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Die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit

Auf dem Weg zu einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 in der neutestamentlichen Literatur

0519
2010
978-3-7720-5373-3
978-3-7720-8373-0
A. Francke Verlag 
Sascha Flüchter

Gen 15,6 gehört zu den bedeutendsten Versen des AT. Die ungelöste Subjektfrage und das hohe theologische Gewicht als mutmaßlicher locus classicus der paulinischen Rechtfertigungslehre führen jedoch zu hermeneutischen Problemen seiner Rezeptionsgeschichte. Hier wird der Weg zu einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte aufgezeigt werden, die nach den Funktionen fragt, die dem Vers in den spezifischen Situationen seiner Rezeption zukamen. Rezeptionsgeschichte ist dann nicht mehr die Geschichte eines verschieden rezipierten Textes, sondern die Geschichte der Gen 15,6 rezipierenden Subjekte.

<?page no="1"?> Die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit <?page no="2"?> TANZ 51 Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter herausgegeben von Klaus Berger <?page no="3"?> Sascha Flüchter unter Mitarbeit von Lars Schnor Die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit Auf dem Weg zu einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 in der neutestamentlichen Literatur <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.d-nb.de> abrufbar. Gedruckt mit Unterstützung der Evangelischen Kirchengemeinde Kaiserswerth, des Kirchenkreises Düsseldorf sowie der Evangelischen Kirche im Rheinland. © 2010 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: www.francke.de E-Mail: info@francke.de Printed in Germany ISSN 0939-5199 ISBN 978-3-7720-8373-0 <?page no="5"?> Vorwort Die vorliegende Untersuchung ist im Sommersemester 2009 von der Theologischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg unter beinahe gleichem Titel als Dissertation angenommen worden. Für die Drucklegung ist der Text geringfügig überarbeitet, der Anhang stark gekürzt worden. Mein Dank gilt zunächst meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Bernd Wander, der die Entstehung der Arbeit mit all ihren Höhen und Tiefen einfühlsam und loyal begleitet hat. Zu danken habe ich auch Herrn Prof. Dr. Peter Lampe, der die Mühe des Koreferats auf sich genommen hat. Die Arbeit an dieser Dissertation war in besonderer Weise dadurch geprägt, dass sie über weite Strecken hinweg in enger Zusammenarbeit mit Herrn StR Lars Schnor erfolgt ist. Über den ersten Teil der Untersuchung hinaus, der von Lars Schnor und mir gemeinschaftlich erarbeitet und verschriftlicht worden ist, sind die tage- und nächtelangen Diskussionen mit ihm, seine kenntnisreiche Hilfe in vertrackten Fragen und unsere persönliche Verbundenheit über die fachliche Arbeit hinaus, eindeutig als die entscheidenden Gründe für den erfolgreichen Abschluss der gesamten Arbeit zu werten. Dafür bin ich Lars Schnor in besonderer Weise dankbar. Danken möchte ich auch Prof. Dr. Klaus Berger, Prof. Dr. Heinz-Josef Fabry, Prof. Dr. Hubert Frankemölle und Prof. Dr. Gunter Grimm, die auf ganz unterschiedliche Weise entscheidende Anstöße für diese Arbeit geliefert haben. Herrn Prof. Dr. Klaus Berger danke ich zudem für die freundliche Aufnahme meiner Arbeit in die TANZ-Reihe. Der Studienstiftung des deutschen Volkes danke ich für die Gewährung eines Promotionsstipendiums. Der Evangelischen Kirchengemeinde Kaiserswerth, dem Kirchenkreis Düsseldorf sowie der Evangelischen Kirche im Rheinland danke ich für die großzügigen Druckkostenzuschüsse. Für das Korrekturlesen der Manuskripte bin ich den Damen und Herren Dipl-Theol. Simone Lehnert, Tobias Lewe, Andreas Losch, sowie Christina und Markus Risch zu großem Dank verpflichtet. Meiner Familie gilt der besondere Dank für das Mittragen und immer wieder auch Ertragen der langwierigen Arbeiten, die schließlich zur vorliegenden Untersuchung geführt haben. Meiner Frau Alexandra und unseren Kindern Christian Elias und Hannah Kristin sei sie daher auch gewidmet. Duisburg, im Februar 2010 <?page no="7"?> Inhaltsverzeichnis EINLEITUNG: Gegenstand, Motivation, Anlage und Ziel der Untersuchung ....................................................................................................... 1 1. Gegenstand und Motivation der Untersuchung .................................... 1 2. Genese der Untersuchung und ihrer Anlage als Teil einer Gruppenarbeit............................................................................................. 3 3. Aufbau und Ziel der Untersuchung......................................................... 5 TEIL A: THEORETISCHE UND METHODISCHE GRUNDLEGUNG EINER SOZIALHISTORISCH ORIENTIERTEN REZEPTIONS- GESCHICHTE VON GEN 15,6 [GEM. MIT LARS SCHNOR] .................. 7 KAPITEL I: Geschichte der Erforschung von Gen 15,6 und seiner Rezeptionen ........................................................................................................... 9 1. Geschichte der Erforschung von Gen 15,6 im Kontext von Gen 15 MT.................................................................................................... 10 1.1 Forschungsüberblick zu Gen 15.......................................................... 10 1.2 Forschungsüberblick zu Gen 15,6 MT............................................... 15 2. Geschichte der Erforschung der Rezeptionen von Gen 15,6 ................ 23 2.1 Wolfgang Heidland: Die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit.......................................................................................... 25 2.2 Ferdinand Hahn: Genesis 15,6 im Neuen Testament...................... 30 2.3 Terence Patric McGonigal: Abraham believed God ........................ 32 2.4 Donald Dixon Sutherland: Genesis 15: 6............................................ 35 2.5 Axel von Dobbeler: Glaube als Teilhabe............................................ 38 2.6 Benjamin Schliesser: Abraham’s Faith in Romans 4 ....................... 41 KAPITEL II: Bewertung der Forschungslage und Konsequenzen für die Grundlegung einer Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 .................... 45 1. Das Problem der konsenslosen Exegese von Gen 15,6 MT und ihrer normativen Voraussetzung für eine Rezeptionsgeschichte .................................................................................. 47 <?page no="8"?> Inhaltsverzeichnis VIII 2. Das Problem der Unbekanntheit der faktischen Rezeptionsvorlage...................................................................................... 48 3. Das Problem des kontextlosen Vergleichs der Rezeptionen mit dem Rezeptionsobjekt........................................................................ 49 4. Das Problem der Feststellung faktisch stattgefundener Rezeptionen gegenüber einer traditionsgeschichtlichen Untersuchung............................................................................................. 51 5. Das Problem normativer Leitabstraktionen und der theologischen Polarisierung der Rezeptionsgeschichte ....................... 52 Exkurs: Luther, Paulus und das zeitgenössische Judentum - Kritik einer Leitabstraktion............................................................ 55 1. Luther und die Rechtfertigungslehre des Paulus .............................. 55 2. Paulus und das zeitgenössische Judentum........................................ 59 KAPITEL III: Theoretische Grundlegung einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6............................................ 63 1. Beitrag der literaturwissenschaftlichen Rezeptionsforschung ............ 64 2. Beitrag der Erforschung semantischer Felder ....................................... 74 3. Proprium einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte ................................................................................ 82 KAPITEL IV: Methodische Schritte auf dem Weg zu einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 .............. 85 1. Aufstellen eines semantischen Grundwortfeldes .................................. 85 2. Auffinden von potentiellen Konkretisationen durch das semantische Grundwortfeld..................................................................... 87 3. Rezeptionsästhetische Analyse der potentiellen Konkretisationen in ihrem nähren und weiteren literarischen Kontext........................................................................................................ 93 3.1 Rezeptionsästhetik durch zielgerichtete Exegese des näheren literarischen Kontextes der potentiellen Konkretisationen .......... 94 3.2 Das erweiterte semantische Feld der Konkretisationen im Mitteilungsgeschehen ihres weiteren literarischen Kontextes ..... 99 4. Rezeptionsgeschichte durch Vergleich rezeptionsspezifischer Merkmale .................................................................................................... 101 <?page no="9"?> Inhaltsverzeichnis IX TEIL B: BEISPIELE EINER SOZIALHISTORISCH ORIENTIER- TEN REZEPTIONSFORSCHUNG FÜR GEN 15,6 AUS DER NEUTESTAMENTLICHEN LITERATUR ..................................................... 105 KAPITEL V: Das semantische Feld und die potentiellen Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 in der neutestamentlichen Literatur............................................................................. 109 1. Das semantische Feld und die potentiellen Konkretisationen in den kanonischen Schriften des Neuen Testaments ......................... 109 2. Das semantische Feld und die potentiellen Konkretisationen in den Schriften der Apostolischen Väter .............................................. 117 3. Das semantische Feld und die potentiellen Konkretisationen in den Schriften des Flavius Josephus..................................................... 121 4. Das semantische Feld und die potentiellen Konkretisationen in den Traktaten der Mischna ................................................................. 126 5. Das semantische Feld und die potentiellen Konkretisationen in den Spätschriften der neutestamentlichen Literatur ....................... 133 6. Überblick über die potentiellen Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 in der neutestamentlichen Literatur ............ 136 KAPITEL VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief aus der Perspektive einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte ........................................ 137 1. Forschungsgeschichtliche Einordnung der Frage nach einer Rezeption von Gen 15,6 im Jakobusbrief............................................... 137 2. Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 im Jakobusbrief................................................................................................ 147 2.1 Der Befund der Wortfeldanalyse ......................................................147 2.2 Analyse von Jak 2,14-26 .....................................................................148 2.3 Auswertung der Analyse im Blick auf die Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 im Jakobusbrief ........................................182 3. Das semantische Feld der Rezeption von Gen 15,6 im Jakobusbrief................................................................................................ 182 3.1 Das erweiterte semantische Feld im Jakobusbrief..........................183 3.1.1 Die semantisch/ thematisch-oppositionelle Struktur des semantischen Feldes .................................................................185 3.1.2 »Glaube« als Grundorientierung des Menschen an Gott....186 <?page no="10"?> Inhaltsverzeichnis X 3.1.3 »Gerechtigkeit« und »Rettung« im Kontext des eschatologischen Gerichts........................................................188 3.1.4 Der Mensch als »Täter« des Wortes, des Gesetzes und der Tat.................................................................................190 3.1.5 »Vollkommenheit« als Ziel des Menschen ............................192 3.2 Das erweiterte semantische Feld im Jakobusbrief und die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 .................................................194 3.2.1 Abraham und Rahab in traditionellen Paradigmenreihen .195 3.2.2 Abraham als »Freund Gottes«.................................................196 3.2.3 Abraham und die »Bindung Isaaks« ......................................199 3.2.4 Abraham und seine Taten und Werke...................................201 3.2.5 Abraham und die Vollkommenheit des Glaubens...............203 3.2.6 Das semantische Grundwortfeld von Gen 15,6 ....................205 3.3 Die Funktion des erweiterten semantischen Feldes im Mitteilungsgeschehen des Jakobusbriefs und ihr sozialhistorischer Kontext .................................................................................................206 KAPITEL VII: Gen 15,6 im Hebräerbrief aus der Perspektive einer sozial-historisch orientierten Rezeptionsgeschichte ............................ 209 1. Forschungsgeschichtliche Einordnung der Frage nach Rezeptionen von Gen 15,6 im Hebräerbrief .......................................... 209 2. Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 im Hebräerbrief ............................................................................................... 213 2.1 Der Befund der Wortfeldanalyse ......................................................213 2.2 Analyse von Hebr 6,9-15....................................................................216 2.3 Analyse von Hebr 11,17-19 ...............................................................224 2.4 Analyse von Hebr 11,11f ....................................................................228 2.5 Auswertung der Analysen im Blick auf die Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 im Hebräerbrief........................................232 Exkurs: Glaube und Gerechtigkeit im Zusammenhang mit der Rezeption von Hab 2,4 .............................................................237 3. Das semantische Feld der Rezeption von Gen 15,6 im Hebräerbrief ............................................................................................... 240 3.1 Das erweiterte semantische Feld im Hebräerbrief .........................240 3.1.1 Die paränetische Charakteristik des semantischen Feldes und der »Abfall vom Glauben« ...............................................243 <?page no="11"?> Inhaltsverzeichnis XI 3.1.2 »Glaube«als Anerkennung der »Treue« Gottes zu seiner »Verheißung« ............................................................................244 3.1.3 »Verheißung« und»Schwur« als Ermöglichungsgrund der Heilsgewissheit ..........................................................................247 3.1.4 Jesus der Hohepriester und das »Bestehen in der Anfechtung«...............................................................................248 3.2 Das erweiterte semantische Feld im Hebräerbrief und die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 .................................................249 3.2.1 Abraham in traditionellen Paradigmenreihen......................249 3.2.2 Abraham und die »Bindung Isaaks« ......................................251 3.2.3 Abraham und Gottes Verheißung und Schwur....................252 3.2.4 Abraham als Vorbild für geduldiges Ausharren in der Versuchung ................................................................................257 3.2.5 Abraham und die Gerechtigkeit und Treue Gottes .............260 3.2.6 Das semantische Grundwortfeld von Gen 15,6 ....................262 3.3 Die Funktion des erweiterten semantischen Feldes im Mitteilungsgeschehen des Hebräerbriefs und ihr sozialhistorischer Kontext .................................................................................................266 Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief aus der Perspektive einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte .............................. 271 1. Zur Frage nach einer Rezeption von Gen 15,6 im 1. Clemensbrief .......................................................................................... 271 2. Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 im 1. Clemensbrief..................................................................................... 277 2.1 Der Befund der Wortfeldanalyse ......................................................277 2.2 Analyse von 1Clem 10,1-7 .................................................................278 2.3 Analyse von 1Clem 30,6-32,4 ............................................................293 Exkurs: Das Abrahambeispiel in 1Clem 17,2 ........................................309 2.4 Auswertung der Analysen im Blick auf Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 im 1. Clemensbrief...................................312 3. Das semantische Feld von Gen 15,6 im Mitteilungsgeschehen des 1. Clemensbriefs .................................................................................. 314 3.1 Das erweiterte semantische Feld der Rezeption von Gen 15,6 im 1. Clemensbrief ..............................................................................314 <?page no="12"?> Inhaltsverzeichnis XII 3.1.1 Die paränetische Charakteristik des semantischen Feldes und der Konflikt in Korinth ....................................................316 3.1.2 »Glaube«, »Verheißung« und »Segen«...................................317 3.1.3 »Gehorsam«, »Demut« und »Gastfreundschaft« als lebenspraktische Realisation des »Glaubens« .......................319 3.1.4 »Rechtfertigung« und »Anerkennung« bei Gott ..................323 3.2 Das erweiterte semantische Feld im 1. Clemensbrief und die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 .................................................327 3.2.1 Abraham in traditionellen Paradigmenreihen......................327 3.2.2 Abraham als »Freund Gottes«.................................................330 3.2.3 Abraham und die »Bindung Isaaks« ......................................331 3.2.4 Abraham und Gottes Verheißung und Segen.......................332 3.2.5 Abraham als Vorbild für Gehorsam, Demut und Gastfreundschaft .......................................................................333 3.2.6 Das semantische Grundwortfeld von Gen 15,6 ....................334 3.3 Die Funktion des erweiterten semantischen Feldes im Mitteilungsgeschehen des 1. Clemensbriefs und ihr sozialhistorischer Kontext .................................................................338 ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK: Auf dem Weg zu einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 in der neutestamentlichen Literatur ................................................ 341 ANHANG: Tabellen zu den erweiterten semantischen Feldern der analysierten Beispiele der neutestamentlichen Literatur ........................ 353 1. Tabellen zu den untersuchten kanonischen Schriften des Neuen Testaments ..................................................................................... 356 2. Tabellen zu den untersuchten Schriften der Apostolischen Väter ............................................................................................................ 359 LITERATURVERZEICHNIS ............................................................................ 365 1. Quellen und Hilfsmittel ............................................................................ 365 1.1 Bibelausgaben ......................................................................................365 1.2 Jüdische Quellen ..................................................................................366 1.3 Christliche Quellen .............................................................................367 1.4 Elektronische Textausgaben und Hilfsmittel ..................................368 <?page no="13"?> Inhaltsverzeichnis XIII 1.5 Konkordanzen .....................................................................................368 1.6 Wörterbücher und andere Hilfsmittel .............................................369 2. Sekundärliteratur....................................................................................... 370 <?page no="15"?> Einleitung Gegenstand, Motivation, Anlage und Ziel der Untersuchung 1. Gegenstand und Motivation der Untersuchung Das Schriftwort Gen 15,6 gehört zweifellos zu den bedeutendsten und in Bezug auf seine Rezeptionen folgenreichsten alttestamentlichen Versen überhaupt. Seine Rezeptionsgeschichte erweist sich als auffällig breit, nicht nur was die zeitliche Ausdehnung angeht, sondern auch bezüglich der inhaltlichen Ausrichtung ihres Fragens nach der »Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit«, die „im Gespräch mit dieser Stelle Juden und Christen immer wieder beschäftigt“ 1 hat. Speziell im Kontext reformatorischer Theologie kommt dem Schriftwort ein enormes theologisches Gewicht zu. Als mutmaßlicher locus classicus paulinischer Rechtfertigungslehre und deren zentraler Bedeutung innerhalb der lutherischen Theologie steht es in einem indirekten, rezeptionsgeschichtlichen Bezug zum articulus stantes et cadentes ecclesiae . Exegetisch abgesichert wurde dieser Zusammenhang lange Zeit durch die Auslegung von Gen 15,6 MT durch G ERHARD VON R AD 2 aus dem Jahr 1951, die von den meisten Exegeten zustimmend übernommen wurde. So stellte beispielsweise F ERDINAND H AHN 1971 in Anknüpfung an VON R AD fest: „Bei Gen 15,6 wird man jedoch sagen müssen, daß dieser Text der paulinischen Interpretation in einem hohen Maße entgegenkommt; denn immerhin ist hier »von irgendwelchen Leistungen des Menschen, von Opfergaben oder bestimmten Gehorsamsakten« nicht die Rede, vielmehr wird »in einem gehobenen und programmatischen Satz gesagt, daß der Glaube in das rechte 1 Jepsen: Art. ! ma , in: THWAT I (1973), Sp. 328. 2 Rad: Anrechnung. Siehe dazu Kap. I, Abschn. 1.2. <?page no="16"?> Einleitung 2 Verhältnis zu Jahwe setzt«“ 3 . In den 80iger Jahren des 20. Jahrhunderts ist diese Auslegung durch die Arbeiten von L LOYD G ASTON und M ANFRED O E- MING grundlegend in Frage gestellt worden. 4 Die aufgrund dieser neuen Erkenntnisse aufgeworfene Frage nach dem Subjekt des zweiten Teilverses von Gen 15,6 in seiner masoretischen Textfassung lässt das Schriftwort in einem ganz neuen Licht erscheinen. So stellt O EMING fest: „Von einer Anrechnung des Glaubens (wie Glaube auch immer verstanden sein mag) durch Jahwe ist überhaupt keine Rede, vielmehr von einer Anrechnung der Verheißung durch Abraham.“ 5 Die Frage nach einer sprachlich und theologisch angemessenen Auslegung der masoretischen Textfassung von Gen 15,6 ist seitdem kontrovers und bislang ohne nennenswerten Konsens diskutiert worden. Das Schriftwort muss gegenwärtig wohl schlechterdings als eine crux interpretum angesehen werden. 6 Für die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 ist das insofern von Bedeutung, als die exegetische Unsicherheit in der Bewertung des Schriftwortes bisher kaum Einfluss auf die mit seinem theologischen Gewicht zusammenhängenden hermeneutischen Prämissen gezeitigt hat. 7 Die zur theologischen Leitabstraktion gewordene Verknüpfung von Gen 15,6 mit der paulinischen Rechtfertigungslehre als deren locus classicus und die damit im Zusammenhang stehende Polarisierung der Rezeptionsgeschichte in eine paulinische und eine jüdische Line, die sich antithetisch gegenüberstehen, werden nicht an den neuen exegetischen Erkenntnissen gemessen. Vielmehr bestimmt diese Leitabstraktion die exegetische Klärung sowohl des Schriftwortes Gen 15,6 als auch der Rezeptionen dieses Verses in der neutestamentlichen Literatur. Diese Ambivalenz zwischen den exegetischen Schwierigkeiten, dem theologischen Gewicht und den sich daraus ergebenden hermeneutischen Konsequenzen bildet die zentrale Motivation zur Beschäftigung mit dem Schriftwort Gen 15,6 und seiner Rezeptionsgeschichte, die zur vorliegenden Untersuchung geführt hat. 3 Hahn: Genesis, 107. Die markierten Stellen sind Zitate von G. VON R AD (ders: Anrechnung, 133f). Vgl. dazu Kap. I, Abschn. 2.2. 4 Gaston: Abraham. Oeming: Genesis. Siehe dazu Kap. I, Abschn. 1.2. 5 Oeming: Genesis, 194. Es sei hier kurz darauf hingewiesen, dass die jüngst erschienene und heftig umstrittene »Bibel in gerechter Sprache« die Frage nach dem Subjekt in Gen 15,6b zugunsten Abrahams entscheidet: „Da glaubte er [erg. Abraham] Adonaj und zählte es als eine Tat der Gerechtigkeit“. 6 Vgl. Seebass: Genesis, 70. 7 Siehe dazu Kap. II, Abschn. 5. <?page no="17"?> Einleitung 3 2. Genese der Untersuchung und ihrer Anlage als Teil einer Gruppenarbeit Eine erste Beschäftigung mit dem Untersuchungsgegenstand war die Schriftliche Hausarbeit zum Thema »Die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit. Rezeptionen von Gen 15,6 in der alt-, zwischen- und neutestamentlichen Literatur«, die ich im Rahmen der ersten Staatsprüfung für das Lehramt der Sekundarstufen I und II gemeinsam mit L ARS S CHNOR als Gruppenarbeit angefertigt habe. Ziel dieser von B ERND W ANDER an der Universität Duisburg betreuten Arbeit war es, den Ausgangspunkt zum Verständnis von Gen 15,6 MT nicht in der konsenslosen historisch-kritischen Auslegung des Verses bzw. des 15. Kapitels der Genesis zu suchen, sondern in einer rezeptionsgeschichtlichen Annäherung. Ausgehend von der Untersuchung der einschlägigen Rezeptionen wurde vom Gesamtphänomen »Rezeption von Gen 15,6« zurückgefragt, welche Bedingungen der masoretische Text mitbringen musste, um diese spezifische Rezeptionsgeschichte zu ermöglichen. Wo die historisch-kritischen Auslegungen des Verses mit den erhobenen Bedingungen der Möglichkeit seiner Rezeptionsgeschichte konvergierten, wurde ein angemessenes Verständnis dieses wichtigen Verses als erreicht angesehen. Die Ergebnisse dieser Arbeit sind in Heft 109 der Biblischen Notizen von 2001 veröffentlicht. 8 An diese Vorarbeiten knüpfte die Planung eines Dissertationsprojekts an, das sowohl die inhaltliche Arbeit wie auch die erfolgreiche Form der Gruppenarbeit fortsetzen sollte. So wurde die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 Gegenstand eines gemeinsamen Dissertationsprojekts von L ARS S CHNOR und mir, mit dem Ziel zweier Dissertationen, die in komplementärer Weise die Rezeptionsgeschichte durch Ausweitung des Untersuchungsbereichs auf eine breitere Textbasis stellen sollten. Wie in der Examensarbeit übernahm L ARS S CHNOR dabei die Untersuchung der alt- und zwischentestamentlichen Literatur, während ich mich weiter mit der neutestamentlichen Literatur beschäftigte. Die Betreuung des Projekts lag wieder in der Hand von B ERND W ANDER . Die S TUDIENSTIFTUNG DES DEUTSCHEN V OLKES hat es durch die Gewährung zweier Promotionsstipendien gefördert. Nach Aufnahme der Arbeit zeigten sich sowohl in der Auswertung der einschlägigen Literatur als auch im praktischen Vollzug der Arbeit grundle- 8 Flüchter, Sascha u. Schnor, Lars: Die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit. Ein rezeptionsgeschichtlicher Versuch zum Verständnis von Gen 15,6 MT, in: BN 109 (2001), 27-44. <?page no="18"?> Einleitung 4 gende hermeneutische Probleme bei der Erarbeitung der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 und das völlige Fehlen einer geeigneten Theorie und Methode für ein solches Unternehmen. Das machte es notwendig, zunächst der Klärung dieser theoretischen und methodischen Fragen Aufmerksamkeit zu widmen, bevor die praktische Arbeit an den Rezeptionen fortgesetzt werden konnte. Da das der Grundlegung des gesamten Projekts diente, haben L ARS S CHNOR und ich diese Arbeit gemeinsam durchgeführt. Auf der Grundlage des Konzepts einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsforschung des Duisburger Literaturwissenschaftlers G UNTER G RIMM und der Methode zur Erforschung semantischer Felder des emeritierten Heidelberger Neutestamentlers K LAUS B ERGER entstanden Theorie und Methode einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6, die neben einem neuen Verfahren zur Identifikation sprachlicher Niederschläge von Rezeptionsprozessen ein aufwendiges Verfahren zur rezeptionsästhetischen Analyse der gefundenen Texte umfassen. Da es sich bei dieser Grundlegung um die Ergebnisse gemeinsamer Arbeit handelt, sind sie von uns auch gemeinsam und zu gleichen Teilen dokumentiert worden und sind in beiden Dissertationen mit identischem Wortlaut als Teil A der jeweiligen Untersuchung vorangestellt. Als direkte Folge des entwickelten Ansatzes veränderte sich die Zielvorgabe für die praktische Erarbeitung einer Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6. Es trat nun die Aufgabe der praktischen Erprobung von Theorie und Methode in dem von L ARS S CHNOR und mir jeweils untersuchten Literaturbereich in den Vordergrund. Dazu zählte neben der Suche und Identifikation potentieller Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 durch Aufweis des entsprechenden semantischen Grundwortfeldes in sämtlichen Schriften des untersuchten Literaturbereichs die aufwendige rezeptionsästhetische Analyse der eruierten Texte und die sozialhistorische Auswertung ihrer Ergebnisse. Wegen der umfangreichen exegetischen Arbeiten, die dazu für jede einzelne der ermittelten potentiellen Konkretisationen zu leisten waren, musste diese praktische Erprobung im Blick auf die rezeptionsästhetische Analyse auf drei ausgewählte Beispiele aus jedem Literaturbereich beschränkt werden. Die anvisierte sozialhistorisch orientierte Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 ist demnach nur partiell und exemplarisch realisierbar. Diese Arbeit, die in Teil B der jeweiligen Untersuchung dokumentiert ist, wurde gänzlich eigenständig ausgeführt. Ihre jeweils spezifischen Ergebnisse sind im Blick auf das Ganze der Rezeptionsgeschichte freilich als komplementär anzusehen, was durch wechselseitige Verweise auf die Untersuchungen des jeweils anderen zum Ausdruck kommt. <?page no="19"?> Einleitung 5 3. Aufbau und Ziel der Untersuchung Die vorliegende Untersuchung gliedert sich in zwei Hauptteile. In Teil A, der gemeinsam mit L ARS S CHNOR erarbeitet und verschriftlicht wurde (s.o.), wird zunächst ausführlich die Forschungsgeschichte des Schriftwortes Gen 15,6 und seiner Rezeptionen dargestellt (Kapitel I). Die sich aus der Bewertung der Forschungslage ergebenden Konsequenzen werden im Blick auf eine theoretische und methodische Grundlegung der Rezeptionsgeschichte ausgewertet (Kapitel II). Sie führen zur Entwicklung der Theorie einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 (Kapitel III) und der notwendigen methodischen Schritte auf dem Weg zu ihrer Umsetzung (Kapitel IV). Teil B, der von mir gänzlich eigenständig erarbeitet und verschriftlicht wurde (s.o.), beginnt mit einem Überblick über das semantische Feld und die potentiellen Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 in der neutestamentlichen Literatur (Kapitel V). Daran schließen sich die ausführlichen rezeptionsästhetischen Analysen der drei ausgewählten Beispiele aus dem untersuchten Literaturbereich an: Der Jakobusbrief (Kapitel VI), der Hebräerbrief (Kapitel VII) und der 1. Clemensbrief (Kapitel VIII). Die Ergebnisse der rezeptionsästhetischen Analysen werden schließlich vergleichend miteinander in Beziehung gesetzt (Abschn. 3 der Kapitel VI-8), um durch die Ermittlung von Tradition und Innovation im Rezeptionsprozess auf die sozialhistorischen Bedingungen der Rezeptionen zu schließen. Ziel der Untersuchung ist es den Weg zu einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 aufzuzeigen, die nach den Funktionen fragt, die den Rezeptionen von Gen 15,6 bzw. ihren Konkretisationen in den spezifischen historischen Situationen der Rezipienten unten den jeweiligen sozialen Bedingungen zukommen. Dabei geht es letztlich nicht um die Geschichte eines verschieden rezipierten Textes, sondern um die Geschichte der Gen 15,6 rezipierenden Subjekte. <?page no="21"?> Teil A Theoretische und methodische Grundlegung einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 [gem. mit Lars Schnor] <?page no="23"?> Kapitel I Geschichte der Erforschung von Gen 15,6 und seiner Rezeptionen Die Literatur zur Geschichte der Erforschung von Gen 15,6 und seiner Rezeptionen ist zahlreich und vielfältig. Neben Kommentaren zur Genesis und häufigen Ausführungen zum Gegenstand in den Kommentaren zu Schriftstellen mit Rezeptionen von Gen 15,6 findet sich eine Vielzahl an Zeitschriftenartikeln und exkursartigen Ausführungen zu einzelnen einschlägigen Forschungsfragen, insbesondere zur Exegese von Gen 15,6 im masoretischen Textzusammenhang von Gen 15. Um die einschlägige Literatur für einen forschungsgeschichtlichen Überblick zum Gegenstand der Untersuchung systematisch darstellen zu können, ist folgende Einteilung in die Darstellung der Forschungslage vorgenommen: Zunächst werden Forschungsansätze und Ergebnisse zum gesamten Kapitel Gen 15 vorgestellt (Abschnitt 1.1), da die exegetischen Auseinandersetzungen über Gen 15 als unmittelbarer Erzählzusammenhang von Gen 15,6 zweifellos in enger Beziehung zu den unterschiedlichen Ansätzen und Ergebnissen der historisch-kritischen Erforschung des Schriftverses Gen 15,6 selbst stehen, und als Hintergrund für eine bessere Einordnung der Probleme der derzeitigen Exegese um eine konsensfähige Auslegung von Gen 15,6 bedeutend sind. Auf diese Probleme der Erforschung von Gen 15,6 wird daraufhin ausführlich eingegangen (Abschnitt 1.2), bevor schließlich ein Überblick über die Literatur zur Erforschung der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 gegeben wird (Abschnitt 2.). <?page no="24"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 10 1. Geschichte der Erforschung von Gen 15,6 im Kontext von Gen 15 MT 1.1 Forschungsüberblick zu Gen 15 In der 1989 veröffentlichten Monographie von J OHN H Å mit dem Titel Genesis 15. A Theological Compendium of Pentateuchal History 1 setzt sich H Å mit den exegetischen Ansätzen zu Gen 15 seit 1910 „from the major works from H. Gunkel onwards“ 2 auseinander. Als gemeinsame Einsicht aller Arbeiten hält er fest: „Gen. 15 consists of two main parts: vv. 1-6 and 7-21“ 3 . H Å stellt insgesamt 29 Positionen vor, die er grob in drei Gruppen einteilt. Die erste Gruppe beinhaltet die Arbeiten, die Gen 15 als literarisch inkohärent ansehen. Für G UNKEL , S KINNER , S MEND , P ORKSCH , V OLZ & R UDOLPH , S IMPSON , N OTH , H ÖLSCHER , J EPSEN , VON R AD , K AISER , C AQUOT , C AZELLES , S EEBASS , K ILIAN , L OHFINK , C LEMENTS , P ERLITT , D E P URY , Z IMMERLI und A N- BAR 4 stellt er die Zuordnung der einzelnen Verse zu den verschiedenen Quellen tabellarisch dar 5 : „They argue for Gen. 15 as a composition of at least two sources undertaken by a redactor who has left some vestiges of his work in the chapter.“ 6 Die Ergebnisse sind aber sehr unterschiedlich: „There 1 Hå: Genesis. 2 Hå: Genesis, 30; gemeint ist: Gunkel: Genesis. 3 Hå: Genesis, 30. 4 Gunkel: Genesis / J. Skinner: A Critical and Exegetical Commentary on Genesis [ICC], Edinburgh, 21930 / R. Smend: Die Erzählung des Hexateuch auf ihre Quellen untersucht, Berlin, 1912 / O. Porcksch: Die Genesis übersetzt und erklärt, Leipzig, 2,3 1924 / P. Volz, W. Rudolph: Der Elohist als Erzähler, ein Irrweg der Pentateuchkritik? , Berlin, 1933 / C.A. Simpson: The Early Traditions of Israel, Oxford, 1948 / M. Noth: Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Stuttgart, 1948 / G. Hölscher: Geschichtsschreibung in Israel, Lund, 1952 / A. Jepsen: Zur Überlieferungsgeschichte der Vätergestalten, in: WZ 3 (1953), 139-153 / Rad: Mose / Kaiser, Otto: Traditionsgeschichtliche Untersuchung von Genesis 15, in: ZAW 70 (1958), 107-126. / A. Caquot: L’alliance avec Abram (Genèse 15), in: Sem. 12 (1962), 51-66 / Cazelles: Connexions / Seebass, Horst: Gen 15,2b, in: ZAW 75 (1963), 317-319. / R. Kilian: Die vorpriesterlichen Abrahamüberlieferungen literarkritisch und traditionsgeschichtlich untersucht [BBB 24], Bonn, 1966 / Lohfink: Landverheißung / R.E. Clements: Abraham and David. Gen. 15 and its Meaning for Israelite Tradition [SBT 2/ 5], London, 1967 / L. Perlitt: Bundestheologie im Alten Testament [WMANT 36], Neukirchen-Vluyn, 1969 / A. de Pury: Promesse divine et Légende culturelle dans le Cycle de Jacob, Paris, 1975 / Zimmerli, Walther: 1. Mose 12-25: Abraham, [ZBKAT 1/ 2], Zürich, 1976. / M. Anbar: Genesis 15: A Conflation of Two Deuteronomic Narratives, in: JBL 101 (1982), 39-55. 5 Vgl. Hå: Genesis, 30ff. 6 Hå: Genesis, 30. <?page no="25"?> Kapitel I: Geschichte der Erforschung von Gen 15,6 11 are only a very few verses about whose literary sources source-analysts have reached a general consensus“ 7 . Der zweiten Gruppe gehören die Versuche an, die (zusätzlich) eine traditionsgeschichtliche Einordnung verfolgen. H Å bespricht hier K AISER , C AZELLES , K ILIAN , C LEMENTS , L OHFINK und D E P URY . 8 Innerhalb dieser Gruppe zeigen die Ergebnisse noch weniger Übereinstimmung: „More dissensions emerge as we extend the survey to the traditiohistorical criticism.“ 9 Die Untersuchungen der dritten Gruppe sehen Gen 15 als literarisch einheitlich an. H Å zählt zu ihnen H EINISCH , H OFTIJZER , S NIJ- DERS , V AN S ETERS , S CHMID , R ENDTORFF und W ESTERMANN . 10 Extra aufgeführt wird die Position von G ROß 11 , charakterisiert als „theological analysis of Gen. 15“ 12 . Seine eigene Position rechnet H Å der zweiten Gruppe zu, seine Argumente betrachtet er aber als weiterführend: 13 „Gen. 15 in reality does have a coherence an unity both literarily and thematically. However, there are further major arguments for the unity of the chapter that have not been treated by the above studies.“ 14 Er spricht sich dafür aus, dass Gen 15 als theologisierendes „compendium of the Pentateuchal history“ 15 von einem einzelnen Verfasser komponiert wurde, und dass es nicht möglich ist, „to identify its author with any of these schools (sc. such of deuteronomistic, priestly or prophetic traits, Erg. d. Verf.)“ 16 . Zeitlich setzt H Å die Entstehung des Textes in der (späten) Exilszeit an, woraus sich für ihn auch dessen Intention ergibt: „Given this date for the composition, the author’s intention 7 Hå: Genesis, 30. 8 Vgl. Hå: Genesis, 31-33. 9 Hå: Genesis, 31. 10 Vgl. Hå: Genesis, 31-36; P. Heinisch: Das Buch Genesis, Bonn, 1930 / J. Hoftijzer: Die Verheißungen an die drei Erzväter, Leiden, 1956 / L.A. Snijders: Genesis xv, in: Studies on the Book of Genesis, ed. B. Gemser, J. Hoftijzer [OTS 12], Leiden, 1958, 261-279 / J. van Seters: The Conquest of Sihon’s Kingdom, in: JBL 91 (1972), 182-197 / H.H. Schmid: Der so genannte Jahwist, Zürich, 1976 / R. Rendtorff: Genesis 15 im Rahmen der theologischen Bearbeitung der Vätergeschichten, in: Werden und Wirken des Alten Testaments. FS C. Westermann, hrsg. v. R. Albertz u.a., Göttingen, 1980, 74-81 / Westermann, Claus: Genesis [BKAT I/ 2], Neukirchen-Vluyn, 1981. 11 Vgl. Hå: Genesis, 37f.; H. Groß: Glaube und Bund, in: Studien zum Pentateuch. FS W. Kornfeld, hrsg. v. G. Braulik, Wien, 1977, 25-37. 12 Hå: Genesis, 37. 13 Bei Hå ausführlich dargelegt in Kapitel 2 (ders: Genesis, 39-62). 14 Hå: Genesis, 38. 15 Hå: Genesis, 215. 16 Hå: Genesis, 216. <?page no="26"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 12 would evidently be to strengthen the faith of the exiles and provide them with a hope of a return to the land.“ 17 Ebenfalls im Jahr 1989 erscheint die Arbeit von P ETER W EIMAR 18 . Hatte H Å mit Verweis auf die vielen unbefriedigenden Versuche einer literarkritischen Lösung der Probleme in Gen 15 versucht, die literarische Einheitlichkeit des Kapitels zu zeigen, so versucht W EIMAR erneut, eine redaktionskritische Lösung für Gen 15 zu finden. Er sieht in Gen 15 eine „planvoll gestaltete dreiteilige Komposition“ 19 , die aus einer Grundschicht innerhalb eines dreistufigen Überarbeitungsprozesses entstanden ist: „Angesichts der Tatsache, daß sich für keines der unselbständigen Textelemente in Gen 15 ein Anschluß im vorangegangenen Textzusammenhang wahrscheinlich machen läßt, bleibt nach wie vor ein redaktionskritisches Textentstehungsmodell (...) die plausibelste Vorstellung.“ 20 Zugrunde liegt dem Kapitel nach W EIMARS Auffassung eine elohistische Grundschicht 21 bestehend aus Vers 1ab a * (ohne hL,aeh' ~yrIb'D>h; rx; a; und yhiy>w: oder hNEhi statt hy"h' ), Vers 3 und Vers 4. 22 In einer ersten, der jehowistischen Bearbeitung 23 , kamen die Teile Vers 5a a ; 5b b ; 6a; 9a; 10a; 12a a ; 12b* (ohne hk'vex ] ); 17a a b und 18ab a dazu. 24 In zwei deuteronomistischen Bearbeitungen 25 entstanden die redaktionellen Zusätze Vers 13; 14b* (ohne lAdG" vkur>Bi ) und 18b b -21* (ohne tr'P.-rh; n > in Vers 18b b und ~yaip'r>h'-ta,w> in Vers 20). 26 Schließlich bekam in der Pentateuchredaktion, einer nachdeuteronomistischen Bearbeitung 27 , der Text durch die Zusätze Vers 1a* (nur hL,aeh' ~yrIb'D>h; rx; a und hy"h' ), Vers 1b b ; 2* (ohne qv,m< und 17 Hå: Genesis, 216. 18 Weimar: Genesis. 19 Weimar: Genesis, 367. 20 Weimar: Genesis, 388. 21 Vgl. Weimar: Genesis, 396f. 22 Vgl. Weimar: Genesis, 388. 23 „So sprechen die am Schluß der beiden Erzählteile stehenden Aussagen V 6a und V 18ab a insofern eine eindeutige Sprache, als sie unverkennbar auf den »Jehowisten« als umgreifenderen literarischen Horizont der vorliegenden Bearbeitung führen“ (Weimar: Genesis, 400f). 24 Vgl. Weimar: Genesis, 399. 25 Vgl. Weimar: Genesis, 405. 26 Vgl. Weimar: Genesis, 387. 27 „[Es] stellt die nachdeuteronomistische Redaktionsschicht wiederum eine grundlegende Neubearbeitung von Gen 15 dar, der das Kapitel nicht nur seine vorliegende Gestalt, sondern auch die Einordnung der aus der Tradition übernommenen Aussagen in neue literarische wie theologische Zusammenhänge verdankt“ (Weimar: Genesis, 408; Erg. v. Verf.). <?page no="27"?> Kapitel I: Geschichte der Erforschung von Gen 15,6 13 qf,M,D; aWh ) 28 ; 5a b b a ; 6b-8; 9b; 10b-11; 12a b ; 12b* (nur hk'vex ] ); 14a; 14b* (nur lAdG" vkur>Bi ); 15-16; 17a b und 20* (nur ~yaip'r>h'-ta,w > ) seine heutige Gestalt. 29 W EIMAR hält fest: „Das theologische Problem, dem der Verfasser von Gen 15 nachzuspüren sucht, eröffnet sich in dem spannungsvollen Verhältnis, in dem auf der einen Seite der vertrauensvolle Gehorsam Abrahams gegenüber Jahwe und auf der anderen Seite die bleibende und nicht aufhebbare Ungewissheit hinsichtlich der Erfüllung des von Jahwe Verheißenen steht.“ 30 Von dieser Problematik wird in Vers 6 an exponierter Stelle gesprochen: „Was Abraham Jahwe als dessen Gerechtigkeit anrechnet, ist die Verheißung neuer Zukunft als Ausdruck seiner gnadenhaften Zuwendung.“ 31 Wie W EIMAR isoliert E RNST H AAG in seiner ebenfalls 1989 erschienen Arbeit 32 eine Grundschicht (Gen 15,2a.3b.4) 33 , für die er die ursprüngliche Einleitung wieder herzustellen versucht (Gen 13,14a ag .b.15a.17) 34 und deren Entstehung er in die „Zeit des Joschija, und zwar noch vor der deuteronomischen Reform“ 35 datiert. Eine erste Bearbeitung hat dann die Teile Gen 13,15b.16; 15,7.8.9a.10a.17a b b.18ab a 36 hinzugefügt. Diese frühnachexilische Bearbeitung datiert H AAG in die Zeit, „als man in Jerusalem die Neueinweihung des zerstörten Tempels auf Zion in Angriff nahm“ 37 . Eine zweite Bearbeitung gab dem Text durch den Zusatz von Gen 15,1.3a.5.6.11. 12a. 13 a a .14b.16a.17a a .18b b 38 seine jetzige Gestalt. Sie wird von H AAG in die spätnachexilische Zeit datiert 39 . Theologisch steht demnach der Glaube Abrahams im Mittelpunkt, in dem er angesichts der Gefährdung des Heilswerkes Gottes in der Geschichte allein im Vertrauen auf die Verheißung Gottes seine Festigkeit gewinnt: „Der Abrahambund von Gen 15 gewinnt damit für die Offenbarung Gottes in der Welt den Charakter einer heilsgeschichtlichen Setzung von eschatologischer Qualität.“ 40 28 Diese Teile gehen auf eine „punktuell eingreifende glossierende Hand“ zurück (Weimar: Genesis, 379). 29 Vgl. Weimar: Genesis, 408. 30 Weimar: Genesis, 369. 31 Weimar: Genesis, 410; zur Frage nach dem Subjekt in Vers 6b siehe Abschn. 1.2. 32 Haag: Abrahamtradition. 33 Vgl. Haag: Abrahamtradition, 88. 34 Vgl. Haag: Abrahamtradition, 88f. 35 Haag: Abrahamtradition, 93. 36 Vgl. Haag: Abrahamtradition, 89. 37 Haag: Abrahamtradition, 98. 38 Vgl. Haag: Abrahamtradition, 89. 39 Vgl. Haag: Abrahamtradition, 105. 40 Haag: Abrahamtradition, 106. <?page no="28"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 14 Die neuere Kommentarliteratur spiegelt die Unsicherheit der Erforschung von Gen 15 wieder. So zieht beispielsweise der Genesiskommentar von H ORST S EEBASS 41 aus dem Jahr 1997 die Einheitlichkeit der Komposition in Frage. Er findet in den Versen 1*.2-4.6.9-12a a b.17.18 die jahwistische Quelle 42 . Dem entgegen findet die Theorie H ÅS in dem ebenfalls 1997 erschienen Kommentar von J. A LBERTO S OGGIN 43 Zustimmung: „Hat man diesen Vorschlag einmal angenommen, (und, allem Anschein nach, sollte man es) dann bilden die verschiedenen Teile nicht mehr eine bloße Anhäufung einiger, voneinander unabhängiger Texte, sondern gehören zu einer organischen Einheit.“ 44 Dieses Urteil kommt zustande, nachdem S OGGIN feststellt, die Probleme in der Exegese von Gen 15 „dürfen den Forscher nicht daran hindern, zu bestimmten Schlüssen zu kommen“ 45 . Die Problematik einer Auslegung von Gen 15 stellt nämlich auch er nach einer Betrachtung der Forschungslage deutlich heraus: „Es scheint deswegen schwierig, den Text auf Grund von objektiven Gegebenheiten zu datieren.“ 46 Einen synchronen Zugang zur Auslegung von Gen 15 auf der Ebene der Endgestalt des Textes wählt 2002 P IERRE A UFFRET in seinem Zeitschriftenartikel La justice pour Abram. Etude structurelle de Gen 15. 47 Er analysiert in seinem Beitrag die literarische Struktur von Gen 15 in der vorliegenden Form. Dabei entdeckt A UFFRET zunächst Strukturbeziehungen zwischen den beiden großen Abschnitten Gen 15,1-5 und Gen 15,7-21, schließlich aber auch zwischen einigen Versen dieser Abschnitte (zwischen den Versen 1+2 und 7+8, 1+2 und 12-17+18-21, 4c+5 und 7+8, 2+4c und 8+12-17, 3-5 und 13-16/ 18-21). Diese Strukturbeziehungen lassen nach A UFFRET die zentrale Position von Gen 15,6 und die Bedeutsamkeit, die der Endredaktor diesem Vers und dem Glauben Abrahams beigemessen hat, erkennen: „Cette fois fait un heureux contraste avec les constats et questions de 2-3, mais elle donne une tout autre portée à la question de 8.“ 48 Schon diese wenigen Positionen zur Erforschung von Gen 15 machen die Schwierigkeiten einer exegetischen Analyse hinsichtlich einer Datierung des Textes bzw. der in ihm enthaltenen Quellen und Traditionsstränge deutlich. 41 Seebass: Genesis. 42 Vgl. Seebass: Genesis, 79-81. 43 Soggin: Genesis. 44 Soggin: Genesis, 256. 45 Soggin: Genesis, 255. 46 Soggin: Genesis, 247. 47 Auffret: justice. 48 Auffret: justice, 354. <?page no="29"?> Kapitel I: Geschichte der Erforschung von Gen 15,6 15 Eine konsensfähige historisch-kritischen Bestimmung von Gen 15 und damit des Textzusammenhangs von Gen 15,6 ist somit nur schwer möglich. Diese Problematik beeinflusst aber auch die historisch-kritische Erforschung des Schriftverses Gen 15,6 und seine Auslegungen, was im folgenden Abschnitt überblicksartig dargestellt werden soll. 1.2 Forschungsüberblick zu Gen 15,6 MT 49 Für die Erforschung des Verses Gen 15,6 MT ( hq'd'c. AL h'b,v.x.Y: w: hw"hyB; ! mia/ h,w> ) war in den vergangenen Jahrzehnten die 1951 in der Theologischen Literaturzeitung erschienene Arbeit von G ERHARD VON R AD 50 grundlegend. Wie in seinem Kommentar zur Genesis 51 übernahm er auch hier die von J ULIUS W ELLHAUSEN 52 vorgeschlagene literarkritische Aufspaltung von Gen 15 in Vers 1-6 und Vers 7-21 und verstand Vers 6 als Abschluss und Höhepunkt des Erzählzusammenhangs 53 . Zugleich machte er darauf aufmerksam, dass Vers 6 selbst nicht zur eigentlichen Erzählung gehört: „An diesem spannenden Augenblick bricht die eigentliche Erzählung merkwürdigerweise ab. Der Erzähler verläßt gewissermaßen den zum Sternenhimmel aufblickenden Mann und wendet sich an den Leser, indem er ihm theologische Urteile von großer theologischer Dichtigkeit mitteilt“ 54 . Gen 15,6 hat somit in seinen Augen „fast schon den Charakter eines allgemeinen theologischen Lehrsatzes“ 55 . In seiner Arbeit von 1951 legte VON R AD nun eine traditionsgeschichtliche Bestimmung des Verbs bvx vor. Er geht dabei von der These aus, dass „solche Aussagen über das Verhältnis des Menschen zu Gott - vollends ein so gewichtiges Urteil Gottes über den Menschen - (...) bei einem antiken Volk nie anders als auf der Basis ganz bestimmter sakraler Traditionen denkbar“ 56 sind. Diese sakrale Tradition fand er in bvx als Akt der kultischen Anerkennung eines Opfers durch einen (von JHWH bevollmächtigten) Priester (vgl. Lev 7,18; 17,4; Num 18,27): Die „Anerkennung eines als rite vollzogenen Opfers ist (…) nichts anderes als seine »Anrechnung«“ 57 . In 49 Dieser Abschnitt ist in ähnlicher Form von den Autoren bereits an anderer Stelle veröffentlicht worden (vgl. Flüchter/ Schnor: Anrechnung, 27-33). 50 Rad: Anrechnung. 51 Rad: Mose. 52 J. Wellhausen: Die Composition des Hexateuchs, Berlin, 4 1963. 53 Vgl. Rad: Mose, 143; ders.: Anrechnung, 129. 54 Rad: Mose, 142. 55 Rad: Mose, 143f. 56 Rad: Anrechnung, 129. 57 Rad: Anrechnung, 131. <?page no="30"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 16 Gen 15,6 sei der Vorgang der Anrechnung aber von jeglichem kultischen Bezug gelöst und in das persönliche Verhältnis Jahwes zu Abraham übertragen worden: „Jede kultische Vermittlung fehlt, kein Priester spricht als der von Jahwe beauftragte Mund.“ 58 Es handelt sich also „um eine Generalisierung des ganzen Vorgangs, der sich zwischen Jahwe und dem Menschen ereignet und vor allem um eine Subjektivierung und Verinnerlichung, in dem nun der Schwerpunkt auf der subjektiv innerlichen Stellungnahme liegt“ 59 . Ob darin eine Polemik gegen die traditionelle Opferkultpraxis oder nicht intendierte Spiritualisierung liegt, lässt VON R AD bewusst offen. 60 Auf jeden Fall wird für ihn in Gen 15,6 deutlich, dass der Glaube an die Stelle der kultischen Handlung getreten ist: „Nur der Glaube, das Ernstnehmen der Verheißung Jahwes, bringt den Menschen ins rechte Verhältnis, ihn »rechnet« Jahwe »an«.“ 61 Damit versteht VON R AD Gen 15,6 MT in folgender Weise: „Er aber glaubte an Jahwe, und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit an.“ 62 Die Auffassung VON R ADS beherrschte die Auslegung von Gen 15,6 für die folgenden Jahrzehnte. Sie wurde von den meisten Auslegern als problemlos angesehen und übernommen. 63 Zu plausibel schien die Deutung VON R ADS das traditionelle Verständnis dieser Stelle fundieren zu können, so dass selbst vereinzelt auftauchende Zweifel 64 an seiner traditionsgeschichtlichen Herleitung weitgehend unbeachtet blieben. Erst mit Beginn der 80er Jahre zeichnete sich ein bedeutender Einschnitt in der Erforschung von Gen 15,6 durch zwei voneinander unabhängige Arbeiten ab, die eine ganz neue Problematik in der Deutung dieses Verses aufwarfen. Beide Arbeiten versuchen die gesamte christliche Auslegungstradition dieses Verses zu verlassen, um an ein möglichst unvoreingenommenes Verständnis von Gen 15,6 heranzukommen. Sie gelangen zu dem Ergebnis, dass nicht wie bisher Gott als das Subjekt von Gen 15,6b anzusehen ist, sondern Abraham das Subjekt des Verbs bvx darstellt. Eine Deutung, die in der vorherigen Forschung nicht ernsthaft in Erwägung gezogen wurde. Zwar 58 Rad: Anrechnung, 132. 59 Rad: Anrechnung, 132. 60 Vgl. Rad: Anrechnung, 132. 61 Rad: Anrechnung, 132. 62 Rad: Mose, 140. 63 So z.B. S CHMID (vgl. ders.: Gerechtigkeit und Glaube, in: EvTh 40 (1980), 396-420, 400) und K ÄSEMANN (vgl. ders.: An die Römer [HNT 6], Tübingen, 1974, 100). 64 So N ORBERT L OHFINK (vgl. ders.: Landverheißung, 58f) und K LAUS S EYBOLD (vgl. ders.: bvx , 256). <?page no="31"?> Kapitel I: Geschichte der Erforschung von Gen 15,6 17 sah bereits H ENRI C AZELLES die Möglichkeit, in Gen 15,6b das gleiche Subjekt wie in Gen 15,6a - also Abraham - zu sehen. Doch er führte diesen Gedanken nicht weiter aus, denn er hielt es für „plus probable et plus dans le sens de l`interprétation traditionelle, que le sujet soit Dieu“ 65 . Die erste der genannten Arbeiten stammt von L LOYD G ASTON . Er veröffentlichte 1980 einen Aufsatz in der Zeitschrift Horizons in Biblical Theology, 66 in dem er vor allem die Bedeutung des Wortes hq'd'c . untersucht und diese schließlich aufgrund einer formgeschichtlichen Analyse von Gen 15,1- 6 - er identifiziert hier die Gattung Heilsorakel und damit den Gattungszusammenhang des Klageliedes - als „righteousness of God“ 67 charakterisiert. G ASTON betont, dass dies unabhängig davon ist, ob man Abraham oder Jahwe als das Subjekt von Vers 6b ansieht. Er selbst versteht Abraham als das Subjekt von Vers 6b und begründet dies zum einen mit seiner formgeschichtlichen Bestimmung des Heilsorakels und der damit verbundenen Forderung nach dem Gattungselement eines Gotteslobs von Seiten Abrahams, welches er in Abrahams Anrechnung erfüllt sieht, zum anderen mit der Entdeckung, dass ein natürliches, unvoreingenommenes Verständnis von Gen 15,6b Abraham als Subjekt des Verbs bvx ansehen muss: „Let us interpret this verse completely in terms of Abraham`s reaction, i.e. also the second clause. Let us also remember the phenomenon of Hebrew parallelism and refraim from a change of subject unless this should be indicated or necessary.“ 68 Er verweist zusätzlich noch auf die rabbinische Auslegungsgeschichte von Gen 15,6b, in der vereinzelt Abraham als Subjekt von bvx verstanden wurde. 69 Eine differenziertere und folgenreichere Argumentation zur Subjektfrage von Gen 15,6b bietet die zweite der oben genannten Arbeiten von M ANFRED O EMING . In seinem 1983 in der Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft erschienen Artikel 70 widerlegt O EMING zunächst in zwei Argumenten den von VON R AD angenommenen traditionsgeschichtlichen Hintergrund der kultischen Anrechnung von Gen 15,6. Als erstes Argument macht er darauf aufmerksam, dass es im Textzusammenhang des Verses keinen einzigen Hinweis auf einen kultischen Hintergrund gibt: „Wenn also gar nichts auf einen kultischen Anrechnungsvorgang hindeutet, wieso sollte man an 65 Cazelles: Connexions, 333. 66 Gaston: Abraham. 67 Gaston: Abraham, 46. 68 Gaston: Abraham, 41. 69 Zitiert wird N ACHMANIDES (vgl. Gaston: Abraham, 42f; vgl. auch Anm. 106). 70 Oeming: Genesis. <?page no="32"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 18 einen solchen denken? “ 71 Das „zweite, eigentlich durchschlagende Argument“ 72 gegen VON R ADS Exegese entwickelt O EMING , indem er das Verb bvx , dem nach seiner Meinung die „ganze Beweislast“ 73 in der Argumentation VON R ADS zufällt, auf sein Vorkommen im Alten Testament hin prüft. Nach intensiver Konkordanzarbeit kommt O EMING zu dem Ergebnis, dass sich die angeführten alttestamentlichen Stellen VON R ADS als Belege für seine These nicht halten lassen. Zwar hat VON R AD Recht, „wenn er feststellt, dass bvx die priesterliche Anrechnung eines Opfers bezeichnen kann“ 74 , aber O EMING bietet im Fall von Gen 15,6 überzeugende Gegenargumente. In allen Belegstellen VON R ADS findet sich das Verb bvx im Niphal, in Gen 15,6 steht es jedoch im Qal. „Aber schon im Niphal ist bvx nicht auf diese spezielle Bedeutung festgelegt (vgl. Ps 106,30f; Prov 27,14), vielmehr erscheint der priesterliche Gebrauch als ein Derivat der allgemeinen Bedeutung »geachtet werden, gelten«. Außerhalb des Niphal ist eine Verbindung von bvx und priesterlicher Opferimputation überhaupt nicht mehr nachweisbar! “ 75 Da VON R AD für seine These keine anderen Argumente anführt als die bloße Verwendung des Verbs bvx , lehnt O EMING VON R ADS Exegese aufgrund seiner eigenen Untersuchungen ab: „Daß der traditionsgeschichtliche Hintergrund von Gen 15,6 die priesterliche Kultpraxis sein soll, ist von daher eine höchst unwahrscheinliche Annahme.“ 76 Diese ganz neue Ausgangsbasis eröffnet O EMING auch einen neuen Weg zur Auslegung von Vers 6b. Es stellt sich jetzt nämlich die Frage, was überhaupt noch für die traditionelle Auffassung spricht, dass Jahwe als das Subjekt von bvx verstanden werden muss. O EMING macht aufgrund seiner Konkordanzarbeit und der sprachlichen Begebenheit von Gen 15,6 zwar darauf aufmerksam, dass Gen 15,6 als „ein syntaktisches Hapaxlegomenon“ 77 gelten muss, da es für bvx mit angeschlossenem doppelten Akkusativ keine Parallele gibt 78 . Ihm gelingt es aber dennoch überzeugend herauszustellen, dass sowohl Gott als auch Abraham als Subjekt von bvx im Betracht kommen: 79 „Von hierher stellt sich die Fra- 71 Oeming: Genesis, 185. 72 Oeming: Genesis, 189. 73 Oeming: Genesis, 185. 74 Oeming: Genesis, 189. 75 Oeming: Genesis, 189. 76 Oeming: Genesis, 189. 77 Oeming: Genesis, 191. 78 Vgl. Oeming: Genesis, 191. 79 O EMING führt Ps 32,2 als einzige Belegstelle für Gottes Anrechnen in Bezug auf einen Menschen mit einem einfachen Akkusativ und Mal 3,16 sowie eine babylonische Tal- <?page no="33"?> Kapitel I: Geschichte der Erforschung von Gen 15,6 19 ge, wer in Gen 15,6 das Subjekt von bvx ist“ 80 . Dies versucht O EMING nun in einem zweiten Schritt seiner Arbeit aufgrund einer Strukturanalyse des Verses zu entscheiden. Er stellt - wie auch G ASTON - heraus, dass die beiden Teilsätze in Gen 15,6 die Struktur eines synthetischen Parallelismus membrorum haben und deshalb das Subjekt des Verbs bvx in Vers 6b kein anderes sein kann als das Subjekt von ! ma in Vers 6a: „Die Satzstruktur des synthetischen Parallelismus membrorum entspricht der Sprachstruktur des Hebräischen wesentlich besser als ein abrupter, fast gewaltsamer Subjektwechsel auf engstem Raum.“ 81 Die Versstruktur des Parallelismus membrorum und das neue Subjektverständnis in Vers 6b führen O EMING bei seiner Analyse zu folgenden Ergebnissen: Er versteht ! mia/ h,w> als Perfekt consecutivum (mit vorgesetzter Kopula w > ) mit Bezug auf die vorausgehenden Narrative. „Dieser Tempuswechsel signalisiert, daß der Glaube Abrahams nicht als eine einmalige Tat mißverstanden werden darf, sondern als eine sich je und je neu aktualisierende Grundhaltung Abrahams aufgefaßt werden muß. Es handelt sich also um ein frequentatives Perfekt.“ 82 Zum Verb ! ma merkt er nur an, dass es hier im Gegensatz zu Jes 7,9; 28,16; Hi 29,24 und Ps 116,10 nicht absolut gebraucht ist, sondern das Objekt Jahwe bei sich hat. Interessanter findet er das Bedeutungsspektrum der Präposition B . , welches ihn zu der Feststellung führt, dass Jahwe „Ort, Ziel, Grund und Objekt des Glaubens“ 83 ist. Da im zweiten Halbvers nun Abraham das Subjekt ist, macht der Bezug des Suffix h ' auf Abrahams Glauben keinen Sinn mehr. O EMING meint, es beziehe sich „viel ungezwungener auf die ganze Erzählung von der Sohnes- und Nachkommensverheißung der Verse 1-5“ 84 . Bei AL entscheidet er sich dann aufgrund des Parallelismus zu hw"hyB ; für den Bezug auf Jahwe. Schließlich stellt O EMING noch die Bedeutung von hq'd'c . heraus, weil das herkömmliche Verständnis als »Gerechtigkeit Gottes« in dem neu entwickelten Zusammenhang nur schwerlich rechten Sinn macht. Dagegen zeigt O EMING , dass hq'd'c. „hier nicht die irgendwelche besonderen Verdienste belohnende Gerechtigkeit sein kann, sondern als zuvorkommende Gnade verstanden werden muß“ 85 . Er möchte mit hq'd'c. eher die „Gemeinschaftsmudstelle als Belege für einen Menschen als Subjekt von bvx in Bezug auf Gott an (vgl. ders.: Genesis, 192). 80 Oeming: Genesis, 190. 81 Oeming: Genesis, 191. 82 Oeming: Genesis, 190. 83 Oeming: Genesis, 191. 84 Oeming: Genesis, 192. 85 Oeming: Genesis, 193. <?page no="34"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 20 treue Gottes“ 86 betonen. Mit all diesen Überlegungen versteht O EMING Gen 15,6 MT dann folgendermaßen: „Abraham glaubte [gegen alle Wahrscheinlichkeit an Gottes Nachkommenverheißung] und er (Abraham) schätzte es (die Verheißung) für sich als eine Gnadentat (JHWHs), als einen Erweis göttlicher Barmherzigkeit.“ 87 Dieses Verständnis wirft ein ganz neues Licht auf Gen 15,6 MT: „Von einer Anrechnung des Glaubens (wie Glaube auch immer verstanden sein mag) durch Jahwe ist überhaupt keine Rede, vielmehr von einer Anrechnung der Verheißung durch Abraham.“ 88 Dies greift er einige Jahre später in seinem 1998 in der ZAW erschienenen Aufsatz 89 auf und sieht nach nochmaliger Diskussion sein Verständnis dieses Verses „immer noch am besten ein“ 90 . Doch gesteht O EMING auch ein, dass er „heute viel stärker sehe, wie schwierig es ist, den Wortlaut auf eine einzige Bedeutung hin festzulegen“ 91 . In der Festschrift für J. Scharbert erschien 1989 ein Aufsatz von R UDOLF M OSIS 92 , in dem dieser sich der von O EMING vorgetragenen Bestimmung des Subjekts von Gen 15,6b anschließt, die Argumentation aber in weiten Teilen überarbeitet. Sein Ansatz liegt in einer Analyse der syntaktischen Folge der Sätze in Vers 6. Er findet, dass „der syntaktische Zusammenhang von Vers 6 mit dem Vorausgehenden nicht allzu fest gefügt ist“ 93 und verweist auf Teile der griechischen und lateinischen Textüberlieferungen, die statt dem einleitenden kai. bzw. et, das der Kopula w > im MT entspräche, ein de. bzw. autem lesen. So bestimmt er ! mia/ h,w> als syndetisches Perfekt mit Waw copulativum, wodurch Vers 6a „mit dem folgenden Narrativsatz V.6b eine feste, geradezu klassisch zu nennende syntaktische Einheit“ 94 bildet: „Dann ist das »Glauben« Abrahams V.6a als Grund anzusehen, aus dem und auf den das »Anrechnen« folgt“ 95 . Hieraus ergibt sich für M OSIS , dass sich das pronominale Suffix h ' eher nicht auf Abrahams Glauben bezieht, weil dann der Grund des »Anrechnens« zugleich dessen Gegenstand wäre: „Schon die syntaktische Stellung von V.6a spricht also dafür, dass Abraham auch das Subjekt von µ šb 86 Oeming: Genesis, 193. 87 Oeming: Glaube, 19. 88 Oeming: Genesis, 194. 89 Oeming: Glaube, 16-33. 90 Oeming: Glaube 22. 91 Oeming: Glaube 22. 92 Mosis: Glauben. 93 Mosis: Glauben, 234. 94 Mosis: Glauben, 244. 95 Mosis: Glauben, 236. <?page no="35"?> Kapitel I: Geschichte der Erforschung von Gen 15,6 21 V.6b ist.“ 96 M OSIS wendet sich dann der Semantik von ! mia/ h,w > zu. Entgegen dem verbreiteten Vorschlag, das Perfekt freqentativ-iterativ zu deuten 97 , schlägt er ein stativisch-duratives Verständnis vor, das „näher an den Möglichkeiten der hebräischen Sprache“ 98 bleibt: „Das heißt aber, das stativischdurative Verständnis von w e hæ’æmin V.6a verlangt, daß Abraham und nicht Jahwe das Subjekt des »Anrechnens« V.6b ist und daß dieses »Anrechnen« Abrahams seine Reaktion auf die Verheißung Jahwes V.1-5 beinhalten muß“ 99 . Zuletzt versucht Mosis dann den Begriff hq'd'c . näher zu bestimmen 100 , wobei er sich auf die Habilitationsschrift von D IETHELM M ICHEL 101 bezieht: „s e dāqā ist hier keine »Eigenschaft« (...). Als Nomen actionis und unitatis muss s e dāqā auch hier eine einzelne Gerechtigkeitstat bezeichnen“ 102 , auf die sich das Suffix h' ' zurück beziehen muss „und Abrahams µ šb richtet sich - wie immer µ šb näher zu bestimmen ist - nicht bewertend auf Jahwe, sondern auf Jahwes Verheißungen als »Gerechtigkeitstat«.“ 103 Das AL in Vers 6b bezieht M OSIS reflexiv auf Abraham selbst und kommt für Gen 15,6 zu folgendem Verständnis: „Nun lebte er beständig im gläubigen Vertrauen auf Jahwe, und so achtete er es für sich als eine heilswirkende und rechte Tat.“ 104 D IRK U. R OTTZOLL bringt sich 1994 mit einem Aufsatz 105 in die Diskussion um das Subjekt von Gen 15,6b ein. Er schließt sich unter Aufnahme rabbinischer Auslegungstradition 106 der Argumentation O EMINGS an und vertritt die Meinung, dass Abraham als das Subjekt von Gen 15,6b zu verstehen ist. Doch für ihn ergeben „sich von hieraus natürlich sogleich zwei weitere, unlöslich miteinander verflochtene Fragen: a.) »Was« rechnet Abraham an, (...); b) »wem« rechnet Abraham an“ 107 . Deshalb versucht er den Bezug des 96 Mosis: Glauben, 237. 97 So zuerst H ERMANN G UNKEL (vgl. ders.: Genesis). 98 Mosis: Glauben, 242. 99 Mosis: Glauben, 244. 100 In seinem Beitrag folgt darauf noch eine Rekonstruktion der Vorgänge, die zur Textvorlage der Septuaginta führten, was an dieser Stelle aber nicht weiter besprochen werden soll. 101 Michel, Diethelm: Begriffsuntersuchung über sädäq-s e dāqā und ‘ ä mät-‘ ä muna, 1964 (unveröffentlicht). 102 Mosis: Glauben, 248f. 103 Mosis: Glauben, 250. 104 Mosis: Glauben, 254. 105 Rottzoll: Beleg. 106 Rottzoll verweist vor allem auf „Rabbi Mose ben Nachman (genannt: Nachmanides, 1194-1268 u.Z.“) (Rottzoll: Beleg, 24); siehe dazu Kap. VII, Abschn. 3.2.6. 107 Rottzoll: Beleg, 25. <?page no="36"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 22 femininen Suffix h' und des AL zu klären. Unter Berufung auf Hi 19,11; 33,10, „zwei Stellen, in denen suffigiertes bvx (Qal) ebenfalls mit nachfolgendem AL belegt ist“ 108 , stellt R OTTZOLL heraus, dass auch in Gen 15,6b „das Subjekt mit dem Objekt von AL identisch sein“ 109 muss, und kommt somit zu einem reflexiven Verständnis von Gen 15,6b. Dies müsste man auch beibehalten, wenn man Gott als Subjekt des bvx ansieht. Dass sich Gott in diesem Fall selbst etwas anrechnen würde, sieht er als Problem und zugleich als Beleg für sein Subjektverständnis: „Auch von hieraus erweist sich das paulinischlutherische »Sola-Fide«-Verständnis von Gen 15,6 als nicht haltbar.“ 110 Zum Bezug des Suffixes h' merkt Rottzoll daraufhin an, dass „der Inhalt dieser Anrechnung freilich kaum in der ihm von Gott gegebenen Verheißung, sondern nur in seinem »Glaubensakt« ( ! ymah ) bestehen“ 111 kann. Anhand des Verweises auf die von M ICHEL eingeführte Unterscheidung zwischen hq'd'c . und qd,c , und der daraus resultierenden Charakterisierung von hq'd'c . als nomen actionis/ unitatis, die die Bedeutung »Rechterweisungstat« impliziert, zieht R OTTZOLL aus seinen Überlegungen die Konsequenz, dass Abrahams Glaube aus Vers 6a „dadurch ganz eindeutig die Qualität einer konkreten Handlung, eines von ihm vollbrachten Werks“ 112 bekommt. Somit versteht R OTTZOLL Gen 15,6 als ein Beleg für den Glauben als Werkgerechtigkeit. Diese Überlegungen führen ihn insgesamt zu folgendem Verständnis von Gen 15,6: „Und Abraham glaubte Gott und rechnete sich das [sc. seinen Glauben] zur/ als Gerechtigkeit an“ 113 . Gegen diese Deutung R OTTZOLLS spricht sich neben O EMING in seinem bereits erwähnten zweiten Artikel zu dieser Problematik 114 auch A CHIM B EHRENS mit seinem 1997 in der ZAW veröffentlichten Artikel 115 zur Diskussion um Gen 15,6 aus. Er merkt an, dass „es für eine reflexive Bedeutung von µ šb + l e mit Suffix im qal zwar Parallelen in Hiob 13,24; 19,11 und 33,10 gibt, aber in II Sam 19,20; Ps 32,2 finden sich eben auch Parallelen für einen nichtreflexiven Gebrauch von µ šb + l e der Person. In den genannten Hiobstellen läßt der Kontext keinen Zweifel über die Übersetzung zu; genau das 108 Rottzoll: Beleg, 25. 109 Rottzoll: Beleg, 25. 110 Rottzoll: Beleg, 25. 111 Rottzoll: Beleg, 25. 112 Rottzoll: Beleg, 26. 113 Rottzoll: Beleg, 26. 114 „Rottzoll hat 1994 das Verständnis nochmals weitergespannt - und wohl überspannt“ (Oeming: Glaube, 20). 115 Behrens: Vorverständnis. In ZAW 112 (2000) hat sich I NA W ILLI -P LEIN in einer Mitteilung zu diesem Beitrag geäußert (vgl. a.a.O., 396f). <?page no="37"?> Kapitel I: Geschichte der Erforschung von Gen 15,6 23 aber ist in Gen 15,6 anders.“ 116 Für die Frage nach dem Subjekt in Vers 6b müsse also der Kontext dieses Verses stärker in die Diskussion einbezogen werden: „In der uns vorliegenden Endgestalt des Textes setzt V.7 nach dem Einschnitt ein mit wayyo’mær. Wenn mit diesem Vers aber tatsächlich eine neue Einheit beginnt, so heißt dieses wayyo’mær doch wohl, daß das zuletzt genannte Subjekt wieder aufgenommen werden soll. Das Subjekt von Gen 15,7 (und damit auch von V.6b) ist aber eindeutig Jahwe.“ 117 In B EHRENS Aufsatz geht es aber nicht allein um eine Auslegung von Gen 15,6, sondern allgemein um die hermeneutische Frage nach dem Verhältnis von Wirkungsgeschichte und Exegese: „Es soll nach der Bedeutung der Wirkungsgeschichte eines alttestamentlichen Textes für dessen Exegese gefragt werden.“ 118 Diese Fragestellung konkretisiert er an der Auslegung von Gen 15,6. In seiner Untersuchung dieser Stelle „soll ausführlicher als bei Oeming und Rottzoll danach gefragt werden, wie Paulus eigentlich genau mit diesem Text verfährt“ 119 . Schließlich kommt er zu dem Ergebnis, dass es auf dem Wege wirkungsgeschichtlicher Überlegungen gelingen kann, neue Zugänge zur klassischen Auslegungstradition zu gewinnen. 120 Damit kommen in B EHRENS Beitrag die Rezeptionen von Gen 15,6 in den Blick. Auch wenn es ihm selbst nicht um eine rezeptionsgeschichtliche Untersuchung des Verses geht, macht sein Beitrag auf die Relevanz einer rezeptionsgeschichtlichen Untersuchung von Gen 15,6 deutlich aufmerksam. 2. Geschichte der Erforschung der Rezeptionen von Gen 15,6 Betrachtet man die einschlägige Literatur, so finden sich nur wenige Arbeiten, die ausdrücklich die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 untersuchen. Zwar enthalten viele Kommentare zu Schriften mit Rezeptionen von Gen 15,6 exkursartige Ausführungen zu weiteren Rezeptionen dieses Verses, jedoch handelt es sich zumeist um kurze Zusammenstellungen von einschlägigen Textstellen mit recht knapper Kommentierung zur Erhellung des vermuteten Hintergrunds der auszulegenden Textstelle. 121 Es würde den 116 Behrens: Vorverständnis, 330. 117 Behrens: Vorverständnis, 331. 118 Behrens: Vorverständnis, 327. 119 Behrens: Vorverständnis, 329. 120 Vgl. Behrens: Vorverständnis, 341. 121 Als Beispiele können genannt werden: »Excursus: Abraham« (vgl. Betz, Hans Dieter: Galatians. A Commentary on Paul’s Letter to the Churches in Galatia, Philadelphia, <?page no="38"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 24 Ausführungen der Kommentarliteratur nicht gerecht, sie als Untersuchungen zur Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 an dieser Stelle vorzustellen. Sie werden deshalb erst in den späteren Analysen der Einzelrezeptionen in Teil B berücksichtigt. Das gilt ebenso für die Arbeiten, die sich speziell auf einzelne Rezeptionen des Verses beschränken und nicht eine Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 intendieren. Deshalb wird beispielsweise der Beitrag von M ANFRED O EMING an dieser Stelle nicht eigens aufgeführt, denn obwohl O EMING auf die Relevanz einer Untersuchungen der Rezeptionen von Gen 15,6 aufmerksam macht und auch die gängigen Rezeptionen von Gen 15,6 aus der alt-, zwischen und neutestamentlichen Literatur zusammenstellt, hat seine Untersuchung den deutlichen Schwerpunkt bei der Untersuchung der Septuagintatextvariante zum Fragment 4Q225 aus Qumran. Die weiteren Rezeptionen von Gen 15,6 werden dagegen lediglich mit kurzen Anmerkungen versehen, eine Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 intendiert O EMING in diesem Beitrag nicht. 122 Der folgende forschungsgeschichtliche Überblick beschränkt sich somit auf Arbeiten, die sich ausführlich mit mehreren Rezeptionen von Gen 15,6 beschäftigen und selbst den Anspruch erheben, eine Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 zu entwickeln. Diese Arbeiten werden zunächst hinsichtlich ihrer methodisch-hermeneutischen Ansätze zur Eruierung der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 in den Blick genommen und ihre Ergebnisse hinsichtlich der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 vorgestellt. In Kapitel II wird daraufhin eine kritische Würdigung der dargestellten Ansätze und Ergebnisse mit entsprechenden Anfragen und Problemaufrissen vorgenommen und hieraus Konsequenzen für eine theoretisch-methodische Grundlegung einer Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 aufgezeigt. Die Ergebnisse der Arbeiten 1979, 139f); »Zur Herkunft der Darstellung Abrahams und Rahabs in Jakobus 2,20-25 (Judentum und Paulus)« (vgl. Burchard: Jakobusbrief, 125f); »Das Abrahambeispiel« (vgl. Dibelius: Jakobusbrief, 206-214); »Vorüberlegungen zu 2,14-26 (Gedankengang und Hintergrund)« und »Ergänzende Notizen zu 2,14-26 (Glaube, Rechtfertigung; Rezeption, Fehlentwicklungen)« (vgl. Popkes: Jakobus, 182-190.211-214); »Abraham im Judentum« (vgl. Theobald, Michael: Römerbrief. Band 1: Kapitel 1-11 [Stuttgarter Kleiner Kommentar: Neues Testament 6/ 1], Stuttgart, 1992, 119-123); »Glaube und Gerechtigkeit Abrahams im Judentum« (vgl. Zeller, Dieter: Der Brief an die Römer [RNT], Regensburg, 1985, 98f). 122 Vgl. Oeming: Glaube. Dies gilt ebenfalls für die Arbeiten von J OSEPH A. F ITZMYER (Ders.: Interpretation) sowie B EATE E GO und A RMIN L ANGE (Ego: Gerechtigkeit), die ebenfalls nur speziell die Rezeption von Gen 15,6 in Qumran untersuchen. <?page no="39"?> Kapitel I: Geschichte der Erforschung von Gen 15,6 25 zu einzelnen Rezeptionen von Gen 15,6 werden ausführlich erst in den Analysen der entsprechenden Texte in Teil B vorgestellt und bewertet. 123 2.1 Wolfgang Heidland: Die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit Die älteste und für die nachfolgende Zeit einflussreichste Untersuchung stellt die 1936 erschienene Arbeit von W OLFGANG H EIDLAND mit dem Titel Die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit. Untersuchungen zur Begriffsbestimmung von bvx und logi,zesqai dar. 124 Wie bereits der Untertitel verrät geht es H EIDLAND in seiner Arbeit insbesondere um eine begriffsgeschichtliche Untersuchung von bvx und logi,zesqai im Hinblick auf ihre Verwendung bei Paulus: „Ziel der Arbeit ist das Verständnis von Röm 4,3ff. Es ist dort zu untersuchen, welche Haltung Paulus gegenüber dem Verdienstgedanken der Synagoge einnimmt, wenn er im Anschluss an Gn 15,6 von der Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit spricht.“ 125 Bereits in der Formulierung dieser zwei ersten Sätze der Untersuchung wird die apriorische Gegenüberstellung des Paulus zu dem (! ) Verdienstgedanken des Judentums und damit die Polarisierung der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 deutlich. 126 In einem ersten Teil der Untersuchung bestimmt H EIDLAND zunächst den Begriff logi,zesqai „noch abgesehen von dem besonderen Zusammenhang, in welchen er Gn 15,6 bzw. R 4,3.5 gestellt ist“ 127 . Er analysiert zunächst bvx im Sprachgebrauch des Alten Testaments und in der rabbinischen Literatur, daraufhin logi,zesqai im Sprachgebrauch der (klassischen und hellenistischen) griechischen Literatur und schließlich in der Septuaginta. In einem zusammenfassenden Vergleich hält H EIDLAND die grundsätzliche Verschiedenheit beider Begriffe fest: „ bvx bedeutet einen personenhaften, wertenden, emotionalen Denkakt, logi,zesqai einen vernunftgemäßen, erkennenden, rezeptiven. (...) Bei bvx führt das Denken zu einem Werturteil, dessen Geltung dem Wertenden gewiß ist, - bei logi,zesqai zu einer Erkenntnis, deren Anspruch auf Wahrheit durch die Vernunft, bzw. die Wirklichkeit bestätigt werden muß.“ 128 Die Septuaginta hat nach H EIDLANDS Untersuchungen die hebräische und griechische Be- 123 Vgl. hierzu den jeweils ersten Abschnitt der Kap. VI-VIII in Teil B. 124 Vgl. Heidland: Anrechnung. 125 Heidland: Anrechnung, 1. 126 Vgl. die Kritik in Abschn. 2.4. 127 Heidland: Anrechnung, 1. 128 Heidland: Anrechnung, 36. <?page no="40"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 26 deutung von logi,zesqai bewahrt und durch ihre Übersetzung sogar ein eigenständiges Verständnis des Begriffs geprägt, das logi,zesqai in einer von bvx beeinflussten Bedeutung verwendet. 129 Die Verfasser späterer Texte (von jüdischen wie auch neutestamentlichen Schriften) hätten demnach die Wahl, logi,zesqai in einem hebräischen, griechischen oder durch die Septuaginta beeinflussten Bedeutung zu verstehen. Das Verständnis hinge jeweils von der theologischen Auffassung der Schriftstelle Gen 15,6 seitens des Verfassers ab: „Auf unsere Fragestellung angewandt, heißt das: Paulus besaß rein sprachlich die Möglichkeit, das logi,zesqai der LXX wie sonst, so auch in theologischen bedeutsamen Zusammenhängen wie z.B. in Gn 15,6 nach dem hebräischen Sinn zu verstehen. Ob er es nun auch so verstand, hängt von den theologischen Voraussetzungen ab, mit denen er an diese Stelle geht. Er konnte also auch dort, wo das Spätjudentum aus griechischem Geist heraus den alttestamentlichen Sinn umgestaltet hatte, bei einer anderen, dem AT nahestehenden theologischen Intention den ursprünglichen Sinnzusammenhang unter Verwendung des hebräischen logi,zesqai wiederherstellen.“ 130 Genau dies zeigt H EIDLAND anschließend im zweiten Teil seiner Arbeit, in dem er bvx und logi,zesqai im Zusammenhang von Gen 15,6 untersucht. Dabei will er genau dem Verlauf der Geschichte von Gn 15,6 folgen und beginnt deshalb mit der Analyse des Schriftverses Gen 15,6 in seinem ursprünglichen Zusammenhang der Pentateuchquellen. H EIDLAND steht die Schwierigkeit einer historisch-kritischen Verortung des Verses hinsichtlich der Quellenscheidung durchaus deutlich vor Augen: „der Versuch, Gn 15,6 in seinen ursprünglichen Zusammenhang zu stellen, hat bei den wohl unüberwindlichen Schwierigkeiten in der Quellenscheidung von Gn 15 zu den verschiedensten Lösungen geführt. Eine theologische Untersuchung, die auf einer so umstrittenen Antwort der Einleitungswissenschaft aufgebaut wäre, müßte zu einem noch zweifelhafteren Ergebnis führen.“ 131 Trotz dieser Einsicht entscheidet sich H EIDLAND dennoch - mit Vorbehalt und unter größtmöglicher Vermeidung der Festlegung von Einleitungsfragen - die Untersuchung von Gen 15,6 bei der „vortheologischen Stufe im Rahmen der Erzählung von der Sohnesverheißung an Abraham (Gn 15,1- 129 Vgl. Heidland: Anrechnung, 54. 130 Heidland: Anrechnung, 72. 131 Heidland: Anrechnung, 76; vgl. hierzu auch Abschn. 1.1. <?page no="41"?> Kapitel I: Geschichte der Erforschung von Gen 15,6 27 6)“ 132 zu beginnen und entwirft von hier aus die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6. Diese ist nach H EIDLANDS Untersuchung geprägt von einer starken Umdeutung des Verständnisses von Gen 15,6. Im ursprünglichen Textzusammenhang von Gen 15,6 im Rahmen der Sohnesverheißung Gen 15,1-6 hätte der Erzähler einzig die Absicht, „das bedingungslose Vertrauen zu zeigen, das der Stammvater zu seinem Gott hatte. Mit v. 6b sagt er, daß Jahve den Menschen so und nicht anders will.“ 133 In diesem ursprünglichen Zusammenhang von Gen 15,6 käme dem Glauben keinerlei Verdienstlichkeit zu, was H EIDLAND insbesondere am Begriff bvx aufzeigt: „Das Ganze steht weit über und vor dem Gedanken an Verdienst.“ 134 Dies würde durch die spätere Verbindung der ursprünglichen Verheißungserzählung mit der Erzählung vom Bundesschluss in Gen 15,9-16 durch die Betonung des freien Bundeswillen Gottes gesteigert: „Durch diese doppelte Betonung der alleinigen Initiative Jahves ist der Verdienstgedanke nicht nur wie im Zusammenhang der Sohnesverheißung nicht berührt, sondern auch innerlich unmöglich gemacht.“ 135 Das ändere sich jedoch durch die Endredaktion des Pentateuchs im frühen nachexilischen Judentum, in dem nach H EIDLAND der Verdienstgedanke zur prägenden Vorstellung wird, und dessen Einfluss sich auch bei der Endredaktion des Pentateuchs bereits anbahnt. Der Endredaktor fügte die Verse 7 und 8 in die Erzählung ein und bringe damit die Tendenz in die Erzählung, „mit v. 6 die Verdienstlichkeit des Glaubens auszusprechen“ 136 . Zwar wirke der hebräisch verstandene Begriff bvx dem aufkommenden Verdienstgedanken entgegen, doch der „Widerspruch eines einzelnen Wortes gegen eine ganze Vorstellungswelt war wohl wenig erfolgreich“ 137 . Deshalb komme der Septuaginta an dieser Stelle der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 eine gewichtige Rolle zu, die durch den Begriff logi,zesqai die Vorstellung der Verdienstlichkeit des Glaubens in Gen 15,6 aufdrängte. „Die Möglichkeit, spätjüdische Gedanken in Gn 15,6 einzutragen, war also dadurch geschaffen worden, daß logi,zesqai , und zwar in seiner rein griechischen Bedeutung, bvx ersetzte.“ 138 132 Heidland: Anrechnung, 77. 133 Heidland: Anrechnung, 78. 134 Heidland: Anrechnung, 78. 135 Heidland: Anrechnung, 81. 136 Heidland: Anrechnung, 82. 137 Heidland: Anrechnung, 82. 138 Heidland: Anrechnung, 98. <?page no="42"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 28 In den folgenden Rezeptionen von Gen 15,6 im nachexilischen Judentum wird nach H EIDLAND schließlich der Gedanke der Verdienstlichkeit des Glaubens endgültig ausgeprägt. Hier verweist er auf die Rezeption von Gen 15,6 in 1Makk 2,52, die nach H EIDLAND nun auch von ihrem Kontext her inhaltlich den Verdienstgedanken zum Ausdruck bringt und es somit erst ermöglichte, Gen 15,6 „ganz im Sinne des Spätjudentums zu gebrauchen“ 139 . Philo von Alexandria hätte die Verdienstlichkeit des Glaubens in Gen 15,6 deutlich herausgestellt, indem er den Glauben als die höchste Tugend und logi,zesqai ausschließlich griechisch verwende. 140 Aus der rabbinischen Literatur führt H EIDLAND schließlich die Rezeptionen von Gen 15,6 aus der MekhY zu Ex 14,31 und BerR 23 an, die ebenfalls den Verdienstgedanken deutlich enthalten sollen. Das häufige Zitieren nur des ersten Teilverses innerhalb der rabbinischen Literatur rechtfertigt H EIDLAND ebenfalls vor dem Hintergrund des Verdienstgedankens, da sonst der hebräische Begriff bvx dem Verdienstgedanken gerade entgegengestanden hätte: „So wäre v. 6b sicher mitgenannt worden, wenn er einen Begriff enthalten hätte, der den Verdienstgedanken mit Prägnanz aussprach“ 141 . Nach H EIDLAND wurde die ursprüngliche Bedeutung von Gen 15,6 im nachexilischen Judentum immer mehr verfälscht, da das gesamte nachexilische Judentum Gen 15,6 ausschließlich (! ) im Sinne des Verdienstgedankens verstand: „So verbindet sich denn Gn 15,6 mit einer Vorstellung, die mit dem ursprünglichen Sinn des Zitates wenig gemein hat. Nicht eine vieldeutige Ausdrucksweise veranlaßte diese Entwicklung: die geänderte theologische Anschauung suchte die ursprüngliche Form, so gut es eben ging, sich anzugleichen.“ 142 Erst das Christentum habe - so H EIDLAND - schließlich die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 wieder zu ihrer ursprünglichen Bedeutung des Ver- 139 Heidland: Anrechnung, 100. 140 Vgl. Heidland: Anrechnung, 101. Über die Tatsache, dass Philo bei seinen Rezeptionen von Gen 15,6 jedoch insgesamt wenig Wert auf den Teilvers Gen 15,6b und damit auf die »Anrechnung« legt, geht H EIDLAND kurzerhand hinweg. Da Philo an anderen Stellen logi,zesqai stets griechisch verwendet versteht er nach H EIDLAND die »Anrechnung« ebenfalls in dieser Weise (vgl. ders.: Anrechnung, 101). 141 Heidland: Anrechnung, 102. Die Unhaltbarkeit dieser Auffassung zeigt sich außer in der Tatsache, dass es der üblichen rabbinischen Zitationsweise entspricht, nur den Beginn eines Verses zu nennen, bereits in H EIDLANDS nächstem Satz: „Wurde der Vers aber vollständig zitiert, so verhinderte die Auffassung der Gerechtigkeit als Verdienst und des Glaubens als verdienstliche Leistung, daß die widersprechende Bedeutung von bvx vernehmbar wurde“ (ders: Anrechnung: 102). 142 Heidland: Anrechnung, 102. An anderer Stelle formuliert H EIDLAND nicht so milde, sondern beschreibt diesen Sachverhalt als „Abfall vom AT“ und als „auf Abwege führen“ (ders: Anrechnung, 98). <?page no="43"?> Kapitel I: Geschichte der Erforschung von Gen 15,6 29 ses zurückgebracht und von dem Verdienstgedanken der jüdischen Auffassung befreit. Bereits die Rezeption von Gen 15,6 im Jakobusbrief überwindet nach H EIDLAND den Verdienstgedanken vom Inhalt her, da es im Jakobusbrief an erster Stelle um den Glauben und um die notwenige Auswirkung des Glaubens im Werk gehe und damit der Schwerpunkt der Rezeption von Gen 15,6 auf dem ersten Teilvers liege: „Abrahams Glaube zeugt nicht vom menschlichen Verdienst, sondern von der menschlichen Pflicht.“ 143 H EID- LAND sieht aufgrund der Nähe des Jakobusbriefs zum Judentum zwar noch keinen endgültigen Bruch zu dessen Verständnis von Gen 15,6, aber mit seiner Rezeption von Gen 15,6 entferne sich der Jakobusbrief deutlich von einem verdienstlichen Verständnis des Verses: „Überall aber, wo man Gn 15,6 zitierte, war man von dem Verdienstgedanken beherrscht. Zwar bedeutet die Verwendungsweise des Jakobus keinen Bruch mit der Synagoge, sondern eher eine Korrektur ihrer entarteten Lohnlehre.“ 144 Den endgültigen Bruch bringt nach H EIDLAND erst Paulus: „Bei Paulus aber findet dann die ursprüngliche alttestamentliche Bedeutung nach Form und Inhalt ihre Erfüllung und Auferstehung.“ 145 Paulus überwinde den Verdienstgedanken auch der Form nach, da er das logi,zesqai wieder in seiner rein hebräischen Bedeutung verwende und dadurch den Verdienstgedanken auch auf formaler Seite eindeutig ablehne: „Er widersetzt sich der Synagoge nicht nur sachlich, also im Blick auf das Kreuz wie bei dikaiou/ n , sondern entwindet dem Gegner sogar rein sprachlich gesehen auch das Argument. Er schlägt den Verdienstgedanken mit dessen eigenen Waffen und in seinem eigenen Lande - und dadurch um so wirksamer.“ 146 Abschließend geht H EIDLAND ausblickartig auf die Rezeptionen von Gen 15,6 in nachapostolischer Zeit im 1. Clemensbrief und im Barnabasbrief ein, und stellt heraus, dass sich hier bereits wieder ein verdienstliches Verständnis von Gen 15,6 anbahne, „nicht im Sinne der Rabbinen, sondern der hellenistischen Tugendlehre“ 147 . H EIDLAND entwirft somit in seiner Untersuchung eine deutlich lineare Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6, die die unterschiedlichen Rezeptionen von Gen 15,6 in ein evolutives Modell einarbeitet, dass sich hauptsächlich aus den verschiedenen theologischen Auffassungen der Rezipienten entwickelt und stark durch die Polarisierung eines jüdischen im Gegensatz zu einem christlichen Verständnis von Gen 15,6 geprägt ist. 143 Heidland: Anrechnung, 110. 144 Heidland: Anrechnung, 110. 145 Heidland: Anrechnung 103. 146 Heidland: Anrechnung, 128. 147 Heidland: Anrechnung, 129. <?page no="44"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 30 2.2 Ferdinand Hahn: Genesis 15,6 im Neuen Testament Ein ähnliches Modell einer Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 findet sich in einem 1971 veröffentlichten Beitrag von F ERDINAND H AHN mit dem Titel Genesis 15,6 im Neuen Testament 148 in einer Festschrift für Gerhard von Rad. Zwar erhebt H AHN selbst nicht den Anspruch, in diesem Aufsatz eine Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 zu entwerfen, doch ist seine Untersuchung der Zitate des Verses im Jakobussowie im Galater- und Römerbrief stark durch ein ähnliches Modell der Rezeptionsgeschichte geprägt, wie H EIDLAND es entworfen hat. H AHN bezieht sich sogar an mehreren Stellen seines Aufsatzes explizit auf die Arbeit von H EIDLAND . Um die Besonderheiten und Eigenarten der drei Rezeptionen von Gen 15,6 im Neuen Testament herausstellen zu können, betrachtet H AHN überblicksartig auch die Rezeptionen 149 des Verses in nachalttestamentlichhellenistischer Zeit und ordnet die neutestamentlichen Zitate in diese Rezeptionsgeschichte des Verses ein. H AHN arbeitet innerhalb der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 zwei grundsätzlich verschiedene Verständnisse von Gen 15,6 heraus, wovon er eines im Judentum und im Jakobusbrief wiederfindet, das andere Verständnis von Gen 15,6 dagegen allein bei Paulus sieht. 150 Den Grund für die unterschiedlichen Verstehensweisen von Gen 15,6 bei den Rezeptionen des Verses sieht H AHN allerdings nicht wie H EIDLAND in den verschiedenen theologischen Vorstellungen, sondern H AHN findet beide Interpretationsweisen bereits in Gen 15,6 selbst angelegt. Unter Aufnahme der Interpretation von Gen 15,6 durch G ERHARD VON R AD als übergreifender Kommentar und sorgsam ausgewogene theologische Formel 151 sieht er den Vers aus seinem ursprünglichen Kontext herausgelöst und somit unterbestimmt: „Man wird zunächst feststellen müssen, daß Gen 15,6, wie immer man den speziellen traditionsgeschichtlichen Hintergrund deutet, durchaus offen blieb zur Interpretation.“ 152 Die Deutung des Judentums und des Jakobus entsprächen demnach durchaus einem möglichen Interpretationsgefälle des ursprünglichen Verses, auch wenn diese Deutungen erst in späteren Texten auftauchten. 153 148 Hahn: Genesis. 149 H AHN spricht hier von »Auslegungstraditionen« und deshalb konsequenterweise auch von der »Auslegungsgeschichte von Gen 15,6«, was sich auch darin zeigt, dass er insbesondere Zitate von Gen 15,6 betrachtet. 150 Vgl. Hahn: Genesis, 106. 151 Vgl. hierzu Abschn. 1.2. 152 Hahn: Genesis, 106. 153 Vgl. Hahn: Genesis, 106. <?page no="45"?> Kapitel I: Geschichte der Erforschung von Gen 15,6 31 Das unterschiedliche Verständnis von Gen 15,6 in der jüdischen und in der paulinischen Interpretation macht H AHN dabei nicht an den verwendeten Begriffen fest, sondern er betrachtet eher die mit den Rezeptionen von Gen 15,6 verbundenen Traditionen. So stellt er durch Verweis auf die Rezeptionen von Gen 15,6 in Sir 44,19b.20, 1Makk 2,50-52, Neh 9,8 LXX 154 sowie bei Philo von Alexandria heraus, dass „für die jüdische Überlieferung im palästinensischen wie im hellenistischen Bereich Abraham der wahre Fromme und vollkommene Gerechte“ 155 ist. Die Rezeptionen von Gen 15,6 erscheinen nach H AHN insbesondere durch die für das nachalttestamentliche Judentum charakteristischen Traditionsverbindung mit Gen 22 immer mehr mit den Motiven des Gesetzesgehorsams, der Beschneidung und der Bewährung in der Versuchung: „Auffällig ist vor allem, wie stark das eigene Tun Abrahams betont wird, was sich in der sonstigen Überlieferung des nachalttestamentlichen Judentums fortsetzt.“ 156 Das führte nach H AHN schließlich dazu, dass „der Verdienstgedanke immer stärker betont wurde und sich vor allem in Verbindung mit dem Motiv der »Anrechnung« durchsetzen und ausprägen konnte“ 157 . Der Verfasser des Jakobusbriefs verwende bei seiner Rezeption von Gen 15,6 der jüdischen Tradition entsprechende Motive, weshalb H AHN ihn in eine Linie mit der genannten jüdischen Interpretation von Gen 15,6 stellt: „Jedoch liegt in diesem Text sicher kein ausgeprägtes Verdienstschema vor, es geht vielmehr um die Einheit von Bekenntnis und Lebenshaltung, mit der der Mensch allein vor Gott bestehen kann.“ 158 Paulus gehe bei seinen Rezeptionen im Galater- und Römerbrief methodisch nicht anders vor wie die jüdische Auslegung des Verses: „Auch er gewinnt seine Textinterpretation dadurch, daß er Gen 15,6 mit anderen Texten der Abrahamüberlieferung verbindet.“ 159 Allerdings gewinnt er nach H AHN vom Christusgeschehen her eine völlig andere Sichtweise von der Person und Stellung Abrahams, was ihn schließlich zu einer Neuinterpreta- 154 In der hebräischen Nehemiastelle sieht H AHN keine Aufnahme von Gen 15,6: „Im Alten Testament selbst ist eine Nachwirkung und Auslegungstradition, wenn man von den verschiedenen Schichten und der Endredaktion in Gen 15 absieht, kaum feststellbar“ (ders: Genesis, 91f). Einzig Ps 106,31 führt H AHN noch als mögliche Nachwirkung an. Neh 9,8 bereitet allerdings in seiner Sicht die Nachwirkung in der entsprechenden Septuagintastelle schon vor (vgl. ders.: Genesis, 95). 155 Hahn: Genesis, 94. 156 Hahn: Genesis, 95. 157 Hahn: Genesis, 96. 158 Hahn: Genesis, 97. 159 Hahn: Genesis, 107. <?page no="46"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 32 tion dieses Verses führe. 160 Bei ihm stünden nicht mehr die Motive der Beschneidung, des Gesetzesgehorsams und der Bewährung in der Versuchung im Vordergrund, sondern Paulus mache „die Verheißung des Segens für viele Völker und die Bestimmung Abrahams zum »Vater vieler Glaubenden« zum Ausgangspunkt“ 161 . H AHN arbeitet bei der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 wie H EIDLAND mit einem evolutiven Modell. Zwar scheinen die aufgezeigten Linien zwischen der (! ) jüdischen Interpretation der Texte und der paulinischen Auslegung von Gen 15,6 durch die Betrachtung der bei der Rezeption verwendeten Motive näher am Text orientiert als bei der Arbeit H EIDLANDS , doch arbeitet auch H AHN mit einem recht undifferenzierten und statischen Begriff von Judentum, was zu einer starken Polarisierung der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 führt. Abschließend lässt es sich H AHN auch nicht nehmen festzuhalten, dass die paulinische Interpretation doch mehr dem ursprünglichen Textzusammenhang von Gen 15,6 entspricht als die jüdische Auslegung. Unter Anknüpfung an VON R AD hält er fest: „Bei Gen 15,6 wird man jedoch sagen müssen, daß dieser Text der paulinischen Interpretation in einem hohen Maße entgegenkommt; denn immerhin ist hier »von irgendwelchen Leistungen des Menschen, von Opfergaben oder bestimmten Gehorsamsakten« nicht die Rede, vielmehr wird »in einem gehobenen und programmatischen Satz gesagt, daß der Glaube in das rechte Verhältnis zu Jahwe setzt«. 162 2.3 Terence Patric McGonigal: Abraham believed God Den Ansatz von H AHN , sich der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 über die bei den Rezeptionen des Verses mitverwendeten Traditionen (insbesondere der Abrahamtraditionen) zu nähern, führt T ERENCE P ATRIC M C G ONIGAL in seiner 1981 eingereichten Dissertationsschrift mit dem Titel Abraham believed God: Genesis 15,6 And Its Use In The New Testament 163 ausdrücklich weiter. M C G ONIGAL bespricht zu Beginn seiner Dissertation ausführlich H AHNS Aufsatz und stellt seine Arbeit selbst in direkte Verbindung zu dessen Untersuchung: „Hahn´s article serves as the launching pad for this dis- 160 Vgl. Hahn: Genesis, 106f. 161 Hahn: Genesis, 107. 162 Hahn: Genesis, 107. Die markierten Stellen sind Zitate von VON R AD (ders: Anrechnung, 133f). 163 McGonigal: Abraham. <?page no="47"?> Kapitel I: Geschichte der Erforschung von Gen 15,6 33 sertation“ 164 . So will M C G ONIGAL H AHN in der Ausrichtung auf die Verwendung von Gen 15,6 im Neuen Testament folgen und auch seine wichtige Interaktion mit der jüdischen Abrahamtradition fortführen, denn hierin sieht M C G ONIGAL einen guten Ansatzpunkt, die unterschiedliche Verwendung von Gen 15,6 zwischen Paulus und Jakobus verstehen zu können. M C G ONIGAL benennt jedoch auch zwei Schwachstellen, die er in H AHNS Arbeit sieht und die er in seiner eigenen Untersuchung beheben möchte: (1.) H AHN hätte sein Modell der jüdischen Abrahamtradition als ein Modell verdienstlicher Rechtfertigung auf nur sehr wenige Texte fundiert: „Such a claim is common among Christian writers on Judaism, but the assertion needs to be examined in the light of all the Jewish traditions which speak about Abraham.” 165 (2.) H AHN sei auf die Beziehung zwischen Paulus und Jakobus nicht eingegangen und hätte diese offen gelassen. M C G ONIGAL möchte diese Frage aber beantworten: „How it is that two NT writers can use the same verse apparently to prove two contrary positions? ” 166 In dieser Absicht arbeitet M C G ONIGAL zunächst die theologische Bedeutung des Schriftverses Gen 15,6 in seinem Textzusammenhang von Gen 15 heraus. Denn nach M C G ONIGAL ist eine notwenige Voraussetzung für seine Arbeit „a comprehension of the theological message of v. 6“ 167 . Hierzu geht er in einem Dreischritt vor: zunächst analysiert er ausführlich den Kontext Gen 15,1-5 und führt daraufhin eine sehr detaillierte Untersuchung der drei wichtigen Wurzeln von Gen 15,6 ( ! ma , bvx , qdc ) im gesamten Alten Testament durch. Letztlich betrachtet er eingehend die gesamte Abrahamerzählung und stellt Gen 15,6 in einen Zusammenhang mit Texten, „which relate to our interpretation of Gen 15: 6“ 168 . Dabei untersucht er die Beziehung von Gen 15,6 zur Bundesschlusszeremonie (Gen 15,7-21), zu Abrahams Auszug (Gen 12,1-3), zum Beschneidungsbund (Gen 17) und zur Bindung Isaaks (Gen 22) mit dem Ziel, die unterschiedlichen Aspekte von Abrahams Glauben herauszustellen. 169 Insgesamt kommt M C G ONIGAL bei seinen Analysen von Gen 15,6 im Kontext von Gen 15 zum klassischen Verständnis des Verses: Allein Abrahams Vertrauen in die Verheißung Gottes sei dafür ausschlaggebend, gerecht vor Gott zu sein. Dabei ginge die Initiative allein von Gott aus, Abrahams Handlungen seien dabei stets das Resultat seines Glau- 164 McGonigal: Abraham, 44. 165 McGonigal: Abraham, 45. 166 McGonigal: Abraham, 45. 167 McGonigal: Abraham, 48. 168 McGonigal: Abraham, 95. 169 Vgl. McGonigal: Abraham, 96. <?page no="48"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 34 bens. Einen Verdienstgedanken gäbe es nicht: „And Abraham´s faith, though wavering at points, leads to the submission of himself and his desires to the divine will. Thus, his life demonstrates the obedience of faith.” 170 Daraufhin wendet sich M C G ONIGAL der Untersuchung der Abrahamtraditionen in der jüdischen Literatur zu. Dabei beschränkt er sich nicht auf die Texte mit Rezeptionen von Gen 15,6, sondern untersucht jeweils das gesamte Abrahamkonzept mit seinen Traditionen in den Apokryphen und Pseudepigraphen des Alten Testaments, in den Schriften von Qumran, bei Philo von Alexandria, bei Josephus, in der Mischna, im Talmud und in den Auslegungsmidraschim. Er arbeitet heraus, dass in der jüdischen Theologie zwei Aspekte besonders wichtig wurden: zum einen der Bundesgedanke, aber auch die individuelle Anstrengung. 171 Beide kämen auch im Zusammenhang mit der Abrahamtradition vor. Der Bund würde dabei oft als die Voraussetzung der Beziehung Abrahams zu Gott verstanden. Zugleich würde aber auch der Gehorsam und die Perfektion Abrahams als seine Verdienste immer stärker in der jüdischen Literatur betont. So fänden die Juden „in Abraham the model of one whose obedience and perfection guaranteed the blessing of God” 172 . An diesen Überblick über die gesamte Abrahamtradition der jüdischen Literatur schließt M C G ONIGAL die Frage an, in welcher Weise „the NT writers employ that allimportant verse in the Abraham narrative, Gen 15: 6“ 173 . Hier betrachtet M C G ONIGAL die Zitate des Verses im Galater-, Römer- und Jakobusbrief. Dabei arbeitet M C G ONIGAL heraus, dass Paulus Gen 15,6 verwendet, indem er den Glauben des Patriarchen betone. Abrahams beharrlicher Glaube würde zum Vorbild für die christlichen Gläubigen. Jakobus dagegen verwende Gen 15,6 als ein Lebensmotto Abrahams, das zeige, dass rechter Glaube stets auch zum Handeln führe, das den Glauben ausdrückt. Auf dem Hintergrund der zuvor analysierten jüdischen Abrahamtraditionen, die gerade auch nicht nur eine Interpretation von Abraham bieten, schlussfolgert M C G ONIGAL , dass die Verwendung von Gen 15,6 bei Paulus und Jakobus auch nicht in Opposition zueinander stünden, sondern beide in ihren Schriften nur unterschiedliche Aspekte von Gen 15,6 und damit auch unterschiedliche Aspekte des Verhältnisses von »Glaube« und »Werken« betonten: „As the Christian believer lives life according to the model of Ab- 170 McGonigal: Abraham, 117. Die alternativen Lesarten von Gen 15,6 von G ASTON und O EMING (vgl. Abschn. 1.2) berücksichtigt M C G ONIGAL in seiner Arbeit noch nicht. 171 Vgl. McGonigal: Abraham, 229. 172 McGonigal: Abraham, 229. 173 McGonigal: Abraham, 230. <?page no="49"?> Kapitel I: Geschichte der Erforschung von Gen 15,6 35 raham´s faith, then he can truely call the patriarch »Father Abraham«, for he is right before God on the basis of his faith, just as Abraham was, and he is exhibiting the obedience of faith, just as Abraham did.” 174 2.4 Donald Dixon Sutherland: Genesis 15: 6 1982 veröffentlicht D ONALD D IXON S UTHERLAND eine Studie mit dem Titel Genesis 15: 6: A Study in Ancient Jewish and Christian Interpretation 175 . Motiviert durch den enormen theologischen Gehalt des Verses und seine unterschiedliche Verwendung in späteren Schriften - insbesondere in der Auseinandersetzung um den Zusammenhang von Glauben und Werken im frühen Christentum 176 - möchte S UTHERLAND in seiner Arbeit untersuchen, wie Gen 15,6 in der frühen jüdischen und christlichen Auffassung interpretiert wurde: 177 „It is the view of this writer that a thorough investigation of the history of interpretation of Genesis 15,6 could provide a useful clue to understanding the faith-works relationship in early Christianity, and the issus which confronted Paul and James that caused them to use the verse.” 178 Ausgangspunkt für S UTHERLANDS Untersuchung der unterschiedlichen Interpretationen ist der Vers Gen 15,6 selbst. Dabei fungiere dieser nicht nur als Ursprung der späteren Interpretationen, sondern „Genesis 15,6 functions itself as an interpretation of Abraham´s character, as well as an interpretation of the relationship between faith and righteousness“ 179 . Obwohl ihm die Problematik einer Auslegung des Kontextes Gen 15 und die alternativen Lesarten von Gen 15,6 bekannt sind, versteht S UTHERLAND den Vers im Erzählzusammenhang als theologischen Kommentar über Abraham und schließt sich dem traditionellen Verständnis von Gen 15,6 an: „Although the Hebrew is ambiguous, any attempt to make Abraham the subject of verse 6b must be rejected. A linguistic analysis indicates that the traditional reading is logical. Abraham’s faith is »reckoned toward righteousness«.“ 180 S UTHER- LAND geht daraufhin der Frage nach, wer einen solchen Kommentar über Abraham formulieren konnte. Aus der Abrahamtradition selbst könne der 174 McGonigal: Abraham, 491. 175 Sutherland: Genesis. 176 "In each case the verse provides a »prooftext« for substantiating a particular author´s view of the faith-works issue, an issue that pervaded much Jewish-Christian literature in the first three centuries A.D.”(Sutherland: Genesis, 2). 177 Vgl. Sutherland: Genesis, 4. 178 Sutherland: Genesis, 3f. 179 Sutherland: Genesis, 4. 180 Sutherland: Genesis, 70. <?page no="50"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 36 Vers nicht stammen, da diese Abraham als einen Menschen in Konflikten mit Gott und Zweifeln und deshalb nicht als einen Glaubenden darstelle, sondern eher als einen Menschen mit unangemessenem Glauben. 181 Die Abrahamerzählungen selbst charakterisiert S UTHERLAND deshalb als „basically unfaithful“ 182 und hält schließlich fest: „Thus, the idea of Abraham as faithful must come from outside of the patriarchal traditions themselves.” 183 Aus diesem Grund analysiert S UTHERLAND in einem ersten Schritt seiner Untersuchung die Abrahamtraditionen im Alten Testament (besonders außerhalb der Genesis), die schließlich zur Formulierung von Gen 15,6 geführt haben soll. In nachexilischer Zeit wuchs nach Sutherland die Zukunftshoffnung, die sich an den Verheißungen Israels fest machte. Auch wenn Abraham in der alttestamentlichen Literatur außerhalb der Genesis eine eher geringe Rolle spiele, gäbe es doch theologische Ansätze - besonders in deuteronomistischer Auffassung -, diese Zukunftshoffnung an Abrahams Gehorsam zu knüpfen und Abraham zu einer Identität stiftenden Figur zu machen. 184 In diesem Zusammenhang wüchse schließlich die Vorstellung der »Anrechnung«, die sich dann in Gen 15,6b niederschlüge. Der Chronist stünde zwar auch in dieser theologischen Linie, nur spräche dieser als einziger in diesem Zusammenhang vom »gläubigen Abraham«: „He used the term ! ma to encompass the whole dynamic of claiming identity by future reckoning and the necessary obedience tied to that claim.“ 185 Der Chronist ist nach S UTHERLAND für das Wort ! ma verantwortlich, das schließlich das typische Wort für Gehorsam ( [mv ) ablöse. Dadurch käme jedoch eine Spannung auf, die dazu führte, dass die Abrahamerzählungen unterschiedlich interpretiert würden: einige verstünden die Verheißungen an Abraham für sich als »Same Abrahams« als einen Beweis für ihre verheißungsvolle Zukunft, andere dagegen warnten vor der alleinigen Identifikation mit Abraham und forderten starken Gehorsam: „These tensions led to the deve- 181 „Abraham´s role in the unit is not primarily one of faithfulness but rather one of inadequate faith, anxiety, and confrontation. Even chapter 15 itself portrays Abraham in confrontation with Yahweh“ (Sutherland: Genesis, 44). Dass sich hierin nicht nur traditionsgeschichtliche Beobachtungen abzeichnen, sondern auch ein stark geprägtes Verständnis von »Glauben« seitens des Autors, muss nicht weiter ausgeführt werden (vgl. die Kritik in Abschn. 2.5). 182 Sutherland: Genesis 48. 183 Sutherland: Genesis, 71. 184 Vgl. Sutherland: Genesis, 46ff. 185 Sutherland: Genesis, 71. <?page no="51"?> Kapitel I: Geschichte der Erforschung von Gen 15,6 37 lopment of a hermeneutic of faith and obedience concerning future reckoning of the promises.” 186 Genau diese doppelte Hermeneutik schlägt sich nach S UTHERLAND in der Formulierung von Gen 15,6 nieder: das Konzept der verheißungsvollen Zukunft und das Konzept des Gehorsams. Die doppelte Hermeneutik hafte Gen 15,6 an, was S UTHERLAND daraufhin in der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 in der Folgezeit des Alten Testaments aufzuweisen versucht. S UTH- ERLAND formuliert thesenhaft: „The tension between faith and obedience continued to influence the theological development of the concept of election in later Judaism. Genesis 15: 6 functions in the hands of its interpreters to admonish Jewish disciples to both sides of the hermeneutic.” 187 S UTHERLAND analysiert daraufhin die verschiedenen Rezeptionen von Gen 15,6 im palästinensischen Judentum (1Makk 2,52; Sir 44; Targumen; Midraschim; Mischna), im hellenistischen Judentum (Septuaginta; Philo von Alexandria), im Neuen Testament (Gal 3; Röm 4; Jak 2) und schließlich bei den frühen Kirchenvätern (Barnabasbrief; Justin der Märtyrer; Irenäus; Cyprian; Tertullian; Klemens von Alexandria, Augustinus; Chrysostomus). Seine leitende Frage ist dabei, ob sich die Rezeptionen in das Konzept der doppelten Hermeneutik von Gen 15,6 einfügen lassen. Er zeichnet hierzu die hermeneutische Dynamik von Gen 15,6 nach, in der seiner Meinung nach der Grund für die verschiedenartigen Verwendungen von Gen 15,6 liegt. Die entsprechenden Textstellen mit den Rezeptionen von Gen 15,6 interpretiert S UTHERLAND dafür meist aus dem allgemeinen zeitgeschichtlichen Kontext der Schriften heraus. Die Rezeptionen von Gen 15,6 innerhalb des palästinischen und hellenistischen Judentums entwickeln nach S UTHERLANDS Untersuchungen immer deutlicher die doppelte Hermeneutik des Verses. Dies zeichne sich auch in den mit der Rezeption verwendeten Traditionen ab, was insbesondere dazu führe, dass sich die Versuchungstradition (Gen 22) immer fester mit der Glaubenstradition aus Gen 15,6 verbünde: „The scritual focal point is Genesis 15: 6, but by joining it to testing in Genesis 22, the element of obedience was linked to faith.“ 188 Es entwickele sich immer stärker eine Hermeneutik um Gen 15,6, die entweder deutlich an Abrahams Gehorsam erinnere und diesen einfordere, oder die seinen Glauben als Zukunftsgarant für seine Nachkommen ansähe. 186 Sutherland: Genesis, 72. 187 Sutherland: Genesis, 72. 188 Sutherland: Genesis, 107. <?page no="52"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 38 Die verschiedenartige Verwendung von Gen 15,6 zwischen Paulus und Jakobus in den neutestamentlichen Rezeptionen des Verses arbeitet S UT- HERLAND ebenso vor dem Hintergrund dieser doppelten Hermeneutik heraus. 189 Paulus schlösse sich der traditionellen jüdischen Hermeneutik von Gen 15,6 an, erinnere aber in seinen Rezeptionen von Gen 15,6 vor allem an den Zukunftsaspekt durch den Glauben und formuliere mit dessen Hilfe eine heidenchristliche Identität. Er verwende Gen 15,6 dabei als Schriftargument für die Gesetzesausleger. Jakobus dagegen betone den Gehorsamsaspekt der Hermeneutik von Gen 15,6: „Thus, James uses the faithobedience relationship implicit in the hermeneutic in order to correct a distorted view of righteousness.” 190 Die frühen Kirchenväter verwänden Gen 15,6 ebenfalls in beiderlei Hinsicht der traditionellen jüdischen Hermeneutik des Verses: In Auseinandersetzungen mit dem Judentum betonten sie besonders den Zukunftsaspekt durch den Glauben, in Konfrontationen mit gnostischen Einflüssen werde besonders der Gehorsam hervorgehoben, der in der Hermeneutik von Gen 15,6 stecke: „The hermeneutic surrounding the verse helped the early church to establish an identity unique from Judaism, and at the same time, helped to provide an adequate defence against heresy“ 191 . 2.5 Axel von Dobbeler: Glaube als Teilhabe Die 1987 veröffentlichte Dissertationsschrift von A XEL VON D OBBELER mit dem Titel Glaube als Teilhabe: historische und semantische Grundlagen der paulinischen Theologie und Ekklesiologie des Glaubens stellt sich die Aufgabe, der „Rede vom Glauben einen Ort und eine konkrete Funktion in der geschichtlichen Wirklichkeit der Gemeinde des Paulus zuzuweisen“ 192 . Im Anschluss an die wirkungsgeschichtliche Hermeneutik fragt die Arbeit nach den Wirkungen der paulinischen Aussagen bei seinen Adressaten und untersucht die Entstehung und Rezeption der Texte in ihrem Eingebundensein in sprachliche Formen und in den historisch-soziologischen Dimensionen des Kommunikationsvorgangs. 193 V ON D OBBELER versucht deshalb, alle möglichen Verstehenshorizonte auf Seiten der Gemeinde des Paulus herauszuarbeiten, um nachvollziehen zu können, wie die unterschiedlichen Ge- 189 Vgl. Sutherland: Genesis, 204ff. 190 Sutherland: Genesis, 205. 191 Sutherland: Genesis, 4 192 Vgl. Dobbeler: Glaube, 5. 193 Vgl. Dobbeler: Glaube, 5. <?page no="53"?> Kapitel I: Geschichte der Erforschung von Gen 15,6 39 meindeglieder die Aussagen des Paulus in Röm 4 verstanden haben könnten. Im Zusammenhang der Frage, ob „es in der alttestamentlich-jüdischen Tradition Voraussetzungen für die Sicht des Glaubens als einer Weise des Gerechtseins gibt, ohne dass auf das Gesetz Bezug genommen wird“ 194 , analysiert VON D OBBELER exkursartig die beiden für Paulus zentralen alttestamentlichen Glaubensstellen Gen 15,6 und Hab 2,4 sowie deren jüdische und frühchristliche Rezeptionsgeschichte. 195 Für seinen Exkurs zur Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 gibt VON D OB- BELER selbst folgende Absicht an: „Wir wollen im folgenden Gen 15,6 vor allem unter rezeptionsgeschichtlichem Aspekt betrachten und dabei versuchen, Strukturen aufzuzeigen, die für die Rezeption dieser Stelle bestimmend waren. Dies gibt uns dann die Möglichkeit, die paulinische Interpretation im Kontext der jüdischen Überlieferung von Gen 15,6 zu verstehen.“ 196 Im Anschluss an die Interpretation des Verses als Kulthandlung durch G ER- HARD VON R AD findet VON D OBBELER die gesuchte Struktur in einer Zirkulation, die er wie folgt beschreibt: „Auf ein bestimmtes Verhalten Abrahams hin, das als charakteristisch für seine Lebensleistung, der sein Glaube entspricht, erachtet wird, schenkt Gott dem Abraham Heil.“ 197 Diese zirkuläre Tradition des bestimmten Verhaltens Abrahams und des hierauf geschenkten Heils durch Gott versteht VON D OBBELER als Rezeptionsstruktur von Gen 15,6, die für das Verständnis der Glaubensgerechtigkeit Abrahams in der jüdischen und frühchristlichen Tradition konstitutiv sei 198 und in der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 breit belegt würde. In den verschiedenen Rezeptionen von Gen 15,6 sei diese Struktur inhaltlich jeweils unterschiedlich gefüllt. In einer tabellarischen Übersicht stellt VON D OBBELER anschließend die Rezeptionen von Gen 15,6 dem Rezeptionsschema gemäß (A: auf ein bestimmtes Verhalten Abrahams hin - B: schenkt Gott Heil) mit den verschiedenen inhaltlichen Füllungen der Rezeptionen dar. Diese Tabelle von insgesamt 35 Rezeptionen von Gen 15,6 (ohne die paulinischen Aufnahmen, 194 Dobbeler: Glaube, 101. 195 Vgl. Dobbeler: Glaube, 101. 196 Dobbeler: Glaube, 117. 197 Dobbeler: Glaube, 119; vgl. ebenso Berger: Abraham, 374. V ON D OBBELER betont hierbei jedoch ausdrücklich, dass innerhalb der gefundenen Zirkulationsstruktur dem Heilsgeschenk Gottes kein Automatismus, sondern diesem stets die heilvolle Gemeinschaftstreue Gottes zugrunde liegt, in der auch Abrahams Handeln immer innerhalb und als Zeichen seiner Erwähltheit geschieht (vgl. ders.: Glaube, 119). 198 Vgl. Dobbeler: Glaube, 119. <?page no="54"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 40 da VON D OBBELER ja ihre Voraussetzungen untersuchen will) beinhaltet dabei nicht nur Zitate des Verses und ausdrückliche Anspielungen an Gen 15,6, sondern eben alle Textstellen, die dem aufgestellten Rezeptionsschema genügen. Selbst wenn Textstellen eine Anspielung auf Gen 15,6 nicht deutlich erkennen lassen, versteht VON D OBBELER sie als Rezeptionen, und rechtfertigt dies mit dem Argument: „Zudem kommt Gen 15,6 innerhalb der Abraham-Tradition eine so zentrale Stellung zu, daß der Vers wohl auch an den Stellen, die eine Anknüpfung nicht deutlich erkennen lassen, als mitgedacht vorausgesetzt werden darf.“ 199 So versteht VON D OBBELER beispielsweise auch CD III,2 als Rezeption von Gen 15,6: Abraham […] galt als Freund, da er Gottes Gebot(e) gehalten und nicht vorzog den Willen seines Geistes 200 , da diese Textstelle die Rezeptionsstruktur erfüllt und sie durch »Gebote/ Gesetze beachten« und »Freund Gottes« inhaltlich gefüllt sei. 201 Mit Hilfe vieler Beleg- und Parallelstellen aus der zeitgenössischen Literatur stellt VON D OBBELER die unterschiedlichen inhaltlichen Füllungen in einen traditionsgeschichtlichen Zusammenhang mit den beiden Teilversen von Gen 15,6 und versucht so die Rezeption dieses Verses an den Stellen wahrscheinlich zu machen. Es sei hier schon kritisch die Frage gestellt, ob es an einer Stelle wie CD III,2 im Sinne einer historischen Rezeptionsforschung noch als nachvollziehbar angesehen werden kann, diese Stelle als Rezeption von Gen 15,6 (! ) zu verstehen. 202 Durch die Rezeptionsstruktur mit ihren je unterschiedlich inhaltlichen Füllungen stellt VON D OBBELER das Gemeinsame der jüdischen und frühchristlichen Rezeptionen von Gen 15,6 heraus und hält fest: „Man wird von daher kaum von einer »jüdischen Tradition« in Abgrenzung zur christlichen 199 Dobbeler: Glaube, 120. 200 Übersetzung nach Johann Meier (ders: Qumran-Essener I, 11). 201 Vgl. Dobbeler: Glaube 120. 