"Sag' mal was" - Sprachförderung für Vorschulkinder
Zur Evaluation des Programms der Baden-Württemberg Stiftung. Sprachförderung im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Praxis
0320
2018
978-3-7720-5400-6
978-3-7720-8400-3
A. Francke Verlag
Baden-Württemberg-Stiftung
Die Baden-Württemberg Stiftung hat über sieben Jahre erfolgreich das Programm "Sag' mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder" in Tageseinrichtungen für Kinder angeboten. Fast 90.000 Kinder in Baden-Württemberg haben von diesem flächendeckenden Angebot profitiert. "Sag' mal was - Sprachförderung im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Praxis" war der Titel einer Fachtagung der Baden-Württemberg Stiftung, bei der die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung aufgearbeitet wurden. Mit diesem Band führt die Baden-Württemberg Stiftung die Diskussionen der Tagung weiter. In ihm werden die Konsequenzen für Wissenschaft und Forschung sowie für Praxis, Aus- und Weiterbildung beleuchtet und vertieft.
Schriftenreihe der Baden-Württemberg Stiftung, Nr. 57
<?page no="0"?> Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder <?page no="2"?> Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder Zur Evaluation des Programms der Baden-Württemberg Stiftung Sprachförderung im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Praxis <?page no="3"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. Sag’ mal was, LiSe-DaZ und E-Lingo sind eingetragene Marken der Baden-Württemberg Stiftung Bildquelle: Baden-Württemberg Stiftung © 2011 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Schriftenreihe der Baden-Württemberg Stiftung, Nr. 57 ISSN 1610-4269 www. .de www.bwstiftung.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Druck: Gulde Druck GmbH, 72072 Tübingen Printed in Germany ISBN 978-3-7720-8400-3 rancke f <?page no="4"?> 5 I n h alt Vorwort der Baden-Württemberg Stiftung 8 Gemeinsames Grußwort von Städtetag, Landkreistag 10 und Gemeindetag Einführung in den Band 11 1. KapItel „Sag’ mal was“ - ein lernendes programm Andreas Weber, Ein Programm für Vorschulkinder: „Sag’ mal was“ 14 Suzan Bacher 2. KapItel theoretische Zugänge zum Spracherwerb Wolfgang Klein Was wissen wir über den Spracherwerb, und was 32 können wir daraus für die Sprachförderung ableiten? Einige Bemerkungen zu einem schwierigen Thema Sabine Weinert Entwicklungspsychologische und linguistische 39 Aspekte frühkindlichen Spracherwerbs Hartmut Esser Was ist praktischer als eine gute Theorie? 49 Anmerkungen zur wissenschaftlichen Begründung und Evaluation von praktischen Maßnahmen (nicht nur) im Bereich der Modellversuche zur Sprachförderung Ingrid Gogolin Durchgängige Sprachbildung an bildungs- 61 biografischen Übergängen Rosemarie Tracy Was uns „Sag’ mal was“ sagen kann: 78 Impressionen einer Bildungsreise 3. KapItel Die wissenschaftliche Begleitforschung von „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“ Barbara Gasteiger-Klicpera, Die wissenschaftliche Begleitforschung durch die 94 Werner Knapp, Pädagogische Hochschule Weingarten Diemut Kucharz Hermann Schöler, Die Ergebnisse des Projekts EVAS, der 102 Jeanette Roos Evaluationsstudie zur Sprachförderung von Vorschulkindern in Heidelberger und Mannheimer Kindergärten <?page no="5"?> 6 4. KapItel Sprachförderung für Vorschulkinder - erkenntnisse aus der wissenschaftlichen Begleitforschung Diemut Kucharz, Schlussfolgerungen und Empfehlungen der 113 Barbara Gasteiger-Klicpera, wissenschaftlichen Begleitforschung Werner Knapp, Jeanette Roos, Hermann Schöler 4.1 Impulse für Wissenschaft und Forschung Jeanette Roos, Forschungsdesiderata 118 Barbara Gasteiger-Klicpera, Diemut Kucharz, Werner Knapp, Hermann Schöler Ramona Wenzel Herausforderungen der Sprachstandsdiagnostik 122 LiSe-DaZ - Linguistische Sprachstandserhebung Deutsch als Zweitsprache Uwe Neugebauer Erkenntnisse aus der Evaluation zur 126 Qualifizierung von Multiplikatorinnen in der Sprachförderung Wolfgang Tietze Evaluationsforschung in der Frühpädagogik 132 4.2 Impulse für aus-, Fort- und Weiterbildung Jeanette Roos, Professionalisierung pädagogischer Fachkräfte: 139 Barbara Gasteiger-Klicpera, Konsequenzen für die Aus-, Fort- und Weiterbildung Werner Knapp, Diemut Kucharz, Hermann Schöler Renate Schwalb Das Lernfeld „Sprache“ in der Ausbildung von 144 Erzieherinnen und Erziehern an Fachschulen für Sozialpädagogik Regine Morys, Sprachliche Bildung und Sprachkompetenz im 149 Axel Jansa Studiengang „Bildung und Erziehung in der Kindheit“ an der Hochschule Esslingen Günter Gerstberger Frühkindliche Bildung in der Robert Bosch Stiftung 156 Karin Jampert, Für sprachliche Förderung qualifizieren. 160 Anne Zehnbauer Erkenntnisse aus dem Bund-Länder-Projekt „Sprachliche Förderung in der Kita“ 4.3 Impulse für die praxis Werner Knapp, Relevanz der Ergebnisse aus den Evaluations- 166 Jeanette Roos, studien für die Praxis Barbara Gasteiger-Klicpera, Diemut Kucharz, Hermann Schöler <?page no="6"?> 7 Klaus Fröhlich-Gildhoff Die Bedeutung der Erziehungspartnerschaft mit 172 den Eltern Susanne Hartmann, Gute Rahmenbedingungen und gut qualifizierte 177 Georg Hohl Erzieherinnen: Voraussetzungen für gute Sprachförderung Elke Andersen Sprachförderung in der Praxis - zwischen 180 Anspruch und Realität 5. KapItel Was wir aus „Sag’ mal was“ lernen Hans H. Reich Bedingungen des Gelingens 183 Eine Orientierungssuche nach der Evaluation 6. KapItel „Sag’ mal was“ - transfer und Weiterentwicklung Gudrun Raible, Zur Weiterentwicklung von „Sag’ mal was“ 192 Ulrike Vogelmann Hans Rudolf Leu, Das Projekt „Dialoge mit Kindern führen“ 196 Mechthild Laier, Wie pädagogische Fachkräfte durch eine offene Petra Best Dialoghaltung und bewusste Interaktionen die sprachliche Entwicklung von jungen Kindern im Krippenalltag unterstützen und fördern können Gisela Kammermeyer, Das Projekt „Mit Kindern im Gespräch“ 200 Sarah King, Astrid Metz, Erprobung eines Ansatzes zur Intensivierung der Susanna Roux Erzieherin-Kind-Interaktion Maren Krempin, Die Implementierung von Sprache macht stark! 204 Kerstin Mehler, in ausgewählten Kindertageseinrichtungen in Dieter Thoma Mannheim Irene Dittrich, Die Evaluation von Teilprojekten im Programm 207 Wolfgang Tietze „Sag’ mal was - Sprachliche Bildung für Kleinkinder“ Marita Schocker-v. Ditfurth, Erfahrungen mit der Qualifizierung von 211 Michael Legutke, Fremdsprachenvermittlern für frühes Fremdsprachenlernen: das Projekt E-LINGO anhang autorenübersicht 217 Schriftenreihe der Baden-Württemberg Stiftung 226 DVD - filmische Dokumentation der Fachtagung 232 <?page no="7"?> 8 Vorwort der Baden-Württemberg Stiftung Mit der Fachtagung „Sag’ mal was - Sprachförderung im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Praxis“ hat die Baden-Württemberg Stiftung die Diskussion über die Wirksamkeit von Sprachfördermaßen bundesweit angeregt. Im Ergebnis wurden die zentrale Bedeutung von Sprachfördermaßnahmen und die wichtige Rolle der Qualifikation der Sprachförderkräfte herausgearbeitet. Gleichzeitig wurde die noch unzureichende Forschung im frühkindlichen Bereich deutlich sichtbar. Die Gäste der Fachtagung aus dem ganzen Bundesgebiet, den Niederlanden, der Schweiz und aus Österreich nahmen Teil an einer offen geführten Diskussion um die von der Baden- Württemberg Stiftung in Auftrag gegebene Begleitforschung zu ihrem Programm „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“. Der vorliegende Band nimmt seinen Ausgang bei den Vorträgen der Tagung und führt die Diskussion mit einigen Originalbeiträgen weiter. Die Debatte um vorschulische Sprachförderung und deren Wirksamkeit entstand aus dem von der Baden-Württemberg Stiftung im Jahr 2002 initiierten Programm „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“. Dieses hatte die Zielsetzung, die sprachliche Bildung und den Spracherwerb von Kindern im vorschulischen Alter zu stärken. Der Aufsichtsrat der Baden-Württemberg Stiftung stellte dafür rund 7 % (39 Mio. Euro) der gesamten Stiftungserträge der ersten 10 Jahre zur Verfügung. Es ist also ein Programm, dem hohe Bedeutung zukommt. Fast 90.000 Kinder in Baden-Württemberg haben daran teilgenommen. „Sag’ mal was“ war und ist das erste flächendeckende Angebot für eine intensive Sprachförderung in Kindertageseinrichtungen in Deutschland. Das Programm war von Beginn als „lernendes Programm“ angelegt, aus dem Erkenntnisse aus der Praxis für künftige Maßnahmen gewonnen werden sollten. Instrumente dafür waren der wissenschaftliche Beirat, eine Projektgruppe und die wissenschaftliche Begleitforschung. Diese wurde von zwei Teams an den Pädagogischen Hochschulen Weingarten und Heidelberg durchgeführt. Sie untersuchten die laufenden Sprachfördermaßnahmen mit unterschiedlichen Fragestellungen. Auftrag und Grenzen der wissenschaftlichen Begleitforschung müssen berücksichtigt werden, um daraus angemessene Schlussfolgerungen ziehen zu können. Zu diesem Zweck haben wir den vorliegenden Band zusammengestellt und herausgegeben. Eine DVD als filmische Dokumentation der Tagung ist beigelegt. Seit ihrer Errichtung im Jahr 2000 ist die Baden-Württemberg Stiftung Innovationswerkstatt des Landes. Sie trägt mit ihren Aktivitäten dazu bei, Baden-Württemberg auf seinem Weg als erfolgreiches, fortschrittliches und lebenswertes Land zu unterstützen und seine Vorreiterrolle auch in Zukunft zu behaupten. Sie investiert gezielt in zukunftsträchtige Schlüsseltechnologien, vielfältige Bildungsmaßnahmen und in die soziale Kompetenz der Bürgerinnen und Bürger. Sie ermutigt die Menschen im Land dazu, selbst zu aktiven Gestaltern ihrer Zukunft zu werden. Die Stiftung prägt <?page no="8"?> 9 nachhaltig: Schülerinnen und Schüler, Studierende, Forschende, Erzieherinnen und Erzieher, Lehrende, Künstlerinnen und Künstler, Baden-Württembergerinnen und Baden-Württemberger. Wir danken allen unseren Partnern, die mit ihrem großen persönlichen und zeitlichen Engagement dazu beigetragen haben, das Programm „Sag’ mal was“ durchzuführen. Den Mitgliedern des Aufsichtsrats danken wir, dass sie sich für die Durchführung dieses Programms eingesetzt haben. Wir danken den Teams der Wissenschaftlichen Begleitforschung an den Pädagogischen Hochschulen Heidelberg und Weingarten. Als Programmträger haben die Kolleginnen und Kollegen der L-Bank und des Landesinstituts für Schulentwicklung die Umsetzung der Sprachfördermaßnahmen mit den Trägern vor Ort und den vielen Sprachförderkräften garantiert. Dafür danken wir allen ganz besonders. Eine Tagung wäre nicht realisierbar ohne den Einsatz und das Engagement der Referentinnen und Referenten und der Autorinnen und Autoren, die diesen Band mit einem Beitrag bereichern. Ihnen ist insbesondere auch für die Geduld zu danken, die sie dem langen Herstellungsprozess dieses Bandes entgegenbrachten. Dass das Buch schließlich zustande kam, ist dem unermüdlichen Einsatz von Martina Friemelt, Gudrun Raible, Rosemarie Tracy und Ulrike Vogelmann zu danken. Wir wünschen uns, die interessanten und ertragreichen Diskussionen der Tagung über die richtige Sprachförderung fortzuführen und neue, weiterführende Aspekte zu beleuchten. Das Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Praxis, in dem sich die Sprachförderung befindet, wird auch weiterhin bestehen bleiben. Wir hoffen, mit dieser Publikation die Pole klarer definieren und Wege aus einem - auch emotional und politisch - aufgeladenen Spannungsfeld aufzeigen zu können. Allen Leserinnen und Lesern wünschen wir eine anregende Lektüre. Christoph Dahl Geschäftsführer Baden-Württemberg Stiftung Dr. Andreas Weber Abteilungsleiter Bildung Baden-Württemberg Stiftung <?page no="9"?> 10 gemeinsames grußwort von Städtetag, landkreistag und gemeindetag Das Beherrschen der deutschen Sprache ist ein Schlüssel für eine gelingende Bildungsbiografie jedes Kindes. Eine möglichst früh ansetzende Sprachbildung und Sprachförderung, die vom Elternhaus mitgetragen und unterstützt wird, ist deshalb ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Chancengleichheit und zur Überwindung herkunftsabhängiger Zukunftschancen. Die Kommunalen Landesverbände und die Kommunen stimmen deshalb mit der Kultusministerin darin überein, dass Kinder schon im Kindergartenalter systematisch und professionell gefördert werden müssen. Im Orientierungsplan für Bildung und Erziehung für die baden-württembergischen Kindergärten und Kindertageseinrichtungen ist „Sprache“ ein zentrales Element, das alle sechs Bildungs- und Entwicklungsfelder umfasst. Gibt es über diese ganzheitlich ausgerichtete Sprachbildung hinaus Förderbedarf, muss es zusätzliche Angebote einer gezielten, intensiven Sprachförderung geben. Mit ihrem von 2003 bis 2010 laufenden Programm „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“ hat die Baden-Württemberg Stiftung die in vielen Kindertagesstätten bereits vorhandenen Ansätze aufgegriffen und eine flächendeckende Einführung von Sprachfördermaßnahmen ermöglicht. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung, die zur Überprüfung der Wirksamkeit in Auftrag gegeben wurde, haben wichtige Anregungen zu den Voraussetzungen und zur Weiterentwicklung einer Erfolg versprechenden Sprachförderung gegeben. Diese Erkenntnisse der wissenschaftlichen Begleitung des Programms der Baden-Württemberg Stiftung wie beispielsweise die Notwendigkeit von alters- und sprachdifferenzierten Sprachförderkonzeptionen, das Ansetzen zu einem noch früheren Förderzeitpunkt sowie die Anforderungen an die Qualifikation der pädagogischen Fachkräfte und die Formen der Zusammenarbeit mit den Eltern müssen aufgegriffen werden. Mit der Übernahme der intensiven Sprachförderung durch das Land ab dem Kindergartenjahr 2010/ 2011 anerkennt das Land seine Zuständigkeit für die Fördermaßnahmen und entspricht einer langjährigen Forderung der Kommunalen Landesverbände. Diesem konsequenten Schritt müssen aber weitere folgen, um durch eine qualitative und quantitative Ausweitung der Sprachförderung dem unbestrittenen Handlungsbedarf gerecht zu werden. Oberbürgermeister a. D. Prof. Stefan Gläser Prof. Eberhard Trumpp Roger Kehle Städtetag Landkreistag Gemeindetag Baden-Württemberg Baden-Württemberg Baden-Württemberg <?page no="10"?> 11 einführung in den Band Sprachförderung für Kinder im Vorschulalter ist seit Jahren ein hochaktuelles Thema. Sie steht im öffentlichen Interesse, da es um die Bildungschancen aller Kinder geht. Als zentrales „Werkzeug“ der Kommunikation ist Sprache für alle Menschen grundlegend. Sie ist die Voraussetzung für jede Bildung. Für ein rohstoffarmes Land wie Baden-Württemberg liegt der Schlüssel zum Erfolg in der guten Qualifikation seiner Menschen. Programme zur Verbesserung der Sprachfähigkeit, zur Erhöhung internationaler Kompetenz, zur Stärkung der Mehrsprachigkeit und zur gezielten Förderung von Talenten sind für eine Stiftung nur folgerichtig, um die individuellen Lebens- und Bildungschancen aller Menschen in Baden-Württemberg zu vergrößern. Ein Programm wie „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“ stellt letztlich eine zentrale Investition in die Zukunft der jungen Generation dar. Jede Investition muss aber im Hinblick auf ihren Nutzen kritisch betrachtet werden. Dabei geht es nicht um eine Zensur der Maßnahmen, sondern um die Herausarbeitung von Lern- und Entwicklungspotentialen, die dann für Verbesserungen fruchtbar und nutzbar gemacht werden können. Ziel der Fachtagung „Sag’ mal was - Sprachförderung im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Praxis“ am 29. und 30. April 2009 in Stuttgart war es, der Frage nachzugehen, was wir aus dem Programm „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“ lernen können. Einige wichtige Impulse und gleichzeitig neue Fragen wurden im Zuge der Diskussion herausgearbeitet. Insbesondere kommt in diesem Band die Praxis stärker als bei der Tagung zu Wort. Was können der Leser und die Leserin erwarten? Wissenschaft ist kritische Prüfung von Aussagen, Daten, Erkenntnissen. Die Tagung hat in Verbindung mit der daraus entstandenen Publikation die Aufgabe, dies im Dialog zu ermöglichen und den Transfer in die Praxis zu gestalten. Das Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Praxis, in dem sich die Sprachförderung befindet, wird dadurch nicht aufgehoben. Viele Beteiligte leisten Beiträge zu diesem Band. Zunächst eröffnen wir den Band mit einem Überblicksartikel, in dem wir das Programm „Sag’ mal was“ in seinem Gesamtkontext darstellen, damit die Stellung der wissenschaftlichen Begleitforschung darin deutlich wird. Dann folgen - entsprechend der Rhythmik der Tagung - fünf grundlegende Beiträge von Wolfgang Klein, Sabine Weinert, Hartmut Esser, Ingrid Gogolin und Rosemarie Tracy mit verschiedenen theoretischen Zugängen zum Spracherwerb. Neben grundlegenden Theorien werden hier auch die Bedeutung und die „Wir haben das Beste getan, was man tun konnte, aber wir sind uns nicht sicher, ob es wirklich gut ist“. (Wolfgang Klein, während der Fachtagung am 29.4.09) <?page no="11"?> 12 Voraussetzungen eines erfolgreichen Spracherwerbs aufgezeigt. Daran anschließend stellen im 3. Kapitel die beiden Teams der Pädagogischen Hochschulen Weingarten und Heidelberg ihre wissenschaftlichen Begleitstudien zum Programm „Sag’ mal was“ vor. Sie bieten die Folie zum Verständnis der weiteren Beiträge. Das 4. Kapitel wird mit den Empfehlungen und Schlussfolgerungen der Wissenschaftlichen Begleitforschung eröffnet. Diese werden im Folgenden in drei verschiedenen Aspekten weiter ausgeführt. Zunächst liegt der Fokus auf den Impulsen für die Wissenschaft und Forschung. Hier werden auch die Herausforderungen einer Sprachstandsdiagnostik am Beispiel von LiSe-DaZ skizziert. Von der Diagnostik gehen wir zu Fragen der Praxis über: welche wichtigen Impulse für die Aus-, Fort- und Weiterbildung aus Blick einer Fachschule für Sozialpädagogik (Berufskolleg) und einer Hochschule ergeben sich? Und wie gehen andere Projekte in der Frühkindlichen Bildung vor? Einige erfahrene Praktiker ergänzen diese Perspektiven mit ihren Anregungen und Impulsen für die Praxis. In einer Art Zwischenbetrachtung beschreibt Hans H. Reich, der unserem Beirat angehört, aus seiner Sicht, was aus „Sag’ mal was“ und der wissenschaftlichen Begleitforschung zu lernen ist. Dabei zeigt er einige Vorurteile auf, von denen wir uns befreien sollten. Das 6. Kapitel präzisiert die Transfermöglichkeiten und die Weiterentwicklung von „Sag’ mal was“. Dabei werden Projekte vorgestellt, die sich aus dem flächendeckenden Sprachförderprogramm entwickelt haben wie beispielsweise „Sprachliche Bildung für Kleinkinder“ und ein Projekt, in dem es um ein Blended Learning-Konzept in der Fortbildung in Deutsch als Zweitsprache geht, das wir gemeinsam mit dem Goethe Institut durchführen. Die beigefügte DVD bietet Ausschnitte aus der Tagung und insbesondere einen Sketch der deutsch-italienischen Amateur-Theatergruppe „Le Maschere“. Die Vorträge und Diskussionen in den Workshops und Pausen werden durch das bewegte Bild miterlebbar. Das zweisprachige Theaterstück über die Schulsituation eines italienischen Jungen bringt das Thema Sprachförderung in anderer Weise auf den Punkt. Der dort gezeigte Umgang mit Sprachförderanlässen, der Umgang miteinander oder die Durchführung von Sprachstandserhebungen ist natürlich fiktiv! Ähnlichkeiten mit der Wirklichkeit sind jedoch leider nicht ausgeschlossen. Wichtig bleibt anzumerken, dass im Buch aufgrund der Tatsache, dass die Personen, die in Kindertageseinrichtungen arbeiten, überwiegend weiblich sind, zur besseren Lesbarkeit in der Regel die weibliche Form „Erzieherin“ verwendet wird. Soweit nicht ausdrücklich vermerkt, sind bei der Verwendung der weiblichen Form bei bestimmten Personengruppen grundsätzlich immer beide Geschlechter gemeint. <?page no="12"?> 13 1 „Sag’ mal was“ - ein lernendes programm <?page no="13"?> 14 „Sag’ mal was“ - ein lernendes programm Andreas Weber und Suzan Bacher I. Zum Beginn Die folgenden Ausführungen sollen dazu dienen, die Facetten des Programms in seiner Gesamtheit vorzustellen und die Aufgabe der wissenschaftlichen Begleitforschung in diesem Kontext zu verdeutlichen. Wir wollen darin „Sag’ mal was“ aus Sicht von zwei dieser verschiedenen Instanzen beschreiben: Aus der Perspektive der Baden- Württemberg Stiftung als Initiatorin des Programms und des Landesinstituts für Schulentwicklung (LS) als inhaltlichem Programmträger. Es lohnt sich darüber hinaus, die differenzierten Aufgaben der Abwicklung zu vergegenwärtigen, die vor allem von den Programmträgern und Dienstleistern der Baden-Württemberg Stiftung - dem Landesinstitut für Schulentwicklung und der L-Bank - wahrgenommen wurden. Außerdem gilt es die Rolle des Beirats im Hinblick auf das Gesamtprogramm und die wissenschaftliche Begleitforschung zu klären. Schließlich geht es darum, den Veränderungsprozess der letzten fast 10 Jahre in der Sprachförderung herauszuarbeiten und den Anteil zu bestimmen, den das Programm „Sag’ mal was“ daran hatte. II. Das Programm „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“ Sprachkompetenz und Ausdrucksvermögen sind die „Schlüssel“ zum Bildungserfolg für alle Kinder und eine wesentliche Voraussetzung für ihre Chancen in unserer Gesellschaft. Mit diesen Worten formulierte der Aufsichtsrat der Baden-Württemberg Stiftung im Jahr 2002 die Motivation für den Beschluss über ein Programm zur Sprachförderung für Vorschulkinder. Zusammen mit den Beschlüssen der folgenden Jahre wurden von der Baden-Württemberg Stiftung insgesamt 39- Millionen- Euro bereitgestellt. Das Programm „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“ unterstützte die Träger von Kindertageseinrichtungen in ihrem Ziel und ihrer zukunftsorientierten Aufgabe, die sprachliche Bildung und den Erwerb der deutschen Sprache von Kindern im vorschulischen Alter zu stärken und besonders zu fördern. Die Praxis stand im Vordergrund: In Abstimmung mit der zur Steuerung eingesetzten Projektgruppe wurden Sprachfördermaßnahmen in den Kindertageseinrichtungen ausgeschrieben und finanziert. Mit seinem Titel „Sag’ mal was“ ist dieses Programm in Baden-Württemberg zum Begriff für Sprachförderung in Tageseinrichtungen für Kinder geworden. An der Entstehung, Durchführung und Weiterentwicklung des Programms „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“ waren viele Personen und Institutionen beteiligt. Ihr Zusammenspiel wird in folgender Grafik der Programmstruktur dargestellt: <?page no="14"?> 15 Abbildung 1: Programmstruktur von „Sag’ mal was“ „Sag’ mal was“ sollte ein „lernendes Programm“ sein, das Erkenntnisse aus der Praxis für die Praxis gewinnen sollte. Der Beirat „Sprachförderung“ - bestehend aus Expertinnen und Experten unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen aus der ganzen Bundesrepublik - unterstützte diese Zielsetzung u. a. mit der Auswahl zweier Institutionen für die wissenschaftliche Begleitforschung. Die beiden wissenschaftlichen Begleitstudien zu den Sprachfördermaßnahmen wurden nach Start des Programms in Auftrag gegeben, um künftige Verbesserungspotentiale sichtbar machen zu können. Im Jahr 2009 stand der Abschluss dieser wissenschaftlichen Begleitforschung an. Die ineinander verzahnten Elemente von „Sag’ mal was“ tragen und gestalten einen Veränderungsprozess, der sich in der Sprachförderung in den letzten Jahren vollzogen hat und noch vollzieht. Auf sehr unterschiedlichen, aber zusammenhängenden Ebenen wurden Maßnahmen verfolgt, die die Kompetenz der beteiligten Personen, die allgemeine Sensibilisierung für die Problemlage und Handlungsoptionen entscheidend beeinflusst haben. Diese sind: 1) die Sprachfördermaßnahmen in den Einrichtungen selbst mit den wichtigen ergänzenden Bestandteilen Sprachstandserhebung, Förderplanung und Dokumentation, Elternbeteiligung und Qualifikation von Förderkräften. 2) die Entwicklung und Evaluation von Qualifizierungsmaßnahmen für Multiplikatorinnen, Beirat Sprachförderung Expertinnen und Experten aus dem Bundesgebiet Wissenschaftliche Begleitforschung Evaluation der Sprachfördermaßnahmen (PH Heidelberg und PH Weingarten) Evaluation Multiplikatorinnen- Qualifizierung (Univation Köln) Landesinstitut für Schulentwicklung Programmträger, fachliche Begleitung, Koordination L-Bank Finanzdienstleister, Antragsbearbeitung Projektgruppe Trägerverbände von Kindertageseinrichtungen sowie Vertreterinnen und Vertreter von Ministerien Kindertageseinrichtungen Durchführung der intensiven Sprachförderung in den Fördergruppen Multiplikatorinnen Beratung und Unterstützung der Sprachförderkräfte Kongresse und Veranstaltungen Fortbildungsträger Qualifizierungsmaßnahmen für Sprachförderkräfte und Multiplikatorinnen LiSe-DaZ Entwicklung eines Sprachstandserhebungsverfahrens (Universität Mannheim und Universität Frankfurt / Main) <?page no="15"?> 16 3) die im Jahr 2004 in Auftrag gegebene wissenschaftliche Begleitforschung des Programms durch die Pädagogischen Hochschulen Weingarten und Heidelberg, 4) die Entwicklung eines Verfahrens zur Sprachstandserhebung für mehrsprachige Kinder, das unter dem Namen LiSe-DaZ zum Einsatz kommen wird, 5) die Durchführung von Kongressen und Veranstaltungen zur Sensibilisierung und Information der (Fach-)Öffentlichkeit, 6) die Installation eines Projektmanagements mit einer Projektgruppe und einem Beirat „Sprachförderung“ zur Begleitung und Steuerung des Gesamtprogramms. Alle diese Maßnahmen haben Wirkungen auf sehr verschiedenen Ebenen erzielt. Sie sollen hier skizziert werden, damit die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung in diesen Kontext eingeordnet werden können. „Wer so spricht, dass er verstanden wird, spricht immer gut“ Jean Baptiste Molière Im Herbst 2003 übernahm das Landesinstitut für Schulentwicklung (LS) die Programmträgerschaft für „Sag’ mal was“ und begleitet das Programm fachlich seit nun mehr sieben Jahren. Erkenntnisse aus der Praxis wie auch aktuelle wissenschaftliche Befunde zur Sprachförderung wurden am LS aufbereitet und für das Programm nutzbar gemacht. So vermittelte das LS schon zur ersten Ausschreibung im Jahr 2003/ 2004 wichtige fachliche Impulse: Die „Inhaltlichen Leitsätze“, die für die Sprachfördermaßnahmen als fachlich-pädagogische Orientierung verbindlich waren, wurden vom LS ausgearbeitet. Insgesamt hat das LS sieben Ausschreibungen für das Programm „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“ gemeinsam mit der Baden-Württemberg Stiftung vorbereitet und veröffentlicht. Zudem wurden jährlich mehr als 1.700 Einladungen zur Teilnahme am Programm „Sag’ mal was“ an kommunale und freie Träger von Kindertageseinrichtungen in Baden-Württemberg per E-Mail-Schreiben verschickt. Den Trägern und Kindertageseinrichtungen stand das Projektteam sowohl für Fragen zum Programm wie auch zur fachlichen Beratung und Begleitung zur Seite. Für alle Teilnehmenden und am Programm Interessierten baute das LS im Auftrag der Baden-Württemberg Stiftung eine umfangreiche Internetseite auf, die neben zahlreichen Informationen und Materialien zum Programm und zur Sprachförderung auch alle Antragsunterlagen sowie Informationen zur wissenschaftlichen Begleitforschung enthält: www.sagmalwas-bw.de. 1) Die Sprachfördermaßnahmen Die Sprachfördermaßnahmen von „Sag’ mal was“ waren ein zusätzliches Angebot für Kindertageseinrichtungen, das über die für alle Kinder angebotene allgemeine Förderung der Sprachentwicklung hinausging. Sie kamen Kindern, die 1 bis 2-Jahre <?page no="16"?> 17 vor der Einschulung standen und noch keinen altersgemäßen Sprachstand in Deutsch aufwiesen, zugute. In kleinen Gruppen konnten diese Kinder kontinuierlich und intensiv gefördert werden. Der Umfang betrug mindestens 120-Stunden im Kindergartenjahr, verteilt auf drei bis sechs Förderstunden pro Woche. Durchgeführt wurden die Maßnahmen von qualifizierten Fachkräften. Die pädagogischdidaktische Umsetzung der Sprachförderung lag in der Gestaltungsfreiheit der in den Einrichtungen tätigen Fachkräfte. Die aktive Einbeziehung der Eltern als wichtiger Bestandteil des Programms wurde zusätzlich honoriert. Von Sprachförderangeboten aus dem Programm „Sag’ mal was“ konnten mit Ende des Programms zum Kindergartenjahr 2009/ 2010 fast 90- 000 Kinder in ganz Baden-Württemberg profitieren. „Das Wort gehört zur Hälfte dem, welcher spricht, und zur Hälfte dem, welcher hört“ Michel Eyquem de Montaigne Neben der fachlichen Begleitung des Programms führte das LS im Auftrag der Baden-Württemberg Stiftung in den Kindertageseinrichtungen kontinuierliche Praxisbesuche durch und konnte somit dem Programm auch „ein Gesicht geben“. Es fanden 139 Besuche statt, die alle Regionen Baden-Württembergs erreichten. Bei den Vor-Ort-Besuchen konnte sich das LS einen Einblick in die praktische Umsetzung der intensiven Sprachförderung verschaffen, fachliche Anregungen zur Optimierung der Fördermaßnahmen geben und Impulse aus der Praxis aufgreifen. Fragen zu den Programmbedingungen wurden geklärt und deren Einhaltung vor Ort überprüft. Die Vor-Ort-Besuche wurden durchweg positiv aufgenommen, wenngleich so manche Sprachförderkraft über die ein oder andere schlaflose Nacht berichtete, wenn der Termin des Vor-Ort-Besuches nahte. Seitens der Sprachförderkräfte wurden vor allem der direkte und persönliche Kontakt sowie die fachlichen Rückmeldungen und Anregungen begrüßt. In den Einrichtungen zeigte sich ein sehr vielfältiges Bild der praktischen Umsetzung der Sprachförderung. Es wurden sowohl vorstrukturierte Programme wie auch ganzheitliche Sprachförderkonzepte umgesetzt. Vielfach fanden sich Kombinationen aus Programm und ganzheitlicher Sprachförderung. Von der Freude, der Konzentration und dem Eifer, mit denen sich die Kinder an den verschiedenen sprachfördernden Aktivitäten beteiligten und dem hohen Engagement der Sprachförderkräfte konnten sich die Mitarbeiterinnen des Landesinstituts bei den Vor-Ort-Besuchen immer wieder überzeugen. Durch die positiven Rückmeldungen, die das LS in den letzten Jahren zum Programm „Sag’ mal was“ erhalten hat, vor allem aber durch die zahlreichen persönlichen Begegnungen und Kontakte im Zuge der Vor-Ort-Besuche, wurde deutlich, dass die Träger von Kindertageseinrichtungen in Baden-Württemberg der sprachlichen Bildung und dem Spracherwerb eine große Bedeutung beimessen. <?page no="17"?> 18 2) Qualifizierungsmaßnahmen für Multiplikatorinnen und deren Evaluation Mit der Qualifizierung von Multiplikatorinnen unterstützte die Baden-Württemberg Stiftung den Aufbau eines flächendeckenden Netzwerks in der Weiterbildung. Die Erfahrungen aus dem Programm zeigten, dass verschiedene Kompetenzen, wie z.-B. der Umgang mit Verfahren zur Sprachstandserhebung, bei den Fachkräften der Fördergruppen in den Einrichtungen besser ausgebildet werden müssen. Zudem wurde die Notwendigkeit erkannt, regionale Anlaufstellen für die fachliche Unterstützung der Sprachförderkräfte zu schaffen. Dies sollten qualifizierte Personen sein, die zum einen aus der eigenen Praxis die spezifischen Schwierigkeiten und Herausforderungen kennen und zum anderen durch eine intensive Fortbildung die Arbeit reflektieren und Kolleginnen mit einem breiten Wissen unterstützen können. Damit die Einrichtungen und Sprachförderkräfte Multiplikatorinnen in ihrer Nähe finden können, wurden deren Kontaktdaten auf der Website www.sagmalwas-bw.de nach Regierungsbezirk und Ort sortiert eingestellt. Es ging der Baden-Württemberg Stiftung insbesondere um den Kompetenzaufbau bei den Anbietern, um ihre gewonnenen Kompetenzen langfristig ohne die Hilfe der Baden-Württemberg Stiftung nutzen zu können. Die Qualifizierungsmaßnahmen wurden auch evaluiert. Dabei zeigte sich, dass schon viele Kompetenzen erreicht und verbessert wurden. Jedoch wünschen sich die Sprachförderkräfte und Multiplikatorinnen noch weitere Fortbildungen, was wiederum ihre hohe Motivation widerspiegelt (vgl. Neugebauer, Schulz, 2007). Das Landesinstitut für Schulentwicklung war an der Konzeption der Multiplikatorinnen-Qualifizierung beteiligt und diente u. a. auch als Kontaktstelle für die Fortbildungsträger und -teilnehmerinnen. Nach Abschluss der Qualifizierungsmaßnahmen wurden die Multiplikatorinnen um ihr Einverständnis angefragt, ihre Kontaktdaten zu veröffentlichen. Die Mehrheit, insgesamt 191 Multiplikatorinnen, waren dazu bereit. Eine im Sommer 2010 vom LS durchgeführte Befragung bei diesen Multiplikatorinnen erbrachte ein sehr erfreuliches Ergebnis. Nach sieben Jahren waren noch über ein Drittel der Qualifizierten als Multiplikatorinnen für das Programm tätig. Das LS war zudem beauftragt, das für die Evaluation zuständige Institut zu unterstützen. Es erstellte Verteilerlisten, und war bei der Fragebogenerhebung sowie der Veröffentlichung der Evaluationsberichte beratend tätig. 3) Die wissenschaftliche Begleitforschung Die unmittelbare Unterstützung des Spracherwerbs der Kinder stand für die Baden- Württemberg Stiftung von Beginn an im Vordergrund. Entsprechend erfolgte die Beauftragung der wissenschaftlichen Begleitforschung der Sprachfördermaßnahmen mit unterschiedlichen Fragestellungen an die beiden Forscherteams der Pädagogi- <?page no="18"?> 19 schen Hochschule Weingarten und der Pädagogischen Hochschule Heidelberg erst in einem zweiten Schritt. Der Zeitpunkt der Einbindung der wissenschaftlichen Begleitung markiert auch eine Grenze für das, was als Ergebnis zu erwarten war. Nach der „reinen Lehre“ von Evaluationsverfahren hätte die Beauftragung der wissenschaftlichen Begleitung vor dem Start der Maßnahmen erfolgen müssen. Nur so wäre es (theoretisch! ) möglich gewesen, alle Faktoren methodisch sauber zu kontrollieren. Eine vollkommene Kontrolle der Interventionssituation war und ist jedoch kaum machbar. Die wissenschaftliche Begleitforschung musste sich zudem auf einen Teil des Programms, nämlich die Sprachfördermaßnahmen selbst, sowie auf Stichproben daraus konzentrieren, um im verfügbaren zeitlichen und finanziellen Rahmen zu bleiben. Damit blieb als Hauptziel bestimmt, Verbesserungspotentiale in der Arbeit der Kindertagesstätten zu finden und zu isolieren. In den Untersuchungen konzentrierte sich das Team Jeanette Roos/ Hermann Schöler der Pädagogischen Hochschule Heidelberg auf den Vergleich der an Sprachförderkonzepten orientierten Sprachfördermaßnahmen in einer Region. Eine repräsentative Stichprobe von Sprachfördermaßnahmen in ganz Baden-Württemberg wurde vom Team Barbara Gasteiger-Klicpera / Werner Knapp / Diemut Kucharz an der Pädagogischen Hochschule Weingarten bearbeitet. Beide Studien bewegten sich auf Neuland. Es gab im Jahr 2004 kaum Vergleichbares, sodass Fragestellungen, eingesetzte Instrumente und Analysemethoden nicht auf Bewährtes aufbauen konnten. Dies bedeutet umgekehrt: Alle folgenden Studien können nun an diese wissenschaftlichen Erfahrungen und Erkenntnisse anknüpfen. Über die eigenen Erhebungen der beiden Studien hinaus gibt es noch eine Fülle von Dokumenten, die bisher einer wissenschaftlichen Bearbeitung noch nicht zugänglich gemacht werden konnten. Die zahlreichen Selbstevaluationen von Trägern und Einrichtungen durch Abschlussberichte, Förderpläne und Rückmeldungen vor Ort konnten von den beiden Teams nicht systematisch berücksichtigt werden. Im Zeitraum von 2003 bis 2010 unterstützte das LS alle am Programm beteiligten Personen und Institutionen auf vielfache Weise. Das Team beantwortete Anfragen zu den Sprachfördermaßnahmen, gab den Kindertageseinrichtungen fachliche Anregungen und Hilfestellung und stand Projektpartnern bei der Suche nach Lösungsstrategien bei. Die Träger und die pädagogischen Fachkräfte der Einrichtungen wurden bei Fragen zur pädagogischen Umsetzung der Sprachförderung wie z. B. zur Sprachstandserhebung, zur methodisch-didaktischen Gestaltung der Sprachförderung oder zur Umsetzung der aktiven Elternbeteiligung beraten. Dabei wurde sowohl bei den direkten Kontakten vor Ort wie auch bei den Telefon- und E-Mail-Kontakten die Möglichkeit, das LS bei fachlichen Fragen anzusprechen, häufig genutzt. Die in den Einrichtungen erstellten Förderpläne und Abschlussberichte wurden am Landesinstitut insbesondere zur Vorbereitung der Vor-Ort-Besuche ausgewertet. Alle Unterlagen werden dort im Auftrag der BW Stiftung archiviert. <?page no="19"?> 20 4) LiSe-DaZ - Linguistische Sprachstandserhebung für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache Als weiteres Element wissenschaftlicher Begleitforschung zu „Sag’ mal was“ hat die Baden-Württemberg Stiftung die Entwicklung eines Sprachstandserhebungsverfahrens für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache („LiSe-DaZ - Linguistische Sprachstandserhebung - Deutsch als Zweitsprache“) initiiert. Das von Petra Schulz, Frankfurt/ Main, und Rosemarie Tracy, Mannheim, entwickelte Verfahren LiSe-DaZ schließt eine wichtige Lücke. Es beansprucht für sich, die Ungleichbehandlung von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund durch besondere Erhebungsmethoden zu beheben. Das Verfahren erfasst Kinder im Alter von 3-7-Jahren und berücksichtigt die Dauer des Kontakts mit der deutschen Sprache und die wichtigsten in Deutschland vertretenen Migrantensprachen als Erstsprachen. Der Auftrag zur Entwicklung des Verfahrens erfolgte fast parallel zum Beginn der Sprachfördermaßnahmen im Jahr 2003 vor dem Hintergrund, dass kein Diagnoseverfahren für mehrsprachige Kinder zur Verfügung stand, das wissenschaftlichen Ansprüchen genügt. Es gab und gibt wenige Verfahren, die eine vergleichbare Zielrichtung haben. Einzig für deutschsprachige Kinder gibt es normierte Sprachtestverfahren, z. B. SETK 3-5 1 . Wäre LiSe-DaZ bereits für die wissenschaftliche Begleitforschung von „Sag’ mal was“ zur Verfügung gestanden, hätte ein sehr viel präziseres Instrument für die Einschätzung des tatsächlichen Sprachstands genutzt werden können. Voraussetzung für die Teilnahme am Programm war die Durchführung einer Sprachstandserhebung. Sie sollte einerseits dazu dienen, den intensiven Förderbedarf eines Kindes festzustellen, wie auch die Grundlage für die Förderplanung bilden. Die zu Programmbeginn zur Verfügung stehenden Verfahren eigneten sich nur für sprachliche Teilaspekte. Daher wurden mehrere Verfahren zugelassen. Den pädagogischen Fachkräften, die in der Regel die Sprachstandserhebung durchführten, empfahl das LS, das für ihre Situation vor Ort geeignete Verfahren auszuwählen und falls möglich, mehrere Verfahren ergänzend anzuwenden. Welche Verfahren vorzugsweise in den Einrichtungen eingesetzt wurden, zeigt die Auswertung aus dem Kindergartenjahr 2005/ 2006 in Abbildung 2 auf der folgenden Seite. Über die gesamte Programmlaufzeit hinweg hat sich im Verhältnis der Anwendung von Beobachtungs- und Einschätzverfahren im Vergleich zu Testverfahren wenig geändert. 1 Der SETK 3-5 wurde vom Land Baden-Württemberg als Sprachstandsdiagnose im Jahr 2009 als Standardverfahren im Rahmen der Einschulungsuntersuchung eingeführt. <?page no="20"?> 21 5) Kongresse und Veranstaltungen Während die Sprachfördermaßnahmen für die Kinder im Vordergrund des Programms standen, sollte die öffentliche Diskussion über das Thema Sprachförderung und insbesondere über die Chancen der Zweit- und Mehrsprachigkeit nicht vergessen werden. Sachgerechte Information und die Verbreitung der Erkenntnisse der internationalen Forschung zu Fragen der Sprachentwicklung standen im Fokus unserer Kongresse und Fachtagungen und unseres umfangreichen Informationsangebots auf der Website. Die Baden-Württemberg Stiftung hat durch das Programm „Sag’ mal was“ bis in die Ebene der Einrichtungen hinein die Diskussion über das Thema Sprachförderung und frühe Mehrsprachigkeit bestimmt. Auf den Punkt gebracht wurde die Diskussion im hochkarätig besetzten Kongress „Frühe Mehrsprachigkeit. Mythen - Risiken - Chancen“, der am 5. und 6.- Oktober 2006 gemeinsam mit der Universität Mannheim unter der wissenschaftlichen Leitung von Rosemarie Tracy veranstaltet wurde. Über 300 teilnehmende Expertinnen und Experten aus Forschung und Praxis sprachen sich für eine möglichst frühe und gezielte Sprachförderung aus. Eine Kernaussage der 11 Punkte umfassenden Mannheimer Erklärung zur frühen Mehrsprachigkeit, die auf dem Kongress verabschiedet wurde: Kinder werden durch das Erlernen einer zweiten oder weiteren Sprache nicht überfordert. Sie können von Geburt an mit mehr als einer Erstsprache aufwachsen 2 . 2 Vorträge, die zum Kongress erschienene Dokumentation sowie alle 11 Thesen der Mannheimer Erklärung auf: www.sagmalwas-bw.de/ veranstaltungen/ kongress-2006.html Bärenstark 1 % 1 % 27 % 23 % BISC Breuer-Weuffen Kontinuierliche Beobachtung 34 % SISMIK SETK 3-5 5 % HAVAS HASE BEK 0 % 9 % 0 % Abbildung 2: Eingesetze Sprachstandserhebungsverfahren Sprachstandserhebungsverfahren <?page no="21"?> 22 „Du hast so viele Leben, wie Du Sprachen sprichst“ Aus Tschechien Welche große Bedeutung die Mehrsprachigkeit auch für das Programm hatte, zeigte nicht nur der Kongress „Frühe Mehrsprachigkeit“, sondern auch die hohe Teilnehmerzahl von Kindern mit Deutsch als Zweitsprache: Ungefähr 2/ 3 aller Kinder, die am Programm „Sag’ mal was“ teilgenommen haben, waren Kinder mit Deutsch als Zweitsprache. Die Fachtagung „Sag’ mal was - Sprachförderung im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Praxis“ in Stuttgart diente schließlich der Diskussion der Befunde zum Abschluss der wissenschaftlichen Begleitforschung mit einem Fachpublikum aus Wissenschaft und Praxis 3 . Das LS übernahm die Koordination der Planung und Organisation der Fachtagung im April 2009. Hierzu gehörte auch die Erstellung einer eigenen Internetseite zur Fachtagung, die ständig mit aktuellen Informationen und Materialien ergänzt wurde. Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit präsentierte das LS das Programm „Sag’ mal was“ im Auftrag der Baden-Württemberg Stiftung u. a. auf vielen Veranstaltungen und Tagungen. Dabei lernten die Teilnehmerinnen das Programm in seinen Grundzügen und fachlichen Anforderungen kennen und erhielten Hinweise, was in Bezug auf die Sprachförderung besonders berücksichtigt werden sollte. 3 Informationen zur Fachtagung in: www.sagmalwas-bw.de/ fachtagung-2009/ Kinder mit Deutsch als Erst- und Zweitsprache bei „Sag’ mal was“ 58.339 30.611 Kinder mit Deutsch als Erstsprache Kinder mit Deutsch als Zweitsprache Abbildung 3: Gesamtzahl der teilnehmenden Kinder mit Deutsch als Erst- und Zweitsprache Kinder mit Deutsch als Erst- und Zweitsprache bei „Sag’ mal was“ <?page no="22"?> 23 6) Projektmanagement: Projektgruppe und Beirat„Sprachförderung“ Entscheidend für den Erfolg des Programms waren nicht zuletzt die Wahl der Programmstruktur und die ersten Umsetzungsschritte. Die Baden-Württemberg Stiftung verfolgte von Beginn an den Grundsatz, die an der Sprachförderung Beteiligten an einen Tisch zu bringen und das Programm gemeinsam mit ihnen im Dialog zu strukturieren und zu realisieren. Daneben sollten die üblichen Qualitätsmaßstäbe der Baden-Württemberg Stiftung mit Ausschreibung, Begutachtung, Einbeziehung eines unabhängigen und externen Beirats im Rahmen des Programms gelten und fest verankert werden. Nach einem ersten Spitzengespräch mit den Trägerverbänden am 9. Dezember 2002 wurde eine Projektgruppe zur Umsetzung des Programms eingesetzt, an der die Trägerverbände der Kirchen, die freien Träger, die Vertreter der kommunalen Landesverbände, die Ministerien und andere mitwirkten. Darüber hinaus wurde ein Beirat „Sprachförderung“, der gemäß den Qualitätsstandards der Baden-Württemberg Stiftung mit Expertinnen und Experten auch außerhalb Baden-Württembergs besetzt wurde, zur Programmbegleitung berufen. Diese brachten Expertise aus Wissenschaft und Praxis zur (Früh-)Pädagogik, Psychologie, Linguistik, Elternarbeit und zur pädagogischen Arbeit in Kindergärten ein: • Dr. Mehmet Alpbek, Türkischer Elternverein Berlin-Brandenburg • Prof. Dr. mult. Wassilios E. Fthenakis, Freie Universität Bozen • Prof. Dr. Ingrid Gogolin, Universität Hamburg • Prof. Dr. Hannelore Grimm, Universität Bielefeld • Dr. Karin Jampert, Deutsches Jugendinstitut, München • Dr. Hans-Joachim Laewen, Institut für angewandte Sozialisationsforschung/ Frühe Kindheit, Berlin • Prof. Dr. Hans H. Reich, Universität Koblenz-Landau • Prof. Dr. Monika Rothweiler, Universität Bremen • Prof. Dr. Rosemarie Tracy, Universität Mannheim • Anne Zehnbauer, Deutsches Jugendinstitut, München. Dieses Gremium hat wesentlich zum Erfolg des Programms „Sag’ mal was“ beigetragen. Der essentielle Input des Beirats unterstützte das Ziel aller Beteiligten, ein „lernendes Programm“ auf den Weg zu bringen und die Veränderungsprozesse positiv zu gestalten. <?page no="23"?> 24 „Das Menschlichste, was wir haben, ist doch die Sprache“ Theodor Fontane Die Rückmeldungen aus der Praxis, des Beirats, der Projektgruppe und der wissenschaftlichen Begleitforschung bildeten die Grundlage für die inhaltliche Aktualisierung und Weiterentwicklung der Richtlinien und Ausschreibungsunterlagen des Programms. Gleichzeitig galt es, stiftungsbedingte, gemeinnützigkeitsrechtliche und steuerrechtliche Vorgaben zu berücksichtigen. Für diese Umsetzung, die häufig einem Spagat glich, konnte das LS als Koordinationsstelle und Dienstleister Lösungsvorschläge unterbreiten. III. Veränderungsprozesse und wissenschaftliche Begleitforschung „Sag’ mal was“ hat als ein „lernendes Programm“ Anteil an einem Änderungsprozess in der öffentlichen Behandlung und Wahrnehmung von Sprachförderung. Dabei war die wissenschaftliche Begleitforschung ein bedeutender Faktor. Um jedoch die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung angemessen beurteilen zu können, muss man sich die Ziele und Vorgehensweisen des Programms vor Augen führen. Zum anderen muss man sich mit den Möglichkeiten und Grenzen der Forschung zu Bildungsfragen vertraut machen, um die richtigen und keine überzogenen Erwartungen an die Ergebnisse formulieren zu können. Des Weiteren sind die Konsequenzen, die daraus gezogen werden können, von Interesse. Es ist eine gängige und legitime Forderung, dass Projekte und Programme sich einer Evaluation oder einer wissenschaftlichen Begleitung stellen müssen. Man will schließlich wissen, ob die Ziele erreicht und ob das Geld effektiv und effizient ausgegeben wurde. Wenn keine Wirkungen gezeigt werden, will man wenigstens wissen, woran es lag und was bei einer Fortführung (oder Weiterführung) der Projektidee verbessert werden kann. Programme im Sozial- oder Bildungsbereich unterliegen einer besonderen Verantwortung, da es bei den Interventionen um die Lebens- und Bildungsverläufe von Menschen geht. Es existiert somit auch eine abzuwägende ethische Fragestellung. Es gilt abzuwägen zwischen den Erkenntnissen für mittel- und langfristige Verbesserungen und dem unmittelbaren Nutzen der Fördermaßnahmen. In dieser Abwägung zeigt sich, dass die wissenschaftliche Begleitung in jedem Fall einen Sinn hat. Sie muss aber richtig verstanden werden: Eine wissenschaftliche Begleitung ordnet sich der Wissenschaftslogik unter. Sie verteilt keine „Zensuren“ für das durchgeführte Programm, sondern zeigt Verbesserungspotentiale in theoretischer und praktischer Hinsicht für die Zukunft auf. Die wissenschaftliche Begleitforschung von „Sag’ mal was“ fand in einer Situation statt, die in mancher Hinsicht Pionierarbeit erforderlich machte. Zwar stand und steht die Bedeutung der frühkindlichen Sprachförderung außer Frage, doch insgesamt ist die Datenlage im frühkindlichen Bereich in Deutschland nicht besonders ausgeprägt: Hier liefern die von uns erhobenen Daten wertvolles neues Material für die Forschung. Ähnliches gilt für die Erhebungsinstrumente: Alle Fachleute sind sich <?page no="24"?> 25 einig, dass die vorliegenden Instrumente für eine Erhebung des Sprachstands von bi- oder multilingual aufwachsenden Kindern nicht zureichend sind. Welche Erkenntnisse sind wichtig? Einige Aspekte, die aus unserer Sicht von Bedeutung sind, möchten wir hervorheben, ohne den Beiträgen zur wissenschaftlichen Begleitforschung in diesem Band vorzugreifen: Wir wissen aus der Summe aller Rückmeldungen, den Erfahrungen aus mehreren Jahren Sprachförderung und der wissenschaftlichen Begleitung: Alle Kinder in der Förderung machen Fortschritte in der Sprachentwicklung. Ohne die Sprachförderung wären viele Bildungschancen verloren. Diese wurden und werden genutzt. Dank der beiden Studien konnte ein umfassender Einblick in die Praxis von Sprachförderung gewonnen und die Komplexität des Untersuchungsfeldes genauer erfasst werden. Laut den Ergebnissen der wissenschaftlichen Begleitstudien von „Sag’ mal was“ erreichten die sprachförderbedürftigen Kinder in der Regel nicht das sprachliche Leistungsniveau der Kinder ohne Förderbedarf. Die Kinder konnten jedoch von der Förderung profitieren, auch wenn ihre Sprachentwicklung nicht vollständig parallel zu der von Kindern mit deutscher Muttersprache ohne Förderbedarf verläuft (vgl. Roos, Polotzek, Schöler, 2010). Von einer ausreichenden Beantwortung der Frage, welche Maßnahmen zur Sprachförderung in Kindertageseinrichtungen unter welchen Bedingungen wirken, sind wir noch weit entfernt - wie auch in anderen Bereichen der Bildungsinterventionen. Die Evaluationsstudien zur Sprachförderung im Rahmen des Programms „Sag’ mal was“ sind deshalb ein wichtiger Meilenstein in der Wirkungsforschung von Bildungsinterventionen in der frühen Kindheit. Sie grenzen die Antworten auf die offenen Fragen ein. Die Studien zeigen, dass Kinder mit Migrationshintergrund besonders von der Sprachförderung profitieren können. Mehrsprachige Kinder zeigen einen größeren sprachlichen Lernzuwachs, wenn ihre Familiensprache mit in die Förderung einfließt. Es ist anzunehmen, dass durch den Einbezug der Familiensprache in die Förderung auch der kulturelle Hintergrund der Kinder thematisiert werden kann (vgl. Gasteiger- Klicpera, Knapp, Kucharz, 2010). Dies sind letztlich gesellschaftliche Effekte außerhalb des unmittelbaren Lernfortschritts der Kinder, die zur Breitenwirkung des Programms beitrugen. „Kinder brauchen eher das Vorbild als die Kritik“ Joseph Joubert Das LS unterstützte die Baden-Württemberg Stiftung bei der konzeptionellen Arbeit und leistete fachliche Beratung. So wurde im Kindergartenjahr 2007/ 2008 die aktive Elternbeteiligung neu konzipiert. Die Zusammenarbeit mit den Eltern stellt ein wichtiges Instrument in der intensiven Sprachförderung dar, da die Familie die Entwicklung des Kindes maßgeblich beeinflusst. Bemühungen, die sprachliche Entwicklung des Kindes im Kindergarten zu fördern, wirken nachhaltiger, wenn sie in enger Kooperation und mit Unterstützung der Eltern erfolgen. <?page no="25"?> 26 Neben den inhaltlichen Erträgen, die über die Wirkung der Sprachfortschritte bei den Kindern hinausgehen - Veränderungen bei den Eltern, den Trägern, den Erzieherinnen, dem Umfeld - wurden methodisch neue Wege im elementarpädagogischen Bereich eröffnet. Am augenfälligsten sind die Videoanalysen der Pädagogischen Hochschule Weingarten, die wichtige Erkenntnisse hinsichtlich der konkreten Sprachfördersituationen liefern. Sprachfördernde Verhaltensweisen von Sprachförderkräften sind nicht ausschließlich personenabhängig, sie werden auch durch Gestaltung und Arrangement der Situation beeinflusst. Tendenziell hängt der Erfolg der Sprachförderung auch vom Erfahrungsschatz der Fachkraft ab. Aus diesen Erkenntnissen sind vielfältige Aspekte für die didaktische Ausbildung ableitbar. Das Bewusstsein für die Notwendigkeit zur Sprachförderung wurde als gesellschaftlich relevantes Thema in die Öffentlichkeit und in die Kindertageseinrichtungen getragen - damit wurde das Umfeld nachhaltig verändert. Dies gilt besonders für Einrichtungen, die sich an der wissenschaftlichen Begleitung beteiligt haben. Was wurde evaluiert und in welchem Kontext? Der Auftrag der wissenschaftlichen Begleitung von „Sag’ mal was“ war es, die Sprachfördermaßnahmen in den Einrichtungen zu untersuchen und verschiedene Umsetzungen zu vergleichen. Es handelte sich nicht um eine „Programmevaluation“ als solche. Damit sind auch Rückschlüsse auf das Gesamtprogramm unzulässig, da dies gar nicht im Auftrag der Studien stand. Auf Basis der Studien lässt sich nur über die Maßnahmen und die Praxis in den Kindertageseinrichtungen sprechen. Die Studien verfolgen nicht nur die Sprachstandsentwicklungen der Kinder, sondern unter anderem auch die Einstellungen der Eltern und die Kompetenz der Erzieherinnen. Wir rechnen es uns als Verdienst an, dass diese umfangreichen Daten erhoben wurden und der Wissenschaft weiterhin zur Verfügung gestellt werden. Vorschnelle Rezeption Im Vorfeld unserer Fachtagung 2009 wurden Teilergebnisse aus den Zwischenberichten der zwei Wissenschaftlergruppen öffentlich diskutiert. Dies führte zu unvollständigen und undifferenzierten Darstellungen in den Medien und zu verzerrten Interpretationen auf der Basis von Teilinformationen. Leider setzen sich oft diese vorschnellen Interpretationen als sogenannte „populäre Irrtümer“ fest und werden damit selbst wieder zu einem Irrtum (vgl. Jacobs 2009), der leider immer wieder wiederholt wird (vgl. z.B. auch Baumert 2011 oder Stranz 2011). Eine differenzierte und informierte Betrachtung bleibt weiter erforderlich. Denn dem komplexen Sachverhalt werden Berichte, die behaupten, dass die über unser Programm durchgeführte Sprachförderung „keine substanzielle Verbesserung des Sprachniveaus der Kinder mit Förderbedarf bewirkt“ hat, nicht gerecht. Glücklicherweise gibt es auch andere Stimmen (vgl. Esser 2009 und Tracy 2011). Und bei allen Aussagen über die angeblich festgestellte oder nichtfestgestellte Wirkungen muss in Erinnerung gerufen werden: wenn etwas nicht gezeigt werden kann, heißt es noch nicht, dass es nicht existiert. Das Programm „Sag’ mal was“ war aus vielen Gründen erfolgreich. Ein nicht unwesentlicher Effekt ergab sich beispielsweise auch durch die hohe Beteiligung der Kindertageseinrichtungen. Nur dadurch wurde ermöglicht, dass sich viele vorschulische Einrichtungen zum ersten Mal syste- <?page no="26"?> 27 matisch die Aufgabe der Sprachförderung zu eigen gemacht haben. Und damit kamen viele Kinder in den Genuss von Sprachförderung, die sonst gar keinen Zugang dazu gehabt hätten. Wie hoch die Beteiligung der Träger, Einrichtungen und Kinder über all die Jahre war, ist durch die folgenden Tabellen erkennbar. Insgesamt haben über 2.400 Einrichtungen von mehr als 850 Trägern mit fast 90.000 Kindern „Sag’ mal was“ in Anspruch genommen. Viele Einrichtungen und Träger haben mehrfach teilgenommen, 1.700 Einrichtungen mehr als 1-mal, mehr als 700 Einrichtungen haben 5-mal und öfter teilgenommen. Ohne das Programm wären die Kinder in diesen Einrichtungen mit der deutschen Sprache nicht in der intensiven Weise in Kontakt gekommen. Programmjahr Kindergartenjahr Teilnehmende Träger Teilnehmende Einrichtungen Fördergruppen Geförderte Kinder Davon Kinder mit DaE Davon Kinder mit DaZ 1. Jahr 2003/ 2004 359 881 1.434 10.301 3.413 6.888 2. Jahr 2004/ 2005 434 908 1.184 9.478 3.423 6.055 3. Jahr 2005/ 2006 553 1.195 1.828 15.152 5.513 9.639 4. Jahr 2006/ 2007 628 1.363 1.810 17.618 6.227 11.391 5. Jahr 2007/ 2008 619 1.291 1.677 16.093 5.565 10.528 6. Jahr 2008/ 2009 555 1.227 1.330 12.139 3.901 8.232 7. Jahr 2009/ 2010 664 1.117 1.238 8.169 2.563 5.606 Summe 10.501 88.950 30.611 58.339 Schnitt / Jahr 545 1.140 1.500 12.707 4.373 8.334 Unterschiedliche Einrichtung / Träger 884 2400 Zahlen zum Programm „Sag’ mal was“ Anzahl der Durchläufe, an denen die Einrichtungen teilgenommen haben Anzahl der Einrichtungen 1 683 2 387 3 322 4 284 5 285 6 273 7 161 Häufigkeit der Teilnahme von Einrichtungen <?page no="27"?> 28 Das Programm wurde flächendeckend in Baden-Württemberg wahrgenommen; aus allen Stadt- und Landkreisen beteiligten sich Tageseinrichtungen (siehe folgendes Schaubild). Sigmaringen Biberach Ravensburg Bodenseekreis Tuttlingen Konstanz Waldshut Lörrach Schwarzwald- Baar- Kreis Breisgau- Hochschwarzwald Emmendingen Rottweil Freudenstadt Ortenaukreis FR Bodensee Zollernalbkreis Tübingen Reutlingen Alb- Donau- Kreis Calw UL Böblingen Esslingen S Göppingen Heidenheim Ostalbkreis Schwäbisch Hall Rems- Murr- Kreis Ludwigsburg Heilbronn HN Hohenlohekreis Main- Tauber- Kreis BAD KA PF HD MA 46 18 45 29 12 11 33 52 11 41 34 51 30 46 39 34 19 26 52 25 29 29 45 35 35 23 12 2 21 46 22 24 34 44 13 17 36 10 30 8 12 10 21 33 Karlsruhe Enzkreis Rastatt Neckar- Odenwald- Kreis Rhein-Neckar- Kreis BAD = Baden-Baden FR = Freiburg im Breisgau HD = Heidelberg HN = Heilbronn KA = Karlsruhe MA = Mannheim PF = Pforzheim S = Stuttgart UL = Ulm Stadtkreise Stadt- und Landkreise in Baden-Württemberg Freiburg Abbildung 4: Anzahl der Einrichtungen verteilt auf Stadt-/ Landkreise, die im Kindergartenjahr 2007/ 2008 teilgenommen haben. Die meisten Wirkungen und Veränderungen durch das Programm „Sag’ mal was“ werden wahrscheinlich erst in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten sichtbar. Es sind langfristige Wirkungen, die weit über den Bereich der einzelnen Sprachfördermaßnahmen hinausgehen. Zu diesen Wirkungen gehört auch die öffentliche Diskussion über Sinn, Ziel und Zweck der Maßnahmen. Eine Gesamtbewertung der Ergebnisse geht nicht von heute auf morgen: „Vorschnelle Urteile sind gesellschaftspolitisch unverantwortlich“, sagt dazu das Mitglied des Beirats Rosemarie Tracy. Auf der Fachtagung unterstrich Wolfgang Klein in einem Diskussionsbeitrag, dass „wir das Beste getan haben, was man tun konnte“, aber wir können nicht sicher sein, welche Qualität es wirklich hat. Hartmut Esser hat grundsätzlich und aus wissenschaftstheoretischer Sicht hervorgehoben, wie das Programm „Sag’ mal was“ im „recht komplizierten Verhältnis zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit, Politik und der Praxis vor Ort“ zu bewerten ist. Dabei hebt er hervor, dass für die wissenschaftliche Diskussion das Vorgehen der Baden-Württemberg Stiftung - einschließlich der öffentlichen, transparenten Diskussion der Ergebnisse - das einzig richtige war (vgl. auch Kapitel 2). Die Tagung wie auch die weitere Debatte der wissenschaftlichen Begleitforschung setzten Meilensteine, die in Fragen der Sprachförderung nicht mehr außer Acht gelassen werden können. Zur Forschungsfrage der „Wirksamkeit“ von Sprachförderung gibt es erst Anfangsbefunde. Dies entspricht den Erwartungen. Die Fragestellung der Wirksamkeit steht in der empirischen Bildungsforschung immer noch ganz oben auf der Agenda. Hier konnten keine Wunder erwartet werden. Der Erfolg ist nicht kurzfristig möglich, son- <?page no="28"?> 29 dern an vielfältige Kriterien und Umstände geknüpft. Wir sehen, wo Sprachförderung gelingt (und wo nicht). Den Gründen muss verstärkt nachgegangen werden. Es stellen sich damit viele Fragen - vom internationalen Forschungsstand, dem Forschungsdesign und den zu erwartenden Ergebnissen gar nicht zu sprechen - die für die Interpretation der Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung gestellt und beantwortet werden müssen. Aus den Studien lernen wir etwas über die Rahmenbedingungen in den Einrichtungen: Wie sieht eine Sprachfördermaßnahme in der Praxis aus? Wie ist der Qualifikationsstand der Erzieherinnen und Erzieher? Was weiß man über die Einstellungen von Eltern gegenüber der Sprachförderung? Wie weit können sich die Eltern unterstützend verhalten? Wie weit und wie gut werden die Vorgaben des Programms umgesetzt? Zuletzt: Was kann über die „Sprachförderprogramme“ gesagt werden, sofern sie im intendierten Sinne eingesetzt wurden? IV. Folgerungen: Ein lernendes Projekt Als „Ertrag“ des Gesamtprogramms kann festgehalten werden, dass „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“ mit allen seinen Elementen einen wichtigen Meilenstein in der Sprachförderung in Baden-Württemberg - und darüber hinaus - darstellt. Es kann als „Lehrstück“ für die Möglichkeit, aus Praxisprogrammen zu lernen, gesehen werden. Die Folgerungen, Ergebnisse und Erträge sind auf verschiedenen Ebenen zu finden. Das Programm hat einen wichtigen Veränderungsprozess angestoßen, selbst geprägt und nach vorne gebracht. Aus der Gesamtschau aller Aspekte der Fachtagung im Frühjahr 2009 mit nationalen und internationalen Expertinnen und Experten ergeben sich Erkenntnisse, aus denen Perspektiven für die Zukunft von Sprachfördermaßnahmen entwickelt werden können. Eine der Zukunftsperspektiven, die von der Baden-Württemberg Stiftung selbst entwickelt wird, gilt der sprachlichen Bildung der Kinder unter 3 Jahren. Eine weitere besteht in der Zusammenarbeit mit dem Goethe Institut in der Entwicklung von Blended Learning-Elementen für die Fortbildung von Multiplikatorinnen und pädagogischen Fachkräften. Darauf werden wir in Kapitel 6 näher eingehen. Forschen für den wissenschaftlichen Fortschritt und Forschen für die Praxis Die 8. These der „Mannheimer Erklärung zur frühen Mehrsprachigkeit“ vom Oktober 2006 besagt: „Effektive Sprachförderung setzt voraus, dass die Erkenntnisse der Spracherwerbs- Forschung in die Praxis umgesetzt und kontinuierlich wissenschaftsbasiert und praxisnah evaluiert werden.“ (vgl. Baden-Württemberg Stiftung 2007). Genau dafür setzt sich die Baden-Württemberg Stiftung ein. Zu diesem Zwecke hat sie die wissenschaftliche Begleitforschung durchgeführt und wichtige Ergebnisse gewonnen, die für Sprachfördermaßnahmen fruchtbar gemacht werden können. Diese Erkenntnisse werden unter anderem auch in der Form von Tagungen unmittelbar von den Forschern weitergegeben. Mit Unterstützung der Stiftung Ravensburger Verlag wurden am 4. März 2010 in Weingarten die für die Praxis aufgearbeiteten <?page no="29"?> 30 Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung des Teams aus Weingarten an Akteure aus der Praxis (Erzieher und Erzieherinnen) weitergeben. Gleichzeitig erschien das Praxishandbuch „Sprache fördern im Kindergarten“, das die Erkenntnisse der Begleituntersuchung berücksichtigt und diese in die tägliche Praxis des Kindergartenalltags überträgt (vgl. Gasteiger-Klicpera, Kucharz, Knapp, 2010). Wie in vielen Feldern ist bei der Sprachförderung die „ganzheitliche“ Gesamtschau wichtig. Sie zeigt, dass die Erträge vielfältig genug sind, um den Akteuren in der Wissenschaft, den Entscheidungsträgern in Politik und Verbänden sowie der Praxis genügend substantielle Anregungen zur Umsetzung und kontinuierlichen kritischen Reflexion der Implementierung mitzugeben. Literatur Baden-Württemberg Stiftung (Hrsg.): Frühe Mehrsprachigkeit: Mythen - Risiken - Chancen. Dokumentation zum Kongress am 5. und 6. Oktober 2006 in Mannheim. Schriftenreihe Baden-Württemberg Stiftung 28, Stuttgart 2007. Baumert, J. et al.: Expertenrat „Herkunft und Bildungserfolg“. Empfehlungen für Bildungspolitische Weichenstellungen in der Perspektive auf das Jahr 2020, 2011, in: www.kultusportal-bw.de/ servlet/ PB/ menu/ 1284999/ index.html. Esser, H: Modell, Versuch und Irrtum, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.07.2009, www.faz.net/ artikel/ C31373/ migrantenfoerderung-modell-versuch-und-irrtum-30110784.html. Gasteiger-Klicpera, B. / Knapp, W. / Kucharz, D.: Abschlussbericht der Wissenschaftlichen Begleitung des Programms „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“, 2010, in: http: / / www.sagmalwasbw.de/ sprachfoerderung-fuer-vorschulkinder/ wissenschaftliche-begleitung2/ Gasteiger-Klicpera, B. / Kucharz, D. / Knapp, W.: Sprache fördern im Kindergarten. Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis (Beltz Verlag) Weinheim, Basel 2010. Jacobs, C.: Die populärsten Irrtümer über das Lernen (Focus Schule) Freiburg 2009. Neugebauer, U. / Schott, D.: Neues in der Sprachförderung für Vorschulkinder. Erkenntnisse aus der Evaluation zur Qualifizierung für Multiplikatorinnen in der Sprachförderung. Stuttgart. 2007, in: www. sagmalwas-bw.de/ sprachfoerderung-fuer-vorschulkinder/ wissenschaftliche-begleitung2/ evaluationmulti-qua.html. Roos, J. / Polotzek, S. / Schöler H.: EVAS. Evaluationsstudie zu Sprachförderung von Vorschulkindern. Wissenschaftliche Begleitung der Sprachfördermaßnahmen im Programm „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“, 2010, in: http: / / www.sagmalwas-bw.de/ sprachfoerderung-fuer-vorschulkinder/ wissenschaftliche-begleitung2/ Schulz, P. / Tracy, R. in Verbindung mit der Baden-Württemberg Stiftung: „LiSe-DaZ“ - Linguistische Sprachstandserhebung für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache (Hogrefe Verlag) Göttingen 2011. Stranz, G: Kultusministerkonferenz setzt die Sprachförderung auf den Prüfstand - „unsinnige“ Verfahren sollten ausgesetzt werden, in: www.bildungklick.de/ blog/ 79122/ kultusministerkonferenz-setzt-diesprachfoerderung-auf-den-pruefstand-unsinnige-verfahren-sollten-ausgesetzt-werden/ am 20.6.2011. Tracy, R.: Sprachförderung im Kreuzfeuer, In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.03.2011, Seite 8 oder: Die Koexistenz der Sprachen als Herausforderung und Chance, in: Neue Züricher Zeitung, Sonderbeilage Bildung und Erziehung, 29.06.2011, Seite 5. <?page no="30"?> 2 theoretische Zugänge zum Spracherwerb 31 <?page no="31"?> 32 Was wissen wir über den Spracherwerb, und was können wir daraus für die Sprachförderung ableiten? einige Bemerkungen zu einem schwierigen thema Wolfgang Klein 1. Eine Vorbemerkung Wissenschaftler neigen nicht unbedingt zur Bescheidenheit. Gute Forschung ist kein leichtes Geschäft, und wer sich auf einem bestimmten Gebiet auszukennen oder gar ausgezeichnet zu haben glaubt, fühlt sich gern berufen, auch zu allen möglichen anderen Dingen etwas zu sagen, die in einem weitläufigen Zusammenhang zu diesem Gebiet stehen. Das gilt vor allem dann, wenn es um die Anwendung wissenschaftlicher Befunde auf die Praxis geht. Aber man würde nicht unbedingt einen Biochemiker fragen, wie man am besten einen Kochkurs macht, und ein Nobelpreisträger in den Wirtschaftswissenschaften ist nicht immer der beste Ratgeber, wenn es darum geht, wie man ein Unternehmen leiten soll. So sollte man, denke ich, sich als Wissenschaftler mit entsprechenden Empfehlungen und Kommentaren ein wenig zurückhalten und nicht zu apodiktischen Äußerungen verleiten lassen, sondern mit vorsichtigen Hinweisen begnügen. Auf der anderen Seite ist es auch für den Praktiker wenig hilfreich, wenn er nichts zu hören bekommt als: „Das ist alles sehr kompliziert, und überhaupt kommt es sehr darauf an! “ Dieser Klemme kann man vielleicht am besten dadurch entgehen, dass man sich auf der einen Seite zwar deutlich äußert, auf der anderen Seite aber ebenso deutlich macht, wo die eigenen Grenzen liegen. Mein Arbeitsgebiet ist der Spracherwerb, und hier insbesondere der Zweitspracherwerb, und dazu, denke ich, kann ich etwas gut Begründetes sagen. Ich bin aber kein Experte für den Sprachunterricht, sei es den muttersprachlichen oder den fremdsprachlichen, noch ein Experte für Sprachtests, und vor diesem Hintergrund sollten auch die folgenden Bemerkungen gesehen werden. 2. Einige elementare Fakten Es sei zunächst an einige Tatsachen erinnert, die eigentlich offenkundig sind, die man aber leicht vergisst, wenn man über den Spracherwerb und auch über den Sprachunterricht redet. Niemand beherrscht von Natur aus eine Sprache; aber wir alle werden mit der Fähigkeit geboren, jede beliebige Sprache zu lernen. Von dieser Fähigkeit machen die meisten Menschen mehrfach Gebrauch - zu unterschiedlichen Lebensaltern, unter unterschiedlichen Bedingungen, mit ganz unterschiedlichem Erfolg. Welche Gesetzlichkeiten liegen den verschiedenen Formen des Spracherwerbs - dem ein- oder mehrsprachigen Erstspracherwerb, dem Zweitspracherwerb in früher Kindheit, dem Zweitspracherwerb als Jugendlicher, als Erwachsener - zu Grunde? Das müsste man eigentlich wissen, wenn man den Sprachunterricht auf eine wissenschaftliche Grundlage stellen will, denn eine Sprache zu lehren ist immer ein Versuch, in einen naturgegebenen <?page no="32"?> 33 Prozess einzugreifen, um ihn zu optimieren. Dies muss man sich immer vor Augen halten, wenn man den Sprachunterricht auf eine wissenschaftliche Grundlage stellen will. Nun entwickelt sich das naturgegebene Sprachlernvermögen im Laufe des Lebens. Kinder gelten allgemein als bessere Sprachenlerner als Erwachsene. Das wird auch in vielerlei Hinsicht durch die Forschung bestätigt, und das hat zu dem Schlagwort geführt „Je jünger, desto besser“. Ist dies wirklich so? Dies ist eines der beiden Kernprobleme, die man bedenken muss, wenn man Erkenntnisse aus der Spracherwerbsforschung in den Unterricht einbringen will. Das andere Kernproblem rührt aus einer gewissen Einseitigkeit dieser Forschung selbst: Sie betrachtet den Spracherwerb vor allem als die Aneignung einzelner lexikalischer und grammatischer Eigenschaften, die man „können muss“ und deren Beherrschung man überprüft - durch Klassenarbeiten oder auch durch strenge wissenschaftliche Tests, die den Lernerfolg messen sollen. Dabei misst man vor allem, welche Fehler die Lernenden machen oder wie groß ihr Repertoire an Ausdrucksmitteln (z.- B. an Wörtern) zu einer gegebenen Zeit ist, statt darauf zu schauen, wie sie die sprachlichen Aufgaben, vor denen sie stehen, mit den jeweils verfügbaren Mitteln lösen. Das aber ist es, was man letztlich von Natur aus lernt, wenn man eine Sprache lernt, sei es die Muttersprache oder eine weitere Sprache. Auf diese beiden Probleme will ich im Folgenden etwas näher eingehen. 3. Wie früh soll man mit dem Fremdsprachenunterricht beginnen? Jeder weiß, dass man als Kind seine Muttersprache gleichsam nebenbei lernt, dass Kinder sich auch oft gleichermaßen gut eine zweite oder dritte Sprache aneignen, und auch das allem Anschein nach ohne besondere Mühe; schließlich ist in vielen Ländern der Welt die Mehrsprachigkeit der Normalfall. Umgekehrt hat man als Erwachsener die größten Probleme, eine zweite oder dritte Sprache „perfekt“ zu lernen - perfekt in dem Sinne, dass man sie so gut kann wie ein muttersprachlicher Sprecher; manche bezweifeln sogar, dass das überhaupt möglich ist. Anders gesagt, die alltägliche Erfahrung spricht für einen massiven Alterseffekt beim Zweitspracherwerb. Vor gut vierzig Jahren hat der Biologe Eric Lenneberg diesen Effekt mit bestimmten, biologisch bedingten Veränderungen im menschlichen Gehirn in Zusammenhang gebracht. Demnach verliert das Gehirn etwa um die Pubertät die Plastizität, die erforderlich ist, um sich eine Sprache gleichsam von selbst anzueignen - so wie das ein Kind tut. Nach dieser sogenannten „kritischen Periode“ kann man zwar immer noch Sprachen lernen, aber es funktioniert ganz anders, etwa so, wie man Kenntnisse in Algebra oder Geschichte erwirbt. Die genannten Alltagserfahrungen einerseits, gewisse Befunde aus den Neurowissenschaften andererseits haben zu der inzwischen sehr verbreiteten Vorstellung geführt, die man auf den Nenner bringen kann: „Je jünger, desto besser! “. Sie verbindet sich mit der Forderung, man solle mit dem Fremdsprachenunterricht - gemeint ist damit meistens das Englische - schon in der Grundschule oder im Kindergarten anfangen. Lässt sich dies aus der Forschung zum Zweitspracherwerb begründen? <?page no="33"?> 34 Nein. Es gibt zwar eine Reihe von Untersuchungen, die klar belegen, dass Kinder bessere Lerner sind als Erwachsene. Es gibt weiterhin Untersuchungen, die belegen, dass jüngere Kinder bessere Lerner sind als ältere Kinder (wobei „Kind“ hier immer heißt „vor der Pubertät“). Aber ebenso gibt es Untersuchungen, die das genaue Gegenteil zeigen. Dies gilt insbesondere für die Entwicklung im Kindesalter: ältere Kinder schneiden oft besser ab als jüngere Kinder; dass Erwachsene besser lernen als Kinder, kommt aber durchaus auch vor. Es ist daher zwar beliebt, aber ganz sinnlos, einzelne Untersuchungen als Stütze für einen besonders frühen Zweitsprachunterricht zu zitieren: man muss den Wissensstand insgesamt betrachten. Den weitaus besten Überblick über das, was die Forschung zu den Auswirkungen des Alters auf den Spracherwerb bisher herausgefunden hat, geben David Singleton und Lisa Ryan in ihrem Buch Language Acquisition: the Age Factor (Multilingual Matters: Clevedon, 2004), in dem sie rund 1000 Veröffentlichungen zusammenfassen und kritisch diskutieren. Inzwischen sind einige Untersuchungen hinzugekommen, die das Bild aber nicht ändern, sondern nur weiter differenzieren. Im Fazit von Singleton und Ryan heißt es: A. „Of the very young acquiring their mother tongue it can be uncomplicately asserted that their early major speech milestones occur in a predictable order and, in the case of normal development, within well-defined age ranges“ (S.-226). B. „Of the middle-aged and senescent embarking on the acquisition of an L2 one can say with some degree of confidence that they are likely to experience more difficulties with oral-aural aspects of that language than younger learners and that under pressure their memory work in this context will generally be not so good“ (S.-226). Dies sind die beiden einzigen relativ klaren und eindeutigen Befunde. Im Übrigen ergibt sich ein extrem gemischtes Bild, das man in zwei zentralen Punkten zusammenfassen kann: C. „With specific regard to L2 acquisition, it is no longer possible to accept the view that younger L2 learners are in all respects and at every stage of learning superior to older learners, nor that older learners are in all respects and at every stage of learning superior to younger learners“ (S.-226; das gilt selbst bei den unter B. genannten „oral-aural skills“). D. „With regard to [the desirability of teaching L2s at primary level], the currently empirical evidence on the age factor is not particularly helpful to those who advocate early L2 acquisition. The best one can say on this score is that, given the right learning conditions, learners exposed to early L2 instruction may have some advantage in the long run over those whose exposure begins later. Concerning L2 for the middle-aged and the elderly, there is every reason to believe that, again given suitable learning conditions, such learners can in many respects be as successful in acquiring an L2 as their juniors“ (S.-227). <?page no="34"?> 35 Mit anderen Worten: Wenn man den Forschungsstand insgesamt ins Auge fasst und sich nicht einige Veröffentlichungen herauspickt, die einem am besten ins Argument passen, gibt es keinerlei Stütze für die allgemeine Maxime Je jünger, desto besser! Das heißt nun aber nicht, dass es überhaupt keinerlei Alterseffekte gäbe - ganz im Gegenteil, viele, wenn nicht die meisten Untersuchungen haben solche Effekte in der Tat gefunden. Es ist nur so, dass der Spracherwerb von einer ganzen Fülle von Faktoren abhängt, und je nachdem, wie die besondere Faktorenkonstellation ist, schneiden manchmal jüngere, manchmal ältere Lerner besser ab. Man kann sich das sehr leicht vergegenwärtigen, wenn man sich auch hier wiederum das Gesamtbild des Spracherwerbs vor Augen führt. Um eine Sprache zu lernen, sei es als erste, zweite, dritte, wie auch immer, müssen immer drei Voraussetzungen gegeben sein: 1. Man muss über ein bestimmtes Lernvermögen verfügen, wie es dem Menschen - und nur dem Menschen - angeboren ist; es ist ein wesentlicher Teil unserer genetischen Ausstattung. Zu diesem Lernvermögen zählen viele Einzelfähigkeiten, die teils von Anfang an gegeben sind, sich teils auch erst entwickeln ➜ etwa die Fähigkeit, Laute in einem bestimmten Spektrum wahrzunehmen und zu produzieren, ➜ Lautfolgen mit bestimmten Vorstellungen zu verbinden und das Ergebnis, die „Wörter“, im Gedächtnis zu speichern und bei Bedarf abzurufen, ➜ die Fähigkeit, solche Wörter sinnvoll zu größeren Komplexen („Sätzen“) zu kombinieren, ➜ das Ergebnis sinnvoll in den Kontext einzupassen, usw. usw. Das Sprachlernvermögen ist nichts Einheitliches, es ist in sich sehr komplex und reich strukturiert, und diese Teile entwickeln sich auch in unterschiedlicher Weise. 