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Literarische Hochkomik in der Moderne

Theorie und Interpretationen

0917
2008
978-3-7720-5302-3
978-3-7720-8302-0
A. Francke Verlag 
Anja Gerigk

Komisches in Kunst und Lebenswelt ist nicht länger Randthema, sondern ein exemplarisches Feld der Kulturgeschichte und Medienwissenschaft. Dagegen schlägt diese Studie ein neues theoretisches Modell vor. Sie entwickelt eine allgemeine Formel, aus der sich historisch die spezielle Komik der literarischen Moderne ableiten lässt - jenseits des Karnevalesken. Auf welche Weise Literatur modern-komisch sein kann, zeigen paradigmatische Interpretationen der Texte von Kleist und Büchner, Kafka und Bernhard. Die Reihe wird fortgeführt im Kapitel "Komik und Avantgarde", das u.a. absurdes Theater, Nonsens-Lyrik, experimentelle Poesie sowie filmische Genre-Parodien behandelt. Daneben bietet das Buch eine systematische Einführung in die Komiktheorie.

<?page no="0"?> Anja Gerigk Literarische Hochkomik in der Moderne <?page no="1"?> Literarische Hochkomik in der Moderne <?page no="3"?> Anja Gerigk Literarische Hochkomik in der Moderne Theorie und Interpretationen <?page no="4"?> Umschlagabbildung: von Zezschwitz, Kunst und Design Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. © 2008 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.francke.de E-Mail: info@francke.de Printed in Germany ISBN 978-3-7720-8302-0 <?page no="5"?> Literarische Hochkomik in der Moderne <?page no="7"?> Anja Gerigk Literarische Hochkomik in der Moderne Theorie und Interpretationen <?page no="8"?> Umschlagabbildung: von Zezschwitz, Kunst und Design Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. © 2008 Narr Francke Attempto Ve VV rlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das We WW rk einschließlich aller seiner Te TT ile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Ve VV rwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Ve VV rarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem We WW rkdruckpapier. Internet: http: / / www.francke.de E-Mail: info@francke.de Printed in Germany ISBN 978-3-7720-8302-0 <?page no="9"?> Dem Lehrstuhl Jahraus: abgründig und hoch kommunikativ - die Erfahrung zur Komik-Theorie verdanke ich besonders euch. <?page no="11"?> 7 Inhaltsverzeichnis Einleitung .............................................................................................................. 11 1 Komik denken ....................................................................................... 15 1.1 Thema der Kulturgeschichte ............................................................... 15 1.1.1 Statt Theorie? .............................................................................................. 15 1.1.2 Warum Komik? .......................................................................................... 18 1.1.3 Komische Diversität: kulturhistorische Studien . .................................. 25 1.2 Gegenstand der Theorie ....................................................................... 31 1.2.1 Ist Komik theoretisierbar, kann Theorie komisch sein? Vom Ontologismus zur Dekonstruktion ................................................ 32 1.2.2 Ein zu weites Feld? Begrenzte Theorien, universelle Komik ................................................. 37 2 Differenzen der Komiktheorie ..................................................... 47 2.1 Kognitiv, psychisch, physisch vs. sozial ........................................ 48 2.1.1 Bewusstsein, Psyche, Körper .................................................................... 48 2.1.2 Kommunikation, Gesellschaft .................................................................. 54 2.2 Organisationsform des Sozialen ........................................................ 58 2.2.1 Strukturelle vs. elementare, programmatische Komik ........................ 60 2.2.2 Hochkomik vor der Moderne: Bachtins Theorie des Karnevalesken ....................................................... 63 2.3 Ambivalenzen .......................................................................................... 68 2.4 Temporalitäten ........................................................................................ 74 2.5 Historisierungen ..................................................................................... 78 <?page no="12"?> 8 2.6 Systematik komischer Gattungen und Kategorien ..................... 85 2.6.1 Satire ............................................................................................................. 85 2.6.2 Komödie ...................................................................................................... 88 2.6.3 Groteske ....................................................................................................... 91 2.6.4 Ironie ............................................................................................................ 94 2.6.5 Humor: die Vielfalt komischer Differenzen ........................................... 97 3 Moderne literarische Hochkomik ............................................. 101 3.1 Allgemeine Komik-Formel, historische Anwendung auf die Moderne .................................. 101 3.2 Theorie-Bausteine für die Interpretation ....................................... 113 3.2.1 Kommunikation ........................................................................................ 114 3.2.2 Medium ...................................................................................................... 116 3.2.3 Autopoiesis ................................................................................................ 118 3.2.4 Sinn ............................................................................................................. 121 4 Komiktheoretische Interpretationen: Paradigmen der Moderne .............................................................. 125 4.1 Heinrich von Kleist Der zerbrochne Krug ........................................ 125 4.1.1 Forschungslage .......................................................................................... 125 4.1.2 Systemische Zweideutigkeit und der Krug als Medium .................... 129 4.2 Georg Büchner Leonce und Lena ......................................................... 137 4.2.1 Forschungslage .......................................................................................... 137 4.2.2 Mechanistische Kommunikation ........................................................... 140 4.3 Franz Kafka .............................................................................................. 150 4.3.1 Forschungslage .......................................................................................... 150 4.3.2 Sinngefechte - Das Schloß ......................................................................... 156 <?page no="13"?> 9 4.4 Thomas Bernhard .................................................................................. 169 4.4.1 Forschungslage .......................................................................................... 169 4.4.2 Suizidale Autopoiesis - Alte Meister ...................................................... 174 4.5 Komik und Avantgarde ....................................................................... 183 4.5.1 Vom Absurden zur hochkomischen Ambivalenz ................................ 186 4.5.1.1 Samuel Beckett Warten auf Godot ............................................................. 191 4.5.2 Nonsens-Lyrik, experimentelle Poesie .................................................. 196 4.5.3 Idiosynkratische Werk-Komik ............................................................... 208 4.5.3.1 Arno Schmidt Zettel’s Traum . .................................................................. 212 4.5.4 Genre-Parodien im Film ........................................................................... 216 4.5.5 Komische Provokation: avantgardistische Kunst ................................ 222 Bibliographie ...................................................................................................... 229 Namenregister Komiktheorie .................................................................... 240 <?page no="15"?> 11 Einleitung Die Frage „Was ist Komik? “ wird in diesem Buch ganz ernsthaft gestellt und mit einer theoretischen Figur beantwortet. Die Entscheidung für Theorie wendet sich jedoch weder gegen Historisierung noch gegen eine Interpretation literarischer Texte. Es wird zunächst eine allgemeine Formel des Komischen entwickelt, die aber - anders als bisherige Modelle - zur historischen Unterscheidung der modernen von einer vormodernen Komik führt. Michail Bachtins Typologie des Karnevalesken wird gegenwärtig als allgemeine Komiktheorie auf beide Epochen angewandt, für die Moderne gilt seine These von der „Karnevalisierung der Literatur“ 1 mit dem Konzept des polyphonen Romans. Darüber hinaus wurde in der Aneignung Bachtins durch die Literaturwissenschaft der groteske Körper zum Inbegriff des Komischen und zum Leitbild kultureller Dekonstruktion. Trotz jener starken Lesart wird hier vorgeschlagen, das Karnevaleske zumindest prinzipiell auf Antike, Mittelalter und Frühe Neuzeit zu begrenzen und für die moderne Literatur spezielle Formen zu beschreiben. Dabei bleibt die Funktion des Komischen, wie sie die Formel definiert, stabil. Es ändern sich hingegen die Strukturen mit dem Wechsel der sozialen Differenzierung: Die Gesellschaft der ungleichen Schichten wird zur funktional differenzierten Moderne. Über diese historische Perspektive gelangen systemtheoretische Elemente in die Komiktheorie; die Entdeckung des Modern- Komischen in der Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts wird erst durch Luhmanns Modellierung des Sozialen möglich. Dennoch erschöpft sich die konstruierte Figur nicht in dem, was sie aus der Gesellschaftstheorie übernimmt. Sie setzt eigene Bestimmungen ein, zur Ambivalenz wie auch zur besonderen Zeitlichkeit der so genannten „Hochkomik“. „Hochkomik“ heißt demnach die Neufassung des Komischen, mit der diese Studie in die Forschungsdiskussion geht. Dass jene Bezeichnung ursprünglich ironisch gemeint war, muss dabei nicht stören: Sie wurde von den Satirikern der Neuen Frankfurter Schule eingeführt und später in einer Anthologie, die komische Texte der hohen Literatur sammelt, weiterverwendet. 2 Irritierend ist dies nur, wenn man am Topos der Unverträglichkeit von Theorie und Komik festhält. Diese Position soll mit Gründen aufgegeben werden, die eine problem- und denkgeschichtliche Betrachtung darlegen wird (siehe 1.2). Schon vorab sei aber gesagt: Komik ist so theoriefähig und theoriebedürftig wie jeder andere Gegenstand. 1 Michail Bachtin: Probleme der Poetik Dostoevskijs. (Literatur als Kunst) München: Hanser 1971, S. 136, zur Literarisierung des Karnevals vgl. auch ebd., S. 147. 2 Vgl. Bernd Eilert: Das Hausbuch literarischer Hochkomik. Zürich: Haffmanns 1987. Zwei Folgebände. Eilert kommt aus dem Kreis der Neuen Frankfurter Schule. <?page no="16"?> 12 Ebenso wichtig wie der Versuch, Komik grundlegend zu denken, sind die Interpretationen des vierten Kapitels. Gelesen werden kanonische Werke der modernen Literatur, die sich nach Ansicht der Rezeption mit den Begriffen komischer Gattungen und Kategorien nicht gut genug kennzeichnen lassen. Das gilt sowohl für die untypischen Komödien Kleists und Büchners als auch für Kafka und Bernhard, denen häufig eine werkspezifische Komik zugetraut wird. Insbesondere haben die komiktheoretischen Deutungen (siehe 4.) - zu Der zerbrochne Krug, Leonce und Lena, Das Schloß, Alte Meister, im Avantgarde-Kapitel Becketts Warten auf Godot wie auch Arno Schmidt Zettel’s Traum - paradigmatischen Wert, da sie verschiedene Modi veranschaulichen, in denen sich Hochkomik gemäß der Formel und unter den Bedingungen der funktional differenzierten Gesellschaft realisiert. Ohne den Beweis, dass bedeutende Texte der literarischen Moderne Formen aufweisen, die mit dem gesetzten Modell als „komisch“ analysiert werden können, wäre die Theorie nicht vertretbar. Ob die so gewonnenen Interpretationen unabhängig davon ihre Texte überzeugend erschließen, wird die spezialisierte Werk-Forschung beurteilen. Das Komische hat sowohl eine Geschichte als Gegenstand der Reflexion als auch einen aktuellen Ort zwischen Kulturgeschichte und Medienwissenschaft. Im systematischen Kapitel der Arbeit (siehe 2.) werden Theorien des 20. Jahrhunderts in breiter Auswahl vorgestellt. Nur wenn eine Richtung frühere Entwürfe der Philosophie und Ästhetik weiterträgt, so etwa die Inkongruenztheorie, sind diese mit berücksichtigt. Gegliedert ist die Übersicht nicht nach Denkern oder Schulen, sondern durch modellbildende Differenzen und gemeinsame Figuren. Im Laufe der Analyse, im Bezug auf das theoretische Umfeld wird auch die neue Formel entfaltet. Sie versteht sich als legitime Wahlmöglichkeit zu den Ansätzen, die derzeit vorherrschen: Komik wird in kulturhistorischen Kontexten pluralisiert, medientechnisch differenziert, für das Projekt der Dekonstruktion eingesetzt. Ein Bericht der jüngsten Forschung, der diese Zusammenhänge herausstellt, findet sich deshalb im Eingangskapitel (siehe 1.1). Zuletzt ist eine Theorie erschienenen, die in der Systematik nicht mehr auftaucht, dafür aber an dieser Stelle hervorgehoben werden soll. Sie konzeptualisiert das Komische offenkundig sozial, mit der Formel „Humor als Kommunikationsmedium“. Humor (= Komik) ist laut Räwel ein Medium nach luhmannscher Definition. Code und Funktion werden bestimmt als Reflexion sozialer Formbildungen durch Abweichung von jenen Erwartungen. 3 Erst als Zweitcode fungiert die Unterscheidung „lustig/ ernst“ 4 . Nicht die Ähnlichkeit mit inkonkruenztheoretischen Sätzen ist zu beachten, sondern die Unterschiede zum hier vorgeschlagenen Modell. Räwel arbei- 3 Vgl. Jörg Räwel: Humor als Kommunikationsmedium. (Wissen und Studium, Sozialwissenschaften) Konstanz: Universitätverlag 2005, S. 35. 4 Ebd., S. 53. <?page no="17"?> 13 tet ausschließlich mit luhmannschem Material, er vertieft dabei das Spezialwissen zu symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien. 5 Dagegen liefern Elemente der Theorie sozialer Systeme - Kommunikation, Autopoiesis, Sinn (siehe 3.2) - Bausteine für die Figur dieser Studie, die sich aber komplexer zusammensetzt. Nach den Vorgaben jener Module bilden sich auch die Textstrukturen für die Interpretation. Damit ist der wichtigste Unterschied angesprochen. Räwel formuliert eine allgemeine Komiktheorie, die daher Kunst und Lebenswelt umfassen muss. Seine Regel - lustige Reflexion von Unterscheidungen (= Beobachtung zweiter Ordnung) - produziert jedoch keinerlei Konstellationen, die für eine Typologie modern komischer Literatur nutzbar wären. Sie fokussiert stattdessen die soziale Moderne. Im Vergleich dazu begründet das Kapitel dieser Arbeit, in dem die generelle Formel historisiert wird (siehe 3.1), weshalb gerade literarische Texte moderne Komik praktizieren. Von daher sind die beiden Theorien in Aufbau und Verwendung ausreichend verschieden. Die Überschrift „Komik denken“ bejaht die konstruktiven, historisierenden, interpretativen Fähigkeiten von Theorie. Begonnen hat das Vorhaben mit einer vortheoretischen Beobachtung, obwohl deswegen natürlich nicht ausgeschlossen werden kann, dass dieser Eindruck durch abstrakte Erklärungsmuster mit erzeugt oder verfestigt wurde: Komische Kommunikation ist zwiegespalten. Sie setzt einerseits den sozialen Vorgang aufs Spiel, indem sie provoziert, den Prozess subvertiert; sie wirkt sich andererseits genauso gesprächsfördernd und gemeinschaftsstiftend aus, etwas Sozialeres als Komik und Humor lässt sich kaum erfahren. Wer dem aus eigenem Erleben beipflichtet, von moderner Literatur ebenso fasziniert ist wie von der Komplexitätsreduktion und -steigerung durch Theorie, wird geneigt sein, dem Gang der Untersuchung zu folgen. 5 Zur Frage, ob das Medium Humor „symbolisch generalisiert“ ist, vgl. Jörg Räwel: Humor als Kommunikationsmedium. (Wissen und Studium, Sozialwissenschaften) Konstanz: Universitätverlag 2005, S. 48. <?page no="19"?> 15 1 Komik denken 1.1 Thema der Kulturgeschichte 1.1.1 Statt Theorie? Die Ausbreitung kulturhistorischer Literaturwissenschaft hat in jüngster Zeit der Erforschung des Komischen neuen Antrieb gegeben. Aus den Ursachen dieser Konjunktur erfährt man ebenso viel über den Stand der Komiktheorie wie über die Interessen und Arbeitsweisen einer literaturwissenschaftlichen Kulturgeschichte. Weshalb das theoretische Denken nach einem äußerst produktiven 19. und beginnenden 20. Jahrhundert schließlich vor seinem Gegenstand kapituliert, wird im nächsten Abschnitt eingehend begründet. Vorerst genügt es zu wissen, dass der Aufschwung einer kulturhistorischen Betrachtung komischer Erscheinungsformen nicht zum wenigsten durch die Selbstaufgabe der Theorie befördert wurde. Erst in den letzten Jahren sind neue begriffliche, modellhafte Fassungen aufgekommen, 6 die jedoch ganz unter den (selbst)einschränkenden Bedingungen stehen, welche zum einen von der dekonstruktiven Kritik des Theoretischen vorgegeben werden, zum anderen von der radikalen Kontextualisierung, mit der sich kulturgeschichtliche Komik-Studien legitimieren. Wie sich zeigen soll, sind zudem die Einflussbeziehungen jener beiden aktuellen Ansätze sehr eng, obgleich meist unexpliziert. Dies muss man vor allem deshalb klarlegen, weil nur so der alternative Ausgangspunkt für die im folgenden Kapitel erdachte Komik-Formel zu finden ist. Radikale Kontextualisierung bedeutet mehr als nur kulturell, historisch verschiedene Ausprägungen von Komik oder deren Einbettung in soziokulturelle Verhältnisse. Es wird darüber hinaus behauptet, dass eine allgemeine Bestimmung, die von diesen unterschiedlichen Formen absieht, im Falle des Komischen nicht möglich sei: „‚Komik‘ ist ein aus guten Gründen undefinierbarer Begriff.“ 7 Siegfried J. Schmidt spitzt damit die Ansicht zu, dass „komisch“ die Wahrnehmung eines Betrachters bezeichnet, der dieses Prädikat dem Wahrgenommenen in vielfältigen Kontexten zuschreibt. 8 Eines der Hauptargumente gegen die Komiktheorie fußt daher auf der Multiplizierung von Differenzen. Die kann allein schon aus dem subjektiven Faktor resultieren, wie Hegel ihn veranschlagt hat: „Überhaupt lässt sich nichts Entgegengesetzteres auffinden als die Dinge, worüber die 6 Siehe dazu den Abschnitt 1.2.2. 7 Siegfried J. Schmidt: Inszenierungen der Beobachtung von Humor. In: Komik - Medien - Gender. Ergebnisse des Kasseler Komik-Kolloquiums. Hg. von Friedrich W. Block. (Kulturen des Komischen 3) Bielefeld: Aisthesis 2006, S. 29. 8 Vgl. ebd., S. 23. <?page no="20"?> 16 Menschen lachen.“ 9 In der späten Phase der Theoriegeschichte werden mehrere Domänen aufgezählt, in denen sich die Unterschiede des Komischen anreichern: So sind die „historischen, sozialen, kulturellen, psychischen, situativen“ 10 Umstände für das Entstehen komischer Wirkungen nicht bloß modifizierend, sondern konstitutiv. Geht man in die Domänen hinein, tun sich weitere Differenzen auf. Im soziokulturellen Bereich etwa wird Komik näherhin „bildungs-, klassen- oder schichtenspezifisch“ 11 unterschieden bzw. hervorgebracht. Definitorisch gesagt: „Komisch ist, was soziologisch abgrenzbare Gruppen zu einer bestimmten Zeit innerhalb einer bestimmten Ethnie komisch finden.“ 12 Selbst wenn man die Bereiche in der Kategorie „Beobachter“ bündelt, was konzeptuell weder dem „Subjekt“ noch der „Psyche“ entspricht, sind Unterschiede zu beachten. So ist, laut Schmidt, „die Zuschreibung des Prädikats ‚komisch‘ eine Funktion von Erwartungen in kognitiver, emotionaler und moralischer Hinsicht - und um keinen dieser Aspekte sollte gekürzt werden“ 13 . Die wichtigste Feststellung in diesem Zusammenhang ist: Kontextuelle Differenzen gelten meist als irreduzibel, d.h. als Konstitutionsmomente statt variierende Formen derselben Komik. Die Kulturgeschichte nimmt sich nicht nur deshalb des Komischen an, weil Theorie und Philosophie versagt oder aufgegeben haben. Durch die theoretisch zum Definitionsmerkmal erhobene Kontextualität wird sie zum gerechtfertigten Ersatz der Komiktheorie. Will man das Komische trotzdem denken, obwohl es derzeit überwiegend historisch-ethnologisch beschrieben wird, sollte man jenem begründeten Vorrecht der kulturgeschichtlichen Behandlung etwas entgegenzusetzen haben. Es sei denn, man macht Differenzialität zum Kern der Konzeptualisierung, wie dies neueste, von der Dekonstruktion inspirierte Komik-Modelle tun. 14 Jener Lösungsweg soll nicht abgewertet, sondern ein konstruktivistisches Angebot hinzugedacht werden. 9 Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in 20 Bd. Bd. 15. Vorlesungen über die Ästhetik III. Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1986, S. 528. 10 Wolfgang Preisendanz: Zum Vorrang des Komischen bei der Darstellung von Geschichtserfahrung in deutschen Romanen unserer Zeit. In: Das Komische. Hg. von Wolfgang Preisendanz, Rainer Warning. (Poetik und Hermeneutik 7) München: Fink 1976, S. 156. 11 Siegfried J. Schmidt: Inszenierungen der Beobachtung von Humor. In: Komik - Medien - Gender. Ergebnisse des Kasseler Komik-Kolloquiums. Hg. von Friedrich W. Block. (Kulturen des Komischen 3) Bielefeld: Aisthesis 2006, S. 23. 12 Wendelin Schmidt-Dengler, Klaus Zeyringer: Komische Diskurse und literarische Strategien. Eine Einleitung. In: Komik in der österreichischen Literatur. Hg. von Wendelin Schmidt-Dengler u.a. (Philologische Studien und Quellen 142) Berlin: Schmidt 1996, S. 10. 13 Siegfried J. Schmidt: Inszenierungen der Beobachtung von Humor. In: Komik - Medien - Gender. Ergebnisse des Kasseler Komik-Kolloquiums. Hg. von Friedrich W. Block. (Kulturen des Komischen 3) Bielefeld: Aisthesis 2006, S. 22. 14 Siehe dazu Joseph Vogls „Kasuistik“ des Komischen im Abschnitt 1.2.2. <?page no="21"?> 17 In der Frage „Theorie oder Kulturgeschichte“ hängt viel von der Auffassung des Theoretischen ab. Nach herkömmlichem Verständnis muss eine gültige Komik-Formel die Empirie des Lachens und der komischen Empfindung vollständig, ausnahmslos erfassen. Daher rührt die von Preisendanz stellvertretend artikulierte Einschätzung: „Die theoretische Begründung und die analytische Verifikation der Wahrnehmung von Komik halte ich [...] für ein vergebliches Bemühen.“ 15 Von der Epistemologie eines theoretischen Konstruktivismus her ist empirische Totalität jedoch keine zwingende Forderung; diese Widerlegung der weit verbreiteten Ansicht wird im folgenden Abschnitt vertieft. Zweitens ist zu bestreiten, dass ein generelles Modell jegliche weitere Differenzierung, etwa eine historische, unbedingt ausschließt. So lässt es Schmidt fälschlicherweise aussehen: „Eine allgemein gültige Definition des Komischen wäre nur dann möglich, wenn es gelänge, anthropologische, psychologische und soziologische Gesetzmäßigkeiten zu finden, die eine ahistorische [...] Personen- und Konstellationstypik aufzustellen erlaubten“ 16 . Wie die Entfaltung der Formel im zweiten Kapitel belegen wird, muss Generalisierung keineswegs jegliche Historisierung verhindern, sie kann eine solche auch geradezu ermöglichen. Konstruktivistisch gefragt sind allerdings nicht „Gesetzmäßigkeiten“, sondern Strukturen und ihre Funktion. Schmidts Postulat setzt ferner das Ziel, anthropologische, psychologische und soziologische Regeln des Komischen in einen Fundamentalsatz zu integrieren. Wird hingegen die Totalität der Beschreibung aufgegeben, so ist die integrative Basis nicht länger notwendig. Daher kann eine Fundierungsebene - für die vorzustellende Formel ist es die sozialtheoretische - als Startunterscheidung gewählt werden, um erst dann zu sehen, ob sich daraus historische oder andere Folgedifferenzierungen ergeben. Hierbei wäre es allerdings kaum ratsam, die breite und bis in kleine Unterschiede hineingehende Kontextualisierung der Kulturgeschichte lediglich zu reproduzieren. Indem stattdessen eine soziale Grundlegung festgesetzt wird, sind allgemeinere Strukturen konstruierbar, die bei Berücksichtigung aller Ebenen und kontextuellen Gegebenheiten nicht auftreten können. Diese wiederum stehen für ein Profil moderner literarischer Komik zur Verfügung, das, von Gattungsbegriffen abgesehen, bislang fehlt. Bevor ausgelotet wird, weshalb Komik ein kulturhistorisches Parade-Thema geworden ist, soll vorausgeschickt werden, warum eine Theorie dieses Objekts nicht nur möglich und nützlich, sondern auch nötig ist. 15 Wolfgang Preisendanz: Zum Vorrang des Komischen bei der Darstellung von Geschichtserfahrung in deutschen Romanen unserer Zeit. In: Das Komische. Hg. von Wolfgang Preisendanz, Rainer Warning. (Poetik und Hermeneutik 7) München: Fink 1976, S. 156. 16 Siegfried J. Schmidt: Komik im Beschreibungsmodell kommunikativer Handlungsspiele. In: Ebd., S. 168. <?page no="22"?> 18 Dazu muss man sich vor Augen führen, in welchem wissenschaftlichen, publikatorischen Rahmen komische Praktiken und Kunstwerke kulturgeschichtlich ausgewertet werden. Beispielhaft seien zwei Publikationen genannt. 1999 erschien eine Kulturgeschichte des Humors, von der Antike bis in die Gegenwart reichend; 17 2006 wurden die Ergebnisse des dritten Kasseler Komik-Kolloquiums in der Reihe „Kulturen des Komischen“ veröffentlicht. 18 Beide Bände schreiben keine durchgehende Kulturgeschichte der Komik oder des Humors, auch wenn der erste Titel dies vermuten ließe, es sind Aufsatzsammlungen. Auffällig ist dennoch die große geschichtliche Bandbreite, sie reicht von der römischen Antike zwar nicht bis „heute“, aber doch bis ins 19. Jahrhundert; die Kasseler Tagungen widmen sich neben den historischen Ausschnitten schwerpunktmäßig der komischen Gegenwart. Eine Vielfalt an Kulturen und Medien wird zusammengetragen. Dass darunter Beiträge sind, die zugleich eine theoretische Klärung - und das heißt zumeist, eine Klärung der vorhandenen Theorien versuchen, deutet auf ein grundsätzliches Problem hin. Sobald die kontextualisierende Praxis solcher Kulturgeschichten um die theoretische Position der radikalen Kontextabhängigkeit von Komik ergänzt wird, verschärft sich das Problem. Hält man sich konsequent an Letztere, kann es im Grunde weder einen historischen Bogen noch einen Sammelband geben, da sich der gegenständliche Zusammenhang gänzlich in geschichtliche, kulturelle, mediale Differenzen auflöst. Es wäre von daher schlüssiger, in einer Studie z.B. der römischen Kultur und Gesellschaft auch auf deren komische Gepflogenheiten einzugehen oder eine eigene Monographie über verschiedene Arten des genderspezifischen Humors zu verfassen. Für jedes wissenschaftliche Objekt gilt mithin, dass ohne Gegenstandsbildung durch Theorie nur eine rein nominelle, pragmatische Einheit des Themas besteht. Demzufolge braucht selbst die mannigfaltige Komik begriffliche Konzeptionen, die manche Unterschiede vernachlässigen, um andere zu verdeutlichen und neue zu entdecken. 1.1.2 Warum Komik? Komik ist für die Kulturwissenschaften ein ergiebiger Gegenstand, seine Aktualität wurzelt in den thematischen Prioritäten und methodischen Prämissen der Fachrichtung. Manche Gründe, just das Komische verstärkt zu erforschen, liegen auf der Hand, andere betreffen eher die Tiefenstrukturen kulturhistorischen Arbeitens. Begonnen wird hier mit einem Punkt, der unmittelbar einleuchtet und zudem an das Problem der Kontextualität 17 Jan Bremmer, Herman Roodenburg (Hg.): Kulturgeschichte des Humors. Von der Antike bis heute. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1999. Dies ist eine Übersetzung der englischen Originalausgabe A Cultural History of Humour (1997). 18 Vgl. Friedrich W. Block (Hg.): Komik - Medien - Gender. Ergebnisse des Kasseler Komik-Kolloquiums. (Kulturen des Komischen 3) Bielefeld: Aisthesis 2006. <?page no="23"?> 19 anknüpft, die empirische Einsicht, dass „Komik über zeitliche und kulturelle Grenzen hinweg oft schwer zu verstehen ist“ 19 . Das Aufschließen kontextueller Bedingungen komischen Verstehens gehört in das Forschungsfeld der Interkulturalität, vermittelnde Instanzen wie der Fremdsprachenunterricht setzen entsprechendes Material ein. Zu erinnern ist auch an das interkulturelle Konfliktpotenzial, das sich unlängst im Karikaturenstreit entladen hat. „Die komische Praxis spiegelt mehr oder weniger die sozio-kulturellen Systeme wider, in denen sie entsteht.“ 20 Darin steckt mehr Brisanz, mehr kulturwissenschaftlicher Gehalt als zuerst sichtbar wird. Gemeint sind nicht politische Systeme oder Gesellschaftsordnungen, obwohl diese durchaus komikrelevant sein können, sondern vor allem jene Formen des Verhaltens und Denkens, die der Selbstbzw. Fremdidentifizierung einer Kultur dienen. So entsteht die Nähe zur Sozialpsychologie und Mentalitätsgeschichte. Gerade in der künstlerischen, lebensweltlichen Komik manifestieren sich Einstellungen und Bedeutungsmuster, die mit soziologischen Parametern kaum zu messen sind. Komische Produktion und Rezeption fallen nicht nur thematisch in das Gebiet der Kulturwissenschaften, deren bisherige Erforschung kommt ihr vor allem auch strukturell entgegen: durch Transdisziplinarität. „Philosophie, Sprach- und Literaturwissenschaft, Psychologie, Psychoanalyse und Soziologie haben sich den ‚Kulturtechniken‘ des Komischen und des Lachens gewidmet“ 21 . Allerdings ist das transdisziplinäre Vorgehen nicht immer schon verwirklicht gewesen, sondern eher in Ansätzen vorhanden. Zwar werden in einigen Komiktheorien Grenzen überschritten, etwa zwischen Psychologie und Soziologie, Philosophie und Literaturwissenschaft, doch bleiben die Studien insgesamt „meist disziplinär getrennt“ 22 . Ebenso wurden bis jetzt noch nicht allzu häufig interdisziplinäre Verknüpfungen hergestellt. Dies tut beispielhaft die im Hauptkapitel vorgelegte Komik- Formel, indem sie von einer sozialtheoretischen Fundierung zu literatur- und kunstwissenschaftlichen Beschreibungen gelangt. Obgleich bei einer kulturhistorischen Fragestellung Wissen aus mehreren Disziplinen eine Rolle spielen kann, methodisch sind die „Anregungen ethnologischer, anthropologischer, kulturhermeneutischer Forschung“ 23 dominant. Komik rückt in die Position des Fremden, das zunächst genau beobachtet und möglichst „dicht“ (Clifford Geertz) beschrieben werden 19 Susanne Schäfer: Komik in Kultur und Kontext. (Studien Deutsch 22) München: Iudicium 1996, S. 35. 20 Ebd. 21 Friedrich W. Block, Helga Kotthoff, Walter Paper: Kulturen des Komischen. Vorwort zur Reihe. In: LachArten. Zur ästhetischen Repräsentation des Lachens vom späten 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Hg. von Arnd Beise u.a. (Kulturen des Komischen 1) Bielefeld: Aisthesis 2003, S. I f. 22 Ebd, S. II. 23 Ebd., S. I. <?page no="24"?> 20 sollte, um so seine Funktion und Bedeutung innerhalb der symbolischen Ordnung verstehen zu können. Für die historische Anthropologie ist das Komische deshalb prädestiniert, weil es einerseits eine große geschichtliche, kulturelle Variationsbreite aufweist, andererseits aber zu jeder Zeit, in jeder Kultur anzutreffen ist, woraus geschlossen wird, dass es zu den fundamentalen Ausdrucksformen des Menschlichen zählt. Die anthropologische Begründung hat überdies in der Geschichte der Komiktheorie eine starke Traditionslinie ausgebildet, vom späten 19. bis ins 20. Jahrhundert mit Vertretern wie Plessner und Ritter. Nicht zuletzt beruht die Psychoanalyse, Freuds einflussreiche Theorie des Witzes und verwandter psychischer Abläufe, auf ihrer Lehre von der Natur des Menschen. 24 Komik als kulturwissenschaftlicher Gegenstand zeichnet sich ferner dadurch aus, dass er in den Kulturtheorien, die große Resonanz gefunden haben, eine wichtige Stelle einnimmt. Nach Freud kommen speziell bei der Produktion von Witzen und ihren psychischen, sozialen Effekten dieselben Vorgehensweisen zum Zuge wie in der Traumarbeit, Verschiebung und Verdichtung. 25 Der Bezug der Witz-Komik zum Unbewussten geht jedoch über verfahrenstechnische Analogien hinaus: Die tendenziöse, Sitte und Anstand verletzende Pointe setzt Energie, die sonst zur Unterdrückung und Verdrängung benötigt wurde, frei. 26 Was verdrängt wird, ist durch die Instanz des Über-Ich soziokulturell geprägt. Von daher wird diese Art von Komik zum Symptom einer Schicht der Kultur, die sonst außerhalb der Analyse und des privaten Lebens kaum in Erscheinung tritt. Sie bringt eine Entlastung vom Aufwand der Triebhemmung mit sich, die nicht nur dem Subjekt, sondern dem kulturellen oder eingegrenzt gesellschaftlichen Kollektiv zugute kommt. Neben der Kunst und dem Traum ist das Komische der dritte größere Bereich, in dem das Unbewusste produktiv bzw. analytisch greifbar wird. So steht es dem Zentrum der freudschen Kulturtheorie sehr nahe, ebenso dadurch, dass seine entlastende Funktion die therapeutischen Absichten der Psychoanalyse unterstützt und deren kulturdiagnostischen Implikationen Recht gibt. Die Zielrichtung des Witzes, den Freud als „tendenziös“ bezeichnet, leitet über zu einer zentralen Figur in der gegenwärtigen Reflexion des Kulturbegriffs: Transgression. Ausgehend von poststrukturalistischen Thematisierungen, namentlich bei Foucault, 27 rückt Grenzüberschreitung in den Mittelpunkt theoretischer, kulturhistorischer Aufmerksamkeit. Normverletzung ist nur eine Form, die weiter gefasste Transgression ergänzt ordnende Strukturen und 24 Zu den Theorien von Freud und Plessner siehe Abschnitt 2.1, zu Ritter siehe 2.3. 25 Vgl. Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. In: Ders.: Studienausgabe. Bd. 4. Psychologische Schriften. Frankfurt/ M.: Fischer 1982, S. 158ff. 26 Vgl. ebd., S. 112. 27 Vgl. Michel Foucault: Vorrede zur Überschreitung. In: Ders.: Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits. Bd. 1. 1954 - 1969. Frankfurt/ M.: Suhrkamp 2001, S. 325. <?page no="25"?> 21 Prozesse (Institutionen, Rituale, Bedeutungsbildung) zu einem zweiseitigen Kulturbegriff. 28 Kultur wird dadurch definiert, dass sie sowohl Grenzen setzt als auch Wege findet, diese zu übertreten. Im Wechselspiel von symbolischer Ordnung und transgressiver Dynamik bildet sich das, was wir Kultur nennen. Nur aufgrund jener fundamentalen Konzeption wird verständlich, weshalb das Karnevaleske nach Michail Bachtin zur Kulturtheorie aufsteigen konnte. Aus dem typologischen Bild der spätmittelalterlichen, frühneuzeitlichen Lachkultur geht hervor, dass die Bräuche des Karnevals stets grenzüberschreitend sind, im anthropologischen Sinne, aber auch im konkreten Bezug auf die geltenden sozialen Regeln, Schranken und Hierarchien. Schon bei Bachtin, später in dessen literaturwissenschaftlicher Rezeption, gibt es eine wertende Schlagseite zur Transgression. Den komischen Regelverstößen wird dabei eine emanzipatorische, kreative Wirkung zugetraut. Hier verstärkt sich eine Tendenz, die auf anderer theoretischer Grundlage durch Freud vorbereitet wurde. Dass die transgressive Seite der Kultur mittlerweile größere Beachtung findet als die dadurch verletzten Regeln und Grenzlinien, ist durch Umkehrungen in der Rangfolge geisteswissenschaftlicher Themen zu erklären, die von der philosophische Dekonstruktion angestoßen wurden. Vor dieser Kursänderung trugen die Ordnungsleistungen einer kulturellen Epoche den höchsten Wert, jene wurde über ihre zivilisatorischen Regulierungen des Natürlichen charakterisiert. Lebensbereiche, wissenschaftliche Disziplinen, künstlerische Gattungen und Medien blieben, zumindest in der Untersuchung, meist getrennt. Dagegen wird die Eindeutigkeit solcher Zurechnungen durch eine dekonstruktive Praxis auf verschiedensten Ebenen unterwandert. Das Komische ist daher als Spiel der Überschreitung mit auf die kulturhistorische Tagesordnung gelangt. Wodurch sich dieser Gegenstand besonders anbietet, kann aber noch genauer ergründet werden. Zum einen haben sich in der Komiktheorie Strukturen herausgebildet, die an gedankliche Wendungen, mit denen die Dekonstruktion der zweiwertigen Logik zu entgehen versucht, leicht anschließbar sind. Seit dem späten 18. Jahrhundert hält die immer wieder abgewandelte Inkongruenztheorie daran fest, dass komische Wirkung durch Kontraste und Diskrepanzen bedingt ist. 29 Belachbare Objekte, Situationen lösen gegensätzliche, unvereinbare Eindrücke aus. Sie werden nicht als entweder das eine oder das andere wahrgenommen, sondern im Modus des Sowohlals-auch bzw. des Weder-noch. Dadurch vereitelt Komik jene binären Einteilungen, die nach poststrukturalistischer Auffassung das Denken beschränken, sofern sie Zwischenformen ausschließen und Wertungen fest- 28 Vgl. Gerhard Neumann, Rainer Warning: Transgressionen. Literatur als Ethnographie. In: Transgressionen. Literatur als Ethnographie. Hg. von Dens. (Rombach Wissenschaft/ Reihe Litterae 98) Freiburg: Rombach 2003, S. 10 u. 14. 29 Zu Beispielen siehe Abschnitt 2.1.1. <?page no="26"?> 22 schreiben. Als Zweites kommt hinzu: Philosophie und Theorie sind zunehmend davon abgegangen, objektiv komische Qualitäten zu bestimmen. Stattdessen beleuchten sie die dabei ablaufenden kognitiven, physischen Prozesse und bezeichnen diese als „komisch“. In der Abkehr vom Gegenstand hin zu seiner Verarbeitung liegt eine Parallele zur ästhetischen Erfahrung. Obwohl bis ins 20. Jahrhundert das ontologische Argument gegen jegliche theoretische Erfassung des Komischen stark gemacht wurde 30 - was der Annahme komischer Merkmale des Wahrgenommenen und nicht bloß der Wahrnehmungsweise nahesteht - , existierten eine ganze Reihe prozessualer Konzeptionen, die dekonstruktiv umgeformt werden konnten. In einer Verzeitlichung der Inkongruenz wird der komische Vorgang der unendlichen Bedeutungsverschiebung ähnlich. 31 Die Wiederkehr des Komischen als wissenschaftliches Thema ist mit der maßgeblich dekonstruktiv geleiteten Kulturgeschichte tiefgehend verflochten. Am umfassendsten zeigt sich dies an der Kategorie der Differenz. Mit den Grundzügen der Inkongruenztheorie wurde erkennbar, dass Komik das Aufbrechen einer Differenz voraussetzt, wenngleich sie damit noch nicht hinreichend bestimmt ist. Unabhängig davon hat die zuvor behandelte theoretische Position der radikalen Kontextualisierung Differenzialität zur wesentlichen Beschaffenheit des Komischen erklärt, welche dem Modelldenken der Theorie entgegensteht und nach einer kulturhistorischen Aufzeichnung der multiplen Unterschiede ruft. Drittens können bestimmte theoretisch-methodische Kategorien der Kulturwissenschaften herausgegriffen werden, die komische Unterschiede ebenso vervielfältigen wie auf sich versammeln. Beispielhaft sind die Ergebnisse der Kasseler Komik-Kolloquien. Während der erste Band „kulturhistorische Fallstudien zum Lachen in den Künsten von der Literatur über die Musik bis hin zum Bild von der Aufklärung bis zur Gegenwart“ 32 zusammenträgt, setzt die jüngste Folge einen konzeptuellen Schwerpunkt. „Im Komischen, zumal in seinen ästhetischen (selbst-)reflexiven Spielarten, schießen Gender und Medien unter dem Gesichtspunkt zusammen, dass das Komische auf Differenzsetzung beruht und diese zugleich expliziert.“ 33 Das Vorwort des Herausgebers ist bedeutsam, weil es klarstellt, dass Komik nicht ein beliebiger Gegenstand ist, der in gendertheoretischer oder medialer Perspektive betrachtet wird, sondern dass ihm im kulturwissenschaftlichen Theorie-Rahmen eine besondere Funktion zukommt. 30 Siehe dazu den Abschnitt 1.2.1. 31 Dies kann man an Isers Modell beobachten, siehe Abschnitt 1.2.1. 32 Arnd Beise, Ariane Martin, Udo Roth: Vorwort. In: LachArten. Zur ästhetischen Repräsentation des Lachens vom späten 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Hg. von Arnd Beise u.a. (Kulturen des Komischen 1) Bielefeld: Aisthesis 2003, S. 10. 33 Friedrich W. Block: Einleitung. In: Komik - Medien - Gender. Ergebnisse des Kasseler Komik-Kolloquiums. Hg. von Friedrich W. Block. (Kulturen des Komischen 3) Bielefeld: Aisthesis, S. 8. <?page no="27"?> 23 Sofern das Komische selbstreflexiv seine gesteigerte Differenzialität zu erkennen gibt, hebt es im Bezug auf kulturelle Konzepte deren Unterscheidungsbedingtheit und damit Konstruktcharakter hervor. Block konstatiert im Umkehrschluss, dass jene „Selbstbezüglichkeit des Unterscheidens, die auf die kontingente kulturelle Konstruktion von Gender und Medien verweist, eine hohe Affinität zum Komischen hat“ 34 . Nicht zum letzten Mal wird damit Komik Reflexivität zugeschrieben, d.h. das Vermögen, durch seine eigenen Strukturen die Leitprinzipien der Bereiche, die jeweils vom Komischen berührt sind, sichtbar zu machen. Über Block hinausgehend kann man darauf hinweisen, dass komiktheoretische Ansätze, die Differenz ins Zentrum stellen, oder eine dem folgende historiographische Praxis immer auch methodologisches Reflexionspotenzial bergen: Sie lassen durchblicken, wie jeweils theoretisiert, wie Kulturgeschichte geschrieben wird. Darauf kommt der Abschnitt über Komik als theoretisches Objekt zurück. Dagegen hat jene soziale Reflexivität, die im Hauptkapitel für die darin konzipierte Hochkomik beansprucht wird, mit dem dekonstruktiven Differenz-Denken nichts zu tun. Auf der Suche nach tieferen Ursachen für die neuerdings intensive Bearbeitung des Komischen ist ein vermeintliches Mode-Thema zu erwähnen: der Körper, seine Begleitkonzepte Leiblichkeit, Sinnlichkeit und Performativität. Wie man die wissenschaftliche oder gerade nicht-wissenschaftliche Handhabung des Gegenstands durch die Kulturgeschichte auch bewerten mag, 35 sie arbeitet an der Umwertung einer dauerhaften und machtvollen philosophisch-ideengeschichtlichen Tradition. Was Komik angeht, so ist der Vorrang von Geist und Rationalität, den die abendländische Kultur seit der Antike weitgehend durchhält, im kulturellen Gedächtnis an eine platonische bzw. sokratische Anekdote gebunden: Der Brunnensturz des Philosophen Thales von Milet wird von einer thrakischen Magd verlacht, Platon rügt ihr Lachen als Zeichen der Dummheit. Mit seiner Deutungsgeschichte hat Hans Blumenberg aufgewiesen, dass die Erzählung zumeist gelesen wurde, um die Philosophie gegen ihre Kritiker zu rechtfertigen. 36 Andererseits sind ebenso Gegendeutungen entstanden, die für die lachende Magd Partei ergreifen. Den neueren Komik-Studien ist daran gelegen, diese Nebenlinie zur Hauptsache umzuschreiben. Dazu berufen sie sich auf die vom Denken vernachlässigte, weil ungeistige, irrationale Körperlichkeit, die im Lachen ihren sinnlichen Ausdruck findet. 34 Friedrich W. Block: Einleitung. In: Komik - Medien - Gender. Ergebnisse des Kasseler Komik-Kolloquiums. Hg. von Friedrich W. Block. (Kulturen des Komischen 3) Bielefeld: Aisthesis, S. 8. 35 Vgl. Gideon Stiening: Body-lotion. Körpergeschichte und Literaturwissenschaft. In: Scientia Poetica 5 (2001), S. 183-215. 36 Vgl. Hans Blumenberg: Das Lachen der Thrakerin. Eine Urgeschichte der Theorie. (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 652) Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1987. <?page no="28"?> 24 „Das Lachen als Stimme des Leibes ist als Einspruch gegen die naturwissenschaftliche Deutung der Welt zu verstehen und fordert lauthals die Rechte eines lebendigen, undisziplinierten Körpers ein.“ 37 Der Satz, obgleich er in einer Interpretation von Hoffmanns Sandmann steht, trifft die Bedeutung, die das körperliche Lachen für die kulturhistorische Orientierung gewinnt, sehr genau. Zugangsweisen jenseits der Vernunft sind aufgrund der Jahrhunderte lang gültigen Wertsetzungen zu kurz gekommen und werden nun in den Vordergrund gerückt. Ein verstecktes Motiv für diese Umwertung betrifft mehr die kulturhistoriographische Gegenwart als die philosophische Vergangenheit. In der Nachfolge Foucaults schreibt man seit einiger Zeit die Geschichte der Moderne nachdrücklich als die einer Disziplinierung des Körpers. Untergründig vollzieht sich darin erneut eine dekonstruktive Bewegung: Die ungezügelte Lebendigkeit, die dem Leib im Gegensatz zur höherwertigen, aber ‚toten‘ Ratio traditionell zuerkannt worden ist, wird hier durchkreuzt, durch eine Zuspitzung der historischen Praktiken auf die disziplinierende Funktion. Je mehr sich diese Sichtweise durchgesetzt hat und zur neuen, kaum noch historisch relativierten Selbstverständlichkeit geworden ist, desto größer wird der Bedarf und als Dekonstruktion der Dekonstruktion womöglich auch die Berechtigung, in einem besonderen Bezirk die sinnliche Freiheit des Körpers von der intellektuellen, sozialen Normierung beschreibend auszuführen. Genau dies erlaubt sich die Erforschung des Komischen und insbesondere des Lachens. Unter der motivischen, modischen Oberfläche befindet sich der Gegenstand Komik demnach inmitten denkgeschichtlicher, geisteswissenschaftlicher Umwälzungen und Wendungen. Die Relevanz des Körpers ist mit dafür verantwortlich, dass Beiträge zum Thema Lachen gegenüber dem gesamten Bereich des Komischen besonders stark angewachsen sind. Deshalb sind manche Bibliographien auch mit diesem Titel statt mit dem allgemeinen Begriff überschrieben. 38 Dies hat sich jedoch erst seit den achtziger Jahren geändert, davor „fristete das Lachen ein Nischendasein“, es galt als „unterhaltsames Randthema“ und wurde „überwiegend aus dem Blickwinkel der Komikforschung behandelt“ 39 . Einen eigenen Stand erlangte es erst seit den späten achtziger, im Laufe der neunziger Jahre. 40 Neben den philosophischen Richtungs- 37 Anne Fleig: Grauenvolle Stimme. Das Lachen in E.T.A. Hoffmanns Der Sandmann. In: LachArten. Zur ästhetischen Repräsentation des Lachens vom späten 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Hg. von Arnd Beise u.a. (Kulturen des Komischen 1) Bielefeld: Aisthesis 2003, S. 132. 38 Vgl. die „Auswahlbibliographie ‚Lachen‘“ in: Ebd., S. 287-304. 39 Eckart Schörle: Die Verhöflichung des Lachens. Lachgeschichte im 18. Jahrhundert. (Kulturen des Komischen 4) Bielefeld: Aisthesis 2007, S. 13. 40 Vgl. u.a. Dieter Kamper, Christoph Wulf (Hg.): Lachen - Gelächter - Lächeln. Reflexionen in drei Spiegeln. Frankfurt/ M.: Syndikat 1986; Thomas Vogel: Vom Lachen. Einem Phänomen auf der Spur. (Studium Generale) Tübingen: Attempto 1992. <?page no="29"?> 25 wechseln hat vor allem der Wandel von der theoretischen Ontologisierung zur kulturgeschichtlichen Historisierung des Lachens jene Entwicklung vorangebracht. 41 Lachen ist nicht nur „Reaktion auf“, sondern „Materie des Komischen“ 42 , womit es dessen sinnlichen, performativen Grundzug unterstreicht. Performativität zählt so zu den theoretisch-methodologischen Impulsen, aufgrund derer Komik die wissenschaftliche Randzone verlassen hat. Komische Erscheinungen, erst recht aber das Lachen, sind im Hinblick auf ihren Vollzug und ihre Inszenierungsformen eher zu begreifen als durch die Ermittlung von Bedeutungen. Daher finden die „komischen Gegenwelten“ wie auch die Lachkulturen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit einen angemessenen Platz im 1999 eingerichteten Sonderforschungsbereich „Kulturen des Performativen“ 43 . Sammelpunkt für alle Gründe, das Komische kulturhistorisch aufzuarbeiten, ist die in den „Gegenwelten“ anklingende Theorie Michail Bachtins. Sie beweist ihre Anregungskraft darin, dass sie von Kultur- und Literaturwissenschaftlern wohl am häufigsten zitiert wird. Da mit den Thesen zur Transgressivität, Körperlichkeit und Performativität erfolgreich interpretiert werden kann, gerät aus dem Blick, dass auch Bachtin nicht das Komische schlechthin entdeckt hat. Vielmehr erwächst die Vorliebe für sein Modell aus den dekonstruktiven Themen und Methoden innovativer, einflussreicher Formen historischer Kulturwissenschaft. Damit soll nicht der Nutzen der Konzeption des Karnevalesken bestritten werden. Allenfalls ihre komiktheoretische Generalisierung und die mitunter allzu unreflektierte Feier des Leiblichen wären zu überdenken. 1.1.3 Komische Diversität: kulturhistorische Studien Ein Eindruck von der sich entfaltenden Blüte der Komikforschung ist nur zu vermitteln, wenn einzelne kulturwissenschaftliche bzw. -geschichtliche Untersuchungen zu Wort kommen. Dabei soll eine doppelte Blickrichtung verfolgt werden: Zum einen wird zu sehen sein, dass sich tatsächlich Komikformen beschreiben lassen, die medial oder historisch so spezifisch sind, dass sie den etablierten Theorien entgehen. Trotz solcher Würdigung der Neuansätze muss eine kritische Betrachtung durchgehend darauf achten, dass die diversen Sonderarten des Komischen vielfach nur über einen 41 Vgl. Eckart Schörle: Die Verhöflichung des Lachens. Lachgeschichte im 18. Jahrhundert. (Kulturen des Komischen 4) Bielefeld: Aisthesis 2007, S. 14. Für einen repräsentativen Sammelband vgl. Lothar Fietz (Hg.) u.a.: Semiotik, Rhetorik und Soziologie des Lachens. Vergleichende Studien zum Funktionswandel des Lachens vom Mittelalter zur Gegenwart. Tübingen: Niemeyer 1996. 42 Renate Jurzik: Der Stoff des Lachens. Studien über Komik. Frankfurt/ M.: Campus 1985, S. 10. 43 Vgl. Werner Röcke, Helga Neumann (Hg.): Komische Gegenwelten. Lachen und Literatur in Mittelalter und Früher Neuzeit. Paderborn u.a.: Schöningh 1999. <?page no="30"?> 26 Rückgriff auf theoretische Modelle zu kennzeichnen sind. Studien komischer Kultur bleiben demnach auf abstraktere Begriffe angewiesen, ebenso gehen sie in ihrer Vertiefung über die reine Konzeptualisierung hinaus. Die Frage lautet daher nicht „Geschichte oder Theorie? “, sondern: Wo machen kulturhistorische Detailbilder notwendig von theoretischen Definitionen Gebrauch, wie wird durch eine Berücksichtigung des Speziellen unsere Sicht auf komische Dinge um Unterschiede ergänzt, die in der Theorie überhaupt nicht vorgesehen sind? Von der kontextuellen Vielfalt der Komik verspricht sich die Kulturgeschichte eine erhöhte Aussagekraft. Erstens enthält sie Informationen über die Bildungsgesetze des jeweiligen Ganzen, fungiert somit als „Schlüssel zu verschiedenen kulturellen Codes und Symbolsystemen, zu kollektiven wie individuellen Sinnkonstruktionen“ 44 . Zweitens wird Differenzialität selbst als Konzeption des Kulturellen angesehen. Was theoretisch und methodologisch dahinter steht, wurde bereits erläutert. Hier sprechen nun beispielhafte Beiträge für den Mehrwert wie für die Theoriegebundenheit historischer und medienwissenschaftlicher Erkundungen. Ein disziplinärer Kontext wurde bisher jedoch noch nicht erwähnt: Komisches in literarischen Texten. Interpretationen arbeiten heraus, wie die komische Wirkung oder deren begriffliche Entsprechung von differenzierten Werk-Merkmalen abhängt, der Blick richtet sich folglich auf „das Besondere des inszenierten Lachens innerhalb spezifischer Texte“ 45 . Dass Geschichte und Theorie ineinander greifen können und müssen, belegen unter anderem die Aufsätze in dem Band zu Komik - Medien - Gender. Historisch werden z.B. im 19. Jahrhundert technische Medien entwickelt, die der Realisierung von Komik neue Möglichkeiten geben. Schon in den Anfängen der Fotografie werden Verfahren der Bearbeitung, die das Abgebildete verfremden, komisch genutzt: Je nach Linse, Auslösung und Belichtung erscheint das Lebendige, erstmals medial still gestellt, zugleich als etwas Dingliches, wodurch ein grotesker 46 Effekt produziert wird. Ähnliches ist mit Tonaufzeichnungen der menschlichen Stimme durchführ- 44 Friedrich W. Block, Helga Kotthoff, Walter Paper: Kulturen des Komischen. Vorwort zur Reihe. In: LachArten. Zur ästhetischen Repräsentation des Lachens vom späten 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Hg. von Arnd Beise u.a. (Kulturen des Komischen 1) Bielefeld: Aisthesis 2003, S. II. Vgl. auch Jan Bremmer, Herman Roodenburg (Hg.): Kulturgeschichte des Humors. Von der Antike bis heute. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1999, S. 7. 45 Arnd Beise, Ariane Martin, Udo Roth: Vorwort. In: LachArten. Zur ästhetischen Repräsentation des Lachens vom späten 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Hg. von Arnd Beise u.a. (Kulturen des Komischen 1) Bielefeld: Aisthesis 2003, S. 9. 46 Hier kann man sich an die überlieferte Bedeutung des Grotesken halten: die Vermischung getrennter Existenzbereiche oder Darstellungsstile. Vgl. zur Begriffsgeschichte Wolfgang Kayser: Das Groteske. Seine Gestaltung in Malerei und Dichtung. Oldenburg: Stalling 1957, S. 20-29. <?page no="31"?> 27 bar. 47 Obgleich die Phänomene so noch nicht da gewesen sind, kommt man mit den bestehenden Kategorien aus, sei es das Groteske oder die karnevaleske Inversion. Das Komische wird nicht neu erfunden, sondern anders produziert. Interessant ist dennoch die davon abgeleitete Historisierung einer Theorie: Henri Bergsons Schrift über die Komik, Das Lachen (1899): Ihre Hauptthese der mechanischen Inkongruenz angesichts des natürlichen Prinzips der Beweglichkeit werde hervorgerufen durch die Darstellungstechniken vor allem des Films, der mit seiner Zerlegung und Manipulation bewegter Bilder eine automatenhafte Motorik der Akteure erzeugt. 48 Eine neue Ära, so Wetzel, bricht mit den simulierenden statt reproduzierenden Varianten der Animation an - neben Zeichentrickfilmen die mechanischelektronisch gesteuerten Puppen der Animatronik. Sie schaffen das Groteske mit umgekehrten Vorzeichen: Nicht Menschliches wirkt dinglich, die gezeichneten, gesteuerten Dinge nehmen anthropoide Züge an. 49 Solche virtuellen Welten sind überdies bestens geeignet für Satiren auf soziale Verhaltensmuster, weil die Regeln der menschlichen Gesellschaft verfremdend auf das System der animierten Figuren übertragen werden, in frühen Disney-Filmen genauso wie in der Serie Die DINOS. 50 Das Komische der Medien kann konzeptuell noch anders gefasst werden. Uwe Wirth zieht einen wenig beachteten Aspekt der freudschen Witz- Theorie heran, den er in sein eigenes Modell der „diskursiven Dummheit“ eingebaut hat. 51 Nicht nur die von Freud betonte Aufwandsersparnis, auch ein Zuviel an Aufwand kann gemäß dem ausgeweiteten Gesetz der Ökonomie komische Folgen haben. Fernsehen und Boulevardpresse leben davon, dass sie das Irrelevante mit übermäßigem Inszenierungsaufwand als wichtig präsentieren: „Eben hierin offenbart sich die strukturelle Dummheit der Medien“ 52 und das bedeutet in Wirths Begrifflichkeit, deren Komik. Eine Option, die alle Medien teilen, ist überdies Selbstreflexivität, d.h. der Verweis auf die eigenen technischen, kommunikativen Bedingungen. Viele Beiträge der neueren Komikforschung halten diesen Punkt für zentral und weisen ihn an mehreren Medien, an zahlreichen Einzelfällen nach. Sie sind ebenso darüber einig, wie dieser Umstand theoretisch einzuordnen ist. Ihre bevorzugte Erklärung schließt die Durchbrechung der Rezeptionserwartungen, welche durch selbstreferenzielle Momente erreicht wird, an die komische Inkongruenz, die Qualität des Überraschenden, Unerwarteten 47 Vgl. Michael Wetzel: Mit den Dinos in Wonderland. Die Aufhebung der physikalischen Ordnung von Lewis Carrol über die Comics bis zur digitalen Animation. In: Komik - Medien - Gender. Ergebnisse des Kasseler Komik-Kolloquiums. Hg. von Friedrich W. Block. (Kulturen des Komischen 3). Bielefeld: Aisthesis 2006, S. 54. 48 Vgl. ebd., S. 57. 49 Vgl. ebd., S. 59. 50 Vgl. ebd., S. 60. Zum Bezug auf Bergsons Theorie vgl. ebd., S. 58. 51 Zu Wirths vornehmlich semiotischer Theorie siehe Abschnitt 2.1.2. 52 Uwe Wirth: Die Komik der Dummheit der Medien. In: Ebd., S. 71. <?page no="32"?> 28 an. 53 Dieselbe medienreflexive, komische Funktion übernimmt in der Animationsserie South Park die Unterbietung zeichentricktechnischer Standards. 54 Über die ebenfalls theoretisch erwogene Transgressivität ergänzen thematische Tabuverletzungen das komische Konzept von South Park. Für die Bezugnahme und gleichzeitige Abweichung von medien-, genre- und werkspezifischen Konventionen bzw. Vorgaben steht unter den komischen Gattungsbegriffen die Parodie. Entscheidende Signale des Parodistischen seien „Diskrepanzen, Inkongruenzen, Unstimmigkeiten, Brüche und das Spiel mit den Erwartungen der Rezipienten“ 55 . Im Unterkapitel „Komik und Avantgarde“ soll es darum gehen, mediale Selbstbezüglichkeit und soziale Transgression in eine theoretische Einheit zu bringen. Dies gelingt mit der neuen Komik-Formel einfacher und trennschärfer als durch die Inkongruenz, wenn nämlich die im Vordergrund stehende Erwartungsenttäuschung soziologisch abgewandelt wird. In der Kulturgeschichte der Komik werden historisch verschiedene „Lachkulturen“ untersucht, im Anschluss an Bachtin, mehr noch als Kritik an dessen mangelnder Historisierung. Mit dieser Bezeichnung sollen nicht nur die komischen Textgattungen und deren Rezeptionssituationen erforscht werden, sondern ebenso die Praxis des Lachens außerhalb von Literatur und Kunst. Dabei kann sich herausstellen, dass eine Gattung, die nicht dem heutigen Verständnis von Hochkultur entspricht, im betreffenden Zeitraum und kulturell begrenzt durchaus literarischen Status besaß. 56 Eckart Schörle stellt für das 18. Jahrhundert eine Verhöflichung des Lachens (2007) fest. Künstlerische Komik betrachtet er dabei nur am Rande, das Wissen und die sozialen Umgangsformen werden stattdessen in den Blick genommen. Medizinisch-anthropologisch ist es damals akzeptiert, dass der Lachreiz zur menschlichen Grundausstattung gehört. Entgegen der religiösen Auffassung, die darin eine zu unterlassende Sünde sieht, gehen die gesellschaftlichen Praktiken dahin, das Lachen in geselligen Scherzen zu zivilisieren. An dieser Kultivierung sind sowohl der höfische Adel als auch die bürgerlichen Kreise und die Organe ihrer Selbstverständigung beteiligt. Komiktheorie ist bei Schörle nur ein weiteres historisches Dokument, nicht das nötige Mittel zum Erkennen des Komischen. 53 Alexander Brock: Comedy-Formate und die Kunst der Medienreflexion. In: Komik - Medien - Gender. Ergebnisse des Kasseler Komik-Kolloquiums. Hg. von Friedrich W. Block. (Kulturen des Komischen 3) Bielefeld: Aisthesis 2006, S. 103. 54 Vgl. Jan Siebert: „The animations are crappy! “ - selbstreflexive Strategien der Ästhetisierungsverweigerung in South Park als komikstiftendes Moment. In: Ebd., S. 151. 55 Vgl. Karin Wenz: Mediale Formen in den Medien. Parodie als Ergebnis von Medienzitaten. In: Ebd., S. 169. 56 Vgl. Derek Brewer: Schwankbücher in Prosa hauptsächlich aus dem 16. bis 18. Jahrhundert in England. In: Kulturgeschichte des Humors. Von der Antike bis heute. Hg. von Jan Bremmer, Herman Roodenburg. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1999, S. 88-108. <?page no="33"?> 29 Ein Anliegen kulturhistorischer Studien ist es, die Epochen der Komikgeschichte durch feinere Einteilungen aufzubrechen und so schematische Thesen zu hinterfragen. Die Antike wurde in Fragen des Humors als liberaler eingeschätzt als das kirchlich disziplinierte Mittelalter. Es stellt sich jedoch heraus, dass schon die Witzkultur des Hellenismus komischen „Widerstand“ 57 durch Praktiken der „Zähmung“ 58 regulierte. In der römischen Rhetorik und Komödienkunst wurde das Zulässige beschränkt, um die Gesellschaftsordnung zu wahren. 59 Auch innerhalb einer Epoche wird stärker differenziert: Bachtin verbreite, so wirft man ihm vor, eine historisch verkürzende Sichtweise, weil er neben der volkstümlichen Gegenkultur nicht auch die kirchlichen Bräuche des Lachens schildert bzw. die christliche Motivation des Karnevals. 60 In den Spanischen Niederlanden hat die Kirche während der Gegenreformation bestehende Praktiken nicht untersagt, sondern religiös umfunktioniert, 61 die in der italienischen Renaissance herausgebildete Kultur des Streiche-Spielens (beffa) wurde dagegen vorübergehend verdrängt, weil die Restauration sie moralisierend in Dienst nahm. 62 Theoretisch wäre anzumerken, dass Form und Funktion der Komik konzeptuell eine Einheit bilden, so dass Letztere nicht verändert werden kann, ohne gegebenenfalls in einen anderen Begriff zu wechseln oder über die Grenzen des Komischen hinaus zu geraten. Die Literaturwissenschaft bietet der Erforschung komischer Diversität den breitesten Raum: Sie bringt durch Kontextualisierung kulturelle, historische Unterschiede ein; Interpretation und Textanalyse ermitteln über die Spezifika des Werkes noch speziellere Modi des Komischen; in der Literatur treten sämtliche komische Gattungen in Kombinationen auf; methodische Kategorien wie „Gender“ machen zusätzliche Besonderheiten geltend. Neu sind daran in den letzten Jahren vor allem die Methoden der historischen Kontextualisierung. Dass eine Veränderung eingetreten ist, zeigt sich zudem daran, dass nicht länger nur ausgewiesen komische Gattungen für eine Thematisierung bzw. die Erzeugung von Lachen und Komik in Frage kommen: Statt Komödien oder satirische Texte werden nun genauso ernste Romane, sogar Tragödien auf Komisches hin gelesen. 57 Jan Bremmer: Witze, Spaßmacher und Witzbücher in der antiken griechischen Kultur. In: Kulturgeschichte des Humors. Von der Antike bis heute. Hg. von Jan Bremmer, Herman Roodenburg. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1999, S. 29. 58 Ebd., S. 26. 59 Fritz Graf: Cicero, Plautus und das römische Lachen. In: Ebd., S. 32-42. 60 Zu dieser häufig geäußerten Kritik vgl. u.a. Aaron Gurjewitsch: Bachtin und seine Theorie des Karnevals. In: Ebd., S. 58. 61 Vgl. Johan Verberckmoes: Das Komische und die Gegenreformation in den Spanischen Niederlanden. In: Ebd., S. 87. 62 Vgl. Peter Burke: Grenzen des Komischen im frühneuzeitlichen Italien (1350-1750). In: Ebd., S. 74. <?page no="34"?> 30 Am Motiv des Lachens kann man festmachen, was literaturwissenschaftliche Arbeiten mit der größeren kulturhistorischen Strömung verbindet. Zum einen die Umwertung: Nachdem die denkgeschichtlichen, methodologischen Hindernisse für eine Relevanz der komischen Reaktion beseitigt worden sind - die Stellung des Geistes über der Körperlichkeit, Ausrichtung auf Bedeutung statt Performanz, Systematik statt historischer Spezifizierung - , wird das Lachen auch innerhalb literarischer Texte untersuchenswert. Das betrifft besonders solche Belegstellen, die zuvor als textlich marginal eingestuft wurden. Jenes Herausgreifen des wenig beachteten Motivs erhält überdies eine dekonstruktive Stoßkraft: Das einseitig ernste Bild eines Autors und seines Werks, man denke beispielsweise an Kafka oder Stifter, wird durch komische Elemente in Frage gestellt, woraufhin sich eventuell die Gesamtdeutung verschiebt. Bemerkenswert ist, dass lachende Figuren und komische Ereignisse in der Literatur häufig zu Themen neigen, die von der poststrukturalistisch denkenden Kulturtheorie bzw. Kulturgeschichte bevorzugt worden sind, nämlich alle transgressiven Vorgänge: Wahnsinn, Sexualität, Blasphemie. In diesem erweiterten Feld ist es kein Zufall, dass in manchen Interpretationen Anklänge an die theoretische Kritik der Repräsentation zu finden sind sowie an Foucaults historische These vom Zeitalter der Repräsentation, das zu Beginn des 19. Jahrhunderts endet. 63 Über das wahnsinnige (Nathanael), böse (Coppelius/ Coppola) Lachen in Hoffmans Sandmann wird gesagt, dass es „die Ordnung des Sichtbaren stört und damit auch im Text dort auftaucht, wo Sichtbares im Text nicht mehr abgebildet werden kann bzw. wo Unsichtbares und Fantastisches sprachlich vermittelt werden sollen: der Anfang vom Ende der Repräsentation“ 64 . Sofern anhand von Literatur die Kontexte des Komischen vervielfältigt werden und die soeben aufgezählten Merkmale teilweise hinzutreten, haben Interpretationen Anteil an den kulturwissenschaftlichen Neuerungen. Es kommt aber ebenso vor, dass sie ganz in den Bahnen von Autor und Werk verbleiben, eine motivische Studie von vielen. An dieser Beliebigkeit krankt die kulturhistorische Forschung, wenn sie die Gründe für die Wahl ihrer Themen nicht anzeigt. Zuletzt: Wie der Poststrukturalismus die Geschichte(n) komischer Kulturpraktiken auf den Weg gebracht hat, könnte die im Anschluss entwickelte Komik-Formel anders ansetzende Studien hervorrufen, in erster Linie zur Literatur der Moderne seit 1800, mit Anwendungsmöglichkeit für weitere Künste und Medien. 63 Vgl. Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1974, S. 24. 64 Anne Fleig: Grauenvolle Stimme. Das Lachen in E.T.A. Hoffmanns Der Sandmann. In: LachArten. Zur ästhetischen Repräsentation des Lachens vom späten 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Hg. von Arnd Beise u.a. (Kulturen des Komischen 1) Bielefeld: Aisthesis 2003, S. 120. <?page no="35"?> 31 1.2 Gegenstand der Theorie Dass Komik gegenwärtig als Thema der Kulturgeschichte gefasst wird, ist auch die Folge einer Selbstkritik der Komiktheorie. Diese kritisiert zum einen ihre eigene theoretische Praxis: Entweder werde ohne jeden Bezug auf den Reflexionsstand und die Vielfalt der Modelle eine neue Konzeption präsentiert oder die Grundidee der Inkongruenz lediglich wiederholt. 65 Die abstrahierende Beschäftigung mit dem Komischen stagniert, weil es an Innovationen ebenso fehlt wie an der Integration der Diskussionsbestände. Beklagt wird „eine gewisse Planlosigkeit und Weitschweifigkeit in der Geschichte dieser Forschung“ 66 , die zu einer „Unübersichtlichkeit der Literatur über das Komische“ 67 geführt hat. Das Kapitel über die „Differenzen der Komiktheorie“ reagiert auf jene Missstände, indem es die Formel aus einer kompakten, systematischen Darstellung der vorhandenen Positionen entwickelt. Das Auslaufen der Tradition in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts - den Konstanzer Kreis ausgenommen 68 - ist andererseits bedingt durch die Problematisierung des Verhältnisses von Theorie und Komik in der komiktheoretischen Reflexion selbst. In den Vorbehalten gegen eine theoretische Behandlung dieses Gegenstandes findet man nicht nur die verschiedensten Argumente, sondern daneben jene geteilte Annahme, die durch das Feld der disparaten Beiträge hindurchläuft. Zuvor wurde erläutert, wie eine mehr oder weniger radikal gedachte Kontextabhängigkeit das Komische von der Theorie entfernt und für die Kulturgeschichte disponiert. Es hat sich dabei schon abgezeichnet, dass eine kulturgeschichtliche Kontextualisierung dennoch auf die theoretische Objektkonstitution angewiesen bleibt. Diese These gilt es nun stärker zu fundieren, um den anschließenden Neuentwurf zu rechtfertigen. Auf dem Weg dorthin sind die diversen und häufig wiederholten Gründe durchzuarbeiten, mit denen man die Theoriefähigkeit der Komik bestritten oder eingeschränkt hat. Dabei wird sich herausstellen, welche Auffassung des Theoretischen jeweils dahinter steht. Zur Verallgemeinerung des Besonderen wird es dort verkürzt, wo man konstatiert, die soziale, kulturelle, historische Variationsbreite komischer Phänomene erschwere deren Generalisierung. Ebenso viele Einwände kreisen jedoch um die Beziehung von Objekt- und Metaebene, Gegenstand und Beschreibung. 65 Vgl. Otto Rommel: Die wissenschaftlichen Bemühungen um die Analyse des Komischen. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte (1943), H. 2, S. 162. 66 Ebd., S. 162. 67 Ebd., S. 161. 68 Vgl. Wolfgang Preisendanz, Rainer Warning (Hg.): Das Komische. (Poetik und Hermeneutik 7) München: Fink 1976, darin die Beiträge von Iser, Jauß, Preisendanz, Schmidt, Stierle, Warning. <?page no="36"?> 32 1.2.1 Ist Komik theoretisierbar, kann Theorie komisch sein? Vom Ontologismus zur Dekonstruktion Der zweite Topos der Komikforschung, neben der Relativierung durch Kontexte, ist die Inadäquatheit der aufgrund ihrer Wissenschaftlichkeit nicht-komischen Theorie angesichts des besonderen Objekts. Einfach gesagt: Komiktheorien „können und dürfen nicht komisch sein“ 69 . Dieser Standpunkt bringt entweder eine skeptische Haltung gegenüber dem theoretischen Projekt mit sich, ein „latentes Unbehagen“, wenn es darum geht, „das Komische in wissenschaftlichen Ernst zu verwandeln“ 70 , oder er führt zur apodiktischen Verneinung eines solchen Vorhabens: Der „einzig mögliche Umgang“ mit dem Komischen sei der „Unernst“ 71 . Robert Gernhardt formuliert die Ablehnung der theoretischen Herangehensweise, indem er das Gegenteil, die komische Qualität einer Komiktheorie, zunächst scheinbar bejaht, dadurch aber umso stärker negiert: „Nichts komischer als eine Theorie des Komischen - wer zu diesen Worten auch nur andeutungsweise mit dem Kopf genickt hat, ist bereits gerichtet.“ 72 Dieselbe Ausgangsfeststellung - Theorie ist der Komik inadäquat - kann eine paradoxe Umkehrung bewirken, wenn man die Unangemessenheit, den Kontrast zwischen Unernst und Ernst, zum Definitionsmerkmal des Komischen erklärt: Theorie ist nicht-komisch, also inadäquat, wird aber komisch, weil sie inadäquat ist, wodurch sie eben doch angemessen ist, also nicht-komisch. Der Zirkel schließt sich nur, weil das Komische im Ansatz nicht expliziert, in der Folge jedoch mit der Kontrast-Relation identifiziert wird. Ist „der Diskurs über das Komische komisch? “ 73 Wie dies beantwortet und bewertet wird, hängt davon ab, ob die Objekt- oder die Metaperspektive den Vorrang hat. So riskiert die Theorie, ins Nicht-Mehr- Theoretische zu geraten: „Jedes Reden über Komik, in Sonderheit jede Systematisierung des Redens über Komik steht vor einem Dilemma - dem Dilemma nämlich, selbst komisch zu wirken.“ 74 69 Kerstin Hoffmann-Monderkamp: Komik und Nonsens im lyrischen Werk Robert Gernhardts. Annäherungen an eine Theorie der literarischen Hochkomik. Books on Demand 2001, S. 16. 70 Susanne Schäfer: Komik in Kultur und Kontext. (Studien Deutsch 22) München: Iudicium 1996, S. 14. 71 Helmuth Plessner: Lachen und Weinen. Eine Untersuchung nach den Grenzen des menschlichen Verhaltens. 3. Aufl. Bern u.a.: Francke 1961, S. 121. 72 Robert Gernhardt: Vorbemerkung zu dem „Versuch einer Annäherung an eine Feldtheorie der Komik“. In: Ders.: Was gibt’s denn da zu lachen? Kritik der Komiker, Kritik der Kritiker, Kritik der Komik. Zürich: Haffmanns 1988, S. 449. 73 Karsten Witte: Nachwort. Das Lachen, ein lebensphilosophischer Versuch. In: Henri Bergson: Das Lachen. Ein Essay über die Bedeutung des Komischen. (Sammlung Luchterhand 757) Darmstadt: Luchterhand 1988, S. 136. 74 Siegfried J. Schmidt: Inszenierungen der Beobachtung von Humor. In: Komik - Medien - Gender. Ergebnisse des Kasseler Komik-Kolloquiums. Hg. von Friedrich W. Block. (Kulturen des Komischen 3) Bielefeld: Aisthesis 2006, S. 20. <?page no="37"?> 33 So charakteristisch diese Argumentation bzw. Rhetorik für das Denken des Komischen auch ist, sie muss von ihren Voraussetzungen her hinterfragt und aus dem Weg geräumt werden, um diesen für einen neuen theoretischen Versuch frei zu machen. Der Grund für die Verwicklung in das Problem „Komik vs. theoretischer Ernst“ ist die erkenntnistheoretische Forderung der Objektadäquanz: Die Beschreibung hat den vorausgesetzten Eigenschaften des Gegenstandes zu entsprechen. Die liebsten Pointen der komiktheoretischen Diskussion - der untheoretische Gegenstand oder die komische Theorie - verdanken sich somit einem verdeckten Ontologismus: Es wird nicht nur gefragt, was das Komische sei, es wird dieses Sein auch vorbestimmt und unreflektiert zur Grundlage aller weiteren Überlegungen. Deren Ziel muss immer die Ganzheit des Phänomens sein, dessen unverwechselbare Eigenheit. Daher rührt auch Plessners negative Bilanz der Tradition: Von einem Fortschritt dürfe man nicht sprechen, für „jeden Aspekt bietet sich eine geeignete Strukturformel, die uns das Wesen des Komischen in mehr oder weniger treffende Ausdrücke übersetzt [...]. Wechselt der Aspekt, dann verblassen auch die Ausdrücke, und aus den erkalteten Formen ist das Leben entflohen“ 75 . Theoriegeschichtlich reicht die Frage nach dem „abstrakten Wesen des Komischen“ bis „weit in die 1970er Jahre hinein“ 76 , 1959 erschien eine Dissertation ausdrücklich zur Ontologie der Komik. 77 Wenn nun das Nachdenken über die Komik sehr markant durch die Implikationen der seinslogischen Frageweise geprägt war, dann verwundert es nicht, dass mit der Abkehr von jener Erkenntnislehre das Theoretisieren des Komischen noch gründlicher in Frage gestellt wurde als im Falle anderer Objekte. Vor dem Hintergrund dieses Umbruchs sind die zahlreichen Bescheidenheits- und Verwerfungsgesten in der dennoch fortgesetzten Auseinandersetzung mit dem allgemeinen Begriff der Komik zu lesen. Alle „Bemühungen seit der Antike und in diversen Wissenschaften haben uns kaum einen Schritt weiter gebracht bei der Beantwortung der Frage, was Humor, was Komik, was Witz ‚sind‘“ 78 . Schmidt lässt durchblicken, das Jahrhunderte lange Auf-der-Stelle-Treten von Philosophie und Wissenschaft könne auch damit zu tun haben, dass die Frage falsch gestellt wurde, nämlich auf das Sein fixiert. Dieter Lamping diagnostiziert bei András Horn den ontologischen Irrtum, „es gebe ‚objektive Bedingungen 75 Helmuth Plessner: Lachen und Weinen. Eine Untersuchung nach den Grenzen des menschlichen Verhaltens. 3. Aufl. Bern u.a.: Francke 1961, S. 107. 76 Arnd Arnd Beise, Ariane Martin, Udo Roth: Vorwort. In: LachArten. Zur ästhetischen Repräsentation des Lachens vom späten 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Hg. von Arnd Beise u.a. (Kulturen des Komischen 1) Bielefeld: Aisthesis 2003, S. 7. 77 Vgl. Demetrios Joannou: Ontologie der Komik. Diss. Freiburg 1959. 78 Siegfried J. Schmidt: Inszenierungen der Beobachtung von Humor. In: Komik - Medien - Gender. Ergebnisse des Kasseler Komik-Kolloquiums. Hg. von Friedrich W. Block. (Kulturen des Komischen 3) Bielefeld: Aisthesis 2006, S. 19. <?page no="38"?> 34 des Komischen‘“, also „Eigenschaften oder Qualitäten eines Gegenstandes, die in jedem Fall schon für sich komisch seien“ 79 . Die Konstanzer Schule um Preisendanz und Warning trägt dem erkenntnistheoretischen Wandel Rechnung, sie produziert nicht einfach neue Antworten, sondern vollzieht exemplarisch den Wechsel vom Essenzialismus zum Modell-Denken: „Gefragt werden sollte nach dem Generalisierungspotential des Komischen und seiner Theorie, nicht nach den Möglichkeiten einer besseren Theorie oder triftigeren Definitionen der Komik und ihrer Kategorien“ 80 . Dass die generalisierenden Sichtweisen nicht eine allgemeine Wahrheit erfassen, da sie vielmehr dem perspektivischen Interesse der jeweiligen Disziplin oder eines bestimmten Forschungsansatzes zuzuschreiben sind, wird eindeutig begrüßt, wegen der dadurch beförderten Selbstreflexion. Darin ist die eigentliche Veränderung zu sehen: Während bis ins 20. Jahrhundert hinein anhand des Komischen die ontologischen Grundlagen des theoretischen Denkens bestätigt, nicht aber thematisiert wurden - das meint hier implizite Affirmation - läutet die Konstanzer Veröffentlichung eine neue, autoreflexive Phase ein: Gerade am Objekt Komik betreiben Theorien Selbstaufklärung und konfrontieren ihre eigenen Grundsetzungen mit anderen Möglichkeiten. Obwohl dies nicht in allen Beiträgen zur Komikforschung seit den siebziger Jahren gleichermaßen deutlich wird, sei jene theoretische Reflexivität als Standard hervorgehoben, den ein wie auch immer ansetzender Neuentwurf nicht ignorieren sollte. Das geänderte Verhältnis von Objekt- und Metaebene, die Selbstbefragung der Theorie auf dem Wege des Komischen, unterscheidet sich vom gleichsam „naiven“ Ontologismus, in dem die Unvereinbarkeit von Theorie und Komik zuvor behauptet worden ist. Nicht-naiv sind jene Aussagen, die durchsichtig machen, dass die nun behauptete Widerständigkeit des Komischen gegenüber dem theoretischen Zugriff den komischen Gegenstand nach bestimmten, post-essenzialistischen Vorstellungen von Theorie geformt hat. Ablesen kann man diesen Unterschied den Arbeiten von Wolfgang Iser. „Gewiß ist die Gegensinnigkeit ein zentrales ‚Ingredienz‘ des Komischen, das sich jedoch der Festlegung auf eine solche Bestimmung immer wieder entzieht.“ 81 Die ontologische Redeweise („Ingredienz“) wird lediglich zitiert, um die anschließende Modellbildung in die Diskussion zu stellen. Iser zeichnet nun mit der „wechselseitigen Negativierung“ zweier 79 Dieter Lamping: Ist Komik harmlos? Zu einer Theorie der literarischen Komik und der komischen Literatur. In: Literatur für Leser (1994), H. 2, S. 61. Vgl. András Horn: Das Komische im Spiegel der Literatur. Versuch einer systematischen Einführung. Würzburg: Konigshausen & Neumann 1988. 80 Wolfgang Preisendanz, Rainer Warning: Vorwort. In: Das Komische. Hg. von Dens. (Poetik und Hermeneutik 7) München: Fink 1976, S. 7. 81 Wolfgang Iser: Das Komische: ein Kipp-Phänomen. In: Das Komische. Hg. von Wolfgang Preisendanz, Rainer Warning. (Poetik und Hermeneutik 7) München: Fink 1976, S. 398. <?page no="39"?> 35 inkompatibler Positionen ein Geschehen als komisch aus, das der dekonstruktiven Denkpraxis ähnlich ist. Doch während Komik sich ereignen kann, muss Dekonstruktion praktiziert werden. Von daher könnte man Komik als dekonstruktive Erfahrung bezeichnen. Die Gemeinsamkeit besteht im Ablauf und im Ergebnis, der Durchkreuzung sprachlicher Referenzialität. 82 Durch jene Angleichung ist das Komische ebenso in der Lage, binär aufgebaute Theorien zu dekonstruieren. Es übernimmt damit dieselbe Funktion wie die Dekonstruktion, die gegen das ontologische Denken agiert. Doch nur durch Isers exakte, transparente Modellierung kann das Theoretische anhand des Komischen reflektiert werden. Je weniger diese Voraussetzung gegeben ist, desto mehr wird die Auffüllung des Komik- Begriffs mit dekonstruktiven oder anti-theoretischen Merkmalen zur Neuauflage des vorherigen Verhältnisses der Implikation. Die Komiktheorie des späten 20. Jahrhunderts zeigt also ebenfalls die Tendenz der Tradition, den gedachten Gegenstand mit der geltenden Form des Theoretisierens zu identifizieren und zwar gerade dadurch, dass man dessen Gegensatz zur theoretischen Systematik und Objektivität betont. Über eine Tagung der jüngsten Zeit wird etwa berichtet, das „dem Komischen immanente Widerstandspotential gegen scheinbar fest gefügte Ordnungssysteme“ habe die Aufteilung in Sektionen und „auch die Wissenschaftspraxis“ immer wieder „unterminiert[ ]“ 83 . Im Anschluss an Iser, allerdings nur als Zuschreibung, nicht innerhalb einer klaren theoretischen Konstruktion, ist von jener komischen „Negativität“ die Rede, die sich „Diskursivierungen wie Semantisierungen“ entziehe und „einen Kern an Sprachlosigkeit, an Schweigsamkeit“ 84 enthalte. Solche Äußerungen, die in den neueren Beiträgen der Komikforschung gehäuft auftreten, laufen Gefahr, in einen naiven Dekonstruktivismus zu verfallen, der dem lange vorherrschenden Ontologismus in seinem Reflexionsdefizit vergleichbar ist. „Etwas zur Sprache zu bringen, dessen Ziel es u.a. ist, sich dem Zugriff sprachlicher und gedanklicher Ordnung zu entziehen, erfordert zunächst einmal eine besondere Vorsicht im Umgang mit begrifflichen Hilfsmitteln und den auf ihnen aufbauenden Theorieangeboten.“ 85 Die Nähe zu Formulierungen der essenzialistischen Phase ist daher zuweilen groß: „Gäbe es für die Ambivalenz des Komischen einen adäquaten und erschöpfenden begrifflichen Ausdruck, dann wäre dem Komischen seine Essenz [...] ge- 82 Iser spricht von einer „Vernichtung der Referenz“. Wolfgang Iser: Das Komische: ein Kipp-Phänomen. In: Das Komische. Hg. von Wolfgang Preisendanz, Rainer Warning. (Poetik und Hermeneutik 7) München: Fink 1976, S. 400. 83 Hilde Haider-Pregler u.a.: Vorwort. In: Komik. Ästhetik, Theorien, Strategien. Hg. von Ders. u.a. (Maske und Kothurn 51, 4) Wien u.a.: Böhlau 2005, S. 9. 84 Jenny Schrödl: Vom Scheitern der Komik. In: Komik. Ästhetik, Theorien, Strategien. Hg. von Hilde Haider-Pregler u.a. (Maske und Kothurn 51, 4) Wien u.a.: Böhlau 2005, S. 33. 85 Heinz Otto Luthe: Komik als Passage. München: Fink 1992, S. 22. <?page no="40"?> 36 nommen.