202 Es sei hier vermerkt, dass VON D OBBELER in der Dissertationsschrift seiner Arbeit 1Clem 12,1 ebenfalls als Rezeption von Gen 15,6 ansieht und in die tabellarische Übersicht aufnimmt: Wegen Glaubens und Gastfreundschaft ist Rahab, die Hure, gerettet worden. Hier wird die erarbeitete Rezeptionsstruktur von Gen 15,6 somit von Abraham gelöst und „in Analogie zu Abraham“ (Dobbeler: Glaube als Teilhabe [Dissertationsschrift], 184) auf Rahab übertragen. Diese Aufnahme von 1Clem 12,1 als Rezeption von Gen 15,6 verdeutlicht, wie unterbestimmt letztlich die von VON D OBBELER erarbeitete Rezeptionsstruktur ist. Nachvollziehbar im Sinne einer historischen Rezeptionsforschung ist die Rezeption von Gen 15,6 (! ) an dieser Stelle nicht mehr (vgl. die Kritik an dem Ansatz VON D OBBELERS in Abschn. 2.2). In der Veröffentlichung seiner Dissertation ist diese Stelle allerdings aus der tabellarischen Übersicht herausgenommen (vgl. Dobbeler: Glaube, 120). <?page no="55"?> Kapitel I: Geschichte der Erforschung von Gen 15,6 41 Rezeption von Gen 15,6 sprechen können.“ 203 In allen Rezeptionen von Gen 15,6 geht es nach VON D OBBELER durch die paradigmatische Bedeutung Abrahams um die Teilhabe am Heil der Väter: „Die Partizipation der Abrahamkinder am Heil des Vaters bildet so den Rahmen, in dem die Rezeption von Gen 15,6 zu verstehen ist.“ 204 Voraussetzung und Merkmal dieser Teilhabe sei dabei die Ähnlichkeit mit dem Vater. Nur die inhaltliche Füllung dieses Prinzips der Ähnlichkeit mit dem Vater sieht VON D OBBELER in den Rezeptionen von Gen 15,6 verändert und hält am Schluss seines Exkurses zusammenfassend fest: „Teilhabe am Bund und an den Verheißungen der Väter ist aber nur denen erreichbar, die dem Erzvater gleichen. Das Prinzip der Ähnlichkeit mit dem Vater bleibt auch für das frühe Christentum bestimmend. Hier wird jedoch durch die Relativierung der Beschneidung der Zugang zur Abrahamskindschaft für alle eröffnet: Die Ähnlichkeit mit dem Erzvater besteht jetzt in der pi,stij e,n avkrobusti,a| .“ 205 2.6 Benjamin Schliesser: Abraham’s Faith in Romans 4 Die im Jahr 2007 veröffentlichte Arbeit von B ENJAMIN S CHLIEßER versteht sich als Beitrag zum grundlegenden theologischen Unternehmen „to develop an adequate understanding of faith“ 206 . Im Mittelpunkt steht dabei der paulinische Glaubensbegriff in Röm 4 im Kontext der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6. 207 Die Arbeit „attempts to detect and describe trajectories of the faith-theme from the Old Testament through Second Temple Judaism to Paul“ 208 . Dabei soll sowohl der Genesistext als Rezeptionsvorlage wie auch die verschiedenen Rezipienten in ihren jeweiligen historischen Situationen und mit ihrem theologischen Hintergrund in den Blick genommen werden. Nach einem forschungsgeschichtlichen Überblick beginnt S CHLIESSER mit einer Exegese von Gen 15,6 im Kontext von Gen 15. Er kommt zu dem Ergebnis, dass es sich bei Gen 15,1-21 zwar nicht um eine literarische Einheit, wohl aber um deutlich mehr als eine redaktionelle Einheit handelt. S CHLIEßER spricht von einer kompositorischen Einheit, die ältere Traditionen auf- 203 Dobbeler: Glaube, 121. 204 Dobbeler: Glaube, 124. 205 Dobbeler: Glaube, 125. 206 Schliesser: Abraham, 1. 207 Der methodisch/ theoretische Hintergrund der rezeptionsgeschichtlichen Arbeit wird nicht näher erläutert. Es findet sich lediglich ein Literaturhinweis auf H. Räisänen: Die Wirkungsgeschichte der Bibel. Eine Herausforderung an die exegetische Forschung. In: EvTh 52 (1992), 337-347. 208 Schliesser: Abraham, 2. <?page no="56"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 42 genommen, sich aber in ihrer kanonischen Gestalt durch eine sehr hohe Konsistenz auszeichnet. Er datiert sie an das Ende des Exils und hält fest, dass „the difference between the narrated situation (…) and the narrative situation (…) are relativized. What is said of Abraham is said of Israel: Tua res agitur“ 209 . Gen 15 kommt nach Schliesser im Abraham-Zyklus der Genesis eine kompositorische und theologische Zentralstellung zu. Gleiches gelte für Gen 15,6 innerhalb des Kapitels. Den theologischen Gehalt dieses Verses erschließt er hauptsächlich durch vergleichende Studien zum Verb bvx : „In his act of considering Abraham’s faith as righteousness, God makes a performative, authoritative-qualitative judgment that he reaches freely and independently and according to subjective criteria. It is an act of grace and creation with »soteriological« implications, as it constitutes a new, righteous status of Abraham coram deo, impinging on his own and future generation’s ground of life and existence.“ 210 Nach der Exegese von Gen 15,6 erarbeitet S CHLIESSER die Interpretationen von Gen 15,6 in der jüdischen Literatur zur Zeit des zweiten Tempels. Dabei stellt er drei Tendenzen fest: (1.) Abrahams Vertrauen und dessen Anrechnung zur Gerechtigkeit gründen in Gottes Treue und Gerechtigkeit und stehen der Untreue und Ungerechtigkeit Israels in seiner Geschichte antithetisch gegenüber. In zunehmendem Maße zeigt sich aber in den Interpretationen, dass (2.) die menschlichen Voraussetzungen für die göttliche Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit an Gewicht gewinnen. Das zeigt sich besonders in der immer engeren Verknüpfung von Gen 15,6 mit Gen 22. Abraham bekommt mehr und mehr paradigmatische Bedeutung. Schließlich lassen die Interpretationen (3.) eine »Eschatologisierung« und »Soteriologisierung« von Gen 15,6 erkennen, die S CHLIESSER hinter der paulinischen Rezeption dieses Verses wieder findet. Nach S CHLIESSER greift Paulus auf die Figur Abrahams zurück, weil er in ihm den ersten Menschen erkennt, dem sein Vertrauen in Gottes Verheißung zur Gerechtigkeit angerechnet wurde. Mit Gen 15,6 zieht er dazu einen Vers aus der Abrahamüberlieferung heran, der nach S CHLIESSERS Exegese den Kern des Abrahamzyklus darstellt. 211 Paulus’ Auslegung dieses Verses 209 Schliesser: Abraham, 149. 210 Schliesser: Abraham, 150f. Hier kann man sich des Eindrucks nur schwer erwehren, dass hinter dieser Auslegung die paulinische Interpretation selber Pate gestanden hat (vgl. bes. Röm 4,17). S CHLIESSER formuliert schließlich in Anlehnung an B RUEGGEMANN : „Yahweh’s character and acting towards humans is defined by his »generative capacity of bringing to being what was not«“ (ebd.). 211 Vgl. Schliesser: Abraham, 427. <?page no="57"?> Kapitel I: Geschichte der Erforschung von Gen 15,6 43 ist als Abgrenzung von der zeitgenössischen jüdischen Interpretation zu verstehen und kommt zu einem ganz neuen Verständnis: „In sum, Paul carries out a radicalization, universalisation, and eschatoligization of thes verse so significant to his theology.“ 212 In der paulinischen Auslegung von Gen 15,6 erscheint Abraham im Urteil Gottes als »gottlos« (Röm 4,5) und »tot« (Röm 4,17). Seine Rechtfertigung muss daher als creatio ex nihilo allein aus Glauben verstanden werden. Im Gegensatz zur jüdischen Auslegung in der Zeit des zweiten Tempels nähert Paulus sich nach S CHLIESSER dem theologischen Gefälle von Gen 15,6 in seinem alttestamentlichen Kontext wieder stärker an. 213 Indem Paulus Abraham dann aber typologisch auf die eschatologische Rettung des Menschen am Ende der Zeiten hin versteht, transzendiert er die Rezeptionsvorlage von Gen 15 allerdings auch deutlich. S CHLIES- SER stellt abschließend fest: „The way Paul interacts with this Old Testament verse illustrates that the horizont of his hermeneutics is eschatology, his hermeneutical method typology, and his hermeneutical key the salvationhistorical reality pi,stij Cristou/ .“ 214 212 Schliesser: Abraham, 429. 213 Die Ausführungen erinnern an die Ergebnisse der Untersuchung von H EIDLAND (Abschn. 2.1), mit der S CHLIESSER zudem den Ansatz bei der Begriffsgeschichte von bvx gemeinsam hat. 214 Schliesser: Abraham, 430. <?page no="59"?> Kapitel II Bewertung der Forschungslage und Konsequenzen für die Grundlegung einer Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 Nach der Vorstellung der einschlägigen Literatur, sollen die rezeptionsgeschichtlichen Arbeiten zu Gen 15,6 nun mit Blick auf das Anliegen der vorliegenden Untersuchung ausgewertet werden. Bei dieser Bewertung geht es jedoch nicht darum, die dargestellten Beiträge inhaltlich bezüglich der Vollständigkeit ihrer Rezeptionsuntersuchungen und ihrer jeweiligen Einzelergebnisse zu den Rezeptionen von Gen 15,6 zu beurteilen. 1 Vielmehr wird grundsätzlicher danach gefragt, wie die bisherigen Forschungsbeiträge sich von ihren hermeneutischen Ansätzen und von ihrem methodischen Vorgehen her prinzipiell dem Phänomen »Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6« nähern. Dabei fallen drei Gemeinsamkeiten auf: (1.) Keine der einschlägigen Arbeiten äußert sich explizit zu methodischhermeneutischen Fragen einer Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6. Insbesondere bleibt die Frage offen, was überhaupt unter einer Rezeption von Gen 15,6 zu verstehen ist. Eine Ausnahme hiervon stellt jedoch der Ansatz von VON D OBBELER dar, der durch die erarbeitete Rezeptionsstruktur zumindest ein Kriterium für die Suche nach Rezeptionen von Gen 15,6 angibt. Die anderen Untersuchungen beschränken sich insbesondere auf Zitate bzw. Teilzitate von Gen 15,6. (2.) Alle dargestellten Untersuchungen arbeiten implizit mit einem stark evolutiven Modell einer Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 und weisen deshalb ein ähnliches hermeneutisches Grundschema auf: ausgehend von der Analyse des Schriftverses Gen 15,6 in seinem ursprünglichen Kontext (meist Gen 15) wird ein vermeintlich ursprüngliches Verständnis des 1 Die Einordnung und Bewertung der Beiträge hinsichtlich ihrer Ergebnisse zu einzelnen Rezeptionen von Gen 15,6 wird in den jeweiligen Kapiteln zu den Rezeptionsuntersuchungen in Teil B der Arbeit vorgenommen. <?page no="60"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 46 Schriftverses herausgestellt und als Ausgangspunkt für den gesamten Rezeptionsprozess innerhalb der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 angesehen. Dabei werden die weiteren Rezeptionen von Gen 15,6 vor dem Hintergrund dieses als ursprünglich eruierten Verständnisses analysiert und bezüglich ihrer Angemessenheit des Rezeptionsverständnisses zum normativen Ausgangsverständnis des Verses bewertet. (3.) Die dargestellten Rezeptionsgeschichten von Gen 15,6 haben alle ein spezifisches Interesse an den neutestamentlichen Rezeptionen des Verses, hierbei insbesondere an der Frage nach den Gründen für die verschiedenartige Aufnahme des Genesisverses im Jakobusbrief und in den paulinischen Briefen. Die anderen Rezeptionen werden in ihren Analysen meist diesem Zweck untergeordnet. Dieses Vorgehen zeigt sich formal bereits in der Gliederung der entsprechenden Untersuchungen, da den neutestamentlichen Texten mit Rezeptionen von Gen 15,6 stets ein jeweils eigenständiges Kapitel zukommt, die übrigen, meist jüdischen Rezeptionen von Gen 15,6 werden dagegen häufig in einem zusammenfassenden Überblick behandelt. 2 Bereits diese grundlegenden Gemeinsamkeiten in den einschlägigen Untersuchungen zur Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 weisen auf methodisch-hermeneutische Probleme im Hinblick auf eine sozialhistorisch orientierte Rezeptionsforschung hin. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit eines neuen Ansatzes und eines grundsätzlich anderen Verständnisses einer Rezeptionsgeschichte dieses Verses. 3 Um den Ansatz der vorliegenden Untersuchung hinsichtlich ihrer theoretischen Grundlegung (Kapitel III) sowie ihres methodischen Vorgehens (Kapitel IV) deutlich herausstellen zu können, werden im Folgenden in fünf Anfragen an die bisherigen Rezeptionsgeschichten von Gen 15,6 ihre zentralen methodisch-hermeneutischen Probleme systematisch benannt und in ihren Ansätzen beleuchtet. 2 Das trifft im Grunde auch auf die Arbeit VON D OBBELERS zu, der seinen insgesamt überblicksartigen Exkurs zur Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 zwar nicht eigens untergliedert, aber aus seiner Darstellung der Rezeptionsgeschichte - der Absicht seiner Arbeit gemäß - die Rezeptionen bei Paulus zunächst herausnimmt. 3 Vgl. zum Verständnis von »Rezeptionsgeschichte« in der vorliegenden Arbeit bes. Abschn. 3.3. <?page no="61"?> Kapitel II: Bewertung der Forschungslage 47 1. Das Problem der konsenslosen Exegese von Gen 15,6 MT und ihrer normativen Voraussetzung für eine Rezeptionsgeschichte Der in Abschnitt 1.1 dargestellte Stand der Erforschung von Gen 15,6 im Kontext seines Textzusammenhangs in Gen 15 MT zeigt die grundlegenden Schwierigkeiten einer historisch-kritischen Verortung von Gen 15,6 und die konträren Auslegungen dieses Verses in seinem Kontext auf. Ein auf historisch-kritischem Wege erhobenes Verständnis von Gen 15,6 MT ist aufgrund der Schwierigkeit, für Gen 15,6 einen historischen Ursprung zu bestimmen, ohne grundsätzliche Hypothesen nicht möglich. Gen 15,6 ist und bleibt der bisherigen Forschung zufolge ein „crux interpretum“ 4 . Zusammenfassend liegt dies vor allem an folgenden Beobachtungen: (1.) Die insgesamt unsicheren Ergebnisse der literar-, redaktions- und traditionskritischen Untersuchungen des gesamten Kapitels Gen 15 bieten kaum Ansätze zu einem angemessenen Verständnis von Gen 15,6. (2.) Ebenso kann ein Versuch, der sich auf die formkritische Bestimmung der Gattung von Gen 15,1-6 als Heilsorakel beruft, nicht wirklich überzeugen. (3.) Ein Zugang, der allein von der syntaktischen Struktur des Verses Gen 15,6 ausgehend eine Deutung versucht, ist wegen der sprachlichen Offenheit der Stelle wenig geeignet. (4.) Eine Auslegung von Gen 15,6, die in einer semantischen Bestimmung einzelner Begriffe ( ! ma , bvx , hq'd'c .. ) wurzelt, ist nicht nur wegen (1.) zweifelhaft, sondern verkennt auch die starke Verflochtenheit der Kernbegriffe innerhalb des kurzen Verses. Festzuhalten bleibt jedoch, dass hinter die berechtigte Kritik O EMINGS an der von VON R AD vorgetragenen Deutung von bvx nicht mehr zurückgegangen werden kann und die Frage nach dem Subjekt von Gen 15,6b deshalb in der Auslegung des masoretischen Verses eine zentrale Bedeutung behalten wird. Vor diesem Hintergrund des Forschungsstandes zur Exegese von Gen 15,6 ist es nicht möglich, eine annähernd konsensfähige Deutung des Verses und seines Kontextes vorzulegen. Demgegenüber fallen alle Ansätze der Untersuchungen zur Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 auf, die ihre Analysen gerade auf ein als ursprünglich angenommenes Grundverständnis des Verses gründen. Sicherlich sind begründete Entscheidungen für bzw. 4 Seebass: Genesis, 70. <?page no="62"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 48 gegen eine bestimmte Interpretationsvariante stets Bestandteil der exegetisch arbeitenden Wissenschaft. Doch für eine sozialhistorische Rezeptionsforschung kann solch eine große Unsicherheit, wie sie in der Erforschung von Gen 15,6 besteht, nicht zum Ausgangspunkt oder gar zur Norm für eine auf diesem Ausgangspunkt aufbauende Untersuchung gemacht werden. Für eine sozialhistorisch orientierte Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 ist ein Ansatz, der als normative Grundlage in der Exegese des Verses gründet, unvermeidlich durch weitere Voraussetzungen als die aus einer Exegese von Gen 15,6 bedingt und deshalb problematisch. 5 Vielmehr bedarf es eines Vorgehens, das die besonderen grammatikalisch-syntaktischen Unterbestimmtheiten von Gen 15,6 ernst nimmt und zunächst bereits bei der Suche nach Rezeptionen des Verses als dann auch bei der Analyse der jeweiligen Rezeptionen mit entsprechenden Verstehensmöglichkeiten des Verses rechnet. Konkret verbietet sich ein rezeptionsgeschichtlicher Ansatz, der zu Beginn die Frage des Subjekts in Gen 15,6b entscheidet und (bewusst oder unbewusst) die Rezeptionssuche auf diese Lesart des Verses einschränkt. Die Offenheit von Gen 15,6 muss auch für potentielle Rezeptionen dieses Verses geltend gemacht werden. 2. Das Problem der Unbekanntheit der faktischen Rezeptionsvorlage Die Arbeit mit einem evolutiven Modell einer Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 in den bisherigen Forschungsarbeiten bringt eine weitere Problematik mit sich. Grundsätzlich wird bei diesem Vorgehen stets vorausgesetzt, dass die Rezipienten von Gen 15,6 ihre Rezeption monokausal auf der Grundlage der bis heute erhaltenen Textgestalt von Gen 15,6 (MT oder LXX) angefertigt haben. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass der Pentateuch und mit ihm die Genesis eines der ersten Bücher gewesen ist, die in relativ fester kanonischer Gestalt tradiert und bereits auch früh in die griechische Sprache übersetzt wurden. Dennoch fallen die zu untersuchenden Schriften in eine Epoche, in der es eine enorme Schriftproduktion gab. Der Schriftvers Gen 15,6 wird in dieser Zeit in den unterschiedlichsten Schriften und Schriftgruppen aufgenommen, die den weiteren Rezipienten von Gen 15,6 durchaus vorgelegen haben könnten oder ihnen zumindest 5 Vgl. zu diesem Problem ausführlicher Abschn. 2.5. <?page no="63"?> Kapitel II: Bewertung der Forschungslage 49 bekannt gewesen sein könnten. 6 Wie die konkrete Textvorlage aussah, die einem Rezipienten von Gen 15,6 faktisch vorlag - wenn er überhaupt eine schriftliche Textvorlage verwendete und nicht eine mündliche Tradition Grundlage der Rezeption war -, ist nicht mehr zu rekonstruieren. Deshalb darf bei der Untersuchung entsprechender Rezeptionen von Gen 15,6 nicht die Annahme einer bestimmten (schriftlichen) Rezeptionsvorlage für die Analyse und ihre Ergebnisse ausschlaggebend sein. 7 Für die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 bedarf es deshalb eines Ansatzes, der bei den Analysen der Rezeptionen nicht von einer bestimmten Rezeptionsvorlage ausgeht, auch nicht in direkter Form von Gen 15,6 (MT oder LXX). Zunächst ist hierzu bei der Untersuchung der Rezeptionen des Verses ohne eine als faktische Vorlage angenommene Textgestalt von Gen 15,6 auszukommen. Das Phänomen der Rezeption von Gen 15,6 als Rezeptionsobjekt ist somit zu differenzieren von einer als faktisch angenommenen Rezeptionsvorlage. 8 3. Das Problem des kontextlosen Vergleichs der Rezeptionen mit dem Rezeptionsobjekt Auf dem Hintergrund des in Abschnitt 2.2 dargestellten Problems der Unbekanntheit der faktischen Rezeptionsvorlage stellt sich ein weiteres Problem der bisherigen Arbeiten zur Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 ein. Bei genauer Betrachtung ihres Vorgehens fällt auf, dass es sich bei ihrer Analyse 6 R UDOLF M OSIS hat eben diese Notwendigkeit der Korrektur deutlich machen können. 1989 wies er in einem Beitrag (vgl. ders: Glauben) bereits darauf hin, dass innerhalb des Judentums der alt- und zwischentestamentlichen Zeit wohl mit einem differenzierteren Verständnis von Gen 15,6 zu rechnen ist als dies bisher geschieht. M OSIS konnte seine Vermutung in einem späteren Artikel (vgl. ders: Qumran) durch Auswertung der Textfunde von Qumran belegen und zeigen, dass die passive Formulierung von Gen 15,6 LXX auf eine „von MT abweichende, passivisch formulierende hebräische Textvorlage“ (ders: Qumran, 95) zurückgeht. 7 Eine vorausgesetzte (literarische) Abhängigkeit zweier Rezeptionen wird häufig hinsichtlich der Rezeptionen von Gen 15,6 bei Jakobus und Paulus zum Ausgangspunkt der Interpretation gemacht. So hält H AHN zu Beginn seiner Untersuchung der Rezeptionen im Neuen Testament fest: „Die Stellen dürften alle voneinander abhängig sein; denn neben dem Gebrauch in Gal 3 und Röm 4 enthält Jak 2,23 keinen eigenständigen Rückgriff auf das Alte Testament, setzt vielmehr die Verwendung des Zitats bei Paulus voraus.“ (vgl. ders.: Genesis, 92). 8 Vgl. zur genaueren Unterscheidung den Abschn. 3.1 innerhalb der theoretischen Grundlegung. <?page no="64"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 50 und Interpretation der einzelnen Rezeption dieses Verses in erster Linie um ein textvergleichendes Arbeiten handelt. Meist werden äußerst kleine Perikopen mit den enthaltenen Rezeptionen betrachtet und zum Vergleich mit einer mutmaßlichen Rezeptionsvorlage (meist Gen 15,6 MT bzw. LXX) herangezogen. Bei vielen untersuchten Rezeptionen, insbesondere denen aus den jüdischen Schriften, wird die Textgrundlage für den Vergleich sogar auf einen einzigen Vers mit der zu untersuchenden Rezeption von Gen 15,6 minimalisiert. Diese kleinsten Textauszüge bilden dann den Ansatzpunkt für die Interpretation der verschiedenen Rezeptionen. Zwar können nach diesem Verfahren sprachliche Andersartigkeiten der untersuchten Rezeption zu anderen Rezeptionen festgehalten werden, doch ist zu bezweifeln, dass sich hierauf eine Interpretation der Rezeption von Gen 15,6 aufbauen lässt und ein Verständnis dieses Verses seitens des Rezipienten ermittelt werden kann. Denn das bloße Vergleichen von minimalisierten Textauszügen lässt zunächst nur Aussagen über das Objekt der Rezeption von Gen 15,6 zu, aber das Subjekt der Rezeption, also der Rezipient selbst, bleibt beim rein textvergleichenden Vorgehen meist außer Acht. 9 Dem Rezipienten selbst (als Autor der entsprechenden Schrift und Subjekt der Rezeption) wird aus diesem Grund in den bisherigen Ansätzen zur Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 nur wenig Beachtung geschenkt. Wo dennoch Aussagen über den Autor mit in die Interpretation seiner Rezeption von Gen 15,6 aufgenommen werden, stammen diese zumeist aus allgemeinen Kenntnissen über den Autor oder seines zeitgeschichtlichen Hintergrundes und werden so in die Rezeptionsuntersuchung eingetragen. 10 Dagegen müsste im Sinne einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsforschung zunächst der einzelne Rezipient und seine konkrete Rezeption von Gen 15,6 im Mittelpunkt der Untersuchung stehen, nicht ein aus anderen Zusammenhängen eruiertes allgemeines Deutungsschema. Es müsste hierzu vielmehr durch die Analyse der Stellung und der konkreten Funktion der Rezeption von Gen 15,6 innerhalb des Argumentationszusammenhanges und des Aufbaus der gesamten Schrift die konkrete Absicht der Rezeption von Gen 15,6 seitens des Autors als Rezipienten untersucht werden. Auf diese Weise kommt das konkrete Mitteilungsgeschehen des einzelnen Rezi- 9 Vgl. zur Unterscheidung von objektorientierten und subjektorientierten Rezeptionsgeschichten die Ausführungen in Abschn. 3.1 der theoretischen Grundlegung. 10 So geht vor allen S UTHERLAND in seiner Arbeit vor, wenn er vor der Analyse der Rezeptionen von Gen 15,6 zunächst grundsätzliche Aussagen zum Autor als Rezipienten anführt (beispielsweise Philos Verständnis der Genesis und seine generelle Sicht der Vätererzählungen) und in die Interpretation der Rezeptionen von Gen 15,6 einbezieht. <?page no="65"?> Kapitel II: Bewertung der Forschungslage 51 pienten deutlicher in den Blick, in das hinein der Autor als Rezipient den Schriftvers Gen 15,6 rezipiert. Wahrscheinlich hängt dieses Problem des kontextlosen Vergleichs der Rezeptionen und der darin enthaltenen Vernachlässigung der jeweiligen Rezipienten damit zusammen, dass keine der bisherigen Forschungsarbeiten zur Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 die grundlegende Frage thematisierte, was überhaupt unter »Rezeption« zu verstehen ist und in welchem Maße hierbei der Rezipient selbst in den Blick zu nehmen ist. Zwar verwenden die bisherigen Beiträge für ihre Untersuchung den Begriff Rezeption, untersuchen von ihrem Vorgehen aber eher die Wirkung des Verses Gen 15,6. 11 Für eine sachgemäße rezeptionsgeschichtliche Untersuchung von Gen 15,6 müsste deshalb ein Ansatz gefunden werden, der den Blick zunächst ausschließlich auf den Rezipienten und seine spezielle Rezeption von Gen 15,6 im Zusammenhang mit dem Kontext der Schrift richtet. Erst durch die eingehende Beschäftigung mit dem Rezipienten in Bezug auf das Rezeptionsobjekt Gen 15,6 kann ein angemessenes Verständnis dieser Rezeption herausgestellt werden und dann in den Vergleich mit anderen Rezeptionen eintreten. Nur auf diese Weise wird der Rezipient wirklich ernst genommen und die Rezeptionsgeschichte ihrem Namen gerecht. 4. Das Problem der Feststellung faktisch stattgefundener Rezeptionen gegenüber einer traditionsgeschichtlichen Untersuchung Werden die Rezeptionen aus der Abhängigkeit einer bestimmten Form der Rezeptionsvorlage gelöst (Abschnitt 2.2), tritt die Frage auf, wie überhaupt das Vorhandensein einer Rezeption von Gen 15,6 in einem Text festgestellt werden kann. Der Ansatz VON D OBBELERS , eine allgemeine Rezeptionsstruktur dieses Verses herauszuarbeiten, kann aufgrund der in Abschnitt 2.1 dargelegten Kritik ebenso wenig überzeugen, wie der begriffsgeschichtliche Ansatz H EIDLANDS , der eine Deutung durch alleinige Analyse des Vorkommens der Einzelwörter von Gen 15,6 (hier besonders logi,zesqai ) bietet. Beide Ansätze bergen die Gefahr, dass eine Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 auf der Grundlage von Texten eruiert wird, die eine Rezeption von 11 Eine genauere Unterscheidung der Begriffe »Rezeption« und »Wirkung« und die Konsequenzen für eine entsprechende Untersuchung findet sich in Abschn. 3.1 der theoretischen Grundlegung. <?page no="66"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 52 Gen 15,6 nicht erkennen lassen. 12 Beschränkt sich eine Rezeptionsgeschichte nicht allein auf die Analyse von Texten mit Zitaten von Gen 15,6, stellt die Unterscheidung zwischen Texten mit historisch nachweisbaren Rezeptionen von Gen 15,6 und Texten, die einen für die Rezeption des Verses allgemeinen Traditionshintergrund darstellen, eine Gratwanderung dar. Denn in einer an der historischen Rezeptionsforschung orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 kann es nicht um die Aufarbeitung eines allgemeinen Traditionszusammenhangs gehen, sondern um faktisch stattgefundene Rezeptionen von Gen 15,6, die sich auch textlich nachweisen lassen. Der Ansatz der vorliegenden Untersuchung meint, einen Beitrag zu dieser Unterscheidung leisten zu können und sich insbesondere auf faktisch stattgefundene Rezeptionen beziehen zu können, auch wenn mit relativ freien Rezeptionen dieses Verses gerechnet wird und diese in die Untersuchung mit einbezogen werden. 5. Das Problem normativer Leitabstraktionen und der theologischen Polarisierung der Rezeptionsgeschichte Wird in den Arbeiten zur Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 trotz des in Abschnitt 2.1 dargestellten Problems der normativen Voraussetzung eines ursprünglichen Verständnisses von Gen 15,6 mit einem evolutiven Modell einer Rezeptionsgeschichte gearbeitet, müssen aufgrund der konsenslosen Exegese von Gen 15,6 andere Einflüsse bei der Erarbeitung eines vermeintlich ursprünglichen Verständnisses des Verses leitend sein. Mit diesem Punkt ist wahrscheinlich das grundlegendste hermeneutische Problem der Erarbeitung einer Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 angesprochen. Jeder heutige Ausleger, der sich mit dem Schriftvers Gen 15,6 und seinen theologisch sehr gehaltvollen Begriffen (Glaube, Anrechnung, Gerechtigkeit) beschäftigt, wird seine eigene theologische Prägung hinsichtlich dieser Topoi nicht ablegen können. Sie stehen stets im Hintergrund. Problematisch wird es für eine exegetische Untersuchung allerdings dann, wenn solche Einflüsse - bewusst oder unbewusst - zu festen (Leit-)Abstraktionen führen, die gänzlich und normativ die Auslegung leiten. Solche Leitabstraktionen lassen sich in den Arbeiten zur Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 besonders deutlich herausstellen. So fiel bei ihrer Be- 12 Vgl. beispielsweise die als Rezeption von Gen 15,6 verstandene Textstelle CD III,2 bei VON D OBBELER (vgl. Kap. I, Abschn. 2.5). <?page no="67"?> Kapitel II: Bewertung der Forschungslage 53 trachtung am Anfang dieses Kapitels die Gemeinsamkeit auf, dass alle Arbeiten ein hauptsächliches Interesse an den Rezeptionen des Verses im Neuen Testament, insbesondere bei Paulus haben. Bereits diese vorausgehende Fokussierung auf eine bestimmte Rezeption von Gen 15,6 innerhalb der gesamten Rezeptionsgeschichte ist dabei ja nicht erst aus den Ergebnissen einer Arbeit an der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 abgeleitet, sondern zunächst rein theologisch motiviert. Und zwar besonders dann, wenn diese Fragestellung von Anfang an in den theologischen Problemhorizont von »Glaube und Werke« eingeordnet wird. Eine solche Fragestellung kann dazu führen, dass die gesamte Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 in diesem theologischen Fragehorizont untersucht wird und die einzelnen Rezeptionen von Gen 15,6 vorschnell in bestimmte Deutungsraster eingeordnet werden. Dies führt häufig zu der besonders in den Arbeiten von H EIDLAND und H AHN erkennbaren Polarisierung der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 in ein jüdisches Verständnis und ein christliches (dann natürlich paulinisches) Verständnis des Verses, die dann schließlich mit wertenden Aspekten der Angemessenheit der christlichen Rezeptionen zum vermeintlich ursprünglichen Verständnis des Verses gegenüber der als unangemessen charakterisierten jüdischen Rezeptionen von Gen 15,6 verbunden werden. 13 Das Phänomen der Leitabstraktion zeigt sich dabei nicht erst bei der Behandlung der Rezeptionen von Gen 15,6, sondern grundlegend schon in der Auseinandersetzung um die Deutung des Schriftverses selbst. Die grundlegende Kritik O EMINGS an der von VON R AD dargelegten Deutung von Gen 15,6 und die damit aufgeworfene Subjektfrage von Gen 15,6 wird in den meisten weiteren Studien gar nicht oder nur sehr randläufig erwähnt und dann zumeist abgelehnt, weil diese neue Lesart von Gen 15,6 zu sehr in Konflikt mit der gewöhnlich leitenden Abstraktion des Verständnisses von Gen 15,6 gerät, welches von der Auslegung von VON R AD gestützt wird. Noch weitere Leitabstraktionen lassen sich in den bisherigen Untersuchungen zur Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 erkennen. In der Arbeit VON D OBBELERS ist der Ansatz sicherlich auch theologisch begründet, wenn er „das Verständnis der Glaubensgerechtigkeit (! ) Abrahams in der jüdischen, aber auch in der frühchristlichen Tradition strukturbestimmend“ 14 durch seine dargestellte Rezeptionsstruktur 15 beschreibt und auch die Suche 13 Vgl. hierzu bereits die Kritik M C G ONIGALS an den Ergebnissen H AHNS und damit auch H EIDLANDS in Abschn. 1.3. 14 Dobbeler: Glaube. 15 Vgl. hierzu Abschn. 1.5. <?page no="68"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 54 nach weitere Rezeptionen auf diesem Schema gründet. Damit ist eine für die gesamte Suche nach mutmaßlichen Rezeptionen normative Leitabstraktion geschaffen. 16 Die Arbeit S UTHERLANDS ist in diesem Zusammenhang sicherlich ebenfalls zu nennen. Hier fiel das stark theologisch geprägte Glaubensverständnis auf, das den Gehorsam des Glaubens stärker betonen möchte und das auch seine exegetischen Untersuchungen leitet. 17 Gleich zu Beginn seiner Untersuchung setzt sich S UTHERLAND gegen die theologische Prägung ab, die dieser Vers im Laufe der Geschichte insbesondere durch die lutherische Theologie erfahren hat: „The influence of Martin Luther on protestant Christianity to assume that the verse serves as a proof text for his dictum, »justification by faith alone« is enormous.“ 18 So hat S UTHERLAND das hermeneutische Grundproblem bereits angesprochen, aber in seiner Arbeit im anderen Verständnis des Glaubens als Gehorsams wieder eingeholt. Der in dieser Arbeit gewählte Ansatz möchte vor diesem Hintergrund für die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 einen Beitrag zur notwendigen »Kritik der Leitabstraktionen« und damit zur »Entlutherisierung« der Rezeptionsgeschichte dieses Verses leisten. Sicherlich ist es unmöglich, das dargelegte hermeneutische Problem der Abstraktionen gänzlich zu umgehen, weil sie jegliches Denken prägen: „Wir können nicht ohne Abstraktion denken; deshalb ist es von äußerster Wichtigkeit, unsere Abstraktionsweisen sehr sorgfältig zu überprüfen.“ 19 Deshalb hat eine wissenschaftlich exegetische Untersuchung die Aufgabe, sich die Leitabstraktionen bewusst zu machen und normativ gewordene Leitabstraktionen zu überprüfen und letztlich auch zu durchbrechen. Die Überprüfung, Kritik und Veränderung leitender Abstraktionen ist somit eine wichtige theologische Arbeit und Aufgabe. 20 Das gilt insbesondere für eine sozialhistorisch orientierte rezeptionsgeschichtliche Untersuchung. Um den unterschiedlichen Rezipienten und ihren Rezeptionen von Gen 15,6 gerecht zu werden, bedarf es eines Ansatzes, der die Rezeptionen nicht voreilig in bestimmte Kategorien einteilt und 16 Vgl. Dobbeler: Glaube 120. Diese Leitabstraktion leitet VON D OBBELERS Verständnis von Gen 15,6 so stark, dass er ohne weitere Anmerkungen sogar CD III,2 als Rezeption von Gen 15,6 ansehen kann. Dass es sich hierbei aber um eine wirkliche Rezeption von Gen 15,6 handelt, ist jedoch kaum nachvollziehbar. 17 Vgl. die Darstellung seiner doppelten Hermeneutik in Kap. I, Abschn. 1.4. 18 Sutherland: Genesis, 1. 19 Whitehead: Wissenschaft, 75. 20 M ICHAEL W ELKER beschreibt die biblisch orientierte und interdisziplinär angelegte »Kritik der Abstraktion« als grundlegend theologische Aufgabe (vgl. ders: Schöpfung, 32-35). <?page no="69"?> Kapitel II: Bewertung der Forschungslage 55 diese Polarisation zum Ausgangspunkt der Untersuchung macht. Vielmehr sollen die einzelnen Rezeptionen in ihrer Eigenständigkeit wahrgenommen werden und vorhandene Abstraktionen auf an den Texten nachweisbare Argumente untersucht und ggf. korrigiert werden. Exkurs: Luther, Paulus und das zeitgenössische Judentum - Kritik einer Leitabstraktion Die Untersuchung der Forschungslage hat herausgestellt, dass die Leitabstraktionen, die von der paulinischen Rezeption von Gen 15,6 im Galater- und Römerbrief ausgehen, einen enorm starken hermeneutischen Einfluss auf die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 haben. Der Frage nach der Bedeutung der paulinischen Rezeption von Gen 15,6 soll deshalb an dieser Stelle etwas weiter nachgegangen werden. Dabei kommen besonders die kritischen Neuansätze der »New Perspective on Paul« in den Blick 21 , weil dort die Frage nach dem Ort und der Bedeutung der Rechtfertigungslehre innerhalb der paulinischen Theologie und damit zusammenhängend die Einschätzung des Gesetzesverständnisses und der Soteriologie des Judentums zur Zeit des Paulus eine zentrale Rolle spielen. Sie berühren nämlich gerade die Elemente, durch die die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 am nachhaltigsten beeinflusst wird: (1.) Die Identifizierung von Gen 15,6 mit der paulinischen »Rechtfertigung des Gottlosen« als deren locus classicus und (2.) die theologische Polarisierung der Rezeptionsgeschichte mit der »Gerechtigkeit verdienstlicher Werke« des zeitgenössischen Judentums als Antithese zur paulinischen Theologie. Ziel des Exkurses ist dabei nicht die rezeptionsästhetische Untersuchung der Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 in den paulinischen Schriften. Es geht vielmehr darum, die Hintergründe der in der Forschungsgeschichte zutage getretenen theologischen Leitabstraktionen zu beleuchten und aus dem Blickwinkel der »New Perspective« kritisch zu hinterfragen. 1. Luther und die Rechtfertigungslehre des Paulus Bis heute gilt die Rechtfertigungslehre vielen Auslegern als Kern und hermeneutischer Schlüssel der Theologie des Apostels Paulus. Für sie ist „seine Verkündigung auch dort, wo seine Rechtfertigungslehre nicht ausdrücklich 21 Einen guten Überblick zu diesem Thema bietet C HRISTIAN S TRECKER (ders.: Paulus). <?page no="70"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 56 zur Sprache kommt, (…) nur dann richtig verstanden, wenn sie im engsten Zusammenhang mit dieser verstanden und auf sie bezogen wird.“ 22 Dieser Einschätzung hat aber bereits 1904 W ILLIAM W REDE widersprochen: „Die Reformation hat uns gewöhnt, diese Lehre als den Zentralpunkt bei Paulus zu betrachten. Sie ist es aber nicht. Man kann in der Tat das Ganze der paulinischen Religion darstellen, ohne überhaupt von ihr Notiz zu nehmen.“ 23 Er deutet damit zugleich an, wo der Ursprung für die falsche Einschätzung von Ort und Inhalt der Rechtfertigungslehre innerhalb der paulinischen Theologie zu suchen ist: in der reformatorischen Paulusrezeption. Dieser Gedanke wird knapp 60 Jahre später von K RISTER S TENDAHL näher ausgeführt. 24 Für ihn liegen die Wurzeln dieses „üblichen »westlichen Fehlers«“ 25 im Bild von Paulus bei Augustinus. Dieser hatte am Ende des vierten Jahrhunderts das Dilemma des »introspektiven Gewissens« zur Sprache gebracht und die paulinische Rechtfertigungslehre als zeitlose Antwort auf die Nöte und Qualen des ichbezogenen Gewissens verstanden. 26 In der mittelalterlichen Bußpraxis wurde die »Introspektion« immer weiter verschärft und führte bei den Menschen, die diese Praxis ernst nahmen, zu einem enormen Druck. Die Gewissensnöte des Augustiner-Mönchs Martin Luther geben davon beredt Zeugnis und markieren gleichsam den Kontext seiner Paulusinterpretation. Als Antwort auf Luthers Frage »Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? « „erschienen die Aussagen des Paulus über die Rechtfertigung in Christus aufgrund des Glaubens und ohne die Werke des Gesetzes als befreiende rettende Antwort.“ 27 So konnte nach S TENDAHL die Bekehrung des Paulus für Luther zur Erlösung seines wegen des Gesetzes geplagten Gewissens werden und Paulus’ Argumentation über die Unerfüllbarkeit des Gesetzes in Luthers theologischer Anthropologie zur Frage nach der Sicherheit menschlichen Heils. Auf diesem Hintergrund ist es gut nachvollziehbar, dass die Rechtfertigungslehre als Antwort auf die Frage nach dem Heil des Einzelnen zum Zentrum der Theologie Luthers geworden ist. Problematisch ist für S TENDAHL dabei allerdings, dass damit Intention und Funk- 22 Bornkamm: Paulus, 128. 23 Wrede: Paulus (1904), 72. 24 Stendahl: The Apostle Paul and the Introspective Conscience of the West, in: HThR 56 (1963), 199-215. Die deutsche Übersetzung von 1996 wird zitiert als ders.: Paulus. Stendahl: Paul among Jews and Gentiles, Philadephia 1976. Hier wird die deutsche Übersetzung von 1978 zitiert als ders.: Jude. 25 Stendahl: Jude, 138. 26 Vgl. Stendahl: Paulus, 22. 27 Stendahl: Paulus, 22 [Hervorhebung v. Verf.]. <?page no="71"?> Kapitel II: Bewertung der Forschungslage 57 tion der Rechtfertigungslehre in der Theologie des Paulus gerade nicht getroffen werden. Er geht davon aus, dass „Paulus eine solche Lehre von der Rechtfertigung aus Glauben zu einem ganz spezifischen, begrenzten Zweck erarbeitet hat, nämlich um die Rechte der heidnischen Konvertiten sicherzustellen, ganz und wahrhaft Erben der Verheißungen Gottes an Israel zu werden.“ 28 Damit wäre die Rechtfertigungslehre nicht das Zentrum der paulinischen Theologie, sondern die theologische Lösung eines ganz bestimmten sozialgeschichtlich relevanten Problems. Unabhängig davon, ob man der Paulusexegese von S TENDAHL zustimmt oder nicht 29 , werden hier zwei wichtige hermeneutische Probleme deutlich: (1.) Die auf der Rechtfertigungslehre basierenden Leitabstraktionen der Bedeutung von Gen 15,6 stehen in der Gefahr, sich stärker aus der reformatorischen Theologie zu speisen als aus den Ergebnissen historisch-kritischer Exegese; und (2.) bekommen sie durch die Bekenntnisschriften ein enormes normatives Gewicht für die Kirchen der Reformation. Diesen hermeneutischen Problemen hat V OLKER S TOLLE unter dem Titel »Luther und Paulus. Die exegetischen und hermeneutischen Grundlagen der lutherischen Rechtfertigungslehre im Paulinismus Luthers« eine Monographie gewidmet. In der Einleitung stellt er am Beispiel der Wendung »Sünde vergeben« in Röm 3,25 dar, wie Luthers Theologie in seiner Bibelauslegung auf Paulus Bezug nimmt: „Die Leseanleitung, die Luther mit der deutlichen Hervorhebung der »zwei Wörter« gibt, dient mithin nicht dem Verständnis des Paulus in dessen eigenem Anliegen, sondern der Applikation der paulinischen Botschaft an Luthers eigene Zeit mit ihrer spezifischen theologischen Problematik.“ 30 Luthers Exegese und Theologie darf daher von ihren hermeneutischen Voraussetzungen nicht so verstanden werden, dass darin Paulus’ eigene Intention in ihrer zeit- und sozialgeschichtlichen Bedingtheit zum Ausdruck gebracht würde. Denn Luther begreift die Paulusbriefe nicht als eigenständiges Kommunikationsgeschehen, sondern als Hilfestellung zur Bewältigung der Herausforderungen seiner eigenen Zeit. 31 So ist „seine besonders vertraute Vorliebe für den Galaterbrief, der durch seine kompromisslose Schärfe charakterisiert ist, (…) ganz sicher darin begründet, dass 28 Stendahl: Jude, 11. 29 Eine Bewertung der exegetischen Arbeit von S TENDAHL hat hier nicht ihren Ort. Es soll aber nicht verschwiegen werden, dass die Verfasser bei einer sozialhistorisch orientierten rezeptionsästhetischen Untersuchung der Konkretisationen von Gen 15,6 in den paulinischen Schriften mit einem vergleichbaren Ergebnis rechnen würden. 30 Stolle: Luther, 26. 31 Vgl. Stolle: Luther, 128. <?page no="72"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 58 Luther hier besonders stark eine situative Nähe zu Paulus empfand.“ 32 Der Galaterbrief ist nach S TOLLE auch als hermeneutischer Schlüssel anzusehen, der über Luthers Verständnis der paulinischen Rechtfertigungslehre und seiner Theologie insgesamt entscheidet. Das gilt auch und insbesondere für sein Verständnis von Gen 15,6. Luther versteht die Genesis als Prätext des Paulus und den Apostel als „optimum et doctissimum Mosi interpretem“ 33 . Sein Anliegen ist es die Genesis in der Schule des Paulus auszulegen. 34 Die Chronologie der exegetischen Arbeiten Luthers spiegelt diesen Ansatz wider: „Es ist (…) von großem theologischen Gewicht, dass Luther den Weg vom Römerbrief zum Galaterbrief gegangen ist und von da aus weiter zur Genesis. Die Richtung seines Weges verläuft umgekehrt als bei Paulus, der vom früheren Galaterbrief zum späteren Römerbrief fortgeschritten ist.“ 35 So bezieht sich Luther in seiner Auslegung von Gen 15,6 in der Genesisvorlesung auf den Römerbrief, den er wiederum an den entscheidenden Punkten von Gal 3,16 her interpretiert. 36 Während nämlich Paulus die christologische Deutung der Abrahamverheißung aus Gal 3,16 im Römerbrief wieder fallen lässt, hält Luther daran fest und macht sie zum hermeneutischen Schlüssel seines Verständnisses von Gen 15,6. Die situationsbedingte Deutung im Galaterbrief bekommt bei Luther grundsätzliche Bedeutung. Ausgehend von Gal 3,16 hat er die Christusverheißung noch über Abraham hinaus zurückverfolgt und mit Gen 3,15 den Ureltern der Menschheit bereits einen dezidierten Christusglauben zugesprochen. Daran wird deutlich, dass das Alte Testament bei Luther nicht - wie bei Paulus - zur Erläuterung des Evangeliums dient, sondern seinerseits neutestamentlich interpretiert wird. 37 Gleiches war aber auch in der Untersuchung der Forschungslage aufgefallen. Faktisch tun es die Leitabstraktionen, die Gen 15,6 mit der paulinischen Rechtfertigungslehre identifizieren, Luther gleich. Es liegt nahe anzunehmen, dass diese Leitabstraktionen von der Theologie Luthers her motiviert und durch diese geprägt sind. 38 Es ist jedenfalls unübersehbar, dass „die 32 Stolle: Luther, 111f. 33 WA 42,615,21f zu Gen 17,1; vgl. WA 42,562,17 zu Gen 15,6. 34 Stolle: Luther, 111. 35 Stolle: Luther, 112. 36 Vgl. Stolle: Luther, 114. 37 Stolle: Luther, 124. 38 Schließlich wird „in der Konkordienformel am Ende des Artikels »Von der Gerechtigkeit des Glaubens für Gott« hinsichtlich allen weiteren Klärungsbedarfs, der sich noch oder wieder ergeben mag, auf Luthers großen Galaterkommentar zurückverwiesen (...). Dieser wird damit als authentische Kommentierung des Hauptartikels des christlichen <?page no="73"?> Kapitel II: Bewertung der Forschungslage 59 Paulusauslegung bis heute weithin noch im Banne des hermeneutischen Ansatzes Luthers steht und ihr eine differenzierte Betrachtung nicht gelungen ist. Das hat dann auch eine differenzierte Wahrnehmung des Paulus von seinem eigenen Ansatz her verhindert.“ 39 An dieser Stelle sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die reformatorischen Errungenschaften Luthers durch die dargestellten Beobachtungen nicht in Misskredit gebracht werden sollen. Als zeitbedingte Auslegung der heiligen Schrift haben sie zur Geltung gebracht, was in dieser Zeit als relevante Bedingungen menschlichen Lebens empfunden wurde, haben entscheidende Anstöße zur notwendigen Erneuerung der Kirche geliefert und sind bis heute grundlegend für die protestantische Theologie. Wichtig ist dabei aber zwischen den sozialhistorischen Rahmenbedingungen des Paulus und denen Luthers sauber zu unterscheiden. 40 Auch die enorme kirchengeschichtliche Bedeutung der lutherischen Theologie darf nicht zur Identifizierung der verschiedenen Situationen führen. Die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 als exegetische Aufgabe ist zunächst den biblischen Autoren und deren sozialhistorischen Bedingungen verpflichtet und muss versuchen, die uns zur theologischen Natur gewordenen reformatorischen Leitabstraktionen zugunsten einer religionsgeschichtlichen Betrachtung 41 zu vermeiden. 2. Paulus und das zeitgenössische Judentum Grenzt man die Rechtfertigungslehre des Paulus von Luthers Frage nach dem individuellen Heil des Einzelnen ab, dann stellt sich die Frage, ob nicht auch das Bild des zeitgenössischen Judentums als „Paradigma der menschlichen Situation überhaupt“ 42 - dem Versuch sich das Heil durch fromme Werke zu verdienen - stärker durch die sozialgeschichtliche Situation Luthers denn durch die des Paulus geprägt ist. 43 G EORGE F. M OORE hat bereits Glaubens, wie er sich zuvor aus Luthers Paulusauslegung ergeben hatte, in einen für die lutherische Kirche sehr hohen, dem Bekenntnis selbst sehr nahen Rang eingestuft“ (Stolle: Luther, 115). 39 Stolle: Luther, 205. 40 So auch F RANKEMÖLLE (vgl. ders.: Luther, 145). 41 Vgl. R ÄISÄNENS Programm einer Differenzierung zwischen einer Theologie des Neuen Testaments und einer Religionsgeschichte des Frühchristentums (ders.: Theologie). 42 Stolle: Luther, 114. 43 „Die Juden, nach deren Vorzug Paulus fragte, den er dann als Gottes Treue zu seinem ihnen gegebenen Wort bestimmte (Röm 3,1-4), werden nun unter der (…) Perspektive (Luthers) als Typus des stolzen Menschen abgestempelt, der sich hoffärtig über Gott und andere Menschen erhebt“ (Stolle: Luther, 131). <?page no="74"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 60 1927 die These vertreten, das Judentum kenne keine Lohnsondern eine Gnadenordnung und das falsche Bild sei ein Erbe der Auseinandersetzung Luthers mit dem römischen Katholizismus. 44 Innerhalb der neutestamentlichen Forschung fand diese These allerdings erst 1977 mit der Arbeit von E D P ARISH S ANDERS 45 angemessene Beachtung. In deren ersten Teil legt er dar, dass weder Frühjudentum noch das rabbinische Judentum der Tannaiten sich als Leistungsreligion verstehen lassen. Die Religionsstruktur des Judentums dieser Zeit ist angemessener als »Bundesnomismus« zu bezeichnen, den S ANDERS wie folgt charakterisiert: „1) Gott hat Israel erwählt und 2) das Gesetz gegeben. Das Gesetz beinhaltet zweierlei: 3) Gottes Verheißung, an seiner Erwählung festzuhalten, und 4) die Forderung, gehorsam zu sein. 5) Gott belohnt Gehorsam und bestraft Übertretung. 6) Das Gesetz sieht Sühnemittel vor, und die Sühnung führt 7) zur Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung des Bundesverhältnisses. 8) All jene, die durch Gehorsam, Sühnung und Gottes Barmherzigkeit innerhalb des Bundes gehalten werden, gehören zur Gruppe derer, die gerettet werden. Eine wichtige Interpretation des ersten und letzten Punktes besteht darin, daß Erwählung und letztliche Errettung nicht als menschliches Werk, sonder als Taten der Barmherzigkeit Gottes verstanden werden.“ 46 S ANDERS ’ Charakterisierung der Religionsstruktur des Judentums zur Zeit des zweiten Tempels als Bundesnomismus ist nicht unwidersprochen geblieben. 47 Trotz mancher berechtigter Einwände und der Gefahr, dass S ANDERS ’ »Bundesnomismus« seinerseits zu einer reduktionistischen Leitabstraktion der Soteriologie des Judentums stilisiert wird, kann jedoch hinter ihre Grundaussage heute nicht mehr zurückgegangen werden. Zurecht ist in ihrer Folge daher auch das Verhältnis des Paulus zum Judentum seiner Zeit - speziell im Blick auf die Fragen von Glauben, Rechtfertigung und Gesetzesverständnis - in zahlreichen Arbeiten von diesen veränderten Voraussetzungen aus neu bedacht worden. 48 44 Vgl. Moore: Judaism II, 93-95. Nach M OORE zeichnet allerdings auch Paulus selber ein falsches Bild des Judentums seiner Zeit (vgl. ebd.). 45 Sanders: Paul and Palestinian Judaism. A Comparison of Patterns of Religion, London 1977. Die deutsche Übersetzung von 1985 wird zitiert als Sanders: Paulus. 46 Sanders: Paulus, 400. 47 Vgl. dazu Dunn: Perspektive, 56-62. 48 Vgl. Strecker: Paulus, 7-14. Speziell für die Rezeption von Gen 15,6 in Röm 4 ist auf die Monographie von M ARIA N EUBRAND hinzuweisen, die hierzu einen detaillierten Forschungsüberblick bietet (siehe dies.: Abraham, 32-79). <?page no="75"?> Kapitel II: Bewertung der Forschungslage 61 S ANDERS selber bestimmte die Soteriologie des Paulus im zweiten Teil der oben genannten Arbeit als exklusiv an Jesus Christus gebunden. Alle Menschen, Juden wie Heiden, werden einzig durch den Glauben an Jesus Christus gerettet: „Der entscheidende Punkt ist, daß - nach pln. Auffassung - jedes wahre religiöse Ziel nur durch Christus eröffnet werden kann.“ 49 Alle anderen Heilswege und damit insbesondere auch Bund und Gesetz sind demnach ausgeschlossen. 50 Laut S ANDERS hat Paulus damit zwar unfraglich das Judentum seiner Zeit abgelehnt, aber nicht etwa wegen seiner vermeintlichen verdienstlichen Werkgerechtigkeit, sondern aufgrund des von ihm vertretenen grundsätzlich anderen Religionsstruktur: „Was Paulus am Judentum für falsch hält, ist, auf eine Kurzformel gebracht, daß es kein Christentum ist“ 51 . Im Gegensatz dazu vertritt J AMES D.G. D UNN , der wohl prominenteste Vertreter der »New Perspective on Paul«, in seinen zahlreichen Arbeiten 52 die These von der Kontinuität der paulinischen Theologie zum Judentum seiner Zeit. Sie hat ihren Kern in der Neuinterpretation des paulinischen Gesetzesverständnisses. Spätestens seit der Makkabäerzeit hatte nach D UNN die Tora als »identity marker« und »boundary marker« die soziale Funktion der Abgrenzung nach außen gegen andere Nationen und Identitätsstiftung nach innen. 53 Besonders Beschneidungs-, Speise- und Sabbatgebote sollten dem Verlust der nationalen Identität Israels wehren und führten zum Stolz auf die Tora und die Privilegiertheit der Juden. 54 Wenn Paulus von den e; rga no,mou spricht, dann ist damit der „spezielle Gebrauch der Tora im Sinne einer Garantie für den privilegierten und exklusiven Status Israels gegenüber anderen Nationen“ 55 im Blick. Mit seiner Rede von der Rechtfertigung aufgrund des Glaubens ohne die Werke des Gesetzes wendet Paulus sich dann gegen die Einengung der Gnade Gottes auf die jüdische Nation und die da- 49 Sanders: Paulus, 484 (im Original unterstrichen). 50 Vgl. Sanders: Paulus, 457. 51 Sanders: Paulus, 513 (im Original unterstrichen). 52 Seine wichtigsten Aufsätze dazu hat er jüngst in einem Sammelband zusammengestellt (ders.: The New Perspective on Paul [WUNT 185], Tübingen 2005) und seine Position in einem einleitenden Kapitel ausführlich in Auseinandersetzung mit den Kritikern seines Ansatzes nochmals erläutert (vgl. a.a.O., 1-88). Daneben ist auf D UNNS Kommentare zum Galater- (ders.: The Epistle to the Galatians [Black’s New Testament Commentaries], London 1993) und Römerbrief (ders.: Romans [WBC 38A/ B], Dallas 1988) zu verweisen. 53 Vgl. Dunn: Paulus-Perspektive, 39f. 54 Vgl. Dunn: Paulus-Perspektive, 42. 55 Strecker: Paulus, 12. <?page no="76"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 62 mit verbundene Ausgrenzung der zum Glauben gekommenen Heiden. 56 An den für die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 wichtigen Stellen Röm 4 und Gal 3 zeigt Paulus mit Hilfe der Schrift, dass der Bundesschluss Gottes mit Israel von Anfang an auf die Segnung aller Nationen angelegt war. So sieht Paulus sein Evangelium in vollkommener Kontinuität zur Offenbarung Gottes an Israel und in vollkommener Kontinuität zur Tora. Seine Kritik richtete sich nach D UNN auch nicht gegen die jüdische Toraobservanz, die in der paulinischen Paränese auch für die Christusgläubigen Juden wie Heiden eine wichtige Rolle spielt, sondern gegen die ausgrenzende Funktion der Tora. 57 Wie immer man zu den Neuansätzen im Rahmen der »New Perspective on Paul« inhaltlich im Einzelnen steht 58 , ergibt sich aus ihnen in jedem Fall die Notwendigkeit, die vertrauten klassischen Leitabstraktionen von der Soteriologie des Judentums und der Stellung des Paulus zu dieser kritisch zu hinterfragen. Es ist notwendig, die unterschiedlichen literarischen Zeugnisse des zeitgenössischen Judentums jeweils genau daraufhin zu untersuchen, in welcher Weise sie »Bund«, »Tora« und »Gerechtigkeit« miteinander in Beziehung setzen, und welche sozialhistorischen Bedingungen dabei eine Rolle spielen. Im Blick auf die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 heißt das konkret: Die frühjüdischen Rezeptionen von Gen 15,6 dürfen weder aus der Perspektive des Paulus als Negativfolie zu seiner Rezeption dieses Verses interpretiert werden, noch dürfen sie einfach mit einer vermeintlich einheitlichen jüdischen Auslegung identifiziert werden. Die Erforschung der Rezeptionsgeschichte darf also gerade nicht - wie in der Forschungsgeschichte häufig zu beobachten - dadurch präjudiziert werden, dass ihr das axiomatische Modell zweier Auslegungsstränge zugrunde gelegt wird. In der theoretischen und methodischen Fundierung einer Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 ist das entsprechend zu berücksichtigen. 56 Vgl. Dunn: Paulus-Perspektive, 42. 57 Vgl. Dunn: Paulus-Perspektive, 43. 58 Vgl. Anm. 29. <?page no="77"?> Kapitel III Theoretische Grundlegung einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 Die jüngsten rezeptionstheoretischen Arbeiten innerhalb der Theologie stammen aus den Bereichen der Hermeneutik 1 und der Homiletik 2 . Sie beziehen sich besonders auf die Ansätze der seit Anfang der 70iger Jahre als literaturwissenschaftlicher Forschungsbereich etablierten Rezeptionsforschung 3 . Es handelt sich dabei um Texttheorien, „die davon ausgehen, daß Texte nicht einfach etwas bedeuten, sondern daß erst im Akt des Lesens durch die Partizipation der Leser/ innen der Sinn von Texten entsteht“ 4 . Die Ergebnisse der literaturwissenschaftlichen Rezeptionsforschung haben seither auch die exegetische Methodendiskussion beeinflusst, wobei sich die Frage stellt, wie das Verhältnis von literarischen und religiösen - insbesondere biblischen - Texten zu bestimmen ist und inwieweit die entsprechenden Ergebnisse für die exegetische Arbeit übernommen werden können. Für den Literaturwissenschaftler H ANS R OBERT J AUß gibt es bei religiösen Texten im Gegensatz zu poetischen eine Differenz in der Art, wie sich ihr Sinn konstituiert: „Im Unterschied zur religiösen Erfahrung im Umgang mit autoritativen Texten, deren Sinn vernehmen kann, wer ‚Ohren hat zu hören’, ist der poetische Text auf den freien Spielraum eines dialogischen Verstehens angelegt, in dem sich ein nicht schon geoffenbarter Sinn im vermittelnden Horizont von Frage und Antwort von Rezeption zu Rezeption weiter konkretisiert“ 5 . Diese Differenzierung ist jedoch nur im Blick auf ein Bibelverständnis zwingend, das den Sinn der Heiligen Schrift durch göttliche Inspiration als 1 Grohmann: Aneignung. 2 Gehring: Schriftprinzip. 3 Jauß: Literaturgeschichte; ders.: Iphigenie; Iser: Akt; Warning: Rezeptionsästhetik. 4 Grohmann: Aneignung, 24. 5 Jauß: Iphigenie, 34. <?page no="78"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 64 eindeutig normativ festgelegt ansieht. Denn auch wenn religiöse Texte als „Literatur von besonderem theologischem Interesse“ 6 charakterisiert werden müssen, ist aus historisch-kritischer Sicht kein Unterschied in der Machart dieser Texte durch Menschenhand gegenüber anderen literarischen Texten festzustellen. „So lässt sich zum Unterschied von biblischer Literatur einerseits und weiterer Literatur andererseits allenfalls sagen, daß biblische Texte eine Literaturwissenschaft mit theologischem Interesse erfordern und - sofern sie niemals nur unterhalten oder ästhetisches Empfinden auslösen wollen - immer auf eine existentiale Interpretation zielen, also Literaturwissenschaft für den Ernstfall menschlichen Lebens beanspruchen“ 7 . In diesem Sinne können die Ergebnisse der literaturwissenschaftlichen Rezeptionsforschung durchaus Anwendung auf biblische Texte finden. Andererseits ist aber zu bedenken, was von der Rezeptionsforschung grundsätzlich zu sagen ist. Sofern »Rezeption« nämlich ein geschichtliches und der Geschichte koexistentes Phänomen ist, kann keine apriorische Theorie über sie erarbeitet werden; aus dem faktischen Rezeptionsgeschehen lassen sich lediglich einige Beobachtungen vorsichtig systematisieren. 8 Die Legitimität der Übernahme von Erkenntnissen aus dem Bereich der Literaturwissenschaft muss folglich an biblischen Texten empirisch erwiesen werden, wozu die Beispiele in Teil B dieser Untersuchung dienen. Zunächst sollen hier nun aber die theoretischen Grundlagen einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 dargestellt und als angemessene Instrumente zur Lösung der in der Forschungsgeschichte aufgezeigten Probleme plausibel gemacht werden. Ausgangspunkt dazu bilden das von G UNTER G RIMM für die Literaturwissenschaft erarbeitete Modell einer „sozialgeschichtlich fundierten Rezeptionsforschung“ 9 und die von K LAUS B ERGER entwickelte Theorie semantischer Felder 10 . 1. Beitrag der literaturwissenschaftlichen Rezeptionsforschung Die ältere Wirkungsbzw. Rezeptionsforschung hatte je nach Ansatz den Rezeptionsprozess als vom Text bzw. vom Rezipienten gesteuert angesehen. Als Wirkung bezeichnete man dementsprechend den Einfluss eines Textes, 6 Engemann: Texte, 234. 7 Engemann: Texte, 235. 8 Vgl. Beinert: Rezeption, 1148. 9 Grimm: Rezeptionsgeschichte, 5. 10 Siehe Berger: Exegese, 137-159. <?page no="79"?> Kapitel III: Theoretische Grundlegung 65 den er durch interne Faktoren auf seine Leser ausübt. Als Rezeption bezeichnete man hingegen die Wahrnehmung eines Textes durch den Leser, bei der sich der Sinn des Textes für den Leser jeweils neu konstituiert. Charakteristisch für diese älteren Ansätze ist, dass sie die Konstitution des Textsinns ausschließlich entweder dem Text oder dem Leser zugesprochen haben. Demgegenüber geht der hier zu entwickelnde rezeptionsgeschichtliche Ansatz davon aus, dass Wirkung und Rezeption als Phasen in einem Prozess dialektisch aufeinander bezogen sind und somit nicht isoliert für einen methodischen Ansatz herhalten können. 11 Denn „bei einer Wirkung (sind) sowohl die Beschaffenheit der Rezeptionsvorgabe (textuelle Wirkfaktoren) als auch Befindlichkeiten des Lesers (rezipientelle Wirkfaktoren) ursächlich beteiligt (…), wie für die Rezeption eines Textes die Interessen und Absichten des Rezipienten ebenso eine Rolle spielen wie die Beschaffenheit der Rezeptionsvorlage, auf die sie sich richten“ 12 . Folglich sind bei der Erforschung von Rezeptionsvorgängen stets sowohl die textuellen als auch die rezipientellen Faktoren zu berücksichtigen. Die Betrachtung beider Faktoren mit ihrer wechselseitigen Bezugnahme, führen allerdings in methodischer Hinsicht zu einer gewissen begrifflichen Unschärfe. 13 Es ergibt sich die Notwendigkeit, sich auf eine bestimmte Perspektive bei der Untersuchung eines Rezeptionsgeschehens festzulegen. Diese „gibt Auskunft über den Blickwinkel, unter dem die Analyse eines Rezeptionsprozesses steht.“ 14 G UNTER G RIMM unterscheidet zwischen zwei Hauptperspektiven, die in etwa den beiden älteren Ansätzen von Wirkungs- und Rezeptionstheorie entsprechen. 15 Wird die Untersuchung objektperspektivisch ausgeführt, bedeutet das, dass die Perspektive des rezipierten Textes eingenommen wird, dessen Wirkung (als intentio operis) bzw. Einfluss untersucht wird. Es handelt sich dann um eine hauptsächlich wirkungsästhetisch angelegte Rezeptionsgeschichte. Wird die Untersuchung hingegen subjektperspektivisch angelegt, so 11 Vgl. Frankemölle: Wirkungsgeschichte, 1233 und Engemann: Texte, 230. 12 Kinder/ Weber: Rezeptionsforschung, 235; vgl. auch Naumann: Gesellschaft, 87. 13 Vgl. Grimm: Rezeptionsgeschichte, 24. 14 Grimm: Rezeptionsgeschichte, 91. 15 Vgl. Grimm: Rezeptionsgeschichte, 92. Dieselbe Unterscheidung wird mit anderen Begriffen von D OHMEN vorgenommen. Er differenziert zwischen „Wirkungsgeschichte als Rezeptionsgeschichte und Wirkungsgeschichte als Einflußgeschichte. Diese Unterscheidung ergibt sich aus der Blickrichtung, entweder vom Ursprungstext ausgehend oder von seiner Aufnahme her“ (ders.: Spuren, 262). <?page no="80"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 66 wird die Perspektive des Rezipienten eingenommen und es wird danach gefragt, welche Funktion der rezipierte Text für ihn und seine Umwelt (als intentio lectoris) hat. Es handelt sich dann um ein hauptsächlich rezeptionsästhetisch angelegte Rezeptionsgeschichte. Neben der Frage nach der Perspektive ist für den methodischen Ansatz einer Rezeptionsgeschichte auch die Frage nach der Orientierung der Untersuchung von Bedeutung. Sie bezeichnet die „Ausrichtung auf den allen untersuchten Prozessen gemeinsamen Faktor“ 16 und erfasst die Relation der am Kommunikationsprozess beteiligten Größen zueinander. Subjektorientierung meint dann die Untersuchung verschiedener Rezeptionsobjekte in der Rezeption eines Rezipienten, während Objektorientierung die Untersuchung eines Rezeptionsobjekts in der Rezeption verschiedener Rezipienten meint. Da Perspektive und Orientierung nicht voneinander abhängig sind, sind insgesamt vier Kombinationen denkbar, die hier kurz schematisch dargestellt werden. 17 Objektperspektivisch, subjektorientiert: vT 1 vT 1,1 vT 2 R 1 vT 2,1 vT 3 vT 3,1 Objektperspektivisch, objektorientiert: R 1 vT 1,1 vT 1 R 2 vT 1,2 R 3 vT 1,3 Subjektperspektivisch, subjektorientiert: vT 1 vT 1,1 R 1 vT 2 vT 2,1 vT 3 vT 3,1 16 Grimm: Rezeptionsgeschichte, 92. 17 Vgl. Grimm: Rezeptionsgeschichte, 92-94. T bezeichnet das Rezeptionsobjekt, wobei vT die Tatsache widerspiegelt, dass das Rezeptionsobjekt dem Rezipienten (R) nur selten unmittelbar vorliegt, sondern in bestimmter vermittelter Gestalt von Traditionen oder Übersetzungen (s.u.). <?page no="81"?> Kapitel III: Theoretische Grundlegung 67 Subjektperspektivisch, objektorientiert: R 1 vT 1,1 R 2 vT 1 vT 1,2 R 3 vT 1,3 Mit Hilfe dieser Begrifflichkeiten lassen sich die in der Forschungsgeschichte aufgeworfenen Probleme leichter und systematischer erfassen. So kann der größte Teil der betrachteten Arbeiten zur Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 dem objektperpektivisch-objektorientierten Ansatz zugeordnet werden: R 1 vT 1,1 vT 1 R 2 vT 1,2 R 3 vT 1,3 Diese Arbeiten nehmen die Perspektive des Textes Gen 15,6 (T 1 ) als Rezeptionsobjekt ein und untersuchen dessen Wirkung bzw. Einfluss auf die verschiedenen Rezipienten (R 1 -R 3 ). Das geschieht in der Hauptsache durch den Vergleich des Ausgangstextes (T 1 ) und den Texten der Rezipienten (T 1,1 - T 1,3 ). Der Text von Gen 15,6 fungiert dabei als Norm, an der die Rezeption gemessen werden. Es wird jeweils versucht festzustellen, in wie weit der Rezipient mit seiner Rezeption die Intention von Gen 15,6 (bzw. die des Verfassers) adäquat zur Geltung bringt. Diese „Werkadäquanz“ 18 bildet das Kriterium zur theologischen Wertung der verschiedenen Rezeptionen von Gen 15,6. Voraussetzung für ein solches Vorgehen ist aber, dass ein adäquates Verständnis des Verses als historisch-kritisch ermittelte Autorintention auch sicher erhoben werden kann. Das aber ist - wie die Forschungsgeschichte zeigt - für Gen 15,6 als Rezeptionsobjekt äußerst schwierig. Dazu kommt das Problem, dass der Rezipient nie unmittelbar mit dem Text des Rezeptionsobjekts konfrontiert ist, sondern ihm stets in einer vermittelten Form (vT 1 ) gegenübersteht. 19 Vom Rezeptionsobjekt ist daher die Rezeptionsvorlage zu unterscheiden, derjenige Text bzw. diejenige mündliche oder schriftliche Tradition, in dem den Rezipienten das Rezeptionsobjekt begegnet. Problematisch für den objektperspektivischen Ansatz ist da- 18 Grimm: Rezeptionsgeschichte, 51. 19 Vgl. Grimm: Rezeptionsgeschichte, 104. <?page no="82"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 68 bei, dass Rezeptionsobjekt und Rezeptionsvorlage nur in den seltensten Fällen identisch sind. Oft werden Rezeptionsobjekte in verwandten Traditionszusammenhängen überliefert und aufgenommen, und es lässt sich nicht sicher feststellen, was genau dem Rezipienten als Vorlage begegnet ist. Da aber das Rezeptionsobjekt bzw. die entsprechende Vorlage die Norm der objektperspektivischen Untersuchung darstellt, sind ihre Ergebnisse historisch entsprechend unsicher. Die anhand der Forschungsgeschichte dargelegten Probleme und die daraus erwachsenen Konsequenzen für den methodischen Ansatz einer Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 lassen die objektperspektivische Herangehensweise somit als nicht geeignet erscheinen. Mit den Worten von G UNTER G RIMM : „Statt ausschließlich und oft vergeblich die Autorintention, das, was der Autor gewollt hat, zu erkunden, wäre es an der Zeit, nach der Rolle zu fragen, welche die Texte tatsächlich im Verlauf ihrer Rezeption in der Gesellschaft gespielt haben“ 20 . Das führt aber zu einem subjektperspektivisch-objektorientierten Ansatz für die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6. Anstatt das Rezeptionsobjekt (T 1 ) zur Bewertungsnorm der verschiedenen Rezeptionen zu machen, stehen hier die unterschiedlichen Rezipienten (R 1 -R 3 ) mit ihren Rezeptionen (T 1,1 -T 1,3 ) im Vordergrund des Interesses. Die Fragerichtung des subjektperspektivischen Ansatzes verläuft nun vom Rezipienten zum Rezeptionsobjekt: R 1 vT 1,1 R 2 vT 1 vT 1,2 R 3 vT 1,3 Dahinter steht die Überzeugung, dass „die primäre Motivation einer Rezeption nicht im Erkennen der Autorintention liegt (wie immer man diese Intention definiere), sondern in der subjektiven Verwendung des Rezipienten“ 21 . Folglich liegt der Ansatzpunkt zur Beurteilung einer Rezeption nicht im Vergleich mit dem Rezeptionsobjekt zur Bestimmung der Werkadäquanz, sondern in der Frage nach der spezifischen Funktion, die das Rezeptionsobjekt für den Rezipienten in seiner besonderen Situation unter den entsprechenden sozialen Bedingungen hat. „Bei einem stärker subjektanalytischen Interesse rückt konsequenterweise die soziale Bezogenheit des Rezi- 20 Grimm: Rezeptionsgeschichte, 252. 21 Grimm: Rezeptionsgeschichte, 253. <?page no="83"?> Kapitel III: Theoretische Grundlegung 69 pienten ins Zentrum der Analyse, ohne daß der objektanalytische Aspekt dadurch völlig vernachlässigt werden müsste.“ 22 Ziel dieses methodischen Ansatzes ist es, die sozialen Kontexte zu erheben, in denen die Rezipienten leben und zu untersuchen, in wie weit diese die jeweiligen Rezeptionen bedingen. Das Rezeptionsobjekt bekommt in diesem Ansatz im Rahmen einer pragmatischen Texttheorie einen angemessenen Ort zugewiesen, indem nach seiner Funktion für den Rezipienten als in einem sozialen Kontext handelnden Subjekt gefragt wird. 23 Es ist in gewisser Weise nur „Mittel zum Zweck“ 24 , wenn der Rezipient und seine Sozialgeschichte im Mittelpunkt des Interesses stehen, und dennoch geht von ihm das Erkenntnisinteresse im Blick auf die Rezeptionsgeschichte aus. Denn im Vergleich zu dem in der gewöhnlichen sozialgeschichtlichen Forschung üblichen subjektorientierten Vorgehen ist die Rezeptionsgeschichte eines alttestamentlichen Verses objektorientiert angelegt: Das Rezeptionsobjekt nimmt hier die Stellung des allen zu untersuchenden Prozessen gemeinsamen Faktors ein. Die Rezipienten und ihre sozialen Kontexte kommen hier nur soweit in den Blick, wie sie für diesen bestimmten Rezeptionsprozess von Bedeutung sind. Insofern ist das Rezeptionsobjekt im Blick auf das Erkenntnisinteresse keineswegs beliebig, wenn auch im subjektperspektivisch-objektorientierten Vorgehen seine Bedeutung pragmatisch orientiert ist und dadurch in gewisser Hinsicht relativiert wird. Für die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 hat diese Relativierung des Rezeptionsobjekts gegenüber den vorherrschenden objektperspektivischen Ansätzen entscheidende Vorteile. So bedeuten die in der Forschungsgeschichte aufgezeigten Probleme in der historisch-kritischen Bestimmung des Rezeptionsobjekts und seiner Autorintention hier keine problematische Vorentscheidung für die rezeptionsästhetische Untersuchung. Selbst die Frage nach dem Subjekt von Gen 15,6b kann offen bleiben und im Blick auf die verschiedenen Rezipienten jeweils neu gestellt werden. Außerdem ist für ein subjektperspektivisches Vorgehen auch keine exakte Kenntnis der jeweiligen Rezeptionsvorlage notwendig. Es kann mit einer Bandbreite von Text-, Übersetzungs- und Traditionszusammenhängen gerechnet werden, in denen Gen 15,6 überliefert wurde und den Rezipienten begegnet ist, ohne dass 22 Grimm: Rezeptionsgeschichte, 141. 23 Vgl. Frankemölle: Kommentar, 243f. 24 Grimm: Rezeptionsgeschichte, 94. <?page no="84"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 70 eine Festlegung die rezeptionsästhetische Untersuchung präjudizieren würde. Nimmt man also den Ausgangspunkt der Untersuchung beim Rezipienten und nicht beim Rezeptionsobjekt, dann stellt sich die Frage, was der materiale Gegenstand der rezeptionsästhetischen Untersuchung ist. In der Exegese - vor allem des Neuen Testaments - führen die am Rezipienten orientierten Ansätze dazu, die potentiellen Leser bzw. Hörer der biblischen Texte in den Blick zu nehmen. Da von ihnen bzw. von ihrer Rezeption des Bibeltextes aber keine (literarischen) Zeugnisse vorliegen 25 , wird versucht den Erfahrungshorizont zu rekonstruieren, um die Verstehensbedingungen der zeitgenössischen Leserschaft aufzudecken. 26 Dazu werden alle heute zugängigen Texte, die mit Gen 15,6 zu tun haben, und - zur Verbreiterung der Quellenlage - meist auch alle Texte, die mit der Abrahamtradition insgesamt zu tun haben, ausgewertet und als möglicher Erfahrungshorizont der Hörer bzw. Leser biblischer Texte vorausgesetzt. Dabei handelt es sich dann streng genommen nicht mehr um einen objektorientierten Ansatz, weil zwischen der spezifischen Funktion des Rezeptionsobjekts Gen 15,6 und der Gesamtheit der Abrahamtradition kaum noch unterschieden werden kann. Da es dem subjektperspektivischenobjektorientierten Ansatz aber um die spezifische Funktion eines bestimmten Rezeptionsobjekts bei den unterschiedlichen Rezipienten in ihren sozialen Kontexten geht, können nur tatsächlich stattgefundene und nachweisbare Rezeptionen dieses Rezeptionsobjekts der Untersuchung zugrunde liegen. Zudem müsste eine Einschätzung wie die von A XEL VON D OBBELER , dass „Gen 15,6 innerhalb der Abraham-Tradition eine so zentrale Stellung 25 Eine Ausnahme stellen möglicher Weise textkritische Varianten dar, in denen sich die Rezeption eines Lesers niedergeschlagen haben kann. Des Weiteren ist innerhalb der Rezeptionsgeschichte darauf zu achten, ob es sich bei einzelnen Rezeptionen nicht um die Rezeption einer Rezeption von Gen 15,6 handelt (wie das beispielsweise für Jak 2,23 in der Forschung häufig vertreten wird). 26 Vgl. dazu insbesondere das Methodenbuch von K LAUS B ERGER (ders.: Exegese) und die praktische Anwendung seiner Vorschläge bei A XEL VON D OBBELER (ders.: Glaube). B ER- GER geht es dabei jedoch nicht um die Frage nach der Rezeption alttestamentlicher Texte im Neuen Testament. Er stellt im Anschluss an die wirkungsgeschichtliche Hermeneutik eine Exegese des Neuen Testaments dar, die bei dem Rezipienten der neutestamentlichen Schriften einsetzt und nach der Wirkung dieser Schriften auf die damaligen Leser fragt. Hierzu verbindet B ERGER linguistische, traditions- und religionsgeschichtliche, soziologische und hermeneutische Gesichtspunkte unter einem einheitlichen Konzept. Methodisch geht es B ERGER aber ebenfalls um die Erarbeitung der in den Schriften intendierten Wirkung und deren textpragmatische Auslegung. Darin treffen sich seine wirkungsästhetische Erarbeitungen und unser rezeptionsästhetischer Ansatz. <?page no="85"?> Kapitel III: Theoretische Grundlegung 71 zu(kommt), daß der Vers wohl auch an Stellen, die eine Anknüpfung nicht deutlich erkennen lassen, als mitgedacht vorausgesetzt werden darf“, durch die Rezeptionsgeschichte erst belegt werden und dürfte ihr nicht als Prämisse zugrunde liegen. Ein weiterer Grund für die Engführung auf tatsächlich stattgefundene und nachweisbare Rezeptionen liegt im Rezeptionsprozess selber begründet, der sich in drei Phasen 27 gliedert: (1) Der Rezeptionsakt bezeichnet die Aufnahme des Rezeptionsobjekts durch Perzeption und Apperzeption, während (2) das Rezeptionsresultat als postapperzeptionelle Phase die Bewertung des Rezeptionsobjekts bezeichnet. Dieser Vorgang ist ein kognitiver Prozess und nur mit Methoden der Wahrnehmungsbzw. Leserpsychologie zu erfassen. Für die exegetische Untersuchung liegt er somit außerhalb der Reichweite. Die dritte Phase des Rezeptionsprozesses, (3) die Rezeptionswirkung als Nutzung oder Verwendung des Rezeptionsresultats ist als Folge der Phasen 1 und 2 anzusehen. Sie kann vielgestaltig sein und mitunter nicht sicher zu fassen: „Wirken kann nur das nach dem Rezeptionsakt im Rezipienten abrufbare, auf einer Selektion beruhende Rezeptionsresultat.“ 28 Wo und wie das beim Rezipienten langfristig Aufbewahrte tatsächlich im sozialen Kontext zu wirken anfängt, ist nach G UNTER G RIMM kaum exakt erforschbar. Deshalb ist die Literaturwissenschaft „bei der Analyse historischer Prozesse materialiter weitgehend an die schriftlichen Resultate von Rezeptionsakten (...) gebunden, da historische Rezeptionsprozesse meist nicht anders als über ihre schriftlichen Zeugnisse faßbar werden.“ 29 Dabei handelt es sich um Randbemerkungen in Büchern, Notizblätter, Buchexzerpte, Tagebucheinträge und Briefe als rezeptionsunmittelbare Zeugnisse oder aber um Autobiographien und Memoiren als rezeptionsmittelbare Zeugnisse. In diesen vom Rezipienten verfassten Aufzeichnungen konkretisiert sich das Rezeptionsresultat. 30 Deshalb werden sie Konkretisationen 31 27 Die Bezeichnung der Phasen richtet sich nach G RIMM (ders.: Rezeptionsgeschichte, 27). Von L EHMANN (ders.: Theorie, 53) stammen die Begriffe „Aufnahme“, „Bewertung“ und „Nutzung“ zur Charakterisierung der Vorgänge in den drei Phasen. 28 Grimm: Rezeptionsgeschichte, 265, Anm. 58. 29 Grimm: Rezeptionsgeschichte, 73. 30 Vgl. Grimm: Rezeptionsgeschichte, 110f. 31 Der Begriff Konkretisation stammt von R OMAN I NGARDEN (vgl. ders.: Erkennen, 12). Hier wie in der gegenwärtigen Diskussion der Literaturwissenschaft ist der Gebrauch dieses Begriffs aber von dem I NGARDENS inzwischen deutlich zu unterscheiden (vgl. Warning: Rezeptionsästhetik, 10). <?page no="86"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 72 oder begrifflich weniger scharf einfach Rezeptionen 32 genannt. Für die historische Rezeptionsforschung bleiben nur diese Dokumente der Rezeption als materielle Basis für die rezeptionsästhetische Untersuchung. 33 Ihr „Untersuchungsgegenstand besteht primär aus Konkretisationen und erst sekundär aus anstoßgebenden Texten.“ 34 Für eine Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 bedeutet das dann aber, dass nur diejenigen Rezeptionswirkungen Gegenstand der Untersuchung sein können, die sich in einem literarischen Niederschlag konkretisieren 35 und somit der exegetischen Bearbeitung zugänglich sind. Da uns heute für die Rezipienten von Gen 15,6 keine rezeptionsunmittelbaren Zeugnisse zugänglich sind, kommen nur die von diesen Rezipienten verfassten Texte als rezeptionsmittelbare Zeugnisse in Frage. So käme beispielsweise der Jakobusbrief als rezeptionsmittelbares Zeugnis in Frage, weil sich darin die Rezeption von Gen 15,6 seines Verfassers konkretisiert. Es handelt sich dabei um ein Zeugnis produktiver Rezeption, da der Rezeption von Gen 15,6 im Produktionsprozess des Jakobusbriefes eine bestimmte Funktion zukommt, die es zu erheben gilt. Methodischer Ansatzpunkt der Rezeptionsgeschichte ist also die Analyse der entsprechenden Konkretisationen mit dem Ziel der Ermittlung der Funktion des Schriftwortes Gen 15,6 in der Geschichte seiner Rezeption. Dieser Ansatz hat zur Folge, dass das Verhältnis des jeweiligen Rezipienten zur Konkretisation unter produktionsästhetischen Gesichtspunkten untersucht werden muss, wenn danach gefragt wird, was der Rezipient als Autor mit der Konkretisation seiner Rezeption von Gen 15,6 intendiert hat. Denn „naturgemäß überwiegt in diesem Bereich, bei Betonung der Aktivität des ’handelnden’ Subjekts, der produktionsgegenüber dem rezeptionsästhetischen Aspekt, da die Rezeption hier eindeutig im Dienst der Produktion steht und als eines ihrer Mittel unter anderen fungiert“ 36 . 32 Begrifflich ergeben sich vielfach Verwirrungen, weil zum Teil der gesamte Prozess, manchmal auch nur die Einheit der Phasen 1 und 2, dann wieder aber auch die Rezeptionswirkung kurz als Rezeption bezeichnet wird. Dieses Problem wird sich auch im Folgenden nicht immer vermeiden lassen. Aus dem Kontext wird aber jeweils deutlich, was im Einzelfall gemeint ist. 33 Vgl. Grimm: Rezeptionsgeschichte, 61. 34 Grimm: Rezeptionsgeschichte, 73. 35 C HRISTOPH D OMEN argumentiert umgekehrt: „Da die Begegnung von Text und Leser sich wieder literarisch niederschlagen kann, sind die Beobachtungen und Einsichten der Rezeptionsforschung besonders im Blick auf die biblische Literatur als gewachsene Literatur von immenser Bedeutung“ (ders: Spuren, 262). 36 Grimm: Rezeptionsgeschichte, 147. <?page no="87"?> Kapitel III: Theoretische Grundlegung 73 Im Blick auf die Instrumentarien für diese Konkretisationsanalyse ist die produktionsästhetische Herangehensweise von großem Vorteil, da mit einigen wenigen Spezifizierungen die üblichen Verfahren der historischenkritischen Exegese zur Anwendung kommen können. 37 Dass diese Untersuchung von ihrer Zielrichtung her rezeptionsästhetisch ausgerichtet ist, bleibt dabei von den produktionsästhetischen Instrumentarien unberührt, da die Perspektive auf den Rezeptionsprozess von Gen 15,6 durch den Rezipienten bestimmt ist: „Von der älteren Einflussforschung unterscheidet sich die Erforschung der produktiven Rezeption oder der rezeptiven Produktion durch die Umkehrung der Perspektive: Das frühere Werk wirkt nicht mehr kausal mechanisch auf das spätere, sondern der Produzent des späteren eignet sich das frühere durch intensive Arbeit an.“ 38 Durch die Betrachtung der Produktionsbedingungen der Konkretisation aus der Sicht des Autors werden die Rezeptionsbedingungen von Gen 15,6 aus der Sicht des Rezipienten aufgedeckt, da der Rezipient von Gen 15,6 und der Autor der Konkretisation identisch sind: Der subjektperspektivische Ansatz, bei dem das rezipierende Subjekt als gesellschaftlich Handelndes den Frageansatz bestimmt und die Analyse der Konkretisationen als Zeugnisse produktiver Rezeptionen führen nun aber zwangsläufig über die reine Textwissenschaft und Literaturgeschichte hinaus zur Frage nach der sozialgeschichtlichen Einordnung des Rezeptionsbzw. Konkretisationsprozesses. 39 Es ist zu ermitteln, welches die jeweiligen spezifischen historischen Bedingungen der Kommunikationssituation wa- 37 Siehe dazu Kap. IV, Abschn. 3.1. 38 Grimm: Rezeptionsgeschichte, 147f. 39 Vgl. Grimm: Rezeptionsgeschichte, 121. Rezeptionsobjekt Rezipient/ Autor Konkretisation Produkti on Rezeption Rezeption von Gen 15,6 Produktion der Konkretisation <?page no="88"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 74 ren, in der es zur Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 gekommen ist: „Was die sozialgeschichtliche Rezeptionsforschung primär interessiert, ist die Interdependenz von literarischer Struktur und politisch sozialem Kontext in der Vermittlung faktischer (! ) Rezeptionen“ 40 . Die Analyse der Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 bietet den Ansatzpunkt zur Bestimmung derjenigen Situationen, die im Blick auf diesen Vers als rezeptionsevozierend anzusehen sind: „So kann Rezeptionsgeschichte konsequenterweise nicht wie häufig zu lesen ist, lediglich die Geschichte eines verschieden rezipierten Textes meinen, sondern ebenso die Geschichte der rezipierenden Subjekte.“ 41 Die von G UNTER G RIMM als Fernziel avisierte „sozialhistorisch fundierte Rezeptionsgeschichte“ 42 soll in dieser Arbeit für die Rezeption von Gen 15,6 erprobt werden. 2. Beitrag der Erforschung semantischer Felder Der Ansatz bei den Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 als dem materialen Gegenstand einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte wirft zwangsläufig die Frage auf, wie sich die in einer Rezeption von Gen 15,6 wurzelnden Konkretisationen überhaupt darstellen, wie sie in einer an historischen Texten arbeitenden Untersuchung erkennbar sind und ausfindig gemacht werden können. Erschwert wird ihre Beantwortung zum einen dadurch, dass Konkretisationen im Sinne des oben dargelegten Rezeptionsverständnisses nicht auf Zitate und wörtliche Wiedergaben von Gen 15,6 eingeschränkt werden können. 43 Zum anderen soll als Konsequenz aus der Bewertung der bisherigen Forschungslage eine Identifizierung der Konkretisationen nicht anhand von Leitabstraktionen der theologischen Bedeutung des Schriftwortes Gen 15,6 bzw. seiner prominenten Rezeptionen vorgenommen werden. Es ist daher zu fragen, in welcher Weise der literarische Niederschlag einer Rezeption von Gen 15,6 mit dem Rezeptionsobjekt in Zusammenhang steht. Die Überlegungen zur Beantwortung dieser Frage stützen sich auf sprachwissenschaftliche Erkenntnisse, weil Sprache als fundamentaler Be- 40 Grimm: Rezeptionsgeschichte, 79. 41 Grimm: Rezeptionsgeschichte, 30. 42 Grimm: Rezeptionsgeschichte, 5. 43 So auch F RANKEMÖLLE : „Im Übrigen erscheint es absolut unangemessen, die Frage nach der Funktion der heiligen Schrift Israels bei den urchristlichen Theologen auf die Rezeption wörtlicher Zitate einzuschränken“ (ders.: Kommentar, 245). <?page no="89"?> Kapitel III: Theoretische Grundlegung 75 standteil des Rezeptionsvorgangs anzusehen ist. Zunächst kann nämlich das Rezeptionsobjekt dem Rezipienten nicht anders als durch Sprache vermittelt begegnen. Diese sprachlich vermittelte Form des Rezeptionsobjekts ist die konkrete Rezeptionsvorlage, deren Funktion im Rezeptionsprozess bereits dargestellt wurde. 44 In welcher mündlichen oder schriftlichen Form die Rezeptionsvorlage dabei konkret auftritt, ist zunächst nebensächlich, da ihr in jedem Fall der sprachliche Charakter eigen ist. Für den Rezeptionsprozess als kognitivem Verarbeitungsprozess bedeutet das aber, dass er ebenfalls unter sprachlich-kommunikativen Bedingungen abläuft. 45 Die Konkretisation dieses Prozesses als literarischer Niederschlag geschieht wiederum in sprachlicher Gestalt, so dass die Sprache als eine Art Trägermedium das verbindende Element zwischen dem Rezeptionsobjekt bzw. der Rezeptionsvorlage, dem Rezipienten und der literarischen Konkretisation darstellt: Damit kommen Fragestellungen in den Blick, die seit einiger Zeit unter dem besonders im englischsprachigen Raum verbreiteten literaturwissenschaftlichen Konzept der Intertextualität gestellt werden. In der deutschsprachigen Exegese hat dieses Konzept bisher wenig Berücksichtigung gefunden, obwohl das, „was mit diesem Begriff zum Ausdruck gebracht werden soll, ein Grundfaktum dessen ist, womit sich Exegeten, vor allem Neutestamentler, beschäftigen müssen, nämlich die Beziehung von Texten aufeinander“ 46 . So bietet sich das Konzept der Intertextualität an, um die Frage nach der Rezep- 44 Vgl. Abschn. 1. 45 „Wir können nicht denken ohne die Sprache. Das Denken aber ist die Grundlage aller anderen Funktionen des Geistes, wir gelangen dadurch, daß wir sprechend denken, erst zu einem bestimmten Grade des Bewußtseins und der Absichtlichkeit. Es ist von dem höchsten wissenschaftlichen Interesse, zu erkennen, wie der Mensch in der Bildung und im Gebrauch der Sprache zu Werke geht. Ebenso ist es von dem höchsten wissenschaftlichen Interesse, den Menschen als Erscheinung aus dem Menschen als Idee zu verstehen. Beides ist aufs genaueste verbunden, weil eben die Sprache den Menschen in seiner Entwicklung leitet und begleitet“ (Schleiermacher: Hermeneutik, 235). Die hohe Relevanz von kognitiven Sprachverarbeitungen beim Verstehensprozess hat für den speziellen Fall des Verständnisses von Gleichnissen D IETER M ASSA herausgestellt (ders.: Verstehensbedingungen). Für die kognitive Verarbeitung bei Rezeptionsprozessen ist mit einem ähnlichen Phänomen zu rechnen. 46 Hübner: Intertextualität, 882. Auch N ORBERT L OHFINK kommt zu dem Ergebnis, „daß die genaue Aussagerichtung des Neuen Testaments ohne ständiges Mitlesen des Alten Testaments gar nicht erfasst werden kann. Es fordert, um verstanden zu werden, gesamtbiblische Intertextualität“ (ders.: Bibel, 75). Rezeptionsobjekt Rezi pient Konkretisation Sprache Sprache <?page no="90"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 76 tion alttestamentlicher Texte in der neutestamentlichen Literatur theoretisch und methodisch in den Griff zu bekommen. Neuere Arbeiten haben zudem den Zusammenhang von Rezeptionsästhetik und Intertextualitätskonzeptionen deutlich herausgestellt. Ihnen zufolge liegt im Rezeptionsvorgang die Schaltstelle zur Herstellung intertextueller Bezüge. 47 So plädiert M ARIANNE G ROHMANN unter Bezugnahme auf die Arbeit von S USANNE H OLTHUIS für eine Verbindung von rezeptionsästhetischen und intertextuellen Bezügen. Intertextualität ist für sie „ein Modell, das einerseits zur Erklärung der gegenseitigen Beziehung zwischen Texten beiträgt, und andererseits Fragen der Rezeption, den konkreten Beitrag der Lesenden zur Bedeutungskonstitution von Texten aufnimmt“ 48 . Einen Versuch zur praktischen Umsetzung in dieser Richtung hat R I- CHARD B. H AYS mit seiner Monographie »Echoes of Scripture in the Letters of Paul« vorgelegt. »Echo« als Schlüsselbegriff seines Ansatzes wird als metaphorischer Weg verstanden, das hermeneutische Ereignis der intertextuellen Fusion im Rezeptionsprozess zu beschreiben. 49 Für die Frage wo genau dieses Ereignis stattfindet, bietet H AYS fünf Möglichkeiten an: (1) Den Rezipienten, (2) den historischen Leser, (3) die Konkretisation, (4) den Akt des Lesens und (5) eine Interpretationsgemeinschaft. 50 Jeder dieser Optionen spricht er eine signifikante Bedeutung im hermeneutischen Prozess zu und fällt aus pragmatischen Gründen keine Entscheidung zu Gunsten einer der Optionen, sondern versucht sie in einer kreativen Spannung zu halten. 51 Die Identifizierung und Interpretation der »Echos« kann nach H AYS daher auch keine bestimmte Methode leisten, sondern allein die historische Sensibilität des Auslegers: „If I, having learned something about Paul’s historical circumstances and having read the same Scripture that Paul lived in so deeply, descern in this language echoes for that Scripture, it is not improbable that I am overhearing the same echoes that he and his earliest readers might have been able to hear and there are specifiable criteria (…) for testing such intuitions.“ 52 Er gibt dann sieben Tests an, die seiner Lesemethode implizit zu Grunde liegen: (1) Zugänglichkeit. War die Quelle des potentiellen »Echos« für den Autor und seine historischen Leser zugänglich? (2) Umfang. Der Umfang eines »Echos« kann abhängig von der Prominenz der Quelle und 47 Vgl. Grohmann: Aneignung, 35. 48 Grohmann: Aneignung, 37. 49 Hays: Echoes, 26. 50 Vgl. Hays: Echoes, 26. 51 Vgl. Hays: Echoes, 27. 52 Hays: Echoes, 28. <?page no="91"?> Kapitel III: Theoretische Grundlegung 77 der rhetorischen Disposition weit über den zitierten Wortlaut hinausreichen. (3) Wiederauftreten. Wie häufig wird auf ein Schriftwort oder eine bestimmte Passage Bezug genommen? (4) Thematische Kohärenz. Wie gut passt sich das »Echo« in den Argumentationsduktus des Rezipienten ein? (5) Historische Plausibilität. Kann der Rezipient das potentielle »Echo« intendiert haben und konnten es seine historischen Leser verstehen? (6) Rezeptionsgeschichte. Haben historische und heutige Leser das potentielle »Echo« ebenfalls wahrgenommen? (7) Erklärungsleistung. Macht die vorgeschlagene Lesart Sinn und bringt sie brauchbare Erkenntnisse? 53 - Unter Berücksichtigung dieser Leitgedanken im Rahmen einer „historically sensitive exegesis“ 54 erhebt H AYS somit für sein Lesen den Anspruch, die intertextuelle Fusion im Rezeptionsprozess alttestamentlicher Texte in der paulinischen Literatur zum Ausdruck zu bringen. 55 Im Blick auf eine theoretisch-methodische Grundlegung einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 ergeben sich zwei Anfragen an H AYS ’ Vorgehen. Zum einen ist besonders mit Blick auf den sechsten und siebten Test auf die Gefahr der theologischen Polarisierung und der Rolle der Leitabstraktionen für die Rezeptionsgeschichte hinzuweisen. Die Frage ob Rezeptionen heute als sinnvoll und theologisch bedeutend erscheinen, ist nicht geeignet, um zu entscheiden, ob die entsprechende Rezeption in ihrem historischen Kontext sinnvoll und theologisch bedeutend waren. Zum anderen stellt sich die grundsätzliche hermeneutische Frage, ob es für historische Texte - trotz altsprachlicher Kompetenz - angemessen ist, das heutige Sprachgefühl auf diese Texte anzuwenden. 56 Es ist zu bezweifeln, ob heutiger Leser bei aller historischer Sensibilität tatsächlich hören können, was der Rezipient und seine historischen Leser an »Echos« gehört haben. Für die Frage, wie die intertextuelle Beziehung zwischen dem Rezeptionsobjekt und der Konkretisation in der Vermittlung des Rezipienten semantisch funktioniert und wie sich dieses Wissen zur Identifikation und zur Analyse von Konkretisationen nutzen lässt, bedeutet das aber, dass sich die zu entwickelnde Methode nicht an unserem Sprachgefühl oder an unseren inhaltlichen Maßstäben und Leitabstraktionen, sondern allein an der in den historischen Texten vorliegenden Sprache orientieren kann. 53 Vgl. Hays: Echoes, 29-32. 54 Hays: Echoes, 31. 55 „I insist that my reading is an authentic explication of the intertextual fusion“ (Hays: Echoes, 28). 56 Vgl. Berger: Exegese, 138. <?page no="92"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 78 Einen Ansatzpunkt dazu bietet die sprachwissenschaftliche Theorie semantischer Felder. Diese Untersuchung schließt sich dabei dem Feldbegriff von K LAUS B ERGER an, den er in Anlehnung an linguistische Forschungsergebnisse 57 entwickelt und auf die Exegese des Neuen Testaments zugeschnitten hat. Nach B ERGER besitzt Sprache selbst immanente Formungstendenzen, da sie nicht bloß aus isolierten Wörtern und Begriffen besteht: „Vielmehr wird Sprache selbst bereits immer schon in mehr oder weniger fixierten Formeln und Formen und in mehr oder weniger festen Wortverbindungen (semantischen Feldern) vermittelt.“ 58 Semantische Felder sind also durch regelmäßig wiederkehrende Wortverbindungen gekennzeichnet. Die Bezeichnung »Feld« weist darauf hin, dass es sich um einen abgrenzbaren Bereich handelt, in dem ein gewisses Wortgeflecht aus mehreren zusammengehörigen Elementen zu finden ist. 59 Elemente können dabei nicht nur Wörter einer Wortart sein, sondern es können verschiedenste Wortarten, Formeln und ganze Satzteile zum semantischen Feld gehören. Wichtig ist dabei, dass es nicht allein die Elemente sind, die ein semantisches Feld charakterisieren, denn jedes Wort kann grundsätzlich mehreren semantischen Feldern angehören. 60 Es sind vielmehr die Wortverbindungen, die das semantische Feld konstituieren: „Die einzelnen Begriffe stehen in einer Art Verknüpfungsrelation zueinander, deren innerer Knotenpunkt ein inhaltlicher Bedeutungszusammenhang ist.“ 61 Hier nun liegt der Anknüpfungspunkt für die intertextuelle Beziehung zwischen dem Rezeptionsobjekt und der Konkretisation in der Vermittlung des Rezipienten. Nehmen wir semantische Felder als sprachwissenschaftliches Phänomen in den Blick, das innerhalb der Sprache den Bedeutungszusammenhang konstituiert und damit sowohl die sprachlichen Äußerungen wie auch Denken prägt, so sind es dann auch semantische Felder, welche die 57 In der Sprachwissenschaft und insbesondere in der Linguistik gibt es im Zusammenhang mit semantischen Feldern weder eine einheitliche Begriffsbildung noch eine einheitliche Theorie darüber, was unter einem semantischen Feld zu verstehen ist. Einigkeit besteht allerdings darin, dass das Ganze der Sprache durch semantische Felder gegliedert ist. Wie diese Gliederung im Einzelnen funktioniert, wird sehr unterschiedlich gesehen. Eine Darstellung der verschiedenen Ansätze findet sich bei M ASSA (ders.: Verstehensbedingungen, 334-344). 58 Berger: Exegese, 113. 59 Vgl. Berger: Exegese, 138. 60 Vgl. Berger: Exegese, 139. 61 So formuliert M ASSA (ders.: Verstehensbedingungen, 332) in Anschluss an B ERGER . <?page no="93"?> Kapitel III: Theoretische Grundlegung 79 Rezeptionsobjekt Rezipient Konkretisation Sprache Sprache semantisches Feld Brücke zwischen Rezeptionsobjekt, Rezipient und literarischer Konkretisation ausmachen: Wenn nämlich die Sprache den Rezeptionsprozess derart bestimmt, dass sie die Rezeption des Objekts und die Produktion der Konkretisation über den kognitiven Verarbeitungsprozess unter sprachlich-kommunikativen Bedingungen verbindet, und wenn innerhalb der Sprache den semantischen Feldern die Sinn konstituierende Bedeutung zukommt, dann müssen sich Identifizierung und Analyse der Konkretisationen auf den Nachweis und die Untersuchung semantischer Felder gründen lassen. Denn was die Rezeptionsvorlage und die Konkretisation miteinander verbindet ist das semantische Feld im Rezeptionsprozess. Und das lässt sich auch in den historischen Texten nachweisen. Das bedeutet weiterhin, dass der Nachweis des zum Rezeptionsobjekt gehörenden semantischen Feldes in einem Text dazu führen muss, diesen Text als Konkretisation einer Rezeption des Rezeptionsobjekts anzusehen. 62 Die Konkretisationen eines Rezeptionsprozesses sind nämlich durch die Aufnahme des semantischen Feldes des Rezeptionsobjekts gekennzeichnet, sodass der Nachweis des semantischen Feldes als Nachweis eines dahinter stehenden Rezeptionsvorgangs verstanden werden kann. Für eine Rezeptionsgeschichte Gen 15,6 stellt sich somit die Aufgabe, das semantische Feld von Gen 15,6 zu ermitteln, um durch Nachweis desselben auf Konkretisationen seiner Rezeption zu schließen. Dabei lässt sich ein semantisches Feld nicht anhand eines Einzeltextes aufstellen: „Welche Wörter als zusammengehörig (...) betrachtet werden dürfen, entscheidet sich nicht nach unserem Sprachgefühl oder nach unseren inhaltlichen Maßstäben, sondern allein nach dem faktischen Vorkommen.“ 63 Deshalb können semantische Felder in historischen Texten nicht anders als durch Textver- 62 Auf einen Ansatz in dieser Richtung hat auch H UBERT F RANKEMÖLLE hingewiesen: „Neben Parallelen in der narrativen Tiefen- und Oberflächenstruktur von Texten scheint mir nicht zuletzt die Suche nach semantischen Feldern, die auch neutestamentliche Texte zusammenhalten, ein erfolgversprechender Weg zu sein, Rezeptionen heiliger Schriften Israels nachzuweisen“ (ders.: Kommentar, 245). 63 Berger: Exegese, 138. <?page no="94"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 80 gleich ermittelt werden. Das alleinige Kriterium für die Feldzugehörigkeit ist somit der empirisch-induktive Nachweis des faktischen gemeinsamen Auftretens bestimmter Wörter in mehreren Texten. 64 Damit kann aber zur Ermittlung des semantischen Feldes von Gen 15,6 nicht einfach von einer vermeintlichen Rezeptionsvorlage ausgegangen werden. Denn zum einen ist die konkrete Rezeptionsvorlage in den meisten Fällen überhaupt nicht sicher zu ermitteln und zum anderen ist dem für den in dieser Arbeit untersuchten Zeitabschnitt charakteristischen Nebeneinander unterschiedlicher Sprachtraditionen Rechnung zu tragen. Auszugehen ist vielmehr von denjenigen Texten, deren Verbindung zu Gen 15,6 sicher nachweisbar ist. Das sind neben den schriftlich vorliegenden mutmaßlichen Rezeptionsvorlagen vor allem die bekannten Rezeptionen von Gen 15,6. Aus ihnen ergibt sich ein semantisches Feld, welches das Rezeptionsobjekt mit den Konkretisationen der Rezeption verbindet. Es kann somit zum Ausgangspunkt der Suche nach weiteren Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 dienen. Es wird dadurch außerdem sichergestellt, dass sowohl die wirkungsästhetische wie auch die rezeptionsästhetische Seite des dialektischen Prozesses berücksichtigt werden. 65 Zudem bietet die Untersuchung des semantischen Feldes in der Konkretisation des jeweiligen Rezipienten weitere methodische Ansatzpunkte auf dem Weg zu einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte. Denn die semantischen Felder weisen textbezogen auf ein in verschiedenen Texten auffindbares, gemeinsames und ähnlich organisiertes Geflecht von Wörtern hin, die „mit einer gewissen Konstanz (bzw. Varianz) im Verbund miteinander auftreten“ 66 . Hier wird der konventionelle Charakter der semantischen Felder sichtbar. 67 Die semantischen Felder geben Aufschluss über die paradigmatische Dimension der durch den Gebrauch in einer Sprach- und Handlungsgemeinschaft konstituierten sprachlichen Bedeutungskonventionen. So „lässt sich das Gesamtgebilde einer Sprache synchronisch und diachronisch (d.h. was die Gleichzeitigkeit und was die Geschichte betrifft) darstellen als Geflecht von Feldern im Sinne idiomatischer Verwendungszusammenhänge“ 68 . Doch gleichzeitig stößt man durch die notwendige Inter- 64 Im Postulat eines empirischen Vorgehens treffen sich die Ansätze von K LAUS B ERGER und G UNTER G RIMM , der ebenfalls festhält: „Allein das (...) empirisch vorgehende Verfahren ist rezeptionshistorisch gerechtfertigt“ (Grimm: Rezeptionsgeschichte, 34). 65 Näheres zum methodischen Vorgehen findet sich in Abschn. 4. 66 Massa: Verstehensbedingungen, 332. 67 Vgl. Berger: Exegese, 139. 68 Berger: Exegese, 139. <?page no="95"?> Kapitel III: Theoretische Grundlegung 81 textualität semantischer Felder neben der synchronen Konventionalität und der diachronen Traditionalität auch auf partielle Verschiedenheiten und Änderungen (Innovation) in den einzelnen literarischen Kontexten des semantischen Feldes: „Denn das semantische Feld und der literarische Kontext sind in der Regel nicht identisch. Vielmehr ist im literarischen Kontext das konventionelle Feld oft nur partiell rezipiert, mit anderen Feldern verbunden oder durch Kontext, Intention und Situation modifiziert.“ 69 Auf diesem Hintergrund verspricht die Theorie semantischer Felder direkte Befunde im Blick auf die sozialhistorischen Bedingungen der Rezeptionen bzw. Konkretisationen. Denn die Frage nach sich in Konkretisationen manifestierenden Rezeptionen von Gen 15,6 ist von der Wortfeldforschung her betrachtet nichts anderes als die Erforschung der Geschichte eines einzelnen semantischen Feldes mit seinen synchronen wie diachronen Eigenschaften und Bezügen zu anderen semantischen Feldern sowie seinen sich in den literarischen Konkretisationen zeigenden Innovationen. Hierdurch eröffnet das semantische Feld zugleich den Zu- und Übergang zu sozialgeschichtlichen Fragestellungen, denn die durch das semantische Feld ermittelten „Ähnlichkeiten und Abweichungen zwischen Texten sind nur durch außertextliche Faktoren erklärbar“ 70 . Diese sind in den jeweiligen historischsozialen wie soziologischen Kontexten zu suchen. Es sind nicht primär die semantischen Strukturen der Texte - auch wenn diese natürlich die notwendige Bedingung für die Rezeption darstellen - die für die Stabilität bzw. Instabilität der Rezeption eines Textes verantwortlich sind, sondern die Stabilität bzw. Instabilität der „gesellschaftlichen Basis seiner Rezeption“ 71 . In den Konkretisationen erscheint die zur Reflexion gebrachte Teilhabe an gemeinsamer Geschichte des Rezipienten und der verarbeiteten Vorlage. Die sozialhistorischen Bedingungen des Rezeptionsprozesses lassen sich anhand der durch das gemeinsame Vorkommen des semantischen Feldes zusammengestellten Texten zum einen hinsichtlich der synchronen Sprachkonventionalität und diachronen Traditionalität der Texte erkennen: „Aufgrund ihres konventionellen Charakters bilden diese Felder eine einzigartige Brücke zwischen Teiltexten, Texten und Geschichte. Denn die Vermittlung zwischen Texten geschieht in jedem Fall durch Personen und Gruppen. Die Gemeinsamkeit von Texten ist primär an den semantischen Feldern erkennbar, und damit ist zugleich die unabweisbare historische und soziologi- 69 Berger: Exegese, 138. 70 Berger: Exegese, 166. 71 Zimmermann: Leser, 21. <?page no="96"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 82 sche Frage gestellt, wie diese Gemeinsamkeit denn zustande gekommen ist.“ 72 Zum anderen beinhaltet das sich aufgrund einer Rezeption im literarischen Kontext konkretisierende semantische Feld stets auch einen gewissen Grad an Innovation: „Die rezipierten Texte werden im Rezeptionsprozess semantisch aufgeladen, in dem sie bei der Konkretisation zu andern Texten und Traditionen in Beziehung gesetzt werden.“ 73 „Da die semantischen Felder von Natur aus zum großen Teil nur relativ fixiert sind, ist eine Veränderung des Feldbestandes oft der Indikator für geschichtliche Entwicklungen, der Seismograph für Veränderungen.“ 74 Die Untersuchung von intertextuellen semantischen Feldern nach dem Ansatz von K LAUS B ERGER bietet somit die Grundlage für die Frage nach der historischen Bedeutung von Rezeptionen eines semantischen Feldes in verschiedenen Texten. „Auf dem Gebiet des methodisch kontrollierten Vergleichs von Texten liegt daher der Übergang von literarischen zu soziologischen Fragemöglichkeiten. Denn so kommen überhaupt erst einmal die Menschen in den Blick, unter denen die Traditionen lebendig waren und für die die Texte gedacht waren.“ 75 Entsprechend des subjektperspektivischobjektorientierten Vorgehens dient sie dem Aufdecken der lebensgeschichtlich geprägten Rezeptionsbedingungen der Rezipienten. 3. Proprium einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte Unter Bezugnahme auf den literaturwissenschaftlichen Ansatz von G UNTER G RIMM und dem Ansatz zur Untersuchung intertextueller semantischer Felder von K LAUS B ERGER kann das Proprium einer sozialhistorisch orientierte Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 nun wie folgt zusammengefasst werden: (1) Die Arbeit ist subjektperspektivisch-objektorientiert anzulegen. Der methodische Ansatz bei der Untersuchung der Rezeptionen liegt nicht im Vergleich mit dem Rezeptionsobjekt, sondern in der Frage nach der spezifischen Funktion, die die Rezeption des Objekts für den Rezipienten hat. 72 Berger: Exegese, 139. 73 Vgl. Grimm: Rezeptionsgeschichte, 103. 74 Berger: Exegese, 140. 75 Berger: Exegese, 220. <?page no="97"?> Kapitel III: Theoretische Grundlegung 83 (2) Der materiale Gegenstand der Untersuchung ist nicht primär das Rezeptionsobjekt bzw. die entsprechende Rezeptionsvorlage, sondern sind die Konkretisationen als literarische Niederschläge der Rezeptionen von Gen 15,6. (3) Die Identifizierung der Konkretisationen erfolgt nicht anhand von Übereinstimmungen mit der Rezeptionsvorlage oder den Leitabstraktionen seiner theologischen Bedeutung, sondern durch empirisch-induktiven Nachweis des semantischen Feldes von Gen 15,6 im Rezeptionsprozess. (4) Die rezeptionsästhetische Untersuchung der Konkretisationen erfolgt nicht einfach durch Vergleich mit anderen Konkretisationen, sondern durch sorgfältige Analyse der Funktion des semantischen Feldes von Gen 15,6 innerhalb der literarischen Äußerung des Rezipienten zur Aufdeckung der sozialgeschichtlich geprägten Rezeptionsbedingungen des Rezipienten. Erst danach erfolgt ein methodisch kontrollierter Vergleich mit dem entsprechenden semantischen Feld anderer Konkretisationen. (5) Ziel der Untersuchung ist nicht die Bestimmung der Werkadäquanz als vom Rezeptionsobjekt festgesetzter Bewertungsnorm, sondern die Erhellung der Funktion, die den Rezeptionen von Gen 15,6 bzw. ihren Konkretisationen in den spezifischen historischen Situationen der Rezipienten unter den jeweiligen sozialen Bedingungen zukommt. (6) Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 im Blick auf die sozialhistorischen Rezeptionsbedingungen ist nicht die Geschichte dieses verschieden rezipierten Textes, sondern die Geschichte der Gen 15,6 rezipierenden Subjekte. <?page no="99"?> Kapitel IV Methodische Schritte auf dem Weg zu einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 Auf der Grundlage der theoretischen Überlegungen und ihrer Konsequenzen für eine sozialhistorisch orientierte Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 wird im Folgenden das konkrete methodische Vorgehen einer solchen Untersuchung dargestellt. Hierbei sind die Fragen zu beantworten, wie (1.) das semantische Grundwortfeld der Rezeptionen von Gen 15,6 ermittelt wird, (2.) wie entsprechende Textstellen mit Konkretisationen aus dem jeweiligen Literaturbereich ausfindig gemacht werden, (3.) mit welchen exegetischen Verfahren die Analyse der Konkretisationen durchgeführt wird und (4.) wie schließlich auf der Grundlage der Ergebnisse eine Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 auszusehen hat. 1. Aufstellen eines semantischen Grundwortfeldes Im Sinne des geforderten empirisch-induktiven Vorgehens beim Aufstellen des semantischen Grundwortfeldes der Rezeption von Gen 15,6 ist von tatsächlichen und in der bisherigen Forschung unbestrittenen Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 auszugehen. 1 Neben der hebräischen und griechischen Textfassung des Verses sind dies vornehmlich die als klassisch geltenden Rezeptionen von Gen 15,6: aus den neutestamentlichen Schriften die Aufnahmen von Gen 15,6 bei Paulus und im Jakobusbrief, aus der zwischentestamentlichen Literatur im 1. Makkabäerbuch und in einem Fragment des Pseudojubiläenbuch aus Qumran sowie die Rezeptionen von Gen 15,6 im Barnabasbrief und im 1. Clemensbrief. Diese Textstellen stam- 1 Vgl. die theoretischen Ausführungen zu semantischen Feldern in Kap. III, Abschn. 2. <?page no="100"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 86 men aus einer vorgängigen Beschäftigung der Verfasser mit den Rezeptionen von Gen 15,6 2 und sind im Konsens mit der einschlägigen Literatur eindeutig und zweifelsfrei als Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 identifizierbar. Betrachtet man diese als methodischen Ausgangspunkt zur Bestimmung eines semantischen Grundwortfeldes der Rezeptionen von Gen 15,6, so zeigt sich, dass in den genannten Konkretisationen folgende Begriffe regelmäßig vorkommen und miteinander verbunden sind: »Abraham« (Wortgruppe: ~hrba / ~rba bzw. VAbraa,m / VAbra,m ), »Gott« (Wortgruppe hwhy / ~yhla bzw. qeo,j ), »Glaube« (Wortgruppe: ! ma bzw. pist& ), »Anrechnen« (Wortgruppe: bXx bzw. logi,d& ) und »Gerechtigkeit« (Wortgruppe: qdc bzw. dikai& ). Tabelle 1 führt die als Ausgangspunkt betrachteten Schriftstellen und das Vorkommen der das semantische Grundwortfeld konstituierenden Begriffe an. Dabei sind nur die an den jeweiligen Stellen explizit vorkommenden Begriffe gekennzeichnet. Fehlende Wortgruppen ergeben sich allerdings meist implizit direkt aus dem näheren Kontext der Textstelle: Tabelle 1: Konstitutive Begriffe des semantischen Grundfeldes »Abraham« »Gott« »Glaube« »Anrechnen« »Gerechtigkeit« Gen 15,6 MT x x x x Gen 15,6 LXX x x x x x 4Q225 x x x x x 1Makk 2,52 x x x x Röm 4,3 x x x x x Röm 4,9 x x x x Gal 3,6 x x x x x Jak 2,23 x x x x x Barn 13,7 x x 1Clem 10,6 x x x x x Für das Aufstellen des semantischen Grundfeldes der Rezeptionen von Gen 15,6 sind jedoch nicht nur die regelmäßig auftretenden Begriffe zu betrachten, vielmehr ist zwischen ihnen nach festen Wortverbindungen zu fragen, die in einer Art Verknüpfungsrelation das semantische Grundfeld konstituieren. In den gewählten Textstellen lassen sich zwischen den regelmäßig auftretenden Begriffen folgende feste Wortverbindungen (meist 2 Vgl. Flüchter/ Schnor: Anrechnung. Dabei enthält dieser Aufsatz noch weitere Textstellen, die aus methodischen Gründen nun zunächst übergangenen werden, die aber als Ergebnis der Wortfeldanalyse wieder als potentielle Konkretisationen ausgewiesen und somit später in die Untersuchung aufgenommen werden. <?page no="101"?> Kapitel IV: Methodische Schritte 87 Zweierverbindungen) auffinden, die als Bedingungen der Möglichkeit einer Rezeption von Gen 15,6 anzusehen sind 3 und als solche das semantische Grundfeld der Rezeptionen von Gen 15,6 in seinem Kern ausmachen: 1. Abraham kommt im Textzusammenhang vor (oder ist implizit vorhanden). 2. Abraham und Glaube stehen in semantisch-syntaktischem Zusammenhang. 3. Glaube und Gerechtigkeit stehen in semantisch-syntaktischem Zusammenhang. 4. Anrechnen steht in semantisch-syntaktischem Zusammenhang zum Glauben oder zur Gerechtigkeit. Diese Nennung der semantisch-syntaktischen Zusammenhänge ist ebenso vage wie ausreichend. Aufgrund der identifizierbaren Begriffe mit ihren Verbindungen bietet sie einerseits die nötige Objektivität für eine Nachweisbarkeit des semantischen Grundfeldes von Gen 15,6. Auf der anderen Seite sind die Verbindungen semantisch aber so offen gehalten, dass die weitere Suche nach potentiellen Konkretisationen von Rezeptionen nicht durch anfängliche Festlegungen hinsichtlich ihrer Form (durch eine Beschränkung auf Zitate) oder hinsichtlich ihres Inhalts (durch Festlegen auf die Subjektfrage von Gen 15,6b) eingeschränkt werden. 4 2. Auffinden von potentiellen Konkretisationen durch das semantische Grundwortfeld Zum Auffinden von weiteren Texten mit Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 ist nach dem in der theoretischen Grundlegung dargestellten Ansatz das semantische Feld von Gen 15,6 in den zu betrachtenden Schriftengruppen aufzuspüren und zu identifizieren. Da das Auffinden der Konkretisationen dem dargestellten Ansatz gemäß aber nicht durch den (direkten oder indirekten) Vergleich mit einer mutmaßlichen Rezeptionsvorlage oder auf der Grundlage einer vorausgesetzten theologischen Leitabstraktion basieren soll, kann das semantische Feld nicht durch beobachtende Lektüre 3 Diese Bedingungen sind rezeptionsästhetischer Art und nicht mit den Wirkungsbedingungen der Rezeptionsvorlage zu verwechseln, wenngleich sie mit denselben konvergieren (vgl. Flüchter/ Schnor: Anrechnung, 43f). 4 Vgl. hierzu die kritische Auseinandersetzung mit der Forschungsgeschichte Kap. II. <?page no="102"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 88 der entsprechenden Schriften identifiziert werden. Dem steht außerdem die hohe Anzahl der zu untersuchenden Schriften entgegen. Zur Verobjektivierung und zur Nachvollziehbarkeit des Auffindens von Textstellen, die potentiell das semantische Feld einer Rezeption von Gen 15,6 enthalten können, wird deshalb in einem ersten Schritt ein statistisches Verfahren auf den zu untersuchenden Literaturbereich angewendet. Hierbei dienen die das semantische Feld konstituierenden Begriffe als Indikatoren für eine potentielle Konkretisation in einer Schrift und somit für eine mögliche Rezeption von Gen 15,6. Werden diese Begriffe als Ausgangspunkt für eine statistische Suche nach potentiellen Textstellen mit dem semantischen Grundwortfeld von Gen 15,6 und damit nach Texten mit potentiellen Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 verstanden, sind nach B ERGER alle Komposita, Wortarten und wurzelverwandten Wörter dieser Begriffe mit in die Suche einzubeziehen: „In diesen Fällen liegt jeweils ein sehr hohes Maß von Bedeutungsidentität vor.“ 5 Die Zusammenstellung der für die hebräischen Wortgruppen zu berücksichtigenden Wörter basiert auf den Angaben zu Komposita und wurzelverwandten Wörtern im ThWAT bzw. auf den Angaben in der Konkordanz zum Alten Testament 6 , jedoch ist sie durch die Beschäftigung mit den Konkretisationen ergänzt. Tabelle 2 stellt die auf diesem Weg gewonnene Liste der für das semantische Grundwortfeld in hebräischer Sprache zu berücksichtigen Wortformen zusammen: 7 Tabelle 2: Wortformen der hebr. Wortgruppen des semantischen Grundfeldes Wortgruppe Wortformen Wortgruppe Wortformen ~h'r'b.a; mhrba mhrba mhrba mhrba ~r'b.a; bX; x' bvexo ! ABv.x, ! AbV'xi qd; c' qyDIc: hq'd'c. qdc qdc qdc qdc qd,c, bXx bXx bXx bXx hb'v'x]m; 5 Berger: Exegese, 144. 6 Vgl. Konkordanz zum hebräischen Alten Testament, ed. G. Lisowsky, Stuttgart, 21958. 7 Aus pragmatischen Gründen wird beim Auffinden der Konkretisationen die Wortgruppe »Gott« vernachlässigt, da es besonders in jüdischen Texten eine Vielzahl an Gottesbezeichnungen gibt, die nicht alle systematisch erfasst werden brauchen. <?page no="103"?> Kapitel IV: Methodische Schritte 89 Wortgruppe Wortformen ! m; a' ! Wmae ! Wma' hn"Wma/ ! mea' ! mea{ ! m,a{ hn"m'a] hn"m.a{ hn"m.a' ! ma ! ma ! ma ! ma tm,a/ Die für die griechischen Wortgruppen zu berücksichtigenden Wörter sind auf der Grundlage der Angaben im ThWNT entstanden und ebenfalls durch die Beschäftigung mit den Konkretisationen des semantischen Grundfeldes (insbesondere der nicht kanonischen Literatur) erweitert. Die auf diesem Weg gewonnene Liste der für das semantische Grundwortfeld in griechischer Sprache zu berücksichtigen Wortformen sind in Tabelle 3 zusammengestellt: Tabelle 3: Wortformen der griech. Wortgruppen des semantischen Grundfeldes Wortgruppe Wortformen Wortgruppe Wortformen VAbraa,m VAbraa,m VAbraa,m VAbraa,m VAbraa,m VAbra,m 9 ( pisteu,w( pi,stij( pisto,j( pisto,w( di,kh( di,kaioj( dikaiosu,nh( dikaio,w( dikai,oma( dikai,wsij( dikaiokrisi,a( dikai,wj 8 ( a; pistoj( avpiste,w( avpisti,a( pist& pist& pist& pist& ovligo,pistoj( ovligopisti,a logid& logid& logid& logid& logi,zomai( logismo,j dikai& dikai& dikai& dikai& a; dikoj( avdiki,a( avdike,w( avdi,khma( avdi,kwj 10 8 Im ThWNT ist dieses Wort mangels Vorkommens nicht eigens aufgeführt. 