2. Man muss einen Zugang zur zu lernenden Sprache haben - einen Input, wie man oft und vereinfachend sagt. Beim natürlichen Spracherwerb, jenem, der ohne einen besonderen Unterricht auskommt, ergibt sich dieser Zugang aus der zunehmend stärkeren Teilnahme an der Kommunikation mit der sozialen Umgebung: man hört bestimmte Schallfolgen und verbindet sie mit anderen Informationen in der betreffenden Redesituation. Beim Sprachunterricht ist der Zugang ein eher vermittelter: die Eigenschaften der zu lernenden Sprache werden in bestimmter Weise aufbereitet angeboten, als „Lernmaterial“, und dies je nach Lehrmethode in ganz unterschiedlicher Weise. 3. Man muss einen Grund haben, diese Sprache zu lernen - einen Antrieb oder Motivation, wie man meist sagt. Beim Erwerb der Muttersprache ist dies der unbewusste, aber eminent starke Antrieb, ein Mitglied der betreffenden sozialen Gemeinschaft zu werden: man muss mit anderen kommunizieren, und zwar genauso wie die anderen, von denen man lernt. Beim Erwerb einer weiteren Sprache - und erst recht, wenn dieser <?page no="35"?> 36 nicht durch soziale Kontakte, sondern im Unterricht erfolgt - ist der Antrieb oft ein ganz anderer. Nun kann beispielsweise der Wunsch, eine gute Note in Englisch oder Latein zu erzielen, sicher ein sehr lebhafter sein. Aber er ist selten so wirksam wie die auf jedem Kind lastende Notwendigkeit, ein Mitglied einer Sozialgemeinschaft zu werden. Jede dieser drei Voraussetzungen kann, wie man sich leicht überlegen kann, höchst unterschiedlich ausfallen, und je nachdem sind Verlauf, Tempo und Endzustand des Spracherwerbs verschieden. Ein wichtiger Grund für diese Schwankungen bei Lernvermögen, Zugang und Motivation ist sicher das Alter des Lernenden. Aber es ist eben nur ein Grund von vielen, und es wirkt sich auf die drei Voraussetzungen auch ganz unterschiedlich aus. Deshalb ist es schlichtweg Unsinn zu sagen, man müsse, um mit dem Spracherwerb Erfolg zu haben, möglichst früh anfangen. Es gibt nach dem gegenwärtigen Stand kein biologisch vorgegebenes optimales Lernalter; vielmehr kommt es, um noch einmal Singleton und Ryan zu zitieren, auf „the right learning conditions“ an. 4. Wie gut beherrscht man eine Sprache? Sprachen sind überaus komplexe Ausdruckssysteme, die - jedenfalls bei den hochentwickelten Kultursprachen - hunderttausende von Wörtern oder zusammengesetzten Ausdrücken und viele grammatische Regeln umfassen. Wenn man eine Sprache lernt, dann lernt man unter anderem diese Ausdrucksmittel, oder zumindest einen relevanten Teil davon. Aber was man eigentlich lernt, ist, sich zu verständigen: man lernt, einen Gedanken, ein Gefühl, einen Wunsch in eine Lautfolge umzusetzen und umgekehrt, und zwar so, dass ein anderer es versteht und man umgekehrt ihn versteht. Dafür ist die Kenntnis der Ausdrucksmittel eine Voraussetzung, aber auch nicht mehr. Wenn man feststellen will, wie gut jemand eine Sprache beherrscht, dann genügt es nicht festzustellen, wie viele Wörter er kennt und ob er den Plural oder den Konjunktiv richtig bilden kann. Man muss vielmehr feststellen, was er mit diesen Ausdrucksmitteln macht. Einen guten Koch erkennt man nicht daran, ob das Gewürzregal gut gefüllt ist und die Messer scharf sind; man erkennt ihn daran, wie er kocht. Damit soll selbstverständlich nicht gesagt werden, dass die Mittel belanglos sind. Wer wenige Wörter kennt, wird manche sprachliche Aufgaben schlecht oder vielleicht gar nicht lösen können. Aber dieser Zusammenhang ist nur ein vermittelter. Um zu sinnvollen Aussagen über die tatsächliche Sprachbeherrschung zu kommen, muss man immer zweierlei in Rechnung stellen: ➜ Die Kenntnis welcher Ausdrucksmittel ist zur Lösung welcher sprachlicher Aufgaben von Bedeutung? ➜ Wie setzt jemand seine Mittel zur Lösung der betreffenden Aufgabe ein? Beides muss bedacht werden, wenn man beurteilen will, ob irgendein Test in der Tat geeignet ist, etwas über die Sprachbeherrschung eines Lerners zu einem gegebenen Lernstadium zu sagen. <?page no="36"?> 37 Ich will dies an zwei Beispielen kurz erläutern. Auf der Stuttgarter Tagung wurde lebhaft diskutiert, ob manche der bisherigen Fördermaßnahmen für Vorschulkinder in der Tat zu einer besseren Sprachbeherrschung bei den Geförderten - im Vergleich zu Nichtgeförderten - geführt haben. Einer von verschiedenen Tests galt der Fähigkeit der Kinder, einfache oder komplexe Sätze unverändert nachzusprechen („Satzgedächtnis“). Was die Kinder aber tatsächlich können müssten, ist einen Gedanken in einen Satz umzusetzen, und zwar so, dass er sinnvoll in den Redezusammenhang passt; derlei wurde aber nicht untersucht. Es ist sicher auch schwieriger zu messen; aber man muss ja messen, was beherrscht werden soll, und nicht, was man gut messen kann. In einem weiteren Test wurde untersucht, ob Kinder ihnen unbekannte Lautfolgen richtig aussprechen können („phonologisches Arbeitsgedächtnis für Nichtwörter“). Dies mag hilfreich sein, wenn es darum geht zu ermitteln, ob die Kinder eine Artikulationsstörung oder auch ein Hörproblem haben; es ist also durchaus ein nützlicher Test. Er sagt aber wenig darüber aus, wie gut sie sich mit anderen Kindern oder mit Erwachsenen verständigen können - mit anderen Worten, wie gut sie tatsächlich die Sprache beherrschen. 5. Ein Fazit Das Bild, das die Spracherwerbsforschung bisher über das „beste Lernalter“ zeichnet, lässt sich nicht auf den Punkt bringen „Je jünger, desto besser“. Es ist sehr differenziert, muss es auch sein, weil mit dem biologischen Alter viele andere Faktoren schwanken: die Bedingungen, unter denen gelernt wird, die Motivation die einen veranlasst zu lernen, die Ziele, die sich die Lernenden bewusst oder unbewusst setzen. Es gibt daher kein - etwa durch die Reifung des Gehirns bedingtes - „optimales Alter“ für den Zweitspracherwerb. Deshalb ist es auch falsch zu sagen, der Sprachunterricht müsse möglichst früh beginnen; vielmehr muss der Unterricht eine Reihe von Faktoren in Rechnung stellen, die den Spracherwerb in einer gegebenen Situation prägen: er muss, wenn man Schlagworte liebt, „altersadaptiert“ sein. Sprechen und verstehen zu können - das ist die Fähigkeit, einen komplexen Gedanken in eine Schallfolge (oder Buchstabenfolge) umzusetzen und umgekehrt. Dies, und nicht die Kenntnis bestimmter Formen und Regeln, macht die Sprachbeherrschung aus, und darauf zielt das Sprachvermögen, mit dem uns die Natur bedacht hat. Eine stärkere Fokussierung auf diesen Aspekt - wie lernen wir es, sprachliche Aufgaben zu lösen? - würde vielleicht auch einen anderen Blick auf die Zielsetzung des Sprachunterrichts, insbesondere auch auf die Verfahren, mit denen man den Lernerfolg überprüft, eröffnen. Während der Stuttgarter Tagung wurde auch der Erfolg oder Nichterfolg einiger Fördermaßnahmen lebhaft diskutiert. Nun bin ich kein Experte für Sprachtests. Sie wurden in diesem Falle, so glaube ich, durchaus nicht schlampig, sondern völlig lege artis durchgeführt. Aber nach all dem, was ich über den menschlichen Spracherwerb weiß, glaube ich nicht, dass sie uns sehr viel über die tatsächliche Sprachbeherrschung der getesteten Kinder sagen können, weil sie nicht das testen, was sie testen sollen, nämlich die Fähigkeit zu sprechen und zu verstehen. Schließen möchte ich diese Überlegungen mit einer völlig subjektiven Bemerkung, <?page no="37"?> 38 eigentlich eher einem Eindruck abschließen. Auf der Stuttgarter Tagung wurde neben vielem anderen auch ein Video gezeigt, in dem eine zweifellos engagierte und fähige Kindergärtnerin versucht hat, mit vier Kindern „Sprache zu üben“. Es war sichtlich ein Fiasko. Keines der Kinder hat sich ernsthaft dafür interessiert. Es ist nicht ihre Art, Sprache zu lernen. Man mag sich fragen, ob es wirklich sinnvoll ist, Kinder in diesem Alter sprachlich zu fördern. Es gibt sicher keinen „biologischen Grund“, so früh damit anzufangen, weil ansonsten das optimale Lernalter verpasst würde. Aber es mag sehr wohl andere, soziale Gründe geben. Und dann ist vor allem eines wichtig: muss man die entsprechenden „altersadaptierten“ Lernbedingungen schaffen. <?page no="38"?> 39 entwicklungspsychologische und linguistische aspekte frühkindlichen Spracherwerbs Sabine Weinert Der Spracherwerb in der frühen Kindheit stellt gleichermaßen ein alltägliches wie auch kompliziertes und schwer erklärbares Phänomen dar. So selbstverständlich wir Sprache nutzen, so komplex ist das sprachliche Regelwerk, über das selbst kompetente erwachsene Sprachnutzer kaum explizit Auskunft geben können. Spätestens ein Blick in einen Linguistik-Lehrgang macht deutlich, wie kompliziert, abstrakt und willkürlich die formalen und bedeutungsbezogenen Regeln der Sprache tatsächlich sind. Trotz einer Reihe von Gemeinsamkeiten unterscheiden sich die zu erwerbenden Einzelsprachen sowohl in ihrer Lautstruktur und den konkreten Wörtern und Bedeutungsstrukturen des Wortschatzes, als auch in den formalen Regeln der Wort- und Satzbildung. Ein kompetenter Nutzer des Deutschen weiß - auch ohne Linguistik- Kurs -, dass eine sprachliche Äußerung wie etwa „kratzen Katze Hund“ oder „die Katze der Hund kratze“, zwar inhaltlich verständlich, aber grammatikalisch falsch ist. Zugleich wird er den sinnfreien Satz „Der Luch, der die Plabeln verummelt, krielt“ zwar als inhaltlich unverständlich, zugleich aber als grammatisch korrekt einstufen und wissen, dass man auch hätte sagen können: „Es war einer dieser Luche, der gekrielt hat und der außerdem nicht eine Plabel, sondern mehrere Plabeln verummelt hat.“ Das komplexe formale und bedeutungsbezogene Regelsystem der jeweiligen Muttersprache oder sogar mehrerer Sprachen erwerben die meisten Kinder scheinbar mühelos in einem Alter, in dem sie sich - wie Professorin Grimm einmal formuliert hat - noch nicht einmal die Schuhe zubinden können. Interessanterweise erweist sich der Erwerb von Sprache in der Kindheit aus entwicklungspsychologischer und linguistischer Sicht sowohl als sehr robust als auch - und zugleich - als besonders störungsanfällig. So kann der Spracherwerb oftmals auch unter höchst widrigen Umständen in seinen Grundzügen gemeistert werden. Beispielsweise bilden gehörlose Kinder in Interaktion - auch ohne entsprechendes Sprachangebot - sprachähnliche Systeme, so genannte „home signs“ aus (vgl. Gleitman, 1986; Goldin-Meadow & Mylander, 1998); blinde Kinder erwerben - obgleich ihnen die konzeptuelle Basis fehlt - Farbbezeichnungen und Verben des Sehens in etwa demselben Alter wie sehende Kinder (Landau & Gleitman, 1985); und schließlich gibt es, wenngleich extrem selten, Personen, die trotz erheblicher Intelligenzeinschränkungen bei geistiger Behinderung dennoch das formale sprachliche Regelsystem vergleichsweise gut beherrschen (Rondal, 1995). Zugleich erweist sich der Spracherwerb aber auch als besonders störungsanfällig: Beeinträchtigungen des Spracherwerbs gehören zu den häufigsten Entwicklungsstörungen (vgl. z.- B. Grimm, 2003); bei Kindern ohne Sprachstörungen zeigen sich <?page no="39"?> 40 zudem deutliche und bedeutsame soziale Disparitäten im Spracherwerb (Hoff-Ginsberg, 2000). Vor dem Hintergrund der herausragenden Bedeutung von Sprache und Spracherwerb für die kindliche Entwicklung stellt dies eine besondere Herausforderung für die sprachtherapeutische und pädagogische Praxis dar. Im folgenden Beitrag wird zunächst ein kurzer Überblick über zentrale Leistungen und Meilensteine beim Spracherwerb gegeben. Dabei zeigt sich, dass Kinder - wie vor allem auch Studien zum Zweitspracherwerb belegen - im Grundsatz gute Sprachlerner sind. Vor diesem Hintergrund ist erstaunlich, dass dennoch viele Kinder die wichtige Aufgabe des Spracherwerbs - zumindest mit Blick auf ihre Bildungschancen - nur mit deutlichen Einschränkungen meistern. Daher werde ich mich im Weiteren unterschiedlichen Varianzquellen für interindividuelle Unterschiede im Spracherwerb zuwenden, um schließlich im letzten Teil einige Konsequenzen für Sprachstandsmessungen und insbesondere für Förderungen und gegebenenfalls therapeutische Interventionen zu ziehen. 1. Einige Leistungen und Meilensteine beim Spracherwerb Die Forschung der letzten Jahrzehnte hat gezeigt, dass der Spracherwerb sogar schon vor der Geburt beginnt. Bereits im ersten Lebensjahr bauen die Kinder auf der Basis sprachlicher Interaktionen und angeborener Wahrnehmungs-, Lern- und Gedächtnisfähigkeiten ein differenziertes Wissen über die Laut- und Klangstruktur ihrer jeweiligen Muttersprache oder sogar mehrerer Sprachen auf (Weinert, 2006 für einen ausführlichen Überblick). Dieses Wissen hilft den Kindern, den Sprachstrom der Umweltsprache in sprachlich sinnvolle Einheiten, d.-h. in Sätze, Teilsätze und Wörter, zu untergliedern, und stellt einen wichtigen Einstiegsmechanismus in den Wort- und Grammatikerwerb dar. Im Alter von etwa neun Monaten ist ein erstes Wortverständnis zu beobachten und mit 12 Monaten beginnen die Kinder selbst, erste Wörter produktiv zu nutzen. Mit ungefähr 1-1/ 2 Jahren, wenn Kinder ca. 50 Wörter produktiv und ungefähr 200 Wörter rezeptiv verfügbar haben, ändert sich das Wortlernen; seine Geschwindigkeit steigt nun deutlich an. Jetzt lernen die Kinder etwa neun neue Wörter pro Tag hinzu und verfügen über Lernmechanismen, die es ihnen ermöglichen, oftmals nach einmaligem Hören eine erste, vorläufige Bedeutung eines neuen Wortes zu erschließen. Zugleich beginnen die Kinder nun, Wortkombinationen zu bilden. Die Verfügbarkeit von weniger als 50 produktiven Wörtern mit 24 Monaten stellt einen Risikofaktor für den weiteren Spracherwerb dar. Dies ist bei ca. 14-% der Kinder, den so genannten „late talkern“ zu beobachten, von denen etwa die Hälfte eine persistente Sprachstörung mit gravierenden Folgen für die Gesamtentwicklung ausbildet (Grimm, 2003; s. auch Weinert, 2005, 2006 für Überblicke). Nur ein Jahr später, im Alter von drei Jahren, beherrschen sprachunauffällige Kinder bereits die wesentlichen Spielarten einfacher Sätze - teilweise bis zu einer Länge von mehr als 10 Wörtern. In den folgenden ein bis zwei Jahren wird die Kontrolle über <?page no="40"?> 41 zunehmend komplexere Satzgefüge (wie Relativsätze, Temporalsätze usw.) erworben. Die Kinder beginnen nun, über Sprache zu reflektieren und vermögen diese zunehmend aus der konkreten Situation zu lösen. Dabei lässt sich der Spracherwerb nach heutigem Erkenntnisstand nicht als eine einfache, lineare Annäherung an die Erwachsenensprache beschreiben. Entwicklungstypische Fehler wie gegeht, Tellers, er sehte, Männers oder verblättern zeigen, dass die Kinder sprachliche Regelmäßigkeiten entdecken und verweisen auf schrittweise, systeminterne Reorganisationen und die Ausbildung entwicklungstypischer Zwischengrammatiken. Die nicht bewussten Analyseprozesse führen dabei oftmals zu Fehlern auf der Oberfläche nach anfänglich korrektem Gebrauch. 2. Kinder als gute Sprachlerner: Alterstypische Unterschiede im Spracherwerb Heute gilt als unbestritten, dass Kinder auf den Spracherwerb vorbereitet und im Grundsatz gute Sprachlerner sind, die eine oder sogar mehrere Sprachen problemlos erwerben können. Keine andere Art außer dem Menschen ist in der Lage, ein vergleichbar komplexes Regelsystem wie das der menschlichen Sprache zu erlernen. Im Vergleich zu Erwachsenen erweisen sich Kinder dabei durchaus als besonders kompetente Sprachlerner. Studien zum Zweitspracherwerb machen dies nachdrücklich deutlich (vgl. z.-B. zusammenfassend Weinert, 2003, 2004). Allerdings variieren die alterstypischen Unterschiede des Sprachlernens in Abhängigkeit von den betrachteten Indikatoren: Wenn es um die Geschwindigkeit des Erwerbs einer neuen Sprache geht, so sind zunächst erwachsene Lerner in der Regel den Kindern überlegen; dies gilt aber nicht mehr, wenn man das erreichte Endniveau nach mehreren Jahren betrachtet. Während nämlich bei erwachsenen Lernern der Zweitspracherwerb oftmals vergleichsweise früh stagniert - man spricht hier anschaulich von Fossilierung - sind Kinder vergleichsweise leichter in der Lage, ein neues Sprachsystem bis zu seiner vollen Beherrschung zu erwerben. Letzteres gilt insbesondere für den Erwerb sprachlicher Formen, also für die Phonologie, d.-h. den Erwerb der Lautstruktur einer Sprache, und für den Erwerb ihrer grammatischen Regeln. Im Bereich des Lexikons und der Bedeutung sind keine entsprechenden Nachteile erwachsener Lerner zu beobachten. Die Gründe für die langfristige Überlegenheit der Kinder beim Erwerb von Sprachformen sind dabei vermutlich nicht einfach in einer biologisch bedingten sensiblen Phase der Gehirnreifung zu sehen - vielmehr sind hierfür vor allem auch verschiedene Aspekte der kognitiven, sozialen und motivationalen Entwicklung mitverantwortlich (vgl. hierzu ausführlich Klein, 1996; Weinert, 2003, 2004). Vor dem geschilderten Hintergrund ist es überraschend, dass dennoch vielen Kindern der Spracherwerb nicht hinreichend gut gelingt, sodass ihre Sprachkompetenzen im Schulalter gerade mit Blick auf ihre Bildungschancen nicht hinreichend ausgebaut sind. <?page no="41"?> 42 3. Varianzquellen im Spracherwerb Fragt man danach,worauf interindividuelle Unterschiede im Spracherwerb zurückgehen, so liegt es nahe, nach Varianzquellen sowohl im Kind als auch in der Umwelt zu suchen. Wie bereits erwähnt, weist eine nicht unerhebliche Anzahl von Kindern deutlich eingeschränkte Sprachlernfähigkeiten auf, die sich in Sprachentwicklungsstörungen niederschlagen (vgl. Grimm, 2003; Weinert, 2005 für Überblicke). Beeinträchtigungen des Spracherwerbs entstehen entweder als sekundäre Folgen anderer Entwicklungseinschränkungen (z.- B. bei Höreinschränkungen, frühkindlichem Autismus, geistiger Behinderung) oder als primäre spezifische Sprachentwicklungsstörungen. Von Letzteren sind ca. 6 - 8-% aller Kinder und damit nahezu jedes 14.-Kind betroffen. Diese Kinder sind dadurch charakterisiert, dass sie eine Vielzahl von Entwicklungsaufgaben erfolgreich meistern, nicht aber den Erwerb der Sprache. Kennzeichnend ist, dass ihre nonverbalen Intelligenztestleistungen im Normalbereich liegen; darüber hinaus weisen sie weder sensorische Einschränkungen oder schwere neurologische Auffälligkeiten noch schwere sozio-emotionale Probleme auf, die erklärend für ihre Sprachlernprobleme sein könnten. Dennoch haben sie extreme und sehr spezifische Probleme beim Erwerb der Sprache, speziell beim Erwerb der Grammatik (vgl. ausführlich Grimm, 2003; Weinert, 2005). Wir wissen heute, dass sich die Probleme dieser „spezifisch-sprachgestörten“ Kinder - trotz immer wieder genährter Hoffnungen - nicht einfach auswachsen. Im Gegenteil: sie erweisen sich als sehr stabil und sind von sich ausbreitender Wirkung mit gravierenden Konsequenzen für die kognitive und schulische sowie auch für die sozial-emotionale Entwicklung der Kinder. Aus einem zunächst höchst umschriebenen Entwicklungsproblem entstehen damit häufig kumulierende, sich auf die gesamte Entwicklung ausdehnende Probleme, die eine erhebliche Belastung für die Kinder und deren Familien, aber auch für das Gesundheitssystem darstellen. Für den hier interessierenden Zusammenhang ist es besonders bedeutsam, dass zahlreiche Studien zeigen, dass spezifische Spracherwerbsstörungen nicht infolge eines quanti tativ oder qualitativ abweichenden Sprachangebots oder eingeschränkter sprachlicher Interaktionen entstehen. Vielmehr sind es die Kinder, die spezifische Sprachlernprobleme aufweisen (vgl. Leonard, 1998; Grimm, 2003; Weinert, 2005 für Überblicke). Um nicht missverstanden zu werden: Der Befund, dass die Sprachlernprobleme dieser Kinder nicht auf geringe oder abweichende sprachliche Umweltanregungen zurückgehen, bedeutet nicht, dass Letztere unwichtig für diese Kinder wären. Sprachgestörte Kinder bedürfen vielmehr in besonderer Weise einer sehr systematischen, professionellen Anbahnung und Inszenierung des Sprachlernens, um ihre Sprachlerndefizite zu kompensieren. Dies kann nicht einfach im Kindergarten geleistet werden und erfordert eine gezielte störungsbildbezogene hypothesengeleitete Diagnose des heterogenen kognitiven und sprachlichen Entwicklungsprofils der Kinder und eine hierauf abgestimmte professionelle Intervention. Einfache Anrei- <?page no="42"?> 43 cherungen des Sprachangebots können hier sogar schädlich sein (s. auch Weinert & Lockl, 2008). Anders sieht dies bei Kindern mit ungestörten Sprachlernfähigkeiten aus. Interessanterweise legt eine populationsgenetische Studie von Dale u.-a. (1998) nahe, dass zwar 73-% der gruppenbezogenen Unterschiede bei 2-jährigen Kindern mit extrem eingeschränktem Worterwerb genetisch und nur 18-% umweltbedingt sind; umgekehrt waren aber 69- % der Wortschatzdifferenzen von 2-jährigen Kindern ohne spezielle Sprachverarbeitungsprobleme durch Umweltunterschiede verursacht. Hart und Risley (1995, 1999) haben in ihrer Längsschnittstudie, in der sie Kinder im Alter zwischen 9 Monaten und 2-1/ 2 Jahren verfolgt haben, eindrucksvoll gezeigt, dass diese je nach familiärem Hintergrund zwischen 215.000 Wörtern und lediglich 62.000 Wörtern pro Woche hörten. Zudem enthielt das Sprachangebot der Kinder aus Familien mit vergleichsweise höherem sozioökonomischem Status mehr verschiedene Wörter. Die Unterschiede im Sprachangebot kovariierten dabei deutlich mit dem Wortschatzumfang der Kinder. In einer unserer eigenen Studien haben wir herausgefunden, dass entsprechende soziale Disparitäten nicht nur für den Wortschatzumfang, sondern auch für den frühen Grammatikerwerb gelten. Dies ist insofern überraschend, als die Spracherwerbsforschung oftmals zwar die komplexe Syntax, nicht aber den Erwerb grundlegender Sprachfähigkeiten als bildungsabhängig betrachtet. In der interdisziplinären Forschergruppe „BiKS“ beschäftigen wir uns in zwei großen Längsschnittstudien mit Bildungsprozessen, Kompetenzentwicklung und Selektionsentscheidungen im Vor- und Grundschulalter (vgl. zur Anlage der Studie: von Maurice u.-a., 2007). In einer dieser Längsschnittstudien werden mehr als 500 Kinder aus 97 Kindergärten seit einem Alter von ca. 3-1/ 2 Jahren in ihrer Entwicklung verfolgt. Jährlich, teilweise sogar im Halbjahresabstand, werden umfängliche Messungen zur Erfassung der grammatischen Kompetenzen der Kinder, des Wortschatzes, der nonverbalen Intelligenztestleistungen, des Arbeitsgedächtnisses und spezifischer Fertigkeiten und Wissensbestände wie beispielsweise des Rechnens durchgeführt sowie zudem Indikatoren der Metakognition und der Theory of Mind-Entwicklung erhoben. Über die Kompetenzmessungen hinaus werden auch schulrelevante Einstellungen und Entscheidungsfindungen der Eltern erfasst und Beobachtungen sowie Befragungen zur Anregungsqualität in den Familien und Kindergärten durchgeführt. Die Ergebnisse, die zurzeit längsschnittlich analysiert werden, zeigen klare soziale Disparitäten im Bereich der Grammatik schon im Alter von 3 Jahren. Diese bleiben auch über die nächsten zwei Jahre in ähnlicher Weise erhalten. Dabei ist zu betonen, dass soziale Disparitäten auch dann beobachtbar sind, wenn man nur diejenigen Kinder betrachtet, die rein muttersprachlich deutsch aufwachsen. Die größten Nachteile sind - mit Blick auf die deutsche Sprache - aber natürlich und erwartungsgemäß bei Kindern aus Familien mit zwei nicht deutschsprachigen Elternteilen zu beobachten (Dubowy, Ebert & Weinert, 2008). <?page no="43"?> 44 Soziale Disparitäten im Spracherwerb sind nicht zuletzt deshalb so besorgniserregend, weil Sprache von zentraler Bedeutung auch für andere Entwicklungsbereiche und insbesondere für die Bildungschancen der Kinder ist. Sprache steuert die Aufmerksamkeit und begünstigt den Konzepterwerb; sie erleichtert viele Gedächtnis- und Problemlöseaufgaben, ist ein wichtiges, wenn nicht sogar das Mittel der Selbststeuerung und des Wissenserwerbs; zugleich ist sie bedeutsam für die soziale und sozial-kommunikative Entwicklung der Kinder (vgl. ausführlich Weinert, 2008). Dies alles legt nahe, dass Förderungen nicht erst kurz vor der Schule und mit Blick auf bildungssprachliche Kompetenzen, sondern bereits möglichst frühzeitig stattfinden sollten, um frühe Konsolidierungen individueller Benachteiligungen zu vermeiden und die im Grundsatz guten Sprachlernfähigkeiten der Kinder zu nutzen. 4. Förderung des Spracherwerbs Tatsächlich scheint die These, dass der frühe Spracherwerb vergleichsweise wenig abhängig von spezifischen Umweltanregungen und Förderungen ist, vor dem Hintergrund der geschilderten Befunde und einer Reihe von Förderstudien nicht haltbar (vgl. Weinert & Lockl, 2008 für einen Überblick). Zwar ist der Spracherwerb - wie bereits einleitend angesprochen - auf der einen Seite robust, in Teilen universell und die Erwerbsaufgabe hoch komplex; auf der anderen Seite scheint es aber gerade im frühen Spracherwerb optimierbare Passungen zwischen dem intuitiven Verhalten von Erwachsenen und älteren Kindern einerseits und den jeweiligen spracherwerbsbezogenen Entwicklungsaufgaben kleiner Kinder andererseits zu geben. Hannelore Grimm (1995) unterscheidet und charakterisiert in diesem Zusammenhang ➜ die Ammensprache, die mit übertriebener Sprachmelodie, klarer Pausensetzung und reliablen Dehnungen vor Satz- und Phrasengrenzen den Kindern im ersten Lebensjahr den Erwerb von Laut- und Klangstruktur der Muttersprache oder mehrerer Sprachen und damit den Einstieg in den Spracherwerb erleichtert (Ferguson, 1964); ➜ die stützende Sprache, die durch das Herstellen gemeinsamer Aufmerksamkeit, durch ritualisierte Spiele und Sprachanregungen den frühen Worterwerb, den Erwerb von Wortlernprinzipien und ersten Wortkombinationen im zweiten Lebensjahr begünstigt (Bruner, 1978, 1985; Grimm, 1995, 2003); ➜ sowie schließlich bei 2-3-Jährigen die „lehrende Sprache“, die z.-B. in geeigneten Bilderbuchsituationen über Erweiterungen, Wiederholungen, Transformationen kindlicher und eigener Äußerungen den Ausbau der Grammatik unterstützt (Hoff-Ginsberg & Shatz, 1982). ➜ Schließlich verweist u.- a. eine Studie von Huttenlocher, Vasilyeva, Cymerman und Levine (2002) darauf, dass ein Jahr später, im Alter von vier Jahren, vor allem die Komplexität der Erziehersprache (z.- B. der Anteil an Nebensätzen) hoch bedeutsam für die Sprachfortschritte der Kinder ist. <?page no="44"?> 45 Dabei ist zu betonen, dass typisch entwickelte Kinder das Sprachangebot nicht einfach passiv rezipieren, sondern vielmehr als aktive Sprachlerner gekennzeichnet werden können, die selbst der Blick- und Aufmerksamkeitsrichtung des Interaktionspartners folgen, dessen Intentionen erschließen, Erwartungen über die Bedeutung neuer Wörter an die Wortlernsituation herantragen und, wenngleich nicht bewusst, Regularitäten im Sprachangebot ableiten. Bei den kurz beschriebenen Passungen zwischen Sprachangebot und Erwerbsaufgaben des Kindes handelt es sich natürlich nicht um gezielte, bewusste Sprachlehrabsichten seitens der Erwachsenen und älteren Kinder; vielmehr erfolgen entsprechende Anpassungen intuitiv, vermutlich in dem Versuch, mit den Kindern zu kommunizieren, ihre Aufmerksamkeit und ihr Interesse zu erregen. Sie sind daher möglicherweise auf eine Homogenität von kognitivem und sprachlichem Entwicklungsstand auf Seiten der Kinder angewiesen. Bei eingeschränkten Sprachkompetenzen des Interaktionspartners senken wir - wie Hannelore Grimm (1994) für sprachentwicklungsgestörte Kinder gezeigt hat - möglicherweise das kognitiv-sprachliche Anspruchs- und Anregungsniveau unangemessen und in wenig förderlicher Weise ab. Obgleich das Sprachangebot und die sprachlichen Interaktionen somit insgesamt keineswegs so unzureichend sind, wie teilweise in der nativistischen Perspektive des Spracherwerbs angenommen wurde, lassen sich selbst bei vermutlich gut geförderten Mittelschichtskindern die Sprachlehr- und -lernsituationen noch deutlich optimieren. Dies legen vorliegende Förderstudien, wie beispielsweise die inzwischen klassische Studie von Whitehurst u.-a. (1988) nahe. Whitehurst und andere realisierten ein Kontrollgruppendesign und trainierten die Mütter der Trainingsgruppe, indem sie diesen wichtige Prinzipien der Sprachförderung bei 2-jährigen Kindern erläuterten, vormachten und im Rahmen von Rollenspielen mit direktem Feedback einübten. Obgleich die Mütter der Kontroll- und jene der Fördergruppe etwa gleich häufig mit ihren Kindern Bilderbücher lasen, führten die vermittelten Techniken nach vier Wochen entsprechend angereicherter Interaktionssituationen zu klaren und auch nach 9 Monaten noch nachweisbaren Gruppenunterschieden im produktiven Sprachstand der Kinder. Die Fördergruppe war der Kontrollgruppe um 6 bis 8 Monate im Spracherwerb voraus, obwohl sich die Gruppen zu Beginn der Förderung nicht voneinander unterschieden hatten. Zwar sind entsprechende Ergebnisse - und es gibt eine ganze Reihe hiervon - viel versprechend (vgl. Weinert & Lockl, 2008); dennoch wissen wir nach wie vor vergleichsweise wenig darüber, welche Art der Förderung bei welchen Kindern besonders effizient ist. So plädieren einige Förderprogramme für kurze Sätze und Vereinfachungen, andere heben die Bedeutung, die einer hohen Varianz der Komplexität des Sprachangebots zukommt, hervor. Für welche Kinder die Komplexität der Lehrer- oder Erziehersprache ein wichtiges Angebot im Sinne der erwähnten Studie von Huttenlocher u.-a. (2002) ist, und unter welchen Bedingungen dieses möglicherweise eine Überforderung oder besondere Hürde für die Kinder darstellt, wie dies für <?page no="45"?> 46 die Bildungs- oder akademische Sprache der Schule vermutet wird (Cummins, 1984, 2000), ist eine empirische Frage, der wir zurzeit in der bereits erwähnten BiKS-Studie nachgehen. Betrachtet man sowohl die vorgeschlagenen als auch die in Kindergärten tatsächlich realisierten Sprachprogramme, so unterscheiden sich diese in der Tat erheblich (vgl. z.-B. Jampert u.-a., 2005); hinzu kommt, dass die Schulungen für Erzieherinnen und/ oder Förderkräfte oftmals - trotz der Komplexität des Gegenstands - auf wenige Tage beschränkt sind, sodass zudem die konkrete Umsetzung und Ausgestaltung substanziell variieren dürfte. Am Rande sei vermerkt, dass keinem Psychologie-Studierenden (selbst in einem höheren Semester und bei guten psychologischen Vorkenntnissen) so wenig Zeit für den Erwerb der Grundlagen des Spracherwerbs, der Sprachdiagnostik und der Sprachförderung gegeben wird, wie dies in Erzieherinnen-Fortbildungen in der Regel der Fall ist! Mit Blick auf Kinder, die Deutsch als Zweitsprache erwerben, ist die Sachlage noch komplizierter. So sind die Annahmen, die in verschiedenen Förderprogrammen über den Zweitspracherwerb gemacht werden, ebenso unterschiedlich und variantenreich wie die vorgeschlagenen Förderprinzipien und die dann tatsächlich in Kindergärten durchgeführten Förderungen. Vergleichende Evaluationen der Förderbemühungen und -programme sind hier aus theoretischen wie praktischen Gründen extrem wichtig und unverzichtbar, um zu prüfen, welche Fördermaßnahmen tatsächlich und bei welchen Kindern zu den erwünschten Erfolgen führen und welche keine der erhofften Wirkungen hervorbringen! 5. Fazit ➜ Kinder sind im Grundsatz gute Sprachlerner. ➜ Dies gilt aber nicht für alle Kinder. Sprachgestörte Kinder weisen spezielle Sprachlernprobleme auf, die eine störungsbildbezogene Diagnostik und Intervention erfordern, die nicht von Erzieherinnen geleistet werden können. Hier ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Gesundheits- und Bildungssystem gefragt. ➜ Bei Kindern mit ungestörten Sprachlernfähigkeiten sind ebenfalls bedeutsame interindividuelle Unterschiede und soziale Disparitäten im Spracherwerb beobachtbar, die vor allem umweltbedingt sind. ➜ Förderungen sollten möglichst früh ansetzen, um soziale Disparitäten im Spracherwerb zu minimieren und die Sprachlernfähigkeiten der Kinder zu nutzen. ➜ Dabei sollte aber nicht übersehen werden, dass auch gut geförderte Mittelschichtskinder von einer effektiven Sprachförderung deutlich profitieren können - eine einfache Reduzierung von Ausgangsunterschieden ist also in Kindergärten mit hoher Förderqualität nicht zu erwarten und auch nicht zielführend. <?page no="46"?> 47 ➜ Um zu prüfen, ob eine Fördermaßnahme überhaupt zu den erhofften Effekten führt und welche Maßnahmen für welche Kinder besonders geeignet sind, sind vergleichende Evaluationen theoretisch begründeter Förderungen erforderlich. Gerade an dieser Stelle wird oftmals von den Programminitiatoren mit dem Verweis gespart, dass die Mittel direkt in die Förderung der Kinder selbst investiert werden sollen. Dies ist fatal und nicht im Interesse der Kinder. ➜ Die Umsetzung von Förderprinzipien ist nicht trivial und muss ausführlich vermittelt werden. Eine Qualifizierung von Erzieherinnen ist bedeutsam und muss aus meiner Sicht mit vergleichenden Evaluationen von Programmen verbunden werden. Wer aus der Forschung kommt, ist gewohnt, seine Annahmen systematisch zu überprüfen. Soweit sie nicht trivial sind, werden diese teilweise bestätigt, teilweise aber auch widerlegt werden. Dies führt zu Erkenntnisfortschritten und praktisch nutzbarem Wissen. Entsprechendes wird auch für Evaluationen theoretisch fundierter praktischer Bemühungen in der Sprachförderung gelten. Wenn die Erfolge im einen oder anderen Fall nicht so sind, wie sie erhofft waren, so ist es zentral, dass aus den Erfahrungen gelernt wird und diese systematisch aufgearbeitet werden - im Interesse der Förderung der Kinder. Literatur Bruner, J. S. (1978). The role of dialogue in language acquisition. In: A. Sinclair, R. J. Jarvella & W. J. M. Levelt (Eds.), The child´s conception of language (pp. 241-256). Berlin: Springer. Bruner, J. S. (1985). The role of interaction formats in language acquisition. In: J. P. Forgas (Ed.), Language and social situations (pp. 31-43). New York: Springer. Cummins, J. (1984). Bilingualism and special education: Issues in assessment and pedagogy. Clevedon: Multilingual Matters. Cummins, J. (2000) Language, power, and pedagogy: Bilingual children in the crossfire. Clevedon, England: Multilingual Matters. Dale, P. S., Simonoff, E., Bishop, D. V. M., Eley, T. C., Oliver, B., Price, T. S., Purcell, S., Stevenson, J. & Plomin, R. (1998). 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Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 26, 35-52. <?page no="47"?> 48 Grimm, H. (1995). Sprachentwicklung allgemeintheoretisch und differentiell betrachtet. In: R. Oerter & L. Montada (Hrsg.), Entwicklungspsychologie. Ein Lehrbuch (3.-Aufl.) (S.-705-757). Weinheim: Psychologie Verlags Union. Grimm, H. (2003). Störungen der Sprachentwicklung (2.-Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Hart, B. & Risley, T. R. (1995). Meaningful differences in the everyday experiences of young American children. Baltimore, MD: Paul H. Brooks Publishing Co. Hart, B. & Risley, T. R. (1999). Social World of Children Learning to Talk. Baltimore, MD: Paul H. Brooks Publishing Co. Hoff-Ginsberg, E. (2000). Soziale Umwelt und Sprachlernen. In: H. Grimm (Hrsg.), Sprachentwicklung. Enzyklopädie der Psychologie C/ III/ 3 (S. 463-494). Göttingen: Hogrefe. Hoff-Ginsberg, E. & Shatz, M. (1982). Linguistic input and the child´s acquisition of language. Psychological Bulletin, 92, 3-26. 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Und so liegt es nahe, möglichst früh und daher schon in den Vorschulen und Kindergärten einzugreifen, d.- h. den Förderungsbedarf festzustellen und dann gezielt an die Defizite mit Fördermaßnahmen heranzugehen. Das ist inzwischen - gottlob - allgemein akzeptiert und es wird auch schon einiges getan, vielleicht jedoch noch nicht genug. Wie eigentlich immer in solchen Fällen stellt sich sofort auch die Frage, welche der denkbaren, vorgeschlagenen und schließlich eingesetzten Maßnahmen denn auch tatsächlich wirksam sind, und zwar möglichst so, dass es bei der Umsetzung in der Praxis nicht schon auf kleinste Unterschiede in der Durchführung ankommt, sondern dass die Maßnahmen in ihren Wirkungen auch gegen größere Variationen möglichst robust sind. Das ist die Frage nach der „Evaluation“ von solchen Programmen, aus deren Umsetzungserfolgen und -schwierigkeiten man etwas lernen will. Solche Evaluationen schließen eine Reihe von Aspekten ein, wie die praktische Umsetzung vor Ort oder die Unterschiede im Erfolg zwischen verschiedenen Programmen, vor allem aber die Ermittlung der kausalen Wirksamkeit, und das heißt zwingend: im Vergleich mit einer „Kontrollgruppe“, Kindern also, die keinem der eingesetzten Programme ausgesetzt werden, sich aber ansonsten mit den untersuchten Gruppen vergleichen lassen. Das ist gerade im Zusammenhang mit Lernprozessen wichtig, weil es hier auch zu - oft: automatischen - „Entwicklungen“ mit dem Alter kommt, die, wenn man sie nicht kontrolliert, als (Miss-)Erfolg einer Maßnahme gewertet werden können, es aber vielleicht nicht sind. Meist wird dies bei den „Evaluationen“ gerade im (migrations- und sprach-)pädagogischen Bereich nicht beachtet, besonders bei Programmen, deren Funktion auch ist, irgendetwas zu tun statt nur abzuwarten. Aber erst dann, wenn man über solche Vergleiche die Wirksamkeit, vielleicht auch gewisse Nebenwirkungen, festgestellt und womöglich über Replikationen abgesichert hat, ließe sich an eine breitere Anwendung denken. Und es hat nicht an der Zeit und den Gelegenheiten gemangelt, es auf diese Weise und nach den Regeln der Kunst zu machen. Das von der Baden-Württemberg Stiftung durchaus großzügig finanzierte Programm „Sag’ mal was“ ist eines der ganz wenigen Projekte dieser Art, das eine derartige „Evaluation“ auch der Wirksamkeit im Vergleich zu Kontrollgruppen bedacht und eingerichtet hat, und es liegt in der Natur der Sache, dass nicht von <?page no="49"?> 50 vorneherein feststand, welches Programm überhaupt einen messbaren Effekt haben würde. Das Ergebnis war dann aber nicht so, wie man es wohl erwartet hatte. So liest man in einem der Zwischenberichte unter anderem: „Unabhängig von der Art des Vergleichs … werden spezifisch geförderte Kinder weder in ihren schulischen und sprachlichen Leistungen noch in ihrem Arbeitsverhalten besser von den Lehrkräften eingeschätzt als Kinder mit Förderbedarf, die unspezifisch gefördert wurden. Eine spezifische Konzeption einer Sprachförderung ist somit einer Förderung, wie sie im Rahmen des üblichen Kindergartenalltags erfolgt, nicht überlegen” (Polotzek, Hofmann, Roos & Schöler, 2008: 20). Das hat, zunächst: verständlicherweise, eine große Aufregung in der Öffentlichkeit erzeugt und zu Nachfragen nach dem Sinn der ganzen Maßnahmen geführt. Aber ist die Aufregung wirklich gerechtfertigt? Darf denn ein Experiment über die Wirksamkeit bestimmter Sprachförderprogramme auf die Entwicklung von sprachlichen Kompetenzen, zumal bei Kindern mit Sprachförderbedarf, nicht auch scheitern? Lernt man nicht erst aus solchen Fehlschlägen besonders viel? Müssen sich die Wissenschaftler(innen), die ihre Hypothesen diesem Test und eines Risikos auch des Scheiterns ausgesetzt haben, derart schelten lassen? Soll man denn jetzt alles abblasen und den Prozess der Integration über eine konsequente Zweitsprachförderung wieder - wie viel zu lange Zeit vorher - sich selbst überlassen, nur weil sich einige pädagogische und sprachwissenschaftliche Hypothesen nicht haben belegen lassen? Es ist ohne Zweifel nicht ganz einfach, die Zusammenhänge so auseinanderzuhalten, dass man erkennen und sehen kann, was gerade aus dem „Scheitern“ des Experimentes zu lernen und zu gewinnen ist. Das Ergebnis ist, so viel kann auf jeden Fall gesagt werden, kein Grund zu sonderlicher Beunruhigung und schon gar nicht für Vorhaltungen, etwa an die Wissenschaftler(innen), die die Programme vorgeschlagen oder die Ergebnisse evaluiert haben, an die Verantwortlichen der Baden-Württemberg Stiftung, die sich dem möglichen Scheitern der Hypothesen ausgesetzt haben, oder auch an die vielen Kräfte vor Ort, die das alles in der Praxis haben umsetzen müssen. Ganz im Gegenteil: Endlich ist einmal so vorgegangen worden wie man es eigentlich immer tun müsste und eben nicht so wie es (leider) eine allzu weitverbreitete, schlechte Praxis ist: „Evaluation“ als mehr oder weniger informativer Bericht darüber, was man gewollt hat, wie man das Geld ausgegeben und die Programme umgesetzt hat, wer alles mit wem „vernetzt“ worden ist, wie man sich gefühlt hat, welche Unterschiede es zwischen den verschiedenen Einrichtungen in der Umsetzung und in den Ergebnissen vorher und nachher bei den Testpersonen gegeben hat - aber eben nicht, ob es alles was geholfen hat, und zwar im Vergleich zu Kindern und Einrichtungen, die das alles nicht mitbekommen haben. Wir gehen die Dinge in zwei Abschnitten durch: zunächst ein wenig grundlegende Methodologie zu der Frage, was zu einer „richtigen“ Evaluation eigentlich dazugehört und warum gerade erst eine gute, das heißt vor allem: eine präzise formulierte und empirisch-experimentell abgesicherte Theorie so eminent wichtig für eine wirksame <?page no="50"?> 51 und auch kostengünstige Praxis ist - und warum niemandem geholfen ist, wenn man bei diesen Tests nicht auch das Risiko des Scheiterns eingeht. Und dann ein wenig auch an substanziellen Hypothesen und aktuellen empirischen Ergebnissen zum Spracherwerb bei Migranten(-kindern) aus Projekten des Verfassers zum Thema der Integration insgesamt, speziell aber zur Erklärung des Spracherwerbs bei Migrantenkindern und der Wirkungen auf die schulischen Leistungen. Zum Schluss folgen dann noch ein paar Bemerkungen zu den angesprochenen Aufgeregtheiten der Öffentlichkeit und, vor allem, zu den Verdiensten der Baden-Württemberg Stiftung und der beteiligten Wissenschaftler(innen) - und manchen kaum zu verstehenden Versäumnissen anderswo. Ein wenig Methodologie … Der Hintergrund der Vorstellung, dass jede wirkliche „Evaluation“ auch eine Kontrollgruppe benötigt, hat damit zu tun, dass es bei der Einrichtung von Maßnahmen zur Umsetzung politischer oder normativer Zielsetzungen im Hintergrund immer auch um Fragen des Nachweises von kausalen Beziehungen geht. Es ist die Anwendung des allgemeinen Erklärungsschemas (nach Hempel und Oppenheim) auf die Herstellung eines gewünschten Zielzustandes mit Hilfe von systematisch geprüftem theoretischem Wissen über die Wirkung bestimmter Ursachen auf einen als Effekt zu erwartenden Zielzustand. Eigentlich sollte man annehmen, dass es zu derartigen praktischen Umsetzungen erst dann kommt, wenn vorher ernsthaft, streng und systematisch geprüft wurde, ob der vermutete Kausalzusammenhang auch wirklich besteht. Das geschieht in der Regel über vorgeschaltete empirische Tests, idealerweise über Experimente, bei denen alle anderen möglichen Kausaleinflüsse kontrolliert oder wenigstens gemessen werden und systematisch eine Gruppe mit der jeweiligen Test-Bedingung („Treatment“-Gruppe) und eine ohne sie (Kontroll-Gruppe) in ihren Ergebnissen miteinander verglichen werden. Und nur wenn sich dann zeigt, dass es systematische, „signifikante“ und in Replikationen reproduzierbare Unterschiede (im gewünschten Sinne, versteht sich) gibt, könnte man daran gehen, es auch „praktisch“ oder gar flächendeckend zu versuchen. Dabei kann es natürlich wieder zu Änderungen in den Ergebnissen kommen, etwa weil die Implementation nicht korrekt war oder sich sonst, auch unbemerkt und ungewollt, die Bedingungen geändert haben. Das aber wäre nur die Fortsetzung der Testphase unter neuen Umständen und oft genug auch mit zuvor nicht erkannten Störbedingungen, und hier können natürlich „Prozess“-Evaluationen wertvolle Hinweise liefern. Aber auch das geht letztlich nicht ohne Kontrollgruppen, allein weil man sonst wieder nicht weiß, ob die Änderung der Umstände und die Störungen sich auf den Effekt überhaupt auswirken oder nicht. In allen diesen Fällen ist selbstverständlich damit zu rechnen, dass sich ein Effekt, den man theoretisch, pädagogisch, lebensweltlich, aus Gründen der Political Correctness, evtl. sogar aus recht materiellen Interessen heraus gerne hätte, auch bei aller Bemühung nicht zeigt. Das ist sogar der häufigere Fall, und weil man, einer guten alten methodologischen Regel zufolge, aus Fehlschlägen mehr lernt als aus leichten Erfolgen ist das auch kein Beinbruch, sondern eher Ansporn, der Sache dennoch auf die <?page no="51"?> 52 Spur zu kommen. Meist wird man zunächst versuchen, die Gründe für das Scheitern in der schlechten Umsetzung zu suchen: unzureichende Messinstrumente, Störeinflüsse, keine richtige Umsetzung des „Treatments“, unter anderem. Das kann man aber natürlich ändern: Entwicklung und Test besserer Messinstrumente, Kontrolle der Störeinflüsse, korrekte „Realisierung“ der gemeinten Bedingungen. Klappt es dann: Ein großartiger Erfolg und nichts steht dem Einsatz in der Praxis mehr im Wege. Aber wieder kann es natürlich schiefgehen, und die Geschichte der Wissenschaften ist voll von solchen nicht enden wollenden Fehlversuchen. Leicht ist vorstellbar, dass eine Hypothese, wie etwa jene über die Wirkung muttersprachlicher Förderungen auf die schulischen Leistungen, nicht gerade an Überzeugungskraft gewinnt, wenn es immer und immer wieder nicht gelingt, den behaupteten Effekt zu finden oder auch wenn sich zeigt, dass der Erfolg nur unter sehr speziellen, in der Praxis kaum umsetzbaren, zusätzlichen Bedingungen eintritt. Und irgendwann müsste man schon auch in Betracht ziehen, dass vielleicht die Hypothese nicht richtig war und daher auch an ein flächendeckendes Programm nicht zu denken wäre, wenn man an dem gewünschten Erfolg interessiert ist. Jedenfalls dürfte es bei derartigen „degenerativen“ Programmen auf die Dauer immer schwerer fallen, die nötigen Bereitschaften zu mobilisieren und die Mittel zu erhalten, und hoffentlich gibt man die Sache auf, bevor jemand ganz unbekümmert und von außen kommend offen ausruft, dass der Kaiser ja gar nichts anhat. Aber das wäre eigentlich ja auch nur mehr als erwünscht, weil der Aufwand, der in die offenbar wirkungslosen Maßnahmen gesteckt wird, für vielleicht vorhandene oder zu entwickelnde bessere Alternativen fehlt. Das Risiko für ein solches Scheitern kann man freilich leicht umgehen: Wenn man keine Kontrollgruppe vorsieht, kann nichts schief gehen. Und so wird es auch meist gemacht. Hoffentlich merkt das dann niemand. So weit die allgemeine Logik des Verhältnisses zwischen experimentellen Tests von Kausaltheorien über die empirische Wirksamkeit von Programmen und den praktischen Konsequenzen. Im Hintergrund steht eines der wichtigsten und auch schwierigsten Themenfelder der (Sozial-)Wissenschaft: der Nachweis von Kausalbeziehungen und die Robustheit der Kausaleffekte bei der praktischen Umsetzung. Dazu gibt es - neben dem allgemeinen und unhintergehbaren Erfordernis der Kontrollgruppen - eine Reihe weiterer Bedingungen, die man im Auge haben muss, wenn man allzu voreilig gewisse Ratschläge umsetzt. Hier ist ein Auszug aus einer leicht zu verlängernden Liste. Zunächst benötigt man, das wird oft übersehen, eine über den jeweiligen Fall hinausweisende, also: „allgemeine“, Theorie darüber, wie der in Frage stehende Effekt allgemein hervorgebracht wird. Das wäre für den Fall des Spracherwerbs etwa die Lerntheorie allgemein und damit dann, dass es zum Spracherwerb eines entsprechenden Inputs oder eines „Exposure“ bedarf, ohne den gar nichts läuft, aber auch einer gewissen „Effizienz“, mit der ein bestimmter Exposure in einen Lernerfolg umgesetzt wird. Daraus allein schon lassen sich Effekte für andere Bedingungen abschätzen, wie etwa der Einfluss der Intelligenz oder der eines zu späten Lernalters. Erst mit der Ableitung und Formulierung präziser Hypothesen können die Experimente gezielt <?page no="52"?> 53 geplant werden. Und schon tun sich eine Reihe weiterer Probleme auf, die allesamt zwar lösbar sind und sich nicht immer alle gleichzeitig stellen, aber die man schon im Auge haben muss, um nicht gewissen Fehlschlüssen aufzusitzen, sei es, dass man Effekte zu finden glaubt, die es tatsächlich nicht gibt, oder sich keine Effekte zeigen, wo man sie doch hat. Das betrifft vor allem die „Realisation“ der Experimentalbedingungen, also die tatsächliche Implementierung der „Ursachen-Konstellationen“, die Stichproben, die Fallzahlen und die Ausfälle. Ein besonderes Problem ist die Kontrolle von möglichen Drittvariablen: Eine bestimmte Bedingung ist nur scheinbar die wirkliche Ursache für einen Effekt, wie etwa, dass es nicht ein bestimmtes Förderprogramm ist, was den Kindern hilft, sondern die mit dem „Modellversuch“ insgesamt gestiegene Aufmerksamkeit und Qualitätsverbesserung des Unterrichts. Das wäre natürlich auch schon etwas, denn schließlich ist es egal, woran ein Effekt „wirklich“ liegt, auch weil man nie sicher sein kann, was es gerade war, das die Wirkung erzeugte. Aber man sollte schon verstehen wollen, was genau passiert, denn nur dann kann man, wenn etwas schiefgeht, abschätzen, wo man eingreifen müsste. Die beiden wichtigsten Vorkehrungen für den Ausschluss von Scheinbeziehungen sind die sog. Randomisierung und die Messung und statistische Kontrolle alternativer Faktoren. Bei der Randomisierung werden die Versuchspersonen, die sich etwa nach der Familien- und Migrationsbiografie unterscheiden, zufällig auf die Treatment- und Kontrollgruppe verteilt und wenn es dann Unterschiede gibt, dann kann man einigermaßen abgesichert davon ausgehen, dass der Effekt substanziell ist. Die statistische Kontrolle von Drittvariablen leistet etwas Ähnliches, hat aber den zusätzlichen Vorteil, dass man die jeweiligen Einflüsse der kontrollierten Variablen auch noch kennt und so abschätzen kann, wie stark der Treatment-Effekt im Vergleich zu den anderen Umständen ist. Es könnte ja sein, dass z.- B. ein Programm schon wirksam ist, aber im Vergleich zu anderen Umständen, etwa die ethnische Zusammensetzung der (Vor-) Schulklasse oder die Akkulturation der Eltern, kaum ins Gewicht fällt - und man daher auch an andere Maßnahmen denken könnte, wie etwa an die ethnische Mischung und den möglichst frühzeitigen interethnischen Kontakt in den Vorschulen statt an die Sprachförderungen. Von der Robustheit der Ergebnisse gegen Variationen in der Umsetzung war oben schon die Rede: Wenn der Erfolg einer Maßnahme daran hängt, dass eine Vielzahl von zusätzlichen (Rand-)Bedingungen immer jeweils mitrealisiert werden müsste und es daher darauf ankommt, dass z.-B. das Personal in den Einrichtungen peinlich genau gewissen Vorgaben folgt, dann ist das schon ein Hindernis, das nicht allein dem Personal oder der Organisation insgesamt anzulasten ist. Auch ist zu beachten und zu prüfen, ob die evtl. nachzuweisenden Effekte in Wirklichkeit nicht mit dem inhaltlichen Programm, sondern mit der Tatsache, dass überhaupt etwas geschieht, zusammenhängen. Derartige „Hawthorne“- Effekte sind seit Langem bekannt, ebenso wie das Nachlassen dieses speziellen (Placebo-)Effekts, wenn die Routine (wieder) einsetzt und das Interesse nachlässt. Das führt zu einem weiteren Punkt: Wie nachhaltig sind eigentlich die Effekte, auch über den Zeitpunkt der Maßnahmen hinaus? Das kann man eigentlich nur in entsprechenden Langzeituntersuchungen herausfinden, die es aber auch oft genug nicht gibt. Schließlich ist, wenngleich nicht an erster Stelle, auch an die Kosten zu denken, besonders dann, wenn wie oben beschrieben evtl. andere und stärker wirksame <?page no="53"?> 54 Mechanismen beteiligt sind und damit wirksamere und kostengünstigere Maßnahmen denkbar wären, auf die man aber nicht kommt, wenn man die Wirkungen nicht auch systematisch und mit dem Risiko des Scheiterns überprüft. Das gilt auch dann, wenn sich die Öffentlichkeit und auch die Politik daran gewöhnt haben (und es vielleicht nicht anders kennen), dass „Evaluation“ meist nur heißt: ein Bericht über „vorher“ und „nachher“ - aber nicht darüber, welche Unterschiede es zwischen der Experimentalgruppe mit der Maßnahme und der Kontrollgruppen ohne sie gibt. … und auch etwas Substanzielles! Das so irritierende Ergebnis der Evaluation war, dass es wohl gleichgültig erscheint, ob man Kindern mit Sprachförderbedarf eine besondere Förderung zukommen lässt oder sie einfach nur dem „Sprachbad“ alltäglicher Kommunikation in den Kindergärten aussetzt. Die Einwände gegen eine unbedachte und voreilige Übernahme dieses Ergebnisses liegen auf der Hand, wie etwa die nicht immer korrekte Implementation vor Ort, Mängel bei den Skalen und Messfehler oder andere Störeinflüsse, aber das müsste sich auch wieder nachweisen und beheben lassen. Ohne entsprechende Änderungen in der Anlage und Durchführung der Versuche lässt sich das nicht weiter beurteilen, aber es lassen sich durchaus schon so einige Vermutungen formulieren, warum - vielleicht! - in der Tat mit gezielten Fördermaßnahmen gerade bei Kindern, die es besonders nötig haben, nur relativ wenig bewegt werden kann und warum die Einbettung in alltägliche Sprachumwelten das Problem des Förderbedarfs schon weitgehend lösen könnte noch bevor es entsteht. Erste Hinweise gibt bereits der Blick auf die grundlegenden Mechanismen des Spracherwerbs (s. dazu oben). Vier Bedingungen sind danach für einen erfolgreichen Spracherwerb bedeutsam (vgl. dazu ausführlich Esser, 2006: Abschnitt 3.1): Es muss eine gewisse Motivation und einen „Exposure“ zu sprachlichen Anregungen und Rückmeldungen geben, der jedoch nur in Abhängigkeit der „Effizienz“ eines bestimmten Sprachlernvermögens in einen Lernerfolg umgesetzt werden kann, und der Aufwand darf nicht zu groß werden. Für die Effizienz gibt es drei wichtige konkrete Bedingungen: eine, wohl angeborene, (Sprach-)Intelligenz, das Lernalter und die kulturell-linguistische Distanz zwischen Alltagssituation und der entsprechenden Sprachumgebung. Im frühen Lernalter wäre also, unabhängig von den anderen Umständen, noch alles möglich, sodass für die verbleibenden Unterschiede speziell die (Sprach-)Intelligenz und die kulturell-linguistische Distanz bedeutsam wären. Bei Erwachsenen sind (für den späten Zweitspracherwerb) alle vier Konstrukte wichtig: die Motivation, etwa in Abhängigkeit der Verwendbarkeit einer Sprache auf dem Arbeitsmarkt, der Exposure, etwa in Abhängigkeit der Chancen für den Kontakt mit Sprechern der jeweiligen Sprache am Arbeitsplatz oder im Wohnbereich, die Effizienz, bei Migranten vor allem im Zusammenhang mit dem Einreisealter, und auch die Kosten, etwa des Zeitaufwandes für einen Sprachkurs. Bei Kindern (und beim Erstspracherwerb bzw. beim frühen Zweitspracherwerb) sind die Motivation und die Kosten dagegen praktisch bedeutungslos: Kinder lernen, einen entsprechenden Exposure vorausgesetzt, eine Sprache praktisch automatisch und als kostenfreies Abfallprodukt <?page no="54"?> 55 alltäglicher Interaktionen. Es kommt bei ihnen also vor allem auf den Exposure an, und erst dann, wenn es diesen gibt, wird die Effizienz noch wichtig. Eine Erklärung für das Ausbleiben des Lernerfolges gerade bei den förderungsbedürftigen Kindern wären so gesehen eine möglicherweise geringere (Sprach-)Intelligenz und höhere kulturell-linguistische Distanzen, die evtl. nicht nur den Förderbedarf erzeugt haben, sondern auch für die geringere Wirkung der Maßnahmen gesorgt haben. Dafür gibt es empirische Hinweise. Beispielsweise zeigte sich in Ergebnissen des Projekts „Erwerb von sprachlichen und kulturellen Kompetenzen von Migrantenkindern in der Vorschulzeit“ am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung der Universität Mannheim für den Zweitspracherwerb bei (türkischen) Vorschulkindern ein deutlicher positiver Interaktionseffekt zwischen dem Exposure, gemessen über die Häufigkeit des Zweitsprachgebrauchs in der Familie, bei Verwandten und Freunden, und der Intelligenz der Kinder (vgl. Becker, 2007). Bei geringerer Intelligenz verringert sich die Effizienz eines gegebenen Exposure deutlich und es entsteht eine Art von Matthäus-Effekt: Von einem gegebenen Exposure profitieren die intelligenteren Kinder weitaus mehr. Wenn man davon ausgeht, dass Kinder mit Förderbedarf auch - im Vergleich und im Durchschnitt - geringere Intelligenzwerte haben, ist ein Ergebnis, das die relative „Erfolglosigkeit“ eines spezifischen Exposure bei „Förderbedarf “ zu belegen scheint, keine sonderliche Überraschung. Entsprechendes kann man für den Effekt des Einreisealters und der kulturell-linguistischen Distanz auf die Effizienz annehmen: Je später der Exposure erfolgt und je höher die kulturell-linguistische Distanz ist, umso geringer ist der Effekt des Exposure. Wie wichtig dabei wiederum auch Eigenschaften der sozialen Umgebung sein können, zeigt ein zweites Ergebnis aus der Studie. Danach nimmt zwar bei einheimischen wie bei türkischen Kindern der Wortschatz (in Deutsch) mit der zunehmenden Dauer des Vorschulbesuchs zu, aber für deutsche Kinder weitaus stärker als für die türkischen Kinder, und darüber hinaus kommt es auch noch sehr auf die „Qualität“ des Kindergartens an (vgl. auch für Einzelheiten der Operationalisierung Becker & Biedinger, 2009). Die Qualität des Kindergartens wirkt offenbar wie die Intelligenz, das Einreisealter und die kulturell-linguistische Distanz auf den Spracherwerb: Von einer guten Qualität haben gerade die Kinder etwas, die weniger Probleme und eine geringere Distanz haben, wie verständlicherweise besonders die einheimischen Kinder, und in der Kombination von schlechter Qualität und Migrantenstatus geht es mit dem (Zweit-)Spracherwerb kaum voran. Es ist ein weiterer Hinweis auf einen Matthäus- Effekt beim Spracherwerb. Es zeigt sich in einer weiteren Studie aus dem Kontext des Projekts aber auch, dass erst bei einem längeren Vorschulbesuch nennenswerte Effekte zu erwarten sind und dass, wenn der betreffende Exposure lang genug ist, nämlich 3 Jahre und möglichst noch mehr, alle Unterschiede in den Sprachdefiziten zwischen den ethnischen Gruppen (hier: türkische Kinder und Kinder von Aussiedlern) verschwinden (Becker, 2006; Biedinger, Becker & Rohling, 2008). Besonders erwähnenswert ist aus dieser Untersuchung, dass es bei den türkischen Kindern auch sehr darauf ankommt, wie <?page no="55"?> 56 gut oder schwierig das Anregungspotential und die Qualität des Kindergartens waren, gemessen über den durchschnittlichen Förderbedarf in den jeweiligen Vorschulen. Abbildung 1: (Zweitsprach-)Defizite, Dauer des Vorschulbesuchs, durchschnittlicher Förderbedarf in den Vorschulklassen und Herkunft von Migrantenkindern (nach Becker, 2006: 458) Hier zeigte sich kein Matthäus-Effekt: Gerade die Kinder mit den größeren Defiziten und in den schlechteren Kindergärten profitierten von den vorteilhafteren Bedingungen und konnten so den Vorsprung der anderen aufholen. Ist das nicht aber ein Widerspruch oder nicht schon wieder eine der gewohnten Inkonsistenzen in den Ergebnissen wie man sie in dem Feld der Migrations- und Integrationsforschung nicht selten findet? Vielleicht. Aber es könnte auch an einem methodischen Detail liegen: Die Sprachbedarfe waren in dieser (Teil-)Studie nur recht grob und über subjektive Einschätzungen erhoben worden und nicht über validierte Tests, und die Kompetenzeinschätzungen hatten damit nur eine geringe Varianz nach unten. Das sieht man daran, dass den Aussiedlerkindern schon von Beginn an fast keine „Defizite“ bescheinigt wurden und sie sich auch durch noch so gute Umstände nicht weiter verbessern konnten. Diese „Deckelung“ nach unten in der Messung verhindert, dass es zu dem eigentlich auch hier zu erwartenden Matthäus-Effekt kommen kann: Weniger als „keine“ Defizite kann es eben nicht geben. In den beiden anderen Untersuchungen gab es dagegen validierte, „objektive“ Messungen mit reichlich Varianz in den Leistungen nach oben, sodass sich dort ein positiver Interaktionseffekt zeigen konnte. Das aber belegt erneut, wie wichtig es ist, bei Untersuchungen dieser Art eine möglichst präzise und gut begründete theoretische Richtschnur zu haben, die auch Hinweise darauf geben kann, wann ein Ergebnis einmal nicht zu eigentlich gut abgesicherten theoretischen Hypothesen „passt“, eventuell mit Mängeln der Methode zu Förderbedarf im Kindergarten: <?page no="56"?> 57 tun hat und man noch einmal besonders darauf achten muss, dass auch die anderen Bedingungen einer angemessenen Kausalanalyse nicht verletzt sind. Immerhin kann aber nun auch gesagt werden, dass eine längere Besuchsdauer der Vorschulen das Erreichen wenigstens eines gewissen Mindestniveaus ermöglicht und darin auch anfängliche Defizite in den Startchancen und anderen Bedingungen auszugleichen vermag. Nur ganz nach „oben“ geht es offenbar nicht, und für diese zusätzlichen, dann später besonders bedeutungsvollen Kompetenzstufen gilt wohl der Matthäus- Effekt - zum Nachteil speziell der Migrantenkinder. Es sei auch noch erwähnt, dass eine solche längere Besuchsdauer der Vorschule schon logisch bedeutet, dass die Kinder schon recht früh kommen müssen, und wenn die positiven Exposure-Effekte erst ab drei Jahren Besuchsdauer merklich zunehmen, dann hieße das: Kindergarten und Vorschulbesuch spätestens ab einem Alter von drei Jahren, womöglich noch früher. Die Ergebnisse sind insgesamt eindeutig: Es kommt vor allem auf den frühen Exposure in einer anregenden (und das heißt: zwanglosen und heterogenen) Umgebung an, und unter Nachteilen darin leiden besonders die (Migranten-)Kinder, die ohnehin schon Probleme mit dem Exposure im Alltag haben. Mit einem besseren und vor allem einem längeren (Zweitsprach-)Exposure kann freilich schon einiges erreicht werden, aber die anfänglichen oder auch grundlegenderen Nachteile für das Erreichen wirklich guter Kompetenzniveaus sind kaum auszugleichen, und dies gilt in besonders verschärftem Maße für Kinder mit geringerer Intelligenz, einem schwierigeren sozialen Umfeld oder auch einer höheren kulturell-linguistischen Distanz. Hier würden nur der möglichst frühzeitige interethnische Kontakt und Vorschulbesuch helfen. Die theoretischen Zusammenhänge und vor allem die empirischen Ergebnisse gemahnen aber auch, nicht allzu optimistisch in der Hoffnung zu sein, dass sich gewisse Defizite mit allerlei Zusatzmaßnahmen leichthin auflösen ließen, und die etwas ernüchternden Ergebnisse der Evaluation kommen vor diesem Hintergrund auch keineswegs überraschend. Optimistischer stimmt freilich auch das Ergebnis, dass bereits wenn die Besuchsdauer länger wird, wenn es interethnische Kontakte gibt und wenn die Kindergärten eine bessere Qualität insgesamt haben, sich das Kompetenzniveau merklich hebt - und das wohl auch, wenn es sich um keine speziellen Fördermaßnahmen handelt und niemand genau sagen kann, woran das denn liegen mag. Ergänzt sei noch, dass sich in diesen und anderen damit zusammenhängenden Studien wieder keine Hinweise auf Effekte muttersprachlicher Kompetenzen ergeben haben (vgl. dazu speziell Dollmann & Kristen, 2010), ein Ergebnis, das nur noch weiter belegt, was bisher so gut wie immer gefunden wurde: Die „Bilingualität“, verstanden als Muttersprachkompetenz, ist für den Zweitspracherwerb (und den Erwerb anderer Kompetenzen) praktisch bedeutungslos - anders als das bisher oft für selbstverständlich gehalten, zur Grundlage mancher der Maßnahmen gemacht und auch kaum einmal richtig „evaluiert“ wurde (vgl. dazu auch Esser, 2009). Zu guter Letzt Die Reaktionen auf den „Fehlschlag“ des Programms der Baden-Württemberg Stiftung sind ein bemerkenswertes Beispiel für das recht komplizierte Verhältnis zwi- <?page no="57"?> 58 schen Wissenschaft, Öffentlichkeit, Politik und der Praxis vor Ort. Es gab natürlich sofort Stimmen, die der Regierung und der Baden-Württemberg Stiftung „Versagen“ vorwarfen und, aus welchen Gründen auch immer, eine Einstellung der Förderungsmaßnahmen verlangten. Die betroffenen Wissenschaftler(innen) reagierten selbstverständlich auch: mit Kritik an den Vorgehensweisen und Bewertungen derjenigen, deren Hypothesen sich nicht bestätigt hatten, und mit Kritik an den Evaluationsprojekten selbst. Und es war das große Verdienst der Baden-Württemberg Stiftung, daraus über den einzig nur denkbaren Weg herauszukommen zu versuchen, nämlich über die offene Diskussion der verschiedenen Ergebnisse und Standpunkte und, so kann man nur hoffen, die weitere wissenschaftliche Untersuchung der Effektivität der Maßnahmen unter Einschluss der jetzt sichtbar gewordenen Erkenntnisse - evtl. bis zu dem Punkt, an dem man vielleicht wirklich festzustellen hat, dass man nicht viel machen kann. Dafür können die Baden-Württemberg Stiftung und die beteiligten Wissenschaftler(innen) nicht genug gelobt werden, auch nicht die politischen Stellen, die sich in dieser Sache hinter sie gestellt haben. Es ist ja nichts ehrenrührig oder gar skandalös daran, dass sich wissenschaftliche Hypothesen experimentell und praktisch einmal nicht bewähren. Erstaunlich ist vielmehr eher etwas anderes: Dass politische Stellen an verschiedenen Orten sozusagen auf Zuruf und mit viel Gottvertrauen die Maßnahmen gleich großflächig eingerichtet haben, ohne dass man vorher das getan hat, was notwendig gewesen wäre und was man vielleicht im Prozess der begleitenden Evaluation sozusagen nebenher erledigen wollte: die Überprüfung der Effektivität der vorgeschlagenen Maßnahmen. Das ist zwar die absolut gängige Praxis und trifft etwa auch wieder für das große, soeben abgeschlossene BLK-Förderprogramm „FörMig“ zu (vgl. zum Evaluationskonzept des FörMig-Programms: Schwippert & Klinger, 2008), aber auch schon für die Sprach- und Integrationskurse in den Niederlanden oder Schweden, die hierzulande als Vorbild gedient haben und in entsprechende Maßnahmen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gemündet sind, auch ohne dass - bis heute - jemand gewusst hätte, ob diese Maßnahmen überhaupt etwas bringen: Es gibt, anders als man das erwarten müsste, bei der Einrichtung keine wirklich belastbaren wissenschaftlichen Befunde für die Effekte der vorgeschlagenen und implementierten Maßnahmen und weil sich die Evaluationen nicht auf die kausale Effizienz beziehen können, weil sie keine Kontrollgruppe haben, weiß man auch hinterher nichts darüber. Da hilft es auch wenig, eine „Best Practice“ herauszufinden, also jene Einrichtung, die das Programm am genauesten umgesetzt hat, oder jene Maßnahme, die im Vergleich mit anderen Maßnahmen noch am meisten gebracht hat. Für den (gänzlichen) Verzicht auf Kontrollgruppen und andere methodische Vorkehrungen kann es eigentlich, wie das gelegentlich vorgebracht wird, auch keine „pragmatischen“, „finanziellen“ oder gar „ethischen“ Gründe geben (vgl. dazu für das FörMig-Programm etwa Schwippert & Klinger, 2008: 18, 26): Wenn es vor allem auf die Wirksamkeit ankommt, die für die Bewertung aller späteren Maßnahmen und den entsprechenden Aufwand das wichtigste Kriterium sein sollte, dann muss das auch umgesetzt und finanziert werden (können), weil es doch das zentrale Ziel von allem wäre und immer in Konkurrenz zu anderen Maßnahmen stünde. <?page no="58"?> 59 Auf diese Weise hat sich seit Langem und bis heute im Bereich der Migrations- und Sprachpädagogik - und anderswo - vieles einrichten, ausprobieren und halten können, von dem man immer noch nicht weiß, ob es denn überhaupt etwas nutzt. Und auf der Strecke geblieben sind dann die eher wichtigeren Fragen nach den möglichen anderen Bedingungen und Mechanismen, die dafür sorgen können, dass (Migranten-)Kinder Schwierigkeiten mit dem Spracherwerb haben, wie etwa die Situation in Familie und Wohnumfeld oder auch in den vorschulischen Einrichtungen selbst, etwa die soziale, ethnische oder sprachliche Segregation und die Chance, auf eine Umgebung zu treffen, in der das alles kein sonderliches Problem darstellt, weil sich die Anregungen und Rückmeldungen, die für das Sprachlernen nötig sind, sozusagen nebenbei und kostenlos und ganz ohne besondere Programme ergeben. Diese - seit Jahrzehnten gängige - Praxis der „Evaluation“ ohne Wirkungskontrolle ist daher der eigentliche Grund zur Unruhe - und nicht dass ein Experiment schiefgegangen ist, das genau diesen Fehler nicht gemacht hat. Für den Mut kann die Anerkennung nicht hoch genug ausfallen. Und es ist nur zu hoffen, dass man nun auch in Politik, Öffentlichkeit und bestimmten Teilen einer bestimmten „Wissenschaft“, die diese Praxis so lange mitgetragen und auch legitimiert haben, die richtigen Lehren daraus zieht: keine Praxis ohne eine präzise Theorie und ohne die vorherige experimentelle Prüfung der Effektivität der Maßnahmen. Und keine daran anschließende „Evaluation“ ohne eine Kontrolle der Ergebnisse nach allen Regeln der Kunst. Ob das dann etwas bringt, kann niemand wissen. Aber man macht sich wenigstens nichts vor. Literatur Becker, Birgit, Der Einfluss des Kindergartens als Kontext zum Erwerb der deutschen Sprache bei Migrantenkindern, in: Zeitschrift für Soziologie, 35, 2006, S. 449-664. Becker, Birgit, Exposure Is Not Enough: The Interaction of Exposure and Efficiency in the Second Language Acquisition Process. in: The International Journal of Language and Culture, 23, 2007, S. 1-9. (http: / / www.educ.utas.edu.au/ users/ tle/ JOURNAL/ issues/ issue23-07.html). Becker, Birgit, und Nicole Biedinger, Ethnische Bildungsungleichheit zu Schulbeginn, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 58, 2006, S. 660-684. Becker, Birgit, und Nicole Biedinger, Ergebnisse aus dem Projekt „Erwerb von sprachlichen und kulturellen Kompetenzen von Migrantenkindern in der Vorschulzeit“ (ESKOM-V), unv. Manuskript, Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung, Mannheim 2009. Biedinger, Nicole, Birgit Becker und Inge Rohling, Early Ethnic Educational Inequality: The Influence of Duration of Preschool Attendance and Social Composition, in: European Sociological Review, 24, 2008, S. 243-256. Dollmann, Jörg, und Cornelia Kristen, Herkunftssprache als Ressource für den Schulerfolg? Das Beispiel türkischer Grundschulkinder, in: Zeitschrift für Pädagogik; 55. Beiheft, 2010: S. 123-146. Esser, Hartmut, Sprache und Integration. Die sozialen Bedingungen und Folgen des Spracherwerbs von Migranten. Frankfurt/ M. und New York 2006 (Campus). Esser, Hartmut, Der Streit um die Zweisprachigkeit: Was bringt die Bilingualität? , in: Ingrid Gogolin und Ursula Neumann, Hrsg., Streitfall Zweisprachigkeit,Wiesbaden 2009 (VS Verlag für Sozialwissenschaften), S.69 - 88. <?page no="59"?> 60 Polotzek, Silvana, Nicole Hofmann, Jeanette Roos und Hermann Schöler, Evaluationsstudie zur Sprachförderung von Vorschulkindern. Wissenschaftliche Begleitung der Sprachfördermaßnahmen im Programm „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“, Bericht Nr. 4: Wirkungen der schulischen Sprachförderungen in Mannheim und Heidelberg auf die schulischen Leistungen am Ende der 1. Klasse, Zwischenbericht August 2008, Pädagogische Hochschule Heidelberg, Heidelberg 2008. Schwippert, Knut, und Thorsten Klinger, Das Evaluationskonzept von FörMig. Anlage und Durchführung - eine Zwischenbilanz, in: Thorsten Klinger, Knut Schwippert und Birgit Leiblein, Hrsg., Evaluation im Modellprogramm FörMig. Planung und Realisierung eines Evaluationskonzepts, Münster u.- a. 2008 (Waxmann), S. 11-28. <?page no="60"?> 61 Durchgängige Sprachbildung an bildungsbiografischen Übergängen Ingrid Gogolin 1. Eine Vorbemerkung Die Baden-Württemberg Stiftung hat das Programm „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“ zur Förderung des Spracherwerbs im Elementarbereich aufgelegt und hiermit einen Beitrag zu den Anstrengungen geleistet, die zur Verbesserung der Bildungsqualität in Deutschland beitragen wollen. Damit ist sie auch ein Wagnis eingegangen, ist doch die Verwandlung der Elementarerziehung in einen Bildungsraum für Deutschland etwas Neues. Neu ist zumal die Herausforderung, dass in Kindertagesstätten substanzielle Beiträge zur sprachlichen Bildung, die in heterogen zusammengesetzten Kindergruppen erfolgt, geleistet werden. Diese Aufgabe wird erst seit dem Jahr 2000 öffentlich eingefordert (soll heißen: von der allgemeinen und politischen Öffentlichkeit; aus wissenschaftlicher und fachpraktischer Sicht ist auf die Notwendigkeit schon lange zuvor hingewiesen worden). Es handelt sich, wie vieles in der derzeitigen deutschen Bildungslandschaft, um eine Reaktion auf die schockierenden Ergebnisse der ersten PISA-Studie. Durch Mitgliedschaft im Wissenschaftlichen Beirat des Programms „Sag’ mal was“ und durch die wissenschaftliche Begleitung eines länderübergreifenden Modellprogramms mit dem Titel ‚Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund FörMig’ hatte ich das Privileg, zwei Ansätze zur Innovation sprachlicher Förderung und Bildung ganz aus der Nähe beobachten zu können. In beiden Projekten wurde das Wagnis eingegangen, praktisches Handeln anzuregen, das wissenschaftlich untermauert und begleitet ist, aber aus der Praxis selbst heraus seine Form gewinnt. Das damit verbundene Risiko vernünftig einschätzen zu können, ist ebenfalls beiden Projekten gemeinsam. Folgerichtig haben sowohl die Baden-Württemberg Stiftung als auch die wissenschaftliche Begleitung von FörMig eine Evaluation der Projekte in Gang gesetzt - eine Maßnahme, die (nicht nur) in Deutschland bei solchen Vorhaben zu wenig vorkam in der Vergangenheit. Für die Evaluation von „Sag’ mal was“ wurden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler - in diesem Fall: aus dem Land Baden- Württemberg - eingeladen, die Maßnahmen einer Prüfung zu unterziehen. Zwei Evaluationen wurden finanziert; ihre Ergebnisse werden in diesem Band breit diskutiert. Mein Beitrag zu dieser Diskussion beruht auf den Erfahrungen und Ergebnissen der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation des Modellprogramms FörMig, das 2004 bis 2009 in zehn Bundesländern durchgeführt wurde. Kernelement dieses Programms war die Fundierung des Konzepts einer „durchgängigen Sprachbildung“, verbunden mit der Erprobung einer Praxis im Sinne des Konzepts und mit der Evaluation der Anstrengungen. Die wissenschaftlichen Grundzüge dieses Konzepts stelle ich nachfolgend vor. Hier werden auch Unterschiede angesprochen, die sich zwischen der Evaluation für das Programm „Sag’ mal was“ und dem in FörMig verfolgten <?page no="61"?> 62 Ansatz zeigen. Mit einem Einblick in das Evaluationskonzept für das Modellprogramm FörMig und einem Ausblick auf das laufende Programm FörMig-Transfer schließt mein Beitrag. 2. Das Bemühen um eine Besserung der Bildungslage für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund In Deutschland bestand und besteht die Absicht zur Lockerung der Abhängigkeit zwischen sozialer, sprachlicher, kultureller Herkunft und Bildungserfolgschancen - die Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund sind davon nicht ausgenommen. Bei einer rückblickenden Betrachtung tritt zutage, dass es seit den 1960er Jahren zahlreiche Anstrengungen gegeben hat, die Nachteile Zugewanderter im hiesigen Schulsystem zu verringern. Das Bekenntnis dazu, Kindern aus Migrantenfamilien gute Bildungschancen zu ermöglichen, findet sich allenthalben: in Richtlinien und Lehrplänen; in Empfehlungen der Konferenz der Kultusminister der Länder; in Reden auf Bildungsgipfeln. Ganz im Sinne dieses Bekenntnisses wurden zahlreiche Projekte initiiert, die die Lage bessern sollten. Allein in den 1970er und 1980er Jahren wurden insgesamt 85 länderübergreifende Modellversuche gefördert, die sich die „Förderung und Eingliederung ausländischer Kinder und Jugendlicher in das Bildungssystem“ vorgenommen hatten. Im 1987 publizierten Abschlussbericht über diese Maßnahmen heißt es: „Wenn heute von offizieller Seite davon gesprochen wird, daß sich die Bildungsverhältnisse für Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien deutlich gebessert haben, so ist dieser Sachverhalt neben einer sich anbahnenden Normalisierung der Schullaufbahn der sog. zweiten und dritten Migrantengeneration in hohem Maße der Förderwirkung der zahlreichen und vielgestaltigen Modellversuche im Ausländerbereich zu verdanken.