Christus in der Unterwelt nicht nur den Gerechten des Alten Bundes das Evangelium verkündet 537 , sondern vielmehr „in der völligen Unterjochung der Hölle und des Herrschers der Unterwelt“ die „Erlösung nicht nur der alten Patriarchen, sondern der Menschheit allgemein“ 538 vollbracht habe, ist bereits für die zweite Hälfte des zweiten Jahrhunderts bezeugt 539 . Diese Befreiungstat Christi wird vor allem im apokryphen Nikodemusevangelium narrativ ausgestaltet 540 . Von der östlichen Christenheit wurde sie zum paradigmatischen Gegenstand der Osterikone gemacht, die auf diese Weise zum Ausdruck bringt, dass im Tode Jesu Christi die Auferstehung (nicht nur seiner selbst, sondern vor allem) der Menschheit im allgemeinen, das heißt: unsere Auferstehung, verbürgt ist. Ambrosius thematisiert den descensus an diversen Stellen seiner Prosaschriften. Dabei hebt er häufig das erwähnte soteriologische Motiv hervor: Der Zweck des Abstiegs ins Totenreich war die Befreiung der dort gefangenen Toten. 534 Das älteste Symbolum, das die sog. ‘Höllenfahrt’ erwähnt, ist das homöische 4. Bekenntnis von Sirmium aus dem Jahre 359 (vgl. dazu Kelly, Glaubensbekenntnisse 285- 288). Im orthodoxen Bereich ist sie erstmals im Taufbekenntnis Aquileias zur Zeit Rufins ( 411/ 412) belegt (vgl. Rufin. symb. 12 [CChr.SL 20,149 Simonetti]). Das Mailänder Taufbekenntnis des Ambrosius enthielt sie noch nicht, wie aus Ambr. symb. 5.8 (73,7.11) hervorgeht. 535 Im Hintergrund steht die alttestamentliche Auffassung von der Scheol als dem Aufenthaltsbereich der Verstorbenen. 536 Zu Grundfragen der Entwicklung dieser Vorstellung, die sich von Syrien her verbreitet zu haben scheint (so Connolly, Syriac Creed 213), vgl. Kelly, Glaubensbekenntnisse 371-377; Gounelle, Descente 369-386. Weitere essentielle Literaturhinweise bei Wlosok, Descensus 305f. 537 So z. B. Ev. Petr. 41f. (GCS N.F. 11,42 Kraus/ Nicklas); Iren. haer. 4,27,2 (SC 100/ 2,738 Rousseau); Tert. anim. 55,2 (CChr.SL 2,862 Waszink); Or. Cels. 2,43 (SVigChr 54,115 Marcovich); Didasc. LXIV 20-23 (Tidner 103); vgl. die Fassung des sog. ‘Jeremia- Apokryphons’ (dazu: Bieder, Höllenfahrt 135-153) bei Iust. dial. 72,4 (PTS 47,195 Marcovich) und Iren. haer. 3,20,4 (SC 211,394-396 Rousseau/ Doutreleau). 538 Kelly, Glaubensbekenntnisse 375. 539 So deutlich in der Pascha-Homilie des Melito von Sardes; pass. 68 (Hall 36): 7 4 , 6 ! ' )' 3 6 ! L : : $ m H % 1 6 n $ # ; 102 (Hall 58): #, 3 , J$ 4 , ] , ' 6 ! 3 $ L ' 6 ) $6 3 : 6 o 3 : 6 )%$6 3 ( $ ! 6 Y $ K + $ + ; vgl. auch die Fassung des sog. ‘Jeremia-Apokryphons’ bei Iren. haer. 5,31,1 (SC 153,390 Rousseau/ Doutreleau/ Mercier) und vor allem die den Formulierungen Melitos ähnliche Passage aus dem Eucharistiegebet der Traditio apostolica 4 (LQF 39,14 Botte). Zu den Texten Melitos und der Traditio apostolica vgl. Grillmeier, Mit ihm und in ihm 81-100. 540 Vgl. dazu Kap. C 4.2.4. Dieselbe Tendenz zur dramatischen Entfaltung lässt sich auch in anderen Texten beobachten, so z. B. bei Prud. cath. 9,70-105 (CChr.SL 126,50f. Cunningham). <?page no="128"?> 116 in psalm. 118 serm. 19,37,2 (62,441): … dei filius … qui per incarnationem descendit in terras, per resurrectionem ascendit in caelum, per corporis mortem penetravit infernum, ut solveret alligatos. in psalm. 48,22 (64,374): V ERUMTAMEN DEUS LIBERABIT , inquit, ANIMAM MEAM DE MANU INFERNI , CUM ACCEPERIT EAM [Ps 48(49),16]. bene hoc dicit qui sciebat animam suam in inferno non derelinquendam [cf. Ps 15(16),10]. descendit enim, ut captivos absolveret de faucibus inferorum, non ut in his captiva remaneret. fid. 3,14,111 (78,147): Etenim ut defunctorum animas in sui corporis anima liberaret, vincla mortis solveret, peccata donaret, operatus est in inferno. 541 Die Todesbotschaft des descensus ist zugleich die Botschaft von der Auferstehung der Toten. Dass die Botschaft von der mit dem descensus verbundenen Erlösungstat nicht nur die zum Zeitpunkt des Todes Jesu bereits Verstorbenen betrifft, sondern die Christen aller Zeiten, bringt Ambrosius in seinem Kommentar zum 43.(44.) Psalm auf den Punkt. in psalm. 43,85,3 (64,323): … dominus noster Iesus Christus captivam duxerit captivitatem [cf. Eph 4,8]; devicto enim adversario et inimico nos, qui captivi eramus, coepimus libertatem possidere per Christum. Es geht nicht allein um die Rettung der Gerechten des Alten Bundes, sondern in Adam waren und sind es wir, denen Christus die Befreiung aus der Gefangenschaft des Todes verschafft hat. Vor dem Hintergrund dieser Interpretation des descensus ist die eingangs zitierte Interpretation des Verses excursus usque ad inferos von Walpole zu relativieren. Es bleibt richtig, dass der Tod Jesu in gewisser Hinsicht der Tiefpunkt der Inkarnation ist. Zugleich aber ist er durch seine soteriologischen Implikationen im Ineinander von Tod und Auferstehung auch ihr heilsgeschichtlicher Höhe- und Zielpunkt. Mit einer unübertrefflichen Gabe zur Ver-dichtung komplexer Zusammenhänge (im doppelten Sinn der Poesie und der Prägnanz) 542 gießt Ambrosius in Strophe 6 das gesamte Heilswerk Christi in vier jambische Dimeter: „sempre con abilissima capacità sintetica, in quattro versi Ambrogio tratteggia l’intera ‘parabola’ del Verbo, dalla sua origine dal seno del Padre, fino alla sua discesa agli inferi, nel mistero della passione e morte redentrice, fino al ritorno, nella gloria, al trono stesso di Dio“ 543 . 541 Vgl. außerdem Iob 1,8,26 (32/ 2,227): … filius dei … descensurus esset ad inferos, ut mortuos resuscitaret; fid. 4,1,8 (78,160): … dominus resurrectionis suae pignore vincula solvit inferni et piorum animas elevavit; incarn. 5,40 (79,243): Nam cum esset unctus a Ioseph et in eius monumento sepultus, novo opere quodam ipse defunctus defunctorum sepulchra reserabat. Et corpus quidem eius iacebat in tumulo, ipse autem INTER MORTUOS LIBER [Ps 87(88),6] remissionem in inferno positis soluta mortis lege donabat; exc. Sat. 2,103 (73,306): Et bene ‘liber’ [cf. Ps 87(88),6], qui alios descenderat redempturus. 542 Vgl. Norberg, Hymne 147 (zu den Strophen 5 und 6): „une concentration inimitable“. 543 Navoni, Quali parole 326. - Am Rande sei auf einen interessanten Text hingewiesen, in dem Ambrosius ebenfalls aus Ps 18(19),6f. eine christologisch-heilsgeschichtliche Zusammenschau entwickelt, indem er die Psalmverse mit dem Motiv des Springens aus Ct 2,8 (ecce hic advenit saliens super montes, transsiliens super colles) zusammenbringt. Es <?page no="129"?> 117 4.4 Vierter Abschnitt (7,1-8,4): Das neue Licht 7,1 Aequalis aeterno Patri, 7,2 carnis tropaeo cingere, 7,3 infirma nostri corporis 7,4 virtute firmans perpeti. 8,1 Praesepe iam fulget tuum 8,2 lumenque nox spirat novum, 8,3 quod nulla nox interpolet 8,4 fideque iugi luceat. 4.4.1 Zur Komposition des Abschnitts Strophe 7 ist ein formales Kunstwerk im Kleinen. Ausnahmslos jeder Vers besteht aus genau drei Wörtern. Syntaktisch lässt sich die Strophe in zwei Verspaare gliedern, deren erstes die Anrede und das imperativische Prädikat enthält, das im zweiten durch eine Partizipialkonstruktion erweitert wird. In der Anordnung von Substantiven (B) und Attributen (A) sind die Verspaare in sich parallel und untereinander chiastisch gefügt. Unterscheidet man zwischen adjektivischen (Ay) und Genitivattributen (Az), lässt sich eine Ringstruktur beobachten. Hinsichtlich der Silbenzahl der Wörter (3 bzw. 2) ist das erste Verspaar chiastisch, das zweite parallel gebaut. Aequalis aeterno Patri, x - (adj.) Attribut - Substantiv Ay B 3-3-2 carnis tropaeo cingere, (Gen.-)Attribut - Substantiv x Az B 2-3-3 infirma nostri corporis Substantiv - (Gen.-)Attribut 544 B Az 3-2-3 virtute firmans perpeti. Substantiv x - (adj.) Attribut B Ay 3-2-3 Zu beachten ist weiterhin, dass die Position der nicht zu den Attributverbindungen gehörenden Wörter (Anrede und Verbalinformation, mit ‘x’ bezeichnet) von Vers zu Vers variiert 545 : Anfangs-, Schlussstellung, Ausfall, Mittelstellung. Das so entstehende Hyperbaton im letzten Vers markiert das Strophenende. Der beschriebene syntaktische Aufbau ist durch semantische Beobachtungen zu ergänzen. Die gesamte Strophe ist durch den Gegensatz zwischen menschlich-körperlicher Schwäche und Begrenztheit auf der einen und götthandelt sich um in psalm. 118 serm. 6,6,2f. (62,111f.): videamus salientem: salit de caelo in virginem, de utero in praesepe, de praesepio in Iordanem, de Iordane in crucem, de cruce in tumulum, in caelum de sepulchro. proba mihi, David, salientem, proba currentem; tu enim dixisti: EXULTAVIT TAMQUAM GIGANS AD CURRENDAM VIAM . A SUMMO CAELO EGRESSIO EIUS ET OCCURSUS EIUS USQUE AD SUMMUM EIUS , NEC EST QUI SE ABSCONDAT A CALORE EIUS . ergo et nunc salit et nunc currit de corde patris super sanctos suos, de oriente super occidentem, de septentrione super meridiem. ipse est qui ascendit super occasum, ipse super caelos caelorum ad orientem; ipse ascendit super montes, super colles. 544 In diesem Fall ist das Genitivattribut seinerseits wiederum aus adjektivischem Attribut und Substantiv zusammengesetzt. 545 Die gleiche Tendenz, alle möglichen Kombinationen variierend durchzuführen, zeigt sich in der Anordnung der zwei- und dreisilbigen Wörter. <?page no="130"?> 118 licher Kraft und Erhabenheit auf der anderen Seite geprägt. Eine eindrucksvolle Akzentuierung erhält dieser Kontrast durch die figura etymologica infirma … firmans in den Versen 7,3f. Betrachtet man die Verteilung der zu beiden Polen gehörenden Begriffe, so ergibt sich eine Rahmenkomposition. Aequalis aeterno Patri CARNIS tropaeo cingere, infirma nostri CORPORIS virtute firmans perpeti. Die äußeren Verse 7,1 und 7,4 sind der göttlichen Stärke, die inneren Verse 7,2f. der menschlichen Schwachheit gewidmet. Insbesondere korrespondieren die verwandten Begriffe aeterno (7,1) und perpeti (7,4) bzw. carnis (7,2) und corporis (7,3). Als schillerndes Schlüsselwort fungiert in der Strophenmitte tropaeo, da es einerseits durch den epexegetischen Genitiv carnis der Wortgruppe der Schwäche zuzurechnen ist, andererseits durch die Konnotation des Sieges derjenigen der Stärke. Strophe 8 besitzt ein hohes Maß an semantischer Geschlossenheit, insofern sie als ganze stark durch das Wortfeld Licht/ Dunkelheit bestimmt ist, dessen Belege über alle vier Verse verteilt sind 546 . Syntaktisch zerfällt die Strophe in zwei Verspaare: Die beiden Hauptsätze in den Versen 8,1f. entsprechen einander durch die Hyperbata praesepe … tuum (8,1) bzw. lumen … novum (8,2). Variation entsteht dadurch, dass es sich im ersten Fall bei dem zusammengesetzten und gesperrten Satzglied um das Subjekt, im zweiten Fall um das Objekt handelt. Beide Verspaare sind verklammert durch die Wiederholung von nox jeweils in der Mitte der Verse 8,2 und 8,3. In Vers 8,3 (nulla nox) wird wie bereits in Vers 7,1 (Aequalis aeterno) eine inhaltlich besonders gewichtige Aussage durch Alliteration hervorgehoben und in ihrer Wirkung verstärkt 547 . 4.4.2 Aequalis aeterno Patri (7,1) Vers 7,1 kehrt mit dem vokativischen Anruf aequalis aeterno Patri zur Anredestruktur der beiden Eingangsstrophen zurück. Zugleich setzt er inhaltlich die antiarianisch motivierte Betonung der Gottheit Christi fort, die bereits in den Versen 3,3 (verbum Dei), 4,4 (Deus), 5,3 (geminae gigans substantiae) und 6,1 (egressus eius a Patre) zu Tage getreten war. Der Gebrauch des Attributs aequalis knüpft weiterhin an den Philipperhymnus an, der - wie oben gesehen - auch für die Dynamik des vorangehenden Verspaares 6,3f. Pate steht. Dieser beschreibt die Ausgangssituation des dramatischen Christusgeschehens mit der Formel aequalis deo: 546 Vgl. Kap. 3.2. Dazu Fontaine, Intende 300: „Sous forme d’énoncé direct ou de litote, il est remarquable que la présence de la lumière durable s’affirme dans chacun des quatre vers de cette dernière strophe“. 547 Zu Vers 7,1 vgl. Wagner, Veni 6: „man beachte die Alliteration aequalis / aeterno, die das Dogma noch lautmalerisch unterstreicht“. <?page no="131"?> 119 PhilA 2,6: qui cum in forma dei esset, non rapinam arbitratus est esse se aequalem deo Worin die Gleichheit Christi mit Gott besteht, erläutert Ambrosius, unter anderem ausgehend von Phil 2,6, in seinem an Gratian gerichteten Traktat De fide. fid. 2,8,69f. (78,80f.): Quibus (sc. Iudaeis) aptissime respondit dei filius, ut et dei se filium et aequalem probaret: Q UAECUMQUE , inquit, PATER FECERIT , EADEM ET FILIUS FACIT SIMILITER [Io 5,19]. Filius igitur patri et dicitur et probatur aequalis. Bona aequalitas, quae et differentiam divinitatis excludit et cum filio patrem signat, cui filius sit aequalis. … Unde id secutus apostolus dixit: N ON RAPINAM ARBITRATUS EST ESSE SE AEQUALEM DEO [Phil 2,6]. Quod enim quis non habet, rapere conatur. Ergo non quasi rapinam habebat aequalitatem cum patre, quam in substantia sui tamquam deus et dominus possidebat. Unde addidit: FORMAM SERVI [Phil 2,7] accepit. Contrarium utique servus aequali. Aequalis ergo in dei forma, minor in susceptione carnis et hominis passione. 548 Die aequalitas zwischen Vater und Sohn ist auf der Ebene der substantia angesiedelt (aequalitatem cum patre, quam in substantia sui … possidebat) 549 , bezieht sich also auf die Gottheit (differentiam divinitatis excludit; aequalis ergo in dei forma). Insofern ist der Sinngehalt des Ausdrucks aequalis gleichbedeutend mit der Wendung , ' / consubstantialis des nizänischen Glaubensbekenntnisses 550 . Im Hymnus liegt durch die Formulierung aequalis aeterno Patri ein besonderes Gewicht auf der (Gleich-)Ewigkeit des Sohnes 551 , die auch im Initium des ebenfalls an Christus gerichteten Hymnus zum Hahnenschrei betont wird: Aeterne rerum conditor 552 . Daneben schließt die Rede vom ‘ewigen Vater’ an die Verse 3,1f. an; gemeinsam mit Vers 6,1 (egressus eius a Patre) bildet sie ein Gegengewicht zu der in den Versen 3,4-4,4 entfalteten marianischen Thematik 553 . Das Zueinander von (menschlicher) Mutter und (himmlischem) Vater wird so zu einer weiteren Ausdrucksform des in Vers 5,3 auf den Punkt gebrachten Sachverhalts der zwei Naturen Christi. 548 Vgl. auch fid. 5,8,107 (78,255). 549 Vgl. Bonato, Figura di Cristo 248-259, bes. 249f. 550 In seinen Prosaschriften verwendet Ambrosius den Terminus aequalis ausgesprochen häufig für die Verhältnisbestimmung von Vater und Sohn: vgl. z. B. patr. 4,18 (32/ 2,135); in psalm. 118 serm. 6,3,4 (62,110); in psalm. 35,4,4 (64,53); 43,13,2 (ebd. 271); fid. 4,8,92 (78,189); 5,1,27. 2,29 (ebd. 226f.); 5,11,139 (ebd. 267); spir. 2 prol. 2 (79,87). Zur aequalitas zwischen Vater und Sohn bei Ambrosius vgl. Markschies, Trinitätstheologie 201-203. 551 Vgl. Frisque, Chant au Christ 113. Fontaine (Intende 294) macht darauf aufmerksam, dass das Wort aequalis ohnehin in diese Richtung weise, bezeichne es doch „usuellement l’égalité d’âge“. Zur coaeternitas des Sohnes vgl. hex. 6,7,41 (32/ 1,233); in Luc. 2,12 (CChr.SL 14,35f.); incarn. 3,18f. (79,232f.); epist. 32,4 (82/ 1,227). 552 Vgl. dazu Franz, Tageslauf 189f. 553 Vgl. Springer, Aesthetics 83. <?page no="132"?> 120 4.4.3 carnis tropaeo cingere (7,2) Durch die Ausdrücke tropaeo 554 und cingere 555 eröffnet Vers 7,2 ein militärisches Bildfeld. Mit dem in den Strophen 5 und 6 entfalteten Bild des Läufers ist es durch die Assoziation der Stärke verklammert. Das Verb cingi bezieht sich auf den Vorgang der Rüstung zum Kampf, näherhin des Anlegens der Waffen 556 . Demgegenüber bezeichnet tropaeum das (ursprünglich an der Stelle, an der der Gegner sich zur Flucht wandte 557 , errichtete) Siegeszeichen, das im Wesentlichen aus erbeuteten Waffen bestand 558 . Auf der Bildebene ergibt sich durch die Kombination von Rüstung und Trophäe eine Paradoxie, insofern erstere die Vorbereitung auf den Kampf, letztere hingegen sein Ergebnis betrifft. Als das tropaeum wird durch epexegetischen Genitiv das Fleisch, das heißt die menschlich-körperliche Existenz, definiert, das zugleich als der Gegenstand erscheint, mit dem sich der Kämpfer gürtet, also als seine Waffe. Nimmt man die oben erläuterte Gestalt des tropaeum ernst, ergibt sich demnach folgende Aussage: Gemeint ist der Vorgang der Inkarnation (carnis); das von Christus angenommene Fleisch ist als seine Waffe (cingere) das Mittel seines Sieges - auf den siegreichen Ausgang des Kampfes weist das Stichwort tropaeo proleptisch 559 voraus; dieses Mittel 554 Die mittelalterlichen Handschriften weisen mehrheitlich die Schreibweise tropheo auf. Die hier gewählte Schreibung des Wortes, die in der fehlenden Aspiration des ‘p’ und dem ausgeschriebenen Diphthong dem griechischen $4 entspricht, folgt der in den Prosaschriften des Ambrosius durchgängig belegten. In einigen alten Handschriften, darunter dem ältesten Manuskript Fa, ist sie in der Variante tropeo noch recht gut erhalten - abgesehen von der der Aussprachepraxis angepassten Monophthongisierung des ae. Zu der in späten Handschriften bezeugten und in älteren Ausgaben bisweilen rezipierten Lesart strophaeo (‘Binde’/ ‘Gürtel’) vgl. Kurz, Intende 128 Anm. 109. 555 Zahlreiche Handschriften bieten das Kompositum accingere und bedingen so eine weitere Elision. Das Simplex ist unter anderem in der Mailänder Tradition und im ältesten Kodex Fa bezeugt. Denkbar wäre, dass die Variante accingere durch eine zweistufige Verschreibung zustande kam: Als erster Schritt wäre die Variante trop(ha)ea anzusehen (belegt in Ae); in einem zweiten Schritt wäre die Wortgrenze verschoben und aus dem ‘a’ die Vorsilbe des Kompositums gebildet worden. 556 Cothenet (Arrière-plan biblique 160) sieht eine Anspielung auf PsA 44(45),4 mit seinem „messianisme guerrier“: Accingere gladium tuum circum femur potentissime. „La suite du Psaume comporte les deux verbes intendere et procedere: Intende prospere procede et regna, ces deux verbes qui sont justement mis en relief au début de la 1ère et de la 5e strophe de notre Hymne. Cette observation, jointe à celle faite à propos du thalamus [vgl. ebd. 159: „ce qui inviterait à comparer Marie à la reine, dont le Ps 45 chante les noces“], me permet de penser que le Ps 44 (45) est bien sous-jacent à l’Hymne d’Ambroise“ [Hervorhebungen im Original]. 557 Daher der Name $4 von $ ‘sich abwenden/ die Flucht ergreifen’ (direktreflexives Medium) bzw. ‘in die Flucht schlagen’ (indirekt-reflexives Medium i. S. v. ‘von sich abwenden’). 558 Vgl. Lammert, $4 . Dass auch für Ambrosius der Begriff tropaeum wesentlich mit den Assoziationen ‘Sieg’ und ‘Waffenbeute’ verknüpft war, erhellt aus Iac. 2,12,56 (32/ 2,68): … quales solent de bello redire victores, quales solent tropaea ex hostibus reportare. 559 Vgl. Walpole, Hymns 55: „only by anticipation“. <?page no="133"?> 121 seines Sieges ist jedoch eigentlich die Waffe seines Gegners (das tropaeum wird aus Waffenbeute gebildet). In äußerster Dichte wird damit der paradoxe soteriologische Sachverhalt vorweggenommen, der im folgenden Verspaar ausgeführt wird: Die Annahme des Fleisches in seiner Leidens- und Todesverfallenheit durch Christus ist die Voraussetzung der Überwindung der es existentiell bedrohenden Mächte 560 , insbesondere des Todes bzw. Teufels, der im vorliegenden Vers als Kampfgegner zu denken ist 561 . Wie bereits im Weg-Motiv des vorangehenden Strophenpaares grundgelegt, wird die Inkarnation damit weiterhin von ihrer Finalursache her betrachtet, Weihnachten also von Ostern her verstanden. Den Gedanken, dass die menschliche Natur Christi in ihrer Leiblichkeit dem Tod nur scheinbar unterliegt, ihn vielmehr in Wirklichkeit besiegt, dass also das Fleisch Christi nur dem Anschein nach Beute des Todes ist, tatsächlich jedoch durch das Fleisch dem Tod seine eigene Waffe aus der Hand genommen wird, formuliert Ambrosius auch in seiner Schrift über die Inkarnation. incarn. 6,56 (79,253): … carnem adsumpsit, ut spolium carnis exueret adque [sic] in semet ipso et manubias diaboli crucifigeret [cf. Col 2,14] et tropaea virtutis erigeret. Ambrosius beschreibt das paradoxe Geschehen, indem er mit drei Begriffen spielt, die alle mit dem Beuteertrag zu tun haben: spolium, manubiae und tropaeum 562 . In Anspielung auf den Kolosserbrief, der die Überwindung des Todes als Sündenfolge mit dem Kreuzestod Christi in Verbindung bringt (Col 2,13-15), zeigt er, dass der gekreuzigte Leib Christi den Tod nicht bereichert, sondern entwaffnet. Der vermeintliche Beuteerlös des Todes wird zum Siegeszeichen des Lebens 563 . 560 Dieser Gedanke hat auch andere Autoren zu prägnanten Formulierungen inspiriert, so z. B. Tert. resurr. 8,2 (CChr.SL 2,951 Borleffs): caro salutis est cardo. Vgl. auch Strophe 2 des Hymnus A solis ortus cardine des Sedulius (Walpole 151): Beatus auctor saeculi / servile corpus induit, / ut carne carnem liberans / non perderet, quod condidit. 561 Zur Personifikation des Todes und seiner Gleichsetzung mit dem Teufel vgl. Kap. C 4.3.8 (zu den Versen 7,1f. des Hymnus Hic est dies verus Dei, die denselben theologischen Sachverhalt, um den es hier geht, in zwei weiteren Bildern entfalten: Hamum sibi mors devoret / nodisque se suis liget). 562 Das spolium ist die dem getöteten Feind abgenommene Rüstung; mit manubiae wird vor allem der (letztlich monetäre) Gesamterlös der (Kriegs-)Beute bezeichnet. 563 Vgl. Eus. l. C. 9,16 (GCS 7,221 Heikel): ! / ! % 1$ / ! % $4 ; Paul. Nol. carm. 19,654f. (CSEL 30,140 von Hartel): corporeum statuit caelesti in sede tropaeum / vexillumque crucis super omnia sidera fixit; Ps.-Prosp. carm. de prov. 534- 536 (SVigChr 10,38 Marcovich): Te vero extinctae calcantem spicula mortis / et de carne novum referentem carne tropaeum / tertia discipulis, Iesu, dedit attonitis lux; Aug. serm. 263,1 (PL 38,1210): Tropaeo suo diabolus victus est. In diesem Sinne versteht sich auch die bereits bei Tertullian (adv. Marc. 4,20,4 [SC 456,254 Moreschini]) belegte Wendung tropaeum crucis, die Ambrosius mehrfach gebraucht: in Luc. 2,69 (CChr.SL 14,61); fid. 4,1,6 (78,160); exhort. virg. 2,9 (SAEMO 14/ 2,206); vgl. in Luc. 10,107 (CChr.SL 14,376) im Kontext der ausführlichen Entfaltung (97-114) einer „parralèle précis et détaillé, réalisé pour ainsi dire terme à terme, entre la Passion du Christ et le triomphe romain“ (Dufraigne, Adventus 377). Diese Formulierung wird später auch im Kreuzeshymnus <?page no="134"?> 122 Hinsichtlich der Redesituation schließt Vers 7,2 mit dem Imperativ cingere an Vers 2,2 an (ostende): Was dort vom Ausgangspunkt her als partum virginis bezeichnet worden war, wird jetzt auf den Zielpunkt hin zugespitzt (carnis tropaeo). Hier wie dort verdankt sich der (als Modus auf die Zukunft gerichtete) Imperativ der Vorstellung einer Vergegenwärtigung des heilsgeschichtlichen Ereignisses (Inkarnation) in der liturgischen Feier. 4.4.4 infirma nostri corporis virtute firmans perpeti (7,3f.) Wie bereits angedeutet, stellt das Verspaar 7,3f. eine erklärende Entfaltung 564 des im vorangehenden Vers präsentierten soteriologischen Bildes dar. Dabei geht es zunächst um den Vorgang der Inkarnation. Die Aussage ist also auf den Leib Christi - nostrum corpus steht metonymisch für den ‘menschlichen Leib’ 565 mit seinen Mängeln (infirma) - bzw. auf die Verbindung von menschlicher und göttlicher Natur (virtus perpes) in Christus bezogen. Allerdings tritt die Christologie hier strikt in den Dienst der Soteriologie: Vermittels des Christusereignisses erfährt unsere sterbliche Existenz (nostrum im wörtlichen Sinn) göttliche Stärkung, werden in der Auferstehung unsere Schwäche und Endlichkeit von der Kraft und Ewigkeit Gottes unterfangen. In der letztgenannten soteriologischen Dimension liegt die eigentliche Sinnspitze des Verspaares 566 . Das der gesamten Strophe zugrunde liegende soteriologische Konzept bedarf an dieser Stelle einer eingehenden Erläuterung. In seiner symbolischen Auslegung der Erzählung von Paradies und Sündenfall sieht Ambrosius meist das Paradies als Bild für die Seele, innerhalb dessen Adam für den höheren Seelenteil, die mens, Eva für die sensus, die sinnliche Wahrnehmung als den niederen Seelenteil 567 , und die Schlange für die verführende delectatio steht 568 . Alternativ kann in leichter Variation Adam für die als ganze wesendes Venantius Fortunatus aufgegriffen: Pange, lingua, gloriosi proelium certaminis / et super crucis tropaeo dic triumphum nobilem, … (Walpole 167). Fontaine (Intende 295) weist darauf hin, dass das Motiv des „Christ triomphant, tenant comme une lance … le ‘trophée de la croix’“ häufig auf Sarkophagen aus der Zeit des Theodosius begegnet. 564 Vgl. Fontaine, Intende 296: „Le salut … est ici traduit en termes moins éclatants, voire transparents, qui font passer à un niveau d’expression plus prosaïque.“ 565 Vgl. Walpole, Hymns 56: „Nostri c. seems to mean ‘Thine, which is of the same nature as ours’“. 566 So zutreffend erfasst bei Mone, Hymnen 45; Kayser, Beiträge 180. Die Liturgie gießt diesen Gedanken (vgl. dazu auch 2 Pe 1,3f.) in das Bild vom ‘heiligen Tausch’, so z. B. die Secreta der weihnachtlichen missa in nocte im römischen Messbuch: Grata tibi sit, Domine, quaesumus, hodiernae festivitatis oblatio, ut, per haec sacrosancta commercia, in illius inveniamur forma, in quo tecum est nostra substantia. Per Christum (MR 1970, 155). 567 Zur zweigeteilten Seelenvorstellung des Ambrosius vgl. Seibel, Fleisch und Geist 26- 34. Im strikten Sinn ist nur der obere Seelenteil, meist mens oder / genannt, Träger der Gottebenbildlichkeit. 568 So entfaltet es vor allem die Schrift De paradiso; vgl. parad. 3,12 (32/ 1,272): est etiam / tamquam Adam, est et sensus tamquam Eva; 15,73 (ebd. 331): serpentis typum accepit delecta- <?page no="135"?> 123 haft durch die mens bestimmte Seele eintreten, Eva für den die Sinne letztlich bestimmenden Körper 569 . Entscheidend ist auf jeden Fall, dass die Verführung durch Satan am sinnlich-körperlichen Bereich ansetzt und eine Auflehnung des Körpers gegen die Seele bewirkt. Insofern nimmt die Sünde anthropologisch betrachtet ihren Ausgang beim Leib und infiziert von daher auch die Seele, bei der jedoch bleibend die letzte Verantwortung liegt 570 . Dieses Prinzip der Ursünde liegt auch jeder folgenden Einzelsünde zugrunde. Es „bildet das Muster, das nun in der Schuld des Menschen bis ans Ende der Geschichte in mannigfaltigen Variationen wiederholt werden wird. In jeder sündhaften Tat gewinnt die Ursünde von neuem Gestalt“ 571 . Dieser Konstellation entspricht die entscheidende inkarnationstheologische Pointe: „Die Sünde hatte beim Fleisch begonnen. Die Erlösung ging denselben Weg, und für Ambrosius ist gerade der Heilswille Gottes über alles Fleisch die Ursache der Menschwerdung des ewigen Wortes“ 572 . Aus diesem Grund betont Ambrosius im Rahmen der Soteriologie so sehr die Notwendigkeit sowohl der wahren Gottheit 573 als auch der wahren Menschheit 574 Christi. Letztere umschließt auch die Annahme der menschlichen Körperlichkeit 575 . Dabei ist zu bedenken, dass das Fleisch an sich von Gott gut geschaffen ist und nur, insofern es sich „von Gott abgewandt hat und Symbol der Sünde geworden ist“ 576 , dem Fluch Gottes (Gn 3,19) unterliegt 577 . Daher kann Christus mittels der jungfräulichen Empfängnis 578 das Fleisch annehmen, ohne mit der Sünde in Berührung zu kommen 579 , wie Ambrosius unter Bezugnahme auf den Römerbrief ausführt: in psalm. 37,5,1f. (64,139f.): namque ita scriptum est: deus filium suum mittens in similitudine carnis peccati et de peccato damnavit peccatum in carne, ut iustificatio legis impleretur in nobis, ut non secundum carnem ambulemus, sed secundum spiritum [Rom tio corporalis. Zu dieser Allegorese und ihrer Vorgeschichte ausgehend von Philo von Alexandrien vgl. Seibel, ebd. 72-78. 569 Vgl. Seibel, ebd. 78f. 570 Vgl. Noe 5,12 (32/ 1,421): caro causa fuit corrumpendae etiam animae, quae velut regio quaedam et locus est voluptatis, ex qua velut a fonte prorumpunt concupiscentiarum malarumque passionum flumina lateque exundant. quibus demergitur animae quoddam excusso gubernatore remigium, cum ipsa mens velut quibusdam tempestatibus et procellis victa loco suo cedit; in Luc. 7,147 (CChr.SL 14,265): de carne peccatum nascitur. 571 Seibel, Fleisch und Geist 97; generell zur Ursünde und ihrer Symbolik vgl. ebd. 92-98. 572 Ebd. 153; als Belegstelle zitiert Seibel in psalm. 118 serm. 20,29 (62,459): misericordia domini in omnem carnem, ut omnis caro ad deum ascenderet illa domini miseratione donata. 573 Vgl. dazu Fenger, Soteriologie 43-48. 574 Vgl. dazu ebd. 48-57. 575 Vgl. dazu oben die Kapp. 4.1.4 und 4.2.4. 576 Seibel, Fleisch und Geist 114. 577 Vgl. in psalm. 118 serm. 6,2,2 (62,109): nam terram quam benedici postulet satis notum est, illam videlicet quae peccatum in Adam contraxerat, cui dicitur: TERRA ES ET IN TERRAM IBIS [Gn 3,19]. maledixerat autem deus non elementum naturae carnis, sed carnem praevaricantium. 578 Vgl. dazu Kap. 4.1.4. 579 Vgl. Seibel, Fleisch und Geist 113f. <?page no="136"?> 124 8,3f.]. venit ergo filius dei in similitudine carnis peccati; non utique in similitudine carnis venit qui veram carnem suscepit, sed in similitudine carnis peccati, id est carnis peccatricis; facta enim erat fraude et veneno infusa serpentis caro nostra caro peccati. postquam est obnoxia facta peccato, facta erat caro mortis, quia erat morti debita. huius carnis iam reae, iam praeiudicatae similitudinem Christus in sua carne suscepit, quia, etsi naturalem substantiam huius susceperat carnis, non tamen contagia ulla susceperat nec in iniquitatibus conceptus et natus est in delictis [cf. Ps 50(51),7], qui non ex sanguinibus neque ex voluntate carnis neque ex voluntate viri [cf. Io 1,13], sed de spiritu sancto natus ac virgine est. Christus nimmt die wahre Menschengestalt an (veram carnem), aber wird dem Fleisch, insofern es sündig ist, nur ähnlich (in similitudine … carnis peccatricis); demnach ist das Wesen des Fleisches an sich (naturalem substantiam) frei von den Verseuchungen (contagia) der Sünde. Nimmt Christus auch „nicht das spezifisch Sündhafte an ihm“ an, so doch „das durch die Sünde historisch so gewordene Fleisch“ 580 in seiner Leidens- und Todesverfallenheit. Diese wird im Hymnus mit der Wendung infirma nostri corporis (7,3) angesprochen, deren Bedeutungsgehalt negativ aus dem Gegensatz zu virtus perpes (7,4) erschlossen werden kann: Die Schwäche des Fleisches definiert sich im Kontrast zu virtus als physische und moralische Unzulänglichkeit und im Kontrast zu perpes als Endlichkeit bzw. Sterblichkeit 581 . Auf diese Weise erfährt die menschliche Natur, in der Christus die gesamte Menschheit und jeden einzelnen Menschen annimmt 582 , eine Heiligung durch die göttliche Natur: „die caro bedarf einer Heiligung, die nur die divinitas ihr zu vermitteln vermag, da diese sie von Natur aus besitzt“ 583 . fid. 2,9,78 (78,85): Hic est, qui descendit, HIC EST QUEM PATER SANCTIFICAVIT ET MISIT IN HUNC MUNDUM [Io 10,36]. Nec ipsa littera nos docet sanctificatione non divinitatem eguisse, sed carnem? Denique ipse dominus dixit: E T EGO MEMET IPSUM SANCTIFICO PRO IPSIS [Io 17,19], ut agnoscas quod et sanctificatur in carne pro nobis et divinitate sanctificat. Diese sanctificatio carnis 584 durch die göttliche Natur Christi (im Hymnus: infirma … corporis / virtute firmans) ist jedoch nur möglich vermittels seiner menschlichen Natur. Daher kann Ambrosius in seinem der Inkarnation gewidmeten Traktat resümieren: 580 Seibel, Fleisch und Geist 156. 581 Vgl. in psalm. 40,6 (64,233): carnem dixit infirmam [cf. Mt 26,41] quae mortis subiacuit infirmitati. 582 In psalm. 118 serm. 10,14,2 (62,211): nobis carnem suscepit, immo potius nos in illa carne suscepit; 22,30 (ebd. 503f.): suscipe me in carne quae in Adam lapsa est; fid. 5,14,176 (78,280): in sua carne naturam totius humanae carnis edomuit. 583 Fenger, Soteriologie 42 (die Kursivierung wurde zur Vereinheitlichung in das Zitat eingeführt). 584 Zum Gedanken der Heiligung des Fleisches vgl. Seibel, Fleisch und Geist 153-161; vgl. auch spir. 1,9,111 (79,63); incarn. 8,85 (ebd. 266). <?page no="137"?> 125 incarn. 6,56 (79,252): quae erat causa incarnationis, nisi ut caro, quae peccaverat, per se redimeretur? Quod peccaverit igitur, hoc redemptum est. 585 4.4.5 Praesepe iam fulget tuum lumenque nox spirat novum (8,1f.) Hatte Strophe 7 mit dem Imperativ cingere (7,2) an das erste Strophenpaar angeschlossen, so folgen die Verse 8,1f. in der sprachlichen Ausdrucksform für die liturgische Vergegenwärtigung des Inkarnationsmysteriums dem in den Mittelstrophen 4 und 5 eingeschlagenen Pfad, indem sie das heilsgeschichtliche Ereignis in der Zeitstufe des Präsens vorstellen. Dabei wird die dort begonnene Linie der Betrachtung des Inkarnationsgeschehens von der Empfängnis (Strophe 3) über die Schwangerschaft (Strophe 4) und die Geburt (Verse 5,1f.) nach den soteriologischen Reflexionen zum Zweck der Inkarnation (Verse 5,3f. sowie Strophen 6 und 7) wieder aufgegriffen und der Blick nunmehr auf das Kind in der Krippe (Lc 2,7.12.16) gelenkt. Die eminente Gegenwärtigkeit des Besungenen drückt sich vor allem in dem Adverb iam (‘nun’) aus 586 . Es geht nicht um ein idyllisches Bild der nächtlichen 587 Szene im Stall von Betlehem 588 , vielmehr wird eine Aussage über die Relevanz dieses Geschehens für die Gegenwart der Hymnensänger getroffen, die in das Licht Christi getaucht ist 589 . Zugleich besitzt iam die Bedeutungsnuance ‘schon’ und fügt sich so in die eschatologische Ausrichtung, die Strophe 1 dem Hymnus vorgibt: Hinter der Feststellung des ‘Schon’ 585 Generell zeigt sich Ambrosius in der Inkarnationstheologie stark von Athanasius beeinflusst. Vgl. z. B. zu diesem Zitat Ath. ep. Epict. 4 (PG 26,1057A-B): & G 3 U )$ 1 / O4 %, X k 6 ` % / , ' ' , k, $ 3 ( 6 1 ' , + ; q $ ` % 1 U 4 L! , X 3 6 , ' ` % 1 ' . @ ’ G r $ , Y c $ % $ ' O4 , X , $ 3 + , ` % 6 K G$ ` % / % $ a, 3 ` % 6 % $# . 586 Vgl. Kurz, Intende 129. Dasselbe Mittel gebraucht Ambrosius in den Auftaktversen seines Hymnus für die Mittagshore: Iam surgit hora tertia, / qua Christus ascendit crucem (Charlet 211; dazu Franz, Tageslauf 406). 587 Der Zeitansatz der Geburt in der Nacht ergibt sich aus Lc 2,8. 588 Ein Interesse an handgreiflichen Darstellungen dieser Szene (mit Krippe, Ochse und Esel [bekanntlich werden Ochse und Esel von Is 1,3 her in die Weihnachtserzählung eingetragen; einschlägige Deutungen der Kirchenväter stellt Ziegler (Ochs und Esel 390-395) zusammen]) schlägt sich gleichwohl bereits in der Mailänder Sarkophagplastik des vierten Jahrhunderts nieder: vgl. Oldani, Intende 182 m. Abb. auf S. 179 und 181 (vgl. Dell’Acqua, Inno del santo Natale 37f.; ferner Usener, Weihnachtsfest 293f.). In Betlehem selbst ist die Verehrung einer in der Geburtsgrotte ausgestellten Krippe bereits für das dritte Jahrhundert bezeugt (Or. Cels. 1,51 [SVigChr 54,52 Marcovich]); die Verehrung einer Krippenreliquie in der römischen Basilika Santa Maria Maggiore (daher die mittelalterliche Bezeichnung S. Maria ad praesepe) lässt sich bis ins siebte Jahrhundert zurückverfolgen (vgl. Auf der Maur, Feiern 173). 589 Darüber hinaus könnte angesichts des mutmaßlichen ursprünglichen Sitzes im Leben des Hymnus in der Weihnachtsvesper (vgl. Kap. 5.1) eine Anspielung auf christologisch gedeutetes (Kerzen-)Licht vorliegen. Allerdings ist zu bedenken, dass die allgemeine Offiziumspraxis Mailands zur Zeit des Ambrosius im Unterschied zu anderen Traditionen wohl keine christologisch-rituelle Ausgestaltung des Lichtentzündens kannte (vgl. Franz, Tagzeitenliturgie 37). <?page no="138"?> 126 verbirgt sich das Bewusstsein seiner Vorläufigkeit (des ‘Noch nicht’) und mithin die Haltung der Erwartung des noch Ausstehenden. Wenn Ambrosius im Zusammenhang mit der Geburt Jesu das Theophanie-Motiv des Lichtglanzes 590 entfaltet, knüpft er dabei entweder an den in Mt 2 erwähnten Stern an 591 oder verbindet wie im vorliegenden Verspaar - praesepe steht metonymisch für das darin liegende Kind - das Leuchten direkt mit dem Neugeborenen 592 : in psalm. 118 serm. 12,13,1f. (62,258): dilata cor tuum [cf. 2 Cor 6,11], occurre soli lucis aeternae quae inluminat omnem hominem [cf. Io 1,9]. et illud quidem verum lumen omnibus lucet … ortus ex virgine processit ex alvo, universa totius orbis inradians, ut luceret omnibus. Wer da erstrahlt, ist die ‘Sonne des ewigen Lichtes’, d. i. die Sonne der Gerechtigkeit (Mal 4,2), der verheißene Messias. Wenn in Vers 8,2 vom ‘neuen Licht’ die Rede ist, kommt die Lichtchristologie des Johannesevangeliums ins Spiel. Schon der Johannesprolog meditiert das Mysterium der Inkarnation: dass Christus, das ‘wahre Licht’, in die Finsternis der Welt eingetreten ist (Io 1,5.9) 593 , dass in ihm die ‘Herrlichkeit 594 des einzigen Sohnes vom Vater’ sichtbar war (Io 1,14) 595 . Daneben erhält die Rede vom neuen Licht 596 als Anspielung auf Apc 21,5 (‘Seht, ich mache alles neu’) eine eschatologische Note 597 : Die Ankunft des Erlösers ist der Beginn der Vollendung 598 . 590 Das Motiv ist grundgelegt in der vor allem bei Tritojesaja, in der Priesterschrift und bei Ezechiel zu beobachtenden Auffassung des (k e b d JHWH; ‘Herrlichkeit des Herrn’) als „einer Lichterscheinung“ (Westermann, kbd 807). Im Neuen Testament vgl. besonders die Verklärung Jesu Mt 17,2 parr. 591 Isaac 4,31 (32/ 1,661): in praesepi erat et fulgebat e caelo; in Luc. 2,43 (CChr.SL 14,50): Ex utero funditur, sed coruscat e caelo; terreno in diversorio iacet, sed caelesti lumine viget; fid. 1,4,32 (78,15): iacet in pannis, sed fulget in stellis. Zur Interpretation vgl. Kap. B 3.1.6. 592 Das Motiv eines Lichtglanzes um das Jesuskind gehört auch zum Traditionsgut der apokryphen Kindheitsevangelien, wobei in der ältesten überlieferten Kompilation, dem Protevangelium Iacobi aus der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts, die Lichterscheinung der Geburt vorausgeht (19,2 [SHG 33,156 Strycker]; ähnlich im Pseudo- Matthaeusevangelium 13,2 [Tischendorf 77]); vgl. dann jedoch das Arabische Kindheitsevangelium 3,1 (Tischendorf 182) und v. a. das Lateinische Kindheitsevangelium 73 (FC 18,208 Schneider): Erat autem ipse infans solis modo circumfulgens, vehementer mundus et iocundissimus in respectu, quoniam totum pax pacans solus apparuit. 593 Vgl. Is 9,1; 60,2. 594 Johannes gebraucht bewusst den Begriff 45 , der in LXX das hebräische (k b d) übersetzt (vgl. Anm. 590). 595 Vgl. auch Hebr 1,3. 596 Vgl. patr. 4,19 (32/ 2,135): … ad redemptionem mundi totius maternis visceribus splendore novae lucis emissus ascenderit, sicut Esaias dicit: EXIET VIRGA DE RADICE I ESSAE ET FLOS EX RADICE ASCENDET [Is 11,1]. Frank (Geschichte 6f.) weist darauf hin, dass Ambrosius den Kontext (Auslegung von Gn 49,9) „fast wörtlich aus Hippolyts Abhandlung über die Segnungen Jakobs geschöpft“ hat, nicht jedoch das Motiv des neuen Lichtes, das ihm „eigentümlich“ sei. 597 Vgl. Fontaine, Intende 299. 598 Eine österliche Variation dieses Gedankens entwickelt Ambrosius in psalm. 38,18,2 (64,198); zu diesem Text vgl. Kap. C 4.1.2. <?page no="139"?> 127 Die kühne Bildsprache des Verses 8,2 599 dient der Charakterisierung des Lichtes und damit auch der Charakterisierung des Messias, der es verströmt 600 . „Das ‘Atmen’ der Nacht, als Metapher vom friedlichen Atmen eines Schlafenden genommen, deutet an, dass dieses Licht nicht brutal wie ein Blitz aufleuchtet, sondern als sanftes Leuchten erscheint“ 601 . Ebenso wie Gott sich nach 1 Reg 19 nicht im Sturm, sondern im ‘sanften, leisen Säuseln’ offenbart (1 Reg 19,11f.), weist die Zartheit der Lichterscheinung seinen Christus als demütigen Friedenskönig (Zach 9,9f.) aus. Der atmosphärische Aussagegehalt der Formulierung gewinnt weiterhin Profil aus dem Umstand, dass transitiv begriffenes spirare (‘etwas ausatmen’) auch für das Ausströmen eines Duftes z. B. durch eine Blume stehen kann, der Vers daher die Assoziation des Wohlgeruchs in sich birgt 602 . Deutlich ist erkennbar, dass innerhalb des Hymnus spirat auf mystico spiramine (3,2) Bezug nimmt: „c’est la même action divine“ 603 , die in beiden Fällen wirkt. Auf eine weitere Nuance sei noch aufmerksam gemacht: An zwei Stellen in seinen Prosaschriften interpretiert Ambrosius die Krippe Jesu von der Bedeutung der Krippe als desjenigen Gegenstandes her, der die Nahrung enthält. So gesehen erscheint der in der Krippe Liegende als Nahrung für uns. epist. extra coll. 13,6 (82/ 3,225): Quid autem evidentius quam de passione domini dictum videri: A GNOVIT BOS POSSESSOREM SUUM ET ASINUS PRAESEPE DOMINI SUI [Is 1,3]. Agnoscamus ergo hoc praesepe domini in quo alimur pascimur et reficimur. virginit. 15,96 (Cazzaniga 45): Inde quasi emeriti qui bene portaverint iugum Verbi, usque ad Domini praesepe ducuntur, in quo non foenum est esca, sed panis qui descendit de caelo [cf. Io 6,50f.58]. Das praesepe domini, an dem wir durch das Brot vom Himmel genährt werden, erhält von hier aus eine eucharistische Note 604 . Es ist nicht auszuschließen, dass diese Sichtweise auch im Hymnus zumindest unterschwellig angedeutet sein soll. Die Gegenwärtigkeit des gefeierten Heilsereignisses, dass 599 Spirare in Verbindung mit einer Tageszeit gebraucht Ambrosius auch in hex. 4,6,27 (32/ 1,134), wo der Sonnenaufgang als spirans exordium bezeichnet wird. 600 Wie in Vers 8,1 ist das Kind nicht explizit als Quelle des Lichtes benannt, doch ebenso deutlich wie dort als solche vorausgesetzt. 601 Kurz, Intende 129f. 602 Z. B. hex. 4,2,5 (32/ 1,114): spirantium rosarum; vgl. virginit. 9,49 (Cazzaniga 24): in iis utique qui odorem resurrectionis dominicae vivida fide spirant; 12,72 (ebd. 62): fidelem tua gesta spirabunt odorem; inst. virg. 1,3 (ebd. 112): flos esse coepit et spirare odorem fidei. 603 Fontaine, Intende 299. 604 Dieser Gedanke findet sich in der kirchlichen Tradition an vielen Stellen wieder: Eine Reihe von Belegen insbesondere aus liturgischen Texten hat Usener (Weihnachtsfest 290 Anm. 28) zusammengestellt. Er zieht daraus den Schluss, es habe den Brauch gegeben, „eine krippe in der kirche aufzubauen“, „in welche das geweihte brot gelegt werden konnte so gut als der leib des herrn selbst in kindes gestalt einst darin gelegen“ (ebd. 291.290). In Wirklichkeit geht es jedoch nicht um die Beschreibung einer realen Krippe, sondern um die eucharistische Allegorese der biblischen. <?page no="140"?> 128 Gott leibhaftig in die Welt tritt, um uns zu erlösen, findet in der Eucharistie einen sinnfälligen Ausdruck. 4.4.6 quod nulla nox interpolet fideque iugi luceat (8,3f.) Das letzte Verspaar des Hymnus steht im Wunschmodus (optativischer Konjunktiv). Die Bitte ist einerseits durch die Imperative in den Strophen 1, 2 und 7 kontextiert und daher Bestandteil des an Christus gerichteten Gebetsvollzugs. Andererseits vermeidet sie bewusst die imperativische Anrede, da sie zugleich als Selbstaufforderung fungiert. Die Fortdauer der Heilswirkung des Christusmysteriums, symbolisiert im Leuchten des weihnachtlichen Lichtes, liegt sowohl in der Hand Christi als auch in derjenigen des Hymnensängers selbst: Sie bedarf nämlich stetig der gläubigen Aneignung (8,4: fide iugi). Die Nacht, in Vers 8,2 als physische Nacht verstanden und als Raum der friedvollen Geborgenheit positiv konnotiert, wird in Vers 8,3 zum Sinnbild der Bedrohungen, die dieser gläubigen Aneignung im Wege stehen. Eine solche Sicht der Nacht als Zeitraum der Ausgesetztheit und der Anfechtung durch die Sünde 605 kann sich auf biblische Bezugstexte berufen 606 und wird von Ambrosius auch in Strophe 5 seines Abendhymnus Deus creator omnium vorausgesetzt 607 (Perrin 239). ut, cum profunda clauserit diem caligo noctium, fides tenebras nesciat, et nox fide reluceat Für beide Hymnen ist die Dunkelheit der Nacht wie „schon für das Alte Testament, besonders für die Psalmen, der Ort, wo Gefahren lauerten, eine Metapher für Mühsal und Schrecken, für Gottverlassenheit und Tod“ 608 . Diese Symbolik der Nacht spielt auch in der Tradition der Komplethymnen eine große Rolle 609 . Ambrosius kontrastiert sie mit dem vom lukanischen Benedictus besungenen ‘aufstrahlenden Licht aus der Höhe’, das uns besucht, ‘um allen zu leuchten, die in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes’ 605 Vgl. z. B. in psalm. 118 serm. 8,51,2 (62,182): tempationum nox. 606 So etwa 1 Thess 5,5-8: ! $ K %F 3 4 3 %F 3 U $ . q G % 6 G 4 % I Y$ s * ' m F 3 ( $ $+ 3 : . qF $ ' % 6 ' % 3 F % 4 % 6 ' % I U G U $ ^ : % ! #$ [cf. Is 59,17] 3 ( ! 3 $ [cf. Sap 5,18] $ ; die Evangelien betonen die Nacht als Zeitpunkt des Verrates des Judas (Io 13,30) und der Verleugnung des Petrus (Mt 26,34). Folgerichtig gehört das Ende des Phänomens ‘Nacht’ zum Motivbestand der eschatologischen Hoffnung: Rom 13,12; Apc 21,25; 22,5. 607 Vgl. dazu Franz, Tageslauf 84-88. 608 Ebd. 86 mit Verweis auf Ps 90(91),5f.; 106(107),10; 87(88),13. 609 Vgl. Christe qui lux es et dies, bes. Strophe 3 (Walpole 259): ne gravis somnus irruat / nec hostis nos subripiat / nec caro illi consentiat, / nos tibi reos statuat, und Te lucis ante terminum, bes. Strophe 2 (Walpole 299): Procul redeant somnia / et noctium phantasmata, / hostemque nostrum comprime, / ne polluantur corpora. <?page no="141"?> 129 (Lc 1,78f. 610 ). Dieses Licht Christi währt ewig und wird von keiner Nacht mehr getrübt 611 ; der Gläubige muss sich ihm jedoch aktiv öffnen, um an ihm Anteil zu erhalten. Wie ein Kommentar zum vorliegenden Verspaar liest sich eine Passage aus der Auslegung des Ambrosius zum 118.(119.) Psalm: in psalm. 118 serm. 12,13,1f. (62,258): pateat advenienti ianua tua; aperi ianuam tuam, expande gremium tuae mentis, ut videat divitias simplicitatis, thesauros pacis, suavitatem gratiae. dilata cor tuum [cf. 2 Cor 6,11], occurre soli lucis aeternae quae inluminat omnem hominem [cf. Io 1,9]. et illud quidem verum lumen omnibus lucet; sed si quis fenestras suas clauserit, aeterno lumine se ipse fraudabit. excluditur ergo et Christus, si tu mentis tuae ianuam claudas. etsi possit intrare, non vult tamen inportunus inruere, non vult invitos cogere. ortus ex virgine processit ex alvo, universa totius orbis inradians, ut luceret omnibus. capiunt, qui desiderant fulgoris perpetui claritatem, quam nulla nox interpolat. soli enim huic quem cotidie cernimus nox tenebrosa succedit, sol autem iustitiae [cf. Mal 3,20] numquam occidit, quia sapientiae non succedit malitia. Im Gegensatz zur physischen Sonne geht Christus, die Sonne der Gerechtigkeit, niemals unter. Sein Licht leuchtet für alle Menschen und wird von keiner Nacht beeinträchtigt. Doch wer sein Inneres verschließt, betrügt sich um das Licht Christi. So wird sein Schein letztlich nur denen zuteil, die sich ihm im Glauben öffnen 612 . Vor diesem Hintergrund versteht sich die Bitte: fideque iugi luceat - ebenso an Christus gerichtet als Gebet um die gnadenvolle Ermöglichung des Glaubens, die den Schutz vor seiner Bedrohung durch alles einschließt, was sich hinter der Chiffre nox verbirgt 613 , wie an die Hymnensänger selbst als Aufforderung, in der Anstrengung um gläubige Aneignung nicht nachzulassen. 4.5 Gesamtwürdigung Der Hymnus Intende qui regis Israel begreift die Inkarnation als den Ausgangspunkt eines doppelten heilsgeschichtlichen Spannungsbogens. Strophe 610 Vgl. Is 9,1; ferner Is 60,1-3; Io 1,5. 611 Ambrosius verwendet interpolare mit Vorliebe, wenn es um die nicht von Dunkelheit überlagerte Helligkeit des Lichtes Christi geht: vgl. hex. 4,5,22 (32/ 1,129f.): qui sedebant in regione umbrae mortis, lux orta est illis [cf. Is 9,2], magna lux divinitatis, quam nulla umbra mortis interpolat; in psalm. 118 serm. 12,13,2 (62,258) (im Haupttext zitiert); 13,8,2 (62,287): lumen sine defectu, quod nullae tenebrae noctis interpolent; epist. 77,6 (82/ 3,130): Ecce veri dies quos nulla caligo noctis interpolat. Die Grundbedeutung des Verbs ist „sive novando (mutando) sive inserendo afficere“ (TLL 7,1 [1934-1964], 2244 s. v. interpolo); von hierher kann entweder der Aspekt der „mutatio“ oder der der „interruptio“ (ebd.) hervortreten. In den vorliegenden Zitaten sowie im Hymnus dürften sich beide Ebenen überlagern: Es geht nicht nur um eine rein zeitliche Unterbrechung des Lichtes, sondern qualitativ um seine Verunreinigung, die Beeinträchtigung seiner Leuchtkraft - daher die Übersetzung ‘trüben’. 612 Vgl. in psalm. 118 serm. 8,51,1 (62,182): Ubi enim vera est fides, ibi veri luminis gratia est; in psalm. 36,32,2 (64,96): splendet tibi dies, lucet tibi nox, quia fideli ET NOX TAMQUAM DIES IN- LUMINABITUR [Ps 138(139),12]. 613 Mans (Biblical material 97) spricht von der „metaphorical, doxological implementation of the shining manger“ als „symbolic of the expulsion of sin“. <?page no="142"?> 130 1 fungiert dabei wie ein musikalisches Vorzeichen und gibt als Anrede an den erhöhten Christus dem gesamten Hymnus eine eschatologische Perspektive vor: Der erste Spannungsbogen verbindet die Ankunft Christi im Fleisch mit seiner Wiederkehr in Herrlichkeit. Der zweite Spannungsbogen markiert die Inkarnation als den Auftakt des in Tod und Auferstehung gipfelnden irdischen Heilswirkens Christi und ist durch die Erlösungsperspektive bestimmt, die in Vers 2,1 durch den Titel redemptor präludiert und im Verlauf des Hymnus in den Motiven des Weges (Strophen 5 und 6) und des Sieges (Strophe 7) entfaltet wird. Wie sehr das weihnachtliche Geschehen von seinem paschalen Finalobjekt her betrachtet wird, lässt sich exemplarisch an der Wendung carnis tropaeo (7,2) ablesen, die die Annahme der menschlichen Existenz durch Christus zugleich als Akt der siegreichen Überwindung ihrer Leidens- und Todesverfallenheit kennzeichnet. Der mit Weihnachten begonnene Weg des Heils wird beschritten bis zum Ziel, das im Anfang schon grundgelegt ist. Neben dieser charakteristischen Doppelperspektive ist für die Spiritualität des Hymnus entscheidend, dass in der Schlussstrophe die Abhängigkeit der liturgischen Vergegenwärtigung als Modus der Präsenz des durch das Inkarnationsereignis verbürgten Heils vom Glauben der Feiernden eigens thematisiert wird. Diese Anamnese des Weihnachtsgeschehens selbst im engeren Sinn ist primär Gegenstand der Strophen 3 bis 5, die sich am Fortgang der Ereignisse von der Empfängnis (Strophe 3) über die Schwangerschaft (Strophe 4) bis hin zur Geburt (Strophe 5) orientieren. Durch Vers 2,2 (ostende partum virginis) wird der gesamte anamnetische Teil, der sich in Strophe 6 vom Thema der Inkarnation löst und zu einer heilsgeschichtlichen Gesamtschau erweitert wird, unter den Offenbarungsaspekt gestellt. So legt sich um die anamnetischen Strophen eine Klammer zwischen dem katabatischen Akt der Offenbarung (Strophe 2) und dem ihm entsprechenden anabatischen Akt des Glaubens (Strophe 8). Der anamnetische Teil als ganzer bleibt auf die eschatologische Spannung bezogen, in die die Eingangsstrophe den gesamten Hymnus stellt: Die Kunde von der heilbringenden Ankunft des Erlösers im Stall von Betlehem ist Grund der Hoffnung auf seine heilbringende Wiederkehr. Unbeschadet dieser eschatologisch und soteriologisch orientierten Spiritualität eignet dem Hymnus auch ein im Kontext der zeitgenössischen Debatten zu verstehender dogmatischer Zugriff auf das Weihnachtsmysterium. Dabei erweist sich die auf den ersten Blick überraschend dominante marianische Thematik der Strophen 2 bis 4 bei näherem Zusehen als strikt der christologischen Aussageabsicht untergeordnet. Ambrosius setzt sowohl antidoketische, die wahre Menschheit Christi von der wahren Mutterschaft Marias her betonende als auch antiarianische, die wahre Gottheit Christi und seine Wesensgleichheit mit dem Vater unterstreichende Akzente. Beide Linien laufen zusammen in der Formel geminae gigans substantiae (5,3), die prägnant die Christologie der zwei Naturen auf den Begriff bringt. Doch tritt der Hymnus bei aller hohen Theologie, die er enthält, nicht im Gestus der <?page no="143"?> 131 Belehrung auf. Vielmehr nimmt er den Heilsgeheimnissen gegenüber - gemeinsam mit der ganzen Schöpfung - die Haltung des Staunens ein (2,3). 5. Rezeptionsgeschichtlicher Ausblick 5.1 Die liturgische Verwendung des Hymnus Der Versuch, den ursprünglichen Sitz im Leben des Hymnus innerhalb der Mailänder Weihnachtsliturgie zu bestimmen, ist mit massiven Problemen hinsichtlich der Quellenlage konfrontiert. Wie die Erörterungen in Kapitel 1 gezeigt haben, bedarf es bereits einigen Aufwands, aus den Schriften des Ambrosius überhaupt einen sicheren Hinweis auf die Existenz des Weihnachtsfestes zu gewinnen. Was die Einzelheiten seiner Liturgie betrifft, fehlt vollends jeder Anhaltspunkt in den Werken des Bischofs. Die Überlieferung liturgischer Ordnungen der Mailänder Kirche setzt erst Jahrhunderte später ein; dennoch sollen unsere Erwägungen in Ermangelung älterer Nachrichten von diesem Punkt ausgehen. Vor allem auf der Basis der Handschrift Mailand, Biblioteca del Capitolo metropolitano, Cod. 2102 aus dem elften Jahrhundert 614 hat Marco Magistretti eine Edition des hochmittelalterlichen Mailänder Manuales erstellt. Hier hat die Weihnachtsliturgie folgende Gestalt 615 : Erste Vesper Vigil mit abschließender Messe 616 Matutin/ Laudes Messe (in nocte sancta) Messe (mane) Zweite Vesper Es entsteht der Eindruck einer quasi-pannychialen Struktur, die von der Ersten Vesper bis zur Tagesmesse reicht. Intende qui regis Israel steht als Hymnus der Ersten Vesper 617 an herausgehobener Stelle. Dadurch fällt ihm die Funktion einer thematisch-spirituellen Exposition der Weihnachtsliturgie zu; die Offenbarungsbitte der zweiten Strophe erscheint direkt auf die folgende Liturgie gerichtet und trägt invitatorialen Charakter. 614 Zu der Handschrift vgl. Magistretti, Manuale I 11-16. 615 Ebd. II 53-62. Die nicht erwähnten Horen besitzen mutmaßlich keine festtagsspezifischen Eigentexte. 616 Der Vigil-Teil (vier Lesungen, jeweils mit Gesang und Gebet abgeschlossen; Messe) findet, wie in Mailand an den großen Festen üblich, infra Vesperas statt (vgl. Righetti, Manuale II 419), d. h. er ist zwischen das sog. Lucernarium, den Eröffnungsteil der Vesper, und die vesperale Psalmodie eingeschoben. 617 Magistretti, Manuale II 53f. <?page no="144"?> 132 Nun sind manche Teile der vorgestellten Grobstruktur verhältnismäßig leicht als spätere Erweiterungen zu erkennen. Sicher gab es, wie in Rom auch, ursprünglich nur eine Festmesse, und zwar die am Tage 618 . Die missa in nocte sancta ist sekundär nach Mailand übernommen worden 619 , ebenso wie die in den Manualien des 10./ 11. Jahrhunderts (mit einer Ausnahme) noch gar nicht erwähnte missa in aurora 620 . Auch die in drei Nokturnen (turmae) gegliederte Psalmodie der Matutin gehört nicht zum Grundbestand der Mailänder Kathedralliturgie. Ob Ambrosius - abgesehen von Ostern - an den Festen des Kirchenjahres eine Vigil feierte, ist in der Forschung umstritten. Zwar schreibt sein Biograph Paulinus ihm die Einführung von Vigilien in Mailand zu 621 ; was darunter genau zu verstehen ist, bleibt jedoch unklar 622 . Die Existenz einer Vigil vor Weihnachten ist demnach weder auszuschließen noch zu beweisen. 618 Vgl. Cattaneo, Messe di Natale 307f. Die ältesten Quellen für Mailand wie für Norditalien überhaupt bezeugen (neben der Vigilmesse) nur die Tagesmesse, so z. B. das im neunten Jahrhundert entstandene, noch auf eine vorkarolingische Redaktion zurückgehende Capitulare Evangeliorum Busto Arsizio, San Giovanni Battista, Cod. M I 14 (Borella 212; zu der Handschrift vgl. Gamber, Codices 272 [Nr. 541]). 619 Abgesehen von ihrem Fehlen in den ältesten Quellen erweist sie sich dadurch als sekundär, dass sie, ganz ungewöhnlich für Mailand, keine alttestamentliche Lesung besitzt. Die markanten Abweichungen zur römischen Leseordnung weisen darauf hin, dass Mailand sich im Unterschied zu Rom von Anfang an für Lc 2 als Festevangelium entschied. Erst bei der Einführung der Messe in nocte sancta brachte man den Johannes- Prolog, das alte römische Weihnachtsevangelium, zur Geltung, allerdings in gekürzter Form mit Zuspitzung auf das Licht-Motiv in Io 1,9. Mailand (Sakramentar von Biasca, 10. Jh.) Rom Vigilmesse Hebr 10,37-39 Rom 1,1-6 Mt 1,18-25 Mt 1,18-21 Messe in nocte sancta Gal 4,4-6 Tit 2,11-15 Io 1,9-14 Lc 2,1-14 Tagesmesse Is 9,1-7 Hebr 1,1-8 Hebr 1,1-12 Lc 2,1-14 Io 1,1-14 620 Vgl. Cattaneo, Messe di Natale 308. Die Mailänder missa in aurora gibt sich durch die Evangelienlesung Lc 2,15-20, die in paradoxer Weise der Verkündigung der Verse 1-14 in der alten Tagesmesse vorausgeht, als Anpassung an die römischen Gepflogenheiten zu erkennen. 621 Paul. Med. vita Ambr. 13 (Pellegrino 68): Hoc in tempore primum antiphonae, hymni et vigiliae in ecclesia Mediolanensi celebrari coeperunt; vgl. zu diesem Text Kap. 1.3.3. 622 Exemplarisch seien zwei gegensätzliche Positionen benannt. Cattaneo (Religione 76f.) sieht die These von (Voll-)Vigilien durch die Quellen nicht gestützt: „Pertanto voler parlare di veglie notturne (Vigiliae), o quotidiane o in preparazione alla domenica, non ha senso, né può soccorrere alcuna testimonianza. … Paolino ci assicura che Ambrogio introdusse novità nella celebrazione delle vigilie, ma non aggiunge alcuna dilucidazione, né soccorre il testo parallelo di Agostino, lasciandoci nella possibilità di fare tutte le ipotesi possibili, come di fatto avvenne, fra le quali quella che Ambrogio abbia unito al vespero ordinario una parte ‘vigiliare’, testimoniata però soltanto da documenti me- <?page no="145"?> 133 Es ergibt sich also folgende Grundstruktur der Weihnachtsliturgie des Ambrosius: Abendhore [Vigil ? ] Morgenhore Messe Abendhore Nicht nur der Aufbau der Gesamtliturgie hat sich in der Zeit zwischen dem vierten und elften Jahrhundert verändert; auch die Ausformung der einzelnen Bestandteile, etwa der Horen, war einem vielschichtigen Wandlungsprozess unterworfen 623 . Trotzdem erscheint die Annahme plausibel, Ambrosius habe den Hymnus von Anfang an der eröffnenden Abendhore (erste Vesper) 624 zugedacht. Zunächst bietet sich von den beiden Kardinalhoren die abendliche insofern für die Ansiedlung eines kirchenjahreszeitlichen Eigenhymnus besonders an, als sie im Unterschied zur Morgenhore nur einen Hymnus besitzt 625 . Der Wunsch, auch die Hymnodie des morgendlichen Offiziums (Matutin/ Laudes) vollständig dem Fest anzupassen, führte später außerhalb Mailands, da es zwei Hymnen zu ersetzen galt, zu der etwas unbeholfenen Lösung der divisio, einer Teilung des Hymnus in zwei dioevali per le feste dei santi, e quindi non sappiamo se attuata pure nei vesperi del sabato.“ Anders Paredi (Liturgia 152), der ausgehend von virginit. 19,126 (Cazzaniga 60; Peter und Paul) und epist. 77,2 (82/ 3,128; Übertragung der Gebeine von Gervasius und Protasius) betont, Ambrosius kenne sehr wohl die Vigil „come preparazione a feste di straordinaria solennità“, wie sie auch vor ihm und andernorts schon üblich gewesen sei. Die Formulierung des Paulinus bezieht Paredi darauf, Ambrosius habe die Gelegenheit ergriffen „di dare alle vigilie un determinato ordine e delle regole fisse“ (ebd. 152f.). Weitere Interpretationen der älteren Forschung (Bäumer, Batiffol, Magistretti, Bernareggi, Moneta) referiert Cattaneo, Breviario ambrosiano 26; vgl. ferner Taft, Liturgy of the Hours 174f. 623 Für die Horen der ungeprägten Zeit hat Ansgar Franz einen Rekonstruktionsversuch zum ambrosianischen Urbestand vorgelegt: Franz, Tagzeitenliturgie. Zu der hier in erster Linie interessierenden Vesper vgl. ebd. 27-39 sowie Winkler, Kathedralvesper 91-97. Das Abendgebet hatte nach Franz (a.a.O. 39) mutmaßlich folgende Struktur: Ps 140(141) - Hymnus Deus creator omnium - Ps 103(104) - Fürbittgebet und Segen. 624 Nach jüdisch-christlicher Auffassung beginnt der Tag mit dem Sonnenuntergang. Dass die Liturgie an diesem Grundsatz bis heute festhält, ist beispielsweise am Heiligen Abend abzulesen. Daher rührt auch die Tradition, schon die Vesper des Vorabends dem Festtag zuzurechnen (‘erste Vesper’). Diese besaß gegenüber der ‘zweiten Vesper’ „durch lange Zeit sogar das Übergewicht; sie dürfte die ursprüngliche Vesper sein. Dafür spricht der Umstand, daß andere Liturgien [als die römische] überhaupt nur diese erste Vesper kennen“ (Jungmann, Gottesdienst 195). 625 Nach Franz (ebd. 59f.) besaß die Mailänder Morgenhore zur Zeit des Ambrosius vermutlich folgenden Aufbau: [zum ‘Hahnenschrei’: vor Tagesbeginn] Hymnus Aeterne rerum conditor - Ps 50(51) - Canticum Ex 15,1-9 - Laudes-Psalmen 148-150 (+ 116[117]) - Canticum Mt 5,3-12 - Canticum Dan 3,57-90 - Canticum Is 26,9-20 - [in aurora: bei Tagesanbruch] Pss 62(63) und 89(90) - Laus Angelorum Gloria - Hymnus Splendor paternae gloriae. Zur Ansiedlung der Hymnen am Rand (Beginn bzw. Ende) der Horen vgl. Perret, Origines 47 („une sorte de prélude … ou au contraire une conclusion“). <?page no="146"?> 134 Hälften 626 . So sieht beispielsweise das unter der Ägide Bernhards von Clairvaux redigierte Hymnar der Zisterzienser vor, den Hymnus von Weihnachten bis Epiphanie zu singen, und zwar ganz zur Vesper und ein weiteres Mal aufgeteilt auf Matutin (Strophen 1 bis 4) und Laudes (Strophen 5 bis 8) 627 - ebenso verfährt die Kartause 628 . Freilich wird sich anhand des Epiphaniehymnus Inluminans altissimus und des Paschahymnus Hic est dies verus Dei zeigen 629 , dass man in der Mailänder Morgenhore ursprünglich das Nebeneinander von allgemeinem Tagzeiten- (Aeterne rerum conditor) und Festhymnus in Kauf nahm. Für die ursprüngliche Verwurzelung des Hymnus Intende qui regis Israel in der ersten Vesper der mailändischen Weihnachtsliturgie spricht jedoch vor allem der Text des auf den Hymnus folgenden Responsoriums, der aus Versen des Hymnus zusammengesetzt ist 630 . Dieses responsorium in choro oder responsorium post hymnum, das im Normalfall Psalmverse aufnimmt, stellt vermutlich den Überrest einer kathedralen Psalmodie dar, die ursprünglich im täglichen Gesang von Ps 103(104) bestanden haben dürfte 631 . Wenn es in diesem Fall ganz auf den Weihnachtshymnus abgestimmt ist, wird deutlich, dass dieser schon zu einem frühen Zeitpunkt eine prägende Kraft auf die Mailänder Weihnachtsvesper ausübte. In dieselbe Richtung deutet, dass die Verse 2,1f. des Hymnus (Veni redemptor gentium, ostende partum virginis) als zweite Antiphon der vesperalen Psalmodie (zu Ps 84[85],8ff.: Ostende nobis Domine …) aufgegriffen werden 632 . Bemerkenswert ist, dass zur Zeit des Ambrosius im alltäglichen Abendgebet eine enge inhaltliche Verbindung zwischen dem Hymnus Deus creator omnium und dem folgenden Psalm 103(104) besteht, die im Motiv der Schöp- 626 Zur gelegentlich in den Handschriften begegnenden Teilungsmarke, die die Aufteilung des Hymnus auf verschiedene Horen erlaubte, vgl. Mone, Hymnen 43; Kurz, Intende 122 Anm. 79. Die divisio erfolgte vor Vers 5,1 bzw. vor Vers 6,1, wenn die erste Strophe fehlte. Einen kuriosen Sonderfall stellt ein Brevier aus Laon (1593) dar, das den zweiten Teil des Hymnus mit dem Incipit Egressus Christi a Patre der Komplet des Himmelfahrtsfests zuweist (vgl. RH 1, 315 [Nr. 5267]). 627 Vgl. CLS 2, 69 (dazu Waddell, Cistercian Hymnal 62). Der erste Teil des Hymnus wurde dann auch noch in der Matutin an Epiphanie und in der Epiphanieoktav gesungen, da der Epiphaniehymnus Inluminans altissimus aufgrund seiner poetischen Struktur keine divisio erlaubte (vgl. Waddell, ebd. 81f.). 628 BrevCart 221. 629 Vgl. Kapp. B 4.1 und C 5.1. 630 R Praesepe iam fulget tuum, lumenque nox spirat novum: veni redemptor gentium, ostende partum virginis. (= 8,1f.; 2,1f.) V Non ex virili semine, sed divino spiramine: veni redemptor gentium, ostende partum virginis. (= 3,1f. [im Hymnus heißt es mystico statt divino]; 2,1f.) R Praesepe iam fulget tuum, lumenque nox spirat novum: veni redemptor gentium, ostende partum virginis (Magistretti, Manuale II 54). Außerhalb Mailands ist dieses Responsorium unter allen von Hesbert für das CAO zusammengetragenen Quellen nur in einer einzigen Handschrift aus Soissons (13. Jh.) belegt (Paris, Bibliothèque Nationale, lat. 1259): CAO VI, 11 m. Anm. 40. 631 Vgl. Franz, Tagzeitenliturgie 34-36. 632 Magistretti, Manuale II 56. <?page no="147"?> 135 fung begründet ist. Die entscheidende Funktion, die die Zitate aus den Psalmen 79(80) und 18(19) für Struktur und Aussage des Weihnachtshymnus besitzen 633 , wirft vor diesem Hintergrund die Frage auf, ob diese Psalmen in der Weihnachtsvesper des Ambrosius erklungen sind. Die mittelalterliche Liturgie Mailands siedelt beide Psalmen ebenso wie die römische bereits im Advent an 634 , wobei insbesondere der Gebrauch von Ps 18(19),6f. nochmals in der Weihnachtsmatutin kulminiert 635 . Da weder die liturgische Ausgestaltung der Adventszeit noch die überlieferte Form der Matutin in die Zeit des Ambrosius zurückreichen, kann es sich dabei durchaus um eine sekundäre Verwendung handeln. Wenn jedoch ursprünglich einer der beiden Psalmen dem Hymnus folgte, warum beeinflusste er dann nicht analog zu dem für die ungeprägten Tage beobachteten Phänomen die Gestalt des weihnachtlichen responsorium in choro? Ein weiteres Indiz für die ursprüngliche Situierung des Hymnus in der Vesper könnte schließlich darin zu erblicken sein, dass seine Schlussstrophe deutliche Anklänge an Strophe 5 des Abendhymnus Deus creator omnium (Perrin 239) aufweist. Deus creator omnium, Str. 5: Intende qui regis Israel, Str. 8: ut, cum profunda clauserit praesepe iam fulget tuum diem caligo noctium, lumenque nox spirat novum, fides tenebras nesciat, quod nulla nox interpolet et nox fide reluceat fideque iugi luceat Es erscheint denkbar, dass Intende qui regis Israel in bewusster Anspielung auf den Hymnus, den er in der Weihnachtsvesper ersetzt, das Motiv des die Nacht erleuchtenden Glaubens aufgreift, es nun aber mit dem Kommen des Erlösers als seiner Quelle verknüpft. Die ältesten literarischen Zeugnisse für die Verwendung des Hymnus bestätigen seine Bindung an das Weihnachtsfest, verraten aber nichts Genaueres über seinen liturgischen Gebrauch 636 . Die Handschriften 637 rubrizieren den Hymnus in natali Domini oder de/ in nativitate Domini. Das älteste Manuskript Fa bezeichnet ihn als Hymnus natali Domini dicendus. Generell erscheint Intende qui regis Israel bzw. Veni redemptor gentium in den ältesten 633 Vgl. die Strophen 1 und 5f. (dazu Kapp. 4.1.2 und 4.3.2f.). 634 Vgl. Rose, Psaumes 229-233 m. Anm. 42 bzw. 242f. m. Anm. 5. 635 Vgl. den Beginn der ersten und zweiten turma (Magistretti, Manuale II 56f.). 636 Papst Caelestin (im Jahr 430; vgl. dazu Kap. 1.3.1), nach Arnob. Iun. confl. 2,13 (CChr.SL 25A,112 Daur): Recordor beatae memoriae Ambrosium in die Natalis Domini nostri Iesu Christi omnem populum fecisse una voce canere: ‘Veni, Redemptor gentium, ostende partum Virginis; miretur omne saeculum, talis decet partus Deum’; Faust. Rei. epist. 7 (CSEL 21,203 Engelbrecht): in hymno sancti antestitis et confessoris Ambrosii, quem in natali dominico catholica per omnes Italiae et Galliae regiones persultat ecclesia; Cassiod. in psalm. 8,10 (CChr.SL 97,95 Adriaen): beatus Ambrosius hymnum Natalis Domini eloquentiae suae pulcherrimo flore compinxit; die Weihnachtspredigt Ps.-Aug. serm. 372,3,3 (PL 39,1663): pulcherrime cecinit beatus Ambrosius in hymno, quem paulo ante cantastis. 637 Vgl. zum Folgenden Jullien, Tradition 532f. <?page no="148"?> 136 Handschriften als einziger Weihnachtshymnus. Im Zuge der Erweiterung des Repertoires zum ‘Neuen Hymnar’ treten weitere Hymnen hinzu, allen voran Christe redemptor omnium. Einige Handschriften spezifizieren nun die Horen, zu denen die einzelnen Hymnen zu singen sind. Intende/ Veni ist dann im Allgemeinen der Hymnus der Vesper 638 , worin sich erneut seine angestammte Verbindung mit dieser Hore manifestiert. Eine wichtige und folgenreiche Eigenheit der Verwendungsgeschichte des Hymnus besteht darin, dass er, beginnend mit dem Ende des 10. Jahrhunderts und zum späteren Mittelalter hin zunehmend, auf den Advent verlegt wird. Die ältesten Zeugen dafür aus der Zeit um 1000 konzentrieren sich auf zwei Regionen: Nordfrankreich (Fi und Fp) 639 sowie Süddeutschland (Ae und Af) 640 . Nach 1125 bezeichnet der aus dem lombardischen Brolo stammende und am byzantinischen Hof tätige Gelehrte Moses von Bergamo ( wohl nach 1156) 641 Veni redemptor gentium als „totius adventus hymnus“ 642 . Das Spätmittelalter kennt den Hymnus dann ganz überwiegend als Adventslied 643 : Hier setzt auch seine Rezeptionsgeschichte im deutschen Kirchenlied an. Mentalitätsgeschichtlich werden in diesem Wandel des Verwendungszusammenhangs dieselben Verschiebungen greifbar, die auch den Ausfall der ersten Strophe in weiten Teilen der Tradition begünstigt hatten. Man könnte von einer Ent-Eschatologisierung des Weihnachtsfestes sprechen: War ursprünglich das Gedächtnis der ersten Ankunft Christi eng mit der Erwartung der zweiten Ankunft, das heißt der endzeitlichen Wiederkehr, verknüpft, so barg die Entstehung einer liturgisch ausgestalteten Vorbereitungszeit auf Weihnachten (Advent) 644 die Gefahr in sich, die zunächst mit 638 Ausnahmen bilden unter den Handschriften bis einschließlich zum 11. Jh., die Intende/ Veni als Weihnachtshymnus vorschreiben, die Manuskripte Fk (vgl. Kap. 2.1), Sh (St. Gallen, 2. Viertel 11. Jh.; dazu Jullien, Sources 123f.) sowie Ge (Canterbury, 11. Jh.; dazu Jullien, ebd. 135f.), die den Hymnus für das nächtliche Stundengebet vorsehen. Dasselbe gilt für das Manuskript Gh (Canterbury, 11./ 12. Jh.; dazu Jullien, ebd. 139f.), das Veni redemptor gentium außerdem zusätzlich der Vesper an Epiphanie zuweist. 639 Zu Fi (spätes 10. Jh.) vgl. Kap. 2.1; zu Fp (Corbie, 11. Jh.) vgl. Jullien, Sources 128f. 640 Zu Ae (Kempten, um 1000) vgl. Kap. 2.1; zu Af (Freising, 1. Viertel 11. Jh.) vgl. Jullien, Sources 124f. Af sieht den Hymnus zweimal vor, offenkundig („mais aucun titre n’est lisible“) für Advent und Weihnachten (Jullien, Tradition 532). Vgl. dann auch das Antiphonar von Bamberg (Staatliche Bibliothek Bamberg, lit. 23; Ende 12. Jh.), das Veni als Hymnus zur Vesper des ersten Adventssonntages nennt (CAO I, 2; zur Hs. vgl. ebd. p. XX). 641 Zur Person vgl. Kany, Moses, und Pabst, M. v. Bergamo. 642 Expositio 28 (Gustafsson 27): De hoc verbo [sc. ] dicitur latine compositum interpolare, sicut sanctus Ambrosius in totius adventus hymno ‘quod nulla nox interpolet’ id est interveniat. 643 Daniel, Thesaurus I 12: „reperitur in breviariis vetustis fere omnibus, poniturque ad Vesperas vel ad Completorium in Adventu Domini, raro in ipsa Nativitate“; vgl. auch RH 2, 716 (Nr. 21234). 644 Im Ursprung dürfte sich der Advent analog zur vorösterlichen Quadragesima als Zeit der Vorbereitung auf die Taufe an Epiphanie verstanden haben. Tatsächlich führen die <?page no="149"?> 137 dem Fest selbst verbundene Erwartungshaltung in diese Vorbereitungszeit zu verlegen. Das Weihnachtsfest erscheint so nicht mehr als Träger, sondern vielmehr als ein Gegenstand dieser Erwartung 645 . Aus dem Fest der Erfüllung in Erwartung oder der Erwartung aus Erfüllung wird einseitig ein Fest nur mehr der Erfüllung. Ein beredtes Zeugnis dieser Sicht legt die Handschrift Ff aus dem Lyon des neunten Jahrhunderts ab, in der nicht nur die erste Strophe des Hymnus, die ihm sein eschatologisches Profil vorgibt, fehlt, sondern auch der eröffnende Imperativ der zweiten Strophe in eine Indikativform überführt ist. Aus der Bitte: Veni, redemptor gentium, / ostende partum virginis, wird die Mitteilung: Venit redemptor gentium / ostendens partum virginis. Wer diese Variante, die übrigens von Lyon aus ins Hymnar der Kartause eingedrungen zu sein scheint, wo sie sich bis heute findet, zu verantworten hat, ertrug offenkundig nicht die spannungsvolle Offenheit der Kommensbitte im Kontext des Weihnachtsfestes. Die weitaus häufiger gewählte Alternative zu diesem Eingriff in den Textbestand stellte die Verschiebung des gesamten Hymnus in die Adventszeit dar, in der der Flehruf veni zwar auch noch eschatologisch, daneben jedoch auf das bevorstehende Geburtsfest bezogen verstanden werden konnte, ja beinahe musste. Obgleich der Hymnus in der frühen Neuzeit eine weit gestreute Verbreitung in regionalen 646 und monastischen 647 Brevieren besaß, fand er nach dem Konzil von Trient keinen Eingang in das Breviarium Romanum (1568), wohl aber nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil in die neu geordnete Liturgia Horarum. Hier ist er als Hymnus zur Lesehore in der Zeit vom 17. bis 24. Dezember vorgesehen 648 . Die überkommene Zuordnung des Hymnus zum Advent wird also beibehalten; gleichzeitig jedoch wird durch den Zeitansatz im fortgeschrittenen Advent eine gewisse Anbindung an das Weihnachtsfest ältesten Spuren nach Gallien und Spanien und lassen „eine ursprüngliche Quadragesima S. Martini“ erahnen, „die vom 11. November bis Epiphanie (6. Januar) dauerte, d. h. eine Fastenzeit von acht Wochen (56 Tage), wobei nach gallischem (und orientalischem) Brauch am Samstag und Sonntag nicht gefastet wurde“ (Auf der Maur, Feiern 180). Dabei ist zu bedenken, dass in Gallien und Spanien „der Advent zunächst nur eine asketische Vorbereitung auf Weihnachten/ Epiphanie war und bis ins 6./ 7. Jh. keine spezifische liturgische Ausgestaltung kannte“ (ebd. 181). 645 Walter Croce konnte zeigen, dass die ältesten Ausprägungen einer Adventsliturgie von diesem Thema bestimmt waren: „die Feier der Menschwerdung des Gottessohnes in der Erwartung seiner heilbringenden Geburt“ (Adventsliturgie 270). Dies gilt auch für die römische Adventsliturgie, die ab der Mitte des sechsten Jahrhunderts greifbar ist. Freilich tritt vor allem in Gallien und Spanien „vom siebten Jahrhundert an die Erwartung der Wiederkunft Christi [als] das vorherrschende Thema“ hervor (Croce, a.a.O. 290). Interessanterweise entsteht die eschatologische Orientierung des Advents dort, wo er von alters her als Zeit der Taufvorbereitung Bußcharakter getragen hatte. Rom hingegen lehnte die Taufe an Epiphanie ab (vgl. S. 22 Anm. 70), sodass der frühen römischen Adventsliturgie diese Prägung fehlte. 646 Vgl. RH 2, 716 sowie RH 5, 396 (Nr. 21234). 647 Z. B. Dominikaner, Karmeliter, Prämonstratenser, Zisterzienser, Kartäuser (vgl. auch Daniel, Thesaurus I 12f.; Kayser, Beiträge 171; Lentini, Te decet hymnus 77 [Nr. 75]). 648 LH 1, 255. <?page no="150"?> 138 wiederhergestellt. Hinsichtlich des Textbestandes zeigt sich auch in diesem Fall der im Hymnar der geltenden Ordnung häufig zu beobachtende beklagenswerte Mangel an Sensibilität gegenüber der poetischen und theologischen Struktur der Hymnen, der hinter dem Anspruch des Konzils, die Hymnen in ihrer alten Gestalt wiederherzustellen (SC 93), weit zurückbleibt. Von den Originalstrophen des Ambrosius erscheinen nur sechs, ergänzt um die Doxologiestrophe. Nonchalant teilt Anselmo Lentini, der Bearbeiter des Hymnars, mit, man habe die erste (Intende) und die sechste Strophe (Egressus) „per brevità“ ausgelassen 649 . Wie unsere Interpretation gezeigt hat, sind auf diese Weise mit sicherem Gespür gerade diejenigen Strophen gestrichen, die für das spirituelle Profil des Hymnus besonders wichtig sind, insofern sie die eschatologische (Strophe 1) bzw. die heilsgeschichtlich-paschale Perspektive (Strophe 6) des Textes wesentlich tragen. Nicht besser stellt sich der Befund im deutschen Stundenbuch dar, das „Du Heiland aller Völker, komm“ während der gesamten Adventszeit alternativ zu „Gott, heil’ger Schöpfer aller Stern’“ (Conditor alme siderum) als Hymnus zur Vesper anbietet. Hier bleiben in der Zeit bis zum 16. Dezember nur noch drei Strophen des Ambrosius übrig (2, 5 und 6) 650 , vom 17. bis 24. Dezember tritt die achte Strophe hinzu 651 . Zwar ist so die sechste Strophe mit der Entfaltung des zentralen Weg-Motivs zurückgewonnen; dafür fehlt neben der eschatologischen Eingangsstrophe die siebte Strophe, die den Bogen zwischen Weihnachten und Pascha besonders deutlich schlägt. Außerdem bleibt es unbefriedigend, dass man nicht bereit war, sich den offenkundig als nicht mehr zeitgemäß erachteten Reflexionen der nur scheinbar mariologischen Strophen 3 und 4 zu stellen. 5.2 Die Melodien des Hymnus Im Wesentlichen verbinden sich in der handschriftlichen Überlieferung zwei Melodien mit dem Hymnus. Die erste entstammt der Mailänder Tradition und erlangte von hier aus eine weite Verbreitung 652 . Unter anderem wurde sie mit dem Mailänder Hymnar von den Zisterziensern übernommen 653 . Die älteste erhaltene Quelle für die Melodie ist ein Mailänder Graduale und Antiphonar aus dem zwölften Jahrhundert (London, British Museum Add. 34209) 654 . 649 Lentini, Te decet hymnus 77 (Nr. 75). 650 Stundenbuch 1, 4. 651 Ebd. 133. 652 Handschriften, die diese Melodie enthalten, sind aufgelistet bei Huglo, Fonti 93.99. 653 Vgl. Waddell, Cistercian Hymnal 64-67; Stäblein, Hymnenmelodien 30 (Melodie 14 2 ). 654 Die Handschrift liegt als Faksimile vor in der Reihe ‘Paléographie musicale’, Nr. 5. Der Hymnus findet sich auf fol. 29v (p. 58). Die Abbildung ist der Transkription in ‘Paléographie musicale’, Nr. 6 entnommen (S. 67). Vgl. die Editionen Stäbleins (Hymnenmelodien 8 [Melodie 14 1 ]) und Waddells (CLS 2, 70) nach der Handschrift Mailand, Biblioteca Trivulziana 347 (fol. 204r-206v) aus der Mitte des 14. Jahrhunderts, dem hinsichtlich der musikalischen Überlieferung vollständigsten Mailänder Hymnar. Ferner <?page no="151"?