9 Im ThWNT ist dieses Wort mangels Vorkommens nicht eigens aufgeführt. 10 Im ThWNT ist dieses Wort mangels Vorkommens nicht eigens aufgeführt. <?page no="104"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 90 Weitere mögliche Ersetzungen und Veränderungen dieser Begriffe innerhalb des semantischen Grundfeldes beispielsweise durch Synonyme, Oppositionen oder andere funktionsgleiche Begriffe finden aufgrund des empirisch-induktiven Verfahrens durch die spätere Beschäftigung mit den Texten potentieller Konkretisationen als Erweiterungen des konkretisierten semantischen Feldes Eingang in die Untersuchung. 11 Denn ausschlaggebend ist bei der Frage nach Synonymen und anderen Veränderungen des semantischen Feldes, dass nicht unser Sprachgefühl oder unsere inhaltlichen Vorstellungen leitend sind, sondern allein das faktische Vorkommen, entweder durch Parallelgebrauch an bestimmten Textstellen oder durch Vorkommen zusammen mit einem oder (in der Regel) mehreren anderen Begriffen, die sonst im gemeinsamen Feld mit dem Wort vorkommen: „Denn so wird gewährleistet, daß es sich wirklich um die Eigengestalt der Sprache handelt und nicht um fragwürdige Vorentscheidungen aufgrund unseres eigenen Denkens.“ 12 In diesem ersten statistischen Schritt ist also der zu untersuchende Literaturbereich nach den in Abschnitt 4.1 dargebotenen Wortgruppen des semantischen Grundfeldes mit ihren zu berücksichtigen Wortformen zu durchsuchen. Mit Hilfe von Konkordanzen und elektronischen Suchhilfen sind die Wörter als Indikatoren einer potentiellen Konkretisation in den einzelnen Schriften aufzufinden und das Vorkommen dieser Wörter für jede einzelne Schrift in einer eigenen Tabelle aufzuzeichnen. In den Tabellen sind dabei die Kapitelangaben jeder Schrift gegen die verschiedenen Wortgruppen des semantischen Grundfeldes aufgetragen. Die statistische Aufzeichnung in Form einer Tabelle hat gegenüber einfachen konkordanzartigen Zusammenstellungen den deutlichen Vorteil, dass nicht nur die Verteilung der einzelnen Begriffe des semantischen Grundfeldes in den Schriften beobachtet werden kann, sondern besonders ihre lokale Nähe und damit ein evtl. Zusammenhang in den jeweiligen Schriften unverkennbar hervortritt. Die tabellarische Erfassung des Vorkommens der Begriffe des semantischen Grundfeldes zu jeder Schrift bietet außerdem die Möglichkeit, das Auftreten der konstitutiven Begriffe für dieses eine semantische Feld der Rezeption von Gen 15,6 auch in größeren Schriftzusammenhängen beobachten zu können. Es werden so Schriftgruppen erkennbar, in denen die gesuchten Begriffe und somit das semantische Grundfeld von Gen 15,6 ü- 11 Vgl. die Darstellung der verschiedenen Kohärenzgrade innerhalb eines semantischen Feldes bei B ERGER (ders.: Exegese, 144). 12 Berger: Exegese, 139. <?page no="105"?> Kapitel IV: Methodische Schritte 91 berhaupt nicht auftritt, in anderen Schriftgruppen dagegen kommt den gesuchten Begriffen rein statistisch betrachtet bereits eine wichtigere Rolle zu. 13 Sollte sich im Laufe der weiteren Analyse der Texte des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6 zeigen, dass Elemente des Grundwortfeldes durch andere regelmäßig ersetzt werden, muss durch erweiterte Konkordanzarbeit überprüft werden, ob sich durch diese Erweiterung innerhalb des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6 noch weitere Stellen ergeben, die auf mögliche Konkretisationen von Gen 15,6 hinweisen. Zur Auswertung des statistischen Befundes wird die Tabelle jeder einzelnen Schrift nach Textstellen durchsucht, an denen die eingetragenen Begriffe des semantischen Grundwortfeldes in einem näheren Zusammenhang stehen und die für das semantische Grundwortfeld konstitutiven Verbindungen aufweisen. Hierzu wird der »nähere Zusammenhang« zunächst erneut statistisch aufgefasst als »Umgebung von ungefähr zwei Schriftversen«. 14 Lassen sich in der Tabelle einer Schrift solche Umgebung finden, in denen zwei oder mehrere Wortformen der Begriffe des semantischen Grundfeldes auftreten, könnte es sich bei den entsprechenden Textstellen potentiell um Elemente des semantischen Grundfeldes von Gen 15,6 mit den entsprechenden Verbindungen handeln und somit um eine Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6. Diese Textstellen werden auf die semantisch-syntaktischen Verbindungen zwischen den Begriffen des Grundwortfeldes untersucht. Lässt sich zwischen den gefundenen Begriffen überhaupt kein semantisch-syntaktischer Zusammenhang erkennen, kann die betrachtete Textstelle nicht als Konkretisation des semantischen Grundfeldes angesehen werden und hat für die Untersuchung keine weitere Bedeutung. Durch dieses Ausschlusskriterium wird bereits ein großer Teil von Schriftstellen, die rein statistisch interessant erscheinen, aber semantisch eher zufällig in einer gewissen Nähe stehen ausgeschlossen. 15 Können die gesuchten Verbindungen zwischen den Begriffen des semantischen Grundwortfeldes 13 Eine solche Auswertung hinsichtlich der groben Verteilung der konstitutiven Begriffe des semantischen Grundfeldes von Gen 15,6 im untersuchten Literaturbereich wird zu Beginn des zweiten Hauptteils der Arbeit in Kap. V gegeben. 14 Die »nähere Umgebung von ungefähr zwei Schriftversen« dahingehend genauer zu definieren, dass ein genauer Versabstand oder sogar ein maximaler Wortabstand festgelegt würde, schien uns sowohl der unterschiedlichen Literaturart der Schriften als auch dem komplexen System Sprache unangemessen. 15 An dieser Stelle soll explizit darauf hingewiesen werden, dass in diesem Vorgang des Ausschlusses ein gewisser Grad an subjektiver Entscheidungsleistung des Verfassers liegt (vgl. Frankemölle: Netz, 169). <?page no="106"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 92 aufgezeigt werden, könnte es sich bei dieser Textstelle potentiell um die Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 handeln. Um eine Textstelle als solch potentielle Konkretisation nachvollziehbar anzusehen, sollen mindestens zwei der in Abschnitt 4.1 aufgeführten Verbindungen als Elemente des semantischen Feldes von Gen 15,6 an dieser Textstelle vorhanden sein. Wie die einzelnen semantisch-syntaktischen Verbindungen der Begriffe allerdings grammatikalisch und insbesondere inhaltlich gefüllt sind, muss zunächst offen bleiben. Dies wird bei den einzelnen Konkretisationen der Rezeptionen von Gen 15,6 variieren und soll schließlich erst Gegenstand der eingehenden Analyse der potentiellen Konkretisationen sein. Es sei abschließend noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auf diese Weise Schriftstellen gefunden werden, die potentielle(! ) Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 darstellen. Der Nachweis der Kombinationen von Begriffen allein ist zwar notwendige aber nicht hinreichende Bedingung für das Vorhandensein eines Teils des semantischen Grundfeldes an einer bestimmten Textstelle und damit für die Charakterisierung dieser Stelle als Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6. Das letztlich festzustellen bleibt allein der sorgfältigen rezeptionsästhetisch-exegetischen Auseinandersetzung mit dieser Stelle vorbehalten. Dabei ist gemäß des Kontextprinzips 16 die Frage leitend, ob in einem größeren Kontext das semantische Grundfeld in seinen wesentlichen Elementen nachgewiesen werden kann, wenngleich dazu nicht alle seine Elemente vorhanden sein müssen. Ist dies der Fall, so sind die so charakterisierten Textstellen als Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 anzusehen. Ob es sich also bei den gefundenen Texten auch nachweislich um Konkretisationen einer solchen Rezeption handelt, kann folglich erst die ausführlichere Beschäftigung mit den gefundenen Textstellen innerhalb der Analyse klären. Ihr methodisches Vorgehen und die Darstellung ihrer Untersuchungsergebnisse sollen nun weitergehend vorgestellt werden. 16 B ERGER greift dieses Prinzip von der strukturellen Semantik auf, woraus sich für ihn auch die „Priorität der Annahme der Einheit des Textes“ (ders.: Exegese, 64) ergibt: „Das Prinzip der Kontextualität hat sich besonders fruchtbar ausgewirkt für die Frage nach den kleineren, in der Diachronie (d.h. im historischen Zeitverlauf) relativ konstanten »Kontexten«, in denen Wörter überliefert werden und begegnen, d.h. für die Frage nach semantischen Feldern“ (ebd). <?page no="107"?> Kapitel IV: Methodische Schritte 93 3. Rezeptionsästhetische Analyse der potentiellen Konkretisationen in ihrem nähren und weiteren literarischen Kontext Gemäß des erarbeiteten Propriums einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 hat die rezeptionsästhetische Untersuchung der potentiellen Konkretisationen durch sorgfältige Analyse der Funktion des semantischen Feldes von Gen 15,6 innerhalb der literarischen Äußerung des Rezipienten zu erfolgen, bevor es zu einem methodisch kontrollierten Vergleich mit anderen Konkretisationen kommen kann. Für ihre methodische Umsetzung ergeben sich daraus zwei grundlegende Bestimmungen: (1.) Die rezeptionsästhetische Untersuchung erfolgt in einem methodischen Zweischritt. Die einzelnen Untersuchungsaspekte sind so angelegt, dass sie zunächst die potentiellen Konkretisationen in ihrem jeweiligen literarischen Kontext in den Blick nehmen und hauptsächlich am Einzeltext orientiert sind. Erst in einem zweiten Schritt der rezeptionsästhetischen Untersuchung kommen die Arbeitsweisen zum Zuge, die auf Textvergleich der verschiedenen Konkretisationen beruhen. 17 Auch wenn ein solches Vorgehen ebenso wie die Isolierung der einzelnen exegetischen Arbeitsweisen nicht strikt durchzuhalten ist, wird doch durch den Zweischritt der subjektperspektivische Ansatz der rezeptionsästhetischen Untersuchung methodisch abgesichert. 18 Denn gerade in den exegetischen Untersuchungsmethoden spiegelt sich die Perspektive des methodischen Vorgehens: „Man kann sagen: Alles ist Tradition - und alles ist Redaktion. Denn in bestimmter Hinsicht sind alle Elemente eines Textes, seine Form usw. schon dagewesen, in anderer Hinsicht jedoch ist alles neu, zumindest in Komposition und Anordnung.“ 19 Das subjektperspektivische Vorgehen setzt den Schwerpunkt bei der Redaktion und fragt nach der spezifischen Funktion des Rezeptionsobjekts in der literarischen Produktion des Rezipienten unter seinen sozialgeschichtlichen Bedingungen. (2.) Die rezeptionsästhetische Untersuchung darf die potentiellen Konkretisationen nicht isoliert betrachten, sondern hat sie grundsätzlich im Rahmen des literarischen Zeugnisses des Rezipienten zu untersuchen. So kommen in der Analyse der potentiellen Konkretisatio- 17 Siehe Abschn. 4. 18 Für die Exegese fordert K LAUS B ERGER trotz des Ineinandergreifens und der Unmöglichkeit der Isolierung einzelner Exegeseschritte grundsätzlich die Priorität der literarischen vor den soziologischen Schritten (vgl. ders: Exegese, 9). 19 Berger: Exegese, 167. <?page no="108"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 94 nen nicht nur die entsprechenden Perikopen als deren näherer literarischer Kontext in den Blick, sondern es wird dann auch nach der Funktion des ermittelten erweiterten semantischen Feldes der Rezeption von Gen 15,6 im Mittelungsgeschehen des Schriftganzen als weiterem literarischen Kontext gefragt. 3.1 Rezeptionsästhetik durch zielgerichtete Exegese des näheren literarischen Kontextes der potentiellen Konkretisationen 20 Zur Auswahl der Perikopen, die der Analyse des näheren literarischen Kontexts zugrunde gelegt werden, dienen die Ergebnisse der Analyse des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6 bei der Identifikation der potentiellen Konkretisationen. Mit Hilfe der entsprechenden Tabelle wird festgelegt, welche Perikopen einer eingehenden rezeptionsästhetischen Analyse unterzogen werden. 21 Dabei ist für die Frage der Abgrenzung der Perikopen ebenfalls auf die tabellarische Übersicht zum semantischen Grundwortfeld zurückzugreifen. Denn der zu betrachtende, relevante Kontext einer potentiellen Konkretisation reicht so weit wie entsprechende Elemente des semantischen Feldes mit ihren entsprechenden charakteristischen Verbindungen nachweisbar sind. 22 Dadurch ergeben sich zuweilen von der konventionellen Auslegung abweichende Abgrenzungen. 23 Finden sich bei der Auswahl Perikopen, in denen Elemente des semantischen Grundwortfeldes, nicht aber die charakteristischen Verbindungen von Gen 15,6 nachweisbar sind, werden sie ggf. in einem gesonderten Exkurs behandelt oder aber für die Untersuchung im Rahmen des erweiterten semantischen Feldes zur Bestimmung des Mittelungsgeschehens vorgesehen. Die Analyse der ausgewählten Perikopen kann - wie in der theoretischen Grundlegung bereits dargelegt - wegen der Identität von Rezipient (von Gen 15,6) und Produzent (der Konkretisation seiner Rezeption) produktionsästhetisch durch Erarbeitung der mit der Konkretisation intendierten Wirkung ausgeführt werden. 24 Das hat den Vorteil, dass hierzu Instrumentarien der historisch-kritische Exegese herangezogen werden können, deren 20 Die Durchführung des hier dargestellten methodischen Vorgehens wird für die drei Beispiele im zweiten Hauptteil der Arbeit jeweils in Abschn. 2 der Kap. VI-VIII dokumentiert. 21 In Kap. VI-VIII jeweils in Abschn. 2.1 zu finden. 22 Vgl. Berger: Exegese, 154. 23 So im Beispiel des Hebräerbriefs (vgl. Kap. VII). 24 Vgl. Kap. III, Abschn. 1. <?page no="109"?> Kapitel IV: Methodische Schritte 95 Ziel es ist, „die Aussageintention der menschlichen Autoren in ihrer jeweiligen Welt zu ermitteln“ 25 . Denn „die Rezeptionsästhetik ist keine autonome, sich selbst für die Lösung ihrer Probleme genügende axiomatische Disziplin, sondern eine partiale, anbaufähige und auf Zusammenarbeit angewiesene methodische Reflexion, (…) die bei der Aufhellung und Kritik von Rezeptionsprozessen auf historisches Wissen und analytische Erklärung angewiesen ist, wenn Konkretisationen auf geschichtlich-gesellschaftliche Rezeptionsbedingungen zurückgeführt werden sollen.“ 26 Das bedeutet, die rezeptionsästhetische Untersuchung der potentiellen Konkretisationen wird mit den Mitteln der produktionsästhetischen Methode der historisch-kritischen Exegese durchgeführt, wobei ihre einzelnen methodischen Arbeitsschritte auf das Ziel der Rezeptionsästhetik hin zu spezifizieren sind. Dabei sind besonders die Ausführungen von K LAUS B ERGER in seinem Methodenbuch zur Exegese des Neuen Testaments 27 leitend, in denen er genau diese Zuspitzung einer historisch-kritisch arbeitenden Auslegung auf die Untersuchung von Rezeptionsprozessen vornimmt. Was das für die einzelnen exegetischen Methoden und Arbeitsweisen bedeutet, ist im Folgenden zu entfalten. Der Textkritik kommt zunächst ihre klassische Aufgabe zu, auf der Grundlage der Textzeugen, die älteste erreichbare Textfassung zu rekonstruieren. Darüber hinaus werden die textkritischen Apparate aber auch rezeptionsästhetisch dahingehend ausgewertet, dass ihre Varianten als unterschiedliche Rezeptionsstufen eines Textes in den Blick kommen und durch ihre Änderungen auf bestimmte Aspekte der mutmaßlich älteren Textversion zurück geschlossen werden kann. Zudem können sich bis in die Textgeschichte hinein in Lesarten ältere Traditionsüberlieferungen in Form von Variationen in semantischen Feldern bewahrt haben. Aus diesem Grund sind in der Analyse der semantischen Felder alle textkritischen Varianten zu berücksichtigen. Eine grundlegende Entscheidung bei der Analyse der ausgewählten Perikopen ist der Ausgang von der uns heute vorliegende Endgestalt der Texte. Dahinter steht die Überzeugung, dass den Verfassern nicht ausschließlich die Rolle von Sammlern und kurzsichtigen Redaktoren zukommt, deren Beachtung gegenüber irgendwelcher als mutmaßlich ursprünglicher angenommenen Autoren geringer einzuschätzen ist. Vielmehr werden die Verfasser der Endgestalt der Texte in dieser Untersuchung als diejenigen ver- 25 Oeming: Hermeneutik, 32. 26 Jauß: Iphigenie, 31.42; vgl. auch Gnilka: Wirkungsgeschichte, 51. 27 Siehe Berger: Exegese. <?page no="110"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 96 standen, die den Texten aufgrund ihres bestimmten Aussageinteresses ihre jetzige Gestalt für ein konkretes Mitteilungsgeschehen gegeben haben. Nur diese Verfasser sind uns heute aufgrund ihrer literarischen Hinterlassenschaften und der damit verbundenen Möglichkeit der Herausarbeitung ihrer intendierten Wirkung als Rezipienten historisch-kritisch zugänglich. Das für die rezeptionsästhetische Untersuchung der Konkretisationen leitende Interesse ist somit nicht das Auffinden von Spannungen und Widersprüchen zur kritischen Zergliederung der Texte in widerspruchsfreie Textelemente, sondern eher die Frage, wie die Verfasser der uns vorliegenden Texte diese in ihrer Endgestalt verstanden haben und damit auch von ihren Lesern verstanden wissen wollten. 28 „Zunächst gilt das für die einzelnen biblischen Schriften, die synchron als textliche Einheit zu interpretieren sind. Dies schließt ihre diachrone Analyse nicht aus, doch kehrt sich unter rezeptionsästhetischer Prämisse die Abfolge von diachroner und synchroner Interpretation gegenüber der gängigen Praxis historisch-kritischer Exegese um.“ 29 Die Frage nach der Kohärenz des Textes wird der Frage nach Brüchen und Spannungen vorgeordnet. 30 Die rezeptionsästhetische Analyse rechnet damit, in der vorliegenden Endgestalt einen formal wie gedanklich kohärenten und sinnvollen Text zu bearbeiten. 31 Die methodische Umsetzung dieses Ansatzes im Rahmen der rezeptionsästhetischen Analyse der potentiellen Konkretisationen macht es notwendig, die auf diachrone Texterschließung ausgerichteten Methoden der historisch-kritischen Exegese entsprechend anzupassen. So finden die Fragestellungen der Literarkritik nicht als Mittel zur Quellenscheidung Eingang in die rezeptionsästhetische Untersuchung, sondern werden vielmehr als ein Mittel angesehen, um Vorlagen zu erheben, die ein Autor selbst verarbeitet haben könnte: „Diese Frage betrifft nicht mehr verschiedene Redaktoren oder Überarbeiter eines fertigen Buches, sondern die Verbindung verschiedener Quellen und Überlieferungen zu einem neuen Ganzen durch den einen Redaktor/ Verfasser.“ 32 28 Vgl. bzgl. der Textgestalt den Ansatz von R OLF R ENDTORFF (ders.: Theologie I, 2f). 29 Körtner: Lector, 229; im Original ohne Hervorhebung. 30 Vgl. Berger: Exegese, 32. 31 Der Frage nach der Kohärenz kommt besonders im Blick auf den Jakobusbrief und den 1. Clemensbrief für die Rezeptionsästhetik große Bedeutung zu (vgl. Kap. VI u. VIII). 32 Berger: Exegese, 31. Gleichzeitig macht B ERGER darauf aufmerksam, dass diese Aufgabe der Literarkritik sehr begrenzt ist: „Abgesehen davon, dass man mit verschiedenen Graden der Fixiertheit von Traditionen rechnen muß, unter denen schriftliche Fixierung nur ein Ausnahmefall ist, besteht kein notwendiger Zusammenhang zwischen literarkritischen Daten und den Schweißnähten verbundener Tradition“ (ebd.). <?page no="111"?> Kapitel IV: Methodische Schritte 97 Die Fragen der Formgeschichte innerhalb der Analyse sind dahingehend reduziert, dass sie die literarische Form der Textabschnitte und damit den Stil des Autors herausstellen. „Unter Stil versteht man in der neueren Forschung das Prinzip der Auswahl sprachlicher Mittel, die den Rezipienten und der rhetorischen Wirkabsicht entsprechen sollen. Stil entspricht damit dem rhetorischen Prinzip des „aptum“, der Anpassung an die Bedingungen des Mitteilungsgeschehens.“ 33 Den weiteren Fragen der Formgeschichte nach der sozialen Funktion von Texten kann erst im Zusammenhang der Textvergleiche nachgegangen werden. Sie sind aufgrund der sprachlichen Form eines Einzeltextes allein nicht zu beantworten. 34 Die Traditionsgeschichte stellt in der rezeptionsästhetischen Analyse nicht durch Ermittlung von Brüchen und Einschüben heraus, wo ein Text traditionelles Material verarbeitet. Vielmehr werden hier auch Fragestellungen der am Einzeltext orientierten Literarkritik weitergeführt. „Es ist ein Irrtum der älteren Literarkritik zu meinen, traditionelles Material sei jeweils nur an Brüchen und Einschüben erkennbar. Dies trifft nur in Einzelfällen zu. (...) Traditionsgeschichte achtet nicht nur darauf, wo der Text Fremdkörper verarbeitet, sondern sie betrachtet den gesamten Text unter dem Aspekt der Vergleichbarkeit mit anderen Texten und der Vorgeschichte“ 35 . Die Redaktionsgeschichte betrachtet wie die Traditionsgeschichte „ebenfalls den gesamten Text unter dem Aspekt der Konzeption des Autors“ 36 . Bei der rezeptionsästhetischen Untersuchung geht die Redaktionskritik dabei jedoch nicht so vor, dass sie versucht, eine Theologie des Autors zu ermitteln und hieraus den Text zu interpretieren. Sie fragt schlichter nach der literarischen Intention, den Wirkabsichten des Autors, versucht seine Botschaft als Zeugin eines historischen Mitteilungsgeschehens herauszustellen. 37 Hier stehen Beobachtungen zur zentralen Motivation des Verfassers und über mögliche Probleme in den jeweiligen Adressatenkreisen im Mittelpunkt. Es ergeben sich auch Beobachtungen durch Auswertung der Komposition, der Bestimmung vorherrschender Traditionen und deren Selektion 33 Berger: Exegese, 90. 34 Wir schließen uns damit B ERGERS Hauptkritik gegenüber den klassischen Ansätzen der Formgeschichte von M ARTIN D IBELIUS und R UDOLF B ULTMANN an, die allein durch die Beschreibung der Form auf einen sozialen Verwendungsbereich geschlossen haben. „Die soziale Funktion eines Textes kann nicht zugleich mit der Form erfasst werden, sondern nur auf dem Umweg über eine Untersuchung des literarischen und historischen Kontextes und den Textvergleich“ (Berger: Exegese, 36). 35 Berger: Exegese, 165f. 36 Berger: Exegese, 166. 37 Vgl. Berger: Exegese, 203. <?page no="112"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 98 sowie Kombination. Dies führt zu einer theologischen Standortbestimmung des Autors. Von besonderer Bedeutung für die rezeptionsästhetisch ausgerichtete historisch-kritische Arbeit ist die in den letzten Jahren durch Übernahme von Arbeitstechniken aus dem Bereich der literaturwissenschaftlichen und linguistischen Forschung entwickelte Textanalyse. 38 Mit ihrer Hilfe wird der Text in dreifacher Hinsicht erschlossen. Durch Analyse der Textoberfläche kommen zunächst formale Aspekte zum tragen. Auf der Satzebene sind das vor allem Beobachtungen zum Tempus und zu den Satzarten die zusammen mit den Gliederungsmerkmalen auf der Textebene erste Anhaltspunkte zur Gliederung des Textes liefern. Im Blick auf die Analyse des semantischen Feldes der Konkretisationen können auf der Wortebene erste Beobachtungen zur Häufigkeit und Wiederholung von Worten und Wortstämmen gemacht werden. Auf der semantischen Ebene sind dabei auch Reime, Alliterationen, etc. zu beachten. Wie am Beispiel des Jakobusbriefes gezeigt wird, können diese Beobachtungen im Blick auf Gliederung und Argumentationsstruktur einen hohen Wert besitzen. 39 Durch die Analyse der Tiefenstruktur werden die Formaspekte dann um erste inhaltliche Aspekte ergänzt. Von der Satzzur Textebene hin ist dabei der inhaltliche Aufbau des Textes zu erschließen. Im Blick auf die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6, sind zudem Beobachtungen zu Wortspielen, Leitworten und semantischen Feldern auf der Laut- und Wortebene wichtig. Es ist hier genau zu beobachten, in welcher Weise das rezipierte semantische Grundwortfeld des Schriftwortes in der Konkretisation mit anderen semantischen Feldern verbunden wird. Entsprechend der Theorie semantischer Felder sind dabei aber nicht einfach die Wortstämme als Elemente des Feldes von Bedeutung, sondern alle aus der Textanalyse bereits bekannten semantischen und syntaktischen Bezüge. Die so ermittelten Erweiterungen sind nämlich dann der Ausgangspunkt für die Ermittlung der Funktion, die dem erweiterten semantischen Feld der Rezeption von Gen 15,6 in der Konkretisation des Rezipienten zukommt. Als dritter Aspekt kommt schließlich die pragmatische Dimension des Textes hinzu, in dem die Mittel zum Hervorrufen intendierter Wirkung beim Leser analysiert werden. Der pragmatische Aspekt weist besonders in 38 Hier ist besonders das Arbeitsbuch von U TZSCHNEIDER und N ITSCHE zu nennen (siehe dies.: Arbeitsbuch). 39 Vgl. Kap. VI. <?page no="113"?> Kapitel IV: Methodische Schritte 99 Richtung auf das Mitteilungsgeschehen 40 hinter dem zu untersuchenden Text, dessen Erhellung von grundlegender Bedeutung für die Untersuchung der Einzeltexte ist: „Denn Sprache ist immer allgemein. Konkreter wird das Gemeinte erst, wenn man die Situation und die Handlungspraxis einbezieht.“ 41 Erst durch das gemeinsame Betrachten von Text und Situation kann die Intention des Autors eindeutig und zweifelsfrei herausgestellt werden. 42 Denn „eine für die Grundlage einer historischen Rezeptionsforschung unabdingbare Voraussetzung ist die Reflexion der kommunikativen Situation, in der sich der Rezipient befindet“ 43 . Hierbei stehen dann Fragen nach dem Stil des Autors sowie der pragmatischen Dimension der Texte im Mittelpunkt. Das Ziel der Textanalyse ist schließlich die Erarbeitung der Argumentationsstruktur aus Form, Inhalt und Pragmatik des Textes, die den Kern der rezeptionsästhetischen Analysen ausmacht. Sie wird in der rezeptionsästhetischen Analyse der einzelnen Perikopen durch strukturierte Darstellung des jeweiligen Textes veranschaulicht und ausführlich erläutert. 44 Das Gesamtergebnis der rezeptionsästhetischen Analyse der potentiellen Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 kommt in der den jeweiligen Abschnitt abschließenden Übersetzung der analysierten Perikope zum Ausdruck. Durch die strukturierte Darstellung werden dabei die Ergebnisse der Textanalyse aufgenommen und in der Übersetzung mit den Ergebnissen aller Untersuchungsaspekte im deutschen Text abschließend konkretisiert. 45 3.2 Das erweiterte semantische Feld der Konkretisationen im Mitteilungsgeschehen ihres weiteren literarischen Kontextes Im Anschluss an die rezeptionsästhetische Analyse der entsprechenden Perikopen potentieller Konkretisationen wird entschieden, ob das analysierte semantische Feld die Grundelemente von Gen 15,6 mit ihren charakteristischen Verbindungen aufweist und somit als Konkretisation einer Rezeption 40 In Anlehnung an B ERGER sprechen wir nicht von »Kommunikationssituation«, sondern von Mitteilungsgeschehen, da es sich nicht um eine wirkliche dialogische Form handelt (vgl. ders.: Exegese, 92). 41 Berger: Exegese, 255 (Anmerkung 125). 42 Mit H ANNELORE L INK (dies.: Rezeptionsforschung) bestreitet B ERGER aus diesem Grund die Theorie der Unbestimmtheit eines Textes (vgl. Berger: Exegese, 255 (Anm. 125)). 43 Grimm: Rezeptionsgeschichte, 21. 44 In Kap. VI-VIII jeweils zu Beginn der Analysen dargeboten und nachfolgend erläutert. 45 In Kap. VI-VIII jeweils am Schluss der Analysen dargeboten. <?page no="114"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 100 von Gen 15,6 anzusehen ist. 46 Außerdem werden nun die Beobachtungen am semantischen Feld der Konkretisationen in ihren engeren literarischen Kontexten zusammengetragen, um die Bedeutung des erweiterten semantischen Feldes im Mitteilungsgeschehen des Schriftganzen als dem weiteren literarischen Kontext zu ermitteln. Dazu wird die entsprechende Tabelle mit den Elementen des semantischen Grundwortfeldes um alle Elemente erweitert, die im Zusammenhang mit der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 mit dem semantischen Grundwortfeld verbunden sind. Sind für einen Rezipienten mehrere Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 in einer Schrift nachgewiesen, wird in der Zusammenstellung zwischen gemeinsamen Erweiterungen (die in mindestens zwei Konkretisationen auftreten) und spezifischen Erweiterungen (die in nur einer Konkretisation auftreten) unterschieden. Bei den Erweiterungen des semantischen Feldes sind neben den Komposita und wurzelverwandten Wörtern auch Oppositionen zu berücksichtigen, wenn diese sich in der Analyse der Konkretisationen als bedeutsam erwiesen haben. Mit Hilfe der erweiterten Tabelle des semantischen Feldes der Konkretisationen wird nun für das Schriftganze nach Stellen gesucht, an denen mehrere Elemente des erweiterten semantischen Feldes miteinander verbunden sind. Sie werden in einer umfangreichen Tabelle zusammengestellt, wobei eventuell erkennbare charakteristische Strukturen des semantischen Feldes in der Darstellung berücksichtigt werden. 47 Dabei wird schon deutlich, welche Elemente und Wortverbindungen des semantischen Feldes sich singulär im Zusammenhang der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 finden und welche im weiteren literarischen Kontext auch grundsätzlich eine Rolle spielen. Die signifikantesten Verbindungen von Elementen des erweiterten semantischen Feldes werden dann genauer daraufhin untersucht, was aus ihnen vom sozialhistorischen und theologischen Umfeld des Autors und Rezipienten deutlich wird. Auf diese Weise wird bestimmt, in welchem Verhältnis die Funktion der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 in ihrem näheren literarischen Kontext zum Mitteilungsgeschehen ihres gesamten literarischen Kontexts steht. Im Rahmen der subjektperspektivisch angelegten rezeptionsästhetischen Untersuchung ist damit die Bestimmung der Bedeutung des semantischen Feldes der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 im Mitteilungsgeschehen des Schriftganzen des Autors bzw. Rezi- 46 In Kap. VI-VIII jeweils im letzten Unterabschnitt von Abschn. 2 dokumentiert. 47 In Kap. VI-VIII jeweils zu Beginn von Abschn. 3.1. <?page no="115"?> Kapitel IV: Methodische Schritte 101 pienten möglich, von wo aus der Versuch einer Verhältnisbestimmung der Konkretisation dieses Rezipienten mit den Konkretisationen anderer Rezipienten und damit eine Einordnung in die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 dann erst sinnvoll möglich wird. 4. Rezeptionsgeschichte durch Vergleich rezeptionsspezifischer Merkmale Gemäß dem Proprium einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 besteht diese nicht in der Geschichte des mehr oder weniger verschieden rezipierten Textes, sondern in der Nachzeichnung der Geschichte der Gen 15,6 rezipierenden Subjekte. Die unterschiedlichen Rezeptionen sollen nicht wie in der Forschungsgeschichte weitgehend zu beobachten, in (zumeist zwei) eindimensionalen Entwicklungslinien und damit in einen linearen Entstehungsprozess eingezeichnet werden. Die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 ist vielmehr als mehrdimensionales Phänomen vorzustellen, in dem neben unterschiedlichen Überlieferungs- und Traditionszusammenhängen vor allem die sozialhistorischen Bedingungen und aktuellen sozialen, politischen und theologischen Auseinandersetzungen im Umfeld der Rezipienten die Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 maßgeblich prägen. Die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 ist so vielgestaltig, wie es die spezifischen Situationen sind, in denen die Rezipienten ihre Rezeption von Gen 15,6 mit einer bestimmten Funktion im Blick auf ihre Adressaten konkretisierten. Von daher verbietet es sich „mit einem evolutiven Modell zu arbeiten, vielmehr sind alle von den Texten belegbaren Entwicklungen nüchtern aufzuarbeiten, ohne dass diese die faktisch stattgefundene Geschichte einholen können.“ 48 Die im Rahmen der rezeptionsästhetischen Analyse für eine einzelne Konkretisation rezeptionsästhetisch erarbeiteten spezifischen Merkmale ihrer Funktion im Mitteilungsgeschehen ihres literarischen Kontexts lassen sich im Blick auf die sozialhistorischen Rezeptionsbedingungen noch erweitern, indem sie mit denen anderer Konkretisationen verglichen werden. Indem die Merkmale des erweiterten semantischen Feldes der verschiedenen Konkretisationen auf allen Untersuchungsebenen miteinander verglichen werden, treten die spezifischen Grade an Tradition und Innovation der ein- 48 Frankemölle: Kommentar, 251. <?page no="116"?> Teil A: Theoretische und methodische Grundlegung 102 zelnen Rezeption im Rezeptionsprozess hervor. Deren sozialgeschichtliche Applikationen können auf fünf Ebenen auswertet werden: (1) Für die Einzeltexte und deren konkretes Mitteilungsgeschehen ergeben sich weitere Rückschlüsse auf sozialgeschichtliche Faktoren. Die Frage nach Bedeutung und Funktion der vom Autor verwendeten traditionellen wie innovativen Themen und deren sprachliche Verwendungen spiegeln außertextliche Begebenheiten innerhalb der konkreten Situationen wider. (2) Aus den relativ regelmäßig festzustellenden Erweiterungen des semantischen Grundwortfeldes in den verschiedenen Konkretisationen ergeben sich bestimmte Aspekte, die innerhalb der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 eine wichtige Rolle spielen. In ihnen verbinden sich traditionsgeschichtliche Fragestellungen mit ihren sozialgeschichtlichen Bedingungen. Sie evozieren soziologische Rückschlüsse nach Herkunft, Hintergrund und Entwicklung bestimmter Themen und Gedankengänge, die in Verbindung mit den Rezeptionen von Gen 15,6 stehen. (3) Die bei der Betrachtung der gesamten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 auftretenden Linien von Gemeinsamkeiten und Kontinuitäten lassen zum einen Rückschlussmöglichkeiten auf angenommene Trägergruppen oder Gruppenverbindungen zu. Darüber hinaus lassen sie sich aber auch als diachrone Synonymitäten hinsichtlich der in der Geschichte des semantischen Feldes herausgebildeten Formeln auswerten. So entstandene Formeln sind trotz formaler Abweichungen inhaltlich noch immer durch die Herkunft aus dem genannten semantischen Feld bestimmt und führen dieses in gewandelter fester Form weiter. 49 Dies dient der Erhellung der Herkunftsbereiche bestimmter Traditionen und deren sozialgeschichtlicher Zusammenhänge. (4) Der Blick auf die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 lässt durch Nachweis von Stellen mit einem hohen Grand an Innovation wichtige Punkte innerhalb des Traditionsprozesses von Gen 15,6 erkennen. Starke Neuerungen in den Rezeptionen weisen auf wichtige historische Ereignisse hin, die die Sprache und damit auch das semantische Feld von Gen 15,6 verändert haben. Diese Punkte sind für den Aufweis von Trennungsprozessen einer ehemals gemeinsamen Sprachtradition von besonderer Relevanz. (5) Insgesamt werden alle Rezeptionen und deren textliches Mitteilungsgeschehen nach den Merkmalen befragt, die eine Verwendung von Gen 15,6 bedingt haben. Denn es lassen sich in dieser Hinsicht allen Rezeptionen gemeinsam zugrunde liegende Muster erkennen, die sowohl synchron wie 49 Berger: Exegese, 149. <?page no="117"?> Kapitel IV: Methodische Schritte 103 auch diachron Sprachkonventionalität 50 aufzeigen. Diese verweist auf Verbindungen durch Trägerkreise oder Kontakte der Autoren zu gewissen Gruppen und auf die Verwendung der Texte in ähnlichen Situationen. Zusammengenommen liefern die Ergebnisse der rezeptionsästhetischen Untersuchungen an den Einzeltexten und die Vergleiche der rezeptionsspezifischen Merkmale der verschiedenen Konkretisationen Aufschlüsse über das Phänomen der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6. Im Rahmen der sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte decken sie diejenigen Umstände und Situationen auf, in denen den Rezipienten von Gen 15,6 und den Adressaten seiner Konkretisationen dieses Schriftwort eine Hilfe zur Bewältigung derselben geworden ist. Das durch die Zeit zu beobachten und zu dokumentieren ist das Ziel der sozialhistorischen Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6. 51 50 Vgl. Kap. III, Abschn. 2. 51 Zu diesem Ziel kommt der praktische zweite Teil dieser Arbeit natürlich nur partiell, da als Voraussetzung dafür sämtliche Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 nach der dargestellten Methode zu untersuchen und zu vergleichen wären. Die erreichbaren Teilergebnisse im Blick auf die bearbeiteten Beispiele werden jeweils in Abschn. 3.2 der Kap. VI-VIII zusammengetragen. <?page no="119"?> Teil B Beispiele einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsforschung für Gen 15,6 aus der neutestamentlichen Literatur Nach der theoretischen und methodischen Grundlegung einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 widmet sich der zweite Teil dieser Untersuchung ihrer praktischen Erprobung. Er ist exemplarisch angelegt und führt die rezeptionsästhetische Analyse potentieller Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 an drei ausgewählten Beispielen vor. Die Auswahl der Beispiele orientiert sich an den im forschungsgeschichtlichen Überblick herausgearbeiteten hermeneutischen Problemen, um die Leistungsfähigkeit der entwickelten Methode zu testen. So wurde der Jakobusbrief ausgewählt, weil er in der Forschungsgeschichte in besonderem Maße unter dem Präjudiz einer paulinischen Abhängigkeit gestanden und in der stark polarisierenden Sicht der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 den an der jüdischen Auslegung orientierten Gegenpol repräsentiert hat. 1 Es ist zu beobachten, ob der sozialhistorisch orientierte Ansatz dies zu vermeiden vermag und dadurch zu einer anderen Beurteilung der Rezeption von Gen 15,6 im Jakobusbrief gelangt. Der Hebräerbrief wurde ausgewählt, weil ihm in der Forschungsgeschichte keine Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 zugesprochen wird, obwohl die entscheidenden Elemente des Grundwortfeldes durchaus in charakteristischen Verbindungen vorkommen. Im Hintergrund stehen dabei zumeist paulinische Leitabstraktionen, die mit den potentiellen Konkretisationen nicht vereinbar sind. 2 Es zu beobachten, ob sich mit Hilfe des empirisch-induktiven Vorgehens der Wortfeldanalyse Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 nachweisen lassen und die rezeptionsästhetische Analyse diese aus ihrer sozialhistorischen Verortung erklären kann. 1 Vgl. Kap. VI, Abschn. 1. 2 Vgl. Kap. VII, Abschn. 1. <?page no="120"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 106 Als drittes Beispiel wurde der 1. Clemensbrief ausgewählt, weil er in der Forschungsgeschichte kaum bedacht wird, obwohl er gleichzeitig mit den kanonischen Schriften des Neuen Testaments entstanden ist und im Codex Alexandrinus gleichberechtigt neben diesen steht. Außerdem erscheint der 1. Clemensbrief als eine Schrift, deren Wortbestand zu 28% aus Schriftzitaten besteht, zur Erprobung der rezeptionsästhetischen Analyse als besonders geeignet. 3 Es ist am Beispiel der Rezeption von Gen 15,6 zu beobachten, ob sie das Phänomen der Schriftrezeption im Blick auf seine sozialhistorische Verortung gewinnbringend erhellen kann. Bevor sich aber die Kapitel VI-VIII der umfangreichen rezeptionsästhetischen Untersuchung der ausgewählten Beispiele widmen, gibt Kapitel V einen Überblick über die Ergebnisse der Wortfelduntersuchung für die neutestamentliche Literatur insgesamt. Bei der Bestimmung dessen, was in dieser Untersuchung unter »neutestamentlicher Literatur« verstanden wird, spielen die Ausführungen von B ERND W ANDER zur Frage nach der zeitlichen Abgrenzung des »Frühen Christentums« eine wichtige Rolle, denen in methodischer wie hermeneutischer Hinsicht beizupflichten ist. Demnach muss den Fragen nachgegangen werden, „welche die Voraussetzungen als auch die Wirkungsgeschichte des doch relativ schmalen Bestandes an neutestamentlichem Schrifttum im Auge haben“ 4 . In Jahreszahlen gesprochen geht es nach W ANDER dabei „mindestens um die Epoche zwischen 333 v.Chr. und 313 n.Chr. (…) nämlich vom Beginn der Hellenisierung des Vorderen Orients bis zur endgültigen Tolerierung der christlichen Gemeinden durch den römischen Staat“ 5 . Im Blick auf die in dieser Untersuchung im Vordergrund stehende sozialhistorische Dimension des Rezeptionsvorgangs sind die historischen, soziokulturellen, politischen und theologischen Bedingungen dieser Gesamtepoche in den Blick zu nehmen. In der praktischen Umsetzung der aufwendigen empirisch-induktiven Methode einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 ergeben sich für die vorgeschlagene Epoche zwischen 333 v.Chr. und 313 n.Chr. aufgrund der Literaturfülle allerdings pragmatische Grenzen. Um sowohl der hermeneutisch sinnvollen Abgrenzung des Untersuchungsbereichs, wie auch der Praktikabilität der Durchführung gerecht zu werden, wird in folgender Weise verfahren: 3 Vgl. Kap. VIII, Abschn. 1. 4 Wander: Spuren, 3. 5 Wander: Spuren, 3. <?page no="121"?> Überleitung 107 (1.) Die praktische Erprobung der erarbeiteten rezeptionsästhetischen Methode wird auf zwei Bearbeiter aufgeteilt, so dass die alt- und zwischentestamentliche Literatur, die Schriftfunde von Qumran und die Schriften Philos von Alexandrien durch die Arbeit von L ARS S CHNOR abgedeckt werden. (2.) Da die Menge der christlichen Literatur ab der Mitte des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts explosionsartig zunimmt 6 , kommen unter der Bezeichnung »neutestamentliche Literatur« im Folgenden lediglich die Schriften der jüdisch-christlichen Tradition in den Blick, die in großer zeitlicher und inhaltlicher Nähe zu denen des Neuen Testaments entstanden sind. Kapitel V gibt somit einen Überblick über die Ergebnisse der Wortfelduntersuchung für die kanonischen Schriften des Neuen Testaments, die Schriften der sog. Apostolischen Väter und des jüdischen Historikers Flavius Josephus. Zudem werden die Spätschriften der neutestamentlichen Literatur - die sog. Apokryphen des Neuen Testaments - sowie die Traktate der Mischna auf potentielle Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 durchsucht. Wenngleich die Letzteren keine ganz so große zeitliche Nähe zum Neuen Testament aufweisen 7 , sind sie doch in inhaltlicher Hinsicht wichtige Vergleichsgrößen, da sie von ihrer theologischen und soziologischen Funktion her als »Konkurrenztexte zum Neuen Testament« verstanden werden können. 8 Während einige Schriften der sog. Apostolischen Väter und der Spätschriften der neutestamentlichen Literatur zeitweilig kanonische Bedeutung gehabt haben, dann aber letztlich keine Aufnahme in den neutestamentlichen Kanon fanden, liegt in der Mischna „ein das Alte Testament ergänzender und richtig auslegender heiliger Kanon vor, zugleich ein Konkurrenzwerk gegen das Neue Testament, den heiligen Kanon der Christen, die in ihrem Neuen Testament gleichfalls die wahre Fortsetzung und Vollendung des alttestamentlichen Kanons sahen“ 9 . Bei diesem Überblick kann jeweils nur auf potentielle Konkretisationen hingewiesen werden, weil deren Verifizierung das Ganze der rezeptionsästhetischen Analyse voraussetzt, was im Rahmen dieser Untersuchung - trotz 6 Siehe allein die in der B IBLIA P ATRISTICA verzeichneten Zitate von Gen 15,6 (vgl. a.a.O., 79f). 7 Die Entstehung der für die Untersuchung ausgewählten Spätschriften der neutestamentlichen Literatur datiert - bei aller gebotenen Vorsicht - gegen Ende des 2. Jahrhunderts (vgl. Kap. V, Abschn. 5). Zu dieser Zeit wurde auch die Mischna redigiert. 8 Vgl. Rebell: Apokryphen, 16. 9 Beer/ Marti: ´Abôt, XII. <?page no="122"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 108 der vorgenommen Eingrenzung - nicht für alle potentiellen Konkretisationen leistbar ist. Der Überblick steckt jedoch innerhalb des beschriebenen Literaturbereichs den Rahmen ab, der im Blick auf eine sozialhistorisch orientierte Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 rezeptionsästhetisch zu untersuchen ist. Sie lässt zudem - wenn auch nur in Umrissen - etwas von dem Bild erahnen, das sich ergibt, wenn das Vorkommen der Elemente des semantischen Feldes von Gen 15,6 durch das Ganze der neutestamentlichen Literatur hindurch beobachtet wird. <?page no="123"?> Kapitel V Das semantische Feld und die potentiellen Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 in der neutestamentlichen Literatur 1. Das semantische Feld und die potentiellen Konkretisationen in den kanonischen Schriften des Neuen Testaments Wertet man die tabellarische Übersicht über Vorkommen und Verteilung der Elemente des semantischen Grundwortfeldes der Rezeptionen von Gen 15,6 für die neutestamentlichen Schriften hinsichtlich der in Kapitel IV beschriebenen charakteristischen Wortverbindungen der Konkretisationen aus, so ergibt sich folgende Aufstellung: Schrift (1) Abraham kommt im Textzusammenhang (wenigstens implizit) vor (2) Abraham und Glaube stehen in sem.synt. Zusammenhang (3) Glaube und Gerechtigkeit stehen in sem.synt. Zusammenhang (4) Anrechnen steht in sem.synt. Zusammenhang zu Glaube oder Gerechtigkeit Mt 1,1-17; 3,1-12; 8,5-15; 22,23-33 --- --- --- Mk 12,18-27 --- --- --- Lk 1,46-56; 1,67-80 ; 3,1-11; 3,23-38; 13,10-17; 16,19- 31; 19,1-10; 20,27-40 [1,67-80 (Abraham und Gerechtigkeit)] --- --- Joh 8,31-59 --- --- --- Apg 3,12-26; 7,1-53; 13,16-41 --- 13,16-41 --- Röm 4,1-25 ; 9,6-13; 11,1-10 4,1-25 1,16; f; 3,21-26; 3,27-31; 4,1-25 ; 5,1-11; 9,30- 10,21 2,17-29; 4,1-25 <?page no="124"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 110 Schrift (1) Abraham kommt im Textzusammenhang (wenigstens implizit) vor (2) Abraham und Glaube stehen in sem.synt. Zusammenhang (3) Glaube und Gerechtigkeit stehen in sem.synt. Zusammenhang (4) Anrechnen steht in sem.synt. Zusammenhang zu Glaube oder Gerechtigkeit 1Kor --- --- --- --- 2Kor 11,16-33 --- --- --- Gal 3,1-14 ; 3,15-29 ; 4,21-31 3,1-14 2,11-21; 3,1-14 ; 3,15-29 ; 5,1-15 3,1-14 Eph --- --- --- --- Phil --- --- 3,1-11 --- Kol --- --- --- --- 1Thess --- --- --- --- 2Thess --- --- 1,3-12 1Tim --- --- --- --- 2Tim --- --- 4,1-8 --- Tit --- --- --- --- Phlm --- --- --- --- Hebr 2,5-18; 6,9-15 ; 7,1-28; 11,8-12 ; 11,17-19 6,9-15 ; 11,8-12 6,9-15 ; 11,4; 11,5-6; 11,7; 11,32-38 11,17-19 Jak 2,14-26 2,14-26 2,14-26 2,14-26 1Petr 3,1-7 --- --- --- 2Petr --- --- 1,1-2 --- 1Joh --- --- 1,5-10 --- 2Joh --- --- --- --- 3Joh --- --- --- --- Jud --- --- --- --- Offb --- --- --- --- Die 73 Erwähnungen des Namens VAbraa,m bzw. VAbra,m verteilen sich auf nur elf der 27 Schriften des Neuen Testaments. Die größte Häufigkeit findet sich dabei im lukanischen Doppelwerk mit 15 Belegen im Evangelium und sieben Belegen in der Apostelgeschichte. Die paulinische Literatur (d.h. die sieben unbestritten echten Paulusbriefe) weist insgesamt 19 Belege auf, die allesamt in der Spätphase des Werkes (jeweils neun Belege im Galater- und Römerbrief und ein Beleg im zweiten Korintherbrief) zu finden sind. Das Johannesevangelium weist elf Belege des Namens auf, die sich ausschließlich auf die Perikope Joh 8,31-59 konzentrieren. Danach ist mit zehn Belegen der Hebräerbrief zu nennen. Das Matthäusevangelium weist sieben Belege des Namens auf. Die übrigen Belege verteilen sich auf den Jakobusbrief (zwei <?page no="125"?> Kapitel V: Das semantische Feld von Gen 15,6 111 Belege), das Markusevangelium (ein Beleg) und den ersten Petrusbrief (ein Beleg). In der einschlägigen Literatur wird dieser Befund traditionsgeschichtlich (F RIEDRICH E. W IESER 1 ), sozialgeschichtlich (J EFFREY S. S IKER 2 ) oder biblisch-theologisch (J ÜRGEN R OLOFF 3 ) dargestellt und untersucht. Für den empirisch-induktiven Ansatz sind hingegen nur die Belege von besonderem Interesse, in deren literarischen Kontext sich noch wenigstens eine 1 W IESER löst im ersten Teil seiner Untersuchung zunächst „Grundformen der Abrahamüberlieferung aus ihrem ntl. Textzusammenhang“, um ihre Besonderheit „an der Schwelle zwischen jüdischen und christlichen Abrahamvorstellungen“ (ders.: Abrahamvorstellungen, 3) zu untersuchen. Anschließend werden im zweiten Teil die paulinischen Abrahamaussagen und im dritten Teil spätere Entwürfe zu Abraham (Mt, Lk u. Apg, Hebr, Joh) eingehender untersucht. In Relation zu den im Anhang dargestellten Aspekten jüdischer Abrahamtradition werden die neutestamentlichen Belege an „zwei markanten Deutungsmodellen zur Abrahamtradition“ (a.a.O., 148) orientiert: „Das Bewährungsmodell setzt bei einem bestimmten Verhalten oder Handeln Abrahams als Urdatum an“, während das „erwählungsgeschichtliche Modell“ bei der „Erwählung Israels in Abraham einsetzt“ (ebd.). 2 S IKERS Untersuchung gründet in der Hoffnung, dass „by looking at early Christian use of Abraham, we will gain some new insight into both the developement of early Christianity and the seperation of early Christianity from early Judaism“ (ders.: Jews, 8). Die neutestamentlichen Belege werden daraufhin in fünf Kapiteln untersucht: “The Father of Jews and Gentiles Alike: Abraham in the Letters of Paul” (a.a.O., 28), „Jewish Traditions Revised: Abraham in Matthews, Hebrews, and James“ (a.a.O., 77), „The Father of the Outcast: Abraham in Luke-Acts“ (a.a.O., 103) und “The True Children of Abraham: Abraham in the Gospel of John” (a.a.O., 128). Dabei wird eine Verschiebung sichtbar: “Whereas Jewish Christians initiated the use of Abraham in controversy with Judaism to argue for Gentile inclusion, Gentile Christians essentially concluded the use of Abraham in controversy with Judaism by arguing for Jewish exclusion” (a.a.O., 193). 3 Nach R OLOFFS Grundthese steht Abraham im Neuen Testament “weithin für Israels Geschichte und Identität” (ders.: Abraham, 232). Die neutestamentlichen Belege - die paulinischen Ausführungen als Sonderfälle ausgenommen - werden in drei Gruppen eingeteilt. Die erste und größte Gruppe “umfaßt Aussagen, die mehr oder weniger formelhaft Abraham als Repräsentanten der Geschichte und Erwählung Israels” (ebd.) herausstellen. Die zweite und dritte Gruppe, die Abraham als “Repräsentant der an Christus Glaubenden” (a.a.O., 233) bzw. als “Vorbild der Glaubenden” (a.a.O., 234) zeigt, hat gegenüber der ersten ein verschwindend geringes Gewicht. R OLOFF erklärt diesen Befund damit, dass “die Abrahamgestalt durch die Tradition eindeutig als Identifikationsfigur des gesetzestreuen Judentums festgelegt war” (a.a.O., 235). Von hieraus werden dann die paulinischen Belege interpretiert, die darauf abzielen, dass “das in der Schrift bezeugte Handeln Gottes an Abraham in seiner Struktur identisch ist mit seinem Handeln in Christus, auf das sich der Glaube der Gemeinde bezieht” (a.a.O., 248). Entscheidend für R OLOFFS biblisch-theologische Intention ist dabei, dass die paulinische Argumentation als Schriftauslegung zu begreifen ist, die im Horizont der Eschatologie mit dem hermeneutischen Schlüssel der Christologie und der Methode der Typologie arbeitet (vgl. a.a.O., 251). <?page no="126"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 112 weitere charakteristische Verbindung des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6 nachweisen lässt. Das ist sowohl in den Evangelien nach Matthäus, Markus und Johannes als auch im 2. Korinther- und im 1. Petrusbrief nicht der Fall. Sie weisen in ihrem Textganzen sonst keine der Wortverbindungen (2) bis (4) auf, weswegen in ihnen potentiellen Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 nicht nachweisbar sind. Weniger eindeutig liegt der Fall hingegen im Lukanischen Doppelwerk. Im Evangelium nach Lukas findet Abraham im Benedictus des Zacharias (Lk 1,68-79) Erwähnung, wo er mit dem Wortstamm dikai& in Verbindung gebracht wird: Euvloghto.j ku,rioj o` qeo.j tou/ VIsrah,l( o[ti evpeske,yato kai. evpoi,hsen lu,trwsin tw/ | law/ | auvtou/ ( (…) o[rkon o]n w; mosen pro.j VAbraa.m to.n pate,ra h`mw/ n( tou/ dou/ nai h`mi/ n avfo,bwj evk ceiro.j evcqrw/ n r`usqe,ntaj latreu,ein auvtw/ | evn o`sio,thti kai. dikaiosu,nh| evnw,pion auvtou/ pa,saij tai/ j h`me,raij h`mw/ n) Da die Verbindung von VAbraa,m mit dem Wortstamm dikai& wegen der hermeneutischen Offenheit in der Subjektfrage in Gen 15,6b nicht zu den charakteristischen Verbindungen im semantischen Grundwortfeld der Rezeptionen von Gen 15,6 hinzugenommen wurde, ist für Lk 1,67-80 nach weiteren Hinweisen zu fragen, die eine potentielle Konkretisation wahrscheinlich machen. Dazu kann auf den Kontext der lukanischen Erzählung von der Ankündigung der Geburt Johannes des Täufers (Lk 1,5-25) verwiesen werden, die deutliche Parallelen zur Genesis aufweist: „Wie bei Abraham und Sara (Gen 18,11) sind Sterilität und Alter Gründe der Kinderlosigkeit, Glaube und Gehorsam dagegen Bürgen der Nachkommenschaft“ 4 . Speziell die Ankündigung der Geburt des Johannes ist nach dem Modell der Theophanie vor Abraham (vgl. Lk 1,11-13 mit Gen 18) gestaltet, wobei die Zeichenforderung des Zacharias (Lk 1,18) an Gen 15,8 erinnert. Traditionsgeschichtlich bildet die Abrahamtradition - einschließlich Gen 15 - sicher den Hintergrund für Lk 1,5-24.57-80. 5 Aus der Sicht der entwickelten Methode der sozialhistorisch orientierten Rezeptionsforschung reicht dies zur Identifizierung einer potentiellen Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 aber gerade nicht aus. Zudem lassen sich die nachweisbaren Elemente des semantischen Feldes VAbraa,m und dikai& leichter als Konkretisation einer Rezeption von Gen 26,2-5 LXX erklären, da sich hier auch noch die 4 Bovon: Evangelium, 52f. 5 Zum Abrahambild im Lukanischen Doppelwerk siehe die Arbeiten von W IESER (ders.: Abrahamvorstellungen, 98-112) und D AHL (ders.: Story). <?page no="127"?> Kapitel V: Das semantische Feld von Gen 15,6 113 Elemente o[rkon o; mnumi und path,r finden. Folglich scheint Lk 1,68-79 kein geeigneter Kandidat für eine sozialgeschichtlich orientierte Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6. Ähnliches gilt für eine Stelle in der Apostelgeschichte, wo sich in der Predigt des Paulus in Antiochia in Pisidien (Apg 13,16-41) sowohl die Erwähnung Abrahams (13,26) als auch die semantischsyntaktische Verbindung der Wortstämme dikai& und pist& (13,39) finden. Eine charakteristische Verknüpfung der Wortstämme pist& und dikai& findet sich im Neuen Testament - unabhängig von der Gestalt Abrahams - hauptsächlich in der paulinischen Literatur (s.u.). In Apg 13,39 ist eine Rezeption dieses Theologumenons gerade innerhalb der Rede des (lukanischen) Paulus durchaus nahe liegend und von daher zu erklären. Außerdem sind die Charakteristika (1) und (3) in Apg 13,16-41 nicht aufeinander bezogen, so dass sie eher nicht auf eine potentielle Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 schließen lassen. Innerhalb der paulinischen Literatur zeigt die Tabelle im Blick auf das Vorkommen der charakteristischen Verbindungen des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6 ein recht heterogenes Bild. Im ersten Thessalonicherbrief, im ersten Korintherbrief und im Philemonbrief finden sich überhaupt keine der charakteristischen Verbindungen. Im zweiten Korintherbrief legitimiert Paulus in der sog. Narrenrede sein Apostolat mit seiner Abstammung von Abraham (2Kor 11,22) 6 , ohne dass Charakteristika einer Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 nachweisbar sind. Im Philipperbrief finden sich in Phil 3,1-11 die Wortstämme pist& und dikai& in einem engen semantisch-syntaktischen Zusammenhang, allerdings ohne einen Bezug auf die Gestalt Abrahams. Demgegenüber weisen die Briefe an die Galater und Römer Perikopen auf, die alle vier charakteristischen Verbindungen des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6 beinhalten und völlig unstrittig als Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 anzusehen sind. Im Galaterbrief sind in Gal 3,1-14 alle vier charakteristischen Wortverbindungen nachweisbar, sodass hier von einer Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 auszugehen ist. Allerdings sollte Gal 3,6 nicht ohne Weiteres als Zitat von Gen 15,6 LXX angesehen werden. Zwar ist es denkbar, dass sich in dem elliptisch gebrauchten kaqw,j die Einleitungsformel für ein Schriftzitat verbirgt. In diesem Falle wäre ge,graptai hinter kaqw,j zu ergänzen und VAbraa,m gehörte eher zur folgenden Schriftstelle. 7 Diese Möglichkeit scheint 6 Vgl. Berger: Abraham, 88f. 7 So z.B. V OUGA (vgl. ders.: Galater, 70). <?page no="128"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 114 aber doch wenig wahrscheinlich, denn die Wendung kaqw.j ge,graptai ist bei Paulus nicht selten (insgesamt 19 mal), elliptisch findet sich kaqw,j aber nur an dieser einen Stelle. 8 Außerdem sind die übrigen Schriftworte in Gal 3,1-14, bei denen sich Paulus ausdrücklich auf die Autorität der Schrift beruft auch deutlich als Schriftzitate gekennzeichnet (vgl. Gal 3,8.10.13.(16)). Deshalb sollte zunächst die Tatsache ernst genommen werden, dass die Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 nicht eindeutig als Schriftzitat gekennzeichnet ist. Ob Paulus sie trotzdem so verstanden haben wollte, scheint zumindest fraglich. 9 Es geht ihm hier wohl mehr um den Inhalt der Geschichte Abrahams, als um die Autorität der Schrift. 10 Diese kann im Blick auf Abraham ehedem als unbestritten vorausgesetzt werden. Wenn es Paulus also in einem weiteren Sinne um Abraham geht, legt es sich nahe, dass VAbraa,m zu kaqw,j zu ziehen ist. Es wird ein Vergleich angestrebt zwischen der Situation der Adressaten und der des Abraham. Die Funktion, die der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 dabei zukommt, ist durch die rezeptionsästhetische Analyse sozialhistorisch zu bestimmen. Im Römerbrief finden sich in Röm 4,1-25 alle vier charakteristischen Verbindungen des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6. Neben wörtlicher Wiedergabe des gesamten Verses Gen 15,6 LXX sind noch Teilzitationen desselben und zahlreiche Paraphrasen und Anspielungen auf Gen 15,6 zu finden. So wird Gen 15,6 LXX in Röm 4,3 - eingeleitete durch ti, ga.r h` grafh. le,gei - mit einigen kleinen Abweichungen 11 vollständig 8 Die Ergänzung von ge,graptai hinter kaqw,j in Ambst., Vulg. Clem. und Codex G ist wohl als Angleichung an Röm 4,3 zu verstehen (vgl. Rohde: Galater, 136, Anm. 53) 9 Gegen S CHLIER (vgl. ders.: Galater, 127) und M UßNER (vgl. ders.: Galaterbrief, 213) 10 „Paulus beruft sich vor den Galatern nicht auf die Autorität eines Bibelzitats, sondern verweist auf die in der Schrift enthaltene und deshalb maßgebende Beurteilung eines Sachverhalts.“ (Borse: Galater, 125; vgl. auch Rohde: Galater, 136). 11 Wie in Gal 3,6 weicht die Schreibung des Namens »Abraham« von der Septuaginta ab, die VAbra,m anstatt VAbraa,m hat. Des Weiteren ist das einleitende kai, ausgelassen und hinter evpi,steusen ein de, gesetzt worden. Diese Variante findet sich auch im Jakobusbrief (vgl. Jak 2,23) und im 1. Clemensbrief (vgl. 1Clem 10,6), was zu den Vermutung führt, dass entweder Paulus wie auch die Autoren des Jakobus- und 1. Clemensbriefes aufgrund einer Septuaginta-Handschrift zitierten, die kai, ausließ und de, setzte, oder aber die Änderungen gegenüber der Septuaginta von Paulus selber vorgenommen wurden und folglich eine literarische Abhängigkeit des Jakobus- und 1. Clemensbriefes vom Römerbrief angenommen werden muss. Die Beantwortung dieser Frage ist allerdings für eine subjektperspektivisch angelegte Untersuchung von nachrangiger Bedeutung und kann erst nach der eingehenden rezeptionsästhetischen Analyse der einschlägigen Konkretisationen sinnvoll gestellt werden. Für den Jakobus- und den 1. Clemensbrief sei <?page no="129"?> Kapitel V: Das semantische Feld von Gen 15,6 115 wiedergegeben, während in Röm 4,22 Gen 15,6b LXX durch dio. kai, eingeleitet wörtlich aufgenommen wird. In Röm 4,9c erscheint eine Paraphrase von Gen 15,6 LXX. Hier steht evlogi,sqh als Prädikat am Anfang des Satzes, auvtw/ | wurde in tw/ | VAbraa,m geändert und Gen 15,6a wurde nominalisiert in h` pi,stij. Einzig eivj dikaiosu,nhn bleibt gegenüber der Septuaginta unverändert. Über diese Stellen hinaus macht die Analyse des semantischen Feldes deutlich, dass das gesamte Kapitel 4 des Römerbriefes durch das semantische Feld von Gen 15,6 - seine Elemente und seine Syntax - bestimmt ist. So erscheint logi,zesqai, das in Röm 4,1-25 insgesamt elfmal vorkommt (Röm 4,3c.4a.5a.6b.8b.9c.10a.11c.22a.23b.24b), als Leitwort des Kapitels. Dabei erweist sich die von logi,zesqai regierte Satzstruktur tini, ti eivj ti als konstitutiv. Die bis auf Röm 4,8b (= Ps 31,2 LXX) durchgängige besetze Stelle des Dativobjekts innerhalb der von logi,zesqai regierten Satzstruktur deutet dabei auf das Anliegen des Paulus hin, zu zeigen, wem der Glauben zur Gerechtigkeit angerechnet wird. 12 In dieser Richtung ist nach der sozialhistorisch relevanten Funktion der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 im Römerbrief zu fragen. Einen interessanten Befund hinsichtlich der charakteristischen Verbindungen des Grundwortfeldes von Gen 15,6 bietet der Hebräerbrief, in dem alle charakteristischen Verbindungen nachgewiesen werden können, wenn auch nicht sämtlich an einer Stelle konzentriert. 13 In Hebr 6,9-15; 11,11- 12.17-19 reicht der Befund aber aus, um mit Hilfe der rezeptionsästhetischen Analyse des näheren und weiteren Kontextes eine Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 nachzuweisen, deren sozialhistorische Bedingungen zu untersuchen sind. 14 Im Jakobusbrief findet sich in Jak 2,23 unzweifelhaft eine Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6. Eingeleitet durch h` grafh. h` le,gousa wird hier Gen 15,6 LXX mit kleineren Abweichungen 15 wörtlich wiedergegeben. Die sozialhistorisch relevante Funktion dieser Konkretisation im Kontext von Jak 2,14-26 und im Blick auf das Ganze des Jakobusbriefes ist rezeptionsästhetisch zu bestimmen. 16 daher auf die entsprechenden Kapitel (vgl. Kap. VI bzw. VIII) verwiesen. Für den Römer- und Galaterbrief muss diese Frage hier offen bleiben. 12 Vgl. Neubrand: Abraham, 157f.; Zeller: Römer, 97 und Cranford: Abraham, 86. 13 Eine detaillierte Auswertung der Analyse des semantischen Feldes findet sich in Kap. VII, Abschn. 2.1. 14 Siehe Kap. VII. 15 Vgl. Anm. 11. 16 Siehe Kap. VI. <?page no="130"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 116 Neben den diskutierten Stellen potentieller Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 finden sich im Neuen Testament relativ wenig Stellen, die eine oder mehrere der charakteristischen Verbindungen des semantischen Grundwortfeldes aufweisen. Wo das dennoch der Fall ist, wie etwa dikaiou/ sqai dia. pi,stewj (Gal 2,16; Röm 3,30), dikaiou/ sqai evk pi,stewj (Gal 3,8.24; Röm 3,26.30; 5,1; Jak 2,24), dikaiou/ sqai o` pisteu,wn (Apg 13,39), dikaiou/ sqai pi,stei (Röm 3,28), dikaiosu,nh pi,stewj (Röm 4,11.13), dikaiosu,nh dia, pi,stewj (Röm 3,22; Phil 3,9), dikaiosu,nh evk pi,stewj (Röm 1,17; 3,22; 9,30; 10,6), evk dikaiosu,nhn evpi. th/ | pi,stei (Phil 3,9), pi,stij dikaiosu,nhj evge,neto (Hebr 11,7), pi,stij eivrga,santo dikaiosu,nhn (Hebr 11,33) und pi,stij lacou/ sin evn dikaiosu,nh| (2Petr 1,1), handelt es sich zumeist um die enge semantisch-syntaktische Verbindungen der Wortstämme pist& und dikai&. Auffällig häufig finden sich solche Stellen in Schriften, in denen an anderer Stelle eine Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 nachweisbar ist, wobei die paulinische Literatur dabei die höchste Dichte aufweist. Von daher stellt sich die Frage, ob die enge semantisch-syntaktische Verbindungen der Wortstämme pist& und dikai& grundsätzlich in einem direkten Zusammenhang zur Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 stehen, sodass ein Nachweis derselben nur als Hinweis auf eine Rezeption von Gen 15,6 zu werten wäre. Ohne den rezeptionsästhetischen Analysen der einzelnen Schriften vorzugreifen, sei dazu hier eine wichtige Beobachtung genannt: Im Römerbrief wird das Theologumenon von der »Rechtfertigung aus Glauben« in Röm 1,16f als eine Art Grundthese der Ausführungen des Schreibens mit Hilfe einer Konkretisation einer Rezeption von Hab 2,4 legitimiert (vgl. Gal 3,11). Ähnliches lässt sich im Blick auf die Verhältnisbestimmung von pi,stij und dikaiosu,nh auch im Hebräerbrief beobachten (vgl. Hebr 10,35-39), wo gleichfalls die Konkretisation der Rezeption von Hab 2,4 eine bedeutsame Rolle spielt, die dort von den Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 deutlich abgrenzbar ist. 17 Eine grundsätzliche Abhängigkeit des paulinischen Theologumenons von der »Rechtfertigung aus Glauben« von der Rezeption von Gen 15,6 sollte daher nicht vorausgesetzt werden. Für die einzelnen Schriften wird aber zu prüfen sein, wie das erweiterte Wortfeld der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 sich im Schriftganzen auswirkt und ob im Blick auf den Sprachgebrauch bei der Verbindung der Wortstämme pist& und dikai& möglicher Weise eine Rezeption des paulinischen Theologumenons vorliegt. Es lässt sich beobachten, dass die genannten Verbindungen mit Ausnahme von 17 Vgl. den Exkurs in Kap. VII nach Abschn. 2.5. <?page no="131"?> Kapitel V: Das semantische Feld von Gen 15,6 117 Gal 3,8 und Jak 2,24 gerade nicht im direkten Zusammenhang mit der Rezeption von Gen 15,6 erscheinen. 2. Das semantische Feld und die potentiellen Konkretisationen in den Schriften der Apostolischen Väter Aus der Auswertung der tabellarischen Übersicht über Vorkommen und Verteilung der Elemente des semantischen Grundwortfeldes der Rezeptionen von Gen 15,6 für die Schriftengruppe, die gemeinhin unter der Bezeichnung »Apostolische Väter« firmiert 18 , ergibt sich folgende tabellarische Übersicht: Schrift (1) Abraham kommt im Textzusammenhang (wenigstens implizit) vor (2) Abraham und Glaube stehen in sem.synt. Zusammenhang (3) Glaube und Gerechtigkeit stehen in sem.synt. Zusammenhang (4) Anrechnen steht in sem.synt. Zusammenhang zu Glaube oder Gerechtigkeit 1Clem 10,1-7 ; 17,1- 18,17; 30,6-32,4 10,1-7 ; 30,6- 32,4 10,1-7 ; 30,6- 32,4 [9,2-4 (eu`ri,skein)]; 10,1-7 2Clem --- --- 11,1-7; 15,1-5 [6,8-9 (eu`ri,skein)] Barn 6,8-19; 8,1-7; 9,6-9; 13,1-7 13,1-7 13,1-7 [13,1-7 (tiqe,nai)] Papias --- --- --- --- Diog --- --- --- 11,1-8 IgnEph --- --- 1,1-3 [14,1-2 (eu`ri,skein)] IgnMag n --- --- --- --- Ign Trall --- --- --- --- IgnRöm 7,1-3 --- --- --- IgnPhld 9,1-2 --- 8,1-2 --- IgnSm --- --- --- --- IgnPol --- --- --- --- Polyk --- --- 9,1-2 --- MartPol --- --- --- --- 18 Der Umfang der unter dieser Bezeichnung zusammengefassten Schriften richtet sich aus pragmatischen Gründen nach ihrer Berücksichtigung im Index Patristicus von E DGAR J. G OODSPEED (vgl. Index, V). <?page no="132"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 118 Schrift (1) Abraham kommt im Textzusammenhang (wenigstens implizit) vor (2) Abraham und Glaube stehen in sem.synt. Zusammenhang (3) Glaube und Gerechtigkeit stehen in sem.synt. Zusammenhang (4) Anrechnen steht in sem.synt. Zusammenhang zu Glaube oder Gerechtigkeit Herm --- --- 14,1-7; 26,1-2; 34,1-8; 35,1-5; 36,1-10; 49,1-5; 102,1-2 --- Did --- --- --- --- Die 14 Belege des Namens VAbraa,m innerhalb dieser Schriftengruppe konzentrieren sich auf den Barnabasbrief mit sieben Belegen und den 1. Clemensbrief mit fünf Belegen. Daneben erscheint Abraham zweimal in den Briefen des Ignatius von Antiochia. Im Brief an die Philadelphier erscheint der Name innerhalb der Vätertrias »Abraham, Isaak und Jakob« (IgnPhild 9,1). Im Brief an die Römer erscheint VAbraa,m in einer alternativen Lesart von IgnRöm 7,3 neben Daui,d als Vorfahre Jesu. Allein die beiden erstgenannten Schriften weisen aber im Kontext der Erwähnung Abrahams noch andere Elemente des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6 auf und kommen daher als Konkretisationen einer Rezeption dieses Verses überhaupt nur in Betracht. Im Barnabasbrief findet die Gestalt Abrahams an vier Stellen (Barn 6,8; 8,4; 9,7; 13,7) innerhalb des ersten Hauptteils Erwähnung, der um theologische Erkenntnisse aus der Schrift bemüht ist. An den drei erstgenannten Stellen finden sich darüber hinaus keine weiteren Elemente des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6. Im Abschnitt, der sich mit der Frage nach dem »Erbvolk« und der Heilszusicherung befasst, finden sich in Barn 13,7b die charakteristischen Verbindungen (1) bis (3) des semantischen Grundwortfeldes. Eiv ou=n e; ti kai. dia. tou/ VAbraa,m evmnh,sqh( avpe,comen to. te,leion th/ j gnw,sewj h`mw/ n) ti, ou=n le,gei tw|/ VAbraa,m( o[te mo,noj pisteu,saj 19 evte,qh eivj dikaiosu,nhn* VIdou,( te,qeika, se( VAbraa,m ( pate,ra evqnw/ n tw/ n pisteuo,ntwn di´ avkrobusti,aj tw|/ qew|/ ) Der Satz ist als Frage formuliert (ti, ou=n le,gei tw|/ VAbraa,m) und verleiht der folgenden Konkretisation einer Rezeption von Gen 17,4f mit Gott als impli- 19 V bietet hier als textkritische Variante die Form evpi,steusaj, die grammatikalisch aber nicht in den Satz zu integrieren ist und wohl als Schreibfehler angesehen werden muss. <?page no="133"?> Kapitel V: Das semantische Feld von Gen 15,6 119 zitem Subjekt die unüberbietbare Autorität der Gottesrede. 20 Mit o[te mo,noj pisteu,saj evte,qh eivj dikaiosu,nhn sind die für die Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 entscheidenden Elemente in Form eines temporalen Adverbialsatzes in die Frage integriert. Der Wortstamm pist& erscheint als Partizip Aorist aktiv, so dass sich die Frage nach dem syntaktischen Anschluss des Partizips an das Prädikat stellt. Da der Verfasser durch das Ergänzen von mo,non dem »Glauben« in seiner Verbindung mit der »Gerechtigkeit« eine exklusive Stellung einräumt, kann man wohl davon ausgehen, dass ein kausaler Zusammenhang intendiert ist. 21 Das Prädikat im Aorist passiv erinnert in Verbindung mit eivj dikaiosu,nhn stark an Gen 15,6b, wobei tiqe,nai tina. ei; j ti mit der Bedeutung »jemanden zu etwas bestimmen« der Bedeutung von logi,zesqai mit doppeltem Akkusativ durchaus ähnelt. Damit kann die vierte charakteristische Verbindung des semantischen Grundwortfeldes in syntaktischer Hinsicht unter Varianz des Wortstammes nachgewiesen werden. Die Konstruktion findet sich innerhalb des Abschnittes Barn 13,1-7 insgesamt dreimal (13,6.7b.c) und hat - ähnlich wie bei Paulus in Röm 4, wo die von logi,zesqai regierte Struktur konstitutive Bedeutung hat - für die Ermittlung der Verfasserintention großes Gewicht. 22 Dabei ist allerdings aus methodischen Gründen vor der präjudizierenden Annahme einer Abhängigkeit der Konkretisation von der paulinischen Literatur zu warnen. Andererseits dürfen die auffälligen Parallelen zwischen der Konkretisation der Rezeption von Gen 17,5b LXX in Barn 13,7c (tw/ n pisteuo,ntwn di´ avkrobusti,aj tw|/ qew/ | ) und Röm 4,11 (tw/ n pisteuo,ntwn diV avkrobusti,aj) auch nicht unberücksichtigt bleiben. Doch selbst wenn nachweisbar wäre, dass in Barn 13,7c die Konkretisation der Rezeptionen von Gen 15,6 und Gen 17,5 von denen im Römerbrief abhängen 23 , ist damit die Fragen nach ihrer spezifischen Funktion im Barnabasbrief, auf die es sozialhistorisch ankommt, noch nicht beantwortet. Sie ist rezeptionsästhetisch aus dem engeren und weiteren Kontext des Barnabasbriefes zu erheben. 24 20 Vgl. Prostmeier: Barnabasbrief, 463. 21 So auch H EIDLAND (vgl. ders.: Anrechnung, 129). 22 Bar 13,7b.c insgesamt als „Fremdgut“ anzusehen, wie K LAUS W ENGST es in seiner Untersuchung der Traditionen im Barnabasbrief tut (ders.: Tradition, 46), scheint auf diesem Hintergrund wenig einleuchtend. 23 So z.B. P AGET : „Rom. 4 forms the background for this part of Barnabas‘ argument“ (ders.: Paul, 375). 24 Siehe dazu die Arbeit von J EFFREY S. S IKER (ders.: Jews, 148-151). Vgl. auch Sutherland: Struggles, 444f. <?page no="134"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 120 Im 1. Clemensbrief erscheint die Gestalt Abrahams in 1Clem 10,1-7; 17,1- 18,17 und 30,6-32,4. Außer in 1Clem 17,1-18,17 25 finden sich dazu noch weitere der charakteristischen Verbindungen des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6. In 1Clem 10,6 liegt völlig unzweifelhaft eine Konkretisation der Rezeption dieses Verses vor. Zusammen mit Gen 15,5 wird Gen 15,6 LXX mit kleineren Abweichungen 26 wörtlich wiedergegeben. Darüber hinaus findet sich in 1Clem 10,1 die Wendung eu`re,qh pisto,j (vgl. 1Clem 9,3.4) in Verbindung mit dem Namen Abraham. Etwas schwieriger ist die Beurteilung der Situation in 1Clem 30,6-32,4. Hier finden sich neben dem Namen Abraham noch die charakteristischen Verbindungen (2) und (3). Die rezeptionsästhetische Analyse zeigt, dass die dort nachweisbare Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 von der in 1Clem 10,1-7 direkt abhängig ist. Die sozialhistorisch relevante Funktion dieser Konkretisationen im Kontext sind im Blick auf das Ganze des 1. Clemensbriefes rezeptionsästhetisch zu bestimmen. 27 Über die diskutierten Stellen potentieller Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 finden sich innerhalb der Schriftengruppe nur wenig Stellen, die isoliert einzelne charakteristische Verbindungen des semantischen Grundwortfeldes aufweisen. So findet sich die Verbindung der Wortstämme pist& und dikai& noch an wenigen einzelnen Stellen (2Clem 11,1-7; 15,1-5; IgnEph 1,1-3; IgnPhld 8,1-2; Polyk 9,1-2) und etwas gehäufter im Hirt des Hermas (Herm 14,1-7; 26,1-2; 34,1-8; 35,1-5; 36,1-10; 49,1-5; 102,1-2). Interessant für die Schriftengruppe ist noch die Beobachtung, dass sich die bereits im Zusammenhang des 1. Clemensbriefes erwähnte Verbindung des Verbs eu`ri,skein im Passivum divinum mit dem Wortstamm pist& bzw. dikai& noch an zwei anderen Stellen findet, nämlich in 2Clem 6,8-9 (eu`reqw/ men e; rga e; contej o[sia kai. di,kaia) und IgnEph 14,1-2 (evn duna,mei pi,stewj ))) eu`reqh/ |). Durch den Gebrauch dieser Wendung in 1Clem 10,1 und Sir 44,20 kann sie mit einem gewissen Recht unter die charakteristische Verbindung (4) subsumiert werden. Ihr Vorkommen allein ist aber sicher nicht signifikant genug, um eine Verbindung zur Rezeption von Gen 15,6 zu 25 Die Perikope weist zwar die Wortstämme pist& (1Clem 17,5) und dikai& (1Clem 17,3; 18,4.15) auf, diese sind aber mit den Gestalten Hiob, Mose und David verbunden. Die Ausführungen über Abraham zeigen aber starke intratextuelle Verbindungen zur Rezeption von Gen 15,6 in 1Clem 10. Wenn auch von einer Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 nicht gesprochen werden kann, steht die Perikope zu dieser dennoch in einer gewissen Beziehung (vgl. in Kap. VIII den Exkurs nach Abschn. 2.3). 26 Vgl. Anm. 11. 27 Siehe Kap. VIII. <?page no="135"?> Kapitel V: Das semantische Feld von Gen 15,6 121 begründen. Innerhalb der Schriftengruppe der Apostolischen Väter ist der Gebrauch dieser Wendung im Sinne von »erfunden werden« als göttliches Urteil außerdem relativ häufig zu finden (vgl. Bar 4,14; 21,6; 1Clem 35,4; 50,1f; 57,2; 2Clem 7,4; 16,4; IgnEph 11,1; IgnTrall 2,2; 12,3; IgnRöm 4,1b.2; IgnPol 4,3; 7,1; Herm 27,7; 28,1; 53,4; 59,7; 65,2; 68,7; 82,2; 103,5). 3. Das semantische Feld und die potentiellen Konkretisationen in den Schriften des Flavius Josephus Wertet man die tabellarische Übersicht über Vorkommen und Verteilung der Elemente des semantischen Grundwortfeldes der Rezeptionen von Gen 15,6 für die Schriften des jüdischen Historikers Flavius Josephus aus, so ergibt sich folgende Aufstellung: Schrift (1) Abraham kommt im Textzusammenhang (wenigstens implizit) vor (2) Abraham und Glaube stehen in sem.synt. Zusammenhang (3) Glaube und Gerechtigkeit stehen in sem.synt. Zusammenhang (4) Anrechnen steht in sem.synt. Zusammenhang zu Glaube oder Gerechtigkeit Bell IV,529-537; V,375- 419 --- --- --- Ant I, 148-153; I,154- 157; I,158-160; I,161-165; I,166- 168, I,176-178; I,179-182; I,186- 190; I,191-193; I,196-198; I,199- 201; I,207-212; I,213-214; I,215- 219; I,220-221; I,222-236 ; I,237; I,238-241; I,242- 245; I,252-255; I,256; I,257-258; I,259-262; I,278- 283; I,288-292; I,345-346; II,210- 216; II,228-231; II,254-257; I,264- 269; II,315-319; III,83-88; IV,1-6; [I,158-160 (Abraham und Gerechtigkeit] [ I,222-236 (Abraham und Gerechtigkeit] [XI,168-173 (Abraham und Gerechtigkeit)] XI,215-220 [ I,222-236 (kri,nein)] VI,141-151 <?page no="136"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 122 Schrift (1) Abraham kommt im Textzusammenhang (wenigstens implizit) vor (2) Abraham und Glaube stehen in sem.synt. Zusammenhang (3) Glaube und Gerechtigkeit stehen in sem.synt. Zusammenhang (4) Anrechnen steht in sem.synt. Zusammenhang zu Glaube oder Gerechtigkeit V,93-99; V,111- 113; VII,65-68; VII,329-334; VI- II,61-62; VIII,155- 159; XI,168-173; XII,223-227; XIV,247-255 Vita --- --- --- --- Ap --- --- --- --- In den vier Schriften des Flavius Josephus finden sich insgesamt 76 Belege des Namens VAbraa,m bzw. {Abramoj, von denen gerade zwei auf De Bello Judaico und die restlichen 74 auf die Antiquitates Judaicae entfallen. Die Belege in De Bello Judaico nehmen auf Abraham als Stammvater der Juden Bezug und legitimieren so die Bedeutung des Ortes Hebron (Bell IV,531) und unter Rückgriff auf die Erzählung von der Gefährdung der Ahnfrau in Ägypten (Bell V,380) die Ansicht, dass Gott durch die Römer das Urteil vollstrecken lässt, das er über sein Volk verhängt hat. 28 In beiden Fällen finden sich jedoch keine weiteren charakteristischen Verbindungen des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6. Die große Menge der Belege für Abraham in den Antiquitates Judaicae konzentriert sich hauptsächlich auf das erste Buch und die Abschnitte I,154- 256 (46 Belege), wo Josephus am Duktus der Genesis entlang die Geschichte Abrahams erzählt. Im Blick auf die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 ist die Nacherzählung von Gen 15,1-21 in Ant I,183-185 von besonderem Interesse, und das gerade weil dieser Abschnitt von der Analyse des semantischen Feldes her erstaunlicher Weise nicht als potentielle Konkretisation in Betracht kommt: VEpaine,saj de. auvtou/ th.n avreth.n o` qeo,j( avllV ouvk avpolei/ j( fhsi,( misqou,j ou]j avxio,n evsti,n se evpi. toiau,taij euvpragi,aij komi,zesqai) tou/ dV u`polabo,ntoj kai. ti,j a'n ei; h ca,rij tou,twn tw/ n misqw/ n ouvk o; ntwn oi] diade,xontai metV auvton( e; ti ga.r h=n a; paij( o` qeo,j kai. pai/ da auvtw/ genh,sesqai katagge,llei kai. pollh.n evx evkei,nou genea,n( w`j paraplhsi,wj auvth.n toi/ j a; stroij e; sesqai to.n avriqmo,n) kai. o` me.n tau/ tV avkou,saj qusi,an prosfe,rei tw/ | qew/ | keleusqei,j u`pV auvtou/ ) h=n de. o` tro,poj th/ j qusi,aj 28 Vgl. dazu Lindner: Geschichtsauffassung, 21-42. <?page no="137"?> Kapitel V: Das semantische Feld von Gen 15,6 123 toiou/ toj\ da,malin trieti,zousan kai. ai=ga trieti,zousan kai. krio.n o`moi,wj trieth/ kai. trugo,na kai. peristera.n keleu,santoj diei/ le( tw/ n ovrne,wn ouvde.n dielw,n) ei=ta pri.n sth/ nai to.n bwmo.n oivwnw/ n evfiptame,nwn evpiqumi,a| tou/ ai[matoj fwnh. qei,a parh/ n avposhmai,nousa ponhrou.j auvtou/ toi/ j evggo,noij gei,tonaj evpi. e; th tetrako,sia genhsome,nouj kata. th.n Ai; gupton( evn oi-j kakopaqh,santaj perie,sesqai tw/ n evcqrw/ n kai. krath,santaj pole,mw| Xananai,wn e[xein auvtw/ n th.n gh/ n kai. ta.j po,leij) Josephus bindet die Erzählungen von Gen 13-15 in seiner Version eng zusammen, wobei Gen 14 deutlich den Schwerpunkt bildet. 29 Abrahams Verzicht auf die Kriegsbeute (Gen 14,24) bildet für ihn als Ausdruck der Tugendhaftigkeit Abrahams (evpaine,saj de. auvtou/ th.n avreth.n o` qeo,j) den Anlass für das sich in Gen 15,1 anschließende göttliche Heilsorakel. 30 Gen 15,2- 5 wird daraufhin kurz und bündig zusammengefasst. Abrahams Zweifel und die Verheißung unter dem Sternenhimmel sind fast völlig eliminiert. Die Verse Gen 15,6-8 finden überhaupt keine Erwähnung. Nachdem Abraham Gottes Verheißung eines Sohnes und zahlloser Nachkommenschaft vernommen hat (Ant I,183), bringt er als Reaktion darauf Gott ein Opfer dar, das dann dem Text der Genesis nach näher beschrieben wird (Ant I,184). Weiter fällt auf, dass auch die Verse 16-21 der Genesiserzählung von Josephus in seiner Version ausgelassen werden. Damit wird aber eine Gemeinsamkeit der Auslassungen deutlich: „This episode is consistent with Jos.’ policy of repressing all reference to a permanent posession of the land as promised and guaranteed by God. He has omitted it from his version of chapters twelve and thirteen and has done so here quite noticeably.“ 31 Außerdem wurde mit Gen 15,7 auch der Verweis auf Abrahams Auszug aus Ur dem Kontext des Zusammenhangs von Gen 13-15 entnommen. Dahinter steht möglicherweise eine Tradition, die den Zusammenhang von Gen 15 zeitlich vor Gen 12 und örtlich in Mesopotamien ansiedelt. Für die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 ist das in sofern von Interesse, als es eine mögliche Erklärung für den Zusammenhang dieses Verses mit dem paulinischen Gedanken der Rechtfertigung des Gottlosen - der Abraham nach dieser Tradition in Mesopotamien war - sein könnte. 32 Weiter unklar bleibt allerdings, warum sich in Ant I,183-185 außer dem Namen Abraham keine weiteren Elemente des semantischen Feldes von Gen 15,6 finden lassen. Was den Wortstamm pist& angeht, kann diese Beobachtung sogar noch erweitert 29 Vgl. Franxman: Genesis, 132. 30 Vgl. Feldman: Antiquities, 69, Anm. 578. 31 Franxman: Genesis, 138. 32 Vgl. dazu Kreuzer: Gottlosen, 208-219. <?page no="138"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 124 werden. Er fehlt im Umfeld der Abrahamüberlieferung beinahe völlig, gerade zweimal ist der Wortstamm im Rahmen der Nacherzählung der Abrahamgeschichten der Genesis nachzuweisen. In beiden Fällen ist weder der Kontext religiöser Art, noch wird der Wortstamm selber in einer religiösen Bedeutung verwendet. 33 Damit liegen die Stellen ganz im Rahmen der Beobachtungen, die D ENNIS R. L INDSAY in seiner Dissertation für den Wortstamm pist& im Werk des Josephus insgesamt gemacht hat. Das Substantiv pi,sitj erscheint von den insgesamt 200 Vorkommen in nur 10% in religiöser Bedeutung, für das Verb pisteu,ein sind es von den 225 Vorkommen etwa 25% und das Adjektiv pisto,j erscheint nie in religiöser Bedeutung. 34 Da wo der Wortstamm mit einer religiösen Bedeutung vorkommt, ist der biblische Einfluss unverkennbar: „Especially Josephus’ use oft pist& in connection with Mose reveals his heritage from the tradition of Ex. 4, Ex. 14,31 and Num. 14,11.“ 35 Dass der religiöse Gebrauch des Wortstammes dann aber gerade in der Nacherzählung der biblischen Geschichten so stark zurücktritt, muss mit der apologetischen Intention der Antiquitates in Zusammenhang gesehen werden, der dazu führt, dass Josephus als Historiker argumentiert und sich dabei des profanen hellenistischen Sprachgebrauchs befleißigt, und nicht als Theologe vornehmlich die biblischen Sprachtraditionen bemüht. Die Ausgestaltung seines Abrahambildes weist in dieselbe Richtung: „Abraham, like Isaac, Jacob, Joseph, Moses, Joshua, Samson, Saul, David, Solomon, and Daniel, emerges as a typical national hero such as was popular in Hellenistic times, with emphasis on his qualities as a philosopher, scientist, and general.“ 36 Lässt sich auf diese Weise das Fehlen der Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 im Zuge der Nacherzählung von Gen 15 in Ant I,183-185 wenigstens ansatzweise erklären, so bleibt doch die Frage, ob nicht an anderer Stelle doch Spuren der Rezeption dieses Verses zu finden sind, da Josephus den Vers und die damit verbundenen Traditionen ohne Zweifel gekannt hat. Die Analyse des semantischen Grundwortfeldes weist dazu auf den Textabschnitt Ant I,222-236, der die Nacherzählung von Gen 22 zum Gegenstand 33 In Ant I,242 kommt der Stamm in der Bedeutung »Versprechen« vor, in Ant I,250 in der Bedeutung »Vertrauen erweckend«. 34 Vgl. Lindsay: Josephus, 77.155.157. 35 Lindsay: Josephus, 186. 36 Feldman: Josephus, 223. Zum Abrahambild in den Schriften des Josephus siehe außerdem die Arbeiten von G ÜNTER M AYER (ders.: Aspekte, 118-127) und T HOMAS W. F RANXMAN (ders.: Genesis, 123-169). <?page no="139"?> Kapitel V: Das semantische Feld von Gen 15,6 125 hat. 37 Hier erscheint neben dem Namen {Abramoj das Adjektiv di,kaioj bzw. a; dikoj (Ant I,225; 232; 233). Besonders interessant ist dabei der Abschnitt Ant I,223-225: {Abramoj de. th.n ivdi, an euvdaimoni, an evn mo,nw| tw/ | to.n ui`o.n avpaqh/ katalipw.n evxelqei/ n tou/ zh/ n evti,qeto) tou,tou me,ntoi kata. th.n tou/ qeou/ bou,lhsin e; tucen( o]j dia,peiran auvtou/ boulo,menoj labei/ n th/ j peri. auvto.n qrhskei, aj evmfanisqei.j auvtw/ | kai. pa,nta o[sa ei; h pareschme,noj katariqmhsa,menoj( w`j polemi,wn te krei,ttona poih,seie kai. th.n parou/ san euvdaimoni, an evk th/ j auvtou/ spoudh/ j e; coi kai. to.n ui`o.n : Isakon( h; |tei tou/ ton auvtw/ | qu/ ma kai. i` erei/ on auvto.n parascei/ n evke,leue, te eivj to. Mw,rion o; roj avnagago,nta o`lokautw/ sai bwmo.n i`drusa,menon\ ou[twj ga.r evmfani,sein th.n peri. auvto.n qrhskei, an( eiv kai. th/ j tou/ te,knou swthri, aj protimh,seie to. tw/ | qew/ | kecarisme,non) {Abramoj de. evpi. mhdeni. kri,nwn parakou, ein tou/ qeou/ di,kaion a[panta qV u`pourgei/ n( w`j evk th/ j evkei,nou pronoi, aj avpantw,ntwn oi-j a'n euvmenh.j h- |( evpikruya,menoj pro.j th.n gunai/ ka th,n te tou/ qeou/ pro,rrhsin kai. h]n ei=cen auvto.j gnw/ mhn peri. th/ j tou/ paido.j sfagh/ j( avlla. mhde. tw/ n oivketw/ n tini dhlw/ saj( evkwlu, eto ga.r a'n uvphreth/ sai tw/ | qew/ | labw.n to.n : Isakon meta. du,o oivketw/ n kai. ta. pro.j th.n i` erourgi, an evpisa,xaj o; nw| avph,|ei pro.j to. o; roj) Der schon in Ant I,222 im Zusammenhang mit der Tugendhaftigkeit Isaaks mehrfach gebrauchte Begriff der qrhskei,a tou/ qeou/ wird hier nun auf Abraham angewendet, wenn auch in einer im Blick auf die Relation zwischen Vater und Sohn etwas überraschenden Weise: „Isaak wird qrhskei,a zugeschrieben (223. peri. th.n tou/ qeou/ qrhskei,an evspoudakw,j), Abraham muß sie erweisen (dia,peiran labei/ n th/ j peri. auvto.n qrhskei,aj und 224: evmfani,sein th.n peri. auvto.n qrhskei,an).“ 38 Die Nacherzählung der Aqedah wird somit in der Version des Josephus zu einem „Stück über qrhskei,a tou/ qeou/ “ 39 . Da, wie oben bereits dargelegt, der Wortstamm pist& von Josephus in Bezug auf Abraham nicht gebraucht wird, ist zu fragen, ob nicht der Ausdruck qrhskei,a hier - im Rahmen des tugendhaften Abrahambildes - diese Stelle einnimmt. Sollte das der Fall sein, dann muss der auf die Ankündigung der »Glaubens«-Probe folgenden Reaktion Abrahams eine besondere Aufmerksamkeit zukommen, da sie weitere Elemente des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6 enthält. Mit dem Partizipialsatz evpi. mhdeni. kri,nwn parakou,ein tou/ qeou/ di,kaion a[panta qV u`pourgei/ n gibt Josephus seinen Adressaten Abrahams Motivation zur Kenntnis, die seiner Entscheidung zugrunde liegt, das von Gott geforderte wirklich zu tun. Das Verb kri,nein mit doppeltem Akkusativ bzw. AcI kommt dabei mit der Bedeutung 37 Siehe dazu die ausgezeichnete Analyse von P ETER P RESTEL (ders.: Erprobung, 94-107). 38 Prestel: Erprobung, 96. 39 Prestel: Erprobung, 96. <?page no="140"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 126 »jemanden/ etwas für etwas halten« dem logi,zesqai tini, ti e; ij ti ziemlich nahe. Außerdem ist auch hier der Wortstamm dikai& die entscheidende Bezugsgröße: Abraham hält es für di,kaioj, Gott in allen Dingen gehorsam zu sein. Dieses Urteil führt nun letztlich dazu, dass er seine qrhskei,a Gott gegenüber erweisen kann. Nimmt man an, dass im Falle von qrhskei,a und kri,nein Ersetzungen von pi,stij und logi,zesqai vorliegen, so könnten in Ant I,223-225 alle vier charakteristischen Verbindungen des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6 vorliegen. Ob das der Fall ist, kann allerdings nur mit Hilfe der ausführlichen rezeptionsästhetischen Analyse begründet geklärt werden. Dass in diesem Fall Abraham das Subjekt von Gen 15,6 wäre darf schon aus methodischen Gründen nicht als Gegenargument zählen. Schließlich könnten die Antiquitates Judaicae des Josephus neben dem Nehemiabuch und dem Hebräerbrief 40 möglicher Weise ein drittes Beispiel für eine solche Rezeption von Gen 15,6 sein. Die rezeptionsästhetische Analyse müsste dann unter Berücksichtigung des näheren und weiteren Kontextes klären, welche Funktion dieser Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 im Zusammenhang der Nacherzählung von Gen 22 zukommt. 4. Das semantische Feld und die potentiellen Konkretisationen in den Traktaten der Mischna Aus der Auswertung der tabellarischen Übersicht über Vorkommen und Verteilung der Elemente des semantischen Grundwortfeldes der Rezeptionen von Gen 15,6 für die 63 Traktate der Mischna ergibt sich folgende Aufstellung: Traktat (1) Abraham kommt im Textzusammenhang (wenigstens implizit) vor (2) Abraham und Glaube stehen in sem.synt. Zusammenhang (3) Glaube und Gerechtigkeit stehen in sem.synt. Zusammenhang (4) Anrechnen steht in sem.synt. Zusammenhang zu Glaube oder Gerechtigkeit Ber --- --- --- --- Pea --- --- --- --- Dem --- --- --- --- Kil --- --- --- --- Shevi --- --- --- --- 40 Vgl. Kap. VII. <?page no="141"?> Kapitel V: Das semantische Feld von Gen 15,6 127 Traktat (1) Abraham kommt im Textzusammenhang (wenigstens implizit) vor (2) Abraham und Glaube stehen in sem.synt. Zusammenhang (3) Glaube und Gerechtigkeit stehen in sem.synt. Zusammenhang (4) Anrechnen steht in sem.synt. Zusammenhang zu Glaube oder Gerechtigkeit Ter --- --- --- --- Maas --- --- --- --- MSh --- --- --- --- Hal --- --- --- --- Orl --- --- --- --- Bik --- --- --- --- Shab --- --- --- --- Er --- --- --- --- Pes --- --- --- --- Sheq --- --- --- --- Yom --- --- --- --- Suk --- --- --- --- Bes --- --- --- --- RHSh --- --- --- --- Taan II,4.5 --- --- --- Meg --- --- --- --- MQ --- --- --- --- Hag --- --- --- --- Yev --- --- --- --- Ket --- --- --- --- Ned III,11 --- --- --- Naz --- --- --- --- Git --- --- --- --- Sot VII,5 --- --- --- Qid IV,14 --- --- --- BQ VIII,6.7 --- --- --- BM VII,1 --- --- --- BB --- --- --- --- San --- --- --- --- Mak --- --- --- --- Shevu --- --- --- --- Ed --- --- --- --- AZ --- --- --- --- Av III,11; V,2.3.6.19; VI,10 --- II,16; VI,1.2 --- Hor --- --- --- --- Zev --- --- --- --- <?page no="142"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 128 Traktat (1) Abraham kommt im Textzusammenhang (wenigstens implizit) vor (2) Abraham und Glaube stehen in sem.synt. Zusammenhang (3) Glaube und Gerechtigkeit stehen in sem.synt. Zusammenhang (4) Anrechnen steht in sem.synt. Zusammenhang zu Glaube oder Gerechtigkeit Men --- --- --- --- Hul --- --- --- --- Bekh --- --- --- --- Ar --- --- --- --- Tem --- --- --- --- Ker --- --- --- --- Meil --- --- --- --- Tam --- --- --- --- Mid --- --- --- --- Qin --- --- --- --- Kel --- --- --- --- Ohal --- --- --- --- Neg --- --- --- --- Par --- --- --- --- Toh --- --- --- --- Miq --- --- --- --- Nid --- --- --- --- Makh --- --- --- --- Zav --- --- --- --- TevY --- --- --- --- Yad --- --- --- --- Uq --- --- --- --- Trotz des großen Umfangs der Mischna mit ihren 63 Traktaten finden sich kaum charakteristische Verbindungen des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6. Dabei fällt auf, dass die Wurzel qdc insgesamt nur 31mal in der Mischna zu finden ist. 41 Die Wurzel ! ma findet sich dagegen insgesamt 242mal 42 und bvx ist 106mal 43 belegt. Außer in Av 2,16; 6,1.2 finden sich keinerlei semantisch-syntaktische Verbindungen dieser Elemente, die denen des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6 auch nur annähernd entsprechen. 41 Vermehrt nur in den Traktaten ! yrdhns (8 Belege) und twba (12 Belege). 42 Vermehrt in den Traktaten yamd (22 Belege), tw[bX (19 Belege), ! yXwdyq (18 Belege), hjws (16 Belege), hap (15 Belege) und twmby (12 Belege). 43 Vermehrt in den Traktaten ~ylk (17 Belege), ~yxbz (11 Belege), twlha (9 Belege) und ~ycqw[ (9 Belege). <?page no="143"?> Kapitel V: Das semantische Feld von Gen 15,6 129 Der Name ~hrba bzw. ~rba ist insgesamt 26mal belegt. Neben zwei Belegen im Traktat tyn[t finden sich alle Erwähnungen Abrahams in den Ordnungen ~yXn und ! yqyzn . In Taan II,4 wird unter Anspielung auf Gen 22 auf Abraham Bezug genommen. In der ersten der sieben Schlussformeln des Fastengottesdienstes, die nach der siebten Bitte des Achtzehner-Gebets zu sprechen ist, wird die Rettung Isaaks als Gebetserhörung interpretiert. 44 Die zweite Stelle, Tan II,5, entspricht wörtlich Tan II,4, gehört aber der Beschreibung einer abweichenden Praxis für den Schluss des Gottesdienstes an. Ned III,11; BQ VIII,6 und BM VII,1 greifen auf Abraham als Stammvater Israels zurück, die letzteren beiden im Verbund mit Isaak und Jakob. Es geht dabei um die Formulierung von Gelübden (Ned III,11), um die Begründung des Schutzes armer Menschen vor tätlichen Beleidigungen (BQ VIII,6: Spruch Rabbi Aqibas) bzw. die Verpflichtung, Arbeiter nach dem örtlichen Brauch zu verpflegen (BM VII,1: Spruch Rabbi Johanans ben Matja). Sot VII,1-VIII,7 befasst sich mit der Frage nach der Sprache bestimmter Schriftabschnitte. In Sot VII,5 geht es speziell um Segen und Flüche. Es wird durch Analogieschluss zwischen Dtn 11,30 und Gen 12,6 gezeigt, dass „die Teribinthe von More bei Sichem liegt, und daß Israel an eben diesem Orte die Segen und Flüche aussprach, wo schon Abraham sich aufgehalten hatte“ 45 . BQ VIII,7 enthält „Anmerkungen ethischen Inhalts im Anschluss an die Abimelek-Geschichte Gen 20,1ff“, wonach neben der Wiedergutmachung die Fürbitte des Geschädigten für den Schädiger zu erbitten und von diesem nach dem Beispiel Abrahams auch zu leisten ist. Quid IV,14 gibt einen Ausspruch Rabbi Nehorais wieder, nach dem dieser seinen Sohn allein die Thora lernen ließ, da diese im Gegensatz zu sonstigen Handwerken auch im Alter auszuüben sei und dazu noch Hoffnung gäbe. Als biblisches Beispiel dafür wird Abraham genannt, der nach Gen 24,1 alt und hochbetagt war, weil er nach Gen 26,5 das Gesetz beachtete noch bevor es durch Mose gegeben wurde. An allen diesen Stellen finden sich über den Namen ~hrba hinaus keine weiteren Elemente des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6. Die zweite Hälfte der gesamten Belege für Abraham in der Mischna entfallen auf den Traktat twba (13 Belege), was umso interessanter ist, als dieser „unter den 63 Traktaten der Mischna (…) in mehrfacher Hinsicht eine Sonderstellung ein(nimmt)“ 46 . Auffällig ist schon, dass der Traktat im palästini- 44 Vgl. Correns: Ta`anît, 49, Anm. 48. 45 Bietenhard: So†a, 114, Anm. 9. 46 Beer/ Marti: ´Abôt, XI. <?page no="144"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 130 schen Talmud und in der Tosefta ganz fehlt und es im babylonischen Talmud keine Gemara zu twba gibt. Der Traktat „verhält sich zur ganzen Mischna, von der er einen Bruchteil bildet, wie die Einleitungs- und Schlussreden des Deuteronomiums zu dem von ihnen umrahmten Gesetz: es sind Auswirkungen derselben Gedankenrichtung“ 47 . In twba stehen aber nicht einzelne Gebote und deren Auflösung in erdenkliche Fälle im Mittelpunkt, sondern es werden „Notwendigkeit und Nutzen der Gesamttora betont unbeschadet des Segens, der mit der Befolgung der Einzelvorschriften verknüpft ist“ 48 . Dem dienen die Zeugnisse der angesehensten Rabbis, deren Lehren durch viele Schriftzitate belegt werden. In Av III,11 werden aus dem Munde Rabbi Elazars aus Modiim die Charakterisierung eines Ketzers dargeboten, welche die zwölfte Bitte des Achtzehn-Gebets konkretisiert. Darunter fällt u.a. das Brechen des Bundes Abrahams durch das Unterlassen bzw. Aufheben der Beschneidung. In Av VI,10 kommt Abraham nach einem anonymen Zahlenspruch eines der fünf Sonderbesitztümer ( ! ynynq ) Gottes zu, was aus der Schrift mit Gen 14,19 - dem Segensspruch des Melchisedek - begründet wird. In eine ähnliche Richtung geht Av V,6. Hier erscheint der wnyba ~hrba-lX wlya (vgl. Gen 22,13) als Ergänzung der zehn Schöpfungswerke, wodurch der Opfer- und Sühnekult eine besondere Würdigung erfährt. Von besonderem Interesse im Blick auf die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 ist der Abschnitt Av V, in dem Abraham neunmal im Rahmen von Zahlensprüchen genannt wird. So zählt Av V,2b zehn Geschlechter von Noah bis Abraham, wobei Abraham auch den Lohn erhalten hat, den die zehn »nachflutlichen« Geschlechter erhalten hätten, wären sie nicht von Gott abgefallen. 49 Im Anschluss daran ist in Av V,3 von den zehn Versuchungen Abrahams die Rede, deren Bestehen seine Liebe zu Gott bekundet: wnyba ~hrba-lX wtbx wyh hmk [ydwhl ~lkb dm[w wnyba ~hrba hsntn twnwysn hrX[ Im Vergleich mit 1Makk 2,52 (VAbraa,m ouvci. evn peirasmw/ | eu`re,qh pisto,j kai. evlogi,sqh auvtw/ | eivj dikaiosu,nhn) und Sir 44,20 (VAbraa,m $)))% evn peirasmw/ | eu`re,qh pisto,j) ist zu fragen, ob hier nicht die Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 auszumachen ist oder aber eine solche hier zu erwarten wäre, so dass man ihr Fehlen erklären müsste. Da außer dem Namen Abraham keine weiteren Elemente des semantischen Grundwortfeldes 47 Beer/ Marti: ´Abôt, XI-XII. 48 Beer/ Marti: ´Abôt, XIII. 49 Vgl. Beer/ Marti: ´Abôt, 119, Anm. 2. <?page no="145"?> Kapitel V: Das semantische Feld von Gen 15,6 131 von Gen 15,6 nachzuweisen sind, bleibt zum textlichen Nachweis einer Konkretisation im Grunde nur die Annahme einer Substitution der charakteristischen Elemente in der Mischna. Denkbar wäre das bei den Wurzeln ! ma und bbx bzw. bha , da letztere auch in Av V,19 in Verbindung mit Abraham gebraucht wird, so dass hier anstelle des Vertrauens „die Haupttriebkraft für alle Handlungen Abrahams seine »Liebe zu Gott«“ 50 wäre. Es wäre dann zu untersuchen, welche Bedeutung dieser Substitution im Mitteilungsgeschehen des gesamten Traktats zukommt. Doch selbst wenn man die beschriebene Substitution der Elemente des semantischen Feldes annimmt, bleiben sowohl das hypothetische Vorhandensein einer Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 als auch ein offensichtliches Fehlen stark an traditionsgeschichtliche Erwägungen gebunden, die von einer generellen, festen Verbindung des Versuchungsmotivs mit dem Erweis der Treue Abrahams ausgehen. Aus methodischen Gründen sollen traditionsgeschichtliche Überlegungen gegenüber der Beobachtung des semantischen Feldes aber gerade nicht den Ausschlag zur Identifizierung von Konkretisationen geben. Die rezeptionsästhetische Analyse von Av V,3 im Kontext von twba ist im Blick auf die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 aber dennoch als Gewinn bringend anzusehen, wenngleich sie m.E. eher zu dem Ergebnis des Nichtvorhandenseins einer Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 kommen wird. Die letzte Stelle in Av V, die auf Abraham Bezug nimmt, ist oben schon kurz angesprochen worden. In Av V,19 werden die wnyba ~hrba-lX wdymlt den [Xrh ~[lb-lX wdymlt gegenübergestellt und es wird „ihr verschiedenes Grundwesen und dann ihr entgegengesetztes Geschick beschrieben“ 51 . Die »Schüler Abrahams« werden demnach den Garten Eden ererben, während die »Schüler Bilams« der Hölle anheim fallen werden. Das Schicksal ersterer wird mit Spr 8,21 belegt, wo die yb; h]ao ihre Schatzkammern gefüllt bekommen (vgl. Uq 3,12a). Hier wird - neben Av V,3 - erneut deutlich, dass Abrahams »Liebe zu Gott« als seine herausragende Eigenschaft angesehen wird. Ob der Verfasser bzw. Redaktor von twba mit den lX wdymlt [Xrh ~[lbdie Gruppe der Christusanhänger im Blick hat 52 , kann hier nicht weiter verfolgt werden. Bei einer eingehenden Behandlung des Traktates im Rahmen einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 wäre diese Frage aber natürlich von besonderem Interesse. 50 Beer/ Marti: ´Abôt, 121, Anm. 4. 51 Beer/ Marti: ´Abôt, 147, Anm. 1. 52 Vgl. Beer/ Marti: ´Abôt, 148f, Anm. 4. <?page no="146"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 132 Insgesamt muss festegestellt werden, dass die Mischna - „das gesamte bis 200 ausgebildete traditionelle Religionsgesetz 53 “ - keine Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 aufweist, wenngleich an einigen Stellen auf Abraham Bezug genommen wird. 54 Die älteste rabbinische Quelle, die sicher eine Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 aufweist ist die Mekhilta deRabbi Yishma’el (MekhY 2,3) aus der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts 55 , wo der Vers zur Auslegung von Ex 14,31 herangezogen wird: awh yadk hnmab txa hwcm wyl[ lbqmh lkX rmwa hta ! ynm rmwa hymxn ybr htrXw wkz wnymahX hnmah rkXbX wnytwbab wnycm ! kX Xdqh xwr wyl[ hrXtX ! bw larXy ynbw hXm ryXy za 'wgw yyb wnymayw rmanX hryX wrmaw Xdqh xwr ~hyl[ hnma rkXb ala abh ~lw[hw hzh ~lw[h ta wnyba ~hrba Xry alX acwm hta rkXb ala ~yrcmm larXy wlagn alX acwm hta ! kw 'wgw yyb ! ymahw rmanX ! ymahX twba tnwma rykzm yy rcwn ~ynwma rmwa awh ! kw ~[h ! mayw rmanX wnymahX hnma 'wgw wkmt rwxw ! rhaw rmwaw Interessant für die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 ist auch die Beobachtung, dass im Bereshit Rabba, dem ältesten Auslegungsmidrasch zur Genesis 56 , keine Auslegung des Verses Gen 15,6 zu finden ist. Ähnlich wie bei der Nacherzählung der Abrahamerzählung bei Josephus wird der Vers hier ausgelassen. Doch auch hier findet sich in der Auslegung von Gen 15,1 eine potentielle Konkretisation, wenn sich mit Neh 9,8 eine Rezeption der Rezeption von Gen 15,6 konkretisiert (vgl. BerR XLIV). Weitere sichere Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 in der älteren rabbinischen Literatur finden sich in MekhSh 57 58.70, ShirR 58 4,8 und bShab 59 97a. 60 Diese - wie auch schon MekhY 2,3 - liegen aber deutlich außerhalb des Untersuchungsbereichs dieser Arbeit. 53 Stemberger: Einleitung, 114. 54 Vgl. auch das Bibelstellenregister zur Mischna bei G EORG A ICHER (ders.: Testament, 465-175). 55 Vgl. Stemberger: Einleitung, 253. 56 1. Hälfte des 5. Jh. n.Chr. (vgl. Stemberger: Einleitung, 275). 57 4. Jh. n.Chr. (vgl. Stemberger: Einleitung, 257). 58 Mitte 6. Jh. n.Chr. (vgl. Stemberger: Einleitung, 309). 59 Mitte 6. Jh. n.Chr. (vgl. Stemberger: Einleitung, 194). 60 Vgl. die Zusammenstellung bei A ARON H YMAN (vgl. ders.: Tôrä, 27). Dort finden sich auch weitere Stellen, die alle deutlich ins Mittelalter zu datieren sind. Zur Frage nach der Gestalt Abrahams in der rabbinischen Literatur siehe auch die Aufsätze von P AUL B ILL- ERBECK (ders.: Abraham 1899 u. 1900). Diese sind allerdings nur unter sorgfältifer Beachtung ihrer hermeneutischen Voraussätzungen heranzuziehen, da diese mit den Bemühungen zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden weitgehend unvereinbar sind. <?page no="147"?> Kapitel V: Das semantische Feld von Gen 15,6 133 5. Das semantische Feld und die potentiellen Konkretisationen in den Spätschriften der neutestamentlichen Literatur Die Gruppe von Schriften, die hier unter der Bezeichnung »Spätschriften der neutestamentlichen Literatur« in den Blick kommt, firmiert gewöhnlich unter der Bezeichnung »Apokryphen des Neuen Testaments«, worunter dann eine große Menge sehr unterschiedlicher Schriften zusammengefasst ist. 61 Im Rahmen dieser Untersuchung mit ihren spezifischen methodischen Erfordernissen sind aus dieser großen Menge nur diejenigen berücksichtigt worden, die (1.) in griechischer Sprache vorliegen, (2.) durch eine Konkordanz oder eine elektronische Suchfunktion erschlossen sind und (3.) wahrscheinlich in die Zeit um das Ende des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts datieren 62 . Das sind m.W. folgende zehn Schriften: die Johannesakten 63 , die Paulusakten 64 , die Petrusakten 65 , die Thomasakten 66 , das Ägypterevangelium 67 , das Ebionäerevangelium 68 , das Hebräerevangelium 69 , das Petrusevangelium 70 , die Kindheitserzählung des Thomas 71 und das Protevangelium des Jakobus 72 . Wertet man die tabellarische Übersicht für diese Schriften entsprechend aus, so ergibt sich folgende Aufstellung: 61 Vgl. die Übersicht im Corpus Christianorum. Clavis Apocryphorum Novi Testamenti, ed. Mauritius Geerard, Turnhout, 1992, 243-254. 62 Abweichend vom Grundsatz von der Endgestalt der Texte auszugehen (vgl. Kap. IV, Abschn. 3.1), sind die hier zu Grunde gelegten Datierungen zumeist am Grundstock der Schriften orientiert, die häufig dann zahlreiche Überarbeitungen über eine längere Zeit erfahren haben. 63 Vor 200 n.Chr. (vgl. Schäferdiek: Johannesakten, 138-145). 64 185-195 n.Chr. (vgl. Schneemelcher: Paulusakten, 214). 65 180-190 n.Chr. (vgl. Schneemelcher: Petrusakten, 255). 66 Anfang 3. Jh. n.Chr. (vgl. Drijvers: Thomasakten, 289-303). 67 Erste Hälfte des 2. Jh. n.Chr. (vgl. Schneemelcher: Ägypterevangelium, 179). 68 Erste Hälfte des 2. Jh. n.Chr. (vgl. Vielhauer/ Strecker: Judenchristliche Evangelien, 140). 69 Erste Hälfte des 2. Jh. n.Chr. (vgl. Vielhauer/ Strecker: Judenchristliche Evangelien, 146). 70 Mitte des 2. Jh. n.Chr. (vgl. Maurer/ Schneemelcher: Petrusevangelium, 184f). 71 Ende des 2. Jh. n.Chr. (vgl. Cullmann: Kindheitsevangelien, 352). 72 Zweite Hälfte des 2. Jh. n.Chr. (vgl. Cullmann: Kindheitsevangelien, 337). <?page no="148"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 134 Schrift (1) Abraham kommt im Textzusammenhang (wenigstens implizit) vor (2) Abraham und Glaube stehen in sem.synt. Zusammenhang (3) Glaube und Gerechtigkeit stehen in sem.synt. Zusammenhang (4) Anrechnen steht in sem.synt. Zusammenhang zu Glaube oder Gerechtigkeit ActJ --- --- --- --- ActPl --- --- --- --- ActPe --- --- --- --- ActThom --- --- 20,1-17 --- EvAeg --- --- --- --- EvEb --- --- --- --- EvHebr --- --- --- --- EvPe --- --- --- --- Ev inf Thom A --- --- --- --- Ev inf Thom B --- --- --- --- ProtevJak 1,2-3,6; 40a,11- 20 [1,2-3,6 (Abraham u. Gerechtigkeit)] --- --- Wenngleich die einzelnen Elemente des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6 in den berücksichtigten Schriften durchaus vorkommen, finden sie sich dort kaum in den charakteristischen Verbindungen des semantischen Feldes. In den Thomasakten sind in ActThom 20,7 die Wortstämme pist& und dikai& in charakteristischer Weise miteinander verbunden, wenn über den Apostel Judas Thomas erzählt wird, dass das, was seinen Glauben ausmacht, seine Gerechtigkeit und sein Apostolat bekundet: avllV ai` euvsplag cni, ai auvtou/ kai. ai` iva,seij ai` dwrea.n evx auvtou/ gino,menai( e; ti de. to. avplou/ n auvtou/ kai. evpieike.j kai. to. th/ j pi,stewj auvtou/ shmai,nei o[ti di,kaio,j evstin h' avpo,stoloj tou/ qeou/ tou/ ne,ou o]n auvto.j katagge,llei) Daneben finden sich in ActThom 20,1-17 aber keine weiteren charakteristischen Verbindungen, so dass die Stelle als potentielle Konkretisation nicht in Frage kommt. Der Name VAbraa,m wird in den berücksichtigten Schriften überhaupt nur im Protevangelium des Jakobus genannt. In ProtevJak 1,2-3,6 wird erzählt, wie Joachim, der Mann der Anna und der zukünftige Vater Marias, angesichts seiner Kinderlosigkeit Hoffnung aus der Geschichte Abrahams schöpft: <?page no="149"?> Kapitel V: Das semantische Feld von Gen 15,6 135 Kai. hvrau,nhse( kai. eu-ren pa,ntaj tou.j dikai,ouj o[ti spe,rma evn tw/ | VIsrah.l avne,sthsan) Kai. evmnh,sqh@n# tou/ patria,rcou VAbraa,m( o[ti evn th/ | evsca,th| auvtou/ h`me,ra| e; dwken auvtw|/ Ku,rioj o` Qeo.j ui`o.n to.n VIsaa,k) Von den Elementen des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6 erscheint hier noch der Wortstamm dikai&, wenn Abraham zu den »Gerechten Israels« gezählt wird. Für eine potentielle Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 reicht dieser Befund aber nicht aus. An der zweiten Stelle im Protevangelium des Jakobus, in ProtevJak 40a,11-20, erscheint Abraham in einem Gebet der Salome, in dem sie sich auf ihre Abstammung von den Erzvätern Abraham, Isaak und Jakob beruft. Weitere Elemente des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6 finden sich innerhalb des gesamten Abschnitts nicht. Von den berücksichtigten Spätschriften der neutestamentlichen Literatur kommt folglich keine Stelle als potentielle Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 in Frage. Wie ein Blick in das Namensregister der deutschen Sammlung neutestamentlicher Apokryphen von E DGAR H ENNEKE und W IL- HELM S CHNEEMELCHER zeigt 73 , wäre auch bei einer Ausweitung des Untersuchungsgegenstands im Blick auf Sprache und Abfassungszeit wahrscheinlich kein signifikant anderes Ergebnis zu erwarten. Abraham wird in einigen weiteren Schriften erwähnt (Pseudotitusbrief; Pseudoclementinen: Hom. II,16,5; III,39,5; VIII,4,1; KerPe II,16,5, ApcPe 16, 5Es 1,38ff; Sib II,245, ApcPl 27; 47f, EvPhil 123a, EpAp 27, Pilatusakten XIV, Höllenfahrt Christi II, Bartholomäusevangelium I,9) 74 , aber er erscheint dort nicht mit anderen charakteristischen Verbindungen des semantischen Grundwortfeldes 75 , so dass hier nicht mit potentiellen Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 zu rechnen ist. 73 Vgl. Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. II. Band: Apostolisches, Apokalypsen und Verwandtes, hg.v. W. Schneemelcher, Tübingen, 6 1997, 689. 74 Zu Sib II,245; EvPhil 123a und EpAp 27 vgl. die Ausführungen von S IKER (vgl. ders.: Jews, 144-162). 75 In der lateinischen Version der Paulusapokalypse finden sich im Textzusammenhang mit Abraham zwar die Elemente Gerechtigkeit (ApkPl 27) bzw. Glaube (ApkPl 47), doch stehen die Elemente in keinem der charakteristischen Verbindungen des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6. In der erhaltenen griechischen Version fehlt gerade der Teil, der die entsprechenden Wortfeldelemente enthält. <?page no="150"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 136 6. Überblick über die potentiellen Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 in der neutestamentlichen Literatur Durch Anwendung der in Kapitel IV beschriebenen Methode konnten einzelne Perikopen durch Nachweis des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6 als potentielle Konkretisationen einer Rezeption dieses Verses ausgemacht werden. Für den zugrunde gelegten Literaturbereich sind folgende Perikopen zu benennen: Neues Testament Apostolische Väter Flavius Josephus Mischna Spätschriften Gal 3,1-14 Röm 4,1-25 Hebr 6,9-15 Hebr 11,11f Hebr 11,17-19 Jak 2,14-26 Barn 13,1-7 1Clem 10,1-7 1Clem 30,6- 32,4 Ant I,222-236 --- --- Um in ihnen die Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 zu verifizieren und sie für eine sozialhistorisch orientierte Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 zu erschließen, sind diese Perikopen mit Hilfe der in Kapitel IV beschriebenen rezeptionsästhetischen Analyse eingehender zu untersuchen. In den folgenden Kapiteln wird dies mit dem Jakobus-, dem Hebräer- und dem 1.Clemensbrief an drei ausgewählten Beispielen erprobt und vorgeführt. <?page no="151"?> Kapitel VI Gen 15,6 im Jakobusbrief aus der Perspektive einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte 1. Forschungsgeschichtliche Einordnung der Frage nach einer Rezeption von Gen 15,6 im Jakobusbrief Im Zusammenhang der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 gehört die Beschäftigung mit dem Jakobusbrief zum Standardprogramm, denn, dass in Jak 2,23 eine Rezeption von Gen 15,6 vorliegt, ist in allen Arbeiten zu diesem Topos unbestritten. Überblickt man aber die umfangreiche Literatur zu diesem Bereich 1 , zeigt sich schnell, dass neben der Tatsache der Rezeption wenig Einigkeit herrscht. Das hängt vor allem mit den grundsätzlichen Problemen der Jakobusexegese 2 zusammen, die vielfach und gerade in dem für die Rezeption von Gen 15,6 entscheidenden Abschnitt „den Gedankengang hinter Knappheiten und Unausgesprochenem suchen“ 3 muss. Angesichts dessen hatte M ARTIN D IBELIUS in seinem 1921 erschienenen Kommentar aus der Not quasi eine Tugend gemacht, indem er diese Besonderheiten als geradezu konstitutiv für den paränetischen Charakter des Jakobusbriefes herausstellte und so erklärte, warum „in dem ganzen Schrift- 1 Vgl. den Literaturbericht von F ERDINAND H AHN und P ETER M ÜLLER (dies.: Jakobusbrief), sowie die bibliographischen Angaben in den neueren Kommentaren bzw. Monographien von W IARD P OPKES (ders.: Jakobus), C HRISTOPH B URCHARD (ders.: Jakobusbrief) und M ATTHIAS K ONRADT (ders.: Existenz). 2 Man denke nur an die bis heute immer wieder neu diskutierte Frage nach Verfasserschaft und Datierung des Jakobusbriefes, deren Beantwortung auf die rezeptionsgeschichtliche Fragestellung durchaus Einfluss hat. Der auf Frühdatierung und Verfasserschaft des Herrenbruders Jakobus gegründete Vorschlag zum Verhältnis Jakobus- Paulus von M ARTIN H ENGEL (ders.: Jakobusbrief) verdeutlicht das (s.u.). Ähnliche Prämissen teilen auch W ILHELM H. W ÜLLNER (ders.: Jakobusbrief, 57) und F RANZ M UßNER (ders.: Jakobusbrief, 8). 3 Burchard: Jakobus, 27 (Anm. 2). <?page no="152"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 138 stück der gedankliche Zusammenhang“ 4 fehlt. Diese Position bestimmte aufgrund ihrer scheinbar „überragenden Erklärungsleistung“ 5 lange Zeit die Auslegung und bleibt auch heute „zum Anlehnen oder Ablehnen unentbehrlich“ 6 , wenngleich das unter diesen Prämissen angezeigte »Situations- und Kontextverbot« heute weitgehend durchbrochen ist. Dass nämlich die Ausführungen des Jakobusbriefes durchaus eine kohärente Einheit bilden, ist in den vergangenen Jahren ausgehend von einem Wandel in den exegetischen Methoden durch die Arbeiten von W ÜLLNER , A MPHOUX , F RANKEMÖL- LE und C ARGAL herausgestellt worden. 7 Speziell der methodische Ansatz von H UBERT F RANKEMÖLLE über die Beobachtung des semantischen Netzes des Jakobusbriefs, wodurch er die Kohärenz des Schreibens im „semantischthematischen Bereich“ 8 verortet, die dann, pragmatisch orientiert, durch syntaktische Mittel adressatenbezogen verstärkt wird 9 , kommt der dieser Untersuchung zugrunde liegenden Theorie und Methode entgegen. Dennoch bleibt bei allem Bemühen, die Rezeption von Gen 15,6 im Jakobusbrief im Kontext der gesamten Schrift zu verstehen, die Problematik bestehen, dass wichtige Begriffe, dahinter liegende Traditionen und Argumentationszusammenhänge für heutige Leserinnen und Leser inhaltlich deutlich unterbestimmt sind. 10 Dadurch erhält der Vergleich mit externen Quellen, die positiv oder negativ als Hintergrund des Jakobusbriefes angesehen werden, methodisch eine besondere Bedeutung, in der Hoffnung, so das Defizit an Bestimmtheit von Begriffen und Traditionen ausgleichen zu können. Die unterschiedlichen Ansätze lassen sich unter den Stichworten »Frontstellung gegen Paulus« und »innere Logik der (jüdischen) Tradition« grob nach zwei Tendenzen unterscheiden, so dass sich die Forschungsgeschichte bzgl. der Rezeption von Gen 15,6 im Jakobusbrief nach drei Haupttendenzen strukturieren lässt 11 : 4 Dibelius: Jakobus1921, 14. 