"Denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark"
Die paulinischen Peristasenkataloge und ihre Apostolatstheologie
1221
2009
978-3-7720-5338-2
978-3-7720-8338-9
A. Francke Verlag
Young Sook Choi
"Denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark!" Unter dieses Motto aus 2. Korinther 12,10b stellt Young Sook Choi ihre Untersuchung zu den insgesamt fünf Peristasenkatalogen der beiden Korintherbriefe. Paradoxerweise erweisen sich gerade die Leidenserfahrungen des Apostels innerhalb der missionarischen Reisen als ein Ort, an dem Paulus die Zuwendung und Kraft Gottes erfährt. Bislang standen im Blick auf die Peristasenkataloge zumeist traditions- oder formgeschichtliche Fragen im Vordergrund. Die Autorin untersucht die in diesen Katalogen zum Ausdruck kommende Apostolatstheologie und begreift die Interpretation des Leidens als biographisch geprägte Theologie und als eine Vergegenwärtigung Christi im Apostolat.
<?page no="0"?> A . F R A N C K E V E R L A G T Ü B I N G E N U N D B A S E L Young Sook Choi „Denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“ Die paulinischen Peristasenkataloge und ihre Apostolatstheologie <?page no="1"?> Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie Band 16 · 2010 Herausgegeben von Eve-Marie Becker, Jens Herzer, Friedrich W. Horn, Oda Wischmeyer und Hanna Zapp <?page no="3"?> Young Sook Choi „Denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“ Die paulinischen Peristasenkataloge und ihre Apostolatstheologie A. Francke Verlag Tübingen und Basel <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.d-nb.de> abrufbar. © 2010 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.francke.de E-Mail: info@francke.de Printed in Germany ISSN 1862-2666 ISBN 978-3-7720-8338-9 <?page no="5"?> Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie Band 16 · 2010 Herausgegeben von Eve-Marie Becker, Jens Herzer, Friedrich W. Horn, Oda Wischmeyer und Hanna Zapp <?page no="7"?> Young Sook Choi „Denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“ Die paulinischen Peristasenkataloge und ihre Apostolatstheologie A. Francke Verlag Tübingen und Basel <?page no="8"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.d-nb.de> abrufbar. © 2010 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.francke.de E-Mail: info@francke.de Printed in Germany ISSN 1862-2666 ISBN 978-3-7720-8338-9 <?page no="9"?> V Inhalt Vorwort.......................................................................................................... IX 1 Einleitung 1.1 Problemskizze.............................................................................. 1 1.2 Entwicklung der Fragestellung................................................. 2 1.3 Aufbau der Untersuchung......................................................... 3 T EIL I: Z UR T RADITIONSGESCHICHTE PAULINISCHER P ERISTASENKATALOGE 2 Die Traditionsgeschichte im Zusammenhang der neueren Forschungsgeschichte 2.1 Das Umfeld des Terminus peri,stasij ....................................... 11 2.2 Abriss der Forschungsgeschichte ............................................. 15 2.3 Fazit ............................................................................................... 41 T EIL II: D ER P ERSISTASENKATALOG IM 1. K ORINTHERBRIEF 3 Die aufgeblasenen Korinther und die Wirklichkeit der Apostel: Der Peristasenkatalog 1 Kor 4,6-13 3.1 Strukturschema des Textes ........................................................ 45 3.2 Der Kontext 1Kor 1-4 ................................................................. 46 3.3 Der Kontext von 1Kor 4,6-13 .................................................... 53 3.4 Einzelauslegung .......................................................................... 55 3.5 Zum Umfeld des Peristasenkataloges im 1. Korintherbrief ................................................................. 87 3.6 Fazit ............................................................................................... 95 <?page no="10"?> VI T EIL III: D IE P ERISTASENKATALOGE IM 2. K ORINTHERBRIEF 4 Der Schatz in irdenen Gefäßen: Der Peristasenkatalog 2Kor 4,7-15 4.1 Strukturschema des Textes ...................................................... 101 4.2 Der Kontext von 2Kor 4,7-15 .................................................. 102 4.3 2Kor 1,3-11 als Vorspiel von 2Kor 4,7-15 ............................. 105 4.4 Einzelauslegung ........................................................................ 107 4.5 Fazit ............................................................................................. 135 5 Der Apostel als Diener Gottes: Der Peristasenkatalog 2Kor 6,3-10 5.1 Strukturschema des Textes ...................................................... 139 5.2 Der Kontext von 2Kor 6,3-10 .................................................. 140 5.3 Der Peristasenkatalog als apostolische Selbst-Empfehlung ................................................................ 141 5.4 dia,konoj bzw. diakoni,a bei Paulus............................................ 143 5.5 Einzelauslegung ........................................................................ 149 5.6 Fazit ............................................................................................. 172 6 Der Apostel als Diener Christi: Der Peristasenkatalog 2Kor 11,21b-30 6.1 Strukturschema des Textes ....................................................... 175 6.2 Der Kontext von 2Kor 11,21b-30 ............................................ 176 6.3 Analyse des Kontextes ............................................................. 177 6.4 Einzelauslegung ........................................................................ 183 6.5 Fazit ............................................................................................. 221 7 Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark: Der Peristasenkatalog 2Kor 12,9b-10 7.1 Der Kontext von 2Kor 12,1-10 ................................................ 225 7.2 Die erste Offenbarungserfahrung: Entrückungsgeschichte (2Kor 12,2-4) ................................ 229 7.3 Vom Rühmen zwischen Offenbarungen und Schwachheit.................................................................... 231 <?page no="11"?> VII 7.4 Die zweite Offenbarungserfahrung: Krankheitsgebet mit Herrenwort (2Kor 12,7b-9a) ........... 231 7.5 Einzelauslegung des Peristasenkataloges 2Kor 12,9b-10 ......................................................................... 233 7.6 Peristasen als autobiographischer Ursprung christologisch orientierter Theologie des Paulus.............. 242 7.7 Fazit ............................................................................................. 244 T EIL IV: F OLGERUNGEN FÜR DAS PAULINISCHE A POSTOLATSVERSTÄNDNIS 8 Das Apostolat des Paulus im Zusammenhang der Peristasenkataloge 8.1 Die Problemlage ........................................................................ 249 8.2 Das Apostolat im Rahmen eines Kommunikationsmodells ..................................................... 255 8.3 Die grundlegenden Textbefunde............................................ 256 8.4 Die Bezüge des Leidens zum Apostolat ................................ 257 8.5 Zuordnung des apostolischen Leidens zum Leiden Christi und zum Leiden der Christen ................... 261 8.6 Peristasenkatalog - Gemeinde - Apostolat: Die Leiden als Wirkungsfeld der apostolischen Existenz ................................................................................... 268 8.7 Fazit ............................................................................................. 270 9 Ergebnisse der Untersuchung 9.1 Theologische Ergebnisse der exegetischen Untersuchung ................................................. 273 9.2 Folgerungen aus dem theologischen Verständnis der Peristasenkataloge .......................................................... 281 Nachwort einer koreanischen Theologin ............................................... 283 Literaturverzeichnis................................................................................... 285 Register ........................................................................................................ 325 <?page no="13"?> IX Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Sommersemester 2008 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung wurde sie unwesentlich überarbeitet. Von vielen Menschen habe ich auf unterschiedliche Weise Hilfe erfahren, die zum Gelingen dieses Projektes beigetragen hat. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Friedrich Wilhelm Horn. Er hat das Thema der Arbeit angeregt und die Entstehung mit viel Interesse, Vertrauen und Geduld unterstützt und beständig freundschaftlich begleitet. Frau Prof. Dr. Heike Omerzu danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens und für vielfältige fachliche Beratung. Herrn Prof. Dr. Dieter Zeller bin ich zu Dank verpflichtet. Er hat mein Projekt mit Ratschlägen freundschaftlich unterstützt. Ebenso danke ich den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der neutestamentlichen Sozietät des Fachbereichs Evangelische Theologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, in deren Kreis ich einzelne Teile dieser Untersuchung vorgestellt und konstruktive Anregung empfangen habe. Ein herzlicher Dank gilt Herrn Pfr. Dr. Karl-Heinz Dejung, der mir sowohl bei der sprachlichen Korrektur meiner Arbeit behilflich war als auch in vielen Gesprächen mit Ratschlägen und hilfreicher Kritik freundschaftlich zur Seite stand. Frau Prof. Dr. Oda Wischmeyer, Frau Dr. Hanna Zapp und Herrn Prof. Dr. Friedrich W. Horn sowie dem Francke-Verlag gilt mein Dank für das Interesse an meiner Untersuchung und für deren Aufnahme in die Reihe „Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie“. Für ihre vielfältige Hilfe, insbesondere bei der Erstellung und Korrektur der Druckvorlage, danke ich Frau Jutta Nennstiel. Herrn Dr. Eckart David Schmidt danke ich für eine Durchsicht der Arbeit. Weiterhin bin ich der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, der Seonggyeol-Stiftung und dem Boondang Central House für finanzielle Unterstützung während der Promotionszeit zu Dank verpflichtet. Darüber hinaus möchte ich mich bei all jenen bedanken, die mich in den Jahren der Promotion begleitet und auf vielseitige Weise unterstützt haben. Allen voran gilt dieser Dank vielen Professoren der Seoul Theological University. Weiterhin gilt mein Dank Herrn Pfr. Dr. Hyun Jin Chung und den Mitgliedern der Koreanischen Evangelischen Gemeinde im Rhein-Main-Gebiet der EKHN sowie Herrn Pfr. Tae Soo Han und der Eun- Pyeong-Church. Schließlich danke ich meinem Vater, der mich stets fürsorglich gefördert hat. Die vorliegende Untersuchung möchte ich in beson- <?page no="14"?> X derer Weise meiner Mutter und Schwester widmen, die während meines Aufenthaltes in Deutschland verstorben sind. Seoul/ Mainz im Mai 2009 Young Sook Choi <?page no="15"?> 1 1 Einleitung 1.1 Problemskizze Während dem Leiden Jesu in der neutestamentlichen Forschung ein großes Interesse entgegengebracht wird, haben die »Leiden des Paulus« - formuliert in seinen Peristasenkatalogen - selten die Aufmerksamkeit wissenschaftlicher Untersuchung erhalten, obgleich diese Aufzählungen in seinen Briefen zahlreich vorkommen. Ist es doch ein spezifisch paulinisches Thema, 1 bei dem er ausdrücklich von den Leiden redet, die ihm als Apostel widerfahren sind. Paulus spricht in seinen Briefen oftmals von Leidenserfahrungen: »Wir sind jede Stunde in Gefahr« und »täglich sterbe ich« (1Kor 15,30-31). Darüber hinaus berichtet Paulus über den Kampf mit wilden Tieren in Ephesus (1Kor 15,32) und Leidenswiderfahrnissen in Asien, bei denen er das Urteil des Todes erhalten hatte (2Kor 1,8-10). Sein Fleisch hatte keine Ruhe und in allem war er bedrängt: »Von außen Kämpfe, von innen Ängste« (2Kor 7,5). Nicht nur Paulus und seine Mitarbeiter erfahren solche Leiden, sondern auch seine Gemeinden. In 1Thess 3,4 kündigt Paulus der Gemeinde in Thessaloniki an: »Denn auch als wir bei euch waren, haben wir euch vorhergesagt, dass wir Drangsale haben würden, wie es auch geschehen ist und ihr wisst«. Daraus können wir entnehmen, dass Paulus und die von ihm gegründeten frühen christlichen Gemeinden von Anfang an mit der Realität des Leidens konfrontiert waren. Viele Leiden, die ihm als Apostel widerfahren, zählt er ausführlich in Katalogform auf, die vor allem in den Korintherbriefen begegnen. Hier begegnen uns fünfmal sog. Peristasenkataloge: 1Kor 4,6-13; 2Kor 4,7-15; 6,3- 10; 11,21b-30; 12,9b-10. Darüber hinaus noch einmal im Römerbrief: Röm 8,31-39. Damit stellt sich die Frage: Wozu redet Paulus von seinen zahlreichen Leidenserfahrungen in einer Katalogform und warum besonders zur korinthischen Gemeinde? Der Peristasenkatalog im Römerbrief ist nicht speziell auf die Leiden des Apostels konzentriert, sondern beschreibt allgemein die christliche Leidensexistenz. 2 So behandle ich diesen Peristasenkatalog nicht in meiner Dissertation. 1 Zwar kennt das Neue Testament das Leiden in der Nachfolge Jesu, aber dies trifft nicht nur die Apostel, sondern auch die Jünger (bzw. die Gemeinde). 2 Der Römerbrief ist nicht wie die anderen Briefe an eine von Paulus gegründete Gemeinde gerichtet, sondern an eine ihm persönlich noch unbekannte Gemeinde. <?page no="16"?> 2 1.2 Entwicklung der Fragestellung In der vorliegenden Forschung werden die paulinischen Peristasenkataloge in erster Linie im Blick auf ihren traditionsgeschichtlichen Hintergrund und ihre literarische Abhängigkeit untersucht. Die neutestamentlichen Forscher haben sich bisher mit allen Texten der paulinischen Peristasenkataloge nur selten beschäftigt. In der Regel wenden sie sich im Rahmen exegetischer Arbeit nur Einzeltexten zu. 3 Auch dort, wo sie sich allen Texten widmen, wird ganz selten der Frage nach der theologischen Deutung durch Paulus nachgegangen. Eine ältere Untersuchung über die Peristasenkataloge von Bultmann, die bahnbrechend zu diesem Thema war, ist von dem Interesse geleitet, anhand der Betrachtung von antiken Stil- und Redewendungen die paulinischen Peristasenkataloge mit der kynischstoischen Diatribe zu vergleichen. 4 Knapp 70 Jahre nach Bultmanns Studie werden die Peristasenkataloge erneut im Rahmen stilistischer Beobachtungen und Sprachgestaltungen untersucht, wobei eine Konzentration auf die Textgruppe von 2Kor 11,1-12,10 vorliegt. 5 So werden immer wieder eingehende Vergleiche der paulinischen Kataloge mit hellenistischem, aber auch alttestamentlichem und jüdisch-apokalyptischem Material vorgelegt, 6 vor allem wird nach Gattungen der paulinischen Texte gefragt (z.B. Fitzgerald, Ferrari, Ebner, Hotze). 7 Das Hauptinteresse der Forschung richtet sich einerseits darauf, Textformen der Umwelt, in denen Leiden thematisiert werden, mit Bezug auf Art und Stil des sprachlichen Umgangs mit Leiden mit den paulinischen Peristasenkatalogen zu vergleichen. 8 Anderseits werden auf diesem traditionsgeschichtlichen Hintergrund zugleich exegetische Untersuchungen angestellt, wobei vorrangig ein Interesse an Vergleichen 3 Z.B. J. K RUG , Die Kraft des Schwachen. Ein Beitrag zur paulinischen Apostolatstheologie, TANZ 37, Tübingen/ Basel 2001; H.G. S UNDERMANN , Der schwache Apostel und die Kraft der Rede. Eine rhetorische Analyse von 2Kor 10-13, Frankfurt am Main 1996; U. H ECKEL , Kraft in Schwachheit. Untersuchungen zu 2Kor 10-13, Tübingen 1993; J. Z MIJEWSKI , Der Stil der paulinischen „Narrenrede“. Analyse der Sprachgestaltung in 2Kor 11,1-12,10 als Beitrag zur Methodik von Stiluntersuchungen neutestamentlicher Texte, Köln/ Bonn 1978. 4 R. B ULTMANN , Der Stil der paulinischen Predigt und die kynisch-stoische Diatribe, FRLANT 13, Göttingen 1984 (= Nachdruck der Ausgabe von 1910). 5 So Z MIJEWSKI , Narrenrede. 6 Z.B. K.T. K LEINKNECHT , Der leidende Gerechtfertigte. Die alttestamentlich-jüdische Tradition vom ‚leidenden Gerechten‘ und ihre Rezeption bei Paulus, WUNT II/ 13, Tübingen 1984; W. S CHRAGE , Leid, Kreuz und Eschaton. Die Peristasenkataloge als Merkmale paulinischer theologia crucis und Eschatologie, EvTh 34, 1974, 141-175. 7 Diese vier Exegeten beschäftigen sich eingehender mit Untersuchungen zu mehreren paulinischen Peristasenkatalogen. Doch auch Fitzgerald spart die Peristasenkataloge 11,21b-30 und 12,9b-10 aus. 8 So M.S. F ERRARI , Die Sprache des Leids in den paulinischen Peristasenkatalogen, SBB 23, Stuttgart 1991. <?page no="17"?> 3 mit stoischen Texten (z.B. Epiktet) 9 und an rhetorischen Formen des Paradoxen zu beobachten ist. 10 In den meisten Studien wird die Frage nach der theologischen Deutung der Leiden, die Paulus in den Peristasenkatalogen vornimmt, nur geringfügig bearbeitet. 11 Die vorliegende Untersuchung hat deshalb das Interesse, beide Fragestellungen zu unterscheiden, aber auch zu verbinden. Die Peristasenkataloge stehen ohne Zweifel in solchen Traditionen und nehmen entsprechende literarische Formen auf. Aber Paulus interpretiert seine Leiden in den Peristasenkatalogen auch theologisch neu. Die Peristasenkataloge des Paulus beziehen sich oft auf zentrale Themen einer im Entstehen begriffenen Theologie: auf seine Ekklesiologie, Taufe und Herrenmahl, seine Christologie, seine Kreuzestheologie und Auferstehungstheologie und sein Apostolat. Seine Gegner und seine Herkunft kommen zur Sprache, Herrenworte und Offenbarungen werden thematisiert. Aus diesem Grund ist diese Untersuchung über die paulinischen Peristasenkataloge von folgender Fragestellung bestimmt: Warum zählt Paulus seine zahlreichen Leiden in einer Katalogform auf? Was bedeuten diese Kataloge des Leidens für ihn und wie versteht und interpretiert er seine Leiden im Rahmen seiner sich entwickelnden Theologie? 1.3 Aufbau der Untersuchung Paulus berührt sich in den Peristasenkatalogen traditionsgeschichtlich besonders mit stoischen Gedanken zum Leiden, sind doch die nächsten Stilparallelen zu den paulinischen Peristasenkatalogen in der hellenistischen Popularphilosophie zu finden. Diatribenstil und Antithesen, die er oft gebraucht, zeigen unübersehbar eine Stilverwandtschaft zur kynischstoischen Diatribe. Zum anderen sind Parallelen zu alttestamentlicher bzw. zu jüdisch-apokalyptischer Tradition unübersehbar. Der Klärung dieses Traditionszusammenhangs dient in Teil I der Blick in die Forschungsgeschichte einschließlich der jeweiligen theologischen bzw. philosophischen Deutungsversuche (Kap. 2). Die Einzelanalyse geht in Teil II von dem einzigen Peristasenkatalog im 1Kor aus. In Teil III werden die 4 Kataloge im 2Kor 9 So die amerikanische Dissertation von J.T. F ITZGERALD , Cracks in an Earthen Vessel. An Examination of the Catalogues of Hardships in the Corinthian Correspondence, SBLDS 99, Atlanta 1988. Eine ähnliche Zielsetzung hat M. E BNER , Leidenslisten und Apostelbrief. Untersuchungen zu Form, Motivik und Funktion der Peristasenkataloge bei Paulus, FzB 66, Würzburg 1991. 10 So G. H OTZE , Paradoxien bei Paulus. Untersuchungen zu einer elementaren Denkform in seiner Theologie, NTA.NF 33, Münster 1997. 11 Erst im Gefolge der Studie von W. S CHRAGE , Leid, 141-160, hat darüber eine Diskussion begonnen, die im Rahmen dieser Arbeit weitergeführt werden soll. <?page no="18"?> 4 untersucht. Daran schließt die Darstellung des paulinischen Apostolats im Kontext der Peristasenkataloge an (Teil IV). Der einzige Peristasenkatalog im 1. Korintherbrief 1Kor 4,6-13 (Kap. 3) steht im ersten in sich geschlossenen Hauptteil (1,10-4,21), in dem Spaltungen ( sci,smata ) thematisiert werden. Dieser Katalog wirft die Frage auf: Welche Rolle spielt das Wort vom Kreuz in 1,17-2,5 für die paulinischen Peristasenkataloge? Wozu dient der Peristasenkatalog in 1Kor 1-4 mit der Leidensexistenz des Apostels im Blick auf die korinthische Gemeinde? Warum steht die Leidensaussage im Zentrum der Polemik? Was sind Anlass und Funktion dieses Peristasenkataloges? Dabei ist weiter nach dem Zusammenhang von Kap. 1-4 zu fragen: Will Paulus damit seine apostolische Autorität verteidigen? 12 Versucht er den Inhalt des Evangeliums als Kreuzestheologie zu sichern? 13 Polemisiert er gegen Weisheitstheologie? 14 Ist dieser Katalog im Zusammenhang von Taufe und Herrenmahl zu verstehen? Die weiteren vier Peristasenkataloge konzentrieren sich auf den 2. Korintherbrief. Davon steht der erste Peristasenkatalog in 2Kor 4,7-15 (Kap. 4). Dieser Peristasenkatalog und der folgende in 2Kor 6,3-10 stehen zweifellos im Rahmen der sog. »1. Apologie«, 2Kor 2,14-7,4. 15 Die diakoni,a dient sowohl als Leitwort von Kap. 3, als auch der Kap. 4-6. Dieser Peristasenkatalog (wie auch 6,3-10) steht deshalb im Zusammenhang mit dem Dienst des Apostels. Damit ist die Frage aufgeworfen: Warum bezieht sich der Peristasenkatalog so eng auf den Dienst des Apostels? Dabei muss gefragt werden, wer zu solchem Dienst fähig ist (2,16) und wie sich solche Fähigkeit zeigt. Der Aposteldienst wird durch sog. »Habe-Formeln« deutlicher charakterisiert. 16 Diese »Habe-Formeln« strukturieren den Zusammenhang von Kap. 3 und Kap. 4, wie oft bemerkt wurde (3,4.12; 4,1.7.13). Dabei bleibt die Frage: Was versteht Paulus unter »diesem Dienst« (vgl. e; contej th.n diakoni,an tau,thn , 4,1)? Wie versteht er »den Schatz in irdenen Gefäßen« (4,7)? Wofür steht bei ihm das Bild vom Schatz? Welches Verständnis hat es in seinem apostolischen Dienst? In welchem Zusammenhang sieht der Peristasenkatalog 2Kor 4,7-15 mit dem Proömium 2Kor 1,3-11, wo schon zahlreiche Trübsale bzw. Leiden ( paqh,mata ), aber auch Trost angesprochen werden? Es geht also vor allem darum, Funktion und Stellenwert dieses Peristasenkataloges in 2Kor zu klären. Zentral ist dabei zu untersuchen, 12 Vgl. G. S ELLIN , Das »Geheimnis« der Weisheit und das Rätsel der »Christuspartei« (zu 1Kor 1-4), ZNW 73 (1982), 69-96, 74-75. 13 Sie steht im Zentrum reformatorischer Theologie. 14 Vgl. J. T HEIS , Paulus als Weisheitslehrer. Der Gekreuzigte und die Weisheit Gottes in 1Kor 1-4, BU 22, Regensburg 1991, u.ö.; vgl. auch B.W. W INTER , Philo und Paul among the sophists, Cambridge u.a.1997,145-146. 15 Ohne den Einschub 6,14-7,1. 16 Der Begriff findet sich bei H.-J. K LAUCK , Gemeinde - Amt - Sakrament. Neutestamentliche Perspektiven, Würzburg 1989, 247. <?page no="19"?> 5 welche Bedeutung die Formulierung vom Tragen der ne,krwsij tou/ VIhsou/ an seinem Leib (4,10) hat und was mit der Koinonia an den paqh,mata tou/ Cristou/ (1,5) gemeint ist? Zum Peristasenkatalog 2Kor 6,3-10 (Kap. 5) wird die Frage der formalen Zugehörigkeit in der Literatur selten diskutiert. Sie spielt aber eine wichtige Rolle für dessen Verständnis. Die Abschnitte 4,7-15 und 6,3-10 im 2. Korintherbrief sind als Peristasenkataloge verwandte Texte, obwohl sie beide verschiedene Kontexte und unterschiedliche Funktionen haben. Der Frage muss deshalb nachgegangen werden, ob der Peristasenkatalog 2Kor 6,3-10 als »Selbstempfehlung« des apostolischen Dienstes zu verstehen ist? Warum kann Paulus Selbstempfehlung positiv oder negativ und damit unterschiedlich bestimmen? Welche Gründe hat er dafür? Verknüpft Paulus also in seinem apostolischen Dienst seine Apologie mit dem Leidensthema? Der Peristasenkatalog 2Kor 11,21b-30 (Kap. 6) - wie auch der Peristasenkatalog 12,9-10 - steht im Rahmen der »Narrenrede« 2Kor 11,1- 12,13 (11,1: avfrosu,nh ; 12,11: ge,gona a; frwn ), einer großen Gegenrede des Paulus, in der er sich explizit mit seinen Gegnern auseinandersetzt. Anders als im Rahmen der 1. Apologie (2,14-7,4) tritt im Rahmen dieser 2. Apologie (Kap. 10-13) scharfe Polemik an die Stelle positiver theologischer Entfaltung. Die Peristasenkataloge innerhalb dieses Abschnitts sind deshalb als Elemente dieser polemischen Intention zu interpretieren. 17 Der Peristasenkatalog 11,21b-30 ist zudem der am stärksten biographisch orientierte Text innerhalb der paulinischen Aufzählungen seiner missionarischen Leiden. 18 Weitere erzählende autobiographische Stücke folgen in 11,32f. und 12,2-4, in denen Paulus konkrete Episoden als Beispiele vielfältiger Leiden vorstellt, die er gegenüber seinen Gegnern präsentiert. Warum bedient sich Paulus in diesem Peristasenkatalog der hellenistischen Gattung »Enkomion«? 19 Warum beschreibt er seine Peristasen in einer Narrenrede? Welche Bedeutung haben für ihn Selbstruhm und Selbstempfehlung, die mit seinem Peristasenkatalog verknüpft sind? In diesem Peristasenkatalog gebraucht Paulus neben der Formulierung » dia,konoi Cristou/ « drei Bezeichnungen mit Ehrentiteln: Hebräer ( ~Ebrai/ oi ), Israeliten ( VIsrahli/ tai ) und Same Abrahams ( spe,rma VAbraa,m ). In rhetorischen Fragen diskutiert er die Herkunft, derer sich seine Gegner rühmen. Was intendiert Paulus mit diesen vier Fragen und Antworten, die so etwas wie einen »dramatischen 17 Vgl. J. S CHRÖTER , Der versöhnte Versöhner. Paulus als unentbehrlicher Mittler im Heilsvorgang zwischen Gott und Gemeinde nach 2Kor 2,14-7,4, TANZ 10, Tübingen/ Basel 1993, 165. 18 Vgl. dazu K. B ERGER , Formgeschichte des Neuen Testaments, Heidelberg 1984, 272. 19 Damit stehen Synkrisis und Ruhmesrede. <?page no="20"?> 6 Dialog« darstellen? 20 Im Zusammenhang dieses persönlich geprägten Peristasenkataloges muss schließlich im Anschluss an die Darstellung von drei verschiedenen »Strafverfahren« - jüdisch-synagogale Geißelstrafe, römische Rutengeißelstrafe (verberatio), Steinigung - der umstrittenen Frage nach dem römischen Bürgerrecht des Paulus nachgegangen werden. Wenn er - wie zu begründen ist - dieses besessen haben sollte, 21 warum hat er dann im Zusammenhang seiner Leiden auf die Nutzung dieses Privileg verzichtet? Der Peristasenkatalog 11,21b-30 und der daran anknüpfende Teil 12,1- 10 sind parallel aufgebaut. Am Ende dieses Teils steht der Peristasenkatalog 2Kor 12,9b-10 (Kap. 7). Zwischen beiden Peristasenkatalogen berichtet Paulus mehrere Episoden: Zum einen die »Damaskusepisode« (11,31-33) 22 und zum anderen zwei »Offenbarungserlebnisse« - Entrückungsgeschichte und Krankheitsgebet mit Herrenwort (12,1-10). 23 Welche Rolle spielen diese Episoden im Zusammenhang mit dem folgenden Peristasenkatalog? Warum berichtet Paulus der korinthischen Gemeinde von zwei ganz unterschiedlichen Offenbarungserfahrungen? Warum spricht Paulus von dem »Herrenwort« und einem »Dorn im Fleisch« innerhalb des Peristasenkatalogs? Zu welchem Zweck bringt er zum Ausdruck, dass die Kraft Christi bei ihm wohnt (12,9b)? Hat dieser Peristasenkatalog einen christologischen Bezug? Das paradoxe Verhältnis von »Schwachheit« und »Kraft« ist nirgends im Vierkapitelteil 10-13 so prägend wie an dieser Stelle. Wie versteht er den paradoxen Ausdruck »Kraft in Schwachheit«? Welche Bedeutung hat der autobiographisch geprägte Ich-Stil, der beide Peristasenkataloge verbindet? In Kap. 8 wird die Bedeutung der Peristasenkataloge im Blick auf sein Apostolat bzw. seine Gemeinden zusammengefasst. Denn Paulus berichtet als berufener Apostel Jesu Christi (vgl. 1Kor 1,1; 2Kor 1,1; Gal 1,1; 1Thess 2,7), als der Gründer der Christengemeinde in Korinth, von zahlreichen Peristasen, die er als Diener Christi auf seinen Missionsfeldern erfahren 20 H. W INDISCH , Der zweite Korintherbrief, KEK 6, Göttingen 9 1924 (Nachdruck hg. von G. Strecker 1970), 350. Zu Fragen mit Antworten in kleinen Sätzen als Dialogstil bei Paulus vgl. B ULTMANN , kynisch-stoische Diatribe, 64-71. 21 Zur historischen Einschätzung vgl. H. O MERZU , Der Prozeß des Paulus. Eine exegetische und rechtshistorische Untersuchung der Apostelgeschichte, BZNW 115, Berlin/ New York 2002, 17-52; T. M OMMSEN , Römisches Strafrecht, Graz 1955 (Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1899), 47; D ERS ., Die Rechtsverhältnisse des Apostels Paulus, ZNW 2 (1901), 81-96; vgl. auch M. F UHRMANN , Art. verbera, PRE.S IX, 1593f. 22 Zur Literatur: D.A. C AMPBELL , An Anchor for Pauline Chronology. Paul’s Flight from “The Ethnarch of King Aretas” (2 Corinthians 11: 32-33), JBL 121/ 2 (2002), 279-302; L.L. W ELBORN , Primum tirocinium Pauli (2 Cor 11,32-33), BZ 43 (1999), 49-71; E.A. K NAUF , Zum Ethnarchen des Aretas 2 Kor 11,32, ZNW 74 (1983), 145-147. 23 Diese Aspekte verteilt E BNER , Leidenslisten, 96, auf drei Erzählungen: die Damaskusepisode (11, 32f.), die Himmelsreise (12,2-4) und die Erzählung von »Stachel im Fleisch« (12,7-9). <?page no="21"?> 7 hat. Dabei gilt es zu differenzieren zwischen der Aufzählung von Leidenserfahrungen und den jeweiligen Interpretationen des Apostels. Deshalb stellt sich die Frage: Wie versteht Paulus sein Leiden im Vergleich und im Verhältnis zum Leiden Christi? Kommt darin ein mystischer Bezug des leidenden Apostels zum leidenden Christus zum Ausdruck, wie eine klassische Interpretation annimmt (z.B. A. Schweitzer)? 24 Oder haben sie als ein christologisches Epiphaniegeschehen des irdischen Jesus Verkündigungscharakter, wie Güttgemanns vorgibt? 25 Hat Paulus seine Leiden als spezifischen Umgang Gottes mit dem Frommen und Gerechten, - analog zum Alten Testament oder dem frühen Judentum - verstanden? 26 Begreift er sie als Prüfung ( dokimh, ) und Versuchung ( peirasmo,j ) 27 oder als Erziehung bzw. Züchtigung ( paidei,a ) durch Gott? 28 Darüber hinaus: Wie sieht Paulus das Verhältnis seiner Leiden zum Leiden der Gemeinde bzw. aller Christen? In diesem Fall bleibt dann auch die weitere Frage nicht aus: Versteht Paulus seine eigenen Leiden als stellvertretendes Leiden für die Gemeinde? 29 In abschließenden Überlegungen werden die Ergebnisse der Untersuchung zu den Peristasenkatalogen sowie die theologische Interpretation, die Paulus seinen Leiden gibt, in aller Kürze zusammengefasst (Kap. 9). 24 Vgl. A. S CHWEITZER , Die Mystik des Apostels Paulus, UTB 1091, Tübingen u.a. 1981 (Nachdruck, = 1930), 120.122. 25 Vgl. E. G ÜTTGEMANNS , Der leidende Apostel und sein Herr. Studien zur paulinischen Christologie, FRLANT 90, Göttingen 1966, 107. 26 Dazu K LEINKNECHT , Der leidende Gerechtfertigte. 27 Vgl. Hebr 2,18; 4,15; 1Petr 1,6-7; 4,12; Apk 2,10. 28 So von Luther bis Otto Kuss (bei K.M. F ISCHER , Die Bedeutung des Leidens in der Theologie des Paulus, Diss. Berlin 1967, 15 Anm.1); vgl. auch Hebr 12,5-11 (dort mit Zitat von Spr 3,11.12) und Apk 3,19. 29 Vgl. E. L OHSE , Märtyrer und Gottesknecht. Untersuchung zur urchristlichen Verkündigung vom Sühntod Jesu Christi, FRLANT 64, Göttingen ²1963, 201. Zur Diskussion und Auslegungsgeschichte vgl. J. K REMER , Was an den Leiden Christi noch mangelt. Eine interpretationsgeschichtliche und exegetische Untersuchung zu Kol 1,24b, BBB 12, Bonn 1956. <?page no="23"?> Teil I Zur Traditionsgeschichte paulinischer Peristasenkataloge <?page no="25"?> 11 2 Die Traditionsgeschichte im Zusammenhang der neueren Forschungsgeschichte 2.1 Das Umfeld des Terminus pperi,stasij Das nachklassische Wort peri,stasij findet sich in der hellenistischen Antike häufig und wird im allgemeinen mit der Bedeutung »äußere Umstände (circumstantia)« gebraucht. 1 Peri,stasij kommt als Begriff im NT nicht vor, wohl aber sein weit verzweigtes Wortfeld. Das Lexem peri,stasij wurde für verschiedene Bereiche verwendet, sogar in der Meteorologie und Astronomie oder auch in der Architektur. 2 Peri,stasij wird mit neutraler Bedeutung gebraucht und kann frohe und unfrohe Situationen bezeichnen; 3 deshalb hat das Lexem positive bzw. negative Implikationen. 4 In diesem Sinne ist es üblich, peri,stasij synonym mit sumfora, (»Unglück«) zu verwenden. Phrynichus, der im 2. Jahrhundert n.Chr. Lexikograph war, sagt, dass die stoischen Philosophen peri,stasij statt sumfora, verwenden. 5 Einige Forscher gebrauchen beide in gleicher Weise, 6 andere benutzen beide Worte mit Vorliebe. 7 In gleichem Kontext kommen peri,stasij und sumfora, miteinander vor. 8 Das Wort, das mit peri,stasij verknüpft ist, ist nicht nur sumfora, . Andere mit peri,stasij verknüpfte Worte sind: avtu,chma , deino,n , dustuci, a , 1 Nach F ITZGERALD , Cracks, 33 Anm. 4, kommt das Wort im Brief von Epikur an Pythocles vor, wo es achtmal auftaucht; ep. 2.92 (39,13), 102 (46, 7), 104 (47,11), 106 (48,17), 107 (49,13), 109 (50,13), 111 (52,5 und 9). Alle Zitate bei H. Usener, Epicurea, Leipzig 1887; Polybius verwendet es mindestens 38-mal, vgl. Geschichte. Gesamtausgabe in zwei Bänden, eingel. und übertr. von H. D REXLER , BAW.GR, Zürich/ Stuttgart ²1978/ 1979; Polybius, The Histories, 6 Vols., with an English transl. by W.R. P ATON , LCL, Cambridge, MA/ London 1922-1927 (reprint); zu diesen ausführlichen Belegstellen vgl. F ITZGERALD , Cracks, 33 Anm. 5, in Aufnahme von J. S CHWEIGHÄUSER (ed.), Lexicon Polybianum, Oxford 1822, 346. 2 Vgl. LSJ, 1388a (II.4ab) und (I.2abc); H. VAN H ERWERDEN , Lexicon Graecum suppletorum et dialecticum, Leiden 1910, 1161. 3 In Polyb. 4.67.4 werden beide, Krieg und Frieden, als peri,stasij charakterisiert. 4 So F ITZGERALD , Cracks, 34. 5 Phrynichus, Epit. 353. 6 So z.B. Maximus von Tyros, der sowohl sumfora, und als auch peri,stasij gebraucht (zu den ausführlicheren Belegen F ITZGERALD , Cracks, 39 Anm. 51). 7 Epiktet gebraucht peri,stasij 27-mal und sumfora, nur dreimal. Marcus Aurelius verwendet peri,stasij viermal und sumfora, nur einmal (nach F ITZGERALD , Cracks, 39 Anm. 52). 8 Vgl. Max. Tyr. Or. 22.6d (= 275, 14 Hobein). <?page no="26"?> 12 kako,n , kakopa,qeia , peirasmo,j , po,noj , su,mptwma , ki,ndunoj , avpori,a , qli/ yij , lu,ph , tarach, und fo,boj . 9 Die Stoiker, für die peri,stasij ein terminus technicus 10 war, liebten diesen in verschiedenen ethischen Diskussionen, während die Rhetoriker den Terminus peri,stasij im allgemeinen Sinne gebrauchten. 11 In griechischen und lateinischen Rhetorikkreisen des 1. Jahrhunderts n.Chr. ist dieser Sprachgebrauch gut belegt. 12 Peri,stasij ist manchmal mit dem Gedanken vom Wandel des Menschenschicksals verknüpft. Dabei steht das hellenistische Ideal der Autarkie ( auvta,rkh ) in allen Umständen des Lebens im Vordergrund. 13 Dann geht die Deutung der peri,stasij von der neutralen Bedeutung »äußere Umstände« in »schwierige Umstände« über. In diesem Fall ist peri,stasij im Sinne von »Unglück, Gefahr, Not« zu verstehen. 14 Das zeigt sich in Schriften der Stoa, etwa bei Plutarch (z.B. Moralia 326 D-E, 327 A-C), in Werken von griechischen Biographen und Historikern (z.B. Arrians Historie von Alexander und Indika 7.10.2), aber auch in der jüdischen Apokalyptik (z.B. slavHen 66,6). 15 Der Terminus peri,stasij wird besonders häufig von Epiktet und Polybius gebraucht und hat in der Stoa eine stereotype Bedeutung erlangt. 16 Für Polybius haben die Peristasen zwei Bedeutungen, einmal »Umstände«, zum anderen »Schwierigkeiten« oder »Gefahren«. Oft ist es schwer, beide Bedeutungen zu unterscheiden. Epiktet, ein stoischer Philosoph, schildert peri,stasij in seiner Diatribe wie folgt: »Die Peristasen sind es, die den Mann zeigen« ( Ai` perista,seij eivsi.n ai` 9 F ITZGERALD , Cracks, 39f. Dort auch die ausführlichen Belegstellen, a.a.O., Anm. 54- 67. 10 Vgl. R. E UCKEN , Geschichte der Philosophischen Terminologie, Leipzig 1879, 176 Anm. 3. 11 Vgl. F. S TRILLER , De Stoicorum studiis rhetoricis, Breslauer philosophische Abhandlungen I.2, Breslau 1886, 27-31. 12 In lateinischen Schriften ist peri,stasij verwendet als Fremdwort. Circumstantia dient meist als Übersetzung. Vgl. F ITZGERALD , Cracks, 37 Anm. 36. 13 In Polyb. 3.31.2 begegnet folgender Ausdruck: pro.j pa/ san peri,stasin auvta,rkhj ; das Wort auvta,rkhj kommt im NT einmal in Phil 4,11 vor; auvta,rkeia zweimal (2Kor 9,8; 1Tim 6,6). 14 Vgl. B ERGER , Formgeschichte, 225. 15 R.F. C OLLINS , First Corinthians, SPS 7, Collegeville, Minn. 1999, 183, weist sowohl auf die Werke von Josephus (Bell. 2.151-153) als auch auf Texte in der Mischnah und auf die gnostischen Texte von Nag Hammadi hin. 16 A. B ONHÖFFER , Epiktet und das Neue Testament, RVV 10, Gießen 1911, 232. Er definiert deshalb peri,stasij : »Wie bei Polybios, bedeutet es auch bei Ep. teils die Umstände überhaupt (z.B. I 22,1: das avgaqo,n muss man evk pa,shj perista,sewj erstreben und verfolgen), teils, und zwar ganz überwiegend, die ‚widrigen, gefahrvollen Umstände‘, die eben besonders geeignet sind, den Charakter zu erproben. Das Wort findet sich im Alten Testament einmal, II Makk. 4,16, mit caleph, verbunden. Das Adjektiv avperi,statoj wendet Ep. an auf den Kyniker, der weder Weib noch Kind noch Vaterland etc. hat, damit also auch aller Schwierigkeiten, Sorgen und Gefahren enthoben ist, welche aus jenen Beziehungen erwachsen (IV 1, 159). <?page no="27"?> 13 tou.j a; ndraj deiknu,ousai ; Diss. I 24,1 vgl. I 6,36). Nach A. Bonhöffer haben die perista,seij für Epiktet dieselbe Bedeutung wie die peirasmoi, . 17 Diesen Sachverhalt sieht er auch im Neuen Testament gegeben: »Es sind gottgesandte oder von Gott zugelassene Prüfungen und Gelegenheiten zur Bewährung der sittlichen Kraft bzw. des Glaubens«. 18 Der Begriff peri,stasij spielt auch eine wichtige Rolle in der symbuleutischen Literatur, in der nach Überzeugung und Rat für eine spezielle Situation gefragt wird. 19 Epiktet beschreibt peri,stasij dann als »Probe der Philosophen«. 20 Das Ertragen des Leidens ist Beweis der Tugend. 21 Deshalb beziehen sich Peristasen in der Antike in der Regel auf die Tugend. 22 Zudem bietet peri,stasij die Chance, die Herrlichkeit zu erhalten, die zur Tugend gehört. Dabei ergibt sich die Aufhebung des Leidens durch die Kraft Gottes im Menschen, durch Gottes Eingreifen, durch die von Gott kommende Kraft und Liebe, durch unsichtbare Wirkweise, durch die übermenschliche Kraft der Philosophie oder durch die Vernunft. 23 Der gemeinsame Wortschatz, der in den peristasenartigen Texten des Epiktet (Diss.) und auch bei Paulus in seinen Peristasenkatalogen gebraucht wird, beläuft sich auf 21 Worte: 24 avna,gkh( avpoqnh|,skw( avpore,w( avtimi,a( gumniteu,w( diya,w( do,xa( qa,lassa(qa,natoj( qli,bomai( ki,ndunoj( lh|sth,j( limo,j( loidore,w( lupe,w( ma,caira( nauage,w( o`doipori,a( peina,w( fulakh,( yu/ coj . 13 Worte in den peristasenartigen Texten der LXX finden sich auch in den paulinischen Peristasenkatalogen: 25 17 B ONHÖFFER , Epiktet und NT, 277 Anm. 4, schreibt zu peirasmoi, : »Es handelt sich hier nur um den biblischen Begriff der Versuchung als einer von widergöttlichen, feindlichen Mächten ausgehenden Anreizung zum Bösen oder zum Abfall von Gott (...). Während Epiktet nur von prospi,ptonta spricht, bezeichnet der christliche Bearbeiter diese Zufälle genauer als peirasmoi, , und nennt sie ausdrücklich u``po. tou/ evcqrou/ proballo,menoi . Hier kann man den Unterschied zwischen der christlichen und der stoischen Auffassung mit Händen greifen! Sieht man dagegen von dem Ausgangspunkt des peirasmo, j ab, so besteht zwischen der christlichen und der stoischen Anschauung, wonach diese peirasmoi, , d.h. die Leiden, sein müssen und zur Erprobung des Glaubens, beziehungsweise der sittlichen Widerstandskraft dienen, eine große Übereinstimmung«. 18 B ONHÖFFER , Epiktet und NT, 301. 19 F ITZGERALD , Cracks, 35f. 20 Epict.diss. III 10,11. 21 Epict.diss. III 10,11 und 24,128; Dion Chr. 3.3. 22 Vgl. Sen.Herc. 432-36; Ov.trist. 4.3.76 nach F ITZGERALD , Cracks, 44. 23 Vgl. B ERGER , Formgeschichte, 228. 24 F ERRARI , Sprache des Leids, 138f., unter Hinweise auf die Belegstellen. 25 F ERRARI , Sprache des Leids, 142, unter Hinweise auf die Belegstellen. <?page no="28"?> 14 avna,gkh , avpo,llumai , evgkatalei,pw( za,w( gumno,thj( di,yoj( qa,natoj( qli/ yij , limo,j( ma,caira( paideu,omai( plhgh,( stenocwri,a . 2.1.1 Das Umfeld der Peristasenkataloge Auf dem Hintergrund dieses philosophischen und rhetorischen Gebrauchs des Begriffes peri,stasij in der hellenistischen Antike ist der Peristasenkatalog als epideiktische Gattung von Listen und Katalogen im Neuen Testament zu verstehen: als »Beschreibungen ohne Fortgang, um dann über kürzere erzählende Texte zu den erzählenden Großgattungen und zur Historiographie zu gelangen«. 26 Peristasenkataloge werden als »Fülle der ertragenen Leiden« 27 bei epideiktischen Katalogen bezeichnet. 28 K. Berger beschreibt die Peristasenkataloge als eigenständige hellenistische Gattung wie folgt: »1. Der gemeinsame Bezugspunkt der geschilderten Phänomene ist der Mensch, und zwar als leidender. 2. Es geht daher nicht um Schrecknisse im allgemeinen, sondern um eine Liste von Dingen, die jeder Einzelne konkret physisch und psychisch erfährt. Die Ausrichtung der Liste ist daher individual-anthropologisch. 3. Mit der Richtung auf das Leiden des einzelnen Menschen ist, weil Leiden ihn als Menschen nicht nur objektiv-beschreibbar trifft, sondern auch eine sprachlich formulierbare subjektive Seite hat, die Frage der Aufnahme und Verarbeitung des Leidens gestellt. (…) 4. Von daher ergeben sich bereits zwei - im übrigen öfter sich überschneidende - Sitze dieser Gattung: das Selbstzeugnis (Rede in der 1.P. Singular) und die pädagogischseelsorgerliche Überwindung von Leiden (oder das Reden darüber). (…) 5. Da in Philosophie und Christentum der Autor eines Textes eigentlich immer nur auf der Seite der Moral zu stehen pflegt, ergibt es sich von selbst, dass in allen Texten dieser Provenienz ein Zusammenhang zwischen Leiden und positiver Moral gesehen wird. Von daher erklärt sich die ausgeprägte Neigung zur Verbindung mit Tugendkatalogen (1Kor 4,9-13; 2Kor 6,4-10; Diognetbrief 7,7-9), mit dem Thema der Leiden des Philosophen und schließlich mit Märtyrerberichten. 6. Aufgrund der individualistischen Ausrichtung der Kataloge und der Formulierung als Selbstzeugnis ergibt sich eine strukturelle Affinität zu Biographie und Autobiographie. (…) 7. Weil die Bewältigung des Leidens im Vordergrund steht, und zwar entweder als Überwindung der puren Vorfindlichkeit oder als Eröffnung zunächst so nicht erahnter oder erahnbarer Perspektiven (Rettung durch Gott oder durch die Philosophie als ‚deus ex machina‘), ergibt sich für die Gestaltung der Peristasenkataloge eine häufig ausgeprägt antithetische Struktur. (…)« 29 26 B ERGER , Formgeschichte, 221. 27 B ERGER , Formgeschichte, 224. 28 Bei epideiktischen Katalogen ist häufig die Intention der Form, eine gewisse Vollständigkeit vorzuführen. So nach B ERGER , Formgeschichte, 223. 29 K. B ERGER , Hellenistische Gattungen im Neuen Testament, ANRW. II 25,2 (1984), 1355-1359. <?page no="29"?> 15 Die Bezeichnung Peristasenkatalog für die Aufzählung des Apostelleidens wird in die neutestamentliche Fachsprache zuerst von Bultmann im Rahmen einer Stiluntersuchung zu den paulinischen Briefen eingeführt. Er versteht darunter eine Passage, in der »der Redner die verschiedenen Fügungen des Geschicks, die perista,seij , aufzählt, denen gegenüber er sich als Überwinder rühmt«. 30 Im Anschluss an Bultmann verwendet Windisch den Terminus »Peristasenkatalog« 31 gleichbedeutend mit »Leidenskatalog«. 32 Als Stilmerkmale des Peristasenkataloges, die in hellenistischen Werken und auch in paulinischen Briefen vorkommen, ergeben sich die rhetorische Redeweise, besonders der Diatribestil, die zahllosen Antithesen und Paradoxien, Vergleiche einer Menge synonymer oder sich ergänzender Worte in polysyndetischer oder asyndetischer Aufzählung, der Gleichklang am Anfang oder am Ende der Reihungen, die Anhäufung von Attributen mit a -privativum, die Doppelheit des Ausdrucks und vieles mehr. Als Peristasenkataloge des Paulus gelten: 1Kor 4,6-13; 2Kor 4,7-15; 6,3-10; 11,21b-30; 12,9b-10; Röm 8,31-39. 33 2.2 Abriss der Forschungsgeschichte Die paulinischen Peristasenkataloge stehen in traditionsgeschichtlichen Zusammenhängen und literarischen Abhängigkeiten. Sie werden von stoischem, alttestamentlichem und von apokalyptischem Hintergrund beeinflusst. Zunächst wird der Frage nachgegangen, ob Paulus sich in den Peristasenkatalogen besonders mit der stoischen Auffassung vom Ertragen des Leides berührt. 2.2.1 Forschungsgeschichte zum stoischen Hintergrund 2.2.1.1 Rudolf Bultmann - Adolf Bonhöffer - Anton Fridrichsen 2.2.1.1.1 Rudolf Bultmann Schon Bultmann hat 1910 einen solchen Zusammenhang mit seiner vergleichenden Stiluntersuchung zu paulinischen Briefen und kynisch-stoischen 30 B ULTMANN , kynisch-stoische Diatribe, 19. Als Beispieltexte dafür führt er an, Epict. I 11,33; 18,22: außerdem Mus. 26,13ff.; 83,12. Epict. I 1,22; 4,24; II 1,35; 16,42; 18,30; III 22,21f. 45. Hor.sat. II 7,84f. Sen.prov. 6,1; const. 6,1.3; 8,3; tran. 11,6; vit.. 7,3; ep. 82,14. 31 W INDISCH , 2Kor, 349.353.357. 32 W INDISCH , 2Kor, 204. 393. 33 Vgl. E BNER , Leidenslisten, 7.331, rechnet zusätzlich mit Phil 4,11-13, aber dieser Text ist als Peristasenkatalog in der Forschung umstritten. Außerdem zählt B ERGER , Gattungen im NT, 1031-1432; 1831-1884, bes. 1357, auch die Kurzformen der Leidensweissagungen im Markusevangelium (Mk 8,31; 9,31; 10,33f.) zu den Peristasenkatalogen. <?page no="30"?> 16 Diatriben in griechisch-römischer Zeit hergestellt. 34 Doch bereits vor Bultmann begegnen uns andere Forscher (z.B. J. Weiss und E. Norden), 35 die bei Untersuchungen zu rhetorischen Elementen in den paulinischen Briefen eine Verwandtschaft zwischen Paulus und der kynisch-stoischen 36 Diatribe herstellen und als besonderes Kennzeichnen paulinischer Rhetorik den Parallelismus und die Antithese in verschiedenen Formen betonen. 37 Dabei wird von Norden die Ansicht vertreten, dass Paulus die rhetorischen Figuren gekannt und an passenden Stellen halb bewusst, halb unbewusst angewendet hat. 38 Zudem hat er eine rein hellenistische Orientierung in Frage gestellt und auf jüdisch-hellenistische Elemente aufmerksam gemacht. 39 Bultmann hat also die Vorarbeiten seines Lehrers J. Weiss weiterentwickelt. Er findet in seiner Untersuchung über den Stil der paulinischen Peristasenkataloge die längst erkannte Ähnlichkeit zwischen den Paulusbriefen und der Diatribenliteratur der Popularphilosophen. Von ihm werden vor allem die kynisch-stoischen Wanderprediger und Popularphilosophen - Bion von Borysthenes, Teles, Q. Horatius Flaccus, L. Annaeus Seneca, C. Musonius Rufus, Epiktet, Dion von Prusa (Dio Chrysostomus) und 34 Vgl. B ULTMANN , kynisch-stoische Diatribe, 19.27ff.71.80. 35 So schon bei J. W EISS , Beiträge zur paulinischen Rhetorik, in: C.R. Gregory (Hg.), Theologische Studien. FS B. Weiss, Göttingen 1897, 165-247; aber auch bei E. N ORDEN , Die antike Kunstprosa. Vom VI. Jahrhundert v. Chr. bis in die Zeit der Renaissance II, Darmstadt 1974 ( 8 1981 Nachdruck Leipzig/ Berlin ²1909). F ITZGERALD , Cracks, 7f. Anm. 2, verneint, dass Weiss der Erste war, der eine Ähnlichkeit zwischen den paulinischen Katalogen und der hellenistischen Literatur bemerkte. Er weist auf Werke über Peristasenkataloge vor Weiss hin (a.a.O.): Schon im Jahr 1620 behauptete Abraham Scultetus, Deliciae evangelicae pragenses, Hanoviae 1620, dass 2Kor 11,23- 27 von dem Leidenskatalog in Ps-Heraclitus, ep. 4.3 beeinflusst wird. Zwei Jahrhunderte später behauptet Amédée Fleury wieder, dass die Aussagen in 2Kor 11,23-27 und 12, 7-10 von Sen.ep. 65, besonders 65.20-24 inspiriert sind und dass Lucian, peregr. 32, eine Anspielung auf 2Kor 11,23-26 war (vgl. A. F LEURY , Saint Paul et Sénèque, 2 vols., Paris 1853, 1.36-39; 2.118, 247-249). Im Jahre 1877 hat Bruno B AUER , Christus und die Caesaren, Berlin 1877, die Tradition der Aussage von Ps-Heraclitus mit 2Kor 11,23-28 verbunden, aber er fügt die Aussage von Sen.ep. 85.41 hinzu, wo die wichtigen Kataloge der Leiden der Weisen enthalten sind. 36 Grundsätzliche Literatur zur Stoa: G. S TOCK , Stoicism, New York 1909; R.D. H ICKS , Stoic and Epicurean, New York 1962 (reprint = 1910); P. B ARTH , Die Stoa, Stuttgart ³1922; M. P OHLENZ , Die Stoa, Vol. 2, Göttingen, ³1964; L. E DELSTEIN , The Meaning of Stoicism, Cambridge, 1966; J.M. R IST , Stoic Philosophy, Cambridge 1969; D. T SEKOURAKIS , Studies in the Terminology of Early Stoic Ethics, Wiesbaden 1974. 37 W EISS , Rhetorik, 165ff: Z.B. 2Kor 11,16-31, wo die Parallelismen mit Homoioteleuton, Homoioptoton, Anaphora, Antistrophe und Isokola gekennzeichnet werden und 2Kor 4,7-15 und 2Kor 6,6-10, wo sie als Antithesen verstanden werden. Auch werden Röm 8,35 und 1Kor 4,6-13 mit Epict.Diss. I 11,33 und II 3,18 verglichen. 38 Vgl. N ORDEN , Kunstprosa, 503. 39 Vgl. N ORDEN , Kunstprosa, 496. <?page no="31"?> 17 Plutarch von Chaeronea - herangezogen. 40 Als Ausgangspunkt wird festgestellt, dass »die wirklich rhetorischen Wendungen bei Paulus nur Begleiterscheinungen der Gattung sind, zu der seine Briefe als zugehörig zu erweisen sind«. 41 Dabei versucht er zu zeigen, dass »die paulinischen Briefe Verwandtschaft mit einer bestimmten literarischen Gattung zeigen. Es ist dies, wie man schon seit langem erkannt hat, die Gattung der Diatribe«. 42 So sieht er, dass der Stil der paulinischen Briefe mit dem der Diatribe verwandt ist, so wie Briefe Senecas von der Diatribe beeinflusst sind. 43 Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang, dass der Stil der Diatribe Predigtstil ist: Es ist der Stil der kynisch-stoischen Volkspredigt. Den Begriff der Diatribe definiert er gemäß der Aussage von Norden über die Vorgeschichte der Redeweise wie folgt: »Die Diatribe ist einerseits dem Dialog, andererseits der Rede verwandt; und diese doppelte Verwandtschaft prägt sich deutlich in ihrem Stil aus. Die Verwandtschaft mit dem Dialog zeigt die Diatribe vor allem dadurch, dass sie keine gleichmäßig fortfließende Rede ist, sondern sich in der Form von Rede und Gegenrede fortspinnt. Ein fingierter Gegner unterbricht die Darstellung in direkter Rede, meistens mit einem Einwand«. 44 Unter Verweis auf Epiktet zeigt er als spezifisches Kennzeichen die Menge synonymer oder sich ergänzender Wörter, wobei bald das Subjekt durch eine Fülle von Attributen näher bezeichnet ist, bald das Verbum eine Reihe von Objekten hat, häufig in asyndetischer oder polysyndetischer Aufzählung. 45 Als ein besonderes Merkmal bemerkt er die Verbindung von aneinandergereihten Wörtern durch Gleichklang am Anfang oder am Ende, die Anhäufung von Attributen mit a -privativum und die Doppelheit des Ausdrucks, wobei zwei Synonyme oder zwei sich ergänzende oder an- 40 B ULTMANN , kynisch-stoische Diatribe, 6-9. 41 B ULTMANN , kynisch-stoische Diatribe, 2. 42 B ULTMANN , kynisch-stoische Diatribe, 2f. 43 B ULTMANN , kynisch-stoische Diatribe, 3. 44 B ULTMANN , kynisch-stoische Diatribe, 10; vgl. auch T. S CHMELLER , Paulus und die »Diatribe«. Eine vergleichende Stilinterpretation, NTA.NF 19, Münster 1987, 4, der erklärt: »Die Diatribe wendet sich an ein größeres Publikum und bedient sich deshalb einer alltäglichen, volkstümlichen Sprache. Ein wesentliches strukturelles Kennzeichnen ist der mehr oder minder ausgeprägte Dialog mit einem anonymen Partner, aus dem sich bestimmte Eigenheiten wie Apostrophen, Frage- und Antwortstil, Personifikation u.ä. ergeben. Der Ton der ‚Diatribe‘ ist meist lebhaft, häufig polemisch. Um der Wirkung willen wird eine Vielzahl von Anekdoten, Beispielen, Stichwörtern, Vergleichen, Zitaten u.a.m. eingestreut. Der Stil ist auch im engeren Sinn stark rhetorisch geprägt, an Redeschmuck finden sich vor allem die einfachsten und zugkräftigsten Tropen und Figuren, wie z.B. Alliteration, Anapher, Antithese, Chiasmus, Isokolon, Paronomasie, Pleonasmus. Unter ‚Diatribe‘ versteht man demnach, knapp zusammengefasst, eine bestimmte Ausdrucksform antiker Populärphilosophie, die durch ansprechende Gestalt einer größeren Menge sittliche Inhalte vermitteln und einprägen will«. 45 B ULTMANN , kynisch-stoische Diatribe, 18. <?page no="32"?> 18 tithetische Ausdrücke zusammengestellt werden. 46 Diese Stilverwandtschaft konzediert er besonders in den Tugend- 47 und Lasterkatalogen, 48 in denen eine Abhängigkeit von der griechischen Popularphilosophie schon längst erkannt ist, vor allem ihre Beziehung zu Epiktet. 49 Als weiteres Beispiel nennt Bultmann zudem den paulinischen Peristasenkatalog Röm 8,35 in seiner Ähnlichkeit (Gleichklang in den Endungen und Rühmen der Überwinder) mit Epiktet I 11,13 und I 18,22, 50 was schon von J. Weiss festgestellt worden war. Außerdem verweist er noch auf 1Kor 4,11f.; 2Kor 6,4f.; 12,10; Phil 4,11-13 und besonders auf die asyndetische Aufzählung 2Kor 6,4ff. 51 Außerordentlich häufig ist bei Paulus der starke Gebrauch der antithetischen Paradoxie. Als Beispiele nennt Bultmann: 2Kor 4,8-11 und 2Kor 6,9-10 im Vergleich mit Epiktet II 19,24. 52 Das Ergebnis, zu dem Bultmann bei seiner Stiluntersuchung gelangt, steht freilich in Spannung zu dem komplizierten Charakter paulinischer Briefe. So hat er schon selbst gefragt, ob der Stil des Paulus nur von der griechischen Literatur beeinflusst oder nicht auch zumindest ebenso von alttestamentlichen oder dem semitischen Stil geprägt sei. 53 So ist Bultmann selbst im Ergebnis zu der Erkenntnis gelangt, dass die Ähnlichkeit der Ausdrucksweise zwar auf »der Abhängigkeit des Paulus von der Diatribe« beruht. 54 Aber er will »nicht verhehlen, dass der Eindruck der Verschiedenheit größer ist als der der Ähnlichkeit«. 55 Seine Argumentation ist je- 46 B ULTMANN , kynisch-stoische Diatribe, 18f. 70. 47 Bei paulinischen Briefen: Röm 12,2; Gal 5,22f.; Phil 4,8. 48 Bei paulinischen Breifen: Röm 1,29ff.; 13,13; 1Kor 5,11; 6,9f.; 2Kor 12,20; Gal 5,20f. 49 Vgl. B ULTMANN , kynisch-stoische Diatribe, 70 (vgl. auch 19): »Vielleicht die größte Ähnlichkeit aber finden wir in den Peristasenkatalogen. Wie der griechische Weise, so zählt auch Paulus die Fügungen des Schicksals oder der Mächte, denen der Mensch unterworfen ist, auf und verkündet begeistert seine Überlegenheit über Freuden und Leiden, über Ängste und Schrecken. (...) Paulus nennt zwar fast nur Unglücksschläge; denn für ihn sind die guten Gaben der Welt keine perista,seij in dem Sinne wie für den stoisch-kynischen Prediger. Aber wenn er neben den qa,natoj die zwh, , stellt, und wenn er weiterhin an sich indifferente Größen wie evnestw/ ta und me,llonta dazu in Parallele stellt, die dann doch wohl auf Gutes und Böses zu verteilen sind, so ist deutlich, wie sehr rhetorischer Ausdruck und Ton dem der Diatribe entsprechen«. 50 Vgl. B ULTMANN , kynisch-stoische Diatribe, 19.70f. 51 Vgl. B ULTMANN , kynisch-stoische Diatribe, 70f. 52 B ULTMANN , kynisch-stoische Diatribe, 80. 53 Vgl. B ULTMANN , kynisch-stoische Diatribe, 3f. So stellt Bultmann klar: »Wenn beide Elemente, das griechisch und das jüdische, als wirksam erkannt und nachgewiesen werden könnten, so würde sich erst das rechte Bild von der literarischen Persönlichkeit des Paulus ergeben. Aber dieses Ideal kann vorläufig nicht erreicht werden, da die Vorarbeiten nicht getan sind. Es gibt keine Darstellung der Rhetorik der alttestamentlichen Schriften und der jüdischen Predigt- und Lehrweise«. 54 B ULTMANN , kynisch-stoische Diatribe, 108. 55 B ULTMANN , kynisch-stoische Diatribe, 107. <?page no="33"?> 19 doch dahingehend zu kritisieren, dass er den Begriff Peristasenkatalog in seiner Dissertation relativ undifferenziert anwendet und der Vergleich mit Paulus bei einer ersten »Grobbetrachtung« nicht detailliert und deutlich nachgewiesen wird. 56 Trotzdem ist nicht zu übersehen, dass Bultmanns Untersuchung bahnbrechend wirkte und eine große Rolle für das Verständnis der Peristasenkataloge gespielt hat. 2.2.1.1.2 Adolf Bonhöffer Nach der Untersuchung Bultmanns geht Bonhöffer ein Jahr später bei der Suche nach den hellenistischen Hintergründen der paulinischen Peristasenkataloge noch einen Schritt weiter. 57 Unter Hinweis auf entsprechende Stellen bei Bultmann betont er, dass deren Vorkommen nicht auf die kynischstoische Diatribe beschränkt ist. 58 Als Beispiel weist er auf einen entspre- 56 So F ERRARI , Sprache des Leids, 29f. Der Kritikpunkt von Ferrari lautet in Aufnahme von Fitzgerald, Cracks, 11 Anm. 29: »Z.B. wird bei Bultmann nicht deutlich, wieviele Glieder ein solcher Pk mindestens umfassen muss, denn offenbar rechnet er bereits zwei Peristasen als Katalog (vgl. Epict.diss. III 22,21f.: qa,natoj und fugh, ); ebenso wird nicht klar, warum er beispielsweise Sen. v.b. 7,3 unter die Pk zählt, ob die dort gegenübergestellte virtus und voluptas bzw. die Zustände und Orte, an denen sich diese finden, als perista,seij zu betrachten sind. Aber vor allem bei Paulus selbst ist nur eine oberflächliche Systematik in puncto Pkk erkennbar, wenn Bultmann z.B. 2Kor 4,8f. und vor allem 2Kor 11,23ff. nicht erwähnt, hingegen 1Kor 3,22. Dennoch liegt es für die kommende Forschung offenbar nahe, aus dem, was Bultmann schreibt, herauszulesen, Paulus habe in Abhängigkeit von der kynisch-stoischen ‚Diatribe‘ eine ganz bestimmte, feste Textform übernommen, wobei er allerdings nicht dieselben Lebensumstände aufzählt, sondern die, die für ihn in Betracht kommen, und letztlich auch aus anderen Gründen als der Stoiker über die Widrigkeiten des Lebens triumphiert«. 57 Zur Literatur B ONHÖFFER , Epiktet und NT; vgl. seinen Aufsatz: Epiktet und das Neue Testament, ZNW 13 (1912), 281-292; vgl. auch R. B ULTMANN , Das religiöse Moment in der ethischen Unterweisung des Epiktet und das Neue Testament, ZNW 13 (1912), 97-110. 177-191; A. D EISSMANN , Paulus. Eine kultur- und religionsgeschichtliche Skizze, Tübingen ²1925 (1911). 58 Kritisch formuliert B ONHÖFFER , Epiktet und NT, 179-180 Anm. 1, gegen Bultmann: »Erstens (…), dass die Reden Epiktets durchaus nicht den gewöhnlichen Diatribenstil darstellen, sondern, so vieles er natürlich auch der Schultradition verdankt, doch etwas ganz Originelles und Eigenartiges sind und auch mit den Vorträgen eines Teles, ja auch des Musonius, selbst wenn wir die vorausgesetzte Abschleifung durch den Herausgeber in Rechnung nehmen, nach Form und Geist sich keineswegs decken. Bultmann aber muss, um die Übereinstimmung des Pl mit der Diatribe zu zeigen, in ganz überwiegendem Maße eben die Reden Epiktets heranziehen, die doch der Apostel natürlich niemals gehört haben konnte. Zweitens führt Bultmann, während er einerseits viel zu viel aus Epiktet heraus argumentiert, andererseits vieles auf, was der Diatribe nicht speziell eigentümlich ist, sondern zu den rhetorischen Ausdrucksmitteln der Kunstprosa überhaupt gehört. Drittens scheint mir mit der ganzen Bildungslaufbahn und Geistesart des Pl die Annahme schlechterdings unverträglich, dass er popularphilosophische Vorträge von Heiden so häufig und mit so viel Inte- <?page no="34"?> 20 chenden Katalog bei Platon hin: »Wenn man neuestens (Bultmann) sogar in den ‚Peristasenkatalogen‘ des Paulus eine Imitation stoischer Oratorik finden wollte, so mache ich darauf aufmerksam, dass schon bei Platon (Respubl. II 5, 361 E ff.) ein solcher Peristasenkatalog zu lesen ist«. 59 Bonhöffer fragt, ob zwischen Paulus und der Geistesart der kynischstoischen Diatribe bzw. Epiktet eine besonders nahe Verwandtschaft bestehe und ob diese Übereinstimmung berechtige anzunehmen, dass der Apostel diese Literatur gekannt und diese auf ihn bewusst - wenn auch nur formell - Einfluss ausgeübt habe, oder dieser sie mit solchem Interesse in sich aufgenommen und die Spuren dieses Studiums oder dieser Kenntnis unwillkürlich in seiner Schreibweise verraten habe. 60 Er verneint diese Frage aus folgenden Gründen: »Einmal gilt diese ganze oft überraschende Ähnlichkeit mit der Redeweise Epiktets nur von einem Teil der Briefe des Pl und auch hier nur von gewissen Partien, wo er dogmatische Anschauungen entweder neu mit dem Eifer und dem Pathos des Selbsterarbeiteten entwickelt oder mündlich Gelehrtes in Erinnerung bringt bzw. gegen Missverständnisse oder gegnerische Angriffe verteidigt«. 61 Seiner Ansicht nach spricht er nicht durch die Redeweise der Dialektiker, sondern vielmehr in der ungekünstelten Sprache des vertraulichen Briefes, des Herzens. 62 Als Beispiel nennt er den von heftiger Erregung durchzitterten zweiten Brief an die Korinther, der fast gar keinen Anlass zum Vergleich mit Epiktet biete. 63 Nach seiner Ansicht erklärt sich die große stilistische Verwandtschaft zwischen Paulus und Epiktet vielmehr daraus, dass »beide, jeder in seiner Art, in besonderem Maß originelle und geisterfüllte, lehrbegabte und überzeugungskräftige Persönlichkeiten sind, beide mit einer auch die Geringsresse angehört hätte, dass ihm ‚diese Klänge in Fleisch und Blut übergegangen wären‘ (Bultmann S. 78, vgl. dagegen S. 67). Ich betone übrigens ausdrücklich, dass Bultmann selbst volles Verständnis zeigt für die außerhalb des Hellenismus gelegenen Faktoren der paulinischen Predigt und es nie unterlässt, auch auf die tiefgreifende Verschiedenheit der letzteren von der Diatribe aufmerksam zu machen ( z.B. S. 68 und 81)«. 59 B ONHÖFFER , Epiktet und NT, 392, Nachträge zu S. 167ff. 60 Vgl. B ONHÖFFER , Epiktet und NT, 140. 61 B ONHÖFFER , Epiktet und NT, 140. 62 Vgl. B ONHÖFFER , Epiktet und NT, 141. 63 B ONHÖFFER , Epiktet und NT, 140-141: Ferner urteilt er über mehrere paulinische Briefe, d.h. die Hälfte des Römerbriefs (Kapitel 3-8, 9-11 und etwa noch 14 und 15) und zerstreute Partien des 1. Korintherbriefs und einen Teil des Galaterbriefs (besonders die Kapitel 2-4), dass diese »nicht bloß keine Ähnlichkeit mit Epiktets Dissertationen oder überhaupt mit der kynisch-stoischen Schriftstellerei aufweis(en), sondern vielmehr, auch in Sprache und Ausdrucksweise, einen völlig andern Geist atm(en)« (141). Diese Ausführungen Bonhöffers werden mit Recht von P. W ENDLAND , Die hellenistisch-römische Kultur in ihren Beziehungen zu Judentum und Christentum, HNT I/ 2, Tübingen 1907/ 2./ 3 1912 (HNT II 4 1972), 356-357, abgelehnt. <?page no="35"?> 21 ten umfassenden Menschenliebe und außerordentlichen Gabe populärer Rede ausgestattet«. 64 Deshalb stellt er fest: »Wie die kynisch-stoischen Tugendprediger die Eigentümlichkeiten ihres Stils sicherlich in der Hauptsache daher haben, dass sie selber aus dem Volke stammen und die Sprache des Volkes reden, so hat auch Pl das Hellenistische seiner Rede nicht etwa den Stoikern oder Kynikern abgelauscht, sondern aus der allgemeinen Umgangssprache geschöpft«. 65 In der Beurteilung des paulinischen Stils ist Bonhöffer zu eigenständigen Ergebnissen gelangt. Zwar betont er die Eigentümlichkeiten des paulinischen Stils gegenüber dem hellenistischen Denken, ohne diesen aber genauer zu verorten. Hinweise auf den jüdischen Hintergrund des Apostels fehlen völlig. 66 2.2.1.1.3 Anton Fridrichsen Darüber hinaus werden von Fridrichsen Parallelen zu den Ruhmeschroniken der orientalisch-hellenistischen Königsinschriften untersucht, die die paulinischen Peristasenkataloge in die Nähe der literarischen Gattung der res gestae ( pra,xeij , die Akten) bringen (z.B. in Augustus’ res gestae). 67 Danach wurde in 2Kor 11,23-33 eine solche Ruhmesliste nachgeahmt und »die Aufzählung seiner Leiden und Demütigungen streckenweise formell zu einem cursus honorum gestaltet«. 68 Fridrichsen ermittelt für das Monumentum Ancyranum und andere Inschriften einer Chronik der individuellen Leistung und Ehre von Herrschern folgende sechs Elemente: 69 1) der Bericht über das Ereignis des Ruhmes, 2) der Gebrauch von polla,kij , 3) der Gebrauch des Ich-Stils mit dem Verb im Aorist, 4) die in der Biographie vorgekommenen Zahlenangaben, 5) die episch chronischen Narrative, 6) die perista,seij der Person. In diesem Sinne war für den Ich-Stil 70 der res gestae - in der hellenistischen Zeit das Herrscherenkomion genannt - die Verbindung von Taten und Tugend durch die su,gkrisij oder a,ntiparabolh, charakteristisch. 71 An der These von Fridrichsen waren zwar die Exegeten interessiert, aber sie sahen auch harte Grenzen und unüberwindliche Schwierigkeiten. 64 B ONHÖFFER , Epiktet und NT, 145. 65 B ONHÖFFER , Epiktet und NT, 145. 66 Vgl. Z MIJEWSKI , Narrenrede, 33. 67 A. F RIDRICHSEN , Zum Stil des paulinischen Peristasenkatalogs 2Kor 11,23ff., SO 7 (1928), 25-29; D ERS ., Peristasenkatalog und Res Gestae. Nachtrag zu 2Kor 11,23ff., SO 8 (1929), 78-82; vgl. auch D ERS ., Sprachliches und Stilistisches zum Neuen Testament, Kungliga Humaniska Vetenskapssamfundet I, Uppsala 1943, 24-36; D ERS ., Zum Thema ‚Paulus und die Stoa‘. Eine stoische Stilparallele zu 2Kor 4,8f., CNT 9 (1944), 27-31. 68 F RIDRICHSEN , Stil, 26. 69 F RIDRICHSEN , Stil, 27-29. 70 So bei Paulus in 2Kor 11,21b-30; 2Kor 12,10b und Phil 4,12. 71 F RIDRICHSEN , Res gestae, 80. <?page no="36"?> 22 Als Beschränkungen und Schwierigkeiten wurden von Fitzgerald fünf Aspekte genannt: 72 1) Es bestehen stilistische Unterschiede, Ähnlichkeiten ergeben sich nur zwischen den res gestae von Augustus und 2Kor 11. 2) Die von Fridrichsen ausgesonderten Aspekte finden sich nicht ausschließlich in den res gestae, sondern generell in Enkomien und Eulogien. Die 1. Person wird von Augustus in seinen offiziellen Berichten an Senat und Volk gebraucht. Synkrisis, Zahlenangaben, Überwindung der Peristasen und Narrative der Episoden gehören zum Stammprogramm von Enkomien und sind schon in Pindars Ode anzutreffen. 3) Fridrichsen setzte für seine Erzählung über die Gattung bei den orientalischen Königsinschriften an, wobei er diese als Modelle für die römischen res gestae verstand. Aber diese orientalischen Königsinschriften werden von Historikern nicht mehr als eine Parallele zu den römischen res gestae eingestuft. 4) Die res gestae entstehen nicht als ein Resümee der Leiden, sondern sie dienen dazu, Menschen zu rechtfertigen und zu rühmen, die in einer verehrten Position sind. 5) Im Vergleich zu den res gestae dient aber der Selbstruhm des Paulus dem Ruhme Gottes. Fridrichsens Hypothese reibt sich also an vielen Unterschieden zu den paulinischen Peristasenkatalogen. Zudem übersieht er die vielen stilistischen Variationen innerhalb der paulinischen Peristasenkataloge selbst. Wichtig ist jedoch, dass er die Frage nach dem Ursprung der Peristasenkataloge über Berührungspunkte und gewisse stilistische Ähnlichkeiten über den hellenistischen Hintergrund hinaus ausgeweitet und neben der griechischen Rhetorik auch den orientalischen Hymnenstil untersucht hat. Obgleich Fridrichsens These also problematisch ist, hat er dennoch die Diskussion über das Thema Peristasenkatalog bei vielen Auslegern wieder in Gang gebracht. 2.2.1.2 Wolfgang Schrage und Josef Zmijewski Knapp 70 Jahre nach Bultmanns Studie 73 wurden die Peristasenkataloge erneut im Rahmen stilistischer Beobachtungen und Sprachgestaltungen 72 F ITZGERALD , Cracks, 19-21. 73 Vor dieser Untersuchung erschienen in den 60er Jahren weitere Studien, die sich aber alle nicht direkt auf das Thema Peristasenkataloge beziehen. So etwa K. P RÜMM , Diakonia Pneumatos. Der zweite Korintherbrief als Zugang zur apostolischen Botschaft. Auslegung und Theologie, I: Theologische Auslegung des zweiten Korintherbriefes, Rom u.a.1967, II/ 1: Apostolat und Christliche Wirklichkeit, Rom u.a. 1960, II/ 2: Das Christliche Werk. Die Apostolische Macht, Rom u.a. 1962; E. K AMLAH , Wie beurteilt Paulus sein Leiden? Ein Beitrag zur Untersuchung seiner Denkstruktur, ZNW 54 (1963), 217-232; G ÜTTGEMANNS , Der leidende Apostel; D. G EORGI , Die Gegner des Paulus im 2. Korintherbrief. Studien zur religiösen Propaganda in der Spätantike, WMANT 11, Neukirchen-Vluyn 1964; F ISCHER , Bedeutung des Leidens; H.D. B ETZ , Der Apostel Paulus und die sokratische Tradition. Eine exegetische Untersuchung zu seiner Apologie 2Kor 10-13, BHTh 45, Tübingen 1972. <?page no="37"?> 23 von J. Zmijewski untersucht. 74 Etwa gleichzeitig hat W. Schrage einen Aufsatz vorgelegt, der die religionsgeschichtliche Frage, die Auslegung und die Diskussion über die paulinischen Peristasenkataloge unter Neutestamentlern sehr befruchtet hat. 75 Letzterer wendet sich gegen die immer wieder von Neutestamentlern behauptete Aussage, dass Paulus sich in den Peristasenkatalogen besonders eng mit der »stoischen Auffassung vom Ertragen des Leides« berührt 76 und die einzigen Stilparallelen in der hellenistischen Popularphilosophie lägen. Schrage konstatiert zwar eine gewisse Nähe des paulinischen Stils zur hellenistischen Popularphilosophie, beobachtet aber auch große Unterschiede. 77 Diese Unterschiede sind nicht nur formaler, sondern vor allem inhaltlicher Natur und beziehen sich sowohl auf Epiktet als auch auf Plutarch. Dabei teilt Schrage die Meinung von Fridrichsen, dass der Stoiker »von allen Nöten vollständig unberührt« ist, Paulus dagegen »von Rettung in äußerster Not« spricht. 78 Einen weiteren Unterschied sieht Schrage beim Vergleich mit Senecas Brief 71,26: »Was ist denn eigentlich Übles an Qualen und allem anderen, was wir als widrig bezeichnen? Ich glaube es ist dies, dass der Geist darunter leidet, sich beugen und überwältigen lässt. Das alles kann aber einem Weisen nicht passieren. Er steht aufrecht unter jeder Last (…). Er kennt seine Kräfte und weiß, dass er dazu geboren ist, Lasten zu tragen«. 79 Hier liegt eine Reflexion des Weisen auf seine eigenen Kräfte vor, die in direktem Widerspruch zu dem steht, worauf Paulus mit den Peristasenkatalogen zielt. So etwa die Aussage Pauli in 2Kor 4,7, dass es sich bei ihm um die allein von Gott kommende und von ihm zu erwartende du,namij handelt. Deshalb ist von Paradoxien der Peristasenkataloge zu sprechen: »Alle Kraft und alles Vertrauen sollen ganz und gar Gott zukommen und in keiner 74 Z MIJEWSKI , Narrenrede. 75 S CHRAGE , Leid, 141-175; ein Jahr nach Schrage erschien ein Aufsatz von M.L. B ARRE , Paul as ‘Eschatologic Person’: A New Look at 2 Cor 11: 29, CBQ 37 (1975), 500-526; vgl. auch D ERS ., Qumran and the “Weakness” of Paul, CBQ 42 (1980), 216-227. In diesem Aufsatz untersucht er avsqe,neia und du,namij in 2Kor 10-13 und die Formulierung vom »Pfahl ins Fleisch des Paulus« in 2Kor 12,7b-9a. 76 S CHRAGE , Leid, 142. 77 S CHRAGE , Leid, 149, nennt als Beispiel die Begriffe qli/ yij und stenocwri,a : »Einen ernsthaften äußeren Druck und eine wirklich gefährliche Bedrängnis kann es für Epiktet gar nicht geben. Nach ihm schafft der Mensch sich selbst die qli/ yij und stenocwri,a , und zwar durch falsche Meinungen und Vorstellungen über das wahre Glück und Unglück, über das, was uns angeht und nicht angeht. Was uns drückt und plagt, quält und beengt, sind nicht die Dinge und Menschen, sondern wir selbst«. Die inhaltliche Diskrepanz zu Paulus findet sich treffend bei Epict.diss. I 25,28: »Wir selber drangsalieren uns und beengen uns, d.h. unsere Ansichten versetzen uns in Drangsal und Enge«. 78 F RIDRICHSEN , Paulus und die Stoa, 30. 79 S CHRAGE , Leid, 152. <?page no="38"?> 24 Weise menschliche Leistung und menschlicher Besitz sein«. 80 An diesen Vergleichen wird deutlich, dass Schrages Untersuchung nicht nur auf eine theologische Interpretation der paulinischen Peristasenkatalogen zielt, sondern dass er auch deren jüdisch-apokalyptischen Hintergrund in die Diskussion bringt (s.u.). Der Studie Schrages wird zwar von Fitzgerald in verschiedenen Aspekten widersprochen. 81 Aber trotz dieser z.T. berechtigten Kritik diente seine Untersuchung der paulinischen Peristasenkataloge vielen Auslegern als Grundstein weiterer Forschung, vor allem auch deshalb, weil er den jüdisch-apokalyptischen Hintergrund neben dem kynisch-stoischen Hintergrund zur Diskussion gestellt hat. Nach dem Aufsatz von Schrage hat Zmijewski wieder das Interesse auf den Vergleich der Peristasenkataloge mit hellenistischer Stilverwandtschaft gerichtet. Dies tat er vornehmlich im Blick auf die sog. Narrenrede in 2Kor 11,1-12,10, wo er mit Recht zwei Peristasenkataloge herausarbeitet: 2Kor 80 S CHRAGE , Leid, 152. 81 F ITZGERALD , Cracks, 29f., kritisiert Schrage in seiner Arbeit in mehreren Punkten: »First, there can be no question but that Paul’s understanding of suffering in general is incomprehensible apart from his christology, and that his catalogues at certain key points reflect this. But Schrage not only emphasizes christology to the neglect of theology, but he also tends to treat all Paul’s catalogues in light of 2 Cor 4: 8-11. As a result, the differences between Paul’s catalogues do not emerge. It simply is not true that ‘Paul can and must break open the form of the peristasis catalogue and speak antithetically’ (Schrage, Leid, 168). He can, but he does not always do so, as a close examination of his catalogues will show. Second, several of the apocalyptic texts to which Schrage calls attention are clearly important for an understanding of both the peristasis catalogue as such and Paul’s particular catalogues. But just as many of the Greek texts cited by other scholars often turn out to be either illusory or only partial parallels at best, so, too, with Schrage’s catalogues. It is not simply form, but also function that is important, and Schrage does little to show how the various functions of the catalogues he cites are relevant to an understanding of Paul’s catalogues. Some, indeed, are more important than Schrage himself indicates, and these are cited at appropriate places in chapter four. Third, Schrage simply does not do justice to the ‘Hellenistic’ elements in Paul’s catalogues, whether they derive directly from the Graeco- Roman world or indirectly through Hellenistic influences on Judaism. This is typical of Schrage’s work in general, for he tends to see an unbridgeable gap between Stoicism and Jewish apocalypticism. (…) Finally, certain questions may be raised not only about Schrage’s exegesis of various passages in Paul, but also about his use of various ‘apocalyptic’ texts. For example, he uses 2 Enoch 66: 6 as a prime example of an apocalyptic text. As we have already seen, however, this particular passage stems from a medieval Christian redactor. Whether or not the redactor is imitating one or more of Paul’s catalogues is hardly the issue here. The point is simply that the passage does not stem from the Jewish apocalyptic circles of Paul’s day, and thus it should not be used as illustrative of the catalogues that those circles produced«; vgl. auch F ERRARI , Sprache des Leids, 46-47, der einige Aspekte kritisch sieht. <?page no="39"?> 25 11,21b-29 und 12,10. 82 Dabei analysiert er detailliert den rhetorischen Stilbegriff, die Stilmittel und ihre Verwendung und Methode. Er untersucht, ob die Stilform des Peristasenkataloges und ihre Verwendung in den Paulusbriefen auch in der hellenistischen Literatur begegnen. Wie Bultmann geht er auch auf die Diatribe ein und begreift die Aufzählung der verschiedenen Fügungen des Geschicks des Redners als Demonstration seiner Überlegenheit über Freuden und Leiden, über Ängste und Schrecken. 83 Er fragt, wieweit Paulus derartige Kataloge bewusst nachahmte. Für ihn steht fest: »Zwischen den hellenistischen Peristasenkatalogen und denen des Apostels sind auf der einen Seite zahlreiche stilistische Übereinstimmungen vorhanden (hier wie dort finden sich z.B. Antithesen, kurze Sätze, rhetorische Fragen, Anaphern usw.). Auf der anderen Seite gibt es inhaltlich um so gravierendere Unterschiede«. 84 Zmijewski sieht also, dass Paulus das mit den perista,seij verbundene Ziel, die Bewährung des Menschen, anders beurteilt als die Diatribe. Denn bei Paulus wird durch perista,seij Gott bzw. Christus verherrlicht, während sie nach stoischer Auffassung dem Menschen selbst zum Ruhme gereichen. 85 Er beschreibt das Ergebnis der Analyse der paulinischen Peristasenkataloge so, dass »jeder von ihnen seine besonderen Eigenheiten besitzt, was wohl mit der jeweiligen Situation und Aussageabsicht zusammenhängt, und dennoch es bestimmte Kennzeichen des Sprach- und Darstellungsstils gibt, die bei allen Texten in analoger Weise begegnen und demnach für die Stilform als charakteristisch gelten können«. 86 Als Kennzeichen des Sprachstils zählt er folgende auf: 87 gedrängter Stil, Bevorzugung des nominalen Stils, Verwendung bestimmter Präpositionen ( ev n , dia, ), Überwiegen von asyndetischen Reihungen (mit kai, oder h; ), Gebrauch ausweitender Formeln, Antithetik, Wir-Stil, Vierer- und Dreier-Schema, Steigerung, Einsatz rhetorischer Stilmittel. Als Kennzeichen des Darstellungsstils nennt er: verallgemeinernde Darstellungsweise, umfassende Darstellungsweise, Darstellung der Überwindung von Widerfahrnissen, Hervorhebung des christlichen und christologischen Bezuges. 88 Offensichtlich kannte Zmijewski die Arbeit von Schrage noch nicht, denn er erwähnt nirgends dessen Aufsatz. Trotz seiner Konzentration auf Stilformen beobachtet Zmijewski die inhaltliche Differenz zur hellenistischen Tradition zu wenig. 82 Z MIJEWSKI , Narrenrede. Dazu werden 2Kor 4,7-12; 2Kor 6,3-10; 1Kor 4,10-13; Röm 8,35-39; Phil 4,12 und 1Thess 2,9 als Peristasenkataloge gezeigt. 83 Z MIJEWSKI , Narrenrede, 307. 84 Z MIJEWSKI , Narrenrede, 307. 85 Z MIJEWSKI , Narrenrede, 307. 86 Z MIJEWSKI , Narrenrede, 319. 87 Z MIJEWSKI , Narrenrede, 319f., dort noch ausführlicher. 88 Z MIJEWSKI , Narrenrede, 320f., dort noch ausführlicher. <?page no="40"?> 26 2.2.1.3 John T. Fitzgerald, Martin Ebner und Markus S. Ferrari Während die meisten Studien zu den paulinischen Peristasenkatalogen bisher auf deutschsprachige Neutestamentler zurückgehen, meldet sich 10 Jahre später (nach Schrage und Zmijewski) der Amerikaner J.T. Fitzgerald zu Wort. 89 Ihm folgen dann Ebner, Ferrari und Hotze. 90 Fitzgerald beschäftigt sich in einem Drittel seiner Monographie mit dem Leiden der Philosophen in der antiken griechisch-römischen Literatur. Er interessiert sich jedoch nicht für den religionsgeschichtlichen Hintergrund der Peristasen bei Paulus und vertritt die Auffassung, dass Peristasenkataloge die Funktion haben, einen wahren Philosophen zu legitimieren, wie ja auch Paulus diese gebrauche, um sich als wahrer Apostel Christi zu erweisen, worauf schon Bornkamm aufmerksam gemacht hatte. 91 Darüber hinaus sind die Kataloge im Zusammenhang antiker literarischer Tradition zu verstehen. Der Weise war ja eine enorm populäre Figur in der griechisch-römischen Philosophie und spielte eine zentrale Rolle in Propaganda und Erziehung. Deshalb ist »der leidende Weise« der Weise, dem man mit einem Leben der Tugend nacheifert. 92 Nach Fitzgerald verwendet Paulus deshalb wie die Philosophie in 1Kor 4 und 2Kor 6 die Peristasenkataloge im Sinne der Paränese und der Pädagogik. Dabei spielt die peri,stasij eine wichtige Rolle im göttlichen Plan. Die Leiden der Weisen sind untrennbar mit ihrer Mission verbunden, weshalb sie auch als leidender dia,konoj bezeichnet werden. So wie der Weise die Leiden seines Lebens als göttlichen Willen akzeptiert, so nimmt auch Paulus sowohl den Tod um Jesu willen (2Kor 4,11) als auch seine verschiedenen Leiden mit gutem Mut (2Kor 12,10) an. Peri,stasij ist demnach Zeichen der göttlichen Liebe und Verheißung zum Erlangen der Tugenden. Der Sieg der Weisen über das Leiden kann zu Gott zurückführen. Trotz des unterschiedlichen Verständnisses Gottes führt auch das Leiden des Paulus zur Vollendung bei Gott (z.B. Phil 4,13; Röm 8,37). Die Peristasenkataloge dienen deshalb dazu, in ihm die Kraft Gottes zu bewirken und zugleich seine eigene Schwachheit zu beweisen. 93 An dem sprachlichen Umgang mit Leiden bleibt auch Ferrari interessiert und geht deshalb der Frage nach Funktion und Wirkungsweise der Kataloge nach. 94 Er untersucht ausgiebig sowohl die traditionsgeschichtli- 89 F ITZGERALD , Cracks, geht allerdings auf die Analyse der Kataloge in der Narrenrede, 2Kor 11,21b-30; 12,9b-10 überhaupt nicht ein. 90 H OTZE , Paradoxien. 91 Vgl. F ITZGERALD , Cracks, 2; vgl. G. B ORNKAMM , Paulus, UB 119, Stuttgart 1969 ( 4 1979), 177: »Die Korintherbriefe enthalten mehrfach Aufzählungen der Schicksale und Taten, die nach Paulus den wahren Apostel legitimieren«. 92 F ITZGERALD , Cracks, 203. 93 F ITZGERALD , Cracks, 204-206. 94 F ERRARI , Sprache des Leids; E BNER , Leidenslisten. <?page no="41"?> 27 chen Parallelen der paulinischen Peristasenkataloge als auch die in der Sekundärliteratur genannten peristasenkatalogartigen Texte: bei griechischen und römischen Autoren, im Alten Testament, in den Pseudepigraphen des AT, in den Qumranhandschriften, bei Philon und Josephus, im Neuen Testament, in rabbinischen Schriften, in Texten aus Nag Hammadi, bei den Apostolischen Vätern, in der altchristlichen Apologetik und bei den Kirchenlehrern. 95 Des Weiteren versucht er im Epilog eine Gegenüberstellung der paulinischen Peristasenkataloge mit Vorstellungen in der modernen Lyrik. 96 Als zu vergleichende Texte bei Epiktet zählt Ferrari 74 peristasenkatalogartige Stellen auf. 97 Etwa gleichzeitig versuchte M. Ebner, die Form der einzelnen paulinischen Kataloge hinsichtlich ihrer spezifischen Strukturmerkmale, Hörsignale, Wortfelder usw. zu analysieren und zu beschreiben. 98 Im Rahmen eines kultur- und religionsgeschichtlichen Vergleichs stellt er auch Betrachtungen zu Einzeltexten im Kreis der zeitgenössischen Literatur unter gattungsgeschichtlichen Aspekten an. Zur Bestimmung der konkreten Funktion innerhalb der paulinischen Argumentation stellt er die Frage, »warum Paulus zu dieser literarischen Form greift und welche Aussageziele er im Blick auf die Gemeinde von Korinth damit verbindet« und zeichnet einen Überblick über die Variations- und Kombinationsmöglichkeiten der Gattung und ihrer Entwicklungslinien. 99 Ebner findet die größte Nähe der paulinischen Kataloge in den Katalogen der kynisch-stoischen Diatribe und der davon beeinflussten Literatur um die Zeitenwende. Die Arbeiten von Ferrari und Ebner zu Formen, Motiven und Funktionen bringen viele Materialien an den Tag, die für die Einzelanalyse bei Paulus von Gewicht sind. Gleichwohl fehlt bei ihnen die Exegese. Beiden geht es - wie anderen Forschern auch - in erster Linie um die literarische Vergleichbarkeit. 100 95 Zu konkreten Texten vgl. F ERRARI , Sprache des Leids, 80-108. 96 Zu konkreten Texten vgl. F ERRARI , Sprache des Leids, 108-112. 97 F ERRARI , Sprache des Leids, 131f., Diatriben: I 1,22-25; 4,23f.; 6,26; 11,33; 18,22f.; 22,14; 24,4; 24,6f.; (25,17); 26,16; ; 28,14; 28,25; 29,5f.; (29,61); 30,2. II 1,10; 1,35; 1,38; 5,19; 5,25; 5,27; 6,18; 7,2; 7,6; 9,15; 10,5; 10,28; 16,42; 17,24; 19,13; 19,18; 19,24; 19,32; 21,18; (23,17). III 2,3; (3,18); 5,9; 5,18; (6,6); 8,2; (8,5); 10,8; 13,9-13; (15,10-11); 20,12; 22,40; 22,45-47; 22,52; 22,60; 22,73; 22,100; 23,30f.; 24,3; 24,28-30; 24,43; 24, 105; 24,113; 26,6. IV 1,1; 1,60; 1,92; 1,127; 1,172; 5,9; 6,2; 6,23; (7,13-15); (7,31); 8,28; 12,9. Encheiridion: 2,1.21.32. 98 E BNER , Leidenslisten. 99 E BNER , Leidenslisten, 18. 100 Nach den Studien von Ferrari und Ebner werden weniger die Stilparallelen zwischen Peristasenkatalogen und stoischer Literatur beobachtet, es wird vielmehr exegetisch und theologisch gearbeitet; dabei werden die Peristasenkataloge aber nicht als ganze <?page no="42"?> 28 2.2.1.4 Zwischenfazit Unsere bisherigen Beobachtungen zeigen, dass von vielen Exegeten die Stilverwandtschaft mit der Stoa betont wird, ist doch auch der kynische Lebensstil ähnlich wie der des Paulus: Der Kyniker kann ohne Habe, ohne Kleidung, ohne Haus, ohne Herd, ohne Weib und Kind glücklich sein (Epict.diss. III 22,45-49), wie es auch in den Peristasenkatalogen bei Paulus zu lesen ist. So wie Epiktet das kynische Lebensideal preist und zur Nachahmung empfiehlt, preist und empfiehlt auch Paulus gegenüber den Gemeinden sein Lebensideal. Doch trotz dieser großen Stilparallelen zwischen Paulus und den Stoikern liegt ein unübersehbarer Unterschied zwischen beiden vor. Wie Fridrichsen und Schrage mit Recht feststellen, ist der Stoiker in seiner Haltung zum Leiden von allen Nöten meist unberührt, vor allem, was Bedrängnis und Nöte durch andere Menschen betrifft. 101 Dagegen handelt es sich bei Paulus um realen äußeren Druck und wirkliches existentielles Bedrängtsein. 102 Dabei klingen schon - auf zweierlei Weise - Unterschiede zwischen der stoischen und christlichen Ansicht des Leidens an: Einmal ist für Letztere die Bewährung nicht in erster Linie oder nicht nur die eigene Tat des Menschen, sondern zugleich auch Wirkung eines außerordentlichen göttlichen Beistandes. Zum anderen bringt der Christ eher zum Ausdruck, dass durch diese Erprobung in der Trübsal Gott oder Christus verherrlicht wird, während sie nach Epiktet dem Menschen selbst - nicht zu eitlem Ruhm! - aber doch objektiv zum Schmuck und zur Zierde gereicht. 103 Vor allem inhaltlich weisen also die paulinischen Peristasenkataloge über einen allein stoischen Hintergrund hinaus: auf den weiteren religi- Texte behandelt (K RUG , Kraft des Schwachen; U. H ECKEL , Kraft in Schwachheit. Untersuchungen zu 2Kor 10-13, WUNT II/ 56, Tübingen 1993): Zum einen wird nach dem Thema »Kraft in Schwachheit« gefragt, also wie das Verhältnis zwischen göttlicher Kraft und menschlicher Schwachheit theologisch zu bestimmen sei (Heckel). Zum anderen ist man daran interessiert, wie »sich die Funktionalisierungen der apostolischen Schwachheit dieser verbreiteten Tradition verdanken und die Astheneia des Paulus nicht nur Jesu Niedrigkeit bis zum Kreuz abbildet, sondern darüber hinausgehend den Sinn hat, die Gemeinde zu revelatorischer Erkenntnis zu führen« (K RUG , Kraft des Schwachen, 314). Des Weiteren wird die logische Struktur der Denkform erforscht und die theologische Dignität des Paradoxen befragt (H OTZE , Paradoxien). 101 Z.B. Epict.diss. I 25,28: »Wir selber drangsalieren uns und beengen uns, d.h. unsere Ansichten versetzen uns in Drangsal und Enge«, nach S CHRAGE , Leid, 149f.; vgl. auch B ONHÖFFER , Epiktet und NT, 117f.; D ERS ., Die Ethik des Stoikers Epiktet, Stuttgart 1894 (reprint Stuttgart 1968), 20ff.: »Peristasis ist alles periesthko,j( d.h. jedes äußere, nicht vom Willen des Menschen abhängige Ereignis, das angenehme so gut wie das unangenehme; den Begriff des Schweren, Widrigen, Lästigen tragen wir fälschlich selbst in das Wort hinein«. 102 Vgl. S CHRAGE , Leid, 149f., der einen Kontrapunkt zum Ansatz Bultmanns beobachtet: »Niemals hätte Epiktet im paulinischen Sinn sagen können«, a.a.O., 150. 103 B ONHÖFFER , Epiktet und NT, 301. <?page no="43"?> 29 onsgeschichtlichen Hintergrund alttestamentlicher und jüdischapokalyptischer Überlieferungen. 2.2.2 Forschungsgeschichte zum alttestamentlichen Hintergrund Im Blick auf den jüdischen Traditionshintergrund gibt es intensive Berührungen der Leiden des Paulus mit alttestamentlichen Aussagen. Als grundlegend ist Jes 42,1 (vgl. 49,6) anzusehen, wo der Prophet als »mein Knecht« und »mein Auserwählter« bezeichnet wird. Wenngleich Paulus sich nicht explizit als »Knecht des Herrn« bezeichnet, beruht die Paulusaussage dou/ loj Cristou/ 104 auf alttestamentlicher Denkstruktur. 105 Leiden gilt im AT als Böses oder Übel, befindet sich doch die Schöpfung in einer durch den Sündenfall bewirkten universalen Unheilssituation, die in menschlichem Leben häufig begegnet und das menschliche Leben bedroht und bedrängt. 106 Als Leid werden im AT aufgezählt: Hitze, Kälte, Dürre, Dummheit, Krankheit, Kinderlosigkeit, Unfruchtbarkeit, vorzeitiger Tod, Verlust von Mitmenschen. 107 Im AT findet sich selten Leiden als Strafe für persönliche Sünde. Häufiger gilt es in einer Familie oder Dynastie als Folge von deren Sünden 108 und die Leiden des Volkes als Folge der Sünden des Königs. 109 Im Leiden wirkt der lebendige Gott im Rahmen des Schemas, dass jedes Übel Strafe für Sünde ist und der Betroffene leiden muss. Aber im Blick auf das Leiden bleibt als Problem - wie Wichmann schon gesagt hat - 104 Röm 1,1; Phil 1,1; Gal 1,10; ferner Kol 4,12. Paulus formuliert in den Präskripten seiner Briefe nicht dou/ loj Cristou/ , sondern avpo,stoloj Cristou/ , z.B. 1Kor 1,1; 2Kor 1,1; Gal 1,1; ferner Eph 1,1. 105 Als Untersuchungen, die von alttestamentlichen Aussagen über den leidenden Gerechten auf das Grundkonzept des paulinischen Leidens schließen, sind zu nennen: K LEINKNECHT , Der leidende Gerechtfertigte; L. R UPPERT , Der leidende Gerechte und seine Feinde. Eine Wortfelduntersuchung, Würzburg 1973; D ERS ., Der leidende Gerechte. Eine motivgeschichtliche Untersuchung zum Alten Testament und zwischentestamentlichen Judentum. FzB 5, Würzburg/ Stuttgart 1972; D ERS ., Jesus als der leidende Gerechte? Der Weg Jesu im Lichte eines alt- und zwischentestamentlichen Motivs, SBS 59, Stuttgart 1972; F ISCHER , Bedeutung des Leidens; G ÜTTGEMANNS , Der leidende Apostel; W. W ICHMANN , Die Leidenstheologie. Eine Form der Leidensdeutung im Spätjudentum, BWANT 53, Stuttgart 1930; A. S TREUBING , Der paulinische Begriff ‚Christusleiden‘, Heidelberg 1905. 106 Vgl. H.J. F ABRY u.a, Leiden, RGG 4 5 (2002), 235-248, 235. Er zeigt als Ergebnis des Sündenfalles Schwangerschaftsbeschwerden (Gen 3,16), Arbeit (Gen 3,17ff.), Sterben (Gen 3,19), Brudermord (Gen 4,1-16), kosmische Vernichtung (Gen 6-8), Kommunikationsverlust (Gen 11). 107 Vgl. F ABRY , Leiden, 235f. Als Textbeispiele dienen: Kälte (Gen 31,40), Dürre (Jer 14,1ff.; Jos 1,17), Dummheit (Spr 10,1; 17,21; Hi 19,2), Krankheit (Hi 2), Kinderlosigkeit (1Sam 1), Unfruchtbarkeit (Gen 18), vorzeitiger Tod (SapSal 3,13ff.), Tod (Gen 37,35), Verlust von Mitmenschen (Gen 42,38 u.ö.; Ruth 1,6-21; 1Sam 18,1-4). 108 J. S CHABERT , Art. Leiden, TRE 20 (1990), 669-711, 670, die Textstellen dafür sind Gen 12,17; 20,17; 1Sam 2,30-34; 2Sam 12,10f. 109 S CHABERT , Leiden; die Textstellen dafür: Ex 7-12; 2Sam 21,1; 24,11-17; 2Chr 21,14. <?page no="44"?> 30 , dass »Glück und Unglück auf Erden nicht nach den Maßstäben einer gerechten göttlichen Vergeltung verteilt werden, dass es nicht angeht, von dem Unglück im Leben eines Menschen auf seinen moralischen Charakter zu schließen und diese Not das Problem der nachexilischen jüdischen Gemeinde wurde«. 110 Damit brach die Frage auf: Wenn Gott gerecht ist, muss man eine Erklärung für das Leiden der Gerechten und für das Glück der Gottlosen finden. Die jüdische Gemeinde 111 hat versucht, Antworten auf diese Frage zu geben. 112 Man erwartete von dem Ende des Lebens bzw. von dem kommenden Tag Jahwes, dass er die gerechte Vergeltung bringen werde. 113 Dieser Gedanke führte zur Vorstellung von der »Auferstehung der Toten«, die bei Paulus zentral ist. 114 Altes Testament und Judentum verstehen das Leiden grundsätzlich als erziehendes Handeln Gottes, wie von den meisten Auslegern übereinstimmend festgestellt wird. Voraussetzung dafür ist nach Wichmann ein Bewusstsein der Erwählung bzw. des Angenommenseins: »Jahwe hat sein Volk oder individuell gewendet, seine Gerechten 115 erwählt und straft sie nun nicht mehr nach seinem Zorn, sondern aus Liebe«. 116 Dabei werden drei Muster angeboten: Erziehungsleiden, Prüfungsleiden und Sühneleiden. 117 Leiden im Sinne der Erziehung meint: Wie ein Vater mit seinem Sohn, so handelt auch Gott mit seinem Volk. 118 Begründet ist dies darin, dass »Gott sein Volk bzw. den einzelnen Gerechten liebt, deshalb warnt er durch plötzlich hereinbrechendes Leiden, will damit bessern, zur Umkehr 110 W ICHMANN , Leidenstheologie, 2. 111 W ICHMANN , Leidenstheologie, 2. Vor allem von der Zeit der Rückkehr aus dem Exil bis zum Ausbruch der Makkabäerkriege ist diese Frage bestimmend. Aber auch die jüdische Gemeinde - von den Makkabäerkriegen bis zum Abschluss des Talmuds - ist von dieser Fragestellung geprägt. 112 W ICHMANN , Leidenstheologie, 2. 113 Die Vorstellung von einer jenseitigen Vergeltung erscheint seit den Makkabäerkriegen, vgl. W ICHMANN , Leidenstheologie, 3. 114 Vgl. W ICHMANN , Leidenstheologie, 3. 115 W ICHMANN , Leidenstheologie, 11, gebraucht Gerechte und Fromme als Synonym. 116 W ICHMANN , Leidenstheologie, 5. Von F ABRY , Leiden, 236, werden drei Modelle für Leiden und Leidensbegründung unterschieden. Zunächst sieht er die moralische Erklärung: Leiden gilt als Strafe für Sünde, die durch Jahwe verursacht ist (Beispieltexte: Gen 3,14-18; 6-8; Ps 38,4). Zweitens führt er die pädagogische Erklärung an: Leiden ist eine Erziehungsmaßnahme zur Züchtigung, Läuterung, Erprobung, oder als Sühne (vgl. als Beispieltexte zur Erziehungsmaßnahme: Hos 2,8-17, zur Züchtigung: Spr 3,11f.; Hi 5,17; 32-37; Dan 9,4-19; Läuterung: Jes 48,10; Jer 6,27; Sach 13,9; Mal 2,3; 2Makk 6,12-17; Sir 2,5, zur Erprobung: Gen 22; Hi 1f.; Dan 3,4-18; Jdt 8,25ff., zur Sühne: Dan 3,38ff.). Drittens wird eine ontologische Erklärung angeboten: Leiden ist Symptom für Fehler im System und wird als schöpfungsgegebene Daseinsminderung verstanden. 117 Als Beispieltexte dienen PsSal 2,7-10; 8,7; 15-18. Zum Leiden als Erziehungsmittel vgl. PsSal 10,1f.; 18,4. 118 So Spr 3,11f. Diese Stelle wird zitiert in Hebr 12,5ff.; Apk 3,19; 1Kor 11,32; 1Clem 56,4. <?page no="45"?> 31 bewegen«. 119 Prüfungsleiden meint, dass Menschen auf die Probe gestellt werden. Wichmann sagt darüber, dass Gott die Seinen durch solches Leiden auf die Probe stellen will, um zu erforschen, wie sie sich zu ihm verhalten werden, wenn es ihnen schlecht ergeht. 120 Seine klassische Gestaltung hat dieser Gedanke in dem sogenannten Volksbuch Hiob gefunden. Das Leidensverständnis als Sühneleiden 121 geht davon aus, dass dann, wenn durch das Leiden des Menschen Sühne geleistet wird, Gott Gelegenheit zu einem neuen Lebensanfang geben wird, damit nicht bestraft werden muss. 122 Kleinknecht beschäftigt sich im Blick auf alttestamentliches Leiden vor allem mit der Vorstellung vom leidenden Gerechten in den Psalmen und bei Hiob, vom leidenden Propheten, und vom leidenden Gottesknecht. 123 Er entfaltet das Thema über das Leiden des Knechts in Jesaja 53, 124 wobei er das Gottesknechtlied als Heilsankündigung darstellt, die dem erniedrigten Knecht seine Erhöhung zusagt und sein Todesleiden für die Vielen als gerechtfertigt gedeutet wird. 125 Dieses Leidensverständnis liegt auch schon bei Jeremia vor. In der spätvorexilischen Situation wird so der Existenzeinsatz des Propheten in seinem Amt als umfassendes Leiden konkretisiert. Hier wird auch das Wort db[ für den leidenden Knecht geprägt. 126 Das grundsätzliche alttestamentliche Leidensverständnis führt durch die Er- 119 W ICHMANN , Leidenstheologie, 6: »Am bekanntesten ist die Stelle Prov. 3,11ff. durch ihre reiche Verwendung im christlichen Schrifttum (vgl. Hebr. 12,5ff; Apk. 3,19; 1.Klem. ad Cor. 56, 4). Hierher gehören ferner: Hiob 5,11f. (Eliphas); 33, 14ff., besonders 29ff. und 36, 8ff. (Elihu); PsSal 10,1; SapSal 12,2. 22; JesSir 23,2f.; Titus 2,12; Pastor Hermae Sim. VI 3,6«. 120 W ICHMANN , Leidenstheologie, 6. 121 Die Auffassung von der sühnenden Bedeutung der Leiden ist im Frühjudentum weit verarbeitet, besonders im Zusammenhang der Leidensfreudigkeit bzw. der Sehnsucht nach dem Martyrium. Ein Beispieltext aus dem frühen Christentum dafür ist Ignatius von Antiochien: IgnEph 1,2; IgnTrall 4,2; IgnRöm 1,1.2; 2,1.2; 4,2.3 (nach W ICHMANN , Leidenstheologie, 22). Er schreibt dazu: »Die Sehnsucht nach dem Martyrium entsprang allerdings weithin einem anderen Motiv: dem Bedürfnis nach der sühnenden Wirkung des Todes« (a.a.O. Anm. 3). Weiter merkt er an: »Vor allem findet sich der Glaube an die sühnende Kraft des Todes, namentlich des Märtyrertodes. Der Gedanke der Bluttaufe, die völlige Sündenvergebung bringt, auch wenn jemand noch nicht getauft ist: Kirchenordnung des Hippolyt 44. Als jüdische Parallele dazu vgl. Midrasch Qoheleth Rabba zu 4,1. - Von der sühnenden Bedeutung des Leidens und Sterbens reden aber auch schon viele ältere Stellen: 1Kor 5,5; 11,32; ActThom 6; Herm vis II 3,1f.; Herm sim VII 4ff.; IX 28, 3-6.; IgnRöm 4,1; 9,2; IgnPhld 5,1; IgnPolyk 3,1; 7,1« (a.a.O. Anm. 7). 122 W ICHMANN , Leidenstheologie, 7. 123 K LEINKNECHT , Der leidende Gerechtfertigte. 124 W ICHMANN , Leidenstheologie, 4, stellt zu Jes 53 fest, dass das, was der Verfasser von Jesaja 53 von dem »für uns« leidenden Knecht Jahwes »als tiefstes und innerlichstes Geheimnis gesagt hatte, vom späten Judentum verallgemeinert wird«. 125 Vgl. K LEINKNECHT , Der leidende Gerechtfertigte, 51. 126 Vgl. K LEINKNECHT , Der leidende Gerechtfertigte, 55. <?page no="46"?> 32 wählung zu einer Umkehrung leidenstheologischer Gedankengänge. In diesem Sinne kann der Leidensweg des Gottesknechtes als Weg zur Erhöhung beschrieben werden (Jes 53,7-11a). 127 Zum Zusammenhang des Gottesknechtes bei Jeremia und Deuterojesaja mit dem Apostel Christi kann gesagt werden: »Das Leiden hat auch seine Vorbildungen, nämlich in den alttestamentlichen Aussagen über den leidenden Gerechten. Wie nun an den Auswirkungen der Leiden Christi am Apostel deren Charakter zu erkennen ist, so auch an diesen Vorbildungen. Auch sie lassen erkennen, was Christusleiden sind. Hierdurch erklärt sich das eigentümliche Verhältnis gewisser paulinischer Aussagen zur Gestalt des Propheten Jeremia und vor allem auch zum Gottesknecht von Deuterojesaja«. 128 Dabei sind Anknüpfungen unübersehbar. Paulus sieht sich wie Jeremia und der Gottesknecht bei Jesaja von Mutterleib an berufen. Seine Berufung selber weist ihn an die Heiden, wie auch der Gottesknecht als Bote der Wahrheit und als Licht an die Heidenvölker gewiesen ist. 129 Im Rahmen dieser Konzeption nimmt Paulus sich selbst als dou/ loj( klhto,j( avpo,stoloj Jesu Christi wahr, wie es in fast jedem seiner Briefpräskripte begegnet. Er ist nicht ein von Menschen, sondern dia. qelh,matoj qeou/ , wie der Gottesknecht bei Jeremia und Jesaja Gottes Auserwählter. Aber es gibt auch den Unterschied, dass Paulus in seinem Leiden Beispiel und Vorbild für die Gemeinde ist. So nimmt dieser die Tradition von dem leidenden Gerechten des Alten Testaments auf und sieht in ihr die Christusleiden vorgebildet. 2.2.3 Forschungsgeschichte zum apokalyptischen Hintergrund Nicht nur aus dem Alten Testament, sondern auch aus jüdisch-apokalyptischer Literatur ist Paulus in seinen Peristasenkatalogen beeinflusst worden. Zum Verständnis jüdischer Apokalyptik 130 ist festzustellen, dass sie in erster Linie von gemeinsamen inhaltlichen Kriterien her bestimmt ist (z.B. 127 Vgl. K LEINKNECHT , Der leidende Gerechtfertigte, 49-52. 128 K AMLAH , Leiden, 228. 129 Gal 1,16. 