“ 86 Man dürfe die „komische Phantasie auf keinen Fall in eine Definition [...] zwängen“ 87 . Das theoretische Objekt entgeht keineswegs allen „Diskursivierungen“, das Denken des Komischen ist heute genauso durch die Redeordnung der Dekonstruktion geprägt wie zuvor durch die epistemologischen Regeln der Wesensbestimmung. Aus dem dekonstruktiven Zuschnitt des Komischen leitet sich zudem dessen positive, utopisch gefärbte Bewertung her: „Das Lachen vor dem Horizont einer Un- oder Gegensinnigkeit oder eines Bruchs mit einer Erwartungsnorm kann sogar eine differente (moralische, ästhetische, soziale o.a.) Haltung oder ein innovatives Denken nach sich ziehen“ 88 . Der epistemologische Wandel hat eine Aufwertung des Objekts bewirkt. Konstant bleibt hingegen, dass sich dessen Status weiterhin nach dem Verhältnis zur Theorie bemisst. So wird ein „archaische[s] Substrat der komischen Praxis“ 89 angenommen. Die Komödie sei ein „Derivat der mimetischen Praxis aus einer Zeit vor der Abspaltung einer phythagoreisch rein kontemplativen theoria“, so dass sie „in logischer und historischer Hinsicht an eine gemeinsame Herkunft vor aller Kultur erinnert“ sowie an die „Abkunft des Sinns aus dem Unsinn“ 90 . Nach dem Vorbild der Dekonstruktion nutzt Lohr das Muster der metaphysischen Ursprungserzählung, um die geltende Hierarchie von Komik und Theorie umzukehren, indem er den archaischen Unsinn an allen Anfang setzt. So weit verfährt er parallel zu Derridas Vertauschung der Reihen- und Rangfolge von Stimme und Schrift, entgegen der dekonstruktiven Stoßrichtung wird jedoch die mimetische Praxis, welche Qualitäten der Stimme teilt, der abstrakten und mittelbaren theoria, ein abkünftiger Modus wie die Schrift, vorgezogen. Lange hat das ontologische Argument, eine ernsthafte, theoretische Festschreibung widerspräche dem Sein des Komischen, den Wert des Reflexionsgegenstands gemindert, es fehlte ihm an philosophischer Dignität. Und doch haben sich „die größten Denker in dieses kleine Problem vertieft“ 91 . Gerade angesichts des niedrigen Status, der Randstellung in oder zu den System-Philosophien, fällt auf, wie viele begriffliche Versionen des Komischen sich seit dem 18. Jahrhundert finden. Das qua Theorie postu- 86 Helmuth Plessner: Lachen und Weinen. Eine Untersuchung nach den Grenzen des menschlichen Verhaltens. 3. Aufl. Bern u.a.: Francke 1961, S. 121. 87 Henri Bergson: Das Lachen. Ein Essay über die Bedeutung des Komischen. (Sammlung Luchterhand 757) Darmstadt: Luchterhand 1988, S. 13. 88 Jenny Schrödl: Vom Scheitern der Komik. In: Komik. Ästhetik, Theorien, Strategien. Hg. von Hilde Haider-Pregler u.a. (Maske und Kothurn 51, 4) Wien u.a.: Böhlau 2005, S. 34. 89 Günter Lohr: Körpertext. Historische Semiotik der komischen Praxis. Opladen: Westdeutscher Verlag 1987, S. 1. 90 Ebd. 91 Henri Bergson: Das Lachen. Ein Essay über die Bedeutung des Komischen. (Sammlung Luchterhand 757) Darmstadt: Luchterhand 1988, S. 13. <?page no="41"?> 37 lierte untheoretische Wesen der Komik machte aus diesem Objekt „eine einzige spitzbübische Herausforderung an die philosophische Spekulation“ 92 . Dagegen sind in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, seit der ontologische Grund gegen die Komiktheorie hinfällig ist, vergleichsweise wenige Formeln und Modelle entstanden. Wenn komische Phänomene untersucht wurden, dann in kulturgeschichtlicher Differenzierung oder in empirischen Wissenschaften wie der Psychologie. Der Aufwertung des Gegenstandes zum reflexiven, theoriekritischen, sozialutopischen Moment steht eine geringere theoretische Aktivität gegenüber. Dafür lassen sich mehrere Ursachen denken. Eine naheliegende Folgerung wäre, dass weniger Theorien nötig sind, weil jene, die in den letzten Jahrzehnten entworfen oder verstärkt rezipiert wurden, allen voran das Karnevaleske nach Michail Bachtin, leistungsfähiger sind als die zahlreichen (Fehl-)Versuche der Philosophie. Man kann jedoch auch anderes vermuten: Mit dem wesenhaften Widerspruch zum Theoretischen ist zugleich der Anreiz, das Komische dennoch zu denken, weggefallen. Man müsste aufzeigen, weshalb auch unter den veränderten epistemologischen Bedingungen der Begriff der Komik eine Herausforderung darstellt. Der Rückgang der Theoriebildung kann darauf hinweisen, dass die Schwierigkeit einer allgemeineren Fassung eben nicht nur in der anti-theoretischen Natur des Objekts liegt. Deshalb sollen nach den denkgeschichtlichen Brüchen und Kontinuitäten weitere Punkte anvisiert werden, die das Geschäft der Komiktheorie sowohl erschweren als auch anregen. 1.2.2 Ein zu weites Feld? Begrenzte Theorien, universelle Komik Unter den Kategorien des komischen Bedeutungsfeldes ist die Bezeichnung „Komik“ herkömmlich für den höchsten Abstraktionsgrad reserviert, im Unterschied zu Stil- und Gattungsnamen wie „Satire“, „Witz“, „Ironie“. Aus dieser „vorolympischen“ 93 Höhe des Begriffs blickt man auf einen außerordentlich großen Referenzbereich. Das den theoretischen Zugang „düpierend[e]“ 94 Spektrum ist begriffsgeschichtlich Ergebnis einer Ausweitung vom künstlerischen Bezirk des Theaters und der Literatur auf komische Objekte und Sichtweisen außerhalb der Kunst, „Mitte des 18. Jh. in- 92 Henri Bergson: Das Lachen. Ein Essay über die Bedeutung des Komischen. (Sammlung Luchterhand 757) Darmstadt: Luchterhand 1988, S. 13. 93 Vgl. Rainer Stollmann: Das Lachen und seine Anlässe. In: Komik. Ästhetik, Theorien, Strategien. Hg. von Hilde Haider-Pregler u.a. (Maske und Kothurn 51, 4) Wien u.a.: Böhlau 2005, S. 16: „Lediglich den Begriff der Komik kann man vielleicht, wenn er sich doch vom vorolympischen, recht unbekannten Komos, dem Gott des Lachens herleitet, als allgemeinsten Begriff verwenden.“ 94 Vgl. Siegfried J. Schmidt: Inszenierungen der Beobachtung von Humor. In: Komik - Medien - Gender. Ergebnisse des Kasseler Komik-Kolloquiums. Hg. von Friedrich W. Block. (Kulturen des Komischen 3) Bielefeld: Aisthesis 2006, S. 19. <?page no="42"?> 38 nerhalb einer Zeitspanne von nur wenigen Jahrzehnten“ 95 . Zuvor waren die Komödienästhetik und das darin vermittelte Lächerliche der Lebenswelt noch unterschieden, danach ist „komisch“ sowohl eine ästhetische Basiskategorie wie eine generelle objektive Qualität bzw. Wahrnehmungsform. Erstmals wird der physische Vorgang des Lachens mit bedacht. 96 Alle nachfolgenden Komiktheorien stellen sich dem Anspruch, die ausdifferenzierten komischen Gattungen in einer Formel zusammenzufassen und mit derselben auch zu erklären, unter welchen nicht-künstlerischen Umständen die Reaktion des Lachens eintritt. Obwohl sich „Komik“ seit der Erweiterung auf beides bezieht - Kunst und Leben - gibt es eine Hierarchie zwischen den zwei Bedeutungsfeldern. Das liegt daran, dass die Fundierungsebene im Nicht-Künstlerischen liegt. Was das Komische grundsätzlich ist, wurde z.B. nach dem Wissen vom Menschen bestimmt. Erst in zweiter Linie folgten daraus die Erscheinungsweisen der komischen Kunst. Wie Schmidt festhält, sind anthropologische oder auch soziologische Theorien primär, demgegenüber stellt die literarische Komik bereits einen Anwendungsbereich dar bzw. eine sekundäre theoretische Fragestellung: „Die Beziehung zwischen einer sozioanthropologischen und psychologischen Definition“ und komischen „Präsentationsformen und Funktionen im Kontext ästhetischer Kommunikation ist daher Gegenstand besonderer Überlegungen einer Ästhetik des Komischen“ 97 . Diese Übertragung plausibel zu machen, zählt weiterhin zu den festen Aufgaben der Komiktheorie, unabhängig von wechselnden Fundierungen und epistemologischen Brüchen. Vor der kulturhistorischen Wende betrachtete man Komik vielfach als „Universalie“, weil sie keine „eigene Domäne“ habe, vielmehr sei grundsätzlich „alles komisierbar“ 98 . Zu überlegen ist, wie sich eine aktuelle Theorie zu dieser Vorgabe der Tradition verhalten kann. Auch außerhalb der Universalienforschung wäre es möglich, das Komische nicht als eine - übermäßig große - Domäne anzusehen, sondern als spezielle Weise, Gegenstände wahrzunehmen (Lebenswelt) und zu gestalten (Kunst). Dann müsste man immer noch die eine Formel suchen, die es erlaubt, „alles“ zu komisieren. Die breite Referenz des Komischen hat Theoretiker des 18. bis 95 Klaus Schwind: Artikel „komisch“. In: Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden. Hg. von Karlheinz Barck. Bd. 3. Harmonie - Material. Stuttgart: Metzler 2001, S. 333. Schwind nennt dies die „etymologische Auswanderung des Begriffs komisch aus dem Komödientheater in die Lebenswelt in den Jahren zwischen 1740-1760“, S. 354. 96 Vgl. ebd., S. 357. 97 Siegfried J. Schmidt: Komik im Beschreibungsmodell kommunikativer Handlungsspiele. In: Das Komische. Hg. von Wolfgang Preisendanz, Rainer Warning. (Poetik und Hermeneutik 7) München: Fink 1976, S. 167. 98 Susanne Schäfer: Komik in Kultur und Kontext. (Studien Deutsch 22) München: Iudicium 1996, S. 48. <?page no="43"?> 39 frühen 20. Jahrhunderts aber vor allem deshalb überfordert, weil sie ihren Anspruch aus einer ontologischen Grundannahme ableiten: Da es nur ein Wesen des Komischen gibt, existiert auch genau ein Gesetz der Komik, das alle komischen Fälle erklärt. Es darf keine Ausnahme von dieser universellen Regel vorkommen. Oft wurde zusätzlich das Lachen als empirischer Test auf die Richtigkeit der Theorie durchgeführt. Entsprechend leicht sind solche Gesetze zu widerlegen, entweder durch ein einziges Beispiel des Lachhaften, das nicht in der Formel eingeschlossen ist, oder durch einen gesetzmäßigen Fall, der nicht zum Lachen reizt. Dies den Konkurrenten nachzuweisen und die eigene Lösung ins Recht zu setzen, war nicht nur Theodor Lipps umfangreiche Ausführungen wert. 99 Wenn man festhält, dass der ontologische Maßstab nicht mehr gilt, wie können dann Modelle mit der komischen Bandbreite umgehen? Sie brauchen keine absolute Einheitlichkeit sämtlicher als „komisch“ bezeichneter oder belachbarer Phänomene voraussetzen. Dadurch werden sie haltbarer gegenüber empirischen Einzelfällen sowie anderen Konzeptionen. Gemäß dem historischen Stand der Reflexion seit dem 18. Jahrhundert wird jedoch der Doppelbezug von künstlerischer und kultureller, sozialer Komik beibehalten. Das zieht die Minimalforderung nach sich, dass ein Modell vom Gesellschaftlichen oder Kulturellen auf die Kunst übertragbar sein muss, also nicht auf eines von beiden beschränkt sein darf. Das schließt keineswegs aus, dass die jeweilige Theorie eine Schwerpunktlage aufweist, hin zu dem Bereich, für den sie die genauere Beschreibung liefert. Jene Anmerkung deutet auf die konstruktivistische Grundlage der im zweiten Kapitel aufgestellten Formel voraus. Zuvor soll dokumentiert werden, dass dies sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart der Komiktheorie nicht die einzig mögliche Ausgangsbasis darstellt. Das Ungenügen der vielen Definitionen bis Anfang des 20. Jahrhunderts hat laut Helmuth Plessner seinen Grund darin, dass die fundierenden Denkgebäude und Wissenschaftsmethoden veraltet seien, er nennt speziell Einfühlungsästhetik, Assoziationspsychologie, die hegelsche Dialektik und den kantischen Kritizismus. Da deren „Gesichtskreis, ihr terminologisches Rüstzeug, ihre philosophische Gesamthaltung für uns nicht mehr unbestritten sind, werden wir uns mit ihren Lösungen nicht einfach zufrieden geben können“ 100 . Aus der Theoriegeschichte lassen sich weitere Beispiele anführen: Der Begriff des Komischen in der Romantik hängt an der transzendentalen Aufwertung des Subjektiven (Jean Pauls „Humor“) und an den Denkfiguren der philosophischen Poesie (Friedrich Schlegels „Ironie“). Thomas Hobbes’ Theorie des Verlachens aus dem 17. Jahrhundert begrün- 99 Vgl. Theodor Lipps: Komik und Humor. Eine psychologisch-ästhetische Untersuchung. (Beiträge zur Ästhetik 6) Hamburg u.a.: Voss 1898. 100 Helmuth Plessner: Lachen und Weinen. Eine Untersuchung nach den Grenzen des menschlichen Verhaltens. 3. Aufl. Bern u.a.: Francke 1961, S. 107. <?page no="44"?> 40 det das Überlegenheitsgefühl des Lachenden nicht zuletzt in einem physiologischen Mechanismus. Zur Rekonstruktion der historischen Auffassungen sei hier aber auf die verfügbaren begriffs- und ideengeschichtlichen Artikel und Abhandlungen verwiesen. 101 In der Hinführung zum neuen theoretischen Versuch ist es wichtiger, diejenigen Ansätze vorzustellen, die noch nicht überholt sind, sondern distinkte Positionen im gegenwärtigen theoretischen Denken repräsentieren. Von der analytischen Philosophie her nähert sich Siegfried J. Schmidt dem Problem. Er versucht nicht, die Bedeutung des Begriffs zu bestimmen, sondern die sprachlogischen Regeln seines Gebrauchs zu klären. Demnach fällt „Komik“ oder „komisch“ unter die „undefinierten qualitativen oder klassifikatorischen“ Kategorien, diese besondere wurde „aus der Umgangssprache in die Bildungssprache der sog. Geisteswissenschaften (vor allem der Literaturwissenschaft, allgemein der Ästhetik) übernommen“ 102 . Analysiert man genauer die „logische Struktur des Prädikats ‚komisch‘“, so erkennt man den Begriff als einen „mehrstelligen, pragmatischen“: „X ist komisch für/ wirkt komisch auf Y aufgrund von a (wobei X und Y Kommunikationspartner bezeichnen, a eine faktische Situation, die als ‚komisch‘ qualifiziert wird)“ 103 . Seine wissenschaftstheoretische Position führt Schmidt zu dem Schluss, dass es keine allgemeine Definition des Komischen geben kann, da die Größen der prädikatslogischen Formel historische, situationsabhängige Variablen innerhalb einer Sprachhandlung sind. Die Metaebene muss sich deshalb darauf beschränken, Rahmenbedingungen für die Möglichkeit „komische[r] Konstellationen (kk)“ anzugeben. Es sind Grundsituationen, die eine komische Wirkung (von X auf Y) begünstigen, nicht aber garantieren. Zudem sind sozialgeschichtliche, kulturhistorische Konkretisierungen nötig, wenn beschrieben werden soll, inwiefern z.B. die „Einschätzung der Kommunikationssituation bei den Partnern in signifikanter Weise voneinander abweicht“ 104 . Schmidt vertritt nicht nur das analytische Paradigma. Beispielhaft für das jüngste Kapitel in der Geschichte der Komiktheorie ist seine Ansicht auch darin, dass sie das Scheitern der bisherigen philosophischen, wissenschaftlichen Definitionen für objektbegründet hält. Allerdings nicht im Sinne der Ontologie, Schmidt zufolge war das Abstraktionsniveau zu hoch angesichts der Spezifikationen, welche aufgrund der pragmatischen Funktion des Begriffs notwendig sind. Im Modell des „kommunikativen Hand- 101 Vgl. Karl Schwind: Artikel „komisch“. In: Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden. Hg. von Karlheinz Barck. Bd. 3. Harmonie - Material. Stuttgart: Metzler 2001, S. 332-384. 102 Siegfried J. Schmidt: Komik im Beschreibungsmodell kommunikativer Handlungsspiele. In: Das Komische. Hg. von Wolfgang Preisendanz, Rainer Warning. (Poetik und Hermeneutik 7) München: Fink 1976, S. 166f. 103 Ebd., S. 168. 104 Ebd., S. 187. <?page no="45"?> 41 lungsspiels“ (siehe Untertitel) ist Komik gerade keine Universalie, sondern „prinzipiell sozial und historisch“ 105 . Dies gilt für die Begründungsebene, das Beschreibungsfeld hingegen wird universell: Es ist indifferent gegenüber der Unterscheidung soziale - künstlerische Komik. Das heißt nicht, dass dies zwei gänzlich verschiedene Dinge sein müssen, im Gegenteil, der Doppelbezug wurde bereits als historischer Reflexionshorizont aufgezeigt. Doch die Skizze der „komischen Konstellationen“ liefert keinerlei Bestimmungen, die zu genaueren Aussagen darüber führen, in welchem Verhältnis die beiden Bereiche stehen. Kann Komik in der Kunst genauso gut vorkommen wie in der Gesellschaft? Welche Ästhetik folgt aus den komischen Umständen der Kommunikation? Auf solche Fragen geben Schmidts analytische Hypothesen keine Auskunft. Somit kann man die aktuellen theoretischen Ansätze sowohl in ihren Grundlagen als auch in ihren Beobachtungsfolgen unterscheiden und vergleichen. Die Kennzeichnung sowie Bewertung von Theorien nach ihrer Reichweite und Tiefenschärfe, sprich ihren Differenzierungsleistungen gehört selbst in das konstruktivistische Denken, das wiederum die Technik für die im Anschluss konzipierte Komik-Formel bereitstellt. Zuvor soll die dekonstruktive Alternative, die mit Isers Entwurf des Kipp-Phänomens bereits eingeführt wurde, an einem weiteren Beispiel unter den gegenwärtigen Komiktheorien positioniert werden. Jene „Kasuistik“ statt „Systematik“ 106 , die Joseph Vogl anhand von Kafkas Komik produziert, beruht auf einer anderen Denkweise als Schmidts Analyse der Konstellationen. Ihre bewusst unvollständige Aufzählung von Einzelfällen geht über bloße Kontextualisierung hinaus. Das Komische, darin stimmt Vogl mit der Tradition überein, sei ein „schlechthin unsystematischer“ 107 , ein „dezidiert untheoretischer“ 108 Gegenstand. Es wird dann aber die Tatsache, „dass er sich der Regel, dem System, dem Ordnungsversuch geradezu konsequent entzieht“ 109 , in einer entscheidenden Wendung zur theoretischen Besonderheit des Objekts. Komik ist nicht nur historisch, sozial und situativ bedingt, diese Bedingtheit, die Abhängigkeit von hoch speziellen Lagen ist das Komische selbst. Es vollzieht sich im Prinzip der „Umständlichkeit“ 110 , wie Vogl es nennt. Die Kombination der besonderen Umstände, die eine komische Situation ausmacht, versetzt jene zugleich in 105 Siegfried J. Schmidt: Komik im Beschreibungsmodell kommunikativer Handlungsspiele. In: Das Komische. Hg. von Wolfgang Preisendanz, Rainer Warning. (Poetik und Hermeneutik 7) München: Fink 1976, S. 168. 106 Joseph Vogl: Kafkas Komik. In: Kontinent Kafka. Mosse-Lectures an der Humboldt- Universität zu Berlin. Hg. von Klaus R. Scherpe u.a. Berlin: Vorwerk 8 2006, S. 75. 107 Ebd., S. 74. 108 Ebd., S. 75. 109 Ebd., S. 74. 110 Ebd., S. 75. <?page no="46"?> 42 einen Zustand der „Instabilität“ 111 . So bedarf es nicht nur der „Unterscheidungskunst“ 112 , um Komik wahrzunehmen, sie wird erst dann komisch, wenn sie aufgrund ihrer Instabilität weitere Unterscheidungen initiiert, so dass sich die Lage gewissermaßen verschiebt und nicht mehr mit sich selbst identisch ist. Aufgrund dieses, bei Vogl gleichwohl impliziten, Gedankenganges kommt es wie schon bei Iser zu einer Angleichung an die Dekonstruktion, hier genauer an Derridas Figur der différance: Wo dort Bedeutung in immer weiteren Differenzierungen aufgeschoben wird, lässt Komik den „umständlichen“ Zustand in einen Prozess der Differenzierung kippen. Dadurch gewinnt sie, was Vogl anschließend an Kafkas „literarischen Machtanalysen“ 113 illustriert, eine subversive Kraft gegenüber Institutionen und Konzeptionen, denen ein fester Stand der Dinge respektive Bedeutungen zugrunde liegt: So werden das Gesetz und seine Einrichtungen komisierbar, indem man es in differenzreiche und folglich zu unterscheidende, de-identifizierende Lagen versetzt. An Vogls Modell wird gut sichtbar, dass Komik zwar einerseits als untheoretischer Gegenstand ausgerufen wird, andererseits aber weniger offen die Form einer bestimmten Schule des Theoretisierens, eben der Dekonstruktion annimmt. Es besteht darin eine Nähe zu literaturwissenschaftlichen Verwendungen der Komiktheorie Michail Bachtins, die im nächsten Kapitel ausführlich dargestellt und diskutiert wird. Dem Karnevalesken werden dekonstruktive Operationen zugeschrieben, vor allem über die Figur der Ambivalenz, die Bedeutungseinheit in Zweiwertigkeit überführt. Zudem wird der ambivalente, groteske Körper als subversives Element der Kultur angesehen, meist ohne die Klärung, dass diese Funktion des Körpers selbst das Ergebnis einer dekonstruktiven Umwertung bzw. Aufwertung gegenüber dem Geistigen, Rationalen, Abstrakten ist. Solche implizite Affirmation statt Selbstreflexion des Theoretischen hat der vorige Abschnitt theoriegeschichtlich eingeordnet. Literatur und Kunst der Moderne bieten zweifellos reichlich Material für komische Kasuistik. Eine theoretische Begründung dafür steht nicht zur Verfügung, eher die literaturgeschichtliche Tendenz zur Destabilisierung fester Instanzen und Anordnungen. Davon abgesehen wird Komik aus den Details literarischer Darstellung hervorgehen. Parallel zur Dekonstruktion könnte man annehmen, dass kasuistische Komik weniger eine Eigenschaft der Texte, als vielmehr eine Praxis ihrer Lektüre sei. Dennoch gelingt es Vogl, die Affinität der Themen und Darstellungsweisen Kafkas zu komisch lesbaren Szenen nachzuweisen. Einleuchtend wird dies beispielsweise an Fällen des literarischen Slapstick in Kafkas Texten: Es „begegnen sich We- 111 Joseph Vogl: Kafkas Komik. In: Kontinent Kafka. Mosse-Lectures an der Humboldt- Universität zu Berlin. Hg. von Klaus R. Scherpe u.a. Berlin: Vorwerk 8 2006, S. 75. 112 Ebd. 113 Ebd., S. 85. <?page no="47"?> 43 sen und Dinge in einer seltsamen Übergangsszene“, einer Lage voller besonderer Umstände, „in der Wesen wesenlos und Dinge zu Undingen werden“ 114 . Für eine Theorie der Literatur oder der Moderne steht das kafkasche Werk in der Dichte seiner Modernitätssymptome ein. Dass es Vogls Konzeptualisierung auch auf die Komik des Alltags abgesehen hat, ist daraus zu erschließen, dass Destabilisierung durch Umständlichkeit sich ebenso auf soziale wie literarische Situationen beziehen lässt. Dazu müsste allerdings die dekonstruierende Interpretation auf eine differenzierende, desorientierende Wahrnehmung übertragen werden. Das konstruktivistische Modell, das die folgenden Kapitel aufbauen und anwenden, stellt sich als dritte Option neben die analytische und die dekonstruktive Weise, das Komische zu denken. Es ist bezeichnend, dass damit in der gegenwärtigen Theoriebildung nicht nur verschiedene Antworten zur Frage „Was ist Komik? “ vorliegen, sondern auch drei ganz verschiedene Techniken des Theoretisierens. Die konstruktivistische Herangehensweise wird einführend danach zu bewerten sein, ob sie mit der Spannung zwischen theoretischer Begrenztheit und universeller Komik umzugehen weiß, ob sie die Bereiche Kunst und Kultur, Literatur und Lebenswelt einerseits umfassen und andererseits in komischer Hinsicht spezifizieren kann. Vorab ist außerdem eine irreführende Meinung zu entkräften. Gearbeitet wird hier nicht nach einem generellen kognitiven Konstruktivismus, sondern gemäß den epistemologischen Prämissen der luhmannschen Systemtheorie, die später in ihrer Eigenschaft als Sozialtheorie ganz zentral in die Konzeption des Komischen eingebracht wird. Die Grundsätze jener Differenzlogik brauchen nicht extra dargelegt werden. Relevant sind hingegen deren Auswirkungen für die Legitimität und das Beschreibungsvermögen der konstruierten Formel. Weshalb soll man es gerade mit differenzlogischen Mitteln noch einmal wagen, Komik auf den Begriff zu bringen? Erstens ist dieser Ansatz frei von allen ontologischen Hemmnissen. Nicht die Theorie muss sich dem vermeintlich untheoretischen Gegenstand anpassen, sondern Komik als Allgemeinbegriff existiert nur durch Theorie. Dass es ein Wesen des Komischen gibt, würden auch Schmidt und Vogl von ihren Positionen her bestreiten. Die besitzen jedoch nicht dasselbe Verallgemeinerungsvermögen wie der Konstruktivismus, den Luhmann mit seiner Gesellschaftstheorie praktiziert und reflektiert. Schmidts analytisch ermittelte Struktur der „Konstellationen“ verschiebt die Identifizierung des Komischen auf die vielfältigen Besonderheiten innerhalb eines ermöglichenden Rahmens. Vogl schafft ebenfalls einen großen Spielraum, indem er das dekonstruktive Geschehen des Zerfalls von Situationen in ihre immer weiter zu spezifizierenden Umstände zum komischen Ablauf erklärt. Von seiner theoreti- 114 Joseph Vogl: Kafkas Komik. In: Kontinent Kafka. Mosse-Lectures an der Humboldt- Universität zu Berlin. Hg. von Klaus R. Scherpe u.a. Berlin: Vorwerk 8 2006, S. 79. <?page no="48"?> 44 schen Warte aus verbietet sich jede Generalisierung, es sei denn, sie stößt ihrerseits eine Dekonstruktionsbewegung an, was Vogls kasuistisches Aufspüren komischer Verläufe denn auch folgerichtig einlöst. Schmidts Analyse übt einen am Gegenstand begründeten Theorieverzicht und sagt sich so auch von der Wahrheitsanmaßung los, die Generalisierungen mit Blick auf die Philosophiegeschichte anlastet. Diesen Anspruch einer höheren Autorität kann eine konstruierte Formel trotz ihres allgemeinen Beschreibungsziels von sich weisen. Ein Modell, das Komik generell erfassen will - d.h. gattungsübergreifend, künstlerisch wie lebensweltlich - befindet sich nicht näher an der Wahrheit des Gegenstandes, wenn man daran festhält, dass eben keine objektive Wahrheit zu haben ist. Wer so weit zustimmt, kann sich trotzdem fragen, weshalb ein Allgemeinbegriff überhaupt notwendig ist. Er füllt eine genau bestimmbare Lücke in den Möglichkeiten, das Komische zu denken und zu analysieren. Dabei verändert sich der Status der allgemeinen Komik gegenüber den Gattungsbegriffen. Zuvor musste Theorie einen Begriff bilden, dem sich sämtliche Spezifikationen unterordnen lassen; er hatte auf höherer Ebene eine Synthese zu bilden, und seine Fundierung musste mit der Grundlage aller anderen Kategorien identisch sein. Dies gibt zwar nicht den tatsächlichen Stand zwischen Komiktheorie und literaturwissenschaftlicher Reflexion wieder, hat sich aber im Maßstab und in der Kritik der theoretischen Projekte durchaus niedergeschlagen. Die Differenzlogik steht nicht unter einem solchen Systemzwang. Der entsprechende Abschnitt des zweiten Kapitels nennt sich zwar „Systematik“, doch wird darin eine differenzielle Durchquerung des kategorialen Feldes unternommen. Statt eines Zusammenhangs entstehen Übergänge von einem konzeptuellen Punkt zu einem anderen, der sich präzise davon unterscheidet. Die Generalisierung unter dem Namen „Komik“ ist deshalb keineswegs privilegiert, sie erfüllt dennoch eine exklusive Funktion, indem sie ein eigenes Beschreibungsniveau erschließt. Es kann von dort aus eine andere Teilhabe des Komischen an den Prozessen der Kultur, eine andere Relation zu den Strukturen der Gesellschaft in den Blick genommen werden als durch Aussagen über Satire, Groteske oder den mit Freud eingeschätzten tendenziösen Witz. Zum anderen ist die Verallgemeinerung nicht ohne Grund der erste Schritt zur Respezifikation. 115 Hierin liegt nun die ausdrückliche Stärke der neu ansetzenden Komik-Formel. Dadurch, dass man ein bestimmtes Verhältnis zum systemtheoretisch modellierten Sozialen als allgemein komisch bezeichnet, wird erstens eine historisch-typologische Zäsur in die Geschichte des Komischen eingeführt. Sie scheidet die karnevaleske Vormoderne von einer modernen Komik, die sich mit dem Wechsel des gesellschaftlichen Organisationsmodus formiert. Dieses besondere Spektrum teilt jedoch jene Einheit von Form und Funktion, die aufgrund 115 Dies ist an Luhmanns Theorie sozialer Systeme musterhaft zu beobachten. <?page no="49"?> 45 der primären Unterscheidung zugewiesen wurde, mit der Praxis des Karnevals. Die genaue Gestaltung der Formel sei zugunsten der theoretischen Vorgehensweise zurückgestellt. Die zweite Konkretisierung ergibt sich aus der angerissenen Beobachtungskette: das speziell Literarische der komischen Moderne. Während sich das Karnevaleske bei Bachtin von einem kulturellen Ritual herschreibt, wonach die textuelle Inszenierung eine bloß sekundäre Umsetzung darstellt, vollzieht sich moderne Komik primär in der Literatur. 116 Begründende Ausführungen zu dieser These finden sich im dritten Kapitel. Derselbe Argumentationszug ist darüber hinaus bahnbrechend für die paradigmatischen Interpretationen (Kapitel 4). Gerade darin beweist sich die innovative Leistung der Formel: Vereinzelte Auffälligkeiten moderner Texte, avantgardistische Grundmuster schließen sich über die Formel zu strukturell, funktional einheitlichen Komplexen zusammen, die beispielhaft die Neuerungen des Modern-Komischen gegenüber der Typologie des Karnevals ausstellen. Im Rückgang auf die theoretische Diskussion ist außer der Entdeckung des Besonderen auch die universelle Spannweite des Allgemeinbegriffs zu prüfen. Das meint bezogen auf den Gegenstand eben nicht absolute Universalität, sondern die zweiseitige Anwendbarkeit sowohl auf Literatur als auch auf nicht-künstlerische Kommunikation, wenn man „Kultur“ oder „Gesellschaft“ einmal ins systemtheoretische Vokabular übersetzen will. Dass eine Realisierung moderner Hochkomik außerhalb des Literarischen sehr wohl denkbar ist, wird am Schluss des dritten Kapitels nachzulesen sein. Literarische Texte sind für die prägnantesten Ausformungen des Modern-Komischen vorteilhaft ausgestattet, einige von ihnen können sich sogar nur unter literarischen oder auch künstlerischen Bedingungen konstituieren. Das heißt nicht, dass die Figur der Hochkomik auf diesen einen Ausschnitt des Gesellschaftlich-Kulturellen beschränkt bleibt. Somit wird die Minimalanforderung erfüllt, obgleich der Differenzierungsgrad bei der Untersuchung literarischer Gegenstände im Vergleich deutlich höher liegt: Es sind dabei feinere Unterscheidungen, komplexere Strukturbildungen möglich. Jenes deskriptive Ungleichgewicht muss jedoch den allgemeinen Ansatz als solchen nicht diskreditieren. Obwohl die Formel auf einer generellen Ebene einsteigt, darf sie im Weiteren doch ihre Beschreibungsschwerpunkte entwickeln. Sie ist daher nicht für jeden Zweck gleich gut zu gebrauchen, dass sie sich aber für die Analyse und Interpretation moderner Literatur besser eignet als jedes andere Komik-Modell, verdankt sie der Kette von Generalisierung und Spezifikation. 116 Angesichts der Weiterentwicklung der Theorie des Karnevalesken durch Bachtin selbst muss man dies relativieren: Mit dem Modell des polyphonen Romans wird das Komische theoriegeleitet zugleich modernistisch und karnevalesk. Diese Form des Modern-Komischen wird in Probleme der Poetik Dostoevskijs ausführlich behandelt sowie in der Forschung zum Konzept der „Dialogizität“ ausgewertet. <?page no="50"?> 46 Eine allgemeine Komik-Formel, die differenzlogisch konstruiert wird, rechtfertigt sich nicht über empirische Totalität, d.h. mit der Behauptung, alle komisch genannten oder als komisch empfundenen Erscheinungen abzudecken. Ihre relative Allgemeinheit besteht, wie schon gesagt, darin, dass sie über die Gattungsgrenzen hinausgeht, dass sie auf Literatur und Kunst ebenso anwendbar ist wie auf den weiteren Bereich des Kulturellen, Sozialen. Legitimieren lässt sich ein solches Modell zum einen durch die analytisch-interpretativen Beobachtungen, die sich damit an literarischen Texten und anderen Gegenständen der komischen Moderne machen lassen. Zum anderen tritt der Bezug auf die Theorielandschaft an die Stelle des direkten Objektzugriffs: Ein neuer theoretischer Anlauf darf keinesfalls die existierenden Denkformeln ignorieren. Das bedeutet natürlich nicht, dass durch Anpassung an die Tradition oder aber mit ihrer totalen Ablehnung zwangsläufig Legitimität erworben wird. Eher erhöhen partielle Übereinstimmung und auch punktuelle Abweichung von anderen Konzepten die Chance, dass die hinzukommende Fassung von der Komikforschung in Betracht gezogen wird, wie immer die Kritik ausfallen mag. Deshalb kommt dem nun anschließenden Kapitel eine hohe Bedeutung zu. Es werden darin die wichtigsten gemeinsamen Unterscheidungen sowie Unterschiede innerhalb des Theorie-Bestandes verzeichnet, um im Verhältnis dazu die Neu-Konzeptualisierung einzeichnen zu können. Jene Präsentationsweise ist ein Erfordernis der konstruktivistischen Fundierung, also mehr als eine rein vermittelnde Maßnahme. Gleiches gilt für die Transparenz und Exaktheit, mit der das Modell nicht nur theoretisiert, sondern auch in den Interpretationen umgesetzt wird. Gerade weil der komische Hauptsatz ohne einen Grund im Objekt und ohne totale Geltung bestehen muss, ist es unerlässlich, ihn durchgehend als Instrument der Beobachtung auszuweisen. Theorien müssen sich an bestimmten Stellen ihres Selbstaufbaus entscheiden: Ist das Komische etwas, das psychische Abläufe variiert, kognitive Verfahrensweisen irritiert, Körperlichkeit durchsetzt? Oder richtet sich Komik am Sozialen aus, in welcher Form ist dann das Gesellschaftliche für komische Praxis relevant? Hier setzt die Bestimmung ihren Anfang. Sie stützt sich auf Luhmanns Gesellschaftstheorie und profitiert dabei sicher von deren wachsender Anerkennung wie sie zugleich Gefahr läuft, aufgrund jener Basis Vorbehalte zu wecken. Was komiktheoretischen Wert hat, ist die Tatsache, dass systemtheoretische Elemente die Komik-Formel so weit konkretisieren, dass diese verstreute Qualitäten der literarischen, künstlerischen, medialen Moderne als reflexive Hochkomik zusammendenken kann und zudem in der Lage ist, einzelne Texte zu interpretieren, spezielle Genres und künstlerische Strategien als komische Avantgarde zu analysieren. Hierarchien von Theorie und Praxis, Empirie und Theorie werden in dieser Verschränkung hinfällig. <?page no="51"?> 47 2 Differenzen der Komiktheorie Man könnte meinen, der Zweifel an der Möglichkeit einer Komiktheorie bis hin zur Überzeugung von ihrer Unmöglichkeit sei das Einzige, worauf sich die theoretische Auseinandersetzung hat einigen können. Es macht sich jedoch ein Gegenzug ebenso stark bemerkbar: die Suche nach dem Naturgesetz, einer Weltformel des Komischen, die Emphase, mit der jeder Theoretiker seinen Fund als allein richtig präsentiert. Dass die beiden Haltungen einander nicht strikt widersprechen, sondern vielmehr der Skeptizismus den Wahrheitsanspruch steigert, bedarf keiner tieferen Einsicht. Umso wichtiger wird es, den nun folgenden Versuch von solcher Logik fern zu halten. Dies ist zum einen schon geschehen, indem nämlich die skeptizistische Position abgebaut wurde. Grund ist aber gerade nicht die angebliche Entdeckung der wahren Komikformel; die uneingeschränkte Denkbarkeit des Komischen, von der hier ausgegangen wird, beruht auf einem nachhaltig gewandelten Theorieverständnis. Obwohl der vorige Abschnitt dies ausgeführt hat, mag sich die weitere Darstellung nicht ganz darauf verlassen. Zu groß ist auf den ersten Blick die Ähnlichkeit zwischen dem kompakten theoretischen Satz, der nun entfaltet werden soll, und den bündigen Regeln, mit denen etwa Bergson und Freud die komischen Phänomene, das Komische an sich erklärt haben. Dass es am Beispiel Komik um eine grundsätzlich andere Auffassung von Theorie geht, kann vielleicht nur deutlich werden, wenn die theoretische Praxis dies selbst vollzieht. Sie ist konstruktiv: Ihr Satz gibt sich nicht als Erklärung aller komischen Empirie aus. Stattdessen macht er eine Vorgabe, unter der eine rein beobachtete Komik sichtbar wird. Die Konstruktionsarbeit beginnt mit einer allgemein gehaltenen Fassung, beschränkt sich aber in der Folge auf ihr spezielles Interesse an einer Komik der literarischen Moderne. Die Art der Argumentation ist außerdem kommunikativ: Sie bezieht die einzelnen Theorie-Entscheidungen auf Alternativen, die aus der bis dato geführten komiktheoretischen Diskussion hervorgehen. Allerdings nicht, um sie zugunsten der eigenen Formel abzuweisen. Entgegen jeder empirischen Fundierung kann sich eine konstruktivistische Komiktheorie nur im Verhältnis zum vorhandenen, selbstverständlich kontroversen Wissen etablieren, und zwar sowohl dadurch, dass sie kursierende theoretische Figuren aufgreift, als auch durch die Transparenz ihrer Unterschiede zu diesen bestehenden Formen und eine sich darin nach und nach ausdifferenzierende eigene Beobachtungsleistung. In dieser Weise wird also zu verfahren sein, mit dem anstehenden Hauptsatz der Komik, in historisierender, literaturwissenschaftlicher Absicht. <?page no="52"?> 48 2.1 Kognitiv, psychisch, physisch vs. sozial Komik ist Ambivalenz gegenüber der Organisationsform des Sozialen. Dieser Satz ist in der Tat als zunächst allgemeingültiges „Strukturmodell bzw. Funktionsgesetz“ 117 gedacht und entspricht damit der Zielvorstellung der meisten Komiktheorien. Weder eine Historisierung noch literaturtheoretische Relevanz wird an der verdichteten Formulierung erkennbar. Dass sie aber impliziert sind, kann sich erst zeigen, wenn die Theorie in ihre Elemente zerlegt und erläutert wird. Darüber hinaus soll immer die jeweils andere Seite einer theoretischen Bestimmung vorgestellt werden, wie sie aus einer reflexiven Betrachtung des Bestandes an Komiktheorien hervorgeht. Das Verfahren unterscheidet sich klar von der üblichen Argumentationsweise, die Material, das die eigene Setzung befürwortet, zustimmend zitiert und dem entgegenstehende Thesen zu widerlegen sucht. Zu wenig wäre andererseits die bloße Benennung oder Erläuterung der alternativen Modelle. Darum werden stattdessen die jeweiligen Möglichkeiten als Vororientierungen innerhalb der Reflexion des Komischen ausgewiesen, die einige Fragen privilegieren, andere ausschließen oder zurückstellen und auf diese Weise nicht nur ungleiche Theorien, sondern verschiedene Gegenstände bilden. Um dies zu demonstrieren, den eigenen Gegenstand schrittweise zu modellieren, wird der vorangestellte Komik-Hauptsatz von hinten aufgerollt, d.h. seinen Elementen nach in umgekehrter Reihenfolge verhandelt. Gewählt wurde zuerst das Soziale. 2.1.1 Bewusstsein, Psyche, Körper Wenn „sozial“ sich im Rahmen der Komiktheorie auf die Gesellschaft oder auf den Vorgang der Kommunikation beziehen kann, dann stehen auf der anderen Seite die Instanzen Bewusstsein, Psyche, Körper. Eine solche Feststellung klärt vorab lediglich die Referenzachsen. Es ist damit auch keinesfalls gesagt, dass die Modelle auf eine dieser beiden Möglichkeiten festgelegt sind. Gerade die Tatsache, dass nicht wenige Komik-Formeln von ihren sozialen Voraussetzungen auf kognitive Abläufe und noch häufiger von psychischen oder physischen Prozessen auf soziale Funktionen schließen, kennzeichnet die Reflexion des Komischen. Dennoch macht es einen Unterschied, auf welcher Seite man beginnt. Typischerweise fragen die Modelle der Psychologie und Anthropologie sowie Vorläufer, welche auf Kognition abzielen, nach den Ursachen der Komik, wodurch sie grundlegend einer Kausalitätslogik verpflichtet sind. In allen drei genannten Denkrichtungen gibt es einflussreiche Beispiele. Varianten der Inkongruenztheorie, die seit dem 18. Jahrhundert anhaltend 117 Susanne Schäfer: Komik in Kultur und Kontext. (Studien Deutsch 22) München: Iudicium 1996, S. 11. <?page no="53"?> 49 stark verbreitet ist, führen Komik auf die Unvereinbarkeit oder den Kontrast zweier dicht aufeinander folgender Bewusstseinsinhalte zurück, ausgelöst durch die von daher „komisch“ genannte Erscheinung. Bei Kant ist es das zeitliche Nacheinander der „plötzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung in nichts“ 118 . Lipps sieht genau darin den psychologischen Grund für das besondere Gefühl der Komik. 119 Eine eigene Inkongruenztheorie vertritt im 20. Jahrhundert Arthur Koestler mit seinem Begriff der Bisoziation: „das Wahrnehmen einer Situation oder eines Geschehnisses in zwei gewöhnlich unvereinbaren Assoziationszusammenhängen“ 120 . Es handelt es sich nicht um eine einfache temporale Folge, da das Denken „zwischen zwei Bezugssystemen hin- und herpendelt“ 121 . Dieser schnellen Bewegung können einige Affekte „auf Grund ihres größeren Beharrungsvermögens“ nicht folgen und werden daher „durch Lachen abreagiert“ 122 . Affektive Aufladung bzw. Entladung ist bei Koestler ein zusätzliches Moment zur bisoziativen Inkongruenz und antwortet auf eine Schwierigkeit, der sich kausalitätslogische Komiktheorien gegenübersehen: Die Zuordnung von Ursache und Wirkung, komischer Struktur und komischem Effekt muss eins-zu-eins aufgehen. Das heißt im Falle Kants: Jede Erwartungsenttäuschung hat komisch zu sein. Es tritt das Abgrenzungsproblem gegenüber nicht-komischen Enttäuschungen auf. So entsteht die Notwendigkeit, die Struktur entweder aus spezielleren Elementen aufzubauen - dies tut Lipps - oder sie komplexer zu gestalten - dies leistet Koestlers Zusatz der Affektabfuhr. Wolfgang Iser verortet Komik als „Kipp-Phänomen“ ebenfalls im Bewusstsein. Er übersetzt „Gegensinnigkeit“ 123 , Konsens der zahlreichen Inkongruenztheorien, in ein prozessuales Geschehen. Das Besondere jenes kognitiven Ablaufs ist, „daß die im Komischen zusammengeschlossenen Positionen sich wechselseitig negieren, zumindest aber in Frage stellen, so bewirkt dieses Verhältnis ein wechselseitiges Zusammenbrechen dieser Positionen. Jede Position läßt die andere kippen“ 124 . Das Lachen hat seine Ursache in der „Verblüffung“ über die „Vernichtung der Referenz“ 125 , die 118 Immanuel Kant: Werkausgabe. Bd. 10. Kritik der Urteilskraft. (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft) Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1974, S. 273. 119 Vgl. Theodor Lipps: Komik und Humor. Eine psychologisch-ästhetische Untersuchung. (Beiträge zur Ästhetik 6) Hamburg u.a.: Voss 1898, S. 45. 120 Arthur Koestler: Der göttliche Funke. Der schöpferische Akt in Kunst und Wissenschaft. Bern u.a.: Scherz 1966, S. 93. 121 Ebd., S. 27. 122 Ebd., S. 93. 123 Wolfgang Iser: Das Komische: ein Kipp-Phänomen. In: Das Komische. Hg. von Wolfgang Preisendanz, Rainer Warning. (Poetik und Hermeneutik 7) München: Fink 1976, S. 398. 124 Ebd., S. 399. 125 Ebd., S. 400. <?page no="54"?> 50 wiederum daraus resultiert, dass die Referenzialität der Positionen durch deren fortgesetzte Negativierung in den Hintergrund tritt. Isers Modell ist strikt funktional gebaut, d.h. es bindet das Komische keineswegs an den Inhalt der widerstreitenden Positionen. Den Bahnen der Kausalität folgt es vor allem in der Begründung des Lachens. Die anthropologischen Annahmen werden dabei auf ein Minimum reduziert, nämlich auf die Tatsache, dass Sinnverarbeitung stattfindet und dass dabei die Irritation zweier unvereinbarer Bedeutungen auftreten kann. Ähnlich der Unterbestimmtheit von Kants Erwartungsenttäuschung müsste man allerdings nachfragen, inwieweit sich das Komische von dem abhebt, was eine dekonstruktive Praxis an literarischen Texten vollführt, oder ob man umgekehrt jede krisenhafte Semiose, die durch logischen Widerspruch und wechselseitiges Ausschließen verursacht ist, „komisch“ nennen soll. Womöglich müsste auch Iser Zusatzbedingungen angeben für die Fälle, in denen sich die komische Rezeptionsstruktur tatsächlich realisiert. Die psychische Genese des Komischen macht Freud zur Grundlage seiner Theorie. Obgleich deren Definitionen nur selten exakt übernommen werden, geht eine große Schule der Komikforschung im 20. Jahrhundert von diesem Ansatz aus. Variiert wird die Regel der Aufwandsdifferenz. So ist das Prinzip des tendenziösen Witzes die „Ersparung an Hemmungs- und Unterdrückungsaufwand“ 126 , das Komische liegt in der Ersparung eines Vorstellungsaufwands 127 und der Humor im „ersparte[n] Affektaufwand“ 128 . Die dadurch frei werdende psychische Energie wird aber nur unter bestimmten Begleitumständen in komische Wirkung sowie in Lachen umgesetzt, es darf z.B. die Aufmerksamkeit nicht anderweitig abgelenkt sein. 129 . Freuds Psychologie der Witz-Komik, die als einzige im Unbewussten lokalisiert wird, 130 beruht auf Kausalität, sie macht sich außerdem die relative Freiheit einer funktionalen Definition zu Nutze: Witzig sind nicht bestimmte Gegenstände, sondern die Tatsache, dass der psychische Apparat bei einem Tabubruch die Triebhemmung kurzzeitig aufheben kann. In der Konsequenz dieser Funktion wird daraus einschränkend entweder die aggressive, sexuelle oder anderweitig triebhafte Tendenz als vermeintliche Substanz jener Komik. 131 Die Bandbreite funktionaler Argumentation zeigt sich auch an den Inkongruenztheorien: Während Kants Ästhetik den Bezug zum transzendentalen Subjekt betrachtet und eine reine Funktion festhält, wird von Lipps der substanzielle Gegensatz zwischen dem Großen, Erhabenen und dem Kleinen, Nichtigen eingeführt. 126 Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. In: Ders.: Studienausgabe. Bd. 4. Psychologische Schriften. Frankfurt/ M.: Fischer 1982, S. 113. 127 Vgl. ebd., S. 202. 128 Ebd., S. 212. Zur Zusammenfassung der drei Formeln vgl. ebd., S. 219. 129 Vgl. zum Witz ebd., S. 142 und zur Komik ebd., S. 204. 130 Vgl. ebd., S. 157. Komik bildet sich dagegen im „Vorbewußten“, S. 193. 131 Zu den „Tendenzen des Witzes“ vgl. ebd., S. 86ff. <?page no="55"?> 51 Unabhängig von Freud und doch im Anschluss an seine Überlegungen hat sich ein zentrales Begriffspaar zur psychischen Erklärung des Komischen durchgesetzt. Hans Robert Jauß bezeichnet die „Herabsetzung eines heroischen Ideals“ 132 als „Komik der Gegenbildlichkeit“ 133 und erkennt in der „Heraufsetzung des Kreatürlichen und Materiell-Leiblichen“ die „groteske Komik“ im Sinne Bachtins. 134 Während die z.B. satirische Herabsetzung ein Gefühl moralischer Überlegenheit erzeugt, entsteht die komische Lust der Heraufsetzung durch eine freie Entfaltung des Körperlichen. Witz-Komik und Groteske beschreiben denselben Sachverhalt, doch betont Freud die Ursache im psychischen Prozess, wohingegen Bachtin die kultursemiotischen Erscheinungsformen ausführt und daher für Literaturwissenschaftler Anknüpfungspunkte bietet. Bernhard Greiners Abriss und Bilanz der Komiktheorie weist der Differenz Herabsetzung - Heraufsetzung einen hohen systematischen Stellenwert zu. 135 Historisch tritt der Typus der Überlegenheitskomik bei Thomas Hobbes zum ersten Mal auf, er prägt laut Greiner ebenso die meisten Inkongruenztheorien der Moderne. Eine Philosophie komischer Heraufsetzung findet er nicht nur bei Bachtin, sondern auch bei Nietzsche, Baudelaire und Bataille. Mit den „Differenzen der Komiktheorie“ wird in diesem Kapitel eine andere Systematik vorgeschlagen. In den Ähnlichkeiten komischer Ursache und Wirkung, die man mit den Kategorien Herab- und Heraufsetzung beobachten kann, verschwinden die Unterschiede der Fundierungsebene und der Theorietechnik, die hier stärker herausgestellt werden sollen, um nicht zuletzt das neu entworfene Modell im Vergleich klarer aufzustellen. Das Verhältnis von Bewusstsein, Psyche und Körper ist die Basis für Helmuth Plessners anthropologische Komiktheorie, die in den Literatur- und Geisteswissenschaften stark rezipiert worden ist. Plessners Grundannahme über den Menschen ist dessen „exzentrische Position“ 136 : weder allein körperzentriert noch seinem Körper von einem äußeren Zentrum her gegenüberstehend, insofern „dazwischen“. Anlass sowohl für das Lachen als auch für das Weinen sind aber „[u]nbeantwortbare“ Situationen: „Der Mensch kapituliert als Leibseele-Einheit, d.h. als Lebewesen, er verliert das Verhältnis zu seiner physischen Existenz, aber er kapituliert nicht als Person.“ 137 Die komische Reaktion, das Lachen, kommt durch eine Distanz- 132 Hans Robert Jauß: Über den Grund des Vergnügens am komischen Helden. In: Das Komische. Hg. von Wolfgang Preisendanz, Rainer Warning. (Poetik und Hermeneutik 7) München: Fink 1976, S. 104. 133 Ebd., S. 105. 134 Ebd. 135 Bernhard Greiner: Die Komödie. Eine theatralische Sendung. Grundlagen und Interpretation. (UTB 1665) Tübingen: Francke 1992, S. 97ff. 136 Helmuth Plessner: Lachen und Weinen. Eine Untersuchung nach den Grenzen des menschlichen Verhaltens. 3. Aufl. Bern u.a.: Francke 1961, S. 50. 137 Ebd., S. 89. <?page no="56"?> 52 nahme von der unbeantwortbaren Lage zustande. Dem ließe sich eine Vielzahl komischer Konstellationen zuschreiben, doch Plessner weist dies zurück: „Das Komische ist kein logischer, kein ethischer, kein (im engeren Sinne) ästhetischer Konflikt, es hat mit den Alternativen Wahr-Falsch, Gut- Böse, Schön-Häßlich nichts zu tun; sie können in ihm aufscheinen, aber es geht in ihnen nicht auf.“ 138 Fern eines ästhetischen Interesses gilt als Grund des Lachens der „Durchblick auf die wirkliche Unbeantwortbarkeit in der Essenz der Dinge“ 139 . Spätestens hier wird das funktionale Paradigma verlassen und durch ein komisches Sein ersetzt. Dass Komik wesentlich körperhaft ist, hat mit der größten Nachwirkung Michail Bachtin behauptet. Da seine Theorie des Karnevalesken in einem eigenen Abschnitt verhandelt wird, sei an dieser Stelle nur kurz auf die Hauptthesen hingewiesen: Die von Bachtin exemplarisch beschriebene mittelalterliche Lachkultur und das „karnevaleske Lachen“ 140 verhalten sich subversiv zur sozialen (Stände-)Ordnung. An einer Destabilisierung arbeiten die Karnevalsrituale der Inversion und Transgression. 141 Im physischen Vorgang des Lachens macht sich die Ambivalenz des Körperlichen geltend, die den Rahmen jeder eindeutigen Struktur und somit auch jenen der gesellschaftlichen Grenzziehungen sprengt. Dort setzen die neueren kulturtheoretischen Ausdeutungen dieser Theorie an. Für die vorliegende Systematik sind zwei exemplarische Punkte interessant. Erstens wird in psychologischen oder anthropologischen Bestimmungen des Komischen, und zu Letzteren kann man das Karnevaleske rechnen, das Lachen in den Rang eines eigenen theoretischen Gegenstands erhoben. Zweitens begründet die Physis des Lachens zugleich dessen soziale Funktion. Damit nähern wir uns der anderen Seite der Ausgangsdifferenz. Ein erster Grenzfall zwischen der soziologischen und der physischanthropologischen Fundierung beschließt diesen Teil der Abhandlung. Neben Freud gilt Henri Bergson als wichtigster Komiktheoretiker des frühen 20. Jahrhunderts. Wie Plessner denkt er anthropologisch und essenzialistisch. Er setzt als höchsten Wert „Leben“, als Norm die Lebendigkeit, auch im Sinne von Flexibilität. Daraus gewinnt er die Formel, dass der Verstoß gegen jene Norm durch geistige oder körperliche Steifheit, durch Mechanismus und Automatismus komisch wirken müsse. „Diese Steifheit ist das Komische, und das Lachen ist ihre Strafe.“ 142 Die Lebendigkeit als 138 Helmuth Plessner: Lachen und Weinen. Eine Untersuchung nach den Grenzen des menschlichen Verhaltens. 3. Aufl. Bern u.a.: Francke 1961, S. 122. 139 Ebd., S. 96. 140 Michail Bachtin: Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur. Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1987, S. 131. 141 Vgl. Ders.: Probleme der Poetik Dostoevskijs. (Literatur als Kunst) München: Hanser 1971, S. 137ff. 142 Henri Bergson: Das Lachen. Ein Essay über die Bedeutung des Komischen. (Sammlung Luchterhand 757) Darmstadt: Luchterhand 1988, S. 23. <?page no="57"?> 53 grundlegender menschlicher Imperativ betrifft daher nicht nur den Körper oder das Bewusstsein, sondern auch die Gesellschaft. „Um das Lachen zu verstehen, müssen wir es wieder in sein angestammtes Element versetzen, und das ist die Gesellschaft; wir müssen seine nützliche Funktion bestimmen, und das ist eine soziale Funktion.“ 143 Das Soziale kann laut Bergson nur aufrecht erhalten werden, wenn jeder Einzelne den Anforderungen der „Gespanntheit“ und „Elastizität“ 144 genügt, denn nur so kann er flexibel und angemessen mit den sich ergebenden Situationen umgehen. So wird Steifheit zur sozialen Untugend, welche die Gesellschaft durch Lachen korrigiert. Nicht die Komik selbst, ihr psychisch-sozialer Effekt wirkt sich stabilisierend aus, er bestätigt jenen Wert, der den gesellschaftlichen Normen zugrunde liegt. Solche komische Affirmation steht im Kontrast zur Subversivität des karnevalesken Körpers. Plessner hingegen schließt Gesellschaft als Basis und Wirkungsfeld völlig aus. Komik sei „von Ursprung und Funktion nicht sozialen Wesens“, trotz seines gesellschaftlichen Umfeldes ist „das Komische selbst kein Sozialprodukt“ 145 . Bergsons Theorie ist für die Literaturwissenschaft attraktiv, weil sie einen Hauptsatz und wenige Grundprinzipien mit einer größeren Zahl von Strukturen verknüpfen kann, die vor allem in Komödien auftreten. Das Nicht-Lebendige der Situations- und Wortkomik fassen drei bildhafte Formeln: 1. Springteufel (= eine Kraft, die von einer Gegenkraft zurückgedrängt wird, verhält sich wie eine immer wieder herausspringende Feder), 2. Hampelmann (= automatenhafte Bewegungen, Verhaltensweise), 3. Schneeball (= Missverhältnis zwischen Ursache und Wirkung, quasimechanischer Ablauf von Ereignissen). 146 Diese Prinzipien betreffen zwar das lebensweltlich Komische, doch anders als Plessner sucht Bergson den Anschluss an Ästhetik und Literatur. Über den formalen Aspekt der Wiederholung zielt er auf die Darstellungsweise. Schließlich soll „die abstrakte und diesmal allgemeine, vollständige Formel aller tatsächlichen und möglichen Spielarten der Komödie“ 147 gefunden werden. Was folgt, sind allerdings wiederum drei Prinzipien: „Repetition, Inversion und Interferenz der Serien oder Reihenfolgen“ 148 . Charakterkomik, die Typisierung von Komödienfiguren, wird - wie alle komischen Phänomene - ebenfalls als Unlebendigkeit, mangelnde (Geistes-)Beweglichkeit erklärt. 149 143 Henri Bergson: Das Lachen. Ein Essay über die Bedeutung des Komischen. (Sammlung Luchterhand 757) Darmstadt: Luchterhand 1988, S. 16. 144 Ebd., S. 22. 145 Helmuth Plessner: Lachen und Weinen. Eine Untersuchung nach den Grenzen des menschlichen Verhaltens. 3. Aufl. Bern u.a.: Francke 1961, S. 117. 146 Vgl. Henri Bergson: Das Lachen. Ein Essay über die Bedeutung des Komischen. (Sammlung Luchterhand 757) Darmstadt: Luchterhand 1988, S. 52, 57, 58. 147 Ebd., S. 63. 148 Ebd. 149 Ebd., S. 87ff. <?page no="58"?> 54 2.1.2 Kommunikation, Gesellschaft Um die Dimension des Sozialen grundsätzlich zu eröffnen, mögen zunächst kurze Stellungnahmen genügen. Die „verschiedenen Versuche zur Erklärung des Komischen“ seien sich zumindest darin einig: „daß nämlich das Komische im Gesellschaftlichen verankert sei“ 150 . Zwar herrscht keine so umfassende Einigkeit, wie hier behauptet wird, sonst ergäbe sich kaum die soeben präsentierte Differenz. Dennoch machen zahlreiche Theorien die fundamentale Gesellschaftlichkeit der Komik stark. Innerhalb einer historischen Semiotik wird „komische Praxis“ als „gesellschaftliche[ ] Praxis“ 151 angesprochen; sie setze ein „schon existierendes semiotisches Universum voraus und damit Gesellschaft“. Auch Stierles Modell der komischen Sprachhandlung in der Komödie begreift diese „von vornherein als ein gesellschaftliches Phänomen“, welches „das lachende Subjekt nicht als vereinzeltes, sondern als gesellschaftliche Instanz affiziert“ 152 . Außer den sozial verfassten Theorien existieren auch solche, deren Hauptunterscheidungen sowohl auf gesellschaftliche als auch auf kognitive Prozesse beziehbar sind. Ein Beispiel dafür bietet eine weitere Version der Inkongruenztheorie im 20. Jahrhundert, Friedrich Georg Jüngers Abhandlung Über das Komische. Dieses resultiere aus der „Beziehung auf eine Regel, der es widerstreitend gegenübertritt“ 153 . Die Fälle, mit denen Jünger jene Grundbedingung der komischen Wirkung illustriert, sind zum Teil dem kognitiven Bereich der Wahrnehmung entnommen und gehören zum anderen Teil in das Gebiet der gesellschaftlichen Normen. Dabei scheint die ästhetische Norm des Schönen als übergreifende Regel eingesetzt zu werden: „Enthüllt nicht das immer wache Bewußtsein für das Komische, welche unermeßlich ordnende, bildende, herrschende Kraft das Schöne besitzt? “ 154 Der Aspekt des Regelverstoßes hat in der inkongruenztheoretischen Überlieferung einige Resonanz gefunden, 155 die eigentliche Formel 150 Wendelin Schmidt-Dengler, Johann Sonnleitner, Klaus Zeyringer: Vorwort. In: Komik in der österreichischen Literatur. Hg. von Wendelin Schmidt-Dengler u.a. (Philologische Studien und Quellen 142). Berlin: Schmidt 1996, S. 7. 151 Günther Lohr: Körpertext. Historische Semiotik der komischen Praxis. Opladen: Westdeutscher Verlag 1987, S. 4f. 152 Karlheinz Stierle: Komik der Handlung, Komik der Sprachhandlung, Komik der Komödie. In: Das Komische. Hg. von Wolfgang Preisendanz, Rainer Warning. (Poetik und Hermeneutik 7) München: Fink 1976, S. 238. Komik erwächst laut Stierle aus der „Fremdbestimmtheit eines Handelns“ (ebd.), Lachen sei ein „Akt der Befreiung“ des „in eine Fremdbestimmtheit komisch verstrickten Subjekts“ (ebd.). Jene Unfreiheit ist sozial bedingt, z.B. durch Normen, konventionalisierte Sprache (vgl. S. 255). 153 Friedrich Georg Jünger: Über das Komische. 3. Aufl. Frankfurt/ M.: Klostermann 1948, S. 14. 154 Ebd., S. 80. 155 Vgl. Klaus Schwind: Artikel „komisch“. In: Ästhetischer Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden. Hg. von Karlheinz Barck. Bd. 3. Harmonie - Material. Stuttgart: Metzler 2001, S. 380. <?page no="59"?> 55 Jüngers erweitert dies aber zum „Schema des komischen Konflikts“: „Der Unterlegene, der den Konflikt anstiftet, bringt ein regelwidriges Verfahren in Anwendung, mit dem er nicht durchdringt. Die Replik, die angemessen ist, tritt dem Angreifer entgegen und weist ihn nachdrücklich und überzeugend zurück.“ 156 So entsteht Komik im sozialen Modus der kommunikativen Interaktion. Einen ähnlichen Übergang zum Sozialen vollzieht Freud, wenn er für den Witz nicht nur die Notwendigkeit einer zweiten, sondern auch einer dritten Person postuliert. Tendenziöse Komik ist sowohl ein psychischer als auch ein sozialer Vorgang. 157 Auch die neuere Komiktheorie Uwe Wirths überführt Bedeutungsbildung im Bewusstsein in eine kommunikative Konzeption. Das Komische erweist sich darin als „diskursive Dummheit“, die Unfähigkeit zum „angemessenen Aufstellen von Hypothesen“ 158 . Ob man den Fehler im „Erkenntnis- und Verstehensprozess“ als „Mangel an abduktiver Kompetenz“ bezeichnen kann, 159 mag aus Sicht der pierceschen Semiotik entscheidbar sein. Das Kurzschließen der „Abduktionslogik“ mit dem von Pierce wissenschaftstheoretisch gedachten Ökonomieprinzip sowie „Freuds Begriff der psychischen ‚Aufwandsdifferenz‘“ als kombinierte „‚Formel‘ aller komischen Phänomene“ 160 ist jedenfalls der Versuch, kognitive, psychische und kommunikative Explikationsebene miteinander zu verschränken. Der theoretischen Ökonomie läuft eine solche Multiplikation der Voraussetzungen (Rationalitätsstandard, Psychoanalyse) zuwider. Entscheidend für die Einordnung des Modells „Komik als diskursive Dummheit“ ist, dass Wirth ebenso wie Jünger keine rein bewusstseins- oder psychotechnische Ursache festsetzt, sondern die Konstituierung des Komischen in die Kommunikation, sprich ins Soziale verlegt. Diskursive Dummheit muss durch einen Rezipienten als solche erkannt werden, um komisch zu sein. Deshalb besteht zwischen dem „Verstehen ‚komischer Phänomene‘“ und dem „Komische[n] des Verstehensprozesses selbst“ auch weniger eine „Wechselwirkung“ 161 als vielmehr ein Bedingungsverhältnis, denn Ersteres setzt Letzteres voraus, Komik liegt aber erst dann vor, wenn der bei Wirth erstgenannte zweite Schritt des Verstehens erfolgt. Obwohl in gewisser Weise eine Vermittlung der hier aufgemachten komiktheoretischen Differenzen stattfindet, bezieht Wirth mit jener letzten Wendung doch Position auf der sozial-kommunikativen Seite. 156 Friedrich Georg Jünger: Über das Komische. 3. Aufl. Frankfurt/ M.: Klostermann 1948, S. 71. 157 Vgl. Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. In: Ders.: Studienausgabe. Bd. 4. Psychologische Schriften. Frankfurt/ M.: Fischer 1982, S. 136. 158 Uwe Wirth: Diskursive Dummheit. Abduktion und Komik als Grenzphänomen des Verstehens. Heidelberg: Winter 1999, S. 6. 159 Ebd. 160 Ebd., S. 7. 161 Ebd., S. 6. <?page no="60"?> 56 Gespalten ist dagegen der Vorschlag von Günther Lohr. Er beschreibt die „komische Praxis“ einerseits mit der „Logik des komischen Sturzes“: „In der Bewegung des Rückgangs auf den Signifikanten wird die Einheit des Sinnkontinuums zerstört.“ 162 Auch hier wäre zunächst zu klären, welches Verständnis von Semiotik dahinter steht. Es scheint sich aber vorrangig um einen Bewusstseinsvorgang zu handeln: „Das Komische spielt den gesamten Prozeß der indexikalischen Sinngebung auf abstrakter Ebene [...] durch.“ 163 Andererseits fasst Lohr komische Praxis in die „Communitasformel“: „Aus einer Ordnung [= O1] geht zwangsläufig die andere Ordnungsstruktur der Communitas hervor, aus dem Prozeß der Angleichung der beiden Strukturen geht eine qualitativ andere Ordnung O2 hervor.“ 164 Jenes Zwischenmoment, das damit einhergehende Sich-Ablösen gesellschaftlicher Ordnungen wird als das Komische definiert: „Die Communitas ist nur eine transitorische Phase der semiotischen Überdeterminierung, die in Richtung auf ein neues thetisches Moment durchquert wird. In der Rückkehr zum Nomos der zweiten Ordnung bildet sich wieder ein konnotatives System eines weiteren diskursiven Universums aus: weil es Welten produziert, ist das komische Praxis.“ 165 Abgesehen von der diffusen Begrifflichkeit („konnotatives System“, „diskursives Universum“) und dem weltschöpferischen Pathos liegt das Hauptproblem des Modells von Lohr darin, dass es keinerlei Anstalten macht, die semiotische Überdeterminiertheit der Communitas und den „‚Untersinn’“ des komischen Sturzes plausibel zu vereinbaren, wie es für die einheitliche Rede von einer „komischen Praxis“ erforderlich wäre. Insofern stehen die soziale und die kognitive Konzeption unvermittelt nebeneinander. Einseitig sozial positioniert sich die sozialistische Komiktheorie Jurij Borevs. Unbestreitbar ist für ihn, „daß eine Erscheinung [...] nur dank ihrer gesellschaftlichen Bedeutung komisch sein kann“; das „wahre Lachen“ sei „zutiefst sozial“ 166 . Die Doktrin des Sozialismus ebnet diese erste Bestimmung ein, da ihr zufolge das Ästhetische insgesamt gesellschaftlich dominiert ist. Komik soll dennoch speziell sein, nämlich „der Widerspruch, der in einem gesellschaftlich fühlbaren, gesellschaftlich bedeutsamen Mißverhältnis zutage tritt“ 167 . Das Maß der rechten Verhältnisse liefert dabei die marxistische Lehre. Komik zählt nicht in ihrer besonderen Struktur, sondern allein in der Funktion, „ein emotional-kritisches Verhältnis mit bestimmtem sozialem Ziel und mit bestimmter sozialer Tendenz auszulö- 162 Günther Lohr: Körpertext. Historische Semiotik der komischen Praxis. Opladen: Westdeutscher Verlag 1987, S. 63. 163 Ebd., S. 67. 164 Ebd., S. 26. 165 Ebd., S. 41. 166 Jurij Borev: Über das Komische. Berlin: Aufbau 1960, S. 42. 167 Ebd., S. 96. <?page no="61"?> 57 sen“ 168 . Daher ist es unmöglich, Komik strukturell von anderen künstlerischen, ästhetischen Erscheinungsformen zu unterscheiden. Es sei denn, man setzt die komischen Formen als gegeben voraus. Dies tut Borev mit seiner Privilegierung der Satire. 169 Wie im Falle von Freuds Abhandlung über den Witz darauf verzichtet wurde, das fundierende Konzept der Psyche in Frage zu stellen oder dessen vorrangige Relevanz für den Gegenstand der Komik zu bestreiten, ist das Fazit auch hier keine Kritik des ideologischen Fundaments. An Borevs Schrift wird vielmehr deutlich, dass soziale Konzeptualisierungen der Tendenz nach die Theoretisierung der Struktur vernachlässigen und das Komische auf seine Funktion reduzieren. Ein Neuentwurf, der sich auf die Seite von Gesellschaft oder Kommunikation schlägt, müsste jenes Defizit vermeiden. Keine Theorie, nur ein „Beschreibungsmodell“ konzipiert Siegfried J. Schmidt. Er radikalisiert ein Argument, das als Einwand gegen das komiktheoretische Projekt geläufig ist: Die breite soziale wie historische Varianz der als „komisch“ erfahrenen, bezeichneten Gegenstände lasse eine Vereinheitlichung nicht zu. In letzter Konsequenz ist Komik daher ein reines soziokulturelles, historisches „Zuschreibungsresultat“ 170 , wie es in einem aktuellen Beitrag Schmidts heißt. Dagegen erarbeitet der frühere Versuch ein Modell, welches Komik als ein kommunikatives Handlungsspiel unter bestimmten Ausgangsbedingungen beschreibt. „[K]omische Konstellationen (KK)“ können entstehen, „wenn die Hypothesen, die sich Kommunikationspartner aufgrund der in ihrer Gruppe geltenden Normen voneinander bilden, durchbrochen werden“ 171 . Dies ist jedoch weder als notwendige noch als hinreichende Bedingung anzusehen. Schmidt umreißt empirisch kommunikative Situationen, in denen die Zuschreibung des Prädikats „komisch“ erfolgen kann, nicht erfolgen muss. Während anthropologische, psychologische oder kognitiv orientierte Ansätze Komik spezifizieren und erklären wollen, wird durch eine völlige soziohistorische Relativierung die theoretische Hauptaufgabe, „das ‚Komische’ unter den Aspekten ‚Struktur’ und ‚Funktion’ zu untersuchen“ 172 , hinfällig. Neben den Grenzfällen, die bisher vorgestellt wurden, findet sich eine Sozialität der Komik auch in konkreteren Fassungen. Die beiden wichtigsten sind das Komische im Verhältnis zu gesellschaftlichen Normen und im Bezug auf soziale Gruppierungen. Gesellschaft als Ordnung durch 168 Jurij Borev: Über das Komische. Berlin: Aufbau 1960, S. 59. 169 Vgl. ebd., S. 116. 170 Siegfried J. Schmidt: Inszenierungen der Beobachtung von Humor. In: Komik - Medien - Gender. Ergebnisse des Kasseler Komik-Kolloquiums. Hg. von Friedrich W. Block. (Kulturen des Komischen 3) Bielefeld: Aisthesis 2006, S. 22. 171 Ders.: Komik im Beschreibungsmodell kommunikativer Handlungsspiele. In: Das Komische. Hg. von Wolfgang Preisendanz, Rainer Warning. (Poetik und Hermeneutik 7) München: Fink 1976, S. 187. 172 Ebd., S. 170. <?page no="62"?> 58 Normen wird dort angenommen, wo von komischer Transgression und Tabuverletzung die Rede ist: „Komik ist ein Spiel mit Ordnung und Unordnung, mit Normen und Tabus.“ 173 Gegenüber nicht-komischen Transgressionen wird hervorgehoben, dass jene „spielerische Grenzverletzung“ in prinzipieller „Sanktionsfreiheit“ 174 stattfindet, also nicht zufällig unsanktioniert bleibt. Dies kann man als soziologische Reformulierung des aristotelischen Harmlosigkeitspostulats lesen. In jedem Fall zieht die Tatsache, dass Komik als eine spezielle Art des Normverstoßes gedacht wird, eine Historisierung nach sich. Doch auch innerhalb eines geschichtlichen Zeitraums gibt es nicht die eine soziale Norm, daher führt von der transgressiven ein theoretischer Weg zur gruppenspezifischen Komik und ihrer gesellschaftlichen Funktion. Im Sinne „soziologisch abgrenzbare[r] Gruppen“ ist sie ein „Gruppenphänomen“, geeignet, „sich selbst sozial einzugrenzen und andere auszugrenzen“ 175 , wodurch kollektive Identität gestiftet wird. All dies legt eine diversifizierende Beschreibung nahe, konstruiert aber keine Komiktheorie. Die dadurch angestoßene Historisierung fällt allzu kleinteilig aus, sie richtet sich nach dem Wandel gesellschaftlicher Verhältnisse, mit dem Fokus auf Normen und Gruppierungen. 2.2 Organisationsform des Sozialen Die voranstehende Rekonstruktion und Auswertung von Ansätzen, nach denen das Komische sozial definiert ist, beendet den Vorlauf zu jener Komiktheorie, die im Laufe dieses Kapitels neu entwickelt werden soll. Es zeichnet sich ab, dass die Konzeptualisierung des Gegenstandes nicht zuletzt dadurch variiert, dass unterschiedliche Konzeptionen von Gesellschaftlichkeit und noch spezieller sozialer Ordnung maßgebend sind. Es resultieren daraus entweder ahistorische Modelle (Wirth, Lohrs „komischer Sturz“) oder die Auflösung der Theorie in detailliert historisierende Beschreibung. Mit einer Geschichts- und Gesellschaftstheorie, der marxistischen, arbeitet Borew, ermittelt aber keine spezifisch komische Struktur, lediglich eine unspezifische Funktion: satirische Kritik in Ausrichtung auf die historische Realisation der idealen sozialistischen Gesellschaftsordnung. Um eine andere Grundlage und abweichende, auch historische Differenzierungsmöglichkeiten zu schaffen, erscheint es daher aussichtsreich, 173 Wendelin Schmidt-Dengler, Johann Sonnleitner, Klaus Zeyringer: Vorwort. In: Komik in der österreichischen Literatur. Hg. von Wendelin Schmidt-Dengler u.a. (Philologische Studien und Quellen 142) Berlin: Schmidt 1996, S. 13. 174 Ludger Scherer, Rolf Lohse: Einleitung. In: Avantgarde und Komik. Hg. von Ludger Scherer, Rolf Lohse. (Avantgarde 16) Amsterdam: Rodopi 2004, S. 7. 175 Wendelin Schmidt-Dengler, Johann Sonnleitner, Klaus Zeyringer: Vorwort. In: Komik in der österreichischen Literatur. Hg. von Wendelin Schmidt-Dengler u.a. (Philologische Studien und Quellen 142) Berlin: Schmidt 1996, S. 10. <?page no="63"?> 59 eine alternative Theorie der Gesellschaft heranzuziehen. Dass die Wahl auf Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme fällt, ist also in erster Linie begründet durch jenen potenziellen Anschluss an den komiktheoretischen Problemstand. Welche Konsequenzen dies außerdem für die Beschreibbarkeit literarischer Hochkomik in der Moderne hat, wird sich in den weiteren Ausführungen zeigen. Als eine Beurteilungsperspektive schlägt das laufende Kapitel die Differenzen der Komiktheorie vor. Für die beschränkte Aufgabenstellung spielen die erkenntnistheoretischen Komponenten der Systemtheorie keine Rolle, stattdessen werden die zentralen gesellschaftstheoretischen Elemente in Anspruch genommen. In der zu entfaltenden Formel ist von der „Organisationsform des Sozialen“ die Rede. Diese Bezeichnung stimmt nicht mit der Terminologie Luhmanns überein, den verschiedenen „Formen der Differenzierung“ 176 des Systems Gesellschaft. Dennoch sind es genau jene Differenzierungsformen, die im Folgenden komiktheoretisch verarbeitet werden. Für die terminologische Abänderung gibt es drei Gründe. Erstens genügt der gewählte Ausdruck, um eine Verwechslung mit gesellschaftlichen Normen und Gruppierungen auszuschließen, ebenso mit einer nicht-theoretischen oder aber marxistischen Verwendung des Begriffs „Gesellschaftsordnung“. Zweitens wird damit angezeigt, dass es nicht um die Systemtheorie als solche geht, sondern um deren Leistung für die speziellen Probleme der Komiktheorie. Die Modifikation darf keinesfalls verschleiern, dass die vorliegende Theorie literarischer Hochkomik in der Moderne ohne die systemtheoretischen Bausteine schlichtweg nicht möglich wäre. Doch soll der Kreis der Adressaten des Modells nicht auf Spezialisten der Systemtheorie eingeschränkt werden, zumal es ihnen schwerlich Neues oder gar Herausforderndes zu bieten hat. Die Formel wendet sich deshalb an all jene, die Interesse an einer literaturtheoretisch fundierten Beschreibung komischer Texte der literarischen Moderne haben. Der dritte Grund schließlich wird sich erhellen, wenn es gilt, eben jene moderne Komik zu konkretisieren und historische Binnenunterscheidungen vorzunehmen: Bestimmte Formen vor allem des 20. Jahrhunderts setzen auf einer Ebene an, die systemtheoretisch grundlegender ist als die Differenzierungsformen und daher von der festgesetzten Bezeichnung eher mit eingeschlossen wird. In Die Gesellschaft der Gesellschaft erstellt Luhmann einen „Formenkatalog“ primärer sozialer Differenzierungen: 1) „segmentäre Differenzierung unter dem Gesichtspunkt der Gleichheit gesellschaftlicher Teilsysteme“; 2) „Differenzierung nach Zentrum und Peripherie“, welche durch einen „Fall von Ungleichheit“ das „Prinzip der Segmentierung transzendiert“; 3) „[s]tratifikatorische Differenzierung unter dem Gesichtspunkt der rangmäßigen Ungleichheit der Teilebenen“, wobei mindestens zwei, am besten 176 Niklas Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft. 2. Teilband. Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1997, S. 609. <?page no="64"?> 60 drei Ebenen eingerichtet werden „um den Eindruck von Stabilität zu erzeugen“; 4) „[f]unktionale Differenzierung unter dem Gesichtspunkt sowohl der Ungleichheit als auch der Gleichheit der Teilsysteme“ 177 . Es gibt „keine theoretische Begründung für diesen Katalog“ 178 . In historischer Perspektive trifft es allerdings zu, dass sich „nur wenige stabile Formen der Systemdifferenzierung“ 179 herausgebildet haben. Das heißt, es könnten neue Differenzierungstypen hinzukommen, doch erfasst die Zusammenstellung der bisherigen alle stabilen Formen. Die Systematik entspricht der historischen Abfolge von den archaischen Stammesgesellschaften über die hierarchischen Sozialordnungen der Antike und des Mittelalters bis hin zur funktional differenzierten modernen Gesellschaft. In jener geschichtlichen Korrespondenz liegen jedoch noch keine systemtheoretischen Inhalte. Die kämen erst zum Tragen, wenn man nach den evolutionären Vorteilen von Systemdifferenzierung allgemein, nach den Besonderheiten der funktionalen Organisation in Teilsystemen fragen würde. Die Isolierung der drei bzw. vier Typen und das Ausblenden historischer Mischformen sowie Übergänge wurden kritisiert. Dieser Einwand geht insofern an Luhmanns Absicht vorbei, als dieser offenkundig die primären, jeweils dominierenden Differenzierungen festhalten will. Für die hier verfolgten komiktheoretischen Zwecke sind naheliegend die stratifikatorische und die funktional ausdifferenzierte Form als Paradigmen der vormodernen bzw. der modernen Phase aufzugreifen. Wie sich herausstellen wird, ist insbesondere die Zusammenfassung von Antike und Mittelalter zur stratifikatorischen Gesellschaft vor dem Hintergrund der Theoretisierung und Historisierung des Komischen äußerst plausibel, darüber wird der noch folgende Exkurs Aufschluss geben. Die erste Konsequenz aus der Nutzung der Systemtheorie für Fragen der Komik hat jedoch noch keinerlei historischen Index. 2.2.1 Strukturelle vs. elementare, programmatische Komik Die zu Anfang gebotene Formel besagt, dass Komik generell, d.h. zu jeder historischen Zeit über ein näher definiertes Verhältnis zur Organisationsform des Sozialen bestimmt werden kann. Durch den Wechsel der Differenzierungstypen wird das Modell historisch perspektiviert. Doch bereits aus der allgemeinen Fassung erwächst eine wichtige Unterscheidungsmöglichkeit. Mit der konzipierten Theorie beobachtet man alle Phänomene, Texte als komisch, die eine spezielle Relation zur jeweiligen Organisationsform des Sozialen aufweisen. Das bedeutet sowohl eine Erweiterung als 177 Niklas Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft. 2. Teilband. Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1997, S. 609, S. 613. 178 Ebd., S. 614. 179 Ebd. <?page no="65"?> 61 auch eine Beschränkung des Blicks. Zum einen können Gegenstände, nicht zuletzt literarische, komisch werden, die zuvor empirisch oder mittels anderer Theorien gar nicht zu diesem Bereich gezählt wurden. Zum anderen fallen Objekte und Gegebenheiten, die bisher als komisch galten, aus dem neu gezogenen Kreis heraus. Die radikale Folgerung daraus wäre: Alles, was außerhalb der Konzeption bleibt, ist nicht komisch. Von der ebenfalls radikalen Folgerung, das Modell zurückzunehmen, weil es den ontologischen Totalitätsanspruch verfehlt, wird hier abgesehen, nachdem das vorherige Kapitel die erkenntnistheoretische Umstellung geltend gemacht hat. Beide Konsequenzen rühren von unhaltbaren Forderungen nach absoluter Wesenserkenntnis her, deshalb müssen sie in aller Deutlichkeit abgelehnt werden. Genauso unzureichend ist indes die konstruktivistische Ausflucht, das Ausgeschlossene könne durchaus komisch sein, aber eben „anders komisch“. Deshalb wird nun genauer bezeichnet, was „anders komisch“ meint, allerdings ausschließlich im Bezug auf die theoretisch beobachtete Komik. Das ist nicht nur differenzlogisch konsistent, es gibt auch die exakte Reichweite und damit zugleich die spezifische Beschränktheit der explizierten Komikformel an. Bezeichnet man Formen, welche die Bedingung „spezielles Verhältnis zur Organisationsform des Sozialen“ erfüllen, als strukturelle Komik, dann sind davon die elementare und die programmatische Komik zu unterscheiden. In erstere Kategorie werden all jene komischen Erscheinungen eingeordnet, die negativ nicht auf die systemische Differenzierung der Gesellschaft bezogen werden können und positiv durch ihr Verhältnis zu Elementen der Gesellschaft eingegrenzt sind: Personen, Gruppen, Institutionen, Situationen. Angesprochen sind soziale Elemente in einem stark vereinfachenden, gewissermaßen vortheoretischen Verständnis. Insofern kann auch die Sprache als Bestandteil des Sozialen, als gesellschaftliches Material begriffen werden. Es besteht auf dieser anderen Seite keine konzeptuelle Verbindung zur Systemtheorie. Daraus geht unter anderem hervor, dass die entwickelte Komiktheorie nicht für solche bereits gefassten Gegenstände wie „Charakterkomik“ oder „Situationskomik“ zuständig ist, was ihr Profil zum Beispiel gegenüber Bergsons vitalistischer Begründung des Lachens schärft. Zu vermeiden ist hingegen der vorschnelle Ausschluss aller Komik, die Personen oder Situationen in den Mittelpunkt rückt. Vielmehr ist im Einzelnen zu prüfen, ob das, was sonst als das Komische des Charakters, der Situation oder der Sprache beschrieben wurde, mit einem Blick auf die Funktion hinsichtlich der Organisationsform des Sozialen nicht komplexer dargestellt werden kann. Außer der elementaren steht die strukturelle Komik, um die es im Weiteren gehen soll, auch der programmatischen Komik gegenüber. Damit seien jene komischen Formen bezeichnet, die nicht in Beziehung zur Organisationsform, sondern zu den Programmen des Sozialen stehen. Um auch <?page no="66"?> 62 bei dieser Unterscheidung die Systemtheorie außen vor zu lassen: Der Begriff ist nicht gleichbedeutend mit den Programmen der sozialen Teilsysteme in der funktionalen Gesellschaft. Zwar deckt er ein ähnliches Feld ab, systemtheoretisch wäre er aber nur dann, wenn er im genauen Sinne und vor allem in seinen Relationen zu anderen Begriffen der luhmannschen Konzeption gebraucht würde. „Programm“ umfasst dagegen alle historisch expliziten Definitionen von Gesellschaft, also politische und soziologische Theorien, Verfassungstexte und Manifeste ebenso wie weniger abstrakte sozialdiagnostische Reflexionen, im Grunde alle dokumentierten Äußerungen zur Frage: „Was ist die(se) Gesellschaft? “ Wegen ihrer Bedeutsamkeit für solche Überlegungen und deren soziale Praxis wird der gesamte, ebenfalls geschichtliche Komplex der Normen und Werte hinzugenommen. Spätestens an diesem Punkt sieht man, welcher vorhandene Komikbegriff den soeben abgesteckten Bereich für sich beanspruchen kann: die Satire. So weit wird dem letzten Abschnitt dieses Kapitels vorgegriffen, der die Zuständigkeiten literarischer Gattungen und Kategorien des Komischen im größeren Kontext der Komiktheorie klärt. Einschränkend ist zu beachten, dass die Begriffe „elementare“ und „programmatische“ Komik lediglich einen systematischen Status haben. Einen theoretischen Inhalt bekommt ausschließlich das strukturell Komische zugewiesen. Die Aufteilung in elementare, programmatische und strukturelle Komik ist zum einem bedeutsam, weil sie theoretische Territorien vergibt und Doppelbesetzungen vorbaut. Man erhält auf diese Weise auch erstmals einen Begriff von Hochkomik, der die Qualität der Reflexivität nicht einfach zuschreibt, sondern theoretisch absichert. Es wird deutlich, dass z.B. komische Texte weder tatsächlich reflektieren, wie dies sozial programmatische Äußerungen tun, noch dieselbe Frage nach der Gesellschaft stellen. Die bekannteste Ausnahme davon wurde bereits genannt, satirische Literatur. Stattdessen tritt ein weitaus seltenerer Effekt ein: Hochkomik verhält sich reflexiv, indem sie sich mit der Verfasstheit des Sozialen auf einer Abstraktionsstufe auseinandersetzt, die sämtliche Programme und daran ausgebildete Komikformen nicht erreichen - abgesehen natürlich von der Theorie, die es überhaupt ermöglicht, Gesellschaft derart abstrakt in den Blick zu nehmen. Auch in der komiktheoretischen Anwendung schlägt sich demnach jene Paradoxie der Systemtheorie nieder, der sie sich selbst bewusst ist, die zum Antrieb nicht nur des soziologischen Denkens wird. Hier interessieren jedoch die beträchtlichen Auswirkungen auf den Stand des strukturell Komischen. Hochkomik, nicht zuletzt literarische, wird zur einzigen kulturellen Praxis, welche die funktionale Differenzierung der modernen Gesellschaft und die systemische Operationsweise des Sozialen reflexiv verhandelt. Die Bedeutung dieser zentralen These weist über das Interesse am Komischen hinaus. Sie kann für die Gesellschaftstheorie wie auch für die Geschichte der Moderne bedeutsam sein. <?page no="67"?> 63 2.2.2 Hochkomik vor der Moderne: Bachtins Theorie des Karnevalesken Bevor die Struktur der modernen Hochkomik spezifiziert wird, folgt ein scheinbarer Umweg über die Komiktheorie Michail Bachtins. Gerade über die historische Differenz hinweg sind strukturelle Merkmale erkennbar, mit denen die am Beginn des Kapitels stehende Formel vertieft und vervollständigt werden kann. Überdies erschließt jene Theorie eine Einschätzung der karnevalesken Komik, welche über die bisherigen kontroversen Bewertungen hinausgeht, ohne diese zu ignorieren; sie bestätigen sich vielmehr auf neuer Grundlage. Bachtin selbst wird aus so noch nicht gegebenen Gründen zugestimmt bzw. widersprochen. Renate Lachmanns Vorwort macht in Bachtins Rabelais-Studie zwei Denkrichtungen aus: „die weltanschauliche und die kulturtypologische“ 180 . Die ideologische Komponente zeige sich im „utopischen Materialismus“ 181 der grotesken Körper-Konzeption und dem dadurch gestifteten „Mythos der Ambivalenz“ 182 . Wie andere Interpreten weist Lachmann darauf hin, dass Bachtins Tendenz, die mittelalterliche und frühneuzeitliche Lachkultur als politisch subversive Strategie des Volkes sowie gesellschaftlichen Idealzustand zu inszenieren, dem Entstehungsumfeld der Arbeit geschuldet ist - der repressiven Politik der Sowjetunion während der dreißiger Jahre. Nicht nur in dieser Hinsicht ist die Kulturtypologie des Komischen von der Utopie des Körpers durchaus abzuheben. Die schärfste Kritik an Bachtin wirft diesem eine historisch falsche Darstellung des mittelalterlichen Karnevals vor. In Rabelais und seine Welt behauptet Bachtin: „Alle karnevalesken Formen sind konsequent außerkirchlich und areligiös.