5 Hahn/ Müller: Jakobusbrief, 9. 6 Hahn/ Müller: Jakobusbrief, 1; vgl. Cargal: Diaspora, 9. 7 Wüllner: Jakobusbrief; Amphoux: Description; Frankemölle: Netz; ders.: Jakobus I; Cargal: Diaspora. Vgl. dazu Hahn/ Müller: Jakobusbrief, 11. 8 Frankemölle: Jakobus I, 163; 9 Vgl. auch Frankemölle: Netz. 10 Vgl. McGonigal: Abraham, 439. 11 Mit der Bezeichnung »Tendenz« ist schon angedeutet, dass es sich im Einzelfall um Kombinationen der entsprechenden Zugänge handelt. Problematisch ist dabei zusätzlich, dass nur in den seltensten Fällen über die methodische Vorgehensweise und die entsprechenden Prämissen Rechenschaft gegeben wird. Die Einordnungen sind daher nur unter einem gewissen Vorbehalt möglich. <?page no="153"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 139 (1) Externe Frontstellung gegen Paulus. Die Rezeption von Gen 15,6 ist als Rezeption dieser Rezeption des Paulus zu verstehen, wodurch der Verfasser des Jakobusbriefes „bewusst gegen Paulus polemisiert“ 12 . Dabei wird von S ANDERS , L INDEMANN , L ÜDEMANN , T SUJI , P OPKES und A VEMARIE eine literarische Abhängigkeit vom Römerbzw. auch vom Galaterbrief angenommen, die hauptsächlich mit sprachlichen Übereinstimmungen zwischen Jak 2,21 und Röm 4,2, zwischen Jak 2,23 und Röm 4,3, sowie zwischen Jak 2,24 und Gal 2,16 bzw. Röm 3,28 begründet wird. 13 Demnach war dem Verfasser des Jakobusbriefes „nicht nur die These von der Rechtfertigungslehre (vgl. Jak 2,24), sondern auch deren Argumentation (Abraham-Beispiel, »Gott ist ein einziger«) zugänglich“ 14 , und „es ist jede Interpretation auszuschließen, die nicht von der Voraussetzung ausgeht, dass in Jak 2,14-26 der Verfasser aufgrund seiner genauen Kenntnis der Rechtfertigungslehre des Paulus seine Ansicht darlegt.“ 15 W IARD P OPKES geht sogar davon aus, dass dem Verfasser des Jakobusbriefes insgesamt kein eigenständiger Rückgriff auf das Alte Testament zugestanden werden kann: „His knowledge of the Bible is secondhand“ 16 . Auf der Grundlage dieser scheinbar sicheren literarischen Abhängigkeit versucht F RIEDRICH A VEMARIE rezeptionsästhetisch, aus der Konkretisation der Paulusrezeption im Jakobusbrief ein dem klassisch reformatorischen Bild entsprechendes Paulusverständnis abzuleiten und damit den Anfragen der »New Perspective« entgegen zu treten: „Denn wenn Jakobus in bewußtem Widerspruch zu Paulus die Heilsnotwendigkeit von Werken behauptet, die nichts mit ausgrenzenden Ritualgeboten zu tun haben, so hat er Paulus sicherlich nicht im Sinne der New Perspective, sondern geradezu klassisch reformatorisch verstanden.“ 17 Gegenüber diesen Positionen wird ein direkter literarischer Bezug auf die paulinischen Schriften von der Mehrzahl der Ausleger nicht angenommen, wenngleich die paulinische Argumentation als Hintergrund der entsprechenden Ausführungen im Jakobusbrief angesehen wird. 18 Die gewisse Nähe 12 Lüdemann: Paulus II, 199. 13 Vgl. Sanders: Ethics, 119-121; Lindemann: Paulus, 243-247; Lüdemann: Paulus II, 197- 201; Tsuji: Glaube, 189-191; Popkes: James, 222-224; Avemarie: Werke, 292-294. 14 Tsuji: Glaube, 193. 15 Tsuji: Glaube, 193. 16 Popkes: James, 228. 17 Avemarie: Werke, 288. 18 So z.B. D IBELIUS (ders.: Jakobus, 220); L OHSE (ders.: Glaube, 7); H AHN (ders.: Genesis, 92); B URCHARD (ders.: Jakobus, 43f (Anm. 77); in seinem Kommentar (ders.: Jakobusbrief) aus dem Jahr 2000 findet sich hingegen in dieser Richtung keine Aussage mehr); <?page no="154"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 140 auf sprachlicher Ebene lässt darauf schließen, dass „zwar nicht unbedingt der Galater- oder Römerbrief, wohl aber die dort niedergeschriebene Kernaussage paulinischer Theologie dem Verfasser des Jakobusbriefes bekannt gewesen sein muß“ 19 . Die demgegenüber bestehenden Differenzen im Blick auf den „Fragehorizont und die Aussagen“ 20 sind häufig Anlass, anzunehmen, dass der Verfasser die paulinische Position entweder nicht bzw. missverstanden hat 21 , oder sie ihm gar nicht anders als in verzerrter Form - eines „Vulgärpaulinismus (...) der zweiten christlichen Generation“ 22 beispielsweise - begegnet ist. 23 Eine interessante These hat G ERD T HEIßEN vorgelegt, indem er den Versuch unternimmt, „die pseudepigraphe Intention des Jakobusbriefes“ 24 zu ermitteln. Er geht davon aus, dass die Person des Jakobus vom Verfasser als Symbol des Judenchristentums in Anspruch genommen wird, „um das Judenchristentum gegen Missverständnisse zu verteidigen“ 25 . Konkret wehrt sich der Verfasser gegen das Bild des Judenchristentums, „das die Konflikte der ersten Generation hinterlassen haben - also gegen das Bild eines ritualistischen, konfliktsüchtigen, engherzigen Judentums, (…) das die Einheit der Kirche unnötig aufs Spiel setzt“ 26 . Im Blick auf die Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 in Jak 2,14-26 steht für T HEIßEN fest, dass sich der Verfasser mit paulinischer Theologie auseinandersetzt. Sein Ziel ist es aber nicht, den Paulinismus anzugreifen, sondern ein ethisches Christentum darzustellen, das den richtigen Mittelweg zwischen Glauben und Werken geht, und damit „auch den Ansprüchen gerecht wird, die anderswo zum entscheidenden Kriterium des Christseins erhoben werden“ 27 . Den weitestgehenden Bezug auf Paulus sieht hingegen sicherlich M ARTIN H ENGEL , der den Jakobusbrief insgesamt für antipaulinische Polemik hält, „freilich - wie es antiker Polemik häufig entspricht - in indirekter Form S CHNIDER (ders.: Jakobusbrief, 76f); . K LEIN (ders: Werk, 77); M ÜLLER / H AHN (dies.: Jakobusbrief, 57-59); H ENGEL (ders.: Paulus, 528). 19 Klein: Werk, 77. 20 Schnider: Jakobusbrief, 74. 21 Vgl. z.B. Hahn: Genesis, 92 u. 97. 22 Roloff: Abraham, 248. 23 Zur Annahme eines »klassisch« jüdischen Verständnisses als Differenz zu Paulus s.u.. 24 So lautet der Titel seines Aufsatzes in dem von ihm gemeinsam mit P ETRA VON G EMÜN- DEN und M ATTHIAS K ONRADT herausgegebenen Sammelband »Der Jakobusbrief. Beiträge zur Rehabilitierung der „strohernen Epistel“« aus dem Jahr 2003. 25 Theißen: Intention, 58. 26 Theißen: Intention, 58. 27 Theißen: Intention, 58. <?page no="155"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 141 ohne den Namen des Gegners zu nennen“ 28 . Ansonsten beziehen sich die Positionen zumeist spezieller auf den Zusammenhang der Rezeption von Gen 15,6 in Jak 2,14-26. Dabei begegnen folgende drei Argumente regelmäßig: (i) Die Verwendung von pi,stij und e; rga in Jak 2,14-26 setzt eine „grundsätzliche Trennung“ 29 der beiden Größen voraus, die „auf jüdischem Hintergrund allein nicht erklärbar und auch im frühen Christentum vor Paulus nicht belegt“ 30 ist. (ii) Der Gebrauch des Verbs dikaiou/ sqai allein, das als terminus technicus der paulinischen Rechtfertigungslehre angesehen wird, 31 schafft eine eindeutige Verbindung zur paulinischen Theologie. (iii) Der Gebrauch des Schriftwortes Gen 15,6 selber wird in Verbindung mit der Frage nach dem Verhältnis von pi,stij und e; rga mit der paulinischen Argumentation in Gal 3 und Röm 4 in Zusammenhang gebracht, gilt es doch vielen Auslegern als „locus classicus“ 32 der Rechtfertigung ohne Werke allein aufgrund des Glaubens. Deswegen hängt „das Verständnis des Abraham-Beispiels (...) von der Beurteilung des Schriftzitates“ 33 ab. Dabei erscheint das Abrahambeispiel so stark von der paulinischen Deutung vereinnahmt, dass es als die typische christliche Interpretation verstanden wird. 34 So stellt F ERDINAND H AHN im Blick auf den Jakobusbrief fest, dass „ein spezifisch christliches Verständnis des Genesis-Textes“ 35 fehlt. Auch die Motivation für die Verwendung von Gen 15,6 wird entsprechend häufig von der normativen Setzung durch Paulus abhängig gemacht. Es erscheint der Gebrauch in Jak 2,23 einigen Auslegern unpassend, da es in der Perikope um die Werke gehe, und Gen 15,6 den »Glauben allein« zum Gegenstand habe: „Speziell die Stelle Gen 15 scheint für Jak ein Störfaktor zu sein.“ 36 28 Hengel: Paulus, 524 (im Original z.T. kursiv). 29 Klein: Werk, 77. 30 Klein: Werk, 77. 31 Vgl. die Ausführungen zum terminologischen Vorliegen der Rechtfertigungsbotschaft bei G RÄßER (ders.: Rechtfertigung, 167), der für den Hebräerbrief auf das Fehlen von dikaiou/ sqai hinweist (vgl. dazu Kap. VII, Abschn. 1). 32 Dibelius: Jakobus, 199. 33 Dibelius: Jakobus, 198. 34 So ähnlich wohl auch W ALKER , der Gen 15,6 einfach mit der Rechtfertigung aus Glauben identifiziert (ders.: Werken, 182). 35 Hahn: Genesis, 97. 36 Popkes: Jakobus, 186. So auch T SUJI : „Zu seiner These, die Werke seien für die Rechtfertigung unentbehrlich, ist dieses Zitat unnötig, ja sogar schädlich.“ (ders.: Glaube, 191) und W IESER : Gen 15,6 „passt (...) schlecht für das Anliegen des Jakobus“ (ders.: Abrahamvorstellungen, 87). Auch S UTHERLAND hält das Zitat auf den ersten Blick für unpas- <?page no="156"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 142 Dass der Verfasser es dennoch in seine Argumentation aufnimmt, kann einzig dadurch motiviert sein, die Prävalenz des Glaubens vor den Werken zu belegen. So wird das Beispiel Abrahams auf die Antizipation eines »gegnerischen« Einwandes zurückgeführt, der mit der Erwähnung Abrahams notwendig zu erwarten ist. 37 Nach M ARKUS L AUTENSCHLAGER „erklärt nur die Inanspruchnahme von Gen 15,6 für die rechtfertigende Kraft des Glaubens [bei Paulus, Anm. d. Verf.] hinreichend, warum Jakobus ausgerechnet diesen Vers, dessen Wortlaut - und Aussage! - seiner eigenen Absicht widerspricht, in seiner Abrahamsauslegung zitiert und kommentiert.“ 38 Problematisch an diesen Positionen einer externen Frontstellung gegen Paulus ist im Blick auf die Frage nach der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6, dass dieselbe von Anfang an einbzw. maximal zweilinig (als Gegensatz zur jüdischen Vorstellung) vorgestellt 39 und bezüglich ihres theologie- und sozialgeschichtlichen Zusammenhangs undifferenziert mit der Rechtfertigungslehre des Paulus als ihren „locus classicus“ 40 identifiziert wird. 41 Eine entsprechende Einschätzung muss die Untersuchung der Rezeptionsgeschichte aber erst erbringen und darf diese nicht präjudizieren. (2) Innere Logik der (jüdischen) Tradition. Die Rezeption von Gen 15,6 steht danach ganz in der Tradition des zeitgenössischen Judentums und ist von hier aus zu verstehen. 42 Es gilt, den Verstehenshorizont zu bestimmen, von dem der Verfasser ausgeht und den er bei den Adressaten voraussetzt. 43 Dabei werden aus dem Bereich der Abrahamtraditionen bestimmte Elemente als konstitutiv für das Verständnis von Gen 15,6 im Jakobusbrief vorausgesetzt: send, findet dann aber in der inneren Logik der jüdischen Tradition und nicht in einer Frontstellung gegen Paulus eine Erklärung dafür (vgl. ders.: Genesis, 195). Für K LEIN schließt hingegen das eine das andere nicht aus: „Auch Gen 15,6 wird im Jakobusbrief zwar traditionell jüdisch gedeutet, hätte sich aber für seine Argumentation trotzdem nicht nahegelegt, wenn der Vers nicht von Paulus her für eine Rechtfertigung aus Glauben in Anspruch genommen worden wäre“ (ders.: Werk, 77). 37 So D IBELIUS : „Wenn der Angeredete in solcher Weise bei der Erwähnung des Patriarchen alsbald an pi,stij ja an dikaiou/ sqai evk pi,stewj denkt, so kann das nur durch die bekannte Bibelstelle Gen 15,6 oder durch eine bestimmte Interpretation dieser Stelle veranlasst sein“ (ders.: Jakobus, 198). 38 Lautenschlager: Gegenstand, 179. 39 Vgl. das Problem des Glaubensverständnisses unter Punkt (3). 40 Dibelius: Jakobus, 199. 41 Vgl. Kap. II, Abschn. 5. 42 „So zeigt sich Jak in seinem Abraham-Beispiel von der Tradition der Synagoge abhängig“ (Dibelius: Jakobus, 213). 43 Vgl. Popkes: Jakobus, 183. Zur Kritik aus methodischer Sicht siehe Kap. II. <?page no="157"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 143 (i) Versuchungen Abrahams. Danach schließt der Jakobusbrief „eng an diese Tradition der Bewährung des Glaubens durch Versuchungen an, denn als die größte der Versuchungen gilt die Opferung Isaaks“ 44 . Darin liegt die traditionelle Verbindung von Gen 15,6 und Gen 22 begründet. 45 (ii) Abrahams Gehorsam. „Jakobus hebt hervor, dass Abraham aufgrund seiner Tat der Opferung Isaaks, also aufgrund seines unbedingten Gehorsams Gott gegenüber, gerechtgesprochen (...) wurde“ 46 . Für S UTHERLAND wird dieses Verständnis bei den Adressaten direkt mit der Zitation des Verses Gen 15,6 hervorgerufen: „By recalling the verse, James recalls the hermeneutic of faith-obedience-righteousness.“ 47 (iii) Abrahams Toraobservanz. Hier wird zum Verständnis von Glauben und Werk Abrahams im Jakobusbrief „die jüdische Wertung des Erzvaters aufgenommen (...), so daß er gradezu als Prototyp aller derer gelten kann, die trotz Anfechtungen und Versuchungen die Tora Gottes unbeirrbar und unverletzlich wahren“ 48 . (iv) Abrahams Barmherzigkeit und Gastfreundschaft. So paraphrasiert beispielsweise W ARD Jak 2,21 folgendermaßen: „Was it not on the basis of his acts of mercy (i.e., his hospitality) that Abraham was justified − on the occasion of his trial, i.e., when he offered Isaac his son on the altar? “ 49 (v) Abrahams Leben im Ganzen. Diese komplexe Sicht vertritt vor allem M ATTHIAS K ONRADT , für den Gen 15,6 als Gottesspruch aufzufassen ist, der sich auf „Abrahams (postkonversionales) Leben im Ganzen bezieht“ 50 und im Verständnis des Verfassers die Rechtfertigung Abrahams „aus aus Werken zur Vollkommenheit gelangtem Glauben“ 51 aussagt. Für ihn liegt der Jakobusbrief mit diesem Verständnis „nicht nur auf der Linie der frühjüdischen Rezeption von Gen 15,6, für die grundlegend die Hinordnung des Glaubens auf das Gesetz zu beachten ist, sondern er steht auch keineswegs 44 Berger: Abraham II, 374. 45 So auch H EILIGENTHAL (vgl. ders.: Werke, 30), T SUJI (vgl. ders.: Glaube, 78), K LEIN (vgl. ders.: Werk, 76), VON D OBBELER (vgl. ders.: Glaube, 143), K ONRADT (vgl. ders.: Existenz, 228) und H AHN (vgl. ders.: Genesis, 96f). 46 Tsuji: Glaube 78. Ebenso F ORNBERG (vgl. ders.: Abraham, 122), D OWD (vgl. ders.: Faith, 199) und M C G ONIGAL (vgl. ders.: Abraham, 457.463). 47 Sutherland: Genesis, 196. 48 Lohse: Glaube, 5. Ebenso H OPPE (vgl. ders.: Hintergrund, 113; ders.: Jakobusbrief, 66). 49 Ward: Works, 288f. Zur Gastfreundschaft vgl. auch VON D OBBELER (vgl. ders.: Glaube, 143) und S UTHERLAND (vgl. ders.: Genesis, 199); zur Barmherzigkeit ferner H EILIGEN- THAL (vgl. ders.: Werke, 31) und D AVIDS (vgl. ders.: James, 119). 50 Konradt: Existenz, 236. 51 Konradt: Existenz, 231. <?page no="158"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 144 im Gegensatz zur Bedeutung des Verses in seinem angestammten Kontext.“ 52 . So wird jeweils die Motivation des Schriftzitates Gen 15,6 aus der typischen Verbindung von Gen 15,6 und Gen 22 erklärt, wobei die Frage, welches der beiden loci die Hauptsache der Verfasserintention ausmacht, unterschiedlich beantwortet wird. Schwierig an diesen Positionen ist zunächst methodisch, dass sich innerhalb der Perikope Jak 2,14-26 wie auch im Gesamtkontext des Jakobusbriefes nur wenig sprachlicher Anhalt zur Verifikation einer Verbindung zu den als konstitutiv vorausgesetzten Traditionen findet und die Erwägungen zumeist auf recht oberflächlichen und pauschalen Vergleichen mit anderen Abrahamtexten beruhen. 53 Außerdem drängt sich häufig der Verdacht auf, dass die Ergebnisse der traditionsgeschichtlichen Betrachtung wegen der bereits angesprochenen Grundprobleme der Jakobusexegese die Grundlage für die Auslegung der Perikope bilden, was methodisch fragwürdig erscheinen muss. Ein weiteres Problem liegt darin, dass der jüdischen Abrahamtradition nicht selten (offen oder unausgesprochen) eine verdienstliche Werkgerechtigkeit unterstellt wird. So findet sich bei R UDOLF H OPPE die Meinung, Abraham gelte „im gesamten Traditionsstrom des frühjüdischen Schrifttums (...) als der Gerechte schlechthin aufgrund seiner verdienstlichen Werke“ 54 . H ANS -W OLFGANG H EIDLAND bezeichnet die jüdische Abrahamtradition gar als „entartete Lohnlehre“ 55 und stellt im Blick auf Gen 15,6 fest: „Überall [im zeitgenössischen Judentum, Erg. d. Verf.], wo man Gn 15,6 zitierte, war man vom dem Verdienstgedanken beherrscht.“ 56 Der Jakobusbrief wird demgegenüber dann entweder so beurteilt, dass er diesen Gedanken − wenn auch unter christlichen Voraussetzungen − teilt, so etwa bei D IBELIUS 57 , L OHSE 58 und zuletzt W ALKER 59 , oder aber − mehr oder weniger erfolgreich − zu ü- 52 Konradt: Existenz, 231 (Anm. 151). 53 So urteilt schon A DOLF S CHLATTER : „Allein solche Konstruktionen rechnen nur mit Möglichkeiten und beschäftigen sich (...) statt mit dem, was Jakobus gesagt hat, mit dem, was er dabei außerdem noch gedacht habe oder gedacht haben »müsste«.“ (ders.: Glaube, 449); vgl. z.B. auch die Kritik von P OPKES an den oberflächlichen Verbindungen von Jak 2,21-23 und 1Makk 2,52 (vgl. ders.: Jakobus, 189). 54 Hoppe: Hintergrund, 110. 55 Heidland: Anrechnung, 110. 56 Heidland: Anrechnung, 110. 57 „Was Abrahams Verdienst angeht, so stimmt Jakobus völlig mit der Synagoge überein“ (Dibelius: Jakobus, 213). 58 Lohse: Glaube, 6. 59 Walker: Werken, 163. <?page no="159"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 145 berwinden versucht, wie bei H EIDLAND 60 , S CHLATTER 61 , H AHN 62 und zuletzt L AATO 63 . Die vermeintliche »verdienstliche Werkgerechtigkeit des Judentums«, die z.T. vorausgesetzt wird, bestimmt die Auslegung in nicht unerheblichem Umfang. Weil aber diese Voraussetzung insgesamt für das Frühjudentum 64 und speziell im Blick auf die Verwendung von Gen 15,6 in frühjüdischen Texten m.E. unhaltbar ist, sind auch die daraus abgeleiteten Auslegungen zum Jakobusbrief letztlich nicht haltbar. (3) Interne Interpretation aus Text und Kontext. Der Versuch, die Intention des Verfassers bei der Rezeption von Gen 15,6 und die dahinter liegende theologische Position des Jakobusbriefes aus diesem selbst zu erheben, setzt zumeist bei dem Versuch der Klärung des pi,stij& Begriffs an. Als augenfälliges Beispiel der internen Lösung kann R ICHARD W ALKER angeführt werden, für den es „Tatsache ist, daß sich die Auslegung nur mit dem »Glauben« beschäftigen kann, der sich hier [d.h. im Jakobusbrief, Anm. d. Verf.] ausspricht. Jeder andere Glaube kommt für die Auslegung nicht in Betracht.“ 65 Die konsequente Durchführung dieses Ansatzes führt ihn zu dem Ergebnis, dass für das von ihm festgestellte „Fehlen spezifisch christologischer und evangelischer Traditionen im Jakobusbrief“ nur zwei Gründe denkbar sind: „entweder kennt Jakobus solche Traditionen nicht, oder sie sind ihm nicht wichtig, entsprechen seinem Glauben nicht.“ 66 W ALKERS eigene Auslegung orientiert sich an den „drei Einheiten mit generellen Paränesen“ 67 Jak 1,22-25; 2,10-12; 2,14-26, denen er entnimmt, dass Jakobus „in der Welt des Gesetzes“ 68 lebt. Seine Lehre ist insgesamt „Ausdruck eines kräftigen nomistischen Optimismus“ 69 , für den allein die Werke „das eschatologische Lebenselement sind“ 70 . In Bezug auf die Rezeption von Gen 15,6 bedeutet das dann, dass „der Glaube, der Abraham zur Gerechtigkeit angerechnet wurde, wie 2,22 zu verstehen gibt, durch und durch »Werke- 60 „Hier aber verlautet nichts von irgendwelcher Verdienstlichkeit gerade auch solchen rechten Glaubens“ (Heidland: Anrechnung, 109). 61 Schlatter: Glaube, 449. 62 Vgl. Hahn: Genesis, 96f. 63 Vgl. Laato: Justification, 82f. 64 Vgl. dazu den Exkurs nach Kap. II, Abschn. 5. 65 Walker: Werken, 160. 66 Walker: Werken, 161. 67 Walker: Werken, 155f. 68 Walker: Werken, 161. 69 Walker: Werken, 162. 70 Walker: Werken, 169. <?page no="160"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 146 Glaube« war“ 71 . Somit ist „auch Abraham das leuchtende Vorbild der Werkerechtfertigung und muß nicht künstlich zum Glaubenshelden umfrisiert werden.“ 72 Die interne Lösung der Frage nach der Rezeption von Gen 15,6 im Jakobusbrief legt somit nach W ALKER „des Rätsels Lösung nahe: so muß man den Glauben, von dem Jakobus spricht, passiv-nomistisch als christliche Gesetzesfrömmigkeit verstehen“ 73 . In eine ähnliche Richtung gehen die Überlegungen von B URCHARD 74 , L AUTENSCHLAGER 75 und K LEIN 76 . Der in der Sache positiv zu bewertende Ansatz einer internen Interpretation wird dort problematisch, wo aus dem Fehlen bestimmter theologischer Zusammenhänge deren Bedeutungslosigkeit oder gar Ablehnung durch den Verfasser gefolgert wird. Es wird dann aber nicht mehr das spezifische Anliegen des Jakobusbriefes erhoben, dem der Text mit seinen spezifischen Eigenarten funktional entspricht. Vielmehr wird das theologische Profil faktisch aus dem latenten Vergleich mit der paulinischen Theologie gewonnen, weil das Fehlen bestimmter Zusammenhänge ja nur relativ zu einem Vorhandensein derselben festzustellen ist. Die Fokussierung auf den Glaubensbegriff macht zudem deutlich, dass hier ein stärker systematischtheologisches Interesse im Hintergrund steht, dessen - sicher notwendige - Reduktionismen der exegetischen Erschließung des Textes abträglich sind. Die (isolierte) Untersuchung des Glaubensbegriffes des Jakobusbriefes ist zur Bestimmung seines Mitteilungsgeschehens lange nicht ausreichend. Bedeutung und Funktion der pi,stij im Jakobusbrief lassen sich nur umgekehrt aus dessen Mitteilungsgeschehen erschließen. Die aufgezeigten hermeneutischen Schwächen der nach ihren Haupttendenzen dargestellten Ansätze machen deutlich, dass bei der Untersuchung der Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 im Jakobusbrief die Methodenfrage von besonderer Bedeutung ist. Dem eigenen methodischen Ansatz für diese Untersuchung kommt die literaturwissenschaftlich orientierte Vorgehensweise sehr nahe, die H UBERT F RANKEMÖLLE seinem Kommentar zum Jakobusbrief 77 zu Grunde gelegt hat. Durch die „subtile Beo- 71 Walker: Werken, 181. 72 Walker: Werken, 190. 73 Walker: Werken, 189. 74 Hier besonders bezogen auf B URCHARDS Aufsatz aus dem Jahr 1980 (vgl. Burchard: Jakobus). In seinem Kommentar aus dem Jahr 2000 hat sich seine Sicht an vielen Stellen − wohl gerade auch durch den Einfluss seines Schülers M ATTHIAS K ONRADT − gewandelt (vgl. Burchard: Jakobusbrief, VII). 75 Lautenschlager: Gegenstand. 76 Klein: Werk. 77 Siehe Frankemölle: Jakobus I u. II. <?page no="161"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 147 bachtung des Textes unter sprachlich-syntaktischen, semantischen und handlungsorientiert-pragmatischen Aspekten“ 78 kommt er „nicht nur zur These einer formalen, sondern auch gedanklichen Einheit“ 79 des Textes. Die aus der neueren Linguistik übernommenen methodischen Verfahrensweisen der „Wortfeld-Untersuchungen und damit verbunden die Auswertung funktioneller Oppositionen“ 80 erweisen sich als effektiver Ansatz gerade auch im Blick auf die Frage nach der Rezeption von Gen 15,6 in Jak 2,14-26 und deren Funktion im Mitteilungsgeschehen des Jakobusbriefes. Speziell seine Beobachtung der rhetorischen Figur der Antithese, „mit deren Hilfe die »sprachliche Aufgliederung eines (in der Regel verschwiegenen) Oberbegriffs (Themas) in seine gegensätzlichen Komponenten« durchgeführt wird“ 81 , ist für die Untersuchung von Jak 2,14-26 in noch stärkerem Maße in Anschlag zu bringen, als es F RANKEMÖLLE selber getan hat. 82 Geht man auf diese Weise die rezeptionsästhetische Untersuchung der Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 im Jakobusbrief an, dann muss der traditionskritische Vergleich mit anderen Texten zunächst zurückstehen, bis alle Informationen zum Mitteilungsgeschehen zusammengetragen sind, die sich im Blick auf Syntax, Semantik und Pragmatik aus dem Text selber erheben lassen. Erst dann können die erarbeiteten Merkmale mit denen anderer Texte (die zuvor selber auf diese Weise zu erarbeiten sind) verglichen werden. Eine relative Einordnung des Jakobusbriefes in die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 - sei es im Blick auf die paulinischen Schriften oder die Zeugnisse des frühen Judentums - lässt sich erst dann angemessen begründen. 2. Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 im Jakobusbrief 2.1 Der Befund der Wortfeldanalyse Im Jakobusbrief sind alle Grundelemente des semantischen Feldes von Gen 15,6 zu finden, wobei sich eine besondere Konzentration dieser Elemente in Jak 2 abzeichnet. Der Wortstamm pist& ist mit insgesamt 19 Bele- 78 Frankemölle: Jakobus I, 71. 79 Frankemölle: Jakobus I, 71. 80 Frankemölle: Jakobus I, 173. 81 Frankemölle: Jakobus I, 73. 82 Vgl. Abschn. 2. <?page no="162"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 148 gen am häufigsten vertreten, wobei 16 Belege auf das Substantiv pi,stij und nur drei Belege auf das Verb pisteu,w entfallen. Der Wortstamm dikai& findet sich insgesamt neunmal, wobei das Adjektiv di,kaioj zweimal, das Substantiv dikaiosu,nh und das Verb dikaio,w jeweils dreimal und das Substantiv avdiki,a einmal belegt ist. VAbraa,m findet sich insgesamt zweimal, der Stamm logid& ist nur ein einziges Mal belegt. Sucht man nun mit Hilfe der Tabelle Kombinationen dieser Grundelemente, 83 so müssen auf dem Hintergrund der charakteristischen Verbindungen des semantischen Feldes von Gen 15,6 folgende Stellen als potentielle Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 im Jakobusbrief diskutiert werden: (1) In Jak 2,14-26 findet sich in Vers 23 unzweifelhaft die Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6. Zudem findet sich in Vers 21 die Verbindung von VAbraa,m und dikaio,w , sowie in Vers 24 eine Verbindung von pi,stij und dikaio,w . Der Abschnitt Jak 2,14-26 ist daher eingehender zu untersuchen. (2) In Jak 5,13-18 kommen pi,stij (Vers 15) und di,kaioj (Vers 16) in einem engen Kontext zusammen vor. Da aber die für das semantische Feld von Gen 15,6 charakteristischen Verbindungen hier nicht nachgewiesen werden können, ist dieser Abschnitt nur mittelbar für die Untersuchung von Belang. 84 2.2 Analyse von Jak 2,14-26 Bezüglich der Abgrenzung der Perikope von ihrem Kontext stellt sich nur die Frage nach einem Bezug zu Jak 2,1-13, da die Abgrenzung nach hinten recht deutlich ist. 85 Wird die Funktion der Frage ti, to. o; feloj in Vers 14 im Sinne des Diatribenstils als Einführung eines neuen Arguments, nicht aber eines neuen Themas, verstanden, 86 ergibt sich ein argumentativer Zusammenhang zu den Versen Jak 2,1-13, und speziell o; feloj und du,nasqai sw/ sai sind dann auf diesem Hintergrund zu verstehen. Dafür spricht der ähnliche Aufbau der beiden Perikopen 87 , sowie der durch pi,stij e; cein 83 Siehe die einschlägige Tabelle im Anhang. 84 Vgl. Abschn. 3. 85 Vgl. Burchard: Jakobus, 27. 86 So Konradt: Existenz, 207f und Frankemölle: Jakobus II, 422 im Anschluss an Burchard: Jakobus, 27f. 87 „In beiden kleinen Einheiten folgt auf ein konkretes Beispiel aus dem Alltag der Adressaten (vgl. Jak 2,2-4 mit Jak 2,15-17) die Argumentation aus der Schrift (vgl. Jak 2,8-11 <?page no="163"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 149 (Jak 2,1.14.18) angezeigte thematische Zusammenhang. Mit Vers 14 rückt aber der Aspekt des Zusammenhangs von pi,stij und e; rga thematisch in den Vordergrund 88 und verleiht der Perikope eine deutliche semantische Kohärenz, die sich auch im argumentativen Aufbau, sowie in der pragmatischen Dimension wiederfinden lässt (s.u.). Zudem setzt die asyndetisch vorangestellte und durch die Anrede avdelfoi, mou unterstrichene Frage eine Zäsur 89 , so dass es gerechtfertigt erscheint, hier der Analyse die Verse 14-26 zugrunde zu legen, wobei die Verbindung zu Jak 2,1-13 an den entsprechenden Stellen angemessen einzubeziehen ist. Diese Verhältnisbestimmung ist auch in hermeneutischer Hinsicht relevant. Wird nämlich die Verbindung zu Jak 2,12f einseitig stark betont, dann ist damit eine Grundentscheidung für die Auslegung der Perikope getroffen, die sich gerade auch im Blick auf die Rezeption von Gen 15,6 auswirkt. 90 Andererseits sind die vielfältigen intratextuellen Bezüge notwendig zu beachten und gegen eine isolierte Betrachtung der Perikope als Herzstück des gesamten Briefes geltend zu machen. 91 Es ist daher genau zu bestimmen, in welcher Weise der Kontext von Jak 2,12f die Argumentation beeinflusst. Die Struktur der Perikope Jak 2,14-26 ist komplex und lässt sich auf unterschiedlichen Ebenen betrachten. Auf der Makroebene scheint die Perikope aus zwei Abschnitten (Jak 2,14-17 und Jak 2,18-26) zu bestehen, die in ihrem Aufbau eine gewisse Parallelität erkennen lassen. So beginnen beide mit dem Einwand eines tij (Jak 2,14.18) und enden mit einem Vergleich (Jak 2,15-17.26). Dennoch stellen die Abschnitte aber nicht zwei parallele Argumentationsgänge dar, sondern sind im Gesamtaufriss in einem deutlichen Argumentationsgefälle rhetorisch geschickt aufeinander bezogen. Die Begründung der These in Jak 2,14 wird vorläufig in Jak 2,15-17 durch ein Beispiel plausibel gemacht und dann nach einer Präzisierung in Jak 2,18 endgültig in Jak 2,19-23 begründet. 92 Die strukturierte Darstellung gibt die analysierte Argumentationsstruktur wieder, die nachfolgend erläutert wird: mit Jak 2,21-25), jeweils abgeschlossen mit Folgerungen und einer zusammenfassenden grundsätzlichen These (vgl. jak 2,13 mit Jak 2,26)“ (Frankemölle: Jakobus II, 424). 88 B URCHARD hält fest, dass auch dieser Zusammenhang im Blick auf Jak 2,1-13 durchaus nicht unvorbereitet kommt (vgl. ders.: Jakobus, 27). Den von ihm angesprochenen Wortfeldbeziehungen wird in Abschn. 3 nachgegangen. 89 Vgl. Burchard: Jakobus, 28. 90 So bei K ONRADT (vgl. ders.: Existenz, 207-248). 91 Vgl. Abschn. 1. 92 Vgl. Burchard: Jakobusbrief, 112. <?page no="164"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 150 2,14 Ti, to. o; feloj( avdelfoi, mou( eva.n le,gh| tij pi,stin e; cein e; rga de. mh. e; ch|È mh. du,natai h` pi,stij sw/ sai auvto,nÈ 2,15 eva.n avdelfo.j h' avdelfh. gumnoi. u`pa,rcwsin kai. leipo,menoi th/ j evfhme,rou trofh/ j 2,16 ei; ph| de, tij auvtoi/ j evx u`mw/ n( u`pa,gete evn eivrh,nh|( qermai,nesqe kai. corta,zesqe( mh. dw/ te de. auvtoi/ j ta. evpith,deia tou/ sw,matoj( ti, to . o; felojÈ 2,17 ou[twj kai. h` pi,stij( eva.n mh. e; ch| e; rga( nekra, evstin kaqV e`auth,nÅ 2,18 VAllV evrei/ tij\ su. pi,stin e; ceij( kavgw. @evrw/ #\ e; rga e; cw( dei/ xo,n moi th.n pi,stin sou cwri.j tw/ n e; rgwn( kavgw, soi dei,xw evk tw/ n e; rgwn mou th.n pi,stinÅ 2,19 su. pisteu,eij o[ti ei-j evstin o` qeo,j( kalw/ j poiei/ j\ kai. ta. daimo,nia pisteu,ousin kai. fri,ssousinÅ 2,20 qe,leij de. gnw/ nai( w= a; nqrwpe kene,( o[ti h` pi,stij cwri.j tw/ n e; rgwn avrgh, evstinÈ 2,21 VAbraa.m o` path.r h`mw/ n ouvk evx e; rgwn evdikaiw,qh avnene,gkaj VIsaa.k to.n ui`o.n auvtou/ evpi. to. qusiasth,rionÈ 2,22 ble,peij o[ti h` pi,stij sunh,rgei toi/ j e; rgoij auvtou/ kai. evk tw/ n e; rgwn h` pi,stij evteleiw,qh( 2,23 kai. evplhrw,qh h` grafh. h` le,gousa( evpi,steusen de. VAbraa.m tw/ | qew/ |( kai. evlogi,sqh auvtw/ | eivj dikaiosu,nhn kai. fi,loj qeou/ evklh,qhÅ 2,24 o`ra/ te o[ti evx e; rgwn dikaiou/ tai a; nqrwpoj kai. ouvk evk pi,stewj mo,nonÅ 2,25 o`moi,wj de. kai. ~Raa.b h` po,rnh ouvk evx e; rgwn evdikaiw,qh u`podexame,nh tou.j avgge,louj kai. e`te,ra| o`dw/ | evkbalou/ saÈ 2,26 w[sper ga.r to. sw/ ma cwri.j pneu,matoj nekro,n evstin( ou[twj kai. h` pi,stij cwri.j e; rgwn nekra, evstinÅ <?page no="165"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 151 Auf der semantisch-syntaktischen Ebene lassen sich weitere, entscheidende Beobachtungen zur Struktur der Perikope machen: 14a eva.n pi,stin pi,stin pi,stin pi,stin le,gh| tij e; cein ti, to. o; feloj( e; rga e; rga e; rga e; rga de. mh mh mh mh e; ch e; ch e; ch e; ch| 14b mh. du,natai h hh h` ` ` ` pi,stij pi,stij pi,stij pi,stij sw/ sai* 15-16 ti, to. o; feloj* 17 h` pi,stij h` pi,stij h` pi,stij h` pi,stij nekra, evstin kaqV e`auth,n kaqV e`auth,n kaqV e`auth,n kaqV e`auth,n eva.n mh. e; ch mh. e; ch mh. e; ch mh. e; ch e; rga e; rga e; rga e; rga 18a evrei/ tij\ su, pi,stin pi,stin pi,stin pi,stin e; ceij kavgw. @evrw/ #\ e; rga e; rga e; rga e; rga e; cw 18ba th.n th.n th.n th.n pi,stin pi,stin pi,stin pi,stin sou dei/ xo,n moi cwri cwri cwri cwri.j .j.j .j tw/ n e; rgwn tw/ n e; rgwn tw/ n e; rgwn tw/ n e; rgwn 18bb evk evk evk evk tw/ n e; rgwn tw/ n e; rgwn tw/ n e; rgwn tw/ n e; rgwn mou kavgw soi dei,xw th.n pi,stin th.n pi,stin th.n pi,stin th.n pi,stin 19 su, pisteu,eij pisteu,eij pisteu,eij pisteu,eij ta. daimo,nia pisteu,ousin pisteu,ousin pisteu,ousin pisteu,ousin 20 h` pi,stij h` pi,stij h` pi,stij h` pi,stij av& av& av& av&rgh, rgh, rgh, rgh, evstin cwri.j cwri.j cwri.j cwri.j tw/ n e; rgwn tw/ n e; rgwn tw/ n e; rgwn tw/ n e; rgwn 21 VAbraa,m VAbraa,m VAbraa,m VAbraa,m ouvk evx evx evx evx e; rgwn e; rgwn e; rgwn e; rgwn evdikaiw,qh* evdikaiw,qh* evdikaiw,qh* evdikaiw,qh* 22a h` pi,stij h` pi,stij h` pi,stij h` pi,stij sun& sun& sun& sun&h,rgei h,rgei h,rgei h,rgei toi toi toi toi/ j e; rgoij / j e; rgoij / j e; rgoij / j e; rgoij 22b evk evk evk evk tw/ n e; rgwn tw/ n e; rgwn tw/ n e; rgwn tw/ n e; rgwn evteleiw,qh evteleiw,qh evteleiw,qh evteleiw,qh h` pi,stij h` pi,stij h` pi,stij h` pi,stij 23 evpi,steusen evpi,steusen evpi,steusen evpi,steusen de. VAbraa,m VAbraa,m VAbraa,m VAbraa,m evlogi,sqh eivj evlogi,sqh eivj evlogi,sqh eivj evlogi,sqh eivj dikaiosu,nhn dikaiosu,nhn dikaiosu,nhn dikaiosu,nhn 24 evx evx evx evx e; rgwn e; rgwn e; rgwn e; rgwn dikaiou/ tai dikaiou/ tai dikaiou/ tai dikaiou/ tai a; nqrwpoj ouvk ouvk ouvk ouvk evk evk evk evk pi,stewj pi,stewj pi,stewj pi,stewj mo,non mo,non mo,non mo,non 25 ~Raa,b ouvk evx evx evx evx e; rgwn e; rgwn e; rgwn e; rgwn evdikaiw,qh* evdikaiw,qh* evdikaiw,qh* evdikaiw,qh* 26 h` pi,stij h` pi,stij h` pi,stij h` pi,stij nekra, evstin cwri.j cwri.j cwri.j cwri.j e; rgwn e; rgwn e; rgwn e; rgwn Die schematische Darstellung soll das verdeutlichen. Es sind dazu für die einzelnen Verse die Wortstämme pist& , evrg& und dikai& zusammen mit den <?page no="166"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 152 Satzteilen aufgetragen, die für die Argumentation entscheidend sind. Die Teilsätze sind dabei so auseinander gezogen, dass die Wortstämme pist&( evrg& und diaki& links, rechts oder mittig erscheinen, je nachdem wie sie innerhalb des Satzes aufeinander folgen. Für jeden Vers ist somit der Text von oben nach unten und von links nach rechts zu lesen. Die Pfeile und Rahmungen geben Hinweise auf Beziehungen und Zusammengehörigkeiten innerhalb der Argumentationsstruktur, die nun im Einzelnen erörtert und begründet wird. Auffällig ist zunächst, dass sich die durch die Wortstatistik deutlich ausgewiesenen Leitworte der Perikope pi,stij (12x) und e; rga (12x) durchgängig in enger Paarung (Jak 2,14.17.18(3x).20.22(2x).24.26) aufeinander bezogen finden. Die Analyse wird aufzeigen, dass es dem Verfasser in Jak 2,14-26 um eine präzise Verhältnisbestimmung dieser Größen geht, die er durch sprachlich kunstvolles Spiel mit den entsprechenden Wortstämmen pist& und evrg& (jeweils 14mal in Jak 2,14-26) sowie den sprachlichen Gestaltungsmitteln für das semantische und syntaktische Verhältnis der beiden entwickelt. Die Funktion der Konkretisation seiner Rezeption von Gen 15,6 ist ebenfalls aus diesem »Sprachspiel« zu ermitteln. Mit den beiden rhetorischen Fragen in Vers 14, die beide auf ein »nein« als Antwort abzielen, wird das Thema der Perikope eingeführt. 93 Als rhetorische Figuren sind sie hörerbezogen und „fordern den Hörer/ Leser zu einer Stellungnahme heraus“ 94 . Neben der gliedernden Funktion der Diatribenfrage ti, to. o; feloj , die nachgestellt in Jak 2,16 wieder aufgenommen wird, steht hier der pragmatische Aspekt im Vordergrund. Unterstützt durch die direkte Anrede der Adressaten als avdelfoi, mou wird hier „Gemeinschaft behauptet, die im Hinblick auf die Frage eine gemeinsame Argumentationsbasis erhofft“ 95 . Die eigentliche Frage wird als mögliche Aussage eines tij eingeführt, die durch die Konjunktive Präsens mit eva,n als Eventualis gekennzeichnet ist. Es geht um die Behauptung, »Glauben zu haben«, 96 der der Verfasser die Fest- 93 „Es entspricht seiner Art, am Anfang eines Abschnitts gleich das Grundthema deutlich zu formulieren und es dann im folgenden in äußerst lebhafter Weise näher zu erörtern“ (Mußner: Jakobusbrief, 128). 94 Frankemölle: Jakobus II, 429. 95 Frankemölle: Jakobus II, 429. 96 Dass hier parallel zu Jak 2,1 nicht von pisteuei/ n und e; rga poiei/ n gesprochen wird, sondern von pi,stin e; cein und e; rga e; cein , kann mit der Gerichtssituation (Jak 2,12f) in Verbindung gesehen werden (Burchard: Jakobusbrief, 112). Nach F RANKEMÖLLE ist die Wendung in Jak 2,1 auf Jak 2,14 hin formuliert (ders.: Jakobus II, 423). <?page no="167"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 153 stellung des »Fehlens von Taten 97 « entgegen setzt (Anschluss mit de, ). 98 Diese fiktive Aussage bleibt zunächst recht allgemein und isoliert stehen und ist nicht (wie in Jak 2,16) direkt auf die Adressaten bezogen. Spekulationen über eine nähere Bestimmung des tij liegen der Intention des Verfassers an dieser Stelle also eher fern. 99 Andererseits ist damit zu rechnen, dass die aufgerufene Problematik bei den Adressaten ein Rolle spielte, wenngleich sie nicht notwendig als theologische Position gedacht sein muss. Festzuhalten ist zunächst lediglich, dass „im Adressatenkreis die Überzeugung virulent ist, daß der Glaube rette, nicht aber, daß der soteriologische Wert des Glaubens theologisch reflektiert und offensiv gegen die Werke ausgespielt wird“ 100 . Den tij als »Gegner« zu verstehen ist an dieser Stelle also nicht notwendig und entspringt zumeist der Wahrnehmung des Jakobusbriefs aus der Perspektive paulinischer Theologie. 101 Auch der Bezug zu Jak 2,1-13 ist hier zwar im Blick auf die inhaltliche Füllung von o; feloj und du,nasqai sw/ sai relevant und verstärkt den eschatologischen Aspekt 102 , ein direkter Einwand als Reaktion auf die Ausführungen von Jak 2,12f ist aber wegen der Anrede in Vers 14 nicht anzunehmen. 103 Entscheidend ist, dass der Verfasser mit dieser Einleitung im Anschluss an die Frage nach dem Bestehen im Gericht eine (neue) Diskussion über die rettende Kraft ( du,nasqai sw/ sai ) des Glaubens beginnt. 97 Mit C HRISTOPH B URCHARD wird e; rga mit »Taten« und nicht mit »Werken« übersetzt (vgl. ders.: Jakobusbrief, 111). Im Kontext des Jakobusbriefes scheint das die zutreffendere Charakterisierung des Gemeinten zu sein, zumal die Wortstämme evrg& und poie& häufig synonym gebraucht werden (vgl. Abschn. 3). 98 Dazu, dass das e; rga de. mh. e; ch| nicht mehr zur zitierten Aussage gehört, vgl. Johnson: James, 237. 99 So stellt B URCHARD zum Schluss eines Exkurses zu Jak 2,14 fest: „Warum der Jemand keine Taten hat, sollte man nicht zu genau wissen wollen“ (ders.: Jakobusbrief, 115). 100 Konradt: Existenz, 210. Er führt dazu weiter aus: „Zwischen einer gezielten Polemik gegen die soteriologische Bedeutung von Werken und einem Sich-Verlassen auf den »Glauben«, das mit einer faktischen Vernachlässigung der Werke einhergeht (...) besteht ein bedeutsamer Unterschied“ (Konradt: Existenz, 210). 101 So vermutet P OPKES „wegen der Prominenz der Aussagen über den Glauben bei Paulus“ (Popkes: Jakobus, 192), „daß bereits Jak 2,14 diesen Hintergrund reflektiert, hier also eine »(pseudo-)paulinische« Stimme erklingt“ (Popkes: Jakobus, 192). Weitere Positionen im Exkurs zu 2,14 bei Burchard: Jakobusbrief, 112f; vgl. auch a.a.O., 125. 102 Vgl. Popkes: Jakobus, 192. 103 Vgl. Burchard: Jakobusbrief, 112; anders dagegen K ONRADT : „Diese Gesprächssituation könnte auf dem Hintergrund von 2,12f das Gerichtsszenarium selbst sein, in dem geprüft wird, was jemand vorzuweisen hat, also: »Was nutzt es (im Gericht), wenn jemand vorbringt, dass er Glauben hat, aber keine Werke bei ihm zu finden sind? «“ (ders.: Existenz, 209). <?page no="168"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 154 Dabei geht es weder hier noch überhaupt in Jak 2,14-26 um pi,stij im Allgemeinen. Das wird schon daran deutlich, dass nicht gefragt wird, ob der Glaube allgemein rette, sondern, ob der Glaube den eben charakterisierten tij rette. 104 Von daher ist auch die Frage zweitrangig, wie genau dieser (tatenlose) Glaube inhaltlich zu füllen ist. „Semantisch bleibt pi,stij , so betrachtet, offen“ 105 . Die Intention des Verfassers zielt hier, wie auch schon im Anschluss an die Erwähnung des Glaubens in Jak 2,1 106 , auf ein Defizit in der praktischen Auswirkung des Glaubens in Form von Taten ab. Es geht ihm letztlich (explizit deutlich ab Vers 18) um eine angemessene Verhältnisbestimmung von pi,stij und e; rga . Dem entspricht der wohldurchdachte Artikelgebrauch (vgl. Jak 2,14.17.20.26 mit Jak 2,22 und Jak 2,24) innerhalb der Perikope. Schon in der zweiten präzisierenden Frage unterstreicht der Artikel bei pi,stij - der anaphorische Charakter wird in der Übersetzung demonstrativ wiedergegeben 107 -, dass die Frage nach der rettenden Kraft des eben eingeführten Glaubens (nämlich eines Glaubens ohne Taten) Gegenstand des Folgenden sein wird (vgl. Jak 2,17.20.26). 108 „Auf dem Hintergrund dieser Differenzierung ist h` pi,stij in V.14b zu verstehen.“ 109 Die Frage ti, to. o; feloj aus Jak 2,14 wird in Jak 2,16 als inclusio wieder aufgegriffen, während Jak 2,17 als conclusio (Anschluss mit ou[toj ) die Stichworte pi,stij (mit Artikel) und e; rga wieder aufnimmt, so dass diese Verse als eine Art „Ringkomposition“ 110 erscheinen. Daneben ist die formale und inhaltliche Entsprechung von Jak 2,17 und Jak 2,26b zu beachten, was eine Parallelisierung von Jak 2,15f und Jak 2,26a nahe legt. Es handelt sich 104 Vgl. Konradt: Existenz, 209. 105 Popkes: Jakobus, 191. So auch F RANKEMÖLLE (ders.: Jakobus II, 429) gegen E ICHHOLZ und W ALKER . 106 „Trifft dies zu, dann ist nicht nur 2,1 (»nicht mit Ansehen von Personen habt den Glauben an unseren Herrn, Jesus Christus, der Herrlichkeit«) formal fast wie eine Überschrift auch zu 2,14-26 zu verstehen, vielmehr ist auch der Begriff »Glaube« in 2,14ff. von 2,1 her christologisch zu interpretieren.“ (Frankemölle: Jakobus II, 423). 107 K ENT macht darauf aufmerksam, dass der Artikel bei pi,stij in der englischen Übersetzung der King James Version ignoriert wurde, was dazu führte, dass „confusion has been created in the understanding of this verse“ (Kent: Faith, 89). In den wichtigsten deutschen Übersetzungen ist der Artikel berücksichtigt, wenngleich seine anaphorische Bedeutung nicht genügend betont wird. 108 So auch M C G ONIGAL , der den Artikel allerdings auf Jak 2,15 bezieht (vgl. ders.: Abraham, 440). 109 Konrandt: Existenz, 208. Nicht richtig liegt daher K LEIN , wenn er meint, „die rhetorischen Fragen lassen nur die Antwort zu, daß dies ausschließlich die Werke sein können, aber keinesfalls der Glaube“ (ders.: Werk, 70). 110 Frankemölle: Jakobus II, 429. <?page no="169"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 155 dann jeweils um einen Vergleich, der die Abschnitte Jak 2,14-17 und Jak 2,18-26 zusammenfassend abschließt. Damit darf dann aber nicht einfach das Beispiel in Jak 2,15f als Veranschaulichung des werklosen Glaubens in Jak 2,14 angesehen werden, indem u`pa,gete evn eivrh,nh| als Ausdruck des Glaubens verstanden und das nicht tatkräftige Helfen den fehlenden Taten gleichgestellt wird. 111 Es geht dem Verfasser hier „nicht um ein x-beliebiges Beispiel für werklosen Glauben, vielmehr um eine Argumentation aus der eigenen Erfahrung der Adressaten, damit die Nutzlosigkeit eines Glaubens ohne Werke jedem unzweideutig einleuchtet“ 112 . Das durch eva,n mit Konjunktiv Präsens bzw. Aorist als Eventualis vorgestellte Beispiel von den nackten und hungernden Brüdern und Schwestern wird durch die nähere Qualifizierung des tij durch evx u`mw/ n direkt mit den Adressaten in Verbindung gebracht. Der fiktive tij entlässt die Notleidenden mit dem liturgischen Abschieds- und Geleitwunsch u`pa,gete evn eivrh,nh| , was (wie in Jak 2,2-4) den Gottesdienst als Kontext des Beispiels wahrscheinlich macht. 113 Die beiden folgenden Imperative qermai,nesqe und corta,zesqe weisen ebenfalls in die Richtung eines »frommen Wunsches«, der die Leidenden der Obhut und Fürsorge Gottes anbefiehlt, und sind daher eher als Passivdenn als Mediaformen zu deuten. 114 Dem gegenüber steht, dass ihnen faktisch nicht das Lebensnotwendige gegeben wird, was im Kontrast von eva.n ))) ei; ph| ))) tij (parallel zu eva.n ))) le,gh| tij in Jak 2,14) und mh. dw/ te (parallel zu mh. e; ch| in Jak 2,14) zum Ausdruck kommt. Die Wiederaufnahme der rhetorischen Frage ti, to. o; feloj (Jak 2,14.16) stellt ein solches Verhalten als völlig unnütz heraus. Umstritten ist, ob das Beispiel konkret auf die Situation der angesprochenen Gemeinde zu beziehen ist, oder rein rhetorisch-fiktiv ausgewählt 111 Der Befund der Textkritik unterstützt diese Auffassung: A, C, Y, M, vg, sy h und bo mss ergänzen de, hinter eva,n , wodurch die Verse 15f von Vers 14 abgesetzt werden. Verbindendes ga,r haben bzw. lesen nur 1735 pc und sa. Auch wenn beide alternativen Lesarten aufgrund der äußeren Bezeugung nicht als ursprünglich in Betracht kommen, tendiert das Verständnis der Überlieferer eindeutig in diese Richtung. 112 Frankemölle: Jakobus II, 432. 113 Vgl. Burchard: Jakobusbrief, 116. Wenn dagegen an die mit dem rettenden Glauben in Verbindung stehende Formel h` pi,stij sou se,swke,n se\ u[page eivj eivrh,nhn aus Mk 5,34 (vgl. Lk 7,50; 8,48) gedacht wäre (vgl. Popkes: Jakobus, 193), dann hätte der Verfasser diese Tatsache im Blick auf die Stichwortverbindungen zu Jak 2,14 sicher deutlicher herausgestellt. 114 Vgl. die Übersetzung am Ende der Analyse. <?page no="170"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 156 wurde. 115 Mit Blick auf das tij evx u`mw/ n , die durch die Begriffe avdelfo,j und avdelfh, angedeutete binnenkirchliche Perspektive und die auch sonst im Jakobusbrief an anderen Stellen durchscheinende Problematik von arm und reich (vgl. Jak 2,1-13; 4,1-6), ist die Annahme eines konkreten Situationsbezugs aber durchaus gerechtfertigt, zumal das Beispiel im Vergleich zum parallel gestalteten, aber eher abstrakten Beispiel in Jak 2,26 detailreich ausgestaltet ist und mehr Gewicht trägt. Aber selbst wenn nicht an einen konkreten Fall gedacht ist, die Intention des Verfassers ist es jedenfalls, dass sich die Adressaten in diesem stark affektiv besetzen Beispiel grundsätzlich wiederfinden können, 116 und dass ihnen zugleich deutlich wird, wie absurd nach den Geleitworten das Ausbleiben der Hilfe ist. 117 Als ebenso absurd sollen sie nämlich auch einen Glauben erkennen, der keine Taten hat. 118 Der Vergleich in Jak 2,17 wertet nun das Beispiel in Bezug auf Jak 2,14 aus, indem er das nekra. kaq ’ e`auth,n zunächst auf den fehlenden Nutzen in Jak 2,15f und darüber schließlich auf den fehlenden eschatologischen Nutzen in Jak 2,14 bezieht. Das nekra, ist dann im Sinne von »unwirksam« im Blick auf die rettende Kraft des werklosen Glaubens im Gericht zu verstehen. Das kaq ’ e`auth,n bedeutet in diesem Zusammenhang »für sich genommen« 119 und verdeutlicht wiederholend die Charakterisierung des toten Glaubens durch den Konditionalsatz eva.n mh. e; ch| e; rga : „Die an sich redundante Wendung zeigt den Ton an. Es kommt Jakobus darauf an, dezidiert die Bedingung zu markieren, unter der die soteriologische Wirkungslosigkeit des Glaubens gilt.“ 120 Mit der Ringkomposition Jak 2,14-17 ist somit das Thema gegeben, das im Folgenden präzisiert und entfaltet wird. Es ist damit auch ein erster Rahmen abgesteckt, in dem die Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 ihren Ort hat. 115 So M UßNER : „Die »Fälle«, die im Brief auftauchen, wirken als solche konstruiert und werden in dem rhetorisch sehr wirkungsvollen »Diatribenstil« vorgelegt, der nicht vorschnell zur Rekonstruktion konkreter Gemeindesituationen verführen darf“ (ders.: Jakobusbrief, 257). 116 Frankemölle: Jakobus II, 432. 117 E ICHHOLZ sieht diese Funktion durch Karrikatur erreicht: „Das Gleichnis von 2,15-16 bewegt sich doch an der Grenze der Karrikatur, der ironischen Zuspitzung eines unmöglichen Verhaltens“ (ders.: Glaube, 42). Vgl. dazu auch Sleeper: James, 77. 118 Vgl. Konradt: Existenz, 215. 119 Die alternative Bedeutung »in sich« bzw. »an sich« ist genauso möglich, passt sich aber in den Kontext von Jak 2,14-17 weniger gut ein (vgl. Konradt: Existenz, 216). 120 Konradt: Existenz, 216. <?page no="171"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 157 Der zweite Abschnitt der Perikope beginnt laut D IBELIUS mit „einer der schwierigsten neutestamentlichen Stellen überhaupt“ 121 . Problematisch bei dem mit avll ’ evrei/ tij eingeleiteten Einwand sind vor allem die Abgrenzung der Rede des tij von der Entgegnung des Verfassers und der Inhalt des Einwandes im Blick auf den Kontext der Perikope. 122 Die Schwierigkeiten sind schon textkritisch greifbar und z.T. auch auf dieser Ebene zu lösen versucht worden, wie die von P FLEIDERER vorgeschlagene Konjektur zeigt. 123 Angesichts der Vielzahl der Erklärungsversuche in dieser Frage will P OPKES der Problematik dadurch begegnen, dass er die Bestimmung des Einwandes zurückstellt, um seine Auslegung nicht auf Hypothesen gründen zu müssen. 124 Dem ist aber entgegen zu halten, dass dem Vers am Beginn des zweiten Abschnitts unfraglich eine strukturelle Bedeutung für das Folgende zukommt. 125 Es wird also unter Beachtung des näheren und weitern Kontextes der Versuch einer Rekonstruktion dieser Stelle gestartet werden müssen. Dazu ist am besten von der Beobachtung auszugehen, dass die Verse Jak 2,14 und Jak 2,18 eine gewisse Parallelität erkennen lassen: 2,14: eva.n le,gh| tij pi,stin e; cein e; rga de. mh. e; ch|È 2,18: avllV evrei/ tij\ su. pi,stin e; ceij( kavgw. e; rga e; cw) Wieder geht es um die Aussage/ Behauptung eines tij , die inhaltlich mit dem Haben von Glauben und dem Nicht-haben bzw. Haben von Taten zu tun hat. Gegenüber dem Eventualis und der indirekten Rede in Jak 2,14 ist der Einwand in Jak 2,18 als (zukünftig) erwartet gekennzeichnet und als direkte Rede gestaltet. Unabhängig davon, ob der tij in Jak 2,14 mit dem in Jak 2,18 identisch ist (s.u.), kann der mit su. pi,stin e; ceij Angeredete nur der Verfasser sein. Sollte sich nämlich das folgende kavgw. e; rga e; cw auch an die Adresse des Verfassers wenden, dann würden pi,stij und e; rga im Einwand des tij gegeneinander ausgespielt und träten zueinander in Konkurrenz. Das aber ist nach den Ergebnissen der Analyse von Jak 2,14-17 und auch insgesamt für die Perikope nicht zu erwarten: an keiner Stelle erscheinen pi,stij und e; rga als von einander unabhängige Alternativen. Annahmen dieser Art verdanken sich (wie im Fall von Jak 2,14) zumeist der Unterstel- 121 Dibelius: Jakobus1921, 143. 122 B URCHARD bietet unter der Fragestellung „Wer sagt zu wem was bis wohin in welchem Ton? “ (ders.: Jakobusbrief, 118) eine gute Übersicht über die unterschiedlichen Lösungsversuche (vgl. a.a.O., 118-120). 123 Vgl. Pfleiderer: Urchristentum, 547 (Anm. 2). 124 Vgl. Popkes: Jakobus, 184. 125 Mit Konradt: Existenz, 217 und Burchard: Jakobusbrief, 117. <?page no="172"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 158 lung einer bestimmten theologischen Position des tij , die sich aus den Angaben in Jak 2,18 aber ohne weitere Prämissen nicht wird ermitteln lassen. Für den Argumentationsgang ist auch hier eine rein rhetorisch-fiktionale Interpretation des Einwandes ausreichend, was den Vers auch inhaltlich nicht so sehr überfrachtet. 126 Für die Rekonstruktion des Einwandes deutet dann alles darauf hin, dass Jak 2,18a a und Jak 2,18a b die Aussagen von zwei verschiedenen Personen sind. Die Personalpronomen su, und evgw, stehen durchaus betont 127 , wobei die ihnen zugeordneten Objekte pi,stin und e; rga gerade nicht als isoliert nebeneinanderstehende Größen gedacht werden können. 128 Es ist dann lediglich das su. pi,stin e; ceij als Einwand des tij anzusehen, während kavgw, die elliptische Einleitung der Entgegnung des Verfassers darstellt, zu der evrw/ zu ergänzen wäre: 129 2,18a a : evrei/ tij\ su. pi,stin e; ceij( 2,18a b : kavgw. @evrw/ #\ e; rga e; cw) 130 Dass diese Abgrenzung von Einwand und Entgegnung sprachlich möglich ist, wurde von N EITZEL ausführlich dargelegt. 131 In seiner Rekonstruktion des Verses wird der Einwand des tij allerdings als Frage gelesen: „Du, der du so vom Glauben redest, hast du überhaupt Glauben? “ 132 Damit ist vorausgesetzt, dass der Einwand die Position des Verfassers im Sinne von »allein aus Taten« missverstanden hat. 133 Ein solches Missverständnis könnte der Verfasser hier zwar durchaus rhetorisch antizipiert haben, doch im Blick auf das durch die enge Verbindung mit Jak 2,14 auch hier vorausgesetzte Thema der rettenden Kraft des Glaubens wird ein solches Missverständnis nur dann rhetorisch produktiv wirken, wenn es nicht zu weit vom aktuellen Thema wegführt, sondern dieses weiterführt. Die aus der Gegenüberstellung der Verse Jak 2,14 und Jak 2,18 gewonnene Form des Einwands ist daher nicht als Frage, sondern als Aussage - wenn auch im Blick auf die These in 126 Mit L OHSE (ders.: Glaube, 4); vgl. Frankemölle: Jakobus II, 440. 127 Vgl. Konradt: Existenz, 219. 128 Gegen D IBELIUS (vgl. ders.: Jakobus, 192f). 129 Vgl. B ULTMANN zum Stil der Diatribe: „Wie grobe Brocken werden die Sätze hingeworfen. Selbstverständliches wird nicht gesagt. Ellipsen sind außerordentlich häufig, namentlich in parallelen Sätzen“ (ders.: Stil, 17). 130 Im kritischen Apparat der 25. Auflage des Novum Testamentum Graece war diese Interpunktion noch verzeichnet. 131 Vgl. Neitzel: crux, 289-292. 132 Neitzel: crux, 289. 133 Vgl. Frankemölle: Jakobus II, 439. <?page no="173"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 159 Vers Jak 2,17 nicht ohne fragenden Unterton 134 - zu bestimmen, die dem Verfasser eine positive Ansicht über die rettende Kraft des Glaubens - als gemeinhin selbstverständlich - unterstellt: Jemand: Verfasser: 2,14: Ich habe Glauben. Du hast aber keine Taten. 2,18: Du hast (doch auch) Glauben. Ich habe aber (auch) Taten. Damit ist nicht gesagt, dass der tij aus Jak 2,14 mit demjenigen aus Jak 2,18 identisch ist. Der vorliegende Text legt es vielmehr nahe, von zwei verschiedenen Personen auszugehen. Eine Identität der beiden hätte der Verfasser sprachlich leicht deutlicher hervorheben können, wenn das in seiner Absicht gelegen hätte. Wird der Einwand aber, wie oben angedeutet, als rhetorisch-fiktional angesehen, dann spielt die Identität des Einwänders keine besondere Rolle. Während die Position des tij in Jak 2,14 die Frage der Perikope aufwirft, steht der tij in Jak 2,18 für jemanden, der die Diskussion bis hierher verfolgt hat und nun nachfragt, wie es beim Verfasser mit dem Nutzen des Glaubens steht. Rhetorisch ist es dem Verfasser damit gelungen, nach seinen Ausführungen in Jak 2,15-17 zur Ursprungsfrage zurückzukehren und auf eine Präzisierung der Fragestellung hinzuführen, die sich in Jak 2,18b anschließt: „Auf den soteriologischen Nutzen seines Glaubens angesprochen kann Jakobus positiv entfalten, inwiefern der Glaube soteriologisch relevant ist, er kann im Blick auf Glaube und Werke darlegen, wie das zustande kommt, was der werklose Glaube nicht schafft und er kann auf diese Weise seine in V.26 abschließend bekräftigte These von V.17 begründen.“ 135 Beginnt der Verfasser seine Entgegnung, wie dargelegt, bereits in Vers 18a b mit e; rga e; cw , so ist klar, dass er seine Rede an den tij in Vers 18b mit dei/ xo,n moi fortsetzt. Zu fragen bleibt dennoch nach dem Umfang dieser Rede, speziell im Blick auf die Frage, ob die Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 in Vers Jak 2,23 noch zu diesem „Sonderdialog“ 136 zu zählen ist. Ausschlaggebend in dieser Frage ist der Wechsel zwischen Imperativ singular und plural innerhalb der Perikope. Während sich der Verfasser zu Beginn an die Adressaten im Plural wendet (vgl. Jak 2,14.16), finden sich in Jak 2,18b.20.22 Anreden im Singular, die sich schlüssig nur auf den Einwänder aus Vers 18a beziehen lassen. In Jak 2,24 wendet sich der Verfasser mit dem Plural o`ra/ te dann wieder insgesamt an die Adressaten seines Schrei- 134 Vgl. Konradt: Existenz, 221. 135 Vgl. Konradt: Existenz, 221. 136 Popkes: Jakobus, 185. <?page no="174"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 160 bens. 137 Der Umfang der Entgegnung des Verfassers auf den Einwand des tij ist somit als der Abschnitt Jak 2,18a b -23 zu bestimmen. Dieser ist bei der Untersuchung der Konkretistation einer Rezeption von Gen 15,6 im Jakobusbrief als ihr engerer Kontext in den Blick zu nehmen. Nahezu unbestritten ist, dass dem Teilvers Jak 2,18b für die weitere Argumentation des Verfassers eine besondere Bedeutung zukommt. Wie aber die beiden Sätze um das Verb dei,knumi genau zu bestimmen sind, darüber gehen die Meinungen auseinander. Syntaktisch geht es um die Frage, ob cwri,j tw/ n e; rgwn (Jak 2,18b a ) wie evk tw/ n e; rgwn mou (Jak 2,18b b ) als adverbiale Bestimmung zu dei,knumi aufzufassen ist, oder als präpositionales Attribut auf th.n pi,stin sou zu beziehen ist. Sprachlich ist beides sinnvoll möglich, wodurch die Entscheidung an die semantische Bestimmung von dei,knumi in Jak 2,18b gebunden wird. Ausgehend von der Grundbedeutung »zeigen« (jeweils mit th.n pi,stin als Objekt), ist zu fragen, ob dei,knumi (1.) im Sinne von »sehen lassen«, »vor Augen bringen«, oder (2.) im Sinne von »nachweisen«, »dartun«, »klarmachen« zu verstehen ist. 138 Ersteres wird von dem vielfach rezipierten Vorschlag von R OMAN H EILI- GENTHAL gestützt, nachdem die enge Verbindung von Glaube und Taten „ihren Hintergrund in einem in der kynisch-stoischen Diatribe häufig verwendeten Tugendbegriff“ 139 hat. Für das Neue Testament entwickelt er ausgehend von dieser traditionsgeschichtlichen Bestimmung die These, dass Taten „vor allem Zeichencharakter besitzen: sie offenbaren das Innere des Menschen gegenüber anderen Menschen und vor Gott“ 140 . Letzteres wird im Blick auf den Gerichtsgedanken (vgl. Jak 2,13) für Jak 2,18b vorausgesetzt: „Im Gericht erweist sich der Glaube ausschließlich am Vorzeigen der Werke“ 141 . Unter dei,knumi evk tw/ n e; rgwn th.n pi,stin in Jak 2,18b b wäre demnach der Nachweis der Existenz des Glaubens mit Hilfe der Taten zu verstehen, der u.a. im Rahmen des letzten Gerichts verortet werden kann. 142 Entsprechend könnte man in Jak 2,18b a cwri,j tw/ n e; rgwn zu dei,knumi ziehen, woraus sich die Forderung an den Einwänder ergeben würde, die Existenz 137 Vgl. Popkes: Jakobus, 185. 138 Vgl. Bauer: Wörterbuch, 345. S CHLIER lässt die Zuordnung von Jak 2,18b offen und stellt in einer Fußnote lediglich fest, dass die Bedeutung zwischen „»aufweisen, nachweisen« und »beweisen«“ (ders.: Art. dei,knumi , 27 (Anm. 4)) schwankt. 139 Heiligenthal: Werke, 35. 140 Heiligenthal: Werke, V. 141 Heiligenthal: Werke, 36. 142 So zuletzt P OPKES (vgl. ders.: Jakobus, 199), der sich neben H EILIGENTHAL auch auf W ALKER (vgl. ders.: Werke, 171f) beruft. <?page no="175"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 161 des Glaubens nachzuweisen, ohne dabei auf die Taten als seinen sichtbaren Teil zurück zu greifen, was sich dann notwendig als unmöglich herausstellen muss. Problematisch an diesem Ansatz ist, dass es dem Verfasser in Jak 2,14-26 überhaupt nicht um die Frage nach der Existenz bzw. Nichtexistenz des Glaubens geht, sondern vielmehr um die Frage nach dessen soteriologischer Wirksamkeit. Zudem lassen sich auf textimmanenter Ebene kaum Belege finden, die eine Bestimmung des Glaubens als einen kynisch-stoischen Tugendbegriff gerechtfertigt erscheinen lassen. 143 Ähnliches gilt für einen generellen Zeichencharakter der Taten. Der in diesem Zusammenhang vielfach genannte Vers Jak 3,13 144 ist dazu schon deshalb nicht geeignet, weil die Taten dort als Objekt zu dei,knumi die Stelle des Nachzuweisenden einnehmen und eben nicht in Form einer adverbialen Bestimmung die Stelle des Zeichens. Erklärungen aufgrund der traditionsgeschichtlichen Untersuchung H EILIGENTHALS erscheinen mir daher für Jak 2,18b schon methodisch als nicht angemessen. 145 Es ist vielmehr im Blick auf die gesamte Perikope von der Beobachtung auszugehen, dass cwri.j $tw/ n% e; rgwn in Jak 2,20.26 den Konditionalsatz aus Jak 2,17 variiert und daher (anders als evk tw/ n e; rgwn mou ) als präpositionales Attribut auf th.n pi,stin sou zu beziehen ist: 146 2,18b a : dei/ xo,n moi th.n pi,stin sou cwri.j tw/ n e; rgwn( 2,18b b : kavgw, soi dei,xw evk tw/ n e; rgwn mou th.n pi,stin) War der Verfasser durch die rhetorische Strategie des erneuten Einwandes in Jak 2,18a zu seiner ursprünglichen Frage nach dem soteriologischen Nutzen eines Glaubens, der keine Werke hat, zurückgekehrt, so fordert er nun den Einwänder auf, gerade diesen zu erweisen. Zugleich kündigt der Verfasser an, umgekehrt den soteriologischen Nutzen eines Glaubens, der Werke 143 So auch S CHNACKENBURG : „Ob man Jakobus unter das Tugendideal stellen darf, ist zu bezweifeln.“ (ders.: Botschaft, 224). Vgl. auch F RANKEMÖLLE (vgl. ders.: Jakobus II, 442), der die Bestimmung des Glaubens als einen kynisch-stoischen Tugendbegriff zu Gunsten einer Verbindung zu Jesus Sirach in Frage stellt. 144 So z.B. F RANKEMÖLLE : „Als Parallele ist vor allem auf 3,13 hinzuweisen“ (ders.: Jakobus II, 442). 145 Die Erkenntnis aus der Arbeit von H EILIGENTHAL , dass theologische Versuche, die die Bedeutung der menschlichen Taten in der neutestamentlichen Literatur allein auf dem Hintergrund des Gegensatzes von menschlichen Leistungen und göttlicher Gnade interpretieren, als unangemessen angesehen werden müssen (vgl. ders.: Werke, 315), kommt dem Anliegen der eigenen Untersuchung aber sehr entgegen. 146 Mit Konradt: Existenz, 222. <?page no="176"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 162 hat, aus eben diesen nachzuweisen. Es geht demnach bei dei,knumi im Kontext von Jak 2,14-26 um den argumentativen Nachweis des soteriologischen Nutzens des Glaubens im Gericht. Das ist sachlich von der oben darstellten Deutung nicht sehr weit entfernt, dennoch ist die Differenz im Blick auf die argumentative Funktion von Jak 2,18b für das Folgende durchaus von Bedeutung. Auf diesem Hintergrund lässt sich nämlich Jak 2,19 als Ausführung des in Jak 2,18b a Geforderten und Jak 2,20-23 als Ausführung des in Jak 2,18b b Angekündigten verstehen. Jak 2,18b bildet somit das Gliederungsprinzip für den Fortgang des Sonderdialogs. 147 Es ist also im Folgenden eine „theologische Begründung“ 148 zu erwarten, die in einer positiven Bestimmung des Verhältnisses von pi,stij und e; rga im Blick auf den soteriologischen Nutzen des Glaubens besteht. 149 Das lässt sich allein auf der semantisch-syntaktischen Ebene im Blick auf die Leitworte der Perikope pi,stij und e; rga beobachten: 150 Von Jak 2,18b an ist nicht mehr vom e; cein der pi,stij bzw. der e; rga die Rede, sondern davon, wie beides miteinander in Beziehung steht. Negativ wird nur noch kurz von der pi,stij cwri,j tw/ n e; rgwn (Jak 2,18b.20; vgl. Jak 2,26) gesprochen, positiv dagegen in Jak 2,22 vom sunergei/ n der pi,stij mit den e; rga und vom telei/ sqai der pi,stij aus den e; rga . Dieser Vers bildet den für die theologische Verhältnisbestimmung wichtigen Kern, mit dem der Verfasser die Ankündigung aus Jak 2,18b b einlöst. 151 Doch bevor der Verfasser damit beginnt, führt er in Jak 2,19 zunächst erneut (ähnlich wie in Jak 2,15f) die Absurdität eines Glaubens vor, der Gott zwar kennt und bekennt, seinen Willen aber nicht tut. Die Aufforderung an den fiktiven Einwänder in Jak 2,18b a , der der Verfasser an dessen Stelle nachkommt, hat diesen Schritt ja bereits vorbereitet. Mit su. pisteu,eij o[ti 147 Vgl. Lautenschlager: Gegenstand, 176 und Burchard: Jakobus, 38. Beide differenzieren aber nicht zwischen den angekündigten Darlegungen innerhalb des Sonderdialogs und der Rückkehr des Verfassers zur Gesamtargumentation ab 2,24. 148 Lautenschlager: Gegenstand, 176 (im Original kursiv). 149 Auf dem Hintergrund des bisher Dargestellten wird die Sicht von L AUTENSCHLAGER ungewiss, nach der der Verfasser anbietet, „die rettende Kraft der vom Glauben geforderten Werke theologisch nachzuweisen“ (ders.: Gegenstand, 176). 150 Vgl. unten die schematische Darstellung der syntaktischen Beziehung der Leitworte pi,stij und e; rga . 151 Der Einwand von P OPKES , dass der Aufweis in Vers 18b b als »aus meinen Werken« angekündigt war, worauf der Verfasser aber im Folgenden gar nicht mehr rekurriert (vgl. ders.: Jakobus, 184), ist mit Blick auf den Charakter einer theologischen Begründung zurückzuweisen. Der Bezug auf Abraham und damit auf die Heilige Schrift ist als angemessenes Mittel zu werten, die eigene Position theologisch zu legitimieren (vgl. dazu auch Burchard: Jakobusbrief, 122). <?page no="177"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 163 ei-j evstin o` qeo,j legt er dem Einwänder das monotheistische Grundbekenntnis Israels 152 in den Mund, das auch als erster und grundlegender Satz des christlichen Credos anzusehen ist. 153 Das kalw/ j poiei/ j ist dementsprechend als aufrichtige Bestätigung aufzufassen und nicht als ironische Bemerkung. 154 Ähnlich wie in Jak 2,8f 155 will der Hinweis auf die Dämonen hier keinesfalls das Bekenntnis des Einwänders diskreditieren, weil es auch von den Dämonen ausgesprochen werden kann. Die Dämonen dienen vielmehr als ein Beispiel dafür, dass man einen Glauben haben kann 156 , der im Blick auf das Gericht keinen soteriologischen Nutzen hat. 157 Ihr Zittern ist als Ausdruck ihrer Furcht vor dem Urteil Gottes aufzufassen, das in ihrer Unterwerfung bzw. Vernichtung bestehen wird. 158 Der Grund dafür liegt (unausgesprochen, aber im Kontext der Perikope naheliegend) im Fehlen der Taten bei den Dämonen. H EILIGENTHAL hat hierfür wiederum eine traditionsgeschichtliche Begründung geliefert, indem er die äthiopische Epistel der Pelagia heranzieht, in der ebenfalls „ein vergeblicher, nichtiger Glaube mit dem Glauben der Dämonen verglichen wird“ 159 . Die Wertlosigkeit der Dämonen trotz ihres 152 Vgl. Dtn 6,4b LXX: a; koue Israhl ku,rioj o` qeo.j h`mw/ n ku,rioj ei-j evstin . Belege zur Rezeption des Bekenntnisses in der Literatur des frühen Judentums bietet K ONRADT (vgl. ders.: Existenz, 224 (Anm. 104)). 153 Vgl. Konradt: Existenz, 225. Hier finden sich Belege für die Rezeption des Bekenntnisses in der Literatur des frühen Christentums (vgl. Konradt: Existenz, 225, Anm. 107). K ON- RADT sieht darin eine Hinweis auf einen diasporajüdischen Hintergrund, in dem sich „des näheren die Position frühchristlicher »Gottesfürchtiger«“ (Konradt: Jakobus, 200) spiegeln könnte, die „aus bestimmten, vor allem gesellschaftlichen Gründen nicht Volljuden geworden waren, um dann zum Christentum abzuwandern, das vermeintlich eine geringere Eintrittshürde darbot“ (Konradt: Jakobus, 200). 154 Vgl. Burchard: Jakobus, 39. 155 Eiv me,ntoi no,mon telei/ te basiliko.n kata. th.n grafh,n\ avgaph,seij to.n plhsi,on sou w`j seauto,n( kalw/ j poiei/ te\ eiv de. proswpolhmptei/ te( a`marti,an evrga,zesqe evlegco,menoi u`po. tou/ no,mou w`j paraba,tai (Jak 2,8f). 156 „ pisteu,ein ist hier im Sinne von »für wahr halten, meinen, der Überzeugung sein« gebraucht“ (Konradt: Existenz, 225). 157 Als ein Vergleichstext zu diesem Verfahren kann Barn 9,6 genannt werden, wo der Verfasser am Beispiel der Syrer, Araber und Ägypter zeigen will, dass die Beschneidung allein nicht die Zugehörigkeit zum Bund Gottes ausmacht. 158 So auch D AVIDS : „They tremble in fear of judgement“ (ders.: James, 125). 159 Heiligenthal: Werke, 38. Er zitiert den Text nach der Übersetzung von G OODSPEED , wie sie bei S CHMIDT (ders.: Acta, XXI-XXV) wiedergegeben ist: „But I say unto you, if ye believe that the Lord is God and do not his will, your faith is vain; and what doth it profit to believe, if ye the demons also believe that God is Lord and do not his will. According therefore as they do not do his will and do not keep the commandment of God, they are vain.“ (a.a.O., XXIIIf). <?page no="178"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 164 Glaubens an Gott wird hier damit begründet, dass sie Gottes Willen nicht tun, der besonders in sozialethischen Forderungen besteht. Die Ähnlichkeiten sind auffällig, dennoch müssen wieder methodische Vorbehalte geltend gemacht werden. Es ist nämlich nicht auszuschließen, dass die Abhängigkeit der beiden Texte gerade umgekehrt zu erklären ist und also die Epistel der Pelagia von Jak 2,19 abhängig ist. 160 In diesem Fall braucht man aber auf den Ansatz trotzdem nicht zu verzichten. Es kann dann nämlich umgekehrt rezeptionsästhetisch argumentiert werden, dass der Vergleichstext zeigt, dass das oben dargelegte Verständnis von Jak 2,19 bei den Rezipienten offensichtlich möglich, wenn nicht sogar naheliegend war. 161 Ein weiteres Argument liegt in der Beobachtung des sprachlich kunstvollen Spiels des Verfassers mit den Leitworten der Perikope. Der Feststellung, dass in Jak 2,19 der Verfasser seine Forderung aus Jak 2,18b a (den soteriologischen Nutzen seines Glaubens ohne Taten nachzuweisen) probeweise selber zu erfüllen sucht, entspricht es, dass in dieser Einheit der Wortstamm pist& auch tatsächlich alleine, ohne den Wortstamm evrg& vorliegt. Wie aus der schematischen Darstellung der Leitworte (s.o.) hervorgeht, ist das sonst in keiner Einheit der Fall. Zudem fällt auf, dass der Wortstamm pist& hier (und in Jak 2,23) in Form des Verbs pisteu,ein vorliegt, während sonst das Substantiv pi,stij gebraucht wird. Das unterstreicht den Charakter des Testfalls, in dem nicht abstrakt nach dem Glauben gefragt wird, sondern ganz konkret die Art des Glaubens einer bestimmten Person (Jak 2,19: Einwänder; Jak 2,23: Abraham) bzw. Personengruppe (Jak 2,19: Dämonen) in den Blick genommen wird: „Im Kontext von 2,14-26 dienen die Dämonen als Extremfall eines werklosen Glaubens, der absurden Situation, Gott zu kennen, ohne seinen Willen zu tun.“ 162 Im Blick auf seine Aufforderung in Jak 2,18b a konnte der Verfasser dadurch die Beweisnot des Einwänders demonstrieren, indem er für einen naheliegenden Versuch (über das monotheistische Grundbekenntnis), die Dämonen als Gegenbeispiel angeführt hat. Rein logisch ist damit die Möglichkeit des geforderten Nachweises nicht widerlegt, 160 Das erwägt schon S CHMIDT (vgl. ders.: Acta, XXVIII (Anm. 1)); vgl. auch Konradt: Existenz, 226 (Anm. 117). 161 Eine solche Rezeption würde auch für eine enge Verbindung der Perikope mit Jak 2,1- 13 sprechen, wo die sozialethischen Implikationen des Gesetzes im Vordergrund stehen. Eine Verbindung von Jak 2,8f und Jak 2,19 könnte zudem über Jesu Wort vom höchsten Gebot in Mk 12,29-31 gegeben sein. Dort sind die Rezeptionsobjekte Dtn 6,4f LXX bzw. Lev 19,18 LXX direkt miteinander verbunden. 162 Konradt: Existenz, 226. <?page no="179"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 165 was aber an dieser Stelle auch gar nicht in der argumentativen Absicht des Verfassers lag. 163 Dementsprechend kann Jak 2,20 auch nicht als Folgerung aus Jak 2,19 verstanden werden. 164 Der Anschluss mit de, ist hier adversativ aufzufassen. 165 Der Vers markiert so den Übergang zur Einlösung der Ankündigung des Verfassers in Jak 2,18b b . Die Paraphrase von C ARGAL gibt die Funktion des Verses sehr gut wieder, wenngleich sie grammatikalisch wohl nicht haltbar ist: „Do you desire proof, o Vain Person, that faith separated from works is useless? “ 166 Der verschärfte Tonfall des Abschnitts Jak 2,18-23 erreicht in der Bezeichnung w= a; nqrwpe kene, seinen Höhepunkt: „Wer aus der Fallanalyse zwischenmenschlichen Fehlverhaltens in 2,15-16, aus dem eschatologisch orientierten Rahmen in 2,14.17 sowie aus dem theozentrischen Grundbekenntnis in 2,19 immer noch nicht im Sinne des Jakobus die richtige Schlussfolgerung gezogen hat“ 167 , kann nur »hohl und unvernünftig« sein. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die dem Stil der Diatribe durchaus entsprechende, stark affektiv besetzte Rede sich innerhalb des Sonderdialogs an den Einwänder als unmittelbar Angesprochenen wendet. 168 Damit bietet der Verfasser den Adressaten seines Schreibens rhetorisch geschickt die Möglichkeit, sich von diesem Uneinsichtigen zu distanzieren. Die Adressaten werden so zu Verbündeten des Verfassers, die seiner Argumentation zustimmend folgen können. Das zeigt auch der deutlich versöhnlichere Ton in Jak 2,24 an, wenn die Adressaten wieder direkt angesprochen werden. Auffallend ist in Jak 2,20 auch die Art, wie die pi,stij cwri.j tw/ n e; rgwn vom Verfasser als avrgh, (ab-)qualifiziert wird. Aus dem Vergleich mit Jak 2,17 wird die Korrespondenz von nekra, und avrgh, deutlich, was durch den textkritischen Befund gestützt wird. Die Ersetzung von avrgh, durch nekra, in Jak 2,20 ist mit a , A, C2, P, Y , 33, M, t, vg cl , sy und bo stark bezeugt. Aus Gründen der inneren Bezeugung ist aber an der Lesart avrgh, (äußere Bezeugung durch B, C*, 322, 223, 945, 1739, it ff , vg, cop sa , und arm) festzuhalten, weil das vom Verfasser ganz bewusst eingesetzte „subtle play on 163 Die von P OPKES gestellte Frage, wie aus Vers 19 hervorgeht, dass werkloser Glaube unnütz ist (vgl. ders.: Jakobus, 198), ist dann so zu beantworten, dass dies aus Vers 19 gar nicht hervorgehen soll. 164 Gegen Hoppe: Hintergrund, 106. 165 Selbst wenn de, hier als „bloße Übergangspartikel, ohne irgendwie bemerkbaren Gegensatz“ (Blaß/ Debrunner/ Rehkopf: Grammatik §447, 376; vgl. Frankemölle: Jakobus II, 448) steht, ist eine folgernde Bedeutung nicht angemessen. 166 Cargal: Diaspora, 223. Vgl. auch Sleeper: James, 81. 167 Frankemölle: Jakobus II, 447. 168 Vgl. Popkes: Jakobus, 186. <?page no="180"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 166 words“ 169 ( e; rgwn av&evrgh, ) als die schwierigere Lesart anzusehen ist, die im Zusammenhang mit dem Wortspiel sun&h,rgei toi/ j e; rgoij (Jak 2,22) eine argumentative Funktion erfüllt. 170 Während mit den Dämonen in Jak 2,19 (in Erfüllung von Jak 2,18b a ) ein Beispiel für die soteriologisch nutzlose Trennung von Glaube und Taten vorgeführt wurde, geht der Verfasser (in Erfüllung von Jak 2,18b b ) nun dazu über, ein Beispiel für das Gegenteil vorzustellen. Dem Glauben der Dämonen, der ohne Taten (im Blick auf die Rettung im Gericht) tatsächlich tatenlos ist, wird der Glaube Abrahams gegenübergestellt, der (im Blick auf das Gericht) mit seinen Taten tätig ist. Dass und in welcher Weise das bei Abraham der Fall war, wird vom Verfasser in den Versen Jak 2,21-23 dargelegt. Jak 2,21 leitet das Beispiel Abrahams ein. Die rhetorische Frage mit ouvk setzt die Zustimmung der Adressaten voraus. 171 Mit der Qualifizierung Abrahams als path.r h`mw/ n verstärkt der Verfasser nicht nur den erhofften Konsens, sondern deutet gleichsam an, warum er mit diesem Beispiel seiner Ankündigung aus Jak 2,18b b nachkommen kann: „Weil für die Nachkommen nichts anderes gilt als für den Vater, läßt sich daher an Abraham verbindlich aufweisen, wie Glaube zur Rettung führt.“ 172 Dieses Argumentationsziel wird aber nur dann einsichtig, wenn man die komplette Einheit der Verse Jak 2,21-23 in den Blick nimmt. Auslegungen, die Jak 2,21 isoliert betrachten und aus dem evx e; rgwn evdikaiw,qh den Schluss ziehen, dass dem Glauben Abrahams bei der Rechtfertigung keine Bedeutung zukommt und dahinter jüdische Werkgerechtigkeit zu erkennen meinen, 173 ignorieren nicht nur die sprachlich kunstvolle Argumentation des Verfassers, sondern verfehlen auch die Gesamtintention der Perikope. Ebenso sind die Auslegungen zurückzuweisen, die in der Konkretisation der Rezeption von Gen 22 174 in Jak 2,21 den Grund für Abrahams Rechtfertigung 169 Metzger: Commentary, 610. 170 Vgl. unten die schematische Darstellung der syntaktischen Beziehung der Leitworte pi,stij und e; rga . 171 Vgl. Davids: James, 127. 172 Konradt: Existenz, 227 (Anm. 123). Vgl. dazu auch Anm. 151. 173 Vgl. die Darstellung der entsprechenden Positionen in Abschn. 1. 174 Das semantische Feld entspricht deutlich Gen 22 LXX: kai. ei=pen labe. to.n ui`o,n sou to.n avgaphto,n o]n hvga,phsaj to.n Isaak kai. poreu,qhti eivj th.n gh/ n th.n u`yhlh.n kai. avne,negkon avne,negkon avne,negkon avne,negkon auvto.n evkei/ eivj o`loka,rpwsin evfV e]n tw/ n ovre,wn w-n a; n soi ei; pw (22,2). h=lqon evpi. to.n to,pon o]n ei=pen auvtw/ | o` qeo,j kai. wv|kodo,mhsen evkei/ Abraam qusiasth,rion kai. evpe,qhken ta. xu,la kai. sumpodi,saj Isaak to.n ui`o. Isaak to.n ui`o. Isaak to.n ui`o. Isaak to.n ui`o.n auvtou n auvtou n auvtou n auvtou/ evpe,qhken auvto.n evpi. to. evpi. to. evpi. to. evpi. to. qusiasth,rion qusiasth,rion qusiasth,rion qusiasth,rion evpa,nw tw/ n xu,lwn (22,9). Der Verfasser hat Gottes Aufforderung und Abrahams Ausführung derselben zusammengezogen. <?page no="181"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 167 sehen. Das participium conjunctum avnene,gkaj VIsaa.k to.n ui`o.n auvtou/ evpi. to. qusiasth,rion ist grammatikalisch jedenfalls nicht notwendig kausal aufzulösen. Im Blick auf den Plural evx e; rgwn ist dies inhaltlich zudem auch nicht sinnvoll. 175 Im Kontext des bisher Dargestellten liegt es vielmehr nahe, die Bereitschaft, Isaak als Opfer darzubringen, als ein Beispiel für die genannten Taten aufzufassen. 176 Das Partizip ist daher als explizierender Relativsatz aufzulösen: 2,21 Wurde nicht Abraham, unser Vater, aufgrund von Taten gerechtfertigt, wo er doch Isaak, seinen Sohn, auf den Opferaltar gelegt hatte. 177 Warum der Verfasser Gen 22 als Beispiel gewählt hat, braucht im Blick auf die Pragmatik des Verses eigentlich nicht weiter gefragt zu werden. Der allgemeine Hinweis, dass Gen 22 aufgrund ihrer Endstellung in der Anordnung der Abrahamerzählungen innerhalb der Genesis als Höhepunkt angesehen wird, lässt die Auswahl des Beispiels ausreichend motiviert erscheinen. 178 Alle darüber hinausreichenden traditionsgeschichtlichen Deutungen sind mangels konkreter Hinweise im Text nicht ausreichend begründbar. 179 Der Vers enthält dann für sich genommen lediglich die Aussage, dass bei Abrahams Rechtfertigung Taten eine Rolle gespielt haben, für die Gen 22 als ein Beispiel angeführt wird. Die weiterreichende Bedeutung erschließt sich allein aus dem Kontext. Von Jak 2,18b b ausgehend war schon festgestellt worden, dass der Verfasser in Jak 2,20-23 mit Abraham ein Beispiel für den soteriologischen Nutzen eines Glaubens darlegen will, der Taten hat. Nun kommt aber der Wortstamm pist& in Jak 2,21 gar nicht explizit vor. Wenn auch kontextuell klar ist, dass Abrahams Glaube hier selbstverständlich mitzudenken ist 180 , so muss das Fehlen doch dem bewussten Gestaltungswillen 175 Wie in der gesamten Perikope zeigt der Plural auch hier den generellen Gebrauch an (vgl. Siker: Jews, 99). 176 So auch B URCHARD : „Als exemplarische Tat nennt Jak Isaaks Opferung“ (ders.: Jakobusbrief, 127). 177 Vgl. unten die Übersetzung. 178 „Ein Abraham, bei dem neben Gen 15 (…) Gen 22 ausfiele (…), wäre für Jakobus ein halber Abraham. Der Abraham der Genesis wäre für Jakobus nicht wieder zu erkennen“ (Eichholz: Glaube, 42). Vgl. auch McGonigal: Abraham, 457. 179 Zu den verschiedenen Ansätzen siehe Abschn. 1. 180 Dabei ist hier der Argumentationsduktus ausreichend. Ob man davon ausgehen kann, dass die Figur Abrahams von den Adressaten implizit sofort auch mit dem Wortstamm pist& in Verbindung gebracht wird und von daher die Rezeption von Gen 15,6 notwendig zur Konkretisation kommen muss (vgl. Dibelius: Jakobus, 198), ist erst in einem weiteren Schritt auf dem Hintergrund der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 zu klären. <?page no="182"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 168 des Verfassers zugerechnet werden, der darin einmal mehr sein sprachlich kunstvolles Spiel mit den Wortstämmen pist& und evrg& zu erkennen gibt: 2,20 h` pi,stij h` pi,stij h` pi,stij h` pi,stij av& av& av& av&rgh, rgh, rgh, rgh, evstin cwri.j cwri.j cwri.j cwri.j tw/ n e; rgwn tw/ n e; rgwn tw/ n e; rgwn tw/ n e; rgwn 2,21 VAbraa,m VAbraa,m VAbraa,m VAbraa,m ouvk evx evx evx evx e; rgwn e; rgwn e; rgwn e; rgwn evdikaiw,qh* evdikaiw,qh* evdikaiw,qh* evdikaiw,qh* 2,22a h` pi,stij h` pi,stij h` pi,stij h` pi,stij sun& sun& sun& sun&h,rgei h,rgei h,rgei h,rgei toi/ j e; rgoij toi/ j e; rgoij toi/ j e; rgoij toi/ j e; rgoij 2,22b evk evk evk evk tw/ n e; rgwn tw/ n e; rgwn tw/ n e; rgwn tw/ n e; rgwn evteleiw,qh evteleiw,qh evteleiw,qh evteleiw,qh h` pi,stij h` pi,stij h` pi,stij h` pi,stij 2,23 evpi,steusen evpi,steusen evpi,steusen evpi,steusen de. VAbraa,m VAbraa,m VAbraa,m VAbraa,m evlogi,sqh eivj evlogi,sqh eivj evlogi,sqh eivj evlogi,sqh eivj dikaiosu,nhn dikaiosu,nhn dikaiosu,nhn dikaiosu,nhn Der Verfasser verbindet in Jak 2,21 zunächst evx e; rgwn (in Aufnahme von evk tw/ n e; rgwn aus Jak 2,18b b ) mit evdikaiw,qh und bringt dann in Jak 2,23 (in der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6) die Verbindung von evpi,steusen und evlogi,sqh eivj dikaiosu,nen ein, so dass der Wortstamm dikai& formal wie auch inhaltlich die Verbindung zwischen den Leitworten im Beispiel Abrahams herstellt. Wenn der Wortstamm dikai& mit evdikaiw,qh (passivum divinum mit Gott als logischem Subjekt) auch recht unvermittelt in die Argumentation eingeführt wird, muss dabei nicht notwendig die Aufnahme eines paulinischen Theologumenons angenommen werden. 181 Er begründet hier im Blick auf die Ankündigung aus Jak 2,18b b , die mit dem Beispiel Abrahams eingelöst werden soll, die Gewissheit der Rettung Abrahams im Gericht. „Da Jakobus im vorliegenden Zusammenhang nicht daran liegt, wann genau das Heil erworben wird und wer es verursacht, sondern was Glaube und Werke dabei tun, kann er in V. 21-25 mit dikaiou/ sqai statt sw|zei/ n arbeiten.“ 182 Im Kontext gelesen sagt Jak 2,21 dann also: So gewiss es ist, dass die Dämonen zwar Glauben haben können, aber keinesfalls Taten vorzuweisen haben, so klar ist es auch, dass Abraham bei seinem Glauben auch Taten hat. Und so klar es ist, dass die Dämonen ihrer Verdammung im Gericht zitternd entgegengehen, so gewiss ist es auch, dass Abraham als Gerechter dort nichts zu fürchten hat. Der Verfasser legt also, wie angekündigt, aus den der Rechtfertigung zugrunde liegenden Taten Abrahams dessen retten- 181 Siehe dazu die Darstellung der entsprechenden Positionen in Abschn. 1. 182 Burchard: Jakobus, 40. <?page no="183"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 169 den Glauben dar. 183 Was das für die Verhältnisbestimmung von Glauben und Taten bedeutet, wird im Folgenden entfaltet. Mit der zweiten Person Singular ble,peij ist (innerhalb des Sonderdialogs) wieder der Einwänder angesprochen. Gegenüber Jak 2,20 ist der Tonfall jetzt deutlich versöhnlicher. Mit dem Beispiel Abrahams steht die Verifikation der These dem Einwänder offensichtlich vor Augen, wie der Indikativ präsens zum Ausdruck bringt. 184 Der Inhalt dessen, was aus dem Beispiel Abrahams wahrgenommen wird, ist mit o[ti angeschlossen und erstreckt sich auf die Verse Jak 2,22a.b.23. 185 Jak 2,22 gliedert sich in zwei Teile, die bezüglich der Leitworte der Perikope eine chiastische Struktur erkennen lassen. 186 Die Stellung der Verben in den beiden Teilversen lässt aber zugleich eine gewisse Asymmetrie erkennen, die damit zusammenhängt, dass Jak 2,22b und Jak 2,23 in einem engen Zusammenhang gesehen werden müssen. Es liegt somit insgesamt in Jak 2,22a.b nur ein „teilweiser Chiasmus“ 187 vor: 2,22a h` pi,stij sunh,rgei toi/ j e; rgoij auvtou/ 2,22b evk tw/ n e; rgwn h` pi,stij evteleiw,qh Wie die schematische Darstellung der Leitworte deutlich macht 188 , ist die chiastisch verschränkte zweigliedrige Auswertung zwischen Jak 2,21 und Jak 2,23 wohlbedacht platziert worden. Zwischen den beiden oben beschriebenen Polen ( evx e; rgwn evdikaiw,qh und evpi,steusen kai. evlogi,sqh eivj dikaiosu,nen ) wird hier die Zusammengehörigkeit der Leitworte in den Blick genommen. Die Korrelation der Leitworte wird zunächst durch das Verb sunerge,w beschrieben, was in der Auslegung häufig zu Fragestellungen geführt hat, die 183 Vgl. Konradt: Existenz, 229. 184 Anders als bei P OPKES liegt hier eben nicht die „Gestalt eines Appells“ (ders.: Jakobus, 185) vor. Vgl. auch Burchard: Jakobus, 41. 185 Vgl. Frankemölle: Jakobus II, 453. 186 Das Empfinden dieser sprachlichen Figur wird von der Textkritik belegt. Die Minuskeln 614, 630, 1505, 1852 und andere griechische Handschriften sowie eine Einzellesart der Vulgata ergänzen in 2,22b auvtou/ hinter evk tw/ n e; rgwn . Diese Variante kommt schon wegen ihrer schwachen äußeren Bezeugung nicht als ursprünglich in Betracht und spiegelt somit eine Rezeption dieses Verses, welche die chiastische Struktur wahrgenommen und formal verstärkt hat. 187 Popkes: Jakobus, 185 (Anm. 254). 188 Die schematische Darstellung (s.o.) ist bemüht, den Chiasmus bezüglich der Leitworte hervorzuheben, weswegen die Stellung der Verben in Jak 2,22a.b nicht richtig eingetragen ist. <?page no="184"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 170 dem Text nicht angemessen sind. 189 Denn „aufgrund des »Stichworts« sunh; rgei in V.22a das dogmatische Synergismusproblem zu assoziieren, würde am Text vollkommen vorbei gehen“ 190 . Dieses Stichwort ist in erster Linie im Licht des sprachlich kunstvollen Spiels des Verfassers mit den Wortstämmen der Leitworte pi,stij und e; rga als ein Wortspiel ( sun&ergei/ n = zusammen-mit-tätig sein) zu verstehen, das hier vor allem die Antithese zu dem ebenfalls als Wortspiel aufzufassenden avrgh, ( av&ergh, = un-tätig) in Vers Jak 2,20 markiert: 191 Der Glaube „worked with works to produce a »working faith«“ 192 . Es wird hierbei nicht der Rechtfertigungsvorgang beschrieben, sondern festgestellt, dass bei der Rechtfertigung Abrahams eine „ pi,stij&su.n&toi/ j&e; rgoij “ 193 grundlegend war. Auf solchen Glauben verweist der Artikel bei pi,stij , der wie in Jak 2,14b demonstrative Bedeutung hat. 194 Das Beispiel Abrahams zeigt für den Verfasser das Zusammenspiel von Glauben und Taten auf, ohne dass dieses im Einzelnen erläutert wird. 195 Der Imperfekt sunh,rgei macht bereits deutlich, dass das Zusammenwirken nicht punktuell (etwa im Moment der Rechtfertigung oder bei der Bindung Isaaks) verstanden werden kann. 196 Es ist vielmehr durativ bzw. iterativ auf das gesamte Leben Abrahams zu beziehen 197 , was dem Plural e; rga in Jak 2,21 entspricht. Anders verhält es sich scheinbar in Jak 2,22b, wo das Verb teleio,w im Aorist Passiv ein punktuelles Geschehen andeutet. Das Verb ist am besten mit „ans Ziel führen, im Sinne der Überwindung eines unvollkommenen 189 Eine kurze dogmengeschichtliche Einordnung dieser Frage bietet F RANKEMÖLLE (vgl. ders.: Jakobus II, 455f). 190 Konradt: Existenz, 233; vgl. auch Müller/ Hahn: Jakobusbrief, 38. 191 Vgl. oben zu Vers 2,20. 192 Martin: James, 93. 193 Popkes: Jakobus, 205. 194 Inhaltlich ergibt sich freilich eine krasse Antithese, denn in Jak 2,14b verweist der Artikel ja gerade auf einen Glauben, der keine Taten hat (vgl. oben zu Jak 2,14). 195 Vgl. Popkes: Jakobus, 205. Ganz anders B URCHARD : „V. 22 soll nicht bei Abraham »eine lebendige und überzeugende Synthese von Glauben und Werken« nachweisen und als heilsnotwendig setzen, sondern den Glauben herunterspielen (ders.: Jakobus, 42). 196 a *, A, 33, 630 sowie wenige andere griechische Handschriften und Einzelhandschriften der Vulgata lesen das Präsens sunergei/ anstelle des Imperfekts, was a c , B, C, P, Y, 049,1739, der Mehrheitstext, die Vulgata sowie die gesamte syrische und koptische Überlieferung bezeugen. Wenngleich die »Präsens-Variante« in a * einen sehr gewichtigen Zeugen auf ihrer Seite hat, spricht doch die äußere Bezeugung insgesamt eindeutig für das Imperfekt. Die abweichende Lesart erklärt sich möglicherweise daraus, dass im Jakobusbrief außer in Jak 2,22 kein Imperfekt vorkommt und die Änderung ins Präsens als Angleichung zu verstehen ist, bei der die Aktionsart gewahrt bleibt. 197 Vgl. Konradt: Existenz, 230. <?page no="185"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 171 Zustandes durch einen einwandfreien“ 198 , zu übersetzen. Im Kontext von Jak 2,18b-23 ist der unvollkommene bzw. einwandfreie Zustand des Glaubens dann mit dem Nichtvorhandensein bzw. Vorhandensein von Taten inhaltlich zu füllen. Jak 2,22b meint also gerade nicht, dass „die pi,stij Abrahams aus den Werken insofern »ans Ziel geführt wurde«, als ihr dadurch das Vermögen eignete, zur Gerechtigkeit zu wirken, sondern h` pi,stij evteleiw,qh macht eine Aussage über einen Zustand des Glaubens, dessen Gegenstück ein Glaube ist, der keine Werke hat“ 199 . Die Aussagen der beiden Teilverse Jak 2,22a.b bilden somit in jedem Fall inhaltlich eine Parallele. Auch die Aktionsart des Prädikats steht dazu nicht im Widerspruch, wenn man den Aorist evteilw,qh in Jak 2,22b als komplexiv bzw. konstatierend versteht: „Die Handlung wird an sich als Ganzes ohne Rücksicht auf die Dauer ins Auge gefasst.“ 200 Während in Jak 2,22a mit dem Imperfekt sunh,rgei die Zusammengehörigkeit von pi,stij und e; rga an den unterschiedlichen Stationen des Lebens Abrahams im Vordergrund stand (in Jak 2,21 an Gen 22 exemplarisch dargestellt), konstatiert der Aorist die generelle Vollkommenheit solchen Glaubens bei Abraham. Dabei ist Abrahams Leben gerade nicht als eine schrittweise Bewährung seines Glaubens aufzufassen 201 , die in der Bereitschaft seinen Sohn zu opfern ihre Vollendung findet. Für die von vielen Auslegern als Beleg dafür ins Feld geführte Tradition der Bewährung Abrahams in zehn Versuchungen (vgl. Jub 17,15-18) 202 kann auch innerhalb der Perikope Jak 2,14-26 nicht durch Konkretisation (d.h. entsprechende Wortfeldelemente) nachgewiesen werden. In wieweit für das Mitteilungsgeschehen des Jakobusbriefs im Ganzen der Zusammenhang von Glaube und Versuchung eine Rolle spielt, und wie sich die Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 dazu verhält, ist erst in einem weiteren Schritt im Anschluss an die Analyse zu klären. 203 An dieser Stelle kann nur festgehalten werden, dass die Zusammengehörigkeit der Leitworte pi,stij und e; rga in Jak 2,22a.b vom Verfasser für Abrahams Leben 198 Bauer: Wörterbuch, 1615. 199 Konradt: Existenz, 230; vgl. Burchard: Jakobusbrief, 129. Ganz anders dagegen K LEIN : „Zunächst ist festzustellen, daß durch die Mittelstellung von toi/ j e; rgoij auvtou/ und evk tw/ n e; rgwn die Betonung auf den Werken liegt: Sie sind das logische, wenn auch nicht das grammatikalische Subjekt des Satzes“ (ders.: Werk, 74). 200 Blass/ Debrunner: Grammatik § 318.1, 263. 201 So etwa M C G ONIGAL (vgl. ders.: Abraham, 459). 202 Zu den einzelnen Ansätzen vgl. Abschn. 1. 203 Siehe dazu Abschn. 3. <?page no="186"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 172 als Ganzes festgestellt wird: Abrahams Glaube war immer und damit schlussendlich ein aufgrund der Taten ans Ziel gelangter Glaube. Mit der Aussage kai. evplhrw,qh h` grafh, schließt der Verfasser in Jak 2,23 nun einen dritten Teil des o[ti& Satzes 204 an, mit dem der Ertrag des Abrahambeispiels in Jak 2,21 erläutert wird. Im Blick auf das Argumentationsziel (vgl. Jak 2,18b b ) steht, wie oben bereits angedeutet, noch der Nachweis dafür aus, dass der in Abrahams ganzem Leben als tatkräftig festzustellende Glaube mit seiner Gerechtigkeit und so mit seiner Rettung im Gericht in Zusammenhang steht. Eben diesen Zusammenhang liefert dem Verfasser das Schriftwort Gen 15,6 LXX mit den Wortstämmen pist& und dikai& . Mit der Einleitung h` grafh, h` le,gousa markiert der Verfasser das Nachfolgende unmissverständlich als einen Schriftbeleg, dessen Umfang jedoch strittig ist. Maximal umfasst er folgende Teilverse: 2,23 b evpi,steusen de. VAbraa.m tw/ | qew/ |( c kai. evlogi,sqh auvtw/ | eivj dikaiosu,nhn d kai. fi,loj qeou/ evklh,qhÅ Ganz sicher wollte der Verfasser die Teilverse Jak 2,23b.c als Wiedergabe der Schrift verstanden wissen. Sie entsprechen bis auf drei kleine Abweichungen dem semantischen Feld von Gen 15,6 LXX. 205 Aus der Tatsache, dass die Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 in Röm 4,3 und 1Clem 10,6 dieselben Abweichungen von Gen 15,6 LXX aufweisen, wird häufig auf die literarische Abhängigkeit dieser Texte geschlossen. Für den Jakobusbrief steht dabei wieder die Annahme einer antipaulinischen Frontstellung im Hintergrund, die zuweilen bis hin zu der These reicht, der Verfasser des Jakobusbriefes habe überhaupt nicht selbständig auf das Alte Testament zurückgegriffen. 206 Abgesehen davon, dass die Analyse bisher keinerlei Gründe für solche Annahmen feststellen konnte, gehören die Rückschlüsse vom Verhältnis der Rezeptionsvorlage zur Konkretisation der Rezeption zur objektperspektivischen Rezeptionsforschung. Demgegenüber ist diese Untersuchung einem subjektperspektivischen Vorgehen verpflichtet, das zum Ziel hat, die Funktion der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 im Mitteilungsgeschehen der jeweiligen Schrift zu ermitteln. Die Frage nach der konkreten Rezeptionsvorlage ist bei diesem methodischen Vorgehen nicht von Belang. 204 Vgl. Popkes: Jakobus, 206. 205 Siehe Abschn. 3.2.6. 206 Vgl. Abschn. 1. <?page no="187"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 173 Entsprechend kann auch die Frage, ob der Verfasser kai. fi,loj 207 qeou/ evklh,qh (Jak 2,23d) ebenfalls als Aussage der Schrift verstanden wissen will, nicht einfach mit Hinweis auf das Fehlen einer entsprechenden alttestamentlichen Rezeptionsvorlage 208 verneint werden. Es ist methodisch zu berücksichtigen, dass Rezeptionsobjekte oft in verwandten Traditionszusammenhängen überliefert und aufgenommen werden. 209 Sprachlich hat der Verfasser mit dem Aorist passiv evklh,qh eine Parallele zu evlogi,sqh in Jak 2,23c geschaffen, die die beiden Teilverse eng aneinander bindet. Der Teilvers wirkt wie eine „targumartige Umschreibung und Erweiterung des Zitates“ 210 . Zudem macht die alternative syntaktische Zuordnung von Jak 2,23d zu kai. evplhrw,qh h` grafh, im Anschluss an ble,peij als vierter Teil des o[ti& Satzes inhaltlich keinen Sinn, denn aus Jak 2,21 ist wohl kaum zu ersehen, dass Abraham fi,loj qeou/ genannt wurde. 211 Es spricht daher alles dafür, Teilvers Jak 2,23d unter die Schrift zu rechnen. Es bleibt dann freilich zu klären, in welchem Verhältnis dieser Teil hier funktional zur Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 steht. 212 Zunächst ist aber zu fragen, welche Inhalte der Verfasser mit der dreigliedrigen Aussage der Schrift mit Jak 2,23 in die Argumentation einbringt. Das erste Glied bringt mit dem Wortstamm pist& eines der Leitworte der Perikope ein: 2,23b evpi,steusen de. VAbraa.m tw/ | qew/ Im Kontext von Jak 2,23 hat die Partikel de, (anders als beispielsweise in 1Clem 10,6 213 ) keine plausible syntaktische Funktion. Ihre Auslassung in 207 Die Textzeugen 429, 614, 630, 1505, 1852 al sy h haben bzw. lesen dou/ loj anstelle von fi,loj . 208 Anklänge finden sich zwar in Jes 41,8 (MT: ybih]ao ~h'r'b.a; [r; z < ; LXX: spe,rma Abraam o]n hvga,phsa ); 2Chr 20,7 (MT: ~l'A[l. ^b.h; ao ~h'r'b.a; ; LXX: Abraam tw/ | hvgaphme,nw| sou eivj to.n aivw/ na ) und Dan 3,35 LXX ( dia. Abraam to.n hvgaphme,non u`po. sou ), die Bezeichnung als fi,loj qeou/ findet sich aber auch dort nicht. 209 Die Stellen, an denen die Bezeichnung fi,loj qeou/ in der frühjüdischen Tradition zu finden ist, sind bei K ONRADT (ders.: Existenz, 235 (Anm. 166)) zusammengestellt. 210 Lohse: Glaube, 5. 211 Diese Zuordnung findet sich bei R OPES (vgl. ders.: James,222). 212 Die Frage nach möglichen rezeptionsgeschichtlichen Zusammenhängen kann erst später durch Vergleich mit anderen Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 behandelt werden (siehe Abschn. 3.2). 213 Siehe Kap. VIII, Abschn. 2.2. Im Zusammenhang von Gen 15 LXX ist die Partikel syntaktisch sinnvoll vorstellbar. M OSIS nimmt an, dass in einigen Handschriften der Septuaginta das de, mit adversativer Bedeutung eingesetzt wurde, um Gen 15,6 syntaktisch <?page no="188"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 174 einigen Handschriften 214 könnte darauf zurückzuführen sein. Im Blick auf die These, dass die Partikel aus der literarischen Abhängigkeit von der paulinischen Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 stammt, müsste man dann aber aufgrund des textkritischen Befundes festhalten, dass den entsprechenden Textzeugen die Funktion der Konkretisation im Duktus der Perikope offensichtlich wichtiger war als die Übereinstimmung mit dem zu kontrastierenden Text von Röm 4,3. Sollte die Auslassung auf eine Angleichung an den Septuagintatext zu verstehen sein, so bedeutet das ebenfalls eine Abschwächung des vermeintlichen literarischen Bezugs. Durch den fehlenden Originalkontext des angeführten Schriftwortes ergibt sich auch die Frage nach der Bedeutung des Aorist evpi,steusen im Kontext von Jak 2,23: Geht es dem Verfasser um das Glauben Abrahams im Kontext der Erzählung von Gen 15 und damit um einen Zeitpunkt im Erzählduktus der Genesis, der vor der Erzählung von Gen 22 liegt? Wo diese Frage bejaht wird 215 , erweist sich zumeist die angenommene externe Fronstellung gegen Paulus als erkenntnisleitend, und die paulinische Argumentation aus der Abfolge der biblischen Erzählungen wird auch für Jak 2,21-23 als das zu Widerlegende vorausgesetzt. Entsprechend wird kai. evplhrw,qh h` grafh, (Jak 2,23a) so verstanden, als handle es sich um die „Erfüllung göttl. Voraussagen od. Verheißungen durch ihr Eintreffen“ 216 , womit der Verfasser (Paulus gegenüber) zu einem rechten Verständnis von Gen 15,6 gelangen will. 217 Wie aber der bisher analysierte Argumentationsduktus in Jak 2,14-26 zeigt, ist das kompositorische Nacheinander der beiden Schriftworte in der Genesis überhaupt nicht von argumentativer Bedeutung. Ein weiterer Beleg dafür ergibt sich aus der Beobachtung, dass der Verfasser die (geläufigere) Namensform VAbraa,m in Jak 2,23b so beibehalten hat, wie sie von ihm im Rahmen der Konkretisation der Rezeption von Gen 22,2.9 LXX in Jak 2,21 eingeführt wurde. Durch die unterschiedlichen Namen hätte er vom vorangehenden abzusetzen, was die lateinische Überlieferung mit autem zum Ausdruck bringt (vgl. ders.: Glaube, 234). 214 P 20 , L, Y , 614, 623, 630, 1241, 1505 und andere griechische Handschriften, sowie die altlateinischen Vulgatahandschriften und die gesamte syrische und koptische Überlieferung lassen das de, an dieser Stelle aus. Die oben gegebene Lesart bezeugen dagegen a , A, B, C, P, 049, 33, 1739 sowie der Mehrheitstext und Einzelhandschriften der Vulgata. Somit ist sie allein aufgrund der äußeren Bezeugung als ursprünglichere Lesart vorzuziehen. 215 Das tut z.B. P OPKES : „Gedacht ist offenbar weiterhin primär an die Aqeda und was sich daraus ergab: eben darin/ dabei wurde h` grafh, erfüllt“ (ders.: Jakobus, 206). 216 Bauer: Wörterbuch, 1350. 217 Vgl. Popkes: Jakobus, 185f. <?page no="189"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 175 die zeitliche Differenz und die dazwischen liegende Erzählentwicklung deutlicher herausstreichen können. Die Identität des Namens unterstützt aber die Feststellung, dass der Verfasser in Gen 15,6 denselben tatkräftigen Glauben Abrahams am Werk sieht wie in Gen 22. Der Aorist evpi,steusen in Jak 2,23b kann daher nicht ingressiv wiedergegeben werden, weil damit erneut der Gedanke einer schrittweisen Bewährung des Glaubens unterstellt würde, von der in der Perikope nicht die Rede ist. 218 Er kann aber auch nicht effektiv übersetzt werden, weil damit ein singulärer Bezug auf das Exempel aus Gen 22 unterstellt würde, der nach dem bereits Dargelegten nicht anzunehmen ist. Der Aorist ist im Kontext von Jak 2,21-23 vielmehr komplexiv bzw. konstatierend aufzufassen (vgl. Jak 2,22b). Es handelt sich um eine Aussage über Abraham, die aus ihrem biblischen Kontext herausgelöst wurde und deren Ort im Erzählduktus der Genesis für die Argumentation des Verfassers auch nicht von Bedeutung ist. Wichtig ist dem Verfasser, dass wahr ist, was die Schrift von Abraham sagt 219 , und sie somit erfüllt wurde: Dass nämlich Abrahams Glaube mit seiner Gerechtigkeit in Zusammenhang steht. Das aber geht aus den nächsten Teilversen hervor: 2,23c kai. evlogi,sqh auvtw/ | eivj dikaiosu,nhn 2,23d kai. fi,loj qeou/ evklh,qh Was für Jak 2,23b über den Aorist gesagt worden ist, gilt ebenso für die beiden folgenden Teilverse. Die Passivformen setzen Gott als logisches Subjekt voraus. 220 In der Wendung evlogi,sqh auvtw|/ eivj dikaiosu,nhn , die sachlich dem evdikaiw,qh in Jak 2,21 entspricht, ist der Glaube Abrahams als (implizites) grammatikalisches Subjekt anzusehen. Das heißt für den Verfasser: Gott selber rechnete Abraham seinen Glauben zur Gerechtigkeit an und nannte ihn einen »Freund Gottes«. So kann er „sein Glaubensverständnis aus der Schrift mit einem Gottesurteil über Abraham belegen“ 221 . Eine Kennzeich- 218 Gegen K ONRADT , der paraphrasiert: „Abraham kam zum Glauben an Gott, und von da an wurde ihm sein (sich von Anfang an in Werken erweisender) Glaube zur Gerechtigkeit angerechnet und er wurde Freund Gottes genannt“ (ders.: Existenz, 236f). 219 Vgl. Davids: James, 129. 220 In Jak 2,23d wäre das Passiv auch als unpersönlicher Ausdruck denkbar. Der Teilvers müsste dann aber so verstanden werden, dass Abraham aufgrund seines Glaubens in der Schrift als »Freund Gottes« festgehalten wurde. Durch den Charakter der Schrift als Dokument des göttlichen Willens wird der Unterschied zum Passivum divinum jedoch nahezu nivelliert. 221 Frankemölle: Jakobus II, 458. <?page no="190"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 176 nung des Schriftwortes als „supernatural oracle of a god“ 222 kommt der Intention des Verfassers schon recht nahe. 223 Dabei muss aber nicht notwendig die endgerichtliche Rechtfertigung im Blick sein. Nähere Überlegungen zum Ort von Gerechtigkeit und Rechtfertigung im Jakobusbrief können allerdings auf der Textgrundlage von Jak 2,14-26 allein nicht angestellt werden. Dazu bedarf es der Beobachtung des entsprechenden semantischen Feldes im Kontext des gesamten Briefes. 224 Auf dem Hintergrund des hier analysierten Argumentationsgangs des Verfassers bleibt lediglich festzuhalten, dass die Feststellung der Gerechtigkeit Abrahams und seine Bezeichnung als »Freund Gottes« aufgrund von Abrahams Glaubensleben erfolgte, in dem fraglos entsprechende Taten zu finden sind. Über diese Gerechtigkeit aber verbindet der Verfasser Abrahams (tatkräftigen) Glauben mit dessen Rettung im Gericht. Damit aber hat das Abrahambeispiel für den Verfasser seine Schuldigkeit getan. Das genaue Zustandekommen der Rettung Abrahams im Gericht und die konkrete Rolle der Gerechtigkeit dabei werden nicht näher thematisiert und sind im Blick auf das Argumentationsziel des Verfassers auch ohne Belang. 225 Der innerhalb des Sonderdialogs angekündigte argumentative Nachweis des soteriologischen Nutzen eines tatkräftigen Glaubens im Gericht ist am Beispiel Abrahams gelungen. Mit Jak 2,24 verlässt der Verfasser den Sonderdialog und wendet sich mit dem Plural o`ra/ te seinen Adressaten wieder direkt zu. Auf den im Vergleich zum Sonderdialog deutlich versöhnlicheren Tonfall in Jak 2,24 ist oben bereits hingewiesen worden. Nachdem sich die harten Worte des Verfassers innerhalb des Sonderdialogs an den uneinsichtigen Einwänder gerichtet haben und die Adressaten so die Möglichkeit bekamen, sich von diesem zu distanzieren und der Argumentation des Verfassers zuzustimmen, kann aus dem dort Verhandelten nun ein Resümee gezogen werden. 226 Das Verb ist 222 Watson: James, 115. 223 „This is not a prophecy-fulfillment scheme, but the use of Gen 15.6 for confirmation“ (Watson: James, 115). W ATSONS rhetorischer Ansatz, in dem das Schriftwort die Funktion der „iudicatio“ (Watson: James, 115) erfüllt, ist insgesamt für die Perikope aber nicht gut nachvollziehbar. 224 Siehe dazu Abschn. 3.1.3. 225 So auch F RANKEMÖLLE (vgl. ders.: Jakobus II, 456). 226 Der Resümee-Charakter wird auch von der Textkritik gestützt. Der Mehrheitstext sowie Pelagius ergänzen toi,nun hinter o`ra/ te . Wenn auch aufgrund der schwachen äußeren Bezeugung diese Variante nicht als ursprünglichere Lesart in Betracht kommt, zeigt sich doch, dass der folgernde Charakter von den Kopisten wahrgenommen und verstärkt wurde. <?page no="191"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 177 hier indikativisch aufzufassen. 227 Der Verfasser braucht die Adressaten nicht mehr auf sein Argumentationsziel zu stoßen, es ist vielmehr für jeden offensichtlich. Für die Textpragmatik sind diese Beobachtungen von entscheidender Bedeutung. Es kann eben nicht Jak 2,24 als hermeneutischer Schlüssel zum Verständnis des Abrahambeispiels angesehen werden, was besonders im Blick auf die Annahme einer antipaulinischen Frontstellung fast durchgängig der Fall ist. 228 Der Verfasser „verneint jedenfalls nicht einen paulinischen Satz, den man z.B. gewinnen könnte, indem man evx e; rgwn und evk pi,stewj mo,non vertauscht“ 229 . Es ist gerade umgekehrt aus der Argumentation in Jak 2,18-23 die Bedeutung von Jak 2,24 zu erheben. So nehmen die beiden Teile des o[ti& Satzes die Alternativen aus Jak 2,18b auf: 230 Jak 2,24 Jak 2,18b evx e; rgw/ n dikaiou/ tai a; nqrwpoj evk tw/ n e; rgwn mou ))) th.n pi,stin ouvk evk pi,stewj mo,non th,n pi,stin sou cwri.j tw/ n e,rgwn So wie in Jak 2,21 zielt das evx e; rgwn dikaiou/ tai auf den Zusammenhang von Glauben, Taten und Gerechtigkeit, wie der Verfasser ihn am Beispiel Abrahams aufzeigen konnte. Die Verallgemeinerung auf a; nqrwpoj schlägt zugleich die Brücke zwischen der Ankündigung des Verfassers im Blick auf seinen eigenen Glauben und die Ausführung mit dem Beispiel Abrahams: Wenn der bei Abraham beobachtete soteriologische Nutzen seines tatkräftigen Glaubens (vgl. Jak 2,21-23) auch allgemein für den Menschen gilt, insofern er einen solchen Glauben hat, dann ist der Nachweis für den Verfasser (vgl. Jak 2,18b b ) selbstverständlich auch erbracht. Schließlich hat er ja im Gegensatz zum Einwänder im Zusammenhang mit seinem Glauben auch Taten vorzuweisen (vgl. Jak 2,18a). Umgekehrt musste der Nachweis des soteriolgischen Nutzens eines Glaubens ohne Taten (vgl. Jak 2,18b a .19) beim Einwänder notwendig fehlschlagen, weil kein Mensch aufgrund eines Glaubens gerechtfertigt und so 227 Mit B URCHARD (vgl. ders.: Jakobusbrief, 130), gegen F RANKEMÖLLE (vgl. ders.: Jakobus II, 460). 228 Besonders deutlich bei H AHN : „Zum Verständnis des Textes Jak 2,14-26 geht man dabei am besten von der These V. 24 aus“ (ders.: Genesis, 92). 229 Burchard: Jakobusbrief, 131. Zu einzelnen Positionen vgl. Abschn. 1. 230 Die meisten Ausleger sehen dagegen eine Verbindung zu Jak 2,17 und setzten kaqV e`auth,n mit mo,non gleich (vgl. z.B. Heidland: Anrechnung, 109). Inhaltlich ist gegen diese Gleichsetzung nichts einzuwenden, problematisch ist nur, dass dadurch die Funktion des Verses als Resümee aus dem Sonderdialog meist nicht erkannt wird. Als Parallele zu Jak 2,17 ist im zweiten Teil der Perikope zudem naheliegender Jak 2,26 anzusehen. <?page no="192"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 178 im Gericht gerettet wird, dessen Glaube ohne Taten ist. Damit ist der Verfasser aber wieder bei seiner Ausgangsfrage aus Jak 2,14b angelangt. Die klare Antwort auf diese rhetorische Frage ist nun durch theologische Argumentation untermauert worden. Dennoch lässt der Verfasser in Jak 2,25 ein weiteres Beispiel folgen. Formal ist es dem Beispiel Abrahams in Jak 2,21 parallel gestaltet. Die dort angestellten Überlegungen zur logischen Zuordnung der Partizipialsätze zum Hauptsatz gelten hier in gleicher Weise. Die Hure Raab wurde demnach aufgrund ihrer Taten gerechtfertigt, wobei das Verstecken der Kundschafter und die Fluchthilfe als Beispiele für diese Taten genannt werden. 231 Die Konkretisation der Rezeption der biblischen Erzählung aus dem Buch Josua ist über das semantische Feld kaum zu greifen. Außer o`do,j ist dort keines der Wortfeldelemente zu finden. 232 Einige Ausleger nehmen daher an, dass der Verfasser die Verbindung von Abraham und Raab in einer Beispielreihe (vgl. Hebr 11 233 , 1Clem 9-12 234 ) literarisch vorgefunden hat. Bei der Rezeption der Raaberzählung ist eine literarische Abhängigkeit kaum sicher nachzuweisen. 235 Es könnte sich ebenso gut um eine eigene freie Zusammenfassung von Jos 2,4-6.15f des Verfassers handeln. Dann wäre allerdings zu fragen, warum er als zweites Beispiel ausgerechnet Raab ausgewählt hat. Die Vorschläge reichen von einer geschlechterparitätischen Intention, über eine Antithese zum Beispiel in Jak 2,15f, bis hin zur Barmherzigkeitstat als verbindendem Element zwischen Abraham und Raab. 236 Wie schon bei den traditionsgeschichtlichen Einordnungsversuchen beim Beispiel Abrahams lässt sich auch hier keine textlich begründete Entscheidung treffen. Für die Analyse der Perikope ist das aber auch nicht unmittelbar von Relevanz. Entscheidend ist die Frage nach der Funktion des Beispiels im Argumentationsduktus. 231 Wie bei Abraham ist der Glaube Raabs (vgl. Jos 2,8-11) hier vorausgesetzt. 232 Vgl. Burchard: Jakobusbrief, 131. 233 Vgl. Kap. VII. 234 Vgl. Kap. VIII. 235 Auffällig ist beispielsweise, dass der Verfasser die Kundschafter als avgge,loi bezeichnet, während sie in Hebr 11,31 und 1Clem 12,2 als katasko,poi bezeichnet werden. Die abweichende Lesart (C, K mg , L, 945, 1241, 1739, 2298, 2464 al, ff, sy P.(hmg) , bo), die diese Bezeichnung übernimmt, könnte - da sie an Qualität und Quantität der Textzeugen unterlegen ist - als Angleichung zu verstehen sein. In Jos 2,1-3 LXX findet der Wortstamm nur in Form des Verbs kataskopeu,ein Verwendung. 236 Vgl. Frankemölle: Jakobus II, 474. <?page no="193"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 179 Wegen der starken formalen und inhaltlichen Parallelität zu Jak 2,21 fällt der Anschluss mit o`moi,wj de. kai, 237 besonders auf. Da sich im Gegensatz zum Abrahambeispiel keine näheren Erläuterungen anschließen, ist o`moi,wj wohl auf die dort gegebenen Erläuterungen zu beziehen. Außerdem ist das Beispiel der Raab natürlich auch unter das verallgemeinerte Resümee in Jak 2,24 zu rechnen. In jedem Fall handelt es sich um ein nachgeschobenes Beispiel, das in der Argumentation keine eigene Beweislast trägt: 238 „Was Jakobus am Beispiel Abrahams entwickelt hat, gilt für ihn ohne weitere Diskussion auch für Rahab“ 239 . Welche Absicht hinter der Anfügung des zweiten Beispiels steht, ist aus den oben genannten Gründen nicht sicher zu ermitteln. Im Blick auf Jak 2,24 ist aber denkbar, dass der Verfasser bewusst eine gegensätzliche Figur aus der Schrift gewählt hat, um die Verallgemeinerung seiner These damit zu unterstreichen. 240 In Jak 2,26 bringt der Verfasser seine Argumentation mit einem noch allgemeineren Vergleich ( w[sper & ou[twj kai, ) zum Abschluss. Das einleitende ga,r zielt dabei mehr auf den Vergleich ( w[sper ga,r ) als auf den syntaktischen Bezug zum Vorangegangenen. 241 Insbesondere kann Jak 2,26 wohl kaum als Begründung zum Raabbeispiel verstanden werden. 242 Entscheidend ist die Parallelität zu der erstmals in Jak 2,17 formulierten These des Verfassers, mit der er den ersten Teil der Argumentation abgeschlossen hat. Durch Wiederaufnahme des tertium comparationis nekro,j bekommt der Vergleich eine zusammenfassende Funktion. Er entspricht in dieser Stellung zudem „der Forderung der Rhetorik nach besonderer Eindrücklichkeit der Schlussmahnung.“ 243 Dementsprechend stehen auch hier wieder textpragmatische Aspekte im Vordergrund, und der Vergleich mit dem »Leib ohne Geist« darf inhaltlich nicht zu sehr strapaziert werden. Versuche, aus dem 237 In 623 al, ff, vg cl.ww fehlt das de, , während C ou; twj anstelle von ovmoi,oj de, hat. Der inhaltliche Unterschied fällt jedoch nicht ins Gewicht. 238 Ganz anders sieht das P OPKES , der das Beispiel Abrahams für die Intention des Verfassers als missverständlich und schief empfindet und das Beispiel Raabs als notwendige Selbstkorrektur versteht (vgl. ders.: Jakobus, 186). 239 Walker: Werken, 186. 240 Vgl. Klein: Werk, 73; Konradt: Existenz, 247. 241 Vgl. Popkes: Jakobus, 210. 242 Gegen W ALKER (vgl. ders.: Werken, 187). Gegenargumente liefert schon der textkritische Befund. Während B, 1243 pc, sy P , hier ga,r weglassen, wird es in ff und bei Or durch de, ersetzt. Diese Zeugen haben in diesem Vers also offenbar keine Begründung zu Jak 2,25 gesehen bzw. wollten Jak 2,26 sogar davon absetzen (adversatives de, ). 243 Berger: Exegese, 22. <?page no="194"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 180 Vergleich als „verkappte Allegorie“ 244 ( sw/ ma = pi,stij und pneu,ma = e; rga ) das Verhältnis von pi,stij und e; rga herleiten zu wollen 245 , werden der Funktion des Vergleichs als Abschluss der Argumentation nicht gerecht und entsprechen nicht dem Kontext der Perikope. Der Verfasser wählt mit sw/ ma / pneu,ma ein im griechisch-römischen Sprachraum für Vergleiche sehr geläufiges Begriffspaar 246 , um die soteriologische Nutzlosigkeit eines Glaubens ohne Taten, die nachzuweisen er sich in Jak 2,14ff intensiv bemüht hat, noch einmal unmissverständlich herauszustreichen: „Springender Punkt für Jakobus ist das in 26a und b genannte Totsein von Einzelelementen aus an sich lebendigen Synthesen.“ 247 Im Blick auf das kunstvolle sprachliche Spiel mit den Stämmen der Leitworte pi,stij und e; rga , das er dabei an den Tag gelegt hat, wäre es denkbar, dass seine Adressaten auch in Jak 2,26 ein Wortspiel mit dem Begriff sw/ ma gehört haben, der ursprünglich nur den »Leichnam« bezeichnete: 248 »So wie ein Leichnam, d.h. ein Körper ohne Seele tot ist, so tot und untätig ist der Glaube ohne Taten.« Als Ergebnis der Analyse kann Jak 2,14-26 wie folgt übersetzt werden: 2,14 Was nützt es, meine Brüder, wenn jemand behauptete, Glauben zu haben, hätte aber keine Taten? Kann denn solcher Glaube ihn retten? 