130 Unter Apokalyptik versteht H.D. B ETZ , Zum Problem des religionsgeschichtlichen Verständnisses der Apokalyptik, ZThK 63 (1966), 391-409, 392, zweierlei: »Einmal ein bestimmtes Schrifttum, die Apokalypsen, d.h. Offenbarungsschriften, die die Geheimnisse des Jenseits und der Endzeit enthüllen wollen, zum anderen die darin zum Ausdruck kommende Vorstellungswelt. Man muss sich jedoch darüber im klaren sein, dass damit lediglich Formalien festgestellt und noch keineswegs das Wesen oder der Begriff der Apokalyptik bestimmt sind. Was Apokalyptik ist, ist umstritten«. G. VON R AD , Theologie des Alten Testaments, Bd. II, München 4 1965, 315f., behauptet: »Wer den Begriff Apokalyptik verwendet, sollte sich der Tatsache bewusst bleiben, dass es bisher noch nicht gelungen ist, ihn auf eine befriedigende Weise zu definieren. (...) Am sichersten ist es, wenn man sich auf das beschränkt, was wissen- <?page no="47"?> 33 Dualismus des Zwei- Äonen-Schemas, Jenseitshoffnung, Geschichtsdeterminismus) und in formal-literarischer Hinsicht keine spezifische Gattung repräsentiert. 131 Zum inhaltlichen Aspekt kann gesagt werden: Eine »Apokalypse« ist eine besondere Gattung von Offenbarungsliteratur mit erzählerischem Rahmen, bei der eine Offenbarung durch ein außerweltliches Wesen an einen menschlichen Empfänger vermittelt wird; sie enthüllt transzendente Wirklichkeit, welche sowohl zeitlich sein kann, insofern sie eschatologische Erlösung ins Auge fasst, als auch räumlich, insofern sie eine andere, übernatürliche Welt betrifft. 132 Apokalyptik wird als Reflex der Weltangst beschrieben, die aus der Erfahrung der Katastrophalität der Wirklichkeit Welt als Welt im Untergang begreift. 133 Dadurch stehen die göttlichen Heilszusagen in unerhörtem Widerspruch zu der von Leid und Bedrängnis bezeichneten Gegenwart. 134 Die apokalyptische Botschaft wird sich im Offenbarwerden Gottes enthüllen, wonach das gesamte Schicksal der Menschheit von der Schöpfung an nach Gottes Plan seinen Lauf nimmt. Gott wird ein neues Handeln bringen, das diese negative Weltwirklichkeit zu Ende bringt und die Hoffnung der Heilszukunft herbeiführt, die als Voraussetzung für das Verständnis der göttlichen Offenbarung und der Auferstehung Jesu bezeichnet wird. Diese nimmt als Anfang der endzeitlichen Offenbarung das zukünftige Ende schon vorweg. 135 Bezüglich des Verständnisses der Leiden in der jüdischen Apokalyptik des Alten Testaments hat Schrage die Auffassung vertreten, schaftlich greifbar ist, nämlich auf ein bestimmtes literarisches Phänomen innerhalb des Spätjudentums, also auf jene Gruppe pseudepigraphischer ‚Apokalypsen‘ von Daniel bis zur syrischen Baruchapokalypse«. 131 Vgl. U.B. M ÜLLER , Apokalyptik im Neuen Testament, in: F.W. H ORN (Hg.), Bilanz und Perspektiven gegenwärtiger Auslegung des Neuen Testaments, FS G. Strecker, BZNW 75, Berlin 1995, 144-169, 145. Nach Müller haben im jüdischen Bereich besonders zwei historische grundlegende Veränderungen zur Formulierung von Apokalypsen angeregt (a.a.O., 146): a) die Bedrohung der jüdischen Religion durch die hellenistischen Reformbestrebungen unter dem syrischen König Antiochus IV sowie b) der Untergang der jüdischen Theokratie samt Tempel und der heiligen Stadt Jerusalem im jüdischen Krieg (66-70 n.Chr.). 132 M ÜLLER , Apokalyptik, 145f.; vgl. J.J. C OLLINS , Towards the Morphology of a Genre, in: D ERS . (Hg.), Apokalypse. The Morphology of a Genre, Semeia 14 , Missoula, Mt 1979, 1-20, 9. 133 M ÜLLER , Apokalyptik, 144, wird zitiert bei U.H.J. K ÖRTNER , Weltzeit, Weltangst und Weltende. Zum Daseins- und Zeitverständnis der Apokalyptik, ThZ 45 (1989), 32; vgl. D ERS ., Weltangst und Weltende. Eine theologische Interpretation der Apokalyptik, Göttingen 1988. 134 E. L OHSE , Apokalyptik und Christologie, ZNW 62 (1971), 48-67, 48. 135 Vgl. E. K ÄSEMANN , Zum Thema der urchristlichen Apokalyptik, ZThK 59 (1962), 257- 284, 259. Zur Apokalyptik stellt Käsemann fest, dass es jenen Exodus aus den festen Lagern, der die wahre Kirche kennzeichnet, nie ohne apokalyptische Hoffnung und Mahnung gegeben hat. <?page no="48"?> 34 »dass die Leiden nicht nur dem Vergeltungsdogma entsprechend als Gericht und Strafe aufgefasst werden, sondern in der jüdischen Leidenstheologie auch zur Sühnung der Sünden dienen, zur Mehrung der Verdienste beitragen oder als göttliche Züchtigung aus Liebe verstanden werden, und dass sie endlich in der Apokalyptik endzeitliche ‚Wehen‘ des neuen Äon sind, zeitlich und sachlich begrenztes, aber notwendiges und verheißungsvolles Durchgangsstadium zur kommenden Herrlichkeit, und dass das NT sich mit diesen Gedankengängen vor allem bei der Betonung der eschatologischen Hoffnung und der damit gegebenen Relativierung des Leidens, z.T. auch beim Verständnis des Leidens als Gericht und heilsame Züchtigung, berührt«. 136 Dass die Peristasenkataloge bei Paulus durch den Traditionshintergrund jüdischer Apokalyptik beeinflusst sind, zeigt sich besonders in TestJos, den Jubiläen, im äthiopischen Henochbuch, dem slavischen Henochbuch, dem 4. Esra und in der syrischen Baruchapokalypse. So wird der Peristasenkatalog 2Kor 6 mit dem slavHen 66,6 als Vorbild für apokalyptisches Ethos verglichen. In slavHen 66,6 wird »eine wundervolle Parallele« gesehen: »Man sieht wieder die nahe Verwandtschaft zwischen dem apk. Ethos und dem des leidenden, aber auf die Erlösung hoffenden und sich vorbereitenden Judentums«. 137 So heißt es dort: 138 »Wandelt, meine Kinder, in Langmut, in Sanftmut, in Ehre, 139 in Bedrängnis, in Trübsal, in Glauben, in Gerechtigkeit, in Verheißung, in Schwachheit, in Schmach, in Wunden, in Versuchung, in Mangel, in Nacktheit, indem ihr einer den anderen liebt, 140 bis ihr aus diesem Äon des Leidens hinausgeht, damit ihr Erben des endlosen Äons werdet. « Hier liegt wohl eine Aufzählung mit evn zugrunde, wie sie auch in 2Kor 6,4- 7a; 11,23.27; 12,10 begegnet. Einzelne inhaltliche Berührungen kommen an vielen Stellen vor: Langmut (vgl. makroqumi,a 2Kor 6,6), Bedrängnis und Trübsal (vgl. qli/ yij , avvna,gkh , stenocwri,a 2Kor 4,8; 6,4; Röm 8,35), Gerechtigkeit (vgl. »Waffen der Gerechtigkeit« 2Kor 6,7), Schwachheit (vgl. avsqe,neia 2Kor12,10), Schmach (vgl. loidorou,menoi 1Kor 4,12), Schläge (vgl. plhgai, 2Kor 6,5; 11,23; kolafi,zesqai 1Kor 4,11), Nacktheit (vgl. gumno,thj Röm 8,35; 2Kor 11,27; gumniteu,ein 1Kor 4,11). Beachtenswert ist auch, dass slavHen 136 E.S. G ERSTENBERGER und W. S CHRAGE , Leiden, Stuttgart u.a. 1977, 130. Nach B ETZ , Apokalyptik, 409, bleibt weiterhin die offene Frage: »Die jüdische und dann auch die christliche Apokalyptik können nicht aus sich selbst oder allein aus dem Alten Testament heraus verstanden werden, sondern müssen als spezifische Ausprägung innerhalb der Gesamtentwicklung des hellenistischen Synkretismus gesehen und dargestellt werden«. 137 W INDISCH , 2Kor, 206. 138 C. B ÖTTRICH , Das slavische Henochbuch, JSHRZ V/ 7, Gütersloh 1996, 999f.; W INDISCH , 2Kor, 204-206. 139 G.N. B ONWETSCH (Hg.), Die Bücher der Geheimnisse Henochs. Das sogenannte slavische Henochbuch, TU 44/ 2, Leipzig 1922, 56, hat statt »in Ehre« »in Misshandlung« übersetzt. 140 Ähnlich auch Röm 8,35; 2Kor 11,27. Vgl. B ÖTTRICH , Henochbuch, 1000 Anm. 6.d. <?page no="49"?> 35 66,6 wie 2Kor 6,6-7a Tugenden mit Peristasen kombiniert. 2Kor 6,9f. 141 - eine Stelle, die zweifellos von dem apokalyptisch geprägten Psalm 118,17f. beeinflusst wird, - wird die apostolische Existenz durch einen antithetischen Parallelismus charakterisiert. Daraus folgert Kleinknecht 142 die zeitliche Koordination der Tradition vom leidenden Gerechten: »der konsequente Dualismus der apokalyptischen Denkfigur der beiden Äonen wird ‚perforiert‘ in der Vorstellung einer schon in der Gegenwart dieses sterblichen Äons erfahrbaren Wirksamkeit der Auferstehungszwh, Jesu, die Paulus im Laufe der Argumentation zur umfassenden Konzeption der ‚schon jetzt‘ den Christen eigenen neuen ontologischen Qualität der kainh. kti,sij weiterdenkt«. 143 Schrage sieht zwar in den Peristasenkatalogen bei Paulus auch einen hellenistischen Einfluss, aber er weist vor allem auf jüdisch-apokalyptische Traditionen hin und erkennt zahlreiche Stil- und Sachparallelen. Dabei wird das apokalyptische Material als religionsgeschichtlicher Hintergrund zu den paulinischen Peristasenkatalogen verstanden und dies an Jub 23,13 exemplifiziert, wo es über das Leben der Menschen vor dem großen Gerichtstag heißt: 144 »Plage über Plage und Schrecken über Schrecken und Drangsal über Drangsal und böse Nachricht über böse Nachricht und Krankheit über Krankheit und alle bösen Strafen solcher Art, eine mit der anderen: Krankheit und Cholera und Rauhreif und Hagel und Schnee und Aussatz und Grind und Kampf und Unfruchtbarkeit und Tod und Schwert und Gefangenschaft und alle Plagen und Leiden. « 145 141 K LEINKNECHT , Der leidende Gerechtfertigte, 268, sieht 2Kor 6,1-10 wie folgt: So ergibt sich »die Tradition vom leidenden Gerechten als dominierender Hintergrund. Im Zentrum steht dabei die am ehesten mit den Qumrantexten vergleichbare Kennzeichnung des dia,konoj qeou/ als Mitkämpfer Gottes (cf. auch das sunergou/ ntej von 6,11), mit denen Gott die endzeitliche Scheidung der Fronten bewirkt, an denen er aber auch seine heilsame, rettende Wirkung tut«. 142 Die Arbeit von Kleinknecht schließt an die Tradition vom leidenden Gerechten an, ohne diese Tradition speziell auf die paulinischen Peristasenkataloge zu beziehen. Gleichwohl kann man daraus eine Verbindung dieses jüdisch-apokalyptischen Traditionshintergrunds zu den Peristasenkatalogen des Paulus folgern. 143 K LEINKNECHT , Der leidende Gerechtfertigte, 281f. 144 S CHRAGE , Leid, 144. 145 Das Zitat aus Jubiläen bei K. B ERGER , Das Buch der Jubiläen, JSHRZ II/ 3, Gütersloh 1981, 441f. Zu Schrecken über Schrecken sagt er: »Wir folgen hier hebr. mhwmh (Unruhe, Schrecken, Verwirrung). Lat hat ‚Schmerz über Schmerz‘« (a.a.O., Anm. 13b); zu Drangsal über Drangsal: »Das hebr. srh wurde im Griechisch hier wohl mit qli/ yij wiedergegeben, welches in Apokalypsen häufig ist. In Lat entspricht dem ‚tribulatio‘ sehr genau, und auch das äth. Wort heißt ‚Unglück/ Bedrängnis‘« (a.a.O., Anm. 13c). P. R IESSLER , Altjüdisches Schrifttum außerhalb der Bibel, Augsburg 1928 (²1966), 599, hat statt Cholera in seiner Übersetzung Umsturz, und statt Grind Kälte. <?page no="50"?> 36 Hier liegen als einzelne inhaltliche Parallelen vor: Drangsal (vgl. lupou,menoi 2Kor 6,10), böse Nachricht (vgl. dusfhmou,menoi 1Kor 4,13; dusfhmi, a 2Kor 6,8), Umsturz (vgl. avkatastasi,a 2Kor 6,5), Kälte (vgl. yu/ coj 2Kor 11,27), Schwert (vgl. ma,caira Röm 8,35), Gefangenschaft (vgl. fulakai, 2Kor 6,5; 11,23), Tod (vgl. 2Kor 11,23; Röm 8,38). In anderen paulinischen Katalogen sind besonders Schwert (Röm 8,35), Hunger (Röm 8,35; 2Kor 11,27), Schwachheit, Gefahr, Aufstände, Verfolgung oft belegt. Die Antithesenform eines Peristasenkatalogs liegt in TestJos 1,4-7 vor, wo der Patriarch seinen Lebenslauf beschreibt 146 und Joseph seine Rettung durch Gott preist. Hier liegt die rettende Tat Gottes im Sinne eines geschichtlichen Rückblicks in der Vergangenheit. 147 »Meine Brüder, sie hassten mich, aber der Herr liebte mich. Sie wollten mich töten, aber der Gott meiner Väter bewahrte mich. In eine Grube ließen sie mich hinab, aber der Höchste führte mich heraus. Ich wurde als Sklave verkauft, aber der Herr über alles hat mich befreit. In Gefangenschaft wurde ich gebracht, aber seine starke Hand hat mir geholfen. Von Hunger wurde ich gequält, aber der Herr selbst ernährte mich. Allein war ich, aber Gott tröstete mich. In Krankheit lag ich, aber der Herr besuchte mich. Im Gefängnis war ich, aber der Erretter begnadete mich. In Verleumdung (war ich), aber er verteidigte mich. In bitteren Worten der Ägypter, aber er riss mich heraus. Im Neid der Mitsklaven, aber er erhöhte mich. « 148 Dabei ist zu beobachten, dass die gegenwärtige Rettung im Judentum wie in TestJos 1,4-7 aus der Todesgefahr befreit, d.h. »Erlösung aus den Peristasen« und »Bewahrung in den Peristasen« gefunden wird. 149 In TestJud 25,4, einer anderen jüdischen Schrift, findet sich folgende Antithesenform: 150 »Und die in Trauer starben, werden in Freude aufstehen, und die um des Herrn willen Armen werden reich werden. Und die um des Herrn willen starben, werden aufgeweckt werden zum Leben«. 151 Vergleichbares findet sich in Tob 13,14: »Selig sind die, die betrübt sind wegen deiner Züchtigungen, denn sie werden sich freuen, wenn sie all deine Herrlichkeit sehen und sie werden sich freuen in Ewigkeit«. 152 Die antithetischen Formen im Peristasenkatalog 2Kor 6,9f. finden sich also nicht nur in der stoischen Literatur, sondern auch in apokalyptischen Texten. 146 J. B ECKER , Die Testamente der zwölf Patriarchen, JSHRZ III/ 1, Güttersloh 1974, 118f. In TestJos 1,3-10,4 liegt eine nachgetragene zu 10,5ff. konkurrierende Darstellung des Lebens Josephs vor. Sie handelt von Joseph als Tugendheld der Keuschheit, a.a.O., 118 Anm. 3. 147 Ähnlich 1QH 9. 148 Das Zitat aus TestJos bei B ECKER , Testamente der zwölf Patriarchen, 118-119. 149 Vgl. S CHRAGE , Leid, 146. 150 Vgl. auch im AT Jer 31,13; Jes 35,10. Zur apokalyptischen Literatur vgl. syrBar 48,50; äthHen 25,6; 96,3; ApkMos 39. 151 Zum Futur im zweiten Glied dieser Antithese vgl. B ECKER , Testamente der zwölf Patriarchen, 78. 152 Übersetzt von B. E GO , Buch Tobit , JSHRZ II/ 6, 1999, 997. <?page no="51"?> 37 Der äthHen ist wesentlich von Dualismen geprägt: z.B. der Gegensatz von Gerechten und Sündern, von Segen und Fluch, vom Weg des Friedens und dem Weg des Todes, von Weisheit und Torheit, auch vom Gegensatz von gegenwärtigem bzw. vergangenem Leiden und künftiger Freude. Das Buch geht näher auf die apokalyptische Konzeption ein, in die die Tradition vom leidenden Gerechten im äthHen hineingestellt ist und mit der sie verbunden ist. 153 Er thematisiert das Leiden des Gerechten konsequent in der Perspektive des endzeitlichen Gerichtsgeschehens, 154 in dem der Gerechte im kommenden Äon keine Bedrängnis und Trübsal mehr, sondern ein herrliches Los, Frieden mit Gott und Teilhabe an der Gottesherrschaft empfangen wird. Kleinknecht nimmt an, dass Paulus die Peristasenkataloge in der schon mit der jüdischen Tradition vom leidenden Gerechten 155 vermittelten Gestalt aufgreift. Als Beispieltext nennt er äthHen 104,2-4: »Hofft, denn zuerst (hattet) ihr Schmach durch Unglück und Not, aber jetzt werdet ihr leuchten wie das Licht des Himmels, ihr werdet leuchten und werdet scheinen, und das Tor des Himmels wird für euch geöffnet werden. Und mit eurem Geschrei schreit nach Gericht, und es wird erscheinen, denn von den Herrschern wird Rechenschaft gefordert (für) all eure Bedrängnis und von all jenen, die denen geholfen haben, die euch beraubten. Hofft und gebt eure Hoffnung nicht auf, denn ihr werdet große Freude haben wie die Engel im Himmel. « 156 Interessant ist, wie der leidende Gerechte im äthHen verstanden wird: »Es führt die Einzeichnung in den Dualismus zweier Äonen zu einer tiefgreifenden Veränderung der Funktion und Intention des Traditionsgebrauches. Denn das mit der Tradition vom leidenden Gerechten verbundene Moment der Erfahrung erfolgter Rettung des Gerechten, auf die sich die Hoffnung auf ein künftiges Rettungshandeln Jahwes gründet, ist hier transzendiert zur Vision: Henoch schaut das künftige Los der Gerechten im ‚Jenseits‘; der Erfahrungsrahmen der Tradition vom leidenden Gerechten, der den Leidenden von vergangener (tradierter) Rettungserfahrung her auf künftige Rettungserfahrung zugehen ließ, wird aufgegeben zugunsten einer rein an der Zukunft des (nahen) eschatologischen Gerichtes orientierten Rettungsverheißung«. 157 ÄthHen 103,8-13 bietet in einem Peristasenkatalog ebenfalls die Stilform einer katalogartigen Anreihung von Verben in der 1. Pers. Pl. Diese Stilform bewirkt eine sehr intensive und gedrängte Darstellung der Lei- 153 Vgl. K LEINKNECHT , Der leidende Gerechtfertigte, 97f. 154 Vgl. K LEINKNECHT , Der leidende Gerechtfertigte, 99. 155 Vgl. K LEINKNECHT , Der leidende Gerechtfertigte, 260. 156 Übersetzt von S. U HLIG , Das Äthiopische Henochbuch, JSHRZ V/ 6, Gütersloh 1984, 739f. 157 K LEINKNECHT , Der leidende Gerechtfertigte, 100f. <?page no="52"?> 38 denssituation, wie sie auch in dem Peristasenkatalog 1Kor 4,11f. geschildert wird. Heißt es doch dort: 158 » (...) In den Tagen unserer Not haben wir uns (mit) schwerer Mühe abgeplagt und haben alle Not gesehen, und viele Übel trafen uns, und wir wurden aufgerieben und sind wenig geworden, und unser Geist ist schwach. Wir sind umgebracht worden, und wir haben niemanden gefunden, der uns nur mit dem Wort beigestanden hätte; wir wurden gequält und vertilgt, und wir haben nicht gehofft, das Leben zu sehen Tag um Tag. Wir hofften, das Haupt zu sein, und sind zum Schwanz geworden; wir plagten uns beim Arbeiten ab und hatten keinen Erfolg für unsere Mühe; wir wurden zum Fraß für die Sünder, und die Ungerechten drückten uns mit ihrem Joch. Die erreichten die Herrschaft über uns, die uns hassten und die uns schlugen; und denen, die uns hassten, beugten wir unseren Nacken, aber sie hatten kein Erbarmen mit uns (...).« Zwischen äthHen 103,11 und 1Kor 4,12 liegt die engste Berührung zu einem paulinischen Peristasenkatalog vor: evkopia,samen evrgazo,menoi in äthHen 103,11 und kopiw/ men evrgazo,menoi in 1Kor 4,12. Es entsprechen sich auch die kai, -Reihung und der Aspekt des dauernden Leidens im Sinne einer Leidensexistenz (Tag für Tag: äthHen 103,10), dem bei Paulus das seine ganze Erfahrung umfassende »bis jetzt« (1Kor 4,9.13) gleicht. Vergleichbar sind auch die paulinischen Bestimmungen der Peristasen durch »allezeit« und »immer« in 2Kor 4,10f., »den ganzen Tag« in Röm 8,36, »jede Stunde« und »täglich« in 1Kor 15,30f. Ferner sind ähnlich die Einzelaspekte des »Letzter- Seins« in äthHen 103,11 und 1Kor 4,9, des »Keinen-Ort-Habens« in äthHen 103,13 und 1Kor 4,11, evtl. auch evgenh,qhmen kata,brwma a``martwlw/ n in äthHen 103,11 und perikaqa,rmata tou/ ko,smou evgenh,qhmen in 1Kor 4,13. 159 Die Apokalypsen in 4. Esra und im syrischen Baruch setzen den Dualismus fort, wobei gegenüber der Henochüberlieferung die Komplexität des Bildes vereinfacht und schematisiert wird. Davon ist auch die Antwort auf die Frage des Leidens des Gerechten geprägt. Die dualistische Konzeption des 4. Esra ist im Grundzug sehr einfach (4Esr 7,11-14): » (…) Da wurden die Zugänge in dieser Welt eng, leidvoll und beschwerlich, wenig und böse, voll von Gefahren und mit großen Nöten behaftet. Die Wege der größeren Welt aber sind breit und sicher und bringen die Frucht der Unsterblichkeit. Wenn also die Lebenden nicht in diese Engpässe und Nöte wirklich hineingegangen sind, können sie nicht erhalten, was ihnen aufbewahrt ist. « 160 Eine vergleichbare sachliche Nähe zu den Leidensaussagen liegt in 4Esr 7,89 vor: »In jener Zeit, als sie noch darin verweilten, dienten sie unter Mühen dem Höchsten und nahmen in jener Stunde Gefahren auf sich, um das 158 Übersetzt von U HLIG , Das Äthiopische Henochbuch, 737f. 159 Vgl. K LEINKNECHT , Der leidende Gerechtfertigte, 229 Anm.78. 160 Übersetzt von J. S CHREINER , Das 4. Buch Esra, JSHRZ V/ 4, Gütersloh 1981, 342f. <?page no="53"?> 39 Gesetz des Gesetzgebers vollkommen zu beachten«. 161 Die Schlechtigkeit der Welt führt geradezu automatisch zu Leiden und Not. Hier ist die Rede von leidenden Gerechten, die, als sie noch im sterblichen Gefäß lebten, dem Höchsten unter Mühsalen gedient und stündlich Gefahren erduldet haben. 162 Der Vergleich des Peristasenkataloges in 2Kor 4,7-15 mit solchen apokalyptischen Texten liegt nahe, besonders mit der Formulierung vom »Schatz in irdenen Gefäßen ( skeu/ oj )« (4,7). In apokalyptischen Texten dient skeu/ oj zur Bezeichnung des Menschen hinsichtlich seines Lebens im vergänglichen Äon (z.B. 4Esr 4,11: »Wie wirst du, ein sterblicher Mensch«). Schatz in irdenen Gefäßen ist also im Kontext der Polarität alte - neue Schöpfung, alter - neuer Mensch 163 zu verstehen. In 2Kor 4,16-18 wird zwar der äußere Mensch durch die Not und Bedrängnis des als irdenes Gefäß erwiesenen Apostels aufgerieben ( diafqei,resqai ), dagegen steht jedoch die »tägliche Erneuerung« (vgl. avnakainou/ sqai ) des inneren. VAnakainou/ sqai ist hier »Gottes neuschaffendes, endzeitliches Wunderhandeln, das den Menschen radikal verwandelt«. 164 Die e; xw e; sw a; nqrwpoj Aussage 165 steht also »ganz im Kontext der eschatologischen Perspektive, so dass die der apokalyptischen Ausprägung der Tradition vom leidenden Gerechten entsprechende Charakterisierung der qli/ yij als parauti,ka evlafro,n gegenüber dem aivw,nion ba,roj do,xhj folgerichtig anschließt«. 166 Die syrische Baruchapokalyse ist mit 4. Esra in vielem vergleichbar. Sie enthält das besondere geschichtliche Geschick Israels in einer dualistischen Grundkonzeption: »Dieser Äon ist für die Gerechten ‚ein Kampf und Mühe bei vieler Anstrengung‘, der künftige (Äon) ihr ‚Kranz in großer Herrlichkeit‘ (syrBar 15,8). Israels Geschichte steht im Zeichen des Unheils und dadurch wachsender Bedrängnis (32,5), die Drangsale der Endzeit treiben die Eskalation dann auf den Höhepunkt (32,6; 68,25f.). Wer sie aber in gerechtem Wandel durchsteht, wird belohnt«. 167 Von daher ist es nur konsequent, wenn die Gerechten gern das Ende erwarten und aus diesem Leben gerne gehen (14,12f.). Hier liegt Freude auf den zukünftigen Äon vor, wie es auch in frühjüdisch-urchristlicher Tradition angenommen wird. So finden sich 161 Übersetzt von S CHREINER , 4Esra, 354. 162 K LEINKNECHT , Der leidende Gerechtfertigte, 102, 258. Vgl. auch 4Esr 7,96. 163 Vgl. 2Kor 4,16. 164 S CHRAGE , Leid, 151. 165 S CHRAGE stellt zum antithetischen Gegensatz von äußerem Mensch und innerem Mensch fest, dass trotz des Gegensatzes und der dualistischen Herkunft der Begriffe nicht von einem physisch-äußerlichen und sittlich-innerlichen Sinn gesprochen werden kann, sondern von einem alten und neuen Äon, dessen Schnittpunkt die Existenz der Christen bildet (Leid, 151). 166 K LEINKNECHT , Der leidende Gerechtfertigte, 277. 167 K LEINKNECHT , Der leidende Gerechtfertigte, 103. In 4Esr hat die Frage nach dem Woher der Sünde in der Welt usw. Vorrang, im syrBar geht es um das Geschick Jerusalems usw. (103 Anm. 42). <?page no="54"?> 40 auch bezüglich des Themas »Freude angesichts der Verfolgung« weitere Parallelen zur urchristlichen Verfolgungstradition in der syrischen Baruchapokalypse, z.B. syrBar 48,48-50; 52,5-7. So heißt es in 54,16-18: »(…) Erfreut euch an dem Leiden, das ihr jetzt leidet! (…)«. Darin wird zum Ausdruck gebracht: »Die Freude des Christen im Leiden ist nicht nur eine Freude auf den Lohn, der nach dem Leiden bevorsteht, sondern sie ist eine Freude über das im Glauben an Christus empfangene Heil, in dem der zukünftige Lohn bereits gegenwärtig ist«. 168 In diesem Zusammenhang ist zudem Leiden eindeutig als Verfolgung um Christi willen zu verstehen und also ein Zeichen für den richtigen Weg. 169 In diesem Sinne ist Leiden sogar Grund zur Freude, weil es so ein Zeichen für die Zugehörigkeit zu Christus ist. 170 Auf diesem jüdisch-apokalyptischen Hintergrund wird oft betont, dass in Peristasenkatalog 2Kor 11,29 Paulus als eschatologische Person zu sehen ist. 171 Dann werden die Peristasen als Teil der endzeitlichen Wehen verstanden. VAsqene,w und skandali,zw 172 in 2Kor 11,29 werden mit dem Kontext Dan 11 und 1QS 3,21-24 verglichen. In diesem Zusammenhang wird dann auch oft auf den neutestamentlichen Begriff peirasmo,j verwiesen, was die eschatologische Probe oder Prüfung bezeichne. Sein apostolisches Leiden wird darum auch als Teil des eschatologischen Streits gesehen. 173 Nach Barre ist es die Ansicht des Paulus, dass das Leben Jesu und die Kraft Gottes durch solche Prüfung offenbar werde, die er als treuer Apostel Christi in Schwachheit erleide. Damit wird die Verbindung zwischen Eschatologie und Apostolat hergestellt. So hatten ja auch schon Fridrichsen und Barrett argumentiert, dass Paulus als eine eschatologische Person zu sehen ist, der in dem Terminkalender Gottes für den letzten Tag seinen eigenen Platz hat und der die Geschichte messianischer Wehen voll fühlt, die vor der Ankunft des kommenden Äon erduldet werden muss. 174 Aber im Unterschied zum Leidensverständnis in der Apokalyptik versteht Paulus die Leiden nicht als ein notwendiges Durchgangsstadium für die neue Welt, wie etwa in 4Esr 7,1-9,14. Auch gilt kein apokalyptischer 168 W. N AUCK , Freude im Leiden. Zum Problem einer urchristlichen Verfolgungstradition, ZNW 46 (1955), 68-80, 76f. 169 K AMLAH , Leiden, 222. Die Übernahme der judenchristlichen Tradition begegnet im NT, abgesehen von Paulus, am Ende der Seligpreisungen der Bergpredigt (Mt 5,11ff., Par. Lk 6,22ff.), in 1Petr 1,6f.; 4,12-14 und Jak 1,2-4; 1,12. 170 K AMLAH , Leiden, 223f. 171 Vgl. B ARRE , Eschatologic Person, 517f. 172 Nach B ARRE , Eschatologic Person, 514, ist skandali,zein eschatologisches Vokabular im NT. So funktioniert in Mt 18,7 der Begriff - gemäß göttlichem Plan - als eschatologisches skandali,zein , das allerdings zugleich von Menschen verursacht wird. Zum eschatologischen Charakter dieses Logions vgl. W. G RUNDMANN , Das Evangelium nach Matthäus, ThHNT 1, Berlin 1972, 416. 173 B ARRE , Eschatologic Person, 512. 174 B ARRE , Eschatologic Person, 517. <?page no="55"?> 41 Determinismus, wie in 4Esr 8,50; 13,19; 1QS III 23. Zudem ist kein Dualismus der beiden Äonen, des alten und neuen Äons erkennbar. 175 Paulus kann nicht als »eschatologic person« gesehen werden und sein apostolisches Leiden sieht er nicht als Teil des eschatologischen Streits. 176 Die Peristasen des Paulus sind keine endzeitliche Wehe. Vielmehr bezeichnet Paulus die Todesgefahren bei seiner missionarischen Arbeit als ein Sterben, das dem Tod und der Auferstehung Jesu als dem Inhalt des Evangeliums entspricht. Paulus formuliert also in traditionell apokalyptischen Aspekten den Grundsatz seiner Theologie von Tod und Auferstehung Jesu in Bezug auf seine eigenen Leiden. 2.3 Fazit Gut 100 Jahre Forschungsgeschichte zu den Traditionen paulinischer Peristasenkataloge haben deutlich gemacht, dass der Apostel sich mit seinen Leidenskatalogen in einer Vielfalt von Traditionen bewegt. Dabei ist es in der Forschung immer wieder um die Frage gegangen, ob Paulus stärker in hellenistischen oder alttestamentlichen und jüdisch-apokalyptischen Traditionszusammenhängen zu sehen und zu verstehen sei. Unser Überblick hat gezeigt, dass es hier nicht um ein »Entweder - Oder« gehen kann. Dieser Sachverhalt entspricht auch dem allgemeinen Stand der gegenwärtigen Paulusforschung, die unter dem »hellenistischen Judentum« diese beiden geistigen Welten sehr viel näher beieinander sieht als dies frühere Forschergenerationen gesehen hatten. Bei Paulus gibt es unzweifelhaft Stilverwandtschaften mit Darstellungsformen aus der Stoa, speziell der kynisch-stoischen Diatribe, worauf im Gefolge von R. Bultmann immer wieder mit neuen Entdeckungen und Vergleichen aufmerksam gemacht wurde. Paulus hat wohl als gebildeter römischer Bürger diese geistige Welt gekannt, hat sich ihrer Stile, Formen und Gattungen bedient und ist wohl auch partiell von ihnen beeinflusst worden. Aber trotz solcher offensichtlicher Parallelen gibt es auch gravierende Unterschiede, die vor allem die Denkstrukturen und theologischen Überzeugungen betreffen. Offensichtlich ist, dass Paulus in seinen Peristasenkatalogen seine Leiden im Vergleich und im Gegensatz zu der stoischen Bewährung der Tugend im Rahmen einer am Autarkiegedanken orientierten Philosophie existentiell anders erlitt und auch theologisch anders verstand als z.B. die stoischen Lebensweisen. Dieser aus dem traditionsgeschichtlichen Überblick gewonnene Eindruck kann und soll in der Einzelexegese der folgenden Kapitel differenzierter entfaltet werden. 175 Dagegen K LEINKNECHT , Der leidende Gerechtfertigte, 101-103. 176 Dagegen B ARRE , Eschatologic Person, 512.517f. <?page no="56"?> 42 Nach unserer Darstellung verweisen vor allem solche inhaltlichen Elemente der Peristasenkataloge stärker in den alttestamentlichen und jüdisch-apokalyptischen Traditionszusammenhang, dem Paulus ja auch entstammt. Doch auch hier liegen nicht nur Parallelen in Stil, Darstellung und Denken vor. Bei allen Zusammenhängen sind auch hier Unterschiede nicht zu übersehen, die vor allem im Vergleich mit spezifisch alttestamentlichen und apokalyptischen Überlieferungen schon sichtbar geworden sind. Hier stellen sich dann Fragen, ob und inwieweit Paulus die Vorstellungen vom leidenden Gerechten bzw. leidenden (Gottes-)Knecht in seinen Peristasenkatalogen aufgenommen und transformiert hat, ob und wie der Heidenmissionar deren esoterisch auf den kleinen Kreis bezogenes Denken theologisch überwindet. Diese Fragen sollen Gegenstand der folgenden Einzelexegesen sein. Mit diesen Leitfragen wird die These von W. Schrage aufgenommen, der die Peristasenkataloge des Paulus im Gegensatz zur esoterisch auf den eigenen Kreis bezogenen Apokalyptik als auch zur egozentrisch orientierten stoischen Ethik sieht. 177 Es werden also in der Einzelexegese Nähe und Distanz des jeweiligen Peristasenkataloges zu den unterschiedlichen Traditionshintergründen herauszuarbeiten und zu bestimmen sein. 177 W. S CHRAGE , Leid, 152f. <?page no="57"?> Teil II Der Peristasenkatalog im 1. Korintherbrief <?page no="59"?> 45 3 Die aufgeblasenen Korinther und die Wirklichkeit der Apostel: Der Peristasenkatalog 1Kor 4,6-13 3.1 Strukturschema des Textes 6 Tau/ ta de,( avdelfoi,( meteschma,tisa eivj evmauto.n kai. VApollw/ n diV u`ma/ j( i[na evn h`mi/ n ma,qhte to. mh. u`pe.r a] ge,graptai( i[na mh. ei-j u`pe.r tou/ e`no.j fusiou/ sqe kata. tou/ e`te,rouÅ 7 ti,j ga,r se diakri,neiÈ ti, de. e; ceij o] ouvk e; labejÈ eiv de. kai. e; labej( ti, kauca/ sai w`j mh. labw,nÈ 8 h; dh kekoresme,noi evste,( h; dh evplouth,sate( cwri.j h`mw/ n evbasileu,sate\ kai. o; felo,n ge evbasileu,sate( i[na kai. h`mei/ j u`mi/ n sumbasileu,swmenÅ 9 dokw/ ga,r( o` qeo.j h`ma/ j tou.j avposto,louj evsca,touj avpe,deixen w`j evpiqanati,ouj( o[ti qe,atron evgenh,qhmen tw/ | ko,smw| kai. avgge,loij kai. avnqrw,poijÅ 10 h`mei/ j mwroi. dia. Cristo,n( u`mei/ j de. fro,nimoi evn Cristw/ |\ h`mei/ j avsqenei/ j( u`mei/ j de. ivscuroi,\ u`mei/ j e; ndoxoi( h`mei/ j de. a; timoiÅ 11 a; cri th/ j a; rti w[raj kai. peinw/ men kai. diyw/ men kai. gumniteu,omen kai. kolafizo,meqa kai. avstatou/ men 12 kai. kopiw/ men evrgazo,menoi tai/ j ivdi,aij cersi,n\ loidorou,menoi euvlogou/ men( diwko,menoi avneco,meqa( 13 dusfhmou,menoi parakalou/ men\ w`j perikaqa,rmata tou/ ko,smou evgenh,qhmen( pa,ntwn peri,yhma e[wj a; rtiÅ <?page no="60"?> 46 3.2 Der Kontext 1Kor 1-4 Der einzige Peristasenkatalog im 1. Korintherbrief steht in dem ersten in sich geschlossenen Hauptteil in Kap. 1,10-4,21, 1 wo es häufig um die Überwindung der sci,smata geht. Die korinthische Gemeinde erleidet sci,smata (1,10) 2 , e; ridej (1,11) und zh/ loj (3,3) 3 . Zum Problem der Spaltung haben wir wenige Informationen. Sicher ist die Erwähnung von vier Gruppen, 4 d.h. evgw. me,n eivmi Pau,lou( evgw. de. VApollw/ ( evgw. de. Khfa/ ( evgw. de. Cristou/ . Die Abgrenzung unseres Textes durch eine Inklusion in 1,10 und 4,16 mit parakale,w 5 erweist den ganzen Abschnitt als Einheit. 6 Es ist kein Zufall, 1 Zur Einheitlichkeit des 1. Korintherbriefes vgl. in der neuesten Exegese M.M. M ITCHELL , Paul and the Rhetoric of Reconciliation. An Exegetical Investigation of the Language and Composition of 1Corinthians, Louisville 1993, 184ff.; W. S CHRAGE , Der erste Brief an die Korinther. I. Teilband 1Kor 1,1-6,11, EKK VII/ 1; II. Teilband 1Kor 6,12-11,16, EKK VII/ 2; III. Teilband 1Kor 11,17-14,40, EKK VII/ 3; IV. Teilband 1Kor 15,1-16,24, EKK VII/ 4, Neukirchen-Vluyn 1991/ 1995/ 1999/ 2001, hier Bd. I, 63-71; vgl. auch J. B ECKER , Paulus. Der Apostel der Völker, Tübingen 1989, 198-208; H. M ERKLEIN , Die Einheitlichkeit des ersten Korintherbriefes, in: D ERS ., Studien zu Jesus und Paulus, WUNT 43, Tübingen 1987, 345-375 [= ZNW 75 (1984), 153-183]. 2 Sci,sma kommt wieder in 11,18 vor und auch in 12,25. 3 In 3,3 kommt zh/ loj kai. e; rij vor. 4 Zur Literatur zu den vier Gruppen: J.F.D. S MIT , „What is Apollos? What is Paul? ” In Search for the Coherence of First Corinthians 1: 10-4: 21, NT XLIV (2002), 231-251; D.P. K ER , Paul and Apollos - Colleagues or Rivals? , JSNT 77 (2000), 75-97; J.S. V OS , Die Argumentation des Paulus in 1Kor 1,10-3,4, in: R. B IERINGER (ed.), The Corinthian Correspondence, BEThL 125, Leuven 1996, 87-119; E. S CHWARZ , Wo’s Weisheit ist, ein Tor zu sein. Zur Argumentation von 1Kor 1-4, WuD 20 (1989), 219-235; L.L. W ELBORN , On The Discord in Corinth: 1Corinthians 1-4 and Ancient Politics, JBL 106/ 1 (1987), 85-111; G. S ELLIN , Das »Geheimnis« der Weisheit und das Rätsel der »Christuspartei« (zu 1 Kor 1-4), ZNW 73 (1982), 69-96; P. V IELHAUER , Paulus und die Kephaspartei in Korinth, NTS 21 (1975), 341-352; A. D ITTBERNER , ‘Who is Apollos and who is Paul? ’, The Bible Today 71 (1974), 1549-1552; N.A. D AHL , Paul and the Church at Corinth according to 1Corinthians 1: 10-4: 21, in: W.R. F ARMER , C.F.D. M OULE und R.R. N IEBUHR (ed.), Christian History and Interpretation. FS J. Knox, Cambridge 1967, 313-335; J. M UNCK , Die Gemeinde ohne Parteien. Studien über 1Kor 1-4, in: D ERS ., Paulus und Heilsgeschichte, Aarhus 1954, 127-161; F.C. B AUR , Die Christuspartei in der korinthischen Gemeinde, der Gegensatz des paulinischen und petrinischen Christentums in der ältesten Kirche, der Apostel Petrus in Rom, TZTh 4 (1831), 61-206. 5 Vgl. C.J. B JERKELUND , Parakalo: Form, Funktion und Sinn der Parakalo-Sätze in den paulinischen Briefen, Oslo 1967, 141f.145f.; B. F IORE , „Covert Allusion“ in Corinthians 1-4, CBQ 47 (1985), 85-102, 86-87, spricht von zwei Exhortationen: »The first formulation of the exhortation (1,10) notes the community’s schismata, which are to be countered by stressing community of thought and declaration. The second formulation of the exhortation (4: 6) asks succinctly that the community take Paul as a model of imitation«. 6 Vgl. A. L INDEMANN , Der Erste Korintherbrief, HNT 9/ 1, Tübingen 2000, 33, ebenso auch die meisten Exegeten; nach K.A. P LANK , Paul and the Irony of Affliction, SBL 17, Atlanta 1987, 12, bildet 1Kor 1,10-4,21 eine thematische und sprachliche Einheit: <?page no="61"?> 47 dass zwei Schlüsselthemen des Evangeliums des Paulus am Anfang und Ende des 1. Korintherbriefes stehen, nämlich die Kreuzesaussage des Textes 1,17-2,5 und die Auferstehungsaussage des Textes 15,1-15. Das Wort vom Kreuz in 1,17-2,5 spielt eine wichtige Rolle für den paulinischen Peristasenkatalog, dient er doch dazu, die Leidensexistenz der Apostel der Aufgeblasenheit der korinthischen Gemeinde gegenüberzustellen. Die Leidensaussage steht im Zentrum der Polemik. So ist 1Kor 4,6-13 Gipfel und Höhepunkt von 1Kor 1,10-4,21. Die Funktion von 1Kor 1-4 ist unterschiedlich, aber der Anlass für 1-4 ist klar. Der Anlass ist der Gemeindezwist, der zu Spaltungen und Gruppenbildungen in Korinth geführt hat, was durch die von Chloe gegebene Information an Paulus bekannt geworden war (1Kor 1,11). 7 3.2.1 Geht es um Kreuzestheologie? Apologie? Weisheitstheologie? Welches Ziel verfolgt Paulus in diesem Abschnitt von Kap. 1-4? Will er seine apostolische Autorität verteidigen? Versucht er den Inhalt des Evangeliums als Kreuzestheologie zu sichern? Polemisiert er gegen Weisheitstheologie? Zielt er auf die Einheit der korinthischen Gemeinde? Diese Frage ist seit jeher umstritten. Man hat immer wieder in 1Kor 1,10-4,21 die Kreuzestheologie bzw. die Apologie des Apostolates bzw. die Weisheitsthematik im Zentrum gesehen. 3.2.1.1 Kreuzestheologie? Die Auffassung, dass 1Kor 1-4 der locus classicus für die Kreuzestheologie ist, ist schon alt, vor allem steht sie im Zentrum reformatorischer Theologie lutherischer Prägung. Aber das Wort vom Kreuz in 1Kor 1-4 dient dazu, die Spaltung in der korinthischen Gemeinde zu erklären. In dieser in 1Kor 1-4 untergeordneten Rolle spielt das Wort vom Kreuz für die Entfaltung des Hauptthemas des Paulus eine wichtige Rolle. 3.2.1.2 Apologie des Apostolats? Viele Forscher sehen das Ziel dieses Abschnittes in der Apologie des Apostolats des Paulus, da durch die Parteien sein Apostelamt in Gefahr sei. So wird die Auffassung vertreten, dass durch den Einfluss des Apollos, der zeitlich nach Paulus in Korinth wirkte, es zum Parteien-Streit gekommen ist. Diese Auffassung wird - unter Hinweis auf 3,5-7 - noch verstärkt mit »1Corinthians 1-4 shows a rhetorical unity. Here Paul writes as a ‘rhetorical poet’ using the language of affliction to climax a manyfaceted argument«. 7 Der 1. Korintherbrief ist aus zwei Anlässen geschrieben. Einerseits geht es um mündliche Informationen (1,11; 5,1; 11,18; vgl. 15,12), andererseits um Anfragen mit peri. de, (7,1; 7,25; 8,1; 12,1; 16,1; 16,12). <?page no="62"?> 48 der These, dass sich Paulus gegen Apollos selber wende, so dass Paulus selber in die Situation gedrängt wird, sein Apostelamt verteidigen zu müssen. 8 Die Auffassung von der »Apologie des paulinischen Apostolates« 9 ist aber fraglich, denn Paulus kritisiert Apollos nirgendwo. Nur in 1Kor 9,3 verwendet Paulus h` evmh. avpologi,a , aber die genannte Apologie bezieht sich nicht auf 1Kor 1-4. Zudem leitet er in 1Kor 9 nicht die Thematik des Apostolats ein, sondern die der Freiheit des Apostels Paulus (vgl. 9,1.19; eivmi. evleu,qeroj ). Das Problem im 1. Korintherbrief ist nicht, dass die Autorität des Apostolats des Paulus nicht länger akzeptiert wird, da er ja schon als Gemeindegründer gewirkt hat (vgl. 1Kor 4,14ff.). Dieser Charakter eines »Gemeindevaters« wird durch die Inklusion mit parakale,w in 1,10 und 4,16 paränetisch und parakletisch unterstrichen. Das Bild des Vaters, der seine unmündigen Kinder belehrt, begegnet auch in 3,1f. und 4,14-16.19-21. Vor allem aber bezeichnet Paulus in 1Kor 3,5ff. Apollos positiv als Mitarbeiter Gottes (bzw. Christi) und nicht, wie einige Forscher es ausdrücken, als seinen Gegner. 10 Diese positive Charakterisierung findet sich auch in 4,1 mit h`ma/ j w`j u`phre,taj Cristou/ . Indem Paulus hier den Plural »Wir« verwendet, bezeichnet er »Apollos und Paulus« in 3,5ff. bzw. »Paulus, Apollos und Kephas« in 3,22 als Mitarbeiter bzw. Diener Christi (vgl. 4,1). Wie 4,6 zeigt, spricht Paulus davon, an sich und Apollos die Rolle der Apostel zu exemplifizieren. Die Gesprächspartner des 1Kor 1-4 sind nicht andere Apostel einschließlich Apollos, sondern die aufgeblasenen Korinther (4,6ff.). Aus die- 8 Vgl. S ELLIN , Geheimnis der Weisheit, 74f. 9 Vgl. V IELHAUER , Kephaspartei, 343; C OLLINS , 1Cor, 167; D AHL , Paul, 320-321. P LANK , Irony of Affliction, 12f., sprechen vom doppelten Kontext apologetischer und homiletischer Art. Gegen den Apologiecharakter: P. L AMPE , Ad ecclesiae unitatem. Eine exegetisch-theologische und sozialpsychologische Paulusstudie, Habilitationsschrift Bern 1989, 28f. und 364 Anm. 12, der davon ausgeht, dass Paulus nur am Rande »Apologie in eigener Sache« betreibt. L INDEMANN , 1Kor, 33, meint, dass keine Apologie vorliegt, aber das Problem der Weisheit eine entscheidende Rolle spielt. Vgl. auch H OTZE , Paradoxien, 141, der diesen Abschnitt nicht als Apologie versteht. M. P ÖTTNER , Realität als Kommunikation. Aufsätze zur Beschreibung der Grammatik des paulinischen Sprechens in 1,4-4,21 im Blick auf literarische Problematik und Situationsbezug des 1. Korintherbriefes, Münster/ Hamburg 1995, 126, geht von einem Mahnbrief aus. Vgl. auch D. L ÜHRMANN , Freundschaftsbrief trotz Spannungen. Zu Gattung und Aufbau des Ersten Korintherbriefes, in: W. S CHRAGE (Hg.), Studien zum Text und zur Ethik des Neuen Testaments, FS H. Greeven, BZNW 47, Berlin/ New York 1986, 298-314. F ITZGERALD , Cracks, 117.128 Anm. 28, votiert gegen den Apologiecharakter und sieht in ihm »primarily a letter of admonition«. S.J. H AFEMANN , Suffering and the Spirit. An Exegetical Study of II Cor 2: 14-3: 3 within the Context of the Corinthian Correspondence, WUNT II 19, Tübingen 1986, 59, argumentiert: »The focus of the argument in 1Cor 1-4 is not to justify Paul’s apostleship, but to correct the Corinthians’ attitudes and behavior«. 10 Vgl. S ELLIN , Geheimnis der Weisheit, 75. <?page no="63"?> 49 sen Gründen kann 1Kor 1-4 nicht mit einer Apologie des Apostolats in Einklang gebracht werden. 11 3.2.1.3 Weisheitstheologie? B.W. Winter, J. Theis und G. Sellin sehen als Thema von 1Kor 1-4 eine Weisheitstheologie, die zu konkreten Gemeindeproblemen geführt habe. 12 Danach hat Apollos - gemäß Apg 18 ein Alexandriner und Pneumatiker - eine Apollos-Gruppe (1,12) gebildet. Hierdurch verursachte er, dass sich die Korinther über den Besitz an Weisheit als Gemeinde zu spalten drohen. 13 Winter behauptet (gegen Schmithals), dass die Gegner des Paulus im Korintherbrief keine Gnostiker sind noch solche, die andere theologische Ansichten hatten, sondern christliche Sophisten und deren Nachfolger. Die erste Beobachtung ist richtig, die Letztere jedoch fraglich. Erstens begegnet sofo,j nur in 1Kor 1-4 bei Paulus. Auch in 1Kor 6,5 kommt es einmal vor, aber hier wird es nicht so gebraucht, als wären die Gegner des Paulus Sophisten. Warum begegnet aber sofo,j niemals in 1Kor 5-16 und im ganzen 2. Korintherbrief? Warum nur in 1Kor 1-4, obwohl der 1. Korintherbrief ein einheitlicher Brief ist? Wenn die Auffassung Winters richtig wäre, müsste dieser Begriff noch an anderer Stelle vorkommen. Zweitens erwähnt Paulus niemals »Sophisten« als seine Gegner, sondern nur einmal suzhthth,j in 1Kor 1,20, während in den Schriften des Philo, auf die Winter sich mit seinen wichtigen Argumenten bezieht, die »Sophisten« häufig vorkommen. Paulus redet von Weisheit nicht in der Tradition der Sophisten, vielmehr in alttestamentlich-jüdischer Tradition, indem er die Weisheit der Menschen und die Weisheit Gottes gegenüberstellt. Beweis dafür sind die Zitate aus dem Alten Testament, die in den paulinischen Reden von Weisheit zu finden sind (1Kor 1,19 zu Jes 29,14; 1Kor 1,31 zu Jer 9,22.23; 1Kor 2,9 zu Jes 11 Der Charakter der Apologie findet sich nicht in 1Kor 1-4, sondern in 2Kor 10-13; dagegen bezeichnen andere Forscher (wie Winter und Betz) beide Texte zugleich als Apologie. 12 Vgl. B.W. W INTER , Philo and Paul among the Sophists, SNTS 96, Cambridge u.a. 1997, 145f., der beide Themen - Apologie des Paulus und Kritik der Weisheitstradition - in 1Kor 1-4 und 9 thematisiert sieht; vgl. auch T HEIS , Paulus als Weisheitslehrer, 117 u.ö. Gegen die Weisheitsthematik auch A.C. T HISELTON , Realized Eschatology at Corinth, NTS 24 (1978), 510-526, 513, der davon spricht, dass das Hauptthema in 1Kor 1-4 nicht die Weisheit ist, sondern das Verhalten der Korinther über das Ministerium. Zur weiteren Literatur über die Weisheitsthematik: H. VON L IPS , Weisheitliche Traditionen im Neuen Testament, WMANT 64, Neukirchen-Vluyn 1990; U. W ILCKENS , Weisheit und Torheit. Eine exegetisch-religionsgeschichtliche Untersuchung zu 1Kor 1 und 2, BHTh 26, Tübingen 1959. 13 Vgl. S ELLIN , Geheimnis der Weisheit, 69.71. Andere Forscher wie Pearson und Wilckens betonen diese weisheitlichen Einflüsse; vgl. auch P EARSON , The Pneumatikos- Psychikos Terminology in 1Corinthians. A Study in the Terminology of the Corinthian Opponents of Paul and Its Relation to Gnosticism, SBL DS 12, Missoula, Mont. ²1976. <?page no="64"?> 50 64,3; 1Kor 2,16 zu Jes 40,13; 1Kor 3,19 zu Hi 5,13; 1Kor 3,20 zu Ps 94,11). Gegenüber der Weisheit polemisiert Paulus mittels der Gegenüberstellung zum Wort vom Kreuz. Lindemann sieht, dass es in 1Kor 1-4 nicht um eine Apologie geht, sondern er vermutet, dass in der Beziehung zwischen Paulus und der korinthischen Gemeinde vor allem das Problem der Weisheit eine entscheidende Rolle spielt (1,18-3,23). 14 Dabei beruft er sich auf eine Ringkomposition. Conzelmann sieht schon in diesem Abschnitt eine »Ringkomposition«, 15 da Paulus in 3,18-23 zum Ausgangspunkt 1,18ff. zurückkehrt. Und manche Ausleger behaupten aufgrund des häufigen Gebrauchs von Weisheit, dass die Weisheitslehrer die korinthische Gemeinde zu Spaltungen führten. 16 Ist aber die Ursache der Spaltungen nur in dem häufigen Vorkommen des Begriffs zu finden? Warum aber findet sich sofo,j an keinen anderen Stellen des Briefes außer 1Kor 1-4? Dass diese Auffassung zweifelhaft ist, zeigt eine genauere Analyse der Textstruktur in Kap. 1-3. Erkennbar ist, dass das Stichwort sofi,a in diesem Abschnitt besonders häufig begegnet. In jedem Abschnitt, in dem es begegnet, ist es vom Kreuz umgeben. Legt man Weisheit ab, dann kommt der darin verborgene Kreuzeslogos zum Vorschein. Anders als Lindemann (bzw. Conzelmann) behauptet, thematisiert Paulus hier den Kreuzeslogos, stellt also Kreuzeslogos und Weisheitslogos gegenüber, um den Kreuzeslogos zu erklären. Der Kreuzeslogos ist also die Hauptfigur, der Weisheitslogos die Nebenfigur. Durch diese Ringkomposition 1,12 bis 3,21b-23 wird es möglich, die Zugehörigkeit der Glaubenden zum Ausdruck zu bringen. Im Zentrum der Klammer der beiden Zugehörigkeiten steht der Kreuzeslogos, der darum in jedem Abschnitt den Kernpunkt bildet. So lässt sich erkennen, dass das zentrale Anliegen des Paulus die Zugehörigkeit zum gekreuzigten Christus ist: Alle Glaubenden in Korinth gehören zu Christus (vgl. u`mei/ j de. Cristou/ in 3,23), nicht zu Paulus, Apollos oder Kephas. Dies lässt sich wie folgt veranschaulichen: 17 14 L INDEMANN , 1Kor, 33; auch K.W. N IEBUHR , Die Korintherbriefe - der Apostel und seine Gemeinde, in: D ERS . (Hg.), Grundinformation Neues Testament. Eine bibelkundlich-theologische Einführung, UTB 2108, Göttingen 2000, 221 Anm. 59, sieht, dass das häufige Vorkommen von Weisheit auf einen Streitgegenstand hinweisen könnte. 15 H. C ONZELMANN , Der erste Brief an die Korinther, KEK 5, Göttingen 1969 ( 2 1981), 57, hat diesen Begriff gebraucht. 16 M.D. H OOKER , ‘Beyond the Things which Are Written’: An Examination of 1Cor IV 6, NTS 10 (1963/ 64), 127-132, 130. 17 Vgl. 1,10: Propositio durch 1,11, Gemeindesituation in Schismata. <?page no="65"?> 51 1,12 Zugehörigkeit evgw. me,n eivmi Pau,lou( evgw. de. VApollw/ ( evgw. de. Khfa/ ( evgw. de. Cristou/ Å 1,13c-17a Taufaussage, deren Inhalt das Kreuz ist. 1,17b-18 18 Kreuz 1,19 -31 Weisheit; Schlüsselpunkt: der gekreuzigte Christus (1,23) 2, 1- 5 Weisheit; Schlüsselpunkt: der gekreuzigte Christus (2,2) 2, 6-16 Weisheit; Schlüsselpunkt: das Kreuzigen des Herrn (2,8) Gegenüberstellung von Weisheit der Welt und Weisheit Gottes Weisheit der Welt: das Kreuzigen des Herrn (2,8) Weisheit Gottes: Offenbarung des gekreuzigten Herrn (2,10) 3,18-20 Weisheit (der Welt), die bei Gott Torheit ist 3,21- 23 Zugehörigkeit pa,nta ga.r u`mw/ n evstin( ei; te Pau/ loj ei; te VApollw/ j ei; te Khfa/ j pa,nta u`mw/ n( u`mei/ j de. Cristou/ ( Cristo.j de. qeou/ Å 3.2.1.4 Zwischenfazit Aus den genanten Gründen liegt das Ziel von 1Kor 1-4 nicht in der Apologie des Amtes oder der Weisheitstheologie. Der Hauptzweck liegt auch nicht in der Kreuzestheologie, obwohl bei Paulus das Wort vom Kreuz eine ganz wichtige Rolle spielt. Alle diese Themen sind einem Ziel untergeord- 18 Die meisten Exegeten sehen mit V.18 einen neuen Abschnitt beginnen; aber V.17 und V.18 sind durch ga,r verknüpft. Zudem ist o` lo,goj tou/ staurou/ in V.18 Anaphora von o` stauro.j tou/ Cristou/ . <?page no="66"?> 52 net: Der Begründung der Einheit der Gemeinde (1,10b). 19 Dies wird eindeutig in 1,10b zum Ausdruck gebracht: i[na to. auvto. le,ghte pa,ntej kai. mh. h=| evn u`mi/ n sci,smata( h=te de. kathrtisme,noi evn tw/ | auvtw/ | noi> kai. evn th/ | auvth/ | gnw,mh| . Mit der finalen Konjunktion i[na setzt sein Hauptthema ein, sie ist die propositio in einem rhetorischem Sinn. Paulus wünscht, dass die Gemeinde keine Spaltung hat, sondern als Gemeinde eine Einheit bildet. Obwohl er Kreuzeslogos und Weisheitslogos gegenüberstellt, taucht der Kreuzeslogos als Kernpunkt auf. Hieran lässt sich erkennen, dass das zentrale Anliegen die Zugehörigkeit zum gekreuzigten Christus ist, die auch in den Peristasenkatalogen eine wichtige Rolle spielt, weil alle Glaubenden von Korinth zu Christus gehören (vgl. u`mei/ j de. Cristou/ in 3,23). Auch die drei rhetorischen Fragen von 1Kor 1,13 - besonders die drei Verben meme,ristai , evstaurw,qh , evbapti,sqhte - erweisen als Hauptzweck des Abschnitts die Einheit der Gemeinde, auf die Paulus in 1Kor 1-4 zielt: 1) Ist der Christus zerteilt? 2) Ist etwa Paulus für euch gekreuzigt? 3) Seid ihr auf den Namen des Paulus getauft worden? Paulus intendiert mit diesem rhetorischen Fragen Antworten, die das Gegenteil erwarten lassen: Zerteilt ( meme,ristai ) ist nicht Christus, sondern die korinthische Gemeinde, gekreuzigt ist nicht Paulus, sondern Christus, die Gemeinde ist nicht auf den Namen des Paulus getauft, sondern auf den Namen Jesu Christi. Hier setzt Paulus den Aposteln Christus entgegen. Folglich repräsentieren die in 1,12 erwähnten drei Namen, Paulus, Apollos, Kephas die Apostel. Die drei hier gebrauchten Verben meme,ristai , evstaurw,qh , evbapti,sqhte sind wichtig für Paulus, um seine Argumente in 1Kor 1-4 einzuführen und zu begründen. Die erste Frage mit meme,ristai bezieht sich nicht auf die Christuspartei, obwohl der Ausdruck evgw. de. Cristou/ darauf hinweisen könnte, sondern charakterisiert die zerteilte korinthische Gemeinde. Beim Verb meme,ristai handelt es sich darum, dass im Herrenmahl (1Kor 11,23-26; vgl. 10,16-21) das eine Brot, das gebrochen und unter die vielen verteilt wird, der Leib Christi ist. Paulus ruft den Korinthern das Bild der Gemeinde als Leib Christi ins Gedächtnis zurück und durch den Sinn dieser rhetorischen Frage ermahnt Paulus die korinthische Gemeinde mh. meme,ristai . Denn alle Christen sind in Christus verbunden. Diese Verbundenheit begründet Paulus zugleich mit dem Verb evbapti,sqhte als die alle verbindende Taufe auf Christus, denn die Funktion der Taufe ist die Verbindung mit Christus. Darum ist es nicht verwunderlich, dass Paulus gerade in 1,13c-17a von der Taufe redet. Mit zwei Verben evstaurw,qh , evbapti,sqhte entfaltet Paulus seine Argumente und beide sind wichtige Begriffe der paulinischen Theologie. Auffällig ist, dass er vom Kreuz nur in den Kap. 1-4 des 1. Korintherbriefs redet. Das Verb 19 Dagegen, V. H ASLER , Das Evangelium des Paulus in Korinth. Erwägungen zu einer Hermeneutik, NTS 30 (1984), 109-129, 126f.: In 1Kor 1-4 erscheint die Einheit der Gemeinde »nicht als Ausgangspunkt, sondern als das erstrebte Ziel der paulinischen Unternehmung«. <?page no="67"?> 53 stauro,w 20 steht in 1Kor 1,13; 1,23; 2,2; 2,8 und das Substantiv stauro,j steht zweimal 1Kor 1,17.18. 21 Für Paulus ist der Inhalt seiner Verkündigung, dass Jesus Christus als der Gekreuzigte verkündigt wird: 1Kor 1,23 … h`mei/ j de. khru,ssomen Cristo. evstaurwme,non 1Kor 2,2 … e; krina, ti eivde,nai … VIhsou/ n Cristo.n kai. tou/ ton evstaurwme,non Mit diesem evstaurwme,non entfaltet Paulus nicht nur seine Theologie, sondern auch den Ausgangspunkt der Taufe und des Herrenmahls bzw. des paulinischen Peristasenkataloges. Denn die Hauptfigur dieser drei Aktionen ist der Gekreuzigte. 3.3 Der Kontext von 1Kor 4,6-13 1Kor 4,6-13 ist der einzige paulinische Peristasenkatalog im 1. Korintherbrief. Er ist die Krone dieses Briefabschnittes (1Kor 1-4), in dem Paulus in seiner Selbstbeschreibung seine Leiden darstellt. Er zielt auf die Kritik »Rühmen des Menschen« und setzt dagegen die Überzeugung vom »Rühmen des Herren« (1,29-31; 3,18-21a; 4,6-7). Mit V.6 beginnt ein neuer Abschnitt und mit der erneuten Anrede avdelfoi, (zuletzt in 3,1) blickt er auf das seit 3,5 Gesagte zurück - eigentlich schon auf den mit 1,12 begonnenen Argumentationsgang. Seit 1,12 werden Apollos und Paulus genannt: in 1,12 im Zusammenhang von vier Personen, Apollos in 3,22 in Zusammenhang von drei Personen. Ab 3,5-9 sind es nur noch zwei Personen, Paulus selbst und Apollos, die erwähnt werden. Das Ziel der Rede wird durch dia, mit Akkusativ und zwei Finalsätze mit i[na eingeleitet. Der erste Zweck ist, dass die Korinther das »Nicht über das hinaus, was geschrieben ist« lernen sollen. Der zweite Zweck besteht darin, sich nicht aufzublähen. Zur Begründung dienen drei Fragen ( ti, j ; ti, ; ti, ) in der 2. Pers. Sg. (V.7), und dann schließen sich noch drei ironische Fragen an, die wieder in die 2. Pers. Pl. zurückkehren (V.8a). Durch das dreimalige lamba,nein in V.7 werden drei Situationen in der korinthischen Gemeinde ironisch kritisiert. Ein unerfüllbarer Wunsch ( o; felon ) in V.8b wird mit Ironie angeschlossen. Dieser Wunsch wird gebildet durch den 20 In allen paulinischen Briefen achtmal; Im 2. Korintherbief nur einmal: 2Kor 13,4; im Galaterbrief dreimal: Gal 3,1; 5,24; 6,14. 21 In den echten paulinischen Briefen siebenmal: 1Kor 1,17.18; Gal 5,11; 6, 12.14; Phil 2,8; 3,18. <?page no="68"?> 54 Vergleich zwischen den Aposteln (1. Pers. Pl.) und der Gemeinde. Indem in V.9 - beginnend mit dokw/ - Gott als Subjekt eines Geschehens eingeführt wird, soll verdeutlicht werden, dass die apostolische Existenz als Schauspiel vor Engeln und Menschen trotzdem ein Geschehen Gottes ist. Apostolische Existenz (V.9) wird erläutert durch die Gegensätze h`mei/ j / u`mei/ j in V.10 (vgl. VV.12f.); dem Leiden gegenüber steht die entgegensetzte eigene Aktivität. Dazu kommen zwei Zeitbestimmungen a; cri th/ j a; rti w[raj in V.11a und e[wj a; rti in 13c: sie rahmen die Passage 4,11-13 und haben ihr formales Gegenstück in dem zweimaligen h; dh in 4,8. Formal ist sie aus drei Teilen, einem Verbenkatalog in 4,11f., einer antithetischen Reihe in 4,12b- 13a, wo Verbalformen Partizipien gegenüberstehen, und einem Vergleich in 4,13 zusammengesetzt. Unter den sechs durch kai, verbundenen Verben (V.11) nehmen zwei Glieder eine Sonderstellung ein. Rhetorische Fragen, Antithesen, Vergleich, Ironie und Anschluss gleicher Wortformen zeigen den Stil der Diatribe. Auffällig sind zwei Inklusionen: qe,atron evgenh,qhmen tw/ | ko,smw| in V.9 und w`j perikaqa,rmata tou/ ko,smou evgenh,qhmen in V.13. Die Inklusionen markieren VV.9-13 als einen Peristasenkatalog. 22 J.T. Fitzgerald sieht in 4,7-13 mehrere Triaden: Es gibt drei rhetorische Fragen (V.7), drei Exklamationen (V.8), drei ironische Antithesen (V.10), und drei Leiden mit begleitenden Antworten (VV.12b-13a). Überdies werden in 4,9 die Apostel auf dreifache Weise charakterisiert: e; scatoi , evpiqana,tioi und qe,atron . 23 Das Wort vom Kreuzestod Christi wird noch einmal mit Blick auf das Leiden Pauli zugespitzt. Im Unterschied zu 1,17b-2,16 - dort geht es um die Gegenüberstellung von Kreuzeswort und Weisheitswort - geht es aber hier um den Gegensatz zwischen dem Leben der korinthischen Gemeinde und dem Leben des Apostels. Obwohl der Vergleich zwischen dem Leben des Apostels und der korinthischen Gemeinde einen ironischen, sarkastischen und kritischen Ton hat, geht es nicht um Apologetik. 24 Vielmehr sollen die Korinther lernen ( i[na ma,qhte in 4,6), Paulus will sie als Gemeindevater ermahnen (4,14.16). Der Gebrauch der Diatribe hat also den Zweck, eine Überzeugung auf dem Höhepunkt der Argumentation zuzuspitzen. Die korinthische Gemeinde lebt in der Situation des kauca/ sqai (1,29-31; 3,21; 4,7) bzw. des fusiou/ sqai (4,6.19) 25 und Paulus kritisiert beide Verhaltensweisen. Die Leiden dienen als Vergleich zwischen den Korinthern und den Aposteln. Der Vergleich in 4,10 ist klar: Inhaltlich wird in diesem ganzen Katalog die apostolische Existenz des Paulus dem Leben der Korinther entgegengesetzt: »Sattsein« bei den Korinthern (4,8a) und »Hunger und 22 Dagegen L INDEMANN , 1Kor, 100, der in V.11.12a einen Peristasenkalog sieht; vgl. D. Z ELLER , Der erste Korintherbrief, KEK (Manuskript), der in V.11-13 einen Peristasenkatalog sieht; auch S CHRAGE , 1Kor I, 332. 23 F ITZGERALD , Cracks, 132. 24 S CHRAGE , 1Kor I, 331. 25 Beachtenswert ist die Aussage: gnw/ sij bläht auf, aber die Liebe baut auf (8,1); sie (die Liebe) bläht sich nicht auf (13,4). <?page no="69"?> 55 Durst« (vgl. 2Kor 11,27) bei Paulus; Reichsein bei den Korinthern und Armut bei Paulus usw. Der Peristasenkatalog hat also den klaren Zweck, vor Reichgewordenen, Sattgewordenen und Aufgeblasenen zu warnen. Um die in Schismata stehende Gemeinde zu einen und zu verbinden, argumentiert Paulus mit Taufe, Herrenmahl und Peristasenkatalog. Im Zentrum steht jeweils der Gekreuzigte. Im gekreuzigten Christus sind alle verbunden, die zu ihm gehören. Denn der Christustod bedeutet, sich für andere hinzugeben. Damit zeichnet Paulus den Peristasenkatalog als Höhepunkt seines Argumentationsgangs. Die Peristasen haben die Funktion, den Kreuzestod Christi zu vergegenwärtigen und damit zur Einheit der Gemeinde beizutragen. 3.4 Einzelauslegung 3.4.1 Die aufgeblasenen Korinther (1Kor 4,6) Die Anrede avdelfoi, 26 gebraucht Paulus hier zum sechsten Mal. Dem mit meteschma,tisa beginnenden Hauptsatz folgen zwei mit i[na eingeleitete Nebensätze ( i[na ma,qhte und i[na mh. … fusiou/ sqe ). Doppeltes i[na ist ein Stilmerkmal des Paulus, wie der Hinweis auf Gal 3,14 und 4,5 zeigt. 27 Die Erwähnung von diV u`ma/ j (6a) und evn h`mi/ n (6b) zeigt die Gegenüberstellung zwischen den Aposteln und den Korinthern. Das einleitende tau/ ta (Neutr. Pl.) bezieht sich auf das im ganzen Abschnitt (1,10-4,5) Gesagte, 28 im Gegensatz zu manchen Auslegern, die es nur auf 3,5-4,5 beziehen. 29 Paulus erwähnt zwar Apollos nicht nur in 3,5ff., sondern im ganzen Abschnitt 1-4 (1,12; 3,4f.; 3,22), aber tau/ ta stellt den Zusammenhang mit dem Thema der 26 Vgl. 1,10.11.26; 2,1; 3,1; 4,6. 27 So schon A. P LUMMER / A. R OBERTSON , A Critical and Exegetical commentary on the First Epistle of St Paul to the Corinthians. ICC, Edingburg 1958, 82. 28 Vgl. J. C HRYSOSTOMUS , On the first Epistle to the Corinthians, Homily 12.1; PG 61,97; auch C OLLINS , 1Cor, 179; F IORE , ConvertAllusion, bezieht sich auf 1,18-4,6. 29 So die meisten Ausleger: Vgl. L INDEMANN , 1Kor, 101; J.S. V OS , Der METASCHMA - TISMOS in 1Kor 4,6, ZNW 86 (1995), 154; F. L ANG , Die Briefe an die Korinther, NTD 7, Göttingen 16 1986, 62; P LUMMER / R OBERTSON , 1Cor, 80; C. W OLFF , Der erste Brief des Paulus an die Korinther, ThHNT 7, Berlin 1996, 84; E. F ASCHER , Der erste Brief des Paulus an die Korinther, I: Einführung und Auslegung der Kapitel 1-7, ThHNT 7/ 1, Berlin ³1984 (Nachdruck 1975), 145; F ITZGERALD , Cracks, 120 Anm. 13, der aber hinzufügt, dass 1,18-3,4 die Grundlage für 3,5-4,5 bildet; dagegen S ELLIN , Geheimnis der Weisheit, 75, der tau/ ta nur auf 4,1-5 bezieht (L AMPE , Ad unitatem, 362f. Anm. 8); H OOKER , Beyond, 131, sagt bezüglich Kapitel 3: » tau/ ta will refer to the things whose form has there been changed ‘into Paul and Apollos’ - namely the figures of gardeners, bilders and stewards«. Über die Bedeutung urteilt sie: »I have applied these figures of speech to myself and Apollos«. <?page no="70"?> 56 vier Parteien von Paulus, Apollos, Kephas und Christus her (1,10). 30 Einige behaupten, dass Paulus im Zusammenhang mit seiner Auffassung von 1Kor 4,6 als »figure of speech« (Fiore: »covert allusion«) sich damit auf die ersten vier Kapitel bezieht. 31 Von einem Rückbezug auf 1,10-4,5 im Sinne der Parteien und Redefiguren kann jedoch keine Rede sein, denn es geht in Kap. 1-4 um keine Parteien, auch haben sie keinen Apologiecharakter und eine Beziehung zwischen Paulus und Apollos lässt sich nicht als eine fiktive Rede charakterisieren. Tau/ ta blickt auf eine Paränese in 1,10 zurück, wobei Paulus aufgrund der verursachten Spaltungen die Leute ermahnt und an die Einheit der Gemeinde appelliert. Damit greift er auf die bisher eingeführten Argumentationspunkte zurück. »Dies« meint alles Gesagte, d.h., was Paulus für die Einheit der Gemeinde durch Beispiele bzw. Exemplifikationen bzw. sch/ ma (Bild) gesagt hat. Tau/ ta (V.6) als Ermahnung wird bestätigt durch » gra,fw tau/ ta « in V.14: mit dem Verb nouqetw/ , dem parakalw/ in 1,10 und 4,16 entspricht, wird das Ziel der Ermahnung noch einmal unterstrichen. 3.4.1.1 Der METASCHMATISMOS (1Kor 4,6a) V.6 bietet zwei schwierige Interpretationsprobleme. Erstens die Bedeutung des Verbs metaschmati,zw , zweitens die Bedeutung des rätselhaften Ausdrucks i[na evn h`mi/ n ma,qhte to. mh. u`pe.r a] ge,graptai . Das Verb metaschmati,zw in V.6a ist Hapaxlegomenon im 1. Korintherbrief und wird im NT nur von Paulus (2Kor 11,13-15; Phil 3,21) verwendet. 32 Auch in der gesamten LXX kommt es nur einmal vor (4Makk 9,22). Was das Verb metaschmati,zw bedeutet, ist umstritten. Im Folgenden werden vier repräsentative Interpretationsmodelle diskutiert: 30 R. P ARRY , The First Epistle of Paul the Apostle to the Corinthians, Cambridge 1916, 44; J. M OFFATT , The First Epistle of Paul to the Corinthians, London/ New York 1938 ( 9 1959), 46; siehe auch Chrysostomus, MPG 61.24; Chrysostomus meint, dass diese vier Parteien nicht real existieren, sondern Paulus diese vier Namen statt des Namens von realen Parteien-Anführern gebraucht. Dieser Theorie folgen auch Collins und Munck. 31 D.R. H ALL , Disguise for the Wise. metaschmatismo,j in 1Corinthians 4.6, NTS 40 (1994), 143-149, 147; F IORE , Covert Allusion, 93f., argumentiert auch: »for referring tau/ ta to the first four chapters as a whole«. 32 Metaschmati,zw wird auch in antiker griechischer Literatur ganz selten verwendet: vom 2. Jh. v.Chr. bis 2. Jh. n.Chr. nur dreimal. Philo legat. 80.5; Diodorus Siculus Hist. Bibl. hist. 1.18.2.2; Galenus Med., De locis affectis libri vi 8.285.3; vgl. J. C HRY - SOSTOMUS , Expositiones in Psalmos 55.277.40 und Eus.eccl. und praep. 12.52.24.3. <?page no="71"?> 57 A. Interpretation als Verhüllung/ Schleier (Disguised Form/ Covert Allusion) Fiore sieht, dass Paulus in seiner Argumentationsweise in 1Kor 1-4 eine rhetorische Rede - lo,goj evschmatisme,noj - 33 gebraucht, d.h. »covert allusion«, »veiled allusion«. 34 Sch/ ma hat den Sinn »Form, Gestalt«. Schmati,zein bedeutet »von Farbe verhüllen und verbergen«, so dass es Hörer nicht offen bemerken. Schma ti,zein lo,gon meint »a speech with veiled meaning« in rhetorischen Dialogen. 35 Deshalb wird im Gefolge dieser Auffassung argumentiert: »The metaschmatismo,j , therefore, consists in putting forward the names of those not really responsible for the sta,seij instead of the names of others who were more to blame«. 36 Diese Argumentation geht davon aus, dass Paulus die Verursacher der Probleme durch seinen Namen und den des Apollos ersetzt. 37 Deshalb übersetzt Robertson: »I have transferred these warnings to myself and Apollos for the purpose of a covert allusion, and that for your sakes, that in our persons you may get instruction«. 38 Fiore behauptet, dass das Verb metaschmati,zein mehr impliziert als den exemplarischen Gebrauch der Analogie über apostolische Arbeit; dass das, worauf sich tau/ ta bezieht, also mehr als eine Analogie ist. Diese Auffassung geht auf den Kirchenvater Chrysostomus zurück, der sagt, dass »covert allusions« überall in den ersten vier Kapiteln präsent sind, und der schon 1Kor 4,6 als einen Hinweis auf die Figur der verhüllten Redeweise verstanden hatte. Er war der damals weit verbreiteten Meinung, dass die vier Parteien nicht real existierten, sondern Paulus von 1,12 an über sich, Apollos und Kephas nur fiktiv rede. Er verwende diese Namen 33 F IORE , Covert Allusion, 88f., schreibt, dass Paulus in 1Kor 1-4 diese argumentative Technik verwendet, und nennt als Beispiel »hyperbole, contrast, irony and metaphor (einschließlich simile und allegory)«; so schreibt auch W INTER , Philo und Paul, 196f.: »Rhetoricians made use of the covert allusion for a number of reasons. They did so when they wished to speak in an indirect way. They may have wished to say one thing obliquely and yet pursue something else in practice, or to say the opposite to what they were actually doing«. 34 Diese Auffassung findet sich bei C OLLINS , 1Cor, 176; W INTER , Philo and Paul, 196; P LUMMER / R OBERTSON , 1Cor, 81; auch J.B. L IGHTFOOT , Notes on the Epistle of St. Paul, ed. by J.R. Harmer, Grand Rapids 1980 (= reprint 1895), 199, erwähnt schon covert allusion: »a rhetorical artifice by which, either from fear or respect (…) the speaker veiled the allusion to individuals under an allegory or a feigned name«. 35 W.C. W RIGHT (trans.), Philostratus and Eunapius. The Lives of the sophists, LCL 134, London 1921 (³1968), 570, nach F IORE , Covert Allusion, 89. 36 P LUMMER / R OBERTSON , 1Cor, 81; vgl. F IORE , Covert Allusion, 96. 37 H OOKER , Beyond, 131, schreibt: »This explanation not only gives an unusual sense to the verb, but overlooks the fact that what is said of Paul and Apollos is not in fact appropriate to anyone else in Corinth: it was Paul alone who planted (iii.6), and who laid the foundation (iii.10)«. 38 P LUMMER / R OBERTSON , 1Cor, 81. <?page no="72"?> 58 nur als eine Maske, um die wirklich Schuldigen nicht zu verletzen, d.h., falsche Apostel, falsche Lehrer oder die Parteiführer in der Gemeinde, um durch die Nennung der Namen die Gemeinde nicht gegen sich in Harnisch zu bringen. 39 Chrysostomus wendet alle diese Bilder und Argumente in einer disguised form an. Ihr grundsätzliches Interesse waren unbekannte Lehrer in Korinth, die in der Gemeinde Spaltungen verursachten. B. Interpretation als die rhetorische Figur des Zwischen-den-Zeilen-zu-lesen Heinrici verweist metaschmati,zein in den Bereich der rhetorischen figurata, wobei die Redner das wollen, was sie nicht direkt sagen, »etwas Verstecktes und vom Hörer quasi zu Findendes«. D.h. er versteht es als spezifische rhetorische Figur der verdeckten Anspielung. Auch nach Schrage wollte Paulus, dass die Korinther »zwischen den Zeilen lesen«. 40 Egal, ob Paulus sich auf Bilder und Vergleiche beschränkt oder nicht, er hat an sich selbst und Apollos das rechte Verhalten aufgezeigt, denn beide sind keine Gegner und wollen, dass in der Gemeinde die Parteiungen aufhören. 41 Ausführlich argumentiert Hall: »Paul is referring to a transformation in his argument from statements about something or someone else into statements about himself and Apollos«. 42 Daraus zieht er den Schluss, »Paul’s statements about himself and Apollos in 3,5-9 were plain statements about real people; but the implied reference was to the various church-builders whose work is analysed in 3,10-20«. 43 Hall sieht diese verhüllende Redeweise im Zusammenhang mit der Weisheitsrede. C. Interpretation als Metapher: eine figurative Anwendung als Beispiel Diejenigen, die die These der fiktiven Rede des Paulus nicht teilen, deuten sch/ ma im Sinne einer Metapher. Sch/ ma fungiert nicht als Schleier, sondern ist eine figurative Anwendung als Beispiel. So übersetzt Barrett »I have for your sake made these things seem to apply to Apollos and myself«. 44 Die 39 V OS , METASCHMATISMOS , 155; H.A.W. M EYER , Kritisch exegetisches Handbuch über den ersten Brief an die Korinther, Göttingen 7 1888, übernimmt die Theorie des Chrysostomus in modifizierter Form. Er argumentiert, dass die 4 Parteien in 1,12 existierten, aber die erwähnten Namen figurativ seien. Die wahren Parteiführer seien die namenlosen Personen, für die Paulus in Kap. 3 seinen und den Namen des Apollos einsetzte. 40 C.F.G. H EINRICI , Der erste Brief an die Korinther, Berlin 8 1896, 147. 41 S CHRAGE , 1Kor I, 334. 42 H ALL , Disguise, 144. 43 H ALL , Disguise, 148. 44 C.K. B ARRETT , A Commentary on the First Epistle to the Corinthians, BNTC, London 2 1971, 106. <?page no="73"?> 59 Behauptung einer »fiktiven Anspielung« gibt nach Hooker nicht nur einen ungewöhnlichen Sinn für das Verb, sondern übersieht die Tatsache, dass das, was von Paulus und Apollos gesagt wird, nicht passend ist für Menschen in Korinth. 45 Es ist Paulus allein, der pflanzte (3,6) und der den Grund legte (3,10); es ist ein anderer, der Holz, Heu, Stroh hinzufügte (3,12). Paulus und Apollos wurden zur Figur von Gärtner, Baumeister und Verwalter umgestaltet. 46 Aber Paulus und Apollos treten natürlich nicht in dieser Verhüllung auf, die Umformung ist deshalb ein figurativer Aspekt. Hooker übersetzt deshalb: »I have applied these figures of speech to myself and Apollos«. Dies ist nach ihr eine Redefigur (»figures of speech«: Hall, 131), die Paulus in 4,6 gebraucht hat. 47 Eine ähnliche Ansicht vertritt A.C. Thiselton, wenn er übersetzt, »I have allusively applied all this to myself and to Apollos«. 48 Er stellt dazu fest: »Clearly the examples are allusive to those whom Paul does not mention by name; but it goes beyond the evidence to claim that Paul and Apollos themselves are necessarily only ciphers of rhetorical fiction whom Paul himself exempts from his own warnings. Mere example undertranslates; covert rhetoric overtranslates; allusive application identifies the issue«. 49 D. Interpretation als Exemplifikation oder Beispiel Andere bestreiten, dass Paulus mit metaschmati,zein überhaupt auf eine rhetorische Figur hinweise. Nach dieser Auffassung besteht zwar das metasch mati,zein in der Transformation des Allgemeinen ins Besondere oder in einer exemplarischen Darstellung, aber das könne man keine Redefigur nennen. 50 So argumentiert Vos, dass Paulus an sich und Apollos exemplifiziert: »Was allgemein gültig ist und was für alle Menschen oder für alle Lehrer gilt. Diese Sicht ist mit der zweiten darin verwandt, dass Paulus an sich 45 H OOKER , Beyond, 131. 46 Für die Umgestaltung der Form weist Hooker auf ein Beispiel von Philo, legat. 80.7: e`no.j sw,matoj ouvsi,an metaschmati,zwn kai. metacara,ttwn eivj polutro,pouj morfa,j . 47 Diese Auffassung vertritt: H OOKER , Beyond, 131; G.D. F EE , The First Epistle to the Corinthians, Grand Rapids 1987, 166-167, spricht: »Paul has gone from metaphor to metaphor«; F.N. C OLSON , ‘ Meteschma,tisa 1Cor. iv 6’, JTS 17 (1916), 379-384, 380-383, argumentiert: »the use of tact in itself could be classed as a figure of speech«; dagegen argumentiert H ALL , Disguise, 146: »In 1 Cor 4.6, ‘I have changed the figure of speech into Paul and Apollos’ does not make sense. Nor can the reference be to the changing metaphors of chapter 3 - the shift from gardening to building to stewardship (G.D. F EE , 167). The preposition eij introduces the end product of the transformation. The change is not from one metaphor into another, but from one set of people into Paul and Apollos«. 48 A.C. T HISELTON , The First Epistle to the Corinthians, A Commentary on the Greek Text, Grand Rapids 2000, 351. 49 T HISELTON , 1Cor, 351. 50 Vgl. V OS , METASCHMATISMOS , 160. <?page no="74"?> 60 etwas exemplifiziert, das für eine größere Gruppe gilt. Sie unterscheidet sich jedoch darin, dass sie weder davon ausgeht, dass Paulus etwas absichtlich verhüllt, noch dass eine dritte selbständige Gruppe neben Paulus und Apollos einerseits und der Gemeinde andererseits im Spiel ist«. 51 Vos versteht den metaschmatismo,j als Exemplifikation. 52 Auch H.-J. Klauck interpretiert die Bedeutung des Wortes so. Als weitere Ausleger dieser Auffassung sind Lietzmann und Merklein zu nennen, 53 wobei Letzterer diese nicht als eine Umformung eines eigentlichen Sachverhaltes in einen uneigentlichen versteht, sondern als eine exemplarische Darstellung. Angesichts der bisherigen Beobachtungen kann man verstehen, dass manche moderne Ausleger 1Kor 4,6 als einen Hinweis auf die Figur der verhüllten Redeweise verstanden haben. Nach dieser Ansicht bedeutet das Wort metaschmati,zein in 4,6 im Zusammenhang mit dem rhetorischen Begriff sch/ ma und schmati,zein - dem griech. Wort sch/ ma entspricht in der lateinischen Rhetorik die figura - 54 »etwas mit Hilfe einer Redefigur (zu) sagen«. 55 Aber Schneider sieht dagegen mit Recht, dass Paulus eigentlich direkt von den Adressaten hätte sprechen müssen, was er aber um ihrer Schonung willen nicht getan habe, und dass es keine Redefigur im Kontext gibt. 56 Das Verb metaschmati,zein , das hier singulär mit einem neutralen Objekt verbunden ist, das den Bezug auf den vorausgehenden Text herstellt, bezieht sich mit der Präposition eivj auf Personen: Es bedeutet eigentlich »umgestalten, umformen« bzw. »sich verwandeln«, d.h. eine Änderung der Form. In Phil und 2Kor hat es diese klare Bedeutung. In der Bedeutung »umgestalten, umformen« begegnet es in Phil 3,21 »unseren Leib der Erniedrigung umgestalten«. In der Bedeutung »sich verwandeln« begegnet es 51 V OS , METASCHMATISMOS , 156; Nach Jenkins findet diese Ansicht sich schon bei Kirchenvater Origenes. Nach Origenes besteht der metaschmatismo,j darin, das, was Paulus über sich und Apollos schreibt, nicht nur auf sie beide zu beziehen ist, sondern für jede Generation gültig ist, vgl. C. J ENKINS , Origen on 1 Corinthians, JThS 9 (1908), 231-247. 353-372. 500-514, 357; JThS 10, 1909, 29-51, nach V OS , META - SCHMATISMOS , 156 Anm.8. 52 V OS , METASCHMATISMOS , 163-166. 53 H.-J. K LAUCK , 1. Korintherbrief, EB 7, Würzburg ³1992, 37; H. M ERKLEIN , Der erste Brief an die Korinther, ÖTBK VII 1/ 2, Gütersloh 1992/ 2000, 301-302.306. Zur exemplarischen Anwendung H. L IETZMANN / W.G. K ÜMMEL , An die Korinther I/ II, HNT 9, Tübingen 5 1969, 19; V OS , METASCHMATISMOS , 163-166. F.N. C OLSON , Metesch ma,tisa , 380-383, behauptet, dass die Kombination von Takt und Image für den Gebrauch des Verbs keine fiktive oder verschleierte Anspielung erlaubt. 54 F IORE , Covert Allusion, 90, weist hin auf das Zitat von Quintilian, inst. 9.1,4 figura, »a term employed when we give our language a conformation other than the obvious or the ordinary (conformatio quaedam orationis remota a communi et primum se offerente ratione)«. 55 W. B AUER , Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments un der frühchristlichen Literatur, hg. v. K. und B. Aland, Berlin/ New York, 6., völlig neu bearbeitete Aufl. 1988, 1039. 56 J. S CHNEIDER , Art. Sch/ ma , metaschmati,zw , ThWNT VII (1964), 954-959, 958f. <?page no="75"?> 61 in 2Kor 11,13-14 (auch 4Makk 9,22), wo »falsche Apostel … sich in Apostel Christi (verwandeln), wie der Satan sich in einen Lichtengel verwandelt«. 57 Bei Letzterem kommt das Verb auch mit der Präposition eivj vor: metaschma tizo,menoi eivj avposto,louj Cristou/ (V.13) und metaschmati,zetai eivj a; ggelon fwto,j (V.14). 58 Aber in 4,6 ist etwas anders als in diesen beiden Stellen (Phil 3,21; 2Kor 11,13-15) gemeint. Darum gehen viele Ausleger auf die Suche nach einem anderen Sinn. In unserem Text gebraucht man diesen Begriff, um den Zweck zu erreichen. 59 Die Zureczhnung zu bestimmten Personen wird selten mit sch/ ma bzw. metaschmati,zein bezeichnet. 60 Zusammenfassend ist zu sagen: Die meisten Exegeten, die die Meinung vertreten, Paulus rede in 3,5-4,5 in indirekter Weise, gehen davon aus, dass er diese indirekte Redeweise deshalb wählte, um einen direkten Verweis zu vermeiden. Die Auslegung, die eine »verschleierte Anspielung« mit seiner figurativen Redeweise vertritt, trifft deshalb nicht zu, denn Paulus wollte nicht verhüllen, sondern anschaulich reden. V.6 ist mehr als nur die Anwendung der metaphorischen Redeweise. Deshalb ist auch Merkleins Argument fragwürdig, Paulus und Apollos hätten in 3,5-4,5 als Beispiel der Einigkeit nicht der uneinigen Gemeinde widersprochen, 61 sondern vielmehr »einer falschen und zum Streit führenden Einschätzung der Verkündiger die richtige entgegensetzen« wollen. Paulus schildert den Zweck seines Vorgehens durch die beiden i[na Sätze, die darauf zielen, vor dem kauca/ sqai , worauf sich m. E. das erste i[na bezieht, bzw. dem fusiou/ sqai zu warnen. Er wollte also sch/ ma auf sich selbst und Apollos nur als »Bild« im Sinne der »Veranschaulichung« bzw. als »Exempel« (Beispiel) anwenden. 62 Paulus existiert ja als Vorbild in der von ihm gegründeten korinthischen Gemeinde (» mimhtai, mou gi,nesqe « in 4,16; 11,1). 63 Paulus wollte nicht verhüllen: In 3,1 redet er zu den Korinthern wie zu Unmündigen ( w`j nhpi,oij ); um zu Unmündigen zu reden, wendet er 57 B AUER , Wörterbuch, 1039. 58 Vgl. 4Makk 9,22: w[sper evn puri. metaschmatizo,menoj eivj avfqarsi,an . 59 Vgl. A NDERSON , Glossary, 114-116; C OLSON , Meteschma,tisa , 380-383. 60 Z ELLER , 1Kor, zu 4,6-13, bietet dazu folgende überzeugende Beispiele: Alexander, peri. schma,twn (Spengel 3), 24, nach Vos, 165: meteschma,tise to.n lo,gon pro.j auvto.n to.n vAgame,mnona ; Cyrill von Alexandrien, exp. in Ps., PG 789 A-D: metaschmati,saj to.n lo,gon evfv e`autw/ | . (nach Zeller). 61 Dagegen L IETZMANN / K ÜMMEL , Kor, 19f.; S CHNEIDER , Sch/ ma , metaschmati,zw , 959; L INDEMANN , 1Kor, 101. 62 Vgl. zum Bild: L INDEMANN , 1Kor, 101; zur Exemplifikation: V OS , METASCHMATIS - MOS , 163-164. 171; ähnlich: M ERKLEIN , 1Kor, 302.306; L IETZMANN / K ÜMMEL , Kor, 19. 63 Das imitatio-Motiv in der Rahmung von mimhtai, mou gi,nesqe in 4,16 und 11,1 ist ein Grund, den 1. Korintherbrief als Einheit zu verstehen, ebenso das fusiou/ sqai -Motiv, das allein im 1. Korintherbrief sechsmal vorkommt: 4,6.18.19; 5,2; 8,1; 13,4. Schließlich kommt das entsprechende kauca/ sqai auch sechsmal vor (1,29.31²; 3,21; 4,7; 13,3), aber viel öfter in 2Kor. <?page no="76"?> 62 »Bild« bzw. »Exempel« an. Paulus weist auf das Vorbild in seiner eigenen Person und das des Apollos hin. Das Objekt tau/ ta des metaschmati,zein hat er pragmatisch an zwei herausgehobenen Personen - Paulus und Apollos - veranschaulicht. Ob hier zwei, drei oder vier Namen gebraucht werden, ist nicht wichtig für sein Argument. Denn eigentlich sind sie alle Diener Christi (3,5; 4,1). Paulus möchte den Korinthern, die sich aufblasen, die richtige Einstellung ermöglichen. 64 Auch wenn die Apostel - z.B. Paulus und Apollos - sich für die Korinther gegenüberstehen, ist die Behauptung einer Konkurrenz zwischen Paulus und Apollos nicht vertretbar. Was Paulus als Exempel veranschaulicht, hat einen doppelten Zweck: zu lernen »Nicht über das hinaus, was geschrieben ist« und das »Nichtaufgeblasensein«. 3.4.1.2 »Nicht über das hinaus, was geschrieben ist«: Der erste Zweck des METASCHMATIZEIN (1Kor 4,6b) Was die Korinther an Paulus und Apollos ( evn h`mi/ n ) lernen sollen, davon redet Paulus in V.6b ( i[na … ma,qhte ). Vor allem der Inhalt der Aussage ist ganz schwierig zu verstehen, sie ist exegetisch und textlich umstritten. Die rätselhafte Aussage to. mh. u`pe.r a] ge,graptai 65 ist ein substantiviert gewendetes direktes Akk.-Objekt zu ma,qhte . Der demonstrative neutrale singuläre Artikel to, leitet ein Zitat ein, wobei das Verb ausgefallen ist. Was ist unter a] ge,graptai zu verstehen? Als mögliche Interpretationen lassen sich unterscheiden: A. Kann a] ge,graptai als Glosse des Abschreibers oder als unverständliche Korrektur verstanden werden? Manche Ausleger behaupten, das mh, des zweiten i[na -Satzes sei über ei-j ( a] ) oder über dem a von i[na nachgetragen worden. Das wurde am Rande vermerkt, schließlich drang die Notiz in den Text ein. 66 Ein Abschreiber signalisiert mit dieser Glosse, dass er in seinem Text, der kein mh, aufwies, dieses hinzufügte. Ein anderer Abschreiber schreibt am Rande eine Glosse, die die Situation des Textes erklärt, für den nächsten Abschreiber. Am Rande macht er sich Notizen: »das mh, wird über a (Alpha) geschrieben«, d.h., to. mh. u`pe.r a ge,graptai . Andererseits sieht Weiß, dass to. mh. u`pe.r (…) und i[na mh. … u`pe.r (…) verdächtige Dubletten sind und der überlieferte Text nicht zu verstehen ist. 67 Deswegen wird das i[na mh, nicht übersetzt, weil der eigentliche Anstoß in dem Nebeneinander des doppelten Objekts zu ma,qhte liegt. Er übersetzt »dass sich nicht Einer wegen des Einen gegen 64 Vgl. Z ELLER , 1Kor, zu 4,6-13. 65 S CHRAGE , 1Kor, 334, sieht das als »eine der schwierigsten Stellen des ganzen Briefes«. 66 Vgl. J. S TRUGNELL , A Plea for Conjectural Emendation in the New Testament, With a Coda on 1 Cor 4: 6, CBQ 36 (1974), 543-558, 555ff. 67 J. W EISS , Der erste Korintherbrief, KEK 5, Göttingen 9 1970 (Neudruck 1910), 103f. <?page no="77"?> 63 den Andern aufblähe ( to. mh. u`pe.r tou/ e`no.j fusiou/ sqai )«. Für diese Auffassung argumentiert auch A. Legault. Wird der Teilsatz to. mh. u`pe.r a] ge,graptai als Glosse des Abschreibers gesehen, ist der Satz klar ohne diese Verwirrung. Das doppelte i[na ist paulinisch. Er behauptet, dass der ursprüngliche Text einfach lautet: i[na evn h`mi/ n ma,qhte( i[na mh. ei-j u`pe.r tou/ e`no.j fusiou/ sqe kata. tou/ e`te,rouÅ 68 B. Ist das Zitat ein populäres Sprichwort, Schlagwort oder eine Maxime, das bzw. die in Korinth bekannt war? Wallis sieht, dass wegen des Artikels ge,graptai weder auf die Schrift noch auf das im vorigen Abschnitt Geschriebene zu beziehen ist. 69 To, weise auf einen anerkannten Grundsatz. Er trennt deshalb durch eine Interpunktion to. mh. u`pe.r von a] ge,graptai : to. mh. u`pe.r , a] ge,graptai . Mit mh. u`pe.r meint er das Schlagwort von Überparteilichen in der Gemeinde gegen das übermäßige Parteitreiben: »Nicht zuviel! «, »Keine Übertreibung«. Die Aussage a] ge,graptai heißt: »hiermit habt ihr es schwarz auf weiß«. 70 Eine andere Meinung vertritt Welborn, dass die Redewendung an einen Rat erinnert, der im Kontext der Schlichtung von Philosophen und Politikern den Leuten geboten wird, die in der Gemeinde Disharmonie verursachen. 71 Gemäß dem Charakter einer Maxime spricht er von einem »conciliatory principle«. 72 »Nicht über das hinaus, was geschrieben ist« wäre dann als sinnvolle Anordnung für die Korinther zu verstehen. Andere nehmen an, es gäbe für Griechen die Ähnlichkeit zu sog. leges sacrae im Kult, die parallel zu einem kirchlichen Dokument als Richtlinien und Axiome für Gemeindemitglieder dienen. 73 68 A. L EGAULT , ‘Beyond the Things which are Written’ (I Cor. IV. 6), NTS 18 (1971/ 72), 227-231, 230f.; J. H ERING , The First Epistle of Saint Paul to the Corinthians, London 1962, 28; Peake, Moffatt, Bousset, Williams und Howard haben eine ähnliche Meinung. 69 Vgl. P. W ALLIS , Ein neuer Auslegungsversuch der Stelle 1Kor 4,6, ThLZ 75 (1950), 506-508. 70 W ALLIS , 1Kor 4,6, 506-508. 71 L.L. W ELBORN , A Conciliatory Principle in 1 Cor 4: 6, NT 29 (1987), 320-346, 345. Er stellt weiter fest: »a proverbial saying which Paul had reason to believe would be known to the Corinthians, whether from the surrounding culture or from their particular milieu« (328). 72 L.L. W ELBORN , Politics and Rhetoric in the Corinthian Letters, Macon/ GA 1997, 43- 76, 74. 73 So H OTZE , Paradoxien, 143; J.C. H ANGES , 1Cor 4: 6 and the Possiblity of Written Bylaws in the Corinthian Church, JBL 117 (1998), 275-298; P LUMMER / R OBERTSON , 1Cor, 81, »a rabbinical maxim«; F.F. B RUCE , 1 and 2 Corinthians, London 1978 (= Nachdruck 1971), 48f., »not probably, a current proverb, but a saying well known in the Corinthian church, where they had received ‘in accordance with the scriptures’ (15: 3.4)«; J.M. R OSS , ‘Not Above What Is Written: A Note on 1 Cor 4: 6,’ ExpTim 82 (1971), 215-217, behauptet, »the definite article to, , namely, that it introduces a famili- <?page no="78"?> 64 C. Eine hellenistische pädagogische Darstellung? R.L. Tyler behauptet, dass Paulus in 4,6 einen hellenistischen pädagogischen Begriff erwähnt, den Lehrer in der antiken Pädagogk in ihrer Erziehung anwenden. Sie erinnern sich an ihre frühen Erfahrungen mit Anweisungen, als sie als Kinder das Buchstabenschreiben gelehrt wurden. 74 Tyler gibt drei Beispiele einer solchen pädagogischen Praxis: Seneca Epistel an Lucilius (Sen.ep. 94.51), Platos Protagoras (Prot. 320-328) und Quintilian inst. 1.1.27-29. 75 Er stellt den Satz wieder her: »Copy us, imitate us, being careful, just as you were as children learning to write letters, not to write above or below the lines«. 76 D. a] ge,graptai bedeutet, was Paulus selbst vorher geschrieben hat oder schreiben will oder in zu beziehen auf den verlorenen Brief von 5,9? Thiselton versteht es als logisch, dass sich a] ge,graptai auf das bezieht, was Paulus zuvor geschrieben hat. 77 Er stützt sich dabei auf die Version D, die o[ ge,graptai als Singular liest, während die übrigen Zeugen a , B, A, C usw. a] ge,graptai als Plural lesen. Mit dem Plural wird diese Interpretation noch mehr gestützt. Calvin sieht darin eine von zwei möglichen Interpretationen, wobei die zweite darin besteht, dass Paulus nicht nur schreibt, sondern in seinem Brief aus der Schrift zitiert. 78 ar saying or a quotation« und er gibt seiner Ansicht die Bedeutung: »that you may learn to keep within the rules«. 74 Vgl. R.L. T YLER , First Corinthians 4: 6 and Hellenistic Pedagogy, CBQ 60 (1998), 97- 103, 99. 101f., erklärt: »A teacher would carefully write the letter, word, or sentence, and the pupil would then meticulously copy the teacher’s model or would trace over the lines lightly drawn by the teacher. A teacher might direct a pupil’s fingers tracing over the light outline of letters already drawn. Pupils would go through this rote copying many times before being able to draw the letters for themselves. Throughout the process the pupil had to be careful not to go above the line with some letters or to go below the line with others. One was neither to fall short of the model given nor to go beyond it«. 75 T YLER , Pedagogy, 101f.; vgl. Seneca: Ad Lucilium Epistulae morales, with an English translation by R.M. Gummere, 3 vols., LCL, London/ New York 1917-1925. 1. ix.; Plato: Laches; Protagoras; Meno; Euthydemus with an English translation by W.R.M. Lamb, 145; The Institutio Oratoria of Quintilian, with an English translation by H.E. Butler (4 vols., LCL, London/ New York 1921-1922) 1. 33-35, nach T YLER , Pedagogy, 101f. Anm. 14.16.17. 76 T YLER , Pedagogy, 102. 77 T HISELTON , 1Cor, 352.354; ähnlich die Meinung von Calvin. 78 J. C ALVIN , Commentarius in epistolam priorem ad Corinthios, CR 77, 1892, 293-574, 90. <?page no="79"?> 65 E. Ist an das ganze Alte Testament bzw. allgemein an die Schriftnorm zu denken? Schrage sieht, dass wegen des summarischen Ausdrucks an das ganze Alte Testament bzw. allgemein an die Schriftnorm zu denken ist, 79 wie schon Bengel behauptete. 80 Klauck nennt V.6b »die Regel zum rechten Schriftgebrauch«, die den Korinthern geläufig gewesen sei, versteht das aber nur als »einen allgemeinen Richtungssinn«. 81 Vergleichbar argumentiert Godet im Blick auf die Schriftnorm, wobei er diese Auffassung kombiniert mit der These, dass Paulus eine vertraute Regel zitiert, die möglicherweise dem rabbinischen Gesetz entspricht: »not above scripture«. 82 F. Meint Paulus die alttestamentlichen Zitate, die als Schriftnorm schon in den Kapiteln 1Kor 1-4 zitiert wurden? 83 Diese Auffassung geht auf die o.g. zweite Meinung von Calvin zurück, d.h., was Paulus schon aus dem Schrifttum zitiert hatte. Paulus verwendet Schriftzitate in 1Kor 1-3 sechsmal: 1Kor 1,19.31; 2,9.16; 3,19.20. Einige Exegeten vertreten diese These. Aber diese Auffassung kann Unterschiedliches meinen und es bleibt die Frage: Welche Schriftzitate meint Paulus? Alle oder nur einige von den sechs Zitaten? 3.4.1.2.1 Neuer Interpretationsversuch Wir haben die verschiedenen Interpretationen untersucht und sind der Meinung, dass allein jene angenommen werden können, die die alttestamentlichen Schriftzitate in den Kap. 1-4 im Blick haben, geschieht doch der Gerbrauch des a] ge,graptai durch Paulus immer nur im Zusammenhang mit dem alttestamentlichen Schrifttum. 84 Was Paulus selbst geschrieben hat, kennzeichnet er in 14,37 mit der Formulierung a] gra,fw . Sonst verwendet Paulus a] ge,graptai immer in Bezug auf das alttestamentliche Schrift- 79 Vgl. S CHRAGE , 1Kor I, 335. 80 J.A. B ENGEL ; Gnomon Novi Testamenti, Stuttgart ³1866, 619; vgl. S CHRAGE , 1Kor I, 335 (ähnliche Meinungen haben Schrage, Bengel, Schlatter, Lietzmann, Bruce, Barrett, nach T HISELTON , 1Cor, 352). 81 K LAUCK , 1Kor, 37. 82 F. G ODET , Commentary on St Paul’s First Epistle to the Corinthians, Edinburg 1886, 1: 217. 83 Diese Auffassung treffen wir bei Hooker, Fee, Kleinknecht, Wolff, Lang, Lightfoot; K LEINKNECHT , Der leidende Gerechtfertigte, 213-225, bezieht die Kontexte der zitierten Stellen ein und findet in den vier zitierten Schriftstellen »eine einheitliche, inhaltlich homogene Folie«, 224. 84 Kaqw.j ge,graptai : Röm 1,17; 2,24; 3,4.10; 4,17; 8,36; 9,13.33; 10,15; 11,8.26; 15,3.9.21; 1Kor 1,31; 2,9; 2Kor 8,15; 9,9; ge,graptai (ohne kaqw,j ): Röm 12,19; 14,11; 1Kor 1,19; 3,19; 4,6; 9,9; 10,7; 14,21; 15,45; Gal 3,10.13; 4,22.27: insgesamt Röm 16-mal, 1Kor neunmal, 2Kor zweimal, Gal viermal. <?page no="80"?> 66 tum. Unter den angeführten sechs Interpretationen ist deshalb nur die sechste eine echte Möglichkeit, die die alttestamentlichen Zitate im Blick hat, die als Schrifttum schon im Kapitel 1Kor 1-3 zitiert wurden: 1,19.31; 2,9.16; 3,19.20. Wenn man dieser Meinung zustimmt, muss aber die Frage gelöst werden: Auf welches der sechs Zitate bezieht sich die Interpretation des Paulus? Einige behaupten, dass Paulus mit a] ge,graptai die Schriftzitate in 1,19.31; 3,19.20 meint. 85 Hooker argumentiert, dass das erste i[na in 1Kor 4,6 sich auf 3,10-20 bezieht und »was geschrieben ist« primär die beiden Stellen 3,19.20 meint, die Paulus in diesem Abschnitt zitiert. Und sie fügt noch vier alttestamentliche Zitate hinzu: 1,19.31; 2,9.16, weil diese Stellen wie in 3,19.20 um das gleiche Thema kreisen, nämlich die Weisheit Gottes und die Weisheit des Menschen. 86 Aber Hookers Argument ist nicht nötig, weil sie es im Zitat auf das a] ge,graptai bezieht, und es nicht um die »Weisheit des Menschen« geht. 87 Das Schriftzitat a] ge,graptai in 4,6 verweist deshalb hauptsächlich auf Vers 1,31, wo das »Sich-Rühmen« thematisiert wird. Hooker hat aber gesehen, dass nur von dieser Stelle aus alle übrigen Zitate von 1Kor 1-3 erschlossen werden, beziehen sie sich doch alle auf das »Sich- Rühmen«, nicht auf die »Weisheit des Menschen«. Der Satz »darüber hinaus, was geschrieben ist« in 4,6 verweist im Kontext von 1Kor 1-4 primär auf das Zitat in 1,31, »Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn« bzw. den Vers 3,21, »Rühme sich niemand eines Menschen«. Beide Stellen nehmen den Propheten Jeremia auf. Das wird durch den folgenden Vergleich verdeutlicht: 85 P LUMMER / R OBERTSON , 1Cor, 81; L IGHTFOOT , Notes, 199, nach L EGAULT , Beyond, 229. 86 H OOKER , Beyond, 129; H ALL , Disguise, 148, unterstreicht die Behauptung von H OOKER , Beyond, 130: »She correctly emphasizes the influence of the wisdomteachers who, by despising the message of the cross, were ‘going beyond what is written’, and comments that it was this search for additional ‘wisdom’ which had led to the divisions, and to a situation where one was ‘puffed up for the one against the other’«. 87 So auch J.R. W AGNER , ‘Not Beyond the Things Which Are Written’: A Call to Boast Only in the Lord (1Cor 4,6), NTS 44 (1998), 279-287, 280. Dies wird auch von M.M. M ITCHELL , Paul and the Rhetoric of Reconciliation, Louisville 1992, 220 Anm. 183, bemerkt. <?page no="81"?> 67 1Kor 1,31 o` kaucw,menoj evn kuri,w| kauca,sqw 1Kor 3,21 mhdei.j kauca,sqw evn avnqrw,poij Jer 9,22 mh. kauca,sqw o` sofo.j evn th/ | sofi,a| auvtou/ (zu 1Kor 3,21) Jer 9,23 evn tou,tw| kauca,sqw o` kaucw,menoj (zu 1Kor 1,31) Hierbei lassen sich zwei Besonderheiten beobachten. Erstens bemerkt man, dass Paulus Jer 9,22 und 9,23 88 absichtlich in 1Kor 1,31 und 3,21 trennt. Die Ursache dafür ist, dass Paulus in 1,31 und 3,21 eine Inklusion mit dem Schlüsselwort kauca/ sqai bildet. Durch eine umrahmende Ringkomposition in 1Kor 1,31 und 3,21 thematisiert er das » kauca/ sqai des Herrn« und stellt dieses dem » kauca/ sqai des Menschen« gegenüber. Zweitens ändert Paulus in 1Kor 3,21 den Satz evn th/ | sofi,a| auvtou/ des Jeremia (Jer 9,22) zu dem Satz evn avnqrw,poij . Wir können daraus entnehmen, dass das »Sich-nicht- Rühmen« des Menschen auf das »Sich-nicht-Rühmen« der Weisheit des Menschen abzielt. Zweifelhaft ist jedoch Wagners These, dass es sich bei den Menschen in 3,21 um Paulus, Apollos und Kephas (3,22) bzw. um Paulus und Apollos (4,6) handle. 89 Diese Änderung hat noch eine weitere Ursache, setzt doch Paulus in dem abgegrenzten Abschnitt mit der Gegenüberstellung zwischen der Weisheit der Menschen (bzw. der Welt) und der Weisheit Gottes in 1Kor 1- 3 ein. Denn weil die törichte Weisheit der Menschen den Herrn der Herrlichkeit gekreuzigt hat (2,8), redet Paulus von dem »Sichnicht-Rühmen der Weisheit des Menschen«. Nur in der Weisheit Gottes wird offenbar, dass der Gekreuzigte der Herr (1,23; 2,2) ist. So ist auch dieser Textabschnitt durch die Gegenüberstellung zwischen der Weisheit und dem Wort vom Kreuz geprägt. Wie in der Textstelle, in der es um Weisheit und Kreuz geht, taucht Weisheit am Rande und das Wort vom Kreuz im Zentrum auf. Deshalb steht das Wort vom Kreuz im Zusammenhang mit dem Sich-des- Herrn-Rühmen. Mit der Gegenüberstellung von evn kuri,w| kauca,sqw und kauca,sqw evn avnqrw,poij zielt Paulus darauf, dass kauca/ sqai nur als das Rühmen des Herren gültig ist, weil nur der für uns gekreuzigt ist. Innerhalb der Argumentation von 1Kor 1-4 markiert 4,6-13 den Höhepunkt des epideiktischen Beweises, der su,gkrisij . 90 Diese su,gkrisij greift auf die Diskussion in Kap. 1-3 zurück: den Vergleich zwischen dem Verhalten der Apostel und der Korinther. In 4,6 werden die vorhergehenden 88 Jer 9,22: »der Weise rühme sich nicht seiner Weisheit«. Jer 9,23: »wer sich rühmt, rühme sich dessen«; evn tou,tw| bedeutet hier inhaltlich evn kuri,w| . 89 Vgl. W AGNER , Not Beyond, 282f. 90 M ITCHELL , Reconciliation, 219. <?page no="82"?> 68 Argumente des Paulus zugespitzt. Die Rede von »dem, was geschrieben ist,« intendiert bei Paulus die Erwähnung des Schrifttums, das er schon in Kap. 1-3 zitiert hat, wonach gilt »Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn« (1,31). Der zweite Satz mit i[ na in 4,6 dient als Erläuterung für »Nicht über das hinaus, was geschrieben ist,« d.h., damit die Korinther sich nicht für den einen gegen den anderen aufblähen ( fusiou/ sqai ). 91 J. Weiß sieht mit Recht, dass der zweite i[na -Satz in 4,6 das klare Echo von 3,21 ist, mhdei.j kauca,sqw evn avnqrw,poij (»So rühme sich niemand Menschen«). 92 Aber seine Behauptung, dass to. mh. u`pe,r und i[na mh. … u`pe,r verdächtige Dubletten seien, 93 ist fraglich. Paulus gebraucht fusiou/ sqai in 4,6 in identischer Bedeutung wie das Verb kauca/ sqai im nächsten Vers 4,7, das das inhaltliche Kernwort im ersten i[na -Satz in 4,6 ist, ebenso wie in 1,31 und 3,21. Beide Worte beschreiben die Spaltungsversuche in der korinthischen Gemeinde und die Gefährdung der Gemeindeeinheit. In 4,6 ermahnt Paulus die Korinther, was an ihm und Apollos zu lernen ist, nämlich nicht sich des Menschen zu rühmen. In diesem Kontext erläutert er, dass das, was geschrieben ist, ein fehlgeleitetes Rühmen korrigieren soll: nicht Rühmen des Menschen (3,21), sondern Rühmen des Herrn (1,31). Das Schriftzitat, auf das 1Kor 4,6 bezogen ist, lässt sich im Kontext von 1Kor 1,18-31 noch klarer verstehen. Paulus schildert die überschwängliche Kraft des Kreuzes: Gott hat die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht (1,20). Jer 9,22 sofo,j ( sofi,a ) iv scuro,j ( iv scu, j ) plou,sioj ( plou/ toj ) 1Kor 1,26 sofoi, dunatoi, euvgenei/ j 1Kor 1,27-28 mwra, avsqenh/ avgenh/ / evxouqenhme,na Paulus nimmt die Rede des Jeremia auf und interpretiert sie neu. Jer 9,22 besteht aus drei parallelen Aussagen: Der Weise rühme sich nicht seiner Weisheit ( mh. kauca,sqw o` sofo.j evn th/ | sofi,a| auvtou/ ), der Starke rühme sich nicht seiner Stärke ( mh. kauca,sqw o` ivscuro.j evn th/ | ivscu,i auvtou/ ), der Reiche rühme sich nicht seines Reichtums ( mh. kauca,sqw o` plou,sioj evn tw/ | plou,tw| auvtou/ ). Die Triade des Vokabulars Weisheit ( sofo,j ), Stärke ( ivscuro,j ) und 91 Zum doppelten i[na als Charakter des paulinischen Stils: vgl. Gal 3,14; 4,5. 92 So schon W EISS , 1Kor, 104. 93 W EISS , 1Kor, 104. <?page no="83"?> 69 Reichtum ( plou,sioj ) in Jer 9,22 94 erscheint auf ähnliche Weise in 1Kor 1,26: sofoi,( dunatoi,( euvgenei/ j) Die dreifach negativen Worte sofo,j( ivscuro,j( plou,sioj stehen gegenüber dem/ r e; leoj( kri,ma( dikaiosu,nh Gottes. Die ersten beiden unterstreichen das anthropozentrische Rühmen. In V.23 setzt Paulus diesen die positiven neuen Begriffe des Rühmens gegenüber mit dreifachen Worten: Wer sich rühmt, rühme sich dessen ( evn tou,tw| kauca,sqw o` kaucw,menoj ), 95 wobei sich tou,tw| natürlich auf ku,rioj bezieht. Dies markiert die Bewegung vom anthropozentrischen zum theozentrischen Rühmen. 96 Ebenso kontrastiert Paulus die negative Triade sofoi,( dunatoi,( euvgenei/ j (1,26) mit der positiven Triade mwra,( avsqenh/ , avgenh/ (1,27-28), setzt also auch damit das Rühmen des Menschen dem Rühmen des Herrn entgegen. Diejenigen, die mwra,( avsqenh/ , avgenh/ sind, hatte Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was sofo,j( dunato,j( euvgenh,j ist, damit sich kein Mensch vor Gott rühme (1,29). Paulus bindet 1,17-31 und 4,6-13 zusammen. Mwroi, in 4,10 erinnert an die Predigt von mwra, des Evangeliums (1,18.21.23; mwrai,nw in 1,20) und die mwra, der Welt, was Gott erwählt hat (1,27), und to. mwro.n tou/ qeou/ (1,25). Ähnlich wie in 1,25 ( to. avsqene.j tou/ qeou/ ) und in 1,27 ( avsqenh/ der Welt, was Gott erwählt hat), wird in 4,10 von den avsqenei/ j geredet. Die Beschreibung der Existenz des Apostels als a; timoi (4,10), loidorou,menoi( diwko,menoi (4,12), dusfhmou,menoi (4,13) entspricht seiner Rede in 1,28, wonach Gott ta. avgenh/ ( ta. evxouqenhme,na( ta. mh. o; nta erwählt hat. Die Erwählung der mwra,( avsqenh/ , avgenh/ / evxouqenhme,na( ta. mh. o; nta ist der Weg Gottes, damit sich kein Mensch vor Gott rühme. Mwra,( avsqenh/ , avgenh/ / evxouqenhme,na (1,27-28) haben ihren Ort in dem Peristasenkatalog 4,6- 13, sie beschrieben das Leiden als Apostel. Mwra,( avsqenh/ , avgenh/ / evxouqenhme,na( ta. mh. o; nta stehen den sofoi,( ta. ivscura,( ta. o; nta (1,27-28) gegenüber. Der Apostel vergleicht also seine Existenz mit der der Korinther als sofoi,( ta. ivscura,( ta. o; nta . 