“ 183 Demgegenüber belegt Dietz-Rüdiger Moser, dass die karnevalistischen Bräuche des Mittelalters eng mit Liturgie und Kirchenjahr verknüpft waren. 184 Ernste Anteile und fehlende Rituale des Lachens sprächen gegen die erklärte Lachkultur, 185 die Abwesenheit von Frauen gegen die „Volkskultur“ 186 . Abgesehen von solchen geschichtlichen Unstimmigkeiten sei Bachtin grundfalsch rezipiert worden. Die hauptsächliche „Fehlerquelle“ sieht Moser in der „Uminterpretation des politischen Ansatzes bei Bachtin in einen scheinbar historischen“ 187 . 180 Renate Lachmann: Vorwort. In: Michail Bachtin: Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur. Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1987, S. 14. 181 Ebd., S. 18. 182 Ebd., S. 15. 183 Michail Bachtin: Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur. Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1987, S. 54. 184 Vgl. Dietz-Rüdiger Moser: Lachkultur des Mittelalters? Machel Bachtin und die Folgen seiner Theorie. In: Euphorion 84 (1990), S. 93. 185 Vgl. ebd., 96. 186 Vgl. ebd. 94f. 187 Ebd., S. 111. <?page no="68"?> 64 Das Urteil Mosers soll hier insoweit geteilt werden, als Bachtins Schriften zum Karneval in der Tat nicht mit den Maßstäben der historischen Mittelalterforschung zu lesen sind. Sie gehen aber keineswegs in politisch motivierten Utopie-Gedanken auf, dies hebt Lachmann mit ihrem Befund einer „Kulturtypologie“ des Karnevalesk-Komischen zu Recht hervor. Der dritte und zuletzt wirkmächtigste Rezeptionsstrang erhebt den deskriptivtypologischen Ansatz zur Komiktheorie. So wurde Bachtin „der größte Inspirator aller Lach- und Komikforschung“ 188 . Trotz der Anregungen, die Bachtins Körper-Komik nicht nur der Erforschung des Grotesken gebracht hat, lohnt es sich, jene Auffassung der Theorie in einem Punkt zu überdenken. Der Nutzen für die Literaturwissenschaft ist daraus entstanden, dass man das Modell des Karnevals ahistorisch auf groteske Konstellationen aller Zeiten ausgeweitet hat. Für das hier unternommene komiktheoretische Vorhaben ist es dagegen aufschlussreich, die Lachkultur wieder geschichtlich zu situieren, in der Vormoderne, aber eben nicht als historische Beschreibung von Mittelalter und Früher Neuzeit, antiken Saturnalien und mennipeischer Literatur, sondern als Theorie vormoderner Hochkomik, anschlussfähig für die konzipierte Komik der Moderne. Um die angedeutete Perspektive zu gewinnen, ist nachzulesen, wie Bachtin den „Karneval als Strukturprinzip“ 189 bestimmt. Gemäß der karnevalesken Familiarität 190 geraten Menschen, soziale Gruppen in vertrauten Umgang und körperliche Nähe, zwischen denen die soziale Ordnung sonst keine Berührung zulässt. Allein die Kultur des Komischen erlaubt „Exzentrizität“: „Das Verhalten, die Geste und das Wort des Menschen befreien sich aus der Gewalt jeder hierarchischen Ordnung (des Standes, Ranges, Alters, der Besitzverhältnisse)“ 191 . Es kommt zu „Mesalliancen“: „In karnevalistische Kontakte und Verbindungen tritt alles ein, was durch die [...] hierarchische Weltanordnung verschlossen, getrennt und voneinander entfernt war“ 192 ; „alles, was die soziale Hierarchie und jede andere Form menschlicher Ungleichheit (darunter auch die altersbedingte) ausmacht, wird aufgehoben“ 193 . Neben den „Profanierungen“ 194 , die Heiliges ins 188 Rainer Stollmann: Das Lachen und seine Ansätze. In: Komik. Ästhetik, Theorien, Strategien. Hg. von Hilde Haider-Pregler u.a. (Maske und Kothurn 51, 4) Wien u.a.: Böhlau 2005, S. 17. 189 Markus Symmank: Karnevaleske Konfigurationen in der deutschen Gegenwartsliteratur. Untersuchungen anhand ausgewählter Texte von Wolfgang Hilbig, Stefan Krawczyk, Katja Lange-Müller, Ingo Schulze und Stefan Schütz. (Epistemata/ Reihe Literaturwissenschaft 370) Würzburg: Königshausen & Neumann 2002, S. 37. 190 Vgl. Michail Bachtin: Probleme der Poetik Dostoevskijs. (Literatur als Kunst) München: Hanser 1971, S. 137. 191 Ebd., S. 138. 192 Ebd. 193 Ebd., S. 137. 194 Ebd., S. 138. <?page no="69"?> 65 Weltlich-Niedere herunterziehen, wird auch schon das wichtigste, ambivalente Ritual des komischen Festes vorgestellt: „die närrische Krönung und anschließende Erniedrigung des Karnevalskönigs“ 195 . Die Typologie des Karnevalesken wurde in dieser Dichte zitiert, weil nur so nachvollziehbar ist, wie man Bachtin mit Luhmann lesen kann. Zum einen fällt auf, dass durchgängig auf die hierarchische Organisation der Gesellschaft verwiesen wird. Allerdings finden nicht ausschließlich soziale Rangunterschiede Erwähnung, sondern mehrfach auch das Alter als Beispiel anthropologischer Ungleichheit. Ohnehin soll keinesfalls der Anthropologe Bachtin zum Soziologen oder gar Systemtheoretiker umgedeutet werden. Bemerkenswert ist aber, dass wenigstens Familiarität, Exzentrizität und Mesalliance als Gegenprinzipien zur stratifikatorischen Differenzierung aufgefasst werden können. Sie reagieren alle drei auf Folgen und Bedingungen der sozialen Aufteilung in ungleiche Schichten: die Distanz zwischen den Ständen, deren strikte Getrenntheit sowie die Normierungen, mit denen Trennung und Hierarchie gefestigt werden. Ein weiteres Formprinzip des Karnevals stützt die These von den Gegenprinzipien. Profanierung steht für den Verstoß gegen zentrale Normen des Klerus wie auch für sämtliche Figuren der Inversion. Solche Umkehrungen der Wertehierarchie untergraben deren Funktion, die Ständeordnung als nicht-kontingente Form des Sozialen oder, wie es bei Bachtin gemäß der historischen Semantik heißt, als „Weltordnung“ auszuweisen. Diese Achillesferse der Kontingenz hat auch Luhmann in seinem Katalog der Differenzierungstypen kommentiert: Stratifikatorische Gesellschaften aus drei Schichten seien immer stabiler, da erfahrungsgemäß eine Zweier- Rangfolge Inversionen herausfordert, 196 obgleich dadurch das hierarchische Ordnungsprinzip als solches nicht abgeschafft wird. Zwar muss die Struktur des vormodern Komischen noch genauer entwickelt werden, doch eine Pointe ergibt sich schon jetzt: Betrachtet durch Bachtins Typologie und Luhmanns Formenkatalog avanciert die Volkskomik des mittelalterlichen Karnevals zur strukturellen, also zur Hochkomik. Deren Bräuche und Rituale teilen Prinzipen, welche die komische Praxis in ein Verhältnis zur historisch spezifischen Organisation des Gesellschaftlichen bringen, zur hierarchischen Schichtung der Stände. Dass es demnach nicht abwegig ist, Bachtins Komiktheorie aus luhmannscher Perspektive umzudeuten, mag eher einleuchten, wenn man daran erinnert, dass für Bachtin der Karneval des christlichen Mittelalters und die heidnischen Saturnalien der Antike strukturell gleich sind. Zur Rechtfertigung rekonstruiert er eine literarische Tradition, die Epochenunterschiede überbrückt. 195 Michail Bachtin: Probleme der Poetik Dostoevskijs. (Literatur als Kunst) München: Hanser 1971, S. 139. 196 Vgl. Niklas Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft. 2. Teilband. Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1997, S. 613. <?page no="70"?> 66 Systemtheoretisch ist anzuführen, dass ungeachtet der sozialhistorischen, ideengeschichtlichen Differenzen beide Hochkulturen stratifikatorisch differenziert sind. Somit wäre die Ähnlichkeit antiker und mittelalterlicher Komikformen mehr als eine historische Analogie. Das Element der Systemtheorie und die dadurch fundierte Komikformel rücken auch den atypologischen, utopisch-politischen Zug der Studien Bachtins in ein etwas anderes Licht. Der von ihm entworfene Karneval setzt nicht einfach die Anarchie des Körpers ein, vielmehr agiert er gegenüber der Stände-Gesellschaft strukturell subversiv. Das bedeutet keineswegs, dass sich die Struktur des vormodernen Komischen in solcher Subversivität erschöpft. Es folgt deshalb eine exaktere Beschreibung, die in die Theorie der modernen Hochkomik mit übersetzt werden soll. Wohlgemerkt dreht sich dadurch die Argumentationsrichtung nicht etwa um, so dass die historische Empirie des mittelalterlichen Karnevals das spätere Modern-Komische zu begründen hätte. Nach wie vor legt sich die theoretische Konstruktion als Folie über Bachtins Typologie, nur tut sie dies im Folgenden nicht mehr in Rückbindung an ein Modul der Systemtheorie, sondern gewissermaßen auf eigene Rechnung. Die Gegenstrategien, mit denen der Karneval die hierarchische Gesellschaft und damit die primäre Organisationsform des Sozialen unterläuft, geben Bachtins Komiktheorie unvollständig wieder. Das zeigt das Ritual, die Krönung und Erniedrigung des Karnevalskönigs. Man kann dies als Travestie auf das politische Zeremoniell deuten oder, wie soeben nahegelegt, als transgressive, inversive Behandlung des sozial differenzierenden Prinzips: Stellvertretend für die ungleichen Schichten wird die Einsetzung eines obersten Ranges durchgespielt, um gleich darauf die etablierte Grenze zu verletzen, das Höchste ins Niedrigste zu verkehren. Bachtin legt Wert darauf, dass die karnevaleske Krönung „von Anfang an ambivalent“ 197 sei, d.h. auf die folgende rituelle Demütigung angelegt. Diese Beobachtung ist jedoch ihrerseits umkehrbar und in eine komplexere Ambivalenz umzuformen. Erstens verhält sich die praktizierte Komik nicht unspezifisch anti-sozial: Der Angriff auf die Hierarchie stellt zugleich bzw. zuvor einen Bezug zur stratifikatorischen Differenzierung her, indem er eine Krönung in Szene setzt. Zweitens ist jenes Spiel mitnichten asozial, stiftet es doch den Zuschauern und Ausführenden des Rituals eine Art alternativer Sozialität, die Karnevalsgemeinschaft. Was dabei exemplarisch anschaulich wird, ist auch auf die bachtinsche Typologie im Ganzen übertragbar: Ihre komischen Figuren richten sich zwar gegen die Ständeordnung, können diese Anti-Haltung aber nur einnehmen, soweit sie auf das Leitprinzip der Rangordnung verweisen; darüber hinaus unterstreicht die Beschreibung der Bräuche, Feste, Umzüge, dass die vormoderne Hochko- 197 Michail Bachtin: Probleme der Poetik Dostoevskijs. (Literatur als Kunst) München: Hanser 1971, S. 139. <?page no="71"?> 67 mik ihre ganz eigene Gesellschaftlichkeit praktiziert. Während Bachtin die Gleichzeitigkeit der negativ-positiven Relation zum Sozialen als Ausdruck anthropologischer Ambivalenz interpretiert, soll sie gemäß der Formel zur Struktur des Komischen ausgebaut werden. Wenn die Formel postuliert, dass Komik immer eine ambivalente Beziehung zur mit Luhmann bestimmten gesellschaftlichen Ordnung unterhält, dann bedeutet das eine doppelte Gegenläufigkeit: einmal die Tatsache, dass eine subversive Bewegung sich auf die subvertierte Ordnung beziehen muss, zum anderen der Zug des Komischen zum Sozialen. Was kann „das Soziale“ hier heißen? Zur Beantwortung der Frage muss nochmals auf Luhmanns Theorie sozialer Systeme zurückgegriffen werden. Alle historischen Differenzierungstypen erfüllen dieselbe Funktion: Sie erhöhen die Anschlusswahrscheinlichkeit sozialer Kommunikation. Kommunikation wiederum ist die basale Operation des Systems Gesellschaft, unabhängig von den historisch variablen primären Differenzierungen. Deshalb ist in der Formel allgemeiner und fundamentaler die „Organisationsform“ festgeschrieben. Von den luhmannschen Voraussetzungen her muss die soziale Tendenz des Komischen nicht in der Gründung einer komischen Gesellschaft bestehen. Entscheidend ist die Funktion, kommunikative Anschlussfähigkeit zu gewährleisten und damit das Funktionieren der Gesellschaft als System. Die vormoderne Hochkomik hat dafür die Form der karnevalistischen Rituale gefunden, für die moderne Komik werden andere Formen zu beschreiben sein, deren Spektrum, genau wie die veränderten Gegenstrategien, durch die nun funktionale statt stratifikatorische Differenzierung des Sozialen vorstrukturiert ist. Ein zusätzlich definierendes Moment wird gleichfalls nicht aufgrund, sondern aus Anlass der bachtinschen Kulturtypologie vorzeitig in Betracht gezogen. Das Stichwort liefern die „sinnlichen Formen des Zeremoniells“ 198 , die für die mittelalterliche, frühneuzeitliche Komik charakteristisch sind. Deren Bräuche zielen nicht auf den „abstrakten Gedanken“, sie vermitteln stattdessen „konkret-sinnliche“ 199 Eindrücke. Neben der grotesken Physis, die im Anschluss an Bachtin rege Anwendung gefunden hat, betrifft dies allgemeiner die Wahrnehmbarkeit der komischen Struktur. 200 Nachdem mit der Ambivalenz zwei gegenläufige Richtungen im Verhältnis von Komik und Gesellschaftlichkeit unterschieden wurden, besteht nun die Möglichkeit, die sinnliche Vermittlung und Verarbeitung dessen, was 198 Michail Bachtin: Probleme der Poetik Dostoevskijs. (Literatur als Kunst) München: Hanser 1971, S. 139. 199 Ebd., S. 138. 200 In jüngster Zeit hat vor allem die theaterwissenschaftliche Forschung nach der prinzipiellen Sinnlichkeit des Komischen und von daher nach einer speziellen komischen Ästhetik gefragt. Vgl. Jenny Schrödl: Vom Scheitern der Komik. In: Komik. Ästhetik, Theorien, Strategien. Hg. von Hilde Haider-Pregler u.a. (Maske und Kothurn 51, 4) Wien u.a.: Böhlau 2005, S. 38. <?page no="72"?> 68 theoretisch als „komisch“ bezeichnet wird, enger an eine der beiden Seiten zu knüpfen. Auch in der karnevalesken Ritualisierung ist das Sinnliche Teil der Gegenstrategie, doch soll mit Blick auf die moderne Komik behauptet werden, dass dies so sein kann, wohingegen der soziale Impuls immer mit einem Wahrnehmungssignal einhergeht. 2.3 Ambivalenzen Anhand von Bachtins Theorie des Karnevalesken wurde die neue Komik- Formel in all ihren Komponenten ein erstes Mal vorgebracht. Bevor die zuletzt hinzugekommenen Bestandteile vertieft und auf die Hochkomik der Moderne zugespitzt werden, ist es angezeigt, die Diskussion der komiktheoretischen Differenzen fortzuführen. Die Figur der Ambivalenz durchzieht die Reflexion des Komischen wie keine andere, über die Grenzen der unterschiedlichsten Fundierungen und über die bisher analysierten Differenzen hinweg. Insofern erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass eine Theorie, die eben jene Figur einbaut, kaum allseits anerkannt, aber doch zumindest in Erwägung gezogen wird. Zugleich entsteht damit die Notwendigkeit, die verarbeitete Form der Figur von jenen Ambivalenzen zu sondern, die bislang theoretisch bekannt sind. Dass Bachtin statt einer sozial definierten eine anthropologische Ambivalenz in den Mittelpunkt seiner Typologie, mehr noch seiner körperbasierten Utopie stellt, wurde schon angedeutet. „Alle Karnevalsbilder sind zweieinig“ 201 . Die ultimative Zweiwertigkeit, die in solchen Bildern zelebriert wird, ist die Ambivalenz von Leben und Tod. Deswegen wird der schwangere Tod zum Emblem karnevalesker Komik. 202 „Tief ambivalent“ im übertragenen Sinne ist auch das „Karnevalslachen“ 203 , erfüllt es doch eine doppelte Funktion, von Bernhard Teuber benannt als „verlachen und erneuern“ 204 . Für Bachtin bildet eben jenes „Pathos des Wechsels und der Veränderungen, des Todes und der Erneuerung“ den „Kern des karnevalistischen Weltempfindens“ 205 . Er äußert - dies ist für die Mittel der Theoretisierung relevant - den Gedanken, Karneval sei „sozusagen funktional, nicht substantial“, weil sein Begriff nur die Funktion des Wechsels, der 201 Michail Bachtin: Probleme der Poetik Dostoevskijs. (Literatur als Kunst) München: Hanser 1971, S. 141. 202 Vgl. ebd. 203 Ebd., S. 142. 204 Bernhard Teuber: Karneval als radikaler Dissens. Zur späten Übersetzung von Michail Bachtins Buch über Rabelais. In: Merkur 42 (1988), H. 6, S. 509. 205 Michail Bachtin: Probleme der Poetik Dostoevskijs. (Literatur als Kunst) München: Hanser 1971, S. 139. Eine Erläuterung zum Sprachgebrauch: Mit „karnevalistisch“ ist die konkrete oder die ideologische Dimension der bachtinschen Studien gemeint, das bevorzugte „karnevalesk“ soll die typologisch-strukturelle Bedeutung tragen. <?page no="73"?> 69 Dynamisierung beinhalte. Dem widerspricht, dass die existenzielle Ambivalenz Leben/ Tod genauso zum „Kern des karnevalistischen Weltempfindens“ (v)erklärt wird. Auch setzt die literaturwissenschaftliche Aneignung der Theorie nicht nur das Strukturprinzip Karneval zur Beschreibung komischer Texte ein, vertreten ist ebenso die „substantiale“ Übernahme, welche der ambivalenten Körperlichkeit und ihren grotesken Ausprägungen eine prinzipielle Subversivität hinsichtlich gesellschaftlicher Normen zuschreibt. Dagegen ist die in der Formel enthaltene Ambivalenz gegenüber dem Sozialen konsequent funktional gedacht. Die „strukturelle Ambivalenz des Komischen“ 206 wird in der Rezeption der Komiktheorie durch die Literaturwissenschaft außer mit Bachtin auch mit Plessner verbunden. Die Komik der existenziell unbeantwortbaren Situationen zeichnet sich dadurch aus, dass sich darin die „Ambivalenz zum Doppelsinn, zur Mehrdeutigkeit des Komischen und des Witzes“ 207 entfaltet, während sie in jenen Situationen, die für den exzentrisch positionierten Menschen nicht auf die „wirkliche Unbeantwortbarkeit in der Essenz der Dinge“ 208 durchsichtig sind, nur die physische „Qualität des Reizes“ 209 , des Kitzels hat. Diese komische Anthropologie bedeutet mehr als Ambiguität oder jene Gegensinnigkeit, die bei Iser das Komische als Kipp-Phänomen auslöst. Der Lachende steht in der „Ambivalenz [...] zwischen Wirklichkeit und Schein, zwischen Binden und Gebundensein“ 210 , in jenem lustvollen Schwebezustand sei die Komik dem Spiel verwandt. Was auf dieser abstrakteren Ebene gilt, bestimmt auch das Wesen und die Wahrnehmung jeglicher komischer Gegenstände: „Komische Phänomene, Szenen, Handlungen, Personen sind in sich als Erscheinungen ambivalent und gegensinnig für unsere Auffassung.“ 211 Ambivalenz bzw. Gegensinnigkeit, Plessner unterscheidet nicht streng, führt als objektiver Grund des Komischen zur schwebenden Rezeptionssituation. Obwohl der Begriff nicht fällt, hat Joachim Ritter in Über das Lachen seine Version der Ambivalenz-Figur dargelegt. Bei ihm lautet das Gesetz: Alles „dem Ernst und der allgemeinen Ordnung der Dinge und des Lebens schlechthin Entgegenstehende“ 212 sei komisch. So weit ist noch keine ambivalente Struktur vorhanden, nur die Bewegung gegen die Ordnung, vom Ernst des Lebens weg. Ritter erläutert jedoch, das Komische entstehe „in 206 Dieter Lamping: Ist Komik harmlos? Zu einer Theorie der literarischen Komik und der komischen Literatur. In: Literatur für Leser (1994), H. 2, S. 64. 207 Helmuth Plessner: Lachen und Weinen. Eine Untersuchung nach den Grenzen des menschlichen Verhaltens. 3. Aufl. Bern u.a.: Francke 1961, S. 100 208 Ebd., S. 96. 209 Ebd., S. 100. 210 Ebd., S. 105. 211 Ebd., S. 117f. 212 Joachim Ritter: Über das Lachen. In: Ders.: Subjektivität. (Bibliothek Suhrkamp 379) Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1974, S. 63. <?page no="74"?> 70 einer doppelten Bewegung, einmal im Hinausgehen über die jeweils gegebene Ordnung zu einem von ihr ausgeschlossenen Bereich, und zweitens darin, daß der ausgeschlossene Bereich in und an dem ausgeschlossenen Bereich selbst sichtbar gemacht wird“ 213 . Diese zweifache Richtung gleicht dem, was von der Formel her und am Beispiel Bachtin als interne Ambivalenz der Gegenstrategie beschrieben wurde: Jene muss sich positiv auf die soziale Differenzierungsform beziehen, um sich negativ davon abgrenzen zu können. 214 Dieser Gedankenfigur bedient sich auch Lohr: die „doppelte Bewegung als Ausbruch und Einordnung, in der Befreiung von der Norm ist noch der Verweis auf sie enthalten“. Allerdings wird bei Ritter die Zweiwertigkeit der Reflexivität höchstens implizit deutlich. Insgesamt überwiegt die Wendung gegen die „Schranken des Ernstes und Maßes“ 215 und die dadurch eintretende befreiende Wirkung des Lachens. Dies ist nicht der einzige Unterschied zum hier vorgeschlagenen Modell. In Über das Lachen gibt es keinen sozialtheoretischen und nur einen sehr reduzierten sozialen Referenzrahmen. „Lebenswelt“ 216 ist weit eher im existenziellen Sinne von „Dasein“ 217 zu verstehen denn als soziologischer Terminus. Nur der Ernst, der das Komisch-Nichtige ausschließt, wird mit den gesellschaftlich zu verortenden Begriffen „Ordnung, Sitte, Anstand“ umschrieben. Von dort ergibt sich die historische, ethnische, schichtenspezifische, regionale bis hin zur individuellen Varianz des Komischen. 218 Davon abgesehen nähert Ritter sich Bachtins funktionaler Definition des Karnevals, wenn er bemerkt, „daß das Entgegenstehende oder Nichtige nichts Feststehendes und so überhaupt und absolut genommen Negatives ist, sondern zum Nicht-Seienden an der die Wirklichkeit je bestimmenden Substanz wird“ 219 . Blendet man die essenzialistische Sprechweise aus, dann wird eine konstante komische Funktion in ihrer festen Relation zum wechselnden Stand der Dinge angenommen. Es ist gut zu beobachten, wie der Reflexionsgegenstand Komik eine funktionale Argumentation provoziert. Trotzdem schlägt das ontologische Denken sprachlich durch, was ein Anzeichen dafür ist, dass keine konzeptuellen oder erkenntnistheoretischen Alternativen zur Verfügung gestanden haben. Die komische Funktion, das gesellschaftlich Ausgeschlossene einzuschließen, ist in Ritters Theorie zwar angelegt, ausformuliert hat sie erst Rainer Warning. 213 Joachim Ritter: Über das Lachen. In: Ders.: Subjektivität. (Bibliothek Suhrkamp 379) Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1974, S. 74. 214 Günter Lohr: Körpertext. Historische Semiotik der komischen Praxis. Opladen: Westdeutscher Verlag 1987, S. 2. 215 Joachim Ritter: Über das Lachen. In: Ders.: Subjektivität. (Bibliothek Suhrkamp 379) Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1974, S. 82. 216 Ebd., S. 75. 217 Ebd., S. 76. 218 Vgl. ebd., S. 79. 219 Ebd., S. 74. <?page no="75"?> 71 Warnings „Formel einer ‚Positivierung von Negativität’“ 220 verweist auf Ritter als theoretischen Vorbereiter, 221 will aber soziologisch argumentieren. Außerdem soll präzisiert werden, welche Binnenstruktur die Hereinnahme des sozial Nicht-Eingeschlossenen aufweist. Komik, so Warning, ist nämlich weder „pauschal ausklammerndes noch reflexives, d.h. der ausgeklammerten anderen Möglichkeiten sich bewußt bleibendes Negieren“, wobei Letzteres aus der luhmannschen Differenzlogik gefolgert wird; vielmehr vollziehe sich durch die „Exponierung anderer Möglichkeiten“ die „Aufhebung von Negation“ 222 . Damit ist genau genommen kein positiv-negatives Verhältnis zum sozial Vorgegebenen ausgesagt, die Positivierung ist weniger ambivalent als dialektisch, wobei dieser Vorgang als Antithese und Synthese zugleich fungiert: Die komische Affirmation setzt sich der sozialen Negation entgegen und hebt darüber hinaus die Entgegensetzung mitsamt der negierenden Position auf. Ambivalenz gegenüber dem Sozialen spricht Warning dort an, wo er seine Komik-Formel zum „Lach-Ritual“ abwandelt: Es teilt „die Grundambivalenz des Karnevalslachens, das immer brimade sociale 223 und Gegenritual in eins ist, das das Ausgegrenzte lachend positiviert, ohne daß die Norm explizit in Frage gestellt würde“ 224 . Diese Figur ist der neuen Formel insoweit ähnlich, als das „Gegenritual“ der anti-strukturellen Intention entspricht, „brimade sociale“ meint „soziale Schikane“ als korrigierendes und somit sozial stabilisierendes Lachen. Dagegen stimmen die Gesellschaftskonzeptionen nicht überein, da bei Warning anstelle der primären sozialen Differenzierung die Ordnung der gesellschaftlichen Normen das Maß der Ausgrenzung und daher auch der komischen Positivierung vorgibt. Dass dennoch die Grundambivalenz betont wird, zieht die Grenze zu einer rein transgressiven Komik, wie sie in sozialer Konzeptualisierung vorkommt. Weitaus seltener wird das Gegenteil behauptet, komische Konstellationen seien zwar normverletzend, das Lachen darüber aber ausschließlich „wertkonservativ“ 225 in seiner Funktion. Silvio Vietta scheint ebenfalls auf den aggressiv-affirmativen Doppelaspekt des Komischen hinzudeuten und nennt dies, unabhängig von poststrukturalistischer Theoriebildung, „Dekonstruktion“: „Das dekonstruktive Potential bebzw. verlachbarer Komik [...] besteht darin, daß es die gegen- 220 Rainer Warning: Komik und Komödie als Positivierung von Negativität (am Beispiel Molière und Marivaux). In: Positionen der Negativität. Hg. von Harald Weinrich. (Poetik und Hermeneutik 6) München: Fink 1975, S. 344. 221 Vgl. ebd., S. 347f. 222 Ebd., S. 348. 223 Warning zitiert hiermit Bergson im Original. 224 Ebd., S. 354. 225 Siegfried J. Schmidt: Inszenierungen der Beobachtung von Humor. In: Komik - Medien - Gender. Ergebnisse des Kasseler Komik-Kolloquiums. Hg. von Friedrich W. Block. (Kulturen des Komischen 3) Bielefeld: Aisthesis 2006, S. 33. <?page no="76"?> 72 läufigen Bedeutungsmomente der Dekonstruktion und Konstruktion, der Zerstörung und Errichtung von Strukturen enthält.“ 226 Nach Viettas Erläuterungen sind die konstruierten Strukturen andere als die destruierten, so bezieht sich „dekonstruktive Ambivalenz“ 227 auf die Einheit des Prozesses, der (de)konstruierend in zwei Richtungen verläuft. Dagegen verlegt Schmidt die Zweiwertigkeit direkt in die jeweilige soziokulturelle, historische Normalstruktur. Inwiefern besitzt diese eine „andere, ‚abgründige’ Seite, die in komischen Konstellationen aufblitzt“ 228 ? Schmidt meint keinesfalls Plessners oder Bachtins existenzielle Abgründigkeit. Laut dem sozialbzw. kulturtheoretischen Konstruktivismus sind alle kulturellen Operationen und sozialen Ordnungsformen kontingent. Entgegen seiner Weigerung, Komiktheorie zu betreiben, verleiht Schmidt komischen Konstellationen die exklusive Funktion, die ansonsten „invisibilierte Kontingenz“ 229 sichtbar werden zu lassen, wobei er nicht verrät, aufgrund welcher speziellen Struktur sie dazu in der Lage sind. Eine weitere Modellierung komischer Ambivalenz geht auf keine der diskutierten Komiktheorien ein, sie montiert stattdessen die Versatzstücke in neuartiger Weise. In ihrem Band zu Avantgarde und Komik orientieren sich die Herausgeber zunächst eng an Ritter und Warning, kombinieren die Transgressionsthese mit Aristoteles Regel der Harmlosigkeit sowie Dieter Lampings Erinnerung an die komische Aggressivität: 230 „Das Komische ermöglicht es, auf eine ambivalente Weise, Ausgegrenztes in den Bereich des Denkens und Tuns hineinzunehmen. Es wirkt gleichzeitig subversiv und stabilisierend, harmlos und verletzend“ 231 . Obwohl diese These nirgends ausdrücklich gemacht wird, ist als Objekt der subversiven und stabilisierenden Wirkung wohl nur eine Form des Sozialen konkret vorstellbar. Ferner muss man annehmen, dass sich der ambivalente Effekt auf ein und denselben Gegenstand, mutmaßlich die soziale, normative Ordnung bezieht. Wie sich sogleich bestätigen wird, ist die hier entwickelte Theorie in der Hinsicht komplexer aufgebaut. Während die erste Version noch synkretistisch ausfällt, erreichen Scherer und Lohse später eine eigene Definition, die erstmals Temporalität reflektiert. 226 Silvio Vietta: Die literarische Moderne. Eine problemgeschichtliche Darstellung der deutschsprachigen Literatur von Hölderlin bis Thomas Bernhard. Stuttgart: Metzler 1992, S. 71. 227 Ebd., S. 206. 228 Siegfried J. Schmidt: Inszenierungen der Beobachtung von Humor. In: Komik - Medien - Gender. Ergebnisse des Kasseler Komik-Kolloquiums. Hg. von Friedrich W. Block. (Kulturen des Komischen 3) Bielefeld: Aisthesis 2006, S. 32. 229 Ebd., S. 32. 230 Dieter Lamping: Ist Komik harmlos? Zu einer Theorie der literarischen Komik und der komischen Literatur. In: Literatur für Leser (1994), H. 2, S. 60. 231 Ludger Scherer, Rolf Lohse: Einleitung. In: Avantgarde und Komik. Hg. von Ludger Scherer, Rolf Lohse. (Avantgarde 16) Amsterdam: Rodopi 2004, S. 7. <?page no="77"?> 73 „Das Komische kann beschrieben werden als Gleichzeitigkeit von Normverstoß und simultanem Signal der Kehrtwende, der Wiedergutmachung, des Ungeschehenmachens, der Harmlosigkeit. Die Gleichzeitigkeit von Transgression und gegenteiligem Signal hilft zu erklären, wie es zur Janusköpfigkeit des Phänomens Komik kommt.“ 232 Der Begriff der Ambivalenz bringt Zweiwertigkeit in Bezug auf ein Objekt mit sich, innerhalb der komiktheoretischen Differenzen ist es unterscheidungsfördernd, diese Figur um eine zeitliche Dimension zu erweitern. Vor dem Abschnitt zu den verschiedenen Formen der Temporalität, die in die Theoretisierung komischer Gegenstände eingegangen sind, wird nun ein Kernstück der Formel - die temporalisierte Ambivalenz-Figur - festgeschrieben. Eine begriffliche Bedingung ist bislang nicht ausbuchstabiert worden. Ambivalenz benötigt Objektkonstanz, d.h. die widerstreitenden Gefühle, Wertungen müssen sich auf ein und denselben Gegenstand oder auch Vorgang beziehen. Im Falle der Komik ist dies konstante Objekt die Organisationsform des Sozialen. Dazu wurde eine Binnenunterscheidung eingeführt: Die anti-strukturelle Bewegung arbeitet gegen den historischen Differenzierungstyp; die pro-soziale Gegenbewegung agiert ebenfalls in dem Raum, der durch die spezielle Organisationsform eröffnet wird, kann sich aber auf die Grundfunktion jeder systemischen Differenzierung beschränken, sprich darauf, jenen Prozess in Gang zu halten, welcher laut Luhmanns Theorie Gesellschaft als System konstituiert: das Aneinander- Anschließen von Kommunikationen. Diese Mindestforderung kann durch eine komplexe Struktur erfüllt werden, wie sie Bachtin mit den Ritualen des Karnevals beschreibt, oder reduziert als sozialer Impuls, als Anstoß weiter zu kommunizieren, anzuschließen. Konkreter wird dies das Kapitel zur modernen Hochkomik zeigen. Für die weitere Konzeptualisierung muss aber deutlich sein, dass nach der Formel komische Ambivalenz nicht schon in der internen Gegenläufigkeit der Subversion liegt; komisch ist eine Praxis nur dann, wenn sie aufgrund ihrer Formen gleichzeitig antigesellschaftlich und sozial-kommunikativ gerichtet ist. Welchen Spielraum eröffnet die bei Scherer/ Lohse vorgeprägte Art der Temporalisierung? Gleichzeitigkeit bestimmt die Relation zweier Zeitverläufe oder -punkte, der Begriff enthält keine Angaben zur Ausdehnung des Gleichzeitigen. Eine Komiktheorie, die dem folgt, kann sowohl punktuelles Zusammentreffen als auch parallel laufende Vorgänge beschreiben. Es ist ihr aber nicht erlaubt, zwei Befunde als komische Ambivalenz zu werten, die keine Gleichzeitigkeit aufweisen. So, wie bisher argumentiert wurde, ist dieser zuletzt gemachte theoretische Zusatz wiederum am Karnevalesken zu überprüfen: Tatsächlich spielen sich sämtliche Transgressionen und Inversionen, die Bachtin typologisch fixiert, innerhalb und durch die ge- 232 Ludger Scherer, Rolf Lohse: Einleitung. In: Avantgarde und Komik. Hg. von Ludger Scherer, Rolf Lohse. (Avantgarde 16) Amsterdam: Rodopi 2004, S. 8. <?page no="78"?> 74 meinschaftsstiftenden Rituale ab. Beide Prozesse, Ritualisierung und Subversion, verlaufen gleichzeitig. Man könnte auch sagen: In derselben zeitlichen Einheit, sei es Punkt oder Prozess, werden zwei Funktionen realisiert, die anti-strukturelle und die pro-soziale. Von daher trifft die Bezeichnung „funktionale Ambivalenz“ des Komischen die Technik der Konstruktion wie den speziellen komiktheoretischen Inhalt. In der Anwendung wird sich allerdings die Schwierigkeit ergeben, dass eine Textanalyse die von der Theorie gesetzte Gleichzeitigkeit nie selbst vollziehen, sondern Gleichzeitiges nur nacheinander beobachten kann. 2.4 Temporalitäten Die Differenzen der Komiktheorie setzen sich in diesem Punkt fort: ambivalente Gleichzeitigkeit, wie sie soeben entworfen wurde, ist nicht die einzige komische Temporalität. Es gibt sowohl andere Gleichzeitigkeiten als auch etwas anderes als Gleichzeitigkeit. Dass Zeitlichkeit überhaupt ein relevantes Differenzierungskriterium darstellt, bezeugt ein französisches Begriffspaar: „le risible und le ridicule (punktuelle und sequentielle Komik)“ 233 . Jene sprachliche Unterscheidung, die Sonnleitner ausfindig gemacht hat, greift auch, wenn man die verschiedenen Komiktheorien in ihrer zeitlichen Dimension vergleicht, dennoch reicht sie als einziges Kriterium nicht hin, um alle Differenzen zu erfassen. „Sequentiell“ steht für mehr als punktuelle Dauer. Dass außerdem die Reihenfolge entscheidend sein kann, erhellt die Lipps’ Inkongruenztheorie: Käme das Nichtige, Kleine zuerst, bliebe die Erwartung des Großen, Erhabenen und darauf die komische Auflösung der Erwartung aus. Weniger prominent wird das komische Nacheinander bei Freud reflektiert. „[I]n den meisten Fällen sind Witz und Komik [...] reinlich zu scheiden“ 234 , so auch in ihrer Zeitlichkeit. Da das Komische nicht wie der tendenziöse Witz durch Ersparung des Hemmungs-, sondern des Vorstellungsaufwandes definiert ist, ergibt sich eine Ungleichzeitigkeit: „Es ist Bedingung für die Entstehung des Komischen, daß wir veranlasst werden, gleichzeitig oder in rascher Aufeinanderfolge für die nämliche Vorstellungsleistung zweierlei verschiedene Vorstellungsweisen aufzuwenden, zwischen denen dann die ‚Vergleichung’ statthat, und die komische Differenz sich ergibt.“ 235 Beim Witz 233 Johann Sonnleitner: Seiltanzerei und Zwischentöne. Zur Rolle und Funktion des Komischen bei Thomas Bernhard. In: Österreich und andere Katastrophen. Thomas Bernhard in memoriam. Hg. von Pierre Béhar u.a. (Beiträge zur Robert-Musil- Forschung und zur neueren österreichischen Literatur 15) St. Ingbert: Röhrig 2001, S. 386. 234 Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. In: Ders.: Studienausgabe. Bd. 4. Psychologische Schriften. Frankfurt/ M.: Fischer 1982, S. 192. 235 Ebd., S. 217. <?page no="79"?> 75 dagegen bedarf es keiner solchen „Vergleichung“, denn die positive Bilanz der psychischen Kräfte entsteht dadurch, dass der Normbruch die energieaufwendige Hemmung im Unbewussten überflüssig macht. Für das Bewusstsein ist diese Komik deshalb punktuell. Die temporalen Umstände der freudschen Witztheorie entsprechen nicht jener Komik, die den Witz als Textsorte oder literarische Gattung kennzeichnet. Der zielt auf den Augenblick der Pointe, bereitet diese aber in einer Weise vor, die inkongruenztheoretisch und daher sequenziell abgedeckt ist: eine unumkehrbare Abfolge von Erwartungsaufbau und nicht so sehr enttäuschender als überraschender Auflösung. 236 Dasselbe zeitliche Muster des „zuerst - und dann“ liegt den meisten psychologischen Theorien des Komischen zugrunde, die den psychischen Vorgang des Lachens entweder in den Vordergrund stellen oder zumindest mit einbeziehen. Laut einer Formel von Bjørn Ekmann „muß die zum Lachen reizende Kommunikation zunächst eine kognitive Herausforderung, dann aber eine schlagartig wirksame Befreiung von der darin enthaltenen Aufgabe bieten“ 237 . Obwohl der komische Moment erst mit der „schlagartigen Befreiung“ erreicht ist, könnte er ohne die „zunächst“ gestellte Herausforderung des Denkvermögens überhaupt nicht eintreten. Das größte Beispielfeld für die Komik der Sequenz eröffnen die Komödientheorie und ihre allgemeinen Formprinzipien. So beruhen sämtliche typologische Konstellationen, die Bergson konzipiert, auf einer zeitlichen Figur: der Wiederholung. Während die lebensphilosophisch als komisch interpretierte Starre oder die steife Bewegung nicht von temporalen Bedingungen abhängig ist, entsteht der Effekt des Mechanischen („Springteufel“, „Hampelmann“, „Schneeball“) erst, wenn etwas mehrmals in Folge statt punktuell-einmalig geschieht. Gängiger sind jedoch Modelle der Komödie, die auf eine spezielle zeitliche Reihung abstrahieren: den Wechsel von der Ordnung über den Zustand der Auflösung, des Chaos bis zur Wiederherstellung der Ordnung. 238 Auch Lohrs Communitas-Formel, die an anderer Stelle schon notiert wurde, besteht aus drei Phasen in nicht-beliebiger Reihenfolge. Alle so oder ähnlich aufgebauten Theorien sind temporale Auseinanderfaltungen sozialer Ambivalenz, die Simultanität in Sequenzialität übersetzen: Ambivalent war Komik gleichzeitig subversiv und stabilisierend; die Komödie stellt zuerst die stabile, gültige Ordnung hin, demontiert sie dann, um sie schließlich zu restaurieren, mehr oder weniger verändert durch das zwischenzeitliche komische Chaos. 236 Vgl. Peter Köhler: Witz. In: Kleine literarische Formen in Einzeldarstellungen. (Universalbibliothek 18187) Stuttgart: Reclam 2002, S. 259-271. 237 Bjørn Ekmann: Das gute und das böse Lachen. Lachkulturforschung im Zeichen der Frage nach Funktion und Wert des Lachens. In: Jahrbuch für Internationale Germanistik 16 (1984), H. 2, S. 15. 238 Siehe dazu Abschnitt 2.6.2. <?page no="80"?> 76 Ebenso wie Wiederholung ist Übergang eine zeitliche Figur, die komiktheoretische Bedeutung annehmen kann. Damit verlässt man den Bereich des Sequenziellen und gelangt zu einer dritten Position, verschieden von Abfolge und Zeitpunkt. Einen wenig rezipierten Versuch, diese Temporalität für die Reflexion des Komischen nutzbar zu machen, unternimmt Heinz Otto Luthe. Seine Theorie des „komischen Aktes“ transponiert die soziale Komödien-Sequenz ins Semiotische: „Zunächst erschüttert“ der komische Akt „das überkommene kategoriale Ordnungsgefüge, den ‚Rahmen’ von Wahrnehmung und Erfahrung sowie zeichenhafter Erfassung von Sinn, indem er außergewöhnliche Verbindungen zwischen Zeichen herstellt“ 239 . Auf das „zunächst“ folgt aber kein „dann“, denn Luthes theoretische Sätze suchen selbst den Übergang zur Titel gebenden „Komik als Passage“. In diesem Schritt wird das, was in der Komödien-Struktur nur eine von drei Phasen ist - die der vorübergehenden, zwischenzeitlichen Unordnung - zu einem eigenständigen temporalen Modus. Die „interstitielle[n] Semiosen“ 240 ereignen sich ungeachtet der räumlichen Metaphorik in einem zeitlichen Dazwischen. Somit wird eine Zeitkategorie zum Spezifikum der Passagen-Komik, die das Potenzial besitzt, die komiktheoretische Opposition von Zeitpunkt und Sequenz zu dekonstruieren. Allerdings nutzt Luthe solche Möglichkeiten seines Entwurfs nicht, der insgesamt alles andere als systematisch aufgebaut ist. Dem komischen Akt wird daher auch, ohne diesen Widerspruch später aufzuklären, vor der Passagen-Definition eine weitere, nämlich die punktuelle Temporalität zugedacht, „die Ereignisstruktur gegenüber der Geschehensstruktur“ 241 . Ansätze zu einer Dekonstruktion des binären zeitlichen Schemas von Punkt und Folge finden sich ebenso in theoretisch stimmigen, viel beachteten Modellen. Das Komische als Kipp-Phänomen, wie Iser es beschreibt, hat eine Verlaufsstruktur, sein „Geschehenscharakter“ 242 wird theoretisiert. Man kann sich vor Augen führen, was der Prozess der wechselseitigen Negativierung temporal bedeutet: Die beiden ineinander kippenden Positionen wechseln sich zwar ab, bilden aber keine geordnete Sequenz, es lässt sich weder ein Ausgangspunkt noch ein letzter Stand bestimmen, nicht einmal eine Reihenfolge. Zudem erfolgt der Wechsel derart kurzzeitig und kontinuierlich, dass ein Zeitpunkt nur annähernd, nie ganz mit einer der Sinn-Positionen zusammenfällt, denn die Positionen stehen immer entweder „noch nicht“ oder „nicht mehr“ fest, der Kipp-Vorgang muss zeitlich genau dieses Dazwischen sein. Vergleichbares gilt für Koestlers Prozess 239 Heinz Otto Luthe: Komik als Passage. München: Fink 1992, S. 62. 240 Ebd., S. 203. 241 Ebd., S. 60. 242 Wolfgang Iser: Das Komische: ein Kipp-Phänomen. In: Das Komische. Hg. von Wolfgang Preisendanz, Rainer Warning. (Poetik und Hermeneutik 7) München: Fink 1976, S. 399. <?page no="81"?> 77 der Bisoziation. Dort löst der „Zusammenprall“ zweier unvereinbarer kommunikativer „Spielregeln“ oder kognitiver „Assoziationsschemata“ 243 eine anhaltende Bewegung aus, bei der das Bewusstsein „zwischen zwei Bezugssystemen hin- und herpendelt“ 244 . So, wie sich das Komische hier durch Oszillation konstituiert, sprengt es den Rahmen sowohl der punktuellen als auch der sequenziellen Temporalität. Obwohl sich bereits erwiesen hat, dass die Plötzlichkeit des komischen Moments nicht die einzige Zeitform darstellt, wird diese Temporalität besonders häufig mit Komik, noch genauer mit Witz-Komik gleichgesetzt. Luthe zufolge markiert der komische Akt „im Zeitstrom des Geschehens das Momentane“ 245 . Es hat jedoch Tradition, dieses Prinzip der Pointiertheit vom Komischen auf den Witz einzuschränken. So herrsche „von jeher die Einsicht, dass die Essenz des Witzes in der Kürze, im Einfall, in der blitzartigen Erhellung, in der überraschenden Entdeckung, in der plötzlichen Verbindung einander fremder Elemente liege“ 246 . Die „Verbindung einander fremder Elemente“ stellt nach Koestlers Bisoziationstheorie Komik im Allgemeinen auf dieselbe Basis wie kreatives Denken in Kunst und Wissenschaft. Dennoch bleibt die instantane Zeitlichkeit meist dem Witz vorbehalten. Insofern stellen Wirths Überlegungen eine Ausnahme dar, die auf den Spuren Koestlers versuchen, Witz, Komik und „kreative Abduktion“ auf dieselbe punktuelle Temporalität einer „‚blitzhaften Konjektur’“ zu bringen: „ein überraschender Kurzzschluss des Denkens, ein Gedankensprung, der eine unvorhersehbare Einheit stiftet“ 247 . In seinem Resümee der Komik-Forschung zum zeitlichen Aspekt erwähnt Warning den „immer wieder betonten episodische[n] Charakter des Komischen“ sowie „die zeitliche Punktualität seiner Entladung“ 248 . Die Differenzierung von Komik und Witz wird außer Acht gelassen, was insofern kein Versehen ist, als der Moment der Entladung sowohl die Pointe des Witzes betreffen kann als auch das Lachen als Reaktion auf die komische Bisoziation. Uneindeutig steht der „episodische Charakter“ zur Ausgangsdifferenz punktuell - sequenziell. Die komische Episode dauert zwar länger als einen Moment, erfordert aber kein zeitliches Nacheinander wie 243 Arthur Koestler: Der göttliche Funke. Der schöpferische Akt in Kunst und Wissenschaft. Bern u.a.: Scherz 1966, S. 24. 244 Ebd., S. 27. 245 Heinz Otto Luthe: Komik als Passage. München: Fink 1992, S. 60. 246 Helmuth Plessner: Lachen und Weinen. Eine Untersuchung nach den Grenzen des menschlichen Verhaltens. 3. Aufl. Bern u.a.: Francke 1961, S. 130. 247 Uwe Wirth: Abduktion, Witz und Komik im Zeichen der Drei. Peirce, Freud und Eco. In: Macht, Text, Geschichte. Lektüren am Rande der Akademie Hg. von Markus Heilmann u.a. Würzburg: Königshausen & Neumann 1997, S. 58. 248 Rainer Warning: Elemente einer Pragmasemiotik der Komödie. In: Das Komische. Hg. von Wolfgang Preisendanz, Rainer Warning. (Poetik und Hermeneutik 7) München: Fink 1976, S. 286. <?page no="82"?> 78 die Sequenz. Da Warning seine Reflexion an der Komödie orientiert, wäre auch diese Deutung möglich: Trotz ihrer temporalen Ausdehnung ist die Episode im Verhältnis zur Komödienhandlung ein punktuelles Phänomen, indifferent gegen deren Vor- und Nachzeitigkeiten. Diese Doppeldeutigkeit und die Rede von Episoden werden erst dann unhaltbar, wenn man Komödien oder die komische Praxis nach dem Drei-Phasen-Schema „Ordnung, Auflösung, Reorganisation“ modelliert. Während sequenzielle Temporalität in der Regel mit einem sozialen Komikbegriff gekoppelt wird, überwiegt bei jenen Theorien, die das Komische in einer kognitiv-psychischen Perspektive ausleuchten, der Modus des Punktuellen oder aber eine Zwischen-Zeitlichkeit, welche die beiden zuerst diskutierten Alternativen unterläuft. Um die übrigen Zeitformen ebenfalls benennen zu können, ist es notwendig, der Sequenzialität etwas anderes gegenüberzustellen als den komischen Punkt und somit eine neue Unterscheidung zu treffen. Simultanität als andere Seite der Differenz stellt die Beobachtung insgesamt nicht auf zeitliche Dauer, sondern auf die temporale Relation mehrerer Ereignisse oder Verläufe ein. Unterschieden wird demnach zwischen Gleichzeitigkeit und Abfolge. Dadurch gewinnt man eine Option hinzu: die der parallel laufenden Vorgänge. Die Komik der Plötzlichkeit, der punktuellen Zuspitzung bleibt Teil der Konzeption, redefiniert als Aufeinandertreffen zweier Funktionen. So wird die Ambivalenz der Komik in ihren temporalen Modus eingebunden. Dazu sind bereits die Modelle von Iser und Koestler in der Lage. Sowohl der Ambivalenz-Figur als auch den Inkongruenztheorien ist die Gleichzeitigkeit des Ungleichen inhärent. Selten wird dies jedoch in eine tatsächliche Temporalisierung umgesetzt. Bei Koestler und Iser stellt sich das gleichzeitige Verhältnis als interstitielle Zeit heraus. Dennoch ist Gleichzeitigkeit eine temporale Position, die in der komiktheoretischen Diskussion vorgezeichnet ist und daher Anschlüsse verspricht. 249 2.5 Historisierungen Nur die allgemeine Komik-Formel ist bis jetzt vorgestellt worden, der historische Unterschied zwischen vormoderner und moderner Hochkomik wird erst mit dem theoretischen Entwurf der Letzteren zum Vorschein kommen. Dennoch setzt sich diese Art der Historisierung erkennbar von jener ab, die in der Reflexion des Komischen vorherrscht. Historisiert wurde fast ausschließlich außerhalb und anstelle einer Komiktheorie, durch 249 Darauf baut Schmidts Nicht-Theorie, seine „durch analytische Abstraktion gewonnene Gleichzeitigkeitshypothese“. Siegfried J. Schmidt: Komik im Beschreibungsmodell kommunikativer Handlungsspiele. In: Das Komische. Hg. von Wolfgang Preisendanz, Rainer Warning. (Poetik und Hermeneutik 7) München: Fink 1976, S. 188. <?page no="83"?> 79 Einbettung komischer Erscheinungen in den literatur-, kulturgeschichtlichen Kontext. 250 Dagegen wird im Folgenden die Komiktheorie historisiert, um innerhalb einer generellen funktionalen Konzeption die geschichtlich spezielle Struktur aufzeigen zu können. Der Ansatz lässt sich vergleichen erstens mit allen Projekten, die einen theoretisch hervorgebrachten Gegenstand historisch situieren oder aber historisch verschiedene Ausprägungen jenes Gegenstandes unterscheiden, zweitens mit allen Projekten, die eine solche Historisierung durch Theorie begründen. Es ist innerhalb der Literaturwissenschaft nicht das erste Mal, dass dazu Luhmanns Gesellschaftstheorie, genauer der historische Wechsel primärer Differenzierungsformen, verwendet wird. Eine solche Herangehensweise grundsätzlich zu rechtfertigen, ist nicht die Aufgabe dieses Abschnitts, der vielmehr erkunden will, welchen Beitrag zur historischen Beschreibung literarischer Komik man auf diese Art leisten kann. Da das Komische in seiner antiken, mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gestalt - nach Maßgabe der Formel - bereits durch die Typologie Michail Bachtins abgedeckt wird, konkurriert das neue Modell mit den existierenden theoretischen Fassungen der modernen Komik. Damit ist auch eingeräumt, dass hier nicht die erste und einzige Bestimmung literarischer Komik in der Moderne vorgetragen wird. Ob sie in ihrem Aufbau und aufgrund ihrer Beobachtungsresultate einen notwendigen Platz einnehmen kann, wird sich durch die weitere komiktheoretische Inventur ermessen lassen. Dass die Besonderheiten der modernen Komik den vorhandenen Theorien und Begriffen entgehen, macht Dieter Lamping am Versagen der aristotelischen Harmlosigkeitslehre fest. „Die Fixierung auf das harmlos Humoristische hat die Komik-Theorie daran gehindert, den Transformationen des Komischen in der modernen Literatur gerecht zu werden, ja seinen offenkundigen Funktionswandel überhaupt zu erkennen.“ 251 Es fragt sich, welche Transformationszeit Lamping anvisiert, die Moderne als Großepoche ab 1800 oder den Umbruch seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Weder das eine noch das andere ist gemeint, denn „modern“ bezeichnet hier einen Wandel mitten im 19. Jahrhundert. „Fixiert auf den Paradigmenwechsel des Komischen vom Satirischen zum Humoristischen am Ende des 18. Jahrhunderts“ hat die Komiktheorie „den modernen im 19. Jahrhundert vernachlässigt“ 252 . Lamping bleibt die Qualität des zweiten Paradigmenwechsels keineswegs schuldig. Besonders an den Komödien 250 Eine solche literarhistorische und sozialgeschichtliche Erforschung unternimmt der schon genannte Sammelband. Vgl. Wendelin Schmidt-Dengler, Johann Sonnleitner, Klaus Zeyringer: Vorwort. In: Komik in der österreichischen Literatur. Hg. von Wendelin Schmidt-Dengler u.a. (Philologische Studien und Quellen 142). Berlin: Schmidt 1996, S. 7. 251 Dieter Lamping: Ist Komik harmlos? Zu einer Theorie der literarischen Komik und der komischen Literatur. In: Literatur für Leser (1994), H. 2, S. 62. 252 Ebd., S. 64. <?page no="84"?> 80 Kleists und Büchners werde sinnfällig, dass sich „das Komische aus seiner traditionellen Bindung an das Humoristische löst und neue Verbindungen eingeht: außer im Satirischkomischen und im Groteskkomischen vor allem im Tragikomischen“ 253 . Dieser Modernisierungsversuch ist symptomatisch; er beschreibt die moderne literarische Komik mit Hilfe bestehender Gattungsbegriffe. Diese scheinen allerdings nicht ganz trennscharf zu sein, wird doch das Satirische vor 1800 situiert, kehrt aber nach der humoristischen Phase mit Kleist und Büchner in das ab dort „modern“ genannte Komische zurück. Groteske und Tragikomik werden nicht nur von Lamping mit der literarischen Moderne assoziiert. Ein Standardwerk der gattungspoetischen Komiktheorie ist Die moderne Tragikomödie von Karl S. Guthke. Im historischen Vorlauf dieser Studie wird argumentiert, dass es vor Ende des 18. Jahrhunderts zwar schon Mischformen aus tragischen und komischen Elementen im Drama gegeben hat, aber noch keine Tragikomödie, wie Guthke sie definiert. Statt eines „Nach- und Nebeneinander“ erreicht die neue, moderne Gattung eine strukturelle „Integration“ von Komischem und Tragischem. 254 Die beiden Komponenten sind nicht nur „gleichzeitig und identisch“, dass sie sich „gegenseitig steigern“, wird zum Gattungsmerkmal. So „verschärft die tragische Implikation das Komische, indem sie ihm größere Tiefe, der komischen Sicht mehr Hindernisse gibt, die zu überwinden sind; sie macht also die komische Inkongruenz durch ihre gesteigerte Kraßheit umso wirkungsvoller“ 255 . Damit ist auch begründet, weshalb das Komische, trotz der geforderten reziproken Steigerung, 256 den Begriff dominiert. Obgleich dieses eine synthetische Verbindung mit dem Tragischen eingeht, muss Guthke einen Komikbegriff voraussetzen, was er inkongruenztheoretisch tut. Vorbild sind die dramatischen Gattungen, Tragödie und Komödie, eine komödienhafte Vorstellung wäre z.B. die Überwindung von Hindernissen. Es gelingt die Abgrenzung von den vormodernen Mischformen, problematisch bleibt die Definition, weil sie explizit nur die Synthese, nicht zuvor das Komische und das Tragische theoretisiert. An dieser Stelle sei ein Rückverweis auf den vorigen Abschnitt erlaubt: Die tragikomische Dialektik impliziert eine Temporalität der Gleichzeitigkeit. Dies geht aus der Bemerkung Guthkes hervor, die Interpretation einer Tragikomödie könne „nur dann gelingen, wenn sie die tragikomischen Qualitäten Szene für Szene, ja fast Wort für Wort erhellt“ 257 . Die beiden Modi müssen in jeder (Zeit-)Einheit des komischen Textes parallel laufen 253 Dieter Lamping: Ist Komik harmlos? Zu einer Theorie der literarischen Komik und der komischen Literatur. In: Literatur für Leser (1994), H. 2, S. 63. 254 Karl S. Guthke: Die moderne Tragikomödie. (Kleine Vandehoeck-Reihe 270) Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1968, S. 50. 255 Ebd., S. 65. 256 Vgl. ebd., S. 66. 257 Ebd., S. 11. <?page no="85"?> 81 bzw. zusammentreffen, um die tragikomische Qualität zu halten und so die Gattungsbezeichnung zu rechtfertigen. Wo die soziale Ambivalenz der Formel aus dem gleichzeitigen Verlauf oder der gemeinsamen Präsenz gegensätzlicher Wertigkeiten den Begriff des Komischen gewinnt, bezeichnet Guthke nur eine der beiden Richtungen als Komik. Die strukturelle Ähnlichkeit der Theorien wir dadurch eingeschränkt. Der Beginn der Studie deutet an, dass es sich bei der untersuchten Gattung um eine Komik der Moderne handelt. Deren Modernität bestehe nach Meinung der zeitgenössischen Kritiker sowie der Autoren darin, dass „sie die menschliche Situation, wie die ‚moderne’ Zeit sie auffasse, in einzigartiger Weise darzustellen vermöge“ 258 . Guthke kritisiert das „Schlagwort von der Modernität der Tragikomödie“, weil nur selten klar sei, „was mit ‚modern’ gemeint ist“ 259 . Sein Vorgehen korreliert deshalb ideengeschichtliche Hauptmerkmale der Modernität mit „weltanschaulichen und anthropologischen Implikationen der tragikomischen Sichtweise“ 260 . Kennzeichen des 19. und 20. Jahrhunderts ist der Verlust normativer Ordnungen. Während Tragödie und Komödie jede für sich die „Überzeugung von der Existenz“ 261 solcher Ordnungen voraussetzen, führt die Tragikomödie zuvor ordnungsgebundene Fragestellungen der beiden Einzelgattungen weiter, zum Beispiel die metaphysischen Interessen der Tragödie, 262 dies aber in der veränderten, modernen Lage des Ordnungsverlusts. Auf dem heutigen Stand der Forschung stehen selbstverständlich eine Reihe von Modernitätsbegriffen und Modernetheorien bereit, die anstelle von Guthkes ideengeschichtlichem Befund einsetzbar sind. Auch daraus erwachsen komiktheoretische Differenzen. Was diagnostiziert werden soll, ist jedoch vor allem der grundsätzliche Argumentationsgang: Um Komik zu historisieren, speziell zu modernisieren, wird ein fester Gattungsbegriff aufgrund seiner Übereinstimmungen mit der jeweiligen Konzeption der Moderne als „modern“ identifiziert. Es ist diese Begründungsart der bisherigen Historisierungen, mit der die vorgelegte Formel bricht und wodurch sie eine andere moderne Komik aufdecken kann. Silvio Vietta kommt vom Begriff der literarischen Moderne auf eine geschichtlich spezifische Funktion komischer Gattungsformen; die soeben analysierte Begründungsart ist jedoch dieselbe wie bei Guthke. Viettas mehrdimensionale Typologie der literarischen Moderne muss hier nicht insgesamt wiedergegeben werden. Im Hinblick auf das Komische wird sie deshalb kondensiert zum „modernen Prozeß der Destruktion der abend- 258 Karl S. Guthke: Die moderne Tragikomödie. (Kleine Vandehoeck-Reihe 270) Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1968, S. 14. 259 Ebd., S. 102. 260 Ebd., S. 100. 261 Ebd., S. 103. 262 Vgl. ebd., S. 104. <?page no="86"?> 82 ländischen Metaphysikgeschichte und ihrer politischen Folgelasten“ 263 . Was verbindet diese Modernität mit einer Gruppe ästhetischer, komischer Formen, die in der modernen Epoche seit 1800 gehäuft auftreten: Parodie, Satire, Ironie, Ästhetik des Hässlichen? 264 Da jene auch schon vor dieser Zeit vorhanden sind, anders als die Tragikomödie in Guthkes Definition, muss ihre moderne Besonderheit in der geänderten Funktion zu finden sein. 265 Die genannten Gattungen und ästhetischen Figuren partizipieren am „modernen Prozeß der Destruktion“, führen daher eine „kritische und subversive Auseinandersetzung“ mit der „Denk- und politischen Wirkungsgeschichte“ 266 abendländischer Metaphysik. So weit ist Komik Teil der literarischen Moderne. Vietta zeichnet seine Formbeispiele überdies durch eine spezielle Destruktion aus und bezeichnet sie, wie im Ambivalenz-Kapitel schon angeführt, als „Dekonstruktion“: „Ironie, Satire, auch die Ästhetik des Häßlichen und das Fragment sind ja bezogen auf Vorgaben: auf vorgegebene Texte und Verhältnisse, die diese ästhetischen Techniken destruieren und an die sie, in deren Demontage, gleichwohl gebunden bleiben.“ 267 Dieser zweiwertige Bezug gleicht dem, was in der Analyse der allgemeinen Komiktheorien „reflexive Ambivalenz“ genannt wurde, wobei die Subversion zu einer destruktiven Teilbewegung gesteigert wird. Um den Blick wiederum auf die Begründungsweise zu richten: Aufgrund einer generellen Konzeption der literarischen Moderne wird moderne Komik nicht mit einer einzigen Gattung, sondern mit mehreren ästhetischen Konstellationen gleichgesetzt, die eine grundlegend moderne Funktion durch eine exklusiv komische Struktur erfüllen. Mit Viettas und Guthkes Zugang zur komischen Moderne ist ein Muster gegeben, gegenüber dem die vorgeschlagene komiktheoretische Formel ihre historische Perspektive aufspannen kann. Eine Gemeinsamkeit ist unumgänglich: Jedes Modell moderner Komik benötigt ein modernetheoretisches Fundament. Dies leistet im vorliegenden Fall der systemtheoretische Baustein „funktionale Differenzierung“, dessen Auswirkungen auf die Beobachtung des Komischen im folgenden Abschnitt offengelegt werden. Aus der Kombination von Systemtheorie und sozialer Ambivalenz als Definitionskern der Formel resultieren jedoch wichtige Unterschiede zu Guthke, Vietta und ebenso verfahrenden Konstruktionen: Erstens steht die moderne Komik nicht für sich, sie ist theoretisch an den allgemeinen Komikbegriff angeschlossen. Zweitens wird die Notwendigkeit einer Historisierung ebenfalls schon Teil des theoretischen 263 Silvio Vietta: Die literarische Moderne. Eine problemgeschichtliche Darstellung der deutschsprachigen Literatur von Hölderlin bis Thomas Bernhard. Stuttgart: Metzler 1992, S. 195. 264 Vgl. ebd., S. 192. 265 Vgl. ebd., S. 193. 266 Ebd., S. 195. 267 Ebd. <?page no="87"?> 83 Hauptsatzes, und zwar durch die Relation zur historisch veränderlichen Differenzierung der systemisch verfassten Gesellschaft. Beides kann man für die exemplarischen Modelle von Guthke und Vietta nicht behaupten. Da überhaupt kein allgemeiner Komikbegriff konzeptualisiert wird, gibt es auch keine übergeordnete Einheit, an der sich die historische Differenz modern - vormodern herausbilden könnte. Für jene Unterscheidung müsste die unausgeführte andere Seite der Modernitätsauffassung einspringen. Unter dem Gesichtspunkt eines konsistenten und ökonomischen Theorie- Aufbaus ist deshalb der Vorzug der Formel erheblich. Deren Innovation im theoretischen Vergleich zeigt sich vor allem an den Beobachtungsfolgen. Während bisher gattungspoetische oder ästhetische Strukturen die Stelle des Modern-Komischen aufzufüllen hatten, die über eine je spezielle Funktion als modern und komisch gedacht werden konnten, erkennt die entworfene Theorie gänzlich neue, noch nicht beschriebene Strukturen, die moderne Hochkomik unabhängig von Gattungsbegriffen bestimmbar machen. So läuft Modernisierung nicht mehr über die Funktion, wie etwa bei Vietta, diese bleibt stattdessen frei für die schon als Vorzug verbuchte Generalisierung, ohne die sich keine historische Differenz herstellen lässt. Damit sind jene Merkmale aufgezählt, die das vertretene Modell hinsichtlich der Historisierung vom Stand der Forschung abheben. Alle weiteren Neuerungen diskutiert das dritte Kapitel, worauf die Darlegung der „Differenzen der Komiktheorie“ insgesamt zuführt, weshalb es nicht isoliert gelesen werden kann. Anhand der erläuterten, innerhalb der Forschung positionierten Formel wird vorgezeichnet, wie moderne Hochkomik literarisch aussehen kann. Ein Nachsatz zur Historisierung kommt auf den Fall Bachtin und seine verkappte Theorie vormoderner Komik zurück: In Probleme der Poetik Dostoevskijs wird nicht nur konstatiert, sondern aus utopischen Motiven beklagt, dass ab dem 17. Jahrhundert die karnevalistische Tradition zunehmend verfällt; 268 sie habe „ihre frühere Bedeutung und den früheren Reichtum an Formen und Symbolen verloren“ 269 . Dass die mennipeische Satire literarisch weitergeführt wird, von Autoren wie E.T.A. Hoffmann, stiftet karnevaleske Kontinuität, Bachtin zeichnet als typologisch moderne Stufe dieser Entwicklung den dialogischen Roman Dostoevskijs aus. Nun kann man aufgrund der neuen Komiktheorie und der dadurch ermöglichten Neubewertung des Karnevalesken die Diskontinuität von Moderne und Vormoderne weitaus stärker machen. Obwohl weiterhin Karneval gefeiert wird, obwohl Transgression und Inversion für die moderne Literatur bedeutsam sind, haben sie ihren Status als Hochkomik verloren. Im Blick auf den primären Differenzierungstyp des Sozialen wird die von 268 Vgl. Michail Bachtin: Probleme der Poetik Dostoevskijs. (Literatur als Kunst) München: Hanser 1971, S. 146. 269 Ebd., S. 147. <?page no="88"?> 84 Bachtin typologisierte Komik dysfunktional, sie greift nicht mehr in der für den Begriff der Hochkomik unverzichtbaren sozialen Reflexivität. Die moderne Gesellschaft mit ihren funktional differenzierten Teilsystemen hat eigene komische Formen, die insbesondere ihre anti-soziale Bewegung auf die veränderte Organisation des Sozialen abstimmen. All dies gilt wohlgemerkt keinesfalls absolut, sondern lediglich für das Komische, wie die Formel es beobachtet. Ob das Modell Zustimmung findet, entscheidet sich auch danach, ob man mit jener Voreinstellung Phänomene überhaupt oder genauer zu sehen bekommt, die für die literarische Moderne empirisch wie theoretisch als relevant eingeschätzt werden. Im Nachsatz des Nachsatzes drängt sich trotzdem die Frage auf, wie das Karnevaleske obsolet sein kann, wenn man es bei paradigmatisch modernen Autoren wie E.T.A. Hoffmann antrifft, wenn dessen Prinzipen in der DDR-Literatur wie auch in literarischen Texten nach 1989 Aktualität erlangen. Markus Symmank begründet das vorübergehend Zeitgemäße karnevalesker Strukturen in der Nach-Wende-Literatur mit der historischen Situation des politisch-sozialen Umbruchs. 270 Dessen Begleiterscheinungen passen genauso auf die Typologie des Karnevals: „Wechsel von Beziehungen“, „Ablösung von Rollen- und Machtverhältnissen“, „Verkehrung von Hierarchien“ 271 . Die Parallelen zwischen dem karnevalesken Repertoire und der geschichtlichen Übergangslage der Gesellschaft sind kaum zu leugnen. Von der systemtheoretischen Komik-Formel her muss man zugeben, dass der Blick auf die primäre soziale Differenzierung solche Phasen innerhalb der Moderne übersieht. Doch nicht nur die Verwendung des lumannschen Bausteins, jede Theorie der Moderne ab 1750 stellt die historische Binnendifferenzierung hintan. Komiktheoretisch soll aber dennoch ein Kriterium vorgeschlagen werden, nach dem sich verschiedene Perioden moderner Hochkomik einteilen lassen. 272 Zum anderen könnte man die periodische Aktualität der Bachtin-Komik gerade mit der Formel erklären: Das Karnevaleske wird immer dann wieder brisant, wenn soziale Kommunikation zwar nicht primär-systemisch, aber doch auf sekundärer Ebene hierarchisch organisiert ist, bedingt durch zeitlich begrenzte staatlich-gesellschaftliche Verhältnisse. Insofern wendet sich der Einwand zum Argument für den theoretischen Ansatz: Komik scheint grundsätzlich je nach der Ordnung des Sozialen zu variieren. 270 Vgl. Markus Symmank: Karnevaleske Konfigurationen in der deutschen Gegenwartsliteratur. Untersuchungen anhand ausgewählter Texte von Wolfgang Hilbig, Stefan Krawczyk, Katja Lange-Müller, Ingo Schulze und Stefan Schütz. (Epistemata/ Reihe Literaturwissenschaft 370) Würzburg: Königshausen & Neumann 2002, S. 10 u. 13. 271 Ebd., S. 37. 272 Vgl. dazu Abschnitt 3.1. <?page no="89"?> 85 2.6 Systematik komischer Gattungen und Kategorien In diesem Teil der Untersuchung wurden bisher die „Differenzen der Komiktheorie“ verfolgt, d.h. jene Punkte markiert, an denen die theoretischen Modelle voneinander abweichen, wodurch zugleich die Positionen hervorgetreten sind, welche, ungeachtet der feinen bis größeren Unterschiede, von mehreren Theorien belegt werden. Im ständigen Bezug auf diese Denkarbeit am Komischen hat sich ein neuer allgemeiner Komikbegriff abgesetzt, den das folgende Kapitel im Hinblick auf die literarische Moderne historisieren wird. Zuvor ist die Differenzierung auszuweiten: Zum Vergleich stehen nicht mehr nur die theoretischen Ansätze, sondern die Vielfalt komischer Kategorien, vor allem der traditionellen Gattungsbegriffe. Ein Konstrukt wie die Ambivalenz-Formel kann sich nie allein durch ihre eigene Beschreibung der Phänomene legitimieren, sie muss immer auch das alternative Beschreibungsinstrumentarium im Blick behalten, um trotz mancher Überschneidungen allzu große Gemeinsamkeiten zu vermeiden, da dies der Ökonomie der Begrifflichkeit abträglich wäre. Deshalb wird zum Abschluss des Theorie-Kapitels taxiert, ob mit den bislang aufgemachten Differenzen auch einige der noch nicht erwähnten Gattungen und Stilformen des Komischen klar verteilt werden können. Dass dabei zusätzliche Kriterien Verwendung finden, ist kaum zu vermeiden, diese sollen aber möglichst gering gehalten werden und auf die hinreichende Abgrenzung beschränkt bleiben. Weder machbar noch beabsichtigt ist hingegen eine Synthese sämtlicher Komik-Begriffe oder deren Subsumierung unter die vorgeschlagene Formel. Ein solcher Anspruch widerspräche der konstruktivistischen Anlage des gesamten Vorhabens. 2.6.1 Satire Zunächst ist auf Trennlinien zurückzukommen, die bereits gezogen wurden. Dies betrifft die benachbarten sozialen Konzeptualisierungen des Komischen. Keine der existierenden Kategorien geht von der systemtheoretisch verfassten Organisationsform des Sozialen aus, diesen Zugang kann die Formel für sich behalten und eröffnet so gänzlich neue Formbestimmungen. Als Alternativen neben jener sozial-strukturellen Komik wurden die programmatische und die elementare Komik des Sozialen angeführt. Es ist aber noch nicht vollständig dargestellt worden, welche komischen Gattungen in diesen Bereichen angesiedelt sind. Das wichtigste Beispiel der Programm-Komik ist, wie schon gesagt, die Gattung der Satire, diese Platzierung soll auch angesichts der definitorischen Übereinkünfte der Satire- Forschung bekräftigt werden. Laut Arntzens theoretischen Vorüberlegungen zu einer Geschichte der Gattung zeichnet sich diese durch eine be- <?page no="90"?> 86 stimmte Intention gegenüber „Mißverhältnisse[n]“ 273 aus sowie durch eine dieser Intention angepasste Darstellungsweise. Man muss allerdings die Art der Missverhältnisse genauer benennen, um den meist werkbezogenen Studien zur satirischen Literatur gerecht zu werden. Satiren thematisieren soziale Unstimmigkeiten, und zwar exakter Diskrepanzen zwischen gesellschaftlicher Programmatik und sozialer Wirklichkeit. Ihre Gegenstände, noch nicht ihre Darstellungsweise, erwachsen ihnen daraus, dass die Selbstreflexionen der Gesellschaft sich nicht mit den historischen Realitäten decken. Programme behandeln immer die Frage, was Gesellschaft allgemein ist bzw. sein soll oder sie machen Aussagen darüber, wie die konkreten sozialen Verhältnisse aussehen. Es muss jedoch nicht unbedingt das gesellschaftliche Ganze angesprochen sein, auch die Selbstbilder sozialer Gruppierungen gehören dazu, etwa die Ständemoral. Weil derartige Definitionen des Gesellschaftlichen, von der Theorie über die Politik bis zu Teilinstitutionen, selten frei von Normen sind, die bestimmte Werte garantieren sollen, kann die satirische Darstellung dort einhaken und demonstrieren, dass die Tatsachen dem Zusammenhang von Regulierung und gesellschaftlicher Idealvorstellung widersprechen. Selbst eine allzu negative Diagnose des sozialen Zustands kann zum Objekt der Satire werden. Die Funktion dieser komischen Gattung wäre es demnach, solche Diskrepanzen im Großen wie im Kleinen möglichst klar herauszustreichen. In der Tradition von der antiken zur modernen Satire wird diese Wirkungsabsicht häufig noch stärker zugespitzt, auf die politische Absicht, das drastisch ausgemalte Missverhältnis abschaffen zu wollen. 274 Man muss aber nicht so weit gehen, um das Satirische von anderen Begriffen der Komik zu unterscheiden. Dagegen kann nicht darauf verzichtet werden, außer der Funktion auch die Formen der Darstellung zu präzisieren, sonst wäre Satire dasselbe wie jegliche Sozialkritik. Satirische Techniken sind bekanntlich die Inversion, die Verkehrung der Programmvorgaben, sowie die Übertreibung, z.B. eine Übererfüllung der programmatischen Normen, die ebenfalls nicht den Realitäten entspricht. Eine regelrechte Theorie der Satire kann bei dieser Systematik nicht herauskommen. 275 Es sollten jedoch die hinreichenden Gattungsmerkmale wiederholt und festgelegt werden, mit denen das Satirische innerhalb der komischen Kategorien einen eigenen Platz einnimmt. Wenn auf der einen Seite der sozialen Konzeption der Unterschied zur strukturellen Hochkomik befestigt ist, dann muss sich die programmatische Komik der Satire 273 Helmut Arntzen: Satire in der deutschen Literatur. Bd. 1. Vom 12. bis zum 17. Jahrhundert. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1989, S. 16. 274 Vgl. ebd. 275 Zur Geschichte der, auch theoretischen, Satireforschung vgl. den noch immer weitgehend gültigen Bericht von Jürgen Brummack: Zu Begriff und Theorie der Satire. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 45 (1971), Sonderheft, S. 275-377. <?page no="91"?> 87 andererseits von dem unterscheiden lassen, was hier zuvor „elementare“ Komik genannt wurde. Dies meint alle Varianten des Komischen, die unmittelbar auf die empirisch gegebenen Bestandteile des Sozialen abgestellt sind: Situationen, Charaktere, Sprache. Das wirft die Frage auf, ob nicht das Subgenre der Personalsatire die strikte Trennung von „elementar“ und „programmatisch“ unterläuft. Tatsächlich gibt es in der Geschichte der satirischen Literatur immer wieder Texte, die einzelne Personen angreifen. Obwohl insofern ein Element der Gesellschaft herausgegriffen wird, kann man diese überzeichnenden Attacken überwiegend der Satire zurechnen, da zwar durchaus ein Individuum dargestellt wird, jedoch meist im Hinblick auf eine gesellschaftliche Funktion, die derjenige oftmals selbst programmatisch beansprucht hat. So wird darauf gezielt, die Diskrepanz zwischen diesem sozialen, moralisch grundierten Selbstbild oder auch einer artikulierten Fremdeinschätzung und der realen Persönlichkeit mehr oder weniger grell zu beleuchten. Ein Großteil der Charakterkomik, die keine Personen, sondern Typen zeichnet, trägt ebenfalls satirische Züge, indem sie karikierend aufzeigt, dass jenes typische Verhalten sich nicht mit den Realitäten und Idealen der Gesellschaft verträgt. Es erscheint ratsam, Bezeichnungen wie Situations-, Charakter- und Sprachkomik nur dann zu verwenden, wenn keine der spezifischeren Strukturen des Komischen zutrifft. Im Kapitel zur Avantgarde werden manche Fälle, die auf den ersten Blick wie reine Sprach- oder Situationskomik wirken, in das neue Modell der sozialen Ambivalenz übertragen und so in ihrer Funktion genauer charakterisiert als dies mit herkömmlichen Begriffen möglich wäre. Dennoch existieren Gattungen, die eher zum Elementaren als zum Programmatischen neigen. Eine dramatische Farce beispielsweise stellt Charaktere bloß, die typenhaft menschliche Schwächen verkörpern, welche ebenfalls einer funktionsfähigen Gesellschaft widerstreiten. Anders als in der Satire werden diese Diskrepanzen jedoch nicht an einem bestimmten historischen oder theoretischen Programm des Sozialen gemessen. Satiren entstehen aus der Referenz auf eine geschichtliche Wirklichkeit einerseits und eine Formulierung gesellschaftlicher Ordnung andererseits - daher die historische Diversität der Gattung sowie die Abhängigkeit ihrer Wirkung von einer zeitgenössischen bzw. nachträglichen Rezeption, die solche im Text angelegten Referenzen herstellen kann. Sofern farcenhafte Stücke konkrete Bezüge anbieten, sind sie satirisch, anderenfalls bleiben sie komisch elementar. Farcen, Possen, Burlesken - diese Untergattungen der Komödie, deren genereller Aufbau anschließend verortet werden soll, fallen unter systematischen Gesichtspunkten nicht mehr in dasselbe Gebiet wie die Literatur der Satire. Sie werden häufig als „niedere“ Komik qualifiziert. Nach den hier verwendeten Einteilungen spielen jene Subgenres vorwiegend eine psychisch fundierte Komik aus, die man besonders gut mit Freuds Theorie <?page no="92"?> 88 des Witzes erklären könnte. Ihnen fehlt hingegen in der Regel die soziale Reflexivität, ein Merkmal, das Satire und Hochkomik verbindet, obgleich die Ebenen der Reflexion differieren. 2.6.2 Komödie Die Komödie ist diejenige Großgattung, welche in der Forschung seit Langem am engsten mit der Theorie des Komischen verknüpft wird. 276 Sie gilt als Paradigma komischer Literatur, deshalb wird häufig der Versuch unternommen, typisch komödienhafte Strukturen auf einen allgemeinen Komik-Begriff zurückzuführen oder ihn darin erst zu begründen. Wichtige Beiträge der Komödienzur Komiktheorie sowie Versuche in umgekehrter Richtung wurden bei der Sichtung der „Differenzen“ bereits verarbeitet, darunter die Modelle von Bergson, Warning, Stierle, Lohr und Luthe. Die jüngste Theoriebildung dokumentiert der Band von Ralf Simon, in dem Ulrich Profitlich festhält: „In der aktuellen Komödien-Reflexion stehen [...] der komik-zentrierte und der komik-indifferente Begriff nebeneinander.“ 277 Es werden demnach auch gänzlich eigenständige Theorien der Gattung entwickelt, die ohne einen Rückgriff auf kursierende Vorbilder des Komischen auskommen und außerdem komische Elemente in Komödien nicht für notwendig halten. Eine Sortierung komischer Kategorien, die hier angestrebt wird, fokussiert zwei Aspekte der etablierten Komödienforschung: das Verhältnis der Gattung zur sozialen Ordnung und ebenso die charakteristische Zeitlichkeit dieses Dramentyps. Die Gattung ist nicht auf Formen des Elementar-Komischen zu reduzieren, obwohl diese in Komödien gehäuft auftreten. Vielmehr haben sich anspruchvolle Konzeptionen immer darum bemüht, einsichtig zu machen, dass Sprache, Charaktere und Situationen in Komödien nicht für sich genommen komisch werden, sondern aufgrund ihrer Funktion für das Gesellschaftliche. Daher ist zu fragen, wie das Soziale für komische Dramen eine Rolle spielt: als Organisationsform, in der Definition diverser Programme, als politisch-gesellschaftliche Ordnung? Die ersten beiden Perspektiven scheiden aus, da sie der Hochkomik respektive dem Satirischen vorbehalten sind. Die Komödie hat es also weder mit der grundlegenden systemischen Funktionsweise zu tun noch mit Beschreibungen der Gesellschaft in ihrer Relation zur Wirklichkeit. Sie nimmt stattdessen die tatsächlich bestehende Ordnung zum Ausgangspunkt, die den sozialen Elementen einen Ort und einen Rang zuweist oder einen speziellen Ablauf vorsieht. Der Akzent liegt nicht auf den historisch variierenden Verteilungen, den 276 Vgl. Rainer Warning: Theorie der Komödie. Eine Skizze. In: Theorie der Komödie - Poetik der Komödie. Hg. von Ralf Simon. (Aisthesis-Studienbuch 2) Bielefeld: Aisthesis 2001, S. 31. 277 Ulrich Profitlich: Komödien-Konzepte ohne das Element Komik. In: Ebd., S. 29. <?page no="93"?> 89 anthropologisch konstanten Ritualen, sondern auf deren ordnender, strukturierender Leistung. Diese wird in Komödien zeitweilig außer Kraft gesetzt. Das Geschehen geht durch eine Phase der Destabilisierung bis zum Chaos, bevor am Schluss wieder eine klare Ordnung gilt. Ob es genau dieselbe ist wie zu Anfang, deren Modifizierung oder eine völlig neue, ist gegenüber dem Ordnungscharakter zweitrangig. Jene Abfolge gibt das von Northrop Frye identifizierte Gattungsschema wieder, 278 das zwar wegen seiner teleologischen Fixierung auf das wieder geordnete Ende umstritten ist, aber an vielen Dramen von Shakespeare bis zur modernen Komödie exemplifiziert werden kann. Kleists Zerbrochner Krug und Büchners Leonce und Lena, die später auf ihre Hochkomik untersucht werden sollen, sind nur zwei Beispiele. Erst das Theater des Absurden, sofern man darin eine Fortsetzung der Komödie sieht, setzt bei einem Stand ein, dem jede Ordnung fehlt, weshalb jene Stücke nicht mehr den komödienhaften Verlauf nehmen können. Hält man an Fryes Definition fest, so ist eine Verwechslung mit dem Konzept der Hochkomik ausgeschlossen: zum einen, weil eine andere Fassung des Sozialen zugrunde gelegt wird, zum anderen wegen der unterschiedlichen Zeitlichkeit, wie im Abschnitt „Temporalitäten“ schon vermerkt wurde. Zwar nimmt die Komödie ebenso zwei gegenläufige Haltungen zum Sozialen ein, die eine aggressiv-destruierend, die andere affirmativ-restaurierend. Diese Einstellungen stehen aber nicht nebeneinander, sie werden nicht gleichzeitig umgesetzt, sondern definieren gerade durch ihr Nacheinander die Gattung der Komödie. Eine Ambivalenz ist daher nicht gegeben. Im Ergebnis wird die theoretische Bindung zwischen komischem Drama und allgemeiner Komik gelockert, was den jüngsten Forschungstendenzen entgegenkommt. Dafür kann die Beschreibung des Modern-Komischen verstärkt auch nichtdramatische Gattungen in den Blick nehmen, wofür bislang die Kategorien des Absurden und Grotesken einstehen mussten. Dennoch bedeutet die konzeptuelle Eigenständigkeit mitnichten, dass Hochkomik in der Komödie keinen Platz hat. Die Gattung stellt mithin eine Makrostruktur zur Verfügung, innerhalb derer sich sowohl die vormoderne als auch die moderne Komik der sozialen Ambivalenz entfalten kann. Zur vollständigen Abgrenzung darf schließlich nicht übersehen werden, dass die destabilisierenden Mittel der Komödie sich mit den Figuren des Karnevalesken berühren: Inversion von Hierarchien in einer verkehrten Welt, Überschreitung der Standes- und Anstandsgrenzen. Dem ist zu entgegnen, dass jeweils ein anderer Bezugspunkt vorliegt. Die karnevalesken Spiele und Rituale unterhalten ein ambivalentes Verhältnis zur Gesellschaft als Kommunikationssystem und dessen primärer Differenzierung. Diese verändert sich historisch nur in großen Abständen, z.B. an der 278 Vgl. Northrop Frye: Anatomy of Criticism. Four Essays. Princeton/ New Jersey: Princeton University Press 1957, S. 171. <?page no="94"?> 90 Schwelle zur sozial-literarischen Moderne. Dagegen lösen Komödien vorübergehend die geschichtlich häufiger wechselnden Grenzziehungen und Hierarchien auf. Statt den Prozess sozialer Systeme zu subvertieren und anzuregen, stellen sie die Autorität von Institutionen in Frage, bringen Rangfolgen in Unordnung und wandeln Bräuche so ab, dass sie das gesellschaftliche Chaos eher steigern als bewältigen. Bernhard Greiner hat dagegen eine theoretische Sicht entworfen, in der die Komödie und das Karnevaleske sich einander angleichen. Die karnevalistische Freisetzung des Körperlichen wird bis zur dionysischen Herkunft des theatralen Spiels rückverfolgt. Dennoch sind die regulierenden Instanzen ebenso gegenwärtig, denn in der Komödie mache sich „das Unterworfene, der Körper mit seinem Lustanspruch“, gerade an der „unterwerfenden Macht, den Ordnungs- und Sinnsystemen“ 279 geltend. Entscheidend ist, dass Greiner das Soziale und das Semiotische zusammendenkt. So bringt die karnevalistische Komödie nicht nur gesellschaftliche Hierarchien durcheinander, sondern auch die binäre Ordnung der Zeichen. Dies gelingt ihr, indem sie durch den Körper, der jenseits der dramatischen Illusion die inkommensurable Realität nicht nur bezeichnet, sondern auch unmittelbar präsent macht, eine Zweideutigkeit einführt. Auf diese Weise „verweigert“ sich das komische Drama den wertenden Dichotomien „von Text und Theater, von Zeichen- und Körper-Bewegung“ 280 . Was kenntlich wird, obgleich Greiner es nicht so nennt, ist die Figur einer dekonstruktiven Ambiguität. Stellvertretend für eine zweiwertige und daher eindeutige Logik, die über Zeichen auch das Soziale zusammenhält, subvertieren Komödien die Opposition von körperlicher Performanz und semiotischer Repräsentation. Nochmals pointiert: Die Komik der Gattung betreibt eine Subversion des sozialen Zeichensystems durch Ambiguität. Eine zu große Übereinstimmung mit der hochkomischen Ambivalenz ist demnach nicht zu befürchten. Überzeugen kann Greiners Konzeption vor allem damit, dass sie den dekonstruktiven Zuschnitt des Karnevalesk- Komischen, der in der Rezeption des Grotesken geschärft wurde, konsequent nutzt. Die Komödien-Konstante „Spiel-im-Spiel“, das Durchbrechen der Theater-Illusion, wird plausibel zur fundamentalen Verunsicherung der sozialen Welt, die auf geordneten und hierarchisierten Begriffspaaren ruht. Gerade die semiotische Grundlegung des Gesellschaftlichen verleiht der Komödien-Formel ein komiktheoretisches Format. Jene Verschränkung der Dimensionen ist zugleich der wichtigste Unterschied zur Figur der sozialen Ambivalenz. Sie kann insofern nicht konkurrieren, sondern nur nochmals ihre grundsätzlich andere Fundierung bekräftigen. Darüber hinaus ergeben sich unterschiedliche Beobachtungsfolgen. Greiner führt sein 279 Bernhard Greiner: Die Komödie. Eine theatralische Sendung. Grundlagen und Interpretation. (UTB 1665) Tübingen: Francke 1992, S. 6. 280 Ebd., S. 4. <?page no="95"?> 91 Gattungsmodell ohne historische Differnzierung durch. Er verwirft eine stringente interpretatorische Verwendung, da sie der anti-systematischen Ausrichtung der Komödien-Komik widerspreche. 281 Sein Modell eignet sich daher besser für generische als für individuelle Textstrukturen oder historische Paradigmen. Dafür erfasst es sowohl den Text des Dramas als auch dessen Aufführung, die theatrale Inszenierung. 