2,15 Wenn ein Bruder oder eine Schwester nackt sind und sie leiden Mangel an der täglichen Nahrung, 2,16 es sagt ihnen aber jemand von euch: »Gehet hin in Frieden, möget ihr gewärmt und gesättigt werden«, aber ihr gebt ihnen nicht das Notwendige für den Körper, was nützt es (dann)? 2,17 So ist auch der Glaube für sich (genommen) tot, wenn er nicht Taten hat. 2,18 Indessen wird jemand erklären: Du hast (doch auch) Glauben. Und ich (werde sagen): Ich habe (aber auch) Taten. 244 Popkes: Jakobus, 210. 245 So zuletzt T HEIßEN : „Eigentlich wäre zu erwarten, dass der Glaube als eine innere Realität dem Geist entspricht, der sich in der äußeren Realität in Werken zeigt, die durch den Leib gewirkt werden“ (ders.: Intention, 73). 246 Zahlreiche Beispiele finden sich bei B URCHARD (vgl. ders.: Jakobusbrief, 132f). 247 Frankemölle: Jakobus II, 477. 248 Vgl. Popkes: Jakobus, 211. <?page no="195"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 181 Lege mir deinen Glauben ohne die Taten dar, ich dagegen werde dir anhand meiner Taten den Glauben darlegen. 2,19 Du glaubst, dass Gott ein einziger ist; du tust gut daran: Auch die Dämonen glauben (es) und schaudern. 2,20 Willst du aber erkennen, törichter Mensch, dass solcher Glaube ohne Taten nutzlos ist? 2,21 Wurde nicht Abraham, unser Vater, aufgrund von Taten gerechtfertigt, wo er doch Isaak, seinen Sohn, auf den Opferaltar gelegt hatte? 2,22 Du siehst, dass solcher Glaube (stets) mit seinen Taten zusammen tätig war und (dass) aufgrund der Taten solcher Glaube ans Ziel geführt wurde, 2,23 und die Schrift erfüllt wurde, die sagt: Abraham aber glaubte Gott und es wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet und er wurde »Freund Gottes« genannt. 2,24 Ihr seht (also), dass ein Mensch aufgrund von Taten gerechtfertigt wird und nicht aufgrund von Glauben allein. 2,25 Wurde nicht ebenso auch Raab, die Hure, aufgrund von Taten gerechtfertigt, wo sie doch die Kundschafter aufnahm und auf einem anderen Weg hinausführte? 2,26 Wie doch der Leib ohne Geist tot ist, so ist auch der Glaube ohne Taten tot. <?page no="196"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 182 2.3 Auswertung der Analyse im Blick auf die Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 im Jakobusbrief Die Analyse bestätigt den allgemeinen Konsens über das Vorliegen einer Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 in Jak 2,14-26. Das semantische Feld kann in Jak 2,23 mit einer großen Nähe zu Gen 15,6 LXX eindeutig nachgewiesen werden. Es ist zudem vom Verfasser als Schriftwort gekennzeichnet, wobei er kai. fi,loj qeou/ evklh,qh (Jak 2,23c) als zum Schriftwort gehörend markiert. Die Analyse hat zudem gezeigt, wie die Konkretistation der Rezeption von Gen 15,6 vom Verfasser in den Argumentationsduktus von Jak 2,14-26 eingefügt wurde und welche Funktion ihr darin zukommt. So dient dem Verfasser das Beispiel Abrahams als theologisches (d.h. schriftgemäßes) Argument dafür, dass der Glaube im Gericht rettet, wenn er auch entsprechende Taten mit sich vereint. Das Beispiel Abrahams flechtet er geschickt in sein sprachlich kunstvolles Spiel mit den Leitworten der Perikope pi,stij und e; rga ein, indem er die Erzählung von der Darbringung Isaaks als ein markantes Beispiel der e; rga Abrahams einführt (Jak 2,21) und mit dem Zitat von Gen 15,6 den Wortstamm pist& einbringt (Jak 2,23). Verbunden werden die Leitworte durch den Wortstamm dikai& , der den soteriologischen Nutzen des tatkräftigen Glaubens belegt; denn Abrahams Gerechtigkeit ist die unverzichtbare Voraussetzung für seine Rettung im Gericht. Es ist im Folgenden zu untersuchen, welche Rolle die entsprechenden Erweiterungen im Mitteilungsgeschehen des Jakobusbriefes spielen und wie sich das Thema der Perikope und der analysierte Argumentationsduktus zum Mitteilungsgeschehen des gesamten Briefes verhalten. 3. Das semantische Feld der Rezeption von Gen 15,6 im Jakobusbrief Die Analyse von Jak 2,14-26 hat begründet, dass diese Perikope als Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 im Jakobusbrief gelten kann. Die dabei erarbeiteten Erweiterungen des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6 sind in diesem Abschnitt vor dem Hintergrund des Ganzen des Jakobusbriefes als ihrem literarischen Kontext eingehender zu betrachten (Abschn. 3.1). Um die Funktion der Konkretisation im Mitteilungsgeschehen des Jakobusbriefs bestimmen zu können, muss das semantische Feld der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 anschließend nun auch mit den <?page no="197"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 183 semantischen Feldern anderer Konkretisationen aus der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 verglichen werden (Abschn. 3.2). Der Grad an Innovation bzw. Tradition, der dabei zutage tritt, profiliert die Bestimmung der Funktion der Konkretisation der Rezeption im Mitteilungsgeschehen des Jakobusbriefs und dient damit der Aufdeckung der sozialhistorischen Bedingungen des Rezeptionsprozesses (Abschn. 3.3). 3.1 Das erweiterte semantische Feld im Jakobusbrief Zur Ermittlung des erweiterten semantischen Feldes der Rezeption von Gen 15,6 im Jakobusbrief sind in der folgenden Tabelle die Grundelemente und die Erweiterungen zusammengestellt, wie sie in der Analyse von Jak 2,14-26 erarbeiteten wurden. Die mit Hilfe der Konkordanz ermittelten Texte geben die signifikantesten Stellen wieder, an denen die Elemente des erweiterten semantischen Feldes der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 im Jakobusbrief vorkommen: 249 Elemente Oppositionen (semantisch / thematisch) 1,1-18 1,19-27 2,1-13 2,14-26 3,1-12 3,13-18 4,1-5,6 5,7-20 Abraham x Bewährung des Glaubens + Gott bitten / beten im Glauben + + Glaube an Jesus Christus + reich im Glauben + Glaube mit Taten + Glaube, glauben (Wortgruppe pist&) Glaube ohne Taten − rechtfertigen bzw. zur Gerechtigkeit anrechnen + Frucht der Gerechtigkeit + Gerechtigkeit Gottes nicht tun − nicht rechtfertigen − Grundwortfeld Gerechtigkeit, rechtfertigen (Wortgruppen dikai& u. logid&) Welt der Ungerechtigkeit − Abraham wurde Freund Gottes genannt + Erw. Freund, Freundschaft (Wortgruppe fil&) Freund der Welt zu sein bedeutet Feindschaft mit Gott − 249 Siehe die einschlägige Tabelle im Anhang. Vgl. auch die umfangreiche Matrix, in der F RANKEMÖLLE das semantische Netz des Jakobusbriefes zusammengestellt hat (vgl. ders.: Netz, Anhang). <?page no="198"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 184 Elemente Oppositionen (semantisch / thematisch) 1,1-18 1,19-27 2,1-13 2,14-26 3,1-12 3,13-18 4,1-5,6 5,7-20 Geduld habe vollkommene Tat + Täter des Wortes + Täter wird selig sein in seiner Tat + handeln angesichts des Gerichts + gut daran (Gesetz halten bzw. glauben) tun + + Taten haben + Glaube war mit den Taten zusammen tätig + Taten darlegen anhand des guten Wandels + Früchte der guten [Taten] (textkritische Variante) + nach Gottes Willen handeln + Hörer des Wortes allein (d.h. nicht Täter) − nicht Barmherzigkeit tun − keine Taten haben − Glaube ohne Taten ist taten los − nicht Täter des Gesetzes − nach eigenem Willen handeln − nicht Gutes tun − Tat, tun, Täter (Wortgruppen evrg& und poie&) Sünden tun − Wort kann Seele retten + Gott kann retten + Gebet des Glaubens rettet Kranken + Bekehrung des Sünders rettet Seele vom Tod + vollkommene Sünde gebiert den Tod − Glaube ohne Taten kann den Einwänder nicht retten − retten (Wortgruppe swd&) Tod, tot (Wortgruppen nekr& u. qan&) Glaube ohne Taten ist tot (wie der Leib ohne Seele) − vollkommenes Werk der Geduld + damit ihr vollkommen seid + vollkommene Gabe von Gott + vollkommenes Gesetz der Freiheit + vollkommen, vollenden, erfüllen, ganz (Wortgruppen tele(i)& u. plh&) das königliche Gesetz erfüllen nach der Schrift + <?page no="199"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 185 Elemente Oppositionen (semantisch / thematisch) 1,1-18 1,19-27 2,1-13 2,14-26 3,1-12 3,13-18 4,1-5,6 5,7-20 Glaube aus Taten ans Ziel geführt + Schrift erfüllt + vollkommener Mann + Gott hat Hiob zum Ziel geführt + [ein zwiespältiger Mann ist unbeständig] − vollkommene Sünde − [Unbeständigkeit durch Neid und Streit] − [Anrede an Adressaten: ihr Zwiespältigen] − Isaak x Raab x Opfer(-altar) (Wortgruppe qus& ) x 3.1.1 Die semantisch/ thematisch-oppositionelle Struktur des semantischen Feldes Wie die tabellarische Übersicht über das erweiterte semantische Feld der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 im Jakobusbrief andeutet, lassen sich im Blick auf die (semantisch/ thematischen) Gruppen der entsprechenden Elemente jeweils Oppositionen erkennen, die für die Mitteilungsintention des Verfassers von besonderer Bedeutung sind. Sie strukturieren die einzelnen Abschnitte des Briefkorpus und bestimmen den größten Teil seiner argumentativen Strategie. 250 Besonders wichtig ist die „rhetorische Figur der Antithese, mit deren Hilfe die sprachliche Aufgliederung eines (in der Regel verschwiegenen) Oberbegriffs (Themas) in seine gegensätzlichen Komponenten durchgeführt wird“ 251 . 250 F RANKEMÖLLE macht diese Beobachtung zum Schlüssel seiner Auslegung: „Die semantische Analyse (…) mit der Frage nach den inhaltlichen Beziehungen einzelner Begriffe zueinander, von Wendungen und Wortfeldern erwies sich als erfolgreichster Zugang zum Jakobusbrief. Spezifisch für Jakobus ist, daß er dabei ganz stark mit Oppositionen und Antithesen arbeitet und diese in funktionelle Beziehungen zueinander setzt, so daß sie einander bedingen“ (ders.: Jakobus I, 72). 251 Frankemölle: Jakobus I, 73. <?page no="200"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 186 Die Analyse konnte dieses Verfahren für Jak 2,14-26 im kunstvollen sprachlichen Spiel des Verfassers mit den Wortstämmen der Leitworte pi,stij und e; rga eindeutig nachweisen, wobei nochmals zu betonen ist, dass es dem Verfasser in diesem Abschnitt nicht um die Opposition »Glaube« / »Taten« geht, sondern um die Opposition »taten-loser Glaube« / »tatkräftiger Glaube«. Für den in der Auslegung stark strapazierten Vers Jak 2,24 kann nun im Blick auf die oppositionelle Struktur auf die parallele Konstruktion in Jak 1,22 verwiesen werden: 1,22 gi,nesqe de. poihtai. lo,gou kai. mh. mo,non avkroatai, (…). 2,24 o`ra/ te o[ti evx e; rgwn dikaiou/ tai a; nqrwpoj kai. ouvk evk pi,stewj mo,non) Im Vergleich wird zum einen deutlich, dass es dem Verfasser nicht um eine Rechtfertigung aus Taten unter Ausschluss des Glaubens gehen kann. Ebenso wie das Tun des Wortes das Hören desselben selbstverständlich einschließt, sind auch die Taten hier nicht ohne den Glauben gedacht. Zudem wird deutlich, dass sich die Aussage von Jak 2,24 problemlos aus der Argumentationsstrategie des Verfassers erklären lässt, und dass eine antipaulinische Frontstellung weder notwendig noch sinnvoll anzunehmen ist. Die semantisch/ thematisch-oppositionelle Struktur lässt sich im gesamten Briefkorpus beobachten: „Jakobus erweist sich als Meister in der Anwendung dieser rhetorischen Figur, wodurch die formale und thematische Einheit des ganzen Briefes, aber auch die Konstanz seines Aktionsziels garantiert ist.“ 252 Für die eigene Untersuchung sind im Folgenden die Elemente des erweiterten semantischen Feldes der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 näher in den Blick zu nehmen, um über den formalen Aspekt hinaus den Ort der Perikope im Mitteilungsgeschehen zu bestimmen. 3.1.2 »Glaube« als Grundorientierung des Menschen an Gott. Das Vorkommen des Wortstammes pist& ist mit 19 Belegen im Jakobusbrief relativ häufig. Allerdings entfallen davon allein 14 Belege auf die Perikope Jak 2,14-26. In der Analyse ist bereits festgehalten worden, dass der Verfasser nur in Jak 2,19.23 das Verb pisteu,ein verwendet, 253 während er sonst durchgängig das Substantiv gebraucht. Eine inhaltliche bzw. funktionale Näherbestimmung dessen, was er unter dem Wortstamm pist& versteht, findet sich über Jak 2,19 hinaus nur an zwei Stellen. In Jak 1,6f wird zur Abhilfe bei einem Mangel an Weisheit dazu auf- 252 Frankemölle: Jakobus I, 73; vgl. auch Frankemölle: Netz, 184-187. 253 Vgl. Abschn. 2.2. <?page no="201"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 187 gerufen, Gott darum zu bitten (vgl. Jak 2,5). Dieses Bitten soll aber evn pi,stei geschehen, was dann durch die Opposition mhde.n diakrono,menoj ausgeführt und in Jak 2,7 näher erläutert wird: mh. ga.r oive,sqw o` a; nqrwpoj evkei/ noj o[ti lh,myetai, ti para. tou/ kuri,ou . Der Glaube erscheint hier als das Vertrauen darauf, von Gott alles Lebensnotwendige zu erhalten. Wenn auch die Aussage im Kontext dieser Mahnung nur speziell die Bitte um Weisheit betrifft, so kann dieses Verständnis aber auch allgemein vorausgesetzt werden, wie Jak 1,17 nahe legt: pa/ sa do,sij avgaqh. kai. pa/ n dw,rhma te,leion a; nwqe,n evstin katabai/ non avpo. tou/ patro.j tw/ n fw,twn . In den selben Zusammenhang gehört auch h` euvch. th/ j pi,stewj in Jak 5,15. Der Glaube umfasst damit nicht nur die Eröffnung eines Lebens nach Gottes Willen, sondern auch die Ermöglichung von Umkehr und Vergebung der Sünden, wobei jeweils eindeutig Gott als der Handelnde benannt wird. Auch die inhaltliche Bestimmung des Glaubens in Jak 2,1 als h` pi,stij tou/ kuri,ou h`mw/ n VIhsou/ Cristou/ th/ j do,xhj steht dieser Deutung nicht entgegen. „Im Kontext des theozentrischen und christologischen Bekenntnisses zum Gottsein Gottes und zum Herrsein Jesu Christi in 1,1“ 254 meint der Verfasser in Jak 2,1 den erhöhten und auferweckten Jesus, an dem sich Gottes heilbringendes Handeln offenbart. Entscheidend ist aber, dass es dem Verfasser weder hier noch sonst um eine differenzierte Klärung des Glaubensbegriffes geht. Was von vielen Auslegern als Defizit empfunden wird, setzt der Verfasser wohl bei seinen Adressaten voraus. Was er demgegenüber aber zum Thema macht, ist in Jak 2,1 deutlich benannt, wenn der Verfasser „den Glauben an unseren Herrn, Jesus Christus, der Herrlichkeit korreliert mit einer bestimmten Glaubenspraxis, die negativ als »Ansehen der Personen« aufgrund ihres Standes umschrieben wird, wobei sowohl das Verhalten der Reichen zu den Armen wie das der Armen zu den Reichen kritisiert wird“ 255 (vgl. Jak 2,1-13). Für Jak 2,14- 26 ist in der Analyse eine ähnliche Intention aufgezeigt worden, wobei dort die Frage nach der Korrelation von Glauben und dem entsprechenden Handeln noch allgemeiner in den Blick genommen wird: „Der Glaube zielt nicht nur auf Werke oder gelangt erst dort zu seiner vollkommenen Form, wo er in Werken konkretisiert wird (dies alles wäre für Jakobus noch zu wenig), für Jakobus ist Glaube eine Grundhaltung des Menschen, die sein Bekenntnis, seine Praxis und damit seine Grundorientierung auf Gott hin umfasst.“ 256 254 Frankemölle: Jakobus I, 223. 255 Frankemölle: Jakobus I, 225. 256 Frankemölle: Gesetz, 211. <?page no="202"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 188 3.1.3 »Gerechtigkeit« und »Rettung« im Kontext des eschatologischen Gerichts Die Analyse hat aufgezeigt, dass das Stichwort »retten« in Jak 2,14 den Fragehorizont markiert, um den es dem Verfasser in seiner Diskussion des Glaubens mit bzw. ohne Taten in Jak 2,14-26 geht. Als Hinweis aus dem näheren Kontext war auf den Schluss des vorausgegangenen Abschnitts Jak 2,1-13 hingewiesen worden. Anhand der Wortfeldanalyse der erweiternden Elemente »retten« und »tot« können die Ergebnisse der Analyse breiter belegt werden. Es zeigt sich nämlich, dass der Verfasser mit dem Verb sw|,zw „einheitlich von der Rettung im Endgericht“ 257 handelt. Besonders deutlich wird das in Jak 4,12: ei-j evstin Îo`Ð nomoqe,thj kai. krith.j o` duna,menoj sw/ sai kai. avpole,sai . Gottes Handeln im Gericht kann zur Rettung aber auch zur Verdammung des Menschen bzw. seiner Seele führen und entscheidet somit über Leben und Tod (vgl. Jak 1,12.15; 5,20). 258 Die Rede vom Gericht erscheint vielfach im direkten Zusammenhang mit der Mahnung zur rechten christlichen Existenz: ou[twj lalei/ te kai. ou[twj poiei/ te w`j dia. no,mou evleuqeri,aj me,llontej kri,nesqai) (Jak 2,12). pro. pa,ntwn de,( avdelfoi, mou( mh. ovmnu,ete mh,te to.n ouvrano.n mh,te th.n gh/ n mh,te a; llon tina. o[rkon\ h; tw de. u`mw/ n to. nai. nai. kai. to. ou' ou; ( i[na mh. u`po. kri,sin pe,shte) (Jak 5,12). Der Verfasser schärft damit nachdrücklich ein, dass es sich bei den von ihm angeprangerten Missverhältnissen nicht um Nebensächlichkeiten handelt, sondern um soteriologisch relevante Fragen. Wie beim Glaubensbegriff (s.o.) muss aber auch hier betont werden, dass der Verfasser kein Interesse daran zeigt, eine dogmatische Lehre der Soteriologie zu entwickeln. Das gilt, wie in der Analyse gezeigt, insbesondere auch für die Perikope Jak 2,14-26. Wenn der Verfasser im Zusammenhang des Abrahambeispiels den Wortstamm dikai& in die Argumentation einbringt, dann ist damit hier nicht notwendig die Auseinandersetzung mit anderen soteriologischen Konzepten angesprochen. Charakterisierungen wie »Verdienstlichkeit« und »Werkgerechtigkeit« finden im Argumentationszusammenhang keinerlei Anhalt und 257 Foerster/ Fohrer: Art. sw| ,zw , 997. Die als Ausnahme angesehene Stelle Jak 5,15 muss ebenfalls in diesen Kontext gestellt werden, denn für den Verfasser besteht diese Rettung zu einem wesentlichen Teil - wenn nicht sogar gänzlich - in der Vergebung der Sünden durch Gott. Die Rede von der Sünde ist aber ebenfalls mit dem semantischen Feld des eschatologischen Gerichts verknüpft (vgl. Jak 1,15; 2,9; 5,20). 258 Vgl. Frankemölle: Jakobus I, 228. <?page no="203"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 189 verdanken sich einer Fehleinschätzung des als traditionsgeschichtlicher Hintergrund vermuteten zeitgenössischen Judentums 259 und der Annahme, dieses sei die Front der paulinischen Rechtfertigungslehre. 260 Ebenso wenig ermöglicht die dogmatische Leitabstraktion einer Alternative von »erworbener« bzw. »zugesprochener« Gerechtigkeit eine sachgerechte Erschließung von Bedeutung und Funktion des Wortstammes dikai& im Jakobusbrief. 261 Die Analyse hat vielmehr gezeigt, dass der Wortstamm dikai& in Jak 2,14- 26 im Kontext des Abrahambeispiels die Funktion erfüllt, mit Hilfe des Schriftwortes Gen 15,6 die Verbindung seines tatkräftigen Glaubens mit seiner endgerichtlichen Rettung nachvollziehbar zu machen. Im Blick auf den gesamten Brief kann die Wortfeldanalyse den Zusammenhang von eschatologischer Rettung und dem Wortstamm dikai& noch weiter belegen, wobei die oppositionelle Struktur (s.o.) zu beachten ist: „Denn wie das sw|,zein in 2,14 in V.21ff durch dikaiou/ sqai weitergeführt wird und dessen thematischen Kontext vorgibt, so steht dem sw|,zein in 1,21 antithetisch in V.20 (…) dikaiosu,nhn qeou/ ouvk evrga,zetai voran.“ 262 Zusätzlich lässt sich aus dem Gebrauch des Wortstammes in Jak 1,20 auch noch eine inhaltliche Charakterisierung gewinnen. Im Kontext ist dikaiosu,nhn qeou/ nämlich sicher als Genitivus objektivus aufzufassen und meint das, was vor Gott gerecht ist. Der Verfasser versteht Gerechtigkeit von daher wohl im Sinne von Gemeinschaftstreue, die Gott dem Menschen als Lebensverhältnis eröffnet (vgl. Jak 1,18). Dass die Gerechtigkeit in diesem Sinn mit dem oben dargestellten Glaubensverständnis eng zusammengehört, versteht sich dann fast von selbst. Der beinahe synonyme Gebrauch der beiden Wortstämme in Jak 5,15f ( euvch. th/ j pi,stewj / de,hsij dikai,ou ) ist in dieser Richtung zu verstehen. Wie der Verfasser bei der Behandlung des Glaubens speziell die entsprechende Praxis im Blick hat, so hat er auch bei der Gerechtigkeit das der Gemeinschaftstreue entsprechende Handeln im 259 So bemerkt K ONRADT treffen: „Zu prüfen wäre einmal, ob der in manchen Arbeiten zu beobachtende Zusammenhang zwischen der Hervorhebung der christologischen Leerstellen des Briefes, allen voran des Fehlen des Kreuzes, und einer imperativischen Sicht der jak Soteriologie letztlich in einer inadäquaten Sicht des - die theologische Konzeption des Jak wesentlich prägenden - Judentums als einer Religion reiner »Werkgerechtigkeit« bzw. eines »Verdienst- und Lohngedankens« gründet. Anders gesagt: Eine die klassische, v.a. protestantische Abwertung des Briefes überwindende theologische Würdigung des Jak dürfte als integraler Bestandteil einer veränderten Sicht frühjüdischer Sicht zu werten sein“ (ders.: Theologie, 78). 260 Vgl. Abschn. 1. 261 Vgl. Konradt: Existenz, 240. 262 Konradt: Existenz, 238. <?page no="204"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 190 Blick. So werden mit Hilfe des Wortstammes dikai& Handlungsweisen negativ als o` ko,smoj th/ j avdiki,aj (Jak 3,6) und positiv als karpo.j dikaiosu,nhj (Jak 3,18) qualifiziert. Im Blick auf die Wendung logi,zesqai eivj dikaiosu,nhn und das in Jak 2,14-26 synonym gebrauchte Verb dikaiou/ sqai ist am ehesten ein göttliche Bestätigung der menschlichen Gemeinschaftstreue im Gottesverhältnis gemeint. „Ihr eignet »konfirmativer« Charakter“ 263 . Wo genau diese Bestätigung für den Verfasser ihren Ort hat, ist aus dem Brief jedoch kaum zu ermitteln. Es ist neben Abraham noch zweimal von Gerechten die Rede (vgl. Jak 5,6.17), wobei nicht zu ermitteln ist, ob die Gerechtigkeit den entsprechenden Menschen (in Jak 5,18 dient Elia als Beispiel) zu ihrer Lebzeit bereits bestätigt wurde, oder diese Bestätigung eschatologisch vorgestellt wird. Ein Bezug zum Endgericht in dem Sinne, dass die Gerechtigkeit des Menschen die Voraussetzung für seine Rettung ist, besteht aber in jedem Fall. Die Beobachtungen des semantischen Feldes »Gerechtigkeit« und »Retten« im Jakobusbrief zeigen, dass die entsprechenden Motive jeweils der paränetischen Absicht des Verfassers dienen. Er stellt seine individual- und sozialethischen Forderungen für eine christliche Existenz in einen eschatologischen Rahmen, um ihnen entsprechend Nachdruck zu verleihen. „Die Gerichts-Worte machen den Adressaten den Ernst ihrer Situation und die Radikalität der von ihnen geforderten Entscheidungen (…) deutlich.“ 264 So versucht er aufzuzeigen, dass das von ihm beim Menschen geforderte »Tun« gerade denjenigen Größen entspricht, die im eschatologischen Gericht eine entscheidende Rolle spielen werden: Das Wort (vgl. Jak 1,21), das Gesetz und die Tat (vgl. Jak 1,25). So „enthält die futurische Eschatologie verstärkt ein Element der Motivierung zum christlichen Handeln“ 265 . 3.1.4 Der Mensch als »Täter« des Wortes, des Gesetzes und der Tat Das Handeln des Menschen nimmt im Mitteilungsgeschehen des Jakobusbriefs breiten Raum ein. Der Wortstamm evrg& vereint mit 22 Belegen neben dem Wortstamm pist& (19 Belege) die größte Häufigkeit auf sich. Für Jak 2,14-26 hat die Analyse aufgezeigt, wie der Verfasser seine Argumentation durch sprachlich kunstvolles Spiel mit den Wortstämmen pist& und evrg& gestaltet. Das Substantiv e; rgon erscheint hier - stets im Plural - als abstrakter Sammelbegriff für die vom Verfasser geforderte Glaubenspraxis. Eine 263 Konradt: Existenz, 237; vgl. Abschn. 2.2. 264 Frankemölle: Jakobus I, 275. 265 Frankemölle: Jakobus I, 272. <?page no="205"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 191 gewisse Konkretion gewinnt der Begriff hier nur in den angeführten Beispielen: „Abraham (2,21-24) und Raab (2,25) sind die lebendigen Beweise aus der jüdischen Glaubensgeschichte, daß Glaube immer die Glaubenspraxis mit einschließt.“ 266 Vor einer programmatischen Überbewertung der angeführten Beispiele (wie etwa bei W ARD 267 ) sollte man sich allerdings hüten. Wie die Übersicht über das erweiterte semantische Feld zeigt, sind die entsprechenden Elemente im Jakobusbrief sonst an keiner weiteren Stelle zu finden und spielen demnach wohl kaum eine besondere Rolle. Sie wurden vom Verfasser den rezipierten Traditionszusammenhängen zur Illustration entnommen, ohne daran weitergehende Aussageabsichten knüpfen zu wollen. Umgekehrt lassen sich die in der Rezeptionsgeschichte mit diesen Traditionszusammenhängen zum Teil verbundenen Elemente wie »Gehorsam« oder »Barmherzigkeit«, die im Jakobusbrief durchaus vorkommen, im Zusammenhang der Konkretisation überhaupt nicht nachweisen. Außerhalb der Perikope findet sich der Wortstamm evrg& noch in acht weiteren Belegen. Daneben ist der Wortstamm poi& mit 17 Belegen häufig vertreten. Wie nahe die beiden Wortstämme im Jakobusbrief zusammenliegen und wie sie mit den oben schon besprochenen Wortfeldelementen zusammenhängen, lässt sich besonders an Jak 1,25 zeigen: de. paraku,yaj eivj no,mon te,leion to.n th/ j evleuqeri,aj kai. paramei,naj( ouvk avkroath.j evpilhsmonh/ j geno,menoj avlla. poihth.j e; rgou( ou-toj maka,rioj evn th/ | poih,sei auvtou/ e; staiÅ Das geforderte Tun ergibt sich aus dem (königlichen) Gesetz der Freiheit (vgl. Jak 2,8.12). Ähnlich wie die e; rga in Jak 2,14-26 die geforderte Glaubenspraxis insgesamt charakterisierten, dürfte „das »Gesetz« nicht als Einzelforderung in diesem Text zu verstehen [sein], sondern als umfassender theologischer Begriff“ 268 . Legt schon der Vergleich von Jak 1,21f mit Jak 1,25 die Parallelität von »Wort« und »Gesetz« nahe, so kann daran in Jak 2,8 ( no,mon telei/ te basiliko.n kata. th.n grafh,n ) zumindest im Blick auf die geforderte Glaubenspraxis kein Zweifel sein. Die Tora ist dem Verfasser jene Größe, die man zitieren kann und die in ihrer verschriftlichten Form Maßstab und Norm auch des christlichen Glaubens ist. 269 In diesem Kontext ist auch das kai. evplhrw,qh h` grafh, in Jak 2,23a zu verstehen: Die Schrift verbürgt nicht nur die Autorität des angeführten Beispiels, den zu erweisenden 266 Frankemölle: Gesetz, 211. 267 Vgl. ders.: Works. Siehe dazu auch Abschn. 1. 268 Frankemölle: Gesetz, 206. 269 Vgl. Frankemölle: Gesetz, 210. <?page no="206"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 192 Zusammenhang von Glaube und Tat im Leben Abrahams und seine auf diesem Hintergrund zu erwartende Rettung im eschatologischen Gericht, sondern legitimiert zugleich die im folgenden Vers vorgenommene Verallgemeinerung (vgl. Jak 2,24). Die Probleme der richtigen und falschen Glaubenspraxis werden vom Verfasser, der „sich nicht als Lehrer (vgl. Jak 3,1) einer systematischen Theologie sondern von praktischen Handlungsanweisungen versteht, 270 nicht theoretisch reflektiert, sondern an signifikanten Beispielen vorgeführt. Inhaltlich geht es fast durchgängig um „die Gemeinde in ihrem sozialen Verhalten“ 271 : Umgang mit Witwen und Waisen (vgl. Jak 1,27), Ansehen der Person in der Gemeinde (vgl. Jak 2,1-13), Umgang mit den Armen (vgl. Jak 2,15f), Neid und Streit (vgl. Jak 3,13-18; 4,1-12), Hybris der Reichen (vgl. Jak 4,13-5,6). Die Wortstämme evrg& und poi& werden entsprechend der thematisch-semantisch oppositionellen Struktur positiv wie negativ mit bestimmten Objekten verbunden (Geduld, Gerechtigkeit, Sünde, Frieden, Gutes, Barmherzigkeit, etc. tun bzw. nicht tun). Das vom Einzelnen geforderte Tun steht dabei stets mit Blick auf den sozialen Frieden in der Gemeinde auf dem Prüfstand. 3.1.5 »Vollkommenheit« als Ziel des Menschen Der Wortstamm tele$i%& ist im Jakobusbrief mit neun Belegen relativ häufig vertreten. Wenn auch der Wortstamm mit teleiou/ n in Jak 2,14-26 nur ein einziges Mal - da allerdings an zentraler Stelle - vertreten ist, so zeigt die Wortfeldanalyse doch eindrücklich, dass der Wortstamm im gesamten Brief mit allen wichtigen Elementen des erweiterten semantischen Feldes verbunden wird: »Glaube/ glauben« (vgl. Jak 2,22), »Tat/ tun« (vgl. Jak 1,4; 2,8.22), »Rettung vor dem Tod« (vgl. Jak 1,15). Dazu kommt mit o[loj (Jak 2,10; 3,2.3.6), o`lo,klhroj (Jak 1,4), lei,pw (Jak 1,4.5; 2,15), di,yucoj (Jak 1,8; 4,8), avkata,statoj (Jak 1,8; 3,8), parallagh, (Jak 1,17) und troph, (Jak 1,17) eine Gruppe von Wörtern, mit denen der Verfasser sein Konzept der »Vollkommenheit« mit Hilfe semantisch-thematischer Oppositionen so entfaltet, dass „zwei Größen »ungespalten«, integral gesehen werden (Hören und Tun, Glaube und Werk, Bekenntnis und Ethik)“ 272 . Es wird mit dieser Wortgruppe zum einen das Defizit der Adressaten im Blick auf individual- und sozialethische Fragen dargestellt, wenn auf den 270 Frankemölle: Gesetz, 201. 271 Schnackenburg: Botschaft, 223. 272 Frankemölle: Jakobus II, 496. <?page no="207"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 193 »Mangel« an Weisheit und Glauben (vgl. Jak 1,5f), die »Gespaltenheit« und »Unbeständigkeit« des Zweiflers (vgl. Jak 1,6-8), die »Unbeständigkeit« durch Neid und Streit (vgl. Jak 3,16) und auf die »Vollkommenheit der Sünde« durch die Begierde verwiesen wird. Zum anderen dienen die Begriffe dem Verfasser ebenso zur Beschreibung des von ihm intendierten menschlichen Handelns, wenn er von der »Vollkommenheit«, »Unversehrtheit« und »Makellosigkeit« durch die Geduld (vgl. Jak 1,4), der »Vollkommenheit« durch das sich nicht Verfehlen im Wort (vgl. Jak 3,2), dem »zum Ziel Führen« des Gesetzes in der Nächstenliebe (vgl. Jak 2,8), dem »zum Ziel führen« des Glaubens aus den Taten (vgl. Jak 2,22) und dem »zum Ziel geführt werden« Hiobs wegen seiner Geduld (vgl. Jak 5,11) spricht. Der individuelle und der zwischenmenschlich-ekklesiologische Bereich sind dabei gleichermaßen im Blick: „Der inneren Gespaltenheit, der Schizophrenie, geht ein unwürdiges, zwischen-menschliches Gespaltensein (vor allem zwischen Armen und Reichen) parallel.“ 273 Es zeigt sich zudem erneut, dass der Verfasser auch hier „nicht abstrakt über »Vollkommenheit« als Tugend reflektiert, sondern über »vollkommen« als anthropologische Grunddimension in der individuellen und sozialen Existenz des Menschen“ 274 . Die Verwendung der Wortgruppe lässt aber noch eine weitere Dimension der Rede des Verfassers von der »Vollkommenheit« erkennen. Wo der Wortstamm tele$i%& nämlich auf Gott bezogen wird, zeigt sich die avisierte Vollkommenheit des Menschen als in der Vollkommenheit Gottes grundgelegt und überhaupt erst ermöglicht. So gilt: pa/ sa do,sij avgaqh. kai. pa/ n dw,rhma te,leion a; nwqe,n evstin katabai/ non avpo. tou/ patro.j tw/ n fw,twn( parV w- | ouvk e; ni parallagh. h' troph/ j avposki,asma (Jak 1,17; vgl. Jak 2,19). Diese Einsicht bedeutet für den Verfasser Zuspruch und Anspruch zugleich. Denn zum einen gilt: „Weil Gott ungespalten ist und auch so handelt (1,5), können und dürfen christliches Sein und christliches Handeln nicht gespalten sein (1,8)“ 275 . Zum anderen ist die Umsetzung dieses Appells von Gott selber abhängig, weil nur er dem Menschen schenken kann, was dazu notwendig ist: das eingepflanzte Wort der Wahrheit (vgl. Jak 1,18.21), das vollkommene Gesetz der Freiheit (vgl. Jak 1,25) und die göttliche Weisheit (vgl. Jak 1,5): „Gott schenkt den Glaubenden die Ermöglichung zur Vollkom- 273 Frankemölle: Jakobus II, 499. 274 Frankemölle: Jakobus II, 498. 275 Frankemölle: Gesetz, <?page no="208"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 194 menheit“ 276 und mehr noch: es ist letztlich Gott selber, der das Leben der Menschen zur Vollendung führt, wie der Verfasser am Beispiel Hiobs deutlich macht: to. te,loj kuri,ou ei; dete( o[ti polu,splagcno,j evstin o` ku,rioj kai. oivkti,rmwn (Jak 5,11). Damit ist noch einmal zu unterstreichen, dass die im Blick auf die avisierte Vollkommenheit geforderten Taten nicht als fromme Leistungen angesehen werden dürfen. „Nirgends [auch nicht in Jak 2,14-26; Erg. v. Verf.] wird über vollbrachte Werke und ihre Verdienstlichkeit reflektiert. Vielmehr steht für Jakobus (wie für das Judentum) die Gabe Gottes am Anfang und im Verlauf des Weges.“ 277 Auch ist dieser Weg nicht so zu verstehen, dass es sich um ein stetiges lineares Zunehmen an Vollkommenheit handelt, die zu einem bestimmten Zeitpunkt ihr Vollmaß erreicht. Die Erwähnung der mannigfachen Verfehlungen und der Sünden der Gerechten (vgl. Jak 3,2 bzw. Jak 5,16-18) sowie die Thematisierung von Umkehr und Vergebung der Sünden (vgl. Jak 5,15) zeigen an, dass die Existenz des Menschen als dynamischer Prozess gedacht werden muss, bei dem der Mensch bei all seinem notwendigen Bemühen auf Gottes Gnade und Barmherzigkeit angewiesen ist und bleibt. „Die Vollkommenheitsthematik fungiert im Jakobusbrief als anspornendes Ziel, als motivierendes Ideal“ 278 , womit sie im Blick auf das Mitteilungsgeschehen eine ähnliche Funktion erfüllt wie der Gerichtsgedanke. 3.2 Das erweiterte semantische Feld im Jakobusbrief und die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 War aus methodischen Gründen bislang auf traditionskritische Vergleiche mit anderen Konkretisationen der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 verzichtet worden, sind diese jetzt unter einer bestimmten Perspektive nachzuholen. Der Vergleich dient der Ermittlung des Grades an Innovation bzw. Tradition, der in der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 im Jakobusbrief zutage tritt, um die Funktion der Konkretisation im Mitteilungsgeschehen des Briefes im Blick auf die sozialhistorischen Bedingungen des Rezeptionsprozesses weiter zu profilieren. 276 Frankemölle: Jakobus II, 497. 277 Schnakenburg: Botschaft, 222. 278 Konradt: Wort, 15. <?page no="209"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 195 3.2.1 Abraham und Rahab in traditionellen Paradigmenreihen Zunächst ist die Form des Rekurses auf die biblischen Figuren Abraham und Raab in den Blick zu nehmen. Die ungewöhnliche Kombination dieser Beispiele in paralleler sprachlicher Gestaltung legt es nahe, die Aufnahme eines traditionellen Paradigmenkatalogs zu erwägen. Abraham erscheint in den meisten dieser Kataloge, Raab hingegen recht selten. Hier sind diejenigen in den Blick zu nehmen, die Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 enthalten. Im 1. Makkabäerbrief in der Rede des Mattatias auf dem Sterbebett (1Makk 2,49-70) sowie im Buch Jesus Sirach im großen Lob der Väter (Sir 44,1-49,20) erscheint Abraham als erstes (vgl. 1Makk 2,52) bzw. drittes Beispiel (Sir 44,20-23) in der Reihe, jeweils im Rahmen einer Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6. Über das Grundwortfeld von Gen 15,6 hinaus lassen sich keine Verbindungen zu Jak 2,14-26 aufzeigen. Insbesondere ist die Figur der Raab in beiden Beispielreihen nicht zu finden, wie sie überhaupt innerhalb der jüdischen Tradition in keinem Paradigmenkatalog vorkommt. 279 Anders liegt der Fall in den christlichen Texten der neutestamentlichen Literatur. So erscheint Raab im matthäischen Stammbaum Jesu (vgl. Mt 1,5), in dem sich auch die Gestalt Abrahams findet. Unter den Paradigmenkatalogen finden sich gleich zwei Beispiele, in denen die Gestalten Abrahams und Raabs vorkommen und zugleich eine Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 nachweisbar ist. Im Hebräerbrief erscheinen beide - Abraham (vgl. Hebr 11,8-12.17-19) 280 und Raab (vgl. Hebr 11,31) - innerhalb der Wolke der Zeugen, einer thematischen Reihe, welche die pi,stij zum Gegenstand hat. Vergleicht man Hebr 11,31 mit Jak 2,25 so fällt auf, dass der Verfasser des Jakobusbriefs die Kundschafter als avgge,loi bezeichnet, während sie in Hebr 11,31 als katasko,poi bezeichnet werden. Eine noch engere Verknüpfung der Figuren Abraham und Raab in einem Paradigmenkatalog, der die Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 enthält, findet sich im 1. Clemensbrief. 281 Auch dieser Katalog ist thematisch angelegt und hat pi,stij kai. filoxeni,a zum Gegenstand. Neben Abraham (vgl. 1Clem 10,7) und Raab (1Clem 12,1-8) erscheint noch Lot unter den Beispielen (vgl. 1Clem 11,1-2). Das Beispiel Abrahams gehört zugleich einer 279 Vgl. Burchard: Jakobusbrief, 125. 280 Vgl. dazu Kap. VII. 281 Vgl. dazu Kap. VIII. <?page no="210"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 196 weiteren Beispielreihe an und schließt einen umfangreichen Abschnitt über den Erzvater ab (vgl. 1Clem 10,1-7). Aus dem semantischen Feld der Konkretisation von Gen 15,6 im Jakobusbrief finden sich hier noch die Bezeichnung Abrahams als »Freund Gottes« und der Bezug auf die Aqeda (s.u.). Das Beispiel der Raab ist im 1. Clemensbrief auffallend breit angelegt. Die Nacherzählung der Kundschafterepisode aus Jos 2 nimmt dabei den größten Raum ein. Sie wird in 1Clem 12,7f allegorisch gedeutet, so dass das rote Seil, dass den Kundschaftern zur Flucht und Rettung verhalf, auf das Blut Christi voraus verweist. Der Hure Raab wird damit zugleich Glaube und prophetischer Geist attestiert. Wie im Hebräerbrief werden die Kundschafter in 1Clem 12,2 als katasko,poi bezeichnet. Die Kombination der biblischen Figuren Abraham und Raab im Zusammenhag der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 im Jakobusbrief weist formal wie inhaltlich zu wenig Ähnlichkeiten mit den Vergleichstexten auf, als dass von einem großen Einfluss zugrunde liegender Traditionen auszugehen wäre. Die von D AVIDS angeführte traditionelle Verbindung der beiden Figuren über die filoxeni,a (wie etwa im 1. Clemensbrief) ist im Jakobusbrief textlich nicht nachzuweisen. Ebenso gibt es für eine nach dem Befund des Jakobusbriefes durchaus denkbare evx e; rgwn evdikaiw,qh Reihe keinen Referenztext. 282 Auch eine direkte literarische Abhängigkeit oder aber ein direkter Bezug zum Hebräerbrief 283 oder zum 1. Clemensbrief 284 ist nicht nachweisbar. Das heißt natürlich nicht, dass für die Auswahl beider Figuren in Jak 2,14-26 doch eine christlich vermittelte jüdische Tradition verantwortlich sein könnte. Doch auch in diesem Fall muss die Ausgestaltung der Beispiele im Jakobusbrief eindeutig dem literarisch versierten Agieren des Verfassers zugeschrieben werden. 3.2.2 Abraham als »Freund Gottes« Interessant ist auch die Frage nach dem Ort der Bezeichnung Abrahams als fi,loj qeou/ innerhalb der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6. Die Analyse war zu dem Ergebnis gekommen, dass der Teilvers Jak 2,23d ( kai. fi,loj 282 B URCHARD verweist auf 1Makk 2,51 (vgl. ders.: Jakobusbrief, 125). Die Stelle belegt aber lediglich die Erweiterung durch den Wortstamm evrg& . 283 Nach A URELIUS polemisiert der Jakobusbrief gegen den Hebräerbrief und ist von hieraus zu verstehen. Die ersten beiden der insgesamt vier Argumente dafür stützen sich auf die biblischen Figuren Abraham und Raab in der Wolke der Zeugen (vgl. ders.: Glauben, 109f). 284 So hält Y OUNG fest: „It seems probable that it was James who was indebted to I Clement“ (ders.: Relation, 345). <?page no="211"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 197 qeou/ evklh,qh ) als zum Schriftzitat gehörig anzusehen ist. Er wirkt wie eine „targumartige Unschreibung und Erweiterung des Zitates“ 285 und unterstreicht durch die parallele Konstruktion Gen 15,6b. Im Blick auf das Mitteilungsgeschehen des Jakobusbriefs als Ganzes, kommt dem Wortstamm fil& hingegen keine weiterreichende Bedeutung zu. 286 Im rezeptionsgeschichtlichen Vergleich wäre demnach zu fragen, ob sich ein traditioneller Hintergrund als Erklärung für die enge Verbindung von Gen 15,6 und Abrahams »Gottes-Freundschaft« anbietet. Im Alten Testament finden sich in Jes 41,8 (MT: ybih]ao ~h'r'b.a; [r; z< ; LXX: spe,rma Abraam o]n hvga,phsa ), 2Chr 20,7 (MT: ~l'A[l. ^b.h; ao ~h'r'b.a; ; LXX: Abraam tw/ | hvgaphme,nw| sou eivj to.n aivw/ na ) und Dan 3,35 (LXX: dia. Abraam to.n hvgaphme,non u`po. sou ) Anklänge daran, die Bezeichnung als fi,loj bzw. bheAa selber findet sich dort nicht. Belege für diese Bezeichnung Abrahams finden sich aber in der jüdischen Tradition, im Testament Abrahams (TestAbr A 1,4; 2,3.6; 4,7; 8,2.4; 9,7; 15,12.13.14; 16,5.9; 20,14; B 4,10; 8,2; 12,5; 14,6), in der Apokalypse des Abraham (ApcAbr 9,6; 10,6), im Jubiläenbuch (Jub 19,9), in der Damaskusschrift (CD 3,2), bei Philo von Alexandrien (Abr 273; Sobr 56), in der lateinischen Version des Buches Judith (Jdt 8,22), sowie im Bereshit Rabba (BerR XLI). An keiner der genannten Stellen kann die Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 nachgewiesen werden, wenngleich durchaus einzelne Elemente des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6 eine Rolle spielen. So erscheinen Ort und Veranlassung für die Bezeichnung Abrahams als »Freund Gottes« in der Apokalypse des Abraham im Kontext von Konkretisationen von Gen 15,1 und Gen 15,9. Die Perikope ApcAbr 9,1-9 erweckt den Eindruck, als sei hier die biblische Erzählung von Gen 15 zeitlich vor Gen 12 und örtlich in Mesopotamien angesiedelt. 287 In diesem Kontext schon wird Abraham von Gott »mein Freund« (ApcAbr 9,6) genannt, weil er es liebte Gott zu suchen (vgl. ApcAbr 9,5). 288 Von den charakteristischen Verbindungen des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6 findet sich hier allerdings keine Spur. Im Jubiläenbuch ist der Glaube Abrahams mit seiner Bezeichnung als »Freund Gottes« eng verbunden. Den Kontext bildet die Nacherzählung von 285 Lohse: Glaube, 5. 286 In Jak 4,4 wird zwar indirekt von der Freundschaft zu Gott gesprochen, doch dabei geht es in der Hauptsache um den Gegensatz zur Freundschaft mit der Welt ( h` fili,a tou/ ko,smou ), die notwendig zur Feindschaft mit Gott ( e; cqra tou/ qeou/ ) führt. 287 Vgl. dazu Kap. V, Abschn. 3. 288 Text nach der Übersetzung von E NNO J ANSSEN (ders.: Testament, 429f). <?page no="212"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 198 Gen 23. Abrahams Einsatz für in Erbbegräbnis für seine Frau Sarah in Hebron wird dort als zehnte und letzte Versuchung des Patriarchen gedeutet: Und diese ist die zehnte Versuchung, mit der Abraham versucht wurde. Und er wurde gefunden als glaubend, geduldigen Geistes. Und er sagte kein Wort über die Rede von dem Land, von dem der Herr gesagt hatte, er werde es ihm geben und seinem Namen nach ihm. Sondern er erflehte eine Stätte dort, daß er seinen Leichnam [d.i. Sara] begrabe. Denn er wurde als glaubend gefunden. Und er wurde aufgeschrieben als Freund des Herrn auf den Tafeln des Himmels (Jub 19,9). 289 Der enge Zusammenhang der Bewährung Abrahams in der Versuchung und seine Bezeichnung als »Freund Gottes« sind für diese Stelle konstitutiv. Gleiches gilt für die lateinische Version des Buches Judith: Memores esse debent quomodo pater noster Abraham temptatus est et per multas tribulationes probatus Dei amicus effectus est (Jdt 8,22 Vul). Für den Jakobusbrief bieten sich dieser Vergleichstexte allerdings weniger an, denn das Motiv der Versuchung spielt darin zwar eine Rolle (vgl. Jak 1,2.12), im Zusammenhang mit der Person Abrahams wird darauf aber keinerlei Bezug genommen. Zudem ist im Blick auf die syntaktische Konstruktion in Jak 2,23 weniger die Verbindung von »Freund Gottes« und »Glaube« von Interesse - wie sie Jub 19,9; Jdt 8,22 Vul und auch Philo Abr 273 aufweisen - als eher die Verbindung von »Freund Gottes« und »Gerechtigkeit«. Für letztere ist das Testament Abrahams näher in den Blick zu nehmen, wo die Bezeichnung als »Freund Gottes« regelmäßig als Ehrenbezeichnung Abrahams auftaucht und neben und mit dessen Charakterisierung als »Gerechter« gebraucht wird. Wenn im Jakobusbrief die Gerechtigkeit Abrahams im Blick auf seine Rettung im eschatologischen Gericht von Bedeutung ist 290 und ihre Anrechnung in Jak 2,23 mit dem Titel »Freund Gottes« parallelisiert wird, dann ist eine Nähe zum Testament Abrahams unverkennbar. Dient der Zusammenhang von Abrahams tatkräftigem Glauben und seiner Gerechtigkeit dem Verfasser des Jakobusbriefes dazu, deutlich zu machen, dass der Patriarch im eschatologischen Gericht nichts zu befürchten hat, so ist die „legendarische Ausschmückung des Todes Abrahams“ 291 gut als traditionsgeschichtlicher Hintergrund denkbar. 289 Text nach der Übersetzung von K LAUS B ERGER (vgl. ders.: Buch, 422). 290 Vgl. Abschn. 3.1.3. 291 Janssen: Testament, 195. <?page no="213"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 199 Was die Form der targumartigen Erweiterung des Schriftwortes Gen 15,6 betrifft, lassen sich keine einschlägigen Referenztexte auffinden. Aus dem Bereich der neutestamentlichen Literatur weist einzig der 1. Clemensbrief die Bezeichnung Abrahams als fi,loj tou/ qeou/ auf (vgl. 1Clem 10,1; 17,2). A ND- REAS L INDEMANN sieht hinter diesen Stellen eine entsprechende Textfassung von Gen 15,6 wie sie in Jak 2,23 explizit zum Ausdruck kommt. 292 Doch weder in 1Clem 10,1 - wo sich eine gewisse Nähe zu Jub 19,9 zeigt - noch in 1Clem 17,2 ist ein so enger sprachlicher Zusammenhang mit der Konkretisation von Gen 15,6 nachweisbar, wie es in Jak 2,23 der Fall ist. Wenn man nicht von einer grundlegenden literarischen Abhängigkeit zwischen Jakobus- und 1. Clemensbrief ausgehen will (s.o.), ist vom 1. Clemensbrief her nicht auf das Vorliegen einer entsprechenden Rezeptionsvorlage für Jak 2,23 zu schließen. Es sollte daher davon ausgegangen werden, dass der Verfasser des Jakobusbriefes die Konstruktion in Jak 2,23 im Blick auf seine Intention und auf dem traditionsgeschichtlichen Hintergrund des Testaments Abrahams selber geschaffen hat. 3.2.3 Abraham und die »Bindung Isaaks« Die forschungsgeschichtliche Einordnung hat auf das hermeneutische Problem aufmerksam gemacht, das entsteht, wenn eine enge Verknüpfung von Gen 15,6 und Gen 22 als Spezifikum einer vermeintlich homogenen jüdischen Rezeption von Gen 15,6 angesehen wird, in die der Jakobusbrief eingeordnet wird. 293 Als Vergleichstexte aus der alt- und zwischentestamentlichen Literatur werden dazu in erster Line Jesus Sirach und das 1. Makkabäerbuch herangezogen: VAbraa,m me,gaj path.r plh,qouj evqnw/ n kai. ouvc eu`re,qh o[moioj evn th/ | do,xh|) o]j suneth,rhsen no,mon u`yi,stou kai. evge,neto evn diaqh,kh| metV auvtou/ evn sarki. auvtou/ e; sthsen diaqh,khn kai. evn peirasmw/ | eu`re,qh pisto,j) dia. tou/ to evn o[rkw| e; sthsen auvtw/ | evneuloghqh/ nai e; qnh evn spe,rmati auvtou/ plhqu/ nai auvto.n w`j cou/ n th/ j gh/ j kai. w`j a; stra avnuyw/ sai to. spe,rma auvtou/ kai. kataklhronomh/ sai auvtou.j avpo. qala,sshj e[wj qala,sshj kai. avpo. potamou/ e[wj a; krou th/ j gh/ j) (Sir 44,19-21) VAbraa,m ouvci. evn peirasmw/ | eu`re,qh pisto,j kai. evlogi,sqh auvtw/ | eivj dikaiosu,nhn) (1Makk 2,52) In beiden Texten ist die Konkretisation einer Rezeption von Gen 22 lediglich über den Wortstamm peir& (vgl. Gen 22,1 LXX) identifizierbar, weitere 292 Vgl. Lindemann: Clemensbriefe, 50. 293 Vgl. Abschn. 1. <?page no="214"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 200 charakteristische Verbindungen des semantischen Grundwortfeldes von Gen 22 finden sich hier nicht. Die inhaltliche Bestimmung der »Versuchung Abrahams« und deren Funktion im Mitteilungsgeschehen der jeweiligen Schrift wäre zunächst durch die eingehende rezeptionsästhetische Analyse zu bestimmen, die hier aber nicht geleistet werden kann. Deutlich ist aber auch so, dass der in Sir 44,20 und 1Makk 2,52 entscheidende Aspekt in der Verknüpfung von Gen 15,6 und Gen 22 in der Versuchung besteht. Doch eben davon ist in Jak 2,14-26 überhaupt nicht die Rede. Ähnliches zeigt sich auch im Vergleich mit anderen Konkretisationen aus der neutestamentlichen Literatur. Von den Schriften, die potentielle Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 enthalten, weisen neben dem Jakobusbrief noch der Hebräerbrief, der 1. Clemensbrief und die Antequitates Judaicae die Bindung Isaaks im erweiterten semantischen Feld der Konkretisation auf. In den Antequitates Judaicae findet sich die potentielle Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 selbst innerhalb der Nacherzählung von Gen 22. Hier wie auch im 1. Clemensbrief zielt die Darstellung auf den besonderen Gehorsam Abrahams ab, der in der Befolgung des Auftrags zur Opferung Isaaks unüberbietbar Ausdruck findet. Dieser Aspekt spielt im Jakobusbrief insgesamt überhaupt keine Rolle. Für den Hebräerbrief hat die Untersuchung gezeigt, dass der Opfergedanken insgesamt eine gewichtige Rolle spielt. 294 Die entsprechende Erweiterung im Zusammenhang mit den Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 ist auf diesem Hintergrund zu bedenken. Für den Jakobusbrief, in dem die entsprechende Erweiterung in Jak 2,21 singulär vorkommt, ist somit auch hier kein sinnvoller Vergleich angezeigt. Die rezeptionsästhetische Analyse hat vielmehr deutlich herausgestellt, dass die Bindung Isaaks durch Abraham in Jak 2,21 innerhalb des Argumentationszusammenhangs der Perikope eine spezifische Funktion erfüllt: Sie dient als ein Beispiel dafür, dass Abrahams Glaube stets ein tatkräftiger Glaube war. Ein kausaler Zusammenhang der Bindung Isaaks zur Rechtfertigung Abrahams ist der Gesamtintention der Perikope nicht angemessen und auch über rezeptionsgeschichtliche Vergleiche nicht begründbar. Dass die Auswahl der Bindung Isaaks als herausragendes Beispiel für Abrahams tatkräftigen Glauben durch die große Bedeutung von Gen 22 innerhalb der Abrahamtradition 295 bedingt ist, bleibt davon unberührt. Im Blick auf die Funktion der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 im Jakobusbrief, 294 Vgl. Kap. VII. 295 Siehe dazu die zweibändige Arbeit von L UKAS K UNDERT (ders: Opferung I u. II). <?page no="215"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 201 um die es im subjektperspektivischen Ansatz einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte geht, haben die Konkretisationen dieses Verses in der alt-, zwischen- und neutestamentlichen Literatur aber wohl keinen weitergehenden Einfluss auf den Rezipienten ausgeübt. 3.2.4 Abraham und seine Taten und Werke Die Forschungsgeschichte zeigt deutlich, dass die Frage nach dem Verhältnis Abrahams zu seinen Taten und Werken für die rezeptionsgeschichtliche Standortbestimmung von Gen 15,6 im Jakobusbrief eine wichtige Rolle spielt. Vor allem die Vertreter einer externen Frontstellung gegenüber Paulus argumentieren vielfach mit dem besonderen Verhältnis von pi,stij und e; rga im Jakobusbrief, das sie aus der gedanklichen oder auch literarischen Abhängigkeit von der paulinischen Argumentation im Galater- und Römerbrief erklären. Die rezeptionsästhetische Analyse, die von Textvergleichen zunächst bewusst absieht, hat demgegenüber das sprachlich kunstvolle Spiel des Verfassers mit den Wortstämmen pist& und evrg& in Jak 2,14-26 herausgestellt und der auch sonst den Brief bestimmenden Struktur semantisch-thematischer Oppositionen und der rhetorischen Figur der Antithese zugerechnet. Die Konkretisation von Gen 15,6 hat sich auf diesem Hintergrund sinnvoll erklären lassen ohne auf direkte oder indirekte Abhängigkeiten von den paulinischen Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 zurückzugreifen. Erst auf der Basis der rezeptionsästhetischen Analysen der verschiedenen Konkretisationen ist der Vergleich nun im Blick auf die Erweiterung des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6 durch den Wortstamm evrg& vorzunehmen. Erweiterungen des semantischen Grundwortfeldes durch das Substantiv e; rga weisen neben den bereits erwähnten paulinischen Briefen an die Galater und Römer vor allem das 1. Makkabäerbuch und Philos Werk Quis rerum divinarum heres sit auf. 296 Für die Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 im 1. Makkabäerbuch ist im Zusammenhang mit der Bindung Isaaks schon darauf hingewiesen worden, dass hier das Element der Versuchung Abrahams im Mittelpunkt des Interesses steht. In der Bewährung Abrahams zeigt sich seine Treue zu Gott, die ihm zur Gerechtigkeit angerechnet wird (vgl. 1Makk 2,52). Auch 296 Her 93-95 wird im Zusammenhang des folgenden Abschnitts besprochen, da hier der Vollkommenheitsgedanke deutlicher als die Werke im Mittelpunkt steht (vgl. Abschn. 3.2.5). <?page no="216"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 202 wenn das Element der Versuchung für Jak 2,14-26 inhaltlich keine Rolle spielt, ist hier doch die Kombination der Konkretisationen der Rezeptionen von Gen 15,6 und Gen 22 von Interesse, weil diese mit den e; rga Abrahams in Verbindung gebracht wird. Die Einleitung des Paradigmenkatalogs, den das Beispiel Abrahams anführt, stellt die Anrechnung der erwiesenen Treue Abrahams zur Gerechtigkeit in den Kontext der Mahnung zur Gesetzestreue, zum Halten des Bundes und zur Erinnerung an die e; rga der Väter, die ihnen zu Ruhm und großen Namen verholfen haben: nu/ n evsthri,sqh u`perhfani,a kai. evlegmo.j kai. kairo.j katastrofh/ j kai. ovrgh. qumou/ nu/ n te,kna zhlw,sate tw/ | no,mw| kai. do,te ta.j yuca.j u`mw/ n u`pe.r diaqh,khj pate,rwn h`mw/ n kai. mnh,sqhte ta. e; rga tw/ n pate,rwn a] evpoi,hsan evn tai/ j geneai/ j auvtw/ n kai. de,xasqe do,xan mega,lhn kai. o; noma aivw,nion) VAbraa,m ouvci. evn peirasmw/ | eu`re,qh pisto,j kai. evlogi,sqh auvtw/ | eivj dikaiosu,nhn* (1Makk 2,49b-52) Nimmt man das Abrahambeispiel mit der Einleitung zusammen, so wird klar: „Der Abraham zur Gerechtigkeit angerechnete Glaube wird in 1Makk 2,52 (…) im Sinne des bewährten und in Werken erwiesenen Glaubens verstanden.“ 297 Sowohl die Deutung der Bindung Isaaks als Erweis eines tatkräftigen Glaubens als auch die paränetische Betonung der Anrechnung dieses Glaubens zur Gerechtigkeit als Folge eines Tun-Ergehens-Zusammenhangs markieren deutlich die Nähe zu Jak 2,14-26. Speziell die Strategie des Verfassers in seinem sprachlich kunstvollen Spiel mit den Wortstämmen pist& und evrg& Abrahams Rechtfertigung als Bindeglied zum Erweis der untrennbaren Zusammengehörigkeit dieser Größen in Abrahams Leben zu benutzen, ist als Entfaltung der in 1Makk 2,52 vorliegenden Verbindung von Gen 15,6 und Gen 22 gut denkbar. Dabei dürfen aber die Unterschiede nicht aus dem Blick geraten. Entscheidende Erweiterung des Wortfeldes der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 im 1. Makkabäerbuch ist nämlich nicht der Wortstamm evrg& sondern das Substantiv no,moj (vgl. 1Makk 2,50.58.64.67.68). Zwar ist auch no,moj im Jakobusbrief mehrfach belegt, doch ist von der Bedeutung des Gesetzes im 1. Makkabäerbuch als »identity und boundary marker« der nationalen Identität Israels hier nichts zu finden und in Jak 2,14-26 kommt no,moj überhaupt nicht vor. 298 Anders ist das bei den paulinischen Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 im Galater- und Römerbrief. Hier spielen die Erweiterungen des 297 Konradt: Existenz, 228. 298 Zur Frage nach dem Verhältnis von e; rgon und no,moj im Jakobusbrief vgl. Abschn. 3.1.4. <?page no="217"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 203 semantischen Grundwortfeldes e; rga und no,moj eine wichtige Rolle. Wie für den Jakobusbrief ist auch hier ein Bezug zum 1. Makkabäerbuch zu erkennen. Mit seiner Rede von der Rechtfertigung aufgrund des Glaubens ohne die Werke des Gesetzes wendet Paulus sich gegen die Einengung der Gnade Gottes auf die jüdische Nation und die damit verbundene Ausgrenzung der zum Glauben gekommenen Heiden. Dazu argumentiert er mit Gen 15,6. Entscheidend ist ihm dabei die von logi,zesqai regierte Satzstruktur tini, ti ei.j ti und die Frage, wem was wann zur Gerechtigkeit angerechnet wird. Hier liegen die sozialhistorisch relevanten Funktionen der Konkretisation seiner Rezeption von Gen 15,6. Auch wenn sich im Vergleich der Konkretisationen im Galater-, Römer und Jakobusbrief einige Übereinstimmungen bei den Erweiterungen des semantischen Grundwortfeldes finden, ist ihre spezifische Funktion im Mitteilungsgeschehen der Schriften sehr unterschiedlich. Zur Profilierung der sozialhistorischen Rezeptionsbedingungen des Zusammenhangs von pi,stij und e; rga im Jakobusbrief eignet sich der Vergleich mit den paulinischen Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 daher wenig. 3.2.5 Abraham und die Vollkommenheit des Glaubens Für die Erweiterung des semantischen Grundwortfeldes der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 durch den Wortstamm tele$i%& bzw. plh& im Jakobusbrief gibt es in Philos Werk Quis rerum divinarum heres sit einen Vergleichstext, der die Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 enthält: avnagkai,wj ou=n evpile,getai ¹evpi,steusen VAbraa.m tw/ | qew/ |¹ pro.j e; painon tou/ pepisteuko,tojÅ kai,toi( ta,ca a; n tij ei; poi( tou/ tV a; xion evpai,nou kri,neteÈ ti,j de. ouvk a; n ti le,gonti kai. u`piscnoume,nw| qew/ | prose,coi to.n nou/ n( ka'nkai, eiv pa,ntwn avdikw,tatoj kai. avsebe,statoj w'n tugca,noiÈ pro.j o]n evrou/ men\ w= gennai/ e( mh. avnexeta,stwj h' to.n sofo.n avfe,lh| ta. pre,ponta evgkw,mia h' toi/ j avnaxi,oij th.n teleiota,thnte,leoj avretw/ n( pi,stin( marturh,sh|j h' th.n h`mete,ran peri. tou,twn gnw/ sin aivtia,sh|Å baqute,ran ga.r eiv boulhqei,hj e; reunan kai. mh. sfo,drV evpipo,laion poih,sasqai( safw/ j gnw,sh|( o[ti mo,nw| qew/ | cwri.j e`te,rou prosparalh,yewj ouv r`a,|dion pisteu/ sai dia. th.n pro.j to. qnhto.n w- | sunezeu,gmeqa sugge,neian\ o[per h`ma/ j kai. crh,masi kai. do,xh| kai. avrch/ | kai. fi,loij u`gei,a|u`gei/ a te kai. r`w,mh| sw,matoj kai. a; lloij polloi/ j avnapei,qei pepisteuke,naiÅ to. de. evkni,yasqai tou,twn e[kaston kai. avpisth/ sai gene,sei th/ | pa,nta evx e`auth/ j avpi,stw|( mo,nw| de. pisteu/ sai qew/ | tw/ | kai. pro.j avlh,qeian mo,nw| pistw/ | mega,lhj kai. ovlumpi,ou e; rgon dianoi,aj evsti,( ouvke,ti pro.j ouvdeno.j deleazome,nhj tw/ n parV h`mi/ nÅ eu= de. to. fa,naile,gw ¹logisqh/ nai th.n pi,stin eivj dikaiosu,nhn auvtw/ |¹\ di,kaion ga.r ouvde.n ou[twj( w`j avkra,tw| kai. avmigei/ th/ | pro.j qeo.n mo,non pi,stei kecrh/ sqaiÅ to. de. di,kaion kai. avko,louqon tou/ to th/ | fu,sei para,doxon evnomi,sqh dia. th.n tw/ n pollw/ n avpisti,an h`mw/ n( ou]j evle,gcwn o` i`ero.j lo,goj fhsi,n( o[ti to. evpi. mo,nw| <?page no="218"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 204 tw/ | o; nti bebai,wj kai. avklinw/ j o`rmei/ n qaumasto.n me.n parV avnqrw,poij( oi-j avgaqw/ n avdo,lwn kth/ sij ouvk e; stin( ouv qaumasto.n de. parV avlhqei,a| brabeuou,sh|( dikaiosu,nhj dV auvto. mo,non e; rgonÅ (Her 90-95) In Her 90-95 legt Philo seine Auslegung von Gen 15,6 vor. Er versteht Gen 15,6a als Lob auf Abrahams Vertrauen, dessen Besonderheit er im Folgenden im Stil der Diatribe entfaltet: pi,stij ist die teleiota,thnte,leoj avretw/ n (Her 91). Abrahams Gesinnung, die sich allem Irdischen abwendet, um allein auf Gott ihr Vertrauen zu richten, wird als Werk der Gerechtigkeit verstanden, das Gen 15,6b illustriert (vgl. Her 95). Die Möglichkeit eines solchen Vertrauens liegt nach Her 93 in Gott selber begründet, der in Wahrheit allein pisto,j ist. Vergleicht man das mit dem semantischen Feld »Vollkommenheit« im Jakobusbrief, so fallen interessante Übereinstimmungen auf. So ist auch hier die avisierte Vollkommenheit des Menschen als in der Vollkommenheit Gottes grundgelegt und dadurch überhaupt erst möglich. Außerdem geht es auch dem Jakobusbrief um Vollkommenheit im Blick auf die pi,stij als Grundorientierung des Menschen an Gott. Ebenso fallen aber auch Unterschiede ins Auge. Philo wendet das stoische Ideal der unerschütterlichen Überzeugung ins Religiöse und versteht die Bedeutung der pi,stij als vollkommenste Tugend vorwiegend individuell als Abwendung von jeglicher Beziehung zu irdisch-vergänglichen Dingen. Im Jakobusbrief geht es bei der Vollkommenheit durchaus auch um die individuelle Existenz des Menschen, etwa wenn Fragen des Zweifels und der Anfechtung in den Blick genommen werden. Dennoch stehen vor allem die sozialethischen Implikationen der Vollkommenheit als anthropologische Grunddimension des Menschen im Mittelpunkt der Betrachtung, was in Jak 2,14-26 im Blick auf die pi,stij su.n toi/ j e; rgoij konkretisiert wird. Insgesamt wird im Jakobusbrief weniger abstrakt über »Vollkommenheit« als Tugend reflektiert, sondern mehr konkret über die individuelle und soziale Existenz des Menschen vor Gott. Als traditionsgeschichtlicher Hintergrund des Jakobusbriefes kann Philos Auslegung von Gen 15,6 durchaus in Betracht kommen, wenngleich insgesamt stärker noch mit weisheitlichen Traditionen zu rechnen ist. Die Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 im Jakobusbrief scheint von der in Her 90-95 aber wenig beeinflusst zu sein. <?page no="219"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 205 3.2.6 Das semantische Grundwortfeld von Gen 15,6 Was das semantische Grundwortfeld in der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 in Jak 2,23 angeht, ist in der Analyse bereits auf die große Nähe zum semantischen Feld von Gen 15,6 LXX hingewiesen worden. Im direkten Vergleich zeigen sich drei leichte Abweichungen: (1) Der Name des Patriarchen lautet im Jakobusbrief VAbraa,m (Jak 2,21.23), während er in Gen 15,6 LXX VAbra,m lautet. (2) Die Konjunktion kai, , mit der Gen 15,6 LXX beginnt, fehlt in Jak 2,23b. (3) Der Text von Jak 2,23b.c unterscheidet sich in vielen Handschriften von dem in Gen 15 LXX durch die Partikel de, , die in der Septuaginta fehlt. Diese Abweichungen haben innerhalb der Rezeptionsgeschichte vor allem deshalb Bedeutung erlangt, weil sie Jak 2,23 mit Röm 4,3 und 1Clem 10,6 verbinden, zwei Konkretisationen mit exakt den gleichen Abweichungen von der genannten Lesart der Septuaginta. Die Frage nach einer literarischen Abhängigkeit dieser drei Konkretisationen liegt somit nahe. Auf der Grundlage der Analyse von Jak 2,14-26 kann im Blick auf eine Abhängigkeit der paulinischen Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 festgestellt werden, dass eine Bezugnahme inhaltlich nicht intendiert und formal nicht notwendig anzunehmen ist. Die analysierte Argumentationsstruktur und die dahinter stehende Intention des Mitteilungsgeschehens zeigen keine Frontstellung gegen eine richtig oder falsch verstandene paulinische oder pseudopaulinische Position. Auch eine Abhängigkeit vom 1. Clemensbrief ist durch die Übereinstimmungen im Wortlaut der Zitation von Gen 15,6 nicht zu begründen. Wie die Analyse von 1Clem 10,1-7 gezeigt hat, kann die Form der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 in 1Clem 10,6 schlüssig auf dem Hintergrund des Argumentationsganges innerhalb der Perikope erklärt werden. Die Abweichungen zu Gen 15,6 LXX sind im 1. Clemensbrief im Vergleich zu Paulus und dem Jakobusbrief hier grammatikalisch und pragmatisch sinnvoll. Wenn überhaupt, müsste eine Abhängigkeit des Galater-, Römer- und Jakobusbriefes vom 1.Clemensbrief angenommen werden, was aufgrund der Datierung der paulinischen Schriften ausscheidet. Die textlichen Übereinstimmungen spiegeln wohl doch eher den Gebrauch einer entsprechenden Septuaginta-Handschrift oder einer relativ festen Form mündlicher Zitation des Verses wider. <?page no="220"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 206 3.3 Die Funktion des erweiterten semantischen Feldes im Mitteilungsgeschehen des Jakobusbriefs und ihr sozialhistorischer Kontext Das erweiterte semantische Feld von Gen 15,6 in Jak 2,14-26 zeigt entgegen dem alten »Situations- und Kontextverbot« zahlreiche Verbindungen der Perikope zum Ganzen des Briefes. Der Verfasser bleibt durchgängig bei seinem Thema, das er mit dem Prolog aufgeworfen und dann schrittweise entfaltet hat. 299 Den Adressaten soll klar werden, dass das menschliche Sein und Handeln nicht gespalten und unbeständig, sondern vollkommen und ganz zu sein hat. Nur so entspricht es dem Sein und Handeln Gottes, der durch sein Wort und Gesetz erst beim Menschen die Möglichkeit zu solchem Sein und Handeln schafft. Jak 2,14-26 fügt sich hier problemlos ein, wenn die Frage nach der rettenden Kraft eines tatenlosen bzw. tatkräftigen Glaubens gestellt wird. Die Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 hat ihren Ort, wo Abraham als ein Beispiel für jemanden vorgestellt werden soll, der einen tatkräftigen Glauben vorzuweisen hat und aufgrund dessen auf seine Rettung im eschatologischen Gericht hoffen darf. Wie die Analyse gezeigt hat, hat der Verfasser Gen 15,6 ausgewählt, um ihn in Kombination mit Gen 22 - als ein markantes Beispiel für die e; rga Abrahams - in sein, die Argumentation bestimmendes, sprachlich kunstvolles Spiel mit den Wortstämmen pist& und evrg& einzufügen. Ziel ist hier aber nicht „die rechte Interpretation des Zitates Gen 15,6.“ 300 Das Abrahambeispiel liefert dem Verfasser vielmehr die theologische Begründung für die These der soteriologischen Kraft eines tatkräftigen Glaubens. Die analysierte Argumentation der Perikope Jak 2,14-26 entspricht damit der auch sonst den Brief bestimmenden Struktur der semantisch-thematischer Oppositionen und der rhetorischen Figur der Antithese. So kann die Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 in dieser Argumentation wohl kaum als „unnötig, ja sogar störend“ 301 angesehen werden. Sie passt vielmehr ausgezeichnet in das Anliegen des Verfassers. Der rezeptionsgeschichtliche Vergleich konnte im Testament Abrahams, im 1. Makkabäerbuch und in Philos Werk »Quis rerum divinarum heres sit« Texte ausfindig machen, die als traditionsgeschichtlicher Hintergrund für die Rezeption von Gen 15,6 im Jakobusbrief denkbar sind. Innerhalb der 299 Siehe dazu die gliedernde Inhaltsübersicht bei T HEIßEN (vgl. ders.: Intention, 59). 300 Popkes: Jakobus, 185. 301 Tsuji: Glaube, 191; vgl. Popkes: Jakobus, 186; Wieser: Abrahamvorstellungen, 87. Siehe dazu auch Abschn. 1. <?page no="221"?> Kapitel VI: Gen 15,6 im Jakobusbrief 207 neutestamentlichen Literatur sind vor allem der 1. Clemensbrief und der Hebräerbrief zu nennen, die Gemeinsamkeiten in den Erweiterungen des Grundwortfeldes aufweisen. Die Aufnahme traditioneller Erweiterungen des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6 wie etwa die »Bindung Isaaks«, die Rede von Abraham als »Freund Gottes« und die Bedeutung der »Taten der Väter«, zeigen die Einbettung der Konkretisation in eine diachrone Sprachkonventionalität der Abrahamtradition an. Die Erweiterungen des Grundwortfeldes teilt der Verfasser mit zahlreichen anderen Konkretisationen und bleibt so mit seiner Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 grundsätzlich im Strom der traditionellen Überlieferung. Diese Konventionalität hat vor allem pragmatische Gründe. Sie versichert den Autor einer gemeinsamen Grundlage mit den Adressaten, die für den Aufbau seiner Argumentation in Jak 2,14-26 unerlässlich ist. Gleichzeitig haben die rezeptionsästhetische Analyse und der differenzierte Vergleich deutlich herausgearbeitet, dass die sprachliche und inhaltliche Gestaltung der Konkretisation zu einem großen Teil dem Wirken des Verfassers zuzuschreiben ist. Die spezifische Funktion der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 im Jakobusbrief ist organisch auf dem Hintergrund des Mittelungsgeschehens des gesamten Schreibens zu verstehen. Tradition und Innovation befinden sich in einem gut ausbalancierten Verhältnis, um die Intention des Verfassers zu stützen. Dessen Ziel ist es, von seinen Adressaten ein ethisches Christentum einzufordern, das den richtigen Mittelweg zwischen Glauben und Taten geht, und damit „auch den Ansprüchen gerecht wird, die anderswo zum entscheidenden Kriterium des Christseins erhoben werden“ 302 . Das hinter dieser Absicht hervortretende Problem des Auseinanderfallens von Glaubensüberzeugung und deren lebenspraktischer Realisation im Alltag ist ein „generelles Thema, das dem hellenistischen Judentum und dem frühen Christentum als Bekehrungsreligionen eigen ist.“ 303 Diese Ähnlichkeiten zeigen sich im rezeptionsgeschichtlichen Vergleich mit dem 1. Clemensbrief und dem Hebräerbrief. Die Erweiterungen des semantischen Grundwortfeldes, vor allem aber die paränetisch orientierte Ausgestaltung Abrahams als Paradigma des den Adressaten angetragenen gläubigen Lebenswandels verbinden in sozialhistorischer Hinsicht die Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 im Jakobusbrief mit denen im 1. Clemens- und im Hebräerbrief. Sie markieren den Ort des Jakobusbriefes in einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6. 302 Theissen: Intention, 58. 303 Berger: Theologiegeschichte, 168. <?page no="223"?> Kapitel VII Gen 15,6 im Hebräerbrief aus der Perspektive einer sozial-historisch orientierten Rezeptionsgeschichte 1. Forschungsgeschichtliche Einordnung der Frage nach Rezeptionen von Gen 15,6 im Hebräerbrief Überblickt man die einschlägige Literatur, so scheinen Gen 15,6 und der Hebräerbrief zunächst einmal nichts miteinander zu tun zu haben: In den Arbeiten über die Rezeptionen von Gen 15,6 kommt der Hebräerbrief nicht vor, und in der einschlägigen Literatur zum Hebräerbrief wird eine Rezeption von Gen 15,6 weitestgehend nicht angenommen. Eine Ausnahme bilden da m. W. lediglich folgende vier Arbeiten: (1.) M ANFRED O EMING erklärt, Hebr 11,8-19 „dokumentiere eine neue relecture zu Gen 15,6, indem alle entscheidenden Taten Abrahams (Exodus aus Ur, Leben in der Fremde, Zeugung der Nachkommen wie Sterne am Himmel, »Opferung« Isaaks und dessen symbolische, proleptische Auferstehung) unter dem Stichwort »Glauben« subsumiert werden“ 1 . Die Bedeutung von Gen 15,6 wird dann aber nicht weiter spezifiziert. (2.) In eine ähnliche Richtung gehen die Überlegungen von C HRISTIAN R OSE zur Auslegung des Abrahambeispiels in der Wolke der Zeugen. Er sieht in Gen 15,6 LXX den traditionsgeschichtlichen Hintergrund für Hebr 11,8-12.17-19, was er besonders für Hebr 11,8 nachweist. 2 (3.) Ohne nähere Erläuterung hat A XEL VON D OBBELER Hebr 6,13-15 und 11,17-19 in seine tabellarische Auflistung der Rezeptionen von Gen 15,6 aufgenommen. 3 Die Einordnung folgt dabei einer strukturellen Bestimmung von Gen 15,6 MT, die von einer im Hintergrund stehenden Kulthandlung und dem damit verbundenen Verständnis von hq'd'c . ausgeht: „Auf ein be- 1 Oeming: Glaube, 31. 2 Vgl. Rose: Wolke, 203. 3 Dobbeler: Glaube, 120. <?page no="224"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 210 stimmtes Verhalten Abrahams hin, das als charakteristisch für seine Lebensleistung, der sein Glaube entspricht, erachtet wird, schenkt Gott dem Abraham Heil.“ 4 Zu Hebr 6,13-15 und 11,17-19 wird weiter nur allgemein angemerkt, dass diese und andere Textstellen Gen 15,6 nicht ausdrücklich zitieren, aber „durch den Kontext oder durch bestimmte Formen der Anspielung einen Bezug zu dieser Stelle deutlich erkennen“ 5 lassen. Die strukturelle Bestimmung von Gen 15,6 MT auf dem Hintergrund einer Kulthandlung ist jedoch problematisch, wie die Forschungsgeschichte zum theologischen und traditionsgeschichtlichen Hintergrund von Gen 15,6 MT zeigt. Zudem ist die nicht weiter spezifizierte Einordnung gerade für diese Stellen aus dem Hebräerbrief schwer nachvollziehbar. (4.) Deutlicher einzuordnen ist dagegen der Bezug auf Gen 15,6, den H ANS W INDISCH in der zweiten Auflage seines Kommentars zum Hebräerbrief von 1931 6 in Hebr 6,13-15 sieht. Nachdem er bereits für Hebr 6,10 festgestellt hat, dass die Gerechtigkeit Gottes „darin besteht, daß er diese ihm zu Ehren oder ihm zuliebe geleisteten Werke den Lesern anrechnet“ 7 , schreibt er zu Hebr 6,15: „Der Empfang der Verheißung war der Lohn für seine makroqumi,a , vgl. etwa Gen 15,6“ 8 . Dahinter steht eine bestimmte Leitabstraktion von Gen 15,6, die W INDISCH in Hebr 6 wiedergefunden hat. Hermeneutisch/ methodisch ist ein solches Vorgehen aus den in der Einleitung genannten Schwierigkeiten bei der exegetischen Bestimmung einer Bedeutung von Gen 15,6 allein schon fraglich. 9 Wichtig ist aber die Beobachtung, dass die in Hebr 6,10 erwähnte Gerechtigkeit Gottes mit dem Abrahambeispiel in Beziehung steht. 10 Auch bei den Arbeiten, die eine Rezeption von Gen 15,6 im Hebräerbrief nicht annehmen, wird aber die Frage, warum diese für die Rezeption der Abrahamtradition 11 prominente Stelle nicht zitiert oder sonst wie aufge- 4 Dobbeler: Glaube, 119; vgl. Berger: Abraham II, 374. 5 Dobbeler: Glaube, 119. So wohl auch T HOMAS S ÖDING : „Gen 15,6 wird wohl vorausgesetzt, aber nicht zitiert“ (ders.: Antwort, 395). 6 Windisch: Hebräerbrief. In der ersten Auflage von 1913 findet sich der betreffende Hinweis nicht. 7 Windisch: Hebräerbrief, 57. 8 Windisch: Hebräerbrief, 58. Vgl. auch Schierse: Verheissung, 205 (Anm. 19). 9 Gegen die Interpretation von W INDISCH wendet sich (aus ganz anderen Gründen) ausdrücklich H ANS -F RIEDRICH W EIß (ders.: Hebräer, 354 (Anm. 108); vgl. auch Hegermann: Hebräer, 137). 10 Vgl. Abschn. 2.2. 11 In der Literatur, die sich traditionsgeschichtlich mit Abraham befasst, ist der Hebräerbrief selbstverständlich entsprechend berücksichtigt, wenngleich auch hier Bezüge zu <?page no="225"?> Kapitel VII: Gen 15,6 im Hebräerbrief 211 nommen wird, zwar regelmäßig gestellt, dann aber nicht oder nur unzulänglich beantwortet. So hält C HRISTIAN R OSE fest, dass „diese Stelle im Hebr nicht explizit aufgenommen wird“ 12 , was „angesichts der Wichtigkeit der Person Abrahams für den auctor ad Hebraeos (6,12ff; 11,8-12.17-19) verwundern“ 13 muss. Er begründet das damit, dass „der Verfasser die für Paulus - zur Begründung der Rechtfertigung des Gottlosen (Röm 4,3.9; Gal 3,6) - und Jakobus - als Beleg für die Rechtfertigung aufgrund von Werken (Jak 2,23) - wichtige Stelle deshalb nicht explizit aufgenommen hat, weil sein Interesse gerade nicht an der »Rechtfertigungsproblematik« orientiert war.“ 14 Er scheint damit vorauszusetzen, dass Gen 15,6 für den Verfasser des Hebräerbriefs grundsätzlich mit der paulinischen Interpretation oder der ihr sachlich entgegengesetzten, aber inhaltlich verwandten Interpretation in eins zusetzen ist, wenigstens aber immer im Zusammenhang mit der Rechtfertigungsthematik auftaucht. 15 Ob diese Auffassung für die mutmaßliche Abfassungszeit im Umfeld der Abfassung des Hebräerbriefes zutrifft, muss die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 im Einzelnen erst zeigen und kann ihr nicht als Präjudiz voranstehen. Ähnlich wie R OSE argumentieren auch A UGUST S TROBEL 16 und E RICH G RÄßER . Letzterer sieht im Fehlen von Gen 15,6 in Hebr 6,13-20 und 11,8-19 in Anlehnung an W.M.L. D E W ETTE 17 ein „durchschlagendes argumentum e silentio“ 18 dafür, dass die für Paulus typische Rechtfertigungslehre im Heb- Gen 15,6 nicht gesehen werden (vgl. etwa Wieser: Abrahamvorstellungen, 113-128). J ÜRGEN R OLOFF stellt dagegen fest, dass bei den zahlreichen „Daten der biblischen Abraham-Überlieferung (...) überraschender Weise jedoch nicht Gen 15,6“ (ders.: Abraham, 234) aufgenommen wird. 12 Rose: Wolke, 138. 13 Rose: Wolke, 138. So auch P AMELA M. E ISENBAUM : „Abraham, for instance, seems like a good choice for illustrating faith, but when the author of Hebrews recounts how Abraham was promised descendants als numerous as the sea (11: 11-12), he neglects to mention the now famous quotation, that »Abraham believed God and it was reckoned to him as righteousness« (Gen 15: 6)“ (dies.: Heroes, 82). 14 Rose: Wolke, 138 (Anm. 285). 15 So auch S CHMITZ : „Abraham ist dem Autor nur einer von vielen in der langen Reihe der Glaubenszeugen (...) und nicht Kronzeuge der Glaubensgerechtigkeit. Ihn interessiert Gen. 14 (Kap. VII,1ff) mehr als Gen. 15,6.“ (ders.: Abraham, 123). 16 Vgl. Strobel: Hebräer, 144. 17 D E W ETTE diskutiert die paulinische Verfasserschaft des Hebräerbriefs: „Wie hätte er [Paulus als mutmaßlicher Verf. des Hebräerbriefes; Erg. v. Verf.] für die Rechtfertigung der grossen Aufgabe seines Lebens, der Zulassung der Heiden, auch nicht ein einziges Wort sagen, wie den Glauben Abrahams erwähnen, und dessen Glaubensgerechtigkeit verschweigen können (11,8 ff.)? “ (ders.: Handbuch, 126). 18 Gräßer: Rechtfertigung, 171. <?page no="226"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 212 räerbrief (terminologisch) nicht vorkommt. 19 Eine ähnliche Ansicht mit einer entscheidenden Nuance bietet E DUARD R IGGENBACH , wenn er feststellt: „Es ist bemerkenswert, daß das von Paulus so eingehend verwendete Schriftwort Gen 15,6 (cf Rm 4,3ff.; Gl 3,6f.) hier unberücksichtigt bleibt. Das hängt damit zusammen, daß der Vf keinen Anlaß hat, die Leser vor der Werkgerechtigkeit zu warnen.“ 20 Hier wird eine einzelne sozialgeschichtliche Situation mit der gesamten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 identifiziert. C RAIG R. K OESTER kommt ähnlich wie R OSE über das pi,stei aus Hebr 11,8 auf Gen 15,6. Dass dieser Vers bei anderen neutestamentlichen Autoren jedoch nicht im Hebräerbrief zitiert wird, ist für ihn „surprising since righteousness and faith are linked in Heb 10: 38; 11: 4, 7“ 21 . Damit ist eine wichtige Beobachtung genannt, die für die Frage nach einer Rezeption von Gen 15,6 eine erhebliche Rolle spielt, denn die Verbindung von pist& und dikai& in Hebr 10,35-39 und 11,4-7 22 lässt Strukturen erkennen, die im Zusammenhang mit Rezeptionen von Gen 15,6 durchaus zu finden sind. Dass es sich hier aber um eine Rezeption von Hab 2,4 handelt, die von der Rezeption von Gen 15,6 deutlich zu unterscheiden ist und damit hilft, das Rezeptionsinteresse des Verfassers schärfer zu profilieren, muss eigens dargelegt werden. 23 Neben den Erklärungsversuchen über die fehlende Rechtfertigungsthematik findet sich als weiterer Erklärungsansatz das besondere Glaubensverständnis des Hebräerbriefes. So stellt G RÄßER fest: „Beachtenswert ist, daß Hb an der Frage, ob und wieweit die Zeugen in den angeführten Situationen selbst »gläubig« waren, keinerlei Interesse hat. Gn 15,6 findet keine Erwähnung! “ 24 Ähnlich argumentiert G ERD S CHUNACK , wenn er zu Hebr 6,13-20 feststellt: „Nicht gesagt wird, dass »Abraham Gott glaubte« - erstaunlicherweise wird weder hier noch in 11,8ff 1. Mose 15,6 zitiert, obgleich diese Stelle dem Verf. nicht unbekannt gewesen sein dürfte.“ 25 An anderer Stelle begründet er das dann damit, dass Glaube nicht ein „Akt oder Lebenzsvollzug“ 26 zu sein scheint, der „im aktuellen, geschichtlichen Existenzverständ- 19 Vgl. Gräßer: Rechtfertigung, 170f; vgl. auch ders.: Hebräer I, 365. 20 Riggenbach: Hebräer, 354. 21 Koester: Hebrews, 484. 22 Vgl. Abschn. 2.1. 23 Siehe den Exkurs nach Abschn. 2.5. 24 Gräßer: Glaube, 53 (Anm. 235). 25 Schunack: Hebräerbrief, 84; vgl. auch ders.: Beobachtungen, 220 u. 222 (Anm. 38). 26 Schunack: Beobachtungen, 220f. <?page no="227"?> Kapitel VII: Gen 15,6 im Hebräerbrief 213 nis oder als solches vollzogen wird“ 27 , sondern vielmehr die „Ausrichtung und Bestimmtheit des gesamten geschichtlichen Lebensvollzugs aufgrund des Verheißungswortes Gottes“ 28 meint. Hier wird für Gen 15,6 ein bestimmtes Glaubensverständnis vorausgesetzt, dessen Unvereinbarkeit mit dem des Hebräerbriefes dann zur Erklärung des Fehlens von Gen 15,6 führt. Das aber muss auf dem Hintergrund der konsenslosen Forschung zum theologiegeschichtlichen Ort von Gen 15,6 MT fragwürdig erscheinen. Insgesamt wird deutlich, dass die Frage nach Gen 15,6 im Hebräerbrief in der einschlägigen Literatur mit den Fragen nach einem Bezug zur paulinischen Rechtfertigungslehre (bzw. ihrer Ablehnung) und dem besonderen Glaubensverständnis des Hebräerbriefes verknüpft ist. Es liegt jeweils ein bestimmtes Verständnis von Gen 15,6 als Leitabstraktion zugrunde und damit wird das Fehlen (seltener das Vorhandensein) einer Konkretisation der Rezeption an dieser Stelle begründet. Aufgrund des hier zugrunde gelegten hermeneutisch/ methodischen Ansatzes soll im Folgenden die Möglichkeit einer Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 begründet werden, die die Ergebnisse der Wortfelduntersuchung nahe legen. Zudem soll aufgezeigt werden, dass diese Rezeption auf ein von der vorherrschenden Auslegung von Gen 15,6 abweichendes Verständnis zurückzuführen ist. Dass diese Möglichkeit bisher nicht im Blickfeld der Forschung lag, ist wohl auch der Grund dafür, dass nur wenige Arbeiten zum Hebräerbrief überhaupt mit einer Rezeption von Gen 15,6 im Hebräerbrief rechnen. 2. Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 im Hebräerbrief 2.1 Der Befund der Wortfeldanalyse Rein statistisch kommen alle Grundelemente des semantischen Feldes von Gen 15,6 im Hebräerbrief vor, wenn auch nicht alle zusammen an einer Stelle. VAbraa,m kommt insgesamt zehnmal vor, wobei über die Hälfte der Belege aus Hebr 7 stammen. Der Wortstamm pist findet sich insgesamt 42mal 29 , wobei das Substantiv pi,stij mit 32 Belegen den größten Anteil hat. Weiter 27 Schunack: Beobachtungen, 221. 28 Schunack: Beobachtungen, 221. 29 K URT A LAND (ders.: Konkordanz, 1130f) weist nur 41 Belege nach, da die Ergänzung von pi,stij in einigen wenigen Lesarten zu Hebr 6,11 (zur Textkritik dieser Stelle vgl. Abschn. 2.2) nicht aufgeführt ist. <?page no="228"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 214 entfallen auf pisteu,w und a; pistoj jeweils zwei und auf pisto,j fünf Belege. Der Wortstamm dikai ist mit 15 Belegen zu finden, wobei wiederum das Substantiv dikaiosu,nh mit sechs Belegen den größten Anteil hat. Ansonsten entfallen auf di,kaioj und a; dikoj jeweils drei, auf e; ndikoj ein und auf dikai,wma zwei Belege. Für den Wortstamm logid gibt es in Form des Verbs logi,zomai im Hebräerbrief nur einen einzigen Beleg. Sucht man nun mit Hilfe der Tabelle Kombinationen dieser Grundelemente, 30 so müssen auf dem Hintergrund der charakteristischen Verbindungen des semantischen Feldes von Gen 15,6 folgende Stellen als potentielle Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 im Hebräerbrief diskutiert werden: (1) In Hebr 2,16-18 finden sich VAbraa,m und pisto,j in relativer Nähe zueinander. Hier ist die Rede vom spe,rma VAbraa,m , dessen sich Jesus annimmt (Hebr 11,18), der dazu seinen Brüdern in allem gleich werden musste, um barmherzig zu werden und ein pisto,j avrciereu,j vor Gott zu sein (Hebr 11, 17). Es findet sich hier keine charakteristische Verbindung von VAbraa,m und pisto,j , so dass diese Stelle als Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 nicht in Frage kommt. 31 (2) In Hebr 6,9-15 finden sich drei der vier Grundelemente des semantischen Feldes von Gen 15,6 in relativer Nähe zueinander. Der Gebrauch von ouv a; dikoj (Hebr 11,10), pi,stij (Hebr 11,11/ alternative Lesart; 11,12) und VAbraa,m (Hebr 11,13) lässt die charakteristische Verbindung von VAbraa,m und pistsowie die charakteristische Verbindung von qeo,j, dikai- und VAbraa,m erkennen, weshalb auf diese Stelle ausführlicher einzugehen ist. 32 (3) In Hebr 7,2 kommen die Elemente VAbraa,m und dikaiosu,nh eng beieinander vor. Da aber hier in Kombination mit Hebr 7,8 ein Zusammenhang zu Hebr 10,35-39 (s.u.) und damit zu einer Rezeption von Hab 2,4 gegeben ist, wird diese Stelle in Verbindung damit behandelt. 33 (4) In Hebr 10,35-39 finden sich die Grundelemente pi,stij und di,kaioj in direktem Zusammenhang. Da es sich hierbei offensichtlich um die Konkretisation einer Rezeption von Hab 2,4 handelt, 34 ist diese Stelle für diese Untersuchung nur mittelbar relevant und wird daher in einem Exkurs be- 30 Siehe die einschlägige Tabelle im Anhang. 31 Siehe zu dieser Stelle aber Abschn. 3.1.4. 32 Siehe Abschn. 2.2. 33 Siehe den Exkurs nach Abschn. 2.5. 34 Vgl. z.B. Gräßer: Hebräer III, 74. <?page no="229"?> Kapitel VII: Gen 15,6 im Hebräerbrief 215 handelt, wenn nach dem Verhältnis von Gen 15,6 und Hab 2,4 im Hebräerbrief gefragt wird. 35 (5) In Hebr 11,4-7 kommen in Verbindung mit den biblischen Gestalten Abel, Henoch und Noah die Grundelemente pisteu,w (Hebr 11,6) bzw. pi,stij (Hebr 11,4.5.6.7) und di,kaioj (11,4) bzw. dikaiosu,nh (Hebr 11,7) in enger Verbindung miteinander vor. Im Duktus des dritten Hauptteils des Hebräerbriefes erscheint diese Stelle aber in engem Zusammenhang mit Hebr 10,35-39 36 und wird daher auch in Verbindung damit behandelt. 37 (6) In Hebr 11,8-10 findet sich lediglich die charakteristische Verbindung von VAbraa,m und pi,stij (Hebr 11,8.9), ohne dass ein weiteres Grundelement des semantischen Feldes dazu in Verbindung steht. Es wird daher auf diese Stelle nur im Gesamtzusammenhang des Hebräerbriefes eingegangen. (7) In Hebr 11,11f findet sich die charakteristische Verbindung von VAbraa,m 38 und pi,stij (Hebr 11,11) bzw. pisto,j (Hebr 11,11), wobei hier der direkte Bezug auf Gott ( to.n evpaggeila,menon ) hinzukommt. Zudem macht die Strukturanalogie zu Hebr 6,9-15 und 11,17-19 diese Stelle im Blick auf eine Konkretisation von Gen 15,6 interessant, weshalb auf Hebr 11,11 ausführlicher eingegangen wird. 39 (8) In Hebr 11,17-19 finden sich nochmals drei der vier Grundelemente des semantischen Feldes von Gen 15,6 in engem Zusammenhang. Der Gebrauch von pi,stij (Hebr 11,17), VAbraa,m (Hebr 11,17) und logi,zomai (Hebr 11,19) lässt die charakteristische Verbindung von VAbraa,m und pistsowie die Verbindung von VAbraa,m, logid- und qeo,j erkennen, weshalb auf diese Stelle eigens einzugehen ist. 40 (9) In Hebr 11,33 finden sich die Grundelemente pi,stij und dikaiosu,nh in einem engen Zusammenhang. Da dieser sich aber wohl auf Daui,d (Hebr 11,32) bezieht 41 und mit eivrga,santo dikaiosu,nhn „die königlichrichterliche Gerechtigkeit: »Recht schaffen den Unterdrückten«, »gerecht 35 Siehe den Exkurs nach Abschn. 2.5. 36 Vgl. Rose: Wolke, 162. 37 Siehe den Exkurs nach Abschn. 2.5. 38 Das trifft für Hebr 11,11 natürlich nur dann zu, wenn man mit R OSE u.a. Abraham als Subjekt von 11,11b annimmt (vgl. Rose: Wolke, 228-230; Näheres siehe Abschn. 2.4). 39 Siehe Abschn. 2.4. 40 Siehe Abschn. 2.3. 41 Vgl. dagegen G RÄßER (ders.: Rechtfertigung, 168f), der darin eine summarische Notiz sieht, die sich über die in Hebr 11,32 genannten hinaus implizit auf alle „in der langen Kette der Glaubenszeugen genannten Glieder“ (a.a.O., 168) bezieht. Selbst wenn er mit seiner Einschätzung Recht hätte, würde das aus den oben dargelegten Gründen an der Bewertung dieser Stelle im Blick auf Gen 15,6 nichts ändern. <?page no="230"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 216 richten«“ 42 gemeint ist, sind die charakteristischen Verbindungen an dieser Stelle nicht nachzuweisen, weswegen Hebr 11,33 für eine Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 nicht in Betracht kommt. 2.2 Analyse von Hebr 6,9-15 Die Wortfeldanalyse konnte die Elemente VAbraa,m , qeo,j , pist -, und dikai in Hebr 6 nachweisen. Es findet sich ouv a; dikoj in Hebr 6,10, pi,stij in Hebr 6,12 (und in einer alternativen Lesart von Hebr 6,11) und VAbraa,m in Hebr 6,13. Überblickt man die üblicherweise vorgenommene Gliederung des Hebräerbriefs, so finden sich diese Elemente in zwei voneinander unterschiedenen Abschnitten, nämlich in Hebr 5,11-6,12 bzw. Hebr 6,13-20. Als Hauptgrund für diese Aufteilung wird meist die klammernde Funktion von nwqroi. gego,nate tai/ j avkoai/ j (Hebr 5,11) und i[na mh. nwqroi. ge,nhsqe (Hebr 6,12) genannt, verbunden mit der Beobachtung, dass Hebr 5,11-6,12 eine mahnende Passage ist, während mit Hebr 6,13-20 eine erklärende Passage folgt. 43 Dagegen kann aber die Beobachtung angeführt werden, dass mit Hebr 6,9 der Ton des Gesagten deutlich wechselt: „An die Stelle einer grundsätzlichen und ganz unpersönlich gehaltenen überaus scharfen Mahnung und Warnung, an deren Ende sogar die Nähe (Hebr 6,8: evggu,j ) des Zorngerichtes Gottes heraufbeschworen wird, tritt nunmehr ein in der direkten Anrede an die Adressaten gehaltenes nahezu seelsorgerlich wirkendes Zureden.“ 44 Nimmt man davon ausgehend eine wohlüberlegte Balance zwischen der scharfen Mahnung und der seelsorgerlichen Stärkung an, so lässt sich auch eine Aufteilung in Hebr 5,11-6,8 und 6,9-20 begründen. 45 Die Funktion des wiederholten nwqroi, kann dann als Ausdruck dieser antithetischen Balance aufgefasst werden. 46 Unabhängig aber, ob eine Aufteilung zwischen Hebr 6,8 und 6,9 oder zwischen Hebr 6,12 und 6,13 vorgenommen wird, ist festzuhalten, dass Hebr 6,9-12 und 6,13-15 durch zahlreiche Stichwortverbindungen und die argumentative Struktur miteinander verknüpft sind und inhaltlich eng zusammengehören. Hebr 6,13 wird durch einleitendes ga,r angeschlossen 47 42 Rose: Wolke, 307. Zu erwarten wäre hier auch eigentlich eher di,kh statt dikaiosu,nh (vgl. Schrenk/ Quell: Art. dikaiosu,nh , 200). 43 Vgl. z.B. Lane: Hebrews I, 134.148. 44 Weiß: Hebräer, 353. 45 Vgl. Michel: Hebräer, 138; Gräßer: Glaube, 26 (Anm. 72). 46 „That the antitheses are deliberately balanced is quite clear: nwqroi. gego,nate tai/ j avkoai/ j 5.11; i[na mh. nwqroi. ge,nhsqe , 6.12“ (Huges: Hebrews, 48). 47 Vgl. Siegert: Makrosyntax, 309. <?page no="231"?> Kapitel VII: Gen 15,6 im Hebräerbrief 217 und die bereits Hebr 6,12 bestimmenden Stichwörter evpaggeli,a (Hebr 6,13.15) und makroqumi,a (Hebr 6,15) werden wieder aufgenommen. 48 Außerdem lässt die Aufforderung zur Nachahmung der dia. pi,stewj kai. makroqumi,aj klhronomou,ntwn ta.j evpaggeli,aj eine Spezifizierung dieser Vorbilder erwarten, was dann in Hebr 6,13-15 mit dem Beispiel Abrahams geschieht. 49 Mit Hebr 6,15 schließlich ist die Behandlung des Abraham- Beispiels im engeren Sinne abgeschlossen: „Weder von Abraham noch von dem ehemals an ihn ergangenen Schwur ist von Hebr 6,16 an noch ausdrücklich die Rede.“ 50 Initiiert durch den Befund der Wortfeldanalyse kann also in Übereinstimmung mit den Beobachtungen zur Struktur von Hebr 5,11-6,20 der Abschnitt Hebr 6,9-15 der Untersuchung auf eine Konkretisation von Gen 15,6 zugrunde gelegt werden. Die strukturierte Darstellung gibt die analysierte Argumentationsstruktur wieder, die nachfolgend erläutert wird: 6,9 pepei,smeqa de. peri. u`mw/ n( avgaphtoi,( ta. krei,ssona kai. evco,mena swthri,aj( eiv kai. ou[twj lalou/ menÅ 6,10 ouv ga.r a; dikoj o` qeo.j evpilaqe,sqai tou/ e; rgou u`mw/ n kai. th/ j avga,phj h-j evnedei,xasqe eivj to. o; noma auvtou/ ( diakonh,santej toi/ j a`gi,oij kai. diakonou/ ntejÅ 6,11 evpiqumou/ men de. e[kaston u`mw/ n th.n auvth.n evndei,knusqai spoudh.n pro.j th.n plhrofori,an th/ j evlpi,doj a; cri te,louj( 6,12 i[na mh. nwqroi. ge,nhsqe( mimhtai. de. tw/ n dia. pi,stewj kai. makroqumi,aj klhronomou,ntwn ta.j evpaggeli,aj( 6,13 tw/ | ga.r VAbraa.m evpaggeila,menoj o` qeo,j( evpei. katV ouvdeno.j ei=cen mei,zonoj ovmo,sai( w; mosen kaqV e`autou/ 6,14 le,gwn\ eiv mh.n euvlogw/ n euvlogh,sw se kai. plhqu,nwn plhqunw/ se\ 6,15 kai. ou[twj makroqumh,saj evpe,tucen th/ j evpaggeli,ajÅ Der Abschnitt folgt auf die Absage an eine zweite Buße, die den einmaligen Kreuzestod Jesu verspotten würde (Hebr 6,6) und wird durch die Auslegung des Schwures Gottes als Grund der Heilsgewissheit in Jesus Christus fortgeführt (Hebr 6,16-20). Der Abschnitt beginnt damit, dass der Verfasser in Hebr 6,9 dazu übergeht, nach scharfen Mahnungen und Warnungen, den Adressaten ins Gewissen zu reden, 51 indem er ihnen ihre noch vorhandene 48 Vgl. Weiß: Hebräer, 358. 49 Vgl. Lane: Hebrews I, 148. 50 Köster: Auslegung, 105. Vgl. auch Weiß: Hebräer, 361; Gräßer: Hebräer I, 377. 51 Zur Änderung des Tones in Hebr 6,9 und die dadurch angezeigte seelsorgerlich, bestärkende Zuwendung zu den Adressaten vgl. Strobel: Hebräer, 69. Zur singulären Anrede der Adressaten als avgaphtoi, vgl. Gräßer: Hebräer I, 363. <?page no="232"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 218 Zugangsmöglichkeit zum Heil ( evco,mena swthri,aj ) vor Augen stellt. Das Folgende dient ihm dazu, diese Überzeugung zu begründen. In der Eröffnung, die sich durch direkte Anrede in der 2. Person Plural an die Adressaten wendet, sind die paränetischen Aussagen und deren Begründung miteinander verschränkt. Das erste Glied der Begründung (Hebr 6,10) ist von der Einleitung (Hebr 6,9) und deren weiteren Ausführung (Hebr 6,11) umklammert und steht damit über der gesamten Argumentation der Perikope. Es lässt das Folgende in der Gerechtigkeit Gottes begründet sein. 52 Als rhetorisches Mittel hebt die doppelte Negation ( ouv a; dikoj = di,kaioj ) die Gerechtigkeit Gottes hervor. Da von der Gerechtigkeit Gottes im Hebräerbrief nur an dieser Stelle gesprochen wird, muss deren inhaltliche Bestimmung auf einer sehr schmalen Textbasis erfolgen. Als Ansatzpunkt dient die folgende Erläuterung: evpilaqe,sqai tou/ e; rgou u`mw/ n kai. th/ j avga,phj h-j evnedei,xasqe eivj to. o; noma auvtou/ ( diakonh,santej toi/ j a`gi,oij kai. diakonou/ ntej . Sie ist als Ausdruck der Treue Gottes zu verstehen und zeigt eine sachliche Parallele zu Hebr 10,23. 53 Ein vordergründiger Lohn- oder Verdienstgedanken ist hier nicht zu unterstellen, denn um gerechten Lohn geht es hier nicht. 54 An vier Stellen ist im Hebräerbrief explizit von Lohn ( misqapodosi,a ) die Rede: (1.) In Hebr 2,2 wird negativ ausgeführt, dass pa/ sa para,basij kai. parakoh. e; laben e; ndikon misqapodosi,an . Die Unverbrüchlichkeit dieses Zusammenhangs macht die einzigartige Bedeutung des Heilshandelns Christi evident, ohne das es kein Entrinnen gibt. (2.) In Hebr 10,35 heißt es, dass die parrhsi,a eine mega,lh misqapodosi,a hat. (3.) In Hebr 11,6 wird im Anschluss an das Henoch- Beispiel ausgeführt, dass es ohne Glauben unmöglich ist, Gott zu gefallen. Als Begründung (Anschluss mit ga,r ) folgt dann, dass es Inhalt des Glaubens ist, o[ti e; stin kai. toi/ j evkzhtou/ sin auvto.n misqapodo,thj gi,netai . (4.) In Hebr 11,26 heißt es, dass Mose die Schmach Christi für größeren Reichtum hielt als die Schätze Ägyptens, mit der Begründung avpe,blepen ga.r eivj th.n misqapodosi,an . In keinem der Fälle (1.)-(4.) gibt es irgendeinen Zusammen- 52 „The basis for the author’s confidence is that God is not unjust (6: 10)“ (Koester: Hebrews, 324). 53 Vgl. Weiß: Hebräer, 354. Dass und inwieweit der Abschnitt Hebr 10,19-25 mit Hebr 6,9-15 durch Wortfeldverbindungen eng verknüpft ist, wird in Abschn. 3 thematisiert. 54 Gegen W INDISCH , der meint, dass die Gerechtigkeit Gottes „darin besteht, daß er diese ihm zu Ehren oder ihm zuliebe geleisteten Werke den Lesern anrechnet“ (ders.: Hebräerbrief, 57; vgl. dazu auch Abschn. 1). <?page no="233"?> Kapitel VII: Gen 15,6 im Hebräerbrief 219 hang zu Abraham, ebenso wenig, wie im Hebräerbrief etwas über die Gerechtigkeit Abrahams ausgesagt wird. Die unter (2.) und (3.) genannten Stellen gehören zudem in den Zusammenhang der Rezeption von Hab 2,4, die von der von Gen 15,6 deutlich zu unterscheiden ist. 55 Auch besteht die Gerechtigkeit Gottes nicht darin, dass „gute Werke das Defizit an Glauben auffüllen“ 56 und Gott die Gläubigen, obwohl sie noqro,j geworden sind, aufgrund ihrer Werke zum Heil erhält; vielmehr geht es darum, dass es Gott nicht entspricht, „zu vergessen oder nicht wahrzunehmen, dass sie in ihrem Wirken bezeugen, existentiell von der Liebe zum Namen Gottes bewegt zu sein“ 57 . Der Grund dafür liegt nun nicht bei den Adressaten, sondern in der Gerechtigkeit und Treue Gottes begründet. 58 In der paränetischen Verklammerung mit Hebr 6,9.11 klingt Hebr 6,10a daher „wie eine »Versicherung« (O. M ICHEL ) des Autors gegenüber seinen Adressaten“ 59 . Für die Frage nach der Bedeutung der Konkretisation von Gen 15,6 in Hebr 6,9-15 ist zu zeigen, dass diese Versicherung in der durch den Schwur bekräftigten Verheißung Gottes in Hebr 6,13f eine formale wie sachliche Parallele hat. Die als Wunsch formulierte Mahnung in Hebr 6,11 knüpft durch evndei,knusqai an das evndei, xasqe aus Hebr 6,10 an und macht noch einmal deutlich, welche Bedeutung der Verfasser den dort gemachten Aussagen beimisst. Ist zunächst eine gewisse Analogie erkennbar, so macht das einleitende de, dann aber deutlich, dass der Wunsch des Verfassers weit darüber hinausreicht. 60 An die vorhandene spoudh, kann in Bezug auf die Liebe (bzw. die Liebeswerke) angeknüpft werden, doch die Forderung des Verfassers geht deutlich weiter. Sie besteht in der plhrofori,a th/ j evlpi,doj - einem hapax legomenon im Neuen Testament 61 - und meint das »Vollmaß« der subjektiven Hoffnung. Um die Bewährung dieser Hoffnung geht es hier. 62 Für die Frage nach einer Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 ist die Verbindung zwischen pi,stij und e; lpij von Bedeutung. Sie spiegelt sich 55 Vgl. dazu den Exkurs nach Abschn. 2.5. 56 Schunack: Hebräerbrief, 82. 57 Schunack: Hebräerbrief, 82; gegen G RÄßER : „Die guten Werke füllen das Glaubensdefizit auf, weswegen man sich nicht wundern darf, daß dem Tridentinum die V9-12 als Beweis für die Verdienstlichkeit der guten Werke galten“ (ders.: Hebräer I, 366; vgl. auch a.a.O., 365). 58 Vgl. Strobel: Hebräer, 69f. 59 Weiß: Hebräer, 354; vgl. Michel: Hebräerbrief, 248. 60 Weiß: Hebräer, 355. 61 Vgl. Gräßer: Hebräer I, 367. 62 Vgl. Gräßer: Glaube, 27. <?page no="234"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 220 zunächst nur in den alternativen Lesarten zu Hebr 6,11 wider: I und pc haben pi,stewj anstelle von evlpi,doj und 33 hat die Kombination aus beidem: th/ j pi,stewj th/ j evlpi,doj . Wenn auch beide Varianten wegen ihrer schwachen äußeren Bezeugung nicht als ursprüngliche Lesart in Betracht kommen, könnte sich hier eine Rezeption des Verses widerspiegeln, die pi,stij als Objekt des geforderten Eifers ansieht und der plhrofori,a pi,stewj in Hebr 10,22 entsprechend variiert hat. 63 Nimmt man diesen Zusammenhang an, so ist der Glaube in der Ausrichtung auf das te,loj als solcher Hoffnung (vgl. Hebr 11,1). 64 Der Grund für eine solche Hoffnung im Glauben liegt wiederum in der Gerechtigkeit und Treue Gottes (Hebr 6,10) 65 und bringt es mit sich, alles dran zu setzen, um nicht träge zu werden. Die entsprechende Mahnung in Hebr 6,12 ist somit indirekt abhängig von der Begründung in Hebr 6,10 und führt nun ihrerseits die erhoffte Folgerung aus dem Gesagten negativ und positiv aus. Durch die Partikel de, wird der Gefahr nwqro,j zu werden die Aufforderung mimhtai. tw/ n dia. pi,stewj kai. makroqumi,aj klhronomou,ntwn ta.j evpaggeli,aj gegenübergestellt. Diese Gegenüberstellung ist exklusiv gedacht, so dass das eine das andere ausschließt: „Da nun zugleich gesagt ist, daß man Erbe der Verheißung nur dia. pi,stewj kai. makroqumi,aj wird, könnte man sagen, daß nwqro.j ei=nai soviel bedeutet wie a; pistoj ei=nai .“ 66 Die positive Wendung markiert das Ziel der Nachahmung und die Kennzeichen derjenigen, die nachzuahmen sind. Es geht darum, die »verheißenen Güter« als Besitz zu empfangen. Auf sprachlicher Ebene ist sowohl die Übersetzung »Verheißungen« im Sinne von Verheißungswort, als auch die Übersetzung »verheißene Güter« im Sinne von Verheißungsgut möglich, was nicht sicher zu entscheiden ist. 67 Aus dem Kontext ergibt sich aber, dass „die ganz allgemein gehaltene Aussage [...] nicht auf die von den Patriarchen (oder auch den Christen) empfangenen Verheißungsworte“ 68 abzielt, sondern „- ungeachtet des Plurals ai` evpaggeli,ai - das Verheißungsgut des eschatologischen Eingehens in die himmlische kata,pausij im Blick“ 69 hat. 63 Vgl. dazu Gräßer: Glaube 26 (Anm.77); vgl. auch Abschn. 3.1.2 64 Vgl. Weiß: Hebräer, 355. 65 G RÄßER sieht den Grund für die Gewissheit der Hoffnung in Hebr 6,11 im Hohenpriestertum Christi (vgl. ders.: Glaube, 25). Im Argumentationsduktus von Hebr 6,9-15 (bzw. Hebr 6,9-20) kommt dieser Aspekt aber erst in der Auslegung des Schwurs (Hebr 6,16-20) in den du,o pragma,ta avmetaqe,ta (Hebr 6,18; vgl. 6,20) hinzu. 66 Gräßer: Glaube, 27f. 67 Vgl. Bauer: Art. evpaggeli,a , 568. 68 Rose: Verheißung, 67. 69 Rose: Verheißung, 67. <?page no="235"?> Kapitel VII: Gen 15,6 im Hebräerbrief 221 Damit besteht eine vom Verfasser offensichtlich beabsichtigte Spannung zwischen der inhaltlichen Bestimmung von evpaggeli,a in Hebr 6,12 (mit Partizip Präsens klhronomou,ntwn ), Hebr 6,13 (Partizip Aorist evpaggeila,menoj ) und Hebr 6,15 (mit Aorist evpe,tucen ). In der Übersetzung ist das zu beachten. In Hebr 6,12 deutet das Partizip Präsens an, dass hier nicht schon ein spezielles Beispiel im Blick ist - wenngleich eine solche Aussage auf Spezifizierung drängt -, sondern allgemein diejenigen gemeint sind, die „in bescheidener Namenlosigkeit allen Anfechtungen und Widerwärtigkeiten zum Trotz den Weg der Hoffnung »bis zum Ende« gehen.“ 70 Es ist also hier der Vollzug des Christseins im zeitlichen Dasein im Blick, wofür es Paradigmen gibt, Beispiele für einen Lebensvollzug, der gelungen ist, weil durch ihn das Ziel, die verheißenen Güter zu erlangen, auch tatsächlich erreicht wird. 71 Die Konstruktion von dia, mit Genitiv lässt pi,stij und makroqumi,a den Umstand bezeichnen, unter dem im Lebensvollzug das Ziel erreicht wird. 72 Die makroqumi,a erscheint so als Kennzeichen der pi,stij und die spoudh, charakterisiert ihr aktives Verhalten. Im Argumentationszusammenhang von Hebr 6,9-15 liegt somit nach Auffassung des Verfassers der Ermöglichungsgrund der pi,stij und der makroqumi,a als Objekt der Nachahmung für die Adressaten „in der Verheißung des gerechten Gottes“ 73 . Mit Hebr 6,13f wird unter Aufnahme der Stichwörter evpaggeli,a (Hebr 6,13.15) und makroqumi,a (Hebr 6,15) auf die Verlässlichkeit der göttlichen Verheißung und ihre Konsequenz in einem gläubigen Lebensvollzug eingegangen. Dabei geht es nicht vordringlich um Abraham als Paradigma, sondern vielmehr um Gott selbst. Es soll hier die die Begründung der Heilsgewissheit vertieft werden. Strukturell ist Hebr 6,13f somit zum einen an Hebr 6,12 angeschlossen und als nähere Erläuterung davon abhängig, andererseits bildet Hebr 6,13f thematisch aber auch eine Parallele zu Hebr 6,10, wo ja ebenfalls eine Begründung für die Heilssicherheit gegeben ist. Es ist im Folgenden wieder Gott das Subjekt (vgl. Hebr 6,10). Gott erscheint als der, der die Verheißung gegeben hat und sie zusätzlich mit einem 70 Strobel: Hebräer, 71. S TROBEL sieht im Plural evpaggeli,ai dem vielfachen Zeugnis der Schrift Rechenschaft getragen (vgl. ebd.). 71 Vgl. Schunack: Hebräerbrief, 83. 72 Vgl. Bauer: Art. dia, A. III.1.c. 73 Horst: Art. makroqumi,a , 389. <?page no="236"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 222 Schwur bei sich selbst bezeugt. 74 Hier ist „das Partizip Aorist evpaggeila,menoj im Hinblick auf die mit dem göttlichen Eidschwur (Hebr 6,14 = Gen 22,17) bekräftigte Sohnes- und Nachkommensverheißung auszulegen. Zu denken ist demnach an das dem Abraham zuteil gewordene Verheißungswort.“ 75 Damit wird deutlich, dass es dem Verfasser des Hebräerbriefes an dieser Stelle in erster Linie um den Sachverhalt der unverbrüchlichen Geltung der Verheißung Gottes geht, um die Treue Gottes zu seiner Verheißung (vgl. Hebr 10,23; 11,11): „Letztlich fungiert Abraham in unserem Text nur als Beispiel für Gottes, nicht aber für die eigene Verlässlichkeit.“ 76 Um das zu zeigen, wird die Rezeption der mit einem Schwur Gottes bekräftigten Verheißung aus Gen 22 konkretisiert. Es findet sich mit w; mosen kaqV e`autou/ eine Bezugnahme auf Gen 22,16 LXX in Hebr 6,13 und ein Zitat aus Gen 22,17 LXX in Hebr 6,14. Im Umgang mit dieser Konkretisation ist genau darauf zu achten, in welcher Weise der Verfasser sie einbringt. Es besteht nämlich die Gefahr, dass durch vordergründige Verbindung mit der Aqedah-Erzählung Deutungsmuster aus der Abrahamtradition hier eingetragen werden, die der Verwendung des Beispiels durch den Verfasser gar nicht entsprechen. So ist hier keineswegs die Rede davon, „(that Abraham) received the promise and God`s confirming oath after having endures the most severe trail of his faith.“ 77 Die Intention des Verfassers ist nur durch Vergleich mit entsprechenden Konkretisationen aus der Rezeptionsgeschichte von Gen 22 und der genauen Analyse des Argumentationsduktus möglich. Er setzt gegenüber dem Vergleichsmaterial deutlich eigene Akzente. Der Zusammenhang des Schwures mit der vorangegangenen Aqedah- Erzählung wird nicht traktiert. Aus Gen 22,16 LXX 78 ist nur die besondere Form der folgenden Verheißung als Schwur übernommen, nicht aber der Hinweis auf die Bindung Isaaks: „Der Schwur Gottes ist nicht Reaktion auf den Gehorsam Abrahams, sondern die Weise, in der der verheißende Gott 74 W EIß sieht hier „im Blick auf die Sachaussage (...) Partizip und Verbum finitum vertauscht, sodaß zu übersetzen ist: »Gott nämlich gab dem Abraham die Verheißung, indem er schwor...«“ (ders.: Hebräer, 359 (Anm. 4)). Die eigene Übersetzung unterstreicht dagegen das besondere Gewicht, das der Verfasser auf den Schwur legt. 75 Rose: Verheißung, 71. 76 Gräßer: Hebräer I, 376; so auch K OESTER : „Abraham is cited as an example of those »who through faith and perseverance inherit what is promised« (6: 12), but God is actually the focus of attention” (ders.: Hebrews, 332). 77 Lane: Hebrews I, 148f.; vgl. Swetnam: Jesus, 184; Attridge: Hebrews, 180. 78 le,gwn katV evmautou/ w; mosa le,gei ku,rioj ouei[neken evpoi,hsaj to. r`h/ ma tou/ to kai. ouvk evfei,sw tou/ ui`ou/ sou tou/ avgaphtou/ diV evme, (Gen 22,16 LXX). <?page no="237"?> Kapitel VII: Gen 15,6 im Hebräerbrief 223 sich in souveräner Berufung auf sich selbst entspricht.“ 79 Zudem wird durch die Verkürzung von plhqu,nwn plhqunw to. spe,rma sou zu plhqu,nwn plhqunw se (parallel zu euvlogw/ n euvlogh,sw se ) die Aussage direkt auf Abraham bezogen. Der Inhalt der Verheißung - die zahllose Nachkommenschaft - tritt gegenüber der Form als Schwur zurück. Entscheidend ist für den Verfasser „allein die durch Gottes Schwur verbürgte unverbrüchliche Geltung der Zusage Gottes an Abraham.“ 80 Entsprechend bezieht sich auch das ou[twj von Hebr 6,15 nicht auf makroqumh,saj , sondern „eindeutig auf eben diese göttliche Verheißungsvergewisserung als die den Glauben Abrahams bewegende Macht.“ 81 Der Verwendung von makroqumi,a in Hebr 6,12 entsprechend ist mit makroqume,w hier nicht der Grund, sondern der Umstand bezeichnet, unter dem im Lebensvollzug die verheißenen Güter erlangt werden. 82 Dass der Verfasser hier im Gegensatz zu Hebr 6,12 nicht auch vom pisteu,ein Abrahams spricht, hat seinen Grund in der bewussten Gestaltung, die ein einfaches Gleichsetzen von Glauben und Ausharren verbietet. Es geht hier nicht um den aktuellen Glaubensvollzug Abrahams, sondern wie in Hebr 11 darum, dass sein geschichtliches Dasein als Ganzes im Zeugnis Gottes durch Glauben bestimmt war. 83 Die Adressaten sollen sich an jenen orientieren, die das Ziel erreicht und die evpaggeli,a erlangt haben, wie der Aorist evpe,tucen zeigt. Bei Abraham ist das der Fall. Es ist an dieser Stelle aber nun doch zu fragen, was Abraham erlangt hat. Nach R OSE versteht der Verfasser hier unter evpaggeli,a das „irdischimmanente Verheißungsgut der Geburt des Isaak.“ 84 Die mit dem göttlichen Eidschwur bekräftigte Sohnes- und Nachkommensverheißung war schon in Hebr 6,13 Inhalt des durch das Partizip Aorist evpaggeila,menoj ausgedrückten Verheißungswortes. 85 Makroqume,w meint daher nicht die Opferbereitschaft oder das Warten auf den Empfang der Verheißung bzw. deren Bestätigung, sondern ganz konkret das lange Warten Abrahams auf die Geburt Isaaks, die ihm verheißen war. 86 79 Schunack: Beobachtungen, 220. 80 Weiß: Hebräer, 360. 81 Hegermann: Hebräer, 139. 82 Vgl. Swetnam: Jesus, 185. 83 Vgl. Schunack: Hebräerbrief, 84 und Rhee: Christology 96; gegen Gräßer: Hebräer I, 369. 84 Rose: Verheißung, 71. 85 Vgl. Swetnam: Jesus, 185. 86 „»Persevering« is the shape that life takes in between the giving and fulfillment of God’s promise” (Koester: Hebrews, 326). <?page no="238"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 224 Von daher bestimmt der Kontext von Gen 22 trotz der Konkretisation von Gen 22,16f nicht den Gesamtzusammenhang des Abrahambeispiels in Hebr 6,9-15. 87 Die Intention des Verfassers ist es vielmehr, die göttliche Verheißung als Ermöglichungsgrund für einen gläubigen Lebensvollzug am Beispiel Abrahams aufzuzeigen. Letztlich hat Abrahams Glaubenstreue ihren Grund darin, dass Gott gerecht ist und seiner Verheißung treu bleibt. 88 Als Ergebnis der Analyse kann Hebr 6,9-15 nun wie folgt übersetzt werden: 6,9 Wenn wir auch so reden, sind wir aber bei euch, Geliebte, überzeugt vom Besseren und von dem, was zum Heil gehört. 6,10 Denn Gott ist nicht ungerecht, eure Werke zu übersehen und die Liebe, die ihr seinem Namen erwiesen habt, indem ihr den Heiligen gedient habt und (noch) dient. 6,11 Wir begehren aber, dass jeder von euch denselben Eifer erweist für die Gewissheit der Hoffnung bis zum Ende, 6,12 damit ihr nicht träge werdet, sondern Nachahmer derer, die durch Glauben und Geduld die verheißenen Güter als Besitz empfangen. 6,13 Denn als Gott dem Abraham die Verheißung gab, schwor er bei sich selbst, weil er bei niemand Größerem schwören konnte, 6,14 und sprach: Wahrhaftig, ich will dich segnend segnen und dich mehrend mehren. 6,15 Und so erlangte Abraham das verheißene Gut, weil er Geduld hatte. 2.3 Analyse von Hebr 11,17-19 Die Wortfeldanalyse konnte in Hebr 11,17-19 die Grundelemente pi,st& , logi,d& und VAbraa,m nachweisen. Zudem ist das in der Bearbeitung von Hebr 6,9-15 als zentral herausgestellte Element evpaggeli,a hier wieder aufgenommen. Die strukturierte Darstellung des Textes gibt die analysierte Argumentationsstruktur wieder, die nachfolgend erläutert wird: 11,17 pi,stei prosenh,nocen VAbraa.m to.n VIsaa.k peirazo,menoj kai. to.n monogenh/ prose,feren( o` ta.j evpaggeli,aj avnadexa,menoj( 11,18 pro.j o]n evlalh,qh o[ti evn VIsaa.k klhqh,setai, soi spe,rma( 11,19 logisa,menoj o[ti kai. evk nekrw/ n evgei,rein dunato.j o` qeo,j( 87 Gegen Dobbeler: Glaube, 137. 88 Vgl. Weiß: Hebräer, 360f (Anm. 10). <?page no="239"?> Kapitel VII: Gen 15,6 im Hebräerbrief 225 o[qen auvto.n kai. evn parabolh/ | evkomi,sato Die Perikope beginnt - dem generellen Aufbau der Beispiele in der Wolke der Zeugen folgend - mit anaphorischem pi,stei . 89 Die Verse Hebr 11,17a.c schildern nach der Unterbrechung der Reihe der Abrahambeispiele durch einen kommentierenden Einschub (Hebr 11,13-16) die Darbringung Isaaks als viertes Beispiel. Die Stellung des Namens VAbraa,m ist textkritisch unsicher. Es gibt vier unterschiedliche Lesarten: (1) P 46 , Y und wenige andere griechische Handschriften sowie eine lateinische Einzelhandschrift haben VAbraa,m ausgelassen. (2) D hat pi,stei prosenh,nocen to,n VIsaa.k peirazo,menoj VAbraa.m , während (3) 1505 und wenige andere Alternativlesarten VAbraa.m vor peirazo,menoj stellen. (4) Den oben gegebenen Text bezeugen a , A, 33, 1739,1881 und der Mehrheitstext sowie eine Einzelhandschrift der Vulgata. Die Textkritische Entscheidung fällt aufgrund der äußeren Bezeugung zugunsten der vierten Lesart. 90 Die Unsicherheit und das teilweise Fehlen des Namens deuten aber wohl darauf hin, dass die übrigen Elemente des semantischen Feldes von Hebr 11,17-19 auch ohne explizite Nennung Abraham eindeutig als Subjekt der Handlung voraussetzen. Auffällig ist, dass die Handlung zweimal erzählt wird, wobei prosfe,rw zunächst im Perfekt und dann im Imperfekt erscheint. Welche Intention der Verfasser mit der Verwendung des Perfekts in Hebr 11,17a verbunden hat, ist nur schwer festzustellen. Die Annahme eines exegetischen Perfekts zur Bezeichnung dessen, was geschrieben steht, 91 wirft die Frage auf, warum es nicht auch bei den anderen Abrahambeispielen Verwendung gefunden hat. In der Wolke der Zeugen wird es sonst nur in Hebr 11,28 ( pepoi,hken ) von Mose gebraucht, wo es im parallel aufgebauten Abschnitt genau Hebr 11,17 entspricht. 92 Ebenso unsicher ist auch die Annahme eines resultativen Perfekts, das den tatsächlich „erfolgten Vollzug der Opferung Isaaks“ 93 nahe legen würde. Entscheidend ist, dass durch das Perfekt die Paradoxie der Darbringung Isaaks verschärft wird. Durch das Partizip peirazo,menoj wird sie der bibli- 89 Zu Aufbau, Inhalt und Intention der Wolke der Zeugen vergleiche die umfassende Untersuchung von C HRISTIAN R OSE (ders.: Wolke). 90 Vgl. dazu Metzger: Commentary, 602f. 91 Vgl. Bauer: Art. prosfe,rw 2.a, 1441; Attridge: Hebrews, 334. 92 Vgl. Rose: Wolke, 80f. 93 Rose: Wolke, 235; vgl. auch Gräßer, Hebräer III, 145; Weiß: Hebräer, 596f; ferner Schunack: Hebräerbrief, 178 u. Strobel: Hebräer, 148. Zur Diskussion einzelner Positionen siehe Kundert: Opferung I, 210-214. <?page no="240"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 226 schen Tradition gemäß (vgl. Gen 22,1 LXX) als Versuchung gedeutet. Dass es sich hierbei um die Konkretisation einer Rezeption von Gen 22,1-19 LXX handelt, ist zunächst nur über die Grundelemente VAbraa,m( VIsaa,k und peira,zw fassbar. Das für die Opfervorstellung des Hebräerbriefs wichtige prosfe,rw findet sich im Zusammenhang von Gen 22 LXX nicht und ist daher aus dem Gesamtzusammenhang des Hebräerbriefs zu erklären und nicht über die Aqedah-Tradition. 94 Die Schwere der Versuchung besteht darin, dass die Konsequenz der Forderung Gottes - Isaak zu töten - seiner eigenen Verheißung - zahllose Nachkommenschaft aus dem Geschlecht Isaaks - entgegensteht. Das Besondere in diesem Fall wird durch die mit epexegetischem kai, angeschlossene und durch das Imperfekt gekennzeichnete nachträgliche Schilderung unterstrichen: kai. to.n monogenh/ prose,feren . Isaak wird hier abweichend von Gen 22,2 LXX ( avgaphto,j ), aber in sachlicher Entsprechung zu Gen 22,2 MT ( dyxiy" " " " ), als monogenh/ qualifiziert. 95 Es entsteht ein Bezug zur Verheißung Gottes, der in Form zweier Parenthesen weiter ausgeführt wird. 96 Achterlastig betont steht da zunächst: o` ta.j evpaggeli,aj avnadexa,menoj . Abraham war die seine Nachkommenschaft und insbesondere Isaak betreffende Verheißung wohl bekannt. Gemeint ist dasselbe Verheißungswort, dessen irdisch immanente Erfüllung bereits in Hebr 6,15 erwähnt wurde. Der eschatologische Vorbehalt im Blick auf die Unzählbarkeit seiner Nachkommenschaft kommt in Hebr 11,13-16 zum Ausdruck. Entscheidend ist, dass der Grund zur Erfüllung dieser Verheißung mit der Geburt Isaaks bereits gelegt ist. Die zweite Parenthese bietet ein Zitat aus Gen 21,12 LXX: evn VIsaa.k klhqh,setai, soi spe,rma . Es zielt auf Ismael, den Nachkommen Abrahams mit Hagar. Ihm gegenüber wird die Exklusivität Isaaks und seiner Nachkommen für die Trägerschaft der Abrahamverheißung betont. Es ist daher zu übersetzen: »(Nur) nach Isaak wird dein (d.h. Abrahams) Geschlecht benannt werden.« Festzuhalten ist somit, dass das Verhalten Abrahams, der Isaak als Opfer dazubringen bereit ist, dreifach durch eine Näherqualifizierung seiner Person bzw. Situation herausgestellt wird: (1.) Abraham ist einer, der Verheißungen erhalten hat, (2.) Abraham ist einer, dem die Exklusivität der Nachkommenschaft in Isaak versichert wurde, und (3.) Abraham ist einer, der in Bezug auf diese Verheißung versucht wurde. In allen drei Fällen steht also die an Abraham ergangene Verheißung im Vordergrund. 94 Gegen Kundert: Opferung I, 212. 95 Vgl. Gräßer: Hebräer III, 147. 96 Vgl. Eisenbaum: Heroes, 162. <?page no="241"?