> 139 Die zweite Melodie korreliert vor allem in deutschen, aber auch in französischen und italienischen Handschriften mit der Verschiebung des Hymnus in den Advent. Martin Luthers deutsche Übertragung des Hymnus, „Nun komm, der Heiden Heiland“ 655 , erscheint 1524 in Erfurt mit einer Weise, die (wohl von Luther selbst) aus dieser Melodie entwickelt ist 656 . Die folgende Abbildung 657 stellt die Hymnenmelodie nach der Edition Stäbleins 658 aus dem Manuskript Klosterneuburg, Stiftsbibliothek 1000 (datiert auf das Jahr 1336 659 ) der Lutherschen Melodie gegenüber. Ve - ni red - emp - tor gen - ti - um, os - ten - de par - tum vir - gi - nis; Nun komm der Hei - den Hei- land, der Jung- frau - en Kind er - kannt. mi - re - tur om- ne sae - cu- lum: ta - lis de - cet par- tus de- um. Dass sich wun- der al - le Welt, Gott solch Ge - burt ihm be- stellt. Die Verse bzw. Melodiezeilen des Hymnus sind im Lied von acht auf sieben Silben verkürzt. Dabei wird „diese Reduktion zur Verminderung von Tonwiederholungen“ 660 genutzt. Die Platzierung der Spitzentöne innerhalb der Zeilen 1 und 3 sowie der Einsatz einer Punktierung in Zeile 2 dienen der Hervorhebung wichtiger Elemente des Textes. Zeile 4 „orientiert sich nur noch ganz locker an der Vorlage, wiederholt dafür tongenau die erste Zeile. Das gibt der Melodie große Geschlossenheit und innere Plausibilität“ 661 . ist auf die Edition Garbagnatis (Inni 38-40) zu verweisen, der sich auf das ambrosianische Antiphonar von Vimercate (13. Jh.; fol. 53r) stützt und auch melodische Varianten verzeichnet. 655 Zum Text vgl. Kap. 5.3. 656 Vgl. dazu Marti, Nun komm 9-11 (dort auch Hinweise auf weitere Literatur). 657 Nach Marti, ebd. 10. 658 Stäblein, Hymnenmelodien 217 (Melodie 503 1 ). Zu Varianten vgl. ebd. 568. 659 Vgl. Huglo, Fonti 92. 660 Marti, Nun komm 10. 661 Ebd. 10f. <?page no="152"?> 140 Abgesehen von den beiden erwähnten angestammten Melodien begegnet der Hymnus im Mittelalter entsprechend der gängigen Praxis, Hymnenmelodien unter Texten gleicher Form auszutauschen 662 , mit einer Vielzahl unterschiedlicher Weisen 663 . 5.3 Der Hymnus als deutsches Kirchenlied Nach einer mittelhochdeutschen Interlinearübersetzung aus dem zwölften Jahrhundert gilt als die älteste poetische Übertragung des Hymnus ins Deutsche diejenige von Heinrich von Laufenberg (1418: „Kum har, erlöser volkes schar“). Eine weitere Übersetzung aus dem 15. Jahrhundert ist in einer Handschrift des Marzellen-Gymnasiums Köln überliefert 664 . Eine interessante Station der Rezeptionsgeschichte unseres Hymnus stellt die Reformationszeit dar. Hatte der Hymnus schon in seiner Entstehungszeit im Spannungsfeld dogmatischer Debatten gestanden, so wird seine Übertragung nun zum Ort innerreformatorischer Richtungskämpfe. Im Jahr 1523 edierte Thomas Müntzer sein „Deutsch Kirchen ampt“, in dessen Anhang sich zehn Hymnenübertragungen befanden, darunter eine von Müntzer selbst besorgte Übersetzung von Veni redemptor gentium, vorgesehen als Hymnus der Laudes im „ampt auff das advent“ 665 . Dass Martin Luther bald darauf eine eigene Fassung erstellte und sie 1524 in den Erfurter Enchiridien und im Chorgesangbuch Johann Walters veröffentlichte, versteht sich wohl auch als direkte Reaktion auf die Übersetzungen Müntzers, in denen Luther „das von ihm verkündigte Evangelium so sehr verfälscht [sah], daß er schleunigst gereinigte Liedfassungen anbieten [mußte]“, um „den Einfluß 662 Vgl. Schlager, Hymnus 486f. 663 Stäblein (Hymnenmelodien) gibt für folgende verbreitete Hymnenmelodien an, sie seien auch mit Intende/ Veni verbunden worden: Nrn. 6 (Stammmelodie zu Iam surgit hora tertia), 17 (Stammmelodie zu Hic est dies verus Dei), 53, 64, 71, 502. Exzeptionell sind die Melodien im Veronenser Hymnar Biblioteca Capitolare CIX (11. Jh.) (ebd. 365 [Melodie 703]), im Hymnar von Worcester (Cathedral Library F 160; 13. Jh.) (177 [Melodie 406]), im Hymnar St. Florian, Stiftsbibliothek XI 407 aus dem Chorherrenstift Dürnstein/ Donau (15. Jh.) (ebd. 328 [Melodie 597]) und schließlich die „unoriginelle und hölzerne Weise“ (ebd. 540) aus dem Hymnar von Nevers (Paris, Bibliothèque Nationale n. a. lat. 1235; 12. Jh.) (ebd. 80 [Melodie 138]). 664 Kurz (Intende 151-161) bietet eine Synopse von 20 deutschen Übersetzungen des Hymnus (einige vorwiegend sprachliche Bemerkungen dazu ebd. 136-143; weiterhin ebd. 133-136 eine Übersicht über Zitate und Anspielungen auf Intende qui regis Israel in anderen lateinischen Hymnen). Die erwähnten Versionen sind ebd. die Nummern 1-3 (S. 151f.). Vgl. außerdem die Liste der Übertragungen bei Koch, Geschichte 48. Poetische Übersetzungen in Anthologien des 19. Jahrhunderts stellt Kayser (Beiträge 173 Anm. 1) zusammen. Elf englische Übersetzungen aus dem 19. Jahrhundert sind aufgeführt bei Julian, Veni. 665 Zitiert nach Göser, Kirche und Lied 117. <?page no="153"?> 141 Müntzers auf die sich allerorts entfaltenden Gottesdienstordnungen ein[zu]dämmen“ 666 . Ambrosius Thomas Müntzer 1523 Martin Luther 1524 667 Veni, redemptor gentium, O Herr, erlöser alles volcks, Nu kom der heyden Heyland/ ostende partum virginis; kum zeych uns die geburt deyns sons, der iungfrawen kind erkand/ miretur omne saeculum: es wundern sich all creaturen, Das sich wunder alle welt/ talis decet partus Deum. das Christ also ist mensch worden. Gott solch geburt yhm bestelt. Non ex virili semine, Zu solchem werck kam nye keyn man, Nicht von mans blut noch von fleysch/ sed mystico spiramine der heylge geyst hat solchs gethan, alleyn von dem heylgen geyst/ verbum Dei factum est caro deyn ewiges wort so vormenschet Ist Gotts wort worden eyn wardt, mensch/ fructusque ventris floruit. der junckfrawen leyb blüet so zart. vnd bluet eyn frucht weybs fleysch/ Alvus tumescit virginis, Er schwank sich in der junckfrawen Der iungfraw leyb schwanger schoß, ward/ claustrum pudoris permanet, groß freude wart auch solchem loß, doch bleyb keuscheyt reyn beward/ vexilla virtutum micant, in uns zu wonen, er begeret hat, Leucht erfur manch tugent schon/ versatur in templo Deus. beschlossen durch gotlichen rath. Gott da war ynn seynem thron. Procedit e thalamo suo, Also ist nun deyn heylges fleisch Er gieng aus der kamer seyn/ pudoris aula regia, der welt kunth worden allermeist, dem koniglichen saal so reyn/ geminae gigans substantiae, do Christ vom hymel hernydder kam Got von art vnd mensch eyn hellt/ alacris ut currat viam. und unser sunde auff sich nam. seyn weg er zu lauffen eyllt/ Egressus eius a Patre, Sein außgang ist vom vater her, Seyn laufft kam vom vater her/ regressus eius ad Patrem; seyn heymgang auß dyser welt ferr, vnd kert widder zum vater/ excursus usque ad inferos, steyg zu der hellen mit grosser macht, Fur hyn vntern zu der hell/ recursus ad sedem Dei. nach dem der todt wart do geschlacht. vnd widder zu Gottes stuel. Aequalis aeterno Patri, Nun sitzt er, seynem vater gleich, Der du bist dem vater gleich/ carnis tropaeo cingere, mit unserm fleisch im hymel reych, fur hynnaus den sieg ym fleysch/ infirma nostri corporis uns zu leren, seynen willen thun, Das deyn ewig Gotts gewalt/ virtute firmans perpeti. das wir ym glauben nemen zu. ynn vns das krank fleysch enthalt. Praesepe iam fulget tuum Deyn krippen glentzt hell vnd klar/ lumenque nox spirat novum, dye nacht gibt eyn new liecht dar/ quod nulla nox interpolet Tunckel mus nicht komen dreyn/ fideque iugi luceat. der glaub bleyb ymer ym scheyn. Got vater sey nun lob und preyß, Lob sey Gott dem vater thon/ der alle ding in warheyt weyß, Lob sey Gott seym eynigen son/ Jhesu Christ, aller werlet heylant, Lob sey Gott dem heyligen geyst/ der uns seynen geyst hat gesant. Amen. ymer vnd ynn ewigkeyt. 666 Rößler, Da Christus geboren war 140. Luthers Lied wurde anfänglich sowohl im Advent als auch an Weihnachten gesungen, jedoch „in der Folgezeit … vom Weihnachtsfest selbst mehr und mehr abgelöst und als eigentliches Adventslied verwendet“ (Werthemann, Studien 31). 667 Die Texte Müntzers und Luthers sind zitiert nach Herbst, Gottesdienst 55f. <?page no="154"?> 142 Es kann an dieser Stelle nicht das Ziel sein, die Texte Müntzers und Luthers im Einzelnen zu betrachten. Dies ist oft getan und sogar zum Gegenstand einer Monographie gemacht worden 668 . Jedoch sollen einige grundlegende Tendenzen skizziert werden. Zunächst fällt auf, dass Müntzer sich grundsätzlich sehr viel stärker von der Vorlage emanzipiert als Luther. Eine eigentliche, wenn auch vielfach freie und in manchen Punkten den Hymnus stark modifizierende Übersetzung liefert er nur zu den Strophen 1 669 , 2 und 5. Die Strophen 3 und 4 orientieren sich nur grob an den ambrosianischen, wobei die Thematisierung Marias signifikant zurücktritt. Der Umgang Müntzers mit Strophe 6 ist exemplarisch für die grundlegenden Verschiebungen im Sinngehalt, die er dem Text angedeihen lässt. Ambrosius trifft eine christologische Wesensaussage (aequalis aeterno Patri), um von hierher die Katabasis des Sohnes, seine Menschwerdung, in ihrer Erlösungswirkung in den Blick zu nehmen. Bei Müntzer geht es umgekehrt um die Vergottung des Menschen: In anabatischer Perspektive wird „nicht die gnadenhafte Erniedrigung Gottes ins Menschliche, sondern [der] … Aufstieg des Menschen zu Gott betont“ 670 . Strophe 7 fehlt ganz, doch wird zumindest das Stichwort ‘Glauben’ noch in Strophe 6 integriert (6,4). Die Krippe von Betlehem interessiert Müntzer nicht: Ihm ist weit weniger an der Heilsbedeutung der biblischen Geschichte gelegen, für die das Leuchten der Krippe steht, als am exemplarischen Charakter des Christusereignisses für das, was jeden Menschen betrifft - „die Geburt Gottes in uns“ 671 . Vor diesem Hintergrund 668 Göser, Kirche und Lied; vgl. besonders den interpretatorischen Teil 116-179 (dort auch Hinweise auf die weitere Literatur). Göser liefert äußerst scharfsinnige Interpretationen zu den reformatorischen Übertragungen (zu Recht hervorgehoben von Franz, Rez. Göser 208), die die zugrunde liegenden theologischen Differenzen klar hervortreten lassen. Problematisch ist jedoch, dass Göser auch die Auslegung des lateinischen Originals ungebrochen im Licht der reformatorisch-ekklesiologischen Fragestellungen vornimmt. So kommt er auf Schritt und Tritt zu ganz und gar anachronistischen Deutungen, wie das folgende Beispiel zeigt. Zur Schlussstrophe bemerkt Göser (147): „Der lateinische Hymnus … fixiert den Glauben im ‘Glanz’ der Krippe auf seinen objektiven, heilsgeschichtlichen Grund, das Gnadenwunder der Menschwerdung, und definiert das Gottesverhältnis im ‘Licht der Gnade’ und also in Abhängigkeit kirchlicher Heilsvermittlung.“ Mehrfach betont Göser in ähnlicher Weise, der Hymnus formuliere „einen universalen Herrschaftsanspruch der Gnade in der Welt und damit der die Gnade als solche verwaltenden Institution Kirche“ (125). Eine solche Sicht liegt dem Hymnus jedoch fern: Es geht in keiner Weise um die Kirche als „objektive Heilsanstalt“ (115), sondern vielmehr um die Vergegenwärtigung des Heils mittels liturgischer Anamnese. Die Hymnen des Ambrosius sind nicht als Medium mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Ekklesiologie, sondern als Ausdruck altkirchlicher Spiritualität und Liturgietheologie zu lesen. 669 Die Strophenzählung richtet sich hier nach der für die Übertragungen maßgeblichen Fassung, in der die originale Eingangsstrophe fehlt. Die Strophe Veni, redemptor gentium erscheint daher als Strophe 1. 670 Göser, Kirche und Lied 147. 671 Rößler, Da Christus geboren war 144f. Vgl. Göser, Kirche und Lied 140: „Dementsprechend ist die historische ‘hernydder’-Kunft Christi, von der Müntzer anstelle eines heilsgeschichtlichen Gnadenwunders handelt, exemplarische Manifestation der unge- <?page no="155"?> 143 versteht sich die in vielen Einzelheiten greifbare christologische Defokussierung des Liedes, die gleich zu Beginn unübersehbar wird, wenn im Unterschied zum Hymnus und der Übertragung Luthers keine Anrede an den Sohn, sondern an den Vater erfolgt (1,2: „deyns sons“; 2,3: „deyn ewiges wort“). Lässt sich also zusammenfassen: „Diskontinuität gegenüber einer spezifisch kirchlichen Tradition ist die geradezu programmatische Haltung, mit der Müntzer an die Bearbeitung des ambrosianischen Weihnachtshymnus geht“ 672 , so sucht Luther geradezu ostentativ den Anschluss an die im Hymnus verbürgte dogmatische Tradition 673 . Das schließt wohlgemerkt die Setzung eigener Akzente, die denen Müntzers diametral entgegenstehen, durch sprachliche Details nicht aus. Gegen Müntzer stellt Luther den „Anspruch eines nur ‘extra nos in Christo’ objektiv verfügbaren und kirchlichinstitutionell vermittelten Heils“ 674 wieder her. So betont beispielsweise die Wendung „Ist Gotts wort worden eyn mensch“ (2,3) die Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit der Inkarnation als heilsgeschichtlichen Datums 675 im Gegensatz zu Müntzers exemplarischer Deutung der Menschwerdung, die diesem in Wirklichkeit ein Modus der Gottwerdung des Menschen ist. Auffällig ist auch, dass Luther anders als Müntzer die mit der Jungfrauengeburt befassten Strophen 3 und 4 des Ambrosius mit vollem Gewicht gelten lässt. Während Müntzer das geschichtliche Ereignis zugunsten des Wohnens Gottes in uns (3,3) entwertet, „gibt Luther so peinlich genau die Vorstellungen des Hymnus zur Jungfrauengeburt wieder“, um gegen einen „geschichtslose[n], in die Innerlichkeit verflüchtigte[n] Glaube[n]“ das „einmalige, aber teilt-göttlichen Bestimmung des Menschen.“ Ebd. 146: Müntzer überführt „das sakramentale Heil der Gnade in die exemplarische Gnade der Heiligung“ [Hervorhebung im Original]. 672 Göser, Kirche und Lied 119. 673 Rößler, Da Christus geboren war 142: „Luther dagegen hält sich an seine Vorlage in einer Weise, die an Schwerfälligkeit grenzt; manche Zeile wird bloß im Vergleich zum Urtext verständlich. … Meiner Meinung nach gibt es nur eine Deutung: soll es Luther wirklich gelingen, Müntzers Liedfassungen aus dem Feld zu schlagen, muß er die Autorität der lateinischen Vorlage, ihren sensus litteralis auf seiner Seite haben; zudem kann er sich weitgehend mit der Theologie der Hymnen identifizieren. Die Schwerfälligkeit ist bewußte Regie, sie hat polemischen, aus der Frontstellung erklärbaren Charakter.“ Auch Hahn (Evangelium 291) begreift Luthers Übersetzungen lateinischer Gesänge „als bewußt aufgenommene Elemente des Gewohnten, Vertrauten, Abgesicherten“, in denen „in erster Linie das gute Erbe der Alten bewahrt und falsche Neuerung abgewiesen werden sollte“. 674 Göser, Kirche und Lied 157. 675 Vgl. Rößler, Da Christus geboren war 143. Hahn, Evangelium 292: „Es ist möglich, daß Luther seine Hymnenübersetzungen, die der dogmatischen Christologie der Vorlagen folgen und die Einmaligkeit der Person und des Werkes Christi und sein stellvertretendes Für-uns-Sein noch herausarbeiten, den Verfälschungen der ‘Schwärmer’ gezielt entgegengestellt hat.“ <?page no="156"?> 144 damit auch wirkliche Geschehen der Menschwerdung des ewigen Wortes festzuhalten“ 676 . Die in beiden Übertragungen zum Ausdruck kommenden Tendenzen stellt Göser unter die Begriffe sacramentum (Luther) und exemplum (Müntzer): „Sacramentum und exemplum sind nicht nur theologische, d.h., innerhalb einer kirchlichen Theologie, exegetische Kategorien, sondern weisen sich vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung Müntzer-Luther als begriffliche Exponenten konkurrierender christlicher Heilsmodelle und somit als ideologische Kategorien aus: sacramentum, insofern es bei Luther Inbegriff des in Christus personifizierten, objektiven und kirchlichinstitutionell vermittelten (gepredigten) Heils ist, das den Menschen in bezug auf sein Heil um Christi und seiner Kirche willen immer nur in die gehorsame und werkfreie Passivität des Beschenkten entläßt; exemplum, insofern es bei Müntzer den in bezug auf sein Heil kirchlich-autonomen, in der Christusnachfolge unmittelbar selbstverantwortlich-tätigen Menschen auf den Plan stellt“ 677 . Luthers Lied genoss in der protestantischen Tradition lange Zeit höchstes Ansehen 678 , was auf „das Gewicht des altkirchlichen Hymnus, zusammen mit der Autorität des Übersetzers, der Einprägsamkeit des Textbeginns und der Qualität der Melodie“ 679 , zurückzuführen ist. Sein hoher Rang äußerte sich vor allem darin, dass es zahlreiche Gesangbücher eröffnete, angefangen mit dem Klugschen (1533) und dem Babstschen Gesangbuch (1545). Auch viele im katholischen Bereich verbreitete Fassungen stehen erkennbar unter dem Einfluss der Lutherschen Übertragung 680 . Deren nicht einfache sprachliche Gestalt bedingte jedoch bereits im 17. Jahrhundert glättende Eingriffe in den Textbestand 681 . Schließlich wurde die Fremdheit des Liedes im 19. Jahrhundert so stark empfunden, dass viele Gesangbücher auf es verzichteten, häufig zugunsten der sprachlich gefälligeren, in vielen Punkten deutlich freieren Übersetzung von Johann Franck „Komm, Heidenheiland, Lösegeld“ 676 Rößler, Da Christus geboren war 146. 677 Göser, Kirche und Lied 174. Eine weitere Übertragung des Hymnus aus dem Umfeld der Reformation findet sich im Hymnarius von Sigmundslust (1524): Kurz, Intende 152 (Nr. 4). Das von Koch (Geschichte 48) aufgeführte zwölfstrophige Lied „Von Adam her so lange Zeyt“, das Michael Weiße für das „New Geseng buchlen“ der Böhmischen Brüder (1531) schuf (Wackernagel, Kirchenlied 3, 229f. [Nr. 255]), hat mit dem Hymnus des Ambrosius textlich kaum etwas gemein, sodass sich die Überschrift „Veni redemptor gencium“ als Melodieangabe verstehen dürfte. 678 Vgl. Nitschke, Nun komm 117f. 679 Marti, Nun komm 7. 680 Vgl. Kurz, Intende 140 m. Anm. 172; die dort erwähnten Liedfassungen (Leisentritt 1567/ 1584; Prag 1581; Beuttner, Graz 1602) ebd. 154-156 (Nr. 8a, 8b, 9, 8c, 10). Zu ergänzen wäre beispielsweise „Nun komm der Heyden einigs Heyl“ (Alte Catholische Geistliche Kirchengesäng, Paderborn 1609: Nr. 1). 681 Vgl. Fischer, Kirchenlieder-Lexikon 2, 116; Nitschke, Nun komm 117. <?page no="157"?> 145 (1646) 682 . Das gegenwärtige Evangelische Gesangbuch bietet im Anschluss an das EKG (Nr. 1) eine auf fünf Strophen (1, 4, 5, 7, Doxologie) gekürzte Fassung. Mit dieser konkurrieren in den aktuellen deutschsprachigen Gesangbüchern Übersetzungen von Fritz Enderlin (1952) und Markus Jenny (1971). EG 4 RG 358 CG 523/ GL 108 683 / KG 307 684 (Luther) (Enderlin) (Jenny) Nun komm, der Heiden Heiland, Nun komm, der Heiden Heiland, Komm, du Heiland aller Welt, der Jungfrauen Kind erkannt, als der Jungfrau Kind erkannt. Sohn der Jungfrau, mach dich kund. daß sich wunder alle Welt, Wundern soll sich alle Welt, Darob staune, was da lebt: Gott solch Geburt ihm bestellt. daß Gott solch Geburt gefällt. Also will Gott werden Mensch. Nicht nach eines Menschen Sinn, sondern durch des Geistes Hauch kommt das Wort in unser Fleisch und erblüht aus Mutterschoß. [Es erwählt der Jungfrau Leib; ob er schon verschlossen war, nahm der Herr doch Wohnung drin. Gott in seinem Tempel weilt.] Er ging aus der Kammer sein, Aus der Kammer tritt hervor, Wie die Sonne sich erhebt dem königlichen Saal so rein; aus dem königlichen Tor, und den Weg als Held durcheilt, Gott von Art und Mensch, wahrer Gott und Mensch, so erschien er in der Welt, ein Held; ein Held: sein’ Weg er zu laufen eilt. freudig läuft er hin zur Welt. wesenhaft ganz Gott und Mensch. Sein Lauf kam vom Vater her [Von dem Vater kam er her, und kehrt wieder zum Vater, und zum Vater kehrt’ er heim; fuhr hinunter zu der Höll er stieg nieder bis zur Höll und wieder zu Gottes Stuhl. und fuhr auf zu Gottes Thron. 682 Vgl. Nitschke, ebd. 117f. Der Text bei Kurz, Intende 157 (Nr. 11). Bemerkenswert ist die doppelte Ungleichzeitigkeit zu den allgemeinen Prozessen der Luther-Rezeption: Während die meisten Lieder Luthers schon in der Aufklärung aus den Gesangbüchern verschwanden, blieb „Nun komm, der Heiden Heiland“ noch das gesamte 18. Jahrhundert über weit verbreitet. Umgekehrt wurde es von der im späten 19. Jahrhundert beginnenden Luther-Renaissance zunächst nicht erfasst. So heißt es in dem von Victor von Strauß und Torney verfassten ‘Gesangbuchentwurf für die Landeskirche des Königreichs Sachsen’, Leipzig 1881, S. 8: „… so dürften dagegen Luther’s Uebersetzungen von ‘Veni redemptor gentium’ und ‘Veni creator spiritus’ durch ansprechendere Bearbeitungen, - die erste z.B. durch Joh. Franck’s ‘Komm, Heidenheiland, Lösegeld’ - zu ersetzen sein“ (zitiert nach Wennemuth, Hymnus 266 Anm. 60). 683 In der GL-Fassung fehlen die Strophen 3, 5 und 6. Dieselbe Strophenauswahl bietet auch „Eingestimmt“, das Gesangbuch der deutschen Alt-Katholiken (Nr. 301). Die Diözesananhänge des GL für die Bistümer Aachen, Lüttich (jeweils Nr. 831) und Köln (Nr. 834) enthalten zusätzlich vier Strophen der 1945 entstandenen Übersetzung Petronia Steiners „Komm, der Völker Heiland Du“ (Text auch bei Kurz, Intende 159 [Nr. 15]), deren allzu gefällige Sprachgestalt sich weit vom Hymnus entfernt (vgl. ebd. 141). 684 Das KG enthält nur die Strophen 1-5. <?page no="158"?> 146 In die menschliche Natur legt sein göttlich Wesen er, gibt ihr teil an seinem Sieg und schenkt neu ihr seine Kraft.] Dein Krippen glänzt hell und Glanz von seiner Krippe bricht; Glanz strahlt von der Krippe auf, klar, die Nacht gibt ein neu Licht dar. durch die Nacht strahlt neues neues Licht entströmt der Nacht. Licht. Dunkel muß nicht kommen Keine Nacht ihm wehren kann; Nun obsiegt kein Dunkel mehr, drein, der Glaub bleib immer im Schein. treulich strahlt es uns fortan. und der Glaube trägt das Licht. Lob sei Gott dem Vater g’tan; Lob sei Gott im höchsten Thron, Gott dem Vater Ehr und Preis Lob sei Gott, seim ein’gen Sohn; Lob sei seinem lieben Sohn, und dem Sohne Jesus Christ; Lob sei Gott dem Heil’gen Geist Lob sei Gott, dem Heilgen Geist, Lob sei Gott dem Heilgen Geist immer und in Ewigkeit. allzeit und in Ewigkeit. jetzt und ewig. Amen. Allein das im Jahr 2005 erschienene Gebet- und Gesangbuch der Christkatholischen Kirche der Schweiz bietet eine - abgesehen von der originalen Eingangsstrophe - vollständige Übersetzung. Dabei handelt es sich um die 1971 entstandene, zwei Jahre später in die ökumenische Sammlung „Gemeinsame Kirchenlieder“ (als Nr. 2) aufgenommene Übertragung des reformierten Pfarrers und Theologen Markus Jenny, die in gekürzter Form bereits in die römisch-katholischen Gesangbücher eingegangen war (GL: Str. 1, 2, 4, 7, Doxologie; KG: Str. 1-5). Jennys Version folgt im Ganzen eng der lateinischen Vorlage, wobei einige Abstriche zu bedauern sind: In den Strophen 3 und 6 werden die wichtige Bedeutung tragenden Bilder vexilla virtutum micant und carnis tropaeo cingere nicht übersetzt. Darüber hinaus bietet Strophe 6 die Gegenüberstellung von menschlicher Schwäche und göttlicher Kraft, die die lateinische Strophe sprachlich wie inhaltlich prägt, nur in abgeblasster Form. Eine Rückkehr in den Gebetsgestus, die bei Ambrosius den Bogen vom Schlusszum Eingangsteil des Hymnus schlägt, findet bei Jenny nicht statt. Das Gleiche gilt für die Fassung Enderlins, die sich ansonsten vor allem in Strophe 1 als Versuch zu erkennen gibt, das Luthersche Lied sprachlich zu glätten 685 . So ist die Übertragung Luthers unter den heute gebräuchlichen die einzige, die die Kommunikationsstruktur des Hymnus beibehält. In Strophe 4 dehnt Jenny einerseits die Anknüpfung an Ps 18(19) durch eine explizite Aufnahme der Sonnenmetapher aus, ersetzt andererseits das dem Psalm entnommene Bild des Hervortretens durch den theologisch anders konnotierten Begriff des Erscheinens. Hinsichtlich des Tempusgebrauchs weicht Jenny markant von Ambrosius ab: Strophe 2 steht im Präsens, während in Vers 3,3 (wenig konsequent) unvermittelt eine Vergangenheitsform auftritt. Die Strophen 4 und 5 sind durchgängig im Präteritum gehalten. Während Luther im Sinne der Betonung der heilsgeschichtlichen Einmaligkeit die Strophen 2 bis 5 komplett in die Vergangenheit setzt, folgt Jenny im Prinzip dem Wechsel von Vergangenheit und Gegenwart, wie er bei Ambrosius zu finden ist. Allerdings gibt er den im lateinischen Text 685 Die enge Anlehnung an Luther manifestiert sich etwa in der Übernahme des Initiums. <?page no="159"?> 147 angelegten Effekt, die Sänger in die Gegenwärtigkeit des Weihnachtsgeschehens hineinzuziehen (Beginn im Perfekt: factum est, floruit; Fortführung im Präsens: tumescit, permanet, micant, versatur, procedit; ‘Entzeitlichung’ in den Nominalsätzen), zugunsten einer Unterscheidung von Wesensaussagen im Präsens (Strophen 2 und 6) und Anamnese (weitgehend) im Präteritum (Strophen 3 bis 5) auf. Die Strophenauswahl der einzelnen Gesangbücher lässt unterschiedliche Tendenzen erkennen. Die heutigen protestantischen Gesangbücher verzichten ganz auf die Strophen, die sich mit der jungfräulichen Geburt beschäftigen; auch das Gotteslob lässt deren zweite aus. Dass alle Gesangbücher außer CG Strophe 6 streichen, ist angesichts ihrer Bedeutung für die Akzentuierung des paschalen Charakters des Weihnachtsgeschehens sehr bedauerlich. Wenn RG und GL zusätzlich auf Strophe 5 mit ihrer heilsgeschichtlichen Gesamtschau verzichten, nehmen sie dem Hymnus einen wesentlichen Aspekt. Es entsteht ein ausschließlich auf das bevorstehende Weihnachtsfest fokussiertes Adventslied, das den heortologischen Ansprüchen der Vorlage in keiner Weise gerecht wird. Es wäre wünschenswert, wenn künftige Gesangbücher den Schweizer Christkatholiken im Mut zum ganzen Text folgen und damit den Anliegen des Ambrosius Raum geben würden. Unbedingt sollten dabei auch die originale Eingangsstrophe und die mit ihr verbundene eschatologische Dimension zurückgewonnen werden 686 . Alle gegenwärtig gebräuchlichen Liedfassungen verwenden die Luthersche Melodie von 1524 687 , die eine gleichsam kanonische Bedeutung erlangt hat. Nicht zuletzt durch die Adventskantaten Johann Sebastian Bachs BWV 61 und BWV 62 besitzt sie auch für dem kirchlichen Leben eher fernstehende ‘Kulturchristen’ einen hohen Wiedererkennungswert. Steiner, Enderlin und Jenny hatten ihre Übertragungen bereits mit Rücksicht auf diese Melodie siebensilbig gehalten. 686 Übersetzungen unter Einschluss der ursprünglichen ersten Strophe haben der Dichter Friedrich Wolters (Hymnen 18f.) und das Liederbuch „… bis er wiederkommt“ der KHG München aus dem Jahr 1965 vorgelegt (Nr. 46). 687 Vgl. dazu Kap. 5.2. <?page no="161"?> 149 B Inluminans altissimus 1. Text und Überlieferung des Hymnus 1.1 Die Überlieferung Inluminans altissimus ist in elf Handschriften aus dem in der Edition Fontaines berücksichtigten Zeitraum (8. bis 10. Jahrhundert) überliefert. Zu den auch Intende qui regis Israel enthaltenden Handschriften 1 Ad, Ae, Ea, Ee, Fa, Fk 2 , Ma, Mb, Mc und Me tritt ein weiteres Exemplar des ‘Neuen Hymnars’: Kürzel Name; Kurzbeschreibung mit Datierung nach Jullien Mearns/ Walpole Id Zürich, Zentralbibliothek, Rheinau 91; benediktinisches I.L / Hb Hymnar und Kollektar; entstanden um 1000 in Farfa 3 Der Befund erweist Inluminans altissimus als den durchgängig belegten Epiphaniehymnus der Mailänder Tradition 4 sowie als festen Bestandteil des ‘Alten Hymnars’ 5 und seiner Weiterentwicklung, des ‘Fränkischen Hymnars’ 6 . Dass er schon früh in Spanien Verwendung fand, zeigte sich im Zuge der Betrachtung der altspanischen Epiphaniepredigt Dies iste, karissimi Fratres 7 . Ferner wurde bereits darauf hingewiesen, dass sich das Verständnis der Brotvermehrung als vierten Festgegenstandes in manchen frühmittelalterlichen Zeugnissen der mozarabischen und gallischen Liturgie plausibel durch eine Fehldeutung des in diesen Liturgien verwendeten Epiphaniehymnus Inluminans altissimus erklären lässt 8 . Weiterhin könnte ein Niederschlag der Verbreitung und Beliebtheit des Hymnus in den genannten Gebieten darin zu erblicken sein, dass mehrere spätantike Autoren aus Gallien und Spanien bei der Aufzählung der Inhalte des Epiphaniefestes sich der für Inluminans altissimus so charakteristischen Reihung mit sive/ seu bedienen 9 . 1 Für Informationen zu diesen Handschriften vgl. Kap. A 2.1. 2 Dieses Manuskript bietet nur die ersten fünf Strophen des Hymnus in der Reihenfolge: 1-3-2-4-5. Dazu Jullien, Sources 110: „Les strophes 2 et 3 … ont été interverties, peutêtre à seule fin de rétablir l’ordre des mystères célébrés dans cette fête de l’Épiphanie; et les strophes 6 à 8, qui relatent la multiplication des pains, ont été omises, sans doute parce que ce miracle ne fait pas habituellement partie de cette même fête.“ 3 Zu dieser Handschrift vgl. ebd. 97. 4 Vgl. dazu auch Kap. A 1.4.2. 5 Vgl. Gneuss, Hymnar 24. 6 Vgl. Gneuss, Geschichte des Hymnars 83. 7 Siehe dazu Kap. A 1.4.4. 8 Vgl. Kap. A 1.1.2 Ad a). 9 Für Gallien: Eucher. instr. 1 (CSEL 31,154 Wotke); Euseb. Gall. hom. 4,1 (CChr.SL 101,45 Glorie); Ps.-Aug. serm. 136,1 (PL 39,2013); für Spanien: Isid. eccl. off. 1,27,2 (CChr.SL 113,30f. Lawson). <?page no="162"?> 150 Im Übergang zum ‘Neuen Hymnar’ 10 wird Inluminans altissimus durch Hostis Herodes impie, einen Ausschnitt aus A solis ortus cardine, dem Abecedarius des Sedulius, verdrängt 11 . Gleichwohl zählt das Lied zu denjenigen Hymnen des ‘Alten Hymnars’, die, wenn auch aus dem regulären Bestand des ‘Neuen Hymnars’ ausgeschieden, in einer beträchtlichen Zahl früher Handschriften desselben stehengeblieben sind, weil „man trotzdem an den liebgewonnenen alten Dichtungen hing“ 12 . Insbesondere in Italien hält sich der Hymnus, wohl unter dem Einfluss Mailands, auch über das zehnte Jahrhundert hinaus 13 . Ebenfalls durch Abhängigkeit von Mailand erklärt sich die bleibende Verwendung des Hymnus bei den Zisterziensern 14 . 1.2 Der Text Im Folgenden wird der Text des Hymnus mit dem kritischen Apparat, wie Charlet ihn bietet, abgedruckt 15 . 1,1 Inluminans altissimus altissimum Eae Fa altissimos Me 1,2 micantium astrorum globos, globus Ad 1 globum Eae Fa 1,3 pax, vita, lumen, veritas, lumen vita Fa 1,4 Iesu, fave precantibus, 2,1 seu mystico baptismate sed Ee 2,2 fluenta Iordanis retro 2,3 conversa quondam tertio conversus Ee quondam tempore Fa quodam tempore 2,4 praesenti sacraris die; Ad Eae praesente…die Fk Me, Wal. praesentem…diem Ad 1 e Fa Id 1 praesentem…die Ad 2 Id 2 praesentis…diem Ee 3,1 seu stella partum virginis sacrari Id sacrabit Eae stelle Mac stellam Ee stillam Fa 3,2 caelo micans signaveris parto Fa caelum Fa signaverit Ade Ea Fak Id, Wal. 3,3 et hoc adoratum die signaberit Ee et hac Ad 2 Mabc et ad hoc Id 1 et hic Eae 3,4 praesepe magos duxeris; adoratus Ee ad adorandum Fk diem Ade 1 Ea Fa Id duxerit Ade Eae Fak Id Mb, Wal. 4,1 vel hydriis plenis aquae aque Ee aqua Ade Fa Id 4,2 vini saporem infuderis; sapore Ee infuderit Ea Fk infunderit Ee fuderit Ade Fa 4,3 hausit minister conscius Id 4,4 quod ipse non impleverat, 10 Zum Prozess der Ablösung des ‘Alten’ durch das ‘Neue Hymnar’ vgl. Kap. A 2.1. 11 Vgl. Gneuss, Geschichte des Hymnars 75. 12 Gneuss, Hymnar 50. Ebd. m. Anm. 31 führt Gneuss am Beispiel von Inluminans altissimus vor, wie die betroffenen Hymnen teilweise einem neuen Verwendungszweck zugeführt wurden, um sie nach der Verdrängung vom angestammten Platz weiterhin singen zu können: Die (bei Jullien, Sources, nicht berücksichtigte) Hs. Berlin theol. lat. oct. 1 („10./ 11. Jh. (aus St. Gallen? )“) setzt ihn in der Vesper der Epiphanie-Oktav ein. 13 Dies geht eindrucksvoll aus der Tabelle der in Handschriften des ‘Neuen Hymnars’ (bis zum 11. Jh.) verwendeten Hymnen bei Jullien hervor (Sources 170f.). Vgl. darüber hinaus die bei Mearns (Hymnaries) unter den Siglen I.r; I.2; I.5; I.6 und I.7 geführten Manuskripte aus dem späten 11. und 12. Jahrhundert. 14 Vgl. die Handschriften F.4 und G.5 bei Mearns ebd. Zur Abhängigkeit des zisterziensischen Hymnars vom mailändischen vgl. S. 27 Anm. 107. 15 Vgl. Charlet, Illuminans 345.347 (bei Charlet ein positiver Apparat). Die Abkürzungen Wal. und Sim. stehen für Textentscheidungen Walpoles und Simonettis. <?page no="163"?> 151 5,1 aquas colorari videns, videns cett.: iubet Id 5,2 inebriare flumina; inebriare Ad Fa: inebriari cett. flumine Ae Fk 5,3 mutata elementa stupent m. e. stupet Sim. e. m. stupet Wal. et edd. alii m. e. stupens 5,4 transire in usus alteros. Fontaine in usu altero Ee 6,1 Sic quinque milibus virum si Fa <h>ic Me verum Fa viris Eae Mabc virorum Id 6,2 dum quinque panes dividit, panis Fa dividis Me, Wal. dividunt Eae Mab 6,3 edentium sub dentibus 6,4 in ore crescebat cibus, 7,1 multiplicabatur magis 7,2 dispendio panis suo. sui Ade Fa sue Ea 7,3 Quis haec videns mirabitur qui Eae haec om. Ad 2 mirabatur Eae 7,4 iuges meatus fontium? meatum Ea faucium Ade Ea 8,1 Inter manus frangentium manos Fa 1 8,2 panis rigatur profluus, 8,3 intacta quae non fregerant frengerant Ee 8,4 fragmenta subrepunt viris. fragmentis Eae supersunt Ad 2 e viris Ade: vires Fa viri cett. 2. Die Struktur des Hymnus 2.1 Die syntaktisch-gedankliche Struktur Die bereits erfolgte Betrachtung von Rezeptionsphänomenen (der Hymnus als ein Beleg für vier Festgegenstände) sowie der im Rahmen der Einzelauslegung näher zu erörternde textkritische Befund (insbesondere das Schwanken zwischen zweiter und dritter Person in den Versen 3,2, 3,4, 4,2 und 6,2) zeigen, dass Kommunikationsstruktur, formaler Aufbau und inhaltliches Gefüge des Hymnus im Laufe der Überlieferung unterschiedlich verstanden worden sind. Vor diesem Hintergrund erscheint eine grundlegende Orientierung über die syntaktisch-gedankliche Struktur des Textes besonders dringlich. Zunächst gilt es, die Satzkonstruktionen des Hymnus voneinander abzugrenzen und ihren Aufbau grafisch zu verdeutlichen. Dabei werden Hauptsatzprädikate durch Kapitälchen, Nebensatzeinleitungen und -prädikate durch Fettdruck hervorgehoben. Satz 1: Verse 1,1-4,2 Inluminans micantium astrorum globos, altissimus, pax, vita, lumen, veritas, Der du die Kugeln der strahlenden Sterne erleuchtest, Höchster, Frieden, Leben, Licht, Wahrheit, Iesu, Jesus, FAVE precantibus, sei den Bittenden gewogen, seu mystico baptismate fluenta Iordanis retro conversa quondam tertio praesenti sacraris die; sei es, dass du durch (deine) mystische Taufe am gegen- <?page no="164"?> 152 wärtigen Tag die Fluten des Jordans geheiligt hast, deren Fluss einst dreimal rückwärts umgekehrt worden war, seu stella partum virginis caelo micans signaveris sei es, dass du als Stern die Jungfrauengeburt vom Himmel her strahlend bezeichnet hast et hoc adoratum die praesepe magos duxeris; und an diesem Tag die Magier geführt hast, damit sie die Krippe anbeten; vel hydriis plenis aquae vini saporem infuderis. oder dass du den Geschmack des Weines in die Krüge gegossen hast, die mit Wasser gefüllt waren. Satz 1, mit 14 Versen deutlich der längste Satz des gesamten Hymnus, gruppiert sich um einen schlichten Hauptsatz: Iesu, fave precantibus (1,4). Der Vokativ Iesu, der als Anrede (Anaklese) gemeinsam mit dem Imperativ fave den Sprechakt des Gebetes konstituiert, ist eingerahmt durch zahlreiche Attribute: Die Verse 1,1-3 reihen sechs Prädikationen als Anrufungen aneinander, von denen nur die erste mehrgliedrig ist (Partizip mit Akkusativobjekt). Die Verse 2,1-4,2 bieten demgegenüber einen durch wiederholtes seu bzw. vel 16 in drei Abschnitte gegliederten Nebensatz 17 , der als Fortsetzung der in der ersten Strophe eröffneten Reihung von Namen Jesu zu verstehen ist. Ambrosius greift damit auf eine verbreitete Figur antik-paganer Gebetssprache zurück: die durch B ... B bzw. sive … sive organisierte Aufzählung von Beinamen des angerufenen Gottes 18 . Dabei treten sowohl der dis- 16 Dass in einer sive-Reihung ein Glied durch vel eingeleitet wird, hat zahlreiche Parallelen auch in der klassischen Latinität: vgl. die Beispiele bei Kühner/ Stegmann, Grammatik II/ 2 436; Hofmann/ Szantyr, Syntax und Stilistik 670f. Insbesondere die Dichter suchen auf diese Weise Variation: So findet sich bei Hor. carm. 1,22,5-8: sive … sive … vel. 17 Als strukturelles Vorbild der Einleitung dreier aufeinander folgender Strophen durch seu/ sive benennt Fontaine (Apport 335) die berühmte Pindar-Ode des Horaz (carm. 4,2,10.13.17). Doch greift die lockere thematische Verbindung, die nach Fontaine den Anklang erklären soll, zu kurz: „Il est notable que cette évocation horatienne de Pindare soit comme une sorte d’arc de triomphe poétique dressé avant la célébration de l’adventus ‘épiphanique’ d’Octave Auguste rentrant triomphalement, en 13 avant J.-C., dans sa capitale romaine … et qu’Ambroise ait décalqué ce schème d’énoncé ‘pindarisant’ pour célébrer la triple Épiphanie du Christ“. Ambrosius schließt sich nicht an Horaz an, um die Epiphanien des Augustus und Christi zu parallelisieren, sondern verwendet die seu-Formulierung als religiöse Terminologie. 18 Den ursprünglichen Hintergrund dieser Redeweise erhellt Usener, Götternamen 336: „weil die religiöse vorstellung durch die ausbildung des persönlichen gottes in unsicheres schwanken zwischen person und begriff geraten ist“, genügt „dem feierlichen gebet die nennung des persönlichen gottesnamens nicht“. Vielmehr „häuft man die beinamen, und tut darin lieber des guten zu viel als daß man sich der gefahr aussetzt das entscheidende wort zu übersehen“. Norden (Agnostos Theos 143-163) zeigt am Beispiel von Hor. carm. 3,21,1-6 auf, dass neben der Aufzählung isolierter Attribute auch ganze durch sive eingeleitete Sätze als Paraphrase von Gottesnamen verwendet werden (147.161). <?page no="165"?> 153 junktive als auch der konditionale Sinn von sive/ seu vollständig zurück 19 . Dass der für sive-Sätze untypische Konjunktiv verwendet wird, hängt mit einer konsekutiven bzw. kausalen Färbung der Aussage zusammen 20 : Der Inhalt des Gliedsatzes ist - je nach Perspektive - Ausfluss der zuvor benannten Attribute bzw. begründet ihre Verwendung. Die Wahl des Modus bringt also eine Korrelation zwischen den Eigenschaftsbezeichnungen (Attribute der Verse 1,1-3) und den referierten Handlungen (Verben der Verse 2,1-4,2: Anamnese) zum Ausdruck. Satz 2: Verse 4,3-5,2 H AUSIT minister conscius quod ipse non impleverat, videns aquas colorari inebriare flumina. Es schöpfte der wissende Diener, was er selbst nicht eingefüllt hatte, wobei er sah, dass das Wasser sich färbte, dass die Fluten trunken machten. Satz 3: Verse 5,3f. Mutata elementa STUPENT transire in usus alteros. Die verwandelten Elemente staunen, dass sie zu anderen Eigenschaften übergehen. Satz 4: Verse 6,1-4 Sic quinque milibus virum dum quinque panes dividit, edentium sub dentibus in ore CRESCEBAT cibus. So wuchs, während er fünftausend Männern fünf Brote teilte, unter den Zähnen der Essenden in ihrem Mund die Speise. Satz 5: Verse 7,1f. M ULTIPLICABATUR magis dispendio panis suo. Das Brot wurde eher vermehrt durch seinen Verlust. Satz 6: Verse 7,3f. Quis haec videns MIRABITUR iuges meatus fontium? Wer wird, wenn er das sieht, sich über das fortwährende Fließen der Quellen wundern? Satz 7: Verse 8,1f. Inter manus frangentium panis RIGATUR profluus. Zwischen den Händen derer, die es brechen, fließt das Brot reichlich hervor. 19 Generell ist seit der Kaiserzeit ein Abblassen des Sinngehalts von sive festzustellen: „Manche Schriftsteller, namentlich Vitruvius und der ältere Plinius, machen im Gebrauch von sive, aut und vel keinen Unterschied. Im Spätl[atein] steht sive nicht selten geradezu im Sinne von et“ (Kühner/ Stegmann, Grammatik II/ 2 439). 20 Vgl. Breuer, Eucharistiedichtung 39. <?page no="166"?> 154 Satz 8: Verse 8,3f. Intacta quae non fregerant fragmenta SUBREPUNT viris. Unberührte Bruchstücke, die sie nicht gebrochen hatten, wachsen den Männern unbemerkt hervor. Überblickt man die den Text konstituierenden Satzeinheiten, so fällt ein deutliches Ungleichgewicht auf. Dem fast die gesamte erste Hälfte des Hymnus umfassenden Eröffnungssatz mit mehrfach untergliedertem Nebensatz stehen in der zweiten Texthälfte sieben kurze Sätze im Umfang von jeweils zwei oder vier Versen gegenüber. Dabei verstärkt sich die Tendenz zur Bildung besonders kurzer Sätze zum Ende des Hymnus hin. Satzlänge: 14 Verse 4 Verse 2 Verse Satz 1 Satz 2 Satz 3 Satz 4 Satz 5 Satz 6 Satz 7 Satz 8 Ein oberflächlicher Blick auf die inhaltliche Zusammengehörigkeit der syntaktischen Einheiten erfasst die Sätze 2 und 3 als Fortsetzung des letzten Gliedes von Satz 1, insofern in jenen offenkundig das in diesem eröffnete Thema weitergeführt wird: die Verwandlung von Wasser zu Wein durch Jesus auf der Hochzeit von Kana. Entsprechend lassen sich die verbleibenden Sätze 4 bis 8 unter der Thematik der wunderbaren Brotvermehrung zusammenfassen. Die Kombination einer syntaktischen mit einer ersten inhaltlichen Betrachtung verweist also auf folgende Struktur des Hymnus: Erster Abschnitt (1,1-5,4): Gebetsanruf Jesu (Anaklese/ Epiklese) unter Verweis auf drei Ereignisse seines irdischen Lebens (Anamnese) 5 Strophen Binnengliederung: - Anaklese/ Epiklese (1,1-4) (1 Strophe) - Anamnese (2,1-5,4) die Taufe Jesu im Jordan (2,1-4) (1 Strophe) die Anbetung der Magier (3,1-4) (1 Strophe) das Weinwunder von Kana (4,1-5,4) (2 Strophen) Zweiter Abschnitt (6,1-8,4): Die wunderbare Brotvermehrung 3 Strophen Dabei kann der zweite Abschnitt in gewisser Weise als organische Fortsetzung des ersten verstanden werden, da er den dort behandelten drei Ereignissen aus dem Leben und Wirken Jesu ein viertes zur Seite stellt. Allerdings wird dieses vierte Thema von den drei vorangehenden, die innerhalb eines einzigen Satzgefüges durch wiederholtes seu bzw. vel parallelisiert sind, <?page no="167"?> 155 deutlich abgehoben und mittels der Einleitung durch sic als Vergleich gekennzeichnet. Der bisher gewonnene Eindruck vom Aufbau des Hymnus (aus zwei Blöcken zu fünf + drei Strophen) bedarf einer Ergänzung und Vertiefung anhand einer an der Kommunikationsstruktur des Textes orientierten Betrachtung. Die folgende Tabelle bietet einen Überblick über die finiten Verbformen mit den angesprochenen Personen bzw. zugehörigen Subjekten. Von besonderem Interesse sind Modus und Tempus der Hauptsatz(HS)- Prädikate (fett gedruckt), die die Faktur des Textes wesentlich bestimmen. Vers/ HS-NS Prädikat Person/ Subjekt Modus/ Tempus 1,4 (HS) fave Iesu Imperativ 2,4 (NS) sacraris (Iesu) (Konj.) 21 Perf. 3,2 (NS) signaveris (Iesu) (Konj.) Perf. 3,4 (NS) duxeris (Iesu) (Konj.) Perf. 4,2 (NS) infuderis (Iesu) (Konj.) Perf. 4,3 (HS) hausit minister Indik. Perf. 4,4 (NS) non impleverat (minister) Indik. Plquperf. 5,3 (HS) stupent elementa Indik. Präs. 6,2 (NS) dividit (Iesus) Indik. (Präs.) 22 6,4 (HS) crescebat cibus Indik. Imperf. 7,1 (HS) multiplicabatur panis Indik. Imperf. 7,3 (HS) mirabitur quis? Indik. Futur 8,2 (HS) rigatur panis Indik. Präs. 8,3 (NS) non fregerant (viri) Indik. Plquperf. 8,4 (HS) subrepunt fragmenta Indik. Präs. Die Kommunikationsstruktur des Textes ist zweigeteilt: Satz 1 (1,1-4,2) gibt sich durch den Vokativ Iesu, den Imperativ fave sowie die Verbformen der zweiten Person Singular als Anrede zu erkennen. Ab Vers 4,3 verweisen die durchgängig indikativischen Verbformen der dritten Person auf einen lobpreisenden Bericht, abgesehen von der rhetorischen Frage in den Versen 7,3f. Die prägende Zeitstufe des Berichts, die von der in Anredeform gestalteten Anamnese in den Versen 2,1-4,2 übernommen wird, ist die Vergangenheit (Erzähltempus Perfekt, Plusquamperfekt zur Bezeichnung der Vorzeitigkeit, daneben duratives oder iteratives Imperfekt in den Versen 6,4f.). Auffällig ist der Wechsel ins Präsens in den Versen 5,3f. sowie in der achten Strophe, jeweils am Ende der sich auf das Weinbzw. das Brotwunder beziehenden Passagen. Die Berichtform in dritter Person bindet also die Verse 4,3-8,4 zusammen und stellt der Gliederung in fünf (die drei von der Anrede an Jesus umgrif- 21 Zum Bedeutungsgehalt der vier Konjunktive vgl. oben. 22 Das Präsens ist durch den Gebrauch von dum bedingt. <?page no="168"?> 156 fenen Themen enthaltende) + drei (das Vergleichsthema zur Sprache bringende) Strophen eine konkurrierende Gliederung in drei (rein von der Anrede bestimmte) + fünf (vorwiegend aus Bericht in dritter Person gebildete) Strophen gegenüber. Die Zusammengehörigkeit der Verse 4,3-8,4 wird unterstrichen durch die Klammer zwischen den Verspaaren 4,3f. und 8,3f., die die mit der wundersam verwandelten bzw. vermehrten Materie befassten Personen (4,3: minister; 8,4: viris) benennen, indem sie gerade deren mangelnden Einfluss auf das Geschehen betonen (4,4: quod ipse non impleverat; 8,3: quae non fregerant). Während fast durchgehend die Materie selbst als grammatikalisches Subjekt erscheint und gerade das Nicht-Handeln der menschlichen Beteiligten hervorgehoben wird, erscheint im Zentrum des Abschnitts höchst unauffällig - und nicht explizit benannt - Jesus als der wahre Handelnde. 4,3 Hausit minister conscius MINISTER 4,4 quod ipse non impleverat, non impleverat 5,1 aquas colorari videns, 5,2 inebriare flumina; 5,3 mutata elementa stupent ELEMENTA stupent 5,4 transire in usus alteros. 6,1 Sic quinque milibus virum 6,2 dum quinque panes dividit, sc. IESUS dividit 6,3 edentium sub dentibus 6,4 in ore crescebat cibus, CIBUS crescebat 7,1 multiplicabatur magis multiplicabatur 7,2 dispendio panis suo. PANIS 7,3 Quis haec videns mirabitur 7,4 iuges meatus fontium? 8,1 Inter manus frangentium 8,2 panis rigatur profluus, PANIS rigatur 8,3 intacta quae non fregerant non fregerant 8,4 fragmenta subrepunt viris. VIRI FRAGMENTA subrepunt Die auf die Hochzeit von Kana bezogenen Strophen 4 und 5 fungieren als Gelenkstelle der changierenden Gliederung des Hymnus 23 . Das Verspaar 4,1f. ist durch vel fest in die Konstruktion der Anrede an Jesus (1,1-4,2) eingebunden. Die Verse 4,3-5,2 schließen sich inhaltlich eng an die Verse 4,1f. an, führen jedoch zugleich die neue Textsorte ein, die die Brücke zum sich anschließenden Abschnitt über die Brotvermehrung darstellt. Dessen Einleitung durch sic (6,1) akzentuiert die dichte Anknüpfung an die Weinwunder- Strophen. 23 So richtig beobachtet von Springer, Concinnity 234: „These two stanzas play a transitional role in the hymn“. <?page no="169"?> 157 2.2 Die semantische Struktur Untersucht man den Hymnus auf prägende Begriffsfelder und behält dabei die oben entwickelte syntaktisch-gedankliche Gliederung im Blick, so ergibt sich ein interessantes Bild. Es lassen sich drei Begriffsfelder ausmachen, deren Belege streng auf bestimmte Teile des Textes beschränkt sind: Dabei handelt es sich um die Felder „Licht“, „Speise“ sowie „Vermindern- Vermehren“. Das Begriffsfeld „Licht“ inluminans (1,1), micantium (1,2), astrorum (1,2), lumen (1,3), stella (3,1), micans (3,2) Die sechs Belege des Begriffsfeldes „Licht“ konzentrieren sich auf die erste und die dritte Strophe des Hymnus, sind also konstitutiv für die Anrede an Christus sowie für die Passage, die der Anbetung der Magier gewidmet ist. Das Begriffsfeld „Speise“ panes (6,2), edentium (6,3), cibus (6,4), panis (7,2), panis (8,2) Das Begriffsfeld „Vermindern-Vermehren“ dividit (6,2), crescebat (6,4), multiplicabatur (7,1), dispendio (7,2), frangentium (8,1), fregerant (8,3), fragmenta (8,4) Die Begriffsfelder „Speise“ (mit fünf Belegen) und „Vermindern- Vermehren“ (mit sieben Belegen, von denen fünf auf den Pol ‘Vermindern’ und zwei auf den Pol ‘Vermehren’ entfallen) begegnen nur in den Strophen 6 bis 8. Zusammen stellen sie mit 30 Prozent einen erheblichen Anteil des Gesamtwortbestandes dieser Strophen (zwölf von 40 Wörtern). Offenkundig bleibt also die Funktion der genannten Begriffsfelder auf einen bestimmten Abschnitt innerhalb des Hymnus beschränkt: Sie konstituieren für ihn das Thema der Brotvermehrung. Als auffällig kann dabei gelten, dass die Verwendung von Wörtern mit der direkten Denotation ‘Vermehren/ Wachsen’ nur eine geringe Rolle spielt (zwei Belege). Bedeutsamer für die Beschreibung des Vorgangs sind umgekehrt Begriffe, die das Vermindern, nämlich die Zerkleinerung, das Aufteilen, zum Gegenstand haben. Die darin erkennbare Unterrepräsentation des Momentes der Vermehrung wird durch bildliche Ausdrücke kompensiert. Neben diesen lokal beschränkten Begriffsfeldern existiert ein weiteres, sich über verschiedene Teile des Hymnus erstreckendes und daher für den Gesamteindruck entscheidendes Begriffsfeld. Es handelt sich dabei um: Das Begriffsfeld „Flüssigkeit“ baptismate (2,1), fluenta (2,2), Iordanis (2,2), hydriis (4,1), aquae (4,1), vini (4,2), infuderis (4,2), hausit (4,3), aquas (5,1), inebriare (5,2), flumina (5,2), meatus (7,4), fontium (7,4), rigatur (8,2), profluus (8,2) Mit insgesamt 15 Belegen liegt in den Wörtern, die Flüssigkeiten oder mit Flüssigkeiten verbundene Vorgänge benennen, das mit Abstand dominante Begriffsfeld vor. Seine Verbreitung über fast den gesamten Hymnus sowie seine teilweise kühne (metaphorische) Verwendung (8,2: panis rigatur <?page no="170"?> 158 profluus) zeigen, dass ihm über rein sachlich-informative Funktionen hinaus eine große Bedeutung für die semantische Verklammerung des Gesamttextes als Voraussetzung seiner Wahrnehmung als einer organischen Einheit zukommt. 3. Kommentar 3.1 Erster Abschnitt (1,1-5,4): Die tria miracula 1,1 Inluminans altissimus 1,2 micantium astrorum globos, 1,3 pax, vita, lumen, veritas, 1,4 Iesu, fave precantibus, 2,1 seu mystico baptismate 2,2 fluenta Iordanis retro 2,3 conversa quondam tertio 2,4 praesenti sacraris die; 3,1 seu stella partum virginis 3,2 caelo micans signaveris 3,3 et hoc adoratum die 3,4 praesepe magos duxeris; 4,1 vel hydriis plenis aquae 4,2 vini saporem infuderis; 4,3 hausit minister conscius 4,4 quod ipse non impleverat, 5,1 aquas colorari videns, 5,2 inebriare flumina; 5,3 mutata elementa stupent 5,4 transire in usus alteros. 3.1.1 Zur Komposition des Abschnitts Nachdem wesentliche Details des syntaktisch-gedanklichen Aufbaus bereits in Kapitel 2.1 behandelt wurden, da sie sinnvoller Weise im Zusammenhang des gesamten Textes zu betrachten waren, kann sich die Erörterung der dem Abschnitt zugrunde liegenden Struktur hier darauf beschränken, zusammenfassend und vertiefend auf die Sonderstellung der Kana-Perikope innerhalb der Abfolge der tria miracula hinzuweisen, die sich zunächst ihrer transitorischen Funktion im Textganzen verdankt. Zwar ist das Thema durch das Verspaar 4,1f. als koordinierter Bestandteil der den Abschnitt bestimmenden Anredekonstruktion ausgewiesen. Zugleich jedoch ist es durch mehrere Eigenheiten von den anderen beiden Festgegenständen ab- <?page no="171"?> 159 gehoben: Nur dem Weinwunder sind zwei Strophen gewidmet. Innerhalb dieser Strophen wird die Anredestruktur verlassen (4,3), und es findet ein Tempuswechsel statt (5,3), dessen Bedeutung im Rahmen der Einzelinterpretation nachzugehen ist. Vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen scheint auch der Wechsel der Nebensatzeinleitung von seu zu vel nicht allein dem Bedürfnis nach variatio geschuldet zu sein, sondern sich als bewusst gesetztes Signal zu verstehen. Dieser Befund wirft die Frage auf, ob die Sonderstellung der Kana-Strophen rein funktional bedingt ist, um den Anschluss des Vergleichs mit dem Brotwunder zu ermöglichen, oder ob sich in ihr eine besondere inhaltliche Bedeutung gerade des Weinwunders niederschlägt. 3.1.2 Inluminans altissimus micantium astrorum globos (1,1f.) Der erste Vers des Hymnus enthält zwei Christusprädikate: inluminans und altissimus. Dabei wird die Verknüpfung von inluminans mit dem zugehörigen Objekt micantium astrorum globos durch den Einschub von altissimus gelockert. Auf diese Weise wird inluminans auch unabhängig von seinem unmittelbaren syntaktischen Zusammenhang wahrgenommen und kann mehrere christologisch relevante Konnotationen entfalten. Zunächst freilich ist auf die im Text vorgegebene Fügung inluminans … micantium astrorum globos einzugehen. Durch sie wird Christus als der Logos angesprochen, durch den alles geschaffen wurde 24 . Ähnlich wie im Hymnus Splendor paternae gloriae, dessen Vers 1,4 (dies dierum illuminans; Perrin 185) „ein Preis der Schöpfertätigkeit des Logos“ ist, „der im Anfang das Licht von der Finsternis schied und damit dem Tag das Licht gab“ und „als ‘Ur-Tag’ … allmorgendlich diese Scheidung“ wiederholt 25 , wird unter Bezugnahme auf Gn 1,14ff. 26 Christus als der Logos benannt, durch den die Sterne erschaffen wurden und ihre Leuchtkraft erhalten. Es geht also um „das Schöpfungsgeschehen (Gott als Ursprung allen Lichts), das durch die Zeiten seinen Fortgang nimmt (Gott als Erhalter allen Lichts)“ 27 . Die Wendung ‘der leuchtenden Sterne Kugeln’ begegnet in ähnlicher Form ausgesprochen häufig in den Schriften des Ambrosius. Allerdings wird in der Prosa durchgängig das Wort stella gegenüber astrum bevorzugt, 24 IoA 1,3: Omnia per ipsum [sc. verbum] facta sunt: et sine ipso factum est nihil quod factum est. 25 Franz, Tageslauf 303. 26 Gn 1,14-18 Vulg. (Ambrosius zitiert die Verse nicht zur Gänze; auf Details des lateinischen Wortlauts kommt es hier jedoch auch nicht an): dixit autem Deus / fiant luminaria in firmamento caeli / ut dividant diem ac noctem / et sint in signa et tempora et dies et annos / ut luceant in firmamento caeli et inluminent terram / et factum est ita / fecitque Deus duo magna luminaria / luminare maius ut praeesset diei / et luminare minus ut praeesset nocti et stellas / et posuit eas in firmamento caeli / ut lucerent super terram / et praeessent diei ac nocti / et dividerent lucem ac tenebras / et vidit Deus quod esset bonum. 27 Breuer, Eucharistiedichtung 38. <?page no="172"?> 160 was im Hymnus aus metrischen Gründen nicht möglich ist. Beispielhalber seien genannt 28 : exc. Sat. 2,10 (73,256): caelum ipsum non semper stellarum micantium globis fulget et quasi quibusdam insignitur coronis. spir. 2,5,36 (79,100): Gentiles homines per umbram quandam nostros secuti, quia veritatem spiritus haurire non poterant, quod ‘caelum ac terras, lunae quoque stellarumque micantium globos spiritus intus alat’ 29 suis versibus indiderunt. Die Bezeichnung der Sterne als globi im Sinne runder und fester Körper 30 ist im klassischen Latein sowohl in gehobener Prosa 31 als auch in dichterischer Sprache 32 belegt. Von dem Ausdruck astra micantia machen auch andere christliche Autoren Gebrauch 33 . Ambrosius verwendet in seinen Hymnen das Verb micare mehrfach, meist jedoch bildlich, zur Bezeichnung eines besonders hellen Strahlens (göttlichen Ursprungs) 34 . Wird inluminans also durch die Verbindung mit dem Objekt micantium astrorum globos primär auf den schöpferischen Logos in seiner kosmischen Dimension bezogen, erlaubt die Isolierung des Partizips durch das eingeschobene altissimus, wie bereits angedeutet, daneben noch weitere Assoziationen. So bezeichnet derselbe Johannesprolog, aus dem die Schöpfungstätigkeit des Logos erhellt, Christus auch als das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet: IoA 1,9: erat lux vera, quae inluminat omnem hominem venientem in hunc mundum. Insofern ruft die Christusprädikation inluminans den gesamten Kontext der johanneischen Lichtchristologie auf 35 . Darüber hinaus stellt inluminatio eine feststehende Bezeichnung der Taufe dar, deren terminologische Tradition in Ansätzen schon in die neutestamentliche Zeit zurückreicht und die der Mai- 28 Weiterhin spricht Ambrosius von stellarum globi: fid. 2,2,24 (78,65); hex. 1,8,28 (32/ 1,27); 2,2,6 (ebd. 45); 4,6,27 (ebd. 133); bon. mort. 12,53 (ebd. 748); in psalm. 45,2,4 (64,330); in psalm. 118 serm. 12,9,3 (62,256); epist. 29,5 (82/ 1,197). Von stellae micantes ist die Rede: hex. 2,3,12 (32/ 1,50). Vgl. ferner: hex. 1,6,20 (ebd. 17); in Luc. 10,38 (CChr.SL 14,356); Isaac 7,63 (32/ 1,687). 29 Ambrosius nimmt, ohne wörtlich zu zitieren, Bezug auf die kosmologische Rede des Anchises an Aeneas in der Unterwelt bei Verg. Aen. 6,724-726: Principio caelum ac terras camposque liquentis / lucentemque globum lunae Titaniaque astra / spiritus intus alit, … 30 Vgl. TLL 6,2 (1925-1934) 2052,11-17 s. v. globus. 31 Z. B. Cic. rep. 6,16 (Somnium Scipionis): stellarum autem globi terrae magnitudinem facile vincebant. 32 Z. B. Val. Fl. 5,46: Pleiadumque globos. 33 Vgl. z. B. Lact. inst. 2,9,3 (SC 337,138 Monat): Suum … habitaculum distinxit [sc. Deus] … sole … et lunae orbe fulgenti et astrorum micantium splendentibus signis adornavit; Hier. epist. 69,6,1 (CSEL 54,689 Hilberg): necdum sole rutilante nec pallente luna nec astris micantibus. 34 Vgl. Splendor paternae gloriae, V. 2,1f. (Perrin 185): verusque sol, inlabere, / micans nitore perpeti; Intende qui regis Israel, V. 4,3f.: vexilla virtutum micant, / versatur in templo Deus (vgl. dazu Kap. A 4.2.5). Vgl. ferner Kap. 3.1.6 zu V. 3,2 des vorliegenden Hymnus. 35 Zur Lichtchristologie des Johannes vgl. ausführlicher Kap. 3.1.3 und C 4.1.3. <?page no="173"?> 161 länder Gemeinde aus den Predigten des Ambrosius vertraut war 36 . Wenn hier durch das Stichwort inluminans der Bedeutungshorizont der Taufe in den Blick gerät 37 , so doch in einer charakteristischen Brechung. Gewöhnlich wird den Getauften Erleuchtung zuteil; Christus hingegen bleibt, auch wenn am Epiphaniefest seiner eigenen Taufe gedacht wird - also auch als der Getaufte -, stets der Erleuchtende 38 . Ein weiterer biblischer Bezug verdient Erwähnung, insofern das Wort inluminans einen Hymnus anlässlich der Epiphaniefeier eröffnet: Is 60,1-7, im mittelalterlichen Mailand (wie in Rom) alttestamentliche Lesung der Epiphaniemesse 39 , beginnt (in der Vulgatafassung) mit den Worten: Surge inluminare quia venit lumen tuum et gloria Domini super te orta est. Die zweite Christusprädikation, derer sich der Hymnus bedient, ist altissimus 40 . In den Schriften des Alten und Neuen Testaments, insbesondere in den Psalmen, Jesus Sirach und im Lukasevangelium, begegnet der Ausdruck häufig als Attribut oder auch absolute Bezeichnung Gottes des Vaters 41 . Ambrosius überträgt den Titel auf Christus 42 , um gegen eine häretische Abwertung der Göttlichkeit des Sohnes die soteriologisch wichtige Einheit von 36 Als terminus technicus für die Taufe begegnet 4 erstmals bei Iustin (1 apol. 61,12 [PTS 38,119 Marcovich]: 0 G / 6 % $6 ‘ 4 ’, m C * ! + / 4 ; vgl. 65,1 [ebd. 125]; dial. 122,5 [PTS 47,281 Marcovich]). Als ntl. Vorstufe ist laut Conzelmann ( + 349) Hebr 6,4; 10,32 zu betrachten. Zur Begriffsentwicklung vgl. Wlosok, Laktanz 249f., die eine Ableitung des Ausdrucks aus hellenistischen Mysterienkulten widerlegt. Zum Begriff vgl. ferner Ysebaert, Baptismal Terminology 170-178; Malmede, Lichtsymbolik 177-187. Vgl. auch Kap. C 4.1.7 zur theologischen Deutung des Begriffs durch Ambrosius von den Blindenheilungserzählungen her. 37 Vgl. Mone, Hymnen 76. 38 Vgl. PsA 26(27),1: Dominus inluminatio mea et salus mea, laut Mone ebd. von Athanasius „durch die Taufe Christi erklärt“. Vgl. auch EphA 5,14: surge, qui dormis, et exsurge a mortuis et illuscet tibi Christus; hierbei handelt es sich offenkundig um ein Zitat aus einem in der Taufliturgie verwendeten Hymnus (vgl. Lincoln, Ephesians 318.331-333). 39 Vgl. dazu S. 208 Anm. 248. 40 In lateinischer Dichtung (seltener auch in der Prosa) wird gelegentlich der Nominativ statt des Vokativs gebraucht; vgl. Hor. carm. 1,2,41-43: sive mutata iuvenem figura / ales in terris imitaris almae / filius Maiae (hier ist allerdings umstritten, ob es sich um einen Vokativ oder um eine Apposition handelt); Stat. silv. 1,6,1f.: Et Phoebus pater et severa Pallas / et Musae procul ite feriatae. Zum Phänomen s. Kühner/ Holzweissig, Grammatik I 447f. Vgl. auch Splendor paternae gloriae, V. 2,1 (Perrin 185): verusque sol, inlabere. Vielleicht erklären sich die textkritischen Varianten zu altissimus (altissimum … globum in Ea, Ee und Fa; altissimos … globos in Me) aus Irritation über den fehlenden Vokativ. 41 Vgl. Gn 14,18; Num 24,16; Dt 32,8; Iob 31,28; PsA 45(46),7; 49(50),14; 72(73),11; 90(91),1; 106(107),11; Ps 7,18; 9,3; 12(13),6; 17(18),14; 20(21),8; 56(57),3; 82(83),19; 86(87),5; 90(91),9; 91(92),2.9; 96(97),9; Sap 5,16; 6,4; Eccli 1,8; 4,11; 5,4; 7,11.16; 9,23; 11,4; 12,3.7; 17,24; 19,18.21; 23,26.33; 24,5.32; 28,9; 29,14; 33,15; 34,6.23; 35,8.12.21; 37,19; 38,1.4.6.39; 39,6; 41,6.11; 42,2; 46,6; Is 14,14; Bar 4,20; Lam 3,35.38; Dan 4,21.31; 5,18.21; 7,18.25.27; 2 Mac 3,31; Lc 1,32.35.76; 6,35; 8,28. Vgl. auch PsA 112(113),5; Mt 21,9; Lc 2,14. 42 Vgl. die Anrufung im Gloria in excelsis: tu solus altissimus, Iesu Christe. Allerdings gehört die Wendung tu solus altissimus innerhalb des Gloria einer jüngeren Entwicklungsstufe an und fehlt in den Quellen vor dem 9. Jh. (Stapelmann, Hymnus Angelicus 74). <?page no="174"?> 162 voller Menschheit und voller Gottheit in Christus zu betonen. So heißt es im dritten Buch von De fide ausgehend von der Überlegung, was es bedeute, dass der Herr in die Niederungen der menschlichen Schwachheit herabgestiegen sei: fid. 3,2,7-10 (78,110f.): Corporis est igitur, hoc est nostrum est, quod esurivit [cf. Mt 4,2], nostrum est, quod flevit [cf. Io 11,35], quod TRISTIS fuit USQUE AD MORTEM [Mt 26,38]. Cur ad divinitatem, quae sunt nostra, referuntur? Corporis est, quod etiam factus adseritur; denique habes: M ATER SION , DICET HOMO , ET HOMO FACTUS EST IN EA , ET IPSE FUNDAVIT EAM ALTISSIMUS [Ps 86(87),5]. Homo, inquit, factus est, non ‘deus factus est’. Qui autem idem altissimus, idem homo, nisi MEDIATOR DEI ET HOMINUM , HOMO C HRISTUS I ESUS , QUI DEDIT SEMET IPSUM REDEMPTIONEM PRO NOBIS [1 Tim 2,5-6]? Et hoc utique ad incarnationem pertinet; redemptio enim nostra per sanguinem, remissio per potestatem, vita per gratiam. Quasi altissimus donat, quasi homo precatur: aliud creatoris, aliud redemptoris est. Distincta licet, unius tamen auctoris beneficia sunt; ‘decuit enim, ut ille nos redimeret, qui creavit’ [cf. Hebr 2,10]. Quis autem neget Christum esse altissimum significatum? Nam qui aliter sentit, deo patri sacramentum incarnationis adscribit. Sed hinc dubitari non potest, quod altissimus Christus sit, cum etiam alibi dixerit de mysterio passionis: D EDIT VOCEM SUAM ALTISSIMUS ET MOTA EST TERRA [Ps 45(46),7 + 5b; cf. Mt 27,50-51]. Et in evangelio habes: E T TU , PUER , PROPHETA ALTISSI- MI VOCABERIS ; PRAEIBIS ENIM ANTE FACIEM DOMINI PARARE VIAS EIUS [Lc 1,76]. Qui altissimus? Dei filius. Ergo quia altissimus, deus Christus. Et solus utique cum dicitur deus, non separatur etiam dei filius. Qui enim altissimus, solus, sicut scriptum est: C OGNOSCANT QUONIAM DOMINUS NOMEN EST TIBI , TU SOLUS ALTISSIMUS SUPER OM- NEM TERRAM [Ps 82(83),19]. Es ist für die Erlösung des Menschen von entscheidender Bedeutung, dass in Jesus Christus der Höchste und der Mensch in seiner Niedrigkeit eins waren. Um diesen Gedanken zu entwickeln, kombiniert Ambrosius Ps 86(87),5 43 und 1 Tim 2,5f. Mit Ps 45(46),5.7, bezogen auf das Erdbeben beim Tode Jesu 44 , und Lc 1,76 - der Täufer als Prophet des Höchsten (= Christus) - benennt Ambrosius zugleich zwei Schriftstellen zur Legitimation seines Sprachgebrauches, den er auch mehrfach pointiert in der Auseinandersetzung mit arianischen Positionen verwendet 45 . 3.1.3 pax, vita, lumen, veritas (1,3) Nachdem in den ersten beiden Versen die kosmische Schöpfer- und Erhaltertätigkeit (inluminans … micantium astrorum globos) und die alle weltliche Hoheit übersteigende Transzendenz (altissimus) des Logos thematisiert wurden, bringen die vier asyndetisch gereihten Christusprädikationen des dritten Verses „die gnadenerfüllte Zuwendung Gottes zu den Menschen zum Ausdruck“ 46 . Es handelt sich um Wesensbegriffe des göttlichen Logos 43 Vgl. dazu auch exc. Sat. 1,12 (73,215). 44 Vgl. auch in psalm. 45,16,1 (64,340), wo dieselbe Stelle auf die Dämonenaustreibungen Jesu gedeutet wird. 45 Vgl. fid. 5,16,189 (78,287); 5,19,238 (ebd. 307). 46 Breuer, Eucharistiedichtung 38. Vgl. Springer, Concinnity 232. <?page no="175"?> 163 in seiner Beziehung zum Menschen. Alle vier Attribute spielen eine wichtige Rolle in der christologischen Terminologie des Johannesevangeliums, wie im Blick auf vita, lumen und veritas bereits der Prolog zeigt: IoA 1,1-9.14.16-18 47 : In principio erat verbum et verbum erat apud Deum et Deus erat verbum. Hoc erat in principio apud Deum. Omnia per ipsum facta sunt, et sine ipso factum est nihil. Quod factum est in ipso, vita est. Et vita erat lux hominum. Et lux in tenebris lucet ET TENEBRAE EAM NON CONPREHENDERUNT . F UIT HOMO MISSUS A D EO CUI NOMEN ERAT I OHANNES . H IC VENIT IN TESTIMONIUM , UT TESTIMONIUM PERHIBE- RET DE LUMINE , UT OMNES CREDERENT PER ILLUM . Non erat ille lux, sed ut testimonium perhiberet de lumine. Erat lux vera quae inluminat omnem hominem venientem in hunc mundum. … Et verbum caro factum est, et habitavit in nobis: et vidimus gloriam eius, gloriam quasi unigeniti a patre, plenum gratia et veritate. … Nos omnes de plenitudine eius accepimus, et gratiam pro gratia. Quia lex per Moysen data est, gratia autem et veritas per Iesum Christum facta est. Deum nemo vidit umquam, unigenitus filius, qui est in sinu patris, ipse enarravit. Wenn Christus als das Leben 48 und das Licht 49 bezeichnet wird, so stehen beide Begriffe in Verbindung mit seiner Eigenschaft als Offenbarer des göttlichen Heils. Christus wird C : genannt „als Gottes Offenbarer, für den er selbst, indem er als Offenbarer Gottes Auftrag erfüllt, die : Gottes C * # ist (12,50), und der als Offenbarer dem Glauben die Möglichkeit echten Lebens gibt“ 50 . Der johanneische Begriff der C : meint auch dann, wenn er auf die Menschen bezogen ist, nie das physische Leben, sondern das Leben in einem qualitativ gefüllten, existentiellen Sinn als Inbegriff des Heils. Einschlägig ist das Jesuswort Io 5,24: @ * ( * K , 6 4 % ( ' 3 ' 9 D) C * # 3 $ D$) , ( L L / ! % * C : . Der Bereich des Todes als des uneigentlichen Lebens wird definitiv verlassen im Hören des Wortes Jesu und im Glauben an den, der ihn gesandt hat. Von hieraus wird erkennbar, warum das Leben im eigentlichen Sinn, das Leben, das auch der physische Tod nicht zerstören kann, so sehr von der Person Jesu abhängt, dass er selbst als das Leben bezeichnet werden kann. Zugleich wird deutlich, dass Jesus diese Rolle nicht aus sich zukommt, sondern vom Vater her: Insofern ist er das Leben als Offenbarer des Vaters. 47 Passagen, die Ambrosius nicht zitiert, sind in der Vulgata-Fassung gegeben (durch Kapitälchen markiert). 48 Vgl. IoA 6,35.48: Ego sum panis vitae; 11,25: # U ( ! 3 U C : ; 1 IoA 1,2: et vita apparuit, et vidimus et testamur et adnuntiamus vobis de vita, quae erat aput [sic] patrem et apparuit nobis; 5,20: Hic [sc. Iesus Christus] est verus deus et vita aeterna (zitiert nach fid. 1,17,117 [78,50]). 49 Vgl. IoA 3,19: Hoc autem est iudicium, quia venit lux in hunc mundum et dilexerunt magis homines tenebras quam lucem; erant enim mala ipsorum opera; 8,12: Ego sum lux mundi: qui me secutus fuerit, non ibit in tenebras, sed habebit lumen vitae; 9,5: Cum in hoc mundo sum, lux huius mundi sum; 12,35: Ambulate dum lucem habetis. 50 Bultmann, Lebensbegriff 872. <?page no="176"?> 164 Auch das Attribut ‘Licht’ leistet eine „Konzentration auf die Person des Offenbarers“ 51 . Der Vater wohnt „in unzugänglichem Licht“ (1 Tim 6,16), doch der Sohn erscheint als „Abglanz seiner Herrlichkeit“ (Hebr 1,3). Der erste Johannesbrief markiert das Licht als den Einflussbereich Gottes 52 . Im Evangelium wird ‘Licht’ zwar durchgehend personal als Bezeichnung Christi gebraucht, doch wird analog zum zuletzt erläuterten Komplex des ‘Lebens’ auch hier der Rückbezug auf den Vater hervorgehoben. Christus kam als Licht in die Welt, damit alle, die an ihn glauben, nicht in der Finsternis, im Unheil verweilen müssen: Wer aber an Christus glaubt, glaubt zugleich an den, der ihn gesandt hat. IoA 12,44-46: Qui in me credit, non credit in me, sed in eum, qui me misit. Et qui videt me, videt eum qui me misit. Ego lux in hunc mundum veni, ut omnis qui credit in me, in tenebris non maneat. Derselbe Zusammenhang zeigt sich in der johanneischen Konzeption von ‘Wahrheit’ 53 : „Die joh. ( : ist wesentlich die durch den ‘Sohn’ gebrachte Offenbarung“, denn „der Sohn verkörpert in sich die göttliche Wahrheit, die für die Glaubenden Leben bedeutet, und wird so zum ‘Weg’ für alle, die nach dem Heil streben“. IoA 14,6: Ego sum via et veritas et vita. Nemo venit ad Patrem, nisi per me. „Da Jesus die Wahrheit nicht nur in seinen Worten und Taten offenbart, sondern auch in seiner Person verkörpert, tritt Gottes Wirklichkeit in ihm in Erscheinung, und zwar als offenbarer Heilswille und Heilsmacht“ 54 . „In Christus, der ganz von Gott her und auf Gott hin lebt (Joh 3,33 5,19f. 7,18 8,26), tritt Gottes W[ahrheit] als offenbarte Wirklichkeit dem Menschen entgegen“ 55 . Auch der Frieden erscheint bei Johannes als eine durch das Christusereignis qualifizierte Größe. Im Anschluss an die alttestamentliche Rede vom (š l m) können die Autoren des Neuen Testamentes unter $: / pax den von Gott her kommenden eschatologischen Heilszustand verstehen. Der Lobgesang der Engel Lc 2,14 sieht diesen Zustand mit der Geburt Jesu angebrochen 56 . In diesem Sinne spricht Christus auch bei Johannes von einem mit seiner Person verbundenen Frieden, einem umfassenden Heil, das sich von jedem ‘weltlichen’ Friedenszustand radikal unterscheidet: 51 Conzelmann, + 341f. Vgl. auch Franz, Tageslauf 295-299, zu Splendor paternae gloriae, V. 1,1-3a. 52 1 Io 1,5b-7: , 6 + 3 9 D . E B D) ’ / 3 9 4 $ + , % 4 3 / * ( : I G 9 3 $ + m 4 9 , D) ’ ( : 3 6 [ . / / %F / / $ C U _ ( 6 ! c $ . 53 Zum johanneischen Wahrheitsbegriff vgl. Schnackenburg, Johannesevangelium 265- 281; Link, Wahrheit 1350-1352; Söding, Macht der Wahrheit 47-54. 54 Schnackenburg, Johannesevangelium 270. 55 Limbeck, Wahrheit 1055. 56 LcA 2,14: gloria in altissimis deo et in terra pax hominibus bonae voluntatis. Vgl. Foerster, $: 411. <?page no="177"?> 165 IoA 14,27: Pacem meam do vobis, pacem meam relinquo vobis; non sicut mundus dat, ego do vobis. Io 16,33: / ! K X 3 $: D) . Der Gebrauch von pax als Christusprädikation begegnet freilich nicht im Johannesevangelium, wohl aber im zweiten Kapitel des Epheserbriefs. Es wird darauf verwiesen, dass die Heiden einst vom Volk Israel getrennt und vom Bund der Verheißung ausgeschlossen waren, dass nun aber Christus durch seinen Kreuzestod und die dadurch verbürgte Aufhebung des Gesetzes sowohl den Frieden der Menschen untereinander (Juden und Heiden) als auch den Frieden zwischen Gott und den Menschen hergestellt hat (Eph 2,11-18) 57 . Insofern kann Christus, der Urheber des Friedens, gleichsam als Friede in Person bezeichnet werden. EphA 2,14: atque ipse factus est pax nostra qui fecit utraque unum et medium parietem saepis solvens, inimicitiam in carne sua. Ambrosius macht in seinen Schriften von den vier in Vers 1,3 aufgereihten Christusnamen ausgiebigen Gebrauch, wovon die folgenden Beispiele Zeugnis ablegen 58 : in psalm. 36,65,2 (64,124): cum de sapientia loquimur, ipse est, cum de virtute loquimur, ipse est, cum de iustitia loquimur, ipse est, cum de pace loquimur, ipse est, cum de veritate et vita et redemptione loquimur, ipse est. epist. extra coll. 14,4 (82/ 3,236f.): Ubi enim pax ibi Christus, quia pax Christus; ubi iustitia ibi Christus, quia Christus iustitia. bon. mort. 12,55 (32/ 1,750): Sequimur te, domine Iesu: sed ut sequamur accerse, quia sine te nullus ascendet. tu enim via es, veritas vita possibilitas fides praemium. suscipe tuos quasi via, confirma quasi veritas, vivifica quasi vita. in Luc. 2,86 (CChr.SL 14,70): … intelligis eos mortuos esse qui sine Christo sunt, qui participes vitae non sunt; hoc est enim Christi non esse participes, quia Christus est vita. in Luc. 5,116 (ebd. 174): gratia Christus est, vita Christus est, Christus est resurrectio. in psalm. 37,41,1 (64,168): Denique ut scias de Christo magis intellegendum, addidit: ET LUMEN OCULORUM MEORUM NON EST MECUM [Ps 37(38),11]. quod est verum lumen omnium nisi Christus, de quo Iohannes dicit: ERAT VERUM LUMEN QUOD INLUMINAT OMNEM HOMINEM VENIENTEM IN HUNC MUNDUM [Io 1,9], quia ipse est qui inluminat et corporis oculos et mentis obtutum? 57 Vgl. dazu Foerster, $: 413f.; Brandenburger, Frieden 66f.; Klein, Friede Gottes 335f. Vgl. auch Col 1,20. 58 Vgl. weiterhin (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) zu pax: in Luc. 7,141 (CChr.SL 14,263); 10,23 (ebd. 352); in psalm. 118 serm. 12,40,2 (62,274); in psalm. 1,33,4 (64,29); 61,11,3 (ebd. 385); sacr. 4,3,10 (73,50); virginit. 8,46 (Cazzaniga 22). Zu vita: parad. 9,45 (32/ 1,302f.); Isaac 8,79 (ebd. 699); bon. mort. 5,21 (ebd. 723); 12,54 (ebd. 749); in psalm. 118 serm. 3,18,1 (62,50); 19,35 (ebd. 440); in psalm. 36,34,2 (64,97f.); in Luc. 7,1.38.246 (CChr.SL 14,215.227.297); fid. 4,4,42 (78,171); spir. 1,15,151 (79,79); epist. 11,6 (82/ 1,82). Zu veritas: in psalm. 118 serm. 11,6,2 (62,236); 18,39 (ebd. 418); fid. 2 prol. 2f. (78,58f.); 5,2,29 (ebd. 226f.). Zu lumen vgl. Kap. C 4.1.3. <?page no="178"?> 166 in psalm. 118 serm. 8,54,2 (62,185; ausgehend von Ps 118(119),63): si oderim mendacium, particeps Christi sum, quia veritas Christus est; si fugiam iniquitatem, particeps Christi sum, quia Christus iustitia est. fid. 1,17,108 (78,46): Unde non solum deus [sc. filius], sed etiam verus deus, ‘verus e vero’, et adeo verus, ut ipse sit veritas. Christus ist Frieden, Leben, Licht und Wahrheit, und Christus gibt als Offenbarer Anteil an Frieden, Leben, Licht und Wahrheit. Diese dem Menschen zugewandte und sein Heil verbürgende Tätigkeit Christi ist Gegenstand des dritten Verses. Was die Anordnung der Prädikationen innerhalb des Verses betrifft, verweist Charlet zu Recht darauf, dass kaum nur metrische Gründe ausschlaggebend sein dürften 59 . Vielmehr scheint Ambrosius zunächst an der Bildung zweier Begriffspaare gelegen zu sein. Die Verknüpfung von pax und vita stützt sich dabei abgesehen von der naheliegenden assoziativen Verbindung (der Frieden als Lebens-Raum) auf eine Formulierung im Römerbrief: Nachdem Jesus Christus ‘das Gesetz der Sünde und des Todes’ überwunden hat (8,2), ist der Mensch befähigt, nicht mehr ‘vom Fleisch bestimmt’, sondern ‘vom Geist bestimmt’ zu leben (8,5). Rom 8,6: 6 $ $4 1 $ 6 ! , 6 G $4 / ' C C * 3 $: . Das neue ‘Streben des Geistes’ bringt Leben und Frieden: das dem Menschen von Gott her zuteilwerdende Heil. Akzentuieren mithin die Titel pax und vita den Inhalt der Offenbarung in Christus, so scheinen lumen und veritas mehr auf den Akt der Offenbarung bzw. die Person des Offenbarers zu zielen, der ‘die Wahrheit ins Licht setzt’. Die Zweiteilung des Verses ist jedoch nicht streng zu verstehen, denn zugleich lassen sich biblisch auch zwischen lumen und vita Verbindungen ziehen (Io 1,4) 60 , ebenso zwischen vita und veritas (Io 14,6). 3.1.4 Iesu, fave precantibus (1,4) Vers 1,4 spitzt die in den vorangehenden Versen angebahnte Fokussierung hinsichtlich des Adressatenkreises des göttlichen Heilshandelns in Christus weiter zu. Nachdem in den ersten beiden Versen der Kosmos als Gegenstand des Handelns des Logos benannt wurde, verschiebt sich die Perspektive in Vers 1,3 auf die Gaben an die Menschen. Mit Vers 1,4 schließlich gelangen konkret diejenigen Menschen in den Blick, die den Hymnus als Bittgebet vollziehen (precantibus). Dem entsprechen jeweils die gewählten Namen Christi: Der Weg führt von dem alle Schöpfung unendlich über- 59 Vgl. Charlet, Illuminans 349. 60 Charlet, Illuminans 349: „La lumière ramène à la thématique de l’Épiphanie, manifestation lumineuse de Dieu; cette lumière de Dieu est illumination intérieure de l’homme et lui communique la vie … et la verité … La place de lumen entre vita et veritas est donc riche de suggestions: elle met en valeur les harmoniques d’une ‘spiritualité de l’Épiphanie’“. <?page no="179"?> 167 ragenden ‘Allerhöchsten’ (altissimus) über die die Heilsoffenbarung an die Menschen zum Ausdruck bringenden Titel in Vers 1,3 zur schlichten Anaklese des Jesusnamens. Die singende Gemeinde tastet sich gleichsam aus respektvollem Abstand vom göttlichen Logos zu der ihr nahen Menschheit Jesu von Nazareth vor, um ihre Bitte um Erhörung mit dem intimsten denkbaren Anruf zu verbinden 61 . Die Formulierung fave precantibus steht in der Tradition römischer Sakralsprache 62 . Eine der im Hymnus gebrauchten analoge Wendung findet sich in Ovids Metamorphosen in der abschließenden Huldigung an Augustus, der nach seinem Tode, in den Himmel entrückt, den Bitten der Römer gewogen bleiben soll: Ov. met. 15,870: faveatque precantibus absens Dass Ambrosius die Formel für ein christliches Gebet aufgreift, entspricht dem für ihn typischen Bemühen, Elemente der vorchristlichen Kultur positiv aufzugreifen und dem Christentum anzuverwandeln. Ein Gebetsanliegen, eine inhaltlich gefüllte Bitte, wird nicht explizit benannt. Jedoch ergibt sich aus dem oben entwickelten Duktus der gesamten Strophe, dass es um die Fortsetzung des an Kosmos und Menschheit offenbar gewordenen Heilshandelns geht, und zwar jetzt an der singenden Gemeinde. „Jesus, der sich der Schöpfung und der Menschheit gegenüber als der in Gnade geoffenbarte erwiesen hat, möge sich als solcher nun der hier versammelten Gemeinde zuwenden“ 63 . Die im weiteren Verlauf des Hymnus angesprochenen biblischen Erzählungen bezeugen: „Jesus hat sich bereits als ‘pax vita lumen veritas’ erwiesen, die Evangelien berichten davon. Die Gemeinde feiert diese Offenbarungen der göttlichen Wesenheit vor den Menschen und bittet sich auch ihr als ‘pax vita lumen veritas’ zu offenbaren. Preis und Bitte sind ineinander verschränkt“ 64 . 