2.6.3 Groteske Unter den Gattungen bzw. Stilformen des Komischen ist dem Grotesken zuletzt die größte theoretische Aufmerksamkeit zuteil geworden. Bachtins typologische Analyse der mittelalterlichen Karnevalskultur wurde weiter dehistorisiert zu einer Figur, die in allen Kulturen und an jedem Punkt der Geschichte anzutreffen ist. Dennoch hat man der Moderne einen Hang zur grotesken Darstellung attestiert, weil damit die Schönheitslehre der harmonischen (Werk-)Einheit durch eine Ästhetik des Hässlichen oder Bizzaren gebrochen wird. „Das Groteske“ steht sowohl für die an Bachtin anschließende Konzeption als auch für den bereits zuvor existierenden Stilbegriff. Wolfgang Kayser leitet seine Studie, die das Thema literaturwissenschaftlich erschlossen hat, mit der kunsthistorischen Herkunft der Bezeichnung ein: „Grotesk“ heißen Bildelemente, die aus zwei sonst getrennten Existenzbereichen zusammengesetzt sind, menschliche mit tierischen oder pflanzlichen Teilen zu einem in der Natur nicht vorkommenden Ganzen kombinieren. 282 Dies wurde begriffsgeschichtlich ausdehnt auf alle künstlerischen Erscheinungen, die Heterogenes in einer Darstellungseinheit verbinden. Das kann nicht nur das Repräsentierte, sondern auch die Präsentationsweise betreffen, etwa durch das Ineinanderschreiben sonst getrennter Stilebenen. Kayser deutet dies historisch als Essenz und Ausdrucksform einer „entfremdete[n] Welt“ 283 , in visueller Metaphorik spricht man häufiger von einer „Verzerrung“ der Wirklichkeit. „Die Groteske“ ist zweitens Gattungsname für literarische Werke, in denen die vorgestellten Definitionsmerkmale dominieren. Gebräuchlich ist diese Kategorie nicht nur für Komödien, im Sinne eines dramatischen Subgenres, auch Erzählliteratur (Beispiel Kafka) und Lyrik des 20. Jahrhunderts werden mitunter zu dieser als modern geltenden Gattung gezählt. Die von Bachtin herkommende Auffassung des Grotesken weist jene dekonstruktive Prägung auf, deren sich auch Greiners Komödien-Formel verdankt. Trotzdem sind die beiden Konzeptionen nicht völlig kongruent. Es wird zwar dasselbe Ziel gesetzt - Subversion der symbolischen Ord- 281 Vgl. Bernhard Greiner: Die Komödie. Eine theatralische Sendung. Grundlagen und Interpretation. (UTB 1665) Tübingen: Francke 1992, S. 129. 282 Vgl. Wolfgang Kayser: Das Groteske. Seine Gestaltung in Malerei und Dichtung. Oldenburg: Stalling 1957, S. 20. 283 Ebd., S. 198. <?page no="96"?> 92 nung durch das Aufbrechen der sie strukturierenden Zweiteilungen -, die beschriebenen Mittel weichen jedoch voneinander ab. Während Greiner zufolge die Komödie den Körper einsetzt, um die Trennung von Theater und Realität zu unterhöhlen, produziert groteske Kunst generell Schau- und Vorstellungswerte, bei denen man nicht mehr zwischen dem einen oder dem anderen binär unterscheiden kann und folglich zugeben muss, dass ein Drittes entstanden ist, das somit die Logik des Entweder-oder sprengt. Die sinnliche Konfrontation mit solchen außerordentlichen Phänomenen verstärkt den dekonstruktiven Effekt. Auch die Erforschung des Grotesken ist begrifflich nicht so einheitlich, wie es nach dem ersten Überblick den Anschein hat. Neben den Auslegungen des bachtinschen Modells, die unter diesem Namen im Umlauf sind, sei die theoretische Ausarbeitung von Carl Pietzcker erwähnt, die sich von Kaysers Epochendiagnose lösen will. Seine kategoriale Bestimmung zielt ahistorisch auf einen Sachverhalt der Rezeption, der durch die Kombination des Heterogenen verursacht wird: „Grotesk wirkt eine Konstellation, in der die einzelnen Momente für ein bestimmtes Bewußtsein einander zum Deutungs- und Wertungskriterium werden und wechselseitig aneinander versagen.“ 284 Dass Perspektiven zusammentreffen und sich gegenseitig ausschalten, gleicht der komischen Bisoziation, in der das Bewusstsein zwischen zwei Kontexten oszilliert. Dies wird jedoch unspezifischer durch gleichzeitige Bezugsmöglichkeiten einer Äußerung oder Präsentation bewirkt, nicht unbedingt durch groteske Montage. Auch in einem weiteren Anlauf lehnt sich Pietzcker an Formulierungen der Komiktheorie an: Das Groteske sei ein „Bewußtseinsakt“, in dem „ein Mißverhältnis zwischen einer Erwartung und dem, was sich ihr widersetzt, erfahren wird“ 285 . Nicht fern ist hier die von Kant vertretene Version der Inkongruenztheorie, die eine Diskrepanz zwischen dem Erwarteten und dem Eintretenden aufstellt, allerdings unter Betonung des temporalen Nacheinander, wodurch die Erwartungsspannung im Nichtigen zerfällt. Pietzcker will aussagen, dass die grotesk verbundenen Komponenten diskrepante, nicht mehr vermittelbare Erwartungshorizonte aktivieren und damit die übliche Orientierung vereiteln. Das rezipierende Subjekt reagiert auf diese Erfahrung mit einer „Verbindung von Lachen und Grauen“ 286 . Die rezeptive Ambivalenz aus „Lachen und Grauen“ wird theoriegeschichtlich konstant dem Grotesken zugeschrieben. Gemäß dem psychoanalytischen Verständnis der Ambivalenz herrscht eine Gleichzeitigkeit gegensätzlicher Affekte. Dagegen bedient sich die neue Komik-Formel einer weiteren, übertragenen Bedeutung des Begriffs. Ausgehend von der 284 Carl Pietzcker: Das Groteske. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 45 (1971), H. 2, S. 201. 285 Ebd., S. 201. 286 Ebd., S. 209. <?page no="97"?> 93 direkten, affektiven Zweiwertigkeit kann man das systematische Bild des Grotesken vervollständigen. Es zeigt sich eine doppelte Ambivalenz: Die in sich konträre emotionale Wirkung der Zusammensetzung ist nur die eine Ausführung; die andere manifestiert sich in der Vorbedingung, dass die Komponenten der grotesken Gestaltung schon jede für sich genommen affektiv geladen sind, ambivalent werden sie aber erst durch die Gleichzeitigkeit ihrer gegensätzlichen Ladung. Jene primäre, durch Verbindung hergestellte Ambivalenz führt sekundär zu „Lachen und Grauen“. Nicht allein Heterogenität ist für diese Reaktion verantwortlich, nicht jede Zusammensetzung aus unzusammengehörigen Gegenstandsbereichen wirkt grotesk. Was in vielen Ausdeutungen zur Geltung kommt, soll hier thesenhaft formuliert werden: Die kombinierten Gegenstände besitzen einzeln einen bestimmten Status, entweder sie sind 1) als begehrenswert oder auch ideell wertvoll codiert, 2) als abstoßend bzw. minderwertig oder sie sind 3) neutral, d.h. weder affektnoch wertbesetzt. Erst wenn Objekte verschiedener Klassen zu einer Einheit verbunden werden, entsteht der groteske Effekt. Trifft das Neutrale, etwa ein Stuhl, mit dem Widerwärtigen oder mit Lust generierenden Formen zusammen, so wird dies ambivalent erfahren. Damit vermeidet man die ontologische Gleichsetzung des Grotesken mit dem Widernatürlichen wie auch eine negative Metaphysik, die darin den sinnlichen Ausdruck der Sinnwidrigkeit erkennt. Die Bezeichnung „codiert“ zeigt an, dass es sich nicht um anthropologisch konstante Affektladungen handeln muss, es wird eine weitgehende kulturelle Relativität angenommen, dazu die Umsetzung anthropologischer Verteilungen von Lust und Unlust in kulturelle Werte, was mit Umwertungen einhergehen kann. Um den Paradefall des Grotesken zu zitieren: Mischwesen aus Mensch und Tier sind nicht einfach deshalb zugleich lachhaft und grauenvoll, weil sie in der Natur nicht vorkommen, sondern weil der hohe Wert des Menschlichen und sein begehrenswerter Körper mit dem niederen Leben des Tieres kollidieren, das als artfremd und nicht als anziehend empfunden wird, empfunden werden soll. Das trifft jedoch nicht auf jede Kultur zu: Indische Götter vereinen menschliche und tierische Elemente, die aber selbst als göttlich gelten. Einen grotesken Anblick bietet dies höchstens dem Auge des fremden Betrachters. Mit einem mehr analytischen als theoretischen Zugang zur Komik des Grotesken wurde nicht zuletzt die Absicht verfolgt, jenen Begriff aus dem Netz von psychischen Reaktionen und ideologischen Wertungen herauszulösen. Im Hinblick auf die Systematik der komischen Kategorien sind zum einen die Dopplung der Ambivalenz und deren spezielles Zustandekommen bedeutsam. Zum anderen ist das Grotesk-Komische weniger sozial als vielmehr kulturell fundiert. Es hängt dabei nicht so stark von historischen Veränderungen ab wie die Komik der Satire. Ferner sind seine Voraussetzungen weder existenziell noch existenzialistisch aufzufassen, wie in einem <?page no="98"?> 94 Teil der älteren Forschung üblich. Von daher erübrigt sich auch der Vergleich mit dem Absurden. Das Absurd-Komische wird statt in dieser Reihe zu Beginn des Avantgarde-Kapitels vorgestellt, ebenso die Gattungen des Nonsens. Daraus wird hervorgehen, dass zu ihrer Unterscheidung von der Hochkomik die Differenzen des Theorie-Kapitels kaum nötig sind. Angesichts der systematischen Zielsetzung muss man jedoch eher zugestehen: Die Kriterien sind in diesem Fall nicht brauchbar. 2.6.4 Ironie Nicht als „philosophisch-metaphysische[s] Prinzip“, eher als „literarische[s] Stilphänomen“ 287 gehört Ironie in eine Klärung literaturbezogener Komik-Begriffe mit hinein. Die „Stilhaltung“ wiederum wurde von der Textdeutung her vielfach auf die „Geisteshaltung“ 288 eines Autors, z.B. Thomas Manns, übertragen. Das Grundverständnis, auf welches man sich einigen kann, ist ein rhetorisches: „Ironie als Redeform“ 289 . Sie bezeichnet ein intendiertes Verstehen: Es soll wahrgenommen werden, dass zwischen der gemachten Aussage und der beabsichtigten Mitteilung eine Diskrepanz besteht. „Der Ironiker meint etwas anderes als er sagt“, 290 meist das genaue Gegenteil des Gesagten. In dieser Hinsicht gilt Ironie als Trope, als Figur des uneigentlichen Sprechens. 291 Sowenig bei der Definition oder Wahrnehmung ironischen Sprechens Gehalt und Form der Aussage getrennt werden können, sowenig funktioniert die Produktion ironischer Signale ohne die entsprechende Rezeption. Diese Eigenschaften teilt Ironie mit der Interpretation literarischer Texte. Ob eine Ausdruckweise als Ironie-Signal verstanden wird, ist hochgradig kontextabhängig. Was in einer Situation ironisch wirkt, liest sich in anderem Kontext als emphatisches Bekenntnis. Eine dem Sprecher fremde Kultur kann das ironisch verschlüsselte Kompliment in eine Beleidigung verkehren. Aufgrund der kontextuellen, rezeptiven Bedingungen, in denen sich die ironische Absicht erst realisieren kann, ist es kaum möglich, die Ebenen der Diskrepanz zu isolieren und die Definition darauf zu beschränken. Auch der Begriff der Ambiguität muss zusätzlich bestimmt werden, wenn er zur 287 Beda Allemann: Ironie als literarisches Prinzip. In: Ironie und Dichtung. Sechs Essays. (Beck’sche Schwarze Reihe 66) München: Beck 1970, S. 16. 288 Ebd., S. 13. 289 Uwe Japp: Theorie der Ironie. (Das Abendland/ N.F. 15) Frankfurt/ M.: Klostermann 1983, S. 50. 290 Ebd., S. 24 291 Zu einer rhetorisch-linguistischen Definition vgl. Wolfgang G. Müller: Ironie, Lüge, Simulation, Dissimulation und verwandte rhetorische Formen. In: Zur Terminologie der Literaturwissenschaften. Akten des IX. Germanistischen Symposions der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Würzburg 1986. Hg. von Christian Wagenknecht. (Germanistische-Symposien-Berichtsbände 9) Stuttgart: Metzler 1989, S. 189. <?page no="99"?> 95 Konzeptualisierung des Ironischen beitragen soll. Das Verhältnis von Aussageintention und verstandener Mitteilung ließe sich umformulieren in eine Zweideutigkeit des intendierten Wahrheitswertes einer Äußerung. Durch den Akzent auf der Zweideutigkeit wird ersichtlich, dass es sich um ein Phänomen handelt, dass durch interpretative Rezeption entsteht. Nicht, ob die Aussage faktisch zutrifft, wird zweifelhaft, sondern ob sie als zutreffende Aussage verstanden werden soll oder als gerade nicht zutreffende. Damit wird die zwiespältige Qualität der Ironie eher beschreibbar als wenn man davon ausgeht, dass eine Inversion oder Relativierung des Aussagegehalts eindeutig verstanden werden muss. Anders als bei der Hochkomik bildet sich die komische Figur - Ambiguität statt Ambivalenz - in der Verschränkung von Produktion und Rezeption. Literaturwissenschaftler gehen mit einer Variante um, die dem „philosophisch-metaphysischen Prinzip“ näher steht als der stilistischen Haltung, moderne „Fiktionsironie“ 292 . Um die Einheit des Begriffs zu wahren, ist es zweckmäßig, die vorherige Formel abzuwandeln in: Zweideutigkeit des präsentierten Wirklichkeitsstatus einer Darstellung. Nicht der reale Status steht zur Disposition, sondern der „präsentierte“. Der fiktionale Charakter der Darstellung wird zugrunde gelegt und die Ambiguität eines Schwankens zwischen referenzieller und fiktionaler Deutung zum Kennzeichen erklärt. Jene Ironie eröffnet eine Zweideutigkeit innerhalb der Fiktion und bietet sich daher für Gegenstände und Akte der künstlerischen Inszenierung an. Diese interne Ambiguität korrespondiert mit der Komödien- Struktur „Spiel-im-Spiel“, die als Exempel für Fiktionsironie bekannt ist. In Greiners Komödien-Modell wird Zweideutigkeit durch die Präsenz des realen Körpers erzeugt. Hier soll hingegen Fiktionalität als Rahmen für die Ironie des Wirklichkeitsstatus begriffen werden und andererseits Nicht- Fiktionalität als Kommunikationserwartung, die der üblichen „verbale[n] Ironie“ 293 des Wahrheitsstatus Raum geben kann. Japp diskutiert Vor- und Nachteile, die sich ergeben, wenn Ironie unter das Komische subsumiert wird. Gegen diesen konventionellen Gebrauch des Stilbegriffs macht er geltend, dass ironisch Gesagtes auch ernste, tragische Inhalte vermitteln kann. 294 Bindet man die Kategorie des Ironischen jedoch nicht an den substanziellen Gegensatz zum Unernst der Komik und fasst sie allein durch die spezielle Form der Ambiguität, dann löst sich das Trennungsproblem auf. Die ironische Kommunikation kann komisch bleiben und doch ernste, sogar tragische Dinge mitteilen. Dagegen befindet sich der Begriff der „dramatischen Ironie“, die tragisch oder komisch genannt wird, strukturell jenseits der vorgeschlagenen Formel. Die vom Zu- 292 Uwe Japp: Theorie der Ironie. (Das Abendland/ N.F. 15) Frankfurt/ M.: Klostermann 1983, S. 42. 293 Ebd. 294 Vgl. ebd., S. 69. <?page no="100"?> 96 schauer erkannte Wissensdiskrepanz zwischen mehreren Figuren oder zwischen der Zuschauerposition und Figuren trifft sich in keinem Punkt mit den Zweideutigkeiten der Ironie. Abgesehen davon, dass sie keine Ambivalenz aufweist, definiert sich Ironie über Dimensionen von Kommunikation, die für die soziale Konzeption der Hochkomik irrelevant sind: Die epistemologische Frage nach der Wahrheit und die ontologische Frage nach der Realität werden dabei allerdings nicht wissenschaftlich verhandelt, sondern eher in ihren Konsequenzen für das kommunikative Anschließen. Insofern kann man trotz der manifesten Unterschiede einer möglichen Verwandtschaft der Ironie zur modernen Hochkomik nachgehen. Gibt es typische Erscheinungsformen der ironischen Rede, die sich zum sozialen Vorgang der Kommunikation ambivalent verhalten? In einem Zwischenschritt ist darauf hinzuweisen, dass die ironische Ambiguität naturgemäß auch eine Gleichzeitigkeit ist, das gleichzeitige Auftreten von zwei Deutungsmöglichkeiten. Das beantwortet jedoch noch nicht, unter welchen Umständen sich diese Kopräsenz in eine Zweiwertigkeit verwandelt. Nicht selten ist eine der beiden möglichen Deutungen einer ironischen Äußerung sozial provokativ, d.h. sie bewegt sich an den Grenzen des situativ, kulturell Zulässigen. Ob das Gesagte oder das eigentlich Gemeinte diese Rolle übernehmen, ist gleichgültig, solange uneindeutig gehalten wird, ob die Provokation gelten soll oder nicht. Im Weiteren greift dieselbe Argumentation, die später am Beispiel anstößiger Avantgarde-Kunst erhärtet wird: Das sozial Unangemessene, Unzulässige riskiert den Moment des verweigerten Anschlusses, den kurzfristigen Stillstand der Kommunikation, das Schweigen. Durch die zweideutige Form der Ironie wird das Risiko zwar eingegangen, aber zugleich entschärft - hochkomische Ambivalenz. Darüber hinaus aktiviert eine tendenziöse Richtung der Ironie die von Freud beschriebenen psychischen Mechanismen, welche das kommunikativ anschließende Lachen auslösen. Es überbrückt Zweifel am intendierten Wahrheitswert bzw. -grad einer Äußerung. Demnach ist die verbale und lebensweltliche Variante potenziell hochkomisch. Fiktionsironie scheint der modernen Hochkomik hingegen unähnlich zu sein. Womöglich entdeckt man dennoch Ähnlichkeiten im Vergleich mit einem anderen Paradigma komischer Modernität. Die Uneindeutigkeit zwischen referenzieller und fiktionaler Lesart kann eine systemische Zweideutigkeit produzieren: Wird die Kommunikation im System der Kunst anschließen (fiktional) oder ist eines der übrigen sozialen Systeme zuständig (referenziell)? Die zuvor festgeschriebene künstlerische Rahmung dieser Art von Ironie sorgt für die kommunikative Ausrichtung. Auch wenn uneindeutige Momente entstehen - im Zweifelsfall ist es immer Kunst. <?page no="101"?> 97 2.6.5 Humor: die Vielfalt komischer Differenzen „Humor“ schließt an dieser Stelle die Reihe der wichtigsten Komik-Begriffe ab, zur Erläuterung und Einordnung des Absurden, des Nonsens sowie der Parodie sei auf die jeweiligen Abschnitte des Avantgarde-Kapitels verwiesen. Auch wenn sie mitunter synonym zur allgemeinen Komik gebraucht wird, 295 führt die Kategorie des Humors eine eigene theoretische Tradition mit sich. Diese soll hier zwar nicht vollständig dokumentiert, aber doch exemplarisch analysiert werden. In der philosophischen Ästhetik wie in der Psychoanalyse gewinnt Humor das Profil einer subjektiven Bewältigungsstrategie für die Erfahrung von Differenz. Jean Pauls Formung des romantischen Komik-Begriffs spricht der humoristischen Haltung das Vermögen zu, die Gegensätze eines gespaltenen Welt- und Bewusstseinszustandes zu überspielen. Sie bezieht die wahrgenommene Endlichkeit derart auf die Idee des Unendlichen, dass deren Diskrepanz ausgehalten werden kann. 296 In dieser ästhetischen Vermittlung gleicht Humor der romantischen Ironie, wobei jene Denkfigur von der gleichnamigen Komik getrennt zu halten wäre. Bei Freud ist es nicht das Auseinanderklaffen von Immanenz und Transzendenz, dem eine humoristische Sicht und Darstellungsweise begegnen kann. Bewältigt werden stattdessen die Einsicht in die Unvereinbarkeit von Triebwunsch und Realität, Verwerfungen zwischen individuellem Lustgewinn und kollektiver Normierung. Der Akzent liegt, stärker als bei Witz und Komik, auf der „siegreich behaupteten Unverletzlichkeit des Ich“ 297 . „Das Ich verweigert es, sich durch die Veranlassungen aus der Realität kränken, zum Leiden nötigen zu lassen, es beharrt dabei, daß ihm die Traumen der Außenwelt nicht nahegehen können, ja es zeigt, daß sie ihm nur Anlässe zum Lustgewinn sind.“ 298 Ob Humor psychisch oder ästhetisch aufgefasst wird, ob der Begriff dem Denken oder der emotionalen Befindlichkeit zuneigt, immer ist er eine subjektgebundene Art und Weise, mit Differenzen umzugehen, ohne sie überwinden zu können. 299 Daran knüpft sich die marxistische Kritik der versöhnenden, harmonisierenden Wirkung des Humors. Obgleich die ideologischen Positionen und die daher rührenden Wertungen des Humoristischen auseinandergehen, Differenz wird als Gegensatz zur Einheit 295 Vgl.: Jörg Räwel: Humor als Kommunikationsmedium. (Wissen und Studium, Sozialwissenschaften) Konstanz: Universitätverlag 2005. 296 Vgl. Jean Paul: Vorschule der Ästhetik. In: Ders.: Werke. Hg. von Norbert Miller. Bd. 5. München: Hanser 1987, S. 124f. 297 Sigmund Freud: Der Humor. In: Ders.: Studienausgabe. Bd. 4. Psychologische Schriften. Frankfurt/ M.: Fischer 1982, S. 275-282. 298 Ebd., S. 278. 299 Lediglich dem „objektiven Humor“ traut Hegel eine echte Synthese und damit einen Vorgriff auf die Einheitsstiftung des absoluten Geistes zu. Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in 20 Bd. Bd. 14. Vorlesungen über die Ästhetik II. Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1986, S. 240. <?page no="102"?> 98 immer negativ gepolt. Der reale, uneinheitliche Zustand weicht vom Idealen ab. Da oder falls er nicht zu ändern ist, kann man sich qua Humor wenigstens mit ihm arrangieren. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts hat sich die Werthierarchie umgekehrt: Philosophie geht von Differenz aus, die Kulturwissenschaften privilegieren alle vom Einheitlichen abweichenden, in sich gespaltenen Phänomene. Dem hat sich gerade auch die neuere Komiktheorie nach dem Vorbild Bachtins angeschlossen, indem sie das Komische zu einer kulturellen Praxis erhebt, die Differenzen performativ zur Geltung bringt und aufwertet. Von daher verläuft zwischen der gegenwärtigen Komikforschung und den tradierten Bestimmungen des Humors eine scharfe Grenze, die für die übrigen Kategorien - Satire, Groteske, Ironie - so nicht existiert. Deshalb soll, ohne verbindlichen Anspruch, ein anderes Verständnis des Humors gesucht werden. Konsenspunkt zwischen sprachlicher Verwendung und theoretischer Diskussion ist die subjektive Zurechnung der Kategorie: „Humor“ hat jemand, bezeichnet wird eine Eigenschaft oder Haltung der Subjekt- Position. „Humor“ steht für die Fähigkeit, Komisches hervorzubringen und zu verstehen. Dies scheint gegenüber der philosophischen Ausdeutung und Nobilitierung des Begriffs ein dürftiger Inhalt zu sein. Es erwächst daraus aber die Möglichkeit, mit den alten Philosophien und Theorien des Humors auch den negativen Wert der Differenz abzulegen, um unbelastet davon einen Anschluss zum Spektrum komischer Gattungen und Stilarten herzustellen. Dass Komik zu den Differenz-Phänomenen zählt, ist unstrittig und begründet das kulturwissenschaftliche Interesse für die Komikforschung. Sowohl durch die Analyse der theoretischen Modelle als auch im Zuge der Gattungsdefinitionen hat sich erwiesen, dass Differenz-Figuren ihrerseits differenziert werden müssen, um die Kategorien des Komischen auffächern zu können. Das meint nicht die unweigerliche begriffliche Unterscheidung, vielmehr müssen Figuren wie Diskrepanz, Inkongruenz, Ambiguität, Ambivalenz bestimmt und ausgewählt werden. Davon abgesehen macht es beispielsweise einen Unterschied, wie Ambivalenz jeweils zustande kommt, ob sie psychisch oder sozial fundiert bzw. gerichtet ist. Eine Zweideutigkeit nimmt etwa nur unter der Bedingung satirische Gestalt an, dass sie auf die Diskrepanz von Sozial-Programm und Gesellschafts-Realität zielt. Betrifft sie dagegen den signalisierten, inszenierten Wahrheits- oder Wirklichkeitsstatus innerhalb der Kommunikation, dann steht hierfür der Terminus „Ironie“ zur Verfügung. Die versuchte Systematisierung der Theorien und literaturwissenschaftlichen Klassifizierungen kann sicher nicht in allen Fällen eine Definition und Situierung festschreiben, sie demonstriert aber doch, wie auf theoretischer Basis das Begriffsfeld so weit einsetzbar gemacht werden kann, dass es die konkreten Unterschiede der komischen Kunst und Literatur nicht verschwimmen lässt, sondern klarer hervorhebt als bisher. <?page no="103"?> 99 Als Schluss aus dem theoretischen Hauptkapitel kann man unter Humor diejenige Kompetenz verstehen, die komische Differenz-Figuren produziert und rezipiert. Dazu gehört eine Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit für die Bandbreite der komikrelevanten Unterscheidungen, wie sie aus diesem Teil der Untersuchung zu entnehmen sind. Schließt man sich jener neuen Betrachtungsweise versuchsweise an, dann rückt eine weitere unerwartete Folgerung in Reichweite: Könnte es sein, dass nicht nur Komik und Theorie verträglich sind, beweist nicht auch die theoretische Betrachtung des Komischen so etwas wie Humor? <?page no="105"?> 101 3 Moderne literarische Hochkomik 3.1 Allgemeine Komik-Formel, historische Anwendung auf die Moderne Das Hauptvorhaben dieser Studie insgesamt besteht darin, die moderne literarische Hochkomik in einem theoretischen Modell zu begründen und typologisch zu beschreiben. Nachdem die neue allgemeine Komik-Formel in all ihren Teilbestimmungen gegenüber den bestehenden Theorien ausdifferenziert worden ist, steht nun deren Historisierung an. Eine solche historische Anwendung auf die Moderne konstruiert die Entsprechung zur Darstellung der vormodernen Komik nach Bachtin. Während dort die typologischen Merkmale - Transgression, Inversion, Ambivalenz - mittels der Sozialtheorie Luhmanns als strukturelle Komik einer stratifikatorisch organisierten Gesellschaft gelesen wurden, stellt sich in diesem Fall die umgekehrte Aufgabe: Zur sozialen Moderne der funktionalen Differenzierung werden durch die Ambivalenz-Figur der Formel die Typen moderner Hochkomik hinzugedacht. Bevor auf theoretischem Wege eine historische Spezifizierung vollzogen wird, sei aber als deren Grundlage die generelle Struktur der Hochkomik kompakt vorangestellt. Komik ist Ambivalenz gegenüber der Organisationsform des Sozialen. „Organisationsform des Sozialen“ bildet den entscheidenden Alternativbegriff zur Gesellschaftsordnung oder sozialen Normen. Er steht für die historisch veränderliche Differenzierung der Gesellschaft. Komiktheoretisch bedeutsam ist der Wechsel von der stratifikatorischen Aufteilung in ungleiche Schichten (Antike, Mittelalter, Frühe Neuzeit) zur funktionalen Ausdifferenzierung der Moderne. Ungeachtet der historischen Umstellung verhält sich das Komische immer ambivalent zum jeweils primären Organisationstyp. Einerseits ist es darauf angelegt, das geltende Prinzip der Differenzierung zu subvertieren. Dies geschieht z.B., indem das Karnevaleske Hierarchien umkehrt, Standesgrenzen überschreitet. Dabei ist der Nutzen jeglicher Differenzierung zu bedenken: Sie erhöht die Wahrscheinlichkeit kommunikativer Anschlüsse und garantiert so die grundlegende Operationsweise eines sozialen Systems. Von daher ist Komik einerseits eine Praxis, die das Soziale, nämlich den Prozess der Kommunikation, gefährdet und riskiert. Andererseits aber - darin liegt die Ambivalenz - gehören zum Komischen genauso Signale, die den Fortgang des Kommunizierens anregen oder selbst vollziehen. Gemäß der temporalen Bestimmung der Formel gehen diese beiden Bewegungen gleichzeitig vor sich. Das Sinnliche, die Tatsache, dass Komik die Wahrnehmung anspricht, wird der sozialen statt der subversiven Tendenz zugeordnet. <?page no="106"?> 102 Welche Strukturen übernehmen in der Moderne die komische Funktion sozialer Ambivalenz? Zu entdecken sind Subversionstechniken, die der modernen Verfasstheit des Sozialen angepasst sind. Wie lässt sich Gesellschaft als System der Teilsysteme in seinem Ablauf stören? Dazu muss man sich die Bedingungen dieser historischen Organisationsform ansehen. Nach Luhmann gehorcht die „[f]unktionale Differenzierung sowohl der Ungleichheit als auch der Gleichheit der Teilsysteme“ 300 . Gleich sind die sozialen Systeme Kunst, Politik, Wirtschaft, Recht u.a. in der Hinsicht, dass sie nicht in einer Rangfolge stehen, die dafür sorgt, dass Kommunikationen überhaupt aneinander anschließen können. Jene Anschlussfähigkeit wird stattdessen innerhalb der geschlossenen Kreisläufe der verschiedenen Teilsysteme hergestellt, und zwar aufgrund ihrer Ungleichheit: Nur weil jedes System genau einen Code und eine Funktion hat, die sich von denen der übrigen Systeme unterscheiden, ist eine Zuordnung möglich. Aufgrund ihrer Abgeschlossenheit gegeneinander erfüllen die Teilsysteme so den Zweck jeder sozialen Differenzierung: kommunikative Kontingenz reduzieren, Anschlusswahrscheinlichkeit steigern. Wie schon in der Vormoderne wird Kommunikation über das Verhältnis der gesellschaftlichen Teile zueinander geregelt. Statt der Hierarchie getrennter Schichten haben sich in der Moderne geschlossen operierende Systeme herausgebildet. Unverzichtbar für die Schließung der Kommunikationskreisläufe sind der binäre Code und die dazugehörige Funktion. Aufgrund ihrer zentralen Bedeutung für die sozialen Prozesse wären sie geeignete Angriffspunkte für eine komische Sabotage. Dagegen steht aber, dass der Code sich auf einer Stufe befindet, die durch einzelne Kommunikationen nicht tangiert werden kann. Er lässt sich durch soziale Interventionen weder abschaffen noch verdoppeln, und zwar weil die Organisationsform der Teilsysteme, die sich historisch-evolutionär herausgebildet hat, etwas anderes ist als eine Operation innerhalb eines solchen Systems. Es handelt sich um zwei völlig verschiedene Ebenen. Abgesehen davon hätte man mit einem Teil noch nicht die Organisation des Ganzen unterlaufen, man müsste alle Systeme zugleich bearbeiten, was ebenfalls unmöglich ist. Fällt ein Funktionskreislauf aus, kann ein anderer einspringen, um die gesellschaftliche Kommunikation in Gang zu halten. Insofern gleicht die moderne Form des Sozialen einer vielköpfigen Schlange. Moderne Komik ist ein schwierigeres Geschäft als das Karnevaleske. Obwohl jener Unterschied zur Vormoderne eine entscheidende Konsequenz hat, die sich vor allem in den Paradigmen der Literatur des 20. Jahrhunderts niederschlägt, gilt eine Einschränkung für jede geschichtliche Phase des Komischen: Subversion ist keine Revolution, die jeweilige Organisationsform des Gesellschaftlichen lässt sich nicht gezielt beeinflussen. 300 Niklas Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft. 2. Teilband. Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1997, S. 613. <?page no="107"?> 103 Das Funktionieren der Teilsysteme kann aus mehr als einem Grund durch komische Einwirkung niemals außer Kraft gesetzt werden. So darf die Organisationsform des Sozialen nicht mit der Gesellschaftsordnung verwechselt werden. Letztere kann durch politische Entscheidungen oder das Ereignis der Revolution verändert werden. Soziale Differenzierungstypen hingegen stehen für Funktionsgesetze, die über einen längeren Zeitraum entstehen und deren Geltung zeitlich nicht exakt abgrenzbar ist. Der Hauptgrund für die beschränkte Effektivität der komischen Subversion ist aber die schon am Beispiel des Codes herausgestellte Ebenendifferenz: Das Operationsprinzip der Gesellschaft, welcher Differenzierung es auch folgt, entzieht sich den einzelnen Kommunikationen. Man muss sich also von der Vorstellung lösen, Komik könne auf jene strukturelle Weise in das Soziale eingreifen. Sowenig der anarchische Karneval die mittelalterliche Ständeordnung umgestürzt hat, sowenig kann komische Literatur in der Moderne die seit dem 18. Jahrhundert primär wirksame funktionale Ausdifferenzierung der Gesellschaft rückgängig machen. Angesichts dieser Klarstellung bleibt positiv zu bestimmen, inwiefern man dennoch sagen kann, dass Komik den sozialen Prozess der Kommunikation unterläuft. Das Theoriekapitel und die noch folgenden Interpretationen sprechen oftmals von „Störung“ oder „Irritation“. Solche Begriffe implizieren eine funktionale Auswirkung der komischen Gegenstrategie und keine bloß symbolische Bedeutung. Hierbei muss man jedoch zweierlei unterscheiden. Sämtliche Verfahren, die das Komische anwendet, um sich gegen das Soziale zu richten, haben zunächst einmal rein strategischen Wert. Sie antworten auf die Frage: Was müsste man tun, um das jeweilige historische Prinzip, nach dem Kommunikationen aneinander anschließen, so zu strapazieren, dass eben die Anschlussfunktion beeinträchtigt oder quasi ausgesetzt wird? Demnach spielt Komik ein reines Gedankenspiel, sie ist eine besondere Art, das Gesellschaftliche zu reflektieren. Auf der anderen Seite ergeben sich im Falle des Komischen Übergänge zwischen dem Symbolischen und dem Performativen. Komik in Kunst und Literatur, Kultur und Gesellschaft vollzieht sich stets als Kommunikation. Bei literarischen Texten bestehen zudem mehrere konkrete Möglichkeiten: Erstens können Redevorgänge im Text, Figurendialoge oder Erzählermonologe, als Kommunikationsprozesse aufgefasst werden, zweitens läuft mit dem Verstehen des Textes in der Interpretation Kommunikation ab. Daraus folgt, dass eine Gegenstrategie nicht nur behauptet, sondern regelrecht demonstriert werden kann. Was sich nicht vorführen lässt, ist das Ausbleiben von Kommunikation, der Stillstand des Prozesses. Schweigen oder Missverstehen sind wohlgemerkt Gegensätze des empirischen Kommunizierens, nicht der sozialen Kommunikation. Die ist als Aspekt der Organisationsform genauso unhintergehbar wie diese. Deshalb kann selbst literarische Komik eine Störung nur symbolisch anzeigen. <?page no="108"?> 104 Nachdem die allgemeinen Voraussetzungen der komischen Reflexivität dargelegt sind, ist auf die spezielle Frage zurückzukommen, welche Strategie die Komik der Moderne symbolisch geltend machen kann, um sozial subversiv, wenn auch nicht revolutionär zu sein. Die Codes der Teilsysteme zu manipulieren, wurde wegen der unzulässigen Einsatzebene bereits ausgeschlossen. Auch wird die funktional organisierte Gesellschaft nicht schon dadurch lahm gelegt, dass Kommunikation in nur einem der Systeme nicht weiterverarbeitet wird, denn dann kann ein anderes aushelfen. Ein weiterer Irrtum muss ausgeräumt werden: Der Differenzierungstyp erfordert zwar die systemische Zuordnung, keineswegs aber eine eindeutige. Kommunikation ist kein Material, das von nur einem der Teilkreisläufe weiterverarbeitet werden könnte. Systemtheoretisch versteht man darunter den Prozess der sozialen Systeme, der in allen Teilen gleichermaßen abläuft. Es tut daher dem Gesellschaftlichen keinen Abbruch, wenn mehrere Systeme an eine mitgeteilte Nachricht anschließen. Dank des jeweils anderen Codes, der sie leitet, ist ihre Abschließung gegeneinander davon nicht berührt. Will moderne Hochkomik trotzdem darauf zielen, die Zurechenbarkeit von Kommunikationen auf Teilsysteme zu irritieren, so hat sie deshalb den zeitlichen Faktor zu berücksichtigen. Als Prototyp moderner Hochkomik soll die „systemische Zweideutigkeit“ präsentiert werden. Sie stellt gleichwohl nur eines von mehreren Paradigmen dar, die theoretisch vorgedacht und in der Interpretation literarischer Texte nachvollzogen werden sollen. Wenn Komik in der Moderne systemische Uneindeutigkeit herstellt - d.h. die Zurechenbarkeit einer Äußerung auf mehr als ein gesellschaftliches Teilsystem - dann hebelt sie nicht schon dadurch die funktionale Differenzierung aus. Ihr irritierendes Moment ist vielmehr ein zeitliches, der Augenblick, in dem noch gar kein Anschluss stattgefunden hat, weil eine Situation der Unentscheidbarkeit entstanden ist. Die Nähe zu allgemeinen Komiktheorien - Isers Kipp- Phänomen, Koestlers Bisoziationsthese - sowie zur Praxis der Dekonstruktion schafft deshalb kein Abgrenzungsproblem, weil der Systembezug das Komische bzw. Moderne garantiert. Nicht jede beliebige Zweideutigkeit, nur die zwischen mehreren Teilprozessen der Gesellschaft besitzt komisches Potenzial. Darüber hinaus entsteht ein nicht zu unterschätzender Vorteil darin, dass über die Bedingung der Mehrdeutigkeit, terminologisch auch als Polyvalenz oder Ambiguität bekannt, 301 zum ersten Mal eine Verknüpfung von Komik- und Literaturtheorie möglich wird. Im Weiteren wird typologisch zu beschreiben sein, wie die Komik der Moderne aussieht, es darf aber auch die Begründung nicht fehlen, weshalb Literatur das soziale Ritual des Karnevals als komische Leitpraxis ablöst. 301 Zur Modernität der Mehrdeutigkeit vgl. Christoph Bode: Ästhetik der Ambiguität. Zu Funktion und Bedeutung von Mehrdeutigkeit in der Literatur der Moderne. (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 43) Tübingen: Niemeyer 1988. <?page no="109"?> 105 Dass aus der systemischen Zweideutigkeit ein modern komisches Drama hervorgehen kann, wird die Interpretation von Kleists Zerbrochnem Krug zeigen. Der Moment uneindeutiger sozialer Zurechnung ist zudem das einzige Paradigma der komischen Moderne, das die soziale Ausdifferenzierung verarbeitet, in direkter Parallele zum Karnevalesken. Auf demselben Niveau des Gesellschaftlichen bewegt sich nur die Avantgarde, wenn sie am speziellen Beispiel des Kunst-Systems die allgemeinen Voraussetzungen der funktionalen Teilung reflektiert. 302 Grundsätzlich ist eine spezifisch moderne Form der Komik genug, um die historische Differenz zur vormodernen Praxis des Karnevals festzusetzen. Auch das Mittelalter und die ebenso hierarchisch organisierten früheren Epochen haben schließlich nur eine besondere Ausprägung des Komischen zu bieten. Es soll aber nicht vom Ergebnis her gedacht werden, sondern im Blick auf die Übersetzung der sozialen Differenzierung in die Komik-Figur. Verkehrung und Vermischung sind einfache, sinnfällige Techniken, die stratifikatorische Ordnung zu demontieren. Sie sind sowohl theoretisch als komisch begreifbar als auch unmittelbar als komisch wahrnehmbar, ohne dass auf die systemischen Gegebenheiten zu achten wäre. Gemäß der Theorie wird in der Gesellschaft ungleicher Schichten zwar ebenfalls kommuniziert, doch nicht die einzelnen Schichten bilden Kommunikationssysteme, sondern nur das Soziale insgesamt. Kontingenz reduzieren hier keine Teil-Codes, sondern immer dieselbe hierarchische Unterscheidung der Schichten. Nur diese orientierende Regel muss daher durchkreuzt werden. Die Moderne hingegen ist sozial so beschaffen, dass ein komischer Umgang mit ihr nur möglich ist, wenn die besonderen Merkmale der Prozessform des Systems berücksichtigt werden, die nun die Teile der Gesellschaft genauso bestimmen wie deren Verhältnis zueinander. Eine Gegenstrategie zu (er)finden, die angesichts der systemischen Ausdifferenzierung nicht unterkomplex bleibt, bedeutet daher eine Herausforderung für die moderne Hochkomik bzw. für deren Theoretisierung. Die erhöhte Schwierigkeit führt jedoch nicht zu einer Krise des Komischen, sondern zu einer weit größeren Bandbreite an Formen als vor der Moderne. Für die Historisierung der Formel und die Typologie der komischen Moderne ist der Schluss aus diesen Erwägungen bahnbrechend: Weil ihr die funktionale Differenzierung kaum eine Möglichkeit lässt, die komische Struktur der sozialen Ambivalenz zu realisieren, wechselt moderne Hochkomik auf die basaleren Ebenen des systemisch verfassten Sozialen: Kommunikation und, noch grundlegender, die Verarbeitung von Sinn. Diese Bausteine der Systemtheorie werden im folgenden Abschnitt ausführlich vorgestellt, weil sie anschließend als Werkzeuge zur Interpretation literarischer Texte eingesetzt werden. An diesem Punkt muss nur klar werden, weshalb jene beiden Prozesse grundlegender sind als die Ausdifferenzie- 302 Siehe Abschnitt 4.5.5. <?page no="110"?> 106 rung über die verschiedenen Codes und Funktionen. Jedes Sozialsystem funktioniert als geschlossener Kommunikationskreislauf, die funktionalen Teilsysteme mit ihrer wechselseitigen Schließung eben durch den Code sind darin nur ein Sonderfall der allgemeinen gesellschaftlichen Operationsweise. Mit dem Begriff der Autopoiesis, der ebenfalls zu den interpretatorisch verwendeten Theorie-Elementen zählt, wird die Art des Systems, seine Umwelt zu prozessieren, weiter aufgeklärt. Er markiert zugleich den Übergang auf eine noch tiefere Prozessebene. Kommunikation, deren luhmannsche Definition als Teil des Instrumentariums später gegeben wird, verläuft abstrakter gedacht als Sinn-Vorgang. Dieser Sinnvorgang wiederum, der nicht mit Sinngehalten gleichgesetzt werden darf, vollzieht sich ebenso autopoietisch wie die konkretere Kommunikation. Dass dies aber auf einer tieferen Ebene geschieht, erweist sich theoretisch darin, dass Sinn sowohl im Gesellschaftssystem Kommunikation als auch im ebenso abgeschlossen operierenden System des Bewusstseins verarbeitet wird. Eine Erläuterung all jener Begriffe und ihre Zitierung nach Luhmanns Theorie sozialer Systeme ist in der folgenden Einführung nachzulesen. Für das komiktheoretische Vorhaben ist es vorerst wichtiger, die weiteren Folgen der Umstellung auf die Moderne zu verzeichnen. Weder die moderne noch die vormoderne Komik kann auf den Differenzierungstyp der Gesellschaft Einfluss nehmen, darin sind sie sich gleich. Da sich aber die Moderne zwecks komischer Subversion mit den Systemverhältnissen befassen muss, wird ihre Beschränkung auf symbolische Irritation anstelle des funktionalen Eingriffs deutlicher. Ihre komischen Aktionen bleiben stets den systemischen Gesetzmäßigkeiten unterworfen, die sie zu subvertieren suchen. Durch die paradoxe Teilhabe der Komik an dem, wogegen sie sich richtet, ist ihre performative Wirksamkeit eine bloß scheinbare. Weil es das Karnevaleske dagegen nur mit der primären Differenzierung und nicht mit der Systemlogik selbst zu tun hat, macht sich die gleichwohl vorhandene Paradoxie weniger stark bemerkbar. Aufgrund dieses Unterschieds tritt die Tatsache, dass die Organisationsform des Sozialen der komischen Praxis letztlich unzugänglich ist, in der Moderne schärfer hervor als im Zeitalter des Karnevals. Es folgt daraus nicht zuletzt die Verschiebung von der Kultur zur Literatur. An dieser Stelle muss die Unterstützung der Literaturtheorie angefordert werden. Unter den literaturtheoretischen Modellen könnte eines sein, das sich mit dem modern gesteigerten Bewusstsein komischer Unwirksamkeit in Verbindung setzen lässt. Zwar käme es der konzeptuellen Ökonomie zugute, doch eignet sich die Systemtheorie hierfür nicht, da sie abgesehen vom ohnehin inhaltlich leeren Code kaum Angaben über das spezifisch Literarische oder Künstlerische macht. Dies wäre nötig, um zu erklären, warum Hochkomik aus der kulturellen Lebenswelt vor allem in die Literatur abwandert. Vorgeschlagen wird stattdessen Jahraus’ Theorie <?page no="111"?> 107 der Literatur als Medium. 303 Diese soll hier nur kurz dargelegt, aber in ihren grundlegenden Leistungen in Anspruch genommen werden. Ihre Konzeption von Medialität beruht auf der systemtheoretisch definierten Funktion einer strukturellen Kopplung von Kommunikation und Bewusstsein. Da diese beiden sinnprozessierenden Systeme getrennt bleiben, aber auch gekoppelt werden müssen, damit jedes für sich weiterlaufen kann, kommen soziale ebenso wie psychische Systeme ohne Medien nicht aus. Die paradigmatische, d.h. musterhafte Ausformung jener Medien-Funktion nennt sich „Interpretation“ und kommt durch die medialen Bedingungen der Literatur zustande. Dabei sind die materialen sowie technischen Konditionen etwa der Schrift oder des Textes zweitrangig, sie werden vielmehr im Hinblick auf die strukturelle Kopplung ineinander gesetzt, bis der Grad des literarischen Textes und damit der Interpretation erreicht ist. Deren begriffliche Gestaltung nach Jahraus ist nicht mit der hermeneutischen Fassung identisch, „Interpretation“ meint die mediale Funktion aufgrund der Verarbeitung bestimmter sinntypischer Differenzen: Indem literarische Texte interpretiert werden, bewegt sich Deutung ständig zwischen Interpretierbarkeit und Nicht-Interpretierbarkeit, zwischen der Unbestimmbarkeit (Differenzialität) und der Bestimmbarkeit (Entdifferenzialisierung) von Bedeutung, ohne jemals bei einer dieser Positionen anzuhalten. Man muss dazu sagen, dass diese differenztheoretische Beschreibung nicht den konkreten Vorgang der Textauslegung treffen will, sondern die abstrakteren Voraussetzungen des Interpretationsprozesses. 304 Bedeutsam ist auch die historische Aussage, die Literatur als Medium trifft: Interpretation in ihrem soeben umrissenen medientheoretischen Gehalt prägt sich erst in der Moderne seit Mitte des 18. Jahrhunderts aus. 305 Historisch fallen also das Medium moderne Literatur und die moderne literarische Hochkomik zusammen. Man kann daher fragen, ob für die geschichtliche Koinzidenz auch eine strukturelle Begründung herleitbar ist. Die veränderte Lage des Komischen nach der Zäsur hat mehrere Aspekte. Zum einen gibt es für die Subversion des Sozialen kein sinnliches Äquivalent mehr wie noch im Karneval. Die Vermittlungsform, die stattdessen greift, ist Interpretation und zwar im Sinne der Theorie von Jahraus. Zwar bedarf es für den Prototyp „systemische Zweideutigkeit“ vordergründig einer textuellen, sozialen Ambiguität, doch wird sich diese mit größerer Wahrscheinlichkeit in Texten finden, die den Modus Interpretation mit seinen spezifischen Differenzen besonders aktivieren. Bestimmbarkeit und Unbestimmbarkeit sind aufeinander bezogen. 303 Vgl. Oliver Jahraus: Literatur als Medium. Sinnkonstitution und Subjekterfahrung zwischen Bewußtsein und Kommunikation. Weilerswist: Verlbrück 2003. 304 Vgl. dazu zusammenfassend Ders.: Literaturtheorie. (UTB 2587) Tübingen u.a. Francke 2004, S. 194ff. 305 Vgl. ebd., S. 194. <?page no="112"?> 108 Der zweite Anknüpfungspunkt greift auf die Feststellung zurück, dass angesichts der modernen Gesellschaft und ihrer schwierigen Subversion die rein symbolische Wirkung der komischen Praxis auffällig wird. Die Organisationsform des Sozialen ist zwar das strategische Ziel der Komik, faktisch aber für die komischen Operationen unzugänglich, weil durch sie nicht veränderbar. Um dies noch weiter zu spinnen, kann man entweder quasi-ontologisch von Transzendenz oder von einer unaufhebbaren Differenz sprechen. Es soll in einem letzten Zug angenommen werden, dass durch strukturelle Analogie genau dieser unüberbrückbare Unterschied der Ebenen des Komischen und der gesellschaftlichen Differenzierung im differenziellen Prozess der Interpretation mit verarbeitet wird. An den noch zu interpretierenden Beispielen der komischen Moderne tritt komische Ambivalenz folglich genau dort auf, wo gleichzeitig die Interpretierbarkeit oder eben Nicht-Interpretierbarkeit des jeweiligen literarischen Textes verhandelt wird, so etwa in Kafkas Schloß, Becketts Warten auf Godot sowie in manchen Fällen der Nonsens-Lyrik. Die Paradigmen des 20. Jahrhunderts beruhen in einer dritten Verknüpfung darauf, dass Interpretation entweder die eine oder die andere Seite der Ambivalenz besetzt, nicht selten aber beides: Subversion und Kommunikation. Obwohl Interpretation in ihrer medialen Qualität Bewusstsein und Kommunikation koppelt, betont die Analyse literarischer Hochkomik die sozialen Auswirkungen jener Kopplung: An manchen Stellen müsste es deshalb statt „Interpretation“ „literarische Kommunikation“ heißen. Die terminologische Doppelbesetzung ist nicht ganz zu vermeiden, dennoch beschränkt sich die medientheoretische Konzeption weitgehend auf den laufenden Theorieteil, während in den Deutungen des vierten Kapitels „Interpretieren“ meist übersetzt werden kann mit „kommunikativer Anschluss im Literaturbzw. Kunstsystem“. Dass mit der Medialität der Interpretation (Jahraus) die sozialtheoretische Fundierung der Komik um noch mehr theoretisches Material ergänzt wurde, könnte als übermäßiger Aufwand kritisiert werden. Allerdings sind die funktionellen Kongruenzen von Komik und Literatur in ihrer modernen Verfasstheit für das komiktheoretische Gesamtvorhaben äußerst wertvoll. Ohne sie wäre letztlich unerklärlich, weshalb sich die Hochkomik der Moderne vorzugsweise in der Literatur und nicht im Karneval oder in anderen Bereichen der kulturellen Lebenswelt abspielt. In ihrer historischen Perspektive macht die literaturtheoretische Konzeption deutlich, dass jener Übergang nicht kontingent ist, sondern mit bedingt durch eine parallele Modernisierung der Literatur. Erst dadurch wird die Bandbreite der modern komischen Text-Paradigmen zwingend. Zudem bestätigt sich mit der Gleichzeitigkeit des Wandels indirekt die Entscheidung, überhaupt eine Historisierung der Komiktheorie zu versuchen und die geschichtliche Marke eben auf die Zeit um 1800 zu legen. <?page no="113"?> 109 Durch die Auswertung des medientheoretischen Begriffs für die Historisierung der Komik-Formel steht der Erforschung moderner Hochkomik eine mediale Erweiterung offen. Zwar ist Literatur nicht irgendein Medium, sondern jenes, das am stärksten auf die Medialität der Interpretation ausgerichtet ist, doch bietet das Konzept die Möglichkeit der Übertragung auf andere Künste und Medien. Das Kapitel zur Avantgarde wird sich mit den Gegebenheiten des Films beschäftigen. Dies geschieht aber nicht unter medientheoretischem Aspekt, sondern im Rückgriff auf Luhmanns Systemtheorie des Sozialen. Auch für die avantgardistische Komik der Provokation kommt es darauf an, wie Literatur und Kunst als Systeme organisiert sind, worin sie trotz der gleichen Operationsweise wie in allen Teilsystemen Besonderheiten aufweisen, die sich komisch entfalten können. An der Sonderstellung, die literarische Hochkomik in der Moderne gegenüber anderen kulturellen Praktiken einnimmt, ist festzuhalten: Die Organisationsform des Gesellschaftlichen hat sich mit dem 18. Jahrhundert so verändert, dass komische Ambivalenz nicht mehr primär über Wahrnehmung vermittelt werden kann. Das modern Komische erscheint daher im Modus der Interpretation, der für den literarischen Text in besonderem Maße kennzeichnend ist. Dies wurde durch Jahraus’ Theorie der Medialität untermauert. Zweitens wird sich an der komischen Avantgarde des 20. Jahrhunderts zeigen, dass das System Literatur neben der Kunst die beste Ausgangsbasis für komische Doppelstrategien darstellt. Aufgrund ihrer Bindung an die gesellschaftliche (funktionale Differenzierung) und an die literarische Modernität (Interpretation) läuft postkarnevaleske Komik Gefahr, nicht mehr als komisch verstanden, geschweige denn sinnlich erfasst zu werden. Während die soziale Reflexivität des Karnevals Teil der Populärkultur gewesen ist, bildet sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine schwerer zugängliche, literarisierte Art des Komischen aus - anders ist die Reflexion auf das moderne System der Gesellschaft nicht mehr zu leisten. Die historische Unterscheidung, die hiermit vorgenommen wird, besagt nicht, dass nach 1800 in der Literatur keine karnevalesken Figurationen mehr vorkommen. Für viele Texte des Komödien-Kanons lassen sich Inversionen, Transgressionen und anthropologische Ambivalenzen nachweisen. 306 Was die Formel postuliert, ist jedoch eine qualitative statt einer quantitativen Zäsur. Mit der sozialen Moderne müssen neue Strukturen die gleichbleibende Funktion der Hochkomik erfüllen. Von dieser Theorie her sind nun die Komödien der Hierarchie- Verkehrung, Normverletzung und des grotesken Witzes nicht auf dem modernen Stand des Sozialen. Dafür wird endlich erklärlich, warum auch Autoren und Texte, die vom karnevalesken Schema abweichen, als dezidiert modern und undefinierbar komisch gelten. 306 Vgl. Bernhard Greiner: Die Komödie. Eine theatralische Sendung. Grundlagen und Interpretation. (UTB 1665) Tübingen: Francke 1992. <?page no="114"?> 110 Mit Blick auf die Texte, die im folgenden Kapitel ausführlicher interpretiert werden, ist davon abgesehen ein Nachleben des Karnevalesken auffallend. Diese Tatsache ist jedoch auf die Situation der komischen Moderne zurückzuführen, deren eigene Version der Ambivalenz-Figur wird im Text durch karnevaleske Züge lediglich ergänzt. Wie schon ausgebreitet wurde, stellt sich der modernen Hochkomik ein Vermittlungsproblem: Nur durch Interpretation kann sie in Erscheinung treten, wahrnehmbare Gestaltungsprinzipien allein tragen sie nicht. Zu vermuten ist aber, dass das empirische Empfinden des Komischen von der Stärke des zusätzlichen sinnlichen Moments abhängt, mit dem Komik ihre anti-subversive, kommunikative Absicht anzeigt. Jenes Signal ist in der post-karnevalesken Literatur häufig nur schwach vorhanden, die deswegen nicht belustigend wirkt. Dass die literarische Moderne sich etwas einfallen lassen muss, um als komisch rezipiert zu werden, liegt zudem daran, dass mit der funktionalen Differenzierung nicht nur das Mittelalter zu Ende geht, sondern Jahrhunderte seit der Antike, in denen Komik durch Überschreitung der Schichtengrenzen und die Verkehrung ihrer hierarchischen Ordnung zustande kam. Das Verstehen des Komischen nach 1800 hängt daher auch von dem sich entwickelnden Bewusstsein sozialer Modernität ab. Man kann es angesichts dieser Lage den hochmodernen Komödien des 19. Jahrhunderts, für die hier Kleist und Büchner stehen, nicht verdenken, dass sie karnevaleske Elemente und Verläufe in den Vordergrund rücken. Dieser Vordergrund dient jedoch als Verweis auf den strukturell anders gelagerten Hintergrund. Er signalisiert dem Leser: Dies ist ein komischer Text. Dessen moderne Hochkomik bleibt aber zu interpretieren. Motive wie die verkehrte Welt, der groteske Körper, die subversiven Späße des Narren bilden demnach bloß den Einstieg in das Modern-Komische. Auch die Literatur des 20. Jahrhunderts - stellvertretend Kafka und Bernhard, Beckett und Schmidt - hat jene Parallelhandlung noch nötig. Zwar dürfte die Einsicht in die nicht mehr ständische Ordnung des Sozialen weiter verbreitet sein als noch zu Kleists und Büchners Zeiten, andererseits muten Texte wie Das Schloß oder Alte Meister dem komikorientierten Leser eine noch größere gesellschaftstheoretische Abstraktionsleistung zu: Nicht mehr die Organisation der Teilsysteme (Der Zerbrochne Krug) oder deren gemeinsames Funktionsgesetz der Kommunikation (Leonce und Lena) werden komisch inszeniert, zur Verhandlung kommen nun die darin ablaufenden Prozesse der Autopoiesis und des Sinns. Gerade Kafkas Roman weiß die karnevaleske Mission seines Helden mit dem verdeckten Projekt der modernen Sinn-Kommunikation zu verbinden. In Bernhards Roman-Komödie leiten die Umkehrungen der Geistes-Hierarchien in den Schimpfreden Regers hin auf die rückbezügliche, in sich geschlossene Reproduktion des monologischen Textes, was mithin als Reflex auf die soziale Autopoiesis der Kommunikation gedeutet werden kann. <?page no="115"?> 111 Während die bisherige Historisierung den Wechsel zur Komik nach 1800 theoretisch ausgeführt hat, wird nun eine interne historische Verschiebung erkennbar. In der ersten Phase der komischen Moderne setzen sich literarische Texte, überwiegend Komödien, mit Kommunikation in der funktional differenzierten Gesellschaft der Teilsysteme auseinander. Neben die systemische Zweideutigkeit, die als Prototyp präsentiert wurde, tritt das Beispiel Leonce und Lena. Büchners Drama macht anschaulich, dass nur noch der immer gleiche Anschlussmechanismus des Kommunizierens den Ausschlag gibt und nicht mehr die Ungleichheit der Schichten. Kommunikation ist das große Übergangsthema bis um 1900. Die Gattungsforschung hat registriert, dass jegliche Fehlkommunikation, Missverständnisse oder das zwanghafte Aneinander-Vorbeireden, ein dominantes Komödienmotiv abgibt. 307 Für das Drama des 20. Jahrhunderts ist nicht-gelingendes Kommunizieren mit dem Theater des Absurden und der Groteske assoziiert. Von der neuen Komik-Formel her verdeckt die motivische Kontinuität den Übergang auf eine grundlegendere Ebene des Sozialen: Bei Autoren wie Kafka und Bernhard wird ein komisches Spiel unterhalb der sozialen Differenzierung eröffnet. Es geht immer noch um Kommunikation als soziale Grundfunktion, doch wird statt des Gesamtablaufs der Gesellschaft jetzt die Feinmechanik dieses Prozesses in den Blick genommen. In dieser Hinsicht werden Luhmanns Begriffe des Sinns und der Autopoiesis wichtig, die im nächsten Abschnitt eingeführt werden. Die historische Anwendung der Formel verfolgt nicht dasselbe Ziel wie eine Gattungsgeschichte des Komischen in der Moderne. Die Komödientradition von der Aufklärung über die Romantik bis zum komischen Volkstheater Nestroys und darüber hinaus bleibt unberücksichtigt. Was im literarhistorischen Vorgehen eine grobe Auslassung wäre, rechtfertigt sich in der verfolgten Methode durch die Konzentration auf Paradigmen. Es ist durchaus möglich, dass jene Varianten der Ambivalenz-Figur, die in den Texten von Kleist und Büchner interpretativ geborgen werden, sich auch in anderen Texten ausmachen lassen. Für Paradigmen reicht jedoch je ein Beispiel hin, in dem das Muster besonders klar und durchgängig statt zeitweilig zu sehen ist. Das Konzept der qualitativ modernen Komik soll nicht durch die Ausweitung auf möglichst viele kanonische Texte geschwächt werden. Der Verzicht auf literaturgeschichtliche Vollständigkeit wird somit ausgeglichen durch die Möglichkeit, die komische Modernität von Werken und Autoren jenseits der Komödie zu erhellen. 307 Vgl. Helmut Arntzen: Bemerkungen zur immanenten Poetologie der „Ernsten Komödie“ im 19. und frühen 20. Jahrhundert. In: Theorie der Komödie - Poetik der Komödie. Hg. von Ralf Simon. (Aisthesis-Studienbuch 2) Bielefeld: Aisthesis 2001, S. 169. Arnzten untersucht die Modernität der Sprachkrise, am Beispiel Horváths wird diese jedoch durchsichtig auf den sozialen Ablauf und dessen Subversion. <?page no="116"?> 112 Die theoretische Basis dieses Kapitels ist unabdingbar, sie erlaubt eine Perspektive auf literarische Komik ab 1800, die, statt gattungspoetische oder literaturgeschichtliche Vielfalt nachzuzeichnen, den qualitativen Unterschied der Moderne fokussiert, einschließlich seiner internen Abstufungen. Die aufgestellte Typologie trifft eine gewichtende Auswahl unter den komischen Phänomenen, sie deckt aber keineswegs alle Fälle der Textanalyse im Detail ab. Insbesondere soll den Interpretationen vorbehalten sein, mit Kategorien umzugehen, die der Systemtheorie fehlen. Um den abstrakten Prozess des kommunikativen Anschließens zu reflektieren, binden literarische Texte den Vorgang meist konkret an Personen, an einen oder mehrere Sprecher. Über diese Personen geraten die systemischen Abläufe, speziell der Abbruch des Kommunizierens ins Existenzielle, eine Dimension, von der Luhmanns Theorie nichts weiß und nichts zu wissen braucht. Kryptokomiker wie Kafka und Bernhard dagegen sind ohne das existenziell gefährdete Sprechen des Einzelnen, das in sich kreisende Gespräch der sozialen Gemeinschaft nicht zu verstehen. Nachdem der typologischen Strenge Genüge getan ist, wird zum Abschluss der Konstruktion die Theorie moderner Hochkomik noch einmal freier formuliert. Dennoch darf eine scheinbar ontologische Redeweise die bis dahin vorgeführte konstruktivistische Fundierung nicht vergessen machen. Die Metaphern dienen hauptsächlich der Anschaulichkeit, dem Wieder-Annähern eines theoretischen Modells an die Empirie bzw. an andere Theorien. Komik wurde generell als einzige kulturelle Praxis entworfen, die einerseits riskiert, dass Gesellschaft aufhört zu kommunizieren und damit aufhört zu sein, wenigstens für den Moment des Stillstands. Doch andererseits treibt sie zur selben Zeit den Kreislauf des Anschließens voran, und zwar durch sinnlich wahrnehmbare Formen. Von daher ist Komik, metaphorisch gesprochen, ein ästhetisches Spiel über den sozialen Abgrund hinweg, der aber währenddessen durch das Komische selbst aufgerissen wird. In der literarischen Moderne kommt Hochkomik zu sich selbst, weil ihre Doppeltendenz von Angriffs- und Kommunikationslust, sozialem Eros und gesellschaftlichem Todestrieb nicht mehr durch die historisch besondere Ordnung der Gesellschaft überdeckt wird. Freudsche Begriffe kreuzen genau die komiktheoretische Abzweigung, an der die konstruierte Formel den Weg des Sozialen eingeschlagen hat. Sie bezeichnen jedoch keine psychische, sondern eben eine soziale Funktion des Komischen. Dennoch fordert gerade die Trennschärfe dieser Start-Differenz dazu heraus, als letzten theoretischen Akt eine Kontaktaufnahme zur Psychologie einzuleiten. Dazu bietet sich das Element an, welches von der Modellierung bisher ausgeschlossen wurde, aber traditionell wohl erprobt darin ist, Bewusstsein und Sozialität des Komischen zu vermitteln: Welche Rolle spielt das Lachen in der modernen Hochkomik? <?page no="117"?> 113 Welche Stelle das Lachen im komischen Prozess einnimmt, wird ex negativo deutlich, in einer Bemerkung zu den „Formen des Misslingens von Komik“ 308 : „In der Stille, in der Sekunde nach der Pointe, wenn eben niemand lacht, macht sich ein stetig anwachsendes unbehagliches, ja nahezu schreckliches Gefühl breit, das dem Misslingen des Witzes geschuldet ist.“ 309 Der Moment, in dem das Lachen ausbleibt, ist eine Schlüsselszene für das Verständnis des Komischen, weil es auf die fehlende Komponente der sozialen Ambivalenz hindeutet. Der Witz provoziert durch Normverstoß oder esoterische Anspielungen Schweigen, den theoretisch nicht vorgesehenen toten Punkt der Kommunikation. Erst wenn Lachen hörbar, sinnlich erfahrbar wird, setzt der soziale Vorgang wieder ein. Dann hätte man allerdings keine Gleich-, sondern eine Nachzeitigkeit von Richtung und Gegenrichtung. Aus dieser theoretischen Verlegenheit helfen nur die psychologischen Erklärungsmodelle. Laut Freud ist dem transgressiven, tendenziösen Witz durch den ersparten Hemmungsaufwand der Reiz zu lachen quasi eingebaut, das möglicherweise unverständliche Wortspiel setzt die Energie der ersparten Vorstellung entsprechend um. Auch die „kognitive Herausforderung“, die ein Witz stellt, wird durch die „schlagartig wirksame Befreiung von der darin enthaltenen Aufgabe“ 310 lachhaft. Psychische bzw. kognitive Konditionen garantieren daher eine physische Reaktion, ohne deren soziale Funktion ein Witz nicht komisch ist. Diese Umdeutung hat mit der modernen Literatur wenig zu tun, bestärkt aber den Aufbau der allgemeinen Formel. Ein weiterer Unterschied zur Vormoderne ergibt sich ebenfalls: Das karnevaleske Verlachen wird typologisch durch das kommunikativ anschließende Lachen abgelöst. 3.2 Theorie-Bausteine für die Interpretation Der einführende, zum Interpretationskapitel überleitende Abschnitt richtet sich an Leser der Komiktheorie, die nicht über systemtheoretische Vorkenntnisse verfügen. Es erscheint zunächst mühselig, sich eine Theorie anzueignen (Gesellschaft als System nach Niklas Luhmann), um eine andere von weniger großer Reichweite zu erschließen (Hochkomik als soziale Ambivalenz). Dazu ist erstens anzumerken, dass eine Fundierung der Komik-Definition in einer bestimmten Konzeption von Gesellschaft unverzichtbar ist. Nur dadurch lässt sie sich begründen und von anderen Fassungen des Komischen unterscheiden. Zweitens wird nicht auf irgendein 308 Jenny Schrödl: Vom Scheitern der Komik. In: Komik. Ästhetik, Theorien, Strategien. Hg. von Hilde Haider-Pregler u.a. (Maske und Kothurn 51, 4) Wien u.a.: Böhlau 2005, S. 35. 309 Ebd., S. 37. 310 Bjørn Ekmann: Das gute und das böse Lachen. In: Jahrbuch für Internationale Germanistik 16 (1984), H. 2, S. 15. <?page no="118"?> 114 Modell zugegriffen, sondern auf eine Theorie des Gesellschaftlichen, die disziplinübergreifend stark diskutiert und in ihren Hauptthesen zur sozialen Moderne weitgehend akzeptiert ist. So wird es wahrscheinlich, dass nicht wenige komiktheoretisch interessierte Leser sich die Mühe sparen können, weil sie Luhmanns Theorie sozialer Systeme schon in anderen Zusammenhängen kennengelernt haben. Wer sich dagegen erst einliest, tut dies wenigstens nicht umsonst oder nur für die Komik. Keine komplette Darstellung der Systemtheorie wird hier gegeben, es fehlen vor allem die epistemologischen Grundlagen der Differenztheorie im Vorgang der „Beobachtung“. Auch die genauen Verhältnisse der gesellschaftlichen Teilsysteme kommen kaum zur Sprache, mit Ausnahme der speziellen Relationen im System Kunst. Fixiert und theoretisch eingebunden werden hingegen jene vier Theorie-Elemente, die für die folgenden Interpretationen maßgebend sind: Kommunikation, Medium, Autopoiesis und Sinn. Das Verständnis der Begriffe wird im nächsten Kapitel weitgehend vorausgesetzt. Obwohl die vier Bausteine durchaus einzeln verwendet werden können, erhalten sie ihre Form und Funktion nur über das Gesamtgefüge der Theorie, das so weit rekonstruiert wird. 3.2.1 Kommunikation Gesellschaft ist ein Kommunikationssystem. So lautet einer der Basissätze der von Luhmann entwickelten Sozialtheorie. Was die Aussage beinhaltet, wird erst erkennbar, wenn man die Organisationsweise des Systems und den nicht-empirischen Begriff der Kommunikation spezifiziert. Zunächst aber kann man sich daran halten: „Gesellschaft betreibt Kommunikation, und was immer Kommunikation betreibt, ist Gesellschaft.“ 311 Es ist im Vergleich zu anderen soziologischen Modellen ungewöhnlich, Gesellschaft nicht über Institutionen, Gruppen oder Handlungen zu definieren, sondern just Kommunikation als sozial elementaren Vorgang zu entwerfen. Luhmann entfernt sich zugleich vom Erfahrungswissen, das Kommunizieren als Verständigung zwischen Sprechern begreift, sowie von Theorien, die daher Sender, Botschaft und Empfänger auseinander halten. Systemtheoretisch sind die kommunizierten Inhalte ebenso wenig von Bedeutung wie die Vermittlungswege oder die Frage nach dem Erfolg der Verständigung. Auch ohne diese Unterscheidungen kann gesagt werden, wie der grundlegend soziale, gesellschaftsbildende und -erhaltende Prozess von statten geht. „Kommunikation“ bestimmt Luhmann als Einheit von drei Phasen oder Prozessmomenten: Information, Mitteilung und Verstehen. 312 „Ein- 311 Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1984, S. 555. 312 Vgl. Ders.: Was ist Kommunikation? In: Ders.: Aufsätze und Reden. Hg. von Oliver Jahraus. (Universal-Bibliothek 18149) Stuttgart: Reclam 2001, S. 97. <?page no="119"?> 115 heit“ bedeutet, dass Kommunikation erst vorliegt, wenn alle drei Phasen durchlaufen sind, also mit dem Moment des Verstehens. „Verstehen“ wiederum meint nicht das inhaltliche Erfassen einer Botschaft, sondern nur den Punkt, an dem jemand etwas als mitgeteilte Information versteht. Genauer betrachtet handelt es sich um einen „dreistelligen Selektionsprozess“ 313 . Gewählt wird zuerst eine Information aus vielen möglichen, dann eine von mehreren Mitteilungsarten, schließlich muss eine Wahl getroffen werden, wie die mitgeteilte Information zu verstehen ist, wobei es immer mehrere Möglichkeiten gibt, einschließlich des Missverständnisses. Diese Reihe der Selektionen, in der sich Kommunikation vollzieht, leitet außerdem über zum gleichzeitigen Sinn-Prozess, was an dem noch folgenden gleichnamigen Baustein erläutert werden soll. In der Folge jener Konzeption abstrahiert man von den wechselnden Inhalten auf den gleichbleibenden Ablauf des Kommunizierens und dessen soziale Funktion. Die komiktheoretischen Interpretationen machen nur an wenigen Stellen der Deutung den Vollzug aller drei Momente explizit. Der wäre zwar beobachtbar, wird aber zusammengezogen im Begriff des kommunikativen Anschließens. Der vermeintlich untheoretische Ausdruck benennt genau den Punkt, der für die Reproduktion des Sozialen zentral ist: An die Wahl der Information muss eine Mitteilungsselektion anschließen, doch auch ohne den Anschluss des Verstehens bliebe Kommunikation unvollständig. Über die dritte, entscheidende Phase treibt sie sich hinaus, weil das Verstandene im nächsten Schritt zu einer gewählten Information wird. Für das System der Gesellschaft reicht es nicht aus, dass der Kreislauf sich einmal schließt, er muss fortwährend in Gang gehalten werden. Diese Notwendigkeit ist ein Schlüssel für die Interpretation modern-komischer Texte. Ergänzend sind nur an diesem Ort die grundsätzlichen sozialen Bedingungen kommunikativer Anschlüsse zu besprechen, welche durch die systemische Organisation bewältigt werden. Kommunikation findet statt in einer Situation doppelter Kontingenz. 314 Diese Ausgangslage und fundamentale Annahme lässt sich umschreiben. Luhmann setzt zwei personale Positionen, Alter und Ego, die relativ zuzuordnen sind. Alter und Ego müssen ihr Kommunikationshandeln aufeinander abstimmen, um sozial interagieren zu können. Da die Selektionen des einen nicht determiniert, aber von denen des je anderen mit abhängig sind, dessen Selektionen ebenfalls nicht determiniert sind, resultiert aus der Unbestimmtheit der Wahl und der wechselseitigen Abhängigkeit eine doppelte Kontingenz. Jene Grundverfassung des Gesellschaftlichen führt zur Ausbildung sozialer Systeme, deren Aufgabe es ist, kommunikative Kontingenz zu reduzieren, damit es wahrscheinlicher 313 Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1984, S. 194. 314 Vgl. ebd., S. 148ff. <?page no="120"?> 116 wird, dass Anschlüsse zustande kommen. Die Kontingenz steigert sich bei wachsender gesellschaftlicher Komplexität, für die eine systemische Organisationsform gefunden werden muss, damit der Prozess weiterhin funktioniert. So erklärt sich der historische Wechsel vom stratifikatorischen (ungleiche Schichten) zum modernen Differenzierungstyp (funktional getrennt operierende Teilsysteme). 315 Angesichts der Möglichkeiten, aus denen in der Kommunikation gewählt wird, sowie der Unvorhersehbarkeit der Alter-Selektionen zielen Einrichtungen der Gesellschaft, zumal deren historisch spezifische Organisationsform, darauf ab, Erwartbarkeiten zu schaffen: eine Vorstellung davon, wie angeschlossen wird, fundamentaler die Sicherheit, dass angeschlossen, d.h. kommuniziert wird. Schon dieses erste Theorie-Element hat in seinen Verknüpfungen weitreichende Konsequenzen für die Fundierung und historische Beschreibung des Komischen. Zwei Einschätzungen sind in der Komikforschung nicht allgemeiner Konsens, aber doch fest verankert. Einmal ist dies die Ansicht, dass Komik sich durch ein besonderes Verhältnis zum Bereich des Sozialen auszeichnet; zum anderen die Feststellung, dass in komischen Dramen- Texten der Moderne seit 1800 der Vorgang des Kommunizierens verstärkt thematisiert und inszeniert wird. Durch Luhmanns Theorie eröffnet sich nun die Chance, diese beiden lose assoziierten Ergebnisse systematisch zu verbinden. Kommunikation ist mehr als nur ein literarisches Motiv oder ein Element der Gesellschaft, sondern deren prozessuale Grunddimension. Dass es Komik generell mit der fundamentalen Verfasstheit des Sozialen zu tun hat statt bloß mit gesellschaftlich-politischen Ordnungen und den sie stabilisierenden Normen, ist die wohl wichtigste neue These der aufgestellten Komik-Formel. In ihrer historischen Perspektive wird plausibel, warum gerade der historische Unterschied der funktionalen zur stratifikatorischen Differenzierung sich in einer Generalisierung auf die ambivalente Haltung zur Kommunikation niederschlägt. Dieser geschichtliche Effekt wurde im vorherigen Abschnitt eingehend begründet. 3.2.2 Medium Der Baustein, der als Nächster vorgestellt wird, weil er mit dem Modul der Kommunikation eng verschränkt ist, wird kurz „Medium“ genannt, obwohl es vollständig „symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium“ heißen müsste. Hier herrscht eine etwas unglückliche terminologische Dichte, denn zwei andere Medien-Begriffe sind damit nicht gemeint. Ausgeschlossen wird die mit der Historisierung eingebaute „Medialität“ nach Jahraus. Zweitens steht diese Bezeichnung nur in wenigen markierten Ausnahmefällen für die eine Seite der Unterscheidung von Medium und Form. Zum Vergleich: „Medium“ bedeutet nach dieser Definition „jeder 315 Zu diesem Wechsel siehe genauer Abschnitt 2.2.1. <?page no="121"?> 117 lose gekoppelte Zusammenhang von Elementen, der für Formung verfügbar ist“ und Form „die rigide Kopplung eben dieser Elemente“ 316 . Während Jahraus auf die Kopplung von Kommunikation und Bewusstsein abhebt, die durch ein Medium bzw. Medialität geleistet wird, und Luhmann ein ebenso ästhetisch wie erkenntnistheoretisch relevantes Begriffspaar einführt, gewinnt das für die Komiktheorie vorrangige Medien-Konzept sein Profil ausschließlich durch den Bezug zur sozialen Kommunikation. Ein solches Kommunikationsmedium erfüllt im Prinzip denselben Zweck wie die Schließung der Gesellschaft zum System, wie die historisch verschiedenen Differenzierungstypen, wie Code und Funktion der Teilsysteme in der Moderne: Kommunikation in ihrer doppelten Kontingenz wird dadurch weniger unwahrscheinlich. Medien sind in besonderer Weise darauf spezialisiert, „die Selektion der Kommunikation so zu konditionieren, daß sie zugleich als Motivationsmittel wirken, also die Befolgung des Selektionsvorschlags hinreichend sicherstellen kann“ 317 . Die so konzipierten Medien tun ihren Dienst entweder in einzelnen Teilsystemen oder in der Entstehungsphase sozialer Systeme bzw. neuer Differenzierungstypen. Was „symbolisch generalisiert“ bedeutet, erschließt sich vielleicht am besten durch die Beispiele, die Luhmann nennt: „Wahrheit, Liebe, Eigentum/ Geld, Macht/ Recht“ 318 . Nicht als konkrete Sachverhalte, Gegenstände, Gefühle, Gesetze oder Einflussbeziehungen regulieren diese Instanzen den sozialen Prozess. Vielmehr sind sie gesellschaftlich wirksam durch ihre zeichenhafte Verdichtung - deshalb „Symbolisierung“ - von kommunikativen Optionen. Sie motivieren zur Kommunikation und stellen Wahlmöglichkeiten zur Verfügung, wodurch sie symbolisieren, dass genau diese beiden Komponenten, Motivation und Selektion, sozial erforderlich sind. Es ist darüber hinaus hilfreich, jene Kernkompetenz der Medien mit Luhmann genauer zu kennzeichnen, etwa um ihre Zuständigkeit von der des Codes abzugrenzen. Der Code sorgt für die Abschließung der Kommunikation eines Teilsystems gegenüber den übrigen Systemen, darum braucht sich das Medium nicht zu kümmern. Es erfüllt seine kommunikative Funktion der Selektionslenkung und Anschlussmotivierung in „Sonderlagen“ 319 , in „hoch kontingenten Situationen“ 320 . Medien müssen imstande sein, erhöhte Komplexität und Kontingenz in Erwartbarkeit zu transformieren. Dabei nehmen sie eine Sonderstellung zwischen Code und 316 Niklas Luhmann: Die Wissenschaft der Gesellschaft. (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 1001) Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1992, S. 52. 317 Ders.: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1984, S. 222. 318 Ebd. 319 Ders.: Einführende Bemerkungen zu einer Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien. In: Ders.: Aufsätze und Reden. Hg. von Oliver Jahraus. (Universal-Bibliothek 18149) Stuttgart: Reclam 2001, S. 43. 320 Ebd., S. 39. <?page no="122"?> 118 Programm ein. Konkreter und kontextbezogener als der Code erlauben Medien dadurch, dass sie abstrakter und allgemeiner gehalten sind als z.B. die Programme eines Systems, mehr Flexibilität und daher eine weniger anfällige Anregung und Steuerung der Kommunikation, deren Selektionen klar zugerechnet werden müssen, etwa dem jeweiligen Teilsystem oder den Positionen von Alter und Ego. Es ist in mehrerer Hinsicht nützlich, das Konzept des symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums in die komiktheoretische Beschreibung einzubringen. Wie zuvor deutlich geworden ist, gewährt die soziale Moderne der komischen Subversion nur wenig Spielraum. Die präsentierte „systemische Zweideutigkeit“ bezieht sich auf das Verhältnis der Teilsysteme zueinander. Alternativ könnte eine Gegenstrategie, welche zur Bildung der Ambivalenz-Figur notwendig ist, die interne Organisation der Teilsysteme symbolisch attackieren. Dass sie jedoch nicht beim jeweiligen Code ansetzen kann, hat sich in der Modellierung moderner Hochkomik schon gezeigt. Insofern kommt nur das Medium als funktionale Instanz und Gegenstand subversiver Tendenzen in Frage. Im Interpretationskapitel wird diese paradigmatische Möglichkeit spät abgehandelt, als Grundlage der Werk-Komik und als theoretische Begründung für den avantgardistischen Status filmischer Genre-Parodien. In der Deutung des Zerbrochnen Krugs wird die mediale Rolle des Titelgegenstandes kurz angeführt, wegen ihrer Bedeutung für die soziale Ambivalenz findet sie sich im Titel der Interpretation wieder. Das zentrale Verhandlungsobjekt verdichtet zum einen die systemische Zweideutigkeit. Im Sinne eines Mediums ist der Krug aber nicht subversiv, sondern kommunikativ: Trotz der Komplexität des Falls, der in der Perspektive vieler sozialer Systeme verarbeitet wird, und trotz der unerwarteten, höchst zufälligen Konstellationen gelingt es durch die Bezugnahme auf jenen Gegenstand, Kommunikation zu motivieren und zu koordinieren. Der Krug symbolisiert diese Leistung, er verkörpert sie auch konkret, was aus dem theoretischen Rahmen des Medien-Begriffs herausfällt. Dass er selbst keinem einzigen System zugehört, sondern in mehreren prozessiert wird, ist ebenfalls ungewöhnlich. In der Zweiseitigkeit der Ambivalenz macht ihn aber genau das zum komischen Objekt. 3.2.3 Autopoiesis „Autopoiesis“ ist der abstrakteste Begriffsbaustein, den die komiktheoretischen Interpretationen benötigen. Nicht nur deshalb, weil es keine Anschauung gibt, an die man sich für das Erstverständnis halten kann, wie bei „Kommunikation“ und „Medium“, obwohl auch dort die Ablösung zugunsten der eigentlichen Konzeption erfolgen muss. Die Abstraktheit des Moduls erweist sich auch darin, dass die Organisationsform Autopoiesis mehrere systemtheoretisch konzipierte Ebenen betrifft: zum einen den <?page no="123"?> 119 Elementarprozess der Kommunikation und damit die Schließung zum sozialen System, zum anderen den in und durch Kommunikation ablaufenden Sinn-Prozess, der aber ebenso im davon getrennten, doch zugleich darauf angewiesenen nicht-sozialen System des Bewusstseins stattfindet. Die Frage lautet also „Was ist Autopoiesis? “ bzw. „Wieso funktionieren nach diesem Prinzip sowohl die Systeme als auch der gleichzeitig im und zwischen den Systemen operierende Sinn? “ Autopoiesis bedeutet reduziert gesprochen, dass ein System aus seinen elementaren Einheiten Elemente derselben Art herstellt und sich dadurch konstituiert. Da es sich um einen Vorgang handelt, sollte man sagen: Der Prozess erhält sich selbst, indem er die Elemente, die er verarbeitet, durch seine Operationsweise reproduziert, d.h. neu und doch gleichartig hervorbringt. Kommunikation ist dafür das beste Beispiel, nur aus den fortwährenden Selektionen gehen weitere kommunikative Anschlüsse hervor. Die autopoietische Reproduktion wurde von Maturana/ Varela für organische Prozesse postuliert und von Luhmann zuerst allgemeiner gefasst und dann auf die Einrichtung des Sozialen übertragen. Man kann seine Konzeption begrifflich weiter zergliedern, und zwar in „operative Geschlossenheit“, „Selbstreferenzialität“ und „Rekursivität“ 321 . Operative Geschlossenheit ist die Grundbedingung der Systembildung und besagt, dass ein System zwar seine Umwelt verarbeitet, die Elemente dieses Prozesses, d.h. seiner Existenz, aber nicht der Umwelt entnimmt, sondern selbst produziert. Nur durch die Abgeschlossenheit ihrer Verarbeitungsweise entstehen Systeme, nur aufgrund dessen sind sie überhaupt in der Lage, Komplexität zu reduzieren. Der Bezug auf das, was außerhalb des Systems geschieht, wird durch dessen operativen Selbstbezug ermöglicht. Rekursivität weist u.a. auf die prozessuale, zeitliche Verfasstheit des autopoietischen Systems hin. Wiederum kann man Kommunikation als Beispiel nehmen: Das Verstehen muss sich auf die beiden vorangegangen Selektionen, Information und Mitteilung, rückbeziehen, um sie voneinander zu unterscheiden, wobei diese Unterscheidung das Verstehen ausmacht, unabhängig von jeglichen Inhalten. Auf das Verstehen Alters muss Ego rekurrieren, um dieses als mitgeteilte Information wiederum zu verstehen. Sozialtheoretisch kennzeichnet „Autopoiesis“ sowohl die Art und Weise, in der Systeme kommunizieren, als auch den Modus, in dem Kommunikation Sinn verarbeit. Der Begriff erfasst daher den grundlegenden Ablauf des Sozialen. Für die komische Ambivalenz scheint er zunächst kaum greifbar zu sein. Seine abstrakte Form erlaubt und erfordert jedoch verschiedene Konkretisierungen. In der paradigmatischen Interpretation von Bernhards Alte Meister werden die Monologe Regers „autopoietisch“ genannt. Als Kommunikation reproduzieren sie sich natürlich ohnehin durch 321 Vgl. Georg Kneer, Armin Nassehi: Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme. Eine Einführung. München: Fink (UTB für Wissenschaft/ Uni-Taschenbuch 1751), S. 54. <?page no="124"?