1Kor 1,17-31 wirkt als ein Vorspiel des Peristasenkataloges in 4,6-13. Auf dem Hintergrund des Zitats von Jer 9,22 und 9,23 bedeutet die rätselhafte Aussage des Paulus to. mh. u`pe.r a] ge,graptai : o` kaucw,menoj evn kuri,w| kauca,sqw (1Kor 1,31) bzw. mhdei.j kauca,sqw evn avnqrw,poij (3,21). Diese Interpretation wird auch durch den zweiten i[na -Satz klar bewiesen: i[na mh. fusiou/ sqe . Der Mensch rühmt sich der Weisheit, der Stärke, des Edlen, aber Gott erwählt das Törichte, das Schwache, das Unedle. Paulus redet vom Sich-des-Herrn-Rühmen in 1,31 und 4,6. Hiermit wird Paulus’ Aussage in Gal 6,14 noch einmal unterstrichen: Paulus rühmt sich nur des Kreuzes Je- 94 W. B RUEGGEMANN , The Epistemological Crisis of Israel’s Two Histories (Jer 9: 22-23), in: J.G. G AMMIE , Israelite Wisdom. Theological and Literary Essays in Honor of Samuel Terrien, New York 1978, 93, sieht, dass diese Triade nur bei Jeremia in der LXX vorkommt. Vgl. auch G.R. O’D AY , Jeremiah 9: 22-23 and 1Corinthians 1: 26-31. A Study in Intertextuality, JBL 109/ 2 (1990), 259-267, 261. 95 Vgl. O’D AY , Jeremiah 9: 22-23, 261. 96 Vgl. O’D AY , Jeremiah 9: 22-23, 262. <?page no="84"?> 70 su Christi. Für Paulus besteht das Lernziel der Korinther darin, sich nicht der Menschen zu rühmen, sondern nur im Herrn, 97 besonders dessen Leiden bzw. der Leiden, die Paulus und die Apostel erleiden zu rühmen, was er in 4,9-13 entfaltet. 3.4.1.3 Das „Sich-nicht-Aufblähen“: Der zweite Zweck des METASCHMATIZEIN (1Kor 4,6c) Der zweite Finalsatz steht in V.6c und Paulus kritisiert damit das fusi ou/ sqai (bzw. kauca/ sqai ) des Menschen, weil der Gegenstand des Sich- Rühmens der Herr sein soll (1,31), und nicht die Menschen (3,21). Das Problem der Korinther besteht darin, sich gegeneinander aufzublähen. Das Verb fusiou/ sqai entspricht dem Verb kauca/ sqai in V.7. 98 Beide stehen mit gleicher Bedeutung in VV.6-7 nebeneinander und sind inhaltlich identisch. Das Verb fusiou/ sqai kommt selten im NT vor. In den echten paulinischen Briefen finden wir es nur in 1Kor sechsmal (4,6; 4,18.19; 5,2; 8,1; 13,4). 99 Außer im 1Kor steht es nur noch Kol 2,18. Beachtenswert ist die Aussage des Paulus in 8,1: gnw/ sij bläht auf im Gegensatz zur Liebe, die aufbaut. Denn die Liebe bläht sich nicht auf (13,4). Paulus gebraucht dieses Verb am Anfang des Hauptteils seines Briefes: Kap. 5-7 handelt von der Sexualität, Kap. 8-10 vom Essen des Götzenopfers und Kap. 12-14 von der Vielfalt der Gaben. 100 In all diesen Problemen geht es Paulus um das Aufblähen der Korinther. Dass die Korinther sich nicht aufblähen sollen, bringt er in der Wendung zum Ausdruck: ei-j u`pe.r tou/ e`no.j … kata. tou/ e`te,rou . Die präpositionale Bestimmung u`pe.r tou/ e`no.j (für den einen) ist ein Pendant zu kata. tou/ e`te,rou (gegen den andern). Mit der ersten Wendung meint Paulus, dass sich ein Gemeindeglied nicht mit einem Apostel (bzw. Missionar) gegenüber dem andern aufbläht. 101 Obgleich Paulus und Apollos in 3,4ff. genannt werden, ist nicht anzunehmen, dass Paulus meint, vor allem die Apollos- 97 Vgl. W AGNER , Not Beyond, 279-287; auch Z ELLER , 1Kor, zu 4,6-13. 98 Vgl. 5,2 fusiou/ sqai , dem 5,6 kauca/ sqai gleichkommt. Auch bei IgnTrall 4,1 kommt kau,chsij mit fusiou/ n vor. Vgl. Philo, congr. 107: »die durch Ruhm und Wahn Aufgeblasenen ( kauch,sei kai. oivh,sei fusw,menoi )«. Z ELLER , 1Kor, zu 4,6-13, schreibt: »Ganz allgemein charakterisiert Philon so eine Überheblichkeit, die das eigene Geschöpf- Sein vergisst«. Er nennt folgende Beispiele: »Aus 34 Belegen von fusa/ sqai vgl. post. 115; somn. I 211; II 115.290f.; Mos. II 96; SL I 10.293; virt.163; praem. 47; QE II,14«. Zum dazu gehörigen Wortfeld vgl. D. Z ELLER , Charis bei Philon und Paulus, SB 142, Stuttgart 1990, 115. 99 Vgl. fusi,wsij in 2Kor 12,20. 100 So C OLLINS , 1Cor, 181. 101 Gegen M ERKLEIN , 1Kor, 309: »Beim Bezug auf das Subjekt würde sich einer gegenüber einem anderen Gemeindemitglied aufblähen«. <?page no="85"?> 71 Leute würden sich gegen ihn aufblähen. 102 Für ihn sind sie zusammen Mitarbeiter, Diener (3,5) und Verwalter 103 , und beide haben keine selbständige Bedeutung (3,7.9; 4,1f.), daher auch keine Ursache, sich ihrer selbst zu rühmen. Paulus hat in Korinth den gekreuzigten Christus verkündigt (2,1f.), und Apollos hat dieses Werk fortgeführt (3,5f.). Die Gegenüberstellung u`pe,r / kata, entspricht der Gegenüberstellung ei-j / e`te,rou 104 (vgl. 3,4; tij … e[teroj ). Die Missionare bzw. Apostel wären dann als Konkurrenten zu sehen, eine Auffassung, der Paulus widerspricht. Deshalb wird mit 4,6 die Gemeinde gelehrt, sich nicht aufzublähen und auf ein gegenseitiges Rühmen innerhalb der Gemeinde zu verzichten. 3.4.2 Gnadengaben und das Sich-Rühmen der Menschen (1Kor 4,7) In 4,7 begegnen drei rhetorische Fragen ( ti, j ; ti, ; ti, ), wobei jede mit der 2. Pers. Sg. verbunden ist, was durch den entsprechenden Wechsel in V.6c ( ei-j ) bedingt ist. Der Stil wird eindringlicher, diatribenhaft und ironisch. Im Aufblähen sind die ironischen Fragen begründet. Die rhetorische Frage 105 des Paulus zielt auf die verneinenden Antworten. Durch diese Fragen redet Paulus offen mit apologetischem Klang wie in VV.2-3. Schwierig ist ti,j ga,r se diakri,nei . Das Verb diakri,nein kommt in den paulinischen Briefen außer Röm nur in 1Kor fünfmal vor (1Kor 4,7; 6,5; 11,29.31; 14,29; vgl. Röm 4,20; 14,23) 106 und bedeutet eigentlich »einen Unterschied machen« (vgl. 11,29): Hier geht es also um das Unterscheiden des einen vom anderen. 107 Das Wort diakri,nw greift auf VV.3-5 zurück ( avnakri,nw , dreimal; kri,nw , einmal). Die drei Verben avnakri,nw , kri,nw , diakri,nw werden in antiker Literatur eigentlich als juristische Termini (vgl. 6,5) gebraucht, 108 sie haben einen defensiven, apologetischen Klang. Das diakri,nein geschieht bei Paulus im Zusammenhang mit fusiou/ sqai (4,6). Die sich aufblähen machen einen Unter- 102 So W EISS , 1Kor, 104; M ERKLEIN , 1Kor, 309; F EE , 1Cor, 166.169, und noch viele weitere Ausleger. 103 Als Bezeichnung für den apostolischen Dienst werden Diener, Mitarbeiter, Architekt, Verwalter verwendet: so die Aussagen in 3,2.5.6-8.9.10-12; 4,1.2.9.15. 104 So auch E.B. A LLO , Saint Paul, première épître aux Corinthiens, Paris 1956 (reprint 1934), 72; S CHMIEDEL , 1Kor, 112; dagegen sagt Weiß, dass die Gegenüberstellung nicht ei-j / e`te,rou ist. 105 V.7 nimmt die Doppelfrage von 3,5 wieder auf, aber in anderer Richtung. Während dort die apostolische Rolle des Paulus und des Apollos betont war, wird hier das christliche Gegenüber herausgestellt. 106 Nach B AUER , Wörterbuch, 370, bedeutet es »einen Unterschied machen« (1Kor 4,7), »beurteilen« (11,31; 14,29), »entscheiden« (6,5). 107 Nach B AUER , Wörterbuch, 370, bedeutet es hier wie Appian, civ. 5,54 § 228 »einen Vorrang einräumen«; vgl. Passiv diakri,nesqai, tinoj „sich von einem unterscheiden“ Dg 5,1; vgl. auch 1Kor 12,10: »einem anderen aber Unterscheidungen der Geister ( a; llw| Îde.Ð diakri,seij pneuma,twn )«. 108 Vgl. C OLLINS , 1Cor, 181. <?page no="86"?> 72 schied zwischen sich und anderen. Die Korinther sind schon in aller Lehre und in aller Erkenntnis ( evn panti. lo,gw| kai. pa,sh| gnw,sei , 1,5), aber für Paulus bläht Erkenntnis auf ( h` gnw/ sij fusioi/ , 8,1). Das diakri,nein ist in der korinthischen Gemeinde ein Element, das zur Spaltung führt, wie das fusiou/ sqai . Auf die Frage des Paulus »Wer gibt dir denn einen Vorrang? « ist zu antworten: Niemand, es sei denn man selbst. Wer sich demnach einen Vorrang einbildet, verursacht untereinander Unterscheidungen, darin liegen die Probleme in der korinthischen Gemeinde. Auch das von Menschen verursachte diakri,nein hat seinen Ursprung im kauca/ sqai . Damit wird auf 1,31 zurückgegriffen. Durch die erste Frage zielt Paulus darauf, in der korinthischen Gemeinde nicht die Qualitäten der jeweiligen Weisheitsautorität zu beanspruchen. 109 Vielmehr soll die Rede vom »Sich-des-Herrn- Rühmen ( evn kuri,w| kauca,sqw )« das Unterscheiden vom anderen und das Gegeneinander-Aufblähen verhindern. Die zweite Frage ti, de. e; ceij o] ouvk e; labej ; bezeichnet Habende und Empfangende in der korinthischen Gemeinde. In den beiden letzten Sätzen bildet Paulus durch den dreimaligen Gebrauch des Verbs lamba,nw einen Ring. Dass e; cw und lamba,nw wie in 4,7 oft zusammen vorkommen, zeigt sich auch in der antiken Literatur, etwa Alciphron 2,6,1 ti, ouv tw/ n evmw/ n labou/ sa e; ceij . 110 Mit dem im Aorist verwendeten lamba,nw wird das Empfangen betont, nicht das Haben. Was die Korinther empfangen haben, darüber schweigt der Text. In 1Kor kommt das lamba,nw elfmal vor (2,12; 3,8.14; 4,7; 9,24.25; 10,13; 11,23; 14,5). Das Verb hat jeweils ein genaues Objekt, z.B. Geist, Lohn, Preis, Siegeskranz usw. Hier aber bezeichnet es nur irgendetwas, das du hast. Eine ähnliche Formulierung wie V.7 begegnet in 2,12 ( evla,bomen … to. pneu/ ma to. evk tou/ qeou/ ). Das Empfangen erinnert an 1,5, wobei die Korinther den Reichtum in allem Wort und in aller Erkenntnis ( evplouti,sqhte … evn panti. lo,gw| kai. pa,sh| gnw,sei ) haben. In 13,2 begegnet ein vierfältiges Haben: Weissagungen, Geheimnisse, Erkenntnisse und Glauben. Dieses Haben bezieht sich auf den Besitz von Charismen, 111 die in Kap. 12 entfaltet sind. Parallel dazu sagt Paulus in 2,10ff. und 12,4ff. - avpeka,luyen dia. tou/ pneu,matoj (2,10) / evla,bomen to. pneu/ ma to. evk tou/ qeou/ (2,12) und di,dotai h` fane,rwsij tou/ pneu,matoj (12,7). Paulus redet vom Haben der Geistgaben nicht im Sinne des Gehörens zur menschlichen Weisheit (vgl. 2,13). Sie sind empfangene Charismen, die Gott in allen wirkt (12,6). Durch die zweite Frage betont also Paulus, dass alles, was der Mensch hat, Geis- 109 So W OLFF , 1Kor, 86. 110 B AUER , Wörterbuch, lamba,nw , 945. 111 So auch Z ELLER , 1Kor, zu 4,6-13; W OLFF , 1Kor, 86. <?page no="87"?> 73 tesgaben oder Charismen, nicht eigene Verdienste sind, auch nicht des Paulus und Apollos, 112 sondern Gnadengaben Gottes. 113 Die dritte Frage ti, kauca/ sai w`j mh. labw,n zieht die Konsequenz aus den beiden vorausgehenden, sie wendet sich gegen die Überheblichkeit. Wenn es wirklich so ist, dass die Korinther alles empfangen haben, warum rühmen sie sich dann, als hätten sie es nicht empfangen? 114 Das kauca,omai kommt 37-mal im NT vor: allerdings allein bei Paulus 34-mal und in nichtpaulinischen Briefen dreimal. 115 Auffällig ist, dass es in den Synoptikern nicht vorkommt. Es spielt eine wichtige Rolle für die Argumentation des Paulus, vor allem in paulinischen Peristasen im 2. Korintherbrief. 116 Mit dieser wichtigen rhetorischen Frage konfrontiert er das kauca/ sqai . Das kommt der Argumentation in 1,29-31 - besonders 3,21 - gleich. 117 Das Subjekt von Gnadengaben ist Gott und das Objekt von Sich-Rühmen ist der Herr (bzw. Gott). Die Gnadengaben schließen ein menschliches kauca/ sqai aus; das gilt ebenso bei der Rechtfertigung (Röm 3,24 dikaiou,menoi dwrea.n th/ | auvtou/ ca,riti ; 3,27 Pou/ ou=n h` kau,chsij ). 118 Dass bei Paulus als Objekt des Sich-Rühmens nur Gott (bzw. der Herr) gilt, begegnet so auch im Römerbrief: Röm 2,17 kauca/ sai evn qew/ | ; Röm 5,11 kaucw,menoi evn tw/ | qew/ | ( dia. tou/ kuri,ou ). Das Nebeneinander von Haben und Empfangen in 4,7 begegnet bei Paulus nur hier. Aber der Gedankengang des Paulus findet sich auch bei Philon. Dieser erklärt den Unterschied zwischen Haben und Empfangen, um Überheblichen, die als Aufgeblasene charakterisiert sind, zu zeigen, dass sie Geschöpfe sind und ihren Ursprung im Schöpfer haben. 119 Das Problem in der korinthischen Gemeinde liegt also nicht in Haben und Empfangen, vielmehr im menschlichen Sich- Rühmen; denn der Ursprung aller Gaben ist Gott allein. 112 So P LUMMER / R OBERTSON , 1Cor, 83: »and that the Apostle means that such Christian wisdom as the Corinthians possessed was not their own making, but came to them through ministry of their teachers«. 113 C ONZELMANN , 1Kor, 113f. Anm. 23, beschreibt die Aussage des Irenäus haer. I 6,4, der gnostische Haltung erwähnt: »Sie wollen die Gnade von oben her (…) als ihr Eigentum in Besitz haben«. Ähnlich verstehen es die Korinther, obgleich sie keine Gnostiker sind. 114 Vgl. L ANG , Kor, 63. 115 1Kor 1,29; 1,31; 3,21; 4,7; 13,3; 2Kor 5,12; 7,14; 9,2; 10,8.13.15.16.17; 11,12.16.18.30; 12,1.5².6.9; Röm 2,17.23; 5,2.3.11; Gal 6,13.14; Phil 3,3; außerhalb der paulinischen Briefe: Eph 2,9; Jak 1,9; 4,16. 116 Das kauca,omai dominiert in 2Kor 10-12, was die Peristasenkataloge betrifft. 117 Siehe meine obige Argumentation in § 3.4.1.2 ‚Nicht über das hinaus, was geschrieben ist‘ als erstes Ziel des METASCHMATIZEIN in 4,6b. 118 So auch Z ELLER , 1Kor, zu 4,6-13. 119 Vgl. Cher. 57-66 (64.70 fusa/ sqai ); her. 102f.; congr. 127 (hier fusa/ sqai ) -138, nach Z ELLER , 1Kor, zu 4,6-13. Dazu auch Z ELLER , Charis, 115f.; G. S ELLIN , Der Streit um die Auferstehung der Toten. Eine religionsgeschichtliche und exegetische Untersuchung von 1. Korinther 15, FRLANT 138, Göttingen 1986, 149f. <?page no="88"?> 74 3.4.3 Die rhetorische Steigerung: Sattsein, Reichsein und Herrschen der Korinther (1Kor 4,8) In V.8 wird in Fortsetzung des ironischen Tons die rhetorische Steigerung auf die Spitze getrieben. Paulus wechselt zur 2. Pers. Pl. Der erste dreigliedrige Satz beginnt mit einem zweifachen h; dh und endet mit einem zweifachen Aorist. Die verwendeten drei Verben kore,nnumi( ploute,w und basileu,w gebraucht Paulus im übertragenen Sinne und beschreibt damit das rühmende Selbstverständnis der Korinther, nicht aber der Apollosanhänger. 120 Die drei argumentativen Sätze begreifen sich im Anschluss an die kritischen Fragen von V.7 als ironische Meinungen, 121 als rhetorische Fragen. 122 Klar erkennbar ist die kritisch-ironische Klimax. 123 Das Verb kore,nnumi kommt von ko,roj (Sattheit). Das Nomen ko,roj findet sich auch in antiken Werken 124 und kommt dort oft als Ursache oder Konsequenz von u[brij vor. So erscheint ko,roj in der Verbindung mit u[brij oft bei Philon. 125 Der Begriff ko,roj begegnet im Zusammenhang von perista,seij bei Maximus Tyr. or. 34.6a, 7a (397,7; 398,3-4 Hobein). Philon gebraucht ihn als Teil von Synkrisis zwischen der Freude über Reichtum und der Verachtung von Armut (Flacc. 77). 126 Das Verb im übertragenen Sinne (auch Philo und Jos; Bauer s.v.) begegnet bei Paulus nur hier 127 und greift auf fusiou/ sqai (4,6) zurück, 128 das an u[brij erinnert. Paulus verwendet nur einmal corta,zw in Phil 4,12 statt kore,nnumi , während die Synoptiker lieber corta,zw gebrauchen (Synopt. 13-mal). Kore,nnumi kontrastiert häufig als Antonym von peina,w (und diya,w ). Jesus redet von der Seligpreisung der Hungernden in Lk 6,21 (vgl. 6,25; par. Mt 5,6) und stellt dem Hunger das Sattwerden gegenüber (dort corta,zw ). 129 Die perfektische Aussage »Ihr seid schon satt! « ist kritisch gegenüber den Korinthern gemeint: Sie unterstreicht den Kontrast zwischen dem Sattsein der Korinther und dem Hunger bzw. Durst der Apostel (V.11). 120 So M ERKLEIN , 1Kor, 310. 121 L IETZMANN / K ÜMMEL , Kor, 19; H EINRICI , 1Kor, 152; F.S. G UTJAHR , Die zwei Briefe an die Korinther, Graz/ Wien 1907, 105. 122 P. B ACHMANN , Der erste Brief des Paulus an die Korinther, KNT VII, Leipzig 4 1936 (= Nachdruck 1905), 186; BDR § 496. 123 P LUMMER / R OBERTSON , 1Cor, 84. 124 Od. 4.103; Pi.P.1.82; Plato Phaidr. 240c; Philox. 2.38. 125 Vgl. Flacc. 91; Mos. 2.13; opif. 169; Abr. 228; spec. III 43; virt. 162. 126 F ITZGERALD , Cracks, 133 Anm. 40. 127 Im ganzen NT nur zweimal; außer 1Kor taucht es in Apg 27,38 auf. 128 Zum Paar Übersättigung und Aufblähen: vgl. Soph. OT 872-874; Ps-Heraclitus, ep. 2. 129 Vgl. Phil 4,21; Lk 1,53 (dort allerdings ploute,w ); zum Kontrast von Sättigung und Hunger (und Durst) in der Antike: vgl. Hom., Il. 19.166-167; Heraclitus B 67, 111; Max.Tyr.or. 34.6a (397,7 Hobein); Lucian, Merc.Cond. 8; Dion Chr. 7.17; Flav.Jos.Ant. 10.260-62. <?page no="89"?> 75 Das Sattsein führt zu dem Verb evplouth,sate . Die Verbindung von Sättigung mit Reichtum ist üblich. 130 Ploute,w in Verbindung mit kore,nnumi greift auf die fusi,wsij der Korinther zurück. Es ist ähnlich der hier kritischironischen Bestimmung von kekoresme,noi . Während mit dem evplouti,sqhte evn auvtw/ | (1,5) Paulus selbst den Korinthern im Sinne eines Lobpreises die Fülle an Charismen bestätigt, referiert er hier kritisch, dass die Korinther daran keinen Bedarf mehr haben, 131 vergleichbar einer Aussage in Apk 3,17: o[ti le,geij o[ti plou,sio,j eivmi kai. peplou,thka kai. ouvde.n crei,an e; cw (…). Auffällig ist dort, dass der Begriff in Verbindung mit den für perista,seij üblichen Begriffen ptwco,j und gumno,j erscheint. Sie begegnen alle in der grundlegende Heilsaussage in 2Kor 8,9: o[ti diV u`ma/ j evptw,ceusen plou,sioj w; n( i[na u`mei/ j th/ | evkei,nou ptwcei,a| plouth,shte (ebenso im Peristasenkatalog 2Kor 6,10). Ähnliches findet sich in jüdischer Literatur im Zusammenhang mit der Auferstehung: »Die um des Herrn willen Armen werden reich werden« (TestJud 25,4). 132 Die dritte Aussage evbasileu,sate 133 bildet den Höhepunkt und beschreibt den Kontrast zwischen dem rühmenden Selbstverständnis der Korinther und dem Vorwurf des Paulus. Diese sind angesprochen und nicht die Apollosanhänger. 134 Das Wort o; felon wird benutzt bei einem unerfüllbaren Wunsch 135 und betont ein unerfüllbares Verhalten, verstärkt mit dem Partikel ge,. 136 Das Kompositumsverb sumba sileu,w (V.8b) 137 ist in Paulus ’ Briefen typisch, wobei durch su,n ( mit oder zusammen ) eine Solidarität zum Ausdruck gebracht wird: z.B. Röm 6,4-8, suneta,fhmen, su,mfutoi, sunestaurw,qh( suzh, somen. Dies würde bedeuten: Hätten die Korinther in der Tat ein Reich erlangt, hätten die Apostel, d.h. Paulus und Apollos (bzw. andere Mitarbeiter), daran Anteil, was in Wahrheit aber nicht der Fall ist (vgl. VV.9ff.). Das Verb sumbasileu, w entspricht also im Kontext nicht der eschatologischen Erwartung. Die Auffassungen, dass terminologisch apokalyptische Vorstellungen anklingen 138 und dass kynisch-stoische Gedanken verwendet werden, 139 sind beide möglich. Mit Ersteren ist die Erwartung der Erfüllung einer verbreiteten apokalypti- 130 Vgl. Lk 6,24-25; in der Antike Theogn. 153-154; Aisch.A. 382; D.L. 1.59; Demokr. B 283. 131 So W EISS , 1Kor, 106f.; Z ELLER , 1Kor, zu 4,6-13; dagegen C ONZELMANN , 1Kor, 114. 132 Ein weiterer Text ist äthHen 45,6. 133 Zur Verbindung von Herrschaft und Sattheit (oder Aufblasen): vgl. Hor.ep. 1.1.106- 107; sat. 1.3.124-125; Sen.benef. 7.10.6; Plut.mor. 472A; Cic.fin. 3.22.75; Mur. 61; Philo, sobr. 56-57. 134 Dagegen M ERKLEIN , 1Kor, 310. 135 Vgl. BDR § 359,1. 136 Vgl. BDR § 439,2. 137 Aber das Verb sumbasileu, w begegnet im NT nur hier und 2Tim 2,12; daneben auch Polyk. 5,2. Sumbasileu, w ist in politischer Sprache häufig und bedeutet: als König oder Kaiser mitherrschen; vgl. auch das Subst. sumbasileu,j (L INDEMANN , 1Kor, 105). 138 So Z ELLER , 1Kor, zu 4,6-13. 139 So M ERKLEIN , 1Kor I, 310; C ONZELMANN , 1Kor, 114. <?page no="90"?> 76 schen Verheißung verbunden, wonach die Gerechten auf dem Thron sitzen und an der Herrschaft Gottes bzw. seines Messias über die Weltreiche teilhaben werden. 140 Dann wären die Korinther an Gottes endgültiger Weltherrschaft beteiligt. Für dieses Verständnis ist Dan 7,18.27 der Ausgangspunkt. Dies führt zur jüdischen bzw. zur urchristlichen Erwartung von der eschatologischen Herrschaft der Glaubenden (für Paulus 6,2f.; Röm 5,17; darüber hinaus Mt 19,28; Apk 5,10; 20,4.6; 22,5; 2Tim 2,12). 141 Deutlich erkennbar ist, dass die apokalyptische Vorstellung aufgrund des »wisst ihr nicht« (6,2f.) als bekannt vorausgesetzt ist. 142 In kynischstoischer Vorstellung ist nach Epiktet der Weise der wahre Reiche und König. 143 Merklein sieht ähnliche Gedanken auch bei Philo: migr. 197; somn. II 244; Abr. 261; prob. 20; vgl. post 128. 144 Ähnlich wie Paulus kritisiere Epiktet, dass diejenigen sich verfrüht als Philosophen bezeichneten und »sofort zum Zepter, zum Königtum« gelangten (diss. IV 8,34). Dagegen stellt er den idealen Kyniker als gottgesandtes Beispiel bescheidender Bedürfnislosigkeit dar (diss. IV 8,31f.). 145 Die Unterschiede in beiden Parallelen sind in der Situation , also im Sitz im Leben des Paulus begründet. Außer Hinweisen auf Apokalyptik und Stoa finden einige Exegeten, dass die Korinther Herrenworte und Gedanken Jesu gekannt hätten: die Seligpreisung der Hungernden (Lk 6,21.25) und die entsprechende Parallele Jak 2,5. Eine parallele Erwähnung der Jesusworte findet sich im Thomasevangelium. 146 Es wird auf EvThom 2 verwiesen, wo dem Suchenden die Herrschaft über das All verheißen ist. Ebenso wird zum Stichwort Sättigen auf EvThom 60 (vgl. 69) verwiesen und zu Reich auf Logion 3.29.85. 147 Auch wird vom Mund Jesu in EvThom 81 gesagt: »Wer reich geworden ist, soll König werden, und wer Macht hat, er soll verzichten«. Gnostische Einflüsse anzunehmen ist hier allerdings nicht vorstellbar, 148 wenngleich einige 140 So Z ELLER , 1Kor, zu 4,6-13. 141 Vgl. Bill. I 979. SapSal 5,16; äthHen 96,1. Zum Motiv der Throne in apk.-jüdischer Literatur: äthHen 108,12f.; 4Q521, Frgm. 2, II 7; TestHiob 33; im NT: Mt 19,28. 142 So auch Z ELLER , 1Kor, zu 4,6-13. 143 Epict.diss. III 22,47.49.63; diss. III 95, »der Weise hat Anteil an der Herrschaft des Zeus«; vgl. Plut.mor 472a (z.B. steht dort bezüglich des Weisen plou,sion kai. basilei,a ); 58e; Hor.ep. I 1,106-108; sat. I 3,124f.; Philo, Abr. 261; virt. 216; D.L. 7,122; weitere Belege bei F ITZGERALD , Cracks, 135f. Anm. 57. A.J.M. W EDDERBURN , Baptism and Resurrection. Studies in Pauline Theology against its Graeco-Roman Background, WUNT 44, Tübingen 1987, 25f., weist darauf hin, dass Paulus ein Auferstandensein nicht erwähnt (27). Zur Diskussion von 1Kor 3,21-22 vgl. W EISS , 1Kor, 90, und H. B RAUN , Exegetische Randglossen zum 1. Korintherbrief, in: D ERS ., Gesammelte Studien zum Neuen Testament und seiner Umwelt, Tübingen 1962, 182-186. Das Motiv »Reichtum« wird in der Philosophie ausgeweitet. Aber die Auffassung von C ONZELMANN , 1Kor, 114 Anm. 26, dass die Aussage des Paulus »alles ist euer« (3,21f.) »dem Weisen gehört alles« bedeutet, ist fragwürdig. 144 M ERKLEIN , 1Kor I, 310. 145 Vgl. H OTZE , Paradoxien, 146; F ITZGERALD , Cracks, 147f. 146 Darauf verweist C ONZELMANN , 1Kor, 114 Anm. 26.28.30. 147 C ONZELMANN , 1Kor, 114 Anm. 28.30. 148 Anders z.B. E. H AENCHEN , Die Botschaft des Thomas-Evangeliums, Berlin 1961, 70.f, der von einem gnostischen Mythos in Korinth spricht; vgl. C ONZELMANN , 1Kor, 114 <?page no="91"?> 77 Parallelen im Thomasevangelium vorliegen. Doch gibt es keine Anspielung auf die Vorstellung einer schon geschehenen Auferstehung wie 2Tim 2,18. So ist es nicht nötig, einen eschatologischen Vorbehalt anzunehmen. 149 Paulus will ein auf die eschatologische Erwartung bezogenes Selbstbewußtsein der Korinther ironisch zum Ausdruck bringen. Er kritisiert also ironisch die Realisierung solcher Träume. Die eschatologische Vollendung zu leben 150 ist allzu früh, weil im Augenblick leidende Zeit ist, wie sie die Apostel erleiden und wie sie schon Christus erlitt. Damit kontrastiert das Leiden des Paulus der Sättigung, dem Reichsein, dem Herrschen und damit dem Aufgeblasensein der Korinther. Die beißende Ironie bei Paulus (vgl. 2Kor 11,19f.) zeigt den wahren Apostel, charakterisiert seine Leidensexistenz, wie sie im eigentlichen Peristasenkatalog VV.9-13 entfaltet wird. Anm. 28: »Da in Korinth der gnostische Mythos, genauer: die gnostische Reflexionsstufe des Mythos, noch nicht ausgebildet ist, muss man von Proto-Gnosis reden: Sie finden sich ummittelbar an der Grenze des gnostischen Umschlages«. 149 So M ERKLEIN , 1Kor I, 311; L INDEMANN , 1Kor, 105 ; dagegen S CHRAGE , 1Kor I, 338- 339. Vgl. zum Ersteren S CHRAGE , 1Kor I, 338, der als Beispiele auf den berühmten Satz in 2Tim 2,18 hinweist, dass die Auferstehung schon geschehen sei, und auf Phil 3,12, wo nach ihm ein perfektisches h; dh vorkommt; vgl. auch J. L AMBRECHT , Paul as Example. A Study of 1Corinthians 4,6-21, in: D ERS ., Collected Studies on Pauline Literature and on the Book of Revelation, Analecta Biblica 147, Roma 2001, 43-62, 53-54 (= in: R. K AMPLING / T. S ÖDING (Hg.), Ekklesiologie des Neuen Testaments, FS K. Kertelge, Freiburg 1996, 316-335): »For the use of h; dh (and lamba,nw and compounds) in a context of realized eschatology« (54 Anm. 30), vgl. Phil 3,12 » ouvc o[ti h; dh e; labon h' h; dh tetelei,wmai (…)«; zum Letzteren, vgl. A.J.M. W EDDERBURN , The Problem of the Denial of the Resurrection in 1Corinthians XV, NT 23 (1981), 229-241, bes. 233-236, der feststellt (234): »(…) if the phrase ‘realized eschatology’ begs too many questions, it can be claimed that the Corinthians were strongly conscious of being in possession of spiritual blessings now. The language in which that consciousness is expressed is, however, noteworthy«; M ERKLEIN , 1Kor I; Während S CHRAGE mit perfektischem h; dh von ‚einer realized eschatology‘ ausgeht, bestreitet D.W. K UCK , Judgment and Community Conflict. Paul’s Use of Apokalyptic Judgment Language in 1. Corinthians 3: 5-4: 5, NT.S 66, Leiden u.a.1992, 216-218, »die eschatologische Orientierung und deutet h; dh rein ethisch im Sinne der moralischen und geistlichen Vollkommenheit«. 150 Aber S CHRAGE , 1Kor I, 338, sagt, dass für die korinthischen Enthusiasten der Glaube symptomatisch ist, schon in der eschatologischen Vollendung zu leben; anders E.E. E LLIS , Prophecy and Hermeneutic in Early Christianity. New Testament Essays, WUNT 18, Tübingen 1978, 77-79; P. M ARSHALL , Hybrists Not Gnostics in Corinth, SBL.SP 1984, 275-287, 279-283; W EDDERBURN , Baptism, 24-27; dagegen, T HISELTON , Eschatology, 510-526, bes. 524. <?page no="92"?> 78 3.4.4 Die Leidensexistenz des Paulus: Dem Todesurteil übergeben (1Kor 4,9) Ab V.9 (bis V.13) wird das Wesen apostolischer Existenz entwickelt. 151 Dass der Anspruch der Korinther nichts anderes als ein unerfüllbarer Wunsch ( o; felon ) ist (V.8), wird durch ga, r unterstrichen. Von der Ironie in V.8 geht Paulus über einen ernsten offenen Ton zur Polemik über. Mit dokw/ stellt er seine Meinung dar über Gottes Handeln bezüglich der Apostel und dessen Begründung ( o[ti ). Was Paulus in V.8 als idealen Wunsch des Mitherrschens ausdrückt, fungiert in V.9 als Realität, die - nicht ironisch oder paradox 152 - als Hyperbel ausgesprochen wird. Seine eigene Selbstdarstellung als Letzte (V.9) wird in seinen Peristasen (VV.11-13), den Listen seines Leidens, ausgewiesen. Paulus versteht sich einerseits als Letzter, andererseits als der durch Gottes Willen berufene Apostel (1,1), der von Christus Gesandte (1,17), der die Offenbarung Gottes Empfangende (2,10), der den Geist Christi Habende (2,16). Dass man sich aufgrund gegenteiliger Erfahrung ironisch charakterisiert, ist nicht nötig. 153 Paulus nimmt wahr, dass der berufene Apostel um des gekreuzigten Christus willen leiden muss. Als Verkündiger versteht er seine leidende Existenz als die eines Letzten, die dem Todesurteil übergeben wurde. 154 Von dieser Selbsterfahrung der Todesgefahr spricht er mehrmals in seinen Briefen: 1Kor 15,30-32; 2Kor 1,8f.; 4,10-12; Röm 8,36. Paulus ist der Meinung ( dokw/ ), Gott habe uns, die Apostel, nicht zur Herrschaft bestellt, sondern sie im Gegenteil als Letzte hingestellt. Da das Subjekt des Hinstellens ( avpodei,knumi ) Gott ist, müssen 151 Vgl. zur Gliederung dieses Abschnittes die graphische Darstellung bei K LEINKNECHT , Der leidende Gerechtfertigte, 222. Eine syntaktische, semantische und pragmatische Analyse gibt M ERKLEIN , 1Kor I, 303-306; ferner Z MIJEWSKI , Narrenrede, 314-317; F ITZGERALD , Cracks, 129-132; H OTZE , Paradoxien, 144 Anm. 21. 152 Anders H OTZE , Paradoxien, 150f., und P LANK , Irony of Affliction, die den Charakter von 1Kor 4,9-13 als Ironie bestimmen. Auch sagt H OTZE , Paradoxien, 150 (vgl.151): »Meint der Apostel es ernst, wenn er von sich als dem ‚Letzten‘ spricht, oder referiert er damit ironisch-spöttisch einen (potentiellen oder realen) Vorwurf der Korinther? Die Antwort ist verblüffend: Er tut beides. Vers 9 als die ‚Exposition‘ der Perikope enthält wie in einem Brennglas gebündelt die beiden sprachlichen Ebenen, die für den Text bestimmend sind: Ironie und Paradoxie«; so auch W EISS , 1Kor, 109, der freilich die Paradoxie darin findet, dass die Apostel »den ersten Platz einnehmen« müssten. 153 So H OTZE , Paradoxien, 151. 154 Dazu schreibt F ITZGERALD , Cracks, 136 Anm. 58: »The ‘last’ are typically those who are wronged, insulted, suffer drunken abuse, have their property confiscated, and, in short, are treated as fools (Dio Chrys., Or. 38.36-37). Neglected and despised, they are shown no honor at all (Fronto, Ep. 2.130 Haines [119 Naber]). Poor, they live ‘a frugal and utterly miserable life’ (Diod.Sic.8.18.3), so that their only hope is to be enriched by the wealth of others (Cic., Rosc.Am.47.137). The term ‘last’ is tied to an absence of perceived worth (cf. Ign., Rom. 9: 2; Smyrn. 11: 1; Trall.13: 1), so that statements like ‘the lowest and basest of mankind’ (omnium nationum postremissimum nequissimumque ) are not uncommon (Gell., NA 15.12.3; comp. Cic., Pis.27.66; 1Cor 4: 9,13)«. <?page no="93"?> 79 nach Paulus die Apostel Leidende sein, wie Christus leiden musste. Dieses Bewusstsein hat Paulus schon in 1Kor 1,28 zum Ausdruck gebracht: Gott hat ta. avgenh/ ( ta. evxouqenhme,na( ta. mh. o; nta erwählt. Die Apostel in diesem Sinne als Letzte zu charakterisieren, tut Paulus nur hier. Es ist keine Anspielung auf 1Kor 15,8, wo der Begriff Letzte für Erscheinungszeugen steht. Das Wort e; scatoj findet sich auch in Mk 9,35 (par. 10,31). 155 Das ähnliche Wort evla,cistoi erscheint zudem in Mt 25,45 (vgl auch 25,40). Auffällig ist, dass es dort mit Hungrigen, Dürstenden, Fremden, Nackten, Kranken, Gefangenen verbunden ist, Begriffe die man auch in den paulinischen Peristasenkatalogen finden kann. 156 Das Verb avpodei,knumi kommt substantiviert als avpo,deixij (2,4) vor. Es bezeichnet die Verkündigung des Paulus »im Erweis ( evn avpodei,xei ) von Geist und Kraft«, nicht im Sinne von beweisen, sondern erweisen, im Sinne des öffentlichen Hinstellens. 157 An wen Paulus mit der 1. Pers. Pl. - uns Apostel - denkt, ist nicht klar. Aber die Auffassung, dass Apollos auf keinen Fall gemeint sein kann, 158 ist nicht möglich. Auch kann nicht gesagt werden, dass Paulus den Apollos nicht als Apostel bezeichnet habe. Paulus erläutert noch den Vergleich: w`j evpiqanati,ouj . VEpiqana,tioj , der zum Tod Verurteilte, kommt im NT nur hier vor. 159 Aber etwas Ähnliches begegnet in anderen Peristasenkatalogen (vgl. 2Kor 4,11.f; 6,9; 11,23). Das Bild ist an das römische Theater 160 angelehnt, wo man in einem Schauspiel ( qe,atron ) 161 auftritt. Außer in 1Kor 4,9 erscheint es nur noch in Apg 19,29.31 im NT. Die Assoziation mit qe,atron findet sich auch in Hebr 10,32-34. 162 Qeatri,zw ist dort mit vielen Peristasen verbunden: ovneidismo,j , qli/ yij , pollh.n a; qlhsin u`pemei,nate paqhma,twn (V.32) und desmi,oij (V.34). Erinnert sei auch an den Tierkampf in 1Kor 15,32, wo Paulus den Kampf mit wilden Tieren in Ephesus beschreibt. Aber es ist nicht ganz klar, ob Paulus dort an römischen Tierkampf denkt. Zuschauer dieses Schauspiels sind der Kosmos, Engel und Menschen. Der Gedanke von Kosmos und Engeln als Zuschauer von menschlichem Leiden erscheint schon im jüdischen Märtyrertum: 4Makk 17,11-16 (vgl. auch 15,20), wo Engel beim göttlichen Wettkampf mit 155 Vgl. B AUER , Wörterbuch, 635 (s.v.2); F ITZGERALD , Cracks, 136 Anm. 58. 156 Um die Ähnlichkeit zwischen Mt 25,31-46 und den Peristasen bei Paulus geht es J.R. M ICHAELS , Apostolic Hardships and Righteous Gentiles, JBL 84 (1965), 27-37. 157 So auch Z ELLER , 1Kor, zu 4,6-13. 158 Dazu M ERKLEIN , 1Kor I, 312, und W EISS , 1Kor; anders L INDEMANN , 1Kor, 106; K UCK , Judgment, 212. 159 Vgl. in LXX auch Bel et Draco 31; vgl. Dion. Hal. 7.35.3-4. 160 Dass die römischen Gladiatorenkämpfe in der römischen Kolonie Korinth bekannt waren, zeigt Dion Chrysostomus in Orationes 31.121; vgl. C.P. J ONES , The Roman World of Dio Chrysostom, LCM/ Cambridge 1978, 32. 161 Zu Qe,atron (lateinisch spectaculum) bezogen auf den römischen Gladiatorenkampf; vgl. Plin.paneg. 33.3; Sen.ep. 7.2-5; Suet.Cl. 34.2. 162 Vgl. Polyb.5.12.2; Diod. Sic. 34/ 35.2.45; Philo Flacc. 72. <?page no="94"?> 80 der Welt Zuschauer sind (ebenso äthHen 9,1). Im frühen Christentum begegnet bei Ignatius (Trall 9,1) die Vorstellung, wonach ein Engel Zeuge des menschlichen Leidens ist. Mit Kosmos und Engeln verbindet Paulus hier keine positive Bedeutung. So verwendet er Kosmos und Engel auch in den Korintherbriefen. In Röm 8,38 ist ein Engel ein Wesen, das uns von der Liebe Gottes scheidet. Kosmos und Engel sind auch Gegenstände des Gerichtes und widergöttlicher Mächte (vgl. 1Kor 6,2f.; 2Kor 12,7). Von dem negativen Klang des Kosmos spricht Paulus schon in 1Kor 1,20f.; 3,19; 11,32 usw. Eine negative Ansicht von Engeln bei Paulus kann man auch in 1Kor 6,3; 11,10; 2Kor 11,14; 12,7; Gal 1,8 finden. 163 Paulus sieht sich als Teil eines Schauspiels von Welt, Menschen und Engeln. Doch Gott steht selbst hinter diesem todgeweihten Leiden, so dass der Apostel es ertragen kann. Anders als bei Paulus verwenden Stoiker die Metapher des Kampfschauspiels: Der Wettkampf dient dazu, um die inneren Kräfte des Menschen zu erproben und zu stärken, so dass der Weise diesen Wettkampf sucht. 3.4.5 Das thematische Verhältnis von 1Kor 4,10 zu 1Kor 1,26-28 V.10 formuliert den Gegensatz mit drei Begriffspaaren, wobei h`mei/ j und u`mei/ j einander antithetisch gegenüberstehen (dreimal de, ). Dabei wird eine Präpositionsangabe ( dia. Cristo,n / evn Cristw/ | ) chiastisch (a-b, a-b, b-a) 164 ausgeführt. Der Kontrast zwischen den Aposteln und der korinthischen Gemeinde folgt aus dem Bewusstsein des Gotteshandelns in V.9. Die Existenz der Apostel ist mit mwroi,( avsqenei/ j( a; timoi umschrieben, während die Korinther als fro,nimoi( ivscuroi,( e; ndoxoi charakterisiert werden. Durch eine fast gleiche Wortbildung bindet Paulus 1,17-31 und 4,6-13 zusammen. Zugleich kontrastiert die negative Triade sofoi,( dunatoi,( euvgenei/ j mit mwra,( avsqenh/ , avgenh/ (1,27-28), wobei das Sich-Rühmen des Menschen dem Rühmen des Herren gegenübergestellt wird. So ergibt sich folgendes Bild: 163 Vgl. M. J ONES , St. Paul and the Angels, The Expositor, Eighth Series 15, 1918, 356-370, 412-425 usw. 164 Ein solcher Chiasmus ist üblich in diesen Briefen: 1Kor 3,17; 8,13; 13,2; 2Kor 4,3; 6,8; 9,6; 10,12 usw. <?page no="95"?> 81 1Kor 4,10 1Kor 1,26-28 dia. Cristo,n h`mei/ j mwroi, h`mei/ j avsqenei/ j u`mei/ j e; ndoxoi evn Cristw/ | u`mei/ j de. fro,nimoi u`mei/ j de. ivscuroi, h`mei/ j de. a; timoi mwra, avsqenh/ avgenh/ sofoi, dunatoi, euvgenei/ j In Ben Zoma’s Abot 4,1 werden vier vergleichbare Fragen formuliert: »Wer ist weise? Wer ist stark? Wer ist reich? Wer ist geehrt? « 165 Mit den vier Begriffen »weise, stark, reich, geehrt« werden weltliche Eigenschaften angesprochen, die Paulus schon bei den Korinthern kritisiert hat (4,10, auch 1,26-28). Der Begriff mwroi, in 4,10 erinnert an die Predigt von der mwra, des Evangeliums (1,18.21.23; mwrai,nw in 1,20), an die mwra, der Welt, die Gott erwählt hat (1,27) und das mwro.n tou/ qeou/ (1,25). Synonym dazu steht a; frwn in 2Kor 11,16.19, wobei angesichts der Situation in Korinth Paulus das tun muss, was vor Gott und Menschen töricht ist: sich rühmen. 166 Die Apostel sind Toren um Christi willen ( dia. Cristo,n ). 167 Paulus denkt wahrscheinlich an den Gekreuzigten (1Kor 1,18-25). Dagegen fühlen sich die Korinther in Christus ( evn Cristw/ | ) als Kluge (bzw. Weise: Man kann sich vorstellen, dass in Kap. 1-4 sich fro,nimoj und sofo,j entsprechen). Mit fro,nimoi 168 evn Cristw/ | ist das Selbstbewusstsein der Korinther umschrieben. Daraus folgt, dass Paulus in ironischer Rede spricht. Denn schon in 3,1 hatte er sie in einer ersten Charakterisierung nhpi,oij evn Cristw/ | als »Unmündige in Christus« bezeichnet. Eine ähnliche ironische Bestimmung ist in 2Kor 11,19 zu finden. VAsqenei/ j in 4,10 erinnert an to. avsqene.j tou/ qeou/ (1,25) und die avsqenh/ der Welt, die Gott erwählt hat (1,27). Die avsqenei/ j der Apostel sind angesichts der ivscuroi, in Korinth ironisch gemeint, gemäß dem Wort des Paulus in 9,22: »Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen gewinne ( evgeno,mhn toi/ j avsqene,sin avsqenh,j( i[na tou.j avsqenei/ j kerdh,sw )«. Weise, stark und berühmt beziehen sich auf das irreale Königtum in 4,8. Die reale Schwäche der Apostel als Verkündiger steht zwar im Gegensatz zur Stärke der Korinther. Aber wahre Stärke erweist sich überschwänglich bei der Verkündigung durch die Kraft Gottes (2,4f.; 2Kor 4,7). 165 Vgl. die vier Fragen des Paulus in 1Kor 1,20. 166 G. B ERTRAM , Art. frh,n ktl ., ThWNT IX (1973), 216-231, 227. 167 Vgl. 3,18: mwro.j gene,sqw( i[na ge,nhtai sofo,jÅ 168 Zum positiven Aspekt: Mt 7,24; zum negativen Aspekt bei Paulus: Röm 11,25; 12,16. Das Wort erscheint bei Paulus selten: 1Kor 4,10; 10,15; 2Kor 11,19; Röm 11,25; 12,16. <?page no="96"?> 82 Wenngleich die Korinther sich selbst als Starke verstehen, gibt es die Schwachen in der Gemeinde (8,7ff.). Dagegen sind die Apostel tatsächlich Schwache, fühlen sich aber als Starke durch die Kraft Gottes. Mit der Berühmtheit der Korinther erinnert Paulus an seine Kritik an dem Sich-Rühmen (4,7) und kontrastiert sie der eigenen Ehrlosigkeit (vgl. 2Kor 6,8). Mit a; timoi ist avtimi,a im Peristasenkatalog 2Kor 6,8 zu vergleichen, mit dem Parallelbegriff do,xa und dessen Gegenbegriff dusfhmi,a . Der Existenz der Apostel als a; timoi (4,10), loidorou,menoi( diwko,menoi (4,12), dusfhmou,menoi (4,13) entspricht seine Rede in 1,28, wonach Gott ta. avgenh/ ( ta. evxouqenhme,na( ta. mh. o; nta erwählt hat. Die Erwählung der mwra,( avsqenh/ , avgenh/ ist der Weg Gottes, damit sich kein Mensch rühme. Diese Erwählung nach dem Weg Gottes entspricht der Erfahrung als Letzte (4,9). Mwra,( avsqenh/ , avgenh/ (1,27-28) sind der Ort in den Peristasen von 4,6-13, an dem der Apostel leidet. Mit diesen Begriffen wird die Existenz der Apostel der der Korinther kontrastiert. 1Kor 1,17-31und besonders 1,31 wirkt so als Vorspiel des in 4,6-13 entfalteten Peristasenkatalogs. Paulus kritisiert mit ironischer Rede Weisheit, Stärke, Berühmtheit der Korinther, die mit ihrem Selbstverständnis nicht am Kreuzestod Jesu orientiert sind (1,23f.). Im Gegensatz dazu erinnert die apostolische Existenz mit ihrer Schwachheit, Torheit und Ehrlosigkeit an den Gekreuzigten. Für Paulus sind Torheit, Schwachheit und Ehrlosigkeit der Ort, an dem der gekreuzigte Christus verkündigt wird. 3.4.6 Allezeit Leidenserfahrungen im Aposteldienst (1Kor 4,11-12a) Die Verse 11-13 bilden eine Einheit durch ihre Inklusion mit den Zeitangaben a; cri th/ j a; rti w[raj (11) und e[wj a; rti (13). Hier geht Paulus auf das h; dh in V.8 bei den Korinthern ein. Die Verse 11-13 bringen ausführliche Peristasen des Aposteldienstes. Sechs durch kai, verbundene Verben in VV.11- 12a ( peina/ n , diya/ n , gumniteu,ein , kolafi,zesqai , avstatei/ n , kopia/ n ) werden durch eine Partizipialform ergänzt, die alle Notlagen der Apostel beschreiben. Danach folgen in VV.12b-13a drei Peristasen in Partizipialkonstruktion. Hat Paulus bisher mit einem kritisch-ironischen Unterton gesprochen, so wechselt er nun die Stimmung und zählt die konkreten Leidenserfahrungen auf. Mit der Zeitangabe »bis zur jetzigen Stunde« meint Paulus weder allein die Vergangenheit, noch nur die Gegenwart, vielmehr beschreibt er allezeit ( pa,ntote ) wie in 2Kor 4,10. Deutlich erkennbar ist eine Verbindung zwischen dem Hunger und dem Durst der Apostel ( peinw/ men kai. diyw/ men , vgl. in anderen Peristasenkatalogen: 2Kor 11,27; Röm 8,35; auch Phil 4,12) und dem Sattsein ( kekoresme,noi ) der Korinther (V.8); . 169 Zu peina/ n steht synonym limo,j in an- 169 Hunger und Durst erscheinen in biblischen Schriften häufig als Paar: Ps 106,5; Jes 5,13; Dtn 28,48; 2Chr 32,11; Mt 5,6; 25,35-37.42-44; Joh 6,35; Röm 12,20; 2Kor 11,27; <?page no="97"?> 83 deren Peristasenkatalogen (2Kor 11,27 und Röm 8,35). Die Korinther kannten vermutlich Jesusworte wie die Seligpreisung der Hungernden (Mt 5,6). 170 Hunger und Durst stehen in der Regel zusammen (vgl. auch Mt 25,35ff.), beide beschreiben einen grundsätzlichen Aspekt der Bedürfnislosigkeit in der Missionstätigkeit. Das Verb gumniteu,ein erscheint im NT nur hier, aber das Nomen gumno,thj findet sich in 2Kor 11,27. 171 Gumno,thj und limo,j stehen in Röm 8,35 und 2Kor 11,27 zusammen. Nach Epiktet lebt der Kyniker glücklich, obwohl er nichts hat, nackt ist, ohne Haus und heimatlos (diss. III 22,45). Der Kyniker nimmt die Bedürfnislosigkeit als Tugend wahr, anders aber Paulus, der die Bedrängnisse um des Gekreuzigten willen erleidet. Kolafi,zesqai ist relativ selten und fast nur in christlicher Literatur zu finden. Eigentlich bedeutet es: einen Schlag mit Faust oder Hand bzw. Ohrfeigen erhalten. 172 Nur fünfmal kommt es im NT vor und bei Paulus begegnet das Verb nur noch in dem kleinen Peristasenkatalog 2Kor 12,7 in der besonderen Kombination eines vom Satan verursachten Schlages. In vergleichbarer Weise geschieht die Misshandlung Jesu vor dem Hohen Rat (Mk 14,65; par. Mt 26,67; vgl. Joh 18,22). Vorstellbar sind konkret ausgeführte Verfolgungsmaßnahmen, die Paulus als Steinigung ( liqa,zein ) im Peristasenkatalog 2Kor 11,23ff. beschreibt, wie sie vielleicht in Apg 14,19 berichtet werden. Ferner stellt Paulus in 2Kor 11,23f. die Misshandlungen durch Schläge vor, die als offizielle jüdische und römische Bestrafungen gelten. Die Kombination von loidori,a mit Schlag durch Stein oder Faust findet sich auch in Ex 21,18. 173 Das Verbum avstate,w kommt im NT nur hier vor. Gemeint ist, dass Paulus nirgends ein Haus hat, ist er doch immer aufgrund der Missionstätigkeit unterwegs. Vergleichbar ist das Wort Jesu Lk 9,58 (vgl. Mt 8,20): »… aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege«. 174 In Jes 58,7 (LXX) stehen Heimatlosigkeit ( a; stegoj ), Hungern/ Hunger ( peina/ n / pei/ na ) und Nacktheit ( gumno,thj ) nebeneinander. Mit kopia/ n beschreibt Paulus die übliche Handarbeit, mit der man sich mit eigenen Händen den Lebensunterhalt verdient. Hier versteht er die Arbeit als Mühsal, anders als die Kyniker, die durch die Arbeit Freiheit gewinnen. 175 Als Bezeichnung der Missionsarbeit findet sich das Verb auch in 15,10; 16,16 (vgl. Röm 16,6.12; Gal 4,11; Phil 2,16; 1Thess 5,12). Im Zusammen- Apk 7,16; zu außerbiblischen Schriften vgl. Teles, II, 7,8-10; Dion Chr. 7.55; 8.16; IgnSm 6.2. 170 Dazu siehe oben 3.2.3 Die rhetorische Steigerung: Sattsein, Reichsein und Herrschen der Korinther (1Kor 4,8). 171 Im NT findet sich gumno,j öfter: bei Paulus nur in 1Kor 15,37; 2Kor 5,3; vgl. Epict.diss. III, 22,45; gumniteu, ein : Dion Chr. 25,3. 172 Vgl. B AUER , Wörterbuch, 896. 173 Vgl. die Identifikation von kolafizo,menoj mit r`apizo,menoj bei Hesychius, worauf S CHRAGE , 1Kor I, 346 Anm. 192, hinweist. 174 Vgl. Epict.diss. III 22,45: a; oikoj und a; polij ; Sen.const. 8,3: locorum commutationes. 175 Anders E BNER , Leidenslisten, 69-75, der dort Handarbeit ausführlich beschreibt. <?page no="98"?> 84 hang seiner Peristasenkataloge begegnet es nur hier. Als Substantiv ko,poj 176 steht es auch in 2Kor 11,23.27. In Verbindung mit evrga,zomai finden wir es in 1Thess 2,9, wonach Paulus gearbeitet hat, um niemandem zur Last zu fallen. Dort wird seine Handarbeit mit der Evangeliumsverkündigung verbunden. Eine gleiche Verbindung des Verbs kopia/ n mit dem Partizip evrga zo,menoi erscheint in äthHen 103,11: evkopia,samen evrgazo,menoi (aber hier Aorist). Zur grundsätzlichen Einstellung zu seiner eigenhändigen Arbeit schreibt Paulus in 1Kor 9,6. 177 3.4.7 Misshandlungen in der Missionstätigkeit des Apostels (1Kor 4,12b-13a) In den Versen 1Kor 4,12b-13a folgen drei antithetische Peristasen. Solche Antithesen sind häufig in den paulinischen Peristasenkatalogen (so 2Kor 4,8f.; 6,9f.). Von den Misshandlungen in der Missionstätigkeit redet Paulus in passiver Partizipialform, die Reaktion der Apostel ist indikativisch gefasst. Die jeweiligen Paare sind auch als Gegenbegriffe strukturiert. loidorou,menoi euvlogou/ men diwko,menoi avneco,meqa dusfhmou,menoi parakalou/ men Das Verb loidorei/ n kommt bei Paulus nur hier vor (vgl. außerpaulinisch: Joh 9,28; Apg 23,4; 1Petr 2,23). Als Adjektiv loi,doroj finden wir es in 5,11; 6,10. In 1Petr 3,9 steht loidori,a zusammen mit euvlogou/ ntej (auch mit euvlogi,a ): »Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort, sondern im Gegenteil segnet«. Vorbild dieser Handlung loidorou,menoi euvlogou/ men (Segnen auf die Schmähungen) ist eine urchristliche Forderung, sie geht auf Jesus zurück: euvlogei/ te tou.j katarwme,nouj u`ma/ j (Lk 6,28; vgl. auch Mt 5,44). 178 Paulus schreibt in dieser Tradition auch in 1Thess 5,15 und in Röm 12,14f. In der LXX wird euvloge,w dann gebraucht, wenn man Gottes gnadenreiche Kraft herabwünscht, z.B. den Segen Isaaks (Gen 27) oder Jakobs (Gen 48). Es steht dann im Gegensatz zu katara/ sqai . 179 176 Vgl. 1Kor 3,8; 15,58; 2Kor 6,5; 10,15; Gal 6,17; 1Thess 1,3; 2,9; 3,5. 177 Dort auch der Verzicht, sich von den von ihm gegründeten Gemeinden versorgen zu lassen. Nach Apg 18,2f. arbeitet er bei seinem Missionsaufenthalt in ihrer Stadt als Zeltmacher; vgl. dazu P. L AMPE , Paulus - Zeltmacher, BZ 31 (1987), 256-261. 178 D. Z ELLER , Die weisheitlichen Mahnsprüche bei den Synoptikern, FzB 17, Würzburg ²1983, 57f., 105, zeigt, dass diese mit den Jesusworten übereinstimmende Tradition weisheitliche Wurzeln hat. Vgl. auch H. B RUNNER , Altägyptische Weisheit. Lehren für das Leben, Darmstadt 1988. Nr. 17, Spruch 509. 179 B AUER , Wörterbuch, 652. <?page no="99"?> 85 Zu diw,kein finden wir in Röm 12,14 euvlogei/ te tou.j diw,kontaj (vgl. 2Kor 4,9; Mt 5,44). Paulus selbst hatte die Verfolgung der Christen bzw. der Kirche Gottes vollzogen (1Kor 15,9; Gal 1,13; Phil 3,6). In jüdischer Literatur finden wir Entsprechungen in 1Makk 5,22; Hen 99,14; Flav.Jos.Ant. 12,272. 180 In der Verfolgung reagiert Paulus nicht mit Rache, sondern durch Ausharren. 181 Dieser Situation ( diwko,menoi avneco,meqa ) begegnen wir im NT sonst nur in 2Thess 1,4. Paulus ist dieser Verfolgungssituation auch nach anderen Peristasenkatalogen ausgesetzt: 2Kor 4,9; 12,10; Röm 8,35 (vgl. auch 1Thess 2,15). Auffällig ist eine Verfolgung in Bezug auf die Beschneidung, wobei diese sowohl von judenchristlicher (Gal 4,29) als auch von heidenchristlicher Seite erfolgt (vgl. Gal 5,11; 6,12). Was Paulus hier mit avne,cesqai 182 umschreibt, charakterisiert er im Peristasenkatalog 2Kor 6,4 als u`pomonh, . Dem einmalig vorkommenden Verbum dusfhmei/ n entspricht das Substantiv dusfhmi,a (Gegenbegriff euvfhmi,a ) 183 im Peristasenkatalog 2Kor 6,8. Dieses Substantiv ist ebenfalls Hapaxlegomenon bei Paulus. In LXX begegnet das Verb nur in 1Makk 7,41 (dort Aor. 3. Pers. Pl.: evdusfh,mhsan ), substantivisch steht es in 1Makk 7,38; 3Makk 2,26. Als Variante zur Lesart dusfhmei/ n begegnet blasfhmei/ n (vgl. Röm 2,24; 3,8; 14,16). Während dus fhmei/ n sich auf die zwischenmenschliche Ebene bezieht, meint loidorei/ n dagegen eher die religiös begründete Lästerung, auf die durch Segnen geantwortet wird. 184 Böse Nachrede beantwortet Paulus mit parakalei/ n . Das Verbum findet sich sehr häufig im NT mit unterschiedlicher Bedeutung. Hier hat es wohl den Sinn »gute Worte geben« (auch »gut zureden/ freundlich zusprechen« wie Apg 16,39), anders als parakalei/ n in 1 Kor 1,10 und 4,16. 3.4.8 Die Selbsterniedrigung der Apostel (1Kor 4,13b) Am Ende fasst Paulus mit schwierigen Worten die Niedrigkeit der Apostel zusammen. Dabei handelt es sich strukturell und wörtlich um eine Angleichung an V.9 durch die Wiederaufnahme von evgenh,qhmen und ko,smoj (auch 180 B AUER , Wörterbuch, 404. 181 Dass Paulus bei Verfolgungen nicht immer ausgehalten hat, sondern auch geflohen ist, sehen wir in 2Kor 11,32f. 182 So häufig bei Epict.diss. II 12,14; III 4,12; 12,10; 21,5; vgl. auch Flav.Jos.Bell. 4,165: »Wenn man euch ausraubt, ertragt ihr es ( avne,cesqe ), und wenn man euch schlägt, schweigt ihr (…)«; vgl. auch slavHen 50,2. 183 Vgl. Dion. Hal. 6,48; Plut.mor. 587F. SIG 799, 15. 184 So L INDEMANN , 1Kor, 109, in Aufnahme einer Aussage von B RAUN , Randglossen, 191: »Das echte Gegenüber Gottes in den Leiden des Apostels bewährt sich darin, dass gerade dem Leidenden, statt seiner eigenen Bewährung, der Bruder und dessen Förderung in den Gesichtskreis tritt. (…) die Verba finita beschreiben nicht bewundernswerte Leistungen des leidenden Apostels, sondern zeigen auf, wie gerade im Bedrängtsein die Offenheit für den andern aufbricht«. <?page no="100"?> 86 w`j ). 185 Perika,qarma 186 und peri,yhma sind für die Griechen synonyme Begriffe, beide kommen nur hier im NT vor. Zum Erstgenannten gibt es in LXX nur einen einzigen Beleg in Spr 21,18, Letzterer findet sich auch nur einmal in Tob 5,19. Die Verbalform beider Wörter perikaqai,rw und periya,w meinen wörtlich, »ringsherum zu reinigen«, 187 wobei der erste Begriff seit Platon dazu gebraucht wird, sich durch Sühneriten reinigen zu lassen. 188 In LXX Dtn 18,10 begegnet er als Partizipialform im Sinne eines Sühneopfers von Sohn oder Tochter. Perika,qarma und peri,yhma bezeichnen den Unrat (auch Schmutz, Abschaum), der beim Reinigen bzw. Abwaschen abfällt. 189 Beide Wörter bezeichnen den Reinigungsprozess und bedeuten dann auch Sühneopfer (vgl. z.B. Spr 21,18) oder Lösegeld. Peri,yhma kann auch im Sinne von Sündenböcken verstanden werden. Das geschieht in LXX Tob 5,19 (vgl. Barn 4,9; 6,5), 190 wobei es als Lösegeld gebraucht wird (vgl. IgnEph 8,1; 18,1). Parallelbegriffe zu perika,qarma und peri,yhma sind avnti,yuca (eigentlich bedeutet es »statt des Lebens gegeben«; vgl. IgnEph 21,1) und avnti,lutron . Das avnti,lutron begegnet im NT nur einmal in 1Tim 2,6 im ganz klaren Sinn von Lösegeld. Trotz dieser lexikalischen und semantischen Hinweise zu diesen Begriffen ist es aus sachlichen Gründen nicht möglich, dass man hier von der Bedeutung ‚Sühneopfer‘ ausgehen kann. Nach dieser Auffassung müsste man von Sühne für die Welt bzw. für alle ausgehen, 191 aber das trifft wohl kaum den eigentlichen Sinn. Würde diese Bedeutung zutreffen, dann würde das Leiden des Paulus in Konkurrenz zu Christi Leiden treten und Paulus sich selbst christologische Wirkung zusprechen, eine Auffassung, die durch keine anderen Stellen zu belegen ist. Deshalb legt sich eigentlich nur eine Bedeutung im Sinne des Verachtetseins nahe. 192 Als Auswurf der Menschheit (vgl. Epict. III, 22,78) 193 charakterisieren beide Wörter im übertragenen Sinne verwerfliche Menschen. Nach Nilsson sind perika,qarma und peri,yhma 185 So w`j perikaqa,rmata tou/ ko,smou evgenh,qhmen( pa,ntwn peri,yhma (V.13b) und w`j evpiqanati,ouj( o[ti qe,atron evgenh,qhmen tw/ | ko,smw/ | (V.9). 186 G liest auf w`sper ( e ) i ka,qarma . Häufiger ist ka,qarma in außerneutestamentlicher Literatur benutzt. 187 Dazu siehe B AUER , Wörterbuch, 1305, perika, qarma , auch peri, yhma (1317). 188 Auch Phlegon: 257 fgm. 36,1,11 Jac. 189 Vgl. F. H AUCK , Art. kaqaro,j ktl ., ThWNT III (1938), 416-434, zu perika, qarma , a.a.O., 434, 5-20; G. S TÄHLIN , Art. peri, yhma , ThWNT VI (1959), 83-92; vgl. M. S TAROWIEYSKI , PERIKATHARMA et PERIPSEMA, Eos 78 (1990), 281-294. 190 So avrgu,rion tw/ | avrguri,w| mh. fqa,sai avlla. peri,yhma tou/ paidi,ou h`mw/ n ge,noito . 191 Diese Auffassung lehnen die meisten neueren Kommentare ab. 192 Vgl. dazu M ERKLEIN , 1Kor, 316; auch F ITZGERALD , Cracks, 142 Anm. 86; K LEIN - KNECHT , Der leidende Gerechtfertigte, 231-233. 193 Auch begegnet bei Philo virt. 274: »Er dünkt sich von allen der reichste, berühmte,… starke, verständige… Die übrigen betrachtet er als arm, ruhmlos, ehrlos, unverständig,… Kehricht ( ka,qarma )«; vgl. auch Dion Chr. 7,30 zu ka,qarma) <?page no="101"?> 87 die schlimmsten Scheltwörter der griechischen Sprache. 194 Dass sie als Schimpfwörter für verachtete Menschen gebraucht wurden, unterstützt diese Auslegung. Paulus versteht diese Aussage als Selbsterniedrigung der Apostel. Die am Ende vorgelegte Zeitangabe e[wj a; rti (vgl. auch V.11: a; cri th/ j a; rti w[raj ) streicht die Wirklichkeit der Verachteten heraus, so dass eine Interpretation im Sinne von »Sühneopfer« für die Welt bzw. für alle nicht anzunehmen ist. 195 Die parallele Struktur von V.9 und V.13 beweist, dass es in beiden Aussagen um die Realität der Verachtung der Apostel geht: Sie sind zum Schauspiel bzw. Kehricht der Welt geworden: w`j evpiqanati,ouj( o[ti qe,atron evgenh,qhmen tw/ | ko,smw| (V.9a) und w`j perikaqa,rmata tou/ ko,smou evgenh,qhmen (V.13b). Dieser Kontext bestimmt ihre Wirklichkeit (vgl. auch »Gott hat ta. mh. o; nta erwählt« in 1Kor 1,28). 3.5 Zum Umfeld des Peristasenkataloges im 1. Korintherbrief 3.5.1 Das Verständnis von Taufe und Peristasenkatalog Das dritte Verb bapti,zw in 1Kor 1,13 kommt in echten paulinischen Briefen 13-mal vor, davon zehnmal im 1. Korintherbrief, wobei es sechsmal in 1Kor 1-4 steht. 196 Einige Forscher setzen das Taufverständnis 197 im 1. Korintherbrief in Beziehung zu Apollos und verstehen 1Kor 1,10-4,21 so, dass der Konflikt in Korinth in seinem Kern eine Auseinandersetzung zwischen Paulus und der Apollospartei sei. 198 Lukas berichtet in Apg 18,24ff., dass Apollos nur von der Taufe des Johannes gewusst habe. J. Krug vermutet, dass Apollos mit diesem Taufverständnis die Parteienstreitigkeiten in Korinth auslöste und fragt deshalb, warum Paulus selbst eine unmittelbare Verbindung zwischen der Autoritätsproblematik und der Taufthematik herstellt (1,12ff.). 199 Deshalb erklärt er, dass die Johannestaufe durch jene »ekklesiologische Anspruchslosigkeit« gekennzeichnet ist, die Paulus in 1Kor zu überwinden sucht, und dass in der Taufe des Johannes der Person des Täufers eine herausragende Stellung zukommt. 200 Nach Krug ist die 194 M.P. N ILSSON , Geschichte der griechischen Religion, Bd I: Bis zur Griechischen Weltherrschaft, München 1941, 98. Dort merkt er an, dass neben beiden Worten auch das Wort farmako,j Schimpfwort ist. 195 So auch L INDEMANN , 1Kor, 110. 196 1Kor 1,13.14.15.16.17; 10,2; 12,13; 15,29; Röm 6,3; Gal 3,27. 197 Hier wird nicht ausführlich über das Thema der Taufe diskutiert, sondern es geht nur im Sinne einer Kurzskizze um die Bedeutung der Taufe für die Thematik des Peristasenkatalogs. 198 Vgl. S ELLIN , Geheimnis der Weisheit, 69-96, 70f.; vgl., M. W OLTER , Apollos und die ephesinischen Johannesjünger (Act 18,24-19,7), ZNW 78 (1987), 49-73, 66. 199 K RUG , Kraft des Schwachen, 147. 200 K RUG , Kraft des Schwachen, 147. <?page no="102"?> 88 Ursache der Krise um die sci,smata tatsächlich die Konsequenz eines mit der Johannestaufe verbundenen Autoritätsanspruchs des Apollos. 201 Aber Krugs These ist fraglich. Erstens war nach dem Bericht des Lukas in Apg 18,25 Apollos in der Lehre Jesu richtig unterwiesen. Das Problem des Apollos bestand nur darin, dass er allein von der Taufe des Johannes gewusst hat. Aber gerade in V.26 wird festgestellt, dass Aquila und Priszilla ihn zu sich nahmen und ihm den Weg Gottes genauer auslegten. Dass Apollos nur von der Johannestaufe wusste, betrifft das Geschehen in Ephesus. Erst nach der Unterweisung von Aquila und Priszilla reist Apollos nach Korinth. Zweitens begegnet im 1. Korintherbrief nirgendwo die Johannestaufe, und Paulus erwähnt sie an keiner Stelle im Zusammenhang mit Apollos. Drittens lässt sich, wie Krug gezeigt hat, nicht erkennen, dass Paulus die Taufthematik mit seiner Autorität verbunden hat, weil es sich in 1Kor 1-4 nicht um eine Apologie seiner apostolischen Autorität handelt. Wozu aber erwähnt Paulus plötzlich die Taufe nach dem Reden von der Spaltung in vier Gruppen? 202 Welches Taufverständnis hat Paulus hier im Blick? Die Funktion der Taufe ist, Verbundenheit und Einheit herzustellen. Mit dieser Funktion der Taufe zielt Paulus darauf ab, dass die von ihm gegründete korinthische Gemeinde in keiner Spaltung steht, sondern in Verbundenheit bzw. Einheit lebt. Darum taucht die Taufaussage nicht plötzlich in unlogischer Weise auf, sondern wird von Paulus von Anfang an intendiert. Die Funktion der Verbundenheit bzw. Einheit zeigt sich auch in 12,13a, wo eindeutig auf die Taufe Bezug genommen wird und bapti, zw von 1,13 wiederholt wird: kai. ga.r evn e`ni. pneu,mati h`mei/ j pa,ntej eeivj e] n sw/ ma evbapti,sqhmen . Hier ist die Taufe mit dem einen Leib verbunden, der die Einheit der Gemeinde symbolisiert. Christus ist der eine Leib, der viele Glieder hat (12,12). Durch die Dynamis seines Geistes sind alle in einen Leib hineingetauft worden, so dass die Verschiedenheiten als Juden und Griechen, Sklaven und Freie durch die Wirkung der gleichen Taufe aufgehoben sind und alle in Christus als dem einen Leib leben, dessen Glieder sie geworden sind (1Kor 12,13). Auf dem Taufakt gründen 1Kor 12,12 und Gal 201 K RUG , Kraft des Schwachen, 148. Zur Johannestaufe und Apollos vgl. W. T HIESSEN , Christen in Ephesus. Die historische und theologische Situation in vorpaulinischer und paulinischer Zeit und zur Zeit der Apostelgeschichte und der Pastoralbriefe, Heidelberg 1990 (Tübingen u.a. 1995); W OLTER , Apollos, 49-73; C.K. B ARRETT , Apollos and the Twelve Disciples of Ephesus, in: W.C. W EINRICH (ed.), The New Testament Age. Essays Honoring Bo Reicke, Macon/ GA 1984, 29-39; J. B ECKER , Johannes der Täufer und Jesus von Nazareth, BSt 63, Neukirchen-Vluyn 1972; E. K ÄSEMANN , Die Johannesjünger in Ephesus, ZThK 49 (1952), 144-154. 202 Die Taufaussage kommt in 1Kor 1,13c-17a vor und wieder in 1Kor 15,29, wo von Vikariatstaufe gesprochen wird. Zur Vikariatstaufe: E. L OHSE , Taufe und Rechtfertigung bei Paulus, KuD 11 (1965), 308-324; M. R AEDER , Vikariatstaufe in 1.Cor. 15,29? ZNW 46 (1955), 258-260; W. H EITMÜLLER , Taufe und Abendmahl bei Paulus, Göttingen 1903. <?page no="103"?> 89 3,28, auf ihm beruht auch das Sein in Christus Jesus ( ei=nai evn Cristw/ | VIhsou/ vgl. Gal 3,26), das für die paulinische Theologie im Zentrum steht. Die paulinische Taufe kommt in Verknüpfung mit eivj vor: 1Kor 12,13 eeivj e]n sw/ ma evbapti,sqhmen Röm 6,3 evbapti,sqhmen eeivj Cristo.n VIhsou/ n eivj to.n qa,naton auvtou/ evbapti,sqhmen Gal 3,27 eivj Cristo.n evbapti,sqhte Die eivj -Formel bezeugt Verbundenheit und Einheit in einem kultisch sakralen Sinn. Nach Gal 3,27 sind die Christen eivj Cristo,n getauft und folglich haben sie Christus als Kleid angezogen: »Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft worden seid, ihr habt Christus angezogen«. 203 Die Taufe auf den Namen Jesu Christi erzeugt ein Einbezogensein 204 und verbindet tief mit ihm. In der Taufe sind die Glaubenden mit Christus ( su.n Cristw/ | ), sie sind in ihn ( evn Cristw/ | ) hineingegeben worden, weil er für sie gekreuzigt ist (1Kor 1,13). Im Taufverhältnis sind alle nicht nur solidarisch oder in gleicher Aktion miteinander verbunden, sondern sie sind alle auch eine/ r ( ei-j ) in Christus (Gal 3,28). Die eine und gleiche Taufe eivj Cristo,n stellt die Gemeinde als Christusgemeinschaft her. Paulus entwickelt im Zusammenhang mit der Taufe den Gedanken von der Gemeinde als Leib Christi (Gal 3,27f.; 1Kor 12,13). In 1Kor 12,12 hebt er hervor, dass die Vielzahl und Verschiedenheit der einzelnen Christen in ihrer Einheit zusammengeschlossen ist, so wie die vielen Glieder eines Leibes einen Leib bilden. Die Beziehung von Taufe und Kreuzestod begegnet auch in Röm 6,3-8. Hier bedeutet die sakramentale Vergegenwärtigung des Kreuzestodes Christi, dass die Christen im Sakrament mit Christus mitsterben. Ist Christus für sie gekreuzigt, so sind die auf ihn Getauften mit ihm gekreuzigt, so ist ihr Leib der Sünde mit ihm gekreuzigt (Röm 6,6). Mit diesem Verständnis von der Taufe auf Christus verdeutlicht Paulus der römischen Gemeinde deren Verbindung zu Tod und Begräbnis Christi: »So sind wir nun mit ihm begraben worden durch die Taufe in den Tod« (Röm 6,4). 205 Die Taufe auf den Tod Christi bewirkt auch - gemäß der Auferweckung Christi 206 durch die Herrlichkeit des Vaters -, dass Christen in der Neuheit des Lebens wandeln (Röm 6,4). Die Taufe auf den Tod Christi ist der Zugang zur 203 Die Metapher des angezogenen Christus als Kleid kommt in Röm 13,14 vor. 204 Vgl. D. Z ELLER , Der Brief an die Römer, RNT, Regensburg 1985, 124. 205 So vielleicht nach dem Muster des frühpaulinischen Bekenntnisses 1Kor 15,3f. 206 Vgl. Kol 2,12f.; 3,1; Eph 2,5f.; 1Kor 15,3f. <?page no="104"?> 90 Partizipation am Auferstandenen. Weil Christus für sie gestorben und auferstanden ist, erfahren sie das Mitgestorbensein und Mitauferstandensein in Christus ( evn Cristw/ | ). Dadurch sind sie mit Christus eins geworden. Die Taufe ist der Ort, an dem dieses Wesen der Gemeinde, ihre Einheit in Christus, konkret erfahrbar wird. 207 Paulus betrachtet die Taufe als Schwerpunkt seiner Theologie, die den gekreuzigten Christus verkündigt als Offenbarung Gottes. Wie 1Kor 12, Gal 3 und Röm 6 zeigen, ist die Funktion der Taufe die Einheit der Gemeinde, die aufgrund von Taufe und Eucharistie Leib Christi ist. Durch den in der Taufe vermittelten Kreuzestod, den Christus für uns gestorben ist (1Kor 1,13), ist die Gemeinde evn Cristw/ | eins geworden. Dass Paulus kaum jemanden getauft hat, bedeutet, dass es keine größere Gruppe gibt, die ihm dadurch verbunden wäre. Hierdurch kritisiert er die Spaltung der Gemeinde, weil die Korinther keine Zugehörigkeit zu Paulus (bzw. zu anderen Aposteln) haben sollen, sondern zu Christus. Wichtig ist, dass die Taufe im Zusammenhang mit der Verkündigung des Evangeliums vom Kreuz Christi her verstanden wird (1Kor 1,17). Der Sinn von 1Kor 1,17 »Christus hat mich nicht ausgesandt zu taufen, sondern das Evangelium zu verkündigen« besteht nicht darin, dass es nicht wichtig war zu taufen, sondern dies soll die Taufe recht verstehen lehren: Christus als Gekreuzigten und die Christen als Getaufte auf Christus. Daher ist die Gemeinde als Leib Christi verbunden. Dies ist der Grund, warum Paulus nach dem Bericht über Schismata und vier Gruppen plötzlich von der Taufe (1,13c-17a) und dem Kreuzeslogos (1,17ff.) redet. Wie die Taufe der Ort ist, an dem er mit Christus als Gekreuzigtem verbunden ist, so leidet Paulus um des gekreuzigten Christus willen. In diesem Sinne ist der Peristasenkatalog der Ort, an dem das Mitleiden mit dem Gekreuzigten erfahrbar wird. 3.5.2 Das Verständnis von Herrenmahl und Peristasenkatalog In 1Kor 11,18f. kommen erneut sci,smata , die schon in 1Kor 1,10 betont werden, und zudem ai[resij 208 vor. Der Begriff sci,smata kommt in den paulinischen Briefen nur im 1. Korintherbrief dreimal vor: 1Kor 1,10; 11,18; 12,25. Alle Stellen beziehen sich auf die Einheit der Gemeinde. Nach der Erwähnung des Schismas redet Paulus vom Herrenmahl (1Kor 11,23-26) 209 und auch damit zielt er auf die Einheit der Gemeinde. Dies entspricht 1Kor 207 U. W ILCKENS , Eucharistie und Einheit der Kirche. Die Begründung der Abendmahlsgemeinschaft im Neuen Testament und das gegenwärtige Problem der Interkommunion, KuD 25 (1979), 67-85, 74. 208 Statt sci,smata und ai[resij kommen in 1Kor 1,10-11 sci,sma und e; ridej vor. 209 Hier wird nicht ausführlich über das Thema des Herrenmahls diskutiert, sondern nur eine Kurzskizze über die Bedeutung des Herrenmahls für die Thematik der Peristasenkataloge gegeben. <?page no="105"?> 91 1,10f., wo er angesichts des Schismas von der Bedeutung der Taufe für die Einheit der Gemeinde redet. Beide Hinweise auf die Sakramente dienen also der Gemeindeeinheit. Der Gemeinschaftscharakter des Mahls ist schon in der hellenistischen Umwelt bekannt. Bei Paulus ist neu, dass er theologisch argumentiert. Die Paradosis in 11,23-25 wird von Paulus in 11,26 zusammengefasst: Er verkündet sowohl im Herrenmahl wie auch in der Taufe den Tod des Herrn. In der Verknüpfung mit diesem Gedächtnis ( avna,mnhsij ) interpretiert er beide neu. Markus und Matthäus bringen nicht die Wendung eivj th.n evmh.n avna,mnhsin , die in der paulinischen Herrenmahlpassage steht. Lukas bringt sie nur einmal beim Brotwort (Lk 22,19), Paulus aber hat sie zweimal, bei Brot- und Kelchwort (1Kor 11,24c.25c). Warum schreibt Paulus zweimal eivj th.n evmh.n avna,mnhsin ? 210 Für ihn ist wichtig, dass beide, Brot- und Kelchwort, im Herrenmahl dem Gedächtnis dienen. Denn das Brotwort steht im Zusammenhang mit dem Verb meme,ristai (in der ersten Frage in 1Kor 1,13) und das eine Brot, das gebrochen und unter die vielen verteilt wird, ist der Leib Christi und dient zum Gedächtnis an die Gemeinde als Leib Christi. Der Akt des Brotbrechens weist auf den Leib, der im Begriff steht, für sie (am Kreuz) dahingegeben zu werden. Die Verbindung zum Kelchwort ist mit dem Verb evstaurw,qh (in der zweiten Frage) gegeben. Das Blut, das ausgegossen und unter die vielen verteilt wird, ist Blut Christi und dient zum Gedächtnis an den Gekreuzigten (vgl. auch 1Kor 1,23; 2,2). Der Kelch bedeutet den neuen Bund, der aufgrund des am Kreuz vergossenen Blutes gegründet wurde. Das Essen des Brotes und das Trinken aus dem Kelch im Herrenmahl, beides sakramentalen Akte, vergegenwärtigen den Kreuzestod Jesu. 211 Beide Akte verkündigen (11,26) den Tod Christi und erinnern gegenwärtig daran. Paulus votiert also: So wie Christus das Kreuz überwunden hat, so sind auch die korinthischen Spaltungen durch die Anamnesis des Herrentodes zu überwinden. Deshalb führt das Herrenmahl alle, die daran teilhaben, zur Einheit zusammen. Paulus geht es also um Gemeinde und Gemeinschaft. 210 Eivj avna,mnhsin kommt in der LXX nur viermal vor, auch findet sich unter dem alttestamentlich-jüdischen Material keine Stelle, die sich auf eine einzelne Person bezieht. Daher spricht Klauck davon, dass ein Gedächtnismahl dem hellenistischen Stiftungsmahl entspricht; vgl. K LAUCK , Gemeinde, 324, der auf die Nähe des Herrenmahls mit Brot und Kelch zu den Trauerbräuchen in Jer 16,7 hinweist. Ein Gedächtnismahl im Totenkult findet sich auch in koreanischer Tradition: Jedes Jahr am Tag des Toten sammeln sich die betroffenen Menschen zu einem Zeremoniell vor dem Gedächtnismahltisch, danach essen und trinken sie gemeinsam beim Gedächtnismahl. 211 H.-J. K LAUCK , Herrenmahl und hellenistischer Kult. Eine religionsgeschichtliche Untersuchung zum ersten Korintherbrief, NTA NF 15, Münster 1982, 368-371, spricht von »kommemorative(r) Aktualpräsenz«. <?page no="106"?> 92 Die andere Stelle, in der das Herrenmahl thematisiert wird, begegnet in 1Kor 10,16-21. Auch dort handelt es sich um Koinonia im Herrenmahl. An dieser Stelle kommt koinwni,a viermal vor und mete,cein (»Teilhabe an«) zweimal. Die Griechen haben Koinonia in der Sakralsprache verwendet. Es finden sich Belege, in denen Koinonia die enge Gemeinschaft mit der Gottheit beim Opfermahl umschreibt. Paulus schreibt in V.16 koinwni,a tou/ ai[matoj tou/ Cristou/ und koinwni,a tou/ sw,matoj tou/ Cristou/ . Welche Bedeutung haben für Paulus koinwni,a des Leibes Christi und koinwni,a des Blutes Christi? Koinwni,a mit Genitiv in 10,16 könnte man entweder als Gemeinschaft mit oder Teilhabe am Leib und Blut des Herrn interpretieren. Im Blick auf 10,18.20 kann es hier Gemeinschaft mit bedeuten. Der Hauptakzent liegt dabei in 10,16 auf der personalen Gemeinschaft mit Christus, dem gekreuzigten Herrn. Sein Leib wurde am Kreuz dahingegeben, sein Blut am Kreuz vergossen. Entsprechend werden gemäß 10,16 die Herrenmahlteilnehmer in die Gemeinschaft mit dem Todesleib Christi gestellt. Das Gemeinschaftsverhältnis gründet also in der Zugehörigkeit zum Leibe Christi. Es wird noch darauf hingewiesen, dass die koinwni,a der Gemeinde im Sakrament pneumatisch ermöglicht und vermittelt wird (vgl. 1Kor 12,13). So bleibt die Möglichkeit, dass die Christen im Sakrament am Tod Christi teilnehmen (Röm 6,3f.): Sie sterben mit Christus (Röm 6,8). Dieser Gemeinschaft schaffende Akt weist auf den neuen Bund 212 hin (1Kor 11,25). Das Bild der Gemeindeeinheit als Leib des Christus steht in 10,17: o[ti ei-j a; rtoj( e]n sw/ ma oi` polloi, evsmen( oi` ga.r pa,ntej evk tou/ e`no.j a; rtou mete,comen . Hier liegt der ekklesiologische Leib-Christi-Begriff 213 vor, der von Paulus in Kap. 12 in dem bekannten Leib-Gleichnis weitergeführt wird. Der Übergang von V.16 zu V.17 beweist, dass Paulus sein Gemeindemodell vom sakramentalen Geschehen aus entwickelt. Durch das dreimal genannte eins zielt er auf das Einsgewordensein der korinthischen Gemeinde und interpretiert die Gemeinde vom Herrenmahl als ihrem Einheitsprinzip. Wie wir schon in 1Kor 10,16-21 gesehen haben, redet Paulus von einer Koinonia mit dem Kreuzesleib bzw. mit dem Todesleiden Christi. Für ihn bedeutet diese Gemeinschaft, dass er in seinem eigenen Leben den Tod 212 Paulus erwähnt h` kainh. diaqh,kh nur in den Korintherbriefen zweimal: 1Kor 11,25 im Herrenmahl und 2Kor 3,6, wo es hinsichtlich seines Amtes vorkommt (»die Diener des neuen Bundes: dia,konoi kainh/ j diaqh,khj «). 213 W ILCKENS , Eucharistie, 75, vermutet hinsichtlich des Ursprungs des paulinischen Gedankens von der Kirche als dem Leib Christi, dass Paulus das Bild vom Organismus aus der zeitgenössischen Stoa übernommen hat, wo es bekanntlich ebenso sozialethisch ausgewertet worden ist wie in 1Kor 12,14. <?page no="107"?> 93 Christi offenbart. Er trägt das Leiden Christi an seinem eigenen Leben, wie er es in 2Kor 4,10f. im Peristasenkatalog formuliert. Für Paulus entspricht seine Leidensexistenz dem Kreuzesleiden Christi (1Kor 4,11-13 und seine anderen Peristasenkataloge). In der Erinnerung an den Tod Christi als u`pe.r u`mw/ n , der das Sich-für-andere-Dahingeben charakterisiert, interpretiert Paulus das zwischenmenschliche Verhalten: Wir, die vielen, sind ein Leib, denn wir alle haben teil an dem einen Brot (1Kor 10,17). Paulus leitet aus der Brothandlung die Einheit der Gemeinde ab, und Christus verbindet durch seine sakramentale Gegenwart im Herrenmahl alle Teilnehmer zu dem einen Leib der Gemeinde. Im Herrenmahl wird für Paulus deutlich, dass zwischenmenschliches Verhalten auf Verbundenheit und Einheit der Gemeinde zielt und nicht auf Spaltung bzw. Zerrissensein. Paulus fasst beide Sakramente in 1Kor 12,13 in einem Satz zusammen: »Denn wir alle wurden in einen Geist in einen Leib hineingetauft (…) und wir wurden alle mit einem Geist getränkt«. Die erste Aussage zielt eindeutig auf die Taufe, die zweite möglicherweise eher auf das Herrenmahl. 214 In gleicher Weise findet sich das typologische Nebeneinander von Taufe und Herrenmahl in 1Kor 10,2-4, wobei von bapti, zw (V.2) und pneumatiko.n brw/ ma und pneumatiko.n po,ma (In VV.3-4 kann an das Herrenmahl gedacht werden) geredet wird. Indem Paulus Taufe und Herrenmahl zusammenbringt, hebt er auch hier die Einheit der Gemeinde hervor. Die dritte Schismata-Stelle im Korintherbrief liegt in 12,25 vor. Wie in 1,10 bezieht Paulus sci,sma evn tw/ | sw,mati auf die Gemeinde als Leib Christi. Indem er den Korinthern das Bild der Gemeinde als Leib des Christus ins Gedächtnis zurückruft, redet er davon, dass die Gemeinde nicht zerteilt sein soll und sie gemäß dem Bild von der Einheit des Leibes in Christus gestaltet wird. Denn wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit (1Kor 12,26). Beim Reden vom Kreuzestod Christi verwendet Paulus das Perfekt evstaurwme,non in 1Kor 1,23 und 2,2, d.h., der Kreuzestod ist nicht aoristische Vergangenheit, sondern charakterisiert die perfektische Gegenwart. 215 Die Verkündigung des Gekreuzigten (1,23; 2,2) ist vergegenwärtigt durch die sakramentale Handlung in der Gemeinde (11,26). Der Peristasenkatalog von 1Kor 4,9 ist bei Paulus Realpräsenz des Kreuzestodes bzw. des Leidens Christi. Es ist also kein Zufall, dass Paulus das Herrenmahl im 1. Korintherbrief thematisiert: Für ihn ist es wichtig aufgrund des Zusammenhangs von Herrenmahl und Peristasenkatalog. Die Verkündigung der Anamnesis 214 In der ersten Aussage bezeichnet der Leib den Christus selbst, heißt es doch »Getauftwerden auf Christus«. Die zweite Aussage e]n pneu/ ma evpoti,sqhmen entspricht möglicherweise pneumatiko.n po,ma in 10,4. 215 Vgl. P. L AMPE , Das korinthische Herrenmahl im Schnittpunkt hellenistisch-römischer Mahlpraxis und paulinischer Theologia Crucis (1Kor 11, 17-34), ZNW 82 (1991), 183- 213, 209. <?page no="108"?> 94 des Kreuzestodes im Herrenmahl liegt in der tieferen Beziehung auf das Leiden Christi. Paradosis bedeutet bei Paulus die Vergegenwärtigung des Kreuzestodes bzw. des Gekreuzigten (2,2). Es bleibt so, obwohl die Korinther meinen, das Kreuz überwunden und hinter sich gelassen zu haben (vgl. 1Kor 4,8). In 1Kor 4,8 kritisiert Paulus im Peristasenkatalog die Korinther, für die im Sattgewordensein bzw. Reichgewordensein das Kreuz nicht mehr gegenwärtig ist. Denn es bleibt, solange die eschatologische Erwartung Christi gilt (1Kor 11,26). 3.5.3 Herrenmahl -Taufe - Peristasenkatalog Paulus verkündigt durch Taufe und Herrenmahl die Einheit der korinthischen Gemeinde. Für ihn verpflichten beide Sakramente den einzelnen Christen zur gegenwärtigen Liebe, in der sich das Leben der Gemeinde als des einen Leibes Christi wesenhaft vollzieht. Darin steht die Liebe Gottes, die sich in der Hingabe Christi Leibes für alle verwirklicht und die in der Auferweckung des für uns Gekreuzigten ihre überlegene Kraft erwiesen hat (1Kor 1,18). Wichtig ist die Vergegenwärtigung der beiden Sakramente. Mit der Taufe und im Herrenmahl behandelt auch der Peristasenkatalog den Tod Christi, d.h. der Peristasenkatalog bezieht sich auf den Tod Christi, in ihm wird dessen Leiden präsent. Gemeinsam sind Taufe, Herrenmahl und Peristasenkatalog die Vergegenwärtigung des Kreuzestodes Christi (Röm 6,3f.; 1Kor 11,26; 2Kor 4,10ff. u.ä). Taufe, Herrenmahl und Peristasenkatalog sind die wichtigen Elemente bei Paulus für die Einheit der von ihm gegründeten Gemeinde aufgrund des Kreuzestodes Christi, seines Apostelsamtes und der Verkündigung des Evangeliums. So geben für Paulus die am Anfang stehenden drei Verben meme,ristai , evstaurw,qh , evbapti,sqhte als Einleitungsworte die Thematik von 1Kor 1-4 vor. Das erste Wort meme,ristai steht für das Herrenmahl, das dritte Wort evbapti,sqhte für die Taufe. Das dazwischenstehende Wort evstaurw,qh hat beide Sakramente, Taufe und Herrenmahl und den paulinischen Peristasenkatalog, zum Inhalt, der im Zentrum der Polemik von 1Kor 1-4 steht. Die drei rhetorischen Fragen des Paulus in 1Kor 1,13 kann man im folgenden thematischen Schema darstellen: <?page no="109"?> 95 Leitwort für das Herrenmahl Leitwort für die Taufe m meme,ristai evbapti,sqhte evstaurw,qh Inhalt von Herrenmahl, Taufe und Peristasenkatalog 3.6 Fazit Das Wort vom Kreuz - locus classicus reformatorischer Theologie - dient in 1Kor 1-4 dazu, die Spaltung der korinthischen Gemeinde zu klären. Dieser Abschnitt ist also keine Apologie des Apostolats des Paulus gegen seine Gegner - schon gar nicht gegenüber Apollos -, sondern eine Auseinandersetzung mit den aufgeblasenen Korinthern. Thema ist auch nicht eine Weisheitstheologie, gemäß der sich die korinthische Gemeinde über die Frage des Besitzes von Weisheit spaltet. Denn Paulus bezeichnet seine Gegner nicht als Sophisten. In 1Kor 1,12-3,23 werden Kreuzeslogos und Weisheitslogos deshalb gegenüber gestellt, um die Zugehörigkeit aller Korinther zum gekreuzigten Christus und nicht die Zugehörigkeit zu Paulus, Apollos oder Kephas als entscheidendes Kriterium und Band der Einheit herauszuarbeiten (vgl. u`mei/ j de. Cristou/ in 3,23). Der Argumentationsgang des Paulus im Peristasenkatalog 4,6-13 zielt darauf, die Differenz zwischen dem Selbstbewusstsein der Korinther und der apostolischen Wirklichkeit zu charakterisieren. Seine mit den drei Verben meme,ristai , evbapti,sqhte , evstaurw,qh schon in 1,13 beginnende Argumentationen zielt auf die Einheit der Gemeinde, die in Spaltung ( sci,sma 1,10) lebt. Indem Paulus die drei Verben jeweils mit Herrenmahl, Taufe und Kreuzestod Jesu verbindet, zeigt er deren Funktion für die Gemeindeeinheit auf. Das perfektische Verb evstaurwme,non (1,23; 2,2) ist Ausgangspunkt sowohl von Taufe und Herrenmahl als auch der paulinischen Peristasen. Wichtig ist die Vergegenwärtigung der beiden Sakramente. Wie Taufe und Herrenmahl behandelt auch der Peristasenkatalog den Tod Christi, d.h. in ihm wird das Leiden präsent. Verstanden werden Taufe, Herrenmahl und Peristasen als Vergegenwärtigung des Kreuzestodes Christi (Röm 6,3f.; 1Kor 11,26; 2Kor 4,10ff. u.ä). Taufe, Herrenmahl und Peristasenkatalog sind die verbindenden Elemente bei Paulus für die Einheit der von ihm gegründe- <?page no="110"?> 96 ten Gemeinde durch ihren gemeinsamen Bezug auf den Kreuzestod Christi, der sein Apostolat und die Verkündigung des Evangeliums konstituiert. Der Gekreuzigte und sein Leiden sind die zentralen Motive des paulinischen Peristasenkataloges. Die Peristasen werden so wie in 1Kor 4,9 zum Ort für die Realpräsenz des Kreuzestodes bzw. des Leidens Christi. Die Leiden des Paulus erinnern wie die sakramentale Handlung in der Gemeinde (11,26) an die Leiden Christi. Der Peristasenkatalog hat deshalb die gleiche Funktion wie die sakramentalen Handlungen, den Kreuzestod Christi zu vergegenwärtigen und dadurch zur Einheit der Gemeinde beizutragen. Das Motiv aller seiner Leiden ist dia. Cristo,n (4,10a), was im Peristasenkatalog 2Kor 4,7-15 noch deutlicher zum Ausdruck gebracht wird. Dort unterstreicht der sechsmalige Bezug auf Jesus, dass seine leidende Existenz als Verkündigung des Gekreuzigten zu verstehen ist. In unserem Text dienen die Leiden als Vergleich zwischen den Korinthern und den Aposteln. Paulus kritisiert das fusiou/ sqai bzw. kauca/ sqai , weil das Sich-Rühmen nur für den Herrn gelten kann (1,31) und nicht für die Menschen (3,21). Er stellt sich damit gegen die Reichgewordenen, Sattgewordenen und Aufgeblasenen, die schon jetzt die eschatologische Vollendung zu leben suchen. Für ihn ist dagegen jetzt Zeit des Leidens. Die Apostel leiden jetzt, so wie Christus schon gelitten hat. Deswegen kritisiert Paulus die Hochstimmung der Korinther ironisch und stellt ihr das Verachtetsein der Apostel in Niedrigkeit gegenüber. Durch die Peristasen der Apostel beschämen sich die Korinther gegenüber ihrer Hochstimmung (vgl. die paradoxe Aussage des Paulus in 1Kor 4,14). Das Wort evvntre,pw ist hier Hapaxlegomenon bei Paulus. Wenngleich Paulus Welt, Menschen und Engeln als Schauspiel dient, kann er dennoch ausharren, denn Gott hat ihm diesen letzten Platz zugewiesen. 216 Dass der Apostel als Kehricht der Welt erscheint, ergibt sich aus der realistischen Betrachtung seiner Existenz in der Welt. Dass das Aushalten in Niedrigkeit und Bedürftigkeit aus der Kraft Gottes kommt, der Christus aus dem Tod erweckt hat, wird dann im Peristasenkatalog 2Kor 4,7-15 noch klarer. 217 Der Peristasenkatalog 1Kor 4,6-13 steht also im Zusammenhang der Spaltung. Er zielt darauf, die Einheit der korinthischen Gemeinde wieder herzustellen. Die Korinther werden durch ihr Hochgefühl gespalten. Dagegen sind die Apostel in ihrer verachteten Existenz Schauspiel und Kehricht. Aber das geschieht um des gekreuzigten Christus willen (4,10a). Paulus appelliert also an die Korinther, ihn nachzuahmen (4,16). Aber was für eine Nachah- 216 Anders die Stoiker: Für sie hat Gott Peristasen zur Prüfung gegeben. Die Stoiker meinen, dass man im Wettkampf wahre Kraft gewinnen soll. Dazu verweist Z ELLER , 1Kor, auf Seneca ep. 41,4f., der sagt: »In der Fähigkeit des menschlichen Geistes, über allen Fährnissen zu stehen, offenbart sich eine göttliche Macht«. 217 Auch dies unterscheidet Paulus von den Stoikern. <?page no="111"?> 97 mung wäre dies? Es ist eine Einladung an die Korinther zur Teilnahme am Leiden Christi (Phil 3,10). Terminologisch steht Paulus mit diesem Peristasenkatalog sowohl in kynisch-stoischer als auch in apokalyptischer Tradition. Zudem ist mit Recht darauf hingewiesen worden, dass in den Peristasen auch ein Jesuswort anklingt. Entscheidend ist dabei die theologische Deutung, die Paulus diesen Traditionen gibt: mit ihnen wird die Zugehörigkeit zum gekreuzigten Christus zum Ausdruck gebracht, die dem leidenden Apostel die Kraft zum Aushalten gibt! <?page no="113"?> Teil III Die Peristasenkataloge im 2. Korintherbrief <?page no="115"?> 101 4 Der Schatz in irdenen Gefäßen: Der Peristasenkatalog 2Kor 4,7-15 4.1 Strukturschema des Textes 7 : Ecomen de. to.n qhsauro.n tou/ ton evn ovstraki,noij skeu,esin( i[na h` u`perbolh. th/ j duna,mewj h= | tou/ qeou/ kai. mh. evx h`mw/ n\ 8 evn panti. qlibo,menoi avllV ouv stenocwrou,menoi( avporou,menoi avllV ouvk evxaporou,menoi( 9 diwko,menoi avllV ouvk evgkataleipo,menoi( kataballo,menoi avllV ouvk avpollu,menoi( 10 pa,ntote th.n ne,krwsin tou/ V VIhsou/ evn tw/ | sw,mati perife,rontej( i[na kai. h` zwh. tou/ VVIhsou/ evn tw/ | sw,mati h`mw/ n fanerwqh/ |Å 11 avei. ga.r h`mei/ j oi` zw/ ntej eivj qa,naton paradido,meqa dia. V VIhsou/ n( i[na kai. h` zwh. tou/ VVIhsou/ fanerwqh/ | evn th/ | qnhth/ | sarki. h`mw/ nÅ 12 w[ste o` qa,natoj evn h`mi/ n evnergei/ tai( h` de. zwh. evn u`mi/ nÅ 13 : Econtej de. to. auvto. pneu/ ma th/ j pi,stewj kata. to. gegramme,non evpi,steusa( dio. evla,lhsa( kai. h`mei/ j pisteu,omen( dio. kai. lalou/ men( 14 eivdo,tej o[ti o` evgei,raj to.n ku,rion VVIhsou/ n kai. h`ma/ j su.n V VIhsou/ evgerei/ kai. parasth,sei su.n u`mi/ nÅ 15 ta. ga.r pa,nta diV u`ma/ j( i[na h` ca,rij pleona,sasa dia. tw/ n pleio,nwn th. n euvcaristi,an perisseu,sh| eivj th.n do,xan tou/ qeou/ Å <?page no="116"?> 102 4.2 Der Kontext von 2Kor 4,7-15 Dieser erste Peristasenkatalog im 2. Korintherbrief steht innerhalb der so genannten 1. Apologie (2Kor 2,14-7,4) 1 , in der Paulus seinen Aposteldienst darstellt (ohne den Einschub 6,14-7,1). 2 Während Paulus in 2,14-4,6 diesen Dienst hinsichtlich seiner Person anspricht (den Dienst im neuen Bund, 2Kor 3,4-4,6), geht es ihm ab 4,7 um den Inhalt der apostolischen Predigt. Der Text 2Kor 4,1-6 bildet den Abschluss der Rede des Paulus zur Diakonia im neuen Bund (3,4f.). Dem Abschnitt folgt in 2Kor 4,7-15 eine neue Thematik, in der Paulus erstmals seine Leiden im 2. Korintherbrief ausführt. Vor diesem Peristasenkatalog charakterisiert Paulus seinen Dienst in 3,4ff. als Dienst des neuen Bundes. Dann folgt seine neue diakoni,a als Dienst des Geistes, dem der Dienst des Todes gegenübergestellt ist (3,7f.); dem Dienst der Gerechtigkeit kontrastiert der Dienst der Verdammnis (3,9). Ein Überblick zeigt: 3,6 diako,nouj kainh/ j diaqh,khj ouv gra,mmatoj avlla. pneu,matoj 3,7f. diakoni,a tou/ qana,tou diakoni,a tou/ pneu,matoj 3,9 diakoni,a th/ j katakri,sewj diakoni,a th/ j dikaiosu,nhj 5,18 diakoni,a th/ j katallagh/ j (4,1) ( e; contej th.n diakoni,an tau,thn ) Es ist kein Zufall, dass Paulus zwischen diesem und dem zweiten Peristasenkatalog 6,3-10 seinen Dienst als Dienst der Versöhnung (5,11-21) 1 Vor allem von der amerikanischen Exegese und neueren deutschen Forschung wird 2Kor 1-9 als Versöhnungsbrief charakterisiert. Eine Untersuchung, die die Einheit von 2Kor 1-7 einleuchtend darzustellen versucht, steht unter dem Zeichen der Briefgattungsforschung. L.L. B ELLEVILLE , A Letter of Apologetic Self-Commendation: 2 Cor 1: 8-7: 16, NT 31 (1989), 142-163, nimmt dabei den Begriff »Apologie« als Gattungsbezeichnung auf. In alter Tradition setzten deutsche Exegten den Versöhnungsbrief zeitlich nach dem »Tränenbrief« 2Kor 10-13 an (vgl. A. H AUSRATH , Der Vier- Kapitel-Brief des Paulus an die Korinther, Heidelberg 1870). 2 Vgl. K.W. N IEBUHR , Die Paulusbriefsammlung, in: D ERS . (Hg.), Grundinformation Neues Testament. Eine bibelkundlich-theologische Einführung, UTB 2108, Göttingen 2000, 224f. Den Abschnitt 6,14-7,1 versteht P. V IELHAUER , Geschichte der urchristlichen Literatur. Einleitung in das Neue Testament, die Apokryphen und die apostolischen Väter, Berlin u.a 1975 (Nachdruck 1978), 153, als eine unpaulinische Interpolation. <?page no="117"?> 103 entfaltet. Dienst der Versöhnung ( diakoni,a th/ j katallagh/ j ) ist für ihn ein zentrales Element in seinem Apostolat, was die Auseinandersetzung mit seinen Gegnern und die Erbauung der korinthischen Gemeinde betrifft. Versöhnung ist grundlegend nicht allein für sein Apostolat, sondern auch für seine Theologie. Die diakoni,a wirkt sowohl als Leitwort von Kap. 3 als auch der Kap. 4-6. Auffällig ist, dass auch der Peristasenkatalog 6,3-10 mit diakoni,a beginnt (vgl. dazu 6,3f.). Dieser Begriff taucht deshalb so oft auf, weil der Apostel beide Peristasenkataloge (2Kor 4,7-15; 6,3-10) auf seinen apostolischen Dienst bezieht. In Kap. 7 wird die Beziehung zwischen dem Apostel und der Gemeinde erläutert: mitzusterben und mitzuleben ( eivj to. sunapoqanei/ n kai. suzh/ n , 7,3). Von Anfang an charakterisiert Paulus - beginnend mit dem Lobspruch im Präskript (1,3-11) - seinen Aposteldienst durch Bedrängnis und Leiden: Dort kommen qli/ yij / pa,qhma achtmal (einschließlich Verb), parakalei/ n / para,klhsij zehnmal vor. Bedrängnis und Trost in 7,4-7 umfassen einen großen Teil der Kap. 1-7. Dieser Peristasenkatalog (wie auch der Peristasenkatalog 6,3-10) steht im Zusammenhang mit dem Aposteldienst. Dabei ist die Leitfrage: Wer ist zu solchem Dienst fähig (2,16)? Und wie zeigt sich solche Fähigkeit? Sie wird von Paulus so beantwortet, dass ihm seine Fähigkeit zum Apostolat von Gott zugeteilt wurde (3,5f.; vgl. 1Kor 4,9), was sich in den Geisterfahrungen der korinthischen Gemeinde gezeigt hat (3,1-18). Dieser Aposteldienst wird durch »Habe-Formeln« deutlicher charakterisiert. Diese strukturieren den Zusammenhang von Kap. 3 und Kap. 4, wie oft bemerkt wurde: 3 3,4 pepoi,qhsin de. toiau,thn e; comen 3,12 e; contej ou=n toiau,thn evlpi,da 4,1 e; contej th.n diakoni,an tau,thn 4,7 e; comen de. to.n qhsauro.n tou/ ton 4,13 e; contej de. to. auvto. pneu/ ma th/ j pi,stewj 3 Der Begriff »Habe-Formel« wird schon von K LAUCK , Gemeinde, 247, gebraucht; er geht zurück auf K. P RÜMM , Diakonia Pneumatos. Der zweite Korintherbrief als Zugang zur apostolischen Botschaft, Bd. I-II/ 1.2, Rom 1960-1967, hier II/ 1, 61-67; vgl. auch die anderen Stellen: oivkodomh.n evk qeou/ e; comen (5,1); e; contej kai. pa,nta (6,10); tau,taj ou=n e; contej ta.j evpaggeli,aj (7,1) sowie die in der Struktur vergleichbare Weiterführung der »Habe-Formeln« zu »Wissens-Formeln«: 5,1 ( oi; damen ); 5,6 ( eivdo,tej ); 5,11 ( eivdo,tej ). <?page no="118"?> 104 Wenn Paulus in 4,1 sagt e; contej th.n diakoni,an tau,thn , was versteht er dann unter diesem Dienst? Er beschreibt seinen Aposteldienst als Dienst des neuen Bundes (3,6), des Geistes und der Gerechtigkeit (3,8f.); diese Dienste sind für ihn Dienst der Versöhnung (5,18). In Kap. 3 sieht er diesen Aposteldienst im Zusammenhang der Herrlichkeit ( do,xa ). In 3,7-11.18 (in nur sechs Versen) kommt do,xa substantivisch elfmal vor, in V.10 verbal noch zweimal (vgl. in Kap. 4 auch viermal). 4 Dieser Dienst des neuen Bundes entstammt der Doxa, die in seiner diakoni,a übermächtig ist. Aus diesem Grund muss Paulus in seinem Aposteldienst nicht verzagen, was durch die Inklusionen von 4,1 und 4,16 unterstrichen wird: 4,1 dia. tou/ to ouvk evgkakou/ men 4,16 dio. ouvk evgkakou/ men Durch die Wiederaufnahme von 4,1 in 4,16 verdeutlicht Paulus: Seine Peristasen in 4,7-15 erträgt er durch die Kraft Gottes und die Doxa des Dienstes im neuen Bund. Dieser gründet nicht in der Kraft eigenen Bemühens und eigener Befähigung, sondern er ist von Gott bestimmt. Wenn auch durch die Leiden sein äußerer Mensch aufgerieben wird, so wird doch der innere Mensch Tag für Tag durch die Kraft Gottes erneuert (4,16). Das Stichwort Herrlichkeit, das 4,1-6 bestimmt, taucht wieder am Ende des Peristasenkatalogs 4,7-15 auf. Theologisch noch gewichtiger klingen die Diakonos/ Diakonia-Aussagen in den Kap. 3 und 5. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass der Konzeption vom Dienst des neuen Bundes im Gesamtkontext von 3,4-4,6 - erst recht im Zusammenhang von 2,14-7,4 - nur ein relatives Gewicht zukommt. Paulus entfaltet sie ausschließlich im Blick auf die diesem Dienst zukommende Doxa, die die vergängliche Doxa des Mose unvergleichlich übertrifft, auch wenn sie unsichtbar ist. Ihm geht es vielmehr um sein Verhalten, welches dem - in gewissem Sinne unlauteren Verhalten des Mose - entgegengesetzt ist: »Da wir eine solche Hoffnung haben, verfahren wir in großer Offenheit, und nicht so wie Mose…« (3,12f.). In 2Kor steht das Wort Doxa 19-mal, davon in den Kap. 3 und 4 15-mal. Hier hebt Paulus die überschwängliche Doxa seines apostolischen Dienstes hervor. 5 Wie Windisch expliziert, 6 kommt Paulus in 2Kor 4,1-6 erneut auf den apostolischen Dienst zurück und unterstreicht die Entsprechung zwi- 4 Vgl. 2Kor 3,7.8.9.10.11.18; 4,4.6.15.17. 5 Doxa ist mit Gott bzw. Christus verbunden. Vgl. die Strukturparallelen in 4,4 und 4,6; 4,4 to.n fwtismo.n tou/ euvaggeli,ou th/ j do,xhj tou/ Cristou/ 4,6 pro.j fwtismo.n th/ j gnw,sewj th/ j do, xhj tou/ qeou/ 6 W INDISCH , 2Kor, 131. <?page no="119"?> 105 schen der Doxa seines Dienstes und seiner Lebensführung. Die Doxa ist der Vergleichspunkt, mit dem in 3,7-12 begründet wird, warum der neue Bund den alten Bund überragt. 7 Für den alten Bund steht to. pro,swpon Mwu? se,wj (3,7.13), für den neuen Bund to. pro,swpon ÎVIhsou/ Ð Cristou/ (4,6). Bei der Doxa des Mose geht es im Sinne von Ex 34,29-35 um eine zeitweise Widerspiegelung. Die Erleuchtung des Paulus wird als ein Schöpfungsakt im Herzen charakterisiert, der das Erkennen der Doxa auf dem Antlitz Christi vorbereitet und ermöglicht (4,6). 8 In den Versen 4,4 und 4,6 stehen die Verblendung der Sinne und die Erleuchtung im Herzen antithetisch gegenüber. Damit wird verdeutlicht, was das Aufstrahlen des Evangeliums verhindert bzw. das Aufstrahlen der Erkenntnis der do,xa ermöglicht. 9 Durch die Überbietung der Doxa - auf dem Angesicht Christi gegenüber der do,xa auf dem Angesicht des Mose - unterstreicht Paulus die du,namij Gottes. Die Gegenüberstellung von Mose und Paulus (bzw. Christus) geht über in die Gegenüberstellung von Paulus und der Gemeinde (4,12; 4,14f.). Im Abschnitt über den neuen Bund (3,4-4,6) stehen die theologischen Kategorien alter Bund und neuer Bund zentral, denen die unterschiedlich gewichtete Doxa Gottes zugeordnet wird, ein für Paulus wichtiger Kontext zum Verständnis des Schatzes in irdenen Gefäßen (4,7). 4.3 2Kor 1,3-11 als Vorspiel von 2Kor 4,7-15 In welchem Zusammenhang steht der Peristasenkatalog 2Kor 4,7-15 mit dem Proömium 2Kor 1,3-11? Dies muss zuerst untersucht werden, um sowohl die Funktion dieses Peristasenkataloges als auch die Beziehungen zu den Peristasenkatalogen in 2Kor zu verstehen. Es gibt eine strukturelle Gemeinsamkeit zwischen diesen beiden Abschnitten, dem Peristasenkatalog und dem Proömium im Briefanfang. Hier finden sich gleiche Wortfelder und vergleichbare Gedanken des Paulus: 7 Vgl. E BNER , Leidenslisten, 198. 8 In 4,6 bezieht sich Paulus auf Gen 1,3; vgl. auch H.-J. K LAUCK , Erleuchtung und Verkündigung. Auslegungsskizze zu 2Kor 4,1-6, in: L. de Lorenzi (Hg.), Paolo. Ministro del Nuovo Testamento (2Co 2,14-4,6), Ben. 9, Rom 1987, 246-272, 265-270. 9 Zum erkenntnistheoretischen Ausgangspunkt vgl. K LAUCK , Erleuchtung, 258- 261.270f.: Er verbindet die Lichtmetaphorik mit der Bekehrungsterminologie (266- 270). <?page no="120"?> 106 2Kor 1,3-11 2Kor 4,7-15 1,5 paqh,mata tou/ Cristou/ 4,10 ne,krwsij tou/ VIhsou/ 1,6.7 u`pe.r … u`mw/ n / u`pe.r u`mw/ n 4,15 diV u`ma/ j 1,8 u`perbolh. u`pe.r du,namin 4,7 u`perbolh. th/ j duna,mewj 1,4-8 qli/ yij 4,8 qlibo,menoi 1,8 evxaporhqh/ nai h`ma/ j kai. tou/ zh/ n 4,8 avporou,menoi avllV ouvk evxaporou,menoi 1,9 evpi. tw/ | qew/ | tw/ | evgei,ronti tou.j nekrou,j 4,14 o` evgei,raj to.n ku,rion VIhsou/ n kai. h`ma/ j su.n VIhsou/ evgerei/ 1,11 euvcariste,w (vgl. euvloghto,j in 1,3) 4,15 euvcaristi,a In 1,3-11 sind die Stichworte Leiden ( qli/ yij bzw. pa,qhma ) und Trost ( para,klhsij ) bestimmend. 10 Der Trost im Leiden, den Paulus von Gott erfährt (1,3-11), wird in 2Kor 4,7-15 als überschwängliche Dynamis Gottes reflektiert. Paulus spricht von u`perbolh. u`pe.r du,namin in 1,8 wie auch von der u`perbolh. th/ j duna,mewj in 4,7. Durch den Zusammenhang der Termini u`perbolh, und du,namij macht Paulus deutlich, dass die Durchführung seines Dienstes von Gott herkommt und nicht aus seiner menschlichen Kraft. Dieses Rettungserlebnis (1,9f.) wurde zur Wurzel seines Gottvertrauens. Paulus nimmt in 4,8 mit dem Partizip qlibo,menoi die in 1,4-8 ausgeführte qli/ yij wieder auf. Er charakterisiert damit sein Leiden bzw. seine Schwachheit als Zeichen seiner apostolischen Existenz. Gemeinsam ist auch die widersprüchliche Aussage evxaporhqh/ nai h`ma/ j kai. tou/ zh/ n in 1,8 und avporou,menoi avllV ouvk evxaporou,menoi in 4,8. Paulus wird im Verzweifeln an seinem Leiden von Gottes Dynamis gestützt. Das gleiche Wortfeld und die gleichen Gedanken des Paulus begegnen in den beiden Aussagen: evpi. tw/ | qew/ | tw/ | evgei,ronti tou.j nekrou,j in 1,9 und o` evgei,raj to.n ku,rion VIhsou/ n kai. h`ma/ j su.n VIhsou/ evgerei/ in 4,14. Mit beiden Versen bringt Paulus zum Ausdruck, dass 10 Qli/ yij (bzw. pa,qhma ) kommt einschließlich der verbalen Form achtmal vor und para,klhsij einschließlich des Verbs zehnmal. <?page no="121"?> 107 Gott, der die Toten auferweckt, in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auch die Errettung in seinem Leben bewirkt. Gott, der stets aus der Todesgefahr errettet, ist Gegenstand und Grund der Eulogie des Paulus: euvcariste,w in 1,11 ( euvloghto,j in 1,3) und euvcaristi,a in 4,15. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass durch die Errettung aus der Todesgefahr das Leiden mit der Eulogie verbunden ist. Inhaltlich liegen noch weitere Gemeinsamkeiten beider Abschnitte vor: Paulus versteht sich als apostolischer Mittler zwischen Gott und Gemeinde 11 (vgl. dia,konoj kainh/ j diaqh,khj in 3,6 und die Verbindung des apostolischen Dienstes mit dem Schöpfungsakt Gottes in 4,6). So wird dieses Verhältnis durch die Aussagen u`pe.r … u`mw/ n (1,6) bzw. u`pe.r u`mw/ n (1,7) und diV u`ma/ j (4,15) beschrieben. Die primäre Grundlage der Verbindung zwischen Kap. 1 und Kap. 4 ist somit die christologische Deutung der Leiden (1,5 und 4,10f.). Die Teilhabe an den paqh,mata tou/ Cristou/ begreift Paulus als Tragen der ne,krwsij tou/ VIhsou/ an seinem Leib (4,10). Es ist erkennbar, dass das, was in 2Kor 1 Trost für die Gemeinde ist, in 2Kor 4 Leben für die Gemeinde bringt. 12 Das Proömium im 2. Korintherbrief ist demnach ein Vorspiel der Peristasen, die danach in vier Katalogen in Kap. 4, 6, 11 und 12 entfaltet werden. 4.4 Einzelauslegung 4.4.1 Das Evangelium als Dynamis Gottes (2Kor 4,7) Wie versteht Paulus den Schatz in irdenen Gefäßen? Welche Bedeutung gibt dieser seinem apostolischen Dienst? Der neue Einsatz in 4,7 ist durch das e; comen de, angezeigt. Paulus eröffnet den Argumentationsgang mit der Habe-Formel von Christen (vor allem von Aposteln). In V.7 steht die Grundthese als überschriftartiger Leitsatz 13 voran. Es besteht ein Kontrast zwischen dem Schatz und seinem Aufbewahrungsort (Tongefäß). Der Vers enthält in seinen beiden durch das finale i[na verbundenen Teilen zwei parallele Antithesen, die das gegensätzliche Verhältnis zweier Aspekte - von Gott und von Menschen - zum Ausdruck bringen. Exegetisch umstritten ist, was Paulus mit seiner Aussage to.n qhsauro.n tou/ ton meint. Bultmann behauptet, der Schatz ( qhsauro,j ) sei auf den apostolischen Dienst ( diakoni,a ) zu beziehen. 14 Er sagt, dass der qhsauro,j nicht die 11 Paulus sieht sich einerseits besonders als Apostel der Gemeinde, aber andererseits haben die Leiden des Apostels und die Leiden der Gemeinde für ihn gleiche Bedeutung. Dazu siehe Kap. 8. 12 Vgl. E. G RÄSSER , Der Schatz in irdenen Gefäßen (2Kor 4,7). Existentiale Interpretation im 2. Korintherbrief? , ZThK 97 (2000) 300-316, 313. 13 H ECKEL , Kraft in Schwachheit, 246. 14 Vgl. R. B ULTMANN , Der zweite Brief an die Korinther, KEK-Sonderband., hg. von E. D INKLER , Göttingen 1976, 114; so auch K LEINKNECHT , Der leidende Gerechtfertigte, <?page no="122"?> 108 christliche gnw/ sij th/ j do,xhj , das Evangelium und seine do,xa sei. Er sei allenfalls indirekt darauf bezogen. 15 Bei ihm scheint der qhsauro,j auf die diakoni,a des Paulus als einer diakoni,a th/ j do,xhj bezogen. 16 In diesem Sinne könnte gesagt werden, dass in dem Schatz der zuvor (3,7ff.) erhobene Anspruch auf eine seinem Dienst zukommende Doxa in eine Metapher gefasst ist und aus einem neuen Blickwinkel betrachtet wird. 17 Überzeugender ist es deshalb, den qhsauro,j auf das Evangelium zu beziehen (4,3f.: euvagge,lion th/ j do,xhj tou/ Cristou/ ). 