3.1.5 seu mystico baptismate fluenta Iordanis retro conversa quondam tertio praesenti sacraris die (2,1-4) Die zweite Strophe hat die Taufe Jesu zum Gegenstand 65 , der weiterhin direkt angeredet wird: Die Verben des gesamten seu/ vel-Komplexes stehen in 61 Häußling (Fallbeispiel 325f.) hebt im Zusammenhang mit Vers 7,1 des Hymnus Aeterne rerum conditor (Iesu, labantes respice; Fontaine 151) „die so personale und in der hohen Sprache der Alten Kirche alles andere als gewohnte Anaklese des Jesus-Namens“ hervor. Vielleicht drückt sich hierin „die tiefempfundene Jesusfrömmigkeit des Bischofs“ aus (Dassmann, Ambrosius 213; zur Sache vgl. ebd. 213-216; ähnlich bereits Baus, Gebet zu Christus 35: „Ausdruck der Ambrosius eigentümlichen Jesusinnigkeit“). 62 Vgl. Charlet, Illuminans 350: „Favere, à propos des dieux, est un verbe consacré; en particulier, l’impératif fave revient fréquemment dans les prières des poètes latins“. Als Beispiele nennt Charlet Verg. ecl. 4,10; Tib. 2,5,1; Prop. 4,1,67 und Ov. fast. 4,1. 63 Breuer, Eucharistiedichtung 39. 64 Ebd. 39f. 65 Vgl. Mt 3,13-17; Mc 1,9-11; Lc 3,21f. <?page no="180"?> 168 der zweiten Person Singular. Textkritisch ist freilich festzustellen, dass die Abschreiber diese Struktur vielfach nicht verstanden haben, und zwar umso weniger, je weiter der Text von der Anaklese in Strophe 1 entfernt ist bzw. je mehr er unter den Einfluss der ab Vers 4,3 sich anschließenden Berichtformen gerät. Während in Vers 2,4 nur die spanische Tradition (Ea, Ee) fälschlich die dritte Person Singular bietet, treten in der dritten und vierten Strophe weitere Handschriften hinzu 66 . Lediglich die Mailänder Tradition 67 hält die vom Aufbau des Textes geforderten fortgesetzten Anredeformen bis Vers 4,2 durch. Eine in der Forschung vieldiskutierte Frage problematisiert die Nennung der Taufe Jesu in Strophe 2 vor der Anbetung der Magier in Strophe 3. Es wird argumentiert, diese dem Ablauf des Lebens Jesu nicht entsprechende Reihenfolge verlange nach einer Erklärung durch die Liturgie: Insbesondere Hieronymus Frank schließt auf die Vorrangstellung der Taufe Jesu unter den Festinhalten der Mailänder Epiphaniefeier 68 . Zunächst erscheint es jedoch geboten, die Anordnung der Inhalte aus dem Text selbst zu erklären. So erblickt Breuer in dem Auftakt mit der Heiligung der Jordanfluten „eine genaue Entsprechung zur Einleitungsstrophe: Zuerst wird zu Jesus als zu dem gesprochen, der sich der Schöpfung offenbarte“ (inluminans … micantium astrorum globos), „und dann erst wird von seinen Offenbarungen an die Menschen gesprochen“ 69 . Eine alternative Erklärung bietet Springer: Strophe 2 mit dem Bezug auf die Taufe und Strophe 8 mit dem Bezug auf die Eucharistie rahmen den Hymnus mit den beiden zentralen Sakramenten der Kirche. Außerdem eigne sich die Jordantaufe zur Eröffnung alttestamentlicher Horizonte: „The second stanza appears to be typological in its intention and draws our attention back to previous salvation-history“. Im Unterschied dazu verweise die Anbetung der Magier nach vorne auf den bis zur Zeit des Ambrosius andauernden Prozess der „expansion of the Christian mission beyond its original Jewish origins - even to such remote places as Milan“ 70 . Die referierten Argumente können erst nach eingehender Interpretation des gesamten Hymnus adäquat bewertet werden, doch ist unbedingt mit Sprin- 66 Den entscheidenden Anstoß scheint in V. 3,2 das Missverständnis von stella als Subjekt zum dann erforderlichen signaverit gegeben zu haben: vgl. Charlet, Illuminans 353. Zur Interpretation der Verse 3,1f. vgl. Kap. 3.1.6. 67 Mit Ausnahme der Handschrift Mb, die in V. 3,4 die Lesart duxerit aufweist. 68 Vgl. Frank, Geschichte 15 (s. auch Kap. A 1.2). Vgl. ferner Charlet, Illuminans 350: „Il semble donc qu’à l’ordre chronologique ait pu être substitué un ordre liturgique (et doctrinal? )“. Charlet verweist auf die Übereinstimmung der Reihenfolge der Festinhalte mit der bei Eucherius von Lyon ( um 450; instr. 1 [CSEL 31,154 Wotke]: Epiphania graecum est, quod significat apparitio vel ostensio. Sive quod eadem die dominus et salvator noster in baptismo suo populis fuerit ostensus; sive quod stella magis; sive quod primo signo domini aqua in vinum versa tunc apparuerit) und konstatiert „affinités avec la liturgie gallicane du milieu ou de la seconde moitié du V e siècle“. 69 Breuer, Eucharistiedichtung 40. 70 Springer, Concinnity 233. <?page no="181"?> 169 ger für die Hypothese zu plädieren, „that the decision to prioritize the baptism of Jesus makes thematic sense within the context of the hymn itself“ 71 . Welches sind die alttestamentlichen Horizonte, auf die sich Springer bezieht? Die Formulierung der Verse 2,2f.: fluenta Iordanis 72 retro / conversa quondam tertio, verweist zunächst auf PsA 113(114),3, wo es bezüglich des Exodus heißt: Mare vidit et fugit, Iordanes conversus est retrorsum. Damit wird zugleich die erste der drei (tertio 73 ) gemeinten Situationen identifizierbar, in denen das Wasser des Jordan sich zurückzog, das heißt sich teilte: der dem Durchzug durch das Schilfmeer (Ex 14) nachgestaltete Übergang über den Jordan im Zuge der Landnahme (Ios 3,1-17). Die beiden anderen Fälle sind die Durchschreitung des sich teilenden Jordans durch Elija und Elischa (2 Reg 2,8) bzw. durch Elischa (2 Reg 2,14) vor und nach der Entrückung Elijas. Im Lukaskommentar interpretiert Ambrosius das Psalmzitat, im konkreten Fall bezogen auf 2 Reg 2,8, allegorisch als Vorausbezeichnung der Taufe (salutare lavacrum). in Luc. 1,37 (CChr.SL 14,24f.): ille sub Helia diviso amne fluvialium recursus undarum in originem fluminis, sicut dixit scriptura: I ORDANIS CONVERSUS EST RETRORSUM [Ps 113(114),3], significat salutaris lavacri futura mysteria, per quae in primordia naturae suae qui baptizati fuerint parvuli a malitia reformantur. Die Umkehrung der Fließrichtung des Wassers steht dabei für die in der Taufe verbürgte Rückkehr aus der erbsündlichen Verdorbenheit (malitia) zum von der Erbsünde ungetrübten Urzustand der menschlichen Natur (in primordia naturae suae … reformantur) 74 . Wie am Jordan also bereits einstmals (2,3: quondam), zur Zeit des Alten Bundes, Ereignisse geschahen, die auf die Taufe hindeuteten 75 , so hat Chris- 71 Ebd. 72 Zur Wendung fluenta Iordanis vgl. hex. 3,1,6 (32/ 1,62); Hel. 2,3 (32/ 2,413); epist. extra coll. 15,7 (82/ 3,306). Fontaine (Pèlerinage 476) weist darauf hin, dass das Wort fluenta im christlichen Latein „avait pris dès l’origine un sens rituel pour désigner l’eau de baptême“. 73 Hofmann/ Szantyr, Syntax und Stilistik 214: Es begegnet „im Spätlatein sehr häufig tertio, -um statt ter … seit der Itala“. Walpole (Hymns 66) nennt Beispiele aus den Prosaschriften des Ambrosius. 74 Vgl. in psalm. 61,32,1 (64,396): solus Iordanis retrorsum conversus est, in quem descendisti, qui te admonet, ut in ipsum naturae fontem et originem revertaris. 75 Die Funktion der Verse 2,2f. besteht ausschließlich darin, auf alttestamentliche Typoi der christlichen Taufe anzuspielen, die in der Taufe Jesu grundgelegt ist. Nicht jedoch wird das Psalmzitat im Hymnus direkt auf die Taufe Jesu bezogen, wie Charlet meint (Illuminans 350f.; vgl. auch Pax, Epiphanie 899). In den biblischen Berichten von der Taufe Jesu ist ja von einem Wasserwunder nicht die Rede. Es geht auch nicht an, den Konnex zwischen Ps 113(114),3 und der Taufe Jesu zu einem Thema der „homilétique latine de l’Épiphanie“ zu erklären (ebd. 351), wenn man die von Charlet herangezogenen Stellen näher besieht: Hier. tract. (CChr.SL 78 Morin) p. 531 l. 18-21 (Iordanes fluvius qui, eo tempore quando populum Israhel dux Iesus in terram repromissionis induxit, exsiccatus est, nunc, totis si potuisset undis, in unum locum voluerat congregari, ut Domini corpus intingeret) besagt lediglich, dass der Jordan, wie er einst vor Josua zurückwich, sich nun an der Berührung Jesu so erfreute, dass er sich gleichsam um ihn zusammenziehen wollte <?page no="182"?> 170 tus am gegenwärtigen Tag - die Formulierung praesenti … die 76 (2,4) akzentuiert nicht nur in Antithese zu quondam den typologischen Bezug, sondern für die Feier des Epiphaniefestes emphatisch die reale Gegenwärtigkeit im Sinne liturgischer Anamnese - das Sakrament der Taufe tatsächlich eingesetzt, indem er die Jordanfluten und mit ihnen das lebendige Wasser schlechthin geheiligt 77 hat (fluenta Iordanis … sacraris) 78 . Denselben Zusam- - ein Bezug zu Ps 113(114),3 ist im Duktus des Textes nicht zu erkennen, so dass die unvermittelte Einfügung des Verses in Handschrift B der Predigt sicher sekundär ist. Maximus von Turin schließlich bringt zwar tatsächlich den Psalmvers mit der Taufe Jesu in Verbindung, jedoch in zwei ganz und gar übertragenen Bedeutungen, einmal bezogen auf die Segnung des Wassers, die sich flussaufwärts ausbreitet (serm. 13b,2 M. [CChr.SL 23,49 Mutzenbecher]: Mirum enim in modum Christo in Iordane posito aquarum quidem flumina labebantur, sed et benedictionum fluenta currebant; inde alvei gurges turbidior ferebatur, hinc fons salvatoris purissimus emanabat; et stupore quodam retrorsum ad Iordanis originem consecratio baptismatis ascendebat, et contra aquarum fluvium benedictionum fluvius ferebatur, unde David sanctum arbitror dixisse: I ORDANES CONVERSUS EST RETRORSUM . In baptismate enim Christi retrorsum Iordanes non aquis conversus est sed sacramentis, et in naturae sui originem benedictione magis quam substantia remeavit), zum anderen bezogen auf die durch die Taufe Jesu zugänglich gewordene Vergebung der Sünden (serm. 64,3 M. [ebd. 271]: In Iordane igitur baptizatur dominus. Multa mirabilia in hoc flumine saepius facta esse scriptura conmemorat inter cetera dicens: E T I ORDANES CON- VERSUS EST RETRORSUM . Puto autem esse mirabilius quod domino Iesu Christo ibi posito factum est. Ante enim retrorsum aquae conversae fuerant, modo retrorsum peccata conversa sunt; et sicut tunc impetus fluminis alveum sui cursus perdidit, ita et nunc impetus peccatorum hominem sui erroris amisit. Quod quidem in propheta Helia iam illo in tempore factum puto. Sicut enim Helias in Iordane divisionem fecit undarum, ita et Christus dominus in eodem Iordane separationem operatus est peccatorum; ille stare fluenta praecepit hic crimina; et sicut sub Helia fluctus primordia fontium, de quibus exierant, petiverunt, ita et sub Christo domino homines ad originem suam, de qua in infantia fuerant exorsi, sunt reversi; der letzte Gedanke entspricht genau Ambr. in Luc. 1,37). Es bleibt lediglich der Verweis auf die altchristliche Ikonographie, die nach Réau (Iconographie 299) den personifizierten Jordan im Kontext der Taufe Jesu „presque toujours vu de dos“ darstellt, als sei er im Begriff „de prendre la fuite“ [Hervorhebung im Original]. Doch auch hier dürfte dieselbe indirekte Gedankenverbindung zugrunde liegen und der Psalm nicht auf die Taufe Jesu selbst, sondern die dadurch initiierte christliche Taufe bezogen sein. 76 In der handschriftlichen Überlieferung begegnen mehrere abweichende Lesarten, von denen diejenigen, die ein zusätzliches Akkusativobjekt einführen (praesentem … diem: Ad 1 , Ae, Fa, Id 1 [in Ad und Id halbherzig zu praesentem … die korrigiert]; praesentis … diem: Ee), aus syntaktischen Gründen ausscheiden. Nur die Manuskripte Fk und Me bieten die metrisch korrekte Variante: praesente … die. Der Befund legt nahe, mit den Mailänder Hymnaren an der metrischen Unregelmäßigkeit einer langen Silbe in der Senkung des zweiten Versfußes (praesenti) festzuhalten (vgl. Charlet, Illuminans 352), zumal sie im Sinne der Endsilbenkürzung aufgefasst werden kann (vgl. Kap. A 1.4.2). 77 Ambrosius gebraucht das Verb sacrare insbesondere zur Bezeichnung der Weihung im Sinne der Widmung an Gott und der dadurch vollzogenen Heiligung, so bezogen auf Jungfrauen/ Jungfräulichkeit: virg. 1,8,45 (Cazzaniga 23); 1,10,57.59 (ebd. 30.31); 3,3,10 (ebd. 62); exc. Sat. 1,32 (73,227); exhort. virg. 8,52 (SAEMO 14/ 2,240); virginit. 5,26 (Cazzaniga 12); 7,36 (ebd. 17); epist. 72,14 (82/ 3,18); bildlich inst. virg. 5,33 (SAEMO 14/ 2,134: templum pudoris); exhort. virg. 1,10 (ebd. 206-208: templa pudicitiae atque integritatis); 14,94 (ebd. 270: sensibile templum); bezogen auf innere Haltungen: virg. 1,8,47 (Cazzaniga 25); in Luc. 6,83 (CChr.SL 14,204); bezogen auf die sterblichen Überreste des <?page no="183"?> 171 menhang entfaltet Ambrosius im Lukaskommentar bei der Auslegung der Taufperikope Lc 3,21f.: in Luc. 2,83 (CChr.SL 14,67): Factum est autem cum baptizatus esset omnis populus et Iesu baptizato et orante apertum est caelum et descendit spiritus sanctus corporali specie sicut columba in ipsum et vox de caelo facta est: filius meus es tu, in te conplacui [Lc 3,21f.]. Baptizatus ergo est dominus non mundari volens, sed mundare aquas, ut ablutae per carnem Christi, quae peccatum non cognovit, baptismatis ius haberent. 79 Ambrosius betont das Paradox, dass bei der Taufe Jesu nicht der Leib der reinigenden Kraft des Wassers unterzogen, sondern umgekehrt das Wasser durch die physische Berührung mit dem sündenfreien Fleisch Christi ‘abgewaschen’ (ablutae) wurde, damit es die Fähigkeit erlange, zur Taufe zu dienen (baptismatis ius haberent) 80 . Insofern kam der Vorgang der Taufe Jesu letztlich der Auferbauung der Kirche zugute (2,84 [ebd. 68]: ad exaedificationem ecclesiae). Im weiteren Verlauf der Auslegung nimmt Ambrosius einen anderen Aspekt der Einsetzung des Taufsakramentes in den Blick. Einerseits stellte Jesus durch die Heiligung der Jordanfluten - scholastisch gesprochen - die zur Taufe erforderliche Materie zur Verfügung (materiale Einsetzung), andererseits wies er durch sein Vorbild den Weg zum Vollzug der Befreiung von der Sünde (adhortative Einsetzung). Der Bedeutungsgehalt der Johannestaufe, so führt Ambrosius in 2,90 aus, war nämlich die Sündenvergebung. Daher war Jesus in seiner Sündlosigkeit eigentlich kein Adressat dieser Taufe, weswegen ihn der Täufer auch zunächst abweisen wollte (MtA 3,14: Ego a te debeo baptizari, et tu venis ad me? ). Die Antwort Jesu (MtA 3,15: Sine modo; sic enim decet nos inplere omnem iustitiam) wird wie folgt interpretiert: in Luc. 2,90 (CChr.SL 14,72): Quae est iustitia nisi ut quod alterum facere velis prior ipse incipias et tuo alios horteris exemplo? Quae est iustitia nisi ut quia carnem suscepit non quasi deus sensum aut ministerium carnis excluderet, sed quasi homo carnem vince- Kaisers: obit. Valent. 56 (73,356); bezogen auf Kirchengebäude: epist. 74,21 (82/ 3,67); bezogen auf Opfer des Alten Bundes: epist. 74,26 (ebd. 70); bezogen auf den Segen Isaaks über Jakob: Iac. 2,1,4 (32/ 2,34). Häufig begegnet sacratus adjektivisch gebraucht als ‘heilig’. 78 Im liturgischen Vollzug muss dieser Akt in der Taufwasserweihe jeweils neu realisiert werden. Vgl. sacr. 1,5,15 (73,22): non aqua omnis sanat, sed aqua sanat, quae habet gratiam Christi. Aliud est elementum, aliud consecratio: aliud opus, aliud operatio. Aquae opus est, operatio spiritus sancti est. Non sanat aqua, nisi spiritus sanctus descenderit et aquam illam consecravit. 79 Vgl. Max. Taur. serm. 13b,2 M. (CChr.SL 23,48f. Mutzenbecher): Purgata est enim unda, quae cum esset vilis et frigida, benedictionis dominicae calore ditata est, ita ut quae vix antea mundanas rerum maculas diluerit, nunc spiritales purificat maculas animarum; 64,1 M. (ebd. 269): ideo venit dominus ad lavacrum, non ut purificetur ipse aquis, sed ut nobis aquarum fluenta purificet. 80 Vgl. in Luc. 1,36 (CChr.SL 14,24): ad lavacrum salutare convertit [sc. Iordanen]. <?page no="184"?> 172 ret, ut vincere me doceret? Docuit enim qua ratione possim terrenis concretam vitiis obnoxiae carnis inluviem sepelire criminibus, renovare virtutibus. 81 Jesus unterzog sich der Taufe zur Vergebung der Sünden, um uns zu belehren (docere), auf welche Weise wir unsere fleischliche Existenz aus ihrer Verfallenheit an die Sünde befreien können 82 . Gleichzeitig ermahnt er uns so auch dazu, uns der Notwendigkeit dieses Aktes nicht zu verschließen. in Luc. 2,91 (ebd. 73): Quid enim tam divinum ad populos provocandos quam ut nemo refugiat lavacrum gratiae, quando Christus lavacrum paenitentiae non refugit? Nemo se dicat exsortem esse peccati, quando Christus venit ad remedium peccatorum. Si pro nobis Christus lavit, immo nos in corpore suo lavit, quanto magis nos nostra delicta lavare debemus? Insofern kann gesagt werden, dass Jesus, indem er die Taufe durch Johannes empfing, das normative Urbild der Taufe eingesetzt hat und so auf paradoxe Weise als Empfänger der Taufe selbst die ganze Welt reinwusch 83 . Iob 4,4,14 (32/ 2,276): in Iordane baptizatus est Christus, quando formam lavacri salutaris instituit. 84 apol. Dav. II 4,24 (ebd. 372): in Iordane totum diluit mundum (sc. Christus). Die von Ambrosius vertretene Konzeption hat Wurzeln in der ältesten christlichen Theologie der Taufe. Bereits die Synoptiker selbst konzipieren ihre Berichte von der Taufe Jesu „nach Art eines für die christliche Taufe gültigen Paradigmas, ja eines Gründungsaktes“ 85 . Diese Sicht bleibt für die Alte Kirche grundlegend 86 . Bei Ignatius von Antiochien (ca. 110/ 130) findet sich der Zusammenhang zwischen Taufe und Heiligung des Wassers ausgesprochen, allerdings noch verknüpft mit der Passion 87 . Insbesondere Tertullian ( um 220) betont den Gedanken der Heiligung des Wassers in der 81 Dieselbe „didaktische Begründung der Taufe Christi“ (Merkt, Maximus 184 Anm. 243) begegnet bei Max. Taur. serm. 64,1 M. (CChr.SL 23,269 Mutzenbecher); 100,1 M. (ebd. 398), sowie bei Chrom. tract. in Matth. 12,3,3 (CChr.SL 9A,246 Étaix/ Lemarié). 82 Vgl. sacr. 1,5,16 (73,22): Non enim ablutio peccatorum suorum Christo necessaria erat, QUI PECCATUM NON FECIT [1 Pe 2,22], sed nobis erat necessaria, qui peccato manemus obnoxii. Ergo si propter nos baptismum, nobis forma est constituta, fidei nostrae forma proposita est. 83 Zum propter nos-Motiv der Jordantaufe nach Ambrosius vgl. Granado, Bautismo 347f. 84 Vgl. Max. Taur. serm. 65,1 M. (CChr.SL 23,273 Mutzenbecher): cum baptizatus est dominus, et mysterium lavacri instituit. 85 Benoît/ Munier, Taufe XVI. 86 Vgl. Daniélou, Liturgie und Bibel 104: „Die alte Tradition sah das Taufsakrament objektiv in der Taufe Christi grundgelegt“. Liturgisch fand diese Auffassung ihren Niederschlag im Taufritual der altsyrischen Kirchen, das sich als Reinszenierung der Taufe Christi verstand: vgl. dazu Winkler, Initiationsrituale 142f.434-439.444-446; die wesentlichen Gesichtspunkte sind knapp zusammengefasst bei Meßner, Liturgiewissenschaft 85-91. 87 Ign. Ant. Eph. 18,2 (SC 10,86 Camelot): : 3 L , X 9 ! 6 f $ $ a . <?page no="185"?> 173 Taufe Jesu 88 : Der Leib des fleischgewordenen Wortes überträgt seine Reinheit auf das Wasser. Tert. pudic. 6,16 (SC 394,172.174 Munier): … ubi sermo Dei descendit in carnem … et sermo caro factus est …; … quae munditias suas aquis traderet, … Die alttestamentlichen Typologien, auf die Ambrosius in den Versen 2,2f. anspielt, gehören ebenfalls zum Traditionsgut der altkirchlichen Tauftheologie 89 . Sie begegnen bereits bei Origenes ( ca. 253) 90 . Gregor von Nyssa ( nach 394) geht in einer Predigt zum Epiphaniefest auf verschiedene Typologien ein und erklärt, nachdem er auf die Heilung des Aramäers Naaman durch das von Elischa empfohlene Bad im Jordan (2 Reg 5,1-19) verwiesen hat - eine auch für Ambrosius zentrale Episode 91 -, dass der Jordan, nachdem er selbst die Heiligung erfahren hat, über die ganze Welt die Gnade der Taufe ausgießt. Gr. Nyss. bapt. Chr. (Gebhardt 235): 4 $ . $ ! + ` % 9 5! / c / 3 1 * ( $)* g $ D 1 / % ' % 9 4 > 3 * / L ) % )! $ . / G s $ 3 $ ' 1 / % $ / . Ambrosius bezeichnet in Vers 2,1 die solcherart qualifizierte Taufe Jesu als mysticum baptisma. Das Adjektiv mysticus (und das zugehörige Adverb mystice) gebraucht Ambrosius in den meisten Fällen als exegetischhermeneutischen Begriff. Der Bischof setzt bei seiner Bibelauslegung einen mehrfachen Schriftsinn voraus und unterscheidet zunächst zwischen einem literalen und einem geistigen Sinn. Innerhalb des geistigen Sinns differenziert Ambrosius grundlegend zwischen einem mystischen und einem moralischen Sinn je nachdem, ob er „den buchstäblichen Sinn theologisch relevant macht einerseits auf das objektive Geheimnis der Heilsökonomie oder auf objektive Glaubenswahrheiten oder andrerseits auf die existenzielle Aneignung durch den Hörer hin“ 92 . Auch wenn Ambrosius den Ausdruck mysticus nicht auf die Methode der Auslegung bezieht, sondern direkt auf einen Gegenstand oder Sachverhalt meist aus der biblischen Geschichte, benennt er damit dessen Transparenz auf ein mysterium hin, also auf die Bekundung des göttlichen Heilswillens im geschichtlichen Handeln Gottes oder seine Aktualisierung im gottesdienstlichen Vollzug 93 . So spricht Ambrosius beispielsweise mehrfach von 88 Tert. adv. Iud. 8,14 (CChr.SL 2,1362 Kroymann): Baptizato … Christo, id est sanctificante aquas in suo baptismate, …; vgl. z. B. auch Hier. epist. 69,6 (CSEL 54,690 Hilberg). 89 Vgl. dazu Daniélou, Liturgie und Bibel 103-117. 90 Vgl. Or. Jo. 6,43-46(26f.) (GCS 10,152-155 Preuschen). Speziell zur Jordandurchquerung Josuas vgl. Or. hom. 4 in Jos. 1 (GCS 30,307-309 Baehrens); Gr. Nyss. bapt. diff. (Polack 361). Daniélou (Liturgie und Bibel 103) macht darauf aufmerksam, dass die Themen auch in liturgischen Texten aufgegriffen werden, so in koptischen und äthiopischen Taufwasserweihegebeten. 91 Vgl. z. B. in Luc. 4,50f. (CChr.SL 14,123f.); sacr. 1,5,13-15 (73,21f.). 92 Auf der Maur, Psalmenverständnis 321f. 93 Zu dieser doppelten Bedeutung des Terminus mysterium vgl. Kap. C 4.3.2. <?page no="186"?> 174 einem mysticus numerus, wenn in einer Zahl ein Hinweis auf heilsökonomische Gegebenheiten verborgen liegt 94 . Die Taufe Jesu im Jordan ist demnach ein mysticum baptisma, insofern sie auf die Rettung des Menschen aus der Verfallenheit an die Sünde und ihre konkrete Manifestation in der christlichen Taufe verweist, sie ja vielmehr sogar in gewisser Weise begründet. In demselben Sinn bezeichnet Ambrosius auch im Lukaskommentar die Taufe Jesu als lavacrum mysticum 95 und den Jordan als mysticum flumen 96 . Nach der inhaltlichen Erklärung lohnt ein Blick auf die stilistische Gestaltung der Strophe. Im Sinne der von Simonetti in Inluminans altissimus vermissten Kombination von concinnitas und variatio 97 ist in den Versen 2,1f. die Stellung von Substantiv und Attribut chiastisch verschränkt (mystico baptismate / fluenta Iordanis), während die Verse 2,2f. und mithin die beiden Strophenhälften durch die parallele Anfangsstellung der zusammengehörigen Glieder fluenta … conversa zusammengebunden sind. Das die Strophenmitte überschreitende Enjambement retro / conversa hat in Verbindung damit die Funktion, das Fließen des Wassers zu illustrieren. 3.1.6 seu stella partum virginis caelo micans signaveris (3,1f.) Nachdem Strophe 2 sich mit der Taufe Jesu beschäftigte, ist die dritte Strophe dem zweiten Gegenstand des Epiphaniefestes gewidmet: der Anbetung durch die Magier (Mt 2,1-11). Die Verse 3,1f. stellen zunächst einen motivischen Anschluss an die Verse 1,1f. her, der durch die Wiederholung des Verbs micare akzentuiert wird. Der strahlende Stern, von dem nun die Rede ist, gehört jedoch nicht einfachhin zu den Gestirnen der geschöpflichen Wirklichkeit (micantium astrorum globos) 98 , vielmehr wird er durch die grammatikalische Konstruktion als identisch mit dem Christus erwiesen, der 94 Vgl. in Luc. 1,36 (CChr.SL 14,24); 2,29 (ebd. 43); 3,16 (ebd. 84); 4,15 (ebd. 111); 4,51 (ebd. 124); 5,49 (ebd. 152); epist. 13,11 (82/ 1,106); 17,8 (ebd. 125). 95 In Luc. 3,11 (CChr.SL 14,82; es geht darum zu erklären, warum Lukas den Stammbaum Jesu erst nach seiner Taufe referiert): Lucas ad deum putavit originem eius esse referendam, quod verus Christi generator deus sit vel secundum veram generationem pater vel secundum lavacri regenerationem mystici auctor muneris. Et ideo non a primo generationem eius coepit describere, sed posteaquam baptismum eius explicuit, auctorem omnium deum per baptismum cupiens demonstrare Christum quoque a deo ordine manasse successionis adseruit universa contexens, ut et secundum naturam et secundum gratiam et secundum carnem dei filium demonstraret. 96 In Luc. 4,50 (CChr.SL 14,124; die Rede ist von der Heilung Naamans, die typologisch das Heil für die Völker vorausbezeichnet): Populus ille ex alienigenis congregatus, populus ille ante leprosus, populus ille ante maculosus, priusquam mystico baptizaretur in flumine, idem post sacramenta baptismatis maculis corporis et mentis ablutus iam non lepra, sed inmaculata virgo coepit esse sine ruga [cf. Eph 5,25-27]. Merito ergo magnus Neman in conspectu domini sui et admirabilis facie describitur, quoniam in eius typo salus futura gentibus declaratur, … 97 Vgl. dazu Kapp. A 1.4.1 und A 1.4.5. 98 Die terminologische Unterscheidung zwischen den vielen astra und der einen stella mag dies verdeutlichen, abgesehen davon, dass die Wortwahl im ersten Fall auch metrische, im zweiten Fall biblische Gründe hat. <?page no="187"?> 175 jenen Sternen ihre Leuchtkraft schenkt. Das Substantiv stella ist nämlich prädikativ gebraucht 99 : Es war der in Vers 1,4 angerufene Christus selbst, der als Stern seine eigene Geburt in die menschliche Existenz hinein 100 bezeichnet hat. In seinem Lukaskommentar fügt Ambrosius in die Auslegung der Geburtsgeschichte nach Lukas einen Exkurs über Mt 2,1-16 ein (in Luc. 2,43- 49) 101 , dessen Motivation er am Ende explizit benennt: Er sei auf die matthäischen Verse eingegangen, damit deutlich werde, dass auch die Zeit unmittelbar nach der Geburt Jesu nicht frei von Erweisen seiner Göttlichkeit gewesen sei 102 . in Luc. 2,49 (CChr.SL 14,52f.): Haec de Matthaeo pauca libavimus, ut clareret infantiae tempora a divinitatis operibus minime vacasse. Ausdrücklich konzentriert sich also das Interesse an den matthäischen Episoden auf das Epiphaniemotiv, die Erscheinung der Gottheit Christi. In diesem Zusammenhang steht auch die Interpretation, die Ambrosius dem Stern von Betlehem angedeihen lässt und die der Konzeption des Hymnus genau entspricht. in Luc. 2,45 (ebd. 51): Stella ab his [sc. magis] videtur et ubi Herodes est non videtur; ubi Christus est rursus videtur et viam monstrat. Ergo stella haec via est et via Christus [cf. Io 14,6], quia secundum incarnationis mysterium Christus est stella; ORIETUR enim STELLA EX I ACOB ET EXSURGET HOMO EX I SRAHEL [Num 24,17]. Denique ubi Christus et stella est; ipse enim est STELLA SPLENDIDA ET MATUTINA [Apc 22,16]. Sua igitur ipse luce se signat. Zur biblischen Legitimation der Gleichsetzung des Sterns, der die Magier nach Betlehem führt, mit Christus zieht Ambrosius die Bileam-Weissagung Num 24,17 sowie Apc 22,16 heran und verweist zusätzlich auf das johanneische Motiv von Christus als dem Weg (Io 14,6). Die abschließende Formulierung: sua igitur ipse luce se signat, entspricht der Wendung: stella partum virginis … signaveris, im Hymnus. In paradoxer Weise ist Christus zugleich der bezeichnende Stern am Himmel und das bezeichnete Kind in der Krippe. Ambrosius erklärt dies als Ausdruck der paradoxen Einheit von menschlicher Niedrigkeit und göttlicher Erhabenheit. 99 Weniger überzeugend ist die Interpretation von stella … micans als Vokativ bei Charlet (Illuminans 353), da sie einerseits die Verse 3,1f. unnötig kompliziert macht und andererseits die Gesamtstruktur der Verse 1,1-4,2 verdunkelt, indem die Zweiteilung von Anrufung (Strophe 1) und Anamnese der Epiphaniemysterien (Verse 2,1-4,2) verwischt wird. 100 Zum Oxymoron partum virginis und dem damit verbundenen Vorstellungskomplex vgl. Kap. A 4.1.4. 101 Schuster (Magi 49) betont zu Recht, dass die Behandlung der Magierperikope im Rahmen eines Lukaskommentars ein besonderes Interesse an dieser Thematik erkennen lässt. 102 Dem entspricht der Auftakt des Exkurses in 2,43 (CChr.SL 14,50): An mediocribus signis deus probatur, quod angeli ministrant [cf. Lc 2,9], quod magi adorant [cf. Mt 2,11], quod martyres confitentur [cf. Mt 2,16]? <?page no="188"?> 176 in Luc. 2,43 (CChr.SL 14,50): Ex utero funditur, sed coruscat e caelo 103 ; terreno in deversorio iacet, sed caelesti lumine viget. fid. 1,4,32 (78,15f.): Ut homo cernitur, ut dominus adoratur; iacet in pannis, sed fulget in stellis; cunae nascentem indicant, stellae dominantem; caro est, quae involvitur, divinitas, cui ab angelis ministratur. Ita nec dignitas naturalis maiestatis amittitur et adsumptae carnis veritas conprobatur. Die Verbindung zwischen der für Ambrosius zentralen biblischen Bezugsstelle Num 24,17 und der Magierperikope, einschließlich der Gleichsetzung von Stern und Christus, findet sich bereits in der Mitte des zweiten Jahrhunderts bei Justin dem Märtyrer voll ausgeprägt. Iust. dial. 106,4 (PTS 47,253 Marcovich): 0 3 mm Y $ D ( 6 / % / @L$ ! , H t 1 $ : f # I @ Y $ 5 . #L, 3 U ' 5 . $ : [Num 24,17] . 0 3 Y G $ : I . ( : $, ( * ^ 9 [Zach 6,12] . @ s 3 $ 9 b 9 1 6 ( $ , m $ @ ' + ( 4 / , F ( 6 @u\ L ! , ' % 4 , $ 3 $ ' 9. Iust. dial. 126,1 (ebd. 287): & ’ 3 7 , T ... 3 J$ 6 3 6 $ % 6 < %v , ... 3 . * 3 . ' 3 Y Y $ H t , ... ... Iust. 1 apol. 32,12-13 (PTS 38,79 Marcovich): 0 3 w v ... $ ' f Q I ‘@ Y $ 5 . #L’ [Num 24,17] , ‘ 3 Y ( L: ( 6 1 \ C . ’ [Is 11,1] 104 I ‘ 3 3 6 L$ ) / D / ’ [Is 51,5] . xx $ G 6 ( 3 Y ( L ( 6 1 \ C . , 7 , J$ 4 . Dabei reicht die christologische Interpretation von Num 24,17 durchaus schon in die neutestamentliche Zeit zurück, denn das von Ambrosius ebenfalls herangezogene Zitat Apc 22,16 stellt sich selbst als innerbiblische Rezeption der Bileam-Weissagung dar 105 . 3.1.7 et hoc adoratum die praesepe magos duxeris (3,3f.) Der Nachdruck auf der Magierepisode als Epiphanie der Gottheit Christi bleibt auch im zweiten Verspaar der dritten Strophe erhalten. Entscheidend ist hier der Akt der (mit der Proskynese verbundenen) Anbetung (adoratum 106 ), der Christus als Gott ausweist. In der Vulgatafassung 107 lauten die beiden entscheidenden Verse aus Mt 2 wie folgt: 103 Zu dieser Formulierung vgl. V. 3,2 des Hymnus: caelo micans. 104 Daniélou (Symboles 113) sieht in solchen Mischzitaten einen Hinweis auf die Verwendung von Testimoniensammlungen. 105 Einen Überblick über die frühchristliche Interpretationsgeschichte von Num 24,17 gibt Daniélou, ebd. 109-119. 106 Die Verwendung des Supinums I zur Angabe des Zweckes nach Verben der Bewegung bzw. (hier) des In-Bewegung-Setzens (adoratum … duxeris) ist bei Ambrosius nicht ungewöhnlich: Beispiele bietet Steier, Echtheit 593. Praesepe ist Objekt zu adoratum und steht metonymisch für das in der Krippe liegende Kind. Zu praesepe vgl. auch Kap. A 4.4.5. 107 Ambrosius zitiert die beiden Verse in seinen Werken nicht. Aus zahlreichen Anspielungen lässt sich aber schließen, dass der Wortlaut seiner Textfassung im Wesentlichen <?page no="189"?> 177 Mt 2,2b: vidimus enim stellam eius in oriente et venimus adorare eum. Mt 2,11: et intrantes domum invenerunt puerum cum Maria matre eius et procidentes adoraverunt eum et apertis thesauris suis obtulerunt ei munera aurum tus et murram. Im Blick auf Mt 2,11 ist davon auszugehen, dass das Verspaar auch eine, freilich unausgesprochene, Anspielung auf die Gaben der Magier und ihre der Mailänder Gemeinde aus den Predigten ihres Bischofs bekannte symbolische Deutung enthält. Am ausführlichsten entfaltet Ambrosius diese Auslegung wiederum im erwähnten Exkurs innerhalb des Lukaskommentars. in Luc. 2,44 (CChr.SL 14,50f.): Istum igitur parvulum, quem tu quasi vilem, qui infidelis es, arbitraris, magi ex oriente venientes tam longo spatio sequebantur et procidentes adorant et regem adpellant et resurrecturum fatentur offerentes de thesauris suis aurum, tus et murram. Quae sunt ista verae fidei munera? Aurum regi, tus deo, murra defuncto; aliud enim regis insigne, aliud divinae sacrificium potestatis, aliud honor est sepulturae, quae non corrumpat corpus mortui, sed reservet. Nos quoque, qui haec audimus et legimus, de thesauris nostris talia, fratres, munera proferamus; HABEMUS enim THESAURUM IN VASIS FICTILIBUS [2 Cor 4,7]. In drei Anläufen mit jeweils verschiedenen Formulierungen werden die drei Geschenke als Symbole der Königsherrschaft (Gold), der Gottheit (Weihrauch) sowie des Todes und der Auferstehung (Myrrhe) Jesu Christi interpretiert 108 . Typisch für den Ansatz des Ambrosius ist die adhortative Schlusswendung: Wie einst die Magier ist jede christliche Generation aufs Neue dazu aufgerufen, aus ihren Schätzen die geeigneten Gaben Christus zu widmen 109 . Neben der kniefälligen Anbetung verweisen also auch die Geschenke darauf, dass das Geschehen von Betlehem keine reine Angelegenmit dem der Vulgata identisch war, insbesondere hinsichtlich der Verwendung des Wortes adorare (vgl. virg. 2,2,13 [Cazzaniga 40]; fid. 5,4,53 [78,237]; in psalm. 47,11,1 [64,354]; in Luc. 2,44.58 [CChr.SL 14,50.56]). 108 Diese symbolische Interpretation reicht bis ins zweite Jahrhundert zurück und ist erstmals belegt bei Iren. haer. 3,9,2 (SC 211,105.107 Rousseau/ Doutreleau): H G ! % ( 6 ( + $ % ... () K 6 / ( $ 6 Q . ]L $6 6 E %: , ’ y $ : #$ ) V , $ % ' I '$ , 6 V , K G$ 1 1 ( $ 4 ( ' 3 $ 4 I )$% 6 , z ' , 7 1 L D [cf. Lc 1,33] I L , { 4 , , 3 6 . % 4 [cf. Ps 75(76),2] 3 * * C / 4 [cf. Is 65,1] . Dieser Text von Irenaeus wird in der Folgezeit von anderen Kirchenvätern aufgegriffen: vgl. Or. Cels. 1,60 (SVigChr 54,61 Marcovich). Zur Auslegungsgeschichte von Mt 2,1-12 vgl. Schulze, Geschichte der Auslegung. 109 Alle Elemente der Deutung begegnen auch in vid. 5,30 (SAEMO 14/ 1,272-274): Felix illa quae de thesauro suo integram regis imaginem profert. Thesaurus tuus sapientia, thesaurus tuus castitas atque iustitia est, thesaurus tuus intellectus bonus: quasi ille thesaurus fuit de quo magorum viri, aurum, thus, myrrham, cum adorarent dominum, protulerunt, auro regis potentiam declarantes, deum thure venerantes, myrrha resurrectionem corporis confitentes. Habes et tu thesaurum hunc si in te requiras. H ABEMUS enim THESAURUM IN VASIS FICTILIBUS [2 Cor 4,7]. Habes aurum quod conferas; non enim renitentis metalli pretium de te deus exigit, sed illum aurum quod in iudicii die nequeat ignis exurere. Nec dona pretiosa deposcit, sed odorem fidei quem altaria tui cordis exhalent et religiosae mentis spiret affectus. <?page no="190"?> 178 heit des Fleisches ist, sondern dass sich in ihm die Göttlichkeit (divinitas) Christi manifestiert. fid. 1,4,31f. (78,15): Unum deum magi crediderunt et aurum, tus, murram supplices ad Christi cunabula detulerunt, auro regem fatentes, ut deum ture venerantes; thensaurus [sic] enim regni, sacrificium dei, murra est sepulturae. Quid igitur voluerunt sibi mystica munera inter abiecta praesepia, nisi ut intellegamus in Christo differentiam divinitatis et carnis? Eine geringere Rolle spielt für Ambrosius die bei Matthäus angelegte und besonders bei Augustinus stark akzentuierte Deutung der Magier als primitiae gentium 110 , deren positive Reaktion auf Jesus der Ablehnung durch die Juden in Gestalt des Herodes gegenübergestellt (Matthäus) 111 bzw. deren Offenbarung der Offenbarung vor den Juden in Gestalt der lukanischen Hirten zur Seite gestellt wird (Augustinus) 112 . in Luc. 2,47 (CChr.SL 14,51): magi … ortum in terris domini crediderunt, non inquam otiose, sed ut ex adversariis gentibus sanctae religionis testimonium sumeretur et divini timoris exemplum. in Luc. 3,49 (ebd. 104): Hic enim est puer, cuius incunabula magi spoliis orientalibus referserunt, quia gens ante Christum incredula de exuviis idolorum mutata iam fide manubias obtulit domino triumphales. Die Anamnese der Anbetung der Magier in der dritten Strophe des Hymnus ist ebenso wie die der Taufe Jesu mit einem Hinweis auf die eminente ‘Heutigkeit’ und Gegenwärtigkeit des Geschehens verknüpft. Nach praesenti … die in Vers 2,4 bringt nun hoc 113 … die in Vers 3,3 die liturgische Vergegenwärtigung zum Ausdruck. Dabei ist zu bedenken, dass die konkrete Form des liturgischen Vollzugs der Gemeinde, die den Hymnus im Gottesdienst singt, eine Gegenwartsgestalt des re-präsentierten Aktes der Anbetung darstellt. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass die Formulierung der Magier-Strophe gewisse Anklänge an die vergilische Erzählung von dem die 110 Aug. serm. 204,2 (PL 38,1038). 111 Vgl. Luz, Matthäus 176. 112 Vgl. Klöckener, Epiphania 863. 113 Das Demonstrativpronomen hic „weist auf einen Gegenstand hin, welcher entweder leibhaftig vor den Augen des Redenden steht, oder von dem er mit solcher Lebhaftigkeit spricht, daß derselbe dem geistigen Auge als gegenwärtig vorschwebt. Hic bezeichnet also das, was dem Redenden räumlich, zeitlich oder dem Gedanken nach das n ä c h s t e ist: … hic dies ‘der heutige Tag’“ (Menge, Repetitorium 164 [Nr. 238.1]; Hervorhebung im Original). Die handschriftliche Überlieferung ist in V. 3,3 gespalten: Die Mailänder Hymnare bieten hac … die. Vielleicht darf man dies aber durch eine wachsende Unsicherheit der Abschreiber hinsichtlich der klassischen Sinnunterscheidung zwischen maskulin und feminin gebrauchtem dies erklären. Dafür würde sprechen, dass in der Handschrift Ad von zweiter Hand hoc zu hac ‘verbessert’ wurde. <?page no="191"?> 179 Aeneaden aus dem zerstörten Troja führenden Stern aufweist 114 , eine Episode, die auch andere christliche Dichter für die poetische Gestaltung von Mt 2 fruchtbar gemacht haben 115 . 3.1.8 vel hydriis plenis aquae vini saporem infuderis; hausit minister conscius quod ipse non impleverat (4,1-4) Der dritte Gegenstand des Epiphaniefestes, das Weinwunder auf der Hochzeit von Kana (Io 2,1-11), ist im Johannesevangelium der Auftakt der sieben großen programmatisch als Zeichen ( ) verstandenen Wundererzählungen und wird bereits hier ausdrücklich als Aufscheinen der göttlichen Herrlichkeit 116 Christi interpretiert, das auf den Glauben der Jünger stößt. Io 2,11: & ' ($)* + , . / 0 1 2 3 $ * 45 / , 3 % 6 F 3 / . Entsprechend ist auch für die Theologie der Alten Kirche „die Mitte der Botschaft von Jo 2,1-11 eine Aussage über Christus. Durch das Weinwunder ist die Gottheit Jesu erkennbar“ 117 . Dieser Gedanke, den zahlreiche Autoren des Ostens wie des Westens entwickeln 118 , und der nach Ausweis verschiedener Predigten und liturgischer Texte zum Epiphaniefest 119 den Kern der Deutung ausmachte, die die Perikope dort, wo das Kanawunder 114 Verg. Aen. 2,692-697: Vix ea fatus erat senior, subitoque fragore / intonuit laevum, et de caelo lapsa per umbras / stella facem ducens multa cum luce cucurrit. / illam summa super labentem culmina tecti / cernimus Idaea claram se condere silva / signantemque vias; … 115 Vgl. Charlet, Illuminans 353 (mit Beispielen). 116 Die Septuaginta übersetzt mit 45 das hebräische Substantiv (k b d): vgl. dazu Westermann, kbd 802-812. In der vorexilischen Literatur bezeichnet es die Gewichtigkeit Gottes, der mit bestimmtem (auch kultischem) Handeln entsprochen werden muss. Die Priesterschrift kennt den geprägten Terminus (k e b d JHWH) für die „Majestät des Sich-Erweisens Gottes“ (810). Vor allem Ezechiel schließlich versteht unter dem ein „sichtbares Phänomen“ (811), die Gott repräsentierende Lichterscheinung. 117 Smitmans, Weinwunder 153. 118 Vgl. ebd. 153-158. Beispielhalber sei verwiesen auf Ath. ep. Serap. 4,14 (PG 26,656C): < / $ { 6 d 3 Y $ 4 , m G { 6 | $ $ ' , 3 4 > ! $ ' , L 3 6 f $ Q I $ V ( $# % / D$ (vgl. Ar. 3,55,1f. [Metzler/ Savvidis 366]), und Hil. trin. 3,5 (CChr.SL 62,76 Smulders): Nuptiarum die vinum in Galilea ex aqua factum est. … Ratio facti et visum frustratur et sensum, virtus tamen Dei in his quae sunt gesta sentitur (vgl. 7,36 [ebd. 303]). 119 Smitmans (Weinwunder 161-164) nennt folgende Predigten aus Norditalien und Gallien: Max. Taur. serm. 64,1 M. (CChr.SL 23,269 Mutzenbecher); 101,2-3 M. (ebd. 402- 404); 103,1 M. (ebd. 409); Ps. Max. Taur. hom. 23 (PL 57,273B.274B); 29 (ebd. 289A-B) (nach Frede [Kirchenschriftsteller 628] stammen beide Predigten „vielleicht von Maximus II. von Turin“); Petr. Chrys. serm. 157,5 (CChr.SL 24B,978 Olivar); 160,6 (ebd. 992); Ps. Aug. serm. ed. Caillau 1,13,2 (PLS 2,932); 2,40,2 (ebd. 1055); 2,41,2 (ebd. 1058f.); Euseb. Gallic. hom. 4,1 (CChr.SL 101,45 Glorie). Als Beispiel eines liturgischen Textes führt er eine Collectio der Epiphaniemesse aus dem Missale Gothicum (redigiert um 700) an (Mohlberg Nr. 83), in der es heißt: Qui … ineffabilis potentiae dono hodie aquas in vina mutando discipulis tuis tuam manifestasti divinitatem. <?page no="192"?> 180 zum Inhalt des Festes gehörte, „vor jeder Auslegung … durch die Einordnung in den Gottesdienst der Kirche erfahren hat“ 120 , begegnet auch bei Ambrosius. Das Wunder (Galilaeum illud mysterium) dient ihm als Beispiel für die im Johannesevangelium betonte Einheit des Sohnes und des Vaters im Handeln und Vermögen (unitas operationis atque virtutis). in Luc. 1,7 (CChr.SL 14,9f.): Quid est ergo deum videre? Nolo me interroges: evangelium interroga, ipsum dominum interroga, immo dicentem audi: P HILIPPE , QUI ME VIDIT VIDIT ET PATREM , QUI ME MISIT . Q UOMODO TU DICIS : OSTENDE NOBIS PATREM ? N ON CREDIS QUIA EGO IN PATRE ET PATER IN ME EST ? [Io 14,9f.] Utique non corpus videtur in corpore nec spiritus videtur in spiritu, sed solus ille pater videtur in filio aut iste filius videtur in patre; non enim dissimiles in dissimilibus videntur, sed ubi unitas operationis est atque virtutis, et filius in patre et pater videtur in filio. Q UAE EGO inquit OPERA FACIO , ET ILLE FACIT [cf. Io 14,12]. In operibus Iesus videtur, in operibus filii et pater cernitur. Vidit Iesum qui Galilaeum illud mysterium vidit, quod nemo posset nisi mundi dominus elementa convertere. Die Fähigkeit, die materielle Natur zu verwandeln (elementa convertere) eignet allein Gott, dem Herrn der Welt (mundi dominus). Im Kontext des Hymnus knüpft die Schilderung des Wandlungswunders insofern an die Anrufung Christi als des schöpferischen Logos (Verse 1,1f.) an. Bereits Origenes hatte betont, dass Christus sich durch die Wesensverwandlung als Schöpfer erwies. Or. fr. 30 in Jo. (GCS 10,506 Preuschen): ' s 3 * 45 / _ $ . / $ 3 6 L . $ 4 c + ( ’ L * 6 5 f Q . 121 In der oben 122 ausschnittweise zitierten Predigt über die Brotvermehrung im sechsten Buch des Lukaskommentars, die im gegenüber dem Hymnus umgekehrten Verfahren das Weinwunder zum Vergleich heranzieht, unterstreicht Ambrosius, dass der Wein von Kana dem freien Entschluss des Schöpfers entspringt (in Luc. 6,87 [CChr.SL 14,205]: in arbitrio creatoris est) 123 . Hinsichtlich der Struktur des Hymnus trägt die vierte Strophe die wichtige Funktion, den Übergang von der in Anredeform gefassten Reihung der Festinhalte zu dem in dritter Person formulierten Gelenkstück zu leisten, an das sich die das Brotwunder betreffenden Strophen anschließen. Rein sprachlich gesehen endet mitten in der Strophe abrupt der die ersten 14 Verse umspannende Komplex der Anrufung Christi. Die Einheitlichkeit der Strophe und damit die Stimmigkeit des Übergangs werden jedoch durch die Anschaulichkeit des Ausdrucks gewahrt, die das erste mit dem zweiten Verspaar verbindet. Die Verse 4,1f. eröffnen eine Szenerie, deren sinnliche 120 Smitmans, Weinwunder 165. 121 Vgl. Ath. inc. 18,6 (SC 199,332 Kannengiesser); Chrys. hom. 22 in Jo. 2 (PG 59,135). 122 Kap. A 1.4.3. 123 Manche Väter verstehen es im Zusammenhang damit als eine Bejahung der bestehenden Schöpfung (im Sinne einer vollendenden Neuschöpfung), dass Jesus den Wein aus Wasser erzeugt anstatt aus dem Nichts; zu diesem auf Irenaeus von Lyon zurückgehenden Gedanken vgl. Smitmans, Weinwunder 187-190. <?page no="193"?> 181 Konkretheit sich von der Behandlung der anderen beiden Festgegenstände in den vorangegangenen Strophen deutlich abhebt 124 . Mit Vers 4,3 ändert sich dann zwar die Rederichtung, doch wird der Wechsel dadurch gemildert, dass es bei der Entfaltung eben dieser Szenerie bleibt. Infuderis (Vers 4,2) ist das erste Verb, das sich auf eine konkrete Handlung des irdischen Jesus bezieht: sacraris (Vers 2,4) bezeichnet abstrakt die Wirkung eines Vorgangs, der an Jesus geschieht; signaveris (Vers 3,2) und duxeris (Vers 3,4) richten sich an Christus, wie er sich im Stern von Betlehem offenbart hat. Im ersten Verspaar der vierten Strophe geht es nun um die Rolle Jesu auf der Hochzeit von Kana. Von hierher kann im zweiten Verspaar der Blick auf die Rolle anderer Beteiligter gelenkt werden 125 . Die Geschlossenheit der Strophe wird zusätzlich durch die motivische Klammer unterstrichen, die die Verse 4,1 und 4,4 miteinander verbindet (plenis/ impleverat) und die „contradiction entre l’état naturel et l’état postérieur au miracle“ betont 126 . Die materiale Grundlage der Schilderung bildet der biblische Text. Vers 4,1 (hydriis plenis aquae 127 ) greift Io 2,6f. auf; dass in Vers 4,2 auf den Geschmack des Weines (vini saporem) abgehoben wird, verweist auf Io 2,9 128 , und das Verspaar 4,3f. (hausit minister conscius / quod ipse non impleverat) variiert Io 2,7b und 2,9b dergestalt, dass singularis pro plurali von einem Diener die Rede ist. Io 2,6-9 129 : erant autem ibi lapideae hydriae sex positae secundum purificationem Iudaeorum capientes singulae metretas binas vel ternas. (7) dicit eis Iesus: implete hydrias aqua, et impleverunt eas usque ad summum. (8) et dicit eis Iesus: haurite nunc et ferte architriclino, et tulerunt. (9) ut autem gustavit architriclinus aquam vinum factam et non 124 Der Chiasmus im Aufbau der die beiden Flüssigkeiten zur Sprache bringenden Wendungen (hydriis plenis aquae / vini saporem) stellt die entscheidenden Begriffe aquae und vini einander markant am Versübergang gegenüber. 125 Am Rande sei darauf hingewiesen, dass sich diese Möglichkeit einer positiven Sinngebung des Umbruchs in der Strophenmitte für die poetische Faktur des Liedes erst erschließt, wenn man sich von der Vorentscheidung freimacht, jede Strophe eines Ambrosius-Hymnus müsse in sich einheitlich sein und möglichst mit der vorangehenden oder folgenden Strophe ein Strophenpaar bilden. Wer dieser Sicht verhaftet bleibt, wird wie Charlet (Illuminans 355) nicht über die Konstatierung eines „anacoluthe par rapport au mouvement hymnique seu … seu … uel rattaché à l’apostrophe de la première strophe“ hinausgelangen. 126 Charlet, Illuminans 355. 127 Hydriis ist metonymisch für den Inhalt gebraucht; Steier (Echtheit 593) bietet eine Zusammenstellung ähnlicher Metonymien bei Ambrosius. Plenus wird vom Mailänder Bischof, wie ebenfalls Steier ebd. aufzeigt, in 85% der Fälle mit Genitiv konstruiert; vgl. auch Walpole, Hymns 67. 128 Diese biblische Anspielung dürfte die Wortwahl besser erklären als die von Charlet (Illuminans 354) vorgeschlagene Anknüpfung an die vergilische Wendung Bacchi saporem (georg. 4,102). 129 Da Ambrosius den Text nicht zitiert, wird die Vulgatafassung herangezogen. Der Wortlaut des Hymnus scheint darauf hinzudeuten, dass die Ambrosius vorliegende lateinische Version die fraglichen Wendungen zumindest ähnlich übersetzte. <?page no="194"?> 182 sciebat unde esset, ministri autem sciebant qui hauriebant aquam, vocat sponsum architriclinus … Der Gehalt der zentralen Verse der Kanaperikope, die sich direkt auf das Wunder beziehen, findet sich somit vollständig in Strophe 4 verarbeitet. Während jedoch bei Johannes der eigentliche Vorgang der Verwandlung nicht erwähnt wird - die Auslegung der Kirchenväter setzt ihn in der Regel zwischen den Versen 7 und 8 an 130 -, benennt ihn Ambrosius explizit. Damit entspricht er der Struktur des seu/ seu/ vel-Satzes, in dem durchgehend von den Handlungen Christi bzw. von den von ihm ausgehenden Wirkungen die Rede ist. 3.1.9 aquas colorari videns, inebriare flumina (5,1f.) Vers 5,1 setzt zunächst den sinnlich-konkreten Zug der vierten Strophe fort, indem er auf die farbliche Veränderung der Flüssigkeit abhebt 131 . Vordergründig hat analog auch Vers 5,2 die Funktion, einen weiteren Sinneseindruck hinzuzufügen 132 : Wie die entsprechende Prosafassung nahelegt, ist an die Wahrnehmung der alkoholisierenden Wirkung 133 mittels des Geruchs gedacht. Insofern wird videns zeugmatisch gebraucht, da nur der erste abhängige AcI einen optischen Eindruck benennt. in Luc. 6,87 (CChr.SL 14,205f.): Dum aquam minister infundit, odor transfusus inebriat, color mutatus informat, fidem quoque sapor haustus adcumulat. Allerdings erschöpft sich die Bedeutung des Verses 5,2 nicht in der für die westlichen Autoren typischen sinnlichen Ausmalung des Wunders 134 . Vielmehr eröffnet die Formulierung inebriare flumina eine neue Sinnebene, die für den weiteren Verlauf des Hymnus von entscheidender Bedeutung ist: die eucharistische Interpretation des Weinwunders. Dabei setzt Ambrosius seine Wendung aus zwei Schriftstellen zusammen, die in der patristischen Auslegung beide einen Bezug zum eucharistischen Kelch besitzen: Ps 22(23),5 (inebriare) und Io 7,38 (flumina). Um die dahinter stehende Konzeption zu erfassen, soll der Ausgang bei einer Passage aus dem Psalmenkommentar des Ambrosius genommen werden, in der auf beide Zitate zurückgegriffen wird: in psalm. 1,33,1-3. Es geht um die Auslegung von Is 8,22; 9,1 (non confundetur qui in angustia est usque in tempus. hoc primum bibe), genauer gesagt um die Deutung des hoc 130 Vgl. Smitmans, Weinwunder 139. 131 Walpole (Hymns 67) weist darauf hin, dass die Weine Palästinas meist rot waren. 132 In stilistischer Hinsicht ist auf den chiastischen Bau der beiden kurzen von videns abhängigen AcIs hinzuweisen: aquas colorari videns, / inebriare flumina. 133 Die Mehrzahl der Handschriften liest den Infinitiv Passiv inebriari. Bedenkt man aber, dass neben Ad die älteste Handschrift Fa die aktive Form bietet, ebenso die im Folgenden zitierte Prosafassung des Ambrosius, scheint der Mehrheitstext auf einen durch den passiven Infinitiv im vorangehenden Vers (colorari) verursachten Abschreibefehler zurückzugehen: vgl. Walpole, Hymns 67; Charlet, Illuminans 355. 134 Vgl. die bei Smitmans (Weinwunder 140) zusammengestellten Verweise. <?page no="195"?> 183 primum bibe. Programmatisch formuliert Ambrosius zum Auftakt seine Absicht, eine Interpretation nach den mystica und moralia leisten zu wollen 135 . Zunächst erfolgt in Kapitel 32 die moralische Auslegung, die ausgehend von Rom 5,3-5 einen Becher der Bedrängnis einem Becher der Tugend gegenüberstellt 136 . Mit Beginn des Kapitels 33 eröffnet Ambrosius die mystische Deutung. in psalm. 1,33,1 (64,28): Bibe ergo hoc primum, ut bibas et secundum - hoc enim tempus est ut inseramus mystica -; bibe primum vetus testamentum, ut bibas et novum testamentum. nisi primum biberis, secundum bibere non poteris. Das Alte Testament erscheint als notwendige Voraussetzung des Neuen, zugleich aber als unvollkommenes Vorbild (in typo), das von der Wahrheit (in veritate) des Christusereignisses übertroffen wird 137 . in psalm. 1,33,3f. (ebd. 29): qui biberunt in typo satiati sunt, qui biberunt in veritate inebriati sunt. bona ebrietas, quae infunderet laetitiam, non afferet confusionem; bona ebrietas, quae sobriae stabiliret mentis incessum; bona ebrietas, quae vitae munus rigaret aeternae. hoc ergo poculum bibe, de quo dixit propheta: ET POCULUM TUUM INEBRIANS QUAM PRAECLARUM EST ! [Ps 22(23),5]. … utrumque ergo poculum bibe veteris et novi testamenti, quia in utroque Christum bibis. bibe Christum, quia vitis est [cf. Io 15,1], bibe Christum, quia petra est quae vomuit aquam [cf. 1 Cor 10,4], bibe Christum, quia fons vitae est [cf. Ps 35(36),10], bibe Christum, quia flumen est, cuius impetus laetificat civitatem dei [cf. Ps 45(46),5], bibe Christum, quia pax est [cf. Eph 2,14], bibe Christum, quia FLUMINA DE VENTRE EIUS FLUENT AQUAE VIVAE [Io 7,38], bibe Christum, ut bibas sanguinem, quo redemptus es [cf. Apc 5,9], bibe Christum, ut bibas sermones eius; sermo eius testamentum est vetus, sermo eius testamentum est novum. Es ist deutlich erkennbar, dass es hier nicht bei bibeltheologischen Aussagen zum Verhältnis der Testamente bleibt, aus denen beiden Christus spricht, wie Ambrosius betont. Vielmehr konkretisiert sich die ebrietas der neutestamentlichen Heilsgüter in der Eucharistie 138 . Der bloßen satietas des Alten steht die ebrietas des Neuen Testamentes gegenüber, deren Kern in der Gabe des ewigen Lebens liegt (vitae munus … aeternae). Diese jedoch ist vermittelt durch das Blut Christi (sanguinem, quo redemptus es), das heißt heilsgeschichtlich gesehen durch Tod und Auferstehung Christi, 135 In psalm. 1,32,1 (64,27): sequestremus mystica, persequamur moralia quae docet littera. Zum zugrunde liegenden exegetischen Konzept vgl. oben S. 173f. 136 Ebd. 1,32,3 (64,28): doceat te apostolus, quid sit ‘hoc primum bibe’, hoc est tribulationis poculum; tribulatio enim patientiam operatur. … primum bibe tribulationem, ut postea tibi tot virtutum pocula ministrentur. 137 Wenn Jacob schreibt: „Das ‘Trinken des AT’ wird als ‘Trinken der Drangsal’ gedeutet; Zerknirschung, Beschwerde, Bedrängnis und Reue sind die Begriffe, mit denen [Ambrosius] das Trinken des AT charakterisiert“ (Arkandisziplin 226), und diese Interpretation mit Auszügen aus Kap. 32 belegt, so ist ihm entgangen, dass die Kapitel 32 und 33 zwei unterschiedliche Auslegungen auf völlig verschiedenen Ebenen liefern, eben eine moralische und eine mystische, die unmittelbar nichts miteinander zu tun haben. 138 Zur eucharistischen Deutung dieser Passage vgl. Baus, Christusfrömmigkeit 26f.; Johanny, Eucharistie 218f.; Jacob, Arkandisziplin 226. <?page no="196"?> 184 sakramental gesehen durch die Eucharistie, die an eben dem heilbringenden Blut Anteil gibt. Die biblisch auf Ps 22(23),5 139 gestützte Idee der bona ebrietas poculi salutaris 140 steht in der Tradition des durch Philo von Alexandrien in die Theologiegeschichte eingeführten Oxymorons der sobria ebrietas 141 . Philo selbst hatte darunter einen mystischen Zustand verstanden, „der nur durch Vereinigung des rein geistigen Elements im Menschen mit dem göttlichen Wesen erreicht werden kann“, „eine streng asketische, nur der Erkenntnis geweihte Lebensführung“ voraussetzt und letztlich „geschieht durch einen Gnadenakt Gottes, der sich unmittelbar oder auf dem Wege über die zwischen ihm und die Menschen gestellten Wesen Logos und Sophia den auserwählten Sterblichen mitteilt“ 142 . Gegen die in der älteren Forschung vertretene Auffassung, bei Ambrosius, der „gegenüber dem Intellektualismus der Alexandriner die Gesinnung und Handlung des Menschen in den Vordergrund“ rücke, sei der Begriff der sobria ebrietas „zu einer alle christlichen Tugenden umfassenden Bezeichnung“ geworden 143 und mithin nicht mehr mystisch, sondern rein praktisch-ethisch verstanden worden, betont Jacob zu Recht: „Die ‘nüchterne Trunkenheit’ steht bei Ambrosius sehr wohl in dem Zusammenhang einer ‘mystischen’ … Terminologie: … Diese Terminologie versteht sich allerdings nicht vor dem Hintergrund einer individualistisch-elitären Mystik, sondern einer Frömmigkeit, die im sakramentalen Leben der Kirche verankert ist“ 144 . „Die Übernahme bzw. Umgestaltung des philonischen Oxymorons bei Ambrosius von Mailand bedeutet daher keine asketisch-praktische Simplifizierung Philons, sondern eine ekklesiologisch-sakramentale Redaktion bzw. Reinterpretation“ 145 : „Die sobria ebrietas kennzeichnet den gnadenhaften Zustand der Gottbegeisterung, die den getauften Christen in der Feier der Sakramente, in der Erkenntnis der Tiefe der Hl. Schriften, oder durch eine direkte Eingießung des Hl. Geistes zuteil werden kann“ 146 . Kritisch zu hinterfragen ist allerdings die These Jacobs, die ebrietas des Bechers des Blutes Christi sei bei Ambrosius nicht auf die Eucharistie als solche, sondern speziell auf die abschließende Eucharistie im Rahmen der 139 PsA 22(23),5: Parasti in conspectu meo mensam adversum eos qui tribulant me; / inpinguasti in oleo caput meum, et poculum tuum inebrians quam praeclarum est. 140 In psalm. 35,19,3 (64,63); in psalm. 118 serm. 21,4,3 (62,475; vgl. ebd. serm. 13,24,2 [ebd. 295]). 141 Die Wendung begegnet bei Ambrosius wortwörtlich z. B. in fug. saec. 8,47 (32/ 2,201) oder im Hymnus Splendor paternae gratiae, V. 6,3f. (Perrin 187), wo die ‘nüchterne Trunkenheit’ im Anschluss an Act 2,4.12f. und Eph 5,18 als geistgewirkt präzisiert wird (sobriam / ebrietatem Spiritus; vgl. dazu Franz, Tageslauf 340). 142 Lewy, Sobria ebrietas 40. 143 Ebd. 149. 144 Jacob, Arkandisziplin 230. 145 Ebd. 231. Zur Auseinandersetzung Jacobs mit Lewy vgl. Franz, Tageslauf 335-339. 146 Ebd. 234. Dieser Auffächerung der Anlässe der sobria ebrietas liegt in psalm. 35,19,3 (64,63) zugrunde (vgl. dazu näher Jacob, ebd. 224f.) <?page no="197"?> 185 christlichen Initiation bezogen 147 . Im Grunde ist diese Alternative falsch gestellt. Jacob selbst bemerkt: „Die Feier der Eucharistie bedeutet eine immer neue Aktualisierung und Realisierung der Gnade, die dem Menschen in der Taufe geschenkt wurde“. Insofern nennt er die Eucharistie zutreffend die „bleibende Dynamik der christlichen Initiation“ 148 . Jedoch ist dieser Zusammenhang nicht über die abschließende Eucharistie der Initiationsfeier zu konstruieren, sondern liegt zutiefst in der Tauftheologie des Ambrosius nach Rom 6 begründet 149 : Der Akt der Taufe selbst ist Hineinnahme in Tod und Auferstehung Jesu Christi - Taufe auf den Tod Christi, bei dem das Blut zur Vergebung der Sünden vergossen wurde (Mt 26,28), das nun den eucharistischen Becher jedes Mal aufs Neue füllt 150 . Die letzte Einheit der christlichen Grundsakramente ist für Ambrosius eine theologische Selbstverständlichkeit: Aus der Seitenwunde des Gekreuzigten fließen das Blut als Zeichen der Eucharistie und das Wasser als Zeichen der Taufe (Io 19,34) 151 . Daher schließen sich die Rede von der Eucharistie als solcher (nicht von der Taufeucharistie) und ein Bezug auf die christliche Initiation keineswegs gegenseitig aus. Dass schließlich das Zitat von Ps 22(23),5 mit einer gewissen Vorliebe auch „bei der Beschreibung der christlichen Initiation … allegorisch für deren eucharistischen Teil angeführt“ wird 152 , erklärt sich weniger durch die besonders ‘berauschende’ Wirkung gerade dieser Eucharistie 153 , als vielmehr durch die liturgische Verwendung von Ps 22(23) als Kommuniongesang der Taufeucharistie 154 , die dem Autor diesen Text gerade in diesem Zusammenhang ganz natürlich in den Mund legt. Mehrfach beschreibt Ambrosius die ebrietas als Wirkung des eucharistischen Trankes inhaltlich. So heißt es an einer Stelle zur Erläuterung der Formulierung: ad te transibit calix, bibes et inebriaris adhuc, aus Lam 4,21: in psalm. 118 serm. 21,4,2f. (62,475): calix enim domini remissio peccatorum est, quo sanguis effunditur, qui totius redemit peccata mundi. hic calix inebriavit gentes, ne proprii meminissent doloris, sed veterem obliviscerentur errorem. bona igitur ebrietas spiritalis, quae turbare corporis nescit incessum, levare mentis novit vestigium. bona ebrietas poculi salutaris, quae maestitiam peccatricis abolet conscientiae, iucunditatem 147 Vgl. Jacob, ebd. 225-229. 148 Ebd. 229. 149 Vgl. zum Folgenden den Kommentar zu Hic est dies verus Dei (bes. Kapp. C 4.1.4 und C 4.4). 150 Vgl. sacr. 5,3,17 (73,65; als mystagogische Katechese unmittelbar von der Taufeucharistie ausgehend, jedoch ausdrücklich auf jede Eucharistiefeier bezogen): Quotienscumque enim bibis, remissionem accipis peccatorum et inebriaris in spiritu. 151 Belege für diese Interpretation der Johannes-Stelle aus den Schriften der Kirchenväter stellt Malatesta (Blood and water 179-181) zusammen. 152 Jacob, Arkandisziplin 230 mit Stellenverweisen in Anm. 60. 153 Schmitz, Gottesdienst 212f.: Nach Ambrosius „unterscheidet sich die Bedeutung der Taufeucharistiefeier in keiner Weise von der Bedeutung, die der gewöhnlichen Eucharistiefeier im Laufe des Jahres zukommt“. 154 Vgl. ebd. 209f. <?page no="198"?> 186 vitae infundit aeternae. ideo scriptura dicit: ET POCULUM TUUM INEBRIANS QUAM PRAE - CLARUM EST ! [Ps 22(23),5] Das Blut Christi befreit von Schuld, Schmerz, Irrtum und hebt dadurch den Kummer des Gewissens auf. Statt wie die profane Trunkenheit den Schritt des Körpers zu verunsichern, erhebt die geistige Trunkenheit (Eph 5,18) den Schritt des Geistes zur Freude des ewigen Lebens. Mit dieser Entgegensetzung zweier Arten von Trunkenheit argumentiert Ambrosius auch andernorts: in psalm. 118 serm. 15,28,3 (ebd. 345): habes apostolicum cibum [cf. Mt 14,16; 15,32]; manduca illum, et non deficies. illum ante manduca, ut postea venias ad cibum Christi, ad cibum corporis dominici, ad epulas sacramenti, ad illum poculum quo fidelium inebriatur affectus, ut laetitiam induat de remissione peccati, curas huius saeculi, metum mortis sollicitudinesque deponat. hac ergo ebrietate corpus non titubat, sed resurgit, animus non confunditur, sed consecratur. 155 Nachdem damit der Vorstellungshintergrund des Begriffes inebriare geklärt ist, bedarf auch die Wahl des Wortes flumina einer Erläuterung. In der eingangs zitierten Passage aus dem Kommentar zum ersten Psalm verwendet Ambrosius in dem Glied der bibe Christum-Reihe, das der direkten Erwähnung des erlösenden Blutes unmittelbar vorausgeht, die johanneische Formulierung: flumina de ventre eius fluent aquae vivae (Io 7,38). in psalm. 1,33,4 (64,29): … bibe Christum, quia FLUMINA DE VENTRE EIUS FLUENT AQUAE VIVAE [Io 7,38], bibe Christum, ut bibas sanguinem, quo redemptus es [cf. Apc 5,9], … Mit dem Verspaar Io 7,37f. ist ein interessantes text- und exegesegeschichtliches Problem verbunden, das Hugo Rahner zur Darstellung gebracht hat. Er zeigt, dass es sehr früh zwei unterschiedliche Auslegungen gab, die sich in der griechischen und lateinischen Textüberlieferung 155 Exemplarisch sei gezeigt, wie Jacob (Arkandisziplin 227) zu der Annahme kommt, es gehe Ambrosius hier nicht um die „Wirkung der Eucharistie als solcher“, sondern um die „der Eucharistie im Rahmen der christlichen Initiation“. Jacob stützt sich auf zwei Beobachtungen: „die Rede von einem Vorher und Nachher und die Erläuterung des ‘berauschenden Bechers’ (Ps 22,5) durch Gnaden der Taufe (Sündenvergebung etc.)“. Auf den zweiten Gesichtspunkt wurde bereits ausführlich eingegangen: Freilich manifestiert sich für den Christen die Sündenvergebung sakramental zunächst in der Taufe, doch jede Eucharistiefeier aktualisiert dies jeweils neu gemäß der matthäischen Version der Verba Testamenti (Mt 26,28! ). Was das Vorher (der apostolischen Speise) und das Nachher (der Speise Christi) angeht, so liegt darin keineswegs eindeutig ein Hinweis auf die Initiation. Plausibler mutet vielmehr die Erklärung Johannys (Eucharistie 212- 215) an, der auf zahlreiche Stellen aufmerksam macht, an denen Ambrosius die Heilige Schrift als Nahrung bezeichnet, und auch den apostolicus cibus so verstanden wissen will. Demnach bezöge sich der Text auf das Zueinander von Wortverkündigung und Sakrament: „Nous ne pouvons atteindre le Christ en plénitude qu’à partir de l’union de la parole et du pain. Nous ne pouvons posséder le Christ totalement en son Eucharistie que si nous avons su le découvrir et le posséder par sa parole. … Notre union à Dieu par la parole doit se parfaire dans notre union à Lui par l’eucharistie“ (215). <?page no="199"?> 187 niederschlugen. Ambrosius kennt beide Versionen 156 . Nach der ersten Variante, von Rahner als alexandrinische Tradition bezeichnet (ausgehend von Klemens von Alexandrien und Origenes), wird der Gläubige selbst, nachdem er seinen Durst an der Quelle Christus gestillt hat, zur Quelle des Geistwassers für andere 157 . IoA 7,37f.: Si quis sitit, veniat ad me et bibat. Qui credit in me, sicut dixit Scriptura, flumina de ventre eius fluent aquae vivae. Hoc autem dicebat de Spiritu, … Meist folgt Ambrosius dieser Lesart: „die lebendigen Wasser, die Christus spendet, sind ‘Geist’, das heißt aber Inbegriff der neutestamentlichen Offenbarung, also die vier Ströme der Evangelien. Das bedeutet aber, von seiten der Gläubigen gesehen, das lebendige Wasser der Lehre, der evangelischen Erkenntnis, der himmlischen Unterweisung“ 158 . „Wer aber so an den neutestamentlichen Quellen trinkt, kann selbst wieder zur Quelle für andere werden, zum Lehrer der christlichen Geheimnisse: … das sind zunächst die Apostel, aber dann auch alle, in denen das Geistwasser überquillt“ 159 . Für die Interpretation der Stelle aus dem Psalmenkommentar ebenso wie des Hymnus ist jedoch die zweite Lesart entscheidend, nach der die Flüsse des lebendigen Wassers in Christus selbst entspringen. Diese Deutung, die Rahner für die ursprünglich johanneische hält, war zunächst in Kleinasien verbreitet, begegnet zum Beispiel bei Irenaeus von Lyon und wird auch von den frühen lateinischen Vätern übernommen (Tertullian, Cyprian) 160 . IoA 7,37f.: Si quis sitit, veniat ad me, et bibat qui credit in me. Sicut Scriptura dixit: Flumina de ventre eius fluent aquae vivae. Hoc autem dicebat de Spiritu, … Charakteristisch ist für diese Interpretation des Textes, dass sie ihn mit Io 19,34 in Zusammenhang bringt, die Schriftprophezeiung 161 also im aus der Seitenwunde Jesu austretenden Wasser und Blut erfüllt sieht. Auch Ambrosius bezieht sich mehrfach in diesem Sinne auf die Passage: in psalm. 45,12,1 (64,337f.): Post passionem domini quid aliud sequi debuit, nisi quia de corpore domini flumen exivit, quando de latere eius aqua fluxit et sanguis [cf. Io 19,34], quo laetificavit [cf. Ps 45(46),5] animas universorum, quia illo flumine lavit peccatum totius mundi? in psalm. 61,14,1 (ebd. 386): tunc itaque sitiebat [cf. Io 19,28], quando de latere suo [cf. Io 19,34] restinctura sitim omnium vivae aquae fluenta fundebat. denique scriptum est: FLUMINA DE VENTRE EIUS FLUENT AQUAE VIVAE [Io 7,38]. 156 Zum textkritischen Befund bei Ambrosius vgl. Caragliano, Restitutio 53f. 157 Zur alexandrinischen Tradition vgl. Rahner, Flumina 181-205. 158 Ebd. 194 (auf der Basis von in psalm. 45,12 [64,337f.]; Noe 19,70 [32/ 1,464f.]). 159 Ebd. 195 (Bezug nehmend auf epist. 36,2 [82/ 2,4]; 11,24 [82/ 1,92]; extra coll. 14,78 [82/ 3,277]; in psalm. 48,4,1-2 [64,363]). 160 Zu dieser ‘kleinasiatischen Tradition’ vgl. ebd. 206-235. 161 Im Unterschied zur alexandrinischen kann die kleinasiatische Tradition konkrete Schriftstellen benennen, auf die sich Io 7,38 beziehe: Is 33,16; 43,20; 48,21; Ier 2,13; Zach 12,10. <?page no="200"?> 188 Ekklesiologisch und sakramententheologisch gewendet heißt dies, dass das aus Christus fließende, (ewiges) Leben spendende Wasser des Geistes den Gläubigen aller Zeiten vermittelt wird durch die Sakramente der Kirche: Taufe und Eucharistie. Eine eucharistische Deutung des Weinwunders von Kana setzt Ambrosius offenbar auch in dem Teil seiner in den Lukaskommentar integrierten Predigt über die Brotvermehrung voraus, der so große Berührungspunkte mit den Strophen 4 bis 8 des Hymnus aufweist 162 . Dass das Brotwunder auf die Eucharistie zu interpretieren sei, benennt Ambrosius explizit (in Luc. 6,84) 163 . Der Hinweis auf das Weinwunder ist in die unmittelbar darauf folgenden Erläuterungen verwoben, steht also noch unter der programmatischen Überschrift der mystisch-sakramentalen Deutung. in Luc. 6,87 (CChr.SL 14,205): Sic in nuptiis ex fontibus vina ministris operantibus colorantur et ipsi qui inpleverant hydrias aqua vinum quod non detulerant hauriebant. Conprehende, si potes, tanta rerum miracula. Hic edentibus populis crescunt suis fragmenta dispendiis et de quinque panibus maiores reliquiae quam summa est colliguntur, illic in alienam speciem vertuntur elementa … Ambrosius hebt an beiden Wundern unterschiedliche Aspekte hervor, die für die eucharistische Auslegung von Belang sind. Im Blick auf das Brotwunder (hic) unterstreicht er die Unerschöpflichkeit der Gabe, die im Gebrochen- und Verzehrtwerden wächst. Beim Weinwunder (illic) kommt es auf die Verwandlung an: Im Hintergrund steht das metabolistische Eucharistieverständnis des Ambrosius, auf das im Zusammenhang mit den Versen 5,3f. des Hymnus näher einzugehen ist. Die Interpretation des Weines von Kana als Zeichen des eucharistischen Blutes zählt zu den ältesten Exegesen von Io 2 164 und lässt sich bereits bei Irenaeus von Lyon 165 und Klemens von Alexandrien 166 nachweisen. 162 Weniger wahrscheinlich ist hingegen, dass auch die Heranziehung des Kanawunders in der Liberiuspredigt eucharistisch zu verstehen ist, wie Berger (Ostern und Weihnachten 13 Anm. 66) und Smitmans (Weinwunder 248f.) vermuten: Der gedankliche und motivische Konnex besteht hier vielmehr in der spirituellen Hochzeit der geweihten Jungfrau und ihrer Befreiung aus den Zwängen der materiellen Natur (vgl. Kap. A 1.1.2 Ad a)). 163 Zur Auslegung des Brotwunders im Lukaskommentar vgl. Kap. 3.2. 164 Smitmans, Weinwunder 252: „Daß der Bericht vom Weinwunder zusammen mit dem über die Brotvermehrung (Jo 6) die johanneische Weise ist, die Eucharistie zu verkündigen, erweist sich als eine der ältesten Auslegungen der Erzählung.“ Zur Geschichte dieser Deutung vgl. ebd. 244-253. 165 Iren. haer. 3,11,5 (SC 211,155 Rousseau/ Doutreleau): 3 ! 6 f $ : Q )4$ ( % 3 4 % ! % , , : * 1 { 6 3 ' * $ $ % ! 4 f 3 ( ! , 7 3 * 1 $ 1 3 * )! $ / / )! $ / }F / / $ ( $ 4 (zur Berechtigung einer eucharistischen Lesart dieses Zitats vgl. Smitmans, Weinwunder 244-246). 166 Clem. paed. 2,29,1 (GCS 12,174 Stählin): % 6 Y$ ' L U $ * X c % Q ~ 4 ; 2,32,2 (ebd. 176): 3 4 6 Q , # I ‘ ! L , I / 4 ' 6 <?page no="201"?> 189 3.1.10 mutata elementa stupent transire in usus alteros (5,3f.) Vers 5,3 hat, ohne dass der handschriftliche Befund dazu Anlass gäbe, immer wieder die Textkritik auf den Plan gerufen. Manche Herausgeber stören sich an dem Umstand, dass die Elemente als Subjekt des Verspaares 5,3f. fungieren, und konjizieren stupet 167 oder stupens 168 , um weiterhin einen Bezug auf minister conscius (Vers 4,3) herstellen zu können. Eine solche Konjektur ohne jede handschriftliche Basis kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn der Text ansonsten unter keinen Umständen haltbar ist, was im vorliegenden Fall nicht zutrifft. Dichterisch vom Staunen materieller Gegenstände zu reden, ist keine Erfindung des Ambrosius 169 . Ähnliches hatte etwa bereits Vergil getan an einer Stelle aus den Eklogen, die Ambrosius kennt und zitiert 170 . Darüber hinaus sah man sich verschiedentlich veranlasst, mit einigen jüngeren Handschriften mutata elementa zu elementa mutata umzustellen 171 . Allerdings konnte bereits gezeigt werden 172 , dass nicht nur der kurze Schlussvokal des jeweils zweiten Wortes, sondern auch die durch die Anordnung mutata elementa erforderte Vokallängung innerhalb eines Wortes (elementa) keinen Eingriff in den Text erforderlich machen 173 . So erscheint es geboten, an dem Wortlaut festzuhalten, der in sämtlichen Manuskripten bis zum zehnten Jahrhundert einhellig überliefert ist. Die eucharistische Konnotation, die sich für Vers 5,2 aufweisen ließ, eignet in besonderer Weise auch den Versen 5,3f. Ambrosius gebraucht in seinen Schriften mehrfach ganz ähnliche Formulierungen, um seine Auffassung von der Eucharistie zum Ausdruck zu bringen, die in der Forschung meist unter dem Stichwort Metabolismus verhandelt wird 174 . Darunter wird ein Denken verstanden, das um die Wesensverwandlung von Brot und Wein [ ’I [ 1 ( % 6 4 6 ‘ $3 + ) 4 Y c $ + ’ [cf. Mt 26,27f.] , $ ' b ( $ _ . 167 So Mone, Hymnen 75f.; Walpole, Hymns 67; Bulst, Hymni 45. 168 So Fontaine nach Charlet, Illuminans 347.355. 169 De facto ist im Hymnus das Staunen der menschlichen Betrachter (minister conscius) auf die Materie selbst übertragen. 170 Verg. ecl. 6,37: iamque novum terrae stupeant lucescere solem, von Ambrosius zitiert in epist. 73,23. Der anonyme Epiphaniehymnus Inluxit orbi iam dies, nach Walpole (Hymns 314) wohl nicht vor dem 6. Jh. entstanden, scheint sich in seinem Vers 4,1 (Walpole 315: stupent fluenta gignere) von Inluminans altissimus inspirieren zu lassen. 171 Vgl. z. B. Mone, Hymnen 76; Walpole, Hymns 67; Bulst, Hymni 45. 172 Vgl. Kap. A 1.4.2. 173 Für die Beibehaltung von mutata elementa plädieren daher z. B. Simonetti, Osservazioni 52; Charlet, Illuminans 355. 174 Zur Eucharistielehre des Ambrosius vgl. Geiselmann, Eucharistielehre 4-12; Brinktrine, Die sakramentale Form der Eucharistie 411-414; Dassmann, Frömmigkeit 169-171; Segalla, Conversione eucaristica; Johanny, Eucharistie 89-134; Gerken, Theologie der Eucharistie 86-91; Schmitz, Gottesdienst 407-412; Betz, Eucharistie 147f. <?page no="202"?> 190 zu Leib und Blut Christi durch das Eucharistiegebet kreist, näherhin durch die Verba Testamenti 175 . sacr. 4,5,23 (73,56): Antequam consecretur, panis est; ubi autem verba Christi accesserint, corpus est Christi 176 . Denique audi dicentem: ‘Accipite et edite ex hoc omnes: hoc est enim corpus meum’. Et ante verba Christi calix est vini et aquae plenus; ubi verba Christi operata fuerint, ibi sanguis efficitur, qui plebem redemit. Ergo videte, quantis generibus potens est sermo Christi universa convertere. Dass dem Wort Christi verwandelnde Kraft zukommt, wird unter Verweis auf biblische Beispiele hervorgehoben 177 . Entscheidend ist letztlich, dass der Schöpfer, der die Dinge aus dem Nichts ins Sein rief, selbstverständlich auch dazu in der Lage ist, die bestehenden Dinge zu verwandeln 178 . myst. 9,52 (73,112): Nam sacramentum istud, quod accipis, Christi sermone conficitur. Quod si tantum valuit sermo Heliae, ut ignem de caelo deposceret [cf. 1 Reg 18,36-38], non valebit Christi sermo, ut species mutet elementorum? De totius mundi operibus legisti: Q UIA IPSE DIXIT ET FACTA SUNT , IPSE MANDAVIT ET CREATA SUNT [Ps 32(33),9]. Sermo ergo Christi, qui potuit ex nihilo facere, quod non erat, non potest ea, quae sunt, in id mutare, quod non erant? Non enim minus est novas rebus dare quam mutare naturas 179 . Die Verwandlung von Brot und Wein betrifft die Ebene der natura 180 bzw. species, wobei in diesem Kontext beide Begriffe austauschbar sind 181 . Es handelt sich um eine Wesensverwandlung mit dem Ergebnis der „Realpräsenz des Leibes und Blutes Christi“ 182 , von der der äußere Anschein 175 Im Gegensatz dazu befindet sich die Position des Augustinus, für den die Wesensverwandlung deshalb kein zentrales Thema ist, weil er „noch jenseits der Entgegensetzung ‘Bild oder Wirklichkeit’“ (Gerken, Theologie der Eucharistie 91) argumentiert und folglich die Eucharistie als „Realsymbol Christi“ begreifen kann und zugleich als „Realsymbol der eigentlichen, d. h. der durch Gnade und Glaube mit ihm zu einem Leib verbundenen Kirche“ (vgl. 1 Cor 10,17) (die Zitate: Gerken, ebd. 92; Hervorhebung im Original). In der Gegenüberstellung der Auffassungen des Ambrosius und des Augustinus sind Motive der späteren theologischen Kontroversen im Hinblick auf die Eucharistielehre vorgezeichnet: vgl. dazu z. B. Otten, Between Augustinian Sign and carolingian reality (zu Paschasius Radbertus und Ratramnus von Corbie im Kontext des Ersten Eucharistiestreits). 176 Vgl. myst. 9,54 (73,112f.); sacr. 4,4,14.16 (ebd. 51f.53); 5,4,24 (ebd. 68); patr. 9,38 (32/ 2,146f.); in psalm. 38,25,3 (64,203f.). 177 Vgl. sacr. 4,4,18f. (73,53f.). 178 Vgl. sacr. 4,4,16 (73,53). 179 In diesem nicht leicht verständlichen Satz wird a maiore ad minus argumentiert: „Ambrosius will nach dem Zusammenhange sagen, daß es zum wenigsten ebenso schwer ist, Dinge neu zu schaffen (das bedeutet novas rebus dare naturas) als sie in andere Wesenheiten zu verwandeln“ (Brinktrine, Die sakramentale Form der Eucharistie 412 Anm. 2). 180 Vgl. myst. 9,50 (73,110): benedictione etiam natura ipsa mutatur. 181 Vgl. Segalla, Conversione eucaristica 52-55; Johanny, Eucharistie 108f. An anderen Stellen kann sich species aber auch auf die äußere Erscheinungsform beziehen. Eine tiefere Ausarbeitung der ontologischen Fragestellung, was genau die Wesensveränderung bedeutet, liefern die Schriften des Ambrosius nicht. 182 Betz, Eucharistie 148. <?page no="203"?