> 120 Autopoiesis, auch wird darin Sinn nach demselben Muster prozessiert. Dennoch wäre diese Feststellung nicht aussagekräftig, weil sie auf alle Texte zutrifft. Hochkomisch wird die Rede des Romans erst dadurch, dass sie Merkmale aufweist, die Autopoiesis metaphorisch zur Darstellung bringen. Dazu gehören inhaltliche und stilistische Wiederholungen, die den theoretischen Sachverhalt - das Forttreiben des Prozesses durch eine Verarbeitung der immer gleichen Elemente - sichtbar machen. Regers Sprechweise gleicht in ihren ausgestellten Eigenheiten einem System, das sich mit seiner Umwelt befasst, dies aber in einer spezifischen, systemimmanenten Weise. Als Vergleichsmomente für die Metaphorisierung eignen sich mehr noch die schon erklärten Differenzierungen „Geschlossenheit“, „Selbstreferenzialität“ und „Rekursivität“. Wenn der Monolog in Alte Meister für den Systemkreislauf steht, dann ist es stimmig, dass andere Redekreisläufe, die durch Dialoge hinzukommen, nur innerhalb dieses Monologs wiedergegeben werden. Über einen dialogischen Erzähltext wäre die Qualität der operativen Geschlossenheit so nicht zu vermitteln. Darüber hinaus bezieht sich Reger laufend auf schon von ihm Gedachtes und Gesagtes zurück. Die noch folgende Interpretation wird dies weiter ausführen und dabei auch die komplexere Erzählsituation mit berücksichtigen. Hier kommt es hauptsächlich darauf an, die metaphorische Verwendungsweise des Begriffs „Autopoiesis“ vorab klarzustellen. Eine Komik-Interpretation kann bei diesem Baustein nicht umhin, stärker von der Theorie abzuweichen, um sich überhaupt noch auf sie beziehen zu können. Das wird zumal unumgänglich, wenn eine komische Gegenstrategie bestimmt werden soll. Kommunikative, sinnhafte Autopoiesis unterliegt keinen eigenen Bedingungen. Sie ist das, was ohnehin geschieht, wenn kommuniziert und sinnhaft angeschlossen wird, weil der Begriff nur den Prozessmodus meint, der damit einhergeht. Insofern ist es theoretisch gedacht unmöglich, Autopoiesis gezielt zu unterlaufen. Komik bzw. deren interpretative Konstruktion muss sich deshalb an das jeweils Konkrete halten, das metaphorische Äquivalent. Nur über diesen Umweg lässt sich der autopoietische Ablauf identifizieren und komisieren. Regers selbstreproduktive Beschimpfung der Alten Meister im Kunsthistorischen Museum hängt von einem speziellen Gewohnheitszusammenhang ab. Folglich liegt es in der komischen Absicht des Textes, diesen Zusammenhang zu erschüttern, seine Auflösung in Aussicht zu stellen. Es ist eine weitere Bedingung zu nennen, die in literarischen Texten als solche thematisiert wird, die aber nicht in den Bauplan der Systemtheorie gehört. Kommunikative, sinnhafte Autopoiesis wird durch die Existenz des Subjekts oder des poetischen Mediums gehalten. Anzudeuten, dass deren Status prekär ist, stellt daher eine komische Subversion dar, die jenseits der theoretischen Fundierung liegt und dennoch den strategischen Zweck erfüllt. Im Falle von Alte Meister wird vom möglichen Selbstmord des au- <?page no="125"?> 121 topoietisch Sprechenden erzählt. Zugleich wird das bevorstehende Ende der Gewohnheiten Regers erwogen, die den konstitutiven Rahmen seines Sprechens und Denkens bilden. In experimenteller Poesie und Nonsens- Lyrik klingen Motive einer lyrischen Apokalypse an, nach der mit dem Untergang der Welt die sich selbst reproduzierende dichterische Sprache verginge. Damit sich dies zur ambivalenten Gleichzeitigkeit ergänzt, müssen die metaphorischen Figuren der Rekursivität und Wiederholung ausgeprägt sein. Obwohl jene basale Operationsweise des Sozialen von den empirischen Gegebenheiten noch stärker abweicht als die theoretischen Konzeptualisierungen „Kommunikation“ und „Medium“, entfaltet Komik in der indirekten, jedoch sinnlich eingängigen Darstellung der Autopoiesis eine für die komische Moderne exzeptionelle Anschaulichkeit. Die modern dominierende Interpretation wird allerdings gleichermaßen aktiviert, tatsächlich scheint sich deren Intensität mit der erhöhten Wahrnehmbarkeit des Komischen eher zu steigern als zu mindern. Der spezielle systemtheoretische Baustein ist also nur verwendbar, sofern man eine theoretische Unschärfe in Kauf nimmt. Mit den beschriebenen Textstrukturen wird nicht die Autopoiesis vollzogen, der Luhmann in seiner Theorie der Gesellschaft bestimmte Positionen und Rollen zuweist, dennoch veranschaulichen sie in einer metaphorischen Übertragung zentrale strukturelle Merkmale jenes Grundvorgangs. Die theoriefremde existenzielle Perspektive dient letztlich dazu, den theoretisch konzipierten Ablauf des Prozesses und dessen sozial grundlegende Funktion in den Vordergrund zu rücken und der Komik zugänglich zu machen. Von daher ist die metaphorische Umsetzung des Moduls in die Figur literarischer Hochkomik notwendig, um die komische Reflexion der Organisationsform des Sozialen auch in dieser Spielart zu gewährleisten. Dass damit Beispielwerke und typische Gattungen der modernen Literatur des 20. Jahrhunderts auf begrifflich ganz neuer Basis als komisch beschrieben werden können, wird sich im Interpretationskapitel zeigen. So verweist das oberflächliche Phänomen der Wiederholung - in der avantgardistischen Lyrik wie in Bernhards werktypischem Erzählmonolog - auf einen Zusammenhang, in dem man erst dann mit Recht von einer reflexiven Behandlung der Autopoiesis sprechen kann, wenn die jeweils fehlende Richtung der sozialen Ambivalenz ebenfalls zu sehen oder zu deuten ist. 3.2.4 Sinn Um sich der systemtheoretischen Modellierung von „Sinn“ zu nähern, muss man von allen Auffassungen Abstand nehmen, die einen bestimmten existenziellen Gehalt oder eine Qualität der Erkenntnis bezeichnen. Luhmann umreißt das „Phänomen Sinn“ strukturell statt inhaltlich als „Überschuss[ ] von Verweisungen auf weitere Möglichkeiten des Erlebens und <?page no="126"?> 122 Handelns“ 322 . Innerhalb seiner Sozialtheorie formuliert dies außerdem die Tiefenstruktur der Kommunikation, denn durch ihren Verweisungsüberschuss „zwingt die Sinnform“ im nächsten zeitlichen Moment „zur Selektion“ 323 . Die Folge der Selektionen ist jene Gemeinsamkeit, die den Parallellauf von Sinn und Kommunikation ermöglicht. Beides sind autopoietische Prozesse. Sie operieren allerdings auf verschiedenen Abstraktionsniveaus. Sinn ist der Grundvorgang nicht nur sozialer Systeme, sondern auch des Bewusstseins. Man kann nicht dahinter zurückgehen, um einen noch basaleren Ablauf zu beobachten. Die Sinnstruktur ist so umfassend, dass sie sogar das einschließt, was logisch oder ontologisch als „Unsinn“ gilt. Von daher kann Komik nicht fundamentaler ansetzen als bei der sozial ambivalenten Behandlung von Sinn. Es verschärfen sich dabei jedoch jene Schwierigkeiten, die bereits aufgrund der vorherigen Bausteine aufgetreten sind. Paradoxerweise funktioniert Komik selbst sinnhaft genauso wie Komik auch unweigerlich kommuniziert, so dass eine Hervorhebung dessen und ein subversiver Umgang damit nur in besonderen Konstellationen möglich sind. Zudem entzieht sich Sinn noch stärker als Autopoiesis, weil er keine abstrakten Konkretisierungen (z.B. Rekursivität) mit sich führt, die metaphorisch aufgegriffen werden könnten, sondern durch eine einzige Differenz bestimmt ist: Aktualität Potenzialität. „Sinn ist laufendes Aktualisieren von Möglichkeiten.“ 324 „Aktualisieren“ heißt hier, dass eine Möglichkeit aus einem begrenzten virtuellen Spektrum ausgewählt und damit präsent gemacht wird. Diese Präsenz ist allerdings nur vorübergehend bzw. zeitlich instabil, denn jede Aktualisierung führt zu einer „Virtualisierung der daraufhin anschließbaren Möglichkeiten“. Die jeweilige Aktualität fächert die Potenzialität neu auf. Dadurch rekonstituiert sich die Sinn-Differenz laufend und zieht Anschlüsse nach sich. Nur aufgrund der Unbeständigkeit der Präsenz kommt es zur autopoietischen Schließung. Dem entspricht in der Kommunikation der Punkt, an dem das Verstehen zur mitgeteilten, ihrerseits verstehbaren Information wird, und somit den Kreislauf vollzieht. Die nähere Beschreibung der Sinn-Definition nach Luhmann zeigt auch auf, was die Bestimmung eines Begriffs über eine Differenz grundsätzlich aussagt. Sinn ist nicht einerseits Aktualität und andererseits Potenzialität, vielmehr geht es um den Übergang von der einen zur anderen Position und die Tatsache, dass sich dadurch die Differenz als solche immer wieder herstellt. Für den Bezug jenes Prozesses auf Literatur wäre an dieser Stelle auf Jahraus’ Konzeption der Medialität hinzuweisen, die darauf beruht, dass die medialen Bedingungen literarischer Texte Sinnverarbeitung, d.h. Interpretation in 322 Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1984, S. 93. 323 Ebd., S. 94. 324 Ebd., S. 100. <?page no="127"?> 123 besonderem Maße anregen. 325 Dass Interpretation eine intensive, medial bedingte Form der Sinnprozessierung darstellt, geht als Hintergrund auch in die komiktheoretischen Textdeutungen ein. Die moderne Hochkomik des Sinns ist jedoch von weiteren Faktoren abhängig, was am Beispiel von Kafkas Schloß-Roman verdeutlicht werden kann. Die folgenden Überlegungen vertiefen dazu den theoretischen Vorlauf der ausgiebigen Schloß- Interpretation im anschließenden vierten Kapitel. Da Sinn im Sozialen wie im Bewusstsein ein ständig ablaufender Vorgang ist, muss komische Literatur ihn mit zusätzlichen Differenzen profilieren, um ihre Ambivalenz-Figur daran ausrichten zu können. In Kafkas Roman wird erstens die historische Differenz genutzt: Angesichts der zwischen Dorf und Schloss eingebürgerten hierarchischen Kommunikation einer stratifikatorischen Gesellschaft wird es mithin auffällig, dass die von K. initiierte Kommunikation häufig nicht mehr oder nur zum Schein Standesunterschieden folgt. Stattdessen werden von einem zum anderen Moment der Dialoge Möglichkeiten aktualisiert, verworfen und neue Möglichkeiten geschaffen. Das trifft nicht unbedingt die spezifisch moderne Organisationsform, funktionale Ausdifferenzierung, und findet auf einer basalen Ebene ebenso in der Vormoderne statt. Die Unterscheidung kann letztlich nur im komiktheoretischen Kontext verständlich werden, vor dem Hintergrund der zuvor begründeten These, dass sich das Komische in der Moderne nahezu zwangsläufig mit den grundlegenderen Operationsweisen der Gesellschaftssysteme auseinandersetzt. Das zweite Mittel der Sinn-Profilierung ist die Absetzung von existenziellen und logischen Sinn-Begriffen. Beispielhaft sind die Verhandlungen zwischen K. und dem Schloss über seinen Status als Landvermesser und über die Identität der Gehilfen. K.s Aussagen stimmen in diesen Gesprächen nicht mehr mit der Logik überein, so wird beispielsweise der Grundsatz des auszuschließenden Widerspruchs ignoriert, auch verhält er sich mitunter entgegen seiner Intention, die eigene Existenz durch berufliche, soziale Anerkennung zu sichern. Solche Widersinnigkeiten richten die Aufmerksamkeit auf die rein formal-funktionale Sinn-Struktur, die sich in den Fragen und Antworten solcher Gespräche abzeichnet. In dieser Hinsicht verarbeitet der Text die Differenz zu anderen Sinnbegriffen, die er also durchaus aufruft und nicht etwa gänzlich verneint. Die vielen Deutungen, die der Protagonist vornimmt, zu denen er andere Figuren animiert oder gar überlistet, folgen derselben Struktur. Kommunikativ sind die Deutungsbemühungen der Schloß-Figuren, sofern deren Sinn-Anschlüsse immer auch als Kommunikationsanschlüsse aufgefasst werden können. Was die Gegenstrategie angeht, so ergibt sich ein ähnlicher Konkretisierungsbedarf wie zuvor für die Subversion der 325 Vgl. Oliver Jahraus: Literatur als Medium. Sinnkonstitution und Subjekterfahrung zwischen Bewußtsein und Kommunikation. Weilerswist: Velbrück 2003, S. 496f. <?page no="128"?> 124 Autopoiesis. Nicht Sinn kann unterlaufen werden, lediglich die textuellen Ermöglichungsumstände der erkennbar sinnförmigen Interaktion sind in Zweifel zu ziehen. K.s Gespräche mit dem Schloss, mit der Wirtin stehen durch karnevaleske Provokation immer latent vor dem Abbruch, sein ungesichertes Aufenthaltsrecht trägt zur Gefährdung bei und produziert folglich komische Ambivalenz. Die Gegenbewegung zur Sinn-Kommunikation ist häufig situativ bestimmt, etwa durch die Müdigkeit K.s während des Aufenthalts beim Sekretär Bürgel. Der hier praktizierte Vorgriff auf die Ergebnisse der Textdeutungen ist unumgänglich, da sonst nicht einleuchtet, weshalb trotz der theoretischen Einschränkungen und außertheoretischen Zusätze eine Nutzung der Theorie-Bausteine für die Interpretation literarischer Hochkomik zulässig ist. Die Abstraktion der sozialen Vorgänge wird erst handhabbar durch die ebenfalls abstrakten Züge der Komik- Formel sowie die konkreten Befunde der Textanalyse. Daher handelt es sich nicht um einen bloßen Abgleich der Sozialbzw. Komiktheorie mit der beobachteten Textempirie. Die luhmannschen Theoreme gewinnen ihre Beschreibungskraft für das Komische erst in Kombination mit der Formel und in der Anwendung auf textliche Besonderheiten. <?page no="129"?> 125 4 Komiktheoretische Interpretationen: Paradigmen der Moderne 4.1 Heinrich von Kleist Der zerbrochne Krug 4.1.1 Forschungslage In der frühen Inszenierungsgeschichte des Stücks wollte sich die komische Wirkung nicht einstellen, 326 im Verlauf der Interpretationsgeschichte wurde die Komödien-Handlung häufig mit ernsten, philosophischen Deutungen unterlegt. Was die Gattungszugehörigkeit betrifft, so hat Klaus Kanzog den auch von Kleist vorangestellten Begriff des Lustspiels befürwortet, weil dieser historisch die mit nicht-komischen Anteilen durchmischte Form bezeichnet. 327 Wenn sich der Zerbrochne Krug also den üblichen Kategorien und Rezeptionsweisen des Komischen bis zu einem gewissen Grade entzieht, erscheint es lohnend, mit einen neuen theoretischen Zugriff an den Text heranzugehen. Zuvor seien jedoch Fragen und Strukturen benannt, an denen sich die bisherigen Interpretationen orientiert haben. In Kleists analytischem Drama verhandelt der Dorfrichter Adam in der Sache des zerbrochenen Krugs und versucht dabei mit allen Mitteln zu verbergen, dass er selbst der Schuldige ist. Obwohl die vor dem Anfang liegende, am Ende aufgedeckte Tat und der Gerichtsprozess in dieser Weise verklammert sind, kann doch entweder die daraus folgende symbolische Rolle Adams betont werden oder die Dynamik der Verhandlung selbst, an der sowohl mehrere Figuren als auch weitere juristische Instanzen beteiligt sind. In der älteren Forschung dominiert die erste Lesart, dagegen hat Fritz Martini im Blick auf die komische Gattung des Stücks postuliert: „Die Entlarvung Adams macht nicht das Lustspielhafte dieses Lustspiels aus“ 328 , vielmehr läge „alles dramatische Gewicht, alle Spannung in dem dialektischen Spielwerk des Verhörverlaufs“ 329 . Diese Umwertung trifft sich mit jüngeren Deutungsansätzen, nach denen das Geschehen am Gerichtstag in Huisum zum Beispiel die theoretischen Paradoxien wie historischen Kontingenzen einer Repräsentation von Recht und Gesetz durchspielt. 330 Die 326 Vgl. Helmut Sembdner: Der „Zerbrochne Krug“ in Goethes Inszenierung. In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 9 (1965), S. 371-382. 327 Vgl. Klaus Kanzog: Kommunikative Varianten des Komischen und der Komödie. Zur Gattungsbestimmung der Lustspiele Heinrich von Kleists. In: Kleist-Jahrbuch 1981/ 82, S. 233. 328 Fritz Martini: Lustspiele - und das Lustspiel. Stuttgart: Klett 1974, S. 153f. 329 Ebd., S. 155f. 330 Vgl. Ethel Matala de Mazza: Recht für bare Münze. Institution und Gesetzeskraft in Kleists „Zerbrochnem Krug“. In: Kleist-Jahrbuch (2001), S. 160-177. <?page no="130"?> 126 „Prozeßform des Lustspiels, die das Sprachgefecht von Frage und Antwort in den Vordergrund rückt“ 331 , bietet außerdem solchen Untersuchungen Raum, die davon ausgehen, dass die Komik des literarischen Textes auf seine theatralische Inszenierung angewiesen ist. 332 Um eine Figur außer dem Dorfrichter und bestimmte Momente der Verhandlung herauszugreifen: Die Reden der Frau Marthe, mit denen sie im sechsten und im siebten Auftritt den Gegenstand des Rechtsstreits präsentiert, sind seit dem Aufsatz von Ilse Graham vom dramaturgisch überflüssigen rhetorischen Exzess zu Fixpunkten der Deutung aufgestiegen. 333 Die „Philippika [...] über die ‚Entscheidung’ des ‚geschiedenen’ Krugs bleibt in keiner Untersuchung des Zerbrochnen Krugs unerwähnt“ 334 , die „Krugbeschreibung oder -erzählung stellt die eigentliche Eröffnung des Prozesses dar und steht somit im Drama an hervorragender Stelle“ 335 . Ihren Status gewann sie in symbolischen, zeichen- und repräsentationstheoretischen Interpretationen. Es wird sich zeigen, dass Frau Marthes Wortgewalt, ihre Ausführungen zum Objekt auch komiktheoretisch relevant sind, wobei diese Passagen aber nicht vom Rest der Prozessdialoge oder dem Beginn des Stücks isoliert werden dürfen. Weder die erzählerischen Details noch der Zustand des Gefäßes machen die Krugbeschreibung bedeutsam, sondern die Perspektiven, die Frau Marthe auf den Gegenstand wirft, die Funktion, die er nicht nur für ihre Rede übernimmt. „Wofür der Krug nun steht oder richtiger, wofür er stellvertretend in Scherben zerfiel, ist in der Wissenschaft eine hochdotierte Frage.“ 336 Das Gefäß wurde als Symbol gelesen: für die mutmaßlich zerbrochene Unschuld des Mädchens Eve und die damit eng verknüpfte tatsächliche Schuld Adams. Diese Hauptlesart bezieht sich auf die historische Semantik 331 Hugo Aust: Bewährung und Erkenntnis. Heinrich von Kleist „Der zerbrochne Krug“. In: Deutsche Komödien vom Barock bis zur Gegenwart. Hg. von Winfried Freund. (Uni-Taschenbücher 1498) München: Fink 1988, S. 66. 332 Vgl. Andreas Hamburger: „Setzt einen Krug, und schreibt dabei: dem Amte wohlbekannt.“ Momente der Lösung in Heinrich von Kleists Komödie Der zerbrochne Krug. In: Lachen. Hg. von Wolfram Mauser. (Freiburger literaturpsychologische Gespräche 25) Würzburg: Königshausen & Neumann 2006, S. 136. 333 Vgl. Ilse Graham: Der zerbrochene Krug - Titelheld von Kleists Komödie. In: Heinrich von Kleist. Aufsätze und Essays. Hg. von Walter Müller-Seidel. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1967, S. 272-295. 334 Andreas Hamburger: „Setzt einen Krug, und schreibt dabei: dem Amte wohlbekannt.“ Momente der Lösung in Heinrich von Kleists Komödie Der zerbrochne Krug. In: Lachen. Hg. von Wolfram Mauser. (Freiburger literaturpsychologische Gespräche 25) Würzburg: Königshausen & Neumann 2006, S. 158. 335 Albert M. Reh: Der komische Konflikt in dem Lustspiel „Der zerbrochne Krug“. In: Kleists Dramen. Hg. von Walter Hinderer. Stuttgart: Reclam 1981, S. 102. 336 Hugo Aust: Bewährung und Erkenntnis. Heinrich von Kleist „Der zerbrochne Krug“. In: Deutsche Komödien vom Barock bis zur Gegenwart. Hg. von Winfried Freund. (Uni-Taschenbücher 1498) München: Fink 1988, S. 69. <?page no="131"?> 127 der Entstehungszeit des Lustspiels, wodurch sich die zentrale sexuelle Anspielung entschlüsseln lässt. 337 Über die sprechenden Namen, den Sturz des Dorfrichters sowie vor allem die Worte des Schreibers Licht im ersten Auftritt hat man dies zur Symbolik des Sündenfalls ausgebaut. Dagegen zielen die Beiträge der jüngsten Zeit nicht mehr auf die Bedeutung des Zeichens, vielmehr werden anhand des Kruges eine krisenhafte Bedeutungsbildung und deren Repräsentationsmodus reflektiert. Gerade in der Hinsicht hat die neuere Literatur- und Kulturtheorie das philosophische Paradigma abgelöst. Auch vom theoretischen Standpunkt der Komik aus betrachtet verliert der Gegenstand keineswegs seinen Rang. Es wird sich jene These bewahrheiten, die Graham mit anderen Gründen aufgestellt hat: Der Krug ist der „Titelheld von Kleists Komödie“. Bei der Bestimmung des komischen Konflikts stand in der Forschung bislang der Protagonist im Zentrum. Mit dem aristotelischen Komikbegriff und der Charakterkomödie kategorisiert Albert M. Reh die Situation des schuldigen Richters vor Gericht. Komisch ist nach Aristoteles die „harmlose Inkongruenz zum Nomos“ 338 . Derart hat Adams anzügliche Erpressung Eves gegen die Sitten verstoßen, so verletzen seine Manipulationen während des Prozesses die juristischen Regeln, wobei der Schaden abgefangen wird: Eves Ehre ist am Ende gerettet, die von Adam fälschlich beschuldigten Ruprecht und Lebrecht werden nicht verurteilt. Schließlich fällt die durch den Gerichtsrat Walter angekündigte Strafe des eigentlichen Übeltäters in der Fassung des Erstdrucks recht milde aus: „Von seinem Amt zwar ist er suspendiert,/ [...] Doch sind die Kassen richtig, wie ich hoffe,/ Zur Desertion ihn zwingen will ich nicht.“ (V 1961-1966) 339 Charakterkomik beruht auf einem „Konflikt des Helden mit der Welt und letztlich mit sich selbst“ 340 . Als eigenständige Definition des Komischen wäre dies kaum hinreichend, da dieselbe Konstellation auch der Tragödie oder dem Entwicklungsroman zugrunde liegen kann, die aristotelische Harmlosigkeit des Ausgangs bleibt das einzige Unterscheidungsmerkmal der Komödie. Spezifiziert werden die Handlungsschemata „unbewusste Verkennung“ und „bewußte Verstellung“ 341 . Der Zerbrochne Krug ist unschwer als Beispiel des zweiten Typs zu erkennen: „Das distanzierende Lachen richtet sich bei dieser Form der Charakterkomödie vor allem 337 Dass „Krug“ für das zeitgenössische Publikum ein Zeichen der Sexualität des weiblichen Körper gewesen ist, wird von vielen Interpreten angemerkt. 338 Albert M. Reh: Der komische Konflikt in dem Lustspiel „Der zerbrochne Krug“. In: Kleists Dramen. Hg. von Walter Hinderer. Stuttgart: Reclam 1981, S. 96. 339 Zitiert nach Heinrich von Kleist: Der zerbrochne Krug. Ein Lustspiel. Erstdruck. In: Ders. Sämtliche Werke und Briefe. Bd. 1. Dramen. 1804-1807. Frankfurt/ M.: Deutscher Klassiker Verlag 1991. 340 Albert M. Reh: Der komische Konflikt in dem Lustspiel „Der zerbrochne Krug“. In: Kleists Dramen. Hg. von Walter Hinderer. Stuttgart: Reclam 1981, S. 99. 341 Ebd., S. 99f. <?page no="132"?> 128 auf die Verstellung und die Selbstentlarvung.“ 342 Die Motive „distanzierenden Lachens“ über die Lage Adams zu ergründen, ist das Anliegen psychologischer Deutungen des Textes. Der Dorfrichter wirkt deshalb komisch, weil der Zuschauer zu ihm ein Verhältnis der Nähe und Distanz zugleich entwickelt: „Wir lachen auf Kosten der Figur, aber in diesem Lachen ist ein bisschen von der Projektion der Verachtung und ein bisschen von der Identifikation des Mitleids enthalten.“ 343 Schamgefühle wecken die sexuellen Peinlichkeiten und Entblößungen, die Adam widerfahren. Aufgrund der lustbestimmten Überschreitungen, die er begeht, könnte man ihn mit Freud als eine Verkörperung des transgressiven Witzes ansehen, die Hemmungsenergie in Lachen freisetzt. Seine ungebändigte, defekte Körperlichkeit macht ihn überdies zu einem geeigneten Deutungsobjekt für die bachtinsche Komik des Grotesken. Freuds Theorie aus der Abhandlung über den Witz hat jedoch den Vorzug, dass sie Adams unwiderstehlichen Drang zur Selbstentlarvung und die darin entfaltete sprachliche Komik erklären kann. Die Kraft dahinter ist das „Unbewusste, das im Sprachwitz schlagartig und unter Umgehung von Zensur und Widerstand aufgedeckt wird“ 344 . Mahler-Bungers veranschaulicht dies an einer Szene, die, würde sie auf der Bühne agiert statt nur erzählt, einen „klassische[n] Slapstick“ 345 darstellt. Adam schildert seinen Kampf mit dem Ziegenbock. „Da ich das Gleichgewicht verlier, und gleichsam/ Ertrunken in den Lüften um mich greife,/ Fass’ ich die Hosen“, die am Gestell des Ofens hängen, „und nun reißt/ der Bund“, beim Sturz „schmetter’ ich auf/ den Ofen hin, just wo ein Ziegenbock die Nase an der Ecke vorstreckt“ (V 52-61). Der unmittelbar komische Eindruck wird erzeugt durch die genrehafte Tücke des Objekts und das perfekt unglückliche Timing. Doch liegt darin auch ein weniger offensichtlicher freudscher Selbstverrat, der eigentliche Slapstick sei das Scheitern der Lüge „an dem verräterischen, kontrafaktischen Vexierspiel der Sprache zwischen Bildlichkeit und Konkretismus“ 346 , denn Ziegenbock und gerissener Hosenbund sind Substitute für das Triebhandeln, welches Adam in Wahrheit seine Verletzungen eingetragen hat. Der Zusammenhang zwischen „Lustspiel“ und „Lust-Spiel“ 347 wird in diesen freudschen 342 Albert M. Reh: Der komische Konflikt in dem Lustspiel „Der zerbrochne Krug“. In: Kleists Dramen. Hg. von Walter Hinderer. Stuttgart: Reclam 1981, S. 100. 343 Annegret Mahler-Bungers: Über das Lachen in Der zerbrochne Krug von Heinrich von Kleist. In: Lachen. Hg. von Wolfram Mauser. (Freiburger literaturpsychologische Gespräche 25) Würzburg: Königshausen & Neumann 2006, S. 130. 344 Ebd., S. 125. 345 Ebd., S. 127. 346 Ebd. 347 Vgl. Frank Schloßbauer: Das Lustspiel als Lust-Spiel. Eine Analyse des Komischen in Heinrich von Kleists „Der zerbrochene Krug“. In: Zeitschrift für Germanistik N.F. 2 (1992), H. 3., S. 526-549. <?page no="133"?> 129 Auslegungen tiefer aufgeklärt als mit dem Hinweis auf eine antike Komödien-Konfiguration: die des lüsterenen Alten (senex amans), der sich letztlich erfolglos zwischen ein junges Brautpaar drängt. 348 Eine weitere psychologische Analyse der Komik in Kleists Text rekurriert weniger auf Freud als auf jene Temporalität, die schon Kant und Lipps als komisch definiert haben: Erwartung und Enttäuschung, Spannung und Lösung. Daher sucht Andreas Hamburger „mehrphasige Textsignale, die die Inszenierung dieses zeitlichen Ablaufs der Erheiterung erlauben“ 349 . Er will darlegen, wie die von vielen Interpreten hervorgehobene sprachliche Mehrschichtigkeit psychische Spannungen jeglicher, nicht nur sexueller Art erzeugt, die zugespitzt und punktuell aufgelöst werden. „Wenn im Zerbrochnen Krug Bewegung aufkommt, dann ist es die Bewegung der Sprache, die Dramaturgie der Pointe.“ 350 Hamburger räumt dabei ein, dass die von ihm bearbeiteten Passagen aus den ersten Auftritten des Stücks beliebig gewählt sind, um so aber das im gesamten Drama dominierende Prinzip komischer Wirkung exemplarisch vorzuführen. Von daher wird auch hier versucht, nicht bei der begrifflichen Identifikation einzelner Elemente oder Genres wie „Kalauer“ oder „Burleske“ stehen zu bleiben, 351 sondern etwas über das Stück im Ganzen auszusagen; der Rhythmus der Aufführung gilt dabei mehr als die Struktur des Dramentextes. 4.1.2 Systemische Zweideutigkeit und der Krug als Medium Wenn nun der Zerbrochne Krug mit der Formel des Theoriekapitels untersucht wird, dann folgt daraus eine dezentrierte Deutung, die nicht den Konflikt der Hauptfigur behandelt, sondern die Prozessrede, an der mehrere Figuren teilhaben, wobei Frau Marthe eine besondere Rolle zukommt. Dafür rückt das Titelobjekt noch stärker in den Mittelpunkt. Keine Interpretation der gesamten Handlung ist beabsichtigt, das hochkomische Spiel innerhalb des Lustspiels soll zum Vorschein kommen. Als Exposition für die Komödie des Sündenfalls fungiert bekanntlich ein Dialog zwischen Richter Adam und dem Schreiber Licht, der gleich am Beginn des ersten Auftritts steht. Partien des zweiten Auftritts exponieren die soziale Komik der Verhandlungen um den Krug. Wieder sind Licht und Adam im Gespräch. Hinzu treten im ersten Beispiel die Bedienten des Gerichtsrats Walter, die von einem Unfall auf der Reise berichten, ein Pa- 348 Albert M. Reh: Der komische Konflikt in dem Lustspiel „Der zerbrochne Krug“. In: Kleists Dramen. Hg. von Walter Hinderer . Stuttgart: Reclam 1981, S. 101. 349 Andreas Hamburger: „Setzt einen Krug, und schreibt dabei: dem Amte wohlbekannt.“ Momente der Lösung in Heinrich von Kleists Komödie Der zerbrochne Krug. In: Lachen. Hg. von Wolfram Mauser. (Freiburger literaturpsychologische Gespräche 25) Würzburg: Königshausen & Neumann 2006, S. 142. 350 Ebd., S. 148. 351 Ebd., S. 138 u. 154. <?page no="134"?> 130 rallelmotiv zum Sturz des Dorfrichters. Der Wagen ist im Hohlweg umgekippt, wobei sich Rat Walter die Hand verstaucht hat. „Nichts von Bedeutung“ (ZK 294), wie der Bediente anmerkt und damit einen Kontrast zum bedeutungsvollen Fall Adams schafft. Die anschließende Frage des Schreibers leitet eine auf bezeichnende Weise missglückende Verständigung ein: „LICHT Die Hand verstaucht! Ei, Herr Gott! Kam der/ Schmidt schon? “ DER BEDIENTE Ja, für die Deichsel. LICHT Was? ADAM Ihr meint, der Doktor./ LICHT Was? DER BEDIENTE Für die Deichsel? ADAM Ach, was! Für die Hand.“ (V 210-211) Der Bediente verabschiedet sich in der Annahme, die Herren seien nicht bei Verstand. Licht, der mit seinen biblischen Anspielungen der Wahrheit hinter Adams Lügen auf die Spur gekommen ist, durchschaut hier nicht das Problem, sein doppeltes Nachfragen zeigt starke Verwirrung an. Adam muss ihm auf die Sprünge helfen. Die beiden Figuren tauschen ihre Rollen gegenüber dem Fall-Dialog. Was hat den klar denkenden Schreiber in Konfusion gebracht? Licht fragt zu Anfang, ob der Doktor namens „Schmidt“ sich die verstauchte Hand angesehen hat. Der Bediente versteht den Namen als Berufsbezeichnung und spricht von der Deichsel, die zu richten war. Jene Zweideutigkeit hat ein Missverständnis verursacht, das die soziale Kommunikation irritiert. Licht fragt nach der medizinisch zu regelnden Angelegenheit, der Bediente gibt Auskunft über den Stand des Wagens, für den der Handwerker zuständig ist. Ohne den Status der Medizin oder des Handwerks diskutieren zu müssen, kann man feststellen, dass durch das zweifache Verständnis die funktionale Differenzierung der Gesellschaft als Bedingung der Kommunikation thematisiert wird. Noch dazu wiederholt sich ein ähnlicher Vorfall gleich anschließend. Die erste Magd tritt auf mit „Braunschweiger Wurst“, doch hat Adam stattdessen die „Pupillenakten“ gemeint (V 215-216). Als er sie anweist, „die“ wieder in die Registratur zu bringen, reagiert sie im falschen Bezug: „Die Würste? ADAM Würste! Was! Der Einschlag hier.“ Diesmal sieht Licht klar: „Es war ein Missverständnis.“ (V 219) Dessen Ursache in der Organisationsform des Sozialen bleibt für ihn jedoch das ganze Stück hindurch im Dunkeln. Wurst ist kein gesellschaftliches Teilsystem, die Akten aber gehören fraglos in die Kommunikation des Rechts. Damit nimmt die Exposition die moderne Komik der Krug-Verhandlung vorweg: Die ausschließlich und eindeutig juristische Rede, die im Gerichtsverfahren gefordert ist, wird ständig durch andere soziale Redekreise unterlaufen. Kleist inszeniert im Weiteren ein Drama der systemischen Zweideutigkeit, eine hochkomische Rede um und durch den Krug. Die Figur mit dem höchsten Bewusstsein des Konflikts ist nicht, wie in der Adams-Komödie, der Schreiber Licht, sondern Frau Marthe. Daran lässt ihre Rhetorik zur Prozesseröffnung keinen Zweifel. „Es wird sich Alles hier entscheiden“, versucht der Bauer Veit die aufgebrachte Frau zu <?page no="135"?> 131 beruhigen, doch die gerät dadurch nur noch mehr in Rage: „Entscheiden. [...] Wer wird mir den geschied’nen Krug entscheiden? / Hier wird entschieden werden, daß geschieden/ der Krug mir bleiben soll. Für so’n Schiedsurteil / Geb’ ich noch die geschied’nen Scherben nicht.“ (V 417-422) Nicht bloß ungewöhnlich geistreich, auch sozial reflexiv ist dieses Wortspiel, denn Frau Marthe weist nachdrücklich auf die funktionale Differenzierung hin: Auch wenn der ähnliche Klang es suggeriert, das Rechtsurteil bleibt ganz auf die juristische Kommunikation beschränkt, es kann niemals das zerbrochene Gefäß wieder instand setzen. Auch die ökonomische Lösung, die Veit ihr anbietet, lehnt die Klägerin ab: „Er mir den Krug ersetzen./ [...] Setz’ er den Krug mal hin, versuch’ er’s mal,/ Setz’ er’n mal hin auf das Gesims! Ersetzen! / Den Krug, der kein Gebein zum Stehen hat,/ Zum Liegen oder Sitzen hat, ersetzen! “ (V 424-429) Frau Marthe macht unmissverständlich klar, dass sie und Veit, sie und die rechtliche Instanz aneinander vorbei kommunizieren, weil die jeweiligen Systeme in sich geschlossen sind und die Funktion, auf die es ihr ankommt, nicht leisten können. Anstatt aber den Anschluss zu verweigern, bringt sie diese potenzielle Krise sozialer Verständigung in ihre eigene, wahrnehmbar witzige Rede mit ein. Sie ist eine Komikerin und Kennerin der modernen Gesellschaft: „Meint er, daß die Justiz eine Töpfer ist? “ (V 434) Der Krug, „Gegenstand der Klage“ (V 593), wird immer wieder Gegenstand der Rede. Der systemische Bezug, in dem er dabei jeweils steht, wechselt. Auch dies muss Frau Marthe vor Augen führen, in ihrer „umfängliche[n] Ekphrasis“ 352 des Gefäßes. Zur Einleitung fordert sie ihre Zuhörer auf, sich des Objekts vorsozial, nämlich durch Wahrnehmung zu vergewissern: „Seht ihr den Krug, ihr wertgeschätzten Herren? / Seht ihr den Krug? “ (V 644-645) Als Erstes wird er in seinem ästhetischen Wert, im System der Kunst vorgestellt, der „Krüge schönster ist entzwei geschlagen“ (V 647). Die ausführliche Beschreibung der dargestellten Motive bzw. des gleich zu Anfang indizierten „Loch[s]“ ist in ihrer historischen Aussagekraft wie auch als Dekonstruktion der repräsentativen Absicht gedeutet worden. 353 Komiktheoretisch fällt auf, dass Frau Marthe immer wieder Zweideutigkeiten produziert, zwischen der politischen Szene der Darstellung und dem Zustand des Kunstwerks: „Hier kniete Philipp, und empfing die Krone: / Der liegt im Topf, bis auf den Hinterteil, und auch noch der hat einen Stoß empfangen.“ (V 653-655) Orientierung über den Systemwechsel gibt meist der Tempuswechsel zwischen Imperfekt und Präsens, der letzte 352 Andreas Hamburger: „Setzt einen Krug, und schreibt dabei: dem Amte wohlbekannt.“ Momente der Lösung in Heinrich von Kleists Komödie „Der zerbrochne Krug“. In: Lachen. Hg. von Wolfram Mauser. (Freiburger literaturpsychologische Gespräche 25) Würzburg: Königshausen & Neumann 2006, S. 152. 353 Vgl. zu Letzterem Bernhard Greiner: Eine Art Wahnsinn. Dichtung im Horizont Kants. Studien zu Goethe und Kleist. (Philologische Studien und Quellen 131) Berlin: Schmidt 1994, S. 133. <?page no="136"?> 132 Abschnitt im Perfekt deutet hingegen an, das Hinterteil des Königs, nicht nur die entsprechende Fläche der bildlichen Darstellung habe „einen Stoß empfangen“. Kunst kann Politik nicht beeinflussen, das zweideutige Sprechen führt jedoch eine Irritation herbei, im Konjunktiv und syntaktisch abgetrennt: „Hier im Gefolge stützt sich Philibert,/ Für den den Stoß der Kaiser aufgefangen,/ Noch auf das Schwert; doch jetzo müßt’ er fallen“ (V 661- 663). Mit dem Erzbischof von Arras in der „heil’gen Mütze“, den „der Teufel ganz und gar geholt“ (V 666-668) hat, wird die systemische Mehrdeutigkeit um religiöse Kommunikation erweitert. Nach der Ermahnung des Richters, „zur Sache“ zu sprechen, erzählt die beredte Klägerin die Geschichte des Objekts, wobei die Systemreferenz zwischen politischer („als Oranien/ Briel mit den Wassergeusen überrumpelte“, „als die Franzosen plünderten“), ökonomischer (die Frage nach Haben oder Nicht-Haben: „Den Krug erbeutete sich Childerich“, „Hierauf vererbte/ Der Krug auf Fürchtegott“, „Da hatt’ ihn schon mein Mann“) und intim-familiärer („als er im Sechzigsten/ Ein junges Weib sich nahm“, „als sie noch glücklich ihn zum Vater machte“) variiert (V 681-693). Es herrscht keine Zweideutigkeit mehr, über die das Erzähltalent der Frau Marthe hinwegtragen müsste. Dennoch eröffnet der in Rede stehende Gegenstand nacheinander eine Fülle kommunikativer Anschlussmöglichkeiten, in denen die Vielfalt sozialer Funktionen in der modernen Gesellschaft wirksam ist. Der Einspruch der Gerichtsinstanzen Adam und Walter geht nun dahin, dass Frau Marthes Aussage sich ausschließlich am Code des Rechtssystems zu orientieren habe: „Ihr sollt hier reden: doch von Dingen nicht,/ Die eurer Klage fremd. Wenn ihr uns sagt,/ Daß jener Krug euch wert, so wissen wir/ So viel, als wir zum Richten hier gebrauchen.“ (V 712-715) Dies streicht neben der Pluralität einen weiteren Aspekt der funktionalen Differenzierung heraus: die operative Geschlossenheit und Partikularität der Teilsysteme. Das wiederkehrende „zur Sache, zur Sache“ erinnert wie ein Refrain an die Organisationsform des Sozialen. Den komischen Part füllt zum einen Frau Marthe aus, indem sie die von ihr produzierte multiple Zurechenbarkeit zugleich narrativ überspielt. Was ist aber mit dem „Titelhelden“ der Komödie? Der dramatische Dialog erreicht des öfteren Zeitpunkte oder Phasen, in denen der Krug sowohl Mittel der Subversion ist, das die Getrenntheit der sozialen Funktionskreise unterläuft, als auch Mittel der Kommunikation, das unabhängig von den wechselnden Systemreferenzen die grundlegendere Anschlussfähigkeit gewährleistet, sowohl innerhalb der Erzählung/ Bildbeschreibung Frau Marthes als auch in der Interaktion der übrigen Figuren. Am Krug manifestieren sich daher beide Seiten der komischen Ambivalenz. Luhmanns Theorie kennt darüber hinaus den Begriff „symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium“ 354 . Nicht als feste soziale Einrichtung, in den 354 Zum Theorie-Baustein Medium siehe 3.2. sowie die Abschnitte 4.5.3. und 4.5.4. <?page no="137"?> 133 Situationen des Stücks übernimmt der Krug eine vergleichbare Funktion. Angesichts hoher Kontingenz und Komplexität sorgt er dafür, dass die kommunikativen Reaktionen ein Mindesmaß an Vorhersehbarkeit behalten und daher trotz aller Verwirrung nicht gänzlich ausbleiben. „Symbolisch generalisiert“ im theoretischen Sinne ist der Krug nur bedingt. Zum einen kann man angesichts der situativen Geltung des Mediums selbstredend keine Rolle für die Organisation der modernen Gesellschaft behaupten. Zum anderen handelt es sich um einen konkreten Gegenstand. Dass dieser nicht mehr in intakter Form vorhanden ist, tut seinem Zeichencharakter keinen Abbruch. Lediglich die Repräsentation der dargestellten politischen Herrschaft ist durch die fehlenden Teile des Bildes beeinträchtigt, die Symbolik des Gefäßes hingegen steigert sich zur Mehrdeutigkeit. Für „Symbolisierung“ im systemtheoretischen Verständnis gilt ein dritter Befund: Die beschriebene mediale Kommunikationsfunktion hat der heile Krug noch nicht gehabt, sie entsteht erst durch sein Zerbrechen. Der Krug ist das Objekt, an dem sich die dramatische Hochkomik vollzieht. Das Lustspiel insgesamt entfaltet sich zwischen zwei Positionen. Während im ersten Fall die Frage tatsächlich lautet „Ei, wer zerbrach den Krug? “ (V 506) muss es im anderen heißen „Wovon ist eigentlich die Rede? “ So merkt Ruprecht nach Frau Marthes Eröffnungssätzen an: „S’ ist der zerbrochne Krug nicht, der sie wurmt,/ Die Hochzeit ist es, die ein Loch bekommen“ (V 440-441). Doch selbst in der Verneinung ist das in Scherben gegangene Gefäß der einzige gemeinsame Bezugspunkt, der so verschiedene Prozesse wie Kunst und Ökonomie, Recht und Sexualität derart koordiniert, dass die Figuren des Dramas zwar oftmals aneinander vorbeireden, aber immerhin noch sozial kommunizieren können. Gleichwohl bleiben Missverständnisse nicht aus, überaus häufig sind während der Verhandlung die Ein-Wort-Fragen „Was? “ und „Wer? “, die sich ebenfalls zum Teil auf die (Selbst-)Entlarvung Adams beziehen (vgl. V 547-548) und zum Teil auf die Unklarheit der gegenständlichen, sozialen Referenz: „ADAM [...] Stets liegt der Kloß von Nudeln mir im Sinn./ WALTER Was liegt? Was für ein Kloß liegt euch - ? “ (V 840-841) Solche Nachfragen werden selbst komisch-ambivalent; sie sind einerseits kommunikativ, als Verstehen bzw. als mitgeteilte Information, die zu verstehen ist, andererseits bedeuten sie, dass der soziale Ablauf anhalten könnte, wenn sich für den Moment gar keine Systemzuordnung vornehmen ließe. Nachdem der hochkomische Konflikt und seine Hauptakteure ausgemacht sind, kann gefragt werden, wie sich die weitere Konfiguration, vor allem der bisher außen vor gelassene Dorfrichter damit verbindet. Gegenspieler der Frau Marthe ist der unkomische Rat Walter, weil der im Laufe des Verfahrens stets das eindeutig juristische Sprechen fordert, nichts als die Befolgung der Programme des Rechts: „ADAM Befehlen Ew. Gnaden den Prozeß/ Nach den Formalitäten, oder so,/ Wie er in Huisum üblich ist, <?page no="138"?> 134 zu halten? WALTER Nach den gesetzlichen Formalitäten,/ Wie er in Huisum üblich ist, nicht anders.“ (V 566-570). Dass aus der Dienstanweisung eine Zweideutigkeit entsteht, liegt weniger an den Bräuchen des Ortes als am Zwiespalt des Dorfrichters. Dessen Auswirkung auf die Prozessführung ist theoretisch betrachtet in bestimmter Weise komisch. Walter weist Adam vor Beginn der Vernehmungen zurecht, er solle nicht mit „den Partein zweideut’ge Sprache führen“ (V 542), doch während der Anhörungen durchbricht die zweideutige Sprache des Richters ständig das juristische Prozedere. Mit Freud sieht man die Ursache für die vielen unsachgemäßen Bemerkungen des Dorfrichters in einer komischen Enthemmung, mit der sich das verdrängte Triebgeschehen Bahn bricht. Um dieses Merkmal der Adams-Komödie an die moderne Hochkomik des Krug-Prozesses anzubinden, ist hingegen mehr darauf zu achten, wie sich die Ausfälle des Richters zum sozialen, juristischen Vorgang verhalten. Beispielhaft ist die Szene kurz vor dem Verhör. Rat Walter mahnt den ordentlichen Beginn des Prozesses an: „Hier ist der Platz, der eurem Amt gebührt,/ Und öffentlich Verhör, was ich erwarte.“ (V 543-544) Die Erwartung, das Gespräch mit den Parteien werde sich ausschließlich an die Normen des Rechts halten, vollzieht jenes Prinzip, mit dem die funktional differenzierte Gesellschaft trotz der Kontingenz von Kommunikation erwartbare Anschlüsse generiert. 355 Doch solcher erhöhten Wahrscheinlichkeit entziehen sich die Äußerungen Adams, der beiseite spricht: „Verflucht! Ich kann mich nicht dazu entschließen - ! / - Es klirrte etwas, da ich Abschied nahm - “ (V 545-546) Das Einzige, was die Erwägung nicht völlig kontingent erscheinen lässt, ist im Kontext der Szene die Referenz auf den Krug. Dieser tritt dadurch wiederum in die komische Funktion ein, weil er systemische Zweideutigkeit schafft, aber auch Kontingenz reduziert, also die kommunikative Aufgabe schlechthin wahrnimmt. Den, in der Formel theoretisch festgeschriebenen, anti-sozialen Zug der Hochkomik müsste man demgegenüber als eine Strategie der Verzögerung bezeichnen: „Gleich! Gleich! Gleich! “ (V 555) Adam kann sich zunächst nicht dazu entschließen, mit dem eindeutig juristischen Sprechen zu beginnen, wie die Häufung der Gedankenstriche anzeigt. Zudem entsteht ein Missverständnis, das auf die Dialoge der Exposition rückverweist. Lichts Nachfrage zielt mit der Anrede „Herr Richter! “ (V 547) darauf, die Hauptfigur wieder in die vorhersehbaren Bahnen des Teilsystems zu lenken. Adam ist aber noch immer in Gedanken beim zerbrochenen Krug und versteht den Schreiber entsprechend falsch. „LICHT Was? ADAM Was? LICHT Ich fragte - ? / ADAM Ihr fragtet, ob ich - LICHT Ob ihr taub seid, fragt’ ich./ Dort Sr. Gnaden haben euch gerufen./ ADAM Ich glaubte - Wer ruft? LICHT Der Herr Gerichtsrat dort.“ (V 549-552) Die dreistellige Einheit der Kommunikation findet sich hier auf die Phasenmomente Information, 355 Zum Theorie-Baustein „Kommunikation“ siehe Abschnitt 3.2. <?page no="139"?> 135 Mitteilung, Verstehen reduziert bzw. abstrahiert. Mitgeteilt, verstanden wird lediglich das Missverstehen selbst, thematisiert als Taubheit. Was der Dorfrichter nicht gehört haben will, ist die Stimme des Teilsystems, die für die Differenzierung der Gesellschaft spricht. „Zwei Fälle gibt’s,/ Mein Seel, nicht mehr“ (V 553-554). Adams Selbstgespräche und Kommentare subvertieren die soziale Ordnung, weil die anderen Figuren nicht sicher sein können, ob er noch juristisch kommuniziert oder welchem anderen System er gegebenenfalls folgt, so bei der Ermittlung des Klagegegenstands: „ADAM Das ist gleichfalls ein Krug, verzeiht. WALTER Wie? Gleichfalls! “ (V 595) Selbst wenn der Gerichtsrat die sexuelle Anspielung - der zu füllende Krug im Verweis auf Geschlechtsorgane des weiblichen Körpers - nicht heraushört, erkennt er, dass in dem „gleichfalls“ eine Information liegt. Die zwei Krüge, die Adam für sich zählt, korrespondieren den „zwei Fällen“, die er zuvor im Geheimen unterschieden hat. Im Gegensatz zu Walter weiß der Zuschauer um diese Gedanken und hat auch bereits Hinweise erhalten, dass der andere Fall ein sexueller ist. Die daraus resultierende dramatische Ironie ist Teil der modernen Hochkomik: Der Zuschauer kann die systemische Differenzierung leisten, er bekommt gleichzeitig vorgeführt, wie das Gerichtsverfahren aufgehalten wird, weil die Zerstreuung Adams für die übrigen Figuren uneindeutig bleibt. Allein Eve fällt aus dieser Konstellation heraus. Als sichtbares Zeichen dafür, dass das Soziale nicht rein kontingent ist und sein darf, wird wiederholt der Krug ins Spiel gebracht, auch von Adam selbst, der sich nicht an Walter, sondern an die komischen Instanzen des Dramas wendet: „Ist’s nicht ein Krug, Frau Marthe? / FRAU MARTHE Ja, hier der Krug - “ (V 600-601) Das Herzeigen des Titelobjekts hat rituellen Charakter, was die kommunikative Tendenz verstärkt. Einen komisch-subversiven Skandal der Kontingenz verursacht Adam bei fortgeschrittenem Prozess in seiner Beratung mit Walter. Angeblich nimmt der Richter zur Urteilsfindung statt des Gesetzes die „Philosophie zu Hülfe“ und folglich „war’s - der Leberecht - “ (V 1082-1083). Da Walter zweimal seinen Ohren nicht traut („Wer? “), korrigiert Adam zweimal: „Oder Ruprecht - “, „Oder Lebrecht, der den Krug zerschlug“ (V 1083- 1084). Der Gerichtsrat kann ein derart unjuristisches Denken nicht dulden, er muss auch angesichts völliger Beliebigkeit des Anschlusses („Wie eine Hand in einen Sack voll Erbsen“ V 1087) zur sozialen Ordnung rufen: „Wer also war’s? Der Lebrecht oder Ruprecht? “ (V 1085) Der Konflikt des Protagonisten ist für mehr als eine Ausprägung der Struktur moderner Komik gut, auch hier muss man „zwei Fälle“ unterscheiden. Der erste betrifft die keineswegs juristischen Absichten, die der Dorfrichter während des Verhörs verfolgt. So baut er in die Vernehmung Eves eine Drohung gegen das Mädchen ein: „Ich sage, was geschehen i s t, und was,/ Spricht sie nicht, wie sie soll, geschehn noch k a n n“ (V 799-800). <?page no="140"?> 136 Die „zweideut’ge Lehre“ (V 805), die laut Rat Walter einer der „Parteien“ gegeben wird, beschwört innerhalb der Kommunikation eine systemische Zweideutigkeit herauf. Dagegen entwickeln die unwillkürlich verräterischen Aussagen Adams eine andere Gegenstrategie. Ihm unterläuft das entlarvende „gleichfalls ein Krug“ (V 595). Ein anderes Mal spricht die sexuelle Eifersucht. Als Ruprecht von seinen erfolgreichen Annäherungsversuchen bei Eve erzählt, fällt Adam ihm ins Wort: „Bleib er bei seiner Sache. Gakeln! Was! “ (V 881). Dies ist nicht nur eine richterliche Ermahnung, bei der rechtlich relevanten Sache zu bleiben, sondern auch dem Gedanken an das eigene „Gakeln“ mit Eve geschuldet, also „meiner“ statt „seiner“ Sache. Während des inoffiziellen Verhörs, das Walter im zehnten Auftritt gegen den Dorfrichter einleitet, häufen sich neben den bewussten Ausflüchten besonders die ungewollten Auskünfte. Frau Marthe gibt an, selbst ein Eber könne mit seinen Stoßzähnen nicht das Spalier unter Eves Fenster durchbrechen: „ADAM Es hing auch keiner drin.“ (V 1526) Die freudsche Erklärung für solche verbalen Fehltritte wurde schon gegeben - Komik als Ventil psychischer Verdrängung. Das systemtheoretische Modell legt eine davon verschiedene komische Struktur frei. Ein massiver Störfaktor im Krug-Prozess ist, wie die soeben zitierten Beispiele zeigen, Adams Bewusstsein. Mit jener Bezeichnung hebt man nicht auf die innere Logik der Psyche ab. Stattdessen kommt das Verhältnis zwischen dem psychischen System Bewusstsein und dem sozialen System Kommunikation in den Blick. Beide Kreisläufe sind in sich geschlossen und für einander unzugänglich. 356 Daher kann das, was Adam denkt und fühlt, nicht als Bewusstseinsinhalt im Stück vorkommen, sondern nur als Kommunikation, und zwar selbst dann, wenn es sich um einen beiseite gesprochenen, gewissermaßen laut gedachten Satz handelt. Dennoch gibt es einen möglichen Ansatz, die gesammelten Versprecher des schuldigen Richters theoretisch zu interpretieren. Obgleich die Systeme nicht ineinander übergehen können, sind sie wechselseitig irritierbar. Kleists Text ist modern komisch, indem er den sozialen Ablauf - die Zurechnung auf Teilsysteme, das stete Kommunizieren - durch den parallelen, aber getrennten Ablauf des Bewusstseins stören lässt. Dieselbe Ablenkung und Unterbrechung betreibt nebenher ein weiteres nicht-soziales System: der Körper. Gegen die Regeln der Justiz macht sich Adams „Unterleib“ (V 1774) geltend, der im elften Auftritt den Richter endgültig verrät. Mit dem abrupten Schluss des Gerichtstags und Adams Flucht verschwinden all diejenigen szenischen Bestände von der Bühne, die dafür verantwortlich waren, dass mit der Subversion auch das hochkomische Spiel weiterlief. 356 Vgl. Niklas Luhmann: Wie ist Bewußtsein an Kommunikation beteiligt? In: Ders.: Aufsätze und Reden. Hg. von Oliver Jahraus. (Universal-Bibliothek 18149) Stuttgart: Reclam 2001, S. 111-136. <?page no="141"?> 137 4.2 Georg Büchner Leonce und Lena 4.2.1 Forschungslage Büchners Lustspiel gehört zu den Texten, deren Modernität einerseits und Komik andererseits erst in einer späten Phase der Rezeption eigens erforscht wurde. Es konnte bislang noch nicht aufgeklärt werden, welcher Zusammenhang zwischen diesen beiden Qualitäten des Dramas besteht. Genau dort setzt daher die komiktheoretische Interpretation an und vermittelt zugleich zwischen den beiden Lagern, die sich in der bisherigen Deutung gebildet haben. Gemeint ist die Aufteilung „Melancholie vs. Satire“ 357 , das Interesse der Auslegungen galt entweder der Figur des melancholischen Narren Leonce und seiner Motivgeschichte 358 oder der politischen Satire auf den Fürstenstaat am historischen Ende des Absolutismus. In der Diskussion um diese Alternativen ist die Vielfalt der komischen Mittel lange vernachlässigt worden, durch eine jüngere Monographie über Leonce und Lena 359 und neueste Sammelbände zur Komik rückt sie jedoch wieder in den Blickpunkt. Zuerst soll daher erkundet werden, ob Arbeiten, die das Komische des Stücks für wichtig halten, auch sagen können, was das Moderne daran ist, wie die gesellschaftlich-politische Bedeutung und das existenzielle Thema der Melancholie auf komische Weise ineinander spielen. An jener aus der Forschungslage hervorgehenden Aufgabe versucht sich dann die theoretisch geführte Interpretation. Der Ende der achtziger Jahre, zur Zeit der wissenschaftlichen Wiederentdeckung des Stücks, 360 publizierte Aufsatz von Jörg Jochen Berns sieht die Komik im Dienste der politischen Absicht. Büchner gebe eine satirische „Innensicht der absolutistischen Hofgesellschaft in deren Agoniephase“ 361 . Bemerkenswert sei im Hinblick auf eine politische Ästhetik, dass die Komödie, indem sie zeremonielle Abläufe travestiere, die Legitimationsfunktion der adeligen Herrschaftsrepräsentationen untergrabe. 362 Abgesehen 357 Volker C. Dörr: „Melancholische Schweinsohren“ und „schändlichste Verwirrung“. Zu Georg Büchners „Lustspiel“ Leonce und Lena. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte (2003), H. 3, S. 380. 358 Vgl. zuletzt ebd., S. 380. Dort sind auch die einzelnen Beiträge aufgeführt. 359 Vgl. Matthias Morgenroth: Formen und Funktionen des Komischen in Büchners „Leonce und Lena“. Stuttgart: Akademischer Verlag Stuttgart 1995. 360 Leonce und Lena werde innerhalb von Büchners Werk „vor allem seit den achtziger Jahren aufgewertet und als verschlüsselte gesellschaftskritisch politische Satire gedeutet“. Marcus Deufert: Lustspiel der verkehrten Welt - Bemerkungen zur Konfiguration von Georg Büchners Leonce und Lena. In: Die dramatische Konfiguration. Hg. von Karl Konrad Polheim. Parderborn u.a.: Schöningh 1997, S. 147. 361 Jörg Jochen Berns: Zeremoniellkritik und Prinzensatire. Traditionen der politischen Ästhetik des Lustspiels Leonce und Lena. In: Leonce und Lena. Kritische Studienausgabe. Hg. von Burghard Dedner. Frankfurt/ M.: Athenäum 1987, S. 219. 362 Vgl. ebd., S. 220. <?page no="142"?> 138 von den kulturhistorischen und literarischen Dokumenten, die Berns anführt, fragt sich, welche Textstrukturen dadurch erfassbar sind. So fügt sich der Verlauf der Liebesgeschichte - die Flucht vor der arrangierten Ehe, auf der sich die beiden Titelfiguren unwissentlich und freiwillig in den vorgesehenen Partner verlieben - in die Kritik der absolutistischen Repräsentation: „Nur weil Leonce und Lena aus gleichartigem Trotz sich von ihren elterlichen Königshöfen entfernen, laufen sie einander in die Arme. Sie bewegen sich symmetrisch. Solche symmetrische Formationsbildung ist aber das Prinzip und die Grundfigur des Zeremoniells.“ 363 Berns greift nicht nur den Ankleidemonolog des Königs sowie die Hochzeitszeremonie im letzten Akt heraus, sondern auch kleinere Momente wie den Rosetta- Auftritt (= Mätressenwesen), den Empfang der fürstlichen Braut und die im Stück lediglich erwähnte, historisch dokumentierte Praxis des in effigie- Hängens. 364 Die Travestie des Zeremoniells wird als bürgerliche Reprise der neuzeitlichen „Prinzensatire“ eingeordnet, 365 deshalb kann die spezielle Komik der Moderne ab 1800 hier nicht auffallen. Auf eine komische Utopie stößt, wer das Lustspiel, vor allem die Figur des Valerio mit Bachtins Komiktheorie liest. Die traditionelle Narrenfigur des Stücks verkörpert laut Kafitz das Leibliche und dessen emanzipatorische, politisch subversive Kraft, festgemacht an den Körperzeichen „Nase“ und „Erde“. 366 Schon von seinem körperlich bewegten ersten Auftritt an, über Schmausereien und sexuelle Anspielungen bis hin zum letzten Wort hält Valerio die Physis des Müßiggangs gegen die bürgerliche Arbeit wie gegen das mechanisierte Hofleben: „dann legen wir uns in den Schatten und bitten Gott um Makkaroni, Melonen und Feigen, um musikalische Kehlen, klassische Leiber und eine kommode Religion“ 367 . Der dramaturgische Rang der Figur hebt die karnevaleske Lesart über eine partielle Deutung hinaus. Selbst wenn man die Ansicht nicht teilt, dass Bachtins Metapher des grotesken Körpers Teil einer vormodernen Komiktheorie ist, wird 363 Jörg Jochen Berns: Zeremoniellkritik und Prinzensatire. Traditionen der politischen Ästhetik des Lustspiels Leonce und Lena. In: Leonce und Lena. Kritische Studienausgabe. Hg. von Burghard Dedner. Frankfurt/ M.: Athenäum 1987, S. 222. Die Aufwertung des Handlungsgerüsts geht gegen den Konsens der Forschung. Vgl. Volker C. Dörr: „Melancholische Schweinsohren“ und „schändlichste Verwirrung“. Zu Georg Büchners „Lustspiel“ Leonce und Lena. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte (2003), H. 3, S. 380. 364 Jörg Jochen Berns: Zeremoniellkritik und Prinzensatire. Traditionen der politischen Ästhetik des Lustspiels Leonce und Lena. In: Leonce und Lena. Kritische Studienausgabe. Hg. von Burghard Dedner. Frankfurt/ M.: Athenäum 1987, S. 225, 231, 232. 365 Ebd., S. 273. 366 Vgl. Dieter Kafitz: Visuelle Komik in Georg Büchners Leonce und Lena. In: Die großen Komödien Europas. Hg. von Norbert Mennemeier. Tübingen u.a.: Francke 2000, S. 271. 367 Georg Büchner: Leonce und Lena. Kritische Studienausgabe. Hg. von Burghard Dedner. Frankfurt/ M.: Athenäum 1987, S. 87. Im Folgenden zitiert unter der Sigle LL. <?page no="143"?> 139 es schwer fallen, die Modernität der Groteske für die Gesellschaft ab 1800 zu begründen und Leonces Melancholie sozial wie historisch so zu verankern, dass sie kein unkomischer Fremdkörper bleibt. Bevor das Drama mit dem theoretisch vorbereiteten Komikbegriff gelesen wird, sind Begriffe und Theorien zu sammeln, die ihm bis dato zugeschrieben wurden. Greiner verfolgt mehr als einen „Weg des Komischen“ durch Büchners Text: den des „Verlachens“ mit Tendenz zur Satire, 368 den des „Mißverhältnisses von Mittel und Ergebnis“ 369 , der Flucht, die genau das herbeiführt, was zu fliehen war. Drittens bringt Greiner die Theorie Ritters zur Anwendung, indem er das Ausreißen der Fürstenkinder, ihre Rückkehr zur Automatenhochzeit als Bewegung des Hinausgehens über die Ordnung deutet (Akt I und II), die aber das Ausgeschlossene innerhalb der bestehenden ernsten Form sichtbar macht (Akt III). 370 Ein weiteres Komödien-Muster, das in Leonce und Lena identifiziert wird, nennt Deufert die „Utopie der verkehrten Welt“ 371 . Leonces parodistisch dargestellte Italien- Sehnsucht gipfelt in seiner Vorstellung der „Blumenzeit“: Wir „zählen Stunden und Monden nur nach der Blumenuhr“ (LL 86). Das ideale Leben wird höchstens durch Valerios finales Gebet um „Makkaroni, Melonen und Feigen“ (LL 87) komisch relativiert. Dass damit „nicht die alte Monarchie restauriert, sondern eine völlig neue etabliert wird“ 372 , erinnert an Lohrs Communitas-Formel, wobei die Flucht das chaotische Interim, die Vermählung in effigie den Übergang zur daraus hervorgehenden zweiten Ordnung der neuen Monarchie in Szene setzt. Der Bandbreite komischer Formen, die in Büchners Komödie gesichtet wurden, gesellen sich weitere hinzu. Am Ende des zweiten Akts bringt sich Leonce in zitathafter Liebesrhetorik bis an den Selbstmord, wird aber von Valerio abgehalten, der bodenständige Gründe wie Schlaf und Weingenuss empfiehlt. „Die Konterkarierung romantischer Empfindungen durch die Opposition des materiell-leiblichen Prinzips in II, 4 stellt ein typisches Beispiel für Inkongruenzkomik dar.“ 373 Dem könnte man die Ankleideszene des philosophierenden Königs mit nicht-geschlossener Hose („pfui! Der freie Wille steht davorn ganz offen“ LL 32) ebenso hinzufügen wie Valerios 368 Bernhard Greiner: „Ich muss lachen, ich muss lachen“. Wege und Abwege des Komischen in Büchners „Leonce und Lena“. In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 32 (1988), S. 219. 369 Ebd., S. 219. 370 Ebd, S. 226. Zu Ritters Komiktheorie siehe Abschnitt 2.3. 371 Marcus Deufert: Lustspiel der verkehrten Welt - Bemerkungen zur Konfiguration von Georg Büchners Leonce und Lena. In: Die dramatische Konfiguration. Hg. von Karl Konrad Polheim. Parderborn u.a.: Schöningh 1997, S. 165. 372 Ebd., S. 163. 373 Dieter Kafitz: Visuelle Komik in Georg Büchners Leonce und Lena. In: Die großen Komödien Europas. Hg. von Norbert Mennemeier. Tübingen u.a.: Francke 2000, S. 275. <?page no="144"?> 140 Schlussgebet. Solche Einzelbefunde, daneben Beispiele für „das Mimisch- Komische“ 374 , werden bei Kafitz durch das Gesamtbild einer karnevalesken Theatralik in utopischer Absicht zusammengehalten. Wenn die begrifflich diversen Komikstellen des Stückes überhaupt integriert werden, dann über die Aktstruktur des Handlungsaufbaus. Die größte Kongruenz zwischen Theorie und Text stiftet das Komödienmodell von Ordnung, Chaos und sozialer Restitution bzw. Neugründung. Die Details, welche Büchners Lustspiel gegenüber vielen ähnlich aufgebauten individualisieren, hat man damit noch kaum zur Geltung gebracht. Was gegen die meisten der bisherigen Behandlungen spricht, ist die Tatsache, dass sie in ihrer Komik- Analyse dem Interpretationsdilemma Melancholie oder Satire, existenziellernste oder komisch-politische Deutung, ausweichen. 4.2.2 Mechanistische Kommunikation Die Frage, an der sich die Interpretationen scheiden, lautet: Woran leidet Leonce? Nach der motivgeschichtlichen Diagnose hat ihn die Krankheit des melancholischen Narren befallen, wie schon den im Motto von Akt I zitierten Jacques aus Shakespeares Wie es euch gefällt. Von der Geschichte des modernen Denkens her betrachtet, wird der Fürstensohn durch den „Leerlauf der Sinnbildung“ in die Schwermut getrieben. 375 Während in beiden Fällen das Leiden des Prinzen an der Welt nicht durch politische oder soziale Umstände begründet ist, widerspricht Greiner, die Komödie entwerfe Langeweile keineswegs bloß als „existentielle Kategorie“, sondern „sozial aus der Struktur bürgerlicher Arbeit“ 376 . Thematisiert werde jene Logik der bürgerlichen Arbeit von Valerio, wenn er auf der Reise klagt: „Ich schleppe diesen Pack mit wunden Füßen durch Frost und Sonnenbrand, weil ich Abends ein reines Hemd anziehen will und wenn endlich der Abend kommt, so ist meine Stirn gefurcht, meine Wange hohl, mein Auge dunkel und ich habe grade noch Zeit, mein Hemd anzuziehen, als Totenhemd.“ (LL 55f.) Solche Ökonomie zum Tode mag indirekt den kapitalistischen Antrieb der Gesellschaft kritisieren, dies aber in existenzieller Metaphorik. Leonce bringt in einem seiner Anfangsmonologe alle soziale Aktivität auf eine einzige Formel: „Was die Leute nicht alles aus Langeweile treiben, sie studiren aus Langeweile, sie beten aus Langeweile, 374 Dieter Kafitz: Visuelle Komik in Georg Büchners Leonce und Lena. In: Die großen Komödien Europas. Hg. von Norbert Mennemeier. Tübingen u.a.: Francke 2000, S. 267. 375 Wolfram Malte Fues: Die Entdeckung der Langeweile. Georg Büchners Komödie „Leonce und Lena“. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte (1992), H. 4, S. 686. 376 Bernhard Greiner: „Ich muss lachen, ich muss lachen“. Wege und Abwege des Komischen in Büchners „Leonce und Lena“. In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 32 (1988), S. 216. <?page no="145"?> 141 sie verlieben, verheurathen und vermehren sich aus Langeweile und sterben endlich an der Langeweile“ (LL 20). Die Monotonie des immer gleichen sprachlichen Ausdrucks verstärkt die Aussage. Sie soll überdies zum Einstiegspunkt der komiktheoretischen Lesart werden. Dabei wird die Ebene der Gesellschaftskritik verlassen und stattdessen angenommen, dass Leonce über die Funktionsweise der modernen Gesellschaft spricht. Ob im System Wissenschaft gehandelt wird („sie studiren aus Langeweile“), im System Religion („sie beten aus Langeweile“) oder ob die familiär-intimen Angelegenheiten „verlieben, verheurathen und vermehren“ geregelt werden, alles unterliegt demselben Prinzip. Was Büchners Figur „Müßiggang“ nennt, entspricht in der Sozialtheorie Luhmanns dem Prozess der Kommunikation, der jedes der Teilsysteme in Gang hält. Selbstverständlich kann der Text nicht durch einen einzigen Ausschnitt auf ein derart hohes Abstraktionsniveau gebracht werden. Dass es der monotone Mechanismus unaufhörlichen Kommunizierens ist, der Leonce krank macht, muss sich aus den entscheidenden Handlungs- und Figurenkonstellationen des Dramas wie auch aus minimalen Indizien zur theoretisch verstandenen Komik verdichten bzw. erweitern lassen. Zwei szenische Einzelheiten des ersten Akts nehmen dabei Bedeutung an. Valerio sagt nicht nur, er könne den ganzen Tag lang und bis ans Ende seines Lebens dasselbe Lied singen, er stimmt es auch an: „‚Hei, da sitzt e Fleig’ an der Wand! Fleig’ an der Wand! Fleig’ an der Wand! ’“ (LL 25) Man kann dies als Sinnverlust deuten oder aus dem historischen Kontext des Stückes darauf hinweisen, das Lied von der Fliege an der Wand habe bei zensurbedrohten politischen Versammlungen ein Warnsignal gegeben. 377 Leonce reagiert auf Valerios Gesang jedenfalls ungewöhnlich heftig: „Halt’s Maul mit deinem Lied, man könnte darüber ein Narr werden.“ (ebd.) Es scheint aber weder der philosophische noch der revolutionäre Hintersinn zu sein, der ihn dermaßen aufbringt. Diesen Ausschluss erlaubt erst ein weiteres akustisches Signal, eine Parallelstelle im ersten Akt. Der Präsident, der dem Prinzen eine Botschaft des Königs überbringt, tut dies, laut Szenenanweisung, „verlegen mit den Fingern schnipsend“ (LL 43). Daraufhin unterbricht ihn Leonce: „Aber schnipsen Sie nicht so mit den Fingern, wenn Sie mich nicht zum Mörder machen wollen.“ (ebd.) Der Präsident fährt, „immer stärker schnipsend“(ebd.), fort. Leonce: „Mein Gott stecken Sie doch die Hände in die Hosen, oder setzen Sie sich drauf.“ (ebd.) Verursacht werden seine aggressiven Ausbrüche demnach nicht durch den kommunizierten Inhalt, vielmehr durch den monotonen Ablauf des ständigen, nicht enden wollenden Aneinander-Anschließens: „da sitzt e Fleig an der Wand“ usw. Der soziale Automatismus der Kommunikation, 377 Vgl. Dieter Kafitz: Visuelle Komik in Georg Büchners Leonce und Lena. In: Die großen Komödien Europas. Hg. von Norbert Mennemeier. Tübingen u.a.: Francke 2000, S. 272. <?page no="146"?> 142 der Durchblick auf die systemische Mechanik der modernen Gesellschaft treibt den hellsichtigen Adligen in den Wahnsinn, die Rolle des Narren, oder in die Extreme von Lebensmüdigkeit und Mordlust. Auf dieselbe soziale Ebene deutet ein gestisches Zeichen bei der ersten Begegnung zwischen Leonce und Valerio. Es eröffnet damit jene Figurenkonstellation, in der sich die moderne Komik des Dramas abspielt. Valerio, direkt nach seinem Auftritt, „(stellt sich dicht vor den Prinzen, legt den Finger an die Nase und sieht ihn starr an)“, spricht darauf: „Ja! “ (LL 25). Leonce antwortet ihm mit derselben Geste und einem „Richtig! “ (ebd.) Valerio führt den Wortwechsel fort: „Haben Sie mich begriffen? L EONCE . Vollkommen V ALERIO . Nun, so wollen wir von etwas Anderem reden.“ (ebd.) Man bekommt hier nichts weniger zu sehen und zu hören als den Prozess der Komunikation, der systemtheoretisch definiert ist als Einheit von Information, Mitteilung und Verstehen. 378 Der literarische Text schöpft alle Mittel der Abstraktion aus. So gilt das Zeichen „Finger an die Nase“ zwar im kulturellen Kontext als Verschwörungsgeste, im Text besitzt es aber keine feste Bedeutung, es besetzt in Valerios und Leonces Verwendung eine jeweils andere Stelle in der erst durch das Verstehen vollständigen Kommunikation. Das zweiwertige Zeichenmodell wird ebenso durchkreuzt wie die Vorstellung von Sender, Botschaft und Empfänger. Im dreistelligen Prozess wird der Punkt des Verstehens schon innerhalb der Äußerung des vermeintlichen Senders Valerio erreicht. Gesten und Aussagen übermitteln keine Botschaft, sie vollziehen autoreflexiv die Konstituierung der Kommunikation durch das Verstehen: „Ja! “ „Richtig! “ Es wurde auf theoretisch paradigmatische Weise kommuniziert und nur deshalb kann der Initiator in die konventionelle Redeweise zurückkehren: „Nun, so wollen wir von etwas Anderem reden.“ Über den Vollzug des Rituals haben sich außerdem die beiden Figuren gefunden, die, was ihr Wissen um die Organisationsform des Sozialen angeht, auf der gleichen Höhe sind. Deshalb gehen sie auch am Schluss der ersten Szene „Arm in Arm ab“ (LL 31), Valerio mit dem sozialtheoretisch bedeutungsvollen Fliegen-Lied auf den Lippen. Während das komische Paar Leonce - Valerio in die Kommunikationsmechanik und die moderne Ausdifferenzierung der Gesellschaft eingeweiht ist, zeigt sich König Peter einer veralteten Differenzierungsform verhaftet: der hierarchisch geordneten, stratifikatorischen Gesellschaft der Vormoderne. Da er seine Kommunikationen an diesem historisch überholten und daher dysfunktionalen Prinzip ausrichtet, hat er Mühe, die nötigen Anschlüsse zu finden. Dafür steht zu Beginn von I, 2 wiederum ein szenisches Element. Der König hat sich einen Knoten ins Schnupftuch gebunden, um sich daran zu erinnern, wie er weiter handeln soll. Er befragt dazu seine Diener und es entspinnt sich ein symptomatischer Dialog: „E RSTER 378 Zu diesem Theorie-Baustein siehe Abschnitt 3.2.1. <?page no="147"?> 143 K AMMERDIENER . Als Eure Majestät diesen Knopf in ihr Schnupftuch zu knüpfen geruhten, so wollten Sie ... P ETER . Nun? E RSTER K AMMERDIENER . Sich an etwas erinnern.“ (LL 33) Das Oberhaupt der sozialen Hierarchie befindet sich „in der größten Verwirrung“ (ebd.). Erst als der versammelte Staatsrat angekündet wird, fällt ihm ein, dass er sich an sein Volk hat erinnern wollen. Was das soziale Reden und Handeln lenkt und ermöglicht, sind die hierarchischen Formeln und Verhältnisse der Monarchie. Da aber die Gesellschaft längst primär anders organisiert ist, gerät der Prozess immer wieder ins Stocken, ist von Abbruch bedroht. Damit wird das „komische Aussetzen“ anders interpretiert als von Primavesi, der es als Anzeichen für eine „tiefgehende Krise der Repräsentation“ auffasst. 379 Gemäß der theoretischen Formel werden die Aussetzer dadurch komisch, dass die Dialoge zwischen König und Untertanen Anschlussnot vorführen und gleichzeitig das Weiterlaufen der Staatsmaschine durch den formelhaften Gehorsam der Diener sowie das sinnlich wahrnehmbare Hilfsmittel des Schnupftuchs. Der Herrscher selbst äußert unbewusst eine theoretisch wahre Einsicht: „Mein ganzes System ist ruiniert.“ Das System der ungleichen Schichten, die stratifikatorische Gesellschaft, stellt in der funktional differenzierten Moderne einen Anachronismus dar. Das Syndrom des Leerlaufs, des kommunikativen Verzugs wird in der königlichen Rede an den Staatsrat noch einmal demonstriert. „Meine Lieben und Getreuen, ich wollte Euch hiermit kund und zu wissen thun, kund und zu wissen thun - denn entweder verheirathet sich mein Sohn, oder nicht (legt den Finger an die Nase), entweder, oder - ihr versteht mich doch? “ (LL 33) Die ängstliche Frage nach dem Verständnis der Zuhörer rührt daher, dass der Monarch nicht mehr sicher sein kann, dass die hierarchische Kommunikation funktioniert. Er gebraucht dieselbe Geste wie der Prinz und Valerio („legt den Finger an die Nase“ ebd.), aber nicht sozialreflexiv, sondern naiv zur Übermittlung der intendierten Botschaft. Ihm antwortet der Mechanismus, das Echo der Untergebenen: „P RÄSIDENT . (Gravitätisch langsam.) Eure Majestät, vielleicht ist es so, vielleicht ist es aber auch nicht so. D ER GANZE S TAATSRATH IM C HOR . Ja, vielleicht ist es so, vielleicht ist es aber auch nicht so.“ (LL 34) In den Dialogen wird die kommunikative Krise komisch abgewendet. Damit jene soziale Lage szenisch greifbar wird, erfährt die Wiederholung eine chorische Steigerung; der König bringt im Laufe des Stücks, laut Nebenetext, ständig seine Freude und Rührung darüber zum Ausdruck, dass die Kommunikation trotz ihrer Gefährdung durch systemischen Anachronismus gerade noch gelingt - statt bloßer Hofsatire also echte moderne Hochkomik. 379 Patrick Primavesi: Komisches Aussetzen. Repräsentationskritik und Spiel in Büchners „Leonce und Lena“. In: Komik. Ästhetik, Theorien, Strategien. Hg. von Hilde Haider-Pregler u.a. (Maske und Kothurn 51, 4) Wien u.a.: Böhlau 2005, S. 171. <?page no="148"?> 144 Die komplexeste Umsetzung der Komik-Formel innerhalb des Dramas ist jedoch der schon betrachteten Konstellation Leonce - Valerio vorbehalten. Die Gefahr des Nicht-Mehr-Kommunizierens wird darin auf andere Weise inszeniert als in den Hofdialogen. Leonce ist zu Beginn, bevor Valerio auftaucht, der einzige Sprecher. Im ersten Monolog nennt er seinen Zustand „traurig“ und „melancholisch“ (LL 18/ 19). Die Rosetta-Szene intensiviert den Überdruss am Müßiggang bis zur Lebensmüdigkeit. Zuerst werden die Zeichen der Leidenschaft, das Küssen, in Symptome der Ermüdung durch Nichtstun umgedeutet. Das Motiv des Suizids schlägt nach Leonces Reflexionen über Zeit und Vergänglichkeit Rosetta an: „Meine Füße gingen lieber aus der Zeit.“ (LL 37) Sie singt ein Lied, das den Todeswunsch ausspricht, es ist das nicht-komische Gegenstück zum Gesang Valerios und weist auf den Auftritt Lenas im zweiten Akt voraus, in deren Rede ebenfalls die Todesmetaphorik dominiert. Leonce fasst Rosetta gegenüber den Tod seiner Leidenschaft in Bilder. Er fordert sie auf, „durch die Fenster meiner Augen“ die beigesetzte Liebe zu sehen: „Stoß mich nicht, daß ihm kein Aermchen abbricht, es wäre Schade. Ich muß meinen Kopf gerade auf den Schultern tragen, wie die Todtenfrau den Kindersarg.“ (LL 38f.) Rosetta versucht, diese Aussicht scherzhaft zu verstehen („Narr! “), doch bildlich trägt Leonce den Tod bereits in sich, auch wenn es noch nicht sein eigener Körper ist, der im Sarg liegt. Als er wieder allein ist, gähnt ihn sein Leben an, sein Kopf „ist ein leerer Tanzsaal“, „die letzten Tänzer haben die Masken abgenommen und sehen mit todmüden Augen einander an“ (LL 40). Somit rückt die Möglichkeit näher, dass Leonces Sprechen aufhören, sein Monolog endgültig abbrechen könnte. Da zuvor in der Valerio-Szene das Bewusstsein vom Mechanismus der Kommunikation als Grund für die Melancholie des Prinzen durchsichtig geworden ist, nimmt die anti-soziale Ausrichtung der Komik eine existenzielle Form an. Den notwendigen Gegenimpuls setzt Leonce zunächst selbst, indem er klatscht und sich zum Weiterreden bzw. Weiterleben anfeuert: „Es thut mir ganz wohl, wenn ich mir so rufe. He! Leonce! Leonce! “ (LL 40) Eigentlich ist dies jedoch Valerios Aufgabe, der sich auch prompt zu Wort meldet. Nach einer Weile gewinnt der Dialog zwischen den beiden komische Qualität, die aber darauf beruht, das Leonces todmüder Monolog noch präsent ist, so wird die geforderte Gleichzeitigkeit modernkomisch durch Interpretation hergestellt. 380 Auf Leonces Frage klagt Valerio: „O Himmel, man kömmt leichter zu seiner Erzeugung, als zu seiner Erziehung. Es ist traurig, in welche Umstände Einen andere Umstände versetzen können! Was für Wochen hab’ ich erlebt, seit meine Mutter in die Wochen kam! Wieviel Gutes hab’ ich empfangen, das ich meiner Empfängnis zu danken hätte? “ (LL 41f.) Mit seiner existenziellen Beschwerde greift Valerio Leonces melancholischen 380 Zum Zusammenhang von moderner Komik und Interpretation siehe Abschnitt 3.1. <?page no="149"?> 145 Faden auf, knüpft aber auf komische Weise an. Wortspiele sind ein Privileg des Narren und traditionelles Stilmittel der Komödie, doch ergibt sich in der komiktheoretischen Lesart eine besondere Funktion. Rhetorisch eine Häufung der figura etymologica, überdies ein virtuoses Spiel mit den verschiedenen Bedeutungen gleich oder ähnlich lautender Wörter, machen Valerios Sätze anschaulich, dass Kommunizieren Anschließen bedeutet, dass kommunikative Bedeutung durch Anschlüsse zustande kommt. Der abstrakte Vorgang wird auf die sinnliche Ebene des Gleichklangs der Wörter übertragen. Folglich leidet der wahre Narr nicht an der Organisation des Sozialen, er weiß sie lustvoll zu praktizieren und heilt damit auch den kranken Prinzen, der sich von der komischen Rede anstecken lässt: „Was deine Empfänglichkeit betrifft, so könnte sie es nicht besser treffen, um getroffen zu werden. Drück dich besser aus, oder du sollst den unangenehmsten Eindruck von meinem Nachdruck haben.“ (LL 42) Die Aggressivität, die das Fliegen-Lied hervorgerufen hat und die kurz darauf durch Fingerschnipsen ausgelöst wird, schwelt noch: V ALERIO . „Das ist eine schlagende Antwort und ein triftiger Beweis. L EONCE (geht auf ihn los). Oder du bist eine geschlagene Antwort.“ (ebd.) Valerio lässt sich nicht beirren, er behauptet seine moderne Kommunikation auch gegen das hierarchische Sprechen des Präsidenten und Leonces höher geordnete Anweisung „Valerio gieb den Herren das Geleite“ (LL 45). „Das Geläute? Soll ich dem Herrn Präsidenten eine Schelle anhängen? Soll ich sie führen, als ob sie auf allen Vieren gingen? “ (ebd.) Den Vorwurf, er sei „nur ein schlechtes Wortspiel“ (ebd.), pariert er mit einer desto ausgedehnteren figura etymologica, einem Monolog über das Verb „kommen“. In der vorletzten Szene des ersten Akts wird also verständlich und sinnlich erfahrbar, dass Komik in diesem Lustspiel immer dann stattfindet, wenn das Prinzip Leonce und das Prinzip Valerio aufeinandertreffen, wobei Letzteres sich durchsetzt. Dass die beiden Figuren die Ordnung des Gesellschaftlichen reflektieren, streicht der Schlussdialog der Szene heraus. Leonce lässt Valerio raten, welcher Beschäftigung sie nachgehen sollen. Der schlägt nacheinander die Rollen „Gelehrte“, „Helden“, „Genies“ vor (LL 49), die Teilsysteme Wissenschaft, Politik und Kunst. So könnten sie, laut Valerio, „nützliche Mitglieder der menschlichen Gesellschaft werden“ (LL 48). Leonce lehnt dies ab, im Namen der Menschlichkeit und seiner Italien- Utopie. Doch auch Valerio dürfte es wohl kaum ernst damit sein, einfach in einem der Teilsysteme mit zu agieren, als Komiker des Kommunizierens operiert er auf einer höheren Reflexionsstufe. Seine Kommentare geben programmatische Leitfragen der Teilsysteme der Lächerlichkeit preis: das „a priori? Oder a posteriori? “ der Wissenschaft, für die kriegerische Politik „Trom - trom - pläre - plem! “ (LL 47). 381 381 Die binäre Struktur lässt an eine Parodie auf die Codes der Teilsysteme denken. <?page no="150"?> 146 Hochkomik, wie sie theoretisch vorgedacht wurde, prägt den ersten und den dritten Akt des Dramas. Im mittleren Akt, der Leonce und Lena auf der Flucht zusammenführt, herrschen dagegen herkömmliche komische Formen wie Satire, Ironie und witzige Inkongruenz vor. Zudem wird durch Prinzessin Lena die potenziell tragische Seite der Komödie stark gemacht. Ihre erste Äußerung in Gegenwart des Prinzen löst bei dem einen Rückfall in die lebensmüde Metaphern-Sprache der Rosetta-Szene aus. Existenzielle Monotonie kehrt in einem akustischen Bild, dem „Picken der Todtenuhr“ (LL 61, vgl. auch LL 64), zurück. Valerio muss diese Schwermut bekämpfen und erinnert Leonce an sein Narrentum (vgl. LL 62), doch der tragische Liebeswahn, der durch Romantik-Zitate auch parodistische Züge trägt, 382 nimmt überhand. Leonces Selbstmordversuch, die Rettung durch Valerio ist dennoch der einzige Punkt im mittleren Teil, an dem die komische Konstellation reaktualisiert wird. Der Komiker Valerio biegt den tragischen in einen harmlosen Ausgang um, dabei ruft der verbale Austausch zwischen ihm und dem Prinzen die Dialoge des ersten Aktes wieder auf: „L EONCE . Laß mich! V ALERIO . Ich werde sie lassen, sobald sie gelassen sind und das Wasser zu lassen versprechen.“ (LL 67) Die wortspielerische Fortsetzung der Wechselrede ist das eigentliche Argument gegen den Freitod, nicht die Unsinnigkeit der „Lieutenantsromantik“ (ebd.). So gelingt es der Narrenfigur, den Ernst der Liebesrhetorik zu entschärfen und komische, kommunikative Gleichförmigkeit zu restituieren. Nach dieser entscheidenden Rettungstat kann die Handlung ohne größere Umstände zu den Vorbereitungen der Masken-Hochzeit und damit zum dritten Akt übergehen. Dieser zeigt einen parallelen Aufbau zum ersten. Auf die Paarung Leonce - Valerio folgen erneut höfische Szenen, die den stockenden Fortgang der Hierarchie-Gesellschaft illustrieren. Das Spalier von Bauern, welches die fürstliche Braut auf dem Schlossplatz begrüßen soll, bringt den gelernten Vivat-Ruf nur durch mehrmaliges Wieder-Anstoßen des Schulmeisters vollständig heraus (vgl. LL 73). Während König Peter im ersten Akt von Gedächtnisschwierigkeiten geplagt ist und nicht weiß, wovon die Rede war und worüber er als Nächstes sprechen soll (vgl. LL 34), hat er nun ein anderes Anschlussproblem. Der Prinz und die Prinzessin sind nicht auffindbar, dennoch steht der König unter dem sozialen Zugzwang, seinen eigenen Beschluss auszuführen: „Aber Staatsrath, habe ich nicht den Beschluß gefasst, daß meine königliche Majestät sich an diesem Tag freuen und daß an ihm die Hochzeit gefeiert werden sollte? War das nicht unser festester Entschluß? “ (LL 76) Ein solcher Entschluss der obersten gesellschaftlichen Instanz muss die entsprechenden Handlungsfolgen nach sich ziehen, wenn noch hierarchisch kommuniziert wer- 382 Vgl. Hans H. Hiebel: Georg Büchners heiter-sarkastische Komödie „Leonce und Lena“. In: Deutsche Komödien vom Barock bis zur Gegenwart. Hg. von Winfried Freund. (Uni-Taschenbücher 1498) München: Fink 1988, S. 120. <?page no="151"?> 147 den soll, deshalb inszeniert der Monarch seine eigene Freude: „Habe ich nicht mein königliches Wort gegeben? Ja, ich werde meinen Beschluß sogleich ins Werk setzen, ich werde mich freuen. (Er reibt sich die Hände.) O ich bin außerordentlich froh! “ (LL 77) Diese komische Überbrückung des sozialen Ausfalls wird ausgiebig dargestellt („O ich weiß mir vor Freude nicht zu helfen.“), doch auch „die andere Hälfte des Beschlusses“ (ebd.), der Hochzeitsplan, ist von Folgenlosigkeit bedroht: „P ETER . Ja, wenn aber der Prinz nicht kommt und die Prinzessin auch nicht? P RÄSIDENT . Ja, wenn der Prinz nicht kommt und die Prinzessin auch nicht, - dann - dann“ P E- TER . Dann, dann? “ (LL 77f.) Wie im ersten Akt hört man in den Wiederholungen den Leerlauf, das Stottern der Kommunikationsmaschine, die fast zum Stillstand kommt. Zum schlechten Trost spricht der Präsident: „Ein königliches Wort ist ein Ding, ein Ding das nichts - “ (LL 78) Nochmals wird der Zusammenbruch der stratifikatorischen Gesellschaft durch ihre eigene Logik aufgehalten. Der König wird „melancholisch“ (ebd.), laut beschränkter Einsicht, weil er sich nicht freuen darf, theoretisch aber aus sozialer Dysfunktionalität. Dies gibt dem Präsidenten die Gelegenheit anzuschließen und die Untertanen aufzufordern, ihrerseits anzuschließen, „die Gefühle Ihrer Majestät zu teilen“ (ebd.) Die wahre Rettung vor dem Systemtod naht in Gestalt von Valerio, Leonce und Lena, die allerdings in Masken auftreten. In der Hochzeitszeremonie und ihrem Vorlauf entfaltet Büchners Text eine neue komische Strategie. Auf der einen Seite subvertiert er die soziale Folgehandlung, indem die Trauung durch vielfache Zeichen als bloßer Schein präsentiert wird; auf der anderen Seite weiß der Zuschauer aus der ersten Szene des letzten Aktes, dass Valerio einen Plan hegt, der die vermeintlich unerwünschte Ehe von Leonce und Lena herbeiführen soll (vgl. LL 70). Von daher werden die Masken zum Emblem der komischen Ambivalenz, weil sie sowohl dafür stehen, dass der soziale Kreislauf nur künstlich erhalten werden kann, als auch dafür, dass die systemerhaltende Hochzeit wirklich stattfindet. Nur einer kann das Geschehen in diese sozial-reflexive Richtung lenken - der Zeremonienmeister Valerio. Zuerst nimmt Valerio „langsam hintereinander mehrere Masken ab“ (LL 79). Der Akt und seine Kommentierung durch die handelnde Figur sind meist philosophisch als Ausdruck der modernen Subjekt-Problematik verstanden worden. 