> Kapitel VII: Gen 15,6 im Hebräerbrief 227 Im Gegensatz zu Hebr 6,9-15 ist in Hebr 11,17-19 stärker das Verhalten Abrahams im Blick, der auch als grammatikalisches Subjekt erscheint. Inhaltlich aber steht hier wie in Hebr 6,9-15 Gottes Verheißungstreue im Vordergrund. Sie wird als Grund für das Verhalten Abrahams angeführt. Das Partizip logisa,menoj ist daher kausal an prosenh,nocen / prose,feren anzuschließen. 97 Der Verfasser gibt den Adressaten Abrahams „underlying motivation“ 98 zur Kenntnis: Abraham rechnet damit, dass Gott die Macht hat auch die Toten aufzuerwecken, wenn das zur Erfüllung der Verheißung notwendig sein sollte. Denn der gerechte und treue Gott wird auf keinen Fall seine eigene Verheißung ernsthaft gefährden. Abrahams Motivation ist nun durch logi,zomai mit einem der Grundelemente des semantischen Feldes von Gen 15,6 gestaltet. In der Kombination mit o; ti erscheint das von Abraham Erwogene als ein Urteil über Gott und seine Verheißungen. 99 In Verbindung mit dem anaphorischen pi,stei vom Beginn der Perikope ist das Verhalten Abrahams einschließlich der zugrunde liegenden Motivation Ausdruck seines Glaubens: Durch Abrahams Glauben an Gott und seine Verheißungen ( pi,stei ) war er bereit, mit der Darbringung Isaaks das (in Bezug auf die Verheißung) Widersinnigste zu tun. Denn er rechnete ( logisa,menoj ) damit, dass Gott treu zu seiner Verheißung steht und notfalls durch Auferweckung von den Toten die Erfüllung derselben herbeiführt. In Hebr 11,19b führt der Aorist evkomi,sato schließlich auf die Ebene der Darstellung des Beispiels zurück. Dabei wird durch das o[qen als konsekutiv koordinierende Konjunktion Abraham in seinem Vertrauen auf die Verheißungstreue Gottes bestätigt: „Die Rückgabe Isaaks an Abraham ist dementsprechend auch weniger die Belohnung der Glaubenstat Abrahams als vielmehr die (notwendige! ) Folge solchen unbedingten Vertrauens auf die Macht und Kraft Gottes.“ 100 Es wird festgehalten, dass Abraham, das verhei- 97 So auch M OXNES : „The conclusion to the story focuses on the fulfillment of the promise in spite of a hopeless situation. This fullfillment was grounded solely in the power of God to do what he had promised. It is spellt out in Abraham’s confession in 11: 19a: logisa,menoj o[ti kai. evk nekrw/ n evgei,rein dunato.j o` qeo,j ” (ders.: Theology, 186). 98 Attridge: Hebrews, 322. In gewisser Weise steht der Hebräerbrief hier mit K ANT , K IER- KEGAARD und S CHELLING in einer Linie, wenn er über die Hintergründe und Folgen der ungeheuren Forderung Gottes in Gen 22 nachdenkt (vgl. dazu Rosenau: Erzählung). 99 Vgl. Blass/ Debrunner: Grammatik, 327f; Hegermann: Hebräer, 234; Söding: Antwort, 402. 100 Weiß: Hebräer, 597f; vgl. auch Moxnes: Theology, 187. Es besteht hier daher auch kein Zusammenhang zu Hebr 10,35 (gegen Gräßer: Hebräer III, 149), wo nämlich im Zusammenhang mit der Rezeption von Hab 2,4 von einer mega,lh misqapodosi,a für das <?page no="242"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 228 ßene Gut, d.h. Isaak als den Verheißungsträger, „von neuem erhalten“ 101 hat. In welcher Weise das evn parabolh|/ hier zu verstehen ist, bleibt ähnlich wie die Bewertung des Perfekts in Hebr 11,17 unsicher. 102 Für den dargelegten engen Zusammenhang zwischen der Verheißung Gottes und Abrahams Glauben angesichts der Versuchung ist die Deutung von M ATHIAS R ISSI am naheliegendsten, wonach evn parabolh|/ mit »gleichsam« wiedergegeben werden kann: „Das Geschehen der Rettung des Sohnes ist Sinnbild dessen, was Abraham glaubt. (...) Eine Typologie für das Schicksal Jesu liegt dem Text vollkommen fern. Er beschäftigt sich allein mit dem Glauben Abrahams.“ 103 So hat letztlich auch hier, wie in Hebr 6,9-15, die Glaubenstreue Abrahams ihren Grund darin, dass Gott selber treu und gerecht ist. Als Ergebnis der Analyse kann Hebr 11,17-19 dann wie folgt übersetzt werden: 11,17 Durch den Glauben hat Abraham den Isaak dargebracht, als er versucht wurde; und er brachte den einzigen dar - er, der die Verheißungen empfangen hatte und 11,18 zu dem gesagt worden war: (Nur) nach Isaak wird dein Geschlecht benannt werden - 11,19 weil er erwog, dass Gott auch mächtig ist, von den Toten aufzuerwecken. Gleichsam erhielt er ihn deshalb von Neuem. 2.4 Analyse von Hebr 11,11f Die Untersuchungen von Hebr 6,9-15 und Hebr 11,17-19 konnten das entscheidende Element dieser Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 in der Verheißungstreue Gottes als Grund für den Glauben Abrahams ausmachen. Dieses Fazit führt - trotz des eingeschränkten Vorkommens der Grundelemente des semantischen Feldes - zur Untersuchung von Hebr 11,11f als potentielle Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6. Dabei hängt die Relevanz dieser Stelle nicht unerheblich an zwei Fragen zu Hebr 11,11: Zunächst stellt sich die Frage nach der textkritischen Beurteilung von auvth. Sa,rra ( stei/ ra ). Dazu sind vier unterschiedliche Lesarten gegeneinan- Nichtverlieren der Zuversicht die Rede ist, was trotz des Vorkommens von pi,stij und di,kaioj von der Rezeption von Gen 15,6 im Hebräerbrief deutlich zu unterscheiden ist (vgl. dazu den Exkurs nach Abschn. 2.5). 101 Bauer: Art. komi,zw , 2.b, 900. 102 Zur Diskussion dieser Frage vgl. Kundert: Opferung I, 210-214. 103 Rissi: Theologie, 110. <?page no="243"?> Kapitel VII: Gen 15,6 im Hebräerbrief 229 der abzuwägen: (1) P 13vid , a , A, D2, 33, der Mehrheitstext und Augustinus haben bzw. lesen auvth. Sa,rra , während (2) P 46 , D*, Y und alle lateinischen Handschriften stei/ ra hinter Sa,rra ergänzen. (3) P, 104, 365, 1505 und wenige andere sowie die Peschitta ergänzen zusätzlich ou=sa , während (4) D 1 , 6, 81, 1241 s , 1739, 1881 und wenige andere den Artikel h` vor stei/ ra ergänzen. Die Lesarten (2) und (3) können allein wegen ihrer schwachen äußeren Bezeugung ausgeschlossen werden. Zu fragen bleibt dann, ob stei/ ra als eine interpretierende Glosse anzusehen ist, oder ob das ursprünglich Vorhandene durch ein Übersehen beim Abschreiben verloren ging. 104 Aufgrund der äußeren Bezeugung ist Lesart (1) anzunehmen und stei/ ra als interpretierende Glosse auszulassen. 105 Die zweite Frage ist die nach dem Subjekt von e; balen und h`gh,sato . 106 Mit den meisten Auslegern 107 halte ich Abraham für das nicht explizit genannte Subjekt in Hebr 11,11. Dafür sind besonders drei Gründe anzuführen: (1) Die Komposition des Abrahambeispiels in der Wolke der Zeugen setzt in Hebr 11,8-10 explizit und dann wieder in Hebr 11,12 implizit durch die grammatikalischen Formen avfV e`no,j und nenekrwme,nou Abraham als Subjekt voraus. Zudem entspricht die viergliedrige Darstellung des Lebens des Patriarchen der Anzahl von vier Gliedern, die in Hebr 11,23-28 parallel dazu aus dem Leben des Mose dargestellt werden. 108 (2) Auch wenn in Lev 12,2 LXX, rabbinischen Texten und bei den griechischen Philosophen durchaus die Vorstellung eines weiblichen Samenergusses anzutreffen ist, 109 bezeichnet die Wendung katabolh. spe,rmatoj ausschließlich die männliche Geschlechtsfunktion. (3) An die hinter Hebr 6,9-15 stehende Intention des Verfassers, die göttliche Verheißung als Ermöglichungsgrund für einen gläubigen Lebensvollzug am Beispiel Abrahams aufzuzeigen, schließt sich Hebr 11,11f mit Abraham als Subjekt schlüssig an. Dabei ist die Verwendung von evpaggeli,a im Zusammenhang mit der Rezeption von Gen 15,6 und mit Abraham insgesamt immer besonders auf die Nachkommensver- 104 Vgl. dazu Metzger: Commentary, 602. 105 Vgl. den Text der 25. Auflage des Novum Testamentum Graece. 106 Einen Überblick über die Forschungsgeschichte zu diesem Topos gibt A TTRIDGE (vgl. ders.: Hebrews, 324-326). 107 Der Einfachheit halber seien hier die mir bekannten Gegenbeispiele genannt: Hegermann: Hebräer, Laub: Hebräerbrief, Schröger: Verfasser, Strobel: Hebräer und Swetnam: Jesus jeweils zur Stelle. 108 Vgl. Rose: Wolke, 228f. 109 Die entsprechenden Texte dazu finden sich z.B. bei Gräßer: Hebäer III, 132. <?page no="244"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 230 heißung bezogen. 110 Mit Abraham als Subjekt von e; balen und h`gh,sato lässt sich die Wendung auvth. Sa,rra dann am besten als Dativus sociativus wiedergeben. 111 Ausgehend von diesen Überlegungen, kann die Wortfeldanalyse in Hebr 11,11f also von den Grundelementen des semantischen Feldes den Wortstamm pist& lokalisieren und VAbraa,m als implizites Subjekt ausmachen. Die Wortstämme dikai - und logid hingegen fehlen hier. Dass diese Stelle als Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 dennoch in Betracht kommt, ergibt sich erst durch die vorgängige Beschäftigung mit Hebr 6,9-15 und Hebr 11,17-19. Es zeigt sich nämlich, dass dort wie hier die charakteristische Erweiterung des semantischen Feldes durch evpaggeli,a bzw. evpagge,llomai im Vordergrund stehen. Mit Hebr 11,17-19 verbindet die Stelle zudem die spezifische Erweiterungen spe,rma und nekro,j bzw. nekro,w und dunato,j bzw. du,namij . Außerdem sind Hebr 11,11f und Hebr 11,17-19 parallel aufgebaut, wie die strukturierende Darstellung des Textes zeigt: 11,11 pi,stei kai. auvth. Sa,rra du,namin eivj katabolh.n spe,rmatoj e; laben kai. para. kairo.n h`liki,aj( evpei. pisto.n h`gh,sato to.n evpaggeila,menonÅ 11,12 dio. kai. avfV e`no.j evgennh,qhsan( kai. tau/ ta nenekrwme,nou( kaqw.j ta. a; stra tou/ ouvranou/ tw/ | plh,qei kai. w`j h` a; mmoj h` para. to. cei/ loj th/ j qala,sshj h` avnari,qmhtojÅ Die Perikope beginnt mit anaphorischem pi,stei und erzählt im Aorist, dass Abraham die Kraft zur Zeugung eines Nachkommens empfing. Diese Tatsache wird durch die Wendungen kai. auvth. Sa,rra und kai. para. kairo.n h`liki,aj näher qualifiziert. Sowohl der Hinweis auf das fortgeschrittene Alter Abrahams als auch der Hinweis auf Sara, deren Unfruchtbarkeit hier sicher mitgeschwungen hat, wenn auch die Explikation dieses Hindernisses als sekundär eingestuft werden muss (s.o.), stellen die Anfechtung heraus, der Abraham in Bezug auf die Verheißung Gottes ausgesetzt war. 110 „Both represent positiv phrases and (unlike 11: 8-10 and 13-16) record the fulfillment of the promise. Furthermore, both sections are concerned with the promise of descendants, and speak of the power of God (11: 11, 19) which conquers death (11: 12, 19)” (Moxnes: Theology, 186 (Anm. 222); vgl. dazu Abschn. 3.1.2). 111 Siehe die Übersetzung am Schluss des Abschnitts. Vgl. auch Blass/ Debrunner: Grammatik, 156 (§194, Anm. 2). Das Fehlen des Jota subskriptum steht dieser Deutung nicht im Wege, da es in Unizialhandschriften belegt ist (vgl. Metzger: Commentary, 602). <?page no="245"?> Kapitel VII: Gen 15,6 im Hebräerbrief 231 Mit evpei, eingeleitet, wird dann ähnlich wie in Hebr 11,19 die Begründung dafür angeführt, dass Abraham trotz dieser Anfechtungen zum erwünschten Ziel kommt: 112 pisto.n h`gh,sato to.n evpaggeila,menon . Mit dem Gottesprädikat evpaggeila,menoj wird der Bezug zur Verheißung hergestellt, was Hebr 11,11 direkt mit Hebr 6,13 und Hebr 11,17 verbindet. Das h`gh,sato entspricht sachlich dem logisa,menoj in Hebr 11,19. Der Ton der Aussage liegt durch die Stellung deutlich auf pisto,n . 113 So wird auch hier zwar den Adressaten die „underlying motivation“ 114 Abrahams zur Kenntnis gegeben, sie weist aber gerade von sich weg auf Gottes pisto,j -Sein und besteht darin, dass Abraham ein Urteil über Gott und dessen Verheißungstreue fällt. Er rechnet damit, dass allein diese Verheißungstreue die Erfüllung der Verheißung garantiert. Wie schon in Hebr 11,17-19 ist das Verhalten Abrahams in Verbindung mit dem anaphorischen pi,stei vom Beginn der Perikope und einschließlich der zugrunde liegenden Motivation Ausdruck seines Glaubens: „Weil Abraham mit seiner pi,stij dem pisto,j -Sein Gottes entsprach, wurde seine Nachkommenschaft so zahlreich,“ 115 wie es ihm verheißen war, denn er rechnete damit, dass Gott treu zu seiner Verheißung steht und sie trotz der naturgegebenen Hindernisse erfüllen kann. Die Aussage über Abrahams Glauben erweist sich so als „statement about God, who is faithful to his promise.“ 116 Nur indem Abraham das erkennt und anerkennt, kann aus seiner Heilshoffnung Heilsgewissheit werden. Eingeleitet durch dio, wird dann berichtet, dass Abraham das versprochene Verheißungsgut der zahlreichen Nachkommenschaft wirklich erlangte. Die Spannung zu Hebr 11,13-16 ist dabei kein Widerspruch, sondern eschatologischer Vorbehalt. Durch die Geburt Isaaks ist die Erfüllung der Verheißung angebrochen, wenngleich die vollständige Verwirklichung - kaqw.j ta. a; stra tou/ ouvranou/ tw/ | plh,qei kai. w`j h` a; mmoj h` para. to. cei/ loj th/ j qala,sshj h` avnari,qmhtoj - zu Abrahams Lebzeiten nicht erreicht wurde. Die Verheißung erinnert an Gen 22,17a LXX 117 und schafft eine weitere 112 Vgl. Attridge: Hebrews, 326. 113 „In the syntax of the final clause, the position of pisto,n , »faithful«, is emphatic.” (Lane: Hebrews II, 145 (Anm. o)). 114 Attridge: Hebrews, 322. 115 Gräßer: Hebräer III, 133. 116 Moxnes: Theology, 184. 117 Dort lautet die Verheißung: h= mh.n euvlogw/ n euvlogh,sw se kai. plhqu,nwn plhqunw/ to. spe,rma sou w`j tou.j avste,raj tou/ ouvranou/ kai. w`j th.n a; mmon th.n para. to. cei/ loj th/ j qala,sshj (Gen 22,17a LXX). <?page no="246"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 232 Verbindung zu Hebr 6,9-15. Dabei ist hier nicht an einen Lohn für Abrahams Dafürhalten gedacht, sondern an die notwendige Folge der Verheißungstreue Gottes. Das zeigt die konsekutiv koordinierende Konjunktion dio, (verstärkt durch das beigefügte kai, ) an. 118 Der Einschub kai. tau/ ta nenekrwme,nou liegt auf derselben Ebene wie das kai. para. kairo.n h`liki,aj . Der Wortstamm nekr& verbindet zudem Hebr 11,11f mit Hebr 11,17-19. VAfV e`no,j „steht in bewußtem Kontrast zur schließlichen Vielheit ( plh/ qoj ) und Unzählbarkeit ( avnari,qmhtoj ) der Nachkommenschaft.“ 119 In Kombination mit den Aussagen kai. tau/ ta nenekrwme,nou und kai. para. kairo.n h`liki,aj wird somit deutlich, dass das eigentliche Wunder nicht die Unzählbarkeit der Nachkommenschaft ist, sondern der Umstand, unter dem sie zustande kam. Und wieder hat letztlich auch hier, wie in Hebr 6,9-15 und Hebr 11,17-19, aber noch deutlicher und expliziter als dort, die Glaubenstreue Abrahams ihren Grund darin, dass Gott selber treu ist. Aufgrund der Analyse kann Hebr 11,11f dann wie folgt übersetzt werden: 11,11 Durch den Glauben empfing er [sc. Abraham] zusammen mit Sara auch Kraft zum Samenerguss und das jenseits des Alters seiner vollen Lebenskraft, weil er den für treu hielt, der die Verheißung gegeben hatte. 11,12 Deshalb sind auch von einem einzigen, und zwar von einem bereits Erstorbenen, gezeugt worden wie die Sterne am Himmel so zahlreich und wie der unzählbare Sand am Ufer des Meeres. 2.5 Auswertung der Analysen im Blick auf die Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 im Hebräerbrief Die Analysen von Hebr 6,9-15; 11,11f und 11,17-19 haben ergeben, dass diese Stellen sowohl über die Erweiterungen des semantischen Grundwortfeldes als auch durch ihren Argumentationsduktus starke inhaltliche und formale Ähnlichkeiten aufweisen. Diese gilt es nun zusammenfassend darzustellen und dann im Blick auf die Frage nach einer Rezeption von Gen 15,6 im Hebräerbrief auszuwerten. Die Analyse der entsprechenden Texte hat auf der Ebene der Semantik herausstellen können, dass von den Grundelementen des semantischen Feldes von Gen 15,6 VAbraa,m und pist& in allen drei Texten vorkommen. Zu- 118 Vgl. Weiß: Hebräer, 589 (Anm. 27); Gräßer: Hebräer III, 133. 119 Gräßer: Hebräer III, 134. <?page no="247"?> Kapitel VII: Gen 15,6 im Hebräerbrief 233 dem ist in allen Texten das Element evpaggel& aufzuweisen, das sich inhaltlich in jedem Fall auf die Nachkommenschaft in Isaak bezieht. Diese drei Elemente des semantischen Feldes einer möglichen Konkretisation von Gen 15,6 im Hebräerbrief bilden die Basis für die weitere Analyse semantischer Bezüge. In Hebr 6,9-15 findet sich von den Grundelementen zudem dikai& , während in Hebr 11,17-19 das Element logi,zomai nachgewiesen ist, dem h`gh,omai in Hebr 11,11f semantisch entspricht. Hebr 11,11f und Hebr 11,17-19 sind zudem über die Elemente nekr&( duna& und spe,rma semantisch eng verknüpft. Auf der Ebene der Syntax fällt zunächst der parallele Aufbau der Perikopen Hebr 11,11f und Hebr 11,17-19 auf, der über den parallelen Aufbau aller Beispiele in der Wolke der Zeugen hinausreicht: Hebr 11,17-19 Hebr 11,11f p pp pi,stei i,stei i,stei i,stei prosenh,nocen VAbraa.m VAbraa.m VAbraa.m VAbraa.m to.n VIsaa.k p pp pi,stei i,stei i,stei i,stei peirazo,menoj kai. auvth. Sa,rra kai. to.n monogenh/ prose,feren( du,namin eivj katabolh.n spe,rmatoj e; laben o` ta.j evpaggeli,aj avnadexa,menoj( kai. para. kairo.n h`liki,aj( pro.j o]n evlalh,qh o[ti evn VIsaa.k klhqh,setai, soi spe,rma( logisa,menoj logisa,menoj logisa,menoj logisa,menoj o[ti kai. evk nekrw/ n evgei,rein dunato.j o` qeo,j( evpei. pisto.n h`gh,sato pisto.n h`gh,sato pisto.n h`gh,sato pisto.n h`gh,sato to.n evpaggeila,menonÅ o[qen auvto.n kai. evn parabolh/ | evkomi,sato) dio. kai. avfV e`no.j evgennh,qhsan( kai. tau/ ta nenekrwme,nou( kaqw.j ... Die Struktur dreier Ebenen, ist in beiden Perikopen parallel zu erkennen: (1) Das dem Glauben Abrahams entsprechende Verhalten (bzw. die entsprechende Widerfahrnis in Hebr 11,11) wird im Anschluss an das anaphorische pi,stei darstellt, wobei die Anfechtung, der Abraham in Bezug auf die an ihn ergangene Verheißung ausgesetzt ist, breit ausgeführt wird. (2) Der Grund für dieses Verhalten wird als in seiner Beurteilung Gottes und dessen Macht liegend herausgestellt. Hier entspricht die syntaktische Parallele der semantischen Übereinstimmung von logi,zomai und h`gh,omai . (3) Durch die Erfüllung der Verheißung wird Abrahams Verhalten schließlich als Bewährung seines Glaubens gedeutet. <?page no="248"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 234 Eine ähnliche Grundstruktur wie in Hebr 11,11f und Hebr 11,17-19 ist auch in Hebr 6,9-15 nachzuweisen, wenngleich sie dort in einem anderen Aufbau Ausdruck findet. Der in der entsprechenden Analyse bereits besprochene Aufbau sei hier nun dem von Hebr 11,11f gegenübergestellt: Hebr 6,9-15 Hebr 11,11f pepei,smeqa de. peri. u`mw/ n … p pp pi,s i,s i,s i,stei tei tei tei ouv ouv ouv ouv ga.r a; dikoj o` qeo.j a; dikoj o` qeo.j a; dikoj o` qeo.j a; dikoj o` qeo.j evpilaqe,sqai … kai. auvth. Sa,rra evpiqumou/ / / / men de. e[kaston u`mw/ n … du,namin eivj katabolh.n spe,rmatoj e; laben i[na mh. nwqroi. ge,nhsqe( mimhtai. de. tw/ n dia. pi,stewj dia. pi,stewj dia. pi,stewj dia. pi,stewj kai. makroqumi,aj klhronomou,ntwn ta.j evpaggeli,aj( kai. para. kairo.n h`liki,aj( tw/ | ga.r VAbraa.m VAbraa.m VAbraa.m VAbraa.m evpaggeila,menoj …w; mosen evpei. pisto.n h`gh,sato pisto.n h`gh,sato pisto.n h`gh,sato pisto.n h`gh,sato to.n evpaggeila,menonÅ kai. ou[twj makroqumh,saj evpe,tucen th/ j evpaggeli,aj) dio. kai. avfV e`no.j evgennh,qhsan( ))) Die oben identifizierten drei Ebenen können hier, wenn auch in veränderter Reihenfolge, ebenfalls ausgemacht werden: (1) Das seinem Glauben entsprechende Verhalten Abrahams ist hier paränetisch von den Adressaten als Nachahmung dieses Beispiels gefordert. Es ist der Begründung desselben nachgeordnet, weil der Verfasser seine Paränese mit einem Zuspruch und nicht mit einem Anspruch an die Adressaten beginnt. Die Anfechtung, der Abraham im Blick auf die Verheißung ausgesetzt ist, lässt sich aus seinem durch makroqumi,a charakterisierten Verhalten als positive, seinem Glauben entsprechende Reaktion darauf erschließen. Es ist dabei wohl an das Ausbleiben der Geburt eines leiblichen Nachkommens gedacht, über das Abraham in Gen 15,2f in Bezug auf die neuerliche Verheißung Gottes (Gen 15,1) klagt. (2) Die als Zuspruch gestaltete Begründung des Verhaltens Abrahams soll nach der Absicht des Verfassers in der Gerechtigkeit Gottes gefunden werden, die in seinem Schwur zu einer nicht zu überbietenden Versicherung seiner Verheißungstreue gesteigert wird. Entsprechend den Begründungen in Hebr 11,11f und Hebr 11,17-19 ist somit wohl auch hier vorausgesetzt, dass Abraham über Gott urteilt, dass er gerecht ist und die Erfüllung seiner <?page no="249"?> Kapitel VII: Gen 15,6 im Hebräerbrief 235 Verheißung in seinem Schwur verbürgt. 120 (3) Auch hier wird schließlich die Bewährung Abrahams in seinem Glauben durch die Erfüllung der Verheißung bestätigt. In der Paränese dient das der Versicherung der Adressaten und fordert sie zur Nachahmung seines Verhaltens auf. Betrachtet man nun die semantischen und syntaktischen Bezüge zwischen den drei Perikopen im Zusammenhang, 121 so lassen sich nicht nur die entscheidenden Grundelemente des semantischen Feldes von Gen 15,6 im Hebräerbrief aufweisen, sondern es zeigen sich zudem an diesen Stellen die für eine Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 charakteristischen Verbindungen dieser Grundelemente. Dies sei im Folgenden noch einmal im Blick auf die für alle drei Perikopen ausgemachten drei Ebenen dargestellt: Zu (1): Es geht jeweils um den Glauben Abrahams, der sich im Blick auf die an ihn ergangene Verheißung zahlreicher Nachkommenschaft in Isaak bewährt. Diese Bewährung ist dadurch herausgehoben, dass sie gerade angesichts der Anfechtung erfolgt, der Abraham im Blick auf die Verheißung ausgesetzt ist: Das Ausbleiben der Geburt eines Nachkommen (Hebr 6,9- 15), das hohe Alter Abrahams, der schon fast erstorben war, (Hebr 11,11f) und die Forderung nach der Darbringung Isaaks (Hebr 11,17-19). Dass Abrahams Glaube sich in diesen Situationen bewährt, ist jeweils an seinem Verhalten erkennbar: Er wartet geduldig (Hebr 6,9-15), er erhält Kraft zum Samenerguss (Hebr 11,11f) und ist bereit, seinen einzigen Sohn zu opfern (Hebr 11,17-19). Es ist somit in allen Texten die charakteristische Verbindung von VAbraa,m und pist& nachweisbar, wobei es sich jeweils um Glauben handelt, der sich in der Anfechtung bewähren musste. 120 So in Ansätzen auch M OXNES : „In Heb 11: 11-12, we recognize the same motifs as in 6: 13-15. Abraham (and/ or Sarah) is an example of faith. His trust in God is discribed in 11: 11: pisto.n h`gh,sato to.n evpaggeila,menon . At the same time, however, this is a statement about God, who is faithful to his promises. Thus it parallels 6: 13, where God is described as the giver of his promise to Abraham” (ders: Theology, 184). 121 Die semantischen und syntaktischen Parallelen werden von M OXNES auf eine gemeinsame zugrunde liegende Tradition zurückgeführt: “We realize that 11: 17-19 also belongs to the same tradition as the earlier examples in chapter 11 and 6. The underlying motif is the unchangeability of the promise of God, which is frequently combined with the idea that God’s words are like an oath“ (ders: Theology, 187). Er geht davon aus, dass der Verfasser des Hebräerbriefes diese Traditionen ohne große Veränderungen übernommen hat (vgl. ebd.). Demgegenüber wird in dieser Untersuchung zunächst davon ausgegangen, dass der vorliegende Text vom Verfasser bewusst gestaltet wurde. In Bezug auf die Rezeption von Gen 15,6 sind dann aufgrund der Rezeptionsgeschichte möglicherweise Verbindungen zu bestimmten Traditionen zu diskutieren (siehe Abschn. 3.2). <?page no="250"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 236 Zu (2): Die Bewährung Abrahams im Glauben liegt für den Verfasser in Gott selber begründet. Gott ist der alleinige Garant für die Erfüllung seiner Verheißungen, wodurch der Glaube zuerst möglich wird: Gott ist gerecht und bekräftigt die Verheißung durch einen Schwur bei sich selbst (Hebr 6,9- 15), er steht treu zu seiner Verheißung (Hebr 11,11f) und hat die Macht, sie notfalls durch Überwindung des Todes zu erfüllen (Hebr 11,17-19). Die Bewährung Abrahams wird vom Verfasser nun gerade darin gesehen, dass dieser mit Gottes Gerechtigkeit, seiner Verheißungstreue und Macht rechnet. Der Verfasser »rechnet es Gott zu«, dass Abraham und jeder Glaubende überhaupt sich in seinem Glauben bewähren kann und setzt dieses »Anrechnen« auch für Abraham voraus. Was nun an Abraham paradigmatisch deutlich wird, fordert der Verfasser dann auch von den Adressaten: „For the listeners to perservere in faith they must be convinced that God is not unjust but will keep his promise of blessing“. 122 Es ist somit für Hebr 6,9-15 die charakteristische Verbindung von qeo,j( dikai& und VAbraa,m nachgewiesen, während für Hebr 11,11f und 11,17-19 die charakteristische Verbindung von VAbraa,m( logid&/ h`gh& und qeo,j festgestellt werden konnte. In dem beschriebenen Sinne ist damit insgesamt für diese drei Stellen des Hebräerbriefes die charakteristische Verbindung von pist&( logid& und dikai& nachgewiesen. Zu (3): In allen drei Texten wird abschließend die Erfüllung der Verheißung explizit ausgedrückt: Abraham erlangte das verheißene Gut (Hebr 6,9- 15), von ihm ging eine zahllose Nachkommenschaft aus (Hebr 11,11f) und er bekam seinen Sohn von neuem geschenkt (Hebr 11,17-19). Dadurch wird Abrahams Verhalten durch Gott als seinem Glauben entsprechend bestätigt. Es geht dabei nicht um einen Lohn, den Abraham aufgrund seines Verhaltens oder seines Glaubens erhielt, sondern darum, sein geschichtliches Dasein in den Augen Gottes als von Glauben bestimmt auszuweisen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass in Hebr 6,9-15, Hebr 11,11f und Hebr 11,17-19 alle Elemente des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6 und sämtliche charakteristischen Verbindungen zwischen diesen Elementen nachgewiesen werden können. Es gibt also gute Gründe dafür, anzunehmen, dass sich in diesen Stellen eine Rezeption von Gen 15,6 im Hebräerbrief konkretisiert. Allerdings ist bei dieser Konkretisation eine vom klassischen Verständnis abweichende Lesart vorausgesetzt, die Abraham Gott die Tatsache, dass er Kraft der göttlichen Verheißung glauben kann, als Erweis seiner (d.h. Gottes) Gerechtigkeit anrechnen lässt. Im Fortgang der Untersuchung ist nun durch Analyse des erweiterten se- 122 Koester: Hebrews, 324. <?page no="251"?> Kapitel VII: Gen 15,6 im Hebräerbrief 237 mantischen Feldes der Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 zu untersuchen, welche Rolle dieses Verständnis im Mitteilungsgeschehen des Hebräerbriefes spielt. Zuvor soll aber in einem Exkurs auf Hebr 10,35-39; 11,4-7 und die mit ihnen in Verbindung stehende Rezeption von Hab 2,4 eingegangen werden. Exkurs: Glaube und Gerechtigkeit im Zusammenhang mit der Rezeption von Hab 2,4 Im Zusammenhang mit der Auswertung der Wortfeldanalyse in Bezug auf die Grundelemente war in Abschnitt 2.1 schon aufgefallen, dass die Elemente pist& und dikai& über die als Konkretisationen ausgemachten Stellen hinaus noch in Hebr 10,35-39 und Hebr 11,4-7 vorkommen und es sich dabei um den charakteristischen Verbindungen dieser Elemente sehr ähnliche Zusammenhänge handelt. In Hebr 7,2 war zudem die Verbindung von VAbraa,m und dikaiosu,nh aufgefallen. Der Hintergrund dieses semantischen Feldes und seine Beziehung zu den Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 ist nun zu klären. Dabei kann nicht auf alle Einzelheiten der Rezeptionsgeschichte von Hab 2,3f eingegangen werden. 123 Es können hier vielmehr nur einige wenige Punkte herausgegriffen werden, die für die Verhältnisbestimmung zur Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 relevant sind. Die Kombination der Zitate von Jes 26,20 LXX und Hab 2,3.4 LXX in Hebr 10,35-39 wird vom Verfasser nicht formal als Schriftzitat gekennzeichnet, sondern „unmittelbar als verheißungsvolle und entscheidungsträchtige Zusage Gottes in Anspruch genommen.“ 124 Zudem entspricht die Konkretisation der Rezeption von Hab 2,4 nicht dem üblichen Wortlaut der Septuaginta, was wohl auch der Grund für die textkritischen Varianten zu Hebr 10,38 ist. Zu diesem Vers existieren drei Lesarten: (1) P 13 , D2, H c , I, Y , 1881, M, b, t, z, vg ms und bo lassen mou aus, was möglicherweise als Angleichung an Paulus (Röm 1,17b; Gal 3,11) erklärt werden kann. Das deutet eventuell auf die Rezeption dieses Verses bei den späteren Zeugen. (2) D * , pc m sy haben bzw. lesen den vorherrschenden LXX-Text de. di,kaioj evk pi,stew,j 123 Neben den einschlägigen Kommentaren und zahlreichen Aufsätzen sei besonders auf die Auslegung von C HRISTIAN R OSE (ders.: Wolke, 44-77) hingewiesen. Als jüngste Veröffentlichung zu diesem Thema sei auf die Untersuchung von R ADU G HEORGHITA verwiesen (ders.: The Role of the Septuagint in Hebrews. An Investigation of its Influence with Special Consideration to the Use of Hab 2: 3-4 in Heb 10: 37-38, Tübingen, 2003). 124 Schunack: Hebräerbrief, 158. <?page no="252"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 238 mou zh,setai . (3) Die Lesart o` de. di,kaio,j mou evk pi,stewj zh,setai wird von P 46 , a , A, H * , 33, 1739, pc lat sa bo ms und Cl bezeugt und ist aufgrund der äußeren Bezeugung als ursprüngliche Lesart anzusehen. 125 Sie gibt somit wohl die Konkretisation der Rezeption von Hab 2,4 des Verfassers wieder. Dabei steht evk pi,stewj adverbiell zu zh,setai , dessen Subjekt o` di,kaioj ist. Es ist daher wohl zu übersetzen: „Für meinen Gerechten gilt, dass er durch (seinen) Glauben das Leben erlangen wird“ 126 . Interessanterweise scheint die Konkretisation des Verfasser dem Verständnis von Hab 2,4b MT ( hy<x.yI Atn"Wma/ B, qyDIc; w> ) nahe zu stehen. Im Vergleich zu den Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 ist zum einen festzuhalten, dass in Hebr 10,35-39 nicht von Gottes pisto,j -Sein die Rede ist, sondern davon, wie der Mensch das eschatologische Heilsgut erlangen wird. Die Gegenüberstellung von u`postolh, und pi,stij als abschließender Mahnung legt dabei alles Gewicht auf den Glauben als den Grund des verheißenen Lebens für den bei Gott Gerechten. Insofern steht hier entsprechend keine „Aussage über Gottes (! ) Treue, sondern (...) eine Aussage über die pi,stij der Leser“ 127 im Vordergrund. Zum anderen ist festzuhalten, dass hier auch eindeutig vom di,kaioj -Sein des Menschen die Rede ist und weniger von der Gerechtigkeit Gottes. Demgegenüber ist im Zusammenhang der Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 - wie überhaupt im Zusammenhang mit Abraham im Hebräerbrief - festzustellen, dass Abrahams Gerechtigkeit völlig unerwähnt bleibt, während in Hebr 6,10 - und nur da 128 - von der Gerechtigkeit Gottes die Rede ist. Die Aussage von E RICH G RÄßER , Abraham sei im Hebräerbrief der „Typus der Rechtfertigung des Gerechten,“ denn „Abrahams Gerechtigkeit wird aufgrund seiner pi,stij (= Verhaltensweise) von Gott festgestellt,“ 129 ist am Text nicht festzumachen. Wohl aber wird im Zusammenhang mit Abraham in Hebr 6,9-15 Gottes Gerechtigkeit konstatiert. Das ist umso auffälliger, als in der ersten Gruppe der Wolke der Zeugen gerade die Gerechtigkeit der Genannten hervorgehoben und mit ihrem 125 Zur Übereinstimmung dieser Lesarten mit den verschiedenen LXX-Lesarten von Hab 2,3f sei auf den Aufsatz von K OCH verwiesen (ders.: Text). 126 Weiß: Hebräer, 550. 127 Koch: Text, 77. 128 Allenfalls kann hier noch das Zitat aus Ps 44,7f LXX in Hebr 1,8f genannt werden, wo es heißt: pro.j de. to.n ui`o,n( o` qro,noj sou o` qeo,j eivj to.n aivw/ na tou/ aivw/ noj( kai. h` r`a,bdoj th/ j euvqu,thtoj r`a,bdoj th/ j basilei,aj souÅ hvga,phsaj dikaiosu,nhn kai. evmi,shsaj avnomi,an\ dia. tou/ to e; crise,n se o` qeo,j o` qeo,j sou e; laion avgallia,sewj para. tou.j meto,couj souÅ 129 Gräßer: Rechtfertigung, 171. <?page no="253"?> Kapitel VII: Gen 15,6 im Hebräerbrief 239 Glauben in Verbindung gebracht wird: „Vor und bei Gott gerecht zu sein, wird im Hebr. nicht eigens als Grund des Heils betont und bedacht; es ist das in der Schrift bezeugte Zeugnis Gottes (vgl. 11,4.7.33) und das Prädikat der zum Heil Vollendeten (12,23; 12,11).“ 130 So heißt es von Noah, der aufgrund des Glaubens ( pi,stei ) die Arche baute, dass er di ’ h`j ... th/ j kata. pi,stin dikaiosu,nhj evge,neto klhro,nomoj (Hebr 11,7) und von Abel, der aufgrund des Glaubens ein besseres Opfer darbrachte als Kain, dass ihm di ’ h`j evmarturh,qh ei=nai di,kaioj (Hebr 11,4). Aussagen dieser Art finden sich aber bei der Behandlung des Abrahambeispiels in der Wolke der Zeugen nicht, wo das Schwergewicht auf Gottes und nicht auf Abrahams Gerechtigkeit und Treue liegt, was mit der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 in Zusammenhang gebracht werden konnte. Die Beispiele von Abel, Henoch und Noah sind dagegen von der Rezeption von Hab 2,4 abhängig. C HRISTI- AN R OSE hat durch die Analyse der Argumentation in Hebr 11,4-7 gezeigt, dass die Behandlung der Beispiele von Abel, Henoch und Noah jeweils darauf ausgerichtet ist, aus einem Konnex von Aussagen der Schrift und der Tradition, der Aussage von Hebr 11,6 und der Schlüsselstelle Hebr 10,38f den Glauben des jeweiligen Zeugen zu erweisen. 131 Dieses Urteil wird durch die vielfachen Wortfeldverbindungen zwischen den genannten Stellen gestützt. Dabei zeigt sich auch, dass in diesen Zusammenhängen Lohn ( misqapodosi,a : Hebr 10,35; 11,6), Zeugnis erhalten ( marture,w : Hebr 11,4.5) und Wohlgefallen ( euvdoke,w : Hebr 10,38; euvareste,w : Hebr 11,5.6) eine Rolle spielen, was im Zusammenhang mit der Behandlung Abrahams nicht festzustellen ist. Eine Verbindung liegt aber zwischen den Konkretisationen der Rezeptionen von Gen 15,6 und Hab 2,4 durch die Elemente evpaggeli,a 132 und u`pomonh, (in sachlicher Entsprechung zu makroqumi,a ) vor, die beiden semantischen Feldern angehören. Auf der strukturellen Ebene ergibt sich auch über die Anknüpfung an das geduldige Ertragen ( u`pome,nw ) der Adressaten in den vergangenen Tagen der Bedrängnis (Hebr 10,32-34) eine gewisse Parallele zum Aufbau in Hebr 6,9-15, wo an die Werke und die erwiesene 130 Schunack: Hebräerbrief, 159. 131 Vgl. Rose: Wolke, 161f (für Abel), 180f (für Henoch) und 193 (für Noah). Eine ähnliche Beobachtung lässt sich auch für Hebr 7,2.8 machen. Während in Hebr 7,2 Melchisedek als jemand qualifiziert wird, dem Gerechtigkeit eignet ( basileu.j dikaiosu,nhj ; vgl. Schrenk/ Quell: Art. dikaiosu,nh , 201), ist in Hebr 7,8 die Rede davon, dass ihm bezeugt wird, dass er lebt ( marturou,menoj o[ti zh|/ ). 132 Nach R OSE ist hier das eschatologische Verheißungsgut des Eingehens in die kata,pausij gemeint (vgl. ders.: Verheißung, 179). <?page no="254"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 240 Liebe der Adressaten angeknüpft wird. Die Berührungen der semantischen Felder beider Rezeptionen und die Ähnlichkeit in der Argumentationsstruktur weisen in Richtung auf das pastorale Grundanliegen des Hebräerbriefes. 3. Das semantische Feld der Rezeption von Gen 15,6 im Hebräerbrief 3.1 Das erweiterte semantische Feld im Hebräerbrief Elemente Bezug (meist Subjekt) 2,14-18 4,1-5 5,11-6,8 6,9-15 6,16-20 7,4-10 7,17-22 8,6 9,11-15 10,19-25 11,8-10 11,11-12 11,17-19 11,24-26 12,1-3 13,7-8 Abraham (x) x x x Mose x Wüstengeneration ( a; pistoj ) x Gott x Jesus der Hohepriester x x Glaube/ Treue (Wortgruppe pist& ) Adressaten x x x x x Gerechtigkeit (Wortgruppe dikai& ) Gott (x) x Abraham x x Mose x Grundwortfeld erwägen, halten für (Wortgruppen logid& und h`gh& ) Adressaten x x Abraham x x x x x Isaak & Jakob (als Miterben) x Wüstengeneration x Jesus (bessere Verheißung) (x) x Verheißung (z.T. erben) (Wortgruppen evpaggel& und klhronom& ) Adressaten x x x x x <?page no="255"?> Kapitel VII: Gen 15,6 im Hebräerbrief 241 Elemente Bezug (meist Subjekt) 2,14-18 4,1-5 5,11-6,8 6,9-15 6,16-20 7,4-10 7,17-22 8,6 9,11-15 10,19-25 11,8-10 11,11-12 11,17-19 11,24-26 12,1-3 13,7-8 Abraham (zur Zeugung eines Nachkommen; Auferweckung Isaaks) x x Gottes Macht (Wortgruppen duna& ) Adressaten (Erlösung) x x (x) Abraham x x x x Nachkommen/ Mehrung (Wortgruppen spe,rma und plhq& ) Adressaten (Annahme durch den Hohepriester Jesus) x Abraham (Verheißung) x Wüstengeneration (Nichtteilhabe am Heil) x Spez. Erw. Gottes Wort als Schwur/ Eid (Wortgruppe ovmnu,w und o`rk& ) Adressaten (Hohepriester Jesus) x x Abraham x Mose (x) Jesus der Hohepriester x (x) Versuchung / Anfechtung (Wortgruppe per& ) Adressaten x (x) Abraham (Isaak) x Opfer darbringen (Wortgruppe prosfe,rw ) Jesus (sich selbst) x Abraham (von Gott bzw. Melchisedek) x x gesegnet (Wortgruppe euvlog& ) Adressaten (von Gott) x Spez. Erw. geduldiges Abraham x <?page no="256"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 242 Elemente Bezug (meist Subjekt) 2,14-18 4,1-5 5,11-6,8 6,9-15 6,16-20 7,4-10 7,17-22 8,6 9,11-15 10,19-25 11,8-10 11,11-12 11,17-19 11,24-26 12,1-3 13,7-8 Ausharren (Wortgruppen u`pomonh, und makroqum& ) Adressaten x x Nachahmer Abrahams (Glaube und Geduld) bzw. der Gemeindeleiter (Glauben) (Wortgruppe mimh& ) Adressaten x x Liebe/ Werke und Gewissheit der Hoffnung (Wortgruppen avgap&( evrga&( plhr& und evlpid& ) Adressaten (x) x Nachdem Hebr 6,9-15, Hebr 11,11f und Hebr 11,17-19 als Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 ausgewiesen wurden, lässt sich aus ihnen das erweiterte semantische Feld der Rezeption von Gen 15,6 im Hebräerbrief ermitteln. In der tabellarischen Übersicht sind dazu die Grundelemente (die Ausgangspunkt der Quellensuche waren), die gemeinsamen Erweiterungen (die in wenigstens zwei der drei Stellen nachgewiesen sind), und die jeweiligen spezifischen Erweiterungen der Konkretisation in Hebr 6,9-15 bzw. Hebr 11,11f und Hebr 11,17-19 (die nur in je einer Stelle nachgewiesen sind) zusammengestellt. Die mit Hilfe der Konkordanz ermittelten Texte geben die signifikantesten Stellen wieder, an denen die Elemente des semantischen Feldes der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 im Hebräerbrief im Zusammenhang mit anderen semantischen Feldern vorkommen. 133 Aus diesen Berührungen soll nun unter einigen ausgewählten Gesichts- 133 Die im Zusammenhang mit der Rezeption von Hab 2,4 stehenden Stellen wurden dabei ausgelassen, da sie bereits im entsprechenden Exkurs behandelt wurden. <?page no="257"?> Kapitel VII: Gen 15,6 im Hebräerbrief 243 punkten nach der spezifischen Bedeutung der Rezeption von Gen 15,6 im Mitteilungsgeschehen des Hebräerbriefes gefragt werden. 3.1.1 Die paränetische Charakteristik des semantischen Feldes und der »Abfall vom Glauben« Wie die tabellarische Übersicht über das erweiterte semantische Feld der Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 durch ihre Anordnung andeutet, kann der Gebrauch der einzelnen Elemente vor allem im Blick auf ihre Bezugsworte (zumeist das Subjekt) unterschieden werden. Das gilt sowohl für die Elemente des semantischen Grundwortfeldes als auch für die gemeinsamen und spezifischen Erweiterungen. Im Zusammenhang des ausführlichen Schriftgebrauchs im Hebräerbrief ist von den biblischen Beispielen (besonders in der Wolke der Zeugen in Hebr 11) für das erweiterte semantische Feld neben Abraham auch noch Mose als Bezugswort auszumachen. Daneben werden die entsprechenden Elemente sehr häufig auch mit Jesus als dem wahren Hohepriester verbunden. Besonders charakteristisch ist aber, dass bei einer einzigen Ausnahme 134 alle Elemente mit den Adressaten des Schreibens und deren aktueller Situation in Verbindung gebracht werden. Es ist darin die spezifische paränetische Charakteristik des erweiterten semantischen Feldes zu erkennen. Die konkrete Situation der Adressaten lässt sich dem von Ermahnungen dominierten Schreiben nur in Grenzen direkt entnehmen. Explizit ausgesagt wird nur, dass die Adressaten (oder einige von ihnen) schwerhörig und träge geworden sind (vgl. Hebr 5,11) oder zumindest in dieser Gefahr stehen (vgl. Hebr 6,11f), und dass einige die Versammlungen der Gemeinde bereits ganz verlassen haben (vgl. Hebr 10,25). Zudem wird hinter den Ermahnungen der Vorwurf der Geringschätzung der Gnade Gottes (vgl. Hebr 3,7-4,13; 12,15) deutlich, die als Verachtung des Opfers Jesu angeprangert wird, was dann zur Ablehnung der Möglichkeit einer zweiten Buße führt (vgl. Hebr 6,4-6; 10,26-29). Was genauer unter diesem »Abfall vom Glauben« zu verstehen ist, lässt sich aber nur indirekt aus der paränetischen Intention des Verfassers rekonstruieren. Im Blick auf die Funktion der Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 soll das im Folgenden mit Hilfe des erweiterten semantischen Feldes versucht werden. 134 Die Elemente des Wortstammes dikai& sind im erweiterten semantischen Feld der Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 allein mit Gott als Bezugswort verbunden. Insgesamt finden sich im Hebräerbrief für diesen Wortstamm aber auch andere Bezüge, wie beispielsweise im Zusammenhang mit Hab 2,4 (vgl. den Exkurs nach Abschn. 2.5). <?page no="258"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 244 3.1.2 »Glaube«als Anerkennung der »Treue« Gottes zu seiner »Verheißung« Die Analyse der Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 im Hebräerbrief hat die Erweiterung des semantischen Feldes von Gen 15,6 durch die Wortgruppe evpaggel& herausgestellt, die auch im semantischen Feld der Rezeption von Hab 2,4 gefunden wurde. Das Vorkommen dieses Wortstammes ist im Hebräerbrief mit 18 Belegen relativ häufig und viele der anderen Erweiterungen kommen gemeinsam mit den Belegen der Wortgruppe evpaggel& auch in anderen semantischen Feldern innerhalb des Hebräerbriefes vor. In Bezug auf die Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 ist besonders die Verbindung mit der Wortgruppe pist& von Bedeutung. Im Folgenden werden die wichtigsten Beobachtungen und Zusammenhänge dargestellt. Für Bedeutung und Funktion von evpaggeli,a im Hebräerbrief spielt Abraham als Verheißungsträger eine besondere Rolle: VAbraa,m to.n e; conta ta.j evpaggeli,aj (Hebr 7,6; vgl. Hebr 6,13; 11,17). Daneben ist von Isaak und Jakob als Miterben der Verheißung die Rede (Hebr 11,9), von den in Hebr 11,32 summarisch genannten Glaubensvätern und Propheten, die Verheißungen erlangten (Hebr 11,33), sowie von der Wüstengeneration und den Christen (Hebr 4,2: evsmen euvhggelisme,noi kaqa,per kavkei/ noi ). C HRISTI- AN R OSE hat die einzelnen Stellen dieses Vorkommens eingehend analysiert und die inhaltlich nicht einheitliche Füllung im Einzelnen aufgewiesen. Es ist demnach zu differenzieren „(1) zwischen Verheißungswort und Verheißungsgut und (2) zwischen immanent-irdisch (paradigmatisch) und transzendent-eschatologisch zu interpretierenden Verheißungen. Darüber hinaus ist (3) zu unterscheiden zwischen den Verheißungsträgern: Es gibt (a) Verheißungen, die an alle bzw. nur an einzelne Glieder des alttestamentlichen Volkes gerichtet sind, und (b) Verheißungen, die sich einzig auf die Christen beziehen; ferner gibt es (c) solche Verheißungen, die sowohl den Gliedern der prow,th diaqh,kh als auch den Gliedern der kainh, diaqh,kh gelten“ 135 . In Bezug auf Abraham kommt er zu dem Ergebnis, dass „der Hebr von einer Erfüllung nur bei der irdisch-immanent interpretierten Sohnes- und Nachkommensverheißung spricht (Hebr 6,13-15; 11,11f.17), deren paradigmatisch-typologischer Charakter nicht übersehen werden darf.“ 136 Dieser paradigmatisch-typologische Charakter liegt aber nicht in der Spiritualisierung der Nachkommensverheißung, sondern in der Erfüllung die- 135 Rose: Verheißung, 186. 136 Rose: Verheißung, 188. <?page no="259"?> Kapitel VII: Gen 15,6 im Hebräerbrief 245 ser Verheißung durch Gottes Treue. 137 Demgegenüber steht die an Abraham und seine Nachkommen Isaak und Jakob als Miterben ergangene Landverheißung in ihrer Erfüllung noch aus, die „der Verfasser transzendiert, und die auf der Linie der den Christen gegebenen eschatologischen Verheißung zu verstehen ist.“ 138 Hier besteht daher ebenso wie für die der Wüstengeneration gegebene Zusage des Eingehens in die göttliche kata,pausij (Hebr 3,7-4,11) eine inhaltliche Kongruenz mit der den Christen gegebenen Hoffnung. In diesen Zusammenhang fällt auch die Erwähnung des spe,rma VAbraa,m in Hebr 2,16, wo sich ein „unmittelbarer Konnex zu der Rede von dem in Isaak »erlangten Verheißungsgut« (...) nicht feststellen“ 139 lässt. Die Frage nach der Abrahamskindschaft scheint dem Verfasser zudem unstrittig zu sein, da unter spe,rma VAbraa,m im Hebräerbrief „weder einfachhin Israel oder die neutestamentliche Ekklesia zu verstehen ist, sondern die von Gott vor aller Zeit gestiftete Gemeinschaft all derer, die der Erlösung bedürfen und dank des Hohenpriesters Jesus in die Ruhe des ewigen Sabbats (Hebr 3,7-4,10) eingehen werden.“ 140 Die Bedeutung der Verheißung an Abraham liegt daher weniger im Inhalt der Verheißung, als vielmehr in ihrem Bestehen und in ihrer Qualität. Die Worte der Gruppe pist& (41 Belege) sind von den Elementen des semantischen Feldes im Hebräerbrief mit Abstand am häufigsten vertreten. G ERD S CHUNACK hat in seiner Untersuchung zum Verständnis des Glaubens im Hebräerbrief festgestellt, dass „jede explizite Näherbestimmung von pi,stij und pisteu,ein fehlt; einzig das Adjektiv pisto,j erscheint in einem personalen Bezug (Christus als der Hohepriester bzw. der Sohn in Hebr 2,17; 3,2.6; Mose in Hebr 3,2.5; Gott als o` evpaggeila,menoj in Hebr 10,23; 11,11).“ 141 In Bezug auf Abraham war in den Analysen der Konkretisationen schon darauf hingewiesen worden, dass von ihm weder in Hebr 6,9-15 noch in Hebr 11,11f.17-19 ausgesagt wird, dass er glaubte. Der Grund dafür ist darin zu sehen, dass für den Verfasser an diesen Stellen „nicht von einem aktuellen Glaubensvollzug Abrahams die Rede (ist), sondern davon, dass sein geschichtliches Dasein (jeweils) als Ganzes im Zeugnis 137 Gegen J AMES K URIANAL : “In the traditional Jewish thought, the Jews are the »heirs of the promises«. However, the author of Hebrews holds a spiritualised understanding of the two promises given to Abraham” (ders.: Multiplying, 33). 138 Rose: Verheißung, 188f. 139 Rose: Verheißung, 188. 140 Söding: Antwort, 396. 141 Schunack: Beobachtungen, 208. <?page no="260"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 246 Gottes durch Glauben bestimmt gewesen ist.“ 142 In Bezug auf die Verwendung von pi,stij im Zusammenhang mit der Rezeption von Hab 2,4 und ihrer Anwendung auf Abel, Henoch und Noah erscheint der Glaube dann als die Gott in seiner Verheißung entsprechende Bedingung seines Wohlgefallens: „Die entscheidende exegetische und theologische Signatur, daß menschliches Dasein durch Glauben bestimmt ist, ist das Zeugnis des Gerecht-Seins und das Wohlgefallen Gottes.“ 143 Dass in den Abraham- Beispielen von dessen Gerechtigkeit kein Gebrauch gemacht wird, sondern der Fokus vielmehr auf die Gerechtigkeit und Treue Gottes als die den Glauben Abrahams ermöglichende Bedingung gelenkt wird, ist schon betont worden. Für die Absicht, die der Verfasser mit Abrahams Glauben verbindet, ist hingegen besonders auf die enge Verbindung zwischen Glauben und Verheißung zu verweisen. Die erste Verbindung von pi,stij bzw. pisteu,w und euvangelli,a bzw. euvaggeli,zw begegnet in Hebr 4,1-5, wo zum ersten Mal überhaupt ein Element der Wortgruppe euvaggel& erscheint. Der »Glaube« bezieht sich hier deutlich auf Gott im Wort seiner Heilsverheißung des Eingehens in die kata,pausij . 144 Diese Beziehung besteht nun aber gerade darin, den verheißenden Gott für glaubwürdig und verlässlich zu halten, wie das Gegenbeispiel in Hebr 4,2 zeigt: ouvk wvfe,lhsen o` lo,goj th/ j avkoh/ j evkeinouj mh. sugkekerasme,nouj th|/ pi,stei toi/ j avkou,sasin . 145 Die positive Wendung bleibt an dieser Stelle noch unbestimmt ( eivserco,meqa ga.r eivj th.n kata,pausin oi` pisteu,santej ), wird aber in den Paränesen eindeutig charakterisiert: Was der Verfasser von den Adressaten fordert (Hebr 10,23), findet er bei Abraham erfüllt (bes. Hebr 11,11): „ Pi,stij , die Haltung des Menschen, hat es als solche mit der pi,stij Gottes zu tun, der »treu« ( pisto,j ) zu seiner Verheißung steht. Und »Glaube« auf Seiten des Menschen, d.h. dementsprechend: an Gottes eigener Treue festhalten, der die Verheißung gegeben hat ( o` evpaggeila,menoj ) und zu ihr steht. Der Glaube von Seiten des Menschen korrespondiert also der Treue Gottes.“ 146 142 Schnunack: Hebräerbrief, 84; vgl. ders.: Beobachtungen, 209. 143 Schnuack: Beobachtungen, 225. 144 Vgl. Schnunack: Beobachtungen, 217. 145 Zum textkritischen Problem dieses Verses siehe Gräßer: Hebräer I, 206 (Anm. 46). 146 Weiß: Hebräer, 588. <?page no="261"?> Kapitel VII: Gen 15,6 im Hebräerbrief 247 3.1.3 »Verheißung« und»Schwur« als Ermöglichungsgrund der Heilsgewissheit Abraham ragt für den Verfasser aus der Wolke der Zeugen gerade dadurch heraus, dass „jene Segensverheißung Gottes an ihn schlechthin gültig, unüberbietbar und irreversibel“ 147 ist, weil Gott sie ihm durch Schwur bei sich selber bekräftig hat. Die Verbindung von Verheißung und Schwur ist mit der ersten Belegstelle für die Verheißung in Hebr 4,1-5 aufzuweisen, wo denen, die dem Wort Gottes nicht in gläubiger Zuversicht begegnen, das Eingehen in die Gottesruhe durch zornigen Schwur Gottes ( w`j w; mosa evn th/ | ovrgh/ | / | / | / | mou ) versagt wird (Hebr 4,3; Zitat aus Ps 94,11 LXX). Positiv ausgeführt wird der Zusammenhang dann an Abraham (Hebr 6,9-15), woran sich eine ausführliche Erörterung dieses Themas anschließt. Wichtig ist hier die Beobachtung, dass Verheißung und Schwur nicht einfach dasselbe sind. Denn Gott hat sich den Erben der Verheißung - d.h. nach bereits ergangener Verheißung - durch einen Eid verbürgt (Hebr 6,17): „Der unausgesprochene, aber für die Sicht des Verf.s auf die Situation der Adressaten höchst aufschlussreiche Zwischengedanke ist, dass Gottes Verheißung durch seinen Schwur in einer Situation in Kraft gesetzt, bestätigt und vergewissert wird, in der sie aufs äußerste ungewiss geworden zu sein scheint und dem Widerspruch ausgesetzt ist.“ 148 Gottes Macht garantiert die Erfüllung seines Wortes: avdu,naton yeu,sasqai to.n qeo,n (Hebr 6,18). Die Aussagen über Gottes Macht und Möglichkeiten ( dunato,j( du,namai ) bzw. der Unmöglichkeit des Gegenteils ( avdu,natoj ) sind daher ein wichtiges Thema im Hebräerbrief (vgl. Hebr 1,3; 2,4.18; 3,19; 4,15; 5,2.7; 7,16.25; 9,9; 10,1.11; 11,11.19.34). Die Verbindung der (Heils-) Macht Gottes und seiner Verheißung geschieht wiederum durch die Person Abrahams, der diese Macht am eigenen Leib zu spüren bekommt, weil er Gottes Verheißungstreue und dessen Macht anerkennt (Hebr 11,11 bzw. Hebr 11,19). Dabei geht es, wie in der Erörterung des Themas Schwur und Verheißung in Hebr 6,16-20 deutlich wird, „weniger um den Inhalt als um die Qualität der göttlichen Zusage; weniger um das wie ihrer Erfüllung als um das Daß.“ 149 Indem Abraham anerkennt, dass Gott aufgrund seiner Treue und Gerechtigkeit unbedingt zu seiner Verheißung steht, kann aus der Heilshoffnung im Glauben eine Heilsgewissheit werden. Gottes Schwur verleiht die Kraft, auch in der größ- 147 Söding: Antwort, 396. 148 Schunack: Hebräerbrief, 84. 149 Gräßer: Hebräer I, 377. <?page no="262"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 248 ten Bedrängnis und in der schwersten Anfechtung an seiner Verheißung festzuhalten. 3.1.4 Jesus der Hohepriester und das »Bestehen in der Anfechtung« Über den Schwur Gottes schafft der Verfasser eine Verbindung zum Heilshandeln des Hohenpriesters Jesus, dessen Amt ebenfalls durch einen Schwur bestätigt wurde (Hebr 7,28). Der Schwur Gottes an Abraham wird so zum „Typos für die Qualität des in Jesus gegebenen Heils im Sinne seiner unumstößlichen Gültigkeit.“ 150 Das hat der Verfasser wohl auch im Blick, wenn er in Hebr 6,18 neben der Segensverheißung von einer zweiten Zusage spricht. So nimmt Jesus sich des spe,rma VAbraa,m an (Hebr 2,16) und sühnt als pisto.j avrciereu,j (Hebr 2,17 vgl. 3,2) die Sünden des Volkes. Grundlage dafür sind sein Leiden und seine Versuchung: evn w- | ga.r pe,ponqen auvto.j peirasqei,j( du,natai toi/ j peirazome,noij bohqh/ sai (Hebr 2,18). Hier erscheinen die Adressaten als die in der Versuchung Stehenden, denen Abraham in Hebr 11,17-19 (über die Verbindung mit peira,zw ) als Modell eines in der Versuchung Bewährten erscheinen soll. 151 Wie die strukturelle Analyse zeigen konnte, werden die Anfechtungen Abrahams, durch die die Erfüllung der Verheißungen Gottes in Gefahr gerät, in den Konkretisationen relativ breit ausgeführt. Wenn die Versuchung Abrahams auch nur in Hebr 11,17-19 im Anschluss an Gen 22 genannt wird, so ist das Thema aber auch in den anderen Stellen vorausgesetzt und das umso mehr, als die Adressaten in Abraham ihre eigene Situation erkennen. Dabei besteht die Anfechtung, der die Adressaten ausgesetzt sind, wohl weniger in häretischen Anwandlungen als in der Unanschaulichkeit des verheißenen Heils in den irritierenden Kontrasterfahrungen des Lebens. 152 Die Anfechtung, die den Glauben gefährdet, besteht in der „Unsichtbarkeit des Heils im zeitlichen, geschichtlichen Dasein“ 153 (vgl. Hebr 11,1). Entsprechend besteht das von den Adressaten (u.a. durch die Nachahmung Abrahams) geforderte Verhalten vor allem im geduldigen Ausharren (vgl. Hebr 6,9-15; 12,1-3) und im Festhalten am Glauben in der Gewissheit der Hoffnung (vgl. Hebr 10,19-25). In der Versuchung helfen kann für den Verfasser letztlich nur Jesus Christus, der sich selber als Opfer dargebracht hat (Hebr 9,14: e`auto.n 150 Weiser: Abrahamvorstellungen, 117f. 151 Vgl. Attridge: Hebrews, 334. 152 Vgl. Söding: Antwort, 405. 153 Schnunack: Beobachtungen, 215. <?page no="263"?> Kapitel VII: Gen 15,6 im Hebräerbrief 249 prosh,negken ) und somit zum Mittler eines neuen Bundes geworden ist. Dieser Bund ist auf besseren Verheißungen (Hebr 8,6: evpi. krei,ttosin evpaggeli,aij ) gegründet, damit die Berufenen das verheißene ewige Erbe empfangen (Hebr 9,15: th.n evpaggeli,an la,bwsin oi` keklhme,noi th/ j aivwni,ou klhronomi,aj ). Dabei sind nicht inhaltlich bessere Verheißungen im Blick, sondern qualitativ andere. Denn die Gewissheit ihrer Erfüllung kann nicht mehr durch die Sünde gemindert werden, wie es im ersten Bund der Fall war (vgl. Hebr 10,11). Verheißung und Glaube zeigen sich so als bereits vorchristliches Heilsangebot, das nun durch das Werk des Hohenpriesters Jesus bestätigt und in Kraft gesetzt wird. 154 Dass es sich dabei um zwei Tatsachen handelt, in denen sich Gott entspricht (vgl. Hebr 6,18), wird durch die christologische Inanspruchnahme von Ps 110,4 LXX deutlich gemacht, wo Jesus durch Gottes Schwur ins Amt als Hoherpriester eingesetzt wird (Hebr 7,21; vgl. Hebr 7,20.28). Damit ist für den Verfasser Jesus selber der unüberbietbare Schwur Gottes, der die Treue Gottes zu seiner Verheißung verbürgt. 3.2 Das erweiterte semantische Feld im Hebräerbrief und die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 Im Verlauf der rezeptionsästhetischen Analyse ist bislang auf traditionskritische Vergleiche mit anderen Konkretisationen der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 bewusst verzichtet worden. Sie sollen jetzt unter einer bestimmten Perspektive nachgeholt werden. Der Vergleich dient der Ermittlung des Grades an Innovation bzw. Tradition, der in der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 im Hebräerbrief zutage tritt, um die Funktion der Konkretisation im Mitteilungsgeschehen des Briefes im Blick auf die sozialhistorischen Bedingungen des Rezeptionsprozesses weiter zu profilieren. 3.2.1 Abraham in traditionellen Paradigmenreihen Der Paradigmenkatalog in Hebr 11 ist, was Umfang und Detailliertheit angeht, das eindrücklichste Beispiel seiner Gattung. Dabei ist das Vergleichsmaterial äußerst zahlreich und Abraham ist mit wenigen Ausnahmen in allen Katalogen enthalten. 155 Im Blick auf die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 sind vor allem die Vergleichstexte von Interesse, die in ihrer Behandlung des Abraham-Beispiels eine Konkretisation einer Rezeption von 154 Vgl. Schunack: Hebräerbrief, 85f. 155 Vgl. die tabellarische Übersicht bei R OSE (ders.: Wolke, 85). <?page no="264"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 250 Gen 15,6 beinhalten und zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund gezählt werden können. Zudem ist für Hebr 11 die Frage von Interesse, ob dieser Paradigmenkatalog mit Hilfe einer literarischen Vorlage geschaffen wurde oder allein von der Hand des Verfassers stammt. Letztere Frage ist von C HRISTIAN R OSE in seiner Dissertation über die Wolke der Zeugen im Hebräerbrief ausführlich beantwortet worden. Er führt fünf Argumente an, die gegen die Annahme einer Vorlage hinter Hebr 11 sprechen: „(1) Die Anzahl der angeführten Gestalten der Heilsgeschichte in Hebr 11 ist in dieser Dichte unter den Paradigmenkatalogen einmalig. Hinzu kommt die Tatsache, daß vergleichbare Texte des antiken Judentums nur zum geringen Teil auf die gleichen Stationen im Leben der angeführten Personen Bezug nehmen. (2) Die vom Verfasser gewählten Stationen aus dem Leben der Zeugen veranschaulichen die These in 11,1. […] (3) Spannungen zwischen den »Reflexionen des Verfassers« und den überlieferten Traditionen können nicht festgestellt werden. (4) Zahlreiche sprachliche Beobachtungen lassen die Handschrift des Verfassers erkennen, so daß es schwer fällt zwischen »Tradition« und »Redaktion« zu trennen. (5) Der auctor ad Hebraeos erweist sich als traditionskundiger Theologe, der eigenständig auf die Schriften des Alten Testaments und die ihm vorgegebenen Traditionen des antiken Judentums Bezug nimmt.“ 156 Diese Ergebnisse sind im Blick das Abraham-Beispiel noch etwas genauer zu betrachten. Für die Positionierung Abrahams hinter Henoch und Noah gibt es mindestens drei Beispiele: Pream 14-30; Sir 44,16-23 und 1Clem 9,2-10,7. Die beiden letzteren weisen interessante Übereinstimmungen untereinander aber auch mit dem Hebräerbrief auf. Das betrifft neben der Auswahl der Inhalte aus dem Leben der Figuren vor allem die Gestaltung der Reihen mit Hilfe der Wendung pisto,j bzw. di,kaioj eu`reqh/ nai (Sir 44,16.17; 1Clem 9,3.4; vgl. Hebr 11,5.7). 157 Allerdings beziehen sich diese nur auf Henoch und Noah. Das Abrahambeispiel ist eher durch Abweichungen gekennzeichnet. Die Gestaltung dieses Beispiels ist offensichtlich in bewusster Parallele zum viergliedrigen Abschnitt über Mose erfolgt (vgl. Hebr 11,8- 12.17-19 mit 11,23-28). 158 Ob und wie sich im Einzelnen rezeptionsästhetische Vergleichsmöglichkeiten für das Abrahambeispiel im Hebräerbrief ergeben, wird im Folgenden anhand der analysierten Erweiterungen des semantischen Grundwortfeldes in den Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 untersucht. 156 Rose: Wolke, 346f. 157 Vgl. dazu Kap. VIII, Abschn. 3.2.1. 158 Vgl. die Darstellung der literarischen Struktur bei R OSE (ders.: Wolke, 80f.). <?page no="265"?> Kapitel VII: Gen 15,6 im Hebräerbrief 251 3.2.2 Abraham und die »Bindung Isaaks« Die rezeptionsästhetische Analyse hat in jeder der drei untersuchten Perikopen Konkretisationen einer Rezeption von Gen 22 nachgewiesen. In den einzelnen Analysen ist dabei jeweils die Funktion der Konkretisation herausgearbeitet worden. Dabei kommen zwei Aspekte der Erzählung in Gen 22 zum Vorschein, auf die es dem Verfasser des Hebräerbriefes besonders ankommt. In Hebr 6,9-15 und in Hebr 11,11-12 steht die Verheißung aus Gen 22,16f im Vordergrund. Neben der Zahllosigkeit der Nachkommenschaft als Inhalt der Verheißung kommt es dabei besonders auf die Qualität der Verheißung als Schwur an. Weder in Hebr 6,9-15 noch in Hebr 11,11-12 spielt die Bindung Isaaks als Kontext dieser durch den Schwur Gottes bei sich selbst verbürgten Verheißung auch nur die geringste Rolle. Vergleichstexte für den Zusammenhang von Verheißung und Schwur werden daher an anderer Stelle behandelt. 159 Anders liegt der Fall bei Hebr 11,17-19. Hier wird konkret auf die Bindung Isaaks angespielt. Die Konkretisation der Rezeption ist sprachlich allerdings nur über die Elemente VAbraa,m , VIsaa,k und peira,zw fassbar. Der Wortstamm prosfer& mit dem in Hebr 11,17 die »Darbringung Isaaks« bezeichnet wird, ist in Gen 22,1-19 LXX nicht belegt. Ein Vergleich mit anderen Konkretisationen aus der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 zeigt, dass die Erweiterung durch peira,zw durchaus belegt ist (vgl. 1Makk 2,52; Sir 44,20-23), während der Wortstamm prosfer& sonst nicht zu finden ist. Das stützt die in der Analyse aufgestellte und durch die Untersuchung des semantischen Feldes des Hebräerbriefs untermauerte These, dass der Opfergedanke in Verbindung mit der Bewährung in der Versuchung aus dem Mitteilungsgeschehen des Hebräerbriefs zu erklären ist. Die Vorstellung von Jesus als dem wahren Hohenpriester stellt dabei die entscheidende Verbindung dar. Interessant für die Rezeptionsstrategie des Hebräerbriefes ist noch die Beobachtung, dass in Hebr 11,17 von Isaak als dem monogenh/ die Rede ist. Im Vergleich zu Septuagintafassung der Genesis liegt hier eine interessante Abweichung vor. Gen 22,2 LXX lautet nämlich: labe. to.n ui`o,n sou to.n avgaphto,n o]n hvga,phsaj to.n VIsaak . Die Analyse konnte die Abweichung mit Blick auf die Funktion dieser Qualifizierung Isaaks - im Verbund mit der Konkretisation der Rezeption von Gen 21,12 - nachvollziehbar machen, womit sie dem literarischen Schaffen des Verfassers zugerechnet wird. Inte- 159 Siehe Abschn. 3.2.3. <?page no="266"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 252 ressanter Weise entspricht diese Formulierung aber der Masoretischen Textfassung von Gen 22,2 ( ‘T'b.h; ’a'-rv,a] ^Üd>yxi(y>-ta ,) ). Stellt man die Tendenz der Septuaginta-Rezensionen im ersten nachchristlichen Jahrhundert in Rechnung, die vielfach Annäherungen an den hebräischen Text zeigen, 160 ist auch die Verwendung einer entsprechenden rezensierten Textfassung der Genesis durch den Verfasser denkbar. Das wird umso wahrscheinlicher als sich dafür im Hebräerbrief noch weitere Beispiele finden lassen. Für die Konkretisation der Rezeption von Hab 2,4 ist das bereits dargelegt worden. 161 Für die Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 im Hebräerbrief steht das noch aus. 162 3.2.3 Abraham und Gottes Verheißung und Schwur Die rezeptionsästhetische Analyse hat den Wortstamm evpaggel& als wichtige Erweiterung des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6 im Hebräerbrief herausgestellt. Er findet sich in allen drei Konkretisationen der Rezeption. Was die inhaltliche Bestimmung der Verheißung im Hebräerbrief angeht, ergab sich im Anschluss an die Untersuchung von R OSE ein differenzierter Befund je nach Kontext und Bezugsgröße. 163 Im Vergleich mit anderen Konkretisationen ist zu beachten, dass in der alt-, zwischen und neutestamentlichen Literatur von Verheißungen die Rede sein kann, ohne dass der Wortstamm evpaggel& explizit gebraucht wird. Schon in Gen 15LXX ist dieser nicht belegt, obwohl in Gen 15,1.4-5.7.13-16.18-21 Verheißungen ausgesprochen werden. Bei der Suche nach entsprechenden Erweiterungen ist daher auf die inhaltlichen Kennzeichen der Verheißungen an Abraham durch Nachkommen bzw. Mehrung (Wortgruppen spe,rma und plhq& ) und/ oder Land (Wortgruppe gh/ ) zu achten. Auch der Wortstamm euvlog& ist ein guter Indikator für Verheißungen an Abraham. Alle genannten Wortstämme und Wortgruppen sind im Hebräerbrief als Erweiterungen des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6 belegt. Zudem ist bei den Analysen aufgefallen, dass es dem Verfasser des Hebräerbriefs bei seiner Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 vor allem um die Unverbrüchlichkeit der Verheißung Gottes geht, die Abraham durch einen Schwur Gottes bei sich selbst bekräftigt wurde. Im Folgenden ist danach zu fragen, wo und wie die Erweiterung der Konkretisation der Rezepti- 160 Vgl. Koch: Überlieferung, 237. 161 Vgl. den Exkurs nach Abschn. 2.5. 162 Siehe Abschn. 3.2.6. 163 Vgl. Abschn. 3.1.2. <?page no="267"?> Kapitel VII: Gen 15,6 im Hebräerbrief 253 on von Gen 15,6 durch den Wortstamm evpaggel& in der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 über den Hebräerbrief hinaus belegt ist. Besonderes Augenmerk wird dabei entsprechend auf die charakteristische Verbindung von Verheißung und Schwur gelegt. Der interessanteste Vergleichstext stammt aus dem Buch Jesus Sirach. Im großen Lob der Väter wird als drittes Beispiel in der Beispielreihe auf Abraham eingegangen: VAbraa,m me,gaj path.r plh,qouj evqnw/ n kai. ouvc eu`re,qh o[moioj evn th/ | do,xh|) o]j suneth,rhsen no,mon u`yi,stou kai. evge,neto evn diaqh,kh| metV auvtou/ evn sarki. auvtou/ e; sthsen diaqh,khn kai. evn peirasmw/ | eu`re,qh pisto,j) dia. tou/ to evn o[rkw| e; sthsen auvtw/ | evneuloghqh/ nai e; qnh evn spe,rmati auvtou/ plhqu/ nai auvto.n w`j cou/ n th/ j gh/ j kai. w`j a; stra avnuyw/ sai to. spe,rma auvtou/ kai. kataklhronomh/ sai auvtou.j avpo. qala,sshj e[wj qala,sshj kai. avpo. potamou/ e[wj a; krou th/ j gh/ j) (Sir 44,19-21) An die Betonung der markelosen Ehre Abrahams, die sich im Halten der Gebote, im Eintreten in den Beschneidungsbund und der Bewährung in der Versuchung manifestiert, knüpft der Verfasser - als Folge derselben ( dia. tou/ to ) - die durch Schwur bestätigte ( evn o[rkw| e; sthsen ) Verheißung Gottes an. Der Wortstamm evpaggel& kommt hier nicht vor, aber die inhaltliche Charakterisierung der Verheißungen an Abraham weisen die entsprechenden Elemente der Erweiterungen im Hebräerbrief auf. Im Gegensatz zum Hebräerbrief, wo die Verheißungen der Genesis z.T. wörtlich aufgenommen sind, ist die sprachliche Gestaltung hier deutlich freier und spielt neben den Genesistexten wohl auch auf Ps 72, 8 und Sach 9,10 an. Die Erwähnung des Schwurs und die Kombination der Vergleiche mit den Sternen und dem Staub (statt Sand) erinnert jedoch am ehesten an Gen 22,17f. Dafür spricht auch die Erwähnung der Bewährung Abrahams in der Versuchung. Es ist also durchaus denkbar, dass Sir 44,19-21 und der Hebräerbrief auf einem gemeinsamen traditionsgeschichtlichen Hintergrund zu sehen sind. Die deutlichen Unterschiede in der sprachlichen Gestaltung und in der inhaltlichen Ausrichtung schließen aber wohl eine direkte literarische Abhängigkeit aus. Denn die durch Schwur bekräftigte Verheißung Gottes ist im Hebräerbrief ja gerade nicht die Folge der Bewährung Abrahams und seines markelosen Lebenswandels, sondern eben der Grund dafür und die Motivation dazu. Als traditionsgeschichtlicher Hintergrund für die von Gott durch Schwur bekräftigte Verheißung als Grund für die menschliche pi,stij wird in der einschlägigen Literatur zum Hebräerbrief vielfach auf Philo von Alexandrien <?page no="268"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 254 verwiesen. In seiner Schrift De Abrahamo findet sich ein Abschnitt, der im Vergleich mit dem Hebräerbrief von besonderer Bedeutung ist: o]j th/ j pro.j auvto.n pi,stewj avga,menoj to.n a; ndra pi,stin avntidi,dwsin auvtw/ |( th.n diV o[rkou bebai,wsin w-n u`pe,sceto dwrew/ n( ouvke,ti mo,non w`j avnqrw,pw| qeo,j( avlla. kai. w`j fi,loj gnwri,mw| dialego,menoj\ fhsi.le,gw ga.r ¹katV evmautou/ w; mosa¹( parV w- | o` lo,goj o[rkoj evsti,n( e[neka tou/ th.n dia,noian avklinw/ j kai. pagi,wj e; ti ma/ llon h' pro,teron evrhrei/ sqaiÅ (Abr 273) Die zitierte Stelle findet sich in einem Abschnitt (Abr 262-276) über die pi,stij als Königin der Tugenden (Abr 270: basili,j tw/ n avretw/ n ). Ausgangspunkt für die Überlegungen ist Abrahams Vertrauen in Gott in Gen 15,6a (vgl. Abr 262). In Abr 273 wird die durch Schwur bekräftigte Verheißung in Gen 22,16 als Reaktion Gottes auf Abrahams Vertrauen dargestellt. Sie bringt Gottes Treue zum Ausdruck und zielt auf die Stärkung des menschlichen Vertrauens. Die Ähnlichkeit zu Hebr 6,9-15 ist überdeutlich. Auch dass in Abr 275 das Vertrauen als einzige adäquate Reaktion des Menschen auf die göttliche Verheißung herausgestellt wird, liegt deutlich im thematischen Gefälle des Hebräerbriefs. Philos Schrift De Abrahamo spiegelt daher sicher den traditionsgeschichtlichen Hintergrund des Hebräerbriefs. Das Urteil muss allerdings nicht dazu führen, die in der Analyse herausgestellte eigenständige literarische Gestaltung des Verfassers einzuschränken. Eine literarische Abhängigkeit des Hebräerbriefs von den Schriften Philos muss nicht zwingend angenommen werden. O TFRIED H OFIUS hat in seinem Aufsatz über den traditionsgeschichtlichen Hintergrund von Hebr 6,17f darauf hingewiesen, dass Philos Äußerungen über die Unabänderlichkeit des göttlichen Heilsratschlusses in der für ihn charakteristischen spekulativphilosophischen Auffassung von der immutabilitas Dei verankert sind. 164 Für Philo von Alexandrien gilt daher jedes Wort Gottes als wäre es ein Schwur (vgl. All III,204; Sacr 93). In Abr 273 wird das allerdings relativiert: parV w- | o` lo,goj o[rkoj evsti,n( e[neka tou/ th.n dia,noian avklinw/ j kai. pagi,wj e; ti ma/ llon h' pro,teron evrhrei/ sqai) Dem entspricht exakt die Beobachtung der rezeptionsästhetischen Analyse, dass es dem Verfasser des Hebräerbriefes bei Gottes Schwur um eine zusätzliche unüberbietbare Bekräftigung seiner Verheißung geht, die seine Verheißungstreue in einer Situation bekräftigt, in der sie aufs Äußerste ungewiss geworden ist. Was die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 angeht, gehören Abr 262-276 und Hebr 6,9-15 im Blick auf das erweiterte Wortfeld der Konkretisationen und das dahinter stehende Mitteilungsgeschehen jedenfalls eng zusammen. 164 Vgl. Hofius: Unabänderlichkeit, 140. <?page no="269"?> Kapitel VII: Gen 15,6 im Hebräerbrief 255 Innerhalb der neutestamentlichen Literatur lassen sich vor allem bei Paulus Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 finden, die die Erweiterung durch den Wortstamm evpangel& aufweisen. Mit acht bzw. vier Belegen ist dieser Wortstamm in Gal 3 bzw. Röm 4 relativ häufig vertreten. Im Galaterbrief findet sich der Wortstamm evpaggel& u.a. im Zuge der Konkretisation einer Rezeption von Gen 22,15-18: tw/ | de. VAbraa.m evrre,qhsan ai` evpaggeli,ai kai. tw/ | spe,rmati auvtou/ Å ouv le,gei\ kai. toi/ j spe,rmasin( w`j evpi. pollw/ n avllV w`j evfV e`no,j\ kai. tw/ | spe,rmati, sou( o[j evstin Cristo,jÅ (Gal 3,16) Anders als im Hebräerbrief steht hier aber nicht die besondere Form der Verheißung als Schwur im Focus des Interesses, sondern die Frage, wem diese Verheißung zuteil wird. Aus dem Singular tw/ | spe,rmati auvtou/ folgert Paulus, dass die Verheißung auf Christus zielt. Nur wer auf Christus getauft ist, bekommt Anteil an der Verheißung. Im Römerbrief geht es bei der Verheißung ebenfalls um die Frage, wer Anteil an ihr bekommen hat. Hier ist die strenge Exklusivität allerdings aufgebrochen und die Verheißung gilt panti. tw/ | spe,rmati , allen, die wie Abraham aus dem Glauben leben: dia. tou/ to evk pi,stewj( i[na kata. ca,rin( eivj to. ei=nai bebai,an th.n evpaggeli,an panti. tw/ | spe,rmati( ouv tw/ | evk tou/ no,mou mo,non avlla. kai. tw/ | evk pi,stewj) (Röm 4,16a) Auch für den Römerbrief spielt die Form der Verheißung als Schwur keine Rolle. Im Folgenden finden sich dann aber gleich mehrere der spezifischen Erweiterungen der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 in Hebr 11,11-12 und Hebr 11,17-19: o[j evstin path.r pa,ntwn h`mw/ n( kaqw.j ge,graptai o[ti pate,ra pollw/ n evqnw/ n te,qeika, se( kate,nanti ouevpi,steusen qeou/ tou/ zw|opoiou/ ntoj tou.j nekrou.j kai. kalou/ ntoj ta. mh. o; nta w`j o; ntaÅ }Oj parV evlpi,da evpV evlpi,di evpi,steusen eivj to. gene,sqai auvto.n pate,ra pollw/ n evqnw/ n kata. to. eivrhme,non\ ou[twj e; stai to. spe,rma sou( kai. mh. avsqenh,saj th/ | pi,stei kateno,hsen to. e`autou/ sw/ ma Îh; dhÐ nenekrwme,non( e`katontaeth,j pou u`pa,rcwn( kai. th.n ne,krwsin th/ j mh,traj Sa,rraj\ eivj de. th.n evpaggeli,an tou/ qeou/ ouv diekri,qh th/ | avpisti,a| avllV evnedunamw,qh th/ | pi,stei( dou.j do,xan tw/ | qew/ | kai. plhroforhqei.j o[ti o] evph,ggeltai dunato,j evstin kai. poih/ saiÅ dio. Îkai.Ð evlogi,sqh auvtw/ | eivj dikaiosu,nhnÅ (Röm 4,16b-22) Da ist zunächst der Glaube Abrahams, der sich darauf richtet, dass Gott die Macht hat, die Toten lebendig zu machen ( evpi,steusen qeou/ tou/ zw|opoiou/ ntoj tou.j nekrou.j ). Während dieser Glaube in Hebr 11,19 ( logisa,menoj o[ti kai. evk nekrw/ n evgei,rein dunato.j o` qeo,j ) als Abrahams <?page no="270"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 256 »underlying motivation« für seine Bereitschaft zur Darbringung Isaaks ausgewiesen wird, führt Paulus ihn zur Erläuterung der Hoffnung des 100jährigen ein, dass aus den erstorbenen Leibern doch noch der verheißene Nachkomme hervorgehen werde. Im Hebräerbrief ist das in einer eigenen Szene gestaltet. Hebr 11,12 berichtet, dass Abraham im Glauben die Kraft zum Samenerguss bekam ( pi,stei du,namin eivj katabolh.n spe,rmatoj e; laben ). Die Parallele zu Röm 4,21 ist deutlich, wenn Paulus feststellt, dass Abraham im Glauben Kraft bekam Gott die Ehre zu geben ( evnedunamw,qh th/ | pi,stei( dou.j do,xan tw/ | qew ). Im Blick auf die Konkretisation der Rezeptionen von Gen 15,6 an diesen Stellen wird allerdings ein entscheidender Unterschied deutlich: Während der Hebräerbrief alles Gewicht auf Gottes Treue zu seiner Verheißung legt ( evpei. pisto.n h`gh,sato to.n evpaggeila,menon ), zielen die paulinischen Ausführungen stärker darauf, dass Gott diesen Glauben Abraham zur Gerechtigkeit anrechnet und damit legitimiert ( dio. evlogi,sqh auvtw/ | eivj dikaiosu,nhn ). Für die Frage nach einem rezeptionsgeschichtlichen Zusammenhang zwischen den Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 im Hebräer- und im Römerbrief kommt man so zu einem differenzierten Urteil. Es ist gut möglich, dass hinter Röm 4,16b-22 und Hebr 11,11-12.17-19 gemeinsame Traditionen stehen. Auch dass der Verfasser des Hebräerbriefs den Römerbrief kannte, ist denkbar. Entscheidend ist aber, dass er im Gefälle seiner paränetischen Absicht eine Konkretisation geschaffen hat, die deutlicher dem Mitteilungsgeschehen seines Schreibens verpflichtet ist als einer möglichen Vorlage oder einer zugrunde liegenden Tradition. Im Rahmen der neutestamentlichen Literatur ist schließlich noch auf den 1. Clemensbrief einzugehen. Die rezeptionsästhetische Analyse hat herausgearbeitet, dass die Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 in 1Clem 10,6 als Reaktion auf die geschilderten göttlichen Verheißungen gestaltet ist. Abraham reagiert auf die Verheißung mit Vertrauen, welches bei Gott Anerkennung findet und ihm zur Gerechtigkeit angerechnet wird. Hier besteht kaum Ähnlichkeit zu den Konkretisationen im Hebräerbrief. Vergleichbar ist allerdings die paränetische Strategie hinter 1Clem 10,1-7 und Hebr 6,9-15. In beiden Fällen nämlich wird der Glaube Abrahams mit einer bestimmten lebenspraktischen Realisation verbunden. Während es im Hebräerbrief um das geduldige Ausharren geht, steht im 1. Clemensbrief der Gehorsam im Mittelpunkt (vgl. 1Clem 10,1-2.7). Diese zu motivieren bedienen sich beide Verfasser der göttlichen Verheißung. Während der Hebräerbrief auf die durch Schwur unüberbietbare Bekräftigung der Verheißung setzt (Hebr 6,13f), argumentiert der 1. Clemensbrief mit der Größe der ver- <?page no="271"?> Kapitel VII: Gen 15,6 im Hebräerbrief 257 heißenen Güter im Gegensatz zur Armseligkeit der aktuellen Lebenssituation Abrahams (1Clem 10,2). Rezeptionsgeschichtliche Zusammenhänge sind zwischen dem Hebräer- und dem 1. Clemensbrief also lediglich auf der Ebene der Textpragmatik auszumachen. Für eine sozialhistorisch orientierte Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 sind diese aber durchaus von Bedeutung. Sie weisen auf ähnliche sozialhistorische Bedingungen im Rezeptionsprozess hin. 3.2.4 Abraham als Vorbild für geduldiges Ausharren in der Versuchung In der paränetischen Absicht des Hebräerbriefs wird Abraham als nachahmenswertes Beispiel für einen Glauben dargestellt, der sich in geduldigem Ausharren realisiert (Hebr 6,9-15) und sich so selbst in der größten Versuchung bewährt (Hebr 11,17-19). Die entsprechenden Erweiterungen des semantischen Grundwortfeldes (Wortgruppen mimh& , makroqum& und u`pomonh, ) finden sich innerhalb der Rezeptionsgeschichte auch in anderen Texten, die Konkretisationen von Gen 15,6 enthalten. In der Einleitung einer Paradigmenreihe, die auch Abraham anführt, fordert der 1. Clemensbrief seine Adressaten dazu auf, Nachahmer ( mimhtai, ) der Propheten zu werden, die ein gutes Zeugnis von Gott empfangen haben (1Clem 17,1). Die Eigenschaft die den Adressaten zur Nachahmung empfohlen wird ist »Demut« ( tapeinofrosu,nh bzw. tapeinofronei/ n ): evmarturh,qh mega,lwj VAbraa.m kai. fi,loj proshgoreu,qh tou/ qeou/ kai. le,gei avteni,zwn eivj th.n do,xan tou/ qeou/ tapeinofronw/ n VEgw. de, eivmi gh/ kai. spodo,j) (1Clem 17,2) Vergleichbar ist hier - wie schon im Blick auf die Verheißungen - nur die paränetische Strategie der Verfasser, denn weder »Demut« noch die Bezeichnung Abrahams als »Freund Gottes« spielen im Hebräerbrief eine Rolle. Im Barnabasbrief sind pi,stij , u`pomonh, und makroqumi,a in auffälliger Weise mit dem Heilswerk Christi und dem Opfergedanken verbunden: ~Hmerw/ n ou=n ouvsw/ n ponhrw/ n kai. auvtou/ tou/ evnergou/ ntoj e; contoj th.n evxousi,an ovfei,lomen e`autoi/ j prose,contej evkzhtei/ n ta. dikaiw,mata kuri,ou Th/ j ou=n pi,stewj h`mw/ n eivsi.n bohqoi. fo,boj kai. u`pomonh, ta. de. summacou/ nta h`mi/ n makroqumi,a kai. evgkra,teia Tou,twn ou=n meno,ntwn ta. pro.j ku,rion a`gnw/ j suneufrai,nontai auvtoi/ j sofi,a su,nesij evpisth,mh gnw/ sij Pefane,rwken ga.r h`mi/ n dia. pa,ntwn tw/ n profhtw/ n o[ti ou; te qusiw/ n ou; te o`lokautwma,twn ou; te prosforw/ n crh,|zei le,gwn o`te. me,n Ti, moi plh/ qoj tw/ n qusiw/ n u`mw/ n le,gei ku,rioj Plh,rhj eivmi. o`lokautwma,twn kriw/ n kai. ste,ar avrnw/ n kai. ai-ma tau,rwn kai. tra,gwn ouv bou,lomai ouvdV a'n e; rchsqe ovfqh/ nai, moi Ti,j ga.r evxezh,thsen tau/ ta evk tw/ n ceirw/ n u`mw/ n Patei/ n mou th.n auvlh.n <?page no="272"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 258 ouv prosqh,sesqe VEa.n fe,rhte semi,dalin ma,taion qumi,ama bde,lugma, moi, evstin ta.j neomhni,aj u`mw/ n kai. ta. sa,bbata ouvk avne,comai Tau/ ta ou=n kath,rghsen i[na o` kaino.j no,moj tou/ kuri,ou h`mw/ n VIhsou/ Cristou/ a; neu zugou/ avna,gkhj w; n mh. avnqrwpopoi,hton e; ch| th.n prosfora,n (Bar 2,1-6) In der als böse charakterisierten Zeit der Abfassung werden den Adressaten vier Qualitäten als Helfer und Mitstreiter des Glaubens anbefohlen: Furcht ( fo,boj ), Geduld ( u`pomonh ), Selbstbeherrschung ( evgkra,teia ) und Beharrlichkeit ( makroqumi,a ). Sie beziehen sich auf Person und Werk Jesu Christi, das durch Abkehr vom alttestamentlichen Brandopfer gekennzeichnet ist (Barn 2,4-6). Hier ist durchaus eine Parallele zum Hebräerbrief zu erkennen, der ebenfalls das levitische Opfer durch Person und Werk des einen wahren Hohenpriesters Jesus Christus relativiert. Im Vergleich zum Hebräerbrief wirkt die Argumentation im Barnabasbrief allerdings sehr oberflächlich und plump. Dass hier eine stärker apologetische als paränetische Absicht im Hintergrund steht ist deutlich zu spüren. Die hermeneutische Strategie des Verfassers kann nur als antijudaistisch bezeichnet werden, weil sie die Grundlagen des jüdischen Glaubens vollkommen zerstört: „Hier vertritt der Brief eine profilierte und z.T. singuläre Position: (…) die gesamte alttestamentliche Gesetzgebung war von Anfang an nicht »fleischlich«, sondern »geistlich« (…); das Alte Testament insgesamt ist Vorausdarstellung des christologischen Heilsgeschehens (…); und die Gabe des Bundes hat Israel überhaupt nicht erreicht, Empfänger des Bundes sind vielmehr ausschließlich die Christen.“ 165 All das ist mit dem Hebräerbrief nicht vergleichbar. Im Blick auf die Nachkommenschaft Abrahams nimmt er ja gerade keine Spiritualisierung vor. 166 Wegen der Datierung des Barnabasbriefs auf die Zeit zwischen 130 und 132 n. Chr. kann eine Abhängigkeit sowieso nur in einer Richtung angenommen werden. Sollte der Verfasser des Barnabasbriefes den Hebräerbrief gekannt haben, so hat sich das jedenfalls nicht auf seine Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 in Barn 13,7 ausgewirkt, die - was ihr erweitertes semantische Feld angeht - eher an Röm 4,11 erinnert. 167 Im Vergleich mit dem Hebräerbrief bietet das Jubiläenbuch den interessantesten Vergleichstext. Ein besonderes Merkmal der ausführlichen Nacherzählung der Abrahamerzählungen der Genesis ist die Deutung des Lebens Abrahams als Bewährung in der Versuchung: 165 Lindemann/ Paulsen: Väter, 23. 166 Vgl. Abschn. 3.1.2. 167 Vgl. Kap. V, Abschn. 2. <?page no="273"?> Kapitel VII: Gen 15,6 im Hebräerbrief 259 Und der Herr wusste, dass Abraham gläubig war in aller seiner Trübsal, die er ihm genannt hatte. Denn er hatte ihn versucht mit seinem Land und durch Hungersnot. Und er hatte ihn versucht durch den Reichtum der Könige. Und er hatte ihn wiederum versucht durch seine Frau, als sie ihm geraubt wurde, und durch die Beschneidung. Und er hatte ihn versucht durch Ismael und durch Hagar, seine Sklavin, als er sie fortschickte. Und in allem, wodurch er ihn versuchte, wurde er als glaubend erfunden. Und seine Seele war nicht ungeduldig, und er hat nicht gezögert, es zu tun, denn glaubend war er und liebend den Herrn. (Jub 17,17-18) 168 Hier wird bereits deutlich, dass der Verfasser Abrahams Glaube mit dessen Bewährung in der Versuchung verbindet und der Geduld dabei eine besondere Bedeutung zumisst. Die Zusammenstellung von - hier sieben - Versuchungen zeigt die hauptsächlichen paränetischen Stoßrichtungen des Jubiläenbuches an. Es fordert seine Adressaten auf, den Sabbat und die Feste zu halten, Blutessen und Nacktheit zu vermeiden, keine Mischehen einzugehen, an der Beschneidung und den Reinheitsvorschriften festzuhalten. 169 In der Schilderung der letzten Versuchung, wird das Anliegen des Verfassers noch deutlicher: Und im ersten Jahr dieser ersten Jahrwoche in diesem 42. Jubiläum kehrte Abraham zurück und wohnte gegenüber von Hebron, das ist Kirjath Arba, zwei Jahrwochen an Jahren. Und im ersten Jahr dieser Jahrwoche, der dritten dieses Jubiläums, wurden vollendet die Tage des Lebens Saras, und sie starb in Hebron. Und Abraham ging, dass er sie beweine und sie beerdige. Und wir versuchten ihn, ob sein Geist geduldig sei und ob er nicht unwillig sei im Worte seines Mundes. Und er wurde auch darin geduldige gefunden und wurde nicht verwirrt. Denn in der Geduld des Geistes redete er mit den Kindern Hets, dass sie ihm einen Ort gäben, dass er seinen Leichnam darin begrabe. (…) Und dies ist die zehnte Versuchung, mit der Abraham versucht wurde. Und er wurde gefunden als glaubend, geduldigen Geistes. Und er sagte kein Wort über die Rede von dem Land, von dem der Herr gesagt hatte, er werde es ihm geben und seinem Samen nach ihm. Sondern er erflehte eine Stätte dort, dass er seinen Leichnam begrabe. Denn er wurde als glaubend erfunden. Und er wurde aufgeschrieben als Freund des Herrn auf den Tafeln des Himmels. (Jub 19,1-4.8-9) 170 Wie in Hebr 6,12 sind hier Glaube und Geduld benahe synonym gebraucht. Sie bilden hier den Hintergrund für Abrahams Verhalten beim Kauf der Grabstätte auf dem ihm von Gott verheißenen Grund und Boden. Die Situation Abrahams im Land der Verheißung zu leben, es aber nicht sein eigen nennen zu können, erscheint dem Verfasser exakt die Situation des in der 168 Übersetzung nach Berger: Buch, 418. 169 Vgl. Berger: Buch, 482 (Anm. 16). 170 Übersetzung nach Berger: Buch, 421f. <?page no="274"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 260 Diaspora verstreut lebenden Volkes Israel seiner Gegenwart zu sein. Er empfiehlt seinen Adressaten daher einen Umgang mit der noch immer gültigen Verheißung des gelobten Landes, wie sie am Beispiel Abrahams zu lernen ist. Das Jubiläenbuch arbeitet - wie der Hebräerbrief - mit der Spannung zwischen der partiellen irdisch-immanenten Erfüllung der Verheißung an Abraham und der noch ausstehenden transzendent-eschatologischen Erfüllung an seiner Nachkommenschaft, auf die Abraham in Glaube und Geduld hin lebte. Hier wie da steht eine paränetische Absicht im Hintergrund. Die Adressaten werden aufgefordert, wie Abraham, die noch ausstehende (eschatologische) Erfüllung der Verheißung in Glaube und Geduld zu erwarten und sich nicht mit der gegenwärtigen Situation abzufinden und zu arrangieren. Der Zusammenhang von Verheißung, Glaube und Geduld in seiner paränetischen Abzweckung macht einen gemeinsamen traditionsgeschichtlichen Hintergrund für die Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 im Jubiläenbuch und im Hebräerbrief gut denkbar. Ein entscheidender Vorbehalt besteht allerdings darin, dass für das Jubiläenbuch durch eine eingehende rezeptionsästhetische Analyse erst noch zu klären ist, ob und wie die Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 - wie sie in Jub 14,6 unfraglich vorliegt - auch in den hier zitierten Texten eine Rolle spielt. Die Wendung »als glaubend gefunden werden« scheint sich nämlich stärker auf das Versuchungsmotiv zu beziehen als auf Abrahams Glauben. Im Hebräerbrief haben die Anfechtungen, denen Abraham im Blick auf die Verheißung ausgesetzt ist, die Funktion seine Bewährung im Glauben hervorzuheben. Für einen weitergehenden Vergleich ist daher die genaue rezeptionsästhetische Bestimmung der Funktion im Mitteilungsgeschehen des Jubiläenbuches unabdingbar, die hier nicht geleistet werden kann. 3.2.5 Abraham und die Gerechtigkeit und Treue Gottes Die rezeptionsästhetische Analyse hat für alle drei Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 im Hebräerbrief herausgestellt, dass sie hinter Abrahams Vertrauen in Gottes Verheißung die Gerechtigkeit und Treue Gottes als Grund desselben sehen. In der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 dafür Vergleichstexte zu finden ist nicht leicht, da die Mehrzahl der Texte die Wortstämme pist& und dikai& entsprechend der geläufigen Textgestalt der Septuaginta mit Abraham und eben nicht mit Gott verbunden wissen. <?page no="275"?> Kapitel VII: Gen 15,6 im Hebräerbrief 261 Auf einen interessanten Vergleichstext aus den Schriften Philos von Alexandrien ist im Zusammenhang von Verheißung und Schwur bereits eingegangen worden: o]j th/ j pro.j auvto.n pi,stewj avga,menoj to.n a; ndra pi,stin avntidi,dwsin auvtw/ |( th.n diV o[rkou bebai,wsin w-n u`pe,sceto dwrew/ n( ouvke,ti mo,non w`j avnqrw,pw| qeo,j( avlla. kai. w`j fi,loj gnwri,mw| dialego,menoj\ fhsi.le,gw ga.r ¹katV evmautou/ w; mosa¹( parV w- | o` lo,goj o[rkoj evsti,n( e[neka tou/ th.n dia,noian avklinw/ j kai. pagi,wj e; ti ma/ llon h' pro,teron evrhrei/ sqaiÅ (Abr 273) In De Abrahamo wird innerhalb der Auslegung von Gen 15,6a dargelegt, dass Abrahams Vertrauen ( pi,stij ) Gott in dem Maße beeindruckt hat, dass er ihm seinerseits Treue ( pi,stij ) entgegenbrachte. Sie besteht wie im Hebräerbrief in der eidlichen Bekräftigung der verheißenen Gaben ( th.n diV o[rkou bebai,wsin w-n u`pe,sceto dwrew/ n ) und zielt wiederum reflexiv auf das unerschütterliche Vertrauen Abrahams. Das mit avntidi,dwmi als »vergelten« charakterisierte Geschehen erscheint so als zirkulierend, oder - besser - als spiralförmig. Denn am Anfang steht ganz eindeutig der verheißende Gott. Diese Verheißungstreue Gottes steht im Hebräerbrief im Zentrum der Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6. Dabei wird die zweite Vershälfte als Urteil Abrahams über Gott aufgefasst, der als di,kaioj (Hebr 6,9) und pisto,j (Hebr 11,11) charakterisiert wird. Während Abr 273 für Letzteres als Vergleichstext herangezogen wurde, kann für Ersteres auf Neh 9,7-8 verwiesen werden: AtßaceAhw> ~r"êb.a; B. ‘T'r>x; ’B' rv<Üa] ~yhiêl{a/ h' hw"åhy> ‘aWh-hT'a; `~h'(r"b.a; AmßV. T'm.f; îw> ~yDI_f.K; rWaåme tte‡l' tyrIªB.h; AMø[i tAr’k'w> è^yn<p'l. ! m"åa/ n< éAbb'l.-ta, t'ac'äm'W yviÞG"r>GIh; w> ysiîWby>h; w> yZI±rIP.h; w> yrIômoa/ h' yTiøxih; ynI“[]n: K.h; •#r<a,-ta, (Neh 9,7-8 MT) `hT'a'( qyDIÞc; yKiî ^yr<êb'D>-ta, ‘~q,T'’w: A[=r>z: l. tteäl' su. ei= ku,rioj o` qeo,j su. evxele,xw evn Abram kai. evxh,gagej auvto.n evk th/ j cw,raj tw/ n Caldai,wn kai. evpe,qhkaj auvtw/ | o; noma Abraam kai. eu-rej th.n kardi,an auvtou/ pisth.n evnw,pio,n sou kai. die,qou pro.j auvto.n diaqh,khn dou/ nai auvtw/ | th.n gh/ n tw/ n Cananai,wn kai. Cettai,wn kai. Amorrai,wn kai. Ferezai,wn kai. Iebousai,wn kai. Gergesai,wn kai. tw/ | spe,rmati auvtou/ kai. e; sthsaj tou.j lo,gouj sou o[ti di,kaioj su,) (Neh 9,7-8 LXX) Im Rahmen des großen Bußgebets des Volkes (Neh 9,1-10,1) wird JHWH als der gepriesen, der an Abraham gehandelt hat. Genannt wird die Erwählung Abrams, die Herausführung aus Ur, die Namensänderung in Abraham, die Bewährung des Glaubens und der Bundesschluss zwischen den Stücken. Worauf sich die erwähnte Bewährung des Glaubens bezieht, ist unsicher. Viele Ausleger beziehen sie wegen der Wendung »treu erfinden« <?page no="276"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 262 ( ^yn<p'l. ! m"åa/ n< Abb'l.-ta, t'ac'äm'W / eu-rej th.n kardi,an auvtou/ pisth.n evnw,pio,n sou ) auf Gen 22. Das wird von bestimmten Konkretisationen der Rezeption von Gen 22 gedeckt, die das »treu erfinden« mit der Bewährung in der Versuchung verbinden, wobei bestimmte Leitabstraktionen die Auslegung bestimmen. Genauso lassen sich nämlich auch Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 anführen, die die Wendung »treu erfinden« enthalten. Nicht alle zeigen dabei auch eine Verbindung zu Gen 22 (vgl. 1Clem 10,1). Nimmt man - der dieser Arbeit zugrunde liegenden Theorie und Methode zufolge - das in Neh 9,7-8 vorliegende semantische Feld als Ausgangspunkt, so sprechen die Wortstämme pist& und dikai& in dieser Perikope für eine Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6. Dass zwischen den Wortstämmen ganz eindeutig eine Konkretisation der Rezeption von Gen 15,18-21 steht, stüzt diese Auffassung zusätzlich. Unter dem Vorbehalt, dass eine ausführliche rezeptionsästhetische Analyse das Vorliegen der Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 erst noch absichern muss, bleibt doch festzuhalten, dass hier eine dem Hebräerbrief durchaus ähnelnde Argumentation vorliegt. Was aus dem Leben Abrahams angeführt wird - speziell die Bewährung seines Glaubens - hat ihren Grund in der Gerechtigkeit Gottes ( hT'a'( qyDIÞc; yKi î / o[ti di,kaioj su, ), der treu zu seinem Verheißungswort steht. Das aber entspricht dem Ergebnis der rezeptionsästhetischen Analyse von Hebr 6,9-15. Damit stellt sich unabweisbar die Frage, wie die Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 im Hebräerbrief zum semantischen Grundwortfeld von Gen 15,6 MT bzw. LXX stehen. 3.2.6 Das semantische Grundwortfeld von Gen 15,6 Die Ergebnisse der rezeptionsästhetischen Analysen, die zur begründeten Annahme dreier Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 im Hebräerbrief führen, sind in Abschnitt 2.5 bereits ausführlich dargestellt worden. Die vorangegangenen Abschnitte haben zudem dargelegt, wo und wie sich diese Konkretisationen mit denen anderer Texte in der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 berühren. Damit bleibt zu fragen, in welcher Weise dem Verfasser des Hebräerbriefs Gen 15,6 als Rezeptionsobjekt begegnet ist, so dass er auf diesem Hintergrund ein von der klassischen Lesart abweichendes Verständnis dieses Verses hat entwickeln können: Ein Verständnis, bei dem Abraham Gott die Tatsache, dass er Kraft der göttlichen Verheißung glauben kann, als Erweis seiner (d.h. Gottes) Gerechtigkeit und Treue anrechnet. <?page no="277"?> Kapitel VII: Gen 15,6 im Hebräerbrief 263 Die Forschungsgeschichte hat gezeigt, dass der masoretische Text von Gen 15,6 ein solches Verständnis semantisch und syntaktisch zulässt und es von einzelnen Auslegern auch so vertreten wird. 171 Selbst innerhalb der deutschen Bibelübersetzungen ist mit der umstrittenen »Bibel in gerechter Sprache« nun eine Übersetzung erschienen, die diese Lesart für Gen 15,6 zugrunde legt: „Da glaubte er Adonaj und zählte es als eine Tat der Gerechtigkeit.“ 172 Damit stellt sich konkret die Frage, ob die Konkretisationen im Hebräerbrief das Ergebnis der Lektüre von Gen 15,6 MT durch den Verfasser sind. Im Zuge der Analysen hat sich diese Frage für zwei weitere Stellen mit Konkretisationen gestellt. In der Konkretisation der Rezeptionen von Gen 21,12 und Hab 2,4 haben sich jeweils Lesarten gezeigt, die dem Verständnis des masoretischen Textes entsprechen und nicht den überlieferten Lesarten der Septuaginta. Die Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 ist demnach mindestens das dritte Beispiel für dieses Phänomen innerhalb des Hebräerbriefes. Auch wenn Justin das Nebeneinander von griechischen und hebräischen Texten beim Zitieren des Alten Testaments belegt (vgl. Dial 137,3) 173 , ist es dennoch eher unwahrscheinlich, dass der Verfasser des Hebräerbriefs direkt durch Lektüre des hebräischen Textes zu seinen Konkretisationen gekommen ist. In der einschlägigen Literatur, die sich mit der Schriftrezeption im Hebräerbrief eingehend befasst, wird durchgängig von griechischen Rezeptionsvorlagen ausgegangen. Wie passt dann aber die »hebräische« Lesart mit der griechischen Textform zusammen? D IETRICH -A LEX K OCH hat die Überlieferung der Septuaginta im ersten nachchristlichen Jahrhundert untersucht und kommt zu dem Ergebnis, dass die Rezensionen der Septuaginta in dieser Zeit durchweg auf eine größere Übereinstimmung mit dem hebräischen Text zielen. Von daher „ist grundsätzlich mit der Möglichkeit zu rechnen, daß es für einzelne Bücher Handschriften gab, die einen mehr oder minder rezensierten Text enthielten, und daß einzelne neutestamentliche Autoren derartige Textformen benutzten.“ 174 Daneben ist nach K OCH aber wenigstens ebenso stark damit zu rech- 171 Vgl. Kap. I, Abschn. 1.2. 172 Die Bibel in gerechter Sprache, hg.v. U. Bail, F. Crüsemann, E. Domay, J. Ebach, C. Janssen, H. Köhler, H. Kuhlmann, M. Leutzsch u. U. Schottroff, Gütersloh, 2006, z.St.. 173 VEgw,( w= fi,loi( kai. ta,j grafa.j le,gw nu/ n w`j evxhgh,santo oi` e`bdomh,konta\ eivpw.n ga.r auvta.j pro,teron w`j u`mei/ j e; cete( pei/ ran u`mw/ n evpoiou,mhn pw/ j dia,keisqe h; dh th.n gnw,mhn (Dial 137,3). 174 Koch: Überlieferung, 236f. <?page no="278"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 264 nen, dass der neutestamentliche Autor selber in den zitierten Text eingegriffen hat. Für die Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 im Hebräerbrief ist beides gleichermaßen denkbar. Fest steht aber in jedem Fall, dass er damit ein Verständnis des Verses andeutet, dessen Bedingungen der Möglichkeit nur die masoretische Textfassung zulässt. Dass in der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 ein solches Verständnis tatsächlich existiert, zeigen eindeutig einige rabbinische Texte, die allerdings weit außerhalb des Untersuchungsbereichs dieser Arbeit liegen. 175 Als eindrücklichstes Beispiel sei hier Rabbi Mose ben Nachman (Nachmanides) zitiert, der 1194-1270 n.Chr. lebte: . wb ! ymahX hnwmah l[ twbzw hqdc wl bXx awh $wrb Xwdqh , yŒŒXr Xrp ! wmc[b aybnh awhw ? ŒŒ! ma yhlabŒŒ ! ymay al hml , tazh twzh hm ! ybm ynyaw twnwysnh raXw , bwhah dyxyh wnb ta jxXl ! ymahX ymn ! ŒŒbzkyw la Xya alŒŒw , Œhb ! ymahX rmay yk , yny[b ! wknhw ! ? hbwj hrwXbb ! ymay al $ya , ~ynp lk l[ [rz wl ! ty awh $wrb xwdqh lX wqd[b yb bXxw 176 ŒŒdam hbrh $rkXŒŒ wl rmaX yp l[ @a wrkXbw ~rba tqdcb al Die Auslegung von Gen 15,6 geschieht hier in Abgrenzung von Rabbi Schlomo ben Jizchak (Raschi). Der Glaube Abrahams erscheint Nachmanides nicht als besonderes Verdienst, da Abraham durch seine prophetische Gabe bewusst gewesen sein musste, dass Gott, der nicht lügt, stets treu zu seiner Verheißung steht. Abrahams Sicherheit im Glauben hat so ihren Grund in Gottes Verheißungstreue. Diese sieht Nachmanides besonders in Gen 22 unter Beweis gestellt, so dass er von dieser schweren Versuchung auf die weit geringere angesichts der Kinderlosigkeit schließt. Das bvx aus 175 B ENNO J ACOB nennt in seinem Genesiskommentar BSch., Ramb., Ralbag, Isaak Arama., Abr., Elieser Aschken. und Luzz. (vgl. ders.: Buch, 394). 176 D IRK U. R OTTZOLL (ders.: Beleg, 24) übersetzt wie folgt: Raschi erklärt [sc. Gen 15,6]: Der Heilige, Er sei gesegnet, rechnetet ihm Gerechtigkeit an und Verdienst/ Lohn, wegen des Glaubens, mit dem er [sc. Abraham] ihm [sc. Gott] glaubte. Aber ich verstehe nicht: Was ist dieser Verdienst/ Lohn? Warum sollte er nicht an Gottes Zuverlässigkeit glauben, er, der Prophet war, der er (sich) selbst war? Und (überdies) ist Gott kein Mensch, der lügt [Num 23,19]. Und er, der er glaubte, seinen Sohn den einzigen, den geliebten, schlachten zu müssen, und das Ende [rav] der Versuchung (abwartete) - wie (warum) sollte er nicht der guten Verheißung [sc. von Gen 15,4] glauben? In meinen Augen aber ist das Richtige, daß man [sc. Gen 15,6 wie folgt] sagt/ interpretiert: Er [sc. Abraham] glaubte Gott und dachte [bvx], daß (dieser) in seiner Gerechtigkeit, die dem Heiligen, Er sei gesegnet, (zu eigen ist), ihm [sc. Abraham] auf jeden Fall Samen/ Nachkommen gibt, nicht wegen der Gerechtigkeit Abrahams und wegen seines [sc. Abrahams] Lohns, obwohl er [sc. Gott] ihm sagte: »Dein Lohn wird groß sein« [Gen 15,1]. <?page no="279"?> Kapitel VII: Gen 15,6 im Hebräerbrief 265 Gen 15,6b versteht er als denken/ erwägen mit Abraham als Subjekt. 177 Der Teilvers gibt somit Abrahams »underlying motivation« zur Kenntnis, die Gottes Gerechtigkeit als Verheißungstreue erwägt und seinen Glauben stützt. Die Ähnlichkeiten zu den Konkretisationen im Hebräerbrief sind enorm. Die Gerechtigkeit Gottes, die in der Treue zu seinen Verheißungen besteht und daher den Versprochenen Lohn garantiert zueignet, erinnert stark an Hebr 6,9-15, wo die Gerechtigkeit Gottes als Ausdruck seiner Treue verstanden wird. War das dort im Blick auf Abraham durch Gottes Schwur aus Gen 22,16f verdeutlich worden, zieht Nachmanides Num 23,19 für seine Auslegung heran. Nun gibt es aber eine rabinische Auslegungstradition, „die unter Bezugnahme auf Num 23,19 von der Unwiderruflichkeit der durch den Schwur von Gen 22,16f bekräftigen Abraham-Verheißung (…) sprach“. 178 Wenn auch nur indirekt, so zeigt sich hier also auch in dieser Hinsicht eine gewisse Verbindung zu Hebr 6,9-15. Weitere Ähnlichkeiten bestehen im Blick auf Hebr 11,11-12 und Hebr 11,17-19. Die Deutung des bvx als denken/ erwägen entspricht exakt dem Gebrauch des griechischen Äquivalents logi,zesqai in Hebr 11,17-19. Hier wie dort ist es Abrahams Bereitschaft zur Darbringung Isaaks, die als Beispiel für sein Vertrauen in Gottes Treue und Gerechtigkeit herangezogen wird. Was in dieser Situation für Abraham gilt, überträgt Nachmanides auf die Anfechtung seiner Kinderlosigkeit. Im Nebeneinander von Hebr 11,11-12 und Hebr 11,17-19 ist eben dies auch zu beobachten. Die Auslegung von Gen 15,6 bei Nachmanides zeigt somit (1.) die Möglichkeit eines entsprechenden Verständnisses des masoretischen Textes von Gen 15,6 und kommt (2.) von ihrer Argumentation den Konkretisationen im Hebräerbrief sehr nahe. Aber auch innerhalb der alt- und zwischentestamentlichen Literatur lässt sich mit dem Nehemiabuch mindestens ein Beispiel für dieses Verständnis von Gen 15,6 finden. Wenn nämlich - was die rezeptionsästhetische Analyse noch im Einzelnen erweisen muss - in Neh 9,7-8 eine Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 vorliegt, dann ist das hT'a'( qyDIÞc; yKiî als Grund für Abrahams Bewährung im Glauben zu verstehen. Der rezeptionsästetischen 177 Diese Auslegung ist eine von zwei Alternativen, die Nachmanides darlegt. In der zweiten Lesart geht er davon aus, dass Gott seine Verheißung an Abraham selber als Ausdruck seiner (d.h. Gottes) Gerechtigkeit ansieht (vgl. Blinder: Torah, 349 (Anm. 41)) 178 Vgl. Hofius: Unabänderlichkeit, 143. <?page no="280"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 266 Untersuchung dieser Stelle durch L ARS S CHNOR 179 soll hier aber nicht weiter vorgegriffen werden. 3.3 Die Funktion des erweiterten semantischen Feldes im Mitteilungsgeschehen des Hebräerbriefs und ihr sozialhistorischer Kontext Die Beobachtungen am erweiterten semantischen Feld der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 zeigen, dass es mit seiner paränetischen Charakteristik darauf ausgerichtet ist, die Adressaten von der für sie noch bestehenden Hoffnung (Hebr 6,9; vgl. Hebr 4,1) auf die Gewissheit des Heils zu stoßen und damit zum Festhalten des Glaubens zu bestärken. Das Schicksal Abrahams hat dabei im Zusammenspiel mit dem Heilshandeln des Hohenpriesters Jesus eine grundlegende Bedeutung. In Abraham findet der Verfasser das in nachahmenswerter Weise vorgelebt, was er von den Adressaten fordert. Die Begründung dafür ist in erster Linie an der „Verheißung als Generalnenner“ 180 orientiert. Der Verfasser „will seinen Adressaten den Zuspruch und Anspruch des Wortes Gottes erschließen, das sie in ihrer Lebenssituation und Glaubenskrise unmittelbar anredet, aufbaut und herausfordert“ 181 (vgl. Hebr 1,1f). Die Verlässlichkeit dieser Verheißungen ist in der Treue und Gerechtigkeit Gottes begründet, die Abraham trotz der schweren Anfechtungen seinen Glauben ermöglicht. An seinem Beispiel lässt sich erkennen, dass Gott den Menschen die Gültigkeit seiner Verheißung durch seinen unüberbietbaren Schwur besonders dann bekräftigt, wenn die Verheißung mit der irdischen, geschichtlichen Wirklichkeit in Widerspruch gerät, damit sich ihre Heilshoffnung in Heilsgewissheit verwandeln kann. Dieses Ergebnis der rezeptionsästhetischen Analyse des Hebräerbriefs wird durch den rezeptionsgeschichtlichen Vergleich gestützt. Es zeigt sich nämlich, dass die wichtigen Erweiterungen des semantischen Grundwortfeldes durch »Verheißung« und »Schwur« auch in anderen Texten im Zusammenhang mit Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 zu finden sind. Einen gemeinsamen traditionsgeschichtlichen Hintergrund hat der Hebräerbrief diesbezüglich sicher mit dem Buch Jesus Sirach, Philos Schrift »De Abrahamo« und dem Römerbrief. Hier zeigt sich deutlich die Einbet- 179 Vgl. dazu die Einleitung. 180 Gräßer: Glaube, 84. 181 Söding: Zuversicht, 220. <?page no="281"?> Kapitel VII: Gen 15,6 im Hebräerbrief 267 tung der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 in die diachrone Sprachkonventionalität der Abrahamtradition. Der differenzierte Vergleich zeigt allerdings auch, dass die Aufnahme traditioneller Elemente sehr gezielt der paränetischen Absicht untergeordnet ist. Besonders deutlich wird das im Blick auf die traditionelle Verknüpfung der Konkretisationen der Rezeptionen von Gen 15,6 und Gen 22. Entgegen der in der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 häufigen Fokussierung auf die Bindung Isaaks, steht im Hebräerbrief auch hier die durch den Schwur bekräftigte Verheißung Gottes im Vordergrund. Das aber entspricht gerade dem analysierten paränetischen Gefälle der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6. Schaut man aus dem Blickwinkel dieses paränetischen Gefälles und seiner textpragmatische Realisation noch einmal auf die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6, lassen sich auch hier Ähnlichkeiten entdecken. So arbeitet das Jubiläenbuch - wie der Hebräerbrief - mit der Spannung zwischen der partiellen irdisch-immanenten Erfüllung der Verheißung an Abraham und der noch ausstehenden transzendent-eschatologischen Erfüllung dieser Verheißung an seiner Nachkommenschaft. Die Absicht, die jeweiligen Adressaten zur Nachahmung des Glaubens und der Geduld Abrahams zu motivieren, mit der dieser die Spannung ertragen hat, lässt auf ähnliche sozialgeschichtliche Rezeptionsbedingungen der jüdischen Diasporagemeinden als Adressaten des Jubiläenbuches und der durch äußere in innere Bedrängnis geratenen christlichen Gemeinden als Adressaten des Hebräerbriefs schließen. In sozialhistorischer Hinsicht gehören diese Texte in der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 daher eng zusammen. Der Nachweis einer Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 im Hebräerbrief durch Nachweis des semantischen Feldes von Gen 15,6 ist nicht nur in der Forschungsgeschichte beinahe singulär, sondern setzt auch ein Verständnis von Gen 15,6 beim Verfasser voraus, das den gängigen Ansätzen der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 nicht entspricht: Abrahams Glaube besteht darin, dass er der Verheißung Gottes traut, die ihm trotz seiner Kinderlosigkeit und seines hohen Alters eine große Nachkommenschaft vor Augen stellt. Der Grund für sein Vertrauen ist Gott selber. Die Unverbrüchlichkeit, mit der er gegen alle Widerstände an seiner Verheißung festhält, erachtet Abraham als Ausdruck seiner (d.h. Gottes) Gerechtigkeit und Treue. Abrahams Urteil über Gott und dessen Treue zu seiner Verheißung ist für den Verfasser des Hebräerbriefs die „underlying motivation“ 182 und damit der Grund für Abrahams Glauben und seiner an Gewiss- 182 Attridge: Hebrews, 322. <?page no="282"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 268 heit grenzenden Hoffnung in jeglicher Anfechtung und Bedrängnis. So kommt der Verfasser auf Gen 15,6 zurück, ohne die Stelle zu zitieren. Seinem Verständnis nach wird dabei aber nicht etwa Abrahams Glaube oder sein Verhalten zur Gerechtigkeit angerechnet, sondern es ist vielmehr Abraham, der aus der Sicht des Verfassers die Treue und Gerechtigkeit Gottes als Grund für seinen eigenen Glauben anerkennt. Der rezeptionsgeschichtliche Vergleich zeigt, dass dieses Verständnis von Gen 15,6 beim Verfasser des Hebräerbriefs durchaus Parallelen hat. So belegt Philos Auslegung von Gen 15,6a in Abr 273 den Gedanken, dass nicht nur Abraham Gott pi,stij entgegenbringt, sondern auch Gott Abraham mit pi,stij begegnet. Da diese Wechselseitigkeit als spiralförmiges Geschehen gedacht werden muss, wobei der verheißende Gott den Ausgangspunkt bildet, zeigt sich hier eine Parallele zum Hebräerbrief (vgl. Hebr 11,11). Noch deutlichere Parallelität zum Hebräerbrief zeigt die Argumentation im großen Bußgebet des Nehemia. Was aus dem Leben Abrahams angeführt wird - speziell die Bewährung seines Glaubens - hat hier ihren Grund in der Gerechtigkeit Gottes, der treu zu seinem Verheißungswort steht (vgl. Neh 9,8). Ein weiterer deutlicher Beleg dafür, dass ein Verständnis von Gen 15,6 MT möglich ist, das den verbreiteten Leitabstraktionen dieses Schriftwortes nicht entspricht, weil es die Subjektfrage in Gen 15,6b zugunsten Abrahams entscheidet, ist die mittelalterliche Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 bei Nachmanides. Er versteht das bvx aus Gen 15,6b als denken/ erwägen und bestimmt eindeutig Abraham als Subjekt. Der Teilvers gibt nach Nachmanides Abrahams »underlying motivation« zur Kenntnis, die Gottes Gerechtigkeit als Verheißungstreue erwägt und seinen Glauben stützt. Gerade das aber hat die rezeptionsästhetische Analyse auch für die Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 im Hebräerbrief herausgearbeitet. Es gibt also auch rezeptionsgeschichtlich betrachtet gute Gründe dafür anzunehmen, dass der Verfasser des Hebräerbriefs seine Rezeption von Gen 15,6 so konkretisiert, dass Gott nicht Abrahams Glauben oder sein Verhalten zur Gerechtigkeit angerechnet, sondern vielmehr Abraham die Treue und Gerechtigkeit Gottes als Grund für seinen eigenen Glauben anerkennt. Ob der Verfasser dabei auf eine Rezension der Septuaginta zurückgegriffen hat, die eine größere Übereinstimmung mit dem hebräischen Text von Gen 15,6 aufwies, der die Bedingungen der Möglichkeit eine solchen Verständnisses bietet, muss offen bleiben. Fest steht, dass Gen 15,6 im Hebräerbrief nicht das einzige Rezeptionsobjekt ist, dessen Konkretisation dem <?page no="283"?> Kapitel VII: Gen 15,6 im Hebräerbrief 269 masoretischen Text stärker entspricht als den bekannten Septuagintafassungen. Im Rahmen einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 ist eine solche objektperspektivische Frage aber auch nicht das entscheidende Kriterium. Vielmehr hat die analysierte Funktion der Rezeption im Mitteilungsgeschehen des Hebräerbriefs dieses Verständnis von Gen 15,6 sozialhistorisch plausibel und nachvollziehbar gemacht und markiert so den Ort des Hebräerbriefs in einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6. <?page no="285"?> Kapitel VIII Gen 15,6 im 1. Clemensbrief aus der Perspektive einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte 1. Zur Frage nach einer Rezeption von Gen 15,6 im 1. Clemensbrief Das Vorliegen einer Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 in 1Clem 10,6 ist durch die große Übereinstimmung mit Gen 15,6 LXX in der einschlägigen Literatur allgemein anerkannt. In den Untersuchungen zur Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 wird der 1. Clemensbrief allerdings nur selten berücksichtig. Das liegt wohl zunächst daran, dass die allermeisten Untersuchungen zur neutestamentlichen Literatur allein die kanonischen Schriften des Neuen Testaments in den Blick nehmen. Neben den grundsätzlichen methodischen Erwägungen 1 , drängen aber schon die Datierung des 1. Clemensbriefes am Ende des ersten nachchristlichen Jahrhunderts 2 und seine Überlieferung im Codex Alexandrinus 3 zu einer Behandlung im Zusammenhang mit den neutestamentlichen Schriften. Der 1. Clemensbrief ist für rezeptionsästhetische Fragestellungen auch deshalb von besonderem Interesse, weil ca. 28% seines Wortbestandes aus Schriftzitaten besteht. 4 D ONALD A. H AGNER hat dem Schriftgebrauch im 1 „Im Interesse der literaturhistorischen Fragestellung ist eine Zurücksetzung der außerkanonischen Schriften verfehlt; denn die historische Interpretation ist aus formalen und inhaltlichen Gründen gezwungen, diesen weiteren Schriftenkreis in ihr Aufgabengebiet einzubeziehen.“ (Strecker: Literaturgeschichte, 278). 2 Die Frage nach der Datierung soll hier nicht weiter verfolgt werden. Es sei aber darauf hingewiesen, dass eine Abkoppelung der Datierung von einer Christenverfolgung unter Domitian möglicher Weise auf eine noch frühere Abfassung deuten könnte, wie das E R- LEMANN angedacht hat (vgl. ders.: Datierung, 591-607). 3 Ebenso finden sich die syrische Übersetzung des ersten Clemensbriefes, sowie eine seiner koptischen Überlieferungen in Handschriften des Neuen Testaments (vgl. Rebell: Apokryphen, 209). 4 Vgl. Lona: Clemensbrief, 42. <?page no="286"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 272 1. Clemensbrief daher eine ausführliche Untersuchung gewidmet, die allerdings konsequent objektperspektivisch angelegt ist: „In the OT section our main task will be to compare the text of Clement`s Septuagint quotations with the main textual witnesses of the Septuagint which have come down to us.“ 5 H AGNERS Ansatz steht damit in einer deutlichen Spannung zu dem Rezeptionsverständnis, das dieser Untersuchung zugrunde liegt. Das Defizit seines Ansatzes wird gerade durch den umfassenden Schriftgebrauch im 1. Clemensbrief deutlich: “Die Fragestellung darf nicht eingeengt werden, indem man nur die Zitate berücksichtigt. Die Bedeutung der Schrift in I Clem kommt auch in vielen anderen Wendungen und freien Anlehnungen zum Ausdruck.“ 6 Als Folge des objektperspektivischen Ansatzes lässt sich im Blick auf die Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 bei H AGNER beobachten, dass er da, wo die Konkretisationen sich weit vom Text der Septuaginta entfernen, die Rezeption des neutestamentlichen Schriftgebrauchs von Gen 15,6 annimmt. Demnach sind in 1Clem 31,2 die Konkretisationen der Rezeptionen von Gen 15,6 aus Gal 3 und Jak 2 miteinander kombiniert. 7 Die Möglichkeit eines eigenen freien Umgangs bei der Konkretisation wird dem Verfasser des 1. Clemensbriefs nicht zugestanden. Diese Beobachtung gilt - wenn auch in unterschiedlichem Maße - für beinahe alle Versuche der Einordnungen des 1. Clemensbriefes in die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6. Als Hintergrund dafür ist die Vorstellung verantwortlich, die paulinische Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 sei so dominant, dass eine davon unabhängige Rezeption - die nicht als Anlehnung oder Ablehnung zu erklären wäre - in nachpaulinischer Zeit völlig undenkbar ist. Die Konkretisationen in Gal 3 und Röm 4 erscheinen dann als die christliche Deutung schlechthin. So kann beispielsweise H ALVOR M OXNES feststellen: „The fact that I Clem. 10: 6 concludes this collection with Gen 15: 6 makes it probable that the collection itself had a Christian origin.“ 8 Inwieweit die paulinische Theologie als Bezugsgröße fungiert, zeigt auch die Feststellung H ANS -W OLFGANG H EIDLANDS : „Wendungen wie dia. pi,stin (! ) kai. filoxeni,an evdo,qh auvtw/ | ui`o.j evn gh,ra| (10,7) wären Pls unmöglich“ 9 . Die 5 Hagner: Use, 14. 6 Lona: Clemensbrief, 42. 7 Vgl. Hagner: Use, 249f. 8 Moxnes: Theology, 192. 9 Heidland: Anrechnung, 129. Ähnlich bemerkt L INDEMANN zu 1Clem 10,7: „Die Verknüpfung der filoxeni,a Abrahams mit der wunderbaren Geburt Isaaks (…) ist aber theologisch nicht glücklich, weil jetzt die Erfüllung der von Gott zuvor gegebenen Nach- <?page no="287"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 273 Rezeptionsgeschichte hat für ihn in Paulus klar ihren Höhepunkt erreicht. Später dann - und hierfür ist ihm der 1. Clemensbrief ein gutes Beispiel - „wurde Gn 15,6 zur bloßen Formel, die man pietätvoll wiederholte, ohne mit ihr eigentlich viel anfangen zu können“ 10 . Im Hintergrund steht weiterhin die Vorstellung, dass sich die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 in zwei Linien aufspalten lässt, wie H ORACIO E. L ONA in seinem Kommentar zu 1Clem 10,6 ausführt: „Auf der einen Seite stehen die paulinischen Texte mit der Absicht, die Rechtfertigung aufgrund des Glaubens und nicht der Gesetzeswerke als den von Gott schon bei Abraham beginnenden Heilsplan zu demonstrieren; auf der anderen Seite das Zitat von Gen 15,6 in Jak 2,23 mit der Absicht, die Notwendigkeit der Werke nicht allein des Glaubens bei der Rechtfertigung zu beweisen. Daß ein römischer Text wie I Clem 10,6 die Zitate über Abraham als Beispiel des Gehorsams mit Gen 15,5f abschließt, ist dann nicht überraschend.“ 11 Die Abhängigkeit des 1. Clemensbriefes im Blick auf die Rezeption von Gen 15,6 wird am Wortlaut des Zitats in 1Clem 10,6 festgemacht: „Das Zitat von Gen 15,6 folgt dem in Röm 4,3 (anders Gal 3,6) und Jak 2,23 belegten Wortlaut (…) und ist also vermutlich von Paulus abhängig.“ 12 Gemeint sind die gemeinsamen Abweichungen der genannten drei Stellen von den uns bekannten Lesarten der Septuaginta. 