> 191 unberührt bleibt. Dieser Anstoß eines Auseinanderfallens von äußerer Erscheinung und wesensmäßiger Realität dient dem Katecheten Ambrosius immer wieder als Ausgangspunkt zur theologischen Erörterung des eucharistischen Geschehens 183 . Die Formulierung mutata elementa dürfte die Mailänder Hymnensänger an die Eucharistielehre ihres Bischofs erinnert haben. Auch in der immer wieder zu vergleichenden Predigt aus dem Lukaskommentar bedient sich Ambrosius eines ähnlichen Kunstgriffs, um die Auslegung des Weinwunders (es sei wiederholt: im Kontext einer explizit eucharistischen Interpretation der Brotvermehrung) eucharistisch zu konnotieren. in Luc. 6,87 (CChr.SL 14,205): … illic in alienam speciem vertuntur elementa nec suos patitur natura defectus nec suos agnoscit ortus, usus tamen proprios recognoscit. Quin etiam melior est mutati vini natura quam nati, quia in arbitrio creatoris est et quos usus velit adsignare naturis et quas naturas inpertire gignendis. In diesem Fall ist die Verwendung des Begriffes species offenkundig doppeldeutig, da sowohl das Wesen (natura) als auch die äußere Erscheinungsform von der Verwandlung betroffen sind. Auffällig ist, dass hier wie im Hymnus von den usus der Elemente bzw. Naturen die Rede ist. Dem Gehalt dieses Ausdrucks ist abschließend nachzugehen. Den entscheidenden Hinweis liefert der Kommentar des Ambrosius zum Sechstagewerk. In dieser Schrift wird an drei Stellen die Wendung usus elementi/ elementorum so gebraucht, dass usus allem Anschein nach in Erweiterung der basalen Bedeutung ‘Gewohnheit’ so viel bedeutet wie ‘grundlegende Eigenschaft(en)’. Beispielsweise heißt es in einer Erörterung, ob die Beschaffenheit des Himmels unter Zuhilfenahme der vier Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft zu erklären sei oder ob sie die Annahme einer fünften natura, eines aetherium corpus, erforderlich mache, im Blick auf Schwierigkeiten, die sich mit Erde und Feuer ergeben: hex. 1,6,23 (32/ 1,21): … huius mundi elementa suum quendam habeant cursum atque usum et motum naturae, ut graviora demergant et in pronum ferantur, vacua et levia in superiora se subrigant - est enim proprius cuique motus - …. itaque quando ad superiora motus caeli est necessarius, terrenis gravatur, quando ad inferiora decursus expetitur, igneus vigor ille violenter adtrahitur; etenim contra naturae suae usum deorsum cogitur. Bei der Exegese von Gn 1,9 wird als Grundeigenschaft des Wassers das Fließen ausgemacht: Es wird betont, dass es sich dabei um eine spezifische Eigenheit (speciale et proprium) des Wassers handelt, nicht um etwas, das aus dem Wesensbestand der anderen Elemente (ex usu ceterorum elementorum) herrührt. hex. 3,2,8 (ebd. 64): … ante praeceptum domini hanc aquarum fuisse naturam, ut laberetur, ut flueret. non enim ex usu hoc habet ceterorum elementorum, sed speciale et proprium, non ex quodam ordine, sed magis ex voluntate et operatione dei summi. … 183 Vgl. sacr. 4,4,14 (73,51f.); 6,1,2 (ebd. 72); myst. 9,50 (ebd. 110). <?page no="204"?> 192 secuta est creatura praeceptum et usum fecit ex lege; primae enim constitutionis lex formam in posterum dereliquit. 184 Das Zitat aus in Luc. 6 setzt ein ähnliches Verständnis von usus voraus. Durch das Wirken des Schöpfers werden den einzelnen Substanzen Eigenschaften zuteil (usus adsignare naturis). Dies gilt für den Akt der Weltschöpfung als ganzer, ebenso jedoch für die am Wasser von Kana vollzogene Neuschöpfung, die die Eigenschaften des neu entstandenen Weins (usus proprios) bestimmt. Der Hymnus betrachtet diese Verwandlung vom Ausgangspunkt her: Gemessen an den Eigenschaften des Wassers handelt es sich um neue, andere Eigenschaften (usus alteros). Die Formulierung der Verse 5,3f. hebt stilistisch das Thema der Verwandlung in zweifacher Hinsicht hervor: Zunächst ist auf den Chiasmus der Anordnung von Substantiv und Attribut zu verweisen (mutata elementa / usus alteros). Darüber hinaus sind die einander entsprechenden, den Endzustand der Verwandlung bezeichnenden Begriffe mutata (als proleptisch gebrauchtes Partizip) und alteros durch die Stellung am Beginn des ersten bzw. am Ende des zweiten Verses besonders betont und bilden so einen Ring um die am Versübergang platzierten Verbalbegriffe, die den Verwandlungsvorgang betreffen (stupent / transire). Der Gebrauch des Präsens stupent unterstreicht die bleibende Bedeutung der Aussage in ihrer eucharistischen Lesart. 3.2 Zweiter Abschnitt (6,1-8,4): Die Brotvermehrung 6,1 Sic quinque milibus virum 6,2 dum quinque panes dividit, 6,3 edentium sub dentibus 6,4 in ore crescebat cibus, 7,1 multiplicabatur magis 7,2 dispendio panis suo. 7,3 Quis haec videns mirabitur 7,4 iuges meatus fontium? 8,1 Inter manus frangentium 8,2 panis rigatur profluus, 8,3 intacta quae non fregerant 8,4 fragmenta subrepunt viris. 3.2.1 Zur Komposition des Abschnitts Syntaktisch gesehen setzt sich der Abschnitt im Unterschied zum vorangehenden Teil mit seinem weit gespannten Eröffnungssatz weitgehend aus in sich geschlossenen Verspaaren zusammen. Lexikalische und motivische 184 Die dritte Stelle folgt wenig später: hex. 3,2,9 (ebd. 65). <?page no="205"?> 193 Signale zeigen, dass der Text nach dem Zwiebelschalenprinzip um die rhetorische Frage in den Versen 7,3f. gruppiert ist. Die innerste Klammer zwischen den Versen 6,3-7,2 und 8,1f. bilden variierte Formulierungen für die Vermehrung des Brotes (6,4: crescebat cibus; 7,1f.: multiplicabatur … panis; 8,2: panis rigatur profluus). Darum schließt sich eine weitere Klammer, die in Ausdrücken für den geschehenen oder unterbliebenen Vorgang des Brotbrechens besteht (6,2: dividit; 8,3f.: quae non fregerant). Den äußersten Ring konstituieren zwei jeweils pointiert am Versende platzierte Flexionsformen von viri (6,1: virum; 8,4: viris). virum (6,1) dividit (6,2) crescebat cibus; multiplicabatur panis (6,4; 7,1f.) Quis haec videns mirabitur …? (7,3f.) panis rigatur profluus (8,2) non fregerant (8,3) viris (8,4) Die beiden spiegelbildlich an die rhetorische Frage angelagerten Versgruppen (A: 6,1-7,2; B: 8,1-4) erscheinen auf den ersten Blick nahezu als inhaltliche Dublette. Tatsächlich unterscheiden sie sich jedoch markant in zwei Punkten: hinsichtlich der handelnden Personen und der verwendeten Tempora. Ist es in Abschnitt A Jesus, der die Brote teilt 185 , so spricht Abschnitt B von einer Gruppe, die das Brot bricht (8,1: frangentium; 8,3: fregerant). Auffällig ist darüber hinaus, dass die Verben in Abschnitt A durchgängig im durativen Imperfekt stehen 186 , also in einem Vergangenheitstempus, während Abschnitt B sich präsentisch darstellt. Abschnitt B bezieht ein hohes Maß an Geschlossenheit durch die dreimalige Rekurrenz des Verbs frangere und seiner Nominalableitung fragmentum (8,1: frangentium; 8,3: fregerant; 8,4: fragmenta). Aus diesen Beobachtungen zur übergreifenden Struktur des Abschnitts ergeben sich zwei Anfragen an die Einzelinterpretation: Zum einen ist zu prüfen, ob der formalen Mittelstellung der rhetorischen Frage eine zentrale Funktion in der Sache entspricht. Zum anderen bedarf der Personen- und Tempuswechsel zwischen den Abschnitten A und B einer Erklärung. 3.2.2 Sic quinque milibus virum dum quinque panes dividit (6,1f.) Mit den Versen 6,1f. wendet sich der Hymnus einem weiteren Ereignis aus dem Leben Jesu zu: der wunderbaren Speisung der Fünftausend 187 mit fünf 185 Dass in Vers 6,2 Iesus als Subjekt zu ergänzen ist, ergibt sich von den biblischen Vorgaben her sowie aus dem Zusammenhang (als Weiterführung der Verse 2,1-4,2). 186 Das Präsens dividit (6,2) ist durch den Gebrauch von dum (‘während’) bedingt. 187 In Teilen der handschriftlichen Überlieferung, darunter auch in den Mailänder Hymnaren Ma, Mb und Mc, findet sich zu quinque milibus virum die abweichende Lesart quinque milibus viris. Im Hintergrund steht offenkundig das mangelnde Verständnis des archaischen und poetischen Genitivs (die Regeln des von Ambrosius gepflegten <?page no="206"?> 194 Broten (und zwei Fischen). Es handelt sich dabei um die einzige Wundererzählung, die in allen vier kanonischen Evangelien begegnet: Mt 14,13-21; Mc 6,30-44; Lc 9,10-17 und Io 6,1-15 188 . Unverkennbar greift die literarische Gestalt der Erzählung auf Motive aus dem Alten Testament zurück, namentlich aus den Erzählungen von der Speisung der Hundert durch Elischa (2 Reg 4,42-44) und von der Mannaspeisung während des Wüstendurchzuges der Israeliten unter Mose (Ex 16; Nm 11) 189 . Wenn die Einleitung durch sic in Vers 6,1 die Behandlung der Erzählung von der Brotvermehrung unter den Gesichtspunkt des Vergleichs mit dem Vorangehenden stellt, so bezieht sich dieser Vergleich näherhin auf drei Anknüpfungspunkte, die immer weiter in der Struktur des Hymnus zurückgreifen. Zunächst ist auf das unmittelbar vorausgehende Thema innerhalb des sich mit dem Weinwunder von Kana beschäftigenden Abschnitts zu verweisen: Die Interpretation der fünften Strophe konnte zeigen, dass hier unverkennbar eine eucharistische Deutung in den Vordergrund gerückt wird. Insofern stellt der Einsatz des Vergleichs nach den Versen 5,2-4 in der Wahrnehmung des Rezipienten auch das Brotwunder bewusst in diese Perspektive 190 . Der zweite Vergleichspunkt besteht im Blick auf die Kana- Strophen als ganze in der Eigenschaft beider Wunder als Speisewunder. Schließlich umgreift der Vergleich über die Kana-Episode hinaus den gesamten ersten Abschnitt des Hymnus. Gemeinsames Signum der in den Strophen 2-5 geschilderten tria miracula ist der Charakter des Epiphaniewunders, das heißt auf je unterschiedliche Weise scheint in der Jordantaufe, in der Anbetung der Magier und im Weinwunder die Gottheit Jesu Christi auf. Entscheidend ist nun, dass Ambrosius auch die Brotvermehrung in diesem Sinne explizit als Epiphaniewunder begreifen kann. in psalm. 118 serm. 14,4 (62,300): Pascua nostra etiam isti versiculi sunt, de quibus hodie tractaturi sumus, in quibus David dicit: PASCEBAM OVES PATRIS MEI [1 Sam 17,34], ostendens veram lucernam [cf. Ps 118(119),105], discens humilitatem. in talibus pascuis verus David, verus humilis et manu fortis, qui non rapinam arbitratus est esse se aequalem deo, sed semet ipsum exinanivit et homo natus per virginis partum humiliavit se usque ad mortem [cf. Phil 2,6-8], oves patris sui divina praedicatione pascebat [cf. Mc 6,34], cum secundum scripturas suum probaret adventum [cf. Io 6,14], cum quinque panibus et duobus piscibus hominum milia multa satiaret. klassischen Lateins erfordern hier diesen Kasus) virum (für virorum), das auch den Schreiber der ältesten Handschrift Fa zur Abänderung in verum veranlasst zu haben scheint. Vgl. auch Charlet, Illuminans 357. 188 Dazu tritt die parallele Fassung der Speisung der Viertausend bei Mt 15,32-39 und Mc 8,1-10. 189 Eine knappe, doch gehaltvolle Einführung in die alttestamentlichen Bezüge und die unterschiedliche Gestaltung der Brotvermehrungserzählung durch die Evangelisten bietet Heising, Brotvermehrung. Zur Auslegung der Erzählung durch die Kirchenväter vgl. Heither, Wunder Jesu 383-389. 190 Breuer (Eucharistiedichtung 44f.) sieht im Zueinander von Weinwunder und Brotwunder die Präfiguration der beiden Gestalten der Eucharistie. <?page no="207"?> 195 Ambrosius illustriert hier das Motiv von Christus als dem wahren David, der die Schafe seines Vaters weidet, mit der Erzählung von der Brotvermehrung. Dabei stellt er in der Formulierung: oves patris sui divina praedicatione pascebat, die Verbindung zwischen 1 Sam 17,34 und dem Brotwunder durch eine Anspielung auf Mc 6,34 her. Mc 6,34: 0 3 5 ] Q ^) 3 ) ’ ' , V m $4L * D) [cf. Num 27,17] , 3 |$5 ! ! . Jesus hat nach Markus Mitleid mit den ihn umgebenden Menschen 191 , weil sie ihm erscheinen wie Schafe, die keinen Hirten haben. Er gibt ihnen (geistliche) Nahrung, indem er zu ihnen spricht und sie lehrt 192 . Dazu tritt im Anschluss die Speisung durch die wunderbar vermehrten Brote und Fische. In diesem doppelten Geschehen von Verkündigung und Wunder bekräftigt Jesus seinen adventus, wie Ambrosius unter Bezugnahme auf Io 6,14 formuliert: secundum scripturas suum probaret adventum. Io 6,14: qF s Y $ 4 T D 7 4 ( + , $ : , $)4 6 4 [cf. Dt 18,15.18] . Die Brotvermehrung erweist Jesus als den endzeitlichen Propheten, den mit dem Messias gleichgesetzten neuen Mose, dessen Ankunft die Zeitgenossen Jesu für das Eschaton erwarteten 193 . Der von Ambrosius gewählte Begriff adventus ist jedoch durch diesen Verweis auf Io 6,14 noch nicht erschöpfend erklärt. Der Mailänder gebraucht das Wort in seinen Schriften ca. 110 Mal auf Christus bezogen. In vier von fünf Fällen geht es dabei um die Ankunft im Fleisch, an den übrigen Stellen meist, biblischer Terminologie folgend 194 , um die eschatologische Wiederkehr des Weltenrichters 195 . Gelegentlich werden beide adventus einander als erste und zweite Ankunft gegenübergestellt 196 . Wenn Ambrosius von der ersten Ankunft Christi spricht, also von der Ankunft im Fleisch, bezieht sich der Ausdruck nur verhältnismäßig selten direkt und ausschließlich auf die Geburt Jesu bzw. die Inkarnation 197 . Häufiger umgreifen Wendungen wie adventus Christi oder adventus domini (nostri) die Heilswirksamkeit des Christusereignisses als Ganzen 198 . In die- 191 Vgl. Mt 14,14. 192 Vgl. Lc 9,11. 193 Vgl. dazu Heising, Brotvermehrung 44-56. 194 Die lateinischen Bibelübersetzungen verwenden adventus mit Vorliebe zur Übertragung von auf die eschatologische Wiederkehr bezogenem $ % oder ! (vgl. Mohrmann, Epiphania 252f.), z. B. 1 CorA 15,23; 1 TimA 6,14. 195 Darüber hinaus lassen sich einige Belege für ein existentielles Verständnis ausmachen, das den adventus als ein Geschehen zwischen Christus und der Seele des Einzelnen begreift; vgl. z. B. epist. 18,16 (82/ 1,136). 196 Abr. 2,9,66 (32/ 1,621); in Luc. 10,17 (CChr.SL 14,351). 197 Als Beispiele für diesen Wortgebrauch seien genannt: Iac. 2,7,32 (32/ 2,50f.); in Luc. 1,46 (CChr.SL 14,29); 2,23 (ebd. 40f.); fid. 5,167 (78,276). 198 Dass für Ambrosius adventus nicht exklusiv auf den Moment der Ankunft Jesu in der Welt (d. h. auf die Geburt) bezogen ist, zeigen beispielhalber folgende Stellen: in psalm. 118 serm. 6,25,1 (62,121: der Terminus adventus Christi wird inhaltlich gefüllt mit der <?page no="208"?> 196 sem Sinne bedeutet die hier interessierende Formulierung suum probaret adventum den Erweis (probaret), dass in dem Jesus, der mit fünf Broten die 5000 Menschen speist, die Erlösung angekommen ist. Ist damit das Brotwunder inhaltlich als Epiphanie im eminenten Sinne gekennzeichnet, so bleibt davon unberührt, dass nichts auf eine Zugehörigkeit desselben zum liturgischen Gehalt des Epiphaniefestes in Mailand hinweist. Ein weiterer Zug an dem Zitat aus dem Kommentar zu Ps 118(119) verdient unsere Aufmerksamkeit. Anhand der Brotvermehrung interpretiert Ambrosius das ‘Weiden’ der Schafe durch Christus in zweifachem Sinn: als Nahrung durch Wort und Speise. Diese doppelte Perspektive ist für Ambrosius ausgesprochen typisch und prägt auch seine Auslegung der Brotvermehrung im Lukaskommentar. Hier wird das Brechen und Verteilen des Brotes zum einen - unter Aufnahme eines bereits in den synoptischen Evangelien erkennbaren Deutungskerns 199 - ausdrücklich als Typus der Eucharistie interpretiert. in Luc. 6,84 (CChr.SL 14,204): Mysticum quoque est quod et manducans populus satiatur et apostoli ministrant; nam et in satietate [cf. Mt 14,20 parr] repulsae in perpetuum famis indicium designatur, quia non esuriet qui acceperit cibum Christi [cf. Io 6,35], et in apostolorum ministerio futura divisio dominici corporis sanguinisque praemittitur. Die Sättigung des Volkes verweist auf die in der eucharistischen Brotrede Io 6 verheißene Stillung des Hungers durch Christus, das ‘Brot des Lebens’. Darüber hinaus erscheint die Handlung der Jünger, die das Brot den Menschen austeilen 200 , als Vor-Bild des sakramentalen Handels der Kirche in der Eucharistie. Zugleich symbolisiert das Brot aber auch die Wortverkündigung. Die Worte, die Christus uns hinterlassen hat (als Subjekt und Objekt der Verkündigung), bieten allen Völkern eine unerschöpfliche Quelle der Erbauung und des Heils. Passion); 17,7,1 (ebd. 381: die Wundertätigkeit Jesu als Erweis des von Is 35,5; 61,1 angekündigten adventus [vgl. Mt 11,5]). 199 Die eucharistische Deutung der Brotvermehrung lässt sich unter Umständen bereits für die vormarkinische Zeit wahrscheinlich machen, liegt aber zumindest sicher bei allen Synoptikern vor: vgl. dazu Heising, ebd. 61-65.70f.73-76; Schenke, Brotvermehrung 78-80.142.162.172f. 200 Vgl. Mt 14,19; 15,36; Mc 6,41; 8,6; Lc 9,16. Parallel zu dem solcher Art bestimmten apostolorum ministerium bezieht sich auch die Wendung futura divisio offenkundig auf das Austeilen des (eucharistischen) Brotes, in diesem Falle durch die kirchlichen Amtsträger. Im Unterschied dazu dürfte dividit (sc. Iesus) in V. 6,2 des Hymnus das Brechen des Brotes bezeichnen, es sei denn, Ambrosius wollte hier mit Io 6,11 davon ausgehen, Jesus selbst habe das Brot an die Menschen verteilt (so versteht die Stelle Charlet, Illuminans 357). Die spanische und Teile der mailändischen Tradition (Ma, Mb) lesen dividunt, setzen also die Jünger als Subjekt und das Austeilen des Brotes als ihre Tätigkeit voraus (Simonetti [Osservazioni 53] präferiert die Lesart dividunt gegenüber dividis, bezeugt in Me und offensichtlich unter dem Einfluss der Anredeformen der Verse 1,1-4,2 zustande gekommen, ohne die mehrheitlich bezeugte Variante dividit überhaupt in Erwägung zu ziehen). <?page no="209"?> 197 in Luc. 6,86 (CChr.SL 14,205): At vero hic panis, quem frangit Iesus, mystice quidem dei verbum est et sermo de Christo, qui dum dividitur augetur; de paucis enim sermonibus omnibus populis redundantem alimoniam ministravit. Dedit sermones nobis velut panes, qui in nostro dum libantur ore geminantur. Beide Auslegungen sind bewusst aufeinander bezogen: „Für Ambrosius ist die Eucharistie eng und unzertrennlich in den Gesamtkomplex des christlichen Glaubensvollzuges eingefügt; Wort und Sakrament sind zwei verschiedene Zugangsweisen zu Christus“ 201 . Am Rande sei erwähnt, dass Ambrosius im Lukaskommentar auch der Zahl der Männer und Brote eine symbolische Deutung zukommen lässt (in Luc. 6,79f. [ebd. 202f.]). Entscheidend ist für ihn dabei die Reihenfolge der beiden Brotvermehrungserzählungen bei Matthäus und Markus, die eine Steigerung impliziert. Während nämlich die bestimmende Zahl 5 in der ersten Version (fünf Brote, 5000 Männer) als Zahl der fünf Sinne ein Verhaftetsein im Körperlichen bedeutet, so bleibt dieses in der zweiten Version durch die Zahl 4 (4000 Männer) als der Zahl der Elemente zwar bestehen, wird jedoch durch die 7 (sieben Brote) als Symbol für die Ruhe Gottes am siebten Tag auf die geistige Überwindung dieser Welt hin aufgebrochen. Die sieben (irdischen) Brote sind also panis sabbatorum, panis sanctificatus, panis quietis (in Luc. 6,80 [ebd. 203]) und Vorstufe der eschatologischen acht (himmlischen) Brote der Auferstehung 202 . 3.2.3 edentium sub dentibus in ore crescebat cibus, multiplicabatur magis dispendio panis suo (6,3-7,2) Die Verspaare 6,3f. und 7,1f. variieren das Thema der Vermehrung des von Jesus geteilten Brotes 203 . Hinsichtlich der Stilistik erweist sich der gesamte Abschnitt als außergewöhnlich elaboriert: Im Einzelnen sind das Wortspiel mit dem Gleichklang edentium 204 sub dentibus (Paronomasie) 205 , das Oxymoron multiplicabatur dispendio sowie zwei Alliterationen (crescebat cibus bzw. multiplicabatur magis) hervorzuheben. Die leitende Absicht der besonderen 201 Breuer, Eucharistiedichtung 43; zur Sache vgl. Dassmann, Frömmigkeit 167f.; Jacob, Arkandisziplin 233f. Eine eucharistische Deutung lässt Ambrosius übrigens wie andere Kirchenväter auch der Brotbitte des Vaterunser angedeihen: vgl. dazu Dürig, Deutung der Brotbitte 81-83. 202 Vgl. darüber hinaus in Luc. 6,82f. (ebd. 204), wo die sieben Brote aus Mt 15 und Mc 8 auf die sieben Gaben des Heiligen Geistes (septiformis spiritus gratiam), die zwei Fische auf die zweigeteilte Heilige Schrift (duplicis testamenti figuram) und die 4000 Menschen als Symbol der sich aus allen vier Himmelsrichtungen speisenden Kirche (ex quattuor mundi collecta partibus, in quibus ecclesia figuratur) gedeutet werden. 203 Konkreter biblischer Hintergrund ist die Information Mt 14,20 parr, nach der nach Sättigung aller Menschen die Menge der eingesammelten Reste die ursprüngliche Menge des Brotes überstieg. 204 Edentium ist ( 6 / zu dentibus und ore zu konstruieren. 205 Eines ähnlichen Kunstgriffs hatte sich bereits Vergil bedient: dentibus infrendens (Aen. 3,664; 8,230). <?page no="210"?> 198 poetischen Gestaltung liegt in der Betonung der paradoxen Außergewöhnlichkeit sowie der Bedeutung des Geschehens. Inhaltlich setzen die beiden Verspaare ungeachtet ihrer identischen Struktur 206 unterschiedliche Akzente. Die Formulierung der Verse 6,3f. beschreibt das Wachsen des Brotes - wenn wir der von Ambrosius eröffneten eucharistischen Sinnebene folgen, heißt das: die Entfaltung der Heilswirkung der Eucharistie - als einen dem Empfänger innerlichen Vorgang. Die Strophen 4 bis 8 überschauend bemerkt dazu Breuer: „Es scheint hier, als ob ein Unterschied zwischen Christus, der die Gabe gibt, und der Gabe selbst gemacht wird und das Staunen vor dem Wunder der Wandlung und dem überfließenden Reichtum der Gabe zunächst den vordringlicheren Sinn der Eucharistie, des Essens und der Einswerdung der Menschen mit Christus und untereinander, überlagert. Doch wird die Gabe zur Speise und zum Trank der Menschen gegeben und nur dann, wenn der Diener schöpft und die Gemeinde das Brot in den Mund nimmt, vermag die Wirksamkeit der Speise in Erscheinung zu treten; … Realpräsenz (Wirklichkeit der Verwandlung) und Aktualpräsenz (Wirklichkeit Christi im Vollzug) sind ineinander verschränkt und bilden eine Einheit ohne Bruch“ 207 . Dass Ambrosius die Wendung in ore crescebat cibus (auch) eucharistisch verstanden wissen will, geht mit großer Deutlichkeit aus ihrer Verwendung in der Prosafassung hervor. Im Schlussteil seiner Auslegung der Brotvermehrung und des zum Vergleich herangezogenen Kanawunders stellt der Bischof die verwandelnde Kraft Jesu der heidnischen Verwandlungsgeschichte um König Midas gegenüber 208 . Während diesem die uneingeschränkten Reichtum verheißende Gabe, Dinge in Gold zu verwandeln, schließlich zum Verderben gereichte, entpuppt sich das unscheinbare Geschenk des Brotes Jesu unversehens als Garant des ewigen Heils. in Luc. 6,88 (CChr.SL 14,206): Talia sunt idolorum beneficia, ut cum videntur prodesse, plus noceant. At vero Christi munera parva videntur et maxima sunt, denique non uni conlata, sed populis; nam et cibus edentium in ore crescebat et videbatur esse corporalis alimoniae, sed sumebatur salutis aeternae. Ambrosius setzt im zuletzt zitierten Satz das Wunder in Beziehung zum eucharistischen Mahl, indem er die Antithese aus der johanneischen Brotrede aufgreift: Io 6,27: $ ! C * * L$+ * ( % ( * L$+ * % C * # , , %F6 / ( $# % K # I ... Es geht nicht um die vergängliche Speise, die zur körperlichen Ernährung dient, sondern um die Speise, mit der das Heil des ewigen Lebens verknüpft 206 In beiden Fällen wird dem Vorgang der Zerkleinerung des Brotes (sub dentibus bzw. dispendio) der Umstand seiner Vermehrung gegenübergestellt (crescebat bzw. multiplicabatur). 207 Breuer, Eucharistiedichtung 45f. 208 Vgl. Ov. met. 11,85-145. <?page no="211"?> 199 ist: den Leib Christi 209 . Bedenkt man die von Ambrosius im Lukaskommentar mit der eucharistischen Interpretation der Brotvermehrung verschränkte Deutung auf die Wortverkündigung hin 210 , mag die Formulierung in ore crescebat cibus darüber hinaus auf die geistige Speise der Verkündigung anspielen, die im Munde der Jünger und dann der Kirche wächst und sich ausbreitet 211 . Der Leib Christi, das wahre Brot, das vom Himmel kommt (Io 6,32f.), entfaltet seine Kraft, alle Menschen zu nähren, gerade indem er gebrochen und äußerlich verringert wird. In seiner Niedrigkeit erweist er sich als unerschöpfliche Quelle des Heils. Ambrosius entfaltet diesen Gedanken, den das Verspaar 7,1f. mit dem Oxymoron multiplicabatur … dispendio in den Vordergrund rückt, mit anderen Worten in einem Brief an seinen Schüler Orontianus. epist. 18,13 (82/ 1,135): Verus panis est, qui fractus et conminutus satiavit universos. Eine ähnliche Formulierung wie im Hymnus gebraucht Ambrosius in seiner Predigt über die Brotvermehrung. Auch hier wird ein Verb, das Wachstum und Vermehrung ausdrückt, mit dem Begriff dispendium kombiniert, den Ambrosius meist in der Bedeutung ‘Verlust’ gebraucht 212 (seltener: ‘Schaden’), gelegentlich als pointierten Gegenbegriff zu einem ‘Zunehmen’ 213 . in Luc. 6,87 (CChr.SL 14,205): Hic edentibus populis crescunt suis fragmenta dispendiis 214 et de quinque panibus maiores reliquiae quam summa est colliguntur, … Auf zwei biblische Konnotationen, die Ambrosius in seiner Wortwahl beeinflusst haben könnten, sei abschließend hingewiesen: Nach Paulus bedeutet die Eucharistie Teilhabe am Leib Christi, fügt das Essen vom einen Brot zum einen Leib zusammen (1 Cor 10,16f.). Die Ekklesiologie des Epheserbriefs spricht in Weiterentwicklung dieses Gedankens vom Wachsen des Leibes Christi (Eph 4,16) 215 . Vor dem Hintergrund der eucharistischen Sinnebene des Hymnus mag in der Wendung crescebat cibus bewusst diese sakramentalekklesiologische Dimension angedeutet sein. Darüber hinaus macht Charlet 209 Vgl. Io 6,51.54.58. 210 Vgl. Kap. 3.2.2. 211 Vgl. in Luc. 6,86 (CChr.SL 14,205): Dedit sermones nobis velut panes, qui in nostro dum libantur ore geminantur. 212 Ein typisches Beispiel für das semantische Umfeld von dispendium bietet Ioseph 9,51 (32/ 2,108): ARGENTUM VESTRUM PROBUM ACCEPTUM HABEO [Gn 43,22], hoc est: non est illud materiale argentum, sed spiritale argentum vestrum, hoc est probum, quod fida devotione quasi Iacob filii detulistis, quod sine damno datur et sine ullo adnumeratur dispendio, quandoquidem tali pretio detrimentum mortis excluditur, lucrum vitae adquiritur. 213 Vgl. in psalm. 61,8,1 (64,383): pietas omnibus nobis non dispendio, sed incremento est; inst. virg. 3,19 (SAEMO 14/ 2,124): Merito ergo differtur, ut sequatur fenerata eius [= hominis] laudatio, cuius dilatio non dispendium, sed incrementum est. 214 Vgl. auch in Luc. 6,86 (CChr.SL 14,205): Visibiliter quoque panis iste incredibili ratione, dum frangitur, dum dividitur, dum editur, sine ulla dispendii conprehensione cumulatur. 215 Vgl. Col 2,19. <?page no="212"?> 200 auf die „harmoniques scripturaires“ des Verbs multiplicare als „une image de fécondité“ aufmerksam 216 . 3.2.4 Quis haec videns mirabitur iuges meatus fontium (7,3f.) Die rhetorische Frage der Verse 7,3f. argumentiert a maiore ad minus: Wer den außergewöhnlichen Zustrom immer neuen Brotes sieht - eines Elementes, dessen Verzehr üblicherweise zu seinem Verschwinden führt -, kann sich über das natürliche Phänomen der unablässig sprudelnden Quellen 217 nicht mehr wundern. Dabei ist vorausgesetzt, dass dieses alltägliche Naturereignis grundsätzlich durchaus zum Staunen vor der Größe der Schöpfung Anlass gibt; nur verblasst dieses Wunder der Natur vor dem Wunder Jesu. Indem Ambrosius so formuliert, gebraucht er zugleich im anschaulichkonkreten Sinn die Flussquelle als Bild für die Unerschöpflichkeit, den ‘Überfluss’ der Brotvermehrung. Auch als Prediger bedient er sich derselben Denkfigur. in Luc. 6,85 (CChr.SL 14,205): Qui haec legit quemadmodum iuges aquarum miretur meatus et liquidis fontibus stupeat continuos fluere successus, quando etiam panis exundat et naturae solidioris rigatus exuberat? In der Prosafassung führt er den Gedanken noch weiter aus: Das Wunder der Brotvermehrung ist insofern größer, als die Quelle das abfließende Wasser nur ersetzt, das Brot, das von Jesus kommt, hingegen - in diesem Fall allegorisch auf das Wort (Christus als Subjekt und Objekt der Verkündigung) gedeutet - zwar weiterhin gering erscheint, sich jedoch so vermehrt, dass es zur geistigen Nahrung aller Völker hinreicht 218 . Neben dem geschilderten wörtlichen Verständnis der Wendung iuges meatus fontium legt sich unter dem Eindruck der eucharistischen Sinnebene der Verse 5,2-7,2 und eingedenk der Bezugnahme auf die Einsetzung der Taufe in Strophe 2 auch hier eine sakramentale Deutung nahe. Eine wichtige Brücke besteht in diesem Fall zunächst darin, dass Ambrosius regelmäßig 216 Charlet, Illuminans 358; konkret führt Charlet Gn 1,28 an. Nicht zuletzt wäre an die Mehrungsverheißungen in den Vätererzählungen (Gn 16,10; 17,2; 22,17 u. ö.) zu denken. 217 Meatus bezeichnet zunächst das ‘Gehen’, den ‘Gang’, dann auch das Fließen oder Strömen von Wasser (oder allgemeiner: von Flüssigkeiten); vgl. bei Ambrosius für meatus fluminum/ fluminis: in psalm. 36,39 (64,101); 45,13,1 (ebd. 338); epist. 34,2 (82/ 1,232); 62,2 (82/ 2,122); für meatus aquarum: myst. 9,51 (73,110); für meatus fontis: fid. 2 prol. 2 (78,58); spir. 1 prol. 7 (79,18). Die Verbindung iugis meatus gebraucht Ambrosius neben in Luc. 6,85 noch Noe 6,14 (32/ 1,423; dort für den Blutfluss aus dem Herzen). 218 In Luc. 6,86 (CChr.SL 14,205): Hoc quidem mirum quidquid de fluminibus haurias signo dispendii non notari, quidquid de fontibus auferas usurario quodam reparari meatu. Sed et fluminibus si nihil decedere, nihil tamen videtur accedere et fontibus ut cumulata fluenta cernuntur ita, dum minuuntur fluenta, produntur. At vero hic panis, quem frangit Iesus, mystice quidem dei verbum est et sermo de Christo, qui dum dividitur augetur; de paucis enim sermonibus omnibus populis redundantem alimoniam ministravit. Dedit sermones nobis velut panes, qui in nostro dum libantur ore geminantur. <?page no="213"?> 201 den Begriff fons als terminus technicus für die piscina, den Taufbrunnen, verwendet 219 . Die iuges meatus fontium wären demnach das unablässige Fließen des Taufwassers (und damit der Taufgnade) im sakramentalen Handeln der Kirche. Zugleich stellt die Formulierung einen Rückbezug auf die in Vers 5,2 erwähnten, dort eucharistisch konnotierten 220 flumina her. So bezieht die Interpretation des vorliegenden Verses eine beachtliche Tiefendimension aus den johanneischen Kontexten der von Christus gespendeten ‘sprudelnden Quelle, deren Wasser ewiges Leben schenkt’ (Io 4,14) 221 bzw. Christi selbst als der Quelle der ‘Ströme von lebendigem Wasser’ (Io 7,38). Die in der Strukturanalyse erwiesene zentrale Stellung der rhetorischen Frage im poetischen Aufbau der Strophen 5-8 222 korrespondiert also mit einer wichtigen inhaltlichen Funktion: Sie setzt das Epiphaniewunder der Brotvermehrung (und implizit auch das zuvor verhandelte Weinwunder von Kana) erneut deutlich in Beziehung zu den zentralen Sakramenten der Kirche, Taufe und Eucharistie. Dass inmitten des Abschnitts zur Brotvermehrung, deren Bezug zur Eucharistie sicher näher liegt als ihr Bezug zur Taufe, der Blick doch auch wieder auf die Taufe fällt, ist nicht nur der poetischen Bemühung um die Einheit des Hymnus geschuldet, dessen baptismale Sinnebene bereits in seinem ersten Wort inluminans aufscheint, sondern ist zugleich Ausfluss der Überzeugung des Ambrosius von der letzten Einheit der Grundsakramente 223 . 3.2.5 Inter manus frangentium panis rigatur profluus, intacta quae non fregerant fragmenta subrepunt viris (8,1-4) In der Schlussstrophe verwendet Ambrosius ebenso wie in der den Abschnitt zum Kanawunder abschließenden Wendung das Präsens. Bedenkt man zusätzlich den Wechsel zu einer Mehrzahl das Brot brechender Personen, der durch die biblischen Berichte nicht gedeckt ist, in denen stets Jesus allein das Brot bricht und es die Jünger nur austeilen lässt, erscheint hier eine Interpretation auf das sakramentale Handeln der Kirche in der Eucharistie um so deutlicher vorgegeben. Für die handelnden Männer - mit viris 224 sind in der Nachfolge der Jünger die kirchlichen Amtsträger bezeichnet - ist 219 Vgl. z. B. myst. 6,31 (73,101); 9,59 (ebd. 116) u. ö.; sacr. 1,2,4.9 (ebd. 17.19); 1,4,12 (ebd. 20); 2,6,16.19 (ebd. 32.34); 3,1,1.2.4 (ebd. 37f.39); 3,2,8 (ebd. 42); 6,2,7 (ebd. 74) u. ö. 220 Vgl. Kap. 3.1.9. 221 IoA 4,14: fons aquae salientis in vitam aeternam. 222 Vgl. Kap. 3.2.1. 223 Vgl. Kap. 3.1.9. 224 Die Mehrzahl der Handschriften liest in Vers 8,4 viri; als Zeugen für viris lassen sich unter den alten Manuskripten lediglich die Hss. Ad und Ae sowie Fa anführen (letztere mit Verschreibung zu vires). Viri könnte sinnvoller Weise nur als Subjekt des Nebensatzes quae non fregerant aufgefasst werden (vgl. dazu Charlet, Illuminans 357), wodurch sich eine kaum denkbare obskure Verschränkung von Haupt- und Nebensatz ergäbe. Daher ist für viris als den ursprünglichen Wortlaut zu plädieren, der immerhin das Zeugnis der ältesten Handschrift für sich verbuchen kann. <?page no="214"?> 202 dabei eine eigenartige Mischung aus aktiver und passiver Rolle charakteristisch. Einerseits ist das Brechen des Brotes ihr Tun; ansonsten könnten sie nicht als frangentes bezeichnet werden. Andererseits wird stark betont, dass die Brotstücke ohne ihr Zutun entstehen: Der Vorgang vollzieht sich zwischen ihren Händen (inter manus), nicht durch ihre Hände 225 ; die Stücke sind von ihnen unberührt (intacta) und gerade nicht gebrochen worden (non fregerant) 226 ; sie ‘wachsen unbemerkt hervor’ (subrepunt). Auf das kirchliche Sakrament gedeutet, ist diese Paradoxie - stilistisch eindrucksvoll unterstrichen durch das Oxymoron panis rigatur profluus 227 , den Pleonasmus intacta quae non fregerant und die Figura etymologica quae non fregerant fragmenta - theologisch dahingehend aufzulösen, dass in der Eucharistie letztlich Christus als der Hohepriester des Neuen Bundes (Hebr) handelt. Die Feiernden, auch der der Feier vorstehende Priester, sind demgegenüber stets die Empfänger des ihnen zuteilwerdenden Heils. Die sakramentale, primär eucharistische, Sinnebene, die sich über weite Strecken des Hymnus verfolgen ließ, erhält in der abschließenden Strophe eine deutliche Bestätigung 228 . Spätestens damit erweisen sich die Interpretationen Breuers 229 und Springers 230 als berechtigt, die die sakramentale Dimension als wesentliches und einendes Charakteristikum von Inluminans altissimus herausarbeiten. Abschließend sei zu Strophe 8 bemerkt, dass die Auslegung der Brotvermehrung im Lukaskommentar des Ambrosius auch in diesem Fall dieselben Bilder und poetischen Kunstgriffe aufgreift wie der Hymnus. 225 Vgl. Charlet, Illuminans 358: „L’expression inter manus … présente la main comme inactive, comme simple contenant provisoire du ‘flux de pain’“. 226 Vgl. analog dazu Vers 4,4: quod ipse non impleverat. 227 Das Adjektiv profluus stellt Verknüpfungen zu den Versen 2,2 (fluenta) und 5,2 (flumina) mit ihren sakramentalen Kontexten her. 228 Dies gilt umso mehr, als der achten Strophe eines Hymnus, wie Springer (Concinnity 231.237) zu Recht bemerkt, durch ihre gattungsmäßig definierte Schlussstellung per se eine besondere hermeneutische Signalfunktion zukommt, obwohl sie bei Ambrosius meist einem „unemphatic sense of closure“ gehorcht (230). 229 Breuer, Eucharistiedichtung 45: „So werden die Ereignisse, derer am Epiphaniefest gedacht wird, aus toter Erinnerung zum Leben erweckt, indem sie als Präfigurationen gegenwärtiger christlicher Wirklichkeit verstanden werden. Sie beziehen sich auf die Taufe und Eucharistie, die als die beiden Kernsakramente verstanden werden … Sie sind die sakramentalen, überzeitlichen ‘signa’ des zeitlosen Sich-Gewährens Gottes, wie jene vier Ereignisse historische ‘signa’ der geschichtlich einmaligen Hingabe Christi an die Welt in seiner Menschwerdung gewesen sind.“ 230 Springer, Concinnity 235: „If Ambrose only hints at the sacramental connotation of the changing of water to wine in his description of the wedding at Cana, he makes his point more explicit in the last stanzas. Once again, it is clear that this text’s intentions go far beyond mere presentation. Not just the ‘facts’ connected with the idea of the epiphany of Christ, but also their ‘effect’ on the life of the Christian congregation, hundreds of years after the fact, are the concern of Ambrose“. <?page no="215"?> 203 in Luc. 6,85 (CChr.SL 14,204f.): Videres inconprehensibili quodam rigatu inter dividentium manus quas non fregerint fructificare particulas et intacta frangentium digitis sponte sua fragmenta subrepere 231 . Beide Texte, Hymnus wie Predigt, beziehen dabei wesentliche Inspirationen aus einer Passage bei Hilarius von Poitiers, in der ebenfalls das Brotwunder als Vergleich zum Weinwunder herangezogen wird: Hil. trin. 3,6 (CChr.SL 62,77 Smulders): Quinque panes offeruntur et franguntur, subrepunt praefringentium manibus quaedam fragmentorum procreationes. Non inminuitur unde praefringitur, et tamen semper praefringentis manum fragmenta occupant. Fallunt momenta visum: dum plenam fragmentis manum sequeris, alteram sine damno portionis suae contueris. Inter haec fragmentorum cumulus augetur. 3.3 Gesamtwürdigung Im Sinne der grundlegenden Idee des Epiphaniefestes, der Erscheinung Gottes in der Welt in Jesus von Nazareth bzw. des Aufscheinens der Gottheit dieses Jesus Christus, stellt Inluminans altissimus an den drei in der weiteren Tradition als tria miracula bezeichneten Episoden, die den liturgischen Gehalt des Festes ausmachen, entscheidende Züge heraus: Es ist Gott und kann nur Gott sein, der das lebendige Wasser für die Taufe heiligt (Strophe 2). Es ist Gott und kann nur Gott sein, dem Anbetung zuteil wird (Strophe 3). Schließlich ist es Gott und kann nur Gott sein, der als Schöpfer der Dinge imstande ist, sie zu verwandeln (Strophen 4 und 5). Die Erweise der Gottheit Christi, die geschichtlich erfahrene Epiphanie Gottes in der Welt, geben dem Hymnus also sein Gepräge, jedoch nicht allein. Schon die erste Strophe eröffnet verschiedene Ebenen des Epiphaniemotivs: die belebende und erhaltende Epiphanie des Logos in der Schöpfung (Verse 1,1f.), die heilbringende Offenbarung Christi am Menschen (Vers 1,3), seine immer neu im Gebet erflehte und individuell erfahrene Zuwendung zum Einzelnen in allen Zeiten (Vers 1,4). Die damit konstituierte Argumentationsstruktur des Hymnus ist letztlich gleichbedeutend mit dem Prinzip jeder christlichen Liturgie: der Aktualisierung des geschichtlich verbürgten Heilshandelns Gottes, das den Feiernden zur Gegenwart wird. In diesem Sinne erfährt die Gedankenbewegung der ersten Strophe im Verlauf des Textes eine Konkretisierung. Der Modus der Vergegenwärtigung ist die liturgische Feier, insbesondere in den beiden Kernsakramenten Taufe und Eucharistie: Der Hymnus geht von den Erweisen der Gottheit Christi aus, fragt aber zugleich immer schon nach den gottesdienstlichen Vollzügen, durch die diese den Menschen zum Heil wird. Daher erklären sich die starken sakramentalen Bezüge, die den ganzen Hymnus prägen und hinter die der Offenbarungsaspekt, der dem Epi- 231 M. Adriaen, der Herausgeber des Lukaskommentars im CChr.SL, entscheidet sich für die in einigen Handschriften bezeugte abweichende Lesart subripere. Die Parallele zum Hymnus sowie zu dem oben zitierten Text des Hilarius spricht jedoch eindeutig für subrepere. <?page no="216"?> 204 phaniefest zunächst näher liegt, weit zurücktreten kann. So wird im Zusammenhang mit der Taufperikope die Himmelsstimme nicht thematisiert, obwohl sich doch in ihr die Offenbarung der Gottheit am deutlichsten manifestiert. Der spezielle Charakter von Inluminans altissimus tritt markant hervor, wenn man seine zweite Strophe mit der Behandlung der Jordantaufe im jüngeren und in Details erkennbar von ihm beeinflussten Epiphaniehymnus Inluxit orbi iam dies (Verse 5,1-7,4) vergleicht (Walpole 315f.): Iohanne Baptista sacro implente munus debitum, Iordane mersus hac die aquas lavando diluit, non ipse mundari volens, ex ventre natus virginis, peccata sed mortalium suo ut fugaret lavacro. dicente patre quod „meus dilectus hic est filius“, sumensque sanctus Spiritus formam columbae caelitus, … Im Unterschied zu Ambrosius macht der unbekannte Autor die Himmelsstimme im Sinne eines konventionellen Epiphaniemotivs explizit zum Thema. Darüber hinaus entfaltet er diskursiv die sakramententheologische Aussage, die bei Ambrosius hinter den Wendungen mystico baptismate und praesenti sacraris die zu entdecken ist. Auch die Magier-Strophe lässt sich in die sakramentale Interpretation einbeziehen, obgleich in ihr innerhalb des Hymnus das Offenbarungsmotiv am deutlichsten hervortritt. Wenn Ambrosius seinem Lied eine sakramentale Sinnebene gibt, so bedeutet dies im Lichte der für Ambrosius maßgeblichen altkirchlichen Mysterienkonzeption 232 , dass er sich auf die gottesdienstliche Re-Präsentation des in der biblischen Geschichte manifest gewordenen Heilswillens Gottes bezieht. Da diese jedoch das liturgische Geschehen als Ganzes umfasst, ist der Begriff ‘sakramental’ hier nicht exklusiv auf jene sieben gottesdienstlichen Vollzüge zu beschränken, auf die er im Laufe des Mittelalters festgelegt wurde. In diesem Sinn vertritt das in Strophe 3 angesprochene Motiv der Anbetung die anabatische (vom Menschen zu Gott aufsteigende) Dimension der Liturgie, die integraler Bestandteil der sakramentalen Wirklichkeit ist. Hierin dürfte auch der Schlüssel zum Verständnis der von der Reihenfolge der biblischen Ereignisse abweichenden Anordnung der Festinhalte in unserem Hymnus liegen: Die Jordan- und die Kana- Thematik akzentuieren die katabatische (von Gott zum Menschen hinabstei- 232 Der altkirchliche Mysterienbegriff, der die zweifache Entfaltung des göttlichen Ratschlusses zum Heil der Menschen in der biblischen Geschichte (heilsgeschichtliche Dimension) und im gottesdienstlichen Vollzug (sakramentale Dimension) miteinander verbindet, wird in Kap. C 4.3.2 ausführlich erläutert. <?page no="217"?> 205 gende) Dimension der Sakramentalität, indem sie Taufe und Eucharistie als die zentralen Heilsgeschenke Gottes an die Menschen zur Sprache bringen (Christus heiligt das Wasser; Christus wandelt und spendet die eucharistischen Gaben), und bilden so einen Rahmen um die Magier-Strophe, in der komplementär dazu die anabatische Dimension der Sakramentalität und der Offenbarungsaspekt des Epiphaniefestes betont werden. Die poetische Umsetzung der Kanaperikope erhält durch die quantitativen Proportionen des Hymnus besonderes Gewicht. Sie steht wiederum deutlich im Zeichen der sakramentalen, nun speziell eucharistischen Sinndimension des Textes. Diese wird schließlich massiv untermauert durch die drei der Brotvermehrung gewidmeten Strophen, deren letzte deutlich den Gegenwartsbezug akzentuiert 233 . Insbesondere die Eucharistie erscheint so als die bleibende Weise der Epiphanie Gottes in der Welt 234 . Auf der Basis eines grundlegenden liturgietheologischen Konzepts gewinnt Ambrosius dem (zumindest im Westen) noch jungen Epiphaniefest eine originelle Deutung ab, die jedoch in der Folge und bis heute weitgehend unverstanden blieb. 4. Rezeptionsgeschichtlicher Ausblick 4.1 Die liturgische Verwendung des Hymnus Fragt man nach den Einzelheiten der liturgischen Verwendung des Hymnus Inluminans altissimus, so stellt sich der Befund in den mittelalterlichen Quellen komplexer dar als im Fall des Weihnachtshymnus Intende qui regis Israel. Ein Blick auf die Gestalt der Epiphanie-Liturgie, wie sie im Mailänder Manuale des zehnten/ elften Jahrhunderts geregelt ist 235 , zeigt die gleiche Struktur, wie sie sich bereits für das Weihnachtsfest beobachten ließ 236 - abgese- 233 Springer versteht das ‘offene Ende’ des Hymnus als Hinweis darauf, dass „the activity of praising God is never actually completed“, bis dereinst „in heaven … believers will join in the marriage feast of the lamb“ (Concinnity 237 Anm. 29). 234 Zu einer ähnlichen Ansicht gelangt Springer, Concinnity 235: „In the last section of the hymn (stanzas 6/ 8), we have not, as is often (and wrongly) assumed, another epiphany per se …, but rather an illustration of what Christ’s epiphany means, not only for people of his own time, but for those who join in singing this hymn at this later date. In this miracle of the feeding of the 5000, we see in richest fulfillment, as it were, the true significance of the epithets for Christ with which the hymn began. He is in a most concrete sense, peace, light, life, and truth, revealed, it is true, in the great events of the past which are commemorated during the Epiphany season, but also in a medium even more immediate to Ambrose’s congregation, the sacraments, themselves epiphanic miracles of the highest order“. 235 Magistretti, Manuale II 84-92. 236 Vgl. Kap. A 5.1. <?page no="218"?> 206 hen natürlich von der der weihnachtlichen Liturgie eigenen Messe in nocte sancta: Erste Vesper Vigil (infra Vesperas) mit abschließender Messe Matutin/ Laudes Festmesse Zweite Vesper Ebenso wie Intende qui regis Israel fungiert Inluminans altissimus als Hymnus der ersten Vesper 237 . Durch seine Entfaltung des dreifachen Festgegenstandes lässt auch er sich gut als thematisch-spirituelle Exposition der Festliturgie verstehen. Bereits sein Incipit bringt das Stichwort inluminatio ins Spiel, das die gesamte Liturgie des Tages wie ein Leitmotiv durchzieht. Im Unterschied zum Weihnachtshymnus findet Inluminans altissimus jedoch noch an einer zweiten Stelle Verwendung, nämlich als Hymnus der Laudes 238 . Den Zeitansatz des Hymnus in den Laudes des Epiphanietages bestätigen mehrere Handschriften aus dem Italien außerhalb Mailands 239 , die für die Vesper bereits die Verdrängung des Hymnus durch Hostis Herodes impie belegen 240 . Für den Kernbestand der Mailänder Liturgie zur Zeit des Ambrosius, dessen Grundstruktur analog zur Weihnachtsliturgie zu rekonstruieren ist 241 (Abendhore - [Vigil? ] - Morgenhore - Messe), ergeben sich grundsätzlich drei denkbare Schlussfolgerungen: a) Der Hymnus wurde schon unter Ambrosius an zwei Stellen des Festoffiziums gebraucht: in der eröffnenden Abendhore sowie zum Abschluss der Morgenhore. b) Ambrosius hatte den Hymnus ursprünglich nur für die Vesper vorgesehen; in die Laudes drang er erst sekundär ein. c) Die umgekehrte Konstellation: Die Morgenhore war der genuine Platz des Hymnus; später trat in Analogie zur Weihnachtsliturgie die Vesper hinzu. Die größte Plausibilität besitzt die erstgenannte Hypothese. Dass analog zu Intende qui regis Israel auch der Epiphaniehymnus von Anfang an in der 237 Magistretti, Manuale II 84f. 238 Ebd. II 90. 239 Vgl. Jullien, Tradition 534. Es handelt sich um die folgenden Manuskripte aus dem elften und frühen zwölften Jahrhundert: If (Bobbio), Ig (Farfa), Ik (Benevent, wahrscheinlich die Kopie einer Handschrift aus Monte Cassino), Il (Benevent) und Iq (Monte Cassino); zu den Hss. vgl. Jullien, Sources 114f.119-123. Die Zisterzienser übernahmen den Hymnus an beiden Stellen (Vesper und Laudes) sowohl am Festtag als auch in der Oktav (vgl. Waddell, Cistercian Hymnal 79). 240 Vgl. die Tabelle in Jullien, Sources 170f. Zur Ersetzung des Hymnus durch Hostis Herodes impie im ‘Neuen Hymnar’ vgl. auch Kap. 1.1. Umgekehrt scheint in der mozarabischen Liturgie Inluminans altissimus seinen Platz in der Vesper noch behauptet zu haben, als Hostis Herodes impie bereits im morgendlichen Offizium gesungen wurde (vgl. die Handschriften des 9./ 10. Jh. aus Toledo, die Randel [Index 383.385] aufführt). 241 Vgl. Kap. A 5.1. <?page no="219"?> 207 Vesper als geistliches Portal zur Festliturgie gedient haben könnte, erscheint naheliegend. Im vorliegenden Fall lässt sich diese Vermutung allerdings nicht direkt durch den Text des folgenden responsorium post hymnum erhärten, da hier anders als an Weihnachten nicht der Text des Hymnus aufgegriffen wird, was dort den Schluss erlaubte, dass der Hymnus bereits zu einem frühen Zeitpunkt eine prägende Kraft auf die Ausgestaltung der Hore ausübte 242 . Darauf, dass auch die Verwendung des Hymnus im Schlussteil der Morgenhore ursprünglich ist, deuten zwei Beobachtungen hin. Zum einen besitzen die erste und die dritte Strophe von Inluminans altissimus thematische und motivische Berührungspunkte mit dem normalerweise für diese Stelle vorgesehenen Hymnus Splendor paternae gloriae. Ähnlich wie bei Intende qui regis Israel und Deus creator omnium 243 könnte es sich dabei um eine bewusst geschaffene Anknüpfung handeln, die einzelne Elemente, die aus dem alltäglichen Hymnus vertraut sind, aufgreift und in festspezifischer Weise zuspitzt. Splendor paternae gloriae, Str. 1-2 244 : Inluminans altissimus, Str.1 u. 3: Splendor paternae gloriae, Inluminans altissimus de luce lucem proferens, micantium astrorum globos, lux lucis et fons luminis, pax, vita, lumen, veritas, dies dierum inluminans, Iesu, fave precantibus. … verusque sol, inlabere, seu stella partum virginis micans nitore perpeti; caelo micans signaveris iubarque Sancti Spiritus et hoc adoratum die infunde nostris sensibus. praesepe magos duxeris Das tagzeitenspezifische Lob Christi als strahlende Quelle des Lichts erfährt unter dem Einfluss des Festmysteriums (die Erscheinung Gottes in der Welt als das Aufscheinen der Gottheit Jesu Christi) eine besondere Akzentuierung im Sinne des Epiphaniemotivs. Ein weiterer Umstand spricht für den genuinen Einsatz des Hymnus in der Morgenhore. Wie in der Einzelauslegung gezeigt werden konnte, ist die zweite Hälfte des Hymnus und hier insbesondere die Behandlung der Brotvermehrung durch eine eucharistische Sinnebene bestimmt, die die Eucharistie als Modus der fortgesetzten Epiphanie Gottes in der Welt ausweist 245 . Insofern bietet der Hymnus am Schluss der Morgenhore eine Überleitung zur Eucharistiefeier in der folgenden Messe 246 und deutet diese zugleich im Licht des gegenwärtigen Festes. 242 Vgl. S. 134. 243 Vgl. dazu S. 135. 244 Perrin 185. 245 Vgl. v. a. Kapp. 3.2 und 3.3. 246 Im Normalfall scheint die Mailänder Gemeinde zur Zeit des Ambrosius die Eucharistie am Mittag gefeiert zu haben (vgl. Schmitz, Gottesdienst 240-244). An Festtagen erscheint jedoch - entsprechend der zur Zeit des Ambrosius verbreiteten Praxis für die Sonn- und Festtage (vgl. Jungmann, Missarum Sollemnia I 323; Meyer, Eucharistie <?page no="220"?> 208 Auffällig ist, dass die Orationen der hochmittelalterlichen Epiphanie- Laudes 247 Dubletten zu den Orationen der Vesper und der Vigil darstellen. Könnte man vor diesem Hintergrund nicht doch versucht sein zu vermuten, dass sowohl die Orationen als auch der Hymnus nachträglich in die Morgenhore ‘einkopiert’ wurden? Generell ist zu sagen, dass die Mailänder Epiphanie-Liturgie ein uneinheitliches Bild aufweist: Die Responsorien, Antiphonen und Orationen des Stundengebets zeigen eine deutlichere Konzentration auf das Thema ‘Anbetung der Magier’ als der Hymnus und die Formulare der Vigil- und Tagesmesse. Es entsteht der Eindruck einer nachträglichen Beeinflussung der Mailänder Liturgie, deren ursprüngliche Sicht auf das Epiphaniemysterium in seiner dreifachen biblischen Gestalt etwa der Hymnus Inluminans altissimus bewahrt hat, durch die römische Festauffassung mit ihrer einseitigen Betonung der Anbetung der Magier 248 . In diesem Zuge könnten auch alte Laudes-Orationen anderen Inhalts verdrängt worden sein. Eine nachträgliche Einfügung des Hymnus in die Laudes passt jedoch nicht in dieses Konzept und erscheint daher unwahrscheinlich. Im Ergebnis gehen wir also davon aus, dass Inluminans altissimus anders als der Weihnachtshymnus schon zur Zeit des Ambrosius an zwei Stellen der Festliturgie gesungen wurde: Weihnachten Epiphanie Abendhore Intende qui regis Israel Inluminans altissimus [Vigil ? ] Morgenhore Aeterne rerum conditor Splendor paternae gloriae Aeterne rerum conditor Inluminans altissimus Messe Wie an anderer Stelle bereits erörtert, schied der Hymnus, der in Spätantike und frühem Mittelalter eine weite Verbreitung genossen hatte, mit dem Übergang zum ‘Neuen Hymnar’ im neunten Jahrhundert aus dem Haupt- 513f.) - auch die Feier am Morgen denkbar (vgl. Cattaneo, Breviario ambrosiano 213; Franz, Tageslauf 468), zumal falls eine Vigil vorangegangen sein sollte. Wenn die Messe zumindest an Werktagen erst um die Mittagszeit stattfand, so mag dies praktische Gründe gehabt haben (etwa im Blick auf die Arbeit, der die Gemeindemitglieder nachgingen). 247 Magistretti, Manuale II 90. 248 Dieser Prozess machte offenbar auch vor der Leseordnung der Messen nicht Halt. So folgen die Lesungen der Tagesmesse, wie sie im Manuale sowie im Sakramentar von Biasca überliefert sind, dem römischen Brauch: Is 60,1-7 - Tit 2,11-3,2 (die römische Epistel der nächtlichen Weihnachtsmesse) - Mt 2,1-12. Darauf, dass das Evangelium von der Anbetung der Magier an dieser Stelle möglicherweise nicht ursprünglich ist, deutet vor allem die ganz der Taufe Jesu gewidmete Präfation hin (vgl. dazu Kap. A 1.2). Die Taufperikope (Mt 3,13-17) könnte also das genuine Mailänder Festevangelium gewesen und erst nachträglich in die Vigil verschoben worden sein, wo die hochmittelalterlichen Quellen sie ansiedeln. Dort hätte sie wiederum das Evangelium von der Hochzeit von Kana (Io 2) verdrängt, das das den vorkarolingischen Zustand der Liturgie repräsentierende Capitulare Evangeliorum von Busto Arsizio als Evangelium der Vigil angibt (Borella 212). <?page no="221"?> 209 strom der Überlieferung aus 249 und konnte sich infolgedessen dauerhaft nur in Mailand und bei den Zisterziensern halten 250 . Da der Hymnus im Spätmittelalter abgesehen von den genannten Traditionen nicht mehr in Gebrauch war, ging er weder ins Breviarium Romanum (1568) noch ins volkssprachige Kirchenlied ein 251 . 4.2 Die Melodie des Hymnus Wie bei Intende qui regis Israel ist die älteste überlieferte Quelle für die Mailänder Melodie zu Inluminans altissimus das ambrosianische Graduale und Antiphonar London, British Museum Add. 34209 (12. Jahrhundert) 252 . Neben dieser Melodie, die auch außerhalb Mailands rezipiert 253 und unter anderem in das zisterziensische Hymnar übernommen wurde 254 , findet sich der Hymnus entsprechend der allgemeinen Praxis auch in Verbindung mit anderen Weisen 255 . 249 Vgl. Kap. 1.1. Dort in Anm. 12 (S. 150) wurde auch auf ein Beispiel hingewiesen, wie frühe Handschriften des ‘Neuen Hymnars’ ausgeschiedene Hymnen, hier Inluminans altissimus, an neuen liturgischen Orten (in diesem Fall: Vesper der Epiphanie-Oktav) bewahrten. 250 Vgl. die spärlichen Belege in RH 1, 503 und RH 3, 287. Hier finden sich auch späte Textvarianten zu Vers 1,2 nachgewiesen, die offenkundig hoch- und spätmittelalterliche Versuche darstellen, den Vers - nachdem man die Elision nicht mehr übte - aus musikalischen Gründen wieder auf acht Silben zu reduzieren: poli nitentis sidera; globos micantes siderum; micantis aetheris globos. 251 Auch Übersetzungen in Anthologien sind rar: Zabuesnig, Kirchengesänge 3,264f.; Pachtler, Hymnen. 252 Fol. 54v. Die Transkription ist aus ‘Paléographie musicale’, Nr. 6 entnommen (S. 121; vgl. auch den Faksimiledruck: ebd., Nr. 5, p. 108); vgl. auch die Editionen Waddells (CLS 2,88) und Garbagnatis (Inni 47-49; mit Angabe von melodischen Varianten). 253 Vgl. Huglo, Fonti 93.99; Waddell, Cistercian Hymnal 80. 254 Vgl. CLS 2,89; Waddell, Cistercian Hymnal 80f.; Stäblein, Hymnenmelodien 31 (Melodie 26 2 ). 255 Vgl. die Verweise bei Stäblein, Hymnenmelodien 670. <?page no="223"?> 211 C Hic est dies verus Dei 1. Text und Überlieferung des Hymnus 1.1 Die Überlieferung Hic est dies verus Dei ist in 13 Handschriften aus dem für die Edition Jacques Fontaines maßgeblichen Zeitraum (bis einschließlich des zehnten Jahrhunderts) überliefert. Neben den Handschriften Ma, Mb, Mc, Fa, Ie, Aa, Ad, Ae und Me, die auch Intende qui regis Israel enthalten und in diesem Zusammenhang bereits vorgestellt wurden 1 , handelt es sich dabei um die folgenden Manuskripte: Kürzel Name; Kurzbeschreibung mit Datierung nach Jullien Mearns/ Walpole Hymnare vom Typ ‘Fränkisches Hymnar’ 2 Fb Paris, Bibliothèque nationale, lat. 528; Schulhandschrift F.B / F vom Anfang des 9. Jh.s aus Saint-Denis; enthält neben diversen anderen liturgischen und patristischen Texten ein benediktinisches Hymnar Sa Oxford, Bodleian Library, Junius 25 (SC 5137); Schulbuch G.D / Eo aus Murbach am Oberrhein; enthält neben diversen patristischen Texten ein benediktinisches Hymnar aus dem Anfang des 9. Jh.s mit alemannischer Interlinearübersetzung Mailänder Manuale Md Mailand, Biblioteca Ambrosiana, A 246 sussidio; Manuale I.A / - aus dem 10. oder 11. Jh. für die Basilika St. Stephanus in Mailand 3 ‘Liber misticus’ der spanischen Liturgie Ec Toledo, Biblioteca capitular, 35-5; liturgische Mischhand- - / - schrift mit Texten der Mess- und Tagzeitenliturgie aus dem 10. und 11. Jh.; entstanden in Toledo 4 Der Hymnus Hic est dies verus Dei erweist sich abgesehen von seiner konstanten Präsenz in der Mailänder Tradition 5 als fester Bestandteil des von Helmut Gneuss rekonstruierten ‘Alten Hymnars’ (AHy) und seiner Fort- 1 Vgl. Kap. A 2.1. 2 Zu den Handschriften vgl. Jullien, Sources 88f. (mit weiterführender Literatur). 3 Zu der Handschrift vgl. ebd. 141 (mit weiterführender Literatur). 4 Zu der Handschrift vgl. ebd. 145 (mit weiterführender Literatur). 5 Vgl. dazu Kap. 2.1. <?page no="224"?> 212 entwicklung, des ‘Fränkischen Hymnars’ 6 . Die frühesten ausdrücklichen Belege für die liturgische Nutzung des Hymnus liegen in den Klosterregeln des Caesarius und Aurelianus von Arles vor 7 . Im neunten und zehnten Jahrhundert wird das ‘Alte Hymnar’ flächendeckend vom so genannten ‘Neuen Hymnar’ (NHy) abgelöst. Signifikant für diese Entwicklung ist „die allmähliche, systematische Erweiterung des Hymnenbestandes - wobei vor allem neue Hymnen für Kirchen- und Heiligenfeste dazutreten -, und das Festhalten an einer Anzahl von Stücken des AHy, die allerdings nicht zum dauernden Bestand des NHy gehören und nach und nach daraus verschwinden“ 8 . Von diesem Prozess ist auch Hic est dies verus Dei betroffen. Bezeichnend ist etwa, dass der Hymnus in Aa, einem frühen Vertreter des ‘Neuen Hymnars’, noch enthalten ist, jedoch nachträglich mit dem Zusatz non canitur versehen wurde 9 . Auch musste er seine Melodie an einen anderen Hymnus (Veni creator spiritus) abtreten 10 . Im Grundbestand des ‘Neuen Hymnars’ ist er nicht mehr vertreten, begegnet aber noch in Sondertraditionen, vor allem in Italien 11 , sicher unter dem Einfluss Mailands, in Süddeutschland und der Schweiz 12 und bei den Zisterziensern 13 , deren Hymnenbestand von dem Mailands abhängig ist 14 . Wie zu Intende qui regis Israel 6 Vgl. Gneuss, Geschichte des Hymnars 83 („Anhang I: Der Hymnenbestand des Alten Hymnars und des Fränkischen Hymnars“). Hic est dies verus Dei erscheint hier als Nr. 39 und ist der in allen herangezogenen Quellen und Quellengruppen vertretene Osterhymnus. Die in dieser Tabelle aufgeführten Codices, die Hic est dies verus Dei nicht enthalten (Pc, Rh, Vesp), weisen sämtlich ein stark verstümmeltes Hymnar auf, unter dessen verbleibenden Stücken sich gar kein Osterhymnus findet (vgl. Gneuss, Hymnar 17- 19.21f.); auch die Nichterwähnung bei Beda beeinträchtigt den Befund nicht, da Beda sich nicht systematisch und erschöpfend zu dem ihm bekannten Hymnenbestand äußert. Eine echte Ausnahme bildet allein das Fehlen des Hymnus in Pa, einer Mischhandschrift des 8./ 9. Jh. aus Corbie mit vollständigem Hymnar (zu diesem Manuskript vgl. ebd. 20). 7 Caesarius’ Nonnenregel ist in der Redaktion aus dem Jahr 534 erhalten. Reg. virg. 66 (SC 345,254 Vogüé/ Courreau): Ad lucernarium [sc. primi diei paschae] directaneus brevis et antiphonae tres, hymnus Hic est dies verus dei; quem hymnum totum pascha et ad matutinos et ad vesperam psallere debetis. Aurelianus, zweiter Nachfolger des Caesarius als Bischof von Arles (546-551), verfasste Klosterregeln für die von ihm gegründeten Konvente. Reg. mon. (PL 68,393C): Ad lucernarium [sc. primi diei Paschae] … hymnus: Hic est dies verus Dei, et capitellum; quem hymnum toto Pascha ad matutinos et ad lucernarium dicite. Entsprechend reg. virg. (PL 68,403D). 8 Gneuss, Hymnar 49. 9 Vgl. ebd. 49f. Anm. 27. 10 Vgl. Dreves, Vater des Kirchengesanges 123; Gneuss, Hymnar 51 Anm. 36. Zu der Melodie vgl. Kap. 5.2. 11 Vgl. bei Jullien neben der oben aufgeführten Handschrift Ie noch die aus dem 11. Jh. stammenden Ii, Ij, Ik, Il, In und Iq (Sources 116-123), ferner bei Mearns (Hymnaries XIX) I.1; I.2; I.4; I.5; I.6. 12 Vgl. die oben aufgelisteten Handschriften Aa, Ad und Ae sowie weiter bei Jullien Sf (Sources 152f.) und bei Mearns G.1 (Hymnaries XVI). 13 Vgl. bei Mearns die Handschriften F.4; F.6; G.5; E[=England].2 (ebd. XV.XVII.XII). 14 Vgl. dazu S. 27 Anm. 107. <?page no="225"?> 213 existiert auch zu Hic est dies verus Dei ein Kommentar von Dionysius dem Kartäuser (1402/ 3-1471) 15 . 1.2 Der Text 16 1,1 Hic est dies verus Dei 1,2 sancto serenus lumine, sanctus Fab Ie Sa sereno Fa Ie 1,3 quo diluit sanguis sacer quod Fa 1,4 probrosa mundi crimina, 2,1 fidem refundens perditis perfides Fa 1 perfidis Aade Fa 2 2,2 caecosque visu inluminans. visus Mabcd 2,3 Quem non gravi solvat metu que Ec Fa nos Ec solvit Ec Ie Mabcde, Wal. solvet Fa 2,4 latronis absolutio, praemium…cruce Mabcde, Wal. Iesu…fidem Fa 3,1 qui praemio mutans crucem Iesum…fides Ec Iesum…fidem Ie adquisivit Ae Fab 3,2 Iesum brevi adquisit fide Ie 2 adquisibit Ec adquesivit Aa 1 Ie 1 Sa quaesivit Ad 3,3 iustosque praevio gradu quesivit Aa 2 Mabcde adquisit Wal. quaesiit Sim. quaesit 3,4 praevenit in regno Dei? Bir. iustosque…praevenit Aa 1 de Ec iustusque… praevenit Aa 2 Fab Sa iustosque…pervenit Me iustus- 4,1 Opus stupent et angeli que…pervenit Ie Mabcd regno Fab Sa, Wal. regnum 4,2 poenam videntes corporis cett. opus stupent cett. obstupent Aade Fb Sa hoc 4,3 Christoque adhaerentem reum obstupent Ec et om. Ec videntis Aa corpore Sa 4,4 vitam beatam carpere. Christumque…reo Fb Sa 5,1 Mysterium mirabile, 5,2 ut abluat mundi luem, lucem Fa 5,3 peccata tollat omnium 5,4 carnis vitia mundans caro! 6,1 Quid hoc potest sublimius, potes Ae 6,2 ut culpa quaerat gratiam culpa…gratia Fb Mabc 6,3 metumque solvat caritas 6,4 reddatque mors vitam novam, 7,1 hamum sibi mors devoret 7,2 suisque se nodis liget, se om. Fb leget Fa 7,3 moriatur vita omnium, vita codd. ut vita Wal. 7,4 resurgat ut vita omnium? surgat Aa ut vita Fa, Wal. vita cett. 15 Die Verwendung des Hymnus bei den Kartäusern belegt auch das kartäusische Manuskript aus Mantua (14. Jh.), das Mearns als I.4 führt (Hymnaries XIX). 16 Der Text folgt weitgehend der Edition bei Savon, Hic est dies 415.417. Der positive Apparat Savons wurde aus praktischen Gründen in einen negativen umgewandelt. Die Abkürzungen Bir., Wal. und Sim. stehen für Textentscheidungen Bir(aghi)s, Wal(pole)s und Sim(onetti)s. Die Interpunktion ist nach der hier vorgelegten Interpretation geändert, und auch einige textkritische Entscheidungen sind modifiziert: V. 3,4 regno (Savon: regnum); V. 7,4 resurgat ut vita (Savon: resurgat vita); V. 8,2 resurgunt (Savon: resurgant). Die Begründung erfolgt jeweils an gegebener Stelle im fortlaufenden Kommentar. <?page no="226"?> 214 8,1 Cum mors per omnes transeat, dum Ae 8,2 omnes resurgunt mortui; resurgunt Aad Fb resurgant cett. 8,3 consumpta mors ictu suo 8,4 perisse se solam gemat! sola Aa Fb Ie Mde 2. Zur Echtheit des Hymnus Da in jüngerer Zeit Zweifel an der Autorschaft des Ambrosius für Hic est dies verus Dei laut geworden sind 17 , bedarf es auch in diesem Fall einer Überprüfung der Indizien und Argumente anhand der im Zusammenhang mit Inluminans altissimus vorgestellten Kriteriologie 18 . 2.1 Die Bedingungskriterien Die Tradition der Mailänder Kirche Hic est dies verus Dei gehört vom Beginn der handschriftlichen Überlieferung an (Hymnare Ma, Mb und Mc aus dem letzten Drittel des neunten Jahrhunderts; Manualien Md, Me und Mf aus dem zehnten und elften Jahrhundert) durchgängig zum äußerst stabilen Hymnenbestand der Mailänder Kirche 19 . Die Metrik Der Hymnus ist wie die vier zeitgenössisch bezeugten Hymnen im akatalektischen jambischen Dimeter nach griechischem Muster verfasst (lange Silben in der Senkung prinzipiell nur im ersten und dritten Versfuß). Die insgesamt vier Elisionen 20 gehen nicht über das bei Ambrosius zu Erwartende hinaus 21 . Dreißig Verse sind nach diesem Maßstab ganz und gar regelmäßig gebildet. 17 Die Echtheit des Hymnus (oder zumindest seines Schlusses) wurde - abgesehen von der ‘Ebertschen Erblehre’ (vgl. dazu S. 44f. m. Anm. 197) - erstmals ernsthaft angezweifelt von Fontaine (Introduction 100f.) und Savon (Hic est dies 407-413). Die traditionelle Zuschreibung an Ambrosius wird vertreten bei Mone, Hymnen 223; Biraghi, Inni sinceri 67f.; Dreves, Vater des Kirchengesanges 70f.; Steier, Echtheit 617-622; Walpole, Hymns 77f.; Del Ton, Poesia 167f.; Faller, Ambrogio 998 („probabilmente“); Simonetti, Studi 400f.; Raby, History 33f.; Bulst, Hymni 9; Szövérffy, Annalen 50; St. Laurent, Contribution 137-141; Bernt, Paschahymnus 513-515; Bonato, Inni 222-225; Banterle, Introduzione 13. Pasini (Inni 223) hält die Verfasserschaft des Ambrosius zumindest für möglich. 18 Vgl. Kap. A 1.4.1. 19 Zu den Handschriften vgl. die Kap. A 2.1 und C 1.1. Der Hymnus ist außerdem in allen Manuskripten aus dem 12. bis 15. Jahrhundert enthalten, die Dreves (Vater des Kirchengesanges 18-25) aufführt. Er fehlt lediglich im Codex Ambrosianus J 27 sup., einem Manuale aus dem Jahr 1193, weil es nur den Winterteil der Offizien enthält (ebd. 22), im Codex Ambrosianus Y 10 sup., einem Psalterium des 14./ 15. Jh., das nur die hymni diurni bietet, sowie im stark verstümmelten Codex Capituli Modoetiaci C 14./ 121, einem aufgrund seiner Beschädigung kurz nach dem Beginn der hymni festivi abbrechenden Breviarium aus dem 11. Jh. (ebd. 25). 20 V. 2,2: caecosque visu inluminans; V. 3,2: Iesum brevi adquisit fide; V. 4,3: Christoque adhaerentem reum; V. 7,4: resurgat ut vita omnium. <?page no="227"?> 215 Auffälligkeiten sind allein in den Versen 5,4 und 7,3 zu konstatieren. Dabei bewegt sich die Ersetzung eines Jambus durch einen Tribrachys in Vers 5,4 (vitia) im Rahmen der allgemeinen Lizenzen 22 , wenn auch die Position im üblicherweise jambisch gestalteten zweiten Versfuß bemerkenswert bleibt. Das Gleiche gilt für den Spondeus im zweiten Fuß des Verses 7,3 (moriatur vita) 23 , während der Anapäst im ersten Versfuß den Regeln des jambischen Dimeters gehorcht 24 . Hinzu tritt im dritten Versfuß ein Hiat (vita omnium). An metrischen Verstößen bleiben also die zweimalige Platzierung einer an sich erlaubten Ersetzung im zweiten Versfuß und ein Hiat 25 . Daraus schließen zu wollen, der Hymnus genüge dem metrischen Bedingungskriterium nicht, käme einem groben Missverständnis dieses Kriteriums gleich, das in erster Linie dazu dient, metrische von akzentrhythmischen Dichtungen zu unterscheiden. Es kann jedoch nicht dazu herangezogen werden, aus der Tatsache, dass 3 der 258 Silben unseres Hymnus unregelmäßig gebildet sind, weitreichende Folgerungen abzuleiten. Dabei spielt es eine untergeordnete Rolle, ob das jeweilige Phänomen sich zufällig auch in den vier unbezweifelten Hymnen nachweisen lässt 26 , wenn man bedenkt, dass auch bei den augusteischen Klassikern metrische Unregelmäßigkeiten vorkommen 27 . Die Acht-Strophigkeit Das Bauprinzip des Hymnus weist die üblichen acht Strophen aus je vier jambischen Dimetern auf. Die gelegentlich in späteren Quellen begegnende 21 Vgl. Kap. A 1.4.2. 22 Vgl. Crusius, Metrik § 35.A. Dreves (Vater des Kirchengesanges 258 Anm. 2) und Steier (Echtheit 648) gehen stattdessen von Synizese aus. 23 Dreves (ebd. 70) schlägt im Anschluss an Biraghi (Inni sinceri 67) folgende Lösung vor: „Allein da der Buchstabe V ebensowohl Mitals auch Selbstlauter ist, verbietet nichts die Annahme, daß Ambrosius sich berechtigt glaubte, ihn in Rücksicht auf die Positionslänge als Vokal behandeln zu dürfen.“ Allerdings wäre auch damit kein Jambus gewonnen. 24 Vgl. auch Vers 5,3 des unzweifelhaft echten Hymnus Intende qui regis Israel: geminae gigans substantiae. 25 Der Hiat könnte hier sogar bewusst eingesetzt sein, um die paradoxe Aussage zu akzentuieren: vgl. Kap. 4.3.9. 26 So bemerkt zum Hiat zutreffend Steier, Echtheit 647: „Für den Hiatus bieten die Hymnen der Gruppe A [= die zeitgenössisch bezeugten Hymnen] nur eine Stelle, hymn. III [Deus creator omnium] 7,3: ne hostis, was alle Handschriften außer der ältesten Vat. Reg. 11 lesen. Die Lesart der letzteren Handschrift ‘nec hostis’ hat Biraghi in seinen Text aufgenommen, wohl deshalb, weil sie dem Sinne der Stelle besser entspricht. Dadurch ist der Hiatus in den Hymnen der Gruppe A beseitigt, ohne daß damit das Gesetz aufgestellt werden dürfte, Ambrosius habe den Hiatus überhaupt vermieden.“ Vgl. Dreves, Vater des Kirchengesanges 47: „In keinem Falle aber gibt die Abwesenheit des Hiatus aus diesen vier Liedern uns das Recht, zu behaupten, Ambrosius habe sich denselben, strenger als selbst Virgil und Horaz, überhaupt nie gestattet, und ein vereinzelter Hiatus genüge, um ein Lied ihm abzusprechen.“ 27 Um beim Hiat zu bleiben, vgl. zu seinem Vorkommen in der klassischen Dichtung Crusius, Metrik § 19.B. <?page no="228"?> 216 Doxologiestrophe ist sekundär. Es handelt sich um keine exklusiv mit Hic est dies verus Dei verbundene Doxologie, sondern um eine im zweiten Vers an den österlichen Anlass angepasste Standarddoxologie für die Weihnachts- und Osterzeit 28 . Ihr Text erinnert nicht im Entferntesten an das Versmaß des Hymnus: Gloria tibi, Domine, / qui surrexisti a mortuis, / cum Patre et sancto Spiritu / in sempiterna saecula 29 . 2.2 Die Plausibilitätsargumente Die literarischen Plausibilitätsargumente August Steier, der seine Untersuchung veröffentlichte ein Jahr, bevor das unten zu erörternde Zeugnis des Caesarius von Arles erstmals ediert wurde 30 , argumentierte noch auf folgender Basis: „Nachdem also kein sicheres Zeugnis für die Autorschaft des Ambrosius vorliegt, kann sich der Echtheitsbeweis nur auf die Sprache des Hymnus stützen“ 31 . Seine Ergebnisse werden hier nicht im Detail behandelt, um dem fortlaufenden Kommentar nicht vorzugreifen. Insgesamt führt Steier für 21 Wendungen aus dem Hymnus Parallelen aus den Prosaschriften des Ambrosius an, wobei auf die Vergleichbarkeit des Kontexts geachtet wird 32 . Darüber hinaus verweist er auf zwei in für Ambrosius charakteristischer Weise variierte Bibelzitate 33 sowie auf die Fragewendung und die Antithese als beim Autor beliebte Stilmittel 34 . Es ließe sich sicherlich einwenden, dass nicht jede von Steier herangezogene Parallele für sich genommen den gleichen argumentativen Wert hat, da die Wendungen in unterschiedlichem Maße spezifisch sind. In Kombination jedoch ergibt sich ein durchaus beeindruckender Befund. Auch Manlio Simonettis am usus scribendi der zeitgenössisch bezeugten Hymnen orientierte Untersuchung führt ihn zum Ergebnis einer völligen Übereinstimmung von Hic est dies verus Dei mit den dort beobachteten Tendenzen 35 : In jeder Strophe entdeckt er das typische Wechselspiel von concin- 28 Vgl. dazu Moberg, Hymnen 35f. 29 Der Text ist zitiert nach Hinkmar von Reims, De una et non trina deitate 18 (PL 125,611D). 30 Vgl. dazu Kap. 2.3. 31 Steier, Echtheit 617. 32 Vgl. ebd. 617-622. Es handelt sich um die folgenden Ausdrücke: lumen (für Christus), diluere crimina, caecos illuminare, latronis absolutio, praemium (für die Begnadigung des Schächers), brevis fides, praevius, iustus (als Bezeichnung des Schächers), regnum, stupere aliquid, reus (in der Bedeutung ‘Sünder’), Christo adhaerere, vitam carpere, lues (in übertragener Bedeutung), carnis vitia, mundare (für den Vorgang der Erlösung), caro (sc. Christi), culpa/ gratia, caritas (für Christus), hamum devorare, nodis ligare. 33 Vgl. ebd. 617f. (bezogen auf Vers 1,1 als Zitat von Ps 117[118],24) und 620 mit 568f. (bezogen auf Vers 5,3 als Zitat von Io 1,29) sowie zusammenfassend 622. 34 Vgl. ebd. 621. 35 Simonetti, Studi 401: „Quando avremo osservato che nulla in questo inno contrasta con le altre tendenze predilette da Ambrogio, non credo che possa sussistere alcun dubbio sull’autenticità di questa composizione.“ <?page no="229"?> 217 nitas und variatio, von Symmetrie und Antithese 36 . Damit benennt er ohne Zweifel ein markantes Merkmal der Hymnendichtung des Ambrosius, das freilich auch einen Nachahmer inspiriert haben könnte. Mit den anderen Indizien zusammen gesehen gewinnt Simonettis Ansatz gleichwohl Gewicht. Das liturgische Plausibilitätsargument Was für Inluminans altissimus und das Epiphaniefest galt 37 , gilt für Hic est dies verus Dei angesichts des schlechthin fundamentalen Ranges der Osterfeier umso mehr: Es ist „nach allem, was wir über das liturgische Wirken des Bischofs wissen, unwahrscheinlich“ 38 , dass Ambrosius zwar für sämtliche Tageszeiten und für das Weihnachtsfest - wir können ergänzen: auch für Epiphanie - Hymnen gedichtet, ausgerechnet das Osterfest als das zentrale christliche Fest aber übergangen haben sollte. Insbesondere wenn man bedenkt, dass die Einführung der Hymnen in den gottesdienstlichen Gebrauch der Mailänder Kathedralliturgie sich im Vorfeld des Osterfestes 386 vollzog 39 , erscheint es plausibel, davon auszugehen, Hic est dies verus Dei sei einer der ersten Hymnen gewesen, die der Gemeinde ‘Trost und Aufmunterung’ 40 spendeten 41 . 2.3 Das Zeugnis des Caesarius von Arles Das älteste Zeugnis für die Autorschaft des Ambrosius steht in Zusammenhang mit den Akten des Zweiten Konzils von Orange, das am 3. Juli 529 stattfand. Bischof Caesarius von Arles hatte die Konzilsbeschlüsse zur Bestätigung durch Papst Felix IV. nach Rom geschickt. Nach dessen Tod verfasste der neue Papst Bonifatius II. am 25. Januar 531 das Antwortschreiben. Neben diesem Brief und einer kleinen Vorrede fügte Caesarius den Konzilsakten eine Liste mit Kirchenväterzitaten bei, die die Position des Konzils de gratia et libero arbitrio in der Autorität der kirchlichen Tradition verankern sollte 42 . Im zweiten Kapitel dieser Sententiae sanctorum Patrum heißt es nun (CChr.SL 148A,70 De Clercq): 36 Vgl. ebd. 400f. Simonettis Einzelbeobachtungen werden an je gegebener Stelle im Kommentarteil behandelt. 37 Vgl. Kap. A 1.4.3. 38 Franz, Tageslauf 147. 39 Vgl. S. 29. 40 Vgl. Aug. conf. 9,7,15 (Skutella/ Schaub/ Jürgens 191). 41 Für das von Franz außerdem betonte Fehlen eines Osterhymnus des Ennodius gilt der im Zusammenhang mit Inluminans altissimus formulierte Vorbehalt (vgl. S. 52): Hieraus lässt sich nur schließen, dass Hic est dies verus Dei um das Jahr 500 bereits in Gebrauch war. 42 Der Brief Bonifatius’ II. ist in zwei der acht Handschriften der Konzilsakten erhalten - vgl. die Liste in CC 148A,53f., in einer davon auch die praefatio des Caesarius, die die Florilegienliste mit folgenden Worten ankündigt: Continentur etiam in hoc codice sanctorum antiquorum patrum sententiae (ebd. 69). Die Liste selbst fehlt hier jedoch; eine Abschrift von ihr aus dem 8. oder 9. Jh. wurde erst 1904 von Morin aus einem Wiener Pa- <?page no="230"?> 218 Nam quod fidem non de libero arbitrio sed de Dei gratia habeamus, probat sanctus Ambrosius, dicens in ymno paschali: Fidem refundens perditis, / Caecosque visu inluminans. Fidem utique, quam Adam peccando fuderat, Christus miserando refudit. Damit werden die Verse 2,1f. des Hymnus Hic est dies verus Dei als Beleg für die Auffassung vom Glauben als Gnadengabe herangezogen. Um die Bedeutung dieses Zeugnisses angemessen würdigen zu können, muss sein Kontext beachtet werden, insbesondere die Funktion des Textcorpus, zu dem es gehört. Die Zitatliste dient, wie bereits bemerkt, der autoritativen Bekräftigung der inhaltlichen Aussagen des Konzils 43 . Im Sinne dieser Absicht wird nur auf Zitate besonders hochkarätiger Autoren zurückgegriffen: Neben Ambrosius begegnen Augustinus und Hieronymus 44 . Das Hymnenzitat kann in dieser Zusammenstellung seinen argumentativen Zweck nur erfüllen, namentlich die dafür erforderliche Glaubwürdigkeit nur erzielen, wenn der Autor von der Urheberschaft des Ambrosius selbst unbedingt überzeugt ist und dies auch bei seinen Lesern unzweifelhaft voraussetzen kann 45 . Dies gilt umso mehr, als es sich um das einzige Ambrosiuszitat handelt, die Inanspruchnahme dieses Kirchenvaters also allein auf ihm ruht. Eine falsche oder auch nur unsichere Zuschreibung würde die Seriosität der Argumentation nachhaltig beeinträchtigen. Erhält das Zeugnis auf diese Weise ein besonderes Gewicht, so könnte zugleich der zeitliche Abstand von immerhin 134 Jahren zum Tode des Ambrosius Misstrauen erregen 46 , zumal angesichts des zunehmenden Verwischens der Trennlinie zwischen echten Ambrosiushymnen und sich an diesen orientierenden Imitaten. Dass es jedoch nicht statthaft ist zu unterstellen, bereits Caesarius habe auf keinen Fall mehr zwischen echten Hymnen des Ambrosius und anderen unterscheiden können, beweist ein Blick auf seinen Zeitgenossen Benedikt von Nursia: In der Benediktsregel wird, wie bereits gesehen, terminologisch präzise zwischen echten Hymnen des Ambrosius (ambrosianum) und anderen Liedern (hymnus) unterschielimpsest ediert (= Morin, Travail inédit). Aus diesem Grunde wurde das Zeugnis von den älteren Forschern in der Echtheitsfrage nicht herangezogen: Sie kannten es noch nicht. Folglich wurde Hinkmar von Reims als der älteste - aber doch späte und in der Zuweisung der Hymnen bisweilen irrende - Zeuge vorgestellt (in De una et non trina deitate 18 wird die sekundäre Doxologie des Hymnus zitiert): vgl. etwa Dreves, Vater des Kirchengesanges 70; Steier, Echtheit 617. Doch auch nach der Edition Morins fand das Zeugnis der Konzilsunterlagen nicht überall Beachtung, so weder bei Walpole (Hymns 77) noch bei Simonetti (Studi 400). 43 Caesarius formuliert dies in der Einleitung zu den Sententiae so: qui forte hucusque plus quam oportuit incaute et simpliciter credidit, ad tantorum patrum regulam animum suum inclinare et adcommodare non dubitet (CChr.SL 148A,70 De Clercq). 44 Augustinus: Kapitel 1.3-4; Hieronymus: Kapitel 5-17. 