383 Es ist darin jedoch Bemühen des Spaßmachers zu entdecken, die personale Sichtweise durch eine soziale zu ersetzen. Beim Abnehmen der Masken könnte er sich durchaus „so ganz auseinanderschälen und blättern“ (ebd.), weil es beim Folgenden nicht auf seine Person, sondern auf seine Funktion ankommt. In Valerios längster Rede während 383 Vgl. Wolfram Malte Fues: Die Entdeckung der Langeweile. Georg Büchners Komödie „Leonce und Lena“. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte (1992), H. 4, S. 691. <?page no="152"?> 148 des Stücks stellt er Leonce und Lena, die maskiert bleiben, als Automaten vor. Innerhalb der Handlung soll dies den König täuschen, für die komische Rezeption ist es wichtig, das Interesse vom individuellen Liebesschicksal abzubringen. Die Verfremdung richtet sich an den Zuschauer, mit der wiederholten Anrede „meine Herren und Damen“ (LL 80f.). Das Bild des Mechanismus, das die theoretische Interpretation dem monotonen sozialen Ablauf zugeordnet hat, tritt nun explizit im Text auf. Die beiden Personen, „Männchen und Weibchen“ (LL 80), sind, so Valerio, nur Puppen: „Nichts als Kunst und Mechanismus, nichts als Pappendeckel und Uhrfedern.“ (ebd.) Doch in ihrer Perfektion könnte man sie „zu Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft“ machen. Sie sind so eingestellt, dass sie in mehreren gesellschaftlichen Teilsystemen reibungslos funktionieren (vgl. LL 81), ihre Spezialität ist Liebeskommunikation: „der Herr hat der Dame schon einigemal den Schawl getragen, die Dame hat schon einigemal die Augen verdreht und gen Himmel geblickt. Beide haben schon mehrmals geflüstert: Glaube, Liebe, Hoffnung! “ (ebd.) Dass die Entsubstanzialisierung einer sozialen Funktionalisierung der verkappten Liebesheirat dient, wird auch durch Überlegungen des Königs verdeutlicht: „In effigie? In effigie? Präsident, wenn man einen Menschen in effigie hängen lässt, ist das eben so gut, als wenn er ordentlich gehängt würde? “ 384 (ebd.) Für die verurteilte Person ist es, wie der Präsident bemerkt, besser, wenn die Strafe stellvertretend an einem Bildnis vollstreckt wird, sozial zählt unabhängig vom Überleben oder Sterben des Einzelnen die Repräsentation des Herrscherwillens. Weil er damit die Kontinuität der hierarchischen Kommunikation sichern kann, lässt sich der König auf die in effigie-Trauung ein: „Das ist der Prinz, das ist die Prinzessin. Ich werde meinen Beschluß durchsetzen, ich werde mich freuen.“ (LL 82). Wie die Zeremonie zeigt, kann der arme Hofprediger dem König auf diese für ihn ungewöhnliche Reflexionshöhe nicht folgen. Nun ist der Hofprediger „in der größten Verwirrung“ (ebd.), eine Formel, die in Leonce und Lena dort gesetzt wird, wo einer Figur die Einsicht in die systemische Verfasstheit der Gesellschaft fehlt (vgl. LL 33). In der Inkohärenz einer Rede, die immer wieder abbricht, droht die Balance zwischen echter und scheinhafter sozialer Kommunikation zu kippen: „Wenn wir, oder, aber V ALERIO . Sintemal und alldieweil - H OFPREDIGER . Denn - V ALERIO . Es war vor der Erschaffung der Welt - H OFPREDIGER . Daß - V A- LERIO . Gott lange Weile hatte - “ (ebd.). Die moderne Hochkomik in Büchners Lustspiel erreicht hier einen Höhepunkt, denn die Gefährdung des gesellschaftlichen Prozesses und die kommunikative Abwendung jener Gefahr durch die zentrale komische Figur werden in diesem Dialog und 384 Ausnahmsweise gibt der König eine Ahnung der gesellschaftlichen Mechanik zu erkennen, insofern stützt es die theoretische Deutung, dass er sie mit dem Zeichen der Eingeweihten begleitet: „(den Finger an die Nase legend)“ (LL 81). <?page no="153"?> 149 seiner sozialen Bedeutung exakt parallel geführt. Abgesehen davon souffliert der Narr dem Geistlichen eine Parodie der biblischen Schöpfungsgeschichte, er unterstellt dabei Gott genau jenes Motiv, das Leonce in seinem Anfangsmonolog als Antrieb aller gesellschaftlichen Handlungen entlarvt hat, „lange Weile“. In dem Moment, in dem der Hofprediger seine Fassung zurückgewinnt und die zeremoniellen Worte spricht, rastet die soziale Mechanik wieder ein. Die komische Konstellation beginnt sich aufzulösen. Ihre Auflösung ist vollständig, sobald auch die Prinzessin keine Maske mehr trägt, weil ohne das Zeichen der Künstlichkeit nichts als die standesgemäße Hochzeit der stratifikatorischen Ordnung übrig bleibt. Es gibt einen komischen Vorhalt: Als zuerst nur Leonce seine Identität offenbart, glaubt der König sich betrogen. Es könnte sich unter der Prinzessinnen-Maske eine Person verbergen, die nicht standesgemäß ist, die nicht nach den Kriterien der hierarchischen Organisationsform ausgewählt wurde, welche König Peter hier vertritt. In diesem Augenblick scheint seine beschlossene Freude, d.h. die soziale Konsequenz des Staatsoberhauptes nochmals auf dem Spiel zu stehen, während der Zuschauer gleichzeitig weiß, dass Lena die Braut ist und somit ihre adelige Gleichheit in einer Gesellschaft ungleicher Schichten gewährleistet. Die folgende Anagnorisis des Brautpaars nimmt Valerio zum Anlass, auf den komischen Charakter des Geschehens, vor allem der soeben vollzogenen Zeremonie zu verweisen, in bewährter wortspielerischer Weise: „Ich muß lachen, ich muß lachen. Eure Hoheiten sind wahrhaftig durch den Zufall einander zugefallen, ich hoffe Sie werden, dem Zufall zu Gefallen, Gefallen aneinander finden.“ (LL 84) Was ihn zum Lachen bringt, ist die Tatsache, dass die soziale Mechanik alle Widerstände überwunden hat. Die falsche Fürstenhochzeit war eine echte Fürstenhochzeit, doch sieht Valerio hinter dieser vormodernen Differenzierung schon den grundlegenderen Prozess des fortlaufenden Anschließens, mit dem sich die strukturelle Komik der Moderne auseinandersetzt. Er ist ihr würdiger Vertreter, ein moderner Narr. Büchners Modernität in Leonce und Lena übersteigt sowohl die Absolutismussatire als auch die Kritik der bürgerlichen Gesellschaft, sie stößt zu den Grundbedingungen der gesellschaftlichen Organisation vor und genau dieser basale Ansatz zeichnet modern-komische Literatur aus. 385 Traditionelle Muster und Figuren der Komödie werden im Dienste einer solchen sozialen Reflexivität abgewandelt. Dies erklärt nicht alle Elemente des Dramas, nicht einmal alle komischen, es stärkt jedoch den Zusammenhalt jener Teile, die oft getrennt betrachtet wurden: Leonces Melancholie und Valerios Narrenscherze, deren Dialoge und die Szenen am Hof von König Peter, selbst das konventionell glückliche Ende, die Hochzeitszeremonie, wird zu einem komischen Schauspiel mit eigenem Recht. 385 Siehe dazu näher den Abschnitt 3.1. <?page no="154"?> 150 4.3 Franz Kafka 4.3.1 Forschungslage Nicht nur, weil Kafka keine Texte der komischen Gattung geschrieben hat, ist die Frage nach der Komik seiner Romane und Erzählungen immer ein Seitenweg der Forschung geblieben. Der Hauptgrund dürfte darin liegen, dass sie durch das vorherrschende Bild des Autors und die dringlichere Interpretation verdrängt wurde. Dennoch ist die Idee aufgekommen, die nicht-realistischen Züge der Schreibweise seien Effekte komischer Darstellungsmodi, vornehmlich solcher, die „für die literarische Moderne als kennzeichnend angesehen werden“ 386 : Ironie und Satire, das Groteske und das Absurde. Mit den letzteren beiden Begriffen hat man eine komische Weltsicht des Autors rekonstruiert, besonders in den frühen Kommentaren zum Werk; jener subjektiven Blickrichtung ist die Kategorie des Humors adäquater. 387 Selbst in den jüngsten Versuchen poststrukturalistischer Theorieschule ist das Motiv durchaus noch präsent, den „lachenden Kafka“ zu entdecken. 388 Dagegen hält sich Vogl, dessen Formel im ersten Kapitel präsentiert wurde, an einen strukturellen Ansatz. Um die Möglichkeit, „Kafka komisch zu lesen“, wurde insgesamt eine eher „sporadische“ als eine „kontinuierliche Diskussion“ 389 geführt. Deren Ergebnisse erschienen jenen Literaturwissenschaftlern, die sich daran beteiligt haben, als nicht zufriedenstellend: „Numerous readers and critics have over the years detected a vein of humor in Kafka’s writings, yet his humor remained an elusive category, usually weakening upon analysis into other forms of the comic - irony or self-irony, satire, the grotesque or absurd.“ 390 Die „schwachen“, konventionellen Komik-Begriffe durch einen kafkaesken Humor zu ersetzen, ist jedoch nicht der einzige Ausweg: Auch eine Komiktheorie, die auf die literarische Moderne spezialisiert ist, wird kaum einen besseren Testfall finden als diesen. 386 Dietmar Goltschnigg: Lachende Moderne - Kafkas Prozeß-Roman. In: Literatur für Leser (1994), H. 2, S. 68. Die Aufzählung und ihre Begründung entnimmt Goltschnigg der Monographie von Silvio Vietta: Die literarische Moderne. Eine problemgeschichtliche Darstellung der deutschsprachigen Literatur von Hölderlin bis Thomas Bernhard. Stuttgart: Metzler (1992), S. 195. 387 Vgl. Michel Dentan: Humour et création litteraire dans l’œuvre de Kafka. Genf: Droz 1961. 388 Vgl. Gilles Deleuze, Félix Guattari: Kafka. Für eine kleine Literatur. (Edition Suhrkamp 807) Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1976, S. 58. Vgl auch Peter Rehberg: Lachen Lesen. Zur Komik der Moderne bei Kafka. Bielefeld: Transkript 2006. 389 Serena Grazzini: Das „Blumfeld“-Fragment: Vom Unglück verwirklichter Hoffnung. Noch einmal zur Frage der Komik bei Frank Kafka. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 120 (2001), H. 2, S. 210 u. 211. 390 Peter West Nutting: Kafka’s ‚Strahlende Heiterkeit’. Discursive Humor and Comic Narration in Das Schloß. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 57 (1983), H. 4, S. 651. <?page no="155"?> 151 Zuletzt hat sich neben der produktionsästhetischen eine rezeptionsästhetische Linie gebildet, nach der Kafkas Komik in der Interaktion zwischen Text und Leser produziert wird. Laut Petr verleiten die Romane anfangs zu einer realistischen Lektüre, die dann aber zunehmend hintertrieben wird, so dass der Rezipient allmählich die komische Einsicht gewinnt: „Ich habe auf diese ganze absurde Welt so reagiert, als wäre sie eine normale.“ 391 Serena Grazzini kritisiert rezeptive Ansätze dafür, dass sie Komik nicht als „Eigenschaft des Textes“ zeigen, sondern als „psychosoziale Funktion“ 392 . Statt die eine Formel für das gesamte Werk zu suchen, kann man sich einzelnen Erzählungen zuwenden. Obwohl auch die drei Romane auf komische Formen untersucht worden sind, zeigen sich diese in zwei frühen Kurztexten offener und durchgängiger. Grazzini wählt das Blumfeld-Fragment: Die bei der Titelfigur plötzlich auftauchenden „komischen Bälle“ 393 verstärken eine schon zuvor zwischen Junggeselle und Haushälterin existierende Dynamik, die „Umkehrung der Absichten seiner Handlungen und Wünsche in ihr Gegenteil“ 394 . Dies ist die tiefere Schicht der im Spiel mit den nicht-realistischen Bällen inszenierten „Situationskomik“ 395 . Die invertierende Bewegung zwischen Intention und (physischer) Aktion bezeichnet Grazzini als „grotesk“ 396 , eine Qualität, die nicht nur durch die Bälle objektiviert, sondern auch von den beiden Mädchen, denen Blumfeld sie schließlich anvertraut, personifiziert wird. Sie weisen auf die komischen Doppel-Figuren im Prozeß und im Schloß-Roman voraus. Ein weiteres Frühwerk, dessen komische Merkmale ins Auge fallen, ist die Beschreibung eines Kampfes. Burghard Damerau liest den „Dicken“ und den „Dünnen“ als „Karikaturen“ 397 , der Text entfalte den „unauflösliche[n] Konflikt zwischen den beiden Lebensweisen“ 398 des Aktiv-Sozialen und des Kontemplativ-Künstlerischen, der auf harmlose, nicht-tragische Weise ausgetragen wird. Die karikierende Übertreibung gilt als Stilmittel des Grotesken. 391 Pavel Petr: Kafkas Spiele. Selbststilisierung und literarische Komik. (Reihe Siegen 108/ Germanistische Abteilung) Heidelberg: Winter 1992, S. 113. 392 Serena Grazzini: Das „Blumfeld“-Fragment: Vom Unglück verwirklichter Hoffnung. Noch einmal zur Frage der Komik bei Frank Kafka. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 120 (2001), H. 2, S. 213. 393 Franz Kafka: [16] (= Blumfeld-Fragment). In: Ders. Schriften Tagebücher Briefe. Kritische Ausgabe. Bd. 5,1,1. Nachgelassene Schriften und Fragmente. Hg. von Malcolm Pasley. Frankfurt/ M.: Fischer 1993; S. 233. 394 Serena Grazzini: Das „Blumfeld“-Fragment: Vom Unglück verwirklichter Hoffnung. Noch einmal zur Frage der Komik bei Frank Kafka. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 120 (2001), H. 2, S. 223. 395 Ebd., S. 223. 396 Ebd., S. 224. 397 Burghard Damerau: Die Waffen der Groteske. Kafka, Kämpfe und Gelächter. In: Neohelicon 222 (1995), H. 2, S. 250. 398 Ebd., S. 251. <?page no="156"?> 152 In Odradek aus „Die Sorge des Hausvaters“, einer späten Erzählung des Landarzt-Bandes, erkennt Claude David die groteske Figur schlechthin. Das sprechende Wesen mit dem Aussehen einer Zwirnspule zwingt das Menschliche mit dem Dinglichen zusammen. Jenes „Gebilde“, wie es im Text heißt, hat einen Namen, ist „außerordentlich beweglich“ und besitzt die menschliche Fähigkeit des Lachens. 399 Es bringt jedoch dieses Lachen „ohne Lungen“ hervor und „klingt etwa so, wie das Rascheln in gefallenen Blättern“ 400 , nicht wie das Geräusch, das ein Mensch von sich gibt. David verzichtet darauf, die groteske Verbindung disparater Eigenschaften und Bildbereiche im Erzähltext aufzuweisen. Er verkürzt die Kategorie zur Monstrosität der Erscheinung und spricht der Figur bzw. ihrer Darstellung aufgrund dessen eine komische Wirkung ab. 401 Dass die Entdeckung des Komischen in der Moderne in erhöhtem Maße von Interpretation abhängig ist, erweist Petrs eingehende Behandlung der Erzählungen. Die Lächerlichkeit der „kläglichen Söhne“ in den großen Erzählungen Das Urteil und Die Verwandlung, 402 „heitere Abschiede“ in den Sammlungen Ein Hungerkünstler und Ein Landarzt, 403 die neben jenen Bänden auch im Prozeß anzutreffende „Komik des Minutiösen“ 404 erschließen sich nur über verstreute Ironie-Zeichen sowie inkongruenztheoretische Überlegungen, die Diskrepanzen zwischen dem beanspruchten Ernst und kleinen komisch-subversiven Elementen aufspüren. An die Romane, deren Komik von der Deutungsproblematik überlagert wurde, hat man eine größere begriffliche Bandbreite herangetragen. Im Unterschied zur Kurzprosa wird außerdem die Erzählperspektive stärker in Betracht gezogen. Schon Walter Sokel begreift den Effekt des Wechsels zwischen interner Fokalisierung und auktorialer Rede im Prozeß als Ironisierung. 405 Dietmar Goltschnigg möchte die „subtile Divergenz der Perspektiven von Erzähler und Hauptgestalt“ 406 als komisches Phänomen, als Ironie verstanden wissen. Er engt diese aber ein, indem er sie zum Stilmittel einer Satire auf das „Gerichtspatriarchat“ 407 erklärt. Am Beispiel einer 399 Franz Kafka: [45] Die Sorge des Hausvaters. In: Ders. Schriften Tagebücher Briefe. Kritische Ausgabe. Bd. 6,1. Drucke zu Lebzeiten. Frankfurt/ M.: Fischer 1994, S. 283. 400 Ebd., S. 284. 401 Vgl. Claude David: Kafka und das Groteske. In: Etudes Germaniques 43 (1988), S. 112. 402 Vgl. Pavel Petr: Kafkas Spiele. Selbststilisierung und literarische Komik. (Reihe Siegen 108/ Germanistische Abteilung) Heidelberg: Winter 1992, S. 105f. 403 Vgl. ebd., S. 128ff. 404 Vgl. ebd., S. 145ff. 405 Vgl. Walter H. Sokel: Franz Kafka: Der Prozeß (1925). In: Deutsche Romane des 20. Jahrhunderts. Neue Interpretationen. Hg. von Paul Michael Lützeler. Königstein/ Ts.: Athenäum 1983, S. 110f. 406 Dietmar Goltschnigg: Lachende Moderne - Kafkas Prozeß-Roman. In: Literatur für Leser (1994), H. 2, S. 68. 407 Ebd., S. 69. <?page no="157"?> 153 Szene, der Rivalität zwischen K. und dem Studenten um die Frau des Gerichtsdieners, versucht Goltschnigg zu analysieren, wie das übergeordnete satirische Ziel durch Zusammenwirken diverser Modi des Komischen erreicht wird. So erfahre die „Verlachbarkeit des Zweikampfs“, der die Autorität des Gerichts durch sexuelle Händel desavouiert, in der „sprachliche[n] Gestaltung mittels grotesker und absurder Details“ eine Steigerung, „in der Gestik der beteiligten Figuren, ihren Finger-, Hand-, und Armbewegungen“ 408 . Grotesk sei auch der darin sich ereignende „Zusammenprall von gemeinhin Gegensätzlichem“ 409 . Der Kontrast zwischen amtlicher Würde und den gemeinen, hässlichen Umständen des Zweikampfes stellt letztlich die satirische „Verlachbarkeit“ des Gerichts her. Nach dem Vorbild Goltschniggs müsste man die Komik des Romans in Einzelanalysen auflösen, da die ironische Zweisinnigkeit der Perspektive lediglich im Anfangskapitel deutlicher hervortritt. Abgesehen von der mitunter unscharfen Trennung der Kategorien, mit denen die komische Gestaltung bestimmt werden soll, ist zu bezweifeln, ob die traditionelle Gattung der Satire geeignet ist, Kafkas Modernität zu beschreiben. Eine satirische Intention verträgt nicht das Maß an Ambiguität und Ambivalenz, welches als autortypisch und modern angesehen wird. Selbst groteske oder absurde Komik, die solche Qualitäten eher aufnehmen kann, bleibt angesichts der Komplexität des Romans auf Stellenbefunde beschränkt. Es ist ein Zeichen kategorialer Verlegenheit, dass Goltschnigg das Lachen der Figuren deutet, das die Komik des Textes beglaubigen soll. Damit lehnt er sich an ein Gattungsmodell der Komödie an und führt den Prozeß im Ganzen auf einen Komödien-Bauplan zurück: 1. den „Spielcharakter“, der durch K.s konjunktivische Überlegungen „in den ersten drei Romankapiteln“ vermittelt wird, 2. eine „Be- oder Verlachbarkeit des Geschehens“, die über Beispielszenen nachgewiesen werden kann, und 3. die „pointierte Finalität“ 410 . Zwar schafft dieses Modell eine Einheit des Komischen, doch ist diese wiederum zusammengesetzt, da die drei Merkmale verschiedene Teile des Romans betreffen. Der moderne Erzähler Kafka entzieht sich so der dem Drama entlehnten Hilfskonstruktion. Entsprechend der dominanten Komikform im Prozeß ist auch Das Schloß als „Behördensatire“ 411 tituliert worden, die mit den „anarchischen Mitteln der Groteske“ 412 den hohen Stand der Institution als Täuschung entlarvt. Differenzierter geht Peter West Nutting vor. In den Abweichungen von der 408 Dietmar Goltschnigg: Lachende Moderne - Kafkas Prozeß-Roman. In: Literatur für Leser (1994), H. 2, S. 70. 409 Ebd. 410 Ebd., S. 73. Die Kriterien finden sich bei Wolfgang Trautwein: Komödientheorien und Komödie. In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 27 (1983), S. 86-123. 411 Burghard Damerau: Die Waffen der Groteske. Kafka, Kämpfe und Gelächter. In: Neohelicon 222 (1995), H. 2, S. 257. 412 Ebd., S. 256. <?page no="158"?> 154 personalen Erzählweise mache sich eine komische Gegensicht auf den ernsthaft kämpfenden Helden bemerkbar: „the almost silent laughter of the wiser and more detached narrator-observer“ 413 . Der narrative Beobachter habe eine radikale Funktion, „to dismantle the claims of authority and to expose K.’s desire for access to power as empty and foolish“ 414 . Das Lachen des Erzählers ist deshalb beinahe lautlos, weil diese Relativierung nur an wenigen, bedeutenden Stellen aufscheint, so wenn es über den Sekretär in K.s Traum heißt: „Dieser griechische Gott piepste wie ein Mädchen, das gekitzelt wird.“ 415 Dieser Satz muss nicht der Erzählinstanz zugerechnet werden, die vorhergehende Frage und die Traumwahrnehmung sprechen für personales Erzählen. K. dämmert erstmals die Komik seines Kampfes: Das Bild des griechischen Gottes „war sehr komisch und K. lächelte darüber sanft im Schlaf“ (S 415). Da die Figur nur hier von Einsicht getroffen wird und der Erzähler seine Distanz äußerst selten geltend macht, greift die Komik der Doppelperspektive erst allmählich. 416 Dass ein inkongruenztheoretischer Komikbegriff vorausgesetzt ist, zeigt sich daran, wie die Rolle Klamms interpretiert wird. Über den Beamten existieren unvereinbare Meinungen und Augenzeugenberichte. Die übergroße Bedeutsamkeit, die er als Liebesobjekt für Frieda und Gardena, als amtlicher Machtinhaber für K. besitzt, deckt sich nicht mit dem gewöhnlichen Anblick, der sich K. und Frieda durchs Guckloch bietet (vgl. S 49). Für West Nutting ist die Diskrepanz zwischen Klamms erotischer, behördlicher Gewalt in der Wahrnehmung anderer und seinem tatsächlichen Normalmaß der Schlüssel zur Komik des Romans. Der Beamte werde als Phantom- Autorität inszeniert, dass K. ihn dennoch immer wieder überschätze, sei eine Farce. 417 Dem Leser fällt nun die Aufgabe zu, jene Erkenntnis auf das Schloss und K.s ernsthaftes Vorhaben zu übertragen. Das deutlichste Zeichen von Komik in Das Schloß sind, nach Ansicht vieler Interpreten, die Gehilfen K.s, Arthur und Jeremias. Schon Walter Benjamin hat an diesem Figurenpaar Kafkas letztlich komische Darbietung des Absurden herausgestellt. 418 Auch für einen wahren „Höhepunkt des 413 Peter West Nutting: Kafka’s „Strahlende Heiterkeit“. Discursive Humor and Comic Narration in Das Schloß. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 57 (1983), H. 4, S. 667. 414 Ebd., S. 675. 415 Franz Kafka: Schriften Tagebücher Briefe. Kritische Ausgabe. Bd. 1,1. Das Schloß. Hg. von Malcolm Pasley. Frankfurt/ M.: Fischer 1982; S. 416. Zitiert wird im Folgenden nach dieser Ausgabe unter der Sigle S. 416 Vgl. Peter West Nutting: Kafka’s „Strahlende Heiterkeit“. Discursive Humor and Comic Narration in Das Schloß. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 57 (1983), H. 4, S. 662. 417 Vgl. ebd., S. 664. 418 Vgl. Walter Benjamin: Franz Kafka. Zur zehnten Wiederkehr seines Todestages. In: Ders.: Über Literatur. (Bibliothek Suhrkamp 232) Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1969, S. 160. <?page no="159"?> 155 Grotesken“ 419 hat man sie gehalten. Die Gehilfen, die K. vom Schloss für seine Landvermessertätigkeit zugeteilt werden, agieren kaum sprachlich, sondern beinahe ausschließlich gestisch. Sie zeigen ein typenhaftes Verhalten physischen Übermuts und kindlicher Unbeholfenheit. Deshalb werden sie als Clowns-Figuren identifiziert, 420 im Unterschied zum rhetorisch gewandten Narren. Sie bringen einerseits eine innerhalb der fiktionalen Welt wahrnehmbare, performative Komik ins Spiel. Überdies tragen sie auf eine Weise zum Unernst der Handlung bei, die nur interpretativ erschlossen werden kann. Ihre Gestik gibt die Bemühungen K.s wieder, den Stand seiner Sache zu durchschauen, im Dorf und letztlich im Schloss Einlass zu finden: Sie durchwühlen suchend die Akten des Vorstehers (vgl. S 99), sie werden von K. ausgesperrt und zeigen ihre freudige Ungeduld, wieder ins Schulzimmer zu dürfen (vgl. S 125). So wie Klamm als Phantom-Autorität herabgemindert wird, ziehen die Gehilfen K.s machtfixierten Eifer ins Lachhafte; Kafka „used the assistents to parody and mimic the pathos and deadly seriousness of his protagonist“ 421 . Es läuft darauf hinaus, dass die komischen Elemente im Schloß nicht episodisch-isoliert auftreten, wie etwa die Assistenten im Prozeß-Roman, sondern den Hauptstrang der Erzählung entscheidend modifizieren. Die umfassende Komisierung der Geschichte K.s hat jedoch einen erheblichen Nachteil: Sie streicht eine Vielzahl der möglichen ernsten Deutungen des Textes, dessen Modernität der gesteigerten Interpretierbarkeit somit beeinträchtigt wäre. Stattdessen müsste eine Möglichkeit gefunden werden, die Strukturrelevanz des Komischen für Das Schloß aufzuweisen, ohne den Text zu vereindeutigen. So lautet die Zielvorgabe für die folgende Interpretation. Es wird dabei außerdem klarer werden, worin sich dieses Spätwerk Kafkas trotz mancher Gemeinsamkeiten vom Prozeß unterscheidet. Bislang hat man entweder, wie im Vergleich von Goltschnigg und West Nutting, Ähnlichkeiten der komischen Mittel beobachten können oder den Ernst des Prozeß gegenüber der Komik im Schloß damit begründet, dass der Fall Joseph K.s mit einem Todesurteil endet. Für das Gesamtwerk des Autors mag weiterhin gelten, was Peter Uwe Beicken in einer ersten Bilanz vor Jahrzehnten festgehalten hat: „Das ganze Begriffsspektrum von Humor, Komik, Witz und Ironie bis zum Grotesken dient der Beschreibung des eigentümlichen Reizes zum Lachen bei Kafka.“ 422 Dagegen obliegt es der hier gebrauchten Formel aufzudecken, welchen neuen Weg Das Schloß für die Hochkomik der literarischen Moderne gebahnt hat. 419 Claude David: Kafka und das Groteske. In: Etudes Germaniques 43 (1988), S. 114. 420 Peter West Nutting: Kafka’s „Strahlende Heiterkeit“. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 57 (1983), H. 4, S. 669. 421 Ebd., S. 654. 422 Peter Uwe Beiken: Erzählweise. In: Kafka-Handbuch in zwei Bänden. Bd. 2. Das Werk und seine Wirkung. Hg. von Hartmut Binder. Stuttgart: Kröner 1979, S. 45. <?page no="160"?> 156 4.3.2 Sinngefechte - Das Schloß In einem kurzen theoretischen Vorlauf soll erläutert werden, inwiefern Kafkas letzter Roman ein fortgeschrittenes Stadium komischer Moderne repräsentiert. In Kleists Zerbrochnem Krug ist die Subversion auf die funktionale Differenzierung der Gesellschaft abgestimmt, doch auch der innersystemische Vorgang des Kommunizierens wird ebenso gehemmt wie befördert. Büchners Leonce und Lena reflektiert gleichfalls den Wechsel der Differenzierungsform und die grundlegendere Verfasstheit des Sozialen, Kommunikation. Ein noch basaler angelegter Ablauf ist laut Systemtheorie die Prozessierung von Sinn. Sie läuft autopoietisch ab, koppelt Bewusstsein und Kommunikation, wobei diese letzte Formung nicht weiter genutzt werden soll. 423 Die Beschreibung des Modern-Komischen greift stattdessen Luhmanns primäre Sinn-Definition auf: die Einheit der Unterscheidung Potenzialität - Aktualität. 424 Dies meint differenztheoretisch nicht zwei gegensätzliche Merkmale, sondern die Tatsache, dass - im psychischen System Bewusstsein wie im sozialen System Kommunikation - zeitlichprozessual aus möglichen Anschlüssen realisierte Anschlüsse werden, die wiederum neue Möglichkeiten der Selektion eröffnen. Einen derart abstrakten Kreislauf, der nicht einmal auf das Gesellschaftliche beschränkt ist, in die Textanalyse zu überführen, erscheint gewagt, wenn nicht abwegig. Hinzu kommt, dass Sinn innerhalb der Theorie eine nicht mehr hintergehbare Kategorie darstellt. 425 Kann es dazu überhaupt eine komische Gegenstrategie geben, wenn diese Gegenstrategie selbst nichts anderes sein wird als sinnhaft? In der gleichen Paradoxie steht auch schon die komische Subversion des Kommunizierens, die kommuniziert werden muss. Es wurde festgehalten, dass der anti-soziale Zug des Komischen niemals in die Organisation des Sozialen eingreift. Er kann sie nur symbolisch angreifen, bestätigen und damit sichtbar machen. Sinn zu verneinen, ist unmöglich. Hochkomische Literatur ist lediglich in der Lage, Übergänge von Potenzialität in Aktualität vorzuführen und den weiteren Ablauf des jeweiligen Prozesses in Frage zu stellen. Der Punkt, in dem die vielfältigen Interpretationen des Schloß-Romans am ehesten übereinkommen, ist die Doppelperspektive des „Kampfes“, so das wiederkehrende Motiv im Text, den der Protagonist K. im Dorf und gegen das Schloss führt: Seine „Sinnsuche“ ist zugleich ein Ringen um „soziale Anerkennung“. 426 Je nachdem, ob die beiden Dimensionen, das Gesellschaftliche und das Sinngeschehen, korreliert werden und je nach 423 Zu den Theorie-Bausteinen „Autopoiesis“ und „Sinn“ siehe 3.2.3 und 3.2.4. 424 Vgl. Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1984, S. 100. 425 Vgl. Oliver Jahraus: Literatur als Medium. Sinnkonstitution und Subjekterfahrung zwischen Bewußtsein und Kommunikation. Weilerswist: Velbrück 2003, S. 297. 426 Vgl. Ders.: Kafka. Leben, Schreiben, Machtapparate. Leipzig: Reclam 2006, S. 404ff. <?page no="161"?> 157 der Begründung der Verschränktheit entstehen verschiedene Deutungen. Wenn der folgende Versuch, Das Schloß komisch zu lesen, seine Berechtigung hat, dann, weil er die zwei Kämpfe auf neue Weise zusammendenkt. Eine erste Abweichung von allegorischen Lesarten ergibt sich daraus, dass „Sinn“ nicht mit der von K. und den Interpreten zu ergründenden Bedeutung des Schlosses gleichgesetzt wird. Davon haben sich bereits poststrukturalistische Lektüren freigemacht und ihre Auffassung des Sinnprozesses eingesetzt, wobei die unaufhörliche Verschiebung der Zeichenrelationen auf das Soziale ausgeweitet wurde. Von daher könnte es ebenso ergiebig sein, die dekonstruktive Sinnbewegung durch den Sinnablauf gemäß der Systemtheorie auszutauschen und zu sehen, was dann aus dem Verlauf des sozialen Konflikts wird. Sowohl die Bedeutungssuche als auch ein nichtprozessuales Verständnis sozialer Anerkennung lassen eine zielgerichtete, fortschreitende Handlung erwarten. Da aber immer wieder bemerkt worden ist, dass K. nicht vorankommt, dass der Text selbst auf der Stelle zu treten scheint, spricht es für die Unterscheidung Potenzialität - Aktualität, dass sie die teleologische Erwartung gar nicht erst weckt. Wie man sehen wird, verwandelt sich der Kampf zwischen dem Landvermesser und der Schlossbehörde, genauso die Auseinandersetzung des Neuankömmlings mit den Dorfbewohnern, in einen Selbstzweck. Joseph K. wird zu Beginn des Prozeß verhaftet, der Held des Schloß- Romans dagegen tut mit seiner Ankunft im Dorf den ersten Schritt in der Interaktion zwischen Institution und Individuum. Im Ankunftskapitel sind zwei Reaktionen auf K.s Eröffnung geschildert. Zuerst wird der Schlafende vom Sohn eines Schlossbediensteten geweckt, der eine „gräfliche Erlaubnis“ (S 8) für die Übernachtung im Dorf fordert. Er verlangt „Respekt vor der gräflichen Behörde“ (S 9) und tut auch sonst alles, um K. klar zu machen, dass er sich den hierarchischen Beziehungen fügen muss. Im Unterschied zu Arbeiten, welche die hier exponierten Machtverhältnisse untersuchen sowie den Kontakt zwischen den sozialen Instanzen als ungleiche Interpretation, 427 schaltet man komiktheoretisch auf die Differenzierung des Gesellschaftlichen um. Der „Sohn des Schloßkastellans“ (S 8), der keinen Namen trägt, sondern nur diese hierarchisch definierte Bezeichnung, orientiert seine Kommunikation strikt an der Einteilung ungleicher Schichten, also an der sozialen Vormoderne. K. erwidert dies mit einer Serie von Nachfragen: „Ist denn hier ein Schloß? “ - „Und man muß die Erlaubnis zum Übernachten haben? “ - „Ist das nicht möglich? “ (S 8f.) Zunächst scheint er das Prinzip der Differenzierung einfach zu reproduzieren, doch im Kontrast zur Haltung des Sohnes deutet sich Unerhörtes an: Will der 427 Zu einer neueren Auslegung vgl. Gerhard Meisel: Parasiten. Kommunikation in Kafkas „Schloß“- und „Prozeß“-Roman. In: Weimarer Beiträge 42 (1996), H. 3, S. 357- 378. Dieser Beitrag steht für jene Forschungslinie, die den sozialen Aspekt der Macht mit der im Text problematisierten Interpretationspraxis verknüpft. <?page no="162"?> 158 Fremde etwa sagen, das gesellschaftlich Selbstverständliche könne auch anders sein? Will er die Existenz der Obrigkeit in Zweifel ziehen, die Undurchlässigkeit der Grenzen missachten? Indem K. die Absicht erklärt, sich vom Grafen selbst die „gräfliche Erlaubnis“ holen zu wollen, gibt er seine transgressive Intention zu erkennen. Er wird zu einer Figur, die eine komische Gegenstrategie verfolgt. Kommunikativ bleibt er, weil er sich zum Schein an das hierarchische Sprechen hält, wenn er mit einer Beschwerde bei höheren Instanzen droht und dadurch eine Inversion des vorherigen Machtverhältnisses herbeiführt. „‚Genug der Komödie‘, sagte K. auffallend leise“ (S 9). Es ist jedoch noch lange nicht genug der Komödie, denn die wahre Komik des Romans hat noch nicht einmal begonnen. Das Schloß ist kein karnevalesker Text und der „Landstreicher“, wie K. beschimpft wird, kein Narr. Dafür ist das Spiel, das er eingeleitet hat, zu modern, was sich aber erst in der Reaktion des Schlosses offenbart. K. behauptet gegenüber seinem Gesprächspartner, er sei der bestellte Landvermesser. Der führt ein Telefongespräch mit einem der Unterkastellane im Schloss, der die Zentralkanzlei bitten soll, diese Angabe zu überprüfen. Zuerst ergeht ein negativer Bescheid, dann aber eine Korrektur, an der sich „der Bürochef selbst“ (S 12) beteiligt: „K horchte auf. Das Schloß hatte ihn also zum Landvermesser ernannt.“ (ebd.) In den Kommentaren wird meist entweder die Bedeutung speziell dieses Berufes eruiert 428 oder die Andeutung über noch darüber hinausgehende Pläne: „es bewies seiner Meinung nach, daß man ihn unterschätzte und daß er mehr Freiheit haben würde als er hätte von vornherein hoffen dürfen“; rätselhaft bleibt auch, weshalb ihn ausgerechnet die „Anerkennung seiner Landvermesserschaft [...] dauernd in Schrecken halten sollte“ (S 13.). Der komiktheoretische Interpretationsvorschlag sieht von solchen Erwägungen zunächst sehr stark ab, wenn er die Behauptung K.s als Potenzialitätsmoment im Sinnprozess liest: K. hat eine Möglichkeit gesetzt. In der Folge kommt es gar nicht so sehr darauf an, ob eine Anerkennung erfolgt oder nicht, deshalb werden beide Optionen realisiert. Um das Schloss in ein Sinngefecht zu verwickeln, reicht es aus, dass dessen Vertreter überhaupt eine der beiden Möglichkeiten, sprich Anerkennung oder Nicht-Anerkennung, aktualisieren, denn dadurch wird die Sinndifferenz vollzogen. Im Kampf zwischen der Hauptfigur und den gräflichen Behörden gibt es daher zwei Positionen: K. fordert das Schloss dazu heraus, modern, eben nicht mehr hierarchisch zu kommunizieren; die andere Seite weiß „alles Nötige“ über dieses Vorhaben, hat „die Kräfteverhältnisse abgewogen“ und nimmt den Kampf „lächelnd“ auf (S 12). Das Schloss geht einerseits auf die Vorgabe des Herausforderers ein, andererseits gerät dieser mit der „Anerkennung seiner Landvermesserschaft“ schon bald in ein Verhältnis der Ungleichheit und Unterordnung. So wird der Akt der Anerkennung 428 Vgl. Heinz Politzer: Franz Kafka, der Künstler. Frankfurt/ M.: Fischer 1965, S. 320ff. <?page no="163"?> 159 zweideutig, „günstig“ und „ungünstig“ (S 12). K. soll nicht unbedingt „in Schrecken“, aber doch in Schach gehalten werden, indem man dieses eine Mal die von ihm verfochtene soziale Modernität anerkennt, im Zuge einer Ambiguität aber auch gleich zu verstehen gibt, dass es weiterhin hierarchisch zugehen soll, in den Beziehungen zwischen Schloss und Dorf. Die gräflichen Behörden erteilen eine „geistig gewiß überlegene Anerkennung“ (S 13), so K., weil sie um den Anachronismus und die Kontingenz der dörflichen Unterwürfigkeit und ihrer eigenen Macht sehr wohl wissen, diese stratifikatorische Organisation des Sozialen aber wider besseren, moderneren Wissens beibehalten wollen. Von daher sind die Fronten des Kampfes bereits nach dem ersten Telefongespräch klar. Die Figur literarischer Hochkomik bildet sich dadurch, dass der Protagonist doppelzüngig spricht und doppeldeutig agiert. Gegenüber den Dorfbewohnern betreibt er Mimikry. Er tut so, als folge er ihrem Denken in unüberwindlichen Gegensätzen von „oben“ und „unten“, „wir“ und „die“. Dabei verliert er jedoch nie seine eigentliche, ebenfalls doppelt ausgerichtete Subversionsstrategie aus den Augen. K. attackiert gewissermaßen zwei Differenzierungstypen gleichzeitig: Zum einen gibt er den naiven Narren, den unbedarften „Landstreicher“, der sich seiner Transgressionen und Umkehrungen nicht bewusst ist, zum anderen verleitet er seine Gesprächspartner zu reinen Sinngefechten, in denen die hierarchischen Differenzen von der Unterscheidung Potenzialität - Aktualität unterwandert werden. Diese These soll anhand der ausgedehnten und zentralen Dialoge des Romans plausibel werden. Daneben ist die zweite Adresse von K.s Reden und Verhalten zu bedenken. Der Held muss immer neue Provokationen initiieren, die das Schloss nicht nur als strafende Instanz aktivieren, sondern Handlungen und Äußerungen nach sich ziehen, die K.s Anstöße zur Sinn-Struktur ergänzen. An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass die Gegenüberstellung der Konfliktparteien notwendig ist, um Sinn in seiner gesellschaftlichen Funktion und, in diesem Fall, revolutionären Sprengkraft inszenieren zu können, denn sonst wäre die entsprechende Differenz zu allgemein und schon von Äußerungsmoment zu Äußerungsmoment nachweisbar. Während K. die räumlich festgesetzte ständische Ordnung aktiv untergräbt, ist die Weiterführung seiner modern-komischen Sinnbeziehung zum Schloss von außen gefährdet. Der karnevaleske Anteil des Romans wird demnach von der Hauptfigur kontrolliert, in der modernen Variante der Komik, die Das Schloß parallel dazu praktiziert, kann K. lediglich versuchen, sich in eine günstige Position für anhaltende Kommunikationen mit dem Schloss zu bringen. Er muss aber damit rechnen, dass die Behörde auf ihrer hierarchischen Linie beharrt und dass er das Dorf irgendwann mangels Aufenthaltsberechtigung verlassen muss. Auch dieser anti-soziale, aber komisch erforderliche Zug ist in der Ankunftsszene im Wirtshaus bereits vorhanden. Das Tele- <?page no="164"?> 160 fongespräch mit der Kanzlei hätte zu einer Ausweisung K.s führen können, es hat aber genauso die Funktion, einen ersten Kontakt zum Schloss herzustellen. Die Extreme, die der Neuankömmling wahrhaft fürchten muss, sind die totale Nichtbeachtung und eine vollkommene Eingliederung in die stratifikatorisch organisierte Gesellschaft. Zwischen diesen beiden Polen manövriert sein provokatives, für die vormodernen Dorfbewohner gänzlich unverständliches, empörendes Verhalten. Die nächste Interaktion mit dem Schloss, nach dem Anerkennungstelefonat, ist der Dienstantritt der Gehilfen. Sie stellen sich selbst vor. „‚Wie? ‘, fragte K., ‚Ihr seid meine alten Gehilfen, die ich nachkommen ließ, die ich erwarte? ‘ Sie bejahten es.“ (S 31) Dass die Frage von K. gestellt wird und dass sie nicht verneint wird, ist äußerst wichtig. Im Gespräch mit dem Sohn des Kastellans hat er gesagt: „Meine Gehilfen mit den Apparaten kommen morgen im Wagen nach.“ (S 9) Sie müssen also denselben Weg gekommen sein wie K. Der hat sie aber auf dem Rückweg vom Schloss getroffen. Als er die Gehilfen darauf anspricht, gestehen sie auch dies ein, „ohne weitere Erklärung“ (S 32). Durch ihre widersprüchlichen Auskünfte wird es für den Landvermesser möglich, das Eintreffen der Gehilfen als Aktualisierung dessen zu verstehen, was er zuvor als Tatsache ausgegeben hat und was nun nachträglich zur Potenzialität wird. Der Widersinn ist Bedingung des Sinnprozesses: Die Gehilfen müssen die von K. erwarteten sein und sie müssen vom Schloss gesandt sein. Angesichts des greifbaren Erfolgs seiner komischen Mission hält der Landvermesser kurz inne. „‚Das ist gut‘ sagte K. nach einem Weilchen, ‚es ist gut, daß ihr gekommen seid.‘“ (S 31) Allerdings gibt er sich nicht zufrieden, nach einer zweiten Pause, die mit denselben Worten erzählt wird wie die erste, will er nun Artur und Jeremias weitere Bestätigungen entlocken, sprich, weiter sinnhaft anschließen. Doch nach der zweideutigen Einigung über den „weite[n] Weg“ (ebd.), der zurückzulegen war, machen die Gehilfen K. einen Strich durch die Rechnung, indem sie die Apparate, die K. ebenfalls am Abend zuvor erwähnt hat, verneinen und auf Nachfrage auch nichts von Landvermessung verstehen. „‚Wenn Ihr aber meine alten Gehilfen seid, müßt ihr das doch verstehn‘, sagte K. Sie schwiegen.“ (S 32) Da sowohl die Sinnverarbeitung als auch deren Gefährdung durch K.s Initiative im Austausch mit den inkonsistenten Antworten der Gehilfen zustande kommt, haben wir in diesem Dialog zu Beginn des Romans einen Paradefall seiner literarischen Hochkomik. Zudem wird im Telefongespräch des zweiten Kapitels das Prinzip wiederholt. Diesmal ruft K. selbst in der Behörde an. Er meldet sich als Gehilfe des Landvermessers und beruft sich mit dem Namen „Fritz“ auf das Anerkennungstelefonat. Doch bei dieser Anerkennung kann K. nicht stehen bleiben, er muss neue Potenzialitäten aus der Luft greifen, deshalb nennt er sich als Gehilfe „Josef“ (vgl. S 37). Damit löst er am anderen Ende Widerspruch aus, die Gehilfen <?page no="165"?> 161 hießen doch Artur und Jeremias. „‚Das sind die neuen Gehilfen‘, sagte K. ‚Nein, das sind die alten.‘ ‚Es sind die neuen, ich aber bin der alte, der dem Herrn Landvermesser heute nachkam.‘“ (S 37) Der Gesprächspartner in der Kanzlei verneint heftig und verliert dabei die Beherrschung. K. nutzt dies, um ruhig zu fragen, wer er dann sei. „Und nach einer Pause sagte die gleiche Stimme mit dem gleichen Sprachfehler und war doch wie eine tiefere achtungswertere Stimme: ‚Du bist der alte Gehilfe.‘“ (ebd.) Der Schlagabtausch ist nicht mehr realistisch zu durchschauen. Wenn es ihm um die soziale Anerkennung als Landvermesser geht, die er bereits erhalten hat, was hat K. dann von seiner Täuschung? Er wahrt damit den Anschein hierarchischer Kommunikation, der Diener fragt für seinen Herrn. Doch die am Schluss gestellte und negativ beschiedene Frage nach dem Zugang zum Schloss, nach Ansicht vieler Deutungen das höhere Ziel des Protagonisten, stellt K. ohne rechten Antrieb. „Am liebsten hätte er den Hörer schon weggelegt. Von diesem Gespräch erwartete er nichts mehr.“ (S 38) Dies kann nun zweierlei bedeuten, entweder die mangelnde Hoffnung auf eine positive Antwort oder aber die Tatsache, dass das eigentliche Ziel des Telefonats längst erreicht ist. Mit der Behauptung, er sei der nachgekommene alte Gehilfe, aktualisiert er nochmals den schon gegenüber Artur und Jeremias verwerteten möglichen Anschluss, der nun aber erneut zur Potenzialität wird, weil das Schloss den darin liegenden Widerspruch zu seinem eigenen Sinn-Akt, der Entsendung der „neuen Gehilfen“, entweder ignorieren oder geltend machen kann. Es geht nicht um das Ergebnis der Argumentation, das Zugeständnis „Du bist der alte Gehilfe“, sondern um die Einsicht in die sinnfördernde Funktion jener Aussage, die K. bei dieser Gelegenheit voll und ganz ausschöpft. Durch sie hat er die Sinn-Verhandlungen mit dem Schloss in Gang gebracht und aufrecht erhalten, dies muss auch die andere Seite einbekennen, deshalb die „tiefere achtungswertere Stimme“ am vorläufigen Schlusspunkt der Wechselrede. Bis dahin ist es dem kämpfenden Helden gelungen, einen komischen Dialog zu führen, und zwar gerade angesichts der Gefahr, dass der zur Wut gereizte Oswald den Hörer einfach auflegt. Auf das zweite Telefonat folgt die Überbringung eines Schloss-Briefes durch den Boten Barnabas. Man kann den vollständig wiedergegebenen Text des Briefes und die anschließende Deutung K.s nach der Bedeutung des Schlosses und der Absicht des Adressaten befragen. Im Hinblick auf die komiktheoretische These ist das Schreiben jedoch nicht semantisch, sondern performativ bedeutsam. K. interpretiert den Text, d.h. er verweist auf den Sinnprozess selbst, der nicht nur in der sozialen Kommunikation der Dialoge, sondern auch im undarstellbaren Bewusstsein abläuft und schließlich dazwischen, in der hier vollzogenen Interpretation. 429 Die laut dem Interpreten im Brief „offen dargebotene Wahl“ konkretisiert die Sinn- 429 Zu Jahraus’ Theorie der Interpretation siehe Abschnitt 3.1. <?page no="166"?> 162 differenz und K. „zögerte nicht, zu wählen“ (S 42), also Sinn zu verarbeiten, indem er eine der beiden Möglichkeiten aktualisiert. Kommt es wirklich darauf an, für welche Option er sich entscheidet, „Dorfarbeiter“ oder „scheinbarer Dorfarbeiter“ (ebd.)? K. sucht nach einer strategisch günstigen Position, die es ihm erlaubt, sein komisches Spiel weiterzuspielen und nicht vom „furchtbaren Ernst“ (S 43) der untergeordneten Stellung als Arbeiter erdrückt zu werden. Ebenso wenig will er sich als „scheinbarer Dorfarbeiter“ in eine hierarchische Abhängigkeit von den Nachrichten des Barnabas begeben, obwohl diese Variante eine auf den Sinn-Verkehr abstrahierte Beziehung zum Schloss verheißt. In jener Funktionalität liegt die nahezu erotische Anziehungskraft, die der Bote auf K. ausübt (vgl. S 40, 46). Einer trügerischen Exklusivität zieht der Komiker die Mimikry des „Dorfarbeiters“ vor. Er will damit erreichen, dass die Dorfbewohner „zu sprechen anfangen“ und wenn er von ihnen „ununterscheidbar“ geworden ist, „dann erschlossen sich ihm gewiß mit einem Schlage alle Wege, die ihm wenn es nur auf die Herren oben und ihre Gnade angekommen wäre, für immer nicht nur versperrt sondern unsichtbar geblieben wären“ (S 42). K. wählt das sozial-subversive Projekt. In seiner vermeintlichen Anpassung an die stratifikatorisch organisierte Dorfgemeinschaft werden sich ihm nicht nur Chancen zur Transgression, sondern auch Wege erschließen, das Reden und Handeln solcher Leute wie „Gerstäcker oder Lasemann“ (ebd.) modern umzulenken. Da die Dorfbewohner in vielfältigen hierarchischen Beziehungen zum Schloss stehen, will K. sich in diese Verhältnisse gewissermaßen einklinken, um sie zu Sinnprozessen umzufunktionieren. Die Überlegungen, die K. aus Anlass des Briefes beschäftigen, sind selbst nicht komisch. Sie stellen aber die Weichen für all jene Partien des Romans, die als Hochkomik beschrieben werden können. Ähnliches gilt für die Begegnung mit Frieda im Herrenhof. Dort ist K. unerwartet mit der Anwesenheit des Beamten Klamm konfrontiert. Sein dadurch verursachtes Unbehagen bedrückt ihn, da „sich in solcher Bedenklichkeit offenbar schon die gefürchteten Folgen des Untergeordnetseins, des Arbeiterseins zeigten“, die es doch „niederzukämpfen“ (S 58) gilt. Der Protagonist will sich der sozialen Ordnung widersetzen. Er besinnt sich auf sein komisches Vorhaben. Deshalb gibt er, und das in den letzten Sätzen des Barnabas- Kapitels, Olga Grund zur Interpretation: „‚Ja, gewiß’, sagte K. und überließ ihr die Deutung der Worte.“ (ebd.) Dass auch das Frieda-Kapitel eher eine vorbereitende Stufe zu weiteren dialogischen Sinn-Gefechten ist, liegt daran, dass Frieda als geeignete komische Partnerin erscheint, mit ihren transgressiven Akten aber nur ausnahmsweise über ein vormodernes Verständnis von Komik hinausgelangt. Die Attraktivität des Ausschankmädchens für K. wird meist mit ihrem Status als Geliebte Klamms erklärt und der damit verbundenen Teil- <?page no="167"?> 163 habe an Macht und Wissen der Schlossbehörde: 430 „Als dieser Blick auf K. fiel, schien es ihm, daß dieser Blick schon K. betreffende Dinge erledigt hatte, von deren Vorhandensein er selbst noch gar nicht wusste, von deren Vorhandensein aber der Blick ihn überzeugte.“ (S 60) Der „Blick von besonderer Überlegenheit“ (ebd.) wird in K.s Reflexion damit begründet, dass Frieda in seine Sache eingeweiht ist. Im unmittelbaren Eindruck steht er in Kontrast zu den „traurigen Zügen“ (S 59) des Gesichts, der Gestalt. K. nimmt ein komisches Potenzial an Frieda wahr. Er umwirbt sie „lächelnd, um nicht allzuviel Ernst zwischen ihnen aufkommen zu lassen“ (S 62), verführt sie mit seiner Mimikry hierarchischen Respekts vor ihrer Stellung und will ihren Ehrgeiz zur Subversion der sozialen Ordnung herausfordern: „Aus ihren Augen, lachen Sie mich nicht aus, Fräulein Frieda, spricht nicht so sehr der vergangene als der zukünftige Kampf.“ (S 63) Klamms Geliebte kann die Ironie der Rede K.s nicht erwidern, sie bleibt „freundlich, aber ohne sein Lächeln aufzunehmen“ (S 62). Zu komischem Handeln ist sie später dennoch fähig, wenn sie K. in einem Akt der Übertretung vor dem Wirt versteckt: „Etwas Fröhliches, Freies war in ihrem Wesen, was K. früher gar nicht bemerkt hatte und es nahm ganz unwahrscheinlich überhand, als sie plötzlich lachend mit den Worten: ‚Vielleicht ist er hier unten versteckt‘ sich zu K. hinabbeugte, ihn flüchtig küßte und wieder aufsprang und betrübt sagte: ‚Nein, er ist nicht hier.‘“ (S 67f.) Vordergründig verhält sich Frieda karnevalesk, was den Geliebten unter dem Schanktisch so sehr erstaunt, ist der Durchbruch zum modernen Bewusstsein, zur Inszenierung der Sinn-Differenz, die sich in ihrem Frage-und-Antwort-Spiel realisiert. Frieda übersteigt im Gespräch mit dem Wirt ironisch die hierarchische zur kommunikativ-sinnhaften Ordnung. Durch jenen Ausbruch moderner Hochkomik wird Frieda zur Verführerin K.s, ihre Täuschung des ängstlichen Wirtes ist ein erotisches Vorspiel der sexuellen Paarung vor Klamms Tür. Während des Geschlechtsaktes geht nicht nur die Leichtigkeit der Subversion verloren, es zeigen sich auch die Grenzen von Friedas sozialer Reflexivität. Einerseits untersteht sie nicht mehr dem „eingeborenen Gehorsam“ (S 69), statt dem Ruf Klamms zu folgen, genießt sie lachend ihre Transgressivität. K. dagegen verhält sich plötzlich ängstlicher als seine Partnerin, „wollte dagegen sprechen, wollte sie drängen zu Klamm zu gehen“ (ebd.). Als Frieda dem Beamten übermütig zuruft, sie sei beim Landvermesser, tritt beim komischen Helden des Romans Ernüchterung ein: „Was konnte er nun von Frieda erwarten, da alles verraten war? “ (S 69f.) Nicht aus Angst hat er versucht, Frieda von ihrem Ungehorsam abzuhalten, sondern weil er sich von der neuen Situation einen strategischen Vorteil zur Initiierung neuer Sinnverarbeitung zwischen ihm und dem 430 Vgl. Walter H. Sokel: Franz Kafka - Tragik und Ironie. Zur Struktur seiner Kunst. München u.a.: Langen Müller 1964, S. 423. <?page no="168"?> 164 Schloss versprochen hat. Dieser Vorteil wurde durch Frieda leichtfertig verspielt, die in die Beschränktheit vormodern-trangressiver Komik zurückgefallen ist. K. fürchtet, dass ihre Provokation entweder ignoriert oder mit Ausweisung gestraft werden könnte - Klamms Schweigen auf Friedas Antwort lässt beide Möglichkeiten offen - , wodurch ihm jede Grundlage seines komischen Operierens entzogen wäre. Die „ängstlich-glücklich[e]“ (S 69) Stimmung, in der er sich aus Liebe befindet, ist dem komischen Projekt des Landvermessers genauso abträglich wie die Arbeiterfurcht vor Klamm und die unironische Ausübung der Herren-Rolle gegenüber den Gehilfen. Die vom Schloss zugeteilten Assistenten bringen K. nicht nur aus der nötigen Konzentration für seine Sinn- Offensiven, sie befördern auch eine schleichende Anpassung an die stratifikatorische Gesellschaft. „Inmitten dieses Befehlens und Bedientwerdens“ (S 74) entgleitet K. jene freie, ironische Haltung, die er zu Anfang noch durchblicken lässt, wenn er die zwei Gehilfen mit nur einem Namen rufen will. Instinktiv spürt er die Gefahr, die von der Integration in ein Verhältnis der Unter- und Überordnung ausgeht, wenn er „unwillkürlich“ und nach Stocken feststellt, Artur und Jeremias seien einander „ähnlich wie Schlangen“ (S 33). Dabei ist nicht zu vergessen, dass die Gegenkräfte des Sinnprozesses, mögliche externe Sanktionen durch das Schloss genauso wie Vorgänge im Denken und Handeln der Hauptfigur, grundsätzlich in die Ambivalenz-Figur mit hinein gehören. Doch längst nicht in allen Szenen resultiert diese Anlage des Romans in regelrechter Hochkomik, auch gibt es kein ununterbrochenes Forschreiten zur komischen Modernität, sondern lediglich längere und kürzere Dialog-Phasen. Beispielhaft komisch argumentiert K. im ersten Gespräch mit der Wirtin. Ohne die Eroberung Friedas hätte sie keinerlei Anlass gehabt, überhaupt mit ihm zu reden, insofern erweist sich die Liebeshandlung doch noch als zielführend. Die Abwerbung Friedas ist die auslösende, erste Provokation, im Gespräch selbst arbeitet K. mit subtileren Mitteln. Auf die längeren Ausführungen der Wirtin geht er jeweils so ein, dass er in einem deutlichen Rückbezug auf ihre Argumente und Formulierungen den damit gemachten Aussagen teils zustimmt und teils widerspricht (vgl. S 81). Man kann dies als überzeugende Rhetorik oder gedankliche Dialektik bezeichnen, komiktheoretisch gedacht gelingt es K., die Vorlagen der Wirtin in Potenzialitäten zu verwandeln. Der Wechsel von Bejahung und Verneinung dient, wie in den bereits analysierten Dialogen, der Abstraktion von den Inhalten auf die Sinn-Differenz. K. findet in den apodiktischen Behauptungen der Wirtin realisierbare Anschlüsse, mit denen er Friedas Patronin nicht nur zu Widerspruch anregt, sondern auch zu Andeutungen über die Art und das Ausmaß des Hierarchiegefälles zwischen dem Fremden und Klamm, etwa mit dem metaphorischen Vergleich zwischen Adler und Blindschleiche (vgl. S 90). Sie eröffnet dadurch Raum für Interpreta- <?page no="169"?> 165 tion, d.h. für Sinnprozesse. Die Wirtin spielt ihrem Antagonisten ungewollt in die Hände, indem sie dessen subversive Technik übernimmt, interpretierend Rückbezüge herzustellen und solcherart auszulegen, dass weitere Aktualisierungen wahrscheinlich werden: Mit der Möglichkeit, bei Barnabas zu übernachten, „wollen Sie wohl beweisen, daß sie von mir unabhängig sind. Gewiß, wenn Sie wirklich bei Barnabas übernachtet hätten, wären Sie so unabhängig von mir, daß Sie im Nu, aber allerschleunigst, mein Haus verlassen müßten“ (S 88). Die Frau, mit der K. hier kämpft, verhält sich also durchaus ambivalent, einerseits sinnhaft-kommunikativ, andererseits droht sie wiederholt damit, K. die Voraussetzung für einen solchen Austausch zu nehmen (vgl. S 85). „Es ist unmöglich“ (S 82) - dieser Ausspruch der Wirtin steht für die exemplarische Komik des Gesprächs. Auf der vormodern-karnevalesken Ebene markiert er die Grenzverletzungen, die der unwissende Narr in den Augen seines Gegenübers laufend begeht. Modern gelesen wäre dies der eine Satz, der alles Reden und Handeln K.s abschließend beantwortet, d.h. die Sinnbewegung anhalten will, was allerdings wirklich unmöglich ist. Das Urteil „unmöglich“ ist die Gegenposition zur Aktualisierung von Potenzialitäten, die K. als neue Organisation des Sozialen im Dorf wie im Schloss einführen will. Sein letztes Wort, mit dem das Gespräch endet, muss deshalb die Eröffnung einer Potenzialität sein: „‚Sie fürchten doch nicht etwa - dem Unwissenden scheint alles möglich‘ - hier öffnete K. schon die Tür - ‚Sie fürchten doch nicht etwa für Klamm? ‘“ (S 91) Aus dem Streit mit der mächtigeren Wirtin geht K. als Sieger hervor, denn jene bemerkt nicht, dass ihre intendierte Konformität mit den revolutionären Absichten des Fremden kollaboriert. In K.s Zwischenbilanz im Kapitel „Beim Vorsteher“ wiegt dieser Erfolg jedoch gering, denn selbst die Möglichkeit „kleiner leichter Siege“ (S 93) gegenüber dem Schloss wird geleugnet. Die reine Selbstbehauptung durch „weitere größere Kämpfe“ (ebd.) steht gegen das hier angenommene komische Ziel. Der notierte Widerspruch lässt fragen, ob die komiktheoretische Interpretation der Unmöglichkeit und Übergröße dessen, was K. sich vorgenommen hat, Rechnung tragen kann. Genauer betrachtet ist die Absicht des Romanhelden mehr als revolutionär: Er plant keinen Umsturz der gesellschaftlichen Ordnung, sondern eine Änderung der Organisationsform des Sozialen. Das heißt, er versucht auf eine Ebene Einfluss zu nehmen, die durch die Auseinandersetzung des Einzelnen mit den sozialen Individuen und Institutionen nicht berührt werden kann. In dieser sozialtheoretischen Deutung zielt Kafkas Hauptfigur auf das, was die konkrete Gesellschaft und ihre Machtverhältnisse transzendiert. Folglich müsste sich die Abstraktion des Differenzierungstyps den Bemühungen K.s notwendig entziehen, ganz gleich, welcher Stufe der Hierarchie er sein Anliegen vorträgt, welche Erfolge er dabei erzielt. Sein Handeln ist nicht anachronis- <?page no="170"?> 166 tisch, bewegt sich aber immer auf einer zu niedrigen Abstraktionsstufe. Reflexionen wie die zu Anfang des Vorsteher-Kapitels deuten darauf hin, dass K. sich über das intrinsische Scheitern seines Projekts im Klaren ist, es aber dennoch, insofern heroisch, weiterverfolgt. Die sozialreflexiv komische Praxis des Schloß-Romans findet im Widerspiel zum sozialreflexiv tragischen Bewusstsein des Protagonisten statt. In dieser Lesart des Textes ist es denn auch zwingend, dass die Erzählung von K.s Alltag im Dorf und seinen Vorstößen gegenüber der Schlossbehörde als Fragment keinen Abschluss erreicht; die Mission des modernen Komikers ist per definitionem unerfüllbar. Diese Höhe der Reflexivität und das rein hierarchische Denken der Dorfbewohner andererseits begründen zudem das bloß episodische Auftreten des Komischen. So wird das „Zweite[ ] Gespräch mit der Wirtin“ im ersten Teil durch die Überhöhung Klamms dominiert, bis K. eine komische Zwischenspanne einleiten kann. Auf seine Ankündigung einer „sehr grobe[n] Frage“, schweigt die Wirtin, was der Fragende dennoch kommunikativ zu nutzen weiß: „‚Ich darf also nicht fragen‘, sagte K. ‚auch das genügt mir.‘“ (S 129) Laut der Wirtin missdeutet er alles, „auch das Schweigen“ (ebd.), doch auch darauf hat der Interpret, dem die „sehr grobe Frage“ jetzt erlaubt wird, eine rückbezügliche Antwort: „‚Wenn ich alles missdeute […], mißdeute ich vielleicht auch meine Frage, vielleicht ist sie gar nicht so grob.‘“ (ebd.) K. hat nicht nur das womöglich endgültige Verstummen der Wirtin abgewendet, ab diesem Punkt kann er mithin das Verfahren des ersten Gesprächs mit ihr wieder aufnehmen, indem er sie lehrt, ihre Klamm-Geschichte nicht hierarchisch nachzuerzählen, sondern sinnhaft zu behandeln, sprich, zu interpretieren. Auf eine seiner Deutungsvorschläge reagiert sie beinahe hellsichtig: „‚Meinen Sie dieses alles im Ernst? ‘ […] ‚Im Ernst‘, sagte K. schnell“ (S 135). Seine Beteuerung, „dieses alles“ sei ernst, erfolgt deshalb „schnell“, damit die Wirtin nicht doch der modernen Komik des Dialogs, an dem sie sich beteiligt hat, auf die Spur kommt. Das Muster der beiden Unterredungen mit der Brückenhofwirtin findet man am deutlichsten in den Gesprächen mit der Barnabas-Familie wiederholt. Diese ist aus der Dorfgemeinschaft ausgestoßen, seit die Tochter bzw. Schwester Amalia sich geweigert hat, Geliebte des Beamten Sortini zu werden. Im Besonderen hat sie einen Brief des Schlossangehörigen ignoriert. „Amalias Tat“ (S 312) ist verglichen mit K.s Eingehen auf die Schreiben Klamms nicht komisch-subversiv, sondern geradezu asozial, denn sie verweigert eine hierarchisch-erotische Beziehung mit dem Schloss in einer Weise, die auch jede weitere Sinnanknüpfung durch Kommunikation verhindert. Diese absolute Haltung Amalias, die sie mit tragischer Würde einnimmt, und das Elend ihrer sozial geächteten Eltern unterscheiden sich jedoch von den Unternehmungen der Geschwister Olga und Barnabas. Während Olga sexuelle Verbindungen zu Dienern der Beamten aufnimmt, <?page no="171"?> 167 gelangt ihr Bruder in die ebenso untergeordnete wie privilegierte Stellung eines Boten. Allerdings ist auch ihnen das komische Potenzial ihrer Außenseiterposition nicht bewusst: „unsere Lage ist derart, daß wir mit aller Welt zerfallen sind und fangen wir zu klagen an, reißt es uns fort, wir wissen nicht, wohin“ (S 314). Dabei könnte die Tatsache, dass sie weder zum Dorf noch zum Schloss gehören, die geeignete Basis für subversives Handeln sein. Dorf und Schloss, „Amt und Leben“ (S 94) sind tatsächlich austauschbar, sofern sie in sich und in ihrem Verhältnis stratifikatorisch organisiert sind. Ein Drittes aber, das der Rangfolge nicht zugeordnet werden kann, bietet die Chance auf eine karnevaleke Destabilisierung oder gar auf eine gänzlich anders orientierte soziale Praxis. K. übernimmt in den Gesprächen mit Olga die pädagogische Funktion, sie zur Nutzung ihrer komischen Möglichkeiten zu erziehen. Dazu muss er ihr und ihrer Familie das hartnäckig sich haltende hierarchische Prinzip austreiben. Olga wittert überall den „Einfluß des Schlosses“ (S 322), überdies ist Amalia innerhalb der Familie nun in die Position der obersten Autorität gerückt. K. versucht deshalb, diesen Rang zu demontieren (vgl. S 325). Er untersagt Olga, Amalias Rede zu interpretieren - „Laß die Deutungen! “ (S 324) - , denn dies geschieht nicht als freies Sinn-Spiel, sondern aus Unterwürfigkeit, „Abhängigkeit“ (ebd.), wie K. es nennt. Durch ihr Unglück ist die Barnabas-Familie gezwungen, das Interpretieren einzuüben: „Es war ja so natürlich, daß wir immerfort die Briefgeschichte besprachen, kreuz und quer in allen sicheren Einzelheiten und allen unsicheren Möglichkeiten“ (S 330). Der Schritt, den sie noch vollziehen müssen, ist die Ablösung dieser Sinnverarbeitung vom Ziel der Wiederaufnahme in die soziale Ordnung. Erst wenn sie ihr Tun als Selbstzweck begreifen und einsehen, dass die konstante Gefährdung zur komischen Ambivalenz gehört, sind sie K.s wahre Gefährten. Da Barnabas in der Ausübung seines Botendienstes darin am weitesten fortgeschritten ist, empfindet der Landvermesser besondere Zuneigung zu ihm. Olga dagegen lässt sich in ihrer langen, mehrere Kapitel umfassenden Klagerede nur selten durch K.s sinngerichtete Einwände und Nachfragen unterbrechen (vgl. S 339f.). Doch immerhin bemüht sich Barnabas auf ihren Plan hin um den so bedeutsamen Botendienst. Schon durch die Ausrichtung auf eine buchstäblich tragende Rolle im Sinnprozess emanzipiert er sich von seiner Schwester (vgl. S 358). Dadurch ist er auch der einzige in der Familie, der trotz seines Dienstverhältnisses eine relative, komisch verwertbare Unabhängigkeit von der geltenden Organisationsform des Sozialen erlangt. Schon bei ihrer ersten Begegnung erkennt K. instinktiv diese Verwandtschaft mit dem Boten. Die letzte komische Episode des Romans, die hier analysiert werden soll, ist das in den meisten Deutungen berücksichtigte Gespräch mit dem Sekretär Bürgel. Der amtlichen Ordnung nach ist K. der Sekretär Erlanger zugeteilt, er betritt aber versehentlich das Zimmer des schlafenden Bürgel. <?page no="172"?> 168 Dies soll nun als Einbruch der Kontingenz in das geordnet Gesellschaftliche aufgefasst werden. Es handelt sich daher mitnichten bloß um ein „persönliches Unglück“ (S 405) des geweckten Schloss-Angestellten, sondern um eine soziale Ausnahmesituation, in gewisser Weise sogar um eine Ausnahme vom Sozialen selbst, das Kontingenz immer reduzieren muss. Dem modernen Komiker bietet sich jedenfalls eine unvorhersehbare und nicht vorgesehene Gelegenheit zum Sinngefecht. „Bürgel sah K. fragend und fröhlich an“ (ebd.), der zum Verhör Geladene könnte im direkten Kontakt mit einem Vertreter des Schlosses komisch kommunizieren. Die Ambivalenz durch einen drohenden Abbruch der Rede ist ebenfalls gegeben, denn der Irrtum kann jederzeit entdeckt werden. Unglücklicherweise ist K. zu müde, um das einmalige Angebot wahrzunehmen. Bürgel wundert sich: „‚Aber Sie sind so still, Herr Landvermesser.‘“ (S 406) Der will nur schlafen, er fordert auch den Sekretär dazu auf (vgl. S 407). Im Weiteren gibt Bürgel sich alle Mühe, den Komiker in K. zu wecken und zwar durch einen Appell an dessen soziale Reflexivität, was mit einer Reflexion der außerordentlichen Lage, in der sich beide befinden, zusammenfällt: „es ergeben sich dann doch wieder manchmal Gelegenheiten, die mit der Gesamtlage fast nicht übereinstimmen, Gelegenheiten bei welchen durch ein Wort, durch einen Blick, durch ein Zeichen des Vertrauens mehr erreicht werden kann, als durch lebenslange, auszehrende Bemühungen“ (S 410). In dem darauf folgenden Monolog häufen sich die rhetorischen Fragen. Dies ist nicht mehr der Verhör-Stil, das Schema von Frage und Antwort, das in vielen Dialogen des Romans vorherrscht. Es werden stattdessen die Übergänge von Potenzialitäten in Aktualitäten hervorgehoben. Bürgel springt für den indisponierten K. ein, er versucht es mit komischer Sinnverarbeitung und reflektiert zugleich diesen Rollenwechsel, es scheine „sich manchmal ein sonderbarer, ganz und gar unpassender Austausch der Personen zu vollziehen“ (S 412). Die Kampf-Positionen sind vertauscht, da das Schloss auf die andere, kommunikative Seite der Ambivalenz gewechselt ist und K. durch seine Schläfrigkeit den Fortlauf des Prozesses gefährdet. Zumindest, was sein Bewusstsein des komischen Vorgangs angeht, und in diesem Bewusstsein ist die Hochkomik des Roman-Konflikts verankert. In der Bürgel-Szene macht sich das Schloss das Ziel von K.s Kampf zu eigen, aufgrund dieser außergewöhnlichen Wendung erlebt der Herausforderer, auch ohne das „lästige Bewußtsein“ sozialer Modernität, im Traum einen „große[n] Sieg“ (S 415). Er hat die Vision eines nackten, mädchenhaft piepsenden Sekretärs: „Es war sehr komisch und K. lächelte darüber sanft im Schlaf“ (ebd.). Das Komisch-Werden des Schlosses, vertreten durch einen niedrigen Amtsrang, wird nur im Traum fassbar. Dies unterstreicht noch einmal die Transzendenz der Organisationsform des Sozialen im Verhältnis zum komischen Helden. Das Bild des entblößten Sekretärs und der feiernden <?page no="173"?> 169 „Gesellschaft“ (S 415), man achte hier auf die Zweitbedeutung, verflüchtigt sich, als K. erwacht. Im Vergleich zu anderen Deutungsansätzen als dem hier durchgeführten bestätigt sich die Bürgel-Szene als Höhepunkt einer insgesamt mehr episodischen als linearen Handlung. Anders als in den meisten Interpretationen ist der Unernst der Traumsequenz kein Irritationsmoment oder blindes Motiv, er erschließt vielmehr den sozialen Ernst der von K. durchweg verfochtenen Hochkomik. Im Laufe der komiktheoretischen Interpretation wurden Bedeutungen, vor allem die des Kampfes, festgeschrieben. Dennoch muss dies keine Vereindeutigung des Textes zur Folge haben. Während Ironiesignale oder die durchgängige Funktion der Gehilfen nicht-komische Lesarten des erzählten Geschehens dementieren, ist die These der Sinn-Gefechte auf Strukturen aufgebaut, die in sich mehrdeutig bleiben. Gegenüber den vielfältigen Interpretationen des Schloß-Romans stellt sie in diesem Sinne ein Parallelmodell dar. Gegenüber den bestehenden komischen Lektüren soll jedoch ein stärkerer Anspruch vertreten werden, gerade weil es möglich war, eine breitere Basis an Textbefunden unter einer einheitlichen Annahme zu verarbeiten. Der größte Gegensatz besteht wohl zu der Deutung Politzers, der Protagonist müsse zu einer komischen Sichtweise seines Kampfes, z.B. durch die Gehilfen, erst erzogen werden. 431 K.s Einsicht in die moderne Komik seiner Kommunikationen reißt die Kluft zu den Dorfleuten auf, das aktive Eintreten für jene sozialen Implikationen stellt ihn in Gegnerschaft zum Schloss. Dieser Doppelbezug konnte anhand der Dialogführung aufgezeigt werden, eine solche Analyse der zahlreichen, ausgedehnten Gespräche des Romans sieht entgegen der tendenziellen Stasis der Handlung die Dynamik von Kafkas Spätwerk und, nicht zuletzt, die Modernität einer kafkaesken Komik, die so nur Das Schloß praktiziert. 4.4 Thomas Bernhard 4.4.1 Forschungslage Der Titel „Krypto-Komiker“ wurde Thomas Bernhard Anfang der siebziger Jahre in einem Artikel des Satirikers Eckhard Henscheid verliehen, 432 Wendelin Schmidt-Dengler greift die Bezeichnung in einem neueren Beitrag wieder auf. Anders als bei Kafka sind unter Bernhards dramatischen, aber auch narrativen Texten solche der komischen Gattung durchaus vertreten. Der Titel der Erzählung „Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie“ wurde 431 Walter H. Sokel: Franz Kafka - Tragik und Ironie. Zur Struktur seiner Kunst. München u.a.: Langen Müller 1964, S. 488. 432 Vgl. Eckhard Henscheid: Der Krypto-Komiker. Wie der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard seine Bewunderer, seine Kritiker und wahrscheinlich sich selber an der Nase herumführt. In: Pardon (1973), H. 7, S. 21-23. <?page no="174"?> 170 zur Leitfrage jener Forscher, die erklären wollten, wie die als dominant geltende Negativität typischer Bernhard-Motive mit der unterschwellig wahrgenommenen Komik seiner Schreibweise vereinbar sei. In einer weiteren Parallele zur Kafka-Rezeption wurde häufig autorbezogen und somit in ideologischer Zielrichtung gefragt. Daneben lassen Bernhards komiktheoretische Äußerungen auch die Rekonstruktion einer komischen Poetik des Autors zu. 433 „Es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt.“ 434 Damit ist nach Ansicht der Interpreten vorgegeben, dass Bernhards Komik nur in einer existenziell-philosophischen Rückbindung verständlich wird. Es folgt daraus aber die aus der Behandlung Kafkas bekannte Schwierigkeit, das Phänomen begrifflich zu präzisieren und textanalytisch sichtbar zu machen, ohne die Eigenheiten des Autors in der Allgemeinheit komischer Formen zu vernachlässigen. Für das Gesamtwerk hat Schmidt- Dengler eine Formel gefunden, nach der die Offenheit der Gattungsfrage „Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie? “ das Prinzip einer textlich gesteuerten Rezeption pointiert: „Bernhards Texte sind sowohl von ihrer komischen Seite wie auch von ihrer tragischen Seite zu lesen; sie funktionieren nach dem Modell von Umspringbildern“ 435 . Bevor die komiktheoretische Positionierung dieser Aussagen analysiert wird, seien davon weiter entfernte Bestimmungen des versteckt Komischen bei Bernhard vorgestellt, ebenso wie Interpretationen einzelner Werke. Die Studie von Ruixiang Han nähert sich dem Thema über ein grundsätzlich plausibles Vorgehen: Sie identifiziert stilistische Merkmale und motivische Anordnungen, deren Nähe zum Komischen hergeleitet werden kann. Dies sind zum einen sprachlich-gedankliche Extreme, Bernhard als „Übertreibungskünstler“ 436 . Aus den Übertreibungen entstehen Diskrepanzen zwischen der behaupteten Extremqualität des gemeinten Gegenstandes und der abweichenden, da nicht derart extremen Ansicht des Lesers. Jener inkongruenztheoretisch formulierbare Zusammenhang wird von Han so allerdings nicht hergestellt, weil sie die philosophische Perspektive des Autors weitgehend getrennt von dessen literarischen Texten behandelt. 437 433 Vgl. Martin Huber: Rettich und Klavier. Zur Komik im Werk Thomas Bernhards. In: Komik in der österreichischen Literatur. Hg. von Wendelin Schmidt-Dengler u.a. (Philologische Studien und Quellen 142). Berlin: Schmidt 1996, S. 276. 434 Diese Formulierung stammt aus Bernhards Rede bei der Entgegennahme des Kleinen österreichischen Staatspreises 1967. Zit. nach Anneliese Botond (Hg.): Über Thomas Bernhard. (Edition Suhrkamp 401) Frankfurt/ M. 1970, S. 7. 435 Wendelin Schmidt-Dengler: Thomas Bernhard - ein „Kryptokomiker“? In: Thomas Bernhard. Hg. von Manfred Mittermayer. (Informationen zur Deutschdidaktik 29) Innsbruck: Studien-Verlag 2005, S. 62. 436 Vgl. Ders.: Der Übertreibungskünstler. Studien zu Thomas Bernhard. Wien: Sonderzahl 1986. 437 Vgl. Ruixiang Han: Der komische Aspekt in Bernhards Romanen. (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik/ Unterreihe Salzburger Beiträge 24) Stuttgart: Heinz 1995, S. 18f. <?page no="175"?> 171 Der zweite von ihr benannte Komplex ist die Theatralität. Auch dabei konzentriert sich die Untersuchung auf poetologische Aspekte. Man könnte Textmerkmale ergänzen: die monologische Stilisierung der Rede sowie Reduktion von Szenerie und Figuration, dazu motivische Anspielungen auf die Bühnensituation in der erzählenden Prosa. Komik erzeugt jene „theatralische Verfremdung“ 438 dadurch, „daß sie dem Dargestellten einen möglichst spielerischen Charakter zu geben vermag, welcher dann das Totale, das Absurde am Ganzen austariert, wobei das Komische nun von selbst zum Vorschein kommt“ 439 . Es wird hier dieselbe Argumentation geführt, die an Kafkas Prozeß den Spielcharakter der Komödie aufweist; sie bedient sich der Typologie einer komischen Gattung. 440 Der Gattungsbegriff der Tragikomödie wird von Schmidt-Dengler als unzutreffend abgelehnt. 441 Han dagegen hält ihn aufgrund der bloßen Verbindung der Komponenten für passend, zieht aber eine werkinterne Bezeichnung vor, „Komödientragödie“. Während Guthke die tragikomische Zusammensetzung auf Gleichzeitigkeit und wechselseitige Steigerung präzisiert, während Schmidt-Dengler das „Umkippbild“ skizziert, wird die Bezeichnung hier verkürzend erläutert als „gemischter weltanschaulicher Komplex von unterschiedlichen weltanschaulichen Perspektiven“ 442 zwischen Autor bzw. Erzähler und Hauptfigur. Über den komiktheoretischen Exkurs gelangt Han zuletzt zu einer bernhardschen Version komischer Inkongruenz: „Das Komische ergibt sich für ihn vor allem aus der auftauchenden Inkongruenz zwischen dem Verstand und der von ihm gesetzten Absolutheit, aus dem Widerspruch zwischen Normalität und Anormalität aus der Konfrontation zwischen Schein und Sein.“ 443 Die letzten beiden Diskrepanzen sind sehr allgemein gehalten, die erste müsste man umformen, um tatsächlich eine werkkonstitutive Konstellation in den Blick zu bekommen. Laut Jahraus ist die Konfrontation von Geistigkeit und Ungeist, figural die reflexive Auseinandersetzung des Geistesmenschen mit seiner Familie, seinem sozialen Umfeld, die organisierende semantische Opposition aller Bernhard-Texte. 444 Demnach liegt der Kon- 438 Ruixiang Han: Der komische Aspekt in Bernhards Romanen. (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik/ Unterreihe Salzburger Beiträge 24) Stuttgart: Heinz 1995, S. 25. 439 Ebd., S. 26. 440 Siehe dazu die Deutung von Goltschnigg in Abschnitt 4.3.1. 441 Vgl. Wendelin Schmidt-Dengler: Thomas Bernhard - ein „Kryptokomiker“? In: Thomas Bernhard. Hg. von Manfred Mittermayer. (Informationen zur Deutschdidaktik 29) Innsbruck: Studien-Verlag 2005, S. 62. 442 Ruixiang Han: Der komische Aspekt in Bernhards Romanen. (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik/ Unterreihe Salzburger Beiträge 24) Stuttgart: Heinz 1995, S. 39. 443 Ebd., S. 43. 444 Vgl. Oliver Jahraus: Das „monomanische Werk“. Eine strukturale Werkanalyse des Œuvres von Thomas Bernhard. (Münchener Studien zur literarischen Kultur in Deutschland 16) Frankfurt/ M. u.a.: Lang 1992, S. 99. <?page no="176"?> 172 trast nicht im „Verstand und der von ihm gesetzten Absolutheit“, sondern im Gegeneinander von absoluter Geistigkeit und ungeistiger (Um)Welt. Ferner wäre darzulegen, wodurch diese Grundsituation, die ebenso gut tragisch entwickelt werden kann, zum Komischen tendiert. Die Arbeit von Herwig Walitsch findet demgegenüber einen innovativen Weg, die Negativität des Werkes in den Begriff der Komik einzubinden. Sie verwendet dazu eine „Skalierung des Komischen“ nach James Feibleman, übersetzt als: „Freude, Göttliche Komödie, Laune (Stimmung), Ironie, Satire (sich lustig machen, Spott), Sarkasmus (beißender Spott), Witz und Hohn“ 445 . Die Skala reicht von der reinen Affirmation des „Belachten durch den Lachenden“ 446 über abgeschwächte, einschränkende Haltungen bis zur zunehmend starken Negation. Geeignet sei jene Abstufung, weil mit ihr „der Umschlag von Parteinahme zu Abstand beschrieben werden kann, den die Komik bei Bernhard im Rezipienten auslöst“ 447 . Es sind laut Walitsch in diesem Modell immer beide Pole mit zu denken, auf jeder Stufe in verschiedener Gewichtung. 448 Bernhards Texte zeichnen sich dadurch aus, dass sie das Verhältnis Affirmation - Negation dynamisieren, innerhalb einer relativ kurzen Spanne der Skala, so dass sie „ungefähr auf der Stufe der irony, wo das Gleichgewicht zwischen Zustimmung und Ablehnung noch gegeben sein dürfte, einsetzen und sich schrittweise die Skala abwärts bewegen, bis sie auf der Stufe des sarcasm anlangen“ 449 . Eine solche Differenzierung, die im Verlauf des Textes Bewegungen des Komischen wahrnimmt, wäre für die Analyse ein Gewinn, es dürfte lediglich schwer fallen, die Kriterien der Rezipientenhaltung zu objektivieren, zumal in dem anvisierten engen Spektrum. Dies könnte ein Grund dafür sein, dass Walitsch sein Modell bei der Untersuchung von Alte Meister und Die Macht der Gewohnheit kaum zur Anwendung bringt, es vielmehr durch einfacher handhabbare Kategorien wie „lächerlich“ - „belachbar“ oder „punktuell“ - „sequentiell“ substituiert. 450 Damit gehört er dennoch zu den Wenigen, die ihre begriffliche Arbeit am Text umsetzen. 451 445 Herwig Walitsch: Thomas Bernhard und das Komische. Versuch über den Komikbegriff Thomas Berhards anhand der Texte „Alte Meister“ und „Die Macht der Gewohnheit“. Erlangen: Palm und Enke 1992, S. 19. Vgl. James Feibleman: In Praise of Comedy. A Study in its Theory and Practice. New York: Russel & Russel 1962, S. 179f. 446 Ebd. 447 Ebd. 448 Vgl. ebd., S. 23. 449 Ebd. 450 Vgl. ebd., S. 79f. 451 Zur Anwendung von Bergsons Komiktheorie auf die Komödie Die Macht der Gewohnheit vgl. Martin Huber: Rettich und Klavier. Zur Komik im Werk Thomas Bernhards. In: Komik in der österreichischen Literatur. Hg. von Wendelin Schmidt-Dengler u.a. (Philologische Studien und Quellen 142). Berlin: Schmidt 1996, S. 284. Damit können jedoch eher komische Einlagen als der gesamte Text beschrieben werden. <?page no="177"?> 173 Notwendig wird ein Überblick, welche der Erzählungen, Romane und Dramen Bernhards bislang als komisch interpretiert worden sind und welche kategorialen Hilfsmittel dabei verwendet wurden. Innerhalb des Werkkorpus kommen vor allem zwei Gruppen von Texten in Frage: einmal jene, die durch Titel oder Gattungsbezeichnung die Relevanz des Komischen anzeigen, unter den Romanen Alte Meister; andererseits gerade jene, die thematisch besonders negativ auftreten, also augenscheinlich ungeeignet sind. Han beginnt ihren Interpretationsteil mit Frost. Die Relativierung des Pessimismus der Hauptfigur Strauch sei auf verschiedene Methoden der Komisierung zurückzuführen: die „der Übertreibung, der Zuspitzung, der Ironie, der Groteske oder der Exzentrik der Mittelpunktfigur“ 452 . Strauchs Bühnenmetaphorik, seine Selbstinszenierung als Schauspieler einer „Komödientragödie“ 453 , gibt Han zufolge den Fingerzeig für eine komische Rezeption. Mehr suggestiv als interpretatorisch versucht sie, die Schimpfreden des Malers entsprechend umzudeuten. Lediglich anhand der Beziehung Strauchs zur Wirtin gelingt es ihr, nachvollziehbar zu machen, dass die karikierende Zeichnung des Negativen, hier der Frauenfigur, die vorgetragene Weltsicht der Monologfigur komisiert. Den Rest der Überzeugungsarbeit müssen „Stilmittel“ leisten, groteske Metaphern, wie sie in den eingeschobenen Traum-Erzählungen vorkommen. 454 Auch die Analyse der Ironisierung des Monologs durch den vorgeschalteten Erzähler verliert sich in Einzelheiten. In der Deutung der Korrektur fügt Han den Mitteln ihrer Beschreibung nichts hinzu. Anstelle der Schilderung der Wirtin tritt im späteren Roman Roithamers Hass auf seine Mutter: Der Leser glaube zwar an „etwas Wahres in der absoluten Übertreibung“, entnehme dem aber zugleich, „daß man diese in ungeheurem Maß verzerrte Dimension von negativen Charakterzügen der Mutter nicht ganz ernst zu nehmen braucht“ 455 . Obwohl einzelne Darstellungsmodi wie Ironie und Groteske angeführt werden, dominiert eine Gedankenfigur: Die Übertreibung des Negativen bis ins Extrem müsse unweigerlich in das Gegenteil, in Komik umschlagen. An der veränderten Erzählstruktur von Holzfällen wird schließlich eine neue Phase der komischen Prosa Bernhards festgemacht. Die Erzählerfigur ist zugleich jene Monologfigur, die das Erzählte laufend kommentiert, wodurch die „subjektive[ ] Verzerrung“ 456 der Darstellung offener ausgestellt werde als beispielsweise in Frost oder der Korrektur. 452 Ruixiang Han: Der komische Aspekt in Bernhards Romanen. (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik/ Unterreihe Salzburger Beiträge 24) Stuttgart: Heinz 1995, S. 60. 453 Thomas Bernhard: Werke. Bd.1. Frost. Hg. von Martin Huber. Frankfurt/ M.: Suhrkamp 2003, S. 201. 454 Vgl. Ruixiang Han: Der komische Aspekt in Bernhards Romanen. (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik/ Unterreihe Salzburger Beiträge 24) Stuttgart: Heinz 1995, S. 73f. 455 Ebd., S. 104. 456 Ebd., S. 174. <?page no="178"?> 174 Walitsch sieht Alte Meister durch die „Technik von Proposition und Zurücknahme“ strukturiert, die auch Komik und Nicht-Komik einander zuordnet: „So wie fast jeder Satz in den ‚Alten Meistern‘ früher oder später seine eigene Zurücknahme findet, so stößt auch jede traurige Geste des Texts früher oder später auf eine komische Wendung beziehungsweise umgekehrt.“ 457 Nach Walitschs Analyse geht aus den dadurch rekursiv entstehenden Widersprüchen die sequenzielle Komik des Romans hervor, 458 wohingegen die punktuelle Komik der Tiraden Regers nicht auf dessen anti-komische Aussagen angewiesen ist, aber gemäß der Skala Feiblemans unterschiedlich gelagerte Haltungen der Zustimmung und Ablehnung produziert. 459 Diese Differenzierung ergibt zwei verschiedene Befunde hinsichtlich Zeitlichkeit und Ambivalenz: Im ersten Fall ist der komische Effekt ebenso sequenziell wie die ambivalente Wertung durch Proposition und Zurücknahme, im zweiten entspricht die Gleichzeitigkeit der ambivalenten Rezeption dem punktuellen Modus der textuellen Komik. Die bereits zitierte Formel Schmidt-Denglers, das „Umkippbild“, setzt textlich eine Simultanität der komischen und tragischen Perspektive voraus, deutet aber eine rezeptive Zwischenzeitlichkeit an. Der Wechsel zwischen Tragödie und Komödie geht weder in der Folge noch im Zusammenfall der Momente auf. Demgegenüber kann sich die hier verarbeitete Komiktheorie positionieren. Sie verzichtet zwar auf die Unterscheidung von Text und Rezeption, sieht das Komische aber immer durch eine ambivalente Gleichzeitigkeit konstituiert. In der Anwendung auf Bernhards narrative Texte muss jene Figur nicht nur mit der Erzählweise vermittelt werden. Zur Entlarvung des Kryptokomikers soll vor jeder Einzelinterpretation geprüft werden, inwieweit die von der Forschung definierten Werkkonstanten das Modern-Komische präfigurieren. 