“ (Esser and Steindl 1987) Inzwischen ist klar, dass diese Einschätzung zu optimistisch war. Die Erzeugung ungleicher Bildungschancen und einer - gemessen an den Leistungen bzw. der Leistungsfähigkeit - unfairen Steuerung von Bildungsbiografien im deutschen Bildungssystem ist nicht überwunden. Dies gilt generell mit Blick auf die soziale Herkunft von Schülerinnen und Schülern; es gilt in besonderem Maße für Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien, in deren Lebenslage die Merkmale, die sich auf Bildungschancen ungünstig auswirken, überdurchschnittlich gehäuft auftreten. In den Ergebnissen der Studie PISA 2009 kann zwar ein leichter Aufwärtstrend gesehen werden; Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund haben insbesondere bei der Lesekompetenz höhere Werte erreicht als in PISA 2006. Dennoch sind die Leistungsdifferenzen zwischen diesen Schülerinnen und Schülern und den Gleichaltrigen ohne Migrationshintergrund kaum geschrumpft (Klieme, Artelt et al. 2010). Es lohnt sich also, weitere Ursachenforschung zu betreiben und den Versuch zu unternehmen, in der Praxis die Lage zu verbessern. Dass beides gleichzeitig gesche- <?page no="62"?> 63 hen muss, versteht sich angesichts des Anrechts auf bestmögliche Bildung einer jeden Kindergeneration, nicht nur der zukünftigen, von selbst. Ein Handlungsmoratorium zu empfehlen, bis durch wissenschaftliche Forschung eindeutige Ergebnisse zur Wirksamkeit des Handelns vorliegen, verkennt die Komplexität der Einflussgrößen auf die Praxis, die im real existierenden Bildungssystem herrschen; diese machen es unwahrscheinlich, dass jemals ein Resultat vorliegt, das allen Eventualitäten gerecht wird, denen die Praxis begegnet. Und es ignoriert das Anrecht auf Verbesserungsbemühungen, das diejenigen besitzen, die im gegebenen Augenblick unterrichtet und gebildet werden. Dies ist ein ethischer Standpunkt, kein wissenschaftlich begründeter. Davon unbenommen ist es, dass praktisches pädagogisches Handeln und seine Folgen der sorgsamen, methodisch soliden Prüfung unterzogen werden müssen - oder auch: der wissenschaftlichen Evaluation -, damit abgeschätzt werden kann, ob die gewünschten Ziele erreicht werden. Hierfür ist eine gute Theorie erforderlich; ob eine Theorie gut (oder im gegebenen Zusammenhang gut genug) ist, muss sich unter anderem daran bemessen lassen, wie relevant ihre Anwendung für die real existierende Praxis ist. 3. Bildungssprache - Konzept und Begründung In erheblichem Maß sind Merkmale der Lebenslage - sie können im Begriff der Armut zusammengefasst werden - für die Verringerung von Bildungschancen verantwortlich; in weiten Teilen entziehen sich die daher rührenden Ursachen für Bildungsungleichheit dem Eingriff durch die Institutionen der Bildung. In der Zuständigkeit erziehungswissenschaftlicher Forschung und Entwicklung liegt es (neben anderem), Ursachen für die Erzeugung von Bildungsungleichheit zu identifizieren, die sich auf Merkmale des Bildungssystems oder der Bildungspraxis selbst zurückführen lassen, und vor diesem Hintergrund die Praxis dabei zu unterstützen, dass der Handlungsspielraum zur Verbesserung der Lage so weit wie möglich ausgenutzt wird. Der Auftrag des Modellprogramms FörMig, des letzten von der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) initiierten länderübergreifenden Modellprogramms 1 , war gegenüber dieser Prämisse noch deutlich fokussiert. Er lautete, kurz gefasst, Ansatzpunkte für die pädagogische Praxis zu finden, die der Verbesserung der Bildungschancen der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund zuträglich sind, aber zugleich die systemischen und sonstigen Rahmenbedingungen in den beteiligten Bundesländern und Bildungseinrichtungen unangetastet zu lassen. Eine weitere Engführung des Auftrags für das Programm bestand - im Vorfeld der Auseinandersetzungen über die Föderalismusreform - darin, dass die Gestaltung des Unterrichts selbst nicht Gegenstand der Aktivitäten sein sollte. Hierin hätten die beteiligten Länder einen zu starken Eingriff in ihre Auto- 1 Diese Institution, in der Bundesregierung und Länder gemeinsame Verantwortung für die Bildungsplanung und -entwicklung trugen, ist im Zuge der Föderalismusreform aufgelöst worden, zu deren Kernpunkten die Alleinzuständigkeit der Länder für die Gestaltung des Bildungssystems - mit Ausnahme der Hochschulzulassung und der Bildungsforschung - gehört; vgl. http: / / www.blk-bonn.de/ (Zugriff November 2010). <?page no="63"?> 64 nomie gesehen, deren Stärkung politisch anstand. Der dem Programm gegebene Auftrag lautete vor diesem Hintergrund wie folgt: „1: Aufbau auf vorhandenen Erfahrungen, Kompetenzen und Ressourcen auf Grundlage einer jeweiligen Bestandsaufnahme, 2: Qualitätskontrolle und Transferstrategien, 3: Vernetzung und Erfahrungsgewinn aus geeigneten europäischen Bildungssystemen, 4: Verzahnung des schulischen mit dem außerschulischen Bereich, 5: Qualifizierung des beteiligten Personals, 6: lokale/ regionale Anlage der Maßnahmen und institutionenübergreifende Kooperation und Vernetzung (einschl. Eltern und Migrantenorganisationen und Gemeinschaften), 7: interdisziplinäre wissenschaftliche Begleitung, Evaluation und Forschung.“ 2 Der Einrichtung des Modellprogramms war eine Expertise vorausgegangen, in der der internationale Forschungsstand zur Frage aufbereitet war, welche Faktoren die Erfolgschancen für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in einem Bildungssystem erhöhen (Gogolin, Neumann et al. 2003). Im Ergebnis der Analysen stand die Empfehlung der Konzentration eines Modellprogramms auf Sprachbildung, da hier sowohl ein besonderes Defizit vorheriger Anstrengungen in der deutschen Bildungslandschaft identifiziert wurde als auch ein Bereich, in dem den Bildungsinstitutionen tatsächlich ein großer Handlungsspielraum zur Verfügung steht. Zugleich ergab die Analyse des internationalen Forschungsstands, dass der Fokus der Sprachbildung, für die im Programm Ansätze entwickelt werden sollten, sehr spezifisch sein musste: Erforderlich war die Konzeptionierung von Fördermaßnahmen und Unterricht, die sich speziell auf die Förderung bildungsrelevanter sprachlicher Fähigkeiten richten. Mit dem Modellprogramm FörMig sind zwei Begriffsprägungen untrennbar verbunden: „Durchgängige Sprachbildung“ und „Bildungssprache“. Beide Begriffe hängen eng zusammen - „Durchgängige Sprachbildung“ rekurriert auf Prozessmerkmale des Bildungsprozesses; mit „Bildungssprache“ ist auf den Gegenstand und die Zielperspektive des Prozesses angespielt (Gogolin, Dirim et al. 2011). Der Begriff der „Bildungssprache“ wurde eingeführt, um auf etwas aufmerksam zu machen, das in der hiesigen fachlichen und allgemeinen Öffentlichkeit vordem keinen rechten Widerhall fand: auf das Faktum nämlich, dass Bildungserfolg mit der Beherrschung eines bestimmten sprachlichen Repertoires eng verknüpft ist. Nicht die Redeweisen des Alltags und der Freizeit, nicht das Schulhofdeutsch ist es, was der erfolgreiche Schüler, die erfolgreiche Schülerin beherrschen muss; es nützt Kindern und Jugendlichen in ihrer Bildungskarriere nichts, wenn sie in diesen Jargons brillieren - aber in jenes Register nicht überzutreten vermögen, das wir mit Bildungssprache bezeichnet haben. 2 Aus der Ausschreibung der BLK zur Beteiligung von Ländern am Modellprogramm, 2004. <?page no="64"?> 65 Der Begriff Bildungssprache hat eine doppelte Bedeutung. Zum einen bezeichnet er die Sprache, in der Bildung in Einrichtungen und Institutionen gestaltet wird. In Deutschland ist dies in der Regel Deutsch. Gleichzeitig, und in enger Verschränkung damit, wird damit auf eine spezielle Ausprägung der Sprache verwiesen, die im Bildungskontext gebräuchlich ist: Es handelt sich um ein Register, das im konzeptionellen Modus der Schriftlichkeit gestaltet ist (Halliday 1985). Dem Begriff liegt ein sprachfunktionales Theorieverständnis zugrunde; es besagt, dass sich grammatische Strukturen und weitere Merkmale des Sprechens oder Schreibens je nach Thema, Beziehung der Gesprächspartner und dem Modus, in dem Äußerungen geschehen (also im Schriftlichen oder mündlich) in beschreibbarer Weise unterscheiden. Die Unterschiede lassen sich abtragen auf einem Kontinuum, das von der kontextabhängigen, mündlich vollzogenen Äußerung bis zur kontextentbundenen Äußerung im Modus der Schriftlichkeit reicht (Halliday 2 1994). Für das Englische sind die strukturellen, pragmatischen und semantischen Unterschiede, die sich zwischen alltäglich-mündlicher und bildungsrelevanter Verständigung identifizieren lassen, bereits sehr detailgenau empirisch untersucht und beschrieben (Schleppegrell 2004). Für das Deutsche liegen erste Näherungen vor (Gantefort and Roth 2010; Lengyel 2010), aber eine umfassende, empirisch fundierte Beschreibung des Registers steht noch aus. Je weiter eine Bildungsbiografie voranschreitet, desto mehr unterscheiden sich sprachliche Anforderungen im Bildungsprozess vom Repertoire der alltäglichen mündlichen Sprache. Die Schule verlangt von ihren Schülerinnen und Schülern die Auseinandersetzung mit neuen, unbekannten und abstrakten Themen, die zugleich eine gedankliche Ordnung sprachlicher Beiträge und sprachliche Genauigkeit im Detail erfordert. Spezifische sprachliche Fähigkeiten sind notwendig, um die Aufgaben des Verstehens, Verarbeitens, Durchdenkens und Formulierens zu bewältigen, mit denen sich die Kinder und Jugendlichen in ihrem Bildungsprozess auseinanderzusetzen haben (Lange and Gogolin 2010). Mit dem Begriff der Bildungssprache ist mithin auf eine Art der Sprachverwendung verwiesen, die durch Traditionen, Auftrag und Intentionen der Bildungseinrichtungen selbst geprägt ist. Die Verwendung des Registers dient der Vermittlung fachlicher Kenntnisse und Fähigkeiten, und sie dient zugleich der Einübung in anerkannte Formen der formalen öffentlichen - z. B. beruflichen und staatsbürgerlichen - Kommunikation. Eine Auseinandersetzung mit jüngeren Sprachbildungstraditionen in der deutschen Schule zeigt, dass hier Bildungssprache in der Regel nicht explizit vermittelt wird. Vielmehr beruht das alltägliche Handeln auf der Annahme, dass alle nötigen sprachlichen Grundlagen „normalerweise“ außerhalb der Schule erworben werden, und dass das sprachliche Wissen und Können, was noch fehlt, durch die Unterrichtsprozesse hindurch implizit hinzugewonnen werde. Diese Annahmen sind in unserem Bildungssystem tief verwurzelt, und sie gehören aller Wahrscheinlichkeit nach zu den Mechanismen, die die soziale Selektivität des Bildungssystems mit hervorbringen und stützen (Gogolin 1994; Cummins 2008b). <?page no="65"?> 66 Zu den bedeutendsten Innovationsleistungen des Programms FörMig gehört es, 3 dass mit diesem sprachlichen Selbstverständnis der Bildungsinstitutionen, in erster Linie der Schule, gebrochen wird. Mit FörMig wurde der Anspruch formuliert und begründet, dass die Vermittlung von Bildungssprache als explizite Aufgabe des Bildungssystems zu verstehen ist. Das bedeutet, dass Sprache als Medium des Lehrens und Lernens bewusst wahrgenommen, bewusst verwendet und bewusst unterrichtet wird, und zwar grundsätzlich in allen Lernbereichen, im Unterricht aller Fächer (Gogolin, Dirim et al. 2011). 4. Durchgängige Sprachbildung Entsprechend dem Auftrag an das Modellprogramm FörMig, der Unterrichtsentwicklung explizit ausschloss, war es die Aufgabe der Beteiligten, Rahmenbedingungen zu entwickeln, die eine bessere Förderung bildungssprachlicher Fähigkeiten erlauben sollten. Diese Rahmenbedingungen sind im Konzept der „durchgängigen Sprachbildung“ zusammengefasst. Es stützt sich einerseits, wie das Konzept der Bildungssprache, auf wissenschaftliche Erkenntnisse über Spracherwerb und Sprachentwicklung im Kontext von Mehrsprachigkeit. Andererseits liegen der Entwicklung des Konzepts generelle Erkenntnisse über Bildungsqualität (Klieme, Jude et al. 2008) und spezielle Forschungsergebnisse über erfolgreiche „multilinguale“ Schulen zugrunde (Gogolin, Lange et al. 2011). Die zentralen Begründungen und darauf gestützten Kernmerkmale des Konzepts sind die folgenden: Aus der linguistischen Forschung über die Zeitdauer, die für den Aneignungsprozess bildungssprachlicher Redemittel bei Schülerinnen und Schülern zu veranschlagen ist, die in der Zweitsprache lernen, ist evident, dass kurzfristige Interventionsmaßnahmen - wenn überhaupt - nur zu kurzfristigen, nicht nachhaltigen Erfolgen führen können. Untersuchungen, die sich dem Vergleich von Zeitspannen zugewendet haben, die bis zur Aneignung von alltagssprachlichen oder bildungssprachlichen Redemitteln vergehen, kommen zu folgendem Schluss. Es müssen etwa zwei Jahre bis zum Erreichen einer akzeptablen alltagssprachlichen Kompetenz angesetzt werden. Für bildungssprachliche Redemittel aber ist - je nach Kontext der Aneignungssituation - mit einer Aneignungsdauer von zwischen vier und acht Jahren zu rechnen, bis Fähigkeiten erreicht sind, bei denen die in der Zweitsprache lernenden Kinder oder Jugendlichen nicht mehr von den monolingualen Mitlernenden unterscheidbar sind (Cummins 2008a). Bei der gegebenen Struktur des deutschen Bildungssystems, in dem die in einer Institution verbrachten Lernzeiten kürzer sind als die für die Aneignung bildungssprachlicher Fähigkeiten zu veranschlagende Lernzeit, ist es erforderlich, Strategien zu entwickeln, durch die Störungen oder gar Unterbrechungen des Aneignungsprozesses an Übergangsstellen im Bildungssystem vermieden werden. 3 Dass dies eine Erfolgsgeschichte ist lässt sich u. a. daran erkennen, dass der mit den ersten Schriften zum Modellprogramm FörMig in den hiesigen Sprachgebrauch neu eingeführte Terminus „Bildungssprache“ inzwischen nicht nur in den fachlichen Diskurs eingegangen ist, sondern auch in öffentliche Debatten und politische Verlautbarungen (so beispielsweise in Konzepte des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, siehe http: / / www.bamf.de/ nn_442764/ SharedDocs/ Anlagen/ DE/ Integration/ Downloads/ Veranstaltungen/ 20081121-evak-bildungssprache__deutsch.html.) <?page no="66"?> 67 Für das Modellprogramm FörMig wurde anknüpfend an diesen Erkenntnissen das Prinzip der „vertikalen Kooperation“ etabliert: der Zusammenarbeit zwischen den pädagogischen Einrichtungen an den Schwellen im Bildungssystem - am Übergang vom Elementarbereich in die Grundschule; von der Grundschule in die Sekundarstufe und von der Sekundarstufe in die Berufsbildung. Der Übergang vom Elementarbereich in die Grundschule spielt hier eine besondere Rolle, weil sich an dieser Schwelle eine sehr grundlegende Veränderung der Sprachaneignungsmechanismen vollzieht, die Kinder für ihren weiteren Spracherwerb einsetzen. Während Kinder im vorschulischen Alter primär intuitive Strategien der Sprachaneignung benutzen, sich also ganzheitlich aus dem gesamten sprachlichen Angebot bedienen, das sie umgibt, verlagern sich die Aneignungsmechanismen mit der Annäherung an das Schulalter immer mehr in Richtung auf kognitive Strategien. Je weiter der Sprachaneignungsprozess fortschreitet, desto mehr sind Kinder auf systematische, explizite Informationen über das Funktionieren von Sprache angewiesen, um ihr Sprachvermögen weiterzuentwickeln (List 2006). Wenn sie solche Informationen - die in einer ihrem Lernalter angemessenen Weise gegeben werden - nicht erhalten, bilden sie sich ihre eigenen Regeln und Vorstellungen über Gesetzmäßigkeiten der Sprache(n), in der oder in denen sie sich bewegen (Tracy 2007). Zur Aneignung bildungsrelevanter Register zumal benötigen sie ausdrücklich angebotenes Wissen über die Funktionsweisen und Differenzen der unterschiedlichen Redeweisen als Voraussetzung dafür, dass sie bewusst und zielgerichtet zwischen den Redeweisen auswählen lernen (Gibbons 2006). Für die Gestaltung von Sprachbildungsangeboten am Übergang vom Elementarbereich in die Grundschule bedeutet dies: Es ist nicht nur für das Bereitstellen von Redemitteln zu sorgen, sondern es geht vor allem darum, den Prozess der Veränderung der Aneignungsstrategien sorgsam zu begleiten. Anders gesagt: Ein zu frühes Angebot von systematisierter Förderung und von „Regeln“, die hauptsächlich das kognitive Potential der Lernenden ansprechen, ist ebenso wenig zielführend wie ein Angebot, das sich zu lange auf die intuitiven Strategien der frühen Kindheit verlässt. Im Modellprogramm FörMig wurden solche Erkenntnisse in das organisatorische Modell der „Basiseinheiten“ übersetzt, die dazu gedacht waren, die Zusammenarbeit zwischen abgebenden und aufnehmenden Bildungseinrichtungen an den Übergängen im Bildungssystem zu ermöglichen. Am Übergang vom Elementarbereich in die Grundschule wurden Basiseinheiten in der Regel aus einer Grundschule und den Kindertageseinrichtungen gebildet, aus denen sie Kinder aufnimmt. Die Basiseinheiten sollten den Raum für Kooperation bieten: für gemeinsame Planung der inhaltlichen und methodischen Gestaltung des Übergangsprozesses und, damit verbunden, für die gemeinsame Qualifikation des beteiligten Personals. Die konkreten Lösungen bei der Realisierung dieses Anspruchs waren vielfältig 4 - ebenso wie die Hindernisse, 4 Beispiele für die entwickelten Konzepte sind den Websites der FörMig-Projekte zu entnehmen. Sie sind zugänglich über www.foermig.uni-hamburg.de. <?page no="67"?> 68 die sich in der Praxis auftaten. Zu den höchsten Hürden, die an der Schwelle vom Elementarbereich in die Grundschule zu überwinden waren, gehören diejenigen, die sich aus den Unterschieden der Träger und Zuständigkeiten ergeben. Sie erschweren es, gemeinsame Zeiten und Räume für die Zusammenarbeit freizulegen - etwa dafür, dass Pädagoginnen und Pädagogen aus den kooperierenden Kindertageseinrichtungen und Schulen gemeinsame Qualifikationsangebote wahrnehmen können oder garantierte gemeinsame Zeit dafür haben, Förderung und Unterricht zu planen und nachzubereiten. Für die Realisierung der „durchgängigen Sprachbildung“ an dieser Schwelle im Bildungssystem sind augenblicklich die strukturellen Hindernisse noch höher als die günstigen Gelegenheitsstrukturen (Gogolin, Dirim et al. 2011). Zu den weiteren Kernmerkmalen des Konzepts „durchgängige Sprachbildung“, die sich auf Erkenntnisse über Bildungsqualität stützen, gehört ferner das Prinzip der „horizontalen Kooperation“. Die hier zugrundeliegenden Forschungsergebnisse heben zum einen die generelle Bedeutung motivationaler Aspekte für das Lernen hervor, also beispielsweise den Stellenwert eines ermutigenden, herausfordernden Schulklimas (Prenzel and Allolio-Näcke 2006). Sie deuten zum anderen auf die Wichtigkeit von grundlegenden Übereinkünften über die intendierten Ziele und die Gestaltung von Lerngelegenheiten zwischen den beteiligten Pädagoginnen und Pädagogen (Helmke and Klieme 2008). Mit spezifischem Blick auf Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund wird überdies die Bedeutung der Kooperation zwischen Bildungseinrichtungen und anderen Partnern - in erster Linie: den Eltern - für die Gestaltung einer erfolgversprechenden Lernumgebung hervorgehoben (Bourne 2011). Die Umsetzung solcher Erkenntnisse in ein Organisationsmodell erfolgte im Programm FörMig unter zwei Überschriften: zum einen wurden die Grundideen des Programms in Ansätze der Institutionenentwicklung übertragen, insbesondere der Schulentwicklung, denn sie sind nur in einem solchen Rahmen realisierbar; Beispiele für die Umsetzung sind auf der FörMig-Website dokumentiert (Hawighorst 2010). Zum anderen richteten sich die Anstrengungen auf die Etablierung von „Regionalen Sprachbildungsnetzwerken“: Zusammenschlüssen von Kindertageseinrichtungen oder Schulen einer Region, in die weitere Sprachbildungspartner eingebunden wurden. Dies waren - vor allem für den Elementarbereich und die Grundschule - in erster Linie die Eltern der geförderten Kinder; es wurden unterschiedliche Strategien erprobt und etabliert, durch die die Eltern in das Bildungsangebot der Institutionen einbezogen werden konnten. Bei aller Verschiedenheit der Lösungen im Detail haben die in FörMig entwickelten Ansätze folgende Merkmale gemeinsam: Sie sind niedrigschwellig gestaltet, erleichtern also beiden Seiten die Kontaktaufnahme und Zusammenarbeit (z. B. Einrichtung von Elterncafés in Kindertageseinrichtungen und Schulen), und sie beruhen auf dem Grundsatz des Respekts vor der Kompetenz der Partner. Es handelte sich also durchweg nicht um Angebote mit dem Ziel der „Erziehung“ oder Kontrolle der Eltern, wie sie oftmals im Vordergrund der Zusammenarbeit stehen. Vielmehr handelte es sich <?page no="68"?> 69 um Entwicklungs- und Bildungspartnerschaften, in die die Eltern mit ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten aktiv eingebunden wurden. Hier bot sich in besonderer Weise Anlass, Praktiken der Wertschätzung und Aktivierung von Mehrsprachigkeit in den Alltag der Bildungseinrichtungen einzubeziehen, bei denen die Eltern als kompetente und willkommene Partner für die Gestaltung eines guten Lernklimas und eines Bildungsangebots, das der mehrsprachigen Zusammensetzung der Bildungseinrichtungen Rechnung trägt, zur Verfügung stehen. 5 Zur Realisierung „Regionaler Sprachbildungsnetzwerke“ gehört neben der Einbeziehung der Eltern die Aktivierung und Einbindung von solchen Personen oder Institutionen in das Sprachbildungskonzept der Kindertageseinrichtungen und Schulen, von denen man sich zusätzliche Expertise und Unterstützung erhoffen kann. Auch hier ist das Spektrum der in FörMig erprobten Lösungen breit; es reicht von der Einbeziehung ehrenamtlicher Lesepartner über die Zusammenarbeit mit lokalen Bibliotheken, Zeitungen, Theatern bis zur Kooperation mit Firmen oder Migrantenvereinen, Letztere insbesondere mit Blick auf die Gestaltung eines mehrsprachigkeitsförderlichen Bildungsklimas. 5. Wissenschaftliche Prüfung: Modellevaluation des Programms FörMig Ganz im Sinne des Grundsatzes, dass jeder Innovationsansatz im Bildungswesen einer wissenschaftlichen Überprüfung unterzogen werden sollte, wurde im Modellprogramm FörMig eine Programmevaluation durchgeführt. 6 Das Modellprogramm war mit dem Anspruch angetreten, eine Förderung sprachlicher Fähigkeiten zu erreichen. Soweit dies im gegebenen Rahmen möglich war, mussten sich die Aktivitäten der teilnehmenden Projekte an diesem Anspruch auch messen lassen. Es lag also nahe, Sprachstandsmessung in den Mittelpunkt der Evaluation zu stellen. Größtes Hindernis für die Realisierung dieser Absicht war, dass inhaltlich angemessene und nach den Regeln der Kunst geprüfte Instrumente, die für die Sprachstandsmessung unter den gegebenen Bedingungen adäquat sind, bei Beginn des Modellprogramms nicht zur Verfügung standen (Reich 2005). Ein Teil der Evaluationsaufgabe bestand daher in der Entwicklung und empirischen Prüfung entsprechender Verfahren. Das Resultat dieser Entwicklungsarbeit sind drei erprobte Testverfahren: HAVAS5 (das auf Vorarbeiten im Land Hamburg beruht); ferner FörMig-Tulpenbeet und FörMig- Bumerang (Reich and Roth 2004; Lengyel, Reich et al. 2009). Das Design der FörMig-Programmevaluation war auf die spezifischen Handlungsbedingungen eines Modellprogramms zugeschnitten, das in vielerlei Hinsicht - und so gewollt - die reale Bildungspraxis im Bereich der sprachlichen Förderung von Kin- 5 Beispiele für solche Aktivitäten, die in ansprechende Handreichungen für die Praxis transferiert wurden, bietet etwa das FörMig-Projekt Berlin (vgl. http: / / www.foermig-berlin.de/ , Zugriff: November 2010). 6 Hierneben haben die meisten beteiligten Bundesländer spezifische Fragestellungen in ländereigenen Evaluationen überprüft. Eine Übersicht enthält der Band Klinger, T., K. Schwippert, et al., Eds. (2008). Evaluation im Modellprogramm FörMig. Planung und Realisierung eines Evaluationskonzepts. FörMig Edition. Münster, New York, Waxmann. <?page no="69"?> 70 dern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund abbildet. 7 Zu den Rahmenbedingungen gehört die erwähnte Heterogenität des Programms - es sollte per definitionem auf Erfahrungen und Praxis der sprachlichen Förderung aufbauen, die auf sehr unterschiedliche Weise und unter unterschiedlichen Bedingungen in den Bundesländern, Regionen und Schulen praktiziert wurde, und sich nicht auf den Unterricht, sondern auf die Gestaltung von Rahmenbedingungen richten. Ausgangspunkt des Programms war also nicht eine starke Hypothese und ein darauf beruhendes, für alle beteiligten Einheiten verbindliches Treatment. Es gehört vielmehr zu den Besonderheiten von FörMig, dass die Mittel und Wege der Förderung bildungssprachlicher Fähigkeiten selbstbestimmt und verantwortlich in den einzelnen beteiligten Einrichtungen festgelegt wurden: Sie sollten auf die konkreten Praxisbedingungen zugeschnitten sein, die sich den Basiseinheiten stellten. In diesem Sinne war FörMig - wie im Übrigen die meisten Modellprogramme - kein Interventionsprogramm; es nahm erst in der Umsetzung selbst konkrete Gestalt an. Dieses Merkmal des Programms war auch, aber nicht nur wissenschaftlich begründet. 8 Die wissenschaftliche Begründung stützt sich im Wesentlichen auf zwei Argumente: ➜ Erstens darauf, dass ein Modellprogramm, das auf Veränderungen der Praxis zielt, die Bedingungen der Praxis berücksichtigen soll. Zu diesen Bedingungen zählt die faktische Heterogenität der Ausgangslagen und Handlungsvoraussetzungen in den beteiligten Projekten. Dazu gehören zum Beispiel die unterschiedlichen Migrationskonstellationen - von Basiseinheiten mit weniger als 10% Kindern oder Jugendlichen mit Migrationshintergrund bis zu solchen mit 100% - oder die unterschiedlichen Erfahrungen des beteiligten Personals mit Migration und ihren Folgen für die sprachliche Bildung. Solche Handlungsbedingungen schließen eine „one size fits all“-Lösung für die pädagogische Praxis aus. ➜ Zweitens auf die Erkenntnis, dass an die Übertragbarkeit von Praxis über Bildungseinrichtungen hinweg nur sehr vorsichtige Erwartungen gerichtet werden können - zumindest dann, wenn es sich nicht um schlichte, enggeführte Rezepte handelt, sondern um komplexe Innovationsansätze (Prenzel 2010). Den gewollt „unübersichtlichen“ konkreten Handlungsbedingungen trug die Programmevaluation von FörMig Rechnung, indem sie einen spezifisch erziehungswissenschaftlichen Ansatz zugrunde legte. Seine Stärke ist, dass er nicht zugeschnitten ist auf experimentelle Laborbedingungen, wie sie im Falle von Modellprogrammen à la FörMig nicht gegeben sind. Die Evaluation von Bildungsangeboten nach diesem Verständnis wird als kriteriumsorientierte, d.h. auf sachliche Ziele gerichtete Untersuchung von Prozessen oder Ergebnissen beschrieben. Hier werden neben dem Untersuchungsgegenstand selbst 7 Die Darstellung hier beruht auf dem Abschlussbericht zum Modellprogramm, der 2011 als Buchpublikation erscheinen wird; vgl. Gogolin, Dirim et a. 2011, Kapitel 7). 8 Zur politischen Begründung, die mit der Kulturhoheit der Bundesländer und der sie stärkenden Föderalismusreform zusammenhängt, habe ich oben bereits etwas ausgeführt. <?page no="70"?> 71 auch Rahmenbedingungen mit in den Blick genommen. Intention eines solchen Evaluationskonzepts ist es, Informationen zur Verfügung zu stellen, die in einem späteren Entscheidungsprozess als Grundlagen für die Auswahl zwischen Handlungsalternativen genutzt werden können. Nach Nutzenüberlegungen werden in Evaluationen in methodischer Hinsicht verschiedene Wege eingeschlagen. So wird das Interesse an einer quantitativ untermauerten Merkmalsbeschreibung zum Einsatz von statistischen Methoden führen, die beispielsweise auf der Auswertung von Testergebnissen beruhen. Die in einem solchem Zusammenhang genutzten Verfahren zielen auf objektiv, reliabel und valide erfasste Merkmale. Wenn eher prozessbezogene Informationen gewünscht sind, führen die Nutzenüberlegungen dazu, sich bevorzugt auf qualitativ erhobene Informationen zu stützen. Der Begriff der Evaluation steht dann dafür, nicht ein Einzelresultat, eine spezielle Momentaufnahme als Entscheidungsgrundlage heranzuziehen, sondern Serien prozessbegleitender Informationen. Im Falle von FörMig ist ein gemischtes Methodenrepertoire zum Einsatz gekommen: Quantitative Verfahren (Sprachstandsmessung; Erfassung von Hintergrundvariablen), wo es um das Gewinnen eines Gesamtüberblicks geht; qualitative Verfahren, wo es darum geht, Interpretationshilfen für die Ergebnisse zu gewinnen. Evaluationen, die eine komplexe Praxis in den Blick nehmen, sind in der Regel nicht als klassische experimentelle Interventionen angelegt, wie sie in psychologischen Evaluationen die Regel sind. Das bedeutet: Das Interesse gilt nicht der Frage, ob eine Intervention als solche im Vergleich zu unterlassener Intervention Effekte zeigt. Das Interesse von Evaluationen im Rahmen von Feldstudien, für die die FörMig- Evaluation ein Beispiel ist, liegt vielmehr in der regelgeleiteten Dokumentation faktischer Vielfalt der Praxis im Gegenstandsbereich einer Maßnahme - hier: der Sprachbildung -, die der Intention nach einer einheitlichen und expliziten Zielbestimmung folgt. Zweck der Überprüfung ist es, aus empirischen Beobachtungen Merkmale herauszuarbeiten, die darauf deuten, ob und warum einzelne Maßnahmen dem erklärten gemeinsamen Ziel näher kommen als andere. Die ermittelten Merkmale können im Anschluss als Hypothesen weiteren empirischen Prüfungen zugänglich gemacht werden - nicht zuletzt: auch der Prüfung in einem klassisch experimentellen Design. In dieser Form der Evaluation, in der eine Vielfalt unterschiedlicher Praxen unter einem Kriterium miteinander verglichen wird, liegt ein Kontrollgruppendesign, wie es in klassischen Interventionsstudien die Regel wäre, nicht nahe. Die trennscharfe Zuweisung zur Experimental- oder Kontrollgruppe setzt ein klar definiertes Treatment voraus, und sie setzt voraus, dass in der Kontrollgruppe kein Treatment erfolgt. Diese Voraussetzung lässt sich im Falle von Sprachförderung schwerlich erfüllen. Es ist weder plausibel noch wünschenswert, dass Kinder oder Jugendliche in pädagogischen Institutionen angetroffen werden, in denen jegliche Sprachförderung unterbleibt, und es widerspräche ethischen Maximen, auf die Konstruktion solcher Kontrollgruppen zu dringen. <?page no="71"?> 72 Die FörMig-Programmevaluation war vor diesem Hintergrund auf die Beantwortung zweier Leitfragen gerichtet: 1) Gelingt es den beteiligten Einrichtungen über die Laufzeit des Programms, ihre Sprachbildungsziele besser zu erreichen? 9 2) Welche Merkmale der Sprachbildungsansätze lassen auf eine Erfolgswahrscheinlichkeit schließen, die höher ist als die anderer Ansätze? Der spezifische Ertrag der Modellevaluation von FörMig sind Ergebnisse, die einer heterogenen Praxis entstammen - also dicht an der Bildungsrealität gewonnen wurden. Sie ermöglichen einen fairen Vergleich der Resultate der pädagogischen Aktivitäten, denn sie berücksichtigen sehr genau die Ausgangslage und Bedingungen, unter denen die beteiligten Einrichtungen arbeiteten. Sie enthalten Hinweise auf solche Ansätze, die dem von allen Beteiligten geteilten expliziten Ziel der Förderung (bildungs-)sprachlicher Kompetenz zuträglicher sind als andere Ansätze. Mit Hilfe von Mehrebenenanalysen sowie durch eine zusätzliche qualitative Betrachtung wurden Merkmale der Maßnahmen ermittelt, die für den relativen Erfolg mitbestimmend sind. In Teilbereichen konnte darüber hinaus neben FörMig-internen Vergleichen auch ein externer Vergleich angestellt werden. Es wurden Leseverständnistests am Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe und von der Sekundarstufe in den Beruf eingesetzt, die den (Querschnitts-) Untersuchungen IGLU und PISA entstammen. Die Ergebnisse der Evaluation sind im Detail in der Abschlusspublikation dargestellt (Gogolin, Dirim et al. 2011). Hier seien nur Tendenzen angedeutet. Die erste Leitfrage der Evaluation lässt sich mit „ja“ beantworten. Es ist den meisten beteiligten Einrichtungen gelungen, die Kinder oder Jugendlichen in der letzten Phase des Programms besser zu fördern als zu Beginn der Programmlaufzeit. Ein Ziel der Einrichtung des Modellprogramms wurde also erreicht: die Verbesserung der Fähigkeit der beteiligten Einrichtungen zur Sprachbildung. Überdies gibt die vertiefte Analyse der Merkmale von Einrichtungen, die den gewünschten Effekt nicht erreichten, weitere Hinweise auf förderliche oder hemmende Rahmenbedingungen für erfolgreiche Sprachbildung. In Bezug auf die zweite Leitfrage lassen sich folgende Tendenzen erkennen: ➜ Erfolgreiche Fördergruppen haben selten isoliert agiert. Sie waren nach unseren Analysen eingebunden in schulische oder einrichtungsübergreifende Netzwerke, in denen sehr konkret und systematisch an Förderkonzeptionen und ihrer Umsetzung gearbeitet wurde. Dabei scheint es unter anderem auf den Grad der Verbindlichkeit des gemeinsamen Vorgehens anzukommen, die sich nicht not- 9 Die Beantwortung dieser Frage wurde möglich durch die Realisierung von zwei Meßzeitpunkten: der erste im ersten Jahr nach Einrichtung des Programms, der zweite im Jahr vor der Beendigung der Laufzeit. <?page no="72"?> 73 wendig auf Unterrichtsinhalte, aber auf Lernziele und die entsprechende Methodik erstreckt, verbunden mit regelmäßigem Austausch und Feedback im Kollegium. ➜ Die erfolgreichen Fördergruppen verankerten ihre Maßnahmen zumeist im normalen Unterricht. Dieser wurde teilweise ergänzt um vertiefende zusätzliche Angebote, deren Inhalte sich sehr konkret auf den Unterricht beziehen. Das ist keine Erfolgsgarantie, denn es gibt auch Beispiele dafür, dass integriert geförderte Gruppen geringere Erfolge als additiv geförderte erzielt haben. Aber der Tendenz nach, die sich in den Ergebnissen von Mehrebenenanalysen anzeigt, konnten integriert fördernde Basiseinheiten in ihren Fördergruppen unter vergleichbaren Randbedingungen größere Lernzuwächse erreichen. Die Ergebnisse unserer Analysen legen es aber gleichzeitig nahe, dass Evaluationen von Innovationsansätzen sich sehr dicht an die jeweils einzelne Praxis heranwagen müssen. Wie dies auch in anderen Untersuchungen ermittelt wurde, verdecken Resultate, die auf aggregierten Daten beruhen, teilweise die Identifizierung praxisrelevanter Einflussfaktoren. In unserer Evaluation zeigte sich dies anhand vertiefter Analysen. Sie ergaben unter anderem, dass Fördergruppen mit identischen Förderzielen und -konzepten sich nicht nur im Grad der praktischen Realisierung unterscheiden, sondern auch in der Qualität der Zielerreichung. Es ist eben nicht so, dass alle Basiseinheiten mit einem gemeinsamen Schwerpunkt der Förderung auch gute Ergebnisse damit erzielen. Dazu kann der persönliche Unterrichtsstil der Lehrenden ebenso beitragen wie die jeweils besondere Situation in der Fördergruppe. Die Ergebnisse unserer Evaluation schließen hier sehr gut an die Resultate von Untersuchungen zur Schul- und Unterrichtsqualität an, in denen sich die hohe Bedeutung der Qualifikation und des Handelns der Lehrenden erwies (Lipowsky and Pauli 2007; Künsting, Billich et al. 2009). Wir werten die in dieser Hinsicht gewonnenen Ergebnisse auch als deutliche Hinweise darauf, dass Innovationsansprüche, die an Modellprogramme gerichtet werden, genauer mit dem Faktor „Zeit“ zu verbinden sind. Im Kontext von FörMig befanden sich viele Akteure ganz am Anfang des Wegs zu konzertiertem Vorgehen und zu Ansätzen, die tatsächlich in der erwünschten Weise (bildungs-)sprachförderlich wirken können. Die Herausforderung an sie war groß, und die zur Verfügung gestellte Zeit für die Bewältigung der Herausforderung war zu gering. 6. Fragen an „Sag’ mal was“ Sowohl die berichteten theoretischen Grundlagen als auch die Erfahrungen der Evaluation des Programms FörMig geben Anlass zu etlichen Rückfragen an das Programm „Sag’ mal was“, und insbesondere: an seine Evaluation. Es können nur zwei hier angedeutet werden: Die erste bezieht sich auf das Wissen über Spracherwerb und Sprachentwicklung, insbesondere im Kontext von Zwei- oder Mehrsprachigkeit, das der Konstruktion des <?page no="73"?> 74 Konzepts „durchgängige Sprachförderung“ zugrunde liegt. Es ist unstreitig, dass insbesondere in der frühen Kindheit eine rasante Sprachentwicklung vonstattengeht - die Geschwindigkeit, mit der sich Sprache angeeignet wird, wird in späteren Aneignungsprozessen nicht mehr erreicht (vgl. auch den Beitrag von Klein in diesem Band). Dieser Umstand wirft ein Licht auf zu erwartende Ergebnisse von Evaluationen in diesem Lebensalter. Es ist - abgesehen von der Situation, dass es keinen sprachlichen Input in der zu erwerbenden Sprache gibt, oder bei Erkrankung eines Kindes - davon auszugehen, dass in jedem Fall Sprachentwicklung in einer Sprache, mit der Kontakt besteht, geschieht. Wenn also über differenzielle Effekte von Sprachförderung durch eine Evaluation Aussagen zustande kommen sollen, dann kann sich dies nicht auf die Aneignung allgemeiner Redemittel beziehen, denn es ist nach Lage der Dinge im frühen Kindesalter zu erwarten, dass diese, grosso modo, mit oder ohne spezifische Förderung vonstattengeht (sofern Sprachkontakt besteht). Vielmehr müsste sich das Augenmerk der Evaluation darauf richten, ob die Förderung die von ihr intendierten spezifischen Ziele erreicht. Um dies prüfen zu können, sind Instrumente erforderlich, die sich auf die Untersuchung der Entwicklung eben jener speziell geförderten Redemittel richten - im anderen Falle ist davon auszugehen, dass in einer Evaluation nicht das geprüft oder gemessen wurde, was gemessen werden sollte. Die zweite bezieht sich auf das in FörMig bestätigte, in Untersuchungen zur Bildungsqualität wiederkehrend gewonnene Ergebnis, dass Resultate einer Förderung oder des Unterrichts in hohem Maße von den Kontextbedingungen abhängig sind, unter denen die Maßnahme geschieht. Die Aufdeckung entsprechender Zusammenhänge macht es erforderlich, dass relevante Kontextbedingungen in Evaluationen mit erhoben werden und dann, selbstredend, in die Interpretation von Daten einfließen. Im Falle der „Sag’ mal was“-Evaluationen wäre es vor diesem Hintergrund unter anderem erforderlich gewesen, Auskünfte zu der Frage zu gewinnen und zu berücksichtigen, ob die untersuchten Kinder überhaupt eine Förderung erhalten haben, die den jeweiligen Modellvorstellungen entsprach. Wäre das nicht der Fall gewesen - und darauf deuten einige Ergebnisse der Evaluationen 10 - so besäßen die vorliegenden Evaluationsergebnisse einen Aussagewert im Hinblick auf die eventuell bestehende Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Sprachförderung; eine weitergehende, gar allgemeine Aussage über die Wirksamkeit von Sprachförderung aber ließen sie nicht zu. Die Evaluation von „Sag’ mal was“ hat uns damit das beschert, was wir von vielen wissenschaftlichen Studien kennen: neue Fragen, aber auch neue Ansatzpunkte für die weitere Forschung. Auch wenn wir dabei bei der Frage der Wirksamkeit von Sprachförderung nur kleine Schritte vorwärts gekommen sind: wir haben mehr über die Realität von Sprachförderung gelernt und so neue Erkenntnisse für Forschung und Praxis gewonnen. 10 z. B. Ergebnisse der Videostudien, die im Evaluationsprojekt Weingarten durchgeführt wurden; siehe den Beitrag von Gasteiger-Klicpera, Knapp und Kucharz in diesem Band. <?page no="74"?> 75 7. Von FörMig zu FörMig-Transfer Diskontinuität gehört zu den wiederkehrend beobachteten Merkmalen der Bildungsreform in Deutschland. Dieses Merkmal trifft auch auf die mit FörMig angestoßene Reform zu. Die Konferenz der Kultusminister der Länder, die nach der Auflösung der BLK die alleinige Verantwortung für länderübergreifende Reformanstrengungen besitzt, konnte sich nicht auf ein gemeinsames Transferprogramm einigen, mit dem mindestens die als erfolgreich identifizierten Teile des Modellprogramms hätten weiterentwickelt werden können. Dennoch gibt es Transferansätze im Anschluss an För- Mig in der Einzelregie einiger Bundesländer und anderer Partner, und hier kann es gelingen, den in der fünfjährigen Laufzeit des Modellprogramms erreichten „Aufbruch in eine neue Kultur der Sprachbildung in Deutschland“ systematisch weiterzuentwickeln. 11 Die am Transferprogramm beteiligten Projekte wenden sich zwei Arbeitsschwerpunkten zu: 1) der prozeßbegleitenden Entwicklung von bildungssprachförderlichem Unterricht im Kontext von Institutionenentwicklung; 2) der Etablierung regionaler Sprachbildungsnetzwerke und dem Abbau von Hürden für die institutionenübergreifende Kooperation. Fortgeführt wird der Fokus auf die „vertikale Kooperation“ an Schwellen der Bildungsbiografie. Hier liegt ein besonderes Augenmerk bei der Etablierung von Kooperationsmodellen für den Übergang vom Elementarbereich in die Grundschule - nicht zuletzt, weil an dieser Schwelle aufgrund der Heterogenität der Trägerschaft und des historisch unterschiedlich entwickelten Selbstverständnisses der beteiligten Institutionen besondere „Übersetzungsarbeiten“ zu leisten sind. Das FörMig-Transferprojekt Hamburg beispielsweise wendet sich diesem Thema zu. Hier sind Partnerschaften zwischen Grundschulen und zwei bis drei Kindertageseinrichtungen gebildet worden, die den Übergang zwischen den Institutionen gemeinsam bearbeiten. Sie fertigen gemeinsame Stärken-Schwächen-Analysen an und ermitteln auf diese Weise die bereits vorhandenen und fehlenden Kompetenzen oder Ressourcen, verständigen sich auf Verfahren der entwicklungsbegleitenden Sprachdiagnostik als Grundlage für die Förderung und einigen sich auf Vorgehensweisen, die bei der Förderung im Anschluss an die Ergebnisse der Diagnostik bevorzugt werden. Hierbei werden sie von einer Arbeitsgruppe der Universität Hamburg wissenschaftlich begleitet und von einer länderübergreifenden Arbeitsgruppe unterstützt. Eine Evaluation der Maßnahmen obliegt dem Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg, Abteilung Qualitätsentwicklung und Standardsicherung (http: / / www.foermig.unihamburg.de/ web/ de/ all/ lpr/ hamburg/ index.html). - Andere Projekte im FörMig- Transferprogramm konzentrieren sich auf andere Übergänge im Bildungssystem. Allen gemeinsam ist das Augenmerk darauf, „durchgängige“, lernbereichs- oder 11 Ein Überblick findet sich auf der Website des Transferprogramms: www.foermig.uni-hamburg.de <?page no="75"?> 76 fächerübergreifende kooperative Ansätze der Sprachbildung zu entwickeln, für die Realisierung solcher Ansätze angemessene Strukturen zu finden und die beteiligten Akteure prozessbegleitend zu unterstützen und zu qualifizieren. Die FörMig-Transferprojekte haben erst im Herbst 2010 ihre aktive Arbeit aufgenommen. Sie verfolgen hartnäckig das Ziel, eine weitreichende Reform sprachlicher Bildung in Deutschland voranzubringen - die ersten Schritte auf dem Weg dahin, die im Modellprogramm FörMig gegangen werden konnten, haben sich ja bewährt. Und dabei hat nicht zuletzt der Dialog mit dem unterschiedlichen Ansatz von „Sag’ mal was“ fruchtbare Impulse gegeben. Literatur Bourne, J. (2011). Making the Difference: Teaching and learning strategies in multi-ethnic schools. Herausforderung Bildungssprache. I. Gogolin, I. Lange, U. Michel and H. H. Reich. Münster, New York, Waxmann: in Vorbereitung. Cummins, J. (2008a). Total Immersion or Bilingual Education? Findings of International Research Promoting Immigrant Children’s Achievement in the Primary School. Chancenungleichheit in der Grundschule. Ursachen und Wege aus der Krise. J. Ramseger and M. Wagener. Wiesbaden, VS Verlag: 45-55. Cummins, J. (2008b). “Review of Where immigrant students succeed: A comparative review of performance and engagement in PISA 2003 (Petra Stanat & Gayle Christensen, eds., 2006).” Curriculum Inquiry30(493-499). Esser, H. and M. Steindl (1987). Modellversuche zur Förderung und Eingliederung ausländischer Kinder und Jugendlicher in das Bildungssystem. Bericht über eine Auswertung im Auftrag der Bund-Länder- Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung. Bonn, BLK. Gantefort, C. and H.-J. Roth (2010). “Sprachdiagnostische Grundlagen für die Förderung bildungssprachlicher Fähigkeiten.” Zeitschrift für Erziehungswissenschaft (ZfE)13(4): in print. Gibbons, P. (2006). Unterrichtsgespräche und das Erlernen neuer Register in der Zweitsprache. Die Macht der Sprachen. Englische Perspektiven auf die mehrsprachige Schule. P. Mecheril and T. Quehl. Münster u. a., Waxmann: 269-290. Gogolin, I. (1994). Der monolinguale Habitus der multilingualen Schule. Münster u.a., Waxmann. Gogolin, I., I. Dirim, et al. (2011). Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Bilanz und Perspektiven eines Modellprogramms. - Mit einem Gastbeitrag von Christoph Gantefort. Münster, New York, Waxmann. Gogolin, I., I. Lange, et al., Eds. (2011). Herausforderung Bildungssprache. . FörMig edition. Münster, New York, Waxmann. Gogolin, I., U. Neumann, et al. (2003). “Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Expertise für die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung.” BLK- Materialien zur Bildungsplanung und Forschungsförderung107. Halliday, M. A. K. (1985). Spoken and Written Language. Victoria, Australia, Deakin University (1989: Oxford University Press). Halliday, M. A. K. ( 2 1994). An introduction to Functional Grammar. London, Edward Arnold. Hawighorst, B. (2010) FörMig-Modellschulen im Portrait. Helmke, A. and E. Klieme (2008). Unterricht und Entwicklung sprachlicher Kompetenzen. Unterricht und Kompetenzerwerb in Deutsch und Englisch. DESI-Konsortium. Weinheim u.a., Beltz: 301-312. <?page no="76"?> 77 Klieme, E., C. Artelt, et al., Eds. (2010). PISA 2009. Bilanz nach einem Jahrzehnt. Münster, New York, Waxmann. Klieme, E., N. Jude, et al. (2008). Alltagspraxis, Qualität und Wirksamkeit des Deutschunterrichts. Unterricht und Kompetenzerwerb in Deutsch und Englisch. DESI-Konsortium. Weinheim u. a., Beltz: 319-344. Klinger, T., K. Schwippert, et al., Eds. (2008). Evaluation im Modellprogramm FörMig. Planung und Realisierung eines Evaluationskonzepts. . FörMig Edition. Münster, New York, Waxmann. Künsting, J., M. Billich, et al. (2009). Der Einfluss von Lehrerkompetenzen und Lehrerhandeln auf den Schulerfolg von Lernenden. Lehrprofessionalität. O. Zlatkin-Troitschanskaia, K. Beck, D. Sembill, R. Nickolaus and R. Mulder. Weinheim u.a., Beltz: 655-667. Lange, I. and I. Gogolin (2010). Handreichung Durchgängige Sprachbildung. Unter Mitarbeit von Dorothea Grießbach. Münster, New York, Waxmann. Lengyel, D. (2010). “Bildungssprachförderlicher Unterricht in mehrsprachigen Lernkonstellationen.” Zeitschrift für Erziehungswissenschaft (ZfE)13(4): in print. Lengyel, D., H. H. Reich, et al., Eds. (2009). Von der Sprachdiagnose zur Sprachförderung. FörMig Edition. Münster, New York, Berlin, Waxmann. Lipowsky, F. and C. Pauli (2007). “Umgang mit Heterogenität im Spiegel der Unterrichtsforschung.” Unterrichtswissenschaft35(2): 98-100. List, G. (2006). Wie kommt das Kind zur Sprache? Sprachliche Förderung in der Kita. Wie viel Sprache steckt in Musik, Bewegung, Naturwissenschaften und Medien. K. Jampert, K. Leuckefeld, A. Zehnbauer and P. Best. Weimar, Berlin, Verlag das Netz: 13-21. Prenzel, M. (2010). “Geheimnisvoller Transfer? Wie Forschung der Bildungspraxis nützen kann.” Zeitschrift für Erziehungswissenschaft (ZfE)13(1): 21 - 37. Prenzel, M. and L. Allolio-Näcke, Eds. (2006). Untersuchungen zur Bildungsqualität von Schule. Abschlussbericht des DFG-Schwerpunktprogramms. Münster u.a., Waxmann. Reich, H. H. (2005). Forschungsstand und Desideratenaufweis zu Migrationslinguistik und Migrationspädagogik für die Zwecke des „Anforderungsrahmens“. Anforderungen an Verfahren der regelmäßigen Sprachstandsfeststellung als Grundlage für die frühe und individuelle Förderung von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund (= Reihe Bildungsreform Band 11). BMBF. Berlin, BMBF: 121-169. Reich, H. H. and H.-J. Roth (2004). Hamburger Verfahren zur Analyse des Sprachstandes bei 5-Jährigen. Hamburg, Behörde für Bildung und Sport. Schleppegrell, M. J. (2004). The language of schooling: a functional linguistics perspective. Mahwah, NJ, Erlbaum. Tracy, R. (2007). Wie Kinder Sprachen lernen. Und wie man sie dabei unterstützen kann. Tübingen, Francke. <?page no="77"?> 78 Was uns „Sag’ mal was“ sagen kann: Impressionen einer Bildungsreise Rosemarie Tracy 0. Einleitung Als die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel im Juni 2008 die Vision einer „Bildungsrepublik“ heraufbeschwor, lagen die ersten internationalen Vergleichsstudien im Bildungsbereich mit ihren für Deutschland alarmierenden Ergebnissen schon länger zurück (vgl. Deutsches PISA-Konsortium 2001). Die durch diese Ergebnisse angestoßene Diskussion über die Bildungsbenachteiligung von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund und die sich daran anschließende Erforschung der Ursachen und Folgen sozialer Disparitäten haben die Dringlichkeit des Handlungsbedarfs durchweg bekräftigt (Bade/ Bommes/ Münch 2005; Hopf 2005; Esser 2006, dieser Band; Baumert/ Stanat/ Watermann 2006; Dubowy/ Ebert/ Maurice/ Weinert, 2008; Wößmann/ Piopiunik 2009; Köller/ Knigge/ Tesch 2010). Angesichts des persistierenden Bildungsnotstands liegt das euphemistisch verpackte Ziel einer „Bildungsrepubik“ bis zum heutigen Tag in weiter Ferne. Allerdings - so die Argumentation meines Beitrags - verstehen wir mittlerweile besser, warum der Weg dorthin mühsam ist und beachtlicher ideeller und finanzieller Anstrengungen bedarf. Während die zentrale Rolle sprachlicher und kommunikativer Kompetenzen für den individuellen Bildungsweg und die gesellschaftliche Teilhabe außer Zweifel steht, fallen die Antworten auf die Frage, welche Maßnahmen geeignet sind, um entsprechende Defizite möglichst zuverlässig identifizieren und angehen zu können, wesentlich kontroverser aus. Weder die Diagnose sprachlicher Mängel im Bereich Deutsch als Zweitsprache noch die Förderung und schon gar nicht die Wirksamkeitsüberprüfung sind Unterfangen, die auf bewährte, in der benötigten Breite einsetzbare Instrumente und Forschungstraditionen zurückgreifen können. Dies mag die Ratlosigkeit erklären, welche die aktuelle Diskussion über Sprachförderung und Sprachdiagnostik prägt. Das Problem wird paradoxerweise da besonders deutlich, wo vergleichsweise zügig gehandelt und investiert wurde, um Fördermaßnahmen auf den Weg zu bringen, ohne dass sich erwünschte Erfolge einzustellen schienen, wie im Fall des Programms „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“ der Baden- Württemberg Stiftung. Was also können Forschung, Bildungspolitik und Praxis aus dieser vermeintlichen Pattsituation lernen? Dieser Frage nach dem Erkenntnisgewinn werde ich in dem folgenden Beitrag nachgehen. Um mein Fazit vorwegzunehmen: Ich halte das Gesamtergebnis der evaluierten Förderrunde in den Köpfen der beteiligten Kinder in der Tat für unbefriedigend, den Wissenszuwachs für die Bildungspolitik jedoch für beträchtlich, und ich sehe den Erkenntnisgewinn auch im Einklang mit der sprachwissenschaftlichen und spracherwerbstheoretischen Grundlagenforschung. Wir lernen viel über die Gelingensbedingungen bzw. über das vorprogrammierte Scheitern von Fördermaßnahmen, und wir erfahren auch eine Menge über theoretische und methodische Fallstricke auf dem Terrain der Evaluationsforschung. <?page no="78"?> 79 In Abschnitt 1 werde ich zunächst exemplarisch darlegen, worin meiner Ansicht nach zentrale Erkenntnisse bestehen, die wir aus dem Programm „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“ ziehen können. Abschnitt 2 unterstreicht die potentielle Signalwirkung der vorliegenden Evaluationsergebnisse für die Verbesserung der Förderbedingungen in den vorschulischen Einrichtungen und zur Weiterqualifizierung und Professionalisierung von pädagogischen Fachkräften. Abschnitt 3 verweist auf einige grundlegende Ergebnisse der Spracherwerbsforschung, die den fundamentalen Widerspruch zwischen angeborener Sprachfähigkeit auf Lernerseite und unserer Unfähigkeit, den Zweitspracherwerb angemessen zu unterstützen, deutlich hervortreten lassen. Mein Fazit (Abschnitt 4) fasst meine Überlegungen zusammen und weist auf die Notwendigkeit hin, Wissen über Sprache insgesamt stärker im Bildungssystem zu verankern, und zwar sowohl in den Köpfen von Lehrkräften als auch möglichst früh in den Köpfen der Kinder selbst, von denen - sofern sich die bereits umgesetzten und weiterhin notwendigen Reformen des Bildungssystems denn bewähren - nicht wenige Berufswege einschlagen könnten, auf denen sie ihrerseits einmal bildungspolitische Entscheidungen fällen oder umsetzen müssen. 1. Ein Lehrstück aus Baden-Württemberg Es ist in erster Linie vielen großen und kleinen Stiftungen, privaten und privatwirtschaftlichen Initiativen und der Entschlossenheit einzelner Gemeinden und Städte zu verdanken, dass wir heute über eine Fülle von Erfahrungen mit Sprachförderprojekten im Vorschulbereich verfügen. Wirklich aufschlussreich wurde es vor allem dort, wo nicht nur in die Förderung selbst sondern auch in die Begleit- und Evaluationsforschung investiert werden konnte. Angesichts der beachtlichen finanziellen Ressourcen, die im Lauf der Zeit in die Förderung flossen (vgl. dazu Bacher/ Weber, dieser Band), ist der Schreck über Ergebnisse, wie sie in den letzten Jahren von den beiden baden-württembergischen Evaluationsprojekten in Weingarten und in Heidelberg vorgelegt wurden, gut nachvollziehbar (vgl. Hofmann/ Polotzek/ Roos/ Schöler 2008; Gasteiger-Klicpera/ Knapp/ Kucharz 2010; Roos, Polotzek/ Schöler 2010; die Beiträge in diesem Band). Das Resultat der Förderung blieb anscheinend weit hinter dem zurück, was man sich erhofft hatte. Die geförderten Kinder unterschieden sich in ihren Testleistungen nicht signifikant von gleichaltrigen ungeförderten Kindern mit vergleichbarem Sprachstand, und der Abstand zwischen Kindern mit Deutsch als Muttersprache/ Erstsprache (DaM) und Kindern mit Deutsch als Zweitsprache (DaZ) konnte sich im Zeitraum der Förderung nicht signifikant verringern. Presseartikel mit Überschriften wie „Deutschkurse ohne Nutzen“ (Süddeutsche Zeitung, Frühjahr 2009) brachten Beteiligte in Erklärungsnot und führten in den involvierten Kindertagesstätten, in denen sich viele Erzieherinnen mit hohem persönlichen Engagement auf den Weg gemacht hatten, um Sprachfördermaßnahmen zu planen und in ihren Alltag zu integrieren, zu Enttäuschung und Verärgerung. In der öffentlichen Diskussion blieben dabei einige wichtige Gesichtspunkte, die dazu beigetragen hätten, das Ergebnis der Evaluation besser einzuordnen und auch zu relativieren, unberücksichtigt. Vor allem war die Erwartung, Kinder mit Deutsch als Zweitsprache könnten innerhalb des de facto verfügbaren Förderzeitraums von <?page no="79"?> 80 etwa sieben Monaten unmittelbar vor Schulbeginn den sprachlichen Entwicklungsstand von gleichaltrigen Kindern mit Deutsch als Muttersprache erreichen und damit ein Niveau, das ihnen eine problemlose Unterrichtsbeteiligung ermöglicht, von Anfang an unrealistisch. Die Absurdität einer solchen Erwartung kann man sich leicht klarmachen: Lehrerinnen und Lehrer einer schulischen Fremdsprache kämen kaum auf die Idee, das Englisch oder Französisch ihrer Schüler und Schülerinnen nach einem halben oder dreiviertel Jahr Unterricht daran zu messen, was französische und britische Kinder und Jugendliche gleichen Alters in ihren Erstsprachen verstehen und produzieren können. Eine Beurteilung des Leistungsstands würde sich vielmehr an anvisierten Lernzielen und - fairerweise - an der Lerngelegenheit, d.h. an dem, was im Fremsprachenunterricht oder im Rahmen von Hausaufgaben innerhalb des verfügbaren Zeitraums tatsächlich bearbeitet wurde, orientieren. Die Frage, was angesichts der im Rahmen von „Sag’ mal was“ gebotenen Lerngelegenheit prinzipiell erwartbar gewesen wäre, hätte eine stärkere Orientierung an der Zweitspracherwerbsforschung, d. h. an dem, was über den Erwerbsverlauf von Kindern mit Deutsch als Zweitsprache bekannt ist, erfordert. Um das enttäuschende Evaluationsergebnis nachvollziehen zu können, muss man sich sowohl die Rahmenbedingungen der Förderung (und hierzu leisten die beiden Studien einen wertvollen Beitrag) als auch einige Einschränkungen der Evaluationsstudien selbst vor Augen führen. Verstehen muss man auch, dass sowohl die Förderung als auch die Evaluation von jenen kontrollierten Laborbedingungen weit entfernt waren, die man für eine aussagekräftige Wirkungsstudie braucht. 1 Anders als etwa in der medizinischen Forschung gab es kein reglementiertes Treatment, vergleichbar dem kontrollierten Verabreichen eines Medikaments oder eines Placebos. Unter dem Dach von „Sag’ mal was“ versammelte sich vielmehr eine Fülle von Maßnahmen, deren Bezug zu spezifischen Aspekten der Erwerbsaufgabe nur in wenigen Förderprojekten eruierbar gewesen wäre. Im Rahmen der Evaluation war es auch nicht möglich zu untersuchen, ob die in den Einrichtungen laufenden Maßnahmen tatsächlich im intendierten Sinn durchgeführt wurden. So lässt sich nicht klären, ob die bei der Testung überprüften sprachlichen Merkmale überhaupt Teil des verfügbaren Inputs waren, der den Kindern im Rahmen der Förderung angeboten wurde. Diese Erkenntnislücke ist freilich kein Alleinstellungsmerkmal der baden-württembergischen Evaluation, sondern ein generelleres, schwer zu lösendes Problem der Bildungs- und Evaluationsforschung im Bereich Sprache. Ungeachtet dieser prinzipiellen Einschränkungen sind die Ergebnisse der Evaluationsstudien zweifellos sehr aufschlussreich (vgl. dieser Band). Beide Teams zeichnen ein Bild von außerordentlicher Komplexität und Heterogenität. Die an der Evaluation beteiligten Kitas unterschieden sich erheblich im Umfang der durchgeführten Förderstunden und blieben in der Regel (mit durchschnittlich 80 Förderstunden pro Kind), bedingt durch Krankheit und sonstige Ausfälle, weit hinter dem ursprünglich vorgesehenen Förderpensum (120 Std.) zurück. Als heterogen erwies sich auch der Erfahrungshintergrund pädagogischer Fachkräfte. Für viele unter ihnen 1 Dieses Problem ist allerdings nicht den beiden Forscherteams anzulasten, da sie erst nach Beginn der Förderung mit ihren Erhebungen starten konnten und ein strenges Kontrollgruppendesign mit einer Zufallsverteilung von Kindern auf Interventions- und Kontrollgruppen nicht möglich war. <?page no="80"?> 81 fiel das Jahr der Evaluation mit dem Zeitraum zusammen, in dem sie überhaupt zum ersten Mal mit Sprachförderaufgaben betraut waren. Inwieweit sie dafür speziell geschult wurden, welche Kenntnisse über den Spracherwerb bei Kindern mit DaZ und DaM und über die Zielsprache Deutsch auf ihrer Seite vorhanden waren und welche kommunikationsförderlichen Strategien sie sich bei Weiterbildungen aneignen konnten, ist leider nicht bekannt. Bei den Befragungen der Erzieherinnen durch die Evaluationsteams stellte sich heraus, dass es der Kindergarten-Alltag ihnen im Grunde nicht erlaubte, Fördermaßnahmen im Rahmen ihrer normalen Arbeitszeit vorzubereiten und zu dokumentieren. Vor- und Nacharbeiten gingen mithin in der Regel zu Lasten der Freizeit. Bedenkt man weiterhin, dass die Fördergruppen aus durchschnittlich 9-12 Kindern im Alter von fünf bis sechs Jahren bestanden, liegt die Frage nahe, wie es einer einzelnen Fachkraft überhaupt gelingen sollte, Förderszenarien zu arrangieren, in denen alle beteiligten Kinder ihren Aufmerksamkeitsfokus immer wieder auf die gleichen Ereignisse, Dinge und Gesprächsinhalte richten. Bei einer Gruppengröße von 9-12 Kindern ist es auch höchst unwahrscheinlich, dass eine Förderkraft gleichzeitig mehreren Kindern Gehör schenken und systematisch auf einzelne Lerneräußerungen mit korrektivem Feedback reagieren kann. Sobald zwei oder mehr Kinder gleichzeitig oder unmittelbar nacheinander reden, wird das pädagogische Bemühen einer Fachkraft, die von einzelnen Kindern initiierten Themen aufzugreifen und kommunikationsfördernd weiterzuführen, ad absurdum geführt. Eine an den Fähigkeiten einzelner Kinder anknüpfende, individualisierte Förderung, wie sie von Bildungs- und Orientierungsplänen vorgesehen ist (vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden- Württemberg 2007), ist unter diesen Rahmenbedingungen schlicht und einfach nicht möglich. Die in der Weingartener Studie erhobenen Videodaten unterstreichen dieses Dilemma besonders nachdrücklich (vgl. Gasteiger-Klicpera et al., dieser Band). Ein nicht zu unterschätzendes Problem für die Evaluationsprojekte selbst bestand darin, dass es zum Zeitpunkt der Prä- und Posttests an normierten diagnostischen Instrumenten fehlte, welche neben dem chronologischen Alter der Kinder auch den Beginn und die Dauer des Kontakts mit Deutsch als Zweitsprache berücksichtigen. Die von der Heidelberger Gruppe eingesetzten Instrumente waren ursprünglich für die Identifikation therapiebedürftiger monolingualer Risikokinder entwickelt worden, d. h. zur Differenzierung von sprachlich typisch entwickelten Kindern und Kindern mit einer spezifischen Sprachentwicklungsstörung (Grimm/ Schöler 1991). Dabei wurden teilweise sprachliche Bereiche überprüft, mit denen Kinder mit Deutsch als Zweitsprache unter den gegebenen Rahmenbedingungen der Förderung kaum in Berührung kommen können (z. B. Passiv- und Relativsätze, diverse Wortbildungsregeln, spezifische Wortrelationen). Warum Fragen nach einer prinzipiellen Eignung diagnostischer Verfahren für die Zielgruppe von Kindern mit DaZ nicht trivial sind, kann man sich schnell klarmachen (vgl. auch Schulz/ Tracy/ Wenzel 2008, Wenzel/ Schulz/ Tracy 2009, Schulz/ Kersten/ Kleissendorf 2009, Schulz/ Tracy 2011). In einem Untertest des HSET (Grimm/ Schöler 1991), der in der Heidelberger Evaluationsstudie zum Einsatz kam, wird u. a. das Verstehen von Sätzen unterschiedlicher Komplexität überprüft. 2 Kinder 2 Im Weingartener Projekt wurde die Einschätzung des Sprachstands von Seiten der Erzieherinnen mit Hilfe der SIS- MIK- und SELDAK-Fragenbögen vorgenommen ( Ulich/ Mayr 2003; 2006). <?page no="81"?> 82 sollen dabei ein durch einen Satz beschriebenes Ereignis mit Figuren nachspielen - eine gut etablierte psycholinguistische Methode. Vorgegeben werden Sätze wie Das Mädchen wird von dem Jungen gewaschen oder Die Mutter wird von dem kleinen Kind gewaschen. Überprüft wird hier, wie gut Kinder in der Lage sind zu erkennen, dass das zuerst genannte Argument zwar Subjekt des Satzes ist, aber nicht Agens der Handlung. In anderen Untertests sollen Kinder Passivsätze wortgetreu reproduzieren, z.B. Items wie Der Teppich wird von dem Vater ausgeklopft. Um diese Sätze zielsprachlich interpretieren und wiederholen oder nachspielen zu können, muss man wissen, was einzelne Wörter bedeuten, und man muss vor allem auch ggf. das eigene kulturell geprägte Weltwissen außer Kraft setzen, z.B. Annahmen dahingehend, wer wen normalerweise waschen kann oder waschen darf. Kinder, die einzelne Wörter solcher Sätze nicht verstehen, haben kaum eine faire Chance, ihre möglicherweise vorhandenen Grammatikkenntnis zu demonstrieren. Erschwerend kommt hinzu, dass in einem Untertest des HSET zum Satzverständnis anstatt der generischen Bezeichnung von Referenten (Katze, Pferd, Elefant) Eigennamen wie Pussi (Katze), Mümmel (Hase), Waldi (Hund) eingeführt werden, die für nicht-deutschsprachige Kinder in hohem Maße intransparent sind. Somit wird manche ohnehin schon anspruchsvolle syntaktische Aufgabe durch vorgeschalteten Wortschatzerwerb verkompliziert. 3 Um eine Konfundierung von Wortkenntnis und Beherrschung grammatischer Regeln zu vermeiden, müsste der Wortschatz separat überprüft werden. Eben diese unabhängige Überprüfung wird übrigens auch explizit in dem Manual des ELFE 1-6 angemahnt, mit Hilfe dessen im Evaluationsverfahren aus Heidelberg das Leseverständnis der Kinder überprüft wurde, d.h. „Ein schlechtes Testergebnis darf nicht auf einen ungenügenden Wortschatz zurückführbar sein“ (Lenhardt/ Schneider 2006, S. 18). Ein weiteres Problem für die Evaluation bestand darin, dass Förder- und Vergleichsgruppen nicht immer hinreichend parallelisiert werden konnten. Beispielsweise überwog in den Fördergruppen der Anteil mehrsprachiger Kinder. Das bedeutet auch, dass die Förderkinder mit hoher Wahrscheinlichkeit weniger Gelegenheit hatten, innerhalb ihrer Kitas mit Kindern mit Deutsch als Erstsprache zu interagieren; die Rahmenbedingungen waren für die geförderten und die nicht-geförderten Kinder also nicht vergleichbar, und zwar mit klarem Nachteil für die Förderkinder. Angesichts des Alters der geförderten Kinder - sie waren übrigens um einige Monate jünger als die Kinder ohne Förderbedarf - ist es auch sehr wahrscheinlich, dass sich in Kitas mit hohem Anteil von Kindern mit DaZ in den vorangegangenen Kitajahren bereits ethnolektal geprägte Mischstile ausgebildet hatten. Die Frage, zu welchen Varianten des Deutschen Kinder mit DaZ Zugang haben und was sie untereinander sprechen (einen lokalen Dialekt des Deutschen als lingua franca, gleiche Erstsprachen, Ethnolekte etc.), ist nicht unerheblich, wenn es darum geht, Einrichtungen oder Kinder für Kontroll- oder Vergleichserhebungen zu identifizieren. Schließlich müssen sich Evaluationsstudien generell der Frage stellen können, ob die eingesetzten Testverfahren prinzipiell in der Lage sind zu erfassen, was laut Interventionskonzept der Einrichtungen (sofern vorhanden) gefördert wurde. Die Rele- 3 Die Motivation für die Wahl von Eigennamen ist berechtigt, weil man die Notwendigkeit einer Verwendung von Artikeln umgehen wollte. Für viele Kinder aus dem süddeutschen Raum, in dem der Artikel auch vor Eigennamen üblich, wenn nicht oblogatorisch ist, wurden diese Sätze dadurch ungrammatisch. <?page no="82"?> 83 vanz dieser Frage lässt sich anhand eines pointierten Beispiels verdeutlichen: Wenn eine Lehrerin Thema X unterrichtet, so tut sie gut daran, bei der folgenden Leistungsmessung X-artige Inhalte zu überprüfen und nicht etwas anderes. Ein Musiklehrer etwa, der für Gitarrenunterricht zuständig ist, würde sich dagegen verwahren, wenn man die Wirksamkeit seines Unterrichts daran messen wollte, wie gut seine Schüler und Schülerinnen ein ihnen bisher unvertrautes Instrument, sagen wir eine Querflöte, handhaben. Im Fall des Musikunterrichts kann man zwar mit Fug und Recht bestimmte Transfereffekte erwarten, insbesondere dann, wenn ein Kind bereits Noten lesen und den Takt halten kann. Aber welche Transfereffekte zwischen dem eigentlichen Geschehen während der Sprachförderung und den in den Tests überprüften Fähigkeiten hätte man denn innerhalb des Förderzeitraums überhaupt erwarten können? Diese Antwort bleiben die Evaluationsprojekte des „Sag’ mal was“-Programms schuldig. 4 Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Natürlich können wir nicht ausschließen, dass das Ergebnis der Evaluation auch im Fall passgenauer, für die Zielgruppe der Kinder mit DaZ normierter, validierter Erhebungsinstrumente und eines perfekten Kontrollgruppendesigns, bei dem Kinder mit gleichem Förderbedarf nach dem Zufallsprinzip auf Interventions- und Kontrollgruppen verteilt worden wären, ähnlich deprimierend ausgefallen wäre wie im vorliegenden Fall. Evidenz dafür erhalten wir aber nicht. Interessanterweise zeigen sich bei der vorliegenden Evaluation dort, wo tatsächlich getestet wurde, was Gegenstand der Förderung war (z.B. die Pluralbildung in einem Heidelberger Förderprojekt), überzufällig positive Ergebnisse. Vergleichbare Wirkungsnachweise wurden übrigens auch in anderen Studien erbracht, sofern sie in der Lage waren, anvisierte Förderziele mit Hilfe spezifischer Tests an den Ansprüchen und dem Ziel der Intervention zu messen, z.B. bezüglich des Erwerbs bestimmter Wortfelder oder spezifischer morphosyntaktischer Phänomene. 5 Über die Dokumentation der insgesamt sehr problematischen Rahmenbedingungen hinaus, unter denen die Fördermaßnahmen stattfanden, lassen sich den Evaluationsberichten aus Heidelberg und Weingarten auch uneingeschränkt gute Nachrichten entnehmen. So räumen sie mit der in der Öffentlichkeit immer noch verbreiteten Meinung auf, dass Eltern mit Migrationshintergrund geringes Interesse am Bildungsweg ihrer Kinder hätten. Die insgesamt positive Einstellung der Eltern gegenüber den Bildungsinstitutionen und ihre hohe Erwartung an diese Einrichtungen zeigen sich übrigens auch indirekt in der Statistik der Gesundheitsämter deutscher Großstädte. Die aktuelle Statistik des Gesundheitsamts der Stadt Stuttgart (vgl. Erb 2011) belegt beispielsweise, dass mittlerweile gut 98% der im Rahmen der Einschulungsuntersuchung gesehenen Kinder im Alter von vier Jahren eine Kita besu- 4 Interessant ist auch, dass sich eine nicht zu unterschätzende Anzahl von Kindern in sprachtherapeutischer Behandlung oder sonstiger Therapie befand (vgl. Roos et al. 2010, S. 19). Ihre Testwerte sollten im Grunde nicht in die allgemeine Statistik eingehen. Denn wenn bei einem Kind eine spezifische Spracherwerbsstörung vorliegt, ist eine zügige Entwicklung der Zweitsprache auch unter guten Inputbedingungen so gut wie ausgeschlossen. 5 So wurde in einer vom Bundesfamilienministerium in Auftrag gegebenen Evaluation von Fördermaterialien (ESSE- Studie, vgl. Hopp/ Frank/ Tracy 2009) überprüft, inwieweit es Erzieherinnen möglich ist, den in bestimmten Fördermaterialien enthaltenen Wortschatz zu vermitteln. Vgl. auch eine kleinere Vergleichsstudie, die in Rheinland-Pfalz im Rahmen von Sprache macht stark! , einem Projekt der Offensive Bildung, im Hinblick auf sehr spezifische Merkmale der deutschen Satzstruktur durchgeführt wurde (Krempin/ Mehler/ Tracy 2009), ebenso Kaltenbacher 2011. <?page no="83"?> 84 chen; bei den Kindern zwischen drei und vier Jahren liegt der Anteil bei etwa 70 %. Dies bedeutet, dass die Eltern ihren Part bei der Erziehungspartnerschaft zunehmend ernst nehmen und viel Vertrauen in frühkindliche Bildungseinrichtungen setzen. Umso wichtiger ist es, alles daran zu setzen, dieses Vertrauen durch Optimierung von Förderangeboten zu rechtfertigen. Insgesamt lernt man aus der Evaluation in Baden-Württemberg, wie aufwändig und schwierig Evaluationsforschung im Bereich der Sprachförderung ist. Nicht zuletzt liegt manche Komplikation bereits im Gegenstand selbst begründet. Sprachen sind nun einmal komplexe Systeme, die sich durch das Zusammenspiel einer Vielzahl unterschiedlicher Teilkompetenzen auszeichnen. Daher gibt es weder eine Diagnostik light, noch ein Hauruck-Verfahren der Förderung selbst, das alle bildungssprachlich relevanten Bereiche gleichermaßen auf ein muttersprachliches Niveau befördern könnte. Sprachförderung muss - so eine wichtige Botschaft beider Projekte - früher beginnen und langfristig ausgelegt sein. Darüber hinaus bedarf es vor allem gut qualifizierter und in ihrer Berufpraxis unterstützter pädagogischer Fachkräfte. 2. Praxis und Forschung im Schulterschluss Auf dem Weg zur Bildungsrepublik sehen sich pädagogische Fachkräfte mit einer Fülle neuer und anspruchsvoller Aufgaben konfrontiert, auf die sich die wenigsten von ihnen während ihrer Ausbildung vorbereiten konnten. Laut baden-württembergischem Orientierungsplan (2007: 47) gehört zu den Aufgaben von Frühpädagogen und -pädagoginnen die „Wahrnehmung, Beobachtung und regelmäßige Dokumentation des Entwicklungsstandes bzw. der Entwicklungsfortschritte jedes Kindes.“ Nun ist Sprachkompetenz aber grundlegend beobachtungsfern, d.h. man kann sie nicht direkt wahrnehmen wie etwa den kompetenten Umgang mit einem Brotmesser oder einer Pincette, und entsprechend schwierig gestaltet sich die Feststellung des jeweiligen Entwicklungsstands (vgl. Schulz et al. 2009, Reich/ Roth 2009; Schulz/ Tracy 2011, Kany/ Schöler 2007; Redder/ Schwippert/ Hasselhorn/ Forschner/ Fickermann/ Ehlich 2011). Um aus sprachlichen Äußerungen oder aus Verstehensreaktionen auf Merkmale von Lernersystemen schließen zu können, bedarf es eines theoretischen Rahmens, relevanter diagnostischer Fragen (bzw. eines geeigneten Tests) und nicht zuletzt einer Metasprache, um Einschätzungen kommunizieren und dokumentieren zu können. Zweifellos besitzen Erwachsene, sofern sie selbst die Zielsprache, die sie Kindern nahebringen möchten, gut beherrschen, die wichtigste Voraussetzung für die Sprachförderung. Dank ihrer Sprachbeherrschung verfügen Erwachsene auch über Intuitionen und Inferenzstrategien, die es ihnen ermöglichen, mit Hilfe des Kontextes und ihres Weltwissens zu erraten, was Kinder ihnen wohl sagen wollen, auch wenn die diesen zur Verfügung stehenden sprachlichen Mittel noch sehr rudimentär sind. Und obwohl Erwachsene ihre Sprachen hoch automatisiert und mit rasanter Geschwindigkeit verarbeiten, können sie bei Bedarf, zum Beispiel bei Gesprächen mit Lernern und Lernerinnen viele Eigenschaften ihrer Äußerungen und Sätze bewusst kontrollieren. Dieses Bündel von Fähigkeiten gilt es in den Dienst der Sprachförderung zu stellen. Die intuitive Fähigkeit, Hypothesen dahingehend zu entwickeln, was uns Kleinkinder in bestimmten Situationen sagen wollen, und kindliche Äußerungen „gedacht“ <?page no="84"?> 85 entsprechend zu erweitern, wird in der Spracherwerbsforschung als Methode der „reichhaltigen Interpretation“ (rich interpretation, vgl. Brown 1973) bezeichnet. Brown (1973: 106) wies darauf hin, dass das Erwachsenengehirn, wenn es eine fragmentarische Kinderäußerung hört, im Grunde nicht anders kann, als diese Äußerung zu einer möglichen Erwachsenenäußerung zu expandieren. 6 Das folgende Beispiel illustriert dies anhand einer natürlichen Interaktionssequenz zwischen einem Kind und einer Erwachsenen (=E.) (aus Tracy 1991: 383). (1) Florian 2; 8 schiebt einen Spielzeugzug und stoppt ihn plötzlich. E. fragt Da hält er da an? Florian schiebt einen weiteren Zug an Ja, ane (= andere) Zug weggefahren is E. Ach so, der muss warten, bis der andere Zug weggefahren ist. Florian schiebt Zug Guck mal, der Zug wegfahrt, Wasser weg, dann die Eisenbahn fahrn E. Die Eisenbahn muss warten? Florian Ja E. RT Und wie lange muss sie warten? Florian Wasser weggegangen is Das Kind erfindet hier ein Szenario, bei dem Züge durch imaginierte Wassermassen am Fahren gehindert werden und nach Abflauen des Wassers nacheinander weiterfahren können. Es befindet sich in einem Erwerbsstadium, in dem es völlig normal ist, Konjunktionen, die Nebensätze einleiten, auszulassen (vgl. Fritzenschaft/ Gawlitzek-Maiwald/ Tracy/ Winkler 1990, Rothweiler 1993), das heißt, in den Äußerungen des Kindes fehlen bislang noch Wörter wie bis und wenn. Dennoch funktioniert die Kommunikation dank des gemeinsam erlebten Kontexts. Die erwachsene Gesprächspartnerin liefert dem Kind durch ihre Reaktionen außerdem wichtige Signale, die über das in Worten Mitgeteilte hinausgehen, z.B. Ich habe dir zugehört. Stimmt denn meine Interpretation dessen, was du sagen wolltest? Und letztlich auch: Mich interessiert, was du dir ausgedacht hast. Diese Art der Rückmeldung und Verständnissicherung muss möglich sein, wenn man mit der individuellen Förderung ernst machen und Kindern zu erkennen geben will, dass man an ihnen als Gesprächspartner interessiert ist. Das bisher Gesagte gilt sehr generell und ist Teil der intuitiven Didaktik, die Erwachsene im Umgang mit Kleinkindern einsetzen können, aber für eine professionelle Umsetzung von Fördermaßnahmen im Bereich DaZ reicht dies nicht aus (vgl. auch Jampert/ Best/ Guadatiello/ Holler/ Zehnbauer 2007; Tracy/ Lemke 2009; List 2010). Dafür benötigen pädagogische Fachkräfte mehr als ihre intuitiven, impliziten Sprachkenntnisse. Sie brauchen außerdem explizites Wissen über das erwünschte Erwerbsziel, z. B. über die Grammatik des Deutschen und über typische Erwerbsphasen und spezifische Stolpersteine. Sie benötigen dieses Wissen auch um zu erkennen, wann Probleme vorliegen könnten, die über die für Erst- und Zweitsprachlerner nor- 6 “Researchers cannot help doing it. The adult mind receiving a telegraphic utterance in a given context automatically expands it into an appropriate sentence.” (Brown 1973: 106) <?page no="85"?