45 Dieser Zusammenhang ist, ohne methodisch ausgewertet zu werden, prinzipiell erkannt bei Savon, Hic est dies 409: „Il prouve que, dans la première moitié du VI e siècle, l’attribution de l’hymne Hic est dies à Ambroise semble assez solide pour qu’on puisse en faire état dans un débat doctrinal.“ 46 Vgl. etwa Savon (ebd.) direkt im Anschluss an den in der vorigen Fußnote zitierten Gedanken. <?page no="231"?> 219 den 47 . Diese Feststellung kann das Vertrauen auf die mögliche Glaubwürdigkeit des Zeugnisses des etwa zeitgleich schreibenden Caesarius nur bestärken 48 . 2.4 Zu den Argumenten gegen die Echtheit des Hymnus „Lediglich von den Autoren, die, sicher zu Unrecht, nur die vier oder fünf Stücke mit ältester Bezeugung als echt ansehen wollten, wird in Frage gestellt, daß Hic est dies verus Dei eine Dichtung des Ambrosius sei.“ 49 Mit diesen Worten konnte Günter Bernt 1983 seine Übersicht zur Echtheitsfrage abschließen und den Zweifel an der Authentizität des Paschahymnus als überholte Größe der Vergangenheit darstellen. Doch inzwischen hat sich die Lage mit dem Erscheinen des von Jacques Fontaine herausgegebenen Kommentarbandes zu den Hymnen des Ambrosius aus dem Jahre 1992 grundlegend verändert. Fontaine selbst zählt Hic est dies verus Dei zu den wahrscheinlich unechten Hymnen 50 ; seine Systematik einer vierfach gestuften Wahrscheinlichkeit hat bereits als Handbuchwissen Karriere gemacht, wobei aus ‘wahrscheinlich unecht’ „nicht authentisch“ wurde 51 . Auch Hervé Savon, der Kommentator unseres Hymnus in Fontaines Band, trägt hinsichtlich dessen Echtheit gravierende Bedenken. Da, soweit erkennbar, Fontaine und vor allem Savon in dieser Frage erstmals eine eigentliche Begründung vorgelegt haben, muss auf diese hier detailliert eingegangen werden. Im Einzelnen lassen sich fünf Argumente ausmachen: a) Strophe 2 weise einen untypischen Sinneinschnitt in der Strophenmitte auf, während Ambrosius sonst wesentliche Zäsuren stets zwischen Strophen setze 52 . b) Nach dem Höhepunkt in Vers 6,4 folge nicht wie in den zeitgenössisch bezeugten Hymnen in Gestalt eines Gebets oder eines Bekenntnisses die Rückkehr zur göttlichen Sphäre, vielmehr ein Rückblick auf den Todes- 47 Vgl. S. 45f. 48 In seiner eigenen Klosterregel gibt Caesarius die Verfasser der vorgesehen Hymnen nicht an; zu Hic est dies verus Dei in dieser Regel vgl. S. 212 Anm. 7 und S. 302f. 49 Bernt, Paschahymnus 515. 50 Fontaine, Introduction 100: „trois pièces qui ne sont probablement pas d’Ambroise“. 51 Markschies, Ambrosius 25. Seine Gruppierung der Hymnen entspricht exakt derjenigen Fontaines; zu deren Bewertung vgl. oben S. 45 Anm. 197. Dass Markschies kommentarlos von der zurückhaltenderen Formulierung Fontaines abrückt, wird der Forschungslage nicht gerecht. 52 Savon, Hic est dies 411: „Ambroise semble avoir évité soigneusement, comme un facteur de confusion, toute pause majeur intervenant au milieu d’une strophe.“ Fontaines Bemerkung zum Aufbau des Hymnus (Introduction 101): „Quadripartition, avec quelques dissymétries entre les deux premières parties“, scheint in dieselbe Richtung zu zielen. <?page no="232"?> 220 kampf des Todes 53 , dessen „subtilités baroques“ nicht mit der „grandeur spirituelle“ des Schächerabschnitts in Einklang stünden 54 . c) Das von Simonetti beschriebene Geflecht von concinnitas und variatio sei streckenweise, besonders in den Strophen 2 und 7, nicht sehr ausgeprägt 55 . d) Die Metrik weise schwerwiegende Unregelmäßigkeiten auf 56 . e) Savon sieht bei vier Themen eine gedankliche Nähe zu Predigten des fünften Jahrhunderts: „la manière dont le thème du bon larron est associé au mystère pascal, le motif de l’hameçon, l’importance donnée au personnage de la mort, et la verve pittoresque avec laquelle sont présentés les déboires de celle-ci“ 57 . Aufgrund der Beobachtung, dass die Auffälligkeiten in besonderem Maße mit den letzten beiden Strophen verbunden sind, möchte Savon ausgehend vom Zeugnis des Caesarius und der stilistischen Qualität der ersten sechs Strophen nicht ausschließen, dass diese tatsächlich von Ambrosius verfasst sind - der Einschnitt in Strophe 2 erschiene dann als eine einmalige Nachlässigkeit; die Schlussstrophen wären nachträglich verändert worden 58 . Für wahrscheinlicher hält Savon jedoch die Option, der ganze Hymnus sei unecht, „l’œuvre d’un homme cultivé, ne manquant pas de dons littéraires, connaissant bien l’œuvre d’Ambroise et ayant partiellement assimilé sa technique poétique, mais qui serait le contemporain d’un Pierre Chrysologue, voire d’un Fauste de Riez.“ 59 Erwiesen sich die von Fontaine und Savon referierten Thesen als stichhaltig, wäre die gesamte oben entwickelte Plausibilitätsargumentation hinfällig. Jede einzelne Beobachtung muss daher kritisch gewürdigt werden. Ad a): Es ist Savon zuzugeben, dass sich in den von Zeitgenossen bezeugten Hymnen kein weiteres Beispiel für das Ende eines längeren Satzes in der Strophenmitte findet 60 . Doch dürfte dieser statistische Befund alleine nicht hinreichend sein, um ein solches für die Dichtungen des Ambrosius prinzipiell auszuschließen. Es bedürfte einer zusätzlichen Begründung; tatsächlich deutet Savon ein derartiges Argument an, wenn er vermutet, Ambrosius habe vermeiden wollen, einen „facteur de confusion“ zu erzeugen. Leider bleibt offen, an welche Art von Verwirrung gedacht ist. Eine inhaltliche Konfusion durch den Beginn des neuen Satzes mitten im melodischen Duk- 53 Vgl. Savon, Hic est dies 411.408. 54 Fontaine, Introduction 101. 55 Vgl. Savon, Hic est dies 411f. 56 Vgl. Fontaine, Introduction 86, und Savon, Hic est dies 412. Die Autoren gehen in Strophe 7 vom Text moriatur vita omnium, resurgat vita omnium aus und stellen damit zwei Spondeen im zweiten Versfuß und zwei Hiate fest. 57 Savon, Hic est dies 412. 58 Savon, ebd. 59 Savon, ebd. 413. 60 Vgl. jedoch die Strophen 4 und 5 des Epiphaniehymnus Inluminans altissimus. <?page no="233"?> 221 tus der Strophe ist im vorliegenden Fall ausgeschlossen, da es sich nicht um einen harten Bruch handelt, sondern das Einzelbeispiel des guten Schächers organisch an die generellen Feststellungen der Verse 2,1f. anschließt, ja der latro (2,4) nachgerade als Exempel der perditi (2,1) gedeutet werden kann 61 . Es bliebe also, das Problem auf der aufführungstechnischen Ebene zu suchen. So führte bereits Johann Huemer das Bedürfnis, Sinneinheit und Strophenende in Deckung zu bringen, auf Erfordernisse der wechselchörigen Singweise zurück 62 . Hintergründe und Problematik der gängigen Annahme, die Hymnen des Ambrosius seien ursprünglich für wechselchörigen Vortrag bestimmt gewesen, wurden bereits eingehend erörtert 63 . In diesem Zusammenhang erwies sich vielmehr der Gemeindegesang in directum ohne Kehrvers oder Doxologie als wahrscheinlich. Gibt es aber keine Wechsel und keine Unterbrechungen im Vortrag, so spricht auch von hierher nichts gegen einen Sinneinschnitt in der Strophenmitte. Ad b): In der Tat bietet der Schlussteil des Hymnus keine Rückwendung zur göttlichen Sphäre, weder als Gebet noch als Bekenntnis. Allerdings ist grundsätzlich zu fragen, inwiefern auf der materialen Basis von vier Hymnen zwingende Erwartungen an den Duktus jedes echten Ambrosiushymnus zu formulieren sind. Als fruchtbarer dürfte sich eine jeweils am einzelnen Hymnus orientierte Betrachtung erweisen. Wie eine sprachliche Untersuchung zeigt 64 , liegt dem gesamten Hymnus Hic est dies verus Dei nicht der Sprechakt des Gebets zugrunde. Dies verbindet ihn charakteristischerweise mit dem Mittagshymnus Iam surgit hora tertia, der ebenfalls das Kreuzesgeschehen zum Gegenstand hat und durch eine eher die Heilsgeschichte lobend betrachtende Redeweise gekennzeichnet ist 65 . Im Unterschied zu Hic est dies verus Dei endet jedoch Iam surgit hora tertia in der achten Strophe mit einem Bekenntnis: nos credimus … (8,1; Charlet 213). Kann aus dieser Diskrepanz geschlossen werden, die ansonsten in mancher Hinsicht ähnliche Mittel gebrauchenden Hymnen 66 stammten nicht 61 Vgl. Kap. 4.2.2. 62 Huemer, Dimeter 25f. 63 Vgl. Kap. A 1.3.3. 64 Vgl. Kap. 3.1. 65 Zur Interpretation des Hymnus vgl. Franz, Tageslauf 389-447; speziell zur sich aus der Untersuchung der Verben ergebenden Feststellung, der Hymnus sei „kein Gebet im eigentlichen Sinne“ vgl. ebd. 394; als Grundthema des Hymnus nennt Franz „die Erlösung durch Christus im Zeichen der Kreuzeserhöhung“ (403). 66 Vgl. neben der Sprechweise den gezielten Gebrauch temporal mehrdeutiger Verbformen (Perfekt/ Präsens), um die Beziehung zwischen heilsgeschichtlichem Ereignis und liturgischer Feier zu akzentuieren: ascendit in V. 1,2 von Iam surgit hora tertia (Charlet 211; vgl. dazu Franz, ebd. 393: „Der liturgische Vollzug des Hymnus, der zu einer bestimmten theologisch besonders qualifizierten Zeit … das vergangene Kreuzesgeschehen kommemoriert und in die Gegenwart hineinnimmt, stellt die Form ‘ascendit’ … in die Spannung zwischen einer Aussage im Präsens und im Perfekt“) bzw. diluit in V. 1,3 von Hic est dies verus Dei (vgl. dazu unten Kap. 4.1.4). <?page no="234"?> 222 von demselben Autor? Die Argumentation in dieser Frage darf keinesfalls vom jeweiligen Kontext absehen. Es ist offensichtlich, dass das Iam surgit hora tertia abschließende Bekenntnis aus dem Duktus dieses Hymnus heraus entwickelt ist. Es stellt das Gegenbild zum Unglauben der Juden dar, der am Ende der siebten Strophe thematisiert wird 67 . Zudem ist das Thema ‘Glauben’ für den gesamten Hymnus von konstitutiver Bedeutung 68 , und „das gemeinschaftliche ‘Credo’ der Strophe 8 bündelt … in umgekehrter Reihenfolge die zentralen Glaubensinhalte der vorhergehenden Strophen“ 69 . Die Bekenntnisstrophe ist mithin engstens den speziellen Charakteristika des Mittagshymnus verpflichtet und kann nicht als Indiz einer allgemeinen Gestaltungsabsicht gewertet werden, der zufolge jeder Hymnus ‘in der göttlichen Sphäre’ enden müsse. Ad c): Der von Savon hinsichtlich der Beobachtungen Manlio Simonettis geäußerte Eindruck, die Strophen 2 und 7 seien für die Beobachtung von concinnitas und variatio wenig ergiebig, ist, was die siebte Strophe angeht, in keiner Weise nachvollziehbar 70 . Bei der Beurteilung der zweiten Strophe ist Savon (und letztlich auch Simonetti) der Blick durch die starre Konzentration auf je einzelne Strophen verstellt. Tatsächlich hat sich die Interpretation jedoch nicht an den Strophen um ihrer selbst willen zu orientieren, sondern an den Sinneinheiten, die zwar meistens, aber in diesem Fall gerade nicht mit den Strophengrenzen zusammenfallen. Blickt man nun auf die Sinnabschnitte 71 , so erweist sich das Verspaar 2,1f. fest in die Komposition des Abschnitts A 72 , das Verspaar 2,3f. in die des Abschnitts B 1 eingebunden 73 . Ad d): Die Metrik des Hymnus wurde oben bereits behandelt und als nicht anstößig erwiesen 74 . 67 Iam surgit hora tertia, V. 7,3f. (Charlet 213): nec credidit plebs impia, / qui credidit salvus erit. 68 Vgl. Franz, Tageslauf 395.424 (fides ist „das Leitmotiv für den gesamten zweiten Teil des Hymnus“, denn die Strophen 5-8 thematisieren „das Kreuzesgeschehen unter dem Aspekt des ‘Glaubens’“). 69 Ebd. 444. 70 Daher liest sich auch Simonettis eigene Auffassung ganz anders: „Evidente l’intreccio fra concinnitas e variatio anche nella settima strofe …, dove il gruppo dei vv. 1-2, fra loro perfettamente simmetrici, si oppone, nella posizione perfettamente antitetica del predicato, ai vv. 3-4, anch’essi simmetrici fra loro“ (Studi 401). Generell zu den Grenzen der argumentativen Reichweite des Ansatzes Simonettis vgl. oben S. 44 m. Anm. 195. 71 Zur Gliederung des Hymnus in Sinnabschnitte vgl. Kap. 3.1. 72 Vgl. Kap. 4.1.1. Zu denken ist primär an die spiegelbildliche Anordnung der Adjektive und Partizipien in den Versen 1,1f. und 2,1f. 73 Vgl. Kap. 4.2.1. Bedeutsam ist hier vor allem die Anordnung der Substantive und Attribute. 74 Vgl. Kap. 2.1. <?page no="235"?> 223 Ad e): Wie die Einzelinterpretation zeigen wird, ist die im Hymnus vorliegende Interpretation des Schächermotivs lückenlos aus den Prosaschriften des Ambrosius nachweisbar, ist die Metapher des Angelhakens dem Bischof als solche bekannt und befindet sich ihre österliche Deutung mit seiner Theologie in bruchloser Übereinstimmung, und verdankt sich die Personifikation des Todes mitsamt der geradezu schadenfrohen Grundstimmung, mit der sein Untergang kommentiert wird, in direkter Linie paulinischer Inspiration 75 . Vor diesem Hintergrund erscheint der Hinweis auf gedankliche Nähe zu Predigten des fünften Jahrhunderts bestenfalls insofern interessant, als diese durch den Hymnus beeinflusst sein könnten. Sämtliche vorgetragenen Einwände gegen die Echtheit des Hymnus sind somit zurückzuweisen. Die Verfasserschaft des Ambrosius ist unter den gegebenen Umständen die einzig plausible Hypothese. 3. Die Struktur des Hymnus 3.1 Die syntaktisch-gedankliche Struktur An dieser Stelle wird die syntaktische Organisation des Hymnus lediglich oberflächenhaft beschrieben und für eine Gliederung fruchtbar gemacht. Eine detaillierte Darstellung und Interpretation der syntaktischen Struktur der einzelnen Abschnitte bleibt dem Kommentarteil vorbehalten. Satz 1: Verse 1,1-2,2 Hic est dies Dies ist der wahre verus Dei Tag Gottes, sancto serenus lumine, hell vom heiligen Licht, quo diluit sanguis sacer an dem das heilige Blut abwusch/ abwäscht probrosa mundi crimina, die schändlichen Verbrechen der Welt, fidem refundens perditis Glauben eingießend den Verlorenen caecosque visu inluminans. und die Blinden mit Augenlicht erleuchtend. Der erste Satz besteht aus dem kurzen Hauptsatz Hic est dies, gefolgt von einer mehrfachen Bestimmung dieses dies in Form zweier adjektivischer Ausdrücke, eines Relativsatzes und zweier Partizipialkonstruktionen. 75 Vgl. die Kapitel 4.2 (zur Schächerepisode), 4.3.8 (zum Angelhaken und zur Personifikation des Todes) und 4.3.11 (zur Personifikation des Todes und der Weise, wie sein Untergang kommentiert wird). <?page no="236"?> 224 Satz 2: Verse 2,3-3,4 Quem non gravi solvat metu Wen könnte nicht von schwerer Furcht lösen latronis absolutio, die Freisprechung des Schächers, qui praemio mutans crucem der, das Kreuz gegen den Lohn eintauschend, Iesum brevi adquisit fide Jesus mit kurzem Glauben erwarb iustosque praevio gradu und den Gerechten mit vorauseilendem Schritt praevenit in regno Dei? zuvorkam im Reich Gottes? Der zweite Satz wird gebildet von einer Frage im potentialen Konjunktiv, an die sich ein zweigliedriger, auf latronis bezogener Relativsatz anschließt, dessen Prädikate adquisit und praevenit durch -que verbunden sind 76 . Satz 3: Verse 4,1-4 Opus stupent et angeli Das Werk bestaunen sogar die Engel videntes sehend poenam corporis die Bestrafung des Leibes Christoque adhaerentem reum und, dass der Schuldige, der Christus anhängt, vitam beatam carpere. das glückselige Leben pflückt. Die Struktur des auf Hypotaxe verzichtenden dritten Satzes ist bestimmt durch das auf angeli bezogene Partizip videntes, von dem ein einfaches Akkusativobjekt und ein AcI 77 abhängig sind. Satz 4: Verse 5,1-4 Mysterium mirabile, ut Wunderbares Mysterium, dass abluat mundi luem, die Verseuchung der Welt abwäscht, peccata tollat omnium die Sünden aller aufhebt carnis vitia mundans caro. das Fleisch, die Makel des Fleisches reinigend. Satz 4 besteht aus dem elliptischen Ausruf mysterium mirabile, der durch den sich anschließenden ut-Satz inhaltlich gefüllt wird 78 . Dessen Prädikate abluat und tollat stehen asyndetisch nebeneinander; dem Subjekt caro, partizipial ergänzt, ist die Schlussstellung reserviert. 76 In manchen Ausgaben legt die Interpunktion (Fragezeichen nach V. 2,4) nahe, dass die Editoren in V. 3,1 von relativem Satzanschluss ausgehen, wohl um Satzende und Strophenende zusammenzubringen: vgl. Mone, Hymnen 222; Biraghi, Inni sinceri 63f.; Dreves, Hymnographi 16; Walpole, Hymns 79 (Walpole übersetzt im Kommentar V. 3,1 aber: „Who changing his cross …“); Blume, Lieder 181; Simonetti, Inni 54. 77 Beim AcI nach videre steht „mehr der Inhalt der Verbalhandlung unter Zurücktreten der Sinneswahrnehmung“ im Vordergrund, während bei der Alternativkonstruktion des AcP „der Nachdruck auf der sinnlichen Perzeption einer im Verlauf begriffenen Handlung oder eines Zustands liegt“: vgl. Hofmann/ Szantyr, Syntax und Stilistik 387 (§ 207c). 78 Zum explikativen ut („zur Erläuterung eines im Hauptsatz stehenden oder zu ergänzenden pronominalen Ausdrucks“) als einer Ausprägung des konsekutiven ut vgl. Hofmann/ Szantyr, ebd. 645. Im Unterschied zu Satz 5 ist hier das mit dem ut explicativum korrelierende Demonstrativpronomen unterdrückt. <?page no="237"?> 225 Satz 5: Verse 6,1-7,4 Quid hoc potest sublimius, ut Was könnte erhabener sein als dieses, dass culpa quaerat gratiam die Schuld Gnade findet metumque solvat caritas und die Liebe Angst löst reddatque mors vitam novam, und der Tod das neue Leben zurückgibt, hamum sibi mors devoret der Tod den Angelhaken verschluckt suisque se nodis liget, und sich in seinen Stricken bindet, moriatur vita omnium, das Leben aller stirbt, resurgat ut vita omnium? damit das Leben aller aufersteht? Der fünfte ist der längste Satz des Hymnus 79 . Ähnlich wie Satz 2 beginnt er mit einer Frage: ‘Was könnte erhabener sein als dieses? ’ Es folgt eine durch ut eingeleitete sechsfache Explikation des Vergleichspunktes hoc, deren mit je eigenem Prädikat ausgestattete Glieder teilweise durch -que verbunden sind, teilweise asyndetisch aufeinander folgen. An das sechste Glied schließt sich als Nebensatz zweiter Ordnung ein finaler ut-Satz an. Satz 6: Verse 8,1f. Cum mors per omnes transeat, Obwohl der Tod durch alle hindurchgeht, omnes resurgunt mortui. erstehen alle Toten auf. Satz 6 hebt sich - abgesehen von seiner Kürze - von den vorstehenden Sätzen dadurch ab, dass der Nebensatz, eingeleitet durch konzessives cum, hier dem Hauptsatz vorausgeht. Satz 7: Verse 8,3f. Consumpta mors ictu suo perisse se solam gemat. Der Tod, vernichtet durch den eigenen Hieb, klage, dass er allein zugrunde gegangen ist. Den Abschluss des Hymnus bildet erneut ein kurzer Satz, dessen Prädikat gemat im jussiven Konjunktiv steht; den Inhalt der Klage drückt ein AcI aus. Das Subjekt mors ist durch eine Partizipialkonstruktion erweitert. Überblickt man das Ergebnis und setzt es in Beziehung zu einer ganz oberflächenhaften inhaltlichen Betrachtung, so wird auf den ersten Blick evident, dass an einigen Stellen syntaktische Einheiten zu größeren Komplexen zusammengefasst sind. So gehört Satz 3 zu Satz 2, da der in Vers 4,3 erwähnte 79 Dies gilt, sofern interpungiert wird wie in der vorliegenden Arbeit, so bei Bernt (Paschahymnus 517) und Franz (Angelhaken 187), und wie es auch der Sinn nahelegt, da sich die siebte Strophe primär auf den (vergangenen) Tod Christi bezieht, weswegen ein selbständiger auffordernder Konjunktiv unpassend wäre; auch Dreves (Hymnographi 16) setzt eine Fortführung des Satzes über V. 6,4 hinaus voraus - er setzt zwar nach V. 6,4 ein Fragezeichen, jedoch ebenso nach V. 7,4; Ähnliches gilt auch für Blume (Lieder 182), wie seine deutsche Übersetzung zeigt. Walpole (Hymns 81) und Bulst (Hymni 47) führen den Satz sogar bis Vers 8,4 fort; diese Möglichkeit ist durch den hier vertretenen Indikativ in V. 8,2 versperrt. Definitiv beenden den Fragesatz mit V. 6,4 Mone, Hymnen 517; Biraghi, Inni sinceri 66; Steier, Echtheit 656; Simonetti, Inni 56, und Savon, Hic est dies 417 (mit Diskussion des Problems 434f.). <?page no="238"?> 226 reus identisch ist mit dem latro aus Vers 2,4. Durch Antithese sehr eng aufeinander bezogen sind die Sätze 6 und 7 durch den von ihnen gebildeten paradoxen Kontrast zwischen Leben der Toten und Tod des Todes. Hinzu kommt die Tatsache, dass die beiden Sätze gemeinsam eine Strophe bilden; ihrer besonderen Zusammengehörigkeit trägt in dieser Arbeit die abgemilderte Interpunktion eines Semikolons Rechnung. Auf einer übergeordneten Ebene bilden die Sätze 4 bis 7 einen geschlossenen Zusammenhang, insofern sie sämtlich das heilbringende Geheimnis von Tod und Auferstehung Jesu im Blick auf seine Folgen reflektieren. Berücksichtigt man die auf diese Weise konstituierten Ober- und Untereinheiten, ergibt sich für den Hymnus die folgende Gliederung: A 1,1 Hic est dies verus Dei 1,2 sancto serenus lumine, 1,3 quo diluit sanguis sacer 1,4 probrosa mundi crimina, 2,1 fidem refundens perditis 2,2 caecosque visu inluminans. B 1 2,3 Quem non gravi solvat metu 2,4 latronis absolutio, 3,1 qui praemio mutans crucem 3,2 Iesum brevi adquisit fide 3,3 iustosque praevio gradu 3,4 praevenit in regno Dei? B 2 4,1 Opus stupent et angeli 4,2 poenam videntes corporis 4,3 Christoque adhaerentem reum 4,4 vitam beatam carpere. C 1 5,1 Mysterium mirabile, 5,2 ut abluat mundi luem, 5,3 peccata tollat omnium 5,4 carnis vitia mundans caro! C 2 6,1 Quid hoc potest sublimius, 6,2 ut culpa quaerat gratiam 6,3 metumque solvat caritas 6,4 reddatque mors vitam novam, 7,1 hamum sibi mors devoret 7,2 suisque se nodis liget, 7,3 moriatur vita omnium, 7,4 resurgat ut vita omnium? C 3 8,1 Cum mors per omnes transeat, 8,2 omnes resurgunt mortui; 8,3 consumpta mors ictu suo 8,4 perisse se solam gemat! <?page no="239"?> 227 Die drei übergeordneten (Sinn-)Einheiten des Hymnus weisen einen von A nach C ungefähr gleichmäßig zunehmenden Umfang auf, der von 6 über 10 auf 16 Verse führt. Damit einher geht ein wachsendes Maß der Binnendifferenzierung. Während Abschnitt A auf der Satzebene nicht weiter untergliedert ist, zerfällt Abschnitt B in zwei, Abschnitt C sogar in drei 80 syntaktische und, wie die Interpretation zeigen wird, gedankliche Einheiten. Auffällig in formaler Hinsicht ist die spiegelsymmetrische Anordnung der Abschnitte B 1 bis C 2 um die Mittelzäsur des Hymnus nach Vers 4,4, die durch den emphatischen, für das Gedicht wahrhaft zentralen Ausruf Mysterium mirabile in Vers 5,1 betont wird. Im Zwiebelschalenprinzip lagern sich um diese Achse zunächst je eine Strophe umfassende Abschnitte an (B 2 , C 1 ), sodann den Umfang einer Strophe überschreitende Abschnitte, die einander durch die Fragewendung entsprechen (B 1 : Quem non gravi solvat metu, C 2 : Quid hoc potest sublimius). Hinsichtlich der Kommunikationsstruktur des Hymnus ist bemerkenswert, dass sämtliche finiten Verbformen der dritten Person angehören. Die Dimensionen der Ich/ Wir-Aussagen und der Anrede, typische Elemente des Gebets, begegnen nicht. Die sprachliche Gestalt des Hymnus gibt somit zu erkennen, dass der ihm zugrunde liegende Sprechakt nicht das Gebet ist. Der Modus der Prädikate ist, mit Ausnahme der Fragesätze und des letzten Verses, durchgängig der Indikativ, sofern keine Abhängigkeit von ut oder cum vorliegt. Dadurch erhält der Text das Gepräge einer objektiven Sprechweise, des erinnernden Berichts in den Vergangenheitsformen adquisit (3,2) und praevenit (3,4), des vergegenwärtigenden Berichts oder der allgemeingültigen Aussage in den Gegenwartsformen. Die Form diluit (1,3), die sowohl als Präsens als auch als Perfekt aufgefasst werden kann, changiert nicht zufällig, wie die Interpretation erweisen wird, zwischen den beiden Dimensionen. In Vers 2,3 verstärkt der potentiale Konjunktiv die suggestive Wirkung der rhetorischen Frage; damit korrespondiert in Vers 6,1 potest, das als Form von posse auch im Indikativ eine entsprechende Funktion wahrnehmen kann. Der jussive Konjunktiv in Vers 8,4 schließlich setzt eine aus dem gesamten Hymnus folgende Aufforderung ins Wort. 3.2 Die semantische Struktur Betrachtet man den Hymnus im Blick auf prägende Begriffsfelder, so stechen zwei durch ihre große Zahl zugehöriger Belege sofort hervor. Es handelt sich um die Begriffsfelder „Tod-Leben“ und „Schuld/ Verbrechen/ Strafe-Vergebung“. Das Begriffsfeld „Tod-Leben“ Insgesamt 14 Wörter lassen sich dem Begriffsfeld „Tod-Leben“ zuordnen: 80 Die Sätze 6 und 7 werden aus den oben genannten Gründen als eine Einheit gezählt. <?page no="240"?> 228 vitam (4,4), mors (6,4), vitam (6,4), mors (7,1), moriatur (7,3), vita (7,3), resurgat (7,4), vita (7,4), mors (8,1), resurgunt (8,2), mortui (8,2), consumpta (8,3), mors (8,3), perisse (8,4) Allein auf die Kernopposition mors-vita entfallen acht Belege, nimmt man die Formen von mori hinzu, sogar zehn. Ordnet man die Wörter den beiden Polen zu, entsteht auf den ersten Blick ein Übergewicht des Todes, der acht Belege auf sich vereinigt. Bedenkt man aber, dass die letzten drei Belege vom Paradox des Todes des Todes handeln, zeigt sich das Verhältnis in Wirklichkeit gerade umgekehrt. Auf subtile Weise scheint somit schon beim bloßen Auszählen der Wörter eine Grundaussage des Hymnus durch: Die scheinbare Überlegenheit des Todes ist in Wahrheit der Sieg des Lebens. Auffällig ist, dass sich mit einer Ausnahme sämtliche Belege dieses Begriffsfeldes auf die letzten neun Verse konzentrieren, wo sie dann allerdings mehr als ein Drittel aller Wörter stellen (13 von insgesamt 37). Vom lexikalischen Befund her erweist sich das Begriffsfeld „Tod-Leben“ als überaus dominant im Schlussteil des Hymnus, zugleich aber weitgehend auf diesen beschränkt. Das Begriffsfeld „Schuld/ Verbrechen/ Strafe-Vergebung“ Auch dieses Begriffsfeld ist mit elf Wörtern sehr stark vertreten: probrosa (1,4), crimina (1,4), latronis (2,4), absolutio (2,4), crucem (3,1), poenam (4,2), reum (4,3), peccata (5,3), vitia (5,4), culpa (6,2), gratiam (6,2) Im Unterschied zum Begriffsfeld „Tod-Leben“, das durch das Vorherrschen einer terminologisch fixierten Kernopposition gekennzeichnet ist, zeigt das Begriffsfeld „Schuld/ Verbrechen/ Strafe-Vergebung“ die größtmögliche Variation in der Wahl der Ausdrücke: Jede Vokabel begegnet nur genau einmal. Bemerkenswert ist das deutliche quantitative Übergewicht von Begriffen, die dem Pol „Schuld/ Verbrechen/ Strafe“ angehören. Insgesamt neun Belegen dieser Art stehen mit absolutio (2,4) und gratiam (6,2) nur zwei Vertreter des entgegengesetzten Pols „Vergebung“ gegenüber. Hinsichtlich der Verteilung der Belege über den Text des Hymnus ergibt sich ein komplementäres Bild zum Begriffsfeld „Tod-Leben“. Die letzte Vokabel aus dem Begriffsfeld „Schuld/ Verbrechen/ Strafe-Vergebung“ - das buchstäblich letzte Wort hat übrigens bezeichnenderweise die Gnade (gratiam) - findet sich in Vers 6,2, bevor mit Vers 6,4 die Dominanz des Begriffsfeldes „Tod-Leben“ beginnt. Neben diesen schon vom quantitativen Befund her für den gesamten Hymnus konstitutiven Begriffsfeldern lassen sich zwei kleinere Felder ausmachen, deren geringere Zahl an Belegen weitgehend lokal begrenzt bleibt: „Dunkelheit/ Blindheit-Licht/ Sehen“ und „Flüssigkeit“. Das Begriffsfeld „Dunkelheit/ Blindheit-Licht/ Sehen“ Die sieben Belege dieses Begriffsfeldes konzentrieren sich fast ganz auf den ersten Sinnabschnitt: <?page no="241"?> 229 dies (1,1), serenus (1,2), lumine (1,2), caecos (2,2), visu (2,2), inluminans (2,2), videntes (4,2) Während das isolierte videntes in Vers 4,2 keine das Umfeld prägende semantische Wirkung hat, sind die ersten sechs Verse, namentlich der Rahmen dieses Abschnitts, wesentlich durch die Begriffe insbesondere des Bereiches „Licht/ Sehen“ mitbestimmt. Den Gegenpol „Dunkelheit/ Blindheit“ repräsentiert lediglich das Adjektiv caecos in Vers 2,2. Das Begriffsfeld „Flüssigkeit“ Hier ergibt sich ein ähnliches Bild wie beim zuvor genannten Begriffsfeld. Drei der vier Begriffe, die entweder eine Flüssigkeit benennen oder ein primär mit einer Flüssigkeit assoziiertes Verb darstellen, finden sich im ersten Sinnabschnitt, genauer in dessen Binnenteil innerhalb des durch das Begriffsfeld „Licht“ geprägten Rahmens. diluit (1,3), sanguis (1,3), refundens (2,1), abluat (5,2) 81 Wenngleich sich lediglich eines der drei Verben (diluit) im Text tatsächlich auf eine Flüssigkeit bezieht (sanguis), bleibt doch - und gerade - die Wahl der anderen beiden ebenfalls von der Thematik „Flüssigkeit“ her denotierten Verben bemerkenswert, zumal der fast wörtliche Anklang von abluat an diluit beide Verse mitsamt ihrem Kontext bewusst in Beziehung zueinander setzt. Ohne explizit angesprochen zu werden, erweist sich, wenn man die Verwendung der Verben im Hymnus in den Blick nimmt, die Taufe als das verborgene Organisationsprinzip dieses Begriffsfeldes. Konkret ist es im Text zwar das ‘heilige Blut’, das die Sünden der Welt ‘abwäscht’ (diluit … probrosa mundi crimina), ist es der ‘wahre Tag Gottes’, der den ‘Glauben eingießt’ (fidem refundens), ist es das ‘Fleisch’, das das ‘Verderben der Welt abwäscht’ (abluat mundi luem). Gerade im zweiten und dritten Fall, wo das Subjekt keine Flüssigkeit ist, das Verb also in einem durchaus gebräuchlichen, letztlich jedoch uneigentlichen Sinn verwendet wird, werden die Formulierungen aber transparent auf die entsprechende konkrete sakramentale Wirklichkeit der Taufe, die ihre Wirkung wiederum erst aus dem Blut Christi bezieht. Auf subtile Weise impliziert also das Begriffsfeld „Flüssigkeit“ im vorliegenden Hymnus das Taufwasser, ohne dass dieser Bezug ausgesprochen würde. 3.3 Textimmanente Fernbezüge Neben seiner syntaktischen Struktur, dem sprachlich-grammatikalischen Aufbau, und seiner semantischen Struktur, der Komposition des Textganzen durch tragende Begriffsfelder, verleiht dem Hymnus ein weiteres Organisa- 81 Von seinem Ursprung her gehört auch lues als „eine sich ausbreitende unreine Flüssigkeit“ (Georges, Handwörterbuch II 721) dazu; zur Etymologie vgl. Walde, Etymologisches Wörterbuch I 830 (s. auch Kap. 4.3.3). Auf jeden Fall sucht Ambrosius das Wortspiel abluat … luem. <?page no="242"?> 230 tionsprinzip Profil. Es handelt sich um Fernbeziehungen und Anklänge innerhalb des Textes, wiederum in der Gestalt von Äquivalenz und Opposition, jedoch ohne dass dadurch ein semantisches Feld konstituiert würde. Der Ausgangspunkt für die erste wichtige Fernbeziehung liegt gleichwohl innerhalb des Begriffsfeldes „Flüssigkeit“. Es wurde oben bereits auf die Entsprechung von diluit (1,3) und abluat (5,2) verwiesen; hinzu kommt, dass in beiden Kontexten das Stichwort mundus fällt 82 . Hier wie dort geht es um die Reinigung der Welt - in der fünften Strophe erhält dieses Thema durch mundans (5,4) eine zusätzliche Stütze. Werden auf diese Weise die Abschnitte A und C 1 verkoppelt, so gilt Ähnliches für die Abschnitte B 1 und C 2 : Zu der Fragewendung 83 tritt als zweites verbindendes Moment die Stichwortverknüpfung durch solvat metu (2,3) und metum … solvat (6,3). Auch zwischen den verbleibenden Abschnitten B 2 und C 3 lassen sich Bezüge aufweisen: Beide benennen das Resultat des österlichen Erlösungswerkes, jeweils in der Perspektive ihrer übergreifenden Sinneinheit. Abschnitt B orientiert sich am Einzelbeispiel des latro (2,4) und endet folglich in Vers 4,3f. mit: reum / vitam beatam carpere. Dem entspricht, ins Universale gewendet, die Schlussfeststellung der Sinneinheit C in Vers 8,2: omnes resurgunt mortui. Die genannten Bezüge zeigen eine parallele Abfolge in beiden Hälften des Hymnus. Die Mittelzäsur durch den Ausruf mysterium mirabile (5,1) fungiert mithin nicht, wie im Falle der syntaktischen Struktur, als Spiegelachse, sondern als Trennlinie eines Parallelismus. A - diluit … probrosa mundi crimina B 1 - Quem non? ; solvat metu B 2 - reum vitam beatam carpere Mysterium mirabile ! C 1 - abluat mundi luem C 2 - Quid? ; metum … solvat C 3 - omnes resurgunt mortui Abschließend müssen die drei beobachteten Organisationsprinzipien des Hymnus zueinander in Beziehung gesetzt werden. Die Analysen der Syntax und der Fernbezüge operieren mit sechs Texteinheiten, die je nach Betrachtungsweise in unterschiedlichen Kombinationen stehen. Für die unmittelbare Wahrnehmung des Textes dominant ist sicher die Fügung der gedanklichen Abschnitte A - B 1 B 2 - C 1 C 2 C 3 . Die Betrachtung der textimmanenten Fernbezüge liefert in Ergänzung dazu eine Verschränkung der beiden Hymnushälften: AC 1 - B 1 C 2 - B 2 C 3 . Schließlich setzt die Abgrenzung der für den Gesamttext konstitutiven Begriffsfelder „Schuld/ Verbrechen/ Strafe- Vergebung“ und „Tod-Leben“ einen gänzlich abweichenden Einschnitt, der sich weder an den syntaktisch-gedanklichen Gliederungseinheiten noch an der markanten Mittelzäsur des Hymnus orientiert. Die Organisationsprinzi- 82 V. 1,3f.: diluit … / probrosa MUNDI crimina; V. 5,2: abluat MUNDI luem. 83 V. 2,3: Quem non gravi solvat metu …? ; V. 6,1: Quid hoc potest sublimius …? <?page no="243"?> 231 pien stehen mithin teilweise in variiertem Einklang miteinander, teilweise aber auch in Konkurrenz zueinander. Erreicht wird damit eine Verzahnung des Textes: Über die Sinneinschnitte hinweg fungieren die Fernbezüge und die Begriffsfelder als Klammern, die die Komposition zusammenhalten und die Geschlossenheit des Textganzen betonen. 4. Kommentar 4.1 Erster Abschnitt (1,1-2,2): Der wahre Tag Gottes 1,1 Hic est dies verus Dei 1,2 sancto serenus lumine, 1,3 quo diluit sanguis sacer 1,4 probrosa mundi crimina, 2,1 fidem refundens perditis 2,2 caecosque visu inluminans. 4.1.1 Zur Komposition des Abschnitts Ein einziger Satz füllt die ersten sechs Verse des Hymnus. Dabei handelt es sich um eine fünffache Bestimmung des in Vers 1,1 als gegenwärtig bezeichneten Tages (Hic est dies) 84 . Der Abschnitt zerfällt in drei Verspaare, die in grammatikalischer Hinsicht durch eine je eigene Weise, den besagten Tag näher zu beschreiben, zusammengebunden sind. Das erste Verspaar definiert den Tag adjektivisch (1,1: verus, dazu tritt das Genitivattribut Dei; 1,2: serenus), ein Relativsatz bildet das zweite Verspaar (quo diluit), das dritte besteht aus zwei Partizipialkonstruktionen (2,1: refundens; 2,2: inluminans). Lediglich die relativische Bestimmung umfasst zwei Verse; durch diesen Umstand und ihre Stellung genau in der Mitte erweist sie sich als das Zentrum des Abschnitts. Weiterhin unterstreicht die Alliteration sanguis sacer, in Vers 1,2 bereits durch sancto serenus vorbereitet, diesen Eindruck. 84 Es ist grundsätzlich möglich, die Verse 2,1f. nicht mehr auf dies, sondern auf sanguis (V. 1,3) zu beziehen, wie es Bernt (Paschahymnus 527f.) vorschlägt. Für die Richtigkeit der hier wie auch sonst mehrheitlich - vgl. etwa Savon, Hic est dies 420.421f., und Franz, Angelhaken 186 - vertretenen Interpretation spricht jedoch, dass das dritte Verspaar exakt die Metaphorik der vorangehenden Verse weiterführt und spiegelbildlich dupliziert: Lichtmetaphorik (1,2: lumine) - Flüssigkeitsmetaphorik (1,3f.: diluit) - Flüssigkeitsmetaphorik (2,1: refundens) - Lichtmetaphorik (2,2: inluminans). Die Licht- Vokabeln sind zusätzlich durch ihre jeweilige Schlussstellung im Vers in Beziehung zueinander gesetzt. <?page no="244"?> 232 Im ersten und dritten Verspaar wird die Position der Adjektive und Partizipien in der Weise variiert, dass sich eine spiegelbildliche Anordnung in der Versmitte bzw. am Versende ergibt: Hic est dies verus Dei sancto serenus lumine, … fidem refundens perditis caecosque visu inluminans. Als weiteres Strukturprinzip benennt Simonetti für die erste Strophe den Wechsel von Versen mit Prädikat (1,1 und 1,3) und ohne Prädikat (1,2 und 1,4), verbunden mit einer symmetrischen gesperrten Stellung der Substantive und Attribute in den Versen 1,2 und 1,4 (sancto … lumine; probrosa … crimina) 85 . Im dritten Verspaar schließlich kontrastiert ein semantischer Chiasmus betreffend die Heilsmittel (fidem; visu) und die Heilsbedürftigen (perditis; caecos) mit dem formalen Parallelismus der Akkusativobjekte: fidem refundens perditis caecosque visu inluminans. 4.1.2 Hic est dies verus Dei (1,1) Der Hymnus beginnt mit einem abgewandelten Zitat von PsA 117(118),24: Hic est dies quem fecit dominus, / exultemus et laetemur in eo 86 . Ps 117(118) war für die Alte Kirche der Osterpsalm schlechthin 87 und zweifelsfrei auch der Gemeinde des Ambrosius aus der Osterliturgie bekannt. In seinen Schriften 85 Simonetti, Studi 400. Die Beobachtung wird weitergeführt bei Savon, Hic est dies 418: Die direkt aufeinander folgenden Verse 1,1f. und 1,3f. weisen demgegenüber eine chiastische Anordnung der Substantive und Attribute auf (dies verus - sancto…lumine; sanguis sacer - probrosa…crimina). 86 Ambrosius zitiert den Psalmvers stets mit maskulinem dies. Aus dieser Abweichung zur Textfassung der Vulgata (haec est dies quam fecit Dominus / exultemus et laetemur in ea) leitete Dreves (Vater des Kirchengesanges 71) fälschlicherweise ein Argument für die Abfassung des Hymnus vor der Psalterrevision des Hieronymus ab. Generell gilt, dass auch nach dem Siegeszug der Vulgata noch altlateinische Lesarten begegnen können. Zu den Zeugen der verschiedenen Versionen - Cyprian und Augustinus lesen wie Ambrosius - vgl. Sabatier (Vetus Italica II 231f.), der zudem auch eine altlateinische Lesart Haec dies, quam fecit Dominus: exsultemus, & laetemur in ea, postuliert. 87 Rose, Voix du Christ 120: „Le grand Psaume de Pâques, présent dans tous les rites, est le Psaume 117“; vgl. ebd. 121f. zur Rolle des Psalms im römischen, koptischen und byzantinischen Ritus; zur Verwendung von V. 24 als Kehrvers in der Jerusalemer Osternacht vgl. Baumstark, Nocturna laus 39f.; vgl. ferner Fischer, Gebrauch 310f. Für das unmittelbare lokale und zeitliche Umfeld des Ambrosius belegt eine Osternachtspredigt des Chromatius, 388-407/ 8 Bischof des nahen Aquileia, den Gebrauch des Psalms; serm. 17,1 (CChr.SL 9A,76 Étaix/ Lemarié): Quanta sollemnitas noctis praesentis sit, mundus ipse testis est, in quo totius noctis huius vigiliae celebrantur, …; Kap. 4 (ebd. 78): Sed nos qui vere tempus novum hoc tempus paschae credimus, diem sanctum cum omni iocunditate et exultatione et alacritate animi celebrare debemus, ut congrue dicere possimus id quod in praesenti psalmo respondimus: H AEC DIES QUAM FECIT D OMINUS , EXSULTEMUS ET LAETE- MUR IN EA . <?page no="245"?> 233 bezieht der Mailänder Bischof Vers 24 dieses Psalms mehrfach ausdrücklich auf Ostern 88 , so etwa in Iob 1,5,14, wo das historische Triduum thematisiert wird. Zum Verständnis des folgenden Zitats muss vorausgeschickt werden, dass es sich um Überlegungen der Sonne handelt, wie sie die Mt 12,40 angesagte Zeit der Totenruhe Christi von drei Tagen und drei Nächten verkürzen könne. Als erste Nacht definiert sie die Sonnenfinsternis vor dem Tode Jesu und fährt dann fort: Iob 1,5,14 (32/ 2,219f.): Percursus est primus dies, sequetur nox secunda spatio suo, sequetur similiter dies: incipiet nox tertia, resurget dominus in nocte, et erit dies in lumine resurgentis, ut compleatur illud: ET NOX TAMQUAM DIES INLUMINABITUR [Ps 138(139),12]. hic est ille dies magnus, quem Abraham vidit et gavisus est [cf. Io 8,56], de quo David dixit: HIC EST DIES , QUEM FECIT DOMINUS ; EXULTEMUS ET LAETEMUR IN EO , cui non ministerio laboris, sed fructu exultationis interero. Der „Tag, den der Herr gemacht hat“ ist der Tag der Auferstehung Jesu. Bemerkenswert ist, dass Ambrosius den Zeitpunkt der Auferstehung in der Nacht lokalisiert und doch - unter Heranziehung von Ps 138(139),12 - vom Tag spricht. Dieser Ausdrucksweise liegt hier nicht die simple Tatsache zugrunde, dass die Nacht eben auch zur Zeiteinheit ‘Tag’ gehört, sondern vielmehr die konkrete Vorstellung des vom Auferstandenen ausgehenden Lichtes. So präzisiert Ambrosius an derselben Stelle: et erit dies in lumine resurgentis. Andernorts zieht er jedoch den Psalmvers auch ohne diesen Verweis auf die durch die Auferstehung zum Tag gewordene Nacht zur Kennzeichnung des Ostertages heran, redet also im kalendarischen Sinn vom Ostertag 89 . Warum dieser Tag in besonderer Weise als „Tag, den der Herr gemacht hat“ bezeichnet werden kann, obwohl doch Gott der Schöpfer aller Tage ist, erklärt Ambrosius mit seiner heilstiftenden Wirkung. in psalm. 43,6,2 (64,263): In ipso enim die Christus hominibus resurrexit et ideo specialiter de ipso dictum est: HIC EST DIES QUEM FECIT DOMINUS ; EXULTEMUS ET LAETEMUR IN EO . cum igitur omnes dies deus fecerit, huic tamen diei prae ceteris divini operis praerogativa delata est, quo peccatum omne sublatum est; dies autem alii peccatorum sunt. hic ergo est dies quem inluminavit sol ille iustitiae [cf. Mal 4,2] … Es ist die Aufhebung der Sünde, die dem Ostertag vor allen anderen Tagen (prae ceteris) einen Vorrang (praerogativa) hinsichtlich des göttlichen Heilswirkens (divini operis) verschafft. Da die Auferstehung Jesu eine bleibende Heilsqualität verbürgt, kann Ambrosius Ps 117(118),24 dann auch auf die 88 Mit Ostern wird das Zitat bereits zwischen 130 und 132 im Barnabasbrief 6,4 (SUC 2,152 Wengst) - zur Datierung vgl. Prostmeier, Barnabasbrief 111-119 - in Verbindung gebracht im Kontext einer Erörterung von Leben, Leiden und Auferstehung Jesu als Erfüllung prophetischer Aussagen. 89 Vgl. aus der Auslegung der Beispielerzählung vom barmherzigen Samariter in Luc. 7,79 (CChr.SL 14,240): Itaque ALTERO DIE - quis est iste alter dies nisi forte ille dominicae resurrectionis, de quo dictum est: HIC EST DIES , QUEM FECIT DOMINUS ? - SIC PROTULIT DUOS DENARIOS ET DEDIT STABULARIO ET AIT : CURAM ILLIUS HABE [Lc 10,35]. <?page no="246"?> 234 durch sie eingeleitete neue Epoche beziehen, wie er es in der Auslegung der an der Septuaginta orientierten Übersetzung von Ps 38(39),6 tut: in psalm. 38,18 (64,198): E CCE , inquit, VETERES POSUISTI DIES MEOS [Ps 38(39),6]. alius habet: PALAESTAS POSUISTI DIES MEOS . si secundum Septuaginta viros ‘veteres’ accipimus ‘dies’, hoc est: secundum veterem hominem intellegimus exactos. sed vetus homo noster affixus est cruci [cf. Rom 6,6]; ergo et dies vetus praeteriit, novus venit. alius enim dies hominis, alius dies Christi quem Abraham vidit et gavisus est [cf. Io 8,56], de quo et David ait: HIC EST DIES QUEM FECIT DOMINUS ; EXULTEMUS ET LAETEMUR IN EO . sanctus ergo in die domini exultat, in die novo in quo deus dominus inluxit nobis et dedit novam lucem innoxiam vitam et integram reformatis. In Anlehnung an das paulinische Theologoumenon vom alten Menschen, der mit Christus gekreuzigt wurde 90 , wird die Zeit des alten Menschen als dies vetus und dies hominis bezeichnet, dem der dies novus als der dies Christi und „Tag, den der Herr gemacht hat“ gegenübergestellt wird 91 , eine Epoche des Heils 92 und deswegen Gegenstand der Freude. Dabei wird das Bild vom neuen Tag in Beziehung gesetzt zu Christus als dem neuen und wahren Licht 93 . Dieser Zusammenhang kann sogar zu einer Identifizierung von dies und Christus führen 94 , die sich im vorliegenden Hymnus jedoch aus text- 90 RomA 6,6: scientes quia vetus homo noster simul confixus est cruci; vgl. Gal 5,24; 6,14 sowie die deuteropaulinische Rezeption einer Rede vom alten und neuen Menschen in Eph 4,22-24 und Col 3,9f. 91 An anderen Stellen wird der durch die Auferstehung gebrachte Tag dem Unheilszustand im Bild der Nacht kontrastiert (unter Rückgriff auf RomA 13,12: nox praecessit, dies adpropinquavit), vgl. z. B. in psalm. 45,14,2 (64,339f.); in Luc. 10,138 (CChr.SL 14,385). 92 Als weitere Belege für dies als Bezeichnung einer Epoche seien angeführt in psalm. 40,8 (64,234; zu PsA 40(41),2: in die mala liberabit eum dominus): Sed etiam sic possumus accipere IN DIE MALA , hoc est in tempore malo; mundus enim in malo positus est et ideo mali dies istius mundi et abundat diei malitia sua; ferner in Luc. 4,40 (CChr.SL 14,120f.): (Iesus Christus) … generationis suae carnalis diem perire desiderat, ut dies eius in regeneratione numeretur. ‘Pereat’ inquit ‘dies saecularis, ut dies spiritalis oriatur’. 93 Vgl. in psalm. 118 serm. 12,26 (62,266), wo der ewige Tag als Bild für die heilbringende Gegenwart Christi entfaltet wird: Ideoque ait: DISPOSITIONE TUA PERMANET DIES [Ps 118(119),91]. nam nisi ita accipias, quomodo permanet dies, cum post breve momentum diei sequatur occasus et fiat noctis successio? sed sunt quibus semper dies est, illis utique quibus adest Christus, qui dicit: AMBULATE DUM LUCEM HABETIS [Io 12,35]. hic est dies quem vidit Abraham [cf. Io 8,56], dies remissionis peccatorum, de quo legis: HIC EST DIES QUEM FECIT DOMI- NUS ; EXULTEMUS ET LAETEMUR IN EO . sunt ergo sancti quibus sol numquam occidit, quia dominus lux eorum est, sicut scriptum est: ET ERIT ILLIS DOMINUS LUMEN AETERNUM [Is 60,19]. 94 Nach Einig (Christe qui lux 731) bilden Gn 1,5; Ps 117(118),24 und 1 Thess 5,5.8 den biblischen Hintergrund dieser Christusprädikation; vgl. ausführlicher: ders., Vom Tag zur Nacht 48-51. So bereits bei Cyprian, domin. orat. 35 (CC 3A,112 Moreschini): Christum autem diem dictum declarat in psalmis Spiritus sanctus. …[Zitat von Ps 117(118),22-24] Item quod sol appellatus sit Malachin propheta testatur dicens: V OBIS AUTEM QUI TIMETIS NOMEN D OMINI ORIETUR SOL IUSTITIAE , ET IN ALIS EIUS CURATIO EST [Mal 4,2]. Quodsi in scripturis sanctis sol verus et dies verus est Christus, …. Auch Ambrosius bedient sich der Christusbezeichnung dies: vgl. V. 1,4 des Hymnus Splendor paternae gloriae (Perrin 185): dies dierum illuminans; ferner Isaac 4,37 (32/ 1,664): dies caelestium Christus, qui sanctis suis lucet; in psalm. 40,35,4 (64,253; christologische Interpretation von PsA 2,7: filius meus es <?page no="247"?> 235 immanenten Gründen nicht nahelegt 95 . Insbesondere der Relativsatz in den Versen 1,3f. verlangt ein temporales Verständnis des dies. Ganz im Sinne der oben aus anderen Schriften des Ambrosius zitierten Deutung von Ps 117(118),24 auf die Auferstehung Jesu wie auf die dadurch initiierte Heils-epoche impliziert das von den Mailänder Hymnensängern deklamierte Hic est dies einen doppelten zeitlichen Bezug, der den gesamten ersten Sinnabschnitt für zwei Verständnisebenen öffnet. Zum einen geht es um den historischen Ostertag, der sich zum Zeitpunkt der liturgischen Feier, in der der Hymnus gesungen wird, jährt: ‘Dies ist der Tag, an dem das österliche Heilshandeln Gottes geschah’. Zugleich ist aber auch der gegenwärtige Ostertag gemeint, zumal dessen liturgische Gestalt, in der das am historischen Ostertag gestiftete Heil aktualisiert wird, nicht zuletzt in der Taufe: ‘Dies ist der Tag, an dem das österliche Heilshandeln Gottes geschieht’. Mit Bedacht sind die ersten sechs Verse sämtlich so gehalten, dass sie auf beiden Sinnebenen verstanden werden können: Die Adjektive und Partizipien sind zeitlich neutral und das einzige folgende finite Verb diluit (1,3) kann morphologisch ebenso perfektisch wie präsentisch aufgefasst werden. Diese Doppelfunktion von Erinnerung und Vergegenwärtigung, die „kultische Identifizierung der verschiedenen Zeitpunkte“ 96 , ist konstitutiv für das Wesen liturgischer Anamnese und prägt etwa auch das Osternachtlob des Exsultet 97 mit seiner fünffachen Wiederholung des Haec nox est 98 . Eine pointierte Variation des Psalmtexts stellt die Einführung des Wortes verus dar. Sie erinnert an bei Ambrosius häufig begegnende Ausdrücke wie verum lumen 99 und verus sol 100 als Bezeichnungen für Christus. Sie gab auch Anlass zu der Überlegung, „ob Ambrosius mit dem Attribut ‘wahr’ nicht tu, ego hodie genui te): nox in te nulla est, quia totus es dies; in Luc. 7,222 (CChr.SL 14,291): in mysterio dies Christus. 95 Christus wird vielmehr mit dem sanctum lumen aus Vers 1,2 identifiziert: vgl. Kap. 4.1.3. Gleichwohl ist damit nicht ausgeschlossen, dass der Rezipient des Hymnus auf der Ebene des Konnotats die christologische Dimension des Begriffes dies unter anderen auch mithört und mithören soll; sie steht jedoch nicht im Vordergrund und wird im Verlauf des Hymnus nicht entfaltet. 96 Lohfink, Übersetzung 53, zum Exsultet. 97 Die Irrigkeit der früher gelegentlich vertretenen Meinung, Ambrosius sei der Verfasser des Exsultet, ist seit den grundlegenden Ausführungen von Fischer (Verfasser) immer wieder betont worden. 98 Vgl. dazu Meßner, Liturgiewissenschaft 354f.: „Das ‘haec’ - ‘diese Nacht’ - ist wörtlich zu nehmen: es geht um das Geheimnis der gegenwärtigen Nacht, in der die Gemeinde Ostern feiert. Dies wird bestärkt durch das zweimalige Präsens: … die Osternachtfeier vergegenwärtigt die Feiernden dem Pascha Christi, das für sie zur gegenwartsbestimmenden und die Zeit des Festes neu qualifizierenden Macht wird.“ 99 Vgl. dazu S. 238 Anm. 115. Von veri dies spricht Ambrosius in epist. 77,6 (82/ 3,130): D IES , inquit, DIEI ERUCTAT VERBUM [Ps 18(19),3]. Ecce veri dies quos nulla caligo noctis interpolat; ecce veri dies pleni luminis et fulgoris aeterni, qui non perfunctorio sermone verbum dei sed intimo corde eructarunt in confessione constantes, in martyrio perseverantes. 100 Vgl. etwa V. 2,1 des Hymnus Splendor paternae gloriae (Perrin 185). Der biblische Hintergrund dieser Christusprädikation ist Mal 4,2. <?page no="248"?> 236 auch den Sonntag, etwa wie die Erfüllung eines Typus, dem Sabbat des Alten Testaments gegenüberstellen will“ 101 . Tatsächlich äußert sich Ambrosius dahingehend, dass der Sonntag durch die Auferstehung Christi dem Sabbat den von der Tora herrührenden Vorrang an Heiligkeit abgelaufen habe 102 . Doch scheint eine solche Kontroverse hier allenfalls am Rande intendiert zu sein. Im Vordergrund steht die Heraushebung des Ostertages vor allen anderen Tagen im Sinne der oben zitierten Stelle in psalm. 43,6,2: Der Ostertag ist der wahre Tag Gottes, insofern er durch seine einzigartige heilsgeschichtliche Rolle gekennzeichnet ist. Daneben stellt der Ersatz der Psalmformulierung dies … quem fecit dominus durch dies Dei eine zweite markante Abänderung dar, die nicht nur metrischen Erfordernissen genügen will. Sie evoziert einen deutlichen Anklang an den dies domini, die alttestamentliche Vorstellung vom Tag JHWHs 103 , dem Tag des Gerichts und damit des Heils für die Gerechten. Auf diese Weise erhält Vers 1,1 einen eschatologischen Beiklang - ein Nachhall der ursprünglich mit der Osternacht verbundenen Parusieerwartung 104 , die im Modus der kultischen Antizipation fortlebt. Abschließend ist auf eine wichtige Funktion des Psalmzitats hinzuweisen, das den Hymnus wie eine Überschrift eröffnet und somit die Erwartungshaltung des Rezipienten maßgeblich beeinflusst: Durch das Zitat wird dem Hörer bzw. Sänger der gesamte Psalm ins Bewusstsein gehoben - eine Technik, die sich bereits bei Intende qui regis Israel beobachten ließ 105 . Auf diese Weise wird die Grundhaltung des Psalms, freudige Dankbarkeit ange- 101 Bernt, Paschahymnus 524f. 102 In psalm. 47,1,3 (64,347): quid est enim secunda sabbati nisi dominica dies, quae sabbatum sequebatur? dies autem sabbati erat dierum ordine posterior, sanctificatione legis anterior. sed ubi finis legis advenit, qui est Christus Iesus - FINIS ENIM LEGIS C HRISTUS AD IUSTITIAM OMNI CREDENTI [Rom 10,4] - et resurrectione sua sanctificavit octavam, coepit eadem prima esse quae octava est et octava quae prima, habens ex numeri ordine praerogativam et ex resurrectione sanctitatem. Vgl. epist. 31,6 (82/ 1,219): Ebdomas veteris testamenti est, octava novi, quando Christus resurrexit et dies omnibus novae salutis inluxit, ille dies, de quo ait propheta: H IC DIES QUEM FECIT DOMINUS , EXSULTEMUS ET LAETEMUR IN EO . Quo die se fulgor plenae adque perfectae circumcisionis humanis pectoribus infudit [cf. Col 2,11]. Propterea et vetus testamentum ‘dedit partem’ octavae in circumcisionis sollemnitate [cf. Eccle 11,2]. Sed illa adhuc in umbra latebat. Venit SOL IUSTITIAE [Mal 4,2] et consummatione passionis propriae revelavit sui luminis radios, quos retexit omnibus et vitae claritatem aperuit aeternae. 103 Von den zahlreichen Belegstellen aus den prophetischen Büchern seien exemplarisch genannt Is 13,6.9; Ier 43,10; Il 1,15; 2,1f.; Am 5,20; Abd 15; Soph 1,14-18; 2,3; 3,18-20; Mal 3,16ff. Vgl. das Kapitel „Der ‘Tag Jahwes’ in der Verkündigung der Propheten“ bei Reiser, Gerichtspredigt 9-11. 104 Zu diesem Motiv, das vom jüdischen Pesach übernommen wurde, vgl. Meßner, Liturgiewissenschaft 301f.306.310; Auf der Maur, Osterfeier 57 (zur Epistula Apostolorum aus der Mitte des 2. Jahrhunderts, die „die älteste bekannte Beschreibung einer christlichen Paschafeier“ enthält [das Zitat ebd. 55]). 105 Vgl. dazu Kap. A 4.1.2. <?page no="249"?> 237 sichts der von Gott her erfahrenen Errettung aus der Bedrängnis 106 , auf den Hymnus übertragen. 4.1.3 sancto serenus lumine (1,2) Vers 1,2 liefert eine weitere Näherbestimmung des wahren Tages Gottes, des im Modus der historischen Erinnerung wie der liturgischen Vergegenwärtigung anwesenden Ostertages: Er ist ‘hell von heiligem Licht’ 107 . Das Adjektiv serenus bezieht sich im eigentlichen Sinn auf Wetterphänomene und damit verbundene Naturzustände (etwa des Tages oder der Nacht, des Himmels oder des Meeres) in der Bedeutung „heiter, hell, klar“ 108 . Hier stellt es also den Ostertag als hell vor, indem es die Assoziation heiteren, angenehmen Wetters und eines strahlenden, wolkenlosen Himmels erweckt 109 . 106 PsA 117(118),5: In tribulatione invocavi dominum, / et exaudivit me in latitudine; 13: Inpulsus subversus sum ut caderem, / et dominus suscepit me; 14: Fortitudo mea et laudatio mea dominus, / et factus est mihi in salutem; 21: Confitebor tibi, domine, quoniam exaudisti me, / et factus es mihi in salutem. 107 Einige Handschriften weisen für diesen Vers einen abweichenden Text auf. Fa, das älteste Manuskript aus dem achten Jahrhundert, und Ie lesen sanctus sereno lumine; Fb und Sa, beide ebenfalls sehr alt (Anfang 9. Jh.), hingegen sanctus serenus lumine. Unter metrischen Gesichtspunkten kommen alle drei Lesarten in Frage. Die Unsicherheit in der Zuordnung der Kasus lässt sich möglicherweise auf paläographischem Wege erklären, namentlich auf eine Verwechslung von Abbreviaturen zurückführen. Gegen die Variante sanctus serenus lumine spricht die doppelte Attributierung innerhalb eines Verses, die so - durch die Doppelung desselben grammatikalischen Elements - in dem offensichtlich wohl gefügten Abschnitt der Verse 1,1-2,2 ohne Parallele ist. In diesem Sinne spricht gegen sanctus sereno lumine und für die mehrheitlich belegte Lesart sancto serenus lumine die strukturelle Entsprechung zu Vers 1,4 mit seinem Hyperbaton; dazu tritt die Spiegelsymmetrie der Verse 1,1f. und 2,1f. (zu beidem vgl. Kap. 4.1.1), die zwar nicht in Form eines Zirkelschlusses zum Beweis genommen werden darf, die aber doch im Zweifelsfall einige Wahrscheinlichkeit für sich hat. Eine Untersuchung des Wortgebrauchs von serenus trägt für die textkritische Frage nichts aus. Von der Grundbedeutung her (s. dazu im Haupttext) ist ein Bezug auf dies ebenso möglich wie (in nur unwesentlich verschobenem Gebrauch) auf lumen; vgl. schon Verg. Aen. 5,104f.: Exspectata dies aderat nonamque serena / Auroram Phaetontis equi iam luce vehebant; bei Ambr. apol. Dav. II 8,43 (32/ 2,388): cum caeleste mysterium serena luce resplendet; hex. 1,4,13 (32/ 1,11): serenior solito verni temporis splendor eluceat. Sowohl mit ‘Tag’ als auch mit ‘Licht’ steht serenus in Verbindung hex. 4,2,5 (ebd. 114): dies serenius luceat. Im Ergebnis erscheint es aufgrund der dargelegten Gesichtspunkte geboten, dem Mehrheitstext zu folgen. 108 Georges, Handwörterbuch II 2622 s. v. serenus; vgl. OLD II 1742 s. v. serenus. Die primäre Verbindung zum Wetter gilt für die ganze Wortfamilie (serenitas, serenare, serenum). 109 Frühlingssymbolik begegnet häufig im österlichen Kontext. So findet sich eine ganz ähnliche Vorstellung in einer Osterpredigt des Hieronymus (CChr.SL 78,545): Videtur mihi haec dies ceteris diebus esse lucidior, sol mundo clarior inluxisse …. Auch hier wird Ps 117(118),24 zitiert: H AEC DIES QUAM FECIT D OMINUS : EXSULTEMUS ET LAETEMUR IN EA . Quo modo Maria virgo mater Domini inter omnes mulieres principatum tenet, ita inter ceteros dies haec omnium dierum mater est. Vgl. allgemein zur österlichen Frühlingssymbolik: <?page no="250"?> 238 Doch der eigentliche Zielpunkt des zweiten Verses ist nicht die Schilderung eines naturhaften Ambientes. Es ist nicht primär an physisches Licht gedacht; das sanctum lumen, das den Ostertag erleuchtet, ist vielmehr Christus selbst 110 . Wenn Ambrosius Christus als Licht bezeichnet, greift er auf eine bereits im Neuen Testament verankerte Tradition zurück. Besonders für das Johannesevangelium ist das Licht ein Schlüsselbegriff und eine zentrale Christusprädikation: IoA 1,9: erat lux vera, quae inluminat omnem hominem venientem in hunc mundum. IoA 3,19: hoc autem est iudicium, quia venit lux in hunc mundum et dilexerunt magis homines tenebras quam lucem, erant enim mala ipsorum opera. IoA 8,12: ego sum lux mundi: qui me secutus fuerit, non ibit in tenebris, sed habebit lumen vitae. IoA 9,5: cum in hoc mundo sum, lux huius mundi sum. IoA 12,35: ambulate, dum lucem habetis. 111 Diese Licht-Christologie steht in der Tradition bestimmter alttestamentlicher Theologeme 112 und entfaltete eine reiche Wirkung in der Theologie und Liturgie 113 der Alten Kirche. Durch das Konzil von Nicaea mit seiner Formulierung + 4 fand sie Eingang in das Glaubensbekenntnis. Auch in den Prosawerken des Ambrosius begegnet die Bezeichnung Christi als (wahres) Licht sehr häufig, wobei sich der Mailänder Bischof unterschiedslos der Vokabeln lux 114 , wie es dem Johannesevangelium entspricht, und wie hier lumen, gemäß der lateinischen Fassung des Credo 115 , bedient 116 . Michels, Frühjahrssymbol; besonders schöne Beispiele aus den Osterfestbriefen des Kyrillos von Alexandrien behandelt Rahner, Frühlingslyrik. 110 So schon Mone, Hymnen 223. 111 Vgl. auch Io 1,4f.7; 1 Io 1,5; 2,8; Mt 4,16; Lc 1,78f. 112 Plank, ! 72: In der Septuaginta begegnet „ + als Synonym für Gottes Gebot (Ps 118,105; Spr 6,23; Weish 18,4; vgl. Jes 26,9), als Bezeichnung für den Gottesknecht (Jes 42,6; 49,6) und für Gott selbst (Jes 60,19.20; vgl. 1 Jo 1,5)“. 113 Licht-Christologie findet sich v. a. in den abendlichen Lichtriten: vgl. dazu Dölger, Lumen Christi 8ff. Beispielhaft genannt sei der orientalische Hymnus zur Lichtdanksagung n+ F $4 . Die klassische Studie zur christlichen Sonnensymbolik ist Dölger, Sol Salutis. 114 Exemplarische Belegstellen bei Steier, Echtheit 563; vgl. ferner V. 2,3 des Hahnenhymnus Aeterne rerum conditor (Fontaine 149): nocturna lux viantibus (oberflächlich zunächst auf den Hahn bezogen, vgl. aber Franz, Tageslauf 204-206); ebd. V. 8,1 (Fontaine 151): tu lux refulge sensibus. 115 Ambrosius zitiert in fid. 1,18,118 (78,50): Deus igitur ex deo, lumen de lumine, verus deus de deo vero, ex patre natus, non factus, unius substantiae cum patre. Beispiele für Christus als (verum) lumen bei Steier, Echtheit 584; vgl. v. a. in psalm. 45,2,5 (64,331): hic solus est verum lumen et aeternum; in psalm. 118 serm. 5,41,1 (62,105): sciens unum esse Iesum lumen verum. 116 Eine bewusste terminologische Differenzierung liegt dagegen im Hymnus Splendor paternae gloriae, V. 1,1-3 vor (Perrin 185): Splendor paternae gloriae, / de luce lucem proferens, / lux lucis et fons luminis; vgl. dazu Franz, Tageslauf 295-300. Hier meint lux das <?page no="251"?> 239 Der Ostertag ist also hell durch das Licht, das Christus ist 117 . Auf diese Weise christologisch verstanden gilt Vers 1,2 zweifelsohne ebenso für den historischen Ostertag wie für die gegenwärtige liturgische Osterfeier 118 . Im Licht des Auferstandenen wird die Nacht der Auferstehung zum Tag, wie Ambrosius an der bereits oben zitierten Stelle Iob 1,5,14 ausführt: resurget dominus in nocte, … et erit dies in lumine resurgentis. 4.1.4 quo diluit sanguis sacer probrosa mundi crimina (1,3f.) Entscheidend für das rechte Verständnis des Verspaares ist die morphologische Ambivalenz von diluit, auf die bereits hingewiesen wurde: Am Ostertag 119 ‘wusch/ wäscht das heilige Blut die schändlichen Verbrechen der Welt ab’ 120 . Sanguis sacer meint, wie stets bei Ambrosius, das Blut Christi 121 . Es geht folglich um die in der Tilgung der Sünden, deren Ausmaß durch den Ausdruck probrosa … crimina eindrucksvoll betont wird, erlösende Wirkung des Blutes und damit des Todes Jesu. Das biblische Substrat dieser Vorstellung sind die neutestamentlichen Aussagen über den Erlösertod Christi. Bei Paulus und im Johannesevangelium erscheint Jesus als das wahre Paschalamm - daher die von den Synoptikern abweichende Chronologie der Passion: Der Tod Jesu geschieht zeitgleich mit der Schlachtung der Lämmer. Die paulinische und johanneische Paschatypologie zielt also auf das Lamm, während die der Synoptiker sich auf das Paschamahl bezieht, das im letzten Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern eine neue Deutung erfährt. Einschlägige Formulierungen bei Paulus und Johannes sind: 1 CorA 5,7: etenim pascha nostrum immolatus est Christus. 122 IoA 1,29: ecce agnus dei, ecce qui tollit peccata mundi. 123 göttliche Licht und dient der Bezeichnung Christi als des wesensgleichen Offenbarers des Vaters, während sich lumen auf das geschaffene Licht bezieht. 117 Zu den Hintergründen dieser Vorstellung vgl. auch Rahner, Mythen 105-120. 118 Vgl. Kap. 5.1 zu der Frage, zu welchem Zeitpunkt innerhalb der Osterliturgie der Hymnus gesungen wurde, und zu möglichen daraus erwachsenden Implikationen für die Interpretation des vorliegenden Verses. 119 Zum Anschluss mit quo (‘an dem’) weist der alte Kodex Fa eine Variante auf: Die Lesart quod diluit lässt sich jedoch leicht durch Dittographie (Verdoppelung eines Buchstabens durch eine Nachlässigkeit des Abschreibers) erklären. 120 Die Grundbedeutung von diluere ist ‘auflösen’. Das Wort kann dann aber auch „attenuata vi praepositionis fere i. q. lavere … latiore sensu i. q. abluere“ heißen: TLL 5 (1910), 1189 s. v. diluere; für die bildliche Verwendung der Unterbedeutung „lavando tollere“, die auch hier vorliegt, wird ebd. angeführt Prop. 3,17,6: tu vitium ex animo dilue, Bacche, meo; vgl. ferner Savon, Hic est dies 419. 121 Vgl. für sanguis sacer: in psalm. 43,17,4 (64,275); Tob. 20,77 (32/ 2,565); für cruor sacer: in Luc. 5,105 (CChr.SL 14,170); spir. 1,16,165 (79,85). Savon (Hic est dies 419f.) weist darauf hin, dass Catull 68,75 einen paganen Beleg für die Wendung sanguis sacer darstellt (es ist die Rede vom Blut eines Opfertieres; vgl. Verg. georg. 4,542: sacrum … cruorem). 122 Zitiert nach in Luc. 1,28 (CChr.SL 14,20). <?page no="252"?> 240 Das Paschalamm steht für die Erlösung Israels beim Auszug aus Ägypten (Ex 12); die Häuser, deren Türen mit dem Blut der Lämmer versehen waren, blieben von der Tötung der Erstgeborenen verschont, die den Pharao zur Befreiung der Israeliten veranlasste 124 . Das Blut des Paschalammes erlöst also, indem es das Übel abhält. Johannes verknüpft diese Tradition mit dem Sühnetod des Gottesknechts, der „sein Leben dem Tod preisgab und sich unter die Verbrecher rechnen ließ. Denn er trug die Sünden von vielen und trat für die Schuldigen ein“ (Is 53,12). Dieser Bezug auf das vierte Gottesknechtslied findet sich auch im Kelchwort Jesu in den Einsetzungsberichten bei Markus und Matthäus. Dabei steht Mt 26,28 der Formulierung des Hymnus am nächsten („das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden“) 125 . Der erste Petrusbrief sieht die Christen durch das Blut des Lammes Christus aus dem vorher obwaltenden Unheilszustand „losgekauft“ (vgl. Is 52,3): 1 PeA 1,18: non auro et argento redempti estis de vana conversatione paternae traditionis, sed pretioso sanguine agni. Der Hebräerbrief hingegen stellt den Tod Jesu nicht dem Paschalamm gegenüber, sondern kontrastiert ihn vor allem mit der Opferpraxis Israels am Versöhnungstag. „Denn wenn schon das Blut von Böcken und Stieren 126 und die Asche einer Kuh 127 die Unreinen, die damit besprengt werden, so heiligt, dass sie leiblich rein werden, wie viel mehr wird das Blut Christi, der sich selbst kraft ewigen Geistes Gott als makelloses Opfer dargebracht hat, unser Gewissen von toten Werken reinigen, damit wir dem lebendigen Gott dienen“ (Hebr 9,13f.) 128 . Alle diese biblischen Motive finden sich in den Schriften des Ambrosius mannigfach ausgeführt 129 . Sehr häufig bedient sich der Bischof dabei der Vorstellung eines Abwaschens der Sünden, wie sie auch hier im Hymnus vorliegt. Einige Stellen aus den Psalmenkommentaren mögen dies verdeutlichen: in psalm. 35,1,4 (64,49): bonum aurum sanguis est Christi, dives ad pretium, profluus ad lavandum omne peccatum. 123 Vgl. Io 19,36 als Erfüllung von Ex 12,46. 124 Vgl. bes. Ex 12,7.12f.22f.28f. 125 Vgl. Mc 14,24. 126 Vgl. Lv 16,14-19. 127 Vgl. Nm 19,9.17. 128 Vgl. insgesamt Hebr 9-10,18, insbes. 9,26-28. 129 Beispielhaft genannt seien für Christus als Lamm Abr. 1,5,40 (32/ 1,532); in Luc. prol. 7 (CChr.SL 14,5); paenit. 2,3,18 (73,171); für die Anlehnung an Hebr in psalm. 47,17,1 (64,357). Besonders häufig begegnet der Gedanke der redemptio nach 1 Pe 1,18 und anderen Stellen des NT (dazu Kap. A 4.1.3): vgl. z. B. Cain et Ab. 2,3,11 (32/ 1,387); Noe 5,11 (ebd. 420); Abr. 1,6,50 (ebd. 536); 2,11,79 (ebd. 631f.); in psalm. 1,33,4 (64,29); 43,17,4 (ebd. 275); 48,15,1f. (ebd. 369); in psalm. 118 serm. 21,4,2 (62,475); 21,21,3 (ebd. 486f.); spir. 2,5,39. <?page no="253"?> 241 in psalm. 39,14 (ebd. 220): et illum quidem oportebat pro omnibus mori, ut in eius cruce fieret remissio peccatorum et sanguis ipsius mundi inquinamenta lavaret. in psalm. 39,17,2 (ebd. 222): [filius hominis] qui venit, ut in sanguine suo omnium peccata dilueret in psalm. 45,12,1 (ebd. 337): Post passionem domini quid aliud sequi debuit, nisi quia de corpore domini flumen exivit, quando de latere eius aqua fluxit et sanguis [cf. Io 19,34], quo laetificavit animas universorum, quia illo flumine lavit peccatum totius mundi? Die Formulierung vom Abwaschen der Sünden, der Schuld, des Verbrechens schätzt Ambrosius so sehr, dass er sie auch in anderen Kontexten verwendet - ihre Attraktivität erwächst, wie Ansgar Franz erkannt hat, aus „einem reizvollen Spannungsfeld zwischen metaphorischem und halbmetaphorisch-konkretem Sinn, da es einmal das übertragene ‘Reinigen = Abwaschen von Schuld’ meint …, zum anderen das - wenigstens der Idee nach konkrete - ‘Abwaschen durch Flüssigkeit’“ 130 . So heißt es etwa im Hahnenhymnus von den Reuetränen des Petrus nach seiner Verleugnung Jesu: hoc [sc. gallo] ipse petra ecclesiae / canente culpam diluit 131 ; überhaupt geht es in verschiedenen Zusammenhängen um „die Vergebung des Sünders, der seiner Reue durch Tränen Ausdruck gibt“ 132 . Ein weiteres Anwendungsfeld des Ausdrucks ist das Wasser der Taufe, das die Sünden des Täuflings abwäscht. in psalm. 118 serm. 5,43,1 (62,106): venimus ad baptismum: dilutum est omne peccatum et cum peccato obproprium. sacr. 2,1,1 (73,26): Nonne hoc est diluvium, quod est baptisma, quo peccata omnia diluuntur, sola iusti mens et gratia resuscitatur? sacr. 3,1,7 (ebd. 41): Quia in baptismate omnis culpa diluitur. 133 Mehrfach bringt Ambrosius über Io 19,34 Blut Christi und Taufwasser miteinander in Verbindung 134 . Beide, das loskaufende Blut und das die Sünden fortspülende Wasser, gehören untrennbar zusammen; beide entspringen der Seitenwunde Christi, beide sind Aspekte des einen erlösenden Mysteriums. So ist es folgerichtig, dass Ambrosius feststellt: Quid est enim aqua sine cruce Christi nisi elementum commune sine ullo sacramenti profectu? (myst. 4,20 [73,96]) Für den Zusammenhang zwischen dem Kreuzestod Christi und der Heilswirkung der Taufe, wie Ambrosius ihn vorstellt, ist zudem das sechste Kapitel des Römerbriefes (mitsamt seiner deuteropaulinischen Rezeption) 130 Franz, Tageslauf 230. 131 Aeterne rerum conditor, V. 4,3f. (Fontaine 149; vgl. die Prosafassung in hex. 5,24,88 [32/ 1,201f.]); zur Interpretation vgl. Franz, Tageslauf 228-232. 132 Franz, ebd. 230 mit Belegstellen in Anm. 927. 133 Vgl. auch epist. extra coll. 14,63 (82/ 3,268). 134 Vgl. patr. 4,24 (32/ 2,138): sic enim dixit Iohannes quia EXIVIT DE EO AQUA ET SANGUIS , aqua ad lavacrum, sanguis ad pretium. aqua nos abluit, sanguis nos redemit; vgl. in Luc. 10,135 (CChr.SL 14,384); sacr. 5,1,4 (73,60). <?page no="254"?> 242 entscheidend 135 , das generell im vierten Jahrhundert zur leitenden Bezugsstelle der westlichen wie der östlichen Tauftheologie wird 136 . In Iac. 1,5,17f. gibt Ambrosius eine deutende Paraphrase wesentlicher Teile aus Rom 6,3- 11: Die Taufe auf den Tod Jesu gibt Anteil an seiner Auferstehung 137 . Iac. 1,5,17f. (32/ 2,16): venit enim dominus Iesus, qui nostras passiones cruci suae adfigeret, peccata donaret. in cuius morte iustificati sumus, ut totus mundus eius mundaretur sanguine. denique IN MORTE IPSIUS BAPTIZATI SUMUS [Rom 6,3]. si igitur in illius morte dimittuntur nobis peccata, etiam peccatorum nobis passiones in illius morte moriantur, illius crucis clavis teneantur adfixae. si in illius morte mortui sumus, quid iterum tamquam viventes ad ea quae sunt mundana revocamur? quid nobis cum elementis mundi, quid cum cupiditatibus, quid cum luxuria atque lascivia, quibus in Christo mortui su- 135 Col 2,12-14 und Eph 2,4-6 wenden die Vorstellung des ‘mit Christus auferstehen’ von der Erwartung zur bereits vollzogenen Realität. 136 Vgl. Daniélou, Liturgie und Bibel 49-54; Nocke, Sakramentenlehre 241f.; Meßner, Liturgiewissenschaft 78-81. Vor dem 4. Jh. spielt die Tauftheologie nach Rom 6 eine geringere Rolle, begegnet aber z. B. schon bei Origenes (comm. in Rom. 5,8 [FC 2/ 3,134ff. Heither]; hom. in Jer. 1,16 [SC 232,234 Nautin]) und Cyprian (zel. 14 [CChr.SL 3A,82f. Simonetti]). Zur Tauftheologie in den ersten drei Jahrhunderten vgl. Benoît/ Munier, Taufe, mit ausführlicher Einleitung (XI-LXXVIII), umfassendem Literaturverzeichnis (LXXIX-XCVII) und einer Sammlung einschlägiger Texte mit deutscher Übersetzung. Zusammenfassend zur Tauftheologie des Ambrosius vgl. Fenger, Soteriologie 90-97; speziell zur Rolle von Rom 6 vgl. Schmitz, Gottesdienst 148-153. Ders. (Taufe) bietet interessante Überlegungen zu rituellen Konsequenzen für den Taufakt bei Ambrosius und seinen griechischen Vorläufern (Johannes von Jerusalem, Basilius von Caesarea, Johannes Chrysostomos): Demnach hat Ambrosius „unter östlichem Einfluß den Taufritus so umgestaltet …, daß sich in ihm die Tauftheologie von Röm 6 widerspiegelte“ (168). Schmitz geht davon aus, man habe sich der horizontalen Form der Immersionstaufe bedient. „Sie könnte in der Weise durchgeführt worden sein, daß der Bischof die Tauffragen stellte und das Taufbekenntnis entgegennahm, und daß nach jeder Teilfrage der Presbyter dem Täufling die rechte Hand auf das Haupt legte und die Diakone den Täufling rückwärts ins Wasser hinabließen. Dies wäre die einfachste Erklärung sowohl für die Größe der Piszine, als auch für die geringe Wassertiefe. Wenn es Ambrosius darauf ankam, die Grablegung in der üblichen Form möglichst genau abzubilden, dann bot sich die horizontale Form des Untertauchens geradezu an“ (171). Das Taufbecken war nach dem archäologischen Befund ca. sechs Meter breit, jedoch „höchstens 80 cm in den Boden eingetieft“ (Dassmann, Ambrosius 141). Kritisch zu dieser von Schmitz ähnlich bereits in früheren Publikationen vorgetragenen Interpretation: Kleinheyer, Eingliederung 72f. 137 Vgl. sacr. 2,7,23 (73,35f.); daneben auch parad. 9,45 (32/ 1,303); Cain et Ab. 1,5,19 (ebd. 356); Noe 8,25 (ebd. 429); bon. mort. 2,3 (ebd. 704); fug. saec. 9,55 (32/ 2,206); in psalm. 118 serm. 8,53,4 (62,184); 18,42 (ebd. 419f.); in psalm. 36,36,3 (64,99); 37,3,3 (ebd. 139); 37,10,1 (ebd. 143); 61,31,2 (ebd. 396); in Luc. 7,37 (CChr.SL 14,227); 10,96 (ebd. 373); sacr. 2,2,6 (73,27f.); 3,1,2 (ebd. 38); myst. 4,21 (ebd. 97); spir. 1,6,76 (79,47); epist. 17,7 (82/ 1,125); 28,10 (ebd. 191); extra coll. 14,11 (82/ 3,240f.). Weitere Angelpunkte der Tauftheologie des Ambrosius sind die klassischen alttestamentlichen Typologien: die Taufe als Antitypos der Sintflut (vgl. sacr. 1,6,23 [73,25]; 2,1,1 [ebd. 25f.]), des Gottesurteils auf dem Karmel (1 Reg 18,44-46; vgl. Hel. 22,84 [32/ 2,464]), der Besprengung mit dem Ysopzweig (Ps 50[51],9; vgl. apol. Dav. I 12,59 [32/ 2,340]) und vor allem des Durchzugs durch das Rote Meer (vgl. apol. Dav. I 8,43 [32/ 2,326f.]; sacr. 1,4,12 [73,20]; 1,6,20 [ebd. 24]; 2,3,9 [ebd. 29]; myst. 3,12 [ebd. 93f.]; epist. 62,2 [82/ 2,122]). <?page no="255"?> 243 mus? quodsi sumus in Christo mortui, in Christo resurreximus; cum Christo igitur versemur, cum Christo superiora quae sunt, non quae corruptibilia et terrena quaeramus. Christus surgens a mortuis veterem hominem adfixum cruci reliquit, novum resuscitavit. Christus ideo mortuus est, ut et nos peccato moreremur, deo resurgeremus. 138 Die Verse 1,3f. des Paschahymnus, durch die formale Analyse bereits als das Zentrum des ersten Sinnabschnitts erwiesen, bringen in genialer Weise die gesamte Fülle der entwickelten Themen zur Sprache. Die Osternacht ist der Ort der vergegenwärtigenden Erinnerung an das österliche Heilsgeschehen ebenso wie der Ort der Taufe 139 . Nicht nur lassen sich unsere Verse durch die temporale Doppeldeutigkeit von diluit sowohl auf die Vergangenheit als auch auf die Gegenwart beziehen 140 - wobei das Subjekt sanguis sacer nur scheinbar den vergangenen Kreuzestod einseitig in den Vordergrund rückt, da es für eine Taufe auf den Tod Jesu nicht weniger sinnfällig ist 141 -, vielmehr tritt der wesenhafte Zusammenhang, ja die Einheit beider Dimensionen zutage. Wie das Wasser mit dem Blut aus der Wunde Jesu floss, so aktualisiert die Taufe auf den Tod Jesu die in diesem endgültig verbürgte Erlösung. Auf einen weiteren Aspekt, unter dem Ambrosius die tiefe Einheit des Erlösungsmysteriums herausstellt, muss ebenfalls hingewiesen werden. Hatten die ersten beiden Verse das Licht des Auferstandenen zum Inhalt, so nehmen die Verse 1,3f. auf den Kreuzestod Bezug. Der Hymnus bringt also das ganze österliche Heilsgeschehen von Karfreitag bis Ostersonntag zur Sprache und stellt den sachlichen Zusammenhang über die chronologische Differenz. Indem der Relativsatz der Verse 1,3f. mit seinem Akzent auf dem Tod Jesu temporal an den Auferstehungstag der Verse 1,1f. gebunden wird, kommt die innere Einheit von Tod und Auferstehung zum Tragen, wie sie im Neuen Testament insbesondere Johannes mit seiner doppelsinnigen Rede von der Erhöhung (am Kreuz bzw. zum Vater) betont 142 . „Das Kreuz ist Folterinstrument und königlicher Thronsitz zugleich, schon im Tod ist das neue 138 RomA 6,3-6a (V. 3.5-6a ergänzt nach paenit. 2,2,9 [73,167], V. 4 nach Iac. 2,7,34 [32/ 2,52]): quia, quicumque baptizati sumus in Christo Iesu, in morte ipsius baptizati sumus. consepulti enim sumus cum illo per baptismum in mortem, ut quemadmodum ille surrexit a morte per virtutem propriam suscitatus, ita et nos cum ipso in novitate vitae ambulemus. Si enim conplantati sumus similitudini morti eius, simul et resurrectionis erimus, scientes, quia vetus homo noster simul confixus est cruci. 139 Zur Zeit des Ambrosius war in Mailand wie vielerorts die Osternacht der reguläre Tauftermin: vgl. Schmitz, Gottesdienst 3-6. „Wie der Hohepriester nur einmal im Jahr in das heilige Zelt trat, so der Bischof nur einmal im Jahr ins Baptisterium - was natürlich nicht ausschloß, daß die Taufe in Notfällen auch an anderen Tagen gespendet werden konnte“ (Dassmann, Ambrosius 138). 140 Den ganz und gar liturgischen Charakter dieser Doppeldeutigkeit übersieht Jan den Boeft, wenn er sie als typisch lyrisches Element („the lyrical poetry of all time, in which an overwhelming event or experience in the past can come to life in the perception and the words of the poet“) kennzeichnet: Ambrosius Lyricus 88f. mit Anm. 26. 141 Außerdem spielt sanguis sacer sicher auch auf die Eucharistie als integralen Bestandteil der Initiation an; zum wesenhaften Zusammenhang von Taufe und Eucharistie vgl. Kap. B 3.1.9. 142 Io 3,14; 8,28; 12,32f. <?page no="256"?> 244 Leben, und zwar nicht nur für Christus, sondern auch für die Welt. ‘Und ich, wenn ich über der Erde (am Kreuz) erhöht bin, werde alle zu mir ziehen’, sagt Jesus im Johannesevangelium (Joh 12,32f)“ 143 . Dieser theologischen Einsicht entspricht auf der liturgischen Ebene der Umstand, dass die Alte Kirche Ostern zunächst ausschließlich in der Gestalt der einen Paschavigil feiert, einer Ganznachtfeier, die noch im Gedächtnis des Todes Jesu beginnt, das sich im Paschafasten niederschlägt, die dann aber am Morgen mit einer Eucharistiefeier angesichts der Auferstehung endet, um in die fünfzigtägige Freudenzeit der Pentekoste einzumünden. „Die polare Struktur dieses Paschamysteriums als dem Hinüber von der Knechtschaft zur Freiheit und der Wandlung vom Tod zum Leben findet ihren sinnenhaften Ausdruck in der polaren Struktur der Paschavigil mit ihrem Umschlag vom Fasten zum Fest und ihrem Übergang von der Nacht zum Morgen“ 144 . Auch für Ambrosius behält dieses integrale Paschaverständnis einschließlich der wesentlichen liturgischen Konsequenzen seine Gültigkeit 145 . Wie Hieronymus Frank gezeigt hat, ist „für Ambrosius der Zeitpunkt, zu dem das ‘pascha domini’ begangen wurde, zunächst nur die Osternacht“ 146 , die als Nahtstelle 147 zwischen der Bußzeit der Quadragesima und der österlichen Freudenzeit der Pentekoste erscheint. Von entscheidender Bedeutung ist das Verständnis von pascha als transitus, für dessen Etablierung im lateinischen Westen der Mailänder Bischof verantwortlich zeichnet. Während in der Terminologie des Buches Exodus Pascha das schonende Vorübergehen JHWHs an den Häusern der Israeliten bezeichnete, wird schon in der jüdischen Rezeption das Volk Israel selbst 143 Franz, Angelhaken 191f. 144 Becker, Paschavigil 464. Zur frühchristlichen Paschavigil vgl. Auf der Maur, Feiern 63- 70; Meßner, Liturgiewissenschaft 305-315. Ein Florilegium altkirchlicher Texte zu Ostertheologie und Osterfeier bietet Cantalamessa, Ostern. 