18 Von 3,6f. an redet Paulus von Dienst und dieser bestimmt den Zusammenhang mit den Habe- Formeln, die in 4,1 und 4,7 auftreten: e; contej th.n diakoni,an tau,thn (4,1) und e; comen de. to.n qhsauro.n tou/ ton (4,7). Sein Dienst ist die do,xa des Dienstes im neuen Bund, den Gott ihm zugeteilt hat (vgl. 4,1 kaqw.j hvleh,qhmen ). Zwar redet Paulus ab 3,6ff. lange über seinen Dienst, aber der Inhalt des Dienstes ist für ihn das Evangelium. Der Kernpunkt von der seit 3,6ff. bestimmenden diakoni,a -Aussage ist die in 4,3f. kurz betonte Evangelium-Aussage. Darum bezieht sich der qhsauro,j zentral auf das Evangelium (4,3f.) und nur indirekt auf den apostolischen Dienst, der das Evangelium verkündigt. Gegenstand der Verkündigung ist nicht der Verkündiger, sondern Jesus Christus: »Wir predigen nicht uns selbst, sondern Christus Jesus als Herrn« (4,5). Christus Jesus ist Herr ist für Paulus Evangelium. Für dieses Verständnis - der Schatz als das Evangelium - können wir einen weiteren Hinweis im Zusammenhang von Evangelium und duna,mij tou/ qeou/ finden. In Röm 1,16f. (vgl. 15,19) begegnet der Gedanke, der das Evangelium als Dynamis Gottes bezeichnet: to. euvagge,lion( du,namij ga.r qeou/ evstin ( eiv j swthri, an panti. 272; S CHRÖTER , Versöhner, 170; D ERS ., Das Apostolat des Paulus als Zugang zu seiner Theologie. Eine Auslegung von 2Kor 4,7-12, in: R. B IERINGER (Hg.), The Corinthian Correspondence, BEThL 125, Leuven 1996, 679-692, 682; H.M. W ÜNSCH , Der paulinische Brief 2Kor 1-9 als kommunikative Handlung. Eine rhetorisch-literaturwissenschaftliche Untersuchung, Münster 1996, 258. B ULTMANN , 2Kor, 114, bezieht den Schatz direkt auf das Amt des Apostels als Verkündiger, indirekt auf das Evangelium und seine Doxa. E. D INKLER , Der Dienst am Worte Gottes. Auslegung von 2Kor 4, 1-12, in: D ERS ., Im Zeichen des Kreuzes, hg. v. O. M ERK und M. W OLTER , BZNW 61, Berlin/ New York 1992, 157-176, 170f., übernimmt die Auffassung von Bultmann. 15 B ULTMANN , 2Kor, 114. 16 B ULTMANN , 2Kor, 114. 17 K RUG , Kraft des Schwachen, 201; vgl. auch P. B ACHMANN , Der zweite Brief des Paulus an die Korinther, KNT VIII, Leipzig 4 1922, 194. 18 W INDISCH , 2Kor, 141f.; L IETZMANN / K ÜMMEL , Kor, 115; H.D. W ENDLAND , Die Brief an die Korinther, NTD 7, Göttingen 15 1980, 124; W. S CHMITHALS , Die Gnosis in Korinth. Eine Untersuchung zu den Korintherbriefen, FRLANT 66, Göttingen ³1969, 74; G ÜTTGEMANNS , Der leidende Apostel, 97; D. Z ELLER , Leben aus der Kraft Gottes. Paulus als Gestalt christlicher Hoffnung, BiKi 33 (1978), 83-87, 85; ferner, H.K. N IELSEN , Paulus’ Verwendung des Begriffes Dynamis. Eine Replik zur Kreuzestheologie, in: S. P EDERSEN (Hg.), Die paulinische Literatur und Theologie, Teologiske Studier 7, Aarhus/ Göttingen 1980, 137-158, 143. <?page no="123"?> 109 tw/ | pisteu,onti( VIoudai,w| te prw/ ton kai. {Ellhni ). 19 Die Finalität zielt deutlich auf das Evangelium bzw. Heil ( eivj swthri,an ), verstanden als Gotteskraft. Paulus’ Dienst lebt nicht aus der Kraft des Menschen, sondern aus der Kraft Gottes 20 : Das Wort i[na in 4,7b zeigt den Zweck an: Die Apostel haben diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit das Übermaß der Kraft von Gott sei. Auch die du,namij tou/ qeou/ ist das Evangelium. Zudem bilden 4,7a und 4,7b zwei parallele Antithesen: 4,7a to.n qhsauro.n tou/ ton evn ovstraki,noij skeu,esin 4,7b duna,mewj h= | tou/ qeou/ kai. mh. evx h`mw/ n Paulus bezeichnet in 4,5a als Objekt der Verkündigung nicht die Apostel, sondern Jesus Christus als Herrn ( ouv ga.r e`autou.j khru,ssomen avlla. Ihsou/ n Cristo.n ku,rion ). Der Schatz ist Jesus Christus, der das Subjekt des Evangeliums und auch die Dynamis Gottes ist. Dass Paulus hier mit dem Schatz das Evangelium meint, beweist, dass das Wort vom Kreuz Gottes Dynamis ist, wie in 1Kor 1,18 (vgl. 1,24) zu erkennen ist. Denn das Wort vom Kreuz ist für Paulus ein wichtiger Inhalt des Evangeliums. Vergleichbar ist die Aussage von 1Kor 2,2, wo Paulus selbst sagt: »Denn ich nahm mir vor, nichts anderes unter euch zu wissen, als nur Jesus Christus, und ihn als gekreuzigt«. 21 Dieses Verständnis wird m.E. durch die Untersuchung des traditionsgeschichtlichen Hintergrunds der Metapher qhsauro,j bestätigt. Der qhsauro,j begegnet bei Paulus nur hier in seinen Briefen (die Pluralform begegnet in Kol 2,3: »in dem alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen sind«). Eine traditionsgeschichtliche Verbindung zu Jesusworten findet sich Mt 6,19-21. 22 Aber das synoptische Logion hat einen anderen Skopos. Das Jesuswort kontrastiert den himmlischen Schatz mit einem irdischen Schatz, während bei Paulus es um den Gegensatz zwischen dem wertvollen Schatz und seinen zerbrechlichen Trägern geht. Das Bild vom Schatz leitet sich in erster Linie aus der Weisheitsliteratur ab. Oft wird er für die Weisheit ver- 19 Vgl. dazu die enge Verbindung von Evangelium und Dynamis in 1Thess 1,5; vgl. auch 2Tim 1,8. 20 Vergleichbar ist die Aussage des Paulus »durch die Gnade Gottes bin ich, was ich bin« (1Kor 15,10). 21 Vgl. 1Kor 2,5 du,namij qeou/ ; in 1Kor 2,4 formuliert er »meine Rede und meine Predigt bestand (…) in Erweisung des Geistes und der Kraft«. 22 Vgl. A.T. H ANSON , The Living and the Dying of the Apostolic Community: 2 Corinthians 4.7-15, 39-54, in: D ERS ., The Paradox of the Cross in the Thought of St. Paul, JSNT.SS 17, Sheffield 1987, 41-44, der für die Verbindung mit dem synoptischen Logion über den Schatz im Himmel eintritt. <?page no="124"?> 110 wendet (z.B. Sir 20,30). Maurer zitiert auch die rabbinischen Parallelen, »wonach Menschen das Gefäß der Thora bzw. der Weisheit Gottes sind«. 23 Fraglich ist, was mit dem Tongefäß gesagt werden soll. Nach W. Schmithals nimmt Paulus eine Vorstellung der gnostischen Gegner auf, die behaupten, dass der Schatz des Pneumas im vergänglichen Gefäß des Leibes wohne. 24 Aber diese Interpretation ist zu bezweifeln, denn eine solche Leibesbezeichnung ist nicht spezifisch gnostisch. Indem Paulus in 4,7-9 die offensichtliche Deutung seines Leidensgeschickes aus 2Kor 1,8-10 fortführt und damit auf die in ihm gewirkte Dynamis Gottes hinweist, nimmt er die christologische Deutung seines Leidens aus der Eulogie in 1,5 auf. Diese Aufnahme begegnet schon in 1Kor 2,2f. Die ovstra,kina skeu,h erscheint bei Paulus nur hier (vgl. 2Tim 2,20), der Begriff bezeichnet den schwachen, zerbrechlichen Körper. Ein tönernes Gefäß ist nicht anderen Gefäßen, etwa aus Glas oder Metall, gleich. Es ist das allergeringste Gefäß, schwach und kann selten repariert werden. 25 Es wird nur zur Aufbewahrung benutzt und gebraucht. Paulus kennt tönernes Gefäß aus der LXX als ein geläufiges Bild für die Zerbrechlichkeit. Gewöhnlich wird deshalb die Aufnahme alttestamentlicher Metaphorik vermutet: Der Mensch als zerbrechliches Gefäß (Ps 31,13; Jer 22,28), Gott als Töpfer (Gen 2,7; Jes 64,7f.; 29,16; Jer 18,1-6; Klgl 4,2) - eine im AT häufig belegte Schöpfungsvorstellung. 26 Vergleichbar mit 2Kor 4,7 begegnet diese Vorstellung von schwachen, sterblichen Körpern als zerbrechlichen Tonkrügen in: Jes 64,8 kai. nu/ n ku,rie path.r h`mw/ n su, h`mei/ j de. phlo.j e; rgon tw/ n ceirw/ n sou pa,ntej (Aber nun, HERR, du bist doch unser Vater! Wir sind Ton, du bist unser Töpfer,und wir alle sind deiner Hände Werk.) Klgl 4,2 pw/ j evlogi,sqhsan eivj avggei/ a ovstra,kina e; rga ceirw/ n kerame,wj (Wie sind sie irdenen Krügen gleichgeachtet, dem Werk von Töpferhänden! ) Im Zusammenhang dieser Gefäßmetaphorik betont Paulus zweifellos den leiblichen sichtbaren äußeren Menschen. Sie hebt die Zerbrechlichkeit, d.h. 23 C. M AURER , Art. skeu/ oj , ThWNT VII (1964), 359-368, 365 Anm. 46 (vgl. auch 360, 47ff.). 24 S CHMITHALS , Gnosis, 151f. 25 Zur rabbinischen Literatur vgl. Gen. Rab 14,7. 26 Vgl. als weitere Stellen: Jes 30,14; Jer 19,11; Dan 2,42; vgl. Ps 2,9; Jer 22,28; Sir 22,7; auch Lev 6,28; 11,33; 14,50; vgl. auch die Qumran Parallelen: 1QS xi. 22; 1QH iii. 20f.; iv. 29; x. 5; xi. 3. <?page no="125"?> 111 die allgemeine Schwachheit des menschlichen Leibes, aber auch die physische Fragilität speziell des Leidenden hervor. Im Gefälle der jüdischen bzw. hellenistischen Tradition steht Gefäß als anthropologische Metapher für das Sterbliche (bzw. Zerbrechliche) des Menschen. 27 Diese anthropologische Metapher Gefäß wird in 4,10f. durch den Begriff sw/ ma bzw. sa,rx aufgenommen. 28 Paulus trägt diesen durch das Sterben und Leben Jesu erworbenen Schatz (4,7) an seinem sw/ ma . Dass Gott schwache Menschen als Werkzeuge zu der Verkündigung des Evangeliums gebraucht, hat einen tiefen Grund und einen heilsamen Zweck: Auf diese Weise soll deutlich werden, dass die über menschliche Möglichkeiten hinausgehende Kraft von Gott kommt und nicht von den Aposteln. Indem Paulus die Gefäßmetapher mit der Schatzmetapher verknüpft, baut er einen Gegensatz auf. Zudem erfasst die Unterscheidung zwischen Form und Inhalt in diesem Fall aber auch den Gegensatz zwischen Sichtbarkeit und Verborgenheit. Darauf scheint es Paulus vor allem angelegt zu haben, denn er führt in 4,16-5,10 diesen Gedanken weiter. Der Schatz wird in 4,10f. als zwh, Jesu durch den Offenbarungsterminus fanerwqh/ | interpretiert. So wird Paulus als irdenes Gefäß, das schwach ist, zum Träger des wertvollen Schatzes, des Evangeliums. Das Evangelium - sein Inhalt ist der Gekreuzigte - ist kraftvolles Paradox (2,14). Für Paulus entspricht die Gefäßmetapher dieser Stelle - vor der eigentlichen Aufzählung von Peristasen (4,8ff.) - dem Bild vom entwertenden Schauspiel in 1Kor 4,9. Wenngleich die Apostel als die irdenen Gefäße schwächlich sind, bewirken sie die übermäßige Kraft des Evangeliums. 4,7b betont die u`perbolh. th/ j duna,mewj , die im Gegensatz zu den irdenen Gefäßen - den zerbrechlichen, schwachen Aposteln - steht und erinnert an 27 Vgl. als Belegstelle z.B. Epict.diss. III 24,33. Zur hellenistischen Metapher des zerbrechlichen Leibes vgl. die Belege bei B ULTMANN , 2Kor, 114, und W INDISCH , 2Kor, 142; Senecas Begriff von Leib: Ad Marcia 11.3 »a vessel that the slightest shaking, the sligthest toss will break (…). A body weak and fragile, naked, in its natural state defenceless (…) exposed to all the affronts of Fortune; (…) doomed to decay«; als weitere hellenistische Literatur vgl. Dion Chr. 12.59; Mar. Ant. Med. 3.3.2; 8.27; 10.38, 12.2; Epict.diss. I 1.11. Zur jüdischen Literatur vgl. Philo det.170; migr. 193; somn. I 26; 4Esr 7,88; SapSal 9,15. 28 Zu Soma bleibt die Frage, wie Paulus diesen Gedanken über den Leib versteht. Dazu behauptet V.P. F URNISH , II Corinthians. Translated with Introduction. Notes and Commentary, AncB 32A, Garden City 1984, mit Recht in seinem Kommentar: »However, as much as Paul could share the general Hellenistic view about human mortality, which was, after all, equally at home in the Jewish tradition, his intention in the present verses is certainly not to contrast our mortal flesh with ‘our immortal soul.’ Significantly, as many commentators have pointed out, the word ‘soul’ (psyche) is not even used in this part of the letter (elsewhere in 2 Cor, only 1: 23; 12: 15 ), and the treasure which the earthen pots are said to contain is to be identified neither with that nor with the ‘mind’ (nous), as in many Hellenistic sources. In accord with his Jewish heritage, the apostle regards the body, mortal as it is, not as the receptacle of the soul but as a constituent part of the total human being« (279). <?page no="126"?> 112 th/ j u`perballou,shj do,xhj (3,10). Die u`perbolh, 29 ist ein Lieblingswort des Paulus (vgl. 2Kor 1,8; 4,17; 12,7; 1Kor 12,31; Röm 7,13; Gal 1,13). Das Wort du,namij (vgl. 2Kor 6,7; 12,9; 13,4; 1Kor 1,18.24; 2,4f.) wird in V.7 statt do,xa gebraucht, um die du,namij des von Gott kommenden Evangeliums zu unterstreichen. Du,namij steht bei Paulus (besonders in Peristasenkatalogen) häufig der menschlichen Schwäche gegenüber (vgl. 1Kor 4,10; auch 2Kor 12,9) und unterstreicht dadurch noch einmal das Bild vom Schatz in den irdenen Gefäßen, dass die du,namij in den Schwachen zur Vollendung kommt (2Kor 12,2). Der Hinweis auf den Gegensatz zwischen Gott und Mensch gilt allgemein für die Antike (z.B. Epict.diss. II 19,27; Plat Ion 533 dff; vgl. 4Esr 4,11). Bei Platon führt dies aber nicht zur Gegenüberstellung von avsqe,neia und du,namij wie bei Paulus, die für diesen im Kreuz Christi begründet ist. Für Platon besteht ferner »die Offenbarung in dem Werden des vom Menschen gelösten (Kunst-) Werkes, während sich für Paulus Gottes zwh, , gerade im geschichtlichen Leben des Menschen bart«. 30 Auch in hellenistischer Literatur gibt es Beispiele für den Beweis der Dynamis (Epict.diss. II 1.39; Sen.ep. 71.26). Aber im Unterschied zu Paulus ist z.B. für Seneca Weisheit seine eigene Kraft, während für Paulus diese Kraft Gottes ist. Durch diese Dynamis Gottes kann Paulus sagen: ouvk evgkakou/ men »wir ermatten nicht« (vor und nach diesem Abschnitt, 4,1 und 4,16). Dem Gegensatz du,namij und avsqe,neia (bzw. Zerbrechlichkeit) entspricht also die Gegenüberstellung von qeo,j und h`mei/ j . Dasselbe Motiv wie 4,7b verwendet Paulus in 2Kor 1,9, wobei er in einem Finalsatz den Zweck von Leiden und Trübsal wie folgt formuliert: »Damit wir nicht auf uns selbst vertrauen, sondern auf Gott, der die Toten auferweckt«. Alle Kraft und alles Vertrauen soll ganz zu Gott gehören und nicht eine menschliche Fähigkeit sein. Paulus beginnt jeweils mit »Habe- Formeln«, um sein Vertrauen auf Gott zu charakterisieren. Dies wird auch durch eine Parallele von 4,7 und 3,4-5 verdeutlicht: 3,4 pepoi,qhsin de. toiau,thn e; comen 3,5 ouvc o[ti avfV e`autw/ n … evk tou/ qeou/ 4,7a e; comen de. to.n qhsauro.n tou/ ton 4,7b h=| tou/ qeou/ kai. mh. evx h`mw/ n Damit dürfte konkret an die in V.6 dargestellte Erleuchtung durch das Evangelium gedacht sein, d.h., das Evangelium wird als erleuchtender 29 Vgl. u`perballo,ntwj in 2Kor 11,23; u`perba,llw in 2Kor 3,10; 9,14. Sonst im NT nur noch Eph 1,19; 2,7; 3,19. 30 Vgl. B ULTMANN , 2Kor, 115. <?page no="127"?> 113 Schatz verstanden. 31 Das Verständnis des Apostolats des Paulus wird durch 4,5a ( ouv ga.r e`autou.j khru,ssomen avlla. VIhsou/ n Cristo.n ku,rion ) und 4,6 gestützt, wobei Letzteres sich auf 2,14 bezieht. Dort begegnet mit »Wohlgeruch der Erkenntnis« eine Parallele von »Erleuchtung der Erkenntnis«: 2,14 th.n ovsmh.n th/ j gnw,sewj auvtou/ 4,6 pro.j fwtismo.n th/ j gnw,sewj Sein apostolisches Selbstbewusstsein charakterisiert er als Wohlgeruch Christi in 2,14, wobei das Wort euvwdi,a (Wohlgeruch) nur dreimal bei Paulus erscheint. Die auf die Triumphmetapher bezogene Geruchsmetapher bringt zum Ausdruck, warum Paulus sein apostolisches Wirken als Triumphzug des Evangeliums bezeichnet: Durch seine Verkündigung wird die Erkenntnis Gottes allüberall öffentlich gemacht. Im Zusammenhang mit Phil 4,18 versteht Paulus sein apostolisches Selbstbewusstsein auch als Opfer. Das Wort gebraucht er allgemein jüdisch als Bezeichnung für einen das Heil versichernden Besitz. 32 Vergleichbar ist 4,6 auf das erste Schöpfungswerk zu beziehen. Gott spricht: Es werde Licht! (vgl. 4,6a) und neue Schöpfung bricht an (5,17): Es wird Licht in unseren Herzen, so dass leuchtend aufgeht die Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu Christi (4,6b). 33 Deswegen gilt für Paulus: »Dem die Sinne verdunkelnden und Unglauben bewirkenden Gott dieses Äons tritt der das Dasein durch sein schöpferisches Wort lichtende und Glauben schaffende Gott gegenüber«. 34 Beide Passagen zielen darauf, dass das Evangelium offen bekannt gemacht wird. Paulus kontrastiert die Schwachheit der Apostel mit der Kraft Gottes. Dabei ist die Schwachheit der Apostel bezogen auf die Schwachheit des gekreuzigten Christus. 35 Dieses Evangelium verkündigen sie: das Evangelium als Gottes Kraft zum Heil (Röm 1,16) und das Wort des Kreuzes (1Kor 1,18.23). Wie in 1Kor 2,3-5 erwächst der Glaube der Korinther nicht aus der Weisheit der Menschen, sondern aus dieser Kraft Gottes. Bereits in V.7 kommt mit der Entgegensetzung von Schatz und irdenen Gefäßen eine Anti- 31 K RUG , Kraft des Schwachen, 210; L IETZMANN / K ÜMMEL , Kor, 115. 32 W INDISCH , 1Kor, 142, mit Verweis auf Bill. I 861 und weitere Belege. 33 E. G RÄSSER , Der zweite Brief an die Korinther. I: Kapitel 1,1-7, 16, II: Kapitel 8,1- 13,13, ÖTBK 8/ I.II, Gütersloh u.a. 2002/ 2005, I, 157. 34 G RÄSSER , 2Kor I, 157. 35 Mit der Bewertung der »Schwachheit« als Negativität (vgl. 10,10; 11,5ff.30) wird von seinen Gegnern sein Apostelamt herabgewürdigt. Paulus aber denkt von der Kreuzesbotschaft her. <?page no="128"?> 114 thetik in den Text. Diese lässt sich als Gegensatz von göttlicher und menschlicher Sphäre beschreiben. Als Bezugsobjekt von qhsauro,j hatte ich die Erleuchtung des Paulus durch das Evangelium, also seine Beauftragung mit der diako,nia kainh/ j diaqh,khj , ausmachen können. Mit skeu/ oj bezeichnet er seine leibliche Existenz, die zu der Herrlichkeit der Botschaft im Gegensatz steht. 36 Der Dienst des neuen Bundes schenkt den Glaubenden Anteil an der Gerechtigkeit Gottes und an dem neuen Leben im Geist. Paulus definiert die Apostel zuvor als die do,xan kuri,ou katoptrizo,menoi (3,18). Durch sie entsteht der fwtismo.j th/ j gnw,sewj th/ j do,xhj tou/ qeou/ evn prosw,pw| Cristou/ (4,6), wird der Schatz des Evangeliums bzw. des überaus herrlichen Aposteldienstes (3,7-18) offenbart. Seine Kernaussage lautet also: Die unvergleichbare Kraft ist von Gott. Sie findet sich schon im Proömium dieses Briefes (1,9), wo Paulus von den Leiden in Asien sagt: »Wir vertrauten nicht auf uns selbst, sondern auf Gott«. Ähnlich denkt Paulus in 3,5, in 12,9b und 13,4b: Als Träger des Schatzes des Evangeliums erweist er sich als lebendig und tüchtig. Die du,namij Gottes macht es Paulus möglich, seine Leiden zu überwinden. 4.4.2 Die Aufzählung der Peristasen (2Kor 4,8-9) In den Versen 8f. liegt die eigentliche Aufzählung der Peristasen vor, die antithetisch angeordnet sind. Die viergliedrigen Satzstrukturen mit syntaktischer Subordination bestehen in 4,8f. aus dem Gleichklang der Partizipien ohne Hauptverben. Es liegt eine Antithetik durch begriffliche Gegensatzpaare vor, wobei der Gegensatz der Partizipienreihen durch die verneinende Partikel avllV ouv ( k ) erlangt wird: evn panti qlibo,menoi avllV ouv stenocwrou,menoi avporou,menoi avllV ouvk evxaporou,menoi diwko,menoi avllV ouvk evgkataleipo,menoi kataballo,menoi avllV ouvk avpollu,menoi Die verallgemeinernde Partikel evn panti, ist auf alle Antithesen des Peristasenkataloges zu beziehen, die sehr konzentrisch formuliert sind. Dabei hat die Partikel eine zeitliche und eine räumliche Bestimmung. Das zeigt, dass für Paulus die Bedrängnisse seine Wirklichkeit bestimmen. Das Leiden ist kein zufälliges Geschehen im apostolischen Dienst, sondern ein wirkliches Geschehen, das allezeit seine apostolische Existenz charakteri- 36 Vgl. S CHRÖTER , Versöhner, 176. <?page no="129"?> 115 siert. 37 Dies wird auch durch pa,ntote (V.10) und avei, (V.11) wieder aufgenommen. Die Zeitangabe zeigt, dass die Peristasen hier nicht als vorübergehende zufällige Situationen, sondern als unvermeidliche widrige Umstände seiner Missionstätigkeit zu verstehen sind. An allezeit und immer (2Kor 4,10f.) erinnern auch die Formulierungen den ganzen Tag (Röm 8,36), jede Stunde und täglich (1Kor 15,30f.). 38 Diese Auffassung findet sich auch in jüdisch-apokalyptischer Literatur etwa in 4Esr 7,89: »Sie haben dem Höchsten unter Mühsalen gedient und stündlich Gefahren erduldet«. Die VV.8f. erlangen bereits durch die grammatische Konstruktion einen deutlichen Gleichklang, was noch dadurch unterstrichen wird, dass die Partizipien die Funktion von Verba finita übernehmen. Der Grund hierfür dürfte in der Intention des Paulus liegen, durch einen Peristasenkatalog die Verbindung zwischen den Aussagen in V.7 und V.10 herzustellen. 39 Die Verwendung von Partizipien mit gleichlautenden Endungen hat den rhetorischen Effekt, dass äußerlich Gleichklingendes inhaltlich kontrastiert wird. 40 Zu vergleichen wäre z.B. Epict.diss. II 19,24, wo dieser mit einer solchen Konstruktion auf das Verhalten der auvta,rkeia angesichts widriger Umstände abzielt. 41 Diese Struktur wird bei Paulus noch einmal dadurch durchkreuzt, dass der inhaltliche Kontrast nicht über einen semantischen Gegensatz der einander gegenübergestellten Begriffe herstellt wird, sondern eigentlich als ein semantisches Synonym durch eine Negation avllV ouvk . 42 Die einander entgegengesetzten Begriffspaare finden sich auch im Plutarchtext mor. 1057 E, wie schon von Fridrichsen ausgeführt wurde. 43 Nachdem die menschliche Schwäche durch das Bild vom Schatz in den irdenen Gefäßen in 4,7 (von e; comen abhängig) charakterisiert wird, folgt in 4,8f. die Explikation im Blick auf das apostolische Leiden. Der Schatz ist 37 Vgl. K.A. B AUER , Leiblichkeit - das Ende aller Werke Gottes. Die Bedeutung der Leiblichkeit des Menschen bei Paulus, StNT4, Gütersloh 1971, 107-115, 108; dagegen U. B ORSE , Die Wundmale und der Todesbescheid, BZ.NF 14 (1970), 88-111, 100, der den Text als Echo auf ein bestimmtes Geschehen (vgl. 2Kor 1,8-11) erklärt. 38 Vgl. D. R ÖSSLER , Gesetz und Geschichte. Untersuchungen zur Theologie der jüdischen Apokalytik und der pharisäischen Orthodoxie, WMANT 3, Neukirchen 1960, 88f., merkt dazu an: »Das Leiden wird nicht auf eine einzelne und begrenzte politische Situation zurückgeführt«. 39 Vgl. S CHRÖTER , Apostolat, 683. 40 Vgl. E BNER , Leidenslisten, 212. 41 Epict.diss. II 19, 24: dei,xate, moi, tina nosou/ nta kai. euvtucou/ nta( kinduneu,onta kai. euvtucou/ nta( avpoqnh,|skonta kai. euvtucou/ nta( pefugadeume,non kai. euvtucou/ nta( avdoxou/ nta kai. euvtucou/ nta 42 S CHRÖTER , Apostolat, 683; vgl. auch E BNER , Leidenslisten, 212; qli/ yij und stenocwri,a werden eigentlich synonym verwendet. 43 Der Text wird bei E BNER , Leidenslisten, 215f., vorgelegt. <?page no="130"?> 116 das Evangelium, und die Apostel sind bei der Verkündigung des Evangeliumsschatzes begleitet von den genannten Leiden. Die antithetischen Begriffe liegen semantisch betrachtet sehr nahe. Das Verb qli,bw begegnet viermal in den paulinischen Briefen (2Kor 1,6; 4,8; 7,5; 1Thess 3,4). Dagegen findet das Substantiv qli/ yij im NT häufigere Verwendung (45mal), oft in Verbindung mit stenocwri,a( avna,gkh( diwgmo,j( pa,qhma( lu,ph . Die Worte stenocwri,a und qli/ yij begegnen als Begriffspaar in der ersten Antithese in Gegenüberstellung. Dies ist auffallend, wird doch eine bewusste Antithese durch nahezu gleichbedeutende Begriffe konstruiert. 44 Die nebeneinander stehenden Worte stenocwri,a und qli/ yij verwendet Paulus als Begriffspaar in 2Kor 6,4 und Röm 8,35 fast ohne Bedeutungsunterschied synonym, 45 wird es doch dort nicht wie in 2Kor 4,8 gegenüberstellt, sondern parallel konstruiert. Die Partizipialform qlibo,menoi am Beginn der Antithese ist eine bewusste Wiederaufnahme des Begriffes qli/ yij in 1,4.6.8. 46 Das Wort qli/ yij bedeutet eigentlich Druck, weiter Bedrängnis und Drangsal, während stenocwri,a für Enge (oder Not, Angst) steht. Das Wort qli/ yij bezeichnet einerseits in LXX eine große Notsituation des Volkes Israel 47 und in apokalyptischen Texten (z.B. Dan 12,1) 48 die endzeitliche Bedrängnis. In jüdischer Apokalyptik, die diesen Begriff aus der Weisheitsliteratur übernimmt, ist die qli/ yij des Gerechten ein zentrales Thema. 49 Aus dieser Tradition ist der besondere Sinn von qli/ yij im NT stark geprägt. In Röm 5,3 (vgl. 2Kor 4,17) haben Bedrängnisse einen positiven Sinn: »Sondern wir rühmen uns auch in den Bedrängnissen, da wir wissen, dass die Bedrängnis Ausharren bewirkt«. 50 Die Aussage Rühmen in Bedrängnissen ( kaucw,meqa evn tai/ j qli,yesin ) erinnert an die Aussage Rühmen im Herrn ( evn kuri,w| kauca,sqw ) in 1Kor 1,31, wo Paulus an das Leiden des Gekreuzigten denkt. Paulus dürfte die qli/ yij der Verfolgung in 4,8 auch sonst (vgl. 1Thess 3,7; 2Kor 1,8; 8,2; Röm 8,35; Phil 4,4) nicht als endzeitliche, sondern als reale qli/ yij verstanden haben, wobei sie in enger Beziehung zur Macht des Todes steht (Röm 8,35f.; 2Kor 1,8; 11,23). 51 Er verwendet qli/ yij / qli,bein als 44 Dazu S CHRÖTER , Versöhner, 174; G RÄSSER , 2Kor I, 164. Anders z.B. W INDISCH , 2Kor, 143; M. R ISSI , Studien zum zweiten Korintherbrief. Der alte Bund - Der Prediger - Der Tod, AThANT 56, Zürich 1969, 47f., die in der jeweiligen Negation der vorangestellten Glieder keine eigentliche Antithese sehen, sondern eine Einschränkung derselben. 45 Als Begriffspaar im AT: Ri 16,16; Jes 8,22; 30,6; in der hellenistischen Literatur: Epict.diss. I 25, 26.28. 46 Vgl. 2Kor 6,4, wobei die Leidenserfahrung mit evn qli,yesin eingeführt wird. 47 Z.B. Ex 3,9; 4,31; 1Makk 9,27. 48 Vgl. als weitere Belegstellen: Hab 3,16; Zeph 1,5; vgl. auch 1QM 1,12. 49 Z.B. Ps 33,20; 36,39; vgl. 4Esr 7,89; syrBar 15,8; 48,50; 1QH 2,6-12. 50 Übers. ELB. 51 Vgl. J. K REMER , Art. qli,bw , qli/ yij , EWNT II² (1992), 375-379, 377; vgl. H. S CHLIER , qli,bw , ThWNT III (1938), 144-148. <?page no="131"?> 117 Schlüsseltermini in seinen Briefen, um seine Peristasen zu erklären. In 2Kor 1-8 gebraucht er diesen Begriff zwölfmal ( qli/ yij neunmal; qli,bein dreimal). 2Kor 7,4f. werden die qli,yeij näher bestimmt als »von außen Kämpfe, von innen Ängste ( evn panti. qlibo,menoi\ e; xwqen ma,cai( e; swqen fo,boi )«. Weil Paulus diesen Begriff gebraucht, um sowohl äußere als auch innere Peristasen darzustellen, spielt dieser bei ihm in seinen Katalogen eine so wichtige Rolle. In diesem Sinne kann er in 7,4 sagen: u`perperisseu,omai th/ | cara/ | evpi. pa,sh| th/ | qli,yei h`mw/ n (ich bin überreich an Freude bei all unserer Bedrängnis). So liegt in »viel Bedrängnis und Herzensangst« (2,4) die Bekümmernis des Apostels. Den Begriff stenocwri,a gebraucht Paulus sehr selten als Substantiv (viermal). Auffällig ist sein Vorkommen in den Peristasenkatalogen (Röm 8,35; 2Kor 6,4; 12,10; vgl. Röm 2,9). In 2Kor 6,4f. und 12,10 begegnet die Pluralform. Dort, wo das Verb stenocwre,w (einzige Belegstelle, nur zweimal in 2Kor 6,12 als Passiv) steht, bezieht es sich deutlich auf eine innere Einstellung im Sinne einer Enge. Die Auffassung von Schrage bezüglich 2Kor 7,5, qli/ yij sei für Paulus weder eine rein innerliche, geistigseelische Aporie noch auch ein rein äußerliches Geschehen, sondern es handle sich um eine Anfechtung, die den totus homo betrifft, 52 ist anzuzweifeln. Paulus spricht hier von bestimmten eigenen Bedrängnissen in Makedonien, inneren Ängsten und äußeren Drangsalen. 2Kor 7,5 ist ganz eng verbunden mit 4,8, wobei nicht von Anfechtungen gesprochen wird, die alle Menschen treffen, sondern von inneren und äußeren Leiden der Apostel. Die beiden Begriffe stenocwri,a und qli/ yij , die in den paulinischen Peristasenkatalogen vorkommen, haben eine spezifische Bedeutung für Epiktet. Für ihn kann es eine ernstliche äußere Enge und eine wirklich gefährliche innere Bedrängnis nicht geben. Denn nach ihm bringt der Mensch bei sich selbst die stenocwri,a und qli/ yij hervor. Was uns beengt und drückt, sind nicht Menschen und Dinge, sondern wir selbst: »Wir selber drangsalieren uns und beengen uns, d.h. unsere Ansichten versetzen uns in Drangsal und Enge« (diss. I 25,28). Ein weiterer Unterschied zwischen Paulus und den Stoikern (z.B. Epiktet) liegt darin, dass bei Ersterem die Peristasen durch Gottes Dynamis überwunden werden, bei Letzterem aber dadurch, dass man sich von falschen Einstellungen befreit und von äußeren Ereignissen abgrenzt. Die Partizipien der zweiten Antithese avporou,menoi / evxaporou,menoi 53 werden in der Rhetorik als eine Paronomasie 54 verstanden, die durch Wieder- 52 S CHRAGE , Leid, 150. 53 Die Übersetzung von avpore,w bei B AUER , Wörterbuch, 195: ursprünglich »Mangel leiden«, dann auch »in Verlegenheit sein«. Vgl. K RUG , Kraft des Schwachen, 213, der den Sinn »zweifelt« oder »verzweifelt« bietet. 54 H. L AUSBERG , Elemente der literarischen Rhetorik. Eine Einführung für Studierende der klassischen, romanischen, englischen und deutschen Philologie, München 9 1987, 90 (vgl. §§ 277-279), bemerkt zu Paronomasie: »Ein die Wortbedeutung betreffendes <?page no="132"?> 118 kehr desselben Wortes oder Wortstammes in geringer syntaktischer Entfernung gebildet wird. Die Gegenüberstellung von avporou,menoi und evxaporou,menoi ist als eine Steigerung zu sehen, die das Kompositum gegenüber dem Simplex bildet. 55 Mit dem Verb avpore,w beschreibt Paulus in Gal 4,20 - die einzige paulinische Belegstelle außer 2Kor 4,8 - seine Sorge um die Gemeindeschwierigkeiten. Das Nomen avpori,a findet sich nur einmal im NT, Lk 21,25. Dort bezeichnet es die Ratlosigkeit bei der Parusie des Menschensohnes. In 2Kor 1,8, wo Paulus ausdrücklich über seine Erfahrung in der Asia berichtet hat, erscheint die Verbindung von evxapori,a mit qli/ yij . Hier ist evxapori,a eine Konsequenz von qli/ yij , so dass avporou,menoi als das Resultat von qlibo,menoi verstanden werden kann (4,8). 56 Dabei ist bemerkenswert, dass er dort seine Verzweiflung am Leben als Konsequenz ( w[ste ) einer Leidenserfahrung »über die Kraft ( u`pe.r du,namin ) hinaus« beschreibt. Damit meint er eine Peristase jenseits menschlicher Dynamis und Verzweiflung ( evxapori,a ). Dass Paulus mit dem Ausdruck »zweifelnd, aber nicht verzweifelt« die Wirksamkeit überspitzter Peristasen unterstreicht, kann damit erklärt werden, dass er dem Leiden nicht mehr mit seiner menschlichen Kraft, sondern mit der Dynamis Gottes begegnet. In dieser Erfahrung ist eine Entsprechung zu 4,7 erkennbar, d.h., Paulus sieht die Wirkung seiner Peristasen im Zusammenhang mit Gottes Dynamis. Die Partizipien der dritten Antithese sind diwko,menoi und evgkatalei po,menoi . Wenngleich Paulus verfolgt ist, ist er doch nicht verlassen. Paulus denkt daran, dass Gott, weil er der Vater des Erbarmens ist (1,3), ihn nicht verlassen wird (Dtn 4,31). 57 Das Verb diw,kw gebraucht der Apostel auffällig oft für seine biographischen Aussagen (z.B. Gal 1,13.23; vgl. Gal 5,11; 1Kor 4,12). Die Leidenserfahrung im vorderen Glied wird im hinteren Glied mit einer Rettungserfahrung konfrontiert (vgl. 1,8f.). Dass evgkatalei,pw eine reale Erfahrung bezeichnet, zeigen zahlreiche Belegstellen. Im NT begegnet es im Kreuzesschrei Jesu in Mk 15,34 ( o` qeo,j mou o` qeo,j mou( eivj ti, evgkate,lipe,j meÈ par. Mt 27,46), 58 wo dieser Ps 21,2 (LXX) aufnimmt. Paulus weiß, dass Wortspiel …, das durch die Änderung eines Teiles des Wortkörpers entsteht, wobei häufig einer nur geringfügigen Änderung des Wortkörpers eine überraschende (‚verfremdende‘), ‚paradoxe‘ Änderung der Wortbedeutung entspricht«; vgl. BDR., § 488, 1; z.B. in 2Kor 1,13; 6,10; 7,10; 10,12; z.B. Philo somn. I 60; Abr. 232. 55 Vgl. B ACHMANN , 2Kor, 200 Anm. 2; E BNER , Leidenslisten, 211; S CHRÖTER , Versöhner, 174. E BNER , Leidenslisten, 211 Anm. 75 bietet die Belege in der hell. Literatur: z.B. Diod. S.XXIV 1,4; Dion. Hal. VII 18,2; SIG³ 495,12; vgl. Polyb. IV 34,1. 56 Vgl. Jes 8,22-23 »(…) qli/ yij kai. stenocwri,a kai. sko,toj avpori,a stenh. kai. sko,toj w[ste mh. ble,pein kai. ouvk avporhqh,setai o` evn stenocwri,a| w'n (…)«; auch Ri 16,16. 57 Vgl. L IETZMANN / K ÜMMEL , Kor, 115. 58 Vgl. die Predigt des Petrus in Apg 2,27 ( ouvk evgkatalei,yeij th.n yuch,n mou eivj a[|dhn ), wo die Rettung durch Gott dargestellt wird und Ps 15,10 LXX zitiert wird; auch Hebr 13,5 (vgl. Jos 1,5 LXX). <?page no="133"?> 119 Gott ihn nicht verlässt, auch wenn er im Tod steht, erweckt er ihn (4,14). 59 Dieser Gedanke geht auf alttestamentlich-jüdische Tradition zurück, in der das Thema der Ablehnung und des Verlassenseins der Erwählten Gottes zentral steht (vgl. Gen 28,25; Dtn 31,6.8; 1Chr 28,20; Ps 16,10; 38,25.28; Jer 15,20; Sir 2,10). 60 In der Aussage ouvk evgkataleipo,menoi ist erkennbar, dass Paulus in der theologischen Tradition des AT steht. Die vierte Antithese wird mit kataballo,menoi und avpollu,menoi umschrieben. Der Begriff avpollu,menoi in 2,15 ( evn toi/ j avpollume,noij ) und in 4,3 ( evn toi/ j avpollume,noij ) begegnet bei Paulus im Verhältnis zu den Ungläubigen. Mit avpollu,menoi als Begriffspaar erscheint sw|zo,menoi . Das Begriffspaar avpollu,menoi / sw|zo,menoi knüpft an die Verkündigung des Gekreuzigten an. Die Aussage ouvk avpollu,menoi charakterisiert den eschatologischen Ausgang und verweist auf die eschatologische Rettung Gottes: z.B. 1Kor 1,18; 2Kor 2,15f. (vgl. 2Kor 4,3). 61 Paulus sagt selbst, dass er nicht verloren gegangen ist, weil er allezeit das Sterben Jesu an seinem Leib herumträgt (4,10). Mit den Stoikern ist Paulus in diesem Zusammenhang nur formal vergleichbar. Die entsprechenden Antithesen im Stil der Diatribe als Ausdruck des stoischen oder kynischen Denkens finden sich etwa in diss. II 19,24 bei Epiktet, die dieser mit dem Ruf »Zeigt mir« den wahren Stoiker beginnt. 62 Diese »wundervolle Parallele« lautet so: »Zeigt mir einen (sc. Stoiker), der krank ist und glücklich, in Gefahr und glücklich, sterbend und glücklich, verbannt und glücklich, in Schmach und glücklich«. 63 Als Parallelität wird eine antithetische Partizipialform benutzt und stets dieselbe Form euvtucou/ nta (glücklich) wiederholt. Solche Antithesenformen finden sich auch in jüdischer Literatur: TestJud 25,4; Tob 13,14. 64 Schließlich begegnen sie auch in judenchristlicher Tradition in Jesusworten, die Leid und Freude aufeinander beziehen und zur Freude im Leid auffordern, z.B. Mt 5,11f. 65 Diese Tradition, die Paulus kennt, findet sich auch in 1Thess 1,6; 2,4; 3,7.9. 66 Auch hier gilt: Dem Stoiker sind Trübsal und Bedrängnis nichts Wirkliches, sondern etwas, was man durch falsche Meinungen und Vorstellungen über das wahre Glück und Unglück schafft. Nicht gefährliche Umstände quälen und beengen die Menschen, sondern sie selbst tun es durch 59 Vgl. Ps 16,10; Apg 2,27. 60 Vgl. F ITZGERALD , Cracks, 174 Anm. 161. 61 So auch E BNER , Leidenslisten, 211; H ECKEL , Kraft in Schwachheit, 251; S CHRÖTER , Versöhner, 175. 62 B ULTMANN , kynischstoische Diatribe, 27; vgl. weitere Belege, z.B. Sen.ep. 41,4. 63 Der griechische Text bei W INDISCH , 2Kor, 143, und B ULTMANN , kynisch-stoische Diatribe, 27. 64 TestJud 25,4. Weitere Antithesenformen: syrBar 48,50; äthHen 25,6; 96,3; ApkMos 39; vgl auch im AT Jer 31,13; Jes 35,10. 65 Vgl. N AUCK , Freude, 69-80. Vgl. Jak 1,2.12; 1Petr 1,6; 4,13f. 66 Vgl. K AMLAH , Leiden, 224. <?page no="134"?> 120 eine falsche Einstellung. 67 Ganz anders Paulus: Er weiß sich Nöten, Ängsten, Mühsal und Tod real ausgesetzt (1,8). Im Ausharren des Leidens, nicht in der Distanzierung von ihnen weiß er sich von Gottes Kraft gehalten. 68 Zwar wissen sich die Stoiker wie Paulus von göttlicher Hilfe gehalten, aber sie überwinden den Leidensdruck durch eigene Kräfte. 69 Durch den theologischen Gedanken des Paulus von der kainh. kti,sij (5,17) wird der kleine Peristasenkatalog in VV.8-9 im Sinne der Lebenserfahrung interpretiert: »als Niedergeworfene, aber nicht Vernichtete« (V.9b), »als Sterbende, und siehe wir leben« (6,9b; vgl. 1Kor 4,9-13). 4.4.3 Sterben Jesu und Leben Jesu (2Kor 4,10-12) Im Blick auf die Verse 10-12 stellt sich die Frage, was Paulus unter dem Tragen des Sterbens Jesu ( ne,krwsij tou/ VIhsou/ ) an seinem Leib bzw. dem Offenbarwerden des Lebens Jesu ( zwh. tou/ VIhsou/ ) an seinem sterblichen Leib versteht. 4,10 4,11 4,12 pa,ntote th. n ne,krwsin tou/ V VIhsou/ evn tw/ | sw,mati perife,rontej( i[na kai. h` zwh. tou/ V VIhsou/ evn tw/ | sw,mati h`mw/ n fanerwqh/ |Å avei. ga.r h`mei/ j oi` zw/ ntej eivj qa,naton paradido,meqa dia. V VIhsou/ n( i[na kai h` zwh. tou/ V VIhsou/ fanerwqh/ | evn th/ | qnhth/ | sarki. h`mw/ nÅ w[ste o` qa,natoj evn h`mi/ n evnergei/ tai( h` de. zwh. evn u`mi/ nÅ In den VV.10-12 wird die Parallelität weiter verstärkt und die Antithetik der VV.8f. vertieft. In V.10 stehen sich ne,krwsij und zwh, gegenüber, in V.11a zw/ ntej und eivj qa,naton paradido,meqa , in V.11b zwh, und evn th/ | qnhth/ | sarki, und in V.12 qa,natoj evn h`mi/ n und zwh. evn u`mi/ nÅ Der Ausdruck tou/ VIhsou/ evn tw/ | sw,mati (10a) erscheint in V.10b wieder, i[na kai. h` zwh. tou/ VIhsou/ (10b) in V.11b. Auffällig ist, dass sich pa,ntote / avei, und ähnliche Worte bei Paulus fast nur bei Leidens- und Sterbensaussagen finden: z.B. 2Kor 6,10 immer, 2Kor 4,16 Tag und Tag und Röm 8,36 den ganzen Tag. Der Gegensatz Leben - Tod, der in diesen Versen thematisiert wird, schafft in VV.10-12 eine konzentrierte Satz-Antithese mit paradoxem Effekt. Auffällig und besonders 67 Vgl. S CHRAGE , Leid, 150: Trübsal und Bedrängnis werden »dadurch überwunden, dass man sich von falschen Dogmata befreit und von den der Verfügung entzogenen Außendingen distanziert, sich auf sich selbst als unangreifbare Bastion zurückzieht und dadurch die innere Unabhängigkeit gewinnt«; vgl. G RÄSSER , 2Kor I, 165. 68 Z.B. 2Kor 4,7. 69 Zum stoischen Gottesverhältnis vgl. F ITZGERALD , Cracks, 124. <?page no="135"?> 121 wichtig ist der in bemerkenswerter Dichte auftretende Jesus-Name ohne einen ergänzenden Titel. Von den insgesamt neun Stellen, an denen Paulus Jesus verwendet, sind sechs in 2Kor 4,7-15. Es wird deutlich, dass die Funktion dieses Peristasenkataloges eindeutig christologisch ist. 70 Klar ist, dass von dem Gekreuzigten die Rede ist, der den Tod aus Gottes Kraft durchlitten und überwunden hat. Im vorliegenden Kontext wird damit gezielt auf den Gekreuzigten verwiesen, der für Paulus der Irdische ist. 71 Paulus schreibt tou/ VIhsou/ statt tou/ Cristou/ , wobei die Ansicht Windischs auszuschließen ist, der Ausdruck tou/ VIhsou/ deute das Mystische des Vorgangs an. 72 Ziel aller Leiden des Apostels ist die Offenbarung des Lebens Jesu als die Offenbarung der Kraft (V.7; vgl. dazu 1Kor 6,14; 2Kor 13,4; ferner Phil 3,10; 1Kor 15,43). 73 Obschon Paulus auf den Leidensweg gestellt wird, erfährt er alle Zeit in Jesus, der als der Gekreuzigte und Auferstandene existiert, paradoxerweise zugleich die du,namij und zwh, des Auferweckten: Im Gekreuzigten ist der Auferweckte präsent. Im Blick auf 4,16-18 erläutert Wolff: »Die Ausführungen über das für die apostolische Existenz charakteristische Wirken der göttlichen Kraft in der menschlichen Schwachheit (VV.7-15) werden nun vertieft reflektiert unter dem Aspekt des Sichtbar- Vorübergehenden und des Unsichtbar-Ewigen. Dies versteht Paulus in eschatologischer Perspektive«. 74 In 4,10-12 werden die paulinischen Peristasen auf das Sterben Jesu bezogen: Sie führen zur christologischen Interpretation des Apostolates, indem sie den Tod und Leben einigenden christologischen Grund angeben. 75 Die Verse 10 und 11 fassen die Peristasen VV.8f. zusammen, indem sie zugleich die dem Apostel widerfahrenen Erfahrungen von Tod und Leben final aufeinander beziehen. Die Verse 4,10ff. entsprechen so dem Vers 4,7. Die Schwachheit des Paulus als irdenes Gefäß (4,7) führt Sterben bzw. Tod fort und die Dynamis bewirkt Leben. Paulus verknüpft in 4,10ff. seine Existenz mit der Christologie. In 1,5 hat er sein Leiden als paqh,mata tou/ Cristou/ verstanden. In 4,10 expliziert er sein Leiden als an seinem eigenen Leib erfahrene ne,krwsij tou/ VIhsou/ , in 4,11 als qa,natoj … dia. VIhsou/ n . Paulus verwendet hier den Begriff ne,krwsij , der bei 70 A) 4,1-4,6: Apostolische Verkündigung als das helle Licht des Evangeliums von der Herrlichkeit Christi; Christus (V.4), Jesus Christus (u. Herr, V.5), Jesus (V.5), Jesus Christus (V.6). B) 4,7-12 im Peristasenkatalog; viermaliger Jesus-Name. C) 4,13-18: zweimal in V.14, Herr Jesus und Jesus. 71 Vgl. M. T HEOBALD , Die überströmende Gnade. Studien zu einem paulinischen Motivfeld, FzB 22, Würzburg 1982, 218: »Denn das Kreuz bezeichnet nicht nur ein einzelnes Ereignis, sondern das Geschehen, von dem her Jesu Existenz als Ganze ihre Bedeutung erhält.« 72 Vgl. W INDISCH , 2Kor, 145; S CHMITHALS , Gnosis, 77. 73 C. W OLFF , Der zweite Brief des Paulus an die Korinther, ThHNT 8, Berlin 1989, 93. 74 W OLFF , 2Kor, 98. 75 So auch K RUG , Kraft des Schwachen, 200. <?page no="136"?> 122 ihm nur zweimal vorkommt. 76 Die Aussage ne,krwsij tou/ VIhsou/ findet sich nur hier. 4.4.3.1 Das Umhertragen des Sterbens Jesu am Leib (2Kor 4,10-11) Warum gebraucht Paulus hier den Ausdruck ne,krwsij (Sterben) statt des Begriffes qa,natoj (Tod)? Exegetisch umstritten ist, was ne,krwsij bedeutet. Dieser Begriff wird von den Exegeten auf konträre Weise ausgelegt. Die einen verstehen unter ne,krwsij einen Prozess der ständigen Tötung bzw. des Absterbens. 77 Von Jesus wird der Begriff in seiner Passion als Tötung gebraucht. Das bedeutet: Er wurde aus Schwachheit gekreuzigt (2Kor 13,4), als jemand ohne Kraft, als zum Tode Verurteilter (wie Paulus das Wort evpiqana,tioj in 1Kor 4,9 darstellt). Es geht nicht einfach um den Tod selbst, sondern um das Ausliefern zum Tode, was in 4,11 durch para,dosij unterstrichen wird. 78 Bultmann versteht diesen Prozess im Sinne der mit der Taufe einsetzenden sakramentalen Abtötung oder des ständigen Ersterbens als ein existentielles Wirksamwerden des Todes Jesu. 79 Auch Windisch spricht vom Prozess, den er mystisch versteht. 80 Bei Paulus aber ist beides - der sakramentale Sinn bzw. der mystische Sinn - auszuschließen. Auch alle anderen mystischen Interpretationen treffen nicht zu. 76 Vgl. Röm 4,19 außer 2Kor 4,10. Das Verb nekro, w findet sich nur bei Paulus einmal in Röm 4,19, wo nekro,w und ne,krwsij nebeneinander stehen (dreimal im NT außer Röm 4,19 auch Kol 3,5; Hebr 11,22). Ne,krwsij wird im Hellenismus benutzt; F ITZGERALD , Cracks, 177, erklärt nach den antiken medizinischen Autoren: »the mortification of the body is accompanied by several processes and indicated by certain physical symptoms. When nekrosis sets in, a person’s vital power begins to drop, so that he becomes weak and sluggish. His vitality is like a flickering fire that is slowly dying out. As the body looses heat and energy, it becomes cold and livid, and the pulse grows fainter«. 77 So auch C.F.G. H EINRICI , Der zweite Brief an die Korinther, KEK VI, Göttingen 8 1900, 157f.; B ULTMANN , 2Kor, 119; D ERS ., Art. nekro,j ktl ., ThWNT IV (1942), 896-899, 899; B AUER , Wörterbuch, 1059; T HEOBALD , Gnade, 217; vgl. Epict.diss. I 5,4. 78 So auch E BNER , Leidenslisten, 234: »Die Peristasen werden in 4,10 mit dem Tötungsprozeß Jesu (ne,krwsij tou/ VIhsou/ ) bzw. in 4,11 mit seiner Hingabe in den Tod (4,11) in eins gesetzt, während die in den Hintergliedern zum Ausdruck gebrauchten Glaubenshaltungen mit der zwh, Jesu, d.h. seiner Auferstehungswirklichkeit parallelisiert werden«. 79 Vgl. B ULTMANN , 2Kor, 119. 80 So W INDISCH , 2Kor, 144, der die Bezeugung der mystischen Gemeinschaft mit Jesus sieht: Es ist der mystische »Doppelprozeß des Sterbens und der darauf folgenden Erweckung zum Leben«, ein »Sterbeprozeß« in zwei Phasen, »ein Aufsaugen der sterblichen Elemente dieses Leibes« und eine »Verwandlung in das Bild des Herrn« (145); vgl. D ERS ., Paulus und Christus. Ein biblisch-religionsgeschichtlicher Vergleich, UNT 24, Leipzig 1934, 233f. Er versteht diesen mystischen Lebensprozess als einen Prozess der »Vergottung bei Leibesleben«. <?page no="137"?> 123 Dagegen verstehen andere (z.B. Schneider, Güttgemanns) das Wort ne,krwsij als einen Zustand. 81 Güttgemanns führt dazu die Verbindung mit perife,rein an, ein Verb, mit dem nur ein Zustand beschrieben werden kann: »Was Paulus in V.10 beschreibt, ist also eigentlich kein autobiographischer, sondern ein ‚christologischer‘ Zustand«. 82 Danach ist ne,krwsij der Zustand des Totseins wie etwa in Röm 4,19, 83 wo ne,krwsij den Mutterleib der Sara im Zustand des Abgestorbenseins zeigt wie auch den abgestorbenen ( nenekrwme,non ) Leib des Abraham. Der Begriff ne,krwsij bedeutet also nicht allein den Prozess der Tötung, noch nur den Zustand des Totseins wie Röm 4,19, sondern es umschreibt ein prozessual verstandenes Sterben, so etwas wie einen Zustand im Prozess, der sich im Vorgang des Sterbens vollzieht. 84 Eine Auffassung findet sich zusätzlich in Gal 6,17, wo eine mit 4,10 vergleichbare Aussage steht. 85 Bei einem Vergleich von 2Kor 4,10a mit Gal 6,17b können wir strukturelle und inhaltliche Parallelen entdecken: 86 81 So A. S TEUBING , Der paulinische Begriff ‚Christusleiden‘, Heidelberg 1905, 33; J. S CHNEIDER , Die Passionsmystik des Paulus. Ihr Wesen, ihr Hintergrund und ihre Nachwirkungen, UNT 15, Leipzig 1929, 53f; G ÜTTGEMANNS , Der leidende Apostel, 116. 82 G ÜTTGEMANNS , Der leidende Apostel, 116. 83 Zu diesem Verständnis im NT und bei den Apostolischen Vätern vgl. Mk 3,5 im Codex Bezae (D); Herm sim IX. 16,2f. 84 Ne,krwsij hat beide Aspekte, wie selbst W INDISCH , 2Kor, 145, indirekt zugeben muss, obwohl er vom »Prozeß der Tötung« ausgeht (er übersetzt: »ständiges Umhertragen der Tötung Jesu an unserem Leibe«). Vgl. N. B AUMERT , Täglich Sterben und Auferstehen. Der Literalsinn von 2Kor 4,12-5,10, StANT 34, München 1973, 73: »Nekrosis in V.10 meint der Sache nach einen passiven Vorgang: Nicht das ‚Töten Jesu‘, sondern das ‚Töten an Jesus‘, also das ‚Getötetwerden Jesu‘; und auch von dem ‚Leben‘ sind in Vers 10 und 11 passive Aussagen gemacht worden«. 85 Vgl. im Unterschied zu Paulus die apokryphe Stelle 3Kor 3,35: »denn ich habe diese Fesseln an mir, dass ich Christus gewinne, und seine Wundmale an meinem Leib, dass ich gelange zur Auferstehung der Toten«, nach E. H ENNECKE / W. S CHNEE - MELCHER , Apokryphen II, 3 1964, 260. 86 So auch R.C. T ANNEHILL , Dying and Rising with Christ. A Study in Pauline Theology, BZNW 32, Berlin/ New York 1967, 84 Anm. 2. <?page no="138"?> 124 2Kor 4,10b Gal 6,17b th.n ne,krwsin tou/ VIhsou/ evn tw/ | sw,mati perife,rontej ta. sti,gmata tou/ VIhsou/ evn tw/ | sw,mati, mou basta,zw In 4,10 verwendet Paulus das Verb perife,rw , stattdessen in Gal 6,17 bas ta,zw . Der Grund dafür liegt darin, dass normalerweise das griechische Wort für »Sargträger« nekrofo,roj ist, für die Person also, die den Leichnam trägt. 87 Ne,krwsij bedeutet zwar eingentlich im medizinischen Sprachgebrauch das Absterben von Gliedern oder Körperteilen und kann sowohl den Prozess des Sterbens als auch die Tötung bezeichnen, 88 aber Paulus gebraucht es hier nicht in diesem medizinischen Sinn, vielmehr er wählt das Kompositum ne,krwsij und fe, rw im Sinne des griechischen Wortes nekro fo,roj , um auszusagen, dass er an seinem Leib Jesus wie einen Toten herumträgt. Er verkündigt als nekrofo,roj das Sterben Jesu, der gekreuzigt ist, also den Kreuzestod Jesu. An seinem Leib trägt er den Sterbenden, den er verkündigt. Paulus gleicht hier den Umzug im Siegestriumph (2,14) und den Umzug der Funeralien (4,10) an. 89 Beides dient inhaltlich der Verkündigung Jesu. Im Zusammenhang mit 4,11 (par. 4,10) wird über den Begriff paradi,dwmi , der von Paulus als Terminus technicus gebraucht wird (1Kor 11,23; Röm 4,25; 8,32; Gal 2,20), die Verbindung zur Passionsgeschichte gelegt (Mk 9,31; 10,33). Paulus betont das Sterben Jesu in seiner christologischen Bedeutung. Der Grund dafür findet sich in Gal 2,20, wo Paulus sich auf den gekreuzigten Jesus bezieht: parado,ntoj e`auto.n u`pe.r evmou/ (»der sich selbst für mich hingegeben hat«). 90 Bei Paulus wird die Bedeutung von ne,krwsij nicht einfach auf einen Prozess oder Zustand beschränkt. Er gibt vielmehr seinem apostolischen Leiden eine christologische Deutung: ne,krw sij tou/ VIhsou/ . Mit ne,krwsij tou/ VIhsou/ (4,10) versteht Paulus das täglich zu erlebende Leiden in der Missionstätigkeit, das er in 4,8-9 expliziert. Durch die hervorgehobenen Zeitangaben pa,ntote und avei, (bzw. evn panti, in V.8a) ist es kein zufälliges Geschehen im Sinne der Ausnahme, sondern eine die 87 So F ITZGERALD , Cracks, 178. 88 G RÄSSER , 2Kor I, 166. 89 Über die Relation zu beiden Umzügen H.S. V ERSNEL , Triumphus. An Inquiry into the Origin, Development and Meaning of the Roman Triumph, Leiden 1970, 115-129; F ITZGERALD , Cracks, 179 Anm. 171; vgl. Sen. Marc. 3.1 und Plut. Philop. 21.2. 90 Vgl. Röm 6,6. <?page no="139"?> 125 apostolische Existenz allezeit charakterisierende und qualifizierende Erfahrung. Dieser Gedanke führt zur Aussage Pauli »ich sterbe täglich« in 1Kor 15,31. Die Interpretation des Leibes des Paulus als Offenbarungsort erfolgt in paralleler Struktur: 91 4,10a 4,10b 4,11b evn tw/ | sw,mati perife,rontej evn tw/ | sw,mati h`mw/ n fanerwqh/ | fanerwqh/ | evn th/ | qnhth/ | sarki. h`mw/ n ( ne,krwsij tou/ VIhsou/ ) ( zwh. tou/ VIhsou/ ) ( zwh. tou/ VIhsou/ ) Die Verse 10 und 11 bilden aber nicht nur eine strukturelle, sondern auch eine inhaltliche Parallele. Statt th.n ne,krwsin perife,rontej (V.10) wird eivj qa,naton paradido,meqa eingesetzt (V.11), das Verb in V.11a aber in einer passivischen Form. Zudem tritt an die Stelle des Genitivs tou/ VIhsou/ das dia. VIhsou/ n . In V.11 steht nicht im sw/ ma , vielmehr wird von h`mei/ j oi` zw/ ntej gesprochen. Auch steht sa,rx statt sw/ ma . Der ne,krwsij tou/ VIhsou/ steht zwh. tou/ VIhsou/ gegenüber, sie erscheinen jeweils evn tw/ | sw,mati , haben also beide sw/ ma als Objekt. Paulus redet betont vom irdischen Jesus. Das schwache sw/ ma (V.10) bzw. die sterbliche sa,rx (V.11) des Apostels sind der Ort der Erscheinung des Gekreuzigten als des Auferstandenen. Hotzes Ansicht, dass die beiden Verse 10 und 11 streng parallel gestaltet sind, 92 ist richtig. Aber seine weitere These, die in 4,11 vorliegende Wiederholung des Gedankenganges von 4,10 als wiederholende Erläuterung zu verstehen, 93 trifft nicht zu. Paulus betont vielmehr die gegenwärtige Bedeutung des Lebens Jesu für den Apostel. Die Verbindung von Tod und Auferstehung Jesu in den beiden Verse 10 und 11 ist - wie wir gesehen haben - ein häufiger Gedanke bei Paulus. Er ist konstitutiv für den Zusammenhang von 1Kor 1-4 (Kreuz Jesu) und 1Kor 15 (Auferstehung Jesu) und vor allem für die Peristasenkataloge. Diesem Zusammenhang entsprechen Leiden und Leben des Apostels bzw. der Gemeinde. Beachtenswert ist, dass Paulus ein gegenwärtig offenbares Leben Christi von einem eschatologischen Leben unterscheidet und damit die zeitliche Doppelperspektive aus der Eulogie und dem vorangehenden Peristasen- 91 Vgl. 2Kor 1,5; 13,4; Gal 6,17 und Phil 3,10-11. 92 Vgl. H OTZE , Paradoxien, 271. 93 Vgl. H OTZE , Paradoxien, 271. <?page no="140"?> 126 katalog fortführt. 94 Unbestritten ist die eschatologische Bedeutsamkeit des Lebens Jesu. Nach 4,14 weiß Paulus um seine zukünftige Auferweckung. Der gegenwärtige Aspekt der Lebensoffenbarung wird dagegen besonders deutlich in 4,11: Als Lebender ( h`mei/ j oi` zw/ ntej ) wird Paulus ständig in den Tod gegeben, damit auch an seinem sterblichen Fleisch das Leben Jesu offenbar werde. Paulus unterscheidet evn tw/ | sw,mati (10b) von evn th/ | sarki, (11b), Letzteres ist verbunden mit qnhto,j . 95 Während die Offenbarung des Lebens am sw/ ma (4,10) noch keine Auskunft darüber zulässt, ob Paulus das irdische oder eschatologische sw/ ma im Blick hat (vgl. 1Kor 15,44), ist die sa,rx für den Apostel ein Begriff, der im weitesten Sinne für die ganze Sphäre des Irdischen (im Sinne von sterblichem Fleisch) steht. Die innere Qualität des Schatzes (4,7) wird also offenbar in 4,10f. als zwh. tou/ VIhsou/ . Durch fanerwqh/ | wird dieses Offenbarungsgeschehen am Leib des Paulus noch einmal besonders betont. 96 Das Herumtragen der Nekrosis Jesu an seinem Leib (4,10) wird in 4,12 verdeutlicht, womit für den Apostel eigene Bedrängnis verbunden ist. Paulus offenbart den gekreuzigten Jesus, indem er an seinem Leib Leiden trägt. Dieses bewirkt Tod in ihm, sein eigener Leib ist geschwächt und ermattet. Sein äußerer Mensch wird von den Peristasen aufgerieben ( diafqei,retai ). Es ist wichtig für ihn, seine äußere Schwachheit zu betonen, um zu zeigen, dass die Dynamis in seinem Aposteldienst aus Gott kommt, und nicht von ihm selbst (4,7). Das Wort fanerou/ n steht neunmal im 2Kor, 97 es handelt sich also sichtlich um einen wichtigen theologischen Begriff des Paulus. 98 Es ist zu beachten, dass in anderen Briefen bzw. Briefabschnitten Paulus neben fanerou/ n gleichbedeutend 99 das Verbum avpokalu,ptein gebraucht. 100 In 2Kor 2-7 aber fehlt das Verb avpokalu,ptein völlig. Der Begriff fanerou/ n bezieht sich auf die 94 Vgl. K RUG , Kraft des Schwachen, 220. 95 Zur Diskussion über Soma und Sarx: U. S CHNELLE , Paulus. Leben und Denken, Berlin/ New York 2003, 565-571; R.H. G UNDRY , Soma in Biblical Theology. With Emphasis on Pauline Anthropology, MSSNTS 29, Cambridge 1976; K.-A. B AUER , Leiblichkeit - das Ende aller Werke Gottes, StNT 4, Gütersloh 1971; R. J EWETT , Paul’s Anthropological Terms, AGJU 10, Leiden 1971. 96 Vgl. H. S CHULTE , Der Begriff der Offenbarung im Neuen Testament, BEvTh 13, München 1949, 22f.: »Tod und Auferstehung Jesu haben die eine Offenbarung auf uns in Bewegung gebracht, im Evangelium ist sie Gegenwart«. D.h., Offenbarung ist in der Existenz des Apostels präsent. 97 Belege in den Abschnitten 2Kor 2-7: 2,14; 3,3; 4,10.11; 5,10.11; 7,12. Als Substantiv: 4,2. 98 Das Wort fanerou/ n bezeichnet »bei Paulus nie die einfache Tatsache, sondern ein Offenbarmachen oder Offenbarwerden vor einem Publikum« (G EORGI , Gegner, 288; vgl. auch D. L ÜHRMANN , Das Offenbarungsverständnis bei Paulus und in den paulinischen Gemeinden, WMANT 16, Neukirchen-Vluyn 1965, 60f.). 99 Vgl. R. B ULTMANN und D. L ÜHRMANN , Art. fai,nw , ktl ., ThWNT IX (1973), 1-11, 4f. 100 Beide Wortfelder finden sich in 1Kor: avpoka,luptw in 2,10; 3,13; 14,30; Substantiv: 1,7; 14,6.26. Fanero,w : 4,5; Substantiv: 12,7. Ebenso in 2Kor 10-13: avpokalu,yeij in 2Kor 12,1.7 und fanero,w in 2Kor 11,6; vgl. auch Röm 1,17 mit Röm 3,21. <?page no="141"?> 127 Verkündigung des Evangeliums. Eine nahe liegende Erklärung findet sich in 4,2, wo er von der fane,rwsij th/ j avlhqei,aj (Offenbarung der Wahrheit) spricht. Was meint Paulus hier mit avlh,qeia ? Einerseits könnte der vorher bzw. nachher erwähnte lo,goj tou/ qeou/ (4,2) bzw. das euvagge,lion (4,3) gemeint sein. Anderseits begegnet zweimal die Aussage h` avlh,qeia tou/ euvaggeli,ou (die Wahrheit des Evangeliums). Der erste Beleg findet sich in Gal 2,5 im Kontext des sog. Apostelkonzils 2,1-10. Der zweite Beleg findet sich in 2,14 im Bericht über den antiochenischen Konflikt Gal 2,11-21. 101 Es ist zu beachten, dass Paulus in Gal 5,7 nur ein absolutes h` avlh,qeia hat wie in2Kor 4,2. Wir entnehmen daraus, dass h` avlh,qeia in 2Kor »die Wahrheit des Evangeliums« bezeichnet. D.h., die »Offenbarung der Wahrheit« (4,2) kommt der »Offenbarung des Evangeliums« gleich. Sie beinhaltet in unserem Peristasenkatalog 4,10-11 die Offenbarung der zwh. tou/ VIhsou/ . Dass an seinem Leibe die fane,rwsij der zwh. tou/ VIhsou/ geschieht (4,10), ist die Voraussetzung für die zwh, der Gemeinde (vgl. 4,14-15). Die zwh. tou/ VIhsou/ hängt mit der du,namij Gottes in V.7 zusammen. Die du,namij betont Paulus, weil die Auferstehung Jesu von Gottes Dynamis bewirkt wird. 102 Wenn Paulus also in Vers 14 ( o` evgei,raj to.n ku,rion VIhsou/ n kai. h`ma/ j su.n VIhsou/ evgerei/ ) die Auferweckung Jesu erwähnt, so ist darin Wirkkraft Gottes mitausgesagt. Die ne,krwsij tou/ VIhsou/ und die zwh. tou/ VIhsou/ sind der Kern des Evangeliums bei Paulus und zentral in der paulinischen Kreuzes- und Auferstehungstheologie. Weiterhin wird mit fanerou/ n in 2,14 die Verbreitung der Erkenntnis Christi bezeichnet. Dieses Offenbarwerden umschreibt Paulus als Duft Christi (2,15) und Aroma des Lebens (2,16). Als Duft der Erkenntnis Christi, den Gott durch ihn offenbart, wirken nach 4,10f. auch Tod bzw. Leben Jesu, wie sie in den Leidenserfahrungen des Apostels (vgl. die Antithesen in 4,8f.) zum Ausdruck kommen. Gerade durch die an Paulus wahrnehmbare Nekrosis Jesu wird das Ziel verfolgt, die zwh. tou/ VIhsou/ sichtbar zu machen. Die ne,krwsij tou/ VIhsou/ ist präsent und sichtbar im apostolischen Leiden. Wo die ne,krwsij tou/ VIhsou/ geschieht, erscheint die zwh. tou/ VIhsou/ , wird sie doch ständig durch das Herumtragen der ne,krwsij tou/ VIhsou/ bewirkt. Während Paulus an seinem Leib stets die Nekrosis Jesu trägt, wird sein innerer Mensch Tag für Tag erneuert (4,16). Er erfüllt ta. u`sterh,mata tw/ n qli,yewn tou/ Cristou/ in seinem sterblichen Fleisch für die Gemeinde (Kol 1,24). Güttgemanns versteht im Anschluss an Überlegungen von E. Käsemann die Leiden des Paulus als Epiphanie Jesu. Durch dieses christologi- 101 Ausschließlich auf den direkten Konflikt beziehen sich die Verse 2,11-14. Die dann folgenden Verse 2,15-21 schildern eine theologische Weiterführung. 102 Vgl. 2Kor 13,4; Phil 3,10; T ANNEHILL , Dying, 95: »Thus the ‘life of Jesus’ is to be understood as the power of Jesus’ resurrection life«. <?page no="142"?> 128 sche Epiphaniegeschehen offenbart Jesus sich selbst. 103 Wenngleich der Offenbarungscharakter des Apostelamtes nicht ganz abzulehnen ist, ist kaum vorstellbar, dass Paulus meint, er habe wie Jesus gelitten. Es ihm nicht um eine Imitatio der Passion Jesu, noch kann man sagen, dass für Paulus das Leiden Resultat oder Effekt der mystischen Vereinigung mit Christus in der Taufe ist. Vielmehr wird das Leiden bei der Verkündigung des Evangeliums unvermeidlich präsent (vgl. 1Kor 9,16) und hat einen Heilswert für die Offenbarung. Das Verb fanerou/ n kommt in der Umwelt nur selten vor, bei den Gnostikern aber war es ein sehr beliebtes Wort. 104 Aufgrund des in 2Kor häufigen Vorkommens von fanerou/ n vermutet Schulte (wie auch Güttgemanns), Paulus habe den Begriff hier von den Gnostikern übernommen. 105 Dies ist jedoch auszuschließen. Vielmehr erscheint das Verb fanerou/ n bei Paulus in Bezug auf die Verkündigung des Evangeliums. Das besonders betonte dia. VIhsou/ n expliziert den Grund des paulinischen Leidens: Paulus erleidet die Hingabe in den Tod um Jesus willen ( dia. VIhsou/ n ). Damit nimmt er das Motiv von 4,5 wieder auf: 106 4,5b ( khru,ssomen …) e`autou.j de. dou,louj u`mw/ n dia. VIhsou/ n 4,11a eivj qa,naton paradido,meqa dia. VIhsou/ n Für Paulus ist Jesus der Grund für seine Knechtgestalt und die Hingabe in den Tod. Paulus sieht die Identität des erhöhten Herrn (4,5) mit dem Gekreuzigten. Wie er die Leiden Jesu an seinem Leib herumträgt, so wird auch das Leben Jesu durch ihn offenbar. Für Paulus ist der Gekreuzigte der Irdische, wie M. Theobald mit Recht feststellt: »Das Kreuz bezeichnet nicht nur ein einzelnes Ereignis, sondern das Geschehen, von dem her Jesu Existenz als ganze ihre Bedeutung erhält«. 107 Aber seine Behauptung, dass durch den in 4,7-15 beschriebenen Kontext der Jesus-Name mit dem Gekreuzigten verbunden ist, 108 trifft nicht zu. Dort geht es beim Jesus-Namen 103 Vgl. G ÜTTGEMANNS , Der leidende Apostel, 106-107: »Die Leiden des Apostels haben also Offenbarungscharakter. Sie sind ein Epiphaniegeschehen, und zwar (…) ein christologisches Epiphaniegeschehen«. Weiterhin stellt er fest: »Der Kyrios dokumentiert und qualifiziert sich selbst am Soma des Apostels als der gekreuzigte Jesus« (117). Zum Begriff der Offenbarung bei Paulus vgl. K. P RÜMM , Phänomenologie der Offenbarung laut 2Kor, Bib. 43 (1962), 396-416; L ÜHRMANN , Offenbarungsverständnis. 104 Vgl. S CHULTE , Offenbarung, 67ff. 105 Vgl. S CHULTE , Offenbarung, 84. 106 Vgl. T HEOBALD , Gnade, 218. 107 T HEOBALD , Gnade, 218; auch G RÄSSER , Schatz, 308-309; vgl. zudem die Sendungsformeln in Gal 4,4f.; Röm 8,3. 108 Anders S CHMITHALS , Gnosis, 123ff. <?page no="143"?> 129 nicht einfach um den irdischen Jesus 109 noch um den auferweckten Jesus 110 , sondern um den gekreuzigten (bzw. irdischen) und den auferweckten Jesus zusammen. Die ne,krwsij tou/ VIhsou/ wird an den gekreuzigten Jesus gebunden, die zwh. tou/ VIhsou/ an den auferweckten Jesus. Weiterhin spricht Paulus auch in der Bekenntnisformel (V.14ab) von dem gekreuzigten (V.14a) und auferweckten Jesus ( su.n VIhsou/ V.14b). Wenn man den Ausdruck dia. VIhsou/ n im Sinne von um der Verkündigung Jesu willen paraphrasiert, 111 wird dies noch deutlicher. Weil der Kern der Verkündigung des paulinischen Evangeliums der gekreuzigte bzw. auferweckte Jesus ist, ist für Paulus der gekreuzigte und auferweckte Jesus der Grund aller Leiden bzw. der Verkündigung. Paulus ist also Evangeliumsträger, der das Evangelium vom gekreuzigten und auferweckten Jesus verkündigt. 4.4.3.2 Das Verhältnis Apostel - Gemeinde: Tod in uns - Leben in euch (2Kor 4,12) Die Schlussfolgerung ( w[ste ) in 4,12 fasst den ersten Gedankengang von 4,7- 11 zusammen (»Habe-Formel« in V.7 und V.13). Eigentlicher Höhepunkt aber ist die abschließende feierliche Beteuerung mit der Danksagung in 4,15 ( ta. ga.r pa,nta diV u`ma/ j ). 112 Die in V.7b erwähnte du,namij und das evnergei/ sqai 113 gehören semantisch zu einem gemeinsamen Wortfeld. 114 Damit sind die Verse 7 und 12 als Klammer zu verstehen, in denen jeweils Gott das Subjekt ist. In V.12 wird der Adressat angesprochen. Bei dem Gegensatz qa,natoj evn h`mi/ n - zwh. evn u`mi/ n bedenkt Paulus das Verhältnis Apostel - Gemeinde (vgl. 1Kor 4,9ff.). Für Paulus geht es um die Dialektik: Tod am Apostel, Leben für die Gemeinde. Gott wirkt also durch den Apostel an der Gemeinde. Offen ist der Zusammenhang zwischen der Wirksamkeit ( evnergei/ tai ) des Todes auf Seiten des Apostels und der Wirksamkeit des Lebens auf Seiten der angesprochenen Gemeinde. Die Aussage »der Tod wirkt sich in uns aus, das Leben in euch« ist so zu begreifen, dass aufgrund des Herumtragens der Nekrosis Jesu an seinem (V.10) Leib bzw. des Leidens des Apos- 109 Dazu J. M URPHY -O‘C ONNOR , Faith and Resurrection in 2 Cor 4: 13-14, RB 95 (1988), 543-550: Er sieht Jesus in VV.10-11 und 14a und su.n VIhsou/ in V.14b bezogen auf den irdischen Jesus. 110 Dazu J. L AMBRECHT , The Eschatological Outlook in 2Corinthians 4,7-15, in: R. B IERINGER (Hg.), The Corinthian Correspondence, BEThL 125, Leuven 1996, 335-349: Er sieht zwh. tou/ VIhsou/ (V.10b und 11b), dia. VIhsou/ n (V.11a) und su.n VIhsou/ (V.14b) bezogen auf den auferweckten Jesus. 111 So W INDISCH , 2Kor, 145; P. O STEN -S ACKEN , Römer 8 als Beispiel paulinischer Soteriologie, FRLANT 112, Göttingen 1975, 294. 112 Vgl. W ÜNSCH , Kommunikative Handlung, 257. 113 Zu dem Begriff ev nergei/ sqai B AUMERT , Täglich Sterben, 267-283, Exkurs A. 114 Darauf verweist T HEOBALD , Gnade, 219; vgl. Phil 3,21; Gal 3,5; Eph 1,19; 3,7.20; Kol 1,29; Mk 6,14 (Mt 14,2). <?page no="144"?> 130 tels (bzw. seiner Zerbrechlichkeit) die Gemeinde Leben erfährt. Darum sind die Peristasen in V.8f. gegenwärtig zu verstehen, in ihnen wird die du,namij Gottes am zerbrechlichen Apostel wirksam (V.7). Das evnergei/ sqai verweist auf die Rede des Paulus w`j avpoqnh,|skontej kai. ivdou. zw/ men , »als Sterbende, und siehe, wir leben« (6,10) in einem weiteren Peristasenkatalog. 4.4.4 Peristasen, Offenbarung und Auferstehung (2Kor 4,13-14) 4.4.4.1 Glauben und Verkündigen ( pisteu,ein - lalei/ n ) in 2Kor 4,13 Wie in 4,7 wird auch in 4,13 begonnen mit der »Habe-Formel« e; contej de, : : Econtej de. to. auvto. pneu/ ma th/ j ppi,stewj kata. to. gegramme,non\ evpi,steusa( dio. eevla,lhsa( kai. h`mei/ j pisteu,omen( dio. kai. l lalou/ men( Das Partizip e; contej hat hier eine kausale Bedeutung, es bietet den Grund für kai. h`mei/ j pisteu,omen . Der Begriff pi,stij / pisteu,w kommt dreimal in diesem Vers vor. Dort werden die zwei Verben »glauben« ( pisteu,ein ) und »reden« ( lalei/ n ) eingeführt. Mit dem Partikel de, bringt Paulus einen neuen Gedanken, indem er Psalm 116,10 (LXX 115,1) zitiert. 115 Der Psalmist erinnert sich (vgl. den Indikativ Aorist evpi,steusa( dio. evla,lhsa ): Er war bedrängt, hat geglaubt und auf Gott vertraut und dieser hat ihn errettet. Darum ( dio, ) hat er mit seiner Existenz Gottes Heilstat verkündet. Das Verb lalei/ n bedeutet hier das Verkündigen des Evangeliums wie in 1Thess 2,2: lalh/ sai pro.j u`ma/ j to. euvagge,lion (vgl. 2Kor 2,17). Die spezielle Wendung Geist des Glaubens wird sonst nirgendwo von Paulus gebraucht. Demgegenüber ist die Aussage, dass der Glaube aus der Kraft des Geistes kommt, übliche paulinische Redeweise; so ist z.B. in 1Kor 12,9 der Glaube eine der Gnadengaben des Geistes. 116 Interessant ist, dass Wolff in diesem Abschnitt ein trinitarisches Gefälle erkennt: »In V.7 war Gott der Ursprung der Kraft, in VV.10f. war vom Wirken des Sterbens und des Lebens Jesu die Rede, und jetzt wird vom Geist des Glaubens gesprochen«. 117 115 VV. 13-15 als »Midrasch« zu Ps 116, 8-19. 116 Vgl. V.P. F URNISH , II Corinthians. Translated with Introduction, Notes and Commentary, AncB 32A, Garden City 1984, 286, wonach in 1Kor 12,3 das Bekenntnis zu Jesus als dem Herrn nur durch den Geist möglich ist (vgl. auch Röm 10,9). In 1Kor 2,6ff. wird durch den Geist verstanden, ‚was uns von Gott geschenkt wurde‘; vgl. noch Röm 8,14-16; Gal 3,2.5.14; 5,5; vgl auch 1Kor 2,4-5; 1Thess 1,5-7. 117 So C. W OLFF , 2Kor, 94; vgl. auch C. S CHÜTZ , »Der Geist des Glaubens« (2Kor 4,13), in: H. B ÜRKLE (Hg.), Communicatio Fidei. FS E. Biser, Regensburg 1983. <?page no="145"?> 131 To. auvto, bezieht sich nicht auf die Korinther (V.12b), auch nicht auf ein privates Spezifikum des Apostels, sondern auf den Psalmisten im Zitat. Dies wird durch die neutestamentlich singuläre Zitierungsformel kata. to. gegramme,non »entsprechend dem Geschriebenen« klar betont. 118 Das Geschriebene ist vor allem die »Schrift«, das autoritativ Verpflichtende, das Normative. 119 Da Paulus denselben Geist des Glaubens betont, ist es der Geist, der »den Psalmisten aufgrund seines Glaubens zu reden nötigte und dies jetzt auch beim Apostel tut, (denn) Reden und Glauben - hier verstanden als Heilsvertrauen - gehören zusammen«. 120 Der Inhalt seines Glaubens und seiner Verkündigung ist in V.14 dargestellt. Das lalou/ men unterstreicht die Verkündigung des Evangeliums: fane,rwsij th/ j avlhqei,aj (4,2); euvagge,lion (4,4); khru,ssw VIhsou/ n Cristo,n (4,5); qhsauro,j (4,7, im Sinne des Evangeliums); ne,krwsij tou/ VIhsou/ und zwh. tou/ VIhsou/ (4,10); o` evgei,raj kai. evgerei/ (4,14). Paulus verkündigt das Evangelium aufgrund seiner Errettung und hat den Glauben an seine Auferstehung. Dieser Glaube ermöglicht für den Apostel das Ertragen der gegenwärtigen Bedrängnisse und Trübsale. 4.4.4.2 Die Auferstehung und das gegenwärtige Leben der Gemeinde (2Kor 4,14) In Paulus lebt der Glaube, dass Gott, der den Herrn Jesus auferweckt hat, auch uns mit Jesus auferwecken wird (V.14): eivdo,tej o[ti o` evgei,raj to.n ku,rion VVIhsou/ n kai. h`ma/ j su.n V VIhsou/ evgerei/ kai parasth,sei su.n u`mi/ nÅ Vers 14 ist exegetisch umstritten. Baumert versteht das zweite evgei,rw (V.14b) nicht eschatologisch, sondern bezieht es auf das gegenwärtige Leben. 121 Auch betont er, das Verb parasth,sei in V.14c sei nicht eschatologisch, sondern präsentisch zu verstehen. Ähnlich behauptet J. Murphy- O’Connor, dass die Auferstehung des Paulus existentiell verstanden werden muss, nicht eschatologisch. 122 Er fasst damit Leben in 2Kor 4,13-14 118 So G RÄSSER , 2Kor I, 171. 119 G. S CHRENK , Art. gra,fw , ThWNT I (1933), 742-773, 747-749; G RÄSSER , 2Kor I, 171. 120 G RÄSSER , 2Kor I, 171. 121 B AUMERT , Täglich Sterben, 72-114, legt seine Argumente dort vor. 122 Zu dieser Ansicht M URPHY -O‘C ONNOR , Faith and Resurrection, 543-550. Er unterscheidet drei Bedeutungen des Lebens im Brief des Paulus: den physischen Sinn des täglichen Lebens (z.B. 1Thess 4,15; Phil 1,20), den eschatologischen Sinn (z.B. 1Kor 15,22; Phil 4,3) und den ‚existentiellen‘ Sinn, wonach wahres Leben bei denjenigen präsent ist, die aus dem Tod der Sünde ausgezogen sind (z.B. Röm 6,13). <?page no="146"?> 132 existentiell auf. Nach ihm ist die Funktion von su.n VIhsou/ , dass die Auferstehung des Paulus in V.14b sich innerhalb des Rahmens der irdischen Existenz ereignet, da Jesus in den Versen 10-11 und 14a als irdischer Jesus erwähnt wird. 123 Er vergleicht V.14bc mit 2Kor 13,4b, wo das Leben in 13,4b nicht das eschatologische Leben (so in 1Kor 15,22), sondern das existentielle Leben ist. 124 Auch das Verb parasth,sei in V.14c interpretiert er nicht eschatologisch, sondern versteht das Stehen vor dem Richterstuhl präsentisch und parallel zu fanero,w in VV.10-11. 125 Dagegen widerspricht Lambrecht der existentiellen Auslegung von 2Kor 4,13-14 von J. Murphy-O’Connor. 126 Er behauptet, dass Paulus die Aussagen zwh. tou/ VIhsou/ (V.10b und V.11b), dia. VIhsou/ n (V.11a) und su.n VIhsou/ (V.14b) im Sinne des auferweckten Jesus versteht. Bei ihm sei der Gebrauch des Namens Jesus in 2Kor 4,7-15 nicht mehr auf die irdische Existenz Jesu eingeschränkt, sondern es wird durch die Aussage 1Thess 4,13-18 erläutert. 127 Zudem greift schon das Verb fanerou/ mai (4,10f.) auf die eschatologische Erwähnung in 5,10 voraus ( fanerwqh/ nai e; mprosqen tou/ bh,matoj tou/ Cristou/ ) und daher ist auch das pari,sthmi parallel dazu eschatologisch. 128 Deshalb versteht er Glaube und Verkündigung (4,14b) des Paulus eschatologisch: Mit den auferweckten Korinthern wird er vor Gott stehen (4,14c). 129 Paulus gebraucht in dem Versteil 14a eine traditionelle urchristliche Bekenntnisformel »Gott hat Jesus von den Toten auferweckt« 130 (Röm 10,9; Gal 1,1; ferner 1Thess 1,10; 1Kor 6,14; Röm 4,24; 8,11; vgl. auch Kol 2,12; Eph 1,20; 1Petr 1,21), in der auf die Frage geantwortet wird, welcher ist euer Gott. Darauf ergeht die apostolische Antwort: er ist der Gott, der den Herrn Jesus auferweckt hat, und der auch uns mit Jesus auferwecken wird. Zu der Zusammenstellung von Bekenntnisformel und paulinischer Antwort (V.14ab) finden sich Parallelen in 1Kor 6,14 und Röm 8,11: 123 M URPHY -O‘C ONNOR , Faith and Resurrection, 545. 124 M URPHY -O‘C ONNOR , Faith and Resurrection, 548ff. 125 M URPHY -O‘C ONNOR , Faith and Resurrection, 550, schreibt: »It is evident that in VV.10-11 Paul has in mind the world to which his existential proclamation is addressed, and not merely the community of the converted at Corinth. It seems most natural, then, to postulate the same audience in V.14«. 126 Zu dieser Gegenposition L AMBRECHT , Eschatological Outlook, 335-349. 127 L AMBRECHT , Eschatological Outlook, 340. 128 L AMBRECHT , Eschatological Outlook, 346-347. 129 L AMBRECHT , Eschatological Outlook, 344.347. 130 Paulus zitiert hier ohne die traditionelle Schlusswendung »von (den) Toten«, wohl weil sie sich von selbst versteht. <?page no="147"?> 133 2Kor 4,14 1Kor 6,14 Röm 8,11 o` evgei,raj to.n ku,rion VIhsou/ n kai. h`ma/ j su.n VIhsou/ evgerei/ o` qeo.j kai. to.n ku,rion h; geiren kai. h`ma/ j evxegerei/ dia. duna,mewj auvtou/ o` evgei,raj Cristo.n evk nekrw/ n zw|opoih,sei kai. ta. qnhta. sw,mata u`mw/ n Den drei parallelen Aussagen ist das Heilsvertrauen gemeinsam, das mit dem Christusgeschehen für die Christen bestimmend ist, 131 obwohl unterschiedliche Verben verwendet werden. Die jeweils benutzten Verben evgei,rw( evxegei,rw und zw|opoie,w sind futurisch und meinen die zukünftige Auferstehung der Christen, auch wenn der jeweilige Kontext unterschiedlich ist. Gott allein ist das Subjekt der Verben evgei,raj und h; geiren . Die grundsätzliche Struktur der frühpaulinischen Aussage ist gleich: die geschehene Auferstehung Christi garantiert die zukünftige Auferstehung der Christen. Damit wird bestätigt, dass in 2Kor 4,14b die futurische Auferstehung angesprochen wird. Eine ähnliche Formulierung finden wir schon in dem Proömium (2Kor 1,10): o]j ( o` qeo,j , nämlich o` evgei,rwn tou.j nekrou,j in V.9) … evrru,sato h`ma/ j kai. r`u,setai( eivj o]n hvlpi,kamen Îo[tiÐ kai. e; ti r`u,setai . Es ist also festzuhalten: Paulus glaubt daran, dass Gott in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in seinem Leben wirkt. 132 Auch hier wird futurisch von der Rettung durch Gott gesprochen. Parasth,sei in Vers 4,14c bedeutet »hinstellen, vorstellen, präsentieren«. Dies ist hier zwar eschatologisch zu verstehen, jedoch nicht im Sinne einer Präsentation. 133 Paulus wird mit den Korinthern ( su.n u`mi/ n ) zusammen vor Gott stehen, im soteriologischen und nicht - wie in 5,10 (Lambrecht) - im 131 Vgl. auch 1Kor 15,15: o[ti ( o` qeo. j ) h; geiren to.n Cristo,n 15,16 : eiv ga.r nekroi. ouvk evgei,rontai( ouvde. Cristo.j evgh,gertai\ 15,22: evn tw/ | Cristw/ | pa,ntej zw|opoihqh,sontaiÅ 132 Paulus’ Aussagen über Gott folgen oft dem Formular: Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft; vgl. 2Kor 4,14 und 2Kor 1,10. 133 So J. L AMBRECHT , Second Corinthians, SPS 8, Collegeville 1999, 75. Zu dem parista,nai vor Gottes bh/ ma vgl. Röm 14,10 und 2Kor 5,10. <?page no="148"?> 134 gerichtlichen Sinn. 134 Zwar ist das Verb pari,sthmi in der Gerichtssprache belegt, hat aber hier diese Bedeutung - wie etwa 1Kor 8,8 - nicht, sondern meint wohl »vor Gott bringen«, Gott nahe bringen, 135 nämlich die »Gerechtfertigten«. 136 Die Argumentation von Murphy-O’Connor (ähnlich Baumert), dass das Verb parasth,sei in V.14c präsentisch und parallel zu fanero,w in VV.10-11 zu verstehen ist, 137 ist nicht vorstellbar. Hier wird ein kultischer Ausdruck, der das Stehen als Geheiligte in Christus vor dem Angesicht Gottes beschreibt, auf die Situation der eschatlogischen Vollendung übertragen. 138 Unübersehbar ist: Aufgrund der eschatologischen Hoffnung (V.14b) wird für Paulus im gegenwärtigen Leiden mit den Korinthern (V.14c) schon jetzt das Zukünftige erfahrbar. In den Schlussworten mit dem besonders betonten su.n u`mi/ n denkt Paulus - wie schon in V.12 - wieder in der Beziehung Apostel - Gemeinde. Der Sinn ist kontextuell klar: Die apostolische Existenz in Niedrigkeit (VV.8-12) ist mit ihrer »Erhöhung« gemeindebezogen, d.h. ewiges Sein mit Christus (das »mit Jesus« ist auch zugleich »mit euch [Korinthern]«). 139 4.4.5 Die Zweckbestimmung: c ca,rij - du,namij - do,xa (2Kor 4,15) V.15 hat im Zusammenhang mit V.7 folgende Satzstruktur: Hauptsatz mit i[na ; die theologische Sprache - o` qeo,j in V.7 und V.15; die theologischen Zentralbegriffe - ca,rij , du,namij , do,xa . All dies charakterisiert beide Verse als eine inhaltliche Inklusion. 2Kor 4,7-15 wird dadurch zu einem Abschnitt gerahmt. Am Ende dieses Peristasenkataloges nimmt Paulus wieder das Stichwort Herrlichkeit auf, das in 4,1-6 bestimmend ist. Das letztendliche Ziel aller apostolischen Leiden und der Verkündigung wird noch einmal angesprochen: do,xa tou/ qeou/ . 134 Vgl. F. Z EILINGER , Krieg und Friede in Korinth. Kommentar zum 2. Korintherbrief des Apostels Paulus. Teil II: Die Apologie, Wien/ Köln/ Weimar 1997, 188 mit Anm. 176; auch G RÄSSER , 2Kor I, 172. 135 B AUER , Wörterbuch, 1267,1. 136 G RÄSSER , 2Kor I, 173, in Aufnahme einer Aussage von B ULTMANN , 2Kor, 124. 137 M URPHY -O‘C ONNOR , Faith and Resurrection, 550. 138 L ANG , Kor, 282. 139 G RÄSSER , 2Kor I, 172. 4,7 h` u`perbolh. th/ j duna,mewj h=| tou/ qeou/ 4,15 perisseu,sh| eivj th.n do,xan tou/ qeou/ <?page no="149"?> 135 Die Frage stellt sich noch einmal, ob das apostolische Leiden sich auch auf das Leiden der Korinther (bzw. Christen) bezieht. Güttgemanns betont zwar den speziellen apostolischen Charakter des Leidens Pauli: Denn der Dienst am Evangelium impliziert spezielle Schwierigkeiten, also hat das Leiden des Apostels einen eigenen Charakter. Aber ist wirklich das spezielle apostolische Leiden des Paulus etwas anderes als das allgemeine Leiden der Christen? Die Behauptung von Güttgemanns ist zu extrem, wie ein Blick auf 2Kor 1,3-11 zeigt. Dort vergleicht und identifiziert Paulus sein eigenes apostolisches Leiden mit dem Leiden der Christen. Paulus sagt, dass die Korinther dieselben Leiden ertragen, die er leidet (vgl. 1,6). V.15 bestätigt zudem: Leiden und Verkündigung geschehen um der Korinther willen ( ta. ga.r pa,nta diV u`ma/ j ). Mit V.12 wird deutlich festgestellt, dass das apostolische Sterben bei den Korinthern Leben wirkt, von Gott als der überströmenden du,namij bewirkt. So ist folgende Dynamik deutlich erkennbar: 140 4,7 4,8-12a 4,12b-15 Gott Apostel Gemeinde Die in der eschatologischen Hoffnung (4,14f.) zum Ausdruck gebrachte Dynamis bleibt also nicht theoretisch, sondern wirkt vom Apostel auf die Gemeinde von Korinth - und darüber hinaus (4,15b). Für den Glauben ist in dieser Dynamis der paulinischen Mission ein Übermaß von Leben in allem Sterben schon jetzt erfahrbar. Die Peristasen gehen in eine euvcaristi,a über. Diese euvcaristi,a schließt an das Proömium des Briefanfangs an (1,3). Paulus leidet als avpo,stoloj Cristou/ VIhsou/ (1,1). Er hat damit am Leiden Christi teil. Sein Leiden ist Leiden für das Evangelium des Gekreuzigten und für die Korinther. Gott bewirkt gegenwärtig seine Auferweckungskraft am leidenden Apostel. Trost (1,3-11), Dynamis und das Leben in den Peristasen (4,7-15), die über den Apostel hinausreichen, sind Grund der euvcaristi,a . 4.5 Fazit Die deutlichen Gemeinsamkeiten erweisen den Peristasenkatalog 4,7-15 als Echo auf die Eingangseulogie des 2Kor (1,3-11). Zwischen beiden gibt es eine strukturelle Gemeinsamkeit. In 1,3-11 sind die Stichworte Leiden ( qli/ yij bzw. pa,qhma ) und Trost ( para,klhsij ) bestimmend. Daraus wird ersichtlich, dass das Proömium im 2. Korintherbrief ein Vorspiel der Peristasen ist, die danach in vier Katalogen (Kap. 4, 6, 11, 12) entfaltet werden. 140 Vgl. H OTZE , Paradoxien, 260. <?page no="150"?> 136 In unserem Text wird die von Schwachheit bzw. Leid bestimmte Seite der Apostelexistenz charakterisiert. In 4,7 kommt mit der Gegenüberstellung von Schatz und irdenen Gefäßen eine Antithetik in den Text. Die Aussage to.n qhsauro. n tou/ ton ist dies nicht auf den apostolischen Dienst zu beziehen, vielmehr auf das Evangelium. Als Bezugsobjekt von qhsauro,j zeigt sich die Erleuchtung des Paulus durch das Evangelium, seine Beauftragung mit der diakoni,a kainh/ j diaqh,khj . Mit skeu/ oj bezeichnet er seine leibliche schwächliche Existenz, die zu der do,xa des Dienstes kontrastiert. Diese herrliche diakoni,a wird im kleinen Peristasenkatalog VV.8f. weitergeführt. Die Verse 4,10-12 verknüpfen die paulinischen Peristasen mit der ne,krwsij tou/ VIhsou/ (Sterben Jesu). Die Aussage ne,krwsij tou/ VIhsou/ bedeutet weder den Prozess der Tötung allein noch nur den Zustand des Totseins wie in Röm 4,19. Vielmehr ist es als ein prozessual verstandenes Sterben zu verstehen. Ne,krwsij bedeutet zwar eingentlich im medizinischen Sprachgebrauch das Absterben von Gliedern oder Körperteilen, aber Paulus gebraucht es hier nicht in diesem medizinischen Sinn, vielmehr wählt er das Kompositum ne,krwsij und fe, rw im Sinne des griechischen Wortes nekrofo,roj , um zu erläutern, dass er an seinem Leib Jesus wie einen Toten herumträgt. Er verkündigt wie nekrofo,roj das Sterben Jesu, also den Kreuzestod Jesu. Paulus versteht diesen apostolischen Dienst als neuen Bund (3,6) und Schöpfungsakt (4,6). Er ist also Träger des Evangeliums ( fo,roj tou/ euvaggeliou/ ), der das Evangelium vom gekreuzigten (V.10a) und auferweckten Jesus (V.10b) verkündigt. Das schwache sw/ ma (V.10) bzw. die sterbliche sa,rx (V.11) des Apostels sind der Ort der Offenbarung des Gekreuzigten als des Auferstandenen. Vor allem zur christologischen Interpretation des paulinischen Apostolates - es geht um den Offenbarungscharakter der zwh. tou/ VIhsou/ durch den Apostel (10b; 11b) - sind die Peristasen zusammengefasst. Durch das Tragen des Sterbens Jesu an seinem Leib wird er offensichtlich zum Offenbarungsträger für das Leben Jesu. Das von Paulus als Schatz definierte Evangelium wird durch sein Leiden erleuchtet: Denn das Leiden des Paulus bewirkt das Leben der Gemeinde. Wie sich dieses Offenbarungsgeschehen für die Gemeinde auswirkt, wird in V.12 deutlich: »Der Tod wirkt in uns, das Leben aber in euch ( o` qa,natoj evn h`mi/ n evnergei/ tai( h` de. zwh. evn u`mi/ n )«. Denn die Gemeinde ist sein pneu,mati qeou/ zw/ ntoj (mit Geist des lebendigen Gottes) geschriebener »Brief Christi« (2Kor 3,2f.). Unter Rückgriff auf eine traditionelle Bekenntnisformel, dass Gott, der den Herrn Jesus auferweckt hat, auch uns mit Jesus auferwecken wird, bekennt er, dass für die Gemeinde zukünftiges Leben schon jetzt gegenwärtig wird. In dieser theologischen Qualifizierung der Leiden unterscheiden sich die in diesem Katalog formulierten Peristasen von vergleichbaren Aussagen in der Stoa und dem AT bzw. der Apokalyptik: Das erfahrene Leben im Leiden dient der Erbauung der Gemeinde und ist schon jetzt gegenwärtig. <?page no="151"?> 137 Die apostolische Existenz des Paulus ist geprägt durch die Erfahrung der Rettung aus Todesgefahren und hoffnungslosen Situationen. Das Leiden des Paulus führt zu Todesgefahren, aber Gott hat ihn immer wieder gerettet. Solche Schwachheit bewirkt Vertrauen auf Gott, der aus dem Tod auferweckt. Nur Gott allein bewirkt Rettung aus der Todesgefahr wie in 2Kor 1,8-10. Das Leiden des Paulus bzw. der Gemeinde wirkt Trost Gottes, dies führt zum Lobpreis Gottes, der von dem Todesleiden errettet. Paulus erkennt wie in 1Kor 1,18-2,5 und 2Kor 1,8-10, dass in der Schwachheit des Apostels die du,namij Gottes zur Vollendung kommt. Diese Erfahrung ist als Ort des apostolischen Dienstes zu begreifen: Gott lässt seine Auferweckungskraft bereits in der Gegenwart an dem wirken, der für das Evangelium des Gekreuzigten leidet. Paulus leidet als Schwacher, aber aus der Kraft Gottes lebt er. Durch die du,namij Gottes wird die leidende apostolische Existenz zur Verkündigung. Paulus ist Träger des Offenbarungsgeschehens des Gekreuzigten, darin findet er den Grund, seinen Dienst als diakoni,a kainh/ j diaqh,khj und Schöpfungsakt Gottes zu charakterisieren. Dieser Diener des neuen Bundes ist also der Christus-Leiden tragende Diener. Durch seine Peristasen gibt er den Korinthern die Kreuzesbotschaft in existenzialer Interpretation als »Gemeinschaft« mit den Leiden Christi ( koinwni,a Îtw/ nÐ paqhma,twn auvtou/ ( ), als »Gleichgestaltung« mit seinem Tod ( summorfh, tw/ | qana,tw| auvtou/ ) zu verstehen (vgl. Phil 3,10). 141 141 Vgl. G RÄSSER , 2Kor I, 167. <?page no="153"?> 139 5 Der Apostel als Diener Gottes: Der Peristasenkatalog 2Kor 6,3-10 5.1 Strukturschema des Textes 3 mhdemi,an evn mhdeni. dido,ntej proskoph,n( i[na mh. mwmhqh/ | h` diakoni,a( 4 avllV evn panti. sunista,ntej e`autou.j w`j qeou dia,konoi( evn u`pomonh/ | pollh/ |( evn qli,yesin( evn avna,gkaij( evn stenocwri,aij( 5 evn plhgai/ j( evn fulakai/ j( evn avkatastasi,aij( evn ko,poij( evn avgrupni,aij( evn nhstei,aij( 6 evn a`gno,thti( evn gnw,sei( evn makroqumi,a|( evn crhsto,thti( evn pneu,mati a`gi,w|( evn avga,ph| avnupokri,tw|( 7 evn lo,gw| avlhqei,aj( evn duna,mei qeou/ \ dia tw/ n o[plwn th/ j dikaiosu,nhj tw/ n dexiw/ n kai. avristerw/ n( 8 dia. do,xhj kai. avtimi,aj( dia. dusfhmi,aj kai. euvfhmi,aj\ w`j pla,noi kai. avlhqei/ j( 9 w`j avgnoou,menoi kai. evpiginwsko,menoi( w`j avpoqnh,|skontej kai. ivdou. zw/ men( w`j paideuo,menoi kai. mh. qanatou,menoi( 10 w`j lupou,menoi avei. de. cai,rontej( w`j ptwcoi. pollou.j de. plouti,zontej( w`j mhde.n e; contej kai. pa,nta kate,contejÅ <?page no="154"?> 140 5.2 Der Kontext von 2Kor 6,3-10 Der Peristasenkatalog 2Kor 6,3-10 steht zweifellos im Rahmen der sog. 1. Apologie 2Kor 2,14-7,4 (ohne den Einschub 6,14-7,1), wie schon 2Kor 4,7- 15. Der Text 6,3-10 folgt der versöhnungstheologischen Grundlegung in 5,11-21. Die Frage der formalen Zugehörigkeit unseres Abschnitts ist in der Literatur wenig diskutiert, sie spielt aber eine wichtige Rolle für das Verständnis dieses Peristasenkataloges. Die Abschnitte 4,7-15 und 6,3-10 im 2. Korintherbrief sind als Peristasenkataloge verwandte Texte, obwohl sie beide einen verschiedenen Kontext und unterschiedliche Funktionen haben. Der von R. Bultmann vertretenen Auffassung, dass dieser Abschnitt sich auf die Kraft des eschatologischen Geschehens beschränke, 1 ist deshalb nicht zuzustimmen. Zudem handelt es sich weder um ein »stolzes Preislied« 2 noch um einen »Hymnus«. 3 Der Text ist m.E. als Selbstempfehlung des apostolischen Dienstes zu bezeichnen. Dies ergibt sich schließlich aus dem näheren Kontext des Abschnittes. 5.2.1 Analyse des Kontextes Wenden wir uns der syntaktischen Zuordnung zu, so sehen wir ein besonderes Merkmal, dass nämlich der ganze Abschnitt als ein Satz auf dem Hauptverb parakalou/ men in V.1 ruht. Vor dem Peristasenkatalog 6,3-10 steht - theologisch pointiert charakterisiert - die versöhnungstheologische Grundlegung zum Thema »Dienst der Versöhnung ( diakoni,a th/ j katalla gh/ j )« in 5,11-21. Paulus verbindet also seinen apostolischen Dienst mit dem Leidensthema in seiner Apologie. Dies wird in V.3b durch einen Finalsatz zur Einleitung des ab V.4b folgenden Peristasenkataloges unterstrichen. Paulus ermahnt als Mitarbeiter (vgl. sunergou/ ntej , 6,1), die diakoni,a th/ j katallagh/ j anzunehmen, um dieser diakoni,a willen niemandem ( evn mhdeni, ) einen Anstoß zu geben, sondern sich evn panti, zu empfehlen als Diener Gottes ( w`j qeou/ dia,konoi ). In 5,18 taucht der Begriff diakoni,a auf, der schon in 4,7-15 eine wichtige Rolle spielte und an den Paulus in 6,3 wieder anknüpft. Für das Verständnis des ganzen Peristasenkataloges ist die Überschrift evn panti. sunista,ntej e`autou.j w`j qeou/ dia,konoi in 4a zentral: Paulus versteht sich selbst - gemäß 5,20 - als dessen Botschafter (vgl. presbeu,omen ). Der Peristasenkatalog 6,3-10 enthält nicht nur Leiden wie die anderen Peristasenkataloge (1Kor 4; 2Kor 4; 11; 12), sondern zählt auch Tugenden auf, um in widrigen Umständen zu bestehen und zugleich Gesinnung in 1 B ULTMANN , 2Kor, 171. 2 L IETZMANN / K ÜMMEL , Kor, 129. 3 W INDISCH , 2Kor, 201ff.; W ENDLAND , Kor, 138. <?page no="155"?> 141 seinem Verhalten zu zeigen. Die Aufzählung dieser Tugenden beginnt mit u`pomonh, in V.4 und wird in VV.6-7a fortgeführt. Das umfassende evn panti, wird durch 18 evn -Aussagen konkretisiert und die Charakterisierung als Diener Gottes wird durch entsprechende w`j -Aussagen entfaltet (VV.8-10). 4 Die w`j -Aussagen werden durch dialektisch aufeinander bezogene Partizipien (Ausnahme: V.9b kai. ivdou. zw/ men ) ergänzt. Die Antithesen in VV.8-10 sind nach dem Schema von Schein und Sein gebildet. Den Peristasenkatalog kann man in fünf Abschnitte gliedern: 3-4a; 4b-5; 6-7a; 7b-8a; 8b- 10. Zu 2Kor 6,3-10, dem Peristasenkatalog mit integriertem Tugendkatalog (5f.), bietet der schon von Windisch als wundervolle Parallele herangezogene Katalog in slavHen 66,6 die stärkste Berührung. Die literarische Form ist eine antithetisch gestaltete Aneinanderreihung von Bedrängnissen, in denen sich der Weise oder Gottesmann bewährt. Diese Form begegnet sowohl in der griechischen Literatur (Dio Chrysostomus, Orationes VIII 15ff.) 5 als auch in der jüdischen Apokalyptik (z.B. slavHen 66,6). 6 Im Stil des Peristasenkataloges wird der apostolische Dienst charakterisiert, wie es vor allem in 2Kor 11,21b-30, 12,9-10, aber auch andeutungsweise in 1Kor 4,6- 13 und 2Kor 4,7-15 geschieht. 5.3 Der Peristasenkatalog als apostolische Selbst-Empfehlung Kann man diesen Peristasenkatalog 2Kor 6,3-10 als eine »Selbstempfehlung« des apostolischen Dienstes verstehen? Es fällt auf, dass Paulus vor allem in Verbindung mit seinem Apostolat von der Selbstempfehlung spricht. Unter diesem Gesichtspunkt spricht er in 3,1-3 von dem Empfehlungsbrief ( sustatikh. evpistolh, ) 7 - wir empfehlen uns selbst ( e`autou.j sunista,no - 4 Vgl. B ARRE , Eschtologic Person, 500-526, 523-524. 5 Vgl. R. H ÖISTAD , Eine hellenistische Parallele zu 2Kor 6,3ff., CNT 9 (1944), 22-27; M.E. T HRALL , Second Epistle to the Corinthians I.II, ICC, Edinburgh, 1994/ 2000, Bd. I, 457. 6 W INDISCH , 2Kor, 206; B ULTMANN , 2Kor, 171. Aber die zeitliche Priorität von slavHenoch ist umstritten. Dazu vgl. F ITZGERALD , Cracks, 16f. Anm. 56; vgl. T HRALL , 2Cor I, 457 Anm. 1867; U. F ISCHER , Eschatologie und Jenseitserwartung im hellenistischen Diasporajudentum, BZNW 44, Berlin/ New York, 1978, 39; J.T. Milik, The Books of Enoch, Oxford, 1976, 107-116; A. Rubinstein, Observations on the Slavonic Book of Enoch, JJS 13 (1962), 1-21; N. B ONWETSCH , Das slavische Henochbuch, Berlin 1896, 54. 7 Empfehlungsbriefe waren eine übliche Praxis, nicht nur bei den Griechen bzw. Lateinern, sondern auch bei den Rabbinen (vgl. Bill. II 657.698). Vgl. H.-J. K LAUCK , Die antike Briefliteratur und das Neue Testament. Ein Lehr- und Arbeitsbuch, UTB 2022, Paderborn u.a. 1998, 75-79. Solche Empfehlungsbriefe sprechen neben der besonderen Beziehung zum Briefschreiber vor allem die persönliche Zuverlässigkeit ( pi,stij ) des Empfohlenen an. Klauck schreibt: »Als Grundkonstellation schält sich ein Drei- <?page no="156"?> 142 men ). Er leitet damit zu seinem Selbstverständnis als Apostel über, »Diener des neuen Bundes (3,6a)« zu sein. Selbstempfehlung spielt eine wichtige Rolle für die Thematik des 2Kor, speziell für den apostolischen Dienst. Sie bezieht sich auf die Frage: Wer ist zum Aposteldienst befähigt und beauftragt (vgl. 2,16; 3,5)? Die Aussage Sich-selbst-Empfehlen findet sich in 4,2 und 5,12, auch in 6,4 (außerdem noch 7,11; 10,12.18), 8 allerdings in unterschiedlicher Bedeutung, wie ich mit folgendem Schema zu zeigen versuche: Durch die griechische Satzstellung wird bestätigt: In 3,1; 5,12; 10,12 und 10,18 wird das Objekt selbst ( e`autou,j ) betont vorangestellt (»wir selbst empfehlen uns«), in 4,2; 6,4 und 7,11 aber wird es nachgestellt (»wir empfehlen uns selbst«). 9 Wie in 3,1, so lehnt Paulus auch in 5,12 das Selbst-Empfehlen ( e`autou.j sunista,nein ) ab, dagegen spricht er in 4,2 und 6,4 positiv vom sunista,nein e`autou,j . Spricht er positiv, dann ist die Selbst-Empfehlung entweder auf die Gemeinde (7,11) oder auf sich selbst (4,2; 6,4) bezogen. 10 Eiecksverhältnis zwischen dem Briefschreiber (A), dem Briefempfänger (B) und dem Empfohlenen heraus (C) (…) Getragen wird der Empfehlungsbrief also von bereits bestehenden Beziehungen zwischen A und B und zwischen A und C« (76). Paulus spricht selbst Empfehlungen aus: Er empfiehlt Phöbe (Röm 16,1f.), Titus (2Kor 8, 23f.), Epaphroditus (Phil 2,25-30), Timotheus (1Kor 10f.), Philemon (Phlm) und vor allem die Überbringer der Kollekte nach Jerusalem (1Kor 16,3). In der Kommunikationswissenschaft ist ein Empfehlungsbrief bis heute noch wichtig, um Beziehungen zwischen unbekannten Partnern herzustellen; vgl. R. R ECK , Kommunikation und Gemeindeaufbau. Eine Studie zu Entstehung, Leben und Wachstum paulinischer Gemeinden in den Kommunikationsstrukturen der Antike, SBB 22, Stuttgart 1991, 112; vgl. G RÄSSER , 2Kor I, 120. 8 Sunista,nein ohne e`autou,j kommt noch in 2Kor 10,18; 12,11 vor. 9 Z EILINGER , Krieg II, 68; vgl. auch F ITZGERALD , Cracks, 187: »Every time in 2 Corinthians that Paul wishes to make a negative comment about self-commendation he places the pronoun before the verb (3: 1; 5: 12; 10: 12,18; compare 4: 5: e`autou.j khru,ssomen ). When he speaks positively, (…) he places it after the verb. Selfcommendation is castigated, self-commendation is approved«. 10 Dazu F ITZGERALD , Cracks, 187. 3,1 4,2 5,12 6,4 7,11 10,12 10,18 e`autou.j sunista,nein sunista,nontej e`autou, j e`autou.j sunista,nomen sunista,ntej e`autou,j sunesth,sate e`autou,j e`autou.j sunistano,ntwn e`auto.n sunista,nwn negativ positiv negativ positiv positiv negativ negativ <?page no="157"?> 143 gentlich ist Selbstempfehlung für Paulus - wie jede Form des Sich-Rühmens (vgl. 2Kor 12,1; 1Kor 1,29; 3,21a; Gal 6,14) - ausgeschlossen. Sie geschieht dennoch hier wegen des Selbstrühmens seiner Gegner (vgl. 2Kor 10,12-13). Selbstempfehlung gilt also nur im Sinne des Empfohlen-Seins und aufgrund seines apostolischen Dienstes: durch die Offenbarung der Wahrheit (4,2; dagegen 2,17) oder als Diener Gottes empfehlen wir uns. Damit schließt Paulus jene aus, die sich nach dem Äußeren ( evn prosw,pw| ) rühmen, nicht aber nach dem Herzen ( evn kardi,a| ) (5,12). Denn fähig ist nicht der, der sich selbst empfiehlt, sondern der, den der Herr empfiehlt (10,18). Hier begegnet die Gegenüberstellung von »dem, der sich selbst empfiehlt ( o` e`auto.n sunis ta,nwn )« und »dem, den der Herr empfiehlt ( o` ku,rioj suni,sthsin )«. 10,18 begründet 10,17, dort begegnet die gleiche Gegenüberstellung von »Selbst- Ruhm« und »Ruhm im Herrn«: »Wer sich aber rühmt, rühme sich des Herrn ( o` de. kaucw,menoj evn kuri,w| kauca,sqw ; vgl. 1Kor 1,31; Jer 9,22f.)«. 11 Solch wahres kauca/ sqai begegnete schon in der Argumentation des Peristasenkatalogs 1Kor 4,6-13. Für Paulus beziehen sich seine Selbstempfehlung und sein Selbstrühmen auf diejenigen Autoritäten, die sich ihrer eigenen Stärke rühmen und seine Schwachheit als fehlende Legitimation betrachten (10,10.12; 11,5f.12ff.). Mit dieser Art von Selbstempfehlung erweist Paulus seine Beauftragung als Diener Gottes, wobei er die ihm gegenüber erhobenen Vorwürfe als seine Selbstempfehlung präsentiert: 12 Nicht nach der von den Gegnern betriebenen Selbstempfehlung, sondern aufgrund der Empfehlung durch den Herrn (3,5f.). Die Existenz der korinthischen Gemeinde ist sein eigentlicher Empfehlungsbrief (3,2), 13 sie kann er als Brief Christi charakterisieren (3,3a): Die Gemeinde ist sein Ruhm, er ist auch ihr Ruhm (1,14). Für Paulus gilt als Grundsatz des Rühmens das Rühmen im Herrn. Dieser Herr ist der Gekreuzigte. In 11,30 und 12,9 wird deshalb dieses Rühmen als Rühmen der Schwachheit entfaltet. 5.4 ddia,konoj bzw. diakoni,a bei Paulus Zum Begriff diakone,w ktl . gibt es in der paulinischen und nachpaulinischen Briefliteratur keinen einzigen Beleg im Zusammenhang von Mahlzeiten bzw. frühchristlichen Herrenmahlsfeiern, während er in den Evangelien in erster Linie zur Bezeichnung des Tischdienstes gebraucht wird. 14 Die 11 Dazu ausführlicher in Peristasenkatalog 11,21b-30. 12 Vgl. S CHRÖTER , Versöhner, 192. 13 Paulus selbst empfiehlt (vgl. suni,sthmi ) den Adressaten im Römerbrief die Phöbe, die dia,konoj und prosta,tij war (Röm 16,1-2). 14 Vgl. A. H ENTSCHEL , Diakonia im Neuen Testament. Studien zur Semantik unter besonderer Berücksichtigung der Rolle von Frauen, WUNT II/ 226, Tübingen 2007, 7. <?page no="158"?> 144 Begriffe dia,konoj bzw. diakoni,a bei Paulus entwickeln sich in ihren unterschiedlichen Bedeutungen aus dem gemeindlichen Leben. 15 5.4.1 Diakonia als Geistbegabung innerhalb der Charismenkataloge Diakoni,a ist bei Paulus in den Protopaulinen durch Geistbegabung charakterisiert: In 1Kor 12,4-11 (vgl. auch in Röm 12,6-8) wird der Begriff im Rahmen eines Charismenkataloges verwendet, in dem Paulus mit dem Oberbegriff Charisma ( ca,risma 1Kor 12,4; vgl. auch Röm 12,6) die von Gott geschenkte Gabe qualifiziert. 16 In 1Kor 12, 4-6 ist der allen Charismen gemeinsame Ursprung Gott. Drei Parallelbegriffe - cari,smata , diakoni,ai und evnergh,mata - werden auf verschiedene Aspekte bezogen, die alle drei mit dem gleichen Nomen regens diai,resij beginnen. Indem die drei Begriffe dem Oberbegriff pneumatika, zugeordnet werden, sind sie im Sinne der Geistbegabung zu verstehen, worauf sich die Anfrage peri, ( peri. de. tw/ n pneumatikw/ n ) der korinthischen Gemeinde bezieht. In 1Kor 12,4 wird mit der Bezeichnung Charisma auf den Gabecharakter der pneumatischen Fähigkeit der Korinther verwiesen, wobei der Geist als der einheitliche Ursprung (vgl. to. de. auvto. pneu/ ma ) verschiedenartiger Begabungen gekennzeichnet wird. Zudem wird die Relevanz aller Geistesgaben für den gemeinsamen Nutzen betont (12,7). Dabei lässt sich der Dienstgedanke weder im Sinne des Dienstes für andere 17 noch im Sinne von Beauftragung präzisieren. Die Funktion der Diakonia in 1Kor 12,4 bezeichnet noch nicht ein Amt, das an feste Personen mit organisatorischen oder karitativen Funktionen in der Gemeinde gebunden ist. Diese Funktion als Amt im Sinne von Gemeindeämtern wird später entwickelt. Die Diakonia kann also als Geistbegabung verstanden werden, wobei die verschiedenen Charismen auf den sie bewirkenden einen Geist bezogen sind. In diesem Sinne wird Diakonia auch in Röm 12,6-8 aufgenommen, obwohl es in 1Kor 12,4-11 und in Röm 12,6-8 um unterschiedliche Dienste und Aufgaben in den Gemeinden geht. In Röm 12,6-8 werden vier Begabungen aufgezählt, die als eine Gabe des Geistes anzusehen sind: profhtei,a , diakoni,a , didaskali,a und para,klhsij . Dabei unterscheidet Paulus in 12,6a zwischen ca,rij als der Gabe Gottes und cari,smata als der angemessenen Ausübung der Gaben. 18 Auch hier ist diakoni,a weder im Sinne karitativer Aufgaben noch genauer Aufgaben in 15 Das Thema Diakonos bzw. Diakonia bei Paulus betrifft nicht nur diesen Peristasenkatalog, sondern alle Peristasenkataloge. 16 Zur semantischen Darlegung vgl. S CHRAGE , 1Kor III, 137-141. Danach beziehen sich ca,risma bzw. cari,smata auf den Ursprung der Gaben in der Gnade Gottes in der Gemeinde, während pneumatiko,j bzw. pneumatika, die »wirkmächtige Gegenwart des Göttlichen« bezeichnen. Vgl. auch S CHNELLE , Paulus, 656. 17 Vgl. S CHRAGE , 1Kor I, 290; D ERS ., 1Kor III, 144; W OLFF , 1Kor, 288. 18 Vgl. H ENTSCHEL , Diakonia, 145. <?page no="159"?> 145 der Gemeinde zu verstehen, 19 die auf eine spezifische offizielle Beauftragung zurückgehen, vielmehr als Geistbegabung (so wie in 1Kor 12,4ff.), wobei die diakoni,a wie die anderen drei Begabungen dem Leitbegriff Charisma ( ca,risma 12,6) zugeordnet ist. 5.4.2 ddia,konoj bzw. diakoni,a als Verkündigungsauftrag innerhalb der Peristasenkataloge Die Diakonia innerhalb der Charismenkataloge in 1Kor 12,5 und auch in Röm 12,7 ist noch nicht als Verkündigungsauftrag und auch nicht als Amt zu verstehen, sondern als Geistbegabung. Innerhalb der Peristasenkataloge aber tritt demgegenüber das Verständnis im Sinne des Verkündigungsauftrages in dem Vordergrund, d.h. der Charakter der Geistbegabung im Charismenkatalog geht im Peristasenkatalog in den Verkündigungscharakter über. In der Wendung evpistolh. Cristou/ diakonhqei/ sa u`fV h`mw/ n (2Kor 3,3) geht es um den von Christus verfassten und autorisierten Brief, wobei das Partizip diakonhqei/ sa als Botentätigkeit zu deuten ist bzw. als Tätigkeit des autorisierten Überbringens einer Botschaft. 20 Dem entspricht die mögliche Verwendung von dia,konoj im Sinne von Bote, Botschafter im Rahmen seiner Rolle als beauftragter Verkündiger des Evangeliums. 