4.4.2 Suizidale Autopoiesis - Alte Meister Die in der Frage nach der Werkstruktur maßgebliche Studie von Jahraus stellt alle Konstanten unter das Prinzip der Wiederholung. Auch der für die Erzählsituation geprägte Begriff der „Mediatisierung“ wird dem subsumiert: Die Rede des Haupterzählers ist immer ein wiederholendes Reden über die (Rede der) Hauptfigur oder eine weitere „fokussierte“ Figur, unabhängig davon, ob Hauptfigur und Haupterzähler identisch sind. 460 Für 457 Herwig Walitsch: Thomas Bernhard und das Komische. Versuch über den Komikbegriff Thomas Berhards anhand der Texte „Alte Meister“ und „Die Macht der Gewohnheit“. Erlangen: Palm und Enke 1992, S. 78. 458 Vgl. ebd., S. 99. 459 Vgl. ebd., S. 94. 460 Vgl. Oliver Jahraus: Das ‚monomanische Werk‘. Eine strukturale Werkanalyse des Œuvres von Thomas Bernhard. (Münchener Studien zur literarischen Kultur in Deutschland 16) Frankfurt/ M. u.a.: Lang 1992, S. 65. <?page no="179"?> 175 die komiktheoretische Interpretation wird es notwendig sein, den Status des jeweiligen Monologs zu klären: Ist der Sprecher selbst der Erzähler oder eine durch ihn mediatisierte Figur? Bei der Betrachtung der Wiederholungen konzentriert sich die folgende Deutung textintern auf die Monologe, vorab ist jedoch festzuhalten, dass außerdem „die Rede des medialen Vermittlers immer nur durch einen wiederholenden Rückbezug möglich ist und zustandekommt“ 461 . Sie verläuft also als Rede aus Rede und verdankt sich folglich der Rekursivität. Damit hat man das komiktheoretisch entscheidende Kennzeichen des bernhardschen Werks zu fassen bekommen. Wo Kafkas Schloß Sinn, den basalen Ablauf auch des Sozialen, in der Einheit der Differenz Potenzialität - Aktualität reflektiert, führen Bernhards Texte den Sinnprozess als Autopoiesis vor und verweisen damit zugleich auf eine Organisationsform sozialer Systeme. Autopoiesis besagt theoretisch grundlegend, dass die prozessierten Einheiten durch Rückbezug auf zuvor prozessierte Einheiten hervorgebracht werden. 462 Dabei sind „Einheiten“ keine Elemente, sondern ebenfalls Prozesse. Dieser Vorgang ist, abgesehen von der mit Jahraus benannten Variante der Mediatisierung, an den Einzeltexten nur durch vertiefte Analysen zu beobachten. So könnte man die „Technik von Proposition und Zurücknahme“, wie Walitsch sie für Alte Meister überzeugend darlegt, zu einer argumentativen Rekursivität umwidmen. In der sozialreflexiven Komik-Formel steckt daneben eine Möglichkeit, das Komische durch eine sinnliche Analogie der Rekursivität wahrzunehmen. Diese Funktion übernimmt in Bernhards Werk die Wiederholung des sprachlichen Ausdrucks, gewissermaßen eine rhetorische Autopoiesis. Wiederkehrende Wörter und Wendungen, parallele Syntagmen lenken demnach die Aufmerksamkeit auf die reflektierte Verfasstheit des Gesellschaftlichen. In diese Bedeutung kann die Wiederholung jedoch nur durch eine vollständige Beachtung der Komik-Formel treten. Das autopoietische Sprechen der Monologfiguren verhält sich zum Sozialen affirmativ, es betreibt sinnlich akzentuiert die Reproduktion von Sinn und Kommunikation. Jahraus’ Bezeichnung „Perpetuierung der Rede“ 463 für die monologische Form verwandelt sich sozialtheoretisch in den geschlossenen, fortdauernden und so nicht zu unterbrechenden Kreislauf des Sinns bzw. der systemischen Kommunikation. Dem muss aber, gemäß der Ambivalenz- Figur, eine zweite Bewegung zuwiderlaufen. Sie führt zur theoretisch paradoxen Formulierung „suizidale Autopoiesis“. Paradox deshalb, weil das 461 Oliver Jahraus: Das „monomanische Werk“. Eine strukturale Werkanalyse des Œuvres von Thomas Bernhard. (Münchener Studien zur literarischen Kultur in Deutschland 16) Frankfurt/ M. u.a.: Lang 1992, S. 89. 462 Zu diesem Theorie-Baustein siehe 3.2.3. 463 Oliver Jahraus: Das „monomanische Werk“. Eine strukturale Werkanalyse des Œuvres von Thomas Bernhard. (Münchener Studien zur literarischen Kultur in Deutschland 16) Frankfurt/ M. u.a.: Lang 1992, S. 97. <?page no="180"?> 176 Organisationsprinzip der Gesellschaft nicht personal-existenziell gedacht werden kann. Im konkreten Hinblick auf Bernhards Erzählprosa sind die Sprecher der Monologe jedoch vielfach selbstmordgefährdete Figuren. Ihre sich selbst perpetuierende Rede, die textlich enden muss, wird daher durch Interpretation eine abbruchreife, auslaufende Rede. Daraus folgt keineswegs, dass die bernhardschen Monologe durchgehend und zu jedem Zeitpunkt hochkomisch sind. Aufgrund der geforderten Simultanität der sozialen und anti-sozialen Tendenz müssen vielmehr die genannten Faktoren im Text zeitlich zusammengeführt werden. Die Konstellation moderner Komik baut sich sukzessive auf, sie bestimmt die Dramaturgie der damit beschreibbaren Romane und Erzählungen. Zwei Grundbedingungen sind dabei von besonderer Bedeutung. Auf der kommunikativen Seite der Ambivalenz steigern sich die Schimpfreden der Sprecherfigur in eine stilistisch transportierte Autopoiesis hinein, zu einer sinnlich wahrnehmbaren Dichte der Wiederholungen. Hinzu kommt die nur durch Deutung erschließbare Perpetuierung. Andererseits wird, vorrangig durch das Suizid-Motiv, der Fortgang des autopoietischen Prozesses zweifelhaft. Im Laufe des Textes kann dieser prekäre Status des Monologs zusätzlich durch Mediatisierung, genauer durch die Markierung eines von der Hauptfigur verschiedenen Erzählers komisch aufgefangenen werden: Der Erzähler macht sich als der geltend, der im Rückbezug auf die Rede der Hauptfigur den Fortgang der Autopoiesis garantiert. Nachdem somit die Logik der modernen Hochkomik im Werk Thomas Bernhards umrissen wurde, soll ihre Realisierung anhand des als „Komödie“ untertitelten Romans Alte Meister nachvollzogen werden. Was schon an Kafkas Schloß und an Leonce und Lena auffällig wurde, macht sich auch hier bemerkbar: Oberhalb der interpretativ zugänglichen literarischen Komik der Moderne zieht sich eine karnevaleske Linie durch den Text. Sie ist dazu da, den sozialreflexiven Deutungshorizont zu eröffnen. Die Ranggesellschaft der Vormoderne zu subvertieren, ist eine Narrenarbeit, die keiner Feudalordnung bedarf. Der Roman Alte Meister etabliert ein solches Abstraktionsniveau, indem er die Relation der ungleichen Schichten von den sozialen Gruppierungen auf die Hierarchie der Künstler und Kunstwerke umschreibt. In seinen ausgedehnten, unmittelbar aufeinander folgenden Beschimpfungen Stifters und Heideggers begeht Reger nicht nur eine Transgression, er invertiert die Position dieser beiden alten Meister, indem er sie vom höchsten auf den niedrigsten Rang der Philosophie bzw. Literatur herunterredet (vgl. AM 72ff. und AM 87ff.). 464 Die im Kunsthistorischen Museum Wiens gesammelte Malerei ist als „[k]atholische Staatskunst“ (AM 61) mit den traditionell höchsten Instanzen der österreichischen Gesellschaft untrennbar verbunden. Seine Reflexivität 464 Thomas Bernhard: Alte Meister. Komödie. Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1985. Zitiert wird im Folgenden nach dieser Ausgabe unter der Sigle AM. <?page no="181"?> 177 beweist Bernhards Text dadurch, dass er beschreibt, wie soziale Kommunikation ihre Anschlüsse mittels künstlerischer Hierarchien generiert. Regers Eltern haben „bei jeder Gelegenheit gesagt“ bzw. „ausgeplaudert“ (AM 97), dass sie sowohl mit Stifter als auch mit Heidegger als auch mit Bruckner verwandt sind: „Die Eltern haben diese Tatsache oft ausgespielt und natürlich ihre Vorteile daraus gezogen.“ (AM 98) Einerseits distanziert sich der Sohn, Reger, von solcher vormodernen Konformität, andererseits ist er mit seinen Affekten, Gedanken und Kommunikationen ebenfalls in der stratifikatorischen Organisation gefangen: „Das ist ja das Fürchterliche, sagte er gestern, daß ich diese Alten Meister als zutiefst widerwärtig empfinde und sie doch immer wieder studiere.“ (AM 67) Seine Abneigung gegen die Gemälde des Museums erklärt sich daraus, dass diese schon in der künstlerischen Produktion hierarchisch kommuniziert wurden: „Diese Leute malten doch nur um ihr Überleben und um Geld und um in den Himmel zu kommen und nicht in die Hölle“ (AM 66). Trotz seiner Narren- Rolle verbleibt Reger in der Ordnung, die er subvertiert. Seine rangverkehrenden Schmähungen der Künstler und Denker sind nahezu Zwangshandlungen. Abgesehen davon hält er selbst an der Geistigkeit als dem absolut höchsten Wert fest. Anders als im Schloß ist die Hochkomik des Romans demnach nicht an das modern-progressive Bewusstsein der Hauptfigur gebunden, sie ereignet sich vielmehr in der Perfomativität des Textes insgesamt, was noch deutlich werden soll. Auch wenn Reger dies nicht gelingt, kann doch die Interpretation das Karnevaleske hinter sich lassen und sich der Moderne in Form suizidaler Autopoiesis zuwenden. Durch ein zentrales Motiv wird jene Konstellation schon zu Beginn der Erzählung anzitiert. Gemeint ist Regers Gewohnheit, abwechselnd das Kunsthistorische Museum und das Ambassador aufzusuchen. „Allein diese Gewohnheit hat mich nach dem Tod meiner Frau gerettet. Mein lieber Atzbacher, ohne diese Gewohnheit wäre ich auch schon gestorben, sagte Reger gestern.“ (AM 26) Obwohl das Wort „Gewohnheit“ mehrfach wiederholt wird und Reger die lebensmüde Verfassung nach dem Tod seiner Frau anspricht, handelt es sich in der Passage dennoch noch nicht um Hochkomik. Hauptsächlich deshalb, weil mit dem Motiv der Gewohnheit Autopoiesis lediglich annähernd thematisiert, nicht aber performativ eingelöst wird: Reger verbringt seine Zeit so, wie er es schon zuvor wieder und wieder getan hat (Rekursivität). Noch vor Regers monologischen Attacken auf Heidegger und Stifter beginnt der Erzähler Atzbacher eine Tirade gegen die staatliche Bildung und Erziehung. Er demonstriert dabei eine Dynamik, der auch die Auslassungen Regers durchweg folgen: Atzbacher redet sich in einen autopoietischen Furor hinein. Die argumentativen, syntaktischen und lexikalischen Rückbezüglichkeiten nehmen merklich zu, wenn er über die „Staatskinder“ räsonniert und dabei mehrmals in kurzen Abständen bekräftigt „das ist die <?page no="182"?> 178 Wahrheit“ (AM 56). Dabei wird die hörbare Wiederholung allerdings erst durch den thematisierten sozialen Prozess der Reproduktion des Staates der Autopoiesis ähnlich: „Der Staat gebiert seine Kinder in den Staat, das ist die Wahrheit, der Staat gebiert seine Staatskinder in den Staat und lässt sie nicht mehr aus.“ (AM 57) Das Staatliche zeugt sich fort, bringt wieder Staatliches hervor. Dennoch bleiben Atzbachers Reflexionen unkomisch, da ihnen die andere Dimension der Gefährdung fehlt. Alte Meister nimmt mehrere Anläufe zum Modern-Komischen, verwirklicht es aber nur phasenweise in den Monologen Regers. Der gesamte Text ist darauf angelegt, die Rahmenbedingungen für diese Phasen zu schaffen. Dazu zählen alle Hinweise auf eine Perpetuierung der Rede über die erzählte Zeit hinaus. Die Gewohnheit der kunstkritischen Ansprachen Regers an Atzbacher muss als Gewohnheit inszeniert werden. Dies geschieht zum Beispiel, wenn Atzbacher anmerkt, Reger bezeichne den Saaldiener Irrsigler „seit Jahrzehnten als einen Staatstoten, der seit fünfunddreißig Jahren im Kunsthistorischen Museum Dienst macht“, wobei Reger selbst „seit über sechsunddreißig Jahren das Kunsthistorische Museum aufsucht“ (AM 10). Wie lange Atzbacher schon der Angeredete ist, wird nicht genau nachgezählt, er hat aber in dieser Rolle die verstorbene Frau Regers lediglich abgelöst, so dass man davon ausgehen kann, dass Ablauf und Rhetorik seit über dreißig Jahren gleich geblieben sind. Die übermäßig lange Dauer der Gewohnheit kann die zeitliche Unbegrenztheit der sozialen Autopoiesis nicht abbilden, aber doch nahelegen. Existenziell abgewandelt taucht sie außerdem in Regers Gedanken an die Liebe zu seiner Frau auf, von der er vor ihrem Tod geglaubt hat, sie lebe mit dem Wissen, das er ihr all die Jahre redend vermittelt hat, „in die Unendlichkeit hinein als Unendlichkeit“ (AM 29), sie sollte aus dem Wissen Regers, das er ihr kommuniziert hat, ewig weiter existieren, so die Liebesphantasie. Wenn aufgrund der Ambivalenz des Komischen die Gefährdung der Gewohnheit und damit der wiederholenden Rede gegeben sein muss, dann liegt der offensichtlichste Fall, was die erzählte Zeit betrifft, in der Vergangenheit. Durch den Tod der Frau, seiner Gesprächs- und Denkpartnerin, gerät Reger an einen toten Punkt, mit den Besuchen im Museum und im Ambassador gibt er beinahe auch sein Leben auf. Allerdings erholt er sich wieder, so dass Atzbacher in der Erzählgegenwart feststellen kann: „Regers Verfassung scheint sich gebessert zu haben. Seine Sprechweise ist wieder die gleiche wie vor dem Tod seiner Frau.“ (AM 27) Ist das Komische also schon passé? Dies muss aus mehreren Gründen verneint werden. Zum einen war der tote Punkt unkommunikativ und daher zu einseitig für die ambivalente Hochkomik. Zum anderen realisiert sich die Gleichzeitigkeit der theoretischen Figur nicht in der erzählten, sondern in der Erzählzeit. Es kommt also nicht darauf an, wann Reger sterben wollte, sondern wann er innerhalb Atzbachers Erzählung darauf zurückkommt. Drittens schließlich <?page no="183"?> 179 gibt es in den wiedergegebenen Sätzen Regers auch Anklänge an einen drohenden Abbruch nach seiner Genesung: „Jahrelang, sagte er, habe ich nur in und durch diese Vergrausungsmethode existieren können. Jetzt weiß ich aber, daß ich nicht total lesen und daß ich nicht total hören und nicht total betrachten und anschauen darf, will ich weiter leben.“ (AM 69) Auch den Glauben an die „höchste Kunst“ (AM 79) erklärt der Kritiker zur Existenznotwendigkeit, ohne den man „zugrunde gehe[ ] unweigerlich“ (ebd.). Obgleich Reger hier in der Wir-Form spricht, formuliert er doch seinen ureigenen Konflikt, trotz der Neigung zur „Vergrausungsmethode“ den Gipfel der Kunst weiterhin für möglich zu halten, um nicht tödlich zu verzweifeln. Um dieses Dilemma und seine Widersprüchlichkeiten - einerseits geben die Fehler der Meisterwerke endlos Anlass zur autopoietischen Kritik, andererseits unterhöhlen sie den lebenserhaltenden Kunstglauben - kreisen Regers Ausführungen fortwährend. Es ist die treibende Kraft der Monologe und daher über weite Strecken das textbildende Prinzip. Überdies verdichten sich die gemalten Alten Meister zum komischen Leitmotiv: Sie sind ambivalent, weil sie laufend Sinn aus Sinn und Kommunikation aus Kommunikation hervorbringen, aber zugleich auch den personalen Träger dieses Prozesses existenziell angreifen. Dennoch ist Subversion als unverzichtbarer Teil der Hochkomik in Bernhards Roman nicht ausschließlich suizidal. Dafür sorgt ein Moment der Handlung, das die Erzählung rahmt, obwohl es nicht unmittelbar zu Beginn auftaucht. Nach einigem Vorlauf kommt Atzbacher darauf zu sprechen, dass Reger ihn heute den zweiten Tag hintereinander ins Kunsthistorische Museum bestellt hat, was er zuvor für schlichtweg „ausgeschlossen“ (AM 23) hielt. Angesichts der Bedeutung der Gewohnheit für die sozialpsychische Autopoiesis erzeugt die einmalige Ausnahme von der jahrzehntelangen Regel eine komisch relevante Spannung. Wird der Grund, aus dem Reger diese Verabredung getroffen hat, dem rekursiven Anschließen ein Ende bereiten? Im letzten Abschnitt des Romans greift Reger selbst die komikkonstitutive Frage, das abweichende „heute“ gegenüber dem gewohnheitsmäßigen „gestern“, auf: „Sie werden sich fragen, warum ich Sie für heute schon wieder hierher beordert habe, Sie gebeten habe, heute schon wieder hierher zu kommen. Es hat seinen Grund. Aber diesen Grund sage ich Ihnen erst später.“ (AM 184) In der repetitiven Sprechweise folgt Reger seinem komisch-kommunikativen Zug, gleichzeitig lässt er durchblicken, wie schwer ihm die Eröffnung des Grundes fällt. Will er die Zusammenkünfte mit Atzbacher für alle Zukunft absagen? Des Rätsels Lösung als Pointe setzt der Text ganz zuletzt: Reger hat zwei Karten für den Zerbrochnen Krug im Burgtheater und bittet Atzbacher, ihn zu begleiten. Für den Fortlauf der Kommunikation bedeutet dies zunächst eine Gefahr, denn „der Zerbrochene Krug ist das beste deutsche Lustspiel und das Burgtheater ist dazu auch noch die erste Bühne der <?page no="184"?> 180 Welt“ (AM 310). Die Aufführung könnte so perfekt sein, dass es für den Fehlersucher Reger nichts darüber zu sagen gäbe. Seine komische Existenzbalance geriete ins Wanken. Doch besteht Hoffnung, da Reger „nichts mehr“ (AM 309) hasst als das Burgtheater und die dramatische Kunst. Atzbachers Schlusssatz lässt kaum Zweifel an der Perpetuierung der hochkomischen Rede: „Die Vorstellung war entsetzlich.“ (AM 311) Mit dem letzten Satz offenbart sich der Roman gemäß seinem Untertitel als moderne „Komödie“ in Prosa. Die Entsetzlichkeit der Vorstellung, die bewährte Konstellation Reger - Atzbacher gewähren die Möglichkeit einer neuen autopoietischen Gewohnheit, statt Alte Meister im Kunsthistorischen Museum „entsetzliche“ Dramenaufführungen im Burgtheater. Darin, dass dies nicht erzählt, sondern im Modus der Interpretation angedeutet wird, erweist sich die Modernität der bernhardschen Hochkomik besonders nachdrücklich. Sie wird weiterhin, so kann man im Rahmen der praktizierten komiktheoretischen Deutungen sagen, intertextuell transportiert, durch eine Anspielung auf das kleistsche Lustspiel, dem es ebenfalls auf paradigmatische Weise gelingt, modern komisch zu sein. Trotz solcher interpretativen Demaskierung der Kryptokomik sind die Strukturen des Textes noch nicht vollständig aufgeschlüsselt. Neben den Höhepunkten der kritischen Suada ist strukturell das zentrale Figurendreieck Atzbacher - Reger - Irrsigler hervorzuheben. Offensichtlich sind der Gesprächsfreund und der Saaldiener beide für die Aufrechterhaltung der Gewohnheit vonnöten, doch haben sie auch eine darüber hinausgehende, nur theoretisch erfassbare Funktion. Der einfache burgenländische Bedienstete Irrsigler hat sich durch den Umgang mit dem gelehrten Reger verändert, er hat nicht nur dessen Affekte übernommen - „Reger haßt Reni, also haßt auch Irrsigler Reni“ (AM 15) - , sondern obendrein dessen Stil, er hat „schon eine sehr hohe Meisterschaft im Aneignen der Regerschen Sätze erreicht, er spricht sie auch schon beinahe perfekt in dem charakteristischen Regerton“ (AM 16). Dies heißt nichts anderes, als dass im Falle von Regers Ende Irrsigler dessen Rolle übernehmen kann. Irrsigler garantiert nicht nur die Bedingungen für Regers Gedanken- und Redeabläufe, in seiner Eigenschaft als Wächter der „Bordone-Saal-Sitzbank“, die komische Würde der Figur geht so weit, dass man sie als legitimen Nachfolger oder zumindest Ersatzmann interpretieren kann. Mit Atzbacher hat es noch eine eigene Bewandtnis. Als Figur ist er der notwendige Adressat der Monologe, der künstlichsten Sprechsituation überhaupt, die aber die komische Ambivalenz erst ermöglicht. Der Ich- Erzähler Atzbacher schreibt die Geschichte des außergewöhnlichen Tages wie auch die gewohnten Reden Regers auf, er produziert den Text Alte Meister, durch den die monologische Komik wahrnehmbar wird. Diese höchste Aufgabe wird ihm durch Regers Anrede „[m]ein lieber Atzbacher“ (AM 27) symbolisch übertragen, vorher fällt der Name des Ich-Erzählers <?page no="185"?> 181 nicht, ebenso wenig die mediatisierende Formel „schreibt Atzbacher“. Die Situation der schreibenden Erzählerfigur wird im letzten Drittel des Romans von Reger thematisiert: „Sie leiden wahrscheinlich an Veröffentlichungsangst, [...] ein Herausgabetrauma ist daran schuld, daß Sie nichts veröffentlichen.“ (AM 191) In einer selbstbezüglichen Ironie ist der Roman, den wir lesen, beinahe identisch mit der veröffentlichten Schrift Atzbachers, wenn nicht, eben durch das „schreibt Atzbacher“, eine noch höhere Erzählinstanz vorhanden wäre. Dennoch nimmt der Gesprächsfreund die Reger-Rolle auf einer anderen Ebene fiktionaler Performanz wahr als Irrsigler. Dies gilt auch für seine zu Beginn gehaltene Staatsbeschimpfung im Reger-Stil. Theoretisch kann man die Komplexität der Erzählsituation außerdem so lesen, dass jenes hochkomische, moderne Bewusstsein, das der Gesamttext Alte Meister bezeugt, nicht figural konkretisierbar ist, an eine anonyme Instanz rückverwiesen werden muss. Wo Kafkas Schloß die Transzendenz der Organisationsform des Sozialen zu verstehen gibt, baut Bernhard hiermit das erhöhte Abstraktionsniveau als Kennzeichen der komischen Moderne in die Erzählstruktur ein. Motivisch wird Ambivalenz in der Hassliebe Regers zur Kunst konkret, was auf den erläuterten Kern der theoretischen Komik verweist. In der Figurenkonstellation wird sie durch die Verteilung der widerstreitenden Affekte scheinbar aufgelöst. Während er Irrsigler und Atzbacher ausdrücklich Zuneigung entgegenbringt, was dem positiven Vorzeichen ihrer funktionalen Bedeutung für die Autopoiesis entspricht, führt Regers eigene suizidale Gradwanderung die Gegenbewegung aus. Die Einheit der Ambivalenz wird aber nicht nur durch die Alten Meister wiederhergestellt, sondern parallel dazu in Regers Verhältnis zu seiner Frau: Zwar hat er sie uneingeschränkt geliebt (vgl. AM 248f.), doch offenbart sich mit ihrem Tod, dass dieser Liebe die soziale Ambivalenz immer schon inhärent war: So wie sie ihn als den autopoietisch Sprechenden erhalten hat, war er doch aufgrund dieser Abhängigkeit durch ihr Weiterleben gefährdet. Ebenso werden die resultierenden Selbstmordgedanken von einer Gegenbewegung eingeholt: „Ich will es nicht wahrhaben, aber ich lebe mit einer noch größeren Intensität als vor ihrem Tod.“ (AM 28) Sieht man auf Atzbacher und Irrsigler, so scheint die Liebe auf der sozialen Seite der Zweiwertigkeit zu stehen. Durch die Figur der Frau wird jedoch jenes nicht-ambivalente Gefühl der doppelgesichtigen und darin komischen Beziehung Regers zu den Meister-Gemälden strukturell angeglichen. Untersuchenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Binnenerzählung Regers über den „Engländer aus Wales“, der sich eines Tages auf der für ihn so wichtigen Sitzbank des Bordone-Saals niederlässt. Dem geht eine der Monolog-Passagen des Romans vorweg, auf die der konzipierte Komik-Begriff unmittelbar anwendbar ist, da zu diesem Zeitpunkt der Erzählung alle Bedingungen des Komischen als solche bereits eingeführt sind, <?page no="186"?> 182 nicht zuletzt die soeben analysierte Figurenkonstellation. Reger macht die Autopoiesis des Bewusstseins zum Thema: Er braucht die Sitzbank, um in seinem rekursiv-repetitiven Stil, „so, wie ich zu denken habe“ (AM 142), denken zu können, was wiederum die Voraussetzung seiner Sprechweise, seiner Art des Kommunizierens ist. Er „breche ja das Denken niemals ab, so Reger, wie Sie wissen, denke ich die ganze Zeit“ (AM 142). Mit jenem ununterbrochenen Fortgang wird ein Definitionsinhalt der Autopoiesis nicht nur des Bewusstseins hervorgekehrt. Als Wahrnehmungssignal jenes Prozesses dient die Wiederholung der an sich auffälligen Wortbildung „Bordone-Saal-Sitzbank“. In denselben Abschnitten bekräftigt Reger gegenläufig die existenzielle Notwendigkeit des Denkens - „ich denke, also lebe ich, ich lebe, also denke ich“ (AM 143) - sowie die Tatsache, dass ihm dieses lebenserhaltende Denken nur möglich ist, wenn er die Gewohnheit einhält, sich jeden zweiten Tag auf die Bordone-Saal-Sitzbank zu setzen, und nicht etwa täglich, denn „damit würde ich mir alles das zerstören, das mir etwas wert ist“ (AM 143), sprich das autopoietische Denken. Auf diese Weise wird jene suizidale Tendenz aktualisiert, ohne die der Text nicht komisch wäre. Zumal, wenn man „das Zerstörerische“ (ebd.) zweier aufeinanderfolgender Tage im Museum auf die Situation der Erzählgegenwart überträgt, die irreguläre Verabredung mit Atzbacher. Der Engländer auf der Bordone-Saal-Sitzbank, von dem Reger anschließend erzählt, stellt eine einmalige Ausnahme der Gewohnheit dar und wiederholt damit das Muster der gesamten Erzählung. Zwar verweist die Geschichte auf die komisierende Funktion des Motivs, ist aber selbst nicht komisch, da zum Erzählzeitpunkt klar ist, dass der Zwischenfall an dem über dreißig Jahre ungestörten Ritual nichts hat ändern können. In diesem Teil des Romans werden die Faktoren des Komischen in Alte Meister lediglich anzitiert, nicht aber vollzogen. So hat Reger damals, nach eigener Aussage, „lange Zeit auf den Engländer eingeredet“ (AM 144), um diesem die Unverzichtbarkeit des Bank-Platzes zu erklären, mutmaßlich also genau jene Art von Rede gehalten, die im zuvor analysierten Monologteil als Hochkomik praktiziert worden ist. Im weiteren Verlauf des Engländer- Erlebnisses findet eine abwandelnde Wiederholung der Haupthandlung statt: Der Mann aus Wales gibt Reger nicht nur Anlass zu reden, sondern auch genug zu denken, was mit der Formel „dachte ich, so Reger“ (vgl. Am 146f.) herausgestrichen wird. Allerdings ist der treibende Affekt diesmal nicht ambivalent, wie die Hassliebe zu den Alten Meistern, sondern einfach und positiv. Der Engländer aus Wales ist Reger „absolut sympathisch“ (AM 149). Diese Faszination (vgl. ebd.) bewirkt, dass der Kritiker aus seiner Rolle herausfällt. Auf die Frage des Engländers, weshalb er ausgerechnet in diesem Saal, auf dieser unbequemen Sitzbank so lange ausharrt, reagiert Reger „vollkommen verblüfft“ (AM 148), er beschränkt sich auf eine kurze Antwort, die keine Ähnlichkeit mit den von Atzbacher so benannten „Re- <?page no="187"?> 183 gerschen Sätzen“ hat: „Ja, sagte ich, ich weiß es selbst nicht, was ich hier suche“ (AM 148). Auf der Ebene der Handlung wird er zum Zuhörer des Engländers, auf der Erzählebene gleicht er sich der Erzähler-Figur Atzbacher an, „sagte der Engländer, sagte Reger“ (AM 158). Obwohl der sympathische Fremde den „Weißbärtigen Mann“ beinahe so oft wiederholt wie Reger gegenüber Atzbacher die „Bordone-Saal-Sitzbank“, stellt sich keine Komik ein, da die anti-soziale Hälfte der Ambivalenz-Figur fehlt und Autopoiesis allein nicht genügt. Erstens bringt die Obsession des Engländers, der Zweifel über Fälschung und Original, keine Selbstmordgedanken mit sich, zweitens und wichtiger noch findet sein Bericht über das betreffende Bild auf einer sekundären Ebene zu Regers komischer Erzählrede statt. Von daher ist die Begebenheit um den sympathischen Eindringling die Fälschung zur originalen Hochkomik des Rahmens. Dem Schloß und zuvor den beiden Dramen wurde über die Komik- Formel eine Reflexivität zugeschrieben, die sich auf die moderne Organisationsform des Sozialen bezieht. Alte Meister scheint darüber hinaus seine komische Modernität über eine Reflexion der Hochkomik zu steigern. Dabei ist Wiederholung nicht nur als performativer Verweis auf Autopoiesis an der Bildung des Komischen beteiligt. Durch Variation und Ausschluss markiert der Komödien-Roman jene Merkmale, aus denen sich die theoretische Figur zusammensetzt: Performanz statt Thematisierung, Gleichzeitigkeit statt Abfolge, Ambivalenz statt eines eindeutig positiven oder negativen Verhältnisses. Was wie eine Paradoxie erscheint, liefert unter der Prämisse der Theorie genaue textliche Unterscheidungen, die das gesetzte Modell reflektieren und daher stützen. Bei Bernhard werden Figurationen und Motive genau so modifiziert, Erzählebenen genau so angeordnet, dass nur das erzählte Sprechen Regers zeitweilig komisch ist. 4.5 Komik und Avantgarde In den Interpretationen der Einzelwerke von Kleist, Büchner, Kafka und Bernhard sind die Paradigmen literarischer Hochkomik in der Moderne durchgespielt worden. Ambivalenz gegenüber dem Prozess Gesellschaft und seiner speziell modernen Organisationsform stellt sich darin auf verschiedene Weise her: Nur bei Kleist geht es um einen komischen Umgang mit dem Prinzip der Teilsysteme, die übrigen Texte komisieren die noch grundlegenderen sozialen Abläufe Kommunikation und Sinn. Alle drei Aspekte sind erneut von Bedeutung für die Frage, inwiefern avantgardistische Literatur sowie Kunst des 20. Jahrhunderts als komisch verstanden werden kann, und zwar wiederum mittels der nun schon erprobten Formel. Dies führt einerseits dazu, dass die existierenden Begriffe und Vorstellungen unter jenem neuen Blickpunkt überdacht werden. <?page no="188"?> 184 Gibt es eine alternative theoretische Auffassung des absurden Theaters, wie Beckett es beispielhaft geformt hat? Wie wandelt die Nonsens-Lyrik Motive und Textfiguren ab, aus denen Büchner in der dramatischen, Bernhard in der epischen Gattung komische Funken geschlagen hat? Muss man den genannten Paradigmen die von Arno Schmidt exemplarisch vertretene Werk-Komik anfügen? Kann man konzeptuell begründen, weshalb die Genre-Komik der filmischen Parodie so gut funktioniert und dabei avantgardistische Züge annehmen kann? Sind Werke, die soziale Tabus und die Regeln des Kunst-Systems brechen, deshalb schon komisch? Andererseits werden in diesen Fragen Anwendungsmöglichkeiten der neuen Theorie ersichtlich, die über das Feld der Literaturwissenschaften hinausreichen. Der Versuch macht darauf aufmerksam, dass in den erweiterten Studien die Struktur der Formel gewahrt bleiben sollte. Unlängst haben Ludger Scherer und Rolf Lohse der Verbindung von Avantgarde und Komik (2004) ein wissenschaftliches Forum gegeben. Dass dies der erste Sammelband seiner Art ist, liegt an den gewohnten Wegen der bisherigen Avantgardeforschung. Vorwiegend sind anti-soziale, gegen Kunst-Konventionen gerichtete Maßnahmen beleuchtet worden, wobei der kommunikative Gegenzug des Komischen eher selten erwähnt wurde. Die zweite Einseitigkeit betrifft nicht den destruktiv-provokativen, sondern den spielerischen Gestus, den Avantgarde-Bewegungen, allen voran DA- DA, gepflegt haben. Deren Spiel ist nicht einfach Komik-Äquivalent, von der Theorie her wäre nach den genauen ambivalenten, in beide Richtungen gleichzeitig laufenden Strategien zu fragen. Drittens hat sich als Konzept avantgardistischer Komik der Begriff des Absurden festgesetzt, mitsamt seinen erkenntniskritischen, existenzialistischen Implikationen. Eine Revision des Sinn-Begriffs steht daher als Erstes an. Zunächst seien die Vorüberlegungen von Scherer und Lohse kommentiert. Ungeachtet exakter Modelle herrscht sowohl über das Komische als auch über das Typische der Avantgarde ein Konsens, der es erlaubt, Gemeinsamkeiten ebenso wie Unterschiede zu bemerken: „Beide bearbeiten auf jeweils unterschiedliche Weise Ordnungsstrukturen und ähneln sich hinsichtlich der experimentellen Haltung auf Seiten der Produzenten“ wie auch der Adressaten, beide sind „homolog hinsichtlich ihrer transgressiven Grundstruktur“ 465 . Die Hervorbringung und Rezeption avantgardistischer wie komischer Kunst erfordert das spielerische Übertreten oder Infragestellen von Regeln. Es wird nicht gesagt, welche Ordnungsformen hierfür relevant sind, man kann jedoch annehmen: sowohl künstlerische als auch soziale Muster. Was jene Dimensionen des Vergleichs zusammenhält, ist Transgression bzw. die Ansicht, dass ästhetische Standards einen Sonderfall gesellschaftlicher Regelung darstellen. Um diese Strukturverwandt- 465 Ludger Scherer, Rolf Lohse: Einleitung. In: Avantgarde und Komik. Hg. von Ludger Scherer, Rolf Lohse. (Avantgarde 16) Amsterdam: Rodopi 2004, S. 7. <?page no="189"?> 185 schaft festzustellen, braucht man noch keine neue Komik-Formel; vielleicht aber, um die Vergleichsgegenstände unterscheiden zu können. Wenn konzeptuell nichts mehr hinzukäme, so wäre jedes Kunstexperiment komisch und alle komischen Gattungen avantgardistisch. Dies soll hier gerade nicht behauptet werden. Wie im Verlauf dieses letzten Teilkapitels nachgewiesen werden soll, gilt vielmehr: Hochkomik gerät zwangsläufig in die Stellung einer sozialen, ästhetischen Vorhut; umgekehrt sind Kunst-Experimente nicht zwingend komisch. Scherer und Lohse tragen diesem Abgrenzungsbedarf durchaus Rechnung, indem sie darauf hinweisen, dass die Grenzverletzung des Lachhaften frei von Sanktionen sei. 466 „Während das Komische Grenzziehungen umspielt, setzen Avantgarden auf radikale und nicht reversible Transgression“ 467 . Komik geht prinzipiell straffrei aus, weil sie keinen endgültigen Ordnungsbruch betreibt, weil die Regeln, die sie bricht, das Denken und das gesellschaftliche Zusammenleben nicht so „radikal“ erschüttern wie die avancierte Kunst dies vermag oder beabsichtigt. Auch dem muss angesichts der Theorie widersprochen werden: Komik kann aufgrund seiner besonderen Struktur das Soziale fundamentaler attackieren als anti-soziale, ästhetisch progressive Werke im Allgemeinen. Sie bearbeitet Sinn und Kommunikation in einer Weise, die deren Funktion für das Gesellschaftliche herausstellt. Zwar bilden auch für avantgardistische Werke Sinn und Kommunikation durchaus zentrale Kategorien, sie sind aber nicht (exakt genauso) sozial definiert wie im Konzept der Hochkomik, wovon die spezifische Reflexivität des Komischen abhängt. Im Unterschied zur nicht-komischen Avantgarde darf nie eine reine Gegenposition zum Sozialen eingenommen werden, es muss stets der Anstoß erfolgen, weiter zu kommunizieren. Vom wissenschaftlichen Kontakt der Themen „Komik“ und „Avantgarde“, den Scherer und Lohse mit ihrer Sammlung von Beiträgen herstellen, können den Herausgebern zufolge beide Forschungsfelder profitieren: Die neue Kunst des 20. Jahrhunderts und deren Programme werden nicht nur unter dem „seriös-utopischen“ Gesichtspunkt betrachtet, auch ihre „komisch-hedonistischen Tendenzen“ 468 erhalten Gewicht. Das Komische wiederum verliert durch die Annäherung an den avantgardistischen Komplex von Experiment und Transgression seine vermeintliche Harmlosigkeit. 469 Jene Wechselwirkung wird, trotz des theoretisch reflektierenden Vorworts, im Band selbst durch Einzeluntersuchungen hervorgerufen: zu Vertretern und Schulen der Avantgarde (Dadaismus, Futurismus, Ionesco, Breton), an Autoren und Texten aus der romanischsprachigen Tradition. 466 Ludger Scherer, Rolf Lohse: Einleitung. In: Avantgarde und Komik. Hg. von Ludger Scherer, Rolf Lohse. (Avantgarde 16) Amsterdam: Rodopi 2004; S. 7. 467 Ebd., S. 13. 468 Ebd., S. 16. 469 Vgl. ebd., S. 19. <?page no="190"?> 186 Dagegen wird hier die Linie der prinzipiellen Parallelen und Grenzen zwischen den beiden Konzepten verfolgt sowie auf die entsprechende Praxis in einzelnen Künsten und Gattungen eingegangen. Die aufgestellte, interpretatorisch genutzte Komik-Formel eignet sich ebenso dazu, andere Sichtweisen auf das Absurde, Nonsens im Gedicht, parodistische Filme anzuregen. Im Hinblick auf das Theorie-Projekt soll überprüft werden, ob sich der Begriff der Hochkomik auch an einer größeren Bandbreite literarischer, künstlerischer Phänomene der Moderne bewährt. 4.5.1 Vom Absurden zur hochkomischen Ambivalenz In seiner ursprünglichen Wortbedeutung kommt „absurd“ dem Komischen nahe, da es eine Inkongruenz bezeichnet: „Misstönend“ ist ein Geräusch aufgrund seiner Nicht-Übereinstimmung mit dem musikalischen Umfeld. 470 Nicht dieses Verständnis allein wird für die Literatur des 20. Jahrhunderts wichtig. Nach der logischen Definition des „Widersinns“ ist eine Aussage sinnwidrig oder sinnlos, wenn sie auf falschen Voraussetzungen beruht, einen Kategorienfehler begeht oder einen Widerspruch in sich enthält. In dieser Fassung begegnet das literarische Absurde bereits in der frühen Avantgarde. Speziell die Logik der Sprache wird so manipuliert, dass absurde Effekte entstehen, Beispiele liefert die noch zu behandelnde Nonsens-Lyrik. Logische Absurdität deckt sich teilweise mit einer inkongruenztheoretisch konzipierten Komik, da Unsinnigkeit ebenfalls durch diskrepante Bezüge entsteht: Der Schluss passt nicht zur Annahme, die beteiligten Prinzipien widerstreiten einander. Insofern gleicht ein absurder Satz Koestlers „Bisoziation“ zweier Kontexte. 471 Seine schärfste Kontur gewinnt das Absurde nach dem Zweiten Weltkrieg, über die existenzialistische Philosophie (Camus, Sartre) und den davon hergeleiteten Dramentyp (Beckett, Ionesco). Deren gemeinsamer Grundgedanke lautet: „Wird der Mensch losgelöst von seinen religiösen, metaphysischen oder transzendentalen Wurzeln, so ist er verloren, all sein Tun wird sinnlos, absurd, unnütz, erstickt im Keim.“ 472 Somit wäre das absurde Theater primär Ausdruck jenes Welt- und Menschenbildes, keine dramatisch-theatralische Darstellungsweise. Auch Wolfgang Hildesheimer, Theoretiker und Autor des Absurden in der deutschsprachigen Literatur, hebt den existenziellen Befund hervor: „Das Absurde bedeutet die Vernunftwidrigkeit der Welt, indem sie dem Menschen die Antwort auf seine 470 Vgl. Rüdiger Görner: Die Kunst des Absurden. Über ein literarisches Phänomen. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1996, S. 1. 471 Siehe dazu Abschnitt 2.1.1. 472 Eugène Ionesco: Dans les armes de la ville. In: Cahiers de la compagnie Madeleine Renaud - Jean-Louis Barrault 20 (1957). Zitiert nach Martin Esslin: Das Theater des Absurden von Beckett bis Pinter. Erweit. Neuausg. (Rowohlts Enzyklopädie) Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1985, S. 14. <?page no="191"?> 187 Frage verweigert.“ 473 Von dieser Wirklichkeitsauffassung her ist absurde Literatur realistisch. Ihre Ästhetik hingegen trägt formalistische Züge. Sie ist „reduziert auf einen Restbestand an formalen Elementen“ 474 . Möglichst rein strukturelle, leere Formen, unbesetzt mit symbolischen oder sonstigen Bedeutungen, korrespondieren der philosophischen These. Für die Interpretation einzelner Stücke mag dies zu schematisch gedacht sein, es stellt aber heraus, dass die literarische Form des Absurden durch den existenziellen Sinn-Begriff bedingt ist. Bringt man den logischen Sinn-Begriff mit ins Spiel, so ergibt sich ein gewisser Widerspruch: Auch die Sinnlosigkeit der menschlichen Existenz ist eine sinnvolle, d.h. nicht widersinnige Aussage. Jene theoretische Paradoxie versucht das absurde Theater ästhetisch zu überwinden, und zwar in der Dialoggestaltung „durch Verzicht auf Vernunftgründe und diskursives Denken“ 475 , so Martin Esslin in seiner viel gelesenen Studie zum Drama „von Beckett bis Pinter“. In der neueren Forschung wird das lange Zeit beherrschende Paradigma des Absurden nachhaltig kritisiert. Problematisch ist unter anderem, dass die Dramentexte mit jenem Begriff auf eine bestimmte Bedeutung - die „Sinnlosigkeit des menschlichen Daseins“ und die „Unzulänglichkeit rationaler Anschauungsformen“ 476 - festgelegt werden. Verdrängt werden dabei Aspekte, die dem negativen Zustand der Verlorenheit, wie Ionesco ihn umschrieben hat, vordergründig widersprechen, vor allem die Varianten des Komischen. Symptomatisch hierfür ist die Rezeption des Gesamtwerks von Samuel Beckett, an dem im Weiteren außerdem die Umstellung des Sinn-Begriffs auf das Konzept der Hochkomik vorgenommen werden soll. „Solipsismus und Humor, Pessimismus und Komik, Verzweiflung und Lachen“, trotz einzelner Monographien und jüngerer Aufsätze zum komischen Part greife die Beckett-Forschung nach wie vor meist „einen der beiden Pole der genannten Spannungsfelder“ heraus, „überwiegend den Negativen“ 477 . Die Folge sei eine „Marginalisierung, schlimmstenfalls Ignorierung des Komischen in Becketts Oeuvre“ 478 . Nicht von ungefähr erinnert das Ungleichgewicht an Kafka und Bernhard, welche ebenfalls häufig mit dem Absurden in Zusammenhang gebracht werden. 473 Wolfgang Hildesheimer: Wirklichkeit des Absurden. In: Ders. Gesammelte Werke in sieben Bänden. Bd. 7. Vermischte Schriften. Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1991, S. 50. 474 Rüdiger Görner: Die Kunst des Absurden. Über ein literarisches Phänomen. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1996, S. 103. 475 Martin Esslin: Das Theater des Absurden von Beckett bis Pinter. Erweit. Neuausg. (Rowohlts Enzyklopädie) Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1985, S. 14. 476 Ebd. 477 Wilhelm Füger: Laughter is not quite the word. Arten und Funktionen des Lachens in Becketts Frühwerk. In: Komik und Solipsismus im Werk Samuel Becketts. Hg. von Peter Brockmeier, Carola Veit. Stuttgart: M & P Verlag für Wissenschaft und Forschung 1996, S. 89. 478 Ebd., S. 90. <?page no="192"?> 188 Bevor die marginalisierte Fragerichtung im Fall Beckett gesichtet wird, verdient die Kritik am „trivialisierten und verkürzten Begriff des Absurden“ 479 Beachtung. Aus Becketts theoretischen wie dramatischen Schriften gehe hervor, dass nicht der „Verlust der Transzendenz“ absurd sei, „sondern die vergebliche Suche der Menschen nach einer Erklärung“ 480 . Veits Korrektur der Vereinfachung des Existenzialismus in Philosophie und Drama zeigt auf den Unterschied zwischen Sinnlosigkeit und Absurdität, wodurch sich erneut zwei differente Konzeptionen von Sinn bzw. Nicht- Sinn herauskristallisieren. Transzendenz garantiert Sinn, weil sie den Bedeutungselementen einen festen Platz und einen Rang innerhalb der Ordnung zuweist, sie verleiht ihnen positiven oder negativen Wert. Das komplette Fehlen solcher Systeme zur Weltdeutung trifft - so denkt es nach Camus auch Hildesheimer - auf das anhaltende Sinnbedürfnis des Menschen. Dessen sinnsuchendes Verhalten wird nun logisch absurd, weil es unter einer Voraussetzung agiert, die nicht länger erfüllt ist, dem Vorhandensein irgendeiner sinnstiftenden Ordnung. Jene Konstellation schließt die Dramaturgie der Stücke Becketts besser auf als die statische Idee metaphysischer Verlorenheit. 481 Sie kann zugleich als eine komische Diskrepanz begriffen werden, zwischen menschlicher Haltung und Realität, übertragen zwischen Leser und Text, Zuschauer und Drama. Komik entsteht nicht nur im Handeln und Reden der Figuren, sie betrifft auch die Rezeptionsästhetik des absurden Theaters: „Der Rezipient macht eine unmittelbare Erfahrung des Absurden, indem seinem nach Sinn suchenden Verstand durch Becketts Schreibtechnik der logische Zugang verwehrt wird.“ 482 Die beiden zuvor unterschiedenen Bestimmungen (existenziell - logisch/ kognitiv) treten verschränkt auf: Eine „Schreibtechnik“, welche gegen die Regeln der Rationalität verstößt, erzeugt die „Erfahrung des Absurden“ als Sinnverlust und komische Unangemessenheit. Auf jene Weise wird die Sinnerwartung doppelt enttäuscht. Vor den paradigmatischen Interpretationen stand jeweils ein Bericht über die Forschungslage zum Thema Komik bei Kleist, Büchner, Kafka und Bernhard. So soll vor einer Analyse der Texte Becketts mit dem Werkzeug der komiktheoretischen Formel zuerst kurz überblickt werden, welche komischen Kategorien bisher auf das Werk dieses Autors angewandt wurden: zunächst natürlich das komisch Absurde, entweder als Inkongruenz der Sinnsuche angesichts der totalen Abwesenheit von Sinn oder weniger reflektiert als Lächerlichkeit der bloßen Tatsache, dass alles sinnlos, nichtig 479 Carola Veit: Das Absurde in Becketts Werk - Reconsidered. In: Komik und Solipsismus im Werk Samuel Becketts. Hg. von Peter Brockmeier, Carola Veit. Stuttgart: M & P Verlag für Wissenschaft und Forschung 1996, S. 39. 480 Ebd., S. 40. 481 Vgl. ebd. 482 Ebd., S. 38. <?page no="193"?> 189 ist. Es spielt mit hinein, dass die Nicht- oder Anti-Logik des Absurden als komische Feier der Irrationalität den Auslegungen des Karnevalesken nicht fern steht. Bachtins Theorie wird ferner bemüht für eine Beschreibung des Grotesk-Komischen bei Beckett. Aktuell versucht David Musgrave, am Beispiel dieses Autors das „abstrakt Groteske“ als modernistische Ausprägung des grotesken Modus zu definieren: Die Körperlichkeit sowie die verkehrte, verzerrte Welt des Karnevals werden nicht mehr realistisch (Rabelais) oder subjektivistisch (Romantik) dargestellt, sondern auf ihre Formprinzipien abstrahiert (Modernismus). 483 Als moderne Phase in der Geschichte einer traditionellen komischen Gattung bestimmt Ute Drechsler die Stücke des absurden Theaters: Die „absurde Farce“ zeigt banale oder auf menschliche Schwächen reduzierte Charaktere in Situationen, die den unvernünftigen, sinnlosen Zustand der Welt ins Lachhafte ziehen, wozu insbesondere „szenische[ ] Spielelemente“ 484 eingesetzt werden: gestische, körperliche Vorführungen ohne engeren Bezug zur Handlung. Solche gattungstypischen, farcenhaften Merkmale werden beibehalten und in die existenzialistische Perspektive übersetzt. Kein literaturwissenschaftlicher Begriff, wohl aber eine gängige Bezeichnung für die Wahrnehmung, dass Beckett das Negative - Sinnverlust, Subjektzerfall, Tod - ins Unernste wendet, ist „schwarze Komik“. Martin Esslin nennt den darin sich äußernden „savage black humor“ 485 auch „Galgenhumor“. Bei Bürger bildet „schwarze Komik“ den Horizont, vor dem Becketts Prosa durch Inkongruenztheorie 486 und Hegels Vorstellung der „komischen Destruktion“ 487 interpretiert wird. Sprachgestaltung und Dialogführung in den Dramen kennzeichnet Frederik N. Smith als „verbal slapstick“: Im nicht mehr durch Logik kontrollierbaren Eigenleben des sprachlichen Materials wie der Figurenrede sieht er die dramaturgische Entsprechung der absurden Existenz. 488 Trotz der begrifflichen Bandbreite sticht hervor, dass die formale Komik in Becketts Prosa- und Dramenwerk auf das Generalthema existenzieller Absurdität bezogen bleibt. Diesen Standard der Forschung gilt es im Auge zu behalten, wenn nun vom Sinn-Begriff her die für Beckett typische Art 483 David Musgrave: The Abstract Grotesque In Beckett’s Trilogy. In: Beckett After Beckett. Hg. von S. E. Gontarski, Anthony Uhlmann. Gainesville: University Press of Florida 2006, S. 371-368. 484 Ute Drechsler: Die „absurde Farce” bei Beckett, Pinter und Ionesco. Vor- und Überleben einer Gattung. Narr: Tübingen 1988, S. 109. 485 Martin Esslin: Beckett and Bernhard. In: Modern Austrian Literature 18 (1985), H. 2, S. 76. 486 Vgl. Peter Bürger: Sprachkrise, Subjektverlust und schwarze Komik. In: Neue Rundschau 98 (1987), H. 2, S. 114. 487 Ebd., S. 117. 488 Vgl. Frederik N. Smith: Beckett’s Verbal Slapstick. In: Modern Fiction Studies 19 (1983), H.1, S. 43-56. <?page no="194"?> 190 der Hochkomik expliziert werden soll. Es geht keineswegs darum, die Konzepte des Absurden gänzlich zu verabschieden, ihnen kommt vielmehr eine Schlüsselrolle zu, die jedoch aus der Struktur der Hochkomik gefolgert wird. Innerhalb der theoretischen Formel besitzt Sinn weder existenzielle noch logische Bedeutung, sondern eine Funktion für das Fortlaufen des gesellschaftlichen Prozesses, sprich Kommunikation. 489 Jener konzeptuelle Zuschnitt gemäß Luhmanns Theorie sozialer Systeme kann deshalb „funktionaler“ oder „sozialer“ Sinn-Begriff genannt werden. Anhand von Becketts Texten soll erläutert werden, wie die thematische Absurdität in ein komisches, ambivalentes Verhältnis zum Sozialen gerät. Im Bezug auf Unlogik und Sinnlosigkeit wird eine sozial-funktionale Auffassung von Sinn, die auch schon in der Kafka-Interpretation praktizierte Differenz Aktualität - Potenzialität, überhaupt als solche kenntlich. Es wird zu sehen sein, dass Becketts Werk zwei der in den Deutungen vorgeführten Paradigmen kombiniert: die komische Verarbeitung der Sinn- Differenz wie im Schloß und das Ausstellen der Autopoiesis wie in Bernhards Alte Meister. Vergleiche zu Bernhard und Kafka sind in der Forschung bereits gezogen worden, wenngleich nur in mehr oder weniger klaren Vorstellungen des Absurden und Grotesken. Esslin bescheinigt Beckett und dem Autor von Alte Meister denselben schwarzen Humor, 490 beide zeichnen ein monologisches, solipsistisches Universum, 491 Bewusstseinswelten mit schizoiden Zügen. 492 Was daran komisch sein soll, leuchtet nicht immer ein. In der Suche nach Gemeinsamkeiten auf neuer theoretischer Grundlage liegt es nahe, neben Bernhards Roman auch einen beckettschen Referenztext auszuwählen. Zum Klassiker des absurden Theaters wurde Warten auf Godot. Das vergebliche Warten der Figuren Wladimir und Estragon wurde symbolisch gelesen, als theatralisches Zeichen für die Vergeblichkeit der Sinnsuche, allegorisch fand man in „Godot“ mit dem Anklang an Gott die abwesende Transzendenz. Demnach kreisen die Wechselreden und -handlungen der beiden Hauptfiguren, des zweiten Paars Pozzo und Lucky, die Auskünfte des Jungen um die existenzielle Sinnfrage. Man kann stattdessen analysieren, wie die soziale Kommunikation der Dialoge sinnfrei, sinnbezogen immer weiterläuft. 489 Nach Luhmann ist Sinn zugleich das Prinzip, welches die Autopoiesis des Bewusstseins gewährleistet, sowie jener Prozess, der das System Bewusstsein und das der Kommunikation in eine systemerhaltende „strukturelle Kopplung“ bringt, vgl. dazu den Abschnitt 3.2.4. Für die Komikformel steht die soziale Seite dieses Zusammenhangs im Vordergrund. 490 Vgl. Martin Esslin: Beckett and Bernhard. In: Modern Austrian Literature 18 (1985), H. 2, S. 76. 491 Vgl. ebd., S. 68, 70. 492 Vgl. ebd., S. 72. <?page no="195"?> 191 4.5.1.1 Samuel Beckett Warten auf Godot Der augenfälligste Unterschied zum narrativen Monolog in Alte Meister ist der dramatische Dialog von Warten auf Godot, er erfüllt dennoch eine ähnliche komische Funktion. Becketts Stück beginnt in dem Moment, in dem Wladimir und Estragon bei ihrem Wiedersehen zu reden anfangen; es endet mit der Erwägung, sich zu trennen („ESTRAGON Sollen wir auseinandergehen? “ 493 ), sich aufzuhängen, um nicht mehr so weitermachen zu müssen. Doch der Entschluss zu gehen wird nicht ausgeführt - genauso, im nahezu selben Wortlaut wie schon am Schluss des ersten Aktes. Die Wiederholungsstruktur ist dahingehend interpretiert worden, dass sich die Handlung endlos verlängern ließe. 494 Der Zirkellauf stand weiterhin für das paradoxe, notwendig scheiternde Warten auf Godot/ Gott. Entleert man indessen die Dramaturgie ihres philosophischen Inhalts, dann kann deren komisch-soziale Doppelrichtung deutlich werden, die gleichwohl mit dem Godot-Motiv zusammenhängt. Das „Warten auf“ hat für die dialogische Interaktion von Wladimir und Estragon die gleiche Bedeutung wie die Museums-Gewohnheit für Regers Monolog in Alte Meister: Es stellt sicher, dass weiterhin kommuniziert wird. Funktional betrachtet ist es daher zwingend, dass Godot nie auftaucht. Warum er nicht kommt und wer er ist, wird dagegen nebensächlich, solange sein Status Wladimir und Estragon dazu bewegt, in endloser Wiederholung gemeinsam auf ihn zu warten, genauer, in Gespräch und Verhalten fortwährend aneinander anzuschließen. Godot nimmt jene ambivalente Position ein, in der die Kunst der Alten Meister Regers komische Rede auslöst. Der, der nicht kommt, motiviert die Wartenden nicht nur, er bringt sie auch bis an die Verzweiflung des Selbstmords („WLADIMIR Morgen hängen wir uns auf.“ WG 99). Damit wäre das Schweigen, ein häufig wiederkehrendes szenisches Motiv, endgültig, der kommunikative Kreislauf, den die beiden komischerweise dennoch aufrecht erhalten, stünde still. In dieser Grundkonstellation ist Becketts absurdes Drama exemplarisch für moderne Hochkomik, die in ihrer Dimension der Gleichzeitigkeit an Textpartien veranschaulicht werden muss. Eine im höheren Sinne komische Einlage ist das Lied, das Wladimir zu Beginn des zweiten Aktes singt. Dem Text von „Ein Hund kam in die Küche“ (WG 60) ist die endlose Wiederholung eingebaut. Man kann dabei durchaus an das Lied von der „Fleig an der Wand“ in Büchners Leonce und Lena denken. Doch während es dort eine Art performatives Leitmotiv der mechanistischen Kommunikation abgibt, scheint es bei Beckett auf die 493 Samuel Beckett: Warten auf Godot. In: Ders.: Werke. Bd. I.1. Dramatische Werke - Theaterstücke. Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1976, S. 99. Zitiert wird im Folgenden nach dieser Ausgabe unter der Sigle WG. 494 Vgl. z.B. Rolf Breuer: Die Kunst der Paradoxie. Sinnsuche und Scheitern bei Samuel Beckett. (Kritische Information 45) München: Fink 1976, S. 127. <?page no="196"?> 192 reine Autopoiesis zu deuten: das Fortführen eines Prozesses durch den Rückbezug auf die darin verarbeiteten Elemente. Beachtenswert für die Komik der Szene ist die Art und Weise, wie Wladimir das Lied vorträgt: Er hält mehrfach inne und zwar zweimal an der Stelle, wo es heißt, die anderen Hunde nehmen den erschlagenen Hund „und gruben ihm ein Grab“ (WG 60). Dies ist leicht existenzialistisch zu verstehen - der Gedanke an den Tod angesichts des sinnlosen Lebens - , zumal Wladimir auf der Zeile hängen bleibt. Der Punkt ist aber auch deshalb entscheidend, weil darauf jene zwei Zeilen folgen, welche die Wiederholungsstruktur einleiten, „Und setzten ihm ein’n Grabstein,/ worauf geschrieben stand: “ (ebd.). „Nicht mehr weiter leben“ wird zu „immer weiter singen“, prinzipiell, denn der Sänger verstummt schließlich auf „gruben ihm ein Grab“. Um trotzdem die autopoietische Kommunikation zu erkennen, kann man darauf verweisen, dass Wladimir nach jeder Pause die zuletzt gesungenen Verse wiederholt, also im Rückbezug anschließt. Sofern das Lied wahrnehmbar macht, dass trotz des möglichen existenziellen Endes fortkommuniziert wird, und diese beiden Optionen gleichzeitig evoziert, darf es als hochkomisch gelten. Erst die aus dem ersten Aktschluss am Ende des Stückes wiederkehrenden Wendungen erlauben eine Ausweitung auf das gesamte Drama, welches spätestens dann komisch interpretierbar wird. Durchgängiger vollzieht sich im Modus der Dialoge von Warten auf Godot eine komische Aufführung. Den zentralen Satz hierzu spricht Wladimir zu Beginn des ersten Aktes aus; er fängt an, eine Geschichte zu erzählen, macht dann aber eine Pause: „Hör mal, Gogo, du musst mir von Zeit zu Zeit den Ball zuspielen.“ (WG 13) Tatsächlich ist der Austausch von „Gogo“ und „Didi“ ein einziges kommunikatives Einander-den-Ball-Zuspielen. Da dies grundsätzlich auf alle (Theater-)Dialoge zutrifft, kann es nur thematisch und folglich komisch werden, wenn der Austausch von Worten und Gesten auf diesen sozialen Grundzug abstrahiert wird. Das geschieht auf negativem Wege, indem nämlich alle gängigen, pragmatischen Dialog- Funktionen zurücktreten: Verständigung, die Vermittlung von wichtigen Aussagen über den tieferen, höheren Sinn des Redens und Handelns. Dass es nicht darum geht, einander richtig zu verstehen, solange man überhaupt aneinander anschließt, wird an der genannten Szene deutlich. Auf die Frage Wladimirs, ob er die Geschichte erzählen soll, verneint Estragon, stellt aber gleichwohl Zwischenfragen. Selbst wenn er nur beteuert, nicht zuzuhören oder gar nichts zu verstehen (vgl. ebd.), erfüllt er damit schon die Grundbedingung des Anschlusses. Der Ball wird zurückgespielt und eben das fordert Wladimir „von Zeit zu Zeit“ ein. Es ist gleichfalls sozial-funktional unerheblich, ob die besprochenen Gegenstände relevant genug sind. Deshalb befasst sich das Figurenpaar in Godot zwischendurch mit gänzlich banalen Themen wie offenen Hosenschlitzen (vgl. WG 10), geschwollenen Füßen (vgl. WG 12) oder der „Ge- <?page no="197"?> 193 schichte von dem Engländer im Puff“ (WG 17). Die Übergänge zu den philosophischen Gesprächen sind fließend. Statt beides wie bisher auf den Begriff der Absurdität zu bringen, könnte man auf eine Indifferenz schließen: Ganz gleich, ob hochphilosophische Dinge verhandelt werden oder Trivialitäten, Hauptsache, die beiden Akteure haben sich etwas zu sagen oder zu zeigen. Macht es einen Unterschied, dass Wladimir meist ernste Fragen aufwirft und Estragon sich simpel für Vergnügen oder Missvergnügen interessiert? Nicht, solange sie nur ihre Auseinandersetzung, den Schlagabtausch fortführen: „ESTRAGON [...] Kennst du die Geschichte von dem Engländer im Puff? WLADIMIR Ja. ESTRAGON Erzähl sie mir! WLADIMIR Hör auf! “ (WG 17) Der Kontrast der Figuren schafft hier - wie zuvor bei Wladimirs Erzählung (vgl. WG 13) - eine komische Gegenläufigkeit von Aufhören und trotzdem Weiter-Erzählen. Didi und Gogo reagieren nicht nur mit Worten aufeinander, sie führen auch Gesten aus, die den Ablauf von Kommunikation versinnlichen: „EST- RAGON mit ausgestrecktem Zeigefinger: Das ist kein Grund, die Hose offenzulassen. WLADIMIR beugt sich nach vorn herüber Du hast recht. Er knöpft die Hose zu. Nur keine Nachlässigkeit in den kleinen Dingen.“ (WG 10) Hätten sie einander nicht, so wäre jeder auf seine eigene solipsistische Zwangshandlung zurückgeworfen: Estragons Suche nach dem Stein im Schuh entspricht Wladimirs Griff in den Hut (WG 11). Die Wahrnehmung, dass da „etwas“ sei, zieht Handeln nach sich, die Entdeckung, dass sich „nichts“ im Schuh bzw. Hut befindet. Erneut besteht die Wahl zwischen einer existenziellen und einer funktionalen Lesart. Die gestischen Ticks haben Ähnlichkeit sowohl mit dem Prozess der Kommunikation als auch mit dem des Sinns: Für den Ersteren, das Verstehen einer mitgeteilten Information, ist kein Dialogpartner notwendig; für den Zweiten spricht, dass die wahrgenommene Potenzialität - „etwas“ könnte im Schuh/ Hut sein - durch das Ausziehen und Nachsehen aktualisiert wird. Daran lässt sich verdeutlichen, in welches Abhängigkeitsverhältnis Beckett den existenziellen und den sozialen Sinn-Begriff stellt: Existenzielle Sinnerwartung stößt den Kommunikationsvorgang und den darin ablaufenden Sinnprozess an, gleichzeitig könnte die wiederholte Enttäuschung dieser Erwartung dazu führen, dass nichts mehr folgt, d.h. alles aufhört. Was hier an einzelnen szenischen Elementen erläutert wurde, hat natürlich einige Auswirkungen auf die Deutung der eigentlichen Godot-Handlung. Auch wenn Kommunikation in der luhmannschen Abstraktion nicht an mehrere, weil überhaupt nicht an Personen gebunden ist, wird durch die Paarung Wladimir - Estragon und deren Dialoge der soziale Charakter des Komischen evident. Das wäre eine weitere Parallele zu Bernhards Alte Meister. Der Erzähltext besitzt monologische Form, doch Regers Freundschaft mit Atzbacher und Irrsigler, die Liebe zu seiner Frau besitzen nicht nur eine unverzichtbare Funktion für die Erhaltung des Monologs, sie <?page no="198"?> 194 eröffnen ein weniger theoretisches und daher direkter wirksames Verständnis des Sozialen: Intersubjektivität. Liebe, Zuneigung, Freundschaft sind Motive, mit denen die Gesellschaftlichkeit des Komischen auf einer konkreten Ebene vermittelt wird. In Becketts Godot gibt es dafür das Muster von Streit und Versöhnung zwischen Wladimir und Estragon (vgl. WG 79). Existenzialistisch gelesen ist ihr Zweierbund der Zusammenhalt gegen die Einsamkeit des Menschen in einer sinnlosen Welt, komiktheoretisch wird daraus eine Dialoggemeinschaft für das sozial unerlässliche Kommunizieren. Dazu taugen Sinnfragen genauso gut wie blödelnder Unsinn, Streitgespräche haben denselben Zweck wie Versöhnungsgesten. Sogar wenn Wladimir und Estragon gemeinsam schweigen (vgl. WG 16), findet Kommunikation statt. Obwohl meist die Semantik des Existenziellen einhakt - als Estragon schläft, erträgt Wladimir die Stille nicht: „Ich fühlte mich einsam“ (ebd.) - , ist es doch bemerkenswert, dass die beiden Figuren durch alle Sinn-Niveaus und Seins-Zustände hindurch aneinander anschließen. Indem ihre verbalen und gestischen Auseinandersetzungen vom Sinngehalt wie von der sprachlichen Verständigung abstrahieren, befördern sie eine funktionale Sicht auf Kommunikation. Das zweite Paar Pozzo - Lucky liefert ebenfalls eher Gesprächsstoff als Information, auch sie führen ein Anschluss-Spiel mit bzw. ohne Worte auf. Dennoch sind wichtige Unterschiede hinsichtlich der Komik zu verzeichnen. Die Figuration Herr - Knecht inszeniert die vormoderne Organisation des Sozialen, es gelten die hierarchischen Regeln von Befehl und Gehorsam. Nur passagenweise entwickelt sich in den Spekulationen über Luckys stummes Verhalten eine reine, d.h. auf den Prozess reduzierte Kommunikation, besonders dann, wenn die Dialoge als einzeilige Wortwechsel ablaufen oder in nicht-sprachliche Zeichen übergehen (vgl. WG 28). Dennoch ist neben der Standesfrage das existenzielle Leid des Dieners, an dem Wladimir und Estragon lebhaft Anteil nehmen, so dominant, dass diese Teilhandlung überwiegend nicht zum Komischen ausschlägt, sondern vielmehr eine Art tragischen Kommentar der Haupthandlung bildet. Das lässt sich nicht zuletzt daran ablesen, dass die Wartenden nach dem ersten Abgang von Pozzo und Lucky ihren vorherigen komischen Modus wiederaufnehmen: Sie überlegen gemeinsam, ob Herr und Knecht sich seit dem letzten Mal verändert haben: „ESTRAGON Das ist es, laß uns ein bisschen Konversation machen.“ (WG 53) Hier zeigt Gogo mehr Durchblick auf die Moderne als der tiefsinnige Wladimir; das Reden über Alles und Nichts genauso wie das Schweigen darüber ist mehr als nur eine Art, die Zeit des Wartens auf Godot zu vertreiben. Gerade nach einer szenischen Konfrontation mit der hierarchischen Vormoderne und dem von Lucky verkörperten existenziellen Sinn-Defizit muss sich Becketts Drama justieren: auf das Trotzdem-Weitermachen als komischen Selbstzweck. <?page no="199"?> 195 Zuletzt sind die Godot-Dialoge zu prüfen, nicht auf ihre Absurdität, sondern darauf, ob sie die für den funktionalen Sinn-Begriff ausschlaggebende Unterscheidung Potenzialität - Aktualität verhandeln. Der erste Schritt dahin ist wiederum das Absehen von Sinn als existenzieller Bedeutsamkeit oder als Informationsgehalt: Der Zuschauer erfährt im Laufe des Stücks kaum etwas über die Person des Herrn Godot, geschweige denn den Grund, aus dem die beiden Hauptfiguren auf ihn warten. Und doch ist die Möglichkeit jenes Treffens der Anlass für sämtliche Interaktionen zwischen Wladimir und Estragon, selbst dann, wenn sie nicht ausdrücklich darüber sprechen. Aktualisierung bedeutet hier keineswegs, dass Godot tatsächlich kommt. Allein dadurch, dass Didi und Gogo immer wieder die Möglichkeit seines Kommens diskutieren, wird das Potenzial, eben diese Diskussion zu führen, realisiert. Damit jener Ablauf komisch wird und bleibt, müssen die verschiedenen Sinn-Begriffe in einer bestimmten Balance gehalten werden. Es darf keineswegs sicher noch völlig ausgeschlossen sein, dass der Erwartete eintrifft. In den Figuren wie im Zuschauer muss der Glaube daran wach bleiben, dass die Begegnung mit Godot für die weitere Existenz der beiden Kommunizierenden entscheidend sein könnte, zugleich müssen Zweifel daran entstehen. Schließlich darf die hoffnungsvolle Erwartung des komischen Paars nicht vollends in Resignation und Selbstmord kippen. In diesem Gleichgewicht ist die moderne Hochkomik des Dramas insgesamt theoretisch begründet, ebenso die ambivalenten Verhältnisse einzelner Dialog-Ausschnitte. Der erste Godot-Dialog im ersten Akt hat somit beispielhaften Charakter. Darin erhält der Zuhörer keinerlei Informationen, die es ihm ermöglichten, das Thema des Gesprächs in herkömmlicher Weise zu verstehen. Die Andeutungen bleiben derart inhaltsarm, dass es mit dem Verweis auf die Stellung als dramatische Exposition nicht getan ist, zumal aus den weiteren Dialogen ebenfalls nur dürftige Sachverhalte hervorgehen. „WLA- DIMIR Ich bin neugierig darauf, was er uns vorschlagen wird. Es verpflichtet uns zu nichts. ESTRAGON Worum haben wir ihn eigentlich gebeten? [...] WLADIMIR Na ja ... Eigentlich um nichts Bestimmtes. ESTRAGON Eine Art Gesuch. WLADIMIR. Eben. ESTRAGON Eine vage Bitte.“ (WG 19) Diese „vage Bitte“ und ihre Umschreibungen sind lediglich dazu da, die für das gesamte Stück analysierte komische Ambivalenz motivisch aufzufüllen. Solange die Sinn-Gewichte wie beschrieben in der Schwebe bleiben, ist der kommunikative Prozess und damit die nicht nur absurde Komik von Becketts Warten auf Godot gesichert. Ein lohnender Vergleichstext innerhalb des Œuvres ist Der Namenlose. Der Monolog dieses Romans mündet in eine paradoxe Losung: „man muß weitermachen, ich kann nicht weitermachen, man muß weitermachen, ich <?page no="200"?> 196 werde also weitermachen“ 495 . Anstelle des vergeblichen Wartens tritt der Versuch des Sprechers, sich selbst und seine eigene Geschichte in Worte zu fassen, im vollen Bewusstsein der Vergeblichkeit der daher endlosen Bemühung. Die unbeantwortbaren Fragen des absurden Daseins legen es dem Namenlosen andererseits ständig nahe, endgültig zu schweigen, sein erzählendes Reden wird vom Schweigen subvertiert. Im performativen Widerspruch dazu läuft jedoch der Monolog des Textes ab, wobei das Schlussmotiv die für Komik unerlässliche gleichzeitige Ambivalenz von Subversion und dennoch fortgeführter Kommunikation nochmals thematisiert: „ich werde es nie wissen, im Schweigen weiß man nicht, man muß weitermachen, ich werde weitermachen“ 496 . Wie schon in Warten auf Godot sind die existenzialistischen Motive an der Bildung des sozial bestimmten Komischen konstitutiv beteiligt, wenngleich nicht mit komischer Absurdität identisch. Dass im Namenlosen noch etwas anderes bedeutsam bzw. wirksam werden kann als die problematische Selbstreproduktion des Ich, liegt in einer weiteren bekannten Formulierung des Textes, „der Diskurs muss weitergehen“ 497 . In diesem komikrelevanten Punkt steht nicht die Existenz des Individuums zur Debatte, sondern lediglich der Fortgang des sozialen Prozesses. Trotz jener Anlage hält Becketts Roman seine modernkomische Form nicht so kontinuierlich präsent wie das ungefähr in derselben Werkphase entstandene Drama um Godot. 4.5.2 Nonsens-Lyrik, experimentelle Poesie Als zweiter Ausgangspunkt nach dem Absurden bietet sich der Begriff des Nonsens an. Spezieller wird zu zeigen sein, dass manche Texte der Nonsens-Lyrik des 20. Jahrhunderts die Struktur moderner Hochkomik auf besondere Weise realisieren. In einer ersten Abklärung ist die Sinnlosigkeit des Absurden vom Unsinn des Nonsens zu unterschieden. Gegeneinander abgrenzen kann man die beiden Konzepte auch durch den Hinweis, dass die existenzialistische Philosophie für den literarischen Nonsens keinerlei Bedeutung hat. Dafür überschneidet er sich teilweise mit logischer Absurdität. Das Durchbrechen logischer Regeln wird in der Gattungstypologie von Peter Köhler als ein Kennzeichen des Nonsens benannt, „Paradoxon, Ableitung aus falschen Prämissen und widersinniger Vergleich“ 498 sind gleichfalls Mittel absurder Wirkung. Logik stellt jedoch nur eine Variante des Nonsens dar, der insgesamt drei Dimensionen umfasst: den Verstoß gegen „empirische Tatsachen, logische Vorschriften oder sprachliche Re- 495 Samuel Beckett: Der Namenlose. In: Ders.: Werke. Bd. 3, 3. Romane. Der Namenlose. Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1976, S. 566. 496 Ebd., S. 566. 497 Ebd., S. 400f. 498 Peter Köhler: Nonsens. Theorie und Geschichte der literarischen Gattung. (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte Folge 3, 89) Heidelberg: Winter 1989, S. 41. <?page no="201"?> 197 geln“ 499 . Techniken zu diesem Zweck sind Rekombination - das Herstellen empirisch unmöglicher, logisch unzulässiger, sprachlich regelwidriger Verbindungen - und Rekontextualisierung - das Versetzen von Elementen in einen Zusammenhang, der durch die jeweilige Ordnung ausgeschlossenen ist. Solche Manipulationen sind zwar charakteristisch für die zur Gattung gezählten Werke, aber noch nicht unbedingt ausreichend für deren Definition. Köhler führt in Übereinstimmung mit der älteren Forschung erstens „Tendenzlosigkeit“ 500 an, die fehlende Bedeutungsabsicht im Unterschied zur Satire. Zweitens weisen Nonsens-Texte trotz ihrer Regelverstöße einen inneren Zusammenhang auf und sind aufgrund dieser internen Anordnung „sinnvoll“, während sie im Bezug auf die externen Referenzsysteme Realität, Logik, Sprache „sinnlos“ bleiben. 501 Dagegen bilde der reine literarische Unsinn kein in sich stimmiges System, konkrete Poesie biete Referenzmöglichkeiten außerhalb des Textes, etwa durch Lautmalerei. 502 Nicht nur die so definierte Gattung des Nonsens, auch benachbarte Formen experimenteller Poesie sollen hier betrachtet werden, um zu sehen, auf welche spezielle Weise sie hochkomisch sind. Dass Nonsens eine Art von Komik ist, steht für die meisten Forscher außer Zweifel. 503 Während Annemarie Schöne, die insbesondere die englische Nonsens-Tradition erforscht hat, Wert darauf legt, dass alle gängigen Begriffe des Komischen am Nonsens vorbeigehen, weil der als „absolute Komik“ 504 tendenzfrei und daher unbegrifflich sei, greift Köhler zwar nicht auf Theorien, aber doch auf bekannte Formen und Konzeptionen zurück. Er identifiziert mehrere Techniken, „Pointe, Antipointe und Tabuverletzung“ 505 , und erläutert deren komische Wirkung auf inkongruenztheoretischer Basis. Obwohl die Verbindung nicht hergestellt wird, passt dazu auch der rezeptionsästhetische Satz: „Die Eigentümlichkeit des Nonsens besteht darin, Erwartungen auf brauchbare Äußerungen über reale Sachverhalte zu wecken und diese Erwartungen zu zerstören durch Äußerungen, die mit der empirischen, logischen, sprachlichen Realität nicht vereinbar sind, wohl aber mit der inneren Struktur des Textes.“ 506 Was sich darin erstmals andeutet, ist eine doppelte Ausrichtung der Nonsens-Literatur. 499 Peter Köhler: Nonsens. Theorie und Geschichte der literarischen Gattung. (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte Folge 3, 89) Heidelberg: Winter 1989, S. 12. 500 Ebd., S. 21. 501 Vgl. ebd. 28. Nur in dieser Hinsicht lässt Köhler die Metapher des „Spiels“ gelten. 502 Vgl. ebd., 35. 503 Vgl. ebd., S. 20. 504 Annemarie Schöne: Humor und Komik in Lewis Carrols Nonsense-Traummärchen. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 28 (1954), S. 102. 505 Peter Köhler: Nonsens. Theorie und Geschichte der literarischen Gattung. (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte Folge 3, 89) Heidelberg: Winter 1989, S. 19. 506 Ebd., S. 27. <?page no="202"?> 198 Obgleich sie die von Außen gesetzten Wahrscheinlichkeiten missachtet, baut sie durch ihre eigenen Regeln eine Erwartbarkeit des jeweils Folgenden auf. Wie anhand der Lyrik-Beispiele geklärt werden soll, kann die theoretische Komik-Formel genau hier ansetzen: Systemtheoretisch funktioniert Kommunikation als Ablauf des Sozialen über (systemspezifische) Erwartungen, die enttäuscht werden können, aber prinzipiell die Wahrscheinlichkeit kommunikativer Anschlüsse erhöhen. Der Versuch, Nonsens-Lyrik zur eigenständigen Form moderner Hochkomik umzudenken, ist mit der Tatsache konfrontiert, dass es eine weniger eng gefasste „Unsinnspoesie“ schon im Mittelalter und Barock gegeben hat. 507 Alfred Liedes große Studie reicht von der Zeit um 1800 bis in die Gegenwartsliteratur. 508 Dennoch wird in diesem Forschungsfeld ein historischer Schwerpunkt gesetzt, Einzelbeiträge zur englischen und deutschen Literaturgeschichte behandeln häufig Autoren des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. 509 Bei Köhler repräsentieren Christian Morgenstern und Friedrich Ringelnatz den klassischen deutschen Nonsens, ihre moderne Epoche erreicht die Gattung erst ab den sechziger Jahren mit der Neuen Frankfurter Schule um Robert Gernhard und Friedrich Karl Waechter. Grundsätzlich ist zu sagen, dass theoretisch weder die Einteilungen der Gattungsgeschichte noch epochenübergreifende Stilfiguren die aus der Komik-Formel gewonnene Historisierung beeinträchtigen. Sowohl alte als auch neue Formen übernehmen die komische Funktion auf historisch spezifische Weise. Anders als in der hierarchisch geordneten Vormoderne funktioniert moderne Unsinnspoesie nicht mehr primär nach dem Prinzip der verkehrten Welt, sondern im gleichzeitig störenden wie fördernden Bezug auf die Prozesse von Kommunikation und Sinn. Bisher wurde die Modernität des literarischen Nonsens durch die epochale Sprach- und Erkenntniskrise begründet. Statt auf geordnete Sinnbildung setzen solche Texte auf die Produktivität des Zufalls und die materiellen Qualitäten der Sprache, dabei demontieren sie eine logozentristische Auffassung von Sinn. 510 Nach den nicht auf das 20. Jahrhundert beschränkten Untersuchungen von Liede begibt sich der poetische Unsinn an die Grenzen von Vernunft und Sprache, wodurch er, Schmitz-Emans zufolge, 507 Vgl. Theo Stemmler: Sinn im Unsinn. Über Unsinnsdichtung vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert. 9. Kolloquium der Forschungsstelle für Europäische Lyrik. Tübingen: Narr 1997. 508 Vgl. Alfred Liede: Dichtung als Spiel. Studien zur Unsinnspoesie an den Grenzen der Sprache. 2. Aufl. Berlin u.a.: de Gruyter 1992. 509 Vgl. Peter Christian Lang: Literarischer Unsinn im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Systematische Begründung und historische Rekonstruktion. (Europäische Hochschulschriften/ 1, 8) Frankfurt/ M. u.a.: Lang 1982. 510 Vgl. Monika Schmitz-Emans: Die Sprache der modernen Dichtung. (UTB für Wissenschaft/ Uni-Taschenbücher 1963) München: Fink 1997, S. 114. <?page no="203"?> 199 die poststrukturalistische Theorie literarisch vorwegnimmt und ausführt. 511 Von daher wurden die zeitgenössisch unterschätzten Werke z.B. Karl Valentins oder Ludwig Carrols nachträglich aufgewertet. Jene Argumentation reicht im vorliegenden theoretischen Zusammenhang nicht aus, da sie nur angibt, inwiefern der größtenteils komische Nonsens aufgrund seiner Behandlung von Sinn modern ist. Absicht der folgenden Überlegungen wie Analysen ist es hingegen darzutun, dass insbesondere lyrische Nonsens- Texte aufgrund ihrer Komik modern sind. Gegen den Augenschein des Modernen spricht die konservative Form des klassischen (Morgenstern) wie auch des modernen (Gernhardt) Nonsens: Am auffälligsten im Vergleich zur sonstigen Lyrik der Moderne ist die Tatsache, dass die Gedichte überwiegend in Reimform verfasst sind und darin einem festen Schema folgen. Der Reim allein kann noch nicht hochkomisch sein, er wird aber unter bestimmten Umständen zum komikentscheidenden Faktor. Der Begriff der Autopoiesis besagt gemäß Luhmanns Theorie, dass sich ein Prozess laufend fortsetzt, indem er sich auf frühere Prozessmomente bezieht. Es wird nur die Art von Elementen verarbeitet, aus denen der Kreislauf besteht, die wiederum selbst prozessförmig sind: Kommunikation aus Kommunikation, Sinn aus Sinn. Da sich dieser Vorgang ständig abspielt, ist es umso schwieriger, auf ihn aufmerksam zu machen. Eine dieser begrenzten Möglichkeiten liefert der Reim. Es ist das Gesetz des Reims, dass er immer nur nachträglich durch die Wiederholung, Abwandlung vorheriger Lautfolgen zustande kommt. Diese Rückbezüglichkeit (Rekursivität) ist das eine, sie wird aber erst theorieähnlich dadurch, dass ein Reimschema, ganz gleich welches, tendenziell eine unendliche Fortsetzung ermöglicht. Ob diese Tendenz offen zutage tritt, hängt auch von den jeweiligen Bedeutungsstrukturen, noch grundlegender aber von der Interpretierbarkeit des Textes ab. Es ist verblüffend, wie viele Nonsens-Gedichte und verwandte poetische Gebilde die Fortsetzbarkeit des lyrischen Textes in Szene setzen. Der theoretische Gedanke geht dahin, solche Strukturen als eine sinnlich wahrnehmbare Analogie des Prinzips zu begreifen, nach dem die Kommunikation der Gesellschaft sich selbst reproduziert: Autopoiesis. Innerhalb der Formel ist dies der erforderliche Gegenzug zur Subversion des Sozialen, der meist mit einem Signal an die Wahrnehmung einhergeht. Die eine Seite der Ambivalenz ist allerdings nur im Verweis auf die andere Seite identifizierbar: Folglich sind Reime oder vergleichbare formale Figuren nur hochkomisch, soweit man durch Interpretation aufzeigen kann, dass sie gegen eine gezielte Störung des kommunikativen Ablaufs anarbeiten, und sich in diesem zweiwertigen Verhältnis zum Sozialen - sichtbar - durchsetzen, zumindest für die Dauer des komischen Zeitraums. 511 Vgl. Monika Schmitz-Emans: Die Sprache der modernen Dichtung. (UTB für Wissenschaft/ Uni-Taschenbücher 1963) München: Fink 1997, S. 107. <?page no="204"?> 200 Ob der Reim modern-komisch wird, richtet sich nach der Deutung bzw. Deutbarkeit einzelner Texte. Insgesamt wird eine Gruppe von Gedichten vorgestellt, die Hochkomik durch autopoietische Figuren herstellt. Es handelt sich um ausgewählte poetische Sprachspiele, darunter das Anagrammgedicht. Unica Zürns Text Das ist ein Anagrammgedicht schickt die Titelzeile durch eine Reihe von Buchstaben- und Wortumstellungen. Nach den traditionellen Regeln des Spiels sollten dadurch sinnvolle Wörter, Zeilen, womöglich ein bedeutungsvoller Gedichtzusammenhang entstehen. In den Besonderheiten der Ausführung zeigt sich jedoch, dass Zürn das Komik-Potenzial, welches die spezielle Form birgt, in moderner Weise ausnutzt. Zum einen verstärkt sie deren Selbstbezüglichkeit: Es gehört zu den Rezeptionsbedingungen des Anagrammgedichts, dass es sich als solches zu erkennen gibt. Hier wird dies nicht nur im Titel ausdrücklich, der das sprachliche Material der anagrammatischen Operationen voranstellt. In jeder Versgruppe wird der Titel einmal so wiederholt, dass dieselben Worte vorkommen, lediglich in verschiedener Folge und daher auch in einer gewissen Bedeutungsvariation: „Ein Anagramm ist das Gedicht“ (Z 1), „das ist ein Anagrammgedicht“ (Z 8), „Gedicht. Das ist ein Anagramm“ (Z 20). 512 Dadurch wird der Leser immer wieder daran erinnert, dass er es mit einem poetischen Prozess zu tun hat, der sich nach der Regel der Permutation - dem Durchführen aller Kombinationsmöglichkeiten - noch weiter fortsetzen ließe als es das Gedicht selbst praktiziert. Die Analogie zur kommunikativen Autopoiesis ist deshalb zwingend, weil ausschließlich dieselben Elemente verwendet werden, dasselbe Buchstabenmaterial. Streng genommen entspricht dies nicht ganz den Verhältnissen der Theorie, denn darin ist Kommunikation eben kein materieller Bestandteil, sondern ein Vorgang. Für das Funktionieren der Gedichtform ist jedoch neben den Ausgangselementen die gleich bleibende Verarbeitungsweise des Umstellens genauso wichtig. Was hervorgehoben wird, ist die Anschlussfunktion. Das wird deutlicher, sobald man den Vergleich zu Erzähl- und Dramentexten anstellt: Dort waren es Monolog und Dialog, die vorgeführt haben, dass soziale Kommunikation autopoietisch abläuft. Im Gedicht gibt es nichts mehr, was dem empirischen Kommunizieren gleichkommt - keine Sprecher, keine Verständigung. Der Theorie folgend könnte man höchstens sagen: Das Gedicht kommuniziert in sich selbst. Von Zeile zu Zeile realisiert Zürns Text jene Möglichkeiten, die er laufend hervorbringt. So versteht das Anagramm zwar nicht seine eigene Bedeutung, aber die Regel, die ihm das Anschließen ermöglicht. Trotzdem ist damit seine Komik nur zur Hälfte, nämlich nach der kommunikativen Seite hin beschrieben. Welche Gegenstrategie wird entfaltet? 512 Unica Zürn: Das ist ein Anagrammgedicht. Zitiert nach Klaus Peter Dencker (Hg.): Poetische Sprachspiele vom Mittelalter bis zur Gegenwart. (Universal-Bibliothek 18238) Stuttgart: Reclam 2002, S. 204. <?page no="205"?> 201 Obwohl ein Anagramm ursprünglich daran gebunden ist, durch Änderung von Buchstabenposition und Wortgrenze neue reguläre Bedeutungseinheiten, also Wörter zu bilden, besitzt es auch eine Lizenz zum Unsinn, weil durch die variierende Kombination Aussagen entstehen können, die Köhlers Definition des Nonsens entsprechen: Empirische, logische, sprachliche Unmöglichkeiten werden realisiert. Dazu verstärkt die Gedichtform die für alle literarischen Werke geltende Aufforderung, nach einem textinternen Sinnzusammenhang zu suchen. Im Unterschied zu traditionellen Exemplaren treibt Zürn die Freiheit des Anagramms bis zur Produktion von Einheiten, die isoliert keinerlei Bedeutung mehr tragen: „Ti“ (Z 3), „Na“ (Z 17), „Dichtang“ (Z 13), „Anadicht“ (Z 15), „Geistgramm“ (ebd.), bloße Buchstabenfolgen statt Silben, „i-aa“ (Z 4), „E-AA“ (Z 10), „E-A“ (Z 13), das sinnlos gedoppelte „am“ (Z 5). Solche Elemente sind weder sprachlich regulär, wenn auch meist als Kompositum grammatisch korrekt gebaut, noch referenzialisierbar, d.h. mit einem Bezug auf außersprachliche Wirklichkeit versehen. Dadurch sperrt sich der Text dem normalen Modus des Verstehens und riskiert, ohne textexterne Folgekommunikation zu bleiben. Damit ist nun die gesuchte Gegenstrategie gefunden, die zwar auf die gesamte Spracharbeit der Avantgarden zutrifft, jedoch im modernen Anagramm auf komische Weise zugespitzt wird. Um dies vollständig zu erfassen, muss nunmehr die Kommunikation außerhalb des Textes über den Text hinzugedacht werden, und das bedeutet im Falle von Literatur: Interpretation. Das Gedicht mag partiell unverständlich sein, von Zeile zu Zeile sowie im Ganzen erweist es sich dennoch als interpretierbar. Ohne dies im Einzelnen auszuführen: Zürns lyrisches Experiment liefert genügend Anhaltspunkte für eine poetologische Deutung. Eingeleitet wird jene Lesart bereits durch den Titel und die erste Zeile „Ein Anagramm ist das Gedicht“, wobei die Umstellung gegenüber dem Titel darauf hindeutet, dass der Text nicht nur über sich selbst spricht, sondern allgemeiner über die Lyrik. Insofern wird eine dichtungstheoretische Interpretation eröffnet und, in der Variation des Titels am Anfang oder Ende jeder Versgruppe, wieder aufgerufen. Diese Deutungsansätze werden im Verlauf der Rezeption des Gedichts mehrfach durch Nonsens- Elemente sabotiert. Es läuft jedoch darauf hinaus, die beiden Richtungen nicht etwa nach Textstellen zu trennen, sondern vielmehr ihre komische Gleichzeitigkeit und Wechselwirkung zu betonen. Nicht nur in diesem einen Text, in vielen Beispielen von Nonsens-Lyrik ist die hochkomische Ambivalenz strukturell eng verwandt mit Interpretation als Medialität der modernen Literatur. 