145 Im vierten und fünften Jahrhundert wird die Paschavigil mit der Tauffeier und der Lichtfeier als neuen Elementen angereichert. Außerdem kommt es, im Wesentlichen ausgehend von Jerusalem, zu einer historisierenden Ausgestaltung der Karwoche, des Triduums und der Pentekoste (mit den Festen Christi Himmelfahrt und Pfingsten). Diese zweite Tendenz hat in Mailand zur Zeit des Ambrosius jedoch noch keine entscheidenden Spuren hinterlassen: vgl. dazu Kap. 4.1.5. Zu der gesamten Entwicklung vgl. Auf der Maur, Feiern 70-83; Meßner, Liturgiewissenschaft 315-330. Zu frühen Belegen für Lichtriten in der Osternacht, zunächst im Zusammenhang mit der Tauffeier, vgl. Auf der Maur, Osterhomilien 63-70. Sollte Ambrosius einen solchen Lichtritus in der Osternacht gekannt haben - immerhin entstand die älteste erhaltene österliche Lichtdanksagung, das noch heute in der römischen Liturgie gebräuchliche Exsultet iam angelica turba, nicht lange nach dem Tod des Ambrosius in Norditalien oder Südgallien (vgl. Fuchs/ Weikmann, Exsultet 17), also im Einflussbereich Mailands -, wofür es allerdings keine Quellen gibt, könnte Vers 1,2 darauf anspielen. 146 Frank, Kirchenjahr 85. Er zeigt, dass die Ausdrücke dies paschae und dies resurrectionis beide den Ostersonntag inklusive der ihn eröffnenden Osternacht - und jenen nur von dieser her - bezeichnen (vgl. auch 80). Dabei betont dies paschae „offenbar in erster Linie … den Opfertod des Herrn in seiner Heilsbedeutung“ (82). 147 Noe 13,44 (32/ 1,442): per domini resurrectionem quadragesimus dies iam non habetur novissimus, sed primus … <?page no="257"?> 245 zum Subjekt des Übergangs, eben des Übergangs von der Sklaverei zur Freiheit 148 . Philo von Alexandrien übersetzt im ersten Jahrhundert vor Christus Pascha mit ! L und allegorisiert es auf den individuellen Übergang des Menschen vom Laster zur Tugend, vom Irdischen zu Gott hin 149 . Ambrosius übernimmt diese Konzeption wie vor ihm die christliche alexandrinische ‘Schule’ 150 . hex. 1,4,14 (32/ 1,12): et eo tempore domini quodannis Iesu Christi pascha celebratur, hoc est animarum transitus a vitiis ad virtutem, a passionibus carnis ad gratiam sobrietatemque mentis, a malitiae nequitiaeque fermento ad veritatem et sinceritatem. Cain et Ab. 1,8,31 (ebd. 366): pascha enim domini transitus est a passionibus ad exercitia virtutis. Es wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass unter diesen Vorzeichen folgerichtig „die Taufe als das Ostersakrament schlechthin“ 151 erscheint. Und tatsächlich bringt Ambrosius die alexandrinische Paschatheologie mit der Taufthematik in Verbindung. sacr. 1,4,12 (73,20): Quid praecipuum quam quod per mare transivit Iudaeorum populus, ut de baptismo interim loquamur? Attamen qui transierunt Iudaei, mortui sunt omnes in deserto. Ceterum qui per hunc fontem transit, hoc est a terrenis ad caelestia, - hic est enim transitus, ideo pascha, hoc est ‘transitus eius’, transitus a peccato ad vitam, a culpa ad gratiam, ab inquinamento ad sanctificationem -, qui per hunc fontem transit, non moritur, sed resurgit. Das Zitat zeigt jedoch gleichzeitig, dass die einseitige Betonung, Ambrosius habe ein „ethisch geistiges Ostern“ 152 vertreten, eine Fehlinterpretation darstellt 153 . Gerade die enge Verbindung zwischen Pascha und Taufe führt eine solche These vor dem Hintergrund der ambrosianischen Tauftheologie nach Rom 6 ad absurdum. Insofern es gerade der innerste Wesenskern der Taufe ist, an Tod und Auferstehung Jesu teilzugeben, bleibt der baptismale transitus des Einzelnen aufs engste mit jenem Übergang Christi vom Tod zum Leben verbunden. epist. 1,10 (82/ 1,7): … ad pascha domini, id est ad transitum. Pascha autem est, quando anima inrationabilem deponit passionem, sumit autem bonam conpassionem, ut ‘conpatia- 148 Auf der Maur, Feiern 56-63; Meßner, Liturgiewissenschaft 297-305. 149 Congr 106 (Wendland 93): / ’ 3 %$ 6 %) 6 N! ) , U <( 6> 6 ! % 3 6 / ! L $6 6 , T * 4 3 ; Sacr 63 (Cohn 227): ... 6 N! ) , * + Y ($ 1 ! L ; vgl. Migr 25 (Wendland 273); Leg 3,94.154.165 (Cohn 134.146.149); QE 1,4 (Terian 70). 150 Vgl. vor allem Klemens von Alexandrien (str. 2,11,51,2 [GCS 52,140 Stählin/ Früchtel/ Treu]) und Origenes (Cels. 8,22 [SVigChr 54,539 Marcovich]). 151 Cantalamessa, Ostern XXX. 152 Ebd. 153 Auf der Maur (Feiern 69f.) betont allgemein zu Recht die trotz aller unterschiedlichen Akzentsetzung bestehende Unmöglichkeit einer trennscharfen Abgrenzung der ‘alexandrinischen’ von der ‘kleinasiatischen’ Paschatheologie, die beide Einseitigkeiten zu vermeiden suchten. <?page no="258"?> 246 tur’ Christo [cf. Rom 8,17] et transitum eius in se suscipiat, ut ‘inhabitet in ea et deambulet et fiat eius deus’ [cf. 2 Cor 6,16]. Schon dieses Spiel mit der Doppelbedeutung von passio als ‘Leid’ und als ‘Affekt’ zeigt, dass sich die Paschatheologie des Ambrosius einer einseitigen Vereinnahmung für ein allegorisch-moralisches Verständnis widersetzt: Wenn der Mensch seine inrationabiles passiones ablegen soll, bedeutet dies zugleich die conpassio Christi, also die Teilnahme an der österlichen passio Jesu. „Die Seele des Täuflings leidet also mit Christus und nimmt seinen transitus in sich auf. Dieser ‘Übergang’ kann nur derjenige vom Tod zum Leben sein“ 154 . Auf seine Weise führt demnach schon Ambrosius die alexandrinische transitus-Theologie zur Synthese mit der kleinasiatischen und bis dahin auch im lateinischen Bereich allgegenwärtigen Deutung von pascha auf die passio Christi hin 155 . Von all dem legt die erste Strophe von Hic est dies verus Dei ein beredtes Zeugnis ab. Der Hymnus präsentiert eine umfassende Paschatheologie, deren rituelles Pendant die Osternacht als das absolute theologische und liturgische Zentrum der Mailänder Osterfeier darstellt. 4.1.5 Exkurs: Quadragesima, Pascha und Pentekoste bei Ambrosius Die sich aus dem Spannungsbogen vom Tod zur Auferstehung konstituierende Paschavigil stand also im Mittelpunkt der Osterfeier, wie die Gemeinde des Ambrosius sie beging. Wir wollen an dieser Stelle ergänzend erörtern, welche Informationen über die Zeit der Vor- und Nachbereitung der Paschavigil (Quadragesima bzw. Pentekoste) Ambrosius gibt. Dabei wird sich zeigen, dass von einem ausgestalteten ‘Osterfestkreis’, wie ihn erstmals Egeria für das zeitgenössische Jerusalem bezeugt, keine Rede sein kann. Der Charakter der Mailänder Quadragesima war nach Ausweis der Schriften des Ambrosius stark durch die unmittelbare Taufvorbereitung der competentes, das heißt der Taufkandidaten der bevorstehenden Osternacht, 154 Frank, Kirchenjahr 85. Vgl. die hintersinnige Formulierung in Io 13,1, Jesus begreife das nahende Paschafest als die ‘Zeit, aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen’: N$6 G 1 ` $ 1 / ! ) ] , . / V / U g$ X L / 4 % ' % $6 6 $ , ... 155 Die kleinasiatische Tradition der Paschatheologie legte den Akzent weniger auf das aktive Paradigma des transitus (mit der biblischen Kernreferenz Ex 14: der Durchzug durch das Schilfmeer), sondern war von einer eher passiven Spiritualität geprägt, die sich an Ex 12 orientierte (das Blut des Lammes lässt das Unheil vorüberziehen). Dazu fügte sich die vulgäretymologische Deutung (vgl. dazu Mohrmann, Pascha 38-41) von ! ) im Zusammenhang mit ! ) (vgl. z. B. Melito von Sardes, pass. 46 [Hall 22]) bzw. im Lateinischen von pascha mit passio. Die klassische Formulierung zur Synthese beider Traditionen entwickelte Augustinus: transitus per passionem (in psalm. 120,6 [CChr.SL 40,1791 Dekkers/ Fraipont]: Per passionem enim transiit Dominus a morte ad vitam; civ. 16,43 [Skutella/ Schaub/ Jürgens 194]: … per victimam passionis de hoc mundo transiturum ad Patrem (Pascha quippe Hebraea lingua transitus interpretatur), …). <?page no="259"?> 247 sowie durch Fasten und Buße geprägt 156 . Vom Fasten, das, in Verbindung mit häufigem Gebet, nicht nur für die Taufbewerber als Übung der Buße zu verstehen ist 157 , waren nach Hel. 10,34 neben den Sonntagen auch die Samstage ausgenommen 158 . Tägliche Predigten über Lesungen aus Genesis und den Sprichwörtern bereiteten die Kompetenten auf ihre Initiation vor 159 . Am Sonntag vor Ostern fand in der Eucharistiefeier die traditio symboli statt, die feierliche Übergabe des Glaubensbekenntnisses an die Taufkandidaten 160 . Auch während der Karwoche gab es „Zusammenkünfte zwecks Taufvorbereitung“ 161 , in deren Rahmen am Mittwoch das Buch Ijob 162 und am Donnerstag der Prophet Jona gelesen wurden 163 . Komplementär zu dieser primär ethisch orientierten Taufvorbereitung waren in der Woche nach Ostern die mystagogischen Katechesen, in denen der Bischof den Neugetauften nachträglich die Initiationssakramente erschloss 164 . Der Gründonnerstag, an dem wohl - im Unterschied zu den übrigen Wochentagen während der Quadragesima 165 - die Eucharistie gefeiert wurde, erhielt einen besonderen Akzent durch die Rekonziliation der Büßer 166 . Der Karfreitag eröffnete das triduum illud sacrum …, intra quod triduum et passus est et quievit et resurrexit, de quo triduo ait: S OLVITE HOC TEMPLUM ET IN TRIDUO RESUSCITABO ILLUD [Io 2,19], wie Ambrosius in seinem Osterfestbrief schreibt 167 . Im Unterschied zum späteren und heutigen Verständnis des 156 Allgemein zur Mailänder Quadragesima zur Zeit des Ambrosius vgl. Callewaert, Carême; Frank, Kirchenjahr 43-48; Paredi, Liturgia 130-141; Cattaneo, Religione 84-90. 157 Noe 13,44 (32/ 1,442): nunc iam non poenae praescripti sunt dies quadraginta, sed vitae, ut hoc numero ieiuniis et orationibus crebrioribus nostrorum levemus subplicia peccatorum atque ad praescripta legis intenti devotione ac fide nostrum corrigamus errorem. 158 Hel. 10,34 (32/ 2,430): quadragesima totis praeter sabbatum et dominicam ieiunatur diebus. 159 Vgl. myst. 1,1 (73,89): De moralibus cottidianum sermonem habuimus, cum vel patriarcharum gesta vel Proverbiorum legerentur praecepta, ut his informati atque instituti adsuesceretis maiorum ingredi vias eorumque iter carpere ac divinis oboedire oraculis, quo renovati per baptismum eius vitae usum teneretis, quae ablutos deceret. 160 Vgl. epist. 76,4 (82/ 3,109f.): Sequenti die, erat autem dominica, post lectiones atque tractatum dimissis catechuminis symbolum aliquibus competentibus in baptisterii tradebam basilica. 161 Auf der Maur, Feiern 78. 162 Vgl. epist. 76,14 (82/ 3,115). Die Lesung des Buches Ijob während der Quadragesima war in der Alten Kirche verbreitet: vgl. Dassmann, Hiob 435f.; Becker, Hiobsbotschaften 60. 163 Vgl. epist. 76,25 (ebd. 123). 164 Mystagogische Katechesen des Ambrosius sind in zweifacher Ausführung erhalten: Bei De sacramentis handelt es sich um stenographische Mitschriften, während De mysteriis eine vom Autor selbst für die Publikation überarbeitete Fassung darstellt. Dass sacr. in diesem Sinne von Ambrosius stammt, wird heute kaum mehr angezweifelt: vgl. Zelzer, Chronologie 87; dies., Liturgisches Gebet 310; Nauroy, Deux lectures 453-455. 165 Dazu Heiming, Aliturgische Fastenferien. 166 Epist. 76,26 (82/ 3,124): Erat autem dies quo sese dominus pro nobis tradidit, quo in ecclesia poenitentia relaxatur; vgl. hex. 5,24,90 (32/ 1,203). Ausführlich zum Gründonnerstag: Frank, Büßeraussöhnung. 167 Epist. extra coll. 13,13 (82/ 3,227); Zweifel an der Echtheit des Briefes werden ausgeräumt von Zelzer, Osterfestbrief 189-192. <?page no="260"?> 248 triduum sacrum verbirgt sich hinter diesem Ausdruck jedoch keine liturgische Gestalt. Zumal für eine eigentliche Karfreitagsliturgie nach Jerusalemer Vorbild gibt es keine Anzeichen. Wenn Ambrosius an anderer Stelle formuliert 168 : passio domini finis est quadragesimae, dann meint er damit eben jenes triduum, „die Zeitspanne von der Kreuzigung des Herrn bis zu seiner Auferstehung, … also den Karfreitag und den Karsamstag bis in die Osternacht hinein“ 169 , eine Gedenkzeit, die er als dies amaritudinis bezeichnet, verbunden mit besonders strengem Fasten (ieiunium …, quod maxime die passionis est exhibendum) 170 . Von der celebritas paschae ist nur im Zusammenhang mit dem (mit der Osternacht beginnenden) Ostersonntag die Rede 171 . Ambrosius unterscheidet also ein historisches Gedächtnis des Leidens und Sterbens Jesu 172 , dem die Kirche durch ihre Fastenpraxis entspricht, von dem einen liturgischen Gedächtnis des Todes und der Auferstehung Jesu, in dem - zentral in der Osternacht - der Tod Jesu nicht mehr als Anlass der Trauer, sondern als Heilsereignis in den Blick kommt 173 . Die Feier dieses österlichen Heilsereignisses entfaltet sich dann in die 50tägige Freudenzeit der Pentekoste. Ältester Tradition entsprechend 174 legt Ambrosius bei der Rede von der Pentekoste den Akzent auf die 50 Tage, nicht auf den 50. Tag 175 . Jeder Tag der Pentekoste ist wie Ostern, wie ein Sonntag zu feiern. in Luc. 8,25 (CChr.SL 14,307): Quodsi Iudaei sabbatum ita celebrant, ut et mensem et annum totum quasi sabbatum habeant, quanto magis nos resurrectionem domini celebrare debemus! Et ideo maiores tradidere nobis pentecostes omnes quinquaginta dies ut paschae celebrandos, quia octavae ebdomadae initium pentecosten facit. … Ergo per hos 168 In psalm. 40,37,1 (64,255). 169 Frank, Kirchenjahr 47. 170 Epist. extra coll. 13,12 (82/ 3,227); zum Hintergrund vgl. Zelzer, Osterfestbrief 187. 171 Epist. extra coll. 13,12f. (82/ 3,227f.). 172 Vgl. Thiele, Theologie 30: „Tatsächlich müssen wir feststellen, daß Ambrosius ‘dies passionis’ und ‘dies resurrectionis’ unterscheidet, allerdings nicht im Hinblick auf getrennte Feiern, sondern vielmehr im Blick auf historische Ereignisse im Leben Jesu.“ 173 So zutreffend gefasst bei Borella, Quaresima e Pasqua 114: „La morte è commemorata storicamente al venerdì santo; ma la commemorazione liturgica, in cui si rende presente il mistero della morte del Salvatore, si attua nella domenica di Pasqua, con la sua veglia“. Ohne Anhalt in den Quellen postuliert Connell demgegenüber, Ambrosius habe in Mailand die Karfreitagsliturgie eingeführt, um aus antiarianischen Motiven heraus den Aspekt des menschlichen Leidens und Sterbens aus dem Kernbereich der Osterliturgie ‘auszulagern’: „Introducing the liturgy of Good Friday to the church of Milan, Ambrose invented a new liturgical time in which could be narrated the human, mutable elements of the paschal mystery … placing them in a liturgy apart from what had been the key liturgical celebration of the first three centuries of Christianity“ (Heresy and Heortology 136f.). Diese Interpretation ist historisch unhaltbar und zielt am Kern der Paschatheologie des Ambrosius gründlich vorbei. 174 Vgl. insbesondere Tert. orat. 23,2 (CChr.SL 1,272 Diercks); ieiun. 14,2 (CChr.SL 2,1273 Reifferscheid/ Wissowa); bapt. 19,2 (CChr.SL 1,293 Borleffs); dazu Boeckh, Entwicklung 12-17. 175 Vgl. Auf der Maur, Osterfeier 133. <?page no="261"?> 249 quinquaginta dies ieiunium nescit ecclesia sicut dominica, qua dominus resurrexit, et sunt omnes dies tamquam dominica. Inwiefern Ambrosius davon abgesehen ein spezielles Geistsendungsfest am 50. Tag (nicht einfach einen feierlichen Abschluss der 50 Tage) voraussetzt, ist umstritten. Diffizil ist dabei vor allem die Interpretation des folgenden Texts: apol. Dav. I 8,42 (32/ 2,325): quinquagesimus enim numerus remissionis est numerus … [biblische Beispiele] … hunc numerum laeti celebramus post domini passionem remisso culpae totius debito chirographoque vacuato ab omni nexu liberi et suscipimus advenientem in nos gratiam spiritus sancti: die pentecostes vacante ieiunio laus dicitur deo, alleluia cantatur. Im Kontext geht es um das Thema ‘Vergebung’; die Pentekoste interessiert daher als österliche Zeit, die aus der Tilgung des Schuldscheins durch den Kreuzestod Jesu heraus lebt - der Bezugspunkt ist der Beginn, nicht das Ende der Pentekoste. Als Charakteristika von die pentecostes werden genannt: kein Fasten, Lob Gottes, Gesang des Halleluja 176 . All dies gilt offensichtlich für jeden Tag der Pentekoste, nicht nur für den fünfzigsten; der Empfang des Heiligen Geistes wird mit dem österlichen Leben in Freiheit parallel gesetzt, erscheint also ebenso wenig exklusiv auf den 50. Tag eingeschränkt zu sein. Wenig überzeugend ist daher eine gelegentlich vertretene alternative Interpunktion, die die pentecostes zu suscipimus … gratiam spiritus sancti zieht 177 , sodass eine Aussage zum Pfingsttag isoliert zwischen Aussagen steht, die die gesamte Pentekoste betreffen. Ein ähnliches Problem wirft eine Passage aus dem Lukaskommentar auf: in Luc. 10,34 (CChr.SL 14,355): hieme etenim arbores ventus suo honore dispoliat et asperitas frigoris teneras frondes in speciem mortis interficit; vere autem resurgunt semina et tamquam nova aestas naturae viridantis adolescit. Vere pascha est, quando servatus sum; aestate est pentecoste, quando resurrectionis gloriam celebramus ad instar futuri. Auf den ersten Blick könnte die Zuordnung Frühling/ pascha und Sommer/ pentecoste dafür sprechen, dass mit pentecoste an den 50. Tag gedacht ist. Eine alternative Erklärung wäre allerdings, dass die 50 Tage bis in den Sommer hineinreichen. Die nähere Analyse des Textes zeigt jedoch, dass zunächst zwei doppelgliedrige Aussagen einander gegenübergestellt werden, von denen sich eine auf den Winter als Symbol des Todes (hieme: arbores ventus dispoliat/ asperitas frigoris frondes interficit) und eine auf den Frühling als Symbol der Auferstehung bezieht (vere: resurgunt semina/ tamquam nova aestas naturae adolescit). Ver und aestas sind einander also eng zugeordnet, bzw. aestas wird als ein Phänomen von ver beschrieben. Es scheint also Ambrosius an dieser Stelle gar nicht auf eine jahreszeitliche Differenzierung von Pascha und Pentekoste anzukommen. Bedeutsam ist außerdem, dass der 176 Dazu Frank, Kirchenjahr 121: Ambrosius „nennt als besonderes liturgisches Merkmal den, wohl häufigen, Gesang des Alleluia, dessen Fehlen offenbar schon zu seiner Zeit eine Eigentümlichkeit der Quadragesima war“. 177 So Frank, Kirchenjahr 120; Cabié, Pentecôte 122, und Cattaneo, Religione 83 Anm. 14. <?page no="262"?> 250 Inhalt der Pentekoste österlich bestimmt wird 178 . Während demnach kein sicherer Beleg dafür existiert, dass Ambrosius ein eigentliches Pfingstfest kannte, wird in allen zitierten Texten die durch und durch österliche Füllung des Begriffes pentecoste erkennbar. Auch für ein Himmelfahrtsfest am 40. Tag, wie es Ambrosius’ Amtskollege Filastrius in Brescia begeht 179 , gibt es keinen brauchbaren Hinweis. Zwar erwähnt Ambrosius die Himmelfahrt in einer Aufzählung der mysteria regenerationis, mit denen das zweite Buch des Psalters anhebe, nachdem das erste Buch in Ps 40(41) mit dem Bezug auf die passio domini geendet habe: in psalm. 40,37,1f. (64,254f.): nam et baptismatis praenuntiat sacramenta, cum dicit: SI- CUT CERVUS DESIDERAT AD FONTES AQUARUM [Ps 41(42),2], et requiem sanctorum, qui ad tabernaculum caeleste pervenerint [cf. Ps 41(42),5], et spiritus sancti descensionem, quando effusa est gratia spiritalis in quadam voce caelestium cataractarum [cf. Ps 41(42),8], quia virtute magna spiritus ferebatur, ut legimus in Actibus apostolorum [cf. Act 2,2], et ingressum renovati hominis ad altare [cf. Ps 42(43),4] et salvatoris ascensum [cf. Ps 46(47),6] et sanctificationem propositi virginalis [cf. Ps 44(45),11-16]. Himmelfahrt und Geistsendung stehen hier neben der Taufe, der Eucharistie der Neugetauften und der Jungfrauenweihe. Nichts spricht dagegen, dass sie wie die übrigen genannten Elemente als Aspekte der einen Paschafeier (Osternacht) und ihres pentekostalen Nachklangs aufgefasst sein können 180 . Weitere Erwähnungen der Himmelfahrt bei Ambrosius lassen keinerlei Bezug zu einer liturgischen Gestalt erkennen. 4.1.6 fidem refundens perditis (2,1) Vier Handschriften bieten statt perditis die abweichende Lesart perfidis. Es handelt sich um Fa 181 und die drei Exemplare des Neuen Hymnars aus Südwestdeutschland und der Schweiz (Aa, Ad, Ae). Im 19. Jahrhundert wurde verschiedentlich zugunsten der Variante perfidis plädiert 182 , und noch 1908 erhielt Walpole diese Ansicht aufrecht. Sein Argument war ein semantischkompositorisches: Wie in Vers 2,2 die Begriffe caecos und inluminans einander gegenüberstünden, so kontrastiere in Vers 2,1 fidem mit perfidis 183 . In seiner eigenen postum erschienenen Ausgabe von 1922 entscheidet er sich jedoch für perditis und geht davon aus, der pointierte Kontrast zu fidem könnte Abschreiber zur Abänderung in perfidis verleitet haben 184 . Tatsächlich dürfte das Kontrastargument allein nicht hinreichend sein, den Text gegen die Mehrzahl der Handschriften und die Sekundärüberlieferung durch die 178 Vgl. Frank, Kirchenjahr 121. 179 Vgl. haer. 149,3 (CChr.SL 9,312 Heylen). 180 Als Hinweis auf eine eigenständige liturgische Feier der Himmelfahrt werten den Text jedoch Frank (Kirchenjahr 122) und Cattaneo (Religione 84). 181 Von zweiter Hand ist perfides zu perfidis korrigiert. 182 Vgl. Walpole, Notes on the text 434. 183 Vgl. ebd. 184 Vgl. Walpole, Hymns 78f. <?page no="263"?> 251 Konzilsakten des Caesarius von Arles 185 zu konstituieren. Eine Entscheidung ist nur aufgrund inhaltlicher Gesichtspunkte möglich. Franz Joseph Mone hatte 1853 in seiner Edition eine inhaltliche Überlegung angestellt: „perfidi sind die Juden, der Sinn ist: durch die Auferstehung können die Juden von der Gottheit Christi überzeugt werden“ 186 . Ein vergleichender Blick in andere Schriften des Ambrosius verrät, dass Ambrosius perfidus in aller Regel als Gegenbegriff zu ‘glaubend/ gläubig’ gebraucht 187 . In der Tat werden so die Juden, die den Messias nicht erkannten und ablehnten, zu einem bevorzugten Träger dieses Attributs 188 . Daneben können aber etwa auch Häretiker 189 oder heidnische Philosophen 190 als perfidi bezeichnet werden. Häufig steht das Wort in kontroversem Kontext, stets ist es mit einer negativen Wertung verbunden, insofern es die willentliche Ablehnung der Wahrheit brandmarkt. Vor diesem Hintergrund scheint eine Verwendung des Ausdrucks im diskutierten Vers schwer vorstellbar, gerade angesichts der von Walpole richtig erkannten engen Verbindung zu Vers 2,2, die auch die oben durchgeführte syntaktische Analyse unterstrich. Es geht nicht um die böswillig den (rechten) Glauben Verweigernden, sondern um die perditi, die im Unheil Verlorenen und am Unheil Verzweifelten, denen der Glaube und das Zutrauen in ihr Heil geschenkt wird. Mit dieser Wortbedeutung von perditus bewegt sich Ambrosius exakt in der christlichen Tradition 191 und auf biblischer Grundlage. Auch die Juden können mit Mt 15,24 und Ier 50,6 in diesem Sinne als perditi bezeichnet werden, nicht insofern sie perfidi sind, also den Glauben ablehnen, sondern als verlorene Schafe, an die sich Jesu Botschaft richtet 192 . Im vorliegenden Hymnus sind, wenn nicht besonders an die am Gründonnerstag rekonziliierten Büßer gedacht ist 193 , schlechthin alle Heilsbedürftigen gemeint; auch an anderer Stelle verwendet Ambrosius den Begriff in diesem universalen Sinn, 185 Siehe oben S. 218. 186 Mone, Hymnen 223. 187 Beispielhaft seien genannt in Luc. 6,6 (CChr.SL 14,176): Ut susceptio fiat fidelium, reiectio perfidorum; in psalm. 118 serm. 21,21,3 (62,486): crux ergo obprobrium perfido, fideli autem gratia. 188 Vgl. z. B. in psalm. 1,51,2 (64,43): … quia salvator de perfidis dixit atque impiis, qui non crediderunt in dominum Iesum; in psalm. 35,2,3 (ebd. 50): … iniustitia perfidorum, qui Christum Iesum dominum recipere noluerunt; in psalm. 40,18,3 (ebd. 241): similiter et Iudaei, qui adversus fidei magistrum falsos testes perfidi subornabant, …. 189 Vgl. in Luc. 4,44 (CChr.SL 14,121f.): sacrilegia perfidorum, qui alium deum dicunt veteris testamenti, alium novi …; fid. 5,11,135 (78,266; bezogen auf die Arianer). 190 Vgl. fid. 4,4,46 (78,173). 191 Vgl. TLL 10,1,8 (1994), 1274 s. v. perditus: „apud Christianos de hominibus a deo salvandis“ (mit frühen Belegstellen). Daneben verwendet Ambrosius das Wort freilich auch in anderen Bedeutungen, mitunter auch moralisch abwertend: vgl. off. 1,30,144 (CChr.SL 15,52). Beide Verwendungsweisen sind in der klassischen Latinität vorgeprägt: vgl. Savon, Hic est dies 421 (mit Belegen). 192 So parad. 8,39 (32/ 1,295); Ioseph 3,9 (32/ 2,77); patr. 11,47 (ebd. 151); in psalm. 118 serm. 3,7,2 (62,44). 193 Zur Büßeraussöhnung vgl. oben S. 247 m. Anm. 166. <?page no="264"?> 252 etwa wenn er anlässlich von Ps 118(119),1 auf die dem Psalmisten geoffenbarten Geheimnisse reflektiert: in psalm. 118 serm. 1,7,2 (62,9): ubi ergo ei divina sacramenta revelata sunt et induit dominicae resurrectionis laetitiam et passionis degustavit gratiam, vidit iustorum congregationes, populos redemptorum, perditorum salutem, mortuorum resurrectionem, sanctificationem sacramentorum, exclamavit dicens: BEATI INMACULATI IN VIA , QUI AMBU- LANT IN LEGE DOMINI , … Bereits Luigi Biraghi betonte, dass refundere ein von Ambrosius besonders geschätztes Wort sei 194 . Tatsächlich begegnet es nach Ausweis des Wiener Ambrosiuskatalogs 72mal in seinen Prosawerken, und auch in den Hymnen gibt es Parallelen, vornehmlich, da zudem inhaltlich ähnlich, Vers 6,2 des Hahnenhymnus Aeterne rerum conditor (Fontaine 151): aegris salus refunditur 195 . Wie in den Hymnen setzt der Bischof den Ausdruck auch andernorts außerordentlich häufig im übertragenen Sinn ein 196 , wobei das semantische Gewicht der Vorsilbe rehäufig 197 , jedoch nicht immer 198 gewahrt bleibt. So muss es auch hier nicht unbedingt um einen bereits einmal besessenen, dann aber verlorenen Glauben gehen, sondern es kann auch Glaube gemeint sein, der ganz neu eingegossen wird 199 . Vers 2,1 handelt also von der mit dem Ostertag verbundenen Heilszusage auch und gerade an diejenigen, die sich noch im Zustand des Unheils befinden, und ihrer Glauben schaffenden Wirkung. Im Lichte der an den beiden vorangegangenen Versen gewonnenen Erkenntnisse legt sich neben einem allgemeinen ein speziell auf die Taufe bezogenes Verständnis nahe, zumal das Wort refundere von seiner Grundbedeutung her an eine Flüssigkeit denken lässt und so, obgleich grammatikalisch auf dies bezogen, eine Anspielung auf das Taufwasser in sich birgt. 194 Biraghi, Inni sinceri 63: „Verbo tanto caro ad Ambrogio“. 195 Vgl. ferner V. 1,3 des Hymnus Agnes beatae virginis (Nauroy 377). 196 Als Objekte kommen neben den in den Hymnen belegten salus (vgl. dazu auch in Luc. 6,108 [CChr.SL 14,213]) und fides auch andere Abstrakta in Frage wie etwa iustitia (apol. Dav. I 17,81 [32/ 2,352]), pax (in Luc. 3,26 [CChr.SL 14,89]), concordia et gratia (obit. Valent. 27 [73,343]) oder spes (in psalm. 118 serm. 21,1,1 [62,474]). 197 Vgl. in Luc. 10,66 (CChr.SL 14,365; bezogen auf das Gehör des Dieners des Hohenpriesters, dem Petrus bei der Festnahme Jesu das Ohr abschlug); epist. 67,4 (82/ 2,166; bezogen auf das Leben des Lazarus); hex. 2,1,3 (32/ 1,43); in psalm. 36,64,5 (64,123); sacr. 3,2,11 (73,43; bezogen auf das Augenlicht geheilter Blinder); paenit. 1,8,34 (ebd. 136; bezogen auf das Augenlicht des Saulus). 198 So ist das durch die Taufe geschenkte (spirituelle) Sehvermögen ein ganz neues Phänomen (epist. 67,6 [82/ 2,167]); vgl. Kap. 4.1.7. Generell wird reschon seit klassischer Zeit auch als Intensivierungspräfix gebraucht. 199 Eine feine Beobachtung liefert jedoch Dionysius Cartusianus ad loc. (p. 44B), wenn er den Vers (auch) bezogen auf den historischen Ostertag liest und ihn auf den durch den Tod Jesu in Frage gestellten Glauben der Jünger hindeuten sieht, der durch die Auferstehung wieder bestärkt wird: et tunc coeperunt Apostoli in fide firmari, qui tempore passionis et sepulturae fuerunt in ea scandalizati ac infirmati. <?page no="265"?> 253 4.1.7 caecosque visu inluminans (2,2) Die in den Versen 1,3f. grundgelegte und in Vers 2,1 weitergeführte baptismale Sinnebene prägt insbesondere auch Vers 2,2 200 : (der Tag,) ‘der die Blinden mit Augenlicht erleuchtet’. Der in weiten Teilen der Mailänder Überlieferung (Ma, Mb, Mc, Md) tradierte Text caecosque visus inluminans erzeugt mit drei Längen im dritten Versfuß eine metrische Unmöglichkeit und scheidet damit als korrekte Lesart sicher aus. Biblischer Bezugspunkt der getroffenen Aussage sind in erster Linie die Berichte von den Blindenheilungen Jesu in allen vier Evangelien 201 . Im Lukaskommentar unterstreicht Ambrosius die Pointe, dass es der Glaube des Blinden vor Jericho war, der die Heilung ermöglichte (Lc 18,42); Jesus frage den Hilfesuchenden, was er ihm tun solle (Lc 18,41), obwohl er es bereits wisse, um zu verdeutlichen, dass gerade das Bekenntnis zum Vermögen Jesu, ihn zu heilen, Voraussetzung des Erfolgs dieser Heilung sei. Dem entspreche nach geschehener Heilung die Nachfolge Jesu durch den Geheilten. in Luc. 8,83f. (CChr.SL 14,330): interrogavit enim, ut crederemus nisi confitentem non posse sanari. E T CONFESTIM inquit VIDIT ET SEQUEBATUR ILLUM MAGNIFICANS DOMI- NUM . ET PERAMBULABAT IN H IERICHO [Lc 18,43-19,1]. Aliter enim non videret, nisi sequeretur Christum, nisi dominum praedicaret, nisi saeculum praeteriret. Bekenntnis (confiteri) und Nachfolge (sequi) sind es, die die Augen öffnen. Schon hier wird deutlich, warum die so interpretierte Perikope eine innere Affinität zur Taufe besitzt, die ebenfalls das Bekenntnis voraussetzt und die Nachfolge verlangt. Ausdrücklich als Typus (praefigurare) der Taufe 202 legt Ambrosius in einer Predigt an Neugetaufte den Bericht von der Blindenheilung nach Johannes aus. Dies spricht dafür, dass bereits im vierten Jahrhundert in Mailand Io 9 als Bestandteil der ‘klassischen’ Trias johanneischer Taufperikopen in der Quadragesima gelesen wurde 203 . sacr. 3,2,11f.14f. (73,43-45): Alius dixit caecum curatum, dixit Matthaeus, dixit Lucas, dixit Marcus. Solus Iohannes quid ait? T ULIT LUTUM ET LINUIT SUPER OCULOS EIUS ET DIXIT ILLI : V ADE IN S ILOAM . Et surgens IVIT ET LAVIT ET VENIT VIDENS [Io 9,6f.*]. Con- 200 Vgl. bereits Mone, Hymnen 223. 201 Mt 9,27-31; 20,29-34; Mc 8,22-26; 10,46-52; Lc 18,35-43; Io 9,1-12. Zur Auslegung der Erzählungen bei den Kirchenvätern vgl. Heither, Wunder Jesu 297-302. 202 Vgl. in Luc. 8,80 (CChr.SL 14,329), wo es hinsichtlich der Differenz zwischen den Evangelien, ob es sich vor den Toren Jerichos um einen oder zwei Blinde gehandelt habe, heißt: cum in hoc uno typus populi gentilis sit, qui in sacramento dominico recepit amissi luminis claritatem, nihil interest utrum in uno medicinam an in duobus accipiat. 203 Neben den Perikopen von der Samaritanerin am Jakobsbrunnen (Io 4) und von der Auferweckung des Lazarus (Io 11) zählt die johanneische Erzählung von der Heilung des Blindgeborenen (Io 9) zu den drei ‘klassischen’ Taufperikopen, die in der altkirchlichen römischen Liturgie ihren Platz am dritten, vierten und fünften Sonntag der Quadragesima hatten: vgl. dazu Fischer, Hintergrund. Die mittelalterliche ambrosianische Liturgie siedelt sie am zweiten (Io 4,5-42), vierten (Io 9,1-38) und fünften (Io 11,1- 45) Sonntag der Fastenzeit an (vgl. Carmassi, Libri liturgici 304.318.325), was wahrscheinlich auf ältesten Mailänder Brauch zurückgeht (vgl. Frank, Kirchenjahr 44f.). <?page no="266"?> 254 sidera et tu oculos cordis tui. Videbas quae corporalia sunt, corporalibus oculis, sed quae sacramentorum sunt, cordis oculis adhuc videre non poteras. Ergo quando dedisti nomen tuum, tulit lutum et linuit super oculos tuos. Quid significat? Ut peccatum tuum fatereris, ut conscientiam recognosceres, ut paenitentiam gereres delictorum, hoc est sortem humanae generationis agnosceres. … Ergo agnoscit se hominem, qui confugit ad baptismum Christi. Itaque et tibi inposuit lutum, hoc est verecundiam, prudentiam, considerationem fragilitatis tuae, et dixit tibi: V ADE IN S ILOAM . Quid est Siloam? Q UOD INTERPRE- TATUR , inquit, MISSUS . Hoc est: Vade ad illum fontem, in quo crux Christi domini praedicatur, vade ad illum fontem, in quo omnium Christus redimit errores. - Isti, lavisti, venisti ad altare, videre coepisti, quae ante non videras. Hoc est: per fontem domini et praedicationem dominicae passionis tunc aperti sunt oculi tui. Qui ante corde videbaris esse caecatus, coepisti lumen sacramentorum videre. Jesus schickt den Blinden zum Teich Schiloach, damit er sich dort wasche. Indem Johannes Schiloach mit ‘der Gesandte’ übersetzt, bindet er die heilende Wirkung des Bades an Jesus zurück. Ambrosius interpretiert den Vorgang gleichsam auf eine zweistufige Erleuchtung hin. Das Bestreichen der Augen mit dem Teig aus Erde und Speichel wird mit der Meldung zur Taufe (dedisti nomen) 204 in Verbindung gebracht: Christus eröffnet dem Taufkandidaten den Blick auf die eigene Sündhaftigkeit und Erlösungsbedürftigkeit 205 . Die zweite, eigentliche Erleuchtung erfolgt dann entsprechend dem Teich Schiloach im Taufbad (fons domini) selbst: Der Täufling sieht nicht mehr nur mit den physischen Augen, sondern im Herzen (corde), er erblickt das Licht der Sakramente (lumen sacramentorum). Eine andere Sinnspitze erhält die Deutung des Lehms im 67. Brief, mit dem Ambrosius anhand des johanneischen Berichtes den Adressaten zum Empfang der Taufe ermuntern will, doch das grundlegende baptismale Verständnis ist dasselbe: epist. 67,6f. (82/ 2,167f.): Quod autem LUTUM FECIT ET SUPERUNXIT OCULOS CAECI , quid aliud significat, nisi ut intellegeres quia ipse hominem luto illito reddidit sanitati, qui DE LUTO HOMINEM FIGURAVIT [Gn 2,7], et quod haec caro luti nostri per baptismatis sacramenta aeternae vitae lumen accipiat? Accede et tu ad S ILOAM , hoc est ad eum qui MISSUS est a patre, sicut habes: M EA DOCTRINA NON EST MEA SED EIUS QUI ME MISIT [Io 7,16]. Diluat te Christus, ut videas. Veni ad baptismum, tempus ipsum adest. Veni festinus, ut et tu dicas: A BII ET LAVI ET VIDERE COEPI [Io 9,11], ut et tu dicas, sicut iste refuso lumine ait: N OX PRAECESSIT , DIES APPROPINQUAVIT [Rom 13,12]. Nox erat caecitas. Die Taufe schafft in mehrfacher Hinsicht den Zugang zum Licht: Eschatologisch lässt sie am Licht des ewigen Lebens (aeternae vitae lumen) teilhaben; moralisch lässt sie aus der Sünde im Bild der Blindheit und der Nacht in den Zustand des heilen Lebens im Bild des Lichtes und des Tages übergehen 206 . 204 Gemeint ist die Einschreibung in die Liste der engeren Taufbewerber; vgl. dazu Schmitz, Gottesdienst 43 mit Anm. 47. 205 Wer meine, aufgrund seiner Sündenlosigkeit die Taufe nicht zu benötigen, unterliege einem Irrtum, stellt Ambrosius in Kap. 13 klar (ebd. 44f.): Hic lutum non habuit, quod ei Christus non linuerat, hoc est illi aperuerat oculos; nullus enim homo sine peccato. 206 Dieser Aspekt wird, anknüpfend an das Zitat aus Rom 13,12, in Kap. 7 des Briefes ausgeführt (ebd. 168): Nox erat caecitas. N OX ERAT [Io 13,30] cum Iudas accepit bucellam ab <?page no="267"?> 255 Ihre erleuchtende Kraft kann Ambrosius auch unabhängig von der Idee der Blindenheilung hervorheben 207 und so auf eine terminologische Tradition zurückgreifen, die in Ansätzen schon in die neutestamentliche Zeit zurückreicht 208 . Für den vorliegenden Hymnus ist zudem auf die Verbindung zu Vers 1,2 hinzuweisen: In der Taufe erleuchtet Christus, das wahre Licht. Stand in Vers 2,1 das allgemeine österliche Heilsgeschehen im Vordergrund und war am Ende der Besprechung auf die speziell baptismale Deutung hinzuweisen, so wird diese bei Vers 2,2 dominant. Nichtsdestoweniger darf hier umgekehrt nicht aus dem Blick geraten, dass die Blindenheilung auch generell als Symbol des heilschaffenden Handelns Jesu, als Zeichen des Reiches Gottes eintreten kann. Nicht ohne Grund lehnt sich der Wortlaut des Verses erkennbar an Ps 145(146),8 an 209 : PsA 145,7f.: (Dominus) dat escam esurientibus, dominus erigit adlisos, dominus solvit conpeditos, / Dominus inluminat caecos, dominus diligit iustos, … Dieses Psalmzitat bringt Ambrosius mehrfach an - in unterschiedlichem Umfang und verschieden stark variiert - und bezieht es auf die Taten Jesu 210 . So illustriert Vers 2,2, ungeachtet seines starken Akzents auf der Taufthematik, der durch die Verankerung des Hymnus in der Theologie der Osternacht um so deutlicher hervortritt, parallel zum vorangehenden Vers auch universell, dass durch Ostern das Heil gerade denen zugesprochen wird, die seiner verlustig zu sein scheinen, letztlich also der gesamten Menschheit nach dem Sündenfall 211 . Iesu et INTROIVIT IN EUM SATANAS [Io 13,27]. Iudae nox erat in quo diabolus erat, Iohanni dies erat qui in pectore Christi recumbebat [cf. Io 13,23.25]. Petro quoque dies erat cum lumen Christi videret in monte; nox erat aliis sed Petro dies erat [cf. Mt 17,2-4]. At vero ipsi Petro nox erat quando Christum negabat, denique GALLUS CANTAVIT ET FLERE COEPIT [Mc 14,72], ut emendaret errorem; iam enim DIES APPROPINQUABAT . Zur Blindheit als moralischer Metapher vgl. fug. saec. 4,23 (32/ 2,182f.); in Luc. 1,5-7 (CChr.SL 14,8-10); in psalm. 118 serm. 11,7,2 (62,237); obit. Theod. 10 (73,376). 207 Vgl. Hel. 22,83 (32/ 2,463); obit. Valent. 75 (73,364). 208 Vgl. dazu S. 161 Anm. 36. 209 Vgl. auch aus dem ersten Gottesknechtslied Is 42,7. 210 Vgl. patr. 2,9 (32/ 2,129); in Luc. 5,100 (CChr.SL 14,168); fid. 4,5,53 (78,175); epist. 68,6 (82/ 2,171). Vgl. ferner in Luc. 5,97 (CChr.SL 14,167: Lc 7,22 nach Is 35,5). Ähnlich verfährt Jesus selbst in der Antwort an den Täufer Mt 11,5 par mit Zitaten aus Is. 211 In Weiterführung der in Anm. 199 (S. 252) zitierten Bemerkung des Dionysius Cartusianus zu V. 2,1 eröffnet Schäfer (Hic est dies 30) eine weitere Sinnebene des Verses, indem er ihn auf die Emmausperikope bezieht: „die Jünger waren nach dem Tode Christi in ihrer Mutlosigkeit wie blind für die Mitteilung der Frauen, Christus sei auferstanden, und erst an der Weise des Brotbrechens erkannten die Jünger von Emmaus den Auferstandenen, erst nach dieser Handlung sahen sie den Herrn vor sich: Et aperti sunt oculi eorum (Lk 24,31)“. <?page no="268"?> 256 4.2 Zweiter Abschnitt (2,3-4,4): Der gute Schächer 2,3 Quem non gravi solvat metu 2,4 latronis absolutio, 3,1 qui praemio mutans crucem 3,2 Iesum brevi adquisit fide 3,3 iustosque praevio gradu 3,4 praevenit in regno Dei? 4,1 Opus stupent et angeli 4,2 poenam videntes corporis 4,3 Christoque adhaerentem reum 4,4 vitam beatam carpere. 4.2.1 Zur Komposition des Abschnitts Der zweite Sinnabschnitt besteht aus zwei Satzgebilden. Jeweils steht der relativ kurze Hauptsatz (2,3f.) bzw. Kern des Hauptsatzes (4,1) voran und wird durch einen umfangreicheren abhängigen Teil erweitert, im ersten Fall durch einen Relativsatz aus zwei durch -que verbundenen Halbsätzen (3,1- 4), im zweiten Fall durch das Participium coniunctum videntes mit zwei ebenfalls durch -que verbundenen Akkusativobjekten, deren zweites ein AcI bildet (4,2-4). Neben der Identität des latro aus Vers 2,4 mit dem reus aus Vers 4,3 hält den Sinnabschnitt eine parallele Struktur der abhängigen Teilsätze zusammen. qui praemio mutans crucem A Iesum brevi adquisit fide B iustosque praevio gradu praevenit in regno Dei C … poenam videntes corporis A’ Christoque adhaerentem reum B’ vitam beatam carpere C’ Die Entsprechung liegt in der unter Variation der Wortwahl gewahrten Wiederkehr der Elemente: körperliche Marterqual (A: crucem bzw. poenam corporis) - Glaube an Jesus Christus (B: Iesum brevi adquisit fide bzw. Christo adhaerentem 212 ) - glückseliges Leben im Jenseits (C: regno Dei bzw. vitam beatam). Beide Versgruppen, zudem auf dieselbe Person bezogen, haben also einen analogen Inhalt. Der jeweilige (Kern-)Hauptsatz weist jedoch den beiden Gesamtsätzen unterschiedliche Perspektiven zu. Die rhetorische Frage der Verse 2,3f. hebt auf die Bedeutung des Geschehens für alle ab (quem non? ); der Aussagesatz in Vers 4,1 weist auf die staunende Reaktion der Engel hin. 212 Hier entspricht sich auch die prägnante Anfangsstellung des Namens Iesum bzw. Christo. <?page no="269"?> 257 Innerhalb des ersten Teilabschnitts (2,3-3,4) gehen regelmäßig die Attribute ihren Substantiven voraus: gravi … metu (2,3), latronis absolutio (2,4), brevi … fide (3,2), praevio gradu (3,3), wobei jeder zweite Ausdruck gesperrt ist (Hyperbaton). Der abschließende Vers 3,4 kehrt die Reihenfolge in markanter Weise um (regno Dei). So erfährt das schon durch die Schlussstellung hervorgehobene Reich Gottes eine zusätzliche Betonung. Zudem sei auf die pointierte Kontrastierung der Begriffe latronis (2,4) und iustos (3,3) hingewiesen, die Ambrosius durch die exponierte Anfangsstellung im zweiten bzw. zweitletzten Vers des ersten Teilabschnitts erreicht. Im zweiten Teilabschnitt ist anders als im ersten eine abwechselnde Anordnung der Abfolge von Substantiv und Attribut zu beobachten: poenam … corporis (4,2), adhaerentem reum (4,3), vitam beatam (4,4). Simonetti weist auf die grundsätzliche Anfangsstellung der Objekte in der vierten Strophe hin (opus, poenam, vitam), die in Vers 4,3 durch die Endstellung von reum variiert wird, zudem auf die Mittelposition der Verbformen (stupent, videntes, adhaerentem), die im letzten Vers zugunsten der betonten Endstellung von carpere aufgegeben wird 213 - für Simonetti beides typische Belege des Wechselspiels von concinnitas und variatio. 4.2.2 Quem non gravi solvat metu latronis absolutio (2,3f.) Das Verspaar 2,3f. fungiert durch die Einführung des latro als Auftakt des zweiten Sinnabschnitts; die dritte Strophe ist als Relativsatz angebunden, die vierte Strophe durch die personale Identität des reus aus Vers 4,3 mit dem latro. Gleichzeitig schließt es jedoch organisch an den ersten Sinnabschnitt an und erfüllt innerhalb des Gedankengangs des Hymnus eine argumentative Doppelfunktion, die aus dem vorangehenden Verspaar 2,1f. erwächst. Im Hintergrund steht die Schächerperikope nach Lukas. Einer der beiden zusammen mit Jesus hingerichteten Verbrecher (Lc 23,32f. 214 ) bekennt sich am Kreuz zu ihm und erhält die Zusage: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“. Lc 23,39-41; LcA 23,42f.: Z[ G + $ '$ L : 6 I )3 Q , )$ 4 ; + % 6 3 U _ . ( $ 3 G , l $ + 9 D I G L 6 4 , 9 9 $ Q; 3 U G , Y5 $ y $! 5 ( - L! I 7 G G Y D $ 5 . 3 D I memento mei, domine, cum veneris in regnum tuum. respondit dominus: amen dico tibi, hodie mecum eris in paradiso. Der Fall des guten Schächers verdeutlicht auf zwei Ebenen die in den Versen 2,1f. konstatierte Heilsmächtigkeit des Paschamysteriums. Zum einen, auf der historischen Ebene, dient der Schächer als Beispiel eines Verlorenen, dem der Glaube eingegossen wird (fidem refundens perditis) 215 - in der Tat kommt er in einer Situation der äußersten Verlorenheit, im Angesicht des 213 Vgl. Simonetti, Studi 400f. 214 Vgl. Mt 27,38; Mc 15,27; Io 19,18. 215 Von Bedeutung ist hier auch, dass Vers 3,2 das Stichwort fides aus Vers 2,1 aufgreift. <?page no="270"?> 258 Todes, zum Glauben an Jesus - bzw. eines (moralisch) Blinden, dem die Erleuchtung zuteil wird (caecosque visu inluminans), sodass er sowohl seine eigene Sündhaftigkeit als auch die Wahrheit Christi erkennt. Zum anderen, auf der gegenwärtigen Ebene, verbürgt für den Gläubigen das Ergehen des Schächers die Aussicht auf das eigene Heil: Wer von dem damaligen Geschehen hört, bezieht daraus heute Glaubenszuversicht 216 und Erleuchtung, legt seine existentielle Furcht ab (gravi solvat 217 metu). Was der Gegenstand des gravis metus ist, von dem Ambrosius spricht, lässt sich umgekehrt aus dem Erkenntniswert der Schächerepisode erschließen. Der Schächer sieht sich seinem Tod gegenüber und mit seiner Schuld konfrontiert, erhält aber von Jesus die Zusage des Paradieses: Es geht also um Sündenvergebung und den guten Zustand nach dem Tod. Mithin handelt es sich bei der dadurch aufgehobenen Furcht um die Todesangst, zu der auch die Angst vor den 216 Dass sogar der Verbrecher begnadigt wird, verstärkt die Hoffnung für alle; vgl. in psalm. 39,17,5 (64,223): nemo est qui possit excludi [sc. a paradiso], quando receptus est latro; in psalm. 118 serm. 8,40,4 (62,175): etsi enim nequissimus sim omnium et detestabilissimus peccatorum, illo [sc. salvatore] tamen iubente liberor, qui sub uno momento latrocinii damnatum reum supplicio eripuit et constituit in regno suo. 217 Die handschriftliche Überlieferung ist hier zwischen Indikativ und Konjunktiv gespalten: Den Konjunktiv solvat bieten die Handschriften aus dem alemannischen Raum (Aa, Ad, Ae, Sa) und die alte französische Handschrift Fb; der Indikativ solvit findet sich in Italien (sämtliche Mailänder Manuskripte sowie Ie) und der einzigen spanischen Handschrift Ec - auch die allein im ältesten Manuskript Fa belegte Lesart solvet kann zur Stützung herangezogen werden, wenn man die häufige i/ e-Verschreibung auf bestimmten paläographischen Stufen bedenkt: vgl. schon Mone (Hymnen 223), der freilich mit diesem Argument umgekehrt die futurische Lesart zu stützen sucht unter Verweis auf V. 7,3f. des Epiphaniehymnus Inluminans altissimus: Quis haec videns mirabitur / iuges meatus fontium? Der handschriftliche Befund erlaubt aufgrund der ungefähr gleichmäßigen Bezeugung keine eindeutige Entscheidung zugunsten des Indikativs oder Konjunktivs Präsens. Von der Sache her kommen zweifelsfrei beide Lesarten in Frage. Aus den anderen Hymnen des Ambrosius lassen sich für rhetorische Fragen unter Verwendung beider Modi Beispiele anführen, für den Konjunktiv V. 4,1f. von Grates tibi, Iesu, novas (Duval 493) - seine Echtheit vorausgesetzt: Hic quis requirat testium / voces, ubi factum est fides? , für den Indikativ die oben zitierten Verse aus Inluminans altissimus. Die zweite rhetorische Frage in Hic est dies verus Dei (6,1: Quid hoc potest sublimius? ) steht dazwischen, weil bei Hilfsverben wie ‘können’ im Lateinischen der Indikativ an die Stelle eines vom Deutschen her erwarteten Konjunktivs tritt - posse trägt das potentiale Moment schon in sich; vgl. Menge, Lehrbuch § 106,2a (S. 154). Für solvit kann nicht die zu diluit analoge temporale Ambivalenz (Präsens/ Perfekt), wenngleich vorhanden, geltend gemacht werden: Im Unterschied zu Vers 1,3 lässt sich eine solche Doppeldeutigkeit an dieser Stelle nicht interpretatorisch fruchtbar machen. Allerdings könnte für solvit ein phonologisches Argument sprechen, wenn man nämlich von einer durchgestalteten Abfolge der Vokalfarben ausginge: quem non gravi solvit metu = e o a i o i e u (hell-dunkel-dunkel-hell / dunkel-hell-hell-dunkel). Savon hingegen hält solvit für „une banalisation de solvat“ (Hic est dies 423). Diese Einschätzung geht wohl zu weit, jedoch kann zumindest festgestellt werden, dass der potentiale Konjunktiv die der rhetorischen Frage eigene suggestive Wirkung in passender Weise unterstriche. In Abwägung der referierten Gesichtspunkte wird hier mit Savon gegen die meisten früheren Herausgeber (Biraghi, Dreves, Walpole [vgl. ders., Notes on the text 433f.], Bulst, Simonetti) für den Konjunktiv plädiert. <?page no="271"?> 259 Folgen der Sünde gehört 218 . Das derart illustrierte Paschamysterium als Tilgung der Sünde durch das Blut Christi und als Übergang vom Tod zum Leben hebt beide Aspekte der Angst auf, indem es ihren Inhalt aufhebt. Die universelle Wirkung dieses Befreiungsaktes kommt in der rhetorischen Frage (Quem non? ) pointiert zum Ausdruck. Die Befreiung, die Lossprechung des sich bekennenden Verbrechers von Sünde und Tod fasst Ambrosius in die Formel latronis absolutio 219 , die abgesehen von dem Ausruf mysterium mirabile (5,1) den einzigen zweigliedrigen Ausdruck des Hymnus darstellt, der einen ganzen Vers füllt - hier wie dort werden auf diese Weise Kernbegriffe exponiert. In der Bedeutung ‘Befreiung/ Freispruch’ begegnet absolutio zunächst im juristischen Kontext, etwa als Freispruch von einer Anklage; die christlichen Autoren dehnen den Verwendungshorizont des Begriffes auf existentiell-religiöse Belange aus 220 . So kann Ambrosius mit absolutio allgemein die Sündenvergebung bezeichnen 221 , aber auch spezielle Fälle aus dem biblischen 222 oder zeitgenössischen 223 Bereich. 218 Die Todesfurcht wird von Ambrosius auch in bon. mort. 8,31 als gravis metus bezeichnet (32/ 1,730f.): certe his quibus gravis est timor mortis non grave est mori, sed grave est vivere sub metu mortis. non ergo mors gravis, sed metus mortis. 219 Savon (Hic est dies 423) weist zutreffend darauf hin, dass durch die Wahl der Vokabeln solvat und absolutio ein Wortspiel entsteht, das den Gedanken des Verspaares unterstreicht. 220 Vgl. TLL 1 (1900), 180-182 s. v. absolutio, bes. Absatz II (actus liberandi); Savon, Hic est dies 423. 221 Vgl. Iob 1,6,17 (32/ 2,223; zu Iob 10,2-7): peccasse condicionis est, quia nemo inmunis est lapsus: impie agere non condicionis, sed perfidiae et nequissimae mentis venenum est. non agnoscit hoc iustus, sed absolutio hominis in dei miseratione, non hominis potestate est; oder paenit. 1,5,22 (73,129f.): Nonne apparet, quod ideo nobis peccantibus indignetur dominus Iesus, ut indignationis suae nos terrore convertat? Indignatio ergo eius non ultionis exsecutio, sed magis absolutionis operatio est. Sic enim dixit: S I CONVERSUS INGEMUERIS , TUNC SAL- VABERIS [Is 30,15]. Expectat ergo gemitus nostros, sed temporales, ut remittat perpetuos; expectat lacrimas nostras, ut profundat pietatem suam. 222 Die vorliegende Thematisierung des guten Schächers gehört in diese Kategorie (vgl. auch in Luc. 10,131 [CChr.SL 14,383]: latronis absolutionem). Daneben heißt es in epist. 68,11 (82/ 2,174) von der Ehebrecherin (Io 8,3-11): Sed iam veniamus ad mulieris huius adulterae absolutionem. Kap. 19f. (ebd. 177): Cui respondit dominus: N EC EGO TE DAMNA- BO [Io 8,11]. Adverte quomodo propriam sententiam temperavit, ut Iudaei de absolutione mulieris calumniari nihil possent, sed in se magis calumniam retorquerent, si queri vellent. Dimittitur enim mulier, non absolvitur, quia deerat accusator, non quia innocentia probabatur. Quid ergo quererentur, qui priores a persecutione criminis et ab exsecutione supplicii destiterunt? Addidit autem deviae: V ADE ET AMODO VIDE NE PECCES [Io 8,11]. Emendavit ream, non crimen absolvit. Etenim severiore sententia culpa damnatur, si unusquisque crimen suum oderit et in se incipiat condemnare delictum. Hier wechselt Ambrosius zwischen einer religiösexistentiellen Verwendung des Begriffes absolutio, die auf die Ehebrecherin anwendbar ist, und einer technisch-juristischen, deren Voraussetzung (der Erweis der Unschuld) nicht vorliegt. 223 Etwa schreibt er an Kaiser Theodosius nach dem Blutbad von Thessaloniki, wo eine außer Kontrolle geratene Strafaktion Tausende Unschuldige das Leben gekostet hatte, <?page no="272"?> 260 4.2.3 qui praemio mutans crucem Iesum brevi adquisit fide (3,1f.) Nachdem in Vers 2,4 nur schlagwortartig die lukanische Schächerepisode ins Bewusstsein gerückt worden war, wird das Geschehen in der dritten Strophe näher ausgedeutet. Der Schächer, eigentlich gerade in der Situation des Bestraftwerdens für seine Verbrechen - dafür steht das Kreuz (crucem) -, wandelt seine Lage in die des Belohntwerdens (praemio) für seinen Glauben 224 . Ähnlich drückt es Ambrosius in seinem an Gratian gerichteten Traktat De fide aus: fid. 5,10,125 (78,263): Quomodo igitur non est verum testimonium tuum [cf. Io 8,14], domine Iesu, cui qui credidit, in cruce licet positus et inter confessi sceleris supplicia constitutus, merita latronis exuit, praemia innocentis emeruit? 225 Die Formulierung Iesum … adquisit: ‘(der Schächer) erwarb/ erlangte Jesus’, spielt auf die Verheißung in LcA 23,43 an: hodie mecum eris in paradiso; es geht um die Gemeinschaft mit Jesus, die dem Schächer zugesprochen wird. Das Mittel, mithilfe dessen dieser die Verheißung und damit das Verheißene erreicht, ist der Glaube 226 . Indem Ambrosius die zeitliche Kürze des Glauin epist. extra coll. 11,6 (82/ 3,214): non erat facti tui absolutio in Ambrosii communione. Zum historischen Hintergrund vgl. Dassmann, Ambrosius 187-192. 224 In Vers 3,1 bietet die Mailänder Überlieferung (Ma, Mb, Mc, Md, Me) folgenden abweichenden Text: qui praemium mutans cruce. Inhalt des Verses kann vor dem Hintergrund des Bibeltextes nur sein, dass der Schächer sein Kreuz gegen den Lohn (des Paradieses) eintauscht. Geht man die Frage von dieser Prämisse her grammatikalisch an, so ist festzustellen, dass mutare in der Bedeutung ‘eintauschen gegen’ in der Regel so konstruiert wird, dass die weggegebene Sache im Akkusativ steht, die erhaltene im Ablativ - dem entspricht an der hier diskutierten Stelle der Mehrheitstext -, dass aber seit augusteischer Zeit seltener auch die umgekehrte Konstruktion begegnet, die der Mailänder Lesart zugrunde liegt (zur Konstruktion von mutare [jeweils mit Beispielen] vgl. Menge, Repetitorium Nr. 107, Anm. 2 [S. 84]; Kühner/ Holzweissig, Grammatik I 390). Es erscheint hier nicht geboten, die üblichere, handschriftlich mehrheitlich bezeugte und auch von Ambrosius sonst mehrfach gebrauchte (vgl. z. B. hex. 5,10,27 [32/ 1,161]: mutare exilio domus; Cain et Ab. 2,2,8 [ebd. 384f.]: fructu ergo dicit mutandum laborem, ut finis operis sui fructus sit; in psalm. 40,22,2 [64,243]: latro ipse nequitiam suam proposito meliore mutavit) Konstruktionsweise aufzugeben. Savon (Hic est dies 424) stützt die Lesart zusätzlich durch den Hinweis auf den Chiasmus in V. 3,1f.: praemio … crucem / Iesum … fide. Allerdings käme andernfalls ein Parallelismus zustande. 225 Zur Bezeichnung der absolutio latronis als praemium vgl. außerdem in psalm. 37,18 (64,149). 226 In Vers 3,2 gibt es drei metrisch mögliche Varianten zu Iesum … fide: Iesu … fidem in Fa, Iesum … fides in Ec und Iesum … fidem in Ie. Die Lesart der italienischen Handschrift ist von Sinn und Grammatik her nicht zu halten, die der spanischen scheidet wegen des sinnwidrigen Subjektwechsels aus. Der Text von Fa ist mit adverbial aufgefasstem brevi (‘in kurzer Zeit’) denkbar mit dem Sinn: ‘er erreichte in kurzer Zeit das Vertrauen Jesu/ den Glauben an Jesus’, aber alleine nicht in der Lage, den Mehrheitstext in Frage zu stellen. Am umstrittensten ist das Prädikat adquisit, das in dieser Form eine Konjektur Walpoles darstellt (Notes on the text 434). Die alten Handschriften bieten sämtlich unkontrahierte Perfektbildungen mit oder ohne Vorsilbe: Ae, Fa, Fb, Ie (in zweiter Hand): adquisivit - dazu muss gerechnet werden adquisibit in Ec (typische v/ b-Verschreibung); Aa, Ie, Sa: adquesivit; Ad: quaesivit; Aa (in zweiter Hand) und Mailänder Tradition: quesi- <?page no="273"?> 261 bensaktes (brevi … fide) 227 betont, der sich erst während der Hinrichtung des Verbrechers vollzieht, unterstreicht er die umfassende Bedeutung eben dieses Glaubens. Dem Schächer bleibt nicht die Zeit, seinen Glauben zu bewähren und handelnd Konsequenzen aus ihm zu ziehen - und doch ist der Glaube allein, und sei es erst im letzten Moment, hinreichend, das Paradies zu erlangen 228 . Auch in anderen Schriften hebt Ambrosius die Rolle des Bekenntnisses (confessio) 229 und der Umkehr (conversio) 230 des Schächers hervor. Im Kontext unseres Hymnus kann hier wiederum ein Nachklang der baptismalen Sinnebene des ersten Abschnitts gesehen werden: Der Zusammenhang zwischen fides und absolutio manifestiert sich für den Christen sakramental in der Taufe 231 . vit. (Die Korrekturen in Ie und Aa tragen der Tatsache Rechnung, dass die korrekte Perfektbildung [entsprechend den Infinitiven] des Simplex quaesivit, die des Kompositums aber adquisivit lautet.) In allen Fällen entstehen dadurch drei Längen im dritten Versfuß. Will man nicht mit jüngeren Handschriften das Präsens qu(a)erit lesen, welches inkonzinn ist zu dem durch die Metrik als Perfekt ausgewiesenen praevenit in Vers 3,4 (Savon, Hic est dies 425: Italienische Handschriften aus dem 11. Jh. bieten quaerit „vraisemblement par un souci de métrique“; Mone [Hymnen 223] plädiert für quaerit mit dem grammatikalisch völlig verfehlten Argument: „Das Präsens scheint mir das einfachste, weil auch das Particip des Präsens vorausgeht“), liegt die von Walpole vorgeschlagene Lösung nahe. Bulst (Hymni 47) und Savon (Hic est dies 425) folgen Walpole - Savon verweist ebd. darauf, dass zur Zeit des Ambrosius das Simplex quaerere nicht mehr im Sinn von ‘erreichen’ benutzt worden sei (vgl. aber Kap. 4.3.5) und bringt Belege aus den Schriften des Ambrosius für den Gebrauch des Kompositums adquirere in vergleichbaren Fällen; Biraghi (Inni sinceri 64) konjiziert jedoch quaesit; dementsprechend, aber unkontrahiert (und damit metrisch problematisch) quaesiit bei Dreves, Hymnographi 16; Blume, Lieder 181, und Simonetti, Inni 54. 227 Von brevis fides spricht Ambrosius auch bezüglich der von Jesus geheilten blutflüssigen Frau (Lc 8,43-48): in Luc. 6,58 (CChr.SL 14,194). 228 Insbesondere Origenes entfaltet anhand der Schächerepisode den Gedanken einer Rechtfertigung allein durch den Glauben: vgl. dazu Sieben, Larron 307f. (mit Belegstellen). 229 Vgl. hex. 4,4,13 (32/ 1,119): latro damnatus ille, qui est cum domino crucifixus, non beneficio nativitatis suae, sed fidei confessione ad paradisi aeterna transivit; in psalm. 40,22,2 (64,243): latro ipse nequitiam suam proposito meliore mutavit, agnovit in cruce Christum, confessus est dei filium, regem voce propria nuncupavit; in psalm. 118 serm. 8,11,2 (62,156): aufert [sc. deus] dilationem, ubi invenit iusti confessionem. sane alibi ait: HODIE MECUM ERIS IN PARA- DISO . 230 Vgl. in Luc. 10,121f. (CChr.SL 14,379f.): A MEN , AMEN DICO TIBI , HODIE MECUM ERIS IN PARADISO . Pulcherrimum adfectandae conversionis exemplum, quod tam cito latroni venia relaxatur … Cito igitur ignoscit dominus, quia cito ille convertitur. Unde et illud solvi videtur, quia alii [sc. evangelistae] duos conviciantes inducunt latrones, iste unum conviciantem, unum rogantem. Fortasse et iste prius conviciatus est, sed repente conversus est. Nec mirum si converso culpam ignoscebat qui insultantibus veniam relaxabat. Die harmonisierende Exegese lehnt sich an Origenes (comm. ser. 133 in Mt. [GCS 38,271 Klostermann/ Benz/ Treu]) an. 231 Cyprian nennt im Kontext der Frage nach dem Heilsstatus um Christi willen getöteter Katechumenen den Schächer als Empfänger der Bluttaufe (sanguinis baptismum). Epist. 73,22,2 (CChr.SL 3C,557 Diercks): Sanguine autem suo baptizatos et passione sanctificatos consummari et divinae pollicitationis gratiam consequi declarat in evangelio idem dominus, <?page no="274"?> 262 Zugleich dient die Herausstellung der Kürze des Glaubensaktes, der die Sünden eines ganzen Lebens aufzuwiegen vermag, auch der Demonstration der übergroßen Güte und Barmherzigkeit Gottes. So schreibt Ambrosius an anderer Stelle: in psalm. 37,18 (64,149): Diximus quemadmodum in ulciscendo inflectat dominus commotionem suam; dicamus quemadmodum in remunerando praeveniat nostram precationem et doceamus exemplo. audi illum ex duobus latronem dicentem domino: MEMENTO MEI , DOMINE , CUM VENERIS IN REGNUM TUUM [Lc 23,42]. respondit dominus: AMEN DICO TIBI , HODIE MECUM ERIS IN PARADISO [Lc 23,43]. ille adhuc rogabat, ut meminisset sui cum venisset in regnum, et dominus iam regnum caeleste tribuebat. quam velox misericordia! tardius votum precantis quam remunerantis est praemium. 232 4.2.4 iustosque praevio gradu praevenit in regno Dei (3,3f.) Die Auslegung dieses Verspaares ist eng mit textkritischen Fragen verknüpft. Der hier präsentierte Text iustosque … praevenit findet sich in der deutschen (Aa 233 , Ad, Ae) und der spanischen Tradition (Ec). Sowohl zu iustos als auch zu praevenit existieren jedoch Varianten. Da die Abweichungen die Kasusendung (iustus) bzw. die Vorsilbe (pervenit) betreffen, mögen beide auf die falsche Auflösung von Abbreviaturen zurückgehen 234 . In den Handschriften begegnen die Lesarten in jeder theoretisch denkbaren Kombination; dabei können iustusque … praevenit (Fa, Fb, Sa) und iustosque … pervenit (Me) als unmöglich ausgeschieden werden: Im ersten Fall fehlt das unabdingbare Objekt zu praevenit - es bleibt offen, wem der Schächer zuvorkam, obwohl doch der Vorgang durch praevio gradu eine zusätzliche Hervorhebung erfährt -, im zweiten Fall ist ein Objekt mit dem intransitiven pervenit (‘er kam an’) verbunden. Als einzige echte Alternative bleibt somit die Mailänder Lesart iustusque … pervenit 235 (‘gerechtfertigt gelangte er’). Für die nähere Diskussion der Frage ist ein weiteres textkritisches Problem von Bedeutung: Während die meisten Handschriften in Vers 3,4 den Akkusativ regnum lesen, bieten einige stattdessen den Ablativ regno. Es handelt sich um die drei ältesten Manuskripte, die Exemplare des Fränkischen Hymnars (Fa, Fb, Sa). Eine Entscheidung für pervenit setzt den Akkusativ regnum voraus, da die lateinische Sprache bei Verben des Ankommens im Unterschied zum Deutschen nicht den Endpunkt, sondern die Richtung der Bewegung in den quando ad latronem in ipsa passione credentem et confitentem loquitur et quod secum futurus sit in paradiso pollicetur. 232 Vgl. in Luc. 10,121 (CChr.SL 14,379): Pulcherrimum adfectandae conversionis exemplum, quod tam cito latroni venia relaxatur et uberior est gratia quam precatio; semper enim plus dominus tribuit quam rogatur. 233 Von zweiter Hand ist allerdings iustosque zu iustusque korrigiert. 234 Eine Verschreibung zwischen praevenire und pervenire unterläuft häufig: vgl. TLL 10,2,7 (1993), 1099, 4-8 s. v. praevenio (mit Beispielen). 235 Ma, Mb, Mc, Md, übernommen auch von Ie. Nach diesem Text richten sich Biraghi, Inni sinceri 64; Steier, Echtheit 656; Dreves, Hymnographi 16; Blume, Lieder 181, und Simonetti, Inni 54. <?page no="275"?> 263 Blick nimmt 236 . Tatsächlich ist die Kombination pervenit in regno Dei in keiner Handschrift überliefert. Das Verb praevenire schließt zwar von seinem Bestandteil venire her den Gedanken des (An)kommens ein, ist jedoch als transitives Verb stärker von seiner Beziehung zum direkten Objekt geprägt. Hinsichtlich der Ortsangabe sind beide Kasus möglich: wohin zuvorkommen (in + Akkusativ) und wo zuvorkommen (in + Ablativ). Angesichts des geschilderten textkritischen Befundes sind inhaltliche Gesichtspunkte zu erwägen, um zwischen den möglichen Alternativen iustusque … pervenit in regnum Dei, iustosque … praevenit in regnum Dei und iustosque … praevenit in regno Dei entscheiden zu können. Die Mailänder Lesart iustusque … pervenit in regnum Dei stellt, textimmanent betrachtet, eine Variation zum vorangehenden Vers 3,2 dar. Der Schächer ‘gelangte als Gerechter’, das kann nur bedeuten: als durch den Glauben Gerechtfertigter, ‘ins Reich Gottes’ 237 . Im Sinne der paulinischen Rechtfertigungslehre würde nochmals die Relevanz des Glaubensaktes in den Blick genommen 238 . Biblischer Bezugspunkt der Wortwahl wäre LcA 23,42: memento mei, domine, cum veneris in regnum tuum. Bliebe so als neues Element der Ausdruck praevio gradu relativ isoliert, erhält er in Verbindung mit der Lesart iustosque … praevenit entscheidende Bedeutung 239 - im Unterschied zur mailändischen Variante geht damit das ganze Verspaar inhaltlich substantiell über Vers 3,2 hinaus, was das ausschlaggebende Argument für diese alternative Lesart darstellt. Das Moment des Zuvorkommens wird durch den Pleonasmus praevio gradu / praevenit deutlich akzentuiert und durch die Beifügung des Objekts iustos inhaltlich gefüllt. Der Schächer ‘kam vorauseilenden Schrittes vor den Gerechten ins Reich Gottes’. Ausgehend von der Zusage Lc 23,43, der Schächer werde ‘noch heute’ mit Jesus ins Paradies gelangen, wird dem glaubenden Verbrecher ein Heilsvorteil vor den Gerechten eingeräumt. Versucht man zu ergründen, welche Personen konkret mit den iusti gemeint sind, kommen im Wesentlichen zwei Interpretationen in Frage 240 . Von der weiteren Rezepti- 236 Vgl. Menge, Lehrbuch § 393,3 (S. 529). 237 Indirekt als Gerechter bezeichnet wird der Schächer auch Nab. 8,38 (32/ 2,489): avaro nox semper est, dies iusto, cui dicitur: AMEN , AMEN DICO TIBI , HODIE MECUM ERIS IN PARA- DISO . 238 Vgl. z. B. Rom 3,28: C4 $ / Y $ ) $3 D$ 4 % ; 4,5: 9 G * $ C > ' G 3 6 / 6 ( L1 C U / ' ; Gal 2,16: 4 [ G] / Y $ 5 D$ 4 % * . / J$ / , 3 U J$ 6 . / ' , X + J$ / 3 5 D$ 4 %, 5 D$ 4 % : _ ! $5 . Explizit findet sich die ‘paulinische’ Interpretation der Schächerperikope Mitte des 5. Jh. bei Papst Leo d. Gr., serm. 55,3 (CChr.SL 138A,325 Chavasse): … tam velox fidei esset effectus, ut de crucifixis cum Christo latronibus, qui in Filium Dei credidit, paradisum iustificatus intraverit. 239 Vgl. Savon, Hic est dies 426. 240 Über die hier diskutierten Ansätze hinaus sieht Walpole (Notes on the text 434) einen Bezug auf LcA 15,7: gaudium erit in caelis super uno peccatore paenitentiam agente quam in nonaginta et novem iustis qui non indigent paenitentia. Zur Stützung seiner These verweist Walpole auf die in V. 4,1 erwähnte Reaktion der Engel. <?page no="276"?> 264 onsgeschichte des Schächermotivs her legt sich die auch im neutestamentlichen Sprachgebrauch verbürgte 241 Deutung nahe, es handele sich um die alttestamentlichen Gerechten. So heißt es in einer fälschlicherweise dem Augustinus zugeschriebenen Predigt 242 : Ps-Aug. serm. Mai 33,3 (PLS 2,1134): Neminem sanctorum invenimus ante latronem per vocem in paradisum introire, non Abraham, non Moysen, non prophetas, non apostolos. Ihre berühmte narrative Ausgestaltung erhielt diese Vorstellung spätestens im fünften oder sechsten Jahrhundert 243 im dritten Teil des apokryphen Nikodemusevangeliums, der den Abstieg Christi in die Unterwelt ausmalt. Im 26. Kapitel wird berichtet, wie die von Christus aus dem Hades zum Tor des Paradieses geführte Prozession alttestamentlicher Prominenz dem bereits dort befindlichen Schächer begegnet. Wenngleich die aufgeführten Textbelege in der überlieferten Form jünger sind als der Paschahymnus des Ambrosius, kann nicht ausgeschlossen werden, dass das zugrunde liegende Motiv der Mailänder Gemeinde des späten vierten Jahrhunderts bereits bekannt war 244 . Gleichwohl scheint eine andere Deutung im Zusammenhang des Hymnus bedeutsamer zu sein 245 . In den synoptischen Evangelien wird zwar das alttestamentliche Modell des Gerechten nicht außer Kraft gesetzt, aber doch „die Hypokrisie des Gerechtscheinens und das Selbstvertrauen des auf seine Frömmigkeit abgelehnt: Mt 23,28; Lk 20,20; 18,9. Durch die Verwerfung des -Wesens als Habitus und Geste wie als Selbstvertrauen, das sich paart mit Verachtung der anderen, wird also hinter den Anspruch der ‘Gerechten’ ein Fragezeichen gesetzt“ 246 . Ein Jesuswort aus diesem 241 Vgl. Schrenk, 191 (mit Belegstellen). 242 Die Predigt hängt ab von Predigt Nr. 12 (De cruce et latrone) des Chrysostomus Latinus, einer im ersten Viertel des 5. Jh. in Italien erstellten Sammlung von 38 lateinischen Predigten, deren Originale Johannes Chrysostomos zugeschrieben wurden. Die Zuweisung der betreffenden Predigt ist unsicher; vgl. Wenk, Chrysostomus Latinus 16; Frede, Kirchenschriftsteller 369.375. 243 Zur Datierung lassen sich keine genaueren Aussagen machen, zumal der Text einem evolutiven Prozess unterlag: vgl. Klauck, Apokryphe Evangelien 121; die lateinische Version A, für den dritten Teil vermutlich die ursprüngliche, entstand wohl im 6. Jh.: vgl. Gounelle, Descente 395, ausführlicher zu Entstehung und Datierungsproblematik Gounelle/ Izydorczyk, Évangile de Nicodème 101-119. Es dürfte allerdings auf älteres Material zurückgegriffen worden sein. Drobner (Patrologie 81) hält eine Abfassung „ab dem späten 4. Jh.“ für möglich, da zuvor die im Nikodemusevangelium vorausgesetzte Deutung von Ps 23(24),7 auf den Descensus nicht belegt sei. (Die traditionelle Interpretation dieses Psalms bei den Kirchenvätern zielt vielmehr auf die Himmelfahrt, so auch bei Ambrosius; vgl. Kap. 4.2.5). 244 Diese Interpretation wird bevorzugt von Mone (Hymnen 223) und Bernt (Paschahymnus 530). 245 Vgl. dazu Walpole, Hymns 80, und Bonato, Inni 231. Wenig überzeugend ist der Versuch Savons (Hic est dies 426), beide Deutungen zusammenzubringen; die jeweils avisierten Personenkreise sind nicht identisch. 246 Schrenk, 191f. <?page no="277"?> 265 Kontext ist hier von besonderem Interesse. Matthäus berichtet von der Auseinandersetzung Jesu mit den ‘Hohenpriestern und Ältesten des Volkes’ (Mt 21,23) bzw. den ‘Hohenpriestern und Pharisäern’ (Mt 21,45) in Jerusalem. Dabei spricht Jesus zu seinen Gegnern: MtA 21,31: meretrices et publicani praecedunt vos in regno caelorum. Die Angeredeten sind hier gerade die Selbstgerechten, von denen oben die Rede war. Ambrosius sucht die Anspielung auf diesen Bibelvers bis in die Formulierung hinein 247 , um zu verdeutlichen, dass die Zusage an den Schächer eine exemplarische Erfüllung dieses Herrenwortes darstellt: Der sein Leben verfehlt geführt hat, aber im letzten Moment aufrichtig erkennt und glaubt, genießt im Paradies den ‘Vortritt’ vor den äußerlich Gerechten 248 . Folgt man der hier vertretenen These, Mt 21,31 stehe im Hintergrund der Hymnenverse 3,3f., kann daraus in textkritischer Hinsicht ein Argument für die in den ältesten Codices tradierte Lesart in regno Dei gewonnen werden 249 . Wenn Ambrosius folglich in Vers 3,4 in regno Dei schreibt und nicht in paradiso, wie es sich vielleicht von Lc 23,43 her angeboten hätte, gehorcht er nicht nur metrischen Notwendigkeiten 250 , sondern verflicht in grandioser Weise Mt 21,31 mit dem Schächermotiv. Eine weitere inhaltliche Absicht ist mit der Begriffswahl an dieser Stelle nicht verknüpft; auch sonst verwendet Ambrosius im Zusammenhang der Schächerepisode regnum (Dei) synonym zu paradisus, wie es im übrigen auch die Abfolge der lukanischen Verse 23,42f. nahelegt 251 . Singulär ist demgegenüber die im Brief an Orontianus durchgeführte Unterscheidung, die Feinheiten der ambrosianischen Eschatologie offenlegt: Dem Paradies als der Wiederherstellung der durch den Sündenfall verlorenen Schöpfungsgnade wird das Reich Gottes als Chiffre der diese übertreffenden Erlösungsgnade gegenübergestellt - hier muss sich der Schächer vorerst mit dem Paradies begnügen, während das Gottesreich denen zugänglich ist, die ihren Glauben bewährt haben, wofür Petrus als Beispiel gewählt wird 252 . 247 Hier ist auch zu bedenken, dass regnum caelorum bei Mt synonym für das sonst bei den Synoptikern übliche regnum Dei gebraucht wird. 248 Vgl. Mt 19,30: 3 G D $+ D ) 3 D ) $+ par LcA 13,30: et ecce sunt novissimi qui erant primi, et sunt primi qui erant novissimi. 249 Walpole (Hymns 80) weist zu Recht darauf hin, dass der Akkusativ in den Handschriften unter dem Einfluss von Lc 23,42 zustande gekommen sein könnte. Bulst (Hymni 47) folgt Walpole in der Entscheidung für den Ablativ. 250 So Savon, Hic est dies 427. 251 Vgl. in psalm. 37,18 (64,149); in psalm. 118 serm. 8,40,4 (62,175); in Luc. 10,121 (CChr.SL 14,379); fid. 3,12,99 (78,143). 252 Epist. 19,8f. (82/ 1,144f.): ... latroni illi confitenti dicitur: A MEN , AMEN DICO TIBI , HODIE MECUM ERIS IN PARADISO . Ille dixerat: M EMENTO MEI , CUM VENERIS IN REGNUM TUUM . Christus non de regno respondit, sed ad causam: HODIE MECUM ERIS IN PARADISO ; id est: reformandum est ante quod amissum est, postea conferendum id quod augendum est, ut per paradisum ad regnum perveniatur, non per regnum ad paradisum. Servatur discipulis, quod plus conferatur pro laboribus ideoque incolatum promisit, regnum distulit. Itaque is qui sub ictu mortis convertitur et confitetur dominum Iesum, mereatur incolatum paradisi, qui vero multo <?page no="278"?> 266 Im Kontext des Hymnus steht das Anlangen des Schächers im Reich Gottes für den Inhalt des in Vers 3,1 genannten praemium, das gleichzeitig den Rezipienten der Perikope von seinem gravis metus löst (Vers 2,3): die Überwindung des Todes und die ewige Gemeinschaft mit Christus, wie der Mailänder Bischof an anderer Stelle erörtert. in Luc. 10,121 (CChr.SL 14,379): Ille [sc. latro] enim rogabat ut memor sui esset dominus, cum venisset in regnum suum, dominus autem ait: AMEN , AMEN DICO TIBI , HODIE MECUM ERIS IN PARADISO ; vita est enim esse cum Christo, quia ubi Christus ibi regnum. fid. 3,12,99 (78,143): An negamus in regno fili prophetas esse, cum et latroni dicenti ME- MENTO MEI , CUM VENERIS IN REGNUM TUUM responderit dominus: A MEN TIBI DICO , HODIE MECUM ERIS IN PARADISO ? Aut quid est esse in dei regno nisi aeternam nescire mortem? 4.2.5 Opus stupent et angeli poenam videntes corporis (4,1f.) Vers 4,1 253 stellt eine interessante Erweiterung des bereits beobachteten integralen Paschaverständnisses dar, das Hic est dies verus Dei zugrunde liegt. Insbesondere anhand der Verse 1,3f. und der Verarbeitung der Schächerepisode war erkennbar geworden, dass Ambrosius in seinem Hymnus auch den Karfreitag präsent hält. Die Formulierung opus stupent et angeli spielt nun auf einen weiteren Aspekt des Paschamysteriums an, der für Ambrosius wohl noch keine liturgische Eigenständigkeit erlangt hat, sondern noch untrennbar mit der einen Ostervigil verbunden ist 254 : Christi Himmelfahrt. Das Motiv des Staunens der Engel verweist nämlich auf die bei den Kirchenvätern verbreitete Deutung des Psalms 23(24) auf die Himmelfahrt 255 : Dessen Verse 7-10 werden als Dialog der Himmelsbewohner interpretiert, die teilweise den ankommenden Herrn aufgrund seiner geschundenen Menschengestalt 256 zunächst nicht erkennen und daher verwundert fragen: „Wer ist der König der Herrlichkeit? “ Ambrosius bietet im ersten Kapitel des vierante se exercuit et ‘Christo militavit’ [cf. 2 Tim 2,3-4], adquisivit populorum animas, pro Christo se obtulit, habeat paratum stipendiis suis dei regnum, cuius se remuneratione donatum gaudeat. Ideoque Petro dicitur: T IBI DABO CLAVES REGNI CAELORUM [Mt 16,19]; vgl. dazu Bietz, Paradiesesvorstellungen 92-95. Unabhängig vom Schächer begegnet die Unterscheidung zwischen Paradies und Himmelreich gelegentlich, so parad. 1,5 (32/ 1,267); vgl. Niederhuber, Eschatologie 55.69-99. 253 Die abweichenden Lesarten obstupent et angeli (Aa, Ad, Ae, Fb, Sa) und hoc obstupent angeli (Ec) weisen jeweils nur sieben Silben auf und lassen sich gut aus Nachlässigkeiten bei der Abschrift erklären (opus > obs-; -ent et > -ent). 254 Vgl. dazu oben S. 250. 255 Vgl. Danielou, Liturgie und Bibel 306-310, mit zahlreichen Quellenbelegen, beginnend im zweiten Jahrhundert (vgl. Iust. 1 apol. 51,6f. [PTS 38,103 Marcovich]); Savon, Hic est dies 428. 256 Zum zeichenhaften Ausdruck des körperlichen Leids wird in der Väterexegese oftmals unter Heranziehung von Is 63,1 das (blut)rote Gewand, so auch Ambr. myst. 7,36 (der Text ist zitiert unten S. 270). <?page no="279"?> 267 ten Buches De fide eine ausführliche Auslegung 257 , die sich insbesondere an die des Origenes anlehnt 258 und mehrfach das Staunen der Engel betont: fid. 4,1,5ff. (78,159-161): Obstipuerunt et angeli caeleste mysterium. Unde cum resurgeret dominus atque illum, quem dudum secundum carnem angustus sepulcri locus texerat, resurgentem ab inferis caeli alta sustinere non possent, haeserunt etiam caelestia opinionis incerto. Veniebat enim novis victor redimitus exuviis DOMINUS IN TEMPLO SANCTO SUO [Ps 10(11),4; Hab 2,20], praeibant angeli et archangeli mirantes spolium ex morte quaesitum. … (9) Et ideo dominum omnium primum ac solum de morte triumphantem venire cernentes tolli portas principibus imperabant cum admiratione dicentes: T OL- LITE PORTAS , PRINCIPES VESTRI , ET ELEVAMINI , PORTAE AETERNALES , ET INTROIBIT REX GLORIAE [Ps 23(24),7]. Erant tamen adhuc et in caelestibus, qui stuperent, qui admirarentur novam pompam, novam gloriam, et ideo requirebant: Q UIS EST ISTE REX GLORI- AE ? [Ps 23(24),8] Sed quia et angeli processus habent scientiae et capacitatem profectus, habent utique discretionem virtutis atque prudentiae. Solus enim sine processu deus, quia in omni perfectione semper aeternus est. Dicebant alii, illi utique qui adfuerant resurgenti, illi qui viderant vel iam cognoverant: D OMINUS FORTIS ET POTENS , DOMINUS FORTIS IN PROELIO [Ps 23(24),8]. Iterum multitudo angelorum triumphali agmine praecinebant: T OLLITE PORTAS , PRINCIPES VESTRI , ET ELEVAMINI , PORTAE AETERNALES , ET INTROIBIT REX GLORIAE [Ps 23(24),9]. Rursus alii stupentes dicebant: Q UIS EST ISTE REX GLORIAE ? [Ps 23(24),10] V IDIMUS EUM : NON HABEBAT SPECIEM NEQUE DECOREM [Is 53,2]. Si ergo ipse non est, QUIS EST ISTE REX GLORIAE ? Respondetur a scientibus: D OMINUS VIR- TUTUM IPSE EST REX GLORIAE [Ps 23(24),10]. … Zusammenfassend 4,2,26 (ebd. 165): Grande ergo MYSTERIUM C HRISTI [Col 4,3], quod stupuerunt et angeli; … Offenkundig lässt Ambrosius bewusst das bekannte Himmelfahrtsmotiv anklingen, um das Bild des Paschamysteriums, das sein Hymnus zeichnet, um einen wesentlichen Zug zu erweitern: Wie im Tod Jesu bereits seine Auferstehung begründet ist, so ist diese letztlich identisch mit seiner Himmelfahrt, seiner Erhöhung zum Vater 259 . Insofern ist poenam … corporis (4,2) nicht primär auf das körperliche Leid des Schächers zu beziehen, sondern auf dasjenige Jesu. Andernfalls wäre auch die Reaktion der Engel nicht nachvollziehbar: Das Erblicken des Kreuzigungstodes eines Verbrechers kann kaum Anlass der himmlischen Verwunderung über das opus sein, es sei denn, man bände Vers 4,1 ganz eng an das folgende Verspaar. Gegenstand des Staunens wäre dann allein die Tatsache, dass der seine Strafe erleidende Schächer die beata vita erreicht - die Absetzung durch -que spricht jedoch schon sprachlich gegen diese inhaltlich ärmere Interpretation. 