> 86 malen Erwerbsphasen hinausgehen, weil etwa eine Spracherwerbsstörung vorliegen könnte, die einer logopädischen Therapie bedarf (vgl. Grimm 2003, Schulz et al. 2009). Welche konzeptuellen Orientierungshilfen benötigen Fachkräfte also um zu erkennen, was Kinder in bestimmten Entwicklungsphasen bereits beherrschen (Kompetenzperspektive), anstatt nur wahrzunehmen, was noch fehlt oder falsch erscheint (Defizitorientierung)? Letzteres, das Erkennen von Mängeln, liefert die eigene Intuition gewissermaßen „gratis“ und spontan. 7 Um einschätzen zu können, wie weit sich Kinder einem zielsprachlichen System bereits angenähert haben, bedarf es ganz klar eines theoretischen Orientierungsrahmens. Mindestens rudimentäre fachwissenschaftliche Grundlagen sind notwendig, um relevante Beobachtungen zu einzelnen Kindern festhalten und gegebenenfalls anderen Mitgliedern eines Teams oder hinzugezogenen ExpertInnen, z.B. LogopädInnen, mitteilen zu können. Problematisch ist freilich - und auch hier zeigt sich der Wert der baden-württembergischen Evaluation -, dass selbst eine theoretisch hervorragend ausgebildete Erzieherin ihre Expertise nicht zur Anwendung bringen kann, wenn sie im Alltag keine Chance hat, dieses Wissen umzusetzen, weil die Rahmenbedingungen in ihrer Kita dies nicht erlauben. Pädagogische Fachkräfte, die prinzipiell gut verstanden haben, welche Strukturen der Zielsprache sie in ihren eigenen Äußerungen für Lerner modellieren sollten und welche Diskursstrategien sich als kommunikationsförderlich erweisen, benötigen außerdem mindestens anfangs noch Freiraum und Übungsmöglichkeit, um Handlungssicherheit im Umgang mit gezielter sprachlicher Förderung zu gewinnen und sich darüber mit anderen, idealerweise während eines Coachings, auszutauschen. Die Umsetzung und vor allem die Sicherung der Regelmäßigkeit von Fördermaßnahmen ist keine Aufgabe von Einzelkämpfern. Förderexpertise sollte sich auf möglichst viele Köpfe verteilen, damit im Krankheitsfall oder bei sonstigen organisatorischen Krisen die Verantwortung für die Förderung leichter umgeschichtet werden kann. Die vielen im Rahmen der Evaluation von „Sag’ mal was“ monierten Ausfälle von Förderstunden hätten sich auf diese Weise möglicherweise minimieren lassen. Gut informierte Praxiskräfte sind auch in der Lage dazu, die Rahmenbedingungen in ihren Einrichtungen kritisch zu hinterfragen, z.B. durch die Beantwortung von sehr einfachen, aber grundlegenden Fragen, wie beispielsweise die in (a)-(c). (a) Können mich Kinder, die ich sprachlich fördern soll, unter den in der Kita oder der Fördergruppe vorherrschenden Bedingungen (z.B. trotz des jeweiligen Geräuschpegels) überhaupt hören? Kann ich meinerseits die Kinder rein akustisch verstehen? (b) Können die Kinder sehen, was ich sprachbegleitend tue? Gelingt es uns überhaupt, einen gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus herzustellen? Kann ich meinerseits erkennen, wohin/ worauf Kinder schauen, wenn sie mit mir sprechen? (c) Lasse ich den Kindern, lassen sich die Kinder untereinander ausreichend Zeit, um sich zu äußern und einander zuzuhören? Haben wir Zeit, um einen Gedanken einmal über mehrere Sprecherwechsel hinweg zu entwickeln? 7 Das spontane Erkennen einer Abweichung bedeutet freilich nicht, dass man sie im Erwerbszusammenhang deuten kann. Dafür benötigt man wiederum theoretische Grundkenntnisse, vgl. Tracy 2010, in Druck. <?page no="86"?> 87 Wenn diese Fragen, inbesondere (a) und (b), überwiegend negativ beantwortet werden, ist dies schon ein deutlicher Hinweis darauf, dass es um die Förderung schlecht bestellt ist. Auch wenn die Begleituntersuchungen, wie im Fall von „Sag’ mal was“ auf den ersten Blick ein überwiegend besorgniserregendes Bild von den institutionellen Rahmenbedingungen der Förderung und vom Kenntnisstand insbesondere unerfahrener Fachkräfte zeichnen, so schlagen sie im Grunde mit ihren Verbesserungsvorschlägen in die gleiche Kerbe wie die Praktiker selbst: Die pädagogischen Teams von Kitas und Schulen - mindestens von Einrichtungen in Brennpunkten - benötigen mehr und besser qualifiziertes und durch Praxisberatung/ Coaching unterstütztes Personal. Diese Übereinstimmung von Einschätzungen der Praxiskräfte selbst und der Evaluationsstudien wird hoffentlich dazu führen, dass pädagogische Fachkräfte zunehmend ihre Berührungsängste in Bezug auf Begleitforschung verlieren und auch in einer auf den ersten Blick negativen Bilanz eine Argumentationshilfe zur Optimierung der Sprachförderung und der Qualität ihrer Bildungsarbeit insgesamt wahrnehmen. 3. Was können wir aus Widersprüchen zwischen Potential und Realität lernen? Chomsky, einem der wichtigsten Linguisten der letzten fünfzig Jahre, haben wir die Formulierung zweier erkenntnistheoretischer Kernprobleme zu verdanken. Das erste Problem wird in der Spracherwerbsforschung und in der Linguistik im Allgemeinen als Lernbarkeitsproblem bzw. Chomskys Problem (auch als Platons Problem) bezeichnet (vgl. Pinker 1984, Chomsky 1986, Guasti 2004). Dabei geht es um eine Beantwortung der Frage, wieso ein Mensch in der Lage ist, sich Sprachen ohne Unterricht anzueignen und bereits in der frühen Kindheit potentiell unendliche und nie gehörte Sätze zu verstehen und zu produzieren, obwohl seine tatsächliche Erfahrung mit Sprache endlich und fragmentarisch ist. Das zweite Problem wird von Chomsky als Orwells Problem bezeichnet. Hierbei geht es darum zu erklären, “why we know so little, even though the evidence available is so rich.” (Chomsky 1986: xxvii) Während Chomsky hier - daher die Anspielung auf den Schriftsteller George Orwell - auf die Machenschaften politischer Regime anspielt, vor denen man oftmals leichtgläubig die Augen verschließt, kann man dieses Zitat wie folgt auf unseren aktuellen Bildungsnotstand ummünzen (vgl. auch Tracy 2011): Im Grunde wissen wir bereits eine Menge darüber, warum der Zweitspracherwerb noch nicht so funktioniert, wie es eigentlich aufgrund der natürlichen Sprachfähigkeit des Menschen möglich sein sollte. Warum also tun wir uns so schwer damit, entsprechend zu handeln und die Erwerbsbedingungen und Förderangebote zu optimieren? In diesem Sinne erhoffe ich mir von „Sag’ mal was“ weitere Impulse für die konsequente Behebung erkannter Mängel. Sprachförderung kann nicht unter beliebigen Bedingungen funktionieren, auch wenn Menschen im Prinzip hervorragende Sprachlerner sind. Aus der internationalen Spracherwerbsforschung wissen wir, dass es sich mindestens beim Erstspracherwerb um einen sehr „robusten“ Prozess handelt (vgl. die Aufsätze in Grimm 2000, Guasti 2004). Damit ist gemeint, dass sich sprachlich typisch entwickelte Kinder unter normalen Interaktionsbedingungen die Grundstrukturen ihrer <?page no="87"?> 88 Erstsprachen in den ersten drei Lebensjahren aneignen, und zwar unabhängig von ihrer Intelligenz, von kulturell geprägter Erziehungspraxis und von spezifischen Eigenschaften ihrer Erstsprachen. Dazu benötigen sie weder Instruktion noch Korrektur seitens ihrer Bezugspersonen, sondern nur eines: authentischen Input in relevanten Kommunikationssituationen. Die Forschung erklärt sich die Robustheit, mit der sich der Erstspracherwerb auch unter widrigen Umständen durchsetzt, mit einer mehr oder weniger sprachspezifischen genetischen Veranlagung des Menschen. Obwohl sich die aktuelle Forschung bezüglich des Anteils von angeborener Sprachfähigkeit und Erfahrung höchst uneins ist (Tomasello 2003, Roeper 2007), würde wohl niemand mehr abstreiten wollen, dass die grundlegende Fähigkeit zum Erwerb einer oder auch mehrerer Erstsprachen ein Geschenk unserer Gene ist. Aber ebenso wenig würde man bestreiten, dass dem sprachlichen Angebot der jeweiligen Umwelt die Aufgabe zufällt zu bestimmen, welche der 4000-7000 existierenden Sprachen letztlich erworben wird. Dies alles gilt auch für den doppelten Erstspracherwerb, d.h. für den Fall, in dem ein Kind von Geburt an mit zwei parallelen Erstsprachen aufwächst (cf. Genesee/ Nicoladis 2006; Tracy/ Gawlitzek-Maiwald 2000, de Houwer 1990; Meisel 2004; Müller et al. 2007). Ob Kinder, die von Geburt an mehrsprachig aufwachsen, auch als Erwachsene ihre Sprachen aktiv beibehalten oder in beiden über vergleichbare lexikalische und stilistische Ressourcen verfügen, hängt letztlich von den Verwendungsgelegenheiten und damit von Zufällen ab. Nicht jeder Mensch, der früh bilingual ist, spricht auch im höheren Alter noch beide Sprachen flüssig oder gerne. Die sprachlichen Kenntnissysteme in den Köpfen ihrer Sprecher verändern sich im Laufe der Zeit in Folge von Sprachkontakt und Gebrauchsmöglichkeiten bis hin zu Attritionserscheinungen, dem allmählichen Abbau früher verfügbarer Kompetenzen (vgl. Köpke/ Keijzer/ Schmid/ Dostert 2004; Stolberg/ Tracy 2008). Die Forschung diskutiert nicht nur intensiv über die relativen Anteile angeborener und erworbener Merkmale natürlicher Sprachen. Kontrovers wird auch die Frage diskutiert, bis zu welchem Alter Sprachlerner und -lernerinnen auch eine zweite, zeitversetzt hinzutretende Sprache noch so robust und komplikationslos erwerben können wie eine erste (vgl. Birdsong 1999, Meisel 2007). Longitudinalstudien der letzten Jahre zeigen jedenfalls, dass mindestens bis zum Alter von vier Jahren die Aussichten auf einen relativ zügigen Erwerb zentraler syntaktischer und morphologischer Kernbereiche besonders gut sind (vgl. Paradis 2007; Haznedar/ Gavrusea 2008). Dreibis vierjährige Kinder mit Deutsch als Zweitsprache eignen sich im Laufe von ein bis zwei Kontaktjahren die Baupläne deutscher Sätze auf ähnliche Weise an wie monolinguale Kinder (vgl. Rothweiler 2006; Schulz/ Tracy 2011; Thoma/ Tracy 2006; Tracy/ Thoma 2009). Absolut betrachtet schaffen sie damit innerhalb von knapp anderthalb Jahren etwas, wofür monolinguale Kinder immerhin von Geburt an gerechnet drei bis dreieinhalb Jahre benötigen. Aber natürlich verfügen Kinder mit DaZ nach anderthalb bis zwei Jahren des Sprachkontakts noch nicht über einen gleichermaßen differenzierten Wortschatz, die Wortbildungsmuster oder die stilistischen Ressourcen gleichaltriger Kinder mit Deutsch als Erstsprache. Wir sollten im Übrigen nicht vergessen, dass auch Kinder mit DaM noch viele Jahre lang ihre lexikalischen und stilistischen Repertoires erweitern (erstere ein Leben lang) und dass sie in Bezug auf das Deutsche, <?page no="88"?> 89 nicht aber hinsichtlich anderer Kenntnisbereiche oder Fächer, immer eine unfaire Vergleichsgruppe für Kinder mit DaZ darstellen. Wenn sich Kinder, bei denen keine Spracherwerbsstörung vorliegt, die grammatischen Grundlagen einer Sprache überhaupt nicht anzueignen scheinen, so liegt die Vermutung nahe, dass ihnen die Erwerbsgelegenheit und der Sprache die Alltagsrelevanz fehlt. Diese Kinder sind unterfördert und unterfordert, weil es ihnen an relevanten Sprachvorbildern fehlt. Für das Gros der im Rahmen von „Sag’ mal was“ geförderten, sprachlich ungestörten Kinder liegt diese Hypothese nahe, zumal sie auch durch die von den Evaluationsstudien dokumentierten Rahmenbedingungen gestützt wird. Ohne relevanten Input funktioniert kein Spracherwerb, und ohne anregende Gesprächspartner und -partnerinnen bleiben Lernende auch kommunikativ unterfordert. Dies gilt insbesondere dann, wenn man schon über ein voll funktionstüchtiges System in der Erstsprache verfügt und in weiteren Sprachen das absolute Minimum auch mit sehr rudimentären Mitteln ausdrücken kann. Wir müssen Kindern also glaubhaft machen, dass wir an mehr als einem Minimum an Interaktion und Ideenaustausch interessiert sind. 4. Fazit: Vom Nachholbedarf der Bildungsrepublik in puncto sprachliche Bildung Wie man sieht, gibt es auf sehr vielen Ebenen Handlungsbedarf. Da wäre primär der immer noch und auf absehbare Zeit weiterhin ungebrochene Bedarf an Unterstützung für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache. Darüber hinaus benötigen die mit der Förderung betrauten Fachkräfte ihrerseits Unterstützung dabei, sich die für die Förderung notwendigen Kompetenzen anzueignen (vgl. Hopp et al. 2010, List 2010). Schließlich gilt es, die Bildungspolitik und die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass qualifizierte Förderung nicht zum Nulltarif und nicht unter beliebigen Bedingungen zu haben ist. Auch bestens ausgebildete und hoch motivierte Fachkräfte können Kinder nicht effizient fördern, wenn sie kostbare Zeit und viel Energie darauf verwenden müssen, große Kindergruppen im Zaum zu halten, ohne wirklich mit ihnen in Kommunikation treten zu können. Kinder sind hervorragende Sprachlerner, aber sie müssen eben auch durch anregungs- und kontrastreichen Input kontinuierlich gefordert werden. „Sag’ mal was“ hat uns dank seiner doppelten Zielsetzung (Förderung plus Wirksamkeitsstudie) ein zweifaches Lehrstück beschert: Wir haben eine Menge über die Schwierigkeiten, sprachförderliche Maßnahmen in der Praxis zu verankern, gelernt. Gleichzeitig lernen wir etwas über vermeidbare und über unvermeidliche Probleme bei der Durchführung von Wirksamkeitsstudien im Bereich der Sprachförderung. Schließlich handelt es sich bei dieser Art von Evaluation um einen Forschungszweig, der - wie die Förderung selbst - noch in den Kinderschuhen steckt. Aus meiner Sicht jedenfalls beinhaltet das besprochene süddeutsche Lehrstück keineswegs eine bittere Lehre. Wir sind der Klärung der Frage, welche Rahmenbedingungen sich nicht als besonders förderlich empfehlen, auf empirischer Basis ein gutes Stück näher gekommen. Der relativ späte Förderbeginn (ein Jahr vor Schuleintritt), <?page no="89"?> 90 der insgesamt und bei manchen Einrichtungen extrem geringe Förderumfang, die Überforderung von Fachkräften durch die Gruppengröße, durch mangelnde Erfahrung und unzureichende Unterstützung im Kollegium und fehlendes Coaching zeigen, wo Verbesserungen am dringlichsten sind. Optimierungsbedarf besteht offensichtlich auch auf Seiten der Evaluation, um die Passung von Fördermaßnahmen und Leistungsmessung sicherzustellen. Aufgabe künftiger Forschung wird es daher sein, unterschiedliche Förderszenarien unter wesentlich strenger kontrollierten Bedingungen zu vergleichen, beispielsweise um die Relevanz der Gruppengröße oder des Expertenwissens seitens der Fachkräfte belastbar nachzuweisen. Zwingend ist auch der Einsatz von diagnostischen Testverfahren, die für die Zielgruppe und die Erwerbsaufgabe geeignet sind und wissenschaftlichen Gütekriterien folgen. Handlungsbedarf zeichnet sich auch auf anderen Ebenen ab, denn explizites Basiswissen über Sprache, insbesondere über die Zielsprache, gehört im Grunde zu denjenigen Kenntnissen, die man sich bereits im Verlauf der Grundschulzeit und in den ersten Jahren weiterführender Schulen aneignen sollte. Pädagogische Fachkräfte, Studienanfänger und viele Lehrer tun sich ausgesprochen schwer im Umgang mit elementarer grammatischer Terminologie und Klassifikation, z.B. bei der Unterscheidung von Wortklassen oder der Beantwortung der Frage, an welchen Merkmalen man das Subjekt eines Satzes erkennen kann. Aber ohne analytische Grundkenntnisse lassen sich weder Beobachtungsbögen ausfüllen noch Sprachstandstests durchführen und gezielte Fördermaßnahmen motivieren. Rudimentäres explizites Wissen über Sprache, Kommunikation und Mehrsprachigkeit ist auch Voraussetzung für den Umgang mit verantwortungsvollen bildungspolitischen Entscheidungen. Aber einmal ganz abgesehen von dieser praktischen Relevanz gehören Grundkenntnisse über die menschliche Sprache sicher zu den Kompetenzen, die eine moderne Wissensgesellschaft allen abverlangen sollte, die ihre Bildungsinstitutionen durchlaufen. Literatur Bade, Klaus J./ Bommes, Michael/ Münz, Rainer (Hg.) (2004). Migrationsreport. Fakten - Analysen - Perspektiven. Frankfurt. Baumert, Jürgen/ Stanat, Petra/ Watermann, Rainer (Hg.) (2006). Herkunftsbedingte Disparitäten im Bildungswesen: Differenzielle Bildungsprozesse und Probleme der Verteilungsgerechtigkeit. Wiesbaden. Birdsong, David (Hg.) (1999). Second language acquisition and the critical period hypothesis. Mahwah (NJ). Brown, Roger (1973). A first language. Cambridge (MA). Cenoz, Jasone/ Genesee, Fred (2001). Trends in bilingual acquisition. Amsterdam/ Philadelphia. Chomsky, Noam (1986). Knowledge of language. New York. de Houwer, Annick (1990). The acquisition of two languages from birth: a case study. Cambridge. 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Dieser Weiterentwicklung sind jedoch enge Grenzen gesetzt, da die Sprachförderung bestimmten Rahmenbedingungen und Vorgaben unterliegt und in ihrer Organisation und Durchführung eine Reihe an Institutionen und Personen involviert sind. Den hohen Anforderungen stehen auf der anderen Seite eine Reihe von methodischen Problemen und grundsätzliche Fragen bezüglich Evaluation gegenüber. Hier ist zunächst die Frage danach zu beantworten, was denn als Erfolg in der Sprachförderung zu sehen ist. Ein Erfolg könnte schon allein der Nachweis dafür sein, dass die Kinder in dem geförderten Zeitraum Lernfortschritte machen, d.-h. dass sie sprachlich dazulernen. Auf der anderen Seite steht der Anspruch, dass der Lernzuwachs in der Sprachförderung zumindest den allgemeinen Entwicklungsfortschritt, der bei Kindern im Lauf eines Jahres erwartet werden kann, übersteigt. In diesem zweiten Fall kann die zu erwartende allgemeine sprachliche Entwicklung nur durch einen parallelen Vergleich mit einer altersentsprechenden Gruppe von Kindern erfasst werden. Die Gegenüberstellung einer Vergleichs- und Fördergruppe ist jedoch aus verschiedenen Gründen problematisch. Zum einen sollten auch weitere allgemeine Indikatoren, wie die Allgemeinbegabung, Alter und Geschlecht vergleichbar sein, und zudem sollte die soziale Schicht ähnlich sein, die ja auf die Leistungsentwicklung von Kindern immer einen nicht unbeträchtlichen Einfluss hat. Daher wurde in der vorliegenden Studie sowohl eine Untersuchung von Vergleichs- und Fördergruppe als auch eine Parallelisierung von Kindern nach zusätzlichen Kriterien durchgeführt. Die folgenden Ergebnisse stützen sich also auf eine Reihe von unterschiedlichen Analysen, die jedoch alle im Wesentlichen zu ähnlichen Befunden führten (siehe dazu Gasteiger-Klicpera, Knapp, Kucharz et al., 2010). Ziele und Fragestellungen Die Ziele dieser wissenschaftlichen Begleitung bestanden im Wesentlichen darin festzustellen, ob die Sprachförderung die erwarteten Effekte zeigte, sowie zu erfassen, welche Faktoren in besonderer Weise zum Erfolg der Sprachförderung beitrugen. In Bezug auf die erwarteten Effekte war in erster Linie die Frage zu klären, welcher zusätzliche Lernzuwachs der Kinder in der spezifischen Sprachförderung bewirkt wurde. Diese Frage sollte durch den Vergleich der Entwicklung geförderter und nicht geförderter Kinder beantwortet werden. Es wurde erwartet, dass durch die zusätzliche Maßnahme die sprachlichen Fähigkeiten der Kinder an die Leistungen der Vergleichskinder herankommen. <?page no="94"?> 95 Des Weiteren ging es um die Klärung von differentiellen Effekten der Förderung. Hier soll der Zusammenhang zwischen individuellen Faktoren, den sprachlichen Voraussetzungen der Kinder, dem Migrationshintergrund, der allgemeinen kognitiven Leistungsfähigkeit sowie dem Alter und den Effekten der Förderung eruiert werden. Zudem erschien es notwendig, den Einfluss von organisatorischen Aspekten (Zusammensetzung der Gruppen, Qualifikation der Fachkräfte, Vielfalt an Erstsprachen, etc.) auf den Fördereffekt zu klären, sowie, wenn möglich, die eingesetzten Programme nach inhaltlichen und methodischen Aspekten zu evaluieren und damit Empfehlungen und allgemeine Richtlinien für die Förderung zu erarbeiten. In einem Programm, das über Jahre angelegt ist und in dem viele unterschiedliche Einrichtungen und Personen involviert sind, kann angenommen werden, dass sich die Erfahrungen über die Jahre akkumulieren. Dies gilt sowohl für die Erzieherinnen, die sich in diesem Bereich durch Fortbildungen qualifizieren, als auch für die Einrichtungen, in denen Material angeschafft wird und Förderpläne gemeinsam diskutiert werden. Daher kann angenommen werden, dass das Programm insgesamt zu einer Erhöhung des Wissensstandes über Sprachförderung bei den Erzieherinnen, den Einrichtungen und deren Trägern führt. Diese Annahme sollte durch einen Vergleich unterschiedlicher Jahrgänge untersucht werden. Schließlich ist die Nachhaltigkeit der Förderung sowie die Frage, ob das Programm dazu beiträgt, Kindern mit Migrationshintergrund bessere Startchancen in der Schule zu ermöglichen, eine weitere wichtig Frage, die beantwortet werden muss. Untersuchungsmethode Um die Ziele und Fragestellungen der Untersuchung beantworten zu können, wurde ein gemischtes methodisches Design geplant, das sowohl quantitative als auch qualitative Verfahren umfasste. Untersuchungsdesign: Im Vordergrund stand das Anliegen, die sprachlichen Fortschritte der Kinder zu erfassen und eventuelle Wirkfaktoren zu eruieren. Daher wurden im Rahmen einer sequenzierten Längsschnittuntersuchung die Kinder in zwei Kohorten und mehreren Untersuchungswellen sowohl sprachlich getestet als auch ihre kognitive Leistungsfähigkeit erfasst. Zudem wurden Erzieherinnen, Sprachförderpersonen (SFP), Eltern und die Leiterinnen der Einrichtungen um die Beantwortung einer Reihe von Fragen gebeten. Die Fragebögen erfassten Informationen über die familiären Verhältnisse, die sprachliche Entwicklung der Kinder, deren Sozial- und Aufmerksamkeitsverhalten, die Konzepte und Rahmenbedingungen der Sprachförderung sowie die der Sprachfördergruppen. Um genauer verstehen zu können, wie denn die Sprachförderung abläuft, wurden Videoaufnahmen von einzelnen Sprachfördereinheiten angefertigt, die mit Hilfe eines systematischen Beobachtungssystems analysiert wurden. Schließlich wurden Interviews mit einer Reihe von betroffenen Personen durchgeführt. Zu diesen gehörten sowohl Eltern von Kindern in der Sprachförderung als auch Erzieherinnen und Sprachförderkräfte von Kindertageseinrichtungen. <?page no="95"?> 96 Stichprobe: Für die Längsschnittstudie wurden insgesamt 1150 Kinder (606 in der ersten Kohorte; 544 in der zweiten) zu drei bzw. zu vier Zeitpunkten getestet. Den Kindern wurde im Kindergarten zweimal (vor und nach dem Förderjahr) das Sprachscreening für das Vorschulalter (SSV; Grimm, 2003) vorgegeben, um den Sprachentwicklungstand zu erheben, sowie die Coloured Progressive Matrices (CPM; Bulheller & Häcker, 2002) zur Überprüfung der kognitiven Fähigkeiten. Des Weiteren wurden die Kinder am Ende der ersten und am Ende der zweiten Klasse (nur die erste Kohorte) mit dem Salzburger Lese- und Rechtschreibtest (SLRT; Landerl, Wimmer & Moser, 2006) hinsichtlich ihrer Fähigkeiten im Lesen und Rechtschreiben getestet. Die Kinder der ersten Kohorte waren zum ersten Testzeitpunkt im Mittel 62,12 Monate (s=7,05), jene der zweiten Kohorte 60,75 Monate (s=7,46) alt. Ein Drittel der Fördergruppen kam aus einer Großstadt, ein Drittel aus mittelgroßen Städten und das letzte Drittel aus ländlichen Gebieten. 867 Kinder, das heißt ca. drei Viertel der getesteten Kinder, nahmen an einer Sprachförderung teil. 627 Kinder hatten Deutsch als Erstsprache, die anderen Sprachen der Kinder verteilten sich auf Türkisch (201 Kinder), Russisch (65 Kinder), Italienisch (38 Kinder), Bosnisch, Kroatisch, Serbisch (35 Kinder), Albanisch (33 Kinder), asiatische Sprachen (26), Arabisch (20), Portugiesisch (17), Griechisch (11), Englisch (10), Kurdisch (9), Rumänisch (8), Polnisch (7) sowie eine Reihe weiterer Sprachen. Ergebnisse der Längsschnittstudie Ergebnisse zu den Sprachfördergruppen: In den beiden Kohorten wurden insgesamt 108 Sprachfördergruppen untersucht. Die Anzahl der Kinder in den Gruppen lag zwischen sechs und zwölf Kindern. Die Förderung fand in sehr unterschiedlichen zeitlichen Abständen statt, je nach Sprachfördergruppe zwischen einbis fünfmal wöchentlich. Etwa die Hälfte der Gruppen (47-%) führte die Sprachförderung viermal in der Woche durch. In Bezug auf die konzeptionelle Gestaltung arbeitete lediglich die Hälfte der Sprachförderpersonen situationsorientiert, ein Viertel gelegentlich und die übrigen Erzieherinnen arbeiteten gar nicht situationsorientiert. Ein relativ großer Teil der Sprachförderpersonen (ein Sechstel der Personen) gab an, es mangele an Gelegenheiten, sich mit anderen Personen auszutauschen, die ebenfalls Sprachförderung durchführten. Des Weiteren fehlte es vielen an Erfahrung. So konnte etwa die Hälfte der Sprachförderpersonen auf weniger als drei Jahre und ein Viertel auf weniger als zwei Jahre Erfahrung in der Sprachförderung zurückblicken. Die geringe Erfahrung wiederum hatte zur Folge, dass viel Zeit für Vor- und Nachbereitungsarbeit verwendet werden musste und dies von einem Großteil der Erzieherinnen in der Freizeit geleistet wurde. Ein Drittel der Sprachfördergruppen bestand ausschließlich aus Kindern mit Migrationshintergrund. Dennoch wurde nur in etwa der Hälfte der Sprachfördergruppen die Familiensprache in die Förderung integriert, obgleich die Untersuchung zeigte, dass der Zuwachs an Sprachkompetenz der Kinder mit dem Einbezug der Familiensprache in die Förderung zusammenhing. <?page no="96"?> 97 Entwicklung der sprachlichen Kompetenzen der Kinder: Generell zeigen die Mittelwertsvergleiche zu den sprachlichen Fähigkeiten der Kinder im „Satzgedächtnis“ (SG) und „phonologischen Gedächtnis für Nichtwörter“ (PGN), dass sich die Kinder in beiden Kompetenzbereichen über die Zeit signifikant verbesserten. Dieser Zuwachs war jedoch unabhängig davon, ob die Kinder an einer Sprachförderung teilgenommen hatten oder nicht. Anzumerken ist zudem, dass sich das Ausgangsniveau von Vergleichs- und Fördergruppe in allen Fällen deutlich unterschied. Kinder in der Förderung begannen bei einem deutlich geringeren Ausgangsniveau ihrer sprachlichen Fähigkeiten (siehe Abbildung 1 und 2). Während sich bei der Entwicklung des phonologischen Gedächtnisses für Nichtwörter kein Einfluss der Sprachförderung nachweisen ließ, auch nicht, wenn man die regionale Herkunft und den Migrationshintergrund mit berücksichtigte, zeigte sich für das Satzgedächtnis bei der Gesamtgruppe neben dem signifikanten Leistungszuwachs über die Zeit auch ein schwacher Effekt (F(1,864)=5.17, p<.05, η²=.05) der 12,0 11,5 11,0 10,5 10,0 9,5 9,0 8,5 8,0 7,5 7,0 SFG nein SFG ja T1 T2 DV_1 Abbildung 1: Entwicklung der Leistung im „Phonologischen Gedächtnis für Nichtwörter“ der geförderten und nicht geförderten Kinder (SFG= Sprachfördergruppe) 95 90 85 80 75 70 65 60 55 50 SFG nein SFG ja T1 T2 DV_1 Abbildung 2: Entwicklung der Leistung im „Satzgedächtnis“ der geförderten und nicht geförderten Kinder (SFG= Sprachfördergruppe) <?page no="97"?> 98 Sprachförderung: Kinder, die an einer Sprachförderung teilgenommen hatten, hatten einen etwas stärkeren Zuwachs über die Zeit als Kinder, die nicht gefördert wurden. Dieser Zuwachs ist in der Stadt deutlicher sichtbar als auf dem Land. Bei der Überprüfung von Unterschieden zwischen erster und zweiter Kohorte zeigten sich keine Unterschiede im phonologischen Gedächtnis für Nichtwörter. Für das Satzgedächtnis zeigte sich eine signifikante Interaktion mit der Sprachförderung, die jedoch nur auf die Kohorte 2 zurückzuführen ist (F(1,376)=7.19, p<.01, η²=.19). Berücksichtigt man bei der Gesamtgruppe den Förderbedarf, indem man die Kinder nach ihren Ausgangstestwerten in zwei Gruppen einteilt, nämlich förderbedürftige und nicht förderbedürftige, dann zeigt sich neben dem Effekt der Zeit auch eine signifikante Interaktion zwischen Zeit und Förderbedarf. Das bedeutet, dass anfangs schwache, also förderbedürftige Kinder einen höheren Leistungszuwachs über die Zeit hatten, unabhängig davon, ob sie tatsächlich gefördert wurden oder nicht. Dies galt für das phonologische Gedächtnis für Nichtwörter und das Satzgedächtnis gleichermaßen. Eine Ausnahme stellten im phonologischen Gedächtnis für Nichtwörter förderbedürftige mehrsprachige Kinder und Kinder, die nicht an einem sozialen Brennpunkt lebten, dar. Deren Leistungszuwachs unterschied sich nicht von jenem der guten, d.- h. nicht förderbedürftigen Kinder. Dies bedarf in beiden Gruppen wahrscheinlich unterschiedlicher Erklärungen. In der Stichprobe der Kinder außerhalb von sozialen Brennpunkten könnten sich auch einige Kinder mit spezifischen Sprachentwicklungsstörungen befunden haben, bei denen eine rasche Verbesserung nicht erwartet werden kann. Bei den mehrsprachigen Kindern könnten sich der sozioökonomische Hintergrund der Familien und die mangelnde Gelegenheit, die deutsche Sprache zu üben, auswirken. Für die nach den Kriterien Alter, Geschlecht, Intelligenz, soziale Schicht und Einsowie Mehrsprachigkeit parallelisierte Stichprobe von 152 Kindern zeigten sich ähnliche Effekte: neben einem signifikanten Haupteffekt der Zeit hatten die anfangs schwächeren Kinder einen stärkeren Anstieg ihrer Sprachkompetenz, Effekte der Sprachförderung konnten aber nicht aufgezeigt werden. Ergebnisse im Lesen und Rechtschreiben am Ende der ersten Klasse: Um die längerfristigen Auswirkungen der Sprachförderung zu überprüfen, wurden die Ergebnisse des SLRT im Lesen und Schreiben am Ende der ersten Klasse herangezogen. Auch in diesen schulischen Fähigkeiten konnten keine Effekte der Sprachförderung nachgewiesen werden, weder in der Gesamtstichprobe noch in den spezifischen Gruppen (sozialer Brennpunkt, kein sozialer Brennpunkt; einsprachig, mehrsprachig). Die zusätzliche Berücksichtigung des Förderbedarfs der Kinder zeigte ebenfalls keine Effekte der Sprachförderung. Ergebnisse des Elternfragebogens: Nach den Angaben der Eltern wurde ein Großteil der Kinder, die an der Untersuchung teilnahmen, in Deutschland geboren oder lebte bereits lange Zeit in Deutschland. Die Eltern kamen aus sehr unterschiedlichen Ländern mit einer Vielfalt an sprachlichen und kulturellen Unterschieden. In vielen der Migrationsfamilien wurde Deutsch nicht als Erstsprache gesprochen. <?page no="98"?> 99 Die sozioökonomische Situation der Familien war unterdurchschnittlich. Einem Großteil der Familien der Fördergruppe stand wenig Geld zur Verfügung (im Mittel pro Person etwa 350-Euro im Monat). Der Wohnraum, der für jede Person zur Verfügung stand, betrug meist zwischen 17 und 24 Quadratmeter, im Schnitt waren es 22,5 Quadratmeter pro Person für die Kinder der Fördergruppe. In der Gesamtgruppe hatten 5-% der Mütter keinen und weitere 35-% einen Hauptschulabschluss, bei den Vätern waren 3-% ohne Schulabschluss und 43-% hatten einen Hauptschulabschluss. Die Eltern neigten dazu, ihre Kinder zu überschätzen und es war ihnen nicht immer bewusst, welche Bedeutung der Beherrschung des Deutschen für den Erwerb des Lesens und Schreibens zukommt. Betrachtet man die Angaben der Eltern zur Erstsprachkompetenz ihrer Kinder, so fällt auf, dass deutschsprachige Kinder einen früheren und differenzierteren Sprachgebrauch aufwiesen. Dies kann dadurch begründet sein, dass in vielen Migrationsfamilien die Erstsprache nicht ausreichend gefördert wurde. Schließlich wurde die Sicht der Eltern auf den Kindergartenbesuch und die Sprachförderung in der Kindertagesstätte betrachtet. Der Besuch der Kindertageseinrichtung war den Eltern sehr wichtig, ebenso äußerten vor allem Eltern mit Migrationshintergrund große Zustimmung zum Angebot der zusätzlichen sprachlichen Förderung in der Einrichtung. Auch die Sprachfördermaßnahme der Baden-Württemberg Stiftung wurde von 99,5-% der Eltern der Förderkinder als sehr wichtig bzw. wichtig eingeschätzt. Ergebnisse der Interviewstudie Für die Interviewstudie wurden 14 Interviews ausgewählt und im Sinne einer Typenbildung ausgewertet. Ziel war es in Erfahrung zu bringen, wie die Sprachförderpersonen die Sprachförderung sahen, was ihnen wichtig war und welche Schwierigkeiten ihnen begegneten. Die Auswertung konnte zwei Typen von Sprachförderpersonen identifizieren, deren Sichtweise der Sprachförderung sich deutlich unterscheiden ließ: einen versierten Typus vs. einen unsicheren Typus. Das Vorgehen des versierten Typus zeichnete sich dadurch aus, dass die Gestaltung der Sprachförderung theoriegeleitet vorgenommen und vorhandene Konzepte entsprechend erweitert wurden. Schwierigkeiten wurden nicht nur in organisatorischen Rahmenbedingungen gesehen, sondern unter Einbezug der besonderen Fördersituation. Entsprechende Lösungsmöglichkeiten wurden aufgezeigt. Auch für die Zusammenarbeit mit den Eltern wurden deutlichere Akzente gesetzt. Vor allem zeigten sich Unterschiede im vorherrschenden Interaktionsmuster: Während der unsichere Typus sich selbst als Sprachförderperson im Zentrum des Geschehens und jeglicher Interaktion sah, gelang es dem versierten Typus eher, Kinder und Eltern aktiv in die Kommunikation einzubeziehen. Dadurch gelang es diesen Sprachförderpersonen nach eigener Auskunft auch besser, auf die individuellen Voraussetzungen der Kinder einzugehen. Ausschlaggebend für die unterschiedliche Zuordnung erwiesen sich Art und Umfang der besuchten Fortbildungen zur Sprachförderung. <?page no="99"?> 100 Erkenntnisse aus der Videostudie Um die Interaktionen in der Sprachförderung möglichst genau zu beschreiben, wurden Videoaufnahmen von 30 Sprachfördereinheiten angefertigt, transkribiert und mithilfe eines eigens dafür entwickelten Beobachtungssystems analysiert. Insbesondere wurde erfasst, welche Aktivitäten in den Fördereinheiten durchgeführt wurden, in welchen Sozialformen diese arrangiert waren sowie vor allem, welche sprachlichen Lernbereiche in der Förderung fokussiert wurden. Die Analyse machte deutlich, dass organisatorische Sequenzen innerhalb der Fördermaßnahmen einen hohen Anteil einnahmen. So entfielen durchschnittlich etwa 20 % der Förderzeit auf Aktivitäten organisatorischer Art. In sprachlicher Hinsicht fanden Gespräche, Erklärungen, aber auch Übungen und Spiele zum Wortschatz und Aspekten der phonologischen Bewusstheit oftmals Berücksichtigung, wohingegen für grammatische Inhalte, aber auch für Erzählen und Vorlesen kaum Zeit verwendet wurde. Bezüglich der Sozialform waren die analysierten Sequenzen sehr gleichförmig organisiert: unabhängig von der jeweiligen Aktivität und/ oder dem geförderten Sprachbereich waren beinahe 95-% der Sequenzen als Förderung in der Gesamtgruppe konzipiert (z.-B. indem die Kinder gemeinsam ein Lied sangen oder ein Brettspiel durchführten), wohingegen Binnendifferenzierungen in der Gruppe (z.-B. in Form von Einzel- oder Partnerarbeit) kaum stattfanden. Als zweiter Schritt wurden die videografierten Sprachfördereinheiten einer Qualitätsanalyse unterzogen. Zu diesem Zweck wurde in einzelnen Sequenzen die Umsetzung ausgewählter Qualitätsmerkmale analysiert. Folgende Aspekte standen dabei im Vordergrund: ➜ die Häufigkeit von Erweiterungen der kindlichen Äußerungen durch die SFP (Expansionen), ➜ die Verteilung der Gesprächsanteile (Anzahl gesprochener Wörter), ➜ die Einbettung des Wortschatzes in einen Satzkontext (Anzahl der linksständigen Erweiterungen in Nominalphrasen), ➜ der Umgang der SFP mit Fehlern in Kinderäußerungen sowie ➜ die Aufmerksamkeit der Kinder. Aus den Analysen der Sequenzen sind zwei wesentliche Erkenntnisse zu ziehen: Zum einen wird deutlich, dass Sprache durch einen bewussten Umgang auch in spontan entstehenden Erzählbeiträgen der Kinder sowie in organisatorischen Planungsgesprächen gefördert werden kann. Wichtig ist allerdings, dass die Sprachförderkraft sich des förderlichen Potentials dieser Situationen bewusst ist und es entsprechend nutzt. Der Vergleich zwischen Sequenzen, die denselben Sprachfördereinheiten entnommen waren und damit dieselben Kinder und dieselbe Sprachförderkraft zeigten, machten zudem deutlich, dass Sprachmerkmale wie die Anwendung von Erweiterungen kindlicher Gesprächsbeiträge oder das Rückmeldeverhalten nicht ausschließlich personenabhängig sind, sondern auch durch das Arrangement und die Gestaltung der Situation beeinflusst werden. Dies führt zu dem Schluss, dass Qualität in Sprachfördersituationen auch durch den jeweiligen Situationskontext bedingt wird, indem dieser sich auf das Vorkommen förderlicher Interaktionsmerkmale auswirkt. Ent- <?page no="100"?> 101 sprechend stand die Gestaltung der Situationen in den analysierten Sequenzen auch mit der Gesprächsbeteiligung der Kinder sowie deren Aufmerksamkeit im Zusammenhang. Insbesondere situativ verankerte und kontextgebundene Sequenzen, in denen neue Begriffe nicht nur genannt wurden, sondern in denen neuer Wortschatz in möglichst vielen (Satz-)Kontexten gebraucht wurde, konnten als förderlich identifiziert werden. Zusammenfassung Die Ergebnisse der Studie zeigen auf, dass die Effekte der Sprachförderung nur teilweise den Erwartungen entsprachen. Dies fällt insbesondere dann auf, wenn jene Kinder verglichen werden, die sich am unteren Ende des Leistungsspektrums befinden. Daher erscheint es nicht verwunderlich, dass auch im Längsschnitt bis in die zweite Klasse hinein keine längerfristigen Effekte nachgewiesen werden konnten. Dennoch erscheinen manche Ergebnisse bedenkenswert. Zunächst sind die Unterschiede in den Ergebnissen zwischen den beiden Kohorten zu beachten. Die größeren Lernzuwächse der Kinder der zweiten Kohorte erscheinen hoffnungsvoll und würden den Schluss zulassen, dass es in der Zwischenzeit gelungen ist, die Qualifikation der Sprachförderpersonen zu verbessern, die Auswahl der Kinder präziser zu gestalten und vor allem bereits jüngere Kinder in die Sprachförderung zu nehmen, bei denen die Leistungszuwächse durchwegs höher sind. Diese positive Nachricht sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass noch eine Reihe von Aufgaben zu lösen ist, bevor wir wirklich annehmen können, dass die in der Sprachförderung eingesetzten Mittel auch die erwarteten Effekte zeigen. Detailliert zeigen die Videoanalysen, dass die Umsetzung der Sprachförderung in den einzelnen Gruppen noch große Schwierigkeiten verursacht. Die Aufmerksamkeitsspanne der Kinder ist gering, die eingesetzte didaktische Vorgehensweise zu wenig differenziert und individualisiert. Zudem ist die Sprachförderung häufig nicht ausreichend gut in den Alltag eingebettet und wirkt wie eine isolierte Übung von grammatischen Schwerpunkten oder von einzelnen Wortfamilien. Aus den Interviews mit den Erzieherinnen, die die Sprachförderung durchführten, wurde deutlich, welcher Stellenwert der Qualifikation der Erzieherinnen zukommt. Nur wenn sich diese ausreichend auf diese komplexe Aufgabe mit einer sehr heterogenen Gruppe vorbereitet fühlen, kann die Sprachförderung auch so gestaltet werden, dass die Kinder davon deutlich profitieren können. Literatur Bulheller, S. & Häcker, H. (Hrsg.). (2002). CPM - Coloured Progressive Matrices. Frankfurt a.-M.: Swets. Gasteiger-Klicpera, B., Knapp, W., Kucharz, D., Patzelt, D., Ricart Brede, J., Schmidt, B. M. & Vomhof,-B. (2010). Abschlussbericht der Wissenschaftlichen Begleitung des Programms „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“. Pädagogische Hochschule Weingarten. Grimm, H. (2003). SSV. Sprachscreening für das Vorschulalter. Kurzform des SETK-3-5. Göttingen: Hogrefe. Landerl, K., Wimmer, H. & Moser, E. (2006). Salzburger Lese- und Rechtschreibtest. Verfahren zur Differentialdiagnostik von Störungen des Lesens und Schreibens für die 1. bis 4. Schulstufe. Bern: Huber. <?page no="101"?> 102 Die ergebnisse des projekts eVaS, der evaluationsstudie zur Sprachförderung von Vorschulkindern in heidelberger und Mannheimer Kindergärten Hermann Schöler und Jeanette Roos Um die Wirksamkeit der Sprachfördermaßnahmen im Programm „Sag’ mal was“ zu überprüfen, wurde von zwei Projektgruppen (Heidelberg und Weingarten) im Auftrag der Baden-Württemberg Stiftung eine wissenschaftliche Begleitung durchgeführt. In der folgenden Kurzfassung werden einige Ergebnisse der Heidelberger Projektgruppe dargestellt. 1 Fragestellung Folgende Fragen sollten im Rahmen des Projektes EVAS beantwortet werden: ➜ Verbessern sich die sprachlichen Leistungen der Kinder mit einem Sprachförderbedarf nach Durchführung spezifischer Sprachfördermaßnahmen durch eigens geschulte Sprachförderkräfte? Sind Leistungsveränderungen durch Merkmale des Kindes (Geschlecht, Intelligenz) und/ oder Faktoren des familiären und sozialen Hintergrundes (Familiensprache, Sozialstatus) (mit-)bedingt? ➜ Sind die zu erwartenden Leistungsverbesserungen der geförderten Kinder auf die eingesetzten spezifischen Fördermaßnahmen zurückzuführen? Das heißt: Profitieren die im Programm „Sag’ mal was“ spezifisch geförderten Kinder hinsichtlich ihrer sprachlichen Leistungen mehr von den durch Förderkräfte durchgeführten, zusätzlichen strukturierten Maßnahmen im Vergleich zu den Kindern mit einem vergleichbaren Sprachförderbedarf, bei denen aber keine zusätzlichen, über die üblichen elementarpädagogischen Bildungskonzeptionen hinausgehenden Sprachfördermaßnahmen durchgeführt werden? ➜ Haben die spezifisch geförderten Kinder gegenüber den unspezifisch geförderten Kindern Vorteile hinsichtlich ihrer schulischen Leistungen? Erwartet wurde, dass spezifische Sprachfördermaßnahmen durch geschulte Sprachförderkräfte bei Kindern mit einem Sprachförderbedarf bewirken, dass (a) sie sich in ihrer sprachlichen Leistung deutlich verbessern und (b) sie von einer solchen Förderung insoweit profitieren, dass sie besser auf die Erfordernisse der Schule vorbereitet werden, d.-h. ihre Startchancen günstiger werden, und sie in der Grundschule Leistungen und Lernergebnisse erzielen, die ihrer Begabung entsprechen. Darüber hinaus wurde angenommen, dass Vorschulkinder, die im letzten Jahr ihres Kindergartenbesuchs spezifische sprachliche Fördermaßnahmen im Programm „Sag’ mal was“ erhalten haben, nach der Förderung über bessere sprachliche Fähigkeiten verfügen als 1 Der Abschlussbericht ist unter http: / / www.sagmalwas-bw.de/ media/ WiBe 1/ pdf/ EVAS_Abschlussbericht_Januar_2010.pdf einsehbar. Dort finden sich auch Tabellen und Abbildungen, die die hier getroffenen Aussagen im Detail erläutern. <?page no="102"?> 103 Kinder mit vergleichbarem Sprachförderbedarf ohne spezielle zusätzliche Förderung durch geschulte Sprachförderkräfte im Kindergarten. 2 Darüber hinaus wurde erwartet, dass sich die Sprachleistungen der spezifisch geförderten Kinder dem sprachlichen und schulischen Leistungsniveau von Kindern annähern, die keinen Sprachförderbedarf haben. Da in den am Programm „Sag’ mal was“ teilnehmenden und in der EVAS-Studie einbezogenen Kindertageseinrichtungen drei verschiedene Sprachförderkonzepte 3 eingesetzt wurden: (1) das Programm von Penner (2003), (2) die Sprachförderung nach Tracy (2003) und das Programm von Kaltenbacher und Klages (2005), war zusätzlich die Frage möglich, ob sich differenzielle Effekte dieser verschiedenen Förderkonzepte zeigen. Die Konzepte unterscheiden sich u.-a. hinsichtlich der Vorgaben, des Materials und der Umsetzung, sodass angenommen werden kann, dass sich die drei Förderkonzepte auch verschieden auf den Erwerb sprachlicher Leistungen auswirken, möglicherweise sind sie unterschiedlich wirksam auf den Erwerb der verschiedenen sprachlichen Strukturebenen wie Syntax, Morphologie, Semantik oder Wortschatz. Methode Design. Um Aufschluss über die Wirkung von Sprachfördermaßnahmen zu erhalten, sind bestimmte Standards einer Evaluation zu berücksichtigen, wie z.-B. die Bildung von Vergleichsgruppen, die standardisierte Diagnose des Förderbedarfs sowie der Einsatz erprobter und den Gütekriterien genügender Untersuchungsverfahren. Aus ethischen Gründen sind eine randomisierte Zuweisung und die Bildung einer Kontrollgruppe mit Förderbedarf, die aber keine Förderung erhält, nicht möglich. Daher müssen andere Untersuchungsdesigns zur Anwendung kommen. Will man die Überlegenheit einer spezifischen Intervention überprüfen, ist eine vergleichende Evaluation vorzunehmen, bei der eine spezifische Fördermaßnahme mit anderen spezifischen Maßnahmen oder aber den Auswirkungen einer unspezifischen, aber ähnlichen Beschäftigung verglichen wird. Im Falle der Prüfung einer speziellen Sprachfördermaßnahme im Kindergarten, wie sie bei der wissenschaftlichen Begleitung des Programms „Sag’ mal was“ gegeben ist, besteht die Situation, dass die Kinder einer Vergleichsgruppe mit Förderbedarf - wie auch Kinder ohne einen Sprachförderbedarf - sprachliche Bildung im herkömmlichen Kindergartenalltag erfahren, während die „Förderkinder“ eine über diese Bildung im üblichen Kindergarten hinausgehende zusätzliche sprachliche Förderung über einen definierten Zeitraum erhalten, welche es zu evaluieren gilt. Die Ausgangssituation vor der Förderung und etwaige Gruppendifferenzen müssen bei einem solchen Design kontrolliert werden. Ein Vergleich verschiedener Gruppen muss ebenfalls interventionsunabhängige Faktoren in die Analysen einbeziehen, die einen Einfluss auf die Sprach- und Bil- 2 Im Folgenden wird von „unspezifischen Bildungsmaßnahmen“ gesprochen, wenn keine zusätzlichen, durch geschulte Sprachförderkräfte durchgeführten Förderprogramme im Kindergarten eingesetzt wurden. 3 Die Sprachförderkonzepte entsprechen dem jeweiligen Entwicklungsstand im Jahre 2005. Für eine Kurzbeschreibung der Förderkonzeptionen s. Polotzek, Hofmann, Roos und Schöler (2008a) und Schakib-Ekbatan, Hasselbach, Roos und Schöler (2006). <?page no="103"?> 104 dungsprozesse haben können. Als Einflussfaktoren gelten u.- a. das Geschlecht, die Herkunftssprache und die kognitive Leistungsfähigkeit des Kindes sowie die familiären Lebensbedingungen und der sozioökonomische Status. Im Rahmen der Studie wurde der mögliche Effekt dieser genannten Faktoren auf Sprachentwicklung und Sprachförderung sowie die schulischen Leistungen geprüft. Die Evaluation erfolgte daher nach einem Prä-Post-Design. Insgesamt nahmen 544 Kinder aus Kindertageseinrichtungen der Städte Heidelberg und Mannheim daran teil, die in der Entwicklung ihrer sprachlichen und schulischen Leistungen vom Beginn des Vorschuljahres 2005/ 2006 bis zum Ende der 2. Schulklasse längsschnittlich untersucht wurden. Davon erhielten 230 Kinder im Rahmen des Programms „Sag’ mal was“ eine spezielle Sprachförderung. Ihre Leistungen wurden mit 95 Kindern verglichen, die ebenfalls einen Sprachförderbedarf aufwiesen, aber nicht an den speziellen Maßnahmen teilnahmen, sowie mit 219 weiteren Kindern ohne Sprachförderbedarf. Die Förderung erfolgte durch Sprachförderkräfte nach den drei genannten Konzepten. Die nicht am Programm „Sag’ mal was“ teilnehmenden förderbedürftigen Kinder erhielten die im Kindergarten übliche sprachliche Bildung und keine zusätzliche Förderung durch geschulte Förderkräfte mittels eines speziellen und mehr oder weniger strukturierten Programms. Abbildung 1: Prä-Post-Design zur Prüfung der Wirksamkeit der Sprachfördermaßnahmen Legende: Fördergruppe: Gruppe mit Förderung im Programm „Sag’ mal was“ Vgl.-MF: Gruppe mit unspezifischer Förderung Vgl.-OF: Gruppe ohne Förderbedarf Sprachförderung A: Förderung nach Konzeption von Kaltenbacher und Klages Sprachförderung B: Förderung nach Konzeption von Tracy Sprachförderung C: Förderung nach Konzeption (Programm) von Penner Einflussfaktoren (Kovariate). Um den Einfluss individueller Merkmale und sozialer Faktoren auf die sprachlichen und schulischen Leistungen kontrollieren zu können, wurden auch die kognitive Leistungsfähigkeit (Intelligenz) vor Beginn der Fördermaßnahmen (Prätest) und das Fähigkeitsselbstkonzept am Ende der 2. Klasse erhoben. Verschiedene Informationen über den familiären und sozialen Hintergrund wurden durch einen Elternfragebogen erfasst, darüber hinaus erhielten die Eltern <?page no="104"?> 105 einen ausführlichen Fragenkatalog zur Mediennutzung des Kindes und in der Familie. Der Sozialstatus wurde nach dem Mannheimer-Sozialhilfe-Index (Schäfer et al., 2003) gebildet, der sich aus der Schulbildung der Eltern und deren aktueller Erwerbstätigkeit zusammensetzt. Verfahren zur Leistungsprüfung. Die Untersuchung der sprachlichen Leistungen erfolgte mit den vier Untertests IS, VS, PS und WF des Heidelberger Sprachentwicklungstests HSET (Grimm & Schöler, 1991), mit denen morphologische und syntaktische sowie semantische Leistungsbereiche erfasst werden. Zusätzlich wurde der Wortschatz (WS) mit einer Bildertafel aus den Ravensburger Materialien (Frank & Grziwotz, 2001) überprüft. Die kognitive Leistungsfähigkeit bzw. Intelligenz wurde mit den Coloured Progressive Matrices CPM (Raven, 2002), die Wahrnehmung und Einschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit (Fähigkeitsselbstkonzept) mit dem Fragebogen zur Erfassung emotionaler und sozialer Schulerfahrungen von Grundschulkindern erster und zweiter Klassen FEESS 1-2 (Rauer & Schuck, 2004) untersucht. Die schulischen Leistungen der Kinder im Lesen, Rechtschreiben und in Mathematik wurden zum einen über die Beurteilungen und Einschätzungen der Lehrkräfte, zum anderen durch vier Schulleistungstests erhoben: das Leseverständnis mit dem Leseverständnistest für Erstbis Sechstklässler ELFE 1-6 (Lenhard & Schneider, 2006), die Lesegeschwindigkeit mit der Würzburger Leise Leseprobe (WLLP; Küspert & Schneider, 1998), die Rechtschreibleistung mit der Hamburger Schreibprobe HSP- 2 (May, 2002), die Mathematikleistung mit dem Deutschen Mathematiktest für 2. Klassen DEMAT 2+ (Krajewski, Liehm & Schneider, 2004). Auswahl der Kinder und ihre Überprüfung. Die Auswahl der Kinder für die Fördergruppe erfolgte durch die Kindertageseinrichtungen selbst entweder mit Hilfe unterschiedlicher Verfahren oder durch die Einschätzung der Erzieherinnen. Bei der Überprüfung der Gruppenzuordnung durch das Heidelberger Auditive Screening in der Einschulungsuntersuchung (HASE; Schöler & Brunner, 2008) ergaben sich bedeutsame Unterschiede zwischen den Gruppen mit und ohne Förderbedarf in allen vier Aufgabengruppen (NS: Nachsprechen von Sätzen; WZ: Wiedergabe von Zahlenfolgen; EW: Erkennen von Wortfamilien; NK: Nachsprechen von Kunstwörtern): Kinder ohne Förderbedarf erzielen Leistungen im mittleren bis oberen Normbereich; das Leistungsniveau der Kinder mit Förderbedarf liegt hingegen im unteren Normbereich. Die Förderbedürftigkeit der Kinder und deren Zuordnung zu den einzelnen Gruppen wurden anhand der sprachlichen Leistungen im Prätest überprüft. In allen vier Untertests des HSET ergeben sich bedeutsame Leistungsunterschiede zwischen den Gruppen mit und ohne Sprachförderbedarf. Die Gruppe ohne Förderbedarf erreicht jeweils durchschnittliche Leistungen, die Leistungen der Kinder mit Förderbedarf der drei unterschiedenen Fördergruppen sowie der Vergleichsgruppe mit unspezifischer Förderung (Vgl.-MF) sind dagegen unterdurchschnittlich oder liegen im unteren Normbereich. Die Differenzen zwischen den Leistungen der Gruppen mit und ohne Förderbedarf sind jeweils größer als eine Standardabweichung (vgl. Schakib-Ekbatan et al., 2006, S.-23-ff.). <?page no="105"?> 106 Die Ergebnisse des Prätests bestätigen die Zuordnung der Kinder zu den Fördermaßnahmen. Merkmale der Untersuchungsgruppen. Da die Förderung der Kinder im letzten Kindergartenjahr erfolgte, bestehen die Untersuchungsgruppen ausschließlich aus Kindern, die nach der Sprachförderung regulär eingeschult werden sollten. Im Juli 2005 waren die Kinder im Durchschnitt 5; 3 Jahre alt, wobei das jüngste Kind 4; 3 und das älteste 6; 6 Jahre zählte. Das Durchschnittsalter der Kinder in den einzelnen Gruppen ist vergleichbar. Die Jungen sind in allen Gruppen überrepräsentiert (54.7 % bis 62.3 %). Auch lassen sich geringfügige Unterschiede zwischen den Gruppen hinsichtlich des Kindergarteneintrittsalters feststellen: Kinder ohne Förderbedarf besuchten den Kindergarten durchschnittlich drei bzw. vier Monate früher als Kinder mit Förderbedarf. Erwartungsgemäß unterscheiden sich die Vergleichsgruppen mit und ohne Förderbedarf bedeutsam hinsichtlich des Anteils deutschsprachiger Kinder. Die Gruppe ohne Förderbedarf besteht zu 74-% aus deutsch-sprachigen Kindern, während deren Anteil innerhalb der Gruppen mit Förderbedarf nur bei 19.6-% bzw. 32.6-% liegt (s. auch Tab.- 3 in Schakib-Ekbatan, Hasselbach, Roos & Schöler, 2007). Der Anteil der türkisch-sprachigen Kinder liegt in der Fördergruppe bei 28.7-%, in der Vergleichsgruppe mit Förderbedarf bei 19.5-% und in der Vergleichsgruppe ohne Förderbedarf bei 3.0-%. Eine detaillierte Aufschlüsselung der sonstig-mehrsprachigen Kinder nach dem ermittelten sprachlichen Hintergrund zeigt, dass die Anzahl der Kinder in allen weiteren Sprachgruppen weit unter der Anzahl der türkisch-sprachigen Kinder liegt (s.-Tab.-3 in Schakib-Ekbatan et al., 2007). Am Posttest-1 nahmen insgesamt 490 Kinder teil. Die Follow-up Quote liegt somit bei etwa 90-%. Die Verteilung auf die Gruppen bleibt vergleichbar. Von den ursprünglich 544 Kindergartenkindern (bzw. 490 Kindern am Ende der Förderung) wurden 432 Kinder in eine 1.-Grundschulklasse in Mannheim bzw. Heidelberg eingeschult. 112 Kinder fehlten demnach am Ende der 1.- Klasse bei den Untersuchungen. Sie wurden entweder vom Schulbesuch zurückgestellt, waren umgezogen, konnten nicht ausfindig gemacht werden oder standen aus sonstigen Gründen nicht mehr für die Untersuchung zur Verfügung. Am Ende der 2.-Klasse minderte sich die Zahl der teilnehmenden Kinder erneut: Insgesamt 336 Kinder (62.8-%) nahmen noch an den Untersuchungen teil. Die Analyse des Verbleibs der Kinder am Ende der 1. und 2. Klasse variiert deutlich zwischen den Gruppen: Der Anteil der zurückgestellten Kinder mit Förderbedarf beträgt knapp 14-%, während lediglich 5.5-% der Kinder ohne Förderbedarf zurückgestellt wurden. Ähnliches zeigt sich bei Klassenwiederholungen (inkl. Förderklasse): Während im ersten Schuljahr ca. 3-% der Kinder ohne Förderbedarf das Klassenziel nicht erreichten, waren es 18.3-% bzw. 13.7-% der förderbedürftigen Kinder. Ausschließlich Kinder ohne Förderbedarf haben eine Grundschulklasse übersprungen. Kinder mit Förderbedarf sind demgegenüber häufiger auf Förderschulen gewechselt als Kinder ohne Sprachförderbedarf. Trotz der Fluktuation der Kinder bleibt die Verteilung der Merkmale Geschlecht, Erstsprache, Intelligenz und sozialer Status in den drei Untersuchungsgruppen annähernd gleich. <?page no="106"?> 107 Bildung von parallelisierten Gruppen. Um mögliche Effekte durch die Merkmale Geschlecht, Erstsprache, Intelligenz und Sozialstatus auf die Wirksamkeit der Sprachfördermaßnahmen zu kontrollieren, wurden die fünf Gruppen (Fördergruppen: SDF, Tracy, Penner) hinsichtlich dieser Merkmale parallelisiert. Jedem Kind einer der drei Fördergruppen wurde jeweils ein Kind der anderen vier Gruppen mit gleichem Geschlecht, gleicher Erstsprache (Deutsch vs. andere Sprache), annähernd gleicher Intelligenz und mit einem vergleichbaren Sozialstatus zugeordnet. Da nicht für jedes Kind vollständige Merkmalsdaten vorlagen und sich darüber hinaus immer nur eine begrenzte Anzahl Paarlinge auffinden ließen, verringerte sich die Anzahl der Kinder in den jeweiligen Gruppen deutlich, die parallelisierten Gruppen umfassen jeweils 22 Kinder. 4 Zur Datenauswertung und -analyse. Bei den zur Auswertung der Prä-Post-Daten eingesetzten statistischen Verfahren handelt es sich überwiegend um Varianz- oder Kovarianzanalysen mit Messwiederholung und anschließenden post hoc-Mittelwertsvergleichen mittels Scheffé-Tests. Den Leistungsvergleichen liegen in der Regel Normwerte (T-Werte) zugrunde, ausgenommen ist die Wortschatzprüfung, bei der nur Rohpunktwerte gewonnen werden konnten. In Varianzanalysen, bei denen die Intelligenz als ein Hauptfaktor einbezogen ist, wird der Testwert in Terzile aufgeteilt (3-stufiger Faktor), sodass Gruppen mit „niedriger“, „mittlerer“ und „höherer“ Intelligenz verglichen werden. Bei den Analysen der parallelisierten Gruppen wurde nach jeder Analyse die Verteilung der Merkmale, die zur Parallelisierung dienten, in den Gruppen erneut überprüft, um etwaige Gruppendifferenzen durch fehlende Werte auszuschließen. Aufgrund der Drop-outs wurde auf Vergleiche mit parallelisierten Gruppen am Ende der 2.-Klasse (Posttest-3) verzichtet, da die Gruppengröße nur bei maximal N = 11 Paarlingen gelegen hätte. Ergebnisse Anwesenheitszeiten der Kinder. Die Kinder der Fördergruppe erhielten durchschnittlich 88 Stunden Sprachförderung. Die vorgesehene Förderzeit von 120 Stunden war somit für das einzelne Kind im Durchschnitt um mehr als ein Viertel reduziert. Interessant ist, dass auch bei der Förderung nach dem Programm von Kaltenbacher und Klages, bei dem 180 Förderstunden vorgesehen sind, ein einzelnes Kind ebenfalls nur durchschnittlich 88 Stunden gefördert wurde. In diesem Falle bedeutet dies, dass durchschnittlich nur die Hälfte der vorgesehenen Förderstunden einem Kind zur Verfügung stand. Unmittelbare Effekte der Sprachfördermaßnahmen (Prä-Post1-Vergleich). Auch nach der Sprachförderung bleiben die sprachlichen Leistungen der Gruppen mit Förderbedarf zumeist unterdurchschnittlich bzw. liegen im unteren Durchschnittsbereich, während die Gruppe ohne Förderbedarf ein altersgemäßes Leistungsniveau erreicht. 4 Detaillierte Beschreibungen zur Parallelisierung und zu den Merkmalen der parallelisierten Gruppen finden sich im Arbeitsbericht Nr.-4 (Polotzek et al., 2008b). <?page no="107"?> 108 Bei allen sprachlichen Leistungsindikatoren ergeben sich bedeutsame Unterschiede zwischen der Gruppe ohne Förderbedarf und den Gruppen, bei denen spezifische und unspezifische Sprachfördermaßnahmen erfolgten. Das Sprachniveau der Kinder ohne Förderbedarf liegt signifikant über dem der Gruppen mit Förderbedarf, wobei sich die Gruppen mit spezifischer und unspezifischer Förderung nicht in den sprachlichen Leistungen unterscheiden. Der Wortschatz (WS) erweitert sich bei allen Kindern: Sowohl die Kinder mit Förderbedarf als auch die Kinder ohne Förderbedarf benennen am Ende des letzten Kindergartenjahres mehr Bilder korrekt als ein Jahr zuvor. Die sprachlichen Leistungen der Kinder mit Förderbedarf bleiben dennoch deutlich unter dem Niveau der Kinder ohne Förderbedarf. Auch bei dieser Aufgabe ergeben sich signifikante Wechselwirkungen zwischen den Gruppen, die allerdings durch einen Deckeneffekt bedingt sind: Die Kinder ohne Förderbedarf konnten bereits im Prätest nahezu alle Bilder richtig benennen, sodass eine weitere Leistungsverbesserung mit dieser für die Kinder zu leichten Aufgabe nicht mehr möglich war. Auch bei Berücksichtigung aller Einflussgrößen bleiben die Leistungsunterschiede zwischen den Gruppen bedeutsam: Unabhängig davon, ob Kinder mit speziellen Programmen gefördert oder unspezifisch gebildet wurden, ihre sprachlichen Leistungen sind deutlich geringer als bei Kindern ohne Förderbedarf. Bezogen auf die Altersnorm bleiben die durchschnittlichen Leistungen der Kinder aller Gruppen und bei allen Untertests des HSET über den Zeitraum des letzten Kindergartenjahres auf gleichem Niveau. Es treten aber unterschiedliche Effekte der Kovariaten auf: Während das Geschlecht des Kindes keinen differenziellen Einfluss auf die sprachlichen Leistungen der Kinder der drei Gruppen hat, wirken sich demgegenüber die Intelligenz des Kindes, der sprachliche Hintergrund (Deutsch oder eine andere Erstsprache) und der Sozialstatus der Familie bedeutsam auf die Sprachleistungen aus. Bei VS, PS, WF und WS erzielen Kinder mit höherer Intelligenz unter allen Bedingungen jeweils höhere sprachliche Leistungen. Ebenso wirkt der Sozialstatus: Kinder aus Familien mit einem höheren Sozialstatus erreichen bessere sprachliche Leistungen als Kinder mit einem geringeren Sozialstatus, auch dies gilt unter allen Bedingungen. Mit Ausnahme der Leistung bei WF ist auch die Erstsprache des Kindes für sprachliche Leistungen bedeutsam: Monolingual Deutsch aufwachsende Kinder erbringen jeweils bessere Leistungen als die zweibzw. mehrsprachig aufwachsenden Kinder, bei denen Deutsch nicht die Familiensprache ist. Der Vergleich zwischen den parallelisierten Gruppen erbringt keine substanziellen Unterschiede zum Vergleich mit den vollständigen Untersuchungsgruppen: (1) Die Kinder ohne Förderbedarf sind in allen sprachlichen Leistungen bedeutsam besser als die Kinder mit Förderbedarf. (2) Zwischen den Kindern der Fördergruppe und den Kindern der Vergleichsgruppe mit Förderbedarf bestehen nach der Intervention keine Leistungsunterschiede. Leistungsvergleich zwischen den Gruppen am Ende der 1. und am Ende der 2.-Klasse. Die schulischen Leistungen am Ende der 1.-Klasse werden in Abhängigkeit vom För- <?page no="108"?> 109 derbedarf bedeutsam unterschiedlich von den Lehrkräften beurteilt: Kinder ohne Förderbedarf erhalten im Lesen, Rechtschreiben und Rechnen bessere Noten und Beurteilungen als die Kinder mit Förderbedarf. Zwischen den beiden Gruppen mit Förderbedarf ergeben sich wiederum keine Leistungsunterschiede. Hinsichtlich aller sprachlichen Merkmale (Ausdrucksfähigkeit, Sprachverständnis, Wortschatz und Grammatik) beurteilen die Lehrkräfte die Kinder ohne Förderbedarf bedeutsam besser als die Kinder mit Förderbedarf. Wiederum bestehen- -- wie bei den schulischen Leistungen- -- keine Leistungsunterschiede zwischen den Kindern mit Förderbedarf: Die Fördergruppen unterscheiden sich in allen genannten sprachlichen Merkmalen nicht von den Gruppen mit Förderbedarf, die keine spezielle Förderung erhielten, sondern nur unspezifisch gebildet wurden. Bei den Analysen mit den Kovariaten Geschlecht, Erstsprache, Intelligenz und sozialer Status ergeben sich in nahezu allen schulischen Leistungseinschätzungen signifikante Unterschiede zwischen den Kindern mit und ohne Förderbedarf. Bei allen Schultestleistungen zeigt sich am Ende der 2.-Klasse ein vergleichbares Ergebnismuster: Zwischen den Gruppen mit und ohne Förderbedarf ergeben sich signifikante Unterschiede, zwischen den Gruppen mit Förderbedarf treten keine Unterschiede auf, d. h. Kinder, die eine zusätzliche Sprachförderung erhielten, unterscheiden sich leistungsmäßig nicht von Kindern, die unspezifisch sprachgefördert wurden. Vergleich der sprachlichen Leistungen. Die sprachlichen Leistungen verbessern sich bei allen Gruppen: Am Ende der 2.-Klasse erzielen die drei Gruppen höhere Leistungen in den vier Untertests (IS, VS, PS, WF) des HSET als zu Beginn bzw. am Ende des letzten Kindergartenjahres. Trotz dieser Leistungsverbesserungen bleibt allerdings das Ergebnismuster gleich: Das sprachliche Leistungsniveau der Gruppe ohne Förderbedarf liegt signifikant über dem der beiden Gruppen mit Förderbedarf, wobei die Fördergruppe vergleichbare sprachliche Leistungen erzielt wie die Gruppe, die keine spezielle Förderung erhielt. Beurteilung der schulischen Leistungen. Nach Einschätzung der Lehrkräfte unterscheiden sich, mit Ausnahme der Rechtschreibleistung, die schulischen Leistungen der drei Gruppen bedeutsam voneinander: Kinder ohne Förderbedarf werden im Lesen, in Deutsch und in allen mathematischen Leistungsbereichen besser bewertet als die spezifisch geförderten Kinder. Ein Vergleich der beiden Gruppen mit Förderbedarf untereinander zeigt, dass sich spezifisch geförderte Kinder in ihren Schriftsprachleistungen nicht von Kindern unterscheiden, die eine unspezifische Sprachförderung erhielten. Zusammenfassende Wertung Die Ergebnisse zeigen, dass sich alle Gruppen gemäß der zu erwartenden Entwicklungsfortschritte im Laufe des letzten Kindergartenjahres in ihrer sprachlichen Leistung verbessert haben. Die Kinder im Programm „Sag᾽mal was“ erzielen dabei keine besseren Leistungen als die Kinder mit einem vergleichbaren Sprachförderbedarf, bei <?page no="109"?> 110 denen keine spezifische Förderung durch Sprachförderkräfte und spezielle Programme durchgeführt wurde. Unabhängig von der Art der Förderung erreichen die Kinder mit Sprachförderbedarf zu keinem Zeitpunkt das Leistungsniveau der Kinder ohne einen Förderbedarf. Dieses Ergebnismuster findet sich sowohl unmittelbar nach den Fördermaßnahmen, also noch vor dem Schulstart, als auch am Ende des ersten sowie am Ende des zweiten Schuljahres. Vorteile einer durch geschulte Sprachförderkräfte durchgeführten speziellen Sprachförderung gegenüber einer unspezifischen sprachlichen Bildung können nicht beobachtet werden. Dies gilt für die Prüfung der sprachlichen Leistungen nach der Förderung am Ende des Vorschuljahres, als auch für die Schulleistungsbeurteilungen am Ende des 1. und 2.- Schuljahres sowie die Ergebnisse von Schulleistungstests am Ende des 2.-Schuljahres. Der erwartete, über die normale Entwicklung hinausgehende Effekt einer gezielten zusätzlichen Förderung durch geschulte Kräfte war in dieser Untersuchung nicht beobachtbar, sodass sie mehr Fragen aufwirft, als sie Antworten geben kann. Es liegt daher nahe, u.- a. detaillierter auf die Rahmenbedingungen von Sprachfördermaßnahmen zu fokussieren, um deren Wirksamkeit zu optimieren. Mögliche Faktoren für das Ausbleiben des Nachweises eines deutlicheren Effekts und Bedingungen erfolgreicher Sprachförderung werden in diesem Buch an anderer Stelle diskutiert. Literatur Frank, G. & Grziwotz, P. (2001). Lautprüfbogen. Ravensburg: Sprachheilzentrum. Grimm, H. & Schöler, H. (1991). Heidelberger Sprachentwicklungstest HSET (2.-Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Hasselbach, P., Schakib-Ekbatan, K., Roos, J. & Schöler, H. (2007). Die Bewertung der Sprachfördermaßnahmen aus der Sicht der Förderkräfte - Interviews. Verfügbar unter: http: / / www.sagmalwas-bw.de/ media/ WiBe1/ pdf/ EVAS_Bericht2.pdf [23.10.2008]. Kaltenbacher, E. & Klages, H. (2005). Sprachförderung im Vorschulalter. Entwicklung und Erprobung eines Programms zur sprachlichen Integration von Vorschulkindern. Heidelberg: Institut für Deutsch als Fremdsprachenphilologie. Krajewski, K., Liehm, S. & Schneider, W. (2004). Deutscher Mathematiktest für zweite Klassen (DEMAT 2+). Göttingen: Hogrefe. Küspert, P. & Schneider, W. (1998). Würzburger Leise Leseprobe (WLLP). Göttingen: Hogrefe. Lenhard, W. & Schneider, W. (2006). ELFE-1-6: Ein Leseverständnistest für Erstbis Sechstklässler. Göttingen: Hogrefe. May, P. (2002). Hamburger Schreib-Probe 1-9 (HSP-1-9). Hamburg: Verlag für pädagogische Medien. Penner, Z. (2003). Forschung für die Praxis. Neue Wege der sprachlichen Förderung von Migrantenkindern. Kon-lab GmbH: Berg. Polotzek, S., Hofmann, N., Roos, J. & Schöler, H. (2008a). Sprachliche Förderung im Elementarbereich. Beschreibung dreier Sprachförderprogramme und ihre Beurteilung durch Anwenderinnen. Verfügbar unter: http: / / www.kindergartenpaedagogik.de/ 1726.html [26.08.2008]. Polotzek, S., Hofmann, N., Roos, J. & Schöler, H. (2008b). Wirkungen der vorschulischen Sprachförderungen in Mannheim und Heidelberg auf die schulischen Leistungen am Ende der 1.-Klasse. Verfügbar unter: http: / / www.sagmalwas-bw.de/ media/ WiBe1/ pdf/ / EVAS_Zwischenbericht_Nr.4.pdf [21.10.2008]. <?page no="110"?> 111 Rauer, W. & Schuck, K.-D. (2004). FEESS-1-2 - Fragebogen zur Erfassung emotionaler und sozialer Schulerfahrungen von Grundschulkindern erster und zweiter Klassen. Weinheim: Beltz. Raven, J. C. (2002). Coloured Progressive Matrices (CPM). Bern: Huber. Schäfer, P., Schöler, H., Roos, J., Grün-Nolz, P. & Engler-Thümmel, H. (2003). Einschulungsuntersuchung 2002 in Mannheim - Sprachentwicklungsstand bei Schulbeginn. Gesundheitswesen, 65, 676-682. Schakib-Ekbatan, K., Hasselbach, P., Roos, J. & Schöler, H. (2006). Ziele, Design, Auswahl der Untersuchungsgruppen und Ergebnisse der Prätests. Verfügbar unter: http: / / www.sagmalwas-bw.de/ media/ WiBe1/ pdf/ EVAS_Bericht1.pdf [02.10.2008]. Schöler, H. & Brunner, M. (2008). HASE - Heidelberger Auditives Screening in der Einschulungsdiagnostik (2., überarb. u. erweit. Aufl.). Wertingen: Westra. Tracy, R. (2003). Sprachliche Frühförderung - Konzeptuelle Grundlagen eines Programms zur Förderung von Deutsch als Zweitsprache im Vorschulalter. Mannheim: Universität Mannheim, Forschungs- und Kontaktstelle Mehrsprachigkeit. <?page no="111"?> 112 4 Sprachförderung für Vorschulkinder - erkenntnisse aus der wissenschaftlichen Begleitforschung <?page no="112"?> 113 Schlussfolgerungen und empfehlungen der wissenschaftlichen Begleitforschung Diemut Kucharz, Barbara Gasteiger-Klicpera, Werner Knapp, Jeanette Roos und Hermann Schöler Einleitung Das Programm „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“ wurde und wird von der Baden-Württemberg Stiftung als „lernendes Programm“ verstanden. Die nun folgenden Schlussfolgerungen orientieren sich an den im vorhergehenden Kapitel referierten Befunden der Untersuchungen und sollen Hinweise und Empfehlungen für eine erfolgreichere Sprachförderung geben. Gerade vor dem Hintergrund der Ergebnisse betrachten es die beiden Forschungsgruppen aus Weingarten und Heidelberg als ihre Aufgabe, verschiedene, auch darüber hinausgehende Anregungen zur Weiterentwicklung von Programmen zur Sprachförderung zu geben und deutlich zu machen, dass weitere Forschungen in diesem Bereich unbedingt notwendig sind. Die Empfehlungen beziehen sich auf folgende Bereiche: ➜ Anforderung an die Qualifikation der pädagogischen Fachkraft, ➜ Formen der Interaktion zwischen pädagogischer Fachkraft und Kind sowie der didaktischen Gestaltung der Sprachförderung, ➜ Auswahl der zu fördernden Kinder und Formen ihrer Förderung, ➜ Formen der Zusammenarbeit mit Eltern, ➜ Bedingungen erfolgversprechender Sprachförderungen. Anforderung an die Qualifikation der pädagogischen Fachkraft Die Planung und Gestaltung sprachlicher Lernsituationen erfordert sowohl ein hohes pädagogisch-didaktisches Können als auch gute Kenntnisse über die kindliche Entwicklung, insbesondere über den Spracherwerb des Kindes und die Möglichkeiten seiner Bildung und Förderung sowie über den Aufbau von Sprachen. Darüber hinaus muss die Sprachförderkraft selbst ein gutes und sprachlich flexibles sowie kompetentes Vorbild sein. Die im Programm „Sag’ mal was“ eingesetzten Sprachförderkräfte unterscheiden sich in ihrer beruflichen Qualifikation und verfügen über unterschiedliche Fachkenntnisse bezüglich des Kompetenzbereichs Sprache und dessen Förderung, aber auch bezüglich des pädagogischen Umgangs mit Kindern. Die im Rahmen der jeweiligen Fördermaßnahmen angebotenen Fort- und Weiterbildungen können, nicht zuletzt aufgrund der kurzen Schulungszeiten, die erforderlichen expliziten Wissens- und Handlungskompetenzen meist nicht ausreichend vermitteln. Zwar weist der Unterschied zwischen den zwei Kohorten in der Weingartner Untersuchung darauf hin, dass sich die Förderkompetenzen der Sprachförderkräfte im zweiten Jahr verbesserten; dieser Kompetenzzuwachs scheint jedoch noch nicht ausreichend zu sein. Der große Bedarf an Wissen über eine qualifizierte Durchführung der Sprachförderung wird auch in den Video- und Interviewanalysen deutlich. <?page no="113"?> 114 Viele mit der Sprachförderung befasste Fachkräfte wünschten auch eine Intensivierung der Aus-, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen im Bereich Sprachentwicklung/ Sprachförderung sowie vor allem die Sprachfördermaßnahmen ergänzende Coaching- und Supervisionsangebote. In Anbetracht der Tatsache, dass gerade die Gestaltung sprachlicher Interaktionen in Fördersituationen, aber auch in alltäglichen Kommunikationssituationen u.-a. ein hohes Maß an Sensitivität, professioneller Responsivität, sprachlichem und sprachwissenschaftlichem wie auch diagnostischem Wissen erfordert, erscheint dieser Wunsch nachvollziehbar. Zusammengefasst ergeben sich folgende Forderungen: ➜ Erweiterung und Intensivierung der Fortbildungsangebote zur Sprachförderung für Erzieherinnen und Sprachförderkräfte, ➜ Stärkere Berücksichtigung in Aus- und Fortbildung von ➞ sprachwissenschaftlichem, entwicklungspsychologischem, pädagogischem und sprachdidaktischem Wissen, ➞ Wissen über Erst- und Zweitspracherwerb sowie deren Förderung, ➞ kulturspezifischem Wissen, ➞ Modellen der Zusammenarbeit mit Eltern und deren Beratung, ➜ Beratung, Coaching und Supervision als notwendige Bestandteile der Aus- und Fortbildung von Sprachförderkräften. Formen der Interaktion zwischen pädagogischer Fachkraft und Kind sowie die didaktische Gestaltung der Sprachförderung Obgleich die Forderung nach einer bereichsspezifischen Förderung durch entwicklungs- und pädagogisch-psychologische Forschungsergebnisse gestützt wird, wurde die Förderung von Kindern in spezifischen Inhalts- und Bildungsbereichen von Seiten der deutschen Kindergartenpädagogik über lange Zeit abgelehnt und erfährt auch heute noch Widerstände. Für pädagogische Fachkräfte bedeutet die Anregung und auch Förderung eines bereichsspezifischen Kompetenzaufbaus eine Akzentverlagerung in ihrer bisherigen Kindergartenarbeit: nämlich von dem, was Kinder in ihrem Kindergartenalltag tun, den Spielsituationen, Kindergartenprojekten etc., auszugehen und in diesen Situationen die bereichsspezifischen Kompetenzen der Kinder systematisch zu erweitern und wenn möglich/ nötig auch zu verbessern oder zu fördern. Dazu gehören Methoden, die zur Optimierung und Ausgestaltung von (sprachlichen) Interaktionen in der Gruppe, aber auch zwischen pädagogischer Fachkraft und Kind beitragen. Förderung in spezifischen Bildungsbereichen, wie z.-B. der deutschen Sprache, bedeutet darüber hinausgehend den gezielten (und häufig auch standardisierten) Einsatz von inhaltlich passenden, altersangemessenen Förderprogrammen und/ oder eine altersangemessene, die jeweilige Entwicklungsstufe des Kindes berücksichtigende und die Zone der nächsten Entwicklung im Blick habende didaktische Umsetzung relevanter Inhalte, eingebunden in Tätigkeiten und Aufgaben. Vorschulische Sprachförderung ist nicht als verschultes Lernen zu verstehen. Nicht-sprachliche Rahmenhandlungen und Spielformate sind wichtige Vermittler beim Erwerb einer Sprache. Vorschulische Sprachfördersituationen sind daher mög- <?page no="114"?