13 Was 1Clem 10,6 betrifft ist dazu allerdings zu sagen, dass dort ja Gen 15,5 und 15,6 im Zusammenhang zitiert werden, wobei Gen 15,5 deutliche redaktionelle Anpassungen an den Argumentationsduktus zeigt. Es scheint daher nicht gerade nahe liegend, die Abweichungen bei Gen 15,6 einer literarischen Abhängigkeit von Röm 4,3 oder Jak 2,23 zuzuschreiben. In der Frage nach der literarischen Abhängigkeit zwischen Jakobus- und erstem Clemensbrief ist der Schriftgebrauch allerdings häufig das entscheidende Kriterium. Allerdings werden auf dieser Grundlage gegensätzliche Schlüsse gezogen: Während beispielsweise H AGNER den ersten Clemensbrief vom Jakobusbrief abhängig macht 14 , entscheidet Y OUNG gerade in umgekehrter Weise: „In the light of I Clement’s treatment of scripture, it seems probable that it was James who was indebted kommensverheißung an Abrahams pi,stij und filoxeni,a gebunden wird“ (ders.: Clemensbriefe, 51; Hervorhebung vom Verf.). 10 Heidland: Anrechnung, 129. 11 Lona: Clemensbrief, 197f. L ONA beruft sich dabei auf H AHN (ders.: Genesis; vgl. dazu auch Kap. I). 12 Lindemann: Clemensbriefe, 50. 13 Siehe dazu Kap. VI, Abschn. 3.2.6. 14 Vgl. Hagner: Use, 255f. <?page no="288"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 274 to I Clement.“ 15 Für das eigene subjektperspektivische Vorgehen ist die Frage nach literarischer Abhängigkeit allerdings zunächst von untergeordneter Bedeutung. Die meisten Ausleger nehmen indes diese Abhängigkeit an, werten sie dann aber zumeist als einen bloßen (sprachlichen) Reflex auf die paulinischen Schriften: „Gen 15,6 bildet im Zusammenhang von 1 Clem 10,1ff einfach den sachgemäßen Abschluss der zitierten Tradition; theologische Konsequenzen im Blick auf die Rechtfertigungslehre zieht der Vf des 1 Clem jedenfalls an dieser Stelle aus dem Zitat nicht.“ 16 Inhaltlich werden die Konkretisationen dann eher der zweiten - vom Jakobusbrief repräsentierten - Linie der Rezeptionsgeschichte zugeordnet, die vielen als Fortsetzung der typischen jüdischen Rezeption von Gen 15,6 gilt, deren Besonderheit in der engen Verbindung von Gen 15,6 und Gen 22 bestehen soll, und die den Glauben Abrahams vermeintlich als ein verdienstliches Werk betrachtet. So stellt L ONA 1Clem 10,1-7 in eine Linie mit 1Makk 2,52; Sir 44,20 und Jak 2,21-23: „Die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit wird aus der Treue Abrahams beim Opfer seines Sohnes abgelesen“ 17 . Der Vergleich stützt sich dabei lediglich auf die Wendung evn peirasmw/ | eu`re,qh pisto,j in 1Makk 2,52 und Sir 44,20 und die Konkretisation der Rezeption von Gen 22 in Jak 2,21-23. Wie genau dort Gen 15,6 und Gen 22 in der Argumentation der jeweiligen Verfasser gebraucht werden, wird nicht thematisiert. Ein Vergleich von Konkretisationen kann aber erst dann sinnvoll vorgenommen werden, wenn die Funktionen derselben unabhängig im jeweiligen Kontext genau festgestellt worden sind. Ebenso muss sich auf diese Weise für den 1. Clemensbrief - wie auch für alle anderen Konkretisationen - zeigen, ob von einer »Verdienstlichkeit« des Glaubens, der Werke, o.ä. gesprochen werden kann, wie das beispielsweise O TTO S CHMITZ tut: „Die Geburt Isaaks erscheint als Verdienst seines Glaubens und seiner Gastfreundschaft, die Opferung des Sohnes als Gehorsamsleistung (10,7). So ist das Prädikat »gläubig«, das der »Freund Gottes« empfing, das Ergebnis seines in Taten bewährten Gehorsams (10,1), und der Segen, der »unserem Vater Abraham« zuteil wurde, der Lohn dafür, daß er »im Glauben Gerechtigkeit und Wahrheit tat« (31,2).“ 18 15 Young: Relation, 345. 16 Lindemann: Paulus, 194. 17 Lona: Clemensbrief, 199. 18 Schmitz: Abraham, 122; vgl. auch Heidland: Anrechnung, 129. <?page no="289"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 275 Dass der Versuch, den 1. Clemensbrief aus den Paulusbriefen oder anderen christlichen Schriften begreifen zu wollen, ein „fundamentaler methodischer Irrtum“ 19 ist, hat bereits A DOLF VON H ARNACK herausgestellt. Noch deutlicher wird aber sein Schüler W ILLIAM W REDE : „Wenn eine solche Vergleichung im Vordergrund steht, wird der Brief unvermeidlich - denn naturgemäß geht man bei dem Vergleiche nicht von Klemens, sondern stets von Paulus aus - einem Verhör nach Gesichtspunkten unterworfen, die ihm selber entweder fremd sind oder für ihn hinter anderen zurücktreten.“ 20 Besonders im Blick auf die Frage nach Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 darf die Untersuchung nicht von einer einbzw. maximal zweilinig vorgestellten Rezeptionsgeschichte abhängig gemacht werden. Eine solche Einschätzung müsste die Untersuchung der Rezeptionsgeschichte nämlich erst erbringen und darf diese nicht präjudizieren. 21 Neben den Ansätzen, welche die Beurteilung der Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 im 1. Clemensbrief direkt oder indirekt von Paulus und seiner Rezeption abhängig machen, finden sich aber auch Ansätze, die von Gen 15,6 MT her eine Leitabstraktion entwickeln, mit der sie potentielle Konkretisationen identifizieren und einordnen. So hat A XEL VON D OBBELER in seiner tabellarischen Auflistung der Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 für den 1. Clemensbrief neben 1Clem 10,6-7 auch 1Clem 9,4-10,1 und 1Clem 31,2 aufgeführt. 22 Entscheidend für die Auswahl ist seine Bestimmung der Struktur von Gen 15,6 MT, die bei unterschiedlicher inhaltlicher Füllung in allen Konkretisationen erhalten bleibt: „Auf ein bestimmtes Verhalten Abrahams hin, das als charakteristisch für seine Lebensleistung, der sein Glaube entspricht, erachtet wird, schenkt Gott dem Abraham Heil.“ 23 Wenn auch zu den einzelnen Stellen keine weiteren Erläuterungen gegeben werden, so erklärt sich damit doch, warum VON D OBBELER die Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 in 1Clem 10,6 und 7 (! ) festmacht. Abrahams »Glaube«, sein »Bestehen in der Versuchung« und seine »Gastfreundschaft« werden als Grund für die von Gott geschenkte »Gerechtigkeit« angesehen. In 1Clem 31,2 sind es der »Glaube« und das »gerechte Handeln«, woraufhin Gott Abraham »Segen« schenkt. 19 Harnack: Einführung, 54. 20 Wrede: Untersuchungen, 59. 21 So auch L ONA (vgl. ders.: Clemensbrief, 364). 22 Vgl. Dobbeler: Glaube, 120. 23 Dobbeler: Glaube, 119. <?page no="290"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 276 Eine andere Leitabstraktion findet sich in der Arbeit zur Rezeptionsgeschichte von D ONALD D. S UTHERLAND . Demnach ist für die Rezeption von Gen 15,6 eine „hermeneutic of faith-obedience-righteousness“ 24 tonangebend, die daher rührt, dass „Judaism made quite sure that the relationship between Abraham’s faith and righteousness was tied inextricable to obedience“ 25 . In der äußerst knappen Behandlung des 1. Clemensbriefes ordnet S UTHERLAND 1Clem 10,1 und 10,7 (! ) dann entsprechend in die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 ein: „Out of the tradition of ben Sirah and I Maccabees he enumerated Abraham in a »roll call of the faithful«, in which Genesis 15: 6 and 22 are brought together.“ 26 Die Einordnung beruht allein auf den isolierten Versen, während der Argumentationszusammenhang der Perikope überhaupt nicht in den Blick genommen wird. Der vorausgesetzte enge Zusammenhang zwischen Gen 15,6 und Gen 22 ist wohl auch der Grund dafür, dass 1Clem 30,6-32,4 für die Rezeptionsgeschichte gar nicht in Betracht gezogen wird. Wenn die Zuordnungen bei VON D OBBELER und S UTHERLAND auch von den dahinter stehenden Leitabstraktion her einsichtig und konsequent erscheinen, erweisen sie sich doch im Blick auf den Kontext von 1Clem 10,1-7 und 1Clem 30,6-32,4 und die differenzierte Argumentation des Verfassers als zu kurz gegriffen und stellen somit ihrerseits die Leitabstraktionen in Frage. Zudem geben sowohl der nähre Kontext der Konkretisationen als auch das Ganze des 1. Clemensbriefes den Rahmen zur Bestimmung der Funktion der Konkretisationen im Mitteilungsgeschehen des Briefes ab. Im Blick auf die Frage nach dem Mitteilungsgeschehen des 1. Clemensbriefes ist zudem zu bedenken, dass hier - ähnlich wie beim Jakobusbrief - die gedankliche Kohärenz (speziell in 1Clem 4-38) z.T. massiv in Frage gestellt wird. Nach W REDE scheint der Verfasser streckenweise „völlig zu vergessen, was ihn eigentlich zum Schreiben veranlasste; es verschwindet jede durchsichtige Beziehung auf den praktischen Zweck des Briefes.“ 27 Sowohl für die Perikopen, die im Blick auf die Frage nach der Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 zu analysieren sind, als auch für die Stellen, die im Blick auf das erweiterte semantische Feld der Rezeption zu betrachten sind, ist diesem Urteil allerdings deutlich zu widersprechen. Es zeigt sich im Gegenteil, dass der Verfasser sehr geschickt, wenn 24 Sutherland: Genesis, 70. Vgl. dazu auch Kap. I. 25 Sutherland: Genesis, 70. 26 Sutherland: Genesis, 210. 27 Wrede: Untersuchungen, 2. <?page no="291"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 277 auch manchmal nur ganz unterschwellig und subtil, den Zweck seines Schreibens im Auge behält. 28 Wenigstens im Blick auf diese Stellen ist der Einschätzung C HADWICKS zu folgen, nach der jedes Wort „(is) selected with care and with an eye to the maximum of effect“ 29 . Die eigene Untersuchung versucht also entsprechend, sich unabhängig von bestimmten Leitabstraktionen zunächst ausschließlich dem Text des 1. Clemensbriefes zuzuwenden. Erst wenn alle Informationen zum Mitteilungsgeschehen zusammengetragen sind, die sich aus Syntax, Semantik und Pragmatik aus dem Text selber erheben lassen, können die erarbeiteten Merkmale mit anderen Texten, die zuvor auf dieselbe Weise zu erarbeiten sind, verglichen werden. Erst dann lässt sich eine relative Einordnung des 1. Clemensbriefes in die Rezeptionsgeschichte angemessen begründen. 2. Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 2.1 Der Befund der Wortfeldanalyse Im 1. Clemensbrief finden sich alle Grundelemente des semantischen Feldes von Gen 15,6. Der Wortstamm pist& ist insgesamt 39 mal belegt, wobei etwa die Hälfte der Belege auf das Substantiv pi,stij (20mal) entfallen. Der Großteil der anderen Hälfte entfällt auf pisto,j mit zehn Belegen und pisteu,w mit sieben Belegen. Das Verb pisto,w ist zweimal belegt. Der Wortstamm dikai& ist insgesamt 59 mal belegt, wobei 24 Belege auf di,kaioj und 15 Belege auf dikaiosu,nh entfallen. Jeweils sechs Belege finden sich für dikaio,w und a; dikoj , drei Belege für dikai,wma , jeweils zwei für avdike,w und avdiki,a , sowie ein Beleg für das hapax legomenon dikaiopragi,a . Für den Wortstamm logid& finden sich elf Belege, der Name VAbraa,m wird im 1. Clemensbrief fünfmal genannt wird. Sucht man mit Hilfe der Tabelle Kombinationen der Grundelemente des semantischen Feldes, so fällt zunächst auf, dass es viele Stellen gibt, an denen Elemente der Wortstämme pist& und dikai& in relativ enger Verbindung miteinander vorkommen. Legt man aber die charakteristischen Verbindungen des semantischen Feldes zugrunde, dann kommen nur die Stellen als 28 Vgl. Abschn. 2.2 u. 2.3. 29 Chadwick: Justification, 285. <?page no="292"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 278 potentielle Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 in Frage, die mit der Gestalt Abrahams in Verbindung stehen: (1) In 1Clem 10,1-7 finden sich alle Elemente des semantischen Grundwortfeldes und es findet sich in 1Clem 10,6 unzweifelhaft die Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6. Zudem findet sich in 1Clem 10,1 und 1Clem 10,7 jeweils eine Verbindung des Wortstammes pist& und der Gestalt Abrahams. Die Perikope ist somit in jedem Fall eingehender zu analysieren. (2) In 1Clem 17,1-6 finden sich neben dem Namen VAbraa,m (1Clem 17,2) noch Elemente der Wortstämme dikai& (1Clem 17,3) und pist& (1Clem 17,4). Letztere beziehen sich allerdings auf Hiob bzw. Mose und stehen so in keiner direkten Verbindung zu Abraham. Die Perikope ist daher nicht eigens zu analysieren, wenngleich sie durch Elemente des erweiterten semantischen Feldes von 1Clem 10,1-7 und die Möglichkeit eines Rückverweises darauf mittelbar doch interessant ist. Ihr wird daher ein Exkurs gewidmet. (3) In 1Clem 30,6-32,4 finden sich bis auf den Wortstamm logid& alle Elemente des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6. In 1Clem 31,2 sind VAbraa,m , pi,stij und dikaiosu,nh eng miteinander verbunden, in 1Clem 32,4 findet sich eine enge Verbindung von dikaio,w (2mal) und pi,stij . Elemente des Wortstammes dikai& sind darüber hinaus noch in 1Clem 30,7 ( di,kaioj ) und in 1Clem 32,3 ( dikaiopragi,a ) zu finden. Die Perikope ist daher in die Analyse aufzunehmen. 2.2 Analyse von 1Clem 10,1-7 Die Wortfeldanalyse konnte in 1Clem 10 alle Elemente des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6 nachweisen ( Abraa.m in 1Clem 10,1.6; pist& in 1Clem 10,1.6.7 sowie dikai& und logid& in 1Clem 10,6). Darüber hinaus finden sich Formen des Stammes pist& noch in 1Clem 9,4 und 1Clem 12,1, sowie di,kaioj in 1Clem 9,3. Als Kontext der potentiellen Konkretisation kommt somit grundsätzlich der Abschnitt 1Clem 9,2-12,8 in Frage. Aus diesem Kontext heben sich die Verse 1Clem 10,1-7 ab, die durchgängig das Beispiel Abrahams behandeln. Formal wie inhaltlich sind sie aber mit den beiden Beispielreihen (1Clem 9,3.4 bzw. 1Clem 11,1f; 12,1-8) in diesem Abschnitt eng verknüpft: <?page no="293"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 279 9,3 VEnw,c evn u`pakoh|/ di,kaioj di,kaioj di,kaioj di,kaioj eu`reqei,j eu`reqei,j eu`reqei,j eu`reqei,j metete,qh metete,qh metete,qh metete,qh kai. ouvc eu`re,qh eu`re,qh eu`re,qh eu`re,qh auvtou/ qa,natoj) 9,4 Nw/ e pisto.j eu`reqei,j pisto.j eu`reqei,j pisto.j eu`reqei,j pisto.j eu`reqei,j dia. th/ j litourgi,aj 30 paliggenesi,an ko,smw| evkh,ruxen kai. die,swsen diV auvtou/ o` despo,thj ta. eivselqo,nta evn o`monoi,a| zw/ a eivj th.n kibwto,n) 10,1 VAbraa,m o` fi,loj prosagoreuqei,j pisto.j eu`re,qh pisto.j eu`re,qh pisto.j eu`re,qh pisto.j eu`re,qh evn tw|/ auvto.n u`ph,koon gene,sqai toi/ j r`h,masin tou/ qeou/ ) 10,7 dia. pi,stin kai. dia. pi,stin kai. dia. pi,stin kai. dia. pi,stin kai. filoxeni,an filoxeni,an filoxeni,an filoxeni,an [ VAbraa,m ] evdo,qh evdo,qh evdo,qh evdo,qh auvtw/ | ui`o.j evn gh,ra|( kai. diV u`pakoh/ j prosh,negken auvto.n qusi,an tw/ | qew/ | pro.j e]n tw/ n ovre,wn w-n e; deixen auvtw/ |) 11,1 dia. filoxeni,an kai. dia. filoxeni,an kai. dia. filoxeni,an kai. dia. filoxeni,an kai. euvse,beian euvse,beian euvse,beian euvse,beian Lw,t evsw,qh evsw,qh evsw,qh evsw,qh evk Sodo,mwn( th/ j pericw,rou pa,shj kriqei,shj dia. puro.j kai. qei,ou( ( ))) ) ) 12,1 dia. pi,stin kai. dia. pi,stin kai. dia. pi,stin kai. dia. pi,stin kai. filoxeni,an filoxeni,an filoxeni,an filoxeni,an [ ~Raa,b ] evsw,qh evsw,qh evsw,qh evsw,qh (…) h` po,rnh) 1Clem 10,1 könnte als drittes Glied der in 1Clem 9,2 begonnenen Beispielreihe angesehen werden, für die die parallele Konstruktion pisto,j bzw. di,kaioj eu`reqh/ nai (1Clem 9,4; 10,1 bzw. 1Clem 9,3) charakteristisch ist, während 1Clem 10,7 das erste Glied einer dreigliedrigen Beispielreihe sein könnte, die durch die parallele Konstruktion dia. pi,stin kai. filoxeni,an bzw. dia. filoxeni,an kai. euvse,beian (1Clem 10,7; 12,1 bzw. 1Clem 11,1) zusammengehalten wird. Bei genauerer Betrachtung fällt aber auf, dass der Zusammenhang des Abrahambeispiels sich von der ersten Beispielreihe durch einige Details abhebt. So sind die beiden ersten Beispiele als zwei Hauptsätze mit Participium conjuctum konstruiert. Der charakteristische Ausdruck di,kaioj bzw. pisto.j 30 H hat evn th|/ leitourgi,a| statt dia. th/ j leiturgi,aj , wodurch eine parallele Konstruktion zu den anderen beiden Beispielen entsteht. Diese wohl nachträgliche Anpassung (vgl. Lona: Clemensbrief, 194 (Anm. 6)) zeigt, dass einige Rezipienten eine starke Zusammengehörigkeit der drei ersten Beispiele wahrgenommen haben und versuchten diese auch sprachlich deutlicher hervorzuheben. <?page no="294"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 280 eu`reqh/ nai ist dabei in der Partizipialkonstruktion gegeben. In 1Clem 10,1 verhält es sich demgegenüber grammatikalisch und inhaltlich anders. Die Freund-(Gottes-)Prädikation erscheint als attributives Partizip, während der Ausdruck pisto.j eu`re,qh das Prädikat des Hauptsatzes bildet. Selbst dann, wenn man jeweils die Partizipialkonstruktionen den Hauptsätzen vollkommen gleichordnet, bleibt die Frage nach dem Hintergrund dieser asymmetrischen Konstruktion bestehen. Umgekehrt verhält es sich bei der Frage nach dem Zusammenhang von 1Clem 10,7 und 1Clem 11,1-12,8. Hier sind die Konstruktionen weitgehend parallel gestaltet. Auf die Präpositionalkonstruktion, bei der lediglich zwischen 1Clem 10,7 und 1Clem 12,1 die Reihenfolge von pi,stij und filoxeni,a variiert und in 1Clem 11,1 euvsebai,a anstelle von pi,stij auftritt folgt das Prädikat im Passivum divinum. Von Lot und Raab wird ausgesagt, dass sie gerettet wurden ( evsw,qh ), von Abraham, dass ihm im Alter ein Sohn geschenkt wurde ( evdo,qh ). 31 Formal gesehen ist also der Zusammenhang zwischen den drei letzten Beispielen deutlich enger als der zwischen den drei ersten. Andererseits ist 1Clem 10,7 über das dia. u`pakoh/ j (vgl. 1Clem 10,2) deutlich mit dem Vorangegangenen verbunden, weswegen der Vers gewöhnlich mit 1Clem 10,1-6 der ersten Beispielreihe zugerechnet wird. Die Erwähnung von Abrahams filoxeni,a wird dann als Überleitung zum Folgenden verstanden. Die Frage nach der stark symmetrischen Konstruktion bleibt dabei aber bestehen. Die eigene Analyse wendet sich zunächst dem Abrahambeispiel insgesamt zu, um aus dessen besonderer Argumentationsstruktur und der dahinterstehenden Intention des Verfassers die Verknüpfung mit den übrigen Beispielen plausibel zu machen. 32 Der strukturierte Text von 1Clem 10,1-7 gibt die analysierte Argumentationsstruktur wieder, die nachfolgend erläutert wird: 10,1 VAbraa,m( o` fi,loj prosagoreuqei,j( pisto.j eu`re,qh evn tw|/ auvto.n u`ph,koon gene,sqai toi/ j r`h,masin tou/ qeou/ ) 10,2 ou-toj diV u`pakoh/ j 31 Z IEGLER macht darauf aufmerksam, dass die Formen evsw,qh und evdo,qh sehr ähnlich klingen, wodurch die Parallelität noch verstärkt wird. Er spricht daher von einem dreimal betonten Rettungs- und Gnadenmotiv (vgl. ders.: Clemensbrief, 77). 32 Gemäß der eigenen methodischen Vorgaben, wird die Interpretation auch nicht auf mutmaßliche traditionsgeschichtliche Verbindungen zu anderen Beispielreihen aufgebaut. Der Vergleich mit anderen Texten erfolgt erst zu einem späteren Zeitpunkt und auch dann hauptsächlich im Blick auf die Rezeption von Gen 15,6 (vgl. Abschn. 3.2). <?page no="295"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 281 evxh/ lqen evk th/ j gh/ j auvtou/ kai. evk th/ j suggenei,aj auvtou/ kai. evk tou/ oi; kou tou/ patro.j auvtou/ ( o[pwj gh/ n ovli,ghn kai. sugge,neian avsqenh/ kai. oi=kon mikro.n katalipw.n klhronomh,sh| ta.j evpaggeli,aj tou/ qeou/ ) le,gei ga.r auvtw/ |\ 10,3 : Apelqe evk th/ j gh/ j sou kai. evk th/ j suggenei,aj sou kai. evk tou/ oi; kou tou/ patro,j sou eivj th.n gh/ n( h]n a; n soi dei,xw\ kai. poih,sw se eivj e; qnoj me,ga kai. euvlogh,sw se kai. megalunw/ to. o; noma, sou( kai. e; sh| euvloghme,noj\ kai. euvlogh,sw tou.j euvlogou/ nta,j se kai. katara,somai tou.j katarwme,nouj se( kai. euvloghqh,sontai e; n soi pa/ sai ai` fulai. th/ j gh/ j) 10,4 kai. pa,lin\ evn tw/ | diacwrisqh/ nai auvto.n avpo. Lw.t ei=pen auvtw/ | o` qeo,j\ VAnable,yaj toi/ j ovfqalmoi/ j sou i; de avpo. tou/ to,pou( ounu/ n su. ei=( pro.j borra/ n kai. li,ba kai. avnatola.j kai. qa,lassan( o[ti pa/ san th.n gh/ n( h]n su. o`ra|/ j( soi. dw,sw auvth.n kai. tw|/ spe,rmati, sou e[wj aivw/ noj) 10,5 kai. poih,sw to. spe,rma sou w`j th.n a; mmon th/ j gh/ j\ eiv du,natai, tij evxariqmh/ sai th.n a; mmon th/ j gh/ j( kai. to. spe,rma sou evxariqmhqh,setai) 10,6 kai. pa,lin le,gei\ VExh,gagen o` qeo.j to.n VAbraa.m kai. ei=pen auvtw|/ \ VAna,bleyon eivj to.n ouvrano.n kai. avri,qmhson tou.j avste,raj( eiv dunh,sh| evxariqmh/ sai auvtou,j\ ou[twj e; stai to. spe,rma sou) evpi,steusen de. VAbraa.m tw/ | qew/ |( kai. evlogi,sqh auvtw/ | eivj dikaiosu,nhn) 10,7 dia. pi,stin kai. filoxeni,an evdo,qh auvtw/ | ui`o.j evn gh,ra|( kai. diV u`pakoh/ j prosh,negken auvto.n qusi,an tw/ | qew/ | pro.j e]n tw/ n ovre,wn w-n e; deixen auvtw/ |) Die Struktur des Abrahambeispiels ist durch vier Aussagesätze (1Clem 10,1.2.7a+b) im Indikativ Aorist bestimmt, die in der obigen Darstellung nicht eingerückt wurden. 33 Abraham erscheint jeweils (wenigstens implizit) als grammatikalisches Subjekt, wenngleich die Passiva eu`re,qh (1Clem 10,1) und evdo,qh (1Clem 10,7a) als Passiva divina Gott als logisches Subjekt voraussetzen. In jedem der vier Sätze ist dem Prädikat eine adverbiale Bestimmung in Form einer Präpositionalkonstruktion beigegeben: 10,1 evn tw|/ auvto.n u`ph,koon gene,sqai toi/ j r`h,masin tou/ qeou/ 33 Der Ansatz von L ONA , die Struktur allein an 1Clem 10,1.7 festzumachen (vgl. ders.: Clemensbrief, 196), hat zur Folge, dass er die Funktion von 1Clem 10,2b-6 nicht präzise genug erfassen kann (s.u.). <?page no="296"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 282 10,2 diV u`pakoh/ j 10,7a dia. pi,stin kai. filoxeni,an 10,7b diV u`pakoh/ j Die Leitworte u`pakoh, bzw. u`ph,kooj und pi,stij (und filoxeni,a ) in den vier Aussagesätzen markieren das Thema der Perikope. Der breite Konsens über diese Beobachtung führt leider häufig dazu, dass darin bereits die Intention der gesamten Perikope als hinreichend erfasst angesehen wird. Speziell die Funktion der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 wird daran oft kurzschlüssig festgemacht und erscheint dann als „Beweisstück für den Gehorsam, der Gott im AT entgegengebracht wurde.“ 34 Zu einer präziseren Bestimmung der Argumentation und Intention des Abrahambeispiels ist es dagegen aber notwendig, (1.) die syntaktische Charakteristik der adverbialen Bestimmungen genauer zu erfassen, (2.) die Funktion der Verse 2b-6 für die Argumentation herauszuarbeiten und schließlich (3.) die Beobachtungen auf der Satzebene mit den recht spärlichen Gliederungsmerkmalen auf der Textebene und den Merkmalen auf der Wortebene im Blick auf eine genaue Erfassung der Argumentationsstruktur zu verbinden. So weisen nämlich die adverbialen Bestimmungen in den vier Aussagesätzen charakteristische Unterscheide auf. Der Wortstamm u`pak& erscheint im Genitiv mit dia, und als Prädikatsnomen im substantiviertem Infinitiv (Dativ) mit der Präposition evn . Beides weist im Zusammenhang des 1. Clemensbriefes und zumal im Kontext der Argumentation von 1Clem 10,1-7 in Richtung eines instrumentalen bzw. modalen Verständnisses. 35 Pi,stij hingegen erscheint in 1Clem 10,7 im Akkusativ mit der Präposition dia, , was auf einen kausalen Zusammenhang deutet. 36 Wenngleich Glaube und Gehorsam in der vorliegenden Perikope eng aufeinander bezogen sind, so dürfen sie nicht wie bei den meisten Auslegern 37 einfach als Synonyme betrachtet werden, sondern es ist zwischen ihren unterschiedlichen Funktionen in Bezug auf das Beispiel Abrahams fein zu unterscheiden. Ausgangspunkt hierzu ist die erste Aussage über Abraham (1Clem 10,1), die zugleich als thematische Einleitung zum Folgenden fungiert 38 . Die Wen- 34 Heidland: Anrechnung, 129. 35 So verhält es sich bei dia, mit Genitiv in 1Clem 8,1; 11,1; 17,5; 19,1; 21,7; 22,1; 26,1; 35,5 u.ö. Zu evn mit substantiviertem Infinitiv vgl. 1Clem 2,8; 3,4. 36 So zu finden in 1Clem 3,4; 4,8..11.12.13; 5,2.4.5; 6,1.2; 7,4 u.ö. 37 So z.B. G RANT und G RAHAM : „For Clement (…) »faith« is equivalent to »obedience«“ (dies.: Fathers 2, 57); vgl. auch S CHMITZ (ders.: Abraham, 122); H EIDLAND (ders.: Anrechnung, 129); M OXNES (ders.: Theology, 190). 38 Vgl. Lona: Clemensbrief, 196. <?page no="297"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 283 dung eu`re,qh pisto,j setzt die Beispielreihe aus 1Clem 9,2-4 fort, wobei die enge Verknüpfung der thematischen Leitworte aufgenommen wird. Das attributive Partizip o` fi,loj prosagoreuqei,j markiert die Besonderheit Abrahams 39 , die sich dann schließlich in der Ausführlichkeit seiner Behandlung dokumentiert. Die Bezeichnung Abrahams als fi,loj ist in der Lesart der koptischen Handschriften C und C 1 um tou/ qeou/ erweitert, was dem Text von 1Clem 17,2 entspricht. Diese Erweiterung ist aufgrund der äußeren Bezeugung und der Tendenz der koptischen Handschriften zur Revision des Textes 40 wohl als sekundär anzusehen. Der Verfasser konnte also scheinbar ursprünglich die Freund-Gottes-Prädikation Abrahams als allgemein bekannt voraussetzen und allein die Ehrenbezeichnung o ` fi,loj benutzen. 41 Die im Falle Henochs relativ kurz gehaltene adverbiale Bestimmung evn u`pakoh/ | ist im Fall Abrahams in einem Infinitivsatz breiter ausgeführt. Dabei ist nicht allein das indirekte Objekt des Gehorsams mit toi/ j r`h,masin tou/ qeou/ explizit genannt, sondern der Gehorsam Abrahams kommt durch die Wendung auvto.n u`ph,koon gene,sqai in seinem verbalen Charakter deutlicher in den Blick. Es geht also nicht um eine Eigenschaft oder gar Tugend Abrahams, und sein Gehorsam ist auch nicht der Grund für das pisto.j eu`reqh/ nai . Vielmehr weist die Konstruktion mit evn (ebenso wie im weiteren Verlauf die Konstruktion dia. u`pakoh,| ) auf den Gehorsam als Modus eines gläubigen Lebensvollzuges. Es ist somit schließlich - wie im Folgenden zu zeigen sein wird - funktional zwischen dem Glaubensakt als Vertrauen in Gottes Verheißung und dem Gehorsam als Modus der lebenspraktischen Realisierung dieses Vertrauens zu differenzieren. Die Aussage in 1Clem 10,1 hat auch keine bestimmte Stelle im Leben Abrahams im Blick. 42 Wäre der Aorist eu`re,qh nämlich ingressiv oder effektiv zu verstehen, dann würde nicht klar, auf welches der beiden folgenden Beispiele für den Gehorsam Abrahams (1Clem 10,2: Auszug bzw. 1Clem 10,7: Darbringung Isaaks) sich die Aussage beziehen soll. Die Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 in 1Clem 10,6 ist jedenfalls, wie im Folgenden gezeigt werden soll, formal zunächst an das Beispiel vom Auszug Abrahams aus Haran geknüpft. Es spricht somit einiges dafür, die Aussage in 1Clem 10,1 als zusammenfassende Exposition des gesamten zweigliedrigen 39 Vgl. 1Clem 17,2 (vgl. dazu auch Exkurs nach Abschn. 2.3). 40 Vgl. Powell: Art. Clemens, 113. 41 Vgl. Wrede: Untersuchungen, 69. Zu diesem Schluss kommt auch L INDEMANN , der (im Vergleich mit Jak 2,23) den Grund dafür in einer „entsprechenden LXX-Textfassung von Gen 15,6“ (ders.: Clemensbriefe, 50) sieht. 42 Gegen L ONA , der sie auf Gen 22 bezieht (vgl. ders.: Clemensbrief, 199). <?page no="298"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 284 Abrahambeispiels zu verstehen. Die Aoristformen prosagoreuqei,j und eu`re,qh bzw. gene,sqai in 1Clem 10,1 sind dann (im Unterschied zu 1Clem 10,2.7) als konstatierend bzw. komplexiv 43 zu verstehen. Auf die folgende Entfaltung des in 1Clem 10,1 als Exposition Vorgetragenen verweist ou-toj in 1Clem 10,2, womit „das von einer Person zu Erzählende“ 44 eingeleitet wird. Das Demonstrativpronomen bezieht sich dabei nicht allein auf die Person Abrahams, sondern insbesondere auch auf das von ihm in 1Clem 10,1 Ausgesagte. Der Verfasser geht zunächst auf Abrahams Auszug aus seinem Vaterland ein, dessen Modus in der Präpositionalkonstruktion dia. u`pakoh,| als Gehorsam beschrieben wird. 45 Besonders interessant ist, dass der Verfasser die in Gen 12,1 als wörtliche Rede Gottes erscheinende Aufforderung zum Auszug aus Haran hier zu einem Aussagesatz über Abrahams gehorsame Umsetzung dieser Aufforderung umgestaltet. Die Konkretisation dieser Rezeption von Gen 12,1 LXX lässt dabei deutlich das semantische Feld der rezipierten Schriftstelle erkennen. 46 Der Gehorsam Abrahams wird so literarisch gekonnt in Szene gesetzt. Durch den mit o[pwj eingeleiteten Finalsatz (1Clem 10,2b) beginnt der Verfasser nun damit, den Hintergrund des Gehorsams Abrahams, dessen »underlying motivation« 47 , offen zu legen. 48 Durch Hinzusetzen der entsprechenden Adjektive zu den Elementen des semantischen Feldes von Gen 12,1 entsteht ein Bild der Armseligkeit dessen, was Abraham verlassen hat: ein armseliges Land ( gh/ n ovli,ghn ), eine unbedeutende Verwandtschaft ( sugge,neian avsqenh/ ) und ein kleines Haus ( oi=kon mikro,n ). 49 Demgegenüber 43 Vgl. Blass/ Debrunner: Grammatik § 318.1, 263. 44 Blass/ Debrunner: Grammatik §290,2, 238. 45 Gegen L ONA , der im Gehorsam den Grund für Abrahams Auszug sieht (vgl. ders.: Clemensbrief, 196), was wohl grammatikalisch durchaus möglich, aber im Gesamtzusammenhang der Argumentation von 1Clem10,1-7 nicht sinnvoll ist. 46 Die im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Konkretisationen von Rezeptionen alttestamentlicher Texte im ersten Clemensbrief sind durchgängig durch Wortfelder der Septuaginta realisiert, was von der Untersuchungen H AGNERS zum Schriftgebrauch im ersten Clemensbrief bestätigt wird (vgl. ders.: Use, 108). 47 Vgl. dazu Attridge: Hebrews, 322, und die Ausführungen zu Hebr 11,17-19 in Kap. VII. Während Abrahams Motivation dort aus seiner Perspektive geschildert wird, ist sie hier eher von außen betrachtet. In beiden Fällen ist die zugrunde liegende Motivation aber auf die Verheißung Gottes bezogen, wenngleich die Art des Bezugs im ersten Clemensbrief deutlich anders gelagert ist (s.u.). 48 So auch L INDEMANN , der feststellt, dass der Inhalt des o[pwj -Satzes „keinen Anhalt an der Tradition“ (ders.: Clemensbriefe, 50) hat und daher offenbar dazu dient, „Abrahams Verhalten plausibel zu machen“ (ebd.). 49 Vgl. Lona: Clemensbrief, 196; Schmitz: Abraham 122. <?page no="299"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 285 steht das in Aussicht gestellte Erbe der von Gott verheißenen Güter ( klhronomh,sh| ta.j evpaggeli,aj tou/ qeou/ ). Auf der textpragmatischen Ebene macht das verheißene Erbe Abrahams sein Verhalten gegenüber der göttlichen Weisungen als lohnend plausibel. 50 Zur Verstärkung der intendierten Wirkung wird die Qualität des in Aussicht gestellten Erbes durch Wiedergabe entsprechender Verheißungen erläuternd hervorgehoben: „Der Verfasser will auf die inkommensurable Größe der Nachkommenschaft Abrahams hinweisen, in der sich die Kraft der Verheißung widerspiegelt.“ 51 Gott wird Abrahams Namen groß machen ( megalunw/ to. o; noma, sou ) und ihn zu einem großen Volk ( eivj e; qnoj me,ga ) machen. Der Verfasser bedient sich der besonderen Autorität der Gottesrede 52 , indem er jetzt ein (fast) wörtliches Zitat des Septuagintatextes von Gen 12,1b-3 53 wählt. Was er zur Hervorhebung des Gehorsams Abrahams in 1Clem 10,2a bereits in Erzählform angebracht hat, wiederholt er nun zur Darlegung der Motivation Abrahams in Form eines Zitates der Gottesrede. Hier wird bereits deutlich, dass der Verfasser seine Rezeption der einschlägigen Schriftworte und Traditionen sehr facettenreich konkretisiert. Es wird daher im Folgenden notwendig sein, die besonderen Charakteristika der unterschiedlichen Konkretisationen herauszuarbeiten und im Blick auf den Argumentationsgang auszuwerten. Pauschale Bestimmungen der Schriftbezüge als » Zitate« (wenn auch unter Aufweis der entsprechenden Grade der Abweichung zur vermeintlichen Vorlage) 54 entsprechen nicht der gewählten subjektperspektivischen Methode und werden dem differenzierten Vorgehen des Verfassers in 1Clem 10,1-7 nicht gerecht. 50 Die Beobachtung L ONAS , dass die Wortfeldelemente klhr& und evpaggel& nicht aus dem Kontext des rezipierten Schriftwortes stammen und in der Begrifflichkeit des Verfassers insgesamt keine große Rolle spielen (vgl. dazu Abschn. 3), ist für die Erschließung des Mitteilungsgeschehen durchaus von Bedeutung. Allerdings stellt die aus dem Messen an der paulinischen Abrahamrezeption erwachsene Wertung als „Sprachreste, die mit dem paulinischen Anliegen bei der Bezugnahme auf Abraham nichts mehr zu tun haben“ (Lona: Clemensbrief, 197) sicher nicht die einzig und naheliegendste Möglichkeit dar. Die Hervorhebung der pragmatischen Dimension macht einen bewussten Gebrauch dieser traditionellen Wortfeldelemente, der sich besonders deutlich auch im Hebräerbrief findet, viel wahrscheinlicher (vgl. Abschn. 3). 51 Lona: Clemensbrief, 197. 52 Vgl. Lona: Clemensbrief, 196. 53 „These words are in verbatim agreement with the LXX (A) except of three slight variants: Clement reads a; pelqe for e; xelqe , euvloghme,noj for the LXX euvloghto,j , and has transposed katara,somai and tou.j katarwme,noj “ (Hagner: Use, 39). 54 So der objektperspektivische Ansatz von H AGNER (zu 1Clem 10,3-6 vgl. ders.: Use, 39.51); vgl. auch Abschn. 1). <?page no="300"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 286 Diese bewusste Gestaltung wird in 1Clem 10,2 besonders deutlich, weil sich hier unterschiedliche Konkretisationen ein und desselben Rezeptionsobjekts (und wohl auch derselben Rezeptionsvorlage) finden. In gleicher Weise wendet der Verfasser seine differenzierte Art der Konkretisation aber im Folgenden auch auf Gen 13,14-16 und Gen 15,5f an. Es ist jeweils zwischen einer stärker redaktionell geprägten Konkretisation der einschlägigen semantischen Felder in der Darstellung der Situationen und Umstände, in denen das Verheißungswort Gottes an Abraham erging, und einer (nahezu) wörtlichen Konkretisation der Gottesrede selber zu unterscheiden. Eingeleitet werden die Konkretisationen durch le,gei ga.r auvtw/ | (1Clem 10,2), kai. pa,lin (1Clem 10,4) und kai. pa,lin le,gei (1Clem 10,6). Im Argumentationsgefüge liegen alle diese drei Einbzw. Überleitungen auf derselben Ebene und erläutern (vgl. ga,r in 1Clem 10,2) die Aussage des o[pwj -Satzes. 55 1Clem 10,4a schildert die Trennung Abrahams von Lot als Hintergrund der in 1Clem 10,4b-5 zitierten Verheißungsworte Gottes. Die vorliegende Konkretisation der Rezeption von Gen 13,14a passt nicht nur das entsprechende semantische Feld in den Argumentationszusammenhang von 1Clem 10,2-6 ein, sondern zeigt im Gegensatz zu Gen 13,14a LXX Abraham als denjenigen, der sich aktiv von Lot trennt. Durch diese Verschiebung stellt der Verfasser nach 1Clem 10,2 erneut die aktive und freiwillige Trennung Abrahams von seiner Verwandtschaft heraus. 56 Möglicherweise ist hier ein latenter Hinweis für die Unruhestifter in Korinth enthalten, denen der Verfasser in 1Clem 54,1-4 das freiwillige Auswandern zum Wohle der Gemeinde nahe legt. 57 Der Trennung Abrahams von Lot wird in der nachfolgend (nahezu) wörtlich zitierten Gottesrede aus Gen 13,14b-16 LXX 58 mit der Weite des Landes ( pa/ san th.n gh/ n pro.j borra/ n kai. li,ba kai. avnatola.j kai. qa,lassan ) und der Unzählbarkeit der zukünftigen Nachkommenschaft Abrahams ( w`j th.n a; mmon th/ j gh/ j ) die Größe der verheißenen Güter gegenübergestellt, womit eine weitere Erläuterung des o[pwj -Satzes gegeben wird (vgl. kai. pa,lin als Überleitung). Mit kai. pa,lin le,gei leitet der Verfasser in 1Clem 10,6 schließlich zu einer dritten und letzten Schriftstelle über, die er als Erläuterung des o[pwj - 55 Zur Struktur der Verse 1Clem 10,2-6 vgl. die Tiefe der Einrückung in der strukturierten Textfassung. 56 Vgl. Lona: Clemensbrief, 197; Moxnes: Theology, 192. 57 Vgl. dazu Abschn. 3. 58 „A verbatim quotation from the LXX (A) except for a few unimportant variants: the omission of kai, before i; de , and tou/ before aivw/ noj ; and divergent verb-forms avnable,yaj for avnable,yon , and the final evxariqmhqh,setai for avriqmhqh,setai “ (Hagner: Use, 39). <?page no="301"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 287 Satzes anführt. Wie in den beiden vorangegangenen Fällen, lässt sich auch hier hinsichtlich der Art der Konkretisation der Rezeption zwischen erläuternden Situationsbzw. Umstandsschilderungen und der verheißenden Gottesrede differenzieren. So zeigt die Konkretisation der Rezeption von Gen 15,5a eine deutliche Anpassung an den argumentativen Kontext durch Explikation der in der eingeführten Situation Beteiligten und durch Auslassen der Konjunktion de, 59 und des Ortadverbs e; xw . Außerdem ist pro.j auvto,n in auvtw/ | geändert 60 und so den Formulierungen in 1Clem 10,2.4 angepasst. Umgekehrt zeigt die Wiedergabe der Verheißungsworte in direkter Rede bei fast wörtlicher Wiedergabe nur geringe Abweichungen. Auffällig ist aber das Auslassen der Wiederholung des kai. ei=pen vor ou[twj e; stai to. spe,rma sou . Hier wird die Differenz in der Intention der unterschiedlichen Arten der Konkretisation noch einmal besonders deutlich. Die Gottesrede bildet einen Block direkter Rede, der nicht unterbrochen werden soll. 61 Im Anschluss an diese Beobachtungen ist nun zu fragen, wie die Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 einzuordnen ist. Im Vergleich zu 1Clem 10,2f und 1Clem 10,4f stellt diese schon allein deswegen eine Besonderheit dar, weil nur hier auf die Gottesrede noch etwas folgt. 62 Während die meisten Exegeten davon ausgehen, dass die Konkretisation von der paulinischen Rezeption von Gen 15,6 abhängig ist, und diese Annahme als hermeneutischen Schlüssel benutzen 63 , soll hier versucht werden, die Konkretisation zunächst allein auf dem Hintergrund der Argumentationsstruktur von 1Clem 10,1-7 zu betrachten. Aus den Beobachtungen zum Vorgehen des Verfassers bei den Konkretisationen, liegt für Gen 15,6 der Schluss nahe, dass die Konkretisation sich auf der Ebene der stärker redaktionell gestalteten Schilderung der Situation bzw. des Umstandes des Verheißungsgeschehens befindet. 64 Die dann bewusst mit de, angeschlossenen und durch kai, verbundenen Aussagen im In- 59 H, S und L ergänzen de, entsprechend der Septuaginta. 60 Vgl. Hagner: Use, 51. 61 Vgl. Lona: Clemensbrief, 197 (Anm. 3). 62 Darauf, dass der Behandlung von Gen 15,5f gegenüber den beiden vorangegangenen Beispielen eine besondere Stellung zugedacht wurde, weist vielleicht auch die Tatsache hin, dass die koptischen Handschriften C und C 1 pa,lin in der Überleitung auslassen, was gegenüber der Überleitung zu 1Clem 10,4f formal einen relativen Neueinsatz markiert. 63 So z.B. L INDEMANN : „Das Zitat von Gen 15,6 folgt dem in Röm 4,3 (anders Gal 3,6) und in Jak 2,23 belegten Wortlaut (…) und ist also vermutlich von Paulus abhängig“ (ders.: Clemensbriefe, 50). 64 Vgl. die strukturierte Darstellung des Textes. <?page no="302"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 288 dikativ Aorist evpi,steusen VAbraa.m tw/ | qew/ | und evlogi,sqh auvtw/ | eivj dikaiosu,nhn sind dann zunächst strukturell als Schilderung der Folgen des Verheißungsgeschehens zu verstehen. Durch die Schlussstellung der letzten Gottesrede (vor der Wiederaufnahme der Erzählebene in 1Clem 10,7), der zusammenfassenden Verheißungsaussage Gottes ou[twj e; stai to. spe,rma sou , die als Klimax der geschilderten Verheißungsworte erscheint, und der Wiederholung des Namens Abrahams, kann die Darstellung der Reaktion Abrahams als den gesamten Komplex der Hintergrundschilderung zusammenfassend und abschließend verstanden werden. Die Aoristformen in der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 in 1Clem 10,6 evpi,steusen und evlogi,sqh sind daher ebenso wie die in 1Clem 10,1 (s.o.) als komplexiv bzw. konstatierend zu verstehen. 65 Inhaltlich wird der Wortstamm pist& aus 1Clem 10,1 wieder aufgenommen. Während dort pisto,j Abraham im Urteil Gottes charakterisiert, kennzeichnet die Verbalform evpi,steusen in 1Clem 10,6 die Reaktion Abrahams auf Gottes Worte. Das Vertrauen in Gott und sein Versprechen, das ihm das Erbe göttlicher Verheißungsgüter vor Augen stellte, erfährt Gottes Anerkennung. Dabei erinnert das evlogi,sqh an das eu`re,qh aus 1Clem 10,1, so dass die Aussagen der »Anrechnung des Vertrauens zur Gerechtigkeit« und die Aussage über das »Treu-Erfunden-Werden« parallel erscheinen. 66 Das in 1Clem 10,1 von Abraham Behauptete wird in 1Clem 10,6 paradigmatisch eingeholt, indem der Hintergrund des Gehorsams Abrahams herausgearbeitet wird. Das Vertrauen in Gott und seine Verheißung, das ihm von Gott zur Gerechtigkeit angerechnet wurde, findet seinen lebenspraktischen Ausdruck im Gehorsam gegenüber den Worten Gottes. 67 Es ist daher sachlich angemessen zu übersetzen: Abraham (…) wurde treu erfunden, indem er den Worten Gottes gehorsam war. 68 Dieser Gehorsam kann durchaus als Glaubensgehorsam verstanden werden, es ist dabei aber zu beachten, dass die Differenzierung zwischen dem Glaubensakt als Vertrauen in Gottes Verhei- 65 So auch (wenngleich mit einer anderen Begründung) S UTHERLAND : „For Clement, Genesis 15,6 summarizes Abraham’s life“ (ders.: Genesis, 209). 66 So auch M OXNES : „Gen 15: 6 in I Clem. 10: 6 is now understood in the light of Clement’s introduction in 10: 1“ (ders.: Theology, 193). 67 So auch S UTHERLAND : „According to Clement, faith must be evident in life through obedience“ (ders.: Genesis, 210). Die Folgerung aber, dass für den Verfasser „faith without obedience to God’s command for charity was no faith at all“ (ebd.) lässt sich allerdings am Text hier nicht belegen (vgl. aber Abschn. 3.1). 68 Gegen M OXNES : „Abraham was found faithful ( pisto,j ) because of his obedience“ (ders.: Theology, 193; Hervorhebung v. Verf.). <?page no="303"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 289 ßungen und dem Gehorsam als Modus der lebenspraktischen Realisation dieses Vertrauens gewahrt bleibt. 69 Der vom Verfasser des 1. Clemensbriefes vorgestellte Abraham ist deshalb in Gottes Augen wahrhaft pisto,j , weil er in Treue auf die Verheißungen Gottes antwortet und dem Anspruch Gottes beim Verlassen seiner Heimat und bei der Darbringung seines Sohnes (s.u.) durch seinen Gehorsam gerecht wird. Motivation dieses gläubigen Lebensvollzugs ist in den Augen des Verfassers die Größe der von Gott verheißenen Güter, die er relativ zu den Lebenszusammenhängen Abrahams zur Zeit seiner Berufung heraushebt. Mit der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 kommt die mit o[pwj eingeleitete Darlegung der Motivation des Gehorsams Abrahams zu ihrem Abschluss. Mit einer zweigliedrigen Aussage kehrt der Verfasser in 1Clem 10,7 auf die Erzählebene zurück, indem er in der ersten Aussage zunächst darlegt, dass Abraham die ihm verheißenen Güter auch tatsächlich erlangt. Sie wird durch die Präpositionalkonstruktion dia. pi,stin kai. filoxeni,an eingeleitet und bezieht sich inhaltlich auf die Geburt eines Sohnes, der Abraham im (hohen) Alter gegeben wird ( evn gh,ra| evdo,qh ). Die Präposition dia, mit Akkusativ weist Glaube (und Gastfreundschaft) als Grund für die Geburt dieses Sohnes aus. 70 Über den Wortstamm pist& wird die Aussage mit dem Vorangegangenen verbunden. Die späte Geburt eines Sohnes ist als (partielle) Erfüllung der Nachkommensverheißung an Abraham anzusehen. Textpragmatisch wird hier auf die ausführlich dargelegte Motivation Abrahams Bezug genommen: Das tatsächliche Erlangen der durch die Verheißung in Aussicht gestellten Güter verleiht dem Vertrauen Abrahams zusätzliches Gewicht. Was ihm als lohnend vor Augen gestellt wurde, hat sich auch tatsächlich gelohnt. 71 Während die Verbindung von Abraham und pi,stij aus dem Vorangegangenen deutlich geworden ist, bleibt das unvermittelte Auftauchen des Begriffes filoxeni,a unklar. Da der Begriff selber in der Septuaginta überhaupt nicht belegt ist 72 , wird er zumeist traditionsgeschichtlich mit 69 Das aber scheint mir bei L ONA , der den Glaubensakt als Vollzug des Gehorsams versteht (vgl. ders.: Clemensbrief, 199) gerade nicht der Fall zu sein. 70 Vgl. Lindemann: Clemensbriefe, 51. 71 Hier erscheinen tatsächlich Glaube und Gastfreundschaft als Grund für die Erfüllung der Verheißung. Umso wichtiger ist es, die Differenzen zu anderen Aussagen wahrzunehmen, denen ein solches Verständnis gerne und im Zusammenhang mit Abraham fast generell unterstellt wird. 72 Vgl. Lona: Clemensbrief, 34. <?page no="304"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 290 Gen 18,1-15 in Verbindung gebracht 73 : Die Erwähnung der filoxeni,a wird demnach durch „den Inhalt der angedeuteten Geschichte“ 74 veranlasst. Wenngleich ein solcher traditionsgeschichtlicher Zusammenhang hier durchaus im Hintergrund stehen kann, wird er gemäß der eigenen methodischen Vorgaben aber nicht als Erklärungsansatz herangezogen. Im Blick auf das verarbeitete semantische Feld zeigt der Text nämlich keinerlei Verbindungen zu Gen 18, wohl aber durch die Verknüpfung von ui`o,j und gh,ra eine signifikante Verbindung zum semantischen Feld von Gen 21 LXX 75 . Wichtiger als diese Beobachtung ist aber die Frage, welche Bedeutung der filoxeni,a Abrahams im Mitteilungsgeschehen des 1. Clemensbriefes zukommt. Einen wichtigen Hinweis darauf bieten die beiden einzigen Belege des Wortstammes außerhalb der Beispielreihen (1Clem 1,2; 35,5). 76 Auf der Ebene der Textanalyse von 1Clem 10,1-7 im engeren Kontext von 1Clem 9,2-12,3 kann hierzu nur wenig ausgesagt werden. Die formale Gleichordnung von pi,stij und filoxeni,a ist am ehesten auf die Struktur der zweiten Beispielreihe zurückzuführen, die mit dem Beispiel Abrahams vorbereitet wird. So wie pi,stij auf die vorangegangenen Ausführungen über Abraham zurückweisende Funktion hat, kommt dem Begriff filoxenia , sowie der ganzen Präpositionalkonstruktion eine vorausweisende Funktion zu. Der formal enge Zusammenhang von Glaube und Gastfreundschaft und ihr kausaler Bezug auf die Erfüllung der Verheißungen an Abraham sollte daher an dieser Stelle theologisch nicht überfrachtet werden. Wenn C HADWICK von einer „justification by faith and hospitality“ 77 spricht, geht das an der Intention des 1. Clemensbriefes vorbei. Es geht hier lediglich darum, eine Überleitung zu dem nun folgenden zweiten Beispiel für Abrahams Gehorsam zu schaffen, wodurch zugleich die nachfolgende Beispielreihe vorbereitet wird. 78 73 Als Belege werden dann Texte wie TestAbr 1,1.2.5; 17,7, Abr 114 und Hebr 13,2 angeführt (vgl. z.B. Lona: Clemensbrief, 198 (Anm. 2). Eine Übersicht über die Erklärungsansätze findet sich bei C HADWICK (vgl. ders.: Justification, 281-284). 74 Lona: Clemensbrief, 198. Einen engagierten Versuch zur Bedeutung der Abfolge von Gen 18 und Gen 21 bietet W ARD (vgl. ders.: Works, 283-290), der damit versucht Jak 2,1-14 zu erhellen (vgl. Kap. VI, Abschn. 1). 75 Zudem erscheint gh,ra in der Genesis außer in Gen 21,2.7 nur noch in Gen 15,15 und Gen 25,8 (dort aber jeweils im Kontext von Abrahams Begräbnis bzw. Tod). 76 Siehe Abschn. 3.1.3. 77 Chadwick: Justification, 282. 78 Eine inhaltliche Einordnung der parallelen Verwendung von pi,stij und filoxeni,a ergibt sich aber durch die Analyse von 1Clem 31,2 (siehe Abschn. 2.3). <?page no="305"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 291 Die zweite Aussage (1Clem 10,7b) wird mit kai, an das Vorherige angeschlossen und durch die Präpositionalkonstruktion diV u`pakoh/ j eingeleitet. Sie stellt so schon formal eine Entsprechung zu 1Clem 10,2a dar. 79 Ähnlich wie dort ist auch hier die rezipierte Gottesrede aus Gen 22,2 LXX 80 in Form eines Aussagesatzes konkretisiert, der berichtet, dass Abraham die Aufforderung Gottes ausführt. 81 Diese Beobachtung ist in sofern entscheidend, als dass sie wichtige Hinweise auf das Rezeptionsinteresse des Verfassers liefert. Sowohl in 1Clem 10,2a als auch in 1Clem 10,7b wird durch die Konkretisation der Aufforderung Gottes als Aussage über ihre Ausführung durch Abraham paradigmatisch verdeutlicht, wie Abraham den Worten Gottes gehorsam war (vgl. 1Clem 10,1). Schwerpunkt dieser Darlegung ist offensichtlich die Aussage in 1Clem 10,2a, deren ausführliche Erläuterung 1Clem 10,2b-6 zeigt, „in welchem Rahmen sich dieser Gehorsam gegenüber den Worten Gottes vollzieht“ 82 . Dass der Verfasser dann noch ein weiteres Beispiel anführt, erklärt sich zunächst aus seiner Gewohnheit, für einen Gedanken zwei oder mehr Belege anzuführen. 83 Zudem lässt es sich auch auf dem Hintergrund plausibel machen, dass die anaphorische These in 1Clem 10,1 als auf das gesamte Leben Abrahams abzielend bestimmt worden war. Denn zum einen hat der Verfasser mit dem Auszug aus Haran und der Darbringung Isaaks die beiden Erzählungen ausgewählt, in denen Gottes Wort am drastischsten in Form einer Aufforderung zum Ausdruck kommt, die der Verfasser dann geschickt literarisch verarbeiten kann. Außerdem ist in diesen Fällen der Anspruch Gottes auf Abrahams Leben von enormer existentieller Bedeutung, so dass faktisch Abrahams Leben als Ganzes jeweils zur Disposition steht. Und dann erscheint Abrahams Verhalten im Zusammenhang von Gen 22 nach den Ausführungen von 1Clem 10,2-7a auch einfach als konse- 79 Vgl. Lindemann: Clemensbriefe, 51. 80 Der Zusammenhang zwischen Gen 22,2 LXX ( avne,negkon auvto.n evkei/ o`loka,rposin evfV e[n tw/ n ovre,wn w-n a; n soi ei; pw ) und 1Clem 10,7 ist allerdings nicht so wörtlich, wie im Fall von 1Clem 10,2. Trotzdem ist das Wortfeld des Genesistextes deutlich zu erkennen. Hier ist gut denkbar, dass der Verfasser die Konkretisation aus dem Gedächtnis geschaffen hat. 81 Die Erklärung von L ONA , der in 1Clem 10,7b die Erzählung knapp und präzise zusammengefasst sieht (vgl. ders.: Clemensbrief, 199), ist dagegen deutlich zu schwach. Im Blick auf die These in 1Clem 10,1 und gemäß der paränetischen Intention des Verfassers, ist die spezielle Konkretisation der Gottesrede als Aussage über ihre Ausführung zu betonen. 82 Lona: Clemensbrief, 196. 83 Vgl. Wrede: Untersuchungen, 61. <?page no="306"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 292 quent. Die in 1Clem 10,1 sein ganzes Leben betreffende Aussage trifft offensichtlich umfassend zu. So wird Abraham auch als treu erfunden, indem er Gott durch die Darbringung seines Sohnes gehorsam ist, aber es wird gerade nicht „die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit (…) aus der Treue Abrahams bei dem Opfer seines Sohnes abgelesen“ 84 . Der Zusammenhang zwischen dem Vertrauen in Gott und sein Wort im Modus des Gehorsams und der Anrechnung dieses Vertrauens zur Gerechtigkeit wird ausdrücklich am Beispiel von Gen 12,2 mit Hilfe der Rezeption von Gen 15,6 hergestellt. Er gilt auch für die Erzählung von der Darbringung Isaaks, die als weiteres - durchaus prominentes - Beispiel dafür angeführt wird. Auf dem Hintergrund der vorgetragenen Analyse von 1Clem 10,1-7 lässt sich der Text dann wie folgt übersetzen: 10,1 Abraham, genannt der Freund (Gottes), wurde (stets) als treu erfunden (und zwar) indem er den Worten Gottes gehorsam war. 10,2 Dieser (nämlich) zog gehorsam fort aus seinem Land und von seiner Verwandtschaft und aus dem Haus seines Vaters, um - ein armseliges Land und eine unbedeutende Verwandtschaft und ein kleines Haus verlassend - die Verheißung Gottes zu erben. Denn (Gott) sagte zu ihm: 10,3 Zieh fort aus deinem Land und von deiner Verwandtschaft und aus dem Haus deines Vaters in ein Land, das ich dir zeigen werde! Und ich werde dich zu einem großen Volk machen und ich werde dich segnen und deinen Namen groß machen, und du wirst gesegnet sein: Und ich werde segnen, die dich segnen und verfluchen, die dich verfluchen, und in dir sollen gesegnet werden alle Völker der Erde. 10,4 Und wiederum: Nachdem er sich von Lot getrennt hatte, sagte Gott zu ihm: Schlage deine Augen auf und sieh von dem Ort, an dem du jetzt bist, nach Norden und Süden und Osten und zum Meer, denn alles Land, das du siehst, werde ich dir geben und deiner Nachkommenschaft bis in Ewigkeit. 10,5 Und ich werde deine Nachkommenschaft machen wie der Sand der Erde: Wenn jemand den Sand zählen kann, dann wird auch deine Nachkommenschaft gezählt werden. 10,6 Und schließlich heißt es: Gott führte Abraham hinaus und sagte zu ihm: 84 Lona: Clemensbrief, 199. <?page no="307"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 293 Schau auf zum Himmel und zähle die Sterne, wenn du sie zählen kannst: So wird deine Nachkommenschaft sein. Abraham aber vertraute Gott (stets), und das wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet. 10,7 Wegen (seines) Vertrauens und (seiner) Gastfreundschaft wurde ihm (dann auch) im Alter (doch noch) ein Sohn gegeben, und (konsequenterweise) brachte er ihn (auch) gehorsam als Opfer dar auf einem der Berge, die er ihm gezeigt hatte. 2.3 Analyse von 1Clem 30,6-32,4 Die Wortfeldanalyse konnte in 1Clem 31,2 bis auf den Wortstamm logid& alle Elemente des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6 nachweisen. Die Aussage über Abraham, in der sich die potentielle Konkretisation befindet, steht als erste einer dreigliedrigen Reihe von Beispielen in 1Clem 31,2-4. Als näherer Kontext dieser Beispielreihe wird üblicherweise der Abschnitt 1Clem 31,1-32,4 zu Grunde gelegt. 85 Für die Frage nach einer Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 ist das schon deshalb sinnvoll, weil dort im Anschluss an die Beispielreihe Folgerungen gezogen werden, die ebenfalls Elemente des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6 aufweisen (Wortstamm dikai& in 1Clem 32,3.4 und pist& in 1Clem 32,4). Neben der Einleitung zur Beispielreihe mit 1Clem 31,1 ist es aber sinnvoll, in die Analyse den Abschnitt 1Clem 30,6-8 einzubeziehen. Dieser Abschnitt ist nämlich nicht nur durch zahlreiche Stichwortverknüpfungen mit dem Folgenden verbunden - was erwiesenermaßen auch für den Zusammenhang von 1Clem 30,1-5 und 1Clem 30,6-8 gilt -, sondern gehört zum Argumentationszusammenhang der potentiellen Konkretisation konstitutiv hinzu. Der strukturierte Text gibt die analysierte Argumentationsstruktur wieder, die nachfolgend erläutert wird: 30,6 o` e; painoj h`mw/ n e; stw evn qew/ | kai. mh. evx auvtw/ n\ auvtepaine,touj ga.r misei/ o` qeo,j) 30,7 h` marturi,a th/ j avgaqh/ j pra,xewj h`mw/ n dido,sqw u`pV a; llwn( kaqw.j evdo,qh toi/ j patra,sin h`mw/ n toi/ j dikai,oij) 30,8 qra,soj kai. auvqa,deia kai. to,lma toi/ j kathrame,noij u`po. tou/ qeou/ \ evpiei,keia kai. tapeinofrosu,nh kai. prau<thj para. toi/ j huvloghme,noij u`po. tou/ qeou/ ) 31,1 Kollhqw/ men ou=n th|/ euvlogi,a| auvtou/ kai. i; dwmen( ti,nej ai` o`doi. th/ j euvlogi,aj) avnatuli,xwmen ta. avpV avrch/ j geno,mena) 85 Vgl. z.B. die Gliederung bei Lona (ders.: Clemensbrief, 25f). <?page no="308"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 294 31,2 ti,noj ca,rin huvlogh,qh o` path.r h`mw/ n VAbraa,m( ouvci. dikaiosu,nhn kai. avlh,qeian dia. pi,stewj poih,saj* 31,3 VIsaa.k meta. pepoiqh,sewj ginw,skwn to. me,llon h`de,wj prosh,geto qusi,a) 31,4 VIakw.b meta. tapeinofrosu,nhj evxecw,rhsen th/ j gh/ j auvtou/ diV avdelfo.n kai. evporeu,qh pro.j Laba.n kai. evdou,leusen( kai. evdo,qh auvtw/ | to. dwdeka,skhptron tou/ VIsrah,l) 32,1 }O eva,n tij kaqV e]n e[kaston eivlikrinw/ j katanoh,sh|( evpignw,setai megalei/ a tw/ n u`pV auvtou/ dedome,nwn dorew/ n) 32,2 evx auvtw/ n ga.r i`erei/ j kai. leui/ tai pa,ntej oi` leitourgou/ ntej tw|/ qusiasthri,w| tou/ qeou/ \ evx auvtou/ o` ku,rioj VIhsou/ j to. kata. sa,rka\ evx auvtou/ basilei/ j kai. a; rcontej kai. h`gou,menoi kata. to.n VIou,dan\ ta. de. loipa. skh/ ptra auvtou/ ouvk evn mikra/ | do,xh| u`pa,rcousin( w`j evpaggeilame,nou tou/ qeou/ ( o[ti e; stai to. spe,rma sou w`j oi` avste,rej tou/ ouvranou/ ) 32,3 pa,ntej ou=n evdoxa,sqhsan kai. evmegalu,nqhsan ouv diV auvtw/ n h' tw/ n e; rgwn auvtw/ n h' th/ j dikaiopragi,aj h-j kateirga,santo( avlla. dia. tou/ qelh,matoj auvtou/ ) 32,4 kai. h`mei/ j ou=n( dia. qelh,matoj auvtou/ evn Cristw/ | VIhsou/ klhqe,ntej( ouv diV e`autw/ n dikaiou,meqa ouvde. dia. th/ j h`mete,raj sofi,aj h' sune,sewj h' euvsebei,aj h' e; rgwn w-n kateirgasa,meqa evn o`sio,thti kardi,aj( avlla. dia. th/ j pi,stewj( diV h-j pa,ntaj tou.j avpV aivw/ noj o` pantokra,twr qeo.j evdikai,wsen\ w- | e; stw h` do,xa eivj tou.j aivw/ naj tw/ n aivw,nwn) avmh,n) Der Abschnitt beginnt mit einer Aufforderung, die vom Verfasser mit der 3. Person des Imperativs und nicht wie üblich mit dem Konjunktiv-Aorist gestaltet ist. Das ist umso auffälliger, als der Verfasser hier inklusiv redet, was auch textkritisch fassbar ist: H hat sowohl in 1Clem 30,6 als auch in 1Clem 30,7 u`mw/ n anstelle von h`mw/ n , was als stilistische Anpassung an die Imperativ-Konstruktion zu verstehen ist. Es steht jedenfalls außer Zweifel, dass sich der Verfasser im zu untersuchenden Abschnitt durchgängig mit den Adressaten zusammenschließt. Durch diese ungewöhnliche Konstruktion, die sich im Folgenden weitere Male findet (1Clem 30,7; 32,4), erscheint o` <?page no="309"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 295 e; painoj als Subjekt an der Spitze des Satzes, womit das Thema des Abschnitts unübersehbar gegeben ist: Es geht um die Anerkennung menschlichen Handelns vor Gott. 86 Die vom Verfasser geforderte Herkunft der Anerkennung wird positiv und negativ bestimmt. Die beiden Teile sind nicht symmetrisch gestaltet. Die Anerkennung der Christen soll ihren Anlass bzw. Grund evn qew/ | und ihre Herkunft nicht evx auvtw/ n haben. 87 Begründet ( ga,r ) wird die Forderung damit, dass Gott die auvtepaine,touj 88 hasst, wobei der Gedanke nicht direkt durch ein Schriftwort (z.B. Sir 10,7a) belegt wird, wie der Verfasser es sonst gewöhnlich tut. Das hängt damit zusammen, dass der Verfasser plant, den Gedanken in einen größeren Zusammenhang zu stellen, den er dann mit dem Beispiel der Erzväter Abraham, Isaak und Jakob illustrieren will. Er setzt daher in 1Clem 30,7 (mit dem Imperativ der 3. Person) erneut an und variiert die positive Seite der Forderung. 89 Die Legitimität seiner Forderung verdeutlicht er jetzt mit einem Vergleich: kaqw.j evdo,qh toi/ j patra,sin h`mw/ n toi/ j dikai,oij . Die Bezeichnung der Anerkennung mit marturi,a , die den gerechten Vätern von Gott gegeben wurde 90 , weist bereits auf das Beispiel der Gestalt Abrahams hin, der in 1Clem 31,2 ausdrücklich als path.r h`mw/ n bezeichnet wird. 91 Die Wortstämme dikai& und martur& stellen zudem eine Verbindung zur vorangegangenen Thematisierung der Gestalt Abrahams durch den Verfasser in 1Clem 10 bzw. 1Clem 17 her. Es wird im Folgenden zu zeigen sein, dass diese Verbindungen nicht nur beabsichtigt sind, son- 86 Diese inhaltliche Bestimmung von e; painoj greift bereits auf die noch zu leistende Analyse des gesamten Abschnitts vor. Dass von »Anerkennung« zu sprechen ist, wird aus dem Bezug auf die Väter (vgl. 1Clem 30,7) und die damit angesprochene frühere Behandlung dieses Topos (vgl. 1Clem 10,1-7; 17,1-6) deutlich, auf die in diesem Abschnitt zurückgegriffen wird. 87 Vgl. Lona: Clemensbrief, 334. Einer möglichen Konkretisation einer Rezeption von Röm 2,29b nachzugehen (vgl. ebd.), erscheint mir für die Analyse nicht hilfreich. 88 Der Terminus auvtepaineto,j ist hapax legomenon in der gesamten griechischen Literatur. Er könnte vom Verfasser als Negativ-Begriff selber gebildet worden sein. Gleiches könnte auch für das hapax legomenon avfiloxeni,a (1Clem 35,5) gelten (vgl. Abschn. 3). 89 Vgl. Lindemann: Clemensbriefe, 97. 90 Dass evdo,qh Passivum divinum ist, wird allgemein anerkannt. Wegen des Plurals u`pV a; llwn wird aber das Passiv dido,sqw unterschiedlich bewertet. Aufgrund der Funktion von 1Clem 30,7 im Argumentationszusammenhang von 1Clem 30,6-32,4 ist aber mit L INDEMANN (vgl. ders: Clemensbriefe, 97) gegen L ONA (vgl. ders.: Clemensbrief, 335) in beiden Fällen Gott als logisches Subjekt anzunehmen. 91 Neben den Erzvätern Abraham, Isaak und Jakob wird im ersten Clemensbrief auch Adam als path,r h`mw/ n bezeichnet (vgl. 1Clem 6,3). <?page no="310"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 296 dern geradezu konstitutiv für den hier begonnen Argumentationszusammenhang. In Form eines antithetischen Parallelismus stellt der Verfasser in 1Clem 30,8 zunächst zwei Reihen von jeweils drei menschlichen Eigenschaften einander gegenüber: „Den drei Lastern, welche die von Gott Verfluchten kennzeichnen, stehen die drei Tugenden gegenüber, die den von Gott Gesegneten zugeschrieben werden.“ 92 Die Bedeutungen der drei Substantive evpiei,keia( tapeinofrosu,nh und prau<thj sind sehr ähnlich und lassen sich etwa mit »Demut« wiedergeben. 93 Für die Argumentation wichtig ist deren Verbindung zum Segen Gottes. Der Segen ist nämlich das Stichwort, unter dem das Beispiel Abrahams und mit ihm die Erzväter Isaak und Jakob herangezogen werden. Dass für die Laster keine entsprechenden Beispiele vorgestellt werden, ist möglicherweise als geschickte Strategie im Blick auf die Intention des Verfassers zu verstehen: „Die Gestalten, die die negativen Seiten des Lasterkatalogs verkörpern könnten, braucht die Gemeinde nicht in der Vergangenheit zu suchen: Sie sind in ihrer Mitte als Ursache des Unfriedens.“ 94 Der Verfasser behält so unterschwellig seine Stoßrichtung bei, auch wenn er für seine Argumentation einen weiten Bogen schlagen muss. Die vordergründig sachlich vorgetragene Aussage in 1Clem 30,8 drängt mit der Gegenüberstellung von Segen und Fluch jedenfalls förmlich nach der latent enthaltenen Positionierung des Verfassers, zu deren Folgerung (Anschluss mit ou=n ) er mit drei Konjunktiven in 1Clem 31,1 auffordert. Die erste Aufforderung (1Clem 31,1a: kollhqw/ men ) klingt zunächst nach einem Aufruf zur Nachahmung, ist aber wohl im Zusammenhang mit der Gegenüberstellung von 1Clem 30,8 stärker im Blick auf die „richtige Parteinahme“ 95 zu verstehen. Diese kann natürlich gerade im Nachahmen der positiven Beispiele bestehen, doch scheint es dem Verfasser hier darum zu gehen, das Thema der »Anerkennung vor Gott« noch weiter zu entfalten. Die zweite Aufforderung (1Clem 31,1b: i; dwmen ) deutet dazu die Richtung an, indem sie „auf eine nachvollziehbare Beweisführung aufmerksam“ 96 macht, die sich auf die o`doi. th/ j euvlogi,aj stützen kann. Der Genitiv th/ j euvlogi,aj ist als Genitiv der Richtung aufzufassen, so dass mit M ICHAELIS von einem Lebenswandel gesprochen werden kann, „der auf Gottes Segen rechnen kann.“ 97 92 Lona: Clemensbrief, 335. 93 Vgl. Lindemann: Clemensbriefe, 97. 94 Lona: Clemensbrief, 337. 95 Lindemann: Clemensbriefe, 98. 96 Lona: Clemensbrief, 338. 97 Vgl. Michaelis: Art. o`do,j , 97. <?page no="311"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 297 Damit ist der Verfasser dann auch schon fast zwangsläufig bei der Gestalt Abrahams als Beispiel angelangt, denn der Wortstamm euvlog& ist im 1. Clemensbrief überhaupt nur zwölf mal belegt und diese Belege konzentrieren sich auf 1Clem 10,1-7 (fünf Belege) und 1Clem 30,6-32,4 (vier Belege) 98 und finden sich dort jeweils in Verbindung zur Gestalt Abrahams. Die dritte Aufforderung (1Clem 31,1c) weist mit dem Verb avnatuli,ssw ebenfalls in diese Richtung. Es ist hier wohl mit »erneut überdenken« zu übersetzen 99 und fordert zunächst sicher zu einem weiteren Durchgang durch die biblischen Erzählungen im Blick auf das nun zu verhandelnde Thema auf. In seiner wörtlichen Übersetzung »zurückwickeln« schwingt aber auch ein gewisses Erinnerungs- und Wiederholungsmoment mit, das „offenbar deshalb eingebracht (ist), weil jedenfalls Abraham und Jakob in 1Clem bereits erwähnt worden waren.“ 100 Der Verfasser hat bei den Adressaten also nicht nur die Erwartung geweckt, etwas über die Wege zu erfahren, die zum Erlangen des Segens bei den »gerechten Vätern« führten und auch bei ihnen selber führen können, sondern zugleich daran erinnert, dass er zu diesem Thema (wenigstens im Blick auf Abraham) schon einiges dargelegt hat (vgl. 1Clem 10,1-7; 17,2). All das will und muss er jetzt nicht erneut ausführen, sondern er kann sich (insbesondere im Falle Abrahams) darauf beschränken, nur die für das anstehende Thema erforderlichen Erkenntnisse aufzugreifen. Entsprechend knapp fällt dann auch die Anführung des Abrahambeispiels in 1Clem 31,2 aus. Mit ti,noj ca,rin wird nach den Gründen 101 dafür gefragt, dass Abraham gesegnet wurde, wobei der rhetorische Charakter der Frage die in der Partizipialkonstruktion mit ouvci, gleich mitgelieferte Antwort bei den Adressaten als bekannt voraussetzt 102 : Abraham wurde gesegnet, weil er dikaiosu,nhn kai. avlh,qeian dia. pi,stewj poih,saj . Die Aoristformen der Verben euvloge,w und poie,w werfen die Frage auf, an welchen Punkten der Abrahamüberlieferung der Verfasser diese Aussagen festmacht und in welcher Weise er diese voraussetzt. L ONA sieht diese Voraussetzung im Wissen der Adressaten um das „Motiv vom Segen für Abraham“ 103 als Be- 98 Die übrigen drei Belege finden sich in 1Clem 15,3; 30,5 und 1Clem 33,6 (vgl. auch Abschn. 3.1.2). 99 Vgl. Bauer: Wörterbuch, 124. 100 Lindemann: Clemensbriefe, 98. L INDEMANN bezieht sich dabei für das Abrahambeispiel ebenfalls auf 1Clem 10, verfolgt diesen Ansatz dann aber nicht weiter. 101 Vgl. Bauer: Wörterbuch, 1750. 102 Vgl. Lindemann: Clemensbriefe, 98. 103 Lona: Clemensbrief, 339. <?page no="312"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 298 standteil der Abrahamüberlieferung, während H AGNER erwägt, ob nicht die paulinischen Ausführungen in Gal 3 im Hintergrund stehen 104 . Im Blick auf die Analyse von 1Clem 31,1 bietet der Brief selber aber den besten Ansatzpunkt zu einer plausiblen Auslegung des Beispiels von Abraham im Argumentationszusammenhang von 1Clem 30,6-32,4. Bei den Fragen nach der inhaltlichen Füllung des Segens, der Abraham zu Teil wurde, der Bedeutung von Glauben und Gerechtigkeit im Blick auf Abrahams Handeln und dem kausalen Zusammenhang dieser Größen sind daher im Folgenden die Ergebnisse der Analyse von 1Clem 10,1-7 einzubeziehen. Fragt man zunächst danach, was in 1Clem 31,2 unter »Segen« zu verstehen ist, so legt bereits der nähere Kontext nahe, dass damit Abrahams (und darüber auch Isaaks und Jakobs) quantitativ wie qualitativ bedeutsame Nachkommenschaft gemeint sein muss (vgl. 1Clem 31,4; 32,1.2). Das deckt sich mit den Aussagen in 1Clem 10,3-6. Von 1Clem 10,7a her wird zudem die mit dem Aorist huvlogh,qh angezeigte Aktionsart des gesegnet Werdens nachvollziehbar, denn die Erfüllung der Verheißung unzählbarer Nachkommenschaft für Abraham hat demnach in der Geburt Isaaks ihren Realisations- und Ausgangspunkt. Fragt man nun weiter, wie der kausale Zusammenhang von »Segen« und Abrahams »Tun« zu verstehen ist, so kann auch hier die Perikope 1Clem 10,1-7 Aufschluss geben. Denn sowohl in 1Clem 31,2 als auch in 1Clem 10,7a geht es darum, dass Abraham die ihm verheißenen Segensgüter aufgrund seines Handelns und im Zusammenhang seines Glaubens zu Teil werden (1Clem 31,2: dikaiosu,nhn kai. avlh,qeian dia. pi,stewj 105 poih,saj / 1Clem 10,7a: dia. pi,stin kai. filoxeni,an ). Die Objekte dieses Handelns sind in 1Clem 31,2 mit dikaiosu,nh und avlhqei,a 106 sehr allgemein gehalten, während der Verfasser für Isaak (vgl. 1Clem 31,3) und Jakob (vgl. 1Clem 31,4) deutlich konkreter wird. Auch in diesem Fall ist ein Rückbezug intendiert, nach dem aus den vorangegangenen Behandlungen der Gestalt Abrahams etwa filoxeni,a und u`pakoh, (vgl. 1Clem 10,1.7) bzw. tapeinofrosu,nh (vgl. 1Clem 17,2) mitzudenken sind. Letzteres spielt zudem im Kontext von 1Clem 30,6-32,4 eine wichtige Rolle (vgl. 1Clem 30,8; 31,4). So zeigt sich auch in 1Clem 31,2, was in 1Clem 10,1-7 für das Verhältnis von Glauben und Handeln deutlich geworden ist: Stand dort Abrahams Gehor- 104 „In Gal. 3 both the verb euvloge,w (3.9) and the noun euvlogi,a (3.14) occur together with the concept dia. th/ j pi,stewj and evk pi,stewj “ (Hagner: Use, 222). 105 H lässt dia. pi,stewj aus, was aber gegen A, L und C nicht als ursprünglich in Betracht kommt. 106 Diese Kombination kommt im 1. Clemensbrief noch weitere Male vor (vgl. 1Clem 17,3; 35,2.5; 62,2). Siehe dazu Abschn. 3.1.4. <?page no="313"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 299 sam als Modus seines gläubigen Lebensvollzugs ( diV u`pakoh/ j ) im Vordergrund, so ist sein Glaube hier umgekehrt als Modus seines Handelns ( dia. pi,stewj ) zu verstehen. 107 Thema ist in beiden Fällen die lebenspraktische Realisation seines Vertrauens in Gott und seine Verheißung. 108 Diese Realisation ist in 1Clem 31,2 (wie auch in 1Clem 10,7a) der Grund dafür, dass Abraham die verheißenen Segensgüter erlangt. Dabei ist aber zu betonen, dass diese Aussagen sich allein auf den Empfang der Segensgüter und nicht gleichzeitig auch auf die Segensverheißung Gottes beziehen. Denn nach 1Clem 10,1-7 versteht der Verfasser zwar das Gut der Nachkommenschaft in der Geburt Isaaks, nicht aber die den Glauben begründende Nachkommensverheißung Gottes, als an eine vom Menschen zu erfüllende Bedingung geknüpft. Dass Abrahams Glaube im Vertrauen auf Gottes Verheißungswort besteht (vgl. 1Clem 10,2-6), das seinen Grund allein in Gottes souveränem Willen hat (vgl. 1Clem 32,3) und ihm vollkommen bedingungslos zu Teil wird, und dass dieser Glaube bei Gott Anerkennung findet (vgl. 1Clem 10,6; 32,4), deckt sich - wie im Folgenden noch näher zu zeigen sein wird - exakt mit der Intention des Verfassers in 1Clem 30,6-32,4. In diesem Zusammenhang von der entscheidenden soteriologischen Bedeutung verdienstlicher Werke zu sprechen, oder gar den Glauben selbst zu einem verdienstlichen Werk zu erklären, erweist sich von daher als irreführend. 109 Ebenso muss L ONAS Feststellung, dass „nicht göttliches Zuvorkommen (…) der eigentliche Grund des Segens (sei), sondern das, was Abraham im Glauben tat“ 110 , im Blick auf 1Clem 10,1-7 als problematisch angesehen werden. Die Analyse macht zudem deutlich, dass in 1Clem 31,2 nicht von einer Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 gesprochen werden kann, wenngleich wichtige Elemente des semantischen Grundwortfeldes zu finden sind. Besonders der Gebrauch des Wortstammes dikai& in 1Clem 31,2 entspricht nicht der charakteristischen Verbindung von pist& und dikai& im 107 Zur Konstruktion von dia, mit Genitiv im ersten Clemensbrief vgl. Abschn. 2.2. 108 Diese Beobachtungen bieten auch einen Ansatzpunkt zur inhaltlichen Bestimmung der Konstruktion dia. pi,stin kai. filoxeni,an in 1Clem 10,7a. Wie nämlich in 1Clem 31,2 das gläubige Vertrauen Abrahams als bestimmender Modus seines Handelns ( dia. pi,stewj poih,saj ) aufzufassen ist, lässt sich die pi,stij Abrahams in 1Clem 10,7a inhaltlich als Modus seiner filoxeni,a auffassen. Diese Deutung passt sich ausgezeichnet in die für die Perikope 1Clem 10,1-7 analysierte Intention des Verfassers ein, während die grammatikalische Form weiterhin als Anpassung an die stilistische Prägung der Beispielreihe in 1Clem 11,1-12,4 angesehen werden kann (vgl. Abschn. 2.2). 109 Vgl. Raisänen: Werkgerechtigkeit, 85. Siehe dazu Abschn. 1. 110 Lona: Clemensbrief, 339. <?page no="314"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 300 semantischen Feld von Gen 15,6. Dikaiosu,nh ist hier ethisch gebraucht und charakterisiert neben avlh,qeia das Handeln Abrahams. 111 Zudem ist, wie gezeigt wurde, von der Erfüllung der Nachkommensverheißung die Rede, was mit der Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit nicht einfach identifiziert werden darf. 112 Ein direkter (literarischer) Einfluss von Röm 4,1-3 bzw. Gal 3,6-10 oder Jak 2,20-24, oder einer Kombination aus diesen Stellen, die nachweislich Konkretisationen von Rezeptionen von Gen 15,6 darstellen, ist auch sicher nicht gegeben. 113 Eine solche Annahme zeigt vielmehr die kurzschlüssige Kombination der (zweifellos vorhandenen) Stichworte mit der Erkenntnis leitenden Abstraktion dessen was Gen 15,6 (gemessen an Paulus bzw. Jakobus) vermeintlich ausmacht, ohne dabei den vom Verfasser hergestellten Argumentationszusammenhang zu beachten. 114 Unabhängig von diesem Ergebnis wird aber noch zu fragen sein, ob nicht durch den Rückgriff auf den Zusammenhang von 1Clem 10,1-7 in 1Clem 32,4 eine Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 vorliegt, wenn dort von der Rechtfertigung durch den Glauben die Rede ist. Zunächst sind aber die Beispiele der Erzväter Isaak und Jakob in 1Clem 31,3f genauer zu betrachten. Wie das Beispiel Abrahams in 1Clem 31,2, ist auch das Beispiel Isaaks für sich genommen nur schwer zu erklären. 115 Doch auch hier findet sich über den Rückbezug auf 1Clem 10,1-7 durchaus eine plausible Deutung. Wie in 1Clem 10,7b wird die Darbringung Isaaks in 1Clem 31,3 direkt an die Erfüllung der Segensverheißung (durch die Geburt Isaaks) angeschlossen. Da aber hier Isaak in der Trias der Erzväter als eigenständiges Beispiel behandelt werden soll, wird seine Darbringung als Opfer aus seiner Perspektive betrachtet. Das Medium bzw. Passiv prosh,geto ist deshalb im Sinne eines Zulassens zu verstehen und mit »sich als Opfer heranführen lassen« zu übersetzen 116 . Isaak lässt das Handeln Abrahams zu und wird dadurch selber zum Protagonisten der Szene. Dementsprechend kann nun auch von seiner Haltung gesprochen werden, die durch das Adverb h`de,wj und die Präpositionalkonstruktion meta. pepoiqh,sewj näher qualifiziert wird. Der Grund für 111 Vgl. Räisänen: Werkgerechtigkeit, 89. 112 Gegen VON D OBBELER (vgl. ders.: Glaube, 120). 113 Mit L INDEMANN (vgl. ders.: Clemensbriefe, 98) und L ONA (ders.: Clemensbrief, 339 (Anm. 3)) gegen G RANT und G RAHAM (vgl. dies.: Fathers, 57) und H AGNER (vgl. ders.: Use, 249). 114 Vgl. Abschn. 1. 115 Die auffällige Nähe zu Josephus (Ant I,222-236) soll aus methodischen Gründen an dieser Stelle noch nicht zur Sprache kommen (vgl. aber Abschn. 3.2). 116 S CHMIDT hält diese Übersetzung insbesondere dann für angemessen, „wenn die darzubringende Gabe ein (…) Mensch ist“ (ders.: Art. prosa,gw , 131). <?page no="315"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 301 sein Zulassen - seine »underlying motivation« - wird durch das Participium conjunctum ginw,skwn to. me,llon expliziert. Der Inhalt der Aussage ist umstritten und lässt sich kaum aus dem Text erschließen. Im Zusammenhang des Beispiels und des Rückgriffs auf 1Clem 10,1-7 ist bei to. me,llon am ehesten an die Gewissheit der sich in der Zukunft erweisenden Gültigkeit der Verheißungen Gottes gedacht. 117 So werden die Beweggründe Abrahams auch zu denen seines Sohnes Isaak. Allerdings steht dadurch meta. pepoiqh,sewj nicht einfach parallel zu dia. pi,stewj . 118 Zwar ist grammatikalisch hier wie dort der Umstand einer Handlung im Blick, doch ist sachlich zwischen dem ursächlichen Vertrauen und den Modi des praktischen Lebensvollzugs zu unterscheiden (s.o.). Letztere sind mit pepoiqh,sewj in 1Clem 31,3 und tapeinofrosu,nh in 1Clem 31,4 gemeint. In der Argumentation von 1Clem 30,6-32,4 ist hiermit ein Rückbezug auf die Tugenden gegeben, die den von Gott Gesegneten eignen (vgl. 1Clem 30,8b). 119 Der dort fehlende Schriftbezug ist vom Verfasser nun in einem erweiterten Kontext erbracht worden. Mit dem Beispiel Jakobs wird dann auch tatsächlich ein Stück des Weges (vgl. 1Clem 31,1) nachgezeichnet, den er meta. tapeinofrosu,nh gegangen ist. Es werden „vier zusammenhängende Einzelheiten in einfacher parataktischer Verbindung erzählt: (1.) wie er sein Land wegen seines Bruders verlassen musste; (2.) wie er zu Laban zog und (3.) ihm diente; (4.) wie das Zwölfstämmereich ihm gegeben wurde“ 120 . Durch die Kürze der Darstellung muss die Jakob-Esau-Erzählung als bei den Adressaten bekannt vorausgesetzt werden. Besonders die Angabe des Grundes für die Auswanderung zur Vermeidung eines Konfliktes mit Esau verlangt eine genauere Kenntnis dieser Erzählung. Der Verfasser kann sich auch hier auf das Wiederholungsmoment (vgl. 1Clem 31,1) stützen, da er diesen Konflikt bereits bei seiner Behandlung des Themas zh/ loj erwähnt hatte (vgl. 1Clem 4,8). Der Zusammenhang erinnert auch in gewisser Weise an die Darstellung des Weges Abrahams in 1Clem 10,1-7, insbesondere an seine Trennung von Lot (vgl. 117 So ähnlich L ONA (vgl. ders.: Clemensbrief, 341). Eine typologische Deutung ist im Zusammenhang des 1. Clemensbriefes recht unwahrscheinlich (gegen Lindemann: Clemensbriefe, 99), wenn auch nicht völlig unmöglich (vgl. etwa 1Clem 12,7). 118 Gegen Lindemann: Clemensbriefe, 98. 119 Nicht nachvollziehbar ist für mich, wieso M OXNES Abraham, Isaak und Jakob in 1Clem 31 für „ideals of obedience“ (ders.: Theology, 193) hält und meint, „the emphasis in 30-31 is upon obedience“ (ebd.). 120 Lona: Clemensbriefe, 341. <?page no="316"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 302 1Clem 10,3). Offenbar hat der Verfasser auch in diesem Zusammenhang den Konflikt in Korinth im Blick. 121 Die syntaktisch als vierte »Station« des Weges Jakobs gekennzeichnete Erzählung von der Gabe des Zwölfstämmereiches Israel unterscheidet sich grammatikalisch allein durch das Passiv von den ersten drei »Stationen«. Die Formulierung stimmt mit der Aussage über den Segensempfang Abrahams in 1Clem 10,7a überein: 10,7a b evdo,qh auvtw/ | ui`o.j evn gh,ra| 34,4d evdo,qh auvtw/ | to. dwdeka,skhptron tou/ VIsrah,l In beiden Fällen besteht das erlangte Segensgut in der Nachkommenschaft, wobei im Falle Jakobs die Perspektive der zwölf Stämme Israels in den Blick kommt. Hieran schließt der Verfasser die folgenden Überlegungen zur Bedeutung der dargelegten Beispiele der Erzväter an, wie die Aufnahme des evdo,qh auvtw/ | in der Wendung tw/ n u`pV auvtou/ dedome,nwn dwrew/ n in 1Clem 32,1 zeigt. 122 Mit dem Konditionalsatz knüpft der Verfasser zudem an die Aufforderung in 1Clem 31,1 an und nimmt die Adressaten für die nun zu leistende Auswertung in die Pflicht. Das tij verbürgt die Allgemeingültigkeit der durch die logische Beweisführung erzielten Ergebnisse, hat aber konkret natürlich die Angeredeten im Blick, die zum Nachvollzug der Argumentation aufgefordert werden. Das katanoe,w entspricht hier sachlich dem o`ra,w (vgl. dazu 1Clem 24,1.2). Wichtig für den Bezug des Folgenden auf die vorangegangenen Beispiele ist die Beurteilung der Wendung kaqV e]n e[kaston und die Frage nach dem Bezugswort der Pronomina auvtw/ n bzw. auvtou/ . Wird wie bei L ONA kaqV e]n e[kaston mit »im Einzelnen« übersetzt und auf die „aufgezählten Ereignisse bezogen, die Jakob als Segensträger zeigen“ 123 , so wird der Bezug zwischen den Beispielen der Erzväter und der nunmehr folgenden Auswertung nicht deutlich genug erkannt. Schon der Rückbezug auf die Einleitung zu den Beispielen und der Plural pa,ntej in 1Clem 32,3 lassen einen einseitigen Bezug auf das Beispiel Jakobs unangemessen erscheinen. Der auffällige Plural o`doi, in 1Clem 31,1 findet vielmehr in den drei Beispielen seine Entsprechung. 121 Siehe dazu Abschn. 3. 122 Durch diese Beobachtung ist auch die Frage nach dem Bezug von u`pV auvtou/ geklärt, der nur in Gott und nicht in der (grammatikalisch auch denkbaren) Alternative Jakob bestehen kann. 123 Lona: Clemensbrief, 342. <?page no="317"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 303 Auch textkritisch ist eine gewisse Unsicherheit im Blick auf das Verhältnis zwischen den Beispielen und der Auswertung aufweisbar. So haben A und H evx auvtw/ n in 1Clem 32,2a, während L, S und C evx auvtou/ (vgl. 1Clem 32,2b.c) lesen. Die textkritische Entscheidung ist schwierig. Im Anschluss an die Textedition von F UNK / B IHLMEYER 124 wird zumeist gegen die starke äußere Bezeugung (dem Konsens von A und H) den Übersetzungen L, S und C der Vorzug gegeben 125 , ohne, dass die Entscheidung kommentiert wird. Die Auslegung der Stelle lässt aber vermuten, dass die Deutung des evx auvtou/ auf Jakob hier den Ausschlag gegeben hat. Wird hingegen der Bezug auf die Beispiele der drei Erzväter in Betracht gezogen, so geben die inneren Kriterien der stärkeren äußeren Bezeugung der griechischen Handschriften A und H Recht. Und auch wenn der Wechsel des Numerus in der Folge der parallel gestalteten Aussagen auffällig bleibt, erklärt er aber doch eher eine nachträgliche Angleichung des ersten Gliedes durch die Übersetzungen und nicht den umgekehrten Fall. Es gibt also gute Gründe, den Plural auvtw/ n als ursprüngliche Lesart anzusehen. Nach diesen Überlegungen ist kaqV e]n e[kaston wohl richtiger mit »eines nach dem anderen« zu übersetzen 126 und auf die dargestellten Beispiele der drei Erzväter zu beziehen. Ebenso sind die Pronomina in 1Clem 32,2 auf Abraham, Isaak und Jakob als »Kollektiv« zu beziehen, deren Bedeutung entsprechend der Beispiele in 1Clem 31,2-4 im Segen ihrer Nachkommenschaft besteht. Die drei Elemente, die besonders zur Geltung gebracht werden, stellen die Nachkommenschaft der Erzväter in einen kultischen, christologischen bzw. dynastischen Zusammenhang. 127 Wo der Singular evx auvtou/ steht, ist auf Jakob als den Stammvater des dwdeka,skhptron Bezug genommen, der aber hinsichtlich der Erwählungsgeschichte Israels als Nachkomme Abrahams und Isaaks in den Blick kommt. 128 Abschließend nimmt der Verfasser explizit auf die Verheißung zahlloser Nachkommenschaft Bezug, indem er das Verheißungswort Gottes zitiert: e; stai to. spe,rma sou w`j oi` avste,rej tou/ ouvranou/ . Ein Vergleich der Nach- 124 Vgl. z.St. Funk/ Bihlmeyer: Väter, 52. 125 Vgl. die Hinweise zum textkritischen Vorgehen bei F ISCHER (ders.: Väter, 21-23). 126 So auch Bauer: Wörterbuch, 467 mit Verweis auf Apg 21,19. 127 Die Einzelheiten hierzu sind für die Analyse im Blick auf eine Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 von untergeordneter Bedeutung. Vgl. hierzu die Kommentare von L INDEMANN (vgl. ders.: Clemensbriefe, 99f) und L ONA (vgl. ders.: Clemensbrief, 343- 345). Unmittelbar von Bedeutung ist nur der genealogische Hinweis auf den ku,rioj VIhsou/ j to. kata. sa,rka , der im Zusammenhang der Aussage in 1Clem 32,4 zu verstehen ist. 128 Vgl. Odeberg: Art. VIakw,b , 192. <?page no="318"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 304 kommenschaft mit den Sternen, findet sich nur für Abraham (vgl. Gen 15,5; 22,17; 26,4), nicht aber für Jakob. 129 Was hier über die Nachkommenschaft der Erzväter ausgesagt wird, hat seinen Ausgangs- und Bezugspunkt in der Verheißung Gottes an Abraham. Das aber braucht der Verfasser bei den Adressaten wieder nicht allein durch die biblischen Traditionen vorauszusetzen, sondern kann auch hier auf seine vorgängige Abrahamdeutung in 1Clem 10,1-7 zurückverweisen, wo entsprechende Verheißungen bereits zitiert worden sind (vgl. 1Clem 10,3-6). Die Art, wie der Verfasser die Nachkommensverheißung in 1Clem 32,2 anführt, erklärt sich von daher am besten als Rückverweis auf 1Clem 10,1-7, d.h. konkret als freie Wiedergabe der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,5 LXX in 1Clem 10,6. 130 Hier wie dort verfolgt der Verfasser damit die gleiche Absicht: Die Verheißungen werden angeführt, um die Größe der in Aussicht gestellten und erlangten Segensgüter darzulegen. 131 Mit der Konjunktion ou=n und der Wiederaufnahme der Wortstämme megal& (aus 1Clem 32,1) und dox& (aus 1Clem 32,2) knüpft der Verfasser an diesen Gedanken an und wendet sich nun den Gründen für die erlangte Größe und den Ruhm der Erzväter zu: „Zuerst werden die angeblichen, aber doch nicht maßgebende(n) Motive (dafür) negiert, um schließlich den Willen Gottes als den einzigen Grund gelten zu lassen.“ 132 Was in der Analyse von 1Clem 31,2 unter Berücksichtigung von 1Clem 10,1-7 bereits herausgearbeitet wurde, wird hier nun explizit benannt: Weil Größe und Ruhm der Erzväter in der Bedeutung ihrer Nachkommenschaft bestehen, die ihren Grund in der Verheißung Gottes hat, gründen sie letztlich gerade nicht in ihnen selber, sondern im „Heilswillen Gottes, der über jede positive menschliche Antwort auf seine Forderung hinaus der letzte Grund für Rettung und Heil bleibt.“ 133 Die negierten Motive sind in einer Reihe mit steigendem Grad der Präzisierung angeordnet. Zuerst kommen die Erzväter als Handelnde in den Blick, danach verengt sich der Fokus über ihre Werke bis 129 Jakobs verheißene Nachkommenschaft wird mit dem Staub der Erde verglichen (vgl. Gen 28,14). 130 So ebenfalls unter Bezug auf 1Clem 10,6 auch Hagner: „Here it seems very probable that Clemens is quoting from memory, being content to allude to the promise of God to Abraham“ (ders.: Use, 56). 131 Vgl. Abschn. 2.2. 132 Lona: Clemensbrief, 345. 133 Lona: Clemensbrief, 347. Eben diese Rede vom Heilswillen Gottes zeigt nach L ONA den theologischen Standort des Verfassers, von dem aus „paulinische Formulierungen aufgenommen werden können, ohne zugleich die paulinische Fragestellung zu übernehmen“ (ebd.). <?page no="319"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 305 auf ihr Tun der dikaiopragi,a selber. Im Blick auf das von Abraham erzählte dikaiosu,nhn poiei/ n (1Clem 31,2), wird von hieraus noch einmal die Betonung des dia. pi,stewj verdeutlicht: „Nicht das vollbrachte gerechte Handeln ist der Grund für den Ruhm der Alten, und ebenso wenig darf sich der Mensch auf seine eigenen Leistungen als Forderung der Gerechtigkeit berufen.“ 134 Die Bezeichnung des menschlichen Handelns mit dikaiopragi,a scheint der Verfasser wegen des Wortstammes dikai& bewusst als Gegenüber zur Bezeichnung der göttlichen Anerkennung mit dikaio,w gewählt zu haben. Er bereitet damit schon die folgende positive Aussage über die Rechtfertigung durch den Glauben vor. Mit 1Clem 32,2 kehrt der Verfasser, angezeigt durch die Konjunktion ou=n , dann nämlich zum Hauptgedanken des gesamten Abschnittes 1Clem 30,6-32,4 und damit zum Thema der »Anerkennung« zurück. 135 Er wendet sich nun den Adressaten zu, indem er den bisher entwickelten Gedankengang auf sie anwendet. Die Möglichkeit der Übertragung wurde bereits durch die Verbindung der Erzväter mit dem ku,rioj VIhsou/ j to. kata. sa,rka (1Clem 32,2) vorbereitet und wird nun über den Berufungsgedanken angebracht: Die Adressaten sind dia. qelh,matoj auvtou/ evn Cristw/ | VIhsou/ klhqe,ntej : „Der Wille Gottes verwirklicht sich in der in Christus ergangenen Berufung. Das Subjekt beim Passiv klhqe,ntej ist Gott, aber sein Ruf ist durch die Wirklichkeit des Erlösers vermittelt ( evn Cristw/ | VIhsou/ , mit instrumentalem evn ).“ 136 Auch für die Adressaten gilt somit, was über die Erzväter gesagt worden ist. 137 Sprachlich zeigt sich das überdeutlich in der parallelen Gestaltung von 1Clem 32,3 und 1Clem 32,4: 138 1Clem 32,3 1Clem 32,4 139 pa,ntej ou=n kai. h`mei/ j ou=n( dia. qelh,matoj auvtou/ evn Cristw/ | VIhsou/ klhqe,ntej( evdoxa,sqhsan kai. evmegalu,nqhsan dikaiou,meqa dikaiou,meqa dikaiou,meqa dikaiou,meqa 134 Lona: Clemensbrief, 346. 135 Vgl. Blass/ Debrunner: Grammatik § 451,1, 381. 136 Lona: Clemensbrief, 347. 137 Die pauschale Aussage, dass der Verfasser des ersten Clemensbriefes die Kontinuität zur Geschichte Israels naiv voraussetzt (vgl. z.B. Goppelt: Christentum, 238) ist von 1Clem 32,4 her zumindest zu relativieren. Das paulinische Erbe in dieser Frage ist hier unverkennbar (vgl. Röm 9,4f), wenn auch die Situation des Verfassers entsprechende Konflikte offenbar nicht voraussetzt (vgl. Abschn. 3). 138 Vgl. Lona: Clemensbrief, 346. 139 Die Stellung von dikaiou,meqa wurde verändert, um die Parallelität der Elemente besser zu verdeutlichen. <?page no="320"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 306 ouv diV auvtw/ n ouv diV e`autw/ n ouvde. dia. th/ j h`mete,raj sofi,aj h' sune,sewj h' euvsebei,aj h' tw/ n e; rgwn auvtw/ n h' e; rgwn h' th/ j dikaiopragi,aj h-j kateirga,santo( w-n kateirgasa,meqa evn o`sio,thti kardi,aj( avlla. dia. tou/ qelh,matoj auvtou/ ) avlla. dia. th/ j pi,stewj dia. th/ j pi,stewj dia. th/ j pi,stewj dia. th/ j pi,stewj( diV h-j pa,ntaj tou.j avpV aivw/ noj o` pantokra,twr qeo.j evdikai,wsen evdikai,wsen evdikai,wsen evdikai,wsen Die Grundstruktur ist mit evdoxa,sqhsan / dikaiou,meqa ouv dia. tino,j - avlla. dia. tino,j in beiden Versen gleich. Inhaltlich kommen bei den negierten Motiven in 1Clem 32,4 drei hinzu: ouvde. dia. th/ j h`mete,raj sofi,aj h' sune,sewj h' euvsebei,aj . Besonders die Erwähnung der euvse,beia und die in dem die e; rga näher bestimmenden Relativsatz enthaltene Präzisierung evn o`sio,thti kardi,aj weisen dadurch deutlicher in den religiösen Bereich. Weder das menschliche Handeln, noch die dem Glauben entsprechenden frommen Haltungen - so wichtig sie dem Verfasser auch sind (vgl. 1Clem 30,3; 33,1.8; 34,4; 38,2 140 ) - finden letztlich bei Gott Anerkennung. Die wichtigste Differenz liegt sicher darin, dass der Verfasser im Blick auf die Adressaten nicht wie in 1Clem 32,3 von doxa,zw und megalu,nw spricht, sondern in 1Clem 32,4 das Verb dikaio,w gebraucht, was von den meisten Auslegern auf eine Übernahme paulinischer Begrifflichkeiten zurückgeführt wird. 141 Dieser Ansatz ist alleine aber nicht ausreichend, denn zum einen erscheint die Verbindung von dikaio,w und pi,stij in paulinischen semantischen Feldern in anderer syntaktischer Konstellation 142 und zum anderen ist der Gebrauch von dikaio,w als Passivum divinum im 1. Clemensbrief auf 1Clem 32,4 beschränkt 143 . Zudem hat die Frage nach dem Verhältnis des 1. Clemensbriefes zur paulinischen Literatur aus methodischen Gründen erst nach der Analyse ihren Platz. Die Verwendung von dikaio,w in 140 Vgl. dazu Abschn. 3. 141 So z.B. L ONA : „Die Nachwirkungen der paulinischen Sprache kommen aber schon bei der ersten Aussage zum Tragen: ouv diV e`autw/ n dikaiou,meqa) Das Verhältnis des Menschen zu Gott drückt sich als Rechtfertigung aus“ (ders.: Clemensbrief, 347). 142 Vgl. Grant/ Graham: Fathers, 58. 143 Die zwei weiteren Vorkommen finden sich in 1Clem 18,4 in Form eines Zitates von Ps 50,6 LXX und in 1Clem 30,3, wo dikaio,w als Aktiv vorkommt und die Adressaten zum Subjekt hat. Dennoch auf einer Linie sieht A NDRÉN 1Clem 10,6 und 30,3: „Rättfärdiggörelsen synes alltaså i 10: 6 vara tolkad på ett sätt som överensstämmer med 30: 3” (ders.: Rättfärdighet, 93). Vgl. auch Abschn. 3.1.4. <?page no="321"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 307 1Clem 32,4 kann hier daher zunächst allein aus dem Argumentationsduktus von 1Clem 30,6-32,4 heraus zu erklären versucht werden. Der Verfasser hat 1Clem 32,4 als Zielaussage der Perikope argumentativ sorgfältig vorbereitet. Das Thema der »Anerkennung« bei Gott hat er durch die Aufforderung zum »erneuten Überdenken« der biblischen Erzählungen an das Beispiel der Erzväter Abraham, Isaak und Jakob geknüpft und zugleich ausdrücklich auf die bereits erfolgte Thematisierung dieser biblischen Gestalten zurückverwiesen. Neben der parallelen Gestaltung der Verse 1Clem 32,3 und 1Clem 32,4 weist der Verfasser mit dem Relativsatz diV h-j pa,ntaj tou.j avpV aivw/ noj o` pantokra,twr qeo.j evdikai,wsen selber darauf hin, dass auch zum Verständnis von 1Clem 32,4 der entscheidende Hinweis in den Beispielen der Erzväter Abraham, Isaak und Jakob liegt. VApV aivw/ noj ist hier (anders als in der abschließenden Doxologie) nämlich nicht liturgisch zu verstehen ist, sondern meint »alle, die von Ewigkeit an waren« und weist damit erneut auf die Erzväter als Beispiele der von Gott allein aufgrund seines Heilswillens ( dia. tou/ qelh,matoj ) Anerkannten. Der Zusammenhang zwischen Gottes unverfügbarem Willen, der dem Menschen als (Segens- )Verheißung entgegentritt, und der pi,stij , die sich auf diese Verheißung gründet und so von Gott anerkannt wird, ist vom Verfasser in 1Clem 10,1-7 behandelt worden. Unter Rückgriff auf diese frühere Behandlung innerhalb des Briefes ist auch am besten erklärbar, warum der Verfasser die Anerkennung Gottes hier mit dem Wortstamm dikai& bezeichnet. Schließlich war in 1Clem 10,6 mit eben diesem Wortstamm aus der Heiligen Schrift (Gen 15,5- 6 LXX) dargelegt worden, dass Abraham sein Vertrauen in die Verheißung von Gott zur Gerechtigkeit angerechnet wurde ( evlogi,sqh auvtw/ | eivj dikaiosu,nhn ). Eine (literarische) Abhängigkeit von Paulus ist also nicht zwingend erforderlich, um die Aussage in 1Clem 32,4 im Kontext von 1Clem 30,6-32,4 zu verstehen. Ob nicht aber vielleicht die abkürzende Umschreibung von logi,zesqai eivj dikaiosu,nhn mit dikaiou/ sqai durch die paulinische Sprache beeinflusst ist, muss an späterer Stelle noch geprüft werden. 144 Im Blick auf die Frage nach Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 im 1. Clemensbrief, ist 1Clem 32,4 nun aber als eine solche anzusehen. Allerdings darf die Abhängigkeit von 1Clem 10,1-7 dabei nicht unterschlagen werden. Wie im Falle von 1Clem 32,2 (in Bezug auf Gen 15,5) ist auch 1Clem 32,4 als Rückverweis auf die Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 in 1Clem 10,6 zu verstehen. 144 Siehe Abschn. 3.2.6. <?page no="322"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 308 Im Kontext von 1Clem 30,6-32,4 macht 1Clem 32,4 deutlich, dass von Abraham konkret bezeugt ist, was für alle gilt, die von Ewigkeit waren, für die Erzväter allzumal (auch wenn die Schrift es nicht von jedem Einzelnen ausdrücklich überliefert) 145 , und auch für die Adressaten, die in Jesus Christus berufen sind: Die Ursache der Anerkennung bzw. Rechtfertigung liegt allein in Gott als dem pantokra,twr (1Clem 32,4), der seinen Heilswillen offenbart: „Seine Allmacht enthüllt notwendigerweise die wesensbedingte Schwäche aller menschlichen Leistungen und Ansprüche und erweist sich so gerade so als Allmacht.“ 146 Die Notwendigkeit der anfänglichen Forderung des Verfassers ( o` e; painoj h`mw/ n ev qew/ | , vgl. 1Clem 30,6) ist den Adressaten nunmehr auch positiv deutlich vor Augen geführt worden. Die Doxologie, mit der die Perikope schließt, markiert nicht nur einen sachlichen Einschnitt, sondern erscheint nach der Rede von der Allmacht Gottes als die angemessene menschliche Sprachform an dieser Stelle. Im Anschluss an die Analyse von 1Clem 30,6-32,4 kann der Text wie folgt übersetzt werden: 30,6 Unsere Anerkennung soll bei Gott (liegen) und nicht von uns selbst (kommen): Die nämlich, die sich selbst anerkennen, hasst Gott. 30,7 Das Zeugnis unserer guten Taten soll von anderen gegeben werden, wie es unseren gerechten Vätern gegeben wurde. 30,8 Dreistigkeit, Übermut und Verwegenheit sind bei den von Gott Verfluchten; Milde, Demut und Sanftmut sind bei den von Gott Gesegneten. 31,1 Lasst uns also anhängen seinem Segen, und sehen, welches die Wege des Segens sind. Lasst uns erneut bedenken, was von Anfang an geschehen ist. 31,2 Weswegen wurde unser Vater Abraham gesegnet? Etwa nicht, weil er Gerechtigkeit und Wahrheit durch Vertrauen tat? 31,3 Mit Zuversicht, weil er die Zukunft kannte, ließ Isaak sich gerne als Opfer heranführen. 31,4 Mit Demut ging Jakob aus seinem Land fort wegen des Bruders, und ging zu Laban, und diente, 145 L INDEMANN bezieht den Relativsatz ebenfalls auf Abraham, den er als den ersten Gerechtfertigten überhaupt ansieht. (vgl. ders.: Clemensbriefe, 100). Betont man mehr den Beispielcharakter Abrahams, dann wird auch nachvollziehbar, wie der Verfasser in 1Clem 9,3.4 Henoch und Noah mit Abraham in einer Reihe aufführen kann, wo es darum geht, dass sie gerecht bzw. gläubig erfunden wurden (vgl. Abschn. 2.2). 146 Lona: Clemensbrief, 348. <?page no="323"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 309 und es wurde ihm das Zwölfstämmereich Israel gegeben. 32,1 Wenn jemand eines nach dem anderen unbefangen erwägt, wird er die Größe der von ihm gegebenen Gaben erkennen. 32,2 Von ihnen sind nämlich Priester und Leviten, alle, die dem Altar Gottes dienen. Von ihm ist der Herr Jesus nach dem Fleisch. Von ihm sind Könige, Fürsten und Herrscher über Juda. Seine übrigen Stämme aber stehen nicht in geringem Ruhm, wie Gott verheißen hat: Deine Nachkommenschaft wird sein wie die Sterne des Himmels. 32,3 Alle sind also anerkannt und groß gemacht worden nicht durch sich selbst, noch durch ihre Taten, noch durch das gerechte Handeln, das sie vollbracht haben, sondern durch seinen Willen. 32,4 Auch wir, die durch seinen Willen in Jesus Christus Berufenen, werden nun gerechtfertigt nicht durch uns selbst, auch nicht durch unsere Weisheit, oder Einsicht, oder Frömmigkeit, oder Taten, die wir vollbracht haben in Herzensfrömmigkeit, sondern durch das Vertrauen, durch das Gott, der Allmächtige, alle, die von Ewigkeit an waren, gerechtfertigt hat. Ihm sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen. Exkurs: Das Abrahambeispiel in 1Clem 17,2 Die Wortfeldanalyse hat zwar in 1Clem 17,1-6 die Elemente VAbraa,m (1Clem 17,2), pist& (1Clem 17,5) und dikai& (1Clem 17,3) nachweisen können, doch sind diese auf die Beispiele von Abraham, Hiob und Mose verteilt, so dass im Beispiel Abrahams - außer dem Namen selber - kein Element des semantischen Grundwortfeldes nachzuweisen ist. Da die Analyse von 1Clem 30,6-32,4 aber im Blick auf das Beispiel Abrahams den Rückverweis auf die vorangegangene Behandlung dieser Gestalt als maßgeblich ausweisen konnte, lohnt sich eine kurze Betrachtung aus dieser Perspektive. Schon was die Gliederung des 1. Clemensbriefes betrifft, stehen 1Clem 10,1-7 und 1Clem 17,2 zusammen in einem größeren Abschnitt, der 1Clem 9,1-19,1 umfasst. Thematisch geht es um den Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes, was im Blick auf »Gehorsam«, »Gastfreundschaft« und besonders »De- <?page no="324"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 310 mut« mit vielen Beispielen ausgeführt wird. 147 Der Verfasser fordert zur Nachahmung derer auf, die ein (gutes) Zeugnis empfangen haben (vgl. 1Clem 17,1) und greift dann in 1Clem 17,2 an erster Stelle die Gestalt Abrahams auf. „Wie in allen Beispielen der memarturhme,noi steht im ersten Teil der Grund für die Größe der Betreffenden, während diese selbst im zweiten Teil eine Aussage machen, in der sie ihre Demut ausdrücken.“ 148 Für Abraham ergibt sich folgender Aufbau des Beispiels: 17,2a a evmarturh,qh mega,lwj VAbraa.m b kai. fi,loj proshgoreu,qh tou/ qeou/ ( 17,2b kai. le,gei avnteni,zwn eivj th.n do,xan tou/ qeou/ tapeinofronw/ n\ VEgw. de, eivmi gh/ kai. spodo,j) Der erste Teil besteht aus zwei kurzen Sätzen, die durch kai, miteinander verbunden sind. Das Verb steht jeweils im Aorist Passiv, wobei Abraham (zuerst explizit, dann implizit) als grammatikalisches Subjekt erscheint, während Gott in beiden Fällen als logisches Subjekt mitzudenken ist. Die Wendung fi,loj prosagoreu,esqai ( tou/ qeou/ ) hatte der Verfasser auch schon in 1Clem 10,1 verwendet, um die Besonderheit Abrahams hervorzuheben. Diese besteht nach L INDEMANN darin, dass Abraham „als Gottes Freund seine Herrlichkeit anschaute ( avteni,zwn )“ 149 , was der Verfasser aus Gen 18 herleitet. Die Aussagen 1Clem 17,2a a)b sieht er von daher als inhaltlich identisch an und deutet die Konjunktion als kai, explicativum: Das großartige Zeugnis Abrahams besteht in seiner Bezeichnung als »Freund Gottes«. 150 Grammatikalisch ist es aber genauso gut möglich, dass kai, in 1Clem 17,2a mit der einfachen kopulativen Bedeutung »und« zwei Sätze miteinander verbindet, ohne ein darüber hinausreichendes logisches Verhältnis zu implizieren. In diesem Fall kann das »großartige Zeugnis« Abrahams nicht einfach mit seiner Bezeichnung als »Freund Gottes« identifiziert werden und es 147 Siehe die Gliederung bei L ONA , der den Abschnitt allerdings bis 1Clem 19,3 fasst (vgl. ders: Clemensbrief, 25). 148 Lona: Clemensbrief, 238. 149 Lindemann: Clemensbriefe, 65. 150 Vgl. die Übersetzung bei L INDEMANN : „Ein großartiges Zeugnis hat Abraham empfangen: »Freund Gottes« ist er genannt worden“ (ders.: Clemensbriefe, 63). Dieser Übersetzung und der damit verbundenen Deutung schließen sich alle von mir eingesehenen Kommentare an. <?page no="325"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 311 ist zu fragen, was der Verfasser bei der Aussage evmarturh,qh mega,lwj VAbraa,m im Blick hat. Wollte der Verfasser die Aufmerksamkeit seiner Adressaten nicht allein auf den Zusammenhang von Gen 18 lenken, aus dem das Zitat in 1Clem 17,2b stammt 151 , sondern gleichsam an das anknüpfen, was er über Abraham in 1Clem 10,1-7 ausführlich dargelegt hat, dann ist wohl am ehesten die Anerkennung von Abrahams Glauben durch Gott gemeint, wie sie dort in 1Clem 10,1 ( pisto.j eu`re,qh ) und 1Clem 10,6 ( evlogi,sqh auvtw/ | eivj dikaiosu,nhn ) zum Ausdruck kommt. Die Aussage über Abrahams großartiges Zeugnis ist dann inhaltlich deutlich weiter zu fassen, als in seiner Bezeichnung als »Freund Gottes«. Der mit kai, angeschlossene Satz verstärkt dann lediglich die vorangegangene Aussage, so dass zu übersetzen ist: 17,2a a Ein glänzendes Zeugnis wurde Abraham zuteil b und er wurde (sogar) »Freund Gottes« genannt. 17,2b Und doch sagte er, als er die Herrlichkeit Gottes erblickte, weil er demütig war: »Ich dagegen bin Erde und Asche.« Die Verbindung von 1Clem 17,2a a mit 1Clem 10,1.6 wird noch plausibler, wenn man dazu die jeweils ersten Teile in den folgenden Beispielen von Hiob und Mose vergleicht. Dort hat der Verfasser die entsprechenden Wortfeldelemente dikai& (1Clem 17,5) und pist& (1Clem 17,3) nämlich explizit verwendet. Für Abraham war das nicht notwendig, weil er von ihm, seinem »Glauben« und dessen »Anrechnung zur Gerechtigkeit«, bereits in 1Clem 10,1-7 ausführlich gehandelt hatte. In dieser Hinsicht könnte 1Clem 17,2 dann als eine weitere Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 gelten. Stärker noch als im Fall von 1Clem 32,4 ist der Zusammenhang aber lediglich durch den Rückbezug auf 1Clem 10,1-7 nochvollziehbar, weil von den Grundelementen des semantischen Feldes allein VAbraa,m innerhalb des Beispiels explizit nachzuweisen ist. Gerade im Blick auf die Argumentation bei der Analyse von 1Clem 30,6- 32,4 ist diese dritte und letzte Abrahamstelle im 1. Clemensbrief aber für die Vorgehensweise des Verfassers durchaus erhellend. 151 Die zitierte Aussage Abrahams stammt tatsächlich wörtlich aus Gen 18,27 LXX: „This short quotation agrees exactly with the LXX“ (Hagner: Use, 39). Das schließt aber nicht aus, dass sich im Vers noch Rezeptionen anderer Abrahamstellen konkretisieren, bzw. weiterreichende Traditionszusammenhänge deutlich werden. <?page no="326"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 312 2.4 Auswertung der Analysen im Blick auf Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 im 1. Clemensbrief Die Analyse kann den allgemeinen Konsens über das Vorhandensein einer Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 in 1Clem 10,6 nur bestätigen, kommt aber, was Stellung und Bedeutung im Argumentationsduktus von 1Clem 10,1-7 angeht, zu durchaus abweichenden Gewichtungen und Bezügen. Entscheidend ist, dass die Konkretisation in bzw. mit dem Kontext Gen 15,5 und im Zusammenhang mit der Segensthematik in der Perikope erfolgt. Die Segensverheißung aus Gen 15,5b steht am Schluss der Reihe von (wörtlich zitierten) göttlichen Segensworten innerhalb des o[pwj& Satzes, während Gen 15,5a.6 (erzählend) die Umstände dieser Zusage Gottes an Abraham schildern. Für den Verfasser ist Abrahams pi,stij als Reaktion auf die Verheißung zahlloser Nachkommenschaft zu verstehen, die ihrerseits bei Gott Anerkennung fand und Abraham zur Gerechtigkeit angerechnet wurde. Gleichzeitig erhält Gen 15,6 durch die Stellung auch den Charakter eines zusammenfassenden Abschlusses und schlägt damit den Bogen zurück zu 1Clem 10,1. Am Beispiel des Auszugs aus Haran konnte der Verfasser zeigen, dass Abrahams Vertrauen in Gott und seine Verheißung das entscheidende Motiv war, das zu seinem gehorsamen Handeln als lebenspraktischer Realisation seiner pisti,j führte. Die Aussagen pisto.j eu`re,qh und evlogi,sqh auvtw|/ ei,j dikaiosu,nhn liegen inhaltlich auf derselben Linie, wobei das »Treu- Erfunden-Werden« formal wahrscheinlich einer traditionellen Beispielreihe (vgl. 1Clem 9,3.4) zuzurechnen ist. 152 Die Argumentation in 1Clem 10,1-7 macht jedenfalls deutlich, dass Gen 15,6 für den Verfasser nicht einfach ein „Beweisstück für den Gehorsam (ist), der Gott im AT entgegengebracht wurde.“ 153 Es geht ihm vielmehr um Abrahams Motivation zu diesem Gehorsam, die er in seinem Vertrauen in Gottes großartige Verheißungen begründet sieht, was durch die Anerkennung dieses Vertrauens bei Gott zusätzliches Gewicht bekommt. Die analysierte Argumentation innerhalb der Perikope zeigt auch, dass hier keinesfalls die „Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit (…) aus der Treue Abrahams bei dem Opfer seines Sohnes abgelesen“ 154 wird und 1Clem 10,7 nicht ohne weiteres als Konkretisation einer Rezeption von 152 Siehe dazu Abschn. 3.2. 153 Heidland: Anrechnung, 129. 154 Lona: Clemensbrief, 199. <?page no="327"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 313 Gen 15,6 angesehen werden kann. 155 Der Verfasser gibt in 1Clem 10,7b lediglich ein weiteres Beispiel für Abrahams Gehorsam. Er zeigt damit wohl, dass die Abrahams ganzes Leben betreffende Aussage in 1Clem 10,1 auch in diesem Fall zutrifft. Die Darbringung Isaaks hat aber als Beispiel nicht mehr Gewicht als der Auszug Abrahams aus Haran. Worum es dem Verfasser geht, ist dort ausführlich dargelegt und abzulesen. Für 1Clem 30,6-32,4 und 1Clem 17,2 hat die Analyse gezeigt, dass der Verfasser hier einen Rückbezug auf seine Ausführungen in 1Clem 10,1-7 intendiert hat, wodurch er das Beispiel Abrahams in neuen Argumentationszusammenhängen in kürzester Form erneut anbringen kann, ohne das bereits Gesagte wiederholen zu müssen. Die Auslegung dieser Stelle ist damit einerseits von den Ergebnissen der Analyse von 1Clem 10,1-7 abhängig, andererseits bestätigt sie gleichzeitig diese Ergebnisse. Für die von einigen Auslegern als Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 gehandelte Stelle 1Clem 31,2 konnte eine Verbindung zu 1Clem 10,7a aufgezeigt werden, nicht aber zu 1Clem 10,6 (oder 1Clem 10,1). Die zweifelsfrei vorhandenen Elemente des semantischen Grundwortfeldes zeigen auch keine der charakteristischen Verbindungen des semantischen Feldes, weswegen im Blick auf diese Stelle nicht von einer Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 gesprochen werden kann. Anders verhält es sich hingegen in 1Clem 32,4. Die Analyse des Argumentationsduktus` hat gezeigt, dass der Relativsatz diV h-j pa,ntaj tou.j avpV aivw/ noj o` pantokra,twr qeo.j evdikai,wsen auf die Gestalt Abrahams abzielt, dessen Rechtfertigung durch sein Vertrauen in Gottes Segensverheißung in 1Clem 10,1-7 bereits thematisiert worden ist. Es spricht einiges dafür, dass hier nicht einfach inhaltslos paulinische Formulierungen übernommen wurden, sondern dass der Verfasser bewusst mit dem Beispiel Abrahams argumentiert. Dabei ist es durchaus möglich, dass der Gebrauch von dikaio,w vom paulinischen Sprachgebrauch abhängig ist. Die Perikope 1Clem 30,6-32,4 ist jedenfalls als Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 des Verfassers anzusehen, wobei 1Clem 32,4 und nicht 1Clem 31,2 den Anknüpfungspunkt dazu bildet. Durch den Rückbezug steht diese Konkretisation in einem engen Zusammenhang zu 1Clem 10,1-7, was auch am erweiterten semantischen Feld dieser Konkretisationen deutlich erkennbar ist. Von hier aus ist im Folgenden die Frage nach dem Ort der Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 im Mitteilungsgeschehen des 1. Clemensbriefes zu fragen. 155 Vgl. Abschn. 1. <?page no="328"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 314 3. Das semantische Feld von Gen 15,6 im Mitteilungsgeschehen des 1. Clemensbriefs 3.1 Das erweiterte semantische Feld der Rezeption von Gen 15,6 im 1. Clemensbrief Elemente Bezug (meist Subjekt) 1,1-3,4 9,2-4 10,1-7 11,1-12,8 13,1-15,7 17,1-18,17 9,1; 19,1 26,1-27,7 30,6-32,4 35,1-12 44,1-6 58,1-2 60,4 62,2-63,1 Abraham x x Rahab x Noah x Mose x Väter x Gott x Glaube/ Treue/ Vertrauen (Wortgruppe pist&( peiq& ) Adressaten x x x x x x x Abraham x x Henoch x Hiob x Väter x Gott x Gerechtigkeit (Wortgruppe dikai& ) Adressaten x x x x x x x Gott-Abraham x x x Gott-Henoch x Gott-Noah x Gott-Mose x Gott-Hiob x Gott-David x Gott-Väter x x x Gott-Presbyter x Grundelemente des semantischen Feldes Anrechnen / Anerkennen (Wortgruppe logi,zomai( euvri,skein( dikaio,w 156 ( prosagoreu,w( martur&( euvares$k%& und evklog& ) Gott-Adressat x (x) x x x x Abraham (Isaak) x Opfer darbringen (Wortgruppe qusi,a , prosfe,rw , prosa,gw ) Isaak (sich selbst) x Abraham x x Isaak u. Jakob x Gem. Erw. Verheißung (z.T. erben), Wort Gottes ( evpaggel& , klhr&( r`h/ ma / lo,goj qeou/ ) Adressaten x x x x 156 Die Formen von dikaio,w sind hier aufgeführt, weil sie funktional dieselbe Verwendung finden, wie logi,zomai und eu`ri,skw (vgl. Abschn. 3.1.4). <?page no="329"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 315 Elemente Bezug (meist Subjekt) 1,1-3,4 9,2-4 10,1-7 11,1-12,8 13,1-15,7 17,1-18,17 9,1; 19,1 26,1-27,7 30,6-32,4 35,1-12 44,1-6 58,1-2 60,4 62,2-63,1 Abraham (Nachkommen, Land) x x Isaak u. Jakob (Nachkommen) x Väter x Segensgüter erlangen (Wortgruppe euvlog& , mega& ) Adressaten x Freund Gottes ( fi,loj qeou/ ) Abraham x x Abraham x Henoch x Gehorsam (Wortgruppe u`pak& , avpaiq& ) Adressaten x x x x x Abraham x Lot x Rahab x Erw. 1Clem 10,1-7 Gastfreundschaft ( filoxeni,a( avfiloxeni,a ) Adressaten x x Abraham x Jakob x Väter x x Presbyter x 30,6-32,4 Demut (Wortgruppe: tapeino& ) Adressaten x x x x x Nachdem die Perikopen 1Clem 10,1-7 und 1Clem 30,6-32,4 als Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 ausgewiesen worden sind, soll nun von ihnen aus versucht werden, das erweiterte semantische Feld der Rezeption von Gen 15,6 im 1. Clemensbrief zu ermitteln. In der Tabelle sind dazu die Grundelemente (einschließlich der inhaltlichen Synonyme) und die Erweiterungen zusammengestellt. Die mit Hilfe der Konkordanz ermittelten Texte geben dabei nur die signifikantesten Stellen wieder, an denen die Elemente des erweiterten semantischen Feldes der Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 im 1. Clemensbrief vorkommen. 157 Daraus soll nun unter ausgewählten Gesichtspunkten nach der spezifischen Bedeutung der Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 im Mitteilungsgeschehen des 1. Clemensbriefes gefragt werden. 157 Siehe die einschlägige Tabelle im Anhang. <?page no="330"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 316 3.1.1 Die paränetische Charakteristik des semantischen Feldes und der Konflikt in Korinth Wie die tabellarische Übersicht über das erweiterte semantische Feld der Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 durch ihre Anordnung andeutet, lässt sich die Verwendung der einzelnen Elemente vor allem im Blick auf ihre Bezugsworte (meistens als Subjekt) unterscheiden. Dem breiten Schriftgebrauch im 1 Clemensbrief entsprechend, bilden die Gestalten der Heiligen Schrift (Henoch, Noah, Abraham, Lot, Isaak, Jakob, Mose, Raab, David und Hiob) die größte Gruppe derer, auf die der Verfasser die Elemente des erweiterten semantischen Feldes bezogen hat. Daneben erscheinen die presbu,teroi und vor allem die Adressaten des 1. Clemensbriefes selber als Bezugsgrößen. Dabei fällt auf, dass in allen Fällen die Elemente des erweiterten semantischen Feldes neben dem Bezug auf eine biblische Gestalt auch einen Bezug auf die Adressaten des Schreibens aufweisen. 158 Es liegt darin die spezielle paränetische Charakteristik des semantischen Feldes. Der breite Schriftgebrauch dient letztlich einzig der paränetischen Intention des Verfassers im Blick auf den Konflikt in Korinth, der den Anlass zu seinem Schreiben bildet. 159 Auch wenn die Breite der Darstellung und die „Buntheit an Themen“ 160 (besonders in 1Clem 4-38) einen direkten Bezug auf den Anlass nicht immer leicht erkennen lassen, kann die gedankliche Kohärenz trotzdem anhand der entsprechenden semantischen Felder nachgewiesen werden. Die Zitate, Paraphrasen und Anspielungen auf die Schrift sind „offenbar mit Sorgfalt ausgewählt, mit Fleiß zusammengestellt (und) mit Absicht gehäuft“ 161 . Die Heilige Schrift als Wort Gottes und Ausdruck seines Willens dient dem Verfasser zur Legitimation seiner Paränese: „In correction of the scandalous situation in Corinth, Clement skillfully employs the most effective weapon known to him, the direct application of the timeless oracles of God.“ 162 Die vielfach festgestellte nahtlose Übernahme der Schrift im 1. Clemensbrief ist wahrscheinlich auf ihre „so herausragende Belehrungs- 158 In der Tabelle scheint lediglich das Element fi,loj tou/ qeou/ eine Ausnahme zu bilden. Dieser Ehrentitel wird tatsächlich nicht auf die Adressaten angewendet, findet aber über das Element »Anrechnen, Anerkennen« einen entsprechenden Bezug. 159 Vgl. Grant/ Graham: Fathers, 32; Hagner: Use, 132 160 Lona: Clemensbrief, 24. 161 Wrede: Untersuchungen, 61. 162 Hagner: Use, 132. Vgl. dazu auch Lona: Clemensbrief, 30; Snyman: Proofs, 90; Wrede: Untersuchungen, 60. <?page no="331"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 317 funktion“ 163 zurückzuführen. Die Schrift bezeugt die Ordnungen Gottes, „die mit der Kraft der göttlichen Autorität den Lebenswandel der Gläubigen aller Zeiten bestimmen“ 164 . In wieweit der Verfasser diese Ordnungen Gottes in der Gemeinde von Korinth gefährdet sieht, ist in gewissen Grenzen dem Schreiben selber zu entnehmen. Nach 1Clem 44,4-6 kommt der Konflikt darin zum Ausdruck, dass in Korinth einige Presbyter ihres Amtes enthoben wurden. Urheber dieser sta,sij (vgl. 1Clem 1,1; 46,9; 51,1; 54,2; 57,1) sind offenbar nur wenige Leute (vgl. 1Clem 1,1; 47,6), ihre Folgen betreffen aber nach der Meinung des Verfassers die gesamte Gemeinde (vgl. 1Clem 46,9; 47,6). 165 Entsprechend wendet sich die Kritik des Verfasser auch nicht allein an die Urheber des Konflikts, sondern speziell auch an die suneudokou/ ntej auvtoi/ j (1Clem 35,6). Worum es bei dem Konflikt im Einzelnen geht, ist aus dem Text nicht zu erheben. 166 Perikopen wie 1Clem 44,1-6 lassen aber vermuten, dass nicht Fragen der Orthodoxie und auch nicht die Absetzung bestimmter Presbyter die eigentliche Gefahr darstellen, sondern die Frage des kirchlichen Amtes überhaupt zur Disposition steht. 167 VEirh,nh und o`monoi,a als die vom Verfasser avisierten Ziele seiner e; nteuxij (vgl. 1Clem 63,2) sind wohl als ekklesiologische Größen aufzufassen: „Der Verfasser ist bemüht zu zeigen, auf welche Weise die gottgewollte Ordnung der Kirche hergestellt werden muss.“ 168 Welche Funktion den Elementen des erweiterten semantischen Feldes der Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 in diesem Zusammenhang zukommt, ist im Folgenden zu untersuchen. 