257 Vgl. auch inst. virg. 5,39 (SAEMO 14/ 2,140). 258 Or. comm. in Mt. 16,19 (GCS 40,539f. Klostermann); Jo. 6,56 (GCS 10,165 Preuschen). 259 Vgl. dazu S. 243f. <?page no="280"?> 268 Die hier vertretene Deutung 260 passt auch gut zur Verwendung des Begriffes opus, der vor allem im Johannesevangelium das in und durch Christus vollzogene Heilswerk Gottes bezeichnet 261 . Höchster Ausdruck dieses göttlichen Heilswirkens am Menschen, des opus nostrae redemptionis, wie Dionysius Cartusianus zur Stelle präzisiert (p. 45A), ist die in Tod und Auferstehung Jesu erfolgte Aufhebung der Sündenschuld und der aus ihr folgenden Todesverfallenheit. In diesem Zusammenhang sei an eine bereits bei der Interpretation von Vers 1,1 zitierte Formulierung des Ambrosius erinnert, die anlässlich des Verses PsA 43(44),2: opus quod operatus es in diebus antiquis, die Bedeutung des Ostertages hervorhebt: in psalm. 43,6,2 (64,263): cum igitur omnes dies deus fecerit, huic tamen diei prae ceteris divini operis praerogativa delata est, quo peccatum omne sublatum est. Ein letzter biblischer Bezug, der für Vers 4,1 von Belang ist, soll nicht unerwähnt bleiben. Auf die Formulierung et angeli (‘sogar die Engel’), die sich freilich auch inhaltlich nahelegt - das Staunen der Engel ist ein ungewöhnliches Ereignis -, mag das erste Kapitel des ersten Petrusbriefes eingewirkt haben 262 . Dort heißt es vom Heil, nach dem schon die Propheten gesucht hatten (1 Pe 1,10) und das jetzt durch Christus erreichbar ist (1 Pe 1,9): in quem concupiscunt et angeli videre (1 PeA 1,12). 4.2.6 Christoque adhaerentem reum vitam beatam carpere (4,3f.) Das Verspaar 4,3f. bringt terminologisch einen interessanten Kontrast 263 : Neben dem biblischen Ausdruck Christo adhaerere steht mit vita beata ein Kernbegriff der griechisch-römischen Philosophie, der freilich bereits eine christliche Umprägung erfahren hatte. Dennoch bleibt die unmittelbare Nachbarschaft zweier Termini mit so unterschiedlichem Herkunftskontext 260 Die Interpretation findet sich im Kern (ohne den Bezug auf die Himmelfahrt) schon bei Dionysius Cartusianus ad loc. (p. 45): poenam videntes corporis, id est, cognoscentes ineffabilem acerbitatem passionis Christi in corpore patientis. Doch auch die Deutung auf den Schächer hält der Kommentator für möglich: Potest item exponi, quod angeli intuentes latronem in tanta corporis sui afflictione Christum quaerentem, poenitentem ac veniam obtinentem, admirati sunt totum hoc opus et tantam Dei clementiam. Ebenfalls beide Auslegungen entwickeln Bernt (Paschahymnus 532f.) und Savon (Hic est dies 429), stellen jedoch die zweite als dem Kontext besser entsprechende deutlich in den Vordergrund. Tatsächlich mag der unmittelbare Höreindruck in diese Richtung weisen; wenn Ambrosius die Formulierung offen hält, bedient er sich eines Verfahrens zur gezielten Erzeugung von Mehrdeutigkeit, das sich schon am Verspaar 1,3f. ablesen ließ. 261 Vgl. die Ausführungen von Bertram, D$ 639, zum Begriff D$ bei Johannes. Im Plural steht er für die „Heilstaten Gottes durch Christus … Als Wunder sind die Werke Zeugen Jesu und Zeugen des Heils, das er bringt … Der Gedanke an die Einheit des Heilswerkes steht dabei immer im Hintergrund“; es geht um „die Heilswirksamkeit Gottes im ganzen, die in der einzelnen Wundertat sich beispielhaft offenbart. Mehrfach steht daher in diesem Sinn der Singular bei Joh“ (als Beispiele werden Io 4,34; 6,29; 17,4 aufgeführt). Zur Aufnahme des Ausdrucks bei Ambrosius vgl. Savon, Hic est dies 428. 262 So Walpole, Hymns 80. 263 Darauf weist Savon (Hic est dies 429f.) hin. <?page no="281"?> 269 bemerkenswert. Sie exemplifiziert die kulturelle Integrationsleistung des Ambrosius, der antikes Gedankengut „in einer produktiven Aufnahme für eine christliche Sinngebung fruchtbar“ macht 264 . Nachdem Vers 4,2 gleichsam die objektive Ebene des göttlichen Heilswerks angesprochen hatte, die erlösende Hingabe Jesu, kommt in Vers 4,3 die subjektive Ebene zur Sprache. Schon das Johannesevangelium bestimmt die Teilnahme des Menschen am Heilswerk als seinen Glauben an Jesus 265 . Das Bekenntnis des Schächers erweist sich unter diesem Blickwinkel als zweite Schicht des von den Engeln bestaunten opus. Für den Glauben des Schächers wählt Ambrosius die Formulierung Christo adhaerere, die auf die innige 266 biblische Wendung domino (Deo) adhaerere zurückgeht, die in der Vulgata elfmal begegnet, wobei adhaerere in der Regel einem ( $ ) _ oder $ der Septuaginta (hebräische Wurzel [dbq]) bzw. des griechischen Neuen Testaments entspricht. Verbreitet ist der Ausdruck vor allem im Deuteronomium 267 . Ambrosius zitiert gerne Ps 72(73),28 und den einzigen neutestamentlichen Beleg 1 Cor 6,17. PsA 72(73),28: mihi autem adhaerere deo bonum est 1 CorA 6,17: qui autem adhaeret domino unus spiritus est 268 Die im Hymnus gebrauchte analoge Bildung Christo adhaerere findet sich auch in den Prosaschriften des Ambrosius sehr häufig 269 . In unserem Zusammenhang besonders interessant ist eine Passage aus De sacramentis, in der Ambrosius seine Tauftheologie nach Rom 6 entfaltet und schließlich das Gekreuzigtwerden mit Christus in der Taufe gleichsetzt mit dem ‘Christus anhängen’. sacr. 2,7,23 (73,35f.): Cum enim mergis, mortis suscipis et sepulturae similitudinem, crucis illius accipis sacramentum, quod in cruce Christus pependit et clavis confixum est corpus. Tu ergo concrucifigeris, Christo adhaeres, clavis domini nostri Iesu Christi adhaeres, ne te diabolus inde possit abstrahere. Teneat te clavus Christi, quem revocat humanae condicionis infirmitas. 264 Franz, Tageslauf 471. 265 Io 6,28f.: Q s $6 4 I + X $ C# D$ / / ; ( $ [,] . / 3 Q I / 4 6 D$ / / , X ' T ( . Vgl. dazu Bertram, D$ 639: „Die aktive Teilnahme am Heilswerk besteht also nicht in einem Tun, sondern im gottgewirkten Glauben. Der Gen[itiv] 6 D$ / / ist Genitivus auctoris. Die D$ / / , die durch Christus, und die, die durch die Gläubigen geschehen, sind nicht begrifflich voneinander zu trennen. Es handelt sich um das eine Gotteswerk.“ 266 Savon, Hic est dies 429: adhaerere bzw. _ bezeichnen „l’union intime du fidèle à son Dieu“. 267 Dt 4,4; 10,20; 11,22; 13,4; 30,20. 268 Die verbleibenden biblischen Belege sind Ios 22,5; 23,8 und Is 56,3.6; vgl. Ps 62(63),9. 269 Vgl. hex. 6,8,45 (32/ 1,236); Abr. 1,2,4 (ebd. 504); Iob 3,3,7 (32/ 2,252); 3,9,26 (ebd. 263); 3,11,31 (ebd. 267); obit. Theod. 7 (73,375); in Luc. 4,12 (CChr.SL 14,110); 6,42 (ebd. 189); in psalm. 118 serm. 1,5,2 (62,8); 2,9,1 (ebd. 24); 6,24,3 (ebd. 120f.); 7,34,1 (ebd. 147); 11,5,2 (ebd. 236); 11,6,2 (ebd.); 11,7,1 (ebd. 237); 16,30,2 (ebd. 368); 19,35,2 (ebd. 440); 20,42 (ebd. 465); in psalm. 37,9,3 (64,143); 39,11,2 (ebd. 219); 43,88,1 (ebd. 324); epist. 16,13 (82/ 1,121); 27,13 (ebd. 185); 51,2 (82/ 2,61). <?page no="282"?> 270 Die Freisprechung des Schächers nach seinem Bekenntnis zu Jesus kann als Sinnbild der Taufe verstanden werden, und er ist buchstäblich ‘mit Christus gekreuzigt’ worden. Der Sünder, der Schuldige (reus) 270 , erhält kraft seines Glaubens an Jesus Christus und vermittels dessen Blutes Zugang zur Glückseligkeit - der in den Versen 4,3f. beschriebene Vorgang bezieht sich zunächst auf den Schächer, wiederholt sich aber für jeden Christen im österlichen Sakrament der Taufe. Insofern richtet sich das Staunen der Engel auch auf das universelle Heilsgeschehen, die Erlösung der sündenbeladenen Menschheit. Tatsächlich bringt Ambrosius in einer Predigt an Neugetaufte das Motiv des Engelstaunens explizit mit der Taufe zusammen: sacr. 4,2,5 (73,47f.): Sequitur, ut veniatis ad altare. Coepistis venire, spectarunt angeli, viderunt vos advenientes, et humanam condicionem illam, quae ante peccatorum tenebroso squalore sordebat, aspexerunt subito refulgere, ideoque dixerunt: Q UAE EST HAEC , QUAE ASCENDIT A DESERTO DEALBATA ? [Cant 8,5] Mirantur ergo et angeli. Vis scire, quam mirentur? Audi apostolum Petrum dicentem ea nobis conlata, quae CONCUPIS- CUNT ET ANGELI VIDERE [1 Pe 1,12]. Audi iterum: Q UOD OCULUS , inquit, NON VIDIT NEC AURIS AUDIVIT , QUAE PRAEPARAVIT DEUS DILIGENTIBUS SE [1 Cor 2,9]. Im folgenden Paragraphen wird als letztendlicher Gegenstand der Verwunderung der Engel die im Sakrament empfangene Gnade benannt: ista gratia, quam accepisti, si teneas, quod accepisti, erit diuturna atque perpetua (4,2,6). In De mysteriis schließlich werden die beiden Bereiche, in denen das Engelmotiv zur Anwendung kommt, Christi Himmelfahrt und Taufe, zueinander in Beziehung gesetzt. Der Himmel staunt angesichts der Auferstehung und Himmelfahrt Christi ebenso wie angesichts der Kirche in ihren weißen Gewändern, Sinnbild für die durch die Taufe, hier als Bad der Neuschöpfung bezeichnet (regenerationis lavacrum), rein gewaschenen Seelen der Gläubigen 271 , die von Christus, dem liebenden Bräutigam des Hohenlieds, in Empfang genommen werden. myst. 7,35-37 (73,103f.): Haec vestimenta [sc. ecclesiae] cernentes filiae Hierusalem stupefactae dicunt: Q UAE EST HAEC , QUAE ASCENDIT DEALBATA ? [Cant 8,5] Haec erat nigra, unde nunc subito dealbata? Dubitaverunt enim et angeli, cum resurgeret Christus, dubitaverunt potestates caelorum videntes, quod caro in caelum ascenderet. Denique dicebant: Q UIS EST ISTE REX GLORIAE ? [Ps 23(24),8] Et cum alii dicerent: T OLLITE PORTAS , PRINCIPES VESTRI , ET ELEVAMINI , PORTAE AETERNALES , ET INTROIBIT REX GLORIAE [Ps 23(24),9], alii dubitaverunt dicentes: Q UIS EST ISTE REX GLORIAE ? [Ps 23(24),10] In Esaia quoque habes dubitantes virtutes caelorum dixisse: Q UIS EST ISTE , QUI ASCENDIT EX E DOM , RUBOR VESTIMENTORUM EIUS EX B OSOR , SPECIOSUS IN STOLA CANDIDA ? [Is 63,1] Christus autem videns ecclesiam suam in vestimentis candidis … vel animam regenerationis lavacro mundam atque ablutam dicit: E CCE FORMONSA ES , PROXIMA MEA , ECCE ES FORMONSA , OCULI TUI SICUT COLUMBAE [Cant 4,1]. 270 Zu allen Zeiten ist reus auch in diesem Sinne gebraucht worden: vgl. OLD II (1976), 1650 s. v. reus (4), mit diversen Beispielen. 271 Vgl. Apc 7,14, wo es von den Auserwählten im Himmel heißt: 7 F $)4 1 1 ! 3 D D % + 3 ' 9 X / ($ % . <?page no="283"?> 271 Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Ambrosius mit vita beata einen Ausdruck aufgreift, dessen sich auch die philosophische Tradition bedient. In der Tat gehört die Frage nach dem glücklichen Leben, dem s C1 , der bzw. der beata vita oder der beatitudo als Kernproblem der Ethik zu den wesentlichen Themen der antiken Philosophie 272 und wird auch von christlichen Denkern thematisiert. Ambrosius bezieht sich in seiner Schrift De Iacob et vita beata auf traditionelles Gedankengut auch der paganen Philosophie, wenn er die vita beata (als diesseitige Größe verstanden) mit dem Besitz des Wahren und Guten in Verbindung bringt 273 und in der Tugend vollendet sieht 274 - die inhaltliche Füllung wird dabei nach christlichen Wertmaßstäben modifiziert. Es liegt jedoch auf der Hand, dass im vorliegenden Vers nicht das glückliche Leben im Diesseits gemeint sein kann, sondern - in Anlehnung an Lc 23,43 - das Paradies, das glückselige Leben im Jenseits. Im zweiten Buch De officiis bestimmt Ambrosius ausgehend eben von unserem Lukaszitat die vita aeterna im Paradies als vita beata 275 : off. 2,1,3 (CChr.SL 15,97f.): Nam qui ab hominibus quaerit, habet mercedem suam; qui autem a Deo, habet vitam aeternam quam praestare non potest nisi auctor aeternitatis, sicut illud est: A MEN , AMEN DICO TIBI , HODIE MECUM ERIS IN PARADISO . Unde expressius Scriptura vitam aeternam appellavit eam quae sit beata ut non hominum opinionibus aestimandum relinqueretur sed divino iudicio committeretur. In der gleichen Schrift begegnet freilich auch die diesseitig-ethische Auffassung der vita beata, die so verstanden als Voraussetzung und gegenwärtiger Abglanz der für die Zukunft zu erwartenden vita aeterna erscheint 276 . Demnach sind es letztlich Glaube und gute Taten, die vermittels 272 In off. 2,2,4 (CChr.SL 15,98) gibt Ambrosius einen knappen Traditionsüberblick. 273 Iac. 1,7,32 (32/ 2,25): … hoc solum in aestimatione beatae vitae est requisitum, ut non in aliis, sed in possessione veri et boni eius definitio teneretur, quoniam qui id habet despuit cetera nec requirit. 274 Iac. 1,8,39 (32/ 2,30): Quid enim deest ei qui illud bonum possidet et habet sibi semper comitem sociamque virtutem? in quo statu non potentissimus? in qua paupertate non dives? in qua generis ignobilitate non clarus? in quo otio non laboriosus? in qua debilitate non vegetus? in qua infirmitate non fortis? in qua somni quiete non feriatus, quem etiam quiescentem virtus propria non relinquit? in qua solitudine non stipatus, quem vita beata circumdat, quem vestit gratia, quem gloriae amictus inlustrat? 275 Biblisch kann sich diese Redeweise nicht zuletzt auf die Makarismen der Bergpredigt berufen (Mt 5,3-12; Lc 6,20-23), vgl. v. a. MtA 5,3: beati pauperes spiritu, quoniam ipsorum est regnum caelorum (par Lc 6,20: ! $ F ) , K $ UU L / / ); Mt 5,10-12: ! $ F l ' , + UU L + $ + . ! $ R K _ 3 #5 3 B _ $6 ’ K + l / . ) $ 3 ( _ , , , 6 K + $ . 276 Off. 2,5,18 (CChr.SL 15,103): Certum est solum et summum bonum virtutem esse eamque abundare solam ad vitae fructum beatae, nec externis aut corporis bonis sed virtute sola vitam praestari beatam per quam vita aeterna acquiritur. Vita enim beata fructus praesentium, vita autem aeterna spes futurorum est. <?page no="284"?> 272 der vita beata zur vita aeterna führen 277 . Für den Zusammenhang des Hymnus interessanter sind daher Stellen, an denen Ambrosius vita beata rein jenseitig versteht. In De Cain et Abel und in De Abraham bezeichnet der Bischof als vita beata das Leben der unsterblichen Seele nach der Befreiung aus ihrem Kerker, dem Körper, dessen widervernünftige Leidenschaften sie hatte zügeln müssen, sodass ihr nunmehr eine unverstellte Wahrnehmung der Dinge möglich ist. Cain et Ab. 2,9,36 (32/ 1,407): inseritur hoc loco dogma de incorruptione animae, quod ipsa vera et beata vita sit, quam unusquisque bene conscius vivit multo purius ac beatius, cum huius carnis anima nostra deposuerit involucrum et quodam carcere isto fuerit absoluta corporeo, in illum superiorem revolans locum, unde nostris infusa visceribus conpassione corporis huius inrationabiles motus rationabili ductu regeret et coherceret. Abr. 2,1,3 (32/ 1,566f.): mortuo etenim homine caro corrumpitur, sensus pereunt, vox amittitur: remanet mens inmortalis incorpoream vitam recipiens. unde in alteram terram vocatur plenam beatitudine, ubi non falsa pro veris sicut in hac vita, sed vivam rerum cernat substantiam, eo quod excussa corporis et sensuum et vocis nebulosa quadam imagine corruptibilem caliginem deponat et revelata facie vitae beatae gratiam lustret obtutu. Hier wird erkennbar, dass das Wesensmerkmal des ewigen Lebens der Seele als glückseligen Lebens die Trennung von der den Zugang zur Wahrheit behindern-den Körperlichkeit darstellt - um mit Paulus zu sprechen: die Schau „von Angesicht zu Angesicht“ (1 Cor 13,12). Dass dieses Glück im Vollsinn nach den Worten des Hymnus (nur) durch den Glauben, durch das ‘Christus Anhängen’ zu erreichen ist, erteilt allem Glücksstreben der weltlichen Weisheit eine Absage. Abschließend sei auf die bedachte Wahl des Verbs carpere hingewiesen 278 . Ambrosius sagt nicht, der Schächer erlange, erreiche das glückliche Leben: Er ‘pflückt’ es. Die Bildhaftigkeit des Ausdrucks impliziert die Entgegennahme einer ungeschuldeten und nicht selbst hervorgebrachten Gabe anstatt der gezielten Umsetzung eines autonomen Vorhabens aus eigener Kraft. Wer einen Apfel vom Baum pflückt, erntet ein Geschenk der Natur; der Schächer, der das glückselige Leben ‘pflückt’, erntet ein Geschenk der Gnade Gottes. 277 Off. 2,2,7 (CChr.SL 15,99): Habet ergo vitam aeternam fides quia fundamentum est bonum, habent et bona facta quia vir iustus et dictis et rebus probatur. 278 TLL 3 (1907), 494 s. v. carpo (II), nennt Beispiele seit Terenz für die Verwendung von carpere „translate de actione animi mentis sensuum, de viribus rerum res et animantia ad se trahentibus: … excerpere, eligere, sumere, attrahere, aripere, frui: grata, utilia, necessaria“. Ambrosius gebraucht in den Prosaschriften mehrfach die Wendung carpere vitam aeternam: Iob 2,5,19 (32/ 2,245); in Luc. 7,39 (CChr.SL 14,228); in psalm. 118 serm. 3,17 (62,50); vgl. ferner Cain et Ab. 2,9,31 (32/ 1,404); Noe 16,57 (ebd. 453). Savon (Hic est dies 430) verweist auf Verg. Aen. 1,387f.: haud, credo, invisus caelestibus auras / vitalis carpis; aufgenommen von Ambr. hex. 1,8,29 (32/ 1,28): quem etsi aliqui pro aere accipiant, aliqui pro spiritu, quem spiramus et carpimus aurae huius vitalis spiritum, … <?page no="285"?> 273 4.3 Dritter Abschnitt (5,1-8,4): Die universale Erlösung 5,1 Mysterium mirabile, 5,2 ut abluat mundi luem, 5,3 peccata tollat omnium 5,4 carnis vitia mundans caro. 6,1 Quid hoc potest sublimius, 6,2 ut culpa quaerat gratiam 6,3 metumque solvat caritas 6,4 reddatque mors vitam novam, 7,1 hamum sibi mors devoret 7,2 suisque se nodis liget, 7,3 moriatur vita omnium, 7,4 resurgat ut vita omnium? 8,1 Cum mors per omnes transeat, 8,2 omnes resurgunt mortui; 8,3 consumpta mors ictu suo 8,4 perisse se solam gemat. 4.3.1 Zur Komposition des Abschnitts Im Zentrum der zweiten Hälfte des Hymnus steht die zwei Strophen umfassende rhetorische Frage (Quid hoc potest sublimius …), gerahmt von Abschnitten, die jeweils eine Strophe umfassen. Zusammengehalten wird die ganze Sinneinheit nicht zuletzt durch die Weitung der die Heilswirkung von Tod und Auferstehung Jesu betrachtenden Perspektive ins Universelle. Waren die Verse 2,3-4,4 vom Einzelbeispiel des guten Schächers ausgegangen, so rückt jetzt das Geschick aller Menschen in den Blickpunkt. Ablesbar ist dies an der fünfmaligen Rekurrenz des Stichwortes omnes, das erstmals in Vers 5,3 fällt (peccata tollat omnium) und im Schlussteil des Hymnus gehäuft wiederkehrt: moriatur vita omnium (7,3), resurgat ut vita omnium (7,4), cum mors per omnes transeat (8,1), omnes resurgunt mortui (8,2). Weiterhin wird eine Verklammerung der Strophen 5 und 6f. erreicht durch die sich wiederholende grammatikalische Konstruktion des explikativen ut-Satzes in den Versen 5,2ff. 279 und 6,2ff., jeweils abhängig von einem die Einzigartigkeit des Heilsgeschehens hervorhebenden Vers in Gestalt der verkürzten Aussage (5,1) bzw. der rhetorischen Frage (6,1). Die fünfte Strophe beginnt mit dem elliptischen Ausruf: mysterium mirabile (sc. est hoc), der aus der m-Alliteration zusätzliche Prägnanz bezieht. Die folgenden zwei Verse sind durch einen Chiasmus geprägt: abluat luem - 279 Dieselbe Konstruktion verwendet Ambrosius exc. Sat. 1,4 (73,211): Magnum pietatis mysterium, ut mors corporis nec in Christo esset excepta. <?page no="286"?> 274 peccata tollat 280 . Auffällig sind die Wortspiele abluat … luem (5,2) und mundi/ mundans (5,2.4), ergänzt durch das Polyptoton carnis/ caro (5,4). Strophe 6 zeigt in der Gestaltung des Nebensatzes größtmögliche Variation in der Abfolge von Subjekt, Prädikat und Objekt 281 , wobei das Wechselprinzip bis in den ersten Vers der siebten Strophe fortgeführt wird: ut culpa quaerat gratiam Subjekt - Prädikat - Objekt metumque solvat caritas Objekt - Prädikat - Subjekt reddatque mors vitam novam, Prädikat - Subjekt - Objekt hamum sibi mors devoret Objekt - Subjekt - Prädikat Die ersten beiden aufgeführten Verse (6,2f.) kombinieren den syntaktischen Chiasmus mit einem semantischen Parallelismus, insofern dem negativen Pol der Versanfang, dem positiven das Versende zugeordnet ist (culpa/ metum bzw. gratiam/ caritas). Insgesamt erhält der ut-Satz seine Gliederung durch unterschiedlich große Gruppen, deren Glieder durch -que verbunden sind: Verse 6,2-4 (3 Verse) Verse 7,1-2 (2 Verse) Vers 7,3 (1 Vers) = Höhepunkt Vers 7,4 = Konsequenz Der Umfang der durch asyndetische Übergänge voneinander abgesetzten Gruppen verringert sich schrittweise von drei Versen auf einen Vers, der gleichzeitig den Höhepunkt der Reihung darstellt und an den sich mit Vers 7,4 in einem finalen Gliedsatz (zweiter Ordnung) die Konsequenz anschließt. Für die siebte Strophe macht Simonetti auf den jeweils parallelen Aufbau der beiden Verspaare aufmerksam, wobei die Position der Prädikate beim Wechsel ins zweite Verspaar markant variiert und von Schlussauf Anfangsstellung geändert wird. Diese Kontrastwirkung wird in ähnlicher Weise innerhalb des ersten Verspaares der achten Strophe (8,1f.) durch die Subjekte mors und mortui konstituiert. Weiterhin fällt in der Schlussstrophe die Endstellung der Prädikate im ersten und letzten Vers auf 282 . 4.3.2 Mysterium mirabile (5,1) Quantitativ genau im Zentrum des Hymnus eröffnet ein emphatischer Ausruf den dritten Sinnabschnitt des Textes. Die zweifache Bedeutung dieser Mittelzäsur für die Architektur des Hymnus wurde bereits herausgestellt: Sie fungiert einerseits als Spiegelachse der Sinneinheiten B 1 bis C 2 sowie andererseits als Trennlinie der parallelen Abfolge textimmanenter Fern- 280 Simonetti (Studi 401) sieht in diesen Versen einen „perfetto intreccio di concinnitas e variatio … con abluat che corrisponde a tollat, luem a peccata, mundi a omnium“. 281 Simonetti weist ebd. darauf hin, dass in Strophe 6 analog zu Strophe 4 die Verbformen konstant die Mittelposition wahren, bis der letzte Vers (hier V. 6,4) die Variation bringt. 282 Vgl. ebd. <?page no="287"?> 275 bezüge zwischen den beiden Liedhälften 283 . Stilistisch wirkt sie durch die alliterierende Kombination zweier viersilbiger Wörter sowie die Ellipse des Verbs und des mit dem folgenden explikativen ut korrelierenden Demonstrativpronomens äußerst pointiert. Eine nähere Betrachtung zeigt, dass der formalen Mittelstellung des Verses auch inhaltlich die Funktion entspricht, verschiedene für den gesamten Hymnus zentrale Ebenen zu integrieren. Zunächst wird durch das Wort mirabile (‘wunderbar, bewundernswert’) der unmittelbare Anschluss an die vierte Strophe mit dem Motiv des Engelstaunens hergestellt. Ähnlich wie beim Übergang vom ersten zum zweiten Sinnabschnitt, wo das Ergehen des Schächers als Exemplifikation der in den Versen 2,1f. angesprochenen Heilswirkung des Ostertages verstanden werden konnte 284 , wird also auch hier bei aller Deutlichkeit des Neueinsatzes eine Brücke zum vorangehenden Text geschlagen. Für die Wortwahl ist daneben der Bezug auf Ps 117(118) ausschlaggebend 285 , jenen verbreiteten Osterpsalm, dessen Vers 24 dem ersten Sinnabschnitt sein Gepräge verleiht. Im vorangehenden Vers heißt es nämlich: Ps 117,23 LXX: $ %$ % f (sc. * ) 3 D % * R U + . Die Vulgatafassung des leider bei Ambrosius nicht zitierten Verses lautet: a Domino factum est istud / hoc est mirabile in oculis nostris Noch weitergehende Integrationsrelevanz besitzt jedoch der Begriff mysterium: Die Alte Kirche verwendet ihn in einer doppelten Bedeutung, die eine Entfaltung des paulinischen Wortgebrauchs darstellt. In der frühjüdischen Apokalyptik hatte der Begriff % : $ den „Sinn eines eschatologischen Geheimnisses, d[as] h[eißt] einer verhüllten Ankündigung der von Gott bestimmten, zukünftigen Geschehnisse“ 286 , angenommen. Paulus bezeichnet daran anschließend mit ihm den im Geheimnis Gottes verborgenen, dann aber im Christusereignis offenbar gewordenen Ratschluss zum Heil der Menschen. So erkennt Paulus „das Geheimnis ( % : $ ) der verborgenen Weisheit Gottes, die Gott vor allen Zeiten vorausbestimmt hat zu unserer Verherrlichung“ (1 Cor 2,7) 287 , in Christus als dem Gekreuzigten 288 . 283 Vgl. dazu Kap. 3.1 bzw. 3.3. 284 Vgl. dazu Kap. 4.2.2. 285 Vgl. Bernt, Paschahymnus 535. 286 Bornkamm, % : $ 821. 287 1 CorA 2,7 (zitiert nach fid. 3,5,35 [78,120f.]): Sed loquimur dei sapientiam in mysterio, quae abscondita est, quam praedestinavit deus ante tempora saecularia in gloriam nostram, quam nemo principum huius saeculi cognovit. Vgl. Eph 3,8f. 288 Die Bezeichnung Christi als 6 % : $ / / begegnet dann vor allem im deuteropaulinischen Kolosserbrief (2,2; vgl. 1,27; 4,3); zum Christusmysterium bei Paulus und in den Deuteropaulinen vgl. Bornkamm, % : $ 825-828; Schulz, Mysterienerfahrung 20. <?page no="288"?> 276 1 CorA 2,1f.: Et ego veniens ad vos, fratres, veni non enim eminentia sermonis aut sapientiae, praedicans vobis mysterium dei. neque enim iudicavi scire quid inter vos nisi Christum Iesum et hunc crucifixum. Nicht immer jedoch ist der Mysterienbegriff im Neuen Testament so eng mit dem Christusereignis verbunden. Auch der eben zitierte Erste Korintherbrief verwendet das Wort in weniger prägnanter Bedeutung: Im Hohenlied der Liebe stehen % : $ ! (13,2) generell für „die Geheimnisse Gottes, die in ihm verborgenen Ratschlüsse“ 289 , und in 15,51 wird die Verwandlung der Überlebenden bei der Parusie als Mysterium bezeichnet. Daher schließt die altkirchliche Literatur ab dem zweiten Jahrhundert nahtlos an biblischen Sprachgebrauch an, wenn sie den Mysterienbegriff an „die in der Sphäre Gottes im Geheimen vorbereiteten Heilsveranstaltungen“ 290 bindet. Dabei appliziert sie ihn im Laufe der terminologischen Entwicklung auf zwei Dimensionen der Manifestation des göttlichen Heilswillens: in den Ereignissen der Heilsgeschichte und in den gottesdienstlichen Feiern, durch die das geschichtlich verbürgte Heilshandeln Gottes erneut zur Gegenwart wird. Diese doppelte Bedeutung als (vor allem) heilsgeschichtlich manifestes ‘Heilsgeheimnis’ und als kultische Vergegenwärtigung des heilsgeschichtlichen Ereignisses trägt der im ersten Sinnabschnitt durch die temporale Ambivalenz des diluit (1,3) eröffneten und im zweiten Sinnabschnitt anhand der Schächerperikope gespiegelten Zweideutigkeit des gefeierten dies verus Dei auf das historische Osterereignis wie auf die gegenwärtige liturgische Osterfeier und das mit ihr verbundene Taufsakrament hin Rechnung. Insofern kulminiert in dem einen Ausdruck mysterium die dem ganzen Hymnus zugrunde liegende Tendenz, die heilsgeschichtliche und die liturgische Dimension des göttlichen Heilshandelns in ihrer wesenhaften Bezogenheit aufeinander darzustellen. In der Verwendungsgeschichte des Begriffes mysterium bzw. seines griechischen Äquivalentes % : $ reicht die Bedeutung ‘kultische Vergegenwärtigung der Heilsgeschichte’ weit zurück. Zunächst bezeichnete das Wort nämlich, allerdings fast stets im Plural, die nur Eingeweihten zugänglichen Veranstaltungen der antiken Mysterienkulte, deren Geschichte sich bis ins siebte Jahrhundert vor Christus zurückverfolgen lässt. In diesem Sinne sind Mysterien „kultische Feiern, in denen die Geschicke einer Gottheit durch heilige Handlungen vor einem Kreise von Geweihten vergegenwärtigt werden, um diesen Anteil zu geben am Lose der Gottheit“ 291 . Wenn die Alte Kirche sich seit dem vierten Jahrhundert des Ausdrucks mysterium als eines 289 Bornkamm, % : $ 829. 290 Ebd. 831. 291 Bornkamm, % : $ 810; vgl. Giebel, Mysterien 13. Der exklusive Charakter der Feiern ist ausschlaggebend für ihre Bezeichnung als „etwas, über das geschwiegen werden muß“ (Bornkamm a.a.O.; von griech. ' [‘sich schließen, verschließen’ (sc. den Mund, die Lippen)]; vgl. Giebel, ebd. 14f.). <?page no="289"?> 277 terminus technicus für ihre gottesdienstlichen Vollzüge bedient 292 - selbstverständlich bei gleichzeitiger polemischer Absetzung von den konkreten heidnischen Riten und ihren Inhalten -, lehnt sie sich an diese Begrifflichkeit an. Auch bei Ambrosius lässt sich der kultisch-sakramentale Mysterienbegriff breit nachweisen 293 ; dabei kann der Bischof mit mysterium entweder das gesamte liturgische Handlungsgefüge bezeichnen oder einen speziellen mit seinem Vollzug verbundenen Einzelritus. So wird beispielsweise die Taufe, um die es auch im Hymnus geht, in myst. 4,20 (73,97) als regenerationis mysterium benannt 294 , in sacr. 5,3,12 (ebd. 63) ist mit haec mysteria die Eucharistie gemeint 295 . Um einen einzelnen Ritus aus der Taufliturgie handelt es sich etwa beim mysterium apertionis in myst. 1,3f. 296 : myst. 1,3f. (73,90): Aperite igitur aures et bonum odorem vitae aeternae inhalatum vobis munere sacramentorum carpite! Quod vobis significavimus, cum apertionis celebrantes mysterium diceremus EFFETHA , QUOD EST ADAPERIRE [Mc 7,34], ut venturus unusquisque ad gratiam, quid interrogaretur, cognosceret, quid responderet, meminisse deberet. Hoc mysterium celebravit Christus in evangelio, sicut legimus, cum mutum curaret et surdum [cf. Mc 7,32-37]. Das mysterium apertionis eröffnete die Taufriten. In Anlehnung an die markinische Erzählung von der Heilung des Taubstummen sah es die Berührung 292 Vgl. Bornkamm, % : $ 832f. Schon im 2. und 3. Jh. hatten christliche Autoren die heidnischen Mysterien mit den christlichen Sakramenten verglichen. „Bei aller leidenschaftlichen Polemik sind damit heidnische und christl[iche] Kulthandlung auf die gleiche Idee (wenn auch nicht den gleichen konkreten Gehalt) zurückgeführt. Wie die heidnischen Mysterien in heiligen Handlungen die Schicksale und Taten ihrer Götter real ‘vergegenwärtigen’ und so den Mysten Anteil am Geschick der Götter geben, so vollzieht sich im symbolischen Ritus der christl[ichen] Sakramentshandlung eine kultische Wiederholung und damit eine Gegenwärtigsetzung der geschichtlich unwiederholbaren Erlösungstat Christi“ (832). 293 Generell ist die kultische Mysterienterminologie in der griechischen Patristik weit verbreitet, während die lateinische Tradition schon seit Tertullian neben dem griechischen Lehnwort mysterium den Begriff sacramentum zur Benennung des gottesdienstlichen Vollzuges verwendet. In der klassischen Latinität hatte sacramentum eine „rechtsrelevante menschliche Handlung“ (Schulz, Mysterienerfahrung 20) bezeichnet: „das, wodurch man sich od[er] einen anderen zu etw[as] verbindlich macht“ (Georges, Handwörterbuch II 2443), insbesondere als juristischer (ebd.: „die Summe Geldes, die man im Zivilprozeß niederlegte u[nd] die die den Prozeß verlierende Partei zugleich mit einbüßte, das Haftgeld, die Strafsumme“) und als militärischer Terminus (ebd.: „die Verpflichtung zum Kriegsdienste u[nd] bes[onders] der damit verbundene Diensteid, Eid der Treue“). Die damit verbundene semantische Vorentscheidung hin zu einem instrumentalen Verständnis der Liturgie als Gnadenmittel zeichnet Schulz (Mysterienerfahrung 19-25) nach. 294 Aus myst. vgl. auch 3,9f. (73,92f.); 5,27 (ebd. 100). 295 An dieser Stelle (wie an vielen anderen) wird auch deutlich, dass Ambrosius mysterium und sacramentum synonym gebraucht: Ergo venisti ad altare, accepisti corpus Christi. Audi iterum, quae sacramenta es consecutus, audi dicentem sanctum David. Et ille in spiritu haec mysteria praevidebat et laetabatur et nihil sibi abesse dicebat. 296 Vgl. sacr. 1,1,2 (73,15f.); ferner sacr. 3,1,4 (ebd. 39), wo es um die Fußwaschung als taufliturgisches Element geht (zu dieser vgl. Schmitz, Gottesdienst 167-179). <?page no="290"?> 278 von Ohren und Nase des Täuflings durch den Bischof unter Ausspruch der Effata-Formel vor und besaß gnadenspendende Wirkung 297 . Der zweite hier bedeutsame Aspekt des Ausdrucks mysterium, für das unmittelbare Verständnis der fünften Strophe, wie ihre Fortsetzung zeigt, noch näherliegend, ist die - wie gesehen - unmittelbar von Paulus herrührende Bezeichnung der „grundlegenden Heilstatsachen, insbes[ondere] Geburt und Kreuz Christi“ 298 . Bis zur Zeit des Ambrosius war es dann auch möglich geworden, neben dem heilsgeschichtlichen Niederschlag des göttlichen Ratschlusses schlechthin die Dogmen, „die Wahrheiten der christlichen Religion“ 299 , Mysterien zu nennen. Dementsprechend kann Ambrosius von den verschiedenen Dimensionen des Christusmysteriums 300 als incarnationis mysterium 301 , als mysterium passionis 302 , als mysterium redemptionis 303 oder salutaris crucis mysterium 304 sprechen, er kann die Jungfrauengeburt als mysterium bezeichnen 305 , aber auch vom mysterium trinitatis 306 reden. Im Zusammenhang mit der vierten Strophe wurde bereits die Passage aus dem vierten Buch De fide zitiert, in der der von den Engeln bestaunte triumphale Einzug des auferstandenen Christus in den Himmel als caeleste mysterium bezeichnet wird (4,1,5) 307 . Wenn also Ambrosius seine Gemeinde das mysterium mirabile besingen lässt, ist damit zunächst, im Sinne der folgenden Explikation, das Christusmysterium gemeint, das Heilsereignis von Tod und Auferstehung Jesu. Zugleich rückt aber das in der liturgischen Feier vollzogene österliche Taufsakrament in den Blick, das im Kern mit jenem identisch ist. Hierin liegt die tiefe Wahrheit des doppeldeutigen Mysterienbegriffs, den Ambrosius voraussetzt: „Die Art der Beziehung zwischen den Heilstaten und ihrer kulti- 297 Zum mysterium apertionis bei Ambrosius vgl. Schmitz, Gottesdienst 77-84. 298 Bornkamm, % : $ 832. 299 Ebd. 832. 300 Savon, Hic est dies 431: „Dans la terminologie exégétique qu’ Ambroise emprunte aux Pères grecs, et notamment à Origène, le mot mysterium a gardé son acception paulinienne: c’est la réalisation, par et dans le Christ, du dessein de salut de Dieu sur l’humanité“. 301 Vgl. z. B. myst. 9,53 (73,112); paenit. 1,1,4 (ebd. 121); fid. 3,7,46 (78,125); 3,10,68.75 (ebd. 133.136); 3,14,114.121 (ebd. 148.150); 4,4,45 (ebd. 172); 5,8,106 (ebd. 255). 302 Vgl. z. B. exc. Sat. 1,13 (73,216); hex. 6,10,76 (32/ 1,261); fid. 3,2,9 (78,111); 3,5,35 (ebd. 121). 303 Vgl. z. B. hex. 4,9,34 (32/ 1,139). 304 Vgl. myst. 3,14 (73,94). 305 Vgl. z. B. hex. 5,20,65; in Luc. 2,15 (CChr.SL 14,38). Vgl. auch V. 6,2 des Hymnus Iam surgit hora tertia (Charlet 213): alto docens mysterio; dazu Franz, Tageslauf 433f.: „Das ‘mysterium altum’ … bezieht sich nicht in erster Linie auf die Jungfräulichkeit Mariens an sich, sondern meint das Geheimnis der im Zeichen der Jungfräulichkeit verdichteten Gottessohnschaft des Menschen Jesus Christus.“ 306 Vgl. z. B. in Luc. prol. 5 (CChr.SL 14,4); sacr. 6,2,5 (73,73). 307 Vgl. Kap. 4.2.5. <?page no="291"?> 279 schen Darstellung tritt besonders darin zutage, dass beides % : $ genannt wird“ 308 . 4.3.3 ut abluat mundi luem, peccata tollat omnium carnis vitia mundans caro (5,2-4) Der Inhalt des mysterium mirabile wird in den Versen 5,2-4 durch drei Verbalinformationen mit je ähnlicher Stoßrichtung expliziert: abluat … luem, peccata tollat und vitia mundans. Es geht um einen Reinigungsvorgang, der einen negativ bewerteten Zustand aufhebt. Das Subjekt dieses Prozesses wird in betonter Schlussstellung genannt: caro (5,4). Das Fleisch, das die Makel des Fleisches reinigt (carnis vitia mundans), ist das Fleisch Christi. Formelhaft bringt Ambrosius damit ganze inkarnationstheologische und soteriologische Themenkreise zur Sprache, die bereits an anderer Stelle erörtert wurden 309 : Paradigmatisch in der Ursünde (Gn 3), dann aber auch in jeder Einzelsünde sind der Leib und seine Sinnlichkeit das Einfallstor der Sünde. Da das so ist, muss auch die Erlösung am Leib ansetzen, woraus die Notwendigkeit der wirklichen Inkarnation Christi entspringt. Indem Christus die menschliche Körperlichkeit annimmt, heiligt er diese durch die göttliche Natur und überwindet ihre Todesverfallenheit. Diese Idee, die für Intende qui regis Israel eine gewichtige Rolle spielt, liegt auch dem hier auszulegenden Hymnenvers carnis vitia mundans caro zugrunde. Dabei unterstreicht das Polyptoton wirkungsvoll den paradoxen Charakter der erlösenden Inkarnation 310 . Die carnis vitia sind die Sündenfolgen, vor allem die Sterblichkeit, die nicht nur ihrer Gestalt nach am Fleisch abzulesen, sondern auch ihrem Ursprung nach eng mit diesem verbunden sind. Die fleischliche, wahrhaft menschliche Existenz Christi reinigt nun diese Mängel 311 , behebt die durch die Sünde entstandenen Schäden in Ursache und Folge. Der Anklang von mundans an mundi (5,2) schafft ein markantes Wortspiel 312 , das einen zusätzlichen Reiz aus der Doppelbedeutung von mundus als ‘Welt’ (so hier zu verstehen) und ‘rein’ bezieht 313 . Ein weiteres Wortspiel bietet Vers 5,2 mit abluat … luem 314 . Lues steht ebenso wie luere etymologisch mit dem griechischen ' in Verbindung und 308 Bornkamm, % : $ 833. 309 Vgl. Kap. A 4.4.4 (zu V. 7,3f. des Weihnachtshymnus: infirma nostri corporis / virtute firmans perpeti). 310 So beobachtet zutreffend Savon, Hic est dies 432. 311 Auch andernorts kann Ambrosius die Erlösung in der Kategorie der Reinigung des Fleisches fassen; vgl. sacr. 1,5,16 (73,22): Christus descendit, … ut caro ista mundaretur. 312 Steier (Echtheit 620) führt aus den Prosaschriften zwei Stellen an, die sich dieses Effekts ebenfalls sehr bewusst bedienen, nämlich Iac. 1,5,17 (32/ 2,16): ut totus mundus eius mundaretur sanguine; in psalm. 43,17 (64,274): mundi totius peccatum suo cruore mundavit. 313 Vgl. Savon, Hic est dies 432. 314 Ein ähnliches Wortspiel verwendet Ambrosius in psalm. 45,3,3 (64,332): verbum tuum nostrae conluvionis ablutio est. <?page no="292"?> 280 bedeutet im Kern ‘Auflösung’ 315 . Ähnlich wie tabes ist es mit der Vorstellung einer „allmählichen Ausbreitung“ verknüpft und kann von daher eine Seuche oder eine unreine Flüssigkeit bezeichnen, übertragen jedwedes Unheil oder Verderben 316 . Ambrosius gebraucht das Wort neunmal in seinen Prosaschriften. Allein im Kommentar zum ersten Psalm steht es viermal für die einer Krankheit vergleichbare, zunehmend zersetzende Kraft der Schuld, der Leidenschaften, der Sünden: in psalm. 1,27,4 (64,21): intimis enim concepta visceribus lues culpae processu temporis coacerbatur. in psalm. 1,28,2 (ebd. 22): itaque gravi odore taetrae illius ac flagitiosae voraginis [gemeint sind die vitia, verstanden als lutum inprobitatis] contrahitur quaedam animarum pestilentia corruptoque salubrium cogitationum spiramine lues aestuantium passionum miseranda grassatur. hinc letale se mentibus virus infundit, hinc subrepit aegritudo corporibus, languores animis. est enim malus languor erroris languor, avaritiae languor, inexplebilis cupiditatis languor. in psalm. 1,28,5 (ebd. 23): malus ergo languor, qui bonam aufert mentis quietem. est languor malus luxuria, libido, concupiscentia, delectatio saecularis, ambitio, quae cito corrumpit salutem sobrietatis. omnis postremo mundi huius corruptela pestilentia est. ne ergo tetigeritis, ne attaminaveritis eam: lues est, contaminat; morbus est, polluit. in psalm. 1,29,1 (ebd. 23f.): A pedibus usque ad caput serpit lues dira morborum, quando laborant contagio, quando compatiuntur aliis, si quis effectu libidinis defraudetur, viduae pudorem expugnare non potuit, agrum invadere, et aegri cuncti invicem languores transferunt. An anderen Stellen bezeichnet lues konkret todbringende Realitäten: eine Seuche 317 bzw. den Tod selbst (lues mortis) 318 . Im vorliegenden Vers ist der Ausdruck so zu deuten wie im Kommentar zu Psalm 1. Unter der mundi lues ist die Sündenschuld zu verstehen, die die Welt nach Art einer sich stetig ausbreitenden Seuche mit ihrem Gift durchtränkt. Dass sie ‘abgewaschen’ wird (abluat), verdankt sich somit nicht allein der für den gesamten Hymnus konstitutiven Taufsymbolik - welche gleichwohl offenkundig fortgeführt wird 319 -, sondern deckt sich auch mit der Vorstellung einer unreinen, ver- 315 Vgl. Walde, Etymologisches Wörterbuch I 830 s. v. lues; vgl. auch TLL 7,2 (1956-1979), 1795 s. v. lues: „significatur aliquid (aliquis) statum integrum dissolvens, destruens, contaminans vel ipsa dissolutio, destructio“. 316 Walde ebd.; vgl. die Beispiele in TLL ebd. 1795-1797. 317 Noe 10,31 (32/ 1,433; mit teilweise zitierender Anspielung auf Verg. Aen. 3,138f.); in Luc. 10,10 (CChr.SL 14,348); epist. 51,7 (82/ 2,63). In Luc. 6,107 (CChr.SL 14,213) dient die Seuche als Vergleichsgegenstand zur Welt in ihrem unheilvollen Zustand: Si mihi crucifixus est mundus [cf. Gal 6,14], scio quia mortuus est: non diligo eum; scio quia praeterit: non concupisco eum; scio quia corruptella consumet hunc mundum: quasi faetidum vito, quasi luem caveo, quasi nociturum relinquo. 318 In psalm. 39,8 (64,217). 319 Ambrosius gebraucht abluere in ähnlichen Kontexten wie diluere (vgl. dazu Kap. 4.1.4), häufig zur Bezeichnung der Taufe (z. B. patr. 4,24 [32/ 2,138]; Iob 4,1,5 [ebd. 271]; in psalm. 47,4,2 [64,349]; in psalm. 118 serm. 2,8,2 [62,24]; 3,14,2 [ebd. 48]; in Luc. 2,79 [CChr.SL 14,65]; 4,50 [ebd. 124]; 7,147 [ebd. 265]; myst. 3,11 [73,93]; 7,37 [ebd. 104]; 8,43 <?page no="293"?> 281 seuchten Flüssigkeit, die fortgespült, ausgewaschen werden kann. Interessant ist in dieser Hinsicht die Zusammenstellung mit dem Subjekt caro (5,4), das anders als der sanguis sacer aus der Parallelstelle in Vers 1,3 nicht wörtlich abzuwaschen vermag. Es unterstreicht die Wirkung der metaphorischen Redeweise, wenn hier nur das Objekt, dort nur das Subjekt mit dem Bildbereich des Verbs kongruiert. Die vorgelegte Interpretation wird bekräftigt durch den folgenden Vers 5,3, der als inhaltliche Füllung oder Auflösung der Metapher bei gleichzeitiger Übertragung in biblischen Sprachgebrauch verstanden werden kann: Gleichbedeutend mit dem Abwaschen der Verseuchung der Welt ist die Aufhebung der Sünden der Menschen: peccata tollat omnium. Biblischer Hintergrund dieser Formulierung ist der Ausspruch des Täufers IoA 1,29: ecce agnus dei, ecce qui tollit peccata mundi. Über die Erfüllung metrischer Notwendigkeiten hinaus wird eine reizvolle Variation des Bibelzitates (unter Wahrung der Universalität der Aussage) dadurch erzielt, dass das Wort mundi zwar auch im unmittelbaren Kontext, aber doch leicht verschoben aufgegriffen wird (in Vers 5,2). 4.3.4 Quid hoc potest sublimius (6,1) Nach der in Strophe 5 geleisteten Entfaltung des mysterium mirabile setzt Ambrosius mit Vers 6,1 zu einer zweiten Reihe den Inhalt des österlichen Heils gleichsam kreisend umschreibender Aussagen an. Indem einerseits die staunend-preisenden ut-Sätze weitergeführt werden, andererseits der Neueinsatz nach dem emphatischen Ausruf (5,1) mit der rhetorischen Frage eine weitere Äußerung bringt, die die in letzter Konsequenz sprachlose Begeisterung aufgrund des Osterereignisses andeutet, bildet Ambrosius die Reaktion des Menschen auf das ihm zuteilgewordene Heilsgeschenk Gottes ab. Die Folge immer wieder variierter Aussagen und Bilder ersetzt die eigentlich nicht leistbare ‘De-finition’ (‘Ein-grenzung’) des göttlichen Heilswerks. Dargestellt wird die Unerschöpflichkeit des Lobpreises, mit dem der Mensch vor Gott tritt; die sich im Grunde über drei Strophen erstreckende Reihung mit ihren beiden affektgeladenen Aufhängern vermittelt den Eindruck einer gewissen Atemlosigkeit angesichts der Heilsereignisse, die angemessen zu erfassen Verstand und Sprache fehlen. Sprachlich liegt in Vers 6,1 eine Ellipse von esse vor; zu übersetzen ist: ‘Was könnte erhabener sein als dieses? ’. Die Verwendung von posse im Sinne von esse posse ist bereits bei Cicero belegt 320 und begegnet „namentlich in den sich mit einer fragmentarischen Ausdrucksweise begnügenden Affektsätzen wie Frage- und Ausrufsätzen, besonders in allen Äußerungen mit negativem [ebd. 107]; spir. 1,15,155 [79,81]; 3,10,68 [ebd. 179]; epist. extra coll. 14,63 [82/ 3,268]) oder in Verbindung mit dem Motiv der sündentilgenden Tränen (z. B. in Luc. 10,93 [CChr.SL 14,372]; in psalm. 118 serm. 7,32,2 [62,146]; 18,2,3 [ebd. 397]; paenit. 1,3,10 [73,124]). 320 Vgl. z. B. Cic. ac. 2,82: quid potest sole maius; 2,121: Negas sine deo posse quicquam. <?page no="294"?> 282 Sinn“ 321 , zunehmend in der Spätantike, in besonderer Häufigkeit bei Tertullian 322 . Das Wort sublimis gebraucht Ambrosius, allgemeinen Usus entsprechend, sowohl in räumlichem (‘hoch’) als auch, wie hier, in übertragenem Sinn (‘erhaben’). Mehrfach geht es in den Prosaschriften ebenfalls um die Unüberbietbarkeit des göttlichen Heils oder auch der menschlichen Glaubensantwort darauf in Geist und Tat hinsichtlich ihrer Würde und Größe. in psalm. 118 serm. 1,17,3 (62,17): quod illi spreverunt [cf. Lc 7,30], nos elegimus et sequimur consilium dei, quia nihil potest esse sublimius; hoc enim divinum, quo fit remissio peccatorum. epist. 72,12 (82/ 3,17): Nihil maius religione, nihil sublimius fide. Oftmals bedient sich Ambrosius dabei einer dem Hymnenvers vergleichbaren Fragewendung: Iob 1,1,2 (32/ 2,211): quid sublimius Paulo, qui tantum periculorum subiit, tantum doloris atque infirmitatum absorbuit? in psalm. 118 serm. 16,8,2 (62,355): quid enim Christi odore sublimius, qui adolebat terris fragrantiam? epist. 7,38 (82/ 1,62): Quid autem sublimius sancta Pelagia, quae vallata a persecutoribus, priusquam tamen in eorum conspectum veniret, aiebat: ‘Volens morior, nemo me continget manu …’ 4.3.5 ut culpa quaerat gratiam (6,2) Bei der Interpretation dieses Verses ist die exakte Bedeutung des Prädikats quaerat von besonderem Interesse. Schuld und Gnade werden zueinander in Beziehung gesetzt, doch um welche Beziehung handelt es sich: Sucht die Schuld die Gnade, wie es der primären Wortbedeutung von quaerere entspricht, oder findet/ erlangt sie sie auch? Die erste Variante erscheint zunächst inhaltlich eher blass. Dass Schuld nach Gnade verlangt, kann zwar ein Ausdruck von Reue sein, ist aber mehr oder weniger unspektakulär. Insofern würde die Präsentation als erhabenstes Ostergeheimnis überraschen; auch im Kontext der folgenden, teilweise massiv paradoxen Formulierungen fiele der Vers deutlich aus dem Rahmen. Eine stimmige Deutung schlägt jedoch Savon vor, wenn er den Vers als Rückverweis auf die Schächerthematik versteht und auf die Bitte des Schächers bezieht, wobei er culpa als Metonymie zu reus auffasst 323 . Gleichwohl wirft eben diese Interpretation umso mehr die Frage auf, ob nicht doch ein tieferer Sinn intendiert ist. Die Pointe der Schächerperikope und ihrer Verarbeitung im zweiten Sinnabschnitt des Hymnus ist ja nicht 321 Hofmann/ Szantyr, Syntax und Stilistik § 223f) " ) (S. 422); vgl. auch TLL 10,2,1 (1980), 137, 74ff. s. v. possum. 322 Vgl. Hofmann/ Szantyr, ebd.; speziell zu Tertullian vgl. Bulhart, Praefatio LIV (Nr. 117c). 323 Savon, Hic est dies 433. <?page no="295"?> 283 allein die Erbarmensbitte des Schächers, sondern vielmehr die von Jesus tatsächlich zugesprochene Erlösung. Savon argumentiert nun, man habe offenbar zur Zeit des Ambrosius im Unterschied zur klassischen Zeit quaerere nicht mehr in der Bedeutung ‘erreichen/ erlangen’ gebraucht 324 . Allerdings lassen sich aus den Schriften des Mailänder Bischofs mühelos Belegstellen für diese Verwendung anführen. So heißt es etwa zur von Rebekka initiierten Flucht Jakobs vor der drohenden Ermordung durch Esau zu Laban (Gn 27,41ff.): Iac. 2,1,1 (32/ 2,31): paratum itaque parricidium declinavit exilio voluntario eoque facto sibi salutem quaesivit, fratri donavit innocentiam. Ambrosius benennt hier nicht die Intention der Flucht, sondern, wie der ablativus absolutus eo facto verrät, ihr Resultat: Sie brachte Jakob die Rettung, seinem Bruder die Unschuld. Ein anderes Beispiel ist der Schrift De Tobia entnommen; Ambrosius erteilt ausgehend von Dt 28,12f. und Lc 19,22f. Ratschläge zum wohlverstandenen Reichtum: Tob. 19,65 (32/ 2,558): huius ergo faeneratores pecuniae vos esse desidero, ut ad vos qui mutuum sumant sponte festinent, per quam non nummum, sed regnum possitis adquirere, per quam non maledicta quaeratis, sed benedictionis gratiam. In offensichtlicher Parallele zu regnum possitis adquirere stellt quaeratis … benedictionis gratiam einen Effekt des Umgangs mit den rechten Werten dar. Diese Belege für mit quaerere formulierte Wendungen des Sinnes ‘Gnade/ Heil erlangen’, die sich durch weitere ergänzen ließen 325 , geben Walpole Recht, wenn er das Verb im zur Rede stehenden Vers mit ‘gewinnen/ erlangen’ übersetzt sehen möchte und zu adquisit (3,2) in Beziehung setzt 326 . In der Kommentierung Savons werden hingegen, ähnlich wie in der Echtheitsfrage 327 , methodische Mängel offenbar, da eine allgemeine, nicht hinreichend an den Prosaschriften des Ambrosius geprüfte Vorentscheidung 328 die Bahnen der Interpretation bestimmt. Erkennt man aber, dass quaerat zumindest zwischen den Polen ‘suchen’ und ‘finden’ changiert, ist der Weg frei zu einer Deutung, die sich in der ambrosianischen Soteriologie gut verankern lässt. Die Rede ist von der Vorstellung, dass die Schuld dem Menschen letztlich zum größeren Vorteil gereicht als sie ihm schadete 329 , insofern die Gnade der Erlösung die ursprüng- 324 Vgl. ebd. 425, mit Beispielen aus der klassischen Zeit (Cicero, Sallust, Horaz, Ovid). 325 Vgl. noch hex. 5,8,23 (32/ 1,158); Abr. 1,4,30 (ebd. 525); in Luc. 5,76 (CChr.SL 14,160). 326 Walpole, Hymns 81: „win“; „The word looks back to adquisit in 10, as solvat in 23 to solvit in 7“. 327 Vgl. Kap. 2.4. 328 Hier Savon, Hic est dies 425: „il ne semble pas qu’à l’époque d’Ambroise on emploie encore couramment quaerere au sens de ‘gagner’“. 329 Vgl. inst. virg. 17,104 (SAEMO 14/ 2,186): Amplius nobis profuit culpa quam nocuit: in quo redemptio quidem nostra divinum munus invenit; Iac. 1,6,21 (32/ 2,18): facta est mihi culpa mea merces redemptionis, per quam mihi Christus advenit. propter me Christus mortem gustavit. fructuosior culpa quam innocentia. <?page no="296"?> 284 liche Gnadenausstattung des Menschen im Paradies noch übertrifft 330 . Zwar ist nach Ambrosius die Schöpfungsgnade von Anfang an auf die Vollendungsgnade ausgerichtet; die Vollendung setzt die Sünde keineswegs voraus, sondern hätte von Gott auch auf anderem Wege herbeigeführt werden können 331 . Nichtsdestoweniger hat sich „nicht im Verlaufe eines naturnotwendigen Entwicklungsprozesses, sondern als Geschichte des Handelns Gottes in und mit seiner Welt“ im Christusereignis „die Entfaltung dessen, was am Anfang keimhaft grundgelegt war“ 332 , vollzogen. Über die Adam geschenkte Gottesbildlichkeit hinaus gelangt der Mensch durch Christus vermittels der Wiedergeburt in der Taufe in adoptionem (fid. 5,7,90 [78,249]), wird zum „Adoptivsohn Gottes“ 333 . Daher also kann Ambrosius feststellen, dass durch die Erlösung in Christus die Urstandsgnade nicht nur erneuert, sondern vermehrt wurde 334 : epist. 34,15 (82/ 1,236f.): … venit dominus qui reformaret naturae gratiam, immo augeret, ut ubi superabundavit peccatum, superabundaret gratia [cf. Rom 5,20 335 ]. Im Kommentar zum 39.(40.) Psalm prägt der Bischof für die Schuld, die die vollendende Erlösung nach sich zog, die beeindruckende Formel der felix ruina 336 : in psalm. 39,20,1 (64,225): … sciebat [sc. deus] illum [sc. Adam] esse casurum, ut redimeretur a Christo. felix ruina, quae reparatur in melius. Mithilfe verschiedener Gedankengänge verdeutlicht Ambrosius den inneren Zusammenhang zwischen Schuld und Gnade. So sieht er eine Beziehung zwischen der Erschaffung Evas, über die die Sünde zum Menschen gelangte, aus der Rippe Adams und dem Fließen von Blut und Wasser, durch die die Sünde getilgt wird, aus der Seitenwunde Christi 337 . Anders gewendet begegnet diese Idee in der Formulierung, dass, wie die Sünde bei der Frau Eva begann, später die Frauen die ersten Zeugen der Auferstehung waren 338 . Über 330 Zur Einordnung dieses Gedankens in die theologische Tradition vgl. Seibel, Fleisch und Geist 148f. 331 Vgl. Fenger, Soteriologie 39f. 332 Seibel, Fleisch und Geist 147. 333 Ebd. 148. 334 Vgl. in psalm. 118 serm. 20,19,2: maior redemptionis gratia. 335 RomA 5,20: ubi enim abundavit peccatum, superabundavit gratia. 336 In der Betonung dieses Gedankens, der als felix culpa ins Exsultet Eingang fand, geht Ambrosius über alle früheren Autoren hinaus: vgl. dazu Seibel, Fleisch und Geist 149. 337 Sacr. 5,1,4 (73,60f.): Tunc unus de militibus lancea tetigit latus eius, et de latere eius aqua fluxit et sanguis [cf. Io 19,34]. Quare aqua, quare sanguis? Aqua, ut mundaret, sanguis, ut redimeret. Quare de latere? Quia unde culpa, inde et gratia: Culpa per feminam, gratia per dominum nostrum Iesum Christum. 338 In Luc. 10,156 (CChr.SL 14,390; zu Lc 24): Sicut enim in principio mulier auctor culpae viro fuit, vir exsecutor erroris, ita nunc quae mortem prior gustaverat resurrectionem prior vidit culpae ordine remedio prior. Et ne perpetui reatus aput viros obprobrium sustineret, quae culpam viro transfuderat, transfudit et gratiam veterisque lapsus conpensat aerumnam resurrectionis indicio. Per os mulieris mors ante processerat, per os mulieris vita reparatur. Vgl. auch spir. 3,11,74 (79,181; zu Io 20,11-18). <?page no="297"?> 285 David heißt es anlässlich seines Ehebruchs mit Batseba (2 Sam 11), auch er als Vorfahre Jesu sei nicht von der Schuld ausgenommen, damit er zur Gnade erwählt sei 339 . Schließlich sei eine Wendung aus dem 63. Brief zitiert, die in besonderer Weise an den Wortlaut des Hymnenverses erinnert: epist. 63,9 (82/ 2,147): Crevit quidem culpa per legem, sed et culpae auctor superbia soluta est, idque mihi profuit; superbia enim culpam invenit, culpa autem gratiam fecit. Die hier aufgezeigten sündentheologischen und soteriologischen Horizonte bestimmen den Gehalt des Verses ut culpa quaerat gratiam. Es geht nicht nur um die Schuld des Schächers, die in der Gnade Jesu am Kreuz aufgehoben wird, sondern um die Schuld überhaupt, um die Ursünde und um ihre Aktualisierung in den Sünden jedes Menschen, die in der österlichen Erlösung und der Taufe als ihrer sakramentalen Dimension das dem Heilswillen Gottes gemäße Pendant finden. 4.3.6 metumque solvat caritas (6,3) Es wurde bereits darauf hingewiesen 340 , dass diese Formulierung an Vers 2,3 anknüpft: Quem non gravi solvat metu …? Das Motiv der Aufhebung der Angst steht für die Hoffnung, die der Christ aus der österlichen Botschaft bezieht. An die Stelle der existentiellen Angst vor Sündenlast und Tod tritt das Vertrauen auf Vergebung und Auferstehung. Im Duktus der Strophe liefert Vers 6,3 gleichsam die auf das gläubige Subjekt gewendete Perspektive zu der eher objektiv-dogmatischen Aussage von Vers 6,2. Die Benennung des Trägers dieser Heilsstiftung als caritas ist christologisch zu interpretieren. Wohl ausgehend von 1 Io 4,16: deus caritas est 341 , überträgt Ambrosius die Bezeichnung Gottes als Liebe auf Christus: in psalm. 36,66,5 (64,125): caritas Christus est. in psalm. 40,32,2 (ebd. 252): … Christus caritas est. 342 Insofern kann unter caritas zunächst Christus selbst verstanden werden, dann aber auch konkret seine aufopferungsvolle Liebe zu den Menschen 343 , um derentwillen er sein Leben hingibt. Der biblische Hintergrund für die Verknüpfung von Liebe und Lösen der Furcht ist wiederum der erste Johannesbrief: 339 Apol. Dav. II 6,33 (32/ 2,380): vides quantos et quam graviter criminosos dominicae generationis series conprehendat, de quorum origine propter te nasci Christus non erubuit? et haec si credas, divinae misericordiae in te munera sunt et hoc caelestis insigne est potestatis; superabundavit enim peccatum, ut superabundaret gratia [cf. Rom 5,20]. non fuerit igitur David exceptus a culpa, ut esset electus ad gratiam. 340 Vgl. Kap. 3.3. 341 Von Ambrosius mehrfach zitiert, vgl. Iob 4,1,3 (32/ 2,268); in psalm. 118 serm. 15,39,3 (62,351). 342 In beiden Fällen geht es um die Erläuterung von Ct 3,5: adiuravi vos, filiae Hierusalem, si suscitaveritis et resuscitaveritis caritatem. 343 So schon Dionysius Cartusianus ad loc. (p. 46D): id est, dilectio Christi ad nos. <?page no="298"?> 286 1 IoA 4,18: perfecta caritas timorem excludit foris. Hingegen mag auf die Wortwahl in Vers 6,3, wie Savon vorschlägt 344 , der Ausspruch der vergilischen Dido an die nach dem Seesturm an die Küste Nordafrikas verschlagenen Aeneaden: solvite corde metum (Aen. 1,562), eingewirkt haben. 4.3.7 reddatque mors vitam novam (6,4) Vers 6,4 bringt die erste Folge durch -que verbundener Glieder des die Verse 6,2 bis 7,3 umgreifenden explikativen ut-Satzes zu einem pointierten Abschluss. Das Paradox, dass der Tod neues Leben zurückgibt, durch das in den Kernbegriffen auf die Versmitte konzentrierte Oxymoron prägnant gefasst 345 , gibt zugleich das Leitmotiv für den Schlussteil des Hymnus vor. Nachdem die beiden vorangegangenen Verse die objektive Heilsebene von Schuld und Gnade bzw. die subjektive Heilsebene von Angst und Liebe zum Gegenstand hatten, wird nun die Kategorie von Tod und Leben in den Blick gerückt und so erstmals im gesamten Text ein Vokabular gebraucht, das sich unmittelbar und direkt auf den Grundtatbestand des österlichen Heils bezieht: die Auferstehung Jesu Christi. Damit ist die erste von drei Sinnebenen des interpretierten Verses benannt. Der Tod Jesu zieht dessen Auferstehung nach sich und setzt so das neue Leben des auferstandenen Herrn (und damit der Menschheit im Allgemeinen) frei. Auf einer zweiten Ebene lässt sich der Vers auf den Tod des einzelnen Christen beziehen, der aufgrund der Auferstehung Jesu nur das Durchgangstor in ein neues Leben darstellt. Schließlich kommt, bedenkt man die im ersten Abschnitt des Hymnus grundgelegte baptismale Sinnebene, ein übertragen-innerweltliches Verständnis in Frage. Die mors stünde hierbei gemäß Rom 6 für den in der Taufe erlittenen Tod mit Christus, und die vita nova bezeichnete das erneuerte Leben als Christ, als neuer Mensch nach dem Tod des alten Menschen 346 . Insofern alle drei Deutungsebenen letztlich im einen Paschamysterium zusammenfallen, muss und darf nicht nach dem einzig richtigen Verständnis gefragt werden; der mehrfache Sinn 347 ist von Ambrosius bewusst intendiert 348 . In Anlehnung an Rom 6,4 349 344 Savon, Hic est dies 433. 345 Savon (ebd. 434) weist zu Recht darauf hin, dass diese Konzentration des Gegensatzpaares auf die Versmitte eine Steigerung („le sommet de la gradatio“) gegenüber den beiden voranstehenden Versen darstellt, in denen die Kontrastbegriffe jeweils durch das Prädikat getrennt sind. 346 Rom 6,4.6; Eph 4,22-24; Col 3,9f. 347 Bereits Dionysius Cartusianus (p. 46B) deutet die vita als „‘vitam’ gratiae in praesenti et vitam gloriae in futuro“. 348 In Iob 1,5,14 steuert die Sonne in ihrem bereits erwähnten (vgl. S. 233) Monolog über die Frage, wie sich die Totenruhe Christi verkürzen ließe, eine weitere Dimension der nova vita bei. Insofern durch Tod und Auferstehung Jesu der ganzen Schöpfung die Erlösung zuteilwird, erwartet die Sonne ihre Umwandlung im Rahmen der eschatologischen Neuschöpfung (32/ 2,219): dubitabat ergo dicens: quid facio? orior et dies est, occido et <?page no="299"?> 287 und Eph 2,5 bringt der Bischof im Begriff der Neuheit des Lebens Pascha und Taufe auch im Kommentar zum 118.(119.) Psalm zusammen: in psalm. 118 prol. 2,2 (62,4): ubi autem venit dies resurrectionis, convivificati domino Iesu resurreximus et erecti sumus in novitate vitae praeferentes ablutionis gratiam. Durch den Gebrauch des Verbs reddere bewegt sich Ambrosius im Rahmen der ersten beiden Sinnebenen in die Richtung einer Personifikation des Todes. Diese hat ihren neutestamentlichen Anhaltspunkt in 1 Cor 15 und spielt in den letzten beiden Strophen eine bedeutende Rolle. 4.3.8 hamum sibi mors devoret suisque se nodis liget (7,1f.) Generell lässt sich die siebte Strophe als Explikation des Verses 6,4, insbesondere seiner auf den Tod Christi bezogenen Sinnebene, verstehen. Das Geschehen, das den Tod zwingt, neues Leben freizugeben, wird in den Versen 7,1f. in zwei drastischen Bildern vorgeführt. Der dabei vorausgesetzten Personifikation des Todes hat Paulus in 1 Cor 15,54f. durch die Anrede an ihn den Weg gebahnt, wobei er sich der Prophetenworte aus Is 25,8 und Os 13,14 LXX bediente. 1 CorA 15,54f.: Devorata est mors in victoria sua 350 . Ubi est, mors, victoria tua? Ubi est, mors, aculeus tuus? Ambrosius greift diesen Gedanken auf, dass der Tod durch seinen Sieg zugleich seine endgültige Niederlage erleidet, dass der Tod Christi zugleich die Voraussetzung seiner Auferstehung und damit der vollständigen Überwindung des Todes ist. Die Vorstellung, die hinter Vers 7,2 steht, ist eindeutig: Der Tod verstrickt sich in seinen eigenen Schlingen, eigentlich ‘Knoten’, hier metonymisch gebraucht 351 , vermutlich um das metrisch weniger geeignete Wort laquei zu vermeiden. Die aus dem Bildbereich der Jagd entnommene Metapher von den Schlingen bzw. Stricken des Todes ist biblisch belegt 352 , wie überhaupt vor allem die Psalmen 353 sich mit Vorliebe auch in anderen Zusammenhängen dieser Symbolik bedienen. Dabei begegnet auch das Thema, dass die Fallensteller sich selbst in ihren Stricken verfangen: PsA 56(57),7: Laqueos paraverunt pedibus meis / et ipsi inciderunt in eos. nox est. si cursum meum servavero, demorabor mundi salutem. festinemus ad redemptionem etiam nostram: festinare debeo etiam ipse ad novam vitam; erit enim beneficio crucis, qua universa renovantur, et sol novus et caelum novum [cf. Apc 21,1]. 349 RomA 6,4: ut cum ipso in novitate vitae ambulemus. 350 Über den Originaltext ( 4 , ! ) hinaus findet sich bei Ambrosius der erläuternde Zusatz (in victoria) sua: vgl. epist. 31,9 (82/ 1,221); 48,6 (82/ 2,51). 351 Das Bild vom nodus mortis gebraucht Ambrosius auch Tob. 14,46 (32/ 2,544); in Luc. 10,110 (CChr.SL 14,377); off. 1,4,16 (CChr.SL 15,6). 352 Vgl. 2 Sam 22,6 = Ps 17(18),6; Prv 21,6. 353 9,16; 24(25),15; 30(31),5; 34(35),7.8; 56(57),7; 63(64),6; 90(91),3; 118(119),110; 123(124),7; 139(140),6; 140(141),9; 141(142),4. <?page no="300"?> 288 Als schwieriger erweist sich das exakte Verständnis des Verses 7,1. Zunächst erscheint eine einfache Parallele zu Vers 7,2 naheliegend. Der Tod wirft die Angel aus und verschluckt selbst den Angelhaken, sodass es in beiden Versen um die Selbstschädigung des Todes durch die eigenen Waffen ginge 354 . Ohne Zweifel lässt sich Vers 7,1 auf diese Weise interpretieren 355 , doch bleibt das Bild weniger befriedigend als das des Folgeverses. Dass ein Jäger in die eigene Falle tritt, ist eine durchaus eingängige Vorstellung; dass ein Angler den eigenen Köder verschluckt, strapaziert hingegen die Phantasie weit mehr. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach einer alternativen Deutung. Nur vier Jahre nach dem Tod des Ambrosius verwendet Paulinus von Nola das Motiv in einem seiner carmina natalicia (carm. 23) 356 mit einer ganz anderen Stoßrichtung. In den Versen 76-81 heißt es im Rahmen einer Anrede an den hostis amarus (Vers 75), gemeint ist der Teufel (CSEL 30,196f. von Hartel/ Kamptner): ecce redemptoris nostri malus arte vicissim luderis inlusor; dolus et tuus in tua cedit vincla tibi, capiens caperis nectensque ligaris. fit laqueus laqueatus homo, et sua praeda latronem decipit; et capti captivus corporis escam dum petit inlicitam, letalem devorat hamum. Auch hier geht es um den aus dem ersten Korintherbrief bekannten Gedanken des Sieges des Teufels bzw. Todes 357 , der sich gegen ihn selbst kehrt; 354 Sibi ist jedenfalls als dativus incommodi aufzufassen. 355 Dafür plädiert Bernt, Paschahymnus 538: „Es liegt näher und entspricht wieder der Art der Ambrosiushymnen besser, wenn hier nicht Hintergründiges, sondern ein einfaches Bild zu sehen ist: der Angelhaken ist die Waffe des Todes wie die Schlingen im folgenden Vers und der Hieb im letzten Vers des Hymnus.“ Hierin zeigt sich jedoch ein unzulängliches Verständnis der für Ambrosius charakteristischen Dichtungsart. Wohl ist Bernt darin zuzustimmen, dass Ambrosius stets einen leicht fasslichen Oberflächensinn schafft, der seine Lieder anschaulich und eingängig macht. Sehr oft verbirgt sich aber darunter eine subtile Mehrdeutigkeit. Besonders ausgeprägt ist dieses Merkmal beim Hahnenhymnus Aeterne rerum conditor, der sehr viele Aussagen über den Hahn trifft, die auf einer literalen Ebene auch tatsächlich als Aussagen über das Tier Hahn fungieren, die jedoch zugleich aufgrund einer unausgesprochenen, aber in der Struktur des Hymnus angelegten Identifizierung von Christus und Hahn (der Hahn als „Sinnbild für den Erlöser“: Franz, Tageslauf 160) auch Aussagen über Christus sind; zur Interpretation dieses Hymnus vgl. Franz, ebd. 147-275. 356 Zur Datierung des Gedichts auf das Jahr 401 vgl. Mratschek, Briefwechsel 402 Anm. 22; 588 Anm. 224. 357 Tod und Teufel sind in diesem Zusammenhang austauschbar; vgl. Mone, Hymnen 224, zu V. 7,1 des Ambrosiushymnus: „Mors ist ein Beinamen des Teufels, weil durch ihn die Sünde und durch diese der Tod in die Welt gekommen“. Generell lässt sich schon ab dem 2. Jh. in der christlichen Literatur eine Verschmelzung von Tod und Teufel beobachten; vgl. dazu Schneider, Geistesgeschichte 259f.: „Tod und Teufel sind Kampfgenossen, Zwillingsbrüder oder schließlich auch nur eine Gestalt. … der Lebenshunger des jungen Christentums zeigt sich auch darin der Todesresignation der Umwelt schließlich überlegen, daß es den Tod zum Teufel macht.“ <?page no="301"?> 289 jedoch erfährt der Vorgang eine entscheidende Erläuterung. Dass es zu dem für die finsteren Mächte fatalen Ausgang kommen konnte, verdankt sich einer List des Erlösers (redemptoris … arte), die mittels der Angelmetapher erklärt wird. Die menschliche Gestalt Jesu war der Köder (capti … corporis escam), in dem sich der tödliche Haken (letalem … hamum) verbarg, der den, der Jesus gefangen zu haben glaubte, in Wahrheit zum Gefangenen machte 358 : Er hätte nämlich nicht erstrebt werden dürfen (inlicitam). Im Hintergrund steht eine Idee, die von östlichen Theologen vermutlich auf der Basis von 1 Cor 2,7f. und Col 2,14f. 359 entwickelt wurde. 1 CorA 2,7f.: sed loquimur dei sapientiam in mysterio absconditam …. quam nemo principum istius saeculi cognovit: si enim cognovissent, numquam dominum maiestatis crucifixissent. ColA 2,14; Col 2,15 360 : delens quod adversum nos erat chirographum decretis, quod erat contrarium nobis: et ipsum tulit de medio, effigiens illud cruci. ( % ! ($) 3 5 % ! $$ , $ L ' 9. Der aus der Sünde resultierende Schuldschein hatte den bösen Mächten einen Anspruch auf die Menschen verliehen, den Gott in Christus zunichtemachte (Col). Hätten die Gegner die verborgene Weisheit Gottes erkannt, wäre es nicht zur Kreuzigung gekommen (1 Cor). Aus diesem Material wurde folgender Gedankengang entwickelt 361 : Durch die Ursünde geriet der Mensch in die Verfügungsgewalt des Todes; ihr unterstand aber aufgrund seiner göttlichen Natur nicht Jesus. Diese Göttlichkeit Jesu blieb dem Bösen jedoch verborgen, sodass es glaubte, ihn ans Kreuz bringen zu dürfen. In Wirklichkeit überschritt es damit seine Kompetenz und verspielte so seine Ansprüche. Diese Überlegung findet sich im Wesentlichen schon bei Ignatius von Antiochien 362 und voll entwickelt bei Origenes 363 . Mit der Metaphorik des Angelhakens und des Köders, die für die göttliche bzw. die menschliche Natur Christi stehen, bringt das Thema dann um 387 364 Gregor von Nyssa in seiner Oratio catechetica in Verbindung 365 : Gr. Nyss. or. catech. 24,4 (Mühlenberg 62): * ! $ ... ' Q) U ' ( $! > $ 5 / / $ % 3 % * K 1 / * ! , ... 358 Captivus ist proleptisch gebraucht. 359 Vgl. Savon, Hic est dies 436. 360 Nur V. 14 liegt vollständig als Zitat des Ambrosius vor; V. 15 findet sich fragmentarisch in paenit. 2,2,9 (73,167): principatus et potestates ostentavit triumphans eos in semetipso. 361 Zur Motivgeschichte vgl. Zellinger, Leviathan 165ff.; Savon, Hic est dies 436-438. 362 Vgl. Ign. Eph. 19,1 (SC 10,88 Camelot). 363 Vgl. Or. comm. in Mt. 16,8 (GCS 40,498 Klostermann); comm. in Rom. 3,7 (FC 2/ 2,110 Heither); 4,11 (ebd. 290); hom. 6 in Ex. 9 (SC 321,194.196 Borret). 364 Vgl. Dünzl, Gregor von Nyssa 304. 365 Eine Vorstufe ist zuvor bereits bei Kyrill von Jerusalem gegeben; vgl. Cyr. H. catech. 12,15 (Reischl/ Rupp 2,20): 4 $ , ! L , / . $ D , Y 6 '$ 1 45 '$ . $ % / ! % 6 + , X , $! 5 a 3 | . <?page no="302"?> 290 9 $ ' 1 ' U + $' 6 , X ) % + ) ' 9 1 $ 6 % 6 Y $ 1 4 . Wie die Rezeption durch Paulinus von Nola zeigt, erfreute sich das Bild um die Jahrhundertwende auch im Westen bereits wachsenden Interesses. Diesen Eindruck bestätigt Rufins Expositio symboli aus dem Jahre 404 366 : Ruf. symb. 14 (CChr.SL 20,151 Simonetti): Nam sacramentum illud susceptae carnis … hanc habuit causam, ut divina Filii Dei virtus, velut hamus quidam, habitu humanae carnis obtectus … principem mundi invitare posset ad agonem: cui ipse carnem suam velut escam tradens, hamo eum divinitatis intrinsecus teneret inserto, et profusione immaculati sanguinis - solus est enim qui peccati maculam nescit - omnium peccata deleret: eorum dumtaxat, qui sanguine eius postes fidei suae signassent [cf. Ex 12,7]. Im Anschluss gibt Rufinus auch Auskunft über die die Angelmetaphorik speisenden Bibelstellen. Von besonderer Bedeutung ist Iob 40,20 aus der zweiten Rede Gottes an Hiob, in der gegenüber den Anwürfen Hiobs die Macht und die Weisheit Gottes herausgestellt werden 367 . Rufinus zitiert: Aut adduces draconem in hamo aut pones capistrum circa nares eius? Es geht hier um den Leviathan 368 , einen die gottwidrigen Mächte symbolisierenden Chaosdrachen 369 , der besonders im Buch Hiob die Züge eines Krokodils trägt. Die Beheimatung des Ungeheuers im Meer, im Alten Orient Ursymbol des feindlichen Chaos, bietet der Angelmetapher einen sinnfälligen Ansatzpunkt 370 . In Ez 32,3 wird der Pharao von Gott mit einem Krokodil verglichen (vgl. Vers 2) - hier vermutlich als Symbol Ägyptens -, im Wortlaut Rufins: Et extraham te in hamo meo et extendam te super terram. Angesichts der Zeugnisse aus den ersten Jahren des fünften Jahrhunderts spricht nichts gegen die Annahme Wolfram von den Steinens: „In die Dichtung der abendländischen Kirche hat bereits Ambrosius das Bild eingeführt“ 371 . Mit dem Motiv der Täuschung des Teufels erweist er sich im Lukaskommentar jedenfalls als vertraut: in Luc. 4,11f. (CChr.SL 14,110): Quomodo igitur hos laqueos evitabimus, ut possimus et nos dicere: ANIMA NOSTRA SICUT PASSER EREPTA EST DE LAQUEO VENANTIUM ; LA- QUEUS CONTRITUS EST , ET NOS LIBERATI SUMUS [Ps 123(124),7]? Non dicit: ‘ego contrivi laqueum’, non ausus est hoc dicere David, sed: ADIUTORIUM NOSTRUM IN NO- MINE DOMINI [Ps 123(124),8], ut ostenderet unde laqueus solveretur, ut prophetaret quod venturus esset in hanc vitam qui contereret laqueum fraude diaboli praeparatum. Sed non potuit melius conteri laqueus, nisi praedam aliquam diabolo demonstrasset, ut dum ille festinat ad praedam, suis laqueis ligaretur, ut ego possem dicere: LAQUEOS PA- RAVERUNT PEDIBUS MEIS , ET IPSI INCIDERUNT IN EOS [Ps 56(57),7]. Quae potuit esse 366 Datierung nach Frede, Kirchenschriftsteller 741. 367 In Mailand wurde das Buch Ijob am Mittwoch der Karwoche gelesen (vgl. Kap. 4.1.5). Ambrosius spielt also mit Vers 7,1 auf einen aus der unmittelbaren Taufvorbereitung vertrauten Text an. 368 Das gleiche gilt für den ebenfalls von Rufinus zitierten Vers Ps 73(74),14: Dedit eum in escam populis Aethiopum. 369 Zum Leviathan vgl. Ebach, Streiten mit Gott II 150-152. 370 Vgl. Rahner, Antenna Crucis 292-294. 371 Von den Steinen, Notker 534. <?page no="303"?> 291 praeda nisi corpus? Oportuit igitur hanc fraudem diabolo fieri, ut susciperet corpus dominus Iesus et corpus hoc corruptibile, corpus infirmum, ut crucifigeretur ex infirmitate. 372 Als Bild wählt Ambrosius hier die Verstrickung des Teufels in seine eigenen Schlingen, sodass das Zitat unmittelbar mit Vers 7,2 des Hymnus in Verbindung gebracht werden kann. Allerdings findet sich auch das Motiv der dem Teufel präsentierten Beute, die seine Überlistung erst ermöglicht. Dieses Moment wird im Hymnus durch die Angelmetapher abgedeckt. Dass Ambrosius diese als solche kennt und verwendet, lässt sich anhand einer Stelle zeigen, die gleichwohl in einem ganz anderen Kontext steht. Das Thema sind hier Zinswucherer und ihre Opfer, welch letztere im Bild der Fische gefasst werden, die am Köder (des geliehenen Geldes) zugrunde gehen. Tob. 7,26 (32/ 2,532): et vere piscis ille in esca mortem devorat, ille hamum gluttit, dum cibum quaerit, sed tamen hamum non videt, quem tegit praeda: tu hamum cernis et gluttis. hamus tuus faenus est creditoris, hamum voras et vermis te semper adrodit. ipsa est esca, quae decipit. Nichts hindert die Feststellung, dass Ambrosius in der Lage war, das Motiv des getäuschten Todes bzw. Teufels mit dem Bild des Angelhakens zusammenzubringen 373 , die beide getrennt in seinen Schriften belegt sind. Dabei ist es unerheblich, ob die Kombination auf einer eigenen Idee beruhte oder sich einer griechischen Vorlage verdankte. Völlig unhaltbar ist es jedoch, aus der Tatsache, dass die Verbindung des Motivs mit diesem Bild nicht in den Prosawerken des Ambrosius, wohl aber ab 401 in lateinischer Literatur nachweisbar ist, ein Argument dafür abzuleiten, der Hymnus oder zumindest die Strophe sei erst im fünften Jahrhundert verfasst worden, wie Savon es tut 374 . 4.3.9 moriatur vita omnium, resurgat ut vita omnium (7,3f.) Mit dem Verspaar 7,3f. ist ein textkritisches Problem verbunden, das zugleich für die gesamte Struktur der Strophen 6f. von Belang ist. Die Handschriften bieten fast alle in Vers 7,4 den Text: resurgat vita omnium; lediglich das älteste Manuskript Fa liest: resurgat ut vita omnium. Der Mehrheitstext dupliziert den metrischen Anstoß des Hiates, der in Vers 7,3 offenkundig bewusst toleriert wird, um die paradoxe Aussage in der vorliegenden Form treffen zu können, vielleicht sogar gesucht wird, um sie zu betonen. Träfe die letztgenannte Vermutung zu, erschiene der doppelte Hiat als umso prägnantere Markierung. Allerdings ist vom Gesamtduktus her zu fragen, ob nicht ein einfaches Auslaufen der Reihung in einen siebten Vers des explikativen ut-Satzes der rhetorischen Frage ihre eigentliche Spitze vorenthält. Damit hängt das Problem zusammen, dass Vers 7,3 ohne die Fortfüh- 372 Vgl. in Luc. 2,3 (CChr.SL 14,31), wo Ambrosius 1 Cor 2,7f. heranzieht. 373 So schon Dionysius Cartusianus ad loc. (p. 46C): „‘hamum’, id est vitam corporalem quae in Christo fuit“. 374 Vgl. Savon, Hic est dies 412 mit 436.438. <?page no="304"?> 292 rung im Finalsatz inhaltlich unbefriedigend ist 375 : ‘(Was könnte erhabener sein als dieses,) dass das Leben aller stirbt? ’ Es müsste auch ohne das finale ut in Vers 7,4 vom Hymnensänger eine entsprechende Beziehung zwischen beiden Versen hergestellt werden, denn der Gegenstand von Vers 7,3 ist nur insofern unvergleichlich erhaben, als er den Gegenstand von Vers 7,4 nach sich zieht. Ein Zugewinn an inhaltlicher Pointiertheit durch den finalen ut-Satz in Vers 7,4 bei gleichzeitiger formaler Abrundung der gesamten Satzeinheit - das neue syntaktische Element als Abschlusssignal - ist somit wohl unbestreitbar. Daher ist Walpole und Bulst Recht zu geben, wenn sie sich für die Lesart des ältesten Textzeugen entscheiden, zumal die Nachstellung der Konjunktion für die Poesie des Ambrosius nicht uncharakteristisch ist 376 . Walpole liefert auch eine überzeugende Erklärung für den Ausfall des ut in der weiteren handschriftlichen Tradition: „There would be every temptation for a copyist to omit the ut after its omission in the preceding lines, more especially before ui (VTVIT)“ 377 . Da er jedoch nicht vom Inhalt, sondern rein von der Metrik her argumentiert 378 , lässt er sich zusätzlich zur Konjektur eines ut in Vers 7,3 verleiten 379 : moriatur ut vita omnium. Dabei soll das erste ut explikativ, das zweite final sein. Die Mängel dieses Vorschlags liegen auf der Hand 380 : a) Das ut in Vers 7,3 entbehrt jeder handschriftlichen Grundlage; b) Die plötzliche Wiederholung des explikativen ut nach vier Versen liegt poetisch nicht nahe; c) Die Verse 7,3f. wären exakt parallel gebaut, das ut aber jeweils anders zu interpretieren, was den Parallelismus wiederum empfindlich stören würde 381 . Inhaltlich lässt sich, ähnlich wie bei Vers 6,4, eine Mehrdeutigkeit konstatieren, deren Varianten in sachlichem Zusammenhang miteinander stehen. Dominant ist zunächst sicher eine christologische Interpretation der vita 375 Richtig gesehen bei Bernt, Paschahymnus 538f. 376 In den vier zeitgenössisch bezeugten Hymnen finden sich fünf Beispiele für die Postposition einer Konjunktion bzw. eines Relativpronomen, davon zwei in Deus creator omnium (Perrin 237; 2,1: artus solutos ut quies; 3,3: voti reos ut adiuves) sowie je eines in Aeterne rerum conditor (Fontaine 149; 1,2: noctem diemque qui regis), Iam surgit hora tertia (Charlet 213; 8,3: peccata qui mundi tulit) und Intende qui regis Israel (5,4: alacris ut currat viam). 377 Walpole, Hymns 82. 378 Ebd. 81: „Ambr[ose] would never have written such a line as moriatur uita omnium“. 379 Vgl. Walpole, Notes on the text 435: „The two verses are parallel, and if ut is inserted in the one, it must be inserted in the other.“ 380 Vgl. auch Savon, Hic est dies 438f. 381 Bernt (Paschahymnus 538), der in Vers 7,4 ebenfalls das finale ut befürwortet, schlägt zur Vermeidung des Hiates in Vers 7,3 die Einfügung von et vor - was schon Walpole (Hymns 82) erwogen hatte -, um das Verhältnis der Verse der siebten Strophe zueinander deutlicher hervortreten zu lassen. Damit sei Vers 7,3 den vorangehenden Versen zugeordnet, während die Abhängigkeit des resurgat von moriatur ebenso klar hervortrete. <?page no="305"?