> 115 lichst alltagsnah, situations- und aufgabenorientiert zu arrangieren. Formale Abfragesituationen, wie sie teilweise in den Videoaufzeichnungen von Sprachförderungen beobachtet wurden, bieten nicht nur einen eingeschränkten nicht-sprachlichen Handlungskontext und erschweren damit vielfältige Begriffsassoziationen der Kinder, sondern führen zudem zu einem weniger komplexen sprachlichen Output und scheinen auch das Sprachverhalten der Sprachförderperson in negativer Weise zu beeinflussen. Zusammengefasst ergeben sich folgende Empfehlungen: ➜ Alltagsintegrierung und Kontextgebundenheit der Sprachfördersituationen, ➜ Davon ausgehende systematische Erweiterung der bereichsspezifischen Kompetenzen der Kinder, ➜ Anregung der Kinder zu häufigem, umfangreichem und komplexem Sprechen, ➜ Angemessenheit des sprachlichen Inputs der Sprachförderkräfte, um zur Weiterentwicklung sprachlicher Kompetenzen beizutragen, ➜ Individuelle Förderplanung, basierend auf dem Spracherwerbsstand und den Förderbedürfnissen des Kindes. Auswahl der zu fördernden Kinder und Formen der Förderung Zu Beginn der Sprachfördermaßnahmen im Programm „Sag’ mal was“ waren die Kinder zwischen fünf und sechs Jahre alt. International unbestritten ist, dass ein früherer Beginn der Förderung von Vorteil ist, da die sprachlichen Lernzuwächse bei jüngeren Kindern größer sind als bei älteren. Wenn Kinder mit nichtdeutscher Erstsprache über eingeschränkte Kenntnisse in der Verkehrssprache verfügen, sollte nach entwicklungspsychologischen Erkenntnissen eine gezielte Sprachförderung bereits beim Eintritt in den Kindergarten, besser noch bereits im Krippenalter einsetzen. Je jünger Kinder sind, desto eher können sie auf mentale Systeme zurückgreifen, die den Erwerb der Erstsprache erfolgreich und effektiv machen. Mit einem frühen Erwerbsbeginn können zudem wenig selbstwertdienliche Misserfolgserlebnisse im Rahmen des (Zweit-)Spracherwerbs verhindert werden. Die Altersspanne der Kinder mit Förderbedarf reicht von 4; 6 bis 6; 6 Jahre. Legt man die Prämisse zu Grunde, dass Spracherwerbsprozesse in Abhängigkeit vom Alter des Kindes unterschiedlich verlaufen, müsste sich dies in entsprechenden alters- und sprachdifferenzierten Förderkonzepten niederschlagen. Beachtenswert scheint in diesem Zusammenhang insbesondere das zunehmende Wissen über Sprache, denn um das fünfte Lebensjahr herum findet ein wichtiger Entwicklungsschritt hinsichtlich des (meta-)sprachlichen Wissens statt. Die Sprachförderkräfte sind mit einer heterogenen Gruppe förderbedürftiger Kinder konfrontiert. Diese Heterogenität betrifft sowohl das Sozialverhalten als auch das kognitive Entwicklungspotential und schließlich das sprachliche Leistungsprofil bzw. das Profil der Schwierigkeiten der Kinder. Der Sprachförderbedarf kann in Abhängigkeit von der Erstsprache der Kinder unterschiedliche Ursachen haben: Während bei den deutschsprachigen Kindern eher spezifische Spracherwerbsprobleme (u.-U. sogar Spracherwerbsstörungen) oder zu geringe sprachliche Anregungen vorliegen, ist bei Kindern, deren Erstsprache nicht Deutsch ist, der Förderbedarf häufig auf nicht ausreichenden Kontakt <?page no="115"?> 116 mit der deutschen Sprache zurückzuführen. Jedoch können auch in dieser Gruppe Kinder mit spezifischen Spracherwerbsstörungen zu finden sein. Darüber hinaus sind die sprachlichen Leistungen eines Kindes eng mit der familiären Sprachsituation verknüpft. Angesichts dieser unterschiedlichen Formen der Spracherwerbsprobleme ist anzunehmen, dass es verschiedener Fördermaßnahmen sowie didaktischer Konzepte bedarf, die jeweils auch immer noch individuell anzupassen sind. Aber auch hier wäre eine wissenschaftliche Analyse und Evaluation dringend nötig, um zu empirisch geprüften wirksamen Konzepten zu gelangen. Zusammengefasst ergeben sich folgende Empfehlungen: ➜ Frühest möglicher Beginn der Förderung eines Kindes, d.-h. bereits im Krippenalter, spätestens aber zu Beginn der Kindergartenzeit im Alter von drei Jahren, ➜ Ausreichende Förderzeit, d.-h. möglichst Förderung während der gesamten Kindergartenzeit und wenn notwendig auch noch Förderung in der Schule, ➜ Spezifische Förderung eines Kindes in Abhängigkeit von seinen Lernvoraussetzungen (Alter, kultureller Hintergrund, Art des Förderbedarfs). Zusammenarbeit mit Eltern Ein wesentliches Ergebnis der international vergleichenden Studien PISA und IGLU bestätigt sich auch in den wissenschaftlichen Begleitforschungen: Kinder mit höherem Sozialstatus erzielen in einer Vielzahl sprachlicher und schulischer Leistungsbereiche bessere Ergebnisse als Kinder, deren Familien einen geringeren Sozialstatus aufweisen. Besonders im häuslichen Umfeld zeigen sich im Kontakt mit der deutschen Sprache bedeutsame Unterschiede zwischen Kindern mit Migrationshintergrund mit und ohne Sprachförderbedarf. Da die familiäre Sprachsituation meist mit der Bildungsnähe der Eltern zusammenhängt, existiert für Kinder mit Migrationshintergrund zumeist eine multiple, systematische Benachteiligung. Eltern benötigen Informationen über die Bedeutung von Mehrsprachigkeit, aber auch Ideen und Anregungen zu ihren eigenen Möglichkeiten der Unterstützung des Spracherwerbs ihrer Kinder sowie Hilfen für eine realistische Einschätzung der Kompetenzen ihrer Kinder insbesondere hinsichtlich schulischer Anforderungen. Eine intensivere Elternarbeit scheitert jedoch häufig, u.-a. weil der Kindergartenalltag mit seinen Rahmenbedingungen pädagogischen Fachkräften kaum ausreichende zeitliche Ressourcen für eine intensivere Elternarbeit lässt. Daher benötigen sie weitergehende Unterstützung, um diese anspruchsvolle, aber äußerst wichtige Aufgabe erfüllen zu können. Zusammengefasst ergeben sich folgende Empfehlungen: ➜ Herstellung und Intensivierung der Kooperation mit den Eltern, ➜ Information der Eltern über die Bedeutung der Mehrsprachigkeit, ➜ Erweiterung der zeitlichen Ressourcen der pädagogischen Fachkräfte für Elternarbeit, ➜ Förderung von Aktivitäten, die Kontakte zu deutschsprachigen Kindern oder Erwachsenen schaffen, ➜ Anregung zur sprachlichen Kommunikation im Zusammenhang mit der Mediennutzung. <?page no="116"?> 117 Bedingungen erfolgversprechender Sprachförderungen Die Durchführung der Sprachförderungen im Programm „Sag’ mal was“ unterlag Rahmenbedingungen, die von unterschiedlichen Seiten gegeben waren: den Trägern, den Einrichtungen selbst sowie dem Programm der Baden-Württemberg Stiftung. Im Programm „Sag’ mal was“ wurden die Kinder in Kleingruppen von sechs bis max. zehn Kindern gefördert. Die dort zur Verfügung gestellten zeitlichen, personellen und materiellen Ressourcen erlebten die Sprachförderkräfte als hilfreich und notwendig, um die Fördermaßnahmen umsetzen zu können. Für die Durchführung von intensiven Sprachfördermaßnahmen sind zumindest solche Ressourcen also weiterhin erforderlich. Voraussetzung für einen erfolgreichen Erstwie Zweitspracherwerb ist ein alltagsintegriertes kontinuierliches, intensives Sprachangebot. Eine hohe Anzahl an Kindern in den spezifischen Fördergruppen führt allerdings dazu, dass für das einzelne Kind sowohl die Häufigkeit als auch das Ausmaß an sprachproduktiven Tätigkeiten und Möglichkeiten gering ist. Mit zunehmender Zahl der Kinder steht dem einzelnen Kind weniger individuelle Lern- und Übungszeit im Rahmen der Förderung zur Verfügung. Für eigene, selbstgesteuerte Produktionen in der deutschen Sprache und längere kommunikative Sequenzen ist daher oft nur wenig Raum. Eventuell könnte bereits eine Fördergruppe mit geringerer Kinderzahl (z.-B. drei bis fünf) eine Möglichkeit für mehr Sprachanlässe und reichhaltigere Kommunikationserfahrungen bieten. Zusammengefasst ergeben sich folgende Empfehlungen: ➜ Verringerung der Gruppengröße, ➜ Ausweitung des Förderzeitraums, ➜ Bereitstellung ausreichender Verfügungsbzw. Vor- und Nachbereitungszeiten. Schlussfazit Um die Qualität von sprachlicher Bildung und von Sprachfördermaßnahmen zu gewährleisten, scheint es notwendig zu sein, dass zum einen eine Sprachförderung so früh wie möglich beginnt und Kinder, die einen Sprachförderbedarf haben, auch so früh wie möglich eine Kindertageseinrichtung besuchen können. Zum anderen sind hohe Anforderungen an die fachliche Qualifikation der Fachkräfte im sprachlichen, kulturellen und pädagogischen Bereich zu stellen, damit diese in der Lage sind, die notwendigen sprachlichen Anregungen zu schaffen, so dass die Kinder hinreichende Deutschkenntnisse erwerben können. Aber auch weitere Forschung in diesem Bereich ist dringend erforderlich, um präzise Erkenntnisse über zentrale Einflussfaktoren auf wirksame Sprachförderung zu erhalten. Im Folgenden werden diese Schlussfolgerungen und Empfehlungen in drei thematischen Schwerpunkten weiter ausgeführt: ➜ Forschungsdesiderata (siehe Kapitel 4.1) ➜ Professionalisierung Pädagogischer Fachkräfte: Konsequenzen für die Aus-, Fort- und Weiterbildung (siehe Kapitel 4.2) ➜ Relevanz der Ergebnisse aus den Evaluationsstudien für die Praxis (siehe Kapitel 4.3). <?page no="117"?> 118 4 .1 Impulse für Wissenschaft und Forschung Forschungsdesiderata Jeanette Roos, Barbara Gasteiger-Klicpera, Diemut Kucharz, Werner Knapp und Hermann Schöler Der Erziehung, Betreuung, Bildung und Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen kommt ein hoher Stellenwert zu. Aus diesem Grund bedarf dieser Praxisbereich einer systematischen empirischen Begleitforschung, wie auch einer stets aktuellen wissenschaftlichen Fundierung (vgl. Kalicki, 2003). Allerdings nimmt die Pädagogik der frühen Kindheit in der deutschen Hochschullandschaft etwa im Vergleich zur Schulpädagogik eine eher marginale Rolle ein, und die Belebung und Erweiterung dieses Forschungszweigs ist dringend erforderlich. Derzeit speist sich die Frühpädagogik in großen Teilen von Forschungsbeiträgen sehr unterschiedlicher Disziplinen, wie beispielsweise der Entwicklungspsychologie, die sich traditionell auch mit frühpädagogisch relevanten Fragestellungen beschäftigt. Stark ausbaufähig ist im früh- und elementarpädagogischen Bereich auch die Wirkungsforschung, die sich mit der Untersuchung von Effekten diverser Angebote in Kindertageseinrichtungen auf die Kompetenzen und Fähigkeiten von Kindern beschäftigt. Sprachliche Bildung und die individuelle Unterstützung und Förderung in Form von professionellen Anregungen zur Gestaltung von Interaktionen zwischen Erwachsenen und Kindern, aber auch innerhalb von Kindergruppen, ist eine ausgesprochen wichtige und umfassende Querschnittsaufgabe pädagogischer Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen. Der Stand der Forschung zum kindlichen Spracherwerb hat nach Grimm (2000) schon vor zehn Jahren sowohl im neuro- und entwicklungspsychologischen wie auch sprachwissenschaftlichen Bereich ein hohes Niveau erreicht. In den vergangenen Jahren konzentrierte sich die Forschung insbesondere auf die ersten drei Lebensjahre, einen Altersabschnitt, der in der Frühpädagogik ansonsten wenig untersucht ist. Der aktuelle Stand von Wissenschaft und Fachdiskurs der Grundlagenwissenschaften zu Prozessen des Spracherwerbs ist allerdings recht vielgestaltig. Die Variationsbreite bei der Setzung von Forschungsakzenten, bei den der Forschung zugrunde liegenden theoretischen Konzeptionen, beim Methodeneinsatz und bei den resultierenden Ergebnissen ist groß. Somit existiert „ein schwer überschaubares Spektrum von zunächst unsortierten Aussagen“ (List, 2010, S.-6), deren Übertragung in die pädagogische Praxis Systematisierung und Auswahl geeigneter Informationen voraussetzt. Dabei sind auch Hinweise zur Verlässlichkeit der Aussagen sowie ihre Reichweite zu treffen und zudem eventuelle Differenzen und Widersprüche kenntlich zu machen. <?page no="118"?> 119 Obgleich der Stand der Forschung zum Spracherwerb als gut bezeichnet werden kann, lassen sich, folgt man etwa List (2007), doch „spezifische Einseitigkeiten“ (S.-7) verzeichnen. Verfügbare Studien zum Spracherwerb richten sich überwiegend auf einsprachig aufwachsende Kinder im angloamerikanischen Sprachraum, obgleich sich solche Kinder weltweit betrachtet eher in der Minderzahl befinden und das Aufwachsen in mehrsprachigen Umgebungen eher den Regelfall darstellt. Wenn kindliche Mehrsprachigkeit untersucht wird, beziehen sich die vorliegenden Studien meist auf die Dokumentationen eher als privilegiert zu bezeichnender mehrfach simultaner Spracherwerbssituationen (in der Regel zwei Sprachen in gemischtsprachigen Familien). In Einwanderungsländern wie Deutschland existieren aber insbesondere Erkenntnislücken beim sukzessiven Erwerb der jeweiligen Landessprache durch Kinder, deren Familien im häuslichen Umfeld eine andere Sprache nutzen. Untersuchungen zum sukzessiven Spracherwerb sind in der Mehrzahl im Bereich des gesteuerten Fremdsprachenlernens von Jugendlichen und Erwachsenen zu finden und auch zum ungesteuerten Spracherwerb im Erwachsenenalter infolge Migration liegen diverse Befunde vor. So stellt insbesondere der kindliche Spracherwerb unter weniger begünstigenden familiären Migrationsbedingungen im Altersbereich zwischen 0 und 6 Jahren ein Forschungsdesiderat dar. Inzwischen herrscht Einigkeit darüber, dass der Erwerb der mündlichen Verfügung über die Landessprache durch Kinder aus Elternhäusern mit Migrationshintergrund und nicht deutscher Familiensprache so früh wie möglich, unbedingt aber vor Beginn der Grundschulzeit stattfinden sollte. Schon aus diesem Grund vermisst man wirklich einschlägige und gesicherte grundlagenwissenschaftliche Erkenntnisse aus dem Bereich früher sukzessiver Sprachlernsituationen, die auch mehr direkte Hinweise zur Umsetzung von Fördermaßnahmen geben könnten. Solange diese weniger zahlreich vorhanden sind, müssen zusätzlich Erkenntnisse aus umliegenden Forschungsbereichen extrapoliert werden - dazu gehören der monolinguale Spracherwerb und seine Entwicklungsstörungen, der simultane Spracherwerb mehrerer Sprachen von Geburt an, das Fremdsprachenlernen sowie Befunde zur unterschiedlichen Bereitschaft sprachlicher und kultureller Akkommodation im Einwanderungsland. Sprachförderung gehört inzwischen in vielen Kindertageseinrichtungen zum Kindergartenalltag. Vorhandene Konzepte sind vielgestaltig und selten explizit dargestellt oder verfügbar. Unter den inzwischen publizierten Konzepten existieren große „Akzentwie Qualitätsunterschiede“ (vgl. dazu List, 2010, S.- 26). Jampert, Best, Guadatiello, Holler und Zehnbauer (2007) unternahmen den verdienstvollen Versuch, mehr als 25 vorhandene und dokumentierte Maßnahmen und Konzepte zur Sprachförderung im Kindergarten nach einem einheitlichen Kriterienraster vorzustellen. Viele dieser Sprachfördermaßnahmen scheinen auf den ersten Blick sinnvoll und wirksam. Ob sie tatsächlich einen Nutzen erbringen und finanzielle Mittel erfolgreich eingesetzt wurden, ist bislang kaum geprüft worden. Es existieren so gut wie keine Forschungsergebnisse zu den einzelnen Wirkfaktoren sowie der differenziellen Wirkung verschiedener (präventiver) sprachlicher Interventionen. Die Baden-Württemberg-Stiftung erkannte den vorhandenen, hinsichtlich der Ergebnisqualität von Sprachförderprogrammen bestehenden Forschungsbedarf und stellte ihr seit 2002 <?page no="119"?> 120 existierendes Programm „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“ auf den Prüfstand. Die wissenschaftliche Begleitforschung zu „Sag’ mal was“ hat indessen mehr Fragen aufgeworfen, als sie beantworten konnte. In Teilen ungeklärt bleibt die Frage nach den ausschlaggebenden Wirkfaktoren von Sprachförderung. Weitere (praxisbegleitende) Evaluationen von Sprachfördermaßnahmen sind demnach erforderlich, um notwendige Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für die Förderung sowie die relevanten Wirkfaktoren der Maßnahmen zu identifizieren. Hier empfiehlt es sich besonders, bei künftigen Evaluationen verschärft Kontrollmaßnahmen der Elimination und systematischen Variation zu praktizieren und Sprachförderbedingungen, soweit möglich, nicht vor der Planung der Evaluationsmaßnahmen festzulegen, wie bei dem Programm der Baden-Württemberg Stiftung geschehen. Auch scheint die theoriegeleitete Entwicklung und Weiterentwicklung von an der kindlichen Sprach- und Zweitsprachentwicklung orientierten und kultursensitiven Sprachfördermaßnahmen, die sich gut in den Kindergartenalltag fügen, bedeutsam. Hier sind zwar in den letzten Jahren Programme und Hilfen entstanden, aber es existiert so gut wie keine Überprüfung der Validität oder der Wirksamkeit solcher Maßnahmen. Auch die Frage, ob Kinder in Abhängigkeit von der Ursache der Spracherwerbsproblematik unterschiedlich gefördert werden sollten, ist bislang unbeantwortet. Ob Kinder, die in ihrem Elternhaus nicht hinreichend in Kontakt mit der deutschen Sprache stehen und somit unzureichende Sprachkenntnisse aufweisen, von einem möglichst frühen und intensiven Kontakt mit der Zweitsprache sowie Sprachförderangeboten profitieren, ist aufgrund der Bilingualismusforschung zwar plausibel, eine Prüfung dieser Frage steht allerdings aus. Damit verbunden wäre zu klären, welche und wie viele sprachliche Angebote für eine nachhaltige sprachliche Interaktion wie Kommunikation erforderlich sind. Die bisherigen Videoanalysen verdeutlichen, dass mittels dieses Mediums nicht nur sinnvolle Dokumentationen erstellt werden können, sondern diese Analysen auch sehr gewinnbringend in der Fort- und Weiterbildung von pädagogischen Fachkräften eingesetzt werden können. In Bezug auf die Generierung von Hypothesen über Wirkfaktoren der Sprachförderung scheinen sie sogar unabdingbar zu sein. Die zu erwartenden Ergebnisse rechtfertigen den hohen Aufwand, der mit solchen Analysen zunächst verbunden ist. Deshalb sollten weitere Videoanalysen begleitend zu Sprachfördermaßnahmen durchgeführt werden. Wenn auch abschließend festgestellt werden muss, dass weiterhin Forschungsbedarf besteht, um die Wirkungsweise von sprachlicher Förderung zu beleuchten, ist es gleichermaßen bedeutsam darauf hinzuweisen, dass aufgrund der hohen Zahl von Kindern mit unzureichenden Deutschkenntnissen weiterhin dringender Interventionsbedarf besteht. Der Nutzen der im Auftrag der Baden-Württemberg-Stiftung durchgeführten Evaluation liegt unter anderem in einer verbesserten Entscheidungs- <?page no="120"?> 121 grundlage und Optimierung der Gestaltung künftiger Sprachfördermaßnahmen. Die Berücksichtigung der aus dieser Untersuchung hervorgegangenen Empfehlungen (siehe auch Kapitel 4) und die daraus folgende Modifikationen der Förderbedingungen gehören dazu. Literatur Grimm, H. (Hrsg.). (2000). Sprachentwicklung. Enzyklopädie der Psychologie: Themenbereich C. Theorie der Forschung: Serie III. Sprache: Bd. 3. Göttingen: Hogrefe. Jampert, K., Best, P., Guadatiello, A., Holler, D. & Zehnbauer, A. (2007). Schlüsselkompetenz Sprache. Sprachliche Bildung und Förderung im Kindergarten. Konzepte, Projekt, Maßnahmen (2. Aufl.). Weimar/ Berlin: Verlag das Netz. Kalicki, B. (2003). Forschungsförderung. In Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.), Auf den Anfang kommt es an! (S.-223-229). Weinheim: Beltz. List, G. (2007). Förderung von Mehrsprachigkeit in der Kita. München: Deutsches Jugendinstitut e.-V. List, G. (2010). Frühpädagogik als Sprachförderung. Qualifikationsanforderungen für die Aus- und Weiterbildung der Fachkräfte. Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WiFF). München: Deutsches Jugendinstitut e.-V. <?page no="121"?> 122 herausforderungen der Sprachstandsdiagnostik liSe-DaZ - linguistische Sprachstandserhebung - Deutsch als Zweitsprache Ramona Wenzel „Der kann nicht allein raus, weil die ihn da eingesperrt haben“ antwortet der sechsjährige Merdin auf die Frage „Warum macht der Hund so ein trauriges Gesicht? “, die ihm seine Erzieherin im Kindergarten stellt. Beide betrachten ein Bilderbuch, in dem zwei Kinder - LiSe und Ibo - und ihre „Abenteuer im Park“ im Mittelpunkt stehen. In der Geschichte kann Ibo den Hund aus der Tonne befreien, und die Erzieherin stellt zum nächsten Bild (Bild 2) die Frage „Und was macht Lise hier? “. Merdin antwortet „Die nimmt den hoch und streichelt ihn.“ Bild 1 Bild 2 Während Merdin weiter blättert um zu erfahren, wie die Geschichte weitergeht, weiß die Erzieherin, dass sie schon mit diesen beiden Antworten erste wertvolle Informationen über Merdins sprachliche Fähigkeiten gewonnen hat. Die Äußerung „Der kann nicht allein raus, weil die ihn da eingesperrt haben“ gibt beispielsweise Aufschluss darüber, dass Merdin in der Lage ist, die beiden wichtigsten Satzstrukturen des Deutschen zu produzieren: Hauptsätze, in denen sich das finite, mit dem Subjekt übereinstimmende Verb in der zweiten Position des Satzes befindet. Und einen Nebensatz, der mit einer Konjunktion (weil) eingeleitet ist und in der das finite Verb am Ende des Satzes steht. Mit der Äußerung „Die nimmt den hoch und streichelt ihn“ bestätigt Merdin, dass er den Bauplan für Hauptsätze im Deutschen anwenden kann. Zudem kann die Erzieherin erkennen, dass Merdin die Positionen des Verbs mit unterschiedlichen Verbtypen besetzt. Er verwendet sowohl Vollverben (hochnehmen, streicheln) als auch Modalverben (können) und das Verb haben als Hilfsverb in Kombination mit einem Partizip (eingesperrt hat). Hinweise auf Fähigkeiten im morphologischen Bereich können der Flexion der Verben entnommen werden. Merdin verwendet die Verben in der 3. Person Singular und <?page no="122"?> 123 Plural kongruent zum Subjekt des jeweiligen Satzes. Des Weiteren sind morphologische Markierungen im nominalen Bereich erkennbar. Der Akkusativ wird sowohl am definiten Artikel als auch am Pronomen zielsprachlich markiert. Am Ende der Geschichte wird die Erzieherin zahlreiche weitere Äußerungen von Merdin gehört haben, die ihr eine Fülle an Information zu den sprachlichen Kernbereichen geben. Ihre ersten Eindrücke werden anhand weiterer Belege untermauert und können ihr Hinweise darauf geben, in welchen Bereichen Merdin noch spezifischer Förderung bedarf. Das Bilderbuch, das Merdin und seine Erzieherin betrachtet haben, gehört zu den Testmaterialien, mit Hilfe derer im Rahmen des förderdiagnostischen Verfahrens LiSe-DaZ (Linguistische Sprachstanderhebung - Deutsch als Zweitsprache) die produktiven Sprachfähigkeiten von Kindern überprüft werden. Neben der Sprachproduktion wird in drei weiteren Untertests auch das Sprachverständnis in zentralen linguistischen Bereichen erfasst. Dieses Verfahren wurde im Auftrag der Baden- Württemberg Stiftung im Rahmen des Programms „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“ in den Jahren 2005-2008 entwickelt und in Verbindung mit der Stiftung in den letzten zwei Jahren normiert. LiSe-DaZ (Schulz und Tracy) wird im Frühjahr 2011 in der Reihe ‚Vorschultests‘ bei Hogrefe verlegt. Die Zielgruppe von LiSe-DaZ sind Kinder mit Deutsch als Zweitsprache im Alter von 3,0 bis 7; 11 Jahren. Dass ein beachtlicher Teil dieser Kinder unzureichende Deutschkenntnisse aufweist und ihnen damit der Eintritt in das deutsche Bildungssystem und der weitere Bildungsweg erschwert werden, haben in den letzten Jahren zahlreiche Studien belegt. In der Folge wurden bundesweit vielfältige Förderinitiativen angestoßen. Einig ist man sich weitgehend darin, dass für eine Klassifikation förderbedürftiger Kinder und die Ableitung individueller Förderinhalte nur eine fundierte Diagnostik zuverlässige Grundlage sein kann. Während für den Erwerb des Deutschen als Erstsprache standardisierte und normierte Diagnoseverfahren existieren (SETK 2, Grimm 2000; SETK 3-5, Grimm 2001), lässt sich für den Erwerb des Deutschen als Zweitsprache immer noch ein Mangel an diagnostischen Instrumenten feststellen, die den Ansprüchen an Validität, Standardisierung und Normierung genügen (Redder et al. 2010; Ehlich et al. 2005; Fried 2004; Kany und Schöler 2007). Das Verfahren LiSe-DaZ wurde entwickelt, um diese Lücke zu schließen. Es erfasst den sprachlichen Entwicklungsstand von Kindern mit Deutsch als Zweitsprache in zentralen regelgeleiteten Bereichen und erlaubt es, individuelle Förderinhalte abzuleiten. Bei LiSe-DaZ stehen vor allem diejenigen Strukturen des Deutschen im Vordergrund, die in der Erst- und Zweitspracherwerbsforschung hinreichend erforscht wurden und für die Einschätzung sprachlicher Kompetenzen besonders aufschlussreich sind. Es handelt sich um Sprachkenntnisse, die für die alltägliche Kommunikation benötigt werden und für die in natürlichen Situationen ein gezieltes Förderangebot entwickelt werden kann. <?page no="123"?> 124 Untersucht werden Fähigkeiten zur Sprachproduktion und zum Sprachverständnis. Das Modul Sprachproduktion lässt durch die Elizitierung verschiedener Haupt- und Nebensätze zur Bildergeschichte „Abenteuer im Park“ nicht nur fundierte Aussagen über den Entwicklungsstand der Satzstruktur (Untertest SK - Satzklammer) zu, sondern ebenso über die Fähigkeiten in den Bereichen Subjekt-Verb-Kongruenz (Untertest SVK), über das Repertoire unterschiedlicher Wortklassen (Untertest WK) und über die Beherrschung des Kasussystems (Untertest KAS). Die Untertests zum Sprachverständnis untersuchen das Verstehen von Verben (Untertest VB), einfachen w-Fragen (Untertest WF) und der Negation (Untertest NEG). Hier werden die aus der Spracherwerbsforschung bewährten Methoden von Satz-Bild-Zuordnung und Wahrheitswertaufgaben eingesetzt. Auch mit der fünfjährigen Elin, die seit einem Jahr im Kindergarten ist, hat die Erzieherin LiSe-DaZ durchgeführt und konnte dabei beobachten, dass das Mädchen im Untertest zur Sprachproduktion häufig nur einfache Satzfragmente produzierte. Auf die Frage „Warum macht der Hund so ein trauriges Gesicht? “ antwortete sie beispielsweise mit der Äußerung „Angst hat.“ Die Erzieherin erkennt anhand der Gesamtheit der von Elin produzierten Äußerungen, dass sie die Struktur deutscher Sätze noch nicht erworben hat. Die Förderung sollte demnach das Ziel haben, notwendige Erwerbsschritte anzubahnen, in dem Elin in natürlichen Gesprächssituationen relevante Information für den Strukturaufbau angeboten werden. Das Wissen, dass vor allem kontrastierende Strukturen die unterschiedliche Stellung des Verbs im deutschen Satz verdeutlichen, ermöglicht es der Erzieherin, den sprachlichen Input systematisch und variationsreich aufzubereiten. Dabei können die möglichen Positionen des Verbs (Verb-Zweit und Verb-End) mit unterschiedlichen verbalen Elementen besetzt sein. Ein denkbarer Dialog in einer Fördersequenz kann demnach folgendermaßen aussehen: Förderkraft: Was macht Lise hier? Kind: Arm genomme. Förderkraft: Du hast recht, Lise hat den Hund auf den Arm genommen. Meinst du, Ibo will den Hund auch mal nehmen? Vielleicht nehmen sie ihn ja zum Spielen mit. Hast du auch schon einmal einen Hund auf den Arm genommen? <?page no="124"?> 125 Elin hat in dieser Sequenz die Möglichkeit, zeitnah verschiedene Strukturen zu hören, sie zu vergleichen und miteinander in Beziehung zu setzen. Die Erzieherin kann dabei beliebige Bilder und Situationen (bspw. auch die Bilder des LiSe-DaZ-Materials) für die Förderung nutzen und so gemeinsam mit dem Kind Geschichten weitererzählen. Über eine gezielte und differenzierte Sprachförderung hinaus, sollte aber auch im Bewusstsein bleiben, dass ein kompetenter Sprecher des Deutschen in jeder intuitiven und natürlichen Kommunikation eine Modellfunktion für Lernende übernehmen und ihnen so den Input bieten kann, der für den Aufbau des sprachlichen Systems notwendig ist. Literatur: Ehlich, Konrad/ van den Bergh, Huub/ Bredel, Ursula/ Garme, Birgitta/ Komor, Anna/ Krumm, Hans-Jürgen/ McNamara, Tim/ Reich, Hans H./ Schnieders, Guido/ ten Thije, Jan D. (2004): Anforderungen an Verfahren der regelmäßigen Sprachstandsfeststellung als Grundlage für die frühe und individuelle Sprachförderung von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund. Eine Expertise. München. Grimm, H. (2000). SETK-2 Sprachentwicklungstest für zweijährige Kinder. Diagnose rezeptiver und produktiver Sprachverarbeitungsfähigkeiten. Göttingen: Hogrefe. Grimm, H. (2001). SETK3-5. Sprachentwicklungstest für dreibis fünfjährige Kinder. Diagnose von Sprachverarbeitungsfähigkeiten und auditiven Gedächtnisleistungen. Göttingen: Hogrefe. Kany, Werner/ Schöler, Hermann (2007): Fokus: Sprachdiagnostik. Berlin u.a.: Cornelsen. Redder, A./ Schwippert, K./ Hasselhorn, M./ Forschner, S./ Fickermann, D./ Ehlich, K. (2010). Grundzüge eines nationalen Forschungsprogamms zu Sprachdiagnostik und Sprachförderung. ZUSE-Diskussionspapier Nummer 1. Schulz, P./ Tracy, R., in Verbindung mit der Baden-Württemberg Stiftung (2011). Linguistische Sprachstandserhebung - Deutsch als Zweitsprache (LiSe-DaZ). Göttingen: Hogrefe. <?page no="125"?> 126 erkenntnisse aus der evaluation zur Qualifizierung von Multiplikatorinnen in der Sprachförderung Uwe Neugebauer Als eine der fundamentalen Ursachen des deutschen PISA-Desasters gelten sprachliche Rückstände, die schon Grundschulkindern - ob sie Deutsch nun als Erst- oder Zweitsprache erlernt haben - den Weg zu einem erfolgreichen Bildungsabschluss verbauen können. Hier setzt das Programm „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“ an, das die individuellen Bildungschancen der Vorschulkinder durch gezielte Unterstützung beim Spracherwerb zu verbessern trachtet. Das Programm der Baden-Württemberg Stiftung zielt neben der Verbesserung von individuellen Bildungschancen der Kinder auch auf die Einbindung der Erziehenden in die frühe Sprachförderung ab. Die Kernkompetenzen für die Durchführung der intensiven Sprachförderung sollen seit dem Förderjahr 2004/ 05 von eigens ausgebildeten Multiplikatorinnen an die Kita-Fachkräfte vermittelt werden. Ob und wie die dazu geschaffene Qualifizierungsmaßnahme die Teilnehmerinnen bestmöglich auf die praktischen Anforderungen vorzubereiten vermag, wurde durch eine Befragung sowohl der Multiplikatorinnen als auch der Kita-Förderkräfte sowie durch eine Diskussionsrunde mit Referentinnen der Qualifizierung durch das Institut für Evaluation in Köln, Univation, evaluiert. Qualifizierung von Sprachfördermultiplikatorinnen Bei vorschulischen Sprachfördermaßnahmen kommt der Qualifikation der Förderkräfte eine zentrale Rolle zu (Bainski & Krüger-Potratz, 2008). Wird die Sprachförderung von den pädagogischen Kräften in den Kitas selbst geleistet, sind Weiterqualifikationen notwendig. Da spezifische Sprachfördermaßnahmen wie auch Sprachstandserhebungsverfahren überwiegend nicht Teil der Erzieherinnen-Ausbildung sind, wurde von der Baden-Württemberg Stiftung die Qualifizierung von Sprachfördermultiplikatorinnen ausgeschrieben, um den Kita-Sprachförderkräften kompetente Ansprechpartnerinnen zur Seite stellen zu können. Die Evaluation dieser Qualifizierungsmaßnahme ist Basis der vorliegenden Darstellung. Die Teilnehmerinnen der Qualifizierungsmaßnahme, die durchschnittlich 15,6 Tage umfasste, sollten praktische Erfahrungen in der Sprachförderung von Kindern vorweisen. Theoretische Grundlagenkenntnisse der Sprachförderung oder auch Methoden der Erwachsenenbildung wurden eher dann vorausgesetzt, wenn darauf während der Qualifizierung nicht vertieft eingegangen wurde. Um den Schulungsbedarf jeweils regional abdecken zu können, wurden acht Fortbildungsträger in unterschiedlichen Regionen von Baden-Württemberg mit der Durchführung der Weiterbildung beauftragt. Nach Abschluss der Qualifizierungen sollten die Sprachförderkräfte in den Kitas über die Sprachfördermultiplikatorinnen auf ein flächendeckendes Netzwerk geschulter Fachkräfte zurückgreifen können. Die konkrete Konzeption der Qualifizierungsmodule oblag den Trägern, die dabei hinsichtlich der Dauer der Weiterbildung, der inhaltlichen Schwerpunkte wie auch der Aufnahmekri- <?page no="126"?> 127 terien deutlich differierten. Während die kürzeste Qualifizierung elf Tage umfasste, beriefen andere Träger die angehenden Sprachfördermultiplikatorinnen an 25 Tagen ein. Komplementär dazu lag die Messlatte für Bewerberinnen tendenziell höher, wenn weniger Module unterrichtet wurden. Ziele der Fortbildung für Sprachfördermultiplikatorinnen Basierend auf den Richtlinien des Programms „Sag’ mal was“ wurden folgende Ziele der Qualifizierungsmaßnahme formuliert: Die Sprachfördermultiplikatorinnen-… ➜ können Verfahren zur Sprachstandserhebung (kontinuierliche Beobachtung, SISMIK, BISC, Breuer-Weuffen DP und KVS- I, HASE, SETK- 3-5) nach ihren Stärken und Schwächen unterscheiden, sie adressatenbezogen einsetzen und auswerten; ➜ kennen Konzepte zur intensiven Sprachförderung und sind zur Planung, Durchführung, Auswertung sowie Dokumentation von Fördermaßnahmen befähigt; ➜ kennen Ansätze zur aktiven Elternarbeit und können zur Elternbeteiligung anregen. Hinsichtlich der Kooperation zwischen Sprachfördermultiplikatorin und Kita wurden zwei Kriterien der Zielerreichung für das Projekt festgelegt: Sprachfördermultiplikatorinnen stehen den Fachkräften der Fördergruppen - insbesondere in Problemfällen - konstruktiv mit ihrem Fachwissen zur Seite, und das Fachwissen der Sprachfördermultiplikatorinnen ist den Kita-Beschäftigten eine Hilfe bei der Erreichung der Projektziele. Die Kriterien der Erreichung der Fortbildungsziele dienten dazu, die Indikatoren zu operationalisieren und die erzielte Qualifikation einer Prüfung zugänglich zu machen. Im Verlauf der Evaluation kam die zusätzliche und über den Evaluationsgegenstand hinausgehende Vermutung auf, dass eine konzeptuelle Schwierigkeit darin bestehen könnte, dass die Qualifikationsmaßnahmen je nach Träger unterschiedlich effizient, aber keine davon ausreichend effektiv sein könnte, um das angestrebte Programmziel zu realisieren. Evaluationsansatz In der Evaluation der Multiplikatorinnen-Qualifizierung wurde ein Mix aus qualitativen und quantitativen Befragungsmethoden eingesetzt. Es wurden für die Kita- Sprachförderkräfte und die Sprachfördermultiplikatorinnen schriftliche Fragebögen erstellt und einem zweistufigen Pretest unterzogen. Die Fokus-Gruppe 1 mit den Referentinnen der Weiterbildung wurde durch einen Leitfaden strukturiert, die Auswertung erfolgte mit der Software MaxQData. In die Auswertung konnten drei Interviews von Teilnehmerinnen an der Fokus- Gruppe eingehen und 295 ausgefüllte Fragebögen: 155 von Förderkräften in Kitas 1 Die Fokus-Gruppen-Methode ist eine interaktionstheoretisch und gruppendynamisch fundierte Methode zur Generierung qualitativer Daten. Sowohl Methode als auch Ergebnisse sind bei einer Fokus-Gruppe auch für Nicht-Professionelle der empirischen Sozialforschung leicht nachzuvollziehen. <?page no="127"?> 128 unterschiedlicher Träger, 140 von Sprachfördermultiplikatorinnen. Bezogen auf die Sprachfördermultiplikatorinnen (insgesamt 216) lag die Beteiligung bei 65-%. Als weitere Datenquellen standen sechs Telefonkurzinterviews mit Referentinnen, die Förderkonzepte der Qualifizierungsträger sowie deren Zwischenberichte zur Verfügung. Ergebnisse zu den Qualifikationszielen Notwendige Sprachförderkompetenzen aus Sicht der Weiterbildenden Nach den Ergebnissen der Fokus-Gruppe sollten Sprachfördermultiplikatorinnen folgende Kompetenzen an die Kita-Sprachförderkräfte vermitteln können, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden: Diagnostik/ Analyse des kindlichen Sprachstandes; individuell abgestimmte, kreative Sprachförderung (z.- B. mit Geschichten und Liedern, Beschriftung von Gegenständen, Erlernen von Gedichten etc.); Dokumentation des Entwicklungsstandes; Spaß am sprachlichen Ausdruck und der Förderung desselben; Motivation und Einbindung der Eltern; Wertschätzung der Muttersprache der Kinder bei gleichzeitiger Vermittlung der Bedeutung des Deutschen für ihren weiteren Lebensweg. Um den Kita-Sprachförderkräften diese Fähigkeiten und Einstellungen überzeugend nahebringen zu können, benötigen die Sprachfördermultiplikatorinnen fachliche, didaktische, persönliche und soziale Kompetenzen. Zu den fachlichen Kompetenzen zähle das Wissen über die deutsche Sprache, die Sprachentwicklung sowie eine kindgerechte und bedarfsgerechte Gestaltung der Sprachförderung. Mit Kindern mit Migrationshintergrund müsse anders gearbeitet werden als mit deutschen Kindern. Eine Befragte legt v.-a. Wert auf „das methodische Know-how für die Vermittlung von Wissen an die Kolleginnen unter Einbezug der bereits vorhandenen Kenntnisse der jeweiligen Sprachförderkraft“. Die Sprachfördermultiplikatorinnen müssten hierfür auch über Präsentationskompetenzen verfügen, was den Teilnehmerinnen der Qualifizierung oftmals nicht bewusst sei. Einer der Fortbildungsträger hat deshalb beschlossen, dass „die Übungsphase für Moderation und Beratung in den nächsten Ausbildungen ausgebaut wird“. Auch müsse der Übergang von der Schulung in die Praxis für die Sprachfördermultiplikatorinnen besser flankiert werden, da er zu oft als „Sprung ins kalte Wasser“ empfunden werde. Begleitete Erprobungsphasen, Coaching, Supervision - diese Komponenten sollen in kommenden Ausbildungsgängen deutlich ausgebaut werden. Aber auch sei, unabhängig von den Vorkenntnissen der Teilnehmenden, eine Dauer von 15 Tagen zu gering. Die Ergebnisse aus den Kurzinterviews mit Referentinnen im Vorfeld untermauern die in der Fokus-Gruppe benannten Einsichten, allerdings werden auch kritische Aspekte genannt. So bemängelt eine Referentin eine zu enge Perspektive bei der Qualifizierung, wohingegen ein ganzheitlicherer Ansatz notwendig sei. Auch die Unterrichtung der Sprachfördermodelle komme zu kurz. Eine andere Befragte vermisst einheitliche Standards, an denen Auffälligkeiten bei der Sprachentwicklung festgemacht werden können - wenn diese Frage der Auslegung der regionalen Sprachförderkraft bzw. der Kita-Förderkraft überlassen werde, führe das zur Verunsicherung der Eltern. Dazu gehöre auch die Entscheidung, ab welchem Entwicklungsrückstand <?page no="128"?> 129 das Kind besser an einen Spezialisten überwiesen werden sollte. Weiterhin wird eine zentrale Koordinationsstelle vermisst, die Referentinnen, Sprachfördermultiplikatorinnen und Kita vernetzt. Ein grundlegenderes Defizit schließlich, das drei der Befragten nennen, ist die Eignung der angehenden Sprachfördermultiplikatorinnen: Es wird bezweifelt, dass Erzieherinnen grundsätzlich für diese Aufgabe geeignet seien. Da sich viele Teilnehmerinnen der Qualifizierung überfordert gezeigt haben, sollen die Voraussetzungen verschärft werden, indem z.-B. eine Mindestausbildung und/ oder praktische Erfahrungen in der Sprachförderung nachgewiesen werden müssen. Ergebnisse der Befragung der Sprachförderkräfte Neben der Notwendigkeit von Fortbildungen, von mehr Informationen und Material, eines Netzwerks und des Austausches sowie von Ansprechpartnern bei Problemen bezogen sich ein gutes Drittel der Nennungen auf unzureichende Rahmenbedingungen und Vorgaben. So bereitet die Sprachstandserhebung und -auswertung den Kita- Sprachförderkräften auf der inhaltlichen Ebene Schwierigkeiten, ebenso das Erkennen von Sprachdefiziten und die dafür nötige analytische Beobachtung der Kinder. Die Stundengestaltung fällt ebenfalls vielen Förderkräften schwer und auch der Dokumentationsaufwand wird z.- T. kritisch gesehen. Fortbildungen in den genannten Bereichen werden dementsprechend von den meisten Förderkräften gewünscht. Auch wird eine Austauschplattform gewünscht, die allen Akteuren offensteht und nötige sowie brauchbare Informationen bereithält, so z.- B. Literaturhinweise, didaktische Arbeitsmaterialien, einen regelmäßigen Newsletter, „bessere Netzwerkarbeit“, „mehr Austausch“, etwa in „Gesprächsgruppen“. Als praktikabel erscheinen den Kita-Sprachförderkräften dabei regional zentrierte Verbünde mit jeweils einer Koordination. Die Zusammenarbeit mit den Eltern bereitet einigen Kita-Sprachförderkräften Probleme, teils weil Motivation und Engagement der Eltern zu wünschen übrig lassen, teils weil organisatorische Probleme die Kommunikation (und häufig auch die regelmäßige Teilnahme der Kinder an der Fördergruppe) behindern. Daher fordern die Förderkräfte mehr Zeit für die Elternarbeit, außerdem eine ausgiebigere Information durch Elternabende oder Infobroschüren; z.-T. wird auch eine Beratung über den Umgang mit problematischen Kooperationspartnern gewünscht. Aber auch die Kinder selbst haben mit den erhöhten Anforderungen, die durch die Sprachförderung entstehen, zu kämpfen, da die Konzentrationsfähigkeit in der Förderstunde für viele in ungewohntem Maße strapaziert wird. Als Konsequenz daraus fordern einige Förderkräfte, die Unterrichtseinheiten auf 30 bis höchstens 45 Minuten zu verkürzen und die Anzahl der Förderstunden dem Alter der Kinder anzupassen. Ergebnisse der Befragung der Sprachfördermultiplikatorinnen Die Qualifizierungsmaßnahmen stellen zwei Drittel der Teilnehmerinnen nach eigener Aussage zufrieden; weiterempfehlen würden sie sogar 88- %. Die Dauer der Qualifizierungsmodule empfindet ebenfalls die knappe Mehrheit (60-%) der Sprachfördermultiplikatorinnen als angemessen. Den Praxisbezug beurteilen 63- % als <?page no="129"?> 130 (sehr) „hoch“, nur 5-% bewerten ihn als „niedrig“. Auch finden drei Viertel der Befragten, ihnen sei eine Herangehensweise für die Unterstützung der Kita-Sprachförderkräfte vermittelt worden - gleichwohl gibt nur die Hälfte der Befragten an, dass sich ihre praxisbezogenen Kompetenzen durch die Fortbildung verbessert haben. Über die Qualifizierungsmaßnahme hinausgehend sehen 79- % noch Optimierungsbedarf, hauptsächlich in Bezug auf die Kommunikationsstrukturen. So wird die Gründung eines regionalen Sprachförderzirkels angeregt, der regelmäßig Fachtage organisiert, Workshops (z.-B. zu Zeitmanagement und Moderationstechniken) anbietet und ein Internetportal einrichtet. Damit wäre ein umfassender Informationsaustausch möglich, so dass Verlautbarungen des Projektträgers ebenso wie neue Verfahren oder Probleme aus dem Berufsalltag ausgetauscht und diskutiert werden könnten. Außerdem wird für eine Übergangsphase Coaching gewünscht oder auch eine Hospitationsmöglichkeit bei Kolleginnen. Knapp zwei Drittel der Sprachfördermultiplikatorinnen meinen, durch die Qualifizierung hinreichend auf den Wissensbedarf vorbereitet zu sein, dem sie auf Seiten der Kita-Sprachförderkräfte begegnen werden; etwa ein Fünftel ist hingegen der Auffassung, die Qualifizierung gehe zu sehr am Beratungsbedarf vorbei. Den Wissensbedarf vermuten die Teilnehmerinnen in den Bereichen ➜ Erhebung des Sprachstandes: Auswahl eines geeigneten Verfahrens und dessen Auswertung (51 Nennungen) ➜ Sprachförderung allgemein sowie deren Umsetzung (37) ➜ Sprachentwicklung allgemein: Was sollte das Kind wann können? (19) ➜ Elternarbeit (z.- B. wenn die Eltern kein Deutsch beherrschen) bzw. Elterngespräche (16) ➜ Anregungen für die Praxis (10) ➜ Richtlinien/ Finanzierung/ Zielformulierungen (8) ➜ Zweitspracherwerb (7) Diskussion und Fazit Die Stoßrichtung einer Multiplikatorinnen-Qualifizierung zur Unterstützung von Sprachförderkräften vor Ort stellt eine mögliche und effektive Antwort auf lange vernachlässigte gesellschaftliche Probleme dar, die eine Vielzahl von Bundesländern verfolgt. Die Sprachförderkräfte weisen ein Problembewusstsein für die sensiblen Bereiche wie z.-B. Sprachstandserhebung auf und zeigen sich für kompetente Hilfestellung offen, wenn deren Modalitäten klar geregelt sind. Jedoch entsteht aus der Sprachförderpraxis in Kindertagesstätten die Frage, welche Kompetenzen bei Sprachförderkräften im Vorschulbereich für eine erfolgreiche Arbeit erforderlich sind, und wer einschätzen kann, ob sie diese Qualifikationen auch ausreichend aufweisen. In einer ausführlichen Untersuchung wird die Post-hoc- Hypothese geprüft, ob die Sprachförderkräfte selbst einschätzen können, ob sie eine erfolgreiche Arbeit leisten bzw. ob sie für objektive Erfolge ausreichend qualifiziert sind (Neugebauer, 2010). Die Zahlen und dahinter stehenden individuellen Bildungsbiografien zum Zusammenhang zwischen sprachlichen Schwierigkeiten und schulischem Erfolg sind <?page no="130"?> 131 berechtigter Anlass für sofortiges und umfassendes Handeln. Mit dem evaluierten Programm wurden 90.000 Kinder in Kindertagesstätten gefördert, d.- h. ein bis vier Stunden pro Woche stand die Sprachförderung in Kleingruppen im Vordergrund. Dieses Vorgehen weist eine hohe Plausibilität auf und ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Dass das Programm von zwei Evaluationen in seiner Wirksamkeit geprüft sowie seine Ergebnisse öffentlich gemacht werden, ist in dieser Transparenz in Deutschland bislang leider einzigartig. Die durch die Evaluation des Programms „Sag’ mal was“ entstehende Vermutung, dass Erzieherinnen nicht per se Sprachförderung durchführen können, entspricht der Komplexität der Herausforderung. Auch eine zusätzliche Fortbildung bei ausgewählten Erzieherinnen von 11 bis 25 Tagen zur Vermittlung der vertieften Qualifikation scheint nicht ausreichend, um die notwendigen Fachkenntnisse in die Breite zu tragen und eine nachweisbar erfolgreiche Arbeit als Sprachförderkraft zu ermöglichen. Diese Vermutung soll nicht die Arbeit der engagierten Erziehungskräfte in Frage stellen, sondern eher deren Ausbildung, in deren Curriculum Sprachförderung - insbesondere für Kinder mit Migrationshintergrund - bislang nur marginal enthalten ist. Literatur Bainski, C. & Krüger-Potratz, M. (Hrsg.) (2008). Handbuch Sprachförderung; Neue Deutsche Schule Verlagsgesellschaft; Essen. Neugebauer, U. (2010). Keine Outcomes trotz Kompetenzüberzeugung? Qualifikationen und Selbsteinschätzungen von Sprachförderkräften in KiTa’s. Empirische Sonderpädagogik (2), S.-34-47 Neugebauer, U. & Rutten, S. (2008). Sprachfördernetzwerke in Schleswig-Holstein. In: Klinger, T. et. al. (Hrsg.) FÖRMIG-Bandreihe „Evaluation“, S.-101-109. <?page no="131"?> 132 evaluationsforschung in der Frühpädagogik Wolfgang Tietze Unter Evaluation soll im vorliegenden Kontext die Analyse und Bewertung (früh-) pädagogischer Maßnahmen verstanden werden. Analyse und Bewertung können sich dabei auf das (theoretisch und empirisch begründete) Konzept der Maßnahme, auf ihre Implementierung (Einführung in die Praxis) oder auf intendierte (und nichtintendierte) Wirkungen erstrecken. Evaluationen können von den an einer Maßnahme Beteiligten selbst vorgenommen werden, man spricht dann von Selbstevaluation. Sie können aber auch von externen Forschern, die mit der Maßnahme selbst nichts zu tun haben, durchgeführt werden. Man spricht dann von externer Evaluation. Weiterhin kann man danach unterscheiden, ob die Evaluation vorrangig der Verbesserung einer Maßnahme dienen soll oder einer Entscheidung darüber, ob eine Maßnahme beibehalten werden bzw. in großem Maßstab eingeführt werden soll. Im erst genannten Fall spricht man von formativer Evaluation; ihre Ergebnisse werden möglichst unverzüglich in den Verbesserungsprozess eingespeist. Im zweiten Fall handelt es sich um eine summative Evaluation: die Ergebnisse sollen eine Entscheidungsgrundlage dafür liefern, ob eine Maßnahme fortgesetzt, allgemein verbreitet oder eingestellt werden soll. In der Praxis der Evaluationsforschung werden Selbst- und Fremdevaluation bzw. formative und summative Evaluation zuweilen kombiniert. Gemeinsam ist allen Evaluationsansätzen, dass sie - im Gegensatz zum reinen Erkenntnisgewinn bei der Grundlagenforschung - auf die Analyse und den Nutzen konkreter Maßnahmen bzw. auf von Menschen beeinflusste Verläufe gerichtet sind. Sie sind damit von vornherein in menschliches, zumeist gesellschaftlich-politisches Handeln eingebunden. Evaluationen müssen in ihrer Durchführung an die Standards und Methoden erfahrungswissenschaftlicher (empirischer) Erkenntnisgewinnung rückgebunden sein. Geschichte, Entstehung Die Analyse und Bewertung (früh-)pädagogischer Ansätze auf einer empirischen Grundlage ist relativ jungen Datums. Selbstverständlich werden schon seit Langem und bis heute andauernd neue (früh-)pädagogische Maßnahmen entwickelt und als besonders erfolgversprechend angepriesen. Die Frage nach der Angemessenheit ihrer Umsetzung und nach tatsächlichen Auswirkungen bei Kindern (evtl. auch ihrer Eltern) wurde und wird, wenn überhaupt, häufig nur spekulativ beantwortet. Das Interesse an systematischen Evaluationen in der Früherziehung auf erfahrungswissenschaftlicher Basis entstand Mitte der 1960er Jahre in den USA. Im Rahmen der „War on Poverty“-Bewegung (Krieg gegen die Armut) wurden mit enormem gesellschaftlichen Engagement soziale und pädagogische Programme kreiert und erprobt. Es ging darum, die rassisch und sozial bedingte Armut abzubauen, zur Chancen- <?page no="132"?> 133 gleichheit und Bildungsförderung aller Kinder beizutragen und zugleich die für das Gemeinwohl im Inneren und für den Systemwettkampf im Äußeren (Kalter Krieg) erforderlichen Humanressourcen zu aktivieren. Getragen wurde dieser Ansatz von der Vorstellung, in Analogie zum historisch so erfolgreichen Modell naturwissenschaftlich-technischer Gestaltung auch die soziale Wirklichkeit durch sozialwissenschaftlich fundierte Programme zielgerecht verändern zu können. Eine besondere Bedeutung wurde dabei der frühen kompensatorischen Förderung von Kindern, u.-a. in den Bereichen Kognition, Sprache, Sozialverhalten, Neugier, Ausdauer, beigemessen (vgl. Head Start Program). Mit dem Aufbau und der Umsetzung der Früherziehungsprogramme war von Anfang an auch die Frage ihrer Wirkungen verbunden. Aus diesem Zusammenhang entwickelte sich sehr rasch eine pädagogische Evaluationsforschung als eine junge, mehr oder weniger eigenständige Wissenschaftsdisziplin, verbunden mit der Notwendigkeit, entsprechende Evaluations- und Erfassungsinstrumente bereitzustellen. In Deutschland wurde die Frage nach der Evaluation frühpädagogischer Maßnahmen, Programme und Institutionen und die damit intendierte Förderung von Kindern virulent, als im Zuge der Bildungsreform Anfang der 1970er Jahre die Neugestaltung des Bildungssystems auf der gesellschaftlichen Tagesordnung stand und der Kindergartenbereich zur grundlegenden Elementarstufe des gesamten Bildungssystems erklärt wurde. Vorschulprogramme, unter anderem zur kognitiven wie zur sozialen Förderung, wurden aufgelegt und erprobt, die Förderung von Kindern in Modellkindergärten und Vorschulklassen vergleichend untersucht und verschiedene curriculare Ansätze evaluiert. Die politisch motivierten Evaluationen trafen auf eine Pädagogik der frühen Kindheit, die hinsichtlich Strategien wie auch Evaluations- und Erfassungsinstrumenten wenig vorbereitet war. Deshalb sind viele der Ergebnisse und Schlussfolgerungen dieser Epoche von zweifelhaftem Wert (vgl. Fried, Roßbach, Tietze & Wolf, 1992). Neue Impulse sind seit Mitte der 1990er Jahre zu verzeichnen. Sie sind im Zusammenhang mit der Notwendigkeit zu sehen, ein quantitativ expandierendes Früherziehungssystem (u.-a. in Folge des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz) bei knappen Ressourcen effizient und auf einem möglichst hohen Qualitätsniveau zu steuern (vgl. Tietze, Roßbach & Grenner 2005, S.- 271-ff.). Diese Tendenz verstärkte sich im Gefolge der Debatte um die pädagogische Qualität des deutschen Bildungssystems und seiner internationalen Anschlussfähigkeit. Seither wird der frühen Bildungsförderung und der generellen Verbesserung des Früherziehungssystems - wieder einmal - ein zentraler Stellenwert zuerkannt (Forum Bildung, 2001). Die Frage nach den Wirkungen hat für den gesamten vorschulischen Bereich an Aktualität gewonnen, seit der Bundesgesetzgeber für 2013 auch einen Rechtsanspruch auf eine öffentliche frühe Bildung, Betreuung und Erziehung auch für Kinder von einem bis unter drei Jahren vorgesehen hat. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass sich gerade in den letzten Jahren Evaluations- und Feststellungsverfahren entwickelt haben und zunehmend Anwendung finden und dass groß angelegte staatliche Förderprogramme, wie zum Beispiel auch die Sprachförderprogramme „Sag’ mal was“ <?page no="133"?> 134 und „Sprachliche Bildung für Kleinkinder“ ohne begleitende Evaluationsstudien kaum mehr denkbar sind. Formen von Verfahren und Messgüte Evaluationen und die dabei eingesetzten Mess- und Feststellungsverfahren in der Frühpädagogik lassen sich nicht durch ihre technischen Eigenschaften von entsprechenden Verfahren in anderen Pädagogikfeldern abgrenzen, auch wenn bestimmte Formen wie schriftliche Befragungen, Interviews, Papier- und Bleistifttests, soweit es sich um kleine Kinder als Respondenten handelt, kaum in Betracht kommen. Aufgrund der noch eingeschränkten Kommunikationsfähigkeit kleiner Kinder spielen Beobachtungsverfahren, bei denen das Verhalten der Kinder in natürlichen oder eigens arrangierten Situationen nach bestimmten Kriterien beobachtet wird, eine dominante Rolle, ebenso so genannte Reportverfahren, bei denen eine Person, die das Kind gut kennt (z.-B. Erzieherin, Tagesmutter, Mutter), Auskunft über Verhaltensweisen oder Fähigkeiten des Kindes gibt. Prinzipiell kommt jedoch für Evaluations- und Feststellungsverfahren in der Frühpädagogik das gesamte Spektrum diagnostischer und empirischer Erhebungsverfahren in Betracht. Dazu gehören Entwicklungstests und Tests zur Erfassung bestimmter Kompetenzen bei Kindern ebenso wie Verhaltensbeobachtungen bei Kindern und pädagogischem Personal, Ratingverfahren zur Einschätzung von Personen (Kindern und Erzieherinnen) wie auch Situationen (pädagogischer Anregungsgehalt des Settings), Interviews und schriftliche Befragungen (z.- B. von Erzieherinnen und Eltern zu Rahmenbedingungen des pädagogischen Geschehens, zu Einstellungen, zu pädagogischen Leitbildern), oder auch Inhalts-/ Dokumentenanalysen (z.-B. pädagogischer Programme und Konzeptionen). Für alle Verfahren gilt, dass sie in hinreichendem Umfang den erforderlichen Messgütekriterien genügen müssen: ➜ Objektivität: Die Verfahren sollten in ihrer Durchführung und Auswertung unabhängig vom jeweiligen Anwender sein; z.- B. sollten zwei Personen, die unabhängig voneinander ein Kind in derselben Situation beobachten, zu demselben Ergebnis gelangen. Ebenso sollten zwei Personen, die eine pädagogische Konzeption einer Einrichtung inhaltsanalytisch auswerten, zu demselben Ergebnis kommen. ➜ Zuverlässigkeit (Reliabilität): Die Verfahren sollten zu zuverlässigen, möglichst fehlerarmen Messungen führen. Wiederholte Anwendungen desselben Verfahrens sollten - bei zeitlich stabilen Merkmalen - weitestgehend gleiche Ergebnisse erbringen (Wiederholungszuverlässigkeit, Retest-Reliabilität); ebenso sollte die gleichzeitige Anwendung von Teilen komplexer Verfahren zu hinreichend gleichartigen Ergebnissen führen (Halbierungszuverlässigkeit, interne Konsistenz) ➜ Gültigkeit (Validität): Die Verfahren sollten inhaltlich gültig sein. Ein Verfahren ist dann valide, wenn es das, was es messen soll, auch tatsächlich misst. Ein Sprachtest z.- B. sollte Sprachfähigkeiten eines Kindes messen und nicht seine Aufmerksamkeit oder Ausdauer. Die Validität eines Verfahrens kann nach verschiedenen Richtungen hin überprüft werden: Einem Verfahren kann Validität zugesprochen werden, wenn seine Inhalte aufgrund theoretischer Erwägungen <?page no="134"?> 135 oder aufgrund von Expertenurteilen als gültig betrachtet werden können (Inhaltsvalidität), wenn es mit anderen Verfahren, die Gleichartiges zu messen beanspruchen, hoch korreliert (konvergente Validität) und niedrig oder gar nicht mit Verfahren, die andere Inhalte/ Bereiche messen (divergente Validität). Eine weitere Möglichkeit ist die Überprüfung der Konstruktvalidität. Es wird überprüft, ob die theoretisch zu erwartenden Zusammenhänge des durch das Verfahren erfassten Konstrukts mit anderen Konstrukten empirisch bestätigt werden können (z.-B. Zusammenhang Schulfähigkeit - Intelligenz). Die Überprüfung der Messgüte von Instrumenten erfordert vielfältige Detailuntersuchungen, führt oft zu Revisionen von Verfahren und ist ein aufwändiger Prozess. Nicht selten werden in frühpädagogischen Evaluationen Verfahren eingesetzt, deren Messgüte nicht oder kaum überprüft ist. Dies hat zur Konsequenz, dass die gewonnenen Ergebnisse oft zweifelhaft sind und nur um den Preis der potentiellen Selbsttäuschung genutzt werden können. Feststellungsverfahren, die in frühpädagogischen Evaluationen Anwendung finden, richten sich nicht nur auf bestimmte Kompetenzen der Kinder (z.- B. sprachliche, soziale Kompetenzen), auch wenn eine solche Betrachtung besonders naheliegend sein mag. Sie können sich genauso z.-B. auf Kompetenzen des pädagogischen Personals oder verschiedene andere qualitative Aspekte der pädagogischen Umwelt in einer Einrichtung oder Kindertagespflegestelle richten. Im Zentrum stehen hierbei Fragen der Art: Wie ist die pädagogische Umwelt eines Kindes unter dem Gesichtspunkt des räumlichen, sozialen und handlungsbezogenen Anregungsgehalts beschaffen? Welche Entwicklungsstimuli erhalten Kinder, in welche Aktivitäten werden sie einbezogen, wie sind die Interaktionen zwischen Erwachsenen und Kindern beschaffen, wie diejenigen unter den Kindern? Dabei wird davon ausgegangen, dass sich hierdurch mehr oder weniger gute pädagogische Prozesse in der pädagogischen Umwelt eines Kindes unterscheiden lassen, die sich dann auf Wohlbefinden, Entwicklung und Bildungsförderung der Kinder auswirken. Das im deutschsprachigen Raum am weitesten verbreitete Instrumentarium zur Erfassung der globalen pädagogischen Prozessqualität sind die Kindergarten-Skala (KES-R), die Krippen-Skala (KRIPS-R) und die Tagespflege-Skala (TAS) von Tietze et al. (2007 a, b, c). Mit der Skala für Hort- und Ganztagsschulangebote (HUGS) liegt ein entsprechendes Instrumentarium auch für pädagogische Umwelten älterer Kinder vor (Tietze et al., 2007-d). Die vier Skalen gehören zu einer gemeinsamen Familie und sind gleichartig aufgebaut. Sie gehen zurück auf amerikanische Skalen um die Autoren Harms, Clifford, Cryer (vgl. Cryer, 1999), liegen in verschiedensprachigen Adaptionen vor und werden weltweit genutzt. Die Skalen erfassen sieben größere Subbereiche pädagogischer Qualität: Platz und Ausstattung, Betreuung und Pflege der Kinder, sprachliche und kognitive Anregungen, Aktivitäten, Interaktionen, Strukturierung der pädagogischen Arbeit, Eltern und Erzieherinnen. Jeder dieser Qualitätsbereiche wird durch <?page no="135"?> 136 mehrere Qualitätsmerkmale repräsentiert. Jede Qualitätseinschätzung (z.-B. allgemeiner Sprachgebrauch) erfolgt im Rahmen einer wenigstens dreistündigen Beobachtung durch einen gut trainierten Beobachter in Verbindung mit einem nachfolgenden Interview mit der zuständigen Erzieherin (bzw. Tagesmutter). Zusätzlich zur KES-R liegt mit der ECERS-E eine ergänzende Skala für den Kindergartenbereich vor (Sylva, Siraj-Blatchford & Taggart 2010), mit der im Engeren bildungsbezogene Merkmale der Prozessqualität erfasst werden. Eine deutschsprachige Version (KES-R) erscheint in Kürze (Roßbach &Tietze). Fried und Briedigkeit (2008) haben mit der DORESI ein strukturell gleichartiges Verfahren vorgelegt, das speziell auf die Erfassung einer sprachanregenden pädagogischen Umwelt gerichtet ist. In der internationalen Forschung wurden weitere Verfahren zur Erfassung wichtiger pädagogischer Qualitätsdimensionen entwickelt. Dazu gehören beispielsweise die Caregiver Interaction Scale (CIS) von Arnett (1989), die das Erzieherinnenverhalten in den Dimensionen Sensitivität, Involviertheit und Akzeptanz erfasst, die CLASS von Pianta, et al. (2008), oder auch das ORCE-Instrument zur Erfassung des Betreuerverhaltens von Erzieherpersonen (vgl. Cryer, 1999). Gültigkeit von Evaluationsergebnissen Bei allen Evaluationsstudien ist die Frage der Gültigkeit der Ergebnisse - auch bei guten Messinstrumenten - genau zu prüfen. Die Gültigkeit von Ergebnissen kann durch vielfältige Bedingungen sehr begrenzt oder im Extremfall auch gar nicht gegeben sein. So wurde in einer Evaluationsstudie in den 1960er Jahren in den USA festgestellt, dass sich der IQ von Vorschulkindern aus ungünstigen Familienverhältnissen mit der Teilnahme an einem dreimonatigen Förderprogramm um 20 Punkte verbessert hatte. Man hatte leider versäumt, Kontrollmaßnahmen mit einzubeziehen. Wie weitere Untersuchungen zeigten, hatten die Kinder lediglich gelernt, besser mit Papier und Bleistift (Tests) umzugehen. Die Erstmessung hatte bei diesen Kindern aus ungünstigem Milieu deren IQ aufgrund der für diese Kinder ungewohnten Verfahren drastisch unterschätzt. Effekte bei Kindern können durch vielfältige Gründe bedingt sein, nicht nur durch ein bestimmtes Programm. Um einen Effekt auf ein bestimmtes Programm zurückführen zu können, müssen mögliche andere Bedingungsfaktoren ausgeschlossen bzw. kontrolliert werden. Üblicherweise erfolgt dies über eine Zufallsauswahl: Einheiten (Gruppen), an denen eine Fördermaßnahme auf ihre Wirksamkeit überprüft werden sollen, werden zusammen mit Kontrolleinheiten (die die Förderung nicht erhalten) aus einer gemeinsamen Grundgesamtheit nach dem Zufallsprinzip gezogen. Der Anwendung des Zufallsprinzips liegt die Idee zugrunde, dass hierdurch alle - bekannten und unbekannten - potentiellen Einflussfaktoren kontrolliert werden können (vgl. Bortz & Döring 2009, S.-95-ff.). Häufig lassen sich Evaluationen mit experimentellen Anordnungen im Feld nicht realisieren. Man wird in solchen Fällen durch nicht-experimentelle Vergleichsgruppen <?page no="136"?> 137 und statistische Kontrollmaßnahmen versuchen, Ergebnisse als verlässliches Resultat einer Fördermaßnahme oder Förderbedingung plausibel zu machen. Neben der Tatsache, dass Evaluationsergebnisse innere Gültigkeit (Schlüssigkeit, Anschluss von Alternativerklärungen) haben sollen, muss auch ihre äußere Gültigkeit immer mit bedacht werden: Ein Sprachförderprogramm, das von Wissenschaftlern eng begleitet und überwacht wurde und gute Ergebnisse bei den Kindern gezeigt hat, mag ohne Effekt sein, wenn es in breiter Form ohne entsprechend geschultes Personal und strikte Supervision, sozusagen nur „verwässert“ angewandt wird. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass Evaluationsstudien selber häufig Gegenstand wissenschaftlicher Debatten sind. Evaluationen als Grundlage für Zertifizierungen Evaluationen sind häufig auf die Erprobung und Beurteilung neuer Maßnahmen und Ansätze bezogen. Sie können sich aber auch auf existierende Systeme unter Normalbedingungen richten, indem z.-B. nach der Qualität und ihren kurz- und mittelfristigen Effekten bei Kindern unter Normalbedingungen gefragt wird (vgl. z.-B. Tietze et al. 2005). In den Umkreis von Evaluationen gehören auch die sog. Akkreditierungsbzw. Zertifizierungsverfahren. Hierbei geht es nicht um die Wirksamkeit bestimmter Fördermaßnahmen, sondern breiter und allgemeiner um die Frage, ob eine Kindertageseinrichtung definierte (hohe) Qualitätsstandards einhält. Die empirische Evaluation der Einrichtung führt dann bei positivem Ergebnis zur Akkreditierung bzw. Zertifizierung, die durch ein Qualitätssiegel auch für Außenstehende, z.- B. Eltern, sichtbar ist. Entsprechende Entwicklungen sind in verschiedenen Ländern gegeben. Seit Mitte der 1980er Jahre hat die National Association for the Education of Young Children (NAEYC), der größte frühpädagogische Fachverband in den USA, solche Akkreditierungen eingeführt; zahlreiche Bundesstaaten in den USA gehen vom Ziel her ähnliche Wege, auch wenn sich die Verfahren im Einzelnen unterscheiden. Seit kurzem liegt mit dem „Deutschen Kindergarten Gütesiegel“ ebenfalls ein fachwissenschaftlich begründeter Ansatz vor, pädagogische Qualität im Rahmen eines ganzheitlichen Feststellungsverfahrens differenziert zu erfassen. Pädagogische Qualität wird beim Deutschen Kindergarten Gütesiegel in vier Qualitätsbereichen (Orientierungs-, Struktur-, Prozessqualität, Qualität der Kooperation mit Eltern) mit jeweils mehreren Qualitätsdimensionen über standardisierte Erhebungsverfahren durch externe Evaluatoren erfasst (vgl. Tietze, 2008). Die Erhebungen liefern ein differenziertes Stärken-Schwächen-Profil. Über eine gewichtete Zusammenfassung der Einzelbefunde errechnet sich, ob insgesamt gesehen eine hohe Qualität im Sinne des Gütesiegels vorliegt. Die Standardsetzungen für hohe Qualität gehen dabei auf Empfehlungen (internationaler) Fachkommissionen und Experten zurück. Untersuchungen zeigen u.- a., dass durch diese Qualitätsdimensionen Entwicklungsunterschiede von bis zu einem Jahr bei Kindern im Kindergartenalter erklärt werden können und dass sich hohe Qualität in diesen Dimensionen des Gütesiegels in besseren Bildungsergebnissen in der zweiten Grundschulklasse dokumentieren (Tietze, et al. 2005). <?page no="137"?> 138 Ausblick Evaluations- und Feststellungsverfahren, unabhängig davon, auf welcher Ebene, bei welchen Adressaten und auf welche Dimensionen bezogen sie eingesetzt werden, sind nicht mehr wegzudenkende Hilfsmittel in frühpädagogischen Handlungs-, Forschungs- und Überprüfungsprozessen. Die zunehmende Verwendung spiegelt die Wende von einer vorwiegend nur spekulativ orientierten hin zu einer auch empirisch unterfütterten Frühpädagogik. Nutzer von Evaluationen sollten bei der Beurteilung von Instrumentarien und Evaluationsansätzen darauf achten, dass es sich um wissenschaftlich gesicherte Instrumente und Ansätze handelt. Ein langfristiger Nutzen von Evaluationen für Kinder, die Profession Frühpädagogik und die Gesellschaft wird sich nur einstellen, wenn nach wissenschaftlichen Standards überprüfte Verfahren eingesetzt sowie aussagekräftige Untersuchungsansätze realisiert werden und sich eine pädagogische und politische Nutzerschaft entwickelt, die in der Beurteilung von Evaluationsstudien geübt ist. Literatur Arnett, J. (1989). Caregivers in day-care centers: Does training matter? Journal of Applied Developmental Psychology, 10, 541-552. Bortz, J. & Döring, N. (2009). Forschungsmethoden und Evaluation (für Human- und Sozialwissenschaftler) Lehrbuch. Berlin: Springer. Cryer, D. (1999). Defining and Assessing Early Childhood Program Quality. The Annals of the American Academy of Political and Social Science, 563, 39-55. Forum Bildung (2001). Empfehlungen des Forums Bildung. Bonn. Fried, L., Roßbach, H.-G., Tietze, W. & Wolf, B. (1992). Elementarbereich. In K. Ingenkamp, R. S. Jäger, H. Petillon & B. Wolf (Hrsg.), Empirische Pädagogik 1970-1990. Eine Bestandsaufnahme der Forschung in der Bundesrepublik Deutschland. Bd. 1 (S. 197-263). Weinheim: Beltz. Fried, L. & Briedigkeit, E. (2008). Sprachförderkompetenz. Selbst- und Teamqualifizierung für Erzieherinnen, Fachberatungen und Ausbilder. Berlin: Cornelsen. Pianta, C. R., La Paro, K. M. & Hamre, B. K. (2008). Classroom Asessment System CLASS. Baltimore: Brookers Publishing. Sylva, K., Siraj-Blatchford, I. & Taggart, B. (2010). ECERS-E: The Early Childhood Environment Rating Scale Curricular Extension to ECERS-R. Oakhill: Trentham Books. Tietze, W. (2008). Qualitätssicherung im Elementarbereich. Zeitschrift für Pädagogik, 53, 16-35. Tietze, W., Rossbach, H.-G., Stendel, M. & Wellner, B. (2007d). Hort- und Ganztagsangebote - Skala (HUGS). Feststellung und Unterstützung pädagogischer Qualität in Horten und außerunterrichtlichen Angeboten. Berlin: Cornelsen Scriptor. Tietze, W., Bolz, M., Grenner, K., Schlecht, D. & Wellner, B. (2007a). Krippen-Skala (KRIPS-R). Feststellung und Unterstützung pädagogischer Qualität in Krippen (3.-Aufl.). Berlin: Cornelsen Scriptor. Tietze, W., Knobeloch, J. & Gerszonowicz, E. (2007b). Tagespflege-Skala (TAS). Feststellung und Unterstützung pädagogischer Qualität in der Kindertagespflege. Berlin: Cornelsen Scriptor. Tietze, W., Roßbach, H.-G. & Grenner, K. (2005). Kinder von 4 bis 8 Jahren. Zur Qualität der Erziehung und Bildung in Kindergarten, Grundschule und Familie. Weinheim: Beltz. Tietze, W., Schuster, K.-M., Grenner, K. & Rossbach, H.-G. (2007c). Kindergarten-Skala (KES-R). Feststellung und Unterstützung pädagogischer Qualität in Kindergärten (3.-Aufl.). Berlin: Cornelsen Scriptor. <?page no="138"?> 139 4 .2 Impulse für aus-, Fort- und Weiterbildung professionalisierung pädagogischer Fachkräfte: Konsequenzen für die aus-, Fort- und Weiterbildung Jeanette Roos, Barbara Gasteiger-Klicpera, Werner Knapp, Diemut Kucharz und Hermann Schöler Allgemeine Bemerkungen. Die Frühkindliche und Elementarbildung ist nicht zuletzt durch das rege Interesse einer breiten Öffentlichkeit sowie der Politik auf dem Weg, zu einem integralen Bestandteil unseres Bildungssystems zu werden. Insbesondere infolge der PISA-Ergebnisse entstand in ganz Deutschland erneut 1 eine Diskussion über die ungenutzten Bildungsmöglichkeiten der frühen Jahre sowie deren Bedeutung (vgl. auch Rauschenbach, 2005). Deutschlandweit wurden in Folge Bildungs- und Orientierungspläne entwickelt, beschlossen und (wenn auch in der Regel ohne Verbindlichkeit) implementiert. Die Anforderungen an den Beruf der Erzieherinnen sind komplexer, anspruchsvoller und differenzierter geworden. Das berufliche Anforderungsprofil unterliegt einem qualitativen Wandel, und der Bedarf an inhaltlich fundiert ausgebildeten Fachkräften steigt. Nicht zuletzt mit der Einführung von Bildungs- und Orientierungsplänen wurde deutlich, dass das bisherige Qualifikationsniveau von Fachschulen zur Umsetzung der teils neuen und anspruchsvollen Inhaltsbereiche kaum ausreicht. Die Berufsfach- und Fachschulen beginnen auf diesen Bedarf mit Veränderungen ihrer Curricula zu reagieren. Solange allerdings im Rahmen der Ausbildung pädagogischer Fachkräfte Modelle akademischer und nicht akademischer Ausbildungsstätten parallel existieren, ist insbesondere bei den nicht akademisch ausgebildeten Fachkräften dafür Sorge zu tragen, dass sie hinreichend mit Kenntnissen, Informationen und Materialien versehen sind, die dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Fachdiskurs entsprechen; was bei einem in der Regel nicht eigens für die einzelnen Inhaltsbereiche und Disziplinen ausgebildeten Lehrpersonal nicht immer leicht fallen dürfte. Pädagogische Fachkräfte sollen nicht nur die Sprachentwicklung der Kinder und die Entwicklung in anderen Bereichen effektiv begleiten, sondern auch lernmethodische Kompetenzen fördern, naturwissenschaftliche Kenntnisse vermitteln, personale Ressourcen stärken, Entwicklungspotentiale wie -risiken möglichst frühzeitig erkennen und manches mehr. Doch erst mit zunehmendem Alter haben Kinder im deutschen Bildungssystem die Chance, in Bildungs- 1 Die ersten Diskussionen über die Bedeutung der Frühen Bildung und ihrer Integration in das Bildungssytem fanden bereits in den späten 1960er und 1970er Jahren statt (s. u.-a. Bennwitz & Weinert, 1973; Garlichs et al., 1983). <?page no="139"?> 140 einrichtungen auf höher qualifiziertes pädagogisches Personal zu treffen (vgl. etwa König & Pasternack, 2008). Dies bedeutet, dass Kinder, je jünger sie sind, d.- h. zu Beginn ihrer Bildungsbiografien, von Personal betreut, erzogen, gebildet und gefördert werden, das in unserem Bildungssystem das geringste Ausbildungsniveau aufweist und in der Regel eine Ausbildung an Berufsfach- oder Fachschulen absolviert hat. Auch mittel- und langfristig werden diese Fachkräfte die größte Gruppe darstellen, die in den Kindertageseinrichtungen anzutreffen ist. Die in der Phase bis zum sechsten oder siebten Lebensjahr durchlaufene Sozialisation und Bildung entfaltet eine prägende Wirkung für die nachfolgende Schul- und Ausbildungsbiografie; dies betrifft in besonderer Weise die Sprachkompetenz im Bereich der hiesigen Bildungssprache Deutsch. Fthenakis bemerkt dazu, dass versucht wird, „eine der wichtigsten und zugleich komplexesten Aufgaben im Bildungswesen“ mit dem europaweit „formal niedrigsten Ausbildungsniveau“ (2002, S.-15) zu bewältigen. Während im europäischen Ausland seit den 1970er Jahren sukzessive konzeptionelle und strukturelle Reformen durchgeführt wurden, finden sich in der BRD überwiegend temporäre Innovationsschübe mit eher geringer Nachhaltigkeit. Zunehmend wird allerdings erkannt, dass pädagogische Fachkräfte, in der Begleitung von Bildungs- und Erziehungsprozessen, eine wichtige Schlüsselrolle innehaben, und so sind bundesweit inzwischen mehr als 50 akademische Ausbildungsgänge entstanden, welche versuchen, durch Vermittlung adäquater Inhalte dem qualitativen Wandel im Anforderungsprofil gerecht zu werden. Dennoch wird es noch sehr, sehr lange dauern, bis in den Einrichtungen des Früh- und Elementarbereichs hinreichend viele pädagogische Fachkräfte mit Hochschulausbildung tätig sein werden. Abbildung 1: Aktuelle Abschlusszahlen der Ausbildungsstätten im Vergleich mit frühpädagogischen Studiengängen in der Zukunft (Deutschland 2008; für 2014 geschätzt) 8.200 16.600 18.000 16.000 14.000 12.000 10.000 8.000 6.000 4.000 2.000 0 260 1440 2340 Berufsfachschulen 2008 Fachschulen 2008 Hochschulabschlüsse 2008 Hochschulabschlüsse 2014 (akkr.) (inkl. nicht akkr.) Hochschulabschlüsse 2014 geschätzt Quelle: Bundesamt für Statistik, Fachserie 11, Reihe 4.1 (2004-2009); eigene Berechnungen <?page no="140"?> 141 Erschwerend kommt hinzu, dass bei der Einführung der Studiengänge arbeitsmarktspezifische Folgen unberücksichtigt blieben und gegenwärtig nicht vorhersehbar ist, in welchen Berufsfeldern die ersten Studienabgängerinnen ihr erworbenes Wissen anwenden werden. Fraglich ist, ob sie ihre Arbeit tatsächlich in Kindertageseinrichtungen verrichten werden, denn das Vergütungsniveau im Kindertagesstättenbereich zieht bislang nicht die Möglichkeit statushöherer Ausbildungen in Betracht und hat bisher keine Anpassung in diese Richtung erfahren. An Fortbildungsangeboten mangelt es nicht, und es ist bekannt, dass Erzieherinnen eine Berufsgruppe darstellen, die von diesen Angeboten gerne, häufig und auch motiviert Gebrauch macht. Allerdings lässt sich im Bereich des Fortbildungsmarktes bislang ein eher unübersichtliches Nebeneinander und Dickicht verschiedenster Angebote finden. Neben dieser Unübersichtlichkeit ist das berufliche Fortbildungssystem für pädagogische Fachkräfte in Deutschland meist unverbindlich, unkoordiniert und inhaltlich wie strukturell eher beliebig. In Anspruch genommene Angebote haben zudem kaum Auswirkung auf die berufliche Laufbahn, professionelle Entwicklungs- und Aufstiegschancen oder gar die Entlohnung des Berufsstandes. Für Unermüdlichkeit und Motivation gibt es mitunter nicht einmal Lob und Anerkennung durch Träger, Kolleginnen oder Eltern, weil der Kindergartenbetrieb in Anbetracht des gegenwärtigen Erzieherinnen-Kind-Schlüssels nicht selten unter der Abwesenheit leidet und die Kolleginnen vor Ort die fortbildungsbedingte Abwesenheit durch Mehrarbeit kompensieren müssen. Wünschenswert wäre, dass Fort- und Weiterbildungskonzepte in strukturellen wie konzeptionellen Zusammenhängen mit Ausbildungskonzepten stehen. Benötigt wird ein (nationales) Qualifikationsprofil sowie ein Ausbildungscurriculum mit systematischer Verknüpfung von Aus-, Fort- und Weiterbildungsangeboten, abgestimmtem Modulsystem (Pflicht- und Wahlmodule), Anerkennung in allen Bundesländern und möglichst auch dem europäischen Ausland. Aus- und Fortbildung im Bereich Sprache. Für viele kleine Kinder aus mehrsprachigen Familien sind Krippen und auch Einrichtungen des Elementarbereichs erste und entscheidende Orte vor der Schule, an denen sie regelmäßig mit der Verkehrssprache Deutsch in Berührung kommen; umgekehrt erhalten einsprachig deutsch aufwachsende Kinder dort häufig erstmals Kontakt zu anderen Sprachen und Kulturen, aber auch Anregung und Unterstützung, wenn Sie aus sprachanregungsarmen häuslichen Milieus kommen (vgl. Roos, 2010). Es besteht Einigkeit darüber, dass der Erwerb der mündlichen Verfügung der Verkehrs- oder Landessprache vor Schulbeginn angebahnt sein muss, sodass die Sprachbeherrschung den Erfordernissen schulischer Bildungsangebote genügt. Kindertageseinrichtungen ist damit, so List (2007), „eine entscheidende Bildungsaufgabe zugewachsen, nämlich die Förderung von Kommunikationsfähigkeit in der deutschen Sprache für alle Kinder, gerade aber auch für Kinder, deren Familiensprache nicht die deutsche ist“ (S.-8). An anderer Stelle betont List (2010), dass die Begleitung beim Spracherwerb und auch die Förderung in diesem Altersbereich „keine Lehre“ (S.-12) sein kann. Dennoch ist es unerlässlich, dass pädagogische Fachkräfte explizites Wissen über die Komponenten der Sprache ausbilden, die das Kind erwerben muss. Zwar haben deutschsprachige Fachkräfte die Regeln <?page no="141"?