21 In diesem Zusammenhang wird in 2Kor 3,6 dia,konoj als Beauftragter im neuen Bund ( dia,konoj kainh/ j diaqh,khj ) verstanden, der aus dem Sinnzusammenhang der Überbringung von Briefen herausgezogen und vor den Hintergrund der alttestamentlich-jüdischen Bundestheologie (z.B. Bezug zu Jer 31,31-34) gestellt wird. 22 Entsprechend geschieht die Befähigung des Paulus zum Verkündiger des neuen Bundes in Gottes Auftrag. Mit der Wendung e; contej th.n diakoni,an tau,thn (2Kor 4,1) wird diese Diakonia des Paulus auf die Aussage seines Verkündigungsauftrages in 2Kor 3,6-18 bezogen. Auffallend ist, dass Paulus sich selbst empfiehlt (4,2) und sich selbst als dia,konoj eines Bundes in Gottes Auftrag darstellt (3,6), kommt doch der Geist als auch die mit diesem verbundene Doxa der ganzen Gemeinde zu (3,18). Paulus als dia,konoj ist Beauftragter des neuen Bundes (3,6; 4,1). Dabei entspricht dem neuen Bund bei Paulus die Verkündigung des Kreuzesgeschehens im Peristasenkatalog 2Kor 4,7-15. Paulus versteht sich als dia,konoj bei der Ver- 19 Vgl. auch B. B YRNE , Romans, SPS 6, Collegeville 1997, 373; vgl. auch J.A. F ITZMYER , Romans, AB 33, New York 1993, 648. B YRNE , Romans, 373, meint zwar, dies sei unwahrscheinlich, aber er schließt karitative Inhalte nicht aus. 20 Vgl. H ENTSCHEL , Diakonia, 102. 21 Dagegen G RÄSSER , 2Kor I, 122, der ein Verständnis der Verkündigung des Paulus im Sinne von Diakonia annimmt. 22 Vgl. H ENTSCHEL , Diakonia, 104. Der Bundesgedanke ist bei Paulus noch in 1Kor 11,25 anzutreffen; vgl. zum Traditionshintergrund P. B ARNETT , The Second Epistle to the Corinthians, NIC.NT, Grand Rapids 1997, 174-178. <?page no="160"?> 146 kündigung der Versöhnung ( diakoni,a th/ j katallagh/ j ) in 2Kor 5,11-21. In der Diakonia der Versöhnung, die Paulus mit seiner individuellen Gotteserfahrung (5,18) 23 begründet, versteht er sich als dia,konoj des neuen Bundes. Dabei ist die Diakonia des Paulus Versöhnungshandeln Gottes und führt in das Zentrum seines Verkündigens als Evangeliumsverkündigung von Kreuz und Auferstehung Jesu Christi (14b-15) bzw. als »neue Schöpfung« (5,17; vgl. der Gedanke des neuen Bundes 3,7-18). 24 Entsprechend empfiehlt sich Paulus als dia,konoj Gottes (6,4, qeou/ dia,konoi ) im Peristasenkatalog 6,3-10. Er verweist in seiner Existenz als Diakonos Gottes auf seine Beauftragung zur Verkündigung der Versöhnung Gottes (vgl. 5,18, diakoni,a th/ j katallagh/ j ) in Jesus Christus, auf den Inhalt seiner Verkündigung, die Botschaft von Kreuz und Auferstehung Christi. 25 Darin erweist er sich als geeigneter wahrer Diakonos Gottes mit Hilfe der Kraft Gottes. Diakonos im Peristasenkatalog 2Kor 11,21b-30 steht im Zusammenhang der Auseinandersetzung mit gegnerischen Missionaren in der korinthischen Gemeinde. Dabei ist nicht davon auszugehen, dass Paulus in 2Kor 11 mit Dienst seine aufopfernde Tätigkeit gegenüber der Gemeinde zu beschreiben sucht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Paulus sich gegenüber den fremden Missionaren, die mit einem vergleichbaren Autoritätsanspruch im Blick auf die Evangeliumsverkündigung auftreten, als beauftragter Bote Christi ausweist. 26 Deshalb musste er die Mission und sein Evangelium verteidigen (vgl. 11,4.22f.), wobei er seine Schwäche gemäß der Verkündigung der Kreuzesbotschaft interpretiert. Im Zusammenhang damit ist die Frage aufzuwerfen, ob Paulus einen Unterschied zwischen dia,konoj und av po, stoloj macht, warum er in den Peristasenkatalogen stets dia,konoj statt avpo,stoloj gebraucht. Bei Paulus liegt eine Differenzierung zwischen dem Begriff dia,konoj und avpo,stoloj vor. Der Begriff avpo,stoloj ist im Sinne der Sendung verwendet, während die Bezeichnung dia,konoj auf den Inhalt des Auftrags und dessen Ausführung zielt. 27 In dieser Sicht beinhaltet dia,konoj neben dem Verkündigungscharakter stärker den Sinn der Geistbegabung, denn die Ausführung einer Beauftragung kann mit Hilfe der Geistbegabung wirksam werden. Insbesondere ermöglicht es die Geistbegabung (vgl. 2Kor 4,7; 12,9) Paulus, die Leiden zu überwinden. Darin liegt der Grund, dass Paulus in den Peristasenkatalogen stets den Begriff dia,konoj statt avpo,stoloj benutzt. Der Begriff dia,konoj in den Peristasenkatalogen charakterisiert also sowohl den Verkündigungsauftrag als auch die Geistbegabung wie in 1Kor 12,5 und Röm 23 Zur individuellen Gotteserfahrung des Paulus vgl. auch den Peristasenkatalog 2Kor 12, 1-10. 24 Vgl. G RÄSSER , 2Kor I, 214-217; H ENTSCHEL , Diakonia, 117. 25 Vgl. Z EILINGER , Krieg II, 368; G RÄSSER , 2Kor I, 250f. 26 Vgl. J.N. C OLLINS , Diakonia. Re-interpreting the Ancient Sources, New York/ Oxford 1990, 202. 27 Vgl. auch H ENTSCHEL , Diakonia, 134. <?page no="161"?> 147 12,7. Denn die Peristasenkataloge beziehen sich auf die Evangeliumsverkündigung, in deren Zentrum der gekreuzigte und auferstandene Jesus Christus steht. 5.4.3 ddia,konoj als praktischer und offizieller Titel (Röm 16,1f.) bzw. organisatorisches und institutionelles Amt (Röm 13,1-7; Phil 1,1) Des Weiteren ist nach Anhaltspunkten zu suchen, wo eine Verwendung von diakoni,a oder dia,konoj für sich entwickelnde Leitungsfunktionen bzw. Leitungspersonen nachzuweisen ist, wie das für das spätere Amt des dia,konoj im Sinne eines ausgebildeten institutionellen Amtes kennzeichnend ist. Auch hier ist eine gewisse Entwicklung vom praktischen und offiziellen Titel (Röm 16,1f.) zum organisatorischen und institutionellen Amt (Phil 1,1; Röm 13,1-7) zu sehen. In Röm 16,1f. wird eine Frau mit dem Terminus dia,konoj bezeichnet, eine Mitarbeitende mit einer titularen Verwendung in der Gemeinde. 28 Phöbe ist auch für Paulus eine prosta,tij gewesen, was mit »Schutzherr/ in, Patron/ in oder Vorsteher/ in« zu übersetzen ist. 29 Als Hausvorstand wird sie ebenso Leitungsfunktion in der Gemeinde ausgeübt haben und mit dieser Bezeichnung ist sie wohl in offizieller Beauftragung und Sendung nach Rom geschickt worden. 30 Deshalb ist der vorliegende Gebrauch von dia,konoj ein Beleg dafür, dass »Paulus sowie auch die entsprechenden Gemeinden diese Bezeichnung ohne Einschränkung für Frauen verwenden konnten, die eine mit Autorität und Ansehen verbundene gemeindeleitende Rolle innehatten und dabei auch lehrende bzw. verkündigende Aufgaben ausübten«. 31 Der titulare Gebrauch der beiden Begriffe im Präskript des Philipperbriefes ohne weitere Namensnennung kann als Anrede der Diakonoi (bzw. Episkopoi, Phil 1,1) im Sinne von Amtsträgern der jeweiligen Gemeinde verstanden werden, denen wichtige Aufgaben bzw. Ämter im Bereich von Mission und Gemeindeorganisation übertragen wurden. Sie sind mit be- 28 Vgl. E.E. E LLIS , Prophecy and Hermeneutic in Early Christianity. New Testament Essays, WUNT 18, Tübingen 1978, 21f.; H ENTSCHEL , Diakonia, 168. Dagegen S. S CHREIBER , Arbeit mit der Gemeinde (Röm 16,6.12). Zur versunkenen Möglichkeit der Gemeindeleitung durch Frauen, NTS 46 (2000), 204-226, 211, der ausführt: »Ganz offenbar bedeutet dia,konoj hier eine einigermaßen fest umrissene Gemeindefunktion, die ich aber noch nicht als Amt bezeichnen möchte, da über eine offizielle Einsetzung der Phoebe in diese Funktion nichts bekannt ist; Röm 12,7 kann vielmehr die diakoni,a unter die Charismen zählen, womit die theologisch als Gabe des Geistes qualifizierte Begabung die Basis für die Ausübung der Tätigkeit darstellt«. 29 H ENTSCHEL , Diakonia, 168, behauptet, dass ein Verständnis von prosta,tij als Helferin nicht der üblichen Bedeutung entspricht. 30 Vgl. H ENTSCHEL , Diakonia, 169.172. 31 H ENTSCHEL , Diakonia, 172. <?page no="162"?> 148 stimmten Personen verbunden, so dass mindestens eine gewisse Entwicklung organisatorischer Strukturen in der Gemeinde von Philippi vorauszusetzen ist. 32 Im Text Röm 13,1-7, wo eine auffällig sachlich-offizielle Sprache mit Fachausdrücken des römischen Staats- und Verwaltungsapparates vorliegt, 33 wird der Begriff dia,konoj zweimal für offizielle Ämter gebraucht. Diakonos wird hier nicht für spezifisch christliche Aufgaben oder Beauftragte verwendet, vielmehr für politische Ämter, die mit Ehre und Autorität verbunden sind. 34 5.4.4 Zwischenfazit Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Paulus dia,konoj bzw. diakoni,a in unterschiedlicher Funktion gebraucht. In 1Kor 12,4-11 und in den Protopaulinen, wo die Begriffe im Rahmen der Charismenkataloge vorliegen, unterstreicht diakoni,a die Geistbegabung. In den Peristasenkatalogen charakterisieren beide Begriffe zusätzlich den Verkündigungsauftrag neben dem Sinn der Geistbegabung. Daraus wird später die Bezeichnung dia,konoj und diakoni,a mit offiziellem Titel bzw. Beauftragung (Röm 16,1f.) im Sinne organisatorischer und institutioneller Sprache (Phil 1,1; Röm 13,1-7) für bestimmte Ämter entwickelt. Auffallend ist, dass in den Peristasenkatalogen - 2Kor 4, 2Kor 6 und 2Kor 11 - die Begriffe dia,konoj bzw. diakoni,a vorherrschen. Insbesondere gebraucht Paulus in den Peristasenkatalogen stets die Selbstbezeichnung dia,konoj statt avpo,stoloj , die er sonst in den Präskripten seiner Briefe üblicherweise verwendet. Der Begriff avpo,stoloj betont den Sendungscharakter, während die Bezeichnung dia,konoj auf den Inhalt des Auftrags und dessen Ausübung zielt. In diesem Zusammenhang beinhaltet dia,konoj stärker Geistbegabung, denn die Ausführung einer Beauftragung kann mit Hilfe der Geistbegabung noch wirksamer werden. Darin liegt der Grund, dass Paulus in den Peristasenkatalogen, wo es darum geht, die Leiden zu überwinden, stets den Begriff Diakonos statt Apostolos benutzt. Mit den Begriffen Diakonos bzw. Diakonia wird somit in den Peristasenkatalogen zuerst die Geistbegabung für die Ausführung des Auftrages verdeutlicht, sodann der Verkündigungsauftrag des Evangeliums zum Ausdruck gebraucht, der Kreuz und Auferstehung Jesu Christi beinhaltet. Die Wandlung von Diakonos zu Apostolos kann als ein Beweis dafür angesehen werden, dass die paulinischen Peristasenkataloge Protopaulinen sind. 32 Vgl. H ENTSCHEL , Diakonia, 174, in Aufnahme einer Aussage von P.T. O’BRIEN, The Epistle to the Philippians. A Commentary on the Greek, Grand Rapids 1991, 48; er setzt »eine spezielle Autorität dieser Gemeindeglieder voraus«. 33 Vgl. E. L OHSE , Der Brief an die Römer, KEK 4, Göttingen 2003, 353ff. 34 Vgl. H ENTSCHEL , Diakonia, 157-160. <?page no="163"?> 149 5.5 Einzelauslegung 5.5.1 Paulus, der Diener Gottes (2Kor 6,3-4a) Die Verse 3 und 4a geben zusammen Thema und Zweck an, die in VV.4b- 10 zur Entfaltung kommen. Die jeweiligen Wendungen evn mhdeni, und evn panti, betonen die formale Antithetik der beiden Satzeinheiten. 35 Wie in 4,7 so findet sich auch in V.3b ein Finalsatz, der im folgenden Peristasenkatalog ab V.4b ausgeführt wird. Paulus hat ein Ziel: Das mh. mwma/ sqai 36 der diakoni, a, das Ausharren und die Lauterkeit im Verkündigungsdienst. So steht es schon am Anfang der Apologie (2,17; vgl. 4,2). Es schließt V.3a an, wo es heißt, dass der Apostel keinerlei Anstoß ( proskoph, ) gebe. Von einigen Exegeten wurde behauptet, dass die beiden Partizipien dido,ntej (gebend, V.3) und sunista,ntej (empfehlend, V.4a) dem Hauptverb des Gesamtabschnittes parakalou/ men (wir ermahnen, V.1) untergeordnet seien. 37 Aber dies ist ein weiterer Fall des paulinischen Gebrauchs des Partizips anstelle von Verba finita. 38 Inhaltlich geht es jetzt um den unanstößigen Dienst. Das bereits in 5,12 vorkommende Stichwort der Selbstempfehlung ( sunista,ntej , V.4) zeigt an, dass diese dort mit dem Thema, »Dienst der Versöhnung« (5,18) zusammenhängt und auch für den Dienst der Gerechtigkeit Gottes (V.21) gilt. Das Argument des Paulus ist: Er hat nie irgendjemandem ( mhdemi,an evn mhdeni, ) 39 einen Anstoß ( proskoph, ) gegeben, und eine Gelegenheit, diesen Dienst zu lästern, soll niemandem gegeben werden. Das Wort proskoph, wird nur hier gebraucht, 40 Paulus benutzt sonst lieber statt proskoph, das Wort pro,skomma im Sinne von »Anstoß zum Fallen« bzw. »Gelegenheit, Anstoß zu nehmen«. Er gebraucht beide Worte in der Regel gleichbedeutend (Röm 14,13.20; 1Kor 8,9). 41 Im Peristasenkatalog 2Kor 11,29 gebraucht er als Synonym das Wort skandali,zein »Anstoß zu 35 So W INDISCH , 2Kor, 203; Z EILINGER , Krieg II, 353-354. 36 Der Begriff mwma/ sqai (»lästern«; pass. »verhöhnt werden«, B AUER , Wörterbuch, 1074) findet sich im NT sonst nur noch in 8,20. Zu diesem Wort (6,3) sagt F URNISH , 2Cor, 343, dass hier als Subjekt der Passivform nicht an Gott zu denken ist, sondern an die Menschen (vgl. 1Kor 9,12; 1Thess 2,10); vgl. auch W OLFF , 2Kor, 139. 37 Dazu L AMBRECHT , 2Cor, 109. Er geht davon aus, dass der gesamte Text VV. 3-10 die partizipiale Fortsetzung von V.1 und V.2 bildet, die die parenthesis sind. Andererseits sieht er: »However, Paul is fond of writing coordinate participles after a finite verb; these participles may be more or less the equivalent of independent sentences. Hence the new start in the translation.«; vgl.auch G RÄSSER , 2Kor I, 241. 38 So B ULTMANN , 2Kor, 169f.; F URNISH , 2Kor, 342, weist auf den paulinischen Gebrauch des gleichen Partizips in 5,12 hin. 39 Dieser Ausdruck steht am Anfang des griechischen Satzes. Die doppelte Negation hilft, den Argumentationspunkt des Paulus zu betonen. 40 B AUER , Wörterbuch, 1434. 41 Weitere Belege sind: Röm 9,32f.; 1Petr 2,8; auch das Verbaladjektiv avpro,skopoi (seid unanstößig) in 1Kor 10,32. <?page no="164"?> 150 nehmen«. 42 Mit dem Nomen ska,ndalon wird im AT der »Stolperstein« bezeichnet, d.h. der Anstoß, der zum Abfall vom Glauben führen kann. 43 Dies kommt auch dem kynisch-stoischen Gedanken gleich, »durch ein den vorgetragenen Grundsätzen zuwiderlaufendes Verhalten bei den Hörern Anstoß zu erregen« (vgl. Epict.diss. III 22,89; IV, 11,33). 44 Paulus versteht hier seinen Dienst ausschließlich als im Versöhnungsgeschehen (5,18) wurzelnde Berufung und Sendung als Mitarbeiter Gottes. »Dienst der Versöhnung« ist für ihn wie Gottesdienst. Es ist nicht im Sinne von »Amtsführung« zu verstehen. Das seltene Wort mwma,omai (vgl. Spr 9,7; SapSal 10,14) bedeutet wie blasfhmei/ n »verspotten, blamieren, verlästern«. 45 Paulus geht es darum, dass sein Dienst vor Gott untadelig und vor seinen Gegnern unkritisierbar sei. 46 Dem »Niemandem-Anstoß-Geben« setzt Paulus seine Selbstempfehlung entgegen, wie sie Dienern Gottes zukommt. Das den Katalog einleitende evn panti, ist auf alle Peristasen zu beziehen, wie schon im Peristasenkatalog 4,8. Mit der Präposition evn leitet Paulus den Tugend- und Peristasenkatalog anaphorisch ein, anknüpfend an das zeitlich und räumlich entgrenzende evn panti, der Überschrift. 47 VEn panti, ist als räumliche und zeitliche Bestimmung zu verstehen, nicht im modalen bzw. instrumentalen Sinne. Es entspricht dem pan,tote , evn panti, und avei, in 4,8.10f. und in 2,14f. In dem Ausdruck »wir empfehlen uns selbst« ( sunista,ntej e`autou,j ) empfiehlt und erweist sich Paulus als Diener Gottes. 48 Als Diener Gottes ist er zugleich »Diener des neuen Bundes« (3,6a). In 2Kor 11,23 spricht Paulus statt vom Diener Gottes vom Diener Christi. 49 In PolPhil 5,2 begegnet der Ausdruck »Diener Gottes und Christi«. Timotheus wird in 1Thess 3,2 (vgl. 2Kor 6,1; 1Kor 3,9) Mitarbeiter Gottes ( sunergo.j tou/ qeou/ ) genannt, 50 was als Verkündiger des Evangeliums Christi verstanden wird. 51 Paulus aber empfiehlt sich als wahrer Diener Gottes (bzw. Christi) durch sein apostolisches 42 In Röm 14,13 begegnet das Nomen ska,ndalon , das synonym mit pro,skomma gebraucht wird; vgl. auch Röm 16,17. Das Verb skandali,zein wird in 1Kor 8,13 gebraucht. 43 Z EILINGER , Krieg II, 357. 44 Nach Z EILINGER , Krieg II, 357. So auch Epiktet unter Verwendung einer medialen Form von prosko,ptein . Vgl. dazu auch E BNER , Leidenslisten, 248 Anm. 49. 45 B ULTMANN , 2Kor, 171; vgl. B AUER , Wörterbuch, 1050. 46 Vgl. B ACHMANN , 2Kor, 278. 47 Vgl. K RUG , Kraft des Schwachen, 229. Grundsätzlich lässt sich ein räumlicher bzw. zeitlicher von einem modalen bzw. instrumentalen Gebrauch unterscheiden. 48 Zur ausführlichen Selbstempfehlung s.o. 5.3. 49 Vgl. F URNISH , 2Cor, 343. 50 G. F RIEDRICH , Amt und Lebensführung. Eine Auslegung von 2 Kor. 6,1-10, BSt 39, Neukirchen-Vluyn 1963, 25, spricht davon, »dass Paulus als Mitarbeiter Gottes sich in allen Lebenslagen für die Botschaft einsetzen und für sie geradestehen muss«; vgl. auch W OLFF , 2Kor, 137. 51 Auffällig ist aber, dass Paulus qeou/ dia,kono,j in Röm 13,4 für die staatliche Macht gebraucht. <?page no="165"?> 151 Leiden. Beim Sich-Selbstempfehlen geht es deshalb nicht um Eigenlob, sondern um das eigene Verhalten des Paulus als Gottes Diener und somit auch um sein Einstehen für die Botschaft. 52 Der Peristasenkatalog ist deshalb als apostolische Selbst-Empfehlung zu charakterisieren. 5.5.1.1 Die u`pomonh, im Zusammenhang mit Röm 5,3-4 Am Anfang des Peristasenkataloges steht nicht ohne Grund die u`pomonh, . Diese gehört inhaltlich zu den Tugenden (2Kor 6-7a). Aber formal ist sie von diesen Tugenden abgetrennt, denn sie beschreibt zunächst allgemein das Verhalten in Leidenssituationen (VV.4b-5), worauf dann die apostolische Gesinnung (VV.6f.) in positiver Hinsicht näher ausgeführt wird. 53 Der Begriff u`pomonh, bedeutet »Ausharren, Geduld, Ausdauer«, 54 wörtlich übersetzt das »Unter-der-Bedrängnis-Bleiben« (vgl. Röm 12,2). 55 Die Kombination von Tugenden und Peristasen ist bei Paulus ganz selten, aber man kann sie im Zusammenhang von Röm 5,3f. verstehen, wo ein Kettenschluss vorliegt: kaucw,meqa evn tai/ j qli,yesin( eivdo,tej o[ti h` qli/ yij u`pomonh.n katerga,zetai( h` de. u`pomonh. dokimh,n( h` de dokimh. evlpi,daÅ Die Formel Rühmen im Leiden ist im Kontext der paulinischen Peristasenkataloge üblich. Dieses paradoxe Rühmen war auch der Tradition bekannt (vgl. Jak 1,9f.). 56 Paulus rühmt sich ja auch seinen Gegnern gegenüber ironisch seiner Schwachheit (vgl. 2Kor 11,30; 12,5.9). Dass das Leiden des Gerechten nicht als Strafe, sondern als Prüfung aufgefasst wird, ist eine alttestamentlich-jüdische Tradition (vgl. SapSal 3,4ff; Sir 2,1-9; TestJos 2,6f.; Jub 17,18; 19,8; im Christentum Jak 1,2-4.12; 1Petr 1,6f.). 57 Daher gibt die 52 Vgl. Z EILINGER , Krieg II, 360. 53 Vgl. F ITZGERALD , Cracks, 194; E BNER , Leidenslisten, 283; S CHRÖTER , Versöhner, 199. 54 B AUER , Wörterbuch, 1686f. 55 Vgl. Z ELLER , Römerbrief, 109: Eigentlich bedeutet u` po - mon das »Darunter-bleiben«. 56 Vgl. Z ELLER , Römerbrief, 109. Ferner die apokalyptische und rabbinische Tradition »Freude im Leiden«; dazu W. N AUCK , Freude im Leiden. Zum Problem einer urchristlichen Verfolgungstradition, ZNW 46 (1955), 68-80; Bill. I 274.277; III 222. 57 Vgl. Z ELLER , Römerbrief, 109. Die frühjüdische Leidenstheologie geht davon aus, dass die Leiden des Gerechten als Prüfung ( dokima,zein ) bzw. als Versuchung ( peira,zein ) zu interpretieren sind. M. W OLTER , Rechtfertigung und zukünftiges Heil. Untersuchungen zu Röm 5,1-11, BZNW 43, Berlin/ New York 1978, 139-149, sieht, dass die u`pomonh, als Prüfung bzw. Versuchung charakterisiert wird und theologisch ein spezifisches Gewicht hat. <?page no="166"?> 152 u`pomonh, (Geduld) die Gelegenheit, seine Erprobung zu erweisen (vgl. 2Kor 8,2), welche die Hoffnung auf endzeitliche Belohnung enthält. 58 Gemäß dieser apokalyptischen Denkform wird in gegenwärtiger Bedrängnis ( qli/ yij ) die Hoffnung ( evlpi,j ) auf die eschatologische Wende durchgetragen. 59 Die u`pomonh, ist nicht ohne Blick auf Zukunft möglich, dies gilt generell für alle Peristasen. So verbindet die u`pomonh, den Tugendkatalog mit dem Peristasenkatalog. Semantisch ist dieser Begriff durch das Nebeneinander der Wortfelder u`pome,nein und evlpi,zein geprägt (z.B. Röm 8,25). 60 Gemäß der atl. Traditionsgeschichte ist u`pomonh, fast identisch mit Hoffen geworden. 61 In der LXX werden häufig u`pome,nein und evlpi,zein parallel gebraucht. 62 Paulus empfiehlt zuerst sein Apostolat im Sinne solcher Geduld. Das Ausharren ( u`pomonh, ) bezieht sich sowohl auf den Peristasenkatalog (VV.4b- 5) als auch auf den Tugendkatalog (VV.6-7a). Vor allem das Ausharren steht im Zentrum der Leiden. Paulus setzt also Tugenden und Peristasen nebeneinander, wenn er sich in seinem apostolischen Dienst als Diener Gottes erweist. 5.5.2 Die Triaden der Leiden (2Kor 6,4b-5) Die drei Worte, qli/ yij , 63 avna,gkh und stenocwri,a werden synonym im Sinne eines rhetorischen Effektes verwendet. 64 Qli/ yij bildet mit stenocwri,a oft ein Begriffspaar (in den Peristasenkatalogen 4,8 und Röm 8,35; vgl. Röm 2,9; auch Epict.diss. I 25,26ff.), aber auch mit avna,gkh . 65 Die Zusammenstellung von avna,gkh und stenocwri,a begegnet zudem im kleinen Peristasenkatalog 12,10. 66 58 Vgl. Z ELLER , Römerbrief, 109. 59 Vgl. Röm 12,12; 15,4. 60 In Röm 8,24 werden in verschiedenen Handschriften die beiden Verben alternativ verwendet. 61 Vgl. E BNER , Leidenslisten, 284. 62 Z.B. in Ps 32,20-22 (LXX). E BNER , Leidenslisten, 284 Anm. 255, gibt ein Beispiel: »In der Vulgata entsprechen dem Wortfeld u`pomonh, auch exspectatio/ exspectare, umgekehrt dem Wort patientia in Ijob 4,6 das ev lpi, j der LXX; Nachweise und viele Belegstellen bei C. Spicq, UPOMONH , 98-100«. 63 Vgl.1,4.8; 2,4; 4,17; 7,4; 8,2.13. In De Singularitate Clericorum, das dem Werk des Cyprian hinzugefügt wurde, wird evn qli,yesin zweifach übersetzt: in pressuris und in tribulationibus (P LUMMER , 2Cor, 1978, 194). 64 Vgl. auch T HRALL , 2Cor I, 458. 65 Vgl. auch F RIDRICHSEN , Paulus und die Stoa, 28; H ÖISTAD , Parallele, 26 Anm. 1. In 4,8 sind qli/ yij und stenocwri,a in synonymer Form zusammengestellt: qlibo,menoi avllV ouv stenocwrou,menoi . Das traditionelle Nebeneinander liegt auch in Dtn 28,53.55.57; Ps LXX 118,143; Jes 8,22; 30,6 vor. Qli/ yij und avna,gkh begegnen als Paar in 1Thess 3,7, aber die Stellung ist umgekehrt ( avna,gkh und qli/ yij ); das traditionelle Nebeneinander in Ps 118, 143 (LXX); Hi 15,24; Zeph 1,15 ( h`me,ra qli,yewj kai. avna,gkhj ). 66 Die Reihe ist also: evn avna,gkaij( evn diwgmoi/ j kai. stenocwri,aij . <?page no="167"?> 153 Der Begriff qli/ yij hat seine Grundlage im AT, wo er nicht nur die individuelle Bedrängnis und Belastung des Gerechten, 67 sondern auch Notsituationen und »Bedrängnisse des Volkes Israel« 68 anzeigt. In apokalyptischer Literatur wird damit häufig die endzeitliche Bedrängnis sowohl des Gottesvolkes als auch des individuellen Gerechten ausgedrückt. 69 Für Paulus aber steht die qli/ yij am Anfang und charakterisiert - wie in 4,8 - die Situation des Apostels (vgl. 1,4.8; 7,4f.). Der Begriff beinhaltet äußere und innere Nöte, wie Paulus in 7,5 über die Trübsale von Mazedonien berichtet: e; xwqen ma,cai( e; swqen fo,boi . Darauf verweist auch die Eulogie des Anfangs des 2. Korintherbriefes, wo der in 1,4 verwendete Begriff qli/ yij in 1,5b.7c als Teilhabe der Korinther an den paqh,mata tou/ Cristou/ (1,7b) beschrieben wird. Der Begriff stenocwri,a (vgl. Sir 10,26; Dion Chr. 31.114-15) entstand aus der Kombination von Platz ( cwri,on ) und eng ( steno,j ); er ist im Sinne räumlicher Einengung zu verstehen. 70 Mit avna,gkh und stenocwri,a entfaltet Paulus in 6,12 seine Offenheit (vgl. avnoi,gw / platu,nw in 6,11; platu, nw in 6,13) für die Korinther weiter und spitzt zu: Ihr seid nicht beengt in uns, sondern ihr seid beengt in euren Herzen ( ouv stenocwrei/ sqe evn h`mi/ n( stenocwrei/ sqe de. evn toi/ j spla,gcnoij u`mw/ n ). Paulus charakterisiert zugleich seine Evangeliumsverkündigung als eine auf ihm liegende avna,gkh (1Kor 9,16). Aus diesem Zusammenhang ist zu entnehmen, dass Paulus die Begriffe avna,gkh , stenocwri,a , und qli/ yij für seinen Aposteldienst verwendet. Für die jüdische Umwelt ist die avna,gkh (z.B. 1QM 15,1) naheliegend. 71 In 1Thess 3,7 wird die eschatologische Erwartung angedeutet, wobei Paulus unterstreicht, dass seine augenblickliche Not und Trübsal dadurch getröstet wird, dass Timotheus gute Nachricht überbracht hat. 72 Aus den unterschiedlichen Auseinandersetzungen der dritten Reise verstehen sich die Bedrängnisse in 2Kor 6,4 und 12,10. Die Aussicht, die alle leidvollen Zwänge ertragen lässt, gründet in der Erfahrung, gerade in Schwachheit stark zu sein. Die zweite Triade, plhgai,( fulakai, und avkatastasi,ai (V.5a) nennt nun sehr konkrete Formen des Leidens. Durch die Aufzählung solcher konkreter Bedrängnisse, die ihm widerfahren sind, verteidigt sich Paulus vor den Gegnern. 73 Schläge ( plhgai, ) begegnen in 11,24f., 74 sie sind sinnverwandt 67 Vgl. Ps 33,20; 36,39. 68 Vgl. Ex 3,9; 4,31; 1Makk 9,27; E BNER , Leidenslisten, 207; Z EILINGER , Krieg II, 363. 69 Vgl. Dan 12,1; Hab 3,16; Zeph 1,15 (LXX); 4Esr 7,89; syrBar 15,8; 48,50; vgl. dazu J. K REMER , Art. qli,bw , qli/ yij , 376; S CHRAGE , Leid, 132-149; Z EILINGER , Krieg, II, 363. 70 Vgl. E BNER , Leidenslisten, 210. 71 Die Qumrangemeinde spricht von der »Drangsalszeit für Israel«. 72 Vgl. A. STROBEL, Art. avna,gkh ktl ., EWNT I² (1992), 185-190, 187-188. 73 Über solche Situationen berichtet Apg 13,50; 14,19; 17,5; 18,12; 19,29, besonders in Apg 16,22-23 findet die Kombination Schläge und Gefängnis Erwähnung: »(…) polla,j te evpiqe,ntej auvtoi/ j plhga.j e; balon eivj fulakh.n (…)«. <?page no="168"?> 154 dem kolafi,zein in 1Kor 4,11. Über solche Situationen des Schlagens ( plhgh, ) und des Gefängnisses ( fulakh, ; vgl. Phil 1,7) berichtet auch die Apostelgeschichte: So findet sich in Apg 16,22-23 die Kombination von Schlägen ( plhgai, ) und Gefängnissen ( fulakai, ). Die auffällige Pluralform (vgl. auch 11,23) deutet an, dass Paulus mehrmals gefangen gewesen war. In diesem Zusammenhang berichtet die Apostelgeschichte, dass Paulus in Philippi gefangen gewesen war. Mit dem Plural kann auch die oft vermutete ephesinische Gefangenschaft des Paulus angesprochen sein. 75 Die avkatastasi,ai 76 (vgl. 2Kor 11,23ff.) bezeichnen hier nicht nur Unordnung (12,20; 1Kor 14,33; Jak 3,16), sondern vielmehr öffentliche Aufstände, Unruhen und Tumulte gegen Paulus, die oft zu Misshandlungen und Gefängnis führten. 77 Nach Apg 14,19 führten solche Tumulte sogar zum vermeintlichen Tod. In der LXX wird der Begriff nur zweimal im Sinne von Unordnung gebraucht (Spr 26,28; Tob 4,13). Die Ansicht Bultmanns, dass avkatastasi,ai nicht als Fried- und Ruhelosigkeiten im Allgemeinen zu verstehen sei, sondern als Unruhen im Sinn von Pogromen (auch Windisch), 78 ist weniger einleuchtend. Der Begriff avkatastasi,a kann im Peristasenkatalog beide Bedeutungen haben; nicht nur Unruhen im Sinn von Aufständen, über die in der Apg (13,50; 14,5.19; 17,5; 18,12; 19,23ff.) viel berichtet wird, sondern auch Unruhen im Allgemeinen, wovon Paulus in 2Kor 2,13 (vgl. auch 1,8f.; 7,5) spricht. Das ist auch der Grund dafür, dass avkatastasi,ai mit plhgai, und fulakai, in der gleichen Triade vorkommt. Mit der dritten Triade, ko,poi( avgrupni,ai und nhstei/ ai (V.5b) konzentriert sich Paulus auf seine Missionstätigkeit. Die gleiche Reihe ko,poj( avgrupni,a und nhstei, a begegnet auch in 2Kor 11,27, sie bringt Leiden im Sinne freiwilliger Bedrängnisse zum Ausdruck. 79 Der Begriff ko,poj 80 bezieht sich einerseits auf eigene Handarbeit, 81 mit der er sich vor allem in Korinth seinen Lebensunterhalt verdiente, um seiner Gemeinde finanziell nicht zur Last zu fallen (2Kor 11,9.10; 1Kor 9,12.15; vgl. auch 1Thess 2,9a), und deshalb auf jede finanzielle Unterstützung durch diese verzichten kann. Andererseits gebraucht Paulus ko,poj im Sinne von missionarischer Arbeit, etwa in 2Kor 10,15. Der Begriff avgrupni,a ergibt sich aus seiner Arbeit als Handwer- 74 Vgl. Philo Flacc. 75. 75 Nach Clemens (1Clem 5,6) ist Paulus siebenmal während seiner Lebenszeit gefangen gewesen (P LUMMER , 2Cor, 194; T HRALL , 2Cor I, 458 Anm. 1877). 76 Im NT kommt das Verb nur fünfmal vor: Lk 21,9; 1Kor 14,33; 2Kor 6,5; 12,20; Jak 3,16. 77 Vgl. Lk 21,9 pole,mouj kai. avkatastasi,aj und 1Clem 3,2 diwgmo.j kai. avkatastasi,a ; in Apg werden Aufstände/ Unruhen gegen Paulus mitgeteilt, vgl.13,50; 14,19; 16,22; 17,5ff.; 18,22; 19,23ff.; vgl. Herm sim 6.3.4. 78 Vgl. B ULTMANN , 2Kor, 172; vgl. auch W INDISCH , 2Kor, 205. 79 Vgl. F ITZGERALD , Cracks, 193. 80 Vgl. 1Kor 15,10; 2Kor 11,23.27; Gal 4,11; Phil 2,16; 1Thess 2,9; 3,5 (vgl. 2Thess 3,8). 81 Vgl. 1Kor 4,12; 9,15ff.; 1Thess 2,9 <?page no="169"?> 155 ker und Prediger, 82 er taucht nur hier und 11,27 im NT auf. Das Wort meint mehr als Schlaflosigkeit und seine Erwähnung erinnert an die schlaflosen Nächte in 1Thess 2,9b, wo er bekennt, Tag und Nacht gearbeitet zu haben (vgl. Sir 38,27). Der Begriff nhstei,a steht selten für Hungersnot. Im NT stehen nhstei,a / nhsteu,w vielmehr für das Fasten als freiwillige religiöse Handlung, besonders im Evangelium bzw. in der Apostelgeschichte. 83 Dagegen gebraucht Paulus den Begriff hier im Peristasenkatalog nicht im Sinne des Fastens oder des rituellen bzw. asketischen Nahrungsverzichtes, sondern für notgedrungene entbehrungsreiche Hungersnot. 84 In der Peristase 11,27 verwendet Paulus anstelle von nhstei,a für Hungernot das Wort limo,j , das unterschiedliche Arten der Hungersnot bezeichnet. 85 Diese drei Leiden sind freiwillig, sie beweisen die Haltung des Paulus als Botschafter. Sie charakterisiert Leiden, die er aufgrund seiner Missionstätigkeit erduldet. 5.5.3 Der Tugendkatalog innerhalb des Peristasenkataloges (2Kor 6,6-7a) Im Peristasenkatalog 2Kor 6,3-10 begegnen als eine Besonderheit nicht nur Leiden, sondern auch Tugenden, die die Gesinnung des Apostels anzeigen. Dieser Tugendkatalog, der aus vier eingliedrigen und vier doppelgliedrigen Formulierungen besteht, 86 wird von Peristasen eingerahmt. 87 Die Frage stellt sich, warum Paulus Peristasen und Tugenden miteinander verbindet. Die Aufzählung dieser Tugenden, die die Lauterkeit des Dienstes bezeugen, beginnt in V.4 mit der Erwähnung der u`pomonh, und wird in V.6 und V.7 fortgesetzt (vgl. Röm 12,8ff.). Dabei werden die Tugenden durch zwei Kräfte (Heiliger Geist, Kraft Gottes) noch verstärkt. Die hellenistische Umwelt kennt solche Tugendkataloge. 88 Auch die Kombination von Tugend- und Peristasenkatalogen lässt sich in hellenistischer Literatur finden. 89 So zeigt Ebner die Interdependenz von Tugenden und Peristasen exemplarisch bei Herakles (vgl. Epict.diss. I 6,34). 90 Charakteristisch für Paulus ist, dass der Geist (bzw. die Kraft Gottes) nicht nur hier, sondern auch im Tugendkatalog Gal 5,22f. mit Tugenden verknüpft ist, die er als Früchte des Geistes erklärt (vgl. auch Röm 14,17; 82 Vgl. Apg 20,7-12. 83 Nhstei,a : Lk 2,37; Apg 14,23; 27,9; 2Kor 11,27; nhsteu,w : Mt 4,2; 6,16-18; 9,14-15; Mk 2,18-20; Lk 5,33-35; 18,12; Apg 13,2-3. 84 P LUMMER , 2Cor, 195; F URNISH , 2Cor, 344; T HRALL , 2Cor I, 458f.; Z EILINGER , Krieg II, 366. 85 Mt 24,7; Mk 13,8; Lk 15,14.17; 21,11; Apg 7,11; 11,28; Röm 8,35. 86 Dazu S CHRÖTER , Versöhner, 200. 87 Zur Verbindung von Leidens- und Tugendkatalog vgl. auch Dg 7,7-9; zum Tugendkatalog besonders Gal 5,22f. 88 Dazu mit umfangreichem Material E BNER , Leidenslisten, 292-298. 89 Vgl. in Diognet 7,7-9; Plutarch, Alex Fort Virt 1,1 (326D/ E). 90 E BNER , Leidenslisten, 293. <?page no="170"?> 156 dikaiosu,nh kai. eivrh,nh kai. cara. evn pneu,mati a`gi,w| ). 91 In der Tugendliste in Gal 5,22f. überschneiden sich vier Begriffe: Langmut ( makroqumi,a ) ( Freundlichkeit ( crhsto,thj ), Liebe ( avga,ph ), Geist ( pneu/ ma ). Weil Paulus erkennt, dass seine Fähigkeit ( i`kano,thj ) im Aposteldienst nicht auf eigener Leistung beruht, sondern von Gott kommt (3,5f.; vgl. 2,16), fügt er den Tugendkatalog hinzu. Dementsprechend sind die beiden Kräfte, der Heilige Geist (V.6c) und die Kraft Gottes (V.7a), vom Tugendkatalog bzw. Peristasenkatalog nicht abtrennbar (vgl. 4,7). Der Ursprung der Tugenden besteht nicht in stoischer Bildung, sondern liegt in von Gott bewirkten Kräften. Darin spiegelt sich das grundsätzliche Denken des Paulus wider (vgl. 4,7; Röm 1,16), wie wir es in der Charismenlehre entfaltet finden (vgl. 1Kor 12,4-11). Die Kombination von Tugenden und Peristasen ist zwar für Paulus selten. 92 Sie fungiert aber nicht als Übergang von der Tugend zum Leiden, wie dies z.B. Schrage vorschlägt. Vielmehr erweist Paulus sich in diesem Nebeneinander von Tugend - Leiden als Gottes Diener, der sich in seiner apostolischen Missionstätigkeit bewährt. Ähnlich können wir das Nebeneinander von Tugenden und Leiden bei Paulus in Röm 5,3f. finden. 5.5.3.1 Vier eingliedrige Tugenden Mit a`gno,thj wird allgemein die sittliche Lauterkeit und Tadellosigkeit und Reinheit, die »Unbescholtenheit bei der Ausübung des apostolischen Dienstes« zum Ausdruck gebracht. 93 Der Begriff bezieht sich vermutlich auf die Kritik, die in 7,2 angesprochen ist. 94 Paulus gebraucht dies wieder in 11,3 im Sinne der Einfalt ( a`plo,thj ) und Lauterkeit ( a`gno,thj ) gegenüber Christus, wo er »die Gefahr des Abfalls« anspricht und damit seine apostolische Pflicht zur Bewahrung der Gemeinde vor Irrwegen wahrnimmt. Es kommt sonst im NT nicht vor. 95 Paulus spielt mit a`gno,thj vermutlich auf die in 2,17 erwähnte eivlikri,neia (vgl. auch 4,2; 7,11; Phil 1,17) an, in der das Gotteswort offenbart wird (vgl. 1,12), 96 und die er auch synonym gebraucht mit a`plo,thj (Röm 12,8). 97 91 Die Tugenden eivrh,nh und cara, finden sich in Gal 5,22. Vgl. als weiteren paulinischen Tugendkatalog Phil 4,8f. Nur dort findet sich das Wort avreth, in paulinischen Briefen. 92 So S CHRAGE , Leid, 144. 93 W OLFF , 2Kor, 140. 94 T HRALL , 2Cor I, 459. 95 Zu 11,3 gibt es zahlreiche Textvarianten, die inhaltlich keine Besonderheit sind. Dabei fehlt kai. th/ j a`gno,thtoj in zahlreichen guten Handschriften; die ausführliche Behandlung der Varianten bei T HRALL , 2Cor II, 661f. Anm. 42 und 52; vgl. auch G RÄSSER , 2Kor II, 119f. 96 Die eivlikri,neia ist paulinischer Terminus und kommt nur dreimal vor, vgl. noch 1Kor 5,8. Dort stehen eivlikri,neia und avlh,qeia nebeneinander; in 11,3 stehen a`plo,thj und a`gno,thj nebeneinander, aber in 1,12 a`plo,thj und eivlikri,neia . 97 Das Wort a`plo,thj ist ebenfalls paulinisch (2Kor 1,12; 8,2; 9,11.13; 11,3; Röm 12,8; vgl. auch Eph 6,5; Kol 3,22). <?page no="171"?> 157 Den Begriff gnw/ sij versteht Paulus weder als eine intellektuelle Tugend im stoischen Sinn 98 noch als praktische christliche Weisheit (vgl. 1Petr 3,7). 99 Vielmehr wird sie in den meisten paulinischen Breifen theologisch verstanden, als die verstehende Erkenntnis des christlichen Glaubens (8,7; 11,6; 1Kor 1,5; Röm 15,14). 100 Zwar steht hier gnw/ sij zwischen »Lauterkeit« und »Langmut»« bzw. »Freundlichkeit«, aber die Auffassung ist zweifelhaft, dass dies im zwischenmenschlichen Sinne, 101 - etwa in Analogie zu 1Kor 8,1 - zu versehen ist. Denn gnw/ sij wird schon in 2,14 und 4,6 auf Jesus Christus bezogen ( gnw/ sij th/ j do,xhj tou/ qeou/ evn prosw,pw| ÎVIhsou/ Ð Cristou/ in 4,6). 102 Sie spielt dort bei der Evangeliumsverkündigung eine wichtige Rolle und meint die Erkenntnis Christi und der Herrlichkeit Gottes. In diesem Sinne ist gnw/ sij im Peristasenkatalog zu verstehen. 103 Die beiden Begriffe makroqumi,a 104 und crhsto,thj sind auch in Röm 2,4, 1Kor 13,4 und Gal 5,22 miteinander verbunden. Ersteres hat den Sinn von »Langmut, Ausdauer«, 105 Letzteres meint »Freundlichkeit«. Makroqumi,a setzt Paulus sowohl für das Handeln Gottes (Röm 2,4; 9,22) als auch für das der Menschen ein. Dabei kann es sich auf eigenes Tun und das Tun aller Christen beziehen. Es wird als Paar mit crhsto,thj verwendet (1Kor 13,4; Röm 2,4; vgl. Kol 3,12), sowohl im Blick auf Gott (Röm 2,4) als auch im Blick auf Menschen (Gal 5,22). Wo in den Proverbien die Langmut gepriesen wird, bezieht sich makro,qumoj einseitig auf den Menschen (14,29; 15,18; 16, 32); sonst im AT bezieht sie sich fast immer auf Gott. 106 Makroqumi,a ist ein wesentliches Element des apostolischen Dienstes und ein Charisma, das mit wachsender Erkenntnis Gottes »zu aller Geduld und Ausdauer ( eivj pa/ san u`pomonh.n kai. makroqumi,an )« (Kol 1,10f.) führt. 107 Lang- 98 So auch Z EILINGER , Krieg II, 367. 99 So P LUMMER , 2Cor, 196; F URNISH , 2Cor, 344. 100 P LUMMER , 2Cor, 196; F URNISH , 2Cor, 344f. 101 Vgl. W OLFF , 2Kor, 140. 102 Dagegen ältere Exegeten (z.B. Heinrici, Windisch, Bultmann); vgl. auch F URNISH , 2Cor, 344; W OLFF , 2Kor, 140. 103 Obwohl man hier einen Tugendkatalog vermutet, ist dies kein reiner Tugendkatalog. Denn dieser wird auf evn pneu,mati a`gi,w|( evn lo,gw| avlhqei,aj , evn duna,mei qeou/ , \ dia. tw/ n o[plwn th/ j dikaiosu,nhj bezogen, also auf Begriffe, die einen theologischen Sinn beinhalten. 104 In echten paulinischen Briefen kommt er viermal vor (Röm 2,4; 9,22; 2Kor 6,6; Gal 5,22). 105 Zum Unterschied zwischen Geduld ( u`pomonh, , V.4) und Langmut sagt F RIEDRICH , Amt, 43: Geduld »erstreckt sich auf alle Lebenslagen, besonders auf das Standhalten in bestimmten Verhältnissen und bösen Situationen. Langmut dagegen ist mehr die Geduld Personen gegenüber, das Tragen und Ertragen von Menschen. Diese Langmut, die Paulus zeigt, ist weder eine Naturanlage noch eine erworbene Eigenschaft, sie ist auch nicht eine Tugend, die man übt, sondern eine Frucht des Heiligen Geistes«; vgl. W OLFF , 2Kor, 140 Anm. 488. 106 So P LUMMER , 2Cor, 196. 107 Vgl. G RÄSSER , 2Kor I, 245. <?page no="172"?> 158 mut ist in 1Kor 13,4 ein Prädikat der Liebe zusammen mit Freundlichkeit ( crhsto,thj ). Mit diesen beiden Begriffen beginnt Paulus die Beschreibung der Liebe als der vollkommenen Wirklichkeit Gottes. 108 5.5.3.2 Vier doppelgliedrige Tugenden Die zweite Gruppe des Tugendkatalogs eröffnet Paulus mit vier doppelgliedrigen Formulierungen, in denen die Substantive durch Adjektive bzw. Genitive erläutert werden. Die vier Begriffe pneu/ ma ( a[gioj ) - avga,ph ( avnupo, kritoj ) - lo,goj| avlhqei,aj - du,namij qeou/ sind theologisch qualifizierte Begriffe, mit denen für die paulinische Theologie gewichtige Themen angesprochen sind. Es ist auffällig, dass Paulus im Katalog der menschlichen Tugenden den Heiligen Geist ( evn pneu,mati a`gi,w| ) erwähnt ebenso wie die Kraft Gottes (V.7a), die in der zweiten Gruppe Anfang und Schluss bilden. Dabei entsteht die Frage, ob er vom Geist Gottes redet (z.B. kata. pneu/ ma a`giwsu,nhj in Röm 1,4) oder vom menschlichen Geist, in dem Gott wohnt und wirkt. Letzteres gilt auf jeden Fall für die Formel evn pneu,mati (Eph 2,22; 3,5; 5,18; 6,18). 109 Der gleiche Ausdruck evn pneu,mati a`gi,w| kommt außer in unserem Text noch in Röm 9,1; 14,17; 15,16; 1Kor 12,3; 1Thess 1,5 vor. Einige Exegeten widersprechen dem Verständnis im Sinne von Geist Gottes und übersetzen deshalb »der Geist der Heiligkeit«, d.h. der Geist, der den wahren Apostel vom falschen unterscheidet. 110 Als Argument für diese anthropologische Interpretation wird auf den Charakter des Tugendkatalogs hingewiesen. Aber wenn der Geist ( pneu/ ma ) mit dem Wort heilig ( a[gioj ) verbunden ist, ist dieser als Geist Gottes zu verstehen. Für Paulus als Apostel dient der Geist zur Pflege der Tugenden. Die Tugenden selbst sind Erweis der inneren Wirkung des Geistes. In seiner Missionstätigkeit ist er angewiesen auf die diakoni,a tou/ pneu,matoj (3,8; vgl. 3,6: Diener des Bundes des Geistes). 111 Diese diakoni,a tou/ pneu,matoj schafft bei Paulus den Geist des Glaubens ( pneu/ ma th/ j pi,stewj , 4,13) und den Geist als Angeld ( av rrabw, n ) der Vollendung (5,5). 112 Für Paulus geschieht seine Verkündigung im »Erweis des Geistes und der Kraft« (1Kor 2,4). Diese Interpretation wird auch durch die folgende Erwähnung der Kraft Gottes unterstützt. 113 Zum einen versteht Paulus die 108 Vgl. F URNISH , 2Cor, 345; G RÄSSER , 2Kor I, 245. 109 Vgl. P LUMMER , 2Cor, 196f. 110 P LUMMER , 2Cor, 196, übersetzt ‘in the spirit of holiness’; B ARRETT , 2Cor, 186f., der »in a holy spirit« übersetzt; vergleichbar ist die Erwähnung von ‚der Geist‘ und ‚Herr‘ in Röm 12,9-13. 111 Vgl. F URNISH , 2Cor, 356; T HRALL , 2Cor I, 460. 112 Vgl. Z EILINGER , Krieg II, 368. Zum avrrabw,n des Geistes vgl. F.W. H ORN , Das Angeld des Geistes. Studien zur paulinischen Pneumatologie, FRLANT 154, Göttingen 1992, 385-431, bes. 389-404. 113 Vgl. F URNISH , 2Cor, 345; T HRALL , 2Cor I, 460. <?page no="173"?> 159 genannten Tugenden als Wirkung des eschatologischen Geistes, wie Zeilinger zu Recht angenommen hat. 114 Zum anderen wirkt der Heilige Geist für Paulus gegenwärtig, um Tugenden zu bewähren und die eigene Fähigkeit in seinem Dienst zu bezeugen. Dem entspricht auch der lukanische Paulus, wenn etwa in Apg 16,6f. festgestellt wird, dass für ihn der Heilige Geist als direkter Gesprächspartner in seiner Missionstätigkeit gegenwärtig ist und lebendig macht. 115 Die ungeheuchelte Liebe ( avga,ph avnupo,kritoj ) dient seiner Mission und ist die entscheidende Manifestation des Geistes, sie ist der höchste Weg aller echten Charismen (vgl. 1Kor 13; Gal 5,22). Die Verbindung von Heiligem Geist und Liebe ist sicherlich paulinisch (Röm 5,5; 15,30; 1Kor 4,21; 2Kor 13,13; Gal 5,22; Phil 2,1; vgl. Kol 1,8; 2Tim 1,7). In Röm 15,30 schreibt er von der Liebe, die der Geist einflößt ( avga,ph tou/ pneu,matoj , vgl. IgnTrall 6,1). 116 Die avga,ph avnupo,kritoj steht in der paränetischen Tradition des hellenistischen Judentums und des Urchristentums. Das der avga,ph beigefügte Adjektiv avnupo,kritoj kommt in echten paulinischen Briefen nur noch in Röm 12,9 vor und charakterisiert die Liebe als ungeheuchelt. 117 Die ungeheuchelte Liebe gründet in der im Sterben für alle ( u`pe.r pa,ntwn ) erwiesenen Liebe Christi (5,14f.), von der Paulus überzeugt ist und die er den Korinthern gegenüber bezeugt. 118 Diese Überlegungen leiten über zur Erwähnung des »Wortes der Wahrheit« und der »Kraft Gottes« (V7a). Bei evn lo,gw| avlhqei,aj ist der Artikel ausgefallen, wie in Jak 1,18, während sich die vollständige Form o` lo,goj th/ j avlhqei,aj in Eph 1,13; Kol 1,5; 2Tim 2,15 findet. Dieser Wegfall des Artikels bedarf jedoch keiner besonderen Interpretation, weil Paulus die artikellose Form vermutlich aus der LXX übernommen hat (z.B. Ps 118,43; Spr 22,21; Pred 12,10; PsSal 16,10). Die Frage bleibt, ob der Genitiv avlhqei,aj eine Apposition ist (‚das Wort, das die Wahrheit ist‘) oder als Objektiv zu verstehen ist (‚Verkündigung der Wahrheit‘). »Das Wort der Wahrheit« kann sowohl das wahre Wort (Apg 26,25) als auch die Wahrhaftigkeit der Rede bedeuten. 119 Letzteres erscheint überzeugender. 120 Aufgrund der Verbun- 114 So Z EILINGER , Krieg II, 367. 115 Die Apostel werden 1Kor 12,28 an der Spitze der Charismatiker genannt (vgl. auch 1Kor 2,4; 1Thess 1,5). 116 Vgl. bei Johannes Chrysostomus Scr. in epistulam ad Romanos 60.662.52: dia. th/ j avga,phj tou/ pneu,matoj . 117 So werden charakterisiert die Bruderliebe (1Petr 1,22), der Glauben (1Tim 1,5; 2Tim 1,5) und die Weisheit (Jak 3,17) bei H. GIESEN, Art. u`pokrith,j , avnupo,kritoj , EWNT III (²1992), 965f., 966. 118 Vgl. A. de O LIVEIRA , Die Diakonie der Gerechtigkeit und der Versöhnung in der Apologie des 2. Korintherbriefes. Analyse und Auslegung von 2Kor 2,14-4,6; 5,11-6,10, NTA.NF 21, Münster 1990, 412; Z EILINGER ; Krieg II, 369. 119 So W OLFF , 2Kor, 141. 120 So P LUMMER , 2Cor, 197; G RÄSSER , 2Kor I, 245. <?page no="174"?> 160 denheit mit der Kraft Gottes ist es wahrscheinlich, dass Paulus das Evangelium meint, wenn er von dem ‚Wort der Wahrheit‘ spricht. 121 In 1Kor 1,18 ist »das Wort vom Kreuz« auf die Kraft Gottes bezogen, entsprechend geschieht das Wort der Verkündigung im Erweis des Geistes und der Kraft (1Kor 2,4; 1Thess 1,5). Den Grund dafür gibt 2Kor 4,2, wo das Evangelium als Wort Gottes bzw. Wahrheit beschrieben wird. Vergleichbar ist der Ausdruck h` avlh,qeia tou/ euvaggeli,ou in Gal 2,5.14. In Eph 1,13 ist das Wort der Wahrheit speziell das Evangelium ( to.n lo,gon th/ j avlhqei,aj( to. euvagge,lion th/ j swthri,aj u`mw/ n ), in Kol 1,5 ( evn tw/ | lo,gw| th/ j avlhqei,aj tou/ euvaggeli,ou ) charakterisiert es die Verkündigung. Auffällig ist, dass in Eph 1,13 o` lo,goj th/ j avlhqei,aj , wie in unserem Vers, mit dem Heiligen Geist verbunden ist. Die du,namij Gottes erscheint häufig und ist im NT vornehmlich paulinisch (13,4; 1Kor 1,18; 2,4f.; Röm 1,16; vgl. auch 2Tim 1,8; 2Thess 1,11). Sie ist ein wichtiges Thema bei Paulus. In 4,7 und Röm 1,16 wird sie identifiziert mit dem Evangelium (vgl. Röm 15,19). 122 Die Dynamis Gottes ist bedeutungsvoll wegen der menschlichen Schwachheit des Apostels (4,7; 12,9; vgl. 1Kor 2,3-4). Sie ist wirksam im Leiden und in der Verkündigung. 123 Zur »Kraft Gottes in der Schwachheit« sei auf 2Kor 12,9f. verwiesen. In 1Thess 1,5 sind Kraft und Heiliger Geist ( evn duna,mei kai. evn pneu,mati a`gi,w| ) miteinander verbunden. Zu beachten ist, dass die in unserem Text bestimmende Verbindung von u`pomonh, (6,4: evn u`pomonh/ | pollh/ | ) und du,namij auch in 12,12 anzutreffen ist, wo Paulus die Apostelzeichen unter den Korinthern evn pa,sh| u`pomonh/ | (in aller Geduld), mit Zeichen und Wundern und Kräften (… kai. duna,mesin ) gewirkt hat. Die u`pomonh, gehört dabei nicht zu dem Zeichen, 124 sondern bezeichnet die widrigen Umstände beim Wirken der Zeichen. 125 Die Wendung »in aller Geduld« bestimmt das paulinische Dienstverständnis: Sein apostolisches Wirken geschieht in langmütigem Erdulden von Leiden. Deshalb beschreibt Paulus in unserem Text seine diakoni,a als Diener Gottes in jeder Art von Geduld ( evn u`pomonh/ | pollh/ | ). Der Heilige Geist und die Kraft Gottes umrahmen die doppelgliedrigen Tugenden, sie bewirken Tugenden und Peristasen. Die Kraft Gottes erscheint am Schluss eines Tugendkataloges, der Paulus als Diener Gottes erweist und in dem alle vorher aufgeführten Tugenden zusammengefasst sind. 121 So auch W INDISCH , 2Kor, 206; B ULTMANN , 2Kor, 173; H.J. F INDEIS , Versöhnung - Apostolat - Kirche. Eine exegetisch-theologische und rezeptionsgeschichtliche Studie zu den Versöhnungsaussagen des Neuen Testaments, FzB 40, Würzburg 1983, 117; F URNISH , 2Cor, 345. 122 Zu der Dynamis Gottes siehe Kap 4.3. 123 So P LUMMER , 2Cor, 197; T HRALL , 2Cor I, 461. 124 Dagegen sagt P LUMMER , 2Cor, 197: » evn pa,sh| u`pomonh/ | is placed first among ta. shmei/ a tou/ avposto,lou and the miracles are secondary«. 125 G RÄSSER , 2Kor II, 222. <?page no="175"?> 161 5.5.4 Die Waffenmetaphorik: Gerechtigkeit als Tugend (2Kor 6,7b-8a) Die VV.7b-8a sind in sich durch die Präposition dia, formal zusammengehalten; sie sind einerseits (V.7b) inhaltlich mit dem vorhergehenden Tugendkatalog (VV.6a-7a) verbunden und andererseits (V.8a) mit ihrer antithetischen Wendung auf den nachfolgenden Peristasenkatalog (VV.8b-10) bezogen. 126 Die Waffenmetaphorik in V.7b ist schon im AT (Jes 59,17; SapSal 5,17-20) zu finden, 127 d.h. sie geht auf Texte zurück, welche von der Waffenrüstung reden, die Gott im Endkampf anlegen wird. Parallele Erscheinungen haben wir im hellenistischen Denken. 128 Sie sind zu finden in der kynisch-stoischen Waffenmetaphorik, 129 in den Aussagen zu Waffen ( o[pla ) - oder in Kampfbildern ( ma,ch ), die in Verbindung mit einem Tugendbegriff stehen. 130 Ebner erklärt deshalb diesen Text aus der kynischstoischen Umwelt: Paulus qualifiziere sich als Idealbild des Weisen, der seine Tugenden als Waffen gegen Feinde, d.h. die Peristasen, einsetze. Er übertrage also die Waffenmetaphorik nach hellenistischem Vorbild auf das ethische Feld. An diese Analyse richtet Krug mit Recht zwei kritische Anfragen: »Erstens urteilt Ebner vorschnell, wenn er die von Paulus aufgelisteten Tugenden insgesamt als Waffen gegen die Peristasen interpretiert. Die einzige Tugend, die tatsächlich einen direkten Bezug zu der Leidensliste aufweist, ist die der Standhaftigkeit. Die anderen Tugenden weisen dagegen einen mehr oder weniger deutlichen Bezug zu der Mission auf«. 131 Zweitens argumentiert er, dass Paulus die Peristasen nicht als ‚Feinde‘ ver- 126 Die Meinung von P LUMMER , 2Cor, 198, dass »the change from ev n to di, a is made partly because the frequent repetition of ev n has become intolerable«, ist nicht überzeugend. 127 Dazu W INDISCH , 2Kor, 207; F URNISH , 2Cor, 346. K LEINKNECHT , Der leidende Gerechtfertigte, 265, stellt den ganzen Zusammenhang in den Kontext der Vorstellung des dualistischen Kampfes der Gerechten und Frevler, den er als einen wichtigen Vorstellungskreis der Tradition vom leidenden Gerechten ausmacht. Dies hat seinen Ursprung in den Psalmen (z.B. Ps 118; 139) und in den Qumrantexten (z.B. 1QM 4,6). Dort ist der Kampf der Geister des Lichts und der Finsternis zentral. Zum Zusammenhang von Tugendkatalog und dualistischer Kampfkonzeption: S. W IBBING , Die Tugend- und Lasterkataloge im Neuen Testament und ihre Traditionsgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der Qumran-Texte, BZNW 25, Berlin/ New York 1959, 61ff.67f. Wie K LEINKNECHT , Der leidende Gerechtfertigte, 265, Anm. 72 und 73, festgestellt hat, begegnet im Qumranschrifttum zwar nirgends ein genaueres Wort für o[pla th/ j dikaiosu,nhj , wohl aber ist im Kontext des heiligen Krieges die Rede von qdc / hqdc (z.B. 1QM 4,6), vor allem in der Verbindung Gerechtigkeit Gottes. 128 Dazu detaillierte Angaben bei E BNER , Leidenslisten, 264-269.293f. 129 Z.B. in einem Textabschnitt aus Senecas Luciliusbrief 59. 130 E BNER , Leidenslisten, 265-267, erklärt das so: »Die Waffen, mit denen der Weise gerüstet ist, sind die Tugenden. (…) Die Feinde, gegen die er seine ‚Waffen‘ einsetzt, sind die Peristasen (…) Die ethische Umdeutung militärischer Bilder kommt in diesem Schlüsseltext paradigmatisch in der Vorstellung von der Tugendrüstung und vom Kampf des Weisen gegen die Peristasen zum Ausdruck« (226). 131 K RUG , Kraft des Schwachen, 239. <?page no="176"?> 162 steht. Im Gegenteil macht er an den Erlebnissen in der Asia (2Kor 1,8ff.) deutlich, dass sein Leiden als »Teil einer göttlichen Pädagogik« zu verstehen ist. 132 Für entsprechende Überlieferungen aus der jüdisch-hellenistischen Welt sind Philo 133 und 4Makk 134 Zeugen. Tatsächlich wird diese Metaphorik im NT aufgegriffen: Paulus redet vom »Christenleben als einem Kampf gegen das Böse«, 135 auch spricht er von Waffen des Kampfes ( o[pla th/ j stratei,aj h`mw/ n ) in 10,4ff. 136 und stellt in Röm 6,13 Waffen der Ungerechtigkeit und Waffen der Gerechtigkeit einander gegenüber. 137 In 2Kor 6,7c ist ein allgemein gehaltener Waffenterminus ( o[pla ) auf einen Tugendbegriff ( dikaiosu,nh ) bezogen. Der Genitiv » o[plon th/ j dikaiosu,nhj « ist kein Gen. obj. (»Waffen zur Verteidigung der Gerechtigkeit«). 138 Vielmehr ist er hier als Gen. subj. (»Waffen, die die Gerechtigkeit darreicht«, vgl. Röm 6,13; vgl. 10,4), 139 oder als Gen. explicativus (im Sinne von »Waffen, die in der Gerechtigkeit bestehen«), auch als Gen. qualitatis (»Waffen, die der Gerechtigkeit entsprechen«) zu verstehen. 140 Dagegen begreift Bultmann die Gerechtigkeit im ethischen Sinne als »Rechtschaffenheit«. 141 Paulus trägt Waffen der Gerechtigkeit als qeou/ dia,konoj (6,4) in der Praxis seiner diakoni,a th/ j dikaiosu,nhj (3,9; vgl. auch w`j dia,konoi dikaiosu,nhj in 11,15). 142 Das Leben des Apostels wie das Leben der Christen entsprechen der militia christi (Eph 6,10-17; 2Tim 2,3). 143 Die Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken 144 - das Schwert in der rechten Hand zum Angriff und der Schild zur Verteidigung in der Linken - 145 sind »Angriffs- und Verteidigungswaffen«. 146 132 K RUG , Kraft des Schwachen, 240. 133 Vgl. Abr 243; LA II 3,14; somn I,255. 134 Vgl. zur militärischen Metaphorik: 7,4; 9,24; 13,16. 135 B AUER , Wörterbuch, 1166. 136 Vgl. Röm 13,12: die Waffen des Lichts ( o[pla tou/ fwto,j ); Eph 6,10-17: besonders die Waffenrüstung in V.13 ( panopli,a tou/ qeou/ ) und der Panzer der Gerechtigkeit in V.14 ( qw,rax th/ j dikaiosu,nhj ); zu o`pli,zesqai toi/ j o[ploij th/ j dikaiosu,nhj vgl. Polyk. 4,1. 137 G. S CHRENK , Art. dikaiosu,nh , ThWNT II (1935), 194-214, 213f. 138 B ULTMANN , 2Kor, 174, und T HRALL , 2Cor I, 461f. 139 G RÄSSER , 2Kor I, 245. 140 So B ULTMANN , 2Kor, 174; W OLFF , 2Kor, 141; Z EILINGER , Krieg II, 371; G RÄSSER , 2Kor I, 245, der trotz der Bestimmung als Gen. subj. einen Gen. qualitatis ausschließt. 141 So B ULTMANN , 2Kor, 174; auch W OLFF , 2Kor, 141; E BNER , Leidenslisten, 268f. 142 So auch K LEINKNECHT , Der leidende Gerechtfertigte, 265. 143 E BNER , Leidenslisten, 264 Anm. 121, zeigt die Wirkungsgeschichte des Motivs; vgl. auch A. W ANG , Der Miles Christianus im 16. und 17. Jahrhundert und seine mittelalterliche Tradition. Ein Beitrag zum Verhältnis von sprachlicher und graphischer Bildlichkeit (Mikrokosmos 1), Bern/ Frankfurt a. M. 1975; ebenso G RÄSSER , 2Kor I, 246. 144 Plut.mor. 210D; Polyain.Strat. 8,16,4. 145 Vgl. B AUER , Wörterbuch, 214; A. O EPKE , Art. o[plon ktl . ThWNT V (1954), 292-297, 293; P LUMMER , 2Cor, 198; F URNISH , 2Cor, 346; W OLFF , 2Kor, 141; G RÄSSER , 2Kor I, 245. Vgl. auch Polyb. VI 12; Flav.Jos.Bell III 5,5 (§ 93f); Plut.Caes 16,1. 146 Vgl. B AUER , Wörterbuch, 214. <?page no="177"?> 163 In der Gegenüberstellung »Ehre und Unehre« bzw. »böse und gute Nachrede« ( do,xa und avtimi,a - dusfhmi,a und euvfhmi,a ) begegnen konträre Phänomene, die die ganze Erfahrung des Apostels umfassen. 147 Sie sind in chiastischer Form als zwei Gegensatzpaare angelegt. Paulus verwendet do,xa und avtimi,a als Gegenbegriffe, z.B. in 1Kor 15,43 ( spei,retai evn avtimi,a|( evgei,retai evn do,xh|\ spei,retai evn avsqenei,a|( evgei,retai evn duna,mei ), auch in 1Kor 4,10 ( u`mei/ j e; ndoxoi( h`mei/ j de. a; timoi ). In Röm 9,21 stehen timh, und av timi, a gegenüber (vgl. 2Tim 2,20). Dusfhmi,a und euvfhmi,a sind ihm aus Korinth bekannt, 148 und böse Nachrede und gute Nachrede begleiten Paulus in seiner Missionstätigkeit, in der er als »Diener Gottes« (V.4) wirkt. Die zwei ersten Gegensatzpaare V.8a-b charakterisieren zunächst die positive und negative Reaktion der Menschen auf die apostolische Verkündigung, 149 wobei an 2,15 zu denken ist. 150 Denn es liegt vor allem an seiner existentiellen Identifizierung mit der Botschaft, dass Paulus in seiner Evangeliumsverkündigung bei manchen Ehre und Lob findet (vgl. Gal 4,14), bei anderen dagegen Verspottung bzw. Verachtung ( avtimi,a ) und Lästerung ( dusfhmi,a ) erntet (vgl. 1Kor 4,13). 5.5.5 Als nichts Habende und doch alles Besitzende (2Kor 6,8b-10) Dieser Abschnitt ist grammatisch-stilistisch einheitlich, die inhaltlichen Elemente sind jedoch von traditionsgeschichtlich unterschiedlicher Herkunft. 151 Kleinknecht sieht 2Kor 6,8b-10 in der Tradition des leidenden Gerechten und betont den starken alttestamentlichen Hintergrund. 152 Demgegenüber findet Windisch den Traditionshintergrund in kynisch-stoischen Parallelen: »Sachlich bildet die vorletzte Antithese ( w`j ptwcoi, ...) mit der letzten ‚als die nichts haben und (doch) alles inne haben‘ ein Paar. Pa,nta kate,cein ist wieder eine Losung, die wohl kynischen oder stoischen Ursprungs ist, (…) so haben wir in uns. Abschn. eine Beschreibung der äußeren Erscheinung und der Lebenshaltung des Ap., die (wie die analoge Zeichnung I 4,9ff.) große Verwandtschaft mit dem Ideal der kynischstoischen Diatribe hat, um so mehr als hier jede Beziehung auf Christus und das christliche Jenseits unterlassen ist. Die Rhetorik ist ganz die der Diatribe, wahrscheinlich sind manche der Antithesen hellenistisches Lehngut«. 153 147 Vgl. K LEINKNECHT , Der leidende Gerechtfertigte, 266. 148 Vgl. 4,3; 8,19f.; 10,10; 12,16. S CHRÖTER , Versöhner, 201, sieht in dusfhmi,a kai. euvfhmi,a eine Anspielung auf den Vorwurf, dass Paulus in seiner persönlichen Erscheinung nicht das durchführt, was er in seinen Briefen ansagt (10,10). 149 Vgl. L ANG , Kor, 305. 150 Vgl. K LEINKNECHT , Der leidende Gerechtfertigte, 266. 151 H OTZE , Paradoxien, 293. 152 K LEINKNECHT , Der leidende Gerechtfertigte, 266-268. 153 W INDISCH , 2Kor, 209. <?page no="178"?> 164 Nach Fridrichsen liegt eine Verwandtschaft zwischen 2Kor 6,9-10 und 4,8-9 mit der stoischen Parallele in Plutarchs Moralia (1057-1058) vor, wobei »die Vorstellung vom Durchhalten auch in den äußersten Drangsalen und in der größten Not« bestimmend ist. 154 So lautet Plutarch Moralia 1057 E: Der stoische Weise verliert auch im Kerker seine Freiheit nicht; man stürze ihn von Felsen herab, er leidet keine Gewalt; man spanne ihn auf die Folter, er empfindet keine Qual; man hacke ihm die Glieder ab, er bleibt unverletzt; fällt er auch beim Ringen, so ist er doch nicht unbesiegt; man schließe ihn mit Mauern ein, ihm gilt keine Belagerung; wird er von den Feinden verkauft, so ist er doch kein Gefangener. 155 Wenngleich hier formal eine gewisse Verwandtschaft zum paulinischen Stil nicht übersehbar ist, sind doch auch »große(n) Unterschiede« erkennbar, wie Fridrichsen selbst gesagt hat. 156 Der zweite Peristasenteil (8b-10) schließt den Katalog ab, der von sieben Antithesen mit w`j (anstatt dia, ) eingeleitet wird. Diese werden nicht durch Substantive, sondern von zehn pluralen Partizipien und drei Adjektiven ( pla,noi , avlhqei/ j , ptwcoi, ) gebildet, eine Wendung ist mit dem Verbum finitum kai. ivdou. zw/ men (V.9) gebildet. 157 Sie sind in sieben Gegensatzpaaren 154 Vgl. F RIDRICHSEN , Paulus und die Stoa, 30-31. Davon geprägt ist auch die Untersuchung der Peristasenkataloge durch H. T HYEN , Der Stil der jüdisch-hellenistischen Homilie, FRLANT 65, Göttingen 1955, der von Mustern von Peristasenkatalogen in jüdisch-hellenistischen Schriften ausgeht. Er wandelt in Bultmanns Spuren, was die Abhängigkeit von der kynisch-stoischen Diatribe betrifft, und sucht nach Berührungen mit der synagogalen Homilie im hellenistischen Judentum. Er findet Beispieltexte zu den Peristasenkatalogen nicht nur im hellenistischen Judentum, sondern auch im jüdisch geprägten Christentum und erwähnt, dass der Gebrauch der Diatribe bei Paulus ein Teil seiner Erbschaft als ein Kind der Diaspora ist. Vgl. auch F ITZGERALD , Cracks, 24. 155 Der griechische Text bei F RIDRICHSEN , Paulus und die Stoa, 30; die Übersetzung von B. S NELL , Plutarchus [De tranquillitate animi ‹dt.›]. Von der Ruhe des Gemütes und andere philosophische Schriften, Die Bibliothek der Alten Welt, 1948, 75. 156 F RIDRICHSEN , Paulus und die Stoa, 30. Als Unterschiede beschreibt er, dass »bei Paulus die Paradoxie herrscht, während vom Stoiker die Partizipialkonstruktion durchgeführt wird, die einen Abstand zwischen der dogmatischen Einstellung des Stoikers und der persönlichen Haltung des Apostels markiert«. Vgl. S CHRAGE , Leid, 148 Anm. 19, wonach bei Paulus in 2Kor 4,8ff. Paradoxe, Asyndese und 1. Person vorliegen; bei Plutarch verb. finit. mit Partizipialkonstruktion, kai, und 3. Person. Nach E. B AMMEL , Art. ptwco,j ktl ., ThWNT VI (1959), 885-915, 909 Anm. 227, liegt in 2Kor 6,3ff. »fast wörtlich ein stoisches Schema« vor. 157 Das führende w`j umfasst beide entgegengesetzten Glieder, so dass zwischen ihnen ein Oxymoron entsteht; vgl. N. S CHNEIDER , Die rhetorische Eigenart der paulinischen Antithese, HUTh 11, Tübingen 1970, 55f.; O LIVEIRA , Diakonie, 299. Diese antithetische Gliederung bezeichnet den Gegensatz zwischen Schein (vgl. w`j ) und Wirklichkeit bzw. <?page no="179"?> 165 gruppiert, wobei die antithetische Beziehung mit dem adversativen kai, und zweimal mit de, ausgedrückt wird. 158 Das jeweilige Vorderglied bringt äußerliche und negative Erfahrungen zum Ausdruck, dagegen charakterisiert das entsprechende Hinterglied die positive Gestimmtheit im Sinne einer inneren Wirklichkeit des Apostels. Somit kann als hermeneutischer Schlüssel der Peristasen der Gegensatz von Schein und Sein erkannt werden, wie er in vergleichbaren Parallelen in der stoischen Diatribe zu finden ist (vgl. Epict.diss. II 19,24). 159 Die erste Antithese (V.8c) stellt pla,noi und avlhqei/ j (betrügerisch/ wahrhaftig) gegenüber. Das Wort pla,noi wird sonst nicht bei Paulus verwendet, 160 es bezeichnet den »Betrüger« bzw. »Verführer«; das Adjektiv avlhqh,j begegnet nur noch in Röm 3,4 und Phil 4,8. Synonym zu pla,noj gebraucht Paulus in 11,13 das Wort do,lioj , mit dem er seinen Aposteldienst von falschen Aposteln ( yeudapo,stoloi ) abgrenzt. Dies lässt auch hier eine ähnliche Verteidigung wie in 12,16-18 vermuten. Nicht Paulus betrügt jemanden, sondern er wird von seinen Gegnern Betrüger genannt. Er empfiehlt sich dem Gewissen aller Menschen (4,2; vgl. 5,11f.) und grenzt sich gegen diejenigen ab, die das Gotteswort verachten (2,17) bzw. hinterlistig verfälschen (4,2). 161 Bei Paulus ist die Wahrheit in seiner Missionstätigkeit verankert (13,8; ouv ga.r duna,meqa, ti kata. th/ j avlhqei,aj avlla. u`pe.r th/ j avlhqei,aj ). Der Gegensatz von pla, noj und avlhqh,j verweist auf den Sprachgebrauch der Sophistenpolemik, hat also hellenistischen Hintergrund, 162 womit solche Antithetik im Sinn einer positiven bzw. negativen Eignung qualifiziert wird. Mit dem Begriff avlhqh,j wird im kynischen Denken das Ideal der Freimütigkeit ( parrhsi,a ) umschrieben. In ihr spricht der wahre Philosoph »in aller Öffentlichkeit klar und ohne Hintergedanken«. 163 Die zweite Antithese wird mit den Partizipien avgnoou,menoi und evpiginwsko,menoi (unbekannt/ wohlbekannt, V.9a) entfaltet. Mit avgnoou,menoi bringt Paulus zum Ausdruck, dass seine Bedrängnisse in Asien von den zwischen Außenseite und Innenseite. Diese Meinung vertreten W INDISCH , 2Kor, 207, aber auch Z MIJEWSKI , Narrenrede, 313. 158 Von dieser Funktion her versteht sich, dass kai, hier einen adversativen Sinn hat; vgl. P LUMMER , 2Cor, 199. 159 Vgl. W INDISCH , 2Kor, 207; Z MIJEWSKI , Narrenrede, 313; F ITZGERALD , Cracks, 196 Anm. 209; E BNER , Leidenslisten, 321ff.; H OTZE , Paradoxien, 295. Zu stoischen Parallelen B ULTMANN , kynisch-stoische Diatrabe, 27.80. 160 Aber ähnlich 2,17; 3,12.f; 4,2-4; 5,11; 7,2 sowie 1,15; 2,2; 12,16; 1Kor 9,1. Für das Denken der LXX ist der Zusammenhang mit dem Vorwurf der Verführung zum Götzendienst typisch, z.B. Dtn 13,6; 2Kön 21,9. 161 Vgl. Z EILINGER , Krieg II, 375. 162 Vgl. E BNER , Leidenslisten, 315. 163 E BNER , Leidenslisten, 315. <?page no="180"?> 166 Korinthern nicht erkannt und nicht anerkannt werden (2Kor 1,8). 164 Damit führt sein Dienst zur Kollision, so dass er ein Unverstandener bleibt. 165 Demgegenüber steht die Lauterkeit der Motive des Paulus in 2Kor 1,12-14, worauf sich schon der Tugendkatalog V.6a bezieht und wo Paulus seine a`plo,thj und eivlikri,neia vor Gott als Ruhm ( kau,chsij ) bezeichnet. Er hofft darauf, von den Korinthern verstanden und anerkannt zu werden (1,13.14: mit dem Gebrauch evpiginwsko,menoi ), so wie er vergleichsweise davon sprechen kann, von Gott verstanden zu werden (1Kor 13,12: evpignw,somai kaqw.j kai. evpegnw,sqhn ). Die dritte Antithese avpoqnh,|skontej und zw/ men (sterbend/ lebendig, V.9b) und die vierte Antithese paideuo,menoi und mh. qanatou,menoi (gezüchtigt/ nicht getötet, V.9c) gehören inhaltlich näher zusammen und umschrieben die Errettung aus Bedrohungen der Todesgefahr (vgl. 4,10f.). V.9b.c lehnt sich an Ps 117,17f. LXX an. Die Reihe der Partizipien mit dem Wechsel zum finiten Verbum des stark akzentuierten Präsens ivdou. zw/ men unterstreicht das energische apostolische Leben, obwohl dies unter dem Leiden verborgen ist. V.9c stellt in Form einer correctio dem Partizip paideuo,menoi das Synonym mh. qanatou,menoi gegenüber, was als ein Synonym zu ivdou. zw/ men verstanden werden kann. 166 Daraus ergibt sich folgender Textvergleich: 164 Dagegen W OLFF , 2Kor, 142, der meint, dass das Unbekannt- und Bekanntsein des Paulus an das Gegensatzpaar Ehre - Verachtung (V.8) anknüpft. E BNER , Leidenslisten, 317, übersetzt »Verkanntsein«. 165 So G RÄSSER , 2Kor I, 248; B ULTMANN , 2Kor, 175; D ERS ., Art. avgnoe,w ktl ., ThWNT I (1933), 116-122, 117, versteht das Wort im Sinne von obskur; dagegen P LUMMER , 2Cor, 199: » VAgnou,menoi does not mean Ë being misunderstood, misread É «. 166 Vgl. E BNER , Leidenslisten, 313; Z EILINGER , Krieg II, 377. <?page no="181"?> 167 Ps 117,17 117,18 ouvk avpoqanou/ mai avlla. zh,somai kai. evkdihgh,somai ta. e; rga kuri,ou paideu,wn evpai,deuse,n me o` ku,rioj kai. tw/ | qana,tw| ouv pare,dwke,n me 2Kor 6,9b 6,9c w`j avpoqnh,|skontej kai. ivdou. zw/ men w`j paideuo,menoi kai. mh. qanatou,menoi Der Psalmtext wird aber nicht wörtlich zitiert, sondern Paulus hat im Dienst der eigenen Theologie die Gegenüberstellung des antithetischen Parallelismus verändert. 167 Dort spricht in einer Dankfestliturgie ein Beter, der aus schwieriger Krankheit gerettet wurde. Die Taten Gottes als Gottesheil zu bezeugen, dies entspricht dem Selbstverständnis des Apostels. 168 Die beiden Antithesen V.9b.c sind Folge der in steilen Antithesen entfalteten Christologie: 169 gekreuzigt aus Schwachheit, aber lebend aus der Kraft Gottes (13,4). Mit dem Bekenntnis »Als Sterbende, doch, siehe wir leben! « nimmt Paulus vor allem 4,10f. wieder auf, wo mit seinem Todesleiden der Gekreuzigte offenbart wird und er um Jesu bzw. des Evangeliums willen in den täglichen Tod hingegeben wird. Mit dem Begriff ivdou, wird der Umschwung aus dem Todesleiden des Apostels in ein Leben von Freude und Sieg eingeleitet. Tag für Tag erfährt der innere Mensch solch neues unsichtbares, aber ewiges Leben (4,10f. 16f.), 170 das zu andauernder Freude ( cai,rontej , V.10) führt. Daraus ist zu erkennen, dass der Ausdruck ivdou. zw/ men Siegesfreude über das gewonnene Leben signalisiert. So wird für Paulus Sterben Gewinn (Phil 1,21). Die Auffassung von Oliveira, dass Paulus in V.9b.c seine Teilnahme am eschatologischen Kampf der Gerechtigkeit zum Ausdruck bringe, 171 ist fraglich, denn der Apostel charakterisiert mit ivdou. zw/ men die gegenwärtige Wirklichkeit seiner Existenz. Dies wird auch dadurch unterstrichen, dass Paulus vom Futur der LXX zum Präsenz in V.9b übergeht. Er hebt damit seine tägliche Arbeit im apostolischen Dienst hervor, die von ständiger tödlicher 167 Vgl. S CHRAGE , Leid, 147; K LEINKNECHT , Der leidende Gerechtfertigte, 267; O LIVEIRA , Diakonie, 415f. 168 Vgl. R.P. M ARTIN , 2Corinthians, WBC 40, Waco, TX 1986, 182. 169 Vgl. K RUG , Kraft des Schwachen, 295-298; G RÄSSER , 2Kor I, 246. 170 Vgl. H OTZE , Paradoxien, 296. 171 O LIVEIRA , Diakonie, 415. <?page no="182"?> 168 Gefährdung geprägt ist (1Kor 4,9; 15,30f.; 2Kor 1,8f.; vgl. 11,23: evn qana,toij polla,kij ). Die folgende Antithese macht nur dann Sinn, wenn der Begriff paideu,ein im Sinne von züchtigen gebraucht ist und nicht mit erziehen gedeutet wird. 172 Die Züchtigungen nehmen die plhgh, aus V.5 auf (vgl. auch 1Kor 4,11 und die Erwähnung der Steinigung in 2Kor 11,25). Mit dieser Formulierung steht Paulus in alttestamentlich-jüdischer Tradition (Ps 117,18 LXX), wo besonders in der weisheitlichen Überlieferung Leiden als »Züchtigung des Herren« ( paidei,a kuri,ou ) verstanden und als Zeichen von Gottes Prüfung und Warnung im Sinne seiner väterlichen Liebe interpretiert werden (Spr 3,11f.; 1Kor 11,13; vgl. Hebr 12,5f.; Apk 3,19). 173 So definiert W. Wichmann diese Peristase als jüdische Leidenstheologie. 174 Bei Paulus stößt sich die Aussage 2Kor 6,9 scheinbar mit 1Kor 11,32 (»gerichtet vom Herren werden wir gezüchtigt«), aber mit Schrage ist festzuhalten: »die Christen sind nicht dem Gericht und der Züchtigung durch den Herren entnommen, wohl aber der endgültigen Verurteilung, der die Welt entgegengeht«. 175 Unserer Stelle kommt deshalb auch nicht eine verdienstliche oder sühnende Bedeutung zu. Es ist auch schwerlich anzunehmen, dass peirazo,menoi (‚versucht Werdende‘) statt paideuo,menoi zu lesen ist. Man kann allerdings sagen: Diese Textüberlieferung »zeigt nur die Verwandtschaft von peirasmo,j und paidei,a kuri,ou in der jüdischen Leidenstheologie«. 176 Zwar ist ein gewisser Einfluss dieser Tradition auf diese Peristasen nicht auszuschließen, an Gott als Urheber der Züchtigungen ist hier aber ebenso wenig zu denken wie bei den folgenden Passivformen. 177 Die abschließende Dreiergruppe in V.10 steht in einem sachlichen Zusammenhang und fasst den Tugend-Peristasenkatalog zur Existenz des Dieners Gottes zusammen. Bei den Wortpaaren geht es um den Gegensatz Trauer - Freude und Armut - Reichtum, wobei beide in der abschließenden Klimax Nicht Haben - Alles Haben im letzten Wortpaar eine Steigerung erleben. Die beiden Gegensätze Trauer - Freude und Armut - Reichtum erinnern an Jesu Seligpreisung in der lukanischen Feldrede in 6,20f. (par. Mt 5,3ff.), 172 In der hellenischen Literatur ist die Bedeutung fremd, dort herrscht die Bedeutung erziehen vor. 173 Weitere Belegstellen sind Hi 5,17; Ps 94,12; 119,67.75; Jer 31, 18.19; PsSal 18,4. 174 Literatur zur jüdischen Leidenstheologie: F ISCHER , Die Bedeutung des Leidens; G. J ASPER , Wie erklärt Israel seine leidvolle Führung, Jud 21, 1965, 1-26; A.R.C. L EANEY , The Eschatological Significance of Human Suffering in the Old Testament and the Dead Sea Scrolls, SJTh 16, 1963, 286-296; J.A. S ANDERS , Suffering as Divine Discipline in the Old Testament and Postbiblical Judaism, Colgate Rochester Divinity School Bulletin 28, 1955; W ICHMAN , Leidenstheologie. 175 So S CHRAGE , Leid, 167; dagegen F ISCHER , Bedeutung des Leidens, 129, der davon ausgeht, dass Paulus das Leiden der Christen als Gericht versteht. 176 G. B ERTRAM , pai,zw ktl ., ThWNT V (1954), 625-635, 623 Anm. 178. 177 W OLFF , 2Kor, 142. <?page no="183"?> 169 wo Jesus die ptwcoi, (Armen), die peinw/ ntej (Hungernden) und klai,ontej (Weinenden) ebenso selig preist wie die um seinetwillen Verfolgten. Vom Motiv »Weinende - Lachende« bei Jesus nimmt Paulus in unserer Stellen das Motiv »Trauer - Freude« auf. Das Wortpaar steht im Zusammenhang des paulinischen Zwischenbesuchs in Korinth in 2,1-5 und 7,7-11. 178 Für Paulus brachte dieser Zwischenfall »keine emotional bestimmte Beleidigung seiner Person, sondern eine grundsätzliche Betrübnis (2,5ff.)«. 179 Auch die kynisch-stoischen Philosophen stellen die Begriffe lupei/ n - cai,rein einander gegenüber (vgl. Dion Chr. 66,24). 180 Die fünfte Antithese stellt lupou,menoi und avei. cai,rontej (als Betrübte - doch allezeit Freuende, V.10a) gegenüber. Die 5. und 6. Antithese können wir vergleichbar in jüdischer Literatur, etwa im TestJud 25,4 finden: »Die in Traurigkeit gestorben sind, werden in Freude auferstehen, und die arm sind um des Herren willen, werden reich gemacht werden (…)«. 181 In den folgenden beiden Antithesen wendet Paulus de, anstatt kai, an und unterstreicht durch den Zeitpartikel avei, die Beständigkeit der Freude unter traurigen Umständen. 182 Die Formulierung »betrübt - immer fröhlich« spricht Erfahrungen des Paulus aus seinem Dienst an, sie ist fester Bestandteil paulinischen Denkens (vgl. 1Thess 1,6; Gal 5,22; 2Kor 8,2; Röm 14,17). Solcher Betrübnis ist die ständige ( avei, ) Freude gegenübergestellt, die die Leidensexistenz des Dieners Gottes (vgl. 7,4) übersteigt. 183 Das verbreitete Motiv »Freude im Leiden« ist auch am Ende der Seligpreisungen der Bergpredigt und der Feldrede im Munde Jesu zu finden (Mt 5,12f.; par. Lk 6,20f.; vgl. auch 1Petr 1,6f.; 4,13f; Jak 1,2). 184 Nauck erklärt die Freude des Christen im Leiden damit, dass sie »nicht nur eine Freude auf den Lohn ist, der nach dem Leiden bevorsteht, sondern sie eine Freude über das im Glauben an Christus empfangene Heil ist, in dem der zukünftige Lohn bereits gegenwärtig ist«. 185 Er führt sie auf die jüdische Tradition von der Freude angesichts von Verfolgungsleiden zurück, wie sie z.B. in 2Makk 6,28.30 (ferner 4Makk 7,22; 9,29; 11,12) und auch in SapSal 3,4-6 zu finden ist. 186 Paulus 178 Vgl. Z EILINGER , Krieg II, 378. 179 Z EILINGER , Krieg II, 378f. 180 Weitere Belege Philo LA III,217; Philo mut.,163. 181 Ähnlich Tob 13,14: »Selig alle, die betrübt wurden durch alle deine Schläge, denn sie werden sich freuen über dich (…)«, nach S CHRAGE , Leid, 145 Anm. 11. 182 Vgl. O LIVEIRA , Diakonie, 299. 183 Betrübnis des Apostels: 2Kor 2,1-5; Phil 2,27f.; Röm 9,2; das Motiv der Freude: Phil 1,4.18.25; 2,2.17.28.29; 3,1; 4,1.10. 184 Vgl. dazu N AUCK , Freude, 68-80; auch K AMLAH , Leiden, 217-232. 185 N AUCK , Freude, 76-77. 186 Vgl. N AUCK , Freude, 78, der im Blick auf die Makkabäerkämpfe schreibt, dass »die jüdischen Erzählungen über die Kämpfe oft von der Leidensfreudigkeit der Glaubenshelden zu berichten wissen«. Die alttestamentliche Vorstellung, wie sie in Jes 35,10; 51,11; 61,7 vorliegt, versteht sich nicht als »Freude im Leiden«, sondern als »Freude nach dem Leiden« (79 Anm. 63). <?page no="184"?> 170 spricht von der Freude des Glaubens (Phil 1,25; vgl. Phil 4,4: »Freut euch im Herrn allezeit«) 187 und von der Freude als Frucht des Geistes (Gal 5,22). Die Freude in Betrübnis bzw. Trübsal wird vom eschatologischen Verständnis der Leiden geprägt. 188 Das paradoxe Miteinander von Freude und Betrübnis ist nichts anderes als die Übernahme des Kreuzes Christi. Im Unterschied zur jüdischen Apokalyptik ist die Freude bei Paulus weder rein futurisch 189 noch handelt es sich um den Wechsel von Freude und Betrübnis. Vielmehr ist sie eine gegenwärtige und ständige ( avei, ) Grundhaltung. 190 So wird in der Gegenwart der Leiden Heil bewirkt und trotz aller Betrübnis nach dem Willen Gottes Freude im Geist erfahren (7,10). Die sechste Antithese ptwcoi, und pollou.j plouti,zontej (arm/ viele reich machend, V.10b) steigert in der Form einer p -Alliteration 191 die absolute Besitzlosigkeit. Ptwcoi, begegnet in den Psalmen als Selbstbezeichnung des Beters, auch im frühen Judentum charakterisiert der Begriff das Selbstverständnis des Erwählungskollektivs. 192 An diese Bedeutung ist hier jedoch nicht zu denken. Denn Paulus meint im Peristasenkatalog mit ptwcoi, wirkliche Arme, die völlig besitzlos sind, denen das Lebensnotwendige mangelt, 193 und die im griechischen Sinn mhde.n e; cein sind, wovon er in V.10c in paralleler Gestaltung spricht. Paulus erleidet in seiner Missionarstätigkeit in Korinth (11,7-10) immer wieder Mangel, ein Motiv, das in den Peristasenkatalogen (1Kor 4,11-12; 2Kor 11,27; Röm 8,35; vgl. Phil 4,11-12) immer wieder auftaucht. Deshalb ist in dem Peristasenkatalog von wirklichem Mangel die Rede. Es ist kein Zufall, dass Paulus den christologischen Bekenntnissatz in 8,9 (»Der reich war, wurde um euretwillen arm, damit ihr durch seine Armut reich werdet«) im Wortfeld »Armut - Reichtum« formuliert. 194 Danach bewirkt Christus zweifellos durch das Verlassen seines Reichtums für andere das, was er selbst aufgegeben hat. 195 In diesem 187 Vgl. auch Phil 3,1; Röm 15,13. 188 Vgl. F INDEIS , Versöhnung, 122; O LIVEIRA , Diakonie, 417. 189 Belegstellen bei S CHRAGE , Leid, 145 Anm. 11: Tob 13,14; Jer 31,13; Jes 35,10; syrBar 48,50; äthHen 25,6; 93,13. 190 So S CHRAGE , Leid, 169 Anm. 81; O LIVEIRA , Diakonie, 417. 191 Zum häufigen Auftreten eines gleichen Buchstabens im Anlaut, vgl. BDR § 488.7. 192 Vgl. H. M ERKLEIN , ptwco,j ktl ., EWNT III (²1992), 466-472, 468. 193 Dagegen O LIVEIRA , Diakonie, 417; Z EILINGER , Krieg II, 379; im Gegensatz dazu M ARTIN , 2Cor, 184, und T HRALL , 2Cor I, 466f., die im Sinne einer geistlichen Armut interpretieren. Paulus gebraucht ptwcoi, in Gal 2,10 als eine Selbstbezeichnung der Jerusalemer Urgemeinde, vgl. K. H OLL , Der Kirchenbegriff des Paulus in seinem Verhältnis zu dem der Urgemeinde, in: D ERS ., Der Osten, Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte II, Tübingen 1928, 44-67; D. G EORGI , Der Armen zu gedenken. Die Geschichte der Kollekte des Paulus für Jerusalem Neukirchen-Vluyn ²1994 (ThF 38, Hamburg 1965); E. B AMMEL , Art. ptwco,j ktl ., ThWNT VI (1959), 885-915, 909. 194 Weitere christologische Bekenntnistraditionen liegen vor in Phil 2,6-8 und 2Kor 5,21. 195 Vgl. S CHRÖTER , Versöhner, 202; Z EILINGER , Krieg II, 380. <?page no="185"?> 171 Sinne ist die Gemeinde in Korinth schon »in allem reich geworden in ihm« (1Kor 1,5). Die letzte Antithese »nichts habend - alles besitzend« (V.10c) fasst die Selbstpräsentation des Paulus zusammen. Der Begriff ptwcoi, wird in V.10b durch die Wendung mhde.n e; contej weitergeführt und gesteigert. Hierzu zeigt die Antithese fast völlige Übereinstimmung mit der kynisch-stoischen Literatur, etwa bei Krates, Ep 7: e; contej mhde.n pa,ntV e; comen . 196 Der kynische Satz hat eine chiastische Struktur, dagegen gebraucht Paulus zwei Partizipien mit einem Kompositum und bringt damit einen anderen theologischen Sinn zum Ausdruck, der von dem der Philosophen unterschieden ist. Die auvta,rkeia (vgl. Phil 4,11), die von Stoa und Kynismus gepriesen wird, ist für Paulus in Gott begründet, der ihn in widrigen Umständen stärkt. Der Unabhängigkeit der Philosophen steht in paulinischer Theologie die Abhängigkeit von der Gnade Gottes gegenüber. 197 Von pollou,j geht Paulus zu pa,nta über, das er dem mhde, n gegenüberstellt. Gesteigert wird der Begriff e; contej zu kate,contej , was als Paronomasie zu verstehen ist. 198 Mit ihr wird der eigentliche Gegensatz »nichts« und »alles« zum Ausdruck gebracht. Die Aussage e; contej … kate,contej (vgl. 1Kor 7,30) 199 signalisiert »having … really having«, wie Furnish feststellt. 200 Der Apostel besitzt also einen Schatz (4,7), gerade dann, wenn er nichts hat. Paulus weiß auch, dass er alles besitzt, wenn er zu Christus gehört (vgl. 1Kor 3,21b-23; 1Kor 2,2: »nichts zu wissen als allein Jesus Christus…«; vgl. auch Phil 3,8). 201 Paulus als Nicht- Habender besitzt alles, was mit der Habeformel ( e; comen ) 202 ausgeführt wird: Vertrauen (3,4), Hoffnung (3,12), Dienst (4,1), Glaubensgeist (4,13), ein zukünftiges Haus (5,1). 203 Paulus schließt den Katalog ab, indem er die durch den Einleitungssatz VV. 3-4 eröffnete Antithese wieder aufgreift und inhaltlich umfassend füllt: dem pollou.j (V.10) entspricht pollh/ | (V.4b), dem 196 W INDISCH , 2Kor, 209; D.L. M EALAND , »As having nothing, and yet possessing everything« 2Kor 6,10c, ZNW 67 (1976), 277-279; vgl. F URNISH , 2Cor, 348; O LIVEIRA , Diakonie, 417. Z EILINGER , Krieg II, 381, weist auf Epict.diss. IV,9 hin: Natürlich wird »zwischen materiellen Gütern und idealem Haben unterschieden, wobei der Mangel an materiellen Gütern durch weitaus wertvollere ersetzt wird«; in ähnlichem Sinn finden sich Aussagen bei Philo Mos. I, 157, wonach »der religiös eifrige Mensch an sich nichts, auch nicht sich selbst besitze, jedoch an den wertvollen Gütern Gottes teilhat«; sowie bei Diog. Laert. VI, 87; Philostr.vit.ap. III 15. 197 Vgl. M EALAND , Having Nothing, 279. 198 BDR § 488.1 definiert Paronomasie als »die Wiederkehr desselben Wortes oder Wortstammes«. 199 Hiermit begegnet ein ähnlicher Wortlaut wie in Vers 10: klai,ontej (statt lupou,menoi ), cai,rontej und kate,contej . 200 F URNISH , 2Cor, 348. 201 Zur Christuszugehörigkeit, siehe Kap. 3. 202 Dazu im Kap. 4. 203 M ARTIN , 2Cor, 184; O LIVEIRA , Diakonie, 418; Z EILINGER , Krieg II, 382. <?page no="186"?> 172 mhde,n - pa,nta (V.10) das evn mhdeni. - evn panti, (VV.3-4a). Die Überschrift am Anfang wird hier zum summarisch gesteigerten Abschluss. 5.6 Fazit Im Rahmen der Verteidigung seines Apostolates ist der Peristasenkatalog 6,3-10 eine apostolische Selbstempfehlung. Die Selbstempfehlung ( sunis ta,nein e`autou,j ) des Paulus, die sich auf den in 3,1-3 erwähnten Empfehlungsbrief bezieht, charakterisiert ihn als Diener des neuen Bundes (3,6a) und Diener Gottes (6,4). Der Peristasenkatalog steht im Kontext der Versöhnungsbotschaft, sein Dienst ist deshalb Dienst der Versöhnung (5,18, diakoni,a th/ j katallagh/ j ) und Neuschöpfung (5,17). Diese Selbstempfehlung ist das zentrale Thema von Peristasenkatalog und Apostolat. Wie in 3,1, so lehnt Paulus auch in 5,12 (vgl.10,12.18) das Sich-Selbst-Empfehlen ( e`autou.j sunista,nein ) als negativ ab, wie dies auch für den Peristasenkatalog 1Kor 4,6-13 gilt. Demgegenüber spricht er in 4,2 und 6,4 positiv von Selbstempfehlung ( sunista,nein e`autou,j ), die wegen des Selbstrühmens seiner Gegner (vgl. 10,12-13) nötig wird, zur Offenbarung der Wahrheit (4,2) dient und ihn als vollkommenen Diener Gottes ausweist (6,4). Im Vergleich zu dem Peristasenkatalog im 1Kor (4,6-13), - dort geht es vorrangig um die Orientierung des Apostels am Wort vom Kreuz - setzt Paulus hier und auch in 11,21b-30 und 12,9-10, wie wir noch sehen werden, überhaupt im 2Kor auffallend häufig die Peristasen ein, um sein Apostolat zu entwickeln. In dieser Perikope apostolischer Verteidigung bzw. Selbstempfehlung ist nicht Eigenlob das Ziel, sondern der Erweis seiner Bewährung als qeou/ dia,konoj , der sich als Diener Gottes grundsätzlich evn u`pomonh/ | pollh/ | ausweist (V.4). Diese »große Geduld« dient als Oberbegriff für die im Folgenden aufgelisteten Peristasen, vor allem führt sie direkt in alle einzelnen Tugenden ein ( ev n -Passagen) und konkretisiert diese im apostolischen Dienst. Wie die Präposition evn des Tugendbzw. Peristasenkatalogs, so hat auch die Partikel w`j eine Entsprechung in der Überschrift (V.4a): w`j qeou/ dia,konoi . Die Partikel w`j wird in der Einleitung der Peristasen durch die siebengliedrigen Antithesen aufgenommen. Durch sie wird die apostolische Existenz als Koexistenz von Widersprüchen expliziert. Damit kommt es zu einer Verbindung von Tugendkatalog und Peristasenkatalog, wobei der Akzent auf der Fähigkeit ( i`kano,thj ) des Apostels liegt. Beide Kataloge gehören für Paulus untrennbar zusammen, denn mit Hilfe von Tugenden sind Peristasen zu ertragen. Das zentrale Motiv der Selbstempfehlung ist der untadelige Dienst des Apostels (4,1f.; 6,3; vgl. 1Kor 9,12). In diesem Sinne kann Höistad auf eine Parallele bei Dio Chrysostomus zu unserem Peristasenkatalog verweisen; wie es bei Dio um die Schilderung der Qualitäten geht, die der wahre Philosoph im Unterschied zu Sophisten und Scharlatanen besitzt, so erweist sich Paulus als wahrer Apostel, der mit <?page no="187"?> 173 Peristasen und Tugenden lebt. Zur Darstellung dieser Struktur seines Apostolats bedient sich Paulus also nicht nur alttestamentlich-jüdischer, sondern auch kynisch-stoischer Traditionen. Dabei besteht auch hier der Unterschied zu beiden Traditionen in der theologischen Interpretation. Das Zusammentreffen von Tugenden und Peristasen ist für Paulus kein Übergangsphänomen. 204 Vielmehr erweist er sich durch die Tugenden im Peristasenkatalog als Gottes Diener, der seine Fähigkeit in seinem Apostolat bewährt. Die im Tugendkatalog verwendeten Begriffe im Heiligen Geist und in der Kraft Gottes überraschen nicht, weil damit auf den Ursprung von Tugenden und Peristasen verwiesen wird. Schon in Gal 5,22f. begegnet die Verknüpfung des Geistes mit einem Tugendkatalog, dort als »Früchte des Geistes« beschrieben. Als Gottesdiener sieht Paulus den Geist als Pflege der Tugenden. Diese selbst sind Erweis des Geistes in dessen innerer Wirkung, und auf solche diakoni,a tou/ pneu,matoj (3,8; vgl. 3,6: Diener des Bundes des Geistes) ist er in seiner Missionstätigkeit angewiesen. Durch die diakoni,a tou/ pneu,matoj bewährt Paulus das pneu/ ma th/ j pi,stewj (4,13) und den Geist als Angeld ( avrrabw,n ) der Vollendung (5,5). Mit der folgenden Erwähnung der Kraft Gottes wird diese Ansicht gestützt. Durch sie erweist er sich als Diener Gottes. Die Kraft Gottes aber ist für Paulus jene Dynamis, die in der eigenen Schwachheit und Bedrängnis zur Vollendung kommt (4,7; 12,9f.) in der Existenz des Apostels. Die Tugenden sind »Voraussetzung für das Ertragen von Peristasen«, 205 womit sich umgekehrt die Tugenden wieder als die von Gott gegebene du,namij erweisen. 206 Aber die Kraft zum Aushalten kommt nicht aus Paulus selber, sondern sie gebührt dem Übermaß der Kraft Gottes (4,7). Der Katalog ist also von einem klaren Zusammenhang geprägt: »Als Diener Gottes« kann sich der Apostel »in allem empfehlen«, denn Gottes Diener ist er, der um die Freude im Leiden weiß, indem er nichts hat und doch alles besitzt (6,10). 207 Wie er selbst durch die Armut Christi reich geworden ist (6,10), so soll auch seine Gemeinde als Folge des Christusbekenntnisses (8,9) durch seine Armut reich werden. In den zwei Antithesen mit dia, und sieben Antithesen mit w`j in VV.8b-10 spiegelt sich paradox das Leiden des Paulus wider, vergleichbar den Peristasenkatalogen in 1Kor 4,10-13a; 2Kor 4,8-9. Diese Koexistenz von Gegensätzen 208 gebraucht Paulus in seinen Peristasenkatalogen häufig. Sie charakterisiert bei Paulus in 1Kor 1,18-25 auch das Wort vom Kreuz, als Gegensatz von Torheit und Weisheit 204 Dagegen S CHRAGE , Leid, 144. 205 E BNER , Leidenslisten, 249f. 206 Z EILINGER , Krieg II, 353. 207 Vgl. O LIVEIRA , Diakonie, 301. 208 Zur Bedeutung dieses Begriffs sei auf die Schlussüberlegungen und das Nachwort verwiesen. <?page no="188"?> 174 (bzw. Gotteskraft). Vergleichsweise werden in 2Kor 1,3ff. und 4,7-15 das Miteinander von Trost und Leiden bzw. Sterben und Leben dargestellt, so wie in 12,9-10 das Miteinander bzw. Gegeneinander von Schwachheit und Kraft. Alle Peristasenkataloge leben von dieser Koexistenz von Gegensätzen. Mit ihnen empfiehlt und erweist sich der Apostel als Diener Gottes. <?page no="189"?> 175 6 Der Apostel als Diener Christi: Der Peristasenkatolog 2Kor 11,21b-30 6.1 Strukturschema des Textes 21b VEn w-| dV a; n tij tolma/ |( evn avfrosu,nh| le,gw( tolmw/ kavgw,Å 22 ~Ebrai/ oi, eivsinÈ kavgw,Å VIsrahli/ tai, eivsinÈ kavgw,Å spe,rma VAbraa,m eivsinÈ kavgw,Å 23 dia,konoi Cristou/ eivsinÈ parafronw/ n lalw/ ( u`pe.r evgw, \ evn ko,poij perissote,rwj( evn fulakai/ j perissote,rwj( evn plhgai/ j u`perballo,ntwj( evn qana,toij polla,kijÅ 24 ~Upo. VIoudai,wn penta,kij tessera,konta para. mi,an e; labon( 25 tri.j evrrabdi,sqhn( a[pax evliqa,sqhn( tri.j evnaua,ghsa( nucqh,meron evn tw/ | buqw/ | pepoi,hka\ 26 o`doipori,aij polla,kij( kindu,noij potamw/ n( kindu,noij lh|stw/ n( kindu,noij evk ge,nouj( kindu,noij evx evqnw/ n( kindu,noij evn po,lei( kindu,noij evn evrhmi,a|( kindu,noij evn qala,ssh|( kindu,noij evn yeudade,lfoij( 27 ko,pw| kai mo,cqw|( evn avgrupni,aij polla,kij( evn limw/ | kai. di,yei( evn nhstei,aij polla,kij( evn yu,cei kai gumno,thti\ 28 cwri.j tw/ n parekto.j h` evpi,stasi,j moi h` kaqV h`me,ran( h` me,rimna pasw/ n tw/ n evkklhsiw/ nÅ 29 ti,j avsqenei/ kai ouvk avsqenw/ È ti,j skandali,zetai kai ouvk evgw. purou/ maiÈ 30 Eiv kauca/ sqai dei/ ( ta. th/ j avsqenei,aj mou kauch,somai Kernsatz <?page no="190"?> 176 6.2 Der Kontext von 2Kor 11,21b-30 Der Peristasenkatalog 2Kor 11,21b-30 (wie auch der kleine Peristasenkatalog 12,9-10) steht im Rahmen der »Narrenrede« 2Kor 11,1-12,13 (11,1: avfrosu,nh ; 12,11: ge,gona a; frwn ), in der die Wortgruppe avfrosu,nh , a; frwn , parafronei/ n dominiert und in der das Verhältnis des Apostels zur Gemeinde zusammengefasst ist. 1 Im Zusammenhang der Narrenrede versteht sich der Abschnitt 11,1-21a als ausführlicher Prolog zur eigentlichen Selbstempfehlung in 11,21b-12,10. 2 Der Abschnitt 12,11-13 ist als Epilog zu verstehen. In 11,1-12,13 begegnet uns eine große Gegenrede des Paulus, in der er sich explizit mit den Gegnern auseinandersetzt. Anders als in großen Teilen der ersten Apologie (2,14-7,4) tritt hier scharfe Polemik an die Stelle positiver theologischer Entfaltung. Die Peristasenkataloge innerhalb dieses Abschnitts sind deshalb als Elemente dieser polemischen Intention zu interpretieren. 3 Dieser Peristasenkatalog (auch 12,9-10) ist für unsere Untersuchung der Funktion der paulinischen Peristasenkataloge sehr aussagekräftig, sagt er doch etwas aus über die Rolle, die die Peristasenkataloge innerhalb der Auseinandersetzungen im 2Kor spielen. Die Narrenrede ist Bestandteil des in sich geschlossenen Briefteils 2Kor 10-13, 4 der als sehr emotionaler Teil des 2. Korintherbriefes zu verstehen ist. Die in der Narrenrede des Paulus 1 Vgl. H.-J. K LAUCK , 2. Korintherbrief, EB 8, Würzburg 1986, 95; S.J. H AFEMANN , ‘Self- Commendation’ and Apostolic Legitimacy in 2 Corinthians: a Pauline Dialectic? NTS 36 (1990), 66-88, 69f; K.W. N IEBUHR , Heidenapostel aus Israel. Die jüdische Identität des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen, WUNT 62, Tübingen 1992, 115. 2 F URNISH , 2Kor, 498, spricht von »an extended prologue to the speech proper« und gliedert diesen Prolog 11,1-21a in drei Teile: Verse 1-4; 5-15 und 16-21a; vgl. auch T HEOBALD , Gnade, 244 Anm.13; N IEBUHR , Heidenapostel, 115. 3 Vgl. S CHRÖTER , Versöhner, 165. 4 Der Briefteil 2Kor 10-13 (Vierkapitelbrief) ist seit jeher umstritten, trotzdem besitzt dieser darin seine Kohärenz, dass alle Ausführungen des Paulus in Beziehung stehen zum Wirken in der von ihm gegründeten korinthischen Gemeinde. Die Alternativen Teilungshypothese und These der Einheitlichkeit werden endlos diskutiert, und dies aus dem Grund, weil Paulus ein völlig anderes Briefterrain betritt, auf dem mit harschen Worten und kräftiger und heftiger Polemik gekämpft wird. Jedenfalls ist die These von H AUSRATH , 2Kor 10-13 als Teil des verlorengegangenen »Tränenbriefes« zu begreifen, auszuschließen (vgl. A. H AUSRATH , Der Vier-Kapitelbrief des Paulus an die Korinther, Heidelberg 1870). Denn in 2Kor 10-13 ist von »Tränen« und »Trauer« keine Rede, »im Gegenteil, der Ton des Fragmentes schließt diese geradezu aus« (B ETZ , Sokratische Tradition, 13). Neuerlich wird die These der Einheit des 2. Korintherbriefes wieder vertreten, z.B. von S CHNELLE , Paulus, 252-262. Zu den verschiedenen Erklärungsmodellen, den Argumenten pro und contra und zur rhetorischen Analyse siehe S UNDERMANN , Der schwache Apostel, 24-30; vgl. auch G RÄSSER , 2Kor II, 72-74. <?page no="191"?> 177 geführte Auseinandersetzung ist häufig unterbrochen durch die Fokussierung auf das Rühmen. Sie wird bestimmt vom Stichwort kauca/ sqai / kau,chsij (s.u.). Dies weist in die Richtung epideiktischer Rede, 5 ebenso die Peristasenkataloge (11,21b-30; 12,9b-10), die erzählenden autobiographischen Stücke (11,32f.; 12,2f.) sowie die Synkrisis und die Ruhmesrede. 6 Auch im Peristasenkatalog 11,21b-30 begegnet der »Ich-Stil« als Zeichen des autobiographischen Charakters der apostolischen Rede. 7 6.3 Analyse des Kontextes Der Peristasenkatalog 11,21b-30 ist der am stärksten biographisch orientierte Text innerhalb der paulinischen Aufzählungen seiner missionarischen Leiden. 8 Berger konstatiert für unseren Peristasenkatalog die »größte Nähe zur Gattung Biographie« 9 innerhalb der autographischen Texte des NT. Durch autobiographische Aussagen gibt Paulus den von ihm übernommenen Sprachmustern und Stilmitteln eine persönliche, individuelle Gestaltung. 10 Weitere erzählende autobiographische Stücke folgen in 11,32- 33 und 12,2-4, wo Paulus konkrete Episoden vorstellt als Beispiele vielfältiger Leiden, die er gegenüber seinen Gegnern präsentiert. Die vielen Komparativformen kreisen um ein Überlegenheitsdenken, das formgeschichtlich der Gattung der »Synkrisis« entspricht. In ihr vergleicht und empfiehlt sich Paulus gegenüber seinen Gegnern (10,12). 11 Sie liefert ein weiteres Argument dafür, dass die Aufzählung der Peristasen dazu dienen soll, Paulus als wahren »Diener Christi« zu erweisen. Als Hintergrund ist auf die von Fridrichsen aufgezeigten Ruhmeschroniken und res gestae des Augustus im Monumentum Ancyranum zu verweisen, 12 in denen die Mehrzahl der Großtaten des jeweiligen Herrschers oder Feldherrn aufgelistet wurden. 13 Diese Art von Ruhmeslisten werden von Ebner vor allem im 5 Vgl. H. L AUSBERG , Elemente der literarischen Rhetorik. Eine Einführung für Studierende der klassischen, romanischen, englischen und deutschen Philosophie, München ²1987, 18; B ERGER , Formgeschichte, 18f.; C. F ORBES , Comparison, Self-Praise and Irony. Paul’s Boasting and the Conventions of Hellenistic Rhetoric, NTS 32 (1986), 1- 30, 8ff. N IEBUHR , Heidenapostel, 117, sieht den primären rhetorischen Aspekt im Symbuleutischen, dem das Dikanische und das Epideiktische untergeordnet sind. 6 Vgl. N IEBUHR , Heidenapostel, 117. 7 Vgl. B ERGER , Formgeschichte, 360f. 8 Vgl. dazu B ERGER , Formgeschichte, 272. 9 B ERGER , Formgeschichte, 272; auch F URNISH , 2Cor, 536, spricht von einem »autobiographical statement«. 10 Vgl. N IEBUHR , Heidenapostel, 117. 11 Zur weiteren ausführlichen Gattungsbestimmung siehe E BNER , Leidenslisten, 112- 133. 12 Vgl. F RIDRICHSEN , Stil, 25-29; D ERS ., Res gestae, 78-82. 13 Vgl. E BNER , Leidenslisten, 122ff. <?page no="192"?> 178 Zusammenhang der Heraklestradition (»Heraklesmühen«) interpretiert. 14 In diesem Sinne stehen solche Chroniken dem paulinischen Peristasenkatalog in 2Kor 11 nahe, in dem Paulus beschreibt, was er in seiner Missionstätigkeit auf sich nimmt, z.B. mehrmalige Geißelungsstrafe durch Juden und Römer, eine Vielzahl von Gefahren auf den Reisen, drei Schiffbrüche, viele durchwachte Nächte usw. Aus der Verbindung von »Synkrisis« und »Ruhmesrede« erklärt sich, dass er sich zumindest als der bessere dia,konoj erweisen will. 15 Inhaltlich liegen jüdische und urchristliche Traditionen und Sprachmuster dem Text vor. 16 Dazu gehören biblische Sentenzen (10,17; 13,1) und apokalyptische Vorstellungen (12,1-7; 11,3.13ff.), aber auch theologisch-christologische Grundlagen des paulinischen Apostolatsverständnisses (10,1.5.7.14; 11,2f.10.31; 12,8ff.19; 13,3f.10). 6.3.1 Die Narrenrede im Kontext Kap. 10-13 ist als eine Ringkomposition konstruiert, in der die Kap. 10 und 13 die mittleren Kap. 11 und 12 rahmen und in deren Zentrum die Narrenrede steht. 17 Strukturell ergibt sich: Paränese (10,1) Autorität des Apostels (10,2-18) Narrenrede (11,1-12,13) Autorität des Apostels (13,1-10) Paränese (13,11) In Kap. 10 wird schon die Disputation des Paulus in seinem Peristasenkatalog 11,21b-30 vorbereitet, d.h. Selbstempfehlung (10,12 und 10,18) und Selbstruhm (10,13.15.16.17) werden von ihm im Blick auf die Explikation angedeutet, um seine Autorität als Apostel auf dem Missionsfeld zu erweisen. Nach dem Prolog (11,1-11 und 11,12-21a) spricht Paulus zwar widerwillig vom »törichten Ruhm«, aber er bringt damit sein Selbstverständnis zum Ausdruck: evn avfrosu,nh| le,gw (V.21b); parafronw/ n lalw/ ( u`pe.r evgw, (23a). Daraus ist zu ersehen, dass er von seinen Gegnern in Korinth gezwungen wird, die Autorität seines Apostolats zu erweisen (11,18.21b-23; 12,1a). Die »Ruhmesrede« - als Torheit charakterisiert - signalisiert den Beginn der eigentlichen Rede evn avfrosu,nh| , was schon in 11,1 ( mikro,n ti avfrosu,nhj ) angedeutet wurde. Sie setzt ein mit einem Vergleich zwischen Paulus und 14 Zu den umfangreichen Angaben vgl. E BNER , Leidenslisten, 161-172. 15 So auch E BNER , Leidenslisten, 133; S CHRÖTER , Versöhner, 166. 16 Vgl. Z MIJEWSKI , Narrenrede, 424. 17 Den Umfang der Narrenrede bestimmt J. L AMBRECHT , The Fool’s Speech and its Context. Paul’s Particular Way of Arguing in 2Kor 10-13. Bib 82 (2001), 305-324, 306.310 anders. Er sieht die Narrenrede in 11,22-12,10. Er weist ausführlich auf die Parallelität der Wortgruppen zwischen 2Kor 10 und 13 hin (315). <?page no="193"?> 179 den korinthischen Eindringlingen (11,21b-23) und führt zu einer langen Aufzählung der Peristasen in der Aposteltätigkeit (11,23b-29). Die Szene dieses Peristasenkataloges entspricht der Kommunikation zwischen Paulus und der korinthischen Gemeinde und der Auseinandersetzung zwischen ihm und den Eindringlingen. 18 Paulus versteht sein Rühmen als Aktion eines Narren. Sie ist gefordert, weil die Korinther die Eindringlinge mit Toleranz dulden. Paulus blickt zurück und ist wider seinen Willen zum Narren geworden (12,11a, ge,gona a; frwn ). Das entscheidende Motiv für seine Narrenrede weist auf 12,19a ( pa,lai dokei/ te o[ti u`mi/ n avpologou,meqa ) hin. Die ganze Narrenrede 19 ist also als eine Apologie zu verstehen. Sie schließt mit dem Epilog (12,13) ab. Mit 12,14 beginnt ein neuer Abschnitt. 20 6.3.2 Die Narrenrede und die Ruhmesrede im Kontext Die Argumentationsanalyse zu 2Kor 11,30 und 12,9b macht eine Untersuchung des Schlüsselbegriffs kauca/ sqai notwendig, da Paulus, wenn er sich in 2Kor 11,21b-12,10 seiner Schwachheiten rühmt, nicht nur vordergründig kata. sa,rka den Selbstruhm seiner Gegner parodiert, sondern zugleich eine positive theologische Aussage intendiert, aus der christologischen Einsicht des Herrenworts heraus handelt und kata. ku,rion den Ruhmespreis der Kraft Christi anklingen lässt. Narrenrede: 11,1-12,13 11,1 avfrosu,nhj 12,11 ge,gona a; frwn Inclusio 18 Vgl. N IEBUHR , Heidenapostel, 117. 19 Vgl. zur Narrenrede auch E BNER , Leidenslisten, 95-98 (108); S UNDERMANN , Der schwache Apostel, 31-45. 20 So viele, z.B. Lang, Windisch, Furnish, Wolff, Gräßer, auch H ECKEL , Kraft in Schwachheit (40f.). <?page no="194"?> 180 Narrenrede Ruhmesrede 11,16 11,17 11,19 11,21 11,23 12,6 a; frona a; frona avfrosu,nh| avfro,nwn avfrosu,nh| parafronw/ n a; frwn kauch,swmai kauch,sewj kaucw/ ntai kauch,somai kauca/ sqai aavsqenei,aj mou kauch,somai kauca/ sqai kauch,somai kauch,somai …avsqenei,aij kauch,sasqai kauch,somai …avsqenei,aij mou 11,16 11,17 11,18 11,18 11,30 11,30 12,1 12,5 12,5 12,6 12,9 Das Stichwort kauca/ sqai / kau,chsij findet sich in 2Kor 10-13 19-mal, 21 davon allein 13-mal innerhalb der Narrenrede in 11,1-12,13. Der Begriff »Torheit« ( avfrosu,nh ; a; frwn bzw. parafronw/ n ) kommt mit neun Belegen 22 in der Narrenrede in 11,1-12,13 so gehäuft vor wie sonst nirgends im Neuen Testament und bildet das Vorzeichen, unter dem Paulus seine eigenartige Ruhmesrede in 11,21b-12,10 verstanden wissen will. Die ruhmessüchtigen Gegner führen in Korinth die Gegensatzbegriffe Kraft und Schwachheit als neue Kriterien für den wahren Apostel und das wahre Christsein ein. 23 Im Anschluss an Windisch 24 betonen viele Exegeten in der Forschungsgeschichte - etwa Betz, 25 Wolff 26 und Gräßer 27 -, dass Pau- 21 So 10,8.13.15.16.17²; 11,10.12.16.17.18².30²; 12,1.5².6.9. 22 So 2Kor 11,1.16a.b.17.19.21b.23; 12,6a.11. 23 L. A EJMELAEUS , Schwachheit als Waffe. Die Argumentation des Paulus im Tränenbrief (2. Kor. 10-13), SES 78, Helsinki/ Göttingen 2000, 11f.; G RÄSSER , 2Kor II, 114. 