> 293 omnium, die ihre Legitimation aus den johanneischen Schriften bezieht, etwa aus den ‘Ich-bin’-Worten des Evangeliums 382 : Io 11,25: # U ( ! 3 U C : IoA 14,6: ego sum via et veritas et vita Die Verse 7,3f. sprechen demnach von Tod und Auferstehung Christi, der das Leben ist und damit auch das (wahre) Leben der Menschen. Auch diesen Aspekt der vita omnium bringt Ambrosius in einer an Io 1,3f. angelehnten Formulierung zum Ausdruck: in psalm. 35,22,4 (64,65f.): omnia per ipsum et in ipso facta sunt et ipse est vita universorum … Zugleich aber - und infolgedessen - lässt sich Vers 7,4 auch konkret auf die Folgen des Ostergeschehens für die einzelnen Menschen beziehen: Christus stirbt nicht nur, damit er selbst aufersteht, sondern damit in ihm alle auferstehen, die an ihn glauben. Insofern bedeutet resurgat ut vita omnium auch konkret die Fortsetzung des Lebens jedes einzelnen Christen über den Tod hinaus. Einen ähnlichen Gedanken formuliert Ambrosius bereits in der Leichenrede auf seinen Bruder: exc. Sat. 2,46 (73,273): Itaque mors eius vita est omnium. 383 Den Zusammenhang zwischen der Auferstehung Christi und der Auferstehung aller Christen, der in der Zweideutigkeit des Verses 7,4 aufscheint, hebt Paulus in 1 Cor 15,12-22 384 und 1 Thess 4,14 hervor. Stilistisch wird das Paradoxe des österlichen Heilsereignisses durch das Oxymoron moriatur vita und die Antithese moriatur/ resurgat ausgedrückt. In beiden Fällen entsteht die Spannung aus der Beziehung, die zwischen Tod und Leben hergestellt wird. Dabei geht es in Vers 7,3 um das Unfassliche, dass Christus als das Leben selbst den Tod erleidet, im Verhältnis beider Verse zueinander hingegen um die radikale Umkehrung dieser Konstellation: Im Tod des Lebens ereignet sich in Wirklichkeit der Tod des Todes, der das Leben erst endgültig freisetzt. Wie ein Kommentar zum vorliegenden Verspaar liest sich eine Passage aus der Auslegung zum 36.(37.) Psalm: in psalm. 36,36,2f. (64,99): ipsius divinitas vita est, ipsius aeternitas vita est, ipsius caro vita est, ipsius passio vita est. unde et Hieremias ait: IN UMBRA EIUS VIVEMUS [Lam 4,20]. umbra alarum umbra crucis, umbra est passionis. ipsius mors vita est, ipsius vulnus vita est, ipsius sanguis est vita, ipsius sepultura est vita, ipsius resurrectio vita est universorum. vis scire quam mors ipsius vita sit? IN MORTE IPSIUS BAPTIZATI SUMUS [Rom 6,3], ut cum ipso IN NOVITATE VITAE AMBULEMUS [Rom 6,4]. Nicht nur kraft seiner Göttlichkeit und Ewigkeit ist Christus das Leben, sondern auch im Fleisch und Leid seiner menschlichen Existenz 385 . Passion 382 Vgl. aber auch die Brotrede in Io 6 sowie 1 Io 1,2; 5,20. 383 Vgl. fid. 4,10,119 (78,199): Cuius mors vita est. 384 Zu 1 Cor 15,21f. vgl. Kap. 4.3.10. <?page no="306"?> 294 und Kreuz Christi sind der Schatten, in dem wir leben können. Sein Tod bedeutet das Leben, weil seine Auferstehung das Leben bedeutet. Dabei wird auch hier wieder, wie im Hymnus, das universale Moment betont. Als Modus der Teilhabe der Menschen am lebensspendenden Tod Christi wird die Taufe benannt. 4.3.10 Cum mors per omnes transeat, omnes resurgunt mortui (8,1f.) Die Mehrzahl der Handschriften liest in Vers 8,2 resurgant. Da ein Hauptsatzkonjunktiv vom Sinn her nicht in Frage kommt - die Auferstehung der Toten ist eine Tatsache und bedarf keiner Aufforderung -, wäre es kaum vermeidlich, den Vers als weitere Fortsetzung des explikativen ut- Satzes zu verstehen 386 . So verrät etwa die Interpunktion bei Bulst, dass er die letzten drei Strophen als zusammenhängende Einheit betrachtet 387 . Zu Recht weist Bernt auf die Probleme einer solchen Auffassung hin: Der Hymnus würde mit einer zwölf Verse umfassenden Frage enden und besäße keinen markanten Schluss; die Klimax zum Ende der siebten Strophe hin würde durch eine Fortführung des Satzes abgeschwächt; es entstünde eine Überforderung des Hörers, der in den Versen 8,1f. unvermittelt mit einem Gliedsatz zweiten Grades konfrontiert würde und zu diesem „den Hauptsatz ergänzen [müsste], der zwei Strophen vorher erklungen war, um ihn dann unter den erst danach folgenden Nebensatz ersten Grades unterzuordnen“ 388 . In jeder Hinsicht schlüssiger ist daher die einen neuen Hauptsatz konstituierende indikativische Textvariante resurgunt, die die alten Handschriften Fb, Aa und Ad (alle aus dem neunten Jahrhundert) belegen. Ein Fehler bei der Abschrift unter dem Einfluss der allgegenwärtigen Konjunktive in den Versen 6,2-8,2 ist von daher leicht vorstellbar. Inhaltlich trifft bereits Dionysius Cartusianus den wesentlichen Gehalt des Verspaares, wenn er in seiner Interpretation die Paulusworte Rom 5,12 und 1 Cor 15,22 einander gegenüberstellt 389 . Im Römerbrief ist die Rede davon, dass durch einen Menschen die Sünde in die Welt kam und mit ihr der Tod zu allen Menschen gelangte. Die entscheidende Wendung lautet bei Ambrosius: RomA 5,12: ita in omnes homines pertransivit (mors) 390 Demgegenüber stellt der erste Korintherbrief fest: 385 Vgl. dazu auch wenig später in psalm. 36,36,5 (64,100): ipse, qui erat in principio, ipse natus est ex virgine, ut esset vita morituris. 386 Die einzige Alternative wäre die von Schäfer (Hic est dies 55) erwogene Zuordnung zu dem cum-Satz des vorangehenden Verses, der dann auch Vers 8,2 umfassen würde und rein kausal verstanden werden müsste. Damit ginge jedoch die im Folgenden zu erläuternde Anspielung auf Rom 5,12 verloren. 387 Vgl. Bulst, Hymni 47. 388 Bernt, Paschahymnus 541. 389 Dionysius Cartusianus ad loc. (p. 47). 390 Zitiert nach in Luc. 4,67 (CChr.SL 14,131). <?page no="307"?> 295 1 CorA 15,21f.: quoniam sicut per hominem mors, ita et per hominem resurrectio mortuorum. sicut enim in Adam omnes moriuntur, ita et in Christo omnes vivificabuntur. 391 Es ist deutlich erkennbar, dass Ambrosius sich gedanklich wie lexikalisch an diesen beiden Schriftstellen orientiert. Damit wird am Ende des Hymnus nochmals das österliche Heilsgeschehen auf den Punkt gebracht: In Christus als dem neuen Adam wird der Tod, die universale Sündenfolge, aufgehoben, sodass es zu einer allgemeinen Auferstehung kommt 392 . Bemerkenswert ist in Vers 8,1 die Formulierung per omnes transeat gegenüber in omnes … pertransivit bei Paulus. Bernt moniert, dass Ambrosius zwar pertransire in transire per zerlegt haben könne, dass aber durch den Wegfall der eigentlichen Präposition in die paulinische Bedeutung ‘übergehen auf’ ausscheide. Zudem trage der Wechsel des Tempus von Perfekt zu Präsens der Tatsache Rechnung, dass das „Übergehen des Todes auf alle Menschen … mit Adam ein für allemal geschehen“ sei. Als Konsequenz plädiert Bernt für die Übersetzung: „Da der Tod durch alle hindurchgeht“ 393 . Zweifelsohne ist damit auf Wesentliches hingewiesen, zugleich aber der Bezug zu Rom 5,12 in unangemessener Weise entwertet. Denn es bleibt unverkennbar, dass die Formulierung des Verses 8,1 bewusst auf diese Paulus- Stelle anspielt. Damit erhält er den Sinn: ‘Obwohl der Tod alle erfasst’. Eine Interpretation im Blick auf das Römerbriefzitat setzt Vers 8,1 in ein konzessives Verhältnis zu Vers 8,2 und bedingt eine entsprechende Übersetzung des cum. Sprachlich ist diese Deutung abgedeckt, da der Ausdruck transire per die Konsequenzen des Durchzugs ja offen lässt und sich vor dem Hintergrund der Paulusstelle als ‘im Durchzug in Besitz nehmen’ deuten lässt. Gleichwohl ist auch eine andere Auslegung möglich: transire per kann auch im Sinne von ‘zwar berühren, dann jedoch weiterziehen’ aufgefasst werden, und dies entspräche sicher eher dem unmittelbaren Wortverständnis ohne Kenntnis von Rom 5,12. Von daher böten sich die kausale Auffassung des cum und eine Übersetzung, wie Bernt sie vorschlägt, an. Versucht man beide Überlegungen zusammenzuführen, ergibt sich folgende Synthese: Ambrosius greift mit Bedacht Rom 5,12 auf, um die universale Todesverfallenheit des Menschen ins Bewusstsein zu rufen, wandelt die Formulierung aber so ab, dass sie eine echte Doppeldeutigkeit gewinnt und sich gleichsam von innen her aufhebt - der Tod gelangt zwar zu allen, er geht auf alle über, aber zugleich hält er sie doch nur vorübergehend in Besitz, geht durch sie hindurch. 391 Der Text von V. 22 ist bei Muncey (New Testament Text 79) fehlerhaft (iustificabuntur statt vivificabuntur) und daher nach in psalm. 118 serm. 12,46 (62,278) verbessert. 392 Eine systematische Darstellung der Lehre des Ambrosius von der Auferstehung bietet Niederhuber, Eschatologie 156-210; vgl. besonders 180-183 zur Universalität der Auferstehung, die Ambrosius etwa in exc. Sat. 2,93 anspricht (73,299f.): omnes nascimur, omnes resurgimus. Die leibliche Auferstehung aller Menschen wird sich am Ende der Zeiten in einem Augenblick vollziehen und dem göttlichen Gericht vorausgehen. 393 Bernt, Paschahymnus 539. <?page no="308"?> 296 4.3.11 consumpta mors ictu suo perisse se solam gemat (8,3f.) Im letzten Verspaar wird erneut auf die von 1 Cor 15,54f. herrührende Vorstellungswelt und Stimmung zurückgegriffen, die bereits Vers 7,2 beeinflussten 394 . Dabei wird das Bild von den Schlingen des Todes durch das des Hiebes ersetzt. Vom ictus mortis spricht Ambrosius auch mehrfach in seinen Prosawerken 395 . Der gegen Christus gerichtete Schlag erzielt zwar dessen Tod, zugleich aber den Untergang des Todes selbst; einen ähnlichen Gedanken formuliert der Bischof in seiner Schrift De fide: fid. 3,11,84: mortis enim mors facta est susceptio mortis in Christo. Schon Hilarius von Poitiers hatte diese Vorstellung in seinem Osterhymnus verarbeitet, indem er den personifizierten Tod anredete (hymn. 2,23f. [CSEL 65,213 Feder]): Mors, te peremtam sentis lege cum tua, deum cum cernis subdedisse se 396 tibi. Deutlicher noch als Hilarius gibt Ambrosius am Schluss seines Liedes Einblick in die Befindlichkeit, aus der der Sänger spricht. Es ist das Gefühl der Befreiung vom Tod als einer wahrhaft existentiellen, das ganze menschliche Leben überschattenden Bedrohung. Der Hymnus ist „letztlich ein Befreiungslied, … das deshalb am Ende fast schadenfroh den Untergang des Bedrückers besingen kann“ 397 . In der Tat resultieren die Schlussverse des Textes daraus, dass dieser fundamentale Aspekt der österlichen Freude ernst genommen wird. Mitnichten handelt es sich also um eine befremdliche „verve pittoresque“ 398 , die mit dem Charakter des Hymnus nicht vereinbar wäre, wie Savon und Fontaine bemängeln 399 . Der Tod soll darüber seufzen, dass er allein zugrunde gegangen ist 400 . „Gemeint ist: für die Menschen aber ist die Zeit des Seufzens vorbei“ 401 - so wird der Hymnus der Befreiung auch zu einem „Hymnus des Trostes“ 402 . Damit schlägt das Ende des Liedes den Bogen zum eröffnenden Zitat aus Ps 117(118), welches dessen Grundhaltung, die Freude angesichts der Errettung aus tiefer Bedrängnis, in den Hymnus hineinträgt. Die aus dem Hymnus sprechende Freude, Verwunderung, ja Erleichterung, ist Ausdruck einer österlichen Spiritualität, für die der Ernst der Botschaft von der Auferstehung darin besteht, dass sie der Botschaft vom Tode abgerungen ist. 394 Vgl. auch 1 Cor 15,26, wo von der endzeitlichen Entmachtung des Todes die Rede ist. 395 Vgl. Hel. 22,85 (32/ 2,464); in psalm. 118 serm. 15,39,3 (62,351); obit. Valent. 10 (73,335); epist. 19,9 (82/ 1,145). 396 Die CSEL-Edition bietet an dieser Stelle te; se ist jedoch ebenfalls handschriftlich belegt und ergibt den besseren Sinn. 397 Franz, Angelhaken 196. 398 Savon, Hic est dies 412. 399 Vgl. Kap. 2.4. 400 Der Infinitiv Perfekt betont das Unwiderrufliche dieses Ausgangs. 401 Bernt, Paschahymnus 542. 402 Ebd. 541. <?page no="309"?> 297 4.4 Gesamtwürdigung Abschließend seien einige für den gesamten Text grundlegende Linien herausgestellt: 1.) Die Einzelinterpretation ließ deutlich werden, dass sich der Hymnus wesentlich durch eine auf mehrfache Weise integrale Sicht auf das Paschamysterium auszeichnet, wie sie generell für Ambrosius und seine Zeit charakteristisch ist. Einerseits wird innerhalb der heilsgeschichtlichen Dimension nicht nur der Ostersonntag in den Blick genommen, sondern auch der Karfreitag und in Gestalt einer leisen Anspielung sogar die Himmelfahrt. Bemerkenswerterweise handelt es sich mit der Schächerperikope nach Lc 23 bei dem einzigen narrativen biblischen Kontext, der in größerem Umfang explizit aufgegriffen wird, um ein Ereignis des Karfreitags: Auf ihn bleibt die Osterbotschaft des Hymnus verwiesen. Oder präziser formuliert: Tod und Auferstehung, Karfreitag und Ostersonntag werden im Hymnus als untrennbare Einheit gesehen. Dies entspricht der altkirchlichen Gestalt der Osternacht: Es ist ein und dieselbe Feier, in der die Christen den Weg vom Dunkel zum Licht, von der Knechtschaft zur Befreiung, vom Fasten zum Fest, vom Tod zur Auferstehung mitgehen und im Warten auf den neuen Morgen an sich erfahren. Indem der Hymnus vom heiligen Blut spricht (1,3) und die Kreuzigungsszenerie der Schächerepisode ausmalt (2,2-4,4), bezieht er sich auf den Karfreitag. Wo hingegen das Leuchten des heiligen Lichts (1,2) auf die Überwindung des Todes hinweist - „der Tod gibt neues Leben zurück“ (6,4) -, herrscht Ostersonntag. Beide Aspekte stehen in engster Beziehung zueinander. Die erste Strophe drückt dies temporal durch die paradoxe Gleichsetzung zweier eigentlich verschiedener Zeitpunkte aus: „Dies ist der wahre Tag Gottes, hell vom heiligen Licht [Ostersonntag], an dem das heilige Blut die schändlichen Verbrechen der Welt abwusch [Karfreitag]“. Die Verse 7,3f. reformulieren denselben Sachverhalt als final-kausalen Zusammenhang: „das Leben aller stirbt, damit das Leben aller aufersteht“. Die altkirchliche Osterfeier und mit ihr der Hymnus des Ambrosius stellen den sachlichen Zusammenhang über die chronologische Differenz. Zum anderen wird die heilsgeschichtliche Ebene als ganze zur sakramentalen Dimension des Paschamysteriums in Bezug gesetzt. Sowohl semantisch (diluit, inluminans, abluat) als auch thematisch (Sündenvergebung, und zwar aufgrund von Glaube bzw. Bekenntnis, wie am Beispiel des guten Schächers vorgeführt wird) kommt die Taufe ins Spiel; die baptismale Sinnebene ließ sich über weite Strecken des Textes nachweisen. So deutlich dieser Umstand ist, so sehr ist er doch zunächst in doppelter Hinsicht verborgen: Direkt angesprochen nämlich wird die Taufthematik im gesamten Hymnus nicht, und auch die biblischen Schlüsselstellen für die de facto zum Ausdruck kommende Beziehung zwischen Pascha und Taufe - Ex 14 als narrativ-typologischer Anknüpfungspunkt und vor allem Rom 6 als theolo- <?page no="310"?> 298 gisch-diskursive Ausgestaltung - werden nicht aufgegriffen 403 . Vielmehr wird das Blut Christi (sanguis sacer) zum Angelpunkt gemacht. Man könnte also letztlich sagen: Die baptismale Ebene wird konsequent von einer eucharistischen her konstruiert. 2.) Ein weiteres Charakteristikum von Hic est dies verus Dei ist der Verzicht auf jede Aktualisierung im Sinne von Selbstreflexion oder Paränese. Der Hymnus ist ganz und gar mit dem staunenden Lob des göttlichen Heilshandelns beschäftigt. Daher rühren die beiden für seine Architektur so wesentlichen rhetorischen Fragen ebenso wie die preisenden Passagen des ersten Satzes und der fünften Strophe mit dem programmatischen Ausruf Mysterium mirabile sowie nicht zuletzt das Motiv des Engelstaunens. Mit einer Vielzahl stilistischer Kunstgriffe unterstreicht Ambrosius die paradoxe Größe des den Menschen zuteilgewordenen Heils. Bei all dem verbleibt der Text durchaus nicht in kühler Distanz zu seinem Gegenstand; in Sprache und Struktur kommt die Befindlichkeit des Sängers zum Ausdruck, ohne jedoch selbst wieder zum Thema zu werden. Hoffnung und Trost, Befreiung und Dankbarkeit, vor allem aber Freude und unstillbare Verwunderung angesichts des unauslotbaren Mysteriums sprechen nicht als kontingente Emotionen, sondern als geradezu notwendige Weisen der Kunde von der österlichen Botschaft und deshalb zeitlos aus dem Hymnus. 3.) Typisch für die Poesie des Ambrosius ist die einfache und anschauliche Oberfläche seiner Lieder. Diese wird im vorliegenden Fall gewährleistet durch den klaren Duktus - zum Auftakt wird der Ostertag preisend benannt, dann sein Charakter zunächst am Einzelbeispiel des guten Schächers, schließlich im Universellen dargestellt - und die bilderreiche Sprache, welche sich als konkret (carpere), kühn (Staunen der Engel, Personifikation des Todes) und durchaus innovativ (Angelmetapher) erweist. Vermag der Hymnus auf diese Weise unmittelbar anzusprechen, so erschöpft er sich doch nicht darin. Nicht weniger typisch für Ambrosius ist nämlich die subtile Mehrschichtigkeit, wie sie etwa den Begriffen vita nova und vita omnium eignet. Auch verbergen sich nicht selten ganze theologische Konzepte hinter einzelnen Versen, wie sich an den soteriologischen Implikationen der Verse 6,2 (ut culpa quaerat gratiam) und 7,1 (hamum sibi mors devoret) zeigen ließ. Daher kann der Hymnus von seinen Sängern immer wieder neu entdeckt werden. 4.) Zusammenfassend ist die Kompromisslosigkeit hervorzuheben, mit der sich Ambrosius in seinem Hymnus allen für ihn wesentlichen Fragen der Paschatheologie stellt. Zugleich gibt schon das temporal doppeldeutige diluit im dritten Vers als Ausdrucksgestalt der Anamnese den ganz und gar liturgischen Charakter seiner Dichtung zu erkennen, die stark von der Spiri- 403 Ganz anders verfährt z. B. der etwas jüngere, ursprünglich wohl für den Einzug der Neugetauften bestimmte Paschahymnus Ad cenam agni providi (Walpole 350-353), in dem die alttestamentlichen Typologien für Taufe und Eucharistie explizit entfaltet werden. <?page no="311"?> 299 tualität der Osterliturgie geprägt ist. Es ist die Paschavigil mit ihrer Spannung vom Tod zum Leben und dem sakramentalen Geschehen der Taufe, die den Hymnus wesentlich bestimmt. So ist Hic est dies verus Dei zweifellos ein Meisterwerk der lyrischen Dichtung 404 , zugleich aber ganz Theologie und ganz Liturgie. 5. Rezeptionsgeschichtlicher Ausblick 5.1 Die liturgische Verwendung des Hymnus Bei der Interpretation des Hymnus waren wir auf ein integrales Verständnis des Paschamysteriums gestoßen, dessen Dynamik sich aus der Spannung zwischen einem ‘karfreitäglichen’ und einem ‘ostersonntäglichen’ Pol ergab. Dem wesenhaften Ineinander von Todes- und Auferstehungsbotschaft entspricht auf der Ebene des liturgischen Vollzugs, wie wir ebenfalls gesehen haben 405 , die Feier der einen Paschavigil als Durchgangstor von der Quadragesima zur Pentekoste. In dieser Vigil fallen Karfreitag und Ostersonntag zusammen; ein liturgisch ausgestaltetes Triduum Sacrum hat sich noch nicht etabliert. Der dynamische Charakter der Osternacht findet einen besonderen liturgischen Ausdruck in der Feier der Taufe, die den Initiierten an dem ‘Hinübergang’ Jesu vom Tod zum Leben Anteil gibt. So lässt sich der Hymnus, der von alldem Zeugnis ablegt, als poetische Quintessenz der Theologie der Osternacht verstehen. Darüber hinaus nimmt er auch noch in konkreterer Hinsicht Bezug auf die Liturgie der Osternacht. Die Liturgie der Paschavigil ist zur Zeit des Ambrosius durch das Nebeneinander zweier Vollzüge geprägt: Während die Gemeinde in der Basilika anhand ausgewählter Lesungen aus dem Alten Testament die Rettungstaten Gottes meditiert, findet die Taufe in einem separaten Baptisterium statt 406 . Anschließend ziehen die Neugetauften feierlich in die Kirche ein, um erstmals an der Eucharistie teilzunehmen, mit der die Liturgie endet. Eine kostbare zeitgenössische Quelle, die dieses Gesamtgefüge wiedergibt, stellt der Bericht des Paulinus, seit etwa 394 Sekretär des Ambrosius und später sein Biograph, über den Tod des Bischofs am Karsamstag des Jahres 397 und seine Aufbahrung in der Basilica maior dar. 404 Blume (Lieder 182) bezeichnet den Hymnus als eine „Perle der Lyrik“. 405 Vgl. Kapp. 4.1.4 und 4.1.5. 406 Zum Mailänder Taufritus zur Zeit des Ambrosius vgl. Magistretti, Liturgia 15-26; Paredi, Liturgia 96-111; Cattaneo, Religione 119-122; Schmitz, Gottesdienst 77-213; ders., Taufe; Kleinheyer, Eingliederung 70-77; Bonato, Origini; Alzati, Ambrosianum Mysterium I 24-28; Meßner, Liturgiewissenschaft 96-103. <?page no="312"?> 300 Paul. Med. vita Ambr. 48 (Pellegrino 120): Atque inde ad ecclesiam maiorem antelucana hora, qua defunctus est, corpus ipsius portatum est ibique eadem fuit nocte, qua vigilavimus in pascha. Quem plurimi infantes baptizati, cum a fonte venirent, viderunt, ita ut aliqui sedentem in tribunali dicerent, alii vero ambulantem suis parentibus digito ostenderent. Sed illi videntes videre non poterant, quia mundatos oculos non habebant. Plurimi autem stellam supra corpus eius se videre narrabant. Sed lucescente die dominico, cum corpus ipsius, peractis sacramentis divinis, de ecclesia levaretur portandum ad basilicam Ambrosianam, in qua positus est, ita ibi daemonum turba clamabat se ab illo torqueri, ut eiulatus eorum ferri non possent. Ambrosius wird nach seinem Tod in den frühen Morgenstunden des Karsamstags in die Hauptkirche gebracht, wo er während der Vigil der Gemeinde in der Nacht von Samstag auf Sonntag bleibt (eadem … nocte, qua vigilavimus in pascha). Dort sehen ihn die Neugetauften, als sie vom Baptisterium in die Basilika kommen (baptizati, cum a fonte venirent) 407 . Nachdem man die abschließende Eucharistiefeier beendet hat (peractis sacramentis divinis), wird der Leichnam im Morgengrauen des Ostersonntags (lucescente die dominico) in die Basilica Ambrosiana überführt. Dieser Text belegt, dass zur Zeit des Ambrosius in Mailand die Osternacht noch als Ganznachtvigil begangen wurde 408 , deren eucharistischen Schlussteil bereits das Licht des neuen Morgens als sinnfälliges Zeichen des Auferstandenen überstrahlte. Nun verraten die Prosaschriften des Ambrosius keine Details über den Wortgottesdienst der österlichen Eucharistiefeier am frühen Morgen. Doch scheint der Hymnus Hic est dies verus Dei selbst einen wertvollen Hinweis zu geben. Es fällt nämlich vor dem Hintergrund der geleisteten Einzelinterpretation auf, dass jeder der drei in der Strukturanalyse erhobenen Teile des Hymnus 409 einen biblischen Leitbezug besitzt, sich also für jeden Abschnitt ungeachtet der Fülle der Inhalte und biblischen Anspielungen ein Text benennen lässt, der das Thema oder Leitmotiv angibt. Es handelt sich für die Verse 1,1-2,2 um PsA 117(118),24 (Hic est dies quem fecit dominus, / exultemus et laetemur in eo), für die Verse 2,3-4,4 um die Perikope vom guten Schächer aus dem lukanischen Passions- und Osterbericht (Lc 23,39-43) und für die 407 Für die Frage, inwiefern in Mailand Kindertaufen üblich waren, sollte man den Text nicht strapazieren. Es scheint sie gegeben zu haben, doch die mystagogischen Katechesen weisen Erwachsene als den überwiegenden Adressatenkreis aus. Augustinus, der berühmteste Täufling des Ambrosius, erhielt die Taufe im 33. Lebensjahr. Dass Paulinus hier speziell Kinder erwähnt, hängt mit seiner mirakelhaften Erzählabsicht zusammen: Kinder eignen sich besonders gut als Empfänger von Visionen. 408 Dass dies keineswegs mehr selbstverständlich war, geht aus einer Bemerkung des Hieronymus hervor, in der er sich auf die apostolische Autorität des Verbotes beruft, die Paschavigil vor Mitternacht zu beenden; in Matth. 4,25,6 (CChr.SL 77,237 Hurst/ Adriaen): Traditio Iudaeorum est Christum media nocte venturum in similitudinem Aegypti temporis, quando pascha celebratum est et exterminator venit et Dominus super tabernacula transiit et sanguine agni postes nostrarum frontium consecrati sunt [cf. Ex 12,3-23]. Unde reor et traditionem apostolicam permansisse ut die vigiliarum paschae ante noctis dimidium populos dimittere non liceat exspectantes adventum Christi et postquam illud tempus transierit, securitate praesumpta, festum cunctis agentibus diem. 409 Vgl. Kap. 3.1. <?page no="313"?> 301 Strophen 5-8 um 1 Cor 15 mit seiner Betonung des Zusammenhangs der Auferstehung Christi mit der Auferstehung aller (1 Cor 15,12-22) und seiner Rede von der Niederlage des Todes (1 Cor 15,54f.). Bemerkenswert daran ist, dass Ps 117(118) für die Zeit des Ambrosius der Osterpsalm schlechthin 410 und das Osterevangelium einschließlich des Passionsberichts 411 sowie 1 Cor 15 412 einschlägige Lesungen für die abschließende Eucharistiefeier der Osternacht sind. Der Hymnus scheint also „ganz aus den liturgischen Texten der Osternacht Mailands … gespeist“ zu sein 413 . Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus den referierten Beobachtungen ziehen im Hinblick auf die Frage nach dem ursprünglichen Verwendungsort des Hymnus innerhalb der Mailänder Osterliturgie? Deutet der Umstand, dass er implizit auf sakramentale Vollzüge und explizit auf Texte der Paschavigil bzw. der sie abschließenden Eucharistiefeier Bezug nimmt, darauf hin, dass er in ihrem unmittelbaren Umfeld gesungen wurde? Eine erste Vesper als Sitz im Leben des Hymnus, analog zu den anderen beiden behandelten Hymnen 414 , kommt für Ostern nicht in Frage. Die dynamische Spiritualität der Paschavigil als Nahtstelle zwischen Quadragesima und Pentekoste lässt eine österliche Vesper vor ihrem Beginn undenkbar erscheinen 415 . Nicht auszuschließen wäre allerdings eine Positionierung des Hym- 410 Vgl. dazu Kap. 4.1.2, insbesondere S. 232 Anm. 87. 411 Vgl. Auf der Maur, Feiern 72. Im Hintergrund steht das erwähnte integrale, zweipolige Paschaverständnis der Alten Kirche. Ambrosius bezeugt möglicherweise die Lesung der Passion in der Osternacht sacr. 3,2,15 (73,45): per fontem domini [gemeint ist die Taufe] et praedicationem dominicae passionis tunc aperti sunt oculi tui. Mit der praedicatio dominicae passionis könnte allerdings auch das Eucharistiegebet gemeint sein. Eine tiefgehende Beschäftigung des Ambrosius gerade mit dem Lukasevangelium erhellt aus der Existenz seines Lukaskommentars (als einzigen Evangelienkommentars), der in weiten Teilen auf Predigten beruht. 412 Die Quellen für die weite Verbreitung von 1 Cor 15 als Osternachtslesung sind zusammengestellt bei Becker, Himmelfahrtssequenz 40 Anm. 84. Zusammenfassend Baumstark, Perikopenordnungen 123: „ … ist eine Verwendung von 1 Kor. 15 in der Osterliturgie eine abgesehen von den beiden gerade zur größten Verbreitung gelangten Riten, dem römischen und dem byzantinischen, eine schlechthin allgemein verbreitete Erscheinung“; zu verschiedenen Perikopenabgrenzungen vgl. ebd. 29.46.54. 124.164. In den ältesten Quellen der Jerusalemer Liturgie begegnet 1 Cor 15,1-11 „gleichmäßig als apostolische Lektion für die Eucharistiefeier der Osternacht“ (ebd. 164); vgl. die Übersicht bei Zerfaß, Schriftlesung 84. In der mittelalterlichen Liturgie Mailands hat sich 1 Cor 15,3-10a als Epistel des Ostersonntags erhalten: Carmassi, Libri liturgici 345. 413 Becker, Himmelfahrtssequenz 41. 414 Vgl. Kapp. A 5.1 und B 4.1. 415 Die mittelalterlichen liturgischen Quellen bieten in diesem Fall keinen tragfähigen Anhaltspunkt. Sie spiegeln die allgemein verbreitete Praxis einer Vorverlegung der (durch die Ausdifferenzierung von Karfreitag und Ostersonntag sowie den weitgehenden Wegfall der Taufen in doppelter Hinsicht sinnentleerten) Osternacht auf den Karsamstagmorgen (vgl. Magistretti, Manuale II 198-211). Ohne die integrative Funktion der Paschavigil wird Ostern in liturgischer Hinsicht zu einem Fest wie jedes andere, <?page no="314"?> 302 nus im Schlussteil der Osternachtliturgie, am ehesten als eine Art Summarium, nachdem die Lesungen, die er so deutlich aufgreift, bereits erklungen waren. Zur Positionierung am Ende einer Liturgie würde passen, dass es sich bei dem Hymnus nicht um ein Gebet handelt. In diesem Fall ließen sich die Eingangsverse: Hic est dies verus Dei / sancto serenus lumine (1,2f.), auch als Anspielung auf das Licht der aufgehenden Sonne verstehen. Die Schlusswendung: consumpta mors ictu suo / perisse se solam gemat (8,3f.), fungierte dann nachgerade als ‘risus paschalis’. Unabhängig von dieser möglichen Verwendung dürfte der Hymnus von Anfang an die ganze Pentekoste hindurch, wahrscheinlich sowohl zum Abschluss der Morgenhore als auch in der Abendhore, gesungen worden sein 416 und so jeden der 50 Tage aufs Neue an die Paschavigil zurückgebunden haben 417 . Dieser Gebrauch lässt sich noch aus der mittelalterlichen Ordnung des mailändischen Stundengebets erschließen. Hier wird Hic est dies verus Dei während der Pentekoste immer wieder als Hymnus der Laudes und der Vesper genannt. Auch wenn der festzeitliche Eigenhymnus nicht durchgängig expliziert wird, lässt der Befund nur die Annahme seiner durchgängigen Verwendung zu 418 . Bedeutsam ist vor allem, dass er am Sonntag nach Christi Himmelfahrt, das sich in der Zwischenzeit als eigenständiges Fest mit eigenem Hymnus (Optatus votis omnium) etabliert hatte, nochmals aufgegriffen wird 419 . Dass der Gebrauch des Hymnus zweimal am Tag in die älteste Zeit zurückreicht, belegt die Nonnenregel des Caesarius von Arles aus dem Jahr 534. Diese älteste erhaltene Anweisung zur liturgischen Verwendung des Hymnus hat Caesarius vermutlich wie (nach eigener Aussage) den Großteil der gesamten Stundengebetsordnung aus dem Kloster Lérins übernommen 420 , dem er in den 490er Jahren angehört hatte 421 . Reg. virg. 66 (SC 345,254 Vogüé/ Courreau): Ad lucernarium [sc. primi diei paschae] directaneus brevis et antiphonae tres, hymnus Hic est dies verus dei; quem hymnum totum pascha et ad matutinos et ad vesperam psallere debetis. das nun auch durch eine erste Vesper eröffnet wird, in deren Rahmen Hic est dies verus Dei zu singen ist (ebd. 211f.). 416 Vgl. St. Laurent, Contribution 141; Jullien, Tradition 535. Frank (Kirchenjahr 90) denkt speziell an die Vesper des Ostersonntags. 417 Zur Auffassung der Pentekoste als einer fünfzigtägigen Osterfeier vgl. Kap. 4.1.5. 418 In der zweiten Osterwoche z. B. (vgl. Magistretti, Manuale II 227-237) wird Hic est dies verus Dei an allen Tagen außer der feria III (Dienstag) zu den Laudes vorgeschrieben, zur Vesper nur an der feria II (Montag). In allen anderen Fällen wird gar kein Hymnus erwähnt. Dies ist nicht anders zu erklären als durch die Annahme der unregelmäßigen Nennung einer dauerhaften Einrichtung. 419 Magistretti, Manuale II 244. Pfingsten wiederum besitzt als nunmehr ebenfalls eigenständiges Fest einen Eigenhymnus (Iam Christus astra ascenderat). 420 Reg. virg. 66 (SC 345,252.254 Vogüé/ Courreau): Ordinem etiam, quomodo psallere debeatis, ex maxima parte secundum regulam monasterii Lyrinensis in hoc libello iudicavimus inserendum. 421 Vgl. Kasper, Cäsarius 137. <?page no="315"?> 303 Caesarius ordnet den Gesang des Hymnus während der gesamten Osterzeit (totum pascha) sowohl in der Matutin als auch in der Vesper an 422 . Auf dem Hintergrund der Mailänder Quellen steht zu vermuten, dass mit totum pascha die Pentekoste gemeint ist 423 . Damit liegt für die Verwendung des Hymnus in Morgen- und Abendhore während der Pentekoste ein Zeugnis für die Zeit kaum 100 Jahre nach dem Tod des Ambrosius vor. Da sowohl die Îles de Lérins als auch Arles im Einflussbereich Mailands liegen, kann der Mailänder Ursprung dieser Regelung kaum bezweifelt werden. Zu einer späteren Zeit, als der Zusammenhang der österlichen Freudenzeit der 50 Tage nicht mehr so stark empfunden wurde und aus der einen Paschafeier (mit einer Zeit der Vorbereitung und einer Zeit des Nachklangs) der ausdifferenzierte Osterfestkreis geworden war, wird der Gebrauch des Hymnus außerhalb Mailands meist auf den Ostertag selbst beschränkt 424 . In den Rubriken wird er verschiedenen Horen zugewiesen, wobei ein Schwerpunkt auf der Terz liegt 425 . Wie Inluminans altissimus scheidet auch Hic est dies verus Dei mit dem Übergang zum Neuen Hymnar aus dem Standardrepertoire aus 426 . Neben dem mailändischen und (davon abhängig) dem zisterziensischen Hymnar 427 bleibt der Hymnus daher nach dem neunten Jahrhundert im Wesentlichen nur noch in regionalen Sondertraditionen 428 und bei den Kartäusern 429 erhalten. Während der Hymnus nicht Bestandteil des Römischen Breviers von 1568 gewesen war, wurde er nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil in die erneuerte Liturgia Horarum aufgenommen. Er ist nun als Hymnus der Lesehore in der Osterzeit bis Christi Himmelfahrt vorgesehen 430 . Bedauerlicherweise wird jedoch die Freude über diese Entscheidung ähnlich wie bei In- 422 Eine entsprechende Regelung trifft Aurelian, der zweite Nachfolger des Caesarius auf der Kathedra von Arles, ca. 15 Jahre später in reg. mon. (PL 68,393C) bzw. reg. virg. (PL 68,403D). 423 Zwar formuliert Caesarius, nachdem er das österliche Stundengebet beschrieben hat: Hoc ordine toti septem dies sunt celebrandi (reg. virg. 66 [a.a.O.]). Damit wird jedoch nicht eine Osteroktav gemeint sein (anders Martimort, Place des hymnes 143f.); vielmehr wird festgelegt, dass alle sieben Wochentage während der Pentekoste nach der gleichen Ordnung zu feiern sind. 424 Vgl. Jullien, Tradition 535. 425 Jullien nennt ebd. für die Terz die Handschriften Ie, Ic, Ij, Sf, Aa, Ae, Fb, für die Matutin Il und Ec sowie für die Vesper Ad (zu Ie, Aa, Ad, Ae vgl. Kap. A 2.1; zu Fb und Ec vgl. Kap. 1.1; zu den übrigen Hss. vgl. Jullien, Sources 96f.117f.120f.152f.). Vgl. auch RH 1, 466 (Nr. 7793). 426 Vgl. Kap. 1.1. 427 Hier als Hymnus in Vesper und Laudes (nach der Hymnarrevision: komplett in der Vesper; im Morgenoffizium geteilt: Str. 1-4 in der Matutin, Str. 5-8 in den Laudes; vgl. dazu Kap. A 5.1) von Ostern bis Himmelfahrt: vgl. Waddell, Cistercian Hymnal 112. 428 Vgl. Kap. 1.1. 429 Vgl. Becker, Responsorien 76f. 430 LH 2, 421. <?page no="316"?> 304 tende qui regis Israel 431 beim Blick auf die Details der gewählten Textfassung erheblich getrübt. Die Strophen 3, 7 und 8 wurden gestrichen, wie üblich „per brevità“, außerdem weil sie „un po’ più difficoltose delle altre“ erschienen 432 . Vermag die allgegenwärtige Nonchalance im Streben nach „brevità“ kaum mehr zu überraschen, so hinterlässt der Mangel an Zutrauen in die geistige und spirituelle Fassungskraft der Liturgiefeiernden einen besonders bitteren Beigeschmack. Die Dramatik des Kampfes zwischen Tod und Leben, der in den letztendlichen Triumph des Lebens und die erleichterte Freude der Befreiten einmündet, wird gerade in den beiden Schlussstrophen entfaltet. Diese dynamische Spiritualität des Paschamysteriums ist also den Gläubigen von heute nicht mehr zuzumuten. Stattdessen wird der Doxologiestrophe nun folgende Neudichtung vorgeschaltet: Esto perenne mentibus paschale, Iesu, gaudium, et nos renatos gratiae tuis triumphis aggrega. Ohne Angelhaken, Fallstrick und Hiebwaffe als Symbole der Bedrohung, die dem Tod aus der Hand genommen und gegen ihn selbst gekehrt wurden, bleibt die Rede vom paschale gaudium blass. An die Stelle der höhnischen Anrede an den Tod ist ein braves Gebet getreten. Eine weitere Schwundstufe erreicht der Hymnus schließlich im deutschen Stundenbuch 433 . Einer Übersetzung der ersten beiden Strophen folgt hier eine einstrophige Paraphrase der originalen Strophen 3 und 4, deren letzter Vers noch das „Geheimnis“ aus der nun ebenfalls gestrichenen Strophe 5 rettet. Der Text schließt mit der Übersetzung der sechsten Strophe und der Doxologie. Die Banalisierung des Hymnus schreitet fort: Anstatt sich von der österlichen Spiritualität der Alten Kirche bereichern zu lassen, stutzt man sie bis zur Gesichtslosigkeit zurück. 5.2 Die Melodie des Hymnus In der Mailänder Tradition ist Hic est dies verus Dei diejenige Melodie zugeordnet, die sich später fest mit dem Pfingsthymnus Veni creator spiritus verbinden sollte 434 . Wir folgen der Edition Waddells nach dem Hymnar Mailand, Biblioteca Trivulziana 347 (fol. 226v-229r) aus der Mitte des 14. Jahrhunderts 435 . 431 Vgl. dazu S. 137f. 432 Lentini, Te decet hymnus 121 (Nr. 116). In den Versen 2,1f. sind außerdem die Partizipien in finite Verbformen aufgelöst: Fidem refundit perditis / caecosque visu illuminat. 433 Stundenbuch 2, 259. Liturgischer Ort des Hymnus ist auch hier die Lesehore von Ostern bis Himmelfahrt. 434 Vgl. Stäblein, Hymnenmelodien 507; vgl. auch Kap. 1.1. 435 Die Abbildung ist selbsterstellt auf der Basis von CLS 2, 138; vgl. außerdem Stäblein, Hymnenmelodien 9f. (Melodie 17 1 ), und zu leichten Abweichungen im Hymnar der Zisterzienser: CLS 2, 139. Garbagnati (Inni 71-73) ediert die Melodie nach dem An- <?page no="317"?> 305 Außerhalb der mailändischen und zisterziensischen Tradition begegnet der Hymnus vereinzelt auch mit anderen Melodien 436 . 5.3 Der Hymnus als deutsches Kirchenlied Da Hic est dies verus Dei zu der Zeit, als in Deutschland der volkssprachige Kirchengesang in größerem Umfang aufkam, bereits lange außer Gebrauch geraten war, wurde er nicht in dessen Tradition eingespeist. Die einzige deutsche Übertragung aus dem 16. Jahrhundert, die sich ermitteln ließ, findet sich in einer Übersetzung der Hymnen des Zisterzienser-Breviers, die Leonhart Kettner 1555 herausgab. In eigentliche Gesangbücher gelangte der Hymnus jedoch nicht. Auch die soliden und sprachlich durchaus gefälligen Hymnenübersetzungen des „privatisierenden Priesters“ 437 Johann Christoph von Zabuesnig (1822) verstehen sich in erster Linie als Hilfestellung zum bewussten Vollzug des lateinischen Breviergebets und als Andachtsbuch. Immerhin wird hier der „geheime Wunsch“ geäußert, in Schulen und Gemeinden den deutschsprachigen Choralgesang auf die traditionellen Melodien zu ermöglichen 438 . Ambrosius Kettner 1555 von Zabuesnig 1822 Hic est dies verus Dei Dis ist des herren tag fürwar, Heut ist der wahre Gottestag, sancto serenus lumine, der mit ein heylgen schein ist klar, der hehr und heilig heißen mag, quo diluit sanguis sacer daran das Blut des herren hat wo des Erstandnen kostbar Blut probrosa mundi crimina, außtilget alle missethat. genug für alle Sünden thut. fidem refundens perditis Der die verlornen mit Glaubn erleucht Er giebt Verworfnen Zuversicht, caecosque visu inluminans. und den Blinden das Gsicht verleicht. Geblendeten das Augenlicht, Quem non gravi solvat metu Wer wolt trawren, weil Christus hat dem Sünder, dem Verdammniß droht, latronis absolutio, den Schecher auffgnommen zu gnad: noch Hoffnung bei des Schächers Tod. qui praemio mutans crucem Der sich bald an dem Creutz bekert Am Kreuze findet er sein Glück, Iesum brevi adquisit fide Jesum mit kurtzem Glauben begert, und glaubt im letzten Augenblick: iustosque praevio gradu ist also den gerechten gleich Er steigt zu Gottes Reich empor praevenit in regno Dei? rein kommen in das himmelreich. und schreitet selbst Gerechten vor. Opus stupent et angeli Die Engel verwundern sich dran, Die Engel staunen an der Kraft, poenam videntes corporis die des leibes straff schawen an, die dem Verbrecher Rettung schafft: Christoque adhaerentem reum und das der Schecher, so an Christ Der Mörder ruft zu Gottes Sohn, vitam beatam carpere. hangt und glaubt, selig worden ist. und ew’ges Leben ist sein Lohn. tiphonar von Muggiasca aus dem Jahr 1388, fol. 4r.145, und nennt melodische Varianten. Zu weiteren Quellen vgl. Huglo, Fonti 100f. 436 Vgl. Stäblein, Hymnenmelodien 278 (Melodie 5 3 ); ebd. 418f. (Melodie 117 3 ). 437 Titelblatt zu Zabuesnig, Kirchengesänge. 438 So erläutert in der Vorrede: ebd. 1,VIII-X. Der Hymnus ebd. 3,98f. <?page no="318"?> 306 Mysterium mirabile, Es ist ein wunderliche Sach, Geheimniß, welches überrascht, ut abluat mundi luem, das sol abthan all ungemach und aller Welt Verderbniß wascht, peccata tollat omnium das fleisch Christi recht rein und zart wo Fleisch will Söhnungsopfer seyn carnis vitia mundans caro! aller welt sünd zu diser fart. und macht von Fleisches Sünden rein. Quid hoc potest sublimius, Was ist höher und größer je, Erhabnes Werk für Menschenheil! ut culpa quaerat gratiam dann das Sünd soll Gnad suchen hie Die Gnade wird der Schuld zutheil: metumque solvat caritas und das die Lieb die forcht wegnimbt Weil Liebe nur die Furcht bezwingt reddatque mors vitam novam, und durch den Tod news leben kumbt und Tod ein neues Leben bringt: hamum sibi mors devoret unn dz der todt sein stachl verschlingt Weil Tod an seinem Angel hängt suisque se nodis liget, und sich selbs in sein Garen bringt, und sich in seinen Schlingen fängt, moriatur vita omnium, das aller menschen leben stirbt, weil Leben, das zu Grabe geht, resurgat ut vita omnium? auffsteht und ein news leben erwürbt. als Leben Aller aufersteht. Cum mors per omnes transeat, Weil der tod thut zu allen gehn, Der Tod schließt Aller Lebenslauf, omnes resurgunt mortui; müssen die todten aufferstehn; daß alle Todten stehen auf: consumpta mors ictu suo der Tod muß, weil er gmustert ist, Der Tod erliegt am eignen Stich perisse se solam gemat! sich selbs grämen zu aller frist. und trauert nur allein um sich. Gott vatter sey dis ehr gegebn, Dir, Herr, der aus dem Grabe stieg, seim eingebornen Son darnebn, sey Herrlichkeit und Ruhm und Sieg dem heylgen Geyst on alles leyd mit deinem Vater und dem Geist, von nun an biß in ewigkeyt. ein Gott, den Alles ewig preist. Im 20. Jahrhundert erschienen einige weitere Übersetzungen in Anthologien (Friedrich Wolters, Clemens Blume, Adolf Adam) 439 . Daneben wurde der Hymnus 1965 erstmals in ein Gemeindegesangbuch aufgenommen. Das Liederbuch „… bis er wiederkommt“ der Katholischen Hochschulgemeinde München bietet als Nr. 132 eine Übertragung unter dem Initium „Dies ist der wahre Tag des Herrn“, die sich an den Versionen von Wolters und Blume orientiert bzw. einzelne Verse aus ihnen übernimmt. Friedrich Wolters Clemens Blume „…bis er wiederkommt“ Dies ist des Gottes wahrer Tag, Dies ist der wahre Tag des Herrn, Dies ist der wahre Tag des Herrn, voll Klarheit durch das heilge Licht, vom Himmelslicht klar wie ein Stern, von Freud’ und heilgem Licht erfüllt; an dem sein heiliges Blut von uns an dem sein heilig Blut die Schand an ihm wusch Christi kostbar Blut die schändlichen Vergehen wusch, der häßlichen Vergehen bannt; von uns all Schuld und Sünde ab. den Glaubenslosen Glauben gab, dem Irrtum schenkt er Glaubenslicht, Dem Irrtum schenkt er Glaubenslicht, der Blinden Augen öffnete der Blindheit schafft er neue Sicht. und Blinder Augen öffnet er. Wen löste aus der schwersten Angst Wer fühlt von Furcht sich noch bedrängt, Wen kann die Furcht noch fallen an, die Lossprechung des Schächers nicht, da Freispruch er dem Schächer schenkt? da Freispruch er dem Schächer schenkt? der, tauschend seinen Lohn, am Kreuz Ein kurzer Glaubensakt, und schon Der wandt am Kreuz im Glauben sich noch kurz um Jesus gläubig warb statt Kreuz winkt ihm der Himmelslohn; dem Herren zu und tauscht sein Los. und als Gerechter frohen Flugs ein Schritt nur, dem Gerechten gleich Ein Schritt nur, den Gerechten gleich voranging in das ewige Reich? gelangt er in das Gottesreich. geht in das Himmelreich er ein. Die Engel schauen staunend an Die Engel selbst nun staunend sehn, Die Engel schauen staunend an, des Körpers schimpfliches Gericht wie Strafe muß der Leib bestehn, wie unter Leid und Qual und Schmerz und wie der Schuldige am Kreuz doch Seligkeit das Herz umfängt, der Schuldige am Kreuzesholz von Christus seliges Leben nimmt. das trotz Vergehen an Christus hängt. von Christus sel’ges Leben nimmt. O herrliches Mysterium: Mysterium, so wunderreich! O herrliches Mysterium: Zu heilen alle Pest der Welt, Daß böse Sucht der Welt entweich, Zu heilen unsre kranke Welt, zu tragen aller Sünden Schuld, und alle Schuld getilget sei, zu tragen aller Sünden Schuld, das Fleisch des Fleisches Fehle tilgt. macht Fleisch von Fleischessünden frei. das Fleisch des Fleisch’s Vergehen tilgt. 439 Wolters, Hymnen 19f.; Blume, Lieder 181f.; Adam, Te Deum laudamus 134-137. <?page no="319"?> 307 Was kann geheimnisvoller sein, Was bringt wohl je so edle Frucht, Was kann geheimnisvoller sein, als dass die Schuld die Gnade wirbt, als wenn die Schuld sich Huld aufsucht, als daß die Schuld die Gnade wirbt, die gütige Liebe löst die Furcht wenn Liebe jede Furcht verscheucht, die güt’ge Liebe löst die Furcht, und Tod ein neues Leben gibt, der Tod sich neuem Leben beugt, und Tod ein neues Leben gibt, dass Tod die Angel selbst verschlingt den Angelhaken kühn verschlingt daß Tod die Angel selbst verschlingt und sich im eignen Stricke fängt, und mit des Netzes Maschen ringt, und sich im eignen Stricke fängt, dass aller Leben sinkt und stirbt daß aller Leben zwar vergeht, daß aller Leben zwar vergeht, und aller Leben aufersteht? doch aller Leben neu ersteht? doch aller Leben neu ersteht? Wenn Tod einst jeden überkommt, Der Tod zu allen nimmt den Lauf; Der Tod zu allen Menschen kommt, wird jeder Tote auferstehn, doch alle Toten stehen auf. doch alle Toten stehen auf. Vom eignen Stachel dann verletzt Den Todesstoß, den er vollführt, Den Todesstoß, den er versetzt, stirbt seufzend der erschöpfte Tod. der Tod an sich allein verspürt. der Tod an sich allein verspürt. Lob bringen wir dir, Christus, dar, der du vom Tod erstanden bist, Lob auch dem Vater und dem Geist von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen. Während Clemens Blume den Hymnus in gefällige Paarreime gießt, folgt das Münchener Studentengesangbuch Friedrich Wolters - und der lateinischen Vorlage - im Verzicht auf den Reim. Alle drei Fassungen bemühen sich weitgehend um Form- und Texttreue, wobei Blume dem Versbau manche Konzession einräumen muss. Wolters entfernt sich vor allem in Strophe 8 vom Original, indem er die Aussage ins Futur setzt. Der Hymnus spricht aber nicht von einer noch ausstehenden, sondern von der im Christusereignis bereits geschehenen Überwindung des Todes. Die Übersetzung in „… bis er wiederkommt“ wirkt an einigen Stellen, vor allem aufgrund der gehäuft auftretenden Vokalauslassungen, sprachlich etwas ungelenk. Anzumerken ist ferner, dass sie in Vers 4,2 anders als Wolters und Blume poenam corporis fälschlicherweise eindeutig auf den Schächer bezieht. Trotzdem böte sie einen geeigneten Ansatzpunkt für die Erstellung einer überarbeiteten Fassung, der angesichts der poetischen Schönheit und theologischen Tiefe des Hymnus eine weite Verbreitung in den deutschsprachigen Gesangbüchern zu wünschen wäre. Hinsichtlich der Melodie empfiehlt sich mit Blick auf die oben erläuterte Vorgeschichte die Verwendung der auch mit Veni creator spiritus bzw. seiner deutschen Übersetzung verbundenen Weise (z. B. GL 241: „Komm, Heilger Geist, der Leben schafft“). <?page no="321"?> 309 Schlussbetrachtung Seit ungefähr 25 Jahren erfreut sich das Thema ‘Fest’ einer verstärkten Aufmerksamkeit der Forschung, wobei der Schwerpunkt auf allgemein kulturwissenschaftlichen Fragestellungen liegt 1 . Während demgegenüber lange Zeit „nur wenige neuere Arbeiten das Ziel [hatten], die Sinngestalt von Fest und Feier aus theologischer Sicht zu erhellen“, wie Arno Schilson 1994 zu Recht feststellte 2 , beginnt jüngst auch die theologische Reflexion, sich dem Phänomen verstärkt zuzuwenden 3 . In diesem Sinne soll abschließend versucht werden, aus der Betrachtung der Festhymnen des Ambrosius eine Quintessenz zu ziehen, die als Baustein einer zu entwickelnden Theologie des Festes dienen mag. Diese müsste gegenüber den verbreiteten Festtheorien das Spezifikum christlicher Festkultur deutlicher zur Geltung bringen. Überblickt man die Theoriediskussion innerhalb der Festforschung, so stellt sich die Verhältnisbestimmung zwischen ‘Fest’ und ‘Alltag’ als ein verbreiteter Angelpunkt der Überlegungen dar. Das Fest als „das Andere des Alltags“ 4 tritt zu diesem in eine Beziehung, von deren Definition das 1 Einen Eindruck von der erstaunlichen Breite der behandelten Einzelthemen und der die Untersuchung bestimmenden Perspektiven vermitteln die Beiträge in den Sammelbänden von Schultz (Kulturgeschichte), Haug/ Warning (Fest) und Maurer (Fest). Vgl. auch den Literaturbericht bei Schilson (Fest und Feier) sowie die bibliographischen Hinweise bei Berlejung (Heilige Zeiten 3-16) und Maurer (Prolegomena 19-21). 2 Schilson, Fest und Feier 3. Über die von Schilson (ebd. 27-32) erwähnten Arbeiten hinaus ist v. a. auf folgende Aufsätze aus den 90er Jahren zu verweisen: Martin, Ökonomie, Tod und Ästhetik; Kranemann, Feiertags; Woschitz, Reflexionen. Vgl. ferner Schilson, Sinn; Leipold, Festtheorie und Konfession; Ziegenaus, Kirchliche Feiertage. 3 Vgl. die Beiträge in dem von Paul Post u. a. herausgegebenen Sammelband „Christian feast and festival“ (dazu: Kranemann, Christliches Fest); Leppin, Theologische Ansätze; Leipold, Feier der Kirchenfeste. 4 Assmann, Der zweidimensionale Mensch 13. Assmann beschreibt die Merkmale des Festes in Absetzung von einer „Phänomenologie des Alltags“ (ebd. 14). Als deren Kernpunkte benennt er (ebd. 14f.; Hervorhebungen im Original): 1. Kontingenz („die Sphäre des Zufalls, der unberechenbaren Wechselfälle, und die Sphäre des Ungeformten, Unstrukturierten, Nichtinszenierten, einer gewissen formalen Beliebigkeit, die sich nur an der Erreichung des Zwecks orientiert“); 2. Knappheit („die Sphäre des Mangels“, wobei die „Knappheit im ökonomischen Sinne“ durch den „daraus resultierenden Zwang zu Arbeit und Arbeitsteilung“ einen „Mangel an Sinn“ nach sich zieht); 3. Routine („die Sphäre der Automatisierung, Habitualisierung und Banalität“). Demgegenüber zeichnet sich das Fest aus durch (ebd. 15f.): 1. Inszenierung („die Sphäre des Nicht-Zufälligen und des Geformten“); 2. Fülle („als die Inszenierung einer utopischen Fülle“); 3. Besinnung („Transzendierung des im Alltagshandeln notwendigerweise verengten Sinnhorizonts, also die Besinnung auf das Grundlegende und Grundsätzliche“) und Efferveszenz (ein Begriff Émile Durkheims, der „die Aufhebung der im Alltag unerläßlichen ‘Kühle’, Selbstbeherrschung“ zugunsten einer „atmosphärischen Überflutung durch die spezifische vom Fest erzeugte Stimmung“ bezeichnet). <?page no="322"?> 310 Festverständnis im Kern abhängt. Dabei lassen sich modellhaft drei Konstellationen unterscheiden 5 : a) Das Fest steht als eine Art ‘Gegenwelt’ in striktem Kontrast zum Alltag. Indem es dem Menschen ermöglicht, sich temporär aus dem für ihn belastenden Alltag zu befreien, gewinnt es eine entlastende Funktion (das Fest als „Exzess“ 6 und „Ort der Freiheit vom Alltag“ 7 ). Da es den Menschen dadurch instand setzt, den Alltag dauerhaft zu bewältigen, besitzt es zugleich eine stabilisierende Funktion. b) Das Fest transzendiert den Alltag insofern, als es dem Menschen durch die Suspension des Alltagsvollzuges erlaubt, sich der diesen Alltagsvollzug tragenden Grundlage zu besinnen. Die Bewusstwerdung einer sinnhaften Ordnung ermöglicht die „Zustimmung zur Welt“ 8 (das Fest als „Sinngebung des Alltags“ 9 ). Auch aus dieser Sicht eignet dem Fest also eine stabilisierende Funktion. c) Demgegenüber schreibt der dritte Ansatz dem Fest eine quasi revolutionäre Funktion zu, indem er auf die Gegenbildlichkeit des Festes als An- 5 Vgl. dazu Gebhardt, Fest 36-43; Schilson, Aus Festen leben 303-307; Woschitz, Reflexionen 539-542. 6 Exemplarisch ist die Definition Sigmund Freuds (Totem und Tabu 170): „Ein Fest ist ein gestatteter, vielmehr ein gebotener Exzeß, ein feierlicher Durchbruch eines Verbotes. Nicht weil die Menschen infolge irgend einer Vorschrift froh gestimmt sind, begehen sie die Ausschreitungen, sondern der Exzeß liegt im Wesen des Festes; die festliche Stimmung wird durch die Freigebung des sonst Verbotenen erzeugt.“ Ähnlich Caillois, L’homme et le sacré 132: „L’excès ne fait donc pas seulement qu’accompagner la fête de façon constante. Il n’est pas un simple épiphénomène de l’agitation qu’elle développe. Il est nécessaire au succès des cérémonies célébrées, participe à leur vertu sainte et contribue comme elles à renouveler la nature ou la société. Tel paraît bien être en effet le but des fêtes“; Durkheim, Die elementaren Formen 514f.: Das Fest „hat auf jeden Fall die Wirkung, die Individuen einander näher, Massen in Bewegung zu bringen und auf diese Weise eine Erregung zu entfachen (manchmal sogar eine Raserei), die mit dem religiösen Zustand verwandt ist. Der Mensch gerät außer sich und vergißt seine gewöhnlichen Beschäftigungen und Sorgen.“ 7 Gebhardt, Fest 42. 8 So der Titel eines ‘Klassikers’ dieser Richtung von Josef Pieper. Ebd. 52: „Ein Fest feiern heißt: die immer schon und alle Tage vollzogene Gutheißung der Welt aus besonderem Anlaß auf unalltägliche Weise begehen“; vgl. auch ebd. 46f. Zur Festtheorie Piepers: Leipold, Feier der Kirchenfeste 36-45. 9 Gebhardt, Fest 42. Vgl. z. B. Kerényi, Antike Religion 62: „Das Fest eröffnet den Sinn des alltäglichen Daseins, das Wesen der Dinge, die den Menschen umgeben, und der Kräfte, die in seinem Leben wirken. Das Fest als eine Wirklichkeit der Welt des Menschen … bedeutet, daß die Menschheit fähig ist, in rhythmisch wiederkehrenden Zeitabschnitten beschaulich zu werden und in diesem Zustand den höheren Wirklichkeiten, auf denen ihr ganzes Dasein ruht, unmittelbar zu begegnen.“ Vgl. ferner Eliade, Das Heilige 79: „Im Fest findet man die heilige Dimension des Lebens in ihrer Fülle wieder, im Fest erfährt man die Heiligkeit der menschlichen Existenz als einer göttlichen Schöpfung. In der übrigen Zeit droht die Hauptsache in Vergessenheit zu geraten: … Doch die Feste stellen die sakrale Dimension der Existenz wieder her.“ <?page no="323"?> 311 triebskraft zur Transformation des Alltags abhebt (das Fest als Ansporn zur Weltveränderung) 10 . Schematisch lassen sich die drei Modelle wie folgt darstellen: a) Das Fest als Exzess b) Das Fest als Besinnung c) Das Fest als verändernde Kraft Allen drei vorgestellten Ansätzen ist gemeinsam, dass bei ihnen letztlich das Fest in Funktion zum Alltag steht 11 . Auch wenn in verschiedener Hinsicht davon ausgegangen wird, die Sphäre des ‘Eigentlichen’ erschließe sich dem Menschen erst im Fest, interpretiert man diesen Kontakt mit der Sphäre des ‘Eigentlichen’ im Horizont der Bewältigung des Alltags. So erhält das Fest seine Wesensbestimmung letztlich als Funktionsbestimmung im Blick auf die Realität des Alltags, wie sie ist (eskapistisch: Modell a; affirmativ: Modell b) oder wie sie sein soll (Modell c). Die Wirklichkeitskonstruktion der meisten Wissenschaften lässt im Grunde kaum ein anderes Vorgehen zu, da ihre Argumentationsstrukturen keine metaphysische Begründung des Festes vorsehen. Im christlichen Verständnis hingegen haben die Feste des Kirchenjahres ihren objektiven Grund im heilvollen Eingreifen Gottes in die Geschichte, das mittels der liturgischen Feier jeweils neu zur Gegenwart wird. Dass der Wesenskern des kirchlichen Festes in der liturgischen Anamnese liegt 12 , 10 So betont Cox (Fest der Narren 38), dass „wirkliche Feier nicht etwa im Rückzug aus der Realität von Ungerechtigkeit und Bosheit Ereignis wird, sondern am echtesten dort stattfindet, wo diese negativen Sachverhalte anerkannt und bewältigt werden, nicht aber, wo man sie meidet.“ In eschatologischer Lesart führt dies laut Martin (Fest und Alltag 49) zur „messianisch allein möglichen Festtheorie“: „Alltag soll ‘Sonntag’ werden, und zwar so, daß Sonntag ‘Alltag’, die gewöhnliche Situation, Reich Gottes, wird.“ Vgl. Leipold, Feier der Kirchenfeste 45-55 (zu Cox) und 55-65 (zu Martin). 11 Vgl. Berlejung, Heilige Zeiten 3: „Tatsächlich besteht in der derzeitigen religionswissenschaftlichen und -geschichtlichen Forschung weitestgehende Einigkeit darüber, daß sich Feste vom Alltag unterscheiden und eigenen Gesetzen folgen, dabei aber doch (sei es als Gegenbild oder Ergänzung) auf den Alltag bezogen bleiben.“ Dasselbe gilt erst recht für kultur- und sozialwissenschaftliche Betrachtungsweisen. 12 Vgl. Casel, Festfeier 95: „Innerstes Wesen des christlichen Festes ist eine Epiphanie des Göttlichen, eine Offenbarung göttlicher Kraft und Gnade mit dem Zwecke, sich mitzuteilen und den mithandelnden, mitfeiernden Menschen übernatürliches Leben zu schenken. Die Epiphanie wird kultisch agiert in heiliger, symbolischer Handlung“; Kraft, Christliches Fest 6: „Ein christliches Fest ist die frohe Erinnerungsfeier an eine verändert Alltag Fest ermöglicht Besinnung auf die Grundlagen Alltag Fest macht erträglich Fest Alltag <?page no="324"?> 312 lassen die drei Festhymnen des Ambrosius deutlich erkennen 13 . Bei Intende qui regis Israel sind die mittleren Strophen (3 bis 6) der Anamnese gewidmet, die sich von der Inkarnation (Strophen 3 bis 5) auf die Gesamtheit des Weges Christi (5,4: ut currat viam) ausweitet (Strophe 6). Dabei ist die paschale Orientierung der Anamnese unverkennbar: Die Verse 6,3f. (excursus usque ad inferos, / recursus ad sedem Dei) haben ‘Höllenfahrt’ und Erhöhung zum Gegenstand; in 7,1f. (Aequalis aeterno Patri / carnis tropaeo cingere) wird die vom Philipperhymnus angesprochene Erniedrigung in die menschliche Existenz als Mittel zur siegreichen Überwindung des Todes identifiziert 14 . Der Epiphaniehymnus Inluminans altissimus ist besonders stark anamnetisch geprägt. Seine Entfaltung der biblischen Ereignisse, in denen die Gottheit Jesu Christi aufscheint, zielt nachdrücklich auf die verschiedenen gottesdienstlichen Vollzüge, die als Gegenwartsgestalt der verkündeten Heilsgeschichte fungieren: Die Taufe Jesu im Jordan kommt als Einsetzung der christlichen Taufe in den Blick (2,2.4: fluenta Iordanis … praesenti sacraris die); an der Ma- Heilstat Gottes, deren wir bei der Begehung des Festes erneut gnadenhaft teilhaftig werden“; Jungmann, Das kirchliche Fest 506: „Das Wesen des kirchlichen Festes liegt also eindeutig in seinem Gedächtnischarakter, in der Anamnese“; Dürig, Fest 23: „Von Art und Sinn der altchristlichen Feier des Sonntags und der Feier von Ostern her gesehen, liegt das Wesen des christlichen Festes demnach in seinem Gedächtnischarakter, in der Anamnese, also in der feiernden Gegenwärtigsetzung eines geschichtlichen Ereignisses, eines Heilsereignisses, nämlich des Werkes der Erlösung, deren wir beim gläubigen Mittvollzug der in der Eucharistie gipfelnden Festfeier gnadenhaft teilhaft werden“; Häußling, Feste feiern 127: Es „muß das Fest der Kirche und in der Kirche heute sein Proprium eindeutig markieren. Es liegt … im Heilshandeln Gottes jetzt wie einst, gewirkt in Tod und Erhöhung unseres Herrn. Das Fest der Kirche ist Stiftung Gottes, erwiesen in seinen Wohltaten an uns“; Kranemann, Feiertags 6: „Das christliche Fest ist, um es auf eine Kurzformel zu bringen, das feierliche Gedenken einer heilvollen Vergangenheit, die in der Gegenwart als lebensspendend und befreiend erfahren wird, deren endgültige Verwirklichung aber erst für die Zukunft erhofft werden kann.“ 13 Als sprachliche Modi der Vergegenwärtigung werden verwendet: 1. Temporale Ambivalenz (Hic est dies verus Dei, V. 1,3: diluit); 2. Verbformen im Präsens (Intende qui regis Israel, Str. 4f.: tumescit, permanet, micant, versatur, procedit; V. 8,1f.: fulget, spirat - Inluminans altissimus: V. 5,3: stupent; 8,2.4: rigatur, subrepunt - Hic est dies verus Dei, V. 4,1: stupent; Str. 5-8: [ut] abluat, tollat, quaerat, solvat, reddat, devoret, liget, moriatur, resurgat; [cum] transeat; resurgunt, gemat); 3. Imperative (Intende qui regis Israel, Str. 1f.: intende, appare, excita, veni, veni, ostende; V. 7,2: cingere); 4. explizite Zeitangaben (Intende qui regis Israel, V. 8,1: iam - Inluminans altissimus, V. 2,4: praesenti … die; V. 3,3: hoc … die); 5. Betonung, dass man das Heilsgeschehen jetzt sehen kann (Hic est dies verus Dei, V. 4,1f.: stupent … angeli … videntes - Inluminans altissimus, V. 7,3: Quis haec videns mirabitur). 14 Am Beispiel von tropaeo sei noch einmal auf ein Phänomen hingewiesen, das sich in den Hymnen wiederholt beobachten ließ: Ein auf der Textoberfläche leicht verständliches Bild gibt bei näherer Betrachtung, die die Details der Bildlichkeit voll ausschöpft, beachtliche theologische Tiefendimensionen zu erkennen (vgl. z. B. auch Intende qui regis Israel, V. 4,3: vexilla virtutum micant; Hic est dies verus Dei, V. 4,4: vitam beatam carpere; V. 7,1: hamum sibi mors devoret). Die Verbindung von leicht fasslicher Oberfläche und höchst differenziertem Hintergrund, der immer wieder neu und in weiteren Facetten erschlossen werden kann, trägt erheblich zu dem Reiz der Hymnen bei. <?page no="325"?> 313 gier-Perikope wird das Motiv der Anbetung herausgestellt (3,3f.: hoc adoratum die … duxeris); das Weinwunder von Kana und die Brotvermehrung verweisen auf die Eucharistie. Hier wird deutlich, wie die Anamnese den großen Zusammenhang dessen umfasst, was die Alte Kirche unter mysterium verstand, nämlich die zweifache Ausfaltung des göttlichen Ratschlusses zum Heil der Menschen in der (biblisch kodifizierten) Heilsgeschichte, insbesondere im Christusereignis, und in der liturgischen Feier. der Ratschluss Gottes zum Heil der Menschen das heilvolle Wirken Gottes in der Geschichte (und dessen Kodifizierung in der Heiligen Schrift) die Re-Präsentation der Heilsgeschichte in der liturgischen Feier Derselbe Zusammenhang wird auch im Paschahymnus Hic est dies verus Dei greifbar. Sein Thema ist die Heilswirkung von Tod und Auferstehung Jesu Christi, die zunächst am Einzelbeispiel des guten Schächers vorgeführt, dann aber in ihrer Universalität dargestellt wird. An dem Hinübergang Christi vom Tod zum Leben gewinnen die Gläubigen in der Taufe Anteil. In dem Begriff mysterium, der genau im Zentrum des Hymnus steht, fallen einerseits Karfreitag und Ostersonntag - für die bereits die erste Strophe eine paradoxe Gleichzeitigkeit konstatiert hatte - zusammen (im Tod ist das Leben) und andererseits die österliche Heilsgeschichte als ganze mit ihrer Vergegenwärtigung im gottesdienstlichen Vollzug (Taufe). Diese anamnetische Grundstruktur des christlichen Festes ist zu bedenken, wenn man das christliche Festverständnis mit den oben vorgestellten Modellen der Festtheorie vergleicht. Im Fest tritt der Christ aus seinem Alltag heraus, aber weder in eine Gegenwelt noch in den Raum abstrakter Ideale, Mysterium Karfreitag Ostersonntag liturgische Dimension heilsgeschichtliche Dimension <?page no="326"?> 314 sondern in die Gegenwart des geschichtlich verbürgten Heilshandelns Gottes. Das christliche Fest hat, wie bereits betont wurde, seinen objektiven Grund darin, dass Gott in Ereignissen der Geschichte in die alltägliche Lebenswelt der Menschen heilschaffend hineinwirkt. Gegenstand des Festes ist also das Eingreifen Gottes in die Geschichte zum Heil der Menschen, seine Form die Gegenwärtigsetzung dieses Eingreifens mittels der liturgischen Feier. Diese Wesens- und Sinnbestimmung ist nicht aus der Beschaffenheit des Alltags abzuleiten, was sie deutlich von den Modellen a) und b) unterscheidet. Freilich kann die Hineinnahme der Feiernden in die Gegenwart des göttlichen Heilshandelns nicht ohne Konsequenzen für den Alltag bleiben. Jedoch nimmt das Fest die Bedingungen christlicher Existenz im Spannungsfeld von ‘Schon’ und ‘Noch nicht’ ernst. Mit dem Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi ist das Reich Gottes angebrochen, harrt aber bis zur Wiederkehr des Herrn noch der endgültigen Durchsetzung. Sowohl die reale Präsenz des Heils als auch die bleibende Vorläufigkeit des gegenwärtigen Zustandes bestimmen das christliche Fest. Insofern zielt es nicht darauf, den Alltag in ein immerwährendes Fest hinein aufzulösen, wie Modell c) insinuiert, sondern verweilt auch in der Anamnese stets in einer eschatologischen Spannung. Besonders deutlich gibt dies der Hymnus Intende qui regis Israel zu erkennen, der die vergegenwärtigende Rede von der erfolgten ersten Ankunft Christi zum Unterpfand der Hoffnung auf seine erwartete zweite Ankunft macht. Er singt von der Erlösung, deren Weg durch die Inkarnation bereits definitiv gebahnt ist, und fleht zugleich mit den Worten des Klagepsalms 79(80) um das rettende Kommen. Auch Inluminans altissimus verknüpft die lobpreisende Vergegenwärtigung der heilvollen Epiphanie mit der Bitte um Erhörung (1,4). Im Zentrum der christlichen Heilsbotschaft jedoch, wie Pascha sie verkörpert, gibt Hic est dies verus Dei einer unbändigen Freude Ausdruck: der Freude der Erretteten, die wissen, dass alles, was ihr Dasein existentiell bedroht, zuallererst der Tod, letztlich bereits entmächtigt ist 15 . Durch seine immer neuen Anläufe, das Heilsmysterium zu beschreiben (Strophen 5 bis 7) 16 , bildet der Hymnus die Haltung des Staunens ab, die auch Intende qui regis Israel als die angemessene Reaktion angesichts des Heilsgeheimnisses ausweist (2,3) - Inluminans altissimus schreibt 15 Häußling, Feste feiern 123: „… die Zeitstellen, wo sich beides trifft: Leben trotz Tod, Heil trotz Bedrückung, Freude trotz Unrecht, Befreiung trotz Sorge, Bruderschaft trotz Gesellschaftszwang, diese Zeitstellen sind die Feste der Menschen.“ 16 Dabei lässt sich eine typische Eigenart der Hymnendichtung des Ambrosius erkennen: die Reformulierung eines Gedankens auf verschiedenen Ebenen (V. 5,2f.: ut abluat mundi luem [bildliche Ebene], / peccata tollat omnium [dogmatische Ebene]; V. 6,2f.: ut culpa quaerat gratiam [objektiv-dogmatische Ebene] / metumque solvat caritas [subjektivemotionale Ebene]; vgl. z. B. Intende qui regis Israel, V. 7,2-4: carnis tropaeo cingere [bildliche Ebene] / infirma nostri corporis / virtute firmans perpeti [dogmatische Ebene]) oder in unterschiedlichen Bildern (V. 6,4-7,2: reddatque mors vitam novam, / hamum sibi mors devoret / suisque se nodis liget; vgl. z. B. Intende qui regis Israel, V. 3,3f.: verbum Dei factum est caro / fructusque ventris floruit; Inluminans altissimus, V. 6,3-7,2: edentium sub dentibus / in ore crescebat cibus, / multiplicabatur magis / dispendio panis suo). <?page no="327"?> 315 sie gar den unbelebten Elementen der geschöpflichen Wirklichkeit zu (5,3). Wie der Weihnachtshymnus beginnt auch Hic est dies verus Dei mit einem Psalmzitat, das dem Lied eine Grundstimmung vorgibt: War dies jedoch dort die drängende Bitte um das helfende Eingreifen, so wird hier mit Ps 117(118) ein gelöstes Danklied für die Errettung angestimmt 17 . Wenn die Hymnen mithin auch die emotionale Reaktion der singenden Gemeinde auf das vergegenwärtigte Heilsgeschehen zum Klingen bringen, wird deutlich, dass das christliche Verständnis der Feste, das um die Anamnese kreist, die in der Festtheorie nicht selten getroffene Unterscheidung zwischen ‘Fest’ und ‘Feier’ unterläuft. Ausgehend von einer begrifflichen Differenzierung Otto Friedrich Bollnows 18 und unter Bezugnahme auf den Charisma-Begriff Max Webers 19 unterscheidet der Soziologe Winfried Gebhardt idealtypisch „zwischen dem Fest als der Institutionalisierung des emotionalen/ affektuellen und der Feier als der Institutionalisierung des wertrationalen Handelns“ 20 . Damit nähert sich die Definition des Festes dem oben vorgestellten Modell a), während die Definition der Feier ungefähr Modell b) entspricht 21 . Insofern die Feiern „auf Vermittlung und Bewahrung eines universellen Sinns zielen“, gilt Gebhardt der christliche Gottesdienst als ein 17 Häußling, Feste feiern 125: „Feste kann feiern, wer, aus der existentiellen Not gerettet, das Dasein dieser Welt von neuem als gut erfährt.“ Das ‘Ja zur Welt’, wie es sich im christlichen Fest ausdrückt, steht nie einfach in Relation zum Alltag, sondern beruht auf einer Rettungserfahrung. 18 Bollnow, Neue Geborgenheit 213-227. Die Unterscheidungsmerkmale von Fest und Feier bei Bollnow sind kurz zusammengefasst bei Gebhardt, Fest 45-47; vgl. ebd. (47- 50) zur Kritik Gebhardts an der konkreten Füllung der Begriffe bei Bollnow. Insbesondere wendet sich Gebhardt gegen „die Verweisung des Festes in den Bereich des Übermenschlich-Ewigen, die der Feier dagegen in den Bereich des Menschlich- Geschichtlichen“ (ebd. 47). 19 Maurer, Prolegomena 34: Max Weber (vgl. v. a. Wirtschaft und Gesellschaft 140ff.654ff.) „hatte dem Alltag - verstanden als die Notwendigkeit der Bedürfnisbefriedigung, realisiert durch Arbeit, Daseinsvorsorge, routinierte Abläufe - das Charisma entgegengesetzt, das hier … die Möglichkeit der Durchbrechung, den Einbruch des Unerwarteten [bedeutet]. Nach Weber gab es immer wieder in der Geschichte solche Einbrüche oder Aufbrüche, die den Alltag auf eine neue Grundlage stellten. Der Tendenz nach pendelt sich das Geschehen aber immer wieder auf den Alltag ein. Das Charisma ist einer Veralltäglichung unterworfen; es strebt selber zu neuer Institutionalisierung.“ Dem ‘reinen’ Charisma entspricht das affektuelle und emotionale Handeln, dem institutionalisierten Charisma, das Normen und Ideale hervorbringt, hingegen das wertrationale Handeln (der Gedankengang ist zusammengefasst bei Gebhardt, Fest 21-34). 20 Gebhardt, Fest 50. 21 Gebhardt, Fest 53: „Feste und Feiern sollen uns jene Vergemeinschaftungs- und Vergesellschaftungsformen heißen, die, durch ihre Beziehung auf etwas als außeralltäglich Gedachtes, der individuellen wie kollektiven Bewältigung des Alltags dienen und zwar auf qualitativ unterschiedliche Art und Weise. Das Fest hilft, den Alltag zu bewältigen, indem es ihn aufhebt. Die Feier hilft, den Alltag zu bewältigen, indem sie ihn bewußt macht, d.h. ihn als ein sinnvolles Geschehen ins Bewußtsein hebt.“ Vgl. ebd. die weiteren Ausführungen zum Fest (53-63) bzw. zur Feier (63-74). <?page no="328"?> 316 Beispiel für diesen Typus 22 , wie auch die von Gebhardt entwickelte Phänomenologie der Feier (feierliche Sprache; Verwendung von Symbolen in Ort, Zeit und Akt; musikalische Umrahmung; das Schreiten als typische Bewegungsform; Ausstattung und Atmosphäre des Feierraums als Ausdruck bedeutungsvollen Ernstes) 23 sich in nicht geringem Maße an der Liturgie zu orientieren scheint. Demgegenüber ist zweierlei festzuhalten: Zum einen eröffnet die Liturgie gerade in ihrem Sinnbezug auch einen Raum für Emotionalität. Die Festhymnen des Ambrosius als liturgische Gesänge verleihen - nicht zuletzt, indem sie sich die Sprache der Psalmen zueigen machen - sowohl der Erfahrung des noch fehlenden (Intende qui regis Israel/ Ps 79[80]) als auch der Erfahrung des bereits geschenkten Heils (Hic est dies verus Dei/ Ps 117[118]) Stimme. Zum anderen eignet dem christlichen Fest von seiner Mitte in der liturgischen Feier her ein kritisches Potential im vollen Wortsinn - womit sich an ein Element von Modell c) anknüpfen lässt. Die vergegenwärtigte Heilserfahrung (die Erfahrung des ‘Schon’) setzt einen Maßstab, der die Vorläufigkeit und Unzulänglichkeit der alltäglichen Lebensumstände ins Licht rückt (die Erfahrung des ‘Noch nicht’). Daher kann die liturgische Festfeier niemals nur affirmative Legitimation der alltäglichen Wirklichkeit sein, wie Gebhardt es als Eigenschaft der Feier definiert 24 ; vielmehr wirkt sie auch aus der eschatologischen Erwartung heraus prophetisch auf den Alltag ein. So bringt sich in der Schlussstrophe von Intende qui regis Israel in Gestalt der Selbstaufforderung zur gläubigen Aneignung des Weihnachtsgeschehens (8,4) der Anspruch zur Geltung, den die Heilsbotschaft an ihre Empfänger richtet. Im Ganzen zeugen die Hymnen des Ambrosius also vom Verständnis des Festes als einer Begehung des mysterium mirabile (Hic est dies verus Dei, V. 5,1). Das christliche Fest vollzieht sich angesichts einer objektiven Wirklichkeit, die jenseits des menschlichen Alltags liegt und nicht einfach aus dessen Immanenz abstrahiert ist. Sie hebt den Alltag nicht auf, qualifiziert ihn aber einerseits durch die geschichtlich verbürgte und im gottesdienstlichen Vollzug vergegenwärtigte Heilszusage schon hier und jetzt neu und stellt ihn andererseits in den Horizont der Hoffnung auf die Vollendung. In diesem Sinne wirkt das Fest auch dann weiter, wenn aktuell nicht gefeiert wird 25 : Die im Fest erfahrene Heilszusage Gottes gilt auch und gerade im Un-Heil des Alltags. 22 Gebhardt, Fest 71. 23 Vgl. ebd. 65-69. 24 Ebd. 74: „Die Feier ist der soziale Ort, an dem die alltägliche Wirklichkeit - umfassend oder partikulär - als ein in sich sinnvolles Geschehen präsentiert und durch Berufung und Inbezugsetzung auf ein Weltbild oder eine tragende Idee legitimiert wird.“ 25 So sind auch die Aussagen der Kirchenväter zu verstehen, wenn sie davon sprechen, für die Christen herrsche ‘immer’ ein Fest: vgl. Clem. str. 7,7,35,6 (GCS 17,27 Stählin/ Früchtel/ Treu); Chrys. pent. 1,1 (PG 50,454); hom. in Mt. 39(40) (PG 57,437); Hier. epist. 121,10,8 (CSEL 56,44 Hilberg). <?page no="329"?> 317 Literaturverzeichnis 1. Textausgaben der Heiligen Schrift Biblia Hebraica Stuttgartensia, ed. Karl Elliger/ Wilhelm Rudolph, Stuttgart 5 1997 Biblia Sacra iuxta Vulgatam versionem, ed. Robert Weber/ Roger Gryson, Stuttgart 4 1994 Bibliorum sacrorum Latinae versiones antiquae seu Vetus Italica, ed. Petrus Sabatier, 2 Bde., Paris 1751 Nova Vulgata, Bibliorum Sacrorum Editio, Sacros. oecum. concilii Vaticani II ratione habita iussu Pauli P.P. VI recognita, auctoritate Ioannis Pauli P.P. II promulgata, Vatikanstadt 1979 Novum Testamentum Graece, ed. Eberhard Nestle/ Erwin Nestle/ Barbara Aland/ Kurt Aland/ Johannes Karavidopoulos/ Carlo M. Martini/ Bruce M. Metzger, Stuttgart 27 1993 Septuaginta. Id est Vetus Testamentum graece iuxta LXX interpretes, ed. Alfred Rahlfs, Stuttgart 1979 Die Bibel. Altes und Neues Testament. Einheitsübersetzung, hg. im Auftrag der Bischöfe Deutschlands, Österreichs, der Schweiz, des Bischofs von Luxemburg, des Bischofs von Lüttich, des Bischofs von Bozen-Brixen; für die Psalmen und das Neue Testament auch im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und des Evangelischen Bibelwerks in der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1980 2. (Kommentierte) Ausgaben der Hymnen des Ambrosius Biffi, Giacomo/ Biffi, Inos, Sant’ Ambrogio: Opere poetiche e frammenti. Inni - Iscrizioni. Frammenti (SAEMO 22), Mailand/ Rom 1994, darin: - Banterle, Gabriele, Introduzione, 11-22 - Migliavacca, Luciano, Appendice, 165-266 Biraghi, Luigi, Inni sinceri e carmi di Sant’ Ambrogio Vescovo di Milano, Mailand 1862 Blume, Clemens, Unsere liturgischen Lieder. Das Hymnar der altchristlichen Kirche, Regensburg 1932 Bonato, Antonio, S. Ambrogio: Inni (LCPM 12), Mailand 1992 Bulst, Walther, Hymni Latini Antiquissimi LXXV Psalmi III, Heidelberg 1956 Colombo, Luigi Primo (Texte)/ Garbagnati, Emilio (Melodien), Gli inni del breviario ambrosiano, Mailand 1897 Dreves, Guido Maria, Hymnographi Latini. Lateinische Hymnendichter des Mittelalters (AHMA 50), Leipzig 1907 Fontaine, Jacques (Hg.), Ambroise de Milan: Hymnes, Paris 1992, darin: - Fontaine, Jacques, Introduction, 11-102 - Jullien, Marie-Hélène, Introduction, 102-123 Notices, textes, traductions et annotations: - Charlet, Jean-Louis, Hymne 3, „Iam surgit hora tertia“, 205-228 - Charlet, Jean-Louis, Hymne 7, „Illuminans altissimus“, 335-359 - Duval, Yves-Marie, Hymne 11, „Grates tibi, Iesu, novas“, 485-512 - Fontaine, Jacques, Hymne 1, „Aeterne rerum conditor“, 141-175 <?page no="330"?> 318 - Fontaine, Jacques, Hymne 5, „Intende qui regis Israel“, 263-301 - Nauroy, Gérard, Hymne 8, „Agnes beatae virginis“, 361-403 - Perrin, Michel, Hymne 2, „Splendor paternae gloriae“, 177-204 - Perrin, Michel, Hymne 4, „Deus creator omnium“, 229-261 - Savon, Hervé, Hymne 9, „Hic est dies uerus Dei“, 405-441 Mone, Franz Joseph, Lateinische Hymnen des Mittelalters, Bd. 1: Lieder an Gott und die Engel, Freiburg i. Br. 1853 (Ndr. Aalen 1964) Simonetti, Manlio, Ambrogio: Inni (BPat 13), Florenz 1988 Walpole, Arthur Sumner, Early Latin Hymns. With introduction and notes, Cambridge 1922 (2. Ndr. Hildesheim 2004) 3. Sonstige Werke des Ambrosius Apologia David altera, ed. Carl Schenkl (CSEL 32/ 2, 357-408), Prag/ Wien/ Leipzig 1897 De Abraham, ed. Carl Schenkl (CSEL 32/ 1, 499-638), Prag/ Wien/ Leipzig 1896 De apologia prophetae David (ad Theodosium Augustum), ed. Carl Schenkl (CSEL 32/ 2, 297-355), Prag/ Wien/ Leipzig 1897 De bono mortis, ed. Carl Schenkl (CSEL 32/ 1, 701-753), Prag/ Wien/ Leipzig 1896 De excessu fratris, ed. Otto Faller (CSEL 73, 207-325), Wien 1955 De fide (ad Gratianum Augustum), ed. Otto Faller (CSEL 78), Wien 1962 De fuga saeculi, ed. Carl Schenkl (CSEL 32/ 2, 161-207), Prag/ Wien/ Leipzig 1897 De Helia et ieiunio, ed. Carl Schenkl (CSEL 32/ 2, 409-465), Prag/ Wien/ Leipzig 1897 De Iacob, ed. Carl Schenkl (CSEL 32/ 2, 1-70), Prag/ Wien/ Leipzig 1897 De incarnationis dominicae sacramento (CSEL 79, 223-281), ed. Otto Faller, Wien 1964 De institutione virginis, ed. Franco Gori (SAEMO 14/ 2, 109-195), Mailand/ Rom 1989 De interpellatione Iob et David, ed. Carl Schenkl (CSEL 32/ 2, 209-296), Prag/ Wien/ Leipzig 1897 De Ioseph, ed. Carl Schenkl (CSEL 32/ 2, 71-122), Prag/ Wien/ Leipzig 1897 De Isaac vel anima, ed. Carl Schenkl (CSEL 32/ 1, 639-700), Prag/ Wien/ Leipzig 1896 De mysteriis, ed. Otto Faller (CSEL 73, 87-116), Wien 1955 De Nabuthae, ed. Carl Schenkl (CSEL 32/ 2, 467-516), Wien 1897 De Noe, ed. Carl Schenkl (CSEL 32/ 1, 411-497), Prag/ Wien/ Leipzig 1896 De obitu Theodosii, ed. Otto Faller (CSEL 73, 369-401), Wien 1955 De obitu Valentiniani, ed. Otto Faller (CSEL 73, 327-367), Wien 1955 De officiis, ed. Maurice Testard (CChr.SL 15), Turnhout 2000 De paenitentia, ed. Otto Faller (CSEL 73, 117-206), Wien 1955 De paradiso, ed. 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