> 142 ihrer Erstsprache implizit erworben, das ist aber noch nicht gleichbedeutend damit, dass sie diese Regeln auch erklären und adäquat in alltagssprachliche Kommunikations- und Interaktionssituationen umsetzen können. Die pädagogischen Fachkräfte benötigen Wissen darüber, wie sie die Kinder beim Sprechen und Sprachverstehen anregen und den Erst- und Zweitspracherwerb insgesamt unterstützen und kompetent begleiten können. Dazu gehören in erster Linie Kenntnisse über die Sprachfördermöglichkeiten in den alltäglichen Situationen, wie u.- a. Scaffolding-Techniken. Darüber hinaus zählen dazu ➜ sprachwissenschaftliche und entwicklungspsychologische Kenntnisse; ➜ didaktische Kompetenzen, um die Sprachlernsituationen kindgerecht, alltagssprachlich, situations- und kontextbezogen sowie differenziert und auf den jeweiligen Sprachstand des einzelnen Kindes bezogen zu gestalten; ➜ Basiskompetenzen in der Feststellung des jeweiligen Sprachstandes und des sich daraus ableitenden Förderbedarfs, um die Sprachförderung dem unterschiedlichen Sprachstand und den Förderbedürfnissen der einzelnen Kinder auch jeweils anpassen zu können (vgl. Kany & Schöler, 2007); ➜ Kenntnisse darüber, dass Kinder unterschiedlicher ethnischer und soziokultureller Herkunft unterschiedliche Sprachkulturen und Lebensformen in die Sprachfördersituation mitbringen, sowie dass Sprachförderung mit interkulturellem Lernen einhergehen sollte, wozu bei den pädagogischen Fachkräften ein ausreichendes kulturspezifisches Wissen aufgebaut werden muss; ➜ ein Überblick über verschiedene Fördermöglichkeiten und -programme und deren jeweilige Implikationen, um die Passung der Intentionen und inhaltlichen Schwerpunktsetzungen erhältlicher Fördermaterialien beurteilen zu können und auf diese Weise die richtige Entscheidung bei der Auswahl des geeigneten Materials für die eigene Sprachfördergruppe/ das zu fördernde Kind treffen zu können; ➜ Beratungskompetenzen in der Kooperation mit Eltern, Vorstellungen und Ideen zur Einbeziehung der Eltern in den Kindergartenalltag und zur Frage, wie den Eltern im Zusammenhang mit der Sprachförderung im Kindergarten Anregungen zur Förderung der sprachlichen Fähigkeiten der Kinder zu Hause gegeben werden können; ➜ Kompetenzen in der Zusammenarbeit mit anderen Fachdiensten. Sollen Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte in Hinblick auf diese Ziele effektiv sein, müssen sie sich über einen längeren Zeitraum hinweg erstrecken. Eine in der Regel dreitägige Schulung erwies sich als nicht ausreichend. Neben der Vermittlung von Wissen sollte unbedingt auch der Prozess der Implementierung einer Maßnahme ein Fortbildungsziel sein, d.- h. Coaching, Supervision und Beratung der Fortzubildenden sollten integrale Bestandteile einer Fortbildungskonzeption sein. Die Inhalte der Fortbildungen, nämlich sprachwissenschaftliche, sprachdidaktische und entwicklungspsychologische Inhalte für Erst- und Zweitsprache, Kenntnisse über die verschiedenen kulturellen Hintergründe sowie Beratungskompetenzen, sind bereits in der Ausbildung pädagogischer Fachkräfte verpflichtend anzubieten und zu verankern. Voraussetzung dafür ist, dass Auszubildende oder Studierende bereits <?page no="142"?> 143 über eine ausreichende sprachliche, literarische und mediale Bildung verfügen und auch Lehrende, gerade wenn sie an Berufsfach- oder Fachschulen unterrichten, über eine hinreichende Expertise (erworben im Rahmen einer akademischen Ausbildung) im Bereich Sprache, Sprachentwicklung und Sprachdiagnostik verfügen. Die Qualität der Arbeit in Kindertageseinrichtungen hängt in hohem Maße von der Professionalität des dort tätigen pädagogischen Personals ab und die Ausbildung wie auch berufsbezogene Fort- und Weiterbildung pädagogischer Fachkräfte stellt ein zentrales Instrument der Qualitätssicherung im System der Kindertageseinrichtungen dar. Literatur Bennwitz, H. & Weinert, F. E. (Hrsg.) (1973). CIEL I - Ein Förderungsprogramm zur Elementarerziehung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Fthenakis, W. E. (2002). Die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern: Strategiekonzepte zur Weiterentwicklung von Ausbildungsqualität. In: W. E. Fthenakis & P. Oberhuemer (Hrsg.), Ausbildungsqualität. Strategiekonzepte zur Weiterentwicklung der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern (S.-15-38). Weinheim: Beltz. Garlichs, A., Knab, D. & Weinert, F. E. (Hrsg.). (1983). CIEL II - Fallstudie zu einem Förderprogramm der Stiftung Volkswagenwerk zur Elementarerziehung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Kany, W. & Schöler, H. (2007). Fokus: Sprachdiagnostik. Leitfaden zur Sprachstandsbestimmung im Kindergarten. Berlin: Cornelsen. König, K. & Pasternack, P. (2008). Elementar + professionell. Die Akademisierung der elementarpädagogischen Ausbildung in Deutschland. Hochschulforschung (HoF) an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Verfügbar unter: http: / / www.peer-pasternack.de/ texte/ HoF_AB5_2008.pdf List, G. (2007). Förderung von Mehrsprachigkeit in der Kita. München: Deutsches Jugendinstitut e.-V. List, G. (2010). Frühpädagogik als Sprachförderung. Qualifikationsanforderungen für die Aus- und Weiterbildung der Fachkräfte. Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WiFF). München: Deutsches Jungendinstitut e.-V. Oberhuemer, P. (2003). Professionalisierung der Fachkräfte. In: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.), Auf den Anfang kommt es an! (S.-157-165). Weinheim: Beltz. Rauschenbach, T. (2005). Erzieherinnen in neuer Höhenlage. Unbeabsichtigte Nebenwirkungen einer beabsichtigten Ausbildungsreform. Erziehungswissenschaft, 1, S.-18-35. Roos, J. (im Druck). Sprache fördern von Anfang an. In: H. Keller (Hrsg.), Handbuch der Kleinkindforschung (4. Auflage). Bern: Huber. <?page no="143"?> 144 Das lernfeld „Sprache“ in der ausbildung von erzieherinnen und erziehern an Fachschulen für Sozialpädagogik Renate Schwalb Meine Ausführungen zum Stellenwert des Lernfelds „Sprache“ beruhen ausschließlich auf den entsprechenden Lehrplänen und auf meinen Erfahrungen an meiner Schule, dem „Marianum“ in Allensbach-Hegne am Bodensee, wo wir dem Bereich Sprache einen besonderen Platz einräumen. Da diese Lehrpläne zwar Inhalte und Stundenzahl vorgeben, aber keine Strukturen für deren Umsetzung, hängt es ganz von der Schule ab, wie dieses Lernfeld gestaltet und gewichtet wird. Mit der Reform der Erzieher/ innenausbildung im Jahr 2004 ergaben sich durch die Umstellung von auf Fächer bezogenem Unterricht auf Handlungsfelder ganz neue Konstellationen. Das Lernfeld „Sprache“ war im bis zum Schuljahr 2009/ 10 gültigen Lehrplan im zweijährigen 2BKSP (Fachschule für Sozialpädagogik - Berufskolleg) im Handlungsfeld „Förderung von Entwicklung und Bildung (FEB)“ angesiedelt, zusammen mit den Lernfeldern Musik, Rhythmik, Motorik, Naturwissenschaften und Ästhetik. Für den Bereich „Sprache“ waren in diesem Lehrplan sage und schreibe 25 Unterrichtseinheiten à 45 Minuten im Unterkurs und 12 im Oberkurs angesetzt, dazu kamen noch einige Vertiefungsstunden. In dem der eigentlichen Ausbildung vorangehenden einjährigen Berufskolleg für Praktikantinnen (1BKPR) wurde kein eigenes Lernfeld „Sprache“ ausgewiesen. Im Unterkurs sollten sich die Schülerinnen laut Lehrplan mit folgenden Themenbereichen auseinandersetzen: 1. theoretisches Wissen über Spracherwerb und Sprachentwicklung, 2. daraus abgeleitetes Wissen über Sprachförderung im Alltag, 3. das Sprache fördernde Potential von Kinderliteratur und audiovisuellen Medien, 4. das Wissen über die Rolle der Erzieherin als Sprachvorbild und als Begleiterin und Initiatorin sprachlicher Entwicklungsprozesse, 5. Kenntnis von Beobachtungsverfahren und speziellen Sprachförderprogrammen. Hier sind wesentliche Themen abgedeckt, aber die vielfältigen Inhalte passten nicht zur mageren Stundenausstattung. Sicher findet sprachliche Bildung auch im Deutschunterricht statt. Doch dieser ist mit je einer Wochenstunde (45 Minuten! ) im 1BKSP und 2 Wochenstunden im 2BKSP nicht gerade üppig ausgestattet. Außerdem unterliegt er dem Lehrplan aller berufsbildenden Schulen die auch zur Fachhochschulreife führen. <?page no="144"?> 145 Es ist zu bedauern, dass angesichts der inhaltlichen Anforderungen im Bereich „Sprache“ die dafür vorgesehene Stundenausstattung nicht umfangreicher ausfiel. Dies um so mehr, da gleichzeitig mit der Erstellung und Einführung dieses Lehrplans die Diskussion um Sprache als die Kompetenz, die entscheidend für schulischen Erfolg und Teilhabe am beruflichen, gesellschaftlichen und politischen Leben ist, geführt wurde. Der Pisaschock saß tief. Durch das groß angelegte Programm „Sag’ mal was“ der Baden-Württemberg Stiftung wurden unzählige Erzieherinnen zu Multiplikatorinnen fortgebildet, und viele Kinder kamen und kommen in den Genuss sprachfördernder Maßnahmen. Doch all diese zusätzlichen Maßnahmen können die Spracherziehung im Alltag nur ergänzen, aber nie ersetzen. Die Mehrzahl unserer Schülerinnen haben Real-, manche auch Werkrealschulabschluss. Im Lesen theoretischer, wissenschaftlicher Texte sind sie kaum geschult, und es leuchtet ein, dass bei dieser für „Sprache“ angesetzten Stundenzahl nur oberflächliches Wissen vermittelt und auch nur ansatzweise handlungsorientiertes Wissen erworben werden kann. Hinzu kommt, dass die sprachliche und literarische Sozialisation vieler Schülerinnen und Schüler als rudimentär bezeichnet werden kann, viele Kinderbuchklassiker kennen sie nur aus Zeichentrickfilmen. Auch hier genügt theoretisches Wissen nicht. Wer nicht selbst Zugang zu und Freude an Bilderbüchern, Kinderlyrik, Märchen und Geschichten hat, wer nicht selbst gelernt und ausprobiert hat, wie man ein Bilderbuch mit Kindern betrachtet, wie man Gedichte spricht, Fingerspiele inszeniert, Märchen erzählt und Geschichten vorliest, wie man mit Kindern sprachlich kreativ wird, wird dies auch in der Praxis nicht überzeugend vermitteln können und es somit vermeiden. Dass aber der Aufbau eines persönlichen Zugangs Zeit braucht, liegt auf der Hand. Hier sollen die Schülerinnen und Schüler außer der eigenen Freude an und Sensibilität für Sprache Kenntnisse in Didaktik und Methodik erwerben. Es geht um das Öffnen von Türen zu allen Formen von Sprache, um kreativen Umgang mit Sprache. Hier sind meiner Meinung nach Defizite. Im alten wie im neuen Lehrplan sind wichtige Aspekte zum Lernfeld Sprache enthalten, auch sehr viel Theorie, deren Wichtigkeit ich nicht bezweifeln möchte. Für die eigene sprachliche Bildung der Schülerinnen und Schüler bleibt aber zu wenig Zeit. Als Schulversuch startete mit dem ersten Lehrplan von 2004 die Umstellung von der Fachauf die Handlungsfelddidaktik. Dieser in manchen Punkten zu kritisierende Lehrplan läuft nun aus. Ein neuer Lehrplan trat für das 1BKPR im Schuljahr 2009/ 10 und für das 2BKSP im Schuljahr 2010/ 2011 in Kraft. Eine wichtige Neuerung ist, dass das Lernfeld „Sprache“ nun mit 25 Unterrichtseinheiten à 45 Minuten auch verstärkt im 1BKPR auftaucht, und zwar im Handlungsfeld „Bildung und Entwicklung fördern- I- (BEF- I)“. Das entsprechende Lernfeld heißt „Sprache als Zugang zur Welt verstehen.“ <?page no="145"?> 146 2 Sprache als Zugang zur Welt verstehen 25 Die Schülerinnen und Schüler erproben unterschiedliche Funktionen von Sprache als Kommunikationsmittel im beruflichen Umfeld. Sie reflektieren ihr eigenes Sprachverhalten in verschiedenen Gesprächssituationen. Sie untersuchen Kinderlyrik und setzen sie gezielt ein. Bedeutung und Funktion von - Kontaktaufnahme - Bedürfnisäußerung Krippe, Kindergarten, Hort Sprechen mit Kindern - Sprechanlässe im Alltag - Kinderfrage - Sprachvorbild der Erzieherin und des Erziehers Geplante Gesprächsimpulse, spontanes Sprechen Reflektion des eigenen Sprachverhaltens, Jugendsprache, Dialekt Kinderlyrik - Merkmale - Bedeutung - Auswahlkriterien - sprachanregende Angebote Volks- und Kinderkunstlyrik Kniereiter, Lieder, Reime, Gedichte, Rap (aus Ministerium für Kultus, Jugend und Sport, Baden-Württemberg, Schulversuch 41-6623.1-01/ 29 vom 13.04.2010, Lehrplan für das Berufskolleg für Praktikantinnen und Praktikanten, Bildung und Entwicklung fördern I, S.-5) Im 1BKPR fordert der alte wie der neue Lehrplan außerdem eine Unterrichtseinheit zur Kommunikationspsychologie. Das Lernfeld heißt „Angemessenes Kommunikationsverhalten entwickeln“ und ist im Handlungsfeld „Erziehung und Betreuung gestalten, EBG“ verankert. Bei der Umsetzung dieser Themen wird es sich in dieser Stufe um erste Zugänge handeln, die sich sehr auf praktisches Handeln beziehen. Die Schülerinnen und Schüler verbringen im 1BKPR sehr viel Zeit in der Praxis und da ist es durchaus sinnvoll, wenn sie Reime, Finger- und Sprachspiele kennen - auch Bilderbücher sind wichtig -, wenn sie Wissen über Kommunikation im Allgemeinen und mit Kindern im Besonderen erwerben, ihr Sprachverhalten reflektieren und ihre Rolle als Sprachvorbild und als „Moderatorinnen“ von Sprachentwicklungsprozessen kennen. Damit dies nicht nur auf einer praktischen Ebene von „Rezepten“ bleibt, braucht es auch schon erstes Hintergrundwissen über „Bedeutung und Funktion von Sprache“. Bei einer guten Strukturierung der im Lehrplan genannten Inhalte besteht also durchaus die Möglichkeit, erste Grundlagen im Lernfeld Sprache zu legen. Die konkrete Beschäftigung mit Kinderliteratur trägt natürlich auch zur eigenen sprachlichen Bildung bei. Im 2BKSP ist „Sprache“ nun im Lernfeld BEF- I zusammen mit „Spiel“ angesiedelt und die Stundenausstattung ist besser: Für das Lernfeld „Sprachliche Lern- und Bildungsprozesse planen, eröffnen und begleiten“ sind 55 Einheiten vorgesehen, zusammen mit dem Lernfeld „Spiel“, das ja auch viel mit „Sprache“ zu tun hat, gibt es noch mal 35 Stunden für Leistungsfeststellung und Vertiefung. <?page no="146"?> 147 2 Sprachliche Lern- und Bildungsprozesse planen, eröffnen und begleiten 55 Die Schülerinnen und Schüler erläutern den Verlauf der Sprachentwicklung. Sie begründen die Besonderheiten des Spracherwerbs von mehrsprachig aufgewachsenen Kindern. Sie stellen unterschiedliche Möglichkeiten zur Erhebung und Dokumentation der Sprachentwicklung dar und vergleichen kritisch verschiedene Sprachfördermodelle für Kinder. Sie planen geeignete Maßnahmen der ganzheitlichen Sprachförderung in pädagogischen Alltagssituationen. Sie überprüfen ihr eigenes sprachliches Verhalten in seiner unterstützenden Wirkung für die Sprachentwicklung von Kindern. Die Schülerinnen und Schüler wenden Möglichkeiten zur Unterstützung von Literacy-Erfahrungen und anderer Vorläuferkompetenzen des Schriftspracherwerbs an. Sie wählen Bereiche der Kinder- und Jugendliteratur zielgruppenorientiert aus und bieten sie methodisch vielfältig dar. Entwicklung der Sprache und des Sprachverständnisses - Voraussetzungen Sozial, emotional, körperlich Förderung der Sprachentwicklung - Bewusstsein der eigenen Sprachkompetenz - Sprechanlässe im Alltag - individuelle Förderung Begrüßung, Handpuppenspiel, Erzählrunden, Kinderkonferenz Sprachförderkonzepte Kritische Bewertung und Einsatz von gezielten Förderkonzepten Erhebung und Dokumentation des Sprachentwicklungsstandes Bewertung und Einsatz von Sprachstandserhebungen, z.-B. Heidelberger Auditives Screening (HASE), Sprachentwicklungstest für Kinder (SETK), Sismik, Seldak Mehrsprachigkeit - Zweitspracherwerb - Deutsch als Zweitsprache Bedeutung der Erstsprache Vgl. HF 5 Abweichendes Sprachverhalten - Sprachentwicklungsstörungen - Sprachentwicklungsverzögerung Vgl. HF 5 Literacy-Konzept Vorläuferfähigkeiten zum Schriftspracherwerb, z.-B. Zeichen und Buchstaben, phonologische Bewusstheit, Schreib- und Lesebereich Kinder- und Jugendliteratur - eigene Lesebiografie - Bilder-, Kinder- und Jugendbuch - Märchen Auswahl, Analyse, Darbietung, Medien, Kinder- und Jugendliteraturpreis, Zielgruppen: alters- und geschlechtsspezifisch Comics, Kinder- und Jugendzeitschriften, Volks- und Kunstmärchen (aus Ministerium für Kultus, Jugend und Sport, Baden-Württemberg, Schulversuch 41-6623.28/ 179 vom 08.09.2010, Lehrplan für das Berufskolleg, Fachschule für Sozialpädagogik, Bildung und Entwicklung fördern-I, S.-6) <?page no="147"?> 148 Mit diesem Themenspektrum und der Stundenausstattung sollte es möglich sein, dass die Schülerinnen und Schüler eine solide Basisausbildung im Bereich „Sprache“ erwerben. Die Stundenzahl erhöht sich noch, wenn man bedenkt, dass z.- B. das Thema Spracherwerb und Sprachentwicklung auch ein Bereich der Entwicklungspsychologie ist und somit auch im Handlungsfeld „Erziehung und Betreuung gestalten“ berücksichtigt wird. Im neuen Handlungsfeld „Unterschiedlichkeit und Vielfalt erleben“ werden auf Sprache bezogene Inhalte wie „Zweitsprachenerwerb“ benannt. Unter den Punkten „Behinderungen“ und „Heilpädagogische Hilfen“ geht es in diesem Handlungsfeld auch um Auffälligkeiten in der Sprachentwicklung und entsprechende heilpädagogische Hilfen. Da die Pädagogik für Kinder von 0 bis 3 ebenfalls im neuen Lehrplan aufgenommen ist, öffnet sich auch hier ein weiteres Feld für die sprachliche Bildung. Die Ausbildung zur Erzieherin / zum Erzieher ist breit angelegt, sodass man nicht erwarten kann, dass auf allen Gebieten Spezialisten die Schule verlassen. Die Schülerinnen und Schüler erwerben aber solide Grundkenntnisse, auf Grund derer sie sich durch Fortbildungen und durch Übernahme bestimmter Bereiche in der Praxis immer mehr spezialisieren und qualifizieren und so zu „Expertinnen“ bzw. „Experten“ werden können. <?page no="148"?> 149 Sprachliche Bildung und Sprachkompetenz im Studiengang „Bildung und erziehung in der Kindheit“ an der hochschule esslingen Regine Morys und Axel Jansa „Für die Jüngsten brauchen wir die Besten“: Gemäß diesem Motto von Frank Eskil (vgl. Kahl, 2002) wurde im Wintersemester 2006/ 2007 der Bachelor-Studiengang „Bildung und Erziehung in der Kindheit“ an der Hochschule Esslingen eingerichtet. Die ersten beiden Jahrgänge werden im Rahmen des Zukunftssicherungsprogramms Fachhochschulen und Berufsakademien mit finanzieller Unterstützung der Baden- Württemberg Stiftung durchgeführt. Mit der Projektdurchführung wurde der Stifterverband für die deutsche Wissenschaft beauftragt. Im Folgenden wird skizziert, welche Impulse der Einrichtung derartiger Studiengänge in Deutschland seit 2004 zugrunde liegen, und es wird der Esslinger Studiengang vorgestellt. Dabei steht die Qualifizierung für Aufgaben im Feld von sprachlicher Bildung und Sprachförderung im Zentrum der Ausführungen. 1. Die Akademisierung von Fachkräften in Kindertageseinrichtungen Die Forderung, Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen auch auf Hochschulniveau zu qualifizieren, ist nicht neu (vgl. z.-B. Miedaner, 2006). Neuen Aufwind erhielt diese Forderung in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts. Exemplarisch werden im Folgenden einige der Argumentationslinien angeführt. So gelang es der Säuglingsforschung und der Hirnforschung, mit neuen Erhebungsmethoden wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse über die Lernfähigkeit und Lernbereitschaft von jungen Kindern zu generieren, die das Bild vom Kind einschneidend veränderten. Sie wurden breit rezipiert und machten deutlich, von welch großer Bedeutung für die weitere Entwicklung der Kinder und für ihre spätere Teilhabe es ist, dass sie diese Potentiale in einer anregenden Umwelt in Interaktion mit anderen Kindern und Erwachsenen ausbilden können. In der Folge von internationalen Forschungsergebnissen zur nachhaltigen Bedeutung einer qualitativ hochwertigen frühkindlichen Betreuung (vgl. z.-B. Sylva et al., 2004) richtete sich die Aufmerksamkeit auf die Frage nach der Qualität von Kindertagesstätten. Nicht zuletzt auch im Zuge der Diskussion über die Ergebnisse internationaler Schulleistungsstudien wurde der Ruf nach eine Verbesserung der pädagogischen Arbeit in Kindertagesstätten und deren bewussterer Ausrichtung auf Bildung hin laut (vgl. dazu auch Diller, 2010). Als Schlüssel dazu wird die Verbesserung der Ausbildung der Fachkräfte gesehen. Neben Änderungen in der Fachschulausbildung wird dabei auch gefordert, die Qualifikation wie in den meisten Ländern üblich auf Hochschulniveau anzuheben. So arbeitete z.-B. die OECD-Studie „Starting Strong“ zwar einerseits die Stärken des deutschen Systems der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung heraus, benannte andererseits aber auch Schwächen - besonders im Hinblick auf die Qualifizierung der Fachkräfte: „Wegen der Komplexität der Tätigkeit und der immer höhe- <?page no="149"?> 150 ren Ansprüche, die an die Beschäftigten in der FBBE 1 gestellt werden, empfiehlt die Untersuchergruppe, dass die Ausbildung zukünftig auf Hochschulebene stattfinden sollte“ (OECD, 2004, 72). Begründet wird diese Forderung über die genannten Argumente hinaus mit dem Zusammenhang zwischen Qualität und Ausbildungsniveau, mit der Notwendigkeit der Angleichung der Ausbildungsniveaus verschiedener (kooperierender) pädagogischer Professionen (u.- a. Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen und Schulen) und mit der Bedeutung des Ausbaus von Forschung im Bereich der frühkindlichen Bildung (vgl. OECD, 2004, 72-f.). Diese und andere, hier nicht genannte Entwicklungen führten schließlich dazu, dass zeitgleich mit der Verabschiedung des Gemeinsamen Rahmens der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen (vgl. JMK/ KMK, 2004) in Deutschland seit 2004 entsprechende Studiengänge eingerichtet wurden. Mittlerweile bestehen bundesweit ca. 60 solcher Studiengänge 2 . Durch die Einrichtung dieser soll die Quote von akademisch qualifizierten Fachkräften vor allem auf Leitungsebene im Bereich von Kindertagesstätten angehoben werden. Diese lag 2008 bundesweit lediglich bei knapp 22-% (vgl. Fuchs-Rechlin, 2009, 18). Im Zusammenhang dieses Beitrages rückt die Frage nach den positiven Effekten der Akademisierung der pädagogischen Fachkräfte und der Anhebung deren Sprachkompetenz auf die (sprachliche) Bildung von Kindern in den Mittelpunkt. Die in England durchgeführte EPPE-Studie belegt die Bedeutung von gelungener Kommunikation mit Kindern und kommt zu dem Schluss: „Je höher die Qualifikation der Mitarbeiterinnen der Einrichtung - insbesondere der Leitung - ist, desto größere Entwicklungsfortschritte machen die Kinder“ (Sylva et al., 2004, 159). Insbesondere wird hierbei auf die Entwicklung der Kinder im Bereich der sozialen Kompetenz und im Hinblick auf Basiskompetenzen für das Lesen verwiesen (vgl. Sylva et al., 2004, 159). Die Anforderung an die Fachkräfte besteht laut der Studie vor allem darin, feinfühlig und mit offenen Fragen, die zum „sustained shared thinking“ einladen, in der Interaktion mit den Kindern zu agieren: „Gut ausgebildete Mitarbeiterinnen sind am effektivsten in ihren Interaktionen mit den Kindern; sie beteiligen sich häufiger an gemeinsam geteilten Denkprozessen mit den Kindern“ (Sylva et al., 2004, 163). Bezogen auf Deutschland zeigt sich in der Längsschnittstudie von Tietze, Rossbach und Grenner ein deutlicher Zusammenhang zwischen der Qualität in Kindertagesstätten und dem Stand der Sprachentwicklung der Kinder (vgl. 2005, 270). Die Autoren folgern mit Bezug auf amerikanische Studien, dass eine Anhebung des Ausbildungsniveaus der Fachkräfte die Qualität in der Einrichtung verbessern könnte (vgl. Tietze, Rossbach & Grenner, 2005, 275). Auch die Ergebnisse der Studie von Albers bestätigen die Bedeutung der „sprachspezifischen Strategien der pädagogischen Fachkräfte“ (Albers, 2009, 269) und die Forderung nach einer besseren Ausbildung (vgl. Albers, 2009, 267). Nicht zuletzt sprechen auch die Befunde der wissenschaftlichen Begleitung von „Sag’ mal was“ dafür, dass nachhaltige Sprachförderung nur dann gelingen kann, wenn die Fachkräfte, die diese Förderung durchführen, sowohl über die entsprechen- 1 Abkürzung für frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung 2 Vgl. das Internetportal „Frühpädagogik studieren“ unter http: / / www.fruehpaedagogik-studieren.de/ <?page no="150"?> 151 den entwicklungspsychologischen, sprachwissenschaftlichen und didaktischen Kenntnisse verfügen (vgl. Gasteiger-Klicpera, Knapp & Kucharz, 2010, 206) als auch selbst ein „gutes und sprachlich flexibles wie kompetentes Vorbild“ (Gasteiger-Klicpera, Knapp & Kucharz, 2010, 206) darstellen. Die Heidelberger Wissenschaftlergruppe verweist ebenfalls neben pädagogisch-didaktischen Kompetenzen explizit auf „fundiertes linguistisches Wissen“ (Hofmann et al., 2008, 298) als bedeutsamen Faktor. 2. Die Konzeption des Studiengangs „Bildung und Erziehung in der Kindheit“ an der Hochschule Esslingen Der Studiengang setzt sich zum Ziel, die Qualität von Betreuung, Bildung und Erziehung von Kindern im Alter von 0-10 Jahren durch ein qualitativ hochwertiges, wissenschaftliches und vielseitiges Studium zukünftiger Fachkräfte, den Kindheitspädagoginnen und Kindheitspädagogen 3 , zu erhöhen. Der Bachelor-Studiengang ist sozialpädagogisch ausgerichtet, berufsqualifizierend und im Umfang von sieben Semestern konzipiert. Er besteht aus folgenden Studienbereichen, die in modularisierter Form mit interdisziplinärem Zugriff gelehrt werden (vgl. Hochschule Esslingen, 2006, 2-3): 1. Kinder - Kindheit - Kinderwelten 2. Institutionen in öffentlicher Verantwortung für Kinder 3. Bildung und Erziehung: Arbeit mit Einzelnen und Gruppen 4. Kooperationen im Kontext des Gemeinwesens 5. Professionalisierung, Organisation und Management 6. Sozialpädagogische Arbeit als Profession und Wissenschaft Der Studiengang qualifiziert im Hinblick auf zwei Schwerpunkte: Zum einen für die pädagogische Arbeit mit Kindern im Altersspektrum von 0-10 Jahren und deren Familien, zum anderen für den Bereich Bildungsmanagement in Leitungs- und Führungspositionen. Somit bereitet er die Studierenden auf ein breites Tätigkeitsspektrum im Feld von Betreuung, Bildung und Erziehung vor: Auf die direkte Arbeit mit Kindern in Kindertagesstätten, auf die schulische Ganztagsbetreuung und auf die außerschulischen Bereiche, auf entsprechende Leitungstätigkeiten, auf Aufgaben in der Eltern- und Familienbildung, auf Arbeitsfelder in der Qualifizierung von Fachkräften und auf konzeptionelle und planerische Aufgaben. Das Studium an der Hochschule Esslingen zeichnet sich durch die reflektierte Verzahnung mit der Praxis an verschiedenen Stellen aus. Dazu zählen in erster Linie die drei Kurzpraktika innerhalb der ersten Semester und das daran anschließende praktische Studiensemester, das einen Umfang von 100 Tagen in der Praxisstelle aufweist und von einem Theorie-Praxis-Seminar an der Hochschule und von Supervision begleitet wird. Den Studierenden wird empfohlen, das praktische Studiensemester im Ausland zu absolvieren. Davon machten bislang, je nach Studienjahrgang, bis zu knapp 50-% der Studierenden Gebrauch. Die Evaluation der Erfahrungen des ersten Jahrgangs hebt die Bedeutung der Erweiterung der Sprachkompetenz der 3 Da bislang eine bundeseinheitliche Regelung der Berufsbezeichnung noch aussteht, schließen wir uns dem Beschluss der Bundesarbeitsgemeinschaft Bildung und Erziehung im Kindesalter (BAG-BEK) zur Berufsbezeichnung an, der im Rahmen der Frühjahrstagung vom 26.-28.4.2009 in Esslingen getroffen wurde. <?page no="151"?> 152 Studierenden in einer interkulturellen Lernsituation hervor (vgl. Miedaner, 2009). Des Weiteren sind einige Lehrveranstaltungen so angelegt, dass sich aus ihnen Arbeitsaufträge ergeben, die in der Praxis durchgeführt werden, wie z.- B. Beobachtungen oder die Durchführung diagnostischer Verfahren. Vertiefte Kooperationsmöglichkeiten mit der Praxis ergeben sich im Projektstudium, auf das an späterer Stelle noch genauer eingegangen wird. 3. Die curriculare Verankerung des Themas Sprache im Studiengang Einen wichtigen curricularen Bestandteil des Studiengangs bildet der Bereich „Sprache, Kommunikation und Gesprächsführung“. Die Bedeutung spiegelt sich darin wider, dass sprachliche Bildung - ebenso wie Interkulturalität, Inklusion und Gender - als Querschnittthema über das gesamte Studium hinweg eine wichtige Rolle spielt und in unterschiedlichen Lehrveranstaltungen aufgegriffen wird. Eine entsprechende Modulanalyse zeigt, welch vielfältige Anknüpfungspunkte in jedem Semester bestehen 4 . Damit begegnen die Studierenden dieser Thematik in unterschiedlichen Zusammenhängen, erkennen verschiedenste Situationen in der Praxis als Anlässe für sprachliche Bildung und lernen, sprachliche und kommunikative Aspekte stets mitzudenken. Die Verankerung als Querschnittthema bedeutet z.-B. auch, dass sprachliche Bildung und Interkulturalität bedeutende Themen der systematischen Reflexion des praktischen Studiensemesters darstellen und dass die eigene sprachliche und kommunikative Kompetenz der Studierenden in vielfältiger Form erweitert und reflektiert wird. Neben der Verankerung als Querschnittthema werden Sprache und Kommunikation unter systematischem Zugriff in Form von themenspezifischen Lehrveranstaltungen gelehrt. Das Lehrangebot nimmt die vielfältigen Ausdrucksformen der Kinder in den Blick und sensibilisiert die Studierenden für die „Hundert Sprachen“ des Kindes (vgl. Lingenauber, 2002, 19- ff.; Malaguzzi, 1992, 17- ff.). Dabei geht es auch um Transformationsprozesse von einer Ausdrucksform in andere; der verbalen Sprache kommt darin eine Schlüsselfunktion zu. Basisseminare befassen sich mit linguistischen und entwicklungspsychologischen Grundlagen sprachlicher Bildung, der Zwei- und Mehrsprachigkeit von Kindern und Familien, sprachdidaktischem Handeln und Ansätzen der Sprachförderung. Instrumente der Sprachbeobachtung und der Sprachdiagnose werden thematisiert und teilweise von Studierenden erprobt. Eine weitere Gruppe von Seminaren zielt darauf, mit Kindern, Eltern und Teams kompetent zu kommunizieren. So wird z.-B. in „Gesprächsführung mit Kindern“ u.-a. die nonverbale Verständigung mit Kleinkindern und die Videoanalyse der Betreuerin-Kind-Interaktion zum Thema. Neben der Verankerung als Querschnittthema und dem systematischen Zugang durch spezifische Lehrveranstaltungen bieten sich im Studium auch Möglichkeiten der eigenen Schwerpunktsetzung und Vertiefung im Bereich Sprache, z.-B. durch entsprechende Themenstellungen in Bachelorarbeiten. 4 Vgl. „Querschnittthema Sprache und Kommunikation“ - Modulanalyse von R. Morys, 2008; unveröffentlichtes Dokument <?page no="152"?> 153 4. Besondere methodische Elemente im Studiengang und ihre Bedeutung für sprachliche Bildung Ein weiteres Merkmal des Studiengangs ist die Lernwerkstatt 5 . Der thematische Ausgangspunkt war die Stärkung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Bildung. Die Lernwerkstatt ist konzipiert für die Nutzung in der Lehre, der Weiterbildung von Pädagoginnen und Pädagogen und als Anlaufstelle für Kindertageseinrichtungen und Grundschulen. Sie bietet Studierenden die Möglichkeit, didaktische Materialien in Lehrveranstaltungen kennenzulernen, kritisch einzuschätzen, mit Kindern zu erproben und konzeptionell weiterzuentwickeln 6 . Ergebnisse der Weiterentwicklung aus dem Projektstudium sind die „Naturwerkstatt - Rucksäcke für die Natur“, in deren Rahmen Erkundungsinstrumente und Experimentiermaterialien für Exkursionen mit Kindergruppen in die Natur ausgeliehen werden können, sowie Materialien zur Sinneswahrnehmung, zur ästhetischen und zur schriftsprachlichen Bildung. Das Projektstudium im fünften und sechsten Semester bietet die Gelegenheit, in Kleingruppen, die von der Hochschule intensiv begleitet werden, ein Projekt in der Praxis durchzuführen. Das Projektstudium stellt für die Studierenden einen Meilenstein der eigenen Professionalisierung dar, indem längerfristig und zeitlich intensiv an einem Thema gearbeitet und alle Phasen eines Projekts - von der ersten Projektidee bis hin zur öffentlichen Projektpräsentation - im Team selbstständig gemeistert werden müssen. Im Rahmen des Projektstudiums entwickelte beispielsweise eine Kleingruppe eine Lernwerkstatt für „Schriftenentdecker“ und evaluierte die Erprobung mit Vorschulkindern. Einen methodischen Ansatzpunkt für die Erweiterung der Sprachkompetenz der Studierenden selbst bietet auch die Arbeit mit Portfolios. Die Dokumentation und Reflexion der Erfahrungen in den Kurzpraktika der ersten drei Semester in Lerntagebüchern bildet dabei die Vorstufe für die komplexere Arbeit mit Bildungsbereichs-, Praxissemester- und Projektportfolios. Die Portfolio-Arbeit knüpft dabei an Erfahrungen in der Erzieherinnen- und Lehrerausbildung an (vgl. Jansa, 2006). Dabei kann das Portfolio in der Ausbildung von Pädagoginnen und Pädagogen „individuell bedeutsame Schreibanlässe schaffen durch konkrete biografische Bezüge“ (Bräuer, 2007, 51). 5. Fazit und Ausblick Sicherlich ist ein Hochschulstudium nicht der einzige Weg, die hohen Qualifikationsanforderungen zu erfüllen und sicherlich genügt ein Studium alleine nicht, um all den Anforderungen, die die sprachliche Bildung von Kindern an die Fachkräfte stellt, zu genügen, sondern muss flankierend durch berufsbegleitende Fortbildungen unter- 5 Siehe dazu http: / / www.hs-esslingen.de/ de/ hochschule/ fakultaeten/ soziale-arbeit-gesundheit-und-pflege/ studiengaenge/ bachelor/ bachelor-of-arts-ba-bildung-und-erziehung-in-der-kindheit/ lernwerkstatt.html 6 Ein Teil dieser Materialien steht zum kostenlosen Verleih zur Verfügung. Näheres s. unter http: / / www.hs-esslingen.de/ de/ hochschule/ fakultaeten/ soziale-arbeit-gesundheit-und-pflege/ studiengaenge/ bachelor/ bachelor-of-arts-ba-bildungund-erziehung-in-der-kindheit/ lernwerkstatt.html <?page no="153"?> 154 stützt werden 7 . Es spricht allerdings vieles dafür, dass ein Hochschulstudium eine wichtige Basis legen kann und gerade im Hinblick auf die erforderlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Beobachtungs- und Reflexionsfähigkeit und die eigenen kommunikativen Kompetenzen eine bessere Chance dafür bietet. Vor allem ist zu erwarten, dass akademisch qualifizierte Leitungskräfte insbesondere über das Instrument der Teamentwicklung entsprechend förderlich in das Feld hineinwirken. Die Analyse der Module des Studiengangs an der Hochschule Esslingen zeigt, dass alle Aspekte, die im Abschlussbericht von „Sag’ mal was“ im Hinblick auf die Qualifikation der Fachkräfte und deren interaktive, sprachliche und didaktische Kompetenz gefordert werden (vgl. Gasteiger-Klicpera, Knapp & Kucharz, 2010, 207- 209; Roos, Polotzek & Schöler, 2010, 78-80), im Studiengang „Bildung und Erziehung in der Kindheit“ an der Hochschule Esslingen verankert sind. Gleichzeitig muss das Studium angesichts der Bedeutung, die kommunikative und sprachliche Kompetenzen für die weitere Bildungslaufbahn und Teilhabechancen in der Gesellschaft darstellen sowie angesichts der zentralen Bedeutung der sprachlichen Entwicklung für die gesamte Denkentwicklung der Kinder (vgl. Rehbein & Meng, 2007), diesbezüglich ständig weiterentwickelt werden. Grundlage für die Weiterentwicklung sind neue wissenschaftliche Erkenntnisse und die regelmäßigen Evaluationen und Absolvierendenstudien. Im Bemühen um die Ermöglichung der besten Chancen für jedes einzelne Kind gilt es, unermüdlich an der Verbesserung der Qualifikation zu arbeiten - analog dem Eingangsmotto „Für die Jüngsten brauchen wir die Besten“. Literatur Albers, Timm (2009): Sprache und Interaktion im Kindergarten. Eine quantitativ-qualitative Analyse der sprachlichen und kommunikativen Kompetenzen von dreibis sechsjährigen Kindern. Bad Heilbrunn. Bräuer, Gerd (2007): Portfolios in der Lehrerausbildung als Grundlage für eine neue Lernkultur in der Schule. In: Gläser-Zikuda, Michaela / Hascher, Tina (Hrsg.): Lernprozesse dokumentieren, reflektieren und beurteilen. Lerntagebuch und Portfolio in Bildungsforschung und Bildungspraxis. Bad Heilbrunn, S.-45-62. Diller, Angelika (2010): Erzieherinnen, Kindheitspädagogen & Co. In: Der pädagogische Blick.1/ 2010, S.-50-59. Fuchs-Rechlin, Kirsten (2009): Akademisierung in Kindertageseinrichtungen - Schein oder Sein? In: Rauschenbach, Thomas: KomDat Jugendhilfe - Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik -AKJ Stat., Ausgabe 01/ 2009, Dortmund, S.-18-19. Gasteiger-Klicpera, Barbara / Knapp, Werner / Kucharz, Dietmut (2010): Abschlussbericht der Wissenschaftlichen Begleitung des Programms „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“, Pädagogische Hochschule Weingarten (unter Mitarbeit von Doreen Patzelt, Julia Ricart Brede, Barbara Maria Schmidt, Beate Vomhof), abgerufen am 22.05.2010 unter http: / / www.sagmalwas-bw.de/ media/ WiBe%201/ pdf/ PH-Weingarten_Abschlussbericht_2010.pdf Hochschule Esslingen (2006): Modulhandbuch Bachelor of Arts (B.A.) Bildung und Erziehung in der Kindheit; 09/ 2006, Esslingen, abgerufen am 22.05.2010 unter http: / / www6.hs-esslingen.de/ static/ 326/ MHB_BBE_2010_02.pdf 7 Hier bietet die Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WiFF) einen guten Ansatzpunkt: http: / / www.weiterbildungsinitiative.de <?page no="154"?> 155 Hofmann, Nicole / Polotzek, Silvana / Roos, Jeanette / Schöler, Hermann (2008) (= Hofmann et al. 2008): Sprachförderung im Vorschulalter - Evaluation dreier Sprachförderkonzepte. In: Diskurs Kindheits- und Jugendforschung Heft 3-2008, S.-291-300. Jansa, Axel (2006): Portfolios als Begleitung eigener Bildungsprozesse in der Erzieherinnen-Ausbildung. In: Betrifft KINDER 03/ 04-2006, S.-48-57. Jugendministerkonferenz / Kultusministerkonferenz (2004) (= JMK/ KMK 2004): Gemeinsamer Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen, Beschluss der Jugendministerkonferenz vom 13./ 14.05.2004 / Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 03./ 04.06.2004, abgerufen am 22.05.2010 unter http: / / www.kmk.org/ fileadmin/ veroeffentlichungen_beschluesse/ 2004/ 2004_06_04- Fruehe-Bildung-Kitas.pdf Kahl, Reinhard (2002): Spitze - Schulen am Wendekreis der Pädagogik. DVD. Archiv der Zukunft, Hamburg 2002. Lingenauber, Sabine (2002): Einführung in die Reggio-Pädagogik, Berlin. Malaguzzi, Loris (1992): Eröffnungsbeitrag zur Fachtagung. In: Senatsverwaltung für Jugend und Familie: Hundert Sprachen hat das Kind. Berlin, S.-17-31. Miedaner, Lore (2006): Die Zeit ist reif: „Erzieher/ innen-Ausbildung“ an Hochschulen. In: Textor, Martin: Kindergartenpädagogik-Online-Handbuch, abgerufen am 22.05.2010 unter: http: / / www.kindergartenpaedagogik.de/ 1472.html Miedaner, Lore (2009): Lernen im Praxissemester. Unterschiede zwischen Inlands- und Auslandspraktika in Studiengängen zur Bildung und Erziehung in der Kindheit. Eine Studie an der Hochschule Esslingen. In: Textor, Martin: Kindergartenpädagogik - Online-Handbuch, abgerufen am 22.05.2010 unter: http: / / www.kindergartenpaedagogik.de/ 2008.html OECD (2004): Die Politik der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Länderbericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), 26. November 2004, abgerufen am 18.05.2010 unter http: / / www.bmfsfj.de/ bmfsfj/ generator/ RedaktionBMFSFJ/ Pressestelle/ Pdf-Anlagen/ oecd-studie-kinderbetreuung,property=pdf.pdf Rehbein, Jochen / Meng, Katharina (2007): Kindliche Kommunikation als Gegenstand sprachwissenschaftlicher Forschung. In: Meng, Katharina / Rehbein, Jochen (Hrsg.): Kindliche Kommunikation - einsprachig und mehrsprachig, Münster et al., S.-1-38. Roos, Jeanette / Polotzek, Silvana / Schöler, Hermann (2010): EVAS - Evaluationsstudie zur Sprachförderung von Vorschulkindern. Wissenschaftliche Begleitung der Sprachfördermaßnahmen im Programm „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“. Abschlussbericht. Unmittelbare und längerfristige Wirkungen von Sprachförderungen in Mannheim und Heidelberg im Auftrag der Landesstiftung Baden-Württemberg, Pädagogische Hochschule Heidelberg. Sylva, Kathy / Melhuish, Edward / Sammons, Pam / Siraj-Blatchford, Iram / Taggart, Brenda / Elliot, Karen (2004) (= Sylva et al. 2004): The Effektive Provision of Pre-School Education Project - Zu den Auswirkungen vorschulischer Einrichtungen in England. In: Faust, Gabriele et al.: Anschlussfähige Bildungsprozesse im Elementar- und Primarbereich. Bad Heilbrunn, S.-154-167. Tietze, Wolfgang / Rossbach, Hans-Günther / Grenner, Katja (2005): Kinder von 4 bis 8 Jahren. Zur Qualität der Erziehung und Bildung in Kindergarten, Grundschule und Familie. Weinheim und Basel. <?page no="155"?> 156 Frühkindliche Bildung in der Robert Bosch Stiftung Günter Gerstberger Vor dem Hintergrund sich wandelnder bildungs- und familienpolitischer Anforderungen an das gesamte Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungssystem von Kindern hat die Robert Bosch Stiftung im Jahr 2003 den Schwerpunkt Frühkindliche Bildung eingerichtet. Ziel ist es, die Praxis in den Kindertageseinrichtungen nachhaltig zu verbessern. Durch aufeinander aufbauende Förderprogramme werden hierbei sowohl die Aus- und Weiterbildungschancen von frühpädagogischen Fachkräften in Kindertageseinrichtungen als auch die Qualifizierung von Nachwuchswissenschaftlern an Universitäten entscheidend unterstützt. Bisher wurden mehr als sieben Millionen Euro für den Schwerpunkt Frühkindliche Bildung zur Verfügung gestellt. Komplementär dazu setzt sich die die Baden-Württemberg Stiftung vorrangig für die Sprachförderung der Kinder im Vorschulalter ein. Aus diesem Grund war die Robert Bosch Stiftung gerne bereit, bei der Fachtagung der Baden-Württemberg Stiftung mitzuwirken. Die Professionalisierung der Frühpädagogik ist eine wesentliche Grundlage, um die Qualität der Aus- und Weiterbildung nachhaltig zu entwickeln. Der von den Bundesländern beschlossene Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen erfordert eine wissenschaftliche Fundierung, die in enger Verzahnung von Forschung, Lehre und Praxis entwickelt werden muss. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern hat es Deutschland in den letzten 30 Jahren versäumt, Frühpädagogen an Hochschulen zu qualifizieren. Aus diesem Grund ging im Jahr 2005 die Initiative „PiK - Profis in Kitas“ als erstes Projekt im Programmschwerpunkt Frühkindliche Bildung der Robert Bosch Stiftung an den Start. „PiK - Profis in Kitas“ Die Anforderungen an Frühpädagogen sind in Deutschland heute größer denn je: Die Einführung von Bildungsplänen, die Ausweitung familienunterstützender Angebote sowie der ab 2013 geltende Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder unter drei Jahren stellen die Fachkräfte vor immer neue Herausforderungen. Um diese neuen Aufgaben bewältigen zu können, bedarf es einer gezielten und umfassenden Ausbildung der Fachkräfte, die auf neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen der frühkindlichen Bildung basiert. Erfreulicherweise ist mit den gewachsenen Herausforderungen an das Fachpersonal für Kindertageseinrichtungen in den letzten Jahren auch eine Verbesserung der Ausbildung in Gang gekommen. Inzwischen besteht weitgehend Konsens darüber, dass die Qualifizierung von Frühpädagogen nicht nur an Fachschulen sondern auch an Universitäten und Fachhochschulen ihren Platz haben muss. Mit der Ausschreibung des Projektes „PiK - Profis in Kitas“ wurde ein entscheidender Impuls für die Einrichtung frühpädagogischer Studienangebote gegeben. <?page no="156"?> 157 PiK entstand als Lerngemeinschaft von fünf Hochschulen aus ganz Deutschland, die gemeinsam Bildungsinhalte sowie Lehr- und Lernmethoden für frühpädagogische Studiengänge erarbeiten. Im Rahmen eines mehrstufigen Verfahrens wurden die fünf PiK-Partnerhochschulen aus über 30 Bewerbern ausgewählt. Der Schwerpunkt der ersten Förderphase von PiK-Profis in Kitas lag auf der (Weiter-)Entwicklung der frühpädagogischen Studienangebote an den Standorten. In enger Zusammenarbeit mit Praxiseinrichtungen haben die Partnerhochschulen an der inhaltlichen und organisatorischen Gestaltung sowie Umsetzung der Curricula ihrer Studiengänge gearbeitet. Zentrale Themen waren hierbei die curriculare Einbindung sowie Qualifizierung der Praxis und die Etablierung durchlässiger Bildungswege an den Standorten. Die ersten Ergebnisse der Zusammenarbeit wurden im Herbst 2008 in Form des Orientierungsrahmens „Frühpädagogik studieren“ veröffentlicht. Seither dienen sie der sich formierenden frühpädagogischen Hochschullandschaft als Orientierung bei der curricularen Entwicklungsarbeit und bieten Universitäten wie Fachhochschulen wichtige Unterstützung beim Aufbau frühpädagogischer Studiengänge. Mit Beginn der zweiten Förderphase im Jahr 2008 stand die Fundierung von Ausbildungsqualität durch die Bearbeitung von Schlüsselthemen im Vordergrund von PiK. Im Verbund mit weiteren Kooperationspartnern wurden an den PiK-Standorten transferfähige und inhaltlich ausgerichtete Modelle zu Themen wie die Bildung, Betreuung und Erziehung von unter Dreijährigen oder Elementardidaktik entwickelt. Auch wenn alle 16 Bundesländer in den letzten Jahren Bildungspläne für die frühe Kindheit verabschiedet haben: Der deutsche Föderalismus führt dazu, dass politische und strukturelle Rahmenbedingungen für die frühkindliche Bildung und die Professionalisierung von Frühpädagogen von Land zu Land stark voneinander abweichen. Der Vielfalt dieser Ansätze Rechnung tragend hat sich die Stiftung bei der Auswahl ihrer Partner bewusst für ein breit gefächertes Portfolio sehr unterschiedlicher Standorte entschieden. Zu den Partnerhochschulen von PiK gehören zwei Universitäten und drei Fachhochschulen in insgesamt fünf Bundesländern. In ihrer Summe vertreten diese einen guten Teil des Spektrums der strukturellen Möglichkeiten, frühpädagogische Studienangebote an Hochschulen zu verankern. Die Projektpartner zeichnen sich vor allem durch ihre engen Kontakte zu regionalen Praxiseinrichtungen, Trägern von Kindertageseinrichtungen und Fachschulen aus und spielen damit für die Professionalisierung von Frühpädagogen auf allen Ebenen des Aus- und Weiterbildungssystems eine Vorreiterrolle. Die Verankerung der curricularen Entwicklungsarbeit in den Projekten der fünf Standorte gewährleistet, dass Bildungsinhalte nicht nur entwickelt, sondern auch erprobt und im Rahmen konkreter Studienangebote umgesetzt werden. Seit den Anfängen von PiK hat sich das Feld sehr dynamisch weiterentwickelt. Erfreulicherweise wurden in den vergangenen sechs Jahren an über 50 verschiedenen Einrichtungen über 90 neue elementarpädagogische Bachelor- und Masterstudiengänge konzipiert. <?page no="157"?> 158 „Weiterbildungsinitiative Frühkindliche Bildung - WiFF“ Um die im PiK-Projekt erarbeiteten Professionalisierungsansätze auch auf Bildungsgänge unterhalb des Hochschulabschlusses zu übertragen und damit anschlussfähige Aus- und Weiterbildungsinhalte für das gesamte Berufsfeld zu schaffen, hat die Stiftung im Jahr 2008 die „Weiterbildungsinitiative Frühkindliche Bildung - WiFF“ ins Leben gerufen. Dieses zweite große Programm des Förderschwerpunktes wird in Kooperation mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Jugendinstitut e.-V. durchgeführt. WiFF erarbeitet eine nach unterschiedlichen Kompetenzstufen strukturierte, fachliche Grundlage für die Fort- und Weiterbildung von Erzieherinnen und Tagespflegekräften. Die Weiterbildungsinitiative hat das Ziel, Transparenz, Qualität und Anschlussfähigkeit der Aus- und Weiterbildung für frühpädagogische Fachkräfte zu verbessern. Die vielfältigen Diskussionen im Vorfeld des Projektes haben deutlich gemacht, dass die politische und fachliche Akzeptanz der Weiterbildungsinitiative eine zentrale Voraussetzung für den Erfolg des Projektes sind. Darauf basiert die Projektkonzeption, durch welche wissenschaftliche Erkenntnisse, politische Vorhaben und Praxisanforderungen von Anfang an miteinander verknüpft werden. Dies erfordert ein kooperatives, prozessorientiertes Projektmanagement mit dem verbindlich definierte Projektaufgaben mit innovativen Kooperationsangeboten in Einklang gebracht werden. Ein Beispiel dafür sind die offenen, ressortübergreifenden Länderarbeitsgruppen. WiFF hat das Anliegen einiger Bundesländervertreter nach Austausch gerne aufgenommen und ein Konzept entwickelt, das differenzierten Austausch über fachliche und politische Hintergründe ermöglicht. Dieser kooperative Ansatz erfordert komplexe Vorgehensweisen und zeitaufwendige Arbeitsabläufe, die in den fünf Aufgabenfeldern „Empirische Erhebungen“, „Qualifizierung und Kompetenzen“, „Anschlussfähige Bildungswege“, „Qualität der Weiterbildung“ und „Projektmarketing“ handlungsleitend sind. WiFF hat im Jahr 2009 in diesen fünf Aufgabenfeldern zahlreiche umfangreiche Forschungsarbeiten angestoßen, Netzwerke geknüpft, Gremien einberufen, mehrere Veranstaltungen vorbereitet, Dossiers erarbeitet und Expertisen vergeben. „Das Forschungskolleg Frühkindliche Bildung“ Die Weiterentwicklung von Forschung und Lehre zur frühkindlichen Bildung hat in Deutschland mit der Entwicklung neuer Studiengänge nicht Schritt halten können. Da sich die Frühpädagogik noch nicht als eigenständige Fachdisziplin etablieren konnte, mangelt es an wissenschaftlichen Ergebnissen zu qualitativen und quantitativen Fragen der Bildung, Betreuung und Erziehung von Kleinkindern. Hierzu hat die Baden-Württemberg Stiftung mit der Beauftragung der wissenschaftlichen Begleitforschung zum Programm „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“ einen wichtigen Schritt getan. Jedoch besteht noch weiterer Forschungs- <?page no="158"?> 159 bedarf, der auch auf der Fachtagung der Baden-Württemberg Stiftung nachdrücklich bestätigt wurde. Für die Robert Bosch Stiftung war ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Professionalisierung der frühkindlichen Bildung ist das „Forschungskolleg Frühkindliche Bildung - Exzellenter Nachwuchs für die Wissenschaft“. Anders als in anderen westlichen Industrienationen wurde es in Deutschland in den 1970er Jahren versäumt, eine institutionen- und fachdisziplinenübergreifende Forschungsinfrastruktur aufzubauen und akademisch qualifiziertes frühpädagogisches Personal auszubilden. Hierbei wurde insbesondere die universitäre Ausbildung von Frühpädagogen im Vergleich zu anderen Ausbildungsebenen stark vernachlässigt. Bereits heute ist deshalb absehbar, dass es in den nächsten Jahren einen gravierenden Engpass an qualifizierten Nachwuchswissenschaftlern und qualifiziertem Lehrpersonal - vor allem an deutschen Universitäten - geben wird. Um diesem Mangel entgegenzutreten, hat die Robert Bosch Stiftung im Jahr 2008 erstmals das „Forschungskolleg Frühkindliche Bildung“ ausgeschrieben. Diese Exzellenzförderung ist ein Qualifikationsprogramm für hervorragende Nachwuchswissenschaftler, deren wissenschaftliche Ausbildung an entsprechenden Lehrstühlen oder Instituten im deutschen Hochschulraum unterstützt werden soll. Mit dem Forschungskolleg wird die wissenschaftliche Ausbildung in der frühkindlichen Bildung an entsprechenden Lehrstühlen im deutschen Hochschulraum qualitativ verbessert und eine erste Elite von Wissenschaftlern für die Reform der frühkindlichen Bildung herangezogen. Auf diese Weise wird auch erreicht, dass die Frühpädagogik innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft der Pädagogik mittelfristig als interdisziplinär orientierte Fachdisziplin anerkannt wird. Auf einen Blick: Frühkindliche Bildung in der Robert Bosch Stiftung PiK - Profis in Kitas www.profis-in-kitas.de/ WiFF - Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte www.weiterbildungsinitiative.de/ Forschungskolleg Frühkindliche Bildung www.bosch-stiftung.de/ forschungskolleg_fruehkindliche_bildung Die Robert Bosch Stiftung GmbH www.bosch-stiftung.de <?page no="159"?> 160 Für sprachliche Förderung qualifizieren. erkenntnisse aus dem Bund-länder-projekt „Sprachliche Förderung in der Kita“ Karin Jampert und Anne Zehnbauer Das Konzept: Sprachförderung als Querschnittsaufgabe in der Kita Wie kommt das Kind zur Sprache? Wie viel Sprache steckt im Bildungsalltag der Kita? Welches Wissen und welche Handlungskompetenz brauchen Erzieherinnen für eine ganzheitliche sprachliche Bildung und Förderung, die theoriegestützt, systematisch und gezielt erfolgt? Diese Fragen waren leitend für das Projekt „Sprachliche Förderung in der Kita“, das vom Deutschen Jugendinstitut im Auftrag des Bundesfamilienministeriums (BMFSFJ) sowie von sechs kooperierenden Bundesländern aus Ost und West durchgeführt wurde. Als tragendes Konzept hat dieses Projekt einen Ansatz entwickelt, der die kontinuierliche und langfristige Begleitung und Unterstützung aller Kinder in ihrem alltäglichen Spracherwerb vom ersten Tag in der Kita an in den Mittelpunkt stellt. Ein wesentliches Merkmal der sprachlichen Bildung und Förderung der Kinder liegt dabei in der Verknüpfung mit den alltäglichen Aktivitäten und Angeboten quer durch den Bildungskanon der Kita. Wie viel Sprache im Alltag der Kita stecken kann, wurde im Projekt exemplarisch an den vier Bereichen Musik, Bewegung, Naturwissenschaften und aktive Medienarbeit bearbeitet und aufgezeigt (Jampert u.-a., 2006 und 2009). Das Konzept „Sprachliche Förderung in der Kita“ versteht sich somit als Querschnittsaufgabe für die pädagogischen Fachkräfte, die den gesamten Kindergartenalltag durchzieht. Grundlage für diese Arbeit ist eine differenzierte Wahrnehmung der Kinder und ihres sprachlichen Handelns in den unterschiedlichen Situationen des Kindergartengeschehens: Bei alltäglichen Abläufen, im Freispiel oder bei angeleiteten Spielen und Aktivitäten aus unterschiedlichen Bildungsbereichen lassen sich die individuellen Sprachkompetenzen und Aneignungsstrategien der Kinder entdecken, an denen eine ganzheitliche Bildung anknüpfen muss. Der Blick der Erzieherin wird gelenkt durch sprachwissenschaftliche Erkenntnisse zur Entwicklung von Lauten, Wortschatz und Grammatik sowie entwicklungspsychologisches und pädagogisches Wissen, das die Bedeutung der Sprache als Werkzeug der Kommunikation und des Denkens umfasst. Für einen solchen umfassenden Blick auf Kindersprache wird in den Projektmaterialien (Jampert u.- a., 2009) Hintergrundwissen zu den verschiedenen sprachlichen Ebenen sowie den Bildungsbereichen dargeboten, das jeweils mit Anschauungsbeispielen verknüpft ist und Möglichkeiten für die gezielte Förderung im pädagogischen Alltag aufzeigt. Als weiteren Baustein des Konzepts hat das Projekt differenzierte Beobachtungs- und Dokumentationshilfen („Orientierungsleitfäden“) entwickelt, die in erster Linie der Qualifizierung von Erzieherinnen <?page no="160"?> 161 und einer Sensibilisierung für die Besonderheiten von Kindersprache dienen. Dieses systematische Vorgehen sowie der grundlegende (alltagsbezogene) Ansatz des DJI-Projekts kommt auch im Projekt „Dialoge mit Kindern führen“ zum Tragen, das das Deutsche Jugendinstitut für die Baden-Württemberg Stiftung im Rahmen der neuen Initiative von „Sag’ mal was - Sprachliche Bildung für Kleinkinder“ durchführt. Ergebnisse der projektinternen Evaluation Die Erfahrungen in den elf im DJI-Projekt „Sprachliche Förderung in der Kita“ beteiligten Kindertageseinrichtungen zeigen, dass der Ansatz Früchte getragen hat. Ergebnisse aus der projektbegleitenden Evaluation weisen darauf hin, dass die pädagogischen Fachkräfte ihr Wissen zu Sprache und Sprachentwicklung und ihre eigenen Kompetenzen nach dem Projekt höher einschätzen und über eine größere Sicherheit im Umgang mit mehrsprachigen Kindern verfügen. Die Erzieherinnen schätzen sich in Bezug auf sprachliche Äußerungen von Kindern sensibler ein und achten mehr auf die sprachlichen Kompetenzen der Kinder: „Mein gesamter Blickwinkel auf Sprache hat sich sehr verändert. Mir wurde nochmals bewusst, wie komplex der Spracherwerb ist. Zuvor habe ich mein Augenmerk in erster Linie auf den Wortschatz und die Aussprache gelenkt. Jetzt höre ich den Kindern anders zu und bin oft sehr beeindruckt, über welche Kompetenzen die Kinder verfügen, welche Gedanken sie sich machen.“ Und die Fachkräfte haben neue Ansatzpunkte für sprachliche Bildungsgelegenheiten entdeckt, sowohl in den Alltagssituationen der Kita als auch im Spektrum der Bildungsbereiche. Im Projekt ist es - im Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis - gelungen, eine differenzierte Sichtweise auf die Kinder und ihre Sprachen zu verankern und Ansatzpunkte für eine systematische Sprachförderung herauszuarbeiten, die sich in einen ganzheitlichen Ansatz der Elementarpädagogik einfügt: „Wir denken, dass wir nun gezielter handeln und dass damit die Chancen sich stark verbessert haben, im Rahmen der Bildungsbereiche die Kinder sprachlich zu fördern. Wir haben uns durch das Projekt angewöhnt die sprachlichen Ziele unserer Angebote zu erkennen und zu berücksichtigen.“ Dass diese Art zu arbeiten neben dem Engagement der Erzieherinnen Zeit und entsprechende Rahmenbedingungen (z.-B. kleinere Gruppen, Zeit für Vorbereitung, Dokumentation und Auswertung) braucht, darf für eine erfolgreiche sprachliche Bildungsarbeit nicht außer Acht gelassen werden. Die Wirkungen institutioneller Ressourcen und Rahmenbedingungen wurden auch durch die Erfahrungen im Programm „Sag’ mal was“ bestätigt, auch wenn sich die Herangehensweise der eingesetzten Sprachförderkonzepte unterscheidet. Aus der Zusammenarbeit mit den Erprobungseinrichtungen im Projekt „Sprachliche Förderung in der Kita“ sowie aus Fortbildungserfahrungen mit dem Konzept lassen sich einige zentrale Erkenntnisse für die Qualifizierung von Fachkräften ableiten. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die drei Entwicklungsebenen des Projekts: Wissenstransfer, Beobachtung und Dokumentation sowie gezielte Förderung im Bildungsalltag. <?page no="161"?> 162 Wissenstransfer: praxisnah aufbereitete wissenschaftliche Erkenntnisse zum kindlichen Spracherwerb Es fehlt wirklich nicht an Wissen und Erkenntnissen zum kindlichen Spracherwerbsverlauf in der Fachöffentlichkeit. Und doch stellt man in Fortbildungen fest, dass vorliegende Erkenntnisse zum frühkindlichen Spracherwerbsprozess und zum sprachlichen Verhalten von Kindern bei vielen Fachkräften nur rudimentär und keineswegs in einer handlungsleitenden Weise angekommen sind. Im Projektverlauf zeichnete sich ab, dass ein Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis hinein noch zu leisten ist. Wissen zur Kindersprache muss zielgruppenorientiert für Fachkräfte aufbereitet werden, das heißt sowohl ihren Voraussetzungen (theoretische Vorkenntnisse) als auch ihrer spezifischen Perspektive (ihren praktischen Erfahrungen) entsprechend angepasst werden. Fachkräfte benötigen eine Verknüpfung zwischen den normgerechten Darstellungen des klassischen Spracherwerbsverlaufs aus der Wissenschaft und den sprachlichen Phänomenen, die ihnen aus ihrem Kita-Alltag vertraut sind. Die Orientierungsleitfäden des Projekts zur Beobachtung und Reflexion von Kindersprache versuchen diesen Bedarf einzulösen. In Form verständlicher Begrifflichkeiten werden wissenschaftliche Erkenntnisse dargestellt und mit sprachlichen Phänomenen von Kindern, die Fachkräften vertraut sind, zusammengeführt. Kindersprache entdecken heißen diese Beobachtungsbögen, mit deren Hilfe Fachkräfte Kindersprache differenzierter wahrnehmen können und die ihnen zugleich ermöglichen, ihre Beobachtungen zu reflektieren und einzuordnen. Durch diese theoretisch fundierte Sensibilisierung können Fachkräfte aufmerksamer werden für die Bandbreite sprachlicher Phänomene, mit denen sie tagtäglich konfrontiert sind. Sie erkennen sprachliche Stärken von Kindern, wie zum Beispiel die Verwendung prosodischer Mittel zur Gestaltung spielerischer Dialoge und können dieses Verhalten in den Spracherwerbsverlauf einordnen. Und sie erkennen die Bedeutung eines spielerischen Sprachverhaltens von Kindern für den Spracherwerbsprozess, wie etwa den kreativen Umgang mit Lautfolgen und können aufgrund dessen Sprechanlässe schaffen oder Situationen aufgreifen, bei denen es ganz nebenbei auch um Lautbildung und Lautstabilisierung geht. Die Arbeit mit den Orientierungsleitfäden hat gezeigt, dass es Sinn macht, sich der Kindersprache in kleinen Schritten zu nähern. Das heißt, Sprachbeobachtungen von Fachkräften sollten sich zunächst auf einzelne Sprachbereiche (wie z.-B. Lauterwerb oder sozial-kommunikatives Sprachverhalten) begrenzen. So können sich Fachkräfte allmählich und ohne sich zu überfordern ein differenziertes Wissen zum Spracherwerb und Sprachverhalten von Kindern erschließen. Beobachtung und Dokumentation: systematisch und differenziert die Sprache der Kinder beobachten, dokumentieren und reflektieren Der sprachliche Aneignungsprozess von Kindern ist komplex und eng verbunden mit der Gesamtentwicklung von Kindern. Kinder eignen sich ja nicht nur die Sprache als Struktur an (also Laute, Wörter und die grammatischen Regeln). Vielmehr verändern <?page no="162"?> 163 sich im Kontext ihrer wachsenden sprachlichen Fähigkeiten auch ihre kognitiven und sozial-kommunikativen Kompetenzen. Um diesen Prozess professionell zu begleiten und einzuordnen sind nicht nur regelmäßige Beobachtungen unerlässlich. Der Nutzen von Beobachtungen kann sich besonders dann entfalten, wenn die Sprache der Kinder punktuell immer wieder festgehalten und dokumentiert wird. Das schriftliche Festhalten der flüchtigen mündlichen Sprache sensibilisiert Fachkräfte und trägt dazu bei, dass sie neben Defiziten zunehmend aufmerksamer werden für die sprachlichen Fähigkeiten von Kindern und für die großen Unterschiede zwischen Kindern in ihrem jeweiligen Prozess der Annäherung an die Sprache. So entdeckte eine Fachkraft im Projekt: „Alle Kinder haben sprachliche Kompetenzen! “ Die Verschriftung kindlicher Äußerungen und das Festhalten mittels Ton- und Videoaufnahmen ermöglichen eine intensive und wiederholbare Betrachtung und Reflexion. Darüber hinaus bietet diese Form der Dokumentation die Chance, die Veränderung und Entwicklung der kindlichen Fähigkeiten im Verlauf des Kitabesuchs zu verfolgen. Vergleiche im Zeitverlauf sind möglich, die nachweisbar den sprachlichen Fortschritt oder auch Stillstand anzeigen. Dokumentationen von Kindersprache sind eine gute Grundlage für die fachliche Diskussion im Team und können als aussagekräftiges und anschauliches Material für Entwicklungsgespräche mit den Eltern dienen. Mitschriften sind allerdings nur dann sinnvoll, wenn sie, neben Zeitpunkt und Situation, die originale Äußerung eines Kindes festhalten (dazu gehört auch die Beschreibung des nonverbalen Verhaltens) und keine von kindlichen Besonderheiten bereinigte ‚korrekte‘ sprachliche Formulierung. Die professionelle Gestaltung schriftlicher Dokumentationen war ein zentraler Lernschritt im Projekt, denn nur so lassen sich kindliche Spracherwerbsstrategien und die Weiterentwicklung spezifischer sprachlicher Handlungsmöglichkeiten von Kindern entdecken. Gezielte Förderung im Bildungsalltag: Situationen erkennen und gestalten, in denen Sprache für Kinder Handlungsrelevanz besitzt Der kindliche Spracherwerb verläuft nach eigenen Regeln und Gesetzmäßigkeiten, was sich zum Beispiel dadurch ausdrückt, dass sogenannte Fehler zu diesem Lernprozess unweigerlich dazugehören. Kinder verfolgen nicht den Zweck sich Sprache anzueignen. Sie benutzen vielmehr das Medium Sprache für ihre sozialen Bedürfnisse und ihre spielerischen Aktivitäten. In diesen Zusammenhängen, also im Rahmen ihrer Interaktionen und bei ihren Spielen stabilisieren und erweitern Kinder ganz beiläufig auch ihre sprachlichen Fähigkeiten. Von dieser Prämisse ist auszugehen, wenn Kinder gezielt sprachlich begleitet und unterstützt werden sollen. Sprachförderung als Querschnittsaufgabe, die im Rahmen alltäglicher Aktivitäten stattfindet, knüpft an den Themen und Interessen von Kindern an und sollte gleichzeitig bewusst geplant und gestaltet werden. Ein Erfahrungsbericht aus einer Erprobungseinrichtung kann verdeutlichen, welche neuen Anforderungen an Fachkräfte damit kon- <?page no="163"?> 164 kret verbunden sind. Mit einer Kleingruppe von vierbis fünfjährigen, mehrsprachigen Mädchen wurde eine Bewegungslandschaft geplant, aufgebaut und ausprobiert: „Wir begannen damit, uns selber den Fachwortschatz für den Bereich der Bewegungsbaustelle bewusst zu machen und ihn den Kindern vorzustellen. Wir erarbeiteten mit ihnen Substantive wie Balancierbalken, -brett, Holzbrett, Bank, Matte; Verben wie balancieren, springen, klettern, rutschen, runterfallen, sich weh tun oder auch Adjektive wie schnell, langsam, dick, gefährlich oder auch schräg. Wir waren beeindruckt, dass sie sich besonders durch schwierige Worte wie ‚Trapezböckchen‘ herausgefordert fühlten und Freude daran hatten sie zu lernen.“ Bei solchen planerischen Aktivitäten wird nicht nur der Fachwortschatz für Kinder attraktiv, sondern auch die Fachkräfte sind damit befasst, sich vorbereitend den pädagogischen Alltag unter sprachlichen Gesichtspunkten genauer zu erschließen. Über einen differenzierten Wortschatz hinaus geht es bei solchen Aktionen auch darum, das sprachlich-kognitive Potential zu entdecken (z.-B. die Bewegungsbaustelle auf dem Reißbrett zu entwerfen) sowie Möglichkeiten zum Ausbau der sozial kommunikativen Fähigkeiten von Kindern zu erkennen und zu nutzen (wie etwa Aushandlungsprozesse in der Kleingruppe, Absprachen und Kooperationen zwischen den Kindern). Sprachliche Fähigkeiten werden in solchen Situationen im Handlungszusammenhang relevant und Sprache erhält dadurch Bedeutung für die Kinder. Sie können sich selbst bei solchen Aktionen mit ihrer Sprache und ihrem Handeln als selbstwirksam und erfolgreich erleben. Fachkräfte sollten im Bildungsalltag das sprachliche Potential der unterschiedlichen Situationen und Tätigkeiten im Alltag erkennen und Aktivitäten so gestalten, dass Kinder sprachlich aktiv werden können und die Sprache als ein wichtiges und lustvolles Handwerkszeug erleben. Fazit Die Fort- und Weiterbildung sollte für Fachkräfte im Elementarbereich ein systematisch aufbereitetes Wissen zur Struktur der deutschen Sprache sowie zum Spracherwerbsprozess von Kindern in Verbindung mit konkreten Anschauungsbeispielen von Kindersprache bereitstellen. Auf diese notwendige Erweiterung der Qualifikation von pädagogischen Fachkräften verweisen auch die Ergebnisse und Empfehlungen der wissenschaftlichen Begleitung im Rahmen des Programms „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“ (siehe Kapitel 4). Der Zugang über eine differenzierte Beobachtung und Dokumentation von Kindersprache nach den einzelnen sprachlichen Ebenen - wie er im DJI-Projekt „Sprachliche Förderung in der Kita“ entwickelt wurde - erhöht die Sensibilität der pädagogischen Fachkräfte für sprachliche Entwicklungsschritte der Kinder und stellt wichtiges Material zur Teamreflexion und zur Kooperation mit den Eltern bereit. Sprachliche Bildung kann somit im Rahmen der alltäglichen Bildungsprozesse erfolgen - allerdings gezielt und systematisch. Denn Sprache wird für Kinder dann relevant, wenn sie Bedeutung besitzt für ihre Beziehungen und für ihre spielerischen Aktivitäten. <?page no="164"?> 165 Literatur Jampert, K./ Leuckefeld, K./ Zehnbauer, A./ Best, P. (2006): Sprachliche Förderung in der Kita. Wie viel Sprache steckt in Musik, Bewegung, Naturwissenschaften und Medien? Weimar/ Berlin Jampert, K./ Zehnbauer, A./ Best, P./ Sens, A./ Leuckefeld, K./ Laier, M. (Hrsg.) (2009): Kindersprache stärken! Sprachliche Förderung in der Kita: das Praxismaterial, Weimar/ Berlin. Weitere Information unter: www.dji.de/ sprachfo-kita <?page no="165"?> 166 4 .3 Impulse für die praxis Relevanz der ergebnisse aus den evaluationsstudien für die praxis Werner Knapp, Jeanette Roos, Barbara Gasteiger-Klicpera, Diemut Kucharz und Hermann Schöler In der Einleitung zu Kapitel 4 wurden bereits einige, für die Praxis relevante Schlussfolgerungen der wissenschaftlichen Begleituntersuchung gezogen. Darüber hinaus ergaben die Evaluationsstudien zu folgenden Themen praxisrelevante Erkenntnisse: 1. Aufbau von Sprachfördereinheiten 2. Gestaltung von Sprachfördereinheiten 3. Umgang mit Mehrsprachigkeit 4. Umgang mit und Einsatz von Förderprogrammen. Aufbau von Sprachfördereinheiten Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleituntersuchung an der Pädagogischen Hochschule Weingarten erfolgte die Videografie und Analyse von Sprachfördereinheiten mit einer Dauer von ca. 30 bis 60 Minuten. In einem ersten Analyseschritt wurden die Sprachfördereinheiten nach Aktivitäten sequenziert, und den Aktivitäten Sozialformen sowie thematisierte sprachliche Bereiche zugeordnet. In einem zweiten Analyseschritt fand eine genauere Untersuchung der auf diese Weise gebildeten Sequenzen statt, wobei zum Teil kontrastiv je zwei Sequenzen miteinander verglichen wurden. Die vorliegenden Ergebnisse zur Sequenzierung zeigen, dass Aufgaben mit Spielcharakter, Lieder und Verse sowie motorisch bestimmte Tätigkeiten knapp die Hälfte der Zeit in Anspruch nehmen. Aufgaben ohne Spielcharakter und die Arbeit mit Text und Bild weisen einen Anteil von etwa einem Fünftel auf. Die mündliche Kommunikation füllt knapp 10 % der Fördereinheiten. Für Organisatorisches sowie Begrüßung und Verabschiedung werden 22 % einer Fördereinheit benötigt. Dieser für die Förderung selbst nicht relevante Zeitanteil für organisatorische Sequenzen ist bemerkenswert umfangreich. Zu über 90 % findet die Sprachförderung mit der Gesamtgruppe der zu fördernden Kinder statt. Einzelarbeit kommt wenig, Partner- und Kleingruppenarbeit fast gar nicht vor. <?page no="166"?> 167 Bei den behandelten sprachlichen Bereichen dominieren Wortschatz und Gespräche mit jeweils etwa 30 %. Übungen zur phonologischen Bewusstheit beanspruchen etwa 14 %. In den erwähnten organisatorischen Sequenzen überwiegen Gespräche und Erklärungen. Im Rahmen der Sprachfördereinheiten wird eine mit Gesprächen und Erklärungen flankierte Wortschatzarbeit geleistet. Vorlesen, das bewusste Umgehen mit oder gar das Thematisieren von Grammatik sowie Erzählrunden sind hingegen eher selten. Auffällig ist, dass wenig Zeit für die freie mündliche Kommunikation aufgewendet wird. Dies spiegelt sich bei den Sprachbereichen wider, innerhalb derer Erzählen nur zu etwa 5-% auftritt. Eine genaue Betrachtung der Wortschatzarbeit offenbart, dass häufig Benennungsübungen durchgeführt werden, im Rahmen derer versucht wird Substantive und die dazugehörigen Artikel im Nominativ zu vermitteln. Der Gebrauch von deklinierten Wörtern in der Alltagskommunikation kommt eindeutig zu kurz. Empfehlungen, die sich aus den Analysen ergeben: ➜ Organisatorische Sequenzen sollten so kurz wie möglich gefasst werden und sofern sie tatsächlich notwendig sind, so gestaltet werden, dass sie ebenfalls sprachförderlich wirksam werden, indem z.-B. bewusst mit Sprache umgegangen wird, Gegenstände benannt und Aktivitäten wie Handlungen sprachlich begleitet werden. ➜ Grammatikalische Aspekte sind kindgemäß zu thematisieren, um auf diese Weise Sprachbewusstheit und grammatische Kompetenzen zu fördern. Wichtig ist es, die Grammatikförderung möglichst gut in die alltägliche Kommunikation einzubeziehen und darauf zu achten, dass die Äußerungen der Kinder für kommunikative Absichten funktional sind. ➜ Der Kommunikation selbst und dem Erzählen sind mehr Raum einzuräumen. Gerade in der Kleingruppe kann Kindern Gelegenheit zum Erzählen und intensive Unterstützung durch Stimulierungs- und Modellierungstechniken gegeben werden. ➜ Auch das Vorlesen sollte zur Sprachförderung genutzt werden. Beim Vorlesen lernen die Kinder neue Wörter kennen, die ihren Wortschatz erweitern. Darüber hinaus werden ihnen sprachliche Strukturen in einer annähernd standardsprachlichen Form präsentiert. ➜ Der Anteil der Wortschatzarbeit ist zu beschränken und wenn diese durchgeführt wird, sind die Wörter in die Alltagskommunikation und somit in Sätze einzubetten. Isolierte Benennungsübungen oder gar Artikelraten sind zu vermeiden. ➜ Neben der Förderung in der Gesamtgruppe sind Alternativen für Einzel-, Kleingruppen und Partnerarbeit zu entwickeln. Gestaltung von Sprachfördereinheiten In den Analysen der einzelnen Sprachfördereinheiten wurden vielfältige Ergebnisse gewonnen, die aufgrund der Raumbegrenzung hier nicht referiert werden können; bedeutsam erscheinen insbesondere folgende Punkte: <?page no="167"?> 168 ➜ Die Gesprächsanteile der Sprachförderkraft bewegen sich meist im Bereich zwischen zwei Drittel und drei Viertel aller in einer Fördereinheit gesprochenen Wörter. Gesprächsanteile der beteiligten Kinder sind dementsprechend klein; auch gibt es Kinder, die fast gar nicht sprechen. ➜ Wortschatz kann im Situationskontext oder isoliert angeboten werden. Wird Wortschatz im Situationskontext gebraucht und vermittelt, dann äußern sich die Kinder häufiger und in längeren Sätzen. ➜ Äußerungen der Kinder sind oft sehr kurz und wenig komplex, die Sätze häufig unvollständig. Die Anzahl der Morpheme, also der Wortbausteine pro Äußerung, bewegt sich bei den Kindern durchschnittlich zwischen vier und fünf; dies entspricht drei bis fünf Wörtern. Die Nominalphrasen (z.-B. der kleine Hund) bestehen oft lediglich aus einem Nomen (z.-B. „Hund“) oder einem Nomen und einem Wort (z.-B. „kleine Hund“) als Erweiterung. ➜ Die Sprache der Förderkraft ist gelegentlich stark umgangssprachlich bzw. dialektal geprägt, so dass insbesondere bei Flexionen zu wenige Muster korrekter Sprache präsentiert werden. ➜ Die Sprachförderkräfte unterscheiden sich in der Art des Umgangs mit Fehlern und der Art des Feedbacks sehr deutlich voneinander. Folgerungen aus den Videoanalysen der Sprachfördereinheiten: ➜ Die Lernumgebung in der Sprachförderung sollte so gestaltet werden, dass die Kinder möglichst viel Gelegenheit zum Sprechen erhalten. In allen Situationen kann und soll intensiv kommuniziert werden. ➜ Unbedingt ist darauf zu achten, dass sich alle Kinder in nennenswertem Umfang aktiv einbringen können und nicht einzelne Kinder „sprachlos“ bleiben. „Sag’ mal was“ legt nahe, dass die Kinder im Rahmen der Sprachförderung sprechen. ➜ Die Sprachförderung sollte so gestaltet werden, dass längere und komplexe Äußerungseinheiten evoziert werden. ➜ Die Sprache der Sprachförderkraft sollte so weit an der Standardsprache orientiert sein, dass geförderte Kinder korrekte sprachliche Muster kennenlernen. Sprachförderkräfte müssen selbst gute Sprachvorbilder sein. ➜ Vorschulische Sprachförderung sollte nicht als verschultes Lernen verstanden werden. Gerade jüngere Kinder benötigen die Kommunikation begleitende nicht-sprachliche Rahmenhandlungen und Spielformate als Hilfe bei der Erschließung von Sprache. ➜ Sprachförderung sollte möglichst in Alltagssituationen verankert werden. Dies gilt insbesondere für die Vermittlung von Wortschatz. ➜ Um Wörter zu lernen, sollten diese häufig und in verschiedenen Kontexten vorkommen. Durch den Gebrauch in verschiedenen Kontexten können Kinder eine differenzierte Bedeutung der Wörter erwerben. ➜ Die Sprachförderkräfte sollten durch ihr Feedback die Kinder zu sprachlichen Äußerungen motivieren. ➜ Unzulänglichkeiten und Fehler der Kinder sind nicht zu ignorieren. Allerdings sind auch explizite Korrekturen nicht angebracht. Sinnvolle Reaktionen sind beispielsweise die korrigierende Paraphrase oder die Erweiterung unvollständiger Äußerungen. <?page no="168"?