24 W INDISCH , 2Kor, 316. 318. 344f., 395. 25 B ETZ , Sokratische Tradition, 79f. <?page no="195"?> 181 lus ironischerweise in der Rolle und Maske des Toren spreche. Diese Ansichten sind nicht zutreffend ebensowenig wie die Ansicht Gräßers, 28 Paulus spiele die Rolle der Narren, um die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu widerlegen, 29 um auf gleicher Ebene und auf gleicher Augenhöhe widersprechen zu können, 30 was ihm selbst zuwider sei. 31 Denn bei der Narrenrede benutzt Paulus das Bild des Toren aus der jüdischen Weisheitstradition, 32 nicht aber ahmt er die Komödiantenrolle nach (Mimus). 33 In der Literaturwissenschaft wird der Begriff der Ironie so charakterisiert, dass sie »in Wirklichkeit das Gegenteil des Gesagten meint (…) und sich zum Spott der gegnerischen Wertmaßstäbe bedient, doch dem intelligenten Hörer oder Leser als solche erkennbar ist«. 34 Überdies hat C. Forbes darauf verwiesen, » eivrwnei,a is the use of words or phrases to mean the opposite of what they normally mean«. 35 Wir können daraus entnehmen, dass Paulus nicht in der Rolle von Toren spricht, weil er »Sich-Rühmen« - besonders gegenüber Gegnern - eigentlich de facto für eine Torheit hält. Das Sich-Rühmen, das er entfaltet, ist als Sich-Rühmen im Herrn zu verstehen. Dieses Rühmen geschieht nicht als Torheit, sondern ist real. Bei Paulus ist Ruhm in der Narrenrede nur Ruhm des Herrn. Heckel argumentiert deshalb mit Recht, dass die Ironie sachlich und terminologisch dem Begriff Parodie gleicht, der literarisch definiert wird als »die verspottende, verzerrende oder übertreibende Nachahmung e(ines) schon vorhandenen ernst gemeinten Werkes oder einzelner Teile daraus unter Beibehaltung der äußeren Form, doch mit anderem, nicht dazu pas- 26 W OLFF , 2Kor, 208f. 27 G RÄSSER , 2Kor II, 114. 28 G RÄSSER , 2Kor II, 114. 29 Vgl. W INDISCH , 2Kor, 80; B ETZ , Sokratische Tradition, 75ff. S UNDERMANN , Der schwache Apostel, 43f.; G RÄSSER , 2Kor II, 114. 30 Vgl. F ORBES , Comparison, 17. 31 Vgl. G. B ORNKAMM , Die Vorgeschichte des sogenannten zweiten Korintherbriefes, in: Studien zum Neuen Testament, München 1985, 247. 32 So auch H ECKEL , Kraft in Schwachheit, 20. 33 So aber W INDISCH , 2Kor, 316; G EORGI , Gegner, 337; B ETZ , Sokratische Tradition, 79f.; W OLFF , 2Kor, 208f. Nach W INDISCH , 2Kor, 316, gilt: »Die Eigenart des Abschn. besteht sonach darin, dass P. mit einem Male eine seinem Wesen fremde Ë Rolle É übernimmt, die des Ë Narren É , besser des närrischen Prahlers und Aufschneiders im Mimus. Die Ë Torheit É besteht also darin, dass er, der Ap. und Prediger, anfängt, vor seiner Gemeinde Komödie zu spielen und den Gemeindesaal zur Theaterbühne macht«. Aber für Paulus steht beim Begriff der Torheit nicht die Rolle der Theaterbühne im Vordergrund, sondern der Gegensatz zum Herrn. 34 So der Art. Ironie bei G. v. W ILPERT , Sachwörterbuch der Literatur, Stuttgart 6 1979 ( 8 2001), 377; vgl. ähnlich H. L AUSBERG , Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft, München ²1973, § 582; aufgenommen bei H ECKEL , Kraft in Schwacheit, 21. 35 F ORBES , Comparison, 10. <?page no="196"?> 182 sendem Inhalt«. 36 In diesem Sinn parodiert Paulus im Abschnitt der Narrenrede bzw. des Peristasenkatalogs den Selbstruhm seiner Gegner tatsächlich, nicht aber in der Rolle des Toren. Das kauca/ sqai stammt aus jüdischer Weisheitstradition. 37 Daran anschließend wird der auffallend positive Gebrauch von kauca/ sqai in der jüdisch-christlichen Tradition sowie die Gegenüberstellung mit Jer 9,22f. dargelegt und schließlich deren Bedeutung für die paulinische Theologie in positiv theologischer Aussage entfaltet. Für Paulus steht der Begriff der Torheit im Gegensatz zum Herrn. Denn in 11,17 bezeichnet er es als ouv kata. ku,rion … avllV w`j evn avfrosu,nh| , dass er sich mit seinem Ruhmesvorhaben auf die Denkweise und Argumentationsebene seiner Gegner in Korinth einlässt, das Rühmen dem Willen des Herrn widerspricht und deshalb als Torheit zu beurteilen ist. Auch ist dies durch das Herrenwort in 12,9a christologisch begründet. 6.3.3 Selbstruhm und Selbstempfehlung Die folgende Struktur entspricht der Verknüpfung von Selbstruhm und Selbstempfehlung: 10,17 o` de. kaucw,menoj evn kuri,w| kauca,sqw 10,18 ouv ga.r o` e`auto.n sunista,nwn avlla. o]n o` ku,rioj suni,sthsin do,kimoj Dabei wird in 10,17 das Jeremiazitat 9,22f. als Hintergrund angenommen und in 10,18 interpretiert. Wer sich rühmt, hat sich im Herrn zu rühmen, denn es ist die Empfehlung des Herren, die Grund gibt für das do,kimoj -Sein (vgl.13,7; 1Kor 11,19; Röm 14,18). 38 Hier trifft sich nicht nur die negative Bestimmung dessen, »der sich selbst empfiehlt ( o` e`auto.n sunista,nwn )«, als die von den Gegnern stolz betriebene Selbstempfehlung, sondern es treffen sich auch die positiven Kriterien ( sunista,nein e`autou.j ) des Paulus für die Entscheidung, dass jeder do,kimoj ist, den »der Herr empfiehlt ( o` ku,rioj suni,sthsin )« (vgl. 3,5f.). Im Sinne der Dialektik von Selbstempfehlung und Selbstruhm in 2Kor ist deshalb davon auszugehen, dass diese paulinischen 36 So der Art. Parodie bei G. v. W ILPERT , Sachwörterbuch, 585; vgl. L AUSBERG , Handbuch, § 1246 s.v. Parodie, 929; H ECKEL , Kraft in Schwachheit, 22. 37 Vgl. Ps 13,1; 73,18.22; 91,7; 93,8 (LXX); Spr 9,13-18; 19,3; TestHiob 26,6; PsSal 16,7; SapSal 1,16-2,20. 38 Vgl. B AUER , Wörterbuch, 408,1. <?page no="197"?> 183 Gedanken als Interpretation dafür dienen, wie der Apostel selbst seine Apologie sowie seine Gegner beurteilt. 39 Es ist also davon auszugehen, dass Paulus von sich aus auf die ihm geläufigen Stichworte zurückgegriffen hat, um die Gemeindesituation in Korinth anzusprechen und in seinem Sinn zu beeinflussen. Die Möglichkeit dazu bietet ihm die partielle Synonymität zwischen kauca/ sqai und suni,stasqai (vgl. 10,12; 12,11; auch 3,1). 40 Das Verhalten des Paulus ist darin begründet, dass er sein Wirken nach dem Maß einschätzt, das Gott ihm in seinem Verkündigungsauftrag gesetzt hat (10,13-16). 41 Es entspricht damit einer biblischen Aussage (10,17). Selbstruhm ist für ihn deshalb grundsätzlich verboten. Der unter dem Stichwort kauca/ sqai von Paulus eingeführte Gedanke ist somit bestimmt durch den biblischen Hintergrund und durch das paulinische Apostolatsverständnis. Beide zusammen bilden die Grundlage, von der aus er der Selbstempfehlung der Gegner bei den Korinthern entgegentritt (10,18). Von dieser Basis aus kann er die folgende Selbstempfehlung, zu der er sich angesichts der Anfälligkeit der Gemeinde gegenüber den Gegnern veranlasst sieht, nur als Torheit ansehen, die zu ertragen er die Adressaten bitten muss (11,1-4). 42 Der Vergleich des Vorrangs der Gegner mit den eigenen Gaben und Erfahrungen (11,21b-23a) erfolgt in einer langen Reihe von Selbstaussagen (11,23b-29). 6.4 Einzelauslegung 6.4.1 Die Überschrift der Ruhmesrede (2Kor 11,21b) Mit V.21b beginnt der erste Teil der eigentlichen Narrenrede, die Paulus mit evn avfrosu,nh| le,gw einleitet. Er setzt sein Rollenspiel als a; frwn fort und eröffnet den dialogischen Vergleich mit seinen Gegnern, indem er sich den Korinthern gegenüber als schwach und leidend erweist. Wie schon im Peristasenkatalog 2Kor 6 besteht darin seine Empfehlung. Er eröffnet sein Thema in einem offensiven Ton durch das Verb tolma,w . Dieses zweimal vorkommende Verb tolma,w »wagen, sich erkühnen«, »mutig sein« gibt es nur selten in der Bibel; 43 es ist ein rhetorischer Terminus, den Paulus in 10,2.12 ironisch verwendet. 44 Der Konditionalsatz evn w-| dV a; n charakterisiert eine Situation, die sich auf das in V.20 geschilderte Verhalten der Gegner bezieht. Das Indefinitivpronomen tij (jemand) begegnet fünfmal in V.20: Paulus beschreibt damit das Verhalten der Gegner der korinthischen Ge- 39 Vgl. H AFEMANN , Self-Commendation, 74. 40 Vgl. J. Z MIJEWSKI , Art. kauca,omai ktl ., EWNT II² (1992), 680-690, 683. 41 Vgl. H AFEMANN , Self-Commendation, 76-84; N IEBUHR , Heidenapostel, 123. 42 Vgl. N IEBUHR , Heidenapostel, 124. 43 Vgl. B AUER , Wörterbuch, 1638. 44 Das Verb kommt einmal in 1Kor (6,1) vor und viermal in 2Kor. <?page no="198"?> 184 meinde in rhetorischer Weise. Der Ausdruck evn avfrosu,nh| le,gw (»ich rede in Torheit«) wird in V.23 durch parafronw/ n lalw/ (»ich rede unsinnig«) verstärkt. Die Meinung von R.P. Martin, tolma/ n sei ein Slogan der Gegner - wegen des Gebrauchs des Paulus (10,1.2) 45 -, trifft nicht zu. Paulus gebraucht den Begriff nur auf rhetorische Weise. 6.4.2 Die Prädikate des Apostels (2Kor 11,22-23a) und die Gegner des Paulus 6.4.2.1 Ort und Funktion In dem Peristasenkatalog gebraucht Paulus vor der Formulierung » dia,konoi Cristou/ « drei Bezeichnungen mit den Ehrentiteln ~Ebrai/ oi , VIsrahli/ tai , spe,rma VAbraa,m . In rhetorischen Fragen diskutiert er die Herkunft, deren sich seine Gegner rühmen. Mit vier Fragen und Antworten schafft er so etwas wie einen »dramatischen Dialog«. 46 Das Törichte seiner Ruhmesrede besteht in seiner Beteiligung am Selbstruhm der Gegner, wobei er unterstreicht, ihnen bezüglich der Herkunft als Hebräer, Israelit und Same Abrahams gleich zu sein. Diese Feststellung weist darauf hin, dass Paulus den folgenden Peristasenkatalog zu einer Synkrisis mit den Gegnern ausbaut (vgl. sugkri,nein 10,12), in dem er sich seinen Gegnern gleichstellt. Die grundlegende Vergleichbarkeit ergibt sich schon daraus, dass er die apostolische Berufung seiner Gegner in der ersten Rede in 11,12-15 bestreitet. Der Vergleich mit den Fremdaposteln dient der Antwort auf den eigentlichen Streitpunkt, wer in Legitimität wahrer Apostel ist. Die ersten drei Ehrentitel stellen fest, wer die Konkurrenten ihrer Herkunft nach sind. Mit der vierten Bezeichnung dia,konoi Cristou/ wird die Aussage noch gesteigert: was sie ihrer Funktion nach sind. Die Wende in der Argumentation erfolgt in V.23a, wo Paulus bezüglich des dia,konoj - Cristou/ -Seins das kav gw, (ich auch) aus V.22 in ein u`pe.r evgw, (ich bin noch mehr) verwandelt. Zur komparativischen Deutung von u`pe,r gegenüber den Gegnern scheint es eine gewisse Berechtigung zu geben. Diese wird später im Peristasenkatalog entfaltet. 6.4.2.2 Ehrenprädikat I: Hebräer Die Bezeichnung ~Ebrai/ oj ist selten bei Paulus (nur an dieser Stelle, dazu Phil 3,5, sonst im NT nur noch Apg 6,1), demgegenüber findet sich das gebräuchliche VIoudai/ oj , das hier nicht erscheint, 195-mal im NT. Die grundsätzliche Bedeutung findet sich im AT, wo das Wort besonders für die älteste Zeit als archaische Bezeichnung des Volkes Israel gebraucht wird, 45 M ARTIN , 2Cor, 372. 46 W INDISCH , 2Kor, 350. Zu Fragen mit Antworten in kleinen Sätzen als Dialogstil bei Paulus vgl. B ULTMANN , kynisch-stoische Diatribe, 64-71. <?page no="199"?> 185 wenn von seiner Geschichte in der fernen Vergangenheit die Rede ist. 47 Der Name begegnet auch in jüdisch-hellenistischen Schriften in neutestamentlicher Zeit (z.B. Philo Mos. I 243; Flav.Jos.Ant. II 201f. u.ö.; auch 4Makk), wo ~Ebrai/ oj ebenfalls als Bezeichnung für das jüdische Volk der alten Zeit gebraucht wird. Man kann also annehmen, dass in jüdischen Schriften ~Ebrai/ oj als archaisierender Name der Juden (auch der gegenwärtigen) verwendet wird, während VIoudai/ oj als geringschätzig klingender Name im Munde von Fremden Verwendung findet. 48 Klar ist, dass »Hebräer« von »Hellenisten« zu unterscheiden sind (Apg 6,1). Aber das Problem ist, ob man »Hebräer« mit »Juden« identifizieren kann. Diese Frage ist in der Forschung umstritten. Bultmann behauptet, dass die drei Titel als Ehrentitel der palästinischen Juden ohne beabsichtigten Unterschied gebraucht werden. 49 Darüber hinaus wird argumentiert, »Hebräer« bezeichne die hebräisch sprechenden Juden (Lietzmann), 50 dazu auch noch - im geographischen Sinne - die Juden, die noch aus Palästina stammen bzw. deren Familien aus Palästina ausgewandert sind (Bultmann; Wanke). 51 Diese Argumente werden von Georgi und Wolff noch weiter entwickelt. Danach muss die Selbstbezeichnung »Hebräer« nicht unbedingt die palästinische Herkunft eines Apostels bedeuten. 52 Überzeugend ist deshalb die Argumentation, dass »man aus der Selbstbezeichnung ‚Hebräer‘ also nicht sogleich auf die Herkunft der Gegner aus Palästina (Jerusalem) schließen kann, sondern daraus nur ihr starkes Traditionsbewusstsein erkennen« wird. 53 Georgi argumentiert deshalb: »Wenn die Gegner des Paulus sich vor ihrem Publikum als ‚Hebräer‘ rühmten, so konnten sie demnach auf Aufmerksamkeit rechnen, konnten darauf bauen, dass man etwas Besonderes von ihnen erwartete, was eben in ihrer hebräischen Herkunft, in hebräischer Geschichte und Kultur begründet war. Das hieße, dass die Selbstbezeichnung ‚Hebräer‘ durchaus auch in den Kontext religiöser Propaganda hineinweist«. 54 Darüber hinaus widerspricht er dem 47 Vgl. K.G. K UHN , Art. VIsrah,l ktl ., ThWNT III (1938), 356-394, 368. 48 Vgl. K.G. K UHN , Art. VIsrah,l ktl ., 369. Er sagt dazu: »So wird ~Ebrai/ oj die vornehmere, gewähltere, höflichere Bezeichnung gegenüber dem üblichen, gewöhnlichen, oft genug in abfälligem, ja sogar verächtlichem, höhnischem Sinn gebrauchten VIoudai/ oj «; vgl. auch J. W ANKE , Art. ~Ebrai/ oj , EWNT I (²1992), 892-894, 892. 49 Vgl. B ULTMANN , 2Kor, 215. 50 Vgl. L IETZMANN / K ÜMMEL , Kor, 150, nach dem aber die griechisch sprechenden Juden ausgeschlossen sind; dagegen W INDISCH , 2Kor, 350. 51 Vgl. B ULTMANN , 2Kor, 215. 52 Vgl. jedoch den Bericht bei Hieronymus, De vir. inl. 5; Komm. zu Phlm 23, Paulus stamme aus dem galiläischen Gischala (Übersiedelung nach Tarsus). So sagt z. B. Philo von Hagar, sie sei »der Abstammung nach Ägypterin, der freiwilligen Lebensführung nach Hebräerin« (Abr. 251); vgl. L IETZMANN / K ÜMMEL , Kor, 150, und auch W ANKE , ~Ebrai/ oj , 893f. 53 W OLFF , 2Kor, 230. 54 G EORGI , Gegner, 58. <?page no="200"?> 186 grundsätzlichen Einwand, dass »palästinische Herkunft und Tradition doch eine Bekanntschaft mit hellenistisch-jüdischer Apologetik und Propagandapraxis ausschlösse«. 55 Georgi ist deshalb zuzustimmen, dass der Begriff »Hebräer« nicht für griechisch sprechende und hellenistisch orientierte Juden in Jerusalem gilt (Apg 6,1; 9,29). Denn diese stammten nicht aus Palästina selbst, sondern aus dem Diasporajudentum, aus Familien also, die schon seit Langem außerhalb der Grenzen Palästinas gelebt hatten, jetzt aber nach Palästina zurückgekehrt sind. 56 Schließlich sind »Hebräer« nicht einfach mit hebräisch sprechenden Juden bzw. Juden, die aus Palästina stammen, identisch. Deshalb liegt nahe, dass sie besonderen Aspekten in der Eigenart des Judentums, die sich in Sprache, Kultur, Tradition und Religion zeigen, verbunden sind. Überdies könnte »Juden« eine Fremdbezeichnung sein, wogegen »Hebräer« als Selbstbezeichnung derer dient, die in der Diaspora selbst eigene Kultur, Sprache, Religion und Tradition bewahrt haben. Auch ist eine Fremdbezeichnung nicht ausgeschlossen, weil sie nicht unter denen gilt, die in Jerusalem wohnen, sondern in einem fremden Land. Durch die griechischen Inschriften »Synagoge der Hebräer« ( Sunagwgh. ~Ebrai,wn ) in Rom 57 und in Lydien 58 und auf dem Türbalken der sun ] agwgh. ~Ebr [ ai,wn 59 von Korinth wird darauf verwiesen, dass es im Diasporajudentum »Hebräer« mit palästinischem Traditionsbewusstsein gab, die ihre eigene Kultur, Sprache und Religion bewahrt hatten. 60 Vor allem das hellenistische Judentum bediente sich der in der heidnischen Umwelt geläufigen identischen Benennung von 55 G EORGI , Gegner, 58. 56 Vgl. G EORGI , Gegner, 59. 57 Vgl. E. S CHÜRER , Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi, 3 Bde., Leipzig 1901-1909 (Nachdruck Hildesheim 1964), 3 4 , 83 Anm. 29, und N. M ÜLLER , Die jüdische Katakombe am Monteverde zu Rom. Der älteste bisher bekannt gewordene jüdische Friedhof des Abendlandes, Leipzig 1912, 109ff.; außerdem N. M ÜLLER - B EES , Inschrift der Katakombe Monteverde, 23 Anm. 14 und 57 Anm. 50, nach L IETZMANN / K ÜMMEL , Kor, 150; vgl. auch M. H ENGEL , Zwischen Jesus und Paulus. Die ‚Hellenisten‘, die ‚Sieben‘ und Stephanus (Apg 6,1-15; 7,54-8,3), ZThK 72 (1975), 151-206, 178f.: »In der Monteverde-Katakombe in Trastevere, der alten transtiberina regio, wo sich nach Philo jene Juden ansiedelten, die von Pompeius nach der Eroberung Jerusalems 63 v. Chr. nach Rom gebracht und dann allmählich freigelassen worden waren, wurden zwei Inschriften einer Synagogengemeinde der „Hebräer“ gefunden, eine weitere, die wohl von dort stammt, wurde in Porto bei Rom entdeckt, eine vierte kommt aus einem unbekannten Fundort. Von den vier Inschriften sind drei griechisch, eine ist eine griechisch-aramäische Bilingue«. Aber er vermutet, dass es sich hier um den Zusammenschluss von aus Palästina kommenden Juden handelt. 58 Vgl. Keil u. v Premerstein Denkschr. d. Wiener Akad 57, 1914, 32 Anm.42, nach L IETZMANN / K ÜMMEL , Kor, 150. 59 Vgl. A. D EISSMANN , Licht vom Osten. Das Neuen Testament und die neuentdeckten Texte der hellenistisch-römischen Welt, Tübingen 4 1923, 12f. 60 D EISSMANN , Licht vom Osten, 12f. Anm. 8, legt die inschriftlichen Belege vor; vgl. auch H ENGEL , Zwischen Jesus und Paulus, 178f. <?page no="201"?> 187 »Hebräer« und »Juden«. Wenn »Juden« den väterlichen Gebräuchen und Sitten treu geblieben sind (vgl. Gal 1,14), sind sie zweifellos als »Hebräer« zu verstehen. Dann bleibt aber die Frage, warum Paulus »Hebräer« statt wie üblich »Juden« gebraucht. Der Grund besteht wohl darin: Paulus spricht im Zusammenhang mit seiner Identität in der Apologie gegenüber seinen Gegnern von »Hebräer« und nicht von »Jude« (wie z.B. 2Kor 11,22 und Phil 3,5), weil diese sich als Hebräer bezeichnen. Dagegen ist bei Paulus ein Gegensatz zwischen »Juden« und »Hellenen« üblich (z.B. Gal 3,28; 1Kor 1,22.24; 10,32; 12,13; Röm 1,16; 2,9.10; 3,9; 10,12; als Ausnahme ist nur in Apg 6,1 ein Gegensatz zwischen »Hebräer« und »Hellenen« zu finden). 6.4.2.3 Ehrenprädikat II: Israeliten »Israelit« ( VIsrahli,thj ) findet sich wie »Hebräer« selten bei Paulus (nur noch Röm 9,4; 11,1). Als Name für den Patriarchen Jakob begegnet » VIsrah,l « im NT nicht. Während der Gebrauch von »Hebräer« im Diasporajudentum zu finden ist, ist die Bezeichnung »Israelit« vornehmlich im innerjüdischen Bereich zu finden. Dabei führt die Verwendung VIsrahli,thj in die Darstellung der vorexilischen Zeit zurück, während die Bezeichnung VIoudai/ oj für die Angehörigen des jüdischen Volkes in der Zeit des 2. Tempels spezifisch ist. 61 So spricht Josephus bei der Schilderung der alten Zeit ganz überwiegend von VIsrahli/ tai (188-mal in Ant. II-XI), von Ant. XI 6 an jedoch vorwiegend und in Ant. XI 317-XX ausschließlich von VIoudai/ oi . 62 Philo rühmt in der Legatio ad Gaium (4) vor Heiden die Juden vornehmlich als Israeliten, und ebenso spricht Josephus in seinen wesentlich für Heiden bestimmten Werken von Israeliten. 63 Die Bezeichnung »Israelit« weist vor allem auf »die Vergangenheit als auf Wurzel und Quell der religiösen Potenz der Juden, die sich in der Gegenwart verwirklichen wollte und sollte«. 64 Damit ist VIsrahli,thj noch weniger synonym mit VIoudai/ oj als »Hebräer«. 65 Der Wechsel der Anrede in Apg 2,14 ( a; ndrej VIoudai/ oi ) und 2,22 ( a; ndrej VIsrahli/ tai ) innerhalb derselben Rede (»der Pfingstpredigt des Petrus«) zeigt zwar, 61 Vgl. H. K UHLI , Art. VIsrahli,thj , EWNT II ( 2 1992), 502. 62 K UHLI , VIsrahli,thj , 502. 63 Vgl. G EORGI , Gegner, 60. 64 Vgl. G EORGI , Gegner, 62. 65 Nach Joh 1,47 (»siehe, ein wirklicher Israelit, an dem kein Trug ist«) wird der mit diesen Worten qualifizierte Nathanael »im Gegensatz zu den Juden (als) ein Repräsentant des wahren Gottesvolkes« verstanden. So nach K UHLI , VIsrahli,thj , 502; vgl. auch J. S CHNEIDER , Das Evangelium nach Johannes, ThHK, Berlin ³1985, 79; R. B ULTMANN , Das Evangelium des Johannes, KEK 2, Göttingen 10 1941 (Göttingen 21 1986), 73; vgl. auch K UHLI , VIsrahli,thj , 5 04: »Zwar werden die Unterschiede zw. VIoudai/ oj und VI ( srahli,thj ) häufig überbewertet. Andererseits aber handelt es sich auch nicht um Synonyme, sondern die Bezeichnungen VIoudai/ oj und VI . gehören verschiedenen Sprachgebrauchsebenen an: Anders als VIoudai/ oj ist VI . meist Ausdruck bewußter Solennität«; anders L ANG , Kor, 343. <?page no="202"?> 188 dass zwischen »Juden« und »Israeliten« kein grundsätzlicher Unterschied vorliegt, aber daraus kann nicht eine synonyme Bedeutung geschlossen werden. Denn dort wird absichtlich eine Steigerung intendiert, um »Israeliten« als Mitglieder des Gottesvolks und Träger der Heilsgüter zu charakterisieren. Schließlich hat der Begriff »Israeliten« einen religiösen Gehalt und gehört zum Besonderen des jüdischen Glaubensinhaltes. Daher begegnet der Begriff vornehmlich in Gebetstexten sowie in religiöser Rede. Auch Paulus denkt bei seiner vollen Zugehörigkeit zum Volk Israel daran, dass es von Gott für alle Zeiten erwählt und mit immer gültigen Heilsgütern ausgestattet wurde. Auch für ihn gibt es eine immer bestehende Gültigkeit der Verheißungen in der Kontinuität des Gottesvolkes. 66 Diese Heilsprivilegien werden von ihm auch in Röm 9,4 und 11,1f. angesprochen. Dabei verbindet Paulus seine Berufung mit seiner Herkunft als Israelit, aus dem Samen Abrahams bzw. aus dem Stamme Benjamin. 6.4.2.4 Ehrenprädikat III: Same Abrahams Abraham wird »Freund Gottes« (Jes 41,8; 2Chr 20,7) und »Vater vieler Völker« (Röm 4,17) genannt, während Israel als spe,rma VAbraa,m (Same Abrahams) gilt (Jes 41,8; Ps 105,6). Im hellenistischen Judentum 67 versteht man ihn als Stammvater aller Kulturvölker. So lobt man ihn als den ersten religiösen und kulturellen Missionar des Judentums. 68 Von Philo wird er der erste Glaubende genannt. Die Bezeichnung »Same Abrahams« meint das Erbe der Verheißungen Gottes (vgl. auch Röm 4,13.16; Gal 3,16; ferner Apg 7,5f.). Mit diesem Begriff beschreibt Paulus den geschichtlichen Vorzug Israels und der eigenen Herkunft. Für ihn ist Abraham nicht mehr das Urbild eines erfolgreichen monotheistischen Missionars, 69 sondern er ist das Urbild der an Christus Glaubenden (Gal 3; Röm 4). In Gal 3 wird der Segen Abrahams für die Völker als ein Protevangelium für die Rechfertigung der Heiden verstanden (3,8f.). So sind nur die an Christus Glaubenden Same Abrahams und Erben der Verheißung (3,29). 70 So identifiziert Paulus die dem Abraham gegebene Verheißung mit dem Evangelium (vgl. Gal 3,16- 18; vgl. auch Röm 4,13-18; 9,6-8). 71 Indem er in Gal 3,16 »Same Abrahams« mit Christus verbindet, gibt er diesem Titel eine christologische Bedeutung. Eindeutig ist, dass Paulus mit »Same Abrahams« die Zugehörigkeit zum 66 Vgl. K UHLI , VIsrahli,thj , 503f. 67 Zur Überlieferung noch genauer G EORGI , Gegner, 63-82. 68 Vgl. G EORGI , Gegner, 71.77; W OLFF , 2Kor, 231. 69 Dass Abraham der erste Missionar des Judentums gewesen sei, bringt auch die rabbinische Tradition zum Ausdruck; vgl. dazu Bill. III, 195f. 215. 70 Vgl. O. B ETZ , Art. VAbraa,m , EWNT I ( 2 1992), 3-7, 7. 71 Vgl. F URNISH , 2Kor, 514. <?page no="203"?> 189 Volk der Heilsgeschichte und Verheißungen meint. 72 Paulus weiß aber auch, dass Abraham zwar Stammvater des jüdischen Volkes war, aber zugleich in enger Verbindung mit den Heiden steht. Mit den drei Ehrentiteln verhält es sich also so: »Hebräer« zielt auf die jüdische Abstammung, »Israelit« und »Same Abrahams« zudem auf die religiöse Vorrangstellung der Juden. 73 Denkbar ist, dass »Same Abrahams« »Juden« und »Hebräer« umfasst. Noch wichtiger ist, dass mit den drei Ehrenprädikaten die Gegner des Paulus als diejenigen bezeichnet werden, die sich auf ihre jüdische Herkunft berufen. Aber aufgrund dieser Bezeichnungen »auf palästinische oder gar jerusalemische Herkunft der Rivalen zu schließen, ist ebenso wenig zwingend wie der Versuch, von hier aus judaisierende Tendenzen in der Verkündigung der Antipauliner zu rekonstruieren«. 74 6.4.2.5 dia,konoj Christi (2Kor 11,23a): Vom dia,konoj zum Apostel Diakonos bzw. Diakonia sind dominierende Begriffe im 2. Korintherbrief besonders im Zusammenhang der Peristasenkataloge. Schon bei der Analyse von Peristasenkatalog 2Kor 6,3-10 wurde ausführlich auf diese Begriffe eingegangen. 75 Hier geht es um deren Bedeutung für diesen Kontext. Paulus stellt die Bezeichnung »Diakonoi Christi« ( dia,konoi Cristou/ ) den drei Ehrentiteln (V.22b) gegenüber, die jüdische Herkunft anzeigen. Er liefert gegenüber seinen Gegnern den Beweis, dass er mehr dia,konoj Christi ist als sie. Dia,konoj Cristou/ begegnet nur hier neben Kol 1,7 im NT (vgl. qeou/ dia,konoi in 2Kor 6,4; dia,konoi kainh/ j diaqh,khj in 2Kor 3,6). 76 Die vierte rhetorische Frage des Paulus »Sie sind Diakonoi Christi? ( dia,konoi Cristou/ eivsinÈ )« ist eine deutliche Steigerung gegenüber den ersten drei. Mit der Begriffskombination dia,konoi Cristou/ macht Paulus seinen Gegnern klar, dass der wahre Diakonos sich nicht auf eine ehrwürdige Herkunft (Hebräer, Israelit und Same Abrahams) berufen muss, sondern am Dienst für Christus zu messen ist. Die Peristasen sind diakoni,a Christi. Er versteht sich bewusst als von Christus beauftragter und für ihn wirkender Missionar. Dia,konoj wird hier also im Sinne des beauftragten Verkündigers verwendet. Paulus versteht seine Gegner in 11,13-15 aufgrund ihrer Verkündigungstätigkeit als falsche Apostel, als verkleidete Apostel Christi (vgl.11,13 avpo,stoloi Cristou/ ; 11,15 dia,konoi dikaiosu,nhj ). Normalerweise definiert er Apostel als »Gesandte Jesu«. Aber in diesem Abschnitt verwendet Paulus 72 Vgl. B ULTMANN , 2Kor, 216; G RÄSSER , 2Kor II, 160. 73 So auch S UNDERMANN , Der schwache Apostel, 132. 74 S UNDERMANN , Der schwache Apostel, 132f. 75 Zur Diskussion über Diakonos bzw. Diakonia bei Paulus vgl. auch Kapitel 5.4. 76 Vgl. 1Tim 4,6 dia,konoj Cristou/ VIhsou/ ; PolPhil 5,2 dia,konoi qeou/ kai. Cristou/ ; 11,15 dia,konoi dikaiosu,nhj . <?page no="204"?> 190 die Termini dia,konoj und avpo,stoloj nebeneinander. Dia,konoj ist hier Äquivalent zu Apostel, 77 weil es im Sinne einer beauftragten Evangeliumsverkündigung Christi bzw. Gottes verwendet wird. Die Frage bleibt, warum Paulus hier den Begriff dia,konoi Cristou/ verwendet und nicht avpo,stoloi Cristou/ (11,13) bzw. avpo,stoloj Cristou/ VIhsou/ (1,1), der für ihn der eigentlich angemessene Terminus ist. Warum schreibt er hier nicht avpo,stoloj , sondern dia,konoj ? Bei aller Nähe differenziert Paulus zwischen dia,konoj und avpo,stoloj . Der Begriff avpo,stoloj wird mehr im Sinne der Sendung verwendet, während die Bezeichnung dia,konoj auf den Inhalt des Auftrags und dessen Ausführung zielt, der noch stärker die Bedeutung der Geistbegabung hat. 78 Paulus charakterisiert sich selbst im Präskript als »Apostel Jesu Christi« (1,1). Im Peristasenkatalog dagegen gebraucht er den Ausdruck »Diakonoi Christi« oder »Diakonoi Gottes« (6,4 im Peristasenkatalog). Der Grund dafür liegt darin, dass Paulus seine Identität gegenüber seinen Gegnern nicht polemisch entwickelt, sondern im Interesse seiner Missionstätigkeit, als Diakonos Christi den Gekreuzigten und Auferstandenen zu verkündigen. Dabei wird die Geistbegabung der Diakonia betont. Aus diesem Grund verwendet er den Ausdruck Diakonos und nicht Apostel in seinen Peristasenkatalogen, in denen seine Missionstätigkeiten aufgezählt und deren Geistbegabung unterstrichen werden. Für Paulus ist es ein Kriterium wahrer apostolischer Legitimität, wer mehr Christus gedient hat und wer mehr für ihn gelitten hat. Im Zusammenhang der Peristasenkataloge interpretiert Paulus also das Besondere seines Apostolats als umfassende Diakonia. Der Peristasenkatalog bietet den Beweis der Aussagen u`pe.r evgw, (ich bin noch mehr) bzw. perissote,rwj , u`perballo,ntwj und polla,kij im Sinne eines wirkungsvolleren und überragenden Dienstes. Der Ausdruck u`pe.r evgw, überbietet das kavgw, (ich auch), 79 das in VV.21b-22 vierfach vorkommt, und auch von tw/ n u`perli,an avposto,lwn in 11,5; 12,11c. Paulus unterstreicht damit, dass der Dienst und die Leiden als Diakonos Christi eine wichtigere Rolle spielen als die Herkunft. In den Leidenslisten demonstriert Paulus demnach sein Noch-mehr-Sein! Die Behauptung von Zmijewski, dass diese Aussage superlativisch verwendet wird im Sinne von »ich bin der Beste« (vgl. hyperlian »über-« in 11,5) 80 trifft nicht zu. Vielmehr muss die Formulierung komparativisch verstanden werden. Denn Paulus befindet sich in der Situation des Vergleichs mit den Gegnern, wie auch das u`pe,r in V.23a durch das zweimalige perissote,rwj von V.23b spezifiziert wird. Hier liegt deshalb eine Ellipsis vor im Sinne von »Ich [bin] noch mehr [ dia,konoj Christi]«. 81 77 So auch L IETZMANN / K ÜMMEL , Kor, 150; auch P LUMMER , 2Cor, 321. 78 Ausführlich zur Geistbegabung vgl. Kap. 5.4.1. 79 Das Wort kavgw, kommt noch in VV.16.18 und 21 von Kap. 11 vor. 80 Z MIJEWSKI , Narrenrede, 241-243. 81 So auch F URNISH , 2Kor, 514. <?page no="205"?> 191 Damit wird der Effekt erzielt, die ausgelassenen Worte noch stärker zu betonen. Der Gedanke ist in 1Kor 15,10 (vgl. 2Kor 4,7ff.) noch verschärft, wo Paulus sich selbst mit anderen Aposteln vergleicht. Die Paraphrase Lietzmanns »Ich habe Christus mehr gedient als sie, denn ich habe mehr für ihn gelitten« 82 ist deshalb sinnvoll und denkbar. Das adverbial gebrauchte Partizip u`perballo,ntwj (V.23) wird in 12,7a durch die Rede vom »Übermaß der Offenbarungen« ( h` u`perbolh. tw/ n avpokalu,yewn ) wieder aufgenommen. Dabei gehen das Außerordentliche dieses Entrückungserlebnisses und die Überlegenheit im Vergleich mit den Gegnern ineinander über. 83 In diesem Aspekt des Vergleichens treffen sich die Gattungsbestimmung als Synkrisis (vgl. 10,12 zweimal sugkri/ nai ) und die Ergebnisse der Wortfeldanalyse von kauca/ sqai . 84 Sprachlich wird dies gesteigert durch den Ausdruck parafronw/ n lalw/ »ich rede wahnsinnig« (das Verb nur hier im NT und Sach 7,11 85 ). Paulus ist dies deshalb wichtig, weil - an dem theologischen Grundsatz 10,17 gemessen - das u`pe.r evgw, »ich noch mehr« (vgl. auch Phil 3,4 evgw. ma/ llon ) nur Ruhm im Sinne der Torheit ermöglicht. 86 Die Komparativformen an der Spitze des Peristasenkatalogs unterstreichen die Häufigkeit seiner Peristasen, die hier ko,poi , harte Arbeitsmühen, genannt werden. Exkurs: Die Gegner des Paulus nach 2Kor 10-13 Wir haben keine direkten Quellen zu den korinthischen Gegnern des Paulus. 87 Wir kennen sie »nicht aus einer an sie gerichteten Schrift des Paulus, 82 L IETZMANN / K ÜMMEL , Kor, 151. 83 Dagegen P LUMMER , 2Cor, 322: »But we must not assume that the comparative adverb necessarily implies comparison with his opponents; it may mean ‘more abundantly than most men’ or ‘than you would believe’; cf. i. 12, ii. 4, vii. 13,15, xii. 15«. 84 H ECKEL , Kraft in Schwachheit, 152. 85 Parafroni,a kommt nur in 2Petr 2,16 vor; para,frwn nirgendwo. In der LXX kommt parafro,nhsij in Sach 12,4 und para,frwn in SapSal 5,20 jeweils einmal vor; vgl. B AUER , Wörterbuch, 1259. 86 So auch G RÄSSER , 2Kor II, 161. 87 Vgl. zum Forschungsüberblick A EJMELAEUS , Schwachheit als Waffe, 26-35; R. B IERINGER , Die Gegner des Paulus im 2. Korintherbrief, in: D ERS ./ J. L AMBRECHT , Studies on 2 Corinthians, BEThL 112, Leuven 1994, 181-221; A.B. K OLENKOW , Paul and Opponents in 2Kor 10-13. THEIOI ANDRES and Spiritual Guides, in: L. B ORMANN (ed.), Religious Propaganda and Missionary Competition in the New Testament World. FS D. Georgi, Leiden 1994, 351-374; H ECKEL , Kraft in Schwachheit, 10-12; J.L. S UMNEY , Identifying Paul’s Opponents. The Question of Method in 2 Corinthians, JSNTS 40, Sheffield, 1990, 149-179; W OLFF , 2Kor, 5-8; P. M ARSHALL , Enmity in Corinth. Social Conventions in Paul’s Relations with the Corinthians, WUNT II/ 23, Tübingen 1987; K LAUCK , 2Kor, 10-12; F URNISH , 2Kor, 48-54. Zu verweisen ist besonders auf den religionssoziologischen Erklärungsversuch von G. T HEISSEN , Legitimation und Lebensunterhalt. Ein Beitrag zur Soziologie urchristlicher Missionare, NTS <?page no="206"?> 192 sondern nur von daher, wie er zu der korinthischen Gemeinde über sie spricht«. 88 Unser Überblick schränkt die Frage der Gegner des Paulus auf 2Kor 10-13 ein. Offensichtlich ist, dass in die korinthische Gemeinde gewisse Leute eingedrungen sind, die sich zu gegen Paulus gerichteten Vorwürfen veranlasst sahen. Paulus spielt vielfach auf die Tätigkeit der Gegner in der korinthischen Gemeinde an und polemisiert scharf gegen sie. Aber er nennt sie nirgends beim Namen, noch werden sie bei seiner Auseinandersetzung mit ihnen genauer geschildert. Informationen zu den Gegnern sind auf polemische, apologetische, didaktische Kontexte beschränkt. 89 Direkt auf die Gegner zu beziehen sind ti,j (11,20.21), oi` toiou/ toi (11,13), o` evrco,menoj (11,4), polloi, (11,18), oi` qe,lontej avformh,n (11,12) sowie die subjektlosen Verbformen fhsi,n (10,10) und eivsi,n (11,22f.). 90 Die Hinweise tine,j (10,2.12), o` toiou/ toj (10,11) sind nicht direkt auf die Gegner bezogen, sondern auf Gemeindeglieder, die sich offenbar von ihnen haben beeinflussen lassen (vgl. 10,10). Nur an fünf Stellen (11,5.13.15.22; 12,11) bezieht Paulus sich eindeutig auf die Gegner: »Überapostel« ( u`perli,an avpo,stoloi , 11,5; 12,11), »falsche Apostel« ( yeudapo, stoloi, 11,13), »betrügerische Arbeiter« ( evrga,tai do,lioi , 11,13), »Diener des Satans« ( dia,konoi auvtou/ [ tou/ satana/ ], 11,15). Sie selbst bezeichneten sich als »Apostel Christi« (11,13), »Diener der Gerechtigkeit« (11,15), benutzen die Ehrentitel »Hebräer« ( ~Ebrai/ oi ), »Israeliten« ( VIsrahli/ tai ) und »Same Abrahams« ( spe,rma VAbraa,m ) in 11,22 bzw. die Bezeichnung »Diener Christi « ( dia,konoi Cristou/ , 11,23). Es fällt schwer, ihre Argumentationsweise zu erschließen, sie geschichtlich zu identifizieren und als Gegner näher zu bestimmen. Viele Exegeten versuchen eine Rekonstruktion der Gegner auf der Grundlage einer breiteren Front der Opponenten im 2Kor als Ganzem. 91 Sind es Judaisten 21 (1975), 192-221; C.K. B ARRETT , Paul’s Opponents in II Corinthians, NTS 17 (1970- 1971), 233-254; G EORGI , Gegner; L ANG , Kor, 357-359. 88 B IERINGER , Gegner des Paulus, 182. 89 S UMNEY , Paul’s Opponents, 95-113. Die jeweiligen Kontexte unterscheiden »Explicit statements«, »Allusions«, »Affirmations«. 90 Vgl. zur Perspektive gesellschaftlicher Konventionen der zeigenössischen griechischen Kultur bei M ARSHALL , Enmity in Corinth, 341-348, der erwähnt: »There can be no doubt that the Corinthians and, indeed, Paul knew the names of the unnamed opponents. The periphrastic construction has enabled him to denigrate anonymously the conduct of his enemies and compare it with genuine apostolic behaviour as exemplified by himself« (348). Vgl. auch F URNISH , 2Cor, 49: »Paul refers to them only obliquely, thereby following the ancient rhetorical convention of denying one’s enemies even such status as the use of their names could accord them«. 91 B IERINGER , Gegner des Paulus, 192-220, sucht die Gegner im Rahmen von Judaisten, Gnostikern, hellenistisch-judenchristlichen theios andres, urchristlichen Missionaren, Hybristen; vgl. auch G RÄSSER , 2Kor II, 126. <?page no="207"?> 193 (Baur), 92 gnostisch-libertinistische Pneumatiker (Lütgert, Schlatter), 93 gnostisierende palästinische Judenchristen (Windisch), 94 Gnostiker (Bultmann), 95 hellenistisch-judenchristliche qei/ oi a; ndrej (»göttliche Männer«, Georgi), 96 urchristliche Missionare (Käsemann), 97 Hybristen (Marshall), 98 92 So schon F.C. B AUR , Die Christuspartei in der korinthischen Gemeinde, der Gegensatz des petrinischen und paulinischen Christentums in der ältesten Kirche, der Apostel Paulus in Rom: TZTh 4 (1831), 61-206 (=D ERS ., Ausgewählte Werke in Einzelausgaben, Bd. I, hg. v. K. S CHOLDER , Stuttgart 1963, 1-146), 102ff. Dem sind die meisten Exegeten gefolgt, z.B., Meyer, Heinrich, Bousset, Barrett, Ellis, Thrall, Wilckens, Lüdemann, Murphy-O’Connor und Hafemann. B IERINGER , Gegner des Paulus, 194, stellt fest: »Die Judaistenhypothese setzt die Gegner in 2Kor mehr oder weniger mit den Judaisten in Galatien gleich. Der korinthische Konflikt wird im selben Licht wie die galatische Krise interpretiert und stellt den organisierten Versuch der Jerusalemer Urgemeinde dar, ihren Einfluss auf die korinthische Gemeinde auszudehnen. Die Vertreter der Judaistenhypothese nehmen demnach zumindest für Gal und 2Kor (wenn nicht gar für alle paulinischen Hauptbriefe) dieselbe Gegnerfront an«. 93 W. L ÜTGERT , Freiheitspredigt und Schwarmgeister in Korinth. Ein Beitrag zur Charakteristik der Christuspartei, BFChTh 12/ 3, Gütersloh 1908, 86f.128f. Er meint, der Hauptstreitpunkt in Korinth wäre ein unterschiedliches Pneumaverständnis, somit wären die Gegner reine Pneumatiker, Enthusiasten und keineswegs Nomisten; vgl. auch A. S CHLATTER , Die korinthische Theologie, BFChTh 18/ 2, Gütersloh 1914, 110- 114 und passim; D ERS ., Paulus, 1934, 4 1969, 11-55. Nach ihm handelt es sich bei den korinthischen Gegnern um eine Gruppe von Judaisten, die aufgrund ihrer libertinistisch-gnostischen Neigungen aus der urkirchlichen Gemeinschaft ausgeschlossen waren. 94 W INDISCH , 2Kor, 25f. Im Rahmen der Gnostikerhypothese hat er Mischformen vorgeschlagen und unterscheidet eine aus 1Kor bekannte, innerkorinthische pneumatischgnostische Opposition, zu der gegen Paulus agitierende jüdische Wanderprediger stießen. 95 So R. B ULTMANN , Exegetische Probleme des zweiten Korintherbriefes, Darmstadt 2 1963, 23-30. Er gibt als Belegstellen 1Kor 2,6ff.; Phil 2,6ff. an; ferner auch Röm 5,12ff. und 1Kor 15,21f.45 (23); zuletzt G RÄSSER , 2Kor II, 127f. 96 Nach G EORGI , Gegner, 224-234, entsprechen die qei/ oi a; ndrej dem Modell der in der Spätantike weit verbreiteten heidnischen Wundermänner, die in der Gestalt synkretistischer, philosophischer und religiöser Wanderprediger und Wundertäter wirkten. In dieser Sicht wurden die großen Gestalten der biblischen Geschichte, z.B. Mose, Abraham und Elia als qei/ oi a; ndrej verstanden. Auch K OLENKOW , Opponents, 351, definiert qei/ oi a; ndrej als Leute »who seek a power based exclusively on miracles and visions«. Nach ihm geht die Auseinandersetzung zwischen Paulus und seinen Gegnern um Wunder und Leiden (373). Darüber hinaus argumentiert er: Die »spectra of characteristics are important for understanding Paul’s dialogue with his opponents. Paul is saying, Ë I have done what qei/ oi a; ndrej do (signs, the endurance of tribulations). My opponents (not I) have performed the half-dubious actions of the qei/ oj anh,r or the spiritual guide (coercive measures, asking for material support). I do not wield power for destruction É « (367). 97 E. K ÄSEMANN , Die Legitimität des Apostels. Eine Untersuchung zu II Korinther 10- 13, ZNW 41 (1942), 33-71. Als weitere Exegeten pochen Sumney, Theißen und Zeilinger darauf, dass der Abstand zwischen Paulus und seinen Gegnern nicht religionsgeschichtlich, sondern situationsspezifisch bzw. innerchristlich zu verstehen ist. Sie ste- <?page no="208"?> 194 wandernde Lehrer und Verkündiger (Aejmelaeus)? 99 Trotz der Schwierigkeiten und der Vielfalt der Hypothesen lassen sich zweifellos einige Züge eines Bildes der Gegner zeichnen. Die Gegner nennen sich Apostel (11,5.13; 12,11) und dringen von außerhalb in die Gemeinde ein (11,4; vgl. 10,15f.). Sie sind von jüdischer Herkunft (11,22) und kommen aus dem hellenistischen Diasporajudentum. 100 Sie rühmen sich »fremder Mühen«, also der Arbeit, die Paulus selbst bei seiner Missionstätigkeit vollbracht hat (10,15f.), meinen mit allem ihn zu überragen und beanstanden seine Autorität als Apostel (12,11). Dadurch steht die Gemeinde zwischen Paulus und den Gegnern, die beide einen apostolischen Autoritätsanspruch erheben und in ihrem Einfluss auf die Gemeinde mit ihm konkurrieren. 101 Allerdings beurteilt Paulus seine Gegner als solche, die sich nach dem Ansehen rühmen ( oi` evn prosw,pw| kaucw,menoi , 5,12); er wirft ihnen vor, dass sie sich selbst empfehlen ( tine.j tw/ n e`autou.j sunistano,ntwn , 10,12a und o` e`auto.n sunista,nwn , 10,18) und beschreibt sie als solche, die sich an sich selbst messen und sich mit sich selbst vergleichen ( evn e`autoi/ j e`autou.j metrou/ ntej kai. sugkri,nontej e`autou.j e`autoi/ j , 10,12b). Auf jeden Fall kamen sie als Missionare und Apostel nach Korinth, deshalb auch die Bezeichnungen avpo,stoloi in 11,5.13 und 12,11, dia,konoi in 11,15.22 sowie evrga,tai in 11,13. 102 Dieser Bestand nötigt zwar zur Zurückhaltung bei der Rekonstruktion der Front der Gegner. Trotzdem aber lässt sich in 2Kor 10-13 das Gegnerbild des Paulus mit zwei Argumentationsgängen theologisch präzisieren. Paulus zielt zum einen in Bezug auf seine Gegner im Verlauf der Narrenrede auf das entscheidende Argument der Autorität seines Apostolats. Die Gegner sind diejenigen, die seine Autorität als Apostel disqualifizierend beurteilen (10,10). Deshalb kämpft Paulus um den Erhalt seiner apostolischen Autorität, und die Gegner versuchen, ihre Stellung zu erweitern und zwischen die Gemeinde und ihren Gründer zu treten und als Apostel empfohlen zu werden (vgl. 10,2.18). Paulus pocht demgegenüber darauf, dass seine apostolische Autorität in der Autorität des Christusgeschehens (vgl. 1,1; 10,18) begründet ist. Zum anderen zielt Paulus mit der Narrenrede auf die theologische Auseinandersetzung mit Andersdenkenden, was die Wahrheit des Evangeliums vom gekreuzigten Christus betrifft. Insbesondere bringen sie nach 11,4 eine vom paulinischen Zeugnis abweichende Christusverkündigung: Sie verkündigen einen anderen Jesus, einen anderen Geist und ein anderes Evangelium (vgl. Gal 1,6-9). Seine Gegner vertreten gegenüber der Kreuhen den Repräsentanten der Judaistenhypothese nahe und sind reserviert gegenüber den Repräsentanten der Gnostiker- und qei/ oi a; ndrej - Hypothese. 98 M ARSHALL , Enmity in Corinth, 183f.; 364-381. 99 A EJMELAEUS , Schwachheit als Waffe, 34. 100 Vgl. A EJMELAEUS , Schwachheit als Waffe, 34. 101 Vgl. H ECKEL , Kraft in Schwachheit, 10. 102 Vgl. B IERINGER , Gegner des Paulus, 187. <?page no="209"?> 195 zestheologie eine Art »Ruhmestheologie«, 103 die er folgerichtig verwirft. Für ihn ist echte Ruhmesrede, sich des Herrn zu rühmen (10,17) und nicht seiner selbst. Paulus rühmt sich seiner Schwachheit, die im gekreuzigten Christus gründet. »Sich-der-Schwachheit-Rühmen« bedeutet für ihn »Sichdes-gekreuzigten-Christus-Rühmen«. 104 Dieses Rühmen entfaltet Paulus im Zusammenhang mit dem Peristasenkatalog, während die Gegner sich ihrer Herrlichkeit, ihrer Herkunft, ihrer Wundertaten rühmen. Zudem lässt sich relativ deutlich erkennen, dass Paulus ein zentrales Interesse an Christus hat: z.B. ei; tij pe,poiqen e`autw/ | Cristou/ ei=nai (10,7); avpo,stoloi Cristou/ (11,13); dia,konoi Cristou/ (11,23). Seinen Gegnern bestreitet er also das Recht, diese Titel zu gebrauchen. Im Zusammenhang des ganzen Peristasenkataloges liegt das theologische Interesse des Paulus beim gekreuzigten und auferstandenen Christus. Damit steht Paulus in deutlicher Opposition zu den Gegnern. 6.4.3 Der Peristasenkatalog 2Kor 11,23b-29 6.4.3.1 Zur Traditionsgeschichte des Peristasenkataloges An VV.22-23a schließt sich als Nachweis für das dort betonte u`pe.r evgw, ein Peristasenkatalog (VV.23b-29) an, in dem sich Paulus um den Beweis seiner Überlegenheit als Diener Christi gegenüber seinen Gegnern bemüht. Diese Leidensumstände werden im Anschluss an die Dissertation Bultmanns meist im Kontext der kynisch-stoischen Diatribe interpretiert. 105 Darüber hinaus kann auf eindrucksvolle Parallelen aus der Apokalyptik verwiesen werden. 106 Das Vermeiden von Wir-Aussagen zugunsten des Ich-Stils 107 erweist die Formulierungen zudem als biographische Angaben (V.24). Für die konkreten Zahlenangaben und das viermalige polla,kij hat schon im Jahr 1928 Fridrichsen auf ähnliche Phänomene in den hellenistischen Ruhmeschroniken hingewiesen, so dass »der Stil des Peristasenkatalogs dem einer Ruhmesliste nachgebildet ist«. 108 Dies trifft vor allem auf die Res Gestae des Kaisers Augustus zu. 109 Sollte Paulus sich bewusst auf den Stil der Ruhmeschroniken bezogen haben, würde das den paradoxen Charakter seines Selbstruhmes besonders deutlich hervorheben. 110 Denn dann steht er vor der Notwendigkeit, es den Gegnern im Rühmen 103 Vgl. A EJMELAEUS , Schwachheit als Waffe, 35; T. S ÖDING , Das Wort vom Kreuz, WUNT 93, Tübingen 1997, 75f. 104 Zum Sich-Rühmen seiner Schwachheit s.u. 105 Vgl. B ULTMANN , kynisch-stoische Diatribe, 71; vgl. auch G EORGI , Gegner, 64; E BNER , Leidenslisten, 112f. 106 Vgl. S CHRAGE , Leid, 143f.149. 107 Vgl. F RIDRICHSEN , Res gestae, 79f. 108 So F RIDRICHSEN , Stil, 26. 109 So F RIDRICHSEN , Stil, 25-29; D ERS ., Res gestae, 78-82. 110 B ULTMANN , 2Kor, 217; G RÄSSER , 2Kor II, 164. <?page no="210"?> 196 gleichzutun, zugleich aber seinem Grundsatz treu zu bleiben, sich nur der Schwachheiten zu rühmen. 111 Die stilistische Analyse zeigt, dass die vier Abschnitte durch das Stichwort » polla,kij « unterschieden werden, das die Einzelabschnitte einleitet: 1) V.23b 112 ; 2) VV.24-25; 3) V.26; 4) V.27. Die Verse 28 und 29 bilden das abschließende Stück des Peristasenkatalogs. 113 Sie leiten zugleich die Passage ein, in der es um die Sorgen des Apostels für die Gemeinde geht. Dass Zeilinger diesen Abschnitt wie ein kleines Gedicht einschätzt, kann nicht genug betont werden! 6.4.3.2 Das Peristasenvokabular I (2Kor 11,23b) Die vier Sätze von V.23b beginnen jeweils mit evn , wobei der letzte Satz ev n qana,toij polla,kij eine deutliche Klimax markiert. Die jeweils ersten Glieder »in Mühen« ( evn ko,poij ), »in Gefängnissen« ( evn fulakai/ j ), »in Schlägen« ( evn plhgai/ j ) qualifizieren durch komparativisch angelegte Bestimmungen die folgenden Aussagen. Sie alle zielen darauf ab, die Überlegenheit des Paulus als Diener Christi zu erweisen. Die vier Substantive ko,poi - fulakai, - plhgai, - qa,natoi in V.23b stehen für gegenwärtige Leiden bei Paulus. Die drei Begriffe ko,poi - fulakai, - plhgai, begegneten uns schon im Peristasenkatalog 2Kor 6,5. 114 Die ko,poi 115 , die am Anfang (V.23b) und am Ende des Peristasenkataloges (V.27a) stehen, beschreiben das Apostolat als Dienst Christi und charakterisieren besonders die Arbeit der Christen (1Kor 15,58; 2Kor 6,5; 10,15; 1Thess 1,3; 2,9; 3,5). 116 Paulus unterscheidet sich von seinen Gegnern dadurch, dass diese »sich fremder Mühen rühmen« (10,15), 117 während er selbst sich jeweils mit seiner eigenen Hände Arbeit den Le- 111 Z MIJEWSKI , Narrenrede, 323. 112 In V.23b werden im vierten Satz die drei ersten Glieder und der letzte Satz differenziert; ebenso die drei Komparativformen in den drei ersten Gliedern und polla,kij im letzten Satz. 113 Zu den verschiedenen Analysen vgl. F RIDRICHSEN , Stil, 26; E BNER , Leidenslisten, 108- 111; S UNDERMANN , Der schwache Apostel, 135-155, bes. 144. 114 Nur die Reihenfolge wird umgestellt: plhgai, - fulakai, - ko,poi . 115 Zur Disputation mit zahlreichen Belegstellen vgl. A. VON H ARNACK , Ko,poj ( Kopia/ n , Oi` Kopiw/ ntej ) im frühchristlichen Sprachgebrauch, ZNW 27 (1928), 1-10. E BNER , Leidenslisten, 161-172, hat im Vergleich zwischen der Handarbeit des Pauluskatalogs in 2Kor 11,23-29 und den Heraklesmühen in einem hellenistischen Milieu Folgendes herausgearbeitet: »Bei der Auslegung des Peristasenkatalogs 2Kor 11,23-29 wurden bisher die Begriffe ko,poj und po,noj gleichbedeutend behandelt, d.h. es wurden die entsprechenden Texte als Paralleltexte herangezogen, auch wenn sich dort statt des bei Paulus gebrauchten ko,poj der Terminus po,noj / labor fand. Das verlangt nach einer Rechtfertigung und wird zugleich zu einem bedeutsamen motivgeschichtlichen Hintergrund führen: zur Heraklesgestalt. Bei der Beleuchtung der Motivzusammenstellung in der vierten Strophe des Kataloges (11,27) war das Heraklesidol bereits zur Sprache gekommen« (161). 116 Zum Verb: 1Kor 4,12; 15,10; 16,16; Röm 16,6.12; Gal 4,11; Phil 2,16; 1Thess 5,12. 117 Vgl. W OLFF , 2Kor, 232f. <?page no="211"?> 197 bensunterhalt während der Gründungsmission verdient hat (1Kor 4,12; 9,6; vgl. auch 1Thess 2,9; 2Thess 3,8; Apg 18,3; 20,34). Auch die Pluralform »Gefangenschaften ( fulakai, )« begegnete schon im Peristasenkatalog 2Kor 6,5. Die Erfahrung der Gefangenschaft wird in Apg 16,23-30 (vgl. 1Kor 15,32; 2Kor 1,8-10; Röm 16,3-7) erwähnt. Auch der nichtbiblische Text 1Clem 5,6 spricht von insgesamt sieben Gefangenschaften des Paulus, aber das ist möglicherweise nur eine runde Zahl. 118 Wie in 6,5 ist auch jetzt die Erwähnung der mehrfachen Gefangenschaften mit der Nennung von »Schlägen« ( plhgai, / verbera, der allgemeine Ausdruck für Schläge) verbunden. Dazu wird zu V.24 noch Genaueres gesagt werden. Auffällig ist, dass der Begriff plhgh, nur bei Paulus und Lukas (außer in der Apk) erscheint. 119 ~Uper ballo,ntwj ist Hapaxlegomenon im NT, die Vulgata hat vier unterschiedliche Adverbien, während an unserer Stelle drei Adverbien stehen. 120 Mit »Todesnöten« ( qa,natoi ) sind besondere lebensgefährliche Bedrohungen gemeint, von denen Paulus mehrmals in den Peristasenkatalogen spricht (vgl. V.24; 2Kor 4,10-11; Röm 8,36; allgemein noch 1Kor 15,32; 2Kor 1,8f.; Phil 1,12ff.). 6.4.3.3 Drei unterschiedliche Strafverfahren (2Kor 11,24-25a) Nach der katalogartigen Peristasenaufzählung in V.23b wird in den VV.24f. auf Erzählstil gewechselt. Kennzeichen dieses Stils sind einige »biographische Daten« in der Ich-Form, wobei der erzählende Aorist bzw. das Perfekt verwendet werden. Rein formal knüpfen die VV.24f. mit ihren genauen Zahlenangaben penta,kij - tri,j - a[pax - tri,j zweifellos an die in V.23c erwähnten übermäßigen Schläge ( evn qana,toij polla,kij ) an, sachlich aber sind sie durchaus auch auf andere in V.23b aufgeführte Punkte zu beziehen. 121 Paulus stellt drei verschiedene »Strafverfahren« zusammen: Zum einen die jüdische synagogale Geißelstrafe, zum anderen die römische Rutengeißelstrafe (verberatio), die von römischen Magistraten angeordnet und von den Liktoren durchgeführt wurde. Des Weiteren erwähnt er die Steinigung, ein Beispiel von Lynchjustiz, die ihm gegenüber spontan von Menschen ausgeübt wurde. Für die Geißelung begegnen in den Quellen ver- 118 Clemens von Rom spricht davon, dass Paulus siebenmal gefangen wurde (Kor. V: e`pta,kij desma. fore,saj ). Nach P LUMMER , 2Cor, 323, wissen wir nur von fünfmal: in Philippi vor 2Kor; Jerusalem, Caesarea und zweimal in Rom nach 2Kor. Nach J.D. Q UINN , »Seven Times He Wore Chains« (1Clem 5.6), JBL 97 (1978), 574-576, hat Clemens die sieben Dokumente, in denen von Gefangenschaft des Paulus die Rede ist, gezählt: Apostelgeschichte, 2. Korintherbrief, Epheserbrief, Philipperbrief, Kolosserbrief, Philemonbrief und 2. Timotheusbrief (aufgenommen bei W OLFF , 2Kor, 233 Anm. 256). 119 Bei Paulus: 2Kor 6,5; 11, 23; bei Lukas: Lk 10,30; 12,48; Apg 16,23.33. 120 In der Vulgata Version: in laboribus plurimis, in carceribus abundantius, in plagis supra modum, in mortibus frequenter. 121 Vgl. Z MIJEWSKI , Narrenrede, 252. <?page no="212"?> 198 schiedene Ausdrücke. Der Begriff findet sich im NT als mastigo,w / ma sti,zw 122 , fragello,w / frage,llw 123 , r`abdi,zw 124 und de,rw 125 . Zur Verwendung verschiedener Ausdrücke für die Geißelung kann Folgendes gesagt werden: Bei Schlägen und Auspeitschungen (verbera) handelt es sich im römischen Recht um ein Coercitionsmittel der örtlichen Magistrate. Sie dienen »als allgemeine nicht nur von der Beschaffenheit des Werkzeugs und der Rechtsstellung des Geschlagenen, 126 sondern auch von dem Zweck des Übels absehende Ausdrücke der Gesetzes- und Rechtssprache«. 127 Der lateinische Begriff für die Prügelstrafe heißt verbera (vgl. auch das Verb verbero). Überdies erscheint das Synonym caedo bzw. castigo, es betont den Charakter der Züchtigung. Ihr Sinn wird überwiegend durch einen Ablativ wie verberibus, virgis, fustibus verdeutlicht. 128 Als weiteren Entsprechungsbegriff finden wir das Wort flagellatio/ flagello (flagellis caedere), der den exakten griechischen Terminus mastigo, w / masti,zw bzw. ma,stix (vor allem für die Geißel) übersetzt. Daneben begegnen die Lehnwörter fragello,w / frage,llw bzw. frage,llion (für die Geißel). 129 Darüber hinaus wird das Wort de,rw sehr allgemein gebraucht. Paulus spricht von mehrmaliger jüdischer synagogaler Geißelung und von römischer Rutenpeitschung in 2Kor 11,24-25. 6.4.3.3.1 Die jüdische synagogale Geißelung: »vierzig weniger einen« Den Ausdruck »vierzig weniger einen ( tessera,konta para. mi,an )« kann man als terminus technicus für die jüdische synagogale Geißelungsstrafe verstehen. Die Apostelgeschichte und auch paulinische Briefe berichten nichts von solchen Geißelstrafen des Apostels. Die synagogale Geißelungsstrafe hat den Ursprung in der Toravorschrift Dtn 25,3 (»Vierzig Schläge darf er ihm geben lassen - nicht mehr«), 130 wo das Verb mastigo,w die Bedeutung 122 Textbelege im NT: Mt 10,17; 20,19; 23,34; Mk 10,34; Lk 18,33 Joh 19,1; Heb 12,6. 123 Zweimal im NT: Mt 27,26; Mk 15,15. 124 Zweimal im NT: Apg 16,22; 2Kor 11,25. 125 Überdies erscheint der Begriff de, rw (prügeln, schlagen) im NT (15-mal) ganz allgemein für Schläge, sowohl für jüdische als auch römische Strafen, vgl. z.B. Mk 13,9 (die von den jüd. Synagogen verhängte Prügelstrafe); Apg 5,40; 22,19 (jüd.); Apg 16,37 (röm.); vgl. auch D. D ORMEYER , Art. de,rw , EWNT I (²1992), 690f. 126 Vgl. M OMMSEN , Strafrecht, 983, 2. 127 Vgl. F UHRMANN , verbera, 1589-1597, 1589. 128 Vgl. F UHRMANN , verbera, 1589. 129 W. W ALDSTEIN , Art. Geißelung, RAC 9 (1976), 469-490, 469; vgl. C. S CHNEIDER , Art. mastigo,w ktl ., ThWNT IV (1942), 521-525. 130 Zu den Strafursachen stellt S CHNEIDER , mastigo,w ktl ., 522 fest: Sie sind Verleumdung einer Frau (Dtn 22,13-19), Körperverletzungen (Dtn 25,1-3), falsches Zeugnis, Verfluchung des Herrn, gewisse Formen von Blutschande, Beobachtung hellenistischer Sitte, Bruch des Nasiräates, Vollzug heiliger Handlungen im Zustand kultischer Unreinheit, Opfern außerhalb des Tempels, Übertretung einiger Speisegebote (beson- <?page no="213"?> 199 »geißeln, auspeitschen, mit der Geißel oder Peitsche schlagen« hat. Das Verb erscheint in NT sowohl für die Geißelung durch Juden als auch durch Römer. Die jüdischen synagogalen Prügelstrafen begegnen bei Mt 10,17 und 23,34 in den Aussendungsreden Jesu und stehen dort für die Verfolgung von Seiten der Juden. Demgegenüber handelt es sich bei den Leidensankündigungen Jesu Mk 10,34 (par. Lk 18,33; Mt 20,19) und bei der Geißelung Jesu in Joh 19,1 nicht um eine Synagogenstrafe, sondern um die römische Strafe der Geißelung (verberatio). 131 Das Synonym masti,zw begegnet in Apg 22,25 als neutestamentliches Hapaxlegomenon. Im Verurteilungsbericht Mk 15,15 (par. Mt 27,26) steht mastigo,w anstelle des lateinischen Lehnwortes fragello,w . Die gleiche Strafe hat Lukas in 23,16.22 durch das Wort paideu,w abgemildert, das den Sinn von züchtigen hat. Die Paulusstelle in 2Kor 11,24 ist der älteste literarische Beleg für die Geißelstrafe. Später und außerhalb von ntl. Textbelegen wird die synagogale Geißelungsstrafe von Josephus in Ant. 4,238. 248 und eventuell in Ant. 13,294 erwähnt. Weitere spätere christliche Belege für diese Strafe sind das Nikodemus-Evangelium IV 3 und Ephiphanius, haer. 30,11,5, wo ein zum Christentum übergetretener Jude in der Synagoge gegeißelt und dann ins Wasser geworfen wird. Außerdem ist die Geißelung in den Synagogen von Apollinaris aus Hierapolis, Eusebius (h.e. V 16,12) zu erwähnen. 132 Die wichtigste Quelle für die synagogale Geißelungsstrafe »vierzig weniger einen« findet sich in dem spät-rabbinischen Mischnatraktat Makkot (besonders Kap. 3), 133 in dem über die Details des Strafvollzugs ausführlich informiert wird. Die Geißelungsursachen von » vierzig weniger einen « werden durch S. Gallas eindeutig angegeben: „Mit den ‚vierzig weniger einen‘ wurde erstens die Übertretung von negativen Thorageboten (Verbote mit ‚du sollst nicht‘) bestraft, wenn nicht ausdrücklich eine andere Strafe vorgeschrieben war. Zweitens konnte bei allen Vergehen, die ders von Lev 3,17), Zerbrechen der Knochen des Passahlammes, schwere Vergehen gegen das Zehntgebot; vgl. auch H. B ALZ , Art. mastigo,w , EWNT II (²1992), 973f. 131 B ALZ , mastigo,w , 974, sagt, dass sie »besonders als begleitende Strafe bei Todesurteilen und anderen entehrenden Strafvollzügen durchgeführt wurde, vor allem bei der Kreuzigung, der sie fast immer vorausging (vgl. Falv.Jos.Bell. II 306ff.; Liv. X 9,4f.)«; vgl. Hebr 12,6, wo sie in einem Zitat aus Spr 3,12 steht und in übertragenem und weisheitlichem Sinn als Erziehungsstrafe verstanden wird. 132 S. K RAUSS , Synagogale Altertümer, Berlin/ Wien 1922 (reprint Hildesheim 1966), 186f.; W. S CHRAGE , Art. sunagwgh, , ThWNT VII (1964), 798-839, 830 Anm. 214. 133 Vgl. die Auszüge Bill. III, 527-530; zur Übersetzung des Mischnatraktat Makkot vgl. G. H ÖLSCHER , Sanhedrin und Makkot. Die Mischnatractate Sanhedrin u. Makkot: ins Deutsche übersetzt und unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses zum Neuen Testament mit Anmerkungen versehen, Tübingen 1910. Einzelheiten der Geißelsstrafe zu mMak werden ausführlich untersucht von S. G ALLAS , »Fünfmal vierzig weniger einen…«. Die an Paulus vollzogenen Synagogalstrafen nach 2 Kor 11,24, ZNW 81 (1990), 178-191. <?page no="214"?> 200 mit dem Bann (karet) bestraft wurden, auch die Geißelungsstrafe der ‚vierzig weniger einen‘ zur Anwendung kommen (mMak 3,15).“ 134 Die exegetischen Ergebnisse der Geißelungsstrafe sind kontrovers. Manche Exegeten bezweifeln, ob Paulus die Strafe tatsächlich fünfmal erhalten hat. In der Apostelgeschichte wird nicht deutlich, ob Paulus die synagogale Geißelungsstrafe erlitten hat. 135 Einige Forscher suchen einen Ausweg im Zusammenhang einer rekonstruierten Biographie des Paulus und meinen, er habe die Strafe in der »Anfangszeit«, 136 d.h. »vor Beginn der großen Arbeit in Antiochien« erlitten. 137 Diese Frage kann im Zusammenhang dieser Arbeit nicht geklärt werden. Allerdings möchte ich mich zu zwei Argumenten äußern. Die erste Frage ist, ob die Strafe der »vierzig weniger einen«, wie jüdische Forscher meinen, prinzipiell für Palästina gilt 138 oder ob - wie demgegenüber die große Mehrzahl der Exegeten behauptet -, die jüdische Diaspora Ort der Geißelung des Paulus war. 139 Beide Thesen erscheinen mög- 134 G ALLAS , Synagogalstrafen, 182f. Dort wird über weitere konkrete Fälle informiert: »In mMak 3,1-9 werden fünfzig Vergehen aufgezählt, die mit den Ë vierzig weniger einen É bestraft wurden, so z.B. sexuelle Vergehen 3,1; Vergehen durch verbotenes Essen 3,2a; Scheren von Haupthaar und Bart 3,5; Tätowierung 3,6; Nasiräatsgelübde brechen 3,7. Dies ist eine offensichtlich unvollständige Liste, bzw. hier ‚werden nicht alle Vergehen dieser Art aufgezählt, sondern nur solche, bei denen etwas Besonderes zu lehren ist‘, denn Maimonides zählt 207 Vergehen auf, die aller Wahrscheinlichkeit nach auch schon vor seiner Zeit mit den ‚vierzig weniger einen‘ bestraft wurden: 21 Fälle von Übertretungen negativer Bestimmungen, die auch mit dem Bann, nicht aber mit dem Tod bestraft werden konnten, so v.a. Vergehen gegen Moralgesetze, 18 Fälle von Vergehen gegen Kult- und Opfergesetze sowie 168 Fälle von Übertretungen, die weder mit dem Bann noch mit dem Tod bestraft wurden, so z.B. das Anfertigen von Götzenbildern, Verstöße gegen levitische Gesetze und priesterliche Vorschriften, Speisegesetze, Heiratsgesetze, ferner bei Verleumdung, Meineid, Brechen von Gelübden usw. Das Nikodemus-Evangelium IV, 3 macht hingegen eine völlig andere Unterscheidung: Vergehen gegen Menschen werden mit den ‚vierzig weniger einen‘, Vergehen gegen Gott mit der (demnach schlimmeren) Steinigung bestraft« (183). 135 Z.B. G. B ORNKAMM , Paulus, UB 119, Stuttgart u.a. 6 1987, 97. 136 So L. G OPPELT , Christentum und Judentum im ersten und zweiten Jahrhundert. Ein Aufriss der Urgeschichte der Kirche, BFChTh.M 55, 1954, 87 Anm. 2; aufgenommen bei B ARRETT , 2Cor, 296f. 137 Vgl. G ALLAS , Synagogalstrafen, 178f. 138 Vgl. L.N. D EMBITZ , Art. Stripes, JE 11, 569f., 570; D.W. A MRAM , Art. Corporal Punishment, JE 4, 277f., 277. Diese Behauptung hat ihren Grund darin, dass in rabbinischer bzw. talmudischer Zeit die makkat mardut, »Strafe für Auflehnung«, von der Geißelungsstrafe der »vierzig weniger einen« unterschieden wird (vgl. C. S CHNEIDER , mastigo,w ktl ., 522 Anm. 5; vgl. auch G ALLAS , Synagogalstrafen, 180); dagegen nehmen die christlichen Exegeten diese Unterscheidung nicht vor. 139 Vgl. H EINRICI , 2Cor, 471; M OMMSEN , Rechtsverhältnisse, 81-96, 88 führt aus: »Wenn Paulus nach seinen Worten Ë von den Juden É fünfmal mit Schlägen belegt worden ist, und zwar mit den vierzig weniger eins, welche die jüdischen Gesetze auf religiöse Verfehlung setzen, so sind diese Strafen ohne Zweifel verhängt worden von den Vor- <?page no="215"?> 201 lich, denn Paulus könnte einerseits als Heidenmissionar in Gebieten außerhalb Palästinas zu dieser Geißelungsstrafe verurteilt worden sein. Andererseits kam Paulus auf seinen missionarischen Reisen immer wieder auch nach Palästina (z.B. Apg 18,22; 21,8.15). Überdies haben sowohl das Synhedrium in Palästina als auch Lokalgerichte in der Diaspora zur Geißelungsstrafe verurteilt. 140 Ein anderer Streitpunkt ist, dass manche Exegeten die Synagoge als den Ort der Geißelung aufgreifen. 141 Gegen diese Beobachtung wird eingewandt, dass es in der rabbinischen Literatur keinen Hinweis auf die Durchführung der Geißelungsstrafe in der Synagoge gibt. 142 Aber dieser Einwand trifft nicht zu, denn die Synagoge als Ort der Geißelung ist einerseits im NT klar bezeugt, z.B., Mt 10,17; 23,34; Mk 13,9 und Apg 22,19. Andererseits kann das Schweigen der Rabbinen kaum »als ein stichhaltiges Argument gegen die historische Wahrscheinlichkeit jener schwerwiegenden Aussagen der ntl. Verfolgungslogien und -berichte« 143 angenommen werden. Deshalb kann vermutet werden, dass die Geißelstrafe der »vierzig weniger einen«, die Paulus nach seinen eigenen Angaben in 2Kor 11,24 fünfmal erlitt, eine vollzogene synagogale Geißelstrafe ist. So ist es doch auch bezeugt, dass Paulus als Jude verurteilt wurde. Was den Vollzug der Strafe betrifft: Einen Schlag zog man ab, um zu sichern, dass man im Falle des Verzählens das Gesetz nicht übertrat. In der Regel fand die Geißelung öffentlich statt (vgl. Josephus, Ant. 4,238). Nach Dtn 25,3 sollten als Höchststrafe 40 Schläge verabreicht werden, 144 die Synagoge ließ aber nach 2Kor 11,24; mMak 3,10; Flav.Jos.Ant. 4,238.248 nur 39 zu. Der vierzigste Schlag wurde gelegentlich angedeutet oder ganz erlassen. Ein Drittel der Schläge (13 Hiebe) traf die Brust, zwei Drittel (26 Hiebe) den Rücken. Diese Bestrafung, die in der Synagoge vollzogen wurde, führte gelegentlich zum Tod. 145 Zwar sollte man aufhören, wenn man merkte, dass der Geschlagene in Lebensgefahr kam, doch kamen auch Todesfälle ständen der nicht palästinensischen Judengemeinde, denen wenigstens in Sachen ihres Cultus eine derjenigen der römischen Municipalbeamten analoge Correction über ihre Glaubensgenossen zugestanden haben muss; dass sie eigentliche Criminaljurisdiction nicht hatten, versteht sich von selbst und wird bestätigt durch die Beschaffenheit der von ihnen verhängten Strafe«. Vgl. auch A LLO , Saint Paul, 296, und W INDISCH , 2Kor, 356. 140 Vgl. G ALLAS , Synagogalstrafen, 181. 141 Z.B. P LUMMER , 2Cor, 324; S CHRAGE , sunagwgh, , 829. 142 Bill. I, 1922, 577. S. K RAUSS argumentiert so in seiner Monographie, Synagogale Altertümer, Berlin/ Wien 1922 (reprint Hildesheim 1966), aber er sieht die Synagoge als den Ort der Geißelung. 143 S CHRAGE , sunagwgh, , 830; so von G ALLAS , Synagogalstrafen, 181, übernommen. 144 S CHNEIDER , mastigo,w ktl ., 522, zeigt, dass der Codex Hammurabi (60,6) und der Koran sogar 80 und 100 Geißelhiebe kennen (Bertholet-Leh I 7171). 145 Vgl. W OLFF , 2Kor, 233. <?page no="216"?> 202 vor. 146 Bei körperlich schwächlichen Verurteilten konnte die Zahl 39 reduziert werden. 147 Über die Gründe, warum Paulus mit solcher Geißelung »vierzig weniger einen« bestraft wurde, spricht er selbst nicht und auch die Apostelgeschichte gibt in diesem Zusammenhang keine Auskunft. Paulus schweigt darüber, zu welcher Zeit oder an welchen Orten er diese Strafe erleiden musste. 148 Manche Exegeten weisen auf theologische Interessen hin. Vermutet wird, dass es die gesetzesfreie Evangeliumsverkündigung gewesen sein könnte, 149 vornehmlich sein Eintreten für die Freiheit von der Beschneidung (vgl. Gal 2,1-10; 6,11ff.) und die Freiheit von den jüdischen Speisegesetzen (vgl. Gal 2,11-14; 1Kor 8,8; Röm 14,14), wie Gallas meint, 150 der selbst das in mMak 3,2 erwähnte Essen unreiner Speisen als den wahrscheinlichsten Grund annimmt. 151 6.4.3.3.2 Die römische Geißelung: Rutenpeitschung Von der jüdischen Synagogenstrafe unterscheidet Paulus die Rutengeißelung der römischen Behörde (für Sklaven und Provinziale), die er dreimal erhielt. Im NT wird der von Paulus erwähnte griechische Terminus r`abdi,zw (für lateinisch verberatio; mit Rute/ Stock schlagen 152 , geißeln) nur für die 146 Vgl. S CHNEIDER , mastigo,w ktl ., 522. 147 Vgl. L ANG , Kor, 344. 148 G ALLAS , Synagogalstrafen, 178 Anm. 2, in Aufnahme einer Aussage von A LLO , Saint Paul, 296, »zählt die Städte auf, von denen Act als Orte im Zusammenhang mit Verfolgungen und gewaltsamem Vorgehen der Juden gegen Paulus und seine Mitarbeiter berichtet und in denen Paulus die synagogale Geißelungsstrafe erhalten haben könnte: Damaskus Act 9,23; Jerusalem 9,29; Antiochia in Pisidien 13,50; Ikonien 14,2.5; Ephesus 19,9; Thessalonich 17,5ff.; Beröa 17,13; Korinth 18,6. Jede Bestimmung eines Ortes als historischer Ort von Geißelungen ist natürlich reine Spekulation«. 149 So G RÄSSER , 2Kor II, 167; E BNER , Leidenslisten, 135; T HRALL , 2Cor II, 737f. 150 Als Vermutungen vieler Exegeten wird von G ALLAS , Synagogalstrafen, 183f., beobachtet: »Als Ursache für eine Verurteilung überhaupt ist natürlich das Christsein Paulus’ und seine Predigt vom Messias Jesus anzugeben. Viele Exegeten sehen, wohl von theologischen Interessen geleitet, eine Entwertung, Missachtung, Lästerung des Gesetzes/ der Thora, bzw. eine Bestreitung der Heilsbedeutung des Gesetzes durch Paulus als Verurteilungsgrund. Die Anbietung des messianischen Heils an die Heiden, der Umgang mit Heiden und in diesem Zusammenhang das Essen von unreinen Speisen bzw. die Verführung anderer dazu werden ebenfalls als in den Augen der Juden geißelungswürdige Vergehen gesehen. Weitere in der Literatur erscheinende mögliche Verurteilungsgründe sind: die jüdische Religion in Verruf bringen, Gotteslästerung, (…)«. Aber solche Vermutungen hält er für unhaltbar; als wahrscheinlichsten Grund für die Verurteilung des Paulus nimmt er das in mMak 3,2 erwähnte Essen unreiner Speisen an. 151 So G ALLAS , Synagogenstrafen, 184, auch W INDISCH , 2Kor, 355. 152 Vgl. Aristoph Lys. 587; Pherekrates fr 50 (CAF I 159) nach C. S CHNEIDER , r`a,bdoj ktl ., ThWNT VI (1959), 966-972, 971. <?page no="217"?> 203 römische Geißelungsstrafe als Übersetzung von virgis caedere gebraucht. 153 Es handelt sich nicht um eine Folterung, sondern um ein polizeiliches Coercitionsmittel der örtlichen Magistrate. 154 Sie konnte mit Ruten bzw. mit Stöcken (Apg 16,22) oder mit der Peitsche (gr. ma,stix , 155 lat. flagellum, vgl. Apg 22,25) ausgeführt werden. Nur in Apg 16,22 ist ein 2Kor 11,25 entsprechendes Geschehen beschrieben. Danach wurden Paulus und Silas in Philippi durch die römischen städtischen Beamten ( strathgoi, ) wegen Aufruhr und Erregung öffentlichen Ärgernisses zur Geißelung verurteilt. Durchgeführt wird die verberatio gewöhnlich von den römischen r`abdou/ coi / lictores (VV.35.38), 156 die Rutenbündel trugen. So wird Paulus nach Apg 16,22 von den strathgoi, 157 der Stadtverwaltung bis zur Grenze des Stadtgebietes geleitet, nachdem er sich als römischer Bürger ausgewiesen hatte. In der Regel standen den städtischen strathgoi, zwei Liktoren zu. 158 Die Geißelung durch Liktoren, welche Paulus nach 2Kor 11,25 dreimal erlitten hat, muss sich auf gleichartige Erkenntnisse der Municipalbehörden des Reiches beziehen, denen in der Tat eine solche Coercition zustand. Allerdings sind Misshand- 153 Vgl. F.J. D ÖLGER , Die Auspeitschung einer Frau auf einer Reliefplatte der Prätextat- Katakombe in Rom, AuC III (1932), 214f.; Die Verbindung virgis verberare oder caedere erscheint häufig: vgl. Cic.Verr. 5,142; Liv. 2,5,8; 22,57,3; 26,13,15; 28,29,11 u.a.; Suet.Nero 49,2; Clod.Alb. 11,7 [Script. Hist. Aug. 178 Hohl]; Gell. 10,3,11. So nach W ALDSTEIN , Geißelung, 470. 154 C. S CHNEIDER , Art. r`a,bdoj ktl ., ThWNT VI, 1959, 966-972, 971. 155 Zur übertragenen Bedeutung vgl. S CHNEIDER , mastigo,w ktl .,524: »Plage, Leid, insbesondere in der älteren Zeit: das von Gott geschickte Leid: Dio.j ma,stix Hom II 12,37; 13, 812; ma,stix qei,a Aischyl.Prom. 682; sept. c Theb 608; Ag. 642; inschriftlich ma,steiga aivw,nion W.M. Ramsay, Phrygia I 2 (1897) 520 Nr 361. Nach Aischyl. wird das Wort immer mehr seiner religiösen Bedeutung entleert und heißt Plage, Leid, auch Mangel ganz allgemein«. In wörtlicher Bedeutung im NT: Apg 22,24; Hebr 11,36; in übertragener Bedeutung: Mk 3,10; 5,29.34; Lk 7,21. 156 Das Nomen r`abdou/ coj ist das Kompositum von r`abdoj und e; cw und wird im Griechischen in folgender Weise gebraucht: »von stocktragenden Polizeibeamten, die das Recht oder die Aufgabe hatten, im Notfall Prügelstrafen zu vollziehen (Aristoph.Pax 734; Thuc V 50,31; POxy XIV 1626, 9.21; 1750,12)«, nach S CHNEIDER , r`a,bdoj ktl ., 971. 157 Der Terminus strathgo,j , den nur Lukas gebraucht, kann mit dem lateinischen praetor identifiziert werden und kennzeichnet allgemein den zivilen und militärischen Kommandanten und Provinzstatthalter. Dieser ist besonders für die Kolonie Philippi typisch. Der Begriff erscheint im NT in der Philippiepisode und meint die städtischen Beamten (Apg 16,20.22.35.36.38: Die Hälfte der zehn Belegstellen); überdies erscheint er nur bei Lukas (Lk 22,4.52; vgl. Apg 4,1; 5,24.26: Alle fünf Stellen beziehen sich auf Tempelhauptleute). Zur Literatur über das Amt des strathgo,j , W.M. R AMSAY , St. Paul the Traveller and the Roman Citizen, Lodon 6 1902; H. V OLKMANN , Art. Strategos, KP 5 (1975) 388-391; W. E LLIGER , Paulus in Griechenland. Philippi, Thessaloniki, Athen, Korinth, Stuttgart ²1990; D ERS ., Mit Paulus unterwegs in Griechenland. Philippi, Thessaloniki, Athen, Korinth, Stuttgart 1998; P. P ILHOFER , Philippi, Bd. I: Die erste christliche Gemeinde Europas, WUNT 87, Tübingen 1995. 158 Vgl. S CHNEIDER , r`a,bdoj ktl ., 971. <?page no="218"?> 204 lungen durch diese Rutenschläge bis hin zur Kreuzigung römischer Bürger nicht selten bezeugt. 159 Die römische Rutengeißelung macht allerdings im Blick auf das römische Bürgerrecht des Paulus Schwierigkeiten, denn die lex Porca von 198- 195 v.Chr. hat nach einem Ausspruch Ciceros »die Rutenschläge vom Körper aller römischer Bürger entfernt«. 160 Paulus durfte also als römischer Bürger nicht gegeißelt werden. Doch die dreimalige römische Rutengeißelung muss nicht unbedingt gegen die Tatsache sprechen, dass Paulus das römische Bürgerrecht wirklich besessen habe. Diese These soll im folgenden Exkurs diskutiert werden. Exkurs: Das römische Bürgerrecht des Paulus A. Pro und contra römisches Bürgerrecht des Paulus In der Apostelgeschichte wird das römische Bürgerrecht des Paulus an drei Stellen direkt erwähnt: Apg 16,37f.; 22,25ff.; 23,27. Überdies kann in Apg 21,25f. ; 25,10f.; 26,31 und 28,19 indirekt auf das römische Bürgerrecht geschlossen werden. Demgegenüber berichten die Paulusbriefe selbst nicht davon. Wenn aber Paulus ein römisches Bürgerrecht hatte, warum hat er dann trotz dieses Privilegs die römische Prügelstrafe erhalten? Schon der große Historiker Mommsen hat das Problem des Besitzes des römischen Bürgerrechtes gesehen, 161 aber er hat diese Frage offen gelassen: »Wenn Paulus trotz seines Bürgerrechts dreimal solche Executionen hat über sich ergehen lassen, so muss er entweder von seinem Recht keinen Gebrauch gemacht haben oder die Behörde hat sich darüber hinweggesetzt; eine derselben mag in Philippi vorgefallen und von dem Redacteur der Apostelgeschichte fructificiert sein«. 162 Gegenwärtig wird eine entsprechende Argumentation vor allem von Stegemann vorgetragen. Einwände gegen seine These sind vor allem von Omerzu formuliert worden. Stegemanns wich- 159 Vgl. Cic.Verr. II 5,162; Flav.Jos.Bell. II 14,9 (§ 308); vgl. z.B. Cic.Verr. II 5,139. 140-142 (C. Servilius); II 5,161 (P. Gavius, Bürger der Stadt Consa); Rab.Perd 8,12; Plut.Caes. 29,2. Die genannten Beispiele sind zu finden bei E BNER , Leidenslisten, 136 Anm. 228.229. 160 Cic.Rab.Perd 12: Porcia lex virgas ab omnium civium Romanorum corpore amovit; vgl. Verr. II 5,163. Zur historischen Einschätzung vgl. M OMMSEN , Strafrecht, 47; F UHR - MANN , verbera, 1593f. 161 M OMMSEN , Rechtsverhältnisse, 89, führt aus: »Das gleich zu erwähnende Privilegium des römischen Bürgers hat sich schwerlich auf diese mehr religiösen als bürgerlichen Strafen erstreckt; übrigens kann Paulus als Jude sich enthalten haben, die Reichsgewalt gegen jüdische Glaubensgerichte anzurufen. (…) Allerdings konnte dieselbe von Rechtswegen gegen Paulus nicht vollstreckt werden, da ihn als römischen Bürger das julische Gewaltgesetz dagegen schützte«; vgl. auch H.J. C ADBURY , The Book of Acts in History, London 1955, 65ff. 162 M OMMSEN , Rechtsverhältnisse, 90. <?page no="219"?> 205 tigste Einwände gegen das paulinische Bürgerrecht können wie folgt zusammengefasst werden. 1. Gefragt wird, warum Paulus sich entweder sehr spät oder gar nicht auf seine Rechte als römischer Staatsbürger berufen hat, wäre doch dadurch seine Mission nicht verhindert, 163 ihm aber viel Leiden erspart worden. 164 Auf diesem Hintergrund argumentiert Stegemann, Lukas verbinde mit dem Bürgerrecht eine redaktionelle Tendenz (als »der kompositorische Höhepunkt« 165 ), die eine spannungsreiche Dramaturgie der Ereignisse erwarten lässt. 2. Es wird verwiesen auf Ungereimtheiten bei der Appellation, etwa bezüglich des Motivs oder der Kompetenz des Statthalters, bzw. auf Unklarheiten von dessen Praktizierung in der frühen Kaiserzeit. 166 In diesem Sinne wird gefragt, ob man die »Appellationsszene« für historisch glaubwürdig halten kann. 3. Des Weiteren wird das Fehlen der vollständigen tria nomina in den paulinischen Briefen moniert, 167 da ein römischer Bürger in der Regel drei Namen führte. 168 4. Konfliktpunkte bestehen auch darin, dass das römische Bürgerrecht die Verpflichtung zum Herrscherkult (Opferung für römische Götter) einschließt. Deshalb wird bezweifelt, dass der Vater des Paulus und auch Paulus selbst, die dem Judentum die Treue hielten, zugleich »strenggläubige« Juden und römische Bürger gewesen sein können. 169 163 Nach Apg 16,39f. verlassen die Apostel die Stadt. 164 Vgl. W. S TEGEMANN , War der Apostel Paulus ein römischer Bürger? ZNW 78 (1987), 200-229, 201-206 (bes. 203.205). 165 Vgl. A. W EISER , Die Apostelgeschichte. Kapitel 13-28, ÖTBK V/ 2, Gütersloh/ Würzburg 1985, 607, sieht, dass »diese Szene bezüglich der Verhaftung des Paulus in Jerusalem verstanden werden muss; er versteht, daß sie erst von Lukas eingebracht und mit den dazugehörigen Szenen geformt worden sind (…) Daß aber Paulus wirklich römischer Bürger (…) war, wird historisch zutreffen« . 166 Vgl. S TEGEMANN , Römischer Bürger, 207-220. Ohne ausdrückliche Geltendmachung des Bürgerrechtsprivilegs in Apg 25, 26 und 28 (210). 167 S TEGEMANN , Römischer Bürger, 221f. Dieser spricht davon, dass keineswegs der Name Paulus ein verbreiteter oder berühmter römischer Name sei; zum Problem des Namens Paulus (bzw. Saulus), A.N. S HERWIN -W HITE , Roman Society and Roman Law in the New Testament, Oxford 1963, 152ff., versteht »›Paulus‹ als das cognomen, das freilich unter römischen Familien unüblich sei«. Er hält es im übrigen für unwahrscheinlich, dass dieses cognomen von einem römischen Patron übernommen sei. Der Name Paulus sei vermutlich als ähnlicher lateinischer Namen zum hebräischen Saulus gewählt worden. Darauf verweist auch S TEGEMANN , Römischer Bürger, 222 Anm. 84. Weitere ausführliche Diskussion des Namens ›Paulus‹ bei C.E.B. C RANFIELD , The Epistle to the Romans, ICC VI/ 1, Edinburgh 1985, 48ff. 168 Vgl. S TEGEMANN , Römischer Bürger,.214.218. 169 S TEGEMANN , Römischer Bürger, 222-225. Er zweifelt auch hinsichtlich des Zeitpunktes: »Auch der in Frage kommende Zeitpunkt (um den Beginn der Zeitrechnung) der <?page no="220"?> 206 5. Ein weiteres Argument wird in der Beurteilung des sozialen Status des Paulus gesehen. 170 Bei ihm weise dessen Handwerksberuf (»sklavisch«) auf einen niedrigen Sozialstatus hin. Von seinem Bürgerrecht her müsste man erwarten, dass Paulus zur sozialen Elite seiner Zeit gehöre. 171 Alles in allem postuliert Stegemann in seiner Untersuchung, es sei äußerst unwahrscheinlich, dass der Apostel Paulus das römische Bürgerrecht besessen habe. Von anderer Seite wird gegen das paulinische Bürgerrecht noch eingewandt, dass Paulus es selbst an keiner Stelle erwähnte. So wird in den Paulusbriefen an keiner Stelle auf ein römisches Privileg hingewiesen, demgegenüber aber häufig auf seine jüdische Tradition, auf seine Herkunft aus dem Stamm Benjamin oder auf seine Vergangenheit als Pharisäer (vgl. 2Kor 11,22; Röm 11,1; Phil 3,4-6). 172 Dieses Argument wird vor allem mit der Beobachtung verbunden, dass bei Paulus dem Konflikt mit der jüdischen Seite bei der Einhaltung der jüdischen Gebote (Reinheitsgebote, Sabbat, Speise und Monotheismus), auf römischer Seite vor allem der Konflikt bei der Verpflichtung zum hellenistischen Herrscher- und Kaiserkult entspricht. 173 Der Ansicht Stegemanns, dass »eine genauere Untersuchung über die Gewährung des römischen Bürgerrechts an Juden« 174 fehlt, stehen allerdings zahlreiche literarische, vornehmlich epigraphische Zeugnisse gegenüber, die darauf verweisen, dass auch Juden die römische Civität besessen haben. 175 Gegen die Zweifel am Besitz des römischen Bürgerrechts des Paulus hat sich vor allem Omerzu ausgesprochen. Sie untersucht die Möglichkeit der civitas Romana mit historischen Zeugnissen 176 und kritisiert m.E. zu Recht die Argumentation Stegemanns, der - wie oben erörtert - das römische Bürgerrecht des Paulus bezweifelt. Grundlegend ist für sie, dass Rom Verleihung bereitet größte Schwierigkeiten. Denn Kaiser Augustus war sehr zurückhaltend mit der Verleihung der Civität« (225). 170 S TEGEMANN hat schon in seinem Aufsatz, »Zwei sozialgeschichtliche Anfragen an unser Paulusbild«, EvErz 37 (1985), 480-490, einige Argumente gegen die historische Wahrscheinlichkeit des römischen Bürgerrechtes Pauli vorgetragen. Dort argumentiert er vor allem aus der Einschätzung des sozialen Status des Paulus. Vgl. zu diesem Argument auch K. W ENGST , Pax Romana. Anspruch und Wirklichkeit: Erfahrungen und Wahrnehmungen des Friedens bei Jesus und im Urchristentum, München 1986, 94f., der davon ausgeht, dass Paulus auf sein Bürgerrecht keinen Wert gelegt haben könnte. 171 S TEGEMANN , Römischer Bürger, 226-229. 172 Dazu vgl. N IEBUHR , Heidenapostel aus Israel. Die jüdische Identität des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen, WUNT 62, Tübingen 1992. 173 Dazu H.-J. K LAUCK , Die religiöse Umwelt des Urchristentums II. Herrscher- und Kaiserkult, Philosophie, Gnosis, Stuttgart 1996. 174 S TEGEMANN , Römischer Bürger, 216. 175 Dazu O MERZU , Prozeß des Paulus, 29. 176 Dazu O MERZU , Prozeß des Paulus, 17-109. <?page no="221"?> 207 fremden Kulten und Religionen gegenüber eine tolerante Haltung einnahm, solange diese den inneren Frieden des Reiches nicht bedrohten. Darin bildete auch die Stellung zum Judentum keine Ausnahme: »Die kaiserliche Politik gegenüber den Juden war geprägt von der Bestätigung alter hellenistischer und republikanischer Rechte und Privilegien: Bereits in der späten Republik wurden die Juden von Verpflichtungen befreit, die Konflikte mit ihrer Religion schufen«. 177 Weiterhin behauptet sie, dass das tarsische Bürgerrecht des Paulus dessen römisches Bürgerrecht unterstützte, wozu es neben direkten Hinweisen auf die Herkunft des Paulus aus Tarsus (Apg 21,39; 22,3) einige indirekte Informationen gibt (Apg 9,30; 11,25; 15,41; vgl. Gal 1,21). Auch wenn die Doppelbürgerschaft, die Paulus nach Darstellung der Apostelgeschichte besessen haben soll, konstruiert sein sollte, 178 wäre es rein rechtmäßig möglich, dass Paulus zugleich römischer und tarsischer Bürger war. 179 So wird von Omerzu angenommen, dass eine Bezeichnung wie »Saulus, genannt (der) Tarser« in Apg 9,11 und die wiederholten Reisen nach Kilikien diese verständlich machen, was sowohl Paulus selbst als auch die Apostelgeschichte bezeugen. 180 In weiteren Argumenten merkt Omerzu zu Recht an: »Im Gegensatz zum tarsischen Bürgerrecht ist es somit nicht zu unwahrscheinlich, dass eine jüdische Familie am Ende der Republik oder in der frühen Kaiserzeit in den Besitz der civitas Romana gelangen konnte. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass dies dank der Zugeständnisse und Kompromisse, welche die Römer den Juden etwa bezüglich des Herrscherkultes machten, ohne Assimilation oder gar Apostasie auch einer gläubigen Familie möglich war«. 181 In einem weiteren Argumentationsgang kritisiert sie die These, dass der einzelne römische Name des Apostels ein Gegenbeweis gegen die civitas Romana 177 O MERZU , Prozeß des Paulus, 29; zur konkreten Argumentation: 29-33. 178 Zum Problem der Doppelbürgerschaft: D. N ÖRR , Orgio. Studien zur Orts-, Stadt- und Reichszugehörigkeit in der Antike, TRG 31 (1963), 525-600; W. TARN, Kultur der hellenistischen Welt, Darmstadt 1966. 179 O MERZU , Prozeß des Paulus, 34-36, in Aufnahme von M. H ENGEL unter Mitarbeit von Roland Deines, Der vorchristliche Paulus, in: M. H ENGEL und U. H ECKEL (Hg.), Paulus und das antike Judentum, WUNT 58, Tübingen 1991, 177-291, 190. Sie macht mit Verweis auf Dio Cass 47,30f; App, civ IV 273-275; V 30 darauf aufmerksam, dass »in der Zeit zwischen Pompeius und Augustus zahlreiche tarsische Bürger das römische Bürgerrecht erhalten haben. Bereits nach der Begründung der Stadt als civitas libera wurden Sklaven freigelassen, Ë womit unter Umständen die Verleihung des römischen Bürgerrechts verbunden sein könnte É « (a.a.O., 35 Anm.86). 180 O MERZU , Prozeß des Paulus, 36; dagegen S TEGEMANN , Römischer Bürger, 221: »Man kommt um die Einsicht nicht herum, dass auch die Herkunft des Paulus aus Tarsus über dessen römisches Bürgerrecht keinen positiven Aufschluss gibt«. 181 O MERZU , Prozeß des Paulus, 39. Zur Einschätzung vgl. M OMMSEN , Rechtsverhältnisse, 83-85. <?page no="222"?> 208 sei. Sie vermutet, dass Paulus cognomen des Apostels sei. 182 Paulus musste in seinen Briefen seine tria nomina nicht unbedingt benutzen, wissen wir doch, dass andere Römer nur mit einem Namen bekannt sind. 183 So bezeichnet die Apostelgeschichte andere römische Bürger auch nur mit einem oder allenfalls zwei Namen. 184 Im NT werden an keiner Stelle alle drei Namen eines Römers ausgeführt, sondern meistens zwei; üblicherweise wird nur das cognomen verwendet. Gegen das zentrale Argument, das römische Bürgerrecht sei nur an wohlhabende Personen verliehen worden, und dass deswegen der etwaige niedrige soziale Status des Paulus dem Besitz des Bürgerrechts entgegenstehe, werden zwei Einwände formuliert: Einmal ist denkbar, dass Paulus vom urchristlichen Ideal der Besitzlosigkeit ausgegangen ist und eventuell vorhandenes Vermögen in seine Missionsarbeit einbrachte. 185 Zum anderen hat Paulus wiederholt den freiwilligen Verzicht auf Lebensunterhalt und Bezahlung seiner Missionsverkündigung betont (z.B. 2Kor 11,7-11; 12,13f.; 1Thess 2,9). 186 Die Romreise des Apostels, die als historisch anzunehmen 182 Vgl. R. R IESNER , Die Frühzeit des Apostels Paulus. Studien zur Chronologie, Missionsstrategie und Theologie, WUNT 71, Tübingen 1994, 128; G.A. H ARRER , Saul who is also Called Paul, HThR 33 (1940), 19-33, 27 Anm. 24; O MERZU , Prozeß des Paulus, 40. 183 Vgl. O MERZU , Prozeß des Paulus, 52. 184 Dazu finden sich Beispiele bei O MERZU , Prozeß des Paulus, 41: »Bei den Statthaltern Gallio (Act 18,12-17) und Felix (Act 23,24.26 u.ö.) erwähnt er nur deren cognomen, die Hauptmänner Cornelius (Act 10,1) und Iulius (Act 27,1) bezeichnet er mit deren jeweiligen nomen gentilicium und Sergius Paullus (Act 13,7), Claudius Lysias (Act 23,26) und Porcius Festus (Act 24,27) schließlich mit je zwei Bestandteilen, nomen und cognomen«; ferner a.a.O., 42: »In der römischen Bischofsliste (bis in das 3. Jahrhundert n. Chr.) sowie bei Clemens von Rom erscheint jeweils nur ein Namensteil (in Aufnahme von H ENGEL , Paulus, 197). Unter den über 500 Grabinschriften in den jüdischen Katakomben in Rom findet man nie den vollständigen römischen Namen, obwohl mindestens 10% der Verstorbenen im Besitz des Bürgerrechts gewesen sind (in Aufnahme von G. F UKS , Where have all the Freedmen Gone? On an Anomaly in the Jewish Grave-Inscriptions from Rome, JJS 36 [1985], 25-32, 30-32). Juden mit römischem Bürgerrecht waren also offensichtlich bestrebt, dies nicht offen zu bekennen; sie benutzten zumindest meist nur einen Namen«; vgl. R IESNER , Frühzeit, 136; H ENGEL , Paulus, 197 Anm. 69; S. L ÉGASSE , Paul’s Pre-Christian Career according to Acts, in: R. B AUCKHAM (ed.), The Book of Acts in Its Palestinian Setting, AFCS 4, Grand Rapids/ Carlisle 1995, 365-390, 371; vgl. auch Flav.Jos.Ant. 18,23. 185 Vgl. O MERZU , Prozeß des Paulus, 45-47. 186 O MERZU , Prozeß des Paulus, 47; anders S TEGEMANN , Römischer Bürger, 226-228. O MERZU , a.a.O., 47 Anm. 146, geht auch auf die Ansicht von H OCK , Paul’s Tentmaking and the Problem of his Social Class, JBL 97 (1978), 555-564, ein: Dieser »vertritt ebenfalls die Theorie vom Wunsch des Paulus nach Unabhängigkeit, doch argumentiert er unter Verweis auf 1Kor 9,19; 2Kor 11,7, die er als indirekte Hinweise auf eine manuelle Tätigkeit auffasst, hier werde ersichtlich, dass Paulus zwar gezwungen war zu arbeiten, um selbständig und wirtschaftlich unabhängig zu sein, er aber unmissverständlich deutlich gemacht habe, wie sehr ihm diese Beschäftigung im Grun- <?page no="223"?> 209 ist, wird erst möglich durch die Annahme des Bürgerrechts als Appellationsrecht an den Kaiser. 187 Diese vielfältigen Begründungen, die Omerzu plausibel vorträgt und überprüft, unterstützen die Bürgerrechtshypothese. Sie kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass »sowohl das Denken (Röm 13) als auch das Handeln (Missionsrouten) 188 des Apostels vom Besitz des Bürgerrechts geprägt gewesen sein dürften«. 189 Schließlich sei noch der Einwand erwähnt, dass Paulus als römischer Bürger die römische Geißelstrafe nicht hätte erhalten dürfen. Demgegenüber ist festzuhalten, dass das römische Bürger schützende Gesetz, wonach diese solchen Strafen nicht unterzogen werden durften, manchmal nicht eingehalten wurde: So lässt z.B. nach Josephus (Bell. 2,306-308) der Prokurator Gessius Florus 66 n.Chr. Juden geißeln und kreuzigen, wenngleich sie römische Bürger waren. 190 Zusammenfassend kann also angenommen werden: Obwohl nur Lukas das römische Bürgerrecht des Paulus berichtet, ist zu vermuten, dass es historisch zutreffend ist. Die Zweifel an der Historizität des Bürgerrechtsprivilegs können abgeschwächt werden. Die Angaben, dass es historisch zutreffen kann, können erhärtet werden vor allem durch seine Missionsstrategie und die in den Peristasenkatalogen zum Ausdruck kommende Theologie. B. Das römische Bürgerrecht des Paulus im Zusammenhang der Leidensaussage Es ist denkbar, dass Paulus sein Bürgerrechtsprivileg nicht immer offenbaren wollte. Sich auf dieses zu berufen erlaubte sich der Apostel nur in der Situation äußerster Lebensgefahr. Dabei ist in Betracht zu ziehen, dass auch Lukas vom paulinischen Bürgerrecht nur in äußersten Notsituationen berichtet. Die Missionsstrategie des Paulus ist geleitet von 1Kor 9,19-23: den Juden als Jude, den Gesetzestreuen als Gesetzestreuer, den Gesetzlosen als Gesetzloser, den Schwachen als Schwacher zu begegnen. Auf diesem Hinde verhasst war und er sie als Herabsetzung seines eigentlichen Standes empfunden habe. Mit dieser Einstellung spiegele Paulus die typische, verachtende Einstellung der Oberschicht gegenüber körperlicher Arbeit wider«. 187 Vgl. O MERZU , Prozeß des Paulus, 48. 188 Paulus orientierte sich in seiner Reiseroute regelrecht an römischen Provinzen sowie an römischen Kolonien. Genaueres bei O MERZU , Prozeß des Paulus, 49, nach H ENGEL , Paulus, 201; R IESNER , Frühzeit, 132; L ÜDEMANN , Paulus, der Heidenapostel II. Antipaulinismus im frühen Christentum, FRLANT 130, Göttingen 1983, 250. 189 O MERZU , Prozeß des Paulus, 52. 190 Dazu weitere Beispiele: Nach Plutarch (Caesar 29,2) hat der Konsul Marcellus mit Ruten einen Senator von Novum Comum gegeißelt, der römischer Bürger war; Suet.Galba 9,1 »Kreuzigung eines Römers«. Bei Dio Cass 60, 24,4; ferner auch Cic. Verr. II 5,62-66; Eus.hist.eccl. V 1,44. Zur allgemeinen Diskussion über Paulus und das römische Gesetz H.J. C ADBURY , Roman Law and the Trial of Paul, in: Lake/ Cadbury, BC V 297-338; S HERWIN -W HITE , Roman Society, 48-119. <?page no="224"?> 210 tergrund ist es denkbar, dass Paulus zu vermeiden suchte, als Jude auf jüdischer Seite zu stehen und gleichzeitig das römische Bürgerrecht zu betonen. Paulus wollte eigentlich keine unnötigen Konflikte für die Verkündigung schaffen. Dies würde auch dem Textabschnitt 1Kor 6,1-8, in dem es um »Gemeindejustiz« mit Rechtskonflikten geht, entsprechen. Dort äußert er sich zum einen dagegen, innergemeindliche Streitfälle vor heidnischen Richtern zu verhandeln. Zum anderen spricht er sich für Rechtsverzicht in der christlichen Gemeinde aus. 191 Die Beanspruchung des Bürgerrechts in einem religiösen Konflikt hätte gegen seine beiden Prinzipien verstoßen. 192 Solches Denken spricht auch aus seinem Peristasenkatalog 2Kor 6,3ff.: »Niemand geben wir irgendeinen Anstoß, damit der Dienst nicht verlästert wird, sondern in allem erweisen wir uns als Gottes Diener, durch viel Geduld, in Trübsalen, in Nöten, in Bedrängnis, in Schlägen, in Gefängnissen, in Unruhen, in Mühsalen, in durchwachten Nächten, in Fasten…«. Ein entsprechendes Denken Pauli findet sich auch in 1Kor 9,12, wonach er sein Recht 193 nicht gebraucht hat, sondern alles erduldet, um dem Evangelium Christi kein Hindernis zu bereiten. Dass diese Haltung des Paulus tief in der »Theologie der Peristasenkataloge« verankert ist, sei im Folgenden mit einigen Texten unterstrichen, 194 in denen er sein Leiden mit dem Leiden Jesu Christi identifiziert und aktivisch versteht. 195 191 Dieser Gedankengang findet sich auch bei O MERZU , Prozeß des Paulus, 43. 192 Auch die römische Behörde vermeidet möglichst interne religiöse Streitigkeiten (so z.B. Apg 18,14f.). 193 Aber hier spricht Paulus natürlich nicht vom Bürgerrecht, sondern vom Apostelrecht auf Unterhalt. 194 Diese Auffassung wird - bezogen auf die folgenden Belegstellen - in Kap. 8 diskutiert. 195 Diese für Paulus wichtigen Leidensaussagen sind eher theologischer Natur. Dennoch erscheint es mir nötig, diese für die Frage des römischen Bürgerrechts des Paulus heranzuziehen. Die Reihenfolge der Texte folgt meinem eigenen Interesse bzw. der Einschätzung von deren Bedeutung. <?page no="225"?> 211 Gal 6,17 tou/ loipou/ ko,pouj moi mhdei.j parece,tw\ evgw. ga.r ta. sti,gmata tou/ VIhsou/ evn tw/ | sw,mati, mou basta,zw . Phil 3,10 tou/ gnw/ nai auvto.n kai. th.n du,namin th/ j avnasta,sewj auvtou/ kai. Îth.nÐ koinwni,an Îtw/ nÐ paqhma,twn auvtou/ ( summorfizo,menoj tw/ | qana,tw| auvtou/ ( 2Kor 4,10 pa,ntote th.n ne,krwsin tou/ VIhsou/ evn tw/ | sw,mati perife,rontej( i[na kai. h` zwh. tou/ VIhsou/ evn tw/ | sw,mati h` mw/ n fanerwqh/ |Å 2Kor 4,11 avei. ga.r h`mei/ j oi` zw/ ntej eivj qa,naton paradido,meqa dia. VIhsou/ n( i[na kai. h` zwh. tou/ VIhsou/ fanerwqh/ | evn th/ | qnhth/ | sarki. h`mw/ nÅ 2Kor 1,5 o[ti kaqw.j perisseu,ei ta. paqh,mata tou/ Cristou/ eivj h`ma/ j. 1Kor 15,31 kaqV h`me,ran avpoqnh,|skw. Phil 1,21 evmoi. ga.r to. zh/ n Cristo.j kai. to. avpoqanei/ n ke,rdojÅ Phil 3,7 a[tina h=n moi ke,rdh( tau/ ta h[ghmai dia. to.n Cristo.n zhmi,anÅ Grundlegend für diese Konzeption der Partizipation an der Schwachheit von Christi Kreuzestod sind 1Kor 1,23 (Paulus predigt den gekreuzigten Christus) bzw. 1Kor 2,2 (nichts zu wissen, als nur Jesus Christus, den Gekreuzigten). Paulus nimmt also die eigene Leidenswirklichkeit als seine christliche Identität wahr. Nach den Aussagen des Paulus, er trage an seinem Leib die ne,krwsij tou/ VIhsou/ (2Kor 4,10) bzw. die sti,gmata tou/ VIhsou/ (Gal 6,17) und sei überreich an paqh,mata tou/ Cristou/ (2Kor 1,5), identifiziert er sein eigenes Leiden mit dem leidenden Jesus Christus. So versteht Paulus seine Zugehörigkeit zu Jesus Christus (vgl. koinwni,a Îtw/ nÐ paqhma,twn ), als Gleichgestaltetwerden ( summorfizo,menoj ) bzw. Tod Jesu (Phil 3,10). In diesem Zusammenhang findet sich auch der weiterführende Gedanke »Ich freue mich in den Leiden für euch und vollende die noch ausstehenden Bedrängnisse Christi an meinem Fleisch für seinen Leib, das ist die Gemeinde« in Kol 1,24, wenngleich der Kolosserbrief in seiner Herkunft von Paulus als umstritten gelten muss. Schrage weist mit Recht darauf hin, dass das Leiden des Paulus nicht nur passiv, sondern auch aktivisch zu verstehen ist. 196 In diesem Sinne schließen die oben angeführten Texte die aktive Bewährung ein. Deshalb 196 S CHRAGE , Leid, 154-156. <?page no="226"?> 212 ist das Erdulden aller Leiden (vor allem »Schläge« in unserem Text) ein aktives Verhalten im Rahmen seiner Theologie der Identifizierung mit dem leidenden Christus und des Gleichgestaltetwerdens mit seinem Tod. Paulus erduldet alles um des Evangeliums Christi willen (1Kor 9,12), wie auch Christus nicht an sich selbst Gefallen hatte (Röm 15,3). So wäre auch zu verstehen, warum Paulus die römische Rutengeißelung erdulden wollte, obwohl er das römische Bürgerrecht hatte. Alle diese Hinweise in den Peristasenaussagen (bzw. -katalogen) können erhellen, warum Paulus keinen aktiven Gebrauch von seinem Bürgerrechtsprivileg machte. Zugleich sind damit Zweifel an der Historizität der römischen Rutengeißelung des Paulus nicht anzunehmen. Sie unterstreichen zudem die historische Möglichkeit eines Bürgerrechtes des Paulus, die m.E. mehr ist als eine lukanische Konstruktion in der Apostelgeschichte. 6.4.3.3.3 Die jüdische Todesstrafe »Steinigung« Während die fünf Geißelstrafen von offizieller jüdischer Seite verfügt sein mussten, stellt die Steinigung eine andere Bestrafungsform dar. Die Steinigung 197 war im AT und Judentum (Mischna San 6,1-7,10; zur Durchführung San 6,1-4) eine Todesstrafe aufgrund bestimmter religiöser Vergehen wie Gotteslästerung (Lev 24,16; Joh 10,31.32.33; 11,8), Sabbatbruch (Num 15,35), Götzendienst (Dtn 17,2-5), Ehebruch (Lev 20,10; Dtn 22,22-24, Joh 8,5). Sie trägt oft den Charakter einer spontanen Lynchjustiz, die vom Volk ausgeht. In der Antike ist diese Form der tumultuarischen Lynchjustiz verbreitet. 198 Auch bei der Steinigung des Stephanus ist das gereizte kollektive Volk Exekutor dieser Todesstrafe. In Apg 14,19 199 liegt der einzige Bericht über die Steinigung vor, von der Paulus in 2Kor 11,25 spricht. 200 Diese Bestrafung, bei der Paulus nach unserem Text in akuter Lebensgefahr schwebte, ist als offizielle jüdische Todesstrafe nicht denkbar. Vielmehr wird hier eine spontane tumultuarische Lynchjustiz, eine unkontrollierte Wutaktion des Mobs dokumentiert, an der Heiden und Juden ( evqnw/ n te kai. VIoudai,wn , Apg 14,5-6) zusammen teilnahmen (vgl. auch Apg 5,26; Lk 20,6). 197 Zur Durchführung der jüdischen Todesstrafe vgl. Bill. II 685f.; zur Kulturgeschichte der Steinigung vgl. R. H IRZEL , Die Strafe der Steinigung, Unveränd. reprograf. Nachdr. aus: Abhandlungen der Philologisch-Historischen Klasse der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften 27, 1909 (reprint Darmstadt 1967). Grundsätzliches zur Steinigung auch bei J. P FAFF , Lapidatio, PRE XII 1 (1924), 775f. 198 A. V ÖLKL , KP 5 Sp. 353 nach W OLFF , 2Kor, 234. 199 Zur literarischen Einschätzung vgl. A. W EISER , Apostelgeschichte, 347. 200 Die Steinigung des Paulus wird in 1Clem 5,6 berichtet. <?page no="227"?> 213 6.4.3.4 Todesgefahr auf dem Meer (2Kor 11,25b) An die Steinigung schließen sich Hinweise auf lebensbedrohende Schiffbrüche und Seenot an, mit jeweils einer Lebensgefahr. Das » nauagei/ n « wird sowohl im klassischen als auch im ntl. Griechisch für »Schiffbruch erleiden« verwandt. 201 Die Apostelgeschichte berichtet von Seenöten nichts. Dafür entschädigt Lukas mit seiner genaueren Erzählung des Schiffbruchs auf der letzten Fahrt des Paulus nach Rom (Apg 27,13-44). Jedoch ist diese Reise später als der 2. Korintherbrief zu datieren. Unbestritten ist, dass der Apostel häufig zur See reiste. Lukas geht näher auf die Reise nach Zypern ein (Apg 13,4.13), auch auf die zwischen Kleinasien und Griechenland (Apg 14,25f.; 16,11; 18,18.21; 20,1). 