3.1.2 »Glaube«, »Verheißung« und »Segen« Der Wortstamm pist& zeigt bei seinen 39 Vorkommen im 1. Clemensbrief eine große Bandbreite an Bezügen zu anderen Elementen des semantischen Feldes. Besonders das Substantiv pi,stij erscheint häufig in einer Reihe mit Substantiven, die als »christliche Tugenden« angesehen werden können: So erscheint pi,stij beispielsweise in 1Clem 3,4 zusammen mit dikaiosu,nh( eivrh,nh und fo,boj ; in 1Clem 5,6-7 zusammen mit dikaiosu,nh ; in 1Clem 35,2 163 Lona: Clemensbrief, 48. 164 Lona: Clemensbrief, 47. 165 Vgl. Lona: Clemensbrief, 78. 166 Eine Übersicht über die verschiedenen Forschungspositionen bietet L ONA (vgl. ders.: Clemensbrief, 79f). 167 Vgl. Lindemann: Clemensbriefe, 16. 168 Lindemann: Clemensbriefe, 21. <?page no="332"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 318 zusammen mit dikaiosn,nh( avlh,qeia( parrhsi,a( pepoi,qhsij( evgkra,teia und a`giasmo,j ; in 1Clem 62,2 zusammen mit avga,ph( evgkra,teia( swfrosu,nh( u`pomonh,( dikaiosu,nh( avlh,qeia( makroqumi,a( o`monoou/ ntej( avga,ph( eivrh,nh( evpiei,keia und tapeinofronou/ ntej und in 1Clem 64,1 zusammen mit fo,boj( eivrh,nh( u`pomonh,( makroqumi,a( evgkra,teia( a`gnei,a und swfrosu,nh . 169 An diesen Stellen erscheint der Wortstamm pist& als eine Größe unter vielen 170 , ohne dass sich eine spezifische inhaltliche Füllung ausmachen ließe, was häufig zur pauschalen Feststellung eines - gemessen an der paulinischen Literatur - defizitären Glaubensverständnisses im 1. Clemensbrief geführt hat. Im Blick auf die Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 ist zunächst festzuhalten, dass die zahlreichen Verbindungen der Grundelemente pist&( dikai& und logid& in diesen Aufreihungen »christlicher Tugenden« in keinem Fall die charakteristischen Verbindungen des semantischen Feldes von Gen 15,6 aufweisen. Umgekehrt sind die Stellen des erweiterten semantischen Feldes der Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 besonders durch die Verbindung zu den Wortfeldelementen »Verheißung« und »Segen« gekennzeichnet, die als gemeinsame Erweiterungen der Konkretisationen in 1Clem 10,1-7 und 1Clem 30,6-32,4 nachzuweisen sind. Besonders für 1Clem 10,1-7 konnte die Analyse aufzeigen, dass der Wortstamm pist& im Zusammenhang des Abrahambeispiels eng auf Gottes Segensverheißung bezogen ist. Die dort herausgearbeitete Argumentationsstruktur zeigt Abrahams Vertrauen als Reaktion auf Gottes Verheißungswort (vgl. 1Clem 10,6), das durch wörtliche Aufnahme der Gottesrede aus Gen 12,1b-3; 13,14a; 15,5 LXX angeführt wird. Inhalt der Verheißung ist die Zusage des Segens durch Land (vgl. 1Clem 10,4) und zahlreiche Nachkommenschaft (vgl. 1Clem 10,3.5.6). In 1Clem 30,6-32,4 wird diese Verheißung erneut aufgegriffen und von Abraham aus über die Erzväter Isaak und Jakob ausgeweitet (vgl. 1Clem 32,2). Isaaks pepoi,qhsij (1Clem 31,3) ist dabei ebenfalls auf Gottes Verheißung zu beziehen. Inhaltlich beschreibt der Wortstamm pist& in diesem Zusammenhang die menschliche Reaktion auf Gottes Verheißungswort (vgl. 1Clem 42,3) als »Vertrauen«, »Zuversicht« und »Hoffnung« auf Gottes zukünftiges Heils- 169 Vgl. Bakke: Concord, 109 (Anm. 528). 170 Darin liegt aber gerade auch der Hauptunterschied zur Tugendlehre der griechischen Philosophie, die eine klare hierarchische Ordnung der Tugenden kennt. „Clement on the other hand, reckons up virtues in a deliberately unsystematic fashion, virtues which are not distinct from one another“ (Andrén: Rättfrädighet, 211). Vgl. dazu auch Abschn. 3.1.4. <?page no="333"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 319 handeln. Im Zusammenhang mit den Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 ist der Wortstamm pist& also sehr wohl inhaltlich näher bestimmbar: „With this quotation Abraham’s faith is understood in light of the promise from God.“ 171 Dass dieses Vertrauen berechtigt ist und sich lohnt, zeigen die Beispiele der Erzväter dadurch, dass diese die verheißenen Segensgüter tatsächlich erlangt haben (vgl. 1Clem 10,7; 32,2). Im Blick auf die Adressaten soll diese in der Heiligen Schrift verbürgte Tatsache zur Nachahmung motivieren (vgl. 1Clem 17,1). Die Verheißung, deren zukünftige Erfüllung die Adressaten voll »Vertrauen«, »Zuversicht« und »Hoffnung« erwarten sollen, ist die Auferstehung (vgl. 1Clem 26,1), die Erlösung durch Jesu Tod und Auferstehung: o[ti dia. tou/ ai[matoj tou/ kuri,ou lu,trwsij e; stai pa/ sin toi/ j pisteu,ousin kai. evlpi,zousin evpi. to.n qeo,n (1Clem 12,7b). Der Grund für diese Hoffnung liegt in erster Linie in Gottes unverfügbaren Willen (vgl. 1Clem 32,3) und seiner eigenen Treue zu den Verheißungen: Tau,th| ou=n th/ | evlpi,di prosdede,sqwsan ai` yucai. h`mw/ n tw/ | pistw/ | evn tai/ j evpaggeli,aij kai. tw/ | dikai,w| evn toi/ j kri,masin (1Clem 27,1). 172 Der Glaube ist damit auch im Blick auf das Erlösungswerk Christi theologisch (und nicht christologisch) qualifiziert und kann spannungsfrei mit dem Glauben der Erzväter verbunden werden (vgl. 1Clem 34,4): „ pi,stij bezeichnet im Grunde das unbedingte »Vertrauen» auf Gott, das Menschen zu allen Zeiten verwirklicht haben.“ 173 3.1.3 »Gehorsam«, »Demut« und »Gastfreundschaft« als lebenspraktische Realisation des »Glaubens« Neben Gottes souveränem Willen und der Treue zu seiner Verheißung wird vom Verfasser im Beispiel der Erzväter aber auch das »Vertrauen« selber und die lebenspraktische Realisation desselben durch »angemessenes Verhalten« als Grund für die Erfüllung der Segensverheißung ausgemacht (vgl. 1Clem 10,7; 31,2) und den Adressaten zur Nachahmung empfohlen. Im Zu- 171 Moxnes: Theology, 192. 172 1Clem 27,1 zeigt, dass der Verfasser durchaus auch von der Treue Gottes zu seiner Verheißung her denkt. Im Blick auf die Konkretisationen der Rezeption tritt dieser Gedanke aber hinter die Fokussierung der Reaktion Abrahams auf die Verheißung zurück. Von daher ist M OXNES Recht zu geben, wenn er trotz einiger Berührungen die Differenz zum Hebräerbrief hervorhebt: „In 1 Clem. 10: 1-2, 7, there is none of the emphasis upon God and his faithfullness to his promise which was so important in the parallel passages in Hebrews 11“ (ders.: Theology, 191). Vgl. dazu auch Abschn. 3.2. 173 Lindemann: Paulus, 186. <?page no="334"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 320 sammenhang mit den Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 ist besonders auf »Gehorsam«, »Demut« und »Gastfreundschaft« einzugehen. Der Gehorsam gegenüber Gottes Wort (1Clem 10,1: u`ph,koon gene,sqai toi/ j r`h,masin tou/ qeou/ ) wird dabei von den meisten Auslegern ganz eng mit dem Glauben verbunden. So stellt beispielsweise B AKKE fest: „Faith is foremost faithfullness and obedience to the will of God. Clement’s use of Abraham as an example of faith and obedience in 1 Clem. 10 is illustrative.“ 174 Die Analyse von 1Clem 10,1-7 hat aber gezeigt, dass trotz der engen Verbindung von Glaube und Gehorsam beides nicht einfach in eins gesetzt werden kann. Es hat vielmehr das zu gelten, was K ITTEL für das Neue Testament über das Hören des Wortes Gottes geschrieben hat: „Die inhaltliche Bestimmung des Hörens ergibt sich, wie es in der Natur der Sache liegt, aus dem Inhalt der Botschaft. Da diese (…) immer Darbietung des Heils und sittliche Forderung in Einem ist, ist das Hören Aufnehmen der Gnade und Aufnehmen des Bußrufes [als Forderung nach der Umkehr zu angemessenem Verhalten (Erg. v. Verf.)]. Das bedeutet: Merkmal jenes wirklichen Hörens gegenüber dem bloßen physischen Hören sind allein: der Glaube (…) und das Tun (…).“ 175 Es ist also funktional zwischen dem Glaubensakt als Vertrauen in Gottes Verheißung und dem Gehorsam als Modus der lebenspraktischen Realisation dieses Vertrauens zu differenzieren, wenngleich beides eng zusammengehört: Abraham vertraute der Segensverheißung Gottes und folgte dem Anspruch der damit verbunden war. Die Bedeutung von »Gehorsam«, »Demut« und »Gastfreundschaft« als dem Willen Gottes gegenüber angemessenes Verhalten stehen speziell in 1Clem 9,1-19,1 176 im Mittelpunkt. Zu Beginn des Abschnitts führt der Verfasser mit der Aufforderung u`pakou,swmen th/ | magaloprepei/ kai. evndo,xw| boulh,sei auvtou/ (1Clem 9,1) das Thema ein. Es folgen die Beispiele der biblischen Gestalten Henoch, Noah und Abraham, die unter paränetischen Gesichtspunkten im Blick auf den Gehorsam zusammengestellt worden sind. 177 174 Bakke: Concord, 109. 175 Kittel: Art. avkou,w , 220. 176 Entgegen den üblichen Gliederungen muss der Einschnitt bereits hinter 1Clem 19,1 gesetzt werden. 1Clem 19,2-3 dienen der Überbzw. Einleitung zum folgenden Thema der göttlichen Schöpfermacht. Bei den Kapitel- und Verseinteilungen wären im ersten Clemensbrief „manche Umgruppierungen wünschenswert“ (Fischer: Väter, XIV). 177 Vgl. Wrede: Untersuchungen, 70. Wenngleich der Wortstamm u`pak& im Beispiel Noahs in 1Clem 9,4 nicht vorkommt, findet er sich doch in der früheren Behandlung dieser Gestalt in 1Clem 7,6 ( Nw/ e evkh,ruxen meta,noian( kai. oi` u`pakou,santej evsw,qhsan ), auf die der Verfasser zurückgreifen kann. Zu 1Clem 9,2-4 vgl. auch Abschn. 2.2. <?page no="335"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 321 Das Ziel der Paränese wird schon in einem Zwischenresümee in 1Clem 14,1f unübersehbar deutlich: Di,kaion ou=n kai. o[sion( a; ndrej avdelfoi,( u`phko,ouj h`ma/ j ma/ llon gene,sqai tw/ | qew/ | h' toi/ j evn avlazonei,a| kai. avkatastasi,a| muserou/ zh,louj avrchgoi/ j evxakolouqei/ n) bla,bhn ga.r ouv th.n tucou/ san( ma/ llon de. ki,ndunon u`poi,somen me,gan( eva.n r`iyokindu,nwj evpidw/ men e`autou.j toi/ j qelh,masin tw/ n avnqrw,pwn( oi[tinej evxakonti,zousin eivj e; rin kai. sta,seij( eivj to. avpallotriw/ sai h`ma/ j tou/ kalw/ j e; contoj) Die These lautet: Die Anerkennung der Führer des Aufstandes in Korinth widerspricht dem Gehorsam gegen Gott und bringt die gottgewollte Ordnung innerhalb der Gemeinde in Gefahr. Dabei wird erneut die Art des Schriftgebrauchs sichtbar. Die Worte und Beispiele der Heilige Schrift werden wörtlich genommen und direkt auf die gegenwärtige Situation angewendet: „Was Gehorsam gegenüber Gott bedeutet und wie er exemplarisch gelebt werde, kann jeder Leser an den biblischen Gestalten Henoch, Noah und Abraham ablesen.“ 178 Im Beispiel Abrahams in 1Clem 10,1-7 hat der Verfasser einen subtilen, für genaue Kenner der Heiligen Schrift aber deutlich sichtbaren und konkreten Bezug zur Situation in Korinth hergestellt, wenn er die Trennung zwischen Abraham und Lot anders als in Gen 13,14a LXX als von Abrahams Seite initiiert und aktiv vollzogen darstellt. 179 Ähnliches zeigt sich auch in der Darstellung des Konflikts zwischen Jakob und Esau (vgl. 1Clem 4,8, 31,4). Die paränetische Absicht im Blick auf den Konflikt in Korinth erschließt sich von 1Clem 54,1f her, wo der Verfasser den Aufrührern nahe legt, freiwillig auszuwandern, um den Frieden in der Gemeinde nicht zu gefährden. Wenn auch von den biblischen Gestalten hier Mose als Beispiel herangezogen wird, so soll sich der aufmerksame Leser sicher auch an Abraham und Jakob erinnert fühlen. Im Blick auf die Demut kommt die paränetische Anwendung auf den Konflikt in Korinth besonders in 1Clem 16,1 (vgl. auch 1Clem 15,1) zum Ausdruck: Tapeinofronou,ntwn ga.r evstin o` Cristo,j( ouvk evpeirome,nwn evpi. to. pei,mnion auvtou/ . Als herausragendes Beispiel für einen demütigen Lebenswandel wird zunächst Jesus selber angeführt (vgl. 1Clem 16,1-17), dann werden die biblischen Gestalten zur Nachahmung empfohlen, die das Kommen Christi verkündigten. Darunter zählt der Verfasser neben den 178 Lona: Clemensbrief, 42. Der Einwand von R ÄISÄNEN , dass der Verfasser „seine Sache unreflektiert zur Sache Gottes macht“ (ders.: Werkgerechtigkeit, 93), ist wohl nicht unberechtigt. Im Blick auf die Rezeptionsgeschichte ist es aber zunächst nur wichtig, die Intention und Strategie des Verfassers zu verstehen, nicht sie theologisch zu werten. 179 Vgl. Abschn. 2.2. <?page no="336"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 322 Propheten auch die memarturhme,noi (vgl. 1Clem 17,1). Als Beispiele werden dann Abraham, Hiob und Mose kurz (vgl. 1Clem 17,2.3.4-6) und David ausführlicher (vgl. 1Clem 18,1-17) behandelt, in dem der Verfasser ihrem großartigen Zeugnis ihre tiefe Demut gegenüberstellt. 180 Die direkte Anwendung auf den Konflikt in Korinth erfolgt dann unter Verweis auf die »Väter« in 1Clem 62,1, wenn der Verfasser dazu auffordert, den Nacken zu beugen, den Platz des Gehorsams einzunehmen und abzulassen vom nichtigen Aufruhr. Die Gastfreundschaft wird in 1Clem 10,7-12,8 thematisiert, wenn es heißt, dass Lot und Raab dia. filoxeni,an kai. euvse,beian bzw. pi,stin gerettet wurden, und dass Abraham dia. pi,stin kai. filoxeni,an im hohen Alter ein Sohn gegeben wurde. Für die Verhältnisbestimmung von Glaube und Gastfreundschaft gilt entsprechend, was oben zum Gehorsam ausgeführt worden ist. Die pi,stij Abrahams lässt sich in 1Clem 10,7a als Modus seiner filoxeni,a auffassen. Das deckt sich mit der für die Perikope analysierten Intention des Verfassers, während die grammatikalische Form als Anpassung an die stilistische Prägung der Beispielreihe in 1Clem 11,1-12,4 erklärt werden kann. 181 Im Blick auf das Mitteilungsgeschehen ist aber vor allem zu fragen, warum der Verfasser die »Gastfreundschaft« als dem Glauben angemessenes Verhalten hervorhebt. 182 Die tabellarische Übersicht über das erweiterte semantische Feld weist mit 1Clem 1,2 und 1Clem 35,5 zwei weitere Stellen aus, an denen der Wortstammes filoxen& gebraucht wird. In 1Clem 1,2 dient die filoxeni,a dem Verfasser zusammen mit euvse,beia und pi,stij zur Erinnerung der korinthischen Gemeinde an ihren früheren Zustand. 183 In 1Clem 35,5 fordert der Verfasser die Adressaten auf, die avfiloxeni,a 184 abzulegen, damit sie in der Zahl derer erfunden werden, die der verheißenen Geschenke teilhaftig werden. Hier steht das Beispiel Abrahams (aber auch das Lots und Raabs) ganz eindeutig im Hintergrund. Dass Abraham aufgrund von Glauben und Gastfreundschaft die verheißene Gabe der zahllosen Nachkommenschaft in der Geburt Isaaks geschenkt wurde, soll die Ad- 180 Vgl. dazu den Exkurs nach Abschn. 2.3. 181 Vgl. dazu Abschn. 2.2 und 2.3. 182 Eine Übersicht über die unterschiedlichen Forschungspositionen zu dieser Frage bietet C HADWICK (vgl. ders.: Justification, 281-290). 183 Vgl. Lona: Clemensbrief, 198. 184 Hierbei handelt es sich um ein Hapax legomenon (vgl. Lona: Clemensbrief, 31). Der Verfasser könnte es als Negativbegriff zu filoxeni,a selber geschaffen haben. <?page no="337"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 323 ressaten zu eben diesem Verhalten motivieren und zu den Verhältnissen vor dem Aufstand in Korinth zurückführen. Am Ende des Abschnitts 1Clem 9,1-19,1 wird das Ergebnis der Ausführungen zum Thema »Gehorsam und Demut gegenüber dem Willen Gottes« zusammengefasst: Tw/ n tosou,twn ou=n kai. toiou,twn ou[twj memarturhme,nwn to. tapeino,fron kai. to. u`podee.j dia. th/ j u`pakoh/ j ouv mo,non h`ma/ j( avlla. kai. ta.j pro. h`mw/ n genea.j belti,ouj evpoi,hsen( tou,j te katadexame,nouj ta. lo,gia auvtou/ en fo,bw/ | kai. avlhqei,a|) Es geht dem Verfasser um die gottgewollte Ordnung in Gehorsam und Demut, zu der die Adressaten umkehren sollen. Er blickt deshalb in der Geschichte zurück auf die, die den Adressaten auf diesem Weg vorausgegangen sind. Dass der Weg der beispielhaft angeführten Gestalten der richtige ist, erschließt sich dem Verfasser aus dem Zeugnis, das ihnen zu Teil wurde und ihre Anerkennung bei Gott zum Ausdruck bringt. 3.1.4 »Rechtfertigung« und »Anerkennung« bei Gott In der tabellarischen Übersicht zum erweiterten semantischen Feld der Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 im 1. Clemensbrief ist das Verb dikaio,w doppelt aufgeführt. Es erscheint zunächst in der Wortgruppe dikai& , wo es mit sechs von insgesamt 59 Belegen nur wenig ins Gewicht fällt. Der Großteil der Belege entfällt auf das Adjektiv di,kaioj (24 Belege) und das Substantiv dikaiosu,nh (15 Belege), deren Gebrauch sich mit dem des Substantivs pi,stij berührt: „Clement includes the word in serveral lists of virtues, but a comparison with Greek philosophy shows that dikaiosu,nh is there treated as one of the cardinal virtues, with subsidiary virtues. Clement, on the other hand, reckons up virtues in a deliberatly unsystematic fashion, virtues which are not distinct from one another.“ 185 Wie bei pi,stij ist auch hier keine einheitliche inhaltliche Bestimmung für den 1. Clemensbrief auszumachen. Es zeigt sich aber eine deutliche Verbindung zum Anlass des Schreibens, in dessen Folge dikaiosu,nh kai. eivrh,nh in Korinth in weiter Ferne sind (vgl. 1Clem 3,4): »Gerechtigkeit« „belongs to the picture of peace and order which Clement has before him continually, and which is presented in various aspects in the course of the letter.“ 186 Im Blick auf die Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 ergeben sich z.T. ganz andere Wortfeldverbindungen. So belegt der Verfasser in 185 Andrén: Rättfärdighet, 211. 186 Andrén: Rättfärdighet, 213. <?page no="338"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 324 1Clem 10,6 mit dem Zitat von Gen 15,6 LXX, dass Abrahams Vertrauen als Reaktion auf die göttlichen Segensverheißungen Anerkennung bei Gott gefunden hat, weil Gott Abrahams Glauben zur Gerechtigkeit angerechnet hat. Wie die Analyse gezeigt hat, wird dieser Gedanke in 1Clem 32,4 erneut aufgenommen und mit dem Verb dikaio,w zum Ausdruck gebracht. 187 Dabei stellt besonders die Perikope 1Clem 30,6-32,4 die »Rechtfertigung« bzw. die »Anrechnung zur Gerechtigkeit« durch die thematische Einleitung mit e; painoj und marturi,a (vgl. 1Clem 30,6.7) in den weiteren Rahmen der Frage nach der Anerkennung des Menschen vor Gott. Es geht dem Verfasser darum, dass e; painoj nur dann wirklichen Wert hat, „wenn er nicht allgemeines menschliches Urteil, bürgerliche Beurteilung ist, sondern wenn er Anerkennung, Bejahung des Menschen durch Gott ist.“ 188 In 1Clem 10,1-7 kann durch die Parallelität der Verse 1Clem 10,1.6 das pisto,j eu`re,qh als Ausdruck der Anerkennung Abrahams vor Gott angesehen werden. Die im Exkurs nach Abschnitt 2.3 behandelte Stelle 1Clem 17,2 macht das vollends deutlich. Das hervorragende Zeugnis, das Abraham (von Gott) erhalten hat, besteht darin, dass ihm sein Glaube zur Gerechtigkeit angerechnet bzw. er als gläubig erfunden wurde. Seine Bezeichnung als »Freund Gottes« in 1Clem 10,1 und 1Clem 17,2 unterstreicht das zusätzlich. Für das erweiterte semantische Feld der Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 legt es sich von daher nahe, das Verb dikaio,w bei »Anrechnen/ Anerkennen« erneut aufzuführen und neben der Wortgruppe logid& (aus dem semantischen Grundwortfeld) auch all die Wortgruppen aufzuführen, die mit der Anerkennung des Menschen vor Gott im Zusammenhang stehen. Für die Frage nach der Bedeutung dieser Wortgruppe für das Mitteilungsgeschehen des 1. Clemensbriefes sind neben dikaiou/ sqai( logi,zesqai( eu`ri,skesqai( fi,loj prosagoreu,esqai und marturei/ sqai noch die dazu z.T. inhaltlich synonym gebrauchten Verben euvarestei/ n und evkle,gesqai in die tabellarische Übersicht aufgenommen worden. Entsprechend dem umfassenden Schriftgebrauch im 1. Clemensbrief erscheinen insgesamt dann auch wieder die biblischen Gestalten als wichtige Bezugsgruppe. Neben Abraham heißt es von Henoch und Noah, dass sie als gerecht bzw. gläubig erfunden wurden (vgl. 1Clem 9,3.4). Mose, Hiob und David werden vom Verfasser 187 Anders hingegen A NDRÉN , der die Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 in 1Clem 10,6 in einer Linie mit 1Clem 30,3 interpretiert. Demnach hat Abraham sich so verhalten, dass er sich als Gerechter zeigt: „Rättfärdiggörelsen synes alltaså i 10: 6 vara tolkad på ett sätt som överensstämmer med 30: 3. Abraham har betett sig så, att han visar sig som rättfärdig“ (Andrén: Rättfärdighet, 93). 188 Preisker: Art. e; painoj , 583f. <?page no="339"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 325 neben Abraham angeführt, weil sie wie er ein (großartiges) Zeugnis erhalten haben (vgl. 1Clem 17,1-18,17). Der paränetischen Charakteristik des semantischen Feldes entsprechend, werden diese »Väter« vom Verfasser dann sowohl mit den Presbytern wie auch mit den Adressaten in Beziehung gesetzt, wobei neben der »Anrechnung/ Anerkennung« regelmäßig auch andere Elemente des erweiterten semantischen Feldes gebraucht werden. So macht der Verfasser gleich zu Beginn seines Schreibens deutlich, dass der Aufstand in Korinth nicht nur abscheulich und gottlos ist, sondern den evklektoi, tou/ qeou/ eigentlich fremd sein müsste (vgl. 1Clem 1,1), was er dann ausführlich an den verschiedenen Beispielen zeigt. Diese Vorbilder machen deutlich, dass es die Gerechten sind, die zu den Auserwählten Gottes zählen (vgl. 1Clem 46,4). Gerecht aber ist es, Gottes Willen nicht zu verlassen (vgl. 1Clem 21,4), ungerecht dagegen, dass die gerechten und angesehenen Presbyter in Korinth abgesetzt wurden (vgl. 1Clem 44,3; 45,3). So erscheint der Gerechte „as the peaceable and loyal member of the people of God“ 189 . Denn es ist notwendig, sich den Presbytern unterzuordnen, um in der Herde Christi dazugerechnet erfunden zu werden (vgl. 1Clem 57,2). 190 . Diese Weisung des Verfassers sollten die Adressaten schon um ihrer selbst willen beherzigen, weil andernfalls ihre Erlösung in Gefahr gerät (vgl. 1Clem 59,1). Die Aufforderung in 1Clem 58,2 ist entsprechend deutlich: de,xasqe th,n sumboulh.n h`mw/ n( kai. e; stai avmetame,lhta u`mi/ n) (…) o` poih,saj evn tapeinofrosu,nh| metV evktenou/ j evpieikei,aj avmetamelh,twj ta. u`po. tou/ qeou/ dedome,na dikaiw,mata kai. prosta,gmata( ou-toj evntetagme,noj kai. evllo,gimoj e; stai eivj to,n avriqmo.n tw/ n swzome,nwn dia. VIhsou/ Cristou/ (…) ) Zu betonen ist hier aber erneut, dass soteriologische Aussagen im Zusammenhang der Paränese zu werten sind und eben nicht notwendig dem Vergeltungsschema und der Verdienstlehre Raum schaffen. 191 „Das alles wird direkt den »Urhebern des Aufruhrs« (57,1) gesagt, um in ihnen eine Sinnesänderung hervorzurufen. 57,2 und 58,1 zeigen, dass es sich um Paränese handelt - um eine Warnung, dass man nicht aus dem Heil herausgeworfen werden soll“ 192 . Es ist daher auch nicht angemessen, aus dem Gebrauch von 189 Andrén: Rättfärdighet, 210. 190 Hier findet sich eine direkte Kombination der für die Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 in 1Clem 10,1-7 wichtigen Wortstämme logid& (vgl. 1Clem 10,6) und eu`risk& (vgl. 1Clem 10,1): a; mainon ga.r evsti.n u`mi/ n( evn tw/ | poimni,w| tou/ Cristou/ mikrou.j kai. evllogi,mouj eu`reqh,nai( h' kaqV u`peroch.n dokou/ ntaj evkrifh/ nai evk th/ j evlpi,doj auvtou/ ) 191 Vgl. Wolf: Gesetz, 1520. 192 Räisänen: Werkgerechtigkeit, 84. <?page no="340"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 326 dikaio,w im 1. Clemensbrief dessen soteriologische Konzeption erheben zu wollen. Der Verfasser will die Adressaten nicht darüber belehren, wie die Gerechtigkeit vor Gott zustande kommt, sondern hat es sich zur Aufgabe gemacht, sie daran zu erinnern, welches das angemessene Verhalten der aufgrund des Glaubens Gerechtfertigen ist. 193 Auch ist hier noch die Engführung auf den Konflikt in Korinth zu betonen. Es geht nicht um allgemeine christliche Ethik, sondern ganz speziell um die Aufrechterhaltung der Ordnung der Kirche in Korinth. »Rechtfertigung« und »Anerkennung« bei Gott haben die Funktion, das vom Verfasser angemahnte Verhalten der Adressaten als gottgewollt zu charakterisieren und damit dringlich zu machen. Paradigmatisch deutlich wird das in der Schlussmahnung (1Clem 62,1-63,1): 62,1 peri. me.n tw/ n avvnhko,ntwn th/ | qrhskei,a| h`mw/ n kai. tw/ n wvfelimwta,twn eivj evna,reton bi,on toi/ j qe,lousin euvsebw/ j kai. dikai,wj dieuqu,nein( i`kanw/ j evpestei,lamen u`mi/ n( a; ndrej avdelfoi,) 62,2 peri. ga.r pi,stewj kai. metanoi,aj kai. gnhsi,aj avga,phj kai. evgkratei,aj kai. swfrosu,nhj kai. u`pomonh/ j pa,nta to,pon evyhlafh,samen( u`pomimnh,skontej dei/ n u`ma/ j evn dikaiosu,nh| kai. avlhqei,a| kai. makroqumi,a| tw/ | pantokra,tori qew/ | o`si,wj euvarestei/ n( o`monoou/ ntaj avmnhsika,kwj evn avga,ph| kai. eivrh,nh| meta. evktenou/ j evpieikei,aj( kaqw.j kai. oi` prodedhlwme,noi pate,rej h`mw/ n euvhre,sthsan tapeinofronou/ ntej ta. pro.j to.n pate,ra kai. qeo.n kai. kti,sthn kai. pa,ntaj avnqrw,pouj) 62,3 kai. tau/ ta tosou,tw| h[dion u`pemnh,samen( evpeidh. safw/ j h; |deimen gra,fein h`ma/ j avndra,sin pistoi/ j kai. evllogimwta,toij kai. evgkekufo,sin eivj ta. lo,gia th/ j paidei,aj tou/ qeou/ ) 63,1 qemito.n ou=n evsti.n toi/ j toiou,toij kai. tosou,toij u`podei,gmasin proselqo,ntaj u`poqei/ nai to.n tra,chlon kai. to.n th/ j u`pakoh/ j to,pon avnaplhrw/ sai( o[pwj h`suca,santej th/ j matai,aj sta,sewj evpi. to.n prokei,menon h`mi/ n evn avlhqei,a| skopo.n di,ca panto.j mw,mou katanth,swmen) Hier sind die verschiedenen Aspekte der vorangegangenen Paränesen mit Blick auf den Anlass des Schreibens zusammengefasst: (1) Es liegt in der Absicht des Verfassers, den Adressaten darzulegen, welches Verhalten als lebenspraktische Realisation des Glaubens der christlichen Gottesverehrung angemessen ist (vgl. 1Clem 62,1). (2) Welches Verhalten dem Glauben entspricht, soll sich den Adressaten von denen her erschließen, die Gott gefallen, d.h. bei Gott Anerkennung gefunden haben. Verwiesen wird dazu ausdrücklich auf die ausführlich be- 193 Vgl. Räisänen: Werkgerechtigkeit, 87. <?page no="341"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 327 handelten Gestalten der »Väter«, deren gerechtes und frommes Leben besonders in ihrer Demut zum Ausdruck kommt (vgl. 1Clem 62,2). (3) „Es ist nicht der Zweck des Briefes, bei den Adressaten Glauben zu wecken.“ 194 Schließlich gehören (oder wenigstens gehörten) sie zu den gläubigen und hoch angesehenen Männern in Korinth. Der Verfasser braucht sie lediglich zu erinnern und angesichts der aktuellen Krise zu ermahnen (vgl. 1Clem 62,3). (4) Die zahlreichen Vorbilder zeigen unmissverständlich an, was zu tun notwenig ist. Die Adressaten sollen den Platz des Gehorsams einnehmen und von dem Aufruhr ablassen, damit sie wie jene an das Ziel der Erlösung gelangen (vgl. 1Clem 63,1). 3.2 Das erweiterte semantische Feld im 1. Clemensbrief und die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 War aus methodischen Gründen bislang auf traditionskritische Vergleiche mit anderen Konkretisationen der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 verzichtet worden, sind diese jetzt unter einer bestimmten Perspektive nachzuholen. Der Vergleich dient der Ermittlung des Grades an Innovation bzw. Tradition, der in der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 im Jakobusbrief zutage tritt, um die Funktion der Konkretisation im Mitteilungsgeschehen des Briefes im Blick auf die sozialhistorischen Bedingungen des Rezeptionsprozesses weiter zu profilieren. 3.2.1 Abraham in traditionellen Paradigmenreihen Paradigmenreihen durchziehen den gesamten 1. Clemensbrief. So ist nicht auffällig, dass in allen Fällen, in denen in dieser Schrift auf die Person Abrahams zurückgegriffen wird, das formal im Rahmen einer Paradigmenreihe geschieht. In 1Clem 17,1-18,17 erscheint Abraham neben Hiob und Mose, die den Adressaten zur Nachahmung empfohlen werden, weil sie ein gutes Zeugnis empfangen haben. In 1Clem 30,6-32,4 erscheint Abraham in der Paradigmenreihe der klassischen Väter-Trias »Abraham-Isaak-Jakob«, die als Beispiele dafür angeführt werden, dass sie die erlangten Segensgüter nicht ihrem eigenen Handeln, sondern dem Willen Gottes verdanken. In beiden Fällen hat die rezeptionsästhetische Analyse herausgearbeitet, dass die Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 in diesen Perikopen von der Konkretisation der Stelle in 1Clem 10,1-7 abhängig sind. Der rezepti- 194 Räisänen: Werkgerechtigkeit, 81. <?page no="342"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 328 onsgeschichtliche Vergleich wird sich daher auf eben diese Perikope konzentrieren. Die Analyse hat aufgezeigt, dass 1Clem 10,1 formal als drittes Glied der in 1Clem 9,2 begonnenen Paradigmenreihe angesehen werden kann, für die die parallele Konstruktion pisto,j bzw. di,kaioj eu`reqh/ nai (1Clem 9,4; 10,1 bzw. 1Clem 9,3) charakteristisch ist und die neben Abraham noch Henoch und Noah als Beispiele anführt. Gleichzeitig kann der letzte Vers des Abschnitts über Abraham als erstes Glied einer dreigliedrigen Beispielreihe angesehen werden, die durch die parallele Konstruktion dia. pi,stin kai. filoxeni,an bzw. dia. filoxeni,an kai. euvse,beian (1Clem 10,7; 12,1 bzw. 1Clem 11,1) zusammengehalten wird und neben Abraham noch Lot und Rahab anführt. Für beide Paradigmenreihen gibt es innerhalb der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 interessante Parallelen. So finden sich für Paradigmenreihen mit Abraham hinter Henoch und Noah Beispiele im Buch Jesus Sirach und im Hebräerbrief: Enwc euvhre,sthsen kuri,w| kai. metete,qh u`po,deigma metanoi,aj tai/ j geneai/ j Nwe eu`re,qh te,leioj di,kaioj evn kairw/ | ovrgh/ j evge,neto avnta,llagma dia. tou/ ton evgenh,qh kata,leimma th/ | gh/ | o[te evge,neto kataklusmo,j diaqh/ kai aivw/ noj evte,qhsan pro.j auvto,n i[na mh. evxaleifqh/ | kataklusmw/ | pa/ sa sa,rx Abraam me,gaj path.r plh,qouj evqnw/ n kai. ouvc eu`re,qh o[moioj evn th/ | do,xh| o]j suneth,rhsen no,mon u`yi,stou kai. evge,neto evn diaqh,kh| metV auvtou/ evn sarki. auvtou/ e; sthsen diaqh,khn kai. evn peirasmw/ | eu`re,qh pisto,j dia. tou/ to evn o[rkw| e; sthsen auvtw/ | evneuloghqh/ nai e; qnh evn spe,rmati auvtou/ plhqu/ nai auvto.n w`j cou/ n th/ j gh/ j kai. w`j a; stra avnuyw/ sai to. spe,rma auvtou/ kai. kataklhronomh/ sai auvtou.j avpo. qala,sshj e[wj qala,sshj kai. avpo. potamou/ e[wj a; krou th/ j gh/ j (Sir 44,16-21). Pi,stei ~Enw.c metete,qh tou/ mh. ivdei/ n qa,naton( kai. ouvc hu`ri,sketo dio,ti mete,qhken auvto.n o` qeo,jÅ pro. ga.r th/ j metaqe,sewj memartu,rhtai euvaresthke,nai tw/ | qew/ |\ cwri.j de. pi,stewj avdu,naton euvaresth/ sai\ pisteu/ sai ga.r dei/ to.n proserco,menon tw/ | qew/ | o[ti e; stin kai. toi/ j evkzhtou/ sin auvto.n misqapodo,thj gi,netaiÅ Pi,stei crhmatisqei.j Nw/ e peri. tw/ n mhde,pw blepome,nwn( euvlabhqei.j kateskeu,asen kibwto.n eivj swthri,an tou/ oi; kou auvtou/ diV h-j kate,krinen to.n ko,smon( kai. th/ j kata. pi,stin dikaiosu,nhj evge,neto klhrono,mojÅ Pi,stei kalou,menoj VAbraa.m u`ph,kousen evxelqei/ n eivj to,pon o]n h; mellen lamba,nein eivj klhronomi,an( kai. evxh/ lqen mh. evpista,menoj pou/ e; rcetaiÅ Pi,stei parw,|khsen eivj gh/ n th/ j evpaggeli,aj w`j avllotri,an evn skhnai/ j katoikh,saj meta. VIsaa.k kai. VIakw.b tw/ n sugklhrono,mwn th/ j evpaggeli,aj th/ j auvth/ j\ 10 evxede,ceto ga.r th.n tou.j qemeli,ouj e; cousan po,lin h-j tecni,thj kai. dhmiourgo.j o` qeo,j (Hebr 11,5-10). Im Beispiel Henochs zeigen sich inhaltlich starke Parallelen zwischen 1Clem 9,3, Hebr 11,5 und Sir 44,16. Das formale Charakteristikum der <?page no="343"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 329 Reihe im 1. Clemensbrief ( pisto,j bzw. di,kaioj eu`reqh/ nai ) findet sich hingegen nicht. Im Beispiel Noahs ist das anders. Hier findet sich in Sir 44,17 die Konstruktion Nwe eu`re,qh te,leioj di,kaioj und auch die inhaltliche Ausgestaltung des Beispiels ähnelt 1Clem 9,4 deutlich. Hebr 11,7 hingegen setzt inhaltlich einen etwas anderen Akzent, der sich von der Charakterisierung des Glaubens in Hebr 11,1 her erklärt. Insgesamt ergeben die Nähen und Differenzen zwischen den Paradigmenreihen im Blick auf die Figuren Henoch und Noah in inhaltlicher als auch in formaler Hinsicht ein recht uneinheitliches Bild. Ähnliches gilt für das Abrahambeispiel. 1Clem 10,1 und Hebr 11,8 zielen auf den Zusammenhang von Glaube und Gehorsam ohne besondere formale Prallelen aufzuweisen. In Sir 44,20 findet sich hingegen die Konstruktion eu`re,qh pisto,j , die hier inhaltlich auf die Versuchung Abrahams aus Gen 22 bezogen ist, während in 1Clem 10,1 dieselbe Konstruktion inhaltlich mit Abrahams Gehorsam zum Auszug aus Haran verbunden wird. Auch hier ergibt der Vergleich kein einheitliches Bild. Insgesamt ist aber mit Sicherheit von traditionsgeschichtlichen Verbindungen zwischen den genannten Paradigmenreihen auszugehen, die sich besonders in den inhaltlichen Parallelen niederschlagen. Direkte literarische Abhängigkeiten durch Übernahme von Konstruktionsmerkmalen einer Reihe oder ganzer Glieder einer Reihe erscheinen hingegen unwahrscheinlich. Einzig für 1Clem 9,4 und Sir 44,20 wäre das denkbar, aber auch hier sind die Prädikate, die Noah zugeschrieben werden ( pisto,j bzw. di,kaioj ) verschieden. Die Vorlage einer durchgängigen eu`re,qh pisto,j bzw. di,kaioj Reihe ist in den einschlägigen Beispielen so jedenfalls nicht gegeben. Für die Kombination der biblischen Figuren Abraham und Raab in 1Clem 10,7-12,7 in traditionellen Paradigmenreihen können der Jakobusbrief und der Hebräerbrief als Prallelen angeführt werden. Im Hebräerbrief erscheinen Abraham (vgl. Hebr 11,8-12.17-19) und Raab (vgl. Hebr 11,31) innerhalb einer thematischen Reihe, welche die pi,stij zum Gegenstand hat. Von Raab wird festgehalten, dass sie durch ihren Glauben nicht mit den Ungehorsamen umkam, weil sie die Kundschafter in Frieden aufgenommen hatte. Im Vergleich zu 1Clem 12,1-7 fallen im Beispiel der Raab drei Parallelen auf: (1.) Der Glaube Raabs und ihre Aufnahme der Kundschafter wird als Grund für ihre Rettung genannt. (2.) Die formale Struktur der Beispiele in den Reihen (Hebr: pistei))) / 1Clem: dia. pi,stin kai. filoxeni,an))) ) ist dabei ähnlich. (3.) Die Kundschafter werden entsprechend der Septuagintafassung von Jos 2 als katasko,poi bezeichnet. Diese Übereinstimmung fällt deshalb auf, weil in der Konkretisation der Rezeption von <?page no="344"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 330 Gen 15,6 im Jakobusbrief ebenfalls Abraham und Raab als Beispiele herangezogen werden, wobei die Kundschafter abweichend von Jos 2 als avgge,loi bezeichnet werden (s.u.). In Bezug auf die formalen Charakteristika der Reihe und das Raabbeispiel erscheint eine Verbindung zwischen dem Hebräerbrief und dem 1. Clemensbrief als recht gut denkbar. Der Einfluss auf das Abrahambeispiel und speziell die Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 ist aber eher gering einzuschätzen. Während sich im Hebräerbrief eine vom Verfasser selbst geschaffene, sehr durchdachte und stringent durchgezogene Beispielreihe findet, in die sowohl das Abrahamals auch das Raabbeispiel organisch eingepasst sind, hat der Verfasser des 1. Clemensbriefes das Abrahambeispiel zwar formal an beide Beispielreihen (1Clem 9,2-4 bzw. 10,7-12,7) angeschlossen, dessen inhaltliche Ausgestaltung aber deutlich eigenständig und der Gesamtintention seines Schreibens angemessen angelegt. Der Einfluss des Hebräerbriefs muss also auf das Raabbeispiel beschränkt gedacht werden. Die Frage nach möglichen Verbindungen zwischen dem 1. Clemensbrief und dem Jakobusbrief ist im Zusammenhang des Jakobusbriefes schon ausführlich erörtert worden. 195 Dort wurde festgehalten, dass die Kombination der biblischen Figuren Abraham und Raab im Zusammenhang der Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 formal wie inhaltlich zu wenig Ähnlichkeiten aufweisen, als dass von einem großen Einfluss der zugrunde liegenden Traditionen auszugehen wäre. Die von D AVIDS angeführte traditionelle Verbindung der beiden Figuren über die filoxeni,a ist textlich nur im 1. Clemensbrief, nicht aber im Jakobusbrief belegt. Auffällig ist zudem die Beobachtung, dass im Jakobusbrief die Kundschafter als avgge,loi bezeichnet werden, während sie im 1. Clemensbrief - wie auch im Hebräerbrief - als katasko,poi bezeichnet werden, dem Wortstamm, den auch die Septuaginta verwendet (vgl. Jos 2,1.2.3 LXX). Selbst wenn man für die Auswahl der Figuren eine christlich vermittelte jüdischen Tradition verantwortlich machen wollte, muss die sprachliche Ausgestaltung der Beispiele doch eindeutig den jeweiligen Verfassern zugeschrieben werden. 3.2.2 Abraham als »Freund Gottes« Wie im Jakobusbrief verbindet sich im 1. Clemensbrief die Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 mit der Ehrenbezeichnung Abrahams als »Freund Gottes«. Allerdings ist die Verbindung im 1. Clemensbrief lange 195 Vgl. Kap. VI, Abschn. 3.2.1. <?page no="345"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 331 nicht so eng wie im Jakobusbrief. Sie findet sich in 1Clem 10,1 und in 1Clem 17,2 als traditionelles Element ohne besonderes Gewicht für den Argumentationszusammenhang. Da der Frage nach dem traditionsgeschichtlichen Ort dieser Ehrenbeizeichnung im Zusammenhang des Jakobusbriefes schon ausführlich nachgegangen worden ist, soll hier der Verweis darauf genügen. 196 3.2.3 Abraham und die »Bindung Isaaks« Die forschungsgeschichtliche Einordnung hat auf die hermeneutischen Probleme aufmerksam gemacht, die mit der Frage nach dem Verhältnis von Gen 15,6 und Gen 22 in der Rezeptionsgeschichte verbunden sind. Im ersten Clemensbrief finden sich Konkretisationen der Rezeption von Gen 22 in 1Clem 10,7 und 1Clem 31,3. Letztere Stelle ist von der rezeptionsästhetischen Analyse als Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 ausgeschlossen worden, weshalb sie hier nicht weiter behandelt zu werden braucht. 197 Für 1Clem 10,1-7 hat die rezeptionsästhetische Analyse herausgearbeitet, dass die Konkretisation der Rezeption von Gen 22 neben der ausführlichen Erläuterung in 1Clem 10,2b-6 als weiteres Beispiel für Abrahams Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes angeführt wird. Sie bezieht sich daher ebenfalls auf die in 1Clem 10,1 aufgestellte anaphorische These, die Abrahams gesamtes Leben in den Blick nimmt. So wird Abraham auch als treu erfunden, indem er Gott durch die Darbringung seines Sohnes Gehorsam ist, aber es wird gerade nicht „die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit (…) aus der Treue Abrahams bei dem Opfer seines Sohnes abgelesen.“ 198 In der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 finden sich mehrere Texte, die Konkretisationen der Rezeptionen von Gen 15,6 und Gen 22 miteinander verknüpfen. Auf Jesus Sirach und das 1. Makkabäerbuch ist im Zusammenhang des Jakobusbriefs schon ausführlich eingegangen worden, weswegen hier der Verweis darauf genügen soll. 199 Ein markantes Beispiel für die Zusammenstellung von Konkretisationen, die der in 1Clem 10,1-7 stark ähnelt, findet sich allerdings in einem Text- 196 Vgl. Kap. VI, Abschn. 3.2.2. 197 Hingewiesen sei aber dennoch auf eine interessante Parallele zu Ant I,223-225, wo ähnlich wie in 1Clem 31,3 Isaak bei seiner Darbringung als Opfer eine aktive Rolle spielt, die durch einen Einblick in die seinem Handeln zugrunde liegende Motivation erklärt wird. 198 Lona: Clemensbrief, 199. 199 Vgl. Kap. VI, Abschn. 3.2.3. <?page no="346"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 332 fragment aus Qumran. In 4Q225 Frag. 2, Kol. I 200 folgt auf die Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 ebenfalls eine Notiz über die Geburt Isaaks und dann die Behandlung der Opferung Isaaks. Wie in den oben genannten Beispielen steht allerdings auch hier der Versuchungscharakter - personifiziert durch die Gestalt des Mastemah - im Vordergrund, wovon in 1Clem 10,1-7 keine Spur zu finden ist. 3.2.4 Abraham und Gottes Verheißung und Segen Die rezeptionsästhetische Analyse hat gezeigt, dass der Wortstamm pist& im Zusammenhang der Abrahambeispiele - insbesondere in 1Clem 10,1-7 - eng auf Gottes Segensverheißung (von Land und Nachkommenschaft) bezogen ist. Abrahams Vertrauen gründet in der Hoffnung auf Gottes zukünftiges Heilshandeln und wird vor allem dadurch als berechtigt ausgewiesen, dass er die versprochenen Heilsgüter dann auch tatsächlich erhalten hat. Abrahams Vertrauen realisiert sich in seinem Leben vor allem in Gehorsam, Demut und Gastfreundschaft. Hier liegt das Argumentationsziel des Verfassers, der diese »Tugenden« seinen Adressaten zur Beilegung des Konfliktes in Korinth ans Herz legen möchte. Innerhalb der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 finden sich die Erweiterungen Verheißung und Segen im Kontext der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 vor allem im Hebräerbrief. Im Gegensatz zum 1. Clemensbrief steht dabei aber nicht der Inhalt der Segensverheißungen im Mittelpunkt sondern dessen Form als Schwur Gottes. Abrahams Vertrauen gründet im Hebräerbrief in der Treue und Zuverlässigkeit Gottes, die in seinem Schwur ihren unüberbietbaren Ausdruck findet. Abrahams Vertrauen zeigt sich besonders in seiner Fähigkeit zum geduldigen Ausharren trotz der existentiellen Anfechtungen seines Lebens. Wie im 1. Clemensbrief liegt die Stoßrichtung der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 auch im Hebräerbrief in der Paränese: Das geduldige Ausharren und Festhalten an Gottes Verheißungen sollen die Adressaten von Abraham lernen, um nicht vom Glauben abzufallen, sondern den Anfechtungen ihres Lebens mutig entgegen zu treten. Die Ähnlichkeiten zwischen dem 1. Clemensbrief und dem Hebräerbrief bestehen neben den Erweiterungen des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6 vor allem in der paränetischen Strategie des Verfassers. Dabei ist weniger von einer irgendwie gearteten literarischen Abhängigkeit auszuge- 200 Näheres zu diesem Text in Abschn. 3.2.6. <?page no="347"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 333 hen als vielmehr von einer Parallelität in den sozialhistorischen Rezeptionsbedingungen: Der Konflikt um die Autorität der Presbyter in Korinth bzw. die Sorge um die schwindenden Gemeindeglieder und den Abfall vom überlieferten Glauben führen zu einer ähnlichen paränetischen Strategie. Gottes Verheißungstreue wird den Adressaten als Grund für Abrahams Vertrauen und dessen lebenspraktische Realisation in Gehorsam, Demut und Gastfreundschaft bzw. in geduldigem Ausharren vorgestellt und dringend zur Nachahmung empfohlen. 3.2.5 Abraham als Vorbild für Gehorsam, Demut und Gastfreundschaft An dieser Stelle ist zu klären, ob die Frage, warum der Verfasser »Gehorsam«, »Demut« und »Gastfreundschaft« als dem Glauben angemessenes Verhalten so stark hervorhebt, mit Hilfe des rezeptionsgeschichtlichen Vergleichs beantwortet werden kann. Was die Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 im untersuchten Literaturbereich angeht, kann festgehalten werden, dass keine Wortgruppe der Elemente »Gehorsam«, »Demut« und »Gastfreundschaft« in irgendeiner Konkretisation nachgewiesen werden kann. Die Erweiterung des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6 mit diesen Elementen ist im 1. Clemensbrief singulär. Dass hinter anderen Passagen des Abrahamzyklus’ Einstellungen und Verhaltensweisen Abrahams auszumachen sind, die als Gehorsam (bes. Gen 12; 22), Demut (bes. Gen 23) oder Gastfreundschaft (bes. Gen 18) bezeichnet werden können, ist davon unbenommen. Entscheidend ist aber, dass sich - außer im 1. Clemensbrief - in den Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 keine entsprechenden Erweiterungen des semantischen Feldes finden, die textlich darauf hinweisen, dass der Verfasser diese »Tugenden« als für seine Mitteilungsabsicht wichtig angesehen hat. Im Rahmen einer subjektperspektivisch-objektorientierten Rezeptionsästhetik ist daher davon auszugehen, dass »Gehorsam«, »Demut« und »Gastfreundschaft« nur im 1. Clemensbrief eine für die sozialhistorischen Rezeptionsbedingungen wichtige Rolle spielen. Die Frage, warum der Verfasser »Gehorsam«, »Demut« und »Gastfreundschaft« als dem Glauben angemessenes Verhalten so stark hervorhebt, ist also allein aus dem Mitteilungsgeschehen des 1. Clemensbriefs zu erheben und nicht mit Hilfe des rezeptionsgeschichtlichen Vergleichs. <?page no="348"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 334 3.2.6 Das semantische Grundwortfeld von Gen 15,6 Was das semantische Grundwortfeld in der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 in 1Clem 10,6 angeht, so fällt zunächst auf, dass hier der Kontext von Gen 15,1-6 LXX einbezogen ist. Neben Gen 15,6 LXX wird auch Gen 15,5 LXX zitiert, wodurch die Verbindung von Abrahams Glauben und Gottes Verheißungen noch einmal deutlich zum Ausdruck kommt (s.o.). Für die Erweiterung des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6 durch das semantische Feld von Gen 15,5 gibt es innerhalb der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 lediglich drei Belege. Den ersten Beleg stellt Philos Traktat Quis rerum divinarum heres sit dar, der Gen 15,1-18 versweise auslegt. Die Auslegungen von Gen 15,5 und Gen 15,6 finden sich in Her 75-89 bzw. Her 90-95. Als Vergleich zu 1Clem 10 bieten sie sich nicht gut an, da die versweise Auslegung hier den Zusammenhang herstellt und nicht die absichtsvolle Zusammenstellung des Verfassers, wie das im 1. Clemensbrief der Fall ist. Ähnliches gilt auch für das äthiopische Jubiläenbuch, das Gen 15,1-21 zusammenhängend nacherzählt: 1 Und nach diesen Geschehnissen, im vierten Jahr dieser Jahrwoche, am Neumond des dritten Monats, geschah die Stimme des Herrn an Abram im Traum, indem er sagte: »Fürchte dich nicht, Abram, ich werde dich schützen, und ich werde dich sehr reichlich ehren.« 2 Und er sagte: »Herr, Herr, was wirst du mir geben, und ich werde ohne Kinder einhergehen? Und der Sohn Maseqs, der Sohn meiner Sklavin, das ist Damaskos, Eliezer, er wird mich beerben. Und mir hast du keinen Samen gegeben. Gib mir Samen! « 3 Und er sagte zu ihm: »Dieser wird dich nicht beerben, sondernder, der von deinem Schoß kommen wird. Er wird dich beerben.« 4 Und er führte ihn hinaus und sagte zu ihm: »Blicke an den Himmel und zähle die Sterne, ob du sie zählen kannst! « 5 Und er blickte den Himmel an, und er sah die Sterne. Und er sagte zu ihm: »So wird dein Same sein.« 6 Und er glaubte dem Herrn, und es wurde ihm als Gerechtigkeit gezählt (Jub 14,1-6). 201 Die Nacherzählung von Gen 15,5 weist gegenüber dem Masoretischen Text und dem Text der Septuaginta eine Erweiterung auf, die berichtet, wie Abraham der Aufforderung Gottes, den Sternenhimmel zu betrachten, nachkommt und unter dem Eindruck dieses Bildes die Verheißung hört: So wird dein Same sein (Jub 14,5). Die Wiedergabe von Gen 15,6 folgt in der passivischen Formulierung der zweiten Vershälfte der Septuaginta, wählt allerdings für das logi,zesqai ein Wort passend zum Kontext des Zählens der Sterne: es wurde ihm als Gerechtigkeit gezählt (Jub 14,6b). 202 Die Konkretisation der 201 Text nach der Übersetzung von Klaus Berger (vgl. ders.: Buch, 402). 202 Vgl. Berger: Buch, 402, Anm. 6a. <?page no="349"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 335 Rezeption von Gen 15,6 ähnelt insofern der in 1Clem 10,6 als - hier wie dort - das Vertrauen Abrahams in Gottes Verheißungswort als direkte Reaktion auf dasselbe herausgestellt wird. Beim dritten Beleg für eine Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 im Kontext von Gen 15 handelt es sich um ein hebräisches Fragment aus Qumran, das von J.T.M. M ILIK zusammen mit weitern Texten als Pseudojubiläenbuch charakterisiert wurde. 203 Bei 4Q225 Frag. 2 Kol. I handelt es sich um eine Nacherzählung von Gen 15,1-6, die im Vergleich zum äthiopischen Jubiläenbuch allerdings deutlich eklektischer und freier gestaltet ist: Ayhh [ Xp ] nh trkt t [ ] [ ] 1 Hn [ X ] ~ [ y ] rX[ ! rxb b [ Xy ] hym [ [ brqm ] 2 [ rz[ ] ylaw yrr[ ab ynnh ynda ~yhwla la ~hrb [ a rmayw ] 3 ynXryw hawh [ ytyb ! b ] 4 harw ~ybkwkh ta apc aX ~hr [ b ] a la yn [ da rma ] 5 ~a yk #rah rp[ taw ~yh tpX l[ rXa lwkh [ ta rwpsw ] 6 [ ! ym ] ayw hk[rz hyhy hkk awl ~a [ @ ] aw hla ~yn [ mn wyhy ] 7 ! k [ yr ] xa ! b dlwyw hqdc wl bXxtw ~ [ yh ] wla [ b ~hrba ] 8 hmj [ X ] mh rX awbyw qxsy wmX ta arqyw ~ [ hrbal ] 9 ~yhwl [ a ] rmayw qxXyb ~hrba ta ~yXXyw ~yhw [ la la ] 10 [ rXa hk ] dyxy ta qxXy ta hknb ta xq ~h [ rba la ] 11 ~y [ hwbgh ] ~yrhh dxa l[ hlw[l yl whl[hw ht [ bha hta ] 12 [ hyrwm r ] h l[ twrabh ! m [ $ ] l [ yw ~w ] qyw hkl [ rmwa rXa ] 13 ta [ ~hr ] ba aXyw [ ] l [ ] 14 Die Nacherzählung von Gen 15,1-6 folgt direkt auf eine Aussage über einen zwanzigjährigen Aufenthalt in Haran. Für diese chronologische Angabe gibt es für Abraham weder in der Genesis noch im äthiopischen Jubiläenbuch einen Beleg. Es wäre allerdings möglich, dass in Zeile 2 von Jakob die Rede ist, für den die Chronologien der Genesis und des äthiopischen Jubiläenbuchs übereinstimmend einen Aufenthalt von zwanzig Jahren in Haran belegen (vgl. Gen 31,38.41; Jub 27,19; 29,5). 204 Da der Text unvollständig ist und keinen Namen nennt, muss die Frage, wessen Aufenthalt in Haran gemeint ist, offen bleiben. Ab Zeile 3 geht es dann allerdings sicher um Abraham. Von Gen 15 werden die Verse 2, 3, 5 und 6 in der Nacherzählung bedacht. Interessant ist zunächst die Erweiterung des göttlichen Verheißungswortes vom »Sternenhimmel« (vgl. Gen 15,5) um das Bild vom »Sand am Ufer des Meeres« und dem »Staub der Erde« (vgl. Z. 5.6). Es scheint als hätte der Verfasser hier alle Bilder für die zahllose Nachkommenschaft Abrahams zusammengebracht. 203 Vgl. Attridge u.a.: Qumran 4.VII, 142. 204 Vgl. Attridge u.a.: Qumran 4.VII, 148. <?page no="350"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 336 Beim Bild vom »Sand am Ufer des Meeres« könnte es sich um die Konkretisation der Rezeptionen von Gen 22,17 handeln, beim Bild vom »Staub der Erde« um die Konkretisation einer Rezeption von Gen 13,16. 205 Letztere hat auch in der nächsten Zeile die Nacherzählung von Gen 15,5 beeinflusst. Während im Text der Genesis in Gen 15,5 die rhetorische Frage an Abraham gerichtet wird, ob er die Sterne am Himmel zählen kann, ist in Gen 13,16 zu lesen, dass derjenige, der den Staub der Erde zählen kann, auch Abrahams Nachkommenschaft wird zählen können. Der Verfasser von 4Q225 hat beides miteinander kombiniert: hk[rz hyhy hkk awl ~a [ @ ] aw hla ~yn [ mn wyhy ] ~a yk Im Blick auf den 1. Clemensbrief ist die Kombination der Konkretisationen der Rezeptionen von Gen 13 und Gen 15 von besonderer Bedeutung, da sich eine solche Kombination auch in 1Clem 10 findet. Überhaupt teilen 1Clem 10 und 4Q225 Frag. 2 Kol. I die Anhäufung von Konkretisationen der Rezeption göttlicher Verheißungen an Abraham. Die Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 in 4Q225 Frag. 2 Kol. I zeigt interessante Abweichungen zum Masoretischen Text des Verses. In der ersten Vershälfte fällt zunächst auf, dass die Wurzel ! ma hier nicht im Perfekt sondern im Narrativ des Hipfil erscheint, was dem Aorist evpi,steusen in der Septuagintafassung entspricht. Das Vertrauen Abrahams kann somit als dessen Reaktion auf die vorangegangenen Verheißungen angesehen werden. Außerdem wird Abraham als Subjekt explizit genannt und das indirekte Objekt ist ~yhwlab (vgl. tw/ | qew/ | in Gen 15,6a LXX) und nicht hwhyb (vgl. Gen 15,6a MT). In der zweiten Vershälfte findet sich die Wurzel bXx nicht im Qal, sondern im Niphal, womit sich eine eindeutig passive Formulierung ( hqdc wl bXxtw ) ergibt, die eine hebräische Entsprechung zum Text der Septuaginta ( kai. evlogi,sqh auvtw/ | eivj dikaiosu,nhn ) darstellt und die im Masoretischen Text offene Frage nach dem Subjekt von Gen 15,6b eindeutig beantwortet. Für den Vergleich mit dem 1. Clemensbrief wichtiger ist allerdings der Fortgang der eklektischen Nacherzählung der Abrahamerzählung nach der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6. Nachdem Abrahams Vertrauen als Reaktion auf Gottes Verheißung dargestellt wurde, das wiederum Gottes Anerkennung fand, wird die Geburt Isaaks erzählt (vgl. Z. 8-9). Es handelt sich hierbei um nicht mehr als eine kurze Notiz, die die Erfüllung der Nach- 205 Am Rande sei erwähnt, dass beide Bilder der Erweiterung auch im Zusammenhang mit Jakob (vgl. oben die Frage nach dem zwanzigjährigen Aufenthalt in Haran) gebraucht werden (vgl. Gen 28,14; 32,13). <?page no="351"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 337 kommensverheißung belegt. Danach wendet sich die Erzählung schnell der Darbringung Isaaks als Opfer zu. Vergleicht man diese Abfolge in den Zeilen 5 bis 12 mit der Zusammenstellung der Konkretisationen in 1Clem 10,5- 7, so zeigt sich eine genaue Entsprechung. Nimmt man alle diese Beobachtungen zusammen, so kann man sich 4Q225 sehr gut als Referenztext zu 1Clem 10 vorstellen. Eine direkte literarische Abhängigkeit ist eher unwahrscheinlich, da der 1. Clemensbrief in hohem Maße mit direkten Zitaten aus der Septuaginta arbeitet. Als traditionsgeschichtlicher Hintergrund für die Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 im 1. Clemensbrief muss 4Q225 aber mit großer Sicherheit angenommen werden. Neben dem Kontext von Gen 15,1-6 bei der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 im 1. Clemensbrief ist im Blick auf das semantische Grundwortfeld noch den Abweichungen von den überlieferten Textfassungen der Septuaginta nachzugehen, die der 1. Clemensbrief auffälliger Weise mit dem Jakobusbrief (vgl. Jak 2,23) und dem Römerbrief (vgl. Röm 4,3) gemeinsam hat. Die rezeptionsästhetische Analyse hat gezeigt, dass der Verfasser bei den Konkretisationen der von ihm rezipierten Texte aus den Abrahamerzählungen der Genesis zwischen göttlichen Verheißungen in wörtlicher Rede und den entsprechenden Situationsbzw. Umstandsbeschreibungen unterscheidet. Für die Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 ist herausgearbeitet worden, dass sie auf der Ebene der stärker redaktionell gestalteten Schilderung des Umstandes des Verheißungsgeschehens liegt. Die Abweichungen lassen sich auf diesem Hintergrund als redaktionelle Eingriffe des Verfassers in die Rezeptionsvorlage erklären: Der Anschluss durch die Partikel de, unter Auslassung von kai, kennzeichnet den Vers strukturell als Schilderung der Folgen des Verheißungsgeschehens. Im Gegensatz zum Jakobus- und Römerbrief, wo Gen 15,6 LXX jeweils durch eine Einleitungsformel deutlich als Zitat gekennzeichnet ist, wird der Vers im 1. Clemensbrief geschickt in die Abhandlung über Abrahams Umgang mit den göttlichen Verheißungen eingearbeitet. Von daher ist anzunehmen, dass die Abweichungen von der Septuaginta im 1. Clemensbrief von der Hand des Verfassers gezielt vorgenommen wurden. Eine literarische Abhängigkeit der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 in 1Clem 10 von Jak 2,23 oder Röm 4,3 ist daher sicher nicht anzunehmen. Davon unbenommen ist allerdings davon auszugehen, dass der Gebrauch des Verbs dikaio,w als Substitut für die Konkretisation der Rezeption des zweiten Teilverses von Gen 15,6 in 1Clem 32,4 vom Sprachgebrauch des Paulus beeinflusst ist (vgl. Röm 5,1). <?page no="352"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 338 3.3 Die Funktion des erweiterten semantischen Feldes im Mitteilungsgeschehen des 1. Clemensbriefs und ihr sozialhistorischer Kontext Die Betrachtung des erweiterten semantischen Feldes der Rezeption von Gen 15,6 in 1Clem 10,1-7 und 1Clem 30,6-32,4 hat aufgezeigt, wie deutlich die Perikopen sich in das Thema des Schreibens einfügen. Wenigstens in dieser Hinsicht ist den Positionen zu widersprechen, die dem Verfasser des 1. Clemensbriefes mangelnde gedankliche Kohärenz unterstellen. Für die untersuchten semantischen Felder steht jedenfalls fest, dass sie durchgängig - häufig sehr geschickt und manchmal gar subtil - auf den Konflikt in Korinth als Zweck des Schreibens ausgerichtet sind. Es zeigt sich nämlich, dass die Erweiterungen des semantischen Feldes von Gen 15,6 in den Konkretisationen der Rezeption dieses Verses zum größten Teil an anderer Stelle paränetisch auf die Situation der Adressaten des Schreibens bezogen werden. Der Verfasser bemüht sich darum, am Beispiel Abrahams aufzuzeigen, wie die Ordnung Gottes - wie sie in der Heiligen Schrift zum Ausdruck kommt - in der Gemeinde von Korinth wiederhergestellt werden kann und muss. Abrahams pi,stij kommt dabei insbesondere als Vertrauen in die Segensverheißungen Gottes in den Blick, die Abraham Land und Nachkommenschaft in Aussicht stellen. Die Adressaten, die seine Zuversicht und Hoffnung auf Gottes zukünftiges Heilshandeln teilen, werden ermahnt, wie er den Glauben praktisch zu bewähren. Bei ihnen sind es nicht Land und Nachkommenschaft, die ihnen verheißen werden, sondern die Erlösung durch Jesu Blut und die Auferstehung zum ewigen Leben. Sie sollen den Angesprochenen Motivation sein, sich dem göttlichen Wort zu unterstellen und sich der gottgewollten Ordnung der Gemeinde zu fügen. Dass Abraham die ihm verheißene Nachkommenschaft tatsächlich erlangt hat, dient dem Verfasser als Beleg dafür, dass sich das von ihm geforderte Verhalten auch wirklich lohnt, weil Gott treu zu seiner Verheißung steht. Dabei ist aber zu betonen, dass Abraham den Adressaten nicht deshalb ein Vorbild ist, weil er aufgrund seines Gehorsams, seiner Demut oder seiner Gastfreundschaft gerechtfertigt wurde. Hier ist zunächst das Ergebnis der Analyse der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 in ihrem näheren Kontext zu bedenken. Im Argumentationszusammenhang von 1Clem 10,1-7 macht diese nämlich deutlich, dass Abrahams Vertrauen als direkte Reaktion auf Gottes Verheißung zu werten ist, die dann Gottes Anerkennung findet und Abraham zur Gerechtigkeit angerechnet wird. Die Konkretisation in 1Clem 32,4 bestätigt diesen Zusammenhang. <?page no="353"?> Kapitel VIII: Gen 15,6 im 1. Clemensbrief 339 Der Verfasser empfiehlt seinen Adressaten das Tun des aufgrund seines Glaubens gerechtfertigten und damit besonders ausgezeichneten Erzvaters zur Nachahmung. An Abrahams Beispiel sollen sie erkennen, wie sich das Vertrauen in Gottes Verheißung in Gehorsam, Demut und Gastfreundschaft lebenspraktisch realisieren kann und soll: Bezog sich Abrahams Gehorsam in 1Clem 10,1-7 auf den Auszug aus seinem Vaterland und die Bereitschaft zur Opferung seines Sohnes, so werden die Adressaten aufgefordert, sich den Strukturen und Hierarchien in der Gemeinde zu unterwerfen und den Aufstand in Korinth nicht zu unterstützen. Den Verantwortlichen für den Aufruhr legt der Verfasser nahe, zum Wohl der Gemeinde auszuwandern, wie sich - in seiner Darstellung von Gen 13 - einst Abraham von Lot trennte, um den Frieden in der Familie nicht zu gefährden. Für die Rezeption von Gen 15,6 zeigt sich so ihre enge Einbindung in die paränetische Absicht des Verfassers. Das Schriftwort Gen 15,6 erscheint bewusst gewählt und entsprechend der Intention in die Argumentation eingearbeitet. Das ist besonders in Bezug auf die Texte zu betonen, mit denen der 1. Clemensbrief eine bis auf wenige Abweichungen identische Textgestalt des Zitates von Gen 15,6 LXX teilt. Während Röm 4,3 und Jak 2,23 auf einer von den bekannten Überlieferungen abweichenden Textgestalt von Gen 15,6 LXX beruhen, hat die rezeptionsästhetische Analyse nachgewiesen, dass die Textgestalt der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 in 1 Clem 10,6 von der Hand des Verfassers gezielt gestaltet wurde. Die Ergebnisse des rezeptionsgeschichtlichen Vergleichs stützen die Erkenntnisse der rezeptionsästhetischen Arbeit. Viele der Erweiterungen des semantischen Feldes der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 entstammen dem Strom der Abrahamtraditionen. So lassen sich Verbindungen zu den Paradigmenreihen im Buch Jesus Sirach und im Hebräerbrief aufzeigen, und auch die Rede von Abraham als »Freund Gottes« in 1 Clem 10,1 und 1 Clem 17,2 zeigt traditionellen Stoff an. Besonders ist jedoch 4Q225 als traditionsgeschichtlicher Hintergrund für den 1. Clemensbrief zu nennen: Die Häufung von Konkretisationen, die Abraham mit Gottes Verheißung in Zusammenhang setzen, die Kombination von Gen 13 und Gen 15, die Anführung der Geburt Isaaks als Beleg für die Erfüllung der Verheißung der Nachkommenschaft und die direkt daran anschließende Erwähnung der Bereitschaft Abrahams seinen Sohn als Opfer darzubringen, lassen sich in beiden Texten nachweisen. Trotz der vielen Übereinstimmungen ist von einer literarischen Abhängigkeit nicht auszugehen. Es ist zu erwägen, ob 4Q225 und der 1. Clemensbrief nicht in sozialhistorischer Hinsicht eine besondere Nähe aufweisen. Dazu fehlt hier aber die eingehende rezeptions- <?page no="354"?> Teil B: Beispiele einer sozialhistorischen Rezeptionsforschung 340 ästhetische Untersuchung von 4Q225. Im Blick auf den 1. Clemensbrief bleibt festzuhalten, dass die genannten Referenztexte deutlich die Einbettung der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 im 1. Clemensbrief in die diachrone Sprachkonventionalität der Abrahamtradition zeigen. Dabei fällt allerdings auf, dass gerade die Elemente, die für das Mitteilungsgeschehen des Schreibens von zentraler Bedeutung sind, in der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 singulär sind: Gehorsam, Demut und Gastfreundschaft lassen sich zwar als Abstraktionen hinter einzelnen Texten der Abrahamtradition feststellen, doch als textlich fassbare Erweiterungen einer Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 finden sie sich nur im 1. Clemensbrief. Diese Beobachtung ist von rezeptionsästhetischer Relevanz: Indem Abrahams Gehorsam, Demut und Gastfreundschaft von seinem Vertrauen als Reaktion auf Gottes Segensverheißung abgeleitet werden, zeigt sich an ihnen die Absicht des Verfassers, auf einer gemeinsamen traditionellen Grundlage mit den Adressaten die Notwendigkeit dieser Tugenden in der konkreten Situation der Adressaten herauszustellen. Durch das Zusammenspiel von Tradition und Innovation erscheint der Konflikt in der Gemeinde von Korinth hinter der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 und die Lösungsstrategien des Verfassers werden als sozialhistorische Rezeptionsbedingungen der Rezeption von Gen 15,6 im 1. Clemensbrief erkennbar. Im Vergleich mit dem Hebräerbrief zeigen sich aus rezeptionsästhetischer Sicht interessante Parallelen. Auch im Hebräerbrief kommt es dem Verfasser bei der Konkretisation seiner Rezeption von Gen 15,6 auf den Zusammenhang von Abrahams Glauben und der göttlichen Verheißung als Ermöglichungsgrund desselben an. Zwar ist im 1. Clemensbrief der Inhalt der Verheißung entscheidend, während im Hebräerbrief die Form der Verheißung als Schwur im Mittelpunkt steht, doch zielen beide Argumentationszusammenhänge darauf ab, den Adressaten die lebenspraktische Realisation des Glaubens Abrahams als nachahmenswert anzubefehlen: Im ersten Fall geht es um Gehorsam, Demut und Gastfreundschaft als göttliche Ordnungen für eine Gemeinde mit einem inneren Konflikt, im zweiten Fall geht es um Geduld und Standhaftigkeit angesichts äußerer Bedrängnis der Gemeinde. Die Ähnlichkeiten in der Konkretisation der Rezeptionen von Gen 15,6 weisen auf eine gewisse Nähe der Orte des Hebräerbriefs und des 1. Clemensbriefs in einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6. <?page no="355"?> Zusammenfassung und Ausblick: Auf dem Weg zu einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 in der neutestamentlichen Literatur Abschließend sollen noch einmal die Schritte nachgezeichnet werden, die mit dieser Untersuchung auf dem Weg zu einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 in der neutestamentlichen Literatur beschritten wurden: (1) Hermeneutische Probleme. Der Durchgang durch die einschlägige Literatur zur Erforschung des Verses Gen 15,6 und seiner Rezeptionen hat deutlich werden lassen, dass die Forschungsbeiträge hinsichtlich ihres hermeneutischen Ansatzes und ihres methodischen Vorgehens durchgängig spezifische Probleme erkennen lassen. So gehen beinahe alle Arbeiten zur Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 Text vergleichend vor. Einzelne Verse, die das Schriftwort zitieren, paraphrasieren oder darauf anspielen, werden mit der Textgestalt des Masoretischen Textes oder der Septuaginta verglichen. Aus den Übereinstimmungen und Unterschieden erwächst dann die Bewertung der Rezeption in normativer Abhängigkeit von der Rezeptionsvorlage. Dieses Verfahren ist aber wenigstens für Gen 15,6 aus zwei Gründen äußerst fraglich. Zum einen zeigt die Exegese von Gen 15,6 MT so wenig Konsens, dass sich ihre Ergebnisse als normative Grundlage des rezeptionsgeschichtlichen Vergleichs nur bedingt eignen. Vor allem die grammatikalisch-syntaktische Unterbestimmtheit des Verses im Blick auf die Subjektfrage innerhalb der zweiten Vershälfte verlangt nach einer Theorie und Methode, die der Offenheit in dieser Frage Rechnung trägt. Zum anderen besteht das Problem, dass die faktische Rezeptionsvorlage in fast allen Fällen unbekannt ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass keine der uns bekannten Textfassungen von Gen 15,6 sondern verschiedene schriftliche oder mündliche Traditionszusammenhänge im <?page no="356"?> Zusammenfassung und Ausblick 342 Rezeptionsprozess Verwendung fanden, ist sehr hoch. Auch hier ist in der Theorie und Praxis eine gewisse Offenheit von Nöten. Als weiteres spezifisches Problem zeigt sich in der einschlägigen Literatur zur Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 überdeutlich die Wirkung des hermeneutischen Zirkels. Die paulinischen Rezeptionen von Gen 15,6 erweisen sich für die gesamte Rezeptionsgeschichte des Verses als normative Leitabstraktionen. Die Identifizierung von Gen 15,6 mit der paulinischen »Rechtfertigung des Gottlosen« als deren locus classicus und die theologische Polarisierung der Rezeptionsgeschichte mit der vermeintlichen »Gerechtigkeit verdienstlicher Werke« des zeitgenössischen Judentums als Antithese zur Paulinischen Theologie sind wie ein unausgesprochenes axiomatisches Modell hinter vielen rezeptionsgeschichtlichen Arbeiten zu erkennen. (2) Theoretische und methodische Lösungen. Um den aufgezeigten hermeneutischen Anforderungen an eine Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 gerecht zu werden, wurde unter Rückgriff auf die literatur-theoretische Arbeit von G UNTER G RIMM und die von K LAUS B ERGER für die neutestamentliche Exegese entwickelte Theorie semantischer Felder die theoretische und methodische Grundlage einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 entwickelt. Sie wird durch sechs Bestimmungen charakterisiert: (I) Die Arbeit ist subjektperspektivisch-objektorientiert angeleget. Der methodische Ansatz bei der Untersuchung der Rezeptionen liegt nicht im Vergleich mit dem Rezeptionsobjekt, sondern in der Frage nach der spezifischen Funktion, die die Rezeption des Objekts für den Rezipienten hat. (II) Der materiale Gegenstand der Untersuchung ist nicht primär das Rezeptionsobjekt bzw. die entsprechende Rezeptionsvorlage, sondern sind die Konkretisationen als literarische Niederschläge der Rezeptionen von Gen 15,6. (III) Die Identifizierung der Konkretisationen erfolgt nicht anhand von Übereinstimmungen mit der Rezeptionsvorlage oder den Leitabstraktionen seiner theologischen Bedeutung, sondern durch empirisch-induktiven Nachweis des semantischen Feldes von Gen 15,6 im Rezeptionsprozess. (IV) Die rezeptionsästhetische Untersuchung der Konkretisationen erfolgt nicht einfach durch Vergleich mit anderen Konkretisationen, sondern durch sorgfältige Analyse der Funktion des semantischen Feldes von Gen 15,6 innerhalb der literarischen Äußerung des Rezipienten zur Aufdeckung der sozialgeschichtlich geprägten Rezeptionsbedingungen des Rezipienten. Erst danach erfolgt ein methodisch kontrollierter Vergleich mit dem entsprechenden semantischen Feld anderer Konkretisationen. <?page no="357"?> Zusammenfassung und Ausblick 343 (V) Ziel der Untersuchung ist nicht die Bestimmung der Werkadäquanz als vom Rezeptionsobjekt festgesetzte Bewertungsnorm, sondern die Erhellung der Funktion, die den Rezeptionen von Gen 15,6 bzw. ihren Konkretisationen in den spezifischen historischen Situationen der Rezipienten unter den jeweiligen sozialen Bedingungen zukommt. (VI) Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 im Blick auf die sozialhistorischen Rezeptionsbedingungen ist nicht die Geschichte dieses verschieden rezipierten Textes, sondern die Geschichte der Gen 15,6 rezipierenden Subjekte. (3) Potentielle Konkretisationen in der neutestamentlichen Literatur. Die Methode des empirisch-induktiven Nachweises des semantischen Feldes von Gen 15,6 wurde auf die neutestamentliche Literatur angewendet, wobei dazu diejenige Schriften der jüdisch-christlichen Tradition untersucht wurden, die in großer zeitlicher und inhaltlicher Nähe zu denen des Neuen Testaments entstanden sind. Konkret wurden die Schriften des Neuen Testaments, der sog. Apostolischen Väter, des jüdischen Historikers Flavius Josephus sowie die Spätschriften der neutestamentlichen Literatur und die Traktate der Mischna auf potentielle Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 hin untersucht. Aus dem Neuen Testament sind dabei das Lukasevangelium, die Apostelgeschichte, der Galater- und der Römerbrief, der Hebräerbrief und der Jakobusbrief eingehender besprochen worden. Als Ergebnis konnten Gal 3,1-14; Röm 4,1-25; Hebr 6,9-15; 11,11-12.17-19 und Jak 2,14-26 als potentielle Konkretisationen ausgewiesen werden. Von den Schriften der sog. Apostolischen Väter wurden der 1. Clemensbrief und der Barnabasbrief eingehend besprochen. In beiden Fällen konnten Perikopen ausgemacht werden, die als potentielle Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 gelten müssen, nämlich Barn 13,1-7 und 1Clem 10,1-7; 30,6-32,4. Aus dem Werk des Flavius Josephus haben sich die Antiquitates Judaicae als Erfolg versprechend erwiesen und Ant I,222-236 konnte als potentielle Konkretisation ausgemacht werden. Interessanter Weise handelt sich bei dieser Perikope nicht um die Nacherzählung von Gen 15,1-21, in der Gen 15,2-5 kurz und bündig zusammengefasst werden und Gen 15,6-8 überhaupt keine Erwähnung finden (vgl. Ant I,183-185). Stattdessen finden sich Spuren der Rezeption des Verses Gen 15,6, der dem Verfasser ohne Zweifel bekannt war, in der Nacherzählung von Gen 22. In den 63 Traktaten der Mischna finden sich kaum charakteristische Verbindungen des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6. Da auf den <?page no="358"?> Zusammenfassung und Ausblick 344 Traktat Avot die Hälfte der gesamten Belege des Namens Abraham in der Mischna entfallen, wurde dieser Traktat eingehender besprochen. Doch auch die Stellen Av V,2b und Av V,19 können nicht annähernd als potentielle Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 in Frage kommen. Die älteste rabbinische Quelle weist somit keinerlei Spuren einer Rezeption von Gen 15,6 auf. Die im zeitlichen Nacheinander ihres Entstehens nächste rabbinische Quelle, die sicher eine potentielle Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 enthält ist die Mekhilta de Rabbi Yishma’el (vgl. MekhY 2,3), die allerdings schon außerhalb des Untersuchungsbereichs liegt. Von den Spätschriften der neutestamentlichen Literatur wurden lediglich die Thomasakten und das Protevangelium des Jakobus näher besprochen. In ersteren findet sich die Verbindung der Wortstämme pist& und dikai& (vgl. ActThom 20,1-7) allerdings ohne Bezug auf Abraham, der in der gesamten Schrift überhaupt nicht erwähnt wird. Überhaupt kommt Abraham in den Spätschriften der neutestamentlichen Literatur nur zweimal im Protevangelium des Jakobus vor. An einer der beiden Stellen findet sich neben Abraham mit dem Wortstamm dikai& noch ein weiteres Element des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6 (vgl. ProtevJak 1,2-3,6). Dieser Befund reicht nach den methodischen Vorgaben allerdings nicht aus, um eine potentielle Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 wahrscheinlich zu machen. Aus den insgesamt 121 untersuchten Schriften konnten so schließlich zehn Perikopen aus sieben Schriften als potentielle Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 bestimmt werden. Als erster Erfolg der Methode konnte dabei verbucht werden, dass vier der zehn Perikopen in der bisherigen Forschungsliteratur nicht als Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 angesehen wurden. Die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 konnte so auf eine breitere Basis gestellt werden. Aus den zehn ermittelten Perikopen wurden dann sechs Perikopen aus drei Schriften ausgewählt, um mit Hilfe der rezeptionsästhetischen Analyse eingehender untersucht zu werden. Die Auswahl orientierte sich an den anhand der Forschungsgeschichte herausgearbeiteten hermeneutischen Problemen, um die Leistungsfähigkeit der entwickelten Theorie und Methode zu testen. (4) Der Jakobusbrief als Beispiel. Der Jakobusbrief wurde ausgewählt, weil er in der Forschungsgeschichte in besonderem Maße unter dem Präjudiz einer paulinischen Abhängigkeit gestanden und in der stark polarisierenden Sicht der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 den an der jüdischen Ausle- <?page no="359"?> Zusammenfassung und Ausblick 345 gung orientierten Gegenpol repräsentiert hat. Demgegenüber hat sich gezeigt, dass der subjektperspektivisch-objektorientierte Ansatz der soziahistorisch orientierten Rezeptionsforschung zu einer anderen Beurteilung der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 in Jak 2,23 kommt. Die Tabelle zum semantischen Grundwortfeld von Gen 15,6 für den Jakobusbrief hat gezeigt, dass in dieser Schrift alle Grundelemente zu finden sind und sich eine besondere Konzentration dieser Elemente in Jak 2 abzeichnet. Schon der Befund der Wortfeldanalyse konnte klar herausstellen, dass in Jak 2,23 unzweifelhaft die Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 vorliegt. Die rezeptionsästhetische Analyse von Jak 2,14-26 hat das Argumentationsziel der Perikope in der Antwort auf die Frage nach der soteriologischen Kraft eines tatenlosen bzw. tatkräftigen Glaubens herausgearbeitet. Weiter hat sie gezeigt, dass die Funktion der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 darin besteht, dass Abraham als ein Beispiel für jemanden dargestellt wird, der einen tatkräftigen Glauben vorzuweisen hat und aufgrund dessen auf seine Rettung im eschatologischen Gericht hoffen darf. Entscheidend war dafür die Beobachtung, dass die gesamte Argumentation in Jak 2,14-26 von einem sprachlich kunstvollen Spiel mit den Wortstämmen pist& und evrg& bestimmt wird. Der Verfasser hat Gen 15,6 ausgewählt, weil der Vers den Wortstamm pist& einbringt und die zweite Vershälfte den soteriologischen Nutzen dieses Glaubens belegt. In Kombination mit Gen 22 als einem markanten Beispiel für die e; rga Abrahams liefert der Verfasser so die theologische Begründung für die soteriologische Kraft des tatkräftigen Glaubens Abrahams. Der Blick auf das erweiterte semantische Feld im Mitteilungsgeschehen des gesamten Jakobusbriefs hat zudem herausgearbeitet, dass die analysierte Argumentationsstruktur der Perikope Jak 2,14-26 der auch sonst den Brief bestimmenden Struktur der semantisch-thematischen Oppositionen und der rhetorischen Figur der Antithese entspricht. Damit haben bereits die methodischen Schritte, die ohne Text vergleichende Arbeit auskommen, dreierlei gezeigt. Erstens fügt sich die Perikope Jak 2,14-26 - entgegen dem alten »Situations- und Kontextverbot für den Jakobusbrief« - formal und inhaltlich problemlos in Thema und Struktur des Briefes ein, die darauf abzielen, dass menschliches Sein und Handeln nicht gespalten und unbeständig sondern vollkommen zu sein hat, weil es nur so dem Sein und Handeln Gottes entspricht, der selber durch sein Wort und Gesetz die Möglichkeit zu solchem Sein und Handeln des Menschen überhaupt erst schafft. Zweitens ist die Konkretisation der Rezeption von <?page no="360"?> Zusammenfassung und Ausblick 346 Gen 15,6 weder innerhalb der Perikope noch innerhalb des Jakobusbriefs als Ganzem als unnötig oder störend anzusehen wie mehrere Ausleger meinen. Sie ist vielmehr geschickt gewählt und kunstvoll in Szene gesetzt worden. Drittens ist die Annahme einer wie auch immer gearteten Abhängigkeit der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 von den paulinischen Konkretisationen des Verses weder notwendig noch sinnvoll anzunehmen. Der rezeptionsgeschichtliche Vergleich hat deutlich gemacht, dass der Verfasser bei seiner Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 das Verhältnis von Tradition und Innovation so ausbalanciert hat, dass es sein Argumentationsziel auf der gesamten Breite stützt. Während die traditionellen Erweiterungen des semantischen Grundwortfeldes mit ihrem Rekurs auf die diachrone Sprachkonventionalität der Abrahamtradition für eine gemeinsame Grundlage mit den Adressaten des Schreibens sorgen, leiten die sprachliche und inhaltlich eigenständige Gestaltung der Konkretisation zum Nachvollzug seines Argumentationsziels an. Vor allem die paränetisch orientierte Ausgestaltung Abrahams als Paradigma des den Adressaten angetragenen Lebenswandels zeigt in sozialhistorischer Sicht Parallelen zum Hebräerbrief und dem 1. Clemensbrief und markieren so den Ort des Jakobusbriefes in einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6: Das Problem des Auseinanderfallens von Glaubensüberzeugungen und deren lebenspraktischer Realisation im Alltag. (5) Der Hebräerbrief als Beispiel. Der Hebräerbrief wurde als Beispiel ausgesucht, weil in der einschlägigen Literatur die Frage nach einer Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 in dieser Schrift häufig aufgeworfen, dann aber negativ beschieden wird. Der Überblick über die Forschungsgeschichte führte zu dem Verdacht, dass diese Beobachtung hermeneutisch mit der zur normativen Leitabstraktion gewordenen paulinischen Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 im Römer- und Galaterbrief zu erklären ist, die nur eine ganz bestimmte, eng umrissene Lesart des Verses überhaupt als Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 gelten lässt. Demgegenüber hat sich gezeigt, dass der subjektperspektivisch-objektorientierte Ansatz der sozialhistorisch orientierten Rezeptionsforschung zu einem überraschend anderen Ergebnis kommt. Die Tabelle zum semantischen Grundwortfeld von Gen 15,6 für den Hebräerbrief hat gezeigt, dass in dieser Schrift alle Grundelemente des Verses zu finden sind, wenn auch nicht alle zusammen an einer Stelle. Blickt man auf die charakteristischen Verbindungen des semantischen Feldes von Gen 15,6 so treten aber mit Hebr 6,9-15, Hebr 11,11-12 und Hebr 11,17-19 <?page no="361"?> Zusammenfassung und Ausblick 347 dennoch drei Perikopen als potentielle Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 im Hebräerbrief hervor. Die rezeptionsästhetische Analyse dieser Perikopen hat ergeben, dass Hebr 6,9-15; Hebr 11,11-12 und Hebr 11,17-19 sowohl über die Erweiterungen des semantischen Grundwortfeldes als auch durch ihren Argumentationsduktus starke inhaltliche und formale Ähnlichkeiten aufweisen, die einen Nachweis aller charakteristischen Elemente des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6 erlauben: Zum ersten geht es jeweils um den Glauben Abrahams, der sich im Blick auf die an ihn ergangene Verheißung zahlloser Nachkommenschaft in Isaak bewährt. Diese Bewährung wird dadurch besonders hervorgehoben, dass sie in höchstem Maße Anfechtungen ausgesetzt ist: Die Geburt eines Nachkommen bleibt aus (Hebr 6,9-15), Abraham ist in so hohem Alter, dass seine Zeugungsfähigkeit erstorben ist (Hebr 11,11-12) und Gott fordert die Darbringung Isaaks als Opfer (Hebr 11,17-19). Es ist somit in allen Texten die charakteristische Verbindung von VAbraa,m und pist& nachweisbar, wobei es sich jeweils um Glauben handelt, der sich in der Anfechtung bewähren muss. Zum zweiten liegt die Bewährung des Glaubens Abrahams für den Verfasser in Gott selber begründet: Gott ist gerecht und bekräftigt seine Verheißung durch einen Schwur bei sich selbst (Hebr 6,9-15), er steht treu zu seiner Verheißung (Hebr 11,11-12) und hat die Macht, sie notfalls durch Überwindung des Todes zu erfüllen (Hebr 11,17-19). Abrahams Bewährung im Glauben sieht der Verfasser gerade darin, dass Abraham mit Gottes Gerechtigkeit, seiner Verheißungstreue und seiner Macht rechnet. Der Verfasser »rechnet es Gott zu«, dass Abraham und jeder Glaubende überhaupt sich in seinem Glauben bewähren kann und setzt dieses »Anrechnen« auch für Abraham voraus. Für die drei Perikopen ist somit insgesamt die charakteristische Verbindung von pist& , logid& und dikai& nachgewiesen. Zum dritten wird in allen drei Texten abschließend explizit zum Ausdruck gebracht, dass sich die Verheißungen Gottes an Abraham tatsächlich erfüllt haben: Abraham erlangte das verheißene Gut (Hebr 6,9-15), von ihm ging eine zahllose Nachkommenschaft aus (Hebr 11,11-12) und er bekam seinen Sohn von neuem geschenkt (Hebr 11,17-19). Dadurch wird Abrahams Verhalten durch Gott als seinem Glauben entsprechend bestätigt. Dabei geht es nicht um einen Lohn, den Abraham aufgrund seines Vertrauens erhalten hat, sondern darum, sein geschichtliches Dasein in den Augen Gottes als vom Glauben bestimmt auszuweisen. <?page no="362"?> Zusammenfassung und Ausblick 348 Insgesamt gibt es also gute Gründe dafür anzunehmen, dass sich in den analysierten Perikopen eine Rezeption von Gen 15,6 im Hebräerbrief konkretisiert. Allerdings setzt diese Konkretisation eine vom klassischen Verständnis abweichende Lesart voraus, in der Abraham Gott die Tatsache, dass er kraft der göttlichen Verheißung glauben kann, als Erweis seiner (d.h. Gott) Gerechtigkeit anrechnet. Die Beobachtung des erweiterten semantischen Feldes dieser Konkretisation auf dem Hintergrund des Textganzen des Hebräerbriefs lässt erkennen, dass dieses Verständnis von Gen 15,6 der Intention des Verfassers geschuldet ist und eine spezifische Funktion im Mitteilungsgeschehen seines Schreibens hat. So werden die wichtigen Elemente des erweiterten semantischen Feldes der Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 neben Abraham auch - an anderer Stelle - direkt auf die Adressaten des Schreibens bezogen. Sie sollen von der Gewissheit des verheißenen zukünftigen Heils überzeugt und zum Festhalten des Glaubens bestärkt werden. In Abraham findet der Verfasser das in nachahmenswerter Weise vorgelebt, was er von seinen Adressaten fordert: Da wo die Verheißung mit der irdischen, geschichtlichen Wirklichkeit in Widerspruch gerät, gibt das Vertrauen in die Gerechtigkeit und Treue Gottes Abraham die Kraft, an seinem Glauben festzuhalten und der Erfüllung der Verheißung geduldig zu harren. So versucht der Verfasser mit der Konkretisation seiner Rezeption von Gen 15,6 den konkreten Problemen seiner Adressaten zu begegnen, die Gefahr laufen, vom Glauben abzufallen, die göttliche Gnade gering zu schätzen und die Versammlungen der Gemeinde zu verlassen. Der rezeptionsgeschichtliche Vergleich zeigt, dass der Verfasser des Hebräerbriefs mit seiner Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 durchaus im Rahmen der diachronen Sprachkonventionalität der Abrahamtraditionen bleibt. Verschiedene Erweiterungen des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6 konnten in anderen Texten der Rezeptionsgeschichte nachgewiesen werden. Der Grad an Innovation bei der Konkretisation hat aber gegenüber der Tradition durchaus Gewicht. Besonders im Blick auf die Kombination von Gen 15,6 und Gen 22 ist das aufgezeigt worden, wo im Hebräerbrief anders als sonst in der Rezeptionsgeschichte die durch den Schwur bekräftigte Verheißung Gottes durchgängig im Vordergrund steht. Auch für das analysierte Verständnis von Gen 15,6 mit Abraham als Subjekt der zweiten Vershälfte lassen sich innerhalb der Rezeptionsgeschichte Parallelen finden. Neben Abr 273 sind dazu vor allem Neh 9,8 und die Auslegung von Gen 15,6b bei Nachmanides angeführt worden. Aufgrund welcher Rezeptionsvorlage die Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 im <?page no="363"?> Zusammenfassung und Ausblick 349 Hebräerbrief zustande gekommen ist, lässt sich indes nicht sicher sagen. Es spricht einiges für eine Rezension der Septuaginta, die dem masoretischen Text näher ist als die überlieferten griechischen Lesarten. Am Beispiel des Hebräerbrief konnte die sozialhistorisch orientierte Rezeptionsforschung also tatsächlich die Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 nachweisen, die in der Regel bei Untersuchungen zu dieser Frage nicht berücksichtigt wird. Die überraschende Form dieser Konkretisation und des dahinter stehenden Verständnisses von Gen 15,6 liegt dabei ganz und gar im Gefälle des Mitteilungsgeschehens des Hebräerbriefs und markiert somit den Ort des Hebräerbriefs in einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte. (6) Der 1. Clemensbrief als Beispiel. Der 1. Clemensbrief wurde als Beispiel ausgewählt, weil er in der Forschungsgeschichte nur selten bedacht wird, obwohl er zur selben Zeit wie die kanonischen Schriften des Neuen Testaments entstanden ist. Außerdem zeigt der 1. Clemensbrief mit 28% einen enorm hohen Anteil an Schriftzitaten in seinem Wortbestand. An ihm sollte noch mal besonders der Zusammenhang von Schriftrezeption und ihrer sozialhistorischen Verortung überprüft werden. Die Tabelle zum semantischen Grundwortfeld von Gen 15,6 hat gezeigt, dass im 1. Clemensbrief alle Grundelemente zu finden sind. Im Blick auf die charakteristischen Verbindungen des semantischen Grundwortfeldes wurden die Perikopen 1Clem 10,1-7 und 1Clem 30,6-32,4 für die eingehende rezeptionsästhetische Analyse vorgesehen. Die Perikope 1Clem 17,1-6 erfüllte die Bedingungen nicht. Aufgrund der Ergebnisse der Analysen von 1Clem 10,1-7 und 1Clem 30,6-32,4 zeigte sich aber über die Erweiterungen des semantischen Grundwortfeldes eine enge Verbindung zur Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6. Der Perikope 1Clem 17,1-6 wurde daher ein Exkurs gewidmet. Die rezeptionsästhetische Analyse hat nachgewiesen, dass in beiden untersuchten Perikopen Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 vorliegen. Für 1Clem 10,1-7 ist das breiter Konsens in der einschlägigen Literatur, wobei zu betonen ist, dass die Anknüpfungspunkte in 1Clem 10,1.6 und nicht in 1Clem 10,7 liegen. Im Fall von 1Clem 30,6-32,4 wird zuweilen von einer Konkretisation ausgegangen, die dann aber - aufgrund bestimmter Leitabstraktionen - in 1Clem 31,2 ausgemacht wird. Die Analyse der Perikope ist diesbezüglich zu einem anderen Ergebnis gekommen. In 1Clem 31,2 liegt keine Konkretisation einer Rezeption von Gen 15,6 vor, wohl aber am Schluss der Perikope in 1Clem 32,4. <?page no="364"?> Zusammenfassung und Ausblick 350 Entscheidend für die Konkretisation der Rezeption von Gen 15,6 in 1Clem 10,1-7 ist, dass sie in bzw. mit dem Kontext von Gen 15,5 und im Zusammenhang der Segensthematik der Perikope erfolgt. Es zeigte sich eine gut durchdachte Komposition aus wörtlich zitierten Segensworten und erzählend gestalteten Umstandsbeschreibungen der an Abraham ergangenen göttlichen Zusagen. Diese Differenzierung ist deshalb wichtig, weil die Funktion der Konkretisation der Rezeption von Gen 15,5a.6 in 1Clem 10,6 auf diesem Hintergrund zu bestimmen ist. Der Verfasser versteht Abrahams pi,stij , die bei Gott Anerkennung fand und ihm zur Gerechtigkeit angerechnet wurde, als Reaktion auf die Verheißung zahlloser Nachkommenschaft. Gleichzeitig fungiert die Konkretisation von Gen 15,6 als zusammenfassender Abschluss der Ausführung der Segensthematik und schlägt einen Bogen zurück zu 1Clem 10,1. Das Schriftwort Gen 15,6 dient dem Verfasser nicht einfach als Beweis für den Gehorsam Abrahams. Die Argumentation in 1Clem 10,1-7 zielt vielmehr darauf ab, die Motivation hinter dem Gehorsam Abrahams aufzudecken, die im Vertrauen auf die großartigen Verheißungen Gottes gründet. Für 1Clem 30,6-32,4 hat die rezeptionsästhetische Analyse ergeben, dass der Verfasser einen Rückbezug auf seine Ausführungen in 1Clem 10,1-7 intendiert hat, wodurch er das Abrahambeispiel in kürzester Form erneut anbringen kann, ohne das bereits Gesagte wiederholen zu müssen. So konnte gezeigt werden, dass der Relativsatz über die Rechtfertigung durch das Vertrauen in Gottes Verheißung in 1Clem 32,4 auf Abraham zu beziehen ist. Dabei handelt es nicht um die inhaltslose Übernahme einer paulinischen Formulierung, sondern um die bewusste Argumentation unter Rückbezug auf 1Clem 10,1-7. Die Beobachtungen des erweiterten semantischen Feldes der Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 im 1. Clemensbrief zeigen, dass die Erweiterungen zum größten Teil an anderer Stelle paränetisch auf die Situation der Adressaten des Schreibens bezogen werden. Der Verfasser empfiehlt ihnen das Tun des aufgrund seines Glaubens gerechtfertigten und damit besonders ausgezeichneten Erzvaters zur Nachahmung. An Abrahams Beispiel sollen sie erkennen, wie sich das Vertrauen in Gottes Verheißung in Gehorsam, Demut und Gastfreundschaft lebenspraktisch realisieren kann und soll: Bezog sich Abrahams Gehorsam in 1Clem 10,1-7 auf den Auszug aus seinem Vaterland und die Bereitschaft zur Opferung seines Sohnes, so werden die Adressaten aufgefordert, sich den Strukturen und Hierarchien in ihrer Gemeinde zu unterwerfen und den Aufstand in Korinth nicht zu unterstützen. Den Verantwortlichen des Aufstands legt der Verfasser indes <?page no="365"?> Zusammenfassung und Ausblick 351 nahe, zum Wohle der Gemeinde auszuwandern wie sich einst Abraham von Lot trennte, um den Frieden in der Familie nicht zu gefährden. Der rezeptionsgeschichtliche Vergleich stützt die genannten Beobachtungen. Viele Erweiterungen des semantischen Grundwortfeldes von Gen 15,6 entstammen dem Strom der Abrahamtraditionen. Die für das Mitteilungsgeschehen wichtigen Erweiterungen (Gehorsam, Demut, Gastfreundschaft) aber sind in der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 als textlich fassbare Erweiterungen singulär. So wird den Adressaten durch die Ableitung dieser Tugenden von Abrahams Vertrauen in Gottes Verheißung auf einer gemeinsamen traditionellen Grundlage die Notwendigkeit dieser Tugenden für ihre konkrete Situation eindringlich vor Augen geführt. Der Konflikt in der Gemeinde von Korinth wird so in den Konkretisationen der Rezeption von Gen 15,6 im 1. Clemensbrief textlich fassbar und bestätigt den Zusammenhang von Schriftrezeption und ihrer sozialhistorischen Verortung. (7) Fazit und Ausblick. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich die entwickelte Theorie einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 und ihre Methode in der Umsetzung für die Praxis der Rezeptionserforschung in der neutestamentlichen Literatur bewährt hat. Theorie und Methode werden den hermeneutischen Anforderungen wie sie sich im Testfall der Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 gezeigt haben gerecht: So konnte am Beispiel des Jakobusbriefs aufgezeigt werden, dass durch das strenge methodische Nacheinander von synchroner und diachroner Arbeit präjudizierende Annahmen im Blick auf die hypothetische Rezeptionsvorlage vermieden werden können. Die entwickelte Methode kommt problemlos ohne die Kenntnis der faktischen Rezeptionsvorlage aus. Am Beispiel des Hebräerbriefs konnte gezeigt werden, dass auch solche Konkretisationen einer Rezeption von Gen 15,6 nachgewiesen werden können, die weder über ihre Form als Zitat, noch über ihren Inhalt anhand der klassischen paulinischen Leitabstraktion bzw. ihrer Antithese fassbar sind. So wurde die Grundlage dafür geschaffen, die Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 auf eine breitere Basis zu stellen, die selbst solche Konkretisationen einschließt, die in der zweiten Vershälfte von Gen 15,6 Abraham und nicht Gott als Subjekt voraussetzen. Das Beispiel des 1. Clemensbriefs zeigt, dass die Einbeziehung des näheren Kontexts in die rezeptionsästhetische Analyse deutliche Auswirkungen auf deren Ergebnisse zeitigt. Daneben zeigt das Beispiel in besonderem Ma- <?page no="366"?> Zusammenfassung und Ausblick 352 ße, dass sich die Korrelation von textlich fassbaren Rezeptionsresultaten und den sozialgeschichtlichen Situationen ihrer Entstehung rezeptionsgeschichtlich fruchtbar machen lassen. Durch das konsequente Einnehmen der Subjektperspektive in der Beobachtung des Rezeptionsprozesses treten nämlich die Bedingungen der Konkretisationen der Rezeption in den Vordergrund, die im Zusammenspiel von Tradition und Innovation von sozialgeschichtlicher Relevanz sind. Die Rezeptionsgeschichte wird so von der Geschichte eines unterschiedlich rezipierten Textes zur Geschichte der diesen Text rezipierenden Subjekte. Anhand der drei untersuchten Beispiele kann diese Rezeptionsgeschichte selbstverständlich nicht geschrieben werden. Aber sie zeigen exemplarisch den Weg auf, der dazu gegangen werden muss und machen damit einen Anfang hin zu einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6. <?page no="367"?> Anhang Tabellen zu den erweiterten semantischen Feldern der analysierten Beispiele der neutestamentlichen Literatur Im Folgenden sind die Tabellen der erweiterten semantischen Felder zusammengestellt, wie sie sich aus der rezeptionsästhetischen Analyse der untersuchten Beispiele ergeben haben. Wie für das semantische Grundwortfeld sind auch hier die für die griechischen Wortgruppen zu berücksichtigenden Wörter auf der Grundlage der Angaben im Theologischen Wörterbuch zum Neuen Testament entstanden. Unter den bezeichneten Wortgruppen sind im Einzelnen folgende Wortformen verzeichnet: Wortformen der griechischen Wortgruppen des semantischen Grundwortfeldes Wortgruppe Wortformen Wortgruppe Wortformen VAbraa,m VAbraa,m VAbraa,m VAbraa,m VAbraa,m VAbra,m pisteu,w( pi,stij( pisto,j( pisto,w( di,kh( di,kaioj( dikaiosu,nh( dikaio,w( dikai,oma( dikai,wsij( dikaiokrisi,a( dikai,wj a; pistoj( avpiste,w( avpisti,a( pist& pist& pist& pist& ovligo,pistoj( ovligopisti,a logid& logid& logid& logid& logi,zomai( logismo,j dikai& dikai& dikai& dikai& a; dikoj( avdiki,a( avdike,w( avdi,khma( avdi,kwj <?page no="368"?> Anhang 354 Wortformen der griechischen Wortgruppen der erweiterten semantischen Felder Wortgruppe Wortformen avgap& avgap& avgap& avgap& avga,ph avgapa,w avgaphto,j avkata,statoj avkata,statoj avkata,statoj avkata,statoj [ avkata,scetoj ] avkata,statoj avkatastasi,a avko& avko& avko& avko& avkoh, avkou,w eivsakou,w evpakou,w parakoh, parakou,w u`pakoh, u`pakou,w u`ph,kooj avlhq& avlhq& avlhq& avlhq& avlhqeia avlhqeu,w avlhqh,j avlhqino,j avlhqw/ j avres$k%& avres$k%& avres$k%& avres$k%& avnqropa,reskoj avre,skw avreskei,a avresto,j euva,restoj euvareste,w duna& duna& duna& duna& avdu,natoj avdunate,w du,namai du,namij duna,sthj dunamo,w dunate,w dunato,j evndunamo,w euvlog& euvlog& euvlog& euvlog& euvloge,w euvloghto,j euvlogi,a evneuloge,w evklog& evklog& evklog& evklog& evkle,gomai evklekto,j evklogh, evlpid& evlpid& evlpid& evlpid& avpelpi,zw evlpi,j evlpi,zw proelpi,zw evpaggel& evpaggel& evpaggel& evpaggel& evpa,ggelma evpagge,llw evpaggeli,a prosepagge,llomai evrg& evrg& evrg& evrg& avrge,w avrgo,j Wortgruppe Wortformen e; rgon euverge,thj euvergesi,a euvergete,w evne,rgeia evne,rghma evnerge,w evnergh,j evrga,thj evrga,zomai evrgasi,a katarge,w katerga,zomai sunerge,w sunergo,j fi,loj fi,loj fi,loj fi,loj fi,lh fi,lhma fi,loj file,w fili,a katafile,w filoxeni,a filoxeni,a filoxeni,a filoxeni,a filo,xenoj filoxeni,a xe,noj xene,zw xeni,a xenodoxe,w makroqum& makroqum& makroqum& makroqum& makro,qumoj makroqu,moj makroqume,w makroqumi,a martur& martur& martur& martur& diamartu,romai evpimarture,w katamarture,w ma,rtuj martu,rion martu,romai marture,w marturi,a promartu,romai summarture,w suvepimarture,w yeudo,martuj yeudomarture,w yeudomarturi,a <?page no="369"?> Wortformen der griechischen Wortgruppen 355 Wortgruppe Wortformen mega& mega& mega& mega& [ mega,lwj ] [ megaloprepei,a ] me,gaj me,geqoj megalei/ on megaleio,thj megalopreph,j megalu,nw megalwsu,nh men& men& men& men& evmme,nw me,nw monh, parame,nw perime,nw prosme,nw u`pome,nw u`pomonh, mimhtai mimhtai mimhtai mimhtai, , , , mime,omai mimhth,j summimhth,j o`rk& o`rk& o`rk& o`rk& evnorki,zw evpi,orkoj evpiorke,w evxorki,zw o[rkoj o`rki,zw o`rkwmosi,a ovmnu& ovmnu& ovmnu& ovmnu& ovmnu,w peiq& peiq& peiq& peiq& avpeiqe,w avpeiqei,a avpeiqh,j pei,qw peiqarce,w peiqo,j peiqw, peismonh, pepoi,qhsij peir& peir& peir& peir& avpei,rastoj evkpeira,zw pei/ ra peira,w peira,zw peirasmo,j plh& plh& plh& plh& avnaplhro,w avntanaplhro,w evkplh,rwsij evkplhro,w plh,rhj plh,rwma plhrofore,w plhro,w plhrofori,a sumplhro,w poie& poie& poie& poie& poi,hma poi,hsij poie,w poihth,j Wortgruppe Wortformen prosa,gw prosa,gw prosa,gw prosa,gw prosa,gw prosagwgh, prosagoreu,w prosagoreu,w prosagoreu,w prosagoreu,w prosagoreu,w prosfe,rw prosfe,rw prosfe,rw prosfe,rw prosfe,rw prosfora, qan& qan& qan& qan& [ avqa,natoj ] avpoqnh|,skw avqanasi,a qa,natoj qanato,w qnh|,skw qnhto,j sunapoqnh|,skw qusi,a qusi,a qusi,a qusi,a qu,w qusi,a qusiasth,rion spe,rma spe,rma spe,rma spe,rma spe,rma spei,rw spo,rimoj spora, sporo,j swd& swd& swd& swd& sw,|zw swth,r swth,rioj swthri,a tapein& tapein& tapein& tapein& tapei,nwsij tapeino,frwn tapeino,j tapeino,w tapeinofro,nhsij tapeinofrone,w tapeinofrosu,nh tele$i%& tele$i%& tele$i%& tele$i%& evpitele,w pantelh,j sunte,leia suntele,w te,leioj te,loj tele,w telei,wsij teleio,thj teleio,w teleiwth,j yuc& yuc& yuc& yuc& avnayu,cw avnayuxij di,yucoj ovligo,yucoj yuch, yuciko,j <?page no="370"?> Anhang 356 1. Tabellen zu den untersuchten kanonischen Schriften des Neuen Testaments Tabelle 1.1: Jakobusbrief Elemente des semantischen Grundwortfeldes Erweiterungen des semantischen Feldes in Jak 2,14-26 Kapitel VAbraa,m VAbraa,m VAbraa,m VAbraa,m pist& pist& pist& pist& logid logid logid logiddikai& dikai& dikai& dikai& evrg& evrg& evrg& evrg& poi& poi& poi& poi& tele$i%& tele$i%& tele$i%& tele$i%& fil& fil& fil& fil& swd& swd& swd& swd& nekr& nekr& nekr& nekr& @qan&# @qan&# @qan&# @qan&# plhr& plhr& plhr& plhr& VIsaa,k VIsaa,k VIsaa,k VIsaa,k qus& qus& qus& qus& ~Raa,b ~Raa,b ~Raa,b ~Raa,b 1 3; 6 20 3; 4; 20; 25 22; 23; 252 42; 15; 17; 25 21 [15] 2 21; 2 3 1; 5; 142; 17; 183; 192; 20; 222; 23; 24; 26 23 21; 23; 24; 25 9; 14; 17; 183; 202; 21; 223; 24; 25; 26 8; 12; 13; 19 8; 22 23 14 17; 20; 262 23 21 21 25 3 6; 18 13 122; 18 2 4 11; 13; 15; 172 42 12 5 15 6; 16 4; 16 15 11 15; 20 [20] Anzahl 2 19 1 9 22 17 9 3 5 4 [2] 1 1 1 1 <?page no="371"?> Tabellen zum Neuen Testament 357 Tabelle 1.2: Hebräerbrief Elemente des semantischen Grundwortfeldes Gemeinsame Erweiterungen Erweiterungen in Hebr 11,11f Spezifische Erweiterungen in Hebr 11,17-19 Kapitel VAbraa,m VAbraa,m VAbraa,m VAbraa,m pist& pist& pist& pist& logid logid logid logid&&& & dikai& dikai& dikai& dikai& evpaggel evpaggel evpaggel evpaggel&&& & spe,rma spe,rma spe,rma spe,rma dun dun dun dun&&& & Sa Sa Sa Sa, " ,rra rra rra rra (stei stei stei stei/ / / / ra ra ra ra) h`ge,omai h`ge,omai h`ge,omai h`ge,omai peir& peir& peir& peir& VIsaa,k VIsaa,k VIsaa,k VIsaa,k prosfe,rw prosfe,rw prosfe,rw prosfe,rw 1 92 3 2 16 17 2 16 4; 18 182 3 2; 5; 12; 19 19 8; 9 4 2; 3 1 15 152 5 13 2; 7 1; 3; 7 6 13 1; 12 10 12; 13; 15; 17 5 7 1; 2; 4; 5; 6; 9 2 6 16; 25 27 8 12 6 32; 4 9 1; 10 15 9 7; 9; 14; 25; 28 10 22; 23; 38; 39 38 23; 36 1; 11 29 1; 2; 5; 8; 8; 10; 11; 12; 14; 18 11 8; 17 1; 3; 4; 5; 62; 72; 8; 9; 112; 13; 17; 20; 21; 22; 23; 24; 27; 28; 29; 19 4; 7; 33 92; 11; 13; 17; 33; 39 11; 18 11; 19; 342 11 11; 26 17; 29; 36; 37 9; 17; 18; 20 4; 172 <?page no="372"?> Anhang 358 Elemente des semantischen Grundwortfeldes Gemeinsame Erweiterungen Erweiterungen in Hebr 11,11f Spezifische Erweiterungen in Hebr 11,17-19 Kapitel VAbraa,m VAbraa,m VAbraa,m VAbraa,m pist& pist& pist& pist& logid logid logid logid&&& & dikai& dikai& dikai& dikai& evpaggel evpaggel evpaggel evpaggel&&& & spe,rma spe,rma spe,rma spe,rma dun dun dun dun&&& & Sa Sa Sa Sa, " ,rra rra rra rra (stei stei stei stei/ / / / ra ra ra ra) h`ge,omai h`ge,omai h`ge,omai h`ge,omai peir& peir& peir& peir& VIsaa,k VIsaa,k VIsaa,k VIsaa,k prosfe,rw prosfe,rw prosfe,rw prosfe,rw 30; 31; 33; 39 12 2 11; 23 26 7 13 7 7; 17; 27 Anzahl 10 41 1 12 18 3 17 1 6 10 4 26 Spezifische Erweiterungen des semantischen Feldes in Hebr 6,9-15 Kapitel klhron klhron klhron klhronmakrotum makrotum makrotum makrotumevlpid evlpid evlpid evlpid&&& & mimhtai mimhtai mimhtai mimhtai, " , o`rk& o`rk& o`rk& o`rk& / ovmnu,w ovmnu,w ovmnu,w ovmnu,w euvlog& euvlog& euvlog& euvlog& men& men& men& men& plhr plhr plhr plhravgap avgap avgap avgapevrg evrg evrg evrg- 1 2; 4; 14 9 10 2 3 6 11; 18 7 4 3 9 5 3; 4; 10 6 12; 17 12; 15 11; 18 12 132; 163; 17 7; 142 11 9; 10 1; 10 7 19 202; 212; 28 1; 6; 7 3; 23; 24 8 9 9 15 14 10 23 32; 34; 36 22 24 24 11 7; 8 1; 33 20; 21 <?page no="373"?> Tabellen zum Neuen Testament 359 12 17 17 1; 2; 3; 7; 27 6 13 7 1; 14 21 Anzahl 9 2 6 2 14 9 14 2 5 11 2. Tabellen zu den untersuchten Schriften der Apostolischen Väter Tabelle 2.1: 1. Clemensbrief Elemente des semantischen Grundwortfeldes Gemeinsame Erweiterungen des semantischen Feldes Synonyme Kapitel VAbraa,m VAbraa,m VAbraa,m VAbraa,m ddd diii ikai& kai& kai& kai& lll looo ogid& gid& gid& gid& pist& pist& pist& pist& eee ev vv vpaggel& paggel& paggel& paggel& eu eu eu euv vv vlog& log& log& log& qqq quuu usi,a si,a si,a si,a VVV VIII Isaa,k saa,k saa,k saa,k mmm meee ega& ga& ga& ga& prosfe,rw prosfe,rw prosfe,rw prosfe,rw prosa,gw prosa,gw prosa,gw prosa,gw aaa av vv vres$k%& res$k%& res$k%& res$k%& evklog& evklog& evklog& evklog& Insc. 1 2 1; 2 1 2 8 4 3 42 4 4 1; 2 4 5 2; 4; 7 6 2; 7 6 2 42 1 7 8 42 9 3 4 1; 2 10 1; 62 6 6 1; 6; 7 2 3 5 7 (7) 32 7 11 12 1; 7; 8 13 1 14 1 2 15 5 4 3 5 16 122 3; 4; 13 3 2 17 2 3 5 2; 5 18 4; 15 17 2 19 2 20 11; 12 <?page no="374"?> Anhang 360 Elemente des semantischen Grundwortfeldes Gemeinsame Erweiterungen des semantischen Feldes Synonyme Kapitel VAbraa,m VAbraa,m VAbraa,m VAbraa,m ddd diii ikai& kai& kai& kai& lll looo ogid& gid& gid& gid& pist& pist& pist& pist& eee ev vv vpaggel& paggel& paggel& paggel& eu eu eu euv vv vlog& log& log& log& qqq quuu usi,a si,a si,a si,a VVV VIII Isaa,k saa,k saa,k saa,k mmm meee ega& ga& ga& ga& prosfe,rw prosfe,rw prosfe,rw prosfe,rw prosa,gw prosa,gw prosa,gw prosa,gw aaa av vv vres$k%& res$k%& res$k%& res$k%& evklog& evklog& evklog& evklog& 21 4 8 1 22 6; 7; 8 1 23 24 5 25 26 1 1 12 27 1 1; 3 1 4 28 29 1 30 3; 4; 7 5; 8 31 2 2 2 12; 2 3 3 3 32 3; 42 4 2 2 1; 3 33 7; 8 6 34 4 7 7 35 2; 5; 7 2; 52 4 12 5 36 22 1 37 42 38 39 9 4 40 2; 4 41 22 23 1 42 5 3; 4; 5 43 12 2 4 44 3 3 4 45 32; 42 7 46 4 32; 4; 82 47 4 48 22; 3; 42 5 6 49 3 5 5 50 6 1 7 51 2 52 32; 4 2 2 <?page no="375"?> Tabellen zu den Apostolischen Vätern 361 Elemente des semantischen Grundwortfeldes Gemeinsame Erweiterungen des semantischen Feldes Synonyme Kapitel VAbraa,m VAbraa,m VAbraa,m VAbraa,m ddd diii ikai& kai& kai& kai& lll looo ogid& gid& gid& gid& pist& pist& pist& pist& eee ev vv vpaggel& paggel& paggel& paggel& eu eu eu euv vv vlog& log& log& log& qqq quuu usi,a si,a si,a si,a VVV VIII Isaa,k saa,k saa,k saa,k mmm meee ega& ga& ga& ga& prosfe,rw prosfe,rw prosfe,rw prosfe,rw prosa,gw prosa,gw prosa,gw prosa,gw aaa av vv vres$k%& res$k%& res$k%& res$k%& evklog& evklog& evklog& evklog& 53 3; 5 54 3 55 6 56 5; 11 57 7 2 58 2 2 2 1 2 59 3 2; 3 60 12; 2; 3 2 12; 4 1 2 61 1; 3 2 62 1; 2 3 2; 3 22 63 3 64 1 12 1 65 2 Anzahl 5 59 11 39 6 12 12 1(1) 45 12 9 17 Spezifische Erweiterungen des semantischen Feldes in 1Clem 10,1-7 Spezifische Erweiterungen in 1Clem 30,6-32,4 Kapitel aaa ako& ko& ko& ko& eu`ri,skw eu`ri,skw eu`ri,skw eu`ri,skw klhr& klhr& klhr& klhr& ppp prosag rosag rosag rosagooo oreu,w reu,w reu,w reu,w sper& sper& sper& sper& fil fil fil filooo oxen& xen& xen& xen& Fi,loj Fi,loj Fi,loj Fi,loj martur& martur& martur& martur& path,r path,r path,r path,r peiq& peiq& peiq& peiq& ttt taaa apeino peino peino peino&&& & 1 2 2 3 1 3 4 10 8 5 4; 7 6 3 7 6 4 8 3; 42 3 9 1; 3 32; 4 10 1; 2; 7 1 2 1 4; 52; 7 1 2; 3 <?page no="376"?> Anhang 362 Spezifische Erweiterungen des semantischen Feldes in 1Clem 10,1-7 Spezifische Erweiterungen in 1Clem 30,6-32,4 Kapitel aaa ako& ko& ko& ko& eu`ri,skw eu`ri,skw eu`ri,skw eu`ri,skw klhr& klhr& klhr& klhr& ppp prosag rosag rosag rosagooo oreu,w reu,w reu,w reu,w sper& sper& sper& sper& fil fil fil filooo oxen& xen& xen& xen& Fi,loj Fi,loj Fi,loj Fi,loj martur& martur& martur& martur& path,r path,r path,r path,r peiq& peiq& peiq& peiq& ttt taaa apeino peino peino peino&&& & 6 11 1 12 6 1; 3 5 13 3 1; 3 14 1 5 15 16 3 10 13 11 1; 2; 7; 17 17 2 2 1; 2 2 18 1 8; 17 19 1 1 2 1 20 21 8 22 1; 7 23 3 1; 3 24 4; 52 25 5 26 1 27 7 28 1 29 2 1 30 7 7 2; 3; 8 31 2 3 4 32 2 33 34 8 35 4 5 3 2 36 1 2; 4 37 38 22 22 39 7 40 41 <?page no="377"?> Tabellen zu den Apostolischen Vätern 363 Spezifische Erweiterungen des semantischen Feldes in 1Clem 10,1-7 Spezifische Erweiterungen in 1Clem 30,6-32,4 Kapitel aaa ako& ko& ko& ko& eu`ri,skw eu`ri,skw eu`ri,skw eu`ri,skw klhr& klhr& klhr& klhr& ppp prosag rosag rosag rosagooo oreu,w reu,w reu,w reu,w sper& sper& sper& sper& fil fil fil filooo oxen& xen& xen& xen& Fi,loj Fi,loj Fi,loj Fi,loj martur& martur& martur& martur& path,r path,r path,r path,r peiq& peiq& peiq& peiq& ttt taaa apeino peino peino peino&&& & 42 43 5 2; 5 44 3 3 45 3 8 46 47 6; 7 42 48 8 6 49 50 22 51 52 53 2 54 55 5 62 56 14 16 1 57 4; 5; 7 2; 5 4; 7 58 1 12 2 59 1 33; 4 60 4 4 1 61 62 22 2 63 1; 2 3 64 65 Anzahl 31 17 6 2 10 6 2 14 7 11 31 <?page no="379"?> Literaturverzeichnis Allgemeine Bemerkung zu den Literaturangaben: Das Literaturverzeichnis umfasst alle in den Anmerkungen mit Autor / Autorin, Kurztitel und ggf. Erscheinungsjahr (in der folgenden Aufstellung durch Fettdruck hervorgehoben) angeführte und für die Arbeit verwendete Literatur. Titel, die nur als bibliographische Angaben dienen, werden in der entsprechenden Anmerkung vollständig dargeboten. Bemerkung zu den Abkürzungen: Die verwendeten Abkürzungen richten sich in der Regel nach dem Internationalen Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete von S IEG- FRIED M. S CHWERTER , Berlin, 21994. Von dieser Aufstellung ist folgende Abweichung zu vermerken: Bei der Abkürzung der biblischen Bücher und sonstiger Quellen werden für die Ordinalzahlen arabische statt lateinischer Ziffern verwendet, die ohne Leerzeichen an die Buchbezeichnung angeschlossen werden (z.B. 1Clem statt I Clem). 1. Quellen und Hilfsmittel 1.1 Bibelausgaben Biblia Hebraica Stuttgartensia, ed. K. Elliger u. W. Rudolph, Stuttgart, 51997. Die Bibel. Nach der Übersetzung Martin Luthers. Bibeltext in der revidierten Fassung von 1984, hg.v. der Evangelischen Kirche in Deutschland, Stuttgart, 1999. Die Bibel in gerechter Sprache, hg.v. U. Bail, F. Crüsemann, M. Crüsemann, E. Domay, J. Ebach, C. Janssen, H. Köhler, H. Kuhlmann, M. Leutzsch u. U. Schottroff, Gütersloh, 2006. Novum Testamentum Graece, post Eberhard. Nestle ed. Erwin Nestle u. Kurt Aland, Stuttgart, 251969. <?page no="380"?> Literaturverzeichnis 366 Novum Testamentum Graece, post Eberhard u. Erwin Nestle ed. Kurt u. Barbara Aland, Stuttgart, 271993. Septuaginta. Id est Vetus Testamentum Graece iuxta LXX, ed. A. Rahlfs, Stuttgart, 1979. 1.2 Jüdische Quellen Apokryphen und Pseudepigraphen des Alten Testaments. 2 Bde., hg.v. E. Kautzsch, Tübingen, 21962. Bibliotheca Rabbinica. Eine Sammlung alter Midraschim zum ersten Male ins Dt. übertr. von A. Wünsche, 5 Bde, Leipzig, 1880-1885. Der babylonische Talmud mit Einschluss der vollständigen Mischna, hg. nach der Ausg. Venedig 1520/ 23 u. übers. von L. Goldschmidt, Vol. I-IX, Berlin, 1897/ 1935. Des Flavius Josephus Jüdische Altertümer. Übersetzt und mit Einleitung und Anmerkungen versehen von Dr. Heinrich Clementz. Bd. I (Buch I- X), Wiesbaden, 1979. Die Mischna. Das grundlegende enzyklopädische Regelwerk rabbinischer Tradition ins Dt. übertr., mit einer Einl. und Anm. von Dietrich Correns, Wiesbaden, 2005. Die Mischna. Text, Übersetzung und ausführliche Erklärung. Mit eingehenden geschichtlichen und sprachlichen Einleitungen und textkritischen Anhängen, hg.v. Georg Beer, Otto Holtzmann u.a., Gießen, 1912ff (nicht vollständig erschienen). Die Qumran-Essener. Die Texte vom Toten Meer. Bde. I-II, hg.v Johann Meier, München, 1995. Discoveries in the Judaean Desert. Bde. I-XXXIX, Oxford 1955-2005. Josephus in Nine Volumes with an English Translation by H. St. J. Thackeray, Ralph Marcus, Louis H. Feldman [LCL], London, 1926-1965. Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit (JSHRZ), Bd. I-VI, hg.v. Hermann Lichtenberger, Gütersloh, 1973-2005. Mekhilta de Rabbi Ishmael. Volume 1, ed. Jacob Z. Lauterbach, Philadelphia, 21949. Philo in Ten Volumes (and Two Supplementary Volumes) with an English Translation by F.H. Colson u.a., Vol. I-X + Suppl. 1+2 [LCL], Cambridge/ Mass., 1929-1962. <?page no="381"?> Quellen und Hilfsmittel 367 Philo von Alexandria. Die Werke in deutscher Übersetzung, hg.v. L. Cohn, Vol. I-VI, Berlin, 21962. The Torah with Ramban’s Commentary. Translated, Annotated and Elucidated by Rabbi Yaakov Blinder in Collaboration with Rabbi Yoseph Kamenetsky, New York, 2004. 1.3 Christliche Quellen Das Petrusevangelium, ed. Albert Fuchs, Linz, 1978. Des Heiligen Philosophen und Märtyrers Justinus Dialog mit dem Juden Tryphon. Aus dem Griechischen übersetzt und mit einer Einleitung versehen von Dr. Philipp Haeuser [Bibliothek der Kirchenväter 33], München, 1917. Die ältesten Apologeten. Texte mit kurzen Einleitungen, hg.v. Edgar J. Goodspeed, Göttingen, 1914. Die Apostolischen Väter. Griechisch und Deutsch. Eingeleitet, herausgegeben, übertragen und erläutert von Joseph A. Fischer, München, 1956. Die Apostolischen Väter. Griechisch-deutsche Parallelausgabe auf der Grundlage der Ausgaben von Franz Xaver Funk/ Karl Bihlmeyer und Molly Whittaker mit Übersetzungen von M. Dibelius und D.-A. Koch neu übersetzt und hg.v. Andreas Lindemann und Henning Paulsen, Tübingen, 1992. Die Apostolischen Väter. Neubearbeitung der Funkschen Ausgabe von Karl Bihlmeyer. Erster Teil: Didache, Barnabas, Klemens I und II, Ignatius, Polykarp, Papias, Quadratus, Diognetbrief [SQS 2.Ser. 1,1], Tübingen, 1924. Évangile de Pierre. Introd., texte critique, trad., commentaire et index par Maria Grazia Mara [Source chrétiennes 201], Paris, 1973. Frühchristliche Apologeten und Märtyrerakten aus dem Griechischen und Lateinischen übersetzt. Bd. I [Bibliothek der Kirchenväter 12], München, 1913. [Kindheitserzählung des Thomas. Version A], in: Vangeli Apocrifi, ed. G. Bonaccossi, Florenz, 1961, 110-147. [Kindheitserzählung des Thomas. Version B], in: Evangelia Apokrypha, ed. K. von Tischendorf, Hildesheim, 1966, 140-180. <?page no="382"?> Literaturverzeichnis 368 La forme la plus ancienne du Protévangile de Jacques. Recherches sur le papyrus Bodmer 5 avec une ed. critique du texte grece et une trad. annotée par Emile de Strycker, Bruxelles, 1961. Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. I. Band: Evangelien, hg.v. Wilhelm Schneemelcher, Tübingen, 61990. Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. II. Band: Apostolisches, Apokalypsen und Verwandtes, hg.v. Wilhelm Schneemelcher, Tübingen, 61997. 1.4 Elektronische Textausgaben und Hilfsmittel BibleWorks 5.0, distr. by Hermeneutika Bible Researche Software, Montana, 2001. Thesaurus Linguae Graecae, Volume E [Electronic Resource], Irvine, 1999. 1.5 Konkordanzen A complete concordance to Flavius Josephus, ed. K.H. Rengstorf, Leiden, 1973. A Concordance to the Septuagint and Other Greek Versions of the Old Testament (Including the Apocryphal Books). 3 Bde., Oxford, 1897. A New Concordance of the Bible. Thesaurus of the Language of the Bible, Hebrew and Aramaic. Roots, Words, Proper Names, Phrases and Synonyms, ed. A. Even-Shoshan, Jerusalem, 1996. Clavis Patrum Apostolicum. Catalogum vocum in libris qui dicuntur apostolici nun raro occurrentium adiuvante Ursula Früchtel, congressit contulit conscripsit Henricus Kraft, Darmstadt, 1963. Concordance grecque des Pseudépigraphes d’Ancient Testament. Concordance, corpus des textes, indices par A.-M. Denis avec la collaboration d’Yvonne Janssens et le concours du CETEDOC, Louvain, 1987. Graphic Concordance to the Dead Sea Scrolls, ed. J.H. Charlesworth, Tübingen, 1991. Index Apologeticus sive clavis Justin Martyris operum. Aliorumque apologetraum pristinorumcomposuit E.J. Goodspeed, Leipzig, 1912. Index Patristicus sive Clavis Patrum Apostolicum Operum ex editione minore Gebhardt Harnack Zahn lectionibus editioneum minorum Funk et Lightfoot admissis composuit Edgar J. Goodspeed, Naperville, 21960. <?page no="383"?> Quellen und Hilfsmittel 369 Konkordanz zu den Thomasakten [BBB 67], ed. M. Lipinski, Frankfurt a.M., 1988. Konkordanz zum hebräischen Alten Testament, ed. G. Lisowsky, Stuttgart, 21958. Konkordanz zum Protevangelium des Jakobus, ed. A. Fuchs, Linz, 1978. Konkordanz zum Thomasevangelium, ed. A. Fuchs u. F. Weissengruber, Linz, 1978. The Philo Index. A complete Greek word index to the writings of Philo of Alexandria, ed. P. Borgen , K. Fuglseth u. R. Skarsten, Grand Rapids, Mich., 2000. Thesaurus Mishnae. Concordantia verborum quae in sex mishnae ordinibus reperiuntur. Confecit Shayim Yehoshua Kasovsky, Tel-Aviv, 1957/ 67. Thesaurus Talmudis. Concordantiae verborum quae in Talmudi Babilonica reperiuntur, confecit C.J. Kosowski, Vol. I-XLI, Jerusalem, 1954-1989. Vollständige Konkordanz zum griechischen Neuen Testament. Unter Zugrundelegung aller modernen kritischen Textausgaben und des Textus receptus, 3 Bde., ed. K. Aland, Berlin, 1978-1983. 1.6 Wörterbücher und andere Hilfsmittel A Textual Commentary on the Greek New Testament, ed. B.M. Metzger, Stuttgart, 21994. Biblia Patristica. Index des citations et allusions bibliques dans la littérature patristique. 2 Bde., ed. J. Allenbach [Centre d’Analyse et de Documentation Patristiques], Paris, 1975/ 1977. Corpus Christianorum. Clavis Apocryphorum Novi Testamenti, ed. M. Geerard, Turnhout, 1992. Grammatik des neutestamenlichen Griechisch von F. Blass u. A. Debrunner, ed. F. Rehkopf, Göttingen, 182001. Griechisch-deutsches Schul- und Handwörterbuch von Wilhelm Gemoll, ed. K. Vretska, München, 91991. Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur von W. Bauer, hg.v. K. u. B. Aland, Berlin, 61988. 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