> 169 Umgang mit Mehrsprachigkeit Ein wichtiges Ergebnis der wissenschaftlichen Studie an der PH Weingarten ist der Zusammenhang zwischen dem Einbezug der Erstsprache von Kindern mit Migrationshintergrund und dem Zuwachs im Sprachstand. Fördergruppen, in denen die Erzieherinnen nach eigenen Angaben die Familiensprachen der Kinder in die Förderung einbezogen, hatten häufiger einen höheren Zuwachs ihrer Sprachleistungen im Deutschen zu verzeichnen und umgekehrt. Der Einbezug der Herkunftssprache kann als Indikator für die Berücksichtigung und Achtung des kulturellen Hintergrunds der Kinder im Rahmen des Kindergartenalltags betrachtet werden. Vermutlich wirkt sich diese Art der Beziehungsgestaltung zwischen Kind, pädagogischen Fachkräften und Eltern positiv auf die sprachlichen Kompetenzen der Kinder aus. Um die Erstsprachen einbeziehen zu können, ist eine Sensibilität für Situationen erforderlich, in denen dies gut gelingt. Immer wieder kann gefragt werden, wie ein Wort in der Erstsprache heißt, wie man bittet oder sich bedankt, wie man zählt und sich begrüßt. Äußerungen in der Erstsprache sollten stets positiv aufgegriffen werden. Wird die nicht deutsche Erstsprache der Kinder als besondere Fähigkeit betrachtet und dies zum Ausdruck gebracht, verbessert dies deren Selbstkonzept. Anregend sind auch Spielmaterial und Bücher in den Herkunftssprachen der Kinder bzw. in verschiedenen Sprachen, sowie das Aufgreifen landestypischer Spiele. Wird mehrsprachiges Aufwachsen von Anfang an bzw. möglichst früh ausdrücklich begrüßt und gefördert, muss es keineswegs mit Überforderung einhergehen. Bildung von Kindern in einer globalisierten Welt bedeutet, den Reichtum der Beherrschung verschiedener Sprachen und die Vielfalt zu betonen, die durch Mehrsprachigkeit entstehen. Dies kann allgemein zur Aufmerksamkeit für sprachliche Phänomene - in allen in der Einrichtung gesprochenen Sprachen - führen und für das sprachliche Lernen förderlich sein. Umgang mit und Einsatz von Förderprogrammen Die an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg durchgeführte Evaluationsstudie zeigt, dass pädagogische Fachkräfte die eingesetzten Sprachfördermaßnahmen bzw. -programme wie auch die im Rahmen der Programme erfolgten Schulungen sehr unterschiedlich beurteilen. Fort- und Weiterbildungen unterschieden sich sowohl in Form wie auch Umfang deutlich. Die Schulungsdauer variierte zwischen 2 und 14 Tagen, je nachdem, ob nach den Schulungen noch weitere Zusammenkünfte der Förderkräfte vorgesehen waren oder nicht. Die Förderkräfte, die das Programm von Kaltenbacher und Klages (2005) 1 einsetzten, waren Studierende oder Graduierte des Studiengangs Deutsch als Fremdsprache am Seminar für Deutsch als Fremdsprachenphilologie der Universität Heidelberg, die speziell in das Programm und seine Anwendung durch die Programm-Autorinnen eingewiesen wurden. Diese Sprachförderkräfte, die keine Ausbildung zur Erzieher/ -in 1 Die Aussage zu allen „Förderprogrammen“ bzw. „Konzepten“ beziehen sich auf die Versionen der mehr oder weniger ausgearbeiteten „Programme“, die in der in Klammer angegebenen Jahreszahl vorlagen. Fast alle „Programme“ liegen heute in einer überarbeiteten Form vor. <?page no="169"?> 170 hatten, erlebten ihre geringere pädagogische Erfahrung als nachteilig für eine optimale Durchführung der Sprachförderung. Bei dem Programm von Penner (2003) wurde beanstandet, dass die Sprachförderung in einigen Teilen für eher jüngere Kinder konzipiert sei. Hinsichtlich des offenen Förderkonzepts nach Tracy (2003) vertraten die Förderkräfte verschiedene Positionen: Einerseits wird das Konzept sehr gut akzeptiert, besonders von Erzieherinnen, die bereits seit längerem Sprachfördermaßnahmen durchführen. Andererseits fühlten sich Erzieherinnen mit weniger Fördererfahrung durch den Mangel an vorgegebenem Material und an Übungsaufgaben bei der Umsetzung des Förderkonzepts oft überfordert. Viele Förderkräfte betonen, dass die Durchführung der Fördermaßnahmen in den Kindertagesstätten zu zeitlichen Engpässen führen würde. Die geforderte Anzahl der Förderstunden und die Dokumentationsvorgaben sowie die Vor- und Nachbereitung ließen sich nach Aussage der Förderkräfte nur schwierig umsetzen und einhalten. Über die grundlegende Elterninformation hinaus wurden daher auch nur vereinzelt weitere Aktivitäten hinsichtlich einer Elternbeteiligung und -arbeit als flankierende Maßnahme einer Sprachförderung durchgeführt. Im Rahmen der Studie an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg zeigten sich keine Unterschiede hinsichtlich der Wirksamkeit verschiedener Programme für die Sprachförderung. Die Sprachförderung mit einem spezifischen Programm war zudem nicht wirksamer als ohne spezifisches Programm. Man sollte daher sehr sorgfältig überlegen, ob der Einsatz eines Sprachförderprogramms sinnvoll und erforderlich ist. Falls die Kindergartenstruktur den Einsatz eines Sprachförderprogramms zulässt, ist zu bedenken, dass auch ein Sprachförderprogramm eine angemessene Sprach- und Förderkompetenz der Fachkräfte voraussetzt. Nur sehr qualifizierte Erzieherinnen mit entsprechender Sprachkompetenz sollten Sprachförderprogramme durchführen. Außerdem ist zu reflektieren, in welchem Verhältnis die Arbeit mit einem Sprachförderprogramm und die Alltagskommunikation stehen sollen. Sprachliche Bildung ist in jedem Fall eine Querschnittsaufgabe in den Einrichtungen. In den an der Pädagogischen Hochschule Weingarten videografierten Sprachfördereinheiten, in denen mit einem Programm gearbeitet wurde, kann man zum Teil unmotivierte Kinder sehen, die an den formalen - und für die Kommunikation funktionslosen - Übungen des Programms offensichtlich kein Interesse haben. Dies macht weiterhin deutlich, dass die Arbeit mit einem Sprachförderprogramm eine alltägliche Kommunikation nicht ersetzen kann, in welcher Handlungen und Vorgänge versprachlicht werden und in der jede Möglichkeit zum sprachlichen Dialog genutzt wird. Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit innerhalb der Teams von Kindertageseinrichtungen sowie mit den Kindern und zudem eigene vorbildhafte sprachliche Fähigkeiten in Dialog und Diskurs sind grundlegende Qualifikationen, über die Fachkräfte verfügen sollten, um sprachliche kindliche Äußerungen anzuregen, aufzugreifen, zu erweitern und sie zum Fragenstellen und zu eigenen Erklärungsversuchen zu ermuntern. Die Videografien von gezielten Sprachfördersituationen, die zeitlich (mitunter auch räumlich) und mit weniger Kindern vom sonstigen Geschehen der <?page no="170"?> 171 Kindertageseinrichtung getrennt durchgeführt werden, lassen viele Schwierigkeiten und Probleme erkennen. Auch aus spracherwerbstheoretischer Perspektive spricht einiges für eine in den Alltag der Kindertagesstätten integrierte Sprachförderung, die mehr Spielraum für die Beachtung von Sprache in Handlungszusammenhängen ermöglicht. Ideal ist, wenn das Förderprogramm im Kopf der pädagogischen Fachkräfte abläuft, während sie spielerische Aktivitäten, Interaktionen aber auch Routinen im Tagesablauf durchführt und begleitet. Um das zu lernen, reichen Fortbildungen alleine nicht aus. Wissen über Sprache, über Mehrsprachigkeit, die kindliche Entwicklung sprachlicher Strukturen, Kenntnisse und Fertigkeiten im Bereich der Sprachentwicklungsdiagnostik sowie Sprachfördermaßnahmen sind bereits im Rahmen der Ausbildung zu vermitteln. Zudem müssen Pädagogische Fachkräfte bei ihrer täglichen Arbeit im Rahmen sprachlicher Bildung und Förderung in den Einrichtungen begleitet und gecoacht werden. <?page no="171"?> 172 Die Bedeutung der erziehungspartnerschaft mit den eltern 1 Klaus Fröhlich-Gildhoff Einführung: Die Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen Fachkräften in Kitas und den Eltern Die Zusammenarbeit mit den Eltern und weiteren Bezugspersonen ist - neben der ‚direkten‘ pädagogischen Arbeit mit den Kindern und der Vernetzung - eines von drei wesentlichen Bestimmungsmomenten moderner Frühpädagogik; dies spiegelt nicht nur der fachwissenschaftliche Diskurs (z.-B. Wolf, 2006; Kasüschke & Fröhlich- Gildhoff, 2008), sondern zeigt sich auch in den normativen Vorgaben des SGB VIII (§-22, Abs.-3) und in fast allen Bildungsbzw. Orientierungsplänen der Bundesländer für Kindertageseinrichtungen (vgl. die Zusammenstellung bei Textor, 2006 a). Diese Zusammenarbeit hat eine hohe Bedeutung, weil ➜ Eltern und Erzieherinnen im Sinne einer „Erziehungspartnerschaft“ gemeinsam für das Wohl des Kindes in verschiedenen Lebensbereichen Verantwortung tragen. ➜ Auch wenn Längsschnittuntersuchungen (vgl. z.-B. Sylva et al., 2004) zeigen, dass familiale Sozialisationsbedingungen einen größeren Einfluss auf die Entwicklung von Kindern haben als die pädagogischen Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen, so sind Eltern aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen und deren Auswirkungen auf das Familienleben zunehmend belastet und hinsichtlich ihrer Erziehungsvorstellungen verunsichert - und sie nehmen die Fachkräfte in den Institutionen der Frühpädagogik als Unterstützerinnen und Beraterinnen an. ➜ Eltern über die Kindertagesstätten niedrigschwellig ‚erreicht’, für Themen der Elternbildung sensibilisiert und zur Wahrnehmung entsprechender Angebote vor Ort motiviert werden können. ➜ Eltern mit unterschiedlichem kulturellen und sozioökonomischen Hintergrund eine Atmosphäre des Willkommenseins und der Integration erfahren können (vgl. z.-B. Textor, 2006 a, b; Fröhlich-Gildhoff et al., 2006; Wolf, 2006). Erziehungspartnerschaft In den letzten Jahren ist unter dem Begriff der „Erziehungspartnerschaft“ oder „Bildungspartnerschaft“ die Notwendigkeit beschrieben worden, dass sich Eltern und Erzieherinnen oder LehrerInnen gemeinsam im Interesse der Kinder austauschen und partnerschaftlich die Entwicklung des Kindes fördern. Die Vielfältigkeit sich rasch wandelnder, gesellschaftlicher Verhältnisse erfordert es, dass beide wichtigen Bezugssysteme der Kinder eng kooperieren, ihr Handeln und ihre Haltung gegenseitig austauschen und sich gemeinsam im Interesse der Kinder unterstützen. Textor beschreibt Erziehungs- und Bildungspartnerschaft wie folgt: „Die Grundhaltung ist 1 Ein Dank geht an Claudia Röser für die kritische Durchsicht und „Nachbearbeitung“ dieses Artikels. <?page no="172"?> 173 hier, dass die Erziehung und Bildung eines Kindes die ‚Co-Produktion‘ von Eltern, Erzieherinnen, LehrerInnen und dem Kind selbst ist. Daraus ergibt sich die Zusammenarbeit zwischen allen Erwachsenen, basierend auf einem intensiven dialoghaften Informations- und Erfahrungsaustausch. Je mehr die Familie als Co-Produzent von Bildung wahrgenommen und je intensiver die Kooperation mit ihr wird, umso mehr müssen Erzieherinnen und LehrerInnen ihre Erziehungs- und Bildungsziele mit den Eltern abstimmen und ihre Bildungsangebote in die Familie hineintragen“ (Textor, 2009, S.-157-f.). Die Interaktionen zwischen Eltern und pädagogischen Fachkräften beeinflussen die Lernatmosphäre, die Inhalte der Förderung und die Interaktionen mit dem Kind selbst (vgl. Larrá, 2005, S.- 240). Die Qualität dieser Prozesse wirkt sich unmittelbar auf die Entwicklungsprozesse der Kinder aus (vgl. Viernickel, 2006; Strehmel, 2008; Ott et al., 2007). Erzieherinnen sind nach den (Ehe-)PartnerInnen für die Eltern die wichtigsten Ansprechpersonen bei Erziehungsfragen wie die Studie von Fröhlich-Gildhoff et al. (2006) zeigte; sie sind wichtiger als Kinderärzte oder andere Verwandte. Besondere Wünsche nach Unterstützung zeigten sich bei Fragen hinsichtlich der Entwicklung des Kindes, bei der Erziehung oder auch beim Betrachten möglicher Verhaltensauffälligkeiten [Befragung von 1147 Eltern]. Eine ähnlich hohe Bedeutung der LehrerInnen und Erzieherinnen zeigte sich in der ifb-Elternbefragung 2002 (vgl. Smolka, 2006). Die Bedeutung der Haltung der Fachkräfte Nun fällt Erziehungspartnerschaft nicht vom Himmel. Nicht selten sehen sich Erzieherinnen und Eltern als Konkurrenten, schieben sich wechselseitig die Schuld für Probleme der Kinder zu etc. Eine wichtige Erkenntnis der breiten - von der Baden- Württemberg Stiftung im Rahmen des Projekts „Stärkung der Erziehungskraft der Familie durch und über den Kindergarten“ geförderten - Studie von Fröhlich-Gildhoff et al. (2005, 2006) war, dass es für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Eltern und Erzieherinnen nötig ist, dass sich die Haltung der Erzieherinnen gegenüber den Eltern ändert: „Dort wo Konkurrenz bestand, Berührungsängste den wechselseitigen Umgang prägten und/ oder vorrangig die Defizite der Erziehungsberechtigten gesehen wurden, gelang es durch ein verändertes und gestärktes Selbstverständnis der Fachkräfte, den Blick vom einzelnen Kind zur gesamten Familie zu weiten. Die Erzieherinnen sahen, dass sie als Professionelle auf die Eltern zugehen und sich an deren Stärken und Interessen orientieren sollten. Dabei ist es wichtig, die je einzelne Familie mit ihren Ressourcen, aber auch Problemen in den Blick zu nehmen“ (Fröhlich-Gildhoff et al., 2006, S.- 14). Es ließ sich eine „Wirkungskette zur Gestaltung einer erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen Eltern und Erzieherinnen“ (ebd.) beschreiben: An deren Ausgangspunkt stehen die Team-Weiterbildung der Erzieherinnen sowie die Entwicklung eines Leitbildes und eines Konzepts zur Zusammenarbeit mit den Eltern. Die damit beginnende Haltungsänderung ist gekennzeichnet durch eine Blickänderung vom Kind zur Familie, das aktive Zugehen auf die Eltern und das <?page no="173"?> 174 Orientieren an den Stärken und Interessen der Eltern. Auf dieser Grundlage können dann Methoden und Angebote etabliert werden, die sehr spezifisch auf die Situation der Einrichtung und v.-a. auf die Bedarfe der unterschiedlichen Elterngruppen zugeschnitten sein müssen. Beides, Haltungsänderung wie Methoden, führen zu einer stärkeren Öffnung der Eltern und damit zu einem sich gegenseitig positiv verstärkenden Kreislauf der partnerschaftlichen Zusammenarbeit. Methoden der Zusammenarbeit zwischen Eltern und FrühpädagogInnen Die Formen und Angebote in der Zusammenarbeit mit den Eltern sind vielfältig. Sie reichen von ersten Elternkontakten (Aufnahmegespräch, erste Hausbesuche bei der Aufnahme) über die Zusammenarbeit zu Beginn des ersten Kindergartenjahres im Rahmen der Einführungsphase bis hin zu den wichtigen Tür- und Angelgesprächen, aber auch darüber hinausgehende Angebote wie Elterncafé, Elternabenden u.-ä. Eine besondere Bedeutung haben die Entwicklungsgespräche auf der Basis vorhergehender dokumentierter Beobachtungen, die den zentralen Anknüpfungspunkt der Kooperation darstellen. Daneben können Elternsprechstunden und Gruppenangebote für Eltern sowie gezieltere Maßnahmen der Elternbildung - wie Elternkurse (z.-B. Fröhlich-Gildhoff et al., 2008) - angeboten werden. Diese Angebote sollten auf der Basis von Bedarfserhebungen und gezielten Analysen erfolgen und möglicherweise hinsichtlich der verschiedenen Elterngruppen differenziert werden - „die Eltern“ als homogene Gruppe gibt es nicht! Es hat sich bewährt, dass sich Einrichtungsteams auf die Etablierung von eher wenigen Arbeitsschwerpunkten konzentrieren und diese dann entsprechend realisieren. Für spezifische Zielgruppen - z.- B. die Einbindung von Vätern oder von Eltern mit Migrationshintergrund - müssen dann nochmals spezifische Konzepte entwickelt werden. Im Rahmen des Programms „Sag’ mal was“ wurden von der Baden-Württemberg Stiftung gezielte Maßnahmen zur „Aktiven Elternbeteiligung“, zum Einbezug der Eltern in die Sprachförderung der Kinder finanziell unterstützt. Als wichtiger Ausgangspunkt der „Aktiven Elternbeteiligung“ wurde auch hier die „partnerschaftliche Zusammenarbeit“ zwischen Fachkräften und Eltern angesehen: Die Eltern sollen „Wertschätzung erfahren - sowohl als Person als auch in ihrer Elternrolle“ (Landesstiftung Baden-Württemberg, 2009, S.- 2). Auf dieser Grundlage sollten dann „zielgruppenorientierte Beteiligungsformen überlegt“ und realisiert werden. Hierzu wurde ein breiter Katalog von Methoden - von „individuellen Elterngesprächen“ zur Sprachentwicklung des Kindes und die Förderung über „Spielnachmittage mit Eltern und Kindern“ bis hin zum „Aufbau eines Sprachfördernetzes“ - beispielhaft aufgeführt, die dann in den einzelnen Projekten auch verwirklicht wurden (ebd., S.-2-f ). Es ist eine besondere Aufgabe für die pädagogischen Fachkräfte, den Zugang zur Kindertageseinrichtung für Familien mit Migrationshintergrund zu erleichtern; folgende Arbeitsansätze fördern die interkulturelle Verständigung und das Erreichen der entsprechenden Eltern (z.-B. Makey & Bayram, 2008; Textor, 2009): <?page no="174"?> 175 ➜ der Einsatz pädagogischer Fachkräfte mit Migrationshintergrund, ➜ die systematische Einbeziehung von aktiven Eltern mit Migrationshintergrund, damit diese eine Mittler- oder „Brücken“-Funktion - bis hin zum Anbieten von Elterngruppen - übernehmen können, ➜ integrierte Sprachförderung durch niedrigschwellige Angebote, z.- B. Eltern- Kind-Gruppen, die von Sprachförderkräften begleitet werden oder parallele Eltern- und Kinderkurse mit abgestimmten Inhalten (z.-B. „Rucksack-Projekt; vgl. RAA, o.-J.), sowie ➜ gemeinsame Veranstaltungen (z.-B. interkulturelle Feste) für Kita-Eltern mit und ohne Migrationshintergrund. In einer Längsschnittstudie in 22 Einrichtungen mit 350 Kindern mit Migrationshintergrund konnten Hildenbrand und Köhler (2010) zeigen, „dass Kinder sprachlich kompetenter sind, wenn sich ihre Eltern an der Sprachförderung in der Kita interessiert zeigen. Zum Ausdruck kommen kann dieses Interesse beispielsweise durch eine rege Beteiligung an Elternabenden, Elterngesprächen oder sonstigen Aktivitäten der Kita. Wenn sich die Eltern häufiger beteiligten und auch Angebote der Kita wie zum Beispiel Elterncafés oder Deutschkurse wahrnahmen, entwickelten sich diese Kinder sprachlich besser als Kinder, deren Eltern sich weniger häufig beteiligten. […] Als unterstützend für den kindlichen Zweitspracherwerb erwies es sich, wenn Erzieherinnen immer wieder persönlich auf die Eltern zugehen und Vertrauensbeziehungen, die die Eltern möglicherweise zu einzelnen MitarbeiterInnen der Kita aufgebaut haben (z.-B. infolge der gleichen Nationalität), nutzen“ (ebd.). Zusammenfassend lässt sich feststellen: ➜ Die Zusammenarbeit zwischen pädagogischen Fachkräften und Eltern ist ein wesentliches und für die Entwicklung der Kinder notwendiges Kernelement professioneller Arbeit in Kindertageseinrichtungen. ➜ Eine Grundvoraussetzung für eine gelingende Zusammenarbeit ist eine offene, auf die Eltern zugehende Haltung der Fachkräfte. ➜ Auf dieser Grundlage können dann zielgruppen- und bedarfsspezifisch Angebote für Eltern initiiert werden. ➜ Einzelne Elterngruppen benötigen sehr spezifische Zugehensweisen, um Vertrauen zu den Fachkräften und der Institution Kita entwickeln zu können; hier sind ein besonderer Aufwand, Kreativität und Geduld seitens der PädagogInnen nötig. Literatur Fröhlich-Gildhoff,-K., Kraus-Gruner,-G. & Rönnau,-M. (2005). Abschlussbericht der Evaluation des Projekts „Stärkung der Erziehungskraft der Familie durch und über den Kindergarten“. Freiburg: Evangelische Fachhochschule, Eigendruck. Fröhlich-Gildhoff, K., Kraus-Gruner, G. & Rönnau, M. (2006). Gemeinsam auf dem Weg. Eltern und ErzieherInnen gestalten Erziehungspartnerschaft. In: kindergarten heute, H. 10/ 2006, S.-6-15. Fröhlich-Gildhoff, K. Rönnau, M. & Dörner, T.(2008). Eltern stärken mit Kursen in Kitas. München: Reinhardt. <?page no="175"?> 176 Hildenbrand, C. & Köhler, H. (2010, i.-Dr.). Kooperation mit den Eltern als Bestandteil der Sprachförderung in Kindertageseinrichtungen. In: K. Fröhlich-Gildhoff, I. Nentwig-Gesemann & P. Strehmel (Hrsg.). Forschung in der Frühpädagogik III - Sprachentwicklung und Sprachförderung (erscheint Sept. 2010). Freiburg: FEL-Verlag. Kasüschke, D. & Fröhlich-Gildhoff, K. (2008). Frühpädagogik heute: Herausforderungen an Disziplin und Profession. Köln: Link. Landesstiftung Baden-Württemberg (2009): Programm „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“. Ausschreibungsunterlagen für das Kindergartenjahr 2009/ 2010: Hinweise für die Gewährung eines erhöhten Entgelts bei aktiver Elternbeteiligung. Stuttgart: Eigendruck der Landesstiftung (heute: Baden-Württemberg Stiftung). Larrá, F. (2005). Ansätze zur Steuerung pädagogischer Qualität in vorschulischen Einrichtungen. In: Sachverständigenkommission 12. Kinder und Jugendbericht (Hrsg.), Entwicklungspotenziale institutioneller Angebote im Elementarbereich (S.-235-268). München: Verlag Deutsches Jugendinstitut. Makey, N. & Bayram, V. (2008). Mit Familien auch mal zu Ikea fahren. Zusammenarbeit mit Eltern im interkulturellen Kontext. Theorie und Praxis der Sozialpädagogik. 6/ 2008, 32-33. Ott, B., Käsgen, R., Ott-Hackmann, H. & Hinrichsen, S. (2007). Die systemische Kita. Das Konzept und seine Umsetzung. Weimar - Berlin: Verlag das Netz. RAA - Regionale Arbeitsstellen zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien (o.- J.). Rucksack-Projekt. Ein Konzept zur Sprachförderung und Eltern-bildung im Elementarbereich. http: / / www.raa.de/ fileadmin/ dateien/ pdf/ produkte/ Info_Rucksack.pdf Smolka,-A. (2006). Welchen Orientierungsbedarf haben Eltern? In: K. Wahl & K.-Hees (Hrsg). Helfen „Super Nanny“ & Co.? Ratlose Eltern - Herausforderung für die Elternbildung (S.-44-58). Weinheim: Beltz. Strehmel, P. (2008). Frühe Förderung in Kindertageseinrichtungen. In: F. Petermann & W. Schneider (Hrsg.), Angewandte Entwicklungspsychologie (Enzyklopädie der Psychologie, Serie Entwicklungspsychologie, Bd.-7, S.-205-236). Göttingen: Hogrefe. Sylva, K., Melhuisch, E., Sammons, P., Siraj-Blatchford, I. & Taggart, B. (2004). The Effective Provision of Pre-School Education (EPPE) Project. Final Report. London: Institute of Education (www.ioe.ac.uk/ projects/ eppe). Textor, M. R. (2009). Elternarbeit im Kindergarten. Ziele, Formen, Methoden. Norderstedt: Books on Demand GmbH. Textor, M.R. (2006a). Elternarbeit mit Migrant/ innen. In Textor, M. 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Susanne Hartmann und Georg Hohl Es ist ein Verdienst der Baden-Württemberg Stiftung, dass sie mit ihrem Programm „Sag’ mal was“ entscheidend mit dazu beigetragen hat, dass die Diskussion und Auseinandersetzung über die Bedeutung, die Konzepte, die Systematik und die Qualität der frühkindlichen Sprachförderung im Arbeitsfeld Kindertageseinrichtungen in den letzten Jahren zu einem ausgesprochen exponierten Thema geworden ist. Dabei wurden Chancen und Grenzen von Förderprogrammen, die zusätzlich in den Alltag der Kindertageseinrichtungen integriert werden, deutlich. In zahlreichen Kitas wurden im Kontext dieser Diskussionen die bisherigen Konzepte zur Sprachförderung überprüft und überarbeitet. Mit dem Orientierungsplan für Bildung und Erziehung für die Baden-Württembergischen Kindergärten sind auch neue Grundlagen für die Sprachbildung in den Einrichtungen gelegt worden. Tausende von pädagogischen Fachkräften aus Kindertageseinrichtungen haben in den letzten fünf Jahren Fortbildungen zum Thema frühkindliche Sprachförderung besucht. In kaum einem anderen Arbeitsfeld ist die Fortbildungsbereitschaft so groß wie im Kindertagesstättenbereich. Die Mitarbeiterinnen im Arbeitsfeld sind in hohem Maße motiviert und bereit, ihren Anteil dazu beizutragen, dass frühkindliche Sprachförderung in Kindertagesstätten qualifiziert und mit nachhaltiger Wirkung erfolgt. Die Trägerverbände mit ihren Fachberatungssystemen und weitere Fortbildungsträger haben auf dieses wache Interesse im Arbeitsfeld reagiert und bieten zahlreiche Fortbildungsmaßnahmen und Arbeitshilfen zur Qualifizierung der frühkindlichen Sprachförderung an und integrieren das Thema in die fachliche Beratung der Einrichtungen. Grundlage der Beratungs- und Qualifizierungskonzepte der Fortbildungsträger sind die folgenden Anforderungen an eine qualifizierte Sprachförderung: 1. Sprachförderung beginnt so früh wie möglich, d.-h. mit dem Eintritt der Kinder in den Kindergarten. 2. Sprachförderung in Kindertageseinrichtungen erfolgt regelmäßig auf der Basis eines einrichtungsspezifischen Sprachförderkonzeptes, das sicherstellt, dass Sprachförderung beständiger und integrierter Bestandteil des pädagogischen Angebotes ist. 3. Didaktisch und methodisch trägt das Förderkonzept elementarpädagogischen Standards Rechnung: ➜ Sprachförderung im Kindergarten setzt an den Interessen und Themen der Kinder an, d.-h. die Kinder erleben es als sinnvoll und nützlich zu sprechen. Sie erfahren, dass Kommunikation dazu beiträgt, dass sie ihre persönliche Situation und Umwelt mit gestalten können. Sprachförderung in Kindertageseinrichtungen ist deshalb kontext-, alltags- und kommunikationsorientiert und wird ergänzt um sprachstrukturell-orientierte Elemente der Förderung. <?page no="177"?> 178 ➜ Sprachförderung im Kindergarten trägt der Erkenntnis Rechnung, dass das Spiel die zentrale Lernform in dieser Altersgruppe ist. Ebenso sind Lieder und Reime Bestandteil der Kindergartenkultur, die in besonderer Weise den kindlichen Spracherwerbsmöglichkeiten Rechnung tragen. ➜ Sprachförderung im Kindergarten basiert auf der Erkenntnis, dass die Qualität der Beziehung zwischen Kind und pädagogischer Fachkraft in dieser Altersgruppe von entscheidender Bedeutung für die Motivation und das Engagement der Kinder in Lernsituationen, insbesondere in inszenierten Lernsituationen ist. Aus der Erfahrung der Segmentierung und möglichen Stigmatisierung erwächst erst recht keine Lernmotivation. ➜ Die pädagogischen Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen sind Sprachvorbild. Sie begleiten Alltagssituationen im Dialog mit Kindern und fordern Kinder zur sprachlichen Kommentierung heraus, geben ihnen Raum und Zeit auszusprechen, was sie beobachten und was sie bewegt. ➜ Sprachförderung in Kindertageseinrichtungen trägt der Tatsache, dass Kinder auch von anderen Kindern lernen (peer-group-learning) Rechnung und achtet darauf, dass sich die Kindergruppen ausgewogen zusammensetzen aus Kindern mit altersentsprechend entwickelten Sprachkompetenzen und Kindern mit Förderbedarf. ➜ Sprachförderung erfolgt nicht isoliert, sondern im Kontext eines integrierten Konzeptes der Förderung anderer Entwicklungsbereiche, insbesondere der motorischen Fähigkeiten und der sinnlichen Wahrnehmung. ➜ Sprachförderung bezieht die Eltern der Kinder aktiv in die Förderung mit ein durch Elterngespräche, Elternabende und Elternbildungsmaßnahmen und berücksichtigt die soziokulturellen Bedingungen der Eltern. Die Herkunftssprache der Familie erfährt Achtung und Wertschätzung. ➜ Auch explizite Sprachförderung in gesonderten Sprachfördergruppen berücksichtigt die Verschiedenheit der Kinder und die Gruppendynamik. Die elementarpädagogischen Prinzipien gelten auch in gesonderten Fördergruppen, die ihrerseits eng mit dem pädagogischen Alltag verknüpft werden. 4. Über Qualifizierungsmaßnahmen und regelmäßige Reflexion der pädagogischen Arbeit des Kindergartens sichert die Leitung der Kindertageseinrichtung ab, dass Sprachförderung als Querschnittsaufgabe systematisch, kompetent und regelmäßig im Alltag der Kindertageseinrichtung erfolgt. 5. Sprachförderung setzt voraus, dass Hören, Zuhören und Verstehen möglich ist. Durch konzeptionelle Maßnahmen, Raumgestaltung und bauliche Lärmschutzmaßnahmen muss sichergestellt werden, dass die akustischen Voraussetzungen gegeben sind, damit Kinder sprachliche Äußerungen auch unter alltäglichen Bedingungen bei Anwesenheit vieler Kinder in einem Raum differenziert wahrnehmen können. Es gibt bislang noch zu wenig wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse, mit welcher Art der Sprachförderung im Kindergartenbereich, sowohl kindgerecht als auch effizient auf die unterschiedlichen Startchancen von Kindern reagiert werden kann. Es gibt ebenso wenig gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, mit welchem Umfang und mit welcher Form der Qualifizierungsmaßnahmen für pädagogische <?page no="178"?> 179 Fachkräfte die bisherige Praxis der Sprachförderung in Kindertageseinrichtungen intensiviert und qualitativ verbessert werden kann. Wir brauchen hier deswegen weiterhin die Möglichkeit innovativ und experimentell Praxis zu gestalten. Die Beschränkung und Steuerung der Vielfalt durch landesweite oder bundesweite Vorgaben im Sinne der Definition von Sprachstandserhebungsverfahren oder der Vorgabe bestimmter Sprachförderprogramme oder -materialien ist derzeit deshalb kontraproduktiv. Elementarpädagogischen Standards, wie Kind-, Prozess- und Situationsorientierung, Berücksichtigung von Differenz und die stärkere Einbindung domainübergreifender Aspekte bei der Entwicklung von Sprachförderkonzepten/ -programmen durch wissenschaftliche Institute, muss deutlich mehr Rechnung getragen werden. Notwendig sind integrierte leitliniengesteuerte Sprachförderkonzepte in den Kindergärten und eine finanzielle Fördersystematik aus einem Guss. Die Refinanzierung der Sprachförderung im Kindergarten einschließlich der damit verbundenen Fortbildungs- und Beratungskosten muss der Tatsache Rechnung tragen, dass Sprachförderung eine Regelaufgabe in Kindertageseinrichtungen ist und eine personelle Besetzung erfordert, die eine intensive Beschäftigung der Fachkräfte mit kleinen Gruppen oder einzelnen Kindern ermöglicht. Eine Finanzierung von Sprachförderung durch die Addition unterschiedlichster Förderprogramme und Projektfinanzierungen ist auf die Dauer nicht zielführend. <?page no="179"?> 180 Sprachförderung in der praxis - zwischen anspruch und Realität Elke Andersen „Simone, Simone wir haben einen Gelbschnabelvogel gesehen! “. Strahlend steht die fast fünfjährige Aylin vor ihrer Erzieherin. Simone kennt sich gut aus in der Natur, aber ein Gelbschnabelvogel? Die Begeisterung von Aylin macht sie neugierig und interessiert fragt sie Aylin, ob sie ihr den Vogel mal zeigen möchte. Im Garten entdecken sie den Vogel mit dem gelben Schnabel. Es ist eine Amsel. Aber Simone staunt über die sprachliche Kreativität von Aylin. Sie weiß, zu einem späteren Zeitpunkt wird Aylin den richtigen Namen des Vogels lernen. Jetzt aber freut sie sich über die Wortkonstruktion und bestaunt gemeinsam mit Aylin den gelben Schnabel und das schwarze Gefieder des Vogels. Pädagogische Fachkräfte sind in der heutigen Zeit mehr als je zuvor gefordert, die sprachliche Entwicklung aller Kinder frühzeitig zu begleiten und zu unterstützen. Um dies effektiv umsetzen zu können, benötigen sie zunächst einmal eine reflektierende Auseinandersetzung mit dem eigenen Sprachverhalten. Denn Sprachfähigkeit und Sprachfertigkeit braucht nicht nur eine organisch gesunde Grundlage, sondern auch Praxis, Übung und Vorbild. Aus diesem Grund ist der tägliche Dialog, das sprachlich begleitende Handeln von alltäglichen Situationen eine elementare Voraussetzung in der Begegnung mit den Kindern. Insbesondere die Kinder mit Migrationshintergrund brauchen ein adäquates Vorbild. Als vor Jahren ein türkischsprachiges Kind den Stuhl als „Draufsitzer“ bezeichnete, mussten sich die Erzieherinnen eingestehen, dass sie oft sagen „Setz dich da drauf “ anstatt „Setz dich auf den Stuhl“. Aus diesem Grund sind Qualifizierungen, wie sie in den letzten Jahren über den Orientierungsplan und über Sprachförderprogramme wie beispielsweise „Sag’ mal was“ der Baden-Württemberg Stiftung ermöglicht wurden, dringend erforderlich. Sich als eigenes aktives Sprachvorbild verstehen, aber auch Wissen über sprachliche Strukturen, Sprachentwicklung und Spracherwerb zu erlangen, ist eine Grundlage für pädagogische Fachkräfte, um einen gelingenden spracherwerbsunterstützenden Prozess beim Kind zu erreichen. Begriffe wie Lexikon, Semantik, Syntax sind heute in der Sprachstandserhebung für ein Kind zu finden. Darum geht es nicht mehr nur um die reibungslose Verwendung der Sprache, sondern um eine weitaus differenziertere Einschätzung der Sprachentwicklung. Mit der müssen sich auch pädagogische Fachkräfte erst einmal vertraut machen. Fortbildungen sind daher unumgänglich und diese müssen auch in Zeiten von Personalknappheit möglich gemacht werden. Denn Sprachförderung ist kein Zusatzangebot in den einzelnen Einrichtungen, sondern integraler Bestandteil von Bildungsförderung im Alltag und das vom ersten Tag an. Wenn es aber um die alltägliche Dialogqualität zwischen Erzieherin und Kind geht, wenn wir von bewusstem Einsatz von Sprachstrukturen und Sprachmustern reden, die am Sprachentwicklungsstand des einzelnen Kindes angepasst werden und wenn wir den Spracherwerb dann als wirkungsvoll erleben, wenn er inhaltlich und personell in den pädagogischen Alltag der jeweiligen Ein- <?page no="180"?> 181 richtung eingebettet ist, dann können wir Sprachförderung nicht als am Defizit orientierte Förderstunde verstehen. Es ist daher in jeder Einrichtung eine wichtige Frage, wie der Einsatz von externen qualifizierten Sprachförderkräften die Ganzheitlichkeit des pädagogischen Alltags unterstützt. Unumstritten ist, dass kleinere Gruppen, sei es zur Bilderbuchbetrachtung oder für spezielle, an den Interessen der Kinder angesetzte Impulse und Aktionen für den Spracherwerb wirksam sind. Eine externe, für einzelne Stunden eingekaufte oder angestellte Fachkraft, die diese Aktionen durchführt, ist im ganzheitlichen Bildungsprozess der Kinder nicht eingebunden und daher ist es aus unserer Erfahrung heraus sinnvoller, der vertrauten Erzieherin zu ermöglichen, intensiv mit einzelnen Kindern in dieser Zeit in den Dialog zu treten. Ob wir zudem Sprachförderung in festen Kleingruppen zu vorbestimmten Zeiten, dazu am sprachlichen Defizit der einzelnen Kinder orientiert als effektiv erkennen, bedarf einer individuellen Betrachtung. Sprachförderung ist auf alle Fälle nicht als Zusatzangebot im Kita-Alltag zu verstehen, sondern begleitet die Kinder auf Schritt und Tritt. Sprechfreude und Sprachverständnis können wir nicht von emotionaler Bindung, Vertrauen und Sicherheit trennen. Diese entstehen durch Beziehung zur pädagogischen Fachkraft und in den sozialen Kontakten untereinander. Darum benötigen Kinder interessierte und sensible Gesprächspartner. D.-h. Fachkräfte, die weg von der Defizitorientierung, von Korrekturen und Aufforderungen in ganzen Sätzen zu sprechen, ihren Blick zur Sprechfreude hin wenden und für natürliche und anregende Gespräche sorgen. Fachkräfte, die Kindern trotz Sprachbarrieren eine Zugehörigkeit zur Gruppe ermöglichen und Sprachbrücken bauen. Zusätzlich die Kompetenzen der Zweisprachigkeit bei Kindern und ihren Familien ermutigend benennen und nicht zur Entmutigung werden lassen. All dies benötigt in der Vielfalt der alltäglichen Arbeit ein hohes Maß an Eigen- und Teamreflexion. Hier müssen wir uns aber in der Realität die Frage gefallen lassen, wie viel Raum es in unseren Kitas gibt für individuelle und reflektierte Beobachtungen. Zudem wie viel Zeit besteht, genau hinzuhören und zu bemerken, an welchen Spracherwerbsaufgaben Kinder gerade arbeiten, um diese im Dialog mit Kindern zu unterstützen. Damit diese Entwicklung festgehalten wird, sollte zudem eine Einschätzung des individuellen Sprachstands des Kindes z.-B. über Sismik bzw. Seldak regelmäßig erhoben werden. Ausreichende personelle Entlastung im Alltag zahlt sich daher auf alle Fälle nachhaltig aus und kleinere Gruppen führen zu einer besseren Aufmerksamkeit auf das einzelne Kind. Eine gesicherte Vor- und Nachbereitungszeit ist ein wirksamer Faktor für eine qualitativ gute Sprachstandserhebung für jedes Kind. Wer hier frühzeitig investiert, leistet einen wesentlichen Schritt für die sprachliche Bildung. Die Zuständigkeit ist nicht alleine in der Einrichtung und bei der jeweiligen pädagogischen Fachkraft zu suchen. Alle - von Politik über Tageseinrichtung bis zu den Eltern - sind aufgefordert, verantwortlich miteinander zusammenzuarbeiten und im Interesse des einzelnen Kindes zu handeln. <?page no="181"?> 5 Was wir aus „Sag’ mal was“ lernen 182 <?page no="182"?> 183 Bedingungen des gelingens eine Orientierungssuche nach der evaluation Hans H. Reich Die Ergebnisse der Evaluationen von „Sag’ mal was“ sind ein Schock. Dass die Kinder, die im Rahmen dieses Programms zusätzliche Förderstunden erhielten, keine größeren Fortschritte im Deutschen gemacht haben sollen als diejenigen, die „nur“ im Rahmen der „normalen“ alltäglichen Kita-Angebote gefördert werden, macht einen erst einmal stumm vor Trauer, es stellt unseren pädagogischen Glauben in Frage, „dass Förderung hilft“. Wir kommen auch nicht billigen Kaufs davon. Zwar ist es möglich, die Untersuchungsmethoden der beiden Evaluationsteams zu kritisieren: Die Erhebungsmethoden richten sich mehr auf allgemeine Sprachverarbeitungsmöglichkeiten als auf konkretes sprachliches Können, sie unterscheiden nicht zwischen ein- und mehrsprachigen Kindern, sie nehmen keine Rücksicht auf die konkret verfolgten Förderziele, die Dauer des Kindergartenbesuchs ist nicht erhoben worden und die Vergleichsgruppen sollten schon etwas passender sein, als sie es tatsächlich sind. Aber all diese Kritik hilft nicht darum herum, dass die Ergebnisse in so hohem Maße in sich konsistent und miteinander vergleichbar sind, dass man sie dennoch ernst nehmen muss. Wir müssen uns mit der deprimierenden Vorstellung auseinandersetzen, es könnte möglich sein, dass zusätzliche Förderung keinen zusätzlichen sprachlichen Fortschritt bewirkt und Rückstände nicht aufgeholt werden können. Diese deprimierende Vorstellung widerstrebt aber nicht nur unserem pädagogischen Glauben, sie widerspricht auch vielen pädagogischen Erfahrungen und leuchtet insgesamt so wenig ein, dass wir nicht einfach aufhören können, Fragen zu stellen: Welche Unterschiede sind aufgrund der methodischen Anlage unsichtbar geblieben? Welche Einflussfaktoren stehen hinter den Streuungen der Durchschnittswerte? Welche Faktoren sollten näher untersucht werden? Merkmale des Programms Hauptcharakteristikum des Programms war die Finanzierung von 120 Stunden Deutschförderung im letzten Kindergartenjahr, in eigenen Gruppen von mindestens 6 Kindern, wobei eine vorangehende Feststellung der Förderbedürftigkeit der Kinder eine Bedingung für die Bezuschussung war; außerdem hat knapp die Hälfte der Förderkräfte an eigenen Qualifizierungsangeboten teilgenommen, die allerdings eher grundlegenden als aufbauenden Charakter hatten. Elternarbeit im Rahmen des Programms konnte unterstützt werden, doch wurden hierfür nur in geringem Umfang Mittel beantragt. Aus der Praxis heraus wurden die Beschränkung auf das letzte Jahr, die vorgegebene Gruppengröße, die nicht ausreichende Qualifizierung und der häufige Einsatz exter- <?page no="183"?> 184 ner Kräfte (der von den Finanzierungsmodalitäten her naheliegt) kritisiert. Es hat bisher keine Möglichkeit gegeben, diesen Kritiken wissenschaftlich nachzugehen. Wir sind noch einmal auf unseren Alltagsverstand und unsere pädagogischen Erfahrungen angewiesen, die uns sagen, dass hier in der Tat Schwachpunkte liegen könnten, auch wenn wir nicht imstande sind zu beweisen, dass diese Punkte insgesamt oder einer von ihnen die Ursache für das Ergebnis der Evaluation gewesen sind. Das letzte Kindergartenjahr könnte zu spät sein, das Zusammennehmen förderbedürftiger Kinder zu anregungsarm, die Zahl der zusätzlichen Stunden zu wenig, die Didaktik der Förderung zu unbedacht oder zu wenig geübt; mangelnde Koordination zwischen der regulären Sprachbildung und der zusätzlichen Förderung könnte eine Rolle spielen und im Zusammenhang damit eine ungenügende Absprache zwischen externen Förderkräften und regulären Erzieherinnen. Wie gesagt, das alles könnte sein. Da es weder Beweise noch Gegenbeweise gibt, sollten wir achtsam darauf sein, wenn wir nach den Bedingungen des Gelingens fragen. Unterschiede im Erfolg Die Evaluationsergebnisse sind Aussagen über Durchschnittswerte. Hinter der Aussage, es mache keinen Unterschied, ob zusätzliche Förderung angeboten werde oder nicht, können durchaus verschiedene Ergebnisse der einzelnen Kindergärten stehen. Um nicht missverstanden zu werden: Die Durchschnittswerte sind schlimm genug, aber die Unterschiede zwischen den einzelnen Kindergärten gibt es tatsächlich. Das Weingartener Evaluationsteam hat sich die Mühe gemacht, die Ergebnisse beim Merken von Sätzen für jede Einrichtung eigens festzustellen und mitzuteilen. Auch wenn der angelegte Maßstab nicht ganz unproblematisch ist - die festgestellten Unterschiede sind groß genug, um die Annahme sehr unterschiedlicher Fördererfolge der Einrichtungen zu stützen. Mit anderen Worten: es dürfte sich lohnen, den Merkmalen der Arbeit in den Kindergärten selbst nachzugehen, die für größeren oder geringeren Erfolg verantwortlich sein könnten. Das Weingartener Team findet Anhaltspunkte dafür, dass nicht nur die sprachliche Ausgangslage der Kinder eine Rolle spielt, sondern auch die größere oder geringere Erfahrung der Erzieherinnen in der Sprachförderung und ihre größere oder geringere Neigung, auch die Erstsprachen der Kinder einzubeziehen. Auch hier keine Beweise, aber zwei bedenkenswerte Anhaltspunkte für mögliche Bedingungen des Gelingens. Wie weiter? Man kann dieses Ergebnis auch so formulieren: Das Programm ist kein Automat. Es leistet, was es möglicherweise leisten kann, nur bedingt, nur dann, wenn auch andere Faktoren stimmen. Welche Faktoren dies sind, kann vorerst nur hypothetisch erörtert werden. Zu sprechen ist über die Feststellung des Förderbedarfs, über die professionelle Verantwortung für die Sprachförderung, über die Qualifizierung der pädagogischen Kräfte, über die Didaktik der Sprachförderung, über Zwei- und Mehrsprachigkeit und über die Kontinuität der Förderung. <?page no="184"?> 185 Feststellung des Förderbedarfs Ein Kind eignet sich Sprache an, indem es sich dafür interessiert, was andere sagen, hinhört und mehr und mehr davon versteht, indem es das Gehörte und Verstandene verarbeitet, d.- h. mit früher Gehörtem und Verstandenem und mit seinen anderen Erfahrungen in Verbindung bringt, indem es das Verarbeitete im eigenen Sprechen einsetzt und dabei Erfahrungen mit dem „Ankommen“ dieses Sprechens bei anderen macht. Sprachförderung besteht darin, dem Kind diese Aneignungstätigkeiten leichter zu machen. In diesem Sinne können alle Kinder Sprachförderung brauchen, und so wird der Begriff ja auch von einigen Autoren verwendet. Gewöhnlich aber denkt man, wenn von Förderbedarf die Rede ist, nicht an alle Kinder, sondern an diejenigen, die sich mit der Sprachaneignung schwerer tun als der Durchschnitt, oder aber - was nicht dasselbe ist - die sich von einer bestimmten Sprache weniger angeeignet haben als ihre Altersgenossen. Geringe sprachliche Fähigkeiten können von Störungen der Sprachentwicklung herrühren, wie man sie überall auf der Welt findet, bei einsprachigen wie bei zweisprachigen Kindern. Sie haben innere Ursachen, die sich in der ersten wie in der zweiten Sprache bemerkbar machen. Die Kinder, die davon betroffen sind, haben therapeutischen Bedarf, bei ihnen kann Sprachförderung nur etwas nützen, wenn gleichzeitig medizinische oder psychologische Hilfe geleistet wird. Bei wie vielen Kindern solche Störungen vorliegen - dazu werden etwas unterschiedliche Angaben gemacht, sie streuen um die Marke von 10- %. Davon zu unterscheiden sind Kinder, die geringe Deutschkenntnisse haben, ohne dass man von einer Sprachentwicklungsstörung sprechen könnte. Für diese Fälle sind äußere, soziale Ursachen verantwortlich zu machen, allgemein gesprochen: zu wenige und/ oder zu kärgliche Sprachkontakte in der näheren sozialen Umwelt. Diese Fälle sind in der Regel gemeint, wenn von Sprachförderbedarf die Rede ist. Wie viele Kinder zu dieser Kategorie zählen, dazu werden extrem unterschiedliche Angaben gemacht: zwischen 20 und 60-% - je nach Bundesland. Die genannten Quoten beruhen auf mehr oder minder willkürlichen Setzungen und verdeutlichen zur Genüge, dass es eine klare Grenze zwischen Kindern mit und ohne Förderbedarf nicht gibt. Bitte nicht missverstehen! Wenn es um die Verwendung von Geldern, namentlich von öffentlichen Geldern geht, muss dafür gesorgt werden, dass sie in der Tat denen zugute kommen, die sie am meisten brauchen. Es genügt aber nicht, ein (beliebiges) Verfahren zu benutzen und punktuell einzusetzen, um die Zuweisung eines Kindes zu einer für alle Kinder einheitlichen Fördermaßnahme zu legitimieren. Auszugehen ist von einem differenzierten Förderbedarf, auf den differenzierte Förderangebote antworten sollten. Das ist nicht einfach, führt aber doch zu einer ersten Schlussfolgerung: Entscheidungen über den Förderbedarf müssen letztlich pädagogisch verantwortet werden, darum gehören sie in die Hände der pädagogisch Verantwortlichen, im Elementarbereich also in die Hände der Erzieherinnen. Das ist nicht umstandslos zu verwirklichen. Die Arbeitsorganisation der Einrichtung muss darauf eingestellt sein und die Erzieherinnen müssen etwas von Sprachentwicklung, Zweisprachigkeit und Sprachbeobachtung verstehen. Doch ist beides herstellbar, wenn es nicht schon gegeben sein sollte. <?page no="185"?> 186 Professionelle Förderung Die zweite Schlussfolgerung schließt unmittelbar daran an, sie ist eigentlich in der ersten Schlussfolgerung schon enthalten: Feststellungen zum Sprachstand eines Kindes sind Instrumente in einem pädagogischen Prozess. Die Durchführung und Auswertung von Sprachbeobachtungen und die Förderung der Sprachaneignung des Kindes sollten nach Möglichkeit in einer Hand liegen. Sprachförderung ist Sache der hauptamtlichen Erzieherinnen. Sie sind es, die nächst den Eltern die Sprache des Kindes am besten kennen, die seine Entwicklung insgesamt verfolgen können, die mit den Eltern in Kontakt stehen, die ein professionelles Interesse daran haben müssen, die Verantwortung für die Sprachförderung als einer Kernaufgabe ihres Berufs nicht an andere abzugeben. Wir wissen, dass die Finanzierungsmodalitäten in den Bundesländern einer solchen Entwicklung nicht günstig sind, und es soll anerkannt werden, dass man in einer Situation, als es rasch zu handeln galt, Maßnahmen bevorzugt hat, die rasch greifen konnten. (Es soll aber auch nicht vergessen werden, dass man zuvor mehr als zwei Jahrzehnte lang Zeit gehabt hätte, eine andere Politik mit ruhigerem Bedacht zu betreiben.) Es soll auch anerkannt werden, dass die raschen Maßnahmen vieles in Gang gesetzt haben, was zuvor kaum denkbar erschien, dass Bewegung in den Elementarbereich gekommen ist, dass sich das Bewusstsein wandelt und die Aufgaben der frühen Sprachbildung heute ganz anders diskutiert werden als noch vor wenigen Jahren. Trotzdem darf der Weg zu einem stabilen Normalzustand nicht verbaut werden, einem Zustand, in dem Sprachförderung „als zentrale und dauerhafte Aufgabe während der gesamten Kindergartenzeit“ verstanden wird. Durch die zusätzliche Finanzierung von Sprachfördermaßnahmen haben die Bundesländer anerkannt, dass hier eine neue Aufgabe, wenn man so will: eine neue Belastung im Arbeitsfeld der Erzieherin entstanden ist, die nicht einfach im zuvor vorhandenen Ressourcenrahmen abgedeckt werden kann. Die zusätzlichen Mittel der Bundesländer werden weiterhin dringend gebraucht. Sie sind aber um vieles besser angelegt, wenn sie in die Entlastung der hauptamtlichen Erzieherinnen von Betreuungs- und Organisationsaufgaben investiert werden, damit diese frei werden für differenzierte Sprachförderaktivitäten, für deren Vor- und Nachbereitung, für sprachbezogene Kontakte mit Kolleginnen und Eltern und für ihre eigene Weiterqualifizierung in Sachen Sprachbildung. Fort- und Weiterbildung der Erzieherinnen Die Qualifizierung für die Aufgaben der Sprachförderung ist der Dreh- und Angelpunkt unter den Bedingungen des Gelingens. Sie wird nicht durch kurzfristige Belehrung zustande gebracht. Sie verlangt von den Erzieherinnen, die eigene Sprache zu kontrollieren, ohne den Anspruch auf authentisches Handeln aufzugeben. Sie verlangt, sich Wissen über Sprachentwicklung und Zweisprachigkeit anzueignen, und dabei den Lernaufgaben aus dem Bereich der Grammatik und der Semantik nicht auszuweichen. Sie verlangt, die Sprachförderung mit Blick auf die Ergebnisse der individuellen Sprachbeobachtungen zu planen, sie verlangt überhaupt Planung, viel- <?page no="186"?> 187 leicht mehr, als es in manchen Einrichtungen üblich ist. Sie verlangt nicht nur die Kenntnis, sondern auch die praktische Einübung vielfältiger Methoden. Sie verlangt, mit anderen Worten, eine ganze Menge an Selbstveränderung und das ist, wie man weiß, ein schmerzlicher Vorgang; er kostet Engagement und Zeit. Eine wirksame Qualifizierung geht nicht ohne ein organisiertes Hin und Her zwischen Theorie und Praxis ab, ein kostengünstiger wissensvermittelnder Schnellkurs fernab vom Arbeitsplatz trägt für sich allein nicht viel dazu bei. Gefordert sind arbeitsplatznahe Angebote der Qualifizierung, möglichst mit dem gesamten Team, über einen längeren Zeitraum. Das ist teuer und kostet Zeit, und es ist nicht einmal sicher, ob genügend sprachdidaktisch ausgewiesene Fortbildnerinnen und Fachberaterinnen dafür bereitstehen - aber bevor man alles beim Alten belässt ... Didaktik der Sprachförderung Die Evaluationen von „Sag’ mal was“ lassen keine Unterschiede im Fördererfolg zwischen den didaktisch unterschiedlich ausgelegten Förderprogrammen erkennen. Das könnte aber vor allem der bereits eingangs erwähnten Tatsache geschuldet sein, dass sich die Erhebungsmethoden auf allgemeine Sprachverarbeitungsfähigkeiten, nicht auf konkretes sprachliches Können beziehen. Darum ist es trotz dieser Ergebnisse sinnvoll, auch einen Blick auf die Förderverfahren zu werfen. Wie eine erfolgversprechende Sprachförderung didaktisch aussehen soll, ist in hohem Grade umstritten. Im Wesentlichen tobt der Streit um eine eher kommunikative oder eine eher sprachsystembezogene Anlage. Und da ist eine seltsame Art von Lagerbildung entstanden: Während die Bildungspläne der Länder ziemlich unisono eine kommunikative Anlage der Sprachbildung insgesamt empfehlen, die allenfalls durch gezielte Übungen zu ergänzen sei, beruhen die auf dem Markt angebotenen und für teures Geld in die Praxis verkauften Materialien und Materialpakete, sofern sie nicht einfach neue Sammlungen alter Ideen sind, auf sprachsystematischen Ansätzen. Diese Materialien lassen wenig Raum für eigene Entscheidungen der Erzieherinnen und für differenzierte Sprachprofile der Kinder, sie konzentrieren sich oft auf wenige Aspekte von Sprache und bevorzugen vielfach einen kognitiven Zugang. Sie überfrachten damit eine kindliche Fähigkeit, die sich doch erst allmählich entwickelt. Gewiss, auch im Kindergartenalter können sich Kinder über Sprache unterhalten und der spielerische Umgang mit Sprache hilft ihnen dabei, sie können sogar, wenn der Erzieherin daran liegt, lernen, was ein Artikel ist und dass es drei Sorten davon gibt - aber von da aus bis zu dem Punkt, wo das Sprachbewusstsein zum Hauptinstrument der Sprachaneignung werden kann, ist noch ein langer Weg, der sich bis weit ins Schulalter hinein erstreckt. Unterrichtsartige Situationen im Kindergarten, wie man sie gerade im Kontext der Sprachförderung manchmal antreffen kann, führen aber eher zu einem sprachlich kärglichen Antwortverhalten der Kinder als zu vermehrtem Sprechen und interessiertem Zuhören. Sprachförderung sollte aber gerade mutigere sprachliche Aktionen der Kinder ermöglichen. <?page no="187"?> 188 Daraus folgt nicht, dass man es einfach bei einem freundlichen sprachlichen Umgang miteinander belassen könnte. Das hat in der Vergangenheit nicht genügt, es dürfte mitursächlich für das Schulversagen von Migrantenschülern gewesen sein, es würde auch in Zukunft nicht genügen. Es gibt Grund genug, in der Sprachförderung genauer hinzuschauen und Erleichterungen der Sprachaneignung ins Auge zu fassen, die den sprachlichen Bedürfnissen und Möglichkeiten des einzelnen Kindes ebenso wie den Gesetzmäßigkeiten des (Zweit-)Spracherwerbs auch im Detail gerecht werden. Das verlangt eine bedachte Wahl der Fördersituationen (Sozialformen, Themen, Räume) ebenso wie eine klare Vorstellung von den Stufen der Sprachaneignung, die das Kind als nächstes erreichen kann. Sprachförderung ist anspruchsvolle Kommunikation unter geschützten Umständen. Zu diesem Schutz gehört auch das sprachbewusste Handeln der Erzieherin, das hier gefordert ist, eine Synthese von kommunikativem und systematischem Vorgehen. Diese Synthese ist etwas anderes als ein bloßes Nebeneinander von sprachlichen Aktivitäten im Kindergartenalltag und irgendwie systematischen Einheiten der Sprachförderung zu extra Zeiten und in einem extra Raum. Das förderbedürftige Kind sollte in den Zeiten seiner Förderung sprachliche Erfolgserlebnisse einheimsen dürfen, die es voranbringen. Die überschaubare Kommunikation in der Kleingruppe, die Sicherheit gehört zu werden und bei Ausdrucksnot Unterstützung zu erhalten, die Möglichkeit, sich auch zwei- oder drei- oder viermal an einem Ausdruck zu versuchen, die vermehrte Kind-Kind-Kommunikation, die Verbindung von Sprache und Bewegung und vieles andere tragen dazu bei. Und die Erfolge sollten sich auszahlen, die sprachlichen Fortschritte des Kindes sollten auch in der Regelgruppe/ im Regelbetrieb sichtbar und hörbar werden. Sprachförderung und reguläre Sprachbildung sollten gegenseitig durchlässig sein. Zwei- und Mehrsprachigkeit Einhellig sprechen die Bildungspläne von der „Wertschätzung“ der Familiensprachen zwei- und mehrsprachiger Kinder und damit der Vielsprachigkeit in den Einrichtungen. Diese Zielsetzung enthält eine klare Absage an alle Formen von Verboten der Erstsprachen, an deren segensreiche Wirkung für den Erwerb der Zweitsprache inzwischen kaum noch jemand glaubt. Sie fordert sprachliche Toleranz und - mehr als das - die positive Wahrnehmung der Vielsprachigkeit als Element der Spracherziehung aller Kinder. Sprachförderung ist gewiss in erster Linie Deutschförderung, aber die Deutschförderung sollte sich in einer Atmosphäre des Interesses an allen Sprachen und der Akzeptanz einer jeden Sprachbiografie vollziehen. Die Zusammenarbeit mit den Eltern, zu der alle Einrichtungen verpflichtet sind, ist auch ein gangbarer Weg zur Spracherziehungspartnerschaft unter Einschluss der Zwei- und Mehrsprachigkeit. Sie erlaubt einen konstruktiven Umgang mit den Familiensprachen auch dort, wo die Erzieherinnen selbst nur die deutsche Sprache beherrschen. Das sollte auch der Deutschförderung zugute kommen - zunächst, wie gesagt, im Sinne einer Bejahung der frühkindlichen Zweisprachigkeit in der Einrichtung wie im Elternhaus, aber weitergehend auch im Sinne einer bewusst herbeigeführten <?page no="188"?> 189 Koordination sprachförderlicher Aktivitäten, so dass die Aneinungsprozesse in der einen und in der andern Sprache sich gegenseitig stützen können. Kontinuität der Förderung Mehrere Untersuchungen zum Erfolg von Migrantenkindern an der Grundschule kommen zu dem Schluss, dass der Besuch einer Kita ein Faktor des Gelingens ist, wenn er eine gewisse Mindestdauer erreicht. Bei einer Besuchsdauer von zwei, besser drei Jahren, ist der positive Einfluss auf die Deutschleistungen bis ins vierte Grundschuljahr hinein bemerkbar. Was für den Kita-Besuch im Allgemeinen gilt, gilt - auch wenn es bisher nicht empirisch bewiesen ist - mit hoher Wahrscheinlichkeit auch für die Sprachförderung: Kontinuität und eine gewisse Mindestdauer sind Bedingungen des Erfolgs. Eine Förderung, die erst im letzten Kita-Jahr ansetzt, steht in der Gefahr, die Aufgaben der Vorbereitung auf den Übergang in die Schule, die allen Kindern im letzten Kita-Jahr aufgetragen ist, mit der Aufgabe einer spezifischen Sprachförderung zu vermengen und dabei die Sprachförderung sozusagen unter Zeitdruck zu setzen. Die Ergebnisse der Evaluation können darauf hindeuten, dass das, was in dieser Konstellation erreicht wird, nicht stabil genug ist, um die nachfolgenden schulischen Lernprozesse zu tragen. Sprachförderung von Anfang an ist die Vorstellung, die daraus abzuleiten ist. Schon die Eingewöhnungszeit bietet Gelegenheiten, das sprachliche Handeln des Kindes einschließlich seines Gebrauchs der Familiensprache kennenzulernen und mit den Eltern über die Spracherziehung zu sprechen. Ergibt sich daraus die Vermutung, dass eine intensivere Deutschförderung sinnvoll sein könnte, folgt eine Phase systematischer Sprachbeobachtung, deren Ergebnisse in einen Förderplan umgesetzt werden. Ob die Ziele des Förderplans erreicht worden sind, wird in etwa halbjährigen Abständen beraten, entsprechend den Beratungsergebnissen wird der Plan aktualisiert. So kann, wenn es angezeigt ist, Kontinuität gewährleistet werden, selbst wenn das Personal wechselt. Ein solches Vorgehen kann sogar eine Grundlage für Kontinuität über die Kindergartenzeit hinaus werden, wenn die Grundschule mit dem Kindergarten kooperiert und die gültigen Regelungen es gestatten. Zusammenfassung Sprachförderprogramme müssen qualitativen Kriterien entsprechen, wenn sie die Erfolge erzielen sollen, die so dringend von ihnen erwartet werden. Wir wissen nicht definitiv, welche Merkmale oder - wahrscheinlich richtiger - welche Merkmalskombinationen es sind, die uns dem Erfolg näherbringen. Vieles spricht dafür, dass es mehr als eine Lösung für diese Aufgabe gibt und dass die unterschiedlichen Bedingungen vor Ort eine Rolle dabei spielen. Es ist aber möglich, Kriterien zu benennen, auf die jedenfalls zu beachten wären: Sprachstandsfeststellung und Sprachförderung stehen in einem pädagogischen Zusammenhang, bei dem die pädagogische Arbeit leitend ist. Sie sollten möglichst in einer Hand liegen. Die Sprachdiagnose darf sich nicht verselbstständigen wollen. <?page no="189"?> 190 Sprachförderung ist eine Kernaufgabe der pädagogischen Fachkräfte in den Kindertageseinrichtungen. Sie sollte nicht als Zusatzaufgabe für Zusatzkräfte organisiert werden; die Finanzierungsmodalitäten müssten sich dahingehend ändern, dass Sprachförderung als hauptamtliche Tätigkeit zum Normalfall wird. Die Didaktik der Sprachförderung muss eine Synthese kommunikativer und sprachsystematischer Ansätze anstreben. Sie sollte sich nicht weiter polarisieren lassen wie bisher. Im Rahmen der Förderprogramme könnte und sollte in Kooperation von Praxis und Theorie planvoll nach Wegen der Weiterentwicklung gesucht werden. Sprache hängt mit der gesamten Lebenswelt des Kindes zusammen. Dass insbesondere bei den Kindern aus Migrantenfamilien die Familiensprachen dazu gehören, sollte wahrgenommen und in der pädagogischen Praxis zur Geltung gebracht werden. Sprachaneignung braucht Zeit. Darum sollte Sprachförderung in ein Konzept sprachlicher Bildung von Anfang an eingebettet sein. Die altbekannten Situationen des Gesprächs, des Vorlesens und Erzählens, des Rollenspiels und des Spiels mit festen sprachlichen Formen müssen heute angesichts der Vielfältigkeit sprachlicher Voraussetzungen mit mehr Bewusstheit als in der Vergangenheit gestaltet werden. Dazu gehört auch die planvolle Förderung der Kinder, die Förderbedarf haben. Auch dieser Aufgabe muss Zeitraum gegeben werden. Literatur Jampert, Karin; Zehnbauer, Anne; Best, Petra; Sens, Andrea; Leuckefeld, Kerstin; Laier, Mechthild (Hrsg.): Kinder- Sprache stärken! Sprachliche Förderung in der Kita: das Praxismaterial,Weimar und Berlin: das netz 2009. Kaltenbacher, Erika; Klages, Hana: Deutsch für den Schulstart: Zielsetzungen und Aufbaueines Förderprogramms, in: Ahrenholz, Bernt (Hrsg.): Deutsch als Zweitsprache. Voraussetzungen und Konzepte für die Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund, Freiburg im Breisgau: Fillibach 2007, S.-135-151. Knapp, Werner; Kucharz, Diemut; Gasteiger-Klicpera, Barbara: Sprache fördern im Kindergarten, Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis, Weinheim und Basel: Beltz 2010. Lengyel, Drorit; Reich, Hans H.; Roth, Hans-Joachim; Döll, Marion (Hrsg.): Von der Sprachdiagnose zur Sprachförderung, Münster u.-a.: Waxmann 2009. List, Gudula: Frühpädagogik als Sprachförderung. Qualifikationsanforderungen für die Aus- und Weiterbildung der Fachkräfte, München: DJI 2010. Penner, Zvi: Sehr frühe Förderung als Chance. Aus Silben werden Sätze, Troisdorf: Bildungsverlag EINS 2006. Reich, Hans H.: Zweisprachige Kinder. Sprachenaneignung und sprachliche Fortschritte im Kindergartenalter, Münster u.-a.: Waxmann 2009. Reich, Hans H., unter Mitarbeit von Gerlinde Knisel-Scheuring: Sprachförderung im Kindergarten. Grundlagen, Konzepte und Materialien, Berlin: das netz 2008. Tracy, Rosemarie; Lemke,Vytautas (Hrsg.): Sprache macht stark, Berlin und Düsseldorf: Cornelsen Scriptor 2009. Ulich, Michaela; Oberhuemer, Pamela; Soltendieck, Monika: Die Welt trifft sich im Kindergarten. Interkulturelle Arbeit und Sprachförderung, Neuwied u.-a.: Luchterhand, 2. aktualisierte Auflage, Weinheim und Basel: Beltz 2005. <?page no="190"?> 6 „Sag’ mal was“ - transfer und Weiterentwicklung 191 <?page no="191"?> 192 Zur Weiterentwicklung von „Sag’ mal was“ Gudrun Raible und Ulrike Vogelmann Das Programm „Sag’ mal was“ der Baden-Württemberg Stiftung war als „lernendes Programm“ angelegt. Eine sinnvolle Weiterentwicklung war deshalb immer vorgesehen und wurde über die gesamte Programmlaufzeit verfolgt. Das Programm wurde auf Grundlage wichtiger Impulse aus Forschung und Praxis verschiedentlich angepasst, einige dieser Anregungen führten zu neuen Projektansätzen der Baden-Württemberg Stiftung. Neben der Entwicklung der Sprachstandsförderdiagnostik „LiSe-DaZ“, die in Kapitel 4.1. ausführlich beschrieben wird, sind dies das Projekt „Sprachliche Bildung für Kleinkinder“ sowie das Projekt zur Entwicklung von Qualifizierungsmaßnahmen für Erzieherinnen im Bereich Deutsch als Zweitsprache (Arbeitstitel: „E-DaZ“), das derzeit in Kooperation mit dem Goethe-Institut München konzipiert wird. Diese Projekte haben sich unmittelbar aus dem Sprachförderprogramm „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“ der Baden-Württemberg Stiftung entwickelt und werden nachfolgend genauer beschrieben. Darüber hinaus hat das Programm als Impuls für die Einführung der „Intensiven Sprachförderung im Kindergarten“ (ISK) des Landes Baden-Württemberg gewirkt. Auch darauf wird am Ende dieses Kapitels kurz eingegangen. Sprachliche Bildung für Kleinkinder Die frühkindliche Bildung und Sprachförderung ist für die Baden-Württemberg Stiftung nach wie vor ein wichtiges Betätigungsfeld. So wurden bereits im Verlauf von „Sag’ mal was“ neue, weiterführende Projekte initiiert und implementiert. Die Erfahrungen aus dem Programm „Sag’ mal was“, die ersten Ergebnisse aus der wissenschaftlichen Begleitforschung sowie zahlreiche Rückmeldungen aus der Praxis und des Beirats „Sprachförderung“ legten nahe, mit der Sprachförderung bereits bei jüngeren Kindern zu beginnen. Die Baden-Württemberg Stiftung hat daher seit 2007 über Perspektiven der Weiterentwicklung von „Sag’ mal was“ nachgedacht. Der Aufsichtsrat der Baden-Württemberg Stiftung ist einem entsprechenden Konzeptvorschlag gefolgt und hat der Umsetzung des Projekts „Sprachliche Bildung für Kleinkinder“ im Rahmen von „Sag’ mal was“ zugestimmt. Als wichtigste konzeptionelle Eckpunkte des neuen Projekts wurden definiert: ➜ Die Sprachförderung der Kinder soll so früh wie möglich beginnen. ➜ Die Stärkung der Handlungskompetenz der pädagogischen Fachkräfte soll im Fokus der Bemühungen stehen. ➜ Sprachförderkonzepte sollen vor der flächendeckenden Einführung erprobt und evaluiert werden. <?page no="192"?> 193 Das Projekt „Sprachliche Bildung für Kleinkinder“ zielt darauf ab, die sprachliche Bildung von Kleinkindern über die fachliche Begleitung der in den Kindertageseinrichtungen tätigen Fachkräfte zu stärken. Durch den Ausbau der Tagesbetreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren werden an die Fachkräfte besondere Anforderungen in Bezug auf die sprachliche Entwicklungsförderung der Kleinkinder gestellt. Das Projekt richtet sich daher an Kinder unter drei Jahren und an die pädagogischen Fachkräfte in den Kindertageseinrichtungen. Im Februar 2008 hat die Baden-Württemberg Stiftung das Projekt „Sag’ mal was - Sprachliche Bildung für Kleinkinder“ bundesweit ausgeschrieben. Nach Begutachtung der eingegangenen Anträge durch den Beirat „Sprachförderung“ und eine eigens eingerichtete Arbeitsgruppe mit weiteren Expertinnen und Experten aus der frühkindlichen Bildung wurden zwei Forschergruppen mit der Projektumsetzung beauftragt: ➜ Eine Forschergruppe am Deutschen Jugendinstitut (DJI) in München unter der Leitung von Hans Rudolf Leu führt das Teilprojekt „Dialoge mit Kindern führen - Interventionsstrategien von Erzieherinnen zur Förderung des sprachlichen Verhaltens von Kindern unter drei Jahren“ durch. ➜ Eine Gruppe an der Universität Koblenz-Landau unter der Leitung von Gisela Kammermeyer führt das Teilprojekt „Mit Kindern im Gespräch - Entwicklung und Evaluation eines Fortbildungskonzepts für Erzieherinnen zur Intensivierung der Erzieherin-Kind-Interaktion“ durch. Die beiden Forschergruppen entwickeln und erproben modellhafte Lehr-Lernkonzepte in enger Kooperation mit den Fachkräften, die sie gleichzeitig wissenschaftlich begleiten. Aus beiden Projekten werden die Erkenntnisse und Erfahrungen gebündelt und publiziert: Die Strategien aus dem Projekt „Dialoge mit Kindern führen“ erscheinen als Handreichung für Erzieherinnen im Verlag das netz. Best-Practice-Beispiele aus dem Projekt „Mit Kindern im Gespräch“ werden als Handlungsleitfaden auf DVD veröffentlicht. Im Rahmen des Projekts „Sprachliche Bildung für Kleinkinder“ wird darüber hinaus in Mannheim das von der Stadt Ludwigshafen am Rhein und der Universität Mannheim im Rahmen der „Offensive Bildung“ der BASF SE entwickelte und bereits erprobte Sprachförderkonzept „Sprache macht stark! “ unter der Leitung von Rosemarie Tracy implementiert. Die beiden Teilprojekte zur Intervention und die Implementierung von „Sprache macht stark! “ werden intern und extern evaluiert. Hierfür wurde eine Forschergruppe der Freien Universität Berlin unter Leitung von Wolfgang Tietze beauftragt. Alle diese Maßnahmen dienen dem übergeordneten Ziel, die individuellen Lebens- und Bildungschancen von Kindern durch Unterstützung des Spracherwerbs zu verbessern und damit Zukunftsperspektiven zu erweitern. <?page no="193"?> 194 Qualifizierung im Bereich Deutsch als Zweitsprache im Elementarbereich Der Bedarf und die Notwendigkeit der weiteren Qualifizierung pädagogischer Fachkräfte für die sprachliche Bildung und Sprachförderung von Kindern - insbesondere im Bereich Deutsch als Zweitsprache - ist eine zentrale Erkenntnis der wissenschaftlichen Begleitforschung von „Sag’ mal was“ und vieler anderer Studien. Gemeinsam mit dem Goethe-Institut hat die Baden-Württemberg Stiftung deshalb eine Forschungskooperation ins Leben gerufen, in der ein Qualifizierungskonzept für pädagogische Fachkräfte im Elementarbereich als Blended-Learning-Angebot entwickelt werden soll. Methodisches und konzeptionelles Vorbild ist dabei das inzwischen abgeschlossene Projekt „E-LINGO“, das in Kooperation der Pädagogischen Hochschule Freiburg, der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und der Universität Gießen als Masterstudiengang „Didaktik des frühen Fremdsprachenlernens“ im Auftrag der Baden-Württemberg Stiftung entwickelt wurde (siehe Beitrag am Ende von Kapitel 6). Im Projekt „E-DaZ“ werden Ansätze aus zwei Programmen der Baden-Württemberg Stiftung - „Sag’ mal was“ und „E-LINGO“ - sowie Angebote des Goethe-Instituts in der Vermittlung von Deutsch als Fremdsprache verbunden. Das Projekt wird voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte 2011 starten. Impulse für das Land Baden-Württemberg Seit Dezember 2008 wird im Rahmen der neu konzipierten und zeitlich vorgezogenen Einschulungsuntersuchung (ESU) im vorletzten Kindergartenjahr für alle Kinder eine Sprachstandsfeststellung (Sprachscreening) sowie in begründeten Fällen eine verbindliche Sprachstandsdiagnose (SETK 3-5) durchgeführt. Für die letzte Ausschreibungsrunde des Programms „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“ im Kindergartenjahr 2009/ 2010 hat die Baden-Württemberg Stiftung deshalb alle Programmrichtlinien soweit umgestaltet, dass die Ergebnisse daraus für die Kindertageseinrichtungen nutzbar wurden. Mit der Einführung der verbindlichen Sprachstandsdiagnose war der Weg zur Übergabe des Programms in die Verantwortung des Landes vorgezeichnet. Ende des Kindergartenjahres 2009/ 2010 hat die Baden-Württemberg Stiftung die flächendeckende Unterstützung von Tageseinrichtungen für Kinder zur Durchführung von Sprachfördermaßnahmen beendet und das Programm und die Erfahrungen in die Obhut des Landes gegeben. In einem nahtlosen Übergang wurde die „Intensive Sprachförderung im Kindergarten“ (ISK) als Maßnahme des Landes erstmals im Kindergartenjahr 2010/ 2011 ausgeschrieben. Das Land hat ab dem Kindergartenjahr 2010/ 2011 dafür einschließlich Fortbildungen 10 Mio. Euro bereitgestellt. Das Konzept von ISK wurde auf der Grundlage der Evaluationsergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung von „Sag’ mal was“ erstellt und ist auf die aktuellen Bedürfnisse ausgerichtet. So gibt es beispielsweise die Möglichkeit, kleinere Fördergruppen ab zwei Kindern zu bilden und auch Kinder mit Förderbedarf, die noch keine Einschulungsuntersuchung durchlaufen haben, oder auch jüngere Kinder in die intensive Sprachförderung einzubeziehen. <?page no="194"?> 195 Literatur Best, Petra / Laier, Mechtild / Jampert, Karin / Sens, Andrea / Leuckefeld, Kerstin (2011). Baden-Württemberg Stiftung (Hrsg.), Dialoge mit Kindern führen. Weimar/ Berlin. Weitere Beispiele für das Engagement der Baden-Württemberg Stiftung zur Förderung und Unterstützung der kindlichen (Sprach-) Entwicklung: ➜ Das Programm „Komm mit in das gesunde Boot“ bietet Module zu Ernährung und Bewegung für den Einsatz in Kindertageseinrichtungen an. Von der Baden-Württemberg Stiftung ausgebildete Ernährungs- und Bewegungsfachkräfte unterstützen die Tageseinrichtungen dabei, den Alltag der Kinder bewegungsfreundlicher zu gestalten und den Kindern auf spielerische Art Ernährungskompetenzen zu vermitteln. Dabei wird auch die kindliche Sprach- und Sprechentwicklung gefördert. ➜ Die Stiftung Kinderland ist eine unselbstständige Unterstiftung der Baden- Württemberg Stiftung. Gemeinnützige Erziehungs- und Bildungsprojekte sollen dazu beitragen, dass Kinder und Familien optimale Lebens- und Entwicklungschancen in Baden-Württemberg vorfinden. Dazu gehören Projekte zur musisch-ästhetischen bzw. naturwissenschaftlich-technischen Bildung von Kindern in Kindertageseinrichtungen oder Programme, wie beispielsweise „Erzähl uns was! Kinder erzählen Geschichten und hören einander zu“. ➜ Mit dem Projekt „kicken und lesen“ widmet sich die Baden-Württemberg Stiftung in Kooperation mit dem VfB Stuttgart 1893 e.V. insbesondere der Verbesserung von Bildungschancen von Jungen, die durch gendersprezifische Ansätze zum Lesen motiviert und gleichzeitig durch nachhaltige Maßnahmen zur Stärkung der Sozialkompetenz sowie der Gewaltprävention unterstützt werden. <?page no="195"?> 196 Das projekt „Dialoge mit Kindern führen“ Wie pädagogische Fachkräfte durch eine offene Dialoghaltung und bewusste Interaktionen die sprachliche entwicklung von jungen Kindern im Krippenalltag unterstützen und fördern können. Hans Rudof Leu, Mechthild Laier und Petra Best Emil (2, 3) steht am Fenster und beobachtet, wie auf dem Nachbargrundstück ein Hubschrauber zur Landung ansetzt. Er zeigt nach draußen und ruft laut: „Oh ssau, Huber! “. Die Erzieherin schaut in die Richtung von Emils Zeigefinger: „Oh ja, da ist ein Hubschrauber, genau“. Emil stellt fest: „Fliegt“. Die Erzieherin ergänzt: „Und jetzt landet er“. Emil: „Dreht“. Die Erzieherin bestätigt: „Ja, der Propeller dreht sich“. Hubschrauber landen zwar nicht alle Tage in Nachbars Garten, dennoch ist dieser Dialog typisch für die vielen Gespräche, wie sie im Kita-Alltag stattfinden. Emils Gesprächsangebot nimmt die Erzieherin nicht nur feinfühlig wahr, sie signalisiert ihm auch, dass sie an dem, was er zu zeigen und zu sagen hat, interessiert ist. Zwischen den beiden entsteht ein authentischer Dialog, in dem Emil zu sprachlicher Aktivität angespornt ist, und in dem die Erzieherin sein Thema aufgreift, es ergänzt und erweitert: Hubschrauber fliegen nicht nur, sie landen auch. Und was sich da dreht, das ist ein „Propeller“ (technisch korrekter Fachausdruck: Rotor). So ist diese kleine Sequenz aus dem Kita-Alltag auch ein Beispiel dafür, wie Kinder in beziehungsvoller Interaktion und für sie bedeutsamen Situationen ganz nebenbei in ihrer sprachlichen Entwicklung unterstützt und angeregt werden können. Hintergrund und Konzeption Mit dem Ausbau der Kindertagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren hat die Erweiterung bzw. Neuformulierung pädagogischer Konzepte (inhaltlich und methodisch) für den Elementarbereich in der Fachöffentlichkeit an Bedeutung gewonnen. Für pädagogische Fachkräfte entsteht daraus für ihre Arbeit mit jungen Kindern ein breiter Bedarf an Qualifizierung. Dieser Bedarf betrifft auch Konzepte zur sprachlichen Bildung, zumal sich die Mehrzahl der Sprachförderprogramme im Elementarbereich bisher an die Altersgruppe der Dreibis Sechsjährigen richtet. Das DJI-Projekt „Dialoge mit Kindern führen“ greift im Auftrag der Baden- Württemberg Stiftung diesen Qualifizierungsbedarf auf. Sein Ansatz zur sprachlichen Bildung knüpft an ein Vorläuferprojekt des DJI an. Auf der Basis sprachwissenschaftlicher und entwicklungspsychologischer Erkenntnisse zum kindlichen Spracherwerb erarbeitete das Projekt „Sprachliche Förderung in der Kita“ ein Basiskonzept zur alltagsintegrierten sprachlichen Bildung und Förderung von Kindern der Altersgruppe drei bis sechs Jahre (Jampert u.-a., 2006; Jampert u.-a., 2009). Leitende Prinzipien des Konzepts sind Kompetenzorientierung, Handlungsrelevanz sowie ein weiter Blick auf <?page no="196"?> 197 Sprache und Spracherwerb. Dieser Blick richtet sich zum einen auf die strukturellen Aspekte Laute & Prosodie, Wörter & ihre Bedeutungen und Grammatik mit Wortbildung und Satzbau, zum anderen auf die funktionelle Seite von Sprache, also auf ihre Bedeutung für das kindliche Denken und sozial-kommunikative Handeln (ausführlicher zum Konzept siehe Kapitel 4.2: Für Sprachliche Förderung qualifizieren. Erkenntnisse aus dem Bund-Länder-Projekt „Sprachliche Förderung in der Kita“). Mit dem Projekt „Dialoge mit Kindern führen“ wird dieses Basiskonzept zur alltagsintegrierten sprachlichen Bildung und Förderung auf die Altersgruppe der 2-Jährigen übertragen und um den Blick auf die Interaktionsprozesse zwischen pädagogischer Fachkraft und Kind oder Kindern erweitert. Erarbeitet werden dazu Handreichungen, deren Ziel es ist, die Handlungskompetenzen von Erzieherinnen für die sprachliche Bildung von Kindern zwischen 2-und 3-Jahren zu erweitern und zu stärken. Geeignet sind die Handreichungen außerdem für Fort- und Weiterbildung wie auch in der Ausbildung. Sie vermitteln ➜ differenziertes Wissen zu Sprachentwicklung und kindlichen Sprachaneignungsstrategien, ➜ Hinweise dazu, wie sprach- und sprechanregende Dialoge und Interaktionen zwischen Fachkraft und Kind gestaltet werden können, ➜ Anregungen dazu, wie sich der Kita-Alltag zur sprachlichen Unterstützung und Anregung von Kindern nutzen lässt. Zum Beispiel in routinierten Situationen wie Wickeln, in gezielten Angeboten und im Freispiel. Für die Entwicklung der Handreichungen arbeitete das DJI-Projektteam mit sechs Kindertageseinrichtungen aus dem Raum Ulm und Stuttgart zusammen. Dieser enge Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis zielte, neben der Qualifizierung der beteiligten Fachkräfte, auf die Erprobung der im Projekt entwickelten Beobachtungs- und Reflexionsinstrumente sowie von Möglichkeiten für die sprachliche Bildung junger Kinder im pädagogischen Alltag. Dabei entstand auch reichlich Beispielmaterial zur Veranschaulichung förderlicher Interaktionen und zur Illustration der Handreichungen. In der Projektarbeit wechselten sich Qualifizierungsmaßnahmen und Praxisphasen ab. Zum Tragen kamen Workshops, Hospitationen vor Ort, mediengestützte Beobachtungsverfahren und schriftliche Aufzeichnungen. Die Laufzeit des Projekts endet im Januar 2011. Schlaglichter aus der Projektarbeit Durch fundiertes Wissen zum Spracherwerb einen sensiblen Blick auf das kindliche Sprachhandeln entwickeln Der im Konzept angelegte weite Blick auf Sprache und Spracherwerb ermöglicht es, Kinder und ihr Sprachhandeln sensibler und differenzierter wahrzunehmen, so beschreiben die Fachkräfte erste Erfahrungen aus der Projektarbeit. Sie entdecken die <?page no="197"?