202 Schifffahrt war in der Antike eine gefährliche Angelegenheit. Jeder nahm die Gefahr des Schiffbruchs auf sich, der für seine Reisen den schnelleren Seeweg wählte, zumal es keine Rettungsboote gab. 203 Wer so reiste, befand sich stets in akuter Lebensgefahr (vgl. Epict. II. vi.20). Das Wort buqo,j steht für das »abgründig tiefe Meer« bzw. die »Meerestiefe« und wird im Zusammenhang der Thematik »Schiffbruch« in hellenistischer Literatur regelmäßig gebraucht. Die Aussage nucqh,meron evn tw/ | buqw/ | pepoi,hka könnte entsprechend dem Sprachgebrauch der LXX metaphorisch gemeint sein 204 und allgemein eine extrem ausweglose Situation bezeichnen. Jedoch spricht Paulus in diesem Peristasenkatalog davon, dass er eine bestimmte Zeit sich in äußerster Not befand. Die Aussagenreihe in V.25 stellt wohl eine Steigerung dar. Mit der am Ende genannten Seenot, die Paulus »auf dem tiefen Meer zubrachte«, 205 wird das eintägige ( nucqh,meron »eine Nacht und einen Tag«, »vierundzwanzig Stunden«) 206 201 Vgl. H. P REISKER , Art. nauage, w , ThWNT IV (1942), 895f., 35ff. 202 Vgl. W OLFF , 2Kor, 234; dazu noch P RÜMM , Diakonia Pneumatos I, 642 Anm. 5, der anmerkt: »An Möglichkeiten, die drei Schiffbrüche unterzubringen, fehlt es nicht«. Dazu kommen in Frage etwa »1. die zwei Fahrten nach und von Cypern Apg 13,4f; 14,25ff; 2. Die Fahrt von Troas nach Makedonien 16,11; Windisch rechnet sogar mit der wenig wahrscheinlichen Möglichkeit, daß Paulus den Weg von Makedonien nach Athen übers Meer genommen haben könnte. 3. Mehr Aussicht als diese Möglichkeiten bieten vielleicht die Reise von Apg 18, 18-28 von Korinth über Ephesus nach Cäsarea-Antiochien, geringe Aussicht auch die Zwischenreise von Ephesus nach Korinth« (a.a.O.). 203 Vgl. Sen.ep. 45,2; De Otio 8,4; Epict.diss. II 6,20; 16,22f.; Dion Chr. 7,2.55; Plat.Ax. 368B; Lucian.Herm. 28; vgl. L. C ASSON , Reisen in der Alten Welt, Übers. von O.R. Deubner, München 1976, 173-187; E BNER , Leidenslisten, 137 Anm. 231: »Da es keine Rettungsboote gab, hing bei einem Schiffbruch tatsächlich das Leben oft an einer Planke«. 204 Z.B., Ps 67,23; 68,3.16 (LXX). 205 Vgl. L ANG , Kor, 345. 206 B AUER , Wörterbuch, 1107; BDR § 121; vgl. 1Thess 2,9; 3,10, aber dort ist kein Kompositum verwendet. <?page no="228"?> 214 Treiben auf den Trümmern eines Wracks zwischen Leben und Tod als Höhepunkt der Lebensgefahren beschrieben. 207 6.4.3.5 Gefahren der zahlreichen Landreisen (2Kor 11,26) Neben den Lebensgefährdungen der Reisen zur See wendet sich Paulus auch seinen bedrohlichen Reisen auf dem Lande zu. Diese thematische Zusammenstellung ist typisch für Peristasenkataloge, 208 entweder als thematische Untereinheit eines umfangreicheren Peristasenkataloges 209 oder als eigenständiger Reisegefahrenkatalog. 210 Formal sind die Termini gewöhnlich in Zweier- oder Dreiergruppen angeordnet. V.26 enthält in der Aufzählung eine typische Form der Kombination von individuellen und geographisch bedingten Hindernissen (Ort) sowie Schwierigkeiten im Verhältnis zu Menschen (Personen): 211 kindu,noij kindu,noij kindu,noij kindu,noij kindu,noij kindu,noij kindu,noij kindu,noij potamw/ n lh|stw/ n evk ge,nouj evx evqnw/ n evn po,lei evn evrhmi,a| evn qala,ssh | evn yeudade,lfoij Ort Person Person Person Ort Ort Ort Person Eine Anordnung der Begriffe in Zweiergruppen in der Mitte des Verses bringt zum einen jeweils Person- und Ortsangaben paarweise zusammen. Zum anderen kombinieren die rahmenden Zweiergruppen jeweils eine gefährliche Ortsangabe und eine gefährliche Personengruppe. Entgegengesetzt sind »Flüsse - Räuber«, »Juden - Heiden«, »Stadt - Wüste«, »Meer - falsche Brüder«. Die acht jeweils mit kindu,noij beginnenden Sätze sind alle bezogen auf die zahlreichen Reisen des Paulus als Diener Christi. Außer in den Apo- 207 Vgl. E BNER , Leidenslisten, 137; auch G RÄSSER , 2Kor II, 168. 208 Vgl. z.B. Epict.diss. III 10,11; 13,9; 24,29. 209 Z.B. Epict.diss III 24,28f; Plut., Alex. Fort Virt 1,1 (326E); 1,3 (327C); Vit Inf Suf 3 (498F-499A); Arr., Anab VII 10,2, aufgeführt bei E BNER , Leidenslisten, 138 Anm. 242. 210 Z.B. Epict.diss. IV 1,92; vgl. III 13,13; Plut., Alex. 66,6; Caes. 25,4; Alex. Fort Virt 2,9 (340 E); Exil 11 (603E); Quaest Conv II 1,3 (630F); Heliodor., Aeth II 4,1, aufgezählt bei E BNER , 138 Anm. 243. 211 Diese Idee entnehme ich E BNER , Leidenslisten, 139; vgl. auch Plut.Alex. Fort Virt 1,3 (327C). <?page no="229"?> 215 kryphen findet sich ki,ndunoj sowohl in LXX (nur Ps 114,3) als auch im NT (nur noch Röm 8,35) selten bezeugt. Die Formulierung steht zugleich für Effekt und Dramatik. Die lebensbedrohenden Gefahren der Flüsse werden insbesondere durch Hochwasser im Frühjahr, aber auch beim Herbst- und Winterregen erfahren (vgl. Lk 6,48). 212 vEk ge,nouj bedeutet »von Juden« (V.24) abstammend (vgl. »Geschlecht Israel« in Phil 3,5 und »seinem Volk« in Gal 1,14). Angriffe von Juden gegen Paulus sind in der Apostelgeschichte öfters erwähnt (vgl. Apg 9,23.29; 13,45.50 u.ö). Gefahr von »Heiden« (vgl. 1Kor 15,32; Phil 1,12-14) wird nach Apg 16,20 in Philippi und nach Apg 19,23f. in Ephesus erlebt. 213 In Apg 14,5-6 stehen Heiden und Juden zusammen ( evqnw/ n te kai. VIoudai,wn ), ein Beispiel dafür, dass Paulus Leiden gleichzeitig von Heiden und Juden erfährt. Solche Gefahren drohten in den dicht bewohnten Städten, die vornehmlich Missionsgebiete waren, aber auch in unbewohnten Gegenden, den »Wüsten ( evrhmi,ai )«, die er bei seinen umfangreichen Reisen durchqueren musste. Außer den »Gefahren von falschen Brüdern« konnten solche Bedrohungen und Widrigkeiten jedem Wanderer in damaliger Zeit widerfahren. Gefahren von »falschen Brüdern« (sie kommen auch in Gal 2,4 vor) sind deshalb ungewöhnlich in dieser Reihung lebensgefährlicher Peristasen. Paulus widerfahren sie in den christlichen Gemeinden (V.23; Gal 2,4). »Gefahren von falschen Brüdern« waren die hinterhältigsten Gefahren von allen. Während die anderen Gefahren Leben und Besitz bedrohten, richteten diese zugrunde. 214 Bei »falschen Brüdern« ist vermutlich an »falsche Lehrer« in Korinth und in Galatien zu denken 215 . Die einzig auffallende Entgegensetzung ist »Meer - falsche Brüder«. Die Frage ist offen, was Paulus mit dieser Gegenüberstellung meinte. Windisch vermutet eine falsche Zusammenstellung. 216 Aber dem widerspricht, dass diese Gegenüberstellung eine steigernde Klimax am Ende seines Gedankengangs darstellt. Vermutlich verbindet beide Begriffe der Gedanke der Unreinheit. Im AT wird der Begriff Meer oft im Sinne von unrein verwendet, aber nicht im psychologischen Sinne, denn Paulus erlebt wirkliche Gefahren auf dem Meer. Die Charakeristik, dass das Meer jenes schlimmste Element darstellt mit der größten Gefährdung, 217 trifft auch auf die ‚falschen Brüder‘ zu, die höchste personale Gefahr signalisieren. Die Ansicht von Zmijewski, dass sie gemäß dem Kontext von 2Kor 11,13 als »falsche Apos- 212 Vgl. W OLFF , 2Kor, 235f. 213 Dazu noch Apg 14,2ff. 214 Vgl. P LUMMER , 2Cor, 327. 215 Vgl. P LUMMER , 2Cor, 326. 216 W INDISCH , 2Kor, 358. 217 Vgl. V.25d, wo vor allem in dem am Ende stehenden Ausdruck die Gefahren des Meeres in eindrucksvoller Form ausgemalt werden. Einige Forscher bemerken »das Schlimmste, gefährlicher als das Meer, sind die yeuda,delfoi « (vgl. L IETZMANN / K ÜMMEL , Kor, 151; W ENDLAND , Kor., 242). <?page no="230"?> 216 tel« zu verstehen sind, 218 ist möglich. Aber sie sind nicht auf »falsche Apostel« begrenzt, weil die yeuda,delfoi bei Paulus überall gefunden werden. Dennoch denkt Paulus aber jetzt wohl insbesondere an seine Widersacher in Korinth mehr als an die galatischen Irrlehrer. 219 Mit dem am Ende gesteigerten Höhepunkt yeuda,delfoi wird er in seiner Missionstätigkeit konfrontiert. In all diesen Mühen seiner Missionsarbeit erweist Paulus sich als Diener Christi. 6.4.3.6 Das Peristasenvokabular II (2Kor 11,27) Das synonyme Wortpaar ko,poj| kai. mo,cqoj (27a) liegt als Leitbegriff vor, an ihn schließen die mit den apostolischen Mühen zusammenhängenden Entbehrungen an, wie folgendes Schema zeigt: 220 27b evn avgrupni,aij polla,kij Der Mangel an Schlaf 27c evn limw/ | kai. di,yei - evn nhstei,aij polla,kij Der Mangel an Nahrung 27d evn yu,cei kai. gumno,thti Der Mangel an Kleidung Die Entbehrungen beziehen sich alle auf den apostolischen Dienst. »Mühe und Plage« enthalten eine Anspielung sowohl auf das Geldverdienen, um niemandem zur Last zu fallen (vgl. 11,9; 1Kor 4,12; 9,12.18; 1Thess 2,9; vgl. dazu Sir 38,27), als auch auf die missionarischen »Mühen«. Die Kombination von ko,poj und mo,cqoj| ist sowohl in griechisch-hellenistischer als auch in biblischer Tradition belegt. 221 Diese Wortverbindung findet sich bei Paulus selbst noch in 1Thess 2,9. Die acht Begriffe sind typisches Peristasenvokabular, das in dieser Untersuchung schon oft begegnet ist. 222 Sie ähneln V.23 und kommen auch in 6,5b bzw. 1Kor 4,11 vor. Zum einen begegnen Mühe, Hunger, 223 Durst und Blöße im Peristasenkatalog 1Kor 4,11f. (vgl. die Reihenfolge ko,pw| , limw/ | , di,yei , gumno,thti in 2Kor 11,27 und peinw/ men , diyw/ men , gumniteu,omen , kopiw/ men 218 Vgl. Z MIJEWSKI , Narrenrede, 259. 219 So auch W OLFF , 2Kor, 235. 220 So auch Z MIJEWSKI , Narrenrede, 264; W OLFF , 2Kor, 235. 221 Z.B. SapSal 10,10; TestJud 18,4; vgl. auch TestHiob 24,2; Philo Mos. 1,284; Eur.Ion 103; Plut., Laud s Inv 14 (544C); aufgezählt bei E BNER , Leidenslisten, 142 Anm. 260. 222 Zu philosophischen Belegen für die einzelnen Wörter vgl. E BNER , Leidenslisten, 141- 144. 223 In 1Kor 4,11 begegnet peina,w statt limo,j . Der Ausdruck limo, j kommt auch in der Peristasenreihe Röm 8,35 vor. <?page no="231"?> 217 in 1Kor 4,11f.), 224 zum anderen Mühe, Nachtwachen 225 und Fasten im Peristasenkatalog in 2Kor 6,5. Insbesondere der Begriff avgrupni,a zielt im Zusammenhang des Bedürfnislosigkeitsideals der Antike auf bewusst durchgestandene Strapazen, 226 wie z.B. der Verzicht auf Schlaf. Dadurch wird sowohl die Selbstdisziplinierung des Philosophen als auch sein soziales Engagement, »für andere Menschen Nächte durchwacht und sich abgemüht zu haben«, charakterisiert. Bei Cicero, Seneca und Plutarch steht die Verbindung von labor/ po,noj / ko,poj und vigilia/ avgrupni,a für Einsatzbereitschaft und Strapazierfähigkeit. Sie qualifizieren den Mann in führender Position. 227 Paulus kannte vermutlich die vom philosophischen Ideal beeinflussten Führungsqualitäten im hellenistischen Milieu, aber bei ihm charakterisieren sie seinen Einsatz für seine Gemeinde und die Missionstätigkeit (z.B. Berichte der Apostelgeschichte 20,7-11.31). Die Ansicht Hocks, dass Paulus gezwungen war zu arbeiten, 228 ist zweifelhaft. Denn seine Arbeitsmühen sind aktivisch zu verstehen und die von Paulus in den Peristasen aufgezählten übermäßigen Strapazen haben das Ziel, ihn als Diener Christi zu erweisen. 6.4.3.7 Das Verhältnis zu den Gemeinden im Peristasenkatalog (2Kor 11,28) Die Schilderung der äußeren Notsituationen ergänzt Paulus als »Diener Christi« durch Bedrängnisse, die die Gemeinden betreffen. Die Anfangswendung cwri.j tw/ n parekto,j (»abgesehen von dem, was ich außen vor lasse«) 229 bringt zum Ausdruck, dass Paulus sich einem neuen Aspekt zuwendet. Mit evpi,stasij meint er hier weniger Aufmerksamkeit als vielmehr 224 Vgl. auch Z MIJEWSKI , Narrenrede, 259-264. 225 Vgl. Epict.diss. III 22,95 o[ti u`merhgru,pnhken u`pe.r avnqrw,pwn kai. pepo,nhken , aufgezählt bei E BNER , Leidenslisten, 143. 226 Vgl. Xenoph.Mem. IV 5,9, wo av grupni, a als Gegensatz zu »ausruhen« und »schlafen« im Zusammenhang eines Schlemmerlebens steht. 227 E BNER , Leidenslisten, 143 Anm. 266, gibt folgende Belege: Cic.Arch. 29 (Staatsmann); vgl. Sest. 138; Sen.Polyb 7,2 (Kaiser); Dion Chr. 1,13 (guter König); Plut.Sert. 13,2; Arat. 23,2; dia. to.n ko,pon kai. th.n avgrupni,an ; Sull. 28,7: evx avgrupniw/ n kai. ko,pwn ; Luc. 16,4; vgl. Laud s Inv 14 (544C); Arr.anab. VII 9,9 (Alexander); Epict.diss. IV 10,20 (Senator); Hebr 13,17 (Vorsteher). W. S CHUBART , Das hellenistische Königsideal nach Inschriften und Papyri, APF 12 (1937), 1-26, 18f., weist auf verschiedene Zeugnisse hin, in denen avgrupni,a für den Diensteifer des Reichsbeamten steht, z.B. BGU VIII 1764.1766. 228 Vgl. H OCK , Tentmaking, 555-564. 229 B AUER , Wörterbuch, 1263,1; vgl. auch die neue englische Bibelübersetzug »apart from these external things« (Bible Works NEB); Z MIJEWSKI , Narrenrede, 266 Anm. 263, gibt folgende Interpretationsmöglichkeit: »Sollte (was zu vermuten ist) vor cwri.j tw/ n parekto,j ein Hauptsatz zu ergänzen sein (etwa: Ë So habe ich mich in all diesen Situationen als ‚Diener Christi‘ erwiesen, abgesehen von … É ), dann würde der vorliegende Satz als ganzer die Apodosis zu der zu ergänzenden Hauptsatz- Protasis darstellen«. <?page no="232"?> 218 den täglichen Andrang 230 bzw. Zudrang (vgl. Apg 24,12 und 2Makk 6,3). Nach den äußerlichen Bedrängnissen, den vielerlei Gefährdungen durch Juden und Heiden (V.26) schlägt das Pendel jetzt aus in Richtung des inneren Lebens der Gemeinden, das ihn mehr belastet hat als die Gefahren der Reisen und die Konfrontationen der Gegner. Gerade die korinthische Gemeinde leidet ja unter vielerlei Problemen (z.B. 1Kor 1,11; 5,1; 11,18; vgl. die Anfragen mit peri. de, : 7,1.25; 8,1; 12,1; 16,1.12). Paulus benutzt das Nomen me,rimna nur hier; das Verb hat in 1Kor 12, 25 und Phil 2,20 eine positive Bedeutung. 231 Bei pasw/ n tw/ n evkklhsiw/ n ist an die von Paulus gegründeten Gemeinden zu denken. Die Sorge erstreckt sich auf alle Gemeinden. Die gegründeten Gemeinden sind Adressat für das Erdulden aller Peristasen, wie Paulus schon im Proömium des Briefes angedeutet hatte (1,6). 6.4.3.8 Bin ich nicht schwach? Brenne ich nicht? (2Kor 11,29) Mit zwei rhetorischen Fragen unterstreicht Paulus die in V.28 angedeutete Sorge. Die beiden Sätze stehen sich inhaltlich sehr nahe und enthalten eine Steigerung. 232 Die avsqe,neia ist Schlüsselwort der Narrenrede (11,21a, 12,1; vgl. 11,30; 12,5.9.10). Dabei stellt sich die Frage, wie avsqe,neia verstanden werden soll. Denn hier handelt es sich nicht einfach um die Schwachen von 1Kor 8,7.9.11ff.; Röm 14,1ff.; 15,1, 233 obwohl auch dort wie an unserer Stelle ein Zusammenhang mit den Vokabeln ska,ndalon / skandali,zein vorhanden ist (vgl. Röm 14,13; 1Kor 8,13). Aber die Götzenopferfleisch- Problematik, die im Hintergrund der dortigen Unterscheidung von Starken und Schwachen steht (15,1; vgl. 1Kor 10,22b), wird im 2Kor nicht angesprochen. 234 Vielmehr bezieht avsqe,neia sich hier ganz allgemein auf den christlichen Glauben, etwa in dem Sinne, wie in 2Kor 4,7 vom Schatz in irdenen Gefäßen gesprochen wird. Deshalb sollte zwischen den Schwachen der Götzenopferfleisch-Problematik und der Schwachheit in den Peristasenkatalogen differenziert werden. Wenn Paulus in Peristasenkatalogen also das Wort avsqe,neia gebraucht, dann ist es eindeutig auf seine Leiden bezogen, deren er sich rühmt (11,30; 12,5.9.10b). 230 Zur Übersetzung B AUER , Wörterbuch, 607. 231 Noch weiter Phil 4,6; 1Kor 7,32.33.34; vgl. 1Petr 5,7. 232 Vgl. J. Z MIJEWSKI , Narrenrede, 271f. 233 G RÄSSER , 2Kor II, 171, folgt Z ELLER , Römerbrief, 224, der zu dieser Stelle behauptet, dass Paulus »in dieser Schwachheit kein Manko des christlichen Glaubens« erblickt; anders B ULTMANN , 2Kor, 218; M ARTIN , 2Cor, 382; W OLFF , 2Kor, 236. vgl. P RÜMM , Diakonia Pneumatos I, 644. Z MIJEWSKI , Narrenrede, 273, sieht zwar grundsätzlich die Möglichkeit der Verbindung mit Götzenopferfleisch, aber damit wird die Interpretation der Glaubensschwäche nicht ausgeschlossen. 234 So Z ELLER , Römerbief, 224; auch G RÄSSER , 2Kor II, 171. <?page no="233"?> 219 Die Auffassung, wonach die aufeinanderfolgenden Fragen ti,j avsqenei/ und ti,j skandali,zetai synonym zu verstehen seien, 235 ist fraglich. Das Nomen »Anstoß ( ska,ndalon )« ist vielmehr bedeutungsgleich mit pro,skomma , das auch in Röm 14,13 begegnet. Pro,skomma h' ska,ndalon stehen dort nebeneinander. Das gegenüber avsqenei/ n stärkere Passivum skandali,zesqai zeigt, dass Paulus weiter von seiner Sorge um die Gemeinde redet. Durch das purou/ sqai wird ausgedrückt, dass er auf die Gefahr des skandali,zesqai noch schmerzlicher reagiert. Er paraphrasiert damit das Mitfühlen mit den Schwachen im Sinne von brennender Liebe. Die unterschiedlichen Ausdrücke avsqenei/ n , skandali,zesqai und purou/ sqai zielen alle darauf ab, Paulus als Seelsorger und Apostel zu erweisen. Mit den zwei rhetorischen Fragen »bin ich nicht schwach? « und »brenne ich nicht? « konkretisiert er seine andauernde Sorge, die als emphatisches Mitleiden mit den Angefochtenen zu verstehen ist. Ja, Paulus sagt den Gemeindemitgliedern mitfühlend, dass »ihr in unserem Herzen seid, mitzusterben und mitzuleben« (2Kor 7,3). Denn er hatte der Gemeinde in Korinth schon klar gemacht, dass sie »Leib Christi« ist und jeder Einzelne ein Glied daran (1Kor 12,27). In diesem Sinne durchleidet er alle Nöte seiner Gemeinden. Die avsqe,neia ist also bei Paulus zum einen Zeichen der eingeschränkten irdischen Existenz des Menschen, in der Gott seine Kraft offenbart (vgl. 2Kor 4,7). Sie charakterisiert zum anderen die christologische Bedeutung seines apostolischen Lebens, so dass seine avsqe,neia »in Christus« ist, ein Dasein, das in Schwachheit gekreuzigt worden ist (2Kor 13,4). Damit betont der Apostel am Ende des Peristasenkatalogs erneut seine Liebe und stellt sich in die diakoni,a Cristou/ . 6.4.4 Schlusssentenz: Selbstruhm in Schwachheit (2Kor 11,30) Im Rahmen der Narrenrede 11,1-12,13 liegen zwei Peristasenkataloge vor, wie folgendes Schema zeigt: Der Ruhm der Schwachheit I: Peristasenkatalog I (11,21b-30) Episode I: Flucht aus Damaskus (11,31-33) Episode II: Wundergeschichte und Krankheit (12,1- 8) Der Ruhm der Schwachheit II: Peristasenkatalog II (12,9-10) Obwohl der durch Fragesätze umrahmte Peristasenkatalog (VV.22-23a/ 29) eigentlich abgeschlossen ist, wird dieser in V.30 zum Hauptthema, 236 indem Paulus abschließend diesen in einem Satz zusammenfasst. Deshalb ist 235 So B ARRE , Eschatologic Person, 509-513; anders Z MIJEWSKI , Narrenrede, 273; F URNISH , 2Kor, 520. 236 So Z MIJEWSKI , Narrenrede, 270. <?page no="234"?> 220 dieser Satz als »Quintessenz« 237 unseres Peristasenkatalogs zu verstehen. Das Verbum kauca/ sqai hat die Grundbedeutung » sich rühmen « und wird ergänzt durch die Angabe des Gegenstandes, dessen sich jemand rühmt. Der allgemeine griechische Sprachgebrauch ist in der hellenistischen Literatur dokumentiert. 238 In der alttestamentlich-jüdischen Literatur findet sich das Wort kauca/ sqai vor allem in der LXX, 239 im Neuen Testament grundsätzlich bei Paulus. 240 Mit 17 von 34 Belegstellen in den echten paulinischen Briefen erreicht kauca/ sqai in 2Kor 10-12 einen absoluten Höhepunkt. Dass der Begriff »sich rühmen« den Textabschnitt von 10,7-12,13 beherrscht, ist darin begründet, dass die in Kap. 11 begonnene Narrenrede mit dem Begriff avfrosu,nh abschließt. Im Peristasenkatalog sind su,gkrisij und kau,chsij aufeinander bezogen. Paulus gebraucht das Verbum kauca/ sqai für den Vergleich mit den Gegnern in dem Abschnitt, der formgeschichtlich als Synkrisis zu bestimmen ist. Durch die Wendung »ich auch« (bzw. »wir auch«) bekräftigt Paulus die Zugehörigkeit zu Christus, die schon zu Beginn in 10,7 angesprochen wurde. 241 Darüber hinaus wird in 11,12 sowie in der sechsmaligen Wendung kavgw, in 11,16.18 (21b.22a.b.c.) die Verbindung mit dem kauca/ sqai hergestellt. Die Komparativform der Überlegenheit wird in 11,5 und 12,11 mit dem Hinweis auf die Überapostel ( u`perli,an avpo,stoloj ), die hier als Gegner des Paulus zu vermuten sind, eingeleitet. Durch die Wendung u`pe.r evgw, und den zweimaligen Komparativ perissote,rwj in 11,23 wird die Synkrisis weitergeführt. Die Rede vom »Übermaß der Offenbarung ( u`perbolh. tw/ n avpokalu,yewn )« in 12,7a nimmt das als adverbial gebrauchte Partizipkomparativ u`perballo,ntwj in V.23 auf und unterstreicht seine Überlegenheit im Vergleich mit den Gegnern. Dieses Offenbarungserlebnis gehört in den Zusammenhang der Synkrisis und Ruhmesrede. Damit erweist sich Paulus im Peristasenkatalog als Diener Christi gegenüber seinen Gegnern. Im Zusammenhang von 2Kor 10-12 ist also der Peristasenkatalog durch die Synkrisis und die Ruhmesrede bestimmt. 237 W OLFF , 2Kor, 236. 238 Dazu H ECKEL , Kraft in Schwachheit, 145-159. 239 Nach E. H ATCH and H.A. R EDPATH , A Concordance to the Septuagint and the Other Greek Versions of the Old Testament (Including the Apocryphal Books), 2 Bde., Oxford 1897 (= Graz 1975) erwähnt die Septuaginta kauca/ sqai 32-mal, die Komposita katakauca/ sqai dreimal sowie evgkauca/ sqai viermal, die dazugehörigen Substantive kau,chma 24-mal und kau,chsij zehnmal. 240 Von insgesamt 37 neutestamentlichen Belegstellen begegnet das Verbum kauca/ sqai 34-mal in den echten paulinischen Briefen, in den deuteropaulinischen Briefen nur in Eph 2,9, sonst noch zweimal in Jak 1,9; 4,16 und ferner in 1Clem 13,1 (dreimal); IgnPhld 6,3; IgnPol 5,2. Die Komposita katakauca/ sqai in Röm 11,18 (zweimal) und Jak 2,13; 3,14 sowie evgkauca/ sqai nur -deuteropaulinisch - in 2Thess 1,4; die zugehörigen Substantive stehen im Neuen Testament elfmal, davon außerhalb der echten paulinischen Briefen nur je einmal kau,chma in Hebr 3,6 und kau,chsij in Jak 4,16. 241 Vgl. dazu Kap. 3. <?page no="235"?> 221 Das kauca/ sqai ist Schlüsselbegriff der Argumentation in 2Kor 11,30 (bzw. 12,9b). Wenn Paulus sich in 11,21b-12,10 seiner Schwachheit rühmt, so verspottet er nicht nur den Selbstruhm seiner Gegner kata. sa,rka (11,18). Er nimmt auch eine positive theologische Aussage vor, unterstrichen durch das Herrenwort und die Formulierung kata. ku,rion , die beide deutlich machen, dass es um den Ruhm der Kraft Christi geht. Den Willen des Herrn erwähnt Paulus im Blick auf die Schwachheit des Apostels jedoch nicht nur hier. Dieser wird vor allem mit dem Herrenwort auf dem Höhepunkt der Narrenrede in 12,9a angesprochen. Insofern stellt die Wendung kata. ku,rion in 11,17 einen Rückgriff auf das Jeremiazitat in 10,17 und einen Vorgriff auf das Herrenwort in 12,9a dar. Durch das Jeremiazitat in 10,17 und das Herrenwort in 12,9a wird die Christuszugehörigkeit des schwachen Apostels bekräftigt. Der Peristasenkatalog dient dazu, Schwachheit als Zeichen des wahren Apostels zu erweisen. Damit wird der Gegensatz zwischen Kraft und Schwachheit theologisch überwunden und beide Begriffe sind einander positiv zuzuordnen. 242 Hinsichtlich des Kraftbegriffs ist daher die Schlüsselfrage, welche Rolle die menschliche Schwachheit innerhalb dieser urchristlichen Vorstellung spielt. 243 Dabei wird der Unterschied zwischen der paulinischen Kreuzestheologie und einer »Theologie der Herrlichkeit«, die auf dem Selbstruhm seiner Gegner beruht, deutlich. Am Kreuz Christi hat Paulus Anteil, indem er am Leiden Christi teilnimmt. Mit dieser Kreuzestheologie erweist er sich als Diener Christi. Paulus rühmt sich also der Christuszugehörigkeit (2Kor 10,17) und bekräftigt damit seinen Dienst. 6.5 Fazit Der Peristasenkatalog 11,21b-30 ist der am stärksten biographisch orientierte innerhalb der paulinischen Aufzählungen seiner missionarischen Leiden und liegt als Narrenrede vor: evn avfrosu,nh| le,gw (V.21b); parafronw/ n lalw/ ( u`pe.r evgw, (V.23a). Daraus ist zu ersehen, dass Paulus zu dieser Haltung von seinen Gegnern in Korinth gezwungen wurde, um die Autorität seines Apostolats zu erweisen (11,18.21b-23; 12,1a). Die »Ruhmesrede«, die sich der Torheit rühmt, beginnt mit einem Vergleich zwischen Paulus und den korinthischen Gegnern (VV.21b-23) und wird mit einer langen Aufzählung der Peristasen seiner Aposteltätigkeit (VV.23b-29) fortgesetzt. Von den drei Ehrentiteln zielt »Hebräer« auf die jüdische Abstammung, »Israelit« und »Same Abrahams« auf die religiöse Vorrangstellung der Juden. Noch wichtiger ist, dass jedenfalls mit den drei Ehrenprädikaten die Gegner des Paulus in diesem Abschnitt diejenigen sind, die sich auf ihre 242 Vgl. H ECKEL , Kraft in Schwachheit, 219. 243 Vgl. H ECKEL , Kraft in Schwachheit, 219. <?page no="236"?> 222 jüdische Herkunft beziehen. Diese jüdischen Gegner mit ihrer jüdischen Herkunft stellen sich als Diener Christi Paulus entgegen und polemisieren gegen seinen Dienst als von Christus beauftragter und für ihn wirkender Missionar. Paulus disqualifiziert seine Gegner als falsche Apostel (11,13- 15), die sich als Apostel Christi verstellen (vgl. 11,13 » avpo,stoloi Cristou/ «; 11,15 » dia,konoi dikaiosu,nhj «). Die Frage, warum er hier den Begriff »Diener Christi« verwendet und nicht »Apostel Christi« (1,13) bzw. »Apostel Christi Jesu« (1,1) - letztere sind die eigentlichen paulinischen Termini -, lässt sich wie folgt beantworten: Der Grund besteht darin, dass mit dem Stamm diakon - (im Sinne von Bote bzw. Gesandter) der Verkündigungscharakter seines Dienstes zum Ausdruck gebracht wird. Die Selbstbezeichnung Diener Christi ist deshalb im Sinne der missionarischen Funktion zu deuten. Zudem wird sie öfter in Peristasenkatalogen gebraucht (z.B Diener Christi oder Diener Gottes in 6,4 Peristasenkatalog). Mit den Peristasenkatalogen bringt Paulus das Spezifikum seines Apostolates als Diener Christi zum Ausdruck. Darüber hinaus hat er das Interesse, seine Missionstätigkeit als Verkündigung des gekreuzigten und auferstandenen Christus zu erweisen. Dies unterstreicht, dass für Paulus das Kriterium wahrer Legitimität des Apostels darin besteht, Christus mehr gedient und für ihn gelitten zu haben. Aufgund der römischen Rutengeißelung und der jüdischen synagogalen Geißelungsstrafe vierzig weniger einen bzw. der Steinigung hat Paulus mehr gelitten als seine Gegner. Im offenen Streit um das römische Bürgerrecht des Paulus spricht vieles dafür, diese Angabe als historisch zutreffend zu sehen. Denn Schweigen bzw. Nichtgebrauch seiner Bürgerrechtsprivilegien können erklärt werden aus seiner Missionsstrategie und seiner Theologie, die seinen Peristasenkatalogen zugrunde liegt. Zudem konkretisiert Paulus seine ständige Sorge und sein emphatisches Mitleiden mit den Angefochtenen (11,29; vgl. auch 2Kor 7,3; 1Kor 12,27), vor allem seinen Gemeinden. In diesem Sinne durchleidet der Apostel alle Nöte seiner Gemeinden. Die vielen komparativischen bzw. superlativischen Adverbien ( u`pe,r , zweimaliges perissote,rwj , u`perballo,ntwj , viermaliges polla,kij ) erweisen die Überlegenheit des Paulus als Diener Christi (vgl. im Peristasenkatalog 6,3ff.: Selbstempfehlung) gegenüber seinen Gegnern. Die Formulierung Übermaß der Offenbarung ( u`perbolh. tw/ n avpokalu,yewn ) in 12,7a, vom Partizipkomparativ u`perballo,ntwj in V.23 unterstreicht diese Überlegenheit. Der durch die vielen Komparativformen gebildete Vergleich mit den Gegnern ist mit dem Wortfeld kauca/ sqai verknüpft, dem die Narrenrede beherrschenden Stichwort. Darin zeigt sich, dass der Peristasenkatalog auf der Synkrisis ( su,gkrisij ) und der Ruhmesrede aufbaut. Ausgangspunkt der polemischen Spitze der Antithesen von 2Kor 11,17f. ist für Paulus die falsche Christologie seiner Gegner. Der äußerlichen Herrlichkeit der Gegner steht die Chris- <?page no="237"?> 223 tuszugehörigkeit des Paulus gegenüber. Diese Christuszugehörigkeit wird schon in der Ausgangsthese in 10,7 angesprochen, wo das ich auch (bzw. wir auch) zum ersten Mal auftritt. Mit dem von Jer 9,22 abgeleiteten Verbot des Sich-Rühmens erhebt Paulus seine Vorwürfe gegenüber seinen Gegnern und entfaltet die Kernaussage der Narrenrede »ich will mich meiner Schwachheiten rühmen« in 2Kor 11,30 (vgl. 12,5.9). Beim »Sich- Rühmen der Schwachheit« zitiert Paulus Jer 9,22f., eine Stelle, die auch schon in 1Kor 1,26-31 (vgl. 1Kor 3,21; auch 2Kor 10,17) einen vergleichbaren Gedankengang bildete. Dabei war in der Analyse zu beobachten, dass das Objekt des Rühmens von Paulus verändert wird, d.h. aus dem Sich-Rühmen des Herrn wird ein Sich-Rühmen der Schwachheiten. Durch diesen Wechsel zielt Paulus auf die Schwachheiten des gekreuzigten Herrn. Dieses Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren gehen und eine Kraft Gottes denen, die errettet werden (1Kor 1,18ff.). Paulus meint mit der Schwachheit des Herrn also den gekreuzigten Christus. Dieser Gedankengang beruht auf seinen Aussagen »wir verkündigen den gekreuzigten Christus« (1Kor 1,23) und niemand »zu wissen, als nur Jesus Christus, und diesen als Gekreuzigten« (1Kor 2,2). Aus diesem Grund haben in den Peristasenkatalogen die Aussagen Sich-des-Herrn- Rühmen und Sich-der-Schwachheiten-Rühmen für Paulus gleiche Bedeutung. Dass die Rede des Paulus »denn er wurde gekreuzigt aus Schwachheit« (2Kor 13,4a a ) den Verloren-Gehenden eine Torheit ist, entspricht diesem Grundgedanken »denn auch wir sind schwach in ihm« (2Kor 13,4b a ). Paulus identifiziert damit die Schwachheit des gekreuzigten Herrn mit seiner Schwachheit im Leiden. Mit dieser christologischen Deutung seiner Leiden durchbricht Paulus inhaltlich die von der Tradition der res gestae geprägte Gattung der Ruhmesrede. Weil in dieser Erfahrung des Christus (2Kor 13,4a b ) bzw. des Apostels und der Gemeinde »Leben aus Gottes Kraft« möglich wird, rühmt er sich der Schwachheiten. Deshalb steht die avsqe,neia bei Paulus einmal für die eingeschränkte irdische menschliche Existenz, in der die Kraft von Gott offenbart wird (vgl. 4,7). Für ihn ist avsqe,neia zum anderen als christologische Deutung des apostolischen Lebens zu verstehen. In diesem Sinn ist seine avsqe,neia in Christus, ein Sein, das in Schwachheit gekreuzigt worden ist (2Kor 13,4). Mit dem Sich-Rühmen seiner Schwachheit aufgrund des Herrn umschreibt Paulus also seine Christuszugehörigkeit. Auf den Selbstruhm in der Schwachheit in V.30 ist im nächsten Kapitel noch weiter einzugehen, da Paulus in einem kleinen Peristasenkatalog (2Kor 9b-10) diese Aussage zuspitzt und vertieft. <?page no="239"?> 225 7 Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark: Der Peristasenkatalog 2Kor 12,9b-10 7.1 Der Kontext von 2Kor 12,1-10 Der zweite Peristasenkatalog 2Kor 12,9b-10 innerhalb der »Narrenrede« (2Kor 11,1-12,13) ist wesentlich kürzer und allgemeiner gehalten als der in Kap. 6 besprochene von 11,21b-30: 12,9b h[dista ou=n ma/ llon kauch,somai evn tai/ j avsqenei,aij mou( i[na evpiskhnw,sh evpV evme. h` du,namij tou/ Cristou/ Å 12,10a dio. euvdokw/ evn avsqenei,aij( evn u[bresin( evn avna,gkaij( evn diwgmoi/ j kai. stenocwri,aij( u`pe.r Cristou/ \ 12,10b o[tan ga.r avsqenw/ ( to,te dunato,j eivmiÅ Er steht innerhalb der Perikope 2Kor 12,1-10, die mit dem Herrenwort in V.9a das wichtigste Argument gegen den Schwachheitsvorwurf (10,10) liefert. Die beiden allgemeinen Teile 11,21b-30 (33) und 12,1-10 sind parallel aufgebaut. Mit dem Hinweis auf seine jüdische Herkunft und auf seine Wundergeschichte demonstriert Paulus seine Überlegenheit als Diener Christi gegenüber den Superaposteln. Er betont damit seinen Selbstruhm, um aber sofort auf seine Schwachheit zurückzukommen. Zwischen zwei Peristasenkatalogen berichtet Paulus zwei Episoden: Zum einen die Damaskusepisode (11,31-33) 1 und zum anderen zwei Offenbarungserlebnisse (Entrückungsgeschichte und Krankheitsgebet mit Herrenwort) 2 (12,1-10). 3 1 Literatur zur Damaskusepisode: D.A. C AMPBELL , An Anchor for Pauline Chronology: Paul’s Flight from “The Ethnarch of King Aretas” (2 Corinthians 11: 32-33), JBL 121/ 2 (2002), 279-302; L.L. W ELBORN , Primum tirocinium Pauli (2 Cor 11,32-33), BZ 43 (1999), 49-71; E.A. K NAUF , Zum Ethnarchen des Aretas 2 Kor 11,32, ZNW 74 (1983), 145-147; A. S TEINMANN , Aretas IV. König der Nabatäer. Eine historisch-exegetische Studie zu 2 Kor 11, 32f, BZ 7 (1909), 174-184.312-341. 2 Zur Literatur: O. W ISCHMEYER , 2Korinther 12,7-8: Ein Gebet des Paulus, in: R. E GGER - W ENZEL und J. C ORLEY (ed.), Prayer from Tobit to Qumran, Inaugural Conference of the ISDCL at Salzburg, Austria, 5 - 9 July 2003, DCLY (2004), 467-479; M.D. G OULDER , Visions and Revelations of the Lord (2Corinthians 12: 1-10), in: T.J. B URKE / J.K. E LLIOT (ed.), Paul and the Corinthians, Studies on a Community in Con- <?page no="240"?> 226 Einleitung der Narrenrede (11,1) Der Ruhm der Schwachheit I: Peristasenkatalog I (11,21b-30) Episode I: Flucht aus Damaskus (11,31- 33) Episode II: Entrückungsgeschichte und Krankheit (12,1- 9a) Der Ruhm der Schwachheit II: Peristasenkatalog II (12,9b-10) Wunderzeichen (12,11-12) Schluss der Narrenrede (12,13) Die Damaskusepisode (11,31-33) bzw. die Erzählung der Krankheit (12,7f.) passen gut in den Zusammenhang der beiden Peristasenkataloge 11,21b-30 und 12,10a, denn auch sonst ist es in solchen Leidenslisten üblich, konkrete Ereignisse im Detail und Schilderungen kurzer Szenen beispielhaft neben den allgemein gehaltenen Erfahrungen zu beschreiben. Beide Episoden dienen als Beweise für das Sich-der-Schwachheit-Rühmen des Paulus gegenüber seinen Gegnern. Zum einen braucht Paulus die Damaskusepisode als Beispiel für das Schwachsein des Apostels, zum anderen dient die Entrückungsgeschichte als Erweis der Wirkung der Kraft des Herrn. Damit bereitet Paulus die paradoxe These Kraft in Schwachheit in 12,10 vor. Durch drei Verse in den beiden Peristasenkatalogen (11,21b-30 und 12,9b-10) erkennen wir deutlich: das zentrale Thema ist das Sich-der- Schwachheit(en)-Rühmen 4 . flict. FS M. Thrall, Leiden/ Boston 2003, 303-312; O. W ISCHMEYER , 2Korinther 12,1-10. Ein autobiographisch theologischer Text des Paulus, in: D IES ../ E.-M. B ECKER (Hg.), Was ist ein Text? , Tübingen 2001, 29-41; J.A. L OUBSER , Paul and the Politics of Apocalyptic Mysticism: An Exploration of 2 Cor 11: 30-12: 10, JNTSSA, Neotest. 34/ 1 (2000), 191-206; V. J EGHER -B UCHER , Der Pfahl im Fleisch, ThZ 52 (1996), 32-41; W. B AIRD , Visions, Revelation and Ministry: Reflections on 2 Cor 12: 1-5 and Gal 1: 11-17, JBL 104 (1985), 651-662; R.M. P RICE , Punished in Paradise (An Exegetical Theory on II Corinthians 12: 1-10), JSNT 7 (1980), 33-40; A.T. L INCOLN , ‘Paul the Visionary’: The Setting and Significance of the Rapture to Paradise in II Corinthians XII. 1-10, NTS 25 (1979); J. Z MIJEWSKI , Kontextbezug und Deutung von 2Kor 12,7a. Stilistische und strukturale Erwägungen zur Lösung eines alten Problems, BZ 21 (1977), 265-272; H.D. B ETZ , Eine Christus-Aretalogie bei Paulus (2Kor 12,7-10), ZThK 66 (1969), 287-305; T.Y. M ULLINS , Paul’s Thorn in the Flesh, JBL 76 (1957), 299-303. 3 Diese Aspekte verteilt E BNER , Leidenslisten, 96, auf drei Erzählungen: die Damaskusepisode (11, 32f.), die Himmelsreise (12,2-4) und die Erzählung vom »Stachel im Fleisch« (12,7-9). 4 Die Formulierung wird im Plural gebraucht, wo Paulus sich auf konkrete Bedrängnisse und Nöte bezieht; im Singular gebrauche ich die Formulierung, wo Paulus die innerliche Schwachheit und Vergänglichkeit beschreibt. Wo beide Bedeutungen angesprochen werden, wird auch der Singular benutzt. <?page no="241"?> 227 11,30 ta. th/ j avsqenei,aj mou kauch,somai 12,5b ouv kauch,somai eiv mh. evn tai/ j avsqenei,aij 12,9b kauch,somai evn tai/ j avsqenei,aij mou Anzumerken ist, dass die Beteuerung in 11,30 eine kurze Zusammenfassung von allem ist, was Paulus schon in 11,21b-30 5 geschrieben hat. 6 Dieses Thema des Sich-der-Schwachheit-Rühmens wird noch einmal in 12,9b aufgenommen. Das kauch,somai wird nach außen gerichtet, während mit euv dokw/ 7 die innere Haltung gemeint ist. 8 Mit beiden Begriffen wird das Schlüsselwort der gesamten Narrenrede, der Selbstruhm, wieder aufgegriffen. Beide haben einen christologischen Bezug, denn Paulus nimmt diese Haltung u`pe.r Cristou/ ein (12,10a). Der Zweck ist zu zeigen, dass die Kraft Christi bei Paulus wohnt (12,9b). 12,1-10 ist in fünf Teile gegliedert: 12,1 Themenangabe 12,2-4 Erstes Offenbarungserlebnis 12,5-7a Überleitung 12,7b-9a Zweites Offenbarungserlebnis 12,9b-10 Peristasenkatalog Das Zwischenstück hat nicht nur die Aufgabe, die Verbindung zwischen den beiden Offenbarungserlebnissen (in VV.1-4 und VV.7-9) herzustellen. 9 Mit der nochmaligen Erinnerung an das seit V.1 anstehende Thema ist es darüber hinaus der Schlüssel zum richtigen Verstehen der ganzen Perikope 12,1-10. 10 5 Vgl. B ULTMANN , 2Kor, 219. Aber bei ihm wird dieser Teil anders gegliedert (11,23- 29). 6 Vgl. A EJMELAEUS , Schwachheit als Waffe, 210. 7 G. S CHRENK , Art. euvdoke,w , euvdoki,a , ThWNT II (1935), 736-748, 737, übersetzt euvdokei/ n als das »affektvolle, mit Wohlgefallen verbundene Wollen«. 8 Z MIJEWSKI , Narrenrede, 389.393, betont die starke Differenzierung von beiden; vgl. auch E BNER , Leidenslisten, 175. 9 Vgl. Z MIJEWSKI , Narrenrede, 363. 10 Vgl. A EJMELAEUS , Schwachheit als Waffe, 240; G RÄSSER , 2Kor II, 179f. <?page no="242"?> 228 7.1.1 Zur Traditionsgeschichte Traditionsgeschichtlich wird die Beziehung zwischen Paulus und der Stoa bzw. Apokalyptik unter unterschiedlichen methodischen Fragestellungen und daher auch auf inhaltlich verschiedenen Ebenen diskutiert. 11 In 12,1-4 handelt es sich jedenfalls um Erscheinungen, Geschichten, Visionen und Offenbarungen, die der apokalyptischen Tradition entsprechen (vgl. Mal 3,2; Sir 43,16; Dan 9,23; 10,1; Lk 1,22; Apg 16,9bf.; 26,19). 12 Darüber hinaus wurde zum einen der Begriff des Genügens aus dem Herrenwort (2Kor 12,7b-9a) mit dem stoischen Autarkie-Ideal in Verbindung gebracht (vgl. z.B. Epict.diss. I 1,4-7 u.ö.; Sen.ep. 41,4f.; 71,27; 78,16.20). Zum anderen wurde die Aufzählung der Schwachheiten in 11,21b-12,10 vor allem von formgeschichtlichen Arbeiten in die Nähe der stoischen Paradoxien und Peristasenkataloge gerückt. 13 Obschon die äußere Situation unverändert bleibt, lassen das Bittgebet des kranken Paulus und das Herrenwort größere Nähe zu den alttestamentlichen Klagepsalmen vermuten, aus deren Frömmigkeit er lebte. In ihnen klingt auch das christliche Verständnis an, seine Leiden zu überwinden (vgl. Ps 6,3-5; 31,10f.; 109,21-26). Wer das Herrenwort hingegen als Appell an die Genügsamkeit missversteht, lässt jedes Klagegebet als Verstoß gegen ein göttliches Gebot erscheinen und verlangt über das Aushalten des Leidens hinaus noch die Annäherung an das Autarkie-Ideal. 14 Festzuhalten ist, dass die alttestamentlichen Psalmen eine wesentlich größere Nähe zu den paulinischen Aussagen erkennen lassen als die stoischen Äußerungen: So gehören einerseits körperliches und seelisches Leiden in der Klage und im Bekenntnis der eigenen Schwachheit aufs Engste zusammen. Andererseits beschreiben sie eine tatsächliche Befreiung aus der Not. 15 Gattungsmäßig handelt es sich um einen doppelten persönlichen Offenbarungsbericht, der apologetisch eingesetzt wird. 16 11 Vgl. B ETZ , Christus-Aretalogie; H ECKEL , Kraft in Schwachheit, 277. 12 Vgl. G RÄSSER , 2Kor II, 181. 13 Vgl. H ECKEL , Kraft in Schwachheit, 277. 14 Vgl. H ECKEL , Kraft in Schwachheit, 284. Der Stoiker dagegen kennt den Begriff ca,rij nicht. R. L IECHTENHAN , Die Überwindung des Leides bei Paulus und in der zeitgenössischen Stoa, ZThK 30 (1922), 368-399, bes. 394f., vergleicht mit Seneca: »(…) So rühmt er sich seiner Überlegenheit. Der Christ rühmt sich, weil er sich von Gott begnadigt, aus der Welt des Todes in die des Lebens versetzt weiß. (…) Er weiß sich geborgen, nicht weil er von Natur göttlich, sondern weil er aus der Fremde heimgeholt ist. Darum sucht der Stoiker die Kraft zum Widerstand bei sich selbst, sein Sieg über das Fatum ist sein persönlicher Triumph; Paulus aber erkennt alles als Geschenk. (…) Die stoische Überwindung des Leides ist genau besehen nur moralisch, die paulinische ist religiös«. 15 Vgl. H ECKEL , Kraft in Schwachheit, 284. 16 Vgl. W ISCHMEYER , Paulus, 34. <?page no="243"?> 229 7.2 Die erste Offenbarungserfahrung: Entrückungsgeschichte (2Kor 12,2-4) 12,1b evleu,somai de. eivj ovptasi,aj kai. avpokalu,yeij kuri,ou 12,7a kai. th/ | u`perbolh tw/ n avpokalu,yewn 12,7b dio. i[na mh. u`perai,rwmai 12,7d i[na mh. u`perai,rwmai 12,5b u`pe.r de. evmautou/ ouv kauch,somai eiv mh. evn tai/ j avsqenei,aij 12,9b h[dista ou=n ma/ llon kauch,somai evn tai/ j avsqenei,aij mou Paulus berichtet der korinthischen Gemeinde von zwei ganz unterschiedlichen Offenbarungserfahrungen. Warum tut er das? Die beiden antithetischen Konstellationen des apostolischen Rühmens ( kauca/ sqai ) entfalten einerseits die Überfülle der Offenbarungen, die die apokalyptische Entrückung kennzeichnen, andererseits dagegen die apostolischen Schwachheiten, den Dorn im Fleisch und die Wortfelder des Peristasenkataloges (V.10). Abschließend bestimmt der Apostel seine Schwachheiten als seine Dynamis (V.10b). Darin besteht der Grund, dass er sich seiner Schwachheit rühmen kann (V.9b). Der Ausdruck Offenbarungen 17 in V.1 und in V.7a dient als Inclusio der Wundergeschichte, 18 die in VV.2-4 berichtet wird. Die dem Satzanfang vorangestellte Aussage kauca/ sqai dei/ (gerühmt muss werden) unterstreicht, dass Paulus unter Zwang handelt (vgl. auch 12,11: u`mei/ j me hvnagka,sate »ihr habt mich dazu gezwungen«). Denn Rühmen ist eigentlich ein Thema ( u`po,stasij ), das nicht dem Herrn entspricht. Ja, es ist eine Torheit (11,17). Damit wiederholt Paulus in 12,1 wörtlich eine Wendung aus 11,30 und kehrt zu dem grundsätzlichen Thema Sich-der-Schwachheit-Rühmen zurück. Daran knüpft er betont wieder in 12,5.9 an. Als einer, der nach 11,30 sich seiner Schwachheiten rühmen will, rühmt er sich seiner Offenbarungen unter dem Zwang seiner Gegner. Gefragt soll deshalb werden, warum Paulus zwischen den beiden Peristasenkatalogen 11,21b-30 und 12,9b-10 plötzlich Erscheinungen ( ovptasi,ai ) und Offenbarungen ( avpokalu,yeij ) des Herrn er- 17 Der Begriff »Offenbarungen« wird hier im Plural verwendet. Damit zeigt sich, dass die in VV.2-4 erzählte Entrückungsgeschichte nicht die einzige gewesen ist, sondern nur eine von mehreren oder vielen Offenbarungen. Darauf haben schon Chrysostomus, 2 KorHom 26,1, PG 61, 575 und Theodoret, 2Kor, PG 82, 449A hingewiesen. 18 Die Wundergeschichte und die Krankheitserzählung gehören nicht ins Zentrum unseres Themas über den Peristasenkatalog, deshalb wird auch nicht in konkreter Exegese auf beide eingegangen. <?page no="244"?> 230 wähnt. Paulus geht mit den Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn auf keine neue Gattungsbezeichnung ein, 19 er wechselt vielmehr das Thema, um »zu einem neuen Gegenstand (zu) gelangen« (vgl. evleu,somai de. eivj ). 20 Dabei geht es nicht um die Ankündigung eines neuen Themas, 21 sondern Paulus gibt Beispiele für das Thema Sich-der-Schwachheit-Rühmen, die in den beiden Peristasenkatalogen 11,21b-30 und 12,9b-10 berichtet werden. Die Entrückungsgeschichte erweist die im Apostel wirksame Kraft Gottes, die Krankheit in VV.7b-9a dient dazu, die Schwachheit des Apostels zu charakterisieren. Beide Offenbarungen werden durch das Herrenwort »meine Kraft kommt in Schwachheit zur Vollendung« erklärt. Beide Offenbarungserlebnisse explizieren das zentrale Thema beider Peristasenkataloge: Sich-der-Schwachheit-Rühmen (V.5b und V.9b). Dem Wunder der Entrückung des Apostels korrespondiert das Bleiben in der Krankheit - der Dorn im Fleisch -, damit er sich nicht überhebe (vgl. i[na mh. u`perai,rwmai zweimal in 12,7b). Das Sich-Rühmen der Offenbarungen nützt zwar nicht ( ouv sumfe,ron me,n ), aber er wird darin als Diener Christi gegenüber den Überaposteln (vgl. 12,11) erwiesen, denen er sich noch dazu überlegen weiß. Dies wird auch dadurch unterstrichen, dass auf die in großer Geduld vollbrachten Apostelzeichen (12,12: »Zeichen und Wundern und Machttaten«) hingewiesen wird. Paulus führt diese Offenbarungserfahrungen als Beweis seiner Christusbeziehung und als Beispiel für seine Überlegenheit als Diener Christi ein, was er in V.7a mit der Rede vom Übermaß der Offenbarungen (V.7) auf den Begriff bringt. Der Dativ th/ | u`perbolh/ | in V.7 ist kausal gebraucht und bezeichnet mit dem Übermaß der Offenbarungen den Grund, auf den Paulus seine Autorität als Apostel gerade nicht gestützt sehen möchte. Schon die bloße Tatsache, dass Paulus diese Entrückungsgeschichte in seiner Apologie berichtet, macht es wahrscheinlich, dass er von deren positiver Überzeugungskraft ausgeht. Er bezieht sie auf den Ausgangsvorwurf in 10,10, wonach »seine Briefe stark, seine Anwesenheit aber schwach und seine Rede verachtenswert« seien. Paulus sieht seine Christuszugehörigkeit in der Teilhabe an der Kraft Christi begründet. Der Argumentationsgang zeigt die kreuzestheologische Perspektive des Sich-der-Schwachheit-Rühmens. Es handelt sich nicht um ein törichtes Sich-Rühmen nach dem Fleisch, sondern um wirklichen Ruhm im Sinne des Herrn (11,17f.). 22 19 Vgl. H ECKEL , Kraft in Schwachheit, 54; dagegen Z MIJEWSKI , Narrenrede, 327 Anm. 22, der anmerkt, dass es sich um »eine Art Gattungsbestimmung für das im folgenden Berichtete« handelt. 20 Vgl. B AUER , Wörterbuch, 628, I 2.c. 21 Dagegen H ECKEL , Kraft in Schwachheit, 54. 22 Z EILINGER , Krieg I, 103; G RÄSSER , 2Kor II, 181. <?page no="245"?> 231 7.3 Vom Rühmen zwischen Offenbarungen und Schwachheit V.5 bildet einen antithetischen Parallelismus: »Ich will mich rühmen des Menschen« (5a) und »Ich will mich nicht rühmen meiner selbst außer aufgrund der Schwachheiten« (5b). Durch diesen antithetischen Parallelismus will Paulus deutlich machen, dass für ihn das Objekt des Sich-Rühmens entscheidend ist: Ist es ein Sich-Rühmen seiner Offenbarung oder seiner Schwachheiten? Es geht ihm also um den Gegensatz zwischen den Schwachheiten und den Offenbarungen, die in Korinth als Kraftbeweise (12,12) gelten. Eigentlich will Paulus in V.5 sich des Selbstruhmes enthalten. Er kommt jedoch in V.5 auf den Selbstruhm zurück, um dessen Wert als Ruhm der Schwachheit herauszustellen. So wird in V.6, der mit einer Erläuterung der Antithese von V.5 anschließt, das Schlüsselwort Sich- Rühmen wieder aufgenommen. Hier kommt Paulus zur für ihn eigentlichen Wahrheit: Ruhm ist töricht, aber nicht töricht ist der Ruhm der Schwachheit. Damit bereitet er begrifflich vor, wofür die Geschichte vom Dorn im Fleisch und das anschließende Herrenwort als Beispiel stehen. 7.4 Die zweite Offenbarungserfahrung: Krankheitsgebet mit Herrenwort (2Kor 12,7b-9a) Bei der Näherbestimmung, was mit dem Dorn im Fleisch gemeint sein kann, schließe ich mich den Auslegern 23 an, die auf eine Krankheit des Paulus schließen, ohne damit präzise formulieren zu wollen bzw. zu können, um welche Krankheit es sich dabei handelt. Die Auslegung im Sinne einer Krankheit wird auch dadurch gestützt, dass anderswo in paulinischen Briefen darauf hingewiesen wird, dass Paulus an einer schweren Krankheit litt. Ein klarer Hinweis findet sich etwa in Gal 4,13-15. 24 Durch den kausalen Anschluss ( dio, ) werden die Erzählung vom Dorn ( sko,loy ) 25 im Fleisch 26 23 Z.B. A EJMELAEUS , Schwachheit als Waffe, 265f. Zu den Argumenten für eine Krankheit des Paulus, vgl. a.a.O., 261-270; G RÄSSER , 2Kor II, 198-200. 24 Möglicherweise weist Paulus auch Gal 6,17; 2Kor 1,8-11; 4,10 auf seine Krankheit hin. 25 Der Begriff sko,loy ist das »Zugespitzte« und bedeutet »Pfahl, Stachel, Dorn«, vgl. Num 35,55; Ez 23,24; Hos 2,8; Sir 43, 19; B AUER , Wörterbuch, 1511; G. D ELLING , Art. sko,loy , ThWN VII (1964), 411-415, 411. Normalerweise wird das Wort für etwas gebraucht, was Schmerz bereitet, freilich nicht unbedingt für eine Krankheit (vgl. Bill. III, 534, zum rabbinischen Sprachgebrauch). Paulus aber verwendet es hier für ein körperliches Leiden, wofür sowohl »Fleisch« als Ort des sko,loy als auch das nachfolgende Bild von dem Schläge austeilenden Satansengel stehen, so dass an einen »Dorn« oder »Stachel« als an einen »Pfahl« zu denken ist (G RÄSSER , 2Kor II, 197). 26 Die Bitte des Paulus und die Antwort des Herrn werden immer wieder einer Gattung zuzuordnen versucht. Vgl. K RUG , Kraft in Schwachheit, 96; auch B ETZ , Christus- Aretalogie, 293ff. <?page no="246"?> 232 und das Herrenwort in VV.7b-9a mit der Wundergeschichte in VV.2-4 antithetisch verknüpft. Während Heckel 12,7b-9a als »Gebetsdialog« bzw. als »Erzählung eines Klagegebets mit göttlicher Antwort« versteht und deshalb diesen Text ganz der alttestamentlichen Psalmenfrömmigkeit verpflichtet sieht, 27 bestimmt Betz ihn als eine von ihm rekonstruierte Gattung eines griechischen Orakels. 28 Dem Übermaß der Offenbarungen steht also eine schmerzhafte Schwachheitserfahrung gegenüber, so dass die beiden Antithesen der Überleitungsverse 5-7a fortgeführt werden. In dieser antithetischen Entsprechung wird diese zweite Offenbarungserfahrung nach der Entrückungsgeschichte als Beispiel für das Sich-Rühmen vorgestellt (vgl. kauca/ sqai in VV.1.5-6.9b). Die Entrückungsgeschichte dient zum Rühmen der Offenbarung, die Erzählung vom Dorn im Fleisch 29 zum Rühmen der Schwachheit des Paulus. Die erste Offenbarungserfahrung (Entrückungsgeschichte) ist ein übererfülltes Wunder, dagegen ist die zweite Offenbarungserfahrung eigentlich ein verweigertes Wunder. Denn der Herr heilt Paulus nicht und das Bittgebet des Paulus bleibt unerhört. Aber stattdessen erfährt Paulus das Herrenwort bei seinem schweren Leiden und interpretiert dieses als Überfülle der Offenbarung bzw. Vollendung der Kraft in seinen Schwachheiten. Die erste und zweite Offenbarungsepisode sind einander zugleich komplementär zugeordnet: »ein erfolgreiches gegenüber einem erfolglosen Offenbarungserlebnis, ein rein visionäres, nichtsprachliches gegenüber einem sprachlichen Erlebnis, ein Erlebnis, das nur in sprachlicher und sachlicher Distanzierung beschrieben werden kann, gegenüber einem Erlebnis, das das Ich ungeteilt betrifft«. 30 Die Erfahrung vom Dorn im Fleisch entspricht den Schwachheiten des Apostels als Diener Christi im vorherigen Peristasenkatalog. Sie hat ursprünglich einen Platz nur in seiner persönlichen Beziehung zum Herrn. Erst durch das korinthische Verlangen wird sie in die Zeichen des Apostels einbezogen. Beide Erfahrungen, Entrückungsgeschichte und Dorn im Fleisch bestimmen seine Verbundenheit mit Christus, die er durch die Rede von diesem Menschen in Christus (12,2) und durch den Gebetsdialog mit dem Herrn zum Ausdruck bringt. 31 Die Offenbarung bzw. das Leiden werden durch die passiva divina a`rpage,nta (V.2) und h`rpa,gh (V.4) sowie evdo,qh (V.7b) 32 auf Gott als Subjekt zurückgeführt, so dass Paulus in beiden Fällen 27 K RUG , Kraft in Schwachheit, 96. 28 B ETZ , Christus-Aretalogie, 293ff. 29 E. G RÄSSER , 2Kor II, 198, stellt fest: »Die These, dass Paulus mit dem ‚Pfahl im Fleisch‘ und der deutenden Ergänzung ‚Satansengel‘ bewusst doppeldeutig formuliert, um sowohl von seinen jüdisch-hellenistischen wie auch von seinen griechischhellenistisch orientierten Lesern gleich gut verstanden zu werden (J EGHER -B UCHER , Pfahl, 32-41), ist zu modern gedacht, um überzeugen zu können«. 30 W ISCHMEYER , Paulus, 35. 31 Vgl. W ISCHMEYER , Paulus, 34f. 32 Vgl. bei Origenes, JerHom 12,8. <?page no="247"?> 233 nur die Rolle des von Gottes Handeln Betroffenen spielt. Die beiden Erfahrungen dienen als Einwand gegen den Schwachheitsvorwurf (10,10), sie legitimieren die Schwachheit des Paulus. Die christologische Deutung der Schwachheit wird erneut durch das Herrenwort unterstrichen, dessen zweigeteilter Aufbau nach Inhalt (»genug ist für dich meine Gnade«) 33 und Begründung (»die Kraft vollendet sich in der Schwachheit«) eine strukturelle Ähnlichkeit bilden. 34 Das Herrenwort V.9 ist das wichtigste Argument in der Apologie des Paulus in 10- 13. Die Aussage »sich seiner Schwachheiten rühmen« - als Grundsatz formuliert in 11,30 - umrahmt als Inclusio in V.5b und V.9b sowohl die Erzählung vom Dorn im Fleisch als auch das Herrenwort. Der Ruhm aus der ersten Offenbarung wird durch die zweite Offenbarung entscheidend verändert und kontradiktorisch interpretiert. Paulus wird auf seine Schwachheit verwiesen, dadurch rühmt er sich nicht mehr seiner Offenbarungen, sondern seiner Schwachheiten und der Nöte, die seine apostolische Existenz begleiten und charakterisieren. Aus dieser Deutung des Ruhmes und ihrer Umschreibung in einem Peristasenkatalog zieht er dann in 12,9b-10 seine Schlussfolgerungen. 7.5 Einzelauslegung des Peristasenkataloges 2Kor 12,9b- 10 7.5.1 Das Peristasenvokabular in 2Kor 12,9b-10 In den Schlussfolgerungen in 12,9b-10 formuliert Paulus das Resultat nicht nur aus der Geschichte vom Dorn im Fleisch und dem Herrenwort, sondern auch aus dem gesamten Kernstück der Narrenrede einschließlich des Peristasenkataloges 11,21b-30, die von 11,21b an seine Überlegenheit als Diener Christi beweisen soll. In ihnen werden Sinn und Zweck deutlich, die er von Anfang an mit dem Sich-der-Schwachheit-Rühmen verbunden hat: »Damit die Kraft Christi in mir wohnt«. Mit dem zentralen Begriff Schwachheit umschreibt der Katalog in 12,10a fünf Lebensumstände als Peristasen: avsqe,neia (Schwachheit), u[brij (Misshandlung), avna,gkh (Not), diwgmo,j (Verfolgung) und stenocwri,a (Bedrängnis). Alle Misshandlungen werden in Pluralform gehalten und nehmen den Peristasenkatalog von 11,21b-30 formal durch die Reihung gleichartiger Glieder und inhaltlich durch die Beschaffenheit der Leiden wieder auf. 33 Inhaltlich ist nicht die passivische Bedeutung »Lass dir an meiner Gnade genügen« (Lutherübersetzung), sondern die aktivisch ausgedrückte Formulierung »genug ist für dich meine Gnade« vorzuziehen, nach G RÄSSER , 2Kor II, 202. 34 Paulus versteht das Herrenwort tatsächlich als Gebetserhörung. Über das Gebet als Bestandteil der »religiösen Kommunikation« handelt ausführlich W ISCHMEYER , Gebet, 470-478. <?page no="248"?> 234 Trotz formgeschichtlicher Gemeinsamkeiten beider Kataloge haben sie eine unterschiedliche Funktion. Die Aufzählung der Peristasen in 12,10a erfolgt in präsentisch formulierten Schlussfolgerungen und betont damit das Wirksamwerden der Kraft Christi. Demgegenüber ist der Katalog von 11,21b-30 - wie gewohnt - durch Vergangenheitstempora geprägt. Der erste Peristasenkatalog behandelt in 11,21b-30 zahlreiche autobiographische Einzelheiten und bezieht das zum Vorwurf gemachte schwache Auftreten (10,10) auf die gesamte Existenz des Apostels. Die Aufzählung in 12,10a bringt den Peristasenkatalog 11,21b-30 nur formelhaft in Erinnerung und stellt die Leiden als Diener Christi (vgl. 11,23) in den Zusammenhang mit den Aussagen vom Dorn im Fleisch und dem Herrenwort. Unter den fünf Peristasen finden sich drei Begriffe, avsqe,neia , avna,gkh und stenocwri,a , die auch in anderen Peristasenkatalogen vorkommen. 35 Auffällig ist, dass zwei weitere Begriffe, u[brij und diwgmo,j , erstmals in Peristasenkatalogen begegnen. Das Wort u[brij ist in der LXX wie auch im klassischen Griechisch häufig. In paulinischen Briefen aber ist es ein Hapaxlegomenon (vgl. aber Apg 27,10.21). Damit dürften Misshandlungen angesprochen sein. Diese passivische Bedeutung des Wortes ist der aktivischen im Sinne von Hochmut vorzuziehen. 36 Der Begriff diwgmo,j ist ebenfalls selten bei Paulus und findet sich nur hier und in Röm 8,35. Allerdings begegnet das Verb diw,kein in paulinischen Peristasenkatalogen öfter. Die letzten drei Peristasen diwgmo,j / diw,kein , avna,gkh und stenocwri,a gehören zum festen Wortfeld seiner Kataloge. Sie charakterisieren allgemeine Notsituation. 37 Grammatisch ist der Peristasenkatalog durch die jeweils aufeinander folgenden Schlussfolgerungen ou= n - dio, - ga, r als Gedankenkette aufgebaut. 7.5.2 Das Wohnen der Kraft bei Paulus (2Kor 12,9b) Nach der Erzählung von Erfahrungen seiner Krankheit bzw. des Herrenwortes als Antwort auf sein Gebet kommt Paulus zurück zu dem in 12,5 behandelten Thema des Sich-der-Schwachheit-Rühmens, das in dem finalen Satz »damit die Kraft Christi in mir wohnt ( i[na evpiskhnw,sh| evpV evme. h` du,namij tou/ Cristou/ )« kulminiert. Bei diesem finalen Satz bleibt jedoch zu prüfen, was Paulus mit ihm meint, und welchen Ursprung er für ihn hat. Denn der Anschluss des Finalsatzes wird in der Forschung häufig als problematisch empfunden. Das Verb evpiskhnou/ n , das Hapaxlegomenon im biblischen Griechisch ist, heißt wörtlich übersetzt »in ein Zelt einziehen«, allgemein auch »in eine Wohnung einziehen«. Mit der Präposition evpi, mit Akkusativ wird die Stelle ausgedrückt, wohin eine/ einer oder etwas ein- 35 Vgl. Peristasenkatalog 2Kor 4,7-15 und Peristasenkatalog 2Kor 6,3-10. 36 Vgl. E BNER , Leidenslisten, 183f. 37 Zum Wortfeld diwgmo,j / diw,kein vgl. 1Kor 4,12; 2Kor 4,9; Röm 8,35; zu avna,gkh 2Kor 6,4; zu stenocwri,a 2Kor 4,8; 6,4; Röm 8,35. <?page no="249"?> 235 zieht. 38 Die zu der Wortfamilie skh/ noj gehörenden Wörter weisen bei Paulus auf ein atl. Vorstellungsmodell hin. In der jüdischen Literatur wird damit auf das Wohnen Gottes bzw. auch der Weisheit im Himmel oder vor allem auf der Erde unter den Menschen hingewiesen. 39 Das Zelt ( skhnh, ) ist Ort der sichtbaren Gegenwart Gottes auf Erden, Ort seiner Epiphanie. 40 In Parallele zum Zelten der Weisheit in Israel wird diese Vorstellung individualisiert weitergeführt, z.B. auch von Philo: Er deutet das Offenbarungszelt als Weisheit, in der dann der Weise wohnt. 41 Paulus wählt das Verb in einem noch tieferen Sinne aus, nämlich in Erinnerung an den jüdischen Terminus Schechina ( hnykv ), der als theologischer Begriff eine wichtige Rolle spielt, und der die Zusage göttlichen Wohnens inmitten der Israeliten und im Tempel enthält. 42 Die Vorstellung von der Gottesgegenwart gemäß der jüdischen Schechina-Idee liegt auch in 2Kor 6,16; Lk 17,20f.; Röm 8,9-11; Apk 21,3 und besonders Joh 1,14 im Logoshymnus vor (auch viele Qumran- Belege, z.B. TR 29,3.8; 45,12-14 u.ö; 4Q 508, 2,1; 504,6.9). 43 In diesem Sinne scheint Paulus hier von der Gegenwart der Kraft Christi in seinem Leben zu sprechen. In dem Finalsatz kommen somit Wohnen und Wirksamkeit der Kraft Christi zusammen. Das Sich-der-Schwachheit-Rühmen hat in der Zusage der Entfaltung der Kraft Christi Grund und Ziel. Das am Satzanfang verwendete Wort h[dista 44 ist im Sinne eines elativischen Superlatives mit »sehr gern« zu übersetzen und 45 signalisiert sehr deutlich einen Umschwung. 46 Das zweite Adverb ma/ llon gehört nicht zum Wort h[dista , sondern verstärkt das folgende Verb kauch,somai 47 und steht hier in der Bedeutung »viel mehr«. Der Satz ist leicht ergänzend zu verstehen und will sagen »sehr gerne will ich mich also vielmehr meiner Schwachheiten rühmen«. 48 Bisher hat sich Paulus nur gezwungenermaßen auf das Sich-Rühmen eingelassen, aber jetzt hat es ihn in die wahre Bedeutung seines Leidens geführt, vor allem durch den Einbezug des Herrenwortes. Gemäß der wahren Deutung seines Leidens macht diese göttliche 38 B AUER , Wörterbuch, 590; W. M ICHAELIS , skhnh, ktl ., ThWNT VII (1964), 369-396, 388f.; A EJMELAEUS , Schwachheit als Waffe, 306. 39 A EJMELAEUS , Schwachheit als Waffe, 306. 40 Vgl. M ICHAELIS , skhnh, ktl ., 369-375.388-391; E BNER , Leidenslisten, 185. 41 Vgl. LA III,46; sacr. AC 44; E BNER , Leidenslisten, 186 Anm. 77. 42 Vgl. A EJMELAEUS , Schwachheit als Waffe, 306; G RÄSSER , 2Kor II, 207. Es gibt zahlreiche Belege, z.B. Ex 25,8; Lev 26,11; Dtn 12,11; 1Kön 8,12f.; Joel 4, 17.21; Ez 43,7.9. 43 G RÄSSER , 2Kor II, 207. 44 Superlativ von h`de,wj »gern«. 45 BDR § 60,2; B AUER , Wörterbuch, 680; Z MIJEWSKI , Narrenrede, 386; M ARTIN , 2Cor, 421; H ECKEL , Kraft in Schwachheit, 101. 46 So G RÄSSER , 2Kor II, 206. 47 Vgl. A EJMELAEUS , Schwachheit als Waffe, 304. 48 So H ECKEL , Kraft in Schwachheit, 102. <?page no="250"?> 236 Kraft Paulus nicht glücklich im stoischen Sinne, sondern erfüllt ihn mit der urchristlichen Freude im Leiden. 49 7.5.3 Die Paradoxie »Kraft in Schwachheit« (2Kor 12,9-10) Das paradoxe Verhältnis von Schwachheit und Kraft ist an keiner Stelle im Vierkapitelteil 10-13 so prägend wie hier, bildet doch der Peristasenkatalog 12,9b-10 ein kleines Ensemble, das semantisch durch die Antithetik von Schwachheit und Kraft ( avsqe,neia / du,namij ) charakterisiert ist. 12,9a du,namij avsqen ei,a| Herrenwort 12,9b avsqenei,aij du,namij Schwachheit Pauli - Kraft Christi 12,10b avsqenw/ dunato,j Schwachheit Pauli - Kraft Pauli Ausgangspunkt für die antithetischen Begriffe ist der zweite Teil des Herrenwortes in 12,9a »die Kraft vollendet sich in (der) Schwachheit«. Die Begriffe avsqe,neia und du,namij in 12,9b sind an Personen geknüpft, die Schwachheit an Paulus, die Kraft an Christus. In 12,10b werden beide Zentralbegriffe des Herrenwortes auf die Person des Paulus bezogen: »Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark«. Paulus hat in 12,10b die Dialektik des Herrenwortes auf sich selbst bezogen. Damit ist aus der allgemeinen theologischen Aussage von 12,9a ein persönliches Bekenntnis geworden. Die Vollendung von Kraft in Schwachheit wird auf die konkrete Situation des Paulus angewendet. Das Schwachsein des Paulus wird als Starksein qualifiziert. Krug merkt zum paradoxen Begriffspaar Schwachheit und Kraft an, dass für Paulus Kraft und Schwachheit in ein rätselhaftes Spannungsgefüge geraten. 50 Er stellt fest: »Mit Bedacht ist hier von ‚Spannung‘ und nicht von ‚Paradoxie‘ die Rede, denn so sehr eine Paradoxie eine Spannung voraussetzt, so wenig ist jede Spannung schon per se eine Paradoxie. (…) Nur dann, wenn Spannung instrumentalisiert wird, um die Erwartungshaltung von Rezipienten mit dem Ziel zu schockieren, sie auf diese Weise zu einer bislang verborgenen Wahrheit zu führen, kann die Spannung als Paradoxie angesprochen werden«. 51 7.5.3.1 Schwachheit im Peristasenkatalog Traditionsgeschichtlich wird Schwachheit als Objekt göttlichen Handelns - bei Platon (Tim. 71e) - gesehen und auch in der jüdischen Tradition galt 49 Zur urchristlichen Formel »Freude im Leiden« vgl. N AUCK , Freude im Leiden. 50 K RUG , Kraft des Schwachen, 72. 51 K RUG , Kraft des Schwachen, 72f.; auch zur Funktion der Paradoxie vgl. a.a.O., 26-28. <?page no="251"?> 237 der schwachen Existenz die besondere »göttliche Fürsorge«: So z.B. die Psalmentradition (vgl. Ps 34,5 und 116,6), Jona 2,3-10, TestJos 1,4-7, Sir 51,1-12 und Philo spec. IV 205f, virt. 146f, legat. 196. 52 Krug sieht eine »paradoxe Spannung zwischen Kraft und Schwachheit« als die »Kraft des Schwachen im Dienst göttlicher Selbstoffenbarung« und weist auf jüdische Schriften als Beispiele hin: Ps.-Philo LibAnt 17,1ff. 7.10; Jdt 9,7-14; 2Makk 15,22-24; 3Makk 6,2-5; Sir 48,18-21; Philo Mos. I 107-112 (vgl. auch 1QH XII 5-XIII 4). 53 Bei vielen Forschern ist umstritten, was Paulus mit Schwachheit hier gemeint hat. Einige Exegeten sehen die Schwachheit in einer Krankheit des Paulus (12,7). 54 Dagegen verstehen andere Exegeten mit unterschiedlichen Akzentuierungen Schwachheit als Ausdruck menschlicher Kraftlosigkeit und Vergänglichkeit im Vergleich zur göttlichen Kraft. 55 Beide Thesen erscheinen uns indessen untrennbar. Denn Paulus hat etwa in 12,7 im Zusammenhang mit seiner Krankheit die Leiden als leibliche und körperliche Schwäche beschrieben. Die Schwachheit des Paulus umfasst danach die Peristasen, die er in der Realität erleidet. Zudem hat die Schwachheit des Paulus viel mit der Tatsache als Handarbeiter zu tun, um selbst seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Zum anderen aber zeigt der Ausgang beim Schwachheitsvorwurf in 10,10 (»seine Briefe seien gewichtig und kräftig, sein persönliches Auftreten schwach und seine Rede verächtlich«), dass der entsprechende Vorwurf der Gegner in 2Kor 10-13 sich nicht nur auf körperliche Schwachheiten aufgrund von Krankheit (12,7) beziehen kann. Schwachheit umfasst deshalb seine alltägliche Existenz für die Gemeinde, wie besonders Peristasenkatalog 11,21b-30 demonstriert. Da das Rühmen der Schwachheit Thema beider Peristasenkataloge in 11,30 und 12,9 ist, sind m.E. beide oben genannten Thesen zutreffend. Der Ort der Wirksamkeit der Schwachheit des Paulus bezeichnet die menschlich-irdische Existenz als schwach und vergänglich. Die Schwäche besteht in Nöten und Bedrängnissen äußerer und innerer Art, die Paulus in seinen Lebensumständen ständig widerfahren. 56 Heckel charakterisiert diese paradoxe These Kraft in Schwachheit entsprechend: »Die Schwachheit gilt nicht mehr als 52 So K RUG , Kraft des Schwachen, 68. 53 K RUG , Kraft des Schwachen, 100-116. 54 W INDISCH , 2Kor, 391; vgl. L IETZMANN / K ÜMMEL , Kor, 156; S CHMITHALS , Gnosis, 154; J. J ERVELL , Der schwache Charismatiker, in: J. F RIEDRICH (Hg.), Rechtfertigung. FS E. Käsemann Tübingen/ Göttingen 1976, 185-198, 191ff.; H ECKEL , Kraft in Schwachheit, 91; J.A. K ELHOFFER , The Authentication of Missionaries and Their Message in the Longer Ending of Mark (Mark 16: 9-20), Chicago 1999, 365. 55 So z.B. B ULTMANN , 2Kor, 228f.; L ÜHRMANN , Offenbarungsverständnis, 60; Z MIJEWSKI , Narrenrede, 383; W OLFF , 2Kor, 249; S UMNEY , Paul’s Opponents, 169; E. L OHSE , Paulus. Eine Biographie, München 1996, 172f. 56 Vgl. A. W URZINGER , Untersuchungen zum Leidensbegriff des Apostels Paulus. Ungedruckte Inaugural-Dissertation (masch.), Graz 1961, 101. <?page no="252"?> 238 Mangel an Vollmacht und wird nicht mehr nur als Ende und Grenze menschlicher Kraft erfahren, sondern zur Verheißungsträgerin aufgewertet und als Ansatzpunkt für das Wirksamwerden der Kraft Christi erkannt«. 57 So könnte man sagen: Die Schwachheit ist das Wirkungsfeld, das die Kraft Christi offenbart und bewirkt. 7.5.3.2 Kraft im Peristasenkatalog Damit ist zugleich die Frage aufgeworfen: Was meint Paulus mit der Kraft Christi? Ebner sieht den Begriff Kraft in diesen Versen in einer paradoxalen Bedeutung 58 und unterstreicht, dass man zwischen Kraft Gottes 59 und Kraft Christi unterscheiden müsse. Er meint deshalb: »Nun ist die Zuordnung der du,namij zu Christus sowohl im paulinischen Briefkorpus als auch im NT außergewöhnlich. Wenn Dynamis bei Paulus einer Person zugeordnet wird, dann Gott. Präzise ist mit der Dynamis Gottes dessen Auferweckungskraft gemeint, bezogen sowohl auf das einzigartige Kreuzesgeschehen als auch auf die allgemeine Totenauferweckung. (…) Es ist deshalb fraglich, ob du,namij tou/ Cristou/ in 12,9 du,namij qeou/ gleichgesetzt werden kann. Nachdem 12,9b als Folgerung ( ou=n ) aus 12,9a kenntlich gemacht ist, legt es die Logik des Gedankengangs vielmehr nahe, die Dynamis Christi präzise auf die definitorische Aussage von 12,9a zu beziehen und sie als Personifizierung des im Herrenwort genannten theologischen Programms zu verstehen«. 60 Zwar benutzt Paulus außer an dieser Stelle nirgendwo anders den Ausdruck » du,namij tou/ Cristou/ «, aber dass er ihn hier in spezieller Weise benutzt, ist nicht überraschend. Ausgangspunkt dieses Begriffes ist das 57 So H ECKEL , Kraft in Schwachheit, 107f. 58 Zur Paradoxalität unserer Stelle vgl. H ECKEL , Kraft in Schwachheit, 113-120; H OTZE , Paradoxien, 159-227. Vgl. vor allem den forschungsgeschichtlichen Exkurs zur Interpretation von »Schwachheit« und »Kraft« in 12,9-10 bei A EJMELAEUS , Schwachheit als Waffe, 275-321; grundsätzlich H. S CHRÖER , Die Denkform der Paradoxalität als theologisches Problem. Eine Untersuchung zu Kierkegaard und der neuen Theologie als Beitrag zur theologischen Logik, FSThR 5, Göttingen 1960; H. F ISCHER , Die Christologie des Paradoxes. Zur Herkunft und Bedeutung des Christusverständnisses Sören Kierkegaards, Göttingen 1970. 59 Vgl. Röm 1,16; 1Kor 1,18.24; 2,5; 2Kor 4,7; 6,7; 13,4. 60 E BNER , Leidenslisten, 187f. Dass die Zuordnung der du,namij zu Christus im paulinischen Brief ungewöhnlich ist, führt E BNER , Leidenslisten, 187 Anm. 80, weiter aus: »Von einer du,namij des Christus ist bei Paulus außer in 2Kor 12,9b nie die Rede. In 1Kor 5,4 wird du,namij Jesus als dem ku,rioj zugeordnet. Auch die einzige weitere Stelle innerhalb des NT, die von einer du,namij des Christus spricht, 2Petr 1,16, steht im Zusammenhang mit der Kyriostitulatur und der Parusievorstellung. Der gleiche Vorstellungsrahmen gilt für 2Thess 1,7, wo allerdings der Christustitel nicht fällt. Für 2Petr 1,3, wo von der qei,aj duna,mewj auvtou/ (sc. Jesu) die Rede ist, werden Gott und Jesus in eins gesetzt (vgl. 2Petr 1,1f)«. Vgl. auch G. F RIEDRICH , Art. du,namij , EWNT I (²1992), 860-867. <?page no="253"?> 239 Herrenwort in 2Kor 12,9a. In 1Kor 1,24 ist Christus die Kraft Gottes. Dieser Christus ist der Gekreuzigte und Auferstandene. Die Kraft Christi ist nicht Menschenkraft, sondern Auferstehungskraft. So betont Paulus auch hier die Auferstehung Christi und bringt zum Ausdruck, was das Herrenwort in seinem Leben bewirkt. Um in Christus einbezogen zu werden, spricht er auch im Herrenwort von Christus und nicht von Gott. Vergleichbar setzt Paulus manchmal Christus einfach - gemäß seinem theologischen Interesse - mit Gott gleich: z.B. werden dia,konoj qeou/ (2Kor 6,4) und dia,konoj Cristou/ (2Kor 11,23) ohne besondere Unterscheidung in paulinischen Briefen gebraucht. Insbesondere die Peristasenkataloge sind immer wieder auf Christus bezogen. Auch in der Perikope 12,1-10 haben oft Herr (zweimal) und Christus (dreimal) gleiche Bedeutung. In diesem Sinne sind die Peristasenkataloge Ausdruck der Christuszugehörigkeit. In 12,2 schildert Paulus mit dem »Mensch in Christus ( a; nqrwpoj evn Cristw/ | )« keine andere Person als sich selber. Zwar benutzt Paulus hier grundsätzlich einen eigentümlichen mysteriösen Stil, aber die präpositionale Wendung des evn Cristw/ | 61 beschreibt nicht einfach das Christsein bzw. eine christliche Haltung, 62 sondern bestätigt hier allen Zweifeln gegenüber das Cristou/ ei=nai (10,7b) und unterstreicht damit die Zugehörigkeit zu Christus bzw. das Sein in Christus ( ei=nai evn Cristw/ | ). Der Gedanke der Christuszugehörigkeit begegnete schon in den Peristasenkatalogen 1Kor 4 und 2Kor 10-13. Er ist für Paulus zentral. 7.5.3.3 Die iterative Gleichzeitigkeit von Schwachheit und Kraft Die Beziehung der Begriffe Kraft und Schwachheit ist in der Forschung umstritten. Krug versteht das Verhältnis zwischen Schwachheit und Kraft in 12,9-10 konditional. Nach ihm ist die Schwachheit die Voraussetzung für die Kraft: »Nur legt die Parallelität von 12,10b mit den beiden vorhergehenden Sätzen nahe, das Verhältnis zwischen Protasis und Apodosis auch konditional zu verstehen: Paulus interpretierte das Herrenwort auch in der Zusammenfassung der zweiten Deutung so, dass er seine Schwachheit als notwendige Vorbedingung für ein Erlebnis authentischer Christuskraft anerkennt. Das mehrfach beobachtete Schema, dass eine eindeutige theologische Qualifizierung der Kraft die Schwachheit des Kraftträgers voraussetzt, scheint auch in der logischen Beziehung zwischen o[tan und to,te durch«. 63 61 Zur Diskussion über das Thema evn Cristw/ | vgl. F.W. H ORN , „Nicht ich lebe, sondern Christus lebt in mir“. Die Christus-Mystik im Neuen Testament, Mainzer Texte aus Projekten der Evangelischen Stadtkirchenarbeit Mainz, Barlach-Reihe Nr. 2 (29. September 2005). 62 Vgl. B ULTMANN , 2Kor, 221; A. O EPKE , Art. ev n , ThWNT II (1935), 534-539, 537; F URNISH , 2Kor, 524. 63 K RUG , Kraft des Schwachen, 279, argumentiert, dass die Konjunktionen, das konditionale eva,n und das temporale o[tan , für das klassische Griechisch nicht selten ohne er- <?page no="254"?> 240 Gegenüber dieser Argumentation werden von einigen Exegeten überzeugende Einwände formuliert: Demnach ist die Schwachheit nicht die Vorbedingung für die Kraft selbst, sondern nur für das bessere Sichtbarwerden der Kraft. In diesem Sinne argumentiert O’Collins, dass die Schwachheit nicht die Voraussetzung für die Kraft ist, sondern dass die Kraft des Christus im Leben des Paulus wirklich wirksam und eben deshalb auch in ihm sichtbar ist. 64 Er betont völlig mit Recht »the simultaneity (…) the coincidence of weakness and power, not that one element occurs as a pre-condition to the other«. 65 Auch G. Strecker betont - er stützt sich auf 2Kor 13,4 - das zeitliche Nacheinander der Schwachheit und der Kraft, jedoch nicht im apokalyptisch-eschatologischen Sinne: »Die in Christus und im apostolischen Dienst erfahrene Schwachheit impliziert aufgrund der in ihr wohnenden Gotteskraft die Verheißung, dass sie zum Leben führen wird«. 66 Daher kann er von der christologisch begründeten paradoxen Gleichzeitigkeit von Schwachheit und Stärke des Paulus sprechen. Ähnliche Erwägungen finden sich in der Interpretation von Lang: »Das Leiden wird von Paulus weder beschönigt noch beklagt und auch nicht für irrelevant erklärt, sondern als die Gelegenheit ergriffen, in der die Kraft Christi durch die Schwachheit seiner Diener zur Wirkung kommt«. 67 Paulus macht hier also nicht die Schwachheit zur Vorbedingung für Kraft, sondern betont die iterative Gleichzeitigkeit der beiden kontradiktorischen Gegensätze von Schwachheit und Kraft. Die wenn-dann ( o[tan to,te )- Konstruktion hat im Griechischen den Sinne einer Gleichzeitigkeit von Haupt- und Nebensatzaussage. In diesem Sinne könnte übersetzt werden: immer / jedesmal wenn ich schwach bin, dann bin ich stark«, d.h. für Paukennbaren Bedeutungsunterschied verwendet wurden (277). Als Beispiel verweist er auf Xenophon (Hell. V 1,15). Dort sieht er, dass temporale und konditionale Funktionen von o[tan und eva,n ununterscheidbar zusammengerückt sind. Diesen Gedanken äußerte schon K. D EISSNER , Paulus und die Mystik seiner Zeit, Leipzig/ Erlangen ²1921, 88f.: »Man trifft den Nerv dieses Gedankens noch nicht, wenn man die Worte dahin umdeuten wollte, dass sich auf der Folie menschlicher Schwäche die göttliche Kraft um so leuchtender abhebe. Vielmehr will der Apostel sagen, dass die Kraft nur da zur Vollendung kommt, wo sie sich der Schwachheit als Mittel ihrer Wirksamkeit bedient«; so auch W INDISCH , 2Kor, 391.393, mit der Aussage »je mehr Leiden, desto mehr Kraft«; vgl. auch W. G RUNDMANN , Der Begriff Kraft in der neutestamentlichen Gedankenwelt, BWANT 60, Stuttgart 1932, 104; R. B ULTMANN , Exegetica. Aufsätze zur Erforschung des Neuen Testaments, hg. von E. D INKLER , Tübingen 1967, 316f.; Z MIJEWSKI , Narrenrede, 389. 64 G. O’C OLLINS , Power Made Perfect in Weakness: 2Cor 12: 9-10, CBQ 33 (1971), 528- 537, 536f. 65 O’C OLLINS , Power, 536. 66 G. S TRECKER , Die Legitimität des paulinischen Apostolates nach 2 Kor 10-13, VBAA 1992, 107-128 (= NTS 38 [1992], 566-586), 119. 67 L ANG , Kor, 350. <?page no="255"?> 241 lus ist in jeder seiner Schwachheiten die Christuskraft gegenwärtig. 68 Der wichtigste Einwand gegen die These von der Schwachheit als Vorbedingung für die Kraft Christi besteht deshalb darin, dass die in 12,12 erwähnte Wundertätigkeit ( duna,meij ) völlig unabhängig von der menschlichen Schwachheit durch das passivum divinum kateirga,sqh auf die göttliche Kraft zurückgeführt wird. 69 Darauf hat schon Heckel mit Recht aufmerksam gemacht: »Dass Paulus in V.5b sich nicht rühmen will außer der Schwachheiten und in V.9b das Wohnen der Kraft als Ziel hinzufügt, könnte zu dem Mißverständnis dieser Relation im Sinne eines konditionalen Zusammenhangs führen, als ob einzig und allein die Situation der Schwachheit das Wirkungsfeld der Kraft Christi wäre. Dann wäre die Situation der Schwachheit die Vorbedingung, die erfüllt sein muss, damit die Kraft Christi zur Vollendung kommt«. 70 Dass sprachlich der i[na -Satz in V.9b nicht konditional verstanden werden darf, sondern ein Finalsatz (»damit die Kraft Christi bei mir wohnt«) ist, wird in V.10b mit Hilfe der Zeitpartikel to,te (»dann«) als immer wieder eintretende Folge (iterativ) unterstrichen. 71 Dieser Finalsatz unterscheidet und verbindet das Sich-der-Schwachheit-Rühmen und die Erfahrung der Gegenwart der Kraft Christi. Das Sich-der-Schwachheit-Rühmen ist das Mittel und die Wirksamkeit der Kraft Christi das Ziel. 7.5.3.4 Die paradoxe Schlusssentenz: »Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark« In der Kulmination der Perikope 12,1-10 wird die Quintessenz festgehalten, das Herrenwort V.9 wird auf die Existenz des Paulus angewendet. 72 Wie wir schon oben beobachtet haben, ist die wenn-dann-Beziehung nicht als Konditionalität zu verstehen, sondern als Temporale im Sinne von iterativer Gleichzeitigkeit, so dass gedeutet werden kann: »(Jedesmal) wenn ich schwach bin, dann bin ich stark«. Es besteht also ein kontradiktorischer Gegensatz zwischen den semantischen Opposita schwach und stark. Dieser Gegensatz wird durch den unterschiedlichen Ursprung von Schwachheit 68 Vgl. H ECKEL , Kraft in Schwachheit, 112f.; H OTZE , Paradoxien, 220.225; G RÄSSER , 2Kor II, 210. 69 Vgl. Röm 15,19; 1Kor 12,6.9f. 28-30; Gal 3,5 bei H ECKEL , Kraft in Schwachheit, 105. 70 H ECKEL , Kraft in Schwachheit, 103f. Zudem formuliert er: »Nicht die äußere Gegebenheit und faktische Situation der Schwachheit darf zur Bedingung für das Wirksamwerden der Kraft Gottes gemacht werden, sondern nur als anthropologisches Selbstverständnis bildet die Schwachheit die erkenntnismäßige Voraussetzung für das Widerfahrnis göttlicher Kraft. Denn in der paulinischen Theologie kann der Mensch die Wirksamkeit der Kraft Christi nicht erkennen, ohne zugleich seine eigene Schwachheit anzuerkennen« (a.a.O., 106). 71 Vgl. H ECKEL , Kraft in Schwachheit, 104.113. 72 A EJMELAEUS , Schwachheit als Waffe, 313; W ISCHMEYER , Paulus, 35; G RÄSSER , 2Kor II, 210. <?page no="256"?> 242 und Kraft geschildert. Doch Paulus rekurriert in dem Paradoxon von Schwachsein und Starksein nicht auf seine eigene menschliche Stärke, sondern bringt als Folgerung aus dem Herrenwort die Wirksamkeit der Kraft Christi in seiner Person zum Ausdruck. Das Starksein des Paulus in V.10b hat im Unterschied zur Schwachheit keinen menschlichen Ursprung, sondern verdankt sich der Kraft Christi (V.9). Deshalb lässt sich V.10b folgendermaßen ergänzen: »Wenn ich also (aus meiner menschlichen Kraftlosigkeit) schwach bin, dann bin ich stark (aus der göttlichen Kraft Christi, die in mir wirksam ist)«. 73 Die paradoxe Formulierung war auch schon hilfreich beim Verständnis des Peristasenkatalogs 2Kor 4,7-15: Menschen haben grundsätzlich den göttlichen Gnadenschatz nur in irdenen Gefäßen, weil damit das Übermaß der Kraft von Gott kommt und nicht von ihnen selbst (4,7a; vgl. 3,2; 12,9). 74 Die menschliche Schwachheit ist also der Ort, an dem sich Christi Herrlichkeit offenbart, »wo sie allein sichtbar und wirksam ist«. 75 Das gilt in besonderer Weise für den zum Diener Christi empfohlenen Apostel (10,17; 11,23). Schließlich bezieht die Schlusssentenz in 12,10b sich im Kontext der Kap. 10-13 auf die paulinische Autorität als Apostel, da er sich mit der Narrenrede gegen den Vorwurf des Widerspruchs zwischen seinen kraftvollen Briefen und seinem schwachen persönlichen Auftreten (10,10) verteidigt. Paulus zeigt gegen den Vorwurf der Schwachheit den Korinthern mit dem Paradoxon in 12,10b: Sein Missionserfolg beruht nicht auf seiner eigenen Kraft, sondern nur auf der Kraft Christi. Im Missionserfolg des schwachen Apostels bringt der Herr seine Kraft zur Entfaltung und Vollendung (12,9). Seine Schwachheit empfiehlt ihn als bewährten Apostel (10,18) und legitimiert den Apostel als Diener Christi (11,23). 7.6 Peristasen als autobiographischer Ursprung christologisch orientierter Theologie des Paulus Im Kontext 12,1-10 geht es um einen biographischen Ich-Text, der von einer kurzen autobiographischen narratio 76 mit zwei Episoden geprägt ist. Paulus spricht als Ich- Erzähler ( oi=da ) über sich selbst wie über eine dritte Person ( a; nqrwpon ). Auch im Peristasenkatalog 11,21b-30 werden im Ich-Stil vergleichsweise zahlreiche autobiographische Einzelheiten von Leidenserlebnissen aufgezählt. Den Peristasenkatalog 11,21b-30 schreibt Paulus als 73 So H ECKEL , Kraft in Schwachheit, 116, mit dem Hinweis auf J. C ALVIN , In Novi Testamenti Epistolas Commentarii ad Editionem Amstelodamsem. I. Epistulae ad Romanos et Corinthios, ed. A. Tholuck, 1834, 381 zu 12,10b: »sit, inquam, in se ipso debilis (in sich selbst schwach), ut fortis (stark) sit in Domino«. 74 Zur Auslegung siehe Kap. 4: Der Peristasenkatalog 4,7-15. 75 So G RÄSSER , 2Kor II, 204. 76 Vgl. W ISCHMEYER , Paulus, 31. <?page no="257"?> 243 leidendes Ich, während die Perikope 12,1-10 vom begnadeten Ich handelt. Beide Peristasenkataloge ähneln einander durch die autobiographische Prägung. In der Perikope 12,1-10 verbindet Paulus mit der autobiographischen narratio das Thema Rühmen und berichtet der korinthischen Gemeinde von zwei unterschiedlichen Offenbarungserlebnissen. In der ersten Offenbarung geht es um eine Entrückungsgeschichte. In der zweiten Offenbarung spricht Paulus von einem dreimaligen Gebet, in dem er um Heilung von der von ihm als Dorn im Fleisch dargestellten schweren Krankheit bittet. Paulus führt das Herrenwort als Antwort auf sein Gebet ein und entnimmt diesem Herrenwort eine Interpretation seines Lebens im Leiden. Die beiden autobiographischen Episoden sind von der Thematik des Rühmens eingerahmt. Danach ergibt sich eine Schlusssentenz mit vorausgehendem Leidenskatalog. Der Selbstruhm, den er aus der ersten Offenbarung empfängt, wird durch die zweite Offenbarung umgedeutet und kontradiktorisch interpretiert. Die Offenbarungen dienen der Entfaltung des gemeinsamen Themas Sich-der-Schwachheit-Rühmen, das die zwei Peristasenkataloge von Kap. 11 und 12 verbindet. Die erste Offenbarungsepisode dient als Beispiel für die Wirksamkeit der Kraft Christi, die Paulus zum Selbstlob dient. Die zweite Offenbarungsepisode zeigt beispielhaft, wie seine schwache Existenz zum Wirkungsfeld der Kraft Christi wird. Indem Paulus durch den Herrn selbst endgültig auf sein Schwachsein verwiesen wird, rühmt er sich nun nicht mehr seiner Offenbarung, sondern seiner Schwäche, der Bedrängnis und der Nöte, die seine apostolische Existenz begleiten und charakterisieren. 77 Daher wird zu diesem Text mit Recht festgestellt: »Diese Deutung des Ruhmes und ihre Umsetzung in einen Leidenskatalog im Rahmen des Selbstlobs bilden das Vorzeichen der gesamten autobiographischen narratio über die Offenbarungen und Erscheinungen des Herren«. 78 Zu beachten bleibt, dass die Perikope 12,1-10 als Ursprung einer christologisch orientierten Theologie charakterisiert werden kann. Dieser Text, der zwei Offenbarungsepisoden enthält, fungiert als Legitimation gegenüber dem Vorwurf der Schwachheit der Person des Apostels. Der zweiten Offenbarung, in der der Herr persönlich auf sein Gebet antwortet, entnimmt Paulus seinen Opponenten gegenüber den Beweis seiner Existenz als Diener Christi. Paulus bringt dabei zwei Erfahrungen durch sprachliche und literarische Gestaltung zur Kommunikation. Die Erfahrung mit Gott formuliert er als apokalyptische Entrückung, die Erfahrung mit dem Herrn wird als dessen Antwort auf sein Bittgebet vorgestellt. 79 So wird menschliche Lebenserfahrung transparent für Gottes Handeln. Diese individuelle 77 Vgl. W ISCHMEYER , Paulus, 31. 78 Vgl. W ISCHMEYER , Paulus, 31. 79 Vgl. W ISCHMEYER , Paulus, 39. <?page no="258"?> 244 Erfahrung mit Gott und die Erfahrung mit dem Herrn erhalten theologische Qualität. 80 Aus seiner autobiographischen Erfahrung entwickelt sich seine christologisch orientierte Theologie. Paulus steht in dieser autobiographischen Verankerung des Kontextes seines Peristasenkataloges in apokalyptischer und auch stoischer Tradition. Der Begriff des Genügens kommt dem stoischen Autarkie-Ideal nahe und der kleine Peristasenkatalog steht in der Tradition stoischer Paradoxien. Das Bittgebet des kranken Paulus und das Herrenwort (2Kor 12,7b-9a) sind sowohl gattungsmäßig dem griechischen Orakel als auch den alttestamentlichen Klagepsalmen zuzuordnen. 7.7 Fazit Der Peristasenkatalog in 12,9b-10 innerhalb der Perikope 12,1-10 nimmt den vorangehenden von 11,21b-30 formal und inhaltlich wieder auf. Beide Peristasenkataloge nötigen zur Zurückhaltung bei der Ruhmesrede. Obwohl bei Paulus die Erbauung der Gemeinde das eigentliche Ziel ist (10,8; 12,19; 13,10), nützt der Ruhm der Erscheinungen und Offenbarungen (12,1) nicht zur Verteidigung vor bzw. zur Erbauung der Gemeinde. Doch ist der Apostel genötigt, sich der Offenbarung zu rühmen (vgl. 12,1.11), um nicht hinter den Überaposteln zurückzustehen. Wahrer Ruhm bedeutet vielmehr, sich der Schwachheit zu rühmen, denn Jesus Christus ist in Schwachheit gekreuzigt worden. Für Paulus bedeutet das Sich-der- Schwachheit-Rühmen Zugehörigkeit zu Christus und Sein in Christus. Durch die Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn gibt Paulus Beispiele für das Thema Sich-der-Schwachheit-Rühmen, die in den beiden Peristasenkatalogen 11,21b-30 und 12,9b-10 berichtet werden. Die Entrückungsgeschichte erweist die im Apostel wirksame Kraft Gottes, die Krankheitsgeschichte dient dazu, die Schwachheit des Apostels zu charakterisieren. Beide Offenbarungen werden durch das Herrenwort »meine Kraft kommt in Schwachheit zur Vollendung« erklärt. Beide Offenbarungserlebnisse explizieren das zentrale Thema beider Peristasenkataloge: Sich-der-Schwachheit-Rühmen (V.5b und V.9b). Paulus führt in 11,21b-12,10 aus, worin er seine Überlegenheit als Diener Christi sieht: Die Fülle seiner Schwachheiten wird zum Gegenstand seines Sich-Rühmens. Mit der Wendung Sich-der-Schwachheit-Rühmen in 11,30 und 12,5.9b wird Schwachheit zum Erweis seiner apostolischen Existenz als Diener Christi. Dem dienen die Aufzählung der Schwachheiten in 11,21b-30 und die Damaskusgeschichte in 11,32f., der Bericht von zwei Offenbarungen einschließlich des Herrenwortes und weitere Wundertaten (12,12). Paulus zielt mit dem Sich-der-Schwachheit-Rühmen auf eine wahrhaft 80 E BNER , Leidenslisten, 188, benutzt das Wort »theologisches Programm«. <?page no="259"?> 245 christologische Einsicht: Schwachheit verbindet mit dem gekreuzigten Christus, Kraft ist Auferstehungskraft. Dass Paulus die Schwachheit seiner Person und die Kraft allein Christus zuschreibt, ist charakteristisch für das Verständnis seiner apostolischen Autorität. Der Gegensatz von Kraft und Schwachheit ist für die Gegner ein kontradiktorischer, für Paulus ist er christologisch aufgehoben. Den Gegnern, die ihn mit dem Ausgangsvorwurf in 10,10 antithetisch kritisieren ( me,n - de, ), antwortet er in seiner Schlussfolgerung in 12,10 mit einem Iterativ ( o[tan - to,te ). So wird klar: Wenn er aus seiner menschlichen Kraftlosigkeit schwach ist, dann ist er stark aus der göttlichen Kraft Christi. So erklärt sich das Paradoxon von Schwachheit und Kraft auch in 13,3f. aus seiner christologischen Begründung (vgl. 1Kor 1,23-25; 2Kor 13,4a; Phil 2,7f.; vgl. auch 1Kor 6,14; Phil 3,10). Dieser Hinweis auf das Christusgeschehen in 2Kor 13,3f. ist theologische Grundlage der Kap. 10-13 und des Herrenworts in 12,9a. Dann aber steht seine Schwachheit nicht mehr im Widerspruch zu seiner Christuszugehörigkeit und Vollmacht (10,7b-10), sondern empfiehlt ihn als bewährten Apostel (10,18), bestätigt und legitimiert ihn als Diener Christi (11,23a). Gerade im Missionserfolg seines schwachen Apostels bringt der Herr seine Kraft zur Entfaltung. Wundertaten (12,12) veranlassten die Gegner zum Vorwurf der Schwachheit, er aber lehnt Selbstruhm und Wundertaten ab. Stattdessen sind für ihn die Verkündigung des gekreuzigten Christus und die Erkenntnis der Kraft seiner Auferstehung der entscheidende Beweis des Geistes und der Kraft (vgl. 1Kor 2,4f.). Das Herrenwort »Zur Vollendung kommt die Kraft Christi in Schwachheit« - interpretiert das etwa den Weg des Gekreuzigten? - ermöglicht Paulus ein positives Verhalten gegenüber seinen eigenen Schwächen. Der Gekreuzigte dient ihm als Identifikationsmuster für sein Verhalten in den persönlichen Peristasen seines Lebens. Aus der theologischen Aussage in 12,9a ist deshalb zu folgern, dass die Leidenssituation des Paulus christologisch neu interpretiert wird. Dies ist vergleichbar der Aussage vom Offenbarwerden des Lebens Jesu im Peristasenkatalog 2Kor 4,10f., wobei diese Kraft nicht eschatologisch zu verstehen ist, sondern vielmehr in der gegenwärtigen Schwachheit des Paulus voll zur Wirkung kommt (vgl. die Präsensform telei/ tai ). Die Schwachheit macht zum Verheißungsträger und zum Wirkungsfeld der göttlichen Kraft Christi (vgl. 2Kor 4,7). 81 So beweisen die in 12,10a aufgezählten Peristasen, die an den Katalog in 11,21b-30 erinnern, seine apostolische Existenz als Diener Christi. Festzuhalten ist: Die Häufung der Wortfamilien Schwachheit und Kraft in den Korintherbriefen zeigt, dass diese Begriffe zwischen Paulus und der dortigen Gemeinde besonders umstritten sind; deshalb spielen sie in den Peristasenkatalogen als zentrales Thema eine große Rolle. Da der Apostel auf deren theologisches Verständnis vor allem zu Beginn und am Ende der 81 Vgl. H ECKEL , Kraft in Schwachheit, 317. <?page no="260"?> 246 Korintherbriefe eingeht, könnte man die Kreuzestheologie in 1Kor 1,18-2,5 und die Apologie der paulinischen Schwachheit in 2Kor 10-13 als »große Inclusio« oder doch jedenfalls als sachliche Klammer der uns vorliegenden Korintherkorrespondenz bezeichnen. 82 Darüber hinaus ist in Betracht zu ziehen, dass in der Auseinandersetzung um Schwachheit und Kraft die Kreuzes- und Auferstehungstheologie des Paulus verankert ist. In diesem Zusammenhang könnten die Peristasen als ein Ort der Entstehung der Kreuzesbzw. Auferstehungstheologie verstanden werden. Die wenn-dann-Beziehung (12,10b) ist nicht als Konditionalität zu verstehen, sondern als Temporale im Sinne von iterativer Gleichzeitigkeit, so dass gedeutet werden kann »(jedesmal) wenn ich schwach bin, dann bin ich stark«. Doch Paulus rekurriert in dem Paradoxon von Schwachsein und Starksein nicht auf seine eigene menschliche Stärke, sondern bringt als Folgerung aus dem Herrenwort die Wirksamkeit der Kraft Christi in seiner Person zum Ausdruck. Dass Paulus seine Schwäche durch das Herrenwort als apostolische Stärke interpretiert, ist in seinem apostolischen Leiden begründet. Seine autobiographischen Erfahrungen zur Sprache zu bringen und sie dabei theologisch zu verarbeiten, ist auch für die übrigen Peristasenkataloge charakteristisch. In diesem Sinne liegt in 12,1-10 ein Basistext christlicher Theologie vor, in dem Paulus seine Erfahrungen mit Gott und mit Jesus Christus artikuliert und gestaltet. Er sieht sich selbst neu von Christus her. »Damit ist 2Korinther 12,1-10 Ausdruck und Zeugnis einer Theologie der Existenz in Gestalt einer Theologie der Existenz des Apostels Paulus: autobiographische Theologie mit Christus als erstem und Paulus als zweitem Subjekt«. 83 Einleuchtend kann festgestellt werden: Besonders dieser paulinische Peristasenkatalog ist eine autobiographisch geprägte christologisch orientierte Theologie. 82 Vgl. H ECKEL , Kraft in Schwachheit, 223. Aber diese »große Inclusio« ist nicht unbedingt ein Argument für die Einheitlichkeit von 1Kor und 2Kor. 83 Vgl. W ISCHMEYER , Paulus, 40. <?page no="261"?> Teil IV Folgerungen für das paulinische Apostolatsverständnis <?page no="263"?> 249 8 Das Apostolat des Paulus im Zusammenhang der Peristasenkataloge 8.1 Die Problemlage Das Thema der Leidenswirklichkeit als Ursprung theologischer Leidensdeutung geht - wie wir im Zusammenhang der Traditionsgeschichte der Peristasenkataloge erkannt haben - auf das Alte Testament und das frühe Judentum zurück. Es ist nicht spezifisch christlich. Dabei begegnet die Deutung, dass Leiden für den »Frommen und Gerechten« heilsam ist. 1 Wie deren Leiden wird auch das Leiden der Christen als Versuchung und Prüfung verstanden. Dabei ist Gott das Subjekt solcher Versuchungen und Prüfungen (vgl. Hebr 2,18; 4,15; Petr 1,6-7). Außerdem wird das Leiden auch als Erziehung bzw. Züchtigung durch Gott verstanden (vgl. Hebr 12,5-11; Apk 3,19). Demgegenüber begegnet in den »Leiden des Apostels« ein spezifisch paulinisches Thema, 2 in dem dieser ausdrücklich von Leiden redet, die ihm als Apostel widerfahren. Diese sind im Neuen Testament sonst kein zentrales Thema, wo allgemein von Leiden der Jünger und der Gemeinden gesprochen wird. Die Leiden des Paulus beziehen sich auf sein Apostolat und auf seine Gemeinden: Paulus, berufener Apostel Jesu Christi (vgl. 1Kor 1,1; 2Kor 1,1; Gal 1,1; 1Thess 2,7), durch den Willen Gottes, der Gründer der Christengemeinde in Korinth, berichtet der korinthischen Gemeinde von zahlreichen Peristasen, die er als Diener Christi auf seinen Missionsfeldern erfahren hat. So ergibt sich folgende Differenzierung: Wir finden bei Paulus einerseits eine Aufzählung von Leidenserfahrungen, andererseits Interpretationen der widerfahrenen Leiden. Im Folgenden soll untersucht werden, ob die Peristasen für Paulus zur Beschreibung seines Einsatzes als Apostel dienen. Dies nötigt zur Frage, welches Verständnis Paulus seinen Leiden gibt und wie er sie deutet. Dazu sind zwei Relationen zu bestimmen. Erstens: In welcher Beziehung steht für Paulus sein Leiden zum Leiden Christi? Gibt es einen mystischen Bezug des leidenden Apostels zum leidenden Christus, wie eine klassische Interpretation sagt? Oder besitzen die Leiden als Epiphanie des irdischen Jesus Verkündigungscharakter, wie Güttgemanns annimmt? Zweitens: Wie 1 Vgl. dazu K LEINKNECHT , Der leidende Gerechtfertigte, 56ff. 2 Vgl. H. VON L IPS , Die „Leiden des Apostels“ als Thema paulinischer Theologie, in: P. M ÜLLER (Hg.), »…Was ihr auf dem Weg verhandelt habt«. Beiträge zur Exegese und Theologie des Neuen Testaments, FS F. Hahn, Neukirchen 2001, 117-128, 117. Zwar kennt das Neue Testament das Leiden in der Nachfolge Jesu, aber dies trifft nicht nur die Apostel, sondern auch die Jünger bzw. die Gemeinde. <?page no="264"?> 250 sieht Paulus seine Leiden im Verhältnis zum Leiden der Gemeinde bzw. aller Christen? Dabei stellt sich die weitere Frage: Versteht Paulus sein Leiden als stellvertretendes Leiden für die Gemeinde? 8.1.1 Die mystische Interpretation der paulinischen Leidensdeutung Die klassische Interpretation des Verständnisses der apostolischen Leiden ist die, dass die Leiden des Apostels und das Leiden Christi gleiche Bedeutung haben. Diese Interpretation trifft man schon bei Windisch, der in einem biblisch-religionsgeschichtlichen Vergleich die Parallelisierung von Paulus und Christus im Sinne eines Vergottungsprozesses annimmt: Paulus und Jesus gehören für ihn zum religionsgeschichtlichen Typus des qei/ oj avnh,r 3 bzw. zum Typ des »Christusmenschen«. 4 Deshalb nimmt Paulus »die Gestalt eines Soter« an. 5 Zu diesem Typus gehört auch das Leiden: Wie Christus als qei/ oj avnh,r gelitten hat, so muss auch Paulus als qei/ oj avnh,r leiden. So wird das Leiden des Apostels als Märtyrerleiden verstanden wie das Leiden Jesu. 6 Während diese Interpretation das Leiden Christi und das des Paulus parallelisiert, schaut die mystische Deutung beides ineinander. 8.1.1.1 Johannes Schneider Paulus leidet mit allen anderen Christen als ein Teil des sw/ ma Cristou/ , 7 umgekehrt wird die Leidenserfahrung Jesu Christi durch das sw/ ma Cristou/ zur Leidenserfahrung des Paulus. 8 Diese mystische Interpretation unterscheidet zudem nicht zwischen den Leidenserfahrungen des Apostels und der Gemeinde, sondern sieht beide zusammen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur mystischen Gemeinschaft mit den Leiden Christi (J. Schneider; E. Schweizer; A. Wikenhauser). Schneider formuliert deshalb: »Die Leiden der Gemeinde sind deshalb Christusleiden, weil das sw/ ma der Gemeinde identisch ist mit dem sw/ ma Christi«. 9 3 Vgl. H. W INDISCH , Paulus und Christus, Ein biblisch-religionsgeschichtlicher Vergleich, UNT 24, Leipzig 1934, 2f. 4 W INDISCH , Paulus und Christus, 229. 5 W INDISCH , Paulus und Christus, 248f. 6 Vgl. E.G. G ULIN , Die Freude im Neuen Testament, I. Teil: Jesus, Urgemeinde, Paulus, Annales Academiae Scientiarum Fennicae B XXVI/ 2, Helsinki 1932, 243ff.; G. S ASS , Apostelamt und Kirche. Eine theologisch-exegetische Untersuchung des paulinischen Apostelbegriffs, FGLP IX/ 2, München 1939, 92ff.; L OHSE , Märtyrer, 203ff. 7 Vgl. J. S CHNEIDER , Passionsmystik, 64-74. Auch S CHMITHALS , Gnosis, 122f., 108 Anm. 80, sieht die paulinische Leidenstheologie mit dem gnostischen sw/ ma Cristou/ -Motiv verbunden. 8 Vgl. J. S CHNEIDER , Passionsmystik, 32-37. 9 J. S CHNEIDER , Passionsmystik, 58f. <?page no="265"?> 251 Die mystische Interpretation geht davon aus, dass die Aussagen des Paulus über seine Leiden in ihrer ganzen Bedeutung erst aus seiner Christusmystik verstanden werden können. 10 Darüber hinaus gilt: »Das Entscheidende ist hier die von Paulus ganz tief empfundene mystische Leidensgemeinschaft mit dem Gekreuzigten, aus der heraus die Christusleiden auf ihn überströmen«. 11 Schneider beschreibt die Gegenwärtigkeit der Leiden Christi im Apostel als mystische Identität durch Überwindung der Zeitdifferenz »in der geheimnisvollen Einheit des pneumatischen Leibes mit dem auferstandenen Leib des Gekreuzigten«. 12 Für ihn sind deshalb auch die Gemeindeleiden identisch mit den Christusleiden. So kann er argumentieren: »Die paqh,mata und qli,yeij der Gemeinde sind deshalb paqh,mata und qli,yeij tou/ Cristou/ , weil Christus das Haupt der Gemeinde ist, der mit seinem Geiste in ihr wohnt und somit das leidet, was seine Gemeinde zu dulden hat«. 13 Diese Identität der mystischen Zeitdifferenz zwischen Paulus und Jesus ist ähnlich zwischen dem historischen Jesus und dem pneumatischen Christus. 8.1.1.2 Albert Schweitzer Die mystische Interpretation der paulinischen Leidensdeutung beruht auf einem mystischen Verständnis des sw/ ma Cristou/ . 14 In diesem Sinne versteht A. Schweitzer die Bedeutung der paulinischen Leiden im Zusammenhang einer Leidensmystik, in der die Christen an dem übergreifenden sw/ ma Cristou/ , d.h. an der Leiblichkeit Christi auf mystische Weise teilhaben. Dadurch haben sie an Sterben und Auferstehen Christi Anteil: 15 10 J. S CHNEIDER , Passionsmystik, 20; O. S CHMITZ , Die Christus-Gemeinschaft des Paulus im Lichte seines Genitivgebrauchs, Gütersloh 1924, 188.198. 11 J. S CHNEIDER , Passionsmystik, 50. 12 Vgl. J. S CHNEIDER , Passionsmystik, 32. So wird schon von D EISSMANN , Paulus, argumentiert. Er sieht die Beziehung der Leiden des Apostels zum Leiden Christi als ein »lichtes Gegenwartsmysterium« und behauptet, dass »das Kreuz aus einem historischen Begriff völlig eine pneumatische, mystisch vergegenwärtigte und lebendige Realität geworden« ist (157). 13 J. S CHNEIDER , Passionsmystik, 59. 