513 Doch auch die Unterschiede verdienen Beachtung: Hochkomik betont zum einen den Gleichlauf interpretationsfördernder und interpretationsverweigernder Momente, dazu aber auch dessen Ambivalenz zur Funktionsweise des sozialen Systems. 513 Zum Medienbegriff nach Jahraus siehe Abschnitt 3.1. <?page no="206"?> 202 Eine komische Besonderheit der Nonsens-Poesie ist nicht zuletzt ihr Vermögen, das generelle Funktionsgesetz des kommunikativen Aneinander- Anschließens auf dem Wege der Wahrnehmung zu vermitteln: Dadurch fällt die komische Wirkung sehr viel stärker und direkter aus als bei Texten, die mit Interpretationsanreizen gegen den Kommunikation aufs Spiel setzenden Nonsens angehen. Moderne Hochkomik ist grundsätzlich weit mehr auf Interpretation angewiesen als das vormodern Karnevaleske, in der Lyrik zeigt sie sich den Sinnen zugänglich. Zürns Gedicht steht für ein Paradigma lyrischer Hochkomik, Varianten sind in der poetischen Avantgarde des 20. Jahrhunderts überaus häufig. Dabei werden mitunter mehrere autopoietische Figuren kombiniert, z.B. das Anagramm mit dem Reim in Klaus Urbans in diesem unserem lande, Untertitel „ein anagramm“: „in diesem unserem lande/ in diesem leser an munde/ in diesem unselen rande/ im diesel nense ma runde“ (V 1-4) 514 . Durch die Reimform sind die Möglichkeiten des Anagramms stärker eingeschränkt, durch die Kombination wird jedoch das Signal der Autopoiesis gleich doppelt gesendet. Anders als bei Zürn sind die Interpretationsanreize schwächer, die Nonsens-Züge dafür ausgeprägter. Man kann dies als eine Radikalisierung der Hochkomik werten, insofern die Gegenstrategie dominant auftritt und die kommunikative Tendenz nicht mehr über Interpretation, sondern rein über die Wahrnehmung durchschlägt. Während Zürns Anagramm nur dadurch komisch wird, dass der Leser versteht, um welche Form es sich handelt, genügt in Urbans Spielerei die sinnliche Wirkung des Reims. In diesem unserem lande lässt die Lautwiederholung für sich sprechen, zusammen mit dem frei sich fortsetzenden Unsinn, der aber an ein sinnvolles und daher nicht mehr komisches Ende gelangt: „reime sinn! salu dem ende! / mann, sei ende, sudelreim! “ (V 23-24) Die Hochkomik dauert nicht ganz so lang wie das Gedicht. Nach den Regeln von Permutation und Alliteration treibt sich Franz Mons konterkariert voran, ohne ein zwingendes Ende zu erreichen. Wieder werden eine analytische und eine sinnlich erfahrbare Figur parallel geführt. Dagegen besteht die Nonsens-Strategie darin, durch Banalität das Niveau der Interpretierbarkeit zu unterschreiten: „kann keiner köpfen? / einer könnte kullern/ keiner konnte köpfen! “ (V 34-36) 515 . Im Durchführen aller denkbaren Verbindungen einer begrenzten Zahl von Bedeutungselementen übt sich außerdem Günter Bommerts Magisches Quadrat. Darin kommt es weniger auf die Bedeutung der Aussagen an, die Frage, ob eines der vier Tiere ein anderes fuchst, stört, wurmt, luchst oder nicht. Solange der Prozess der Reflexion darüber weitergeführt wird, wirkt er 514 Klaus Urban: in diesem unserem lande. Zitiert nach Klaus Peter Dencker (Hg.): Poetische Sprachspiele vom Mittelalter bis zur Gegenwart. (Universal-Bibliothek 18238) Stuttgart: Reclam 2002, S. 323. 515 Franz Mon: konterkariert. Zitiert nach ebd., S. 349. <?page no="207"?> 203 komisch, weil die Wiederholung des semantischen Materials zu hören ist. Der Titel lässt sich ambivalent deuten: Zwar weist er die Endlichkeit des Textes aus, vier Blöcke, öffnet ihn aber mit der Vorgabe „magisches Quadrat“ zugleich der Interpretation: Wie lautet die Bedeutungssumme der vier Versblöcke, die immer gleich bleibt, von welcher Stelle aus oder in welche Richtung man liest? Andererseits kann der Titel auch gegen interpretierende Kommunikation außerhalb des Textes gerichtet sein, weil er die banale Indifferenz seiner Ausführungen anzeigt: Hier gibt es nichts zu deuten! 516 Diese gesteigerte Ambivalenz tut der modernen Komik gerade keinen Abbruch, sondern verwirklicht diese in typischer Weise. Ein weiteres Beispiel für Wiederholung und Variation des Sprachmaterials liefert ein ohne Titel gesetzter Text von Franz Mon: 517 Die Verben „laufen“, „faulen“ und „fallen“ wechseln in der ersten Person zwischen Präsens und Präteritum: „lauf ich lief ich faul ich fall ich“ (V 1) Das Gedicht wendet seine grammatische Regel auf wenige semantische Grundbausteine an. In theoretischer Analogie präsentiert sich der Text als geschlossener Prozess, als autopoietische Reproduktion. Änderungen der Zusammensetzung und Wortstellung ergeben zwanzig Zeilen, die sich durch je ein Merkmal bzw. das davon bestimmte Element unterscheiden. Zu dieser formalen Anordnung gehört auch, dass der Text auf derselben Teilformel endet, mit der er beginnt: „lauf ich“. Somit wird eine Zirkelstruktur angedeutet, wie sie schon in den Liedmotiven von Leonce und Lena und zuletzt in Warten auf Godot komiktheoretisch interpretiert worden ist. Der komische Verlauf ist aber in diesem Fall doch ein anderer: Ambivalenz entsteht nicht zu Anfang des Gedichts, sondern erst in den sich akkumulierenden Wiederholungen und durch die Reihung der Variationen. Die Annahme, dass der Leser aufgefordert ist, die minimalen Unterschiede der Zeilen zu interpretieren, bildet sich nicht schon mit der ersten Zeile, sondern in den darauf folgenden. Obwohl kaum festzulegen ist, an welcher Stelle, dürfte mit der steigenden Zahl der Folgen ein Umschlagpunkt erreicht werden. Die interpretatorische Herausforderung kippt in das rein formale Experiment um und damit in die Uninterpretierbarkeit. Sobald diese abstrahierende, negative Tendenz greift, sind die Bedingungen für Hochkomik erfüllt, denn nun kann die Wiederholung als kommunikative Autopoiesis wahrgenommen werden. An solchen Grenzen der Analyse erweist sich nachdrücklich, dass Komik ohne Hinweis auf die Zeitlichkeit des Textes und seiner Rezeption nicht zu beschreiben ist. Die komische Gleichzeitigkeit ist auch in den kurzen Spannen der Lyrik nicht unbedingt mit der gesamten textlichen Länge bzw. Dauer gleichzusetzen. 516 Günter Bommert: Magisches Quadrat. Zitiert nach Klaus Peter Dencker (Hg.): Poetische Sprachspiele vom Mittelalter bis zur Gegenwart. (Universal-Bibliothek 18238) Stuttgart: Reclam 2002, S. 281. 517 Franz Mon: [ohne Titel]. Zitiert nach ebd., S. 265. <?page no="208"?> 204 Die bisher behandelten Exemplare der Nonsens-Lyrik sind in ihrer Komik nicht auf ein bestimmtes Thema des Gedichts festgelegt. Gefragt war nur, inwieweit der Text die außertextliche Kommunikation des Interpretierens anregt und zugleich durch Mittel des Nonsens untergräbt. Genauso aufschlussreich ist jene Gruppe von Texten, die an Stelle des Nonsens eine existenzielle Thematik setzt. Man kann darin die lyrische Ausformung des Paradigmas sehen, das an den komischen Dramen bzw. Erzählungen von Büchner, Bernhard und Beckett aufgewiesen wurde: Der soziale Prozess wird auf eine Situation existenzieller Gefährdung übertragen, um den Fortgang der Kommunikation in Frage zu stellen. Das redende und vielleicht bald nicht mehr redende Subjekt ist ein Hilfskonstrukt, mit dem das Aufhören des Vorgangs darstellbar wird. Jene Art der modernen Subversion können auch Texte betreiben, die wegen ihrer konservativen Reimform sonst nicht zur Avantgarde gezählt werden. Dies illustriert ein Gedicht des modernen Nonsens-Klassikers Robert Gernhardt, Ach. Es besteht zum größten Teil aus einem einseitigen Dialog des Sprechers mit dem Tod. Sowohl die allegorische Gestalt des Sensenmannes als auch der Versuch, den Tod durch Erzählen (Scheherazade) oder Gespräch aufzuhalten, sind traditionelle Motive, denen Gernhardt eine moderne Pointe abgewinnt. Dabei kommt dem Reim eine wichtige Rolle zu. Eine Stropheneinteilung gibt es nicht, gereimt wird nach dem Schema abcb. Dass es sich um einen gedachten, keinen zeitgleich erlebten Dialog handelt, sei vorerst vernachlässigt. In der geschilderten Situation kann man davon ausgehen, dass der Todeskandidat noch lebt, solange er spricht bzw. solange er reimt. Das Schema ist jedoch in sich doppeldeutig: Während die Wiederkehr der sich reimenden Zeilen darauf zielt, dass es weitergeht, durchbrechen die dazwischen ungereimten Zeilenenden diese Erwartung. „Und wie soll es weitergehen? “ 518 (V 16) lautet eine der vielen Fragen über das Sterben, die der Heimgesuchte an den Sensenmann stellt, um Lebenszeit zu gewinnen. Insofern verhalten sich Thema und Funktion des Redeschwalls komisch ambivalent. Man könnte einwenden, dass der mit dem Tod des Gedicht-Subjekts einhergehende Abbruch des Kommunizierens nicht wirklich bevorsteht, da sich der Sprecher des Textes nicht auf dieser imaginären Ebene des Geschehens befindet, sondern außerhalb davon, wenn es eingangs heißt: „Ach, noch in der letzten Stunde/ werde ich verbindlich sein./ Klopft der Tod an meine Türe,/ rufe ich geschwind: Herein! “ (V 1-4) Doch gerade diese Trennung der Ebenen wird durch das auch zu Beginn schon laufende Reimschema und die fehlende Stropheneinteilung verwischt. Dadurch erreicht die Hochkomik von Ach, eingeleitet durch das „Herein! “, einen paradoxen Schlusspunkt. Der letzte Reim kommt nicht zustande, weil die 518 Robert Gernhardt: Ach. In: Ders.: Lichte Gedichte. Zitiert nach Ders.: Gedichte 1954- 1997. Vermehrte Neuausgabe. Zürich: Haffmans 1999; S. 618. <?page no="209"?> 205 Figur durch den Sensenmann zum Schweigen gebracht wird: „womit ich nur sagen will/ - ach, ich soll hier nichts mehr sagen? / Geht in Ordnung! Bin schon“ (V 22-24). 519 Eine zweite Deutungsmöglichkeit erlaubt die formal auffällige Tatsache, dass die Reimform auch die Einleitung umfasst, die weder durch Zeilennoch durch Strophengrenzen von der Aufschubrede getrennt ist. Bis dahin hat die Rahmung mitgeteilt, dass der Produzent des Textes nicht betroffen ist und weiterhin dichten kann. Der Textschluss schafft dagegen eine Unentscheidbarkeit, immerhin kann das Ausbleiben des mutmaßlichen Reimworts „still“ genauso dem Ableben des sprechenden Dichters geschuldet sein. Das Ende des Gedichts fällt mit dem Ende seiner Hochkomik zusammen, denn beide Bedingungen - Erwartbarkeit der Reimfortsetzung und die Existenz des Sprechers - sind nicht länger gegeben. Das Beispiel Gernhardt beweist, dass die Interpretation einzelner Texte darüber entscheidet, ob man von herkömmlichem Nonsens oder moderner literarischer Komik sprechen kann. Die existenzielle, hochkomische Thematisierung von Kommunikation ist auch in experimenteller, sprachspielerischer Lyrik der Moderne zu finden. felt futsch von Kurt Bartsch sieht das Ende des Dichtens nicht durch den Tod des Sprecher-Subjekts kommen, sondern durch den Weltuntergang. Textgemäß muss es heißen „feltuntergang“, die Ersetzung der Buchstaben bzw. Laute „w“ und „v“ durch „f“ ersetzt in diesem Gedicht die Funktion des Reims. Es ist das wahrnehmbare Prinzip des Anschließens. In komischer Lektüre versteht es sich, dass selbst der Weltuntergang die poetische Kommunikation nicht anhalten kann, „for fier fochen/ far feltuntergang/ wortsetzung folgt“ (V 9-11) 520 . Der Autopoiesis des Textes folgend denkt man die „fortsetzung“ hinzu, was (fast) dasselbe bedeutet: Das Dichten, die „wortsetzung“, wird nicht aufgegeben; für dieses spezielle Gedicht ist eine Fortsetzung geplant. Es sei denn, die „wortsetzung“ meint eine Korrektur der poetischen Sprachverwendung. In solcher Doppeldeutigkeit zwischen bedrohter Menschheitsexistenz und dem Weiter-Anschließen der Poesie wird die Ambivalenz der Komik lesbar. Von poetischer Apokalypse schreibt Friederike Mayröcker in Hiobs-Post oder die 19 auftritte. Dieser Text findet einen anderen Weg, den autopoietischen Vorgang des Kommunizierens nachzubilden, als Reim und Lautwiederholung. Die ersten neunzehn Zeilen der Hiobs-Post zeigen, wie in ununterbrochener Folge während der Rede eines unbenannten Sprechers der nächste Sprecher zu reden beginnt: „als dieser noch redete kam ein 519 Zur Reimverwendung bei Gernhardt vgl. Daniel Arnet: Der Anachronismus anarchischer Komik. Reime im Werk von Robert Gernhardt. (Europäische Hochschulschriften 1, 1587) Frankfurt/ M. u.a.: Lang 1996. 520 Kurt Bartsch: felt futsch. Zitiert nach Klaus Peter Dencker (Hg.): Poetische Sprachspiele vom Mittelalter bis zur Gegenwart. (Universal-Bibliothek 18238) Stuttgart: Reclam 2002, S. 318. <?page no="210"?> 206 anderer und sprach/ als dieser sprach kam ein anderer und verkündete/ noch redete dieser als ein anderer eintrat und sprach/ während dieser noch sprach trat ein anderer ein und verkündete“ (V 1-4) 521 . Eine ganze Reihe abstrahierender Maßnahmen kommt hier so zusammen, dass man die Funktionsweise des Sozialen wiedererkennen kann. Weder die Sprecher werden genannt noch das, was sie zu sagen haben. Der Prozess, der dadurch hervorgehoben wird, erhält durch die temporalen Konjunktionen „als“ und „während“ die Form eines Übergangs ohne Pause. Ob die Sprecher aufeinander Bezug nehmen, scheint unerheblich zu sein. Deshalb ist weniger Kommunikation angezeigt, wobei eine Mitteilung als Information verstanden würde, als vielmehr der bloße systemische Ablauf kommunikativer Autopoiesis. Durch die Einteilung der Verse bietet sich das bruchlose Aneinander-Anschließen der Redevorgänge am stärksten der Aufmerksamkeit an: Am Beginn jeder Verszeile stehen die Konjunktionen oder das Adverb „noch“, die das Andauern des Redens mitteilen, den Schluss bilden die Rede-Verben „sprechen“ und „verkünden“, innerhalb der Verse findet in einer temporalen Konstruktion von Haupt- und Nebensatz die Überschneidung bzw. Ablösung zwischen dem aktuellen und dem folgenden Sprecher statt. Ähnlich dem Magischen Quadrat wird das begrenzte Wortmaterial durch Permutation des syntaktischen Aufbaus sowie der semantischen Elemente variiert. Im Laufe des Gedichts Hiobs-Post kann man so in erster Linie verstehen und wahrnehmen, dass sich der soziale Prozess nach der ihm eigenen Logik fortführt. Im Sinne der komischen Ambivalenz muss jedoch die Erwartung des Endes, die der Titel und die Zählung der Auftritte wachrufen, zeitgleich präsent sein. Die gegenläufige Parallele von Weltende und fortwährender Poesie bringt das zum Gedicht gehörige „post scriptum“ zur Geltung. Dort ist von einem Subjekt die Rede, das, früher „schön sanft und fröhlich“ (V 21), jetzt „bereit zum Tode“ (V 28) ist. Die apokalyptische Dimension lässt sich nur über die Botschaft der neunzehn Verkünder ergänzen. Überhaupt ist die moderne Hochkomik dieser lyrischen Nachschrift nur im Bezug auf den Hauptteil interpretierbar, der keine poetische Sprache mehr bietet, sondern funktionale Reduktion. Was in der variierten Reihe der Sprecher die Wiederholung leistet - eine Versinnlichung der Fortsetzbarkeit - tun im Postkriptum die Fortsetzungspunkte an Anfang und Schluss, zwei statt der üblichen drei. Im Vergleich zu Gernhardts Ach wird an Mayröckers Text und der hier versuchten theoretischen Deutung anschaulich, welches Spektrum konventioneller wie auch experimenteller Schreibweisen die Hochkomik der modernen Lyrik zeigt. 521 Friederike Mayröcker: Hiobs-Post. Zitiert nach Klaus Peter Dencker (Hg.): Poetische Sprachspiele vom Mittelalter bis zur Gegenwart. (Universal-Bibliothek 18238) Stuttgart: Reclam 2002, S. 288. <?page no="211"?> 207 Damit sich herausstellt, dass es sich bei den betrachteten Gedichten zwar um Einzelfälle handelt, aber doch um solche von paradigmatischem Wert, sei ein letztes Beispiel angeführt. Ludwig Harigs ausstellungseröffnung demonstriert eine Abwandlung des bei Mayröcker analysierten Musters. Syntaktisch und semantisch ist auch dieser Text ganz auf das nahtlose Anschließen der Vorgänge abgestellt: „sobald das schweigen beginnt muß ich vom malen reden/ sobald das schweigen malt muß ich vom beginnen reden/ sobald das schweigen redet muß ich vom beginnen malen“ (V 1- 3) 522 . Den Anfang machen Tätigkeitswörter für ein empirisches Verständnis von Kommunikation, „reden“ bzw. „schweigen“. Zu vermeiden ist das Nicht-Kommunizieren, deshalb „muß“ das „ich“ unverzüglich zu reden anfangen, „sobald“ das Schweigen beginnt. Dieser immer gleiche Ablauf wird auf nicht-kommunikative Tätigkeiten übertragen, „beginnen“ und „malen“. Vor allem aber wird das anti-kommunikative „schweigen“ in Kombinationen gebracht, die das weitere Anschließen gewährleisten, etwa „vom schweigen malen“ (V 6, 8) oder „vom reden schweigen“ (V 17, 24). Insofern arbeitet sich ausstellungseröffnung von einer empirischen Thematisierung zu einer funktionalen Performanz von Kommunikation durch. Alle semantischen Zusammensetzungen sind erlaubt, solange das Gedicht in seinem autopoetischen Prozess nicht schweigen, d.h. aufhören muss. Es erlaubt außerdem interpretatorische Anschlüsse, denn obwohl Wendungen wie „vom schweigen malen“ und „vom reden schweigen“ unsinnig oder paradox erscheinen, erschließen sie sich durch Interpretation einer poetologischen Anschlusskommunikation: Dem Text ist zu entnehmen, was vor sich geht, wenn das Subjekt ein Gemälde, ein Kunstwerk produziert und rezipiert. Lyrische Hochkomik ist nicht ohne erhöhte Deutungsanstrengung zu haben, ebenso wenig aber ohne den Impuls an die Wahrnehmung, dass das poetische Sprechen in jedem Fall fortfährt. Vom Nonsens als Begriff und literarische Gattung sind die in diesem Abschnitt gebotenen Anwendungen der komiktheoretischen Formel ausgegangen. Dabei wurde jedoch nach und nach der Kreis der Texte auf allgemeine und werkspezifische Phänomene experimenteller Poesie im 20. Jahrhundert ausgeweitet. Deshalb soll resümiert werden, welches Feld die Konzeption der Hochkomik abdecken kann und wo ihre Grenzen gegenüber anderen Beschreibungskategorien der lyrischen Moderne verlaufen. Auf die Besonderheiten gegenüber den Differenzen der Interpretation in der Theorie des Mediums Literatur wurde bereits hingewiesen. Es sind vor allem die Gleichzeitigkeit, eine ambivalente soziale Ausrichtung und die Figuren wahrnehmbarer Autopoiesis, welche den Unterschied der Komik zur generellen literarischen Modernität ausmachen. Nonsens wiederum, so 522 Ludwig Harig: ausstellungseröffnung. Zitiert nach Klaus Peter Dencker (Hg.): Poetische Sprachspiele vom Mittelalter bis zur Gegenwart. (Universal-Bibliothek 18238) Stuttgart: Reclam 2002, S. 272. <?page no="212"?> 208 wie Köhler den Gattungsbegriff definiert hat, ist nur eine Strategie, mit der Gedichte die Anschlussfunktion des Kommunizierens aus der Selbstverständlichkeit des sozialen Prozesses herauslösen. Es gibt darüber hinaus thematische Ansätze, die Interpretierbarkeit gerade nicht gefährden, sondern auf einem bestimmten Deutungsinhalt beruhen: Motive des existenziellen Endes - individuelles Sterben, Weltuntergang - werden auf ein komisches Problem hin inszeniert: Kann der Prozess des Gedichts und der Poesie trotzdem überdauern? Dass solche Texte den Ausgang des Experiments, das sie durchführen, zweideutig offen halten, in der eigenen Performanz und für die Sinne des Lesers aber das Prinzip des unendlichen Fortgangs hochhalten, macht sie auf komische Weise ambivalent. Insofern sind sie kaum mit älterer Lyrik zum Topos der Vergänglichkeit zu verwechseln. Obgleich Anagrammgedichte und poetische Spielereien der variierenden Wiederholung schon seit Jahrhunderten belegt sind, wird doch das Verfahren der Permutation in der Avantgarde überdurchschnittlich oft eingesetzt. Der Grund ist die rückbezügliche Verarbeitung gleicher Elemente, mit der sie das systemische Gesetz des geschlossenen Kommunikationskreislaufs nachahmt. Sie ist daher eine Alternative zum als unmodern geltenden Reim. Was nicht mehr im Bereich der Formel liegt, sind sprachlicher Unsinn und konkrete Poesie. 4.5.3 Idiosynkratische Werk-Komik Am Beispiel Arno Schmidts soll eine weitere typische Erscheinungsform komischer Avantgarde dargestellt werden. Davon abgesehen gehört er in die mit Kleist und Büchner begonnene Reihe von Autoren, die ihren Platz im Kanon der literarischen Moderne nicht unbedingt der in ihrem Werk dennoch präsenten Komik verdanken. Der „Klassiker-Status“, den Schmidt nach seinem Tod erlangt hat, sei „nur zu einem geringen Teil auf die komischen Züge seiner Texte zurückzuführen“ 523 . Generell mindert die Produktion literarischer Komik die Aussicht auf wissenschaftliche Rezeption, wie Kruckis anhand der Neuen Frankfurter Schule zeigt. Angesichts der höchst produktiven Schmidt-Philologie erscheint die Zahl der Beiträge, die das Komische seiner Schreibweise ausdrücklich untersuchen, gering. Eine monographische Studie zur Perspektive des Humors und zur Kultivierung des gelehrten Witzes unternimmt Eisenhauer und geht dabei auf die sprachliche und intertextuelle Verfertigung des Witzigen ein. Von welcher Warte aus Schmidt sein „humoristische[s] Weltgericht“ 524 abhält, erläutert 523 Hans-Martin Kruckis: Zur Kanonisierung komischer Autoren. In: Autorität der/ in Sprache, Literatur, Neuen Medien. Vorträge des Bonner Germanistentages 1997. Bd. 2. Hg. von Jürgen Fohrmann. Bielefeld: Aisthesis 1999, S. 826. 524 Gregor Eisenhauer: „Die Rache Yorix“. Arnos Schmidt Poetik des gelehrten Witzes und der humoristischen Gerichtsbarkeit. (Studien zur deutschen Literatur 122) Tübingen: Niemeyer 1992, S. 183. <?page no="213"?> 209 Kruckis mit den Begriffen „Atheismus“ und „negative Anthropologie“ 525 ; er verschweigt ebenso wenig die dabei unterlaufenden „Kalauer“ und „Zoten“ 526 . Wie schon bei Kafka und Bernhard bewegt sich die Aufarbeitung des komischen Aspekts überwiegend zwischen der Exegese einer komischen Weltanschauung des Autors und der bloßen Aufzählung komischer Stilformen und Gattungsmerkmale. Für die Würdigung der besonderen Komik im Werk Arno Schmidts hat sich zuletzt Thomas Ringmayr ausgesprochen. Diese solle jedoch nicht länger als Eigenheit unterschätzt, sondern vor dem Hintergrund der avantgardistischen Moderne beurteilt werden. Mit Karl Rihas Befund zu Cross-Reading und Cross-Talking (1971) werden die von Schmidt ausgiebig und komisch genutzten Zitiertechniken als Signum modernen Schreibens bestimmt. „Produkte eines zitierenden Kombinationsverfahrens sind von ihrem Wesen her komisch, jedenfalls potentiell komikhaltig.“ 527 Ob auch an die daraus erwachsenden Inkongruenzen oder Überraschungsmomente gedacht ist, führt Ringmayr nicht näher aus. Er sieht Modernität und Komik hauptsächlich in der Qualität des Spielerischen zusammenfallen. Die eigenwillige Zeichensetzung und Strukturierung der schmidtschen Texte teilen die „spielerisch-karnevalistische[ ] Grundhaltung kombinatorischer Verfahren und der literarischen Moderne“ 528 . Im Rekurs auf Peter Sloterdijks Kritik der zynischen Vernunft (1983) wird eine zweite Kennzeichnung der autorspezifischen Komik eingeleitet. Demnach ist Schmidt kein Zyniker des bürgerlichen Zeitalters, er greife vielmehr auf die Rolle des griechischen Kynikers zurück. Jene „reine Komik“ sei ein „Verkleidungs-, Nachahmungs- und witziger Kombinationsdiskurs“ 529 , der sich eben auch auf die niederen Ebenen von Zote und Kalauer begeben darf, um den „Hochdiskurs“ zu „unterlaufen“ 530 . Tatsächlich nutzt Ringmayr mit Sloterdijks Typologie eine Wahlmöglichkeit zum Modell des Karnevalesken. Diese bringt jedoch den schon an Bachtins Theorie aufgewiesenen Nachteil mit sich, über die spezifische Modernität solcher Spiele nicht viel aussagen zu können. Es sei denn, man schreibt die Wiederkehr des Kynikers dem Anarchie-Programm der Avantgarden zu. Vorteilhaft wirkt sich das Konzept insofern aus, als damit nicht nur einzelne komische Mittel, sondern die disparate Vielfalt der von Schmidt gebrauchten Komik- Instrumente fassbar wird: esoterisch-witzige Anspielungen genauso wie 525 Hans-Martin Kruckis: Zur Kanonisierung komischer Autoren. In: Autorität der/ in Sprache, Literatur, Neuen Medien. Vorträge des Bonner Germanistentages 1997. Bd. 2. Hg. von Jürgen Fohrmann. Bielefeld: Aisthesis 1999, S. 821. 526 Ebd., S. 822. 527 Thomas Ringmayr: Oxyges Gebrälle. Zu Kynismus und Komik Arno Schmidts. In: Zettelkasten 18 (1999), S. 203. 528 Ebd., S. 201. 529 Ebd., S. 219. 530 Ebd., S. 220. <?page no="214"?> 210 lustvolle Tabuverletzungen. Dennoch soll hier ein neuer theoretischer Anlauf genommen werden, er zielt insbesondere auf die Steigerung der schmidtschen Methode, die mit Zettel’s Traum gegeben ist. Es wird zu begründen sein, weshalb eine auf die Spitze getriebene Eigenheit des Werks moderne Hochkomik hervorbringen kann. Im Hinblick auf das zu entdeckende Paradigma wird ein systemtheoretischer Baustein wichtig, der bisher nur punktuell in die Interpretation des Zerbrochnen Krugs eingearbeitet wurde: das symbolisch generalisierte Kommunikationsmedium. Luhmann führt es als Vor- und Begleitform systemischer Ausdifferenzierung des Sozialen ein. 531 Solch ein Medium unterstützt den Code und die Funktion, durch die sich ein Teilsystem gegen seine Umwelt abschließt, und zwar darin, Komplexität zu reduzieren, die Kontingenzen von Kommunikation abzubauen und dafür die Erwartbarkeit der Anschlüsse zu erhöhen. Gefordert ist es vor allem in hoch komplexen, kontextabhängigen und neuartigen sozialen Situationen. Seine Leistung besteht eben darin, die Selektionen der Kommunikation auch unter jenen schwierigen Bedingungen zu motivieren. Wie muss ein Medium beschaffen sein, um diesen Dienst leisten zu können? Es ist so auf sein Teilsystem abgestimmt, dass es eine Zurechnung auf die Code-Werte herausfordert, ohne bereits festzulegen, auf welche Seite der Wertung die kommunikative Wahl fällt. Weil es nur das Zeichen jener Operation ist und in dieser Eigenschaft keinen Inhalt trägt, nennt Luhmann solche Medien „symbolisch generalisiert“. Sie sind in der Lage, „Identität und Nichtidentität zu kombinieren, also Einheit in der Mannigfaltigkeit darzustellen und als Beschränkung des Möglichen erwartbar zu machen“ 532 . Luhmanns Beispiele für Kommunikationsmedien dieser Art sind „Liebe“ im System der Intimität, „Geld“ für die Wirtschaft und „Macht“ für die Politik. 533 Dem Teilsystem Kunst, das am ehesten Rückschlüsse auf das Subsystem Literatur zulässt, weist Luhmann das Medium Schönheit zu. Einen überzeugenden Gegenvorschlag unterbreiten Gerhard Plumpe und Niels Werber. Sie halten „Werk“ für das passende Konzept, „ein spezialisiertes Angebot, in literarische oder Kunstkommunikation einzusteigen, etwa wie Geld eines ist, sich in Tauschprozesse einzulassen“ 534 . Der Begriff „Werk“ wird systemtheoretisch definiert, als Einheit der Differenz, d.h. Verarbeitung der Unterscheidung Medium - Form. Im Abgleich mit der Empirie wie mit dem von Luhmann aufgestellten theoretischen Profil 531 Vgl. Niklas Luhmann: Einführende Bemerkungen zu einer Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien. In: Ders.: Aufsätze und Reden. Hg. von Oliver Jahraus. (Universal-Bibliothek 18149) Stuttgart: Reclam 2001, S. 31-75. 532 Ebd., S. 44. 533 Vgl. ebd., S. 48-50. 534 Gerhard Plumpe/ Niels Werber: Literatur ist codierbar. In: Literaturwissenschaft und Systemtheorie. Positionen, Kontroversen, Perspektiven. Hg. von Siegfried J. Schmidt. Opladen: Westdeutscher Verlag 1993, S. 26. <?page no="215"?> 211 bringt die Vorgabe des Werks alle Voraussetzungen eines symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums mit. Ohne die Erwartung, einem Werk gegenüberzustehen, kommt die Frage des Codes „literarisch/ nichtliterarisch“ erst gar nicht auf. 535 Sie ist auch der Anlass, darüber zu kommunizieren, welche Form ein Text dem sprachlichen, erzählerischen Medium gegeben hat, wie er also die gegenüber der Form lose vorhandenen Elemente fest koppelt. Das Werk zeichnet sich in dieser Fassung auch dadurch aus, dass es zwar konkretere Unterscheidungen erfordert, zugleich aber sehr flexibel auffüllbar ist, je nach den uneinheitlichen, historisch wandelbaren Programmen des Systems Literatur. Das wären Poetiken, Manifeste, selbst literaturwissenschaftliche Kategorien wie Gattungen und Epochen. Mit solchen Programmen ist das einzelne Werk immer zugleich identisch und nichtidentisch, es bildet den Einheitshorizont vielfältiger Textstrukturen, Mehrdeutigkeiten und Kontextbezüge. Solange es als Werk kommunikativ verhandelt wird, kann es sogar singulär erscheinen und aus allen Begriffen, welche die Erwartungen der Kommunikation über Literatur steuern, herausfallen. Jenes spezielle und doch allgemein gehaltene Medium motiviert nicht zuletzt die Interpretation. Aus all dem folgt, dass mit der systemischen Konzeption vom Medium Werk eine Einsatzebene für die literarische Hochkomik zur Verfügung steht, die in den bisherigen Interpretationen und theoretischen Überlegungen dieses Bandes noch nicht diskutiert und belegt worden ist. Es wurde grundsätzlich festgehalten, dass die moderne Ausdifferenzierung nach Teilsystemen der komischen Gegenstrategie weniger Angriffsfläche bietet als die hierarchisch geordnete Gesellschaft der Vormoderne. Mit Ausnahme der „systemischen Zweideutigkeit“, wie sie am Beispiel von Kleists Zerbrochnem Krug interpretiert wurde, orientiert sich die komische Moderne vornehmlich an der basalen Ebene der Kommunikation und den noch darunter angesiedelten Organisationsformen Sinn und Autopoiesis. Im Kapitel zur Avantgarde des 20. Jahrhunderts besteht nun die Gelegenheit zu erkunden, was die komische Doppelstrategie innerhalb des Literaturbzw. Kunstsystems ausrichten kann. Um komisch zu sein, muss literarische Produktion nicht die idealistische Vorstellung des Werks radikal abschaffen, 536 vielmehr ist es ihr Auftrag, den Spielraum der Erwartungen und Zurechnungen, die mit der künstlerischen Formung eines Mediums verbunden sind, so auszunutzen, dass sich die Gleichzeitigkeit sozialer Ambivalenz herausbildet. In der Funktion des Werks kann sich z.B. literarische 535 Zu den Vorzügen dieses tautologisch gebauten Codes gegenüber dem von Plumpe und Werber ins Gespräch gebrachten „interessant vs. langweilig“ vgl. Oliver Jahraus: Literatur als Medium. Sinnkonstitution und Subjekterfahrung zwischen Bewußtsein und Kommunikation. Weilerswist: Velbrück 2003, S. 509. 536 Vgl. Peter Bürger: Theorie der Avantgarde. (Bibliothek Suhrkamp 727) Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1974, S. 76f. <?page no="216"?> 212 Kunst viel erlauben und trotzdem auf systemspezifische Weise kommuniziert werden, sie kann ihre Eigenheit, Neuheit und Kontextbedürftigkeit aber auch so weit treiben, dass sie für die Anschlüsse des Systems fast nicht mehr geeignet ist - allerdings nur fast, denn sonst wäre sie weder komisch noch literarisch noch Kunst. Wie eine solche moderne Hochkomik aussehen kann, lässt sich am Œuvre Arno Schmidts und in besonderem Maße an seinem Spät- und Großwerk Zettel’s Traum eingehender studieren. Dennoch zielen die Ausführungen über den Einzeltext hinaus auf das Paradigma der idiosynkratischen Werk-Komik. 4.5.3.1 Arno Schmidt Zettel’s Traum Wie man Zettel’s Traum im Gesamtwerk Schmidts und in der Geschichte des modernistischen Romans auch bewerten mag, dass der Autor damit ein avantgardistisches Projekt verfolgt hat, steht außer Frage. Es ist jedoch noch nicht versucht worden, die experimentelle Anlage dieses Textes als Komik der modernen Art nachzuzeichnen. Eine Interpretation im eigentlichen Sinne, wie sie etwa an Kafkas Schloß-Roman vorgenommen wurde, kann daher nicht geboten werden. Stattdessen will die Analyse aufzeigen, dass jene Weiterentwicklung der für Schmidt charakteristischen Schreibweise gerade in ihren Extremen die Möglichkeiten der komischen Ambivalenz auslotet, und zwar im Hinblick auf das Werk als Medium der Kommunikation im System Literatur. Durch die Gestaltung des Textes wird die Anschlussfähigkeit für das Reden über literarische Kunst einerseits erhöht, andererseits gefährdet. Was von einem Werk zu erwarten ist und die kommunikative Beschäftigung mit ihm fördert, entwickelt der Roman bis zu einem Grad, an dem man damit rechnen muss, dass Zettel’s Traum sich der sozialen Weiterverarbeitung gänzlich entzieht. Schwierigkeiten der Lektüre zählt Rüdeger Baumann auf: „unübersichtliche Typographie, insbesondere das Fehlen von Absätzen“, „ungewöhnliche Orthographie und Interpunktion“, „Wortverschreiberei (Etyms)“, „die beiden Randspalten“, „der Mangel an Orientierungsmöglichkeiten hinsichtlich des Gesamtzusammenhangs“, „die auch im Haupt-Textstrang passim eingestreuten Zitate“ 537 . Man kann zunächst jene Ebenen herausgreifen, die nicht nur für Zettel’s Traum relevant sind, sondern generell den schmidtschen Sonderstil des Erzählens ausmachen. Zeichensetzung und Rechtschreibung gehören zu den konventionellen Dimensionen eines literarischen Textes, die im Regelfall keinerlei Auswirkungen auf dessen Interpretation oder Interpretierbarkeit haben. Schmidt macht sie dagegen zu Medien einer Werk-Form. Er hat die Elemente der orthographischen, grammatischen Regeln in ganz eigener Weise fest gekoppelt. Seine Schrei- 537 Rüdeger Baumann: Wie „Zettels Traum“ lesen? In: Bargfelder Bote 219-221 (1997), S. 43. Zu zitieren wäre nach der Bargfelder Ausgabe, der Band erscheint 2008. <?page no="217"?> 213 bung ist nicht beliebig, sie bildet ein werkspezifisches System, das durchaus erschlossen werden kann. Insofern baut Schmidt zwar ein unerwartetes Lese-Hindernis auf, richtet es aber so ein, dass der Text über die Werk- Logik dem Verstehen bzw. der Kommunikation zugänglich wird. Mehr noch, er motiviert damit die philologische Auslegung zusätzlich. Komische Gegenläufigkeit ist erkennbar: Durch die sprachliche Gestaltung wird Interpretation angeregt wie auch erschwert. Schmidts „Wortverschreiberei“ betrifft nicht nur die Orthographie. Unabhängig von der psychoanalytisch grundierten Etymtheorie, welche in Zettel’s Traum die Figur Pagenstecher und in poetologischen Schriften der Autor selbst vertritt, werden an einem Wort durch die Abweichung von der normalen Schreibung weitere Wörter bzw. Bedeutungen lesbar. In der literaturwissenschaftlichen Begrifflichkeit ist dies entweder eine Methode zur Erzeugung modernistisch gesteigerter Ambiguität oder eine konzentrierte, exzessive Form der Intertextualität: Die Zusatzbedeutungen erweisen sich oftmals als Anspielungen auf andere literarische Texte. Zur Komik des etymischen Wortspiels führt eine andere Perspektive. Schmidt spricht in seiner Poetik von „Mehrfachformung“ 538 , aus dem Kontext gelöst taugt dies als Aufhänger für eine systemtheoretische Überlegung. Die Verschreibung verwandelt die Ebene des Wortes in ein Medium der Formung anderer Wörter. Dabei liegt der Werkaspekt in der Medium/ Form-Differenz, zweitens darin, dass die so gebildeten Formen im Hinblick auf den jeweiligen Schmidt-Text gedeutet werden müssen, drittens wiederholt sich dieser Vorgang durch die Eingliederung der Intertexte. Es werden also über das Werk dort Interpretationsmotive eingebaut, wo sie in literarischer Kommunikation sonst nicht zu erwarten wären. Für die Ambivalenz der Etym-Technik ist nicht zuletzt die Esoterik der literarischen Anspielungen verantwortlich. Genutzt wird eine kommunikative Erwartbarkeit des Literatur-Systems: Darin ist es gang und gäbe, dass nicht-literarische Texte darüber reden, wie literarische Texte über andere literarische Texte reden. Doch mit der Überfülle und Dichte der Zitate, dem hohen Grad ihrer Verschlüsselung und den zum Teil entlegenen Fundstellen wird die interpretative Bewältigung der Etymisierung fraglich, 539 obwohl es aus demselben Grund umso mehr zu interpretieren gibt. Genau jene Zwiespältigkeit des Verfahrens beweist dessen Hochkomik. Während Schmidt das Konkurrenz-Opus Finnegans Wake als unzugänglich kritisiert, kann man darin auch die radikalere Komik sehen, die ein noch höheres Risiko des kommunikativen Scheiterns eingeht. 538 Vgl. Arno Schmidt: Nachrichten aus dem Leben eines Lords. Sechs Nachtprogramme. Frankfurt/ M.: Fischer 1975, S. 279-288. 539 Dieses Extrem der Interbzw. Hypertextualität nennt sich auch „Zitatismus“. Vgl. Michael Manko: Die „Roten Fäden“ in Zettel’s Traum. Literarische Quellen und ihre Verarbeitung in Arno Schmidts Meisterwerk. Bielefeld: Aisthesis 2001, S. 137. <?page no="218"?> 214 Esoterisch gibt sich Zettel’s Traum auch immer dann, wenn auf das Gesamtwerk des Autors Bezug genommen wird. Nach traditionellen Literaturprogrammen wie der avantgardistischen Einheit von Leben und Kunst gehört die Biographie in den Referenzkreis mit hinein. Sofern Material für eine biographische Exegese gefunden werden kann, motivieren die Texte Anschlussuntersuchungen zur Frage „Literatur und/ oder Leben“, die dem Code des literarischen Systems durchaus entsprechen, auch wenn ihre Methodik die aktuellen Programme des Systems (Literatur)Wissenschaft verfehlt. Dies setzt eine überdurchschnittlich hohe Kenntnis des Werkes voraus, die wiederum nur durch interpretierende Lektüre gewonnen werden kann. In einem Zirkel wird so die an den Text anschließende Interpretation zur Voraussetzung weiterer Anschlüsse. Wiederum hält das Werk eine prekäre, eben dadurch komische Balance. Zettel’s Traum ist dafür berühmt, dass es die bisher angeführten Merkmale im Rahmen des Gesamtwerks sowie hinsichtlich der Gattung des Romans erstmals zusammenführt und bis an den Rand des literarisch Kommunizierbaren ausreizt. Eine darüber hinausgehende Eigentümlichkeit des Textes ist seine typographische Anordnung, die das Setzen von Zettel’s Traum zu einer editorischen Herausforderung gemacht hat. Der Roman besteht aus drei parallel zu führenden Spalten: Nur die mittlere treibt Dialoge und Handlung voran, wohingegen eine der beiden Randspalten für intertextuelle Kommentare zum Werk Edgar Allen Poes reserviert ist, an dessen Übersetzung die Figuren im Hauptstrang arbeiten, die dritte Spalte verfolgt die ebenfalls intertextuell angereicherten Assoziationen des Erzählers Daniel Pagenstecher. Nach dem Plan Schmidts zeichnet jene Konstellation eine simultane Lesetechnik vor. Dies ist zunächst schwer zu realisieren und mindert die Wahrscheinlichkeit der Rezeption, weil es verglichen mit den Gewohnheiten des kommunikativen Verstehens und der praktischen Lektüre ein allzu neuartiges Vorgehen erfordert. Doch ist die literarische Kommunikation darauf geschult, die besonderen Regeln eines Werkes zu erschließen, um es deuten zu können. Diese allgemeine Kondition wird durch den textuellen Aufbau von Zettel’s Traum als grundlegende Bedingung für den Einstieg in die Interpretation durchsichtig gemacht. Erfolgt die Anpassung an die Werk-Eigenheit, so eröffnen sich durch die kombinierende Lesart der Spalten zahlreiche, vielfältige Kommentar-Beziehungen, die in der Deutung ausgearbeitet werden können. An der Stelle wird die Modernität des Paradigmas mehr als deutlich: Hochkomik, wie Schmidt sie praktiziert, reduziert die Wahrnehmbarkeit des Komischen, verwirklicht aber dessen soziale Ausrichtung durch Interpretation. Damit dies dennoch über die Sinne transportiert wird, lässt Zettel’s Traum seine Leseschwierigkeit ebenso wie sein Interpretationspotenzial typographisch ins Auge fallen. <?page no="219"?> 215 Nicht so sehr in den einzelnen Techniken zeichnet sich Schmidts Monumentalroman als modern aus, sondern in deren Zusammenführung und Funktionalisierung für die komische Ambivalenz. Er zieht außerdem eine letzte Konsequenz, die schon anhand von Nonsens-Lyrik und Experimental-Poesie absehbar wurde. In den meisten Texten, die in diesem Kapitel komiktheoretisch gelesen wurden, wird der kommunikative Impuls, der gegen die Subversion den Ausschlag der Hochkomik gibt, im Text selbst vollzogen: durch Dialog, Monolog, szenische oder formale Wiederholungsstrukturen. Zettel’s Traum dagegen ist exemplarisch für die weiter gehende Tendenz, die Ambivalenz-Figur mehr oder weniger in die interpretative Rezeption zu verlegen. Komisch wird daher nicht der Roman, sondern die daran anschließende Schmidt-Philologie, so die theoretische Pointe. Man müsste jedoch genauer sagen: Die in der Schreibweise latente Komik kann sich erst in der analytischen, interpretierenden Auseinandersetzung mit dem Text vollziehen. Allerdings verlässt sich Zettel’s Traum nicht vollends auf jene Übertragung, im Roman wird das, was der Leser zu tun hat, vorexerziert: deshalb die Auslegungen der professionellen Deuter-Figuren Pagenstecher und Jacobi, die Leben und Werk des Dichters Edgar Allan Poe einer literarischen, intertextuellen, genauer aber psychoanalytischen Deutung unterziehen und eben darüber kommunizieren. Obendrein gibt die ungewöhnliche dialogische Form des Romans den anschaulichen Hinweis, dass strukturell der soziale Vorgang der Kommunikation Bedeutung erlangt, wobei über das Medium Werk die Grenzen des Textes auf das literarische System hin überschritten werden. Wie alle bisherigen paradigmatischen Werke von Büchner bis Beckett führt auch Schmidts Erzählexperiment neben seiner weniger offensichtlichen komischen Modernität eine karnevaleske Erzählmotivik durch. Anspielungen auf groteske Körperlichkeit ergeben sich laufend in den Etymen und in den psychoanalytischen Reflexionen Pagenstechers. Wie die Forschungsarbeiten zur Intertextualität des Romans belegen, werden solche Zeichen anarchischer Sinnlichkeit und Sexualität jedoch immer zugleich literarisch-künstlerisch codiert, 540 so dass man Grund hat, eine andere, auf dieser Ebene liegende Komik zu vermuten. Ein einschlägiger Intertext ist der schon im Titel anzitierte Sommernachtstraum von Shakespeare. 541 Darin werden Hierarchien und Liebesverhältnisse karnevalesk verkehrt. Nach dem romaninternen freudschen Modell würde man von einer tendenziösen und daher komischen Fiktion sprechen, in der sexuelle, aggressive Triebe 540 Vgl. Rudi Schweikert: Aus Arno Schmidts Bildergalerie. Schaukelmotiv und „Pygmalionismus“. Kreuz- und Querzüge durch Zettel’s Traum. In: „Des Dichters Aug’ in feinem Wahnwitz rollend ...“. Dokumente und Studien zu „Zettels Traum“. Hg. von Jörg Drews und Doris Plöschberger. München: edition text und kritik 2001, S. 149. 541 „Zettel“ verweist auf die gleichnamige Figur der Komödie, die eine derart verdrehte nächtliche Welt erlebt, dass sie glaubt, nur geträumt zu haben. <?page no="220"?> 216 ausgelebt werden können. Motivisch kommt der Karneval im siebten Buch von Zettel’s Traum vor, bei dem Jahrmarktsbesuch von Pagenstecher und Jacobi, unterstützt durch literarische Walpurgisnachzitate. 542 Obwohl nicht zu leugnen ist, dass solche Merkmale und Andeutungen an den komischen Zügen von Schmidts Traum-Text mitwirken, heben sie ihn doch noch nicht auf das Niveau der komischen Moderne. Die transgressive Thematik verweist vielmehr auf die andersartige Werk-Komik der avantgardistischen Schreibweise. Der Roman setzt somit die Maske vormoderner Komik auf, um eine modern-ambivalente Rolle zu spielen. Dass sich die Ausführungen zu Arno Schmidts umfang- und voraussetzungsreichem Text nicht selbst an der Interpretation beteiligen, wird womöglich enttäuschen. Dafür kann man Zettel’s Traum aufgrund solcher philologischen Enthaltsamkeit einen erstrangigen Platz in der Geschichte der komischen Avantgarde zuweisen. Davon abgesehen empfiehlt es sich nicht, die Grenze zwischen Gegenstand und Beschreibung zu verwischen. Sobald man nämlich auf die Deutungsangebote des Textes einsteigt und dabei seine Deutungshindernisse zu spüren bekommt, wird dies selbst ein Fall von komischer Rezeption. Auch um jenen paradoxen Effekt, der sich bei den bisherigen Beispielen so noch nicht einstellen konnte, zu vermeiden, bleibt es bei der theoretisch geleiteten Analyse. 4.5.4 Genre-Parodien im Film Da bis zu diesem Punkt ausschließlich literarische Texte mittels der komiktheoretischen Formel untersucht worden sind, ist zunächst unklar, womit sich eine Ausweitung auf andere Künste rechtfertigen lässt. In Frage kommen dafür grundsätzlich Werke bzw. Medien, die nicht nur Interpretation erlauben, sondern auch die performative Seite des Komischen umsetzen können, wie sie zuletzt an der Nonsens-Lyrik deutlich geworden ist. Damit sind Malerei und Plastik eher ausgeschlossen, Film und Theater dagegen bilden durchaus geeignete Gegenstände. Dennoch soll nicht die allgemeine Übertragbarkeit geprüft werden, sondern ein ganz spezieller Fall: filmische Genre-Parodien. Dabei kann an die theoretische Argumentation zur Werk- Komik angeschlossen werden, um die davon verschiedenen, wohl aber vergleichbaren Verhältnisse des Films als Bedingung einer erst in jüngster Zeit ausgeprägten Form moderner Hochkomik zu skizzieren. Die avantgardistische Qualität der Gattung Parodie oder der parodistischen Schreibweise wurde in der Forschung immer wieder diskutiert und dabei kontrovers eingeschätzt. Einerseits sei eine Parodie zu abhängig vom 542 Vgl. Sabine Kyora: „Ist das nicht Maskeraden-Spott? “. Masken, Kulissen und Kostüme im VII. Buch von Zettel’s Traum. In: „Des Dichters Aug’ in feinem Wahnwitz rollend ...“. Dokumente und Studien zu „Zettels Traum“. Hg. von Jörg Drews, Doris Plöschberger. München: edition text und kritik 2001, S. 168-184. <?page no="221"?> 217 parodierten Original-Text, um etwas künstlerisch radikal Neues hervorbringen zu können. 543 Andererseits gilt diese Beziehung wegen ihrer Dekonstruktion der privilegierten Position des Originals sowie des Gegensatzes zur verfälschenden Wiederholung als ausgesprochen modern bzw. postmodern. 544 Im Zuge dieser Aufwertung durch Theorie wird jedoch häufig um den Aspekt der Komik gekürzt, während lange Zeit Parodie selbstverständlich zu den komischen Gattungen gerechnet wurde. 545 Die Bedeutung der Textart für Innovationen in der literarischen Evolution, wie sie der Russische Formalismus reflektiert hat, oder die moderne Entwicklung einzelner Gattungen, wie Roßbach sie am Drama des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts aufzeigt, nimmt keinen Einfluss auf die hier entworfene komische Modernität der (Film-)Parodie. Vielmehr werden deren Strukturen lediglich auf ihre Deckungsgleichheit mit dem Strukturmodell der Hochkomik hin befragt. Definitionsprobleme können dabei nicht gelöst, aber doch weitgehend umgegangen werden. Es wird also weder eine Theorie des Parodistischen zugrunde gelegt noch eine vollständige Gattungstypologie verwendet. Dennoch muss natürlich eine Fassung des Begriffs gebildet werden, die zur Identifikation und zum Vergleich mit der Komik-Formel hinreicht. Die meisten Konzeptualisierungen zielen darauf ab, die Relation von Parodie und Original zu kennzeichnen. Sie halten dabei einen notwendigen Doppelbezug fest, nämlich „repetition with difference“ 546 : der parodierende muss auf den parodierten Text sowohl erkennbar Bezug nehmen als auch merklich von ihm abweichen. Inwieweit eben dieses Verhältnis einer komischen Funktion bzw. Wirkung entspricht, bleibt noch zu ergründen. Gattungstypologische Arbeiten konzentrieren sich besonders darauf, jene Techniken vollständig darzulegen, mit denen eine abweichende Wiederholung des Originals medial erzielt werden kann: z.B. für den Film „reiteration, inversion, misdirection, literalization, extraneous inclusion and exaggeration“ 547 . Die wichtigste theoretische Formulierung der parodistischen Textbeziehung ist das Konzept der Intertextualität. Dabei fällt es mitunter schwer, Parodien von anderen intertextuellen Phänomenen zu unterscheiden oder von der These einer generellen, nicht nur literarisch allgegenwärtigen Intertextualität (Derrida, Kristeva). Zieht man Bachtins Begriff der Heteroglossie zur Grundlegung oder Beschreibung heran, so ergibt sich dasselbe Abgrenzungsdefizit aus der Verallgemeinerung vom Roman auf das Literarische 543 Vgl. Beate Müller: Komische Intertextualität. Die literarische Parodie. (Horizonte 16) Wissenschaftlicher Verlag: Trier 1994, S. 81. 544 Vgl. Nikola Roßbach: Theater über Theater. Parodie und Moderne 1870-1914. Bielefeld: Aisthesis 2006, S. 45. 545 Vgl. ebd., S. 44. 546 Linda Hutcheon: A Theory of Parody. The Teachings of Twentieth-Century Art Forms. New York: Methuen 1985, S. 101. 547 Dan Harries: Film Parody. London: British Film Institute 2000, S. 39. <?page no="222"?> 218 schlechthin. Gemäß Genettes analytischer Differenzierung textübergreifender Bezugsformen liegt in der Parodie keine enger gefasste Intertextualität, sondern eine komische Hypertextualität vor, wobei Genette den Gebrauch des Terminus noch stärker einschränkt. 548 Entscheidend für die moderne Komik der Gattung sind die Folgen der intertextuellen Doppelbindung für den Prozess der Rezeption. Es genügt keineswegs, nur den Grad der Übereinstimmung oder die Tendenz der Abweichungen (spielerisch, satirisch, kritisch) zwischen Prätext und Parodie zu bemessen. Vor allem aber verfehlt ein summierender Vergleich die Dynamik, in der sich die parodistische Bezugnahme für den Leser bzw. Zuschauer entfaltet. Dies bringt Harries stärker zum Ausdruck, wenn er mit Blick auf den Film definiert: „parody essentially functions as a process of oscillation between similarity to and difference from a target“ 549 . Noch aufschlussreicher für die hochkomische Funktion der Parodie ist seine Darstellung der Entwicklungszyklen filmischer Genres: Diese bilden sich in einem ständigen Wechselspiel heraus: zwischen den Phasen des Erzeugens und Erfüllens von Zuschauererwartungen und den Verstößen dagegen durch Variationen. 550 Parodien gestalten soziale Kommunikation komisch, indem sie rezeptive Erwartungen beeinflussen. Auf die Zeitlichkeit und die Ambivalenz des Wechselspiels, das dadurch inszeniert wird, muss noch näher eingegangen werden. Zuvor sei aber erläutert, weshalb im Weiteren vom Film statt von Literatur die Rede ist, weshalb es um die parodistisch (um)gelenkten Erwartungen des Genres geht. Was „Werk“ für das Literatur-System ist, ist „Genre“ für den Film: ein symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium. 551 Diese theoretische Annahme gilt es zu etablieren, bevor die Komik der filmischen Parodie modelliert werden kann. Natürlich gibt es Werke der Filmkunst, doch die Aufgabe des Mediums nach Luhmann übernimmt das Genre. Dass die Produktion und Rezeption von Filmen noch stärker durch Genres gesteuert wird als Literatur durch Gattungen, ist in der Forschung unausgesprochener Konsens. 552 Wird ein Film Sammelbegriffen wie Thriller, Road Movie, romantische Komödie zugerechnet, motiviert dies Produzenten, Regisseure, Zuschauer wie Kritiker zu ihren Anschlusshandlungen. Luhmann fordert von einem systeminternen Medium sowohl relative Unbestimmtheit als auch hohe Anpassungsfähigkeit für Kontextumstände und Veränderungen. Das scheint den strikten Regeln des Hollywood-Kinos und seiner 548 Vgl. Gérard Genette: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe. (Edition Suhrkamp 1683) Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1993, S. 40. 549 Dan Harries: Film Parody. London: British Film Institute 2000, S. 43. 550 Vgl. ebd., S. 36: „the constant interplay between generating and fulfilling spectorial expectation while also modifying other expectation by postulating various derivations”. 551 Zu diesem Theorie-Baustein siehe Abschnitt 3.2.2. 552 Vgl. Rick Altman: Film/ Genre. London: British Film Institute 1999. <?page no="223"?> 219 Untergattungen zu widersprechen. Gemeint sind aber weniger die einzelnen Arten mit ihrem motivisch-formalen Inventar als das Prinzip der Genrebildung. Dem Einwand, dass jene Einordnungslogik zu konservativ ausgerichtet sei, kann man ebenfalls begegnen. Ein Medium muss selbst keine Neuerungen anregen, es stellt eine Bewältigungsstrategie dar, die hilft, Neues für die Kommunikation weniger unwahrscheinlich zu machen. Dabei ist auf Entstehung und Wandel eines Genres hinzuweisen. In der Filmwie in der Literaturtheorie haben sich eine historische Sichtweise, die These der lenkende Rolle für Produktion und Rezeption gegen strukturalistische Typologien oder ontologischen Fundierungen durchgesetzt, wenngleich die anthropologische Erklärung einzelner, oftmals übergreifender Genre- Strukturen nach wie vor vertreten wird. Was nun die Entstehung neuer Genres betrifft, so beinhaltet dies nicht nur die Stabilisierung von Erwartungen, sondern mitunter auch den Bruch mit bestehenden Gattungen sowie die konstante Modifikation innerhalb des syntaktisch-lexikalischen Rahmens, die qualitativ bis zum Bruch mit dem alten und der Begründung eines neuen Genres reichen kann. Dies ist keineswegs allein am Werk und seinen Strukturen festzumachen, vielmehr sind sämtliche Kommunikationsinstanzen des Film-Systems daran beteiligt. Trotz der Flexibilität des Mediums Genre ist die Gefahr einer zu starken Fixierung gegeben. Filmindustrie und Autorenschulen drängen auf Einhaltung der Regeln z.B. einer romantischen Komödie, so dass der Spielraum für Innovationen immer geringer wird. Wenn das Konzept des Genres die Fähigkeit verliert, mit Unerwartetem umzugehen, verliert es letztlich auch seine mediale Funktion für das System. Doch ist es theoretisch durchaus denkbar, dass ein weiteres Medium in zweiter Linie einspringt, in diesem Falle wäre es das schon Literatur und andere Künste freier regulierende „Werk“. Daran orientiert sich insbesondere der „alternative Film“ als Kategorie und Institution (Regisseure, Autoren, Festivals, Preise). Dies bedeutet jedoch nicht, dass allen Produktionen der Independent-Szene die Genrezugehörigkeit fehlt, sie zeichnen sich eher durch eine stärkere Modifikation der Vorgaben aus. Überraschenderweise wurden nicht wenige avantgardistische Filme der letzten Dekaden mit Bezug auf das Medium Genre produziert und rezipiert. Dies traf zusammen mit dem von Harries beobachteten Aufschwung der filmischen Parodie. Seit den achtziger Jahren sind zunehmend Parodien gedreht worden, die nicht nur kommerziell erfolgreich waren, sondern zum Teil auch als künstlerisch anspruchsvoll und ästhetisch innovativ wahrgenommen wurden. Harries zufolge hat sich in diesem Zuwachs eine neue Qualität herausgebildet: Film-Parodien werden aufgrund ihrer standardisierten Mittel zu einem eigenen Genre. 553 Die von den filmischen Gattungstheorien her schlüssige Behauptung wird für die Beschreibung des komischen Para- 553 Vgl. Dan Harries: Film Parody. London: British Film Institute 2000, S. 37. <?page no="224"?> 220 digmas nicht weiter verwertet, weil es hierbei auf das besondere Verhältnis der Parodie zum Genre und nicht auf die Gattungsmerkmale des Modus ankommt. Auch einzelne Film-Kunstwerke werden parodiert, Genres kommen der parodistischen Absicht aber insofern entgegen, als sie feste und exakte Erwartungsstrukturen transportieren, die entsprechend gezielt subvertiert werden können. Ein Einzelwerk kann diesen Part jedoch ebenfalls übernehmen, und zwar dann, wenn es sich um so genannte Kultfilme handelt: Star Wars, Psycho, Top Gun u.ä. Sie werden dabei allerdings nicht als Werk-Medium im Sinne des Kunstsystems behandelt, sondern wie das Medium Genre im Subsystem Film. Sie liefern eine für die parodistische Operation notwendige Stabilität. Wird ein Werk oder ein tatsächliches Genre auf jene Weise behandelt, dann wirkt dies der genretypischen Neigung zur Abschließung gegen das Neue entgegen. Die theoretische Argumentation steuert auf eine Pointe zu: Genre- Parodien erfüllen das Profil des symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums sogar besser als das Prinzip Genre selbst. Da sie ständig Abweichungen vom Erwarteten vollziehen müssen, werden sie zu Medien, die Neues kommunikativ verarbeiten können, da andererseits durch die Bezüge auf das parodierte Genre/ Werk und durch die genrehaften Regeln der Parodie - hier kann Harries Befund doch noch greifen - das Neue soweit erwartbar wird, dass die Anschlüsse filmischer Kommunikation gesichert sind. Mit ihren formalen, inhaltlich variablen Techniken kann sie das Niveau der symbolischen Generalisierung besser halten als das Medium Genre, welches vermeiden muss, von den Schemata konkreter Genres überlagert zu werden, um funktional zu bleiben. Aus dem Bisherigen geht hervor, dass Genre-Parodien im Film nicht mit parodistischen literarischen Werken gleichzusetzen sind, was ihr Verhältnis zur Kommunikation des jeweiligen Systems angeht. Als Nächstes kann die Hochkomik des Werks, nach dem Muster von Schmidts Zettel’s Traum, mit dem filmischen Ansatz beim Genre verglichen werden. Beide nutzen die Subversions- und Kommunikationsmöglichkeiten, die ihnen das Medium bietet. Dabei werden bereits vorhandene Züge verstärkt: Literarisch-künstlerisch erwächst die komische Ambivalenz daraus, die Formen des Werks bis zur höchsten Eigenheit, Idiosynkrasie zu steigern. Film-Parodien wandeln die Prozesse der Genre-Rezeption so ab, dass sie erst recht als Medium funktionieren. Dadurch wird die kommunikative Seite der Ambivalenz betont, was das Komik-Potenzial erhöht. Es fragt sich, worin die Subversion besteht. Entscheidend ist die Zeitlichkeit. Ein parodistischer Film funktioniert für den Zuschauer vermeintlich wie ein Witz bzw. eine Reihe von Gags: Erwartungen werden aufgebaut und auf vergnügliche Weise enttäuscht. Das wäre ein reines Nacheinander. Stattdessen soll Gleichzeitigkeit aufgedeckt werden. <?page no="225"?> 221 Wer einen Genre-Film ansieht, weiß, wie er dessen mitgeteilte Informationen zu verstehen hat, die Kommunikation funktioniert reibungslos. Leicht verständlich ist vor allem, wie ein Bild- oder Handlungsmoment an den nächsten anschließt. Selbst Überraschungen können in diesen grundsätzlichen Ablauf integriert werden, da Genres generell wie speziell Abweichungen vorsehen, wenn auch in Maßen und genrekonform platziert. Bei Parodien liegt der Fall anders. Harries hat darauf hingewiesen, dass sie zwischen Anspielung (Gleichheit) und Abweichung (Unterschied) oszillieren. Abgesehen von dieser Pointenstruktur halten jene beiden Vorgänge demnach keine Reihenfolge ein, sie fallen entweder punktuell zusammen oder verlaufen in einem konstanten Wechselspiel, so dass die temporale Struktur zur Gleichzeitigkeit tendiert. Damit ist jedoch die eigentlich komische Ambivalenz noch nicht analysiert. Jener Zusammenfall oder auch Parallellauf stellt für die filmische Kommunikation einen Augenblick der Irritation bzw. eine ständige Verunsicherung dar: eine Erfahrung zwischen zwei gleichzeitig aktualisierten Rezeptionsmodi, Genre und Parodie. Deren Störpotenzial für den sozialen Prozess des Kommunizierens ist der systemischen Zweideutigkeit vergleichbar, bei der ebenso die Zurechnung für weitere kommunikative Anschlüsse zwischen zwei Optionen, dort zwischen zwei Systemen, zeitweilig unklar wird. 554 Die Tatsache, dass Erwartungserfüllung und Erwartungsbruch nach den Regeln der Parodie immer aufeinander bezogen werden, löst jedoch die komische Gegenbewegung aus. Auch die medialen Eigenschaften speziell der Genre-Parodie sorgen dafür, dass die Irritation bewältigt werden kann. Aus der Analogie zur systemischen Zweideutigkeit scheint sich eine weitere grundsätzliche Gegenstrategie für die Hochkomik des Films zu ergeben: Gattungsmischung, Genre-Hybridität könnte dazu führen, dass die Kommunikationen eines Films nicht eindeutig zuzurechnen sind. Dies ist aber nur auf den ersten Blick ein komisch aufzulösendes Problem. Im Laufe eines Films kann sehr wohl mehr als ein Genre aufgerufen werden, dieser muss nicht insgesamt in ein einziges Schema passen. Es reicht aus, wenn einzelne Elemente/ Momente entweder dem einen oder einer anderen passenden Gattungen entsprechen. Kombinationen werden, genauso wie Modifikationen, vom Film-Medium Genre prinzipiell toleriert. Ein Störeffekt tritt höchstens dann ein, wenn ein und dasselbe Element hinsichtlich seiner Gattungszugehörigkeit zweideutig wird. Dies zur Hochkomik eines ganzen Films auszubauen, wäre sehr aufwändig, müssten doch laufend solche hybriden Momente hervorgerufen werden. Aber selbst, wo dies gelingt: Eine strukturelle Leerstelle bleibt der Antrieb, trotzdem weiter zu kommunizieren. Es lässt sich theoretisch nicht begründen, wie man über diese Zweideutigkeit hinweggehen kann, ohne sie einfach durch die Entscheidung für eines von mehreren Genres aufzuheben. Des- 554 Zur theoretischen Herleitung dieses Paradigmas siehe Abschnitt 3.1. <?page no="226"?> 222 halb gebührt aufgrund der Theorie nur der filmischen Genre-Parodie die Bezeichnung „Hochkomik“. Bei diesem Phänomen ist Gleichzeitigkeit eben nicht der mehr oder weniger häufige Einzelfall, sondern die durchgängige Prozessqualität der parodistischen Rezeption. Außerdem wurde auch im Hinblick auf den Status des Kommunikationsmediums gezeigt, dass nur diese spezielle Art der Parodie die kommunikativ-soziale und die subversive Seite der Ambivalenz strukturell verbindet. Was hier abstrakt beschrieben wurde, ist der postmoderne Beitrag zur komischen Avantgarde. Genre-Parodien im Film, zumindest in der vorgestellten theoretischen Konzeption, bedeuten keineswegs dasselbe wie jene komische Intertextualität, die der Postmoderne gemeinhin zugeschrieben wird. Auf die Interpretation einzelner Filme wird hier verzichtet, weil die analysierten Strukturen nicht werk- oder interpretationsabhängig sind, sie treffen auf alle Exemplare der Gattung zu. Dennoch wird man sich scheuen, neben Quentin Tarantinos Genre-Parodien von Pulp Fiction bis Kill Bill und Death Proof auch die Western- und Karl May-Parodie Der Schuh des Manitou vor dem Theorie-Hintergrund als „avantgardistisch“ anzusprechen. Während der Manitou-Film von Formen unterhalb der Hochkomik dominiert wird, so dass diese den Eindruck und das Urteil bestimmen, ist das künstlerisch umstrittene, aber gerade in seinem parodistischen Gestus stilbildende Werk von Tarrantino eher ein nachdrücklicher Beweis dafür, dass - gut postmodern gedacht - hohe Komik und niederer Unterhaltungswert einander nicht ausschließen müssen. 4.5.5 Komische Provokation: avantgardistische Kunst Nachdem zuvor eine filmspezifische Komik theoretisiert wurde, wendet sich dieser letzte Abschnitt nochmals der allgemeinen Frage zu, wie künstlerische Avantgarde und komische Ambivalenz verbunden sind. Unterschiede zwischen Literatur und Film, Malerei und Theater entziehen sich damit der Beobachtung. Weder in den Manifesten der frühen Moderne noch in den Theorien der Avantgarde 555 wird der Aspekt des Komischen thematisiert. Dagegen steht die Provokation, die von jener Kunst des 20. Jahrhunderts ausgeht, stets im Zentrum des Interesses. Nach dem Stand der Forschung ist von einer doppelten Provokation auszugehen: Sie richtet sich gegen die Institution Kunst 556 und gegen das System Gesellschaft. 557 555 Vgl. zu den Manifesten sowie zu einer weithin akzeptierten wissenschaftlichen Beschreibung Peter Bürger: Theorie der Avantgarde. (Bibliothek Suhrkamp 727) Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1974. Theoretisch avanciert ist Oliver Jahraus: Die Aktion des Wiener Aktionismus. Subversion der Kultur und Dispositionierung des Bewußtseins. (Das Problempotential der Nachkriegsavantgarden 2) München: Fink 2001. 556 Vgl. Peter Bürger: Theorie der Avantgarde. (Bibliothek Suhrkamp 727) Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1974, S. 29. <?page no="227"?> 223 Obwohl die Selbstproblematisierung solcher transgressiven Absichten so wenig berücksichtigt werden kann wie deren Radikalisierung durch Gruppen wie die den Wiener Aktionismus, soll jene Doppelrichtung Kunst - Gesellschaft die Anwendung der Komik-Formel auf die Modernität provokativer Werke und Praktiken abstützen. Wie bei den vorangegangenen Paradigmen (idiosynkratische Werk- Komik, Genre-Parodie) ergibt sich alles Weitere aus der jeweiligen operativen Ebene moderner Hochkomik: Wo genau kann sie ansetzen, um Kommunikation zu gefährden und zu fördern? Folgt man der Avantgarde- Forschung, so stößt man auf die Parallele zur Werk-Komik: Es wird mit Status und Funktion des Kunstwerks experimentiert. Dabei muss man jedoch differenzieren: Angegriffen wird der organische Werk-Begriff sowie die darin eingekapselte idealistische Ästhetik, in dieser Bedeutung wollen etwa die Aktionen des Wiener Aktionismus keine Werke mehr sein. Andererseits argumentiert Bürger am Beispiel von Duchamps Ready Mades, dass die Herausforderung an die Institution Kunst gerade darin liegt, selbst das industriell gefertigte Pissoir als künstlerisches, museumswürdiges Objekt zu betrachten: „Die Tatsache, daß er die Ready Mades signiert, enthält einen deutlichen Hinweis auf die Werkkategorie.“ 558 Es ist außerdem dokumentiert und konzeptuell vertieft worden, dass sich die Avantgarden eine Abschaffung der Differenz von Leben und Kunst zum Ziel gesetzt haben. Im komiktheorischen Blickwinkel werden Werk-Bezug und intendierte Grenzüberschreitung etwas anders gewendet. Das Medium Werk, konkret ein Objekt, motiviert die Code-Frage des Systems: Kunst oder Nicht-Kunst? Während idiosynkratische Komik (Zettel’s Traum) die kommunikative Funktion des Mediums subvertiert und aktiviert, wird hier der Weg über das Werk genommen, um einen größeren Zusammenhang komisch zu reflektieren: die Verschaltung von Medium, Programm und Code im Kunst-System. Will die literarisch-künstlerische Moderne komisch sein, so muss sie sich auf die grundlegenden Funktionsweisen der sozialen Teilsysteme einlassen. Die Paradigmen dieses Kapitels zeigen, welche Möglichkeiten hierzu genutzt worden sind. Die Theorie muss beantworten können, weshalb Kunst oder Literatur modern komisch wird und nicht beliebige andere Teilsysteme der Gesellschaft. Provokationskunst gibt den Anlass, das besondere Verhältnis zu untersuchen, das die Einrichtungen Code, Medium und Programm im System Kunst unterhalten. Unterhalb der Code-Ebene sind Programme dafür zuständig, Kriterien zu liefern, nach denen entschieden werden 557 Vgl. Oliver Jahraus: Die Aktion des Wiener Aktionismus. Subversion der Kultur und Dispositionierung des Bewußtseins. (Das Problempotential der Nachkriegsavantgarden 2) München: Fink 2001, S. 107f. 558 Peter Bürger: Theorie der Avantgarde (Bibliothek Suhrkamp 727) Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1974, S. 77. <?page no="228"?> 224 kann, ob etwas Kunst oder Nicht-Kunst ist. Sie regeln mit ihren Inhalten auch, an welche sozial auftretenden Vorkommnisse jene Frage überhaupt herangetragen wird. Juristische Programme regeln die Zuweisung zum Recht sowie die Entscheidung über die Code-Werte „recht“ „unrecht“ bis ins Detail. Dasselbe kann man von den Programmen der Kunst nicht behaupten. Zum einen ist die Einheitlichkeit und Verbindlichkeit von Definitionen des Künstlerischen oder einzelner künstlerischer Formen weitaus weniger stark institutionalisiert als im Recht. 559 Zum anderen wird über das Medium Werk die Bindung an Poetiken, Gattungsbegriffe und Ähnliches nochmals gelockert, da die Medium-Form-Unterscheidung eine überdurchschnittlich große Variationsbreite zulässt. Was positiv als Flexibilität der Kunst erscheint, ist zugleich deren Schwäche: die relative Unsicherheit darüber, wie dieses System sich seine Umwelt bildet und was es verarbeitet. Würde sich die Tendenz verstärken und alle anderen Teilsysteme ebenfalls betreffen, könnte die moderne Organisation des Sozialen kollabieren, denn diese erfordert eine systemspezifische Zuordnung. An Kunst kann exemplarisch die Ordnung der modernen Gesellschaft auf ihre Belastungsgrenze getestet werden, nicht ohne dabei Vorkehrungen zu treffen, die den Kommunikationsprozess dennoch stabilisieren. Für die Hochkomik muss nun eine Gegenstrategie entwickelt werden, mit der Kunst dem System beinahe entgeht, aber letztlich dennoch nach dessen Code kommunizierbar ist. Was die Avantgarde dazu tun kann, ist erstens, sich jenseits aller Programme zu stellen, weder den Gattungspoetiken zu entsprechen noch bestehenden Kunst-Definitionen. Diesen Ansatz hat sie aber selbst insofern torpediert, als begleitend Manifeste verfasst wurden, die Kunst umprogrammieren sollten. Deren Forderung, die Trennung vom Leben zu überwinden, ist ein neues Programm und ändert noch nichts an Code und Funktion des sozialen Teilsystems. Doch selbst wenn sich die Künstler und Theoretiker jeglicher Festschreibung enthalten hätten, wäre das Unterlaufen der Programme allein zur Subversion nicht ausreichend gewesen. Daher nimmt sich die Avantgarde das systemische Medium vor: das Werk in seiner Funktion, künstlerische Kommunikation zu motivieren, auch im Falle des unprogrammatisch Neuen. Der richtige Angriffspunkt ist gefunden: Wird etwas nicht als Werk erkannt, kommt es für eine Verarbeitung im System nicht mehr in Frage. Um diese Reaktion herbeizuführen, sind Bestimmungen dessen, was ein Kunstwerk sein kann oder soll, zu missachten. Gelingt es einem Anti-Werk, sämtliche Erwartungen zu brüskieren, hat es damit jedoch noch nicht das Medium als solches ausgeschaltet. Die Medium-Form-Unterscheidung, unspezifisch und Spezifikation fordernd, bleibt auch auf Gebilde anwendbar, die allen Vorstellungen eines künstlerischen Werks widersprechen. 559 Dass es dennoch Institutionalisierungen gibt, hat sowohl Bürger herausgestellt als auch die Kunst- und Literatursoziologie nach Pierre Bourdieu. <?page no="229"?> 225 Daraus resultiert ein bemerkenswertes Zwischenergebnis: Der avantgardistische Umsturz des 20. Jahrhunderts ist zwar radikal, aber nicht radikal genug, um Hochkomik zu vermeiden. Unter den Teilsystemen der modernen Gesellschaft ist Kunst dasjenige, das einerseits am stärksten in seiner Abschließung als System gefährdet ist, die Gründe dafür wurden genannt. Bereits dadurch wird es zum Anwärter auf das Komische. Andererseits ist es aufgrund der Dehnbarkeit der Instanzen Code, Programm und Werk sowie durch deren enge funktionale Beziehungen nahezu unmöglich, die Provokation so weit zu treiben, dass sie gänzlich aus dem System herausfällt. So kann man sagen, dass die Avantgarde zwangsläufig und unfreiwillig komisch wird, auf paradigmatisch moderne Weise. Ganz unschuldig ist die Produktion an dieser Rezeption vor allem dann nicht, wenn in der Präsentation auf das Medium Werk Bezug genommen wird, wie bei Duchamps signierten, im Museum ausgestellten Ready Mades. Sowohl die Referenz auf die Programme der Werkästhetik, ohne diese zu erfüllen, als auch der bezugslose Verstoß gegen ihre Konventionen fordert die systemische Frage heraus: Ist das (noch) Kunst? Die soziale Reflexivität jenes komischen Dilemmas - zur radikalen Subversion ansetzen und dabei doch kommunizierbar bleiben - ist nicht zu unterschätzen. Es wird dadurch nichts weniger deutlich als die Funktionsweise der modernen Organisationsform, denn der Code zeigt sich als Zurechnungsprinzip des Teilsystems, nicht als ausschließende Definitionsfrage. Der Unterschied ist erheblich. Nach herkömmlichem Verständnis bestimmt sich die Zugehörigkeit zur Kunst über die Zuweisung des Kunststatus an Gegenstände. Systemtheoretisch genügt es jedoch schon, die Zugehörigkeit zu erwägen oder sogar direkt zu verneinen, denn die Benutzung des Codes Kunst/ Nicht-Kunst weist die Erwägung bzw. Verneinung als Operation des Kunstsystems aus. Selbst wenn also die Produkte der Avantgarde vehement als unkünstlerisch abgelehnt werden, haben sie gerade dadurch ihr komisches, und das bedeutet hier, kommunikatives Ziel erreicht. „Provokation“ ist auf diesem allgemeinen Niveau der Beschreibung deshalb der hervorzuhebende Schlüsselbegriff, weil sie nach beiden Seiten der Ambivalenz ausschlägt und daher auch die Bedingung der Gleichzeitigkeit erfüllt. Genauso wie die idiosynkratische Werk-Komik vollzieht sich jene von der Avantgarde neu eingeführte Form moderner Hochkomik ebenfalls erst durch die Rezeption. Besonders Bürger hat klar gemacht, dass die Abnutzungserscheinungen der Avantgarde und ihre historische Überholtheit im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts im Anspruch auf Radikalität bereits angelegt sind: Die Mittel erschöpfen sich, gerade weil sie die Kunst von Grund auf verändern oder gar abschaffen wollen. 560 Theoretisch gesprochen kann über die Zeit 560 Vgl. Peter Bürger: Theorie der Avantgarde. (Bibliothek Suhrkamp 727) Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1974, S. 78f. <?page no="230"?> 226 hinweg die programmatische Integration des Anstößigen, Ungewöhnlichen sowie die Kommunikation darüber gemäß dem Werk-Medium noch stärker greifen. Folglich baut sich nicht nur die avantgardistische, sondern auch die komische Qualität künstlerischer Provokationen allmählich ab. Theoretisch beruht sie auf der Entdeckung des systemischen Zusammenhangs von Werk, Programm und Code und den daraus erwachsenden spezifischen Voraussetzungen des Teilsystems Kunst, die eine Vorlage für moderne Hochkomik sind. Jene strukturelle Reflexivität sei festgehalten, da nun die zusätzliche Dimension der sozialen Provokation, d.h. Norm- und Tabuverletzungen betrachtet werden soll. Inwieweit ist es relevant, dass ästhetisch experimentelle Kunst der Moderne häufig in Kombination mit einem massiven Verstoß gegen die Sittlichkeit auftritt? Bisher wurde der dadurch eintretende Schockeffekt als gesteigerte ästhetische Erfahrung oder als systementkoppelndes Geschehen zwischen Gesellschaft und Bewusstsein begriffen. 561 Neben diesen theoretischen Explikationen wird häufig der Vorwurf geäußert, moralisch schockierende Kunst sei auf eine oberflächliche Resonanz und nicht auf die Auseinandersetzung mit sozialen respektive kognitiven Tiefenstrukturen aus. Im Rahmen des Komischen leistet die moralische Provokation einen zwar sekundären, aber doch komplementären Beitrag. Ob Moral ein ganz eigenes System bildet oder zwischen den Teilsystemen der Gesellschaft operiert, kann offen bleiben, da provokative Komik hier nicht primär als Verhältnis von Kunst und einem weiteren System aufgefasst werden soll. Der ambivalente Impuls des Anstößigen fungiert vielmehr als Verstärker für die schon dargelegte zwiespältige Haltung der Avantgarde zur Kunst- Kommunikation. Das lässt sich empirisch verdeutlichen: In der Konfrontation mit einem unsittlichen Kunstwerk heißt es typischerweise „So etwas Unmoralisches kann keine Kunst sein! “ oder „Es ist zwar unmoralisch, aber trotzdem oder gerade deshalb Kunst! “. Moral wird direkt auf den Kunst-Code bezogen und folglich innerhalb dieses Systems kommuniziert. Von daher gibt die Unsittlichkeit des avantgardistischen Werks einen weiteren Anreiz, die Frage nach dem Künstlerischen zu stellen, ganz gleich, ob sie negativ oder positiv beantwortet wird. An die anti-kommunikative, subversive Richtung des moralisch Skandalösen kann man ebenfalls eher empirisch als theoretisch herangehen. Auf die Verletzung des sittlichen Empfindens gibt es zwei mögliche Reaktionen: entweder die soziale Verhandlung des Kunst-Status oder völlige Anschlussverweigerung, Nicht-Kommunikation im Hinblick auf das betreffende Objekt. Dieses existierte somit als gemachter Gegenstand, bliebe aber ohne ein anschließendes Verstehen der mitgeteilten Information von der 561 Vgl. zu Letzterem Oliver Jahraus: Die Aktion des Wiener Aktionismus. Subversion der Kultur und Dispositionierung des Bewußtseins. (Das Problempotential der Nachkriegsavantgarden 2) München: Fink 2001, S. 92f. <?page no="231"?> 227 sozialen Prozessierung ausgeschlossen. Im Dienste der komischen Subversion muss die Avantgarde jenes Potenzial dramatisch beschwören, weil dem Kunst-System strukturell besonders schwer beizukommen ist. Die Oberflächlichkeit des Skandals sendet ein klares Signal, das zwar die Bearbeitung der systemischen Dreiheit Code - Medium - Programm nicht ersetzen, aber in ihrer Komik unterstützen kann. Einer Vermittlung der komischen Ambivalenz kommt die oftmals sinnliche Qualität des Provokativen zugute: Obszöne, ekelhafte Darstellungen und Praktiken wie etwa im Wiener Aktionismus richten sich an die Wahrnehmung, was sozial entweder Kunst-Debatten oder Schweigen nach sich zieht. So betrachtet wird aus der unfreiwilligen eine forcierte Komik. Sie erinnert daran, dass das Komische nicht nur über Reflexion und Interpretation entsteht, sondern zudem auf eine sowohl sinnliche als auch soziale Adressierung angewiesen ist. Darin tut sich eine innere Verwandtschaft auf zwischen dem absurden Theater, Nonsens-Lyrik bzw. Experimental- Poesie und ästhetisch experimenteller, moralisch transgressiver Avantgarde in den bildenden, performativen Künsten. Es konnte gezeigt werden, dass ernste und komische Absichten, Frivolität und Reflexivität ein und dasselbe sind, wenn man die sozial wie künstlerisch provokative Avantgarde mit Hilfe der allgemeinen Komik-Formel beschreibt und bewertet. Dieses Ergebnis ist weit von der untheoretischen Vereinfachung entfernt, dass jede moralische Provokation automatisch komisch sei, ebenso von der freudschen Erklärung des tendenziösen Witzes. Stattdessen wurde durch eine Anwendung der neu entwickelten Komiktheorie demonstriert, wie am Teilsystem Kunst stellvertretend die Bedingungen der modernen Organisationsform des Sozialen komisch zum Tragen kommen. Im Laufe des Kapitels hat sich die Untersuchung von der Interpretation einzelner Werke wegbewegt, hin zu abstrakten Gedanken darüber, wie Komik und künstlerische, literarische Modernität zusammengehören. In den Beispielen zur Avantgarde nimmt der Interpretationsanteil stetig ab, nachdem Becketts Warten auf Godot und die exemplarischen Texte der Nonsens-Lyrik noch gedeutet worden sind. Andererseits schließt sich der Kreis: Ausgehend von den ebenfalls grundsätzlichen Überlegungen, die Scherer und Lohse in ihrer Eröffnung des Themas Avantgarde und Komik anstellen, ist die Darstellung in diesem letzten Abschnitt wieder zu stärkeren Verallgemeinerungen zurückgekehrt. Dennoch ist der Unterschied geringer und der Zusammenhalt größer, als es im Rückblick auf den Gang der Untersuchung sichtbar wird. Ob interpretativ oder analytisch, an individuellen literarischen Texten oder an speziellen Gattungen, an Literatur oder bestimmten Formen in Film, Theater und Bildender Kunst, immer wurde das Ziel verfolgt, Paradigmen der modernen Hochkomik ausfindig zu machen. Komische Modernität tritt nicht offenkundig in Erscheinung wie das historisch vorausgehende Kar- <?page no="232"?> 228 nevaleske. Angesichts der veränderten Ordnung des Gesellschaftlichen - Teilsysteme statt ungleiche Schichten - ist die Gleichzeitigkeit von Subversion und Kommunikation schwieriger produzierbar. Folglich bedurfte es einer Anstrengung theoretischer Analyse und Interpretation, modernistische Phänomene wie den lyrischen Nonsens, die absurde Dramaturgie oder filmische Genre-Parodien als komisch ausweisen zu können. Während der groteske Leib, die karnvalistischen Verkehrungen und Überschreitungen direkt in die Sinne fallen, gibt sich die Hochkomik der Moderne im Spektrum von Kleist, Büchner, Kafka und Bernhard erst in der Deutung zu erkennen, ohne auf komische Sinnlichkeit ganz verzichten zu können. So wird ein ganzes Spektrum moderner Literatur und Kunst als Komik begreifbar, ohne zwingend komisch zu wirken. Ist man zu dieser Entdeckung durch Theorie und gegen die reine Erfahrung bereit, kann sie auch das generelle Verständnis der Moderne bereichern. <?page no="233"?> 229 Bibliographie Primärliteratur Beckett, Samuel: Warten auf Godot. In: Ders.: Werke. Bd. I.1. Dramatische Werke - Theaterstücke. Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1976, S. 7-99. Ders.: Der Namenlose. In: Ders.: Werke. 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Lipps, Theodor 39, 49f., 74, 129 Lohr, Günther 36, 54, 56, 58, 70, 75, 88, 139 Luthe, Heinz Otto 76f., 88 Plessner, Helmuth 20, 32f., 36, 39, 51-53, 69, 72, 77 Preisendanz, Wolfgang 16f., 31, 34 Räwel, Jörg 12f., 97 Ritter, Joachim 20, 69-72, 139 Schmidt, Siegfried J. 15-17, 31-33, 37f., 40f., 43f., 57, 71f., 78 Stierle, Karlheinz 31, 54, 88 Vogl, Joseph 16, 41-44, 150 Warning, Rainer 21, 31, 70-72, 77 Wirth, Uwe 27, 55, 58, 77