> 198 Strategien, mit denen junge Kinder sich die Sprache erobern und erkennen dabei, dass Kinder kompetente Sprachlerner sind. Die Fachkräfte wissen, dass diese Strategien erwerbstypisch sind im Sprachaneignungsprozess junger Lerner. So fällt bei den sprachlichen Äußerungen von Emil in der eingangs erzählten Situation beispielsweise auf der lautlichen Ebene eine typische Aussprachevereinfachung auf. Auf der Ebene der Wörter sehen wir an der Verwendung des Begriffs „Huber“, dass Emil die Bedeutung sicher dem Gegenstand „Hubschrauber“ zuordnet und an der lautlichen Struktur noch arbeitet. Seine kommunikative Kompetenz zeigt Emil dadurch, dass er mit „Oh ssau“ die Aufmerksamkeit der Erzieherin auf sich lenkt und durch wechselseitige Beiträge das Gespräch aufrecht erhält. Mit Stimmeinsatz drückt er seine Begeisterung aus und zeigt der Fachkraft dadurch sein Interesse am Thema. Durch kontinuierliche Beobachtung bemerkt sie, dass Emil eine Vorliebe für technische Geräte und Fahrzeuge hat, gerne darüber spricht und auf diesem Gebiet sich schnell neue Wörter aneignet. Diese Informationen wird sie für ihre (Sprach-) Angebote nutzen und dabei auf seinen sprachlichen Kompetenzen aufbauen. Dialoge mit Kindern führen: Der Aufmerksamkeit des Kindes folgen Aus der Eltern-Kind-Forschung wissen wir, dass junge Kinder Sprache dann besonders gut lernen, wenn sie aufmerksam sind für sprachlichen Input (Grimm, 1990; Szagun, 2006; Tomasello & Todd, 1983). Außerdem wissen wir, dass Kinder bis weit ins Kindergartenalter hinein Sprache implizit erwerben, also sozusagen nebenbei (List, 2006). Es ist darum wichtig, dass pädagogische Fachkräfte ihre Interaktionen auf die Kinder abstimmen und ihnen dabei sprachlich reichhaltigen Input anbieten. In Dialogen, die am Interesse des Kindes ausgerichtet sind, erfahren die Kinder über das angebotene Sprachwissen hinaus, dass Sprache ein wirkungsvolles Ausdrucksmedium ist und dass sich mit Sprache viel ausrichten lässt. So wie es beispielsweise unsere eingangs erzählte Szene zeigt: Emils Erzieherin folgt seiner Aufmerksamkeit, indem sie sein Thema aufgreift. Auf diese Weise entsteht ein authentischer Dialog, der Emil die Gelegenheit gibt, sein Interesse am Hubschrauber auszudrücken und seine Beobachtungen mit der Erzieherin zu teilen. Die in der Projektarbeit angelegte Videografie und gemeinsame Reflexion ermöglichte den beteiligten Fachkräften ihr eigenes Interaktionsverhalten auf neue Weise kennen zu lernen, ihre Stärken zu sehen, aber auch auf Aspekte zu schauen, an denen sie noch arbeiten möchten. Dabei konnten sie am eigenen Beispiel feststellen, welchen Beitrag z.-B. Stimme, Betonung und Körpersprache für die Verständigung leisten, welche sprachlichen und inhaltlichen Informationen auf diesem Weg vermittelt werden und wie wichtig es ist, mit eigenen Impulsen zu warten, so dass Kinder auch genügend Zeit finden, ihre Gedanken, Gefühle oder Beobachtungen in Worte zu fassen. Die anfänglich mit etwas Argwohn betrachtete Videografie stellte sich für die Fachkräfte als eine wirkungsvolle Methode heraus, um Situationen unter bestimmten Fragestellungen zu reflektieren und führte nicht nur einmal zur Neubewertungen erlebter Interaktionen. <?page no="198"?> 199 Die sprachlichen Potentiale des Krippen-Alltags erkennen und nutzen Neben der Interaktion als sprachbildende Kraft steckt auch im pädagogischen Alltag großes sprachliches Potential. So ist unser Dialogbeispiel mit Emil typisch für die vielen Gespräche, die im Krippenalltag stattfinden. Neben diesen sozusagen nebenbei entstehenden Sprachanlässen bieten alltägliche Tätigkeiten, z.-B. wiederkehrende Situationen wie Wickeln, Essen und Anziehen und auch pädagogische Angebote eine gute Möglichkeit zur sprachlichen Begleitung und Unterstützung. Dabei sind Gestaltung und Rahmenbedingungen wichtige Einflussfaktoren für gelungene sprachpädagogische Interaktionssituationen. Unter diesem Blickwinkel stellten die Projekteinrichtungen ihren Tagesablauf und gewohnte Routinen auf den Prüfstand. So war es möglich durch - zum Teil auch kleine - Veränderungen Zeitdruck zu nehmen und neue Möglichkeiten zu schaffen, um mit Kindern ins Gespräch zu kommen. Abschließend sei noch eine wichtige Erfahrung aus der Zusammenarbeit mit der Praxis genannt: Den perfekten Dialog mit Kindern oder das perfekte Angebot zur sprachlichen Bildung gibt es nicht. Das sollte auch nicht Ziel sein, das sich Fachkräfte stecken. Wichtiger ist vielmehr die Bereitschaft zur Reflexion. Dann kann sich das Bewusstsein für das eigene Interaktionshandeln erweitern und sich der Blick schärfen für die vielen Sprach- und Gesprächsanlässe, die sich im Alltag der Krippe anbieten. Literatur Grimm, H. (1990): Über den Einfluss der Umweltsprache auf die kindliche Sprachentwicklung. In: Neumann, K./ Charlton, M. (Hrsg.): Spracherwerb und Mediengebrauch. Tübingen: Narr. Jampert, Karin; Leuckefeld, Kerstin; Zehnbauer, Anne; Best, Petra (Hrsg.) (2006): Sprachliche Förderung in der Kita. Wie viel Sprache steckt in Musik, Bewegung, Naturwissenschaften und Medien? Weimar; Berlin: verlag das netz. Jampert, Karin; Zehnbauer, Anne; Best, Petra; Sens, Andrea; Leuckefeld, Kerstin; Laier, Mechthild (Hrsg.) (2009): Kinder-Sprache stärken! Sprachliche Förderung in der Kita: das Praxismaterial. Weimar; Berlin: verlag das netz. List, Gudula (2006): Die Funktion von Sprache und Spracherwerb für die kognitive und sozial-kommunikative Entwicklung. In: Jampert, Karin; Leuckefeld, Kerstin; Zehnbauer, Anne; Best, Petra (Hrsg.) (2006): Sprachliche Förderung in der Kita. Wie viel Sprache steckt in Musik, Bewegung, Naturwissenschaften und Medien? Weimar; Berlin: verlag das netz, 15-21. Szagun, Gisela (2006): Sprachentwicklung beim Kind. Weinheim; Basel: Beltz. Tomasello, M./ Todd, J. (1983): Joint attention and early lexical acquisition style. In: First Language 4, 197 - 212. <?page no="199"?> 200 Das projekt „Mit Kindern im gespräch“ erprobung eines ansatzes zur Intensivierung der erzieherin-Kind-Interaktion Gisela Kammermeyer, Sarah King, Astrid Metz und Susanna Roux Ziel des Projektes, das im Auftrag der Baden-Württemberg Stiftung durchgeführt wird, ist es, Erzieherinnen für die Sprachförderarbeit mit Zweibis Dreijährigen zu qualifizieren. Im Mittelpunkt stehen Sprachförderstrategien, die als Grundlage für qualitativ hochwertige sprachliche Erzieherin-Kind-Interaktionen stehen. Empirische Untersuchungen zur Qualität im Kindergarten zeigen, dass Qualität substanziell mit anregenden Erzieherin-Kind-Interaktionen zusammenhängen (u.-a. Sylva, Melhuish, Sammons, Siraj-Blatchford, Taggart & Elliot, 2004; Tietze, Meischner, Gänsfuß, Grenner, Schuster, Völkel & Roßbach, 1998), jedoch kommt sie auch in qualitativ hervorragenden Einrichtungen nur selten vor (u.-a. König, 2008; Kontos & Wilcox-Herzog, 1997). Zur inhaltlichen Konzeption des Projekts Die einbezogenen Strategien zur Förderung der sprachlichen Entwicklung unter Dreijähriger lassen sich in Modellierungsstrategien, formale Strategien und inhaltliche Strategien unterscheiden. Sie entstammen vorrangig aus Forschungsarbeiten zur mütterlichen Sprachdidaktik, in denen die Wichtigkeit der Interaktion zwischen Erwachsenen und Kindern in den ersten Lebensjahren für die frühkindliche Sprachentwicklung betont wird. Die Modellierungsstrategien beziehen sich auf Grundlagen der Gesprächsgestaltung, wie sie u.- a. durch Weinert und Grimm (2008) bzw. Szagun (2008) für erste Mutter-Kind-Interaktionen berichtet werden. Die formalen Strategien, die sich im Projekt vor allem auf Fragenformulierung und Rückmeldung beziehen, beruhen u.-a. auf Studien zur „Entwicklungsproximalen Intervention“ von Dannenbauer (1994) und zum „Dialogischen Lesen“ von Whitehurst, Arnold, Epstein, Angell, Smith und Fischel (1994). Whitehurst et al. (1994) wiesen beispielsweise nach, dass dialogisch orientierte Formen der Bilderbuchbetrachtung zwischen Erwachsenen und Kindern zu sprachlichen Verbesserungen bei Kindern führen. Die inhaltsbezogenen Strategien, die kontextbezogene sowie kontextübergreifende inhaltliche Herausforderungen anzielen, stammen u.- a. aus Studien von Silverman (2007) und aus der „Distanzierungstheorie“ von Sigel (2000). Die Distanzierungstheorie hilft, inhaltlich kognitiv herausfordernde Abstandsfragen von Nähefragen zu unterscheiden. Die Wirkung der benannten Sprachförderstrategien ist zwar durch Studien belegt, jedoch gibt es bisher kaum Erkenntnisse zur Kombination dieser Strategien. Auch über die Bedeutung der Implementationsbedingungen ist noch wenig bekannt. <?page no="200"?> 201 Überblick zu den Sprachförderstrategien Die Basis der Qualifzierung sowie der anschließenden Förderarbeit in der frühpädagogischen Praxis bilden darüber hinaus die „human basic needs “ (u.-a. Krapp, 2005), die auf der Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan (1993) aufbauen. Demnach spielen menschliche Bedürfnisse nach Kompetenzerleben, Autonomie und sozialer Eingebundenheit eine entscheidende Rolle in pädagogischen Kontexten. Zum Interventionskonzept Die Gestaltung der Qualifizierung orientiert sich an einem ko-konstruktivistischen Verständnis von Lernen, indem a) an den Erfahrungen und subjektiven Theorien der pädagogischen Fachkräfte angesetzt wird und b) jeweils zwei Erzieherinnen aus einer Einrichtung teilnehmen, die während des gesamten Projektverlaufs eine feste Partnergruppe bilden, welche den regelmäßigen Austausch und die gegenseitige Beobachtung und Beratung zum Ziel hat. Didaktisch sind die Qualifizierungsmaßnahmen stufenartig aufgebaut: Sie gehen aus von stark strukturierten Sprachfördersituationen(z. B. Bilderbuchbetrachtung),über geplante, strukturierte Angebote (z.-B. zusammen kneten) sowie wenig geplante, wenig strukturierte Symbol- und Rollenspiele (z.-B. Kaufladen) bis hin zu ungeplanten, unstrukturierten offenen Alltagssituationen (z.-B. Abholphase). Für alle Stufen werden die Sprachförderstrategien gemeinsam mit den Erzieherinnen erarbeitet und in der Praxis mit zweibis dreijährigen Zielkindern erprobt sowie anschließend u.a.mittels Videomitschnitten umfassend reflektiert. Insgesamt finden in einem Zeitraum von eineinhalb Jahren 14 Fortbildungstage statt. Dazwischen erfolgen Praxisbesuche vor Ort durch die Projektmitarbeiterinnen. <?page no="201"?> 202 Sie stellen ein wesentliches beratendes Element des Interventionskonzeptes dar und dienen der individuellen Reflexion. Evaluation Die Durchführung der Qualifizierungsmaßnahme wird begleitend formativ evaluiert. U.- a. kommt ein in Anlehnung an das Classroom Assessment Scoring System (CLASS von Pianta, La Paro & Hamre, 2007) entwickeltes Sprachfördertagebuch zum Einsatz, das die tatsächlich realisierten Förderaktivitäten der beteiligten Erzieherinnen erfasst. Außerdem dient ein Fragebogen zur Erfassung der Lernausgangslage der Erzieherinnen. Zur formativen Evaluation zählt darüber hinaus die videobasierte Vor- und Nacherhebung einer standardisierten Bildbetrachtungssituation aller teilnehmenden Erzieherinnen mit ihren Zielkindern. Darüber hinaus erfolgt eine externe Evaluation durch Prof. Dr. Wolfgang Tietze (FU Berlin). Ausblick Bereits im Projektverlauf zeigt sich, dass das didaktische und inhaltliche Konzept die Interessen der Erzieherinnen trifft. Insbesondere die Begleitung der Erzieherinnen über eine längere Zeit bewährt sich, ebenso wie der enge Kontakt vor Ort. Es ist angestrebt, die inhaltlichen und didaktischen Ergebnisse langfristig nutzbar zu machen, u. a. durch Weiterbildungsmaterialien. Literatur Dannenbauer, F.-M. (1994). Zur Praxis der entwicklungsproximalen Intervention. In: H. Grimm & S. Weinert (Hrsg.), Intervention bei sprachgestörten Kindern. Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen (S.-83-104). Stuttgart: Fischer. Deci, E.-L. & Ryan, R.-M. (1993). Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. Zeitschrift für Pädagogik, 39, 223-238. König, A. (2008). Interaktionsprozesse zwischen ErzieherInnen und Kindern. Eine Videostudie aus dem Kindergartenalltag. Wiesbaden: VS. Kontos, S. & Wilcox-Herzog, A. (1997). Teachers’ interactions with children: Why are they so important? Young Children, 52, 2, 4-12. Krapp, A. (2005). Das Konzept der grundlegenden psychologischen Bedürfnisse. Ein Erklärungsansatz für die positiven Effekte von Wohlbefinden und intrinsischer Motivation im Lehr-Lerngeschehen. Zeitschrift für Pädagogik, 51, 5, 626-641. Pianta, R.-C., La Paro, K.-M. & Hamre, B.-K. (2007). Classroom Assessment Scoring System. Manual K - 3. Baltimore: Brookes. Sigel, I.-E. (2000). Educating the young thinker model, from research to practice. In: J.-L. Roopnarine & J.-E. Johnson (Eds.), Approaches to Early Childhood Education (pp.-315-340). New Jersey: Prentice Hall. Silverman, R. (2007). A comparison of three methods of vocabulary instruction during read-alouds in kindergarten. The Elementary Journal, 108, 2, 97-113. <?page no="202"?> 203 Sylva, K., Melhuish, E., Sammons, P., Siraj-Blatchford, I., Taggart, B. & Elliot, K. (2004). The Effective Provision of Pre-School Education Project - Zu den Auswirkungen vorschulischer Einrichtungen in England. In: G. Faust, M. Götz, H. Hacker & H.-G. Roßbach (Hrsg.), Anschlussfähige Bildungsprozesse im Elementar- und Primarbereich (S.-154-167). Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Szagun, G. (2008). Sprachentwicklung beim Kind. Weinheim: Beltz. Tietze, W., Meischner, T., Gänsfuß, R., Grenner, K., Schuster, K.-M., Völkel, P. & Roßbach, H.-G. (1998). Wie gut sind unsere Kindergärten? Eine empirische Untersuchung zur pädagogischen Qualität in deutschen Kindergärten. Neuwied: Luchterhand. Weinert, S. & Grimm, H. (2008). Sprachentwicklung. In: R. Oerter & L. Montada (Hrsg.), Entwicklungspsychologie (6. Aufl.), (S.-502-534). Weinheim: Beltz. Whitehurst, G.-J., Arnold, D.-S., Epstein, J.-N., Angell, A.-L., Smith, M. & Fischel, J. (1994). Apicture book reading intervention in day care and home for children from low-income families. Developmental Psychology, 30, 679-689. <?page no="203"?> 204 Die Implementierung von Sprache macht stark! in ausgewählten Kindertageseinrichtungen in Mannheim Maren Krempin, Kerstin Mehler und Dieter Thoma In Deutschland ist der Bedarf an Sprachfördermaßnahmen für Migrantenkinder im Vorschulalter unbestritten. Die Ergebnisse der Spracherwerbsforschung zeigen, dass zweibis vierjährige Kinder sich eine zweite Sprache sehr schnell und ohne explizite Unterweisung aneignen können - vorausgesetzt, sie finden eine sprachlich anregende Umgebung vor, in der sie reichhaltigen Input erhalten (Tracy, 2008). Um Kinder, die mit einer anderen Familiensprache als Deutsch aufgewachsen sind, beim Erwerb der deutschen Sprache zu unterstützen, existiert bundesweit ein breites Spektrum an Förderkonzepten. Diese unterscheiden sich allerdings deutlich in ihrer Struktur und Zielsetzung und bauen je nach ihrer pädagogischen, psychologischen oder linguistischen Motivation auf unterschiedlichen theoretischen Annahmen auf. Der empirische Nachweis positiver Effekte spezifischer Sprachfördermaßnahmen, die über altersbedingte Entwicklungsfortschritte der Kinder hinausgehen, stellt aufgrund der Vielzahl von teilweise schwer kontrollierbaren Variablen, die die Entwicklung beeinflussen, nach wie vor eine Herausforderung dar (Hopp, Thoma & Tracy eingereicht; Gasteiger- Klicpera et al., 2009). Nachfolgend wird das sprachwissenschaftlich fundierte Konzept Sprache macht stark! 1 beschrieben, das im Dialog zwischen der Universität Mannheim und der Praxis in den Jahren 2006-2009 entwickelt und evaluiert wurde (Krempin et al., 2009; Lemke et al., 2007). Als Konsequenz aus den Ergebnissen der Evaluation des Programms „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“ führt die Baden-Württemberg Stiftung das Projekt „Sprachliche Bildung für Kleinkinder“ mit dem Deutschen Jugendinstitut München (Laier, 2009) und der Universität Koblenz-Landau (Kammermeyer et al., 2009) durch. Das Projekt wird summativ evaluiert. Mit dem ebenfalls von der Baden-Württemberg Stiftung finanzierten Teilprojekt „Implementierung von Sprache macht stark! in Mannheimer Einrichtungen“ konnte Sprache macht stark! als dritte Förderkonzeption in diese Evaluation einbezogen und mittlerweile erfolgreich in neun Mannheimer Kindertagesstätten umgesetzt werden. Sprache macht stark! zeichnet sich durch einen frühen Beginn der Förderung (ab dem Alter von zwei Jahren), die Vernetzung von verschiedenen Förderkontexten, eine intensive Qualifizierung von pädagogischen Fachkräften, ausführliche Schulungen ganzer pädagogischer Teams sowie durch die feste Verankerung der Kooperation mit den Eltern der geförderten Kinder aus. Das Konzept richtet sich an Kinder mit Deutsch als Erst- und Zweitsprache und basiert auf drei parallelen, inhaltlich und organisatorisch aufeinander abgestimmten Säulen (vgl. Abb. 1): Sprachförderung in Kleingruppen von vier Kindern, Sprachförderung im pädagogischen Alltag und Sprachförderung unter Berücksichtigung von Erst- und Zweitsprache in Eltern-Kind-Gruppen (Lemke & Tracy, 2009). 1 Sprache macht stark! ist ein Projekt der Offensive Bildung. Die sieben Projekte der Offensive Bildung haben zum Ziel, die frühkindliche Bildung in Kindertagesstätten zu fördern und wurden trägerübergreifend in allen 90 Ludwigshafener Kindertagesstätten umgesetzt, von anerkannten Bildungsexperten begleitet und nachhaltig in den pädagogischen Alltag implementiert. <?page no="204"?> 205 Abbildung 1: Drei Säulen des Sprachförderprogramms Sprache macht stark! Die Sprachförderung in Kleingruppen bietet einen geschützten Rahmen für altersgerechte und abwechslungsreiche, spielerische Aktivitäten. In der kommunikativen Situation der Kleingruppe kann gewährleistet werden, dass sich Kinder und pädagogische Fachkräfte in Ruhe auf sprachliche Details konzentrieren und jedes Kind relevante sprachliche Strukturen erwerben kann. Die Kleingruppe findet dreimal in der Woche für je eine Stunde in der Einrichtung statt. Im pädagogischen Alltag wird an die Themen der Kleingruppenangebote angeknüpft. Dadurch wird Sprachförderung zur Querschnittsaufgabe für das ganze Kita-Team. In Eltern-Kind-Gruppen, die im Idealfall wöchentlich stattfinden, werden die Eltern als wichtige Partner in die Sprachförderung ihrer Kinder mit einbezogen. Ihnen werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie sie ihre Kinder durch Schaffung von Kommunikationsanlässen im Alltag sprachlich unterstützen können. Sie werden so in ihrer Rolle als Sprachvorbild für die Erstsprache gestärkt und in Bezug auf die Bedeutung der deutschen Sprache sensibilisiert. Die drei Säulen orientieren sich an frei wählbaren, alltagsnahen Themenfeldern, wie z.-B. Kleidung, Essen und Trinken. Bei der Vorbereitung sind die pädagogischen Fachkräfte nicht an starre Vorgaben gebunden, sondern können den Wortschatz sowie altersgerechte und abwechslungsreiche Aktivitäten selbst auswählen. Ein zentrales Ziel des Konzeptes ist es, die Professionalität der pädagogischen Fachkräfte zu stärken. Aus jeder Einrichtung nehmen zwei bis drei Fachkräfte an den Qualifizierungsmaßnahmen teil und werden zu Expertinnen für die Sprachförderung ausgebildet. Das umfangreiche Qualifizierungskonzept beinhaltet eine Kombination von Workshops, kontinuierliche fachliche Begleitung durch individuelles Coaching bei der praktischen Durchführung sowie regelmäßige Supervision. Durch die Mischung aus Weiterbildung in der Gruppe und persönlicher Betreuung erwerben die Fachkräfte notwendiges Hintergrundwissen und Handlungskompetenzen zur <?page no="205"?> 206 erfolgreichen Umsetzung des Sprachförderkonzeptes. Aufbauend auf einer Basis- Teamschulung für das gesamte Kita-Team, bei der Grundlagenwissen zum Spracherwerb mehrsprachiger Kinder sowie Grundprinzipien sprachförderlichen Verhaltens vermittelt werden, geben die Multiplikatorinnen ihr Wissen zu Sprache und Sprachförderung an ihre Kolleginnen weiter und fungieren so als Multiplikatorinnen in ihren Einrichtungen. Neben der Durchführung von Klein- und Eltern-Kind-Gruppen ist die Stärkung der Handlungskompetenzen der Kolleginnen eine zentrale Aufgabe der Sprachförderkräfte. Mit Sprache macht stark! liegt ein vielseitiges Sprachförderkonzept vor, das alle am Erziehungsprozess Beteiligten mit einbezieht und die sprachlichen Kompetenzen der Kinder vom Eintritt in die Kindertageseinrichtung an stärkt. Das Konzept legt einen Grundstein, auf dem weitere Fördermaßnahmen aufbauen können. Literatur Gasteiger-Klicpera, B., Knapp, W., Kucharz, D., Patzelt, D., Ricart-Brede, J., Schmidt, B., Vomhof, B., Roos, J., Schöler, H. (2009): Wissenschaftliche Begleitung des Programms „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“ der Landesstiftung Baden-Württemberg. Pädagogische Hochschule Weingarten und Heidelberg. Verfügbar unter: http: / / www.sagmalwas-bw.de/ media/ WiBe%201/ pdf/ PH-Weingarten_Abschlussbericht_2010.pdf Hopp, H., Thoma, D. Tracy, R (eingereicht): Sprachförderkompetenz pädagogischer Fachkräfte: Ein sprachwissenschaftliches Modell. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft. Kammermeyer, G., Roux, S., King, S., Metz, A. (2009): Mit Kindern im Gespräch. Strategien zur sprachlichen Bildung von Kleinkindern in Kindertagseinrichtungen. Institut für Bildung im Kindes- und Jugendalter. Koblenz, Landau. Verfügbar unter: http: / / www.sagmalwas-bw.de/ media/ WiBe%202/ Projektbeschreibung_Modell-Landau.pdf Krempin, M., Mehler, K., Tracy, R. (2009): Sprache macht stark! - Wissenschaftliche Begleitstudie eines Konzepts für die Förderung sprachlicher und kommunikativer Kompetenzen bei zweibis vierjährigen Kindern. Ludwigshafen am Rhein. Laier, M. (2009): Dialoge mit Kindern führen. Interventionsstrategien von ErzieherInnen zur Förderung des sprachlichen Verhaltens von Kindern unter drei Jahren. Deutsches Jungendinstitut München e.-V. Verfügbar unter: http: / / www.sagmalwas-bw.de/ media/ WiBe%202/ Projektbeschreibung_DJI-Modell.pdf Lemke, V., Kühn, S., Long, J., Ludwig, G., Messinger, S., Wagner, B. (2007): Sprache macht stark! Konzepttext. Stadt Ludwigshafen am Rhein. Tracy, R. (2008): Wie Kinder Sprachen lernen. Und wie wir sie dabei unterstützen können. 2.-Auflage. Tübingen. Tracy, R., Lemke, V. (Hrsg.) (2009): Sprache macht stark! Offensive Bildung. Berlin, Düsseldorf. <?page no="206"?> 207 Die evaluation von teilprojekten im programm „Sag’ mal was - Sprachliche Bildung für Kleinkinder“ Irene Dittrich und Wolfgang Tietze Die Baden-Württemberg Stiftung hat sich entschieden, im Rahmen des Programms „Sag’ mal was - Sprachliche Bildung für Kleinkinder“ die Durchführung und Erprobung der drei Sprachförderprojekte „Dialoge mit Kindern führen“ (Deutsches Jugendinstitut, 2008), „Mit Kindern im Gespräch“ (Kammermeyer & Roux, 2008) und „Implementierung von Sprache macht stark! “ (Tracy & Lemke, 2009) im Rahmen eines weitgehend gemeinsamen Forschungsplans evaluieren zu lassen. In den ersten beiden Teilprojekten werden von den Instituten Sprachförderkonzepte entwickelt und in enger Kooperation mit den Fachkräften ausgewählter Modellgruppen für Kinder unter 3 Jahren erprobt. Im Rahmen des dritten Modellprojekts wird das von der Stadt Ludwigshafen am Rhein und der Universität Mannheim im Rahmen der Offensive Bildung entwickelte Sprachförderkonzept „Sprache macht stark! “ in Modelleinrichtungen mit Kindergartenkindern implementiert sowie in Krippengruppen modellhaft erprobt. Die gemeinsame Evaluation der drei Sprachförderkonzepte wird dadurch möglich, dass alle drei Projekte auf dieselben Ziele gerichtet sind: auf eine verbesserte sprachliche Anregungsqualität in den Kindergruppen und auf verbesserte sprachliche Kompetenzen der Kinder. Ziele und Design des Projekts Die Erprobung bzw. Implementierung aller drei Konzepte wird mehr oder weniger zeitlich parallel durchgeführt. Die Evaluation ihrer jeweiligen Effekte erfordert empirische Untersuchungen auf der Ebene ➜ von Einrichtungen und Gruppen zur Erfassung sprachanregender Prozessqualität, ➜ von Eltern zur Erfassung allgemeiner Hintergrundvariablen und sprachanregender Aktivitäten in der Familie sowie ➜ von Kindern zur Erfassung ihres Sprachstands. Die Evaluation für die beiden Projekte „Dialoge mit Kindern führen“ und „Mit Kindern im Gespräch“ ist als experimentelle Anordnung ohne Vortest angelegt (Bortz, 2005). Für beide Projekte wird aus einem Pool von Einrichtungen, die zur Teilnahme an den Interventionsprogrammen und der Evaluation bereit sind, nach dem Zufallsprinzip die Hälfte der Einrichtungen der Interventionsgruppe, die andere Hälfte der Kontrollgruppe zugewiesen. Die Evaluation des Projekts „Sprache macht stark! “ (Tracy & Lemke, 2009) erfolgt auf der Grundlage eines quasi-experimentellen Designs. Bei diesem Projekt hatten bestimmte Einrichtungen das Sprachförderprogramm schon vor Beginn der Evaluation erhalten. Die Auswahl der Interventionseinrichtungen war von der Baden-Württemberg Stiftung vorgenommen worden. Für die Auswahl der Vergleichsstichprobe wird in enger Kooperation der Baden-Württemberg Stiftung und EduCERT zu jeder Interventionseinrichtung jeweils ein Vergleichs-„paarling“ aus der Grundgesamtheit aller Tageseinrichtungen aus der Interventionsregion Mannheim zugeordnet. Bei allen drei Projekten gibt es damit für jede Interventionseinrichtung eine Kontrollbzw. Vergleichseinrichtung. Die Anzahl der insgesamt zu berücksichti- <?page no="207"?> 208 genden Interventionseinrichtungen ist für alle Projekte vorgegeben. Die Intervention richtet sich bei allen drei Projekten auf die Einrichtungen, wobei jeweils zwei Zielgruppen (Erzieherinnen) im Mittelpunkt der Intervention stehen. Dementsprechend werden pro Einrichtung (Interventions-und Kontroll-/ Vergleichseinrichtungen) jeweils zwei Gruppen in die empirische Erhebung einbezogen. Untersuchungsstichprobe Die breiteren Regionen, aus denen die Interventions- und Kontrolleinrichtungen ausgewählt wurden, waren vorgegeben. Im Falle des Projekts „Dialoge mit Kindern führen“ sind es die Regionen Ulm und Stuttgart, im Falle des Projekts „Mit Kindern im Gespräch“ erstreckt sich das Versuchsfeld auf die Regionen Karlsruhe und Offenburg, das Programm „Sprache macht stark! “ wird in der Stadt Mannheim implementiert bzw. erprobt. Die Auswahl der Interventions- und Kontrollgruppen berücksichtigt im Projekt „Dialoge mit Kindern führen“ ausschließlich Krippengruppen, im Projekt „Mit Kindern im Gespräch“ werden entsprechend der Bewerberlage auch altersgemischte Gruppenformen einbezogen. Die Stichprobe in Mannheim setzt sich aus Einrichtungen einer ersten und einer zweiten Erprobungswelle des Programms „Sprache macht stark! “ (Kindergartenjahre 2008/ 2009 und 2009/ 2010) zusammen, in der ersten Welle wurden Kindergartengruppen einbezogen, in der zweiten Welle Gruppen mit Krippenkindern. Die Rekrutierung teilnahmebereiter Einrichtungen (Interventions- und Kontroll-/ Vergleichseinrichtungen) für die Projekte „Dialoge mit Kindern führen“ und „Mit Kindern im Gespräch“ wurde vom Landesinstitut für Schulentwicklung vorgenommen. Die Einrichtungen sagten ihre Teilnahme unabhängig davon zu, ob sie letztendlich für die Interventions- oder Kontroll-/ Vergleichsgruppe ausgewählt wurden. Die Zuweisung zu einer der beiden Gruppen erfolgt nach dem Zufallsprinzip. Innerhalb jeder Einrichtung werden zwei Untersuchungsgruppen ausgewählt, im Falle der Kontrolleinrichtungen nach dem Zufallsprinzip, im Falle der Interventionseinrichtungen werden die Gruppen ausgewählt, auf die sich die Intervention primär gerichtet hat. Innerhalb jeder Untersuchungsgruppe werden zufällig fünf Zielkinder ausgewählt und soweit möglich nach Alter und Geschlecht balanciert. Mit den Kindern ist zugleich die Elternstichprobe bestimmt. Damit wird eine Evaluation realisiert, die sich auf 66 Krippen- und Kindergartengruppen aus 33 Interventionseinrichtungen und 68 Krippen- und Kindergartengruppen aus 34 Kontrolleinrichtungen sowie 330 Kinder und deren Eltern aus Interventionsgruppen und 340 Kinder und deren Eltern aus Kontroll-/ Vergleichsgruppen richtet. Ergänzend erfolgt eine Befragung der Träger(-organisationen). Instrumente Das Untersuchungsinstrumentarium differenziert sich entsprechend den drei Untersuchungsebenen Einrichtung/ Gruppen, Familien sowie Kinder. Im Mittelpunkt der Erhebungen auf der institutionellen Ebene steht eine differenzierte Erfassung der pädagogischen, speziell der sprachförderrelevanten pädagogischen Qualität. Im Wesentlichen wird diese durch externe Beobachter unter Anwendung mehrerer standardisierter <?page no="208"?> 209 Verfahren im Rahmen einer mehrstündigen Beobachtung in den Interventions- und Kontroll-/ Vergleichsgruppen realisiert (Arnett, 1989; Fried & Briedigkeit, 2008; Tietze et al., 2007), die durch Befragungen des pädagogischen Personals ergänzt werden. Bezüglich der pädagogischen Interaktionen werden die Erzieherinnen auch zu sprachförderrelevanten Aktivitäten in den Gruppen im pädagogischen Alltag sowie zu Merkmalen der Struktur- und Orientierungsqualität befragt. Auf die Kinder ihrer Gruppen bezogen geben sie eine Einschätzung der Sprach- und Kommunikationskompetenz der Zielkinder ab, es kommt die Subskala „Kommunikation“ der Vineland Adaptive Behavior Scale (Sparrow et al., 2005) zum Einsatz. Auf der Ebene der Einrichtungen geben die Leiterinnen im Rahmen einer standardisierten Befragung zu Rahmenbedingungen ihrer Einrichtung Auskunft. Die Erhebungen bei den Eltern der Zielkinder in den Interventionswie Kontroll-/ Vergleichseinrichtungen erfolgen über eine standardisierte schriftliche Befragung. Die Eltern werden zu Hintergrundfaktoren wie Bildungsstand, sozioökonomischem Status, Familienkonstellation, Erwerbsstatus, erwerbsbedingte Abwesenheit sowie Vielfalt und Umfang ihrer sprachanregenden und sonstigen Aktivitäten mit ihrem Kind im familialen Setting befragt. Parallel zur Einschätzung durch die Erzieherin nehmen die Eltern, genauso wie die Erzieherinnen, eine Einschätzung der Sprach- und Kommunikationskompetenz ihres Kindes vor, es kommt auch hier die Subskala „Kommunikation“ der Vineland Adaptive Behavior Scale (Sparrow et al., 2005) zum Einsatz. Neben der Einschätzung der Sprach- und Kommunikationskompetenz der Kinder durch Erzieherinnen und Eltern wird jedes Kind sowohl mit dem Sprachentwicklungstest für zweijährige Kinder (Grimm, 2000) bzw. Sprachentwicklungstest 3bis 5-jährige Kinder (Grimm, 2001) als auch mit dem Peabody Picture Vocabulary Test (Dunn & Dunn, 1981) auf seine Sprachkompetenz getestet. Zeitrahmen Die Evaluationsstudie wird im Zeitraum von September 2009 bis Juni 2011 durchgeführt. Literatur Arnett, J. (1989). Caregivers in Day-Care Centers: Does Training Matter? Journal of Applied Developmental Psychology, 10(4), 541-52. Bortz, J. (2005). Statistik für Human- und Sozialwissenschaftler. Heidelberg: Springer Medizin Verlag. Deutsches Jugendinstitut, D. (2008). Dialoge mit Kindern führen - Interventionsstrategien von Erzieherinnen zur Förderung des sprachlichen Verhaltens von mehrsprachigen Kindern unter drei Jahren: Projektbeschreibung. Dunn, L. M., & Dunn, L. M. (1981). Peabody Picture Vocabulary Test-Revised. Circle Pines, MN: American Guidance Service. Fried, L., & Briedigkeit, E. (2008). Sprachförderkompetenz. Selbst- und Teamqualifizierung für Erzieherinnen, Fachberatungen und Ausbilder. Berlin: Cornelsen Scriptor. Grimm, H. (2000). SETK 2. Sprachentwicklungstest für 2-jährige Kinder. Göttingen: Hogrefe. Grimm, H. (2001). SETK 3-5. Sprachentwicklungstest für dreibis fünfjährige Kinder. Göttingen: Hogrefe. <?page no="209"?> 210 Kammermeyer, G., & Roux, S. (2008). Mit Kindern im Gespräch - Entwicklung und Evaluation eines Fortbildungskonzepts für Erzieherinnen zur Intensivierung der Erzieherin-Kind-Interaktion. Universität Koblenz-Landau, Campus Landau, Institut für Bildung im Kindes- und Jugendalter. Sparrow, S. A., Cicchetti, D. V., & Balla, D. A. (2005). Vineland Adaptive Behavior Scale - II. Survey Forms manual. Circle Pines, MN: American Guidance Service. Tietze, W., Schuster, K.-M., Grenner, K., & Roßbach, H.-G. (2007). Kindergarten-Skala (KES -R). Feststellung und Unterstützung pädagogischer Qualität in Kindergärten (3.-Aufl.). Berlin: Cornelsen Scriptor. Tracy, R., & Lemke, V. (2009). Sprache macht stark. Berlin, Düsseldorf: Cornelsen Scriptor. <?page no="210"?> 211 erfahrungen mit der Qualifizierung von Fremdsprachenvermittlern für frühes Fremdsprachenlernen: das projekt e-lIngO Marita Schocker-von Ditfurth und Michael Legutke 1 Ausgangssituation Es besteht nicht erst seit heute ein hoher Bedarf für Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen in der Elementarbildung im Bereich Deutsch als Zweitsprache. Durch den weiter wachsenden Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund und der unzweifelhaften Bedeutung von Sprachförderung für die Integration und Bildung bleiben der qualitative Ausbau von Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen auf der gesellschaftlichen Agenda (vgl. Beitrag von Herrn Neugebauer in diesem Band). Deshalb fassen wir im Folgenden einige Erfahrungen mit E-LINGO, einem akkreditierten, berufsbegleitenden Masterprogramm, zusammen, die unseres Erachtens für ähnliche Qualifizierungsprojekte zur Entwicklung berufsfeldbezogener Kompetenzen, beispielsweise gerade von DaZ-Vermittlern von Bedeutung sein dürften. E-LINGO realisiert neue Formen des Lehrens und Lernens, die sich sowohl aus Erkenntnissen der Ausbildungs- und Professionswissensforschung wie Forschungen zum E-learning ableiten lassen. Einsichten aus der kontinuierlichen Begleitforschung zur Lehr- und Lernpraxis machen einerseits deutlich, dass E-LINGO erfolgreich die angestrebten Kompetenzen entwickelt, markieren aber zugleich Brennpunkte, die weiterer Untersuchungen bedürfen (vgl. Legutke / Schocker-v. Ditfurth 2009). Das Programm war im Mai 2001 vom Aufsichtsrat der Baden-Württemberg Stiftung mit der Beauftragung eines Qualifizierungsprogramms für den frühbeginnenden Fremdsprachenunterricht (d.h. den Vorschulbereich und die Primarstufe) auf den Weg gebracht worden. Anlass für den MA Studiengang ‚E-LINGO - Didaktik des frühen Fremdsprachenlernens‘ im Blended Learning Format (vgl. Landesstiftung / Legutke / Schocker-v. Ditfurth 2008) war der enorm gestiegene Bedarf an qualifizierten Sprach- und Kulturvermittlern für diese Zielgruppen, bedingt durch die europaweite Einführung mindestens einer Fremdsprache als obligatorisches Bildungsangebot an Grundschulen. Denn Fremdsprachenlernen wird als Grundrecht aller Menschen verstanden, das sie zur Teilhabe an den vielfältigen Diskursen in Europa befähigt (vgl. Europäische Kommission 2003). 2 Die Entwicklung berufsfeldbezogener Lehrkompetenzen durch ‚reflektierte Unterrichtserfahrung‘ in einer E-Learning Umgebung E-LINGO beansprucht, Fremdsprachenvermittler auf die qualitätsvolle Gestaltung von Sprachlernkontexten vorzubereiten, die extrem heterogen sind. Dazu müssen Lehrende in der Lage sein, Sprachlernprozesse so zu gestalten, dass sie den <?page no="211"?> 212 Bedürfnissen ihrer jeweiligen Lerngruppen gerecht werden. Ein traditionell wissensvermittelnder, transmissionsorientierter Ansatz kann diesem Anspruch nicht gerecht werden. Vielmehr müssen Angebote ‚reflektierter Erfahrung‘ Grundlage einer Qualifizierungsmaßnahme sein. Nur so werden Sprachvermittler darauf vorbereitet, eine konkrete Lernumgebung (also beispielsweise eine Kindergruppe in einer Schule oder Vorschuleinrichtung) unter Einbeziehung aller Faktoren, die diese Gruppe prägen, zu verstehen und Entwicklungen unter Mitwirkung der daran Beteiligten (der Kinder, der Kolleg/ innen, außerschulischer Expert/ innen) zu planen, zu erproben, die daraus resultierenden Lernprozesse und -ergebnisse gemeinsam zu reflektieren und daraus Schlüsse für die weitere Arbeit zu ziehen. Eine besondere Herausforderung bestand u. a. darin, diesen Anspruch an die Entwicklung von Handlungskompetenzen im Rahmen eines Fernlernangebotes zu realisieren, nicht nur, weil es darum ging, das Potential der neuen Medien optimal und angemessen zu nutzen, sondern weil es für unsere Zielgruppe - häufig berufstätig oder mit familiären Aufgaben befasst - wichtig ist, ein Qualifizierungsangebot zeitlich und örtlich flexibel nutzen zu können. Drei Komponenten von E-LINGO sind hier hervorzuheben: a) Vermittlungswissen: Die Inhalte des Studiengangs, die die Studierenden über eine virtuelle Lernplattform erarbeiten, sind alle fachdidaktisch und nicht fachwissenschaftlich orientiert, d. h. sie beziehen sich immer auf das Vermittlungswissen, das immer praxisfeldorientiert ist. Dieses Vermittlungswissen wird durch Unterrichtsmaterialien (Lehrwerke, Aufgaben, Geschichten, usw.) und Lernertexte (Beispiele von Lehrer-Schüler-Diskursen, Lernertexten) illustriert. b) Praxiserfahrung: Diese ist auf zweierlei Weise integriert: • als dokumentierte Erfahrung über eine Multimedia-Datenbank, auf der die Studierenden erfahrene Lehrende im Unterricht beobachten können, um aus den Erfahrungen anderer zu lernen und diese auf ihre Angemessenheit hin zu reflektieren (Prinzip des reflektierten Modelllernens); • als eigene Erfahrung in Classroom Action Research Projects (CARPs) 1 , in denen Studierende gemeinsam in ihren Teams (Tridems oder Tandems) eigene Unterrichtsprojekte entwickeln, diese in ihren jeweiligen Praxiskontexten durchführen, ihre Erfahrungen nach einer Forschungsfrage auswerten und ihre daraus gewonnenen Erkenntnisse den anderen Studierenden bei den Präsenzphasen präsentieren und mit ihnen diskutieren. 1 Mit Classroom Action Research Projects (CARPs)- „Klassenzimmerforschung“ wird ein bestimmter Forschungsansatz in der Unterrichtsforschung bezeichnet, der im schulischen Kontext seine Berechtigung hat. Wenn dieser Begriff im frühpädagogischen Bereich verwendet wird - also bezogen auf die Interaktionssituation der frühpädagogischen Fachkräfte mit den Kindern im vorschulischen Alter - sollte er nicht missverstanden werden. In Kindertageseinrichtungen spricht man nicht von- Klassenzimmer und- Unterricht. Der Ansatz kann jedoch auf den Lehr / Lernkontext im frühpädagogischen Bereich, z. B. als Handlungsforschung, übertragen werden. <?page no="212"?> 213 Abbildung 1: Einbindung von Praxiserfahrung c) Kooperatives Lernen: Die Studierenden arbeiten durchgängig als Team zusammen. Durch dieses Erfahrungslernen entwickeln sie entsprechende Sozialkompetenzen, die ihnen zum selbstverständlichen Habitus werden, der es ihnen in ihren künftigen Tätigkeitsfeldern ermöglicht, Entwicklungen gemeinsam anzugehen. 3 Erträge und Herausforderungen 3.1. Forschendes Lernen und methodische (Teil)-Kompetenzen Nimmt man die Abschlussarbeiten der mittlerweile fünf Kohorten zum Ausgangspunkt, wird nachweisbar deutlich, dass die Studierenden Problemlösungskompetenzen entwickeln, die sie befähigen, unter Einbezug fachdidaktischer Wissensbestände konkrete Fragen aus dem Klassenzimmer zu isolieren und angemessen zu untersuchen. Dabei werden von einer Mehrzahl der Studierenden die in den CARPs erprobten Verfahren aufgegriffen und differenziert. Sie erweisen sich somit als Sprachvermittler, die die eigene Praxis forschend begleiten können. Diese, aus den Abschlussarbeiten nachweisbare Kompetenz, lässt jedoch nur sehr begrenzt Schlüsse auf andere Teilkompetenzen zu, die wesentlich die didaktische Kompetenz von Sprachvermittlern ausmachen, wie z. B. die konkrete Gestaltung und Steuerung von Interaktionen im Klassenzimmer. Zwar werden in den Präsenzphasen Interaktionskompetenzen geschult und evaluiert, diese unterscheiden sich jedoch von Interaktionen in konkreten Situationen. Die Frage, mit Hilfe welcher Formen und Materialien diese praktischen Kompetenzbereiche in einem Blended-Learning Programm ausgebildet und verfeinert werden können, bedarf in Zukunft der Bearbeitung. 3.2. Kooperatives Lernen Eine Analyse der Präsenzphasen, in denen die Studierenden die in Online-Partnerarbeit oder Online-Tridems geplanten und ausgewerteten CARPs präsentieren und mit allen Teilnehmenden erörtern, belegt überzeugend, dass E-LINGO die notorische Dokumentierte Erfahrung ‘Reflektiertes Modelllernen’ Eigene Erfahrung Handlungsforschungsprojekt Lehrer in Aktion Multimedia-Datenbank Studiernde in Aktion Blended Learning <?page no="213"?> 214 Vereinzelung von Lehrkräften bzw. Studierenden aufhebt und durch die Aufgabenstellungen der Module zumindest erkennbar das kooperative Potential der Kleingruppen mobilisiert. Noch nicht umfassend untersucht ist jedoch der Zusammenhang zwischen Gruppenbildung, Aufgabensteuerung und dem Erfolg kooperativer Gruppen in einer solchen Lernumgebung. Dabei müsste u. a. den kulturell geprägten Vorstellungen der Teilnehmenden zu Sprachvermittlung, die mittlerweile aus sehr unterschiedlichen Bildungskontexten stammen (u. a. aus Baden-Württemberg, Hessen, Belgien, Frankreich, Kanada, Kroatien und Österreich), Rechnung getragen werden. Eine explorative Fallstudie zu diesem Themenkomplex ist in Arbeit. 3.3. Online-Tutoren und Präsenzlehre Wie Rösler und Würffel (2010) deutlich machen, müssen Lehraufgaben in und für digitale Lernszenarien neu bestimmt und differenziert werden. Die Erfahrungen mit E-LINGO bestätigen, dass Methoden der angemessenen Online-Betreuung nicht 1: 1 aus den Methodiken des Präsenzunterrichts gewonnen werden können. Eine differenzierte Bestimmung von Lehrkompetenzen für ein Qualifizierungsangebot im Format von E-LINGO steht noch aus. Gerade die erfolgreichen und beeindruckenden Präsentationen der Ergebnisse aus den CARPs und die Qualifikationsarbeiten werfen die Frage auf, wie die Aufgabenstellungen in den Theoriemodulen, die Tutorierung durch die Lehrenden, die Organisation und Realisierung der Präsenzphasen sowie die Verfahren der CARPs so zusammenwirken, dass sie der Professionalisierung dienen. Weil die Frage für die Weiterentwicklung von E-LINGO und den Transfer auf weitere Projekte, die Formen der Klassenzimmerforschung einsetzen, von entscheidender Bedeutung ist, wird dieser Zusammenhang in einem eigenen Forschungsprojekt untersucht. 4 Perspektiven E-LINGO als Qualifizierungsangebot, das in der Kombination von Fern- und Präsenzlernen systematisch angeleitete Klassenzimmerforschung mit der Behandlung und Analyse von dokumentierter Unterrichtserfahrung sowie publizierten fachdidaktischen Wissensbeständen verschränkt, bietet Perspektiven für drei Handlungsbereiche: (1) E-LINGO kann als Modell für ähnliche Masterprogramme dienen. (2) E-LINGO kann für die zertifizierte Weiterbildung adaptiert werden. Die Einführung von Fremdsprachen in der Grundschule ist in allen Bundesländern erfolgt, ohne dass sichergestellt wurde, dass genügend qualifizierte Lehrkräfte zur Verfügung stehen. Der Bedarf an Nachqualifikation von Grundschullehrkräften ist enorm. Aus diesem Grund wurde in Hessen eine Adaption von E-LINGO zur Weiterbildung beauftragt, deren Erprobung bis 2011 abgeschlossen sein soll. Erste Ergebnisse der Erprobung zeigen, dass eine Adaption mit Modifikationen sinnvoll und angeraten ist. Das Konzept der CARPs sollte dabei nicht aufgegeben, wohl aber für den neuen Kontext modifiziert werden. (3) E-LINGO kann als Fortbildung für andere Sprachvermittlungen und Zielgruppen adaptiert werden: <?page no="214"?> 215 a) Dass den Erfahrungen mit E-LINGO erhebliches Transferpotential zugewiesen wird, zeigt die Entscheidung des Goethe-Instituts, die Fortbildung im Bereich Deutsch als Fremdsprache (DaF) weltweit unter Berücksichtigung zentraler Prinzipien und Formate von E-LINGO zu reformieren. Dabei sollen sowohl eine Datenbank dokumentierten Unterrichts als auch Praxiserprobungsprojekte nach dem Modell der CARPs eine Schlüsselfunktion übernehmen. Begleitstudien müssen erweisen, ob und in wieweit solche Elemente auf so heterogene Kontexte, in denen das Goethe-Institut tätig ist, im Sinne der Kompetenzentwicklung von DaF-Lehrkräften übertragen werden können. b) Eine weitere Transfermöglichkeit ergibt sich im Bereich Deutsch als Zweitsprache. Diesen Weg geht die Baden-Württemberg Stiftung gemeinsam und in Kooperation mit dem Goethe-Institut. Der nachdrücklichen Erkenntnis aus „Sag’ mal was“, dass die Qualifikation der Erzieherinnen einen Schlüssel zu einer gelingenden Sprachförderung ist, soll mit einem blended-learning Angebot zur Qualifizierung in Deutsch als Zweitsprache unter Zugrundelegung und Verwendung der Materialien und Technologie von E-LINGO Rechnung getragen werden. Dieser doppelte Transfer der DaZ-Vermittlung im Vorschulbereich: Adaption des Studiengangs auf den Bereich Fort- und Weiterbildung und inhaltlicher Transfer vom Kontext „Schule / Fremdsprache“ auf den Kontext Kindergarten / Zweitsprache zeigt das große Potential dieser Entwicklung. Literatur Europäische Kommission (2003). Aktionsplan zur Förderung des Sprachenlernens und der Sprachenvielfalt. http: / / europa.eu/ scadplus/ leg/ de/ cha/ c11068.htm Landesstiftung Baden-Württemberg / Legutke, Michael / Schocker-v. Ditfurth, Marita (Hrsg.2008). E-LINGO Didaktik des frühen Fremdsprachenlernens. Erfahrungen und Ergebnisse mit Blended Learning in einem Masterstudiengang. Tübingen: Gunter Narr. Legutke, Michael / Schocker-v. Ditfurth, Marita (2009). „School-Based Experience”. In: Anne Burns & Jack C. Richards (Eds.): The Cambridge Guide to Second Language Education. Cambridge University Press, pp. 209-217. Rösler, Dietmar / Würffel, Nicola (2010). Online-Tutoren. Kompetenzen und Ausbildung. Tübingen: Narr. Schocker-v. Ditfurth, Marita (2001). Forschendes Lernen in der fremdsprachlichen Lehrerbildung. Tübingen: Gunter Narr. <?page no="215"?> anhang 216 <?page no="216"?> 217 autorinnen und autoren Elke Andersen Einrichtungsleitung einer städtischen Tageseinrichtung für Kinder in Stuttgart und Bildungsreferentin für verschiedene pädagogische Themen im Elementarbereich. Prof. Suzan Bacher Frau Prof. Suzan Bacher leitet das Landesinstitut für Schulentwicklung (LS) in Stuttgart, das als Projektnehmer für die Baden-Württemberg Stiftung mit der Begleitung des Programms „Sag’ mal was“ betraut ist. Das LS ist zuständig für Projekte und Modellversuche zur Weiterentwicklung der vorschulischen Förderung, zur Weiterentwicklung von Schule und Unterricht, für Bildungsplanarbeit sowie für Qualitätsentwicklung und Evaluation von Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen im fachlichen Zuständigkeitsbereich des Kultusressorts Baden-Württemberg. Petra Best Kommunikationswissenschaftlerin (M.A.), seit 2002 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Jugendinstitut. Ihre aktuellen Arbeitsgebiete: Kindliche Sprachentwicklung und Sprachförderung; Konzepte zur Verknüpfung von Sprachförderung mit Bildungsaufgaben des Elementarbereichs, insbesondere mit Aktivitäten und Angeboten der Medienerziehung. Kontakt: best@dji.de Irene Dittrich Dipl.-Päd. (Jahrgang 1968), ist seit dem Sommersemester 2011 Gastprofessorin an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin im Studiengang Erziehung und Bildung in der Kindheit. Bis dahin war sie von 2009-2011 wissenschaftliche Mitarbeiterin der Educert GmbH und leitete den Arbeitsbereich empirische Evaluationsforschung. Von 2000 bis 2004 arbeitete sie in der Entwicklung und Implementierung der Nationalen Qualitätsinitiative des BMFSFJ und bildete von 2004 bis 2009 pädagogische Fachkräfte am Pestalozzi-Fröbel-Haus in Berlin aus. Prof. Dr. Hartmut Esser Emeritierter Professor für Soziologie und Wissenschaftslehre an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Mannheim. Prof. Dr. Klaus Fröhlich-Gildhoff ist hauptamtlicher Dozent für Klinische Psychologie und Entwicklungspsychologie an der Evangelischen Hochschule Freiburg und dort auch Leiter des Zentrums <?page no="217"?> 218 für Kinder- und Jugendforschung. Er gestaltet Forschung im Bereich Jugendhilfe, Pädagogik der Frühen Kindheit, Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen. Prof. Dr. Barbara Gasteiger-Klicpera Professorin für Integrationspädagogik und Heilpädagogische Psychologie, Universität Graz; Forschungsschwerpunkte: Inklusion von Kindern mit besonderem Förderbedarf, Prävention von Verhaltens- und Lernschwierigkeiten, Lese-Rechtschreibschwierigkeiten, Evaluation von Sprachförderung. Günter Gerstberger Günter Gerstberger, Jahrgang 1950, ist Leiter des Programmbereichs „Bildung und Gesellschaft“ der Robert Bosch Stiftung. In seinen Bereich fallen Programme und Projekte zur frühkindlichen Bildung, Schulentwicklung, Talent- und Kreativitätsförderung sowie zu Familie und demografischem Wandel. Seit 1985 ist er für die Robert Bosch Stiftung auf den Gebieten der Völkerverständigung, Wohlfahrtspflege, Kultur und Bildung tätig. Prof. Dr. Ingrid Gogolin Frau Prof. Dr. Gogolin ist Professorin an der Fakultät für Erziehungswissenschaft, Psychologie und Bewegungswissenschaft der Universität Hamburg und war Mitglied des Akademischen Senats der Universität Hamburg. Sie ist Ko-Koordinatorin des Landesexzellenzclusters „Linguistic Diversity Management in Urban Areas“ und Sprecherin des „FörMig-Kompetenzzentrums“ der Universität Hamburg. Zu früheren Arbeiten gehören die wissenschaftliche Leitung des Modellprogramms „Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund FörMig“, Forschungsprojekte zum Mathematiklernen im Kontext sprachlich-kultureller Diversität und zur Qualität „Bilingualer Grundschulen“ in Hamburg und Sachsen. Sie war Präsidentin der European Educational Research Association und der World Educational Research Association. Susanne Hartmann Dipl.-Soz. Päd. FH, Referentin für Tageseinrichtungen für Kinder im Caritasverband für die Erzdiözese Freiburg e.V. Georg Hohl Pfarrer, Geschäftsführer des Evangelischen Landesverbandes - Tageseinrichtungen für Kinder in Württemberg e.V., Vorsitzender der Bundesvereinigung Evang. Tageseinrichtungen für Kinder e.V. (BETA). <?page no="218"?> 219 Dr. Karin Jampert Dipl.-Päd., Studium der Sozialpädagogik (FH) und der Erziehungswissenschaften. Seit 1981 am Deutschen Jugendinstitut in unterschiedlichen Forschungsprojekten in der Abteilung „Kinder und Kinderbetreuung“ tätig. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: frühkindlicher Spracherwerb und Mehrsprachigkeit, Entwicklung von Sprachförderkonzepten für pädagogische Fachkräfte im Elementarbereich, Kindheitsforschung, Interkulturelle Pädagogik. Prof. Dr. Axel Jansa ist seit 2007 an der Hochschule Esslingen im Studiengang „Bildung und Erziehung in der Kindheit“ tätig und leitet diesen seit 2008. Er vertritt als Erziehungswissenschaftler insbesondere den Bereich der Elementarpädagogik. Arbeitsschwerpunkte sind u.- a. Reggio-Pädagogik, Ästhetische Bildung; Beobachtung, Dokumentation und Portfolioarbeit. Als Leiter der Lernwerkstatt der Hochschule zuständig für die Weiterentwicklung hochschuldidaktischer und elementarpädagogischer Lernwerkstattkonzepte. Prof. Dr. Gisela Kammermeyer Professorin für Pädagogik der frühen Kindheit an der Universität Koblenz- Landau, Lehrerin, Schulpsychologin; Schwerpunkte: Übergang vom Kindergarten in die Grundschule, anschlussfähige Bildungsprozesse, Sprachdiagnostik und Sprachförderung. Sarah King Dipl.-Päd., Projektmitarbeiterin im Institut für Bildung im Kindes- und Jugendalter, Arbeitsbereich Pädagogik der frühen Kindheit der Universität Koblenz-Landau, Campus Landau. Forschungsschwerpunkt: Kindliche Sprachentwicklung. Prof. Dr. Wolfgang Klein geboren 1946 im Saarland, ist seit 1980 Direktor am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nijmegen. Er arbeitet über alles, wozu er Lust hat, meistens aber über Zweitspracherwerb, Textstruktur, den Ausdruck von Raum und Zeit in der Sprache, und neuerdings viel über Lexikografie. Prof. Dr. Werner Knapp Professor für Sprachwissenschaft und Sprachdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Weingarten. Arbeitsschwerpunkte: Textproduktion, Zweitspracherwerb, weitsprachdidaktik und Sprachförderung, Erzählen. <?page no="219"?> 220 Maren Krempin, M. A. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Mannheimer Zentrum für empirische Mehrsprachigkeitsforschung (mazem) an der Universität Mannheim. Arbeitsschwerpunkte: Wissenschaftliche Begleitung und Evaluation von Bildungsprojekten, Koordination verschiedener Sprachförderprojekte, Lehrtätigkeit. Prof. Dr. Diemut Kucharz Professorin an der Pädagogischen Hochschule Weingarten für Erziehungswissenschaft mit den Schwerpunkten Grundschulpädagogik und Anfangsunterricht; Studiengangsleiterin im Masterstudiengang Early Childhood Studies. Forschungsschwerpunkte: Jahrgangsgemischter Anfangsunterricht, Evaluation von Sprachförderung, Lernprozesse im frühkindlichen Bereich, Offener Unterricht, Evaluation von Bildungsregionen. Mechthild Laier Dipl.-Soziologin, seit 2003 am Deutschen Jugendinstitut in der Abteilung „Kinder und Kinderbetreuung“ in unterschiedlichen Forschungsprojekten im Zusammenhang mit frühkindlichen Bildungsprozessen tätig. Ihr Schwerpunkt als Wissenschaftliche Mitarbeiterin liegt auf sprachlicher Bildung und Sprachförderung in Kindertageseinrichtungen. Kontakt: laier@dji.de Prof. Dr. Michael Legutke Emeritierter Professor für die Didaktik der Englischen Sprache und Literatur an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Er leitete beim Goethe-Institut München das Projekt Fortbildungsdidaktik, war Fachberater für Deutsch im Pazifischen Nordwesten der USA und Lehrer an einer Gesamtschule. Er ist Mitglied des Beirats Sprache des Goethe-Instituts. Dr. Hans Rudolf Leu Deutsches Jugendinstitut e.V. München; Sozialwissenschaftliches Studium in Bern, Freiburg i. Br. (M.A.) und München (Dr. phil.). Bis April 2011 Leiter der Abteilung „Kinder und Kinderbetreuung“ im DJI. Schwerpunkte: Frühkindliches Lernen, Praxisentwicklung zur frühpädagogischen Förderung von Bildungsprozessen; Bildungsberichterstattung zum Lernen vor und neben der Schule. Kerstin Mehler, M.A. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Mannheimer Zentrum für empirische Mehrsprachigkeitsforschung (mazem) an der Universität Mannheim. Arbeitsschwerpunkte: Wissenschaftliche Begleitung und Evaluation von Bildungsprojekten, Koordination verschiedener Sprachförderprojekte, Lehrtätigkeit. <?page no="220"?> 221 Astrid Metz Dipl.-Päd., Erzieherin. Projektmitarbeiterin im Institut für Bildung im Kindes- und Jugendalter, Arbeitsbereich Pädagogik der frühen Kindheit der Universität Koblenz- Landau, Campus Landau. Forschungsschwerpunkt: Sprachdidaktik von Erzieherinnen. Prof. Dr. Regine Morys ist seit 2007 an der Hochschule Esslingen im Studiengang „Bildung und Erziehung in der Kindheit“ tätig. Sie vertritt insbesondere die Schulpädagogik mit Schwerpunkt Pädagogik und Didaktik der Primarstufe. Arbeitsschwerpunkte sind u. a. Spracherwerb und Schriftspracherwerb, Kooperation von Schule und Jugendhilfe, Erziehungs- und Bildungspartnerschaft mit Eltern, Kooperation von Kindergärten und Grundschulen sowie innovative Schulkonzepte. Dr. Uwe Neugebauer ist Mitglied der Gesellschaft für Evaluation (DGEval) und hat im Auftrag der Baden- Württemberg Stiftung die Schulung der Multiplikatorinnen im Programm „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“ evaluiert. Aktuell arbeitet er am Institut für Deutsche Sprache und Literatur II der Universität zu Köln und erstellt im Auftrag der Stadt Köln ein Konzept zur Evaluation der städtischen Sprachfördermaßnahmen. Gudrun Raible Dipl.-Päd., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Referentin für den Elementarbereich am Landesinstitut für Schulentwicklung (LS) in Stuttgart. Sie ist dort Projektleiterin im Programm „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“ der Baden-Württemberg Stiftung, bei dem das LS die Projektträgerschaft übernommen hat. Prof. em. Dr. Hans H. Reich Professor für Deutsch mit dem Schwerpunkt Deutsch als Zweitsprache an der Universität Koblenz-Landau seit 1979, Institut für Bildung im Kindes- und Jugendalter, Arbeitsbereich Interkulturelle Bildung. Untersuchungen zur Bildungssituation von Migrantenschülern in mehreren europäischen Staaten, zu Mehrsprachigkeit und Sprachenpolitik, zur Didaktik der Zweisprachigkeit und zur zweisprachigen Entwicklung von Kindern im Elementar- und Primarbereich. Prof. Dr. Jeanette Roos ist seit 1998 Professorin für Psychologie an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg.- Sie lehrt dort im Bereich- Entwicklungspsychologie, Psychologie in pädagogi- <?page no="221"?> 222 schen Handlungsfeldern (überwiegend Schule- sowie Früh- und Elementarbereich), Diagnostik (Evaluation), Prävention und-Intervention. In der Forschung beschäftigt sich eines ihrer-von der BW Stiftung finanzierten Projekte-(PRISE 2)--mit dem Übergang von der Primarin die Sekundarstufe-aus Sicht-der Lehrkräfte, ein anderes von der Stadt Heidelberg und der Tschira-Stiftung gefördertes Projekt, „QUASI Heidelberg“-(Qualitätsentwicklung und -sicherung in Heidelberger Kindertageseinrichtungen), mit der-Bildung im Früh- und Elementarbereich.- Dr. Susanna Roux Erzieherin, Dipl.-Päd., Wiss. Mitarbeiterin im Institut für Bildung im Kindes- und Jugendalter, Arbeitsbereich Pädagogik der frühen Kindheit der Universität Koblenz- Landau, Campus Landau. Forschungsschwerpunkte: Sprachdiagnostik und -pädagogik, Pädagogische Qualität, Sozial-emotionale Entwicklung, Interaktionsforschung. Prof. Dr. Marita Schocker-von Ditfurth Seit 2001 Professorin für die Didaktik der englischen Sprache und Literatur an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Sie arbeitete davor 13 Jahre als Englisch- und Deutschlehrerin an Real- und Hauptschulen in Deutschland und war gleichzeitig Fachberaterin in der Lehrerfortbildung, Seminarlehrerin in der Referendariatsausbildung sowie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Pädagogischen Hochschule. Prof. Dr. Hermann Schöler ist Dipl.-Psychologe und seit 1982 Professor „Psychologie in sonderpädagogischen Handlungsfeldern mit dem Schwerpunkt Lern- und Entwicklungsstörungen und ihre Diagnostik“ und für „Entwicklungspsychologie der frühen und mittleren Kindheit“ an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Seit 1972 ist der kindliche Spracherwerb, seine Störungen und seine Diagnostik einer seiner Forschungsschwerpunkte. Im Jahre 2007 übernahm er die Entwicklung des neuen Bachelor-Studiengangs „Frühkindliche und Elementarbildung“, dessen Leitung er bis Juni 2010 innehatte. Renate Schwalb Renate Schwalb studierte Germanistik und Romanistik in Freiburg und schloss ihr Studium mit beiden Staatsexamen ab. Seit 1985 unterrichtet sie an der FSP Marianum, Allenbach- Hegne Deutsch und Kinder- und Jugendliteratur/ Medienpädagogik. Seit der Ausbildungsreform ist sie zuständig für das Lernfeld Sprache im Handlungsfeld Förderung von Entwicklung und Bildung. Prof. Dr. Wolfgang Tietze ist Geschäftsführer der PädQUIS gGmbH, Kooperationsinstitut der Freien Universität Berlin. Er war von 1994 bis 2010 Professor für Erziehungswissenschaft mit dem Schwer- <?page no="222"?> 223 punkt Kleinkindpädagogik an der Freien Universität Berlin. Zuvor hatte er von 1979 bis 1993 eine Professur für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Vorschulerziehung an der Westfälischen Wilhelms-Universität inne. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Fragen der Feststellung, Entwicklung und Sicherung pädagogischer Qualität in Kindertageseinrichtungen sowie Studien zu Effekten früher Bildung, Betreuung und Erziehung. Er war Mitglied der Sachverständigenkommission des 12. Kinder- und Jugendberichts und ist Koautor des Gutachtens für das BMFSFJ „Von der Tagespflege zur Familientagesbetreuung“ und hat zahlreiche Veröffentlichungen zur Frühpädagogik vorgelegt. Dr. Dieter Thoma Dr. Dieter Thoma ist Akademischer Rat auf Zeit am Lehrstuhl für Anglistische Linguistik der Universität Mannheim und koordiniert die Forschungs- und Transferprojekte des Mannheimer Zentrums für Empirische Mehrsprachigkeitsforschung (MAZEM). Seine Forschungsschwerpunke sind die Angewandte Psycholinguistik und der Spracherwerb. Prof. Dr. Rosemarie Tracy Studium der Anglistik, Romanistik und Psychologie in Mannheim, Göttingen und den USA. Lehrtätigkeiten in Göttingen und Tübingen. Seit 1995 Professur für Anglistische Linguistik an der Universität Mannheim. Ulrike Vogelmann M.A. Seit 2002 Referentin bei der Baden-Württemberg Stiftung zunächst im Bereich Kunst und Kultur, seit 2007 in der Abteilung Bildung, dort u. a. Betreuung des Programms „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“. Dr. Andreas Weber Studium der Soziologie, Wissenschaftstheorie und Politischen Wissenschaften. Seit 2001 Aufbau und Leitung der Abteilung Bildung der Baden-Württemberg Stiftung. Dort unter anderem verantwortlich für das Baden-Württemberg-STIPENDIUM und „Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder“. Prof. Dr. Sabine Weinert Prof. Dr. Sabine Weinert hat Psychologie sowie ergänzend Mathematik, Germanistik und Pädagogik in Freiburg i.Br. und Bochum studiert und an der Universität Bielefeld in Psychologie promoviert und habilitiert. Nach Stationen in Münster und Erfurt hat sie derzeit den Lehrstuhl für Entwicklungspsychologie an der Otto-Friedrich Universität Bamberg inne. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Sprach-, Denk- und Lernentwicklung (einschließlich Diagnostik, Förderung/ Intervention sowie Entwicklungsstörungen) im Kindesalter. <?page no="223"?> 224 Ramona Wenzel Dipl.-Patholinguistin, seit 2005 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „LiSe- DaZ“ - Entwicklung eines Diagnoseverfahrens zur Bestimmung des Sprachentwicklungsstandes im Deutschen bei Kindern mit Deutsch als Zweitsprache. Promoviert an der Goethe Universität Frankfurt Main zum Thema Erstspracherwerb und spezifische Sprachentwicklungsstörungen. Anne Zehnbauer Dipl.-Psychologin, ist seit 1975 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am DJI tätig in verschiedenen Forschungsprojekten der Abteilung Kinder und Kinderbetreuung. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Elementarpädagogik, insbesondere bei Konzepten zu Sprachförderung und Musik sowie interkulturelle Erziehung. Nebenberuflich war sie einige Jahre in der ErzieherInnenausbildung tätig. <?page no="225"?> 226 Schriftenreihe der Baden-Württemberg Stiftung nr. titel erschienen 56 nanotechnology - Fundamentals and applications of Functional nanostructures - 2011 Th. Schimmel, H. v. Löhneysen, M. Barczewski 55 Fit für den Wiedereinstieg - wie sich Beruf und Familie unter einen hut bringen lassen - 2010 Tipps für eine erfolgreiche Rückkehr in den Beruf 54 „neue Brücken bauen ... zwischen generationen, Kulturen und Institutionen“ - 2010 Programmdokumentation 53 erzähl uns was! Kinder erzählen geschichten und hören einander zu - Eine Förderinitiative der 2010 Stiftung Kinderland Baden-Württemberg 52 am anfang ist es eine Idee - am ende eine große erfindung - Ein Leitfaden für die Planung und 2010 Umsetzung von naturwissenschaftlich-technischen Projekten 51 nachhaltigkeit macht fit für die Zukunft - Energie nutzen, Umwelt schützen 2011 50 Männer für erzieherische Berufe gewinnen: perspektiven definieren und umsetzen - 2010 Impulse und Anregungen für eine größere Vielfalt in Tageseinrichtungen für Kinder 49 Strategische Forschung 2010 - Studie zur Struktur und Dynamik der 2010 Wissenschaftsregion Baden-Württemberg 48 expeditionsziel: nachhaltigkeit - Ihr Reiseführer in die Zukunft 2011 47 Familiäre einflüsse als prägender Faktor: herausforderung für die Suchtprävention - Wie Familien 2010 für die familienorienierte Suchtprävention zu gewinnen und welche Veränderungen möglich sind 46 Qualifizierung von prüfern: entwicklung innovativer Weiterbildungskonzepte. - Wie neuen 2010 Herausforderungen im Bildungswesen begegnet und Prüfungsqualität gesichert werden kann. 45 neue generationennetzwerke für Familien - Wissenschaftliche Evaluation des Förderprogramms 2010 der Stiftung Kinderland Baden-Württemberg 44 Kinder und ihr Umgang mit geld und Konsum - Dokumentation und Evaluation des 2009 Förderprogramms der Stiftung Kinderland Baden-Württemberg 43 Musisch-ästhetische Modellprojekte in Kindergärten und anderen tageseinrichtungen für Kinder - 2009 Dokumentation des Programms der Stiftung Kinderland Baden-Württemberg 42 training bei Demenz - Dokumentation zum Kongress „Training bei Demenz“ Dezember 2008 2009 41 hilfen und schulische prävention für Kinder und Jugendliche bei häuslicher gewalt - 2009 Evaluation der Aktionsprogramme „Gegen Gewalt an Kindern“ 2004-2008 in Baden-Württemberg 40 Kommunen auf dem Weg zu mehr Familienfreundlichkeit - Dokumentation des Projekts der 2009 Landesstiftung Baden-Württemberg „ZUKUNFTSFORUM Familie, Kinder & Kommune“ 39 naturwissenschaftlich-technische Modellprojekte in Kindergärten - Dokumentation des Programms 2009 der Stiftung Kinderland Baden-Württemberg 38 erfolgsgeschichten - nachwuchswissenschaftler im porträt - Ergebnisse des Eliteprogramms für 2009 Postdoktorandinnen und Postdoktoranden der Landesstiftung Baden-Württemberg 37 „Kinder nehmen Kinder an die hand“ - Dokumentation des Programms der Stiftung 2009 Kinderland Baden-Württemberg <?page no="226"?> 227 nr. titel erschienen 36 Zeit nutzen - Innovative pädagogische Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche während 2008 der Ferienzeit - Dokumentation des Förderprogramms der Stiftung Kinderland Baden-Württemberg 35 e-lIngO - Didaktik des frühen Fremdsprachenlernens - Erfahrungen und Ergebnisse mit 2008 Blended Learning in einem Masterstudiengang (erschienen im gnv Gunter Narr Verlag Tübingen) 34 Visionen entwickeln - Bildungsprozesse wirksam steuern - Führung professionell gestalten - 2008 Dokumentation zum Masterstudiengang Bildungsmanagement der Landesstiftung Baden-Württemberg (erschienen im wbv W. Bertelsmann Verlag Bielefeld) 33 Forschungsprogramm Klima- und Ressourcenschutz - Berichte und Ergebnisse aus den 2008 Forschungsprojekten der Landesstiftung Baden-Württemberg 32 nanotechnology - physics, Chemistry, and Biology of Functional nanostructures - 2008 Results of the first research programme Kompetenznetz „Funktionelle Nanostrukturen“ (Competence Network on Functional Nanostructures) 31 „Früh übt sich …“ - Zugänge und Facetten freiwilligen engagements junger Menschen - 2008 Fachtagung am 21. und 22. Juni 2007 in der Evangelischen Akademie Bad Boll 30 beo - 6. Wettbewerb Berufliche Schulen - Ausstellung, Preisverleihung, Gewinner und 2007 Wettbewerbsbeiträge 2007 29 Forschungsprogramm Mikrosystemtechnik der landesstiftung Baden-Württemberg - 2007 Berichte und Ergebnisse aus den Forschungsprojekten 28 Frühe Mehrsprachigkeit: Mythen - Risiken - Chancen - Dokumentation zum Kongress 2007 am 5. und 6. Oktober 2006 in Mannheim 27 „es ist schon cool, wenn man viel weiß! “ KOMet - Kompetenz- und erfolgstrainings für Jugendliche - 2007 Dokumentation der Programmlinie der Landesstiftung Baden-Württemberg 2005-2007 26 Jugend und verantwortungsvolle Mediennutzung - Medien und gesellschaft - 2007 Untersuchungsbericht des Forschungsinstituts tifs e. V. 25 jes - Jugend engagiert sich und jes | connection - Die Modellprojekte der landesstiftung 2007 Baden-Württemberg - Bericht der wissenschaftlichen Begleitung 2002-2005 24 Suchtfrei ins leben - Dokumentation der Förderprogramme zur Suchtprävention für vorbelastete 2007 Kinder und Jugendliche 23 häusliche gewalt beenden: Verhaltensänderung von tätern als ansatzpunkt - 2006 Eine Evaluationsstudie von Monika Barz und Cornelia Helfferich 22 Innovative Familienbildung - Modellprojekte in Baden-Württemberg - Aktionsprogramm 2006 Familie - Förderung der Familienbildung 21 Förderung der Selbständigkeit und eigenverantwortung von Menschen mit Behinderung - 2006 Dokumentation der Projekte der Ausschreibung der Landesstiftung Baden-Württemberg 2002-2006 20 Raus aus der Sackgasse! - Dokumentation des Programms „Hilfen für Straßenkinder und 2006 Schulverweigerer“ 19 „erfahrungen, die‘s nicht zu kaufen gibt! “ - Bildungspotenziale im freiwilligen engagement 2006 junger Menschen - Fachtagung 16. und 17. Juni 2005 in der Evangelischen Akademie in Bad Boll <?page no="227"?> 228 Schriftenreihe der Baden-Württemberg Stiftung nr. titel erschienen 18 beo - 5. Wettbewerb Berufl iche Schulen - Dokumentation über die Wettbewerbsbeiträge der 2006 Preisträgerinnen und Preisträger 2006 17 Forschungsprogramm nahrungsmittelsicherheit der landesstiftung Baden-Württemberg - 2006 Berichte und Ergebnisse aus den Forschungsprojekten 16 Medienkompetenz vermitteln - Strategien und evaluation - Das Einsteigerprogramm 2006 start und klick! der Landesstiftung Baden-Württemberg 15 Forschungsprogramm Optische technologien der landesstiftung Baden-Württemberg - 2005 Zwischenberichte aus den Forschungsprojekten 14 Jugend. Werte. Zukunft. - Wertvorstellungen, Zukunftsperspektiven und soziales engagement 2005 im Jugendalter - Eine Studie von Dr. Heinz Reinders 13 4. Wettbewerb Berufliche Schulen - Dokumentation des Wettbewerbs 2005 mit den Preisträger- 2005 innen und Preisträgern 12 „Beruf UnD Familie“ - wie gestalten wir das UnD? - Ein Leitfaden für Praktiker und Praktikerinnen 2005 aus Unternehmen und Kommunen 11 Strategische Forschung in Baden-Württemberg - Foresight-Studie und Bericht 2005 an die Landesstiftung Baden-Württemberg 10 Jugend und verantwortungsvolle Mediennutzung - Medien und gesellschaft - 2005 Untersuchungsbericht des Forschungsinstituts tifs e. V. 9 Dialog Wissenschaft und Öffentlichkeit - Ein Ideenwettbewerb zur Vermittlung von Wissenschaft 2005 und Forschung an Kinder und Jugendliche 8 Selbstvertrauen stärken - ausbildungsreife verbessern - Dokumentation innovativer Projekte 2005 im Berufsvorbereitungsjahr 2001/ 2002 7 FaUStlOS in Kindergärten - Evaluation des Faustlos-Curriculums für den Kindergarten - 2004 dokumentiert im Zeitraum von Januar 2003 bis Oktober 2004 6 hochschulzulassung: auswahlmodelle für die Zukunft - Eine Entscheidungshilfe für die Hochschulen 2005 5 3. Wettbewerb Berufliche Schulen - Dokumentation des Wettbewerbs 2004 mit den Preisträger- 2004 innen und Preisträgern 4 JUgenD und verantwortungsvolle Mediennutzung - Medien und persönlichkeitsentwicklung - 2004 Dokumentation des Fachtags, 4. Dezember 2003, Gospel Forum Stuttgart 3 2. Wettbewerb Berufliche Schulen - Dokumentation des Wettbewerbs 2003 mit den Preisträger- 2003 innen und Preisträgern 2 neue Wege der Förderung freiwilligen engagements von Jugendlichen - Eine Zwischenbilanz zu 2003 Modellen in Baden-Württemberg 1 1. Wettbewerb Berufliche Schulen - Dokumentation des Wettbewerbs 2002 mit den Preisträger- 2005 innen und Preisträgern <?page no="229"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Der Band fasst die Erfahrungen mit der Entwicklung und Implementierung eines MA -Studiengangs zur Qualifizierung von Fremdsprachenvermittlern für die Primarstufe zusammen, der als Blended Learning angelegt ist (Verbinden von Präsenzphasen mit orts- und zeitunabhängigem virtualisiertem Lernen über eine E-Learning Lernplattform). Diskutiert werden die berufsfeldspezifischen Kompetenzen für Sprach- und Kulturvermittler dieser Lernstufe und es wird gezeigt, wie deren Entwicklung konzeptuell in der Lernumgebung umgesetzt wurde. Neben der Beschreibung der Lernplattform und der integrierten Videodatenbank geht es vor allem auch um die Möglichkeiten, kooperatives Lernen und reflektier te Unterrichtserfahrung durch Klassenforschungsprojekte in einen überwiegend virtualisierten Studiengang zu integrieren. Die unterstützenden Werkzeuge (Tagebuch, Portfolio, dreisprachiges Glossar) werden ebenso beschrieben wie Funktion und Rolle der E-Tutor/ innen in den unterschiedlichen Kommunikationsformen, die die Lernplattform bietet. Der Band endet mit einer Auswahl von fremdsprachendidaktischen Masterarbeiten, die im Zusammenhang des Studiengangs entstanden sind sowie einem Ausblick auf Entwicklungen, die sich für E-Learning aus den Erfahrungen mit E-LINGO ergeben. Landesstiftung Baden-Württemberg (Hrsg.) in Zusammenarbeit mit Michael Legutke und Marita Schocker-von Ditfurth E-LINGO Didaktik des frühen Fremdsprachenlernens Erfahrungen und Ergebnisse mit Blended Learning in einem Masterstudiengang Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik 2008, 209 Seiten, 32 farb. Abb., €[D] 28,00/ SFr 49,00 ISBN 978-3-8233-6452-8 Didaktik des frühen Fremdsprachenlernens <?page no="230"?> Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 T übingen Offensichtlich ist Spracherwerb ein Kinderspiel! In einem Alter, in dem wir Kinder nicht unbeaufsichtigt eine Straße überqueren lassen würden, erschließen sie sich zielstrebig die Strukturen ihrer Erstsprachen. Wie wir mittler weile wissen, gilt dies nicht nur für den Er werb einer Sprache, denn Kinder können von Anfang an mit mehr als einer Sprache aufwachsen. Auch der frühe Erwerb einer zeitversetzt hinzutretenden Zweitsprache ist ohne Risiko für die Entwicklung des Kindes möglich. Diese Kompetenzen gilt es zu nutzen, vor allem auch für die frühe Zweitsprachförderung von Kindern aus Einwandererfamilien, denen ohne ausreichende Sprachkenntnisse Bildungs- und Berufschancen verwehrt bleiben. Dieses Buch bietet anhand vieler Beispiele einen verständlichen Überblick über den Spracherwerb und schildert die Rahmenbedingungen für eine er folgreiche Unterstützung frühkindlicher Mehrsprachigkeit. Verdeutlicht wird auch, welche sprachlichen Bereiche für Zweitsprachlerner problematisch bleiben, wenn angemessene Unterstützung fehlt. Der Text enthält eine Anleitung für die gezielte Beobachtung von Kindern und eine Fülle von Anregungen für die Förderung. Darüber hinaus weckt er Interesse an Sprache im Allgemeinen und fördert den Spaß an der eigenen Sprachkompetenz. Rosemarie Tracy Wie Kinder Sprachen lernen Und wie wir sie dabei unterstützen können 2., überarb. Auflage 2008 XII, 236 Seiten, €[D] 19,90 / SFr 35,90 ISBN 978-3-7720-8306-8 Mehrsprachigkeit in der frühen Kindheit <?page no="231"?> Sag’ mal was - Sprachförderung für Vorschulkinder Die DVD Auf der mitgelieferten DVD finden Sie eine Zusammenfassung der Fachtagung. Inhalt Intro und Begrüßung 3 Minuten Impulsvorträge 7 Minuten Wissenschaftliche Begleitforschung 6 Minuten Zwischenbilanz und Kurzinterviews 6 Minuten theatergruppe "le Maschere" 3 Minuten Workshops 1 - 4 4 Minuten abschlussdiskussion 5 Minuten Sprachförderung für Vorschulkinder 12 Minuten Blick in die Praxis Sprachliche Bildung für Kleinkinder 9 Minuten Das Anschlussprojekt der Baden-Württemberg Stiftung Fortbildung 4 Minuten Feedback von Erzieherinnen und Erwartungen von Müttern Bonusmaterial Interviews mit Experten und Teilnehmern der Fachtagung 50 Minuten Sketch der Theatergruppe "Le Maschere" 25 Minuten