14 Vgl. dazu T. S CHMIDT , Der Leib Christi. Eine Untersuchung zum urchristlichen Gemeindegedanken, Leipzig 1919; S CHNELLE , Paulus, 565-571; E. S CHWEIZER , Die Leiblichkeit des Menschen: Leben - Tod - Auferstehung, in: D ERS ., Beiträge zur Theologie des Neuen Testaments, Zürich 1970, 165-182; J.A.T. R OBINSON , The Body. A Study in Pauline Theology, London 1952; E. K ÄSEMANN , Leib und Leib Christi, Tübingen 1933. 15 Vgl. A. S CHWEITZER , Mystik, 120.122; zur Literatur zur Mystik vgl. E. S CHWEIZER , Die ‚Mystik‘ des Sterbens und Auferstehens mit Christus bei Paulus, in: D ERS ., Beiträge zur Theologie des Neuen Testaments, Zürich 1970, 183-203 (= EvTh 26 [1966], 239- 257); A. W IKENHAUSER , Die Christusmystik des Apostels Paulus, Freiburg 1955 (²1956); J. S CHNEIDER , Passionsmystik; S CHMITZ , Christusgemeinschaft; W. W EBER , Christusmystik. Eine religionspsychologische Darstellung der paulinischen Christusfrömmigkeit, Leipzig 1924; W. M UNDLE , Das religiöse Leben des Apostels Paulus, <?page no="266"?> 252 »Der ursprüngliche und zentrale Gedanke der Mystik Pauli ist also der, dass die Erwählten miteinander und mit Jesu Christo an einer Leiblichkeit teilhaben, die in besonderer Weise der Wirkung von Sterbens- und Auferstehungskräften ausgesetzt ist und damit der Erlangung der Seinsweise der Auferstehung fähig wird, bevor noch die allgemeine Totenauferstehung statt hat. 16 (…) Die die Mystik beherrschende rätselhafte Vorstellung des ‚Leibes Christi‘, dem die Gläubigen miteinander angehören und in welchem sie Gestorbene und Auferstandene sind, geht also auf die der präexistenten Kirche (‚Gemeinde Gottes‘) zurück. 17 (…) Aus der Vorstellung der vorherbestimmten Zusammengehörigkeit der Erwählten untereinander und mit Christo wurde in der Auferstehungsmystik Pauli die des gemeinsamen Teilhabens an einer in Hinsicht auf die Auferstehung bevorzugten Leiblichkeit. Aus dieser entsteht, durch sinngemäße Vereinfachung des Ausdrucks, die des mystischen Leibes Christi. Das Teilhaben der Erwählten mit Christo an derselben Leiblichkeit wird zu ihrem Teilhaben am Leibe Christi. 18 Die mystische Interpretation des sw/ ma Cristou/ -Motivs wird durch eine Taufaussage gestützt: Zum Glied des sw/ ma Cristou/ wird der Christ durch die Taufe (vgl. 1Kor 12,13). Nach A. Schweitzer gibt es ohne Taufe kein Sein in Christo: »Das Eigentümliche der paulinischen Mystik besteht gerade darin, dass das Sein in Christo nicht ein von dem Einzelnen durch eine besondere Anstrengung des Glaubens herbeigeführtes subjektives Erlebnis ist, sondern etwas, das sich an ihm, wie an anderen, bei der Taufe ereignet«. 19 Auch W. Weber spricht von Taufmystik, wonach die Taufe »Symbolisierung der mystischen Tatsache« des Gestorbenseins mit Christus ist. 20 8.1.1.3 Zur Problematik der mystischen Interpretation In diesem Zusammenhang muss man die Frage aufwerfen: Versteht Paulus seine Leiden als Märtyrerleiden? Versteht er es als Stellvertretungsleiden, 21 das vom Vorbild Jesu abgeleitet wird? Bringt Paulus seine Leiden wirklich mit dem sw/ ma Cristou/ -Motiv zusammen? Leidet er als Gemeindeglied? In welchem Verhältnis stehen der Leidensleib des Paulus und der Leib Christi? Bringt Paulus seine Leiden in einen Zusammenhang mit der Taufe? In welcher Beziehung stehen die Leiden des Apostels zur Gemeinde? Kann das Leiden des Apostels verglichen werden mit den Leiden in jedem Chris- Leipzig, 1923; A. S TEUBING , Der paulinische Begriff „Christusleiden“, Darmstadt 1905. 16 A. S CHWEITZER , Mystik, 116. 17 A. S CHWEITZER , Mystik, 117; vgl. auch J. S CHNEIDER , Passionsmystik, 68f.: »(…) in Leidensgemeinschaft mit den anderen Gliedern des Leibes Christi. Ihre Trübsale sind seine Trübsale. (…) Denn auch sie sind, wie Paulus, in Christus; ihre Leiden sind Christusleiden«. 18 A. S CHWEITZER , Mystik, 118. 19 A. S CHWEITZER , Mystik, 118. 20 W EBER , Christusmystik, 73. 21 Vgl. S ASS , Apostelamt, 91. <?page no="267"?> 253 tenleben oder besteht ein spezifischer Unterschied zwischen dem Leiden des Apostels und dem Leiden der Gemeinde? Die mystische Interpretation der apostolischen Leiden wird von vielen Exegeten - z.B. von E. Käsemann und E. Güttgemanns - abgelehnt. So betont Käsemann, dass die Leiden des Apostels Offenbarungscharakter haben. Güttgemanns, der die These von Käsemann aufgenommen hat, hat ebenfalls Kritik an dieser mystischen Interpretation geübt. 22 Auch er betont, dass die Leiden des Apostels Offenbarungscharakter haben, wobei er sie mit dem Begriff »Epiphaniegeschehen« umschreibt im Sinne eines christologischen Epiphaniegeschehens. 23 Dieser Ablehnung der mystischen Interpretation entspricht, dass sich m.E. Paulus in den Aussagen über seine Leiden selbst niemals als Glied am sw/ ma Cristou/ versteht. Er betont auch keine mystische Gemeinschaft mit Christus zu haben, sondern er interpretiert seine Leiden aus der Verkündigungsfunktion seiner ganzen Existenz. Im Folgenden werden wir deshalb die alternativen Vorschläge von E. Käsemann und E. Güttgemanns näher betrachten. 8.1.2 Die Interpretation der paulinischen Leidensdeutung als Epiphaniegeschehen 8.1.2.1 Ernst Käsemann In diesem Zusammenhang ist E. Käsemanns Interpretation von 2Kor 10-13 von Bedeutung, wo Paulus in der Bestreitung seines Apostolats ein anderes Evangelium und einen anderen Geist wahrnimmt. Er sieht das Sein im Apostolat als die Möglichkeit echter diakoni,a tou/ Cristou/ , deren Inhalt das Leiden als die eigentliche »Erscheinungsform des apostolischen Christusdienstes« ist. 24 Er versteht das Apostolat als Erscheinung »irdischer Manifestation des Evangeliums« 25 und als »irdische Manifestation des Christus selbst«, 26 wodurch das Leiden des Apostels eine christologische Relation erhält. 27 Das Leiden des Apostels ist die paradoxe Weise der Offenbarung 22 Vgl. dazu G ÜTTGEMANNS , Der leidende Apostel, 102-112. 23 G ÜTTGEMANNS , Der leidende Apostel, 107. 24 K ÄSEMANN , Legitimität, 53, auch W ENDLAND , 2Kor, 138. 25 Vgl. K ÄSEMANN , Legitimität, 49, dort bezogen auf die Textstelle 2Kor 2,14ff. 26 K ÄSEMANN , Legitimität, 53, sieht das evpiskhnw/ sai der Christuskraft in 2Kor 12,9 als irdische Manifestation des Christus selbst, in Aufnahme einer Aussage von A. S CHLATTER , Paulus, der Bote Jesu. Eine Deutung seiner Briefe an die Korinther, Stuttgart ²1956 (1934), 669: »Mit Recht hebt Schlatter die Eigenart des Terminus hervor, der sonst die praesentia dei im Tempel und beim Volk kennzeichnet«; vgl. K ÄSEMANN , Legitimität, 53 Anm 121. 27 K ÄSEMANN , Legitimität, 55, führt aus: »Die Schwachheit ist die Sphäre des gekreuzigten, die Gotteskraft die des erhöhten Christus. Und wie die Gotteskraft zugleich Grund der Christus-Auferstehung ist und Macht, welche in dieser Auferstehung ihren Gipfel erreicht, so ist die Schwachheit der Wurzelboden des Kreuzes und diese <?page no="268"?> 254 der Christuskraft. Deshalb ist für Käsemann der Apostel gleichsam selber »die Erscheinungsweise des Christus incarnatus nach dessen Himmelfahrt«. 28 W. Grundmann sieht die Schwachheit des Apostels als das »Unterpfand des Gegenwärtigseins der Christuskraft«. 29 Käsemann gibt also dem apostolischen Leiden eine christologische Bedeutung, so dass die Leiden des Apostels zur Offenbarung des Christus werden. 8.1.2.2 Erhardt Güttgemanns Güttgemanns hat - im Anschluss an Käsemann - entschiedene Einwände gegenüber einer mystischen Interpretation der paulinischen Leidenstheologie formuliert. Stattdessen spricht er von den Leiden des Apostels als »christologischer Epiphanie«: »Die Leiden des Apostels sind lediglich eine Form der Offenbarung des Christus. Diesem Epiphaniegeschehen ist auch der Begriff des mimhth,j unterzuordnen. Die christologische Epiphanie an der apostolischen Existenz setzt die Existenz der Christen mittels der Verkündigung aus sich heraus, so daß die Epiphanie sich über den Apostel auch auf die christliche Existenz überhaupt erstreckt. Damit wird aber der Apostel nicht zum Typ christlicher Existenz, da seine Epiphaniefunktion niemals übersehen werden darf. Der Epiphaniecharakter der apostolischen Existenz unterscheidet diese von jeder andren innerhalb der Gemeinde und verleiht ihr ihre besondere Dignität und Autorität. (…) Das Denken des Paulus denkt auch in der eigenen Existenz das zusammen, was im Geschehen der Offenbarung miteinander verbunden ist. Insofern ‚entspricht‘ der christologische Denkakt des Paulus der eigenen Existenz und ist somit an die Einheit mit dem Lebensakt gebunden. Im Motiv der Leiden des Apostels vollzieht sich die innigste Einheit von christologischer Verkündigung, apostolischer Existenzfunktion und theologischer Reflexion. Insofern ist dieses Motiv ein Knotenpunkt paulinischer Theologie.« 30 Indem Güttgemanns die Leiden des Apostels im Rahmen der paulinischen Christologie analysiert und theologisch interpretiert, konstatiert er zugleich in der Leidensdeutung einen Unterschied zwischen Apostel und Gemeinde: »Obwohl Paulus zweifellos auch von den ‚Leiden‘ der Gemeinde redet, unterscheidet sich das Ergebnis dieser Untersuchung von der Hauptmasse der bisherigen Beiträge dadurch, daß es die ‚Leiden‘ des Apostels thematisch von den ‚Leiden‘ der Gemeinde unterscheidet«. 31 Damit kommt dem paulinischen Leiden gleichzeitig »Verkündigungsfunktion« zu 32 und wird als »christologische Epiphanie« an der apostolischen Existenz zum Subjekt ihre höchste Entfaltung. Es ist ihr Merkmal, dass sie in unserm Zusammenhang zugleich als Attribut der Menschlichkeit und der Offenbarung erscheint«. 28 K ÄSEMANN , Legitimität, 54-56. 29 G RUNDMANN , Kraft, 104. 30 G ÜTTGEMANNS , Der leidende Apostel, 195f. 31 G ÜTTGEMANNS , Der leidende Apostel, 323. 32 G ÜTTGEMANNS , Der leidende Apostel, 324. <?page no="269"?> 255 der apostolischen Christusverkündigung. Obwohl der Apostel in einem wechselseitigen Verhältnis zur Gemeinde steht, hat er »eine klar erkennbare Autorität, die eben in der christologischen Epiphaniefunktion der apostolischen Diakonia besteht«. Lässt sich diese Deutung der Leiden des Apostels im Sinne der Epiphanie des Gekreuzigten halten? Die Argumentation von Güttgemanns, vor allem die Differenzierung zwischen den Leiden des Apostels und den Leiden der Gemeinde, wird in der neueren Literatur zum Thema meist abgelehnt. 33 In Güttgemanns’ These schlägt m.E. das Pendel zu sehr in Richtung Differenz zwischen Apostel- und Gemeindeleiden aus. Denn es gibt keine Möglichkeit, die Gemeinde ohne den Apostel bzw. den Apostel ohne die Gemeinde zu verstehen. So ist aufgrund der Verkündigungstätigkeit des Apostels und der Gründung der Gemeinden durch ihn die Beziehung zwischen beiden untrennbar, obwohl gerade darin auch eine gewisse Besonderheit des Apostels liegt. 8.2 Das Apostolat im Rahmen eines Kommunikationsmodells Heute wird eine mystische Interpretation der paulinischen Leidensdeutung nicht mehr angenommen. Doch auch die Interpretation als Epiphaniegeschehen bringt in Schwierigkeiten, wie wir gesehen haben bzw. noch sehen werden, können doch die Leiden des Apostels auch als Konsequenz von dessen Apostolat und seiner Verkündigungstätigkeit interpretiert werden, da Paulus sein Leiden häufig in einem begründenden Zusammenhang mit Christus, mit dem Evangelium und mit der Gemeinde charakterisiert. Dieser Aspekt wird von H. von Lips mit Hilfe des Bildes eines Kommunikationsmodells expliziert: »Der Apostel ist der die Nachricht vermittelnde Kanal, Sender ist der beauftragende Herr, die Nachricht ist das Evangelium, der Empfänger sind die Adressaten der Verkündigung, letztlich die Gemeinde«. 34 Dieses Bild lässt sich folgendermaßen veranschaulichen: 33 Zur Kritik vgl. F ISCHER , Bedeutung des Leidens, 100-109; J. L AMBRECHT , The nekr sis of Jesus. Ministry and Suffering in 2 Cor 4,7-15, in: D ERS ./ A. Vanhoye (Hg.), L’Apôtre Paul. Personnalité, style et conception du ministère, BEThL 73, Leuven 1986, 120-143, 128-132. 34 VON L IPS , Leiden des Apostels, 123. <?page no="270"?> 256 Kommunikationsmodell Sender: Herr (*Nachricht: Evangelium) Kanal: Apostel Empfänger: Adressaten der Verkündigung bzw. Gemeinde Durch die Anwendung des Kommunikationsmodells soll die notwendige Zusammengehörigkeit der drei Aspekte des Apostolats deutlich gemacht werden. 35 In der Kommunikation des Vermittlungsauftrags des Apostels zur Verkündigung gehören diese drei Aspekte zusammen: Durch diese drei Aspekte des Apostolats bringt Paulus sein Leiden in einen Begründungszusammenhang mit Christus, mit dem Evangelium und mit der Gemeinde. 36 8.3 Die grundlegenden Textbefunde In den paulinischen Briefen liegen besondere Spitzenaussagen zu diesem Leidensverhältnis vor. Vier paulinische Texte kommen als Parallelen in Frage und geben Spuren ähnlicher Gedanken wieder. Die Aussagen in 2Kor 1,4-5 und 4,8.10 beziehen das Leiden des Apostels auf die Leiden Christi, Kol 1,24 zielt auf die Leiden der Gemeinde (bzw. auf Christus) und Röm 8,17-18 auf die Christen allgemein. 2Kor 1,4-5 evpi. pa,sh| th/ | qli,yei ta. paqh,mata tou/ Cristou/ Christus 2Kor 4,8.10 evn panti. qlibo,menoi th.n ne,krwsin tou/ VIhsou/ Christus Kol 1,24 evn toi/ j paqh,masin tw/ n qli,yewn tou/ Cristou/ Gemeinde Röm 8,17-18 ta. paqh,mata tou/ nu/ n sumpa,scomen Christen In 2Kor 4,10 gibt der Apostel vor: »Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar wer- 35 Vgl. dazu H. VON L IPS , Das Medium ist die (frohe) Botschaft, in: C. K ÄHLER u.a. (Hg.), Gedenkt an das Wort. FS W. Vogler, Leipzig 1999, 93-106, 97-100. 36 Diesen dritten Bezug auf die Gemeinde lässt M. Wolter unbeachtet, wenn er vom »apostolischen Leiden« spricht, dem Paulus »um Christi und der Verkündigung des Evangeliums willen unterworfen ist«; vgl. M. W OLTER , Der Apostel und seine Gemeinden als Teilhaber am Leidensgeschick Jesu Christi: Beobachtungen zur paulinischen Leidenstheologie, NTS 36 (1990), 535-557, 549; vgl. auch D ERS ., Art. Leiden III, TRE 20 (1990), 677-688, 680. <?page no="271"?> 257 de«. Vergleichbar dazu ist die peristasenartige Aussage Gal 6,17, wonach »Paulus die Stigmata Jesu an seinem Leibe trägt«. Gemäß dem Proömium 2Kor 1,5 sind die paqh,mata tou/ Cristou/ dem Apostel überreich zuteil geworden; Paulus spricht deshalb von seiner eigenen »Koinonia mit dem Leiden Christi« in Phil 3,10. Obwohl der Kolosserbrief in heutiger Forschung als deuteropaulinisch gilt, bleiben die Aussagen von Kol 1,24 im Zusammenhang mit dem Leiden des Apostels in der von Paulus vorgegebenen parallelen Struktur: »Ich freue mich in den Leiden für euch und vollende die noch ausstehenden Bedrängnisse Christi ( qli,yewn tou/ Cristou/ ) 37 an meinem Fleisch für seinen Leib, das ist die Gemeinde«. Hier stehen die Fragen der Zuordnung zu den Leiden Christi sowie die stellvertretende Deutung des apostolischen Leidens zur Diskussion. 38 In der Leidensdeutung trifft sich damit die Aussage Röm 8,17-18, wo das Leiden als allgemeine christliche Existenzwirklichkeit beschrieben wird, ohne inhaltliche Differenzierung zwischen Apostel und Gemeinde (vgl. auch Röm 5,3f. und 8,31-39). Ein Grund dürfte darin liegen, dass der Römerbrief nicht wie die anderen Briefe an eine von Paulus selbst gegründete, sondern an eine ihm persönlich noch unbekannte Gemeinde geschrieben wurde. Als zentraler Text gilt der Abschnitt 2Kor 4,7-15, der in Zusammenhang mit einem Peristasenkatalog die Aussage ne,krwsij tou/ VIhsou/ (4,10) enthält. Zu den exegetischen Ergebnissen sei auf die Analyse von 2Kor 4,7-15 innerhalb dieser Arbeit verwiesen. Die als Aufzählung von Bedrängnissen und Nöten verstandenen Peristasenkataloge sind also als Ausgangspunkt für die paulinische Leidensdeutung zu verstehen. Dabei stellt sich die Frage, ob die Deutung der Relation der Leiden des Paulus zum Leiden Christi Ergebnis seiner Christologie ist. Sehr viel näher liegt die Auffassung, dass sich eine christologische Deutung erst aus dem Verständnis der durch die Gemeindesituation geschaffenen Leidenserfahrungen entwickelt hat! 8.4 Die Bezüge des Leidens zum Apostolat 8.4.1 Leiden innerhalb der Peristasenkataloge - passiv oder aktiv? Die Frage drängt sich auf, ob Paulus seine apostolischen Leiden - vor allem in Bezug auf die Peristasenkataloge - passiv oder aktiv verstanden hat. Wie 37 Paqh,mata und qli/ yij werden in diesen Texten und im unmittelbaren Kontext ohne Differenzierung gebraucht. Wichtig ist so, dass außer hier qli/ yij im NT nie das Leiden Jesu selbst bezeichnet, sondern immer nur Bedrängnisse, die sich aus dem Verbundensein mit dem Christus ergeben. Ist dies ein Grund dafür, dass der Kolosserbrief deuteropaulinisch ist? 38 Zur Diskussion und Auslegungsgeschichte vgl. K REMER , Was an Leiden Christi noch mangelt. <?page no="272"?> 258 interpretiert er die Aufzählung von Leidenserfahrungen, die in den Peristasenkatalogen vorliegen? Hock versteht die Arbeitsmühe ( ko, poj ) 39 des Paulus als eine Überstrapazierung: Unter Verweis auf 1Kor 9,19 und 2Kor 11,7 argumentiert er, dass Paulus gezwungen war zu arbeiten und er dies als Herabwürdigung seines eigentlichen Standes erlebte. 40 Daraus folgert er eine passive Bedeutung der paulinischen Leiden. Kann man aber der Arbeitsmühe des Paulus eine solche passive Bedeutung geben? Bei Paulus geht diese Arbeitsmühe doch auf den freiwilligen Verzicht auf Lebensunterhalt und Bezahlung seiner Missionsverkündigung zurück (z.B. 2Kor 11,7-11; 12,13f.; 1Thess 2,9). Er hat sich doch selbst und aus freien Stücken mit seiner eigenen Hände Arbeit den Lebensunterhalt bei der Gründungsmission verdient (1Kor 4,12; 9,6; vgl. auch 1Thess 2,9; 2Thess 3,8; Apg 18,3; 20,34). Dieser Gedanke des Paulus wird in 1Kor 9,12 noch deutlicher, wo er alles um des Evangeliums Christi willen (Ziel! ) erduldet. Auch in den Peristasen 2Kor 6,5 beschreibt Paulus keine aufgezwungene Entbehrung von Schlaf und Nahrung, sondern spricht von freiwilligem Schlafverzicht und selbst gewähltem Nahrungsmangel. Solche Aussagen widerlegen die Ansicht von Hock, dass Paulus gezwungen war zu arbeiten. Die von Paulus in den Peristasen aufgezählten übermäßigen Strapazen haben ja das Ziel, ihn als Diener Christi zu erweisen. In ihnen wird das u`pe.r evgw, (ich noch mehr, vgl. 2Kor 11,23a) in seinem apostolischen Dienst konkret. Schon Schrage argumentierte, dass die Leiden nicht nur passiv gemeint sind, sondern auch eine aktive Bewährung einschließen. 41 Daraus wird m.E. ersichtlich, dass die Leiden des Paulus im Zusammenhang mit seinem aktiven apostolischen Dienst stehen. Diese aktive Haltung des Apostels wird aber vor allem im Peristasenkatalog 2Kor 11,21b-30 deutlich. Die Funktion der Aufzählung besteht hier ja darin, die Autorität und Legitimation seiner Aposteltätigkeit gegenüber den Überaposteln zu erweisen. Dieser Peristasenkatalog unterstreicht, dass Paulus mehr als alle anderen Diener Christi ist. Er bestätigt sein Apostolat auch mit der Aussage evn ko,poij perissote,rwj (vgl. auch 1Kor 15,58; 2Kor 6,5; 10,15; 1Thess 1,3; 2,9; 3,5) und den vielen Komparativformen in diesem Peristasenkatalog. So wird durch die Komparativformen im Peristasenkatalog ersichtlich, dass seine Haltung im apostolischen Dienst aktivisch zu verstehen ist. Noch bedeutungsvoller ist 1Kor 15,10, wo Paulus sich mit den anderen Aposteln vergleicht und sagen kann: »Ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle ( perisso,teron auvtw/ n pa,ntwn evkopi,asa )«. Hier wird zusätzlich zum Ausdruck gebracht, dass das kopia/ n des Paulus ein Wirken der Gnade Gottes 39 Das Wort ko,poj ist ein Begriff für Arbeit und Mühe, für den es im Deutschen kein einzelnes Wort gibt. Deshalb gebrauche ich das von mir gebildete Wort »Arbeitsmühe«. 40 Vgl. H OCK , Tentmaking, 558ff. 41 Vgl. S CHRAGE , Leid, 154-156. <?page no="273"?> 259 ist. Auch wenn hier keinerlei Hinweis auf ein Leiden gegeben wird, bleibt diese Aussage für die Diskussion um die Bedeutung der Leiden von Gewicht. Auch in 2Kor 6,5 finden wir das Wort ko,poj , das deutlich aktive Aspekte einschließt, innerhalb eines Peristasenkatalogs. Als Teile eines Peristasenkatalogs sind ko,poj bzw. ko,poi in 11,27 und 6,5 direkt auf das Leiden bezogen. Aufschlussreich entfaltet Paulus die Aussage in 1Kor 9,24-27, wo zwar kein direkter Bezug auf Leidensaussagen vorliegt, aber eindeutig auf sein Apostolat angespielt wird. Dabei handelt es sich um die Freiheit des Apostels zum Verzicht auf Unterhalt um seines Dienstes am Evangelium willen. Dieses Bild, das um die eigene körperliche Entbehrung kreist, wird von den Auslegern als Agon-Motiv bezeichnet. Der Textbefund in Phil 1,30 und 1Thess 2,2 ( avgw,n ) ist dem von 1Kor 9,25 ( avgwni,zesqai ) vergleichbar. Mit diesem Motiv betont Paulus in 2Kor 10,15 die Arbeitsmühen anderer Apostel, mit denen er sich an den schon genannten Stellen 1Kor 15,10 und 2Kor 11,23 vergleicht. Das Motiv des Sich-mehr-Abmühens legt den Vergleich zu den anderen Stellen 1Kor 15,10 und 2Kor 11,23 nahe. Dabei macht der Bezug auf die Aufzählung in 2Kor 11,21ff. deutlich, dass die Leiden des Paulus im Zusammenhang mit seinem aktiven apostolischen Dienst stehen. Beachtenswert ist dabei, dass im Umfeld von 2Kor 4,7-15 die Aussage des Paulus ouvk evgkakou/ men (4,1 und 4,16) diesen Peristasenkatalog einrahmt, also im Sinne von »wir ermüden nicht«. Aus den bisherigen Ergebnissen ist ersichtlich: Die Leiden des Apostels sind nicht als passivisch zu verstehen, sondern sind im Zusammenhang mit den Peristasenkatalogen wesentlich aktivisch zu deuten. Paulus weiß schon, warum er leidet. Seine Antwort ist: um Christi, des Evangeliums und der Gemeinde willen. 8.4.2 Präpositionalverbindungen zur Präzisierung der Leidenserfahrungen Die Leiden des Apostels werden durch die Formulierung von Präpositionalverbindungen näher bestimmt. Dabei geht es um die Frage, wozu Paulus leidet. In den Peristasenkatalogen erscheinen dabei die drei Präpositionen dia, mit Akkusativ, u`pe,r mit Genitiv und e[neken mit Genitiv. Alle drei haben eine gleiche Bedeutung hinsichtlich der Leidenserfahrung des Paulus. In der folgenden kurzen Skizze werden die Präpositionalverbindungen nur in Bezug auf die Leidenserfahrung im apostolischen Dienst untersucht. 8.4.2.1 Die dia, -Aussage innerhalb der Leidenserfahrungen Durch die Formulierung dia, mit Akkusativ 42 wird das »um willen, wegen« des Leidens ausgedrückt. Zuerst bezieht sich die Präposition dia, auf Jesus 42 Vgl. B AUER , Wörterbuch, 362f. <?page no="274"?> 260 bzw. Christus. So sind die Apostel in 1Kor 4,10 Törichte, Schwache und Verachtete dia. Cristo,n (um Christi willen). Nach 2Kor 4,11 erlebt Paulus sein Leiden als ständig dem Tod ausgeliefert dia. VIhsou/ n (um Jesu willen). Eine ähnliche Bedeutung trifft man in 2Kor 4,5, dem ersten Peristasenkatalog im 2. Korintherbrief: Paulus verkündigt nicht sich selbst, »sondern Jesus Christus als Herrn, uns aber als eure Sklaven ( dou,louj u`mw/ n ) um Jesu willen ( dia. VIhsou/ n )«. Paulus erweist sich selbst damit zugleich als Knecht um Jesu willen bei der Verkündigung in seinem Apostolat. Gleichermaßen begegnet eine Aussage noch in Phil 3,8 ( diV o]n ta. pa,nta evzhmiw,qhn ) 43 im Sinne von »um dessen willen ich alles verloren habe«, d.h. um Jesu Christi willen. Die Präposition dia, ist auch auf das Evangelium bezogen. In 1Kor 9,23, wo es um die Freiheit des Apostels geht, geschieht sein Verhalten dia. to. euvagge,lion (um des Evangeliums willen). In V.12 beschreibt er ausdrücklich: »Wir ertragen alles, damit wir dem Evangelium Christi kein Hindernis bereiten«. Auf der Seite von der Gemeinde äußert Paulus in 2Kor 4,15 nach den Aussagen des Peristasenkatalogs: ta. pa,nta diV u`ma/ j , im Sinne von »alles geschieht um euretwillen«, d.h. um der korinthischen Gemeinde willen. Die dia, -Aussage macht also deutlich, zu welchem Zweck Paulus leidet. Er leidet um Christi willen, um des Evangeliums willen, um der Gemeinde willen. 8.4.2.2 Die u`pe,r -Aussage innerhalb der Leidenserfahrungen Eine weitere Präpositionalverbindung mit Leidensaussagen ist u`pe,r mit Genitiv 44 im Sinne von »um willen, für, zugunsten von, anstelle von«. Im Peristasenkatalog 2Kor 12,10, der Schlussfolgerung von 12,1-10, erduldet Paulus aus Freude die Leiden u`pe.r Cristou/ (um Christi willen). In V.15, der ein Teil des Epilogs zur Narrenrede 12,11-18 ist, sagt Paulus, dass er für die Gemeinde ( u`pe.r tw/ n yucw/ n u`mw/ n , 45 d.h. »für euch, für euer Leben«) mit Freuden das eigene Leben hingeben will ( evkdapana/ n im Passiv mit dem übertragenen Sinn »sich aufopfern«). Vergleichbar ist auch 2Kor 1,6, wo im Proömium steht, Paulus erfahre Bedrängnisse zum Trost und Heil der korinthischen Gemeinde ( qlibo,meqa( u`pe.r th/ j u`mw/ n paraklh,sewj kai. swthri, aj ). Paulus begreift das Leiden in Bezug auf Christus, auf das Evangelium und auf die Gemeinde, d.h. mit diesen drei Aspekten ist der Zusammenhang seines Apostolats zum Ausdruck gebracht. Dabei steht mit der u`pe,r -Aussage, die auf die Gemeinde bezogen ist, die Frage zur Diskussion: Ist hier ein stellvertretendes Leiden des Apostels gemeint oder nicht? 43 Obwohl es sich dabei nicht um eine Leidensaussage handelt, ist diese Stelle für die Funktion der dia, -Aussage (um Jesu Christi willen) wichtig. 44 Vgl. B AUER , Wörterbuch, 1670-1672. 45 Zum Begriff yuch, vgl. G RÄSSER , 2Kor II, 227. <?page no="275"?> 261 8.4.2.3 Die e[neken -Aussage innerhalb der Leidenserfahungen Die Präpositionalverbindungen u`pe,r bzw. dia, haben kausale Bedeutung und zielen auf den Zweck des Leidens. 46 Dem entspricht auch eine e[neken - Aussage, 47 die bei Paulus ganz selten vorkommt 48 und nur in Röm 8,36, innerhalb eines Peristasenkatalogs, dem einzigen im Römerbrief (Röm 8,31- 39). Sie steht in einem Zitat aus einer atl. Volksklage und bezieht sich auf den jüdischen Märtyrertod. 49 Paulus versteht das e[neken sou/ als »um Jesu willen«, d.h. wie Schlachtschafe wird der Apostel den ganzen Tag um Jesu willen getötet (vgl. auch 2Kor 4,10f. »allezeit das Sterben Jesu am Leib umhertragend«; auch Gal 6,7 vom Tragen der Stigmata Jesu). In 1Kor 15,30 stellt Paulus die Frage: Wozu sind auch wir jede Stunde in Gefahr? Hier kann man ti, nicht als Grund (warum) verstehen, sondern als Zweck (wozu). Im Sinne des Paulus wäre zu antworten: um Jesu willen. Zusammenfassend ist zu sagen: Diese drei Präpositionsangaben machen deutlich, dass die Leiden des Paulus mit dem Leiden Christi nicht identisch sind. 50 Die Aussagen dia. Cristo,n und u`pe.r Cristou/ belegen, dass Paulus nur um Jesu willen leidet. Dann aber kann keine Identität mit dem Leiden Christi vorliegen. Wenn aber keine Identität mit dem Leiden Christi vorliegt, dann kann auch nicht von einem stellvertretenden Leiden des Apostels für die Gemeinde, geschweige denn von dessen soteriologischer Funktion gesprochen werden. 51 Deswegen ist für Paulus die Interpretation seines Leidens im Sinne der Stellvertretung auszuschließen. 8.5 Zuordnung des apostolischen Leidens zum Leiden Christi und zum Leiden der Christen 8.5.1 Die Leiden des Paulus und die Leiden Christi Damit ist jedoch erneut die Frage gestellt, in welchem Verhältnis Paulus seine Leiden zu den Leiden Christi sieht. Zunächst kann davon ausgegangen werden, dass die Leidensdeutung des Paulus nicht mehr im Sinne mystischer Vereinigung 52 - wie etwa bei J. Schneider und A. Schweitzer - 46 H. R IESENFELD , Art. u` pe, r , ThWNT VIII (1969), 510-518, 517; A. O EPKE , Art. dia, , ThWNT II (1935), 64-69 47 Vgl. B AUER , Wörterbuch, 534. 48 In allen paulinischen Briefen kommt sie nur sechsmal vor: Röm 8,36; 14,20; 2Kor 3,10; 7,12³; in den Peristasenkatalogen nur einmal (Röm 8,36). 49 Vgl. Z ELLER , Römerbrief, 167. 50 Dagegen G ÜTTGEMANNS , Der leidende Apostel, 106f.112-119. 51 Die breite Diskussion über ein stellvertretendes Leiden des Apostels beziehungsweise dessen soteriologische Bedeutung kann hier nicht geführt werden. Zur Literatur: K REMER , Was an Leiden Christi noch mangelt. 52 Vgl. dazu schon die frühen Einwände von F ISCHER , Bedeutung des Leidens, 58-70. <?page no="276"?> 262 oder als Epiphaniegeschehen - wie bei E. Käsemann und E. Güttgemanns - verstanden werden kann. Dennoch ist die Auffassung einer engen Verbundenheit mit dem Leiden Christi, die einer Identifizierung gleichkommt, weiterhin bei Güttgemanns zu finden. Seine Argumentation verweist besonders auf 2Kor 4,10, wonach der irdische Jesus jetzt der Kyrios ist und der irdische Jesus nicht von dessen Auferweckung, Erhöhung oder Himmelfahrt zu trennen ist. 53 Die These von Güttgemanns, dass das Leiden des Paulus Epiphanie des irdischen Jesus als des auferstandenen Herrn sei, ist heftig bestritten worden, 54 enthält sie doch das Problem, dass in der Deutung des Leidens als Epiphaniegeschehen nicht Paulus, sondern Jesus Subjekt des Leidens ist. Danach leidet nicht Paulus, sondern Jesus leidet in Paulus, sind doch die Leiden des Apostels eine Epiphanie Jesu, der sich dadurch offenbart. Demgegenüber ist festzuhalten: Paulus leidet nicht wie Jesus gelitten hat, noch versucht er, die Passion Jesu zu imitieren. Deshalb ist das apostolische Leben des Paulus bzw. sein Leiden nicht als Epiphanie Christi zu verstehen. Vielmehr verkündigt er Jesus Christus und leidet um Jesu Christi willen, schließt doch die Aussage dia. VIhsou/ n (2Kor 4,11a) - wie oben gezeigt wurde - die Identität mit Jesus aus. Die Leiden des Paulus müssen nach den aufgezählten Peristasenkatalogen im Zusammenhang mit der missionarischen Aktivität des Apostels verstanden werden. In diese Richtung führen die Aussagen in 2Kor 1,5, wonach »die Leiden Christi überreich auf uns kommen«, und auch 2Kor 4,10, wo vom Tragen des Sterbens Jesu an seinem Leibe, und Gal 6,17, wo vom Tragen der Stigmata Jesu gesprochen wird. In Phil 3,10 wünscht sich Paulus die Gemeinschaft ( koinwni,a ) mit dem Leiden Christi und das Gleichgestaltetwerden mit seinem Tod. Ähnliche Gedanken des Paulus finden sich in Phil 1,20, wonach Christus am Leibe des Paulus verherrlicht werden soll, sei es durch Leben oder durch Tod ( ei; te dia. zwh/ j ei; te dia. qana,tou ). Versteht man die Aussage »die Leiden Christi kommen überreich auf uns« (2Kor 1,5) jedoch als christologisch qualifiziert (als ta. paqh,mata tou/ Cristou/ ), dann können die Leiden auch als überreich von Christus gewährter Trost wirken. Für Paulus ist solcher Trost verknüpft mit einem neuen Verständnis seiner selbst, das sich für ihn aus der Christusverbundenheit ergibt, so dass die in der eigenen Existenz erfahrenen Leiden Christi zu einem integralen Bestandteil seiner Sendung als Apostel des gekreuzigten Christus werden. 55 Eine Übernahme der Leiden Jesu (2Kor 1,5) legt auch die Aussage Sterben Jesu (2Kor 4,10) nahe. Aber das Tragen des Sterbens Jesu am Leib des Paulus kann nicht als »Epiphaniegeschehen« des irdischen Jesus verstanden werden, sondern als Charakterisierung der missionarischen 53 Vgl. G ÜTTGEMANNS , Der leidende Apostel, 114. 54 Vgl. die ausführliche Kritik bei F ISCHER , Bedeutung des Leidens, 85-99; auch L AMBRECHT , Nekrosis, 128-132. 55 Vgl. W OLTER , Apostel, 547; G RÄSSER , 2Kor II, 58. <?page no="277"?> 263 Existenz des Apostels. In Verbindung mit dem Jesusnamen zielt der Begriff auf dessen Sterben am Kreuz, d.h. auf sein Todesleiden. Paulus verkündigt den Gekreuzigten und leidet alle Zeit um Jesu willen (vgl. 2Kor 4,11). In diesem Sinne sind die Leiden des Apostels als Gemeinschaft mit den Leiden Christi, 56 als Gleichgestaltung mit seinem Tod (Phil 3,10) zu verstehen. In Phil 3,10 liegt eine chiastische Wendung vor: Auferstehung - Leiden - Tod - Auferstehung. Darin betont Paulus einerseits die Kraft der Auferstehung im Leben der Glaubenden, andererseits die Auferstehung von den Toten. Gemeinschaft an Leiden und Auferstehung sind also gleichzeitig zu erfahren im christlichen Leben. Der Kraft der Auferstehung Jesu kann man sich nicht erfreuen ohne die Partizipation an seinem Leiden. Für den Glaubenden bedeutet das, dass er in seinem Leiden mit Christus durch die Kraft der Auferstehung Christi gestärkt wird. In diesem Sinne dienen die Leiden des Paulus zur Verkündigung des Evangeliums. Die Leiden des Paulus werden durch die Existenz Jesu Christi ermöglicht, durch dessen Sterben und Leben der Apostel existiert. Der Gekreuzigte und Auferstandene ist somit das Evangelium des Paulus und Gegenstand seiner Verkündigung. Die Aussage Leiden mit Christus bedeutet deshalb für Paulus Leiden um Christi willen. Dies wird auch im Zusammenhang mit dem Peristasenkatalog 2Kor 4,7-15 deutlich. Der Schatz ( qhsauro,j ) in 4,7 - so die Überschrift des Peristasenkataloges - bezieht sich auf das Evangelium ( euvag ge,lion th/ j do,xhj tou/ Cristou/ , 4,3f.), ferner auf den apostolischen Dienst ( e; contej th.n diakoni, an tau,thn , 4,1). Deswegen muss das Tragen des Sterbens Jesu als Ausdruck des missionarischen apostolischen Dienstes verstanden werden. Aus guten Gründen ist deshalb die mystische Interpretation oder die Interpretation als Epiphaniegeschehen in heutiger Exegese nicht mehr zentral. 57 Die Leiden des Paulus sind demnach der Erweis seiner apostolischen Legitimität. Deshalb stehen die Peristasenkataloge vornehmlich im Zusammenhang mit Texten seiner Apologie. Durch den engen Zusammenhang seiner Leiden mit den Leiden Christi unterstreicht Paulus, dass er vom Herrn zum Apostel und zur missionarischen Aktivität berufen ist (1Kor 1,1). 58 Der Zweck, weshalb Paulus die Peristasenkataloge aufzählt, besteht dann gerade darin, seinen Gegnern gegenüber seine apostolische Autorität zu legitimieren bzw. den korinthi- 56 Der Begriff pa, qhma kommt im Philipperbrief nur hier vor. 57 Das mystische Thema ist aber in systematischen Arbeiten heute wieder aufgetaucht, so etwa bei E. B ISER , Paulus. Zeuge, Mystiker, Vordenker, München 1992. Vgl. auch W.E. M ÜLLER (Hg.), Zwischen Denken und Mystik. Albert Schweitzer und die Theologie heute, Bodenheim 1997; H.C. M EIER , Mystik bei Paulus: Zur Phänomenologie religiöser Erfahrung im Neuen Testament, Tübingen 1998; G. M ÜLLER , Die Mystik oder das Wort? Zur Geschichte eines Spannungsverhältnisses, Stuttgart 2000. Zur Mystik bei Jesus vgl. H. J ASCHKE , Jesus, der Mystiker, Mainz 2000. 58 Vgl. VON L IPS , Leiden des Apostels, 125. <?page no="278"?> 264 schen Gemeinden das wahre Evangelium zu verkündigen. Paulus erweist und empfiehlt sich ihnen als wahrer Diener Christi (bzw. Gottes). 8.5.2 Die Leiden des Paulus und die Leiden der Gemeinde Für die Leidensdeutung des Paulus wird von einigen Exegeten ein Unterschied zwischen Apostelleiden und Gemeindeleiden herausgearbeitet. Dieser wird vor allem von Güttgemanns betont, weil »die christologische Epiphanie- und Verkündigungsfunktion das Spezifikum der apostolischen Leiden ist. Insofern der apostolischen Verkündigung ein christologischer Epiphaniecharakter eignet, darf sie keineswegs zu einer Funktion der Gemeinde allgemein oder anderer Charismenträger gemacht werden«. 59 Da aufgrund der Verschiedenheit der charismatischen Gaben die Funktion des Apostels »weder zur Funktion der anderen Charismata noch zur allgemeinen Funktion« des sw/ ma Cristou/ gemacht werden darf, 60 kann das Wesen des Apostels nicht von der Gemeinde, sondern nur von Christus her bestimmt werden. Dennoch stellt sich die Frage: Kann man die Deutung der apostolischen Leiden von den Leiden der Gemeinde unterscheiden, wie Güttgemanns annimmt? Qualifiziert Paulus sein Leiden anders als das Gemeindeleiden? Obwohl Paulus innerhalb der Peristasenkataloge an keiner Stelle neben seinem eigenen Leiden direkte Aussagen zur Leidensexistenz der Gemeinden macht, kann diese Frage von anderen peristasenartigen Aussagen in paulinischen Briefen her beantwortet werden. Von Leidenserfahrungen der von ihm gegründeten Gemeinden spricht Paulus ausführlich in 2Kor 1,6f.; Phil 1,27-30. Auch drei Stellen im 1. Thessalonicherbrief widmen sich diesem Thema: 1,6; 2,13f.; 3,3f. So spricht er von der Teilhabe der Korinther an den Leiden des Paulus (2Kor 1,7), die Philipper stehen in ihrem Leiden im gleichen Kampf wie er (Phil 1,27ff.), nach dem 1. Thessalonicherbrief sind die kommenden Bedrängnisse allen gemeinsam (1Thess 3,3f.). Alle diese Texte zeigen, dass Paulus die Leiden seiner Gemeinden im Wesen nicht anders als seine eigenen sieht. 1Thess 1,6 und 2Kor 1,7 konstituieren das Proömium des jeweiligen Briefes und dort folgen Aussagen zu den Gemeindeleiden auf die Erinnerung an die Verkündigung des Evangeliums durch Paulus, die zur Gründung der Gemeinden geführt hat (1Thess 1,5; 2,1-12). Gleiches gilt für Phil 1,27-30, wo die Aussage zu den Gemeindeleiden auf das Evangelium bezogen wird. Die Gemeindeleiden (2Kor 1,6-7) stehen also der paulinischen Leidensexistenz nicht nach (1,5; 8-9). In Phil 1,27-30 folgen sie direkt auf die ausführliche Beschreibung der Gefangenschaft des Paulus (1,12-26). 59 G ÜTTGEMANNS , Der leidende Apostel, 324f. 60 G ÜTTGEMANNS , Der leidende Apostel, 325. <?page no="279"?> 265 Diese Texte zeigen, dass Paulus die Leidenserfahrungen der Gemeinden wie seine eigenen Leiden versteht. Die Gemeinde erfährt dieselben Leiden wie er. Er bringt das in » ta. auvta. paqh,mata « (2Kor 1,6) und » o` auvto.j avgw,n « (Phil 1,30) zum Ausdruck, wenn er von den Leidenserfahrungen seiner Gemeinden (2Kor 1,6) spricht. Wenn die Gemeinden die ihnen in der Nachfolge des Gekreuzigten widerfahrenden Verfolgungen, Schmähungen und Kränkungen (1,4; 8,2; vgl. 1Thess 1,6; 2,14; 3,3f.; Phil 1,27-30; Röm 12,12) ebenfalls als das Sterben Jesu an ihrem Leibe erfahren, also als Leiden Christi verstehen, dann stehen sie in der Gleichheit des Leidens mit Paulus, dann verwandelt sich auch ihre Leidenserfahrung in getröstete Hoffnungsgewissheit: 61 »Wir sind Miterben Christi, wenn wir wirklich mitleiden, damit wir auch mitverherrlicht werden« (Röm 8,17). Teilhabe am Leiden des Apostels hat also »Teilhabe an der apostolischen Getröstetheit« 62 zur Folge. Durch die Leiden Christi (2Kor 1,5) sind Apostelleiden und Gemeindeleiden aufeinander bezogen. In V.7 erklärt Paulus die Korinther in diesem Sinne als Teilhabende an dem Leiden und lässt dabei offen, ob er an die Gemeinschaft der Korinther mit den Leiden des Apostels oder auch an die mit den Leiden Christi denkt. Hotze formuliert deshalb: »Die Korinther haben in ihrem Leiden und Trost sowohl mit dem Apostel als auch - durch ihn vermittelt - mit Christus Gemeinschaft«. 63 Wichtig ist die Aussage des Paulus in 2Kor 1,6, dass die Gemeinde dieselben Leiden wie der Apostel erfährt. So gestaltet sich Gemeinde als Leib Christi: »Leidet ein Glied, leiden alle mit, wird eines geehrt, freuen sich alle mit« (1Kor 12,26). In 1Thess 3,3-4 spricht Paulus von der Leidenserfahrung von Apostel und Gemeinde als einem gemeinsamen Erlebnis. In diesen Versen bleibt offen, ob die Aussage dem paulinischen Leiden oder dem Leiden der Gemeinde gilt. Trotzdem lässt sich die Frage in dem Sinne beantworten, dass hier allein die Leidenswirklichkeit der Gemeinde angesprochen ist, sorgt sich doch Paulus um das sth,kein (V.8 »Feststehen«; vgl. 2Kor 1,7, be,baioj ) der Gemeinde evn tai/ j qli,yesin tau,taij (vgl. VV.1-2.5.8). Weil Paulus von der Zusammengehörigkeit und der gemeinsamen Erfahrung von Leiden und Trost zwischen Apostel und Gemeinde ausgeht, ist das Leiden der Gemeinde seinem apostolischen Leiden zuzuordnen. Auffällig ist, dass Paulus die Gemeindeleiden auf die Freude im Geist bezieht, so etwa in 1Thess 1,6 »Ihr seid unsere Nachahmer geworden und die des Herrn, indem ihr das Wort in viel Bedrängnis mit Freude des Heiligen Geistes aufge- 61 Vgl. G RÄSSER , 2Kor I, 59f. 62 G RÄSSER , 2Kor I, 60. 63 Vgl. G. H OTZE , Gemeinde als Schicksalsgemeinschaft mit Christus (2Kor 1,3-11), in: R. K AMPLING (Hg.), Ekklesiologie des Neuen Testaments. FS K. Kertelge, Freiburg u.a.1996, 336-355; J. HAINZ, Koinonia. „Kirche“ als Gemeinschaft bei Paulus. BU 16, Regensburg 1982, 101. <?page no="280"?> 266 nommen habt«. Damit charakterisiert er die Freude im Leiden als Merkmal des Geistes aller Christen (vgl. 2Kor 1,5; 7,4; Phil 1,18.29; 2,17). Die Leidensbeziehung zwischen dem Apostel und der Gemeinde wird zudem mit dem Begriff koinwni,a umschrieben. Die Gemeinde wird zum koinwno,j des leidenden Apostels (2Kor 1,7), so wie das Leiden des Apostels koinwni,a am Leiden Jesu schafft (Phil 3,10). Die Gleichheit der Leiden des Apostels und der Gemeinde besteht auch darin, dass diese als paqh,mata tou/ Cristou/ (2Kor 1,5) die Gemeinde an dem Trost Christi teilhaftig sein lassen (VV.6-7). Diese koinwni,a wird nach Paulus grundsätzlich durch die Verkündigung Christi wirksam, durch die die Gemeinde am Evangelium teilnimmt. Vor allem in Phil 4,14f. wird die Koinonia der Gemeinde mit dem leidenden Apostel als vorbildlich beschrieben ( sugkoinwnh,sante, j mou th/ | qli,yei ), ein Beweis dafür, dass sie mit Paulus eine enge Beziehung hat. In 2Kor 7,3 spricht Paulus vom Mit-Sterben und Mit-Leben nicht im Sinne des Mitsterbens und Mitlebens mit Christus wie in Röm 6,8 und 8,17, sondern als Beschreibung der Gemeinschaft zwischen ihm und der Gemeinde. 64 Dies ist also keine christologische Aussage, sondern im Kontext spricht er von dem allgemeinen Sterben und Leben, das Paulus selbst und die korinthische Gemeinde betrifft. Dies soll jedoch nicht ausschließen, dass Paulus seine grundsätzlichen Gedanken von Christus her formuliert. Deshalb ist zwar vorstellbar, dass »eine Formel der Glaubenssprache für die Gemeinschaft der Christen mit Christus« 65 gebraucht wird. Aber der zentrale Zweck dieser Aussage des Paulus besteht darin, die enge Beziehung zwischen Paulus und der Gemeinde zum Ausdruck zu bringen. Mit dem su,n -Begriff betont Paulus also Zusammensein (togetherness) und Verbundenheit mit der Gemeinde. Dies wird auch in 2Kor 6,11-13 und 7,2-4 noch einmal unterstrichen. 8.5.3 Die Leiden der Christen und die Leiden Christi Wir haben bisher gesehen, dass Paulus sein Leiden nicht identisch mit den Leiden Christi sieht und dieses auch nicht anders qualifiziert als das seiner Gemeinden. In diesem Zusammenhang versucht Kleinknecht zu zeigen, dass die Gemeinsamkeit des Leidens im Christsein mit dem Leiden Christi von der Tradition des leidenden Gerechten her zu verstehen ist. 66 Er betont zwar zu Recht, dass die Leiden des Paulus keine grundsätzlich besondere 64 So auch J. L AMBRECHT , To Die Together and to Live Together: A Study of 2 Corinthians 7,3, in: R. B IERINGER / J. L AMBRECHT , Studies on 2Corinthians, BEThL 112, Leuven 1994, 571-587, 576. 65 Vgl. G. S TÄHLIN , „Um mitzusterben und mitzuleben“. Bemerkungen zu 2 Kor 7,3, in: H.D. B ETZ / L. S CHOTTROFF (Hg.), Neues Testament und christliche Existenz. FS H. Braun, Tübingen 1993, 503-521, 514. 66 Vgl. K LEINKNECHT , Der leidende Gerechtfertigte, 367-376; VON L IPS , Leiden des Apostels, 126. <?page no="281"?> 267 Qualität haben, durch die sie als apostolische Leiden von denen anderer Christen zu unterscheiden wären. Wohl aber spricht er ihnen eine besondere Intensität zu. 67 Letzteres kann zutreffen. Doch der Versuch, diese besondere Intensität aus der Tradition des leidenden Gerechten abzuleiten, scheitert an den fehlenden exegetischen Bezügen (bei Paulus). 68 Auch reicht der Hinweis auf diese Tradition nicht aus, um eine Gemeinschaft zwischen dem Christenleiden und dem Leiden Christi herzustellen. Wie ist also das Leiden des Christseins im Zusammenhang mit dem Leiden Christi zu verstehen? In Röm 8,17 wird die allgemeine christliche Leidensexistenz behandelt, ist doch die römische Gemeinde nicht von Paulus gegründet und sein Schreiben deshalb an eine ihm persönlich noch unbekannte Gemeinde gerichtet. Der Idee der Koinonia im Leiden Christi dienen hier zwei andere su, n -Aussagen: Das su, n der Leiden und das su,n der Herrlichkeit. So spricht der Apostel: »Wir sind Miterben Christi, wenn wir wirklich mitleiden ( sumpa,scomen ), damit wir auch mitverherrlicht werden ( sundoxasqw/ men )«. Wenn die Christen das Erbe mit Christus teilen, so nehmen sie wie an seinem Leiden auch an seiner Herrlichkeit teil. Es gilt also: »Das Mitleiden ist die gegenwärtige Wirklichkeit, aber auch die Voraussetzung für die künftige Verherrlichung, die wieder sein objektives Ziel ist (vgl. ähnliche Finalsätze 2Kor 4,10f.)«. 69 Die Christen haben um ihres Herrn willen (vgl. 8,36) Leiden zu ertragen und sie werden in der Existenz des »Mit-Christus-Lebens«, ins »erhellende Licht des Kreuzes« gestellt. 70 Die Gleichheit der su,n -Aussagen beinhaltet also die Gemeinschaft zwischen dem Leidensgeschick Jesu und dem des Christseins parallel zu der Relation der Leiden des Apostels zum Leiden Christi (vgl. 2Kor 4,10f.; Phil 3,10f.). Kann man im Taufverhältnis die Beziehung des Leidens der Christen zum Leiden Christi begründet sehen? Wir haben schon gesehen, dass die Aussagen in 2Kor 4,10ff. eine analoge Form zu den Taufaussagen in Röm 6,3ff. aufweisen, wonach die Taufe als Getauftwerden in den Tod Christi und auf den Namen Jesu Christi interpretiert wird. Die Taufe »auf den Tod Christi« bringt also eine Beziehung zu ihm. Der gegenwärtigen Teilhabe 67 Vgl. K LEINKNECHT , Der leidende Gerechtfertigte, 372. 68 K LEINKNECHT , Der leidende Gerechtfertigte, 376, formuliert: »Indem in dem einen Geschehen der Passion und des Todes Jesu beide Aspekte zusammen enthalten sind, lassen sich das Leiden Jesu, des Paulus und der Christen einerseits als analoge Leiden nebeneinanderstellen und ist gleichzeitig die Analogielosigkeit des Leidens Jesu in seiner soteriologischen Funktion festzuhalten. Beide Aspekte sind für das paulinische Leidensverhältnis unentbehrlich: der erste weist Paulus - im Kontext der Tradition vom leidenden Gerechten - konkret zu einem bestimmten Verhalten an, zu dem er seinerseits seine Gemeinde anweist; der zweite lässt ihm - und allen, denen in Christus neues Sein eröffnet worden ist - Jesu Kreuz zum unverwechselbaren Mittelpunkt seines Gottes-, Selbst- und Weltverständnisses werden und von daher auch zum Zentrum der Tradition vom leidenden Gerechten«. 69 Z ELLER , Römerbief, 161. 70 Z ELLER , Römerbrief, 161. <?page no="282"?> 268 am Sterben Christi korrespondiert aber auch die gegenwärtige Erfahrung der Kraft bzw. der Erneuerung des Lebens. Die Taufe als Teilhabe an Leiden und Leben Jesu erweist demnach im konkreten Leben der Christen ihr Leiden als Signum ihrer Zugehörigkeit zu Christus. 71 Aber Paulus bezieht darüber hinaus das Taufverhältnis auf die Gemeindesituation und begründet die Einheit der Gemeinde aus der Zugehörigkeit zu Christus. 72 So spricht er in 1Kor 1,11 von den Schismata in der korinthischen Gemeinde und lässt darauf eine Taufaussage folgen, um der zerteilten Gemeinde das Ziel der Einheit aufzuzeigen. Dabei wird aber auch deutlich: Das Taufverhältnis (vgl. 1Kor 1,13f.; 12,13; Gal 3,27) ist kein mystisches Verhältnis, 73 denn die Taufe auf den Tod Christi ist nicht im Sinne eines Hineingetauchtwerdens in seinen Tod zu übersetzen, 74 sondern als bleibende Zugehörigkeit zu Christus zu verstehen. Der Bezug auf den Tod bleibt also ein Merkmal des Christseins. Durch das Taufverhältnis wird die Beziehung auf Christus herausgestellt, so dass das Leiden der Christen im Leiden Christi begründet ist. 8.6 Peristasenkatalog - Gemeinde - Apostolat: Die Leiden als Wirkungsfeld der apostolischen Existenz Trotz grundsätzlicher Gleichheit des Leidens des Apostels mit dem Gemeindeleiden ist nicht auszuschließen, dass gewisse besondere Aspekte in seinem apostolischen Leiden bleiben. Zum einen bleibt die Besonderheit der paulinischen Persönlichkeit, seine Damaskuserfahrung mit seiner Berufung zum Heidenapostel. Zum anderen erkennen wir im Vergleich mit anderen Aposteln (vgl. 11,23 im Vergleich mit Pseudoaposteln, 11,13ff.), dass Paulus den besonderen Auftrag der Gemeindegründung hat, was ihn immer wieder in Leiden führt. Aber die durch Paulus erfolgende Vermittlung des Evangeliums ist nicht als Mittlerschaft oder gar als stellvertretendes Leiden zu verstehen. 75 Seine Leiden versteht er nicht als von anderen Aposteln und Christen unterschieden, sondern als exemplarische Gestalt christlicher Existenz. Die Leiden des Apostels sind Wirkungsfeld seiner apostolischen Existenz. Es ist deshalb nicht vorstellbar, seine Leiden vom Evangelium bzw. von Christus, von der Gemeinde und von seinem Apostolat zu trennen. Wie unsere bisherige Untersuchung gezeigt hat, sind sie bezogen 71 Vgl. VON L IPS , Leiden des Apostels, 126. 72 Zur Diskussion über die Relation zwischen Taufe und Peristasenkatalogen siehe Kap. 3. 73 Vgl. VON L IPS , Leiden des Apostels, 124. 74 Vgl. Z ELLER , Römerbrief, 124. 75 Vgl. VON L IPS , Leiden des Apostels, 127. <?page no="283"?> 269 auf den gekreuzigten Christus, auf das Evangelium und auf die Gemeinde. Sie sind untrennbar von diesen drei Aspekten. Die Leiden des Apostels sind in ihrem Verhältnis zum Leiden der Gemeinde durch die enge Verbindung zum Evangelium geprägt. Die Gleichheit der Leiden des Apostels und der Gemeinde wird betont, damit diese auch des Trostes teilhaftig wird (VV.6-7). Diese Koinonia wird von Paulus grundsätzlich durch die Verkündigung Christi hergestellt, durch die gemeinsame Teilnahme am Evangelium. Dieser Gedanke ist auch in Phil 1,5 ersichtlich, wonach Paulus die Gemeinde in Philippi wegen ihrer »Koinonia am Evangelium vom ersten Tag an bis jetzt« lobt ( koinwni,a| eivj to. euvagge,lion avpo. th/ j prw,thj h`me,raj a; cri tou/ nu/ n ). So ist die Gemeinde angesichts der Gefangenschaft des Paulus und durch die Verteidigung und Bekräftigung des Evangeliums Mitteilhaber an der Gnade (vgl. Phil 1,7, evn th/ | avpologi,a| kai. bebaiw,sei tou/ euvaggeli,ou sugkoinwnou,j mou th/ j ca,ritoj pa,ntaj u`ma/ j o; ntaj ). Davon spricht auch 1Kor 9,23: »Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, damit ich sein Teilhaber werde«. 76 Die Gemeinde hat durch diese Koinonia mit dem leidenden Apostel ( sugkoinwnh,sante,j mou th/ | qli,yei , Phil 4,14f.) eine enge Beziehung zu ihm. Die Koinonia des Leidens, die den Apostel mit seiner Gemeinde verbindet, wird von der gemeinsamen Teilhabe beider am Evangelium Jesu Christi bestimmt und bildet damit einen integralen Bestandteil dieser übergreifenden Koinonia. 77 Diese Verbindung wird bereits in 1Thess 1,5-6 angesprochen, wo die Leidensaussage in V.6 ( evn qli,yei pollh/ | ) als modaler Dativ die partizipiale Wendung dexa,menoi to.n lo,gon charakterisiert. 78 Die enge Beziehung zwischen dem Apostel und der Gemeinde liegt auch hier schon in der Verkündigung und im Evangelium, hat doch Paulus die Gemeinde »durch das Evangelium gezeugt« (1Kor 4,15; 1Thess 2,11)! Auch die Aussage 2Kor 12,14 unterstreicht die enge Beziehung des Apostels zur Gemeinde: Er sucht die Gemeinde (»ich suche euch«) und um der Gemeinde willen ( u`pe.r tw/ n yucw/ n u`mw/ n ) will er sich sehr gerne opfern ( dapanh,sw ), ja auch aufgeopfert werden ( evkdapanhqh,somai , 12,15). So spricht Paulus auch im Peristasenkatalog in 2Kor 11,28 von der Sorge um alle Gemeinden Tag für Tag, das Leiden der Gemeinde ist identisch mit seinen Leiden: Wer ist schwach, und ich bin nicht schwach? Wer brennt, und ich brenne nicht? (11,29). Aus alledem wird ersichtlich, dass die Leiden des Apostels und die der Gemeinde durch das Evangelium aufeinander bezogen sind. Paulus thematisiert das Leiden nicht nur als allgemeine christliche Existenzerfahrung, 79 sondern als spezifische Dimension seiner eigenen aposto- 76 Das Wort sugkoinwno,j gebraucht Paulus im Blick auf die Gnade (Phil 1,7), im Blick auf Bedrängnis (Phil 4,14), im Blick auf die »heilige Wurzel« (Röm 11,17). So nach A. L INDEMANN , 1Kor, 213. 77 W OLTER , Apostel , 555. 78 Vgl. W OLTER , Apostel, 555. 79 Vgl. 1Thess 3, 3-4; Röm 5,3; 8,18-25.31-39. <?page no="284"?> 270 lischen Existenz besonders im Zusammenhang mit den Peristasenkatalogen. Die Peristasenkataloge stehen in den Apologien im 2. Korintherbrief, der erste (4,7-15) und der zweite (6,3-10) Peristasenkatalog innerhalb der ersten Apologie (Kap. 1-7), der dritte (11,21b-30) und der vierte (12,9b-10) innerhalb der zweiten Apologie (Kap. 10-13). Nachdem er schon in 1Kor 9,1ff. begonnen hatte, verteidigt Paulus in allen diesen Texten seine Position als Apostel Jesu Christi ( avpo,stoloj Cristou/ VIhsou/ ). Der Ausgangspunkt beim individuellen Leiden des Apostels wird besonders in dem Vierkapitelbrief betont, um seine Autorität und Legitimation gegen seine Gegner zu erweisen, bestreiten diese doch sein Apostolat mit dem Vorwurf der Schwäche seiner äußeren Existenz (2Kor 10,10). Diese Apologie versteht sich als sein Empfehlungsbrief (2Kor 3,2) im Sinne der Selbstempfehlung. Dem Schwächevorwurf begegnet Paulus mit dem Hinweis auf noch mehr Leidenserfahrungen in der Missionstätigkeit und erweist sich damit als wahrer Diener Gottes in jeder Existenz seiner apostolischen Autorität. Dafür vergleicht er sich mit den Überaposteln (2Kor 11,15; 12,11) und verteidigt sein Apostolat durch das Sich-des- Herrn-Rühmen (10,17). So will er sich nur seiner Schwachheit rühmen (11,30; 12,9). Ersichtlich wird daraus erneut der enge Bezug der Leiden des Paulus auf sein Apostolat. Zugleich führt Paulus als Beweis ( dokimh, ) eine christologische Begründung (vgl. 2Kor 13,3-4) ins Feld: Wenn Christus evx avsqenei,aj gekreuzigt wurde, so kann Paulus die Schwachheit seiner eigenen Existenz als ein Schwachsein in Christus charakterisieren und sich mit Jesus Christus existentiell verbunden verstehen. Paulus sieht seine Leidenserfahrungen als apostolische Verkündigung Jesu Christi (vgl. 2Kor 4,11; Phil 1,7.13; 2,17; 1Thess 2,2). Inhalt seines Evangeliums in Korinth ist das Wort vom Kreuz (1Kor 1,18) bzw. vom gekreuzigten Christus (1Kor 1,23; 2,2) im Kontext der Schwachheit. Paulus trägt deshalb das Sterben Jesu an seinem Leib (2Kor 4,10). Der Apostel wünscht sich sogar den Tod Jesu (Phil 3,10), ja das Gekreuzigtsein mit Christus (Gal 2,20). Die Leiden des Apostels erfahren die Korinther auch, um das Evangelium von Christus richtig verstehen zu können, verkündigen doch die Eindringlinge in der korinthischen Gemeinde einen andern Jesus, einen anderen Geist und ein anderes Evangelium (vgl. 2Kor 11,4f.). Die wahre Verkündigung ist demgegenüber auf Jesus Christus bezogen, so dass von einer christologischen Deutung im Blick auf den Zusammenhang von Christusleiden und Christenleiden zu sprechen ist. 8.7 Fazit In den paulinischen Peristasenkatalogen finden sich einerseits seine Aufzählung von Leidenserfahrungen, andererseits Interpretationen der widerfahrenen Leiden. Paulus thematisiert das Leiden nicht nur als allgemeine <?page no="285"?> 271 christliche Existenzerfahrung, 80 sondern als spezifische Dimension seiner eigenen apostolischen Existenz besonders im Zusammenhang mit den Peristasenkatalogen. Für die Leidensdeutung des Paulus ist die Beziehung der Leiden Christi zum Leiden der Gemeinde bzw. des Christen untrennbar. Das Leiden des Paulus kann nicht in passiver Bedeutung aufgrund der Arbeitsmühe interpretiert werden (dagegen Hock), 81 sondern in aktiver Bedeutung. Durch die Aussage und die vielen Komparativformen wird im Peristasentalog deutlich, dass die Haltung des Paulus im apostolischen Dienst aktivisch zu verstehen ist. Dies wird noch ersichtlicher in 1Kor 15,10, wo er die Aussage macht »ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle« und in 1Kor 9,24-27, wo er von der Freiheit des Apostels zum Verzicht auf Unterhalt um seines Dienstes am Evangelium willen spricht. Paulus erduldet also alles um des Evangeliums Christi willen (1Kor 9,12). Die Leiden müssen nach den aufgezählten Peristasenkatalogen im Zusammenhang mit der missionarischen Aktivität des Apostels verstanden werden. Dem Schwächevorwurf begegnet Paulus mit dem Hinweis auf noch mehr Leidenserfahrungen in der Missionstätigkeit und erweist sich damit als wahrer Diener Gottes in jeder Existenz seiner apostolischen Autorität. Die Leiden des Apostels werden durch die Formulierung von Präpositionalverbindungen mit dia, , u`pe,r und e[neken näher bestimmt. Dabei geht es um die Frage, wozu Paulus leidet. Gerade die Präpositionsangaben dia. VIhsou/ n (2Kor 4,11a) bzw. u`pe.r Cristou/ weisen deutlich darauf hin, dass Paulus nur um Jesu willen leidet, nicht aber identisch mit Jesus leidet. Sie machen den Zweck ersichtlich, für den Paulus leidet; Er leidet um Christi willen, um des Evangeliums willen, um der Gemeinde willen. Die Aussage »Leiden mit Christus« bedeutet deshalb für Paulus »Leiden um Christi willen«. Der Zusammenhang mit Christus, mit dem Evangelium und mit der Gemeinde hat häufig begründenden Charakter. Paulus ist Diener des Evangeliums aufgrund seines Auftrags als Apostel. Deshalb hat er Autorität in der Gemeinde. Aber Paulus bestimmt seine Leiden in Gleichheit mit dem Leiden der Gemeinde. Er streitet um die Wahrheit des Evangeliums in der Gemeinde, das er als Wort vom gekreuzigten Christus bestimmt, und er kämpft um die Autorität als wahrer Diener Christi gegenüber seinen Gegnern. Die Leiden des Apostels sind das gemeinsame Merkmal der Zugehörigkeit zum gekreuzigten Christus. In ihnen ist zukünftiges neues Leben aufgebrochen. Apostolat und Evangelium sind also bei Paulus unlösbar miteinander verknüpft. Das Tragen des Sterbens Jesu (2Kor 4,10) bzw. der Stigmata Jesu (Gal 6,17) an seinem Leib kennzeichnet seine missionarische apostolische Existenz, nicht ein Epiphaniegeschehen. Deshalb stehen die Peristasenkataloge im Zusammenhang mit seinen Apologien, um seine apostolische Autorität zu erweisen. Paulus hat deshalb die Peristasenkata- 80 Vgl. 1Thess 3, 3-4; Röm 5,3; 8, 18-25. 31-39. 81 Vgl. H OCK , Tentmaking, 558ff. <?page no="286"?> 272 loge geschrieben, um seinen Gegnern gegenüber seine apostolische Autorität zu legitimieren bzw. der korinthischen Gemeinde das wahre Evangelium zu verkündigen. Darin erweist und empfiehlt er sich als wahrer Diener Christi. Die Peristasenkataloge sind als Selbstempfehlung für die Gemeinde gegen seine Gegner zu verstehen. Zugleich sind sie ein Wirkungsfeld des Apostolats, um das wahre Evangelium zu verkündigen und um die Einheit der von ihm gegründeten Gemeinde herzustellen und die Gemeinde zu erbauen (2Kor 10,8; 13,10). In diesen Sinne hat F.W. Horn mit Recht festgestellt, dass Paulus auf jede »enthusiastische Begründung der Apostolates« 82 verzichtet und die Erfahrung der Kraft des Geistes in Schwachheit nicht zu »individueller Erhebung, sondern als Kraft zur oivkodomh, « nutzt. 83 82 Vgl. H ORN , Angeld des Geistes, 415, in Aufnahme einer Aussage von K ÄSEMANN , Legitimität, 520; vgl. auch K.H. R ENGSTORF , Art. avpo,stoloj , ThWNT I (1933), 406- 446, 441f. 83 H ORN , Angeld des Geistes, 415. <?page no="287"?> 273 9 Ergebnisse der Untersuchung Es ist kein Zufall, dass gerade in den Korintherbriefen und insbesondere im 2. Korintherbrief mehrere Peristasenkataloge begegnen, auch wenn sie vom Kontext her differierende Funktionen haben, handelt es sich doch bei den Peristasenkatalogen um jene paulinischen Texte, die am stärksten biographisch geprägt sind. Die folgenden Charakterisierungen der einzelnen Peristasenkataloge geben jeweils theologische Spezifika des einzelnen Textes wieder, die jedoch in der Regel auch für die übrigen Texte gelten. 9.1 Theologische Ergebnisse der exegetischen Untersuchung Das Thema von 1Kor 1-4, in dessen Rahmen der Peristasenkatalog 4,6-13 verstanden werden muss, ist keine Kreuzestheologie, wie sie im Zentrum reformatorischer Theologie steht. Das Wort vom Kreuz in 1Kor 1-4 dient vielmehr dazu, die Spaltungen in der korinthischen Gemeinde zur Sprache zu bringen. Auch geht es nicht um die Apologie des Apostolats des Paulus gegenüber Parteien, die seinen Aposteldienst bestreiten, nachdem es durch den Einfluss eines Apostels, der zeitlich nach Paulus in Korinth wirkte, zum Parteien-Streit gekommen war. 1 Das Thema von 1Kor 1-4 ist auch keine Weisheitstheologie, 2 so dass sich die Korinther über den Besitz an Weisheit (d.h. christliche Sophisten und deren Nachfolger) als Gemeinde zu spalten drohen. Durch die Ringkomposition von 1,12 und 3,21b-23 wird vielmehr deutlich, dass es in 1Kor 1-4 um die Zugehörigkeit zu Christus geht. 3 In dieser Klammer steht deshalb der Kreuzeslogos zentral, der darum in jedem Abschnitt den Bezugspunkt bildet. Daraus ergibt sich, dass in diesem Peristasenkatalog das zentrale Anliegen die Zugehörigkeit zum gekreuzigten Christus ist. Zu ihm gehören alle Glaubenden von Korinth (vgl. u`mei/ j de. Cristou/ in 1Kor 3,23). Der Peristasenkatalog 1Kor 4,6-13 zielt auf die Spannung zwischen dem Selbstbewusstsein der Korinther und der apostolischen Wirklichkeit. Durch die in 1Kor 1,13 stehenden drei Worte zerteil tsein, gekreuzigt worden sein und getauft worden sein, die schon am Briefanfang die Argumentation bestimmen, wird deren Funktion für die Einheit der in der Gefahr von 1 Dagegen S ELLIN , Geheimnis der Weisheit, 74f. 2 Anders T HEIS , Weisheitslehrer, passim; vgl. auch W INTER , Philo and Paul, 145f. 3 Siehe dazu Kap. 3. <?page no="288"?> 274 Spaltungen ( sci,smata , 1Kor 1,10) stehenden Gemeinde verdeutlicht. Das erste Wort meme,ristai steht für das Herrenmahl, das dritte Wort evbapti,sqhte für die Taufe, das dazwischen stehende Wort evstaurw,qh für den gekreuzigten Jesus. Dieser gekreuzigte Jesus steht also im Zentrum von Taufe und Herrenmahl bzw. dem paulinischen Peristasenkatalog. Wie die Taufe und das Herrenmahl so behandelt auch der Peristasenkatalog den gekreuzigten Jesus (vgl. evstaurwme,non in 1Kor 1,23; 2,2), in ihm wird sein Leiden präsent. Gemeinsam ist Taufe, Herrenmahl und dem Peristasenkatalog also die Vergegenwärtigung des Kreuzestodes Christi (Röm 6,3f.; 1Kor 11,26; 2Kor 4,10ff. u.ä). Taufe, Herrenmahl und der Peristasenkatalog sind die zentralen Elemente des Apostels, um die Einheit der von ihm gegründeten Gemeinde herzustellen. So dienen ihm die am Anfang stehenden drei Verben meme,ristai , evstaurw,qh , evbapti,sqhte als Einleitungsworte für die Thematik von 1Kor 1-4. Der Gekreuzigte ist Bezugspunkt seiner Leiden und damit Zentrum dieses paulinischen Peristasenkataloges. Die Peristasen des Paulus sind der Ort der Realpräsenz des Kreuzestodes bzw. des Leidens Christi. Seine Leiden erinnern an das Leiden Christi wie die sakramentalen Handlungen in der Gemeinde (11,26). Deshalb interpretiert Paulus seine Leiden christologisch (2Kor 4,10; vgl. 1Kor 4,10), d.h. es ist Leiden um Christi willen. Der Peristasenkatalog hat also die Funktion, den Kreuzestod Christi zu vergegenwärtigen und dadurch zur Einheit der Gemeinde beizutragen. Der Peristasenkatalog dient als Vergleich zwischen den Korinthern und dem Apostel und hat also den klaren Zweck, vor Reichgewordenen, Sattgewordenen und Aufgeblasenen zu warnen. Paulus kritisiert das Sich-Aufblähen ( fusiou/ sqai ) bzw. Sich-Rühmen ( kauca/ sqai ), denn Gegenstand des Sich- Rühmens kann nur der Herr sein (vgl. 1,31), nicht die Menschen (vgl. 3,21). Für ihn ist jetzt Leidenszeit, so wie die Apostel jetzt leiden und Christus schon gelitten hat, während die Reichgewordenen, Sattgewordenen und Aufgeblasenen schon jetzt die eschatologische Vollendung zu leben suchen. Deswegen kritisiert Paulus die Hochstimmung und das Hochgefühl der Korinther. Dagegen sind die Apostel in ihrer verachteten Existenz wie Abschaum und Kehricht. Durch diese Peristasen der Apostel beschämt sich die Gemeinde vielleicht, wie Paulus in 1Kor 4,14 paradoxerweise gesagt hat. So liegt die Funktion dieser Peristasen in der Vergegenwärtigung des Kreuzestodes Christi mit dem Ziel der Einigung der Gemeinde. Im Zusammenhang von Spaltungen zielt der Peristasenkatalog 1Kor 4,6-13 darauf, die Einheit der korinthischen Gemeinde herzustellen. Dass das Aushalten von Niedrigkeit und Bedürftigkeit aus der Kraft Gottes kommt, der Christus aus dem Tod erweckt hat, wird im Peristasenkatalog 2Kor 4,7-15 noch deutlicher. Das Motiv aller paulinischen Leiden ist dia. VIhsou/ n »um des (gekreuzigten) Jesus willen«, 2Kor 4,11a, was im Peristasenkatalog 2Kor 4,7-15 noch eindrücklicher zum Aus- <?page no="289"?> 275 druck kommt. Dieser Peristasenkatalog - wie auch der Peristasenkatalog 6,3-10, der mit diakoni,a beginnt - steht sichtlich im Zusammenhang mit dem Aposteldienst des Paulus. Dia,konoj / diakoni,a sind Leitworte in 2Kor 3- 6, sie haben theologisches Gewicht. Dies beginnt schon in 3,6ff., wo er seinen Aposteldienst als Dienst des neuen Bundes charakterisiert. Dann folgt seine Beschreibung der neuen diakoni,a als Dienst des Geistes, dem der Dienst des Todes gegenübergestellt ist (3,7-8), bzw. dem Dienst der Gerechtigkeit kontrastiert der Dienst der Verdammnis (3,9). Paulus hat schon in 2,16 die Frage gestellt, wer zu solchem Dienst fähig ist und wie sich solche Fähigkeit zeigt. Er antwortet darauf, dass ihm seine Fähigkeit zum Apostel von Gott zugeteilt wurde (3,5f.; vgl. 1Kor 4,9) und dass sich dies in den Geisterfahrungen der korinthischen Gemeinde gezeigt hat (3,1-18). Dieser Aposteldienst wird durch »Habe-Formeln« (3,4.12; 4,1.7.13) deutlicher charakterisiert, 4 insbesondere die Aussagen e; contej th.n diakoni,an tau,thn (4,1) und e; comen de. to.n qhsauro.n tou/ ton (4,7) unterstreichen dies. Dieser Schatz ( qhsauro,j ) bezieht sich zentral auf das Evangelium (4,3f.), nur indirekt auf den apostolischen Dienst, der das Evangelium verkündigt. Gegenstand der Verkündigung und Inhalt des Evangeliums ist allein Jesus Christus (vgl. 4,5: »Christus Jesus ist Herr«), der Gekreuzigte und Auferstandene, der in allen Peristasenkatalogen im Zentrum steht. In diesem Zusammenhang hebt Paulus die überschwängliche Doxa (15-mal in 2Kor 3 und 4) seines apostolischen Dienstes hervor. Die Gemeinsamkeiten lassen den Peristasenkatalog 4,7-15 als Echo auf die Eingangseulogie des 2Kor (1,3-11) erscheinen. Weitere strukturelle Gemeinsamkeiten zeigen, dass das Proömium im 2. Korintherbrief ein Vorspiel zu den Peristasen bildet, die danach in drei weiteren Katalogen (2 Kor 6, 11, 12) entfaltet werden. Im Peristasenkatalog 2Kor 4,7-15 begegnet uns eine christologische Deutung der Leiden des Paulus durch die Verwendung des ohne einen ergänzenden Titel sechsmal auftretenden Jesus-Namens und durch die Aussage des Tragens der ne,krwsij tou/ VIhsou/ an seinem Leib (4,10; vgl. paqh,mata tou/ Cristou/ in 1,5). Damit ist erkennbar, dass die leidende Existenz des Paulus als Verkündigung des Gekreuzigten zu verstehen ist. Durch die hervorgehobenen Zeitangaben pa, vntote und avei, (bzw. evn panti, in V.8a) wird deutlich: Es ist kein zufälliges Geschehen oder eine Ausnahme im apostolischen Dienst, sondern eine die apostolische Existenz allezeit charakterisierende und qualifizierende Erfahrung (vgl. 1Kor 15,31 »ich sterbe täglich«). Die Schwachheit des Paulus als irdenes Gefäß (4,7) führt zum Sterben bzw. Tod, Dynamis aber bewirkt Leben. Der Zusammenhang von Tod und Auferstehung Jesu in den beiden Versen 10 und 11 ist ein häufiger Gedanke bei Paulus. Er ist konstitutiv nicht nur für den Zusammenhang von 1Kor 1-4 (Kreuz Jesu) und 1Kor 15 (Auferstehung Jesu), sondern auch für die Peristasenkataloge. Die ne,krwsij tou/ VIhsou/ , die mit dem gekreuzigten Jesus 4 Der Begriff findet sich bei K LAUCK , Gemeinde, 247. <?page no="290"?> 276 verbunden ist, und die zwh. tou/ VIhsou/ , die von dem auferweckten Jesus ausgeht, sind für Paulus Grund der Verkündigung bzw. Kern des Evangeliums. Sie sind zentral für seine entstehende Theologie, die um die Verbindung von Kreuz und Auferstehung kreist. In der Tradition der urchristlichen Bekenntnisformeln (V.14; vgl. dazu Parallele in 1Kor 6,14; Röm 8,11; vgl. auch im Proömium 2Kor 1,9-10) spricht er von dem gekreuzigten Jesus (V.14a) und dem auferweckten Jesus ( su.n VIhsou/ V.14b). Aufgrund der eschatologischen Hoffnung (V.14b) erfährt Paulus gegenwärtiges Leben im Apostolat und mit der Gemeinde (V.14c). So wird deutlich, dass dieser Peristasenkatalog eindeutig christologische Funktion hat. Der Peristasenkatalog 6,3-10 im 2. Korintherbrief ist dem in 2Kor 4,7-15 verwandt, obwohl beide Texte verschiedene Kontexte und unterschiedliche Funktionen haben. Beide kreisen im Kontext der Apologie um Diakonia und Selbstempfehlung. Vor dem Peristasenkatalog 6,3-10 steht - theologisch pointiert - die theologische Grundlegung zum Thema »Dienst der Versöhnung« (5,11-21). Die in 5,18 wieder aufgegriffene diakoni,a spielt nicht nur eine wichtige Rolle im Peristasenkatalog 4,7-15, sondern auch im Peristasenkatalog 6,3-10, wo in 6,3 herausgestellt wird: Um dieser diakoni,a willen gilt es, niemandem ( evn mhdeni, ) einen Anstoß zu geben (6,3). Paulus verbindet also in seiner Apologie seinen apostolischen Dienst mit dem Leidensthema. Die Selbstempfehlung ist für Paulus ein besonderes Thema im Zusammenhang des apostolischen Dienstes, nicht nur in diesem Peristasenkatalog 6,3-10, sondern auch in den weiteren Peristasenkatalogen des 2. Korintherbriefes. So ist für das Verständnis des ganzen Peristasenkataloges die Überschrift evn panti. sunista,ntej e`autou.j w`j qeou/ dia,konoi (2Kor 6,4a) zentral. Von der Selbst-Empfehlung spricht Paulus positiv in 4,2; 6,4 und 7,11 durch die betonte Nachstellung des Objektes selbst ( e`autou,j ) - »wir empfehlen uns selbst« ( sunista,nein e`autou,j ). Dagegen lehnt er mit der negativen Bestimmung in 3,1; 5,12 und 10,12.18 die Selbst-Empfehlung ab, die von den Gegnern stolz betrieben wird, indem er das Objekt selbst ( e`autou,j ) betont vorangestellt hat: Sie selbst empfehlen sich ( e`autou.j sunista,nein ). Spricht er positiv, dann ist die Selbst-Empfehlung entweder auf die Gemeinde (7,11) oder auf sich selbst (4,2; 6,4) bezogen. Selbstempfehlung ist zwar für Paulus - wie jede Form des Sich-Rühmens (vgl. 12,1; 1Kor 1,29; 3,21a; Gal 6,14) - ausgeschlossen. Seine Selbstempfehlung geschieht vornehmlich wegen des Selbstrühmens seiner Gegner (vgl. 10,12-13). Selbstempfehlung gilt also nur im Sinne des Empfohlen-Seins und aufgrund seines apostolischen Dienstes: »durch die Offenbarung der Wahrheit« (4,2; dagegen 2,17) oder als »Diener Gottes«. Als Diener Gottes (vgl. »Diener Christi« in 11,23) sieht er sich zugleich als »Diener des neuen Bundes« (3,6a). Die Gegenüberstellung von dem, der sich selbst empfiehlt ( o` e`auto.n sunista,nwn ) und dem, den der Herr empfiehlt ( o[n o` ku,rioj suni,sthsin ) in 10,18 entspricht der gleichen Gegen- <?page no="291"?> 277 überstellung von Selbst-Ruhm und Ruhm im Herrn in 10,17. In diesem Sinne argumentiert Paulus: Wer sich aber rühmt, rühme sich des Herrn ( o` de. kaucw,menoj evn kuri,w| kauca,sqw ; vgl. 1Kor 1,31; das Jeremiazitat 9,22f. als Hintergrund). Für Paulus sind seine Selbstempfehlung und sein Selbstruhm durch jene Autoritäten veranlasst, die sich ihrer eigenen Stärke rühmen und seine Schwachheit als fehlende Legitimation betrachten (10,10.12; 11,5f.12ff.). Mit dieser Art von Selbstempfehlung erweist Paulus seine Beauftragung als »Diener Gottes«, wobei er die ihm gegenüber erhobenen Vorwürfe als seine »Selbstempfehlung« präsentiert: nicht nach der von den Gegnern betriebenen Selbstempfehlung, sondern aufgrund der Empfehlung durch den Herrn (3,5f.). Die Existenz der korinthischen Gemeinde ist sein eigentlicher Empfehlungsbrief (3,2), sie kann er als »Brief Christi« charakterisieren (3,3a): Die Gemeinde ist sein Ruhm, er ist auch ihr Ruhm (1,14). Solch richtiges kauca/ sqai begegnete schon in der Argumentation von Peristasenkatalog 1Kor 4,6-13, es bestimmt auch die Peristasenkataloge 2Kor 11,21b-30 und 12,9b-10. Deshalb steht das richtige kauca/ sqai in allen Peristasenkatalogen zentral. Der Peristasenkatalog ist deshalb Selbst- Empfehlung des apostolischen Dienstes, den der Herr empfiehlt (2Kor 10,18; vgl. auch 3,5f.). Auch für Paulus gilt als Grundsatz des Rühmens das Rühmen im Herrn: Dieser Herr ist der Gekreuzigte. Deshalb wird dieses Rühmen im Herrn in den Peristasenkatalogen 11,21b-30 und 12,9b-10 als Sichder-Schwachheit-Rühmen entfaltet. Diese beiden Peristasenkataloge werden deutlich durch ihren Rahmen, die Narrenrede, bestimmt. Schon in Kap. 10 wird die Disputation des Paulus in seinem Peristasenkatalog 11,21b-30 vorbereitet, geht es doch schon hier um Selbstruhm (10,13.15.16.17) und Selbstempfehlung (10,12 und 10,18). In 11,1-12,13 begegnet uns eine große Gegenrede des Paulus, in der er sich explizit mit den Gegnern auseinandersetzt, wobei scharfe Polemik an die Stelle positiver theologischer Entfaltung tritt. Inhaltlich prägen jüdische und urchristliche Traditionen und Sprachmuster den Text. Dazu kommen biblische Sentenzen (10,17; 13,1) und apokalyptische Vorstellungen (12,1-7; 11,3.13ff.), aber auch theologische bzw. christologische Begründungen des paulinischen Apostolatsverständnisses (10,1.5.7.14; 11,2f.10.31; 12,8ff.19; 13,3f.10). Die beiden Peristasenkataloge sind die am stärksten autobiographisch geprägten Texte innerhalb der paulinischen Aufzählungen seiner missionarischen Leiden. Durch diese Aussagen gibt der Apostel den von ihm übernommenen Sprachmustern und Stilmitteln eine persönliche und individuelle Gestaltung. Aus der Verbindung der Gattung »Synkrisis« und »Ruhmesrede« erklärt sich, dass er sich zumindest als der bessere dia,konoj erweisen will. Die vielen Komparativformen zeigen ein Überlegenheitsdenken des Paulus. Damit vergleicht und empfiehlt sich Paulus gegenüber seinen Gegnern (10,12) als wahrer Diener Christi. <?page no="292"?> 278 Mit den drei Ehrenprädikaten Hebräer, Israeliten, Same Abrahams stellen sich die jüdischen Gegner aufgrund ihrer jüdischen Herkunft Paulus als Diener Christi entgegen und polemisieren gegen seinen Dienst als von Christus beauftragter und für ihn wirkender Missionar. Sowohl mit den Hinweisen auf seine jüdische Herkunft und seine Wundergeschichte (2Kor 12,2-4; vgl. auch 12,12) demonstriert er zunächst seine Überlegenheit als Diener Christi gegenüber diesen Superaposteln. Für Paulus ist ein Kriterium wahrer apostolischer Legitimität, wer mehr Christus gedient hat und wer mehr für ihn gelitten hat. Trotz des andauernden Streites um das römische Bürgerrecht des Paulus scheint diese Angabe historisch zuzutreffen. Schweigen bzw. Nichtgebrauch seiner Bürgerrechtsprivilegien können erklärt werden aus seiner Missionsstrategie und seiner Theologie, die seinen Peristasenkatalogen zugrunde liegt. Zudem konkretisiert Paulus seine ständige Sorge und sein emphatisches Mitleiden mit den Angefochtenen (11,29; vgl. auch 2Kor 7,3; 1Kor 12,27), vor allem mit seinen Gemeinden. In diesem Sinne durchleidet der Apostel alle Nöte seiner Gemeinden. Dieser Bestand nötigt zwar zur Zurückhaltung bei der Rekonstruktion der Front der Gegner. Trotzdem aber lässt sich das Gegnerbild des Paulus (in 2Kor 10-13) mit zwei Argumentationsgängen theologisch präzisieren. Paulus zielt zum einen in Bezug auf seine Gegner im Verlauf der »Narrenrede« auf das entscheidende Argument der Autorität seines Apostolats. Die Gegner sind diejenigen, die seine Schwachheit attackieren und seine Autorität als Apostel disqualifizierend beurteilen (10,10). Deshalb kämpft Paulus um die Erhaltung seiner apostolischen Autorität, und die Gegner versuchen ihre Stellung dadurch zu erweitern, dass sie zwischen die Gemeinde und ihren Gründer treten, um als Apostel empfohlen zu werden (vgl. 10,2.18). Paulus pocht demgegenüber darauf, dass seine apostolische Autorität in der Autorität des Christusgeschehens (vgl. 1,1; 10,18) begründet ist. Zum anderen geht Paulus mit der Narrenrede in die theologische Auseinandersetzung mit ihnen, was die Wahrheit des Evangeliums vom gekreuzigten Christus betrifft. Insbesondere bringen sie nach 11,4 eine vom paulinischen Zeugnis abweichende Christusverkündigung (vgl. Gal 1,6-9). Seine Gegner vertreten gegenüber der Kreuzestheologie eine Art »Ruhmestheologie«, die Paulus verwirft. Für ihn gilt, in echter Ruhmesrede sich nur des Herrn zu rühmen (10,17) und nicht sich selbst. Das Sich-Selbst-Rühmen ist eigentlich verboten, deshalb spricht er in einer Narrenrede. Das »Sich-der-Schwachheit-Rühmen«, das im gekreuzigten Christus gründet (vgl. 2Kor 13,4), ist deshalb das gemeinsame Thema der beiden Peristasenkataloge. Deshalb lässt sich das Sich-der-Schwachheit- Rühmen auch als Sich-des-gekreuzigten-Christus-Rühmen umschreiben. Dieses Rühmen entfaltet Paulus im Zusammenhang beider Peristasenkataloge, während die Gegner sich ihrer Herrlichkeit, ihrer Herkunft, ihrer Wundertaten rühmen. Im Zusammenhang beider Peristasenkataloge liegt das theo- <?page no="293"?> 279 logische Interesse des Paulus ganz beim gekreuzigten und auferstandenen Christus. Damit steht Paulus in deutlicher Opposition zu seinen Gegnern. Gerade Paulus rühmt sich also der Christuszugehörigkeit (10,7) und erweist damit seinen Dienst als Diener Christi im Leiden. Gegen den Schwachheitsvorwurf argumentiert Paulus mit einem Herrenwort, wonach die Kraft des Herrn in der Schwachheit zur Entfaltung und Vollendung kommt (12,9). Diesem Herrenwort entnimmt er eine Interpretation seines Lebens im Leiden als Paradoxon in 12,10b: Sein Missionserfolg beruht nicht auf seiner eigenen Kraft, sondern nur auf der Kraft Christi. Ziel dieser Argumentation ist es zu zeigen, dass die Kraft Christi bei Paulus wohnt (12,9b). Wenn er sich in 2Kor 11,21b-12,10 also seiner Schwachheiten rühmt, dann intendiert er eine positive theologische Interpretation seiner apostolischen Leiden. Paulus nimmt diese Haltung u`pe.r Cristou/ ein (12,10a), eine christologische Einsicht, die er aus dem Herrenwort gewinnt. Diese wird durch zwei weitere unterschiedliche Offenbarungserfahrungen - die Erscheinungen ( ovptasi,ai ) und Offenbarungen ( avpokalu,yeij ) des Herrn - verstärkt. Paulus sieht also seine Christuszugehörigkeit in der Teilhabe an der Kraft Christi begründet. Der Argumentationsgang zeigt die kreuzestheologische Perspektive des Sich-der-Schwachheit-Rühmens. Die erste Offenbarungsepisode (2Kor 12,2-4) dient als Beispiel für die Wirksamkeit der Kraft Christi, die Paulus zum Selbstlob dient. Die zweite Offenbarungsepisode (2Kor 12,7b-9a) zeigt beispielhaft, wie seine Existenz des Schwachseins zum Wirkungsfeld der Kraft Christi wird. Diese Deutung des Ruhmes und ihre Umsetzung in einen Leidenskatalog im Rahmen des Selbstlobs bildet das Vorzeichen der gesamten autobiographischen narratio über die Offenbarungen und Erscheinungen des Herrn. Diese individuellen Erfahrungen mit Gott und mit dem Herrn enthalten theologische Qualität. Aus seiner autobiographisch geprägten Erfahrung der Leiden erwächst seine Theologie, die christologisch orientiert ist: Schwachheit verbindet er mit dem gekreuzigten Christus, Kraft ist Auferstehungskraft. Damit sind in der Auseinandersetzung um Schwachheit und Kraft Kreuzestheologie und Auferstehungstheologie des Paulus verankert. In diesem Zusammenhang können diese beiden Peristasenkataloge als ein Ort der Entstehung der Kreuzesbzw. Auferstehungstheologie verstanden werden. Seine biographischen Erfahrungen zur Sprache zu bringen und sie dabei theologisch zu verarbeiten, war auch schon für die übrigen Peristasenkataloge charakteristisch. Zu beachten bleibt, dass gerade die Perikope 12,1-10 als ein Basistext christlicher Theologie charakterisiert werden kann. Sie gibt Zeugnis von einer Theologie in der Gestalt einer Theologie der Existenz des Apostels Paulus. Besonders dieser paulinische Peristasenkatalog ist eine autobiographisch geprägte und christologisch orientierte Theologie. <?page no="294"?> 280 In den Peristasenkatalogen begegnet eine Koexistenz von Gegensätzen, die Paulus häufig umschreibt: Die Freude im Leiden (2Kor 6,10) und die Kraft in Schwachheit (2Kor 12,10b), in der eine iterative Gleichzeitigkeit von Schwachheit und Kraft bzw. Freude und Leiden zum Ausdruck gebracht wird. In dieser Koexistenz von Gegensätzen kommen nicht allein ambivalente Leidenserfahrungen des Paulus zum Ausdruck. Mit dieser dynamischen Spannung umschreibt der Apostel auch die vielfältigen Konfliktkonstellationen seiner missionarischen Tätigkeit. Theologisch wirkt in dieser Koexistenz Auferstehungskraft und Hoffnung, die schon gegenwärtig erfahrbar sind. Damit distanziert er sich zugleich von seinen korinthischen Gegnern, die vorgeben, solche Gegensätze schon überwunden zu haben. Paulus gibt den Aufzählungen von Leidenserfahrungen nicht nur eine Form, er interpretiert sie auch inhaltlich. In den Leidensdeutungen des Paulus ist das Verhältnis zu den Leiden Christi (vgl. 2Kor 1,4-5; 4,8.10 vgl. auch Gal 6,1; Phil 3,10) bzw. zu den Leiden der Gemeinden (2Kor 1,6f.; Phil 1,27-30; 1Thess1,6; 2,13f.; 3,3f; vgl. auch Kol 1,24) bzw. des Christseins (vgl. Röm 8,17-18) ein wichtiger Bestandteil seines Apostolates. Daraus entsteht ein Begründungszusammenhang mit Christus, mit dem Evangelium und mit der Gemeinde. Die Leiden des Paulus sind dabei nicht identisch mit dem Leiden Christi, auch bestimmt er seine Leiden in Gleichheit mit den Leiden der Gemeinde. Dabei ist eine Interpretation seines Leidens im Sinne der Stellvertretung auszuschließen. Das Tragen des Sterbens Jesu (2Kor 4,10) bzw. der Stigmata Jesu (Gal 6,17) an seinem Leib kennzeichnet vielmehr seine missionarische Existenz, es ist nicht als ein Epiphaniegeschehen und auch nicht mystisch zu verstehen. Deshalb müssen die Präpositionsangaben dia, , u`pe,r bzw. e[neken mit »um … willen« übersetzt werden. Dia. VIhsou/ n (2Kor 4,11a) bzw. u`pe.r Cristou/ verweisen deutlich darauf, dass Paulus nur um Jesu willen leidet, nicht aber, dass seine Leiden identisch mit Jesu Leiden sind. Sie lassen Ziel und Zweck der paulinischen Leiden erkennen: Er leidet um Christi willen, um des Evangeliums willen, um der Gemeinde willen. In diesem Sinne versteht Paulus seine apostolischen Leiden in den Peristasenkatalogen aktiv und nicht passiv. Seine Arbeitsmühen geben davon Zeugnis: sein freiwilliger Verzicht auf Lebensunterhalt und Bezahlung seiner Missionsverkündigung (z.B. 2Kor 11,7-11; 12,13f.; 1Thess 2,9), seine Selbstversorgung bei der Gründungsmission (1Kor 4,12; 9,6; vgl. 1Thess 2,9; 2Thess 3,8; Apg 18,3; 20,34) begründen sein Noch-mehr-Sein als Diener Christi (11,21b- 30; vgl. auch 1Kor 15,10). Sie alle dienen dazu, seinen aktiven Einsatz für Christus, für das Evangelium, für seine Gemeinden und für sein Apostolat zu erweisen. Ist der 2. Korintherbrief aufgrund der Peristasenkataloge als inhaltlich einheitlicher Brief anzusehen? Es scheint so, denn die Peristasenkataloge begegnen im 2. Korintherbrief durchweg und überall (2Kor 4; 6; 11; 12). Zudem überwiegt in den Peristasenkatalogen ein einheitliches theologi- <?page no="295"?> 281 sches Interesse. Sie bieten schließlich viele gemeinsame Motive: Selbstempfehlung (2Kor 3,1; 4,2; 5,12; 7,11; 10,12.18), Selbstruhm bzw. Ruhmesrede ( kauca/ sqai / kau,chsij , überall im 2Kor), die Rolle von dia,konoj bzw. diakoni,a (2Kor 3, 4, 5, 6, 8, 10 und 11), 5 die Rede von Schwachheit bzw. Kraft, Hinweise auf den Gekreuzigten und Auferstandenen, das Apologiemotiv sowie das Leidensmotiv im Proömium und in den Peristasenkatalogen. 9.2 Folgerungen aus dem theologischen Verständnis der Peristasenkataloge Es bleibt die Frage: Inwieweit sind die Peristasenkataloge des Paulus Prägungen aus Traditionen, auf die Paulus zurückgreift, oder seine eigene literarisch-rhetorische Leistung? Unbestreitbar ist, dass Paulus von anderen Traditionen beeinflusst wird, aber indem er diese aufnimmt, verändert er sie mit seinen eigenen Erfahrungen und Gedanken. Er berührt sich in den Peristasenkatalogen besonders stark mit hellenistisch-stoischen Formen. Hier liegen die nächsten Stilparallelen zu den paulinischen Peristasenkatalogen vor. Zudem sind Parallelen zu alttestamentlichen bzw. zu jüdisch-apokalyptischen Gedanken unabweisbar. In Aufnahme dieser Stilformen entstehen wundervolle dichterische Katalogformen. Die Peristasenkataloge des Paulus können deshalb als sprachliche, rhetorische und literarische Kunstwerke verstanden werden. Warum ist dies so? M.E. hängt das damit zusammen, dass diese persönlichen, ja intimen Erfahrungen des Paulus von großer Bedeutung sind für seine theologische Entwicklung. In gebundener und verdichteter Sprache begegnet hier eine Vorform von theologischer Reflexion! Durch die dichterische Struktur gelingt es, diese theologisch relevanten Erfahrungen als Prägungen festzuhalten, sie zu erinnern, sie zu vergewissern. In den Peristasenkatalogen begegnet uns aber nicht nur eine Vorform biographisch geprägter Theologie, sondern auch viele zukünftige zentrale Themen paulinischer Theologie klingen an, ohne dass diese schon ausformuliert und abgeklärt sind. Paulus unterscheidet sich in der theologischen Deutung seines Leidens wesentlich von den Interpretationen, die ihm von den Traditionen der Stoa und des hellenistischen Judentums vorgegeben sind. 6 Schrage hatte die These aufgestellt, 7 dass Paulus mit den Peristasenkatalogen im Gegensatz zur esoterisch auf den eigenen Kreis bezogenen Apokalyptik und zur egozentrisch orientierten stoischen Ethik stehe. In Weiterführung dieser These kann gesagt werden: Er versteht sein Leiden in den Peristasenkatalogen als 5 Zum Lexem Diakonia: 2Kor 3,7.8.9 2 ; 4,1; 5,18; 6,3; 8,4; 9,1.12.13; 11,8; zum Lexem dia,konoj: 2Kor 3,5.6; 6,4; 11,15 2 .23. 6 Vgl. die Kap. 2 und Kap. 8 dieser Arbeit. 7 S CHRAGE , Leid, 152f. <?page no="296"?> 282 Vergegenwärtigung Christi, sieht in ihnen die Autorität seines Apostolates begründet und nutzt sie zur Erbauung der Gemeinde. Die Peristasenkataloge unterstreichen darin die spirituelle, seelsorgerische und missionarische Dimension seiner Theologie, die er in den Konflikten und in den Auseinandersetzungen um den Weg der korinthischen Gemeinde entwickelt. <?page no="297"?> 283 Nachwort einer koreanischen Theologin Die paulinischen Peristasenkataloge mit ihrer impliziten bzw. expliziten antithetischen Struktur erinnern eine Koreanerin sehr stark an die Koexistenz von Gegensätzen, 1 wie sie für die Traditionen meiner Heimat prägend ist. So entsprechen zum Beispiel die Gegenüberstellungen des Paulus in 2Kor 6,8b-10 bzw. 12,10b den Gedanken, wie sie dem koreanischen Wortpaar »Han « und »Hung« eigen sind. Han ist etwas Negatives, auch ein negatives Gefühl. Man könnte es vielleicht so umschreiben: wenn wir erfahren, dass etwas Notwendiges im Leben nicht erfüllt werden kann, was wir eigentlich wollen. Das negative Gefühl, das dabei entsteht, versackt in unserem Unbewussten. Bezüglich Han gibt es verschiedene Formen: Bei der unerwiderten Liebe z.B. entsteht Han; wenn jemand von jemandem anderen ungerecht behandelt wird, entsteht Han; wenn das Heimatland zerstört wird, entsteht Han. Chi Ha Kim, 2 ein koreanischer Lyriker, Vorbild für viele engagierte Autoren der koreanischen Gegenwartsliteratur, bringt diese Erfahrung mit Begriffen von C.G. Jung in Verbindung und bezeichnet sie als Schatten. In Korea, wo der Begriff Han sehr oft gebraucht und eingesetzt wird, hat dies mit der traurigen und unglücklichen Geschichte dieses Landes zu tun, ein Land, das über tausendmal Invasionen fremder Mächte erlitten hat. Trotz solchen Leidens hat das koreanische Volk diesen Begriff Han literarisch verarbeitet, künstlerisch zum Ausdruck gebracht und auch zum Thema von Religion gemacht. Denn Han hat nicht nur negative Seiten: Wo man den Schmerz am Stacheldraht und im Gefängnis wieder zulässt, wird man lebendig. Darum ist Han als Schmerz und Zerstörung auch innere Rebellion, ein Zeichen von Leben und nicht von Tod. Durch Han, durch aktive Trauer, kann ein Mensch sogar eine transzendente Dimension, etwas spezifisch Religiöses erreichen. Wenn Han auf diese Weise erlebt wird, dann wird das »Shin«, »Shin-Myong«, »Shin-Baram«, »Hung«, »Hung- Tschui« genannt. Diese Begiffe beziehen sich auf »große Lust«, »überschäumende Lebensfreude« oder »dynamische Energie« und das hat mit Transzendenz etwas zu tun. Das hat auch mit Shin-Ki zu tun, bedeutet doch Shin-Ki Gottes Atem, wird doch Ki im Koreanischen als Lebensenergie verstanden. Etymologisch hat es zu tun mit Atem, Hauch, aber auch 1 Dazu Kap. 5. 2 Chi Ha Kim, „‚Gomorrha‘- ‚Seodaemun‘ und siehe wir Leben! Poesie und Theologie im Gespräch“: Kim, Chi Ha und Jürgen Moltmann sprechen über Hoffnung und Leben. Alte Nikolaikirche am Römerberg, Frankfurt, 20. Oktober 2005. Dokumentation herausgegeben vom Zentrum Ökumene der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Mai 2006. <?page no="298"?> 284 mit Feuchtigkeit, die das Leben zum Erblühen bringt. Solcher Gottes-Atem, solche Gottes-Seele, solcher Gottes-Wind (Shin-Baram) ist Hung, das in Begleitung von Han den Prozess vom Leid zum Glück zum Ausdruck bringt. Hung ist nicht einfach ein lustvolles Gefühl, sondern begleitet von Han ist es die Lebensenergie. Je vertrauter man mit der Trauer im Han wird, umso stärker wird Lebensenergie der Freude im Hung. Diese Koexistenz der Gegensätze Han und Hung beinhaltet mehr und anderes als das, was in stoischer Philosophie im Gedanken der Autarkie bzw. Ataraxie zum Ausdruck gebracht wird und ist nahe bei dem, was Paulus als iterative Gleichzeitigkeit beschreibt, wenn er sagt: »als die Traurigen, aber allezeit fröhlich« (2Kor 6,10a) bzw. »wenn ich schwach bin, dann bin ich stark« (2Kor 12,10b). Als koreanische Theologin sehe ich die Möglichkeit zu dieser Erfahrung in der Zugehörigkeit zu Christus bzw. dem Sein in Christus ( ei=nai evn Cristw/ | ) angeboten. <?page no="299"?> 285 Literaturverzeichnis 1 Abkürzungen und Zitationsweise Die vollen bibliographischen Angaben finden sich im folgenden Literaturverzeichnis. Die in den Fußnoten gemachten Angaben sind bei der ersten Zitation vollständig, danach werden in der Regel Verfasser bzw. Verfasserin, Kurztitel und Seitenzahl aufgeführt. Bei Kommentaren wird die Abkürzung der jeweiligen Schrift verwendet. Lexikonartikel werden mit Namen und Abkürzug des jeweiligen Werkes zitiert. Quellen und Hilfsmittel werden nur in Auswahl angeführt. Die Übersetzungen biblischer Texte folgen der Elberfelder Bibel bzw. Lutherbibel. Die Abkürzungen richten sich nach IATG² (Schwertner, Berlin/ New York 1992) bzw. dem Abkürzungsverzeichnis der RGG 4 . Biblische Schriften werden nach dem Ökumenischen Verzeichnis der biblischen Eigennamen nach den Loccumer Richtlinien, Stuttgart ²1981, zitiert. Apokryphen und Pseudepigraphen des Alten und Neuen Testaments sowie Rabbinica nach S. M. Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin/ New York ²1992. Weitere antike Schriftsteller und Quellen nach dem Abkürzungsverzeichnis des Lexikons der Alten Welt, hg. von C. Andresen u.a., Zürich/ München 1994 (Sp. 3439-3464). Darüber hinaus werden hier nur folgende besondere Abkürzungen genannt: AB Analecta Biblica AFCS The Book of Acts in Its First Century Setting BAW Bibliothek der Alten Welt BDR Blass/ Debrunner/ Rehkopf, Grammatik BT The Bible Today comm. commentarium, commentary ELB Elberfelder Bibel Fasc. Fasciculus, Faszikel FChJ Formative Christianity and Judaism KHV Kungliga Humaniska Vetenskapssamfundet MBSS Mellen Biblical Studies Series POxy Papyri Oxrhynchus USFIS University of South Florida International Studies <?page no="300"?> 286 2 Quellen und Übersetzungen 2.1 Bibelausgaben Biblia Hebraica Stuttgartensia, ed. K. Elliger et W. Rudolph, Stuttgart 4 1990. Maccabaeorum libri I-IV, Fasc. 1: Maccabaeorum liber I, ed. W. Kappler, Septuaginta, Vetus Testamentum Graecum Auctoritate Societatis Litterarum Gottingensis IX,1, Göttingen ³1990. Maccabaeorum libri I-IV, Fasc. 2: Maccabaeorum liber II, ed. R. Hanhart, Septuaginta, Vetus Testamentum Graecum Auctoritate Societatis Litterarum Gottingensis IX,2, Göttingen ²1976. Maccabaeorum libri I-IV, Fasc.3: Maccabaeorum liber III, ed. R. Hanhart, Septuaginta, Vetus Testamentum Graecum Auctoritate Societatis Litterarum Gottingensis IX,3, Göttingen ²1980. Novum Testamentum Graece, hg. v. K. Aland und B. Aland, Stuttgart 27 1995. Novum Testamentum Latine. Novam vulgatam bibliorum sacrorum editionem secuti apparatibus titulisque additis, ed. K. Aland et B. Aland una cum Instituto Studiorum Textus Novi Testamenti Monasteriensi (Westphalia), Stuttgart 2005. Septuaginta. Id est Vetus Testamentum graece iuxta LXX interpretes, 2 Vol., hg. v. A. Rahlfs, Stuttgart 1979 (unveränderter Nachdr. 1935). Synopsis Quattuor Evangeliorum. Locis parallelis evangeliorum apocryphorum et patrum adhibitis ed. K. Aland, Stuttgart 15 1996 (3. korr. Druck, 2001). 2.2 Frühjüdische und rabbinische Literatur Frühjüdische Literatur Apokryphen und Pseudepigraphen zum Alten Testament, Sammelwerke Altjüdisches Schrifttum außerhalb der Bibel, übers. und erl. von P. Rießler, Augsburg 1928 (= Nachdruck Freiburg/ Heidelberg 4 1979). Die Apokryphen und Pseudepigraphen des Alten Testaments, 2 Bde., übers. und hg. von E. Kautzsch, Tübingen u.a. 1921 (Nachdruck Hildesheim 1975). The Old Testament Pseudepigrapha, 2 Vol., ed. by J.H. Charlesworth, Garden City, I: 1983, II: 1985. Apokalypsen Apokalypsen, G.S. Oegema, JSHRZ VI/ 1.5, Gütersloh 2001. Apokalypsen, H. Lichtenberger (Hg.), JSHRZ V/ 1-9, Gütersloh 1974-2003. Baruch Das Buch Baruch, A.H.J. Gunneweg, JSHRZ III/ 2, Gütersloh 1975. <?page no="301"?> 287 Die griechische Baruch-Apokalypse, W. Hage, JSHRZ V/ 1, Gütersloh 1979. Die syrische Baruch-Apokalypse, A.F.J. Klijn, JSHRZ V/ 2, Gütersloh 1976. Esra, 4. Das 4. Buch Esra, J. Schreiner, JSHRZ V/ 4, Gütersloh 1981. Henochbuch Das äthiopische Henochbuch, S. Uhlig, JSHRZ V/ 6, Gütersloh 1984. Das slavische Henochbuch, C. Böttrich, JSHRZ V/ 7, Gütersloh 1996. Die Bücher der Geheimnisse Henochs. Das sogenannte slavische Henochbuch, hg. von G.N. Bonwetsch, TU 44/ 2, Leipzig 1922. Das slavische Henochbuch, G.N. Bonwetsch, Berlin 1896 (Nachdruck, Nendeln/ Liechtenstein 1970) Josephus Flavii Josephi opera, 6 Vol., rec. Benedictus Niese, Berolini 1888-1895. Flavius Josephus. De Bello Judaico - Der Jüdische Krieg, Griechisch und Deutsch, 3 Bde., hg. und mit einer Einl. sowie mit Anm. versehen von O. Michel und O. Bauernfeind, Darmstadt 1963-1969. Josephus, 9 Vol., with an English transl. by H.J. Thackeray (Vol. I-V), R. Marcus (Vol. VI-VII), R. Marcus and A. Wikgren (Vol. VIII), L. H. Feldman (Vol. IX), LCL, Cambridge, MA/ London 1926-1965 (reprints). Jubiläen Das Buch der Jubiläen, K. 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Korinther 1,3-11 105-107 1,4-5 256 1,5 211, 257, 262 1,8-10 1 2,14-7,4 140 3,2f. 136 4,7 23, 107-114 4,7-15 4, 39, 96, 101-137, 257, 274 4,8.10 256 <?page no="340"?> 326 2. Korinther 4,8-9 114-120 4,10 211, 262 4,10-12 120-130 4,11 211 4,13-14 130-134 4,15 134f. 6,3-10 5, 139-174, 276 6,3-4a 149-152 6,4b-5 152-155 6,6-7a 155-160 6,7b-8a 161-163 6,8b-10 163-172, 283 6,9f. 36 7,3 266 7,5 1 10-13 178, 191-195 11,1-12,13 176 11,21b-30 5, 175-223 11,21b 183f. 11,22-23a 184-195 11,23b 196f. 11,24-25a 197-212 11,25b 213f. 11,26 214-216 11,27 216f. 11,28 217f., 269 11,29 40, 218f. 11,30 219-221 12,1-10 225-228 12,2-4 229-231 12,7b-9a 231-233 12,9-10 236-242 12,9b-10 6, 225-246 12,10b 283 12,14 269 Galater 3,27 89 4,13-15 231 6,17 211, 257, 262 Philipper 1,1 147f. 1,5 269 1,20 262 1,21 211 3,7 211 3,10 97, 137, 211, 257, 262 3,21 60 Kolosser 1,24 256, 257 2,3 109 1. Thessalonicher 1,5f. 269 1,6 265 3,3-4 265 3,4 1 2. Timotheus 2,18 77 Judaica Qumrantexte 1QS 3,21-24 40 Syrischer Baruch 54,16-18 40 4. Esra 7,1-9,14 40 7,11-14 38 7,89 38 äthiopischer Henoch 103,8-13 37 104,2-4 37 slawischer Henoch 66,6 34 Jubiläen 23,13 35 Testament Josephs 1,4-7 36 <?page no="341"?> 327 Frühchristliches Schrifttum Thomasevangelium 2 76 60 76 81 76 Griechisch-römische Literatur Plato de re publica II 5, 361 E ff. 20 Timaios 71e 236 Plutarch moralia 1057 E 164 Seneca epistulae morales ad Lucilium 71,26 23 <?page no="342"?> 328 Sachregister Antithesenform 36 Antithetik 114 Apokalyptik 24, 32, 228 Apologie 47; 271 Apostel Jesu Christi 270 Apostolat 6, 270f. Auferstehung 30, 131 Auferstehungstheologie 279 Autarkie-Ideal 228, 244 Autobiographie 242-244, 279 Biographie 177 Bürgerrecht 204-212, 222 Charismenkataloge 144 Diatribe 41 Diatribenliteratur 16 Diener Christi 222 Doxa 104 Dualismen 37 Empfehlungsbrief 141 Entrückungsgeschichte 232 Epiktet 20 Epiphanie 235, 253-255, 262 Erfahrung 279, 281 Erhöhung 32 Evangelium 271 Freude 280 Gebet 234 Gegensätze 280 Gegensatzpaare 164 Gegenwart Gottes 235 Gegner 191 Geißelung 198-204 Geistbegabung 144 Gekreuzigter 55, 94 Genüge 244 Geruchsmetapher 113 Gnadengaben 71 Habe-Formeln 103 Hebräer 184-187 Heiliger Geist 173 Herrenmahl 90, 274 Herrlichkeit 104, 134, 221 Ich-Stil 195 Israeliten 187f. Klagepsalmen 244 Königsinschriften 22 Kraft 236-242, 245, 280 Kraft Christi 235 Kraft Gottes 173 Kreuzestheologie 47, 221, 279 Kreuzestod Christi 55, 94, 274 Leib 125 Leiden 249, 258, 280 Leiden Christi 210, 251, 261-268 Leiden der Christen 261-268 Leiden des Paulus 261 leidender Gerechter 31, 37 Leidensmystik 251 Lösegeld 86 Mensch, äußerer 110 militia christi 162 Mittler 107 Mystik 250-253 Narrenrede 176 Offenbarungsbericht 228 Offenbarungserlebnisse 230 Orakel 244 Pädagogik 26 Paradoxie 240 Paränese 26 Passion Jesu 262 Peristasenvokabular 216 Realpräsenz 96, 274 res gestae 22, 177, 195 Rühmen 71, 80, 223, 230f., 243 Ruhm 226 Ruhmeschroniken 21 Ruhmesrede 220 Ruhmestheologie 195, 278 Sakramente 94 Same Abrahams 188f. Schatz 111 Schechina 235 <?page no="343"?> 329 Schwachheit 113, 219-221, 226, 230f., 233, 236-242, 245, 280 Sein in Christus 239, 244, 284 Selbstempfehlung 141, 172, 182f., 276 Selbstruhm 182f., 277 Steinigung 212 Stoa 15, 28, 41, 228 Strafverfahren 197-212 Sühneopfer 86 Synkrisis 220 Taufe 87, 267, 274 Tod 122 Tod Christi 95 Triumphmetapher 113 Tugend 140 Tugenden 156 Tugendkatalog 155 Unabhängigkeit 171 verberatio 202 Vergegenwärtigung Christi 282 Verkündigungsauftrag 145 Versöhnung 146 Waffenmetaphorik 161 Weisheitstheologie 49 Wohlgeruch 113 Wohnen Gottes 235 Wundertaten 245 dia,konoj 143 dia,konoj Christi 189-191 diakoni,a 143 qei/ oj avnh,r 250 qli/ yij 116, 153 kauca/ sqai 179-183, 221 peri,stasij 11 sa,rx 136 sofi,